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Wie gesagt, vor sechzig Jahren wars, da sagte Waverley, der Held unsrer Geschichte, seiner Familie Lebewohl, um sich zu dem Dragonerregiment zu begeben, bei dem er angeworben worden war. Es war ein trauriger Tag für Waverley-Würden, als der neubackne Offizier von seinem greisen, ihm herzlich zugetanen Onkel Sir Everard sich trennte, dessen Rang und Stammgut er einmal erben sollte. Zwischen unsers Helden Vater, dem jüngern Bruder des Baronets, Richard Waverley, und diesem hatten sich durch abweichende Ansichten über die politischen Strömungen im Lande Differenzen gebildet. Sir Everard hatte von seinen Ahnen all die Ideen und Vorurteile geerbt, die die Partei der Tory und der hochbischöflichen Kirche beherrschten, und das Haus und Geschlecht der Waverleys hatte seit dem großen Bürgerkriege sich als Tory wie als Anhänger der Hofkirche allzeit rühmlich hervorgetan. Der jüngere Bruder hingegen, mit dem ältern um zehn Jahre auseinander, lebte der Meinung, als dessen geborner Erbe vorderhand weder ein Amt noch ein Einkommen zu brauchen, aus dem Kampf ums Leben vielmehr weit bequemer und leichter als Sieger hervorzugehen, wenn er sich so wenig Lasten wie nur irgend möglich auf den Hals lüde. Geschichtsstudium und eigne Erfahrung hatten ihm den Beweis dafür geliefert, daß »Leiden in Geduld und ohne Widerstand«, wie es in einem alten Liede heißt, töricht und albern sei. Wahrscheinlich würde aber alle Vernunft kaum im stande gewesen sein, die ererbten Vorurteile zu beseitigen, hätte sich voraussehen lassen, daß Sir Everard, dessen Herz in den früheren Mannesjahren eine bittre Enttäuschung erfahren hatte, als Hagestolz sein siebzigstes Lebensjahr überschreiten werde. Dadurch gelangte er zu der Ueberzeugung, daß er im Leben bloß etwas werden könne, wenn er sich auf sich selbst verließe und mit der althergebrachten Liebe zu dem königlichen Hause der Stuarts und zur bischöflichen Hofkirche bräche, und so schloß er sich der Partei der Whig an, die der hannöverschen Thronfolge das Wort redete. Das Ministerium dieser Periode war klug darauf bedacht, die Oppositionspartei zu schwächen, und nahm den Sprößling eines so alten Geschlechtes mit Wärme auf, denn man durfte hoffen, durch ihn weitere Proselyten zu werben, und überhäufte ihn mit allerhand ministerieller Gunst, die zu tragen seine Fähigkeiten kaum ausreichten. Bald las nun Sir Everard, daß sein jüngerer Bruder, Richard Waverley, Esquire, Parlamentsmitglied geworden sei, und zwar für den ministeriellen Wahlort Barterfield, dann, daß Richard Waverley, Esquire, sich in den Verhandlungen über die Accisbill zu gunsten der Regierung und sehr zu seinem Vorteil hervorgetan habe, endlich, daß Richard Waverley, Esquire, Sitz und Stimme in einem der Kollegien erhalten habe, die sich des Vergnügens, dem Vaterlande Talente und Kräfte zu opfern, zusammen mit der unerquicklichen Vergünstigung all vierteljährlicher Einberufung erfreuen dürfen. So schnell sich diese Nachrichten aufeinander folgten, so gelangten sie doch zufolge der damals nur wöchentlichen Erscheinung der Zeitungsberichte nur tropfenweis zu den Ohren Sir Everards, und das war für Richard Waverley einigermaßen von Vorteil. Denn wäre die Totalsumme von solch außerordentlichem Glück auf einmal nach Waverley-Würden gedrungen, so dürfte der neue Fürstendiener wohl kaum viel Ursache gefunden haben, sich zu seiner Schwenkung zu gratulieren. Denn wenn auch der Baronet der gutherzigste aller Menschen war, so war doch sein Gemüt nicht frei von empfindlichen Seiten, und dazu gehörte der Stolz auf die Traditionen seines alten Geschlechts in erster Reihe, und diesen Stolz hatte der Bruder durch seinen Uebertritt empfindlich verletzt. Das Haus Waverley war nicht durch Familiengesetz an bestimmte Erbfolge gebunden, und selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, so hätte eine späte Heirat des damaligen Geschlechtsherrn dem Kollateralerben einen bösen Streich spielen können. Mancherlei Gedanken dieser Art gingen Sir Everard durch den Kopf, ohne jedoch einen festen Entschluß, zu Richards Glück, zu reifen. Er prüfte seinen Stammbaum, der auf den Wänden seines Ahnengelasses zwischen allerhand Emblemen und Darstellungen von Heldentaten seiner Vorgänger prangte. Die nächsten Deszendenten Sir Hildebrands waren, außer dessen ältestem Sohne Wilfried, dessen einzige Sprößlinge Sir Everard und Richard waren, die Waverleys von Highley Park, zumeist unter der Bezeichnung »Nants« bekannt, mit denen jedoch der eigentliche Stamm um einiger Verstöße halber seit Jahren allen Verkehr abgebrochen hatte. Immerhin waren dieselben im Gedächtnis Sir Everards durch die jüngsten Vorkommnisse so weit in den Hintergrund gedrängt worden, daß es, wäre Doktor Beutelschneider bloß um eine Stunde früher auf Waverley-Würden eingetroffen, wohl hätte passieren können, daß ihm der Auftrag, eine neue Aufteilung des Waverley-Erbes auszuarbeiten, zu teil wurde. Aber er hatte sich um diese Zeitspanne unterwegs verspätet, und sie hatte genügt, den Ingrimm, der Sir Everard erst veranlaßt hatte, den Rechtsanwalt durch einen expressen Boten zu beordern, verrauchen zu lassen. Dr. Beutelschneider fand seinen Klienten in tiefes Sinnen versunken und getraute sich nicht, dasselbe auf andre Weise zu unterbrechen, als daß er Papier und Schreibzeug aus seinem blauen Beutel langte und vor sich auf den Tisch stellte zum Zeichen, daß er zur Arbeit bereit und fertig sei. Aber gerade dieses bescheidne Verfahren brachte den Herrn von Waverley in Verdruß, denn er meinte darin einen leisen Vorwurf zu finden, daß er sich noch nicht recht schlüssig darüber sei, weshalb er seinen Rechtsanwalt inkommodiert habe. Und als er nun auf den Jünger der Themis blickte, noch halb unschlüssig, wie er sich verhalten solle, da drang plötzlich hinter einer Wolke die Sonne vor und warf einen buntfarbigen Strahl durch das gemalte Fenster des düstern Zimmers, in welchem sie saßen, und Sir Everards Auge fiel gerade, als er nach dem Fenster sah, durch das der bunte Strahl drang, auf das Wappenbild, in dessen Mittelpunkte, das die Devise enthielt, die sein Ahn in der Schlacht bei Hastings geführt haben sollte: drei Hermeline von Silber in azurnem Felde mit dem Spruche: Sans Tasche [fleckenlos] schritten. »Mag er lieber untergehen, unser Name,« dachte da Sir Everard, »als daß dies alte, loyale Symbol durch das beschimpfte Wappen eines solchen Rundschädels von Puritaner, der unsern König Karl mit auf den Richtblock geführt hat, seines Glanzes entäußert werden sollte!« Dies alles war die Wirkung eines flüchtigen Sonnenblicks, gerade hell genug, daß Doktor Beutelschneider sich ohne allzu viele Mühe seinen Gänsekiel spitzen konnte. Aber die Arbeit war müßig gewesen, denn es wurde dem Advokaten der Bescheid, sich wieder zu entfernen, aber sich auf den ersten Ruf bereit zu halten. Die Anwesenheit des Doktors Beutelschneider im Schlosse mußte natürlicherweise die Folge nach sich ziehen, daß die gesamte Welt, die sich um Waverley-Würden drehte, die Köpfe zusammensteckte. Wer aber hier in diesem Mikrokosmus zu jenen Leuten gehörte, die das Gras wachsen hören   und solcher Leute gab es natürlich auch hier   die meinten für Richard Waverley aus diesem Vorgange, der so unmittelbar auf seine politische Wandlung folgte, noch weit Schlimmeres ahnen zu sollen ... und in der Tat erfolgte auch nichts Geringeres, als eine Reise des Baronets in seiner sechsspännigen Staatskutsche mit vier Lakeien in reicher Livre zu einem hochadligen Pair im Grafschaftsbezirke, der von fleckenloser Herkunft und ein unentwegt getreuer Anhänger der Torystischen Partei und glücklicher Vater von sechs unverheirateten Töchtern war. Wie man sich wohl denken kann, wurde Sir Everards Besuch dort sehr warm begrüßt, leider aber fiel die Wahl seines Herzens auf die jüngste der hochadligen Töchter. Emilie nahm seine Komplimente mit zaghaftem Herzen entgegen. Sie ließ durchblicken, daß sie sie nicht ablehnen dürfe, nichtsdestoweniger aber alles andre als erfreut darüber sei. Dem Baronet konnte dieser Zwang nicht entgehen, er ließ sich aber durch die Worte der klugen Frau Mama belehren, daß in solchem zurückhaltenden Wesen nichts anderes zu erblicken sei, als die natürliche Folge einer stillen häuslichen Erziehung. Und so würde Miß Emilie jedenfalls, wie manche andre ihrer Geschlechtsgenossinnen, das Opfer einer Konvenienzheirat geworden sein, wäre nicht eine ihrer älteren Schwestern resolut genug gewesen, den reichen Bewerber durch die Offenbarung in Bestürzung zu versetzen, daß Miß Emilie ihr Herz bereits einem jungen, reichen Offizier, einem nahen Verwandten des Hauses, geschenkt habe. Von dieser Mitteilung wurde Sir Everard begreiflicherweise nichts weniger als angenehm berührt, und als Emilie, wenn auch mit Bangen vor dem väterlichen Zorne, ihm in einer vertraulichen Unterredung die Wahrheit dieser Mitteilung bestätigte, da faßte Sir Everard, ehrenhaft und edelmütig, wie ein echter Waverley, den kurzen Entschluß, seine Bewerbung um Emiliens Hand zurückzuziehen und den hochadligen Herrn Papa dahin zu beeinflussen, daß er seiner jüngsten Tochter den Weg zu einer glücklichen Ehe in keiner Weise verschließen möge. Aber die Lehre, die Sir Everard aus diesem Korbe zog, blieb von nachhaltigem Einfluß auf sein ganzes Leben, wenngleich ihm das Bewußtsein, sich in der Angelegenheit als echter Edelmann betragen zu haben, die Herbigkeit der Pille einigermaßen linderte. Indessen hatte ihm den Gedanken zu einer ehelichen Verbindung bloß eine momentane Regung von Groll und Unmut eingegeben, und die Mühsale einer Brautfahrt schickten sich so wenig zu seinem gesetzten Wesen, daß er, kaum der Gefahr entronnen, die Hand einer Gattin zu erringen, die ihm ihre Liebe nicht hätte schenken können, zurück auf sein Stammschloß kehrte, mit dem festen Vorsatze, seine Neigung keinem andern weiblichen Wesen mehr zuzuwenden, auch jener ältern Tochter des hochadligen Pairs nicht, die ihm doch ganz sicher die Mitteilung des von ihrer jüngern Schwester bereits eingegangenen Verhältnisses nicht frei von selbstsüchtiger Absicht gemacht hatte. Er kehrte wieder zurück zu der alten Lebensweise und zu den alten Grundsätzen, in Waverley-Würden auf gut und echt Englisch im Stile des Landedelmannes von alter Herkunft und bedeutendem Vermögen Hof zu halten. Seine Schwester, Miß Rachel Waverley, stand dem Hauswesen wieder vor wie bisher, und so traten denn beide, Bruder und Schwester, allgemach in den Stand des alten Junggesellen und der alten Jungfer hinüber, nahmen aber beide alle Gutherzigkeit und brave Gesinnung hinüber, die sie ihr ganzes Leben lang ausgezeichnet hatten. Der Groll, der in Sir Everards Herz gegen den Bruder eingezogen war, hielt nicht lange vor, aber sein Groll gegen alles, was mit Whigs und Regierungspartei zusammenhing, blieb dort haften, und der Baronet mied lediglich aus diesem Grunde noch den Umgang mit ihm. Da sollte es ein glücklicher Zufall fügen, daß die alten Beziehungen sich wieder fanden. Richard Waverley hatte nämlich einer Dame von Stand die Hand zum ehelichen Bunde gereicht, deren Vermögen ihn in die Lage setzte, seine Laufbahn mit größerm Nachdruck fortzusetzen. Sie brachte ihm nicht nur einen ziemlich umfangreichen Landsitz in die Ehe, sondern auch einen recht bedeutenden Betrag an barem Vermögen. Und dadurch, daß der Landsitz in nicht zu großer Entfernung von dem Landsitze seines Bruders lag, sollte es sich eben fügen, daß die beiden eine Zeitlang einander feindlich gewesenen Brüder sich in Freundschaft wieder zu einander fanden. Das einzige Kind, das Richards Ehe entsproß, war Edward, der Held unsrer Geschichte. Eines Morgens war der Knabe mit seiner Gouvernante ein halbes Stündchen weit von dem Landsitze seines Vaters, dem Schlosse Brerewood-Lodge, spazieren gegangen. Da wurde ihre Neugierde durch eine sechsspännige Staatskutsche gefesselt, die so stattlich aussah, daß sich der Oberbürgermeister von London ihrer nicht hätte zu schämen brauchen. Ein kurzes Stück ab von ihnen hielt die Kutsche, um auf ihren Herrn zu warten, der sich nach einem im Umbau befindlichen Pachthofe begeben hatte, um nachzusehen, welche Fortschritte die Arbeiten in den letzten vierzehn Tagen gemacht hatten. Ob nun der Knabe durch italienische oder schottische Ammenmilch aufgezogen worden, weiß ich nicht, auch nicht, auf welche Weise sonst seine Phantasie so lebhaft angeregt wurde, daß er ein Wappenschild mit drei Hermelinen ohne weitres mit dem Gedanken in Konnex brachte, daß ihm ein Eigentumsrecht auf die Kutsche, an welcher sich das Schild befand, zustehe. Gerade während sich die Gouvernante bemühte, ihm das Irrige seiner Auffassung klar zu machen und ihm zu wehren, als er, den Fuß auf den Tritt setzte in der Absicht, sich in die Kutsche zu setzen, kam der Baronet wieder aus dem Pachthofe heraus. Es war ein um so glücklicheres Zusammentreffen für den jugendlichen Pausback, als der Onkel eben in dem Pausback seines Freisassen Anlaß bekommen hatte, sich selbst solches Glück zu wünschen. Und nun sah er den kleinen rosenwangigen Burschen vor sich, der noch obendrein seinen Namen führte, mithin rechtskräftige Ansprüche auf sein Haus und seine Familie, auf seine Liebe und Fürsorge besaß, zufolge eines Bandes, das er ebenso hehr und heilig hielt, wie ein Hosenbandritter sein blaues Ordensband; und da war es ihm zu Mute, als habe die Vorsehung selbst ihm denjenigen Gegenstand seines Sehnens und Wünschens zugeführt, auf den er alle Liebe und Sorge übertragen könne, ohne sich in irgend welchem Zweifel darüber zu bewegen, ob er sie einem würdigen Gegenstande zuführe oder nicht. Knabe und Gouvernante wurden nun in der Staatskutsche zurück nach Schloß Brerewood-Lodge gebracht, und zwar mit solch freundlichen Worten, daß sich Richard Waverley nicht unklar darüber bleiben konnte, daß sein Bruder dieses Verhalten als einen ersten Schritt zu der Wiederannäherung der beiden Brüder betrachtete. Die neuen Beziehungen behielten nun zwar einen etwas zeremoniellen Charakter; immerhin fanden beide Brüder ihre Rechnung dabei. Sir Everard fand in den häufigen Besuchen, die nunmehr der kleine Vetter auf Schloß Waverley machen durfte, jene Zuversicht, daß dem alten Geschlecht ein neuer Sproß erwachse, und für den reichen Schatz von Liebe, der in seinem Herzen wohnte, einen gern gesehenen Ableiter, während Richard Waverley in der zunehmenden Zuneigung des Oheims zu dem Neffen das Mittel erblickte, das reiche Erbe des alten Stammguts für seinen Sohn, wenn nicht gar für sich selbst, sicher zu stellen. So ließ man hinfort den kleinen Edward, vermöge stillschweigender Übereinkunft, den größern Teil des Jahres im Schlosse Waverley-Würden zubringen, so daß er zwischen beiden Familien stand als ein Band, dem von beiden Seiten die gleiche Liebe und Zuneigung entgegengebracht wurde, und seine Erziehung wurde wechselweise nach dem Geschmack und nach den Ansichten des Oheims einer- und des Vaters anderseits geleitet. Hiervon aber weiteres im nächsten Kapitel Zweites Kapitel Die Erziehung unsers Helden war ziemlich wirrer Art. In seiner Kindheit litt er, wenigstens nahm man dies an, durch die Londoner Luft in seiner Gesundheit. Deshalb wurde er, sobald es seinem Vater die verschiedenen Geschäfte, die ihm oblagen, gestatteten, nach Waverley-Würden gebracht, und damit wechselte er dann mit dem Wohnort auch Lehrer und Unterricht. Aber dort war in verschiedenster Hinsicht so trefflich für ihn gesorgt, daß sich dieser Uebelstand von keinem allzu großen Nachteil für ihn erwies. Der Privatsekretär Sir Everards, ein junger Mann von Geschmack und Bildung, wurde bewogen, ein paar Tagesstunden auf Edwards Unterricht zu verwenden; den Unterricht in den alten Sprachen übernahm der Schloßprediger, ein Oxforder Professor, der um seine Stellung gekommen war, da er Georg dem Ersten nicht hatte huldigen wollen. Er war auch in andern Wissenschaften bewandert und der neuen Sprachen nicht minder mächtig als der alten. Leider war er zufolge hohen Alters schwach und nachsichtig, so daß er einen großen Teil der Autorität über den Knaben einbüßte. Für jeden andern Knaben von geringerm Fassungsvermögen hätte solche Regellosigkeit von Nachteil sein müssen, aber Edward wurde alles so leicht, daß es für den Lehrer im Grunde nur notwendig war, ihm die Zügel nicht allzu locker zu lassen. Edward warf sich mit Feuereifer auf jeden klassischen Schriftsteller, den ihm sein Lehrer vorschlug, und wenn er dem Stil desselben Gefallen abgewann, dann las er ihn auch zu Ende. Aber umsonst war jeder Versuch, seine Aufmerksamkeit auf kunstvolle Wendungen im Ausdruck hinzulenken oder ihn zu veranlassen, tiefer in das Verständnis desselben zu dringen, dazu war seine Einbildungskraft zu lebhaft, und wesentlich sprach bei der Abneigung, die ihn hiergegen erfüllte, der Umstand mit, daß es ihm von seiten des Oheims frei gelassen wurde, auf welche Weise er den Schatz seiner Kenntnisse mehren wolle. Das Bücherzimmer in Waverley-Würden, ein großer, im gotischen Stile gehaltener Saal, barg eine Bibliothek aus der Zeit von zwei Jahrhunderten, also eine jener Sammlungen, wie sie immer in Familien entstehen, die Mittel genug haben, ihre Schränke durch die Erscheinungen des Tages auf dem Büchermarkte zu füllen, denen es jedoch an Verständnis und Einsicht gebricht, die richtige Auswahl zu treffen.... Dieses weite Reich nach allen Richtungen und auf allen Gebieten zu durchstreifen, war Edward vollständig frei gestellt. Sein Hauptlehrer lag seinen eignen schriftlichen Arbeiten mit Eifer ob, theologische Streitfragen und Kirchenpolitik nahmen ihn stark in Anspruch und ließen es ihm ganz erwünscht erscheinen, auf einige Stunden am Tage von dem Unterricht des Knaben frei zu kommen, wiewohl er nicht unterließ, die Fortschritte des Erben seines Gönners aufmerksam und eifrig im Auge zu behalten. Sir Everard, der selbst nie studiert hatte, teilte die Ansicht seiner Schwester, daß es vollauf genüge, wenn man nur hin und wieder läse, und daß es gar nicht notwendig sei, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, ob es richtiger und schöner gewesen sei, den einen Gedanken so und den andern anders auszudrücken. Edward durchjagte also, einzig und allein durch das Verlangen bestimmt, sich gut zu unterhalten, eine Unmenge von Büchern, genau so wie ein Fahrzeug ohne Steuermann und Ruderknecht auf den Wellen eines Wassers treibt. Aber keine andre Gewohnheit reißt beim Menschen schneller ein, als die einer planlosen Lektüre, zumal dann, wenn sie so reiche Gelegenheit zur Befriedigung findet, wie ihr hier auf dem Schlosse Waverley geboten wurde. Und die nächste unausbleibliche Folge hiervon ist die Uebersättigung. Ehe es aber bei Edward hierzu kam, hatte er eine große Menge wissenswerter Dinge in sich aufgenommen und in seinem Gedächtnis, das eine ungewöhnliche Treue aufwies, aufgespeichert, wenn auch ohne Ordnung und Plan. In der englischen Literatur hatte er Shakespeare und Milton ziemlich fest inne, etwa wie unsre Schauspieldichter früherer Zeiten, die sich an den malerischsten und anziehendsten Stellen ihrer Vorgänger auf belletristischem Schaffensgebiet, wie vor allem Spencer, Drayton und andrer, so lange begeisterten, bis sie die richtige Stimmung für eigenes Schaffen gefunden hatten. Ein dankbares Feld eröffneten ihm die Dichter Italiens, und wahren Genuß fand er an den herrlichen Novellen, die diese großen Geister des zweitältesten Kulturlandes der Menschheit beschert haben. Eine unerschöpfliche Sammlung von Memoirenwerken bot ihm die französische Literatur. Am liebsten las er hier Froissarts Werke, die mit ihrem Gemisch von Schauer und Fröhlichkeit seiner Gemütslage am meisten entsprachen. Aus Brantome und de la Noue lernte er den wilden, zügellosen und dabei bigotten und abergläubischen Charakter der Ligue kennen, aber die Vergleiche, die er hierbei zu ziehen Veranlassung fand, fielen wesentlich zu gunsten der Hugenottenpartei aus. Was ihm die Spanier an Rittergeschichten und erotischen Heldendichtungen boten, war ihm ein unvergleichlicher Schatz. Aber tiefer noch drang er in die uralten Dichtungen der nordischen Völker ein, die seiner Phantasie die schönste Befriedigung schufen und seinen Geist am energischsten förderten. Obgleich nun Edward auf diese Weise vieles wußte, was wenigen bekannt war, so war er im Grunde genommen doch ein Nichtswisser, weil er nur wenig von jenem Wissen besaß, das dem Menschen die wahre Würde verleiht, das ihn befähigt, einen höhern Standpunkt in der Gesellschaft einzunehmen und zur Freude und zum Nutzen seiner Mitmenschen auszufüllen. Hätten seine Eltern regere Gelegenheit genommen, seine Bildung zu überwachen, so wäre dies wohl ein heilsames Gegenmittel gegen die Zersplitterung gewesen, in die sein Geist zufolge dieser planlosen Bücherwut geraten mußte. Aber seine Mutter starb sieben Jahre später, als die Aussöhnung der Brüder erfolgt war, und sein Vater, der seit dem Hinscheiden seiner Frau fast immer in London weilte, war zu lebhaft in Anspruch genommen von seinem Ringen nach Ehren und Reichtümern, um mehr an seinem Sohne zu finden, als daß er eine solche Bücherliebe besäße, daß ihm eine Bischofsmütze dereinst sicher sein müsse. Aber zu einem ganz andern Schlusse auf seines einzigen Sohnes Zukunft wäre er gekommen, wenn er die Fähigkeit und Möglichkeit besessen hätte, die in dem Gemüte desselben aufdämmernden Träume zu erraten und zu beurteilen. Drittes Kapitel Edward stand in seinem sechzehnten Jahre, als sein Hang zur Einsamkeit und Zurückgezogenheit so offenbar wurde, daß Sir Everard sich ängstlicher Besorgnis hingab. Er suchte ihm nun Zerstreuung dadurch zu schaffen, daß er ihn zu Jagdpartien heranzog, die für ihn als Jüngling die schönste Zerstreuung gewesen waren. Aber wenngleich sich Edward eine Zeitlang diesem Sport mit großem Interesse widmete, so dauerte dies doch im Grunde kaum länger, als bis er meinte, sich die notwendigste Befähigung dafür angeeignet zu haben. Nun gab sich der alte Isaak Walton die erdenklichste Mühe, aus ihm einen echten Angelbruder zu machen. Aber von allen Zerstreuungen, die sich der menschliche Geist machen kann, ist wohl diejenige des Angelns am allerwenigsten geeignet, einem ungeduldigen Charakter zuzusagen. Geselliger Verkehr hätte unserm Jüngling wohl noch am ehesten behagt, aber die Umgegend von Schloß Waverley war im Grunde genommen schwach bewohnt, und die Landjunker derselben gehörten kaum zu derjenigen Klasse, wie sie für Edward passend gewesen wäre. Hierzu kam, daß Sir Everard nach dem Tode der Königin Anna auf seinen Sitz im Parlament verzichtet und sich zufolgedessen auch von allen gesellschaftlichen Verpflichtungen frei gemacht hatte, er war eben auch mit den Jahren an Vermögen reicher, aber an Freunden ärmer geworden, wie es den meisten Menschen in geordneten Verhältnissen zu gehen pflegt, wenn sie in ein höheres Alter hinauf rücken. Eine Folge für Edward hieraus war, daß er sich, wenn ihn der Zufall einmal mit jungen Leuten seines Standes zusammen führte, linkisch und unbeholfen vorkam, und zwar weniger infolge von Mangel an Bildung und Kenntnissen; als infolge von Mangel an Befähigung, sie zu beherrschen und von sich zu geben. Hieraus entwickelte sich nun bei Edward eine steigende Abneigung gegen allen gesellschaftlichen Verkehr, und hieraus wieder entstand ein hoher Grad von Empfindlichkeit, und der Gedanke, einen Verstoß gegen die gewöhnlichen Umgangsregeln zu begehen, war ihm im höchsten Grade peinlich. Daher darf es nicht Wunder nehmen, wenn sich in Edward die Meinung bildete, er sei für die Gesellschaft ein unverwendbarer Faktor, der am gescheitesten täte, sich ganz von ihr fern zu halten. Dagegen waren ihm die Stunden ein Genuß, die er bei Onkel und Tante verbringen konnte, und die mit Erzählungen aus der guten Zeit ausgefüllt wurden, wobei sich freilich nicht umgehen ließ, daß sehr oft Dinge zum dritten und vierten Male, vielleicht auch noch häufiger, wiederholt wurden. Die Heldentaten Wiliberts von Waverley im gelobten Lande, seine lange Abwesenheit von der Heimat und seine gefahrvollen Abenteuer auf der Aus- und auf der Einfahrt, sein vermeintlicher Tod und seine endliche Wiederkehr an jenem Abend, als seine Braut demjenigen die Hand gereicht hatte, der sie in seiner Abwesenheit gegen Kränkung und Anfeindung geschützt hatte, der Edelmut, mit dem dann der Kreuzfahrer seinen Ansprüchen entsagte und im nahen Kloster den Frieden für seine Seele suchte, solchen und ähnlichen Geschichten und Mären konnte Edward stundenlang lauschen. Und nicht weniger bewegt wurde er, wenn ihm Tante Rachel von den Leiden und dem kühnen Mute der Lady Alice Waverley erzählte während des langen und schweren Bürgerkriegs. Das freundliche Gesicht der alten Dame nahm einen Ausdruck gar hoher Würdigkeit an, wenn sie erzählte, wie König Karl nach der Schlacht bei Worcester einen Tag lang Zuflucht gesucht habe auf dem Schlosse Waverley-Würden, und wie Lady Alice beim Nahen einer feindlichen Reiterschar ihren jüngsten Sohn mit einer Handvoll Diener aus ihrem Hause ausgesandt habe, um eine Stunde Zeit durch Einsetzung seines Lebens zu gewinnen, die dem König den nötigen Vorsprung zur Flucht verschaffte. »Und Gott schenke ihr die ewige Ruhe,« schloß Miß Rachel die Erzählung, indem sie die Augen auf das Bildnis der Heldenfrau heftete. »Teuer genug hat sie die Rettung unsres Königs erkauft, indem sie das Leben ihres Liebsten dafür opferte. Tödlich verwundet brachten sie ihn wieder aufs Schloß, und noch kannst Du die Blutstropfen zählen, die er auf dem Transporte durch das Schloßtor über die kleine Galerie nach der Halle vergossen hat, wo sie ihn neben das Leichenlager der Mutter betteten.« Und wenn er solchen Familiengeschichten stundenlang gelauscht hatte, dann erschien vor seinem geistigen Auge all die Pracht, die bei Hochzeitsfeierlichkeiten auf Schloß Waverley entfaltet wurde. Dann sah er die hagere, dünne Gestalt jenes wirklichen Schloßherrn wieder, wie er dastand im Pilgergewande, ein unbemerkter Zuschauer des Hochzeitszuges der so lang ersehnten Braut mit dem untergeschobenen Erben, dann hörte er, wie die ganze Versammlung erschüttert wurde, als sie die Kunde der Heimkehr des Ritters vernahm, und dann, wie die Vasallen zu den Waffen griffen, wie der Bräutigam wie ohnmächtig niederschlug auf die steinernen Fliesen, und wie die Braut aufschrie ... und dann fühlte er den furchtbaren Schmerz, den Wilibert gefühlt haben mochte, als er der Braut das Wort zurückgab und sie des ihm verpfändeten Wortes entband, sein Schwert in die Scheide zurückschob und die Halle verließ, um sich in die Einsamkeit des Klosters zurückzuziehen. Und dann sah er die Lady Alice, wie sie saß und lauschte mit klopfendem Herzen erst auf den ersterbenden Widerhall des Hufschlags der Rosse, die ihren König von dannen trugen, dann auf den Lärm des in der Ferne geführten Gefechts, und wie es dann zu ihren Ohren drang, das näher und näher dringende Brausen des Schlachtengetümmels ... und dann das Siegesgeschrei feindlicher Stimmen, dazwischen Flinten- und Büchsenschüsse     und dann sah Edward ganz deutlich im Geiste, wie die Lady sich aufrichtete, und wieder zusammenbrach, als ein Diener hereinkam mit der Nachricht, der Sohn sei verwundet, und ... aber wozu eine Fortsetzung dieser Gebilde? ... Das Leben hier in dem Erbschlosse Waverley wurde unserm Helden von Tag zu Tag lieber und werter, und so war es kein Wunder, daß ihm jede Störung desselben mit der Zeit immer ungelegner kam. Die ausgedehnten Ländereien, die rings um das Schloß herum lagen, und die gewöhnlich mit dem Namen »Waverley-Forst« bezeichnet wurden, da ihre Größenverhältnisse weit über den Begriff Park hinausgingen, waren vor Zeiten ganz mit Wald bedeckt gewesen und hatten auch jetzt noch einen Teil jenes urwäldlichen Charakters an sich, als Wild- und Auerochsen sich in ihrem Röhricht tummelten. Sie wurden von breiten Schneisen durchzogen, und an manchen Stellen waren noch die Baumzweige sichtbar, unter denen die Damen der Ritter ihren Stand nahmen, um den Hirsch vor den Doggen flüchtig zu sehen, und im entscheidenden Augenblick ihm den Bolzen aus der Armbrust in die Weiche zu senden. Dann wieder wanderte er mit Flinte und Hund, die er beide mitnahm als Vorwand um der Leute willen, meist aber mit einem Buch in der Tasche, zu dessen Lektüre ihm der Vorwand der Jagd dienen sollte, eine dieser Schneisen entlang, die sich ein paar Stunden lang zu einer sanften Höhe hinaufzog, erst durch einen wilden, engen Pfad, dann durch einen felsigen, verwachsnen Engpaß, bekannt als Mirkwood-Dingle, und sich dann jäh zu einem finstern, tiefen und schmalen Wasserloch erweiterte, dem »Mirkwood-See«. Hier hatte in grauer Zeit eine einsame Burg gestanden, hoch oben auf einem Felsen und fast ganz umschlossen vom Wasser, die, weil sie in stürmischer Zeit der Familie Waverley oft als Zufluchtsstätte gedient hatte, den Namen »Waverley-Feste« führte. Hier war es gewesen, wo die letzten Anhänger der roten Rose in dem wilden Kriege der Häuser York und Lancaster im Kampfe um ihr Recht sich festsetzten, um blutige und räuberische Fehden zu führen, bis sie durch den wilden Richard von Gloucester bezwungen wurden. Hier setzte sich auch eine Anzahl von Rittern noch lange fest unter dem altern Bruder jenes Waverley, dessen Schicksal die alte Tante Rachel erzählt hatte, und der unter dem Namen Nigel [Erzählt in dem Scott-Romane »Nigels Schicksale.«] eine hervorragende Figur im Hause der Waverley bildet. Das waren die Szenen, mit denen sich Edward unablässig »in sauersüße Träume wiegte«, gleich einem Kinde, tändelnd mit seinem Spielzeuge. Und aus den strahlenden, doch mäßigen Gebilden seiner Phantasie, mit denen sein Geist überladen war, schuf er sich Träume über Träume, die wie die Abendröte sich färbten, um schnell zu verbleichen. Und von welchem Einflüsse dieser Hang Edwards auf sein Gemüt und seinen Geist wurde, davon soll das nächste Kapitel handeln. Viertes Kapitel Aus der Umständlichkeit, mit der ich mich der Schilderung von Edwards Charakter widme, möge keiner meiner Leser die Folgerung ableiten, als sei ich willens, eine Art Don Quichotte aus ihm zu machen. Nein, ich gedenke keineswegs in die Fußtapfen des edlen und unnachahmlichen Cervantes zu verfallen. Zudem war Edward weit entfernt, allgemeinere Teilnahme an dem, was sein Herz erfüllte, zu erwarten, oder sich in dem Glauben zu wiegen, die wirklichen Dinge oder Verhältnisse außerhalb von ihm seien so eingerichtet, daß sie Phantasieen, in denen er sich so gern wiegte, zur Wirklichkeit machen könnten; vielmehr fürchtete er nichts so sehr, als einen Anlaß, daß er Gedanken und Gefühle offenbaren müsse, die sein einsames Sinnen in ihm bewirkt hatten. Einem Vertrauten, dem er seine Träume hätte mitteilen mögen, hatte er nie gehabt und sich auch nie gewünscht. Er fühlte vielmehr ihre lächerlichen Seiten so tief, daß er sich, vor die Wahl gestellt zwischen einer demütigenden Bestrafung von kurzer Dauer und dem Verlangen einer ruhigen Schilderung jener idealen Welt, in der er die schönere Zeit seines Lebens zubrachte, gewiß nicht besonnen hätte, sich für das erstere zu entscheiden, also einen Denkzettel hinzunehmen. Diese Herzensverschlossenheit sollte ihm doppelt teuer zu stehen kommen, als er im weitern Verlaufe seines Lebens der ersten Anwandlung erwachender Liebe sich bewußt wurde. Nach und nach verwoben sich nämlich weibliche Gestalten von ausgesuchter Anmut in die süßen Träumereien seiner Seele und bald strebte nun sein Auge diese Gestalten seiner Phantasie mit den in der Wirklichkeit vorhandenen seiner Umgebung zu vermischen und zu vergleichen. Die Zahl der schönen Frauen, die Sonntags in der Hauptkirche zu Waverley ihren Liebreiz zur Schau trugen, war nicht groß und auch nicht erlesen. Unter allen von ihnen am passabelsten war noch Miß Cilchen, oder, wie sie sich lieber nennen hörte, Miß Cäcilie Stubbs, Tochter des Squire Stubbs, der auf dem Meierhofe sässig war. Ich weiß nicht, ob es, wie man aus weiblichem Munde in solchen Fällen so gern hört, »reiner Zufall« war, oder ob eine Verwandtschaft des Geschmacks die Ursache dazu gewesen ist, aber Faktum ist, daß sich Junker Edward und Jungfer Cäcilie Stubbs öfter einmal im Walde begegneten. Aber noch immer hatte Junker Edward nicht den Mut gefunden, Cilchen bei solchem Zufalle anzureden; doch ganz ohne Wirkung blieb ein solches Sich-Begegnen auch nicht. Liebhaber schwärmerischer Natur sind oft Anbeter so wunderlicher Natur, daß sie sich gar nicht darum kümmern, aus welchem Holze die Gegenstände ihrer Verehrung geschnitzt sind. Aber in dem Falle mit dem Junker regten sich, ehe es so weit kam, daß Cäcilie durch ihre Reize zur weiblichen Göttin erhoben wurde, leise Ahnungen in Tante Rachels Seele, die sie ohne weiteres bestimmten, solcher drohenden »Vergötterung« einen Damm zu ziehen. Sie ließ es sich nun mit Eifer angelegen sein, ihrem Bruder die Notwendigkeit auseinanderzusetzen, daß Edward mehr von der Welt zu sehen bekäme, als ihm der ewige Aufenthalt in Waverley möglich mache. Zuerst wollte ja Sir Everard nicht viel von den Plänen der Schwester hören, Tante Rachel verfolgte aber ihre Absicht mit so kluger Taktik und solch geschickter Strategie, daß nach einer gewissen Zeit doch Edwards Vater der Vorschlag gemacht wurde, seinen Sohn unter Aufsicht des Herrn Pembroke, seines damaligen Lehrers, auf die Reise zu senden, mit dem Bemerken, daß es sich der Onkel angelegen sein lassen wolle, den Junker mit den hierzu nötigen Geldern auszustatten. Der Vater hatte gegen solchen Plan nichts einzuwenden, aber als er bei dem nächsten Diner, das er bei dem Ministerpräsidenten einnahm, diesem Herrn Kenntnis von dem Vorschlage des Bruders gab, da schnitt der hohe Herr ein gar ernstes Gesicht und bemerkte, die politischen Ansichten Sir Everards bewegten sich doch auf so ungesundem Boden, daß es ganz ungeraten sei, einen jungen Mann unter Obhut eines Lehrers auf das Festland reisen zu lassen, der doch gewiß in den Anschauungen des Oheims fuße. Es sei deshalb seiner Meinung nach klüger, falls sich sein Sohn damit einverstanden erklären könne, für ihn um einen Offiziersposten bei einem eben aus Flandern heimgekehrten Dragonerregiment bei Seiner Majestät, die ja doch, wie der Minister bestimmt versichern könne, dem Herrn Richard Waverley in Gnaden gewogen sei, einzukommen. Solcher auf solche Weise gegebne Wink durfte nicht unbeachtet gelassen werden, wollte man sich nicht einer Ungnade aussetzen, und so entschied Richard Waverley, auf die Gefahr hin, das Mißfallen seines Bruders zu erregen, daß der vom Minister ausgesprochen Meinung gemäß zu verfahren sei. In zwei kurz aufeinander folgenden Schreiben wurde Sir Everard und dem Junker Kenntnis hiervon gegeben, dem letztern ohne Umschweife hierbei mitgeteilt, welche Vorbereitungen er zu treffen habe, um sich zu seinem Regiment zu begeben. Seinem Bruder mußte Richard Waverley ausführlicher auseinandersetzen, auf welche Weise er zu der Wandlung seiner ersten Meinung gekommen sei, und daß es ihm um so schwerer falle, sich in Meinungsverschiedenheit zu setzen, als er doch dankbarlichst anzuerkennen habe, welche Opfer sein Bruder der Erziehung seines Sohnes gebracht habe, und wie er sich jetzt wieder bereit erkläre, den Sohn mit den nötigen Reisegeldern zu versehen, daß es ihm aber in keinem Falle möglich sei, die vom Minister ausgesprochene Anschauung zu ignorieren oder gar sich in Widerspruch zu ihr zu setzen; aus diesem Grunde müsse er zu seinem Bedauern von seinem Sohne fordern, daß er sich dem Plane, den sein bester Freund und Wohltäter für ihn entworfen habe, nicht unterordne, sondern sich dem Willen des Vaters füge, zumal Seine Königliche Majestät selbst die Frage zu stellen geruht habe, warum sein Sohn denn als ein Waverley sich überhaupt noch nicht selbst zum Dienste in der königlichen Armee gemeldet habe. Sir Everard las diese Mitteilung unter mancherlei Empfindungen. Er selbst hatte sich, wie schon erwähnt nach dem Siege der hannoverischen Partei aus dem Parlamente zurückgezogen, und sein persönliches Verhalten in dem denkwürdigen Jahre 1715 war nicht ganz einwandsfrei gewesen. Es ging die Rede von heimlichen Ritten im Waverley-Forst, von Musterungen daselbst bei Mondschein und von Kisten voller Waffen und Munition, die in Holland für Rechnung des Schloßherrn von Waverley gekauft worden seien, die aber ein vigilanter Zollwächter ausspioniert habende, dann später von einer Schar handfester Freisassen in finstrer Nacht auf ausgespanntem Segelleinen auf und nieder gewippt worden sei, bis er nicht mehr habe japsen können. Ja, es hieß sogar, daß man bei der Festnahme des Sir W... W..., des Hauptes der torystischen Partei, in dessen Rocktasche ein Schreiben Sir Everards aufgefunden habe; da man sich jedoch auf keinen bestimmten Fall habe beziehen können, hatte die Regierung es für angemessen erachtet, nach Niederwerfung des Aufstandes ihr Strafgericht nicht weiter zu erstrecken, als über diejenigen Aufwiegler, die mit den Waffen in der Hand ergriffen worden waren. Seitdem war Sir Everards jakobitische Gesinnung, wenn auch nicht erstorben, so doch wesentlich herabgemindert worden, einem Feuer vergleichbar, dem es an Brennstoff fehlt. Und hin und wieder fing er an, sich mit den Grundsätzen der Torypartei näher und eingehender zu befassen, als ihm dies in früherer Zeit hätte als möglich erscheinen können. Immerhin wollte er sich mit dem Gedanken gar nicht befreunden, daß sein Neffe in eben jenem braunschweigischen Heere dienen sollte, das so viel Unheil über sein engeres Vaterland gebracht hatte. Die Anstrengungen, die er machte, sich mit diesem greulichen Gedanken zu befreunden, zogen ihm Anfälle von Gicht und Podagra zu, aber schließlich ließ er sich die Armeeliste reichen, und als er nun darin fand, daß sie Abkömmlinge aufzähle von Geschlechtern wie Mordaunt, Granville und Stanley, da fing sich der alte Waverley-Geist auch in ihm zu regen an, und der alte Geschlechts- und Waffenstolz kehrte auch ein in sein friedlicher veranlagtes Gemüt, und so schloß er endlich mit einer an Falstaff erinnernden Logik, daß es zwar schimpflich sei, wenns Krieg gebe, sich auf keine Seite zu schlagen, daß es aber noch schimpflicher sei, untätig zu bleiben, selbst wenn sich die schlimmere Seite als Auflehnungspartei zu erkennen gäbe. Für Tante Rachel hatte ihr Plan jedoch nicht dasjenige Ende genommen, das sie gewünscht hatte. Indes mußte auch sie sich den Umständen fügen. Ihr Kummer wurde teilweis gelindert durch die angenehme Aufgabe, für den Neffen all die Zurüstungen zu treffen, die für diesen Kriegsdienst notwendig waren, und ihn nun bald in seiner schmucken Uniform glänzen zu sehen, war ein großer Trost für sie. Edward nahm diese unerwartete Nachricht mit lebhafter Unruhe und Unschlüssigkeit entgegen, während das Bild von Miß Cäcilie Stubbs unter all dem Lärmen und Poltern entwich, das der Gedanke an die neue Laufbahn, die ihm bevorstand, in seinem Gemüt verursachte. Aber an dem Sonntage, an dem Edward seinen letzten Kirchgang machte, da fand sich auch Cilchen Stubbs in der alten Pfarrkirche ein im vollen Glanz ihrer Schönheit, aber, ach! trotzdem sie in ihres Vaters Kirchenstuhle saß und alle Kunst aufgeboten hatte, die sich durch Reifrock und Locken mit Schminkpflästerchen entfalten läßt, so wollte doch alles nicht zünden bei einem jungen Dragoneroffizier, der zum ersten Male in seinem Leben den goldnen Tressenhut und die Kavalierstiefel trägt und den Schleppsäbel umhat. Es ist mir höchst schmerzlich, daß ich mich so schnell wieder von der schönen Cäcilie Stubbs verabschieden muß, aber ich darf mich damit trösten, daß sie sich, wie manch andre Evastochter auch, nach Edwards Abreise zu seinem Regiment schnell zu trösten wußte, und ihre Hand nach Verlauf eines halben Jahres dem Sohne des Verwalters der Waverley'schen, Güter, dem braven Jonas, schenkte, der die sichere Aussicht hatte, seinem Vater als Vermögenserbe, und die nicht minder sichere Aussicht, ihm auch in dem ganz einträglichen Amte als Verwalter zu folgen. Diese erheblichen Vorteile und nicht minder die kernige Gesundheit des jungen Mannes bestimmten den Squire, es bezüglich der Herkunftsrücksichten nicht allzu scharf zu nehmen, sondern sein Jawort zu dem Antrage des jungen Mannes zu geben. Niemand war hierüber froher als Tante Rachel, die das dreiste Ding lange Zeit immer nur von der Seite angesehen hatte, so wenig sich das im Grunde mit ihrer Gutherzigkeit vertragen mochte, aber gleich am ersten Tage nach der Hochzeit der jungen Frau Jones mit einem herzlichen Lächeln und tiefen Knickse begegnete, obendrein noch vor den Augen des Oberpfarrers, des Diakonen, des Küsters und aller Gemeinderatsmitglicher und Dorfältesten! Fünftes Kapitel Am Abend des denkwürdigen Tages war es, als Sir Everard in den Büchersaal trat und unsern jungen Helden fast darüber ertappte, wie er das breiteste Schwert probierte, und zwar dasjenige mit dem Wappen des alten Hildebrand, das als altes Familienerbstück gewöhnlich unter dem Gemälde des alten Ritters hing, dessen Angesicht von dem Lockenwust der weißen Perücke fast vollständig überdeckt wurde, genau so wie sein Bucephalus unter dem weiten Mantel des Bathordens fast verschwand, dessen Ritter Sir Hildebrand gewesen war. Sir Everard trat ein und widmete erst dem Ahnen, dann dem Neffen einen Blick, dann hielt er eine kleine Standrede, die jedoch bald in das Fahrwasser seiner natürlichen Einfachheit lenkte, trotz der lebhaften Bewegung, die sein ganzes Wesen ergriffen hatte. »Neffe,« hub er an, um sich jedoch sogleich zu verbessern und fortzufahren: »Mein liebwerter Edward! Es ist Gottes, wie auch Deines Vaters Wille, dem Du nächst Gott den größten Gehorsam schuldig bist, daß Du von uns gehen sollst, um den Stand eines Kriegsmanns zu wählen, der so vielen Deiner Vorfahren Glanz und Ruhm gebracht hat. Ich habe alle Anstalten getroffen, daß Du im Felde als echter Waverley erscheinen kannst. Sei also des Namens, den Du führst, allezeit eingedenk! Weiter/Edward, mein lieber Junge, bleib stets dessen eingedenk, daß Du der letzte des Namens Waverley bist, der letzte eines berühmten Geschlechts, und daß auf Dir die einzige Hoffnung seiner Fortdauer beruht! Vermeide also, soweit es Dir Pflicht und Ehre erlauben, Dich in Gefahr zu begeben ... ich meine Gefahr solcher Art, die sich vermeiden läßt, also Gefahr überflüssiger Art. Gib Dich nicht in Gesellschaft von Wüstlingen, von Spielern und von Wighs! wie sich befürchten läßt, werden diese Leute wohl viel in dem Handwerk sein, zu dem Du im Begriffe stehst auszuziehen. Dein Obrist ist, wie ich höre, ein trefflicher Mann, ... als Presbyterianer, wohlgemerkt... Du jedoch sei Deiner Pflichten eingedenk gegen Gott, gegen die Kirche von England und ...« (hier hätte er nun notwendigerweise sagen müssen: »gegen den König«, aber da ihm zum Unglück dieses Wort einen schlimmen Doppelsinn zu haben schien, nämlich den Sinn »de facto« und den andern Sinn »de jure«,: so füllte der Baronet die Satzlücke anders aus, nämlich mit:) »und gegen alle konstitutionellen Behörden!« Ohne an seine Beredsamkeit noch weitre Anforderungen zu stellen, nahm er seinen Neffen am Arm und begab sich mit ihm in den Marstall, um ihm die für ihn bestimmten Pferde zu zeigen. Zwei dieser Pferde waren Rappen, entsprechend der Farbe des Regiments, beides waren Staatstiere     die drei andern waren kräftige Gäule, bestimmt zum Tragen der Lasten wie für die Dienerschaft, die sich aus zwei Mann vom Schlosse zusammensetzen sollte, wahrend es dem Junker überlassen bleiben sollte, sich nötigenfalls einen Reitknecht in Schottland zu werben. »Du wirst,« sagte der Baronet, »mit Sir Hildebrand verglichen, freilich nur ein dürftiges Gefolge haben. Sir Hildebrand konnte vorm Schloßtore ein größeres Reiterkorps mustern, als Dein ganzes Regiment bildet. Ich hätte es ja sehr gern gesehen, die zwanzig Burschen, die für Dein Korps aus meiner Standesherrschaft geworben wurden, hätten den Ritt mit Dir durch ganz Schottland gemacht, das hätte doch wenigstens nach etwas ausgesehen! aber es ist mir gesagt worden, daß solches Geleit in unsrer Zeit, in der jede neue alberne Mode willkommen ist, durch die die natürliche Abhängigkeit des Volkes von seiner Herrschaft gebrochen werden kann, als etwas Ungewöhnliches angesehen und aufgefaßt werden könnte.« Sir Everard tat alles, was in seinen Kräften stand, die Fessel der Subordination den Rekruten nicht nur dadurch so leicht wie möglich zu machen, daß er ihnen ein reiches Mahl nebst einem tüchtigen Humpen Doppelbier vorsetzen ließ, sondern er überreichte auch jedem von ihnen noch ein reichliches Geldgeschenk, ganz als ob er sie mehr zum Zechen und Schmausen unterwegs, weniger zur strengen Subordination hätte anhalten Wollen. Nach der Besichtigung der Pferde führte Sir Everard seinen Neffen wieder in die Bücherei zurück. Hier langte er mit großer Behutsamkeit einen Brief aus der Tasche, der fürsorglich zusammengebrochen und nach alter Sitte mit einem Streifchen Florseide umwickelt, auch noch mit dem Siegel des Hauses Waverley versehen war. Der Brief trug die förmliche und genaue Aufschrift: »An Cosmo Comyne Bradwardine, Esquire von Bradwardine, auf und zu Tully-Beolan, Pertshire, Nord-England.« Durch die Güte des Kapitäns Edward Waverley, Neffen des Sir Edward Waverley von Waverley-Würden, Baronet.« Der Edelmann, an den diese umständliche Aufschrift gerichtet war, und von dem wir bald mehr erfahren werden, hatte im schlimmen Jahre 1715 die Waffen für das königliche Haus der Stuarts ergriffen und war zu Preston in Lancashire in Gefangenschaft geraten. Er war ein Mann aus altem schottischem Geschlecht, aber in etwas desolaten Verhältnissen. Er war, wie Schotten in der Regel, Gelehrter, das heißt, er besaß mehr eine breite als eine gründliche Bildung. In den alten Klassikern war er sehr belesen, und hiervon soll er auf der Straße zwischen Preston und, London einen seltenen Beweis geliefert haben. Er täuschte nämlich seine Wachen und entfloh. Da er sich aber in der Gegend zu lange aufhielt, geriet er von neuem in Gefangenschaft. Seine Schicksalsgenossen, ja seine ganze Begleitmannschaft wunderten sich über seinen törichten Streich und konnten sich nicht enthalten, ihn zu fragen, warum er keinen bessern Weg eingeschlagen habe, sich in Sicherheit zu bringen, wenn er doch einmal in Freiheit war. Er antwortete hierauf, er habe allerdings, solche Absicht gehabt, sei jedoch wieder umgedreht, um seinen Titus Livius zu suchen, den er über seiner eiligen Flucht vergessen habe mitzunehmen, und ohne den er nicht leben könne. Dieser naive Zug setzte vor allem den Herrn in Staunen, der auf Kosten Sir Everards die Verteidigung dieser ins Unglück geratenen Personen führte und selbst ein eifriger Verehrer dieses alten Pataviners war, zufolgedessen alles daran setzte, dem wiedergekehrten Gefangenen nicht bloß Milderung des Urteils, sondern den völligen Losspruch von der Anklage zu verschaffen. Der Baron von Bradwardine, wie Sir Como Comyne in Schottland gewöhnlich hieß, wiewohl er zumeist auf seinem Landsitz Tully-Beolan, oder noch traulicher nur Tully genannt, residierte, machte sich, sobald ihm die Freiheit ausgewirkt worden war, sofort auf den Weg nach Waverley, um dort seinen schuldigen Dank abzustatten. Gleiche Neigung zur Jagd und sonstige Uebereinstimmung in allen Lebensanschauungen und besonders auch in allen politischen Fragen gaben den Kitt ab zu einer Freundschaft zwischen ihm und Sir Everard, und nach einigen in Waverley verlebten lustigen Wochen reiste er mit den lebhaftesten Versicherungen seines Dankes ab. Selbstverständlich unterließ er nicht, auch seinerseits den Gastgeber zu einer Erwiderung seines Besuchs einzuladen, und zwar zur nächsten Haselhuhnjagd, die in Pertshire immer die schönsten Ergebnisse brächte. Bald darauf sandte Herr Bradwardine eine Geldsumme, als Erstattung der Auslagen, die in Westminster notwendig gewesen waren, die zwar in englischer Bezifferung nicht sehr hoch waren, aber in ihrer Urgestalt schottischer Pfunde auf den Kassierer oder Schösser des Lairds einen solch schrecklichen Eindruck machte, daß er eine halbe Woche lang unter Kolikschmerzen litt, und zwar darum, weil er das unselige Werkzeug abgeben sollte, solch stattliche Geldsumme seinem Vaterlande zu entführen und in die Hände des falschen englischen Gesindels zu überführen. Als dies nun alles in der nötigen Ordnung war, meinte nun auch Herr Pembroke sich von seinem Zögling in entsprechender Weise verabschieden zu sollen. Die besten Ermahnungen waren es, die auch dieser brave Mann dem Jüngling ans Herz legte, auch er warnte ihn vor schlechter Gesellschaft, schärfte ihm ein, die Grundsätze der Religion heilig zu halten und sich immer eines guten Lebenswandels zu befleißigen. »Es sei nun einmal Gottes Wille gewesen,« sprach er, »daß Schottland, und zwar zweifellos um des Sündenjahres 1642 willen, in diesen bejammernswerten Zustand der Finsternis versänke, bejammernswerter sogar, als unser unglückliches Königreich England. Hier schaffe zum wenigsten noch die Leuchte der hohen Kirche einigen Schimmer, wenngleich auch sie nicht mehr an ihrer alten hohen Stelle stehe, indessen gäbe es doch hier noch immer eine Hierarchie, möge sie auch nicht mehr in dem alten Sinne strenggläubig sein, sondern sich merklich von den Grundlagen entfernt haben, die ihr die großen Kirchenväter gegeben hätten; auch eine besondre Liturgie sei hier noch immer vorhanden, wenngleich auch sie in verschiednen Haupterfordernissen verändert worden sei. Aber in Schottland, wie gesagt, herrsche die äußerste Finsternis, und bis auf ein kümmerliches Ueberbleibsel der echten Rechtgläubigkeit, das zudem noch ständiger Verfolgung ausgesetzt sei und ständig weiter verkümmert werde, seien alle Lehrstühle sämtlich den Presbyterianen und, wie er fürchte, den Sektierern verfallen. Darum erachte er es für seine Pflicht, seinen liebwerten Zögling zum Widerstande gegen solch verderbliche, unheilige Lehren aufzufordern, ihn zu mahnen, daß er dem alten Glauben seinen kräftigen Beistand verleihe, selbst wenn man versuchen werde, wie ja natürlich und zu erwarten sei, daß er sein Herz und seine Ohren den Worten und Reden vom neuen Glauben erschließe.« Bei diesen Worten langte er zwei Pakete von beträchtlicher Größe hervor, deren jedes aus einem ganzen Ries Schreibpapier zu bestehen schien und die ein eng beschriebnes Manuskript ausmachten, das die sämtlichen gelehrten Studien seines Lebens darbot, eine Arbeit, wie sie wohl niemals unter Aufwendung größeren Fleißes und Eifers zur Lösung einer zweckloseren, trübseligeren Aufgabe geleistet worden sein mag. Früher hatte er sich einmal damit nach London gewandt, in der Absicht, dafür einen Verleger zu finden, der Lust hätte, sein Geld daran zu setzen. Er wendete sich an ihn mit einer besondern Redensart und einem bestimmten vertrauten Zeichen, damals unter den Anhängern der Stuarts als Erkennungszeichen üblich. Aber kaum hatte er das Wort mit einer passenden Gebärde gesprochen, so begrüßte ihn der Buchhändler mit dem Titel »Doktor«, führte ihn in ein finstres Kontor und suchte daselbst das abgelegenste Plätzchen. Dann Hub er an: »Ja, Herr Doktor ... nun, ganz im Vertrauen ... hier ist nicht einmal ein Mauseloch, durch das ein hannoverisch Mäuslein einkriechen könnte! ... und eins noch! vielleicht was Neues von unsern guten Freunden drüben überm Meere? ... was macht der große König von Frankreich? ... oder waren Sie etwa jüngst in Rom? ... Aus Rom muß doch am Ende unser Heil wieder kommen ... die Kirche muß ja ihre Leuchte wieder an dieser uralten Kerze anbrennen! ... Wie, Vorsicht? ... Gut, Ihr gefallt mir, Doktor, um so besser! aber bloß keine Furcht! bloß keine Furcht!« Hier schnitt nun Herr von Pembroke eine Flut von Fragen an, die durch Zeichen, Winke und Blicke einen noch stärkern Umfang gewannen. Und als er endlich dem Buchhändler die Ueberzeugung beigebracht hatte, daß er ihm zuviel Ehre antäte, wenn er ihn für einen Abgesandten des vertriebnen Königshauses hielte, rückte er endlich mit seinem wahren Anliegen heraus. Der Büchermensch bequemte sich nun zu einer ruhigen Auffassung der Situation und machte sich an die Durchsicht der Manuskripte. Der Titel des eisten lautete: »Abweichung vom Abweichenden, oder das widerlegte Vorhaben, wodurch dargetan werden soll, daß es unmöglich sei, zu einer Vereinigung zwischen der rechtgläubigen Kirche und den Puritanern, Presbyterianern sowie anderweiten Sektierern zu gelangen, belegt mit Zeugnissen aus der Heiligen Schrift, den Kirchenvätern und den gründlichsten Schutzschriften der Gottesgelahrtheit.« Gegen solches Werk brachte der Buchhändler ernste Bedenken vor. »Ganz gute Absicht!« meinte er dann, »auch ein sehr gelehrtes Thema und zweifellos sehr gründlich aufgefaßt und sehr gründlich bearbeitet, aber nicht für unsre Zeit. Würde aus enger Korpusdruckschrift gesetzt 800 Druckseiten geben und sich unter keinen Umständen bezahlt machen. Darum muß ich schon bitten, eine so hohe Verehrung mir auch vor der Kirche innewohnt, mich diesfalls zu entschuldigen ... wäre es eine Predigt über Märtyrertum oder sonst eine Zehnpfennigsache, dann möchte ich nichts sagen, für die Ehre der Geistlichkeit riskierte ich ja ganz gern ein Paar Pfund ... aber bitte, sehen wir uns doch weiter an, was Sie mir da bringen ...« »Die Begründung und Rechtfertigung des Thronfolgerechts!« »Hm,« nahm der Buchhändler wieder dozierend das Wort, »hm, darin liegt ein gewisser Sinn und Wert! aber, aber ... auch hier wieder zu viel, zuviel Papier, zu eng geschrieben ... solche Schriftseite gibt ja allein schon fast einen Druckbogen ... aber wissen Sie, Sie brauchen ja bloß von dem Lateinischen und Griechischen etwas zu streichen! und dafür ein bißchen Pfeffer dazu! Kritisieren war ja Schriftstellern gegenüber nie meine Sache, ich habe Drake, Amhurst, Lawton verlegt ... ach, auch Kaleb! der arme Kerl! wirklich, eine Schmach wars, den armen Mann hungern zu lassen, während so mancher andre, der nicht halb so gescheit war, auf seiner fetten Pfründe saß. Ach, ein paarmal in der Woche hatte er bei mir seinen Freitisch, aber was hilft denn das groß, wenn ein armer Mann nicht weiß, wo er sich die andern vier bis fünf Tage sättigen soll? Schön, schön, Herr Doktor, dieses Manuskript über Thronfolgerecht will ich mal hier behalten, aber zunächst ohne Obligo, denn ich muß zuerst noch mit meinem Anwalt Tom Alibi über das Thema und seine Behandlung reden ... Tom Alibi führt jetzt alle meine Sachen ... man muß zu sehr jetzt die Strömungen im Auge behalten, es heißt jetzt gar zu scharf: Wigh und Hannover-Ratte!« Am andern Tage fragte Pembroke wieder bei dem Buchhändler an, bekam aber den Bescheid, daß Mr. Alibi energisch dawider gesprochen und abgeraten habe. »Sie müssen nicht meinen, als wollte ich nichts ... hm, na, was wollte ich gleich sagen ... nichts für die Kirche übrig hätte! nein, nein, ganz im Gegenteil, mein lieber Doktor! aber auch ich habe Weib und Kind. Um Ihnen indessen den Beweis dafür zu erbringen, daß ich Interesse an der Angelegenheit nehme, so will ich Ihr Manuskript mit ein paar empfehlenden Zeilen an meinen Kollegen Trimmel schicken. Der ist Junggeselle und kann eher etwas riskieren.« Aber Herr Trimmel war ganz ebenso unzugänglich, vielleicht bloß mit dem Unterschiede, daß er mehr Grobian war als der andre, und so mußte der gute Pembroke mit seinen beiden Manuskripten wieder heimkehren nach Waverley-Würden, ohne Aussicht darauf, sie je loszuwerden und gedruckt zu sehen. Das Publikum war auf diese Weise jenes Vorteils beraubt, den ihm die Nachtlampenarbeit des Herrn Pembroke hatte schaffen sollen, und da dem braven Gelehrten der Buchhandel verschlossen geblieben war, hatte er sich dahin entschlossen, seinem liebwerten Zögling zwei Abschriften von den Manuskripten anzufertigen und zu behändigen. Sein inneres Gefühl sagte ihm, daß er als Lehrer der ihm obliegenden Aufgabe dem Jüngling gegenüber nur in einem geringen Teile gerecht geworden sei, und noch mehr quälte ihn der Gedanke, daß er dem Anliegen des Herrn Richard Waverley, Edward keinerlei Dinge zu lehren, die im Widerspruch standen zu den Anschauungen der herrschenden Regierungs- und Kirchenpartei, mehr als wohl notwendig war, gewillfahrt habe.... »Nun aber,« dachte er bei sich, »bin ich, da ich ja aufhöre, Lehrer zu sein, nicht mehr an mein Wort gebunden, und kann dem Jüngling mit Fug und Recht die Mittel an die Hand geben, sich selbst ein Urteil fürs Leben zu bilden. Auch brauche ich mich keines Vorwurfs gewärtig zu halten, daß ich ihm Schriften vorenthalten hätte, bei deren Lektüre ihm ohne weitres das Licht in seinem Herzen aufgehen müsse.« Dieweil sich nun Mr. Pembroke dergestalt in seine schriftstellerischen Träume vertiefte und alte politische Steckenpferde wieder zu besteigen suchte, packte sein Proselyt die beiden Erzeugnisse Pembroke'scher Nachtarbeit, da er an ihren Titeln nichts fand, was ihm Begeisterung abgewinnen konnte, in seinen Reisekoffer und wies ihnen dort ein Plätzchen an in dem allerhintersten Winkel. Kurz und herzlich war der Abschied der Tante Rachel von dem geliebten Vetter. Sie allein berührte ein Thema, an das die beiden männlichen Hüter der Ehre und Tugend des Jünglings nicht gedacht hatten. Sie warnte ihn vor den hübschen Töchtern Schottlands, denn sie meinte bereits bemerkt zu haben, daß sein Herz keineswegs unempfindlich sei gegen die Zaubernetze, die solche Kinder weiblichen Geschlechts ausspannen, um Jünglinge darin zu fangen. In einem Lande sagte sie, wo die Menschen schon anfingen, sich in der Kleidung gehen zu lassen und die gebotnen Rücksichten auf Sitte und Anstand außer acht zu setzen, könne es unmöglich mehr gut um die Tugend stehen, und sie schloß ihre rührenden Abschiedsworte mit einem gutgemeinten, nicht minder rührenden Segenswunsche. Dann reichte sie dem jungen Krieger als besondres Zeichen ihrer Liebe und Zuneigung einen kostbaren Brillantring, ein bei Männern damals gewöhnlicher Schmuck, und eine Börse, gespickt mit Gold, das ebenfalls noch nicht so rar vor sechzig Jahren war wie heutzutage. Sechstes Kapitel Am andern Morgen verließ Edward Schloß Waverley-Würden unter den mannigfachsten Empfindungen, unter denen das vorherrschendste ein verhaltner Ernst war. Recht wohl erklärlich, da sich der junge Mann nun auf sich selbst im Leben angewiesen sah. Die gesamte Dienerschaft und Dorfbewohnerschaft begleitete ihn mit ihren Segenswünschen, und manche brachten bei diesem Anlaß auf bauernschlaue Weise ein Gesuch an, sie vorkommendenfalls, wenn ein Sergeantenposten oder in einer Korporalschaft was frei werden solle, in alter Gunst und Huld berücksichtigen zu wollen. Wäre auch ihr Jakob und Jonathan im Grunde bloß Rekrut geworden, weil sie es für Pflicht und Schuldigkeit erachteten, dem gnädigen Herrn dienstbar zu sein, wo sich Gelegenheit dazu böte, so sei es doch wohl nicht uneben von ihnen, darum zu bitten. Edward entzog sich nach Möglichkeit diesen Bittstellern, versprach ihnen aber weit weniger als man von solchem jungen, in der Welt noch so wenig bekannten Manne hätte erwarten sollen. Nach kurzem Besuch in London ging es, gemäß der damaligen Landessitte, zu Pferde weiter nach Edinburg, und von dort nach D..., einer Stadt an der Ostküste von Angusshire, in welcher sein Dragonerregiment in Garnison lag. Edward trat nun in eine neue Welt ein, in der eine Zeitlang alles wunderschön war, weil alles nagelneu war. Für seinen Obristen und Regimentschef, einen schlanken, stattlichen und trotz der vorgerückten Jahre noch außerordentlich lebhaften Herrn, schwärmte der zur Romantik geneigte, wißbegierige Jüngling. In seiner ersten Jugend war der Obrist, wie unter den Offizieren die Rede ging, ein gar flotter und lebensfroher Herr gewesen, und von seiner plötzlichen Wandlung zu einem ernsten, fast pietistisch angehauchten Manne waren allerhand Geschichten im Umlauf. Und wenn man sich auch zuraunte, es habe dabei etwas wie eine übernatürliche Botschaft eine Rolle mitgespielt, die sich auch den äußern Sinnen offenbart habe, und manche infolgedessen einen Hang zur religiösen Schwärmerei bei dem Manne finden wollten, so war doch jeder durchaus frei von dem Gedanken, einen Heuchler in ihm zu wittern. Durch diesen Umstand seltsamer und geheimnisvoller Art bekam der Oberst in den Augen unsers jungen Helden den Nimbus des Ungewöhnlichen, in gewissem Sinne sogar Feierlichen, und man wird sich leicht vorstellen können, daß die Offiziere in einem Regiment, dessen Kommandeur solch achtungswerter Charakter war, um vieles gesetzter und tüchtiger waren, als es sich in der Regel durch Urteilssprüche von Kriegsgerichten erreichen läßt, und daß demzufolge Edward Waverley mancherlei Versuchungen und Stricken entging, denen er unter andern Umständen leicht hätte ausgesetzt sein können. Inzwischen nahm seine militärische Ausbildung ihren regelmäßigen Fortgang. Ein guter Reitersmann war der junge Waverley immer gewesen, jetzt wurde er in die Künste der Reitbahn völlig eingeweiht, die ja in ihrer höchsten Vollendung fast bis an die Fabeln von den Kentauren heranreichen. Auch in den Pflichten, die der Soldat im Felde zu erfüllen hat, erhielt er den ersten Unterricht, aber bemerkt muß hierbei werden, daß die Fortschritte, die er auf diesem Gebiet machte, nicht den Anforderungen entsprachen, die er in dieser Hinsicht an sich selbst stellte. Die Pflichten eines Offiziers, die dem Laien am meisten in die Augen springen, stellen ihrem wesentlichen Teile nach eine trockne, abstrakte Aufgabe dar, da sie zumeist in der Arithmetik fußen, die einen klaren und nüchternen Kopf verlangt, wenn sie mit Erfolg betrieben werden soll. Unser Held aber sah sich immer und immer wieder durch andre Dinge abgelenkt, so daß er mehr Böcke schoß, als er zu Tadel und Vorwürfen Zeit fand. Und wenn er sich dann sagen mußte, daß ihm noch recht viel fehle von den Eigenschaften, die für seinen neuen Stand die eigentliche »conditio sine qua non« bildeten, so fühlte er sich von Gefühlen höchst peinlicher Art beschlichen, und oft fragte er sich, warum sein Auge einen gegebenen Raum nichts ebenso taxieren, eine bestimmte Distanz nicht ebenso scharf messen könne, wie das Auge seiner Kameraden, oder warum sein Gedächtnis, das doch für andre Dinge so empfänglich war, nicht im stande war, die Kunstausdrücke und kleinen Dinge zu merken, die für eine Parade wie für den Felddienst von Belang waren. Ein glücklicher Umstand für Edward Waverley war es, daß er von Natur bescheiden veranlagt war und nicht in die blasierte Meinung verfiel, als habe er es nicht nötig, sich um die kleineren Dinge und Regeln des militärischen Dienstes zu bekümmern. Aber der Grund für diesen Mangel, sein Gedächtnis für solche Dinge zu drillen, war in seiner regellosen Leserei zu suchen, die auf sein von Natur verschlossenes Gemüt die Wirkung üben mußte, schnell der Empfindung von Langweile zu verfallen. Und das war denn auch bei ihm sehr bald der Fall, und zwar nicht bloß in einzelnen Dingen seines neuen Berufs, sondern in seinem neuen Leben im allgemeinen. Der Adel in der Umgegend harmonierte nicht mit dem Militär, von Einladungen war kaum einmal die Rede, und die Stadtbewohner waren von ihren Geschäften und Berufsarbeiten zu stark in Anspruch genommen, als daß sich Waverley hätte mit ihnen oder sie sich hätten mit Waverley befassen können. Da kam die schöne Jahreszeit und mit ihr der Wunsch, sich Schottland ein bißchen anzusehen, mehr wenigstens, als es ihm die gelegentlichen Spazierritte in die Umgegend seiner Garnison ermöglichten, und so ließ er sich bestimmen, einen mehrwöchentlichen Urlaub zu nehmen. Zunächst nahm er sich vor, dem alten Freund seines Oheims einen Besuch abzustatten mit dem stillen Vorbehalt, seinen Aufenthalt dort, je nachdem es ihm dort behagte oder nicht, zu verkürzen oder zu verlängern. Er machte die Reise zu Pferde und nahm bloß einen Diener zu seiner Begleitung mit. Die erste Nacht brachte er in einem ärmlichen Gasthause zu, dessen Wirtin barfuß lief und dessen Wirt, trotzdem er sich seinem Gaste als Gentleman vorstellte, saugrob wurde, als Edward ihn nicht einlud, mit ihm zur Nacht zu speisen. Am Tage darauf führte ihn sein Weg durch ein offnes Gelände, das sich ziemlich weit erstreckte, bis sich endlich am Horizont als verschwommene Kette die Hochlande von Pertshire zeigten, die dann aber bald zu gigantischen Mauern aufstiegen, die kühn und stolz auf das Tiefland zu ihren Füßen herniederschauten. Nahe dem Fuße dieses unermeßlichen Grenzwalls, aber noch immer im Tieflande, hauste Como Comyne Bradwardine von Bradwardine, und sofern man silberlockigem Alter wirklich Glauben schenken darf, so hausten allhier die Bradwardines von Bradwardine seit den Tagen des Königs Duncan des Gütigen. Siebentes Kapitel Um die Mittagszeit war es, als Kapitän Waverley in das weitläufige Dorf oder vielmehr Dörfchen des Namens Tully-Veolan einritt, in dessen unmittelbarer Nähe der Wohnsitz seines Herrn und Eigentümers stand. Für ein Auge, das an die schmucke Form und das gemütliche Ensemble englischer Landhäuser gewohnt war, zeigten die Hütten von Tully ein recht ärmliches Bild. Ohne feste Ordnung standen sie zu beiden Seiten einer Landstraße, auf der sich Kinder, fast nackt, herumsuhlten, ohne Sorge darum, ob sie von den Hufen des ersten besten Pferdes, das die Straße entlang trabte, zertreten würden oder nicht. Schien ein Unglück wirklich unvermeidlich zu sein, dann kam wohl irgend ein altes Großmütterchen mit enger Haube, und Rocken und Spindel in den Händen, aus irgend einer der Hütten herausgerannt, gleich einer Sibylle, bei der es im Oberstübchen nicht richtig ist, stürzte mitten auf die Straße und riß den Liebling aus dem Bereiche der sonnverbrannten Wegelagerer heraus, versetzte ihm einen derben, darum um so gesünderen Puff und schleppte ihn nach einem Kerker, aus dem er sich dann so rasch nicht wieder entfernen durfte, und der kleine Flachskopf erhob dann natürlich ein Zetermordio, daß die Scheltworte der Greisin um das Dreifache überschrie. Ein andres Stückchen dieses ländlichen Idylls war das unablässige Gekläff einer Unmenge überflüssiger Hunde, die den Junker bei seinem Eintritt ins Dorf von allen Seiten anfielen und sich unter unablässigem Geknurr, Gebell, Geheul seinem Rosse an den Seiten hielten, ihm nach den Beinen und seinem Herrn nach den Rohrstiefeln schnappend. Zur damaligen Zeit in Schottland ein Uebelstand so gewöhnlicher Art, daß ein Franzose, der es liebte, allen Dingen unterwegs auf ihren Grund zu gehen, zu der Meinung gelangte, die Regierung unterhalte in jedem schottischen Dürfe eine Hundetruppe als Rarität, zu dem Zwecke, die allzu mageren und abgeklapperten Postpferde zu ersetzen. Wie damals, so sind aber auch heutzutage noch in schottischen Dorfschaften diese Hunde, noch immer wie damals unter dem Namen »collies« bekannt, eine richtige Plage für jeden Reisenden, der gezwungen ist, den Fuß in ein solches Dorf zu setzen. Kaum hatte sich Waverley in den ersten Dorfhäusern gezeigt, als auch bald bei dem, bald bei jenem Hause sich ein altes Männchen sehen ließ, das, von der Last der Arbeit und der Jahre gebeugt, durch den Qualm in seiner, des Rauchfanges ermangelnden Hütte triefäugig geworden, sich vor die Tür stellte, um den Fremden zu mustern und sich die stattlichen Rosse anzusehen, die er mit sich führte ... und dann lief eines dieser kleinen alten Männchen nach dem andern nach der Schmiede, scheinbar dem gewöhnlichen Versammlungsorte, um hier in kleinen Gruppen Gespräche darüber zu eröffnen, woher der Fremde komme, was er hier wolle usw. Dann zeigten sich auch einige Dorfschönen, mit Krügen oder Gelten auf den Köpfen, unterwegs vom Bache oder vom Brunnen her, wo sie das für den Bedarf notwendige Wasser geschöpft hatten, in den leichten, kurzen Röcken und losen Schürzen, in den nackten Armen und Beinen, den unbedeckten Köpfen mit den reichen Haarflechten, den Gestalten nicht unähnlich, die man aus italienischen Landschaften sieht. Im großen und ganzen war der Eindruck aber, trotz dieser Dorfschönen, den Waverley von Tully-Veolan bekam, recht dürftig und karg. Alles zeigte auf einen großen Mangel an Fleiß und Rührigkeit, Eigenschaften, die man in England im Gegenteil eher in zu hohem Maße antrifft. Bloß die Hunde schienen die letzte Eigenschaft zu besitzen. Die Dorfbewohner dagegen standen träge an den Türen herum und gafften dem hübschen, schneidigen Offizier nach, ohne jedoch irgend welches Verlangen an den Tag zu legen, mit demselben in ein Gespräch oder sonst in Beziehung zu gelangen. Sah man sich aber diese Leute genauer an, so fand man auf ihren Gesichtern nicht sowohl den Zug gleichgültiger Dummheit, als vielmehr den Zug jener Härte und Rauheit, die das bezeichnende Merkmal des Gebirglers bildet, gepaart mit herbem Ernst und Verschlossenheit, und unter den jüngeren Weibern hatte ein Künstler manche Gestalt gefunden, die der Gestalt und dem Gesicht nach zu einer Minerva kein unschickliches Modell abgegeben hätte. Auch die Kinder mit ihren Flachsköpfen und verbrannten Gesichtern zeigten ein munteres Bild. Alles in allem machte es den Eindruck, als vereinten sich hier Armut und Trägheit, die ja so gern bei einander hausen, um den angeborenen muntern Sinn einer kräftigen und eher intelligenten als dummen Dorfbewohnerschaft niederzudrücken. Solcherlei Gedanken fanden den Weg in den Sinn unsers jungen Helden, als er sein Roß Schritt für Schritt auf der holprigen, steinigen Chaussee entlang traben ließ. Diese gleichmäßige Gangart wurde nur zeitweilig unterbrochen, wenn das Tier durch irgend einen besonders tückischen Kujon von diesen. Hundekosaken, den »Collies« des Dorfes, zu einem Seitensprung veranlaßt wurde. Das Dorf war ziemlich eine Viertelstunde lang, die Hütten lagen ziemlich weit auseinander, waren durch Gärten getrennt, die von den verschiedensten Größenverhältnissen waren, in denen aber damals also vor nun sechzig Jahre von den jetzt allgemein eingeführten Kartoffeln noch, nichts zu sehen war, dagegen Kohlstauden von Riesenumfange standen. Diese Gärten und Gärtchen waren eingefriedigt von Nesselbüschen und Schierlingsgewächsen oder Distelstauden, die ebenfalls zu unheimlicher Höhe und Dicke gediehen, häufig ein ganzes Viertel der kleinen Umzäunung mit ihrem Schatten bedeckten. Der hügelige Boden, auf dem das Dorf stand, war niemals planiert worden, so daß, diese Garten und Gärtchen gar oft die Form von Abhängen oder Böschungen zeigten, bald hoch oben lagen, wie Terrassen, bald Tiefen aufwiesen, daß sie Lohgruben glichen. Die öden Steinwälle, die um den und jenen dieser Gärten aufgeführt waren, zeigten fast durchweg Riffe und Spalten und wurden geschieden durch ein schmales Gäßchen, das nach dem Gemeindefelde hinausführte, dessen durch Raine in Einzelstücke zerteilte Fläche von dem Dorfe aus insgemein mit Roggen, Hafer, Gerste und Erbsen bebaut wurde. Selbst bei geringer Entfernung gewann man von diesem Gemeindefelde, wenn alles, was drauf wuchs, in Blüte stand, den Eindruck, als wenn man eines Schneiders Musterkarte vor Augen hätte. Nur an wenigen, vom Glücke besser begünstigten Stellen sah man hinter einer Hütte einen jämmerlichen Käfig angebracht, aus Erde, losem Gestein und Rasen aufgeführt, in dem der und jener wohlhabendere Dörfler eine magere Kuh oder eine abgetriebene Mähre halten mochte. Aber vor fast jeder Hütte lag seitwärts von der Tür ein schwarzer, mächtiger Torfhaufen aufgeschichtet, während die andre Seite durch einen nicht minder hohen Dunghaufen verziert wurde. Etwa in Bogenschußweite vom Dorfe kam ein Gehege in Sicht, das die fürnehme Benennung eines Parks von Tully-Veolan führte und aus vier, durch Steinwälle von fünf Fuß Höhe eingefriedigten, viereckig abgeteilten Feldern bestand. Im Mittelpunkte der Mauer war das obere Eingangstor befindlich, das sich unter einem mit Zinnen ausgestatteten Bogen auftat. Der Bogen war außerdem noch mit zwei umfangreichen, aber verwitterten und teilweis zerbröckelten Steinmassen überragt, die nach der im Dorfe herrschenden, auf Ueberlieferungen fußenden Anschauung ein aufrecht stehendes Bärenpaar darstellte oder dargestellt haben soll, das uralte Wappenbild des Geschlechts der Bradwardine. Der Eingang war von mäßiger Länge und führte direkt durch den Part, zwischen zwei Reihen uralter Roßkastanien hin, die mit Ahornbäumen abwechselten, von solcher Höhe und so üppigem Grün, daß ihr Laub den Gang vollständig überdachte. Zu beiden Seiten dieses ehrwürdigen Ganges zogen sich in paralleler Form zwei hohe Steinwälle hin, bedeckt von Efeu, Geißblatt und andern Rankgewächsen, und wahrscheinlich von dem gleichen Alter wie jener Baumgang. Es schien, wie wenn dieser Eingang nur wenig benützt würde. In der Hauptsache sah man nur Spuren von menschlichen Füßen, und bei seiner beträchtlichen Breite, und da ihn die Bäume fortwährend unter Schatten hielten, war er mit hohem, frisch-grünem Rasen bestanden bis auf eine schmale Stelle, wo ein Fußpfad ausgetreten worden war, der den Weg vom obern bis zum untern Tore zeigte. Das Portal des letzten befand sich auf der Vorderseite eines Walles und war mit mehreren rohen Steinarbeiten und Zinnen ausgestattet, über denen, halb bedeckt von den Bäumen der Eingangsallee, die hohen, steilen Dächer und schmalen Giebel hervorsahen, mit Randverzierungen, die stufenweis ausgezackt, und mit Erkern, die mit kleinen Türmchen geschmückt waren. Einer der Torflügel stand offen, und da die Sonne hell und voll in den dahinterliegenden Hof schien, fiel auch ein langer, glänzender Sonnenstreif durch die Oeffnung in den finstern Eingang. Die Einsamkeit und Stille der ganzen Szene verriet einen Anschein von klösterlicher Abgeschiedenheit, und Waverley, der das Pferd beim ersten Tor seinem Diener gegeben hatte, wandelte langsamen Schrittes und an dem kühlen Schatten sich labend, durch die Allee entlang. Was sein Auge sah, als er den gepflasterten Schloßhof betrat, stand im vollen Einklang zu der Ruhe, die in sein Gemüt eingekehrt war, während er die Allee entlang geritten war. Das Wohnhaus, das aus ein paar schmalen Gebäuden zu bestehen schien, die mit steilen Dächern gedeckt waren, bildete die eine Seite des Gehöfts. Erbaut war es zu einer Zeit, wo man keiner Burgen mehr bedurfte, wo aber die Baumeister in Schottland noch nicht gelernt hatten, sich für ihre Bauten vorher einen Riß zu machen. Fenster gab es in dem Gebäude in Unmenge, aber sie waren samt und sonders sehr klein. Das Dach wies außer mehreren Vorsprüngen oder sogenannten Partisanen in jedem Winkel ein Türmchen auf, das einer Pfefferbüchse höchst ähnlich sah, aber keinem im gotischen Stile gehaltenen Wachtturm. Ebenso zeigte die Front des Hauses verschiedene Dinge, die darauf schließen ließen, daß man sich zur Zeit der Erbauung der Gebäude doch noch nicht völlig sicher vor Angriffen und Ueberfällen gefühlt hatte. So sah man mehrere Schießscharten für Musketen, dann eiserne Gitter an den untern Fenstern der untern Gestocke, wahrscheinlich zum Schutz gegen räuberisches Zigeunergesindel. Die entgegengesetzte Seite des Gebäudevierecks nahmen die Ställe und Wirtschaftsgebäude ein. Die Ställe waren sehr niedrig und hatten statt Fenster schmale Einschnitte, so daß Edwards Diener nicht unrecht hatte, sie mit Gefängnissen zu vergleichen für Mörder und Spitzbuben. Oberhalb von ihnen lagen die Getreidespeicher, zu denen man auf einer steinernen Treppe von außen her gelangte. Zwei mit Zinnen gedeckte Mauern, eine nach dem, Eingang zu befindlich, die andre zwischen Garten und Gehöft hinlaufend, bildeten den Abschluß des Ganzen. In einem Winkel des Hofes stand, in Form eines Fasses gebaut, ein Taubenhaus von ziemlicher Größe und für einen schottischen Laird der damaligen Zeit keine unbedeutende Beigabe, da solch ein »Columbarium« seine bescheidnen Einkünfte nicht unwesentlich aufbessern half, nämlich auf zweierlei Weise, denn diese flüggen Vollstreckungsbeamten erhoben ihre Futtersteuer auf allen Feldern der angrenzenden Pachthöfe und gestatteten dem Besitzer selbst die Auswahl aus ihren Reihen zur Besserung seiner Beköstigungsverhältnisse. In einem andern Hofwinkel stand der Brunnen, an dem ein aus Stein gehauener Riesenbär, der sich über ein mächtiges steinernes Becken neigte, in das er das Wässer spie, die Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Es war ein Kunstwerk, das weithin als solches in Ruf stand. Wer Gutshof selbst war sehr geräumig und gepflastert. Er wies den denkbar höchsten Grad von Reinlichkeit auf so daß die Vermutung nahe lag, es müsse noch ein Ausgang nach hinten zu aus den Ställen führen, der für ihre Reinigung benützt würde. Rings herum war alles still und ruhig, und hätte nicht der plätschernde Brunnen ein Geräusch verursacht, das an Leben erinnerte, so würde die Szene einen Eindruck von Oede gemacht haben. Alles wahrte den Begriff klösterlicher Abgeschiedenheit, den Edwards Phantasie ihm entliehen hatte. Achtes Kapitel Als sich Waverley ein paar Minuten lang umgesehen und seine Neugierde befriedigt hatte, ließ er den wuchtigen Klopfer gegen die Mauer fallen, auf dessen Stirnseite die Jahreszahl 1594 eingegraben stand. Aber es kam keine Antwort, trotzdem der Donner des Widerhalls durch eine Reihe von Zimmern getragen wurde, sich an den Mauern und Wänden brach, die Tauben aus ihrem ehrwürdigen Bau aufscheuchte und alle Hunde im Dorfe alarmierte, das ihr Gebell von neuem erschütterte. Waverley war des Spektakels, den er machte, ohne daß ihm Antwort zu teil wurde, schon müde geworden und schaute sich um, ob sich ihm nicht irgendwo ein Helfer in der Not zeigen wolle. Da fiel sein Blick auf eine kleine eichne Pforte, die mit Nägeln beschlagen und bloß zugeklinkt war. Waverley schritt hindurch und gelangte nun in den Schloßgarten, der einen sehr netten Eindruck machte. Die Südseite des Hauses war mit Immergrün bewachsen und zog sich in ihrer ganzen, zwar unregelmäßigen, aber ehrwürdigen Front an einer Terrasse hin, die halb mit Steinen gepflastert, halb mit Sand bestreut war, aber fast durchweg den schönsten Blumenschmuck und reichsten Bestand an seltnen Gesträuchen aufwies. Die Terrasse stieg in drei Treppenabsätzen, die in der Mitte sowohl wie an den beiden Seiten liefen, zum Garten hernieder, der mit einer steinernen Brustwehr und einem Geländer von plumper Form umzogen war, und einen merkwürdig reichen Bestand an grotesken Tierfiguren aufwies, unter denen wiederum der Bär an erster Stelle stand. In der Mitte der Terrasse trug ein Riesenexemplar dieser Tiergattung in seinen Vordertatzen und auf seinem Kopfe eine Sonnenuhr von ziemlicher Größe, die weit mehr mathematische Figuren und Zeichen aufwies, als Edward zu enträtseln im stande war. Der Garten schien aufs sorgfältigste gepflegt zu werden und barg eine sehr große Menge Fruchtbäume in seinem Bereiche, außer zahllosen Blumen und einem reichen Schmuck von immergrünen Blumen, die zu allerhand grotesken Figuren zurecht geschnitten waren. Er war in Terrassen abgeschieden, die sich stufenweis von der westlichen Mauer bis zu einem Bache hinunter zogen, der seine Fluten in ruhigem, mildem Geplätscher vorbeiführte; aber dort, wo er aufhörte, die Grenze des Gartens zu bilden, wurde er schnell zum schäumenden Gießbach, der sich brausend über einen hohen Damm ober ein Wehr ergoß, um am Fuß eines achteckigen Gartenhauses einen gewaltigen Wasserfall zu bilden. Auf der Spitze dieses Oktogons von Gartenhaus erhob sich wiederum die Figur eines Bären, der eine Wetterfahne bildete. Unterhalb von ihm entschwand der Bach in schnellem Laufe dem Auge in einem tiefen waldigen Tale, wo sich ein alter, verfallner Turm erhob, der ehemalige Wohnsitz der Barone von Bradwardine. Schon verzweifelte Waverley daran, hier durch einen Helfer aus seiner Not befreit zu werben, als er eines Mannes ansichtig wurde, der auf einem der vielen Gänge des Gartens sich auf die Stelle zu bewegte, wo er unschlüssig stand. In der Meinung, es könne der Gärtner sein oder sonst jemand vom Hausgesinde, stieg Waverley von der Terrasse nieder. Als er sich aber der Gestalt näherte, setzte ihn ihr wunderliches Aussehen und Benehmen in Verwunderung. Dieser schnurrige Kauz hielt bald die Hände zusammengeschlagen über den Kopf wie ein büßender Hindu, bald ließ er sie niederhängen und schwang sie wie ein Pendel nach rechts und links; bald wieder schlug er sie schnell hintereinander kreuzweis über der Brust zusammen nach Art des Lohnkutschers, wenn er an hellen Wintertagen seinem Vieh entgegengeht, um es aus seiner Ruhe aufzuscheuchen. So sonderbar wie seine Handbewegungen war auch sein Gang, denn zuweilen sprang er in einem fort auf dem rechten Fuße, dann auf dem linken, dann schloß er die beiden Beine dicht zusammen und sprang auf beiden zugleich. Auch sein Anzug wies einen ganz altmodischen Schnitt auf und sah im höchsten Grade komisch aus. Er bestand aus einem Ding von Oberkleid, das die meiste Ähnlichkeit hatte mit einem Wams. Es war grau von Farbe, hatte rote Aufschläge und Schutzärmel, unter denen rotes Futter zum Vorschein kam. Die übrigen Teile des Anzugs wiesen die gleiche graue Farbe auf, bloß die Strümpfe waren rot und die Mütze war rot, und über der Mütze tanzte eine rote Truthahnfeder. Als Edward seine Gesichtszüge unterscheiden konnte, fand er darin das ausgeprägt, worauf Aussehen und Benehmen bereits hingedeutet hatten. Augenscheinlich war es weder Blödigkeit noch Verrücktheit, das diesem Gesicht, das von Natur eher hübsch zu nennen war, diesen verstörten, seltsamen und abstoßenden Ausdruck gab, sondern vielmehr eine Mischung dieser beiden Eigenschaften, so daß es schien, als bilde er eine Art Zwitterwesen von Einfaltspinsel und Narr. Er schien Edward nicht zu bemerken und kam singend näher. Was er sang, und zwar mit einem ziemlichen Aufwand von Gefühl, das war ein Bruchstück aus einem alten schottischen Liede: Du Falscher, Du logst mir Liebe vor Im Sommer unter Blüten? Das will ich unter Schnee und Sturm Im Winter Dir vergüten! Kehrst Du nicht bald, recht bald zurück, Und willst recht lieb mich haben, Dann, Wie Du mit andern Mädchen lachst, Lach ich mit andern Knaben. Und als er jetzt die Augen aufhob, die bisher aufmerksam den Füßen gefolgt waren, wie sie den Takt zu dem Liede schlugen, da wurde er Waverleys ansichtig und nahm schnell die Kappe ab, mit einer Unmenge von Zeichen und Gebärden, die Erstaunen und Hochachtung und Grüße zum Ausdruck bringen sollten, sich aber vornehmlich durch Ungelenkigkeit und Plumpheit hervortaten. Edward hoffte zwar nicht darauf, entsprechende Antwort auf seine Fragen zu erhalten, machte ihm aber trotzdem verständlich, daß er gern erführe, ob der Baronet Bradwardine von Bradwardine zu Haus und zu sprechen sei, oder ob einer von der Dienerschaft ihm Auskunft geben könne. Der Gefragte antwortete, und wieder in Liedform, denn wie bei der Zauberin von Thalaba, »war nur Gesang sein Wort«: Zu Berg ist der Ritter, Das Horn soll dröhnen; Im Wald ist die Dame, Flicht Kränze dem Schönen. Zu Burg Ellen die Laube Neckt Moos weich wie Flaum Daß der Schritt des Herrn William Niemand störe im Traum. Das war eine Auskunft, aus der sich nichts Rechtes entnehmen ließ; Edward wiederholte seine Frage und bekam nun eine Antwort, so eiliger Art, daß er aus ihr nichts weiter zu raten vermochte, als das Haus »Hofmeister«. Wenn er diesen sehen könnte, so wäre es ihm recht, dachte Edward bei sich, und hierauf gab ihm der schnurrige Kauz mit einem durchaus verständigen Blick ein Zeichen, er möge ihm folgen. Und dann hüpfte er wieder den Gang hinunter, auf dem er gekommen war. »Ein komischer Kauz,« dachte Edward bei sich, »nicht unähnlich den Shakespeare'schen Tolpatschen. Ich werde nicht so unklug sein, mich seiner Führung zu überlassen. Es haben sich aber noch klügere Leute zuweilen von Narren am Seile führen lassen.« Inzwischen erreichte Edward das Ende des Gartens, wo er sich zu einem kleinen Blumenbeete hinwandte, das gegen Osten und Norden hin durch eine dichte Hecke geschützt war. Hier traf er einen alten Mann bei voller Arbeit. Er hatte sich den Rock ausgezogen, und die rote Nase wie das mit Manschetten an den Aermeln versehene Hemd ließen darauf schließen, daß er zur bessern Dienerschaft gehöre, während sein frisches, braunes Gesicht und die grüne Schürze auf einen »Adams Sohn« hinzuweisen schienen, »bestimmt dazu, das Feld zu bauen«. Der Seneschall und Majordomus,... denn diese Würde bekleidete der Mann, legte den Spaten aus der Hand und fuhr schleunig in seinen Rock. Dann stellte er sogleich die Frage, was der Junker wünsche oder befehle. Dabei heftete er auf den Mann im grauen Wams und mit der Truthahnfeder auf der roten Kappe einen unwirschen Blick, wie wenn er ihm zürne, daß er den Fremden ohne vorherige Anzeige hergeführt habe, denn er mochte wohl meinen, sich in seiner Würde etwas zu vergeben, wenn er sich fremden Leuten in Hemdsärmeln zeige. Waverley sagte ihm nun, daß er den Herrn vom Hause zu sprechen wünsche, daß sein Name Waverley sei usw. Da zeigte die Haltung des Alten eine vollständige Wandlung, und seine Stimme schlug einen vollwichtigen Ton an. »Er dürfe auf sein Gewissen versichern, daß Seine Gnaden sich außerordentlich freuen würden, den Junker von Waverley zu empfangen. Ob es nicht aber vorher dem Junker genehm sei, eine Erfrischung zu sich zu nehmen? Seine Gnaden weile augenblicklich bei den Leuten, die die schwarze Hexe niedermachten; es hätten alle beide« (mit Nachdruck auf die Worte »beide«) Gärtnerburschen Befehl erhalten, sich ihm zu diesem Zwecke anzuschließen, und ihm selbst läge zurzeit ob, das Beet von Miß Rosa in Ordnung zu bringen, damit er nötigenfalls auch zur Hand sei, falls der Herr Baron seiner bedürfen solle. Er sei ja freilich auch Gartenfreund, habe aber für derlei Nebenbeschäftigungen zu wenig Zeit übrig.« »Und dabei wird er auch nicht fertig, wenn er schon zwei Tage in der Woche dazu braucht!« bemerkte Edwards schnurriger Cicerone. Der Seneschall und Majordomus strafte den vorlauten Mann mit zornigem Blicke für diese Bemerkung und befahl ihm, in einem Tone, der keinen Widerspruch litt, den gnädigen Herrn zu suchen, er werde ihn bei der schwarzen Hexe finden, und ihm zu melden, daß ein Herr aus dem Süden eingetroffen sei, der den Wunsch habe, ihm seine Aufwartung zu machen. »Kann der arme Schelm einen Brief abgeben?« fragte Edward. »Mit aller Gewissenhaftigkeit und Treue an jedermann, vor dem er Respekt hat. Einen längern mündlichen Auftrag möcht ich ihm freilich nicht anvertrauen, wenngleich er eigentlich weniger verdreht als verschlagen ist.« David Gellatley   so nannte der Seneschall den Narren   empfing nun aus Waverleys Hand das Empfehlungsschreiben, das ihm sein Oheim Sir Everard mit auf den, Weg gegeben hatte, und schnitt dabei dem Seneschall, dessen letzte Bemerkung er gehört haben mochte, eine solche Fratze, daß es aussah, als wollte er alles tun, die Worte desselben nicht Lügen zu strafen. Dann machte er vor Waverley eine schnurrige Verbeugung und ging oder vielmehr sprang oder hüpfte, um sich des ihm erteilten Auftrags zu entledigen. »Er ist ein harmloser Narr, wie es ihrer hier wohl auf jedem Edelsitze gibt, Sir,« sagte der Seneschall, »aber mit unserm, da macht mans schier schon ein wenig arg. Sonst war er ganz gut im stande, tags über zu arbeiten. Aber seit er einmal der Miß Rosa beigestanden hat, als sie sich des neuen Bullenbeißers, den der Laird von Killaincourt gekauft hatte, nicht erwehren konnte, seitdem braucht er nichts mehr zu tun, und seitdem nennen wir ihn nicht mehr anders als David Tunichtviel. Eigentlich könnten, wir ihn auch David Tugarnichts nennen, denn seitdem ihm der Herr zu seinem Jux und der Miß Rosa zu Gefallen den komischen Anzug geschenkt hat   es ist nun mal so in der Welt, daß große Herren ihren Jux haben müssen   seitdem tut ei überhaupt nichts anderes mehr, als tanzt im Hofe auf und ab. Höchstens daß er für den Herrn die Angelruten schneidet oder mal ein Gericht Forellen fängt. Noch da kommt Miß Rosa! Na, das darf ich dem verehrten Gaste auch versichern, daß die sich freuen wird, einen Herrn vom Hause Waverley hier zu begrüßen im Wohnsitze ihres Vaters zu Tully-Veolan.« Neuntes Kapitel Miß Bradwardine war erst siebzehn Sommer alt. Bei einem der letzten Pferderennen zu ... wars, als in einem Zirkel schöner Namen ihre Gesundheit ausgebracht werden sollte, und es der Laird von Bumperquaigh, ständiger Toastmeister und Bankhalter im dortigen Bautherwillyklub, sich nicht nehmen ließ, den Zusatz zu dem Toaste mit hocherhobnem Humpen zu machen: »Der Rose von Tully-Beolan!« Diesen prächtigen Zusatz begleiteten sämtliche anwesende Herrschaften mit einem dreimaligen Lebehoch! ja, es ist versichert worden, daß diejenigen Teilnehmer der Sitzung, die sich schon unter den Tisch getrunken hatten, dem Trinkspruch ihre Zustimmung »zugeschnarcht« hätten ... ich will jedoch den Scherz nicht weiter treiben. ... Ein so allgemeiner Applaus läßt sich bloß erringen, wenn wirkliches Verdienst vorhanden ist, und bei Miß Rosa Bradwardine war dies der Fall, und zwar im vollsten Maße: das erkannten noch ganz andre und weit vernünftigere Leute an als der Butherwillyklub. Rosa Bradwardine war in der Tat eine liebliche Rose; eine schottische Schönheit, heißt das, mit langem, goldfarbigem Haar, und einer Haut, an Weiß dem Schnee in Schottlands Hochlanden vergleichbar. Aber ihr Teint war weder blaß, noch »schmolz er dahin«; ihr Gesicht wie ihr ganzes Wesen war von lebhaftem Ausdruck, und ihre Farbe so zart, daß man schier meinen konnte, sie »durch und durch zu sehen«; und die geringste Wallung ihres Herzens jagte ihr alles Blut in Gesicht und Nacken. Sie war von Figur nicht groß, aber überaus lieblich und niedlich; ihre Bewegungen waren ungezwungen und unbefangen. Sie kam von der andern Gartenseite her, und sie begrüßte den Kapitän schon von weitem, aber mit einer Manier, die zwischen Höflichkeit und Schüchternheit die Mitte hielt. Nach dem ersten Austausch von Komplimenten hörte Edward aus dem Munde der jungen Dame, daß »die schwarze Hexe«, die ihm in der Erzählung des Hofmeisters ziemlich rätselhaft geblieben war, weder mit einem schwarzen Kater noch mit einem Besenstiel was zu tun habe, sondern weiter nichts sei als ein Schlag Eichenwald, der heute gerade hätte gefällt werden sollen. Sie erklärte sich bereit, dem Junker den Weg dorthin zu zeigen. Das Holz sei gar nicht weit, meinte sie. Aber die Erscheinung, des Barons von Bradwardine kam ihr zuvor. Zufolge der Meldung, die ihm David Gellatley gemacht, und zufolge des Schreibens, das er ihm gebracht, erschien er, »den Gast gastfreundlich zu empfangen«, den Boden schnell messend mit langen, geschwinden Schritten, in einem Tempo, so gewaltig, daß es Waverley vorkam, als sei das Märchen von den Siebenmeilenstiefeln wieder lebendig geworden. Der Baronet war eine schlanke, hagere, aber athletische Figur, zwar bejahrt und schneeweiß, aber mit Muskeln ausgestattet, die durch beständige körperliche Bewegung und Arbeit wie Eisen so hart geworden waren. Sein Anzug wies keinerlei Sorgfalt auf, aber er trug sich nach französischer Art, und seine energischen Züge sowie das straffe Wesen, die schnurgerade Haltung verliehen ihm einen gewissen Grad von Aehnlichkeit mit einem Offizier der Schweizergarde, der eine Zeitlang in Paris geweilt und von dort wohl die herrschende Mode, nicht aber die seinen Verkehrsformen mit hinweggenommen hatte. Ich glaube nicht im Unrecht zu sein, wenn ich sage, daß bei ihm Sprache sowohl als Sitte im direkten Widerspruche standen zu seinem ganzen äußern Habitus. Es wohnte ihm von Geburt an eine Neigung zur Wissenschaft inne, und nach der in Schottland unter den bessern Ständen heimischen Sitte war er für den Juristenstand herangebildet worden. Da ihm aber die politischen Grundsätze seiner Familie alle Hoffnung, auf diesem Wege sich in die Höhe zu arbeiten, abschnitten, ging Mr. Bradwardine ein paar Jahre lang auf Reisen und nahm auch in fremden Diensten an verschiednen Feldzügen, teil. Nachdem er sich im Jahre 1715 des Hochverrats schuldig gemacht hatte, aber, wie zu Anfang dieser Erzählung schon berichtet, »mit einem blauen Auge« davongekommen war, lebte er in gänzlicher Zurückgezogenheit und hielt Verkehr bloß mit solchen von seinen Nachbarn, von denen er wußte, daß sie gleicher Gesinnung mit ihm in der Politik seien. Begreiflicherweise bestärkten sich seine Vorurteile als Erbe und Sproß eines uralten Geschlechts und als strenger Jakobit mit der Abgeschlossenheit seines Lebens und seines Umgangs. Nur zu gern tat er der Fakta Erwähnung, daß »die Ländereien von Bradwardine und Tully-Beolan zur freien Baronie erhoben worden seien durch König David den Ersten, und daß ihnen hierbei das Recht verliehen worden sei, ihre Vasallen und Hörigen zu verhaften, zu verhören und hinzurichten«. Aber wie Johannes der Erste sprach auch der gegenwärtige Herr von Bradwardine mehr davon, daß ihm diese Rechte zuständen, als daß er sie ausübte; nur zweimal hatte er Wilddiebe, die er auf frischer Tat ertappt hatte, im alten Turmverließ gefangen setzen lassen, wo sie von Gespenstern jämmerlich geschreckt und von Ratten halb aufgefressen wurden, sowie daß er ein andermal ein altes Weib in das Halseisen gesteckt hatte, weil sie gesagt hatte, »es gäbe auf dem Edelhofe des Laird mehr Narren außer David Gellatley.« Als er Waverley den ersten Gruß sagte, machte es beinahe den Eindruck, als wäre durch seine herzliche Freude, den Neffen seines Freundes bei sich zu sehen, die steife, erhabne Würde in der Haltung des Barons von Bradwardine einigermaßen aus dem Gleichgewicht gerückt worden, denn es standen ihm die Tränen in den Augen, als er Edwards Hand zuerst vertraulich nach englischer Weise schüttelte, ihn aber dann nach französischer Sitte umarmte und auf beide Wangen küßte, und sowohl die heftige Weise, wie er dem Junker die Hand zu drücken liebte, als die reichliche Menge von Schnupftabak, die ihm hierbei entfiel, übte eine solche Wirkung auf die Tränendrüsen seines Gastes, daß auch ihm Wasser in die Augen trat. »Auf Edelmanns Wort!« rief er, »es macht mich wieder jung, Euch hier zu sehen, Mr. Waverley! Ein würdiger Sprößling des alten Stammes von Waverley-Würden! Ihr habt ganz das Gepräge des alten Geschlechts, Mr. Waverley! wenn auch noch nicht die ganze Würde meines alten Freundes Sir Everard, mais cela viendra avec le temps [aber das wird schon noch werden]. ... So so? Ihr habt also die alte Kokarde aufgesteckt? ... Recht so, recht so! aber wenn ich auch andre Farbe lieber gesehen hätte, und ... wie ich mir denken kann, Sir Everard vielleicht auch ... so denke ich doch, daß es besser sein möchte, von diesem Thema nicht weiter zu reden. Ich, bin alt geworden, und die Zeiten sind auch andre geworden. ... Na, und nun sagt Ihr mir wohl, wie geht es denn dem wackern Ritter William mit der schönen Mrs. Rachel? ... O Ihr lächelt, Junker? Aber sie war ganz sicher die schöne Mrs. Rachel im Jahre der Gnade 1716! freilich die Zeit vergeht... das ist nur allzu wahr.... Noch einmal! Seid mir herzlich willkommen, Junker, in meinem ärmlichen Tully-Beolan! ... Lauf hurtig ins Haus, Rosa, und sieh zu, daß Saunderson den alten Chateau Margaux hervorsucht, den ich Anno 1713 aus Bordeaux und Dundee geschickt habe.« Rosa eilte hinweg, ziemlich gesetzten Schrittes noch, so lange sie meinen konnte, gesehen zu werden, aber flüchtig wie ein Reh, sobald sie um die Ecke war, die sie den Blicken des Vaters und des Junkers entzog. »Wir können nun freilich nicht mit der Pracht englischer Schloßtafeln wetteifern, Kapitän Waverley, aber meinen Bordeaux sollt Ihr kosten, und ich denke, Ihr werdet ihn loben können; c'est des doux oreilles [bei dem man die Ohren spitzen muß], wie der Kapitän Waverley so gern sagte ... vinum primae notae [Wein erster Marke] wie ihn der Wirt von Sankt-Andrä nannte. Und nochmals, Kapitän Waverley! recht, recht sehr freue ich mich, daß Ihr mit mir das Beste trinken könnt, was mein Keller zu bieten vermag.« Diese Unterhaltung währte, bis die Herren die Strecke vom untern Gartenwege, wo sie einander getroffen hatten, bis zu der Tür des Hauptgebäudes, wo sie von vier bis fünf Dienern in altmodischer Livree, an ihrer Spitze dem Haushofmeister, Alexander Saunderson, der jetzt keine Spur mehr vom Gärtner an sich hatte, vielmehr in Galatracht dastand, bewillkommt und in die mit Piken und Bogen und Panzern und Schilden ausstaffierte Halle eingeführt wurden. Unter Aufwendung zahlreicher Zeremonien, aber mit steigender Herzlichkeit, geleitete der Baron den Gast durch eine Zimmerflucht, ohne sich aufzuhalten, nach dem großen Speisesaal, der mit Schwarzeiche getäfelt war und zugleich die Ahnengalerie bildete. Hier stand, für sechs Personen gedeckt, die Tafel neben einem altmodischen Büffet, das mit dem sämtlichen alten, massiven Silberzeug des Hauses Bradwardine dekoriert war. Am Eingange der Hauptallee dröhnte jetzt ein Glockenschlag; ein Greis, der an Galatagen den Türsteher abgab, hatte das Geräusch gehört, das durch Waverleys Ankunft entstanden war, und er hatte sich kaum auf seinen Platz begeben, so erschienen weitre Gäste, und er verkündete ihr Erscheinen durch jenes Glockenzeichen. Es waren, wie der Baron sich äußerte, höchst respektable Herrschaften. »Der junge Laird von Balmawhapple, mit dem Beinamen Falconer, aus dem Hause Glenfarquhar, ein passionierter Jäger ohnegleichen ... gaudet equis et canibus [hat seine Freude an Pferden und Hunden] ... im übrigen jedoch ein höchst gesetzter Junker. Sodann, der Laird von Killancureit, ein Edelmann, der alle freie Zeit dem Ackerbau widmete und sich einen Bullenbeißer aus der Grafschaft Devon, der Damnonia der alten Römer, sofern man dem Chronisten Robert von Eirencester glauben dürfe, geholt habe, der geradezu unvergleichliche Eigenschaften besäße. Wie der Junker von Waverley aus solcher Neigung ersehen werde, eigentlich nur ein Freisassenextrakt, und, so setzte der Baronet hinzu, von fremdländischer Abkunft, wenigstens sei der Großvater aus dem Auslande gekommen, habe bei dem letzten Girnigo von Killancureit als Verfasser, Amtmann, Wirtschaftsinspektor Stellung gehabt, dann sei der letzte Girnigo von Killancureit an Auszehrung gestorben, und dann habe dieser »Bullsegg« das Glück gehabt, Gefallen bei der Hinterbliebenen Witwe Girnigo, die noch jung und arg verliebt gewesen sei, zu finden, und so sei der fremde Mensch in den Besitz der Herrschaft, einer der ältesten im schottischen Norden, gelangt    « »ein Skandal, wie ihn Schottland seit Menschengedenken nicht erlebt habe«   »die ganze Erbfolge habe alles Recht und Herkommen auf den Kopf gestellt, denn die Frau habe durch ihre Erbschleicherei den natürlichen Erben des Verblichenen im siebenten Gliede, Girnigo von Tepperhewitt, bestohlen, dessen Familie durch den hierdurch bedingt gewesenen Prozeß an den Bettelstab gekommen sei, und der letzte Sproß dieses altadligen Geschlechts diene jetzt als altadliger Gemeiner in der schwarzen Wache der Hochlandsarmee. Aber von mütterlicher Seite habe dieser Edelmann, Bullsegg von Killancureit, wie das Geschlecht jetzt heiße, edles Blut in seinen Adern, denn die Mutter und die Großmutter stammten aus dem Geschlechte der Pickletillim, »und das weiß er recht gut, denn er hält auf seine Herkunft, und ist auf grund derselben auch geachtet. Uebrigens hat er sich auch durch sein Auftreten und Verhalten im Lande beliebt zu machen verstanden. Gott soll hüten, liebster Kapitän Waverley, daß wir Adlige untadelhaften Stammes uns besser halten als er, denn wer bürgt uns, daß nicht bei uns der Fall eintrete, daß im achten oder neunten oder zehnten Gliede die Nachkommenschaft nicht in gewisser Art in gleichen Rang mit dem alten Landadel getreten ist? Vix ea nostra voco, wie schon Ovidius Naso sagt. Zehntes Kapitel Die Speisen waren, nach den damals in den Hochlanden herrschenden Begriffen, gut und reichlich, und die Gäste taten ihnen redlich Bescheid. Der Baron aß wie ein Kriegsknecht, der tagelang auf dem Marsche gewesen, der Laird von Balmawhapple wie ein Weidmann, der lange auf dem Anstand sich herumgetrieben, und Bullsegg von Killancureit, wie eben ein Bauer ißt oder »frißt«. Waverley aß, wie jemand, der von der Reise kommt, und Schösser Wacwheeble wie alle vier zusammengenommen, wenn er auch, sei es nun aus größerem Respekt oder um anzudeuten, daß er sich der Gegenwart seines Patrons gar Wohl bewußt sei, nur auf der Ecke seines Stuhles saß, der drei Fuß ab vom Tische stand, und mit seiner Schüssel nur auf die Art in Verbindung gelangen konnte, daß er seine Person gegen sie vorstreckte in einer Linie, die vom Ende seines Steißbeins in schiefer Richtung ausging, so daß die ihm vis-à-vis sitzende Person bloß den Vorderrand seiner Reitperücke zu sehen bekam. Solche unterwürfige Haltung wäre jedem andern gewiß höchst beschwerlich gefallen, den würdigen Schösser hatte aber langjährige Gewohnheit damit vertraut gemacht. Und da er zeitlebens ängstlich darauf bedacht gewesen war, allen andern den Vortritt zu lassen, kümmerte es ihn wenig, ob jemand in diesem Umstand einen Beweis von Verachtung oder Geringschätzung fände. Der Geistliche, ein Herr von jener kirchlichen Partei, die dem neuen Herrscherhause den Treueid verweigert hatte, war ein angenehmer, feingebildeter und schon bejahrter Mann, einer von jenen geistlichen Herren, »die zwanglos ihre Pfründen lieben«. Darum nahm sich auch der Schösser, wenn der Baron außer Hörweite war, hin und wieder die Freiheit heraus, Herrn Rubrik mit seiner Gewissensängstlichkeit zu necken. Nach aufgehobner Tafel brachte der Baronet die Gesundheit des Königs aus, es hierbei jedem seiner Gäste überlassend, sich darüber klar zu werden, ob er den Monarchen »de facto« oder »de jure« meine. Dann wurde die Unterhaltung allgemein, und gleich darauf entfernte sich Miß Bradwardine von der Tafel, an der sie bis dahin als »Verweserin« gewirkt hatte, und kurz nach ihr entfernte sich auch der geistliche Herr. Und nun floß der Wein in Strömen, denn es war eine Marke, die das Lob des Herrn vollauf rechtfertigte. Bloß Waverley wurde das Recht eingeräumt, hin und wieder einen Trunk vorbeizulassen, ohne Bescheid zu tun. Als schließlich der Abend seine Fittiche niederzusenken begann, gab der Baron seinem Seneschall Saunders Saunderson, oder, wie er ihn scherzweise zu nennen liebte, seinem »Alexander ab Alexandro« einen geheimen Wink, und »Alexander ab Alexandro« verließ daraufhin mit leichter Neigung des Hauptes das Zimmer, um aber bald wiederzukehren mit einem kleinen Kästchen aus Eichenholz, das mit bronzenen Verzierungen von merkwürdiger Art der Formen beschlagen war. Dieses Kästchen stellte er vor seinen Herrn hin, und dieser langte einen Geheimschlüssel hervor und schloß das Kästchen auf, dann hob er den Deckel auf und nahm einen goldnen Becher von höchst merkwürdiger Form aus dem Kästchen. Diese Form zeigte sehr deutlich einen Bären, und der Baron heftete auf ihn einen Blick, der Ehrfurcht, Stolz und Wohlgefallen kündete, und der Waverley unwillkürlich an Tom Otter erinnerte, jenen charakteristischen Typus, den Ben Johnson der englischen Literatur beschert hat, der sich seine Humpen als Ochse, Pferd und Hund zu formen liebte. Aber Mr. Bradwardine drehte sich jetzt selbstgefällig nach ihm herum und ersuchte ihn, sich diesen Humpen recht genau anzusehen, da er eine sehr alte Reliquie darstelle, »das auserkorne Helmstück nämlich unsres Geschlechts, den aufrecht stehenden Bären. Friedrich Rotbart, Kaiser von Deutschland, spendete dies ehrenvolle Wappen durch Wappenbrief meinem Urahn Godmund Bradwardine. Es war das Helmstück eines gewaltigen Dänen gewesen, den mein Urahn im Zweikampf draußen im gelobten Lande erlegt hatte anläßlich eines Zwistes, der über die Keuschheit der kaiserlichen Braut entsponnen war. »Und was nun,« erzählte Bradwardine weiter, »im besondern diesen Becher anbetrifft, so ist er auf Anordnung des heiligen Duthak, Abtes von Aberbrothock, für einen andern Baron Bradwardine verfertigt worden, der das Kirchengut des genannten Klosters ritterlich gegen die gewaltsamen Angriffe mehrerer Edelleute verteidigt hatte. Eigentlich führte er den Namen »der geweihte Bär von Bradwardine«, und in der alten katholischen Zeit ging die Meinung von ihm, es wohnten ihm gewisse mystische und übernatürliche Kräfte inne. Wenn ich persönlich auch nichts gebe auf solche anilia, so steht doch fest, daß der geweihte Bär immer ein wichtiges Erbstück unsers Hauses gewesen ist und immer als Ehrenbecher figuriert hat. Er ist immer nur in Gebrauch genommen worden bei besonders festlichen Gelegenheiten, und als solche sehe ich den Besuch meines Gastes, des Erben Sir Everards, und seine Anwesenheit unter meinem Dache an. Ich weihe also diesen Trunk dem Wohl und Glück des uralten, hochehrenwerten Hauses von Waverley.« Während dieser langen Standrede hatte er mit vielem Bedacht eine mit Spinnweb überzogne Flasche Claret in den geweihten Bären gegossen, der nahezu eine englische Kanne faßte, und als die Flasche Claret in den Becher gewandert war, reichte er sie dem Seneschall, der sie sorgfältig in wagerechter Richtung halten mußte, so lange er feierlich mit einem einzigen Zuge den Inhalt des geweihten Bären von Bradwardine leerte. Voll Bangen und Zagen sah nun Edward das Untier im Kreise herumgehen und gedachte des ihm zugehörigen Mottos: »Fürcht den Bär«, denn offenbar sah er voraus, daß eine Weigerung, dem Zutrinkenden Bescheid zu tun, sehr übel aufgenommen werden würde, da keiner der Gäste den geringsten Anstand nahm, dem Becher diese Ehre zu erweisen. Mit dem festen Entschlusse, auch diesen »letzten Kelch« zu leeren, und zwar bis auf die Neige, dann aber der Tafel den Rücken zu wenden, wurde er im Vertrauen auf seine Standfestigkeit der Aufgabe gerecht und gab dem geweihten Bären die volle Ehre, gleich jedem der ihm vorangegangenen andern Gäste. Uebrigens waren die Folgen nicht von der gefürchteten Art bei ihm, während sich bei den andern Symptome dafür zu zeigen begannen, dem alten Worte gemäß: »Guter Wein machts immer gut«. Allmählich taute der Frost der Etikette, und allmählich wich der Geburtsdünkel vor den Segnungen dieses gütigen Gestirns, und die langen Titel, mit denen sich bislang die drei Träger altschottischer Ehren und Würden angesprochen hatten, erhielten die freundlicheren Kürzen: Tully, Vally und Killie. Und als der Becher eine abermalige Runde genommen hatte, suchten Bally und Killie um die Ehre nach, den Danktrunk auszubringen, der ihnen, wenn auch erst nach einigem Zieren, schließlich zugestanden wurde. Nun war Edward der Meinung, der Bachusfreuden würden nun für diesen Abend genug sein. Aber nie hatte er sich in seinem Leben schlimmer betrogen, als mit dieser Meinung! Die Gäste hatten ihre Pferde in der kleinen Dorfschenke »Zum Wechselhofe« eingestellt, und nun konnte es der Baron nicht umgehen, sie die Allee hinunter zu begleiten, und Waverley hielt es seinerseits geboten, den Baron nicht allein gehen zu lassen; außerdem meinte er, die kühle Abendluft würde ihm gut tun nach diesem erhitzenden Gelage. Als nun die Gesellschaft unter dem Torweg von Lukie Maclearys Gasthaus angelangt war, da erklärten die beiden Herren von Balmawhapple und Killancureit, daß sie es sich nicht nehmen ließen, mit einem »Doch an Darroch« aufzuwarten, wie der Terminus technicus in Schottland lautet für einen Stehseidel- oder Abschiedstrunk im Auseinandergehen. Hier muß eingeschoben werden, daß sich der Schösser, auf grund früherer Erfahrungen, aus Bange, der Rest des Abends möchte, nachdem der Tag bisher auf Kosten seines Patrons verlebt worden war, auf seine Kosten ausgehen, auf seinen halblahmen Grauschimmel geschwungen und sich, halb froh, halb verdrossen, aus dem Dorfe gemacht hatte. Die andern hielten noch Einkehr im Wirtshaus bei der Lukie Macleary und schleppten Edward, ohne Rücksicht auf den von ihm erhobnen Einspruch, mit hinein. Es schien, als hätte die Frau Wirtin auf solchen Besuch noch gerechnet, denn diese Sitte solches »letzten Trunks« vorm Auseinandergehen bestand damals als bequeme Weise, auf der Stelle den Dank abzustatten für genossene Gastfreiheit, in ganz Schottland. Zum ersten Mal wieder seit vierzehn Tagen hatte deshalb Witwe Macleary ihr Haus von oben bis unten gereinigt und das Torffeuer so langte unterhalten, bis die Temperatur in den Räumen auf jene Höhe gelangt war, die das nordische Klima Schottlands sogar im Sommer wünschenswert macht. Sie hatte den blank gescheuerten Tisch in die Mitte der Wirtsstube gerückt und unter das wacklige Bein ein Stück Torf geschoben. Dann hatte sie sich ihren weißen Rock angezogen, das Mieder angelegt und das scharlachrote Plaid umgetan und harrte nun respektvoll und in der Hoffnung auf eine recht gute Einnahme der in Erwartung befindlichen Gäste. Kaum hatten sich dieselben in der ganz von Spinnweb tapezierten Gaststube niedergelassen, so zeigte sich die Witwe Wirtin, gemäß dem vom Laird von Balmawhapple erhaltenen Winke, mit einem Napf von mächtiger Größe, der wenigstens drei englische Maß faßte, und in ganz Schottland unter der Bezeichnung »Tappit Hen« [gehaubte oder geschöpfte Henne] bekannt und beliebt war und von trefflichem Claretwein moussierte. Es wurde bald ersichtlich, daß die Henne die paar Bröselchen Vernunft, die der Bär noch nicht aufgefressen hatte, aufpicken werde; indessen kam das herrschende Durcheinander der Begriffe Edward insofern zu gute, als es ihm half, dem fleißig kreisenden Kruge zu entrinnen. Bei den andern Zechbrüdern fielen die Worte bald hageldicht, jeder führte die Unterhaltung, wie es ihm eben in den Kram paßte, ohne die geringste Rücksicht auf das, was neben ihm gesagt wurde. Der Baron von Bradwardine sang fränkische Trinklieder, zwischen die er allerhand lateinische Brocken schmuggelte; Killaincureit schwatzte, in einem fort von Säen, Eggen, Pflügen, Dreschen, von natürlichem und künstlichem Dünger, von Ochsen, Schweinen, Kälbern ec., während Balmawhapple seine beiden Zechbrüder überschrie mit seinen Reden von Pferden und Falken und Reihern und von seinem Windhunde, dem er den Namen »Pfeifer« gegeben hatte. Inmitten dieses Tohuwabohus bat der Baron wiederholt ums Wort, aber es währte geraume Weile, bis sich der Instinkt des guten Tones so weit Geltung verschaffte, daß ihm auf einen Augenblick das Wort gegönnt wurde. Er nahm diese Gelegenheit wahr, die Aufmerksamkeit auf ein »Kriegslied, das Marschall Herzog von Berwick sich gern habe vorsingen lassen«, zu lenken und begann, Manier und Stimme eines französischen Musketiers nachahmend, sofort zu trällern: Mon coeur volage, dit-elle, N`est pas pour Vous, garçon! Est pour un homme de guerre, Qui a barbe au menton. Lon, Lon, Laridon. Qui porte chapeau à plume, Soulier au rouge talon, Qui joue vite de la flûte, Aussi du violon! Lon, Lon, Laridon Mein flüchtig Herz, sagt sie Ist nicht für Dich, mein Jung, Schlägt für den Kriegsmann, Der Bart am Kinne hat, Am Hut die Feder trägt, Am Schuhe Litzen hat, Der flott die Flöte bläst, Und flotter Zimbel schlägt Tralala tralala ... Da konnte sich Balmawhapple nicht mehr halten, sondern setzte zu einem »sakrisch feinen« Liede an, wie er sich ausdrückte, das »der Pfeifer von Cuxar« hieß und damals in ganz. Schottland gesungen wurde. Und der Baron, von Balmawhapple überschrieen, ließ von dem Wettkampfe ab und brummte sein »Tralala, tralala, tralala« weiter, während Balmawhapple seinen Hymnus auf Birk- und Auerhahn weiter brüllte. Nach einem vergeblichen Versuche, andre Verse zu singen, wie bisher, sang er die ersten wieder, behauptete aber, in solchem Jägerliede läge mehr Musik und Sinn als in allen diesen »Tralirums larums«, soviel ihrer auch in Frankreich Mode seien ... worauf der Baron bloß mit einer Prise Schnupftabak und einem Blick unsäglicher Verachtung antwortete. Aber die beiden edlen Bundesgenossen, Bär und Henne, hatten doch ein Gutes gehabt, sie hatten den jungen Waverley der Höflichkeiten enthoben, die ihm der Baron von Bradwardine andernfalls gezollt haben würde. Bald wurde nun der Claret für muffig und fade erklärt und Schnaps verlangt. Und dann kam der Schnaps, und nun vergällte der Dämon Politik, den der Baron aus Rücksicht auf Edward so lange aus der Unterhaltung ferngehalten hatte, die Harmonie dieses hochländischen Konzerts. Nun brachte der Laird von Balmawhapple einen vollen Humpen aus auf »das schwarze Samtmännchen«, das anno 1702 so treffliche Dienste geleistet habe, und wünschte, daß das weiße Pferd über dem von ihm gegrabenen Wall den Hals brechen möge! Edwards Kopf war im Augenblick nicht klar genug, aus diesen Worten herauszumerken, daß sie auf König Williams Sturz mit seinem Rosse über einen Maulwurfshügel anspielten; nichtsdestoweniger mußte ihm dieser Trinkspruch verdächtig vorkommen, denn er las in den Augen des Nimrods zu deutlich, daß eine ungeziemende Anspielung darin auf den Regenten enthalten sein müsse, in dessen Diensten er stand. Aber bevor er hierauf zu antworten vermochte, polterte der Baron von Bradwardine voller Ingrimm los: »Sir, gleichviel, wie es in diesen Punkten um meine Privatmeinung stehen mag, so kann ich doch nicht dulden, daß hier Dinge zur Aeußerung kommen, die der Ehre eines Edelmannes zu nahe treten könnten, der sich zurzeit unter meinem Dache aufhält. Sir, wenn es Euch auch an dem Respekt vor den Gesetzen der Höflichkeit gebricht, so wollt Ihr doch wenigstens den militärischen Eid, jenes Sacramentum Militare, respektieren, wodurch jeder Offizier an die Fahne gebunden ist! Leset gefälligst im Titus Livius nach, was dort von den römischen Soldaten gesagt wird, die so unglücklich waren, ihren Soldateneid zu brechen, exunguere sacramentum. Aber, Sir, Ihr seid nun mal ein Ignorant in der alten Geschichte sowohl, als in Dingen der jetzt üblichen Lebensart.« »Kein solcher Ignorant, wie es Euch beliebt mich zu nennen!« schrie Balmawhapple; »ich weiß zur Genüge, daß Ihr es abseht auf die geheiligte Konvention; aber wenn alle Whigs in der Hölle zusammengenommen ...« Hier fielen ihm der Baron und Waverley zusammen ins Wort, und der Baron schrie: »Schweigt, Sir! Ihr beweist nicht bloß Ignoranz, sondern blamiert auch Euer Vaterland in Anwesenheit eines Fremden und Engländers auf das schimpflichste ...« Hier bat Waverley den Baron von Bradwardine um die Erlaubnis, einen Schimpf zu beantworten, der auf ihn persönlich gemünzt zu sein scheine. Aber der Baron, erhitzt vom Wein und Grimm und Zorn, war nun gleichfalls außer Rand und Band geraten. »Ich muß bitten, Kapitän Waverley, sich ruhig zu verhalten! Ihr seid überall anderswo, sui juris [nach persönlichem Recht] , frei von Familienzwang, das heißt, es steht Euch frei, zu denken und handeln und Euch zu rächen auf eigne Faust. Aber in meinem Haus und Hof, im Bereich dieser armseligen Herrschaft Bradwardine, das quasi mein Eigentum ist, als stillschweigend weiterlaufende, wenn auch willkürliche Pachtung, bin ich für Euch verantwortlich, in loco parentis [an Stelle eines Verwandten] habe ich Euch zu schützen gegen Beschimpfung. Und Euch, Mr. Balmawhapple, Euch warne ich, mich keine weitere Abweichung von dem Pfade guter Sitte bemerken zu lassen.« »Und ich sage Euch, Mr. Cosmo Cormyne Bradwardine von Bradwardine und Tully-Beolan,« erwiderte der Weidmann mit beißendem Hohn, »ich mache aus jedem ein Wasserhuhn, der mir in meinem Spruch nicht Bescheid tut, mag er ein mopsöhriger englischer Whig sein mit dem schwarzen Band am Ohrlappen, oder einer, der seine Freunde im Stich läßt, um bei den Hannöverischen um Gunst zu betteln.« Im Nu schwangen beide ihre Klingen und fochten ein paar wilde Gänge. Balmawhapple war jung und kräftig und heftig, aber der Baron war ein ungleich größerer Meister in der Führung seiner Waffe und hätte seinem Gegner sicher ganz andre Stiche versetzt, als er sich es in diesen ersten Gängen erlaubt hatte, wenn er bloß nicht zu sehr unter, dem Einflusse des »geweihten Bären« gestanden hätte. Edward sprang von seinem Sitze auf, um sich zwischen die Kämpfenden zu werfen, aber der umgestürzte Koloß des Laird von Killancureit hielt ihn auf, so daß es sicher Mord und Totschlag gegeben hätte, wenn nicht von andrer Seite Hilfe gekommen wäre, und zwar von seiten der Wirtin, die sich bislang ruhig hinter der Ofenwand verhalten hatte, eifrig mit der Berechnung der Zechschuld beschäftigt, die die drei Lairds zu bezahlen hatten, jetzt aber durch das Schwertergeklirr, trotzdem es in ihrer Schenke nicht zu den Seltenheiten gehörte, veranlaßt wurde, vorzutreten. Als sie sich mit einem raschen Blick von der Situation überzeugt hatte, stürzte sie beherzt vor und beschwerte sich unter lautem Geschrei, »wie die gnädigen Herren dazu kämen, sich hier in ihrem Hause zu schlagen und eine arme Witwe in schlechten Ruf zu bringen, da es doch wahrlich an Acker und Feld, wo sie sich schlagen könnten, in Schottland nicht fehle!« Diesem Einwand gegen die Schlägerei der beiden Edelleute gab sie kräftigen Nachdruck dadurch, daß sie ihr Plaid mit großer Geschicklichkeit über die Klingen warf, worauf nun auch die zum Glück noch nüchternen Diener herzueilten, und die beiden Kampfhähne, mit Hilfe von Edward und Killancureit, der sich inzwischen von der Erde aufgerichtet hatte, auseinander brachten. Killancureit schaffte Balmawhapple fort, der noch immer wie ein Rohrspatz auf alles, was Whig und Presbyterianer und Fanatiker in England sei, schimpfte und nur mit großer Anstrengung aufs Pferd zu bringen war. Waverley dagegen geleitete mit Unterstützung Saunders Saundersons den Baron von Bradwardine in seine Wohnung. Der Baron konnte es aber nicht über sich bringen, eher sich zu Bett zu begeben, als bis er die Vorgänge dieses Abends durch eine lange, gelehrte Apologie »weißzuwaschen« versucht hatte, von der aber außer den beiden Worten »Kentauren« und »Lapithen« nichts zu verstehen war. Elftes Kapitel Waverley war an Weingenuß nicht gewöhnt. Er schlief die ganze Nacht hindurch bis in den späten Morgen hinein, und als er erwachte, traten ihm die Vorgänge des verwichenen Abends wieder in die Erinnerung und bereiteten ihm unsägliche Pein. Er, ein Edelmann, ein Soldat, ein Waverley, war auf grobe Weise beleidigt worden! Freilich war die Person, von der die Beleidigung über ihn gekommen war, nicht im Zustande der Zurechnungsfähigkeit gewesen; freilich sagte er sich, daß er, wenn er diese Beleidigung rächen wolle, die himmlischen Gesetze ebenso verletze, wie die seines Vaterlandes; ebenso verhehlte er sich nicht, daß er, wenn er die Sache weiter verfolgen wolle, das Leben eines Mannes aufs Spiel setzte, der vielleicht im übrigen den ihm als Staatsbürger wie als Mensch obliegenden Pflichten pünktlich nachkäme; ebenso, daß er auch mit dem eignen Leben spiele. Das waren alles Dinge, die ihm schwer auf dem Herzen lasteten, aber immer und immer wieder kehrte mit unverminderter Kraft der ihm angeborne Stolz wieder. Und da ihm die Beleidigung zugefügt worden war mit ausdrücklichem Hinweis auf seine militärische Eigenschaft, so gab es für ihn keinen Zweifel mehr. Er begab sich in das Frühstückszimmer in der Absicht, sich von der Familie zu verabschieden und einen seiner Kameraden zu bitten, daß er ihm halbwegs entgegenkomme, um dann, je nach den Umständen, seine Forderung an den Laird Balmawhapple zu überbringen. In der Frühstücksstube traf er Miß Bradwardine allein. Sie war eben damit beschäftigt, den Tee und Kaffee aufzugießen und die Tafel mit all dem Luxus eines echten altschottischen Frühstücks herzurichten, wozu frisches Gersten- und Weizenbrot, Eier, Renntier-, Schöps- und Rindskeule gehörten, ferner Lachs und Schinken und eingemachtes Obst und Hafermehlsuppe, ferner Buttermilch in gleicher Mischung in silbernem Kruge. Die letzten Gerichte waren besonders bestimmt für den Baron, aber Miß Rosa bemerkte, daß der Vater zu sehr früher Stunde schon ausgegangen sei und den Befehl hinterlassen habe, den Junker auf keinen Fall im Schlafe zu stören. Waverley verhielt sich stumm und war, als er sich an die Tafel gesetzt hatte, so zerstreut und gar nicht bei der Sache, daß Miß Bradwardine keine besonders vorteilhafte Meinung von seiner Unterhaltungsgabe gewann. Ein paar Fragen, die sie über gleichgültige Dinge aufwarf, beantwortete er nebenhin. Auf einmal aber sprang er auf, denn ein Blick in den Garten hatte ihm ein Bild gezeigt, auf das er in seiner dermaligen Stimmung am wenigsten vorbereitet war. Im Garten kamen Arm in Arm der Baron von Bradwardine und der Laird Balmawhapple, anscheinend in tiefes Gespräch versunken, und letzterer mit verbundnem Arm! »Hat Mr. Falconer heut nacht im Schlosse geschlafen?« fragte er Miß Rosa. Miß Rosa, die durch sein Wesen nicht sonderlich zufrieden mit ihm war, gab eine trockne Verneinung als Antwort, und darauf saßen sich die beiden jungen Leute wieder so stumm gegenüber wie vordem. Da erschien Mr. Saunders Saunderson im Frühstückszimmer, mit einem Auftrag seines Herrn, Kapitän Waverley zu unterrichten, daß ihn der Baron in einem andern Zimmer zu sprechen wünsche. Mit lebhaftem Herzklopfen, nicht sowohl aus Furcht, als vielmehr aus Unsicherheit und Besorgnis, leistete Edward der Aufforderung Folge. Die beiden Männer standen neben einander im Zimmer, auf der Stirn des Barons lag ein Zug freundlicher Würde, die Dreistigkeit in Balmawhapples Blick wurde durch einen Ausdruck von Scham und Aerger gemindert. Der Baron schob seinen Arm durch den des Laird und stellte sich, wie wenn er mit ihm entlang schritte, zog ihn jedoch in Wirklichkeit zu der Stelle hin, wo Waverley stand. In der Mitte des Zimmers blieb er mit Balmawhapple stehen und hielt nun mit großem Aufwand von Würde die folgende Ansprache: »Kapitän Waverley, mein junger und liebwerter Freund Mr. Falconer von Balmawhapple hat mein Alter und mein Wissen in Duellsachen in Anspruch genommen insoweit, als er mich ersucht hat, Euch als sein Dolmetsch zu melden, daß er über gewisse Vorfälle am gestrigen Abend während der letzten Hälfte unsers Symposion tiefen Schmerz empfinde und den unangenehmen Charakter derselben gerade für Euch auf das lebhafteste bedaure, da Ihr doch unter der dermalen bestehenden Regierung militärische Dienste ableistet. Er bittet Euch, Sir, diese Erinnerungen auszutilgen, da sie von einem Charakter sind, den er selbst ans das tiefste verabscheut, und bittet weiter, Ihr möchtet die Hand, die er Euch in Freundschaft bietet, annehmen; und ich meinerseits gebe Euch die Versicherung, daß lediglich die Ueberzeugung, dans son tort [In seinem Unrecht] zu sein, sowie ferner auch die ihm innewohnende große Meinung von Euren bedeutenden Vorzügen und Tugenden ihn zu bestimmen vermocht hat, diesen ersten Schritt zu tun, denn er wie seine ganze Familie sind und waren seit undenklicher Zeit ein mutiges und kriegerisches Geschlecht.« Edward nahm ohne Zögern und mit der ihm eigentümlichen Höflichkeit die Hand, die ihm Balmawhapple oder vielmehr als Vermittler der Baron entgegenstreckte. »Es wäre ihm ganz unmöglich,« erklärte Waverley, »sich mit einer Sache noch weiter zu befassen, von der ihm ein Mann von Ehre versichre, daß er es am liebsten sähe, sie sei nie passiert, und mit Freude setze er alles, was vorgefallen sei, auf Rechnung der ungemessenen Lustigkeit, die zur betreffenden Zeit die Gemüter beherrscht habe.« »Und somit laßt uns,« schloß der Baron die Diskussion, »gemäß dem Worte ›Vinum locotum est‹ [Der Wein hat gesprochen] alles Vorgefallne nicht den anwesenden Personen zur Last legen, sondern jenem göttlichen Tropfen, der den Menschen in Stimmungen versetzt, die ihn der scharfen Erwägung seines Tuns und Lassens unfähig machen. Folget mir, meine lieben Freunde, zur Frühstückstafel! und sprechen wir nicht weiter über Dinge, die der Vergessenheit überantwortet sind.« Balmawhapple setzte sich wohl an die Tafel, fand aber nicht die richtige Stimmung, den vielen guten Speisen, mit denen hier aufgewartet wurde, tüchtig zuzusprechen, wohingegen Edward es sich weit besser schmecken ließ, als sich nach den Anfängen, die er gemacht hatte, erwarten ließ. Balmawhapple schlug auch die Einladung des Barons ab, bis zum Nachmittag zu verweilen, und verabschiedete sich, bestieg sein Pferd und ritt in seine Heimat zurück. Waverley seinerseits gab nun sein Vorhaben bekannt, nachmittags beizeiten Tully-Beolan zu verlassen, um noch den Ort, wo er zu übernachten vorhabe, zu erreichen; aber der Baron war hierüber so ernstlich bekümmert und wollte sich gar nicht in diesen raschen Entschluß hineinfinden, daß Waverley nichts weiter übrig blieb, als seine Absicht aufzugeben und sich mit der Verlängerung seines Aufenthalts um einige Tage einverstanden zu erklären. Und nun zeigte sich der Baron nach allen Seiten hin bemüht, die Ursachen zu beseitigen, die Waverley hatten bestimmen können, an solche frühe Abreise zu denken. »Es würde mich ernstlich bekümmern, Kapitän Waverley,« sagte er, »wenn Ihr die Meinung gewonnen haben solltet, als redete ich dem Trinken das Wort aus Gewohnheit oder Neigung. Aber ein Freund von Geselligkeit bin ich und lasse gern gelten, daß der Mensch eine gewisse Berechtigung hat, sich zu Zeiten ein Räuschchen anzutrinken, wie ja schon die alten Römer recht geschickt unterschieden haben zwischen einem Menschen, der ebrius [betrunken] war, und einem, der bloß ebriolus [benebelt] war. So möchtet Ihr mir wohl darin gern recht geben können, wenn ich die Behauptung aufzustellen versuche, an unserm gestrigen Abend wohl ebriolus, nicht aber ebrius gewesen zu sein.« Obwohl Edward mehr der Ansicht zuneigte, daß der Baron, mit Ausnahme seines Widersachers, der Betrunkenste des Abends gewesen sei, meinte er es seinem Gastgeber schuldig zu sein, ihm in seiner Auffassung der Situation nicht zu widersprechen, und als sich der Baron nach dieser Seite hin für befriedigt halten durfte, lud er seinen Gast zu einem Morgenritt ein und ordnete an, daß ihn David Gellatley mit »Ban und Buscar« begleiten solle. »Bei dieser Gelegenheit sollt Ihr wenigstens sehen, Kapitän Waverley, wie meine Hunde laufen, und zu diesem Behuf sollen sie uns mit David Gellatley erwarten.« Waverley gab seiner Verwunderung Ausdruck, wie sein Freund David zu solchem Auftrage kommen könne, der Baron erwiderte ihm jedoch, der arme Tropf sei keineswegs weder blödsinnig, noch idiotisch, sondern lediglich ein Schalk, seltsam und wunderlich freilich, aber gut im stande, jeden Auftrag zu erfüllen, sobald er nur mit seiner Grille im Einklang stehe. »Wir stehen bei ihm im Schuldbuch,« sagte der Baronet, »denn er hat einmal sein Leben eingesetzt, um das meiner Rosa zu retten, und dafür mußte nun schon der Schlingel von unserm Brote essen und aus unserm Becher trinken, so viel und so lange er kann oder mag, was freilich, nach des Seneschalls und des Schössers Meinung, bei ihm auf ein und dasselbe hinauskommt.« Wie nun Miß Braddwardine noch zu Waverley sagte, so sei dieser arme Schelm ein ganz närrischer Musikfreund. Alles Schwermütige ergriffe ihn lebhaft, während alles Heitere ihn in heitere Stimmung setzte. Er habe auch ein geradezu erstaunliches Gedächtnis für Musik, das mit Bruchstücken aller möglichen Gesänge und Lieder angefüllt sei, die er zuweilen auch auf äußerst geschickte Weise zu verwerten wisse. Sodann sei David den wenigen, die ihm Anhänglichkeit erwiesen, aufs treueste ergeben, er merke sich aber jeden Spott und jeden Fall, wenn er übel angelassen würde, und sei auch recht wohl im stande, sich für dergleichen zu rächen, sobald sich Gelegenheit dazu fände. So war denn David Gellatley tatsächlich der halb närrische Kauz, als den ihn sein Aeußeres verriet, unfähig zu jeder anhaltenden, regelmäßigen Beschäftigung und grade noch ausgestattet mit soviel Festigkeit, daß er sich gegen den wirklichen Wahnsinn behaupten, und mit soviel Mutterwitz, daß man ihn nicht als blödsinnig bezeichnen konnte. Den größten Grad von Verwendbarkeit wies er für die Jagd auf, (bei der sich, wie männiglich bekannt, selbst große Narren hervortun), und in der Behandlung der Tiere zeichnete ihn ein hoher Grad von Gutmütigkeit und Menschlichkeit aus. Aber jetzt hörte man Gestampf von Pferden im Hofe, und gleich darauf Davids Stimme, der den beiden großen Rüden ein Jagdlied vorsang. »Ist das altschottische Poesie?« fragte Waverley die neben ihm reitende Miß. »Das glaube ich nicht,« versetzte die Gefragte, »der arme Schelm hatte einen Bruder, dem, wie man im Dorfe wissen wollte, große Gaben innegewohnt hätten, wie wenn ihn Gott dadurch hätte entschädigen wollen für den herben Mangel, den er litt. Ein Onkel hatte ihn für die Kirche heranbilden lassen, aber es war ihm nicht beschieden gewesen, es zu einer Anstellung zu bringen, weil er auf unserm Grund und Boden gebürtig war. Darüber versank er in Schwermut. Mein Vater hat ihn bis zu seinem Tode unterstützt, der ihn schon früh ereilte. Er blies die Flöte wunderbar und besaß eine große Neigung zur Poesie. Seinen Bruder liebte er innig, und dieser begleitete ihn wie sein Schatten. Von ihm mag wohl David   wenigstens glauben wir das   den Schatz von Liedern haben, über den er verfügt, denn es sind nur wenige darunter, die in unsrer Gegend heimisch sind.... Wenn wir ihn aber einmal fragen, woher er sie weiß, dann stimmt er ein lautes Gelächter an oder bricht in lautes Wehklagen aus und fängt zu weinen an. Aber irgend welche Antwort haben wir nie von ihm bekommen, und den Namen seines Bruders hat er nie wieder ausgesprochen, seit der Tod ihn von ihm gerissen hat.« »Durch eindringlicheres Ausfragen,« sagte Edward, »würde man schon mehr von ihm erfahren.« »Vielleicht,« erwiderte Miß Rosa, »aber mein Vater will es nicht erlauben, daß David durch solches Ausfragen in seinen Empfindungen verletzt werde.« Unterdessen hatte der Baron mit Saundersons Beistand und Hilfe ein paar gewaltige Kanonenstiefel angezogen und forderte nun unsern Helden auf, ihm zu folgen. Er polterte die gewaltige Treppe hinunter und schlug dabei mit dem Stiel seiner gewaltigen Reitpeitsche auf das gewaltige Geländer und brummte dabei mit der Miene eines Chasseurs aus der Zeit Ludwigs des Vierzehnten: Pour la chasse ordonnée, il faut préparer tout, Ho, la ho! Vite, vite, debout! Für die Jagd, die befohlen, gilts alles zu richten. Hollaho! hollaho   flott, flott! aufs Roß! aufs Roß! Zwölftes Kapitel Hoch zu Roß, auf seinem muntern und gut zugerittnen Gaule, mit Demi-Pique-Sattel und Schabracke drauf, die ganz zu dem Kostüm paßte, das er als Reiter trug, machte der Baron von Bradwardine keine üble Erscheinung, freilich der alten Schule. Er trug den lichtfarbnen, gestickten Rock mit der reich bordierten Weste; auf der stolz getürmten Perücke thronte das schmucke, mit Tressen besetzte Jägerhütlein mit breiter Krempe, kurz: die Tracht der Zeit paßte vortrefflich zu diesem Manne der Zeit. Begleitet wurde er zudem von zwei Dienern, beritten gleich ihm, und ebenfalls, wenn auch nicht mit der Pracht wie er, gut ausstaffiert, und mit langen Reiterpistolen in den Halftern. In solchem Anzug ging es querfeldein, über Berg und Tal, an alten Pachthöfen vorbei, zum Staunen der Insassen, bis sie »tief unten waren im grasigen Tal«, wo sie David Gellatley trafen mit den Rüden, zwei überschlanken Windhunden, zu denen sich noch ein halbes Dutzend Dachshunde gesellte, und wohl ebenso viel barfüßige und barhäuptige Dorfjungen, die sich durch allerhand schmeichelhafte Anreden Meisters Gellatley, den sie im gewöhnlichen Leben bloß als den »verrückten Doktor« kannten, die Ehre der Teilnahme am Jagdvergnügen des Barons zu verschaffen gewußt hatten. Aber wie es heute noch in der Welt ist, so war es auch schon vor sechzig Jahren in der Welt, und wie in der Welt, so auch in Tully-Veolan: und so wird es wohl noch sein in sechshundert Jahren später, wenn das buntscheckige Konglomerat von Geschöpfen und Dingen, das wir mit dem Ausdruck »Welt« benennen, noch vorhanden sein sollte: die Schmeichelei wird gegen Leute, die in einem Amte sind, wird immer in Brauche stehen. Diese barfüßigen Burschen sollten dem Baron und seinem Gaste das Wild zutreiben, also die Büsche abklopfen, und das verstanden sie so geschickt, daß schon nach Verlauf der ersten halben Stunde ein Rehlein aufgescheucht, gehetzt und erlegt war. Der Baron jagte, wie weiland Graf Percy, auf seinem Schimmel herbei, um in eigner Person dem »Jagdstück« mit seinem »couteau de chasse« den »Fang zu geben«, und es auszuweiden, was bei dem französischen Jägervolk »faire la Curée« heißt. Als er dieses Stück »Jägerwerk« vollbracht hatte, geleitete er seinen Gast wieder heim in seine Penaten, aber auf weitem Umwege, der einen reichen Ausblick auf die Dörfer und Weiler der Umgegend eröffnete. Fast bei jedem Weiler wußte Baron Bradwardine allerhand Bemerkungen geschichtlicher und genealogischer Art anzubringen, zwischen die er freilich auch allerhand Vorurteile streute. Aber um der klugen Anschauungen willen, und um der achtbaren Empfindungen willen, die ihnen zu grunde lagen, war es wohl der Mühe wert, ihnen ein achtsames Ohr zu leihen. Dieser Morgenritt war für beide Männer angenehm, und die Unterhaltung, die sie dabei führten, gewährte ihnen einen hohen Reiz, wenn auch oder vielleicht grade weil sie in ihren Anschauungen und Grundsätzen erheblich von einander abwichen. Edward war, wie der Leser ja weiß, von lebhaftem, feurigem Temperament, las gern und viel, empfand und dachte echt romantisch und hatte einen starken Hang zu Poesie. Der Baron hingegen war das »pure« Gegenteil hiervon; er rühmte sich, mit noch derselben geraden, unbeugsamen, stoischen Würde seine Lebensbahn zu wandeln, wie gelegentlich seiner abendlichen Spaziergänge auf der Terrasse, auf der er stundenlang .  ein leibhaftes Bild des alten Hardyknut,   »gleichmäßig schritt gen Osten hin, gleichförmig wandelte dem Abend zu«. Seine wissenschaftliche Bildung dankte er Werken, wie sie damals den literarischen Markt beherrschten, zum Beispiel dem Epithalamium von Georges Buchanan, David Lindsay, Barbour Bruce und Harry Wallace. An den Sonntagen boten ihm Johnstouns Psalmen und die »Deliciae Poetarum« erbaulichen Genuß. Den Poeten im allgemeinen war er nicht besonders hold, seiner Meinung nach wurde viel zu viel Zeit auf diese armselige, unfruchtbare »Versdrechselei« verwandt, und außer Allan Ramsay wollte er keinen, der sich in diesem Gebiete zu betätigen versucht hatte, gelten lassen. Aber sie fanden sich beide, wie gesagt, trefflich in einander. Edward war glücklich, einen Mann in dem Baron gefunden zu haben, der ein Gedächtnis besaß, das ein förmliches Register alter und neuer Anekdoten war, und Bradwardine war nicht minder froh, in Edward einen Jüngling zu besitzen, »bonae spei et magnis indolis« [Zu guter Hoffnung und großem Tun (berechtigend)] also frei von jedem mutwilligen Flattersinn, der entweder die Geduld verliert oder verächtlich denkt bei Unterhaltungen mit älteren Personen oder über die guten Ratschläge hinweg eilt, die das Alter so gern der Jugend erteilt. Der Baron versah sich für solchen jungen Freund eines herrlichen Fortgangs im Leben. Außer dem Pfarrer Rubrik hatten sie auf dem Edelsitze wie in der Umgegend desselben niemand, der mit ihnen harmonierte; dieser geistliche Herr war indessen ein Mann, der durch eine gediegene Bildung und eine treffliche Redegabe ganz zu ihnen paßte. Bald nach dem Essen schlug der Baron vor, Miß Rosa einen Besuch auf ihrem Zimmerchen zu machen, oder, wie er zu sagen beliebte, sich in die »troisième étage« [Dritter Stock] hinauf zu verfügen, gleich als ob er dadurch den Beweis hätte erbringen wollen, daß seine Worte über Mäßigkeit nicht bloß theoretischer Natur seien. Waverley wurde durch ein Paar Gänge geführt von jener Art der Baukunst, die auf die Menschen den Eindruck macht, als hätten die Meister, die sie bauten, ihre Mitmenschen damit bloß nasführen wollen. Am Ende dieser paar Gänge oder Korridore stieg Mr. Bradwardine eine schmale, steile Wendelstiege. empor, und zwar immer zwei Stufen auf einmal, so daß sowohl Herrn Rubrik dem Pfarrer als auch Waverley dem Junker schnell der Atem ausging. Der Baron hingegen gewann auf diese Weise die nötige Zeit, seine Tochter von dem ihr bevorstehenden Besuche zu unterrichten, und während sich seine beiden Freunde noch mühten, diesen senkrecht aufsteigenden Korkzieher sich emporzuwinden, bis sie endlich in dem kleinen, mit Strohmatten gedeckten Vorgemach standen, das zu Rosas »Sanctuarium Sanctorum« [Allerheiligstes] führte und ihnen Zutritt zu dem eigentlichen Wohngemach eröffnete, stand der Baron schon eine ganze Weile mitten darin. Es war ein kleines, aber freundliches Stübchen, das auf der Mittagsseite belegen und mit Tapeten behangen war; auch zwei Bilder schmückten die Wand der Sonnenseite gegenüber, eins davon stellte ihre Mutter dar im Kostüm als Schäferin, mit dem Schäferstab in der Hand; das andre den Baron im zehnten Jahre seines Lebens, im blauen Rock mit gestickter Weste, auf dem Kopfe den Tressenhut über der Perücke mit Haarbeutel und in der Hand die Armbrust mit dem Bogen. Edward konnte sich eines matten Lächelns nicht erwehren über diese Tracht sowohl wie über diese vielleicht versuchte, aber keineswegs vorhandene Aehnlichkeit zwischen dem runden, blanken und pausbäckigen Gesichtchen auf dem Bilde und dem hagern, bärtigen, sonnverbrannten und hohläugigen Gesicht, zu dem sich das Original mit den Jahren durch Reisen und Strapazen im Kriege und durch das Auf und Ab des Lebens gewandelt hatte. »Traun!« meinte der Baron, »das Bild war eine lustige Laune meiner alten Mutter. Sie war die Tochter des Laird von Tulliclaum, Kapitän Waverley; ich habe Euch das Haus unterwegs gezeigt, besinnt Ihr Euch? als wir oben auf dem Schinniheuch standen. Es wurde Anno 1715 niedergebrannt von den holländischen Hilfstruppen, als die neue Regierung ins Land kam. Ich hab dem Maler später bloß einmal noch gesessen, und das geschah auf Wunsch des Marschalls Herzogs von Berwick, der sich davon nicht abbringen lassen wollte.« Daß ihm der Herzog diese Ehre erzeigte für eine Heldentat im Feldzuge 1709   der Baron hatte nämlich als erster eine feindliche Bresche erstiegen  , das sagte der Baron nicht hierbei, aber der Pfarrer erzählte das nachher dem Junker. Ganze zehn Minuten lang hatte der Baron in der Bresche gegen eine ganze Uebermacht von Feinden stand gehalten, mit einer bloßen Halbpike als Waffe, bis dann Unterstützung zu ihm hin gelangen konnte. Miß Rosa trat jetzt aus einem weiter hinten zu gelegenen Zimmer in das Stübchen, worin die drei Männer warteten. Sie sagte dem Vater einen herzlichen guten Morgen und begrüßte dann die beiden Herren freundlich. Die Handarbeit, mit der sie beschäftigt war, verriet viel natürlichen Geschmack, wenn er auch noch Ausbildung verlangte. Der Vater hatte ihr Unterricht in der französischen und italienischen Sprache, gegeben, und in einem kleinen Bücherschrank, der an der Wand hing, standen, stolz ein paar Schriftsteller dieser beiden Nationen. Auch mit der Musik hatte sie sich vertraut gemacht, indessen wer die Fähigkeit, ein Lied zu Klavier zu singen oder auf dem Klavier zu begleiten, es nicht herausgebracht. Aber das waren für das damalige Schottland schon Dinge, die weit über das durchschnittliche Bildungsniveau hinausgingen. Eine Bartisane oder vorspringende Galerie, die vor den Fenstern ihres Zimmer entlang lief, wies eine weitere Lieblingsbeschäftigung des jungen Mädchens nach, die Blumenpflege: Pflanzen und Blumen der reichsten Art standen auf dem Querbrett der Galerie und kündeten alle die fürsorgliche Hand einer lieben Freundin. Ein aufspringender Turm führte auf jenen gotischen Balkon, von dem aus man die lieblichste Aussicht genoß. Tief unten lag der streng angelegte Garten mit seinen hohen Fassungsmauern, durch die Perspektive zusammengedrängt, wie es den Anschein hatte, auf ein bloßes Quartier, während sich darüber hinaus der Blick erstreckte weithin über ein waldiges Tal, in welchem, zuweilen sichtbar, zuweilen verdeckt durch Buschwerk, das munter plätschernde Flüßchen sichtbar wurde. Links sah man ein paar zum Dorfe gehörige Hütten, die übrigen lagen hinter dem Rücken eines Hügels versteckt. Das Tal fand seinen Abschluß in einem kleinen See, Loch-Beolan benamst, in den der Bach, auf dem eben die Sonne glitzerte, sich ergoß. Die weiter entfernt liegende Landschaft bot eine reich abwechselnde Oberfläche, wenngleich sie nicht durch Wald gerahmt war, und die weitere Fernsicht wurde durch nichts unterbrochen bis zu der blauen Hügelkette am Horizont, die den südlichen Grenzpunkt der ganzen Talgegend bildete. Auf diesen freundlichen Fleck hatte Miß Bradwardine den Kaffee bringen lassen. Das Bild, das die alte Burg bot, brachte das Andenken an einige Familienanekdoten in Gang, die der Baron mit großer Verve vortrug. Der Gipfel einer überhängenden Felsklippe, die ganz nahebei sich befand, trug den Namen »Swithings Sessel«, und war der Schauplatz eines besonderen Aberglaubens, der durch verschiedene alte Lieder im Munde des schottischen Volkes sich fortpflanzte, »wie es mit ähnlichen Dingen ja der Fall ist bei allen Völkern, wie ja auch schon im Altertum sich allerhand Wunderbares auf diesem Gebiete nachweisen läßt und dort vielleicht in noch reicherem Maße als in der neueren Zeit.« Auf diese Worte ihres Vaters sagte Miß Rosa zu Kapitän Waverley, daß ihr Vater gegen alles, was ins Reich des Wunderbaren falle, ein unbekämpfbares Mißtrauen habe, und daß er beispielsweise einmal bei einer höchst merkwürdigen Affäre sich nicht vom Fleck gerührt habe, während eine ganze Klerisei von presbyterianischen Gottesgelehrten dabei in die Flucht gejagt worden ist. Waverley lauschte gespannt und war neugierig, das Weitere von diesem Vorfalle zu erfahren. »Nun,« sagte Miß Bradwardine, »so will ichs Euch erzählen. Einst lebte hier eine alte Frau mit Namen Gellatley,. und die stand allgemein in dem Verdacht, eine Hexe zu sein, weil sie steinalt war und häßlich und blutarm. Aber sie hatte zwei Söhne, und einer davon war ein Dichter, der andre ein Narr. Und da sagten nun die Leute in der Nachbarschaft, das sei die Heimsuchung Gottes an ihr für ihre sündhafte Zauberei. Es kam so weit, daß man sie acht Tage lang in den Glockenturm der Dorfkirche sperrte, wo sie nur karge Nahrung erhielt und nicht schlafen durfte, bis sie eben dadurch die feste Ueberzeugung selbst bekam, sie sei eine Hexe, wie es der Glaube war bei ihren Anklägern. Und nachdem der Zustand ihrer Seele auf solche Weise gebessert und erleuchtet worden war, da ließ man sie heraus aus dem Turme, um mit ihr ein »Dean breast« vorzunehmen, nämlich sie zu einem offnen Bekenntnis ihrer Hexerei vor dem ganzen Adel der Gegend und der Klerisei der Whigpartei zu zwingen, die der neuen Regierung gleichfalls noch nicht gehuldigt hatte. Und da ging nun mein Vater hin, um abzuwarten, wie die Verhandlung zwischen der Geistlichkeit und der Hexe verlaufen würde; denn die der Hexerei angeklagte Greisin war gebürtig aus seinem Gebiete. Und als sie nun beichtete, daß ihr der Feind erscheine, und daß er zu ihr käme als ein schöner schwarzer Mann, und als die Zuhörer ihre Worte vernahmen mit Entsetzen und Grausen, und die Geistlichen mit zitternden Händen ihr Einbekenntnis aufzeichneten, da wandelte sich plötzlich die schmerzliche, klagende Stimme, mit der sie bislang gesprochen hatte, in ein schrilles Geschrei, und sie rief: »Nehmt Euch in acht! nehmt Euch in acht! denn ich sehe den Bösen; dort sitzt er mitten unter Euch!« Und da gabs eine Verwirrung, und ein Durcheinander, und Schrecken und Grausen beherrschte aller Gemüter, und alles fing an zu fliehen. Dabei ist manche Halskrause zerrissen worden, und mancher Hut hat Beulen bekommen, und manche Perücke ist auf dem Kopfe ihres Trägers verrutscht, und mancherlei ist dabei verloren gegangen und gestohlen worden. Und man überließ es dem dickköpfigen Geistlichen, der die Greisin verfolgte, mit ihr und ihrem schönen schwarzen Herrn von Bewunderer zu verfahren, wie es ihm für gut und recht scheine; aber mein Vater ist, wie ich Euch schon sagte, Herr Junker, nicht mit der Klerisei und der ganzen Zuschauerschaft ausgerissen, sondern hat sich der Greisin angenommen und hat sie mit sich zurück ins Dorf genommen, wo sie aber wenige Stunden darauf eines natürlichen Todes gestorben ist.« »Risu solvuntur tabulae,« [Die Akten werden unter Gelächter geschlossen] schloß der Baron die Erzählung, »und war sie am Leben geblieben, so war ihr auch der Prozeß nicht wieder neu gemacht worden, denn die Pfaffen und Gerichtspersonen waren zu sehr beschämt über die Angst, die sie gezeigt hatten, und haben es niemals gern gesehen, wenn die Geschichte wieder aufs Tapet gebracht wurde.« Unter Gesprächen solcher Art schloß sich unserm Helden der andre Abend seines Aufenthalts auf dem Edelsitze von Tully-Veolan. Dreizehntes Kapitel Am nächsten Morgen stand Edward frühzeitig auf und machte einen Gang um das Haus herum und sah sich auf einmal in einem kleinen Abteil des Hofes, in welchem sein Freund David damit beschäftigt war, seine vierfüßigen Pfleglinge zu striegeln und zu füttern. Kaum war David Waverleys ansichtig geworden, so drehte er schnell den Rücken und fing, als hätte er ihn nicht bemerkt, eine Stelle aus einer alten Ballade zu singen an: Es liebt Dich der Junker, doch bald ists vorbei Hörst Du das Vögelchen singen? Des Mannes Liebe wird täglich neu, Und das Köpfchen steckt unter den Schwingen Wie Strohfeuer Jünglings Zorn entflieht, Hörst Du das Vögelchen singen? Und wie Stahl des Mannes Eifer glüht, Und das Köpfchen steckt unter den Schwingen Der Jüngling schmollt bei dem Abendschmaus, Hörst Du das Vögelchen singen? Zum Kampf zieht der Mann frühmorgens aus, Und das Köpfchen steckt unter den Schwingen. Waverley merkte wohl, daß David auf diese Verse einen satirischen Nachdruck legte. Er trat zu ihm und suchte durch allerhand Fragen etwas aus ihm herauszubringen, aber David hatte keine Lust, sich auszusprechen, Wohl aber Witz genug, den Schelm hinter dem Narren durchblicken zu lassen. Endlich begriff aber Waverley so viel, daß er mit den Versen meinte, der Laird von Balmawhapple sei gestern »mit blutiger Nase« heimgegangen, und nachdem er einmal so viel gemerkt hatte, ließ sich der alte Seneschall, der ihm gegenüber nun nicht mehr hinter dem Berge hielt, daß er hin und wieder, um dem Laird und Miß Rosa eine Liebe zu erweisen, neben seinen Seneschall-Obliegenheiten auch Gärtnerdienste verrichte, zu der Auskunft herbei, daß der Laird von Balmawhapple darum so kleinlaut und unterwürfig gegen ihn gewesen sei, weil er schon in aller Herrgottsfrühe vom Baron von Bradwardine zum Duell genötigt und dabei in den Arm gestochen worden sei. Darüber war Edward sehr beschämt, denn während sich das zugetragen, hatte, er selbst noch in Morpheus' Armen geschwelgt. Außerdem verübelte er es dem Baron bei seinem Alter aufs höchste, daß er sich dem um viel jüngeren und stärkeren Balmawhapple gestellt und, um ihn, den jüngeren, zu schonen, sich in solche Gefahr gesetzt habe. Der Baron setzte dem Junker auseinander, daß der Zwist ihre gemeinschaftliche Angelegenheit gewesen sei, und daß Balmawhapple nicht hatte darum herum kommen können, ihnen beiden Genugtuung zu geben, und so habe er die Angelegenheit auf einfachem Wege geregelt durch einen ehrenvollen Zweikampf für sich, und für Edward durch einen Widerruf der Beleidigung, der einen zweiten Schwerterkampf überflüssig gemacht habe. Auf grund dieser Regelung müsse die ganze Sache nunmehr als abgetan angesehen werden. Durch diese Abbitte war Waverley, wenn auch nicht befriedigt, so doch zum Schweigen gebracht. Indessen konnte er nicht umhin, durch ein paar Worte seinen Unmut gegen den »geweihten Bären«, der den ganzen Unfrieden angestiftet habe, Luft zu machen. Worauf der Baron erwiderte, daß der Bär nun einmal etwas Täppisches, Mürrisches und Hoffährtiges in seiner Art habe, und daß sich allerdings nicht in Abrede stellen lasse, daß er schon öfter einmal die Ursache zu Zerwürfnissen und Streitigkeiten im Hause Bradwardine geworden sei. Hiermit wurde aber die ganze Duellsache als aus der Welt geschafft erklärt, und nachdem ich nunmehr alles erzählt habe, was unserm Helden in diesen ersten Tagen seines Aufenthalts auf dem Edelsitze Tulley-Beolan an Unterhaltung und Zerstreuung beschert gewesen, dürfte es wohl nicht weiter nötig sein, über das, was nun in diesem Genre noch an ihn herantrat, mit derselben Umständlichkeit zu berichten. Es würde sich wohl mancher andre junge Mann, der an frischen Verkehr gewöhnt gewesen, bei solchem eifrigen Verfechter alter Wappenkunde und Genealogie gelangweilt haben, wie ein Mops im Tischkasten, aber Edward fand eine ihm höchst angenehme Abwechslung im Umgange mit Miß Rosa Bradwardine, die ihrerseits ebenso angenehme Zerstreuung in seiner Gesellschaft fand. Edwards kluge Bemerkungen über Lektüre, seine zutreffenden Worte über den Wert von allerhand Büchern gefielen ihr. Ihr williges Gemüt hatte sich in alles gefunden, was ihr Vater ihr zum Leben überlassen hatte, sogar in allerhand theologische Abhandlungen und Streitschriften, in dickleibige Folianten über Geschichte und heraldische Wissenschaft; und ihre immer gleiche Liebenswürdigkeit, ihre Dankbarkeit für Aufmerksamkeiten, ihre körperliche Schönheit nicht zum wenigsten, die dem Vater die Schönheit der geliebten Ehefrau wieder in Erinnerung rief, ihre ungeschminkte Herzensfrömmigkeit und der wahre Adel ihrer Gesinnung waren Vorzüge und Tugenden, die auch die übertriebenste Zärtlichkeit des Vaters entschuldigt und gerechtfertigt hätten. Indessen schien seine Vaterliebe sich weniger mit jenen wichtigen Fragen zu befassen, die dem Mädchen einen ruhigen Ausblick in die Zukunft hätten verschaffen können, also ihr eine reiche Mitgift sicher zu stellen oder sie durch eine vorteilhafte Heirat frei von Lebenssorgen zu machen. Eine alte Familienstiftung erklärte nämlich fast sämtlichen Landbesitz des Barons zum Mannslehen, sodaß also bei seinem Ableben die Tochter so gut wie leer ausging und der gesamte Besitz an den nächsten Kollateral- oder Seitenerben fallen mußte. Und da nun die Geschäfte des Barons seit zu langen Jahren in der Hand des Schössers Macwheeble gelegen hatten, ließ sich vermuten, daß Miß Bradwardine nicht die besten Aussichten für eine freundliche Zukunft winkten, wenn der Baron einmal die Augen schließen würde. Freilich wohl war der Schösser seinem Herrn sowohl als dessen Tochter in aller Liebe» zugetan, und das hatte ihn auch wohl zu dem Einfalle geführt, daß es nicht ausgeschlossen sein möge, dieses Mannslehen aufzuheben, und zu diesem Behufe sich bereits ein Urteil von einem berühmten schottischen Rechtsanwalt eingeholt; aber der Baron mochte zu keiner Zeit von solchem Vorschlag etwas hören. Es bereitete ihm im Gegenteil seltsamerweise Vergnügen, sich rühmen zu können, daß seine Baronie Mannslehen sei, wahrscheinlich weil dadurch bekundet wurde, daß ihre Errichtung in jene frühe Zeit fiele, da man die Frauen noch nicht für fähig hielt, ein Gut zu verwalten, und noch ganz der alte Normannenspruch in Geltung stand: C'est l'homme, qui se bast et qui conseille [Der Mann ists, der kämpft und beratet] . Nachdem der Schösser in solcher Weise des Mißfallens seines Herrn, an seinem Projekte sich klar geworden war, mußte er es für ausgeschlossen ansehen, dasselbe weiter zu verfolgen, und begnügte sich damit, dem Seneschall sein Leid über den Eigensinn des Laird zu klagen und mit ihm vereint auf andre Pläne zu sinnen, durch die sich die Zukunft des jungen Mädchens sicher stellen ließe. Und so kamen sie darauf, im Mr. Batmawhapple einen schicklichen Ehegespons für sie zu erblicken, da er im Besitz eines stattlichen, nicht hoch mit Hypothek belasteten Stammgutes sei, und auch als tadelloser Junker gelten dürfe, gegen den sich überhaupt nichts sagen lasse, sobald es gelänge, ihn vom Branntwein und den Branntwein von ihm fern zu halten. Und davon, daß er sich hin und wieder mit lockrer Gesellschaft abgebe, meinte Saunders Saunderson, würde er schon abzubringen sein, wenn er verheiratet sei, denn Ehemänner besserten sich doch immer in vielen Dingen. »Wie sauer Bier im Sommer,« bemerkte David Gellatley, der sich dieser Geheimsitzung näher befunden hatte als man dachte. Miß Bradwaridine nahm die Gelegenheit in ihrer Einsamkeit wahr, die Edwards Besuch ihr bot, sich mit, der Literatur auf vertrautern Fuß zu setzen. Edward ließ sich einige von seinen Büchern aus der Garnison schicken, von denen das junge Mädchen bislang keine Ahnung gehabt hatte. Musik und Blumen wurden darüber so vernachlässigt, daß Saunders Saunderson nicht bloß zu brummen anfing von müßig verrichteter Arbeit, sondern überhaupt alle Lust verlor, noch was für Blumenfenster zu machen. Keine Frage, daß ans diesem dauernden Zusammensein eine wachsende Gefahr für den Herzensfrieden des jungen Mädchens heranwuchs, die einen um so bedrohlicheren Charakter annahm, als ihr Vater über den ihm obliegenden Arbeiten gar nicht dazu kam, sich Gedanken über solche Frage zu machen, außerdem sich in dem Gefühl seiner Würde für viel zu hoch gestellt dünkte, als daß er sich hätte träumen lassen sollen, was seiner Tochter widerfahren könne. Seiner Meinung nach standen die Töchter der Baronie Bradwardine auf gleicher Höhe mit den Töchtern eines von Bourbon oder von Habsburg. Kurz, er blickte mit solcher Sorglosigkeit auf diese gemeinschaftlichen Leseübungen seiner Tochter und des Junkers, daß die ganze Nachbarschaft sich zum Schlüsse berechtigt hielt, es sei ihm eine Verbindung seiner Tochter mit dem reichen Junker aus England ganz angenehm, und man gab gern zu, daß er in dieser Sache eine weit größere Klugheit bewiesen habe, als es sonst in seiner Weise läge oder gelegen habe. Hätte aber der Baron sich in der Tat mit solcherlei Gedanken getragen, so wäre doch Waverleys Kälte ein Hindernis für seinen Plan gewesen, mit dem er ernstlich hätte rechnen müssen. Seit sich unser Held in der Welt ein bißchen umgeguckt hatte, verursachte es ihm immer eine Empfindung von Scham und Verdruß, wenn er sich jener frommen Begeisterung erinnerte, mit der er zur heiligen Cäcilia emporgeblickt hatte. Zudem besaß Rosa, so schön und liebenswürdig sie war, nicht jene Art Schönheit und Liebenswürdigkeit, die eine jugendliche Phantasie in Fesseln schlagen kann. Sie war zu unbefangen, zu harmlos, zu gutmütig: bekanntlich Eigenschaften, die bei aller Liebenswürdigkeit doch jenen höhern Zauber vernichten, in den eine jugendliche Phantasie gern den Gegenstand seiner Liebe zu hüllen sucht. Ich hätte schon einflechten müssen, daß Edward um eine Verlängerung seines Urlaubs beim Regiment eingekommen war. Der Obrist hatte ihm sein Ansuchen bewilligt, indessen nicht für überflüssig erachtet, den jungen Offizier darauf aufmerksam zu machen, daß es im Grunde nicht vorteilhaft für seine Laufbahn sein könne, wenn er sich zu lange in Kreisen aufhielte, deren Unfreundlichkeit gegen die zurzeit herrschende Regierung doch offnes Geheimnis sei, und außerdem befürchte er auch, daß die Prälatenklerisei der schottischen Hochlande, die sich verkehrterweise bemühe, in kirchlichen Dingen königliche Prärogative aufrecht zu halten, ihn in seinem alten Glauben wankend machen könne. Dieser letzte, doch nur wohlgemeinte Rat legte Waverley die Meinung nahe, daß der Grund dazu in den Vorurteilen des Offiziers zu suchen sei. Er hatte die feste Ueberzeugung, daß der Baron alles mit besondrer Strenge vermieden habe, was auch nur im entferntesten den Zweck hatte haben können, seine politischen Meinungen zu irritieren oder gar ihn in seinem Glauben wankend zu machen. Und gerade darum gelangte Waverley zu der Meinung, daß es unrecht von ihm sei, solchem alten Freunde um der Vorurteile eines vorgesetzten Offiziers willen dadurch zu nahe zu treten, daß er sein Haus früher meide, als es ernstere Gründe notwendig machen sollten. Er beantwortete deshalb das Schreiben seines Obersten in allgemeinen Ausdrücken der Höflichkeit, und gab ihm die beruhigende Versicherung, daß seine loyalen Gesinnungen nicht im geringsten der Gefahr ausgesetzt wären, Schaden zu leiden, und blieb wie bisher ein geschätzter und geehrter Gast des Edelsitzes Tully-Veolan. Vierzehntes Kapitel Beinahe sechs Wochen lang war nun Waverley Gast des Edelsitzes, als er eines Morgens bei seinem Frühspaziergang von dem Morgenkaffee die Wahrnehmung machte, daß sich Haus und Familie Bradwardine in ungewöhnlicher Aufregung befanden. Vier barfüßige Stalldirnen liefen mit Milcheimern in den Händen wie wahnsinnig hin und her und gaben durch lautes Geschrei zu erkennen, daß sie die Beute von Staunen und Schmerz und Jammer seien. Aber mehr als »Gott helf uns« und »Auf! auf! ihr Herren!« war aus ihrer Flut von Stoßseufzern und Wehgeschrei nicht herauszuhören. Daraus ließ sich natürlich nicht schließen auf die Ursache, die ihrem maßlosen Schreck zu grunde lag. Deshalb eilte Waverley in den Vorhof zurück. Dort wurde er des Schössers Macwheeble ansichtig, der eben mit seinem Grauschimmel, so schnell der halblahme Kerl die Beine schwingen konnte, durch die Hauptallee in den Edelsitz hineinstürmte. Wie es schien, trieb ihn irgend eine eilige Botschaft im Verein mit einem reichlichen Dutzend Bauern, denen es schwer fiel, gleichen Schritt mit seinem Gaule zu halten, in den Edelhof hinein. Der Schösser ließ sich nicht auf Erklärungen gegen Edward ein, sondern berief schleunigst den Seneschall Mr. Saunders Saunderson, der in einer Haltung zum Vorschein kam, die ein wunderliches Gemisch von Schrecken und zeremoniellem Wesen zeigte. Ohne sich aufzuhalten, traten die beiden Schloßbeamten in eine geheime Beratung. Auch David Gellatley ließ sich, müßig wie Diogenes von Sinope, unter der Gruppe sehen. Er wurde immer munter, sobald sich irgend was ereignete, das den gewöhnlichen Schlendrian auf dem Edelsitze unterbrach, gleichviel ob es böser oder guter Art war. Während seine Landsleute sich auf eine förmliche Belagerung gefaßt zu machen schienen, sprang und tanzte und hüpfte er in einem fort, und sang den Schlußreim aus einer alten Ballade: »O, Du lieber Augustin, alles ist hin!« bis ihn sein Mißgeschick in die Nähe des Schössers führte, der ihm einen Denkzettel mit der Reitpeitsche gab, daß all sein Singsang sich in Wehklagen wandelte. Vom Vorhof aus begab Waverley sich in den Garten, und dort traf er den Baron in Person, wie er im schnellsten Galopptempo die Terrasse maß. und wieder maß. In seiner Haltung kam etwas wie gekränkter Stolz zum Ausdruck; alles an ihm verriet, daß es ihn schmerzlich berühren, wenn nicht gar bitter kränken werde, wenn sich jemand, gleichviel wer, bei ihm nach der Ursache seiner Gemütsstörung erkundigen wollte. Waverley huschte deshalb, ohne ein Wort an ihn zu richten, in das Haus hinein und begab sich in das Frühstückszimmer, wo er seine junge Freundin, Miß Rosa, antraf, die gleichfalls bekümmert und nachdenklich zu sein schien, wenn auch weder so heftig betroffen wie ihr Vater, noch von solch schrecklicher Unruhe erfaßt, wie Schösser Macwheeble oder gar die Stalldirnen im Hofe. Ein einziges Wort klärte die Situation auf. »Euer Frühstück wird heute wohl gestört werden, Kapitän Waverley, denn in letzter Nacht ist ein Trupp Katheranen herniedergestiegen aus den Bergen und hat uns all unsre Milchkühe weggetrieben.« »Katheranen? was ist das?« »Räuber aus dem nahen Hochlande. So lange wir an Fergus Mac-Ivor-Vich-Ian-Vohr ein Schutzgeld zahlten, sind wir von den Banden verschont geblieben, aber mein Vater hat gemeint, es sei seines Ranges und seiner Geburt unwürdig, solches Schutzgeld langer zu entrichten, und so hat uns denn dieses Unglück heimgesucht. Der Wert, den das Vieh hat, macht mir nicht weiter Sorge, Kapitän Waverley, aber mein Vater fühlt sich durch diesen Schimpf in so hohem Grade beleidigt, daß ich fürchte, er wird sie sich gewaltsam wieder von den Räubern holen wollen; aufbrausend und verwegen ist er genug dazu! und wenn es nun geschehen sollte, daß er ein paar von diesen wilden Banditen tätlich beleidigt, dann würden wir nie mehr Ruhe vor ihnen haben, dann erklären sie uns ewige Fehde!   Ach Gott! ach Gott! wie wird es uns nun bloß ergehen!« Hier sank dem armen Mädchen aller Mut, und sie vergoß einen Strom von Tränen. In diesem Augenblick trat der Baron in das Zimmer. Er schalt die Tochter mit weit härtern Worten, als Waverley jemals aus seinem Munde gegen irgendwer vernommen hatte. »Ists denn nicht schimpflicher als schimpflich für sie, sich in solcher Verfassung vor einem jungen Edelmanne zu zeigen?« rief er, »wie wenn sie um ein bißchen Vieh grade so flennen müßte, wie 's kaum für eine gewöhnliche Freisassentochter am Platze war! Kapitän Waverley, ich muß Euch bitten, daß Ihr für den Schmerz meiner Tochter eine freundliche Deutung findet! er mag seinen Grund wohl darin haben, daß sie keinen Trost über die Verwegenheit findet, mit welcher es sich Räuber haben einfallen lassen, uns hier einen Besuch abzustatten, und daß es der neuen Regierung beliebt, uns nicht einmal ein Dutzend Musketen zu vergönnen, mit denen wir uns das Gesindel doch vom Leibe halten könnten.« Schösser Macwheeble trat ein und stimmte in diese Aeußerungen seines Patrons, die Musketen betreffend, von Heizen ein. Dann meldete er, daß ein ganzes Dutzend Räuber aus dem Hochlande hernieder gestiegen sei, und dabei bewegte er sich wieder, nur noch in verschärftem Tone, in jener demütigen Pendelform von rechts nach links und von links nach rechts, die wir gelegentlich jenes ersten Festmahls auf dem Schlosse zu Ehren des Kapitäns Waverley bereits geschildert haben. Unterdessen schritt der Baron mit verbissenem Zorn in dem Zimmer auf und ab und ließ seinen Blick endlich auf einem alten Brustbild ruhen, das einen geharnischten Ritter darstellte mit einem Antlitz so grimmig, daß es einen gruseln konnte. »Dieser Edelmann, Kapitän Waverley, ist mein Großvater. Er schlug mit zweihundert Reitern, die er auf seinen Ländereien ausheben durfte, fünfhundert von diesem hochländischen Raubgesindel aufs Haupt, die schon immer ein lapis offensionis [Stein des Anstoßes] für das benachbarte Unterland waren.... Ich sage Euch, er schlug sie, als sie hernieder gestiegen kamen, aufs Haupt, und tränkte ihnen die Frechheit, dieses Land zu verheeren, so tüchtig ein, daß sie auf geraume Zeit das Wiederkommen vergaßen. Das war im Jahre der Gnade, zur Zeit der bürgerlichen Unruhen, 1642.... Und jetzt, Junker, werde ich, sein Enkel, von einem Dutzend dieser unwürdigen Gesellen auf solch gemeine Weise beschimpft!« Hier entstand eine Pause, und dann brachte jeder von den Anwesenden seine Ansicht und seinen Rat vor. »Alexander ab Alexandro« war der Meinung, man sollte eine Deputation entsenden, die mit den Katheranen über ein Lösegeld verhandeln solle, denn wenn die Kerle einen Taler für das Stück Vieh bekämen, dann würden sie ihre Beute schon wieder herausgeben. Aber der Schösser hielt dafür, daß dies ja doch der reine Diebslohn sei oder wie ein Vergleich über vollendeten Raub erscheine, und schlug deshalb vor, einen Mann mit vollem Beutel ins Tal hinunterzuschicken, der mit den, Räubern auf seine Kappe verhandeln solle, damit es nicht so aussähe, als ob der Laird dem Gesindel gegenüber zu Kreuze kröche. Edward schlug vor, aus der nächsten Garnison ein Militärkommando zu erbitten und einen obrigkeitlichen Verhaftbefehl zu erwirken. Und Rosa endlich machte den Vorschlag, das rückständige Schutzgeld an Fergus zu zahlen, der, wie jeder wüßte, es schnell dahin bringen könnte, daß die Herde wieder zurückerstattet würde, sofern man nur schnell mit ihm verhandelte. Aber keiner dieser Vorschläge fand bei dem Baron Beifall. Er war einzig und allein für Krieg und rief, es sollten auf der Stelle Eilboten an Balmawhapple, Killancureit, Tilliclum und andre Lairds abgesandt werden, die ähnlichen Räubereien ausgesetzt wären, mit der Aufforderung, sich an einer gemeinschaftlichen Verfolgung zu beteiligen, »und dann sollen diese nebulones nequissimi, wie sie Leslaeus nennt, demselben Geschick überantwortet werden, wie ihr Vorgänger Cacus.« Dem Schüssel wollten diese kriegerischen Ratschläge ganz und gar nicht behagen; er langte eine Taschenuhr von unheimlichen Dimensionen aus seiner Rocktasche   des Kuriosums halber sei hier bemerkt, daß sie mit einer zinnernen Wärmflasche mehr Aehnlichkeit besaß als mit einer Taschenuhr   und bemerkte, es sei nun schon neun und die Katheranen seien schon nach Sonnenaufgang gesehen worden, mithin sei doch anzunehmen, daß sie mit ihrem Raube längst in ihren pfadlosen Einöden in Sicherheit sein würden, ehe es möglich sein könnte, die genannten Hilfskräfte zusammenzutrommeln. Dieser Einwurf ließ sich nicht widerlegen. Die Beratung wurde also aufgehoben, ohne daß sie einen Entschluß zu Tage gefördert hätte, wie es wohl öfter der Fall sein soll auch bei andern Körperschaften; bloß zu der einen Festsetzung gelangte man, daß der Schösser seine drei Milchkühe auf das Gut schicken solle, damit sich die Familie des Barons wenigstens für den Hausbedarf sichere, wohingegen sich der Schösser ein Gebräu Dünnbier für seinen Bedarf mitnehmen solle. Mit dieser Abmachung, die der Seneschall Saunders Saunderson ausgetiftelt hatte, erklärte der Schösser sich durchaus zufrieden, sowohl aus Ehrerbietung gegen die Patronatsfamilie, als auch weil er recht gut wußte, daß sie diese Gefälligkeit trotz der Leistung eines Gebräus Dünnbier nicht umsonst verlangen werde. Hierauf entfernte sich der Baron, um die nötigen weitern Anordnungen zu treffen, und diese Gelegenheit ergriff Waverley, um zu fragen, ob dieser Fergus mit dem kaum auszusprechenden Familiennamen der Hauptspitzbube der Gegend sei. »Spitzbube?« wiederholte Rosa. »Ein Edelmann ists, der in hohem Ansehen steht und als Oberhaupt eines mächtigen hochländischen Clans um seiner Unabhängigkeit willen gefürchtet ist, wie nicht weniger um seiner Verwandten und Bundesgenossen willen.« »Und was hat er dann mit Räubern zu schaffen?« fragte Waverley. »Ist es eine obrigkeitliche Person oder soll er über den Frieden wachen?« »Ueber den Frieden?« wiederholte Rosa; »nein! eher über den Krieg, wenns solch ein Amt gäbe! Er ist für jeden, der nicht Freundschaft mit ihm hält, ein sehr schlimmer Nachbar und hält eine größere Gefolgschaft auf den Beinen als manch andrer, der das dreifache von dem besitzt, was dieser Clanshäuptling sein eigen nennt. In welchem Verhältnis er zu den Räubern steht,« setzte Rosa hinzu, »kann ich Euch auch nicht erklären, aber soviel weiß ich, daß der verwegenste ihrer Bande dem keinen Huf zu stehlen wagt, der an Vich-Ian-Vohr das Schutzgeld entrichtet.« »Und was ist das für ein Schutzgeld?« »Eine Abgabe, die von den Edelleuten im Unterland an einen Häuptling im Hochland entrichtet wird, und davor schützt, daß ihm irgend welcher Schade an Leib und Vermögen geschehe.« »Und solche Art von Hochlandsbandit hat in Gesellschaft Zutritt und wird Edelmann genannt?« »Allerdings, und zwar nennt ihn alles mit Hochachtung so. So hat sich der Zwist mit meinem Vater auf einer Bezirksversammlung des Adels entsponnen, als sich Fergus Mac-Ivor rühmte, daß ihm der Vorrang gebühre vor allen unterländischen Edelleuten, und mein Vater es nicht gelten lassen wollte. Er ist übrigens ein schöner, stattlicher Mann und seine Schwester Flora eine der schönsten und gebildetsten jungen Damen der ganzen Gegend und in einem Kloster in Frankreich erzogen; sie ist bis zu diesem Zwiste zwischen meinem Vater und ihrem Bruder eine der liebsten von meinen Freundinnen gewesen. Kapitän Waverley, bietet doch allen Einfluß bei meinem Vater auf, daß die Sache geschlichtet werde, denn Tully-Veolan war niemals ein sicherer und ungefährdeter Ort, sobald wir mit den Hochländern in Zwist gerieten.« Waverley fühlte sich eigentümlich betroffen durch diese Schilderungen des Landeszustands, die ihm ebenso neu wie außergewöhnlich vorkamen. Von den Räubern im Hochlande hatte er wohl schon gehört, aber sich niemals eine Vorstellung davon gemacht, wie sie ihre räuberischen Ausfälle unternahmen, und nun hörte er gar, daß diese Uebertreter des Gesetzes zum Adel von Schottland zählten und im Lande geachtet würden! daß man sich vor ihnen Sicherung schaffte durch Zahlung eines Tributes! Wie ein Traum war es für Waverley, solche Dinge zu hören, die in ihm die Meinung weckten, als befände er sich nicht im Norden der großbritischen Insel, sondern in irgend welchem überseeischen Raub- oder Diebesstaate! Fünfzehntes Kapitel Der Baron kehrte um die Mittagszeit zurück. Er hatte seine Fassung wieder gefunden, ja sogar die alte gute Laune war zum großen Teil wieder zurückgekehrt. Er bestätigte nicht bloß, was Rosa und Schösser Macwheeble von den Räubern des Hochlands erzählt hatten, sondern ergänzte diese Erzählungen durch manche Anekdote und Schnurre aus den eignen Erlebnissen mit diesen seltsamen Menschen, die ein so großes Ansehen unter ihren Sippen genössen, daß sie zuweilen sogar die Macht über Leben und Tod besäßen als Edelleute vom höchsten Alter. Ohne sich jedoch weiter auf die Ursache des Zwists einzulassen, die gerade in den verschiedenen Anschauungen über das höhere Geschlechtsalter der Edelleute des Unter- oder des Hochlands wurzelte, erzählte der Baron nun noch soviel merkwürdige Dinge von den Sitten, Bräuchen und Grundsätzen dieser patriarchalischen Hochlandsgeschlechter, daß Edwards Neugierde auf das höchste gespannt wurde. Er richtete die Frage an den Baron, ob es möglich sei, ohne Gefahr einen Ausflug in die Hochlande zu unternehmen. Der Baron erwiderte hierauf, daß nichts leichter wäre als das, sobald nur dieser Zwist aus der Welt geschafft wäre, denn er könne ihm recht wohl an einzelne Häuptlinge Empfehlungsschreiben mit auf den Weg geben, die ihm dann die beste Aufnahme und volle Gastfreundschaft verschaffen würden. Während sie hierüber noch Worte wechselten, ging plötzlich die Tür auf, und unter Geleit Saundersons, des Seneschalls, trat in voller Rüstung und Tracht ein Hochländer in das Zimmer. Es war ein stolzer, finstrer Mann von gedrungener Gestalt, dieser Bergschotte, dem das weitfaltige Plaid noch einen weit kräftigern Anblick schaffte, als ihm seine persönliche Erscheinung schon gab. Sein kurzer Kilt, oder Schurz ließ die nervigen, wohlgeformten Schenkel sehen; zwischen den üblichen Trutzwaffen, Dolch und Pistole, hing ein Beutel aus Ziegenfell; auf seiner Mütze trug er eine kurze Feder, die seinen Rang als Halbedelmann kennzeichnete (»Duinhe-Wassel«). An seiner Seite klirrte das große Schwert, über der Schulter hing die Tartsche, und in der Rechten hielt er die Büchse. Mit der andern nahm er die Mütze vom Haupte und trat einen Schritt gegen den Baron hin vor. Dieser blieb auf seinem Sessel sitzen und wandte sich mit einer Miene und in einem Tone, daß es Edward vorkam, als befände er sich einem Fürsten gegenüber, zu dem Bergschotten. »Willkommen, Evan Dhu Maccombich! bringst Du Nachrichten von Fergus Mac-Ivor-Vich-Ian-Vohr?« »Fergus Mac-Ivor,« erwiderte der Gefragte auf gut Englisch, »läßt Euch seinen Gruß entbieten, Baron von Bradwardine und Tully-Beolan, und sein Bedauern darüber aussprechen, daß sich eine Wolke zwischen ihm und Euch gelagert hat, die Euch hinderte, die alte Freundschaft zwischen Euch und ihm weiter bestehen zu lassen. Er hofft, daß solches Euch so leid sei wie ihm, denn wehe dem, der wegen einer Sturmwolke am Frühlingsmorgen den Freund aufs Spiel setzt.« Auf diese Ansprache erwiderte der Baron, daß ihm die freundliche Gesinnung des Clans von Ivor wohl bekannt sei und daß es auch ihm leid tue, daß Unfriede zwischen die alten, Geschlechter Bradwardine und Ivor-Glennaquoich eingezogen sei, da ja doch, wenn Völker sich zusammenrotteten, der schwach sei, der keinen Bruder habe. Diese beiden Erklärungen reichten hin, den Boden für die weitern Verhandlungen zu ebnen, mit denen jedoch der Baron selbst nicht behelligt zu werden brauchte, da hierzu die beiden Personen, der Bergschotte einer- und der Schösser anderseits, vollauf genügten. Nur den Gasttrunk, der in einem Humpen Wacholder bestand, ließ der Baron noch in das Gemach bringen und reichte ihn mit einem Spruche auf das Wohlergehen und fernere Glück in allen Unternehmungen dem Abgesandten dieses alten Edelmanns aus ältestem Hochländeradel persönlich. Mit einem Zuge wurde der Humpen geleert, und dann begaben sich beide Unterhändler, der Schösser und der keltische Botschafter, in die Wirtschaftsstube, wo sie die Verhandlungen in sachgemäßer Weise führten und alsbald zu einem beide Teile befriedigenden Abkommen gebracht hatten. Edward, der noch nie in seinem Leben einen Bergschotten vor Augen gehabt hatte, wurde durch die Erscheinung und die seltsame Weise desselben derart gefesselt, daß er unwillkürlich aufstand und mit den beiden Männern das Zimmer verließ. Wenn ihn schon der Bergschotte selbst in so außerordentlicher Weise fesselte, so draußen nicht minder die Klugheit und Gewandtheit, mit der sich dieser Abgesandte eines Räuberhauptmanns, denn in Edwards Augen erschien der Clanhäuptling als nichts anderes, der ihm zuerteilte Vermittelungsaufgaben erledigte. Dieser wieder fühlte sich offenbar angenehm berührt durch die Aufmerksamkeit, die ihm Edward entgegenbrachte, und durch die Wißbegierde, die Edward nach den Verhältnissen und Zuständen und Menschen oben in den Hochlanden an den Tag legte, und forderte Edward kurzer Hand auf, ihn auf einem Ritt von einem knappen Dutzend Stunden in die Berge hinauf zu begleiten, und sich, wenns ihm recht sei, den Ort selbst anzusehen, wohin das Vieh getrieben worden sei. »Wenn es sich so mit Euch verhält, wie ich annehme, so dürftet Ihr wohl noch keinen Ort in Eurem Leben gesehen haben, wie diesen, würdet ihn wohl auch nicht sehen in Eurem Leben, wenn es sich nicht für Euch so träfe, daß ich Euch mitnehmen möchte,« sagte Evan Dhu. Die Wißbegierde unsers Helden war nun auf das äußerste gespannt, denn die Höhle eines hochländischen »Cacus« zu sehen, war erklärlicherweise ein Herzenswunsch von ihm. Immerhin übte er die Vorsicht, sich zuvor zu erkundigen, ob er sich auch solchem Führer ohne Bedenken anvertrauen dürfe. Der Baron versicherte ihm, daß er, da ihn ein Bergschotte selbst dazu aufgefordert habe, völlig außer Gefahr sei, daß er sich aber auf ein reichliches Teil von Strapazen gefaßt machen müsse. Evan Mac Dhu lud Edward noch besonders ein, einen vollen Tag auf dem Rückwege bei seinem Clanhäuptling zu verleben, wo er sich einer guten Aufnahme und reichlichen Bewirtung zu versehen habe. Nun schien Edward der Ausführung nichts mehr im Wege zu stehen. Rosa wurde zwar blaß, als sie von dem Vorhaben hörte, aber ihr Vater wollte der Wißbegierde seines jungen Freundes nicht durch Weckung von Besorgnissen, zu denen wirklicher Grund nicht vorhanden war, Schranken ziehen. Es wurde einer der Forstleute des Barons gerufen, dem der Auftrag gegeben wurde, sich dem Junker anzuschließen, dann wurde ihm ein Schnappsack mit dem notwendigen Mundvorrat umgehängt, und dann brach unser Held, nach kurzem Abschied vom Baron, auf mit einer Büchse über der Schulter, in Begleitung des Jägers und seines neuen Freundes Mac Dhu und dessen Gefolge, das in zwei weitern Hochländern bestand, von denen einer den »Lochaber-Ax«, eine Axt mit langem Stiele über der Schulter, der andre eine lange, Jagdflinte trug. »Hält Euer Häuptling mehr solcher Mannen?« fragte Edward unterwegs. »Mehr solcher Mannen?« fragte der Bergschotte seinerseits, »freilich! da ist der »Hanchmann«, die rechte Hand des Häuptlings, der »Bhaird« oder Barde, der »Bladier« oder Sprecher, der die großen Leute anredet, die besucht werden sollen, dann der »Gilly-more« oder Schwertträger, der »Gilly-Flascue«, der ihn auf dem Rücken durch Moor und Sümpfe trägt, der »Gilly-Trusharnish«, der den Schnappsack trägt, dann der Pfeifer und der Pfeifergesell, und überdies noch ein Dutzend junger Burschen, die kein Amt bekleiden, sondern nur im kriegerischen Schmuck dem Laird folgen, um ihm zu Diensten zu sein.« Mit solcherlei Schilderungen verkürzte Evan Mac Dhu den Weg, bis sie näher zu den mächtigen Höhen kamen, die Edward bisher nur von fern gesehen hatte. Es war schon gegen Abend, als sie einem jener furchtbaren Engpässe sich näherten, die das Hochland mit dem Unterland verbanden. Ein steiler, rauher Pfad wand sich in der Schlucht zwischen zwei mächtigen Felswänden hin bis zu dem Engpasse hinauf, den ein tief unten brausender Gießbach gegraben zu haben schien. Die Sonne war eben im Untergange begriffen, und ein paar schief einfallende Strahlen erreichten noch die Flut unten in dem finstern Bett, die sich in Hunderten von Fällen über Klippen und Wände ergoß. Vom Pfad zum Gießbach hinunter senkte das Terrain sich in schroffem Abhänge; nur stellenweis ragte ein Block oder ein Baumriese herüber, der die knorrigen, verwachsenen Wurzeln in die Felsspalten trieb. Zur Rechten stieg der Berg fast ebenso schroff empor, die entgegengesetzte Höhe bedeckte jedoch ein Schlag Buchholz, das mit einigen hohen Fichten durchsetzt war. »Der Paß von Bally Brough,« erklärte der Bergschotte, »den vor alters der Clan Donnochie gegen einhundert Unterländer gehalten hat. Im kleinen »Corri«, unten im Grunde sieht man noch heute die Grabhügel, unter denen die Erschlagenen ruhen, drüben auf der andern Seite des Gießbachs, wenn Eure Augen noch scharf genug sind, die grünen Flecke im Heidegras zu erkennen.... Blickt auf! dort fliegt der Earn, ihr Südländer nennt ihn Adler, aber Ihr habt in Eurem ganzen England solchen Vogel nicht! ... unten auf dem Grunde des Laird von Bradwardine holt er sich seinen Fraß; aber ich will ihn Euch herunterholen mit einem Büchsenschuß.« Er feuerte, aber er fehlte den stolzen König der Lüfte, der, ohne sich um den Knall des Schusses zu kümmern, majestätisch seinen Flug gen Süden nahm. Aber Tausende von Raubvögeln, Falken, Geier, Habichte und Raben, hatte der Schuß aus ihren Schlupfwinkeln gescheucht, die nun kreischend umherflatterten und mit dem tosenden Gießbach die Luft um die Wette mit Lärm erfüllten. Der Pfad mündete in einem engen Tale zwischen zwei Bergen, die beide zu mächtiger Höhe aufragten und dicht mit Heide bedeckt waren. Der Gießbach war ihr dauernder Begleiter, und an seinen Windungen zogen die Bergschotten mit ihrem englischen Begleiter entlang. Evan Mac Dhu bot oft dem Junker Waverley seinen Beistand an bei besonders schwierigen Stellen, aber Edward war ein tüchtiger Fußgänger und auch frei von Schwindel, und er stieg dadurch, daß er sich nicht scheute, sich die Füße naß zu machen, gewaltig in seiner Achtung. Edward ließ es sich tatsächlich angelegen sein, den Bergschotten die Meinung von der Weichlichkeit der Leute aus dem Unterland zu nehmen. Aus der Schlucht heraustretend, gelangten sie an einen schwarzen Bruch von gewaltigem Umfang, voller Vertiefungen, durch die sie nun unter den größten Schwierigkeiten, oft mit Lebensgefahr, auf einer schmalen Fußspur, die nur ein Hochländer verfolgen konnte, weiter vordringen mußten. Manchmal wurde der Boden so gefährlich, daß es nur möglich war, ihn sprungweise zu passieren, da die schmalen Vorsprünge, auf die gefußt werden mußte, zu brüchig waren, die Last eines Menschen zu tragen. Für die Hochländer mit ihren an Sandalen erinnernden dünnsohligen Bergschuhen war diese Bewegungsweise leicht, aber für Edward in seinen Reiterstiefeln wurde sie bald weit ermüdender, als er anfangs gemeint hatte. Im düstern Zwielicht gelangten sie nun noch durch diesen Pfuhl; aber als sie denselben passiert hatten, umschloß sie Finsternis, und bei Nacht gelangten sie an den Fuß eines steilen Felshügels, dessen Ersteigung die nächste Aufgabe war, die der Wandrer harrte. Aber die Nacht war zum Glück schön und hell, so daß Waverley den Marsch aushielt, wenngleich er im stillen die Hochländer um ihren flotten Trott, der ihnen nicht die geringste Anstrengung zu bereiten schien, beneidete; keiner von ihnen, trotzdem sie schon an acht Wegstunden hinter sich hatten, gab eine Spur von Ermattung zu erkennen. Als sie den Berg überwunden hatten und auf seiner andern Seite in einen schwarzen Wald hinunterstiegen, machte Evan Mac Dhu etwa mittwegs Halt zu einer kurzen Besprechung mit seinen beiden Kameraden. Dann wurde Edwards Gepäck seinem Begleiter, dem Forstwächter des Barons, abgenommen und einem Bergschotten aufgeladen, dann wurde der Forstwächter mit ihm in einer andern Richtung abgeschickt, als Evan Mac Dhu mit dem Junker und den andern Bergschotten nahm. Auf Edwards Frage nach dem Grunde dieser Maßregel wurde ihm der Bescheid, daß der Unterländer die Nacht in einem Dorfe unterhalb des Waldes, etwa anderthalb Wegstunden von der Stelle, wo sie jetzt seien, zubringen müsse, denn Donald Bean Lean, der Kamerad, bei dem sich zurzeit die Milchkühe des Barons befänden, wäre sicher, wie Evan Mac Dhu meinte, nicht erbaut darüber, wenn er, so lange er noch das Vieh bei sich hätte, den Besuch fremder Leute bei sich sähe. Deshalb möchte es wohl auch das Klügere sein, wenn er jetzt vorausginge und auf das Erscheinen eines »sidier Roy« [Rotrock, englischer Soldat] aufmerksam machte, das sonst vielleicht böses Blut wecken könnte. Ohne Antwort abzuwarten, trollte sich Evan Mac Dhu quer durch den Wald und war bald Edwards Blicken entschwunden, der nun auf sich selbst angewiesen war, denn sein Begleiter mit der Streitaxt über der Schulter sprach nur wenig Englisch. Der Weg führte sie durch dichten Fichtenwald, der Pfad, der hindurch führte, war bei der herrschenden Finsternis nicht mehr zu erkennen, der Hochländer schien ihn jedoch instinktmäßig zu finden, und Edward folgte ihm so dicht auf den Füßen wie möglich. Nach einer strammen Tour fragte er, ob sie noch weit bis zum Ziele hätten. »Die Höhle wird noch immer zwei bis drei Stunden von hier liegen,« erwiderte der Gefragte in Bruchstücken englischer Worte, »aber wenn ??DuinhéWassel müde sei« (damit wollte der Schotte Waverley sagen) »dann könnte ja doch Donald   ich meinte, ich dachte   das »Curragh« schicken.« Dadurch wurde nun Edward auch um nichts klüger, denn was unter dem Worte zu verstehen sei, war ihm nicht klar. Es konnte ebenso gut Pferd oder Wagen oder Karren bedeuten, aber trotz aller Mühe ließ sich aus dem Manne nichts weiter herausbringen als die ständig wiederholten Worte: »Jadoch, das Curragh! das Curragh!« Aber bald sollte dem Junker klar werden, was darunter zu verstehen sei, denn als er aus dem Walde heraustrat, sah er einen breiten Strom oder See vor sich, an dessen Ufer sie, wie der Führer zu verstehen gab, eine Weile rasten wollten. Der Mond stieg am Himmel herauf und verriet dunkel die Größe der Wasserfläche, die sich vor ihnen ausdehnte, und die in einander verschmelzenden Bergformen. Die kühle und doch nicht empfindliche Sommernacht erfrischte Waverley nach der schnellen, beschwerlichen Wanderung, und die von den Birkenbüschen ausströmenden Düfte labten ihn und erquickten ihn. Jetzt fand er reichliche Muße, sich ganz in die Romantik seiner Lage zu vertiefen. Der Leitung eines wilden Eingebornen preisgegeben, saß er an dem Ufer eines düstern Bergsees, der Landessprache fremd und im Begriffe, in die Höhle eines gefürchteten Räubers der Hochlande sich zu begehen, der vielleicht ein andrer Robin der Rote war, und noch dazu in tiefer Mitternacht, unter Szenen von Gefahr und Mühseligkeit, getrennt von seinem Begleiter, verlassen von seinem Führer! Welch eine Fülle von Gegensätzen! Aus diesem träumenden Sinnen weckte ihn sein Kamerad durch einen sanften Rippenstoß. In fast gerader Richtung zeigte er über den See hinüber auf einen dunklen Punkt und sagte: »Dort liegt die Höhle.« Mitten in dem dunklen Punkte glänzte ein kleinerer Lichtpunkt, der bald größer wurde, um zuletzt wie eine Art Meteor am Rande des Horizonts aufzuleuchten. Während Edward noch in diesen Anblick vertieft saß, erklangen Ruderschläge vom See herüber, das taktmäßige Geräusch kam näher, dann ertönte aus der gleichen Richtung ein Pfiff, dann antwortete der Bergschotte mit der Streitaxt mit einem gleichen Pfiffe, und bald legte nun ein Kahn, mit vier bis fünf Hochländern bemannt, in einer kleinen Bucht an, in deren unmittelbarer Nähe Edward mit dem Schotten saß. Bald waren zwei Bergschotten an ihrer Seite und luden sie ein, in den Kahn zu steigen, dann ging es mit Geschwindigkeit in gerader Linie über den See. Sechzehntes Kapitel Schweigen herrschte im Kahne, bloß unterbrochen durch die eintönige Melodie eines gälischen Liedes, das der Steuermann leise vor sich hin summte, und durch den Schlag der Ruder, die durch das Lied im Takte gehalten zu werden schienen. Sie kamen dem Lichte näher und näher, das bald einen großen roten Schein annahm, aber unsicher hin und her zitterte. Es ließ sich jetzt deutlich erkennen, daß es von einem Feuer herrührte. Aber ob es von einer Insel kam oder auf dem festen Lande brannte, das zu bestimmen war noch nicht möglich. Manchmal sah es aus, als ob der flammende Kreis auf der Seefläche selbst tanze, ähnlich dem feurigen Wagen, in welchem nach einer morgenländischen Sage der böse Geist, Land und Meer durchfliegt. Näher und näher kamen sie, und nun reichte der Feuerschein hin, um erkennen zu lassen, daß er von einem mächtigen Holzstoße herrührte, der am Fuße eines großen Felsenriffs aufgeschichtet worden war und sich dicht am Rande des Wassers in senkrechter Form erhob, mit seinem düstern Rot einen fast grausen Kontrast bildend zu dem andern Ufer, das nur hin und wieder von einem blassen Mondstrahl stellenweis aufgehellt wurde. Und als das Boot dichter an das Ufer herankam, sah Edward, daß zwei Gestalten um das Feuer herum hantierten, die in dem rötlichen Glänze aussahen wie ein paar Teufel. Das Boot trieb direkt auf die Schluchtmündung zu. In der Mitte derselben ließen die Ruderer es unter leichtem Stoße ans Land anlaufen. Fast unmittelbar unter dem kleinen Felsvorsprung, auf dem der Holzstoß brannte, stiegen die Insassen aus, und ein kleines Stück seitab zeigte sich die Oeffnung einer Grotte, zu der etwa ein halbes Dutzend regelmäßig geformter Felslagerungen führte, die man füglich als Stufen einer Treppe hätte bezeichnen können. Im selben Augenblick, als Edward mit den Schotten den Fuß in die Grotte setzten, wurde draußen von den beiden Teufeln durch mehrere Wassergüsse das Feuer gelöscht, das also nur zu dem Zweck errichtet sein mochte, dem Boote nächtlicherweile über den See als Leuchtfeuer zu dienen. Waverley wurde von ein Paar rüstigen Armen bis zum Hintergrunde der Grotte getragen. Aus dem Felsen heraus schien dumpfes Stimmengewirr zu dringen, und als man jetzt um eine scharfe Ecke bog, trat mit einem Male Donald Bean Lean mit seinem gesamten Hauswesen in Sicht. Die Grotte war hier von bedeutender Höhe. Fichtenbrände erhellten sie, einen grellen, flackernden Schein um sich werfend und einen starken, jedoch nicht unangenehmen Geruch verbreitend. Um ein mächtiges Kohlenfeuer, das weiterhin dazu beitrugt Licht und Wärme in der Höhle zu verbreiten, saß etwa ein halbes Dutzend Hochländer, während im Hintergrunde, noch kaum zu erkennen, ein weiteres Dutzend auf ihren Plaids herumzuliegen schien. In einer Nische, die von dem Felsen seitwärts gebildet wurde, und die von den Hochlandsräubern scherzhaft »Die Speisekammer« genannt wurde, hingen, an den Füßen festgemacht, ein Schaf und zwei frisch geschlachtete Kühe. Begleitet von Evan Mac Dhu, trat jetzt die Hauptperson dieses ganzen Auftritts auf Waverley zu, das direkte Gegenteil von dem, was sich dieser unter einem Hochlandsräuber vorgestellt hatte. Es war keine rauhe Kriegergestalt, sondern ein Mann von schmächtiger Figur, klein, mit hellrotem Haar, hagerm und blassem Gesicht, wovon er den Namen »Bean«, der Weiße, bekommen hatte, und trotzdem er behend und lebhaft war und ebenmäßige Formen aufwies, machte er doch im großen und ganzen keinen sonderlich günstigen, sondern weit eher einen nichtssagenden Eindruck. Wesentlich gemindert wurde derselbe noch dadurch, daß er gemeint hatte, als einstiger Soldat Frankreichs seinem Gaste nicht in Hochländertracht, sondern zu dessen größerer Ehre in einer alten verschossenen Uniform, mit Federhut und Schleppsäbel gegenüberzutreten, wodurch er in diesem Milieu einer bergschottischen Räuberhöhle eine so lächerliche Wirkung erzielte, daß Waverley sich fast zum Lachen versucht fühlte. Er begrüßte Waverley mit einem Schwall von verbindlichen Worten, die französische Höflichkeit mit schottischer Gastfreundfreundschaft zum Ausdruck bringen sollten, und tat völlig vertraut mit Namen, Charakter und Gesinnung von Waverleys Onkel, dem er überhaupt großen Beifall in allen Dingen zollte. Waverley hielt es für geraten, hierzu nur eine Bemerkung allgemeinwertiger Natur zu machen. Als sich die drei Männer in angemessner Entfernung vom Kohlenfeuer niedergesetzt hatten, das für diese Jahreszeit eine zu große Hitze sprühte, kam eine dickleibige Hochländerin mit einer Art dicken Breies, der aus allerhand innern Teilen vom Rind bereitet war, und drei Holznäpfen herbei, und wenn diese Speise auch Waverley ziemlich grob und derb vorkam, so tat doch der Hunger das Seinige, sie ihm schmackhaft zu machen. Dann wurden aus Fleischschnitten über Kohlenfeuer Beafsteaks geröstet, die zum Staunen Waverleys ebenfalls im Nu verschwanden, mit einer Geschwindigkeit, daß sich Waverley verwundert fragte, woher bloß die Rede kommen möge von der Enthaltsamkeit und Nüchternheit der Hochschotten. Es war ihm indessen unbekannt geblieben, daß der Hochschotte Mäßigkeit nur dann kennt, wenn ihn die Not dazu zwingt, daß er aber im andern Falle der rohen Bestie gleicht, die so lange frißt, bis sie nicht mehr kann. In Menge wurde dann Branntwein herbeigeschafft, der das Mahl krönen mußte. Er wurde im Hochlande scharf gewürzt und unverdünnt getrunken und schmeckte Edward durchaus nicht. Seinem Wirt tat es außerordentlich leid, ihm keinen Wein vorsetzen zu können; hätte er es nur ein paar Stunden früher erfahren, so hätte es auch daran nicht fehlen sollen, aber kein Edelmann könne nun mal mehr bieten, als er habe, und wo keine Büsche seien, dort fände man eben keine Nüsse, und wenn ein Hochschotte nach England hinunter käme, müßte er sich auch so bescheiden, wie es dort Brauch und Sitte sei. Dann kam die Rede auf die politischen und militärischen Verhältnisse im Lande, und Waverley war erstaunt, ja er fühlte sich in gewissem Grade beunruhigt darüber, daß ein Mensch solchen Schlages eine ganz genaue Bekanntschaft mit den Garnisonen und der Verteilung der Regimenter im Landesbereiche hatte. Auch wieviel Rekruten sein Onkel gestellt hatte, als Waverley zu seinem Regiment gerückt war, wußte er genau, und sagte, es seien durchweg recht stattliche Burschen gewesen. Auch an einige geringfügige Vorkommnisse bei der Musterung des Regiments erinnerte er Waverley, so daß es sich gar nicht anders verhalten konnte, als daß er selbst Augenzeuge gewesen sein müsse. Als sich dann Evan Mac Dhu entfernt und in sein Plaid gehüllt an die Erde gestreckt hatte, fragte Donald den Junker in scharfem Tone, ob er ihm etwa was Besonderes mitzuteilen habe. »Ihr könnt mir,« sagte er mit bedeutsamem Winke, »nicht minder Vertrauen schenken, wie dem Baron Bradwardine oder Vich-Ian-Vohr, denn ich bin genau so zuverlässig; indessen seid Ihr mir auch so willkommen.« Waverley überlief es eiskalt ob der geheimnisvollen Andeutungen dieses Banditen, der sich außerhalb des Gesetzes gestellt hatte und als vogelfrei galt. Er gewann jedoch so viel Gewalt über sich, daß er ihm die ruhige Antwort gab, er sei ohne allen bestimmten Zweck in die Hochlande gekommen. So viel Mut, den Banditen nach dem versteckten Sinne dieser Andeutungen zu fragen, gewann er indessen nicht über sich. Ein Lager von Heidekraut, mit den Blüten nach oben gekehrt, war in einem Winkel der Grotte für ihn hergerichtet worden, und hierauf streckte er sich hin, mit soviel Plaids bedeckt, als sich zurzeit auftreiben ließen, und beobachtete das Verhalten und die Bewegungen der übrigen Hochländer. Kleine Trupps von zwei bis drei und mehr Mann kamen und gingen, ohne daß es zu andern Formalitäten zwischen ihnen und dem Häuptling kam, als dem Austausch einiger gälischen Worte. Und als sich dieser dann hingestreckt hatte und eingeschlafen war, trat an seine Stelle ein andrer Hochländer, schlank und hager, wie Donald, und hielt, so lange Donald ruhte, die Wache. Die Hochländer, die in die Grotte eintraten, kamen augenscheinlich von Streifzügen zurück, auf denen sie Beute gemacht hatten, und verfügten sich ohne alle Umstände in die Speisekammer, wo sie sich mit ihren Dolchen die Rationen von den ausgeschlachteten Leibern abschnitten, auf die sie Anspruch hatten. Dann traten sie an das Kohlenfeuer und brieten oder kochten sie, je nachdem sie Appetit hatten. Der Branntwein hingegen stand unter Aufsicht und wurde entweder von Donald selbst oder von der schon erwähnten korpulenten Hochländerin zugemessen, aber in sehr reichlichen Portionen, denn was Hochschotten davon vertragen können, ist erstaunlich. Diese korpulente Person schien die einzige Vertreterin des weiblichen Geschlechts zu sein, die sich in der Höhle von Donald Bean Lean aufhielt. Endlich verschwammen diese Bilder und Gruppen vor Edwards Augen zu einem großen Durcheinander, und er schlief ein und schlief so lange, bis die Morgensonne bereits hoch über dem Bergsee stand. Aber in den Winkeln der »Königsgrotte« (Uaimb an Ri), wie Donald Bean Leans Höhle im Hochlande stolz genannt wurde, herrschte auch dann noch trübes Zwielicht. Siebzehntes Kapitel Als Edward aus seinem Schlafe erwachte, war er nicht wenig verwundert über die Wahrnehmung, daß die Grotte völlig leer war. Er erhob sich von seinem Heidekrautlager, brachte seinen Anzug in Ordnung und blickte sich sorgsamer in der Grotte um, aber es blieb beim alten: die Grotte war einsam und leer. Außer den langsam verkohlten Feuerbränden und den Ueberresten der Mahlzeit und ein paar leeren Branntweinfäßchen war von Donald Bean Lean und seiner Bande nichts mehr zu sehen. Als Waverley auf den Eingang der Grotte zuschritt, bemerkte er, daß der Kahn, wie in einem Becken, noch vor Anker lag. Er trat auf den schmalen Felsenvorsprung hinaus, auf dem die Bake vorige Nacht gebrannt hatte, und stand im ersten Augenblick ratlos da, wie er zu Lande wohl von hier aus weiter kommen sollte. Bald aber bemerkte er ein paar abschüssige Stufen oder Felslagerungen am äußersten Ende des kleinen Vorsprungs, und sie benützte er wie eine Treppe, um auf ihnen um die Felsecke herumzuklettern, an der die Höhle auslief. Als es ihm geglückt war, die andre Seite zu gewinnen, gelangte er an das wilde, schroffe Ufer eines hochländischen Lochs oder Sees von etwa vier Stunden Länge und anderthalb Stunden Breite, der eingeschlossen war von rauhen, mit Heidekraut bedeckten Bergen, über denen noch Frühnebel lagerte. Der Felsen, um dessen Fuß er auf einigen unbemerkbaren Einschnitten herumgegangen war, die kaum für einen menschlichen Fuß Raum genug boten, erschien, von hinten gesehen, als eine ungeheure Wand, die alles weitre Vordringen am Seeufer in dieser Richtung hemmte. Ebenso war es unmöglich infolge der Breite des Sees, den Eingang zu der Grotte von dem jenseitigen Ufer aus zu entdecken. Sie durfte mithin als sichrer Aufenthalt und Schlupfwinkel für die Räuber gelten, so lange sie nicht Mangel nn Proviant litten und nicht von der Seeseite her angegriffen oder durch Verrat entdeckt wurden. Sobald er nach dieser Seite hin seine Neugierde gestillt hatte, hielt er Umschau nach Evan Mac Dhu und seinen Begleitern, die nach seinem Dafürhalten nicht weit sein konnten. Er hatte ganz richtig gemutmaßt, denn nicht lange, so entdeckte er auf dem See ein Boot, in welchem ein Mann angelte, der allem Anschein nach der Gesuchte war, und bei dem sich ein zweiter Mann befand, in welchem Edward den Bergschotten mit der Streitaxt zu erkennen meinte. In größerer Nähe bei der Höhle ließ sich ein gälisches Lied hören. Waverley ging dem Schalle nach und sah auf einem von der Sonne beschienenen engen Platze, dessen weißer Kiesboden durch eine blinkende Birke beschattet wurde, ein Mädchen sitzen, dessen Gesang zu ihm herauf gedrungen war. Sie war damit beschäftigt, das Beste, was sich hier bot, zu einem Morgenimbiß zurecht zu machen: Eier, Gerstenbrot, frische Butter und Honig. Das Mädchen hatte, um Eier und Mehl zu beschaffen, bereits einen Marsch von mehreren Stunden gemacht. Nichtsdestoweniger hatte sie noch soviel Zeit übrig behalten, sich auf das schmuckste herauszuputzen. Ein kurzes, braunes Leibchen und ein enger, kurzer Rock bildete zwar ihren ganzen Anzug, aber er blitzte vor Sauberkeit, und saß ihr trefflich. Ihr Haar wurde vom »Snood« zusammengehalten, einem Stück roter, gestickter Seide, über dem sich die dunklen Locken lustig wellten. Das scharlachrote Plaid, das noch einen Bestandteil ihres Anzugs bildete, hatte sie im Augenblick abgelegt, um nicht in ihrer Arbeit behindert zu sein. Ein Paar goldne Ohrbommeln und ein goldner Rosenkranz, Dinge, die ihr der Vater, denn sie war Donald Bean Leans Tochter, aus Frankreich mitgebracht hatte, wahrscheinlich von irgend einem Schlachtfelde, wo er sie erbeutet haben mochte, oder aus einer Plünderung, bildeten ihren einzigen Schmuck. Die Gestalt des Mädchens war vielleicht ein bißchen zu voll, im übrigen aber durchaus ebenmäßig. Ihr Benehmen zeigte die unbefangene ländliche Anmut ohne die übliche verschämte Blödigkeit der Bäuerin. Wenn sie lächelte, sah man eine Doppelreihe der schönsten Zähne blitzen, und ihr heiterer Blick, mit dem sie jetzt Waverley den Morgengruß darbot, in Ermangelung der englischen Sprache vermittelst einiger stummen Zeichen, hätte einen jungen Stutzer vielleicht auf die Vermutung bringen können, es verberge sich mehr dahinter als bloße Artigkeit einer Wirtin. Edward sah in diesem Augenblick Evan mit seinem Kameraden am Strande entlang kommen. Der letztere trug eine große Lachsforelle, die er am Morgen gefangen hatte, und die Angelrute, während Evan sich elastischen Schrittes und in ungezwungner Haltung zu dem Platze hin begab, wo Waverley beim Frühstück saß. Mit einem Seitenblick auf Waverley tat Evan einige Aeußerungen zu dem Mädchen, über die sie zwar lachte, aber auch leicht errötete. Dann sagte Evan, daß es ihm recht sei, wenn ihm der Fisch zum Frühstück gebraten würde. Mit seinem Pistol setzte er einiges Reis in Brand, das ebenso rasch niedergebrannt war, und in dessen Asche die Forelle zum Sieden gelegt wurde. Als edle Beigabe zu dieser Mahlzeit langte Evan aus seiner Rocktasche ein Widderhorn voll Whisky, aus dem er sich in eine große Muschelschale einen tüchtigen Schluck abgoß. Er bot auch dem Mädchen und dem Junker von dieser Herzstärkung an, bekam aber von beiden einen Korb. Dagegen ließ sich sein Kamerad, dem er nun die Schale mit der huldvollen Miene eines Lords zum Trunke bot, nicht nötigen. Evan begab sich hierauf in den Kahn zurück und forderte Waverley auf, ihn zu begleiten. Inzwischen hatte das Mädchen alles, was aufzubewahren lohnte, in einen Korb getan und ihr Plaid umgenommen. Dann schritt sie auf Edward zu, nahm mit herzlicher Schlichtheit seine Hand und bot ihm die Wange zum Abschied. Die Männer stiegen nun in den Kahn. Es wurde vom Ufer abgestoßen und ein ungefüges Segel gesetzt, dann nahm Evan das Steuer und lenkte, wie Waverley meinte, seinen Lauf mehr nach dem obern Teil des Sees als nach der Seite hin, wo er in der verwichnen Nacht eingestiegen war. Als der Kahn über den silberhellen Wasserspiegel glitt, begann Evan die Unterhaltung mit einem Hymnus auf das junge dralle Ding, das flüchtig wie ein Reh auf der andern Bergseite emporstieg. Es sei ein gar kluges und fleißiges Kind, diese Alice, wie sie Donald Bean Lean genannt habe nach ihrer Mutter, die eine Französin gewesen sei, aber mit ihren häuslichen Tugenden verbände sie auch andre: so sei sie die flotteste Tänzerin weit und breit in der Runde. Edward ließ ihre trefflichen Eigenschaften gelten, so weit er sie selbst kennen gelernt hatte, gab aber dem Bedauern Ausdruck, daß solches schmucke Ding zu solch gefahrvollem, traurigem Leben verdammt sei. »Nu, was das angeht, so läßt es ihr Vater ihr in nichts fehlen,« sagte Evan. »Was sich in Pertshire auftreiben läßt, es müßte denn zu heiß sein oder zu schwer, das besorgt er auch für sie, sobald sie den Wunsch äußert.« »Aber die Tochter eines Viehräubers   eines gemeinen Spitzbuben zu sein!« »Spitzbube?   Was soll die Rede?« fragte Evan ziemlich schroff. »Donald Bean Lean hat nie was andres geraubt als Viehherden!« »So? das nennt Ihr also nicht Diebstahl?« »Nein! wer einer armen Witwe oder einem armen Menschen die Kuh nimmt, der ist ein Dieb. Wer aber einen Sassenach-Freisassen dadurch, daß er ihm die Kühe raubt, zur Zahlung des Schutzgelds zwingt, das die Unterländer für das Vorrecht, die bessre Weidegerechtigkeit zu besitzen, an den auf den kargeren Boden angewiesenen Hochländer mit Fug und Recht zu entrichten haben, das ist kein Dieb, sondern ein vornehmer Viehtreiber. Kein Hochlandsschotte wird es für schimpflich erachten, den Baum aus dem Walde zu holen, den Lachs aus dem Flusse zu angeln, das Wild auf der Höhe zu schießen, die Kuh aus dem Unterlande zu rauben!« »Aber was kann das Ende sein, wenn er über solchem Delikt ergriffen wird?« »Dann findet er eben auf grund des selbstischen Gesetzes den Tod, wie schon mancher wackre Kerl vor ihm!« »Des selbstischen Gesetzes!« wiederholte Edward. »Ja, das heißt, er muß eben an den Galgen, wie es dem Vater und dem Großvater auch gegangen ist und wo er hoffentlich auch mal das Ende findet, sofern er nicht in einem Creagh erschossen oder erschlagen wird!« »Und solchen Tod erhofft Ihr für Euren Freund, Evan?« »Allerdings! Wollt Ihr denn haben, ich soll ihm wünschen, daß er auf seinem Strohlager verrecke wie ein räudiger Hund?« »Aber was soll dann aus Alice werden?« »Fürwahr, wenn sich solcher Fall zutragen sollte, daß ihr Vater sie nicht mehr selbst braucht, so wüßte ich nicht, was mich hindern sollte, sie selbst zu heiraten!« »Ein Entschluß, der sich hören läßt,« sagte Edward, »und ein Entschluß, der Euch Ehre macht, Evan! Aber nun sagt mir, was hat Euer Schwiegervater, denn er wirds doch einmal, da er der Ehre, gehangen zu werden, doch sicher nicht entgeht, mit den Kühen des Barons von Bradwardine gemacht?« »O, die sind schon vor Eurem Burschen auf dem Marsche gewesen,« sagte Evan, »ehe die Sonne über den Ben Lawers blickte, und werden zurzeit wohl schon unterwegs sein nach dem Parke von Tully-Beolan, durch den Engpaß von Bally-Brough, allesamt bis auf zwei, die leider schon abgestochen waren, als ich gestern nacht wieder zurückkam.« »Und wohin begeben wir uns, Evan, wenn ich so kühn sein darf, zu fragen?« »Wohin sonst als in das Haus des Lairds von Glennaquoich? Ihr denkt doch nicht daran, sein Gebiet wieder zu verlassen, ohne ihm die Aufwartung gemacht zu haben?« »Sind wir noch weit von Glennaquoich?« »Fünf knappe Stunden, und Vich-Ian-Vohr wird uns entgegengezogen kommen.« Binnen einer halben Stunde waren sie am obern Ende des Sees, wo Waverley von den Hochländern ans Land gesetzt wurde. Dann wurde das Boot in einer schmalen Bucht unter Binsen und Rohr geborgen. Die Ruder wurden an einer andern Stelle in Sicherheit gebracht, beides jedenfalls zu dem Zwecke, daß Donald Bean Lean Boot und Ruder fände, wenn ihn seine neue Unternehmung in die Nahe dieser Stelle bringen sollte. Eine Zeitlang durchwanderten nun die Schotten mit Edward ein liebliches Tal, das sich zwischen den Bergen erschloß und das von einem Bächlein durchströmt wurde, das seinen Lauf nach dem Bergsee hinüber nahm. »Ist denn die Schlucht, von der Ihr mir sagtet, sein ständiger Aufenthalt?« fragte Waverley, die Rede wieder auf den Wirt in der Höhle bringend. »Durchaus nicht,« erwiderte Evan. »Wenn man erzählen wollte, wo er überall zu finden ist, so ginge das über den menschlichen Verstand. Es gibt kein finstres Loch, keine Schlucht und keine Höhle im ganzen Lande, in der er nicht bekannt und zu Hause wäre.« »Beschützen ihn denn noch andre außer Eurem Herrn?« »Mein Herr? ... Mein Herr ist im Himmel,« versetzte Evan stolz, nahm aber bald seine gewohnte artige Weise wieder an und sagte: »Ihr meint doch bloß meinen Häuptling! ... Nein, er beschützt weder Mac Donald Bean Lean, noch einen andern seinesgleichen, er gewährt ihm nur,« setzte er mit Lächeln hinzu, »Holz und Wasser.« »Das wäre doch eben nicht viel, Evan, denn beides scheint ja in reichlichem Maße da zu sein.« »Ihr versteht nicht recht, was ich meine,« versetzte Evan. »Holz und Wasser bedeutet See und Land, und ich meine doch, daß es um Donald geschehen sein möchte, wenn es dem Laird einfallen sollte, ihm mit einem Paar Dutzend Mannen im Kailichat-Holze einen Besuch zu machen in andrer als freundlicher Absicht, und wenn unsre Kähne mit zehn oder besser noch zwanzig Mann den See hinunter nach seinem Uaimb an Ri steuern wollten unter Führung von mir oder eines tapfern Mannes aus dem Clan.« »Aber wenn nun wieder einmal ein starker Trupp aus dem Unterlande ihm auf den Leib rückte? Wird ihn Euer Häuptling dann auch verteidigen und beschützen?« »Nein! keinen einzigen Funken würde er aus einem Feuerstein um seinetwillen schlagen, sobald sie mit dem Gesetz anrückten.« »Und was würde Donald dann beginnen?« »Er müßte halt aus dem Lande und versuchen, sich über die Berge nach Letter-Scriver zu werfen.« »Und wenn er auch bis dorthin verfolgt würde?« »Dann müßte er zu seinen Vettern nach Rannoch ziehen!« »Und wenn man ihn auch nicht in Rannoch in Ruhe ließe?« »Das ist nicht anzunehmen!« rief Evan, »doch um Euch die Wahrheit zu sagen, es darf kein Unterländer Schotte um Fehden halber auf Schußweite über den Bally-Brough dringen, sofern er nicht die »Sidier-Dhu« zu Hilfe hat.« »Was meint Ihr damit?« »Die schwarzen Soldaten, das heißt die Freikompagnien, die in Schottland ausgehoben werden, Ruhe und Ordnung zu halten bei uns in den Hochlanden. Vich-Ian-Vohr hat eine Kompagnie fünf Jahre lang kommandiert und ich war sein Sergeant. Sidier Dhu heißen sie, weil sie die Tartane tragen, zum Unterschiede von den Sidier Roy, wie im Hochlande die Rotröcke König Georgs heißen.« »Schön, Evan! aber so lange Ihr im Solde König Georgs, standet, so lange waret Ihr doch auch König Georgs Soldat?« »Darüber müßt Ihr Euch mit Vich-Ian-Vohr selbst unterhalten! Jedenfalls sind wir aber jetzt nicht mehr in königlichem Dienste, denn wir haben schon ein volles Jahr lang königlichen Sold nicht mehr bekommen.« In diesem Augenblick knallte ein Schuß, und am Ausgang des Tals kam ein Jäger in Sicht. »Da kommt der Häuptling,« sagte Dugald Mahony. »Das ist er nicht,« rief gebieterisch Evan Mac Dhu; »meinst Du, er käme einem englischen Edelmann auf solchem Wege entgegen?« Aber nach einer Weile setzte er mit sichtlichem Verdruß hinzu: »und doch ist ers! und hat seine Garde nicht bei sich; keine lebendige Seele ist bei ihm als Callum-Beg!« Aber Fergus Mac Ivor hatte nicht vor, sich in eines jungen Engländers Augen durch eine müßige Schar von Hochländern in Ansehen zu setzen, wußte er doch viel zu gut, daß solche überflüssige Eskorte ihn in Edwards Augen weit eher lächerlich machen müßte. Anders wäre es gewesen, wenn er einen andern Clanshäuptling zu begrüßen gehabt hätte, da wäre er allerdings mit all seinen Mannen und Hörigen, erschienen, die Evan in so beredter Weise geschildert hatte. Waverley gegenüber meinte er besser zu tun, wenn er so einfach wie möglich, also bloß in Begleitung eines einzigen seiner Mannen, und zwar eines recht schmucken, jungen Hochländers, auftrat. Als Fergus und Waverley einander gegenüberstanden, nahm der letztere mit Ueberraschung die auffällige Anmut und Würde in der Gesamterscheinung des hochländischen Häuptlings wahr. Fergus war übermittelgroß, und die Hochlandstracht verlieh ihm trotz ihrer Einfachheit ein äußerst vorteilhaftes Aussehen. Er trug ein enges Beinkleid aus rot und weiß gewürfeltem Tartan; alle übrigen Stücke seines Anzugs glichen durchaus denen, die Evan Mac Dhu trug. Bloß sah man an ihm außer dem mit Silber reich plattierten Dolch keine Waffe. Das Schwert wurde von einem Pagen getragen, dessen wir schon erwähnten, und die Flinte, die er in der Hand hielt, schien nur für die Jagd bestimmt zu sein. Die Adlerfeder, die auf seiner Mütze prangte, gab ihm einen imposanten Anflug von kriegerischem Wesen, und die darunter niederflutenden rabenschwarzen Locken gaben ihm das Gepräge einer an Apollo erinnernden Mannesschönheit. Augenbrauen und Oberlippe deuteten auf die Gewohnheit zu herrschen. Und selbst in der artigen Weise seines Auftretens schien sich das Bewußtsein persönlicher Bedeutsamkeit zur Geltung zu bringen. Sein Auge war scharf und der Blick finster, und der Eindruck seines ganzen Wesens ließ sich mit einem heitern Sonnentag vergleichen, der aber durch mancherlei Anzeichen die Furcht weckt, daß es vor Abend noch donnern und blitzen könne. All diese Wahrnehmungen bei diesem ersten Begegnis zu machen, fand jedoch Edward nicht Gelegenheit. Der Häuptling begrüßte ihn als einen Freund des Barons von Bradwardine, mit aller Höflichkeit eines feinen Mannes, bedauerte, daß er sich letzte Nacht ein so rauhes Quartier ausgesucht habe, und knüpfte ein ungezwungenes Gespräch mit ihm an über die Wohnweise Donald Bean Leans, ohne jedoch im geringsten auf sein Räuberleben anzuspielen. Auch die Veranlassung zu Waverleys Besuch im Hochlande berührte er mit keinem Worte, und auch unser Held schien zu meinen, daß er hierüber nicht sprechen dürfe, weil eben der Häuptling darüber so ganz hinweg ging. Während sie nun muntern Schrittes sich dem Edelhofe näherten, war Evan ehrerbietig zurückgeblieben und folgte mit Callum-Beg und Dugald Mahony hinterdrein. Achtzehntes Kapitel Das Geschlecht des Fergus Mac-Ivor reichte bis ins elfte Jahrhundert hinauf. Einer seiner Ahnherren hatte vor etwa vierhundert Jahren schon den Anspruch auf die Häuptlingschaft des großen mächtigen Clans, zu dem er gehörte. Aber ein stärkerer Rival hatte ihn in einem Kampfe geschlagen, und so war er weiter gen Süden gezogen, um mit den ihm treu gebliebenen Anhängern neue Wohnsitze zu suchen. In der Hochlandsgrafschaft Perth traf er auf günstige Verhältnisse. Dort war kurze Zeit vorher ein mächtiger Baron gegen die Regierung aufsässig geworden, und Ian-Mac-Ivor hatte sich denen angeschlossen, die vom Könige Befehl hatten, den Baron zur Rechenschaft zu ziehen. Er hatte sich dabei so ausgezeichnet, daß ihm der König Land verlieh, das er gegen all seine Feinde behauptete, und dessen Besitz sich auch seine Nachfolger nicht mehr streitig machen ließen. Er begleitete nun den König auf allen Kriegszügen, die er gegen das fruchtbarere England unternahm, und brandschatzte hier die Bauern so fleißig und mit so gutem Erfolge auf eigne Rechnung, daß er sich alsbald eine Burg oder Feste errichten lassen konnte, die bei seinen Nachbarn und Untertanen die höchste Bewunderung erregte. Sein bisheriger Name Mac-Ian-Ivor wurde nun in die Geschlechtsregister eingetragen, und er wurde besungen und gefeiert unter dem Namen Johann, des Ivors Sohn oder Johann von der Burg, und seine Nachkommen waren auf diesen ehrenfesten und kriegerischen Ahn so stolz, daß jedes regierende Haupt der Familie den Titel Vich-Ian-Vohr, das ist Sohn Johannes des Großen, annahm, der Clan aber selbst sich Sliochd nan Ivor, das ist Geschlecht von Ivor, nannte zum Unterschied von demjenigen, von welchem er sich abgegliedert hatte. Der Vater von Fergus, der zehnte in gerader Abkunft von Johann von der Burg, schloß sich anno 1715 dem Aufstande an und wurde, als die Stuarts in demselben unterlagen, gezwungen, nach Frankreich zu fliehen. Hier fand er alsbald, glücklicher als mancher andre in der französischen Armee eine Anstellung und vermählte sich mit einer Dame von Stand, die ihm zwei Kinder gebar, Fergus und Flora. Das schottische Landgut wurde eingezogen, aber für eine geringe Summe im Namen des jungen Erben erstanden, so daß dieser wieder in das Land zurückkommen und den väterlichen Besitz antreten konnte. Man erkannte bald, daß der junge Fergus ein energischer, ehrgeiziger Herr war, der, sobald er sich mit den Landessitten und mit den Eigenschaften des Grund und Bodens vertraut gemacht hatte, in den verschiedensten Richtungen zu Reformen griff, wie sie eben bloß vor sechzig Jahren noch möglich waren. Er erwies sich, in seinem kleinen Bezirke als ein trefflicher Verwalter und geschickter Diplomat; es gelang ihm, die Fehden beizulegen, die in andern Sippen so oft ausbrachen, mit solchem Glück, daß man ihn oft zum Schiedsrichter wählte. Seine eigne patriarchalische Gewalt befestigte er mit allen Mitteln und setzte alle Kräfte ein, die rohe, übermäßige Gastfreundschaft, die als eine der wichtigsten Eigenschaften eines Häuptlings im Hochlande galt, durchführen zu können. In dieser Absicht besiedelte er seine Domänen mit vielen Hintersassen, die zwar seinen Kriegsstand mehrten, aber die Menschenzahl überstiegen, die sein Grund und Boden nähren konnte. Mitgliedern seines Clans gewährte er unter keiner Bedingung das Auswanderungsrecht, zog hingegen mancherlei Abenteurer, die ihm durch seine mütterliche Abkunft nahe standen, in sein Land. Die Gabe, all diese heterogenen Kräfte unter einen Hut zu bringen, besaß er in hervorragendem Maße. Er hatte sie erlangt in seiner Eigenschaft als Kompagnieführer im französischen Heere und als Kommandant einer der Freikompagnien, die im Hochlande ausgehoben wurden, um dort Frieden und Ordnung zu halten. In diesem Amte verfuhr er mit Nachdruck und Energie und hielt den ihm zugewiesenen Landesteil in vortrefflichster Ordnung. Er veranlaßte seine Vasallen zum Eintritt in seine Kompagnie und zur Ableistung einer gewissen Dienstzeit, so daß sie sich durch die Bank nach und nach einen gewissen Grad von Kriegszucht aneigneten. Bei seinen Streifen gegen Räuber verfuhr er mit größter Willkür, ohne Rücksicht auf die bestehenden Landesgesetze. So behandelte er Freibeuter mit einer auffälligen, beinahe verdächtigen Milde, sobald sie sich zur Herausgabe ihres Raubes bereit erklärten und zu ihm in ein Vasallenverhältnis traten. Dagegen behandelte er die eigentlichen Strauchdiebe mit aller Strenge des Gesetzes, hielt aber ebenso streng darauf, daß ihm in seine Gerechtsame von keiner fremden Seite eingegriffen wurde; und nahm sich die englische Polizei einmal heraus, selbständig im Bezirke des Fergus Mac-Ivor gegen Uebeltäter vorzugehen, so konnte sie mit Sicherheit darauf rechnen, daß sie mit langer Nase wieder abziehen mußte, wenn sie nicht gar eine empfindliche Schlappe erlitt. Dagegen war dann Ferguss Mac-Ivor immer der erste, der mit freundlichen Worten die Polizei ob ihres Uebereifers bedauerte und niemals unterließ, sich mit den Behörden über den im Argen liegenden Zustand des Landes eingehend zu besprechen. Indessen wurde mit der Zeit doch manches an der Haltung des Häuptlings bei der Regierung verdächtig, so daß man ihn seiner militärischen Würde gelegentlich entkleidete. Er verstand es aber mit so klugem Takt, den geringsten Schein von Mißvergnügen Zu wahren, daß die Vertreter der Obrigkeit an ihrem Urteil irre zu werden anfingen. In kurzer Zeit fühlte jedoch die ganze Bewohnerschaft seines Clans und der Umgegend, die bösen Folgen der Ungnade, in die Fergus Mac-Ivor gefallen war. Donald Bean Lean und andre Räuber dieses Schlags schienen sich an der Grenze festzusetzen, und da der unterländische Adel fast nur aus jakobitischen Elementen sich zusammensetzte, vollbrachten sie ihre Räubereien, ohne wesentlichen Widerstand zu finden. Es kam bald so weit, daß man sich durch die Einführung eines Schutzgeldes den einfachsten Weg suchte, verschont zu bleiben, und auf diese Weise wurde Fergus Mac-Ivor mit dem Nimbus eines Protektors der Gegend umwoben, und gewann zudem auf leichte Weise die Mittel, eine Gastfreundschaft zu üben, die hinsichtlich ihrer verschwenderischen Art schier an das Märchenhafte grenzte, die er aber bei Ausbleiben dieser Schutzgelder wesentlich hätte einschränken müssen. Fergus Mac-Ivor verfolgte noch höhere Ziele für die Zukunft, als bloß die Häuptlingswürde über einen verhältnismäßig unbedeutenden Clan. Von Kindheit an war er dem vertriebenen Königshause anhängig und hatte die feste Ueberzeugung, daß dasselbe nicht bloß wieder in den Besitz der Krone gelangen werde, sondern dann auch alle, die ihm dazu verholfen hätten, mit Rang und Ansehen bekleiden müsse. Im Verfolg dieser Ziele hielt er mit allen Edelleuten im Unterlande Ruhe und Frieden und nahm jetzt auch den Anlaß des Ueberfalls, den Donald Bean Lean auf der Besitzung des Barons von Bradwardine ausgeführt hatte, mit allem Eifer wahr, um auf diesem Wege den Zwist beizulegen, den er unvorsichtigerweise hatte aufkommen lassen. Die Stuarts wußten Fergus Mac-Ivor schon jetzt zu schätzen und bewiesen ihm bei allen schicklichen Gelegenheiten hohes Vertrauen, ließen es auch an Geldzuwendungen nicht fehlen und hatten ihm sogar schon ein Patent ausgestellt, auf grund dessen er in den Grafenstand erhoben wurde, das freilich, trotzdem es mit dem Wappensiegel keines geringeren Herrn als Johannes des Dritten, König von England, ausgestellt und von dem König Nummer VIII des gleichen Namens als Herrschers über Schottland und die Hebriden gegengezeichnet war, erst in Kraft und Gültigkeit treten konnte, wenn das Königshaus restituiert worden war. Durch den Glanz dieser künftigen Grafenkrone geblendet, hatte sich Fergus Mac-Ivor in die Komplotte dieser unglücklichen Zeit ziemlich tief eingelassen und verstrickt, und gleich allen Verschwörern sich mit seinen Begriffen von Moral und Ehre in schicklicher Weise abzufinden gewußt... Wir nehmen nun; nach diesem Einblick in einen ehrgeizigen, feurigen, aber verschlagenen und klugen Charakter, den Faden unsrer Erzählung wieder auf. Fergus Mac-Ivor war mit seinem Gaste in Glennaquoich angelangt, dem Edelhofe im Hochlande, der seit Johann von Burg hochseligen Gedenkens das Geschlecht in seinen Mauern geborgen und wachsen und gedeihen gesehen hatte. Es war ein hoher, viereckiger Turm von rauhem, unwirtlichem Aussehen, an den sich ein zweistöckiger Wohnhausbau anschloß, den der Großvater des jetzigen Fergus erbaut hatte bei seiner Rückkehr aus dem merkwürdigen Feldzuge gegen die Whigs und die Rotten von Ayrshire, der in den westlichen Grafschaften noch heut in lebendiger Erinnerung steht und bei dem es dem Vich-Ian-Vohr jener Zeit wahrscheinlich ebenso geglückt war, ein gutes Beutestück zu erringen, wie seinem Vorgänger bei der Plünderung der englischen Bauern. Er hinterließ infolge dieses Glückfalls seinen Nachkommen gleichfalls ein nützliches Denkmal seines praktischen Sinnes und seiner Vorliebe für standesgemäße Unterkunft. Der Edelhof stand auf einem erhöhten Punkte in einem schmalen Tale des Hochlandes, entbehrte jedoch all jener Verschönerungen der Umgebung, die man sonst bei Edelhöfen anzutreffen gewohnt ist. Ein paar durch Gemäuer getrennte Zäune bildeten die Einfriedigung, sonst lagen Turm und Wohnhaus offen da in dem schmalen Landstreifen, den der Bach hier bildete und auf dem außer etwas Gerste, die obendrein noch, unter den Hufen der schwarzen Viehherden zu leiden hatte, die auf den angrenzenden Hügeln weideten, nichts wuchs. Unfern oberhalb des Tales stand ein kleines, verkrüppeltes Birkenwäldchen, die Berge waren hoch hinauf mit Heidekraut bewachsen, ohne jegliche Abwechslung, so daß das Ganze eher einen wilden und öden als großartigen und einsamen Anblick bot. Dennoch hätte kein echter Mac-Ivor diesen Stammsitz hingegeben für den schönsten Herrensitz in dem gesegneteren England. Ein andrer Anblick bot sich den Blicken dicht vor dem Hoftore, und zwar ein solcher, wie er dem Herzog von Marlborough, dem stolzen Sieger von Blenheim, erwünschter und lieber gewesen wäre. Dort stand in Reih und Glied und in vollständiger Ausrüstung, in echter Hochlandstracht, ein Kommando von hundert Hochlandssöhnen. Der Häuptling maß die Truppe mit flüchtigen Blicken und wandte sich in einer Art nachlässiger Entschuldigung mit den Worten zu Waverley, »er habe grade heute ein paar von seinen Mannen aufgeboten, um Revue zu halten, ob sich im Hochlande noch Mannschaft genug fände, um das Vaterland gegen Uebergriffe zu schützen und weitere Unfälle von der Art zu verhindern, wie eben jetzt einer den Baron von Bradwardine betroffen hatte. Anderseits möchte es vielleicht einem Kapitän der englischen Armee kein unangenehmer Anblick sein, Hochländer exerzieren zu sehen.« Edward zeigte sich äußerst erfreut über solche Aufmerksamkeit, und nun begannen die Hochländer mit Marschieren im Tritt und mit andern Exerzitien der gewöhnlicheren Art. Dann gingen sie über zu Schießübungen, und die hohe Treffsicherheit jedes einzelnen Mannes erregte Edwards ungeteilte Bewunderung. Im Stehen, Sitzen, gebückt oder liegend, faßten sie ihr Ziel und trafen es ohne Ausnahme. Dann machten sie Fechtübungen, dann teilten sie sich in Kommandos ab und führten einen Scheinkampf aus, wobei der Kriegsdudelsack mit seinen seltsamen Klängen den Takt aufspielte. Auf ein Zeichen des Häuptlings ging das Scharmützel zu Ende. »Wie groß ist die Zahl der Leute, die sich solches Kommandeurs erfreuen darf?« fragte Edward. »In guter Sache und unter einem Häuptling, für den sie ins Feuer gehen, betrug die Zahl der Ivor'schen Mannschaft wohl nie unter fünfhundert Schwertern. Aber das Entwaffnungsgesetz, das vor zwanzig Jahren über Schottland verhängt wurde, hindert unsre Mannen begreiflicherweise, im Zustande vollständiger Ausrüstung zu erscheinen, und ich halte infolgedessen nicht mehr Mannschaft unter den Waffen, als ich brauche zur Sicherung meines Eigentums, sowie um Freunden beispringen zu können in Situationen, wie sie gestern Eurem Wirt passiert sind. Da muß die Regierung schon gestatten, daß wir Selbsthilfe üben, denn sie selbst beschützt uns doch in keiner Weise.« »Aber mit solcher Macht könnt Ihr doch solches Räuberpack wie diesen Donald Bean Lean leicht in die Pfanne hauen oder aus dem Lande hinausjagen!« »Ganz unfehlbar, und der Dank, den ich dafür bekäme, wäre doch sicher, daß man mir beföhle, die paar Schwerter, über die wir noch gebieten, ins Waffenmuseum zu liefern! Nein, Kapitän Waverley, das wäre das Dümmste, was unsrerseits geschehen könnte, indessen lassen wir das! ... Ich höre, daß uns der Pfiff zum Essen ruft; also bitte, begeben wir uns in das Wohnhaus.« Neunzehntes Kapitel Ehe man in den Festsaal eintrat, wurde Waverley die patriarchalische Erfrischung eines Fußbades geboten, die ihm nach diesem Marsch durch Moorgebiet bei schwülem Wetter außerordentlich wohltat. Freilich war es keine schöne Frau, die ihn dabei bediente, wie es den Helden in der Odyssee beschert war, sondern bloß ein altes, schwaches Hochlandsmütterchen, das sich obendrein über die Obliegenheit noch gar nicht einmal sonderlich zu freuen schien, sondern zwischen den Zähnen brummte, »daß die Herden der Väter nicht so eng beisammen, geweidet hätten, daß sie zu solchem Dienst bei ihm verpflichtet sei.« Aber ein gutes Trinkgeld beseitigte die Empfindlichkeit der Greisin, so daß sie Edward, als er nach der Halle ging, mit dem gälischen Sprichworte segnete: »Möge die offne Hand sich recht schnell und reichlich wieder füllen!« Die Halle, in der das Festmahl hergerichtet war, nahm das ganze erste Stockwerk des Wohngebäudes ein. Eine mächtige eichene Tafel dehnte sich dort aus, den Raum in voller Länge bedeckend. Das Mahl war einfach, fast urwüchsig, und die Gesellschaft zahlreich, fast übergroß. Auf dem Ehrenplatze an der Spitze saß der Häuptling mit seinem Gaste, ihnen zunächst einige Hochländer aus benachbarten Clans, die Aeltesten seines eignen Clans, mit ihren Söhnen, Neffen und Milchbrüdern; dann die Hausbeamten des Häuptlings nach der Rangordnung, zuletzt die Pächter, die in Person das Feld bebauten. Ueber diese lange Reihe von Tafelgästen hinweg erblickte Edward auf dem Rasenplatze draußen vorm Hause, wohin eine ungeheure Flügeltür führte, eine Schar von Hochländern geringeren Ansehens, die aber gleichfalls als Gäste galten und ihren Anteil am Mahle empfingen. In noch weiterm Abstande, ganz hinten im Hofe, bewegten sich in wirrem Durcheinander alte Weiber, zerlumpte Kinder beiderlei Geschlechts, junges und altes Bettelvolk, dazwischen große Windspiele, Dachs-, Wachtel- und Hofhunde, und all diese Geschöpfe suchten sich samt und sonders von der Herrentafel zu wahren, was irgend anging. Tiefe Gastfreiheit, so unbeschränkt sie auf den ersten Blick zu sein schien, fand jedoch auch gewisse Grenzen. Was auf den obern Teil der Tafel gelangte, also Speisen von Fischen, Wildbret und dergleichen, war sorgfältig zubereitet, um dem Gaste alle Ehre anzutun. Für die zunächst kommenden Gäste standen Schöpsen- und Rindskeulen bereit, die den rohen Leckerbissen beim Schmause der Freier der Penelope den Rang streitig machen konnten. Aber das Hauptgericht stand mitten auf der Tafel, ein »Jährling«, das Erntelamm oder »Hog in Harst« auf gälisch, im ganzen gebraten, auf seinen vier Beinen, mit Büscheln Petersilie im Maul. Ueber dieses Gericht fielen die Clansmänner herzhaft her und setzten ihm zu von beiden Seiten, einige mit Dolchen, andre mit Messern, so daß es bald einen jämmerlichen Anblick gewährte. Noch weiter standen noch geringwertigere Lebensmittel, aber in reichen Mengen. Und die Söhne von Ivor, die in freier Luft schmausten, labten sich an Fleischsaft, Zwiebeln, Käse und den Resten, die von der Herrentafel zu ihnen hinunter gelangten. In demselben, absteigenden Verhältnis bewegten sich die Getränke. Trefflicher Claret und Champagner kreiste an dem obern Ende der Tafel; reiner, unverdünnter Whisky und Kraftbier wurden den nächsten im Range kredenzt; Whisky, verdünnt, und Dünnbier waren die Erfrischungen am untern Ende; aber niemand tat darüber empfindlich, denn jeder wußte, daß sich die Bewirtung streng nach dem Range richtete, der ihm an der Tafel gebührte. Während des Schmauses spielten Dudelsackpfeifer, drei an der Zahl, auf, und eine schrille Kriegsmusik war es, die im Verein mit den kreischenden Lauten der keltischen Sprache einen so schrecklichen Lärm in der geräumigen Halle verursachte, daß Edward meinte, sein Gehör einzubüßen. Mac-Ivor entschuldigte sich bei ihm ob dieses Lärms, den solche zahlreiche Versammlung mache, mit dem Hinweise, daß ihn seine Stellung im Lande zu solcher Gastfreiheit zwinge. Edward gratulierte ihm zu solcher Menge von Hörigen und Stammesgenossen, die doch ebenso viel getreue Anhänger darstellten. »Ja doch,« erwiderte der Häuptling, »dächte ich wie mein Vater und machte mich voraus weg, mir einen Schlag auf den Schädel oder ein paar in den Nacken zu holen, dann stünden die Halunken wohl an meiner Seite. Aber wer kann so was zu unsrer Zeit sich vornehmen? jetzt heißt doch die Rede: »Besser eine alte Frau mit einem Beutel voll Geld in der Hand als drei Männer mit Säbeln und Gehänge.« Dann brachte er Waverleys Gesundheit aus »als eines Freundes seines guten Nachbarn und Bundesgenossen, des Barons von Bradwardine«. »Wenn er von Cosmo Comyne Bradwardine kommt, so ist er bei uns willkommen,« riefen die Aeltesten. Und als Waverley auf diese Artigkeit in freundlicher Weise erwidert hatte, gab der Häuptling den Pfeifern ein Zeichen zu schweigen, und rief mit lauter Stimme: »Wohin hat sich denn der Gesang verborgen? wie kommt es, daß ich Mac-Murraugh nicht finden kann?« Sogleich gehorchte Mac-Murraugh, der Barde des Hauses, ein Greis, dem Winke und begann in tiefem Baß eine Reihe keltischer Verse zu singen, die von allen Anwesenden mit Beifall und Begeisterung aufgenommen wurden. Bald schwoll sein Sang an zu wilden, leidenschaftlichen Lauten, und Waverley war es in gewissen Augenblicken, als höre er aus den ihm unverständlichen Worten den eignen Namen heraus. Seine Vermutung bestätigte sich, denn er sah, daß sich manches Auge der Gäste auf ihn richtete. Die Begeisterung des Sängers schien sich den Hörern mitzuteilen, die sich zu ihm hinbeugten, die Arme vor Entzücken heftig hin und her schlenkernd oder mit der Rechten nach dem Schwerte greifend. Als der Sänger schwieg, trat eine tiefe Stille ein. Dann kehrte auch in den Gemütern der Kelten wieder Ruhe ein. Dann wurden gälische Trinksprüche ausgebracht, von denen der Häuptling seinem Gaste einige wie folgt verdolmetschte: »Dem, der den Rücken weder Freund noch Feind zukehrt.« »Dem, der nie Gerechtsame kaufte oder verkaufte.« »Gastfreiheit den Verbannten und zerschlagne Beine den Tyrannen!« »Hochländer Schulter an Schulter!« Als der Lärm einigermaßen verstummt war, wandte der Häuptling sich an Edward mit den Worten: »Ihr habt, wie ich gesehen habe, dreimal den Humpen an Euch vorbeigehen lassen, ohne zu trinken. Ich schließe daraus, daß Euch andre Gesellschaft vielleicht angenehmer sein möchte. Ich möchte Euch demgemäß fragen, ob es Euch recht wäre, wenn wir meiner Schwester einen Besuch machten?« Edward stimmte mit Freuden bei, und der Häuptling erhob sich von der Tafel, nahm Edward unter den Arm, nachdem er seiner nächsten Umgebung noch ein paar Worte gewidmet hatte, und verließ die Halle. Draußen hörten sie noch, wie unter lautem Geschrei aber- und abermals die Gesundheit Vich-Ian-Vohrs ausgebracht wurde, ein Zeichen dafür, daß die Zufriedenheit der Gäste sich noch auf der alten Höhe hielt. Zwanzigstes Kapitel Was Zimmer, das Flora Mac-Ivor für sich bewohnte, war äußerst schlicht und einfach eingerichtet; denn in Glennaquoich wurden alle Ausgaben auf das möglichste eingeschränkt, um nicht die Gastfreiheit zu beeinträchtigen, die als die Hauptpflicht des Burgherrn galt. Aber keine Spur von solcher Sparsamkeit ließ sich in der Garderobe der Dame wahrnehmen, die aus den geschmackvollsten, reichsten Stoffen sich zusammensetzte und teilweis Pariser, teilweis die einfachere Mode des Hochlands zeigte, aber auf das geschickteste zu einem schönen Ganzen gefügt war. Ihr Haar wallte in natürlichen Locken ihren Nacken hernieder und wurde bloß durch einen Diamanten-Reif zusammengehalten. Sie hatte die auffälligste Ähnlichkeit mit ihrem Bruder Fergus und war eine große Dame. Sie hatte das gleiche Profil wie er, von eben solcher Reinheit und antikem Schnitt, sie hatte dieselben Augenbrauen, dieselben Wimpern, die gleiche zarte Gesichtsfarbe, nur mit dem Unterschiede, daß die Farbe bei Fergus einen Stich ins Bräunliche aufwies als Folge der vielen Bewegung im Freien und der größeren Strapazen. An Stelle der Strenge aber, die das Merkmal von den Gesichtszügen des Bruders bildete, zeigte das Antlitz der Schwester eine liebliche Weichheit und Sanftmut. Auch ihre Stimmen wiesen hohe Verwandtschaft im Klange auf und unterschieden sich nur durch die verschiedne Lage. So sanft und süß wie die Stimme des Mädchens klang, so dröhnend und gewaltig war die des Bruders. Während in seinem Auge wildes Feuer loderte, lagerte in ihrem Auge tiefe Schwermut. Sein Blick schien nach Ruhm und Macht, nach allem, was ihn über die Mitmenschheit herausheben konnte, zu lechzen; ihr Blick hingegen mitleidsvoll auf die herabzusehen, die nach anderm als Herzensruhme trachteten. Ihre Empfindungen standen mit dem Ausdruck ihres ganzen Wesens in innigster Harmonie. Die Erziehung, die sie genossen hatte, hatte in ihr Herz dieselbe Anhänglichkeit an das alte Königshaus gepflanzt, wie in das des Bruders, und sie hielt es für dessen Pflicht, wie für die Pflicht jedes Mannes und jedes Clans in England wie Schottland, welches Los auch ihrer harren möchte, für die Wiedereinsetzung des alten Königshauses einzutreten mit allen Kräften des Geistes und Leibes und mit allen Fasern dafür zu kämpfen. Aber während der Bruder dabei die eignen Interessen mit verfolgte, wie der Leser aus der ihm kurz gegebnen Charakteristik bereits ersehen hat, brannte in Floras Herzen die Flamme der Treue gegen das Haus Stuart rein und lauter und ungetrübt von irgend welchem Gefühle des Eigennutzes. Nach dem Hinscheiden seiner Eltern war Fergus eine Zeitlang Edelknabe am Hofe des vertriebenen Fürsten gewesen, während Flora auf Kosten seiner Gemahlin mehrere Jahre in einem französischen Kloster erzogen worden war. Selbstverständlich hatte diese zwiefache Auszeichnung die Liebe der beiden Geschwister noch fester gekittet. Wir haben nun dem Leser eine ausreichende Schilderung von Floras Wesen und Charakter gegeben und können uns mit allem weitern kurz fassen. Sie verfügte über eine gute Bildung und besaß all jene feineren Sitten, die sich von einem jungen Fräulein erwarten lassen, das schon seine Kindheit, an einem Fürstenhofe zugebracht hat. Aber eins hatte sie nie gelernt: die Sprache der Höflichkeit an die Stelle des wahren Empfindens treten zu lassen. Seit sie in der Einsamkeit von Glennaquoich lebte, pflegte sie neben fleißiger Lektüre die edle Kunst der Musik und beschäftigte sich mit Vorliebe mit der alten Bardendichtung des Hochlands. Auch die Liebe zu ihrer Heimat, zu ihrem alten Clan wohnte nicht minder tief in ihrem Herzen als in dem des Bruders. Ihre patriarchalische Würde zu wahren, war sie ebenso eifrig beflissen wie Fergus, und alle ihre Einkünfte   sie verdankte ihrer Fürstin eine kleine Jahresrente   verwandte sie auf Sorge für alte und kranke Leute ihres Clans, die nicht im stande waren, sich durch Arbeit den Lebensunterhalt zu schaffen. Flora genoß infolgedessen eine geradezu beispiellose Liebe und Verehrung im Clan sowohl wie im ganzen Hochland, und mancher Bardensang kündete ihr Lob. In zärtlicher Liebe hing sie an Rosa Bradwardine, und wenn die beiden Mädchen zusammen waren, so hätten sie dem Maler sitzen können als Modelle für die Muse des Frohsinns (Rosa) und für die Muse der Schwermut (Flora). Allgemein herrschte die Ansicht   bloß hätte es niemand dem Baron von Bradwardine sagen dürfen   daß Flora keinen geringen Anteil hatte an der gütlichen Beilegung des zwischen den beiden Männern ausgebrochenen Zwistes, der leicht zu einer Blutfehde hätte führen können, da ja doch der Baron sich schon früher an dem Clan vergangen hatte. Sie verstand es, dem Bruder von einer Seite beizukommen, wo er eigentlich nur zu fassen war, das war die Rücksicht auf das Alter des Barons. Sie stellte ihm all den Schaden vor, der auch ihm erwachsen müsse, wenn er es aufs Aeußerste mit dem im ganzen Unterland so hoch angesehenen Baron kommen ließe; und das hatte schließlich die Ursache gegeben zur Absendung Evan Dhus, womit seitens des Häuptlings der erste Schritt zur Verständigung getan worden war. Bei dieser Dame, die jetzt an ihrem Teetisch als Herrscherin saß, führte jetzt Fergus den Kapitän Waverley ein, und Flora begrüßte ihn mit aller gebotenen Artigkeit und Höflichkeit. Einundzwanzigstes Kapitel »Liebe Flora,« sagte Fergus zu seiner Schwester, als der Austausch der ersten Begrüßungen erfolgt war, »ehe ich wieder nach der Halle zurückgehe, mich den urwüchsigen Bräuchen der Vorfahren weiter hinzugeben, laß Dir sagen, daß Kapitän Waverley ein großer Verehrer der Dichtkunst ist und insonderheit der keltischen Muse, vielleicht gerade darum, weil er kein Wort von der keltischen Sprache versteht. Ich habe ihn von Deiner Gewandtheit, keltische Poesie in englische Sprache zu übertragen, unterrichtet. Du läßt Dich also wohl nicht mehr lange quälen, unserm Gaste einen von Murraughs Bardensängen in gutem Englisch zu rezitieren?« »Aber, Fergus! Du weißt doch, gar nicht, ob diese Verse einem englischen Fremdling gefallen können? und wenn ich wirklich, wie Du sagst, die Geschicklichkeit hätte, sie in gutes Englisch zu übertragen?« »Genau so werden sie ihm gefallen wie mir, Schwester! Murraugh haben wir im Saal gehört, er hat mich meinen letzten silbernen Becher gekostet, aber Du kennst doch unser Sprichwort: »Hört der Häuptling auf, seinen Barden zu beschenken, so erfriert dem Barden der Hauch auf der Lippe.« Und drei Dinge sinds trotzdem, die dem Hochländer von heute müßig sind: das Schwert, das er nicht ziehen darf; der Barde, der Taten besingt, denen er nicht nacheifern darf; und der große Beutel aus Ziegenfell, den er mit Louisdors nicht füllen kann, weil er keine mehr hat.« »Recht schön gesprochen, Bruder,« versetzte die Schwester, »doch wenn Du meine Geheimnisse rücksichtslos preisgibst, so kannst Du von mir nicht erwarten, daß ich die Deinigen hüten werde. Ich gebe Euch die Versicherung, Kapitän Waverley, daß Fergus auf sein Hochländerschwert so stolz ist, daß er es um keinen Marschallstab vertauschen möchte, daß er seinen Murraugh für einen Dichter von der gleichen Größe ansieht wie Homer, und daß er seinen Beutel aus Ziegenleder um alle Louisdors nicht hingäbe, die er fassen kann.« »Noch besser gesprochen als ich, meine liebe Flora,« gab ihr der Bruder zurück, »Schlag auf Schlag pariert! wie Conan zu Satan sagte. Aber jetzt unterhaltet Euch beide über Barden und Bardensang, denn ich muß zurück zu meinen Senatoren, um ihnen die letzten Ehren der Gastfreiheit zu erweisen.« Mit diesen Worten schritt er aus dem Gemache. Waverley war über die Unterhaltung, die er mit Flora führte, erbaut und überrascht zugleich, denn er hatte solche Vertrautheit mit einem so ernsten Thema bei einer so jungen Dame wie Flora, nicht vermutet. »Der Sang unsrer Barden,« sagte Flora, »die die Taten unsrer Helden, die Klagen der Liebe und die Kriegszüge unsrer Clans besingen, bildet die schönste Unterhaltung der Hochländer an ihrem Winterfeuer. Aber in der Übertragung büßen sie doch vieles ein von ihrem rauhen, markigen Gehalt.« »Der Sang Eures Barden, Miß Mac-Ivor, schien alle Krieger, alt und jung, gewaltig zu erregen,« bemerkte Waverley, »und wenn ich recht gehört habe, so kam in dem Sang auch mein Name vor?« »Unsren Barden wohnt eine frische Auffassungs- und eine scharfe Beobachtungsgabe inne,« antwortete Flora, »und dann ist die gälische Sprache zufolge ihres Reichtums an Vokalen vorzüglich geeignet zur Improvisation, und darum unterläßt es selten ein Barde, die Wirkung eines vorher überdachten Gesanges durch ein paar zuvor überdachte Strophen zu mehren.« »Mein bestes Pferd gäbe ich drum,« versetzte Waverley, »wenn ich erfahren könnte, was Euer Barde über solchen unwürdigen Mann aus dem Süden, wie mich, gesagt haben kann.« »Das soll Euch kein Haar aus seiner Mähne kosten,« erwiderte Flora und wandte sich zu einer der in dem Zimmer anwesenden Dienerinnen. »Una Mavourneen! tritt doch zu mir!« Sie sprach einige Worte auf gälisch zu ihr, worauf sich das Mädchen verneigte und aus dem Zimmer verschwand.... »Ich habe Una zu Murraugh gesandt und lasse mir den Text der Strophen senden, die über Euch gehandelt haben. Ihr könnt dann über mich als Dolmetsch gebieten.« Una kehrte nach wenigen Minuten zurück und sagte der Herrin ein paar gälische Strophen her. Flora schien ein paar Augenblicke zu überlegen, dann wandte sie sich mit leichtem Erröten zu Waverley. »Es ist mir nicht möglich,« sagte sie, »Eurem Verlangen zu willfahren, Kapitän, ohne einen hohen Grad von Eitelkeit zu bekunden. Vergönnt mir darum ein paar Augenblicke Zeit! ich will versuchen, leidliches Englisch für die Strophen zu finden. Da wir solch schönen Abend haben, mag Euch Una zu meinem Lieblingsplätzchen führen, ich werde Euch mit Kathleen folgen.« Nach kurzer Weisung führte Una Waverley auf einem andern Wege aus dem Gemache, als er hereingetreten war, und durch eine schmale Hinterpforte gelangten sie ins Freie. Nach beschwerlicher Wanderung durch das rauhe, kalte und schmale Tal, in welchem der Edelhof stand, eine Meile davon entfernt, kamen sie an eine Stelle, wo sich zwei Bäche zu einem kleinen Flusse bildeten, der sich durch das Tal wand. Ein schmaler Fußpfad, an einigen, Stellen für Flora gangbar gemacht, führte ihn durch Stellen, die von allem bisher gesehenen wesentlich verschieden waren. Um das Schloß herum war alles öde und einsam, und selbst hier war man nicht völlig frei von diesem Eindruck; aber die Felsen in dem schmalen Tale wiesen bald tausenderlei merkwürdige Gestalten auf. Hier türmte sich ein mächtiger Block zu gigantischen Massen empor, und erst hart am Fuße zeigte sich die scharfe Biegung um das scheinbar unüberwindliche Hindernis; dort traten die Felsen so dicht an einander heran, daß zwei Fichtenstämme, mit Torf aufgefüllt, lang genug waren, eine rohe Brücke darüber zu bilden in Höhe von wenigstens zweihundert Fuß und ohne alles Geländer. Während Waverley zu dem gefahrvollen Steige aufblickte, der wie eine feine schwarze Linie quer über das Stückchen blauen Himmels gezogen aussah, das zwischen den hohen Felsen sichtbar war, sah er plötzlich voller Entsetzen Flora mit der andern Dienerin, gleich Wesen einer höhern Region hoch oben in den Lüften schwebend, über den schwanken Pfad schreiten. In der Mitte blieb Flora stehen und blickte zu ihm hinunter, mit einer solchen Unbefangenheit und Anmut, daß es ihn gruselte. Dann winkte sie ihm mit dem Taschentuche, er aber war außer stande, den Gruß zu erwidern und atmete wirklich erleichtert auf, als sie von der gefahrvollen Höhe verschwunden war. Jenseits der Brücke erweiterte sich die Schlucht zu einem großartigen Waldtheater, und über ihm stiegen die kahlen Gipfel, stellenweis mit rotem Heidekraut malerisch bedeckt, in Riffe und Klippen zersplittert, zu gewaltiger Höhe auf. Eine Strecke lang verließ nun der Pfad den Bach, und plötzlich stand Waverley, als er um einen Felsen herumschritt, vor einem wunderbar schönen Wasserfall, der aus einer Höhe von über zwanzig Fuß in die Tiefe hinunter schoß. Und am Fuße desselben, auf einem lieblich grünen Rasenfleck, saß mit ihrer Dienerin Flora, versenkt in das herrliche Naturbild, das sich Waverleys Augen hier offenbarte. Kathleen hielt die schottische Harfe in der Hand, deren Spiel Flora von Rory Dall, einem der letzten Harfner der Hochlande, erlernt hatte. Die Sonne, die jetzt im Westen stand, lieh allen Dingen ein lebhaftes Kolorit und schien Floras grellschwarze Augen mit überirdischem Glanze zu erfüllen, ihre Wangen in Glut zu tauchen, ihre schöne Gestalt mit würdevoller Anmut zu verklären. Flora kannte, wie jede schöne Frau, die Macht, die ihr innewohnte, recht gut, und sie freute sich der Wirkung, die sie übte; aber sie besaß ein zu lauteres Herz, um die Beweise von Ehrerbietung, die ihr der junge Kriegsmann gab, anders denn als vorübergehenden Tribut anzusehen, der auch einem weniger schönen Weibe in solch herrlichem Rahmen, wie ihn die wildromantische Umgebung abgab, gezollt worden wäre. Sie führte ihn gelassen zu einem Plätzchen, weit genug abgelegen von dem Wasserfalle, daß sein Rauschen sie in ihrer Unterhaltung nicht stören konnte, ließ sich auf einem mit Moos übersponnenen Felsstück nieder und nahm die Harfe aus Kathleens Hand. »Kapitän Waverley,« hub sie an, »ich habe Euch zu diesem beschwerlichen Gange veranlaßt, weil ich einesteils meinte, dieses Stück hochländischer Erde möchte Euch gefallen, anderseits weil ich Euch keinen Bardensang in meiner Übertragung bieten mochte ohne den Rahmen, der einigermaßen im stande sein dürfte, meine Schwächen bei solchem Beginnen zu verdecken. Keltische Muse ist ohne keltischen Nebel, wie er unsre heimischen Höhen umflutet, nicht recht faßlich, denn ihre Stimme erklingt aus des Gießbachs Getöse. Wer sich keltischer Muse weihen will, der muß den nackten Fels lieber haben als das gesegnete Tal, dem muß die Waldeseinsamkeit besser behagen als die Freuden rauschender Geselligkeit.« Mit einer Freude ohnegleichen lauschte Waverley den ersten Akkorden der schönen Harfenistin, und nicht um eine Welt hätte er seinen Platz an ihrer Seite aufgeben mögen, und dennoch stieg in seinem Herzen eine Sehnsucht nach Einsamkeit auf, die ihm die heilige Ruhe schüfe, die durcheinander wogenden Empfindungen in seiner Brust zu klären und zu sondern. In seltsamer Regellosigkeit, aber wunderbarem Einklange mit dem Rauschen des Wasserfalls und dem sanften Lispeln des Abendwindes im Espenlaub ertönte nun der Sang: Ueber dem Berge schwebt Nebel, und Nacht herrscht im Tal, Aber düsterer Schlaf hält die Söhne vom Gal. Ein Fremdling gebot, und er drückte das Land, Und erstarrte das Herz und lähmte die Hand. Der Dolch und das Schild sind vom Staube entehrt. Und rostrot feiert das blutleere Schwert; Wenn auf Höhen, in Tälern das Feuerrohr knallt. Nur hinterm Birkhuhn und Rotwild das Hifthorn schallt. Soll der Barden Sang Taten der Ahnen erneu'n. Laßt Scham und Geißel den Dank dafür sein! Es verstumme die Saite, verhalle der Ton, Wenn vom Ruhme sie singen, der auf ewig entfloh'n. Der stolze Held Moray!   verbannt jetzt   so kann er Im Glührot des Morgens nicht heben sein Banner! Weit, weit laß er's wehen auf nordischem Pfad, Wie der scheidende Strahl, wenn das Wetter sich naht! Ihr Söhne der Schlachten, wann der Morgen bricht an, Soll die Harfe des Greises Euch zeigen die Bahn? Nie weckte die Väter solch Morgenrot, Daß der Häuptling nicht aufstand zu Sieg oder Tod. Ihr Söhne des Stammes, der Islay beherrscht, Clanshäupter von Ranald, Glengary und Sleat! Wie drei Ströme von einzigem Eisberg herab. Wälzt hinunter den Feind in das düstere Grab! Du wackrer Sohn Evan, Du furchtloser Lochiel! Das Schild auf die Schulter, den Stahl poliert! Held Keppoch, entsende dem Horne den Schall, Daß Caryarrick vernehme den Todeshall! Du rauher Sohn Kenneth, Du Haupt von Kentail, Wild springe der Hirsch Deines Banners im Sturm! Clan Gillean, Stamm du, so furchtlos und frei, Gedenk an Glanlivet, an Harlan, Dundey! Ihr Söhne Dermids, der den Eber bezwang, Treu wie Callain-More, folget dem Waffenklang! Mac-Neil von den Inseln und Moy von dem Meer, Für Ehre, für Freiheit, für Rachel zur Wehr! Hier kam ein großer Windhund aus dem Tale herauf mit ein paar wilden Sätzen bis zu Flora gesprungen; in der Ferne ertönte ein Pfiff, und der Hund war wieder unterwegs zum Tale hinunter. »Das ist Fergus' Schatten!« sagte Flora, und sie hatte kaum ausgeredet, so stand Fergus vor ihnen. »Ich wußte doch, daß ich Euch hier finden würde, auch ohne den Beistand meines vierfüßigen Gesellen. Der Platz hier ist Floras Parnaß, Kapitän Waverley, und die Quelle da ihr Helikon.« Er schöpfte mit der hohlen Hand Wasser aus einer Quelle, die dicht neben Flora aus einem Felsen rieselte. Dann sprach er mit theatralischem Pathos: Heil, Jungfrau, Dir, am Felsenhang! Dir Freundin von gälischem Harfenklang! Du wählst zum Sitz dies schöne Land, Wo nie mein Auge ein Hälmchen fand?« [Für die Wiedergabe der gälischen Lieder ist die Verdeutschung Dr. Carl Müllers benützt worden.] »Fergus, Fergus!« rief Flora, »verschone uns, bitte, mit derlei Reimgeklingel, wie Du es liebst. Es paßt nicht zu dieser Szenerie!« »Nun, dann will ich Dir was singen von franzmännischem Geschmack! vielleicht von Corindon und Lindor, oder das Lied vom Käuzchen?« »Fergus, Du bist, scheints, von anderm Genuß begeistert, als meiner gälischen Poesie!« meinte mit leisem Vorwurf die Schwester. »Das laß ich nicht gelten, ma belle Demoiselle!« rief mit Lachen der Hochschotte. »Aber wenn Euch, Kapitän Waverley, gälischer Sang lieber ist, dann soll Euch Kathleen den Drimmindhu singen. ... Tritt her, Kathleen, und nimm die Harfe Deiner Herrin, und sing uns den Sang! Mut, Mut, mein Kind, keine Ziererei wegen des fremden Herrn!« Kathleen sang mit Lebhaftigkeit das bekannte gälische Lied, und Waverley mußte herzliche lachen über die vielen Seitensprünge, die die Melodie machte. »Hast Deine Sache gut gemacht, mein Dirndl,« sagte Fergus, als Kathleen ausgesungen hatte, »ich werde mich nächstens im Clan umschaun und Dir einen hübschen Jungen zum Manne aussuchen.« Kathleen lachte und wurde rot bis über die Ohren, fand aber Raum hinter ihrer Herrin, sich zu verbergen. Auf dem Rückweg zum Schloß drang der Häuptling in seinen Gast, seinen Aufenthalt um einige Tage zu verlängern, er habe vor, mit einigen Edelleuten der Nachbarschaft eine Jagd auf Hochwild zu veranstalten, und an ihr solle doch sein Gast teilnehmen. Floras Bardensang hatte Waverleys Herz in Fesseln geschlagen, und so willigte er in den Vorschlag, mit dem Vorbehalt, daß ein Bote zum Baron von Bradwardine gesandt werde mit einem Schreiben von ihm, in welchem er ihm von diesem Entschlusse Kenntnis geben wollte. Erst in später Stunde trennten sich die neuen Freunde nach ihrer Heimkehr auf die Burg, wo noch Spiel und Tanz die Gäste erfreute. Und lange noch lag Waverley, ohne daß sein Auge Schlaf fand, und als er eingeschlafen war, da träumte er lange, lange und süß von Flora Mac-Ivor. Zweiundzwanzigstes Kapitel Aus allerhand Ursachen war die große Jagd auf Hochwild auf drei Wochen hinaus verschoben worden. Diese Zeit verlebte Waverley mit großer Zufriedenheit in Glennaquoich, denn der Eindruck, den Flora auf sein Herz gemacht hatte, wurde täglich heftiger. Flora war auch ganz jenes weibliche Wesen, das einen Jüngling von so schwärmerischer Veranlagung wie Waverley fesseln konnte. Ihr Wesen und Benehmen, ihre Sprache und ihr Talent für Poesie und Musik erhöhten den persönlichen Liebreiz ihrer Erscheinung, so daß es kein Wunder war, daß sich Waverley bei seinem gastfreundlichen Wirte immer glücklicher fühlte und von seiner Schwester in immer größere Schwärmerei verstrickt wurde. Endlich kam die für die Jagd vorgesehene Zeit heran. Waverley reiste mit dem Häuptling nach dem für das Rendezvous erwählten Orte ab, der eine volle Tagesreise von Glennaquoich in nördlicher Richtung lag. Etwa dreihundert Mitglieder seines Clans begleiteten den Häuptling, alle aufs beste bewaffnet und ausgerüstet. Waverley hatte sich, um sich für die Strapazen, die es zu bestehen galt, am passendsten zu equipieren, dreingefunden, die Strumpfhose, die Holzschuhe und die Hochschottenmütze, die beste Tracht für solche Zwecke, anzulegen. Mit dem Kilt oder Schurz dagegen konnte er sich nicht recht befreunden. An der vereinbarten Stelle stießen mehrere Häuptlinge zu ihnen, denen Waverley feierlich vorgestellt und von denen er auf das herzlichste willkommen geheißen wurde. Es waren der Vasallen und Clansleute so viel, daß sie schier zu einem kleinen Heere anschwollen. Alles, was lehnspflichtig war, verteilte sich über das Jagdterrain und formierte sich zu einem Kreise, der sich enger und enger zusammenzog und das Jagdwild zu dem Standort der Jäger hintrieb, die unterdes, in ihre Plaids gewickelt, auf dem blühenden Heideland kampierten. Es war eine milde Sommernacht, und Waverley erschien solches nächtliche Biwak als ein recht angenehmes Vergnügen. Bei Sonnenaufgang wurde es rege im Jagdgebiet, dessen Pässe und Höhen ihr gewohntes, schweigendes, ödes Bild zeigten. Von einem Tale zum andern knallten die Schüsse, Hochschotten kletterten über Felsen, brachen durch Dickichte, wateten durch Bäche, krochen durch Büsche und Hecken und schlossen sich näher und näher zusammen; das erschreckte Wild suchte vergebens Nach einem Durchbruch durch die geschlossene Kette. Zu dem Knallen der Schüsse gesellte sich nun das Gebell der Rüden. Und endlich traten die ersten Böcke in Sicht, zu zweien oder dreien flüchteten sie den Paß entlang, und nun bewiesen die Häuptlinge, daß sie vorzügliche Schützen und feine Wildkenner waren, denn jeder suchte dem andern die feistesten Tiere vor der Nase wegzuknallen. Fergus war der beste von den Schützen, aber auch Waverley war so tüchtig, daß er sich zu verschiedenen Malen des Beifalls der Häuptlinge zu erfreuen hatte. Nun aber kam, zusammengezwängt in einen engen Kreis am Eingange des Tales der Haupttrupp des Jagdwilds einhergebraust, eine Phalanx so gewaltig, daß ihre beiden Spitzen in kurzem Abstände von der Paßhöhe einen förmlichen Wald von Geweihen bildeten. Aus der verzweifelten Stellung, die sie einnahmen, und aus dem starren Blick, mit dem sie, die Jäger maßen, die ihnen den Durchbruch wehrten, schlossen diese auf drohende, schwere Gefahr. Indes nahm das Vernichtungswerk seinen schrecklichen Anfang. Flinten und Büchsen knallten ununterbrochen, Doggen und Jäger waren bei voller Arbeit, und endlich rasten die Tiere, zur Verzweiflung getrieben, zu der Stelle hin, wo die Häuptlinge ihren Stand hatten. Es wurde gerufen, sich zu Boden zu werfen, aber Waverley, des Gälischen unkundig, wäre beinahe verunglückt, wäre nicht Fergus, die Gefahr erkennend, an seine Seite gesprungen und hätte ihn zu Boden gerissen, gerade in dem Augenblick, als das Rudel auf sie zustürzte. Solcher Ansturm von gehörntem Wild ist höchst gefährlich, da es keinen Widerstand dagegen gibt, und Wunden, durch Hirschgeweih verursacht, sind sehr schlimmer Art. So hatte denn Waverley die Rettung aus einer sehr schweren Lebensgefahr einzig und allein der Entschlossenheit und Geistesgegenwart seines Wirtes zu verdanken. Mit starkem Arm hielt Fergus den englischen Junker so lange am Boden, bis das Rudel von Hirschen vorbeigebraust war. Nun versuchte Waverley aufzustehen, merkte aber, daß er sich den Knöchel stark verrenkt hatte, so daß er nicht stehen konnte. Wenn auch die Hochschotten auf derlei Zwischenfälle immer gefaßt sind, so störte es doch im vorliegenden Falle die Heiterkeit der Gesellschaft. Es wurde aus Aesten und Zweigen eine Hütte aufgeschlagen und Edward auf ein Lager von Heidekraut gebettet. Ein alter Graubart von Hochschotte, der als Wundarzt und Zauberer bei dem Clan amtierte, mit einem Bart so lang, daß er ihm bis auf die Kniee reichte, nahte sich mit allerhand Zeremonien dem Patienten, ließ ihm geschickt zur Ader und umwickelte ihm den kranken Knöchel mit Blätterlaub, dann braute er aus Kräutern einen Brei, den er, so warm ihn Edward vertragen konnte, um den Knöchel legte. Dann umkreiste er mit allerhand Formeln und Hokuspokus das Lager des Kranken und murmelte die verschiedensten Zaubersprüche. Als nun die warmen Breiumschläge Besserung brachten, stimmten alle Anwesenden mit in die Zaubersprüche ein, denen der glückliche Erfolg der wundärztlichen Behandlung beigemessen wurde. Zu seiner lebhaften Verwunderung bemerkte Edward, daß auch Fergus dem Hokuspokus des alten Gälen Glauben beizumessen schien, er ließ sich aber auf keine Auseinandersetzungen ein, sondern reichte dem Gälen ein ordentliches Trinkgeld, worauf dieser mit Segenswünschen für den »Sidier Roy« kein Ende finden wollte. Kaum war Waverley allein, so warf ihn die Erschöpfung auf daß Lager, und er sank in einen tiefen Schlaf, eine Folge zum Teil der übergroßen Strapazen, die er ausgestanden hatte, zum größern Teil aber eines Tranks, den ihm der gälische Zauberdoktor eingegeben hatte. Am andern Morgen entstand die Frage, was mit dem Patienten anzufangen sei? Sie wurde von Fergus gelöst, der eine Sänfte aus Birkenreisig und Haselruten herrichten ließ, die von seinen Leuten mit großer Behutsamkeit und Geschicklichkeit auf den Schultern getragen wurde. Von diesem erhöhten Standpunkt aus gewährte nun Edward die Szene einen außerordentlichen Genuß. Die einzelnen Clans sammelten sich nun wieder, jeder auf das ihm zugehörige Dudelsacksignal hin, um an den Berghängen hinauf mit der ihnen zugefallenen Jagdbeute heimzumarschieren. Ihre Mützenfedern und Plaids flatterten im Hauche des Frühwinds, und ihre Waffen blinkten im Scheine der aufgehenden Sonne. Die meisten Häuptlinge traten zu Edward, um sich von ihm zu verabschieden, Fergus trug aber Sorge, daß diese Abschiedsszenen möglichst abgekürzt wurden. Als sich der Clan Mac-Ivor gesammelt hatte, trat auch Fergus den Rückmarsch an; unterwegs aber unterrichtete er Edward, daß er, da seine Mannen nun einmal in Feldausrüstung unterwegs seien; es vorzöge, sie einen Seitenmarsch ausführen zu lassen, sobald er Waverley bei einem befreundeten Edelmann untergebracht hätte, an dessen Hofe sie vorbeikämen. Er würde jedoch nicht lange wegbleiben, sondern sich möglichst beeilen, schnell wieder bei ihm zu sein. Um Mittag herum, nach einem mühsamen Marsche, den der Transport der urwüchsigen Trage erheblich beschwerte, erreichte man die Behausung des Schotten, von dem Fergus gesprochen hatte. Es war ein Greis von siebzig Jahren, der echte Patriarch seiner Scholle, der nichts andres auf dem Leibe trug, als ihm sein Grund und Boden brachte. Sein Kittel bestand ans dem Vlies der Schafherde, die er hielt, war von seinem Gesinde gewebt und über Kräutern und Pflanzen von den Bergen seiner Heimat tartanartig gefärbt, sein Leinenzeug war aus dem Flachs seiner Felder gesponnen, und seine Tafel, eine so reiche Abwechslung sie auch bot, an Fischen sowohl als an Wildbret, war völlig frei von ausländischer Speise und ausländischem Trank. Hier war Waverley gut aufgehoben während der Zeit, die Fergus zu seinem Abstecher gebrauchte. Als Fergus sich von ihm verabschiedete, gab er der Hoffnung Ausdruck, daß Waverley dann im stande sein werde, ihn auf einem Klepper des Patriarchen nach Glennaquoich zurückzubegleiten. Als der Morgen graute, brach Fergus auf mit seinen gesamten Mannen bis auf einen einzigen, Callum-Beg, den er zur Pflege Edwards zurückließ. Auf seine Frage, wohin sich der Häuptling gewandt habe, lächelte der Greis geheimnisvoll und sah Edward mit festem Blick an. Dann antwortete er mit einem gälischen Sprichworte: »Warum die Boten zur Hölle mußten? Weil sie fragten, was sie schon selber wußten.« Er wollte weiter fragen, aber Calum-Beg sagte zu dem Greise, wie es Waverley vorkam, einigermaßen vorlaut, sein Häuptling habe gesagt, der englische Edelmann solle mit Reden so viel wie möglich verschont werden. Hieraus schloß Waverley, daß es seinem Freunde nicht angenehm sein möge, wenn er erführe, wohin sich derselbe gewandt habe. Mit einem Haufen von etwa zwanzig Mann kam am Morgen des sechsten Tages Fergus zurück, und da Edward bereits so weit wiederhergestellt war, daß er am Stocke gehen konnte, meinte Fergus, er würde den Ritt nach Glennaquoich wohl aushalten können. Edward machte mit einer kurzen Strecke einen Versuch; er fand, daß es, wenn auch nicht ohne Mühe, ging, und so ritten die beiden Freunde, unter dem Geleit der zwanzig Mann, die Fergus wieder mitgebracht hatte, in fröhlichster Laune nach Glennaquoich. Nicht lange währte es nun, so erblickte Waverley wieder die schöne Gestalt der von ihm vergötterten Flora, die ihm mit großer Herzlichkeit und lebhaftem Bedauern über das ihm widerfahrene Mißgeschick entgegenkam und ihm die inzwischen für ihn eingelaufenen Briefe behändigte. Dann übergab sie auch ihrem Bruder, was außer dem »Kaledonischen Kurier«, damals der einzigen Zeitung Schottlands, an Postsachen für ihn eingelaufen war. Hierauf zogen die beiden Männer sich zurück, um ihre Briefschaften zu lesen, und Edward ersah schnell, daß für ihn Mitteilungen recht belangreicher Natur eingelaufen waren. Dreiundzwanzigstes Kapitel Was Edward bisher von Briefen nach Glennaquoich bekommen hatte, war für den Verlauf unsrer Erzählung von keinem Belang, der Erwähnung also nicht wert. Anders heute. Es waren verschiedne Briefe auf einmal angelangt, und alle handelten von dem gleichen Thema. Die Partei, zu der sein Vater gehalten hatte, und der er sein Amt und seine Einnahmen verdankte, war gestürzt worden, und sein Vater war um Amt und Einnahmen gekommen. Der erste Brief, den er las, war von seinem Vater. Es war ein Meisterstück in seiner Art, dieses Schreiben. Kein Aristides hätte das Thema mit traurigeren Worten schildern können. Am Schlusse jedes Satzes kamen die Klagen wieder über ein ungerechtes Vaterland und einen undankbaren Herrscher. Er betonte seine lange Dienstzeit, die freiwilligen Opfer, die er gebracht habe, wenngleich es ihm hätte schwer fallen sollen, dieselben nachzuweisen, sie hatten denn gerade darin gesucht werden müssen, daß er sich weniger aus Ueberzeugung als vielmehr, in der Hoffnung auf materielle Vorteile der Tory-Partei angeschlossen hatten im Gegensatz zu den alten Traditionen des Hauses. Am Schlusse des Briefes verstieg sich sein Aerger so weit, daß er mit Rache drohte, trotzdem sie weder am Platze noch ausführbar für ihn war, und daß er seinem Sohne nahe legte, im Hinblick auf die ungerechte Behandlung, die man seinem Vater angetan hatte, ohne weiteres den Dienst beim Heere zu quittieren. Seines Wissens sei dies auch der Wunsch seines Bruders, also Edwards Oheims, worüber er sich vorbehalte, ihm noch in ehester Zeit zu schreiben. Der zweite Brief war von Sir Everard. Das Mißgeschick, das dem Bruder widerfahren war, schien allen Groll aus seinem Herzen, getilgt zu haben, und da es ihm verschlossen war, Kenntnis davon zu bekommen, daß Richard nicht ohne Grund und Ursache in solches Mißgeschick geraten war, sondern es sich zum nicht geringen Teil selbst beizumessen hatte infolge von mancherlei Ränken, die er getrieben, so schilderte Sir Everard seinem Neffen die Sache als einen neuerlichen Beweis für den Undank und die Ungerechtigkeit der zurzeit im Lande am Ruder befindlichen Regierung. Freilich lasse sich eins dabei nicht verheimlichen, daß solche Unwürde dem Hause Waverley-Würden nie hätte widerfahren können, wenn Edwards Vater es sich überhaupt nie hätte einfallen lassen, seine Dienste dieser Regierung anzubieten. Indessen hege er nun keinen Zweifel mehr, daß sich sein Bruder seines Unrechts, vollständig klar sein und es billigen werde, daß sich nun er nach Möglichkeit bemühen wolle, Vorkehrungen zu treffen, daß dieses Mißgeschick nicht ökonomischen Nachteil für ihn habe, denn für das Haus Waverley-Würden sei es vollauf genug, solche Unwürde erlitten zu haben. Da nun Edward als Stammhalter des Hauses dastehe, sei es sowohl seine wie seines Vaters Meinung, daß er sich nicht der Gefahr aussetzen dürfe, solcher Kränkung, wie der Vater, nun selbst noch ausgesetzt zu sein. Deshalb erachte er es für angezeigt, daß Edward jede schickliche Gelegenheit benutzen solle, dem Kriegsministerium den Dienst zu quittieren, wobei er am besten tun werde, die gleiche Rücksichtslosigkeit zu üben, die gegen seinen Vater geübt worden sei. Zum Schlusse bat er noch, dem Baron Bradwardine tausend beste Empfehlungen zu bestellen, und zwar an ihn persönlich wie sein Haus. Ein Schreiben von Tante Rachel sprach sich noch deutlicher und kräftiger aus. In ihren Augen sei die Ungnade, die über den Bruder gekommen sei, eine ganz gerechte Strafe dafür, daß er dem, wenn auch in Verbannung befindlichen, so doch einzig legitimen Königshaus die Treue gebrochen habe dadurch, daß er bei dem Usurpator einen Dienst angenommen habe. Solcher Nachgiebigkeit habe sich ihr Großvater weder gegen das presbyterianische Parlament der Rundköpfe, noch gegen Cromwell selbst schuldig gemacht. Und dabei hätte doch sein Leben in höchster Gefahr gestanden. Darum hoffe sie, daß ihr treuer Edward in die Fußstapfen seiner Ahnen treten und das Joch der Sklaverei, in das ihn der Vater in seiner Verblendung gespannt habe, so schnell wie möglich von sich streifen werde. Sie schloß gleichfalls mit allen guten Wünschen für den Baron von Bradwardine und fragte an, ob seine Tochter Rosa nun groß genug sei, ein Paar hübsche Ohrringe zu tragen, die sie ihr zugedacht habe. Auch lasse sie den Baron fragen, ob er noch immer so flott und fleißig tanze wie vor dreißig Jahren, als er Gast in Waverley-Würden war. Ueber diese Briefe war Edward, wie sich wohl denken läßt, äußerst erregt. Ihm, selbst mangelte es, infolge seiner blinden Lesewut, an einem festen Urteil über politische Grundsätze und Meinungen, und er war deshalb nicht in der Lage, zu der Kränkung, die seinem Vater vermeintlicherweise widerfahren, eine bestimmte Meinung zu fassen. Mit der eigentlichen Ursache, die dem Fall zu grunde lag, war er völlig unbekannt, er hatte keinen Einblick in die Intrigen, in die sein Vater sich verstrickt hatte, und sie entzogen sich seiner Beurteilung genau so, wie sie sich seinem Oheim verschlossen hätten. Er überließ sich mithin genau demselben Grade von Unwillen, der sich seiner Verwandten bemächtigt hatte, denen übrigens das beste Recht zustand, sein Verhalten zu beeinflussen und zu leiten. Kein Wunder, daß ihm in solcher Lage um so schärfer bewußt wurde, daß ihm im grunde seine Garnison recht wenig behagte, und daß er sich der unbedeutenden Rolle, die er dort als Offizier spielte, um so stärker bewußt wurde. Immerhin wäre er sich über sein Verhalten wohl noch unschlüssig geblieben, wäre ihm nicht auch zu gleicher Zeit ein Schreiben zugegangen von dem Kommandierenden seines Regiments, das folgenden Wortlaut hatte: »Herr Kapitän! Ich habe nun, fast über die Grenzen meiner Kompetenz, Nachsicht geübt gegen Verirrungen, die nur aus jugendlicher Unerfahrenheit hervorgehen konnten; aber leider, ohne allen Erfolg. Ich sehe mich nunmehr gezwungen, das letzte Mittel in Anwendung zu bringen, das mir zusteht, und beordre Euch, binnen drei Tagen in Eurem Standquartier Euch zu gestellen, widrigenfalls ich dem Kriegsministerium unverzüglich melden werde, daß sich Kapitän Waverley ohne Urlaub von seinem Regiment entfernt hat. Die Schritte, die sodann zu ergreifen sein würden, dürften dem Kapitän nicht minder unangenehm sein wie Eurem gehorsamen Diener I. G., Oberst und Kommandeur.« Edwards Blut geriet in Wallung bei der Lektüre dieses Briefes. Seit frühester Kindheit war er gewöhnt, über seine Zeit fast unbeschränkt zu gebieten. Die strenge militärische Disziplin war ihm infolge dessen von Grund, seines Herzens aus zuwider. Zudem hatte sich bei ihm der Gedanke festgesetzt, daß man es bei ihm in dieser Hinsicht nicht so genau nehmen werde, und hierin hatte ihn die bisherige Nachsicht seines Obersten bestärkt. Es war ihm deshalb vollständig unbegreiflich, was denselben so, plötzlich zu diesem barschen Tone hatte bringen können, wenn nicht ein ursächlicher Zusammenhang vorlag mit der Angelegenheit, über die ihn die Briefe seiner Verwandten unterrichteten, daß man also gegen ihn in derselben Weise vorzugehen beabsichtige, wie gegen seinen Vater, und daß das Ganze darauf abziele, die Familie Waverley zu unterdrücken und zu demütigen. Unklar darüber, wie er solches Schreiben abzufassen habe, durch das er seinen Dienst quittieren wollte, beschloß er, sich an Fergus Mac-Ivor um Rat zu wenden. Er traf ihn noch über der Lektüre der Zeitung, die ihm die Post gleichzeitig gebracht hatte. »Habt Ihr etwa Briefe bekommen, Kapitän Waverley, die Euch die unwillkomne Nachricht melden, die sich hier in diesen Blättern abgedruckt findet?« fragte Fergus Mac-Ivor mit der befangenen Miene eines Mannes, der jemand etwas Unangenehmes mitzuteilen hat. Fergus gab Waverley eine Zeitungsnummer in die Hand, in welcher über dem an seinem Vater begangenen Akt der Ungnade in einer für denselben höchst unangenehmen Weise berichtet wurde. Und am Schlüsse des Abschnitts stand die seltsame Notiz: »Hierzu sei noch bemerkt daß, wie aus andrer Stelle (unter der Rubrik Amtliches) der heutigen Zeitung ersichtlich ist, dieser Richard Waverley, nicht das einzige unwürdige Mitglied des Hauses Waverley-Würden ist.« Mit Hast und bangem Argwohn blickte unser Held in der bezeichneten Stelle der Zeitung nach und fand die amtliche Mitteilung: »Kassiert wurde wegen Fernbleibens vom Regiment ohne Urlaub Edward Waverley, Kapitän im ...ten Dragoner-Regiment.« Unter Rubrik »Beförderungen« las er wenige Zeilen weiter unten, die andre Notiz: »Leutnant Jul. Butler an Stelle des kassierten Edward Waverley zum Kapitän avanciert im ...ten Dragoner-Regiment.!« In der Brust unsers Helden tobte jene Wut, die jede unverdiente, den Anschein nach wohlberechnete Beschimpfung bei einem rechtlich denkenden Menschen erwecken muß, der sich immer redlich bemüht hat, seine Ehre heilig zu halten, und den man unvermutet dem Spott und Hohne des Publikums preisgibt. Ein Vergleich zwischen dem Datum des Briefes und dem der Zeitungsnotiz ergab, daß der Oberst seine Verwarnung buchstäblich wahr gemacht hatte, und zwar, dem Anschein nach, ohne sich darüber vergewissert zu haben, ob sein Brief auch rechtzeitig in Waverleys Hände gelangt sei, daß er der Aufforderung hätte entsprechen können. Ihm erschien also das Ganze wie ein wohldurchdachter Plan, ihn und seine Familie in der Oeffentlichkeit zu brandmarken. Der Gedanke, daß dieser höllische Anschlag auch vollständig geglückt sei, drohte ihn rasend zu machen, und er warf sich tief erschüttert Fergus Mac-Ivor in die Arme. Fergus war nicht der Mann, sich gegen Unglück von Freunden teilnahmlos zu verhalten. Der ganze Hergang erschien ihm ebenso ungewöhnlich und auffällig wie Edward selbst. Zwar wären ihm für die Order, die Edward zum Regiment zurückrief, mehr Ursachen bekannt als Edward selbst. Aber daß der doch als human und leutselig bekannte Oberst auf eine so überaus schroffe Weise hatte vorgehen können, erschien ihm als ein äußerst auffälliger Umstand, dessen Gründe sich seiner Erkenntnis vollständig verschlossen hielten. Indessen tat er sein möglichstes, seinen Freund zu beruhigen, und benützte sodann diesen günstigen Anlaß, das Gemüt desselben für die Rache zu bereiten. Edward ging begierig hierauf ein. »Würdet Ihr, Fergus, dem Obersten meine Herausforderung, überbringen und mich so zu Eurem dauernden Schuldner machen?« Fergus schwieg eine Weile. Dann erwiderte er: »Es wäre ein Freundschaftsdienst, der wohl nicht zu dem Ziele führen möchte, das Euch vorschwebt, denn ich bezweifle, ob Euer Kommandeur sich fordern lassen werde wegen einer dienstlichen Maßregel gegen Euch, zu der er schließlich durch seine Pflicht als solcher berechtigt gewesen sein dürfte. Die Grenzen derselben wird er, so schroff auch sein Vorgehen gegen Euch genannt werden muß, nicht überschritten haben. Im übrigen darf ich mich im gegenwärtigen Augenblick aus sehr wichtigen Gründen in kein Standquartier der zurzeit am Ruder befindlichen Regierung begeben.« »Soll ich dann ruhig hier sitzen bleiben und die Beleidigung auf mir ruhen lassen, die solche Behandlung mir antut?« »Das möcht ich nicht empfehlen, Freund. Ich würde jedoch an Eurer Statt am Haupt meine Rache kühlen, nicht an der Hand. Ich würde mich auflehnen gegen die tyrannische Regierung, die solche wohlberechnete Beschimpfung anordnete, nicht an den Werkzeugen, die sie dazu benützte.« »An der Regierung?«^ »Allerdings! an dem Hause Hannover, das den Thron Englands widerrechtlich bestiegen hat, und dem Euer Großvater auch nie gedient hätte, geschweige denn sich Sold hätte von ihm auszahlen lassen.« »Aber seit meines Großvaters Ableben haben zwei Generationen dieses Königshauses den Thron inne gehabt!« »Allerdings! weil wir ihm mit Geduld und Ruhe Zeit gelassen haben, den wahren Charakter zu offenbaren! weil wir in sklavischer Unterwürfigkeit hingeträumt und uns so in seine Herrschaft hineingedacht und hineingefunden haben, daß wir sogar Dienste bei ihm genommen haben, so daß sich jetzt bequeme Gelegenheit findet, uns in der Oeffentlichkeit herabzusetzen dadurch, daß man uns dieser Dienste eigenwillig enthebt! Sind wir nicht auf dem Punkte angelangt, einen Schimpf zu rächen, den unsre Vater wohl gefürchtet, den wir aber an unserm Leibe empfunden haben? oder ist das königliche Haus der Stuarts darum weniger loyal, weil seine Ansprüche an einen Erben übergangen sind, den an keiner jener üblen Handlungen, die man der Regierung seines Vaters zur Last legen zu sollen meint, auch nur die geringste Schuld trifft? ...Aber kommt! überlaßt es mir, Euch einen ehrenvollen Weg zu zeigen, wie Ihr Euch in der Öffentlichkeit rehabilitieren und zugleich schnelle Rache nehmen könnt! Suchen wir Flora auf, die vielleicht noch weitre Neuigkeiten für uns hat, die sich während unsrer Abwesenheit zugetragen haben. Zuvor setzt, aber Eurem Briefe eine Nachschrift bei, in welcher Ihr die Zeit vermerkt, in welcher Ihr von diesem kalvinistischen Obersten die erste Aufforderung, Euch wieder zum Dienste zu melden, bekommen habt, und Euer Bedauern darüber zum Ausdruck bringt, daß sein eiliges Verfahren Eurem Entschlüsse, den Dienst zu quittieren, zuvorgekommen ist. Und dann überlaßt es ihm, sich solcher sklavischer Dienstwilligkeit zu schämen.« Der Brief wurde gesiegelt und einem direkten Boten zur Besorgung nach dem nächsten Postamt im Unterlande übergeben. Er enthielt die Aufkündigung von Waverleys Dienstverhältnis. Vierundzwanzigstes Kapitel Der Häuptling hatte nicht ohne Grund auf seine Schwester angespielt. Das Interesse, das Waverley Ihr entgegenbrachte, hatte er mit innerer Freude wahrgenommen und für den weitern Verlauf dieser Herzensangelegenheit keine andern Hindernisse gesehen, als die Stellung von Waverleys Vater im Ministerium und Waverleys Offizierscharge im britischen Heere. In jeder weitern Hinsicht konnte ihm eine Verbindung nur erwünscht und angenehm sein, die seiner von ihm über alles geliebten Schwester eine glückliche Zukunft und sichre Versorgung bot. Und wie bedeutend mußte sein eignes Ansehen in den Augen des Erben der Stuarts steigen, dem er seine Dienste geweiht hatte, wenn es ihm noch gelänge, ein festes Band mit jenem alten Geschlecht Englands zu knüpfen, das noch ganz in den Traditionen des alten Adels lebte, und dessen Beitritt zur Sache der Stuarts von der größten Wichtigkeit sein mußte. In solchen, Gedanken führte nun Fergus seinen Freund zur Schwester, nicht ohne Hoffnung, daß die Gemütserregung, in der er sich zurzeit befand, seine Erklärung beschleunigen werde. Sie trafen Flora in Gesellschaft ihrer beiden getreuen Dienerinnen Una und Kathleen, wie es Waverley vorkam, mit bräutlichen Arbeiten beschäftigt. So weit es ihm möglich war, verbarg Waverley die Unruhe seines Herzens und fragte nach der Ursache zu solcher Vorbereitung. »Für meines Bruders Hochzeit,« antwortete sie mit Lächeln. »Nun, das muß ich sagen, Geheimnisse weiß Fergus zu hüten! mit keiner Silbe hat er davon gesprochen. Ich will hoffen, daß er mir die Rolle eines Brautführers zugedacht hat? Und wer ist, wenn ich fragen darf, die Glückliche?« »Sagte ich Euch denn nicht schon einmal, daß Fergus um keine andre Braut freien werde als um   Ehre?«, »Und bin ich bei solcher Minne unfähig, ihm Freund und Genoß zu sein?« fragte Waverley. »Stehe ich so tief in Eurem Ansehen, teure Flora?« »Im Gegenteil, Kapitän Waverley! Möchte der Himmel wenden, daß Eure Wege die unsrigen seien!« »Schwester,« fiel hier Fergus ein, »die Zeit ist vorbei, da er Sklave eines Thronräubers war. Wir dürfen jetzt Edward Waverley gratulieren mit Hinweglassung des Kapitänstitels.« »Ja,« stimmte Waverley bei, indem er die Kokarde von seinem Hute löste, »es hat dem Könige beliebt, dies Zeichen, mit dem er mich zuerst beehrt hat, auf eine Weise wieder von mir zu nehmen, die es mir nicht erlaubt, Bedauern darüber zu fühlen.« »Gott sei Dank!« rief Flora aus tiefstem Herzen. »Möchten sie doch noch recht oft so verblendet sein, Männer, die ihnen ihre Dienste zu weihen loyal genug waren, auf solch schändliche Weise der Lust dazu zu berauben!« »Und nun, Schwester, gib ihm statt dieser Kokarde eine andre, von frischerm Aussehen, von kräftigerer Farbe! Meines Wissens war es Aufgabe der Damen, den Rittern die Waffen, zu reichen und sie zu Heldentaten zu spornen.« »Nicht früher werde ich solches tun, Fergus, als bis der Ritter Recht und Gefahr der Sache, der er seinen Dienst weihen soll, selbst und reiflich erwog. Zurzeit ist jedoch Mr. Waverley noch zu sehr unter der Herrschaft erregter Empfindungen, als daß ich es auf mich nehmen mochte, ihn zu solchem Entschluß von hoher Tragweite zu bestimmen.« Halb erschrocken, ein Abzeichen anzulegen, das von dem größern Teile der Monarchie für das Zeichen des Aufruhrs betrachtet wurde, anderseits wieder betroffen über die Kälte, mit der Flora dem Bruder geantwortet hatte, erwiderte er, nicht frei von Bitterkeit: »Miß Mac-Ivor hält, wie ich sehe, den Ritter einer Aufmunterung und Gunst nicht für würdig.« »Nicht also, Mr. Waverley,« versetzte sie in freundlichem Tone. »Warum sollte ich dem Freunde des Bruders das weigern, was ich seinem ganzen Clan spende? Der Sache, der sich mein Bruder geweiht hat, werbe ich mit Freuden jeden Mann von Ehre. Er aber hat, was er getan, mit offnen Augen getan, von der Wiege an ist sein Leben dieser Sache geweiht, ihm gilt sie heilige und sollte sie ihm auch ein Ruf zum Grabe sein. Aber wie könnte ich es auf mich nehmen wollen, Mr. Waverley, der Ihr doch so jung in die Welt getreten seid, dem jeder Freund so fern ist, ihm zu raten, seine Schritte zu leiten, in einem Augenblick noch dazu, wo sein Gemüt erschüttert ist durch ungerechte Kränkung,   wie könnte ich es auf mich nehmen wollen, Euch in solch verzweifelte Unternehmung zu stürzen?« Fergus, außer stande, solche zarte Rede zu verstehen, schritt, die Zähne zusammenbeißend, in der Stube auf und ab; endlich sagte er mit mühsam erzwungner Ruhe: »Recht so, Schwester, ich habe nichts dawider, daß Du, Deine Rolle als Vermittlerin zwischen dem Kurfürsten von Hannover und den Untertanen Deines angestammten Fürsten und Wohltäters in der begonnenen Weise zu Ende spielst!« Mit diesen Worten verließ er das Zimmer. Eine ernste Pause folgte. Endlich nahm Miß Mac-Ivor wieder das Wort. »Mein Bruder ist so unbillig,« sagte sie,»daß er keine Zögerung abwarten kann, die seinen loyalen Eifer irgendwie hemmt.« »Ihr teilt also seinen Feuereifer nicht, Miß Flora?« »O, im Gegenteil!« rief sie. »Gott im Himmel weiß, daß meine Begeisterung vielleicht noch heiliger glüht als die seinige. Aber mich leitet der Lärm kriegerischer Rüstungen nicht von der sorgsamen Erwägung alles Für und Wider, das es bei solch großer Unternehmung zu erwägen gibt, ab; ich halte die Grundsätze der Gerechtigkeit und Wahrheit, auf der unsre Sache fußt, für viel zu heilig, um sie durch momentane Rücksichten, auch nur im leisesten zu irritieren oder irritieren zu lassen. Ebenso trage ich die feste Ueberzeugung in mir, daß sie nur durch Maßregeln gefördert werden kann, die an sich wieder ebenso wahr und gerecht sind. Eure jetzige Stimmung aber zu benutzen, um Euch zu einem Schritt zu veranlassen, der unwiderruflich sein müßte, dessen Loyalität und Gefahr Ihr noch nicht ermessen konntet, würde nach meinem Dafürhalten weder gerecht sein, noch auf beiderseitiger Wahrheit beruhen können.« »Edle Flora!« rief Waverley begeistert, indem er ihre Hand ergriff, »wie sehr tut mir solche Führerin not!« »Eine bessere wird Mr. Waverley immer in seiner eignen Brust finden,« sagte Flora, ihre Hand der seinigen entziehend, »sofern er nur auf die Stimme derselben achten will!« »Nein, Miß Mac-Ivor, solche Hoffnung darf ich nicht fassen, denn tausenderlei Umstände haben mich mehr zu einem Werkzeug der Einbildungskraft gemacht, als der Vernunft. Dürfte ich hoffen, daß Ihr mir eine teilnehmende Freundin sein wollt, deren Beistand mich aus meinen Irrungen leitet, zeit meines künftigen Lebens ... könnte ich wähnen ...« »Still, Teuerster, still! Die Freude darüber, daß Ihr glücklich den Händen eines jakobitischen Werbeoffiziers wieder entronnen seid, verleitet Euch zu überströmenden Dankbarkeitsempfindungen ...« »O, teure Flora,« bat Waverley, »treibet nicht langer Spiel mit mir! Ihr könnt unmöglich die Bedeutung der Empfindungen mißverstehen, die ich fast unwillkürlich zu erkennen gegeben habe! Und da ich nun einmal die Fesseln des Schweigens gebrochen habe, so vergönnet mir nun auch, die Früchte meiner Kühnheit zu pflücken   oder soll ich, mit Eurer Gewährung, dem Bruder offenbaren, was        « »Nein, nein, Mr. Waverley, um alles in der Welt nicht!« »Was muß ich hören? Sollte etwa ein Hindernis ...ein älteres Versprechen...« »Keineswegs, Herr! Ich bin es mir selbst schuldig, Euch zu, bekennen, daß mein Auge die Person noch nicht erblickte, die sich, veranlaßt durch den Gegenstand unsrer jetzigen Unterhaltung meinen Gedanken hätte ...« »Miß Flora,« fiel ihr Mr. Waverley in die Rede, »die kurze Bekanntschaft     vielleicht, wenn Miß Flora mich noch eine Zeitlang prüfen wollte ...« »Auch hierin wollt Ihr nicht den Grund für mein Zaudern erblicken! Waverleys Charakter liegt so offen, so klar, so natürlich, daß ein Irrtum über ihn nicht möglich ist, weder in den Eigenschaften seiner Stärke noch seiner Schwäche.« »Und um der Eigenschaften willen, die meine Schwäche bilden, verschmähet Ihr mich?« »Verzeiht mir, Mr. Waverley, und bedenket, daß noch vor einer halben Stunde eine unübersteigbare Schranke zwischen uns stand, daß ich vor einer halben Stunde doch noch nicht anders über unsre Beziehungen denken konnte, als die einer flüchtigen Bekanntschaft. Vergönnt mir also Zeit zur Erwägung, laßt mich erst hineindenken in eine Angelegenheit, die mir in nicht geringem Grade überraschend kommt. Nach Verlauf einer Stunde werde ich Euch Gründe angeben können für den Entschluß, den ich fassen werde, die, wenn sie Euch vielleicht nicht befriedigen, so doch als genügend erscheinen werden,« Mit diesen Worten verließ Flora das Zimmer und überließ Waverley seinem Sinnen über die Aufnahme, die seinem Antrage bereitet worden war. Ehe er sich noch darüber klar geworden war, ob ihm, Ursache zur Hoffnung bleibe oder nicht, trat Fergus wieder in das Zimmer. »Was, á la mort! Waverley!« rief er. »Kommt mit mir in den Hof, da sollt Ihr einen Anblick genießen, der genau so viel wert ist, wie all Eure romanhaften Tiraden. An die hundert Feuergewehre, bester Freund, und ebenso viel Schwerter, die von guter Hand gekommen sind; dann an die dreihundert Burschen, die sich darüber streiten, wer zuerst eins in die Hand bekommen soll. ... Aber was ist Euch denn in die Krone gefahren? ... Fürwahr, man sollte meinen, Euch hätte ein böser Blick getroffen! Sollte Euch das alberne Ding von Mädel um Euren Humor gebracht haben? ... Schlagt sie Euch aus dem Sinne, Kamerad! die Weiber haben durchweg einen Klaps, die müßt Ihr beizeiten betrachten lernen en musquetaire.« Mit Lachen nahm er Waverley unter den Arm und zog ihn in den Hof, ihm seine kriegerischen Zurüstungen zu zeigen. Fünfundzwanzigstes Kapitel »Wollt Ihr denn so schnell zu Felde ziehen, Fergus Mac-Ivor,« hub Waverley an, als sie angesichts der Kriegsmannen standen, »daß Ihr überall diese Zurüstungen mit solcher Energie trefft?« »Wenn Ihr willens seid, Euch uns anzuschließen, so sollt Ihr alles erfahren, andernfalls dürfte es für Euch eher von Nachteil sein, über die Dinge etwas zu hören.« »Wollt Ihr denn aber wirklich mit solch geringer Macht gegen eine festgefügte Regierung Euch erheben? Das ist doch heller Wahnsinn.« »Laissez donc faire à Don Antonio!« [Laß ihn doch machen, den Don Antonio] Ich werde Vorsicht üben, werde verfahren wie Conan, der keinen Streich hinnahm, ohne einen zu versetzen, und werde erst losschlagen, wenn dazu die Zeit gekommen ist. ... Und nun noch einmal, Waverley! wollt Ihr der unsre sein und hören, was im Werke ist?« »Wie könnte ich, Fergus? habe ich doch bis vor knapp einer Stunde des Königs Rock getragen, und habe ich ihn nicht angezogen unter dem Gelöbnis der Treue gegen die bestehende Regierung?« »Uebereilte Versprechen sind keine Handfesseln! Aber eins laßt Euch gesagt sein, Waverley! könnt Ihr nicht auf der Stelle Euch zur Rache entflammen, so begebt Euch wieder nach England, und ehe Ihr über den Tweed hinüber seid, wird Euch die Kunde erreichen von Ereignissen, von denen die Welt widerhallen wird. Wenn aber Sir Everard noch jener wackre Kavalier ist, wie ihn mancher von unsern wirklich adligen Edelleuten mir aus dem Jahre 1715 geschildert hat, dann wird er Euch zu einer tüchtigeren Reiterschar zu edlerem Zwecke helfen, als wie Ihr sie eingebüßt habt.« »Aber Eure Schwester, Fergus?« »Könnt Ihr denn immer bloß von Weibern reden?« »Ich fühle, daß das Glück meines Lebens von der Antwort abhängen muß, die mir Miß Mac-Ivor erteilen wird auf die Frage, die ich Ihr heute morgen gestellt habe.« »Sprecht Ihr im Ernst, Waverley? oder leben wir im Land der Träume und Märchen?« »Mein voller Ernst, Fergus! Wie könntet Ihr meinen, daß ich Scherz treiben könnte mit solchen Dingen?« »Nun, aufrichtig gesagt, ich freue mich darüber, aber ehe Ihr mir die Hand so warm schüttelt, gibt es doch mancherlei noch zu erwägen! ... Wird Eure Familie damit einverstanden sein, daß Ihr die Schwester eines adligen Bettlers der Hochlande zur Ehe nehmt?« »Grundsätze und Verhältnisse meines Oheims lassen mich, abgesehen von seiner Gewohnheit gegen mich, wohl mit Zuversicht annehmen, daß er bei solcher Verbindung auf nichts andres sehen wird, als auf Geburt und persönliche Vorzüge. Und wo wären diese beiden Bedingnisse in edlerer Form zu finden, als bei Eurer Schwester?« »O, cela va sans dire! [Das versteht sich von selbst] nirgendswo anders!« rief Fergus. »Aber Euer Vater wird von seinem Vorrecht, das letzte Wort in solcher Frage zu haben, nicht abstehen wollen!« Hierauf Waverley: »Allerdings nicht; aber sein Bruch mit der Regierung beseitigt wohl jeden Einwand nach dieser Seite hin? zumal ja mein Onkel mich in meiner Absicht unterstützen und mir bei ihm das Wort reden wird.« »Mag sein. Aber die Religionsfrage? wir sind ja freilich keine strengen Katholiken ...« »Meine Großmutter war auch katholischen Glaubens, und man hat es ihr niemals zum Vorwurf angerechnet. Indessen, lieber Fergus! beschäftiget Euch nicht sowohl mit der Frage meiner Verwandtschaft als übt auf Eure Schwester jenen brüderlichen Einfluß, der nicht verfehlen kann, sie meinem Antrag günstig gesinnt zu stimmen.« »Mein liebes Fräulein Schwester, bester Waverley, hat in allen Dingen, die sie persönlich angehen, vollständig ihren Kopf für sich, da wird sich wenig von mir tun lassen; immerhin will ich Euch Rat und Beistand nicht vorenthalten. ... So will ich Euch denn gleich einen ersten Wink geben. Vorherrschende Passion bei ihr ist Treue gegen das Königshaus Stuart, und seit sie ein englisches Buch lesen kann, schwärmt sie für den Kapitän Wogan, der dem Usurpator Cromwell den Rücken wandte, um zu Karl dem Zweiten zu stoßen, mit einer Handvoll Reiter in die Hochlande einbrach, um sich mit Middleton zu vereinigen, der damals für Karl aufstand, um im ritterlichen Kampfe für seinen angestammten König einen ruhmvollen Tod zu finden. ... Was ich als zweiten Punkt nennen möchte ... aber da sehe ich ja Flora unterwegs zu ihrem Parnaß und Helikon! Hurtig ihr hinterher, Waverley! gönnt der Belagerten keine Zeit zur Festigung der Defensivwerke! [Flink auf die Mauer hinauf] ... Wahrend Cupido Euch geleiten möge, will ich mich nach Patrontaschen und Bandelieren umsehen.« Bekümmerten Herzens schritt Waverley den Weg im Tale entlang. In seiner Brust wogte Liebe mit all ihrem schwärmerischen Geleit von Hoffen, Bangen und Sehnen, und daneben beherrschte seine Gedanken die außerordentliche Umwälzung, die sich an diesem Morgen in seinen Lebensbedingungen vollzogen hatte, im Verein mit all den Wirrnissen und unangenehmen Folgen, die sich für ihn daraus ergeben konnten.. Die aufsteigende Sonne hatte ihn noch im Besitz eines ehrenhaften Ranges im Kriegsheere seines Vaterlandes gesehen, und seinen Vater in der Gunst seines Monarchen ... und jetzt war beides zerronnen wie Frühnebel! er selbst schimpflich kassiert, und der Vater gestürzt! er selbst obendrein durch schlechte Fügung von Umständen Mitwisser hochverräterischer Umtriebe gegen dieselbe Regierung, in deren Diensten er vor wenigen Stunden noch gestanden! .... Und wenn nun Flora seine Werbung wirklich günstig aufnähme, welche Aussichten winkten ihm, in solch unruhiger Zeit, unter dem drohenden Sturm einer Empörung, eines Bürgerkrieges, sein Verhältnis mit Flora zu einem glücklichen Abschlüsse zu führen? Konnte er ihr das Ansinnen stellen, den Bruder in solch schwerem Beginnen allein zu lassen? um mit ihm aus dem Hochlande hinunter nach England zu ziehen? um fern von ihm abzuwarten, ob er glücklich in seiner Unternehmung sein oder den Untergang darin finden werde? ... Und anderseits: konnte er sich ohne jede andre Unterstützung als seinen Arm an den Häuptling anschließen, sich von ihm zur Teilnahme an seinen verwegenen Plänen mit fortreißen lassen? das war am allerwenigsten ein Feld, auf dem sich Waverleys heimlicher Stolz hätte betätigen mögen. ... Und was blieb ihm anderes übrig, wenn Flora seine Werbung nicht verwarf? ... Das war eine Alternative, an die er bei dem gespannten Stande all seines Denkens und Empfindens nicht ohne eine grenzenlose Bangigkeit zu denken vermochte..... Unter solchem Abwägen der ungewissen, gefahrvollen Zukunft, die ihm winkte, führte ihn sein Weg an den Wasserfall, wo er, wie Fergus richtig vermutet hatte, Flora fand. Sie war allein. Als sie ihn nahen sah, stand sie auf von der Rasenbank, auf der sie saß, und schritt ihm entgegen. Er versuchte, das Gespräch mit ein paar artigen Worten in Gang zu bringen, konnte sie aber nicht finden. Auch Flora schien im ersten Augenblick verlegen zu sein, faßte sich jedoch schneller und steuerte, was keine sonderlich günstigen Aussichten für Waverley zu eröffnen schien, sogleich in den Kern der Sache. »Was Ihr, Mr. Waverley, angeregt habt, ist für Euch und mich von zu großer Wichtigkeit, als daß es mir beikommen könnte, über meine Gesinnungen den leisesten Zweifel bestehen zu lassen.« »Entscheidet, Miß Flora,« bat er, »nicht zu schnell! laßt Euch noch Zeit! laßt mir Zeit! vergönnt Eurem Bruder die Möglichkeit ...« »Mr. Waverley,« unterbrach ihn Flora, »ich würde mich selbst bittersten Vorwürfen aussetzen, wollte ich Euch auch nur eine Minute darüber im Zweifel lassen, daß ich Euch nie anders denn als einen guten Freund ansehen kann. Das größte Unrecht würde ich an Euch begehen, wollte ich auch nur einen Augenblick zögern, dies Euch zu offenbaren ... ich sehe ja doch Euren Schmerz auf Eurem Gesicht, und ich bin selbst nicht frei von Schmerz ... aber besser jetzt als später! o, tausendmal besser, Mr. Waverley, Ihr fühlt jetzt einen kurzen Schmerz über verlorne Hoffnungen, als daß Euch lange Jahre herbe, nagende Reue quälen sollte, die auf jede voreilig geschlossene Verbindung zwischen zwei Menschen, die nicht zusammenpassen, folgen muß!« »Gerechter Gott! Wie dürft Ihr schon jetzt solche schlimmen Folgen ahnen von einem Bündnisse, das geschlossen werden soll zwischen zwei Personen von gleicher Geburt, unter günstiger Lage der Vermögensverhältnisse, bei Vorhandensein eines, wie ich wohl sagen darf, verwandten Geschmacks ... da Ihr doch selbst ein günstiges Urteil fälltet über denjenigen, den Ihr jetzt verstoßt!« »Mr. Waverley,« erwiderte sie, »ich darf Euch kaum mit Auseinandersetzungen der Empfindungen behelligen, die mich über die Aufgabe der Frau im Leben erfüllen und die erheblich verschieden sind von denen anderer Frauen; ich darf auch kaum darüber zu sprechen versuchen, welchen Charakters Eure Empfindungen sein mögen, weil ich es nicht wagen möchte, Worte zu sagen, die kränken könnten. Aber Ihr müßt gelten lassen, Mr. Waverley, daß ich von meiner Kindheit an bloß den einen Wunsch kenne, daß meine königlichen Wohltäter den Thron wieder einnehmen möchten, den ihre Vorfahren inne gehabt haben. Ich bin nicht im stande Euch darzutun, wie innig sich all mein Denken und Empfinden mit diesem einzigen Gegenstande verwachsen hat, wie stark er meine Seele beherrscht. Wenn ich den Tag erlebe, an welchem sich dieser sehnlichste Wunsch meines ganzen Seins erfüllt, dann soll es mir gleichgültig sein, ob ich mein Leben in einer Hütte des Hochlands, in einem Kloster von Frankreich oder in einem Palast oder Schloß eines englischen Edelmanns beschließe.« »Aber, teuerste Flora, wie sollte mein Glück unvereinbar sein mit Eurer schwärmerischen Anhänglichkeit an das Haus Stuart?« »Weil Ihr in mir oder in dem Weibe, dem Ihr Eure Liebe schenkt, ein Wesen zu erwarten hofft, das Euern häuslichen Herd glücklich macht, weil Ihr darauf rechnet, daß Eure schwärmerische Liebe Gegenliebe finde. Ein Mann, der kein solcher Schwärmer wäre wie Ihr, den könnte Flora Mac-Ivor vielleicht glücklich machen, aber ob Euch? das ist ihr zweifelhaft, und doch soll sie es und muß sie es, wenn das entscheidende, bindende Wort erst einmal gefallen ist.« »Mit andern Worten, Miß Mac-Ivor, Ihr könnt mich nicht lieben?« »Die Gattin, die Ihr Euch erwählt, Mr. Waverley, soll von jenen Empfindungen beseelt sein, die sich, ganz zu den Eurigen schicken, soll denken und wünschen, soll hoffen und bangen wie Ihr! Und wie meint Ihr das bei mir zu finden, da doch, wie ich Euch eben gesagt habe, mein Herz an jenem einzigen Ziele hängt, nach jenem einzigen Ziele sich sehnt und strebt....« »Flora! meine Familie ist reich an Gütern und reich an Einfluß ... bekennte sie sich in ihren Grundsätzen zu dem Hause Stuart, und sollte ein glücklicher Umstand es fügen ...« »Mr. Waverley,« versetzte Flora, »verlassen wir nicht den Boden der ruhigen, gesunden Ueberlegung! und verlaßt Ihr Euch in einem Falle wie dem unsrigen auf nichts als Euer klares, natürliches Urteil! gebt nichts auf eine Meinung, die Ihr vorschnell gefaßt habt, die ein jugendliches weibliches Wesen in Euch geweckt hat. Eure Rolle in diesem Drama, wenn Ihr darin eine spielen wollt, muß auf fester, geschlossener Ueberzeugung fußen, und nicht auf einer wahrscheinlich vorübergehenden Empfindung!« Waverley versuchte zu antworten, aber er fand keine Worte, denn jedes Wort der Hochländerin kündete davon, daß sie edel und hochherzig fühlte und dachte, daß sie es verschmähte, sich auf Umwege einzulassen und von der Aufgabe nicht wich, die sie sich für ihr Leben gesteckt hatte.... Sie schritten eine kurze Strecke noch nebeneinander, ohne weitere Worte zu wechseln, dann knüpfte Flora die Unterhaltung wieder an. ... »Ein letztes Wort noch, Mr. Waverley!« sagte sie, »ehe wir diesem Thema für immer Lebewohl sagen. Ich bitte um Verzeihung um deswillen, was ich jetzt sagen will, falls es als unwillkommener oder überflüssiger Rat erscheinen sollte. Mein Bruder Fergus verfolgt eifrig die Absicht, Euch für sein Unternehmen zu werben.... Sagt nicht ja dazu, Mr. Waverley, denn durch Eure persönliche Mitwirkung könnt Ihr dasselbe nur wenig fördern; aber wenn es fehlschlägt, so tragt Ihr die Folgen schwerer, als jeder andre! Ich bitte Euch, begebt Euch, sobald es angängig ist, zurück nach England, und wenn Ihr Euch solcherweise frei haltet von jedem Versuch, der usurpatorischen Regierung zu schaden, so dürft Ihr vielleicht mit um so besserem Recht, wie Eure loyalen Ahnen, an der Spitze Eurer angestammten Begleiter und Anhänger, als ein würdiger Sproß des Hauses Waverley, für den in seinen Stammes- und Thronrechten geschädigten Souverän einzutreten versuchen.« »Und sollte mir das Glück beschert sein, mich nach dieser Richtung hin auszuzeichnen,« wandte Waverley ein, »dürfte ich dann vielleicht hoffen ...« »Verzeiht, daß ich unterbreche, Mr. Waverley! Bloß die Gegenwart gehört uns, und in reiner, redlicher Weise kann ich Euch nur von den Empfindungen Rechenschaft geben, die mein Herz jetzt erfüllen.... Was die Zukunft bringt, welche Wandlung Empfindungen und Ereignisse erleiden können, die zu schön find, als daß sie sich hoffen ließen, das auch nur ahnen zu wollen, wäre vergebliches Beginnen. Indessen dürft Ihr Euch überzeugt halten, Mr. Waverley, daß ich nächst dem Ruhm und Glück meines Bruders für nichts so innig beten werde, wie für Euer Glück und Euern Ruhm.« Mit diesen Worten schied sie von ihm. Sie hatten eine Stelle erreicht, wo sich zwei Wege kreuzten. Waverley kehrte in heftigem Widerstreit seiner Empfindungen in das Schloß zurück. Der Rest des Abends verstrich, ohne daß sich Fergus und Waverley über das Thema noch einmal unterhielten, denn keiner von beiden fand den Mut dazu. Als Edward wieder auf seinem Zimmer war, überdachte er noch einmal die Vorfälle des ereignisreichen Tages, ohne daß es ihm gelingen wollte, der Ungewißheit ledig zu werden, die ihn nach wie vor quälte, und erst spät brachte ihm ein unruhiger Schlummer halbwegs Erlösung von dem Wirrwarr, der in seinem Gemüte herrschte. Sechsundzwanzigstes Kapitel Am Morgen war es ihm, als klänge ihm Musik in seinen Träumen. Er sah sich wieder in Tully-Beolan und meinte David Gellatley zu hören, der im Hofe seinen Tieren was vorträllerte. Aber als der Schlummer von ihm wich, da war es ihm, als klänge ihm die Musik noch immer in den Ohren. Und endlich wurde er wach. Und nun hörte er ganz deutlich draußen vor seinem Fenster die folgenden Strophen: Mein Herz ist im Hochland, mein Herz ist nicht hier, Mein Herz ist im Hochland, zu jagen das Tier, Zu jagen das Tier, zu ereilen das Reh, Mein Herz ist im Hochland, wo immer ich geh. Neugierig, was David Gellatley zu solch weiter Reise bestimmt haben könnte, kleidete Edward sich schnell an, und dieweil hörte er weiter: Nichts gibts ja im Hochland als Hafer und Lauch, Langstelzige Buben ohne Hosen am Bauch, Ohne Hosen am Bauch, und ohne Strümpfe und Schuh, Doch setzt es wohl Hosen, kommt Jakob herzu. Inzwischen war Waverley in den Hof hinausgegangen, wo sich David an ein paar Müßiggänger, wie sich ihrer in den Hochlanden viele umhertreiben, angeschlossen hatte, und tanzte und hüpfte lustig den landesüblichen Schottisch nach einer Musik, die er sich selbst pfiff, und zwar so lange, bis ein andrer Pfeifer der Aufforderung der Umstehenden folgte und ihn im Pfeifen ablöste. Und nun mischte sich jung und alt in den Tanz, wer nur Mittänzer finden konnte. David ließ sich durch Waverleys Erscheinen nicht stören, wenngleich er sich alle mögliche Mühe gab, ihm durch Grinsen und Blinzeln und durch ein paar Knickse verständlich zu machen, daß er ihn wiedererkenne. Und während er nun hüpfte und jubelte und mit den Fingern schnippte und mit der Zunge schnalzte, machte er plötzlich ein paar lange Schritte seitwärts in der Richtung auf Waverley zu, hielt im Takte inne, wie Harlekin in seiner Pantomime, langte einen Brief aus seinem Brustlatz und schob ihn in Waverleys Hand. Dann hüpfte und tanzte und schnippte und schnalzte er wieder, ohne weitere Pausen zu machen. Edward sah, daß die Aufschrift von Rosas Hand war, und begab sich sofort in die Stube, wo er das Folgende las: »Mein teurer Herr!« ... (so hatte, wie Edward ganz deutlich sehen konnte, zuerst dagestanden, dann aber war das zweite Wort wegradiert worden, so daß bloß das kahle und nüchterne »Mein Herr« dastand) ... »ich fürchte beinahe, mir eine Freiheit zu nehmen, zu der ich keine Berechtigung genieße, aber ich kann sonst niemand Dinge anvertrauen, die sich bei uns ereignet haben und deren Kenntnis nach meinem Dafürhalten für Euch nicht ohne Belang sein dürfte. Verzeiht mir, falls ich unrecht darin tue. Aber ich habe zurzeit keinen andern Berater weiter als mein Herz. Denn mein lieber guter Vater ist fort von hier, und wann er wieder zurückkehren wird, das steht in Gottes Hand. Es ist Euch wahrscheinlich zu Ohren gekommen, daß infolge beunruhigender Nachrichten aus dem Hochlande Verhaftsbefehle gegen verschiedne Edelleute erlassen worden sind. Hiervon ist auch mein Vater betroffen worden. All mein Bitten und Weinen, sich der Regierung willig zu unterwerfen, hat nichts gefruchtet, er ist mit Mr. Falconer und mehreren andern Edelleuten, zusammen an die vierzig Reiter, nach Norden aufgebrochen. »Um meine Sicherheit ist mir ja weniger bange, als darum, was uns die Zukunft bringen wird, denn diese Unruhen sind ja doch erst in den, Anfängen. Aber dies alles betrifft ja Euch noch nicht, Mr. Waverley, ich glaubte nur, es möchte Euch eine Beruhigung sein zu wissen, daß mein Vater sich geflüchtet hat, für den Fall, daß Euch zu Ohren kommen sollte, er befände sich in Gefahr. »Aber kaum war er fort, da kam ein Kommando nach Tully-Beolan marschiert, das mit dem Schösser Macwheeble sehr roh und unmannierlich verfuhr, aber gegen mich war der Offizier sehr artig und sagte nur, seine Pflicht geböte ihm, das Haus nach Waffen und Papieren zu untersuchen. Das hatte mein Vater vorausgesehen, und alle Waffen mit hinweggenommen bis auf die nutzlosen Zierate, die in der Halle hängen. Auch alle Papiere hatte er beiseite geschafft oder vernichtet. Aber wie soll ich es Euch mitteilen, Mr. Waverley? Auch nach Euch haben sie eifrig geforscht und sich erkundigt, wann Ihr in Tully-Beolan gewesen seiet, und wann Ihr weggereist seiet, und wo Ihr Euch jetzt aufhieltet u.s.w. »Der Offizier ist mit seinem Kommando wieder abmarschiert, hat aber einen Unteroffizier mit vier Mann als Einquartierung oder Besatzung zurückgelassen, die sich ja ganz manierlich betragen, sind wir doch gezwungen, sie bei guter Stimmung zu erhalten: Aber sie haben des öftern sich dahin geäußert, daß Ihr in schlimme Strafe genommen werden würdet, wenn Ihr gefaßt werden solltet. Ich kann es nicht über mich bringen, Euch hiervon ohne Kenntnis zu lassen, wenn ich auch bestimmt weiß, daß alles, was sie von Euch reden, bloß törichtes Geschwätz ist. Aber Ihr werdet ja nun am besten zu beurteilen wissen, was Ihr zu tun und zu lassen habt. »Mit dem Kommando hat Euer Diener mit hinweg gemußt mit Euren beiden Pferden und allem, was Ihr in Tully-Beolan zurückgelassen hattet. »Ich hoffe und bete, daß Gott Euch in seinen Schutz nehmen möge, daß Ihr heil und gesund nach England zurückkehren möchtet, wo es ja, wie Ihr mir erzählt habt, keine Fehden zwischen Stämmen und Sippen und Häuptlingen gibt, sondern alles auf grund der bestehenden Gesetze geordnet und geschlichtet wird, die jedem Bürger und Bewohner den gleichen Schutz gewähren, der sich ruhig verhält, seinen Pflichten nachkommt und sich nichts zu schulden kommen läßt. »Ihr werdet, so hoffe und bitte ich, meine Kühnheit gütigst entschuldigen, desgleichen hoffe und bete ich, daß Euch nicht dadurch Ungemach entstehen möge, daß ich an den Ort Eures früheren Aufenthalts und nicht an den jetzigen schreibe, wo Euch vielleicht Gefahr für Eure Ehre und Sicherheit droht. Mein Vater, das weiß ich, würde meinen Brief billigen, und auch der gute Mr. Rubric, der zu seinen Vettern nach Duchran geflohen ist. Schösser Macwheeble mischt sich nicht gern in fremde Dinge, wiewohl meines Dafürhaltens eine Gefälligkeit gegen einen Freund meines Vaters nicht als ein »fremdes Ding« aufgefaßt werden kann. »Lebt jetzt wohl, Kapitän Waverley! Es wird wohl kaum der Fall sein, daß wir uns wiedersehen werden, denn für Euch dürfte es wohl kaum geraten sein, jetzt nach Tully-Beolan zu kommen, und ich möchte Euch auch nicht dazu auffordern, selbst wenn diese Soldaten wieder abmarschieren sollten. Aber immer werde ich mich dankbar Eurer Liebe und Güte erinnern, und niemals werde ich die Stunden vergessen, in denen ich Eure Schülerin und Ihr mein Lehrer waret, noch weniger die herzliche Freundschaft, die Euch mit meinem Vater verbunden hat und die er Euch so gern erzeigte. Ich verbleibe Eure allzeit ergebene Dienerin Rosa Conyne Bradwardine.« P. S. »Ich rechne darauf und bitte recht darum, mir durch David Gellatley mit ein paar Zeilen den Empfang dieses Briefes zu bestätigen, ebenso bitte ich Euch aufs dringendste, auf Eure Sicherheit bedacht zu sein, und Euch in keine Kabalen solch unglückseliger Art einzulassen, wie sie meinen armen Vater zur Flucht genötigt haben. Verlaßt nur recht bald das unglückliche Schottland und kehrt zurück in Euer glückliches England! ... An meine gute Flora und an Glennaquoich bitte ich meine besten Empfehlungen zu bestellen. Flora ist doch sicher die schöne junge Dame geworden, wie ich sie Euch geschildert habe.« So endete Rosas Brief. Sein Inhalt überraschte Edward auf das höchste und versetzte ihn in eine Aufregung sondergleichen. Daß der Baron der am Ruder befindlichen Regierung infolge der das Land erregenden Agitation für das Haus Stuart in Verdacht geraten war, schien ihm bei der bekannten Vorliebe des Barons für die alte Dynastie nur plausibel; wie man ihn aber mit in diesen Verdacht hatte einbeziehen können, das wollte ihm ganz und gar nicht einleuchten, denn er hatte doch nicht mit dem leisesten Gedanken sich gegen das herrschende Haus gekehrt. Sowohl der Baron in Tully-Veolan als der Häuptling in Glennaquoich hatten sein Verhältnis als königlich britischer Soldat durchaus respektiert, und wenn auch dann und wann ein Wink gefallen war, der darauf schließen ließ, daß sowohl der Baron als der Häuptling zum mißvergnügten Adel Schottlands gehörten, der noch immer ziemlich zahlreich war, so war doch ihm gegenüber so lange nichts Positives verlautet, bis er nicht durch seine Kassation des Verhältnisses zum regierenden Königshause enthoben worden war. Nichtsdestoweniger war er sich klar darüber, daß er, sofern er sich auf die Anträge von Fergus Mac-Ivor nicht einlassen mochte, aus Rücksicht auf seine Ehre gezwungen war, der in Verdacht befindlichen Landesgegend auf der Stelle den Rücken zu wenden und sich an einen Ort zu begeben, wo er sich zur behördlichen Untersuchung stellen konnte.... Mit diesem Entschlusse suchte er Fergus wieder auf, gab ihm Kenntnis von dem Inhalte von Rosas Schreiben und auch von seinem Entschlusse, sich sofort nach Edinburg zu begeben und dort durch einflußreiche, seinem Oheim befreundete Personen eine Untersuchung seines Falles in die Wege zu leiten. »Ihr rennt ja unmittelbar mit dem Kopf dem Löwen in den Rachen,« erwiderte Fergus. »Ihr kennt die Strenge der englischen Regierung nicht. Ich vermute, daß ich wohl in die Lage kommen dürfte, Euch aus dem Stirlinger oder Edinburger Kerker zu erlösen.« »Meine Schuldlosigkeit, meines Vaters Position, seine Beziehungen zu Lord M..., General G... und andern werden mir ohne Frage ausreichenden Schutz schaffen.« »Ihr werdet bald das Gegenteil hiervon merken. Ich vermute, die genannten Herren werden wohl mit sich selbst zu tun haben. Ich legs Euch noch einmal nahe, greift zum Plaid und zieht das Schwert mit uns für eine gerechte und edle Sache!« »Es sind der Gründe gar viele, die mich zu der Bitte an Euch bestimmen, nicht auf mich zu rechnen.« »Nun, so werde ich Euch alsbald in der Situation sehen, daß Ihr Euer poetisches Talent zu einer Hymne auf Euer Gefängnisloch aufbieten oder zur Entzifferung etwelcher punischen Hieroglyphen an den Schlußsteinen irgend welches alten Gemäuers Euern Scharfsinn erproben werdet. Es kann sich ja schließlich auch treffen, daß Ihr irgend einem Trupp verbissner Whigs in die Hände lauft, und daß man Euch der tölpelhaften Zeremonie eines petit pendement bien joli [ein bißchen Hängen, nette kleine Galgentour] aussetzt ... und was dann?« »Und aus welchem Grunde sollte so mit mir verfahren werden?« fragte Waverley. »Aus hunderterlei triftigen Gründen. Erstlich seid Ihr Engländer, zweitens seid Ihr Edelmann,, drittens seid Ihr der Hochkirche abtrünnig, und viertens haben diese Leutchen lange keine Gelegenheit gehabt zur Ausübung solch kleinen Galgenexerzitiums. Immerhin laßt den Mut nicht sinken! ich hoffe, es wird sich noch alles finden und fügen in der Furcht des Herrn.« »Nun, wagen muß ich es auf gut Glück!« »Ihr seid also entschlossen?« »Fest entschlossen.« »Nun, dann müßt Ihr halt Euren Willen haben! doch zu Fuß könnt Ihr nicht marschieren! ich aber kann einen Gaul entbehren, denn ich muß an der Spitze meiner Mannen per pedes [zu Fuße] vorrücken. Ihr sollt also Dermid den Braunen haben.« »Wollt Ihr ihn mir verkaufen, so sollt Ihr einen willigen Käufer in mir haben.« »Läßt sich Euer stolzes Engländer-Herz durch kein Geschenk oder Darlehn verpflichten, so will ich in Ansehung des nahen Feldzugs ein Stück Geld nicht ausschlagen. Der Braune soll 120 Guineen kosten.... Und nun, wann gedenkt Ihr abzureisen?« »Je eher, je lieber.« »Recht so! Wenns einmal sein muß, oder vielmehr, wenn Ihr einmal nicht anders wollt. Ich will Euch auf Floras Klepper bis zum Bally-Brough-Passe begleiten.... Callum-Beg, mach unsre Rosse fertig und für Dich auch einen Klepper! Du sollst mit Mr. Waverley bis« ... (er nannte eine kleine Ortschaft) »reiten. Dort wird er Gelegenheit nach Edinburg finden. »Mr. Waverley, wollt Ihr Euch noch bei meiner Schwester verabschieden?« »Auf alle Fälle ... sofern mir Miß Mac-Ivor diese Ehre vergönnt.« »Kathleen, sag meiner Schwester, daß Mr. Waverley sich bei ihr empfehlen wolle.... Aber Rosa Bradwardine! auf ihre Lage müssen wir ebenfalls Rücksicht nehmen ... ich wünschte, wir hätten sie hier ... und warum sollten wir sie nicht herüberholen? ... in Tully-Veolan sind bloß vier Rotröcke, und ihre Musketen dürften uns ganz willkommen sein!« Auf diese abgerissenen Bemerkungen achtete Edward kaum. Wenn auch sein Ohr sie hörte, so war doch seine Seele zu sehr gespannt auf Floras Eintritt Aber die Tür ging auf, und nicht Flora, sondern Kathleen erschien auf der Schwelle. »Miß Flora lasse sich entschuldigen, aber Mr. Waverley von Herzen alles Glück für die Reise wünschen.« Siebenundzwanzigstes Kapitel Gegen Mittag standen die beiden Freunde auf der Höhe des Passes von Bally-Brough. »Hier muß ich scheiden,« sagte Fergus, der sich während des ganzen Rittes redlich bemüht hatte, Waverley bei guter Laune zu erhalten. »Wenn meine Schwester mit schuld daran ist, daß Ihr so bedrückter Stimmung seid, dann setzt es mit auf Rechnung der wirklich sehr hohen Meinung, die sie von Euch hat. Vertraut mir Eure Sache, und vorausgesetzt, daß Ihr diese abscheuliche Kokarde nicht mehr ansteckt, verspreche ich Euch, bei meiner Schwester für Euch einzutreten.« »Wie könnt Ihr solches denken, nachdem man sie mir solcherweise genommen hat!... Lebt wohl, Fergus, und laßt nicht zu, daß Eure Schwester meiner vergesse!« »Lebt gleichfalls wohl, Waverley! Ihr werdet meine Schwester bald mit anderm Titel nennen hören. Eilt jetzt nach Hause, laßt bald von Euch hören, und schafft Euch Freunde an, soviel wie möglich und so rasch Ihr nur könnt. Bald werden unvermutete Gäste an Suffalks Küste landen, oder die Briefe, die ich aus Frankreich erhielt, haben mich betrogen.« So schieden die Freunde. Fergus kehrte in seinen Edelhof zurück, und Edward mit Callum-Beg, der aus einem Hochschotten sich in den urechten, unterländischen Reitknecht umgewandelt hatte, ritt auf den kleinen Flecken ... zu, unter schmerzlichen, doch nicht bittern Empfindungen, wie sie in das Herz eines verliebten Jünglings einziehen, wenn er unter dem Banne der Ungewißheit hat scheiden müssen. Die dem Hochschotten angeborne Gefühlstiefe und Höflichkeit im Umgange hatte Callum-Beg verhindert, unsern Helden in seinen Träumereien zu stören. Aber als er jetzt sah, daß sie sich dem Flecken näherten, da ritt er zu ihm heran und meinte, »wenn sie ins Wirtshaus gingen, dann möchte der Herr von Vich-Ian-Vohr ja kein Wort sprechen, die Leute im Dorfe   der Teufel solle sie holen!   seien die grimmigsten Whigs!« Waverley gab dem klugen Pagen die Versicherung, daß er sich vorsichtig verhalten werde. Ein seltsames Glockengeläut, ähnlich dem Geräusch, das ein frei hängender kupferner Topf von sich gibt, wenn mit einem Hammer dagegen geschlagen wird, veranlaßte Waverley zu der Frage, ob etwa heute Sonntag sei. »Kanns nicht sagen,« erwiderte Callum-Beg, »wir in den Bergen hören wohl kaum was vom unterländischen Sonntag,« Aber als sie im Dorfe eine Menge Weiber mit Tartantüchern und roten Mänteln erblickten, da meinte er, »es müsse doch entweder großer Sonntag sein oder kleiner Königssonntag, wie sie im Unterlande den Fasttag nennten.« Sie hielten im Wirtshause zum »Siebenarmigen Leuchter« Einkehr und wurden dort von dem Wirt, einer langen, magern Puritanerfigur, empfangen, der aber noch unklar mit sich zu sein schien, ob er an solchem Festtag Gästen Unterkunft geben dürfe oder nicht. Als ihm aber eingefallen war, daß er sich ja, wenn er in Buße dafür genommen würde, an den Reisenden schadlos halten könnte, entschloß er sich, ihnen Aufnahme zu gewähren. Edward fragte Ebenezer Cruikshanks, denn so hieß der Wirt, ob er ihm einen berittnen Führer besorgen könne, der ihm sein Gepäck nach Edinburg schaffen könne. »Und wo seid Ihr denn her?« fragte der Wirt. »Ihr wißt, wohin ich will,« beschied ihn Edward, »weiter braucht wohl weder Pferd noch Führer was zu wissen.« »Hm, heut ist Fasttag. Ich weiß nicht, ob es recht ist, sich auf solch fleischliche Handlung einzulassen an solchem Tage, Wo die Menschen demütig und die Abtrünnigen umkehren sollen.« »Mein Lieber, wenn Ihr nicht Lust habt, mir Pferd und Boten zu besorgen, dann werde ich meinen Diener danach schicken müssen.« »So? Euren Diener? ... Und warum reitet er denn nicht weiter mit Euch?« »Ich habe nicht Lust, mit Euch lange herumzuschwatzen,« fuhr ihn Edward an. »Entweder Ihr besorgt mir, was ich haben will oder Ihr tuts nicht. Aber Bescheid will ich haben, denn weiter reisen muß ich heute.« Ebenezer Cruikshanks verließ mit einem unverständlichen Gemurmel die Gaststube. Darauf erschien die Wirtsfrau, eine höfliche, bescheidene Frau, um zu fragen, was der gnädige Herr zu Mittag befehle. Dann begab sich Callum-Beg in den Hof, um die Pferde zu striegeln. Der Gastwirt trat zu ihm, und Waverley konnte das folgende Gespräch belauschen, das nun zwischen dem pfiffigen Diener Vich-Ian-Vohrs und dem argwöhnischen Gastwirte stattfand. »Ihr kommt doch vom Norden, Bursche?« begann der letztere. »Kann wohl sein,« gab Callum zur Antwort. »Seid wohl schon ein Stück heut unterwegs?« »Kann auch sein! so weit wenigstens, daß ich einen derben Schluck ganz gut vertragen kann!« »Mutter! bring mal die Flasche her!« Der Wirt gab ihm ein Glas voll und fragte dann weiter: »Bessern Branntwein habt Ihr oben in Euern Bergen doch ganz gewiß nicht?« »Ich bin ja nicht überm Passe zu Hause.« »Aber Hochländer seid Ihr doch, Eurer Sprache nach!« »Nein, ich komm direkt von Aberdeen.« »Und Euer Herr auch?« »Freilich, von dort bin ich mit ihm ausgeritten,« versetzte kalt der undurchdringliche Callum-Beg. »Was ists denn für ein Herr?« fragte Ebenezer Cruikshanks wieder. »Einer von König Georgs hohen Offizieren, glaub ich. Wenigstens will er nach Süden, und tüchtig Geld hat er auch, und räsonniert auch nicht gleich, wenn nicht alles klappt, wie er will.« »So? Boten und Pferd braucht er bis Edinburg?« »Ja, und Ihr sollts besorgen.« »Wird aber eine Stange Gold kosten!« »Danach fragt der viel!« »Na, gut, Duncan oder Donald ... so war doch wohl Euer Name?« »Nicht doch, Wirt! Jakob heiß ich ... Jakob Stenson ... habs ja doch schon gesagt!« Infolge dieser letzten Aeußerung Callum-Begs sah sich der Wirt völlig kalt gestellt. Er befaßte sich nun mit der Berechnung der Kosten, die für Boten und Pferd erwachsen würden, wobei natürlich die Uebertaxe für den Feiertag nicht vergessen wurde. Dann erklärte er Callum-Beg, wenn sein Herr zahlen wolle, was seine Forderung ausmache, wolle er ihn selbst nach Edinburg begleiten. Mit diesem Bescheide begab sich nun der Hochschotte zu Edward. Bald darauf erschien die Wirtin mit dem Mittagsgericht und einem guten Trunke. Dann verabschiedete Waverley den klugen Pagen, dessen Falkenauge freudig blitzte, als ihm Edward eine goldne Guinee in die Hand für die geleisteten Dienste drückte; dann trat der lange Patron von Gastwirt mit dem wenig einnehmenden Gesicht herein, in einen weiten Oberrock gehüllt, der die ganze Unterkleidung bedeckte, und mit einer großen Kappe über Kopf und Ohren versehen, während die dünnen Beine in ein paar lange Gamaschen gehüllt waren. In der Hand hielt er die lange, mit Kupfer beschlagene Reitpeitsche. Mit den Worten: »Eure Pferde stehen fix und fertig!« trat er zu dem Junker und legte ihm die Rechnung für Zeche und Begleitung vor. Waverley staunte über den hohen Betrag, den dieser Dorfwirt aufgesetzt hatte. Da aber alle Aussicht für ihn vorhanden war, bald seiner Gesellschaft ledig zu werden, ersparte er sich jedes Wort und bezahlte die Rechnung auf Heller und Pfennig, bestieg sofort seinen Braunen und brach in Begleitung der wunderlichen Puritanerfigur auf, freilich nichts weniger als bei froher Launen aber doch über den Anblick solches »Sancho Pansa« nicht wenig geneigt, hell aufzulachen. Auch Callum-Beg, der noch unterm Tore stand, schien sich darüber zu amüsieren, denn er zeigte ein Gesicht, aus dem der Hohn aus jedem Winkel blitzte; aber als Waverley an ihm vorbeiritt, lüftete er respektvoll den Hut, trat an den Steigbügel Waverleys heran und sagte: »Seid auf der Hut, Herr, daß Euch der alte Whigteufel keinen Possen spielt.« Waverley dankte ihm noch einmal, flüsterte ihm zu, er solle die besten Grüße an Fergus Mac-Ivor und alle andern in Glennaquoich bestellen, dann gings im schnellen Trabe fort, denn er war froh, das Gebrüll der Gassenjugend hinter sich zu bekommen, die sich über Ebenezers lange Beine, die in den Steigbügeln keine Unterkunft finden konnten, lustig machten; und bald war das Dorf mehrere Meilen hinter ihnen. Achtundzwanzigstes Kapitel Waverley hatte sowohl durch sein Wesen wie durch sein Benehmen, hauptsächlich aber durch seine reichgespickte Börse, dem Wirte gewaltig imponiert, so daß dieser nicht den Mut fand, ein Gespräch anzufangen. Uebrigens wurden seine Gedanken auch durch mancherlei Vermutungen und Pläne beschäftigt, die mit seiner dermaligen Reise in engem Zusammenhange standen. Die beiden Reiter setzten also ihren Weg schweigend fort, bis endlich der Gastwirt herausfand, daß seinem Gaul ein Hufeisen abhanden gekommen war. »Ein Schaden, den Euer Gnaden tragen müssen, wenns auch nicht besonders vorgesehen worden ist in unsern Abmachungen für die Reise, daß Ihr für solche Fälle aufzukommen habt,« sagte der Wirt. »Ihr wollt damit sagen, daß ich den Hufschmied bezahlen soll? ... Na, auch darauf solls mir nicht ankommen,« erwiderte Waverley, »aber wo werden wir einen finden?« Vergnügt darüber, daß es keiner weitern Auseinandersetzungen bedurfte, bezeichnete Ebenezer Cruikshanks ein Dorf in der Nähe als den Sitz solches für den Reitersmann wichtigen Handwerksmannes, und ohne zu zaudern, wurde der Weg dorthin genommen. Das Dorf wurde bald erreicht, und das Haus des Schmieds war gleichfalls schnell gefunden. Es war zugleich Schenke, hatte zwei Gestocke und blickte mit einem grauen Schieferdache stolz über die umliegenden Strohhütten. In der am Wohnhause angebauten Werkstatt war aber von Sonntagsruhe nichts zu verspüren, da dröhnte der Ambos und schallte der Hammer und fauchte der Blasebalg, die ganze Schmiede Vulkans schien in Alarm. Der Meister Johann Grimmig war mit seinen Gesellen tüchtig beim Werke, allerhand alte Waffen, Musketen, Pistolen und Schwerter zu reparieren, zu schleifen, zu schärfen, zu polieren e.c. Es sah aus, als sei ein Arsenal in der Einrichtung begriffen. Und Leute über Leute standen in der Schmiede und andre kamen, andre gingen, und ein flüchtiger Blick auf die in der einzigen Straße zusammenstehende Bewohnerschaft zeigte, daß eine ungewöhnliche Nachricht die Gemüter von ganz Cairnvreckan in Aufruhr gebracht haben mußte. »Da gibts was Neues, das muß ich ausspüren!« sagte der Wirt und schob sein schmales Gesicht mitten in den Menschenhaufen hinein. Waverley dagegen stieg ab und gab sein Pferd einem Jungen, der müßig stand und gaffte. Er war eben im Begriffe, sich an einen Dörfler mit einer Frage zu wenden, als Namen an sein Ohr schlugen, die ihn solcher Mühe überhoben. »Lochiel«, »Clanronald«, »Glengary« und andre solcher Häuptlingsnamen aus dem Hochlande, unter denen auch »Vich-Ian-Vohr« laut wurde, lehrten ihn, daß ein Einfall der Hochschotten ins Unterland entweder befürchtet wurde oder schon stattgefunden hatte. Ehe sich Waverley näher befragen konnte, drängte sich ein starkes, wuchtiges Weib, anscheinend eine Vierzigerin, mit schmutzigem Gesicht und rußigen Kleidern, ein Kind hoch in den Armen haltend, vor und schrie, ohne auf das Weinen des Kindes zu achten: »Karl ist mein Schatz, mein herztausiger Schatz, Karl, Karl ist mein Schatz, Der junge Schewaliehrl« »Hört Ihrs, was über Euch kommen wird, Ihr erbärmliches Whig-Gelichter? ... Hört Ihr was kommen und Euch die Mäuler gründlich stopfen wird?« Keiner weiß, was kommen soll, Doch jeder weiß, was frommen soll. Kommen wird das ganze Heer, Und Karl an der Spitze, Mit der Schottenmütze! Was wollt Ihr nun wohl noch mehr? Ha, was wollt Ihr, was wollt Ihr noch mehr? Der Schmied von Cairnvreckan erkannte sein Weib in der rasenden Bacchantin und maß sie mit grimmigen Blicken. Ein paar Dorfältesten traten zwischen die beiden. »Ruhe, Weib!« sagte der eine, »ist das die Zeit danach, Eure Lieder zu trällern? ist das der Tag danach, solchen Lärm zu schlagen? Wo das Land Zeugnis ablegen soll gegen Papst- und Bischoftum? gegen Independentismus und Antinomismus und Erastianismus und was sonst noch für Irrtum und Irrtümer es in der Kirche geben mag?« »Das kommt von Eurer Whiggerei!« heulte das Weib wieder, »und von Eurer Proselyterei, Ihr kahlohrigen Schandbuben! Was? Ihr meint, die Burschen mit dem Kilt scheren sich um Eure Synoden und Presbyterien, um Eure Armsünderzellen und Bußstühle? ... Rache über das rußige Fratzengesicht! Da haben noch weit ehrbarere Weibsen drauf gesessen, auf Eurem Bußschemel, als manche, die mit solchem Lumpenkerl von Whig ins Land hinein kommt!« In Furcht, die Rasende möchte noch weiteres aus ihrer persönlichen Sachkenntnis zum besten geben wollen, fuhr jetzt Meister Grimmig mit seiner Hausherrnwürde ins Feld. »Geh heim, Du versoffnes Biest,« schrie er, »und setz den Haferbrei ans Feuer!« »Und Du alter Narr Du,« erwiderte die liebwerte Ehegesponsin, deren Zorn sich jetzt von dem Publikum hinweg und in das gewohnte Bett hinein lenkte. ... »Du stehst und hämmerst Schießprügel für die Schufte, da doch keiner auf einen Hochländer anschlagen wird, statt daß Du Brot für Deine Kinder schaffst? statt daß Du dem hübschen jungen Herrn hier das Roß beschlägst? dem jungen Herrn da, der grade aus dem Norden herunter kommt? ... Der ist doch keiner von Euren Georgs-Schuften! Da leg ich doch gleich die Hand in Dein Feuer, Du Esel!« Aller Augen wandten sich jetzt auf Waverley, der diesen Anlaß wahrnahm, zu dem Schmied heranzutreten und ihn um schnellen Beschlag des einen Rosses zu bitten, denn er hatte genug gehört, um den Wunsch zu fühlen, so schnell wie möglich aus einem Nest herauszugelangen, das ihm gefährlich werden konnte. Der Schmied sah ihn verdrießlich an, ohne sich an das Gezeter seines Weibes zu kehren. »Hörst du denn nicht,« geiferte sie, »was der junge hübsche Herr zu Dir spricht, Du versoffner Faulpelz?« »Wie heißt Ihr denn?« fragte jetzt Grimmig den Junker von Waverley, nicht mehr bloß verdrießlich, sondern argwöhnisch. »Wie ich heiße? Was geht Euch das an?« rief Waverley; »seid zufrieden, Freund, daß ich Euch Arbeit bringe, die auf der Stelle bezahlt wird!« Wenns den Schmied auch nichts angeht,« nahm ein Pächter das Wort,»so. gehts doch am Ende den Staat was an? he? und ich meine fast, wir lassen Euch nicht früher wegreisen, als bis der Laird herzugeholt ist und seine Meinung gesagt hat!« »Das möcht Euch wohl bitter bekommen,« versetzte Waverley, »sofern Ihr keine behördliche Vollmacht aufweisen könnt.« Darob entstand eine Pause, und in dem Haufen traten Gruppen zusammen, um zu flüstern und zu zischeln. ... »Sekretär Murray, wer weiß ... oder Lord Lewis Gordon? hm, hm, am Ende gar der Schewaliehr selber?« ... das waren die Vermutungen, die schnell unter ihnen die Runde machten, Von denen besonders die letzte am willkommensten war, denn auf den Kopf des unter dem Namen »Chevalier« gemeinten jungen Prätendenten Karl Stuart war eine Prämie von 30 000 Pfund Sterling ausgesetzt worden. Waverley versuchte freundlich mit ihnen auseinanderzukommen, aber seine freiwillige Bundsgenossin, die Schmiedsfrau, fing wieder an zu schimpfen und zu wettern indem sie seine Partei nahm. »Was? einen Herrn wollt Ihr aufhalten, der doch sicher ein Freund des Prinzen ist?« denn sie hatte sich, wenn auch in anderm Sinne, inzwischen gleichfalls zu der Meinung bekannt, daß in dem jungen Herrn irgend »ein großes Tier« stecken müsse, »na, das will ich Euch mal sagen, laßts Euch bloß einfallen, die Hand an ihn zu legen!« und sie spreizte die langen, derben Finger aus, die mit Krallen besetzt waren, um die sie ein Adler oder Geier hätte beneiden können, »wers probiert, dem kratz ich die Augen aus!« »Geht in Eure Stube, Mütterchen,« sagte der Pächter wieder, her auffällig nach Schnaps und Tabak roch, »gescheiter, wärs schon, Ihr wartetet Eures Mannes Kinder ab, statt daß Ihr uns hier mit Eurem Geschrei das Gehör verderbt!« »Dem seine Kinder?« rief höhnisch die Vettel; »na, ich wüßt nicht, daß er der Vater wär!« und sie maß den Schmied mit einem Blicke der hämischsten Verachtung. »Ach, wärst Du erst krepiert, Du Tropf, Und deckte der Rasen Deinen Leib und Kopf, Dann trüge ich schnell meine Witwenschaft Zu 'nem Hochlandsjungen voll Saft und Kraft! Tralala, trala, tralirum la! So sang die Schmiedsfrau laut und keck, und bei dem jungen Volk weckte das Lied Spott und Hohn und Lachen ... kein Wunder also, daß dem Schmied die Galle überlief. »Der Teufel soll mir ins Genick fahren, wenn ich nicht gleich dem Aas mit meinem roten Eisen in den Rachen fahre!« schrie er wild vor Zorn und riß die glühende Eisenstange aus dem Schmiedefeuer. Hätte nicht ein Teil der versammelten Dorfbewohnerschaft sich ihm in den Arm geworfen, so hätte er auch sicher seine Drohung ausgeführt. Aber inzwischen gelang es dem Pächter, das Lästermaul ins Wohnhaus hinein zu schaffen. Waverley sann in seiner Bedrängnis darauf, die Verwirrung zu einem Rückzuge zu benützen, aber er sah sein Pferd nirgends mehr. In einigem Abstande bemerkte er nun seinen Begleiter Ebenezer, der mit beiden Pferden sich aus dem Gedränge hinwegbegeben hatte. Sobald er inne wurde, welche Wendung die Sache nehmen könnte, hatte er keine Ohren mehr für Waverleys Rufe, ihm sein Pferd zu bringen, sondern rief: »Nichts da! seid Ihr einer von denen, die mit Kirche und König in Fehde liegen, so müßt Ihr, wenn Ihr daraufhin angehalten werdet, rechtlichen Leuten im Lande aufkommen für den Schaden, den Eure Treubrüchigkeit über sie bringt. Ich behalte also Pferd und Mantelsack als Pfand für den Verlust, den ich für mein morgiges Tagewerk erleide.« Waverley, also von allen Seiten bedrängt, von dem Gesindel um ihn her bald rechts, bald links gestoßen, jeden Augenblick noch roherer Gewalt gewärtig, zog kurz entschlossen sein Taschenpistol und drohte jeden niederzuschießen, der es wagen sollte, Hand an ihn zu legen, wie anderseits dem Gastwirte Ebenezer, wenn er sich einfallen ließe, noch einen Schritt weiter zu reiten. Ein Weiser hat einmal gesagt, daß ein einziger Mann mit einem Pistol an die hundert Unbewaffnete in die Flucht jagen könne, weil keiner von den hundert wisse, ob er nicht derjenige sein könne, den die Kugel träfe, und so würde wohl auch hier die aufsässige Dorfbewohnerschaft sich still verlaufen und der Gastwirt Ebenezer Cruikshanks klein beigegeben haben, wäre es dem Schmied in seinem wilden Zorn nicht beigekommen, den Grimm, den sein Eheweib in ihm angefacht hatte, an dem fremden Junker zu kühlen. Wie rasend stürzte er auf Waverley mit seinem rotglühenden Eisen ein, und ließ demselben kaum Zeit, das Pistol zu heben und loszuknallen. Es war ein Akt der Notwehr, daß Waverley das Pistol auf den Schmied abfeuerte, aber er stand doch, als er den Schmied zusammenbrechen sah, wie entsetzt da, und hatte nicht mehr die Geistesgegenwart, seinen Säbel zu ziehen oder das andre Pistol zu laden. Der Volkshaufe fiel über ihn her und hätte ihn ohne Zweifel schwer gemißhandelt, wenn nicht gar gelyncht, aber in diesem Augenblick teilte sich die Menge vor einer ehrwürdigen Erscheinung mit wallendem weißem Haare, die auf den Schauplatz trat. Es war der Dorfpfarrer Mr. Morton, der bei hoch und niedrig, arm und reich gleich hoch geschätzt war, weil er nie bloß den trocknen Buchstaben gepredigt, sondern seine frommen Lehren auch immer, sobald sich ihm Gelegenheit bot, werktätig bewahrheitet hatte. Vielleicht lag es an dieser Harmonie, in die er seinen Glauben und sein praktisches Amt zeit seines Lebens zu setzen beflissen war, daß niemand sich im Grunde genommen recht darüber klar zu werden wußte, ob er der einen oder der andern Kirche, die sich um die Herrschaft im Lande stritten, angehörig sei. Sein Andenken gilt noch im Dorfe Cairnvreckan als eine Art Abschnitt für die Zeitrechnung, so daß man heute noch hören kann, um etwas, das sich vor sechzig Jahren zugetragen hat, zu bezeichnen, »es war zur Zeit, da unser guter Pfarrer Morton lebte«. Dieser ehrwürdige Herr war durch den Knall des Schusses und durch das wachsende Getöse um die Schmiede herum aus seiner Ruhe aufgeschreckt worden. Er leitete sofort die Verhaftung Waverleys in die Wege, wendete aber jede Gewalttätigkeit von ihm ab, was um so schwerer für ihn und um so wichtiger für Waverley war, als sich jetzt die rasende Frau, die den Mann noch eben so geschimpft und verwünscht hatte, jammernd und wehklagend über ihn stürzte und sich wie wahnsinnig die Haare raufte. Die erste Entdeckung, als man den Schmied von der Erde aufhob, war, daß er noch lebte, und die nächste, die darauf folgte, und die sich bei der ärztlichen Untersuchung herausstellte, daß er wahrscheinlich ebenso lange leben würde, wie wenn er in seinem ganzen Leben niemals einen Pistolenschuß hätte knallen hören. Der einem Haar aber wäre es ihm ans Leben gegangen, denn die Kugel hatte seinen Kopf gestreift und ihm auf ein paar Augenblicke die Besinnung geraubt. Racheschnaubend stand er auf und schrie nach Waverley, beziehungsweise dem Fremden, für den er das Pferd hatte beschlagen sollen, und nur mit vieler Mühe gelang es dem Geistlichen, ihn zu beruhigen, recht aber erst dann, als ihm gesagt wurde, daß Edward vor den Friedensrichter geführt werde und dort sein Urteil abwarten müsse. Hiermit waren auch alle übrigen Anwesenden einverstanden, sogar Frau Grimmig, die sich langsam wieder aus ihrem ohnmachtähnlichen Zustande emporhalf und schließlich bloß noch Dank gegen den Herrn Pastor winselte, »der immer ein viel besserer Herr Pastor gewesen sei, als ihn das Dorf verdient hätte, und der weit eher als mancher andre einen Bischofsrock verdiente.« Da auf diese Weise die ganze Lärmszene beigelegt war, blieb nur noch übrig, Waverley zum Friedensrichter auf das Schloß von Cairnbreckan zu schaffen, das etwa eine halbe Stunde vom Wurfe entfernt war. Und das geschah denn auch unter dem Geleit der ganzen Dorfbewohnerschaft, von der sich bloß diejenigen fern hielten, die gichtbrüchig und bettlägerig waren. Schluß des ersten Bandes Zweiter Teil Erstes Kapitel Major Melville auf und zu Cairnvreckan war ein bejahrter Herr, der in seinen jüngern Jahren, wie Waverley, im britischen Heere Kriegsdienste geleistet hatte. Er empfing den Ortspfarrer mit verbindlicher Herzlichkeit und unsern jugendlichen Helden mit großer Höflichkeit. Hierdurch wurde die Situation des letztern jedoch nur unangenehmer. Die Wunde des Schmieds erwies sich als unerheblich, und da außer Zweifel stand, daß Waverley in Notwehr gehandelt hatte, erachtete der Major diesen Fall für erledigt, nachdem Waverley ohnedem noch ein Stück Geld dem Schmied als Schmerzensgroschen in die Hand gedrückt hatte. »Mir wäre es ja am liebsten,« sagte nun der Major, »wenn ich jetzt überhaupt mit Euch fertig wäre, aber ich muß doch in so erregter Zeit wie jetzt feststellen, wer Ihr seid und zu welchem Zweck und aus welchem Grunde Ihr Euch auf der Reise befindet.« Da trat nun Ebenezer Cruikshanks, der puritanische Dorfwirt, vor und sagte aus, daß das Pferd, das Waverley ritte, dem Häuptling Vich-Ian-Vohr gehöre; und daß er seine Aussage beschwören könne, denn ihm sei das Pferd von früheren Beschlagen genau bekannt. Wenn er darüber bisher geschwiegen habe, so sei es darum geschehen, weil er befürchtet habe, der verkleidete Hochschotte, der Edward bis zu seinem Gasthofe gebracht habe, werde ihm die gottlose Meute seines Häuptlings auf den Hals hetzen. Für seine Zeugenaussage und für den ihm entstehenden Verlust an Zeitverdienst verlange er Entschädigung, und dann wolle er ohne Aufenthalt umkehren und heimreiten. Major Melville wies ihn kurz ab. Er solle froh sein, daß er ihn nicht in harte Buße nehme, weil er die sofortige Meldung des in seinem Gasthof abgestiegenen Fremden bei der Polizei unterlassen habe, und verwies es ihm, sich mit seiner Frömmigkeit, die er doch wirklich nicht übe, zu protzen. Daraufhin ging Ebenezer Cruikshanks brummig hinaus. Dann befahl der Major auch den Dörflern, sich heim zu begeben, und bat nur den Ortspfarrer, zu bleiben und den weitern Verhandlungen als Zeuge anzuwohnen. Nach einer unangenehmen Pause, in derer hin und wieder einen teilnahmvollen Blick auf Waverley geheftet hatte, legte er einen Bogen Aktenpapier vor sich hin, spitzte sich einen Gänsekiel und fragte Waverley nach seinem Namen. Waverley nannte sich der Wahrheit gemäß. »So!« meinte er, »dacht ich es mir doch! zuletzt bei den ... Dragonern und Neffe von Sir Everard Waverley auf und zu Waverley-Würden?« »Jawohl.« »Bedaure lebhaft, daß gerade mir die Erfüllung dieser unangenehmen Pflicht anheimfällt.« »Pflicht, Major Melville, macht alle Entschuldigung unnütz.« »Wo waret Ihr die Wochen seit Eurer Verabschiedung?« »Meine Antwort bleibt abhängig von der Natur der Anklage, die gegen mich erhoben wird. Ich frage also erst, wessen ich angeklagt bin und auf grund welches Gesetzesparagraphen ich verhaftet werde vor allem Verhör?« »Ihr steht, wie ich zu meinem Bedauern sagen muß, unter sehr schwerer Anklage. Als Soldat klagt man Euch an, Anlaß gegeben zu haben zu Rebellion und Meuterei, insofern als Ihr Euch von Eurem Regiment ohne Urlaub entfernt und Eure Schwadron ohne Befehl hinterlassen habt. Als Staatsbürger seid Ihr angeklagt des Schlimmsten, was man als solcher zu gewärtigen haben kann, des Hochverrats und der Vornahme kriegerischer Handlungen gegen Euer Königshaus.« »Und welche Behörde erhebt solche Anklage gegen mich?« Der Major legte Waverley den Verhaftsbefehl vor, erlassen von dem höchsten Kriminalgerichtshofe von Schottland gegen Edward Waverley, Esquire, mit dem Beisatze, ihn bei Habhaftwerdung sofort nach Edinburg ins Staatsgefängnis zu transportieren unter sicherstem Geleit. »Ich muß Euch zufolgedessen bitten, mir Eure Papiere auszufolgen,« sagte der Major. Waverley legte Brieftasche und Notizbuch vor dem Beamten hin. Der Major nahm Einblick in beides und trug dem Sekretär auf, über den Effektivbestand die notwendigen Vermerke zu machen. Als dies geschehen war, gab er dem Delinquenten beides wieder zurück mit dem Bemerken, sie zur ständigen Verfügung des Majors zu halten. Hierauf begann das Verhör. »Ob Mr. Waverley einen Dragonerunteroffizier Humphry Houghton gekannt habe?« »Allerdings. Er war Sergeant in meiner Schwadron und Sohn eines Hörigen von meinem Oheim.« »Ganz richtig. Er war Euer Vertrauter und beliebt bei den Soldaten?« »Ich habe mein Vertrauen niemals einem Manne dieser Herkunft geschenkt. Houghton war ein tüchtiger Mensch und verwendbar. Deshalb wurde er befördert und stand bei den Kameraden in Achtung.« »Ihr bedientet Euch aber Houghtons, um der in Waverley-Würden für Euch geworbenen Mannschaft Eurer Schwadron Vorteile zuzuwenden?« »Allerdings. Die Regimentsmannschaft bestand zumeist aus Schotten und Iren und hatte sich daran gewöhnt, bei besondern Anlässen von mir Zuweisungen in Geld zu erhalten. Hierzu pflegte ich mich der Vermittlung des Sergeanten Houghton zu bedienen.« »Aber diese Zuwendungen geschahen in der Hauptsache an Mannschaften, die in Waverley-Würden geworben worden waren?« »Allerdings ... aber wie hängt das mit dem gegenwärtigen Falle zusammen?« fragte Waverley. »Bitte, gleich. Ich erwarte offne und aufrichtige Antwort. Ihr standet seit Eurem Weggang aus der Garnison in direktem oder indirektem Briefwechsel mit Sergeant Houghton?« »Ich? mit einem Untergebnen von mir? ... Nun und nimmer!« »Aber Ihr habt Euch doch Bücher aus Euer Bibliothek durch Sergeant Houghton nachschicken lassen?« »Nach Tully-Beolan, allerdings. Das fällt mir ein. Ich erteilte ihm den Auftrag, weil ich keinen meiner Kameraden damit behelligen wollte.« »Was für Bücher waren dies?« »Durchweg schönwissenschaftliche und für eine Dame bestimmt, der es an Lektüre fehlte.« »Abhandlungen, Flugschriften waren nicht darunter?« »Ein paar solche politischen Inhalts wohl, die ich jedoch nicht ein einziges Mal angesehen habe. Ein alter Hausfreund meines Vaters, mit besserm Herzen als klugem Verstande, hatte sie mir beim Abschiede von Waverley-Würden behändigt. Ich habe auf den Plunder niemals Wert gelegt,« versetzte Waverley. »Verfasser dieser politischen Schriften war ein gewisser Pembroke, ein Geistlicher, der dem Könige den Huldigungseid verweigert hat?« »Ich versichre aber auf meine Ehre, daß ich keine drei Seiten davon gelesen habe,« versetzte Waverley. »Ich sitze nicht zu Gericht über Euch, Mr. Waverley, sondern habe Euch nur zu verhören. Ich fahre also fort: Seid Ihr bekannt mit einem gewissen Wily Will oder Will Ruthven?« »Ich habe nie im Leben solchen Namen früher als jetzt gehört.« »Habt Ihr nie durch solche Person an Humphry Houghton, Euren Sergeanten, die Aufforderung gelangen lassen, sich mit soviel Mannschaft, als er irgend werben könne, ins Hochland zu begeben und den Truppen des jungen Prätendenten anzuschließen?« »An solchem Komplott bin ich vollständig unschuldig. Ich verabscheue es von ganzem Herzen und könnte mich solches Verrats nie schuldig machen, um jemand vom Thron oder jemand auf den Thron zu bringen.« »Ihr habt aber während Eurer Abwesenheit vom Regiment Verkehr unterhalten mit dem hochländischen Häuptling Glennaquoich einerseits und mit dem Baron Bradwardine anderseits, der für diese aussichtslose Sache ebenfalls unter die Waffen getreten ist?« »Umgang ja, insofern als ich Gast des Barons war. Aber ich stelle in Abrede, Mitwisser irgend welcher Absichten gegen die Regierung gewesen zu sein.« »Ihr werdet aber nicht in Abrede stellen, mit dem Häuptling Glennaquoich an einem Jagdzuge teilgenommen zu haben, dessen Zweck lediglich war, zwischen allen Mitverschworenen Maßregeln für den Ausstand zu verabreden?« »An einem Jagdzuge habe ich teilgenommen, aber nichts wahrgenommen, was zu dem genannten Zwecke dabei vorgegangen sein soll.« »Ihr seid von dort weiter marschiert, und zwar zum Heere des jungen Prätendenten, und seid, nachdem Ihr ihm gehuldigt habt, zurückgekehrt, um die zurückgebliebenen Kommandos einzuexerzieren, und mit seinen Banden auf dem Marsche nach Süden zusammenzustoßen?« »Das ist nun und nimmer der Fall gewesen. Nicht einmal vom Hörensagen weiß ich, daß solche Person, von der Ihr sprecht, im Lande gewesen sei.« Er erzählte nun die näheren Umstände von dem Unfall, der ihn auf der Jagdpartie betroffen, und wie er nach seiner Heimkunft den Brief seines Obersten gefunden, der ihm seine Kassation meldete, und stellte nicht in Abrede, daß es ihm dann vorgekommen sei, als wenn sich Anzeichen von einem Aufstand zeigten, er habe jedoch nicht im geringsten Verlangen verspürt, sich darein einzulassen, sondern habe sich, ohne weitern Grund zum Aufenthalt in Schottland, auf die Heimreise gemacht, zumal er von den Seinigen hierzu Aufforderung bekommen habe. Er behändigte nun dem Major die Briefe, die er von seinem Vater, von seinem Oheim und seiner Tante bekommen hatte. Der Major las sie, zog aber ganz andre Folgerungen aus dem Inhalte als Waverley, denn er fand Unzufriedenheit mit der Regierung darin und Androhungen von Rache, und am meisten beklagte er den Brief der Tante Rachel, die der Wiederkehr des Hauses Stuart so unverblümt das Wort redete. »Noch eine Frage, Mr. Waverley! Ihr habt doch von Eurem Regimentskommandeur wiederholt Schreiben bekommen mit der Aufforderung, zum Dienste zurückzukehren, in denen er Euch von der Mißstimmung unterrichtet hat, die sich in Eurem Regiment seit Eurer Abwesenheit eingenistet habe?« »Niemals, Major Melville! Nur zwei Schreiben: im einen äußerte der Oberst den Wunsch, ich möchte meinen Urlaub nicht vollständig beim Baron Bradwardine zubringen, weil das gegen die Grundsätze verstoße, die er bei seinen Offizieren voraussetzen müsse, und der andre Brief war eben derjenige, welcher mir die Kassation vom Dienste meldete, der mir aber, wie schon gesagt, zu spät in die Hände gelangte, als daß ich dagegen hätte noch etwas tun können. Falls er mir wirklich noch andre Briefe geschrieben haben sollte, so sind sie mir nicht zugegangen.« »Eins noch, Mr. Waverley: wenn es auch eine geringfügigere Sache betrifft, um derentwillen Euch zwar kein Gericht wird belangen können, die aber nichtsdestoweniger ein häßliches Licht auf Euch werfen muß. Es heißt, es sei in einer Gesellschaft, wo Ihr zu Gaste gewesen, ein Spruch ausgebracht worden auf eine andre Dynastie, als die im Lande bestehende, und Ihr hättet Euch, statt dagegen Stellung zu nehmen, stillschweigend verhalten. Hierüber sollen Eure Kameraden von Euch eine Erklärung gefordert, Ihr aber nicht darauf reagiert haben.« Das waren der Dinge zu viel. Infolge dieses Zusammentreffens von allerhand Umständen, die nun in solchem Maße zu seinen Ungunsten sprachen, ohne daß er die geringste böse Absicht, wie man sie ihm unterschob, dabei gehabt hatte, wurde es ihm in seiner Einsamkeit in fremdem Lande zu Mute, als seien Leben und Ehre für ihn verloren, als sei sein Schicksal bereits entschieden, ehe ihm noch das Urteil gesprochen worden, und er verweigerte nunmehr standhaft alle weitre Auskunft auf die an ihn gestellten Fragen, weil er annehmen mußte, daß sie doch nur in der Absicht gestellt würden, um die Waffen gegen ihn noch zu schärfen. Der Major indessen hielt es für angezeigt, ihm noch weitre Vorhaltungen zu machen, ohne sich an das finstre Schweigen Waverleys zu kehren. »An einen Grund, ein offnes Bekenntnis abzulegen, möchte ich noch erinnern. Ihr seid, wie ich gern um Euretwillen glaube, von Menschen, die klüger auf ihren Vorteil bedacht waren, zu ihren Plänen ausgenützt worden, und unter diesen dürfte, soweit ich die Vorgänge überschaue, jener hochländische Häuptling an erster Stelle stehen, der sich als ein Gönner und Freund von Euch auszugeben beliebt hat – ich meine Fergus Mac-Ivor. Während Eures Aufenthaltes unter den Hochschotten dürftet Ihr doch Einblick gewonnen haben in diejenigen Verhältnisse, die dort zurzeit herrschen inbetreff der Truppenstärke, wie auch der vorhandnen Hilfsmittel, wie auch endlich darüber, mit welchen Plänen sich die Anführer im besondern tragen. Würdet Ihr Euch herbeilassen, das, was Ihr hierüber wißt, freiwillig zu Protokoll zugeben, so dürftet Ihr Eure Lage um vieles bessern, und das Schlimmste, was über Euch verhängt werden dürfte, wäre nach meinem Dafürhalten eine Haft von kurzer Dauer.« Waverley hörte dem Major gelassen zu. Aber als er zu sprechen aufhörte, sprang er heftig auf und rief in einem Tone, wie er ihn bisher noch nicht angeschlagen hatte: »Major Melville, bisher habe ich Eure Fragen mit Ruhe angehört und mit Offenheit beantwortet, weil sie bloß mich betrafen. Wenn Ihr mich aber für so niedrigen Sinnes haltet, daß ich gegen Personen, die mir Gastrecht erwiesen haben, die mich, mögen ihre Vergehen sein, welche sie wollen, mit Freundschaft behandelt und in Krankheit gepflegt haben, als Denunziant, als Verräter auftreten könnte, so erkläre ich hiermit, daß Ihr Euch in mir schändlich getäuscht habt. Ihr mögt mir eher das Herz aus der Brust reißen, als daß die geringste Andeutung übet die Dinge, die Ihr von mir erfahren wollt, den Weg über meine Lippen finden sollte, selbst angenommen, es sei mir davon Kenntnis geworden, was ich doch entschieden in Abrede stelle.« Der Geistliche und der Major sahen einander an. Der Geistliche hustete wieder, wie schon ein paar mal während des Verhörs, um seine Teilnahme am Verlauf desselben zu äußern, schnupfte und schnäuzte sich. Der Major hingegen erwiderte: »Mr. Waverley, Ihr mißversteht augenscheinlich meine Absicht. Es ist jedoch jetzt keine Zeit, darüber zu rechten, was als Beleidigung angesehen werden kann, was nicht. Ich verzichte deshalb auf die Fortsetzung des Verhörs, das schließlich zu dergleichen führen könnte. Ich bedaure jedoch, Eure Verhaftung anordnen zu müssen und erkläre Euch bis auf weitre Ordre als meinen Hausgefangnen. Darf ich Euch anbieten, das Vesperbrot an meinem Tische zu nehmen?« Waverley schüttelte mit dem Kopfe. »Nun, wie Ihr wollt,« erwiderte der Major, »so werde ich Euch ein paar Erfrischungen auf Eure Stube bringen lassen.« Waverley verneigte sich und begab sich unter dem Geleit eines Beifrons in das ihm angewiesene Zimmer, wo er sich, ohne Speise und Trank anzurühren, auf das Lager warf, betäubt von den qualvollen Vorgängen des Tages, und in einem Zustande vollständiger geistiger und körperlicher Erschöpfung versank er alsbald in einen tiefen und festen Schlaf. Der Geistliche und der Major saßen eine Zeitlang einander schweigend gegenüber, jeder mit seinen eignen Gedanken über die Angelegenheit befaßt. Endlich goß der Major die beiden Gläser voll, die auf dem Tische standen, und sagte: »Mein lieber Morton, das ist eine kreuzdumme Geschichte. Ich glaube fast, der junge Mann hat sich den Weg zum Galgen gepflastert.« »Da sei Gott vor!« versetzte der Geistliche. »Das müßte doch, sollte ich meinen, nach dem heute Vernommenen abwendbar sein.« »Ich wünsche es ganz gewiß. Aber wir haben sehr schlimme Zeit. Hunderte von irre geführten Edelleuten sind im Aufruhr gegen die Regierung, manche, unzweifelhaft infolge von Grundsätzen, die durch Erziehung und Vorurteile geschaffen worden sind und die sich mit den Begriffen Patriotismus und Heroismus zu decken suchen. Aber auch unter Rücksichtnahme selbst auf solche mildernden Umstände dürfte sich kein Gerichtshof finden lassen, der in einem so schweren Falle nicht auf strenge Haft erkennen wurde.« »Daß Ihr den jungen Mann so lange in häuslicher Haft behieltet, bis sich der Zustand im Lande gebessert hat und bis die Sicherheit wieder einigermaßen zurückgekehrt ist, ginge nicht an?« »Lieber Freund! soweit ich zu beurteilen weiß,« sagte der Major, »wird weder Euer noch mein Haus noch lange den nötigen Schutz gewähren können, selbst wenn es sich mit den Gesetzen vertrüge, den Delinquenten hier zu behalten. Habe ich doch soeben vernommen, daß der General, der in die Hochlande kommandiert ist, einem Kampfe bei Corryerick ausgewichen und mit sämtlichen Streitkräften nach Invernes abgerückt ist, wodurch er natürlich den hochländischen Truppen den Weg nach dem Unterlande freigegeben hat.« »Gerechter Himmel! Ist der Mann denn eine Memme oder ein Verräter oder ein unfähiger Mensch?« »Nichts von alledem, meines Dafürhaltens, sondern einer von jenen Soldaten, die gern nach dem Befehle gehen und selbständigen Handlungen streng abhold sind. Ich werde mich in der Sache kurz entschließen und den Gefangenen einem der Freiwilligenkommandos zum Weitertransport übergeben, die seit kurzem ausgehoben werden, um die im Aufruhr befindlichen Gegenden in Rand, und Band zu halten. Morgen oder übermorgen wird ein solches Kommando hier durchmarschieren, das von ... na, wie heißt doch der Mensch gleich? ein Westländer ists, Ihr habt ihn auch schon gesehen und sagtet damals, er sähe aus, als wäre er das leibhaftige Konterfei eines Kriegsheiligen aus der Cromwellschen Zeit.« »Ach, Ihr meint den Cameronier Gilfillan? Nun, da wünschte ich dem jungen Manne schließlich doch bessre Hände!« sagte der Pfarrer. »Der Mann gehört, fürchte ich, einer Sekte an, die schwere Verfolgung erlitten und die Barmherzigkeit verlernt hat.« »Ich werde dem Manne strenge Befehle erteilen. Er soll ihn gut behandeln und aufs Schloß Stirling schaffen. Ich wüßte nicht, was ich sonst mit ihm machen sollte. Denn ihn frei zu machen und mich dadurch in dumme Verantwortlichkeit zu setzen, dazu ratet Ihr mir doch auch nicht?« Kaum hatte der Major ausgeredet, so erschallte draußen ein dumpfer Trommelschlag, nicht taktmäßig und militärisch, sondern nach Art der Wirbel, die bei Feuerlärm geschlagen werden. Dann gebot eine rauhe, dem Rollen des Donners ähnliche Stimme Ruhe. Zweites Kapitel Major Melville trat, als er den Trommelwirbel hörte, mit dem Geistlichen auf die Terrasse hinaus, die sich vor seinem Hause befand. Draußen nahte ein feierlicher Zug, den der Trommelvirtuos eröffnete. Hinter ihm wurde eine große Fahne getragen mit vier Feldern, auf denen die vier Worte standen: Glaube, Kirche, König, Königreich. Auf den Fahnenträger folgte der Kommandant: ein hagerer, finstrer Mann mit strengem Blicke, der ein Sechziger an Jahren sein konnte. In seinem Gesicht stand der wilde Fanatismus des Sektierers ausgeprägt. Es war unmöglich, ihn anzusehen, ohne daß man an einen Märtyrer am Pfahle oder an einen Inquisitor der strengkatholischen Richtung dachte. Aber in dem theatralischen Aufputz, in der affektierten Weise seiner Haltung, in der großspurigen Art seiner Rede lag etwas, das an Lächerlichkeit grenzte. Seine Kleidung war der im ganzen Westen übliche braune Lodenrock, jedoch von besserm Stoffe, als man ihn bei der niedern Bevölkerung antrifft, und seine Bewaffnung bestand aus Schwert und Pistole, die ihrem Aussehen nach wohl schon die Schlachten bei Bentland oder Bothwell-Brigg mitgemacht haben mochten. Er stieg jetzt ein paar Stufen der Terrasse hinauf, um den Major zu begrüßen, und griff dabei mit militärischem Aplomb an die leicht auf den Kopf gestülpte blaue Mütze, zur Antwort auf das Kompliment des Majors, der höflich sein dreieckiges, goldbordiertes Hütchen lüftete. Das Korps, das der seltsame Fanatiker kommandierte, bestand aus etwa dreißig Mann, die sämtlich die unterländische Tracht trugen, aber in allerhand Farben, die zu den Waffen, die sie führten, in dem wunderlichsten Gegensatze standen und ihnen ein buntscheckiges, recht ordinäres Aussehen gaben. In den vordersten Reihen standen einige Mann, die von dem gleichen Enthusiasmus wie ihr Führer beseelt zu sein schienen, und die wohl in einem Kampfe furchtbare Gegner sein mochten, wenn ihr Mut durch religiösen Eifer verstärkt wurde. Andre stolzierten wie Pfaue herum und brüsteten sich mit ihren Waffen, die sie wahrscheinlich erst seit kurzer Zeit trugen. Noch andre schleppten sich zu Fuß hinter den Berittnen her oder »drückten sich« von ihren Kameraden, um sich irgendwo in einer Dorfhütte oder im Dorfkrug nach Erfrischungen umzusehen. Der Major fragte, als er den Kameronier bekomplimentiert hatte, ob ihm das Schreiben zugegangen sei, das er ihm entgegengeschickt habe, und worin er ihm den Transport eines Staatsgefangenen nach dem Schlosse Stirling angekündigt habe. »Jawohl,« war die kurze, abgeschlossene Antwort des Kameroniers. »Aber Euer Kommando ist nicht so stark, wie ich gerechnet habe.« »Ein paar Mann sind unterwegs dem Durst und Hunger verfallen und harren der göttlichen Tröstung.« »Ihr habt zu solcher Zeit, wo die Rebellen darauf aus sind, Fuß im Unterlande zu fassen, einen Teil Eures Kommandos auf dem Marsche zurücklassen können?« »Wenn sie doch dürsteten nach geistlicher Nahrung?« antwortete der Sektierer.« »Indessen möchte ich doch, da Ihr den Gefangenen, den Ihr von mir nehmt, nach Schloß Stirling bringt, Euch eine geschlossenere Kriegszucht anempfehlen. Es möchte wohl besser sein, Ihr hieltet so lange Eure Mannschaft fester zusammen, ohne Rücksicht auf Eure sonst ja recht löblichen frommen Bräuche. Aber wie ich bemerke, leiht Ihr meinen Worten kein Ohr, Mr. Gilfillan! Da brauche ich mich also wohl nicht weiter zu bemühen? Bloß eins wollt Ihr nicht außer acht lassen: Ihr habt Euren Gefangenen anständig und höflich zu behandeln und sollt ihn unter keinen Umständen einem andern Zwange unterwerfen, als zu sicherm Transport unbedingt erforderlich ist.« »Ich habe meine Instruktion gelesen,« sagte Gilfillan, »die von einem würdigen, frommen Edelmann abgefaßt worden ist, von dem Grafen William von Glencairn. Doch steht darin kein Wort davon, daß ich Instruktionen entgegenzunehmen hätte von einem Herrn Major Melville auf und zu Cairnvreckan.« Major Melville wurde rot bis hinter die Öhren und noch röter, als er wahrnahm, daß, Mr. Morton, der Dorfpfarrer, lachte. »Mr. Gilfillan,« sagte er, nicht ohne Herbigkeit, »Ihr wollt gütigst entschuldigen, daß ich mit einem Menschen von Eurer Wichtigkeit in ein Gespräch mich eingelassen habe. Aber da Ihr meines Wissens Eures Zeichens Viehhändler wart, so meinte ich, es sei vielleicht am Platze, Euch darauf hinzuweisen, daß es ein Unterschied ist, ob Ihr hochländisches Vieh oder Hochländer Leute zu transportieren habt, und daß Euch wohl nichts dadurch aus Eurer Krone geraubt würde, wenn Ihr Euch einen gut gemeinten Rat anhört von einem Manne, der den Dienst kennt und Euch ein Wort vergönnt. Aber ich bin nun fertig und empfehle Euch bloß noch einmal glimpfliche Behandlung Eures Gefangnen.« Hierauf wandte er sich nach dem Gefangenen, der inzwischen durch den Beifron herbeigeführt worden war. »Mr. Waverley, es tut mir aufrichtig leid, daß wir auf solche Weise auseinandergehen müssen. Sollte Euch aber der Weg noch einmal in diese Gegenden führen, so will ich mich bemüht zeigen, Euch mein bescheidnes Cairnvreckan in angenehmere Erinnerung zu setzen.« Mit diesen Worten schüttelte er unserm Helden die Hand. Auch Morton verabschiedete sich auf die herzlichste Weise, und als Waverley seinen Braunen bestiegen hatte, faßte ein Musketier den Zaum in die Hand, und zwei Glieder Soldaten nahmen Roß und Reiter in die Mitte, und dann kommandierte Gilfillan zum Aufbruch. Ein Kinderschwarm verfolgte sie durch das kleine Dorf und schrie in einem fort: »Da bringen sie den aus dem Süden! den führen sie ab zum Galgen! zum Galgen! weil er auf unsern Schmied, auf Johann Grimmig, geschossen hat.« Drittes Kapitel Vor sechzig Jahren war in Schottland Mittagessenszeit um zwei Uhr, und zwischen vier und fünf Uhr wurde der Nachmittagstrunk und das Vesperbrot eingenommen. Als Mr. Gilfillan seinen Marsch antrat, konnte er also rechnen, die Strecke bis nach dem Schloß Stirling, das etwa fünf Stunden entfernt lag, noch vor Mitternacht zu erreichen. Er schritt deshalb wacker an der Spitze seines Haufens aus, blickte jedoch, wie wenn ihm daran gelegen sei, ein Gespräch zu beginnen, zu wiederholten Malen nach seinem Gefangenen zurück, und schien endlich der Versuchung nicht länger widerstehen zu können, sondern hemmte die Schritte, bis er neben dem Pferde seines Gefangenen war. Nachdem er noch eine Weile still neben demselben einhergegangen war, stellte er die Frage an ihn: »Wer war denn der Man im schwarzen Rock mit der Perücke, der beim Laird von Cairnvreckan sich befand?« »Ein Pfarrer von der presbyterianischen Kirche,« gab Waverley zur Antwort. »So? ein elender Ketzer also? einer von den stummen Hunden, die nicht bellen können, die von Schrecken lärmen und von Tröstung wimmern in ihren Predigten ohne Sinn und Verstand? ... He? seid wohl auch auf solchem Miste groß geworden?« »Nein. Ich gehöre zur englischen Kirche,« gab Waverley zur Antwort. »Na, nahe dabei seid Ihr dann ja,« antwortete der Fanatiker, »und zu verwundern brauchts einen dann nicht, daß Ihr Euch so gut mitsammen vertrugt. Das war ja ein Abschiednehmen, als wenn der Vater sich vom Sohne trennt! Wer hatte wohl gedacht, daß unsre gute schottische Kirche, Anno 1642 von unsern Vätern durch solche sichre Urkunde gefestigt, durch die Verderbnis der Zeiten so hätte verbösert werden können! Aus der Schrift wollt ichs Euch beweisen, daß Eure Chorhemden und Mäntel bloß die weggeschmissenen Lumpen jener großen babylonischen Hure sind, die da sitzet auf den sieben Bergen und die da trinket aus dem Kelche des Greuels. Aber mir scheint, Ihr seid taub auf dieser Seite des Leibes ... ha, Ihr seid verführt von den Zauberzicken der großen Hure! und Ihr seid besoffen vom Schnapskelch ihrer Buhlerei!« »Wer weiß, wie lange der kriegerische Theolog seine Schmähungen fortgesetzt hätte, denn an Stoff fehlte es ihm nicht und an Stimme auch nicht, und sein Gedächtnis war stark ... wenn nicht ein Hausierer, der des Weges entlang kam, seine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hätte. Er hatte sich von einem Seitenwege her dem Zuge angeschlossen und seufzte und winselte pünktlich und ausgiebig bei jedem Satze der Jeremiade des Kameroniers. »Na, wer seid Ihr denn, Mann?« fragte Gilfillan. »Ein Hausierer, der unterwegs nach Stirling ist und Euer Gnaden um Schutz bittet bei solch schlimmer Zeit. Ach, Euer Gnaden verstehen es mit großem Geschick, die dunklen Schäden unsres Lebens auszuspüren .... Ihr faßt, wie es scheint, das Uebel an der Wurzel?« »Freund,« sprach Gilfillan mit einer um vieles gefälligeren Stimme als bisher, »mit Euer Gnaden wollt Ihr mich verschonen, denn ich gehe nicht hinaus auf die Felder und in die Dörfer und Flecken, damit Hirten und Dörfler und Städter ihre Kappen vor mir lüften, wie vor dem Major Melville von Cairnvreckan, und mir Titel an den Hals schmeißen sollen wie Laird oder Kapitän oder Euer Gnaden. Nein! mein bißchen Hab und Gut, das mir der Segen des Himmels hat mehren helfen, hat mir keinen Stolz ins Herz gepflanzt. So lange ich mein Leben behalte, heiße ich und will nicht anders heißen wie Habakuk Gilfillan, und zu dem Panier der Lehre werde ich halten, wie sie weiland festgestellt worden ist von den Synoden der weiland berühmten Kirche von Schottland, ehe sie sich einließ, mit dem verfluchten, Achan, so lang er noch einen Tropfen Blut im Leibe und einen Batzen Geld im Beutel hatte.« »Ach, ich habe Euer Land gesehen bei Mauchlin,« sagte der Hausierer wieder, »ein fruchtbarer Boden! und solche Viehherden wie Ihr hat kaum ein Laird!« »Recht habt Ihr,« versetzte selbstgefällig der Kameronier, »echte Rasse von Lancashire-Vieh! nicht auf den Edelhöfen von Kilmaurs findet Ihr Vieh wie meins!« und er verbreitete sich nun über die Vorzüge seines Viehs mit einer Beredtheit, die ihm alle Ehre machte, aber weder für die Leser Interesse haben würde, noch für unsern Helden Interesse hatte. Deshalb ersparen wir uns auch, weiteres darüber zu registrieren. Uebrigens verfiel der Fanatiker auch bald wieder in seine pfäffischen Salbadereien, mit denen er sich nicht anders Waverley gegenüber verhielt, wie mit seinen Lobeshymnen auf seine vierbeinigen Wertstücke. Zudem trat, als er sich eben in eine Frage ganz besonders wuchtiger Art verirrte, ein Umstand ein, der ihm, auf gut schottisch gesagt, das Maul energisch stopfen sollte. Die Strahlen der Sonne schimmerten schon am Rande des Horizonts, als der Zug sich in einem ziemlich steilen Hohlwege aufwärts bewegte, der auf den Kamm einer Hochfläche führte. Ziemlich auf der Höhe desselben zog sich ein Heidekraut-Dickicht hin, und darauf bewegte sich jetzt der Zug. Die Vordersten des Zuges hatten es bereits erreicht, und Gilfillan, der neben dem Hausierer und vor dem Doppelspalier, das seinen Gefangenen in der Mitte führte, einherschritt, befand sich jetzt ziemlich nahe dem Dickicht. Da blieb der Hausierer unter dem Vorwande, sein Hund sei ihm abhanden gekommen, stehen und pfiff. Da er aber den Pfiff jetzt wiederholte, nahm der Kameronier sehr ernst daran Anstoß und wehrte es ihm. »Aber Euer Gnaden sollten doch den Fall mit Tobias nicht außer acht lassen!« »Tobias!« rief Gilfillan mit wildem Eifer, »Tobias war mitsamt seinem Hunde heidnisch und apokryphisch, und niemand als ein Pfäffischer kann sie in Betracht nehmen.... Vielleicht hab ich mich gar in Euch geirrt!« »Das kann wohl sein,« gab der Hausierer zur Antwort mit großer Fassung, »aber pfeifen muß ich doch noch mal nach meinem Hunde.« Dieses letzte Zeichen wurde auf unvermutete Weise beantwortet, denn aus dem Dickicht sprang etwa ein halbes Dutzend handfester Hochschotten hervor, und schlug mit Schwertern und Säbeln auf Gilfillan und seine Schar ein. Gilfillan schrie, ohne über diesen Ueberfall in Schrecken zu geraten, mit seiner Donnerstimme: »Das Schwert Gideons und des Herrn!« und hätte wahrscheinlich der guten Sache alle Ehre gemacht, wenn nicht im Nu der Hausierer dem Nächsten, der bei ihm stand, die Muskete aus der Hand gerissen und mit dem Kolben einen so wuchtigen Schlag auf Gilfillans Schädel geführt hätte, daß der Kameronier wie ein Klotz zur Erde niederschlug. In dem Wirrwarr, der nun folgte, wurde von einem Gilfillanschen Schützen Waverley das Pferd unterm Leibe erschossen. Waverley kam drunter zu liegen und erlitt eine schlimme Quetschung, war aber ebenso schnell aus seiner schlimmen Lage befreit, sah sich von ein paar Hochländern gepackt und wurde auf der Straße fortgeschleppt. Mit Windeseile ging es nun in den Wald hinein. Waverley hörte noch ein paar Schüsse knallen. Die Westländer, aus Furcht, in einen zweiten Hinterhalt zu geraten, ließen jedoch von der Verfolgung ab und erachteten es für klüger, ihren Marsch nach dem Schlosse Stirling fortzusetzen und ihren verwundeten Hauptmann mit vom Platze zu schleppen. Viertes Kapitel Fast besinnungslos wurde Waverley von den Hochländern weitergeschleppt. Als sie inne wurden, daß die Leute Gilfillans von der Verfolgung abstanden, legten sie ihn auf ein Plaid und trugen ihn, indem an jedem der vier Zipfel einer anfaßte. Auf diese Weise war der Weitertransport leichter und für den Verwundeten minder schmerzhaft. Gesprochen wurde von den Hochländern nur wenig, und was sie sprachen, sprachen sie auf gälisch, dessen Waverley nicht mächtig war. Erst nachdem sie etwa eine Meile hinter sich gebracht hatten, mäßigten sie die Schnelligkeit ihres Marsches, indem sie sich soviel Zeit vergönnten, daß sie frische Leute zum Transport des Verwundeten antreten ließen. Waverley versuchte jetzt, sie nach dem und jenem zu fragen, aber sie antworteten ihm unentwegt nur immer: »Niel Sassenagh«, was soviel bedeutet wie »Nicht Englisch«. Er nannte ihnen den Namen Vich-Ian-Vohr, in der Annahme, daß er Fergus seine Befreiung zu verdanken habe, bekam jedoch auch hierauf keine andre Antwort, wie auf seine frühern Fragen. Am Rande eines schmalen Tages wurde Halt gemacht; das Zwielicht war dem Mondschein gewichen; soweit sich erkennen ließ, war das Tal dicht bewaldet. Zwei Hochländer stiegen zuerst hinunter, wahrscheinlich um auszukundschaften, ob »die Luft unten rein« sei. Auf ein Signal, das aus der Tiefe nach einer Weile erschallte, hoben die Zurückgebliebenen ihre Last wieder auf und kletterten vorsichtig auf dem abschüssigen, schmalen Pfade in die Tiefe hinunter. Am Ufer eines Gießbachs, den man wohl poltern hörte, ohne jedoch sein Bett zu sehen, hielt der Trupp vor einer kleinen, roh gezimmerten Hütte. Die Tür stand offen, im Innern sah es so unbehaglich aus, wie das Aeußere verriet. Von Estrich und Fußboden keine Spur, das Dach schien an mehreren Stellen durchbrochen zu sein, statt mit Stroh war es mit Baumzweigen gedeckt, und die Wände waren aus losem Gestein und Rasen aufgeworfen. Mitten in der Hütte brannte ein Feuer und füllte den ganzen Raum mit Rauch, der sich langsam durch die Oeffnung im Dache verzog. Eine greise Hochländerin, die einzige Person, die hier hauste, schien sich mit der Herrichtung einer Mahlzeit zu befassen. Bei dem Lichtschein, den das Feuer warf, konnte Waverley jetzt erkennen, daß die Hochschotten, die ihn befreit hatten, nicht dem Clan Mac-Ivors angehörten, denn sie trugen nicht den gestreiften Tartan, auf den Fergus streng bei seinen Hörigen hielt. Außer einem hölzernen Schragen enthielt die Hütte keinerlei Mobiliar. Auf ihm legten die Hochländer Waverley, der jede Erfrischung ablehnte, nieder. Er schlief bald ein, aber sein Schlaf war unruhig und schwer, und seltsame Gebilde zogen an seinem geistigen Auge vorüber. Fieberschauer, starkes Kopfweh und heftige Schmerzen in den Schenkeln stellten sich im Laufe der Nacht ein, und am andern Morgen sahen die Hochländer, daß es unmöglich sei, Waverley weiter zu transportieren. Nach einer langen Beratung wurde beschlossen, von dem Trupp einen alten und einen jungen Mann zurückzulassen, und dann, noch immer ein halbes Dutzend Mann stark, den Marsch allein fortzusetzen. Der Greis widmete sich der Pflege des Kranken, machte ihm warme Umschläge auf die schmerzenden Körperteile und wachte bei ihm während seines oft unterbrochnen Schlafs. Der junge Hochschotte hielt vor der Hütte die Wache. Aber bald nahm Waverley wahr, daß die alte Frau sowohl als der alte Mann nicht leiden wollten, daß die Tür offen bliebe. Und während er sich mit Betrachtungen darüber befaßte, da fiel ihm plötzlich wieder ein, daß es ihm in der schlimmsten Zeit seiner Krankheit so gewesen war, als hätte er die Stimme eines andern weiblichen Wesens vernommen, das sich leise mit der Greisin unterhalten habe. Wer mochte das sein? Im ersten Augenblick dachte er an Flora Mac-Ivor. Aber bald wurde er inne, so sehr er auch sich sehnte, daß diese Vermutung sich bewahrheite, daß es Flora nicht sein könne, denn wie hätte sie sich entschließen sollen, ihre verhältnismäßig sichre Zuflucht im Hochland aufzugeben, um sich in das jetzt von Aufstand und Krieg zerrissene Unterland zu wagen? um seinetwillen, mit dem sie doch jede Beziehung gelöst hatte? Und doch fühlte sein Herz sich freudig bewegt, wenn er den leichten Tritt eines weiblichen Fußes durch die Tür herein oder hinaus schlüpfen oder den verhaltenen Klang einer sanften Mädchenstimme im Austausch mit den heitern Launen der Greisin hörte. Aber all seine Bemühungen, durch angespannte Aufmerksamkeit dahinter zu kommen, wer diese weibliche Erscheinung sein möge, erwiesen sich als vergeblich, und aus der Hütte heraus ließ man ihn, auch als sich sein Zustand gebessert hatte, nicht mit einem Tritte. Die Greisin war sehr ängstlich und wachsam, und so oft Waverley versuchte, sich der Tür zu nähern, vertrat ihm entweder sie oder der alte Janitschare von Hochländer, der sich mit ihr in die Wache teilte, den Weg. Sich den Ausgang zu erzwingen, dazu fühlte sich aber Waverley noch nicht genug bei Kräften. Seine einzige Zerstreuung bestand darin, aus der fensterartigen Oeffnung oberhalb seines Schragens auf den Gießbach hinunterzusehen, der sich unterhalb der Hütte in seinem Felsenbette zwischen Büschen und Bäumen entlang wälzte. Am sechsten Tage seiner Gefangenschaft fühlte sich Waverley wieder so frisch und so bei Kräften, daß er auf Flucht aus seinem dumpfen Gefängnis zu sinnen begann, denn jede Gefahr, mochte sie noch so schwer sein, schien ihm den Vorzug zu verdienen vor dieser unausstehlichen Einförmigkeit in der Hütte der alten Hochschottin. Aber sein Geschick hatte es so eingerichtet, daß er selbst über dasselbe noch nicht verfügen sollte, denn am Abend des siebenten Tages tat sich plötzlich die Tür auf, und es traten zwei Hochländer herein, die Waverley als welche aus dem Trupp erkannte, die sein früheres Geleit ausgemacht hatten. Sie besprachen sich eine kurze Weile mit dem alten Hochschotten und dessen jungem Gefährten, dann gaben sie Waverley zu verstehen, daß er sich gefaßt halten möge, ihnen zu folgen. Diese Mitteilung war ihm höchst erfreulich. Daß er keinerlei persönliche Gewalttätigkeit zu fürchten hätte, das zeigten ihm die bisherigen Vorgänge mit dem Ueberfall, und langsam kehrte nun auch seine romantische Stimmung wieder, die eine Zeitlang durch Unmut, Unsicherheit über das Schicksal und die Wendung in den öffentlichen Verhältnissen seines Vaterlandes so schwer beeinträchtigt worden war. Auch sein alter Lebensmut kehrte langsam wieder, und mit einem wunderlichen Gemisch von Hoffnung, Furcht und Sorge faßte Waverley die Gruppe der eben angelangten Hochländer ins Auge, die nur schnell ein paar Bissen zu sich nahmen, sonst aber marschbereit dastanden. Da fühlte er plötzlich sich leicht am Arme berührt. Er drehte sich rasch um und erblickte Alice, die Tochter Donald Bean Leans, des Hochlandsräubers. Sie zeigte ihm so, daß es von keinem andern der Anwesenden bemerkt werden konnte, ein Päckchen Papiere, legte den Finger an die Lippen und ging dann wieder, gleich als ob sie der alten Frau beim Packen von Waverleys Sachen behilflich sein wollte. Es schien Waverley, als wünsche das Mädchen nicht wissen lassen zu wollen, daß sie ihm von früher her bekannt sei. Doch blickte sie, wenn sie meinte, es unbemerkt tun zu können, sich noch mehrmals nach ihm um, und als sie bemerkte, daß er jetzt gleichfalls ihr Aufmerksamkeit schenkte, schlug sie das Päckchen Papiere gewandt und flink in eins seiner Hemden und schob dasselbe in seinen Mantelsack. Nun drängten sich allerhand Mutmaßungen seinem Geiste auf. War Alice das Mädchen, dessen Tritt und Stimme er so oft belauscht hatte? War dieses Mädchen aus der Räubergrotte der schützende Genius während seiner Krankheit gewesen? Befand er sich in den Händen ihres Vaters? und wenn dies der Fall war, zu welchem Zwecke dann? Raub, das gewöhnliche Handwerk des Hochschotten Donald, konnte im vorliegenden Falle sein Beweggrund nicht sein, denn man hatte Waverley nicht bloß sein Eigentum gelassen, sondern auch seine Börse ausgehändigt, die doch einem Diebe von Profession kaum gleichgültig gewesen wäre. Ueber all diese Punkte gab ihm vielleicht das Paket Auskunft, auf das Alice seine Aufmerksamkeit in so auffälliger Weise gelenkt hatte. Er hatte das Mädchen aber recht gut verstanden, daß sie ihm dringend ans Herz legte, er möge das Päckchen nur suchen und öffnen, wenn er sich unbeobachtet wüßte. Sie suchte nun auch seinen Blicken nicht wieder zu begegnen, da sie wußte, daß er sie verstanden habe, sondern verließ im Gegenteil alsbald die Hütte, und erst, als sie den Vorteil der Dunkelheit für sich hatte, sah sie sich noch einmal um und nickte Waverley bedeutungsvoll zu, bevor sie in der Talschlucht verschwand. Nun wurde der junge Hochschotte, der die Zeit von Waverleys Krankheit über vor der Hütte gewacht hatte, von seinen Kameraden ausgeschickt, wahrscheinlich auf Kundschaft. Nachdem er drei- bis viermal hin und her gelaufen war, brach der Trupp auf und winkte unserm Helden, ihm zu folgen. Nachdem Waverley der alten Hochschottin für ihre Mühe ein reichliches Entgelt zurückgelassen hatte, verließ auch er die Hütte. Fünftes Kapitel Als der Trupp vor der Hütte sich aufstellte, trat eine kurze Pause ein, und der Führer, wie es Waverley vorkam, die nämliche Gestalt, die als Stellvertreter von Donald Bean Lean ihm schon früher aufgefallen war, legte allen durch Flüstern und Zeichen Stillschweigen auf. Er gab Edward ein Schwert und ein Pistol in die Hand, dann wies er ihm die Richtung des Weges, den sie vorhatten, und legte die Hand an den Griff des Schwertes, um anzudeuten, daß es möglich sein werde, daß sie sich den Weg mit Waffengewalt zu eröffnen hatten. Dann stellte er sich an die Spitze des Zuges, der sich im Gänsemarsche vorwärts bewegte. Waverley marschierte unmittelbar hinter dem Führer, der mit großer Vorsicht vorausschritt. Sobald er auf der Pfadhöhe war, hielt er an. Waverley hörte in nicht zu weiter Ferne den Ruf eines englischen Postens: »Alles gut!« Der laute Ruf wurde vom Nachtwind in das waldige Tal hinuntergetragen und verhallte in der Schlucht. Noch ein paarmal wurde das Signal wiederholt, schwächer und schwächer, wie wenn es in immer größerer Ferne gegeben würde. Augenscheinlich war ein Trupp Soldaten in der Nähe und auf der Hut. Als es still im Tale geworden war, setzten die Hochländer eilig den Marsch fort, jedoch mit äußerster Stille. Waverley hatte zur Beobachtung kaum Zeit und vielleicht noch weniger Lust, und nahm nun wahr, daß sie an einem großen Gebäude vorbeizogen, in dessen Fenstern Licht zu blinken schien. , Der Hochländer, der den Trupp führte, schnoperte nun nach Art eines Hundes in der Luft und gab dann dem Trupp ein Zeichen zu halten, legte sich dann auf alle Viere und wickelte sich in sein Plaid, so daß er von dem Boden kaum zu unterscheiden war. In dieser Stellung kroch er langsam weiter, um zu spionieren, dann kam er wieder und entließ seine Begleiter bis auf einen. Dann machte er Waverley verständlich, daß er ihm in der gleichen Weise folgen müsse. So krochen nun die drei Mann auf Händen und Knieen weiter. Nicht lange, so fiel auch Waverley der Geruch auf, nach welchem der Hochländerführer geschnopert hatte, und der aus einer Schafhürde drang, die nach der in Schottland üblichen Weise aus losem Gestein aufgeführt war. Der Hochländer führte nun Waverley bis an die niedrige Wand und bedeutete ihm durch Zeichen und Beispiel, darüber hinweg in das Innere der Hürde zu blicken. Hier sah Waverley ein aus einem halben Dutzend Soldaten bestehendes englisches Wachtkommando. Bis auf einen Mann, der mit der im Feuerschein blinkenden Flinte auf der Schulter auf und nieder schritt, lagen sie alle an der Erde und schliefen. Nach ein paar Minuten trat in der Atmosphäre eine Wandlung ein, wie sie in Gebirgsgegenden häufig vorkommt. Es erhob sich ein Wind, der alles Gewölk vom Himmel fegte und dem Monde freie Bahn schuf. Das Gestirn der Nacht erhellte nun die weite, wie mit Meltau bestreute Heide, die bald für aller Blicke in der Richtung, die der kleine Trupp verfolgte, frei und offen lag. Der Hochländer murmelte über diese Voreiligkeit des Mondes einen derben gälischen Fluch, dann sah er sich ein paar Sekunden lang um und schien zu einem bestimmten Schlusse zu gelangen. Er ließ seinen Begleiter bei Waverley zurück, schärfte ihm ein, sich ganz still zu verhalten und sich nicht zu rühren, dann kroch er, wie er gekommen war, zurück bis an das Dickicht. Dort verschwand er, aber nur auf kurze Zeit, denn plötzlich tauchte er von der andern Seite wieder auf, und zwar kerzengerade über die Heide hin schreitend. Dann legte er seine Büchse an und schoß nach der Schildwache. Die Kugel fuhr ihr durch den Arm und störte sie auf empfindliche Weise aus ihrer beschaulichen Ruhe auf. Sie erwiderte den Schuß auf der Stelle, aber ohne andern Erfolg, als daß das halbe Dutzend seiner Kameraden wie durch Zauberschlag auf den Beinen und bei seinen Waffen war und aus der Hürde hinausstürmte in die Gegend, aus welcher der Schuß gefallen war. Das aber hatte der Hochländer mit seinem Manöver bloß beabsichtigt, seine Kriegslist war ihm vollständig gelungen, und während sich die Soldaten weiter und weiter von der Schafhürde entfernten, hatte er sich an Waverley wieder herangeschlichen und bedeutete denselben, in entgegengesetzter Richtung sich auf die Flucht zu machen. Sie waren kaum eine Viertelstunde weit geschlichen, so hatten sie einen Hügelrücken als Deckung gewonnen, der sie vor weiterer Entdeckungsgefahr zunächst schützte. Wohl vernahmen sie noch den dumpfen Widerhall der Trommel, aber nur aus sehr weiter Ferne, und da sie ihren Marsch nun schnell fortsetzen konnten, erstarb derselbe bald so gut wie ganz. Der Hochländerführer nahm nun Waverley die Waffen wieder ab, die er ihm bei Beginn des Marsches behändigt hatte, und gab ihm zu verstehen, daß die Gefahren jetzt hinter ihnen lägen. In einem Dickicht wurde ein Pferde-Relais gefunden, und nun stiegen die drei Mann zu Pferde; für Waverley, der unter den Folgen seiner Erkrankung noch immer zu leiden hatte, eine sehr erwünschte Abwechslung. Kein weiterer Zwischenfall störte nun die nächtliche Tour, und als der Morgen graute, gelangten sie an das Ufer eines reißenden Stromes, der hier durch ein wildromantisches Stück Erde seinen Lauf nahm. Steile Waldufer wechselten mit Getreidefeldern, die bereits gemäht waren. Auf dem andern Ufer erhob sich ein großes, massiv gebautes Schloß, dessen halb verfallne Türme schon in den ersten Sonnenstrahlen glänzten. Es zeigte die Gestalt eines langen Vierecks, das in seiner Mitte einen geräumigen Hof einschloß. Aus jeder Ecke des Vierecks erhob sich ein hoher Turm, die Mauern waren ringsum mit einer Anzahl kleinerer Türmchen besetzt, durchweg verschieden an Größe und von unregelmäßiger Gestalt. Auf einem derselben zeigte sich eine Schildwache, die durch ihr im Winde wehendes Plaid sich als Hochländer offenbarte. Ueber dem Hauptturm wehte eine mächtige weiße Flagge, zum Zeichen, daß die Besatzung aus Parteigängern des Hauses Stuart, die sich gegen die herrschende Dynastie in Aufruhr befanden, gebildet wurde. Nachdem sie noch durch ein kleines Dorf geritten waren, dessen Bewohner mit der Einfuhr der Ernte ihr Tagewerk begannen, ritten sie über eine alte schmale Brücke, bogen dann links in eine Allee von ungeheuer hohen Ahornbäumen ein und gelangten nun vor ein düsteres, malerisches Gebäude, das Waverleys Bewunderung schon von fern geweckt hatte. Ein mächtiges Tor stand bereits offen zu ihrem Empfange; durch ein zweites, dicht mit Eisennägeln beschlagnes Tor gelangten sie in das Hofinnere. Ein Herr in Hochländertracht mit weißer Kokarde an der Mütze half Waverley vom Rosse hinunter und hieß ihn im Schlosse aufs höflichste willkommen. Dann führte er ihn in ein halb verfallnes Zimmer, worin aber ein kleines Feldbett stand, setzte ihm allerhand Erfrischungen vor und wollte sich hierauf entfernen. »Ich möchte, nachdem Ihr mir soviel Artigkeit erwiesen, noch fragen, wo ich mich hier eigentlich befinde,« sagte Waverley. »Es steht nicht bei mir, mich hierüber weitläufig zu äußern, nur das bin ich zu sagen befugt, daß Ihr Euch im Schlosse Doune befindet, im Bezirk Menteith.« »Als Gefangner?« fragte Waverley, »oder auf freiem Fuße?« »Mir ist weder das eine noch das andre bekannt. Nur das weiß ich, daß Ihr Euch hier außer Gefahr befindet.« »Und was bürgt mir für die Wahrheit solcher Versicherung?« »Das Ehrenwort Donald Stuarts, Gouverneurs der Garnison Doune und Oberstleutnants im Dienst Seiner königlichen Hoheit des Prinzen Karl Eduard.« Mit diesem Bescheide wandte er Waverley den Rücken und war, wie wenn er weiteren Fragen entrinnen wollte, verschwunden. Erschöpft von den Strapazen der Reise, warf sich Waverley auf das Feldbett und war in wenigen Minuten eingeschlafen. Sechstes Kapitel Ehe Waverley aus dem Schlummer erwachte, war der Tag schon weit vorgerückt, allmählich fing ihm der Magen zu knurren an. Es war jedoch schon für ein reiches Frühstück gesorgt. Was ihm indessen auffiel, war, daß sich der Obrist Stuart nicht mehr sehen ließ. An seiner Statt kam ein Diener, der die besten Empfehlungen bestellte und Waverley unterrichtete, daß die Reise am Abend weiter fortgesetzt werden müsse. Allen weitern Fragen setzte der Diener unbedingtes Schweigen entgegen. Als Waverley das Frühstück eingenommen hatte, räumte der Diener den Tisch ab und überließ Waverley wieder seinen eignen Betrachtungen. Da fiel zufällig sein Blick auf den Mantelsack, der während seines Schlafs in sein Zimmer gebracht worden war, und Alice kam ihm in den Sinn, und er fragte sich, wie es wohl zugegangen sein möge, daß sie sich in der Hütte im Tal unten befunden hatte. Aber er versank wieder in Schlummer, der wohl noch eine Stunde gewährt haben mochte; und als er dann aufwachte und wieder an den Mantelsack und an Alice dachte, und sich nun dabei machen wollte, das Päckchen Briefe hervorzusuchen, da ging die Tür wieder auf und der Diener des Obristen Stuart trat wieder herein, hob den Mantel vom Boden auf und lud ihn auf die Schulter. »Ein Weilchen, bitte,« sagte Waverley, »ich will mir erst frische Wäsche herausnehmen.« »Der Herr Obrist wird Euer Gnaden frische Wäsche schicken, aber den Mantelsack soll ich in den Bagagewagen schaffen.« Mit diesem Bescheide war er aus dem Stübchen verschwunden und ließ Waverley in einem Zustande von Mißmut und Unwillen zurück. In wenigen Minuten rasselte ein Karren über den Schloßhof, und nun wurde Waverley klar, daß er der Möglichkeit, sich durch Einblick in die von Alice in den Mantelsack gepackten Papiere Aufschluß zu verschaffen, wenigstens auf eine längere Zeit, wenn nicht gar auf immer, beraubt war. Mit solch trüben Betrachtungen hatte er ein paar Stunden in seinem Stübchen gesessen, als im Schloßhofe Rossestampfen laut wurde und Obrist Stuart erschien, um seinem Gast vor der Abreise noch einen Imbiß zu bieten. Hierzu ließ sich Waverley nicht zweimal bitten, denn sein Appetit war von dem Marsche tags vorher im besten Stande. Die Unterhaltung bei Tisch wurde von seiten des Obersten sehr vorsichtig geführt, alle Beziehungen auf die Staatsangelegenheiten und die militärischen Operationen wurden aufs strengste von ihm vermieden, und als schließlich Waverley bestimmte Fragen stellte, wurde ihm der ebenso bestimmte Bescheid, daß hierüber zu unterrichten keinerlei Befugnis vorhanden sei. Als die Tafel aufgehoben wurde, wünschte der Oberst seinem Gast eine schnelle, fröhliche Reise. Dann meldete der Diener, das Gepäck sei schon vorausgeschickt. der Oberst sagte, er habe sich erlaubt, Edward das notwendigste von Wäsche in die Satteltasche packen zu lassen, dann verabschiedete er sich, und Waverley folgte dem Diener in den Hof. Hier hielt ein Berittner, der ihn zum Schloßhof hinausbegleitete, und außerhalb desselben fand er eine Schar von etwa zwanzig Reitern unter dem Befehl eines schottischen Laird, in welchem er zu seiner nicht geringen Verwunderung den Mr. Falconer von Balmawhapple erkannte. Aber der Laird, jedenfalls im Gedenken der ihn um Edwards willen von dem Baron von Bradwardine erteilte Lektion, tat so, als wenn er Waverley nicht kenne, und Waverley fand keine Veranlassung, den Laird hierüber eines Bessern zu belehren. Die Reiter machten auf Waverley, der an den militärischen Garnisondrill gewohnt war, keinen sonderlich günstigen Eindruck. Die Leute wiesen so gut wie keine Disziplin auf, und auch die Art, wie sie zu Pferde saßen, ließ auf den ersten Blick erkennen, daß sie erst vor kurzem aus andern Berufen und von andrer Beschäftigung weg zum Waffenhandwerk gegriffen hatten. Immerhin waren es handfeste Burschen, die in einem Guerillakriege zu höchst gefährlichen Gegnern werden konnten. Der kleine Trupp führte die Bezeichnung »Kapitän Falconers Schwadron«, obwohl sie an Kopfzahl kaum so stark war wie ein Sergeantenzug. Unter dem Kapitän Falconer befehligte ein Leutnant, dem äußern Habitus nach zu schließen seines Zeichens ein Jäger oder ein Roßkamm, der sich den Dreimaster keck auf die Stirn gedrückt hatte. Er machte auf Waverley den Eindruck, als wenn sich von ihm etwas in Erfahrung bringen ließe, und deshalb machte unser Held sich in seine Nähe. »Recht schön heute Abend, Sir,« meinte Waverley. »Allerdings, wird eine schöne Nacht absetzen,« versetzte der andre. »Die Ernte läßt wohl nichts zu wünschen, was?« »Nein, im Gegenteil, die Leute wissen kaum wohin mit dem Vorrat, aber die Pächter und die vermaledeieten Kornwucherer halten doch die alten Preise, und billiger wirds Futter für Pferde auch nicht werden.« »Ihr seid wohl Quartiermeister, Sir?« »Quartiermeister, Bereiter und Leutnant. Und wer solls denn auch besser verstehen die Tiere zu warten, als so einer wie ich, der schon von Jugend auf im Pferdehandel drin steht?« »Aber sagt mal, Sir, wo geht unser Ritt denn hin?« »Ein Affentanz ists, glaub ich,« erwiderte der Gefragte, »und hätt ich auf andre Weise, als daß ich mich dem Kommando anschloß, zu meinem Gelde für die gelieferten Gäule kommen können, so hätt mich der Teufel placken sollen, wenn ich mitgemacht hätte. Aber so gibts weder vom Laird von Balmawhapple Geld, noch von den sogenannten allerhöchsten Herrschaften, die mittun, und da hab ich halt mit meinen Gäulen mittun müssen.« In diesem Augenblick ritt der Laird von Balmawhapple zu seinem Leutnant heran und herrschte ihn an: »Meines Wissens, Leutnant, ist Befehl heraus gelangt, daß mit dem Gefangnen kein Wort gewechselt werden solle.« Der Leutnant und Roßkamm machte sich betreten unter den Nachtrab, und Waverley war wiederum einer Gelegenheit, sich Aufklärung zu schaffen, beraubt. Da er dem Laird Balmawhapple nicht zum zweiten Male Gelegenheit geben mochte zu solchem autorativen Eingreifen gegen ihn, nahm er sich vor, von aller weitern Erkundigung Abstand zu nehmen, und ritt nun still und stumm einher. In knapp zwei Stunden kamen sie in die Nähe des Schlosses Stirling, auf dessen Zinnen die britische Flagge wehte. Um den Weg abzukürzen oder vielleicht auch, um sich eine Demonstration zu gönnen und seiner Eingebildetheit zu frönen, die, seitdem er Truppenführer geworden, ins Ungeheuerliche gestiegen zu sein schien, schwenkte Balmawhapple rechts ab und ritt durch den königlichen Park, der rings um den Felsen sich zieht, auf dem die Feste liegt. Und um die englische Garnison zu foppen, befahl er, einen Trompetentusch zu blasen und die Standarte zu entfalten. Das war aber der Besatzung auf dem Schlosse zu viel, und als die Schar in Schußweite von der südlichen Batterie ritt, dröhnte ein Schuß, eine Kanonenkugel sauste über Balmawhapples Schädel, schlug hinter ihm in eine Lehmwand und bedeckte ihn über und über mit Staub. Hui! wie das den tapfern Streitern in die Kaldaunen fuhr! da gabs kein Halten mehr, die Reiter galoppierten außer Rand und Band, jeder so schnell ihn sein Gaul tragen wollte, und fanden sich in Reih und Glied erst wieder, als sie eine Anhöhe gewonnen hatten, die ihnen Schutz vor den Feldgeschützen des Schlosses gewährte. Das Kommando erreichte nun über das Gefilde von Bannockburn den durch die Heldentaten von Wallace und die Grausamkeit eines Willie Grime jedem Schotten tief im Herzen sitzenden Torwood und dann das in der Geschichte Schottlands noch berühmtere Falkirk, und hier beschloß Balmawhapple, Nachtquartier zu nehmen. Obgleich dies nun geschah ohne alle militärischen Vorkehrungen, ohne das Ausstellen von Wachtposten und dergleichen, so daß es für ein kleines Detachement entschlossener Leute eine Kleinigkeit gewesen wäre, diese ganze »Schwadron« aufzuheben, so ging die Nacht doch insofern ruhig hin, als der größere Teil der Einwohner, wenn nicht offen, so doch insgeheim zu der Partei der Stuarts hielt, und Waverleys Ruhe wurde durch nichts weiter als den Lärm fröhlicher Zecher gestört, die in einem fort jakobitische Lieder brüllten. Am frühen Morgen machten sie sich wieder auf den Marsch nach Edinburg, wenngleich manches Gesicht von der durchzechten Nacht tödliche Blässe zeigte. Als man sich der Hauptstadt durch das wohlgebaute Tiefland näherte, drang Kriegslärm zu den Ohren der Schar, und ferner Kanonendonner belehrte Waverley, daß das böse Zerstörungswerk im Gange war. Die Stadt befand sich in einer Art von Belagerungszustand oder vielmehr Blockade durch die Aufständischen aus dem Norden, die sich seit einigen Tagen in ihren Besitz gesetzt hatten. Die Besatzung im Schlosse beschoß die Belagerer von Zeit zu Zeit mit Kanonen und Haubitzen. Dichter Dampf und Dunst lagerte an dem schönen, hellen Morgen über dem alten Rauchnest, als sich Waverley mit dem Kommando Balmawhapple ihm näherte. Die Lehre, die Balmawhapple vom Schlosse Stirling bekommen hatte, bestimmte ihn, hier von jeder Demonstration Abstand zu nehmen und auf Seitenwegen um das Schloß herum in die Einfahrt hinein zu reiten. Vor dem altehrwürdigen Palast Holyrood ließ er seine Schar halten und übergab dann Waverley einer Wache, deren Offizier ihn in das Innere des Palasts abführte, vorbei an Offizieren in hoch- und unterländischer Tracht, die eilig ab und zu gingen oder, auf Befehle harrend, in der Halle herumschlenderten. Siebentes Kapitel In Sinnen vertieft, saß Waverley in einer Nische der Halle, unbehelligt von dem hier herrschenden Durcheinander, als er plötzlich einen Tartan hinter sich rauschen hörte. Ein Arm legte sich auf seine Schulter, und eine freundliche Stimme sagte: »Nun? hat der hochländische Prophet die Wahrheit gesagt, oder gilt er nichts als Seher?« Waverley drehte sich um, und Fergus Mac-Ivor lag in seinen Armen. »Tausendmal willkommen in Holyrood, wo jetzt wieder sein rechtmäßiger Besitzer wohnt. Sagte ich nicht, das Glück würde uns hold sein, und Ihr würdet, wenn Ihr uns verließet, in die Hände der Philister fallen?« »Lieber Freund, schon lange habe ich keine Freundesstimme gehört. Wo ist Flora?« »In guter Hand. Sie freut sich unsrer Siege.« »Hier im Palast?« »Nun, doch wenigstens in der Stadt. Ihr werdet sie schon sehen. Aber vor allen Dingen muß ich Euch mit einem Freunde bekannt machen, an den Ihr gewiß wenig gedacht habt, der aber schon oft nach Euch gefragt hat.« Bei diesen Worten zog er Waverley aus der Halle und befand sich im Handumdrehen in einem Audienzzimmer, das man versucht hatte, mit königlichem Aplomp zu dekorieren. Ein Jüngling, ausgezeichnet durch den edlen Ausdruck seiner wohlgebildeten und regelmäßigen Züge und durch die Würde seiner Haltung, trat aus einem Kreise von Militär und Häuptlingen. In seinem edlen, einnehmenden Wesen hätte Waverley, selbst wenn ihn der Stern auf der Brust und der goldne Hosenbandorden nicht darüber belehrt hätten, die hohe Geburt und den königlichen Rang erkennen müssen. »Eure königliche Hoheit erlauben wohl ...« sprach Fergus, indem er sich tief verbeugte. »Daß Ihr mir den Abkömmling eines der getreuesten Geschlechter Englands vorstellt?« fiel ihm der junge Chevalier ins Wort. »Verzeiht mir, bitte, diese Unterbrechung, mein lieber Mac-Ivor, aber um einen Waverley einem Stuart vorzustellen, dazu bedarf es keines Zemonienmeisters.« Mit diesen Worten reichte er Edward die Hand, und Edward hatte, auch wenn es in seinem Willen gelegen hätte, ihm die seinem Range von Geburt her gebührende Ehrerbietung nicht weigern können. »Ich bedaure, hören zu müssen, Mr. Waverley, daß gewisse, zurzeit noch nicht aufgeklärte Umstände Euch auf Eurer Reise hierher einen Zwang auferlegt haben, wir befinden uns aber leider in einer Situation, die uns noch kein sicheres Urteil zwischen Freund und Feind gestattet. Ich bin ja auch in diesem Augenblick noch ungewiß darüber, ob ich mich werde freuen dürfen, Mr. Waverley zu den Meinigen zu rechnen oder nicht.« Er schwieg, aber ehe Edward noch eine passende Antwort finden konnte, ja ehe er noch im stande war, sich zu sammeln, nahm der Prinz ein Papier aus der Tasche und fuhr fort: »Dürfte ich freilich nach diesem Erlaß aus dem gegnerischen Lager urteilen, in welchem den Anhängern des Kurfürsten von Hannover bekannt gegeben wird, daß zu den Personen aus dem Adel, die mit der Strafe des Hochverrats bedroht werden, auch Mr. Waverley gehört, dann sollte der Zweifel für mich wohl ausgeschlossen sein. Ich wünsche mir jedoch nur solche Parteigänger, die meiner Sache dienen aus Liebe und aus Ueberzeugung, und falls Mr. Waverley es vorziehen sollte, die Reise nach den südlichen Landesteilen fortzusetzen, oder sich zu den Truppen des Kurfürsten von Hannover zu begeben, so werde ich ihm den Paß und die Erlaubnis dazu nicht weigern. Ich hätte dann allein zu bedauern, daß meine Macht nicht so weit reicht, Euch vor den mutmaßlichen Folgen solches Schrittes zu bewahren. Sollte hingegen,« fuhr Karl Edward fort, »Mr. Waverley sich, gleich seinem Ahnherrn Sir Nigel entschließen, sich für eine Sache zu erklären, über deren Loyalität Zweifel nur bei ihren Feinden vorhanden sein dürften, und sich einem Fürsten anzuschließen, der sich der Liebe seines Volks in die Arme wirft, um sich in den Wiederbesitz des Thrones seiner Väter zu setzen oder bei diesem Wagnis unterzugehen, so kann ich ihm freilich vorderhand nichts weiter verheißen, als daß er Genossen für das kühne Unternehmen in diesen würdigen Herren hier finden und einem Führer folgen wird, der zwar unglücklich sein kann, aber niemals undankbar sein wird.« Der kluge Häuptling Mac-Ivor verstand seinen Vorteil recht zu wahren, indem er diese Zusammenkunft Waverleys mit dem königlichen Abenteurer veranlaßte. Die huldvolle Sprache des mit den zeremoniellen und höfischen Sitten ungemein vertrauten Prinzen mußte sich tief in das Herz unsers Helden einprägen und seine Bedächtigkeit leicht überwinden. Sein Empfang hier und die Wichtigkeit, die man ihm beimaß, im Gegensatz zu dem Schimpf, den man ihm von der andern Seite angetan, mußte Anlaß für ihn werden, daß er sich zu ihrer Sache hingezogen fühlte, die ihm durch Vorurteile der Erziehung, durch die in seiner Familie herrschenden Anschauungen und Grundsätze ohnehin von vornherein als die gerechtere erscheinen mußte. All diese Gedanken wogten durch seine Seele und verjagten alle Rücksichten entgegengesetzter Art. Zudem gestatteten ihm die Umstände keine Zeit zur Ueberlegung ... und Waverley beugte sein Knie vor Karl Edward dem Stuart, und weihte Herz und Schwert der Sache desselben zu Schutz und Wehr!... Der Prinz – wir geben ihm hinfort, wenngleich er zufolge der Sünden und Irrtümer seiner Väter und, dem alten Bibelwort gemäß, daß sich die Sünde der Väter an den Kindern rächt bis ins dritte und vierte Glied, in seinem Beginnen vom Unglück verfolgt wurde, den Titel, der ihm zufolge der Rechte seiner Geburt zusteht – der Prinz hob Waverley vom Boden auf und umarmte ihn mit einer Wärme, die unmöglich als künstlich aufgefaßt werden konnte. Dann dankte er Fergus Mac-Ivor, daß er ihm solchen Parteigänger zugeführt hätte, und stellte Waverley den anwesenden Edelleuten, Häuptlingen und Offizieren vor als einen Edelmann, in dessen kühner, schwärmerischer Ergebenheit er einen erfreulichen Beweis für die Gesinnungen der hohen Adelsgeschlechter Englands in solch schwerer und an Umtrieben so reicher Zeit erblicken zu dürfen meine. Und in der Tat war der Uebertritt eines Waverley zu der Sache der Stuarts auch ein Fall, der leicht zu einer Wendung führen konnte, denn Mißtrauen gegen das Verhalten der jakobitischen Partei Englands hielt noch immer viele Jakobiten im schottischen Adel davon ab, sich offen für die Sache Karl Edwards zu bekennen. So konnte dem »Chevalier" nichts erwünschter kommen, als solche offne Beitrittserklärung eines Waverley. Und das war es, was Fergus vorausgesehen hatte. Ihm war als Mensch wie als Politiker an Waverley unendlich viel gelegen: er hoffte nicht allein, ihn noch mit Flora vereint zu sehen, sondern fühlte recht gut, wie sehr er selbst hierdurch in seiner persönlichen Bedeutung gewinnen mußte. Karl Edward seinerseits schien viel daran zu liegen, daß sich seine Anhänger darüber klar wurden, welchen hohen Wert er auf den neuen Anhänger legte. Darum hielt er es für angezeigt, ihn von den Einzelumständen seiner Lage zu unterrichten. »Ihr seid von allen Nachrichten abgeschnitten gewesen, Mr. Waverley, aus Ursachen, die mir selbst noch nicht recht klar ersichtlich sind; ich vermute jedoch, daß Euch daran liegen wird, über die wichtigeren Umstände meiner Lage Kenntnis zu erhalten. Ihr dürftet von meiner im fernen Distrikt Moidart erfolgten Landung gehört haben, und daß mich dort, wo ich nur mit sieben Begleitern ankam, eine große Anzahl von Häuptlingen und Clans an die Spitze eines mutigen Heeres stellte, das voll loyaler Begeisterung den Kampf gegen das wohlgerüstete Heer aufgenommen hat, das der Kurfürst von Hannover, in der Absicht, uns eine Schlacht anzubieten, gegen uns aufgeboten und in die Hochlande hat ausrücken lassen, daß sein Feldherr aber einer Schlacht mit uns ausgewichen und nach Aberdeen marschiert ist, uns dadurch im unbestrittenen Besitze der von uns besetzt gehaltenen Distrikte lassend. Da das Unterland infolgedessen für unsere Armee offen lag, habe ich den Entschluß gefaßt, in Edinburg einzurücken, und während noch Magistrat und Bürgerschaft in Zwietracht darüber waren, ob sie sich zur Wehr setzen oder sich ergeben sollten, erhob sie mein wackrer Freund Lochiel aller weiteren Unannehmlichkeiten dadurch, daß er mit fünfhundert Kameroniern in die Tore eindrang. Indessen ist inzwischen die Nachricht eingelaufen, daß der englische Feldherr gestern in Dunbar gelandet sei, offenbar zu dem Zwecke, sich in den Rückbesitz der Landeshauptstadt zu setzen. In meinem Kriegsrat sind nun zwei Meinungen vertreten: die eine Partei vertritt den Standpunkt, daß es für uns, da wir Mangel an Artillerie haben und auch unsre Reiterei nicht sonderlich stark sei, geraten sein möchte, wieder in das Gebirge hinauf zu rücken und uns dort so lange zu verhalten, bis Unterstützung aus Frankreich eingetroffen sei. Die andre Partei will in einer Aufgabe der Hauptstadt ohne Schwertstreich eine Schädigung alles weiteren Ansehens unserer Armee erblicken und befürchtet, daß nicht bloß solche, die vielleicht bereit sein würden, sich uns anzuschließen, hierdurch abgeschreckt, sondern mancher von denen, die sich bereits für unsre Sache erklärten, zum Rücktritt bestimmt werden möchte. Die Offiziere, die diesen Standpunkt vertreten, und zu denen auch Euer Freund Fergus Mac-Ivor gehört, lassen wohl gelten, daß die Hochländer nicht vertraut sind mit europäischer Disziplin, machen aber anderseits geltend, daß die Soldaten, die gegen sie im Felde stehen werden, mit der furchtbaren Angriffsweise von Hochländern noch weniger bekannt seien, daß in die Treue und in den Mut der Häuptlinge kein Zweifel gesetzt werden dürfe, und daß keiner aus ihren Clans zurückbleiben werde, wenn sie sich in den Kampf stürzen ... Würde Mr. Waverley geneigt sein, sich in dieser heiklen Angelegenheit zu äußern?« Waverley errötete tief ob der in solcher Frage liegenden Auszeichnung und erwiderte entschlossen und schnell, daß er es nicht auf sich nehmen werde, in solcher Sache eine Meinung zu äußern, da er sich nicht im Besitz der hierzu notwendigen Kriegserfahrung zu sein dünke; es werde ihm aber derjenige Rat der genehmere sein, der ihm Gelegenheit gebe, sich mit Eifer für den Dienst königlicher Hoheit zu betätigen. »Gesprochen wie ein Waverley!« rief Karl Edwards »und nun erlaubt mir, Euch mit derjenigen Würde zu bekleiden, die ich in meinem Heere Euch vorbehalten habe, ich grüße Euch, Herr Major Waverley!« »Königliche Hoheit wollen verzeihen, wenn ich so lange, bis mir Zeit und Ort erlauben, ein Korps, stark genug, daß es sich im Dienst auch nützlich erweisen kann, zu werben, auf jeden Rang verzichte und mich mit dem Posten eines Freiwilligen in dem Kommando meines Freundes Fergus bescheide.« Augenscheinlich erfreut über diese Aeußerung Waverleys, erwiderte der Prinz: »Aber dagegen werdet Ihr nichts einzuwenden haben, daß Ihr als Hochländer eingekleidet werdet?« Mit diesen Worten knüpfte er sich das Schwert los, das ihm an der Hüfte hing und dessen Gehenk mit Silber platiert war, und hing es Waverley um. Dann reichte er ihm ein paar Pistolen und beurlaubte Mac-Ivor für den Abend, der daraufhin mit Waverley aus dem Audienzsaale schritt. Achtes Kapitel Die erste Frage, die Fergus an Waverley richtete, als sie die große Steintreppe hinuntergeschritten, war: »Nun, wie gefällt er Euch?« »Ein Fürst, für den man gern lebt und gern auch stirbt!« lautete Waverleys begeisterte Antwort. »Daß Eure Meinung so lauten werde,« versetzte Fergus, »wußte ich, und es war schon früher meine Absicht, Euch ihm vorzustellen. Aber Euer hartnäckiger Entschluß, allein nach Edinburg aufzubrechen, machte es mir unmöglich. Gewiß, er ist ein vortrefflicher Herr, aber er hat auch seine Schwächen, und die Irländer, die in seiner Umgebung sind, dienen ihm nur mit schlimmem Rat. Ich habe mit meinem Grafenpatent, das mir schon für zehnjährige treue Dienste in Aussicht steht, mich noch vertrösten müssen, um keine Eifersucht zu wecken. Aber daß Ihr die Majorscharge ausschlugt, Waverley, das war brillant. Ich kanns nicht verstehen, daß der Prinz Euch bloß den Majorstitel anbot. Wer es übernimmt, hundertfünfzig Mann auszuheben, ist doch nicht unter Oberstleutnant zu haben. Aber Geduld, Kamerad! mischen wir unser Kartenspiel gut, dann wird schon alles gut klappen. Zunächst wollen wir Sorge tragen, Euch anständig zu equipieren, denn aufrichtig gesprochen, in dieser Montur seid Ihr für den Hof nicht recht geeignet!« Sie wandten die Schritte nach einem kleinen gepflasterten Hofe, der seitwärts von der Straße lag, und traten in das Haus einer muntern Witwe, Mitte der Vierziger, die den jungen Häuptling mit freundlichen Blicken empfing. Hier fanden sie auch einen alten Bekannten, Callum-Beg, der sich bei Meister Shemus dem Leibschneider des Häuptlings, verdingt hatte. »In vier Stunden brauche ich Tartan für den Herrn, auch Strumpfhosen, ferner ein Plaid von Mac-Ivor-Tartan und eine Schärpe, endlich müßt Ihr für eine blaue Mütze Sorge tragen, wie sie der Prinz trägt. Das richtige Maß habt Ihr doch?« »Zwei Ellen von der Hüfte zur Ferse, neun Zoll um den Knöchel und dreißig um die Weste herum,« erwiederte der Schneidermeister geschäftig und machte sich gleich an die Arbeit. Als diese Aufgabe erledigt war, wandte sich der Häuptling wieder den Abenteuern zu, die Waverley seit ihrer Trennung erlebt hatte. »Es ist mit jetzt klar,« sagte er, »daß Ihr Euch in Gewahrsam von Donald Bean Lean befunden habt. Als ich mich zum Prinzen begab, habe ich nämlich diesem Patron Auftrag erteilt, mit allen Truppen, die er auftreiben könne, zu mir zu stoßen. Aber statt dieser Weisung zu folgen, hat er, da er die Luft rein fand, auf eigene Faust Krieg geführt und das Land geplündert und Schutzgelder eingezogen, zuweilen unter fremdem, zuweilen unter eignem Namen ... den Kerl soll der Teufel frikassieren!« schrie Mac-Ivor wütend, »krieg ich ihn, so muß er baumeln. Ich kenne seine Art! kein andrer als er ists gewesen, der Euch aus Gilfillans Klauen befreit hat, und, ich möchte wetten, daß er selbst den Hausierer dabei gespielt hat! Aber unbegreiflich ist mir dabei, daß er Euch nicht ausgeplündert oder Eure Gefangenschaft noch in andrer Weise ausgenützt hat.« »Wann und auf welche Weise ist Euch meine Verhaftung bekannt geworden?« fragte Waverley. »Der Prinz selbst berichtete mir darüber,« sagte Fergus, »und hat sich eingehend nach Euren Schicksalen erkundigt. Er wußte, daß Ihr Euch in den Händen einer unsrer nördlichen Truppenabteilungen befandet. Ich machte den Vorschlag, Euch hierher schaffen zu lassen, weil ich verhindern wollte, daß Ihr Euch mit der englischen Regierung noch weiter in Differenzen setztet, falls es noch immer Eure Absicht sein sollte, Euch nach England zu begeben. Der Tolpatsch von Balmawhapple bekam Auftrag, Euch mit seiner sogenannten Schwadron aus dem Schlosse Doune herauszuholen. Uebrigens vermute ich, daß der Vorfall mit Eurem Streit beim Baron Bradwardine Euch ihm verhaßt gemacht, und daß die Art und Weise, wie er die Sache unter die Leute gebracht hat, viel zu der ungünstigen Auffassung beigetragen hat, die über Eure Aufführung im Regiment Platz gegriffen hat ...« »Wohl möglich,« versetzte Waverley. »Aber, lieber Fergus, findet Ihr denn gar keine Zeit und Veranlassung, ein paar Worte über Flora zu äußern?« »O, warum nicht, Waverley,« erwiderte der Häuptling. »Flora ist, wie ich Euch schon gesagt habe, wohlauf und befindet sich in der Hauptstadt. Da seit dem glücklichen Fortgang unsrer Sache sich auch andre Damen an unserm Hoflager eingefunden haben, hielt ich es für klüger, sie auch herkommen zu lassen. Als Bruder einer Erscheinung, wie sie doch Flora unstreitig ist, spielt man schließlich doch noch eine vorteilhaftere Rolle.« Solche Worte zu hören, war Waverley unerträglich. Er fand solche Gesinnung in hohem Grade selbstsüchtig und des eignen Selbstvertrauens unwürdig. Fergus dagegen, als ein am französischen Hofe in Intrigen eingeweihter Mann, bemerkte den ungünstigen Eindruck, den seine Worte in Waverley gemacht hatten, gar nicht, sondern fuhr fort: »Flora vor heut abend noch zu sehen wird nicht angehen, aber sie nimmt an der Ballfestlichkeit teil, die der Prinz veranstaltet. Wir sind nicht recht einig gewesen seit Eurem Weggang, Weil ich es ihr übel genommen habe, daß sie Euch nicht noch Adieu sagte. Aber der Zwiespalt ist beigelegt; sonst könnte es passieren, daß auch aus dem Zusammentreffen heut abend nichts wird.« Während dieses Zwiegesprächs erklang unten im Hofe eine ihm wohlbekannte Stimme. »Wo bleibt da militärische Disziplin?« rief die Stimme; »wäret Ihr nicht Parteigänger, dann verdiente Euer Verhalten strenge Ahndung. Hättet Ihr den Gefangenen zu Balmawhapple ins Stockhaus gelegt, dann wärs wohl noch gar gekommen, daß Ihr ihm Fesseln angelegt hättet. Wo ist das Sitte einem Kriegsgefangenen gegenüber? Ihn in carcere zu verwahren, das heißt in öffentlichen Gefängnis, das will ich am Ende gelten lassen.« Jetzt brummte Balmawhapple was dazwischen, das in einem Worte wie »Vagabund« ausklang, dann war er aus dem Hofe verschwunden, als Waverley den Fuß hinuntersetzte, so daß es ihm nicht vergönnt war, den Laird zu begrüßen. An seiner Statt aber stand ihm der Baron von Bradwardine gegenüber, und die Uniform, die derselbe trug, erhöhte den vornehmen Eindruck seiner schlanken Erscheinung um ein Bedeutendes. Mit gewohnter Herzlichkeit begrüßte er Waverley und erkundigte sich sogleich nach der Ursache, die zu seiner Kassation im Dragonerregiment geführt hätte. »Keineswegs, weil ich fürchte, daß seinen jungen Freund die geringste Verschuldung dabei träfe, sondern weil es nur recht und billig sei, daß er selbst sich bemühe, in denjenigen Stand gesetzt zu werden, der ihm ermögliche, alle Verleumdungen wider den Erben von Waverley-Würden zu widerlegen, den er mit so vielen Recht als seinen leiblichen Sohn betrachte.« Waverley gab die vom Baron gewünschte Auskunft über seine Kassation, erkundigte sich hierauf nach Miß Bradwardine und hörte, sie sei mit Flora nach Edinburg unter Geleit eines Hochländerkommandos gebracht worden, weil es in Tully-Beolan zu unruhig und zu gefährlich geworden sei, als daß eine junge Dame sich dort noch hätte aufhalten können. Der Baron machte hierauf Waverley das Anerbieten, ihn nach seiner Wohnung in der High-Street zu begleiten, »denn er dürfe Rosa, die von dem vielen Schießen noch ganz außer sich sei, wiewohl er ihr aus Blondel und Coehorn [Artilleristische Handbücher in damaliger Zeit.] den Beweis erbracht habe, daß die High-Street völlig außer Schußweite läge, und von Kugeln nicht erreicht werden könne, noch nicht lange allein lassen; außerdem sei er von königlicher Hoheit beauftragt, im Biwak der Truppen dafür zu sorgen, daß die Leute conclamare vasa, das heißt, sich mit allem Gepäck für morgen marschfertig zu machen hätten.« »Das wird wohl bei den meisten noch nicht viel Mühe machen,« rief Fergus mit Lachen. Neuntes Kapitel Man weiß nur zu gut, daß sich an dem unglücklichen Putsche von 1745 sehr viele Männer von Rang, Bildung und Vermögen beteiligten. Ebenso schlossen sich von den schottischen Frauen wohl die meisten an den kühnen jugendlichen Prinzen an, der in so überromantischem Sinne auf die Liebe und Ergebenheit seines Schottenvolkes baute. Daß Waverley, der fast sein ganzes Leben in dem stillen und einsamen Schlosse Waverley-Würden zugebracht hatte, von dem Glanze, den er in dem Palaste von Edinburg sah, förmlich geblendet wurde, wird nicht wunder nehmen. Es dauerte nicht lange, so hatte sein liebendes Auge in einem der Säle Flora Mac-Ivor, entdeckt, als sie mit Rosa Bradwardine auf ihren Platz am obersten Ende des Saales zurückkehren wollte. Unter dem anwesenden Damenflor waren die beiden Mädchen unstreitig die lieblichsten Erscheinungen und zogen die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. Sie wurden viel umschwärmt, und besonders der Prinz war viel in Floras Nähe und führte sie widerholt zum Tanze, eine Auszeichnung, die sie zum Teil wohl auch dem Umstande mit verdankte, daß sie im Auslande ihre Erziehung genossen hatte und die französische und italienische Sprache beherrschte. Sobald sich die Paare gesetzt hatten, folgte Edward, fast ohne seinen Willen, Fergus zu dem Platze, wo Flora Mac-Ivor saß. Das Gefühl, als dürfe er noch immer hoffen, das ihn während der ganzen Zeit der Trennung nicht verlassen, sondern im Gegenteil ihn in manch schlimmem Augenblick aufrecht erhalten hatte, schien in demselben Verhältnis zu schwinden, je näher er jetzt dem Gegenstande seiner Liebe kam, und wie ein Mensch, der sich einen verschwundenen Traum ins Gedächtnis zurückzurufen müht, hätte er in diesem Augenblick alles dafür hingegeben, hätte er das Warum ermitteln können, das ihn zu Hoffnungen bestimmt hatte, die sich jetzt als so nichtig und trügerisch erwiesen. Mit der Empfindung eines Delinquenten, der langsamen Fußes durch die Menge schreitet, die herbeigeströmt ist, um seine Hinrichtung mit anzusehen, begleitete er jetzt Fergus, ohne einen klaren Eindruck von dem Geräusche aufzunehmen, das sein Ohr erfüllte, wie von dem Gewühle, auf das sein unsichrer Blick fiel. Flora schien kaum sonderlich betroffen, als Waverley vor sie hintrat. »Ich bringe Dir einen Adoptivsohn des Stammes Ivor,« sagte Fergus. »Und ich begrüße ihn als zweiten Bruder,« sagte Flora, Auf diesem Worte lag ein schwerer Nachdruck, der jedem Ohr entgangen wäre, bloß nicht einem von Furcht und Hoffnung erregten. Edward stand da wie begossen, aber er verneigte sich und blickte Fergus an, der sich in die Lippen biß: ein Zeichen dafür, daß er in hohem Grade unwillig über die Art, wie sich Flora Waverley gegenüber benahm, war. Der Gedanke, der Waverley im ersten Augenblick traf: »Das also ist das Ende all meiner Träume!« war so namenlos schmerzvoll, daß ihm alles Blut aus den Wangen wich. »Gott im Himmel!« rief da eine andre Stimme ... und es war die von Rosa Bradwardine, »er ist noch immer nicht wieder gesund!« Selbst von dem Chevalier waren sie gehört worden, diese mit tiefer Bewegung gesprochnen Worte, und er kam nun schnell herbei, nahm Waverley bei der Hand und erkundigte sich teilnehmend nach seinem Befinden mit dem Beisatz, daß es ihm lieb sei, ein paar Worte mit ihm zu sprechen. Waverley folgte dem Prinzen in eine Ecke des Saales. Hier legte der Prinz ihm eine Reihe von Fragen vor über die angesehensten Tory-Familien von England, über ihre Beziehungen, ihren Einfluß und ihre Gesinnungen gegen das Haus Stuart. Daß Edwards Antworten bei der Stimmung, die ihn zurzeit beherrschte, nur ganz allgemeiner Natur sein konnten, wird niemand wundern. Der Chevalier lächelte wiederholt über die Widersprüche, die Edwards Antworten aufwiesen, aber er setzte die Unterhaltung fort, bis Waverley langsam die Fassung wiederfand. Er mochte die Audienz so lange ausgedehnt haben, um die Meinung zu wecken, als erblicke er in Waverley eine Person von politischem Einfluß. Aus dem Schluß seiner Worte stellte sich aber heraus, daß er eine ganz andre Absicht damit verfolgt hatte. »Ich kann nicht unterlassen,« sagte er, »Ihnen zu bekennen, Mr. Waverley, daß ich Mitwisser eines Geheimnisses bin, bei welchem eine unsrer Damen ihre kleine Rolle spielt. Ich versichre Euch, Mr. Waverley, daß ich den herzlichsten Anteil daran nehme. Aber ich rate doch, daß Ihr Euren Gefühlen strengere Fesseln auferlegt, denn es gibt hier mancherlei Leute, deren Augen hellseherisch sind wie die meinigen, deren Zungen aber weniger zuverlässig sein dürften als die meinige.« Damit schied der Prinz von unserm Helden. Waverley trat wieder zu den beiden Mädchen. Er verneigte sich vor Rosa, erkundigte sich nach ihrem Befinden und war bald, zur eignen Verwunderung, in eine rege Unterhaltung mit ihr gesteuert. Rosa schien mit ganzer Seele an seinem Munde zu hängen. Ohne jeden Gedanken an Eifersucht, ohne eine Empfindung von Furcht, Schmerz oder Zweifel, und unbeeinträchtigt durch irgend welche selbstsüchtigen Erwägungen, war sie nur Ohr für die ungeteilten lauten Beifallsbezeugungen, die über Waverley fielen, war sie nur Ohr für die Worte, die seine Stimme sprach, und wenn andre das Wort nahmen, dann wartete sie, bis er es ergriff, und dann wichen ihre Augen nicht von ihm. »Baron,« sagte der Chevalier zu dem neben ihm stehenden Cosmo Bradwardine, »ich möchte meine Geliebte nicht der Gesellschaft Eures jungen Freundes anvertrauen. Er ist wohl etwas schwärmerisch, doch einer der bezaubernsten jungen Herren, die mir je vor Augen gekommen sind.« »Und auf Ehre, Prinz,« erwiderte der Baron, »der Mensch kann wieder der richtige Trankopf sein! genau wie einer von sechzig, genau wie ich. Königliche Hoheit hätte ihn nur in Tully-Beolan sehen sollen, wie er als echter Hypochonder herumgeschlichen ist, dann würdet Ihr Euch wundern wie ich, daß er so mit einem Male zu solcher Fidelitas aufgetaut ist.« »Traun,« versetzte Mac-Ivor, »ich bin der Meinung, der Tartan ist ihm so in die Glieder gefahren, und weiter nichts. Ich habe wenigstens Waverley, wenn auch immer als Mann von Geist und Ehre, doch niemals als gesellschaftlichen Seladon gekannt.« »Um so mehr sind wir ihm zu Dank verpflichtet,« antwortete der Chevalier, »daß er uns für heute abend Eigenschaften aufgespart hat, die sogar solch vertrauter Freund nicht an ihm entdecken konnte ... aber kommt, meine Herren, die Nacht rückt weiter, und an das, was unser morgen wartet, müssen wir beizeiten denken! Jeder führe seine Tänzerin zu einem kleinen Imbiß und plaudere noch ein Stündchen mit ihr, dann müssen wir uns trennen.« Er führte nun die Herren in eine andre Zimmerflucht und nahm unter einem Baldachin Platz zuoberst einer langen Reihe von Tischen und Tafeln. Die Räume füllten sich schnell mit den anwesenden Herrschaften beiderlei Geschlechts ... die Unterhaltung nahm ihren ungezwungenen Verlauf, und der Prinz entzückte durch seine Huld aller Gemüter. Nach Verlauf einer Stunde schloß der in Schottland übliche Orchestertusch die Feierlichkeit und gab das Signal zum Auseinandergehen. »Gute Nacht denn, meine liebwerten Gäste,« sprach der Chevalier und stand auf, »gute Nacht, und Freude sei Euer Geleit! Angenehme Ruhe, meine schönen Damen, die einem in Acht und Bann erklärten Fürsten, dem letzten Sprossen eines so alten und einst so mächtigen, immer aber berühmten und stolzen Geschlechts so hohe Ehre erwiesen haben. Gute Nacht, Ihr meine wackern Freunde, und möge das Glück, das uns heute abend beschert gewesen, eine frohe Vorbedeutung sein für unsre baldige und siegreiche Wiederkehr in diese unsre väterlichen Hallen! möge noch manch traute Vereinigung uns wieder vereinigt sehen hier in unserm alten Palaste Holyrood!" Wenn der Baron von Bradwardine später dieser Abschiedsworte aus dem Munde des Chevaliers gedachte, dann unterließ er nie, in melancholischem Sinne die lateinischen Hexameter zu zitieren: Audiit, et voti Phoebus succedere partem, Monte dedit; partem volucres dispersit in auras. Phöbus vernahm das Gebet, und ein Teil des Erfleheten gab er willigen Sinnes, ein Teil verstreut' er in lispelnde Lüfte. Zehntes Kapitel In dem Widerstreit der Leidenschaften und Empfindungen, die sein Gemüt durchwogten, fand Waverley erst spät einen halbwegs erquickenden Schlummer. Er träumte von Glennaquoich und verlebte den festlichen Ball noch einmal in der Halle der Mac-Ivors. Sogar den Dudelsack vernahm er ganz deutlich, und wenigstens das war keine Täuschung mehr, denn »der stolze Schritt des Oberpfeifers von Mac-Ivor-Clan« erklang im Hofe, »gellend, daß Pfosten und Mauern erdröhnten«, und bald wurde der Lärm so mächtig, daß Waverley völlig erwachte. Und dann dröhnten Tritte im Zimmer, und Mac-Ivors Höriger, Callum-Beg, denn ihm hatte der Häuptling die Sorge für Waverley wieder übertragen, fragte:« »Möchten Eure Gnaden nicht aufstehen? Vich-Ian-Vohr und der Prinz sind schon hinunter ins lange grüne Tal, das sie den Königspark nennen, und es sind schon viele auf den Beinen, heute, wo mancher nicht mehr sein wird, wenn die Nacht wieder sich herniedersenkt.« Waverley sprang auf und legte mit Callum-Begs Hilfe den Tartan an, dann die Waffen. Dann meldete ihm Callum, daß sein Mantelsack angekommen, aber mit Vich-Ian-Vohrs Gepäck schon wieder unterwegs sei. Waverley dachte wieder an das Paket, das ihm Alice gezeigt hatte, das immer ihm so nahe blieb und doch immer sich seinen Händen wieder entrückte, wenn er es fassen zu können meinte. Aber jetzt war keine Zeit zum Sinnen, denn Callum drängte von neuem zum Aufbruch. Als sie einen schmutzigen Pfad entlang schritten, fragte Waverley den Begleiter: »Callum, wie könnte ich wohl zu einem Pferde kommen?« »Ei, daran dürfen Euer Gnaden nicht denken, Vich-Ian-Vohr zieht zu Fuß an der Spitze seines Stammes in die Schlacht, der Prinz auch, mit dem Schild auf der Schulter. Und so müßt auch Ihr es machen.« Als sie aus den schlechten, schmutzigen Vorstädten der Hauptstadt heraus in die freie Luft gelangten, fühlte Waverley, wie ihm Gesundheit und Frohsinn wiederkehrten. Mit heiterer Ruhe verlebte er die Ereignisse des verflossenen Abends noch einmal und mit Hoffnung und entschlossenen Sinnes sah er den kommenden Dingen entgegen. Als er den Leonardshügel, die kleine Felsenhöhe, erstiegen hatte, lag der Königspark oder das Tal zwischen dem als »Arthurs Stuhl« bekannten Berge und den Höhen, auf denen der südliche Teil von Edinburg sich erhebt, vor seinen Blicken: ein Anblick von überraschender Schönheit. Tief unten hatte das Heer der Hochländer sich gelagert, das im Begriffe war, abzumarschieren. Die Felsen, die den Hintergrund der Szene schlossen, ja das Himmelsgewölbe selbst, hallte von den Klängen des Dudelsacks wider, denn jeder einzelne Clan hatte seinen besondern Kriegsmarsch, und jedem Clan schritten Sackpfeifer voran. Die Söhne der Berge erhoben sich von ihren Lagern unter dem Himmelsbaldachin, und ein Summen und Brummen herrschte wie in einem Riesenbienenstocke, wenn die Immen zum Schwärmen sich bereiten. Ein frisches, lebendiges Schauspiel! hier gab es keine Zelte abzubrechen, denn die Gebirgsleute hatten auf freiem Felde kampiert, trotzdem es schon Spätherbst war und die Nächte schon kalt waren. Es wallte und wogte von bunten Tartanen, es flutete von Federbüschen, und Banner über Banner flatterten im Frühwinde mit Clanrolands drohendem Spruche: »Weh dem, der Hand und Wort wider mich hebt!« oder mit Lochiels Spruche: »Auf, Fortuna, und schlage die Fesseln!« oder dem Spruch der Barone von Tullibardine: »Keiner mir nach, aber jeder voraus!« und wie die von seltsamer Urkraft und heiligem Trutz kündenden Sprüche alle noch hießen. ... Endlich hatte die wirre Menge sich zu einer schmalen, finstern Schnur entfaltet, die sich über die gesamte Länge des Tals hin erstreckte. An der Spitze wehte die Fahne des Chevaliers, ein rotes Kreuz auf weißem Feld mit dem Motto: Tandem triumphans [Endlich siegend]. Den Vortrab des Heeres bildete eine schwache Reiterei, die größtenteils aus unterländischem Adel bestand. Ihre Standarten sah man schon am äußersten Horizonte wehen. Manche, die zu dieser Truppengattung gehörten, darunter auch Balmawhapple, den Waverley jetzt in ziemlicher Nähe erblickte, und die wahrscheinlich in der Nacht dem Bacchus und andern Göttern zu fleißig geopfert und sich infolgedessen mit der Erfüllung ihrer Berufspflichten verspätet hatten, erhöhten die Lebendigkeit der Szene, während sie die strenge Regelmäßigkeit, die man von einem militärischen Aufmarsch erwartet, erheblich beeinträchtigten, dadurch, daß sie sich mit aller Eile durch die Fußtruppen drängten, um zur Spitze des Zuges zu gelangen, ohne sich an das Fluchen und Wettern solcher zu kehren, deren Gruppierung und Vorwärtsbewegung sie störten. Hin und wieder dröhnte vom Schlosse her ein Kanonenschuß, wenn die hochländischen Wachtposten sich zu dicht an die Schloßmauern heranwagten, oder wenn eine Kolonne sich in Schußweite bewegte. Solchen Anlaß benutzte dann Callum-Beg, um Waverley zu größerer Eile zu spornen, »weil«, wie er sagte, »Vich-Ian-Vohr sich vorn an der Spitze befände, und es bis dorthin noch immer ein tüchtiges Stück zu rennen sei«. Hinter und vor sich sah Waverley die dunklen Wolken von Kriegern, aber je näher er ihnen kam, desto mehr verringerte sich seine Meinung über die Kriegstüchtigkeit des schottischen Heeres. Die Häuptlinge der Clans waren gut bewaffnet. Sie trugen Schwert, Schild und Flinte, dazu Dolch und in der Regel auch ein paar Pistolen. Aber diese Bewaffnungsweise beschränkte sich auf die eigentlichen Edelleute bei jedem Clan, und trefflichere Mannen als sie konnte kein Feldherr sich wünschen. Aber unter dem Gros der Mannschaft sah es ganz anders aus, denn dieses bestand in der Hauptsache aus den Bauern der Clandistrikte, die sich zwar nicht als »Bauern« fühlten, auch diesen Namen nicht auf sich angewandt wissen mochten, sondern im Alter ihrer Stammbäume sich sogar dem Adel überlegen dünkten, ohne sich daran zu kehren, daß sie manchmal kaum so viel ihr eigen nannten. um ihre Blöße zu decken. Sie waren armselig bewaffnet, halbnackt und auch körperlich zum Teil stark heruntergekommen, zum Teil auch überhaupt schwach entwickelt. Jeder bedeutendere Clan hatte einen solchen Bestand von Heloten bei sich. So waren die M'Couls, obgleich sie ihre Abkunft von dem Vater Fingals herleiten, Erbknechte der Stuarts von Appine; die Macbeths, die von dem unglücklichen Fürsten, den Shakespeare verherrlicht hat, herstammen, waren den Morays oder dem Clan Donnochy oder den Robertsons von Athole untertan usw. Ihre schlechte Bewaffnung war freilich in der Hauptsache die unmittelbare Folge des Entwaffnungsgesetzes, das über Schottland seit mehreren Jahren verhängt worden war, um auf diese Weise die Häuptlinge im Hochlande empfindlich zu schwächen, aber vielfach auch eine Folge des Zurückgangs aller wirtschaftlichen Verhältnisse. Es war infolgedessen erklärlich, daß der Nachzug des Heeres, dessen Vortrab die beste Bewaffnung nach Landesbrauch und alter Sitte aufwies, mehr einem Räuber- als einem Soldatentrupp glich. Hier trug einer eine Streitaxt, dort ein Schwert ohne Scheide, dort wieder einen alten Schießprügel ohne Schloß oder auch eine Sense, die auf der Spitze einer Stange befestigt worden war. Viele hatten bloß Dolche oder mit Blei beschwerte Knittel und Pfähle, die sie sich aus dem ersten besten Zaune gebrochen hatten. Das wilde, ungeleckte Aussehen dieser Menschen, die mehr wie Barbaren aussahen aus den Zeiten, als die Römer des Altertums die ersten Spuren der Zivilisation zu den Ufern des Tweed hinauf trugen, erweckten im schottischen Unterlande Schrecken. Noch waren die Zustände im Hochlande vielen ein Buch mit sieben Siegeln, und über Charakter und Wesen und Sitte seiner Bewohner bestand eine solche Unwissenheit, daß man den Einfall der Hochschoten ins Unterland immer ansah, wie wenn sich aus Afrika Schwarm von Negern oder aus dem hohen Norden Amerikas ein Zug von Eskimos über Schottland ergösse. Die ganze Artillerie des Schottenheeres bestand aus einer alten eisernen Kanone, die der Chevalier am liebsten zurückgelassen hätte, die er aber auf Anraten seiner Häuptlinge, weil die große Menge im Heere einen abergläubischen Wert dahinter suchte, mitführte, und zu deren Bedienung ein paar französische Artilleristen geworben worden waren. Ein halbes Dutzend von Pferden war zum Transporte dieses Unikums von Geschütz notwendig, und dabei war dasselbe zu etwas anderm als zu einem Signalschuß absolut nicht verwendbar. Jetzt dröhnte ein solcher Signalschuß durch das Tal, und die ganze Linie geriet in Bewegung. Wilder Jubel erbrauste, die Dudelsäcke brummten ihre melancholischen und dabei doch schrillen Weisen, und der schwere Tritt der Massen, die sich jetzt in Bewegung setzten, übertäubte das eine wie das andre. Die Banner glänzten im Sonnenschein und flatterten im Winde, die Reiter stürmten an die Spitze des Heereszuges, Späher wurden ausgesandt, die Manöver des Feindes zu ermitteln, und verschwanden vor Waverleys Augen, als sie um den Fuß von »Arthurs Stuhl" herum bogen, hinter der merkwürdigen Reihe von Basaltfelsen, die dem kleinen See von Duddingston gegenüber lagern. Elftes Kapitel Als Waverley die Stelle im Heereszuge erreichte, die von dem Clan Mac-Ivor ausgefüllt wurde, bewillkommnete ihn das Jauchzen der Clanmänner und ein gewaltiger Sackpfeifentusch. Kannten ihn doch die meisten der Clanmänner von seinem Aufenthalt im Hochlande her! und die Freude, ihn jetzt in Tracht ihres Clans zu erblicken, wollte schier kein Ende nehmen. »Ihr schreit ja,« sagte einer von den Hochschotten des nebenan marschierenden Clans, »wie wenn der Häuptling selbst erst zu Euch gestoßen wäre.« »Wenn er nicht selbst der Häuptling ist,« erwiderte Evan Dhu, an den die Worte gerichtet wurden, »dann ist er doch der Bruder vom Häuptling!« »O, also wohl der Sassenach, der die schmucke Flora zum Weibe haben soll?« »Kann wohl sein, kann aber auch nicht sein, und geht weder Dich was an noch mich, Gregor!« Jetzt eilte Fergus herbei, um den Freiwilligen zu begrüßen, der sich zu seinem Clan gesellt hatte. Indessen konnte er nicht umhin, gleich einige Worte darüber zu äußern, daß sich sein Clan in einer verhältnismäßig schwachen Anzahl hier vertreten fand. Es seien verschiedene Einzeltrupps schon von ihm abgeordert worden, sagte er; der Hauptgrund aber war, daß ihn der Abfall Donald Bean Leans um einige dreißig Mann gebracht hatte, und daß andre Mannen, die sich zu ihm gehalten hatten, von denjenigen Häuptlingen zum Dienst befohlen worden waren, denen sie in erster Reihe dienstpflichtig waren. Indessen wurden diese Abgänge dadurch ziemlich wieder wett gemacht, daß die Mannen Fergus Mac-Ivors den besten Truppen des Chevaliers an Drill und Mut die Wage hielten. Von dem Dorfe Duddingston ab verfolgte das Heer der Schotten die gewöhnliche Poststraße, die von Edinburg nach Haddington führt. Bei Muffelberg wurde der Esk überschritten, und von da wurde, statt durch die niedern Gegenden an der Küste hin zu ziehen, landeinwärts abgeschwenkt. Auf dem Rücken des Caberryhügels, der in der Geschichte von Schottland denkwürdig ist durch die Gefangennahme der Königin Maria durch ihre aufständischen Untertanen, wurde ein festes Lager bezogen. Der Chevalier hatte sich für diese Marschrichtung entschieden, weil durch Kundschafter gemeldet worden war, daß sich die Regierungsarmee westlich von Haddington gelagert habe, um von da aus gegen Edinburg vorzudringen. Von der Kammhöhe aus versprach er sich für den Angriff Vorteile, die ihm in der Ebene entgehen mußten, denn von dem Hügel aus beherrschte der Blick weithin die Ebene, und er bildete eine zentrale Stellung, von der aus Truppen nach jeder Richtung hin beordert werden konnten, wo sich der Feind zeigte. Während Waverley mit Mac-Ivor den Hügel hinauf zog, sprengte ein Kurier heran, der Fergus Mac-Ivor zu dem Prinzen entbot, bei dem die Meldung eingelaufen war, daß die Vorhut unter dem Baron Bradwardine mit dem Feinde Fühlung bekommen und ein siegreiches Scharmützel bestanden habe, sowie daß die ersten Gefangnen vom Baron bereits gemeldet worden seien. Waverley ging dem Kommando voraus und bemerkte bald etwa ein halbes Dutzend Berittner, die, mit Staub bedeckt, herangaloppierten, um zu melden, daß der Feind in voller Stärke vom Westen her im Anmarsch sei. Als er noch ein paar Schritte weiter gegangen war, drang plötzlich aus einer Hütte banges Stöhnen zu seinen Ohren. Näher kommend, war es ihm, als unterscheide er Laute im Dialekt seiner Heimat, die sich anhörten, wie wenn jemand das Vaterunser bete. Waverley war immer bereit zu helfen: Er trat in die Hütte, aber in der Finsternis konnte er auf den ersten Blick nichts weiter sehen, als etwas, wie ein rotes Bündel. Dann sah er, daß er sich einem Dragoner gegenüber befand, dem bis auf seinen Mantel alles geraubt worden war, Waffen wie alle übrigen Monturstücke. »Wasser! Wasser!« lallte mit ersterbender Stimme der allem Anschein nach schwer verwundete Soldat. Waverley hob den Mann auf die Arme und trug ihn vor die Tür. Dann reichte er ihm aus seiner Feldflasche einen Trunk Wasser. Der Mann heftete einen prüfenden Blick auf Waverleys Gestalt, dessen Gesicht ihn irre zu machen schien. »Nein, nein,« sagte er dann, wie zu sich selbst, »der junge Squire ists doch nicht.« Das war die Bezeichnung, wie man auf dem Edelsitze von Waverley-Würden den jungen Herrn zu nennen gewohnt gewesen war. Waverley stutzte. Die Stimme des Mannes weckte tausendfältige Erinnerung in seinem Herzen. Er sann und sann. Plötzlich aber schoß es ihm durch den Sinn, und er rief: »Houghton! Houghton! bist Du es wirklich?« »Nie dachte ich wieder eine englische Stimme zu hören,« sprach der Verwundete, dessen Gesicht schon vom Tode gräßlich entstellt war. »Als ihnen klar wurde, daß ich über die Stärke unsres Heeres keine Auskunft zu geben vermochte, haben sie mich hier liegen lassen, ohne sich drum zu scheren, ob ich verhungern oder verdursten müsse. Aber, Squire, wie konntet Ihr bloß so lange weg von der Truppe bleiben und uns diesem Satanskerl von Ruffin in die Schere geraten lassen? Euch wären wir ja doch durch Wasser und Feuer gefolgt!« »Ruffin? Ruffin? ... « fragte Waverley, »ich versichre Euch, Houghton. Ihr seid schändlich betrogen worden.« »Habs mir oft so gedacht,« sagte der Verwundete, »wenn sie uns gleich Euer Siegel vorwiesen. So kams denn, daß ein paar von uns erschossen wurden, während sie mich degradierten.« »Sprich nicht so viel, Houghton,« sagte Waverley, »bleib hier liegen! ich will mich nach einem Wundarzt umsehen.« Eben kam Mac-Ivor aus dem Hauptquartier zurück, wo er einem Kriegsrat beigewohnt hatte. »Brillante Nachrichten!« rief Fergus dem Freunde entgegen. »In knapp zwei Stunden werden wir aneinander sein. Kommt, Waverley, kommt! der Prinz ist schon zur Front unterwegs.« »Einen Augenblick nur, Fergus!« erwiderte Waverley, »hier liegt ein armer Gefangner im Sterben. Wo kann man einen Wundarzt finden?« »Was? Wundarzt?« versetzte Fergus; »wir haben so was nicht! höchstens die französischen Soldaten, die unsre Kanone bedienen. Die sind aber, meines Wissens, auch nicht viel gescheiter als der erste beste Apothekerbub.« »Aber der arme Mensch verblutet sich ja!« »Dann wirds ihm halt gehen, wie bis heut abend noch manchem andern. Aber, zum Teufel! darum hält man sich doch nicht auf. Waverley, kommt und verzieht nicht langer! Wir kommen sonst zu spät.« »Ich kann nicht, Fergus! Erst muß dem armen Menschen geholfen werden.« »Mord und Brand! was fällt denn Baron Bradwardine bloß ein? uns Leute zu hinterlassen, die bloß halbtot sind und uns solch elende Hudelei machen?« rief Fergus. »Kommt, Waverley, kommt! ich will Callum-Beg zu dem Kerl herschicken. Aber was wollt Ihr Euch drum aufhalten lassen!« »Fergus, es ist ein Pächterssohn aus Waverley-Würden.« »So? einer, von den Eurigen also?« versetzte Mac-Ivor, »na, wenn auch! Callum-Beg wird ihn schon wieder in Schuß bringen, wenn noch was mit ihm zu machen ist.« Callum war alsbald zur Stelle. Aber nach kaum einer Viertelstunde hatte der Aermste ausgelitten. Er bat noch Waverley, wenn es anginge für seine alten Eltern zu sorgen, und beschwor ihn, um alles in der Welt nicht mit diesem wilden Weiberrockgesindel gegen Altengland in den Krieg zu ziehen, Waverley hatte mit aufrichtigem Schmerze dem Todeskampfe seines einstigen Sergeanten zugesehen, und als der letzte Hauch aus der körperlichen Hülle entflohen war, hieß er Callum den Toten in die Hütte zurücktragen. Der junge Hochländer tat, wie ihm geheißen, unterließ aber nicht, alle Taschen des toten Soldaten zu untersuchen; da dies aber, wie schon erwähnt, andre vor ihm aufs sorgfältigste getan hatten, war seine Mühe umsonst, Aber den Mantel nahm er der Leiche noch ab und versteckte ihn unter einem Busch von Stechginster, wobei er vorsichtig zu Werke ging, wie ein Hund, der den Knochen versteckt, den er nicht auffressen kann, und merkte sich die Stelle genau, weil er seiner Mutter, der alten Elspath, einen Mantel draus zu machen gedachte, falls er mit dem Leben davonkäme. Es wurde ihnen nicht leicht, die Stelle in der inzwischen weiter marschierten Kolonne wieder zu erreichen, die ihr Clan inne hatte, und erst auf den Höhen oberhalb vom Dorfe Tornent gelang es ihnen. Unterhalb dessen, nach der Meeresküste hin, lag die Straße, die das feindliche Heer ziehen wollte. Aus den wenigen Worten, die der Sterbende zu Waverley gesprochen hatte, war es demselben klar geworden, daß das von dem Obersten gegen ihn eingeleitete Verfahren sich durchaus auf dem Boden des Rechts bewegt und zufolge der in Edwards Namen unternommenen Schritte, die Schwadron zur Meuterei zu verleiten, ganz unerläßlich geworden war. An den Umstand mit seinem Petschaft erinnerte er sich nun erst wieder, und es fiel ihm ein, daß er es in der Höhle des Räubers Donald Bean Lean eingebüßt hatte. Augenscheinlich hatte es nun dieser durchtriebene Gauner benützt, als ein nützliches Mittel durch Fälschung von Schriftstücken, die er mit dem Petschaft unterstempelt hatte, zu seinem Vorteil Intrigen im Regiment anzuzetteln, die ihm frische und gut brauchbare Mannschaften zuführen sollten. Ganz ohne Frage fanden sich weitere Auskünfte noch in dem Paket, das Alice, die Tochter des Schuftes, in seinen Mantelsack gesteckt hatte, dessen er aber noch immer nicht hatte habhaft werden können. Und immer und immer tönte ihm der schmerzliche Vorwurf in die Ohren: »Ach, Squire, wie konntet Ihr bloß so lange von Eurer Truppe wegbleiben?" ... wie eine Totenglocke klang ihm der Vorwurf in den Ohren. ... Zwölftes Kapitel Die Sonne neigte sich zum Untergange, als die Hochländer auf der Hochfläche Aufstellung genommen hatten, die sich nordwärts bis zum Meere hinzieht, und auf der, freilich in beträchtlicher Entfernung von einander, die kleinen Dörfer Seaton und Cockenzie liegen, in deren Mitte ungefähr das größere Dorf Preston liegt. Quer durch diese Hochfläche zieht sich der tiefer liegende Küstenweg nach Edinburg, der sich hinter Preston in ausgedehnten Ländereien verläuft. Auf diesem Terrain hatte der englische General, weil er es für die Reiterei am vorteilhaftesten erachtete, beschlossen, sich den Weg nach Edinburg zu erzwingen. Er hatte gehofft, die Hochländer in der Ebene zu stellen, weil ihm da die vorteilhafteste Gelegenheit winkte, seine zahlreiche Reiterei zur Geltung zu bringen. Aber in dieser Erwartung hatte er sich getäuscht, denn der Chevalier hatte sich auf sein eignes Urteil in diesem Falle verlassen oder wenigstens denjenigen seiner Berater sich angeschlossen, die ihm den Weg über den Höhenzug rieten, den graden Weg dagegen unbenutzt zu lassen. Als die Hochländer in Schlachtstellung gerückt waren, erschien der Vortrab der englischen Armee hinter den Hecken und Bäumen von Seaton, von der Absicht geleitet, die Ebene zwischen den Höhen und dem Meere zu besetzen. Der Raum, der zwischen den beiden Heeren lag, war knapp eine Viertelstunde breit, und Waverley konnte deutlich die Dragonerschwadronen erkennen, die nacheinander aus den Defileen hervorbrachen und dem Heere des Prinzen gegenüber in Schlachtstellung rückten. Drei bis vier Regimenter Infanterie marschierten in offnen Kolonnen, mit aufgepflanzten Bajonetten, die wie eine Hecke von Stahl blinkten. Artillerie mit einem weitern Kavallerieregiment beschloß den langen Zug und deckte die Flanke der Infanterie, so daß die ganze Schlachtlinie nach Süden zu Front machte. Während die Engländer ihren Aufmarsch in dieser Weise vollzogen, entfalteten die Hochländer keinen geringeren Grad von Schnelligkeit und Energie. Sobald die Clane der Feinde ansichtig wurden, erhoben ihre Mannen ein furchtbares Geschrei, das von den hinter ihnen liegenden Hügeln widerhallte. Von seiten der Engländer wurde es mit lauten Herausforderungen beantwortet, dann wurde auf die vorgeschobenen Posten der Hochländer aus Geschützen gefeuert. Hierdurch aufs äußerste gereizt, wollten die Hochländer sofort zum Angriffe schreiten, aber der Boden, auf dem sie hätten hinabsteigen müssen, war von Natur unwegsam, sumpfig und wurde von lockern Steinmauern durchschnitten, hinter denen sich für die im Tale befindlichen Engländer die sichersten Schutzwehren boten. Die Führer der Hochländer traten deshalb mit aller Autorität der Absicht, dem Feinde zum Nahkampf entgegenzustürzen, entgegen; es wurden bloß ein paar Schützenpatrouillen abgesandt mit der Aufgabe, das Terrain abzusuchen und die vorgeschobenen Posten des Feindes durch Plänkeleien zu beschäftigen. Die beiden Heere, die beide vortrefflich einexerziert waren, freilich jedes in der ihm eignen Kampfweise, und die infolgedessen so verschieden an Kriegszucht waren wie an Aussehen, standen sich einander gegenüber, wie zwei Gladiatoren auf der Arena, und suchten einander gegenseitig die Vorteile abzugewinnen, wie sie sich am besten beikommen konnten. Deutlich erblickte man die kommandierenden Offiziere vor den beiden Fronten, wie sie mit ihren Ferngläsern die beiderseitigen Bewegungen beobachteten, wie sie Befehle austeilten und Rapporte entgegennahmen, und dann sah man die Adjutanten hin und her galoppieren, mit einer Eile, wie wenn von ihnen und ihren Rossen das Schicksal des Tages einzig und allein abhängig sei. Von Zeit zu Zeit knatterte Gewehrfeuer, die Scharfschützen gaben einzeln und kolonnenweis Feuer, sobald sich irgend welche vorteilhafte Schießgelegenheit bot, und oft sah man auch Verwundete aus den Reihen übers Schlachtfeld nach einer Hütte tragen. Aus den vorgenannten Ortschaften sah man öfter Bauern schleichen, klug und vorsichtig, gleich als ob sie darauf aus wären, den Ausgang des Kampfes abzuwarten und ihr weiteres Verhalten danach einzurichten, oder als wenn sie darauf sännen, die Schlachtfelder abzusuchen, wenn der Kampf vorüber sei. In nicht zu großem Abstande lagen in der Bucht unter englischer Flagge zwei Schoner mit aufgespannten Segeln, an deren Marsen und Stengen die Mannschaften hingen, gespannt auf den Ausgang des bevorstehenden Kampfes. Noch immer währte die Stille vorm Sturm. Da erhielt Fergus Befehl, zusammen mit einem andern Häuptling ihre Clans gegen das Dorf Preston zu dirigieren, um die rechte Flanke der englischen Armee zu bedrohen und sie zu einer Veränderung ihrer Position zu zwingen. Im Verfolg dieser Absicht setzte sich der Häuptling von Glenuaquoich in dem Kirchhofe von Tornent fest, der die Umgegend beherrschte. Um die beiden Clans hieran zu hindern, detachierete der englische Befehlshaber zwei Geschütze mit einem großen Reiterkommando in der gleichen Richtung. Die Soldaten ritten in solcher Nähe, daß Waverley deutlich die Standarte der Schwadron erkannte, die er einst selbst befehligt hatte. Sogar das wohlbekannte Kommando konnte er hören, das die ihm so wohlbekannte Stimme des Regimentskommandeurs erteilte, für den er ehedem so hohe Achtung im Herzen getragen hatte. Im nächsten Augenblick sah er um sich wieder die hochländischen Clansmänner in ihrer rohen Tracht und ihrem wilden Aussehen, hörte sie in ihrer ungefügen, rauhen Sprache, und dann fiel sein Blick auf die Tracht, die jetzt er trug, und die in so krassem Gegensatze stand zu jener andern Tracht, die er von Kindheit an getragen, und dann fühlte er den innigen Wunsch, aus diesem Zustande zu erwachen, der ihm vorkam wie ein Traum, wie er ihn schrecklicher und unnatürlicher noch nie geträumt hatte. »Gerechter Gott!« rief er, »bin ich denn wirklich ein Verräter am eignen Vaterlande? ein Deserteur, ein Feind meines angestammten England?« Die englische Armee hatte sich in neue Schlachtlinie formiert. Ihr einer Flügel lehnte sich an die Küste an, der andre an das Dorf Preston. Fergus Mac-Ivor wurde infolge dessen auf seinen frühern Posten zurückbeordert. Auf diese Weise traten beide Heere wieder zueinander in Parallelstellung. Inzwischen senkte sich langsam die Nacht hernieder, und beide Heere schickten sich an, ihre Lager für die Nacht aufzuschlagen. »Während der Nacht werden wir wohl Ruhe behalten,« sagte Fergus zu Waverley, »aber ehe wir uns in unsre Plaids hüllen, wollen wir uns doch umsehen, was unser Freund Bradwardine macht.« Als sie zu dem Posten kamen, den der Baron im Vortrab innehatte, trafen sie den greisen Offizier beim Abendgottesdienst, den er mit seiner Mannschaft abhielt, nachdem er bereits Patrouillen ausgesandt und die Wachtposten ausgestellt hatte. Er las mit heller, klangvoller Stimme, und wenn auch die Brille, die auf seiner Nase saß, und die Anwesenheit des greisen Seneschalls Saunders Saunderson, der im Soldatenrocke Küsterdienste tat, der Szene einen etwas komischen Anstrich gaben, so ließ sich doch der feierlichen Handlung, deren Eindruck durch die gefahrvolle Bühne, auf der sie gehalten wurde, durch das kriegerische Auditorium und durch den ganzen kriegerischen Dekor wesentlich verstärkt wurde, ein gewisser Grad von Bewunderung nicht versagen. »Ich bin heute zur Beichte gewesen,« flüsterte Fergus Waverley zu, »aber so stockkatholisch bin ich denn doch nicht, daß ich mich weigern würde, mit diesem Manne ein gemeinschaftliches Gebet zu verrichten.« Waverley pflichtete ihm bei. Sie warteten nun, bis der Baron seine Andacht gehalten hatte. Das währte nicht mehr lange. Als der Baron das Gebetbuch zuklappte, tat er es mit den Worten: »Und nun, Jungens, morgen früh wacker drauf! mit wuchtiger Faust und leichtem Gewissen!« Hierauf begrüßte er die beiden jungen Männer aufs herzlichste, die ihn sogleich um seine Ansicht über die Sachlage befragten. Er erwiderte: »In rebus Bellicis maxima dominatur fortuna« [Im Kriege herrscht die Glücksgöttin am meisten], sagt, wie Ihr ja wißt, schon Tacitus, und das ist gleichbedeutend mit dem Sprichwort »Glück hilft am besten zur Braut«. Aber das dürft Ihr mir glauben, Ihr Herren, der Mann dort drüben ist kein Meister in seinem Handwerk, denn er schwächt den Mut seiner armen Burschen dadurch, daß er sie auf die Defensive beschränkt, außerordentlich. Die Defensive verrät ja an sich schon, wenn nicht gar Furcht, so doch ganz entschieden Mangel an Mut. Jetzt werden sie drüben ängstlich und bange liegen wie die Kröten unter der Egge, während unsre Leute morgen frisch und munter zum Kampfe ziehen werden. Aber nun gute Nacht! wenn mir auch ein Ding noch Unruhe macht. Doch darüber morgen, wenn uns das Glück hold gewesen ist.« Als Waverley hierauf mit seinem Freunde zum Biwak zurückging, drangen die Wirbel der Trommeln und die schrillen Töne der Sackpfeifen zum Hügel herauf, um endlich langsam an den Wänden zu verhallen. Dann schmetterten die Trompeten über das Blachfeld, und dann kehrte langsam Ruhe ein. Als die beiden Freunde ihren Posten erreicht hatten, hielten sie noch einmal Umschau, ehe sie sich zur Ruhe streckten. Im Westen leuchteten die Sterne auf und vom Meere herauf erhob sich ein kalter Nebel, der sich über den östlichen Horizont lagerte und in weißen Massen sich über das Blachfeld hinzog, auf dem die feindlichen Scharen unter Waffen lagerten. Ihre Vorposten waren bis an den Rand des Grabens vorgeschoben, der sich am Fuße des Abhangs hinzog. In regelmäßigen Abständen hatten sie Wachtfeuer angezündet, deren düstrer Schein in dem dichten Nebel hellleuchtende Höfe bildete. Auf dem Hügel lagen in langen Reihen unter der Obhut der ausgestellten Wachtposten die Hochländer, »dicht, wie das Laub von Ballombrosa«. Waverley blickte sinnend über sie hin. »Wie vielen unsrer Braven wird dieser Hügel heut abend zum Totenhügel werden, Fergus,« sagte er. »Solche Gedanken sind durchaus müßig,« versetzte Fergus, »Der gerechte Krieger denkt in solcher Stunde bloß an sein treues Schwert. Jeder andre Gedanke kommt nun zu spät!« Mit der Wahrheit sich abfindend, so gut es ging, die in diesen Worten des Häuptlings lag, streckte sich Waverley auf sein Lager und bemühte sich, den Tumult seiner Empfindungen zu stillen. Die Freunde hüllten sich, in ihre Plaids, und Callum-Beg setzte sich, seiner Hörigenpflicht getreu, die es ihm auferlegte, unmittelbar neben der Person seines Häuptlings zu wachen, zu ihren Häupten und stimmte einen gälischen Sang an, dessen melancholische Eintönigkeit sie im Verein mit dem fernen Windesrauschen bald in Schlummer gewiegt hatte. Dreizehntes Kapitel Nach mehrstündigem Schlafe wurden sie geweckt und zu dem Prinzen beordert. An der fernen Turmglocke des größten der drei Dörfer schlug es drei. Die beiden Freunde eilten zu dem Quartiere des Chevaliers, der schon im Kreise seiner ersten Offiziere und Clanshäuptlinge stand und Rat hielt. Ein Bund Stroh, das während der Nacht sein Pfühl abgegeben hatte, diente ihm jetzt als Sitz. Sobald Fergus herzutrat, wurde die Unterhaltung abgebrochen. »Mut, liebe Freunde!« sprach der Chevalier, »begebe sich nun jeder zu seinem Kommando. Es hat sich ein Getreuer erhoben, der uns auf einem gangbaren, wenn auch schmalen Pfade rechts durchs das Moor führen will, so daß wir dem Feind in den Rücken gelangen können. Wir werden auf beiden Seiten zugleich angreifen. Das Weitere liegt in der Hand des allmächtigen Gottes und unsrer Schwerter.« Allgemeine Freude brach aus ob dieser Kunde. Jeder Anführer eilte, so geräuschlos wie möglich seine Mannschaften in Ordnung zu bringen. Der Hauptteil des Heeres rückte nun nach rechts von den Lagerplätzen ab und gelangte bald zu dem Pfade, der durch den Morast führte. Sie vollführten ihren Marsch mit bewunderungswürdiger Stille und Eile. Der Nebel hatte die Höhen noch nicht erreicht, so daß sie eine Zeitlang noch den Vorteil des Sternenlichts für sich hatten. Indessen war es für die Hochländer noch immerhin gewohnte Arbeit, während es für die Engländer hingegen ein tollkühnes Wagestück gewesen wäre. Als Mac-Ivor dem festen Boden nahe war und den vorausmarschierten Kommandos sich zu folgen anschickte, erschallte plötzlich ein Ruf. »Wer da?« Sie konnten den Mann nicht erkennen, der den Ruf getan hatte. Aber Fergus rief leise seinen Mannen zu: »Keiner gebe Antwort, wenn ihm sein Leben lieb ist ... aber hurtig weiter!« Der Reiter schoß sein Pistol ab, dann hörte man den Galopp eines über das Feld dahinjagenden Rosses. »Der Bursche wird Lärm schlagen!« sagte der Baron von Bradwardine. »Hylax in limine latrat.« [Der Hund bellt an der Schwelle] Fergus stand jetzt mit seinem Clan auf festem Boden. Die ganze Ebene unterbrach kein Baum, kein Busch. Schon folgte ihm die weitere Mannschaft. Da ertönte der Generalmarsch der feindlichen Trommler. Der Feind war also auf der Hut und bereit zu ihrem Empfange. Die Hochländer formierten sich in zwei Kolonnen, die sich vom Sumpfe bis zum Meere hinzogen. Die erste Kolonne war zum Angriff bestimmt, die andre sollte als Reserve dienen. Die Kavallerie, die sich aber nur auf wenige Züge belief, führte der Prinz in Person an. Sie nahm Stellung zwischen beiden Treffen. »Nieder mit den Plaids!« rief jetzt Fergus und warf das Plaid von sich. Alle Schotten folgten seinem Beispiele. »Auf, auf! jetzt holen wir Seide für unsre Tartans, noch ehe die Sonne über den See hin gezogen ist.« Eine minutenlange Pause folgte. Dann nahmen die Schotten die Mützen ab und alle sprachen ein kurzes Gebet. Da fing Waverley das Herz zu schlagen an mit solcher Macht, daß es ihm die Brust zu sprengen drohte. Es war halb Scheu, vor dem Kampfe, halb Begierde vor dem Kampfe, was ihn erfüllte ... ein Impuls, wie er ihn noch nie gefühlt hatte, der ihm die Brust bald zusammenzog und seinen Schmerz betäubte, bald wieder weitete und ihn anfeuerte zu wildem Kampfe, daß es ihm war, wie wenn sich Wahnsinn über ihn senkte. Das Getöse entflammte ihn, die Pfeifen schrillten, die Häuptlinge stürmten vorwärts inmitten ihrer Mannen, schneller und schneller, wilder und wilder, und ihre Stimmen setzten an zu einem dumpfen Gemurmel, das starker und, stärker schwoll, bis es zum rasenden Geschrei wurde. In diesem Augenblick jagte die Sonne, über den Horizont heraustretend, den Nebel auseinander. Wie ein Vorhang stiegen die Dünste empor, und beide Heere erschienen nun hell auf dem Blachfelde, bereit zur blutigen Umarmung. »Vorwärts, Ihr Söhne von Ivor!« rief da Fergus mit Donnerstimme, »oder die Kameronier werden die ersten sein, die das Blut zapfen!« Der englischen Reitern war die Aufgabe zuerteilt, die Hochländer in der Flanke zu fassen. Aber ein paar Gewehrsalven brachten sie zum Weichen. Von einer Panik ergriffen, machte sie Kehrt und jagte über das Blachfeld davon. Die Artillerie, als sie sich von der Reiterei in Stich gelassen sah, geriet gleichfalls in Flucht. Die Hochländer gaben noch eine Salve ab, dann warfen sie die Flinten von sich und stürmten mit gezückten Schwertern mitten in die Infanterie hinein. In diesem Augenblick sah Waverley einen englischen Offizier, offenbar von hohem Range, allein bei einem Feldgeschütz stehen, das die Bedienungsmannschaft im Stich gelassen hatte, und das er jetzt richtete und auf den hinter dem Clan-Ivor marschierenden Hochländerhaufen richtete. Waverley fiel die schlanke Gestalt des Mannes auf. Das Verlangen, ihn von unvermeidlichem Verderben zu retten, beseelte ihn mit Ungestüm, und er überrannte die flinksten seiner Mitstreiter, so daß er der erste neben ihm war und ihm zurief, sich zu ergeben. Die Antwort des Offiziers war ein Säbelhieb, den aber Waverley mit seinem Schilde auffing, an welchem die Klinge des Offiziers zersprang, Da hob der hinter Waverley stehende Dugald Mahony das Schwert, um dem Offizier den Schädel zu spalten. Aber auch diesen Schwertstreich fing Waverley auf. Der Offizier erkannte nun, daß Widerstand unmöglich sei, warf den Knauf seines Säbels weg und verlangte Pardon. Er wurde dem Dugald Mahony überantwortet, aber mit dem strengen Befehle von seiten des Häuptlings, ihm ehrenvolle Gefangenschaft zu teil werden zu lassen und ihn nicht zu berauben, wogegen volle Entschädigung für die Beute versprochen wurde. Die Schlacht tobte unterdessen weiter. Die Infanterie, die in Flandern ihre Schule durchgemacht hatte, hielt wacker stand, aber ihre stark auseinander gezogne Linie wurde von den dichten Massen der schottischen Clane an mehreren Punkten zugleich durchbrochen, und in dem nun folgenden Handgemenge mußte den Hochländern der Sieg leicht werden, weil ihre Waffen bedeutend furchtbarer waren, als die ihrer Gegner, und weil sie ihnen auch an Körperkraft und Gewandtheit um vieles überlegen waren. Da sprengte ein englischer Offizier über das Feld, und Waverley erkannte ihn auf den ersten Blick. Es war sein ehemaliger Oberst, der sich einem Infanteriehaufen an die Spitze warf, der, mit dem Rücken gegen eine Mauer gelehnt, sich mit Verzweiflung zur Wehr setzte. Waverley sah, daß der Oberst schon aus mehreren Wunden blutete, daß seine Uniform und sein Sattel von Blut trieften. Er wollte auch ihn vom Untergange retten und drang rücksichtslos bis in seine Nähe. Aber er kam doch zu spät und konnte nur noch mitansehen, wie er zu Boden sank, von einem Sensenhiebe getroffen. Waverley trat im selben Augenblick an seine Seite, als ein zweiter Sensenhieb auf ihn niedersauste. Aber der im Sterben liegende Offizier schien Waverley zu erkennen. Ein milder, doch strafender Blick, ein Blick, in welchem ein unendliches Maß von Liebe und Besorgnis zum Ausdruck gelangte, war die letzte Erinnerung, die Waverley Von jenem Manne mit hinwegnahm, zu dem er einst mit so hoher Achtung als zu seinem Vorgesetzten aufgeblickt hatte. Lautes Siegesgeschrei schallte jetzt über das Blachfeld. Die Schlacht war gewonnen, und aller Troß, die gesamte Artillerie, mit aller Munition, fiel in die Hände des Siegers. Außer der Kavallerie entrann kaum ein Mann, und auch sie war zerstoben in wilder Flucht. Unsre Erzählung legt uns bloß noch einen Umstand zu erwähnen auf, nämlich das Schicksal Balmawhapples. Er ritt ein Pferd, das nicht minder dickköpfig war als er, und verfolgte die fliehenden Dragoner ganze zwei Stunden über das Schlachtfeld hinaus. Da fiel es aber einigen, die noch nicht allen Mut eingebüßt hatten, ein, sich gegen ihn zu wenden, und wenn er auch noch zweien von ihnen den Schädel spaltete, so war er doch, weil sein dickköpfiger Gaul widerhaarig zu werden anfing, nicht mehr im stande, sich der drei Dragoner zu erwehren, die ihm aufs härteste zusetzten und nach langem Ringen dem Laird Falconer Balmawhapple das gleiche antaten, was er ihren Kameraden angetan hatte, nämlich ihn mit gespaltetem Schädel zu Boden schlugen. »Ich habs dem Laird ja immer gesagt, daß mein Gaul keinen Sprungriemen leiden will. Hätt er ihm einen kleinen Beißring in die Kinntrense gelegt, so konnten Pferd und Laird noch heute leben!« sagte der Leutnant Jinker, der ihn auch auf dem Paraderitt um Schloß Stirling begleitet hatte. Und Dhu Maccombich, der Fähnrich Fergus Mac-Ivors, setzte hinzu: »Es ist mehr auf dem Sheriffsmoor draufgegangen, als Laird Balmawhapple hätt wett machen können!« Das waren die beide Totenklagen, mit denen Laird Balmawhapple in die Grube fuhr. Vierzehntes Kapitel Als die Schlacht vorüber war, betrachtete es Waverley für seine erste Aufgabe, dem englischen Offizier einen Besuch zu machen, dem er das Leben gerettet hatte, und der mit zahlreichen Unglücksgefährten in einem Edelhofe in der Nähe des Schlachtfeldes interniert worden war. Sie befanden sich zusammen in einer Stube. Aber es fiel Waverley nicht schwer, den Gefangnen, den er suchte, herauszufinden. Hätte ihm nicht Gestalt und Aeußeres dazu geholfen, so doch sicher der Wächter, der ihm an die Seite gegeben worden war, der Schotte Mahony, der seit dem Vorgange, der den Offizier zum Gefangnen gemacht hatte, mit seiner Streitaxt nicht von ihm gewichen war, in erster Linie, um der von Waverley verheißenen Prämie nicht verlustig zu gehen, dann aber auch, um den Offizier vor jeder Plünderung zu bewahren, denn hiervon hing doch, wie sich der pfiffige Schotte sagte, die Höhe der erstern ab. Deshalb beeilte er sich, Waverley sogleich zu versichern, daß er den »Rotrock« aufs sorgfältigste in Verwahrung gehalten habe, und daß derselbe »nicht um einen Kupferdreier ärmer« sei als zur Zeit, wo ihm der gnädige Herr verboten hatte, demselben »eins mit seiner Axt auf den Kopf zu geben«. Waverley sicherte dem Schotten eine reiche Belohnung zu und trat dann zu dem englischen Offizier heran, um ihm zu sagen, daß er sich gern bemühen wolle, ihm in seiner peinvollen Lage jede Erleichterung zu schaffen, die irgend in seinen Kräften stehe. »Ich bin als Soldat nicht so unerfahren, Sir,« erwiderte der Offizier, »daß ich mich beklagen sollte über ein Los, mit dem schließlich jeder einmal zu rechnen haben wird, der die Waffen gegen einen Feind erhebt. Mich schmerzt einzig und allein, daß ich auf unsrer Insel Szenen mit angesehen habe, die auf ihr nichts zu suchen haben sollten.« »Noch ein Tag, wie dieser, und ich meine,« erwiderte Waverley, »die Ursache Eures Kummers dürfte gehoben sein.« Der Offizier schüttelte lächelnd das Haupt. »Ich bin Gefangner,« antwortete er, »und habe mich in eine förmliche Widerlegung Eurer Worte nicht einzulassen. Aber trotz Eures heutigen Sieges fürchte ich, Ihr habt Euch in ein Unternehmen eingelassen, das weit über Eure Kräfte gehen dürfte und aus dem Ihr ganz entschieden als Sieger nicht hervorgehen werdet.« In diesem Augenblicke trat Fergus in die Stube. »Kommt, Edward, kommt! der Prinz ist drüben in Pinkie-House. Dort sollen wir ihn treffen. Er erwartet uns mit dem Baron von Bradwardine, der darüber Rede stehen soll, weshalb er seinem Schösser solche Unbill angetan hat, ihn mit aufs Schlachtfeld zu zerren. Der arme Kerl von Macwheeble kennt keinen größern Gegenstand des Grausens als einen bewaffneten Hochländer und eine geladne Flinte. Und nun muß dieser arme Wicht hier stehen und sich die Proteste des Barons gegen die Angriffe der Regierung auf seine Besitzrechte anhören. Bei jedem Knall duckt sich das Kerlchen wie eine Rotgans ins Gefieder; und sobald er zittert oder sich ängstigt, läßt ihn sein Herr hart an, denn sich in seinem Vortrage durch irgend etwas stören zu lassen, und sei es richtig eine ganze Batterie, das ist bekanntlich Sache des Barons von Bradwardine nicht! ... vor allem dann nicht, wenn die Ehre seines Stammes oder seiner Familie in Betracht steht.« »Aber wie hat ihn Mr. Bradwardine bewegen können, sich bis ins Lager hinein zu wagen?« »Er ist ja bloß bis Musselberg gefahren, wahrscheinlich wohl in der Hoffnung, für den einen oder den andern von uns das Testament zu machen; aber der Baron hat ihn weiter geschleppt, bis die Schlacht von Preston vorbei war. Aber kommt, Waverley, kommt!« »Waverley!« wiederholte mit tiefer Bewegung der englische Offizier, »der Neffe von Sir Everard Waverley auf und zu Waverley-Würden?« »Der nämliche, Sir!« versetzte der Held unsrer Erzählung, betroffen über den Ton, in welchem die Worte fielen. »Euch hier zu treffen, beglückt und betrübt mich zu gleicher Zeit,« sagte der Gefangne. »Ich wüßte nicht, Sir, wodurch ich solchen Anteils mich würdig gemacht hätte,« erwiderte Waverley. »Hat Euer Oheim nie eines Freundes gedacht mit Namen Talbot?« »Er hat immer mit höchster Achtung von einem Manne dieses Namens gesprochen,« erwiderte Edward, »der, sofern ich nicht irre, Armeeoberst war, verheiratet meines Wissens mit Lady Amily Blandeville. Aber ich war der Meinung, Obrist Talbot sei außer Landes?« »Ich bin erst vor ganz kurzer Zeit wieder nach England zurückgekehrt, und da ich mich nun einmal in Schottland befand, habe ich gemeint, meine Dienste dort dem Vaterlande zur Verfügung zu stellen, wo es ihrer am meisten zu bedürfen schien. Und das ist der Platz gewesen, wo Ihr mich gefangen nahmt. ... Aber, Du mein Himmel! daß ich Sir Everard Neffen wiederfinden muß in solcher Umgebung und in solcher Tracht!« »Die Tracht, Sir, die Mr. Waverley trägt, und die Umgebung, in der er sich befindet, sind jedes Mannes von Geburt und Herkunft würdig,« erwiderte aufbrausend der Häuptling Glennaquoich. »Meine Lage verbietet mir, ein Wort hiergegen zu sagen. Andernfalls möchte es mir wohl nicht schwer fallen, dafür den Beweis zu erbringen, daß eine schlechte Sache nicht gut wird, mag noch so viel Mut und Geburtsstolz vorhanden sein. Aber, mit Mr. Waverleys Verlaub, wie auch, sofern dies notwendig, mit Eurem, ich möchte mit ihm über einige Dinge sprechen, die seine Familie und nächste Verwandtschaft betreffen.« »Mr. Waverley, Sir, hat niemand Rechenschaft abzulegen über sein Tun und Lassen.... Nur der Hoffnung gebe ich Ausdruck, .Sir, daß Ihr mir nach Pinkie-House folgen werdet,« setzte Fergus hinzu, indem er sich zu Edward wandte, »sobald Eure Unterhaltung mit dieser neuen Bekanntschaft geendet sein wird.« Mit diesen Worten schritt der Häuptling, sein Plaid mit unsäglichem Stolz um seine Hüfte schlagend, aus der Gefangnenstube hinaus. Waverley erwirkte schnell für seinen Gefangnen die Freiheit zu einem Spaziergange durch den an das Gefängnis anstoßenden Park. Hier gingen sie ein paar Schritte auf und ab, ehe ein Wort zwischen ihnen fiel. Der Oberst schien nachzudenken, wie er am geschicktesten in die Unterhaltung einträte. Endlich nahm er das Wort. »Mr. Waverley, Ihr habt mir heute das Leben gerettet, und doch, bei Gott! hätt ich es lieber verloren, als Euch in dieser Uniform und mit dieser Kokarde zu begegnen!« »Ich nehme Euch, Herr Obrist, diese Worte nicht übel, denn ich weiß, sie sind gut gemeint, und Erziehung und Vorurteil geben sattsam die Begründung für Eure Worte. Aber einen Mann in Verhältnissen zu finden, die ihn am ehesten in die Lage setzen, erhaltnen Schimpf wett zu machen, dürfte so etwas Außerordentliches grade nicht sein.« »Ich sollte lieber meinen, daß es Gesetz für Euch hätte sein müssen, solche Lage um deswillen zu meiden wie das Feuer, weil sie die im Umlauf befindlichen Gerüchte am meisten stützt,« versetzte der Obrist. »Sodann eine Frage: seid Ihr schon darüber unterrichtet, in welche Gefahren Euer Verhalten Eure Verwandten gestürzt hat, die Euch doch meines Wissens redlich und ehrlich im Leben förderten?« »Was sagt Ihr da von Gefahren, Herr Obrist?« fragte Waverley in sichtlich großer Beruhigung. »Allerdings Gefahren, mein Herr, und Gefahren sehr schwerer Art. Euer Vater sowohl wie Euer Oheim sind des Hochverrats beschuldigt und unter Anklage gestellt worden, und nur unter hoher Bürgschaft ist beiden die Freiheit belassen worden. Ich bin nach Schottland einzig und allein zu dem Zwecke gekommen, Euch aus dem Strudel zu retten, in den Ihr Euch habt reißen lassen. Denn ich bin außer stande, die Folgen zu taxieren, die über Eure Familie hereinbrechen können, darum weil Ihr Euch an die Rebellen angeschlossen habt, und zwar als Soldat und Kriegsmann, denn das, was dieselben bisher erlitten haben, das haben sie erlitten, weil nur Verdacht gegen Euch vorlag, Ihr könntet solch Tun im Sinne haben! ... Es schmerzt mich furchtbar, Mr. Waverley, daß ich Euch nicht früher traf, bevor Ihr dieser letzten Verirrung Euch schuldig machtet.» «Ich wüßte mir keineswegs zu erklären, aus welchen Gründen sich Obrist Talbot um meinetwillen solches Herzeleid bereitet hat,» bemerkte, nicht frei von leisem Spott, Edward. «Mr. Waverley, ich will taub bleiben gegen all Eure ironischen Reden,» erwiderte der Oberst, «und will deshalb Eure Worte bloß dem Sinne nach beantworten, den sie haben. Ich bin Eurem Oheim zu unendlichem Dank verpflichtet, zu größerm Danke, als ich je im Leben abtragen kann. Und deshalb liebe ich ihn wie einen Vater; ich darf so sprechen, denn er ist reichlich ein Vierteljahrhundert älter als ich. Sodann weiß ich, daß ich seine Liebe nicht besser wett machen könnte, als wenn es mir gelänge, Euch auf die rechte Bahn zurückzuführen, gleichwohl ob ich Euch mit solchen Worten und solchem Beginnen zu nahe trete oder nicht. » «Eure Absichten mögen ja gut sein, aber Eure Sprache, das muß ich sagen, ist sehr anmaßend, oder wenigstens doch recht rückhaltlos,» sagte Waverley. «Mr. Waverley, nehmts, wie Ihr wollt. Aber ich kann nicht anders. Als ich nach langer Abwesenheit wieder nach England zurückkehrte, da traf ich Euern Oheim, zufolge des Verdachts, in den er um Euretwillen gekommen ist, in königlicher Haft. Er konnte nirgends wohin gehen, nichts sprechen, keine Handlung vornehmen, ohne daß der ihm beigegebne Polizist darum wußte. Und das war um so herber für ihn, als er zufolge langjähriger Lebensgewohnheit, zufolge eines angebornen Gefühls von Würde und, verzeiht mir diese Worte, weil er vollständig frei von eigner Verschuldung in solche Lage geriet, für solchen Büttel ein ewiges Ziel von Schikanen abgab. Die Empfindungen, die mich bei diesem Anblick erfüllten, kann ich nicht schildern, sie waren höchst peinlich für mich, und ich muß hinzusetzen, ich fühlte einen namenlosen Groll gegen Euch. Euer Oheim ist, ich wiederhole es Euch, mein größter Wohltäter. Er hat nie ein Wort gesprochen, nie eine Aeußerung getan, die nicht Güte und Liebe verraten hätte. Sobald ich es durch die Beziehungen zum Hofe, die von einigem Belang sind, irgendwie erreichen konnte, habe ich Sir Everard seine Freiheit wieder vermittelt und bin dann nach Schottland geeilt. Hier fand ich den Obristen Eures Regiments, und er sagte mir, daß er durch den weitern Verlauf der Untersuchung, durch das Ergebnis neuerer Vernehmungen mehr zu Euren Gunsten eingenommen sei und sich noch bessre Ergebnisse durch ein abermaliges Verhör der in die Meuterei verwickelten Mannschaften für Euch verspräche. Ich zweifelte darauf nicht länger, daß sich alles noch zum besten wenden lassen werde, wenn es mir gelänge, Euch ausfindig zu machen. Aber dieser unvernünftige Aufstand hat alles zu nichte gemacht. Zum erstenmal in meiner ganzen Laufbahn als Soldat habe ich es mitansehen müssen, daß britische Soldaten den Schimpf einer feigen Flucht auf sich luden. Obendrein von einem Feinde ohne Mannszucht und ohne Waffen. Und nun erblicke ich den Neffen und Erben meines teuersten Freundes ... den Sohn seiner Liebe, wie ich wirklich sagen darf ... als Mitglied eines jener räuberischen Clans, die zu diesem Siege einer königsmörderischen Rotte verholfen haben!! ... Ha, warum ist mir nicht ein gleiches Los beschieden, wie dem braven Obristen jenes Regiments, dem Ihr einst mit Stolz angehörtet! Sein Los, mit dem meinigen verglichen, ist glücklich zu preisen.» Ein so hoher Grad von Würde, eine solche Mischung von kriegerischem Stolz und männlichem Schmerz kam in diesen Worten des Obristen zum Ausdruck, und so tief ergriffen war er von dem Schicksale seines Freundes Sir Everard, und so beredt wußte er dessen Unglück zu malen, daß sich Everard tiefbeschämt fühlte und, zerknirscht vor dem gefangnen Offizier stehend, das Wort an ihn richten wollte. Da unterbrach Fergus, eben wieder eingetreten, zum andern Male die Unterhaltung. «Königliche Hoheit haben Eure Gegenwart befohlen, Mr. Waverley.» Orist Talbot heftete einen vorwurfsvollen Blick auf Edward, was dem klugen Häuptlinge nicht entging. «Mr. Waverleys augenblickliche Gegenwart,» wiederholte Fergus mit besonderm Nachdruck. Waverley wandte sich zu dem Obersten. «Wir werden uns wiedersehen,» sagte er, «inzwischen soll Euch jede mögliche Erleichterung ...» »Ich mache keinen Anspruch auf irgend welchen Unterschied ... ich bin Gefangner, und mir gebührt nichts Besseres als dem geringsten meiner Unglücksgefährten. Könnte ich annehmen, daß meine Worte auf Eure Entschlüsse von einigem Einflusse sein möchten ...« »Der Obrist Talbot,« fiel ihm, zu dem Hochschottenoffizier gewandt, der die Wache hatte, Fergus in die Rede, »wird scharf bewacht. Es ist der ausdrückliche Befehl des Prinzen; er ist Gefangner von Wichtigkeit.« »Aber es sind ihm sämtliche Vorteile zu gewähren, auf die er seinem Range gemäß Anspruch hat,« ergänzte Waverley mit strenger Stimme. »Soweit sich das mit scharfer Bewachung vereinbaren läßt,« sagte Fergus wiederum. Der Offizier gab zu verstehen, daß er beiden gerecht zu werden bemüht sein werde, und Edward folgte dem Häuptling zum Gartentor, wo Callum-Beg mit drei Pferden wartete. Noch einmal blickte er zurück und sah, wie Oberst Talbot durch einen Trupp Hochländer ins Gefängnis zurückgebracht wurde. Der Oberst blickte sich gleichfalls um und winkte Waverley mit der Hand, wie wenn er bemüht sein wolle, ihn nochmals an die von seinem Herzen diktierten Worte zu erinnern. Fünfzehntes Kapitel »Ich mußte noch einmal zu Euch zurück, der Prinz befahl es ausdrücklich,« sagte Fergus. »Die hohe Wichtigkeit dieses englischen Obersten als Gefangner wird Euch bekannt sein, denn er gilt für einen der tüchtigsten Offiziere der ganzen Rotrockarmee, ja für einen Intimus des furchtbaren Kriegshelden Cumberland, der die berühmte Schlappe von Fontenoy 1745 bekam und expreß nach Schottland kommandiert worden sein soll, uns arme Hochländer mit Stumpf und Stiel auszuroden.« »Aber, Fergus!« rief Waverley. »Weiß der Himmel, Waverley! ich weiß nicht, was ich aus Euch machen soll. Ihr laßt Euch schaukeln von jedem Winde. Hier haben wir einen Sieg gewonnen, der in der Kriegsgeschichte Schottlands fast ohne gleichen dasteht, Euer Verhalten wird von jedermann in den Himmel gehoben, der Prinz kanns nicht erwarten, Euch persönlich seinen Dank abzustatten, all die schönen Damen der weißen Rose recken sich die Hälse nach Euch, und Ihr, der schöne Ritter des Tages, klebt auf Eurem Gaul, wie ein Butterweib, das zu Markt reitet,: mit einer richtigen Leichenbittermiene!« »Mir geht der Tod des alten Obristen nahe; er hats immer redlich mit mir gemeint.« »Na, solcher Empfindung kann man ja ein paar Minuten Raum gönnen, dann ist man aber wieder obenauf. Was ihm heute passiert ist, kann uns morgen passieren. Was einem schönen Siege am nächsten kommt, ist doch ein schöner Tod. Aber freilich, ein galliger Bissen bleibts immer, und lieber als sich selbst wünscht ihn wohl jeder dem Feinde.« »Aber Obrist Talbot sagte mir, meine Verwandten seien um meinetwillen von der Regierung verhaftet worden.« »Nun, dann müssen wir Bürgschaft aufbringen, lieber Junge. Der alte Andreas Ferrara [ironisch für: venetianischer Dolch] wird schon das Nötige schaffen, der hat den Prinzen ja auch frei bekommen, und was sie zu dem Fall in Westminster-Hall sagen würden, darauf wäre ich doch gespannt ...« »O, Bürgschaft ist schon für sie aufgebracht. ... Bürgschaft friedlicher Natur ...« »Ei, was seid Ihr dann noch so bedrückt, Edward? Meint Ihr etwa, die kurfürstlichen Minister seien so sanfte Tauben, daß sie ihre Feinde in solch kritischen Momenten frei laufen ließen, wenn sie sie wirklich verhaften und bestrafen könnten oder dürften? ... Seid versichert, entweder sind sie gar nicht im stande, das Material zu einer Anklage wider sie zusammenzubringen, oder sie fürchten sich vor unsern Freunden, dem alten Landadel Englands. Auf jeden Fall, meine ich, dürftet Ihr um Eurer Verwandten willen keine Ursache haben, Besorgnis aufkommen zu lassen.« Edward wurde hierdurch wohl zum Schweigen gebracht, aber die innere Ruhe fand er nicht wieder. Wiederholt hatte es ihn gewundert und gekränkt, einen wie geringen Grad von Teilnahme Fergus für solche seiner Mitmenschen, die ihm nahestanden oder einen Weg kreuzten, fühlte, wenn sie mit seinen Anschauungen und Empfindungen nicht übereinstimmten, oder gar in Widerspruch zu ihm traten. Dann und wann ließ er wohl durchblicken, daß es ihm naheging, wenn er Waverley gekränkt oder verletzt hatte, aber ihm ein Wort darüber zu vergönnen, dazu konnte er sich niemals entschließen, und so war es bei dem höchst empfindlichen Wesen Waverleys schließlich erklärlich, daß seine überschwengliche Begeisterung für den Freund langsam erkaltete. Der Chevalier empfing Waverley mit seiner gewohnten Freundlichkeit, überhäufte ihn mit Lobesworten über die von ihm bewiesene Tapferkeit, erkundigte sich eingehend über den von ihm eingebrachten Gefangenen, den Obersten Talbot, und schloß seine Bemerkungen damit, daß er zufolge der Freundschaft, die denselben mit Edwards Oheim, Sir Everard, verbände, und seiner Gemahlin, die ja aus dem Hause Blandeville stamme, dessen loyale Grundsätze allgemein bekannt seien, wohl zu der Meinung berechtigt sei, auch in ihm einen Anhänger seiner Sache zu erblicken, möge er auch, um sich nicht zur Zeitströmung in Widerspruch zu setzen, eine andre Maske zeigen. »Soll ich nach den Worten urteilen, die Obrist Talbot heute gegen mich geführt hat, so muß ich königlicher Hoheit bekennen, daß ich weit entfernt davon bin, solche Meinung zu teilen,« erwiderte Waverley. »Nun, eines Versuches ist die Sache jedenfalls wert. Ich übertrage deshalb Euch die Sorge über unsern Gefangnen, und erteile Euch Vollmacht, mit ihm ganz nach eignem Ermessen zu verfahren. Ich bin überzeugt, daß es Euch gelingen wird, zu ermitteln, wie er über die Wiederbesteigung des Throns von Schottland und England durch unsern königlichen Vater denkt.« »Ich darf die Ueberzeugung aussprechen, daß man sich auf das Wort des Obristen Talbot, voll verlassen darf, wenn er es gibt,« erwiderte Waverley; »wenn er es jedoch verweigert, dann gebe ich mich der Erwartung hin, daß königliche Hoheit einem andern als mir die Obhut über ihn übertragen werde.« »Dazu werde ich mich nicht entschließen können,« versetzte der Chevalier lächelnd, »denn es ist von Wichtigkeit für die von mir verfochtne Sache, wenn nach außen hin nach wie vor ein gutes Einvernehmen zwischen Euch und meinem Gefangnen besteht, mag schließlich auch eine Erklärung in dem von mir angedeuteten und gewünschten Sinne nicht zu erlangen sein. Führt den Gefangnen deshalb in Euer Quartier und fordert ihm das Ehrenwort ab, nicht zu entfliehen. Sollte er es Euch weigern, dann müßt Ihr freilich für eine angemessene Bewachung Sorge tragen, aber darum muß ich bitten, daß diese Sache sogleich in die Wege geleitet werde, denn wir haben vor, uns morgen wieder nach Edinburg zu begeben.« Als Waverley, nach Preston zurückkehrte, nahm er zu seiner Freude wahr, daß sich Obrist Talbot von der Erschütterung, die ihm das Zusammentreffen so vieler widriger Vorfälle zugezogen hatte, fast ganz erholt hatte. Er hatte die natürliche Haltung und Festigkeit wiedergewonnen, die von einem englischen Edelmann und Soldaten unzertrennlich ist, jenes mannhafte, edle und offne Wesen, mit der Schattenseite gewisser Vorurteile dem Ausländer und solchen Personen gegenüber, die sich nicht auf dem Boden gleicher politischer Anschauungen mit ihm bewegen. Als Waverley dem Obristen meldete, daß ihm vom Chevalier die Bewachung seiner Person übertragen worden sei, antwortete dieser: »Daß ich dem jungen Herrchen noch zu solchem Dank verpflichtet sein werde, habe ich mir nun allerdings niemals träumen lassen. So kann ich doch wenigstens von ganzem Herzen in das Gebet jenes ehrenwerten presbyterianischen Geistlichen einstimmen, daß das Streben des jungen Herrn, sich in den Rückbesitz einer irdischen Krone zu setzen, recht bald dadurch gestillt werden möge, daß ihm eine himmlische Krone gespendet wird. Herzlich gern gebe ich mein Ehrenwort, eine Flucht ohne Euer Vorwissen nicht zu unternehmen, und zwar um so lieber, da es ja doch der Zweck meines Aufenthalts in Schottland war, Euch aufzusuchen. Indessen fürchte ich, daß uns kein langes Zusammensein beschieden sein wird. Euer Chevalier – diesen Namen können wir ihm beide geben, wenn zwischen uns die Rede auf ihn kommt – trägt sich doch sicher mit der Absicht, seine Plaid- und Blaumützenmänner weiter nach Süden hinunter zu geleiten.« »Nein, soweit ich unterrichtet bin. Das schottische Heer soll vielmehr nach Edinburg zurückmarschieren und will dort das Eintreffen von Verstärkungen abwarten.« »Ei, ei, wohl um das Schloß zu belagern?« fragte der Obrist. »Na, so lange, mein alter Kamerad und Vorgesetzter, General Guest, nicht zum Gauner wird oder das Schloß in den Noth hinunter kollert, wirds damit wohl nichts werden. Ich denke, da wird uns geraume Zeit bleiben, unsre alte Bekanntschaft aufzufrischen. Wenn sich, wie ich vermute, Euer heldenmütiger Chevalier mit dem Gedanken trägt, daß Ihr mich zu einem Proselyten machen sollt, während mich doch Euch gegenüber die gleiche Absicht erfüllt, so kann uns ja eigentlich gar kein besserer Vorschlag gemacht werden. Da ich jedoch heute unter dem Eindruck von Empfindungen stehe, denen ich selten Raum gebe, rechne ich darauf, daß Ihr mir alle Kontroverse so lange erlassen werdet, bis wir bessre Bekanntschaft zusammen geschlossen haben.« Sechzehntes Kapitel Bei den Einzugsfeierlichkeiten zu verweilen, die nach dem Siege der Hochschotten bei Preston in Edinburg stattfanden, ist für den Verlauf unsrer Erzählung durchaus belanglos. Bloß eines Umstands möge Erwähnung getan werden als eines Beweises für die großherzige Gesinnung, die Flora Mac-Ivor im Herzen trug. Die Hochschotten, die sich in der Umgebung des Prinzen befanden, feuerten, um ihrer Freude Ausdruck zu schaffen, in einem fort ihre Gewehre ab, eines darunter war irrtümlicherweise geladen, und der Schotte, der es abfeuerte, hatte das Unglück, damit auf den Balkon zu treffen, von welchem aus Flora Mac-Ivor dem Schauspiel des Einzugs zusah, und Flora an der Stirn zu streifen. Fergus wollte zornentbrannt mit gezücktem Schwert auf die Straße hinunter rennen und Rache an dem unvorsichtigen Schützen nehmen, aber Flora fiel ihm in den Arm und bat ihn, es zu unterlassen. »O, füge dem armen Menschen deshalb kein Leid zu,« bat sie, »ums Himmels willen nicht! Freuen wir uns, daß der Schuß keinen andern, als Flora Mac-Ivor getroffen hat! wärs einem Whig passiert, so hätte es doch gleich geheißen, der Schuß sei mit Absicht abgefeuert worden!« Waverley entging all dieser Unruhe, weil er dem Befehle, sich in Gemeinschaft mit seinem Gefangnen nach Edinburg zu begeben, unweigerlich Folge geben mußte. Die Reise wurde von ihnen zu Pferde zurückgelegt, und in der ersten Zeit betraf ihre Unterhaltung bloß Dinge allgemeiner Natur. Bald jedoch brachte Flora die Rede auf den Gegenstand, der ihm am meisten am Herzen lag, auf die Verhältnisse, in die seine Verwandten, sein Oheim und sein Vater gestürzt worden waren. Obrist Talbot schien jetzt eher geneigt, seine Besorgnis zu mindern, statt zu mehren. Vornehmlich dann, als ihm Waverley einen Einblick in die Schicksale eröffnete, die ihn betroffen hatten. »Es lag mithin keine böse Absicht bei Euch vor,« nahm der Obrist das Wort, »und Ihr seid in die Dienste dieses fahrenden Ritters vom Strande des sonnigen Italien durch ein paar schöne Worte gezogen worden, von ihm selbst, oder durch ein paar hochschottische Clansleute? Ein Schwabenstreich bleibt es trotz allem, das nehmt mir nicht übel, junger Mann! aber nach dem Gehörten ist es doch nicht so schlimm, wie ich im ersten Augenblick angenommen habe. Vor der Hand könnt Ihr nun freilich, soweit ich urteilen kann, nicht davon los. Indessen sollte ich meinen, daß es in einem so wüsten Durcheinander von Menschen, wie Euer sogenanntes Heer es aufweist, an Gelegenheiten zu Zwist und Fehde unmöglich lange fehlen kann. Es wird also bloß an Euch liegen, solche Gelegenheit, wenn sie sich bietet, mit Klugheit wahrzunehmen und auszunützen, damit Ihr mit Ehren wieder aus dieser Patsche, in die Ihr Euch gesteckt habt, hinaus kommt! Und zwar möglichst früher noch, bevor diese hohle Seifenblase zum Platzen kommt! Ließe sich das bewerkstelligen, dann würde ich Euch nach Flandern hinüber schaffen, an einen sichern Platz, der sich ohne Mühe ausmitteln laßt. Nach einem kurzen Aufenthalt auf dem Festlande dürfte sich, wie ich mit Sicherheit rechne, die Regierung von England wohl bereit finden lassen, Euch wieder in Gnaden aufzunehmen.« »Obrist Talbot, daß Ihr in solcher Weise mir einen Plan unterschieben wollt, von einer Sache mich zu wenden, die ich doch immer freiwillig ergriffen habe mit dem Entschlusse, ihren Ausgang abzuwarten, das Euch zu gestatten, könnt Ihr von mir nicht erwarten.« Obrist Talbot verzog die Lippen zu einem Lächeln und sagte: »Ei, aber meinen Hoffnungen und Wünschen dürft Ihr doch nichts in den Weg legen wollen? Und nun noch eine Frage: habt Ihr es denn noch immer nicht an der Zeit erachtet, Euch nach jenem geheimnisvollen Paket, von dem Ihr mir erzähltet, umzutun?« »In Edinburg werden wir es durchsehen, dort finden wir es in meiner Bagage.« Es dauerte nicht lange, so waren sie dort. Auf ausdrücklichen Wunsch des Prinzen hatte Waverley ein sehr freundliches Quartier bezogen, worin auch Oberst Talbot Unterkunft fand. Das erste, was er dort tat, war, das Paket aus seinem Mantelsack zu nehmen, zu öffnen und zu lesen. Es war in eine weiße Hülle gesteckt und trug die Aufschrift: »An Mr. Waverley, Esquire.« Es enthielt verschiedne Briefe, zuoberst lagen zwei von der Hand seines Obristen. Der dem Datum nach früheste war ein freundlicher, in manierlicher Weise erteilter Vorhalt über die Außerachtsetzung der Warnungen, seine Urlaubszeit auf unkluge Weise zu verwenden, und die Anzeige, daß die Frist des Urlaubs bald ablaufen werde. »In jedem andern Falle«, so lautete der Brief weiter, »müßten mich die Nachrichten vom Festlande und die vom Kriegsministerium an mich gelangten Instruktionen zwingen, den Euch bewilligten Urlaub auf der Stelle zu widerrufen. Seit dem Fehlschlag in Flandern verlauten höchst trübe Nachrichten von einem auch im innern Lande drohenden Aufstand der mit der gegenwärtigen Regierung unzufriednen Elemente. Darum erwarte und hoffe ich, daß Ihr Euch bald wieder im Hauptquartier einfinden werdet, was, wie ich hinzuzufügen habe, um so notwendiger ist, als sich auch schon einige unzufriedne Elemente in Eurer Schwadron finden, worüber ich aber die Untersuchung so lange hinauszuschieben gedenke, bis ich mich Eurer besondern Unterstützung dabei versehen darf.« Der zweite Brief war acht Tage später datiert. Er war, nachdem der Oberst acht volle Tage auf Antwort gewartet hatte, in strengem Tone abgefaßt und erinnerte Waverley an seine Pflicht als Offizier der englischen Armee und als britischer Untertan, sowie an seine Eigenschaft als Ehrenmann, die es ihm verbiete, länger in einer Gegend zu verweilen, die man allgemein als den Hauptsitz der Unzufriedenen im Lande ansehe. Zu seinem lebhaften Bedauern müsse er noch mitteilen, daß ihm mancherlei höchst sonderbare Aeußerungen zu Ohren gekommen seien über Dinge, die ihm nachgeredet würden, die er aber so lange für unwahr und erlogen halten müsse, bis sie ihm nicht durch Kapitän Waverley selbst bestätigt würden. Er beschwor ihn auf das eindringlichste, diesen seltsamen Gerüchten nicht dadurch den Nährboden zu erweitern, daß er sich noch länger von seinem Regiment entfernt halte. »Und damit ich mich versichert halten darf, daß dieser Brief auch wirklich in Eure Hände gelangt,« so schloß der Obrist, »übersende ich Euch denselben durch den Sergeanten Tims, der die bestimmte Weisung hat, ihn bloß an Euch persönlich auszufolgen.« Mit den schmerzlichsten Empfindungen überflog Waverley den Inhalt dieser beiden Schreiben und konnte nicht umhin, dem gefallnen braven Offizier und humanen Menschen noch im Grabe eine innige Abbitte zu leisten wegen alles Unrechts, das er ihm angetan hatte. Der Oberst mußte ja annehmen, daß unlautere Beweggründe dem Verhalten des Kapitäns Waverley zu grunde lägen, und konnte nun unmöglich anders handeln wie er gehandelt hatte, sondern mußte die Kassation folgen lassen. Dieser Schritt war durchaus nicht grundlos oder gar übereilt oder in mißliebiger Voreingenommenheit erfolgt, wie es Waverley hatte scheinen wollen, sondern war unmittelbar noch durch ein Gerücht bedingt worden, das in der Garnison aufgekommen war und dem Kapitän Waverley nachredete, er sei nicht bloß einer Herausforderung ausgewichen, die ein gewisser Ballihopple oder Ballicopple an ihn gerichtet habe, sondern er habe sogar auf einen Trinkspruch hochverräterischen Inhalts, den derselbe Laird ausgebracht, aus Feigheit oder einer andern Ursache, die vielleicht noch schlimmer ins Gewicht bei ihm als Offizier falle, geschwiegen, statt diesen Aufwiegler zur Rede zu stellen und zur Anzeige zu bringen. Hierüber habe das gesamte Offizierkorps von ihm Rechenschaft gefordert, aber auch hierzu habe der Kapitän geschwiegen. »Und wie denkt Ihr nun über das alles, Waverley?« fragte der Oberst, dem Waverley die Schreiben, als er sie gelesen hatte, reichte. »Was ich denke?« fragte Waverley seinerseits. »Hier verbietet sich alles Denken, Herr Obrist. Wahnsinnig könnte ich werden, wenn ich erwäge, was sich aus dem allen für mich ergeben hat.« »Ruhig Blut, Freund! sehen wir weiter nach, was das hier für ein unsaubres Stück Schreibarbeit ist.« Der nun folgende Brief war an einen »Mr. Ruffen« gerichtet und lautete wie folgt: Mein Lieber! Ein paar von unsern jungen Musjes mochten nicht anbeißen, trotzdem ich ihnen sagte, daß ich ihnen das Siegel vom Squire vorzuweisen vermöchte. Aber Tims wird Euch die Briefe, wie Ihr es wünscht, ausfolgen und wird dem »Alten« melden, er habe sie dem Squire eigenhändig übergeben. Er wird sich im übrigen bereit halten aufs erste Signal, für die Hochkirche und die Partei der Tory aufzustehen. Euer H. H.« »Postscr. ... Meldet doch dem Squire, daß man gern was von ihm gehört hätte, und daß sich, weil er nicht selbst schreibe, Zweifel erhoben hätten. Auch sei Leutnant Bottler stutzig geworden.« Der Obrist sagte nun: »Dieser Ruffen ist augenscheinlich kein andrer, als jener Räuber Donald, der Eure Briefe unterschlagen hatte und nun in Eurem Namen einen Briefwechsel mit dem unglücklichen Houghton anknüpfte.« »Ganz entschieden. Und der Alte?« »Darunter ist doch kein andrer gemeint als Euer Oberst!« Die andern Briefe waren zu demselben Zwecke abgefaßt worden. Rasch sollte nun aber noch weitres Licht über die Angelegenheit werden. Ein gewisser John Hudges, ehedem auch Bursche bei Waverley, war in der Schlacht bei Preston mit in Gefangenschaft geraten, hatte sich nach seinem frühern Herrn erkundigt und trat in diesem Augenblick ins Zimmer, um sich bei ihm wieder zum Dienst anzubieten. Von Hudges erfuhren sie, daß kurz nach Waverleys Abreise aus dem Standquartier des Regiments ein Hausierer des Namens Ruthven, Ruffen oder Rivane, unter den Soldaten als Wily Will [Fauler Wilhelm] bekannt, in der Stadt häufig vorgesprochen habe. Er schien immer viel Geld zu haben, denn alles, was er brauchte, bezahlte er prompt und gut, ließ sich auch nie sonderlich nötigen, jemand in der Kneipe zu traktieren, und machte auf diese Weise bald Bekanntschaft mit dem und jenem aus Waverleys Schwadron, vorzüglich mit dem Sergeanten Houghton und einem Unteroffizier mit Namen Tims. In Waverleys Namen teilte er beiden mit, daß es in seinem Plane liege, das Regiment zu verlassen, und forderte sie auf, mit ihm in die Hochlande zu gehen, wo die Clans im Aufstande begriffen seien. Die in den Grundsätzen der Jakobiten erzognen Leute, denen es recht gut bekannt war, daß auch ihrem Grundherrn Sir Everard solche Grundsätze nachgeredet wurden, waren leicht zu bestimmen, auf solche Pläne einzugehen. Waverleys Aufenthalt in den Hochlanden und sein Ausbleiben vom Dienst ließen es als begreiflich erscheinen, daß er sich zur Besorgung seiner Geschäfte der Vermittlung solch eines Hausierers bediente, und ebenso begriff man leicht, daß er es vermeiden wollte, zu schreiben, und lieber sein Petschaft als Erkennungszeichen mitgab und mündlich ausrichten ließ, was er bekannt geben wollte. Durch vorwitzige Reden von Beteiligten wurde die Sache aber vor der Zeit ruchbar, und der »faule Wilm« machte seinem Namen alle Ehre, denn kaum bekam er Wind davon, daß man der Geschichte auf der Spur war, so ließ er sich nicht mehr sehen. Als aber die Meldung von Waverleys Kassation im Regiment verlautbarte, so brach in seiner Schwadron offne Meuterei aus, die Meuterer wurden sofort überwältigt und in Eisen gelegt. Houghton und Tims wurden zum Tode durch den Strang verurteilt, indes wirkte ihnen der Oberst die Gnade aus, daß einem von ihnen das Leben gelassen werden solle, und zwar sollten sie um ihr Leben losen. Houghton zog das bessre Los, wurde aber degradiert, zeigte jedoch große Reue und bekannte rundheraus, daß »der Squire keine Schuld an der ganzen Affäre gehabt habe, denn er habe nie etwas Ehrloses getan oder angestiftet, sondern alles sei von diesem Hausierer Ruffen oder Ruthven ausgegangen.« Seine Beteuerung, daß alle an Waverley gerichteten Schreiben, die Tims habe besorgen sollen, diesem Hausierer zur Besorgung übergeben worden seien, daß es also sehr wohl der Fall sein dürfe, daß Waverley sie überhaupt niemals bekommen habe, bewirkten bei dem Regimentskommandeur jenen Meinungsumschwung, dessen schon Obrist Talbot Waverley gegenüber Erwähnung getan hatte. Was nun Donald Bean zu diesem ganzen Manöver bestimmt hatte, war folgendes: Schon lange und in weit größerm Maße als selbst Fergus Mac-Ivor es geahnt hatte, war Donald Bean Lean, der durch seinen Dienst in Frankreich Anknüpfungspunkte mancherlei Art gewonnen hatte, von den Vertrauten des Chevaliers als Agent und Spion benützt worden, und war nun bemüht, sich durch irgend eine besondre Tat bei seinen Auftraggebern in besondres Ansehen zu setzen und aus der Sphäre seines gefahrvollen und selten wirklich lukrativen Räuberlebens zu erheben. Vorzüglich benützte man seine Dienste, um die Stärke der einzelnen Regimenter, den Charakter der Offiziere und die Herkunft der Mannschaft auszukundschaften, und schon lange hatte er ein Auge auf die Waverley'sche Schwadron geworfen, weil ihm von früher her bekannt war, daß Sir Everard sich zu den jakobitischen Grundsätzen bekannte. Ja, Donald Bean Lean war der Meinung gewesen, daß Waverley selbst in die Komplotte der Stuarts verwickelt sei, und war darin durch den langen Aufenthalt desselben im Edelhofe des Barons von Bradwardine bestärkt worden, und als nun Waverley gar mit den Hörigen Glennaquoichs zu ihm in seine Höhle kam, so hatte er sich nicht denken können, daß dies bloß aus Neugierde geschehe, sondern er hatte sich eingebildet, daß man sich bemühe, ihn für eine Sache von Wichtigkeit zu gewinnen. Auch dadurch ließ er sich nicht beirren, daß Waverley auf all seine Andeutungen und Anregungen, sich offen zu erklären, nicht reagieren wollte. Er erblickte darin nur kluge Zurückhaltung, und um sich in dem Werke, das im Werden war, eine Rolle zu sichern, denn er hatte die Befürchtung, daß man ihn beiseite schieben werde, wenn man seiner Dienste nicht mehr bedürfe, hatte er das Petschaft des Kapitäns, als er es in der Höhle fand, nicht abgegeben, sondern behalten und bei dem Verkehr mit der Schwadron Waverleys als Legitimationszeichen benützt, in der Absicht, Waverley so weit zu verstricken, daß es für ihn kein Zurück mehr gebe, und daß er wohl oder übel Farbe bekennen müsse, um sich nicht auf beiden Seiten zu schaden und unmöglich zu machen. Zudem wußte er, daß kein Dienst von den Freunden des Chevaliers so gut belohnt werden würde, als wenn es ihm gelänge, eine ganze Schwadron oder wenigstens einen Bestandteil derselben zur Abtrünnigkeit zu bestimmen, und so hatte er es nicht unterlassen, zu wiederholten Malen als Hausierer in den Garnisonsort von Waverleys Regiment zu reisen, und es auch so weit gebracht, daß eine Meuterei dort zum Ausbruch kam, die aber durch die Energie des Regimentskommandeurs im Keime erstickt worden war und mit einem schrecklichen Lose für die daran Beteiligten geendet, Waverley hingegen in den Augen seines Kommandeurs und der Kameraden einigermaßen rehabilitiert hatte. Auf Anraten des Obristen lehnte Waverley das Gesuch des Burschen, ihn wieder in seinen Dienst zu nehmen, ab. Der Obrist wies darauf hin, welche Verantwortung er einesteils auf sich nehme, den Menschen in eine solche Lage zu verstricken, und daß doch anderseits die Aussagen desselben von reinigender Art für ihn selbst sein müßten, wenn sie völlig unbeeinflußt vor den Augen seiner Richter erschienen. Dagegen riet er Waverley, einen Brief an seine Verwandten aufzusetzen und durch Hudges an sie zu schicken, worin er ihnen über seine bisherigen Schicksale angemessne Aufklärung geben, sie aber gleichzeitig bitten solle, zurzeit ihm nicht Antwort zu geben. Der Obrist seinerseits schrieb ein paar Zeilen an einen der Kapitäne, unter deren Kommando die beiden Kriegsschiffe an der Küste kreuzten, worin er die Bitte aussprach, den Ueberbringer dieses Schreibens in Berwick ans Land zu setzen, und ihn mit einem Passe nach ...shire zu versehen. Daraufhin wurde der Bursche instruiert, wie er sich im allgemeinen zu verhalten habe, um bis zu seinem Ziele, dem Edelsitze Waverley-Würden, zu gelangen. Dann wurde er mit dem notwendigen Reisegelde versehen und mit dem Auftrag entlassen sich von einem Fischerboot, gleichviel, was der Bootsmann dafür fordere, bei Nacht nach einem der Schiffe übersetzen zu lassen. Sodann entließ Waverley den bisherigen Diener Callum-Beg, den er schon eine geraume Zeit im Verdacht der Zwischenträgerei hatte, und mietete sich einen jungen Burschen aus Edinburg, der in einem Anfalle von Mißlaune und Eifersucht die weiße Kokarde angesteckt hatte, weil seine Liebste mit einem Korporal von den englischen Füsilieren zu Tanze gewesen war. Siebzehntes Kapitel Obrist Talbot wurde Waverley gegenüber immer offner und freundlicher, seit ihm dieser mit vollem Vertrauen entgegengekommen war. Anfangs schien in seinem strengen Wesen das Gegenteil zu liegen, aber er hatte sich durch die lange Gewohnheit zu befehlen, eine gewisse Härte angeeignet, und war überhaupt durchaus verschieden als Soldat von den Kameraden, die Waverley bisher gehabt hatte. Er war in allen Hinsichten der richtige Repräsentant des englischen Offiziers, mit ganzer Seele dem Dienste seines Königs und Vaterlandes geweiht, ohne sich auf die theoretischen Fachkenntnisse so viel zu gute zu tun, wie der Baron von Bradwardine, der gewiß auch ein sehr tüchtiger Soldat war, oder wie der Major Melville sich mit den praktischen Kleinigkeiten viel zu befassen, oder wie der Häuptling Glennaquoich all sein Wissen auf die Förderung seiner ehrgeizigen Absichten zuzuspitzen. Hierzu kam noch, daß der Oberst ein Mann von ausgebreiteten Kenntnissen war und über einen sehr feinen Geschmack in allen Dingen gebot, wenngleich er auch von den Vorurteilen nicht frei war, die dem Engländer und nicht zum wenigsten dem Engländer als Offizier anhaften. Allmählich wurde Edward der Charakter des Obristen Talbot klar, denn die Hochländer vergeudeten mehrere Wochen auf die Belagerung des Schlosses, und Waverley hatte unterdes weiter nichts zu tun, als den Vergnügungen nachzugehen, die in Edinburg veranstaltet wurden. Er hätte seinen neuen Freund gern mit einigen seiner schottischen Freunde bekannt gemacht, aber schon nach den ersten Versuchen lehnte der Oberst alle weiteren Bemühungen Waverleys in dieser Hinsicht ab, ja er machte nicht das geringste Hehl aus seiner feindseligen Gesinnung gegen den Baron von Bradwardine sowohl als ganz besonders gegen den Häuptling von Glennaquoich. Wenn er sich darauf beschränkte bei dem erstern, ihn als Sklaven der Form, wie man ihn sich greulicher gar nicht denken könne, zu bezeichnen, so nannte er den andern einen »zum Franzosen gewordnen Schotten, der sich ganz das lackierte, gleisnerische Wesen der Nation angeeignet habe, bei der er erzogen worden sei, während er von der Nation, der er durch Geburt angehöre, den Dünkel, die Rachsucht und den unruhigen Geist in vollstem Maße überkommen habe. Wenn der Satan einen Sendboten ausschicken wollte,« schloß er seine Rede, »dies unglückliche Land in grenzenlosen Jammer zu stürzen, so konnte er schwerlich ein besseres Werkzeug dazu finden als diesen Menschen, der Rührigkeit und Geschmeidigkeit mit Bosheit verbindet und auf den promptesten Gehorsam dieser Sorte von Gurgelabschneidern rechnen darf, der Ihr so hohe Bewunderung zollt, und an der Ihr eine so ungeteilte Freude zu empfinden scheint.« Auch die Damen der Gesellschaft entgingen seiner scharfen Beurteilung nicht. Er ließ gern gelten, daß Flora Mac-Ivor ein schönes Weib sei, Rosa von Bradwardine dagegen ein recht niedliches Kind, aber die erstere zerstöre den Eindruck ihrer Schönheit durch affektierte Manieren, wahrscheinlich ein Erbstück ihres Aufenthalts in Saint-German an dem Afterkönigshofe, der dort noch immer zur Blamage für Frankreich gehalten würde, und Rosa Bradwardine sei doch noch viel zu harmlos, um irgendwie ernsthaft genommen zu werden; das bißchen Erziehung, über das sie gebiete, stände schließlich ihrem Geschlecht und ihrem Alter gerade so unvorteilhaft, wie wenn sie sich von ihrem Vater die alte Felduniform anzöge. Allerdings mochten diese Urteile zum großen Teil ihren Grund in dem Spleen und in den Vorurteilen des trefflichen Mannes haben, dem eine weiße Kokarde an der Brust oder eine weiße Rose im Haar, wie das Wörtchen »Mac" vor einem Namen jeden Engel zu einem Teufel verwandelt hätte, dem sogar Venus unausstehlich gewesen wäre, wenn sie sich ihm als Miß Mac-Jupiter in einem Courzimmer hätte vorstellen wollen. Daß Waverley auf die Namen mit ganz andern Augen blickte, werde ich dem Leser nicht erst zu erzählen brauchen. So lange die Belagerung dauerte, machte er täglich Besuche bei den Damen, trotzdem er zu seinem Leidwesen die Bemerkung machte, daß all seine Mühe, bei Flora in bessre Gunst zu kommen, gänzlich umsonst war, und sie ihm nach wie vor mit unveränderter Gleichgültigkeit begegnete. Dagegen gewann Rosa Bradwardine täglich in seiner Achtung, und zu wiederholten Malen fand er Gelegenheit zu der Wahrnehmung, daß ihr Wesen außerordentlich gewann, sobald sie ihre große Schüchternheit bezwingen konnte, und daß die Erschütterungen dieser stürmischen Zeit eine Würde über ihr ganzes Wesen breiten, die ihm bislang immer an ihr entgangen war, sowie daß sie keine Gelegenheit vorbeigehen ließ, die sich ihr zur Mehrung ihrer Kenntnisse wie zur Verfeinerung ihres Geschmacks bot. So wurde langsam Rosa für Waverley zu einem Wesen von ganz andrer Bedeutung, als sie bisher gewesen war. Sie war jung und harmlos, und infolgedessen noch außer stande, die Wirkung zu beobachten, die sie in der Gesellschaft übte. Auch die Wandlung, die sich in Waverley vollzog, mochte ihr nicht bewußt werden, und ihr Vater war zu sehr in seine Lieblingsthemata vertieft, als daß er sich um die Empfindungen hätte bekümmern können, die sie weckte und selbst hegte. Dagegen hatte sie Flora gegenüber aus dem Zustand ihres Herzens keinerlei Hehl gemacht, und die kluge und scharfsichtige Freundin hatte es sich nicht bloß nicht nehmen lassen, Rosa in diesen Empfindungen zu bestärken, sondern hatte vielmehr dem Bruder wenn er durchblicken ließ, daß er selbst Absichten auf Rosa habe, manchmal im Scherz, manchmal im Ernst, das Unpraktische solcher Gedanken ernstlich vorgehalten. Wußte sie doch zu gut, daß ihr Bruder im Punkte der Frauen und gar der Ehe Gesichtspunkte hatte, die in den auf dem Kontinent, vornehmlich an den Höfen zu Versailles oder Saint-Germain, vorhandenen Anschauungen fußten. Zudem kam die gewiß nicht unwichtige Frage noch in Betracht, die Mehrung von Ansehen und Vermögen betreffend. Denn vom Baron von Bradwardine war doch die Marotte, seine Besitzungen als Mannslehen zu betrachten, sattsam bekannt. Dadurch allein schon verbot es sich für Fergus, sich ernstlich mit solchem Gedanken zu befassen. In seinem Kopfe gärte es außerdem ununterbrochen von Plänen und Entwürfen und Ränken aller möglichen Art, aber fast immer reifte bei ihm kein Gedanke recht aus, sondern machte schnell wieder einem andern Platz, sobald sich ihm ernstliche Schwierigkeiten in den Weg stellten. Infolgedessen ließ sich fast nie voraussagen oder erraten, wie er sich definitiv zu einer Frage stellen oder welchen Entschluß er letzter Stunde fassen werde. Flora hing ja an dem Bruder mit großer Liebe, denn sein Feuergeist rang ihr Bewunderung ab, und hätte sie ihr abgerungen, auch wenn sie nicht durch solche enge Bande mit ihm verbunden gewesen wäre. Indessen war sie für seine Fehler keineswegs blind, sah sie im Gegenteil als viel zu gefährlich an, als daß sich einem weiblichen Wesen hätte raten lassen, seine Hoffnungen auf solchen Mann zu setzen. Wer die Verwirklichung seiner Begriffe von glücklicher Ehe in dem friedlichen Genusse häuslichen Lebens und in dem Austausche beiderseitiger Liebe, in dem Ineinanderleben zweier Menschen suchte, für den war wohl Rosa Bradwardine das richtige Weib, für solches Weib war aber kein Fergus der rechte Mann. Dagegen erschien ihr Waverley als ein Charakter, wie geschaffen dazu, solche Erwartungen zu erfüllen. Ihm sah man es an, daß ihn solches Leben in Sturm und Drang nichts weniger als befriedigte, sondern im Gegenteil ihm bitter verhaßt war, daß ihn alle Erörterungen über Stammesinteressen und politische Fragen gräßlich langweilten, daß er, wenn die Unterhaltung auf solche Kapitel übergriff, in der Regel das Zimmer verließ und sich so lange draußen verhielt, bis er meinen konnte, daß man sich einem andern Gesprächsstoff zugewandt habe. Alles wohl erwogen, gelangte Flora zu der Ansicht, daß Waverley ganz ohne Frage der Mann sei, der ein Wesen von solcher Sanftheit und Milde der Lebensanschauungen und Lebensansprüche, wie Rosa Bradwardine, glücklich machen werde. Eines Tages sprach Rosa in diesem Sinne mit Flora. »Ach, rede doch nicht, Flora,« sagte hierauf Rosa zu der Freundin, »ein Mann wie Waverley mit solch reinem Geschmack und von solch bedeutender Geistesbildung kann sich doch nicht angezogen fühlen von solch hohlem Kram, ob der Häuptling von den Indallaghers, der nur fünfzig Mann ins Feld gestellt hat, bloß Hauptmanns- oder Obristenrang zu beanspruchen habe. Oder was kanns einen Waverley angehen, ob Fergus oder dem jungen Corrinaschian der eigentliche Anspruch auf die Eigenschaft eines Clanführers zustehe?« »Liebe Rosa, wäre er der Held, als den Du ihn Dir ausmalst,« erwiderte Flora, »dann müßte er sich für dergleichen Fragen freilich interessieren, wenn auch nicht, weil sie Fragen von irgend welcher Bedeutung seien, sondern um zwischen den Feuergeistern, die sich an solche Dinge von untergeordnetem Wert klammern, den Vermittler abzugeben. Du hast es doch selbst mit angesehen, wie Waverley, als Corrinaschian aufsprang, und mit der Hand zum Schwerte griff, emporschreckte wie aus einem Traume und fragte, was denn eigentlich los sei, mit einer Ruhe, die allgemeines Gelächter weckte.« »Aber diente dieses Gelächter nicht weit besser zur Beruhigung der Geister, als all die Worte, die er vielleicht hätte schwatzen können?« »Ganz richtig. Doch war es minder ehrenvoll, als wenn er diese Beruhigung auf anderm Wege erreicht hätte,« sagte Flora. »Sollte er denn allgemeiner Friedensstifter sein zwischen all diesen wilden Hochländern im Heere? Vergiß doch nicht, Flora, daß sich diese wilden Gemüter, die mich täglich mehr in Schrecken setzen, mit einem Waverley ganz und gar nicht vergleichen lassen!« »Mit ihnen stelle ich ihn ja auch nicht in Parallele,« versetzte Flora. »Mich schmerzt es im Gegenteil, daß er in Gesellschaft sich bewegt, die nicht für ihn geeignet ist, trotzdem sich Männern, wie zum Beispiel Lochiel, Bildung und Talente auch nicht absprechen lassen. Warum will er sich solchen Männern nicht angenehm und nützlich erweisen? Nein, Rosa, ich muß annehmen, sein Herz hat sich erfroren an diesem eiskalten Engländer, dessen Bewachung ihm der Prinz anvertraut hat.« »Der Obrist ist freilich ein sehr unangenehmer Mensch, der ganz so aussieht, als wenn er einer Schottin alle Daseinsberechtigung absprechen wolle. Aber Waverley ist doch so liebenswürdig, so fein von ...« »Gewiß, gewiß, er singt den Mond an und macht einen himmlischen Vers auf das winzigste Blümelein ...« »Aber, Flora, Du weißt doch, daß er auch seinen Mann sehr wacker in der Schlacht gestellt hat ...« »Bloß um zu kämpfen, nicht anders,« versetzte Flora; »ich glaube, Rosa, in dieser Hinsicht ist ein Mann wie der andre, wenn auch im großen und ganzen mehr Mut dazu gehören mag als zum Davonlaufen. Es mag wohl auch ein gewisser Instinkt dabei mitsprechen, wie man ihn ja auch bei andern Geschöpfen männlichen Geschlechts, wie zum Beispiel bei Hunden, beobachten kann. Indessen Rosa, hohe und gefahrvolle Unternehmungen sind Waverleys Sache nicht, und er würde wohl niemals seinem berühmten Ahnherrn Nigel gleichkommen, sondern eher nur seinen Leibdichter abgegeben haben. Ich will Dir sagen, liebe Rosa, wo unser Waverley an seinem richtigen Platze sein wird: in Waverley-Würden, auf seinem Stammschlosse, hinterm warmen Ofen oder im alten Bibliothekzimmer, mit einer gelehrten Schwarte vor der Nase oder einem drallen Pausback von Jungen auf dem Arme: so sehe ich, wenn die Zeiten ruhiger geworden, Edward Waverley vor meinem geistigen Auge. Einem hübschen Weibchen, das an seinem Arme hängt, ein paar Mondscheinverse vorschwärmen, das ist sein Element, und darin wird er sein Glück finden!« »Und darin wird auch die Frau ihr Glück finden,« dachte Rosa wehmütig bei sich, »die das Glück haben wird, an seiner Seite auf Waverley-Würden zu leben!« Achtzehntes Kapitel Je näher bekannt Waverley mit den Verhältnissen am Hofe des Chevaliers wurde, desto weniger fand er Veranlassung, sich wohl an ihm zu finden. Aehnlich der Eichel, die in ihren Keimen alle Spuren künftiger Ausgestaltung zum Baume trägt, so barg auch dieser Hof schon alle Anfänge von Ränken und Intrigen, und zwar in einem Umfange im Schoße, wie sie jedem wirklichen Hofe hätten zum Ruhme gereichen können. Jeder Mensch, der sich halbwegs was zu sein dünkte, verfolgte sein besondres Ziel, und zwar mit einem Eifer, den Waverley der Sache selbst höchst unangemessen fand, und ebenso hatte jede Person Grund zu Mißvergnügen, am meisten von allen freilich der Baron von Bradwardine, der sich nicht für sich, sondern für das allgemeine Wohl abmühte. »Die Mauerkrone,« sagte er zu Waverley, als sie mit einander eines Morgens am Fuße des Schlosses zusammen auf und ab gingen, »werden wir wohl schwerlich ersteigen. Wie Euch wohl bekannt ist, ist sie aus Gräsern und Pflanzen entstanden, die auf dem Boden wuchsen, auf dem wir jetzt nach ihrem Besitze ringen. Bei dieser Berennung, wie gesagt, werden wir sie wohl nicht in unsern Besitz bringen.« Waverley fühlte kein besondres Verlangen, sich mit solcher Frage zu befassen, die ihm unleidlich war, weil er die ganze Belagerung als ein verfehltes Unternehmen ansah, sondern eilte, sich von dem Baron loszumachen, um, einer getroffnen Abrede gemäß, Fergus in seinem Quartier zu erwarten, wohin derselbe aus dem Holyroodpalaste zu kommen vorhatte. »Morgen bin ich,« war das letzte Wort des Häuptlings, »zu besondrer Audienz bei Hofe befohlen. Ihr müßt mich begleiten, Waverley, denn Ihr müßt mir zu dem, was mich erwartet, auf der Stelle gratulieren.« Als der Morgen kam, erschien der Fähndrich des Häuptlings, unser alter Bekannter Evan Dhu Maccombich, um Rapport über die Fortschritte der Belagerungsarbeiten zu erstatten. Bald war die zornige Stimme des Häuptlings zu vernehmen, der auf die Treppe getreten war. »Callum-Beg! Callum-Beg! Callum-Beg!« Mit allen Zeichen heftigster Wut kam er herein. Es wird nur wenige Menschen geben, in denen sich Zorn und Ingrimm so gewaltig zum Ausdruck brachten, wie auf dem Gesichte des Bergschottenhäuptlings Fergus, des letzten Sprossen der Mac-Ivor. Die Adern der Stirn schwollen ihm dann mächtig, die Nüstern weiteten sich, die Wangen glühten, die Augen schossen Blitze, und sein Blick gewann den stieren Ausdruck des Wahnsinnigen. Kaum im Zimmer, so warf er Schwert und Klinge von sich, daß die beiden Stücke in einen Winkel flogen. »Ich wüßte nicht,« schrie er, »was mich noch abhielte, einen feierlichen Eid zu leisten, dies Schwert nie wieder für seine Sache zu ziehen. Lade mir meine Pistolen, Callum, auf der Stelle!« Callum, der sich durch nichts aus dem Gleichgewicht bringen ließ, lud sie kaltblütig. Evan Dhu, dessen Stirn die gleichen Spuren von drohendem Grimm zu zeigen begannen, denn er merkte an diesem Gebaren seines Häuptlings auf der Stelle, daß derselbe eine Beleidigung erlitten hatte, trat vor in einer Haltung, wie wenn Mitteilung erwarte, gegen wen der Pfeil der Rache gerichtet werden solle. »Ihr da, Waverley?« rief der Häuptling nach einer Weile, als er sich ein wenig beruhigt hatte; »ach richtig, ich bat Euch ja, Zeuge meines Triumphs zu sein! Ha, und nun seid Ihr Zeuge meiner zertrümmerten Hoffnungen!« Evan Dhu reichte ihm den schriftlichen Rapport, aber Fergus warf ihn grimmig auf den Boden. »Mord und Brand!« schrie er, »ich wollte, das alte Nest bräche zusammen über den Köpfen der Strohköpfe, die es belagern, und der Schufte, die es verteidigen. Ich seh's Euch an, Waverley, Ihr meint, ich sei von Sinnen? ... Evan, laß uns allein, doch bleib in der Nähe, daß Dich mein Ruf erreicht.« »Ich weiß, Waverley,« nahm der Häuptling wieder das Wort, nachdem Dhu der Fähndrich aus dem Zimmer war, »daß Euch der Rotrock dahin gebracht hat, daß Ihr die Verbindung mit uns ein Dutzend Mal am Tag verflucht! Leugnets nicht, denn ich bin im Augenblick grade so weit wie Ihr und verfluche meine eignen Beziehungen zu dieser Schwefelbande. ... Ha, werdet Ihrs glauben? Zweierlei Gesuche trug ich heute morgen dem Prinzen vor, und beide hat er mir abgeschlagen!« »Wie kann ich mich dazu äußern, bevor ich weiß, was Eure Anliegen betrafen?« »Mensch! was kanns drauf ankommen, was meine Gesuche betrafen!« schrie, wieder wie außer sich, der Häuptling. »Sage ich Euch denn nicht, daß mein Mund sie an ihn richtete? daß ich sie ihm vortrug, ich, dem er doch hundertmal mehr verdankt, als all dieser Bande von Speichelleckern, die sich an seine Rockschöße heftet? Ich hab ihm das ganze Unternehmen möglich gemacht, ich hab die Mannschaft in Perthshire geworben ... und ich suche doch ganz gewiß nichts Unbilliges nach ... und wenn es der Fall gewesen, dann hätte ja ein Punkt gestrichen werden können. Aber beides? beides! Doch Ihr sollt alles wissen, Waverley, da ich nun wieder freier atmen kann. ... Ihr erinnert Euch, was ich Euch gesagt habe über mein Grafenpatent, das schon um Jahre zurückreicht und vertagt worden ist. Die Dienste, um deren willen es mir in Aussicht gestellt wurde, haben sich in der Zwischenzeit doch wahrlich nicht verringert. Nun, Waverley, vor der Komödie mit der Grafenkrone habe ich so wenig Respekt, wie Ihr oder sonst welcher Mensch, der philosophischen Sinnes ist, denn ich bin der Meinung, daß jeder Clan im hochschottischen Lande weit über jedem Grafen steht. Aber ich hatte besondern Grund zu dem Wunsche, dieser Tage den Lumpentitel zu führen. Ihr müßt nämlich wissen, Waverley, daß es mir zufällig zu Ohren kam, daß der Prinz dieser Tage dem alten verrückten Bradwardine damit in den Ohren gelegen hat, seinen männlichen Erben neunzehnten oder zwanzigsten Gliedes zu enterben, weil er ein Kommando im Heere des Kurfürsten angenommen hat, und statt seiner seine Tochter, Eure schmucke kleine Freundin, als Erbin einzusetzen. Und damit, scheint der alte Herr auch einverstanden zu sein.« »Aber was wird dann aus der Lehnspflicht?« »Diese vermaledeite Lehnspflicht! ...« rief Fergus. ... »Ich glaube, daß Rosa der Königin am Krönungstage den Pantoffel ausziehen soll, oder was sonst für eine Lappalie im Werke sein mag. Nun, Waverley! Rosa Bradwardine wäre immerzu für mich eine schickliche Partie gewesen, hätte sich, der verrückte alte Baron nicht immer mit seiner verrückten Vorliebe, für einen männlichen Erben so kreuzgefährlich gehabt! Jetzt aber blieb mir kein Hindernis weiter als der Umstand, daß der Baron Bradwardine seinem Schwiegersohne gegenüber darauf bestanden hätte, daß er den Namen Bradwardine annähme und weiter führe. ... Das ist nun aber, wie Ihr wißt, in meinen Verhältnissen ein Ding der Unmöglichkeit. Dagegen hätte es sich vermeiden lassen, wenn mir der Grafentitel verliehen wurde, auf den ich doch so begründete Ansprüche habe. Wäre sie dann, nach ihres Vaters Heimgang, Baroneß Bradwardine geworden, so war das ja um so besser. Wenigstens hätte ich nichts dagegen gehabt.« »Aber, Fergus,« sagte Waverley, »ich habe ja bisher gar keine Ahnung gehabt, daß Ihr Neigung für Miß Rosa fühlt? Ich habe aus Eurem Munde doch immer bloß Lästerworte über den Baron, ihren Vater, vernommen.« »Ich fühle für Miß Bradwardine grade so viel Zuneigung, mein Lieber, wie sie mir für die künftige Gebieterin meines Hauses und für die Mutter meiner Kinder als nötig erscheint. Rosa ist ein sehr hübsches, verständiges Mädchen und stammt ganz ohne Zweifel aus einem unsrer ersten Adelsgeschlechter des Unterlands. Sie wird auch, vorausgesetzt, daß Flora sich ihrer ein wenig annimmt eine ganz gute Figur spielen. Ihr Vater ist zwar ein Original, und noch dazu ein ziemlich abgeschmacktes, aber er hat doch dem verblichnen Laird Balmawhapple eine so derbe Lektion erteilt, daß niemand über ihn ein Lächeln wagt. Wie gesagt, jedes irdische Hindernis wäre ausgeschlossen gewesen, und in meinem Kopfe lag die Geschichte schon ganz klar.« »Aber hattet Ihr denn schon mit dem Baron oder mit Rosa Rücksprache über diese Herzensangelegenheit genommen?« »Rücksprache? wozu denn?« fragte Fergus. »Hätte ich mit dem Baron vorher sprechen wollen, ehe mir der Grafentitel verliehen worden war, so wäre das nur als eine Anmaßung erschienen und hatte wegen des Namenswechsels bloß zu unliebsamen Erörterungen geführt. Als Graf Glennaquoich dagegen war für mich jede Erörterung hierüber dasselbe, was sie vorhin für den Baron gewesen wäre, eine Anmaßung, und das eben ists, was mich in solche Wut versetzt hat! Denn Rosa, was hätte die wohl vernünftigerweise einzuwenden gehabt?« »Vielleicht dasselbe, was Eure Schwester gegen mich einzuwenden hatte?« Bei diesem Vergleich machte Fergus große Augen, aber er unterdrückte behutsam die Antwort, die ihm schon auf der Zunge schwebte. »O, ich meine, das hätte sich wohl bald gegeben! ... Bleiben wir aber bei den persönlichen Anliegen, die ich an den Chevalier stellte. Im Verfolg derselben suchte ich um eine geheime Audienz beim Prinzen nach, die für heute vormittag anberaumt wurde, und wollte Euch eigentlich mitnehmen, damit Ihr mir gleich hättet Brautwerber sein sollen. Indessen trieb mich die Unruhe, ich hätte die anberaumte Zeit versäumen können, früher hinweg. Nun war es auch so gut, denn wenn auch meine Ansprüche nicht verneint oder abgewiesen wurden, so wurde ich doch abermals vertröstet mit dem Hinweis auf die Eifersucht des und des und des ... ich erbiete mich, die schriftliche Einwilligung dieser Vogelscheuchen zu erbringen, mit denen man mir »Männchen macht« ... ich gebe die Versicherung, daß sie mir ohne weitres erteilt werden müsse, da ich ja doch die ältern Ansprüche habe ... ich schwöre, daß ich sie beschaffen wolle, und müßte es mit Gewalt meines Schwertes geschehen ... aber nun kam die nackte Wahrheit an den Tag! der Prinz nimmt sich heraus, mir ins Gesicht zu sagen, daß mein Patent zunächst noch in der Schwebe bleiben müsse, aus Furcht vor einem nichtswürdigen Halunken und Tagediebe, dem Nebenbuhler um die Häuptlingswürde in meinem eignen Clan der kein bessres Anrecht auf solche Würde hat als ich auf den chinesischen Kaiserthron, aber sich schurkischerweise geweigert hat, ins Feld zu rücken, unter dem erbärmlichen Vorwande, der Prinz hege für mich eine solch parteiische Vorliebe, daß es zwischen ihm und mir zu Reibereien schließlich kommen müsse. Und um solchem elenden Wicht nicht nahe zu treten, verlange der Prinz von mir, ich solle meine gerechten und billigen Ansprüche vertagen? Hol der Teufel alles Vertrauen auf Fürstenwort!« »Und damit war die Audienz zu Ende?« »Keineswegs! ich war mir auf der Stelle schlüssig, ihm nicht den geringsten Vorwand für seinen Undank zu lassen, und eröffnete ihm mit aller Fassung, deren ich mächtig war, denn Ihr könnt wohl denken, daß ich mich vor Wut nicht kannte, ... die besondern Gründe, um deren Willen ich den Wunsch hegen müsse, daß mir königliche Hoheit den Weg zeigen möchte, wie ich meine Ergebenheit und Pflichttreue noch energischer betätigen solle, da mir mein Lebensplan etwas, was min zu jeder andern Zeit eine Lappalie gewesen sei, zu einer sehr schwer zu lösenden Aufgabe mache ... und nun entwickelte ich ihm all meine Pläne.« »Und die Antwort des Prinzen lautete?« »Antwort? ... O, es ist ein Glück, daß es geschrieben steht in der Schrift: Fluche dem Könige nicht! niemals, auch nicht im Herzen! ... Seine Antwort lautete, daß er sich außerordentlich freue, von mir mit solchem Vertrauen beehrt zu werden, weil er in der Lage sei, mir eine noch schmerzlichere Enttäuschung zu ersparen, denn er könne mir auf sein fürstliches Wort versichern, daß Miß Rosa Bradwardine ihre Herzenswahl bereits getroffen habe ... daß er sich bereits anheischig gemacht habe diese Wahl, so weit es an ihm sei, zu fördern ... »und somit,« schloß mein gnädiger Prinz, »wird es ja, wie Ihr wohl zugestehen werdet, mit der Grafenwürde um so weniger Eile haben, als eine Heiratsfrage ja nicht dabei in Betracht tritt ...« Dann noch ein allergnädigstes Lächeln ... und dann war mein allergnädigster Prinz verschwunden und ließ mich stehen, wie die Kuh vorm neuen Tore!« »Und Ihr, Fergus, was tatet nun Ihr?« »Ich will Euch sagen, Waverley, was ich in diesem Augenblick getan hätte .. dem Teufel oder dem Kurfürsten von Hannover hätt ich mich in diesem Augenblick verkauft, demjenigen von beiden, der mir die gründlichste Rache versprochen hätte! ... Aber jetzt bin ich wieder ruhig geworden. Ich weiß, er gedenkt das Mädel mitsamt der Baronie an einen seiner irischen oder fränkischen Hunde zu verkuppeln, aber ich halte die Augen offen, und wer sich einbildet, mich ausstechen zu wollen, der soll sich in acht nehmen ... bisogna caprirsi, Signor.« Nach ein paar weiten Worten, die für uns aber unerheblicher Natur sind, verabschiedete sich Waverley von Fergus, der nun grimmige Rache brütete, und begab sich in sein Quartier zurück, kaum imstande, sich über all die Empfindungen Rechenschaft abzulegen, die sein Herz nun bestürmten infolge dieser neuen Mitteilung erschütternder Natur. Neunzehntes Kapitel Der Tag war für Waverley in tiefer Betrübnis und ernster Sorge verstrichen aber am Abend erwartete ihn noch andrer Kummer. Als er im Begriffe war, sich zur Ruhe zu begeben – er hatte es vermieden, mit dem Obristen Talbot zusammen zu kommen, da war es ihm, als dränge aus dem nebenan befindlichen Zimmer desselben ein tiefes Stöhnen. Er war außer stande, ohne Erkundigung vorbeizugehen, denn er mußte sich sagen, daß dem Obersten wahrscheinlich unwohl geworden sei, daß er womöglich gar ärztlicher Hilfe benötige. Waverley öffnete leise die Tür. Wer Obrist saß im Nachtrock an seinem Tische und war in die Lektüre eines Briefes vertieft. Hastig blickte er auf, als er Geräusch an der Tür hörte, während Edward unschlüssig stand, ob er bleiben oder gehen solle. Aber er sah, daß ihm Tränen die Wangen netzten. Augenscheinlich beschämt darüber, daß er in solchem Zustande von Weichheit überrascht wurde, erhob er sich unwillig. »Ich hätte meinen sollen, selbst einem Gefangenen sollte es zu solcher Zeit und Stunde vergönnt sein, mit sich allein zu bleiben.« »Ich hörte Euch seufzen, Obrist Talbot ... ich fürchtete, Ihr möchtet nicht wohl sein ... dies allein hat mich veranlaßt zu solcher Störung in später Nachtstunde.« »Mir fehlt nichts,« versetzte der Oberst barsch ... »ich fühle mich ganz wohl.« »Aber, Oberst, Ihr seid bekümmert ... wenn es in meiner Macht gelegen wäre, zu ...« »Nichts, nichts, Mr. Waverley,« fiel ihm der Oberst ins Wort ... »ich war mit meinen Gedanken in der Heimat, und da sind mir allerlei Dinge in den Sinn gekommen, die freilich recht, recht unangenehmer Natur sind ...« »Gerechter Gott! mein Oheim!« rief Waverley. »Redet doch nicht! die Geschichte geht bloß mich an!« rief der Obrist. »Ich schäme mich, daß mich der vermaledeite Kummer so weit untergekriegt hat! ... Aber es kommen Augenblicke, da muß ich ihm mal Luft machen, um ihn zu schicklicheren Zeiten mit größerm Anstand zu tragen! ... Ich wollt ihn vor Euch verbergen, den Kummer, und auch den Anlaß dazu, denn Ihr könnt auch bloß noch den Tränensack lupfen, und Trost für mich findet Ihr doch keinen! ... Aber nun habt Ihr mich einmal darüber erwischt ... und von Heimlichkeiten bin ich nie Freund gewesen ... Na, hier lest den Wisch!« Der Brief war von der Schwester des Obristen und enthielt folgendes: »Deinen Brief, lieber Bruder, habe ich durch Hodges erhalten. Sir E. W. und Mr. R. W. befinden sich noch auf freiem Fuße. Jedoch darf keiner von beiden London verlassen. Wollte Gott, ich könnte Dir Gutes auch von Deinem eignen Hause melden. Die Kunde von dem unglücklichen Treffen bei Preston mit der schmerzlichen Beigabe der Anzeige von Deiner Gefangenschaft ist hier ebenfalls eingetroffen. Du weißt ja, wie schlecht es um Emilys Gesundheit steht. Du weißt, wie hart es Ihr ankam, als Du Dich entschlossest, um Sir Everards willen nach Schottland zu reisen. Als darauf bekannt wurde, daß es in Schottland zu wildem Aufstand gekommen sei, wurde sie von so schrecklicher Unruhe befallen, daß sie von wiederholten Ohnmachtsanfällen heimgesucht wurde. Aber sie hat sich zu fassen gesucht, wie es sich für Deine Ehegattin geziemt, um des künftigen Namenserben willen, auf den Du ja so lange gehofft hast! ... Ach, lieber Bruder, all diese Hoffnungen sind nun dahin! trotz meiner lebhaftesten Fürsorge und Wachsamkeit hat das Gerücht von Deiner Gefangennahme seinen Weg zu ihren Ohren gefunden. Sie wurde auf der Stelle von ernstem Unwohlsein befallen, dann kamen die Wehen, und das Kind ist alsbald nach der Geburt gestorben ... Gott im Himmel! wenn dies alles wäre! Denn wenn auch der Brief, der inzwischen von Dir eintraf, ihren Lebensmut wieder auffrischte, so fürchtet der Arzt doch, daß es ihr zu schwerem Schaden werden könne, wenn sie noch länger in solcher Ungewißheit über Dein Schicksal schweben müsse. Du machst Dir keine Vorstellung davon, welche schrecklichen Bilder sie sich malt von den wilden Menschen, in deren Gefangenschaft Du Dich befindest ... Suche also, lieber Bruder, durch Gefangnenaustausch oder durch Offiziersparole oder sonstwie Dich in den Besitz Deiner Freiheit zu setzen, und kehre, sobald es irgend angeht, nach Hause zurück, am liebsten morgen statt später. Verzeih, daß ich Dich in solche Besorgnis stürze. Aber es ist meine Pflicht, Dir das nicht vorzuenthalten, denn Deine Emily ist in der Tat sehr, sehr krank. Auf immer, liebster Philipp, Deine Dich herzlich liebende Schwester Lucy Talbot.« Als Edward diesen Brief gelesen hatte, stand er wie versteinert. Er konnte sich unmöglich verhehlen, daß er die indirekte Ursache zu all diesem schweren Herzeleid war, denn ohne seine Wirrnisse wäre Oberst Talbot niemals auf den Gedanken gekommen, nach Schottland zu reisen. Seine Ehe mit Lady Emily war jahrelang kinderlos geblieben, und jetzt war die endlich erfüllte Hoffnung wieder auf so schreckliche Weise vernichtet worden. Ehe er selbst Worte zu finden vermochte, hatte Oberst Talbot seine Ruhe und Fassung wiedergefunden, wenn auch sein unruhiges Auge den schweren Kampf verriet, den seine Seele kämpfte. »Es ist ein Weib, mein junger Freund, das selbst bei einem alten Soldaten eine Träne rechtfertigt,« sagte der Obrist. Bei diesen Worten reichte er Waverley das Miniaturbild, das die Züge seiner geliebten Frau wiedergab, und das freilich seinen tiefen Schmerz vollauf verständlich machte. ... »Und doch ist, beim Ewigen! ihr Gemüt weit herrlicher noch als ihr Leib! ... Aber, Herr, wie Du willst!« und er fügte betend die Hände ineinander. »Ihr müßt fliehen, Obrist! ... Auf der Stelle ... um Eurer lieben Frau zu helfen und beizustehen. ... Noch ist es nicht zu spät, und wird, wie Gott es fügen möge in seiner Gnade, auch noch nicht zu spät sein!« »Fliehen? Wie soll ich das? Ich bin Gefangner auf Ehrenwort!« »Ich bin Euer Wächter, Oberst Talbot ... ich gebe Euch Euer Wort zurück. Ich trage die Verantwortung.« »Ihr könnt nicht also gegen Eure Pflicht verstoßen! und ich kann keine Entbindung von meinem Worte durch Euch annehmen. Das verbietet mir die Rücksicht auf die eigne Ehre. Man würde sich doch an Euch halten.« »Ich stehe, wenns sein muß, mit meinem Kopfe dafür ein,« erklärte Waverley feurig. »Ich bin die unglückliche Ursache gewesen, daß Ihr Euer Kind verlieren mußtet. Ich bin die Ursache, daß Eure arme Gattin in Krankheit hat fallen müssen. Macht mich nicht auch noch zum Mörder an Eurer Gattin!« »Nein, lieber Edward,« sagte Talbot mit herzlichem Händedruck. »Euch trifft hieran keine Schuld, und wenn ich zwei Tage lang über den Brief geschwiegen habe, so tat ich es eben aus dem Grunde, nicht solche Gedanken in Euch aufkommen zu lassen. Ihr wußtet doch kaum etwas von mir, als Ihr den Fuß aus England setztet. Also konntet Ihr Euch doch auch mit mir in Euren Gedanken nicht befassen. Für uns Sterbliche ist es schon schwer genug, die Folgen von Handlungen zu vertreten, die wir bewußt vollziehen. Aber für mittelbare und zufällige Ereignisse hat jenes große Wesen, das allein Schicksale voraussieht, seinen schwachen Geschöpfen Verantwortlichkeit nicht beigemessen.« »Aber wie konntet Ihr Eure Gemahlin in solcher Lage verlassen um eines Euch völlig fremden Menschen willen?« »Was ich getan, war meine Pflicht und soll mich nie gereuen. Wäre der Pfad der Dankbarkeit immer eben und leicht zu wandeln, dann wäre Dankbarkeit kaum eine Tugend; drum nimmt er eben oft eine Richtung, die mit unsern Vorteilen und unsern Leidenschaften ebenso im Widerspruche steht, wie mit unsern bessern Empfindungen. Das sind eben Prüfungen des Lebens, und wenn die, die mich jetzt trifft, auch nicht die harmloseste oder geringste ist« – hier traten ihm wieder Tränen in die Augen – »so ist sie doch auch nicht die erste, die mir das Schicksal auferlegt hat. ... Aber morgen, morgen mehr davon!« schloß er, indem er Edward die Hand herzlich drückte. ... »Gute Nacht! sucht auf ein paar Stunden alles zu vergessen. Um sechs Uhr wird es Tag sein, und jetzt schlägt es zwei. Gute Nacht, mein junger Freund, gute Nacht!« Ohne einen Laut zur Antwort zu finden, schied Edward von dem würdigen Manne. Zwanzigstes Kapitel Am andern Morgen hörte Oberst Talbot beim Frühstück von Waverleys Diener, daß dieser schon bei Tagesgrauen ausgeritten sei. Erst spät am Morgen kehrte er zurück; aber ganz außer Atem und so fröhlich und guter Dinge, daß Oberst Talbot ganz betroffen davon war. »Hier ist ein bißchen Morgenarbeit,« rief er und warf ein Papier auf den Tisch. ... »Mick, hurtig die Bagage des Herrn Obersten in Ordnung gebracht! Hurtig, hurtig!« Voll Erstaunen blickte Oberst Talbot auf das Papier. Es war ein Paß, den der Chevalier für den Obersten ausgestellt hatte und der nach Leith oder einem andern im Besitz der königlichen Truppen befindlichen Seehafen lautete und ihn an keine andre Bedingung band, als an sein Ehrenwort, binnen Jahresfrist die Waffen nicht gegen das Haus Stuart zu erheben. Die Augen des Obersten blitzten vor Freude. »Um Jesu Christi willen!« rief er aus, »wie seid Ihr zu solchem Papiere gekommen?« »Ich war beim Lever des Chevaliers, so früh, wie er sonst immer aufzustehen pflegt, aber er war schön ausgeritten ins Lager nach Duddingston. Ich ritt ihm nach dorthin und bekam Audienz ... aber ich erzähle Euch kein Wort weiter, wenn ich nicht sehe, daß Ihr einpacken laßt.« »Ich muß doch erst wissen, ob ich von diesem Passe Gebrauch machen darf, und wie Ihr ihn in Besitz bekommen habt?« »O, Ihr könnt ja, wenns Euch dann nicht paßt, jederzeit wieder auspacken lassen! ... Nun, ich sehe, Ihr laßt den Anfang machen ... ich will also auch anfangen. Ich hatte kaum Euren Namen genannt, so leuchteten die Augen des Chevaliers auf, und er fragte, ob Ihr Euch für seine Sache entschieden hättet. Ich verneinte das und setzte hinzu, daß auch keinerlei Hoffnung bestände, Euch andrer Meinung zu machen. Dann sank seine Freude. Nun brachte ich mein Anliegen vor. Unmöglich, lautete seine Antwort; Ihr seiet eine zu wichtige Person um Eurer Verbindungen willen, als daß er daran denke, solches Gesuch zu bewilligen. Nun erzählte ich ihm, wie sich die Dinge zwischen uns verhielten, berichtete ihm von dem Briefe Eurer Schwester und bat ihn, sein Herz sprechen zu lassen. Und, Oberst Talbot, er hat ein Herz und ein gutes Herz, da mögt Ihr sagen, was Ihr wollt. Er griff nach einem Stück Papier und schrieb den Paß mit eigner Hand. »Mit meinem Kriegsrat will ich die Sache nicht erst verhandeln, denn er würde mich doch überstimmen; ich will aber nicht haben, daß ein Parteigänger von Eurem Wert in die Möglichkeit geraten könnte, sich durch weitere Unglücksfälle in der Familie des Obristen Talbot das Gewissen noch weiter zu beschweren. Auch will ich keinen ehrlichen Feind unter solchen Umständen gefangen halten. Zudem, schloß er, glaube ich meinen vorsichtigern Beratern gegenüber den Grund für mich anführen zu dürfen, daß solche Milde in dem hohen Adel Englands einen günstigen Eindruck für uns wecken dürfte.« »Aha!« rief der Oberst, »da guckt der Politikus heraus!« »Wenn auch,« so schloß er doch wie ein Königssohn: »Hier nehmt den Paß,« sprach er, »ich habe der Form halber eine Bedingung gestellt. Sollte sich Euer Freund aber daran stoßen, so mag er ohne Parole reisen. Ich bin nach Schottland gekommen, um gegen Männer zu kämpfen, aber nicht, um Herzeleid über Frauen zu bringen oder sie gar in Gefahren zu setzen.« »Nun, hätte ich wohl je geglaubt, in solche Verbindlichkeit gegen den Präten ... « »Gegen den Prinzen,« fiel ihm Waverley lächelnd ins Wort. »Nun, sagen wir Chevalier. Dieses Namens, besonders gut unterwegs zu brauchen, können wir uns schon bedienen. ... Hat er noch weiteres gesagt?« »Bloß die Frage stellte er noch, ob er noch auf andre Weise dienen könne. Als ich verneinte, drückte er mir herzlich die Hand und meinte, es würde für ihn eine Freude sein, wenn alle seine Freunde sich so taktvoll benehmen wollten, aber es seien einige dabei, von denen er das nicht sagen könne, die im Gegenteil Forderungen an ihn stellten, deren Befriedigung vollständig außerhalb seiner Macht lägen ... wahrlich, mein lieber Waverley, wenn Ihr wüßtet, was mir alles für Ansinnen im Lauf eines einzigen Tages gestellt werden. ... « »Hm, hm, er fängt wohl allgemach an, die Schwierigkeiten seiner Lage zu erkennen, der arme junge Mensch!« meinte der Obrist, »aber von Euch, lieber Waverley, ist das wirklich höchst brav gehandelt und soll Euch von Philipp Talbot nie vergessen werden! ... Selbstverständlich nehme ich keinen Anlaß, mein Ehrenwort in diesem Falle zu geben ... « (er nahm ein Stück Papier und stellte es in der üblichen Form aus) »und nun: wann soll ich reisen?« »Das ist alles schon im reinen, Herr Oberst!« versetzte Waverley, »Eure Bagage ist fertig, meine Rosse stehen bereit, und mit prinzlicher Erlaubnis habe ich ein Boot gemietet, das Euch an Bord der Fregatte ›Fox‹ hinüber schaffen soll. Mein Bursche ist bereits unterwegs nach Leith, den Kapitän zu unterrichten.« »O, das ist ja brillant. Kapitän Beaver ist ein alter guter Freund von mir und wird mich schnell nach Berwick oder Shields hinüber fahren, wo ich die Post nach London erreiche ... aber, Waverley, das Paket mit Briefen, das Euch die Schwester jenes Hochlandsräubers zugeschanzt hat, das gebt mir mit auf den Weg. Ich glaube bestimmt, es wird sich Gelegenheit für mich bieten, von den Papieren zu Eurem Vorteil Gebrauch zu machen ... « In verhältnismäßig kurzer Zeit hatten sie den Hafen erreicht. »Und nun, Obrist Talbot, lebt wohl!« sagte Waverley. »Möchtet Ihr alles nach Wunsch antreffen! Wer weiß, wir sehen uns vielleicht in nicht zu langer Zeit wieder, denn bei uns wird von einem Marsche nach England gesprochen.« »Sagt mir nichts darüber,« wehrte ihm der Oberst, »denn ich möchte keinerlei Nachricht kriegerischer Natur von Euch mit hinweg nehmen.« »Nun, dann ein letztes Lebewohl, Herr Oberst! Bestellt, bitte, die innigsten Grüße an Sir Everard und Tante Rachel, desgleichen, sofern Ihr Gelegenheit findet, sie auszurichten auch an meinen Vater ... und dann, Herr Oberst, gedenkt meiner mit aller Freundlichkeit, die Ihr für mich übrig habt ... und wenn es Euer Gewissen erlaubt, so sprecht auch freundlich über mich! ... Nochmals Lebewohl!« »Lebt wohl, mein lieber Waverley, und seht zu, daß Ihr bald das Plaid los werdet, bei der ersten besten Gelegenheit, die sich Euch bietet! Ich werde Eurer immer mit Dankbarkeit gedenken, und mein herbster Tadel soll in der Phrase liegen: Que diable allait-il faire dans cette galère?« [Was zum Teufel hat er bloß bei diesem Kram zu tun im Sinne?] Und damit schieden sie von einander. Einundzwanzigstes Kapitel Anfang November wurde vom Chevalier beschlossen, in das Herz von England einzumarschieren. An der Spitze von sechstausend Mann wurde das Unternehmen gewagt, trotzdem man im schottischen Lager genau unterrichtet war über die gewaltigen Vorkehrungen, die zum Empfange der Gegner von seiten der englischen Heeresleitung getroffen worden waren. Der Zug wurde begonnen bei einem Wetter, das jedem andern Heere den Vormarsch verleidet hätte; aber die harten Söhne des Gebirgs erblickten in solchem Umstande gerade einen Vorteil für sich, angesichts eines Feindes, der bei weitem weichlicher war und Strapazen bei schlechter Witterung nur mühsam ertrug. Sie hatten sich in ihren Erwartungen auch nicht getäuscht, denn es gelang ihnen, nach kurzer Belagerung Carlisle zu erobern. Den Vortrab bildete der Clan Mac-Ivors. An der Spitze befanden sich ununterbrochen Fergus und Waverley. Der letztere war jetzt jedem Bergschotten an Ausdauer und Wetterfestigkeit gewachsen. Aber über die Tüchtigkeit ihrer Truppe waren beide sehr verschiedner Anschauung, und über die Fortschritte, die sie inzwischen errungen hatten, nicht minder. Fergus hatte bei seinem feurigen Temperament nur den einen Gedanken, daß ihn jeder Marschtag so und soviel Meilen näher nach London bringe, und war voll Zuversicht in seinen Clan gegen eine ganze Welt von Waffen. Er träumte davon, die Stuarts noch einmal auf den Thron Schottlands und Englands zu führen, und erhoffte sich von ihnen Gnaden über Gnaden. Ganz anders sah Edward die Dinge an. Ihm als wirklichem Soldaten konnten die Mängel des Schottenheeres nicht entgehen, und als scharfem Beobachter ebenso wenig, daß in allen Ortschaften, wo »König Jakob der Dritte« ausgerufen wurde, kein Mensch »Den König segne Gott« nachrief oder sang. Der Pöbel gaffte und horchte, dumm und blöde, gab aber nur selten ein Zeichen jenes feurigen Sinnes, der ihn sonst so leicht mit fortreißt. Man hatte den Jakobiten weis gemacht, in den Gegenden des nordwestlichen Englands wimmle es von Anhängern der weißen Rose, aber von den reicheren Tories ließen sich nur sehr wenige sehen, manche flohen von ihren Landgütern, andre stellten sich krank, andre unterwarfen sich als verdächtig der Regierung. Von den übrig bleibenden entsetzten sich die Laien über das wilde Aussehen, die rauhe, ungelenke Sprache und die fremden Gestalten und Gesichter der Clansleute, und die klügeren darunter mutmaßten aus der urwüchsigen Bewaffnung, aus der zusammengewürfelten Art baldiges Scheitern der ganzen Affäre und ein Ende mit Schrecken, an dem sich auch nur im geringsten zu beteiligen der helle Wahnsinn sei. So gesellten sich bloß solche Elemente zu den Scharen der Hochländer, die entweder dumm vor Loyalität oder in ihren Verhältnissen so weit herunter waren, daß sie nichts mehr zu verlieren hatten. Wenn der Baron von Bradwardine gefragt wurde, was er von diesen Zuzüglern hielte, so pflegte er zu sagen, nachdem er eine Prise genommen und zu den Sternen, wie um sich dort Rat zu holen, aufgeschaut hatte: »Er könne, da sie aufs Haupt den Gefährten glichen, die sich an den guten König David in der Höhle Adullam anschlossen, bloß die vorteilhafteste Meinung von ihnen hegen; videlicet, allerlei Volk, das in Schulden war, und allerlei Volk, das mißvergnügt, und allerlei Volk, das, wie es in der Vulgata steht, bittern Herzens war; »und so denke ich denn, sie werden sich handfest und tapfer erweisen und werdens wohl auch müssen, denn ich hab sie schon manchen sauren Stoßseufzer tun hören.« Fergus jedoch kümmerte sich um keine einzige dieser Rücksichten, sondern bewunderte die herrlichen Landschaften, durch die sie der Weg führte, sowie die Lage der Landsitze, an denen sie vorbeizogen. »Ist Waverley-Würden auch so groß wie dieses Schloß dort?« so fragte er Waverley einmal. »Um die Hälfte größer.« »Ist der Park Eures Oheims auch so schön wie der hier?« fragte er ihn ein andermal. »Wohl dreimal so groß, Fergus. Sieht er doch schon mehr aus wie ein Wald, denn wie ein Park.« »Flora wird eine glückliche Gattin werden.« »Ich hoffe, Floras wartet noch höheres Glück, ein Glück, das mit Waverley-Würden in keinem Zusammenhang steht.« »So hoffe ich auch. Aber Herrscherin über solchen Platz zu sein, wird doch zur Totalsumme eine kleine Ergänzung bilden.« »Eine Zugabe, die ohne Frage, wenn sie ausbleiben sollte, auf andre Weise Ersatz finden wird.« »Wie soll ich das deuten?« rief, kurz abbrechend, Fergus. »Hatte ich das Vergnügen, Mr. Waverley, Eure Worte recht zu verstehen?« »Vollständig recht, Fergus.« »Ihr wünschet also nicht länger mehr Beziehungen zu meiner Schwester zu unterhalten?« »Eure Schwester, Fergus, hat die Beziehungen zu mir ausgeschlagen, nicht allein geradezu und unverblümt, sondern auch durch jene gang und gäben Mittel, deren sich Damen zu bedienen pflegen, wenn sie Körbe austeilen.« »Mir ist es durchaus unbegreiflich, wie eine Frauensperson es sich einfallen lassen kann, Beziehungen von der Hand zu weisen, die der ihr vom Gesetz gestellte Vormund gutgeheißen hat, und wie in solchem Falle ein Mann sich an solche Faxe einer Frauensperson kehren kann!« rief unwillig Fergus. »Diesen Punkt, Oberst, müßt Ihr selbst mit Eurer Schwester klar stellen, ich habe mich nicht mehr drein zu mischen, gebe aber zu, daß ich über die hierüber im Hochlande herrschenden Gepflogenheiten nicht unterrichtet bin. Was aber mein persönliches Recht angeht, mich mit einem Korbe zufrieden zu geben, ohne mich in solchem Falle um Euren persönlichen Vorteil dabei zu bekümmern, so erkläre ich Euch rundheraus, ohne übrigens der anerkannten Schönheit und Bildung Eurer Schwester im geringsten nahe treten zu wollen, daß ich die Hand der schönsten Dame und brächte sie mir die Mitgift eines Königreichs, ausschlagen würde, wenn ich sie nicht mir selbst, sondern der Fürsprache von Vormündern oder Eltern verdanken sollte.« »Ein Engel mit der Mitgift eines Königreichs dürfte,« erwiderte mit einem Anflug von Hohn der Häuptling, »schwerlich einem Junker von ...shire aufgenötigt werden. Aber, Mr. Waverley,« fuhr er in verändertem Tone fort, »wenn auch Flora Mac-Ivor nicht über ein Königreich als Mitgift gebietet, so ist sie doch meine Schwester, und dieser Umstand ist ausreichend, sie vor jeder Behandlung zu schützen, die irgendwie nach Geringschätzung aussieht.« »Sie ist Flora Mac-Ivor, Oberst, und das ist für mich ein weit wirksamerer Schutz, wenn ich überhaupt im stande wäre, ein Weib geringschätzig zu behandeln.« Die Stirn des Häuptlings verfinsterte sich ganz, aber Edward fühlte sich von dem unbilligen Tone, den derselbe angeschlagen hatte, so schwer beleidigt, daß er nicht gewillt war, den drohenden Sturm durch Nachgiebigkeit zu bannen. Sie standen beide still, und Fergus schien willens, die Situation durch eine noch schärfere Aeußerung auf die Spitze zu treiben, unterdrückte jedoch, wenn es ihm auch sichtlich schwer fiel, seine Aufwallung. In dumpfem Schweigen schritten sie weiter. So ging es wohl eine Stunde lang. Dann begann Fergus die Unterhaltung wieder in andrer Tonart. »Lieber Edward, ich bin vorhin wohl etwas warm geworden, aber daran seid bloß Ihr schuld gewesen. Ein sprödes Wort oder ein hochfliegender patriotischer Gedanke Floras hat Euch erzürnt, und nun grollt Ihr wie ein Kind dem Spielzeuge, nach dem Ihr zuvor geschrieen habt, und weil mein Arm nicht bis nach Edinburg reicht, es Euch in die Hand zu legen, so schlagt Ihr mich, Euren getreuesten Beschützer... Aber ich will nach Edinburg reisen und alles wieder ins Gleis bringen, vorausgesetzt natürlich, daß Ihr nichts dawider einzuwenden habt, denn nimmermehr kann ich glauben, daß Ihr Eure gute Meinung von Flora, wenn sie wirklich das ist, als was Ihr sie oft mir gegenüber gepriesen habt, so plötzlich geändert haben solltet.« Aber Edward war nicht gewillt, sich in einer Sache, die er schon für abgebrochen ansehen mußte, weiter oder schneller fortreißen zu lassen, als er selbst es für gut und angemessen erachtete, und erwiderte deshalb: »Für die guten Dienste, Obrist Mac-Ivor, die Ihr mir in dieser Sache geleistet, und die für mich ganz ohne Frage sehr ehrbar sind, bin ich Euch aufrichtig dankbar. Da indessen Miß Mac-Ivor die freie Herrin ihres Willens war und meine Aufmerksamkeiten in Edinburg mit rücksichtsloser Kälte aufnahm, kann ich nicht dulden, daß sie um meinetwillen mit dieser Sache noch einmal behelligt werde. Solche Rücksicht bin ich ihr schuldig. Ich hätte Euch das bereits früher gesagt, aber es konnte nicht unbemerkt von Euch bleiben, auf welchem Fuße wir zueinander standen, und trotzdem hätte ich früher das Wort dazu genommen, hätte mich nicht ihr begreiflicher Widerstand davon abgehalten, eine Angelegenheit, die für uns beide so schmerzlicher Natur ist, zu berühren.« »O, recht so, recht so, Mr. Waverley, die Sache ist aus. Meine Schwester einen Manne aufzudringen, habe ich nicht nötig.« »Und ich meinerseits nicht, mich von einer Dame wiederholt abweisen zu lassen.« »Aber genau erkundigen muß ich mich doch,« fuhr der Häuptling fort, ohne dieser Unterbrechung Waverleys zu achten, »was meine Schwester zu dem allen sagt, und dann werden wir sehen, ob es in der Tat zu Ende ist.« »Daß Ihr ob solcher Fragen und Feststellungen tun und, lassen könnt, was Ihr wollt, ist allerdings richtig,« versetzte Waverley. »Indessen kann meines Wissens Miß Mac-Ivor ihre Anschauungen in solcher Sache unmöglich ändern. Sollte jedoch ein solch unglaublicher Zufall sich ereignen, so steht es meinerseits hingegen fest, daß ich an den meinigen kein Jota ändre. Ich erwähne dies nur, um jeder Möglichkeit eines Mißverständnisses von vornherein den Boden zu entziehen.« An Mac-Ivor lag es wahrlich nicht, den Zwist auf der Stelle zum endgültigen Austrag zu bringen. Seine Augen sprühten Blitze, und er maß Edward von Kopf zu Fuß, wie wenn er die Stelle ermitteln wolle, wo er ihn tödlich verwunden könne. Aber daß man zu einem Zweikampf auf Leben und Tod eines triftigen Vorwands bedürfe, und daß die Abneigung, sich weiter um eine Dame zu bemühen, die sich ablehnend verhält, für Männer solch triftiger Vorwand nicht sei, mußte sich auch Fergus sagen, und so verbiß er die vermeintliche Kränkung mit dem Vorsatze, keine andre Gelegenheit zu verpassen, die sich ihm böte, Rache an Waverley zu nehmen. Ueber dieses herrische und rücksichtslose Verhalten seines bisherigen Freundes aufgebracht, verließ Waverley die Front und begab sich zum Nachtrab, wo sein Diener mit seinem Rosse sich befand. Er schwang sich darauf und beschloß, den Baron von Bradwardine aufzusuchen, in der Absicht, sich bei ihm als Freiwilliger zu melden und den Zug Mac-Ivors zu verlassen. Der Baron, der für seine gelehrten Brocken in seiner jetzigen Umgebung keine Ablagerungsstätte mehr fand, und dem daran lag, sie nicht à la Sancho Pansas Witzen verschimmeln zu lassen, ergriff Waverleys Anerbieten mit Freuden; nichtsdestoweniger gab sich der brave Mann alle mögliche Mühe, den Zwist zwischen den beiden jungen Männern gütlich beizulegen, aber Fergus blieb gegen alle Vorstellungen taub, und Waverley sah nicht ein, weshalb er der erste sein sollte, die Hand zu bieten, nachdem der andre sie so böswillig von sich gestoßen hatte. Der Baron meldete den Vorfall dem Prinzen, und dieser, aus Besorgnis, solche Fehde könne Anlaß zu weiterm Umsichgreifen in seinem kleinen Heere werden, versprach, dem Obersten Mac-Ivor über solchen Unglimpf Vorhaltungen zu machen. Aber bei der Eile, mit der der Weitermarsch erfolgte, vergingen ein paar Tage, bis sich ihm Gelegenheit hierzu bot. Inzwischen suchte Waverley die während seiner Dienstzeit bei den Dragonern gewonnenen Kenntnisse bei dem Zuge des Barons zu verwerten und stand demselben in seinem Kommando nach Kräften bei. Wie es im Sprichwort heißt, »ist unter den Blinden ein Einäugiger König«, und so gewann auch Waverley bei der zumeist ans unterländischem Adel zusammengesetzten Kavallerie schnell ein ziemlich hohes Ansehen. Zweiundzwanzigstes Kapitel Waverley ritt hin und wieder, um sich über die Vorgänge bei der Avantgarde zu unterrichten, dem Kommando Bradwardine voraus. Das Heer war inzwischen in Lancashire einmarschiert, und hier hatte ein altes, burgähnliches Schloß sein Interesse geweckt. Um es in Augenschein zu nehmen, hatte er sich ein kleines Stück seitab von dem Zuge begeben, und als er zurückritt, kam ihm Evan Dhu Maccombich, der Fähnrich des Häuptlings, entgegen. Evan Dhu hatte seit der Zeit in Tully-Veolan eine gewisse Zuneigung zu Waverley gefaßt. Es war, als ob er Waverley direkt auflaure, um mit ihm über etwas zu sprechen. Indessen ließ er es, als Waverley bei ihm vorüberritt, dabei bewenden, daß er an den Steigbügel herantrat und das einzige Wort »Vorsicht« ihm zuraunte. Edward, hierüber verwundert, folgte Evan Dhu, der einen Seitenpfad einschlug, mit seinem Blicke. Gleich darauf ritt sein Bursche, Mick Polwarth, zu seinem Herrn heran. »So wahr ich lebe, Herr, Ihr seid unter diesen Strauchdieben von Hochschotten Eures Lebens nicht sicher.« »Wie meinst Du das, Mick?« »Die Mac-Ivors haben sichs in den Kopf gesetzt, Ihr hattet die Lady ihres Clans, Miß Flora, in ihrer Ehre gekränkt und beschimpft. Ich habe schon mehr denn einmal von ihnen gehört, es solle ihnen nicht drauf ankommen, Euch eine Kugel auf den Pelz zu brennen. Ihr wißt doch auch selbst, daß mancher drunter ist, der sich nicht scheuen würde, dem Prinzen gleiches anzutun, sobald bloß bekannt wäre, daß ihrem Häuptling was dran gelegen sei.« Waverley hatte es zwar nicht für möglich gehalten, daß Fergus sich solcher Hinterlist schuldig machen werde, aber auf irgend welche Ritterlichkeit seiner Clansleute in solcher Sache baute er nun auch nicht. Im Gegenteil wußte er, daß es sich jeder zur Ehre anrechnen werde, der erste zu sein, der einem dem Häuptling oder dem Clan angetanen Schimpf durch einen Mord sühne. Hatte er doch oft genug das arge Wort aus ihrem Munde vernommen: »Schnelle Rache ist die wirksamste Rache.« Er hielt es für das Sicherste, seinem Gaul die Sporen zu geben und zur Schwadron des Barons zurückzureiten. Aber noch hatte er das Ende der langen Schloßallee nicht erreicht, als, ihn auch schon ein Schuß streifte. »Das war der Lümmel Callum-Beg,« rief Mick. »Ich habe ihn deutlich durch die Büsche schlüpfen sehen.« In heftiger Entrüstung über diesen verräterischen Anschlag machte Edward wieder Kehrt und ritt direkt auf den Clan Mac-Ivor zu, der sich eben in kurzem Abstande über einen freien Platz bewegte. Ein Mann rannte in voller Jagd auf den Clan zu. Es war Callum-Beg. Kaum im stande, sich zu mäßigen, befahl Waverley seinem Burschen, zum Baron Bradwardine zurückzureiten und ihn von dem Vorfalle zu unterrichten. Er selbst sprengte direkt auf den Häuptling zu, der eben zu seinem Clan heranritt, auf dem Rückweg von einer Audienz beim Prinzen befindlich. »Obrist Mac-Ivor,« redete ihn Waverley an, ohne ihn zuvor zu grüßen, »ich muß Euch melden, daß von einem Manne Eures Clans aus einem Schlupfwinkel soeben auf mich geschossen worden ist.« »Bis auf besagten Schlupfwinkel ein Vergnügen, das ich mir selbst bald verschaffen wollte,« antwortete Fergus. »Drum möcht es mich freun zu hören, welcher von meinen Leuten sich herausgenommen hat, mir die Vorhand zu spielen.« »Ich stehe jederzeit zur Disposition, Oberst,« erwiderte Waverley, »und der Mann von Euch, der den Schuß auf mich abgegeben hat, ist Euer Bursche Callum-Beg.« »Vorgetreten, Callum-Beg!« kommandierte Fergus mit Donnerstimme. »Hast Du auf diesen Mann hier geschossen?« »Nein,« versetzte Callum-Beg trotzig, ohne zu erröten. »Du bists gewesen,« rief Alick, der Bursche Waverleys, der von seinem Ritte zum Baron Bradwardine im tollsten Galopp wieder zurückkehrte, »ich hab Dich so deutlich gesehen, wie dort drüben den Kirchturm.« »Du lügst,« versetzte Callum-Beg mit hartnäckiger Verlogenheit. Der Streit wäre gewiß zwischen den beiden Burschen früher ausgebrochen als zwischen ihren beiden Herren, aber der Häuptling forderte seinem Burschen das Pistol ab. Der Hahn war herunter, Pfanne und Mündung waren schwarz von Pulverdampf; es stand also außer aller Frage, daß mit dem Pistol eben erst geschossen worden war. Mit dem Zuruf: »Hier, nimm, was Dir zukommt,« schlug Fergus dem Burschen den Knauf des Pistols über den Schädel, daß dieser wie ein Stück Holz zu Boden niederschlug. »Stillgestanden!« donnerte Fergus seinen Clansleuten zu, »dem ersten, der es wagt, sich zwischen mich und Mr. Waverley zu drängen, schlag ich das Gehirn ein, wie dem da!« Die Leute standen da, ohne sich zu rühren. Bloß auf dem Gesichte von Evan Dhu malte sich einiger Verdruß. Callum-Beg lag auf dem Boden in seinem Blute, aber keiner wagte die Hand für ihn zu rühren. »Und Ihr, Mt. Waverley, werdet die Güte haben, auf zwanzig Ellen weit mit mir auf das Blachfeld vorzureiten.« Waverley folgte dem Vorausreitenden. Als sie sich aus der Marschkolonne entfernt hatten, richtete Fergus mit affektierter Kälte das Wort an Waverley, der ihm mit stoischer Ruhe zuhörte. »Ich konnte nicht umhin, Mr. Waverley, über Euren wunderlichen Geschmack von vorgestern Euch meine Verwunderung auszusprechen. Aber Ihr sagtet ja selbst, kein Engel hätte Reiz für Euch, wenn er Euch nicht ein Königreich als Mitgift brächte. Das ist mir eine bündige Erklärung zu diesem dunklen Texte.« »Etwas andres in Euren Worten zu finden, Oberst Mac-Ivor, als die Absicht, mich mit Gewalt zum Zweikampf zu nötigen, ist mir ein Ding der Unmöglichkeit.« »Diese geheuchelte Unkenntnis, Mr. Waverley, soll Euch von keinem Nutzen werden. Der Prinz selbst hat mich mit Euren Manövern bekannt gemacht, aber halb und halb habe ich schon selbst gemerkt, daß Eure Beziehungen zu Miß Bradwardine der Grund zu dem Bruche mit meiner Schwester für Euch waren. Und fast will es mir scheinen, wie wenn meine Aeußerung, daß der Baron von seiner Verschrobenheit eines Mannslehns seiner Güter abgekommen sei, für Euch den Grund abgegeben habe, Euch an Miß Bradwardine heranzumachen.« »Der Prinz soll Euch das gesagt haben? – – Unmöglich!« »Es ist, wie ich sage, Herr! Darum zieht blank und schlagt Euch mit mir, es sei denn, Ihr entsagtet Euren Ansprüchen an die Dame in aller Form.« »Das ist ja bare Tollheit,« rief Waverley, »oder eine schrecklicher Irrtum.« »Keine Ausflüchte!« schrie der Häuptling, wie rasend vor Grimm, »zieht blank!« und legte sich in Kampfstellung. »In solchen Kampf soll ich mich einlassen?« »Es sei denn, Ihr entsagtet all Euren Ansprüchen auf Miß Bradwardine für jetzt und immer!« »Welches Recht habt Ihr zu solcher Sprache gegen mich?« fragte Waverley, der seiner ganzen Ruhe verlustig ging, »Ihr oder jemand sonst auf Erden!« und auch sein Schwert flog aus der Scheide. In diesem Augenblick sprengte der Baron von Bradwardine heran, in Begleitung einiger Herren aus seinem Zuge. Als der Clan Mac-Ivor seiner ansichtig wurde, setzte er sich auf der Stelle in Bewegung, um seinen Häuptling zu decken, und nun begann ein Auftritt, dem an einem blutigen Ausgange fürwahr wenig zu fehlen schien. An die hundert Zungen gerieten auf einmal in Bewegung. Der Baron hielt eine Vorlesung, der Häuptling ritt auf und ab, die Hochschotten schrien gälisch durcheinander, die Reiter fluchten in ihrem schottischen Platt dazwischen. Endlich kam die Sache so weit, daß der Baron drohte, auf den Clan einhauen zu lassen, worauf die Clanleute damit antworteten, daß sie die Gewehre anschlugen. Der Wirrwarr wurde immer schlimmer, als sich plötzlich ein neues Geschrei erhob. »Platz! Platz!« Und mit einem Haufen Fitz-James'scher Dragoner, der seine Leibwache bildete, erschien der Chevalier auf dem Platze. Seine Ankunft schuf einigermaßen Ordnung. Die Hochländer bildeten wieder Rotten, die Reiter schlossen sich zur Schwadron, und der Baron wie auch der Häuptling verhielten sich ruhig. Nachdem er von der Ursache zu dem Auftritt Kenntnis genommen, befahl er, daß Callum-Beg dem Generalprofoß übergeben werde, wogegen aber der Häuptling sogleich protestierte, weil das einen Eingriff in seine patriarchalischen Rechte bedeute. Dagegen anzustoßen, erschien dem Prinzen als unpolitisch, er überließ also den Verbrecher dem Gerichte seines Clans. Nunmehr verlangte der Prinz die Gründe zu hören, die zu der Fehde zwischen Waverley und Fergus geführt hätten. Hier aber zeigte es sich, daß die Anwesenheit des Barons für die beiden jungen Männer ein undiskutierbares Hindernis war, sich auszusprechen. Beide senkten betreten den Blick zu Boden. Der Prinz aber erachtete die Wiederherstellung eines guten Einvernehmens als unerläßliches Bedingnis. Erzogen zwischen den mißvergnügten, ständig unter Intrigen lebenden Hofleuten von Saint-Germain, machte es ihm keinerlei Schwierigkeit, ein hierfür geeignetes Mittel ausfindig zu machen. »Monsieur de Beaujeu!« rief er. »Monseigneur!« antwortete ein schneidiger junger Kavallerieoffizier aus seinem Gefolge. »Stellt die Gebirgsleute wieder in richtige Formation,« befahl er ihm auf französisch, »und die Kavallerie desgleichen, Euch ist ja das Englische so geläufig, daß es Euch keine Mühe machen wird.« »Ah, pas du tout, Monsieur, pas du tout« [Durchaus nicht, mein Herr], antwortete der Graf von Beaujeu, das Haupt bis auf den Hals seines kleinen, trefflich zugerittnen Pferdes beugend, und sprengte, wiewohl er kein Wort Gälisch und sehr wenig Englisch verstand, munter und zuversichtlich an die Spitze von Mac-Ivors Clan. Der Clan, mehr aus den Gesten als aus den Worten schließend, um was es sich drehte, stellte sich eiligst in Reih und Glied. »Ah, das haben Sie gemacht serr gut! serr gut!« rief der Graf von Beaujeu, »wilde Herren sein das, aber gemacht serr gut, serr gut!« Dann wandte er sich zu den Reitern, »Gentilshommes! Sie wollen wenden Ihre visages auf die Seite rechts! so! auch Sie haben gemacht diese évolution serr gut! fort bien, fort bien! ... und nun par file [Schließt Euch in Reihen], was soviel soll sein wie in Gliedern! ... Marsch, marsch! Mais très bien cela, très bien, Messieurs! Marsch, marsch! Sie haben gemacht Ihr Marsch, marsch auch serr gut! serr gut! Sie sind alles brave Leute, serr brave Leute!« Dann aber trat ein Intermezzo ein. Es war ein Mann von der Bradwardine'schen Schwadron gestürzt ... Ah, par foi, Messieurs! ick doch nicht haben gesagt »absitzen!« ... ick sein in Furcht, der dicke, fette Herr haben sich serr wehe getan! – Ah, mon Dieu, c'est le Commissaire, qui nous a apporté les premi res nouvelles de ce maudit fracas. Je suis trop fâché, Monsieur, [Ach du mein Gott! das ist ja der Herr Kommissär, der die ersten Nachrichten von diesem vertrackten Spektabel hergebracht hat. Ich bin zu sehr betrübt, mein Herr.] daß Euch hat müssen passieren so was!« Der arme Schösser Macwheeble, der jetzt mit einem mächtigen Säbel an der Seite und einer weißen Rose am Busen von der Größe eines Pfannkuchens bei der Armee des Prinzen als Kommissarius figurierte, war in dem Durcheinander, das bei den Reitern entstanden war, um schnell an die Seite des Prinzen zu gelangen, von seinem Klepper gepurzelt und kroch nun, unter dem allgemeinen Gaudium der Reiterei, mit lahmer Schulter zum Nachtrabe hinter. »Eh bien, Messieurs, bitte, schwenken Sie doch rechts!.... Ei, das haben Sie gemacht auch wieder serr gut, serr gut!« Und dann wandte er sich selbst um zu dem Baron von Bradwardine ... »Eh bien, Messieurs, ick bitten sich zu setzen an die tête de votre régiment! denn ick sein maintenant ganz marode, ganz marode!« Wem Baron von Bradwardine blieb nichts weiter übrig, als sich dem Wunsche des Grafen von Beaujeu zu fügen, nachdem dieser mit seinem bißchen Englisch vollständig zu Rande war. Aber der Zweck, den der Chevalier verfolgt hatte, war erreicht. Die Gedanken der Soldaten von beiden Heerhaufen waren aus dem brausenden Kanale, in den sie sich verrannt hatten, in ein andres Bett abgeleitet worden. Der Prinz war kaum allein mit den beiden jungen Kampfhähnen, so wandte er sich mit den Worten an sie: »Hätte ich Eurer uneigennützigen Freundschaft nicht so außerordentlich viel zu verdanken, wie es tatsächlich der Fall ist, so wäre das wohl eine Veranlassung, recht ungehalten auf Euch zu sein darüber, daß Ihr solch ungebührliche, grundlose Verwirrung angerichtet habt in einem Augenblicke, wo der Dienst meines Vaters mit solcher Entschiedenheit die vollkommenste Eintracht fordert. Aber das ist nun einmal das Unglück in meiner Lage, daß meine besten Freunde die Freiheit zu haben meinen, um der geringsten Capricen willen sich selbst und die Sache, der sie sich geweiht haben, ins Verderben zu stürzen.« Die beiden jungen Männer erklärten sich bereit, dem Prinzen die Entscheidung zu überlassen. »Ich wüßte nicht, welches Verschulden mich treffen sollte,« sagte Edward Waverley. »Ich habe den Obrist Mac-Ivor lediglich in der Absicht aufgesucht, ihm von dem auf mich versuchten Meuchelmord Kenntnis zu geben. Daß er sich anders als mißbilligend darüber äußern und dazu stellen werde, konnte ich nicht erwarten. Und was der Grund zu offner Fehde ist, die er mir ankündigt, so kann ich mir nicht anders denken, als daß es irgend welche ungerechte Anschuldigung, eine Dame betreffend, sein müsse.« »Sollte hier etwa ein Irrtum obwalten,« sagte der Häuptling, »so ist er einer Unterhaltung entsprungen, die ich heut morgen mit königlicher Hoheit zu führen die Ehre hatte.« »Mit mir?« wiederholte der Chevalier, »wie kann mich Oberst Mac-Ivor so mißverstehen?« Er führte Fergus beiseite und sprach etwa fünf Minuten lang mit ihm. Dann sprengte er wieder zu Edward. »Ists möglich, Mr. Waverley,« rief er – »aber reitet doch heran, Oberst Mac-Ivor – – ists möglich, daß ich mich darin geirrt habe, Euch für einen Verehrer von Miß Bradwardine zu halten?... Ich war, wenn auch nicht infolge direkter Benachrichtigung von Euch, meiner Sache doch so gewiß, daß ich heute morgen in dem Gespräch mit Vich-Ian-Vohr geäußert habe, Euer neues Verhältnis müsse doch alle früheren Beziehungen zu Damen unhaltbar machen.« »Königliche Hoheit müssen hier auf Umstände gefußt haben,« sagte Waverley, »die mir vollständig unbekannt sind, wenn mir Dieselben die Ehre erweisen, mich für einen Bewerber, noch dazu einen begünstigten Bewerber um die Hand von Miß Bradwardine zu halten. Die Ehre, die in solcher Auszeichnung liegt, weiß ich vollkommen zu würdigen, aber Anspruch habe ich nicht darauf.« Der Chevalier schwieg einen Augenblick, blickte beiden fest ins Auge, dann sagte er: »Auf mein Wort, Mr. Waverley, Ihr seid der Glückliche nicht, für den ich Euch halten zu sollen meinte. Aber gestattet mir nun, meine Herren, in dieser Angelegenheit Schiedsrichter zu sein, nicht als Prinzregent, sondern als Karl Stuart, als Ihr Kampfgenosse in der gleichen gerechten und kühnen Sache. Ich bitte, laßt meine Ansprüche jetzt ganz außer acht und richtet Euer Augenmerk einzig und allein auf Eure Ehre, und ob es gut und förderlich sein kann, unsern Feinden den Vorteil und unsern Freunden das Aergernis zu schaffen, daß wir, sogar bei unsrer geringen Stärke, nicht einmal die Einigkeit zu wahren vermögen. Erlaubt mir sodann noch den weitern Hinweis, daß die Namen der beiden Damen auf höhere Achtung unserseits Anspruch zu machen haben, als daß wir sie zu einem Gegenstande der Zwietracht zwischen uns machen sollten.« Er nahm Fergus von neuem beiseite und sprach eine Weile mit ihm. Sodann wandte er sich zu Waverley und sagte, er meinte nun, den Oberst Mac-Ivor überzeugt zu haben, daß er sich in einem Irrtum befunden habe, wozu er selbst die bedauerliche Ursache gewesen sei. »Euch, Mr. Waverley, halte ich für einen zu edlen Charakter, als daß Ihr in Euren Erinnerungen etwas von dem beklagenswerten Vorfalle nachtragen könntet, wenn ich Euch jetzt die Versicherung gebe, daß es sich in der Tat so verhält, wie ich Euch gesagt habe.... Euch dagegen, Fergus Mac-Ivor, bitte ich, den Fall Euerm Clan in der richtigen Weise auseinanderzusetzen, damit keine Wiederholung dieses unverantwortlichen Vorfalls sich ereigne.« Fergus verbeugte sich. »Und nun eins noch, Ihr Herren!« schloß der Prinz seine Rede, »macht mir die Freude, daß Ihr Euch einander wieder die Hände zum neuen Bunde reicht!« Kalt und gemessenen Schrittes rückten sie einander näher, jedem sah man es an, daß er nur mit Widerstreben sich fügte, aber sie reichten einander die Hand und gingen mit respektvoller Verbeugung an dem Chevalier vorüber. Eine halbe, Meile lang ritt dieser noch neben dem Mac-Ivors her, sich mit einigen gälischen Worten abmühend zu ihrem Lobe, dann galoppierte er zu Bradwardines Reiterei, ließ sie halten, musterte ihre Tracht und Haltung, unterhielt sich mit den angesehensten Personen aus Bradwardines Umgebung, erkundigte sich nach dem Befinden ihrer Gemahlinnen, spendete den Pferden sein Lob und ritt zuguterletzt noch eine halbe Stunde weit mit dem Baron zusammen und hörte sich drei lange Geschichten vom Feldmarschall Herzog von Berwick an, die der Baron mit dem bekannten Beiwerk von Zitaten und fremdsprachlichen Phrasen zum besten gab. »Ah, Beaujeu, mon cher ami,«» sagte er, als er wieder zu seinem Platz im Zuge zurückgekehrt war, que mon métier de prince errant est ennuyant, par foi!« [Ach, mein lieber Beaujeu, wie ist doch mein Handwerk so ärgerlich, meiner Treu.] Dreiundzwanzigstes Kapitel Karl Stuart ahnte Schlimmes, und seine Ahnung sollte sich erfüllen. Am 5. Dezember hielten die Hochschotten zu Derby Kriegsrat und beschlossen, zum unsäglichen Verdruß ihres jungen Führers, keinen Schritt weiter in England vorzudringen, sondern zurück in ihre Berge zu marschieren. Ohne allen Verzug, ohne auf Gegenreden zu achten, setzten sie ihren Entschluß ins Werk und so schnell, daß es ihnen gelang, sich allen Verfolgungen des Herzogs von Cumberland, der mit einem starken Heere gegen sie anrückte, zu entziehen. Fergus hatte mit Erbitterung gegen diesen Rückmarsch gesprochen und gestimmt, war aber überstimmt worden und hatte sich fügen müssen. Der Rückzug hatte mehrere Tage gedauert, da wurde Waverley zu seiner nicht geringen Verwunderung am 12. Dezember früh in seinem Quartier in einem Weiler halbwegs zwischen Shap und Penrith, vom Häuptling Glennaquoich aufgesucht. Seit seinem Bruch mit ihm hatte Waverley allen Verkehr abgebrochen. Er wartete mit einiger Ungeduld auf eine Erklärung dieses unvermuteten Schrittes. Das Aeußere des Häuptlings nahm ihn sehr wunder. Das wilde Feuer seines Auges war verblaßt, seine Stimme hatte an Schärfe verloren, selbst sein Gang war nicht so elastisch wie ehedem, und seine Kleider schlotterten ihm am Leibe. Er lud Edward zu einem Spaziergange am nahen Fluß ein und verzog den Mund zu einem schwermütigen Lächeln, als er sah, daß Edward sich das Schwert umgürtete. Als sie auf einem einsamen, wilden Uferpfade angelangt waren, brach Fergus in die Worte aus: »Unser schönes Unternehmen ist aus, Waverley! ist gänzlich gescheitert, und ich möchte nun hören, was Ihr zu tun gedenkt. Gafft mich nicht so an! Gestern hab ich verschiedne Briefe von meiner Schwester bekommen. Wären sie früher in meine Hände gelangt, dann wäre uns die Szene, an die ich immer mit Schmerz zurückdenken werde, erspart geblieben. Gleich nachdem uns der Chevalier verlassen hatte, schrieb ich an Flora und ersuchte sie um Aufklärung über den Sachverhalt, und sie hat mir geschrieben, daß es niemals in ihrer Absicht gelegen habe oder habe liegen können, Euch auch nur die geringste Hoffnung zu machen. So muß ich nun vor Euch stehen wie ein blöder Tor.... Arme Flora! sie schreibt noch mit solcher Zuversicht auf unsern Erfolg! wie wird sie die Veränderung der Verhältnisse aufnehmen? welche Erschütterung wird die Nachricht von unserm Rückzug in ihrem Gemüt bewirken!« Waverley, tief gerührt durch den schwermütigen Zug im Wesen des Häuptlings, drang nun in ihn, alles aus seinem Gedächtnis zu verscheuchen, was zwischen ihnen vorgefallen war; sie reichten einander die Hände, diesmal aber mit aufrichtiger Herzlichkeit. Dann fragte Fergus Waverley zum andern Male, was er nun zu beginnen gedächte? »Wäre es nicht am klügsten, Ihr verließet dieses unglückliche Heer und eiltet nach Schottland, so lange Euch noch die Möglichkeit winkt, einen Hafen an der Ostküste offen zu finden? Seid Ihr erst einmal weg von diesem unglücklichen Lande, dann werden Eure Freunde schon für Euch Pardon erwirken. Und wenn ich Euch weiter sagen soll, was mir ein Herzenswunsch wäre, so der: nehmt Rosa und Flora mit und bringt sie in Sicherheit!« Edward sah ihn mit Verwunderung an. »Wie?« rief er, »Ihr könnt mir raten, ein Unternehmen im Stich zu lassen, dem wir beide so lange gedient haben?« »Ich sage Euch ja, bei uns gilt jetzt das Wort: Rette sich, wer kann!« »Warum stimmten aber die Hochschotten für solchen Rückzug, wenn er von solch verderblichen Folgen für Euch alle war?« »O, die pfiffigen Herren meinen, das Köpfen und Hängen und Konfiszieren werde, wie in so häufigen frühern Fällen, vorzugsweise wieder den Adel im Unterlande treffen, sie dagegen würden wieder mit blauem Auge davonkommen, würden ruhig in ihren Festen und in ihrer Dürftigkeit weiter leben dürfen wie bisher; aber diesmal werden sie sich täuschen, denn sie sind schon viel zu oft in Aufstand getreten, als daß man es ihnen auch jetzt wieder hingehen lassen könnte. Diesmal ist John Bull der Schreck zu tief in den Leib gefahren, als daß er noch einmal milde Saiten aufziehen sollte ... Sie würden, weiß der Teufel! selber den Galgen verdienen, wenn sie solche Narren wären, auch nur einen einzigen Clan in den Hochlanden noch mit den alten patriarchalischen Rechten weiter bestehen zu lassen! Mit Stumpf und Stiel werden sie alles ausrotten, was von unsern alten Institutionen noch auf uns gekommen ist!« »Und mir ratet Ihr zur Flucht? während ich doch eher den Tod fände, als mich zu solch schmählichem Rückzug zu entschließen!« sagte Waverley ... »was aber gedenkt Ihr zutun?« »O, mein Schicksal ist besiegelt. Tod oder Gefangenschaft winkt mir, noch ehe es Morgen sein wird.« »Was soll solche Rede, Fergus?« verwies ihn Waverley. »Der Feind ist noch einen vollen Tagmarsch hinter uns, und wenn er herankommt, sind wir noch immer stark genug, ihn aufzuhalten. Denkt doch an den Tag von Gladsmuir!« »Und doch ist, was ich Euch sage, wahr! zum wenigsten was meine Person anbetrifft!« erwiderte Fergus düster. »Aber was berechtigt Euch zu solch trüben Prophezeiungen?« »Ich hab den Bodach Glas gesehen!« sagte Fergus, noch düsterer als bisher.« »Den Bodach Glas? was ist das?« »Ihr waret so lange in Glennaquoich und habt die ganze Zeit nichts gehört vom grauen Geiste? Freilich, gern wird seiner von uns nicht erwähnt!« »Nein, ich habe nie ein Wort von ihm gehört!« erwiderte Waverley. »O, das müßte Euch Flora erzählen. War jener Hügel dort der Benmore und jener lange blaue See, der sich an den Hügeln dort entlang zieht, mein Loch an Ri, dann wär der Rahmen geschickter für die Erzählung vom Bodach Glas! Aber setzen wir uns hier auf diesen Abhang, ich will Euch erzählen, wie es sich verhält um den Bodach Glas.... Als mein Ahnherr Jannan Chaistelt die Grafschaft Northumberland verwüstete, da hatte sich ihm ein gewisser Halbert Hall, ein Häuptling aus dem Süden, angeschlossen. Auf dem Rückmarsch durch das Cheviotgebirge gerieten sie miteinander über die Teilung der Beute in Streit, und die Unterländer wurden bis auf den letzten Mann niedergehauen. Zuletzt fiel auch ihr Hauptmann, mit Wunden bedeckt, durch das Schwert meines Ahnherrn. Seit dieser Zeit ist sein Geist jedem Vich-Ian-Vohr erschienen, so oft ihm ein ernstliches Unheil drohte, immer jedoch, wenn ihm der Tod drohte. Mein Vater hat ihn zweimal gesehen, einmal vor seiner Gefangenschaft auf dem Sheriffmuir, das andre Mal an dem Tage, da er starb.« »Aber Fergus, wie könnt Ihr als vernünftiger Mann an solchen Spuk glauben?« »Ich verlange von Euch nicht, daß Ihr daran glaubt, Waverley, sondern erzähle Euch bloß von einem Umstande, der seit fast dreihundert Jahren sich in unserm Hause zuträgt und der mir in letzter Nacht durch den Augenschein bestätigt worden ist.« »Nun denn, ums Himmels willen weiter!« »Nun, auf die Bedingung hin, daß Ihr die Sache nicht als lächerlich auffaßt, fahre ich fort. Mich hat seit diesem unglückseligen Rückmarsch die Sorge um meinen Clan Tag und Nacht gequält, und nicht minder die Sorge um den unglücklichen Prinzen, den sie nun von Ort zu Ort, wie einen Hund an der Leine, mit zurückschleppen, ob mit, ob ohne seinen Willen, endlich auch die Sorge um mein Haus und meine Schwester. In der letzten Nacht hats mich nicht in meinem Quartier gelitten, und in der Hoffnung, die scharfe Nachtluft werde meine Nerven wieder schärfen, ging ich über den schmalen Steig, der über den Gießbach nahe meinem Quartier führt, und wandelte am Bergeshange auf und nieder ... da sah ich im hellen Mondschein dicht vor mir eine graue Gestalt wandeln, gehüllt in ein graues Plaid, wie sich die Schäfer im südlichen Schottland kleiden, und die Gestalt blieb, gleichviel wohin ich den Fuß setzte, dicht vor mir.« »Wahrscheinlich wars ein Cumberlander in seiner Nationaltracht, der sich in der Nacht irgendwo verspätet hatte?« »Nein. Auch ich dachte es zuerst. Ich war empört über die Frechheit des Kerls. Ich lief ihm nach, ich rief ihn an, aber ich schreckte ihn weder, noch bekam ich Antwort von ihm. Ich fühlte, wie mir das Herz schlug, ich wollte mich überzeugen, was es sei, das mich so verfolgte ... und ich blieb stehn ... und, bei Gott! das graue Gespenst blieb auch dorten stehen, wo ich stand, und immer hielt es den gleichen Abstand, gleichviel, nach welcher Himmelsrichtung ich mich wandte! Da wußte ich, was ich sah, der Bodach Glas wars, was ich sah! Ich schlug ein Kreuz, ich zog mein Schwert, ich hieb nach ihm! Mit dem Rufe: Weiche hinweg! drang ich auf ihn ein ... und da hörte ich es zurückhalten als Antwort: »Vich-Ian-Vohr, hüte Dich vor morgen!« Das Blut erstarrte mir in den Adern. Aber kaum waren die Worte verhallt, da war der graue Geist verschwunden, und ich fand kein Hindernis mehr auf meinem Wege. Nach ein paar Stunden schweren und unruhigen Halbschlummers bestieg ich mein Roß und jagte zu Euch her, um mit Euch ins reine zu kommen. Ich wollte nicht den Boden küssen, ohne von Euch, meinem so lieben und teuren Freunde, noch mit einem Versöhnungskusse geschieden zu sein, ohne ihn um Verzeihung gebeten zu haben wegen des Unrechts, das ich ihm angetan!« Edward fühlte die ganze alte Liebe zu dem urwüchsigen Naturkinde wieder aufleben, und um die trüben Bilder von seinem Gemüte zu scheuchen, erbot er sich, von dem Baron die Erlaubnis zu erwirken, daß er so lange bei ihm im Quartier bleiben dürfe, bis sein Korps heran sei. Hierüber schien der Häuptling eine große Freude zu fühlen, lehnte aber das Anerbieten ab. »Ihr wißt, Waverley, daß wir Mac-Ivors den Nachtrab bilden, daß wir der Gefahr am meisten ausgesetzt sind ...« »Und daß Euch auch die höchste Ehre winkt ...« »Nun, Waverley, so laßt wenigstens Euer Pferd von Eurem Burschen in Bereitschaft halten, falls wir überfallen werden sollten. Ich bin gewiß nicht böse, wenn Ihr mir Gesellschaft leisten wollt.« Der Marsch ging über eine Moorwiese. Die Glieder mußten sich auflösen. Der enge Pfad, der über das Moor führte, gestattete nur den Gänsemarsch. Mann für Mann rückte der Nachtrab in das kleine Dorf des Namens Clifton. Die Wintersonne war untergegangen, und schon begann Edward den Freund mit seiner abergläubischen Furcht zu necken. Dieser aber verwies es ihm ernst. »Noch sind die Iden des März nicht vorbei,« rief er. Und kaum waren diese wenigen Worte über seine Lippen, als ein zahlreicher Reitertrupp sichtbar wurde, der über die, düstre Moorwiese auf einem andern, augenscheinlich breitern Pfade wogte. Fergus wies mit der Hand auf ihn. Dann war er von Waverleys Seite hinweg und an die Spitze seines Zuges gesprengt. Das Dorf war von Mauern eingeschlossen, wie zur damaligen Zeit noch viele, zum Schutz vor Ueberfällen durch räuberische Horden. Fergus ließ die Mauern besetzen und auch die Straße, auf der die feindlichen Leute nur den Zugang gewinnen konnten, sichern. Aber die feindlichen Dragoner schienen zu rücksichtslosem Draufgehen entschlossen, und die Hochländer blieben trotz der inzwischen hereinbrechenden Nacht nicht lange mehr in Ruhe. Ein Kommando schickte sich zum Sturm auf die Mauern an, ein andres versuchte auf der Straße vorzudringen. Aber beide wurden von einem so kräftigen Feuer empfangen, daß ihre Reihen in Unordnung gerieten. Fergus, in seinem Feuerdrange nicht zufrieden mit diesem ersten Erfolge, schwang sein Schwert, und stieß den Schlachtruf seines Clan hervor, und »Claymore! Claymore!« dröhnte es über das Moor. ... Entflammt durch dieses Beispiel seines Häuptlings, warf sich der Clan mitten hinein in den Feind. Und außer stande, dem wilden Ansturm zu widerstehen, flohen die Dragoner zurück über das Moor. Da aber brach der Mond durch die Wolken und zeigte den Feinden die geringe Schar der Clanleute, und neue Schwadronen rückten zur Unterstützung heran, die Fliehenden aufhaltend und gegen die Hochländer von neuem anstürmend. Diese suchten wieder Schutz hinter den Einfriedigungsmauern zu gewinnen, aber ein Teil von ihnen, die sich zu weit in die Feinde hineingewagt hatten, wurde abgeschnitten, mit ihnen der Häuptling. Und noch ehe es den andern gelang, sich wieder bis zu ihnen vorzuarbeiten, waren die meisten in die Pfanne gehauen, und der Häuptling, durch einen Hieb in Schulter und Arm getroffen, gestürzt und überwältigt. Waverley sah noch, wie Evan Dhu und Callum-Beg ihn gegen ein Dutzend Feinde zu verteidigen suchten, dann traf auch Evan Dhu das gleiche Los wie den Häuptling, während Callum-Beg von einem Säbelhieb der Schädel gespalten wurde, der dem Schlag des Häuptlings mit der Pistole noch getrotzt hatte. Waverley seinerseits war außer stande, den Freunden zu Hilfe zu eilen, denn der Mond hatte sich jetzt wieder hinter Gewölk verkrochen, und es war weder Weg noch Steg mehr zu sehen. Mit schwerer Mühe gelang es ihm, sich vor den Dragonern, die nach der Flucht der übrigen Hochländer jetzt das ganze Terrain absuchten, zu verbergen; aber sich bis zu dem eigentlichen Heere derselben weiter zu arbeiten, gelang ihm nicht, und langsam verhallten die Klänge seiner Sackpfeifen in der Ferne. Was aus Fergus geworden war? war er in Gefangenschaft geraten oder gefallen? Waverley wußte es nicht, und während er sann über das Schicksal des Freundes, da fiel ihm der Spuk ein mit dem Bodach Glas, und mit Grausen fragte er sich: Kann denn in diesem seltsamen Falle der Teufel tatsächlich wahrsagen? Vierundzwanzigstes Kapitel Was für Edward noch betrübender war als all das Verhallen der Dudelsackklänge, war der Schall der Pauken und Trompeten der englischen Feindestruppen, der ihm von der Straße her entgegendrang. Er erkannte hieraus, daß sich die letzteren zwischen ihn und die hochländische Nachhut gedrängt hatten. Es blieb ihm also nichts andres übrig, als auf Umwegen zu den Freunden zu gelangen. Ein ausgetretner Fußpfad, der von der Heerstraße nach links zu führte, schien ihm hierzu benützbar, aber der Pfad war weich und lehmig, und bei dem nächtlichen Dunkel, das über der Gegend lag, war es sicher nicht ungefährlich, den Weg über die Moorwiese zu wagen. Aber er ließ solche Erwägungen nicht aufkommen, die Furcht, den Engländern in die Hände zu fallen, überwog alle andern Besorgnisse. Nach einer Stunde Wegs erreichte er endlich ein Dörfchen. In der Dorfschenke herrschte muntrer Lärm. Er lauschte. Da drangen englische Flüche an sein Ohr, und schnell eilte er weiter, an einem kleinen Zaune hin, der ihm einige Deckung bot. Jetzt pries er die Finsternis, die ihn vor den Blicken der Soldaten schützte, die das Dorf besetzt hielten. Der Zaun führte nach einer Weile an einem Bauernhaus vorbei, in welchem, augenscheinlich verdeckt, noch ein trübes Licht brannte. Schon wollte er daran vorüberschleichen, als die Hand, die er vor sich hingestreckt hielt, um sich weiter zu tasten, von einer weichen Frauenhand ergriffen wurde. Gleichzeitig erklang flüsternd eine Stimme: »Edward, bist Dus?« Da waltet doch ein Irrtum ob, dachte Waverley bei sich und wollte seine Hand aus der fremden befreien. »Sei kein Narr, Edward, sonst kriegen Dich die Rotröcke auch noch, sie haben ja schon alles mit weggeschleppt, was an der Schenke vorbei gelaufen ist. Alles wird in ihre Transportwagen gesteckt und zur Festung geschafft. Komm herein und warte bei uns den Tag ab!« Waverley glaubte nun, den Leuten trauen zu dürfen, und folgte dem Mädchen ins das Haus hinein. Aber kaum hatte sie ein Licht angezündet, um über den Flur in die Stube zu leuchten, als ihr vor Schreck, einen fremden Menschen vor sich zu sehen, das Licht aus der Hand fiel und sie angstvoll aufschrie: »Ach, Vater, Vater!« Ein handfester Pächter, schon bei Jahren, kam auf den Ruf hin aus der Stube gerannt. Sein Anzug, die lederne Hose, die über den bloßen Beinen saß, und das Westmoreländer Staatsgewand, sein härenes Hemd, in dem er sich zeigte, und die nackten Beine ließen vermuten, daß er eben aus dem Bett gefahren war. In der Rechten schwang er ein Schüreisen als Waffe, das er vom Boden aufgerafft hatte. »Mädel, was ist Dir denn?« fragte er barsch. »Ach,« rief das arme Ding, vor Angst schier außer sich, »ich hab gedacht, Ned Williams seis, und nun ists einer von den Plaidleuten.« »So? der Ned seis hast gedacht? Na, was hast denn zu solcher Nachtzeit mitm Ned zu schaffn?« fragte brummig der Pächter. Auf diese Frage, die wahrscheinlich auch manch andres Persönchen femini generis aus dem Konzept gebracht hätte als solch schlichtes Dorfmädel, erfolgte keine Antwort, bloß Schluchzen wurde vernehmlich. »Na, und Du, Kerl,« wandte der Pachter sich an Waverley, »Du wirsts wohl spitz gekriegt ham, daß die Rotröck das Dorf in Beschlag ham? he? die spalten Dir doch 'n Schädel wie 'ne Kohlrübe, wenn sie Dich erwischen!« »Ich weiß, daß mein Leben in schwerer Bedrängnis ist,« erwiderte Waverley, »aber wenn Ihr mir helfen könnt, dann bitt ich drum, ich wills Euch reichlich lohnen. Ich bin kein Schotte, sondern ein Engländer, und durch allerhand unglückliche Umstände in solche Not geraten.« »Magst du Schotte sein oder keiner,« versetzte der brave Pächter. »Ich gehör nit zu denen, die andre Leut noch mehr in die Patsche bringen. Aber lieber wärs mir schon, du wärst auf der andern Wandseite. Hier sind die Rotröcke jetzt obenauf. Gestern hats noch von Plaidmännern hier gewimmelt. Waren ganz fidele Kameraden, haben sich auch manierlich betragen und alles bezahlt, was sie verzehrt ham im Dorfe. Da war nichts zu tadeln, so wild sie auch aussahn. Aber ein alter, dürrer Kerl, der hat sie stramm in Räson gehalten, das muß man sagen. Eine Freude wars, das mit anzusehn.« Er hieß die Tochter das Feuer schüren und ein Nachtlager herrichten. Inzwischen schob er den Tisch in einen Winkel, wohin der Feuerschein nicht reichte, dann legte er Brot und Schinken auf den Tisch und forderte Waverley auf, »derb einzuhauen«, indem er meinte, der Magen würde ihm wohl »verteufelt schief hängen nach solcher Affäre.« Waverley ließ sich nicht nötigen. Er drückte dem wackern Manne warm die Hand. Die Tochter brachte auch einen Krug kräftigen Doppelbiers, das dem halbverdursteten Plaidmann trefflich mundete. Als sich Waverley gestärkt hatte, fragte der Pächter, was er nun anzufangen dächte, wenn die Nacht vorbei sei? »Das Gescheitste wär,« sagte er, »sich ordentlich auszuschlafen und dann zu warten, bis die Rotröcke sich verzogen hätten, was wohl im Lauf des Vormittags der Fall sein dürfte, dann je nach den Nachrichten, die man bekäme, zu versuchen, ob es noch möglich sei, sich zum Hochländertrupp durchzuschlagen.« Dann führte ihn der Mann zu einem zwar groben, aber reinlichen Bett, und Edward schlief ungewiegt ein. Am Morgen verlautbarte, daß die Hochländer nach Penrith abgezogen seien, daß sie aber schon vor den Cumberlandtruppen nicht hätten stand halten können. Sie stünden noch in Carlisle, aber die ganze Gegend wimmle jetzt von britischen Soldaten, und an ein Durchkommen in dieser Richtung sei nicht mehr zu denken. Hierauf wurde der »rechte Edward« zu Rate gezogen, den das Mädchen am Morgen vor der Hütte getroffen hatte. Er meinte, das beste würde sein, wenn Edward Bauerntracht anlegte und zusammen mit ihm nach Ulswater hinüber marschierte zu seinen Eltern; dort würde er sicher bleiben können, bis es ruhiger im Lande geworden sei. Die zur Verkleidung notwendigen Sachen wurden bald beschafft. Edward gab der Pächterstochter, da der Vater nichts annehmen wollte, eine reichliche Entschädigung für Speise und Trank und für das Nachtquartier. Dann brach er nach herzlichem Abschiede mit Ned auf einem Seitenpfade auf über die Gefilde, die tags vorher der Schauplatz des blutigen Treffens gewesen waren. Ein kurzer Strahl der kalten, hellen Dezembersonne beleuchtete die düstre Heide. Leichen von Menschen und Pferden deckten sie, über denen schon das gewöhnliche Schlachtengefolge, Krähen, Habichte und Raben, sich zu sammeln anfing. Und da gedachte er des ehrgeizigen Freundes mit seinen hochfliegenden Plänen, der, sofern nicht alles trügte, hier ewige Ruhe gefunden hatte, und bei diesem letzten Gedanken traten ihm heiße Tränen in die Augen. »Hier also,« sprach er bei sich, »ist das alte Geschlecht der Vich-Ian-Vohr erloschen, hier auf dieser namenlosen Heide, in einem Nachtkampfe ist der Feuergeist erkaltet, der sich mit dem stolzen Gedanken trug, seinem angestammten Herrn den Weg zum Throne Englands zu bahnen? Hier fanden Ehrgeiz und Tapferkeit das Schicksal alles Sterblichen! Hier gingen alle Tränen zu Grabe, die Dein Herz erfüllten, nicht bloß für Deine, sondern auch für Deiner Schwester Zukunft, der einzigen, der wohl Deine Liebe gehörte, deren Geist, stolz und kühn, wie der Deine, gleichen Zielen zustrebte, der gleich Dir die dem Menschen gezognen Schranken zu eng waren!« Er sagte dem Begleiter, daß er einen kurzen Gang über die Heide machen wolle. Er konnte nicht anders. Es hielt ihn nicht, er mußte wissen, ob Vich-Ian-Vohrs Leiche den Platz deckte. Es drängte ihn unwiderstehlich hinaus. Hätte er, wenn Vich-Ian-Vohr unter den Leichen lag, vom Platze eilen können, ohne ihm die letzte Ehre zu erweisen? ... Sein Begleiter versteckte sich hinter einem Gebüsch und versprach zu warten. Hier unter der Landbevölkerung noch streng patriarchalischen Sinnes gab es keine Hyänen des Schlachtfelds, aber die Nachzügler des englischen Heeres hatten den Toten geraubt, was sie von Wert noch bei sich hatten. Etwa sechzig bis siebenzig Dragoner deckten das Schlachtfeld, verstreut an der Mauer, wo der Kampf am heißesten getobt hatte, verstreut über der moorigen Heide, wo die Kugeln der Hochländer sie erreicht hatten. Und dann kam er an das kleine Häuflein der Tapfern, die in ihren Plaids den Todesstreich erlitten, den letzten Kampf gekämpft hatten.... Aber den er suchte, fand Waverley nicht. Auf einer kleinen Bodenerhöhung sah er neben den Leichen von etwa einem halben Dutzend britischer Dragoner die Leiche Callum-Begs liegen, aber weder von Fergus, dem Häuptling, noch von Evan Mac Dhu, dem Fähnrich, war die geringste Spur! Sein Clan konnte die Leichen der beiden nicht hinweggenommen haben, das war ausgeschlossen, denn es konnten dem Gemetzel nur wenige entronnen sein; und daß es ihm gelungen sei zu fliehen, war ebenso wenig zu glauben, denn Waverley hatte ihn ja zuletzt noch inmitten feindlicher Haufen gesehen; also war er gefangen? gefangen mit seinem Fähnrich, dem getreuen Evan Mac Dhu? ... War die Prophezeiung des Bodach Glas in solcher Weise erfüllt worden? ... Ein englisches Kommando trat in Sicht, das ein paar Bauern vor sich hertrieb, wahrscheinlich um sie zur Bestattung der Toten zu zwingen. Edward eilte, seinen Führer wieder zu erreichen, der voll Angst und Unruhe hinter seinem Busche lauerte. Der Weg bis zu dem Pachthof von Williams' Eltern in Ulswater war in Zeit von sechs Stunden ohne weitere Zwischenfälle zurückgelegt worden. Edward fand bei den Leuten freundliche Aufnahme. Er wurde für einen Vetter ausgegeben, der sich dem geistlichen Beruf widme, aber sich so lange hier aufhalten wolle, bis der Bürgerkrieg ausgetobt habe. Das war ein plausibler Vorwand, gegen den bei keinem der Leute im Dorfe ein Verdacht aufkam, und das war um so besser, als sich der Aufenthalt Waverleys infolge eines heftigen Schneesturms, der durch das Land fegte, um mehrere Tage länger erstreckte, als zuerst angenommen worden war. Als die Wege wieder gangbar geworden waren, erfuhr man, daß der Chevalier sich wieder nach Schottland ins Gebirge geflüchtet habe, daß der Herzog von Cumberland Carlisle belagere, und daß auf der östlichen Grenze der Marschall Wade mit einem starken Korps im Anmarsch begriffen sei. Fünfundzwanzigstes Kapitel So mußte Edward die Zeit bis Ende Januar in dem einsamen Pachthofe weilen. Die Trauer, die sein Gemüt erfüllte, erregte bei den biedern Menschen, deren Herz noch humanes Empfinden kannte, inniges Mitgefühl, und man gab sich alle Mühe, Waverley aufzuheitern und zu zerstreuen. Eine kleine Abwechslung in sein eintöniges Leben brachte die Hochzeit zwischen Ned Williams und Cily Jopson, der Pächterstochter von Penrith, der er die eigentliche Rettung zu verdanken hatte. Aber aus Rücksicht auf die noch immer nicht ungefährliche Lage ihres Gastes wurde die Hochzeit in aller Stille gefeiert. Der Geistliche, der die jungen Leute getraut hatte, fand an Waverley, der ihm als angehender Amtskollege vorgestellt worden war, soviel Gefallen, daß er schon am andern Tage wiederkam, um sich mit ihm zu unterhalten. Zum Glück beschränkte er sich auf weltliche Gegenstände und berührte die Amtsgeschäfte und theologischen Fragen nicht, sonst hätte es leicht offenbar werden können, daß Waverley alles andre, bloß kein Studiosus der Theologie war. Aber der Geistliche brachte ein Zeitungsblatt mit auf den Pachthuf hinaus, in welchem Edward eine Nachricht las, die ihn jäh taub gegen alles machte, was der Geistliche mit ihm redete. »In seinem Hause, Berkeley Square, Hill Street, starb am 10. ds. Mr. Richard Waverley, Esquire, zweiter Sohn des Sir Giles Waverley, Esq. von, auf und zu Waverley-Würden, ec. ec. Eine abzehrende Krankheit, durch den auf ihm ruhenden Verdacht hochverräterischer Umtriebe verschlimmert, hat ihn vor der Zeit hingerafft. Die Beerdigung erfolgt in aller Stille, da auch auf dem Haupte des ältern Bruders, Sir Everard Waverley, die gleiche Anschuldigung schwebt. Wie wir vernehmen, wird diesem letzten Sprossen eines unserer ältesten Geschlechter im nächsten Monat der Prozeß gemacht werden, sofern sich nicht Edward Waverley, Sohn des verstorbnen Richard Waverley, dem Gerichte freiwillig stellen sollte. In diesem Falle ist es, wie von informierter Seite verlautet, unsers gnädigsten Monarchen Absicht und Wille, jede weitere Untersuchung gegen Sir Everard einstellen zu lassen. Es verlautet, daß dieser übelberatne junge Mann im Dienst und Solde des Prätendenten die Waffen gegen England erhoben habe und mit dem Heere der Hochländer in England eingefallen sei. Es ist jedoch seit dem Treffen bei Clifton noch nichts wieder über ihn und von ihm verlautet.« »Gerechter Gott!« rief Edward aus, »also auch Vatermörder noch! Nein, nein! das ist nicht möglich, nicht möglich! wie sollte meinem Vater, der sich sein ganzes Leben so wenig um mich bekümmert hat, mein Schicksal in diesem letzten Jahre so nahe gegangen sein, daß es sein Ende beschleunigt haben sollte. Nein, nein! solcher Gedanke ist zu schrecklich, ihm nachzuhängen. Aber mehr noch als Vatermord würde auf mir lasten, wenn mich die Schuld träfe an irgend welcher Gefahr, die über meinem Oheim und edlen Wohltäter schwebt, der mir zeit meines Lebens mehr war als ein Vater, dem ich alles verdanke, was ich an Glück und Freude im Leben genossen habe!« Waverley erklärte seinen Freunden auf der Stelle, daß er nach London eilen müsse. Aber an einen Umstand, der von nicht geringer Bedeutung war, hatte er nicht gedacht. Als er von Tully-Veolan seinerzeit aufgebrochen war, hatte er seine Börse noch reichgespickt mitnehmen können. In dieser ganzen Zeit, die seitdem verstrichen war, hatte er kein einziges Pfund mehr hinzutun können, sondern hatte nur immer aus ihr genommen. Kein Wunder, daß sich eine erschreckliche Leere darin zeigte, wenngleich er sich immer nur auf die nötigsten Dinge beschränkt hatte. Aber er merkte, als er seine Rechnung bei den freundlichen Pächtersleuten beglichen hatte, daß er nicht mehr reich genug sei, um Postpferde bezahlen zu können, sondern sich auf einen Deckplatz im Omnibus beschränken müsse, der von Boroughbridge an der großen nördlichen Heerstraße über Edinburg ganze drei Wochen bis London brauchte. Aber es blieb nichts andres übrig. Waverley verabschiedete sich von den Pächtersleuten und machte sich in einer seinem gesellschaftlichen Stande besser angepaßten Kleidung auf den Weg nach Boroughbridge. Dort fand er in dem nächst abfahrenden Omnibus noch einen Deckplatz, und zwar gegenüber einer muntern Dame in den Fünfzigern, die sich als eine Mrs. Rosebag, Ehefrau des Leutnants Rosebag im ... schen Dragonerregiment, entpuppte. Sie trug ein blaues, mit scharlachnen Litzen und Aufschlägen besetztes Reitkleid, da ihr Mann zugleich Adjutant und Reitlehrer im Regiment war, und schwang in der Hand ziemlich auffällig die Reitgerte. Frau Rosebag gehörte zu den redseligen ihres Geschlechts, die immer die Kosten der Unterhaltung zu tragen lieben. Sie kam aus dem Norden und erzählte Edward sogleich, daß ihr Regiment das Gesindel in Schurz und Rock »ganz heillos in die Pfanne gehauen hätte«. Dann schwatzte sie weiter: »Bloß einmal in einem der morastigen Striche, von denen es in Schottland mehr gebe als festes Land, sei mal ihr schmuckes, kleines Regiment »böse ins Pech geraten«, wenigstens habe ihr Mann ihr das so erzählt ... aber sagen Sie doch, mein Herr, haben Sie denn nicht auch bei den Dragonern gestanden?« Waverley kam die Frage so unverhofft, daß er unwillkürlich ja darauf sagte. »Na,« versetzte die Dame, »das hab ich mir doch gleich gedacht! das sieht man ihnen doch auf den ersten Blick an! Aber wo haben Sie denn gedient?« Das war eine heikle Frage. Aber Waverley sagte sich, die Frau eines Leutnants und Adjutanten und Reitlehrers würde doch die ganze Rang- und Armeeliste auswendig kennen, und antwortete deshalb kurzweg: »Bei den G.'schen Dragonern.« »So, so! bei denen, die bei Preston, wie mein Mann mir sagte, so flott retirierten! ... Da sind Sie wohl auch mit dabei gewesen?« »Ja, liebe Frau, auch mir war es leider beschieden, Zeuge dieses Vorfalls zu sein!« »So? na, viel Ehre, viel Ehre!« lachte die Soldatenfrau, die Waverley zu allen Teufeln wünschte. »Na, jetzt sind wir in Ferrybridge, da ist ein Kommando von uns zurückgeblieben, um die Büttel und solches Volk, das die Pässe kontrolliert und noch fleißig hinter dem Rebellengesindel her ist, zu unterstützen bei dieser manchmal, wie man hört, nicht ganz leichten Arbeit. ... Da kommt ja schon Sergeant Bridoon, eins von meinen Schlafhammelchen, wie Rosebag immer sagt, aber sagen Sie doch mal, wie heißen Sie denn eigentlich, mein lieber Herr?« »Butler, Madame!« schrie Waverley sie an, der lieber den Namen eines Kameraden als einen andern sagen wollte, der in der Armeeliste nicht stände. ... denn grade das hätte eher als alles andre zur Entdeckung führen können. »Butler? Butler? ... Ach, da haben Sie doch die Schwadron bekommen von dem durchgebrannten Halunken Waverley?« rief die Frau, »der zu den Rebellen übergetreten ist? Da wärs mir schon lieber gewesen, der alte Crump wäre durchgebrannt ... da hätte doch mein Rosebag die Schwadron gekriegt!« Sechsundzwanzigstes Kapitel Endlich kam Edward in London an. Es war in der Abendstunde, und er setzte sich sogleich in einen Fiaker und ließ sich nach der Wohnung des Obristen Talbot fahren, die sich im Westen, an einem der Hauptsquares, befand. Seit seiner Verheiratung war derselbe durch verschiedne Erbschaften in den Besitz eines bedeutenden Vermögens gelangt und lebte im Stile der vornehmen Welt von London, war auch reich an den besten Beziehungen zur Regierung und zu deren damals tonangebenden Persönlichkeiten der politischen Welt. Der Oberst saß grade bei der Tafel, als er sich melden ließ. Lady Emily, von ihrer kaum überstandnen Krankheit noch etwas blaß, saß ihm gegenüber. Kaum hörte er Waverleys Stimme, als er aufsprang und ihm mit den Worten entgegeneilte: »Aber, Frank, bester Junge! was bringt Dich hierher?« Dann wandte er sich zu seiner Frau: »Liebe Emily, unser Vetter Stanley!« Die Dame hieß ihn willkommen, aber die zitternde Hand und ihre unsichre Stimme verrieten deutlich, wie sehr sie betroffen war. »Das wundert mich, Frank,« sagte der Obrist wieder, als man sich zur Tafel gesetzt hatte, »daß Eure Aerzte Euch haben laufen lassen, und obendrein hierher nach London, wo doch für Euch die ungesündeste Luft herrscht. Ich meine, es wäre gescheiter gewesen, Ihr hättet das nicht riskiert! Indessen ist es mir schließlich ganz recht, daß Ihr Euch wieder mal sehen laßt. Bloß meine ich, auf langes Beisammensein wird sich nicht rechnen lassen.« »Mich hat ein ganz besondrer Anlaß hergeführt," stotterte Waverley.« »Das konnte ich mir denken,« versetzte der Oberst, »aber, wie gesagt, wir werden uns mit unsern Angelegenheiten ein wenig beeilen müssen... Spontoon,« wandte er sich zu seinem Diener, dem äußern Habitus nach zu urteilen, einem pensionierten Soldaten, »trag das da hinaus, und komm erst herein, wenn ich Dich rufe. Laß auch niemand jetzt zu mir! Ich habe mit meinem Vetter wichtige Dinge zu besprechen.« Kaum hatte sich der Diener entfernt, als der Oberst auf Waverley zueilte und ihn bei beiden Händen nahm. »Um Gottes willen, Mensch!« rief er, »was fällt Euch ein, hierher zu kommen? Das ist ein Streich, den Ihr mit Eurem Leben büßen könnt!« »Aber, lieber Waverley,« flüsterte jetzt auch die Dame, »wie konnten Sie so unvorsichtig sein?« »Mein Vater... mein Oheim... hier diese Nachricht,« stotterte Waverley, indem er dem Obersten den Zeitungsausschnitt gab, den er von dem Geistlichen in dem kleinen Dorfe, wo er bei den Williams'schen Pächtersleuten sich verborgen hielt, bekommen hatte. »Hol der Teufel diese Hundsfötter von Zeitungsschreibern,« rief der Oberst. »Daß Euer Vater gestorben ist, Waverley, trifft allerdings zu. Aber von dem Senf, der von seinen sogenannten unangenehmen Situationen gemacht wird, Waverley, ist kein Wort wahr. Es tut mir ja leid, das sagen zu müssen, aber es wird Euern Schmerz, und, was noch wichtiger ist, Euer Gewissen erleichtern, und drum, mach ich kein Hehl draus. Euer Vater hat sich weder um Euch noch um seinen Bruder, Euern braven Oheim, auch nur einen Deut in seinem ganzen Leben gekümmert, sondern ist immer bloß seine eignen selbstischen Wege gewandelt. Erst letzthin, als ich ihn traf, sprach er sich zufrieden aus darüber, daß ich die Sache mit Euch in die Hand genommen hätte, weil ihn das jeder Bemühung überhöbe und in die Lage setze, mit der Regierung für sich selbst zu paktieren.« »Und mein Oheim? ... mein lieber, guter Oheim?« »Sir Everard ist aus aller Gefahr. Was hier steht, lief wohl vor ein paar Wochen als Gerücht herum, ist aber falsch. Euer Oheim ist wieder in Waverley-Würden, und bis auf die Dinge, die Euch betreffen, von aller Unannehmlichkeit erlöst. Aber Ihr, Waverley, schwebt in schwerer Gefahr, Euer Name steht auf jedem Erlasse, und es sind Haftbefehle, wohl an ein halbes Dutzend, gegen Euch erlassen. Aber wie und wann seid Ihr hierher gekommen?« Edward erzählte all seine Abenteuer, nur den Zwist mit dem Häuptling verschwieg er, weil er dem Obersten keinen Anlaß geben wollte, gegen die Hochländer, die er noch immer in Ehren hielt, loszuwettern. »Die Geschichte mit Eurer Reisegefährtin gefällt mir gar nicht,« sagte der Oberst, »ich glaube ganz bestimmt, heut abend ists in der ganzen Stadt herum, daß sie mit dem Leutnant Butler gefahren sei, der sich aber als ein ganz andrer, als der Deserteur Waverley, entpuppt habe.« »Ist Euch denn die Frau bekannt?« fragte Waverley. »Ihr Mann ist vor sechs Jahren als Sergeantmajor in meiner Kompagnie gewesen. Sie war Witwe und hatte ein bißchen Geld, da heiratete sie Rosebag. Die beiden Leute haben es ganz hübsch vorwärts gebracht, aber sie ist eine Schwatzliese und vorlaute Person sondergleichen. Morgen seid Ihr unpaß und bleibt auf Eurer Stube. Meine Frau wird Euch pflegen, und wenn Ihr sonst etwas braucht, dann ruft mich oder Spontoon. Allen im Hause gegenüber geltet Ihr, das sei nicht außer acht gelassen, als Frank Stanley, mein Vetter.« Am andern Morgen war der Oberst in aller Frühe bei Waverley. »Ich kann Euch gute Nachricht bringen,« sagte er, »von der Anschuldigung wegen Meuterei seid Ihr freigesprochen worden, die Untersuchung hat in ihrem weitern Verlaufe Günstiges für Euch ergeben. Von Belang hierfür sind hauptsächlich die Aussagen eines Geistlichen, namens Morton, gewesen, der Euch beim Major Melville kennen gelernt hat in Cairnvreckan. Sodann ist Euer Räuber aus der Grotte, Donald Dean Lean oder wie er heißt, in die Hände der Philister gefallen. Bei einem Diebstahl, den er vorgehabt hat bei einem Laird Killan ...« »Killancureit,« fiel ihm Waverley ins Wort. »Ganz recht. Es mag wohl ein großer Landwirt oder so was sein,« versetzte der Oberst ... »aber wahrscheinlich kein sehr tapfrer Bursche, denn er hatte wohl Wind bekommen, daß ihm die Bande einen Besuch abstatten will, und um ein Kommando Militär ersucht. So war der Bandit dem Löwen grad in den Rachen gerannt. Er wurde natürlich zum Tode durch den Galgen verurteilt, aber es wurde ihm Gelegenheit gegeben, sich das Gewissen zu erleichtern, und dazu schickte man ihm eben den Morton. Und der Mann, das muß man sagen, hat seine Sache großartig verstanden. Ihm und dem Major Melville, offenbar einem sehr wohlwollenden und einsichtsvollen Manne, hat nun Donald all seine Intrigen mit dem Sergeanten Houghton offenbart, die Ursachen erklärt, die ihn dazu bestimmt hatten, auch die Art und Weise, wie er alles eingeleitet hatte, auseinandergesetzt, und daraus hat sich denn ergeben, daß Euch hierbei gar keine Schuld trifft. Er hat auch erzählt, daß er es gewesen sei, der Euch aus den Händen des Kameroniers Gilfillan befreit habe, um sich bei dem Präten – Chevalier, wollt ich sagen – in ein gutes Licht zu setzen, daß er Euch auf dessen Befehl nach dem Schlosse Doune geschafft habe, von wo aus Ihr dann, ebenfalls wieder als Gefangner, nach Edinburg geschafft worden seiet. Das sind natürlich Umstände, die erheblich zu Eurer Entlastung sprechen. Donald hat auch noch bekannt, daß er für diese Dienste sehr gut bezahlt worden sei, aber von wem, das wollte er nicht sagen, es würde ihm ja sonst auch darauf nicht ankommen, aber er hatte es auf seinen Dolch geschworen, hierüber zu schweigen, und dagegen zu verstoßen sei nicht möglich.« »Und was ist aus ihm geworden?« »In Stirling haben sie ihn mitsamt seiner Bande aufgeknüpft, ihn aber an einem Galgen, der um ein paar Meter höher war als die, an denen seine Untergebnen baumeln mußten.« Da kam Spontoon voll Angst in das Zimmer gestürzt. »Er habe bei einem alten Regimentskameraden grade die Frau Rosebag getroffen, die sich fuchsteufelswild dort gezeigt habe. Weil sie herausbekommen hätte, daß ihr Reisebegleiter nicht ein Kapitän Butler, sondern der Ausreißer Waverley gewesen sei, und weil sie nun um die ausgesetzte Prämie sei; sie böte Himmel und Hölle auf, zu ermitteln, wohin sich der Ausreißer in London gewandt habe.« Das war ein Vorfall, der leicht dem Obristen, wie auch dem Flüchtling und dessen Oheim gefährlich werden konnte. Wohin aber sollte sich Edward nun wenden? Dieser war schnell schlüssig. »Zurück nach Schottland,« sagte er kurz entschlossen. »Nach Schottland? und zu welchem Zwecke?« fragte der Oberst, »doch nicht, um mit den Rebellen von neuem anzufangen?« »Nein, keinesfalls,« erwiderte Waverley, »meine Rolle als Soldat sehe ich für gründlich ausgespielt an. Die Hochländer sind auf alle Fälle wieder in ihren Bergen und rüsten zum Winterfeldzuge. Da wäre ich ihnen bloß hinderlich. Außerdem halten sie sich jedenfalls bloß noch im Felde, um dem Chevalier die Flucht aus England zu ermöglichen und dann für sich selbst in Unterhandlungen zu treten. Hierzu brauchen sie mich ganz sicher nicht. Dagegen sind wohl andre Personen, die meiner bedürftig sein können, noch in Edinburg, und dieser Pflichten möchte ich mich entledigen ...« »Also hatte meine Frau doch recht, als sie meinte, es sei auch ein bißchen Liebe mit dabei? ... Nun, hoffentlich hats Euch nicht diese Miß Glenna – – ich kann den Namen nicht über die Zunge bringen – –« »Bewahre, Herr Oberst.« »Na, die andre will ich mir eher gefallen lassen, ein einfacher Sinn läßt sich modeln, aber Hoffahrt und Dünkel nie. Gut, ich will Euch nicht die Courage rauben, ich denke auch Sir Everard wird nicht nein dazu sagen, nach den Aeußerungen zu urteilen, die er, wenn ich darüber gescherzt habe, mir gegenüber getan hat. Bloß der unausstehliche Baron mit seinen Sandalen und seinem Schnupftabak und seinen fremdsprachlichen Brocken, der würde mich stören ... aber das ist Eure Sache und geht mich nichts an ... umflattert Euer Herz nun einmal diese schottische Rosenknospe, dann habt Ihr ja den Trost, daß der Baronet eine hohe Meinung von ihrem Vater und seiner Familie hat, und Euch sehr gern verheiratet sehen möchte. Immerhin will ich mal bei ihm horchen und Euch dann, da Ihr mit ihm oder mir in schriftlichen Verkehr noch immer nicht treten dürft, die Kunde persönlich nach Schottland überbringen.« »Wirklich? Aber was könnte Euch bestimmen, noch einmal die Reise noch Schottland zu unternehmen? Die Sehnsucht nach seinen Bergen doch ganz gewiß nicht!« Nein, auf mein Wort nicht! Aber meine Frau ist wieder hergestellt und viel Hoffnung auf glückliche Erledigung des Geschäfts, das mir jetzt vor allem am Herzen liegt, habe ich nicht, wenn ich mit dem Generalissimus unsrer Truppen nicht an Ort und Stelle persönlich verhandle. ... Aber ich verlasse Euch jetzt auf ein paar Stunden, weil ich verschiedenes für Eure Abreise noch in Ordnung zu bringen habe. Ueber die Zimmer meiner Frau hinaus habt Ihr nicht Bewegungsfreiheit. Das wollt Ihr, bitte, nicht vergessen!« Zwei Stunden war der Oberst abwesend. Als er zurück ins Zimmer trat, sagte er: »Lieber Edward, es ist nun alles in Ordnung. Ihr reist also als Frank Stanley, und zwar brecht Ihr schon morgen in aller Frühe auf. Spontoon soll mit Euch reisen. Bis Huntingdon nehmt Ihr Postpferde, Spontoon ist auf der ganzen Strecke gut bekannt, jeder hat ihn als meinen Diener schon wiederholt gesehen, und in Huntingdon trefft Ihr meinen Neffen, den richtigen Frank Stanley, der in Cambridge studiert. Als es um Emilys Gesundheit noch schlecht stand und ich noch nicht genau wußte, ob ich die Reise nach Schottland würde ausführen können, besorgte ich ihm einen Paß vom Staatssekretär, weil er statt meiner dann hätte reisen müssen. Da er sich in der Hauptsache bloß nach Euch umsehen sollte, ist seine Reise jetzt unentbehrlich. Dagegen könnt nun Ihr seinen Paß benützen. Frank kennt Eure Abenteuer, es gelingt Euch zusammen vielleicht, noch einen andern Plan auszutüfteln, wie sich die Gefahr solcher weiten Reise für Euch mindern läßt. Und nun noch eins,« sagte er, indem er aus dem Sekretär ein Saffiankästchen nahm, »Euer Vater hat mir, für den Fall seines Ablebens, die Sorge um Eure Zukunft anvertraut und mir ein Barvermögen in Höhe von 5000 Pfund ausgefolgt. Außerdem geht auf Euch die Besitzung Brerewoodge über, Ihr besitzt also ein sehr hübsches Vermögen, Waverley. Anbei behändige ich Euch zweihundert Pfund in Wechseln auf die Plätze, durch die Euch der Weg führt. Außerdem nehmt hier noch zweihundert Pfund bar. Sollten es die Verhältnisse bedingen, so könnt Ihr jederzeit über weitres verfügen. ... Und nun, Waverley, gute Reise! Ihr brecht wie gesagt, in aller Frühe auf, wir sehen uns also zunächst nicht wieder. Glücklichen Erfolg für all Eure Pläne!« In Huntingdon traf er Frank Stanley, wie verabredet worden war. Die beiden jungen Männer wurden schnell miteinander bekannt. Frank behändigte Waverley unter ein paar scherzhaften Worten den auf seinen Namen lautenden Paß, ließ sich dann von ihm noch alles mögliche aus seinem Feldzuge erzählen, sogar den Dudelsackmarsch vorpfeifen und einen Hochländertanz vortanzen. Und am andern Morgen ritten die neuen Freunde zusammen noch eine Station weiter, wenn auch ungern, aber Spontoon als alter Soldat mochte von Insubordination nichts wissen. Siebenundzwanzigstes Kapitel An der Grenze von Schottland, die Waverley mit Postpferden ohne weitere Abenteuer erreichte, von einigen Fragen abgesehen, auf die sein Paß die Antwort erteilte, erfuhr er die Hiobspost von der für die Hochländer so unglücklichen Schlacht bei Culloden, die den Chevalier zum vogelfreien Flüchtling machte und seine Anhänger dem Kerker und Schafott überlieferte. Wo war der schwärmerische, stolze Fergus mit seinen hochfliegenden Plänen? wo der edel gesinnte, gebildete Baron von Bradwardine? Und Rosa und Flora, die sich, Rettung suchend, nach ihren gefallnen Säulen umsahen und sie nicht fanden, welcher Jammer mochte ihre Herzen erfüllen ob dieses herben Verlustes, ob der schweren Lage, in die sie nun gestürzt waren? Lebhaft erschüttert von diesen Gedanken, beschleunigte er seine Fahrt, so schnell es irgend anging. In Edinburg angekommen, fühlte er erst die große Schwierigkeit seiner Lage. Viele der Stadtbewohner hatten ihn als Edward Waverley gekannt, was konnte ihm also hier ein Paß auf Frank Stanley nützen? Nichtsdestoweniger mußte er ein paar Tage hier warten, bis ihn der Brief des Obersten Talbot erreicht hatte, worin er Meldung finden wollte, wie sich die weitern Dinge in London bezüglich der wider ihn noch in Kraft befindlichen Haftbefehle gestaltet hätten. Für diesen unter seinem falschen Namen eintreffenden Brief war es notwendig, eine Abholungsstelle bei der Post zu ermitteln, und zu diesem Behufe machte er sich noch in der Dunkelstunde, sich da sicherer wähnend, auf den Weg. Aber nur wenige Schritte war er auf der Straße gegangen, als er sich am Rocke gezupft fühlte. Als er sich umdrehte, sah er zu seinem Erstaunen das wohlbekannte Gesicht der Frau, bei der Fergus im Quartier gelegen hatte. »Gott im Himmel!« flüsterte die Frau, »seid Ihrs denn wirklich, Mr. Waverley? Ach, vor mir braucht Ihr Euch doch nicht zu fürchten! Ich verrate doch niemand, der in solcher Lage ist wie Ihr!... Aber wie hat sich doch alles geändert! wie lustig und guter Dinge waren die beiden jungen Herren immer bei mir... und jetzt ist alles so leer und öde!« Waverley hielt es für besser, der Frau gegenüber nicht Versteck zu spielen, sondern sich ihr zu erkennen zu geben. Aber er verhehlte ihr auch nicht die Gefahr seiner Lage. »Es ist ja jetzt schon finster, Herr,« sagte die Frau, »wärs da nicht am klügsten, Ihr kämt wieder mit hinauf in das alte Quartier des Obristen Mac-Ivor und tränkt eine Tasse Tee bei mir? Wenns Euch recht ist, könntet Ihr ja auch, so lange Ihr hier bleibt, bei mir wohnen, Ihr seid da doch noch am allersichersten aufgehoben, denn meine alten beiden Mädchen sind mit zwei Dragonern weggelaufen, die dummen Dinger, und die beiden neuen kennen Euch nicht.« Waverley war froh, daß es sich so günstig traf, und nahm das Anerbieten an. Das Herz klopfte ihm, als er in das alte Stübchen trat, wo er mit dem Freund so oft geweilt hatte. »Ach, ach,« jammerte die gute Frau, »es war doch ein gar so guter Mann, der Oberst Fergus, und nun muß er so viel und so schwer leiden!« »Leiden?« fragte Waverley, »wo weilt er? was ist mit ihm?« »Ach, wißt Ihrs denn nicht?« rief die Frau. »Gefangen haben sie ihn in dem Treffen auf der Moorwiese, wo er sich in die Dragoner verhauen hatte und nicht mehr rück- und vorwärts konnte, sondern von der Uebermacht überwältigt und gefangen genommen wurde. Auf seinen Fähnrich Mac-Dhu könnt Ihr Euch doch besinnen? den haben sie zusammen mit ihm gefangen, und nun sitzen sie zusammen in Carlisle und sollen den Tod am Galgen leiden!« »Gott im Himmel!« stöhnte Waverley tief auf, »und seine Schwester?« »Ach, die schöne Lady Flora? die ist zu ihm nach Carlisle und lebt dort bei einer vornehmen katholischen Dame, um in seiner Nähe zu sein.« »Und die andre junge Dame?« »Der Oberst hatte doch nur die eine Schwester.« »Ich spreche von Miß Bradwardine.« »Ach, die Tochter des wunderlichen Laird?« »Ja, wo ist sie?« fragte voll Bange Waverley. »Ja, wer kanns wissen, wo sie alle hin sind, die schmucken Damen vom Hofe des Chevaliers?« »Ihr wißt auch nicht, was aus dem Laird geworden ist?« »Nein, das weiß niemand, aber die Leute erzählen, daß er in der Schlacht bei Inverneß gefochten habe wie ein Löwe. Die von der Regierung sollen sehr böse auf ihn zu sprechen sein, weil er schon zweimal mit ausgezogen wär! Ach, hätt er sich doch warnen lassen! aber es gibt kein wahreres Wort, wie: Kein größerer als ein alter Narr.« Es hielt Waverley infolge dieser Nachrichten nicht länger als einen Tag in Edinburg. Beim Postamt gab er auf, alle für ihn einlaufenden Briefe ihm bis zum nächsten Postamt bei Tully-Beolan nachzusenden. Dann verabschiedete er sich von seiner Wirtin und nahm Postpferde bis Perth, um von dort zu Fuß weiter zu wandern. Die Gegend war schrecklich verwüstet. Wohin man sah, nichts als Trümmer und Leichen. Ueberall, wo sich der Adel an die Sache der Stuarts geschlossen, zerstörte, verödete Edelsitze, überall bedrückte, verhärmte Gestalten. Gegen Abend kam er nach Tully-Beolan ... ach, wie verschieden war der Eindruck, den er jetzt erhielt, von dem, wie er zum ersten Mal die Schritte hierher gelenkt hatte! Da begrüßte ihn zuerst der wunderliche David Gellatley und dann der brave Saunders Saunderson, und jetzt? jetzt lag ein Trupp englischer Soldaten vorm Tore, die draußen auf dem Gemeindemoore ihre Zelte aufgeschlagen hatten. Um hier, wo ihn doch alle Leute kannten, nicht angeredet zu werden, machte er einen Umweg um das ganze Dörfchen herum und gelangte auf einem bekannten Fußpfade zu dem obern Tore der Eingangsallee. Das Tor war eingeschlagen, die eine Hälfte war zu Feuerholz gespalten und stand aufgeschichtet am Zaune. Die Zinnen waren heruntergerissen, die uralten Bären auf der Mauer lagen in Schutt. In der Allee waren die schönsten Bäume niedergehauen und lagen quer über dem Wege. Den schönen grünen Rasen hatten die Dragonerpferde zusammengetreten. Alle Gebäude waren verwüstet. In das Hauptgebäude hatte man die Brandfackel geschleudert, aber die dicken Mauern hatten widerstanden, dagegen waren die Ställe und Nebengebäude kaum mehr als Trümmer. Mit besonderem Hasse waren die alten Wappen vernichtet worden, die den Stolz des alten Barons gebildet hatten. Der Springbrunnen war zerstört, das Bassin schien zum Trog für die Pferde benützt zu werden. All die alten Wappenbären lagen auch hier im Schutt, die alten Familienbilder waren zerfetzt. Mit tiefem Schmerz betrachtete Edward diese grause Verwüstung eines einst so hoch in Ehren stehenden Edelsitzes. Aber sein Verlangen, Gewisses über das Schicksal seiner Eigentümer zu erfahren, wuchs mit jedem Schritte, den er machte. Und als er die Blicke nun an der Front des Gebäudes entlang gleiten ließ, da suchte er nach dem alten trauten Balkon, der zu Rosas Stübchen gehörte, wo sie das Schönste von Blumen zu ziehen pflegte ... und da sah er unten am Boden die leeren Töpfe und dazwischen auch Bücher, zerrissen und zerfetzt, umherliegen ... und dann wars ihm ganz zu Mute, wie an jenem ersten Male, denn er hörte, wie er sich umblickte, um ein menschliches Wesen hier zu entdecken, auch jetzt wieder eine Stimme aus dem Gebäude her, die ein altschottisches Heldenlied sang; Sie kamen zu uns in stockfinstrer Nacht Und schlugen den Ritter in blutiger Schlacht. Die Knechte flohen vor dem Tod Und ließen uns in schwerer Not. Sie schlugen den Ritter, ach! mir so teuer, Verheerten sein Haus, seinen Hof mit Feuer. Der Mond mag sinken, die Sonne steigen, Die Augen schloß ihm des Todes Schweigen. »Ach, bist Dus? Du armes, hilfloses Wesen? bist Du allein zurückgeblieben zum Schwatzen und Klagen?« Dann rief er, erst leise, dann lauter: »David ... David Gellatley!« Aus den Trümmern eines Gewächshauses lugte der arme Tropf hervor, zog sich aber, als er einen Fremden erblickte, schnell zurück. Waverley, der seine Art gut kannte, fing eine bekannte Melodie an zu pfeifen, die ihm David nach dem Gehör abgelauscht hatte. Da lugte Davie wieder um die Ecke, aber scheu, und Waverley, um ihn nicht zu schrecken, blieb ruhig auf seinem Fleck stehen, winkte ihm aber freundlich. »Sein Geist! sein Geist!« flüsterte der arme Schacher. Aber als er jetzt den Kopf wieder herausschob, da schien es ihm klar zu werden, daß der Freund lebendig vor ihm stehe. ... Dagegen sah er selbst einem Geiste ähnlicher als einem Menschen, denn die seltsame Tracht, in die ihn der Baron gesteckt hatte, hing ihm in Lumpen am Leibe und war von ihm auf die komischste Weise, mit Fetzen und alten Gemälden, mit Tapetenresten ausgeflickt worden. Und aus seinem Gesicht war die alte Sorglosigkeit, die alte Fröhlichkeit wie hinweggewischt; hohläugig, dem Verhungern nahe, jämmerlich entkräftet, war er kaum noch Mensch zu nennen. Nach langem Zaudern näherte er sich endlich Waverley, starrte ihn an, dann ließ er die Augen rollen und sagte mit unheimlichem Grinsen: »Alles tot, alles fort ... alles tot und fort!« »Wer ist tot?« fragte Waverley, ohne daran zu denken, daß Davie nicht im stande war, einen zusammenhängenden Satz zu sprechen. »Baron und Schösser und Saunders, und Lady Rosa, die so süß gesungen, alles tot und fort!« Doch komm nur, komm nur mit mir, So lange Glühwürmchen erhellt das Revier, Wo die Leiche liegt, das zeig' ich dir – – – Komm, komm nur mit mir, Wer sucht wohl bei Nacht einer Leiche Revier? Mit diesen Worten, in feierlichem Tone gesungen, winkte er Waverley, ihm zu folgen, und ging flüchtigen Schrittes durch den hintern Garten und am Ufer des kleinen Flusses hin und kletterte über die zerfallne Mauer, die den Garten einst von dem Tale getrennt hatte, worin die alte Burg von Tully-Beolan stand. Dann sprang er in den Fluß hinein, und Waverley ihm nach, und dann gings zwischen Felsblöcken hin, bald drüber hinweg, bald um andre herum. Dann kamen sie an einen wilden Pfad, so krumm, daß Waverley bald den Führer verlor, aber ein Lichtschimmer, der sich aus einer Ritze stahl, war ihm ein sichrer Führer. Und da, hinter einer scharfen Biegung, stand er jäh vor der Tür einer kleinen Hütte. Hunde schlugen an, aber als er näher kam, verstummten sie. Eine Stimme drang von innen heraus. Waverley lauschte gespannt. »Was hast denn mit hergebracht, Tolpatsch?« fragte, wie es schien, eine alte Frau grillig. David Gellatley trällerte zur Antwort dasselbe Liedchen, durch das sich ihm Waverley zu erkennen gegeben hatte. Und nun trug er kein Bedenken länger, zu klopfen. Totenstille trat ein. Dann knurrten wieder dumpf die Hunde. Dann hörte er Schritte zur Tür hin kommen. Um zu verhindern, daß die Tür von innen verriegelt würde, klinkte Waverley sie auf. Ein altes Weib stand vor ihm von gar ärmlichem Aussehen. Und mit matter, aber doch eindringlicher Stimme fragte sie: »Wer kommt auf solchem Pfade zu solcher Nachtzeit zu den Leuten in solcher Hütte?« Aber die Hunde schienen ihn zu kennen, sie ließen ihr Knurren und kamen wedelnd heran. Auf der andern Seite aber stand, halb gedeckt durch die offen stehende Tür, mit einem gespannten Pistol in der Hand, mit einem zweiten im Gürtel, eine lange, knöcherne, spindeldürre Gestalt in den Lumpen einer zerschlissenen Uniform und mit einem Barte, der wochenlang kein Schermesser mehr gesehen hatte. ... Der Baron Bradwardine von Bradwardine! Und im Nu lag er Waverley in den Armen. ... Achtundzwanzigstes Kapitel Die Geschichte des Barons ist rasch erzählt. Vornehmlich, wenn wir die englischen, lateinischen und französischen, desgleichen die schottischen und gälischen Zitate weglassen, mit denen er sie gar reichlich spickte. Ueber den Verlust Edwards und Glennaquoichs lange untröstlich, hatte er bei Falkirk und Culloden sich tüchtig geschlagen. Aber als in der letzten Schlacht alles verloren wurde, da war er, in der Ueberzeugung, daß er bei seinen Untertanen am besten geborgen sein werde, nach seinem Tully-Veolan gewandert. Es war ein Soldatentrupp abgeschickt worden, sein Besitztum zu zerstören, denn Pardon war nicht zu erwarten. Ein Erlaß vom bürgerlichen Gerichtshofe setzte jedoch dieser Verwüstung durch das Militär schließlich ein Ende. Es wurde nämlich durch ein beschleunigtes Einspruchsverfahren festgestellt, daß das Stammgut der Bradwardine nicht an die Krone fallen könne, da sich ein männlicher Erbe in der Person des Malcolm Bradwardine am Leben befinde und das Gut seit altersher ein Mannslehn sei. Dies Mannslehn konnte demjenigen nicht vorenthalten bleiben, der es nicht persönlich verwirkt hatte, und da gegen diesen Malcolm Bradwardine nicht das geringste vorlag, durfte er nicht von der Erbfolge ausgeschlossen werden, der Fiskus wurde im Gegenteil verurteilt, den alten status quo wieder herzustellen. Jedoch der neue Laird, in vielem anders als andre Menschen, ließ bald die Absicht durchblicken, seinen Vorgänger von allem Vorteil und Mitgenuß am Stammgute unbedingt auszuschließen und das Unglück desselben als ein selbstverschuldetes anzusehen, dessen Folgen derselbe auch allein tragen müsse, was um so ungerechter war, als sich der Baron um seines Vorhandenseins willen immer ablehnend dagegen verhalten hatte, die Eigenschaft seines Besitzes als eines Mannslehns zu gunsten seiner leiblichen Tochter umzuändern. Wie der Baron wörtlich zu Waverley sagte, »mit der neuen Lage seien die Gemeinden von Bradwardine ganz und gar nicht einverstanden, die Steuern würden mit Trotz abgeführt, die Pflichten noch widerwilliger geleistet, und als der neue Besitzer mit seinem neuen Schösser, einem Mr. Lamie Heatherblutter, persönlich in die Dörfer gekommen sei, um den Zehnten zu erheben, da sei es einem unseligen Hitzkopf eingefallen, eine Kugel nach ihm zu schießen – wie ich vermute, dem alten Hegereiter Heatherblutter, der dem Sohne eintränken wollte, sich so bei dem neuen Herrn ins Zeug zu legen – und darüber ist Malcolm so in Angst geraten, daß er seine sieben Sachen gepackt hat und verschwunden ist und sich seitdem noch nicht wieder hat sehen lassen. Dafür hat er mich als Gurgelabschneider in London bei den Primates wieder in besondere Erinnerung gesetzt, die sich deshalb bemüßigt gefunden haben, mir einen Trupp Rotröcke in Beköstigung zu geben, und die mich jagen wie ein Rebhuhn auf dem Felde oder wie weiland unsern tapfern William Wallace, mit dem ich mich freilich nicht vergleichen kann und mag. Als Ihr eintratet, da dachte ich, sie hätten den alten Kerl endlich aufgestöbert, und wollte es ihnen wenigstens zeigen, wie ein alter Bod in seinem Notstande fällt. ... Aber, Janet, hast Du denn für uns gar nichts zu essen?« »O doch, Herr, ich will das Wasserhuhn braten, das Johr Heatherblutter gestern im Sprenkel gefangen hat, und will die Eier dazu kochen, die David Gellatley im Stalle den Dragonern vor der Nase weggeluchst hat ... aber, da bäckt sie ja Davie schon in der heißen Asche ... um so besser ... denn wir müssen uns vorm Rauche hüten,« sagte die alte Frau »und Davie ist ein gar geschickter Mensch im Hantieren mit heißer Asche, ich könnt gar nicht so wie er mit den Fingern drin herumfahren ... « »Ja,« sagte nun auch der Baron, »Davie ist bei weiten nicht so unwissend und ungelenk, wie die Leute meinen. Wenn er nicht wüßte, daß Ihr ein guter Freund von uns wäret, hätt er Euch sicher nicht hergeführt.« »Ach es ist ganz schrecklich,« nahm die alte Magd das Wort, »daß der gnädige Herr sich auf seinem eignen Grund und Boden also verstecken muß. Da liegt er nun oben in dem alten schwarzen Höhlenloch den ganzen Tag, und bloß wenns recht finster und kalt in der Nacht ist, kommt er zu uns herunter ... und einmal in der Früh, da wars zwei von den Rotröcken eingefallen im Bach unten zu angeln, und die müssen doch den Baron sehen, wie er am Felsen hinanklimmt, und nach ihm schießen. Herr Du Gott, mein Schreck! ich wie der Blitz hinaus und schrei den Gesellen zu, was sie sich einfallen ließen, auf den armen blödsinnigen Jungen einer alten Witfrau zu schießen. Die aber ließen sich nichts dreinreden, sondern behaupteten, der alte Rebell seis gewesen, wie die Strolche den gnädigen Herrn immer bloß schimpfen. Da ist Euch Davie, der grad im Wald in der Nähe war, ganz allein auf den Einfall gekommen, sich in die Höhle zu schleichen und den alten grauen Mantel vom Baron umzutun und auf der andern Wegseite aus dem Walde wieder herauszutreten und vornehm zu tun und sich umzuschaun, grad wie der Baron ... und als die Rotröcke nun gesehn haben, daß es sich doch so verhielt, wie ich gesagt hatte, da haben sie gebeten, ja nicht zur Anzeige zu bringen, daß sie auf den verrückten »Sawnee«, wie uns ja die Engländer spöttisch nennen, geschossen hätten, und haben ihm, damit er reinen Mund halte, einen Sixpence und ein paar Lachse geschenkt ... nein, nein, der arme Davie ist bei weitem nicht dumm, bei weitem nicht! Aber Sünde wärs von uns, wollten wirs dem alten, lieben Baron vergessen, daß er, wie sie mich draußen in Perth als Hexe verbrennen wollten, mich errettet hat, und daß er meinen armen Jamie auf die hohe Schule geschickt hat, bis ihn der Tod wegnahm, und meinen armen Davie in Kost und in Kleidung erhalten hat, so lange, wie er lebt!« Waverley fiel der alten braven Frau jetzt ins Wort mit der Frage, wie es Miß Bradwardine ginge. »Rosa ist gut aufgehoben in Duchran, der Laird dort ist ein entfernter Verwandter von mir, aber näher verwandt mit meinem Pfarrer Rubrik,« sagte der Baron. »Er ist wohl ein Whig, aber unsrer alten Freundschaft noch immer eingedenk. Macwheeble tut, was er kann, um aus den Trümmern für mein armes Mädel zu retten, was sich retten läßt. Aber ich fürchte, wiedersehen werde ich sie wohl nicht, denn meine Gebeine werden einmal in fremdem Lande bleichen, und meines Bleibens hier kann nicht lange mehr sein.« Mittlerweile war es spät geworden, die alte Frau war in ihr ärmliches Lager hinter dem Verschlage gekrochen, Davie schnarchte schon lange zwischen Bran und Buscar, den beiden Hunden, deren bissige Natur zusammen mit dem Rufe als Hexe, in dem die alte Frau stand, den düstern Ort im Walde vor Nachstellungen schützte, und nach ein paar Komplimenten, die der Baron an Waverley verschwendete und die sich in dieser kahlen Umgebung wunderlich genug ausnahmen, legte sich der Baron auf sein gewöhnliches Lager aus Binsen und Heidekraut, während Waverley sich in einen Armsessel setzte, der einst das Gastzimmer in Tully-Beolan geziert hatte und, wie das andre Mobiliar aus dem alten Schlosse, auf die Straße geschleudert worden war und den Weg hierher gefunden hatte. Aber Waverley schlief gut und fest wie auf Eiderdaunen. Neunundzwanzigstes Kapitel Früh am Morgen war Waverley unterwegs nach Klein-Tully, wo Mr. Macwheeble, jetzt seiner beiden Würden, der eines Kommissarius wie der eines Schössers, entkleidet, aber infolge rechtzeitigen Rücktritts von allen Beziehungen zum Aufständischenheere der Erklärung in Acht und Bann entgangen, sich der Aufgabe widmete, »für Miß Rosa zu retten, was noch zu retten war«, wie schon der Baron seinem jungen Freunde gesagt hatte. Edward fand ihn in seiner Kanzlei, in Akten und Rechnungen vertieft. Vor ihm stand eine Riesenschüssel mit Haferbrei und ein kleiner Krug mit einfachem Biere. Während er in den Akten blätterte, schob er von Zeit zu Zeit einen Löffel voll Haferbrei in den großen und weiten Mund. Eine dickbäuchige Flasche voll Schnaps ließ darauf schließen, daß der Schösser entweder für diese der Verdauung nützliche Beigabe schon Sorge getragen hatte oder Sorge tragen wollte. Schlafrock und Schlafmütze waren wohl noch die alte aus Tartan, aus Rücksichten der Politik und Sparsamkeit hatte er sie sich aber schwarz färben lassen. Um dies düstre Gemälde zu vervollständigen, hatte er sich das ganze Gesicht mit Schnupftabak verkleistert und die Finger bis zu den Knöcheln mit Tinte geschwärzt. Einen Blick zweifelnden Argwohns heftete er auf Waverley, als er an das Gitter trat, das sein Pult und seinen Sessel vorm Andringen des Publikums schützte. Denn nichts war dem Schösser unangenehmer, als der Gedanke, er könne von einem jener Leute in Anspruch genommen werden, die mit dem Aufstand zu tun gehabt hatten und die jetzt wohl Hilfe brauchen, aber keine mehr gewähren konnten. Aber als er Waverley erkannte, wandelte sich der Ausdruck seines Gesichts langsam, denn er dachte daran, daß Waverley ja der junge reiche Engländer sei, ein alter und guter Freund des Barons, der doch vielleicht auf die eine oder andre Weise noch immer zu helfen vermöge. Während solche Gedanken Macwheeble durch den Sinn gingen und ihm ein wunderliches Gepräge von Verlegenheit und Albernheit liehen, trat Waverley der Gegensatz, in welchem dasselbe zur Mitteilung stand, die auf den Lippen schwebte, so kraß vor die Augen, daß er nicht umhin konnte, laut aufzulachen. Da nun aber Macwheeble nicht denken konnte, daß ein Mensch lachen könne, wenn er sich in Gefahr wüßte oder von Armut bedrückt sei, fühlte er sich durch Edwards fröhliche Stimmung außerordentlich erleichtert und hieß ihn in Klein-Tully willkommen. Dann fragte er, ob er mit einem bescheidnen Frühstück aufwarten dürfe. Waverley sagte darauf, er habe mit dem Schösser einige vertrauliche Punkte zu besprechen und bat um die Erlaubnis, die Tür abschließen zu dürfen. Macwheeble war das im Grunde genommen nicht recht, aber er konnte jetzt nicht mehr gut nein sagen. Edward fing an zu erzählen. Als er davon sprach, daß er noch immer in Acht und Bann sei, legte sich Macwheebles Stirn in Falten, die sich aber glätteten, als er hörte, daß Waverley im Besitz eines Passes sei. Als Edward ihm einen Einblick in den Stand seines Vermögens gab, rieb er sich die Hände vor Freude, und als er von seinen Hoffnungen auf die Zukunft hörte, strahlten seine Augen; als aber Waverley nun gar davon sprach, daß es in seiner Absicht liege, all diese Vorteile auch Miß Bradwardine mitgenießen zu lassen, da geriet der alte Rechenmeister schier aus dem Häuschen, rutschte von seinem Dreibein auf den Boden, fiel dabei über den Ständer, auf dem seine Amtsperücke hing, so daß diese in weitem Bogen zum Fenster hinaus flog, warf seine Schlafmütze zur Decke hinauf, fing sie mit beiden Händen wieder auf, hüpfte in der Stube herum, pfiff ein altes Schottenlied, tanzte einen Hochländer und sank dann erschöpft in einen Winkel. Dort lallte er: »Jesus, Jesus! Lady Waverley! mit zehntausend Pfund Einkommen im Jahr! ... Ach, lieber Herrgott droben im Himmel, erhalte mir meinen armen Verstand!« »Amen,« sagte Waverley und hob den braven Mann vom Boden auf, »aber nun, lieber Macwheeble, zu den Geschäften!« Dieses Wort übte eine lindernde Wirkung auf den Schösser, und wenn er auch meinte, es sei ihm im Kopf noch immer, wie wenn tausend Hummeln drin schwirrten und summten, so spitzte er doch den Gänsekiel, legte ein halbes Dutzend Schreibbogen zurecht, langte seinen dicken Wälzer von Rechts- und Staatshandbuch aus dem Regale, schlug die Paragraphen aus, die über Ehekonsens lauten, und schickte sich an, einen Heiratsvertrag aufzusetzen, »an dem nichts zu rütteln und zu deuteln sein solle.« Waverley machte ihm mit Mühe begreiflich, daß er ein wenig zu schnell ins Zeug gehe, und erklärte ihm, daß er vor allen Dingen seines Beistands dazu bedürfe, sich einen sichern Aufenthalt zu suchen. Er ersuchte ihn deshalb, an den Offizier des nächsten Kommandos zu schreiben, daß ein englischer Edelmann Frank Stanley, ein naher Verwandter des Obristen Talbot, in Geschäften bei ihm abgestiegen sei, und daß er, Mr. Macwheeble, ihm, dem Herrn Offizier, in Berücksichtigung der derzeitigen Verhältnisse im Lande den Reisepaß seines Gastes zur Einsicht unterbreite. Dann möge der Schösser einen berittnen Boten nach ... senden, wo für Waverley, beziehentlich Frank Stanley, Briefe zur Abholung liegen dürften. Im Nu war Jack Scriever, des Schössers Schreiber, auf dem Ritt nach der Poststelle. Und da der Schösser nun wieder ansetzen wollte zu seinem Jubelsermon über »Lady Waverley« und »zehntausend Pfund Einkommen im Jahr«, hielt es Waverley für angemessen, ihm durch eine Frage nach dem Häuptlinge Glennaquoich einen Riegel vorzuschieben. »Keine Silbe weiß ich von ihm,« erwiderte Macwheeble, »als daß er in Carlisle interniert ist. Ich wünsche dem jungen Manne nichts Schlimmes, aber ich denke, wer ihn hat, der wird ihn halten und hindern, daß er wieder zurück in die Hochlande zieht, uns mit Schutzgeld und dergleichen Sünde zu placken, in eigner Person sowohl wie durch andre ehrenwerte Bagage. Der konnte sein Geld, das er nun einmal hatte, auch nicht besser anbringen, als daß ers mit Weibern in Edinburg wieder verpraßte. Aber, wie gewonnen, so zerronnen, das alte Lied! Was mich angeht, will ich nichts mehr sehen und hören weder von einem Schurz oder Plaid noch von Rotröcken in unserm Lande. Die Kerle sind alle vom gleichen Schlage. Haben sie Euch mal unter der Schere gehabt und ausgeplündert, da könnt Ihr noch so viel prozessieren und klagen, wieder kriegt Ihr doch keinen Pfifferling!« Ueber solchen Gesprächen kam der Mittag. Macwheeble versprach, es sich zu überlegen, wie Waverley am besten und einfachsten sich in Duchran bei dem alten Freunde des Barons, wo sich Rosa zurzeit befand, einführen könne. Dann gings zu Tische, und bald saß Waverley vor einem Teller dampfender Lauchsuppe und gebratnem Fleisch. Auch einer Flasche Weißwein wurde der Hals gebrochen, die wohl aus dem Keller in Tully-Beolan gestiebitzt worden sein mochte, denn sie schmeckte Waverley ganz ebenso gut wie dort. Dann kam Jack Scriever der Schreiber zurückgesaust, mit einem dicken Briefe in der Hand, der das Siegel des Obristen zeigte. Ein paar obrigkeitliche Schreiben, kenntlich auf den ersten Blick an Form und Schrift und Siegel, weckten Macwheebles Interesse zu allererst, hatte er doch einen instinktartigen Sinn für alles, was mit Justiz und Magistrat in Zusammenhang stand. Aber nicht wenig überrascht war er, als er las: »Schutzbrief Seiner königlichen Majestät von Großbritannien für die Person des Cosmo Comyne Bradwardine, Esquire dieses Geschlechts, und straffällig wegen Teilnahme am Aufstand gegen Seine Majestät«, auf dem andern Dokument: »Schutzbrief« ec., »für Edward Waverley« ec. Und der beiliegende Brief des Obristen Talbot lautete wie folgt: »Mein lieber Edward! Eben erst angekommen. Habe das bezweckte Geschäft prompt erledigt. Zwar nicht ohne Mühe und auf mancherlei Umweg, aber doch erreicht! Majestät war eben beim Lever, empfing mich sehr gnädig, klagte aber: »Lieber Talbot, eben hat mich ein halbes Dutzend schottischer Offiziere geplagt um einen Schutzbrief für den alten halsstarrigen Rebellen Bradwardine, weil er im Grunde doch ein kreuzbraver Kerl sei und solch alter Adel doch nicht behandelt werden könne, wie andrer Pafel. Rubrik, der alte Pfarrer, hat sich bereit erklärt, ihn so lange bei sich zu beherbergen, bis wieder Ruhe im Lande sein werde, und Major Melville will ihn von Cairnvreckan aus überwachen. Aber verkehrt ists doch, solchem alten Rumorer immer und immer wieder die Sünde nachzusehen und ihn zu pardonieren.« Ich merkte freilich, daß es der ungünstigste Augenblick sei, für Euch ein gutes Wort einzulegen; aber ich sagte mir, ein andermal sei es am Ende noch schlechter und ging ohne weitres aufs Ziel los. Aber es wollte alles nichts helfen, was ich ins Gefecht führte, weder Euer altes Geschlecht noch meine Dienste im Ausland, noch die Rücksicht auf das große Vermögen Eures Oheims. Da zog ich schließlich, am Ende meiner Weisheit angelangt, mein Offizierspatent aus der Tasche und bat um meinen Abschied. Und das half endlich. Meine Worte, daß ich bisher nie um auch nur die kleinste Gunst gebeten habe, und daß es mich kränken müsse, auch in solchem Falle eine Abweisung zu bekommen, wo ich nichts für mich erbäte, sondern für einen greisen Freund, dem ich alles im Leben zu verdanken hätte, und der durch Zusammentreffen von allerhand Verdruß und verkehrter Auffassung, wofür die Schuld nicht bloß den Beschuldigten, sondern auch andre Personen, die der Regierung sehr nahe ständen, träfe, in das schwerste Ungemach gestürzt sei, wirkten endlich und verschafften mir den beiliegenden königlichen Schutzbrief auch für Euch, mein lieber Edward. Ihr seid nun frei wieder, aber, das vergeßt nicht, ich habe mich für Euch und Euer künftiges Verhalten verbürgt. Unterlaßt also alle ferneren Torheiten! »Es freut mich, Euch den Beweis zu erbringen, daß auch mein Prinz so edel sein kann wie der Eurige. Die beiliegende Abschrift des dem Baron Bradwardine ausgestellten Schutzbriefs, den mir der unserm Hause geneigte Generaladjutant Seiner Majestät ausgestellt hat, befördert Ihr wohl an diejenige Stelle, die hoffentlich nun auch von manchem alten Vorurteil geheilt werden wird. »Nützt Eure Zeit im übrigen aufs beste aus, denn nach Verlauf von etwa acht Tagen wird es notwendig sein, daß Ihr nach London reist, um dort von dem königlichen Gerichtshof Euren Pardon auszuwirken. Empfehlt mich und meine Frau Eurer schönen Dame. Sir Everard und Mrs. Rachel schließen sich diesen Grüßen und Empfehlungen aufs herzlichste an. Und nun, mein lieber Waverley, wie immer der Eurige Philipp Talbot.« Dreißigstes Kapitel Waverley wollte, als der erste Freudenrausch vorüber war, sofort zum Baron eilen, um die frohe Nachricht zu melden, aber der behutsamere Schösser bemerkte sehr richtig, daß, wenn der Baron so plötzlich hier zum Vorschein käme, die Hintersassen und die Leute im Dorf rebellisch vor Freude werden könnten, und vor all solchen Möglichkeiten hatte er immer einen Heidenrespekt. Er erbot sich deshalb, den Baron bei sich vorläufig zu beherbergen und riet Waverley, sich zu der alten Gellatley zu begeben und den Baron durch sie vor jedem vorschnellen Beginnen warnen zu lassen, auch erst mit Einbruch der Nacht den Weg zu ihm nach Klein-Beolan zu unternehmen. Inzwischen wolle er selbst sich zum Kapitän Foster begeben und die Erlaubnis auswirken, dem Baron bei sich für die erste Nacht Unterkunft zu geben. Dann wolle er für den andern Tag Pferde bereit halten, damit »Mr. Frank Stanley«, welchen Namen er vorderhand noch beizubehalten riete, mit dem Baron weiter nach Duchran reiten könne. Mit Sonnenuntergang war Waverley wieder in der Hütte der alten Janet Gellatley. Als sie seine Schritte vernahm, zitterte sie wieder am ganzen Leibe, denn sie war immerfort in der schwersten Besorgnis um das Wohl ihres alten Herrn. Es fiel Waverley außerordentlich schwer, ihr begreiflich zu machen, daß der Baron nun gegen alle persönliche Gefahr gesichert sei, daß es aber für ihn nicht möglich sei, sich wieder nach dem Stammsitze zu begeben. Sie wollte sich nicht einreden lassen, daß ihm das alte Erbe seiner Väter genommen werden könne, wenn man ihn sonst pardoniere. Waverley versprach ihr, alles zu tun, was in seinen Kräften stehe, und gab ihr ein bißchen Geld, damit sie sich ihre Lage ein klein wenig besser gestalten möge. Dann kroch Waverley den mühsamen Felspfad hinauf, der zu der »schwarzen Hexe« führte, einer noch versteckteren Höhle, worin der Baron tagsüber zu hausen pflegte. Auf sein Pochen lugte der alte Herr durch einen Felsspalt, um zu rekognoszieren. »Lieber Junge, Ihr kommt noch zu früh,« sagte der Baron, »die Rotröcke haben doch noch nicht den Zapfenstreich geschlagen; und früher sind wir nicht sicher.« »Frohe Nachricht kommt nie früh genug!« sagte Waverley und gab nun mit heller Freude dem alten wackern Manne Kenntnis von der unvermuteten glücklichen Wendung, die sein Schicksal genommen hatte. Einen Moment lang stand der Baron wie entgeistert da. Dann schlug er fromm die Hände ineinander und rief: »Herrgott im Himmel, wie soll ichs Dir danken? Ich soll mein Mädel wiedersehen, meine herzliche Rosa!« Und er fing zu weinen an wie ein Kind. »Und sollt nie wieder von Ihr Euch trennen müssen, Baron,« sagte Waverley. »Das wolle Gott gnädig verhüten,« sagte der Baron. »Aber meine Verhältnisse sind trübe. Wie soll ich den Unterhalt für uns beide erringen?« und traurig schlug er die Blicke zu Boden. »Und wenn nun jemand käme, Baron,« fuhr Waverley fort, indem er bescheiden einen Schritt zurücktrat, »der Miß Rosa zu einem Range erheben wollte, der ihr gebührt, für den sie geboren worden, würdet Ihr solchen Mann hindern, zum glücklichsten Manne der Erde zu werden?« Der Baron drehte sich um und blickte Waverley mit tiefem Ernst an. Da setzte Waverley kurz und bündig hinzu: »Jawohl, Baron! Ich reite mit Euch nach Duchran! und wenn Ihr mich nicht mitnehmen wolltet, dann müßte ich sagen, daß mein Schutzbrief für mich völlig wertlos sei.« »Mein Sohn! mein Sohn!« rief der Baron schluchzend, »und hätte ich suchen müssen in der ganzen Welt, hier hätt ich meine Wahl getroffen.« Eine Zeitlang standen beide tief ergriffen einander gegenüber. Da sagte Edward zagend: »Und Miß Bradwardine?" »O, mein Mädel hat nie einen andern Willen gehabt als den ihres Vaters. Zudem seid Ihr doch ein schmucker Bursche, mit Verlaub, und von hoher Geburt. Ich hätt mir in meinen stolzesten Tagen für mein Mädel keinen bessern Bräutigam wünschen können. ... Aber nun eine Frage von meiner Seite, Waverley: habt Ihr Euch auch der Einwilligung Eurer Verwandten vergewissert, vor allem Eures Oheims, der doch in loco parentis [an Vaterstelle] steht.« Edward versicherte dem Baron, daß Sir Everard sehr erfreut sein werde über die schmeichelhafte Aufnahme, die sein Antrag gefunden habe, und sich nicht minder geehrt fühlen werde wie er. Um ihm das zu bezeugen, überreichte er dem Baron den vom Obersten Talbot eingelaufenen Brief, den derselbe mit großem Eifer las. »Deinem Oheim, mein, lieber Herzensjunge, hat Geburt und Abkunft immer höher gestanden als Reichtum und Besitz. Er hat ja auch niemals notwendig gehabt, der Diva Pecunia [Göttin Geld] den Hof zu machen. Und doch wünschte ich, da dieser Malcolm solcher Mörder seines Geschlechts werden kann – ich kann ihn wahrhaftig nicht anders nennen, da er das alte Gut öffentlich unter den Hammer bringt, – und doch wünschte ich,« sagte der Baron tieftraurig, indem er einen Blick zu dem unter den Bäumen hervorschimmernden Dache hinaufwarf, »ich hätt meiner Rosa das alte Ding mit all seinen Ländereien geben können ...« Sie waren in Klein-Beolan. Die Gans stand auf dem Tische, der Schösser schwang Messer und Gabel, um sie zu zerlegen. Es war eine gar herzliche Begrüßung vorhergegangen zwischen seinem alten Herrn und ihm. Und auch in der Küche wars munter und lebendig. Die alte Janet hatte wacker mit Hand angelegt, und David hatte den Bratspieß gedreht, daß es eine Lust gewesen war, es anzusehen. Ja sogar Bran und Buscar hatten heut ihren großen Tag, denn Macwheeble war heute so freigebig gelaunt, daß sie sich hatten »dudeldick« fressen dürfen, und schon eine ganze Weile hinterm Ofen lagen und schnarchten. Und am folgenden Tage gings hinüber nach Duchran, wo der Baron mit offnen Armen empfangen wurde, denn die ganze Grafschaft war eingetreten für sein Gnadengesuch, und es wäre ihm wohl auch noch sein Stammgut gerettet worden, wäre es nicht dem habgierigen Malcolm in die Hände geraten. Der alte brave Mann bemerkte jedoch, daß er in solchem Maße sich der Wohlmeinung all seiner getreuen Freunde und Nachbarn zu erfreuen habe, sei ihm lieber als aller Besitz an Gut und Geld. ... Das Wiedersehen zwischen Vater und Tochter zu schildern, muß der Leser uns erlassen, dazu bedürfte es einer gefühlvollern Feder, als sie dem Chronisten zur Verfügung steht, der sich an die Schilderung dieser Ereignisse gewagt hat. Noch weniger getraut sich derselbe an die Schilderung des holden Errötens, mit dem Rosa die Werbung Waverleys um ihre Hand entgegennahm. Aber daß es dem glücklichen Paare hier nicht anders erging, wie überall anderswo, daß sie nämlich von alt und jung tüchtig gehänselt wurden, und daß es in solchem Falle als ein wirkliches Glück zu preisen war, daß der Baron seiner Vorliebe für Zitate in fremder Zunge getreu blieb, das wollen wir doch noch in aller Kürze erwähnen. Nach Verlauf von sechs fidelen Tagen wurde Waverley nach Waverley-Würden abgeschickt, um die nötigen Aussprachen und Vorkehrungen zum Hochzeitsfeste zu treffen, dann nach London zu reisen, um dort seine Amnestie gerichtlich feststellen zu lassen, und dann sollte er so schnell wie möglich zurück nach Duchran kommen, um die Hand der verlobten Braut zu erhalten. Aber eins lag Waverley noch besonders am Herzen, sich unterwegs in Carlisle aufzuhalten, um zu versuchen, ob er zur Milderung des Schicksals, das den Häuptling betroffen, nicht doch einiges ins Werk setzen könne. Wenn ihm nichts andres möglich sei zu erreichen, so wollte er wenigstens Flora ein Asyl bei Rosa anbieten. Waverley hatte versucht, den Obristen Talbot auch für Fergus zu interessieren, war aber rundweg abgewiesen worden mit dem Bescheide, daß solchem Aufwiegler gegenüber, der sogar die gegen den Vater von der Regierung bewiesene Nachsicht in den Wind geschlagen und aus Ehrsucht nach dem Besitz einer Grafenkrone all seine schönen Gaben nur benützt habe, um sein Vaterland und seine Mitmenschen in namenloses Unglück zu stürzen, Nachsicht und Milde ein Verbrechen an seinem eignen Leibe sei, dessen er sich unter keinen Umständen schuldig machen wolle und werde. ... Damit war das Schicksal des Häuptlings besiegelt, und dem Urteil des hohen Gerichtshofs der freie Lauf gelassen. Einunddreißigstes Kapitel In Carlisle war der Gerichtshof zusammengetreten, um über Fergus Glennaquoich und seinen Fähnrich Evan Mac Dhu das Urteil wegen Hochverrats zu fällen. Mitangeklagt waren viele andre Häuptlinge der Hochlande. Ueber manche war das Urteil bereits gefällt worden, andre sollten erst später zur Aburteilung kommen. Waverley hatte getan, was in seinen Kräften stand, das Los der beiden Gefangnen zu mildern, aber nur wenig hatte er zu erreichen vermocht. Selbst die Bestellung zweier Verteidiger auf seine Kosten war nur wenig Erfolg verheißend, da die Rolle, die der Häuptling bei dem Unternehmen gespielt hatte, zu tief eingeschnitten hatte in alle Loyalitätsverhältnisse der beiden Länder England und Schottland und die von ihm errungenen Siege und Vorteile auf dem Kriegsschauplatz einen grimmigen Haß gegen ihn wachgerufen hatten. Edward drängte sich durch die dichten Menschenreihen in den Gerichtssaal. Zwei Männer standen vor den Schranken. Das Schuldig war eben gesprochen worden. Fergus Mac-Ivors hohe Gestalt und edle Züge waren noch immer imposant, trotzdem sein Gesicht die gelbe Farbe langer Gefängnishaft und seine Kleidung die Spuren des Kerkerschmutzes zeigte. An seiner Seite stand Evan Mac Dhu. Edward fühlte sich einer Anwandlung von Schwäche nahe, als er sie erblickte. Aber seine Besinnung kehrte schnell wieder, als er den Gerichtspräsidenten jetzt verkünden hörte: »Fergus Mac-Ivor von Glennaquoich, alias Vich-Ian-Vohr, und Evan Mac-Ivor, aus dem Tarrascleugh, alias Evan Dhu, alias Evan Maccombich, Ihr beide zusammen und jeder von Euch beiden besonders, seid des Hochverrats überwiesen und für schuldig erkannt worden in dreitägiger Gerichtsverhandlung. Was habt Ihr noch vorzubringen?« Daraufhin bedeckten die todverkündenden Richter ihr Haupt mit der Mütze, und auch Fergus Mac-Ivor setzte sich die Mütze aufs Haupt. Sodann nahm Fergus das Wort und sprach fest und kalt: »Was ich zu sagen hätte, das möchtet Ihr doch nicht anhören, da es Euer Urteil sein würde aus meinem Munde. Fahrt also fort in Eurem Tun, da Gott es Euch nicht wehrt. Ihr habt gestern und vorgestern loyales Blut schon stromweis vergossen. Schont also auch meines nicht! Und wenn alles Blut meiner Ahnen in meinen Adern flösse, so wagte ich es doch immer und immer wieder in solchem Kampfe!« Evan Maccombich stand jetzt auf. Es schien, als wenn er sprechen wolle. Aber es schien ihm schwer zu werden, Gedanken, die er auf gälisch fühlte, in andrer Sprache zum Ausdruck zu bringen. Unter dem Publikum erhob sich Gemurmel, das auf eine Regung von Mitleid schließen ließ. Wahrscheinlich glaubte man, der Fähnrich wolle die Gnade des Gerichts für sich anrufen unter Hinweis darauf, daß er seinem Herrn, nach der Sitte der hochschottischen Clans über Leben und Tod, den Gehorsam nicht habe weigern dürfen. Der Vorsitzende gebot Schweigen und forderte den Fähnrich zum Reden auf, der einen tiefernsten Blick auf seinen Häuptling heftete. »Ich wollte dem Gerichtshof,« hub er an, wie er meinte, in einer bittenden Weise, »bloß melden, daß sich sechs der besten Männer des Clans Mac-Ivor bereit erklären, den Tod, sei es durch Köpfen, Hängen, Vierteilen oder Pfählen, als Strafe zu erleiden, wenn der Gerichtshof dem Häuptlinge des Clans, Fergus Mac-Ivor, das Leben und die Erlaubnis erteilen wollte, sich auf Urfehde nach Frankreich zu begeben, wo er die Regierung König Georgs in keiner Weise mehr beunruhige würde.« Ob dieses seltsamen Vorschlages erklang, so feierlich der Ort der Handlung und so unheimlich diese selbst war, doch etwas wie Gelächter. Der Vorsitzende verwies dem Publikum das Geräusch und dem Fähnrich das Ungebührliche seiner Rede. Da sah sich dieser im Saale um und sprach, düstrer und feierlicher als vordem: »Wenn die sächsischen Männer drüber lachen, daß ich mein Leben und das von sechs andern meines Clans dem Leben Vich-Ian-Vohrs gleich erachte, dann mögen sie mich auslachen mit Recht; aber wenn sie lachen, weil sie vielleicht denken, ich möchte mein Wort nicht halten, dann sage ich ihnen, daß sie weder das Herz eines Hochländers noch die Ehre eines Edelmanns kennen.« Jetzt zeigte niemand mehr Verlangen zu lachen, sondern, Totenstille trat ein. Dann sprach der Richter das Urteil über die beiden Angeklagten wegen Hochverrats mit all dem üblichen, damals schreckhaften Zubehör aus und bestimmte für die Hinrichtung den nächstfolgenden Tag.... »Für Euch, Fergus Mac-Ivor,« setzte er hinzu, »kann ich andres nicht mehr hoffen. Ihr müßt Euch zu diesem letzten Leidensgange und zum Verhör vor Eurem höchsten Richter bereiten.« »Ich erwarte nichts weiter,« versetzte der Häuptling in dem gleichen festen Tone seiner Worte. In Evans Augen, die noch immer mit tiefem Ernst auf seinem Häuptling ruhten, stahl sich jetzt eine Träne. »Für Euch, armer unwissender Mann,« nahm der Richter wieder das Wort, »fühle ich aufrichtiges Mitleid, denn Ihr seid ein Opfer falschen Wissens und irriger Vorstellungen, die in Euren unglückseligen Clanschaftsbegriffen fußen. Ihr habt den Gehorsam, den Ihr allein Eurem Könige schuldet, auf eine Person übertragen, die ihn in ihrem eignen Interesse ausgenützt und Euch dadurch unglücklich gemacht hat. Sofern Ihr Euch entschließen wollt, die Gnade ...« »Nichts von Gnade für mich,« fiel ihm Mac Dhu ins Wort, »da Ihr nun einmal das Blut unsers edlen Vich-Ian-Vohr, der unser angestammter Häuptling ist, vergießen wollt, so ist die einzige Gunst, die ich von Euch annehmen würde, die, mir auf Zeit von einer Minute meinen Claymore wieder in die Hand zu geben und mich meiner Fesseln frei zu machen.« »Führt die Gefangenen ab!« befahl der Richter. »Ihr Blut komme über sie!« Unter einer erdrückenden Last von Empfindungen sah Edward sich von der Menschenflut im Saale auf die Straße hinausgedrängt. Ein unsägliches Verlangen, den Häuptling noch einmal zu sehen und zu sprechen, überkam ihn, und er meldete sich bei der Wache am Schloßeingange. Der Sergeant beschied ihn, daß der Gouverneur für jedermann, außer dem Beichtvater und seiner Schwester, den Zutritt verboten habe. »Und wo ist seine Schwester?« fragte Waverley. Der Sergeant nannte ihm das Haus einer ehrenhaften katholischen Familie. Er begab sich in den Gasthof zurück, wo er abgestiegen war, und schrieb ein paar Worte an Flora Mac-Ivor, um die Erlaubnis eines kurzen Besuchs bittend. Der Bote kam mit der Antwort zurück, »daß sie dem teuren Freunde des teuren Bruders den Wunsch nicht abschlagen könne, den er an sie richte, trotz des unsäglichen Jammers, der in ihrem Herzen herrsche«. Edward wurde sogleich vorgelassen, als er zur bezeichneten Abendstunde bei der Name sich melden ließ. Flora saß in einem großen düstern Zimmer an einem Gitterfenster und nähte an einem langen Gewande, scheinbar aus weißem Flanell. In knappem Abstande von ihr saß eine ältliche Frau, scheinbar eine Nonne. Sie las in einem Gebetbuch; aber als Waverley eintrat, legte sie es auf den Tisch und ging aus der Stube. Flora erhob sich und trat Waverley entgegen. Sie reichte ihm die Hand, aber sie konnte kein Wort sprechen. Ihre schöne, frische Gesichtsfarbe war verschwunden, sie war stark abgemagert, und Gesicht und Hände waren so weiß wie Marmor. Von dem dunklen Haar und der schwarzen Kleidung, die sie trug, stach dieses Weiß unheimlich ab. Die ersten Worte, deren sie mächtig wurde, waren: »Waverley, habt Ihr ihn gesehen?« »Nein, Miß Flora, ich bin nicht zu ihm gelassen worden.« »Das entspricht der bisherigen Weise, aber wir müssen gehorchen. Habt Ihr noch Hoffnung?« »Nein, wenn ich aufrichtig sein will.« »Waverley, er hat Euch immer geliebt, mit ganzem Herzen, bis zuletzt, trotz jenes Zwistes – doch lassen wir die Vergangenheit ruhen. Es ist müßig, ihrer sich zu erinnern.« »Ja, Flora,« erwiderte Waverley mit tiefer Inbrunst, »müßig ... leider ... leider!« »Auch von der Zukunft, Freund, zu sprechen, ist müßig, wenigstens soweit sie auf irdische Dinge sich richtet. Denn wie oft habe ich an solche schreckliche Möglichkeit gedacht, wie oft mich gezwungen, ihr ins Auge zu sehen; und doch, wie wenig erreichte meine Phantasie die unsägliche Bitterkeit, diesen gräßlichen Wermut solcher Stunden!« »Teuerste Flora! wenn Eure Seelenstärke ...« »Das eben ists,« fiel sie ihm ins Wort, »ein rühriger Teufel rumort in meinem Herzen, der mir zuflüstert ... doch Wahnsinn überkäme mich, wollt ich ihm lauschen ... daß eben die Seelenstärke, auf die sich Flora Mac-Ivor einst so viel zu gute tat, ihren Bruder gemordet hat.« »Wie könnt Ihr solch gräßlichem Gedanken Ausdruck geben?« »Ist es nicht so? Es quält mich ein Gespenst. Ich weiß ja, es ist wesenlos und nichtig, aber es will durchaus zu wirklichem Gebilde werden, will mich erfüllen mit seinem Graus, will mir zuflüstern, daß mein Bruder, feurig wie er war, seine Kraft in hunderterlei Dingen verzettelt hätte, daß aber ich es gewesen sei, die sie konzentriert habe auf ein einziges Ziel, und daß dieses Ziel, ihm zum Verderben hat werden müssen. O, hätt ich ihm doch ein einziges Mal nur zugerufen: »Wehe! wer mit dem Schwert tötet, wird mit dem Schwerte wieder getötet!" Aber nein, ich spornte seinen Feuergeist zu Unternehmungen, die außer dem Bereich des menschlichen Vermögens liegen, und die Hälfte des gräßlichen Unglücks, das nun sein Los ist, lastet auf meinem Gewissen!« Edward bemühte sich durch Gründe, so wenig er auch Zusammenhang für sie fand, der verschiedensten Art, ihr diesen schrecklichen Gedanken auszureden. Er erinnerte sie an die Grundsätze, in denen sie erzogen worden sei, nach denen sie zu handeln für Pflicht gehalten hätte. »Meinet nicht, Waverley, als hätte ich sie vergessen, als sei ich ihnen untreu. Nein, selbst nicht in diesem furchtbaren Augenblicke! Nach dieser Seite hin ist meine Seele ruhig. Aber daß es ein andres Ende nehmen könnte als dieses, das anzunehmen war Wahnsinn, war Verblendung! Und hierfür leidet jetzt mein Bruder!« »Aber nicht immer schien es so zu sein, und Fergus mit seinem kühnen Geiste hätte es gewagt auch ohne Euren Ansporn.« Aber Flora achtete schon seiner Worte nicht mehr, sondern hatte sich wieder über ihre Näharbeit gebeugt. »Besinnt Ihr Euch noch,« sagte sie mit geisterhaftem Lächeln, »wie Ihr mich traft über der Näharbeit an einem Bräutigamsgeschenk für Fergus? ... Jetzt näh ichs ihm, sein Bräutigamsgewand! Seht her ... o, seht her! Und unsre Freunde hier,« setzte sie hinzu mit tiefer Erregung, »wollen dem Andenken des letzten Vich-Ian-Vohr eine Kapelle errichten, aber seiner Leiche wird eins fehlen ... der Kopf! der Kopf! Den werden sie spießen zur Warnung und aufstellen vorm Festungstor ... und ich ... ich werde ihm keinen Kuß zum Abschiede auf die heißen Lippen drücken dürfen!« Und mit gräßlichem Angstschrei brach die Unglückliche zusammen. Die Nonne trat wieder herein und bat Edward, sich aus dem Zimmer, nicht aber aus dem Hause zu begeben. Als er nach Verlauf einer halben Stunde wieder hereingerufen wurde, hatte Flora sich dem Anschein nach beruhigt. Er wollte zu ihr sprechen, aber sie wehrte ihm. »Nun eins noch, Mr. Waverley,« sagte sie gelassener, »ich habe einen Brief von meiner lieben Rosa bekommen. Kummer ist selbstsüchtig und greift gern um sich. Sonst hätt ich ihr schon geantwortet, hätt ihr gesagt, daß, so groß auch mein Schmerz ist, ich mich unendlich gefreut habe, von ihr zu hören, daß sie glücklichere Aussichten hat, und daß der gute alte Baron dem Schiffbruch entgangen ist. Hier, nehmt das! es ist das einzige, was ihre arme Flora ihr hinterlassen kann. Aber es ist das Geschenk einer Fürstin.« Sie reichte ihm ein Kästchen mit einer Diamantenschnur, die sie im Haar zu tragen pflegte. Dann gab sie ihm die Hand, die er mit einem Strom von Tränen netzte. »Für mich ist alle Zukunft müßig,« sagte sie. »Freunde von uns haben mir im Benediktinerkloster in Paris ein Asyl verschafft. Wenn ich den morgigen Tag überlebe, dann trete ich mit dieser ehrwürdigen Schwester die Reise nach Paris an. Und nun, Mr. Waverley, lebt wohl! und lebt glücklich mit Rosa, wie es die liebenswürdigen Eigenschaften des guten Kindes verdienen. Gedenket zuweilen der Freunde, die Ihr verlöret! aber versucht nicht wieder, mich aufzusuchen, Mr. Waverley, ich würde nicht mehr für Euch zu sprechen sein.« Mit diesen Worten schwankte sie aus dem Zimmer. Es waren die letzten Worte, die Edward aus dem Munde der einstigen Geliebten, von Flora Vich-Ian-Vohr, des letzten Gliedes des einst so berühmten und mächtigen Geschlechts, vernahm. Zweiunddreißigstes Kapitel Nach einer schlaflosen Nacht, kaum als der Morgen dämmerte, stand Waverley auf dem freien Platze vor dem alten gotischen Tore von Carlisle. Der Gerichtsschreiber, an den er sich gestern nach Schluß der Verhandlung um einen Erlaubnisschein zum Besuch des Delinquenten gewandt hatte, hatte sich erfolgreich dafür verwandt. Waverley hatte den Schein bei seiner Heimkunft abends gefunden. Ziemlich lange schritt er auf und ab, ehe die Tore geöffnet wurden und die Zugbrücke niederrasselte. Als er den Schein vorwies, wurde er sogleich eingelassen. Es war ein dunkler Raum im Mittelpunkte des Schlosses, in einem uralten Turme, der dem Häuptling als Kerker angewiesen worden war. Mit unheimlichem Knarren wurden die alten Querbalken und Riegel weggeschoben, die Edward den Zugang vermittelten. Drinnen klirrten Ketten. Der Häuptling schritt wankend, fest und schwer geschlossen, auf dem steinernen Boden auf und ab. Es war sein letzter Morgen. Wie versteinert blickte er den Freund an, als die Kerkerpforte sich auftat. Er wollte ihm entgegenfliegen, aber die Ketten hinderten ihn daran. Doch sprach er, als Edward zu ihm getreten war und ihm die Hand reichte, mit fester, klarer Stimme: »Das ist wahrhaft freundschaftlich gehandelt, mein liebster Edward! Mit aufrichtiger Freude habe ich aus Floras Munde von dem Glücke gehört, das Eurer naht. Was macht denn unser wunderlicher Kamerad und Freund? Nun, in Euren Blicken lese ich, daß es beiden gut geht. Gott sei gedankt! Aber wer wird denn in dem neuen Wappen den Vorrang genießen, die drei schreitenden Hermeline der Waverleys oder Bär und Stiefelknecht der Bradwardine?" »Fergus, wie könnt Ihr in solchem Augenblicke von solchen Dingen reden?» »Freilich, Waverley, eingezogen sind wir ja in Carlisle unter andern, glücklichern Bedingungen. Ich meine jenen Tag, um Mitte November, an dem wir neben einander einmarschierten und die weiße Fahne auf den Zinnen aufpflanzten. Aber ich bin kein Knabe, um hier zu flennen, ich hab den Einsatz gekannt, den ich wagte. Das Spiel war kühn, der Gewinn konnte ungeheuer sein, und der Verlust soll männlich getragen werden. Aber meine Zeit ist kurz Drum schnell noch die wichtigsten Fragen: Ist der Chevalier den Bluthunden entgangen?« »Er ist in Sicherheit.« »Gott sei Dank!« ... Und Waverley erzählte ihm, was über die Flucht des Prinzen bekanntgeworden war. Er hatte sich über Glasgow nach Frankreich auf einem Fischerboote gerettet. Die nächste Frage betraf das Schicksal seiner Clangenossen. Sie hatten weniger schwere Buße gelitten als andre Stamme, weil sie nach dem Verlust ihres Häuptlings nach damaliger Sitte im Hochland auseinander gelaufen und mithin bei Ausgang nicht mehr unter Waffen getroffen worden waren. Darüber freute sich Fergus von ganzem Herzen. »Waverley,« sprach er nun, »Ihr seid reich, Ihr seid auch edel. Sollte Euch zu Ohren kommen, daß es den Mac-Ivors unter harten Aufsehern schlecht ergehen sollte, oder daß sie von Agenten der Regierung bedrückt werden sollten, so seid des Umstandes eingedenk, daß Ihr einmal ihren Tartan getragen habt und als Adoptivsohn ihres Clans galtet. Helft ihnen in schwerer Not! Der Baron, der unsre Sitten kennt, wird Euch Zeit und Mittel sagen, wann und wie Ihrs könnt. Versprecht Ihrs mir?« Edward gelobte es und hielt sein Gelübde so, daß sein Name noch heute in den Gauen des alten Stammes als heilig gilt, »Und nun, Waverley, liebster Edward, lebt wohl! lebt herzlich wohl! Es naht die Stunde, wo Fergus von Glennaquoich, der letzte des Geschlechts der Mac-Ivor, zu leben aufhören wird!« In einem Winkel des Kellers rasselten Ketten. Evan Mac Dhu, der bis jetzt, um die beiden Männer nicht zu stören, mucksstill gelegen hatte, war aufgestanden. Edward hatte ihn nicht bemerkt, so ruhig und so still hatte er sich verhalten. »Häuptling Mac-Ivor,« sprach er mit fester Stimme, »wir fochten manchen Strauß zusammen. Jetzt naht der letzte. Für mich ist solch Ende an meines Häuptlings Seite das Schönste.« Edward reichte auch diesem Getreuen die Hand, und ob dieser letzten Auszeichnung traten dem Fähnrich ein paar Wassertropfen in die Augen, die er aber schnell mit der Faust weggewischt hatte. Dann sprach er mit wuchtigem Stolze: »Mr. Waverley, Ihr seht, welchen Dampf die Rotröcke noch jetzt vor uns gehabt haben. Mit solch schwerem Eisenzeug haben sie uns gekettet, wie wilde Bestien, weil sie uns doch nicht trauten, wir könnten ihren alten Turm am Ende auch jetzt noch stürmen! Und als uns die Glieder brandig zu werden drohten und sie das Eisenzeug von uns nehmen mußten, da haben sie uns sechs Mann mit geladnen Gewehren hier hineingesteckt, um auf uns aufzupassen. Hahaha! das sind wackre Kerle!« Der Posten trat ein und Edward mußte gehen. Nicht lange hatte er draußen im Hofe gestanden, so rasselten Wagen über den Hof, und Soldaten traten ins Glied. In ihrer Mitte hielt die Schleife, auf der die Delinquenten zum Richtplatz geführt werden sollten. Sie war schwarz gestrichen und wurde von einem Schimmel gezogen. Auf dem hintersten Brett saß in seiner schrecklichen Tracht der Profoß mit dem Richtbeil als Zeichen seines Gewerbes in der Hand. Dann kamen die Gerichtspersonen und dann der Scharfrichter mit dem Strick in der Hand. Hinter ihm die Delinquenten, die von seinen Gehilfen auf die Schleife gebunden wurden. Dann wieder Soldaten, die in Doppelgliedern den Zug beschlossen. »Ein großer Apparat für zwei solch arme Wichte wie wir,« meinte Fergus mit Lächeln. Evan Dhu aber blickte mit Hohn auf die Dragoner und rief laut vernehmlich auf englisch: »Das sind die nämlichen Wichte, Fergus, die wir bei Gladsmuir so verteufelt in die Pfanne gehauen haben. Hier können sie freilich die stolzen Krieger spielen! Der Priester ermahnte ihn, sich ruhig zu verhalten. Die Schleife setzte sich in Bewegung. Fergus winkte Waverley mit der Hand einen letzten Gruß. Dann war er den Blicken des Freundes entschwunden. ... Am Abend besuchte ihn der Priester, um ihm zu sagen, daß Fergus Mac-Ivor gestorben sei, mutig und stark, wie er gelebt habe, und daß sein letzter Gedanke dem Freunde gegolten habe. ... Er fügte hinzu, daß er Flora gesehen habe, wie sie mit Schwester Teresa dem Hafen zugeschritten sei, um sich nach Frankreich einzuschiffen. Auch sie habe ihm noch einen letzten Gruß an den Freund des Bruders aufgetragen. Waverley bat den würdigen Mann, einen Geldbetrag von ihm anzunehmen, für den ein paar Seelenmessen für den Gerichteten gelesen werden könnten. Am andern Morgen in aller Frühe schied Waverley von Carlisle mit dem festen Vorsatze, diese Stadt nie wieder zu betreten. Er wagte es nicht, den Blick auf die Zinnen zu richten. »Hier am gotischen Tore stecken sie nicht,« sagte Alick, der Bursche, den Waverley im Dienste behalten hatte, »sondern am Schottentore, da stecken sie nebeneinander, aber der vom Häuptlinge um etwa eine Elle höher als der von Evan Mac Dhu. Der Festungskommandant verstößt in keiner Sache gegen die Regeln.« Dreiunddreißigstes Kapitel Der Schrecken, der von seinem Gemüte Besitz ergriffen hatte, als er aus Carlisle herausfuhr, wandelte sich langsam in Schwermut. Aber als er endlich die uralten Eichen des Waverley-Parkes wieder vor Augen sah, da wich die Schwermut von ihm, und die alte Freude zog wieder ein in sein Herz. Wie malte er sich die schöne Zeit aus, wenn er an das Glück dachte, das ihn hier mit Rosa vereinen sollte, wenn er an ihrer Seite unter diesen lauschigen Bäumen wandeln, mit ihr Arm in Arm all die Lieblingsplätzchen besuchen würde, an denen er als Knabe und Jüngling geweilt hatte! Dann kamen die ehrwürdigen Türme des uralten Herrenhauses über den Kronen der Bäume in Sicht ... und dann das Herrenhaus selbst ... und dann lag er in den Armen der geliebten und getreuen Verwandten, denen er so viel Dank und Liebe schuldig war, und denen er so schweres Herzeleid, wenn auch vielleicht neben verhaltner Freude, bereitet hatte! Aber das Glück des Wiedersehens trübte kein einziges Wort des Vorwurfs, im Gegenteil; die Unruhen, die Sir Everard und Mrs. Rachel erlitten hatten, gewährten ihnen den Trost, daß der Erbe des Edelsitzes Waverley-Würden die Traditionen des alten Geschlechts in seinem Herzen trug. Zudem hatte Obrist Talbot seinem jungen Freunde den Weg gut geebnet, hatte viel erzählt von seiner guten Führung als Soldat und von seinen tüchtigen militärischen Kenntnissen, vor allem von seiner bei Preston an den Tag gelegten Tapferkeit, Großmut und Kühnheit, bis schließlich durch allerhand Zutat der Phantasie und zärtlicher Liebe aus Edward eine Art Heros wurde, der sich dreist mit seinen Taten neben die alten Helden des Hauses Waverley, neben einen Nigel und einen Hildebrand und Willibert, stellen konnte. ... Sein wettergebräuntes Aussehen, seine durch militärische Disziplin straff gewordne Haltung, sein durch die Strapazen und Märsche im Hochlande gestählter, muskulöser Körper gaben diesen Vorstellungen nicht bloß bei den Verwandten einen außerordentlich wirksamen Vorschub, sondern setzten alle Bewohner von Waverley-Würden in Staunen. Mr. Pembroke zollte ihm unverblümtes Lob, weil er seiner Kirche so treu geblieben sei und solche Ehre gemacht habe, konnte aber doch auch nicht umhin, ihm leise Vorwürfe darüber zu machen, daß er mit Manuskripten ein bißchen gar zu leichtfertig umgegangen sei. Auch ihm seien, als der Baronet in Haft genommen worden sei, Unannehmlichkeiten dadurch erwachsen, so daß er es für geraten gehalten habe, sich eine Zeitlang in einem Schlupfwinkel, dem sogenannten »Pfaffenloch«, zu verstecken. Indessen seien auch gegen ihn alle weiteren Schikanen eingestellt worden, seitdem der Baronet damit verschont wurde. Und das sei ihm wie eine Erlösung vorgekommen, denn mit der Beköstigung habe es während dieser Zeit manchmal recht kümmerlich ausgesehen und sein Bett sei auch immer bloß aller zwei Tage gemacht worden. Unwillkürlich wanderten bei diesen Worten Waverleys Gedanken zurück zu dem Baron von Bradwardine und zu dessen um so viel schlechtern Aufenthalt in seiner Höhle, der »schwarzen Hexe«, für das er mit seinem schönen Humor noch immer den Namen eines Patmos gefunden, trotzdem er mit ein paar Schütten Stroh und den magern Bissen der alten Janet hatte fürlieb nehmen müssen. Aber er unterließ alle Vergleiche, die für seinen alten lieben Lehrer doch nur kränkend hätten ausfallen können. Alles war jetzt in lebendiger Tätigkeit, um Edwards Hochzeit auszurichten. War es doch ein Ereignis, dem der greise Sir Baronet und seine Schwester Mrs. Rachel mit solcher Freude und Liebe entgegengesehen hatten. Diese Heirat erfüllte auch all ihre geheimen Wünsche, da die Braut, abgesehen von materiellen Schätzen, alle Bedingungen in sich vereinte, auf die in dem alten Edelgeschlechte der Waverleys, auf dem alten Edelsitze Waverley-Würden seit jeher der eigentliche Wert gelegt worden war. Darum wurde nun zum andern Male Herr Beutelschneider nach Waverley-Würden beschieden, diesmal jedoch unter günstigern Auspizien für die Entfaltung seiner Amtstätigkeit, als sie letztmals, also im Anfang unsrer Erzählung, ihm winkten. Aber Herr Beutelschneider kam nicht allein diesmal, sondern in der Gesellschaft eines kleinen Beutelschneiderleins, seines Neffen, den der Oheim langsam in die Praxis einführte, und mit dem er jetzt seine Rechtskanzlei unter der Firma »E. Beutelschneider und Haltfest« gemeinschaftlich betrieb. Die beiden gelahrten und klugen Herren bekamen Auftrag, den Ehekontrakt ganz nach den glanzvollen Normen aufzusetzen, die in England gelten, wenn ein junger reicher Erbe eine unabhängige Erbin aus dem ältesten Adel heimführt, die an die Fransen seines Hermelinmantels ihr väterliches Stammgut hängt. Der Tag der Hochzeit wurde auf den sechsten Tag nach Edwards Ankunft in Waverley-Würden festgesetzt. Der Baron von Bradwardine, für den Hochzeiten, Kindtaufen und Begräbnisse als hohe Feste rangierten, bei deren Feier der höchste Glanz entfaltet werden müsse, dessen ein Haus fähig sei, bemerkte mit einiger Bitterkeit, daß mit Einschluß der Familie Duchran und der gesamten nächsten Nachbarschaft bloß dreißig Personen geladen weiden konnten, »denn bei seiner Hochzeit seien an dreihundert Edelleute von echtem Adel mit all ihrer Dienerschaft und etwa zwanzig hochländische Lairds anwesend gewesen.« Aber einigen Trost fand er darin, »daß er mit seinem Schwiegersohne einen Strauß wider die Regierung ausgefochten habe und daß es leicht zu neuem Argwohn in den herrschenden Kreisen Anlaß geben könne, wenn sich alle Verwandtschaft, Vettern zweiten und dritten Gliedes in Tracht und Rüstung, wie es in Schottland der Brauch ist, hätten zusammenfinden wollen ... « »Und ohne Zweifel sind viele ja auch,« schloß er seine Betrachtungen mit einem tiefen Seufzer, »die heute vielleicht am lustigsten gewesen wären, zum Teil von ihrem heimatlichen Boden verbannt, zum andern, und wohl stärkern Teile, an einen bessern und stillern Ort hinübergegangen.« Die Hochzeit fand am festgesetzten Tage statt. Der hochwürdige Pfarrer Rubrik, mit dem Brautvater so eng befreundet und verwandt, hatte als Kaplan des Hauses Bradwardine die Freude, die Hände des schönen Paares ineinander zu legen. Brautführer war Frank Stanley, dagegen waren Obrist Talbot und Lady Emily zu ihrem Leidwesen verhindert, an der Feier teilzunehmen, denn die Gesundheit der Lady gestattete eine so weite und zu damaliger Zeit noch ziemlich beschwerliche Reise nicht. Dagegen wurde vereinbart, daß auf der Heimreise des jungen Paares nach Waverley-Würden, wohin sie auch der Baron begleiten solle, ein paar Tage auf einem Edelsitze, Rast gemacht werden solle, zu dessen Ankauf sich Obrist Talbot, wie er schrieb, hätte verleiten lassen und wo er einige Zeit aus Rücksicht auf die Gesundheit seiner Gemahlin zu leben gedächte. Vierunddreißigstes Kapitel Die Hochzeitsgesellschaft reiste im vornehmen Stile der damaligen Zeit. Zuerst kam die sechsspännige Brautkutsche, deren Eleganz halb Schottland die Augen blendete. Sie war nach der neusten Mode gebaut und ein Hochzeitsgeschenk Sir Everards für Edward. Dann kam die Familienkutsche des Pfarrers Rubrik, dicht besetzt mit Damen; dann folgten die Herren zu Pferde, wohl an die zwanzig Köpfe ohne die Dienerschaft. Schösser Macwheeble ließ es sich nicht nehmen, die Herrschaften zu einer Rast in seinem Hause in Klein-Beolan aufzufordern. Er kam ihnen halbwegs entgegen und nahm kurz entschlossen die Führung des Zuges in die Hand. Der Baron stutzte, antwortete, er würde ja mit seinem Schwiegersohne den Wunsch des Schössers ganz gern erfüllen, könne aber unmöglich den ganzen »Comitatus nuptialis« oder hochzeitlichen Zug mit sich zu seinem Schösser bringen. Aber dieser bestand auf seinem Willen unter allen möglichen Kratzfüßen und Komplimenten, so daß dem Baron nichts andres übrig blieb, wenn er sich auch ungehalten über die unverwüstliche Zudringlichkeit stellte, als zuzustimmen und dem Schösser den Willen zu tun. Der Weg nach Klein-Beolan ließ sich nicht anders als über den alten Edelsitz der Bradwardine, Tully-Beolan, nehmen, und der Baron verfiel, als der Zug sich dem Eingange der Allee nahte, in tiefes Sinnen. Erst durch den veränderten Anblick, den die Szenerie bot, wurde er reger, und als er nun gar sah, daß die Zinnen wieder die Mauern krönten, daß aller Schutt weggeräumt worden, ja daß die beiden großen steinernen Bären, diese von ihm so heilig angebeteten Götzen, ihre Posten über dem Torweg wieder bezogen hatten, da fing sich sein Blick zu verklären an, und er sagte zu Edward: »Das muß man sagen, der neue Besitzer hat mehr Gusto, wie der Italiener sagt, in der kurzen Zeit, daß er hier ist, bewiesen, als dieser Hund Malcolm, wiewohl ich ihn selbst erzogen habe, vita adhuc durante [so lange er nun am Leben ist]... Sieh da, wenn man den Teufel nennt, e.c. ... Kommt dort nicht das Hundepaar Bran und Buscar mit David Gellatley die Allee herauf gesaust?« »Und ich dächte, wir gingen ihnen entgegen, Baron, denn meines Wissens ist Obrist Talbot jetzt Besitzer und dürfte uns erwarten. Es sollte Euch zuerst nicht gesagt werden, daß er Euern Edelsitz angekauft habe, und wenn es Euch nicht genehm sein sollte, ihm einen Besuch zu machen, so können wir noch jetzt umkehren und zum Schösser gehen.« Jetzt galt es für den Baron zu zeigen, daß er der Mann sei, der nicht bloß Seelenstärke besitze, sondern sich auch zusammenzunehmen wisse. Er nahm, nachdem er tief Atem geholt, eine Prise und sagte, »daß es nun doch nicht mehr anginge, bei dem Herrn Obersten vorbeizugehen, ohne daß es nach Beleidigung aussähe, nachdem er nun einmal so weit mit hergeschleift worden sei.« Er stieg ab, die andern Herrschaften desgleichen, dann reichte er seiner Tochter den Arm und meinte, »es sei doch ein eigen Ding um diese ›Diva Pecunia‹ [Göttin Geld] der Südländer im Reiche, um diese, wie er sie nennen möchte, »Schutzpatronin der Briten«, denn wenn die jemand hold sei, dann seien solche Verwüstungen ja wirklich im Handumdrehen wieder gut gemacht.« Es war auch wirklich so, wie der Baron die Sachlage beurteilte, im Handumdrehen waren die sämtlichen Schäden beseitigt worden, man sah keine gefällten Bäume mehr umherliegen, die Baumstümpfe waren aus der Erde gegraben und durch neue Stämmchen ersetzt worden, der Boden rings war planiert, mit Gras besäet, und alles so schmuck und sauber wieder hergerichtet worden, daß niemand, der nicht Augenzeuge der Verwüstung, die hier geherrscht hatte, gewesen wäre, im geringsten sie hätte vermuten können. Eine ähnliche Wandlung war mit David Gellatley vorgegangen. Wie ein Geck blieb er von Zeit zu Zeit stehen, um den neuen Anzug bewundern zu lassen, den seine Person putzte. Er tanzte in seiner alten fröhlichen Weise erst zu dem Baron hin, dann zu Miß Rosa, dann zu Edward, dann zu dem Schösser, dann zu Saunders Saunderson, strich mit den Händen an den Kleidern entlang und rief einmal über das andre: »Schön, gar schön!« Aber von den vielen hübschen Liedern, die er auswendig wußte, konnte er kaum eine einzige Strophe singen vor all der Freude, die jetzt in sein harmloses Herz eingekehrt war. Auch die beiden Hunde erkannten ihren Herrn auf der Stelle wieder und sprangen wie besessen an ihm in die Höhe und liebkosten ihn. ... »Bei meiner Seele, Rosa,« sagte der Baron, »wenn ich sehe, wie dankbar die beiden Hunde sind und wie sich der arme Narr gebärdet, um seine Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen, dann könnte ich diesen Schuft von Malcolm ... « aber er vollendete den Satz nicht, sondern fuhr fort: »Aber, weißt Du, Rosa, dem Baron Talbot bin ich zu unsäglichem Danke verpflichtet, daß er meine Hunde so gut gepflegt und den armen Narren so gut wieder herausgeputzt hat. Indessen dürfen wir auf keinen Fall zugeben, daß sie gewissermaßen als Ausgedinge auf dem Stammgute lasten.« Er hatte noch nicht ausgeredet, da kam Lady Emily, auf den Arm des Obersten gestützt, der Hochzeitsgesellschaft entgegen und bewillkommnete sie aufs herzlichste. Sie bat ebenso herzlich um Verzeihung, »daß man eine kleine List habe gebrauchen müssen, um den Baron von Bradwardine ... « »Bitte, meine Gnädige, bloß Mr. Bradwardine noch,« fiel ihr der alte Formalitätenherr in die Rede. »Nun dann, um Mr. Bradwardine und Mr. Waverley an einen Ort zu locken, der vielleicht nicht frei für sie von unangenehmen Erinnerungen sein möge ...« Der alte Baron horchte auf, wie wenn er nicht recht gehört hätte. »Aber da heute der neue Besitzer eingeführt werden sollte, sei es doch nicht zu umgehen gewesen, dem ehemaligen Besitzer und Mr. Waverley zu zeigen, was man es sich habe kosten lassen, um dem alten Edelsitze sein früheres Aussehen wiederzugeben . .« Lady Emily lächelte, der Baron aber rückte unruhig hin und her, wie jemand, der nicht recht weiß, ob er genarrt wird oder nicht. Inzwischen war man aber in den Hof gelangt, und hier zeigte nun alles wieder durchaus das alte Gesicht. Alles war ganz genau wieder so, wie es der Baron vor Monden verlassen hatte, um für die Sache der Stuarts ins Feld zu ziehen. Bloß die niedergebrannten Wirtschaftsgebäude waren durch neue schmuckern Stils ersetzt worden. Das Taubenhaus war wieder voll gefiederter Insassen, die Fontäne plätscherte wieder lustig, und die Bären waren auch hier wieder an ihrem alten Flecke und so geschickt repariert, daß kein Untätchen an ihnen zu sehen war. Der Baron staunte alles mit stiller Verwunderung an, konnte zuletzt aber nicht umhin, sich mit ein paar Worten an den Obristen zu wenden. »Das muß ich sagen, Herr Oberst, Ihr habt mich in große Schuld bei Euch gesetzt durch diese Wiederherstellung meiner Familienzeichen, aber ich kann doch nicht umhin, meiner Verwunderung darüber Ausdruck zu geben, daß ich nirgendswo Euer eignes Helmstück angebracht finde, Herr Oberst, das doch meines Wissens ein Hofhund ist; wenigstens wurde es so gehalten bei dem berühmten Grafen Shrewsbury, mit dem Eure Familie ja doch blutsverwandt ist.« »Ich glaube, Baron,« versetzte lächelnd der Oberst, »daß Eure Bären- und unsre Hundebrut vom gleichen Wurfe sind. Sollte es unter den Helmstücken zur Fehde kommen, nun, dann mögen sich, wie schon das Sprichwort sagt, Bär und Hund zusammen raufen.« Unter solchem Gespräch betraten sie das Haus, nämlich der Baron, Miß Rosa, Lady Emily, Frank Stanley und der Schösser, während Edward mit der übrigen Gesellschaft auf der Terrasse verweilte, um ein neues Gewächshaus zu bewundern, das mit den herrlichsten Pflanzen gefüllt war. Der Baron knüpfte an seine Rede an: »Auch über ein anderes muß ich mich wundern, Herr Oberst, daß Ihr, da Ihr doch ein so hohes Maß von Amor Patriae [Vaterlandsliebe] an den Tag legtet, als wir in Edinburg beisammen waren, und alle andern Länder neben England so gering achtetet, Euch dazu entschlossen habt, Eure Lares [Hausgötter] dermaßen procula patriae finibus [fern von des Vaterlandes Grenzen] aufzurichten, daß Ihr Euch halb und halb aus dem eignen Vaterlande verbannt habt.« »Nun denn, Baron, ich sehe nicht ein, warum ich das Geheimnis dieser wunderlichen Leutchen, Waverleys und meiner Frau, noch länger hüten soll; drum hört denn, daß ich von dieser Marotte noch ganz und gar nicht befreit bin, denn ich habe mir nicht Eure Baronie, sondern bloß ein kleines Stück Land von etwa 250 Ackern mit einem kleinen Landhäuschen bei uns gekauft, Brerewood-Lodge, welches den einzigen Vorzug hat, von Waverley-Würden bloß ein paar Stunden ab zu liegen.« »Aber wer hat dann diese Besitzung gekauft?« rief der Baron. »Danach müßt Ihr Euch bei diesem Herrn hier erkundigen,« versetzte der Oberst, indem er auf den Schösser Duncan Macwheeble zeigte, der eben in das Haus trat, nachdem er die ganze Zeit von einem Fuße auf den andern, wie von Ungeduld gemartert, herumgetrippelt war. »Ihr könnts mir sagen, Schösser?« fragte der Baron. »Das kann ich, Euer Gnaden, das kann ich,« rief Schösser Macwheeble, indem er aus seiner Tasche ein Bündel Schriften langte, von dem er mit zitternder Hand das rote Bändchen löste. »Hier ist die Abtretungsurkunde, unterzeichnet von Malcolm Inch-Grabbit von Bradwardine und bestätigt in aller gerichtlichen Form, daß er Gut und Baronie Bradwardine nebst Tully-Beolan e.c., mit Burg und Herrenhaus e.c. ...« »Aber kommt doch zur Sache!« rief ungeduldig der Oberst. »An Cosmo Comyne Bradwardine Esq., seine Erben und vollmächtigten, für immer und unwiderruflich a me vel de me« [an mich oder von mir]... »Weiter, weiter,« drängte der Oberst. »Mit dem Vorbehalt jedoch ... « nahm Macwheeble wieder das Wort. »Das geht ja übers Bohnenlied, Mensch,« rief der Oberst, »also, Baron, ums kurz zu machen, Euer Familiengut ist wieder Euer freies und unbeschränktes Eigentum, mit keiner weitern Belastung, als der Rückerstattung der vorgestreckten Summe, die übrigens meines Erachtens zum Werte des Gutes außer allem Verhältnis steht.« »So ists, so ists,« bestätigte Macwheeble, »und wollt Ihrs etwa nicht glauben, dann braucht Ihr bloß einen Blick ins Grundbuch zu werfen. Da stehts! da stehts!« »Und diese Summe ist von Edward Waverley voll bezahlt worden aus dem Erlöse, den er aus dem durch mich erstandenen Landgute seines verstorbnen Vaters gelöst hat,« fuhr der Oberst fort, »und steht eingetragen als Leibgut seiner Gemahlin, Eurer Tochter, mit dem Erbrecht für die aus ihrer Ehe etwa entstammenden Kinder.« Ob sich der Baron mehr gefreut haben mag über die Wiedererlangung seines Stammgutes oder über das Zartgefühl, wie man, ihm diese Sache mitgeteilt hatte, das wollen wir dahingestellt sein lassen ... bloß eins müssen wir noch, um dem seltsamen Charakter des Mannes gerecht zu bleiben, erwähnen. Er nahm plötzlich Macwheeble beim Rockknopfe und führte ihn in eine Fensternische, und was er ihm da sagte, bezog sich sicher auf Pergament und Stempelbogen, denn was hätte sonst die Aufmerksamkeit des Schössers in solch intensivem Maße in Anspruch nehmen sollen? »Ich verstehe Euer Gnaden vollkommen,« sagte der Schösser, »ich werde morgen einen Entwurf anfertigen, eine Entsagungsurkunde also in favorem [zugunsten] mit Bevorzugung des zweiten Sohnes, wenn die Ehe damit gesegnet sein sollte, der Namen und Wappen derer von Bradwardine zu führen hat, ohne jeglichen andern Namen und Beisatz.« Damit endete die heimliche Unterhaltung zwischen Baron und Schösser, und nun galt es, die Gäste zu bewillkommnen, die zur Feier des Tages geladen worden waren. Es waren der Major Melville von Cairnvreckan und der Ortspfarrer Morton von Cairnvreckan und eine ganze Reihe andrer Bekannten und Nachbarn des Barons, und als nun von Saunders Saunderson die Nachricht verkündet wurde, daß der Baron wieder den Besitz seines alten Gutes angetreten habe, da klang aus dem Dorfe herauf ein Jubelgeschrei über das andre zu den Schloßfenstern herauf. Und dann ging es an die Tafel, die durch Lady Emilys Fürsorge aufs herrlichste gedeckt worden war, und bei der »Alexander ab Alexandro« in voller Tracht als Haushof- und Kellermeister aufwartete, mit allen einstigen Unterbedienten, die man wieder zusammen getrommelt hatte bis auf einige wenige, von denen man seit der Schlacht bei Culloden nichts wieder gehört hatte. Im Keller lag wieder herrlicher Wein, und für die Hörigen sprudelte heute die Fontäne nicht Wasser, sondern einen famosen Branntweinpunsch. Als die Tafel aufgehoben worden, warf der Baron, im Begriff, einen Spruch auszubringen, einen besorgten Blick auf das Buffet, das manches von dem alten Schloßgeschirr wieder enthielt, das einst den Stolz des Geschlechts gebildet hatte, und das die benachbarten Edelleute den Soldaten aus ihren Beutestücken abgekauft und dem alten Baron von Bradwardine zum Präsent gemacht hatten. »Zu diesen Zeiten,« hub er an, »muß seinem lieben Gott dankbar sein, wer Leben und Land behalten hat. Aber indem ich zu diesem Spruche mich erhebe, muß ich zuvörderst eines alten Erbstücks gedenken, dessen Verlust mich betroffen hat, Lady Emily, eines poculum potatorium, Obrist Talbot ... « Hier wurde sein Arm leicht angestoßen, und als er sich umsah, erblickte er in den Händen seines Alexandri ab Alexandro den berühmten Becher des heiligen Duthac, den geweihten Bär von Bradwardine! ... Und sicher, selbst die Wiedergabe seines Stammguts traf sein Herz nicht so unmittelbar, wie der Wiederfund dieses Kleinods! ... »Bei meiner Ehre!« rief er begeistert, »Lady Emily, an Zauberfeen möcht ich glauben, wenn Eure Liebden zugegen sind!« »Ich fühle mich überglücklich,« erklärte der Obrist, »daß es mir gelungen ist, dies alte Kleinod wieder aufzufinden und Euch den Beweis zu erbringen, daß ich an allem, was meinen jungen Freund Edward anbetrifft, einen herzlichen Anteil nehme. Aber damit Ihr mir nicht meine Frau für eine Zauberin haltet, will Ich Euch vertrauen, daß mein Neffe das alte Erbstück wieder beigebracht hat, und zwar durch meinen alten Lakei und Kriegskamerad Spontoon, der es bei einer Frau Rosebag vorgefunden hat, die es einem der hier quartiert gewesenen Soldaten abgekauft hatte. Ich hoffe nur, daß sich der Wert des Bechers nicht dadurch in Euren Augen verringert hat, weil Ihr ihn durch meine Hände zurückerhaltet.« Eine Dankesträne fiel in den Wein, den der Baron in den Humpen goß, um den Spruch auszubringen: »Auf das Wohl und Wohlergehen der vereinigten Häuser Waverley-Würden und Bradwardine!« Ende des Romans Guy Mannering   –  der Roman eines Sterndeuters Band eins und zwei Übersetzt von Erich Walter Guy Mannering, or the Astrologer. Edinburgh 1815 Erster Band. Erstes Kapitel Es war im Anfang des Wintermonats 17.., als ein junger Engländer, der die hohe Schule zu Oxford verlassen hatte, eine Reise durch das nördliche England machte und, durch Wißbegierde verleitet, von da in die angrenzenden Teile Schottlands fortsetzte. An dem Tage, da unsere Geschichte beginnt, hatte er verschiedene Klosterruinen in der Grafschaft Dumfries besucht und auch Zeichnungen davon gefertigt. Darüber war es spät geworden, so daß, als er wieder zu Pferde stieg, um seine Tour fortzusetzen, die zur Winterszeit kurze trübe Dämmerung schon angebrochen war. Der Weg ging durch ein schwarzes Moor, das sich seitwärts und geradeaus meilenweit erstreckte. Kleine Erhöhungen stiegen wie Eilande auf der Fläche empor, die, hie und da mit Getreidestreifen bedeckt, selbst in dieser Jahreszeit noch grün waren; und zuweilen erhob sich eine Hütte oder ein Pachthaus, von einigen Weiden beschattet und umfriedigt von dicken Hollunderbüschen. Pfade, die sich durch das Moor wanden, aber nur von Einheimischen begangen werden konnten, setzten diese vereinzelten Wohnstätten in Verbindung. Der Fahrweg war jedoch ziemlich gut und sicher, so daß dem Wanderer, den etwa die Nacht überfiel, keine Gefahr zu drohen schien. Reist aber jemand allein und nachts durch eine unbekannte Gegend, so ist ihm wohl niemals behaglich zu Mute, und bei keiner Gelegenheit wohl ist die Phantasie so rührig, wie in der Lage, in der sich unser Reiter, der den Namen Mannering führte, befand. Als der Schein der Dämmerung immer mehr erlosch und das Moor immer schwärzer wurde, erkundigte sich der Reisende bei jedem vorübergehenden Wanderer auf immer lebhaftere Weise, wie weit es bis zum Dorfe Kippletringan sei, wo er die Nacht zubringen wollte. Gewöhnlich folgte auf seine Frage die Gegenfrage: Woher kommt der Herr? und so lange die Leute, die er fragte, in dem matten Abendlichte noch erkennen konnten, daß sie einen Reisenden von Stande vor sich hatten, legten sie ihren Gegenfragen gewöhnlich irgend eine Annahme unter: z. B.: »Der Herr kommt gewiß vom alten Kloster Heiligen Kreuz, wohin so viele englische Herren gehen.« Als es aber so finster geworden, daß die Leute den Fragesteller nicht mehr erkennen, sondern nur hören konnten, erwiderten sie gewöhnlich: »Ei, woher kommt Ihr zu einer solchen Zeit in der Nacht?« oder auch: »Ihr seid gewiß nicht hier aus den Lande, Freund?« Die Antworten waren übrigens, wenn sie erfolgten, weder übereinstimmend noch genau. Anfangs war es bis Kippletringan noch ein schönes Stück, das bald zu drei Stunden sich verlängerte, die dann wieder auf eine, starke Meile zusammenschrumpften, oder annähernd bis zu drei, Meilen sich ausdehnten. Die Stimme einer Frau, die erst ein schreiendes Kind beruhigte, das sie auf dem Arm trug, versicherte endlich dem Reisenden, es sei noch sehr weit bis zum Dorfe und die Straße für Fußgänger sehr beschwerlich. Dem armen Mietpferde, das Mannering ritt, schien der Weg so wenig zu behagen, wie der guten Frau: es wurde allmählich sehr matt, antwortete auf jeden Sporenstich mit einem Stöhnen und stolperte über jeden Stein. Mannering war ungeduldig. Endlich wähnte er, in einem fern schimmernden Licht das Ziel seiner Tagesreise zu sehen; als er aber näher kam, fand er nur eins jener Bauernhäuser, die hie und da das weitgedehnte Moor beleben. Eine neue Verlegenheit kam: er geriet an einen Scheideweg. Hätte er auch ein Licht gehabt, um die von einem Wegweiser vorhandenen Trümmer zu Rate zu ziehen, so hätte es ihm doch wenig geholfen, da nach echt schottischer Sitte die Schrift wieder ausgelöscht worden war. Wie ein irrender Ritter mußte sich unser Abenteurer auf die Klugheit seines Pferdes verlassen, das ohne Bedenken den Pfad zur Linken einschlug; und da es munterer als bisher zu traben begann, erfüllte es seinen Reiter mit der Hoffnung, daß es dem Stalle zustrebe, daß also das Nachtlager nicht mehr weit entfernt sei. Es war schon sehr finster, obgleich die Sterne von Zeit zu Zeit mit zitterndem, ungewissem Lichte durch die Wolken blickten. Nichts unterbrach die tiefe Stille umher, als das Geschrei der Rohrdommel und das Heulen des Windes, der über das dürre Moor fuhr. Endlich vernahm der Reisende auch das ferne Tosen des Meeres, dem er sich schnell zu nähern glaubte. Ein neuer Grund zu Besorgnissen! Viele Wege in jener Gegend laufen längs dem Meeresstrande und werden häufig von der Flut überströmt, die sehr hoch geht und mit reißender Schnelligkeit wächst. Andere Pfade sind von Buchten und schmalen Stearinen durchschnitten, die zur Flutzeit nicht immer gangbar und sicher sind. Beides war für einen, des Weges nicht kundigen Reisenden auf einem ermüdeten Pferde, in einer so finsteren Nacht, mißlich genug. Es blieb ihm nichts übrig, als in dem ersten bewohnten, wenn auch noch so, armseligen Orte zu bleiben; es müßte denn gerade sein, daß er sich einen Führer nach dem leidigen Kippletringan verschaffen könnte. Er hielt vor einer kleinen ärmlichen Hütte, und als er mit vieler Mühe die Tür gefunden und lange gepocht hatte, erschallte zur Antwort ein gellendes Duett zwischen einer weiblichen Stimme und einem Hofhunde, der sich beinahe das Herz aus dem Leibe bellte, während jemand dazu schrie. Endlich wurden die menschlichen Töne vorherrschend, während das Geheul in ein häßliches Gekläff überging: ein Zeichen dafür, daß noch andere Faktoren als die Lunge beruhigend gewirkt hatten. »Daß Du krepieren mögest!« waren die ersten vernehmlichen Worte. »Ich kann ja vor Deinem Gebell nicht hören, was der Mann will.« »Bin ich noch weit von Klippetringan, gute Frau?« rief Mannering. »Von Kippletringan!!!« antwortete jemand im Tone der höchsten Verwunderung, die sich selbst durch drei Ausrufzeichen nur schwach kennzeichnen läßt ... »O Freund, da müßt Ihr wieder zurück bis –« »Nicht doch, gute Frau. Mein Pferd kann nicht weiter. Könnt Ihr mir nicht Nachtherberge geben?« »Das kann ich nicht. Ich bin ganz allein, Jakob ist auf dem Jahrmarkte in Drumshourloch mit den Zuchtkälbern. Ich darf niemand aufmachen, der sich um diese Zeit auf der Straße herumtreibt.« »Aber was soll ich denn anfangen, liebe Frau? Hier auf der Straße kann ich doch die Nacht nicht zubringen.« »Ja, aber ich kann nicht anders. Geht doch hinunter zum Schlosse. Ich wette, da nimmt man Euch gern auf.« »Aber wie komme ich denn zum Schlosse? Ist niemand hier, der mir den Weg zeigen kann? Ich will ja gut dafür bezahlen.« Das Wort »bezahlen« wirkte mit Zaubergewalt ... »Hans! Du fauler Strick!« rief jemand im Hause; »liegst hier und schnarchst, und der junge Herr braucht einen Wegweiser nach dem Schlosse! Auf, Du Bärenhäuter, geh und bring ihn hin! – Er wird Euch den Weg weisen, lieber Herr,« klang wieder die Frauenstimme, »und ich wette, man wird Euch gut aufnehmen, denn es wird nie jemand dort von der Tür gewiesen. Ich denke, Ihr werdet just zur guten Stunde kommen; der Knecht des Lairds ritt heute abend vorbei, die Hebamme zu holen, und als er hier einen Krug Dünnbier trank, sagte er uns, die gnädige Frau wollte in die Wochen kommen.« »Aber zu einer solchen Zeit möchte die Ankunft eines Fremden lästig sein,« hob Mannering wieder an. »Nicht doch, laßt Euch nicht bange sein; im Haus dort ist Platz genug, und Kindbettzeit ist immer fröhliche Zeit.« Hans hatte sich indes in eine zerrissene Jacke und ein Paar noch schlechtere Beinkleider gefunden, und es kam ein weißköpfiger, barfüßiger, träger Junge von zwölf Jahren beim Schimmer eines Binsenlichts zum Vorschein, das seine halbbekleidete Mutter so hielt, daß sie den Fremden sehen konnte, ohne sich seinen Blicken auszusetzen. Der Junge schlug die Richtung gegen Abend ein, und das Pferd am Zügel haltend, führte er den Reisenden mit einer Gewandtheit, die nichts zu wünschen ließ, über einen schmalen Pfad am Rande eines tiefen Abgrundes. Darauf zog er das müde Tier über eine steinige Wagenspur, dann über ein frisch gepflügtes Feld; endlich machte er eine Oeffnung in eine Mauer von losen Steinen, und so kam er zuletzt durch ein Pförtchen in einen Weg, der wie eine Allee aussah, obgleich viele Bäume gefällt waren. Das Toben des Meeres drang näher und lauter an des Reisenden Ohren, und der durch die Wolken brechende Mond übergoß mit seinem bleichen Schimmer ein mit Türmen gekröntes, den Anscheine nach verfallenes Gebäude von ansehnlichem Umfange. Mannering betrachtete es mit einer mißmutigen Empfindung »Das ist ja ein alter Steinhaufen, Junge, und kein Haus« sagte er. »Aber unsere Herrschaft hat da schon lange gewohnt. Es ist das alte Schloß Ellangowan. Freilich ist's nicht geheuer hierherum; aber Ihr braucht Euch nicht zu fürchten, ich selbst habe nie was gesehen. So, nun sind wir gerade vor dem Tore des neuen Schlosses.« Der Reiter ließ die Trümmer rechts liegen und stand vor einem kleinen neuen Hause, an dessen Tor der Junge laut pochte. Mannering eröffnete dem Diener, der zum Vorschein kam, sein Anliegen, und als der Hausherr in der Wohnstube vernommen, um was es sich handle, kam er heraus und hieß den Fremden gastfreundlich in Ellangowan willkommen. Der Junge wurde mit einer halben Krone entlassen, worüber er höchst vergnügt war, das müde Pferd in den Stall gebracht, und nach einigen Minuten sah Mannering bei einem guten Abendessen, das er sich nach dem beschwerlichen Nachtritte schmecken ließ. Zweites Kapitel Die Gesellschaft im Wohnzimmer zu Ellangowan bestand aus dem Gutsherrn selbst, und einem Manne, der wie ein Dorfschulmeister oder wie ein Pfarrgehilfe aussah; in ihm den Dorfpfarrer selbst zu vermuten, dazu war sein Äußeres zu armselig, denn der hätte sich zu einem Besuch im Schlosse wohl anständiger gekleidet. Der Laird war ein Landedelmann zweiten Ranges. Ein Zug von gutmütiger Sorglosigkeit war der einzige Ausdruck, der in seinem Gesicht auffiel, das eher hübsch als unangenehm aussah, aber so recht all jene Leere zum Ausdruck brachte, die in seinem ganzen Leben geherrscht hatte. Godfrey Bertram von Ellangowan zählte viele Ahnen, aber wenig Einkünfte, wie mancher Gutsherr seiner Zeit. Die Reihe seiner Väter stieg so hoch hinauf, daß an seinem Stammbaume, außer den Kreuzfahrernamen der Gottfriede, Gilberte und Rolande, auch noch die heidnischen Früchte einer weit dunklern Zeit hingen. Sie waren vordem die unruhigen Gebieter eines öden, aber ausgedehnten Besitztums und die Häuptlinge eines zahlreichen Stammes, namens Mac Dingawaie, der späterhin mit dem normannischen Zunamen Bertram vertauscht wurde. Sie hatten Kriege angefangen, Aufstände angezettelt, waren geschlagen, geköpft und gehängt worden, wie es sich Jahrhunderte lang für ein angesehenes Geschlecht ziemte. Allmählich aber verloren sie an Ansehen, und die Herren von Ellangowan, einst Häupter und Rädelsführer von Verschwörungen, sanken zu untergeordneten Parteigängern herab. Ihre unglücklichste Zeit fiel in das siebzehnte Jahrhundert, wo der böse Geist des Widerspruches sie mit den Machthabern in ewigen Hader brachte. Allan Bertram, der zur Zeit Karls des Ersten lebte, war ein standhafter Königsfreund, verband sich mit dem tapfern Monrose und andern eifrigen, ehrenwerten Vaterlandsfreunden und erlitt große Verluste. Der König verlieh ihm zwar die Ritterwürde, aber nach dem Sturze wurde er als Uebelgesinnter hart verfolgt. Sein Sohn heiratete die Tochter eines einflußreichen Schwärmers, der dem Staatsrate angehörte und dadurch den letzten Rest des Stammgutes rettete. Zu seinem Unglück aber begeisterte er sich für die Anschauungen seiner Gemahlin ganz ebenso wie für ihre Reize, und als er unter Karl dem Zweiten im Namen der Gutsbesitzer der westlichen Grafschaften beim Staatsrat eine Beschwerdeschrift über Landbedrückungen einreichte, wurde er zu einer harten Geldbuße verurteilt, die ihn zur Verpfändung seines halben Erbteils nötigte. Durch Sparsamkeit hätte sich dieser Verlust wohl ersetzen lassen: aber als es bald nachher zu einem neuen Aufstande kam, machte sich Bertram abermals verdächtig, wurde verhaftet und brach bei einem Versuche, aus dem Kerker zu entspringen, den Hals. Der Hypotheken-Gläubiger setzte sich in Besitz des Anwesens, und der junge Erbe von Ellangowan, Donohoe Bertram, übernahm nun das stark verkümmerte Stammgut. Er warf den Kaplan seiner Mutter aus dem Hause, weil beide, wie die Sage geht, um eines Milchmädchens willen in Streit geraten waren, betrank sich täglich bei den vielen Gesundheiten, die er auf König, Staatsrat und Bischöfe ausbrachte, und ging im Tressen bei Killiekrankie zu Clavers über. Bald nachher schoß ihn ein Cameronianer in einem Gefechte mit einem silbernen Knopfe tot; denn man hielt ihn für kugel- und stichfest. Sein Grab heißt noch immer »das Lager des schlimmen Laird.« Sein Sohn Lewis war klüger als seine andern Stammesglieder und suchte zu erhalten, was vom Stammgute auf ihn gekommen war, obgleich auch er, vom Verhängnis ergriffen, das über den Herren von Ellangowan feindselig waltete, sich in die politischen Parteien mischte, die sich 1715 zu gunsten des vertriebenen Hauses Stuart bildeten: aber er verlor doch nicht alles, sondern verkaufte einen Teil seiner Ländereien, räumte das alte Schloß, wo seine Voreltern gewohnt hatten, und erbaute von einem Teile seiner ehrwürdigen Trümmer ein kleines Haus, dessen Vorderseite wie eine Grenadiermütze aussah; das war der neue Edelhof, worin er seinen Sitz aufschlug, und hier war er immer dafür besorgt, den Wohlstand seines Hauses wieder zu erheben. Er nahm einige Ländereien von benachbarten Gutsbesitzern in Pacht, kaufte und verkaufte hochländisches Rindvieh und Cheviot-Schafe, ritt auf Jahrmärkte und Sammelplätze und half sich in der Not, so gut es gehen wollte. Was er aber an Geld gewann, verlor er an Ansehen; denn alle landwirtschaftliche und kaufmännische Betriebsamkeit wurde von seinen Standesgenossen, die nur für Hahnenkämpfe, Jagd und Wettrennen Sinn hatten, mit sehr ungünstigen Augen angesehen. Dadurch sah sich der neue Herr von Ellangowan gezwungen, ihre Gesellschaft zu meiden und einer von den »fürnehmen Pachtherren« zu werden, was aber damals in Schottland kein angesehener Stand war. Als das dürftige Erbe auf seinen einzigen Sohn, den Wirt unseres Reisenden, überging, trat die gefährliche Natur der väterlichen Spekulationen sehr bald zu Tage. Es fehlte an der selbständigen Oberaufsicht, die der Vater geführt hatte, so daß alles, was der Sohn angriff, mißlang. Ohne einen Funken von eigener Kraft, den hieraus erwachsenden Schaden gut zu machen, verließ er sich auf einen Verwalter, unter dessen Händen kleine Schulden zu großen wurden, Zinsen sich auf Zinseszinsen häuften, ablösliche Lasten zu erblichen wurden, bis der brave Laird, der durchaus kein Freund von Zank und Streit war, aus den Prozessen nicht mehr herauskam, aber von ihnen zumeist erst dann hörte, wenn das Gericht die Kosten beitrieb. Die Nachbarn sahen seinen Untergang voraus, und während die Vornehmern ihn schon, nicht ohne Schadenfreude, als »bankerotten Standesgenossen« ansahen, fühlten die Niedern, die seine Lage nicht neidenswert fanden, in gewissem Maße Mitleid mit ihm. Bei mancher öffentlichen Zusammenkunft, wenn von Bedrückungen der adeligen Gutsherren die Rede war, hieß es dann wohl bei diesen letztern: »Ja, wenn der ehrliche Ellangowan noch die Macht seiner Voreltern besäße, ließe er arme Leute nicht so unter die Füße treten.« Aber trotz dieser guten Meinung von ihm, machte man sich doch kein Bedenken daraus, bei jeder Gelegenheit Nutzen aus seinen Verlegenheiten zu ziehen, das Vieh in sein Gebüsch zu treiben, Holz aus seinen Beständen zu stehlen und Wild von seinen Fluren wegzuschießen; Hausierer, Zigeuner, Kesselflicker und allerhand fahrendes Volk schlug sein Lager in der Nähe seines Schlosses auf oder herbergte gar in seiner Küche; der Gutsherr aber, der, wie fast immer Schwächlinge unter den Menschen, ein Freund vom Klatsche war, fand den Lohn für seine Gastfreiheit in der Gelegenheit, seine Gäste nach den Neuigkeiten im Lande zu fragen. Auf dem geraden Wege zum Untergange wurde der Gutsherr durch die Mitgift von viertausend Pfund Sterling, die ihm seine Braut brachte, noch einmal aufgehalten. Niemand in der Gegend konnte begreifen, warum ihre Wahl auf ihn gefallen, warum sie ihm ihr Geld in die Hände gab, wenn sie sich nicht gerade durch seine schlanke hübsche Gestalt, sein freundliches Gesicht und Benehmen und sein gutmütiges Temperament hatte fesseln lassen. Vielleicht hat bei ihr auch mitgesprochen, daß sie in dem bedenklichen Alter von achtundzwanzig Jahren stand und keine näheren Verwandten hatte, die Einspruch gegen ihre Wahl hätten erheben können. Sie stand nun vor ihrer ersten Entbindung, und eben um ihretwillen war in der Nacht, da Mannering eintraf, der Eilbote nach Kippletringan gesandt worden. Des Gutsherrn Gesellschafter war Abel Sampson, gewöhnlich als Jugendlehrer »Magister Sampson« genannt. Er war von niederer Herkunft, war aber seit seiner frühesten Kindheit ein so ernster Streber gewesen, daß seine armen Eltern sich zu der Hoffnung berechtigt hielten, ihr Junge werde den Weg auf die Kanzel finden. Infolgedessen darbten sie sich alles ab, standen früh auf und gingen spät zu Bett, aßen trocknes Brot und tranken kaltes Wasser, um ihrem kleinen Abel die Mittel zum Studium zu schaffen. Aber der arme Sampson war von langer, häßlicher Figur, und von schweigsamem, ernstem Wesen, hatte auch die seltsame Gewohnheit an sich, mit Armen und Beinen zu schlenkern und Gesichter zu schneiden, wenn er seine Aufgabe hersagte, und wurde hierdurch allen Schulknaben zum Gelächter. Nicht besser erging es ihm auf der hohen Schule von Glasgow. Die halbe Gassenjugend lief gewöhnlich zusammen, wenn »Magister Sampson« – diesen Ehrentitel besaß er schon – mit seinem Wörterbuch unter dem Arme aus dem griechischen Unterricht kam, die langen, ungefügigen Beine spreizend, die seltsamen Takt hielten mit dem Spiele der mächtigen Schulterblätter, über denen der weite, fadenscheinige schwarze Rock, sein gewöhnlicher und einziger Anzug, sich hob und senkte. Wenn er redete, waren vollends alle Bemühungen des Lehrers, das unauslöschliche Gelächter der Schüler zu unterdrücken, umsonst; ja es fiel ihm selbst schwer, ernsthaft zu bleiben. Das lange, bleiche Gesicht, die stieren Augen, der große Unterkiefer, der nicht willkürlich sich zu öffnen und schließen, sondern wie durch einen im Leibe arbeitenden Mechanismus auf- und niederzuklappen schien, die rauhe, überlaute Stimme und die an Geheul erinnernden Töne, wenn er ermahnt wurde, deutlicher zu sprechen – alles dieses reizte noch mehr zum Lachen! dazu kamen noch der zerlumpte Rock und die zerrissenen Schuhe, die Stoff zum Spott gegen den armen Gelehrten seit Juvenals Zeiten gegeben haben. Daß Sampson je darüber aufgebracht gewesen wäre oder an seinen Quälgeistern sich zu rächen gesucht hätte, davon hatte noch kein Mensch im Leben gehört. Er schlich auf den einsamsten Pfaden, die er finden konnte, aus der Schule in seine armselige Wohnung, wo er, für achtzehn Pense wöchentlich, auf einem Strohsacke schlafen und, wenn seine Wirtin gut gelaunt war, an ihrem Feuer seine Aufgaben lernen konnte. Mitten in diesen bedrängten Umständen erwarb er sich jedoch gute Kenntnisse im Griechischen und Lateinischen und blieb auch in den Wissenschaften kein Fremdling. Mit der Zeit wurde er Predigtamtskandidat. Aber ach! auf der Kanzel stand ihm nicht bloß seine Schüchternheit im Wege, sondern die ganze Gemeinde geriet bei seinem ersten Predigtversuche in eine so fidele Stimmung, daß dem armen Kandidaten die Worte im Halse stecken blieben. Er keuchte, zeigte die Zähne, rollte furchtbar die Augen, schlug die Bibel zu, stolperte die Kanzeltreppe hinab und rannte die alten Weiber, die hier gewöhnlich ihren Platz hatten, dabei fast über den Haufen. Seitdem hieß er nur »der Prediger, der nicht weiter kann.« Nach diesem trübseligen Debüt kehrte er wieder in seine Heimat zurück mit verlorenen Hoffnungen und Aussichten, und teilte dort die Armut seiner Eltern. Da er nun weder Freunde noch Kameraden, ja nicht einmal einen Bekannten hatte, konnte es niemand recht fassen, wie er über das Malheur wegkam, das dem Städtchen, in welchem er als Prediger aufgetreten war, acht Tage lang Stoff zur Unterhaltung gab. Wahrscheinlich aber ist sein Gleichmut dadurch nicht erschüttert worden. Durch Stundengeben suchte er so viel zu verdienen, daß er seine Eltern unterstützen konnte, und hatte wohl bald Schüler genug dazu, aber der Einnahmen aus dieser Tätigkeit herzlich wenig. Pächterssöhne durften ihm nach Belieben geben, von den Armen nahm er aber nichts, und für die erstern war es eben nicht viel Ehre, daß der arme Lehrer keinen Tag so viel verdiente wie ein geschickter Knecht hinter dem Pfluge. Er schrieb eine gute Hand, und eine kleine Einnahme wurde ihm von seiten des Herrn von Ellangowan, für den er Rechnungen schrieb oder Briefe entwarf. Auf diese Weise fand dieser mit der Zeit immer mehr vereinsamende Gutsherr nach und nach Behagen an Sampsons Gesellschaft. Von Unterhaltung konnte dabei freilich nicht viel die Rede sein, aber der Magister war ein guter Zuhörer, wußte das Kaminfenster gut imstande zu halten, versuchte sich wohl auch in der Kunst des Lichtputzens; als es ihm aber dabei passierte, daß er zweimal hintereinander die Wohnstube in tiefes Dunkel setzte, gab er weitere Versuche in dieser Richtung auf und beschränkte seine Dienstleistung hinfort darauf, sein Bierglas gleichzeitig mit dem Burgherrn von Ellangowan in die Hand zu nehmen und dessen endlose Erzählungen mit unverständlichem Beifallgemurmel zu begleiten. Bei einer solchen Gelegenheit bekam unser Reisender zum erstenmal Magister Sampsons langes, mageres, ungeschlachtes Knochengerippe in dem alten, schäbigen schwarzen Rocke, zu dem ein buntes, nichts weniger als sauberes Halstuch, ein Paar graue Beinkleider und dunkelblaue Strümpfe sowie ein Paar klobige Schuhe mit genagelten Sohlen, durch kleine kupferne Schnallen über dem Spann zusammengehalten, eine schickliche, nicht aber vorteilhafte Ergänzung bildeten, zu Gesicht. Drittes Kapitel Der Gast wurde über den Zustand der Hausfrau unterrichtet, der als Entschuldigungsgrund für ihre Abwesenheit und all die hiermit notwendig im Zusammenhange stehenden Unzukömmlichkeiten, wie Mangel an Aufmerksamkeit bei der Bewirtung, usw. gelten mußte. »Ich kann nicht schlafen,« sagte der Hausherr mit der Unruhe, die bei einem Vater unter solchen Umständen begreiflich und natürlich ist, »bis ich weiß, daß sie es glücklich überstanden hat, Wenn Sie nicht allzu müde sind, lieber Herr, so schenken Sie vielleicht mir und dem Magister die Ehre Ihrer Gegenwart noch? Allzulange werden wir Sie hoffentlich nicht aufhalten. Die Hebamme ist eine geschickte Person, die ihresgleichen sucht. Da war eine Dirne hier in der Gegend in Kindsnöten und ließ die Howatson-Luckie holen. Warum schütteln Sie so mit dem Kopfe und seufzen, Sampson? – die Kirchenbuße ist doch schlecht und recht von ihr bezahlt worden, und was kann solch armes Ding noch mehr tun? – Es passierte wohl, ehe sie unter die Haube kam, aber der Mann, der sie dann genommen, hält sie darum nicht weniger in Ehren – sie wohnt jetzt in Annan, an der Küste, und ich sage Ihnen, Herr Mannering, ein anständigeres, ordentlicheres Ehepaar kann man sich gar nicht vorstellen, Sie hat ein halbes Dutzend hübsche Kinder, und der kleine Krauskopf Godfrey – der Älteste, der sozusagen ohne Paß auf die Welt kam, – der ist auf einem Zollschiffe bedienstet – ich habe selbst einen Vetter auf dem Zollschiffe, den Kommissarius Bertram; er bekam die Stelle, als in der Grafschaft der große Wahlkrawall herrschte, – unter König Jakob – Sie werden ja davon gehört haben?« Hier wurde die Geschichte, in die sich der Laird wieder zu verwickeln begann, durch lauten Gesang von jemand, der die Küchentreppe heraufkam, unterbrochen. Die hohen Töne waren zu grell für eine männliche, die tiefen schienen zu dumpf für eine weibliche Stimme zu sein. Was Mannering von dem Singsang unterscheiden konnte, lautete: Sei der Tag beglückt gewesen! Tät' die Frau des Kinds genesen? Bübel oder Mädel sei's, Beten wir und machen's Kreuz. »Ach, die Meg Merrilies, die Zigeunerin, bei meiner Armensünder-Ehre!« sagte Bertram. Sampson stöhnte, löste die gekreuzten Beine voneinander, zog den vorgestreckten, in der bisherigen Stellung lahm gewordenen Fuß an sich, stellte ihn senkrecht vor sich hin und legte das andere Bein darüber, während er dicke Tabakswolken aus seiner Pfeife blies. »Warum stöhnen Sie, Magister?« fuhr ihn Bertram an. »Was die Meg Merrilies singt, ist doch nichts Schlimmes.« »Was Gutes auch nicht,« antwortete Sampson mit einer Stimme, deren rauher Mißklang zu seiner ungeschlachten Gestalt vortrefflich paßte. Es waren die ersten Worte, die Mannering aus dem Munde des Magisters hörte, den er bis jetzt nur wie einen Automaten essen, trinken, rauchen gesehen, und da er mit gewisser Spannung darauf gewartet, ihn auch reden zu hören, machten ihm die rauhen Töne, die nun den Weg zu seinem Ohr fanden, nicht wenig Spaß. Da ging die Tür auf, und Meg Merrilies trat herein. Mannering fuhr bei ihrem Anblick zurück. Sie war volle sechs Fuß hoch, trug einen Mannsrock über ihrem Kleide, hielt in der einen Hand einen derben Schlehdornknüttel und wies, von ihren Weiberröcken abgesehen, mehr das Aussehen eines Mannes als eines Weibes auf. Ihre tiefschwarzen, zerzausten Locken lugten unter der altmodischen Mütze, die sie auf dem Kopfe trug, wie Gorgonenhaar hervor und verschärften die energischen Züge des gebräunten Gesichts, das von ihnen verdunkelt wurde, während ihre Augen so wild rollten, daß man die Person für wirklich wahnsinnig, oder sich wahnsinnig stellend, halten konnte. »Ei, ei, Ellangowan,« sagte sie, »was möchte wohl passiert sein, wenn die Edelfrau in die Wochen gekommen wäre, und ich wäre ohne Ahnung davon auf dem Jahrmarkte in Drumshourloch geblieben! Wer hätte die bösen Geister verjagen sollen? Wer hätte die Elfen und Hexen bannen sollen von dem lieben Bübel, das der liebe Gott segnen möge! Wer hätte der heiligen Columba Zauberspruch für ihn hersagen sollen?« und ohne auf Antwort zu warten, hub sie an: »Kleeblatt, Taubenkraut und Dill Hindern, was die Hexe will; Dem ist wohl, der Fasttag macht, Wenn Sankt-Andrestag erwacht. Sankt Brigitta, sei uns gut; Sankt Columbas treue Hut, Auch Sankt Michel und sein Schwert Halt' das Haus uns unversehrt!« Sie sang den Spruch in wilder Weise, in hohen gellenden Tönen und machte dabei drei Sprünge, so gewandt und behende, daß sie fast die Decke der Stube berührte ... »Und wollt Ihr mir nun einschenken lassen, edler Herr?« setzte sie hinzu. »Meth sollst Du haben, Meg! Setz' Dich dort an die Tür und erzähle mir, was Du Neues gehört hast auf dem Markte,« antwortete der Laird. »Meiner Treu, edler Herr, da hättet Ihr sein sollen und Euresgleichen! Es war auch lustiges Weibsvolk da, außer mir; aber niemand, der einer Handgeld geben wollte!« »Und wieviel Zigeuner sind ins Gefängnis gesteckt worden, Meg?« »Nur drei, edler Herr, denn mehr waren ihrer nicht auf'm Jahrmarkt, außer mir, wie schon gesagt, aber ich bin ihnen aus dem Wege gegangen, denn mit dem zänkischen Volk ist nicht gut umgehen. Der Dunbog, wenn's Euch interessiert, hat den Red Rotten und den John Young vom Gute gejagt – verflucht sei sein Stamm! Kein Tropfen Edelmannsblut fließt in seinen Adern. Was liegt wohl daran, wenn ein paar arme Leute Schutz und Obdach in einem verfallenen Hause suchen oder eine dünne Birke umhauen, um sich ein bißchen Suppe zu kochen? Dem kräht doch sicher, ehe der Tag graut, der rote Hahn auf der Scheune!« »Still, Meg, das sind schlimme Reden!« »Was meint sie?« fragte Mannering leise den Magister. »Brandstiftung,« versetzte der wortkarge Magister. »Wer ist die Person? und was? Sagen Sie es mir, bitte!« »Diebin, Hexe, Zigeunerin,« versetzte Sampson mit der gleichen Wortkargheit wie vordem. »O, fürwahr, Laird,« fuhr Meg während dieser Zwischenrede fort, »nur Leuten wie Euch kann man das Herz ausschütten. Der Dunbog, seht, ist so wenig ein Edelmann wie der Maurer, der das Haus baut. Aber wer Euch gleicht, der ist Edelmann aus einem Geschlecht, das Hunderte von Jahren alt ist, und so einer jagt arme Leute nicht von seinem Grund und Boden wie tolle Hunde, und niemand von unsern Leuten würde Euch was nehmen, und wenn Ihr soviele Kapaunen hättet, wie Blätter am Baume hängen ... Nun mag einer von euch Herren die Uhr nehmen und mir die Minute sagen, in der das Kind geboren ist, und ich will ihm wahrsagen.« »Wir werden Eure Hilfe nicht brauchen, Meg,« sagte Bertram; »hier ist ein gelehrter Herr aus Oxford, der versteht sich besser als Ihr aufs Wahrsagen, denn er liest aus den Sternen.« »Gewiß, Herr Bertram,« antwortete Mannering, den Einfall seines gutmütigen Wirts aufgreifend, »ich will ihm die Nativität stellen nach allen Regeln der Triplizität, die Pythagoras, Hippokrates, Diokles und Avicenna gegeben haben.« Es war eine von Sampsons guten Eigenschaften, die ihm Bertrams Gunst gewonnen: daß er auch auf den plumpsten Versuch, ihn zum besten zu haben, nicht einging, so daß er dem Laird ein bequemes Opfer für seine Neckereien und Sticheleien abgab; Sampson stimmte tatsächlich kein Gelächter an und stimmte nie in ein Gelächter ein, das er durch seine Einfalt weckte; ja man sagte, er habe bloß einmal in seinem Leben gelacht, seine Wirtin aber dadurch in solchen Schrecken gesetzt, daß sie vor der Zeit in die Wochen kam. Merkte er ja einmal, daß man über ihn lachte, so übte das weiter keine Wirkung auf ihn, als daß er, aber ohne einen Muskel seines Gesichts zu bewegen, das Wort: »Komisch!« hervorstieß, streng in zwei Silben geschieden, und höchstens einmal noch wiederholte. Jetzt aber heftete er seinen stieren Blick auf den jungen Sterndeuter, ohne zu wissen, ob er die Antwort, die derselbe seinem Gönner gegeben, recht verstanden hätte oder nicht. »Ich fürchte, lieber Herr,« meinte Mannering, zu Sampson gewandt, »Sie sind einer von den unglücklichen Menschen, deren Augen zu blöde sind, um in die himmlischen Sphären zu schauen und Beschlüsse des Himmels dort zu lesen, und die deshalb aus Vorurteil und Mißverstand ihr Herz der Wahrheit verschließen.« »Allerdings,« antwortete Sampson, »ich glaube mit Sir Isaak Newton, weiland königlicher Majestät Münzmeister, daß die angebliche Wissenschaft der Sterndeutung töricht, eitel und müßig ist.« Und damit setzte er sein Kinnbacken-Orakel wieder in Ruhestand. »Es tut mir wirklich leid,« nahm der Reisende wieder das Wort, »einen Mann von Ihrer Gelehrsamkeit und Würde in so seltsamer Verblendung und Täuschung befangen zu sehen. Wollen Sie den trocknen neuen Namen Isaak Newton gegen die ernsten wohllautenden Namen Benatus, Ptolomäus, Haly, Etzler, Harfurt, Agrippa, Maginus, Argel stellen? Haben nicht Christen und Heiden, Juden und Ungläubige, Dichter und Weltweisen, einstimmig den Einfluß der Sterne zugegeben?« »Communis error, ein allgemeiner Irrtum!« antwortete Sampson, sich nicht beirren lassend. »Nicht doch,« hob der Engländer wieder an, »ein allgemeiner, wohlbegründeter Glaube.« »Es ist das Hilfsmittel der Betrüger und Schelme,« sprach Sampson. »Mißbrauch kann rechtmäßigen Gebrauch nicht aufheben,« versetzte Mannering. Während dieses Wortwechsels zeigte Laird Ellangowan das Bild einer Schnepfe, die sich in ihrer eigenen Schlinge gefangen hat, und faßte abwechselnd die beiden Leute, die den Wortwechsel führten, ins Auge. Aus dem Ernst, womit Mannering wider seinen Gegner kämpfte, und aus der Gelehrsamkeit, die er dabei verriet, meinte er fast folgern zu sollen, daß es sich um eine ernste Sache dabei drehte. Die Zigeunerin heftete einen verwirrten Blick auf den Sterndeuter, denn dessen Sünde, die sich noch geheimnisvoller als ihre eigene anhörte, versetzte sie in Schreck und Bestürzung. Mannering nahm seinen Vorteil wahr und tischte alles von Fach- und Kunstausdrücken auf, was ihm sein gutes Gedächtnis zur Verfügung stellte und in dessen Besitz er durch Umstände, die wir im Verlaufe dieser Erzählung noch erfahren werden, schon in früher Jugend gelangt war. Endlich wurde die Unterhaltung durch die fröhliche Botschaft aufgehoben, daß die Edelfrau ihrem Gemahl einen hübschen Jungen zum Präsent gemacht habe. Bertram eilte in die Wochenstube, Meg Merrilies lief in die Küche, um sich ihren Anteil von der milden Spende zu holen, die es bei solchen Gelegenheiten zu setzen pflegt, und als Mannering auf seine Uhr gesehen und Stunde und Minute der Geburt festgestellt hatte, bat er mit gemessenem Ernste den Magister, ihn auf irgend einen Platz zu führen, von wo aus er die Gestirne überschauen könnte. Ohne ein Wort zu sagen, erhob sich Sampson und öffnete eine halb mit Glasscheiben versehene Tür, die hinter dem neuen Hause auf einen Erdwall führte, der mit der Anhöhe zusammenhing, worauf die Trümmer des alten Schlosses lagen. Der Nachtwind verjagte die Wolken, die bisher den Himmel verhüllten. Der Vollmond stand hoch, und alle Sterne funkelten in ungetrübtem Glanze. Die Landschaft, die Mannering in ihrem Lichte sah, bot ein Bild von überraschender Großartigkeit. Wir haben früher erzählt, daß Mannering an den Strand gekommen war, ohne zu wissen, wie nahe. Nun aber sah er, daß die Trümmer des Schlosses Ellangowan auf einem vorspringenden Felsen standen, der eine kleine, stille Bai begrenzte. Das kleine Gebäude lag, obgleich dicht an dem alten, doch tiefer, und der Boden dahinter war ein sanft abfallender grüner Hang, der sich in natürlichen Terrassen, auf denen hohe alte Bäume standen, in dem sandigen Gestade verlor. Die andere Seite der Bai wurde von einem abschüssigen Vorgebirge eingeschlossen, zum großen Teile mit Buschholz bestanden, das auf diesem Strande fast bis zur Fluthöhe reicht. Eine Fischerhütte blickte aus den Bäumen hervor. In dieser späten Nachtstunde bewegten sich noch Lichter am Strande; allem Anscheine nach wurde dort das Fahrzeug eines Schleichhändlers von der Insel Man, das in der Bai lag, ausgeladen. Als man ein Licht in der Glastür des Hauses bemerkte, rief jemand vom Schiffe her: »Vorgesehen! Licht weg!« und alsbald ließen diejenigen, die am Ufer waren, die Lichter verlöschen. Es war eine Stunde nach Mitternacht. Eine anmutige Aussicht öffnete sich vor unserm Reisenden, Die grauen Türme der Schloßtrümmer, teils noch unversehrt, teils zerrissen, hier verwittert, dort zum Teil mit Efeu bekleidet, krönten den Gipfel des dunklen Felsens, der zu Mannerings Rechten sich erhob. Vor ihm lag die stille Bucht, deren kleine Wogen, in den Strahlen des Mondes schimmernd, die Oberfläche kräuselten und mit murmelndem Plätschern an dem silberweißen Sandufer sich brachen. Links zum Strande hinab stieg der Wald, dessen Wipfel im Mondlichte mannigfaltig wogten, und jene Abwechslung von Licht und Schatten, jenes anziehende Gemisch von lichten Stellen und dunklem Dickicht zeigten, auf dem man so gern den Blick ruhen läßt, entzückt über dasjenige, was man sieht, und angezogen von den Geheimnissen in der Tiefe der Waldlandschaft. Hoch an dem blauen Himmelsgewölbe wandelten die Gestirne, jedes durch seinen eigenen Lichtkreis unterschieden von kleineren oder entfernteren Sternen. So wunderbar vermag die Einbildung selbst diejenigen zu täuschen, die sich willig ihrem Fluge überlassen, daß Mannering, während er die glänzenden Himmelskörper betrachtete, sich dem Glauben an ihren Einfluß auf die menschlichen Schicksale zwanglos hingab. Er war jung, er liebte, und vielleicht stand er unter dem Einfluß jener Empfindungen, denen ein Dichter [Schiller, im Wallenstein (Piccolomini, 3ter Aufzug, 4ter Auftritt).] in den folgenden Zeilen Ausdruck gegeben: Die Fabel ist der Liebe Heimatwelt; Gern wohnt sie unter Feen, Talismanen, Glaubt gern an Götter, weil sie göttlich ist. Die alten Fabelwesen sind nicht mehr; Das reizende Geschlecht ist ausgewandert. Doch eine Sprache braucht das Herz, es bringt Der alte Trieb die alten Namen wieder, Und an dem Sternenhimmel gehn sie jetzt, Die sonst im Leben freundlich mitgewandelt. Dort winken sie dem Liebenden herab, Und jedes Große bringt uns Jupiter Noch diesen Tag, und Venus jedes Schöne. In solche Träumereien sich verlierend, sprach er zu sich selbst: »Mein guter alter Lehrer, der sich so gern in Diskussionen über Sterndeutung einließ, möchte wohl dieses Bild mit ganz andern Augen betrachten, und allen Ernstes versucht gewesen sein, aus der Stellung dieser Himmelskörper ihren Einfluß auf die Schicksale des neugeborenen Kindes zu ergründen, gleich als ob die Bewegungen oder Ausflüsse der Gestirne die Beschlüsse der göttlichen Vorsehung aufheben oder doch vereint mit ihr wirken könnten. Doch Ruhe seiner Asche! Er hat mir genug von seiner Wissenschaft mitgeteilt, eine kunstgerechte Nativität zu stellen. Wohlan, so soll es einen Versuch gelten!« Darauf schrieb er die Stellung der Hauptplaneten nieder und begab sich in das Wohnhaus zurück. Der Burgherr begegnete ihm im Wohnzimmer, sagte ihm, daß er Vater eines kerngesunden Knaben geworden, und schien willens, seinem Gaste noch eine Weile bei der Flasche Gesellschaft zu leisten, ließ aber Mannerings Entschuldigung gelten und führte seinen müden Gast in das Schlafgemach. Viertes Kapitel Der Glaube an Sterndeutung war fast allgemein in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts, verfiel allmählich gegen Ende desselben und bekam im Anfange des achtzehnten überall bösen Leumund, wurde sogar allgemein verspottet. Noch immer hatte er jedoch, selbst in den Sitzen der Gelehrsamkeit, seine Anhänger. Ernste, bücherfleißige Männer gaben ungern die Berechnungen auf, die früher die Hauptgegenstände ihrer Forschungen gewesen waren, und sie hatten nicht Lust, von der Höhe hinabzusteigen, auf die sie das vermeinte Vermögen, durch Erforschung höherer Einflüsse und Verbindungen in die Zukunft zu blicken, vor andern Menschen gehoben hatte. Zu denjenigen, welche dieses eingebildete Vorrecht mit bestem Glauben hoch hielten, gehörte ein alter Geistlicher, unter dessen Pflege Mannering in seiner Jugend stand. Er stumpfte seine Augen durch die Beobachtung der Gestirne ab und quälte seinen Verstand mit den Berechnungen über den gegenseitigen Stand der Himmelskörper. Dem Zöglinge wurde, von früher Jugend an, etwas von der Begeisterung des Lehrers zuteil, und er versuchte eine Zeitlang selbst, sich mit astrologischen Untersuchungen zu befassen, so daß ihm, ehe er sich von der Eitelkeit dieser Kunst überzeugt, mancher Meister das Lob eines trefflichen Jüngers erteilt hätte. Sobald der Morgen angebrochen war, legte er Hand ans Werk, das Schicksal des Erben von Ellangowan zu erforschen. Er befolgte genau alle Kunstregeln, sowohl des Scheines wegen, als auch, weil er selber neugierig war, zu sehen, ob er in der eingebildeten Wissenschaft noch bewandert sei. Er teilte das Himmelsgewölbe in zwölf Häuser, stellte die Planeten darein und ordnete sie nach Stunde und Minute der Geburt. Bei dieser Beschäftigung zog ein Zeichen die Aufmerksamkeit unseres Sterndeuters besonders an. Mars, der im Gipfel des zwölften Hauses die Herrschaft hatte, drohte dem Neugebornen Gefangenschaft oder plötzlichen gewaltsamen Tod, und als Mannering die übrigen Kunstregeln zu Rate zog, um die Gewalt dieser bösen Vorbedeutung zu erforschen, ergab sich, daß vorzüglich drei Lebensabschnitte gefahrvoll sein würden, das fünfte, das zehnte und das einundzwanzigste Jahr. Dabei überraschte ihn noch ein sonderbarer Umstand. Er hatte vor einiger Zeit, bei einer ähnlichen Anwandlung törichter Laune, seiner Geliebten, Sophie Wellwood, ebenfalls die Nativität gestellt und gefunden, daß der Einfluß der Gestirne ihr in dem neununddreißigsten Jahre Tod oder Gefangenschaft drohte. Sie war um diese Zeit achtzehn Jahre alt, so daß nach dem Ergebnisse der Berechnung, ihr in demselben Jahre eben das Unglück drohte, das dem in dieser Nacht geborenen Kinde geweissagt wurde. Erstaunt über dieses seltsame Zusammentreffen, wiederholte Mannering seine Berechnung, aber immer fand er das überraschende Ergebnis wieder, und endlich zeigte sich, daß sogar Monat und Tag zusammentrafen. Niemand wird auf diesen Umstand großes Gewicht legen wollen, aber es geschieht ja so oft, daß wir, von dem Hange zum Wunderbaren verleitet, selbst bemüht sind, unsere bessere Einsicht zu verblenden. Mag das erwähnte Zusammentreffen wirklich einer von den sonderbaren Zufällen sein, die zuweilen gegen alle Berechnung sich ereignen, oder mag Mannering, verwirrt von den astrologischen Untersuchungen, zweimal demselben Faden gefolgt sein, um sich aus dem Irrgange zu finden; oder mag seine Einbildung, durch irgend eine scheinbare Ähnlichkeit getäuscht, ihm die Gleichheit beider Fälle auffallender gemacht haben, als sie in der Tat war – wer könnte es ausmitteln? Aber lebhaft und unauslöschlich war der Eindruck, den dieser Umstand auf sein Gemüt machte. »Hat der Teufel seine Hand im Spiele, um sich zu rächen, daß wir mit einer Kunst scherzen, die ihren Ursprung aus der Hölle haben soll?« sprach er zu sich selbst, »Oder hätte etwa Bacon recht, wenn er mit andern behauptet, daß an verständig und regelmäßig angewandter Sterndeutung etwas Wahres ist, und daß man den Einfluß der Steine nicht leugnen soll, obgleich die Anwendung der Kunst durch die Betrüger, die damit ihr Unwesen treiben, in solchen Mißkredit gesetzt worden?« – Nach kurzem Nachdenken verwarf er jedoch diese Meinung als einen törichten Einfall, den jene verständigen Männer bloß darum ausgesprochen hätten, weil sie es nicht wagten, das allgemeine Vorurteil ihrer Zeit auf einmal anzugreifen, oder weil sie selbst noch nicht ganz frei von dem ansteckenden Einflüsse des herrschenden Aberglaubens waren. Die Wirkung, die der Erfolg seiner Untersuchungen auf sein Gemüt machte, war indes so erfreulich, daß er sich, wie Prospero, [In Shakespeares Sturm] vornahm, nie wieder, weder im Scherze noch im Ernste, sich mit der Sterndeutung abzugeben. Er überlegte lange, was er dem Herrn von Ellangowan von dem Horoskop des Neugeborenen mitteilen sollte; endlich entschloß er sich jedoch, ihm alles offenherzig zu sagen, aber ihm zugleich die Trüglichkeit und Torheit der Regeln zu zeigen, die er bei seinen Untersuchungen befolgt hatte. Mit diesem Vorsatze stieg ei auf die Anhöhe vor dem alten Schlosse. Nicht minder schön, als im Mondlichte, war die Umgebung von Ellangowan in der Beleuchtung der Morgensonne. Das Land lachte, selbst im November, in ihrem milden Scheine. Ein steiler Pfad führte von dem Erdenwall auf die benachbarte Anhöhe bis zur alten Burg. Sie bestand aus zwei starken, runden Türmen, die aus einer flachen Mauer, die sie verband, finster hervorsprangen und den weiten Eingang schützen, der durch einen hohen Schwibbogen in den innern Schloßhof führte, wo man noch die Falze für Fallgatter und Zugbrücke sah. Ein plumpes Tor von zusammengenagelten Föhrenstangen war jetzt die einzige Schutzwehr des einst so furchtbaren Einganges. Der Freiplatz vor der Burg bot eine herrliche Aussicht. Die öde Gegend, wodurch Mannering am vorigen Tage seinen Weg genommen, war durch einige Anhöhen verdeckt, und die Landschaft, anmutig abwechselnd mit Tal und Hügeln, durchzog ein Fluß, der bald hervorblinkte, bald zwischen tiefen waldigen Ufern strömte. Eine Kirchturmspitze und einige Häuser bezeichneten die Lage eines Dorfes nicht weit von der Stelle, wo der Strom ins Meer sich ergoß. Die Täler schienen gut angebaut zu sein, und die Einfriedigungen, womit sie abgeteilt waren, liefen bald am Fuße der Hügel hin, bald stiegen sie in frischen Hecken zu den Anhöhen hinauf. Höher lagen üppig grünende Weiden, auf denen Hornvieh, zu jener Zeit Haupterzeugnis dieser Gegenden, die Landschaft belebte. Ernster erhoben sich die entfernteren Hügel und schwollen im tiefsten Hintergrunde zu dunklen Bergen empor, die, den Gesichtskreis abschneidend, die Grenze des angebauten Landes bezeichneten und den freundlichen Gedanken an eine stille Abgeschiedenheit erweckten. Die Seeküste, die Mannering jetzt in ihrer ganzen Ausdehnung erblickte, war mannigfaltig und schön, wie auch die Aussicht ins Binnenland. Hier und da erhob sie sich in hohen Felsen, häufig bedeckt mit den Türmen alter Burgen; Türmen, denen man der Sage zufolge, eine solche Lage gegeben, daß sie bei feindlichen Einfällen, oder in bürgerlichen Kriegen, zu gegenseitiger Verteidigung oder Beschützung durch Zeichen eine Verbindung unterhalten konnten. Das Schloß Ellangowan war die ansehnlichste dieser alten Burgen und bestätigte, was die Sage von dem Ansehen erzählte, das seine Gründer einst unter den Edlen des Landes genossen hatten. An andern Stellen gab die Küste einen anmutigen Anblick und war, wo das Ufer sanft sich senkte, in kleine Buchten zerschnitten oder streckte waldige Vorgebirge ins Meer. Dieser Anblick übertraf so sehr die Erwartung, die die nächtliche Reise erweckt hatte, daß Mannering sich dem freundlichen Eindruck gern überließ. Zu seinen Füßen lag das neue Gebäude, freilich ein schlechtes Werk der Baukunst, aber die Lage war sonnig und anmutig. »Wie glücklich,« dachte er, »würde das Leben in dieser Abgeschiedenheit dahinfließen! Hier die hehren Ueberreste alter Größe und das geheime Gefühl von der Würde der Ahnen, das sie erwecken, und dort so viele Zierlichkeit und Gemächlichkeit, daß jeder bescheidene Wunsch Befriedigung finden könnte. Hier, und hier mit Dir, Sophie –« Wir überlassen den Verliebten seinem wachen Traume. Er stand eine Minute mit untergeschlagenen Armen, bis er sich endlich zu den Burgtrümmern wandte. Die rohe Pracht des innern Hofes glich dem großartigen Aeußeren. Auf der einen Seite lief eine Reihe hoher, breiter Fenster, durch ausgehauene Pfeiler abgeteilt, die einst die große Halle des Schlosses erleuchtet hatten; auf der andern zeigten sich Bauwerke, die zwar von ungleicher Höhe und aus verschiedenen Zeitaltern waren, aber doch ein gleichförmiges Ganzes bildeten. Türen und Fenster waren mit vorspringenden rohen Bildwerken verziert, die teils unversehrt, teils zertrümmert, teils mit Efeu und andern, üppig unter den Trümmern wachsenden Schlingpflanzen bedeckt waren. Die dem Eingange gegenüberliegende Seite des Hofes war ehedem auch durch eine Reihe von Gebäuden geschlossen gewesen, doch hatte dieser Teil der Burg durch das Geschütz während des Bürgerkrieges unter Cromwell, wie man sagte, so sehr gelitten, daß sich hier in den Trümmern eine weite Kluft öffnete, durch die Mannering das Meer und ein kleines bewaffnetes Fahrzeug in der Mitte der Bai erblickte. Als er in den Trümmern sich umsah, hörte er aus einem Gemache zur Linken die Stimme der Zigeunerin schallen, die er am vorigen Abende gesehen. Er fand bald eine Oeffnung, durch die er sie ungesehen beobachten konnte, und ihre Gestalt, ihre Beschäftigung und ihre rauhe Umgebung mußten ihn an eine alte Sibylle erinnern. Sie saß auf einem zerbrochenen Eckstein im Winkel eines gepflasterten Gemachs, wo sie einen Platz für ihre kreisende Spindel reingefegt hatte. Ein heller Sonnenstrahl fiel durch ein hohes schmales Fenster auf ihre wilden Züge und ihren auffallenden Anzug, und gab ihr Licht zu der Arbeit. Tiefe Dämmerung war in dem übrigen Teil des Gemaches. Aus Wolle von dreierlei Farbe, schwarz, weiß und grau, zog sie einen Faden vom Rocken auf die Spindel und sang während des Spinnens einige Worte, die wie ein Zauberspruch klangen. Vergebens suchte Mannering die Worte des Gesanges aufzufassen, und machte dann nach einigen Stellen, die er deutlich verstanden, folgende Nachbildung, die er für ziemlich treu hielt: Spinnt und drehet so wie hier, Mischt im Lebensfaden schier Hoffnung, Furcht und Fried und Streit Freude sich und Traurigkeit. Zauberfaden wird gesponnen, Kindes Leben hat begonnen; Schaut! in trüber Dämm'rung Schweigen Seltsam sich Gestalten zeigen. Wildes Treiben, eitler Wahn, Freude, schnell der Pein voran; Argwohn, Zweifelmut und Grau'n Sind im Zaubertanz zu schau'n, Wachsen jetzt und jetzt vergehen, Kreisend mit der Spindel drehen. Spinnt und drehet! so wie hier Mischt sich Freud und Trübsal schier. Ehe der Nachbildner seine Reime geordnet hatte, war die Zigeunerin mit ihrer Arbeit fertig oder ihre Wolle versponnen. Sie wickelte darauf die Spindel ab, indem sie den Faden um den Ellbogen wand und zwischen dem Zeigefinger und dem Daumen durchschlang, und, ihn messend, murmelte sie die Worte: »Eine Haspel, aber keine ganze – ein Schock Jahre und zehn, aber dreimal zerrissen und dreimal wieder angeknüpft – wird ein glückliches Menschenkind werden, wenn er da hindurchkommt.« Mannering wollte eben die Wahrsagerin anreden, als eine Stimme, rauh, wie die Wogen, mit deren Geräusch sie sich mischte, zweimal mit wachsender Ungeduld laut wurde: »Meg, Meg Merrilies! Zigeunerin! Hexe! Alle Hagel!« »Ich komme, ich komme, Hauptmann!« antwortete sie, und in wenigen Augenblicken kam der ungeduldige Befehlshaber durch die Kluft in den Trümmern zum Vorschein. Er hatte das Ansehen eines Seefahrers, kaum von Mittelgröße, und sein Gesicht war braun von tausend Kämpfen mit den Nordostwinden. Er zeigte so ungeheure Muskelkraft und rüstige Derbheit, daß ein Mann von höherem Wuchse es im Ringen mit ihm wohl kaum hätte aufnehmen mögen. In seinen rauhen Zügen fand man nichts von dem sorgenfreien, fröhlichen Mute und der harmlosen Neugier, durch die der Seemann auf dem Lande sich auszeichnete; es verfinsterte sie ein mürrisches, wildes Wesen ... »Wo bist Du, Mutter Teufelsbrut?« sprach er mit einem fremdländischen Tone, obgleich in ganz gutem Englisch, »Donner und alle Wetter! Wir haben schon eine halbe Stunde gewartet. Komm und segne das liebe Schiff und unsere Reise, und sei Du vermaledeit, irdisches Satanskind!« In diesem Augenblick ward er Mannering gewahr, der in der Stellung, in der er dem Zauberspruch der Zigeunerin gelauscht hatte, da der Pfeiler, hinter dem er stand, ihn verbarg, ganz so aussah wie einer, der sich verstecken wollte. Der Hauptmann schwieg bestürzt und fuhr mit der Hand schnell in den Busen, als ob er eine Waffe gesucht hätte ... »Was gibt's, Brüderchen, Du stehst wohl auf der Lauer? He?« Ehe Mannering, leicht betroffen über die drohende Gebärde und trotzige Anrede, antworten konnte, kam die Zigeunerin aus dem Gewölbe und näherte sich dem Fremden. Der Seemann fragte sie, auf Mannering blickend, leise: »Ein Spürhund, he?« Sie antwortete in gleichem Tone: »Nicht doch, er ist im Schlosse, ein fremder Herr.« Des Hauptmanns Gesicht heiterte sich auf ... »Guten Morgen, lieber Herr,« sprach er. »Ich höre, Ihr seid ein Gast meines werten Freundes, Herrn Bertram. Verzeiht mir, ich hielt Euch für etwas anderes.« »Und Ihr seid wahrscheinlich der Herr des Schiffes in der Bai?« antwortete Mannering. »So ist's. Ich bin der Hauptmann Dirk Hatteraick, vom Schiffe Jungfrau Hagenslaapen, und wohlbekannt hierzulande. Ich schäme mich nicht meines Namens, noch meines Schiffes, und eben auch nicht meiner Ladung.« »Ihr habt auch wohl nicht Ursache dazu, sollt ich meinen.« »Alle Hagel, nein! Ich treibe ehrlichen Handel. Frisch geladen bei Douglas auf der Insel Man – schöner Kognak – echtes Haisan und Souchong-Brabanter Spitzen, wenn Ihr etwas davon gebrauchen könnt,« »Ich bin auf der Reise,« erwiderte Mannering, »und wüßte von all diesen Sachen jetzt keinen Gebrauch zu machen.« »Nun, so gehabt Euch wohl; mein Geschäft ruft mich. Oder wollt Ihr mit mir an Bord gehen und meinen Schnaps versuchen? Ihr sollt auch eine Büchse Thee haben. Dirk Hatteraick weiß auch zu leben.« Es war eine Mischung von Unverschämtheit, Kühnheit und argwöhnischer Furcht in dem Manne, und alles dies machte ihn unbeschreiblich widerlich. Sein Benehmen verriet den Räuber, der des Verdachts, den er weckt, sich bewußt, aber durch die erzwungene Miene unbefangner und dreister Vertraulichkeit ihn niederzuschlagen sucht, Mannering lehnte die angebotene Höflichkeit ab, und nach einem trocknen guten Morgen ging Hatteraick mit der Zigeunerin zu dem Teile des alten Schlosses, wo er sich zuerst gezeigt hatte, Das würdige Paar stieg auf einer schmalen Treppe hinab, die zum Seeufer führte und wahrscheinlich einst bei Belagerungen gedient hatte, die Besatzung zu verproviantieren. Der sogenannte Hauptmann ging darauf mit zwei Leuten, die ihn zu erwarten schienen, in ein kleines Boot! die Zigeunerin aber blieb an dem Gestade zurück und sprach in singendem Tone ein paar Worte, die sie mit heftigen Gebärden begleitete. Fünftes Kapitel Als das Boot den Hauptmann an Bord gebracht hatte, wurden die Segel aufgezogen, und das Schiff begann die Fahrt. Es grüßte mit drei Schüssen die Burg Ellangowan, und ein günstiger Landwind trieb es schnell von der Küste. »Ei, seht doch!« rief der Burgherr seinem Gaste zu, den er schon einige Zeit gesucht hatte: »Da fahren sie hin, die Schleichhändler! Das ist Hauptmann Dirk Hatteraick mit seiner Jungfer Hagenslaapen; halb Holländer, halb Teufel, Wie das geht, mit Bugspriet, großen Schoten, Mars und Bramsegel! – Ihm nach, wer's kann! Der Kerl ist ein Schrecken aller Zollschiffe; sie können ihm nichts anhaben, so pfiffig weiß er ihnen zu entkommen. Doch bei dem Zoll fällt mir ein, daß ich Sie zum Frühstücke holen wollte, – Sie sollen einen Tee trinken, der –« Mannering bemerkte, daß sich bei Bertram die Gedanken seltsam zu verketten begannen, und brachte ihn durch eine Frage über Dirk Hatteraick noch zur rechten Zeit wieder auf den Punkt, von dem der gute Mann ausgegangen war. »O, er ist – ein gutes Menschenkind,« antwortete Bertram; »ein Schleichhändler, wenn er seine Kanonen als Ballast braucht, und ein Freibeuter, oder auch gar wohl ein Seeräuber, wenn sie geladen sind.« »Aber es wundert mich, Herr Bertram, daß ein solcher Mensch hier Schutz und Aufmunterung findet.« »Aber, lieber Herr Mannering, jedermann braucht Branntwein und Tee, und man kann's nicht anders haben, als auf diese Art. Da gibt's kurze Rechnungen, und zu Weihnachten findet man wohl ein Paar Fäßchen, oder ein Dutzend Pfund Tee vor der Stalltür, statt der verwünschten langen Rechnungen, die der Krämer schickt, der bares Geld braucht oder nur kurze Zeit borgt. Aber Hatteraick nimmt Holz oder Gerste oder was er sonst gerade brauchen kann. Ich will Ihnen eine hübsche Geschichte davon erzählen. Es war einmal ein Gutsherr, der hatte eine große Menge von Zinshühnern – wie hierzulande der Gutsherr von den Pächtern erhält, – Die meinigen sind immer schlecht gefüttert; die Pächtersfrau Finniston schickte vorige Woche drei; schändliches Zeug, sag' ich Ihnen, und sie hat doch eine ganz fette Aussaat – es ist die Frau von Dunean Finniston, der kürzlich gestorben ist – wie wir denn freilich alle sterben müssen. – Doch vom Sterben sprechen? jetzt wollen wir leben, denn das Frühstück steht auf dem Tisch, und der Magister ist schon bereit, das Gebet zu sprechen.« Sampson sprach den Segen, die längste Rede, die Mannering bislang von ihm gehört hatte. Der Tee, der ohne Zweifel aus des edlen Hauptmannes Vorräten gekommen war, wurde für vortrefflich gefunden, doch gab Mannering mit gebührender Bescheidenheit einen Wink über die Gefahr, solchen Desperados des Geschäft zu erleichtern ... »Wäre es auch nur,« meinte er, »um der Zollgerechtigkeit keinen Eintrag zu tun.« »Ja,, die Zollbeamten,« fiel Bertram ein, der, da ihm die Fähigkeit abging, sich in eine Materie hineinzudenken, vom Zollwesen weiter nichts als Einnehmer, Aufseher und Zollbereiter kannte – »die Zollbeamten wissen's für sich schon zu machen. Niemand braucht ihnen zu helfen, und sie haben ja auch Soldaten zum Beistande. Und was die Gerechtigkeit betrifft, damit habe ich gar nichts zu tun, und es wird Sie wundern, Herr Mannering, ich bin nicht einmal Friedensrichter.« Mannering antwortete mit dem verwunderten Blicke, auf den der andere gerechnet, obgleich er der Meinung war, daß das Friedensrichterkollegium durch die Abwesenheit dieses freundlichen Mannes keine Einbuße erlitte. Herr Bertram war aber nun auf einen der wenigen Gegenstände gekommen, die ihm nahe gingen, und ließ sich mit einigem Nachdruck aus. »Nein, lieber Herr,« fuhr er fort, »der Name Godfrey Bertram von Ellangowan ist nicht unter den neuernannten Friedensrichtern, obgleich hier jeder, der nur für ein Pferd Land zu pflügen hat, zu den Gerichtssitzungen reitet und das Wort Friedensrichter hinter seinen Namen setzen kann ...« Von einem aufs andere überspringend, verlor er sich in eine weitschweifige Erörterung wie dieser und jener durch Neid oder Nörgelei ihn um die Auszeichnung gebracht, und durch welche Vor- und Zufälle, diese feindselige Stimmung gegen ihn geweckt und genährt worden war. »Es ist gewiß nicht recht, Herr Bertram,« antwortete Mannering, »daß Ihnen solche Rücksichtslosigkeit widerfährt in einem Lande, wo Ihre Vorfahren wohl in recht hohem Ansehen gestanden haben.« »Allerdings, Herr Mannering. Ich bin ein schlichter Mann und weiß wenig von solchen Dingen, aber ich wollte, Sie hätten hören können, wie mein Vater von den alten Gefechten der Helden von Mac-Dingawaie mit den Irländern und Hochländern erzählte und von den Zügen ins heilige Land, ich meine nach Jerusalem und Jericho. Sie haben Reliquien mitgebracht, wie man sie bei den Katholischen antrifft, auch eine Türken-Fahne, die oben auf dem Boden liegt. Sie hätten besser getan, wenn sie nach Jamaika gegangen wären, wie Herrn Thomas Kittlecourts Oheim, und Kisten mit Rohzucker und Fässer mit Rum heimgebracht hätten, dann befänden wir uns jetzt wohl. – Aber Sie vergessen ja ganz Ihr Frühstück, Herr Mannering! Kosten Sie doch von diesem Salme; John Hey hat ihn gefangen, es sind Sonnabend gerade drei Wochen.« Der gute Mann fiel jetzt wieder in seine gewöhnliche schleppende Unterhaltung, und Mannering hatte Zeit genug, über die Nachteile der Lage, die ihm eine Stunde früher so beneidenswert geschienen, seine Betrachtungen zu machen. Er hörte hier einen Landedelmann, dessen schätzbare Eigenschaft stille Gutmütigkeit zu sein schien, gegen andere murren, und zwar über Dinge, die, mit wahrem Herzeleid im Leben verglichen, gar nicht in Betracht kommen konnten. Aber so teilt die Vorsehung allen mit gleicher Gerechtigkeit zu, und diejenigen, denen große Leiden nicht drohen, haben kleine Plackereien zu tragen, die ihnen aber bedeutend genug dünken, sich den Frohsinn stören zu lassen. Neugierig, die Sitten des Landes zu erforschen, benutzte Mannering eine Pause in Bertrams Erzählungen zu der Frage, was Hauptmann Hatteraick wohl mit der Zigeunerin zu schaffen habe. »Vermutlich will sie sein Schiff segnen. Sie müssen wissen, Herr Mannering, diese Freihändler oder Schmuggler, wie die Herren von der Gerechtigkeit sie nennen, haben keine Religion; lauter Aberglauben, nichts als Hexenwerk, und Zaubersprüche und Unsinn –« »Torheit und Schlimmeres!« fiel Sampson ein. »Verkehr mit dem Bösen! Zaubersprüche, Amulette, Wahrsagerei, alles kommt von ihm.« »Seid doch ruhig, Magister! Ihr sprecht ja immer« – der gute Mann hatte seit dem Gebete den Mund noch nicht geöffnet – »Herr Mannering kann ja vor Euch gar nicht zu Worte kommen. Aber, Herr Mannering, bei Sternseherei und Zaubersprüchen fällt mir ein, waren Sie denn so gütig, an die Dinge zu denken, von denen wir gestern abend gesprochen?« »Ich möchte fast, lieber Herr Bertram, mit Ihrem würdigen Freunde glauben, daß ich mit – Messern gespielt habe. Weder Sie noch ich, noch sonst irgend ein verständiger Mann kann den Vorhersagungen der Sterndeutern Glauben beimessen, aber es hat sich zuweilen wohl zugetragen, daß Nachforschungen über die Zukunft, die im Scherze angestellt wurden, einen sehr ernsthaften und nachteiligen Einfluß auf Handlungsweise sowohl als auf Gemütsart gehabt haben; darum wünsche ich in der Tat, Sie möchten mir die Antwort auf Ihre Frage erlassen.« Dieser ausweichende Bescheid reizte Bertrams Neugierde noch mehr. Mannering dagegen wollte das Kind vor den Nachteilen, die ihm aus der Voraussetzung, daß sich ihm unglückliche Weissagungen in die Fersen hingen, entspringen konnten, behüten und übergab darum seinem Wirte das Papier mit der Bitte, das Siegel fünf Jahre lang, bis nach Ablauf des Monats November, unversehrt zu lassen. Nach Verfluß dieser Zeit sollte ihm gestattet sein, die geheimnisvolle Schrift zu öffnen. Hierbei leitete ihn die Meinung, daß, wenn der erste Unglückstermin vorüber sei, den beiden andern niemand mehr Bedeutung beimessen werde. Bertram versprach es gern, und um ihn zum Worthalten zu vermögen, deutete Mannering auf Unglück, das unfehlbar eintreffen müßte, wenn seine Weissagungen nicht befolgt werden sollten. Der übrige Teil des Tages, den Mannering auf Bertrams Einladung noch im Schlosse blieb, verfloß ohne einen merkwürdigen Vorfall, und am Morgen des folgenden ließ unser Reisender sein Pferd satteln, nahm herzlichen Abschied von seinem gastfreien Wirte und seinem geistlichen Hausfreunde, wiederholte seine guten Wünsche für das Glück des ganzen Hauses, und als er die Straße nach England eingeschlagen, entschwand er bald den Blicken der Bewohner von Ellangowan. Auch unsern Blicken wird er einstweilen entschwinden, bis wir in der spätern Zeit seines Lebens, in die unsere Geschichte fällt, ihm wieder begegnen werden. Sechstes Kapitel Als Frau Bertram wieder so weit genesen war, daß man ihr erzählen konnte, was sich während ihrer Niederkunft ereignet hatte, wollte in der Wochenstube das Geschwätz über den hübschen jungen Studenten von Oxford, der das Glück des Stammerben aus den Sternen gelesen haben sollte, kein Ende nehmen; Gestalt, Sprache, Benehmen des Fremden wurden sorgfältig zergliedert und Pferd, Saum, Sattel und Steigbügel haarklein beschrieben. Alles machte auf das Gemüt der guten Frau, die ziemlich abergläubisch war, tiefen Eindruck. Sobald sie das Bett verlassen, ließ sie es sich nicht nehmen, ein kleines Beutelchen von Sammet für das Horoskop zu stricken, das ihr Mann ihr übergeben hatte. Es juckte ihr oft in den Fingern, das Siegel zu lösen, aber ihre Leichtgläubigkeit war stärker als ihre Neugier, und sie besaß Selbstbeherrschung genug, das Papier in zwei Pergamentstreifen zu nähen, damit es nicht zerknittert werden könnte. Dann wurde es in das oben erwähnte Sammetbeutelchen gesteckt und dem Kinde als Amulett um den Hals gehängt, wo es nach der Mutter Willen hängen sollte, bis die Zeit, es zu öffnen, gekommen sei. Der Vater nahm sich seinerseits vor, dem Kinde die beste Erziehung zu geben; Herr Sampson ließ sich bestimmen, sein Schulmeisteramt aufzugeben und seinen Wohnsitz im Schlosse zu nehmen, um gegen einen Lohn, womit ein Dienstbote kaum zufrieden gewesen, dem künftigen Herrn von Ellangowan Gelehrsamkeit einzuimpfen; Herr Bertram fand bei dieser Einrichtung noch den Nebenvorteil, jemand um sich zu haben, der ihm, allein mit ihm, geduldig zuhörte, und auf dessen Kosten, wenn er Gäste bei sich hatte, er einen Spaß machen konnte. Ungefähr vier Jahre nach dieser Zeit entstand eine lebhafte Bewegung in der Grafschaft, zu der Ellangowan gehört. Ein neues Ministerium war ans Ruder gekommen, und nach der darauf erfolgten Auflösung des Parlaments wurde zu neuen Wahlen geschritten, Thomas Kittlecourt, dessen glückliche Lage Herrn von Ellangowan schon lange ein Dorn im Auge war, warb wieder um Stimmen; die Freunde der neuen Machthaber hatten schon ihre Blicke auf einen andern Mann geworfen, der die besten Hunde und Jäger in der Grafschaft hatte. Zu denen, die sich zu der Fahne der Neuerer hielten, gehörte auch Gilbert Glossin, der Verwalter des Burgherrn von Ellangowan, der über eine, auf Ellangowanschem Gebiete ruhende Stimme verfügte und entschlossen war, seinem Gönner auch eine solche zu verschaffen, da kein Zweifel obwalten konnte, auf welche Seite der Burgherr sich schlagen werde, und er wußte ihrer so viele Stimmen auf die einst so mächtige Herrschaft Ellangowan zu ziehen, daß er über zehn Stimmführer zu gebieten hatte. Diese Verstärkung entschied den Kampf. Der Burgherr und sein Verwalter teilten die Ehre, aber der eigentliche Profit fiel dem letztern zu. Bertram wurde bald nach dem Zusammentritt des neuen Parlaments Friedensrichter. Sein Ehrgeiz hatte nun das höchste Ziel erreicht, denn wenn auch das Amt seine Bürde brachte, war er doch der Meinung, daß es ihm auch Würde gab, die nur boshafte Mißgunst nicht achten konnte. »Toren muß man kein Gewehr in die Hand geben,« sagt ein altes schottisches Sprichwort, und in der Tat war Bertram kaum im Besitze der richterlichen Gewalt, nach der er sich so sehr gesehnt hatte, als er sie auch mit Strenge ausübte und die günstige Meinung, die man von seiner Gutmütigkeit hegte, gänzlich Lügen strafte. Ohne Erbarmen ging er gegen die Gauner und Spitzbuben vor, die seit einem halben Jahrhundert ungestört seine Nachbarn gewesen, und flugs lernte nun mancher Lahme wieder gehen, mancher Blinde sehen, mancher Sieche arbeiten. Allbekannte Bettler, die seit zwanzig Jahren ihre regelmäßigen Bittgänge durch die Nachbarschaft machten, wurden ins nächste Arbeitshaus geschickt, und gleiches Schicksal fand ein altes, hinfälliges Mütterchen, das sich auf einer Trage von Haus zu Haus hatte schleppen lassen. Der »taube Hans,« ein Mittelding von Schelmerei und Blödsinn, der seit beinahe fünfzig Jahren der Dorfjugend zum Zeitvertreib gedient, mußte ins Zuchthaus wandern, wo er, der frischen Luft entbehrend, in knapp einem halben Jahre hinsiechte und starb; und ein alter Seemann, der seit vielen Jahren das Gesinde in allen Küchen durch seine muntern Matrosenlieder ergötzt hatte, wurde darum des Landes verwiesen, weil er Irländisch reden sollte. Alle diese Dinge blieben nicht unbemerkt, sondern brachten den Burgherrn von Ellangowan in um so bösern Ruf, als er vordem beliebt gewesen war, ...»Wie konnte er den Armen so hartherzig mitspielen! Sein Großvater hieß der böse Gutsherr, und es war nicht viel an ihm; er ging mit schlechten Leuten um und hatte sich dem Trunk ergeben; aber so etwas hätte er doch um alles in der Welt nicht getan. Nein, nein, zu seiner Zeit rauchte die Esse im alten Schlosse wie ein Schmelzofen, und es waren so viele arme Leute im Hofe und vor der Tür, die den Abhub verspeisten, als nette Leute im Speisesaal. Und so oft Weihnachten kam, gab seine Hausfrau jedem Armen zwölf Silberlinge, zu Ehren der Apostel.« So ging die Rede beim Kruge Dünnbier in jeder Schenke drei bis vier Meilen um Ellangowan, denn soweit ungefähr reichte der Kreis, in welchem unser Freund, der Friedensrichter Bertram, als erstes Licht glänzte. Noch mehr aber kamen die bösen Zungen in Gang, als eine Horde von Zigeunern vertrieben wurde, die ihren Sitz auf dem Gebiete von Ellangowan hatte. Siebentes Kapitel Die Zigeuner wurden von einem der ältern schottischen Könige als ein eigener unabhängiger Volksstamm aufgenommen, gingen aber später mancher Gerechtsame verlustig, ja wurden zuletzt gewöhnlichen Dieben gleichgestellt und ebenso hart und streng wie sie verfolgt und bestraft. Ungeachtet dieser strengen Verordnungen gedieh jedoch der fremde Stamm bei aller Erschwernis und Drangsal und fand vielen Zuspruch aus der Reihe von Leuten, die durch Hungersnot, Druck und Krieg um ihren Lebensunterhalt gebracht worden waren. Durch solche Vermischung mit anderm Blute ging viel von den alten Stammessitten verloren, und es entstand eine Zwitterhorde, die den Müßiggang und die Raubsucht ihrer morgenländischen Alvordern mit dem wilden Temperament der nordländischen Gesellen gemein hatte. Sie zogen in verschiedenen Schwärmen umher und hatten ihre besonderen Gesetze, durch die jeder Stamm auf seinen eigenen Bezirk eingeschränkt wurde. Jeder Einbruch in die Grenzen eines andern Stammes führte wilde Kämpfe herbei, die oft viel Blut kosteten. Die Zigeunerhorde, zu der Meg Merrilies gehörte, war auf dem Gebiete von Ellangowan seßhaft, hatte hier einige Hütten errichtet, die sie ihre Zufluchtsstadt nannten, und zwar vor so langer Zeit schon, daß man sie schier als Eigentümer derselben ansah. Die Weiber spannen Handschuhe für die Edelfrau und strickten Gamaschen für den Gutsherrn, die jährlich zu Weihnachten mit großer Feierlichkeit überreicht wurden. Die greisen Wahrsagerinnen segneten das Brautbett des Lairds, wenn er sich vermählte, und die Wiege des neugeborenen Erben. Die Männer flickten der Edelfrau das zerbrochene Porzellan, halfen dem Gutsherrn auf seinen Jagden, nahmen seinen Hunden den Wurm und schnitten seinen jungen Dachshunden die Ohren. Die Kinder sammelten Nüsse in den Wäldern, Brombeeren im Moose und Pilze auf den Weiden, als Zins für den Burgherrn; und so hatte sich wenigstens schon zwei Jahrhunderte lang ein freundliches Einvernehmen gebildet, das es der Horde von Derncleugh auf dem Gebiete von Ellangowan recht wohl hatte sein lassen. Dieses Verhältnis sollte aber nun gestört werden. Die Horde von Derncleugh, nur um ihre eigenen Schelme besorgt, ließ es sich wenig stören, wenn der Friedensrichter streng gegen andere Landstreicher verfuhr. Man konnte es sich wohl denken, daß er fremdes Bettlergesindel, außer dem auf seinem Grund und Boden seßhaften, das ja mit seiner, wenn nicht ausdrücklichen, doch stillschweigenden Erlaubnis dort hauste, in der Gegend nicht dulden mochte. Herr Bertram hatte es auch nicht eilig, seine neue Amtsgewalt auf Kosten seiner alten Ansiedler auszuüben, aber er wurde durch die Umstände dazu gedrängt. Bei der vierteljährigen Gerichtssitzung wurde unserm Friedensrichter von einem politischen Widersacher öffentlich der Vorwurf gemacht, daß er, trotz seines anscheinenden Eifers für öffentliche Ordnung, trotz seines Strebens, den Ruf eines tätigen Beamten zu verdienen, einen Haufen der ärgsten Schelme in der Nähe seiner Burg hausen ließe. Darauf ließ sich nichts erwidern, denn die Sache war landkundig. Der Laird verschluckte die Pille, so gut er konnte, und überlegte auf dem Heimwege, wie er die Landstreicher am leichtesten loswerden möchte. Dazu sollte sich nun ungesucht eine Veranlassung darbieten. Seit unser Freund Friedensrichter geworden, hatte er das äußere Eingangstor, das sonst, da es nur eine Angel hatte, gastfreundlich offen gestanden, neu einhängen und einen Zettel aus der einen Seite des Tores befestigen lassen, der alles unerlaubte Betreten seines Grund und Bodens bei Pfändung verbot. Dieser Androhung zum Trotze ritten sechs rüstige Zigeunerbuben und Mädchen mit Maiblumensträußen durch das Tor, die zweifellos auf dem Grund und Boden des Gutsherrn gepflückt waren. Der Burgherr befahl ihnen abzusteigen, und als sie sich an dies Gebot nicht kehrten, riß er einen nach dem andern vom Pferde; aber sie widersetzten sich und bestiegen die Pferde wieder. Der Burgherr rief darauf seinen Knecht zu Hilfe, einen mürrischen Burschen, der sogleich zu seiner Reitpeitsche griff. Nach ein paar kräftigen Hieben nahm das Volk Reißaus, und so war bei Friede zwischen der Burg Ellangowan und den Zigeunern von Derncleugh gebrochen und Hader und Zwist im Gange. Achtes Kapitel Wir dürfen hierüber nicht vergessen, daß der kleine Harry Bertram, einer der dreistesten und muntersten Knaben, nun bald fünf Jahre alt war. Ein lebhafter Hang zur Natur verleitete ihn frühzeitig zu kleinen Wanderungen, so daß er schon als Kind jeden Pfad rings um die Burg kannte und alle Plätze wußte, wo schöne Blumen blühten und die besten Nüsse wuchsen; und schon mehr als einmal hatte er sich heimlich bis zum Zigeunerdörfchen gewagt. Von da brachte ihn Meg Merrilies gewöhnlich zurück, die zwar, seit ein Neffe von ihr zum Seedienst gepreßt worden, das Schloß nicht mehr betreten wollte, aber ihren Unwillen nicht auf das Kind zu übertragen schien. Sie diente Harry vielmehr bei seinen Wanderungen gern als Führerin, sang ihm Zigeunerliedchen vor, ließ ihn auf ihren Esel reiten und steckte ihm oft ein Stück Pfefferkuchen oder einen rotwangigen Apfel in die Tasche. Sie schien, da man ihr und den Ihrigen jetzt in Ellangowan so unfreundlich begegnete, ihre Freude am Umgang mit dem Kinde zu haben, und weissagte dem jungen Herrn, daß er einst der Stolz des Geschlechtes sein werde. Als der Knabe einmal krank wurde, lag sie die ganze Nacht unter dem Fenster und sang ein Lied, das sie für ein kräftiges Mittel gegen Fieber hielt. Solche lebhafte Zuneigung einer Zigeunerin erweckte aber Verdacht, wenn auch nicht bei dem Burgherrn, der nie voreilig Argwohn faßte, so doch bei seiner kränklichen, nervösen Frau, die in ihrer zweiten Schwangerschaft schon so weit vorgerückt war, daß sie nicht mehr ausgehen konnte; und da die Wärterin des kleinen Herrn ein junges, unbedachtsames Mädchen war, bat die besorgte Mutter den braven Magister, den Knaben auf seinen Ausflügen zu begleiten, Sampson liebte seinen Pflegling und war entzückt über dessen Fortschritte, hatte er ihn doch schon so weit gebracht, daß er dreisilbige Wörter lesen konnte. Um diese Zeit hatte der Burgherr sich vorgenommen, die Zigeuner mit Stumpf und Stil auszurotten. Die alten Dienstboten schüttelten die Köpfe darüber, auch Sampson wagte Vorstellungen dagegen zu machen, die aber in die orakelmäßigen Worte: Ne moveas Camcrinam – gekleidet waren – und da weder Anspielung noch Sprache Bertram sympathisch war, nahmen die gegen die Zigeuner eingeleiteten Maßregeln ihren gesetzlichen Gang. Jede Haustür im Dörfchen wurde mit Kreide bestrichen zum Zeichen der förmlichen Mahnung, zum bestimmten Termin von dannen zu ziehen. Die Zigeuner schienen aber nicht weichen zu wollen. Endlich war die gesetzte Frist abgelaufen, der unglückliche Martinstag war da, und man schritt zur Gewalt. Gerichtsfrone forderten die Bewohner zum letztenmal auf, bis zum Mittage zu weichen, und als ihnen nicht gehorcht wurde, begannen sie, dem erteilten Befehle gemäß, die Dächer niederzureißen, Türen und Fenster herauszuheben, wie es noch jetzt in Irland und Schottland zahlungsunfähigen oder widerspenstigen Pächtern gegenüber Brauch ist. Die Zigeuner sahen dem Zerstörungswerk eine Zeitlang mit finsterm Schweigen zu; endlich aber sattelten und bepackten sie ihre Esel und rüsteten sich zum Aufbruche, neue Ansiedelungen unter Menschen aufzusuchen, die nicht zu den »Herren von der Gerechtigkeit« gehörten. Eine gewisse Beklommenheit hatte es dem Burgherrn rätlich erscheinen lassen, bei der Austreibung seiner alten Freunde abwesend zu sein. Er überließ es den Fronen unter dem Befehle des Zollaufsehers Kennedy, der seit einiger Zeit im Schlosse großes Ansehen genoß, mit den Zigeunern fertig zu werden, und hatte sich für einige Zeit zu einem entfernten Bekannten begeben; aber der Zufall fügte es, daß er, trotz aller Vorsicht, den Zigeunern nicht ausweichen konnte, sondern ihrem Zug in einem Hohlweg begegnete, durch den ein steiler Pfad zu der Anhöhe führte, wo Ellangowan lag. Voran zogen vier bis fünf Männer in langen, fliegenden Röcken, die ihre hohen, schlanken Gestalten verhüllten, während die breitrandigen, niedergeschlagenen Hüte, tief auf die Stirn gedrückt, ihre wilden Züge, schwarzen Augen und verbrannten Gesichter bedeckten. Zwei davon trugen lange Jagdflinten, einer hatte ein breites Schwert ohne Scheide, und alle waren mit dem hochländischen Dolche versehen, den sie aber nicht offen zur Schau trugen. Hinter ihnen folgten beladene Esel und kleine Karren, auf denen die Schwachen und Hilflosen, Greise und Kinder der vertriebenen Gemeinde lagen. Die Weiber in roten Röcken und Strohhüten, und die ältern Kinder, barhaupt und fast nackt, führten den Wagenzug. Der schmale Weg stieg zwischen zwei Sandhügeln hinan, und Bertrams Diener, der voranritt, knallte herrisch mit der Peitsche, die Treiber mahnend, Platz für den Laird zu machen. »Er soll seinen Teil von der Straße haben,« antwortete ein Zigeuner, ohne den Blick zu erheben: »aber mehr nicht – die Landstraße ist so frei für unsere Esel, wie für seinen Wallachen.« Da der Ton des Mannes mürrisch, ja drohend war, hielt Herr Bertram es für das beste, seine Amtswürde zu wahren, und auf dem Wege, den man ihm frei lassen wollte, wenn er auch schmal genug war, weiter zu reiten, ohne sein besseres Recht schärfer geltend zu machen. Um seinen Verdruß über den Mangel an Respekt, den er hinnehmen mußte, unter scheinbarer Gleichgültigkeit zu verbergen, wandte er sich zu einem der Zigeuner, der, ohne ihn zu grüßen oder anzusehen, vorbei ging ... »Nun, Baillie,« fragte er, »habt Ihr schon gehört, daß es Euerm Sohn recht gut geht?« Die Frage bezog sich auf den zum Seedienst gepreßten jungen Mann. »Wenn ich etwas anderes gehört hätte,« antwortete der Alte mit einem finstern drohenden Blicke, »so hättet Ihr auch etwas hören sollen.« Bertram ritt weiter, ohne noch eine Frage zu wagen. In dem Gedränge um sich her sah er überall bekannte Gesichter, die jetzt nur Haß und Verachtung aussprachen, sonst aber bei jeder Gelegenheit, wenn sie ihm nahe gekommen, Ehrerbietung ausgedrückt hatten; und als er vorbei war, konnte er nicht umhin, sein Pferd zu wenden und auf den Zug zurückzusehen. Schon hatte die Vorhut ein kleines, verkrüppeltes Dickicht am Fuße des Hügels erreicht, das die lange Reihe allmählich verbarg, bis endlich die letzten Nachzügler verschwanden. Ein schmerzliches Gefühl ergriff ihn. Das Völkchen, das er aus dem alten Zufluchtsorte vertrieben hatte, hatte freilich gar viele Untugenden an sich, aber er hatte ja nie die Hand gerührt, sie zu bessern, Sie waren ja jetzt nicht schlechter, als zu der Zeit, wo sie sich für Hörige seines Hauses halten durften. Mußte denn seine Ernennung zum Friedensrichter solche Verwandlung in seinem Verhalten gegen sie herbeiführen? Hätte er wenigstens nicht einige Besserungsversuche machen sollen, ehe er sieben Familien auf einmal in die weite Welt hinausstieß? Es mußte seinem Herzen wehe tun, von so vielen bekannten Gesichtern zu scheiden, und für solche Regungen war Bertram in seinem beschränkten Geiste besonders empfänglich. Als er sein Pferd wendete, um weiter zu ziehen, erschien Meg Merrilies, die hinter dem Zuge geblieben war, unerwartet auf einer der hohen Wände, die über den Hohlweg hingen, frei im Rahmen des klaren blauen Himmels stehend, fast in übermenschlicher Größe. In ihrem Anzuge, oder vielmehr in ihrer Art, die Kleidung zu ordnen, lag etwas von ausländischer Sitte, zu deren Annahme sie sich hauptsächlich wohl deshalb verstanden, um ihre Zaubersprüche und Wahrsagungen in wirksamem Lichte erscheinen zu lassen. Um den Kopf gewunden trug sie ein großes Stück rotes Baumwollenzeug in Gestalt eines Turbans, und mit ungewöhnlichem Feuer glänzten ihre Augen darunter hervor. Ihr langes schwarzes Haar floß in wilden Locken aus den Falten dieses seltsamen Kopfputzes. Wie eine verzückte Prophetin stand sie da, in der ausgestreckten Rechten einen jungen Baumzweig haltend, den sie gerade gepflückt zu haben schien. »Ich will verdammt sein,« sprach der Reitknecht, »wenn sie nicht die jungen Esche im Park abgeschnitten hat.« Der Laird antwortete nicht, sondern hielt die Blicke auf die über dem Wege stehende Gestalt gerichtet. »Reitet Eures Weges, Laird von Ellangowan!« sprach die Zigeunerin. »Heute habt Ihr sieben rauchende Herde ausgelöscht; seht zu, ob das Feuer in Eurer eigenen Wohnung darum heller brenne. Ihr habt von sieben Hütten die Dächer abgerissen; seht zu, ob Euer eigenes Dach desto fester stehe. Ihr könnt Eure Rinder in die Hütten zu Derneleugh stellen; seht zu, daß sich der Haß nicht auf dem Herdstein von Ellangowan ein Lager bereite. Reitet Eures Wegs, Richter Bertram! Warum schaut Ihr unsern Leuten so nach? Hier sind dreißig Herzen; sie hatten eher das Brot entbehrt, als Euch einen Bissen fehlen zu lassen, und eher ihr Herzblut hingegeben, als Euch den Finger ritzen zu lassen. Ja, dreißig sind's, von dem alten Weibe von hundert Jahren bis zu dem Buben, der vor acht Tagen geboren ward, und Ihr habt sie alle aus ihren Hütten geworfen, daß sie mit den Füchsen und dem Birkhahn auf dem Moore schlafen müssen. Reitet Eures Weges, Ellangowan! Unsere Kinder hängen auf unsern müden Rücken; seht zu, daß Eure Wiege daheim besser gebettet sei. Nein, ich wünsche nichts Böses dem kleinen Harry oder dem Kindlein, das soll noch geboren werden, Gott verhüte es, und mache es freundlich gegen die Armen und besser, als sein Vater ist! Und nun reitet Eures Weges! denn dies sind die letzten Worte, die Ihr je von Meg Merrilies hören sollt, und dies ist das letzte Reis, das ich schneiden werde in den lieben Wäldern von Ellangowan.« Mit diesen Worten zerbrach sie den Baumzweig, den sie in der Hand hielt, und warf ihn in den Weg. Der Laird wollte seine Stimme erheben und steckte die Hand in die Tasche, um ein Geldstück zu suchen; aber die Zigeunerin wartete weder auf seine Antwort noch auf seine Gabe, sondern schritt vom Hügel hinab, den Zug einzuholen, Ellangowan ritt gedankenvoll heim, und es war gewiß merkwürdig, daß er seinen Angehörigen von dieser Zusammenkunft nichts mitteilte. Der Reitknecht aber, weniger zurückhaltend, erzählte die ganze Geschichte in der Küche und schloß mit der Beteuerung, wenn je der Teufel aus einem Weibermunde geredet, so habe er an diesem heiligen Tage aus Meg Merrilies gesprochen. Neuntes Kapitel So lange Herr Bertram seinem Amte eifrig oblag, vergaß er auch nicht für die Hebung der Zolleinahmen zu sorgen. Auf der ganzen südwestlichen Küste von Schottland war der Schleichhandel allgemein, für den die Insel Man besondere Eignung aufwies. Fast die ganze niedere Volksklasse war dabei beteiligt, die höhern Stände drückten die Augen zu, und die Zollbeamten wurden von denen, auf deren Schutz sie hätten rechnen müssen, oft in der Ausübung ihrer Pflicht behindert. Um diese Zeit war der schon genannte Kennedy in jener Gegend der Küste als berittner Zollwächter angestellt; er war ein rüstiger, entschlossener Mann, der schon manches Schleichhandelsgut weggenommen hatte, und bei allen, die dem verbotenen Gewerbe nachgingen, bitter verhaßt. Er war der natürliche Sohn eines Mannes von Stande, und sowohl dieser Umstand als sein unversieglicher Humor sicherten ihm bei allen Landjunkern freundliche Aufnahme. Er kam oft nach Ellangowan und war dort stets willkommen. Die kühnen, gefährlichen Unternehmungen, die er in seinem Amte ausgeführt hatte, gaben trefflichen Unterhaltungsstoff; dem Burgherrn behagte dieser Umstand, und so tat er das Seinige, Kennedy bei der Ausübung seiner verhaßten und schwierigen Pflicht zu unterstützen. Da ereignete es sich, daß der Hauptmann Dirk Hatteraick eine Schiffsladung von Branntwein und andern verbotenen Waren nicht weit von Ellangowan landete und der Meinung war, im Vertrauen auf die Nachsicht, die der Laird ehedem gegen solche Gesetzesübertretungen gezeigt, sich bei der Bergung der Ladung weder beeilen zu brauchen, noch besonders heimlich dabei zu Werke gehen zu müssen. Da erschien aber Kennedy, mit einem Befehle von Ellangowan ausgerüstet, in Begleitung einiger der Gegend kundigen Landleute und eines Kommandos Soldaten, die gelandeten Fässer und Ballen zu konfiszieren, und brachte sie auch nach einem verzweifelten blutigen Kampfe siegreich ins Zollhaus. Dirk Hatteraick schwur in holländischer, deutscher und englischer Sprache dem Aufseher und seinen Beschützern grausame Rache, und wer ihn kannte, zweifelte nicht, daß er Wort halten werde. Einige Tage nach der Vertreibung der Zigeunerhorde fragte Bertram seine Frau beim Frühstücke, ob nicht des kleinen Harry Geburtstag sei. »Gerade fünf Jahre alt, Gott segne ihn!« antwortete sie. »Nun könnten wir ja auch einmal das Papier des Engländers ansehen.« Bertram war in Kleinigkeiten pedantisch, »Nicht eher als morgen, mein Kind,« erwiderte er. »Der Sheriff sagte erst neulich bei der Gerichtssitzung, ein Tag, das heißt ein dies inceptus – doch Du verstehst ja nicht Lateinisch – ich meine, ein anberaumter Tag fange nicht eher an, als bis er zu Ende sei.« »Aber das hört sich ja an wie rechter Unsinn, Mann.« »Mag sein, doch das Gesetz bleibt deshalb Gesetz,« erwiderte Bertram und sagte nach einigen Abschweifungen, daß Franz Kennedy ausgeritten sei um dem königlichen Wachtschiff in der Bai von Hatteraicks Ankunft Nachricht zu geben, und nicht vor Abend zurückkehren werden, dann aber mit ihm eine Flasche Bordeaux auf Harrys Gesundheit trinken solle. »Ich wollte, Kennedy bekümmerte sich nicht um Dirk Hatteraick,« meinte die Frau. Warum macht er sich mehr Arbeit als andere? Kann er nicht sein Liedchen singen, sein Schlückchen trinken und seine Besoldung ziehen, wie andere ehrliche Leute, die niemand stören? Mich wundert's, daß Du Dich in solche Dinge mengst. Brauchten wir je nach Tee oder Branntwein in den Flecken zu schicken, als Dirk Hatteraick ruhig hier landen konnte?« »Du verstehst nichts von diesen Dingen,« antwortete der Laird. »Meinst Du, es schicke sich für einen Beamten, sein Haus zu einer Niederlage von Schleichhändlergut zu machen? Laß Dir von Kennedy einmal die Strafgesetze darüber zeigen. Du weißt ja selbst, wie sie ihre Waren im alten Schlosse unterbrachten!« »O, was schadet's denn, wenn in den Gewölben einmal ein Fäßchen Branntwein liegt? Du bist ja gar nicht verpflichtet, etwas davon zu wissen. Und was schadet's dem Könige, wenn die Gutsherren hier ein gutes Gläschen um billigen Preis bekommen, und ihre Frauen ein Täßchen Tee? Es ist Sünd' und Schande, daß man solche Abgaben auf solche Genußmittel legt. Und als Dirk Hatteraick mit Brabanter Haubenspitzen von Antwerpen schickte, da war ich auch nicht böse. Aber lange dauern wird's, bis mir der König oder Kennedy etwas schickt. Und gar erst Dein Streit mit den Zigeunern! Mir bangt jeden Tag, daß unsere Scheune in Flammen steht.« »Ich sage Dir nochmals Kind, Du verstehst nichts von solchen Dingen. Aber sieh, da sprengt Kennedy die Allee hinauf.« »Gut, gut, Bertram!« rief sie ihm nach, als er hinauseilte, »ich wünschte, Du könntest es auch.« Der Laird eilte seinem Freunde entgegen ... »Kommt, kommt,« rief Kennedy, »ins alte Schloß hinauf! Der alte Fuchs Dirk Hatteraick wird von des Königs Hunden tüchtig gehetzt.« Mit diesen Worten warf er seines Pferdes Zaum einem Buben zu und eilte zu dem alten Schlosse hinauf. Der Laird folgte ihm mit mehreren Hausgenossen, die der von der See herüberschallende Geschützdonner in Angst und Schrecken setzte. Als sie den Teil der alten Ruine erstiegen hatten, der die weiteste Aussicht bot, sahen sie ein Fahrzeug in der Bai, das von einer Kriegsschaluppe lebhaft verfolgt wurde. Beide Schiffe feuerten gegeneinander... »Es kommt ihm näher!« rief Kennedy, außer sich, vor Freude. »Verdammt! der Schmuggler wirft seine Ladung aus. Faß auf Faß fliegt über Bord. Der verwünschte Hatteraick! Ha! nun haben sie den Wind ihm abgenommen. Frisch ihm zu Leibe! frisch!« Die Jagd dauerte fort. Das Schleichhändlerschiff, das mit großer Geschicklichkeit steuerte und mit aller Anstrengung zu entrinnen suchte, wollte eben um eine Landspitze biegen, als die Raa in der Mitte von einer Kugel getroffen wurde und das Segel auf das Verdeck stürzte. Dieser Unfall schien dem Schiffe verderblich werden zu sollen; aber es gelang ihm doch, um die Landzunge herumzukommen und hinter dem Vorgebirge zu verschwinden. Die Schaluppe setzte alle Segel, das fliehende Schiff zu verfolgen, hatte aber zu dicht am Vorgebirge gehalten und wäre, wenn sie nicht umgelegt hätte und in die Bai zurückgesteuert wäre, um Räumte zur Umsegelung der Landspitze zu gewinnen, auf die Küste getrieben worden. »Verdammt,« rief Kennedy. »Sie verlieren Ladung und Schiff! Ich muß zur Warroch-Spitze reiten und ihnen sagen, wo sie das Schiff finden. Gott befohlen auf eine Stunde, Ellangowan! Holt den Punschnapf, wenn ich zurückkomme; wir trinken dann auf des jungen Lairds Gesundheit.« Mit diesen Worten schwang er sich aufs Pferd und ritt davon. Als er ungefähr eine Viertelstunde weit geritten war und die Höhe des Waldes erreicht hatte, der das in die Landspitze auslaufende Vorgebirge deckte, traf er Harry Bertram in Sampsons Begleitung. Er hatte dem Knaben, der den lustigen Hausfreund sehr gern hatte, schon oft einen Ritt versprochen, und kaum hatte Harry ihn gesehen, als er ihn auch daran erinnerte. Kennedy, der kein Bedenken fand, dem Knaben den Willen zu tun, obendrein den bedächtigeren Lehrer, dessen Mienen Besorgnis verrieten, necken wollte, hob den Kleinen schnell vor sich aufs Pferd und ritt weiter. Sampsons Ruf: »Herr Kennedy!« verlor sich in dem Getrappel des Pferdes. Sampson überlegte eine Weile, ob er dem Reiter folgen sollte; aber da Kennedy ein Vertrauter des Burgherrn war, er selbst aber sich mit einem Manne, der immer Possen trieb, nicht gern viel einließ, ging er endlich seines Weges und nach Ellangowan zurück. Die Leute vom Schlosse standen noch immer und beobachteten die Schaluppe, die endlich, nach vielem Zeitverluste, um die Warroch-Spitze bog und sich in kurzer Zeit hinter dem waldigen Vorgebirge verlor. Bald darauf hörte man Schüsse aus der Ferne, und nicht lange nachher einen furchtbaren Knall, wie wenn ein Schiff in die Luft geflogen wäre, und eine dicke Rauchwolke stieg über die Waldwipfel zu dem blauen Himmel empor. Darauf verließen alle die Burg, verschiedener Meinung über das Schicksal des Schleichhändlerschiffes, aber die meisten glaubten, es müsse entweder gefangen oder gesunken sein. »Es ist Essenszeit, mein Kind,« sprach die Hausfrau, »wird Herr Kennedy bald kommen?« »Ich erwarte ihn jeden Augenblick; vielleicht bringt er ein paar Offiziere von der Schaluppe mit.« »Lieber Himmel, warum hast Du mir das nicht eher gesagt, daß wir den großen runden Tisch hätten decken können? Und dann – solche Leute haben doch Pökelfleisch satt, und außer Rindfleisch gibt's auch bei uns nichts. Ich hätte doch auch gern ein anderes Kleid angezogen, und für Dich wäre es auch nicht übel, wenn Du eine reine Halsbinde anlegtest. Aber Du hast immer Deine Freude daran, mich in Verlegenheit zu bringen.« »Ei, hole der Henker Rindfleisch, Kleid, Tisch und Halsbinde! Es wird auch so gehen. Aber wo ist Sampson? Wo ist Sampson und Harry?« »Sampson ist schon seit zwei Stunden wieder da,« antwortete der Diener, »aber Junker Harry ist meines Wissens nicht mit ihm gekommen.« »Harry nicht mit ihm?« rief Frau Bertram. »Sagt doch Sampson, er möchte sogleich zu mir kommen,« – »Herr Sampson,« fuhr sie den Eintretenden an, »wie verhält es sich mit Harry? Ihr habt freien Tisch, Bett und Wäsche – dazu jährlich zwölf Pfund Sterling – bloß um über den Knaben zu wachen, und laßt ihn ein paar Stunden lang aus den Augen!« Sampson antwortete mit demütiger Verbeugung für alle von seiner Herrin aufgezählten Benefizien und erzählte sodann, wie Herr Kennedy aus eigenem Antrieb den Knaben unter Obhut genommen, trotz aller Gegenvorstellungen von seiner Seite. »Ich bin Herrn Kennedy für seine Mühe nicht im geringsten dankbar,« erwiderte sie ärgerlich ... »Wenn er das Kind vom Pferde fallen ließe, oder wenn das Kind von einer Kugel getroffen würde, oder –« »Oder, Kind,« fiel Ellangowan ein, »was noch wahrscheinlicher als alles andere ist, sie sind an Bord der Schaluppe oder des gefangenen Schiffs gegangen und kommen mit der Flut um die Landspitze.« »Und könnten am Ende gar ertrinken,« rief sie ängstlich. »Ich habe freilich geglaubt,« nahm Sampson das Wort, »Herr Kennedy wäre schon seit einer Stunde zurück. Mich dünkt doch, ich habe sein Pferd gehört, als es in den Hof trabte.« »Ei,« fiel grinsend der Hausknecht ein, »das war ja das Mädel, das die Kuh ohne Hörner austrieb.« Sampson wurde über und über rot; nicht über den Spott, den er nie gemerkt und nie empfunden hätte, sondern über einen Gedanken, der ihm durch den Kopf fuhr ... »Ich habe gefehlt,« sprach er, »ich hätte auf das Kind warten sollen.« Mit diesen Worten nahm er Hut und Stock und eilte zu der Warroch-Spitze, schneller als er je vorher und nachher in seinem Leben gegangen. Der Laird sprach noch einige Zeit mit seiner Frau über die Angelegenheit, Endlich ließ sich die Schaluppe wieder sehen, aber ohne sich der Küste zu nähern, und mit vollen Segeln westwärts steuernd, war sie bald wieder verschwunden. Bertram war das ängstliche Temperament seiner Frau so gewöhnt, daß ihre Besorgnisse ihn nicht sonderlich bekümmerten; aber die verstörten Gesichter seiner Dienstboten machten ihn endlich unruhig, und seine Bestürzung stieg, als man ihn hinauslief und ihm erzählte, Kennedys Pferd wäre allein zum Stalle gekommen, mit unterwärts hängendem Sattel und zerbrochenem Gebiß; ein Landmann hätte im Vorbeigehen gesagt, ein Schleichhändlerschiff stände in Flammen unten auf der andern Seite der Warroch-Spitze, doch hätte er, als er durch den Wald gekommen, weder Kennedy noch den Junker gesehen, nur Herr Sampson wäre wie wahnsinnig umhergelaufen, sie zu suchen. Alles im Schlosse war nun in Bewegung. Der Laird eilte mit seinen Dienstboten, Knechten und Mägden zu dem Warroch-Walde. Die Landleute in der Umgegend leisteten Beistand, manche aus Teilnahme, die meisten aus Neugier. Kähne wurden bemannt, die Küste zu untersuchen, die der Landspitze gegenüber in hohe schroffe Felsen aufstieg, denn die Besorgnis wurde laut, das Kind sei von diesen Klippen hinabgestürzt; aber niemand wagte es, den schrecklichen Gedanken in Worte zu kleiden. Der Abend war angebrochen, als die Leute in dem Walde ankamen und sich in verschiedenen Richtungen zerstreuten. Der dunkle Nachthimmel, der heulende Novemberwind, das Rauschen des welken Laubes und die wiederholten Anrufe der Suchenden gaben der Szene einen unheimlichen Anstrich. Eine Stunde war verstrichen und trotz lebhaftester Mühe nicht das geringste ermittelt worden. Besorgt steckten alle die Kopfe zusammen. Da erscholl plötzlich ein Schrei vom Strande her so laut, so durchdringend, so ganz verschieden von allen Tönen, die in dieser Nacht den Wald belebt hatten, daß niemand zweifelte, er bedeute eine neue schreckliche Botschaft. Alle eilten dem Schalle nach, und auf Pfaden, auf denen sie zu anderer Zeit zurückgescheut wären, kamen sie an den Fuß eines Felsens, wo eben die Mannschaft eines Bootes gelandet war ... »Hier, ihr Leute, hier!« rief es. »Um Gottes willen, hier herunter!« Ellangowan brach durch den Haufen, der sich schon um die unglückliche Stelle gedrängt hatte. Es war Kennedys Leichnam. Beim ersten Anblick schien es, als sei der Mann durch einen Sturz von den Felsen, die sich hier hundert Fuß über die Sandbank erhoben, umgekommen. Der Leichnam lag halb in, halb außer dem Wasser, Denjenigen, die zuerst sich näherten, war es vorgekommen, als ob noch Leben in dem Toten wäre, weil die anschwellende Flut den Arm gehoben und die Kleider bewegt hatte. Aber man sah bald, daß jeder Funke erloschen war. »O mein Sohn! mein Sohn!« rief der unglückliche Vater, »wo kann er sein?« Alle öffneten den Mund, Hoffnungen zu erwecken, die niemand hegte. Endlich nannte jemand die – Zigeuner. Im Fluge stieg Ellangowan den Felsen hinan, schwang sich auf das erste Pferd, das er fand, und ritt wie rasend zu den Hütten von Dernclengh. Alles war hier finster und öde. Als er abstieg, um genauer zu untersuchen, strauchelte er über die Trümmer von Hausrat, den man aus den Hütten geworfen, und über zerbrochene Dachsparren. Da fielen die Verwünschungen, die Meg Merrilies gegen ihn ausgestoßen, ihm schwer auf die Seele ... »Ihr habt von sieben Hütten die Dächer abgerissen; sehet zu, ob Euer eigenes Dach desto fester stehe.« »Gib mir mein Kind wieder!« rief er aus. »Bring mir meinen Sohn zurück, und alles soll vergessen und vergeben sein!« Als er diese Worte im Wahnsinn des Schmerzes ausrief, entdeckte er einen Lichtschimmer in einer der zerstörten Wohnstätten. Es war die Hütte, worin Meg Merrilies ehedem gewohnt hatte. Das Licht, das von einem Feuer zu kommen schien, schimmerte nicht nur durch das Fenster, sondern auch durch das zerstörte Dach. Er flog dorthin. Der Eingang war verriegelt. Die Verzweiflung gab dem unglücklichen Vater Riesenstärke, und er stürzte mit so heftiger Gewalt gegen die Tür, daß sie wich. Die Hütte war leer; aber man sah Spuren, daß sie kurz vorher bewohnt gewesen; auf dem Herde brannte Feuer, es stand ein Kessel da, und man sah Anstalten zum Kochen. Bertram blickte starr umher, ob er irgend etwas fände, seine Hoffnung zu bestätigen, daß sein Kind noch am Leben, wenn auch in der Gewalt der Zigeuner wäre. Da trat ein Mann in die Hütte. Es war der alte Gärtner ... »O gnädiger Herr!« sprach er, »ich hätte nie gedacht, eine solche Nacht zu erleben. Ihr müßt sogleich ins Schloß kommen.« »Ist mein Kind gefunden? Lebt es? Habt Ihr meinen Sohn gefunden? Andreas! Habt Ihr ihn gefunden?« »Nein, gnädiger Herr, aber –« »Man hat ihn gefangen! Gewiß, Mann, so gewiß, als ich auf Gottes Erde stehe, Sie hat ihn gestohlen, die Meg Merrilies, und ich gehe nicht von der Stelle, bis ich Nachricht von meinem Kinde habe.« »Aber Ihr müßt heimkommen, Herr! Ihr müßt heimkommen. Wir haben nach dem Sheriff geschickt, und wir wollen hier eine Wache hinstellen, wenn die Zigeuner etwa zurückkommen sollten. Aber Ihr müßt heimkommen, Herr; die gnädige Frau liegt in den letzten Zügen.« Bertram heftete sein Auge starr auf den Unglücksboten, und die Worte: »in den letzten Zügen!« wiederholend, als ob er den Sinn derselben nicht hätte fassen können, ließ er sich von dem Alten zu seinem Pferde ziehen. Auf dem Heimwege rief er nur mit schmerzlichem Ausdrucke: »Weib und Kind, beide – Mutter und Sohn! Beide!« Wer könnte den neuen Jammer schildern, der ihn erwartete? Die Nachricht von Kennedys Schicksal war im Schlosse verbreitet worden, mit dem Zusatze, der Unglückliche hätte ohne Zweifel das Kind mit sich von der schroffen Klippe herabgerissen und die Flut hätte des Knaben leichtern Leichnam weggeschwemmt. Die unglückliche Mutter vernahm die entsetzliche Botschaft, erlitt eine Frühgeburt, und ehe Ellangowan sein bewegtes Gemüt hatte sammeln können, um das Schreckliche seiner Lage zu fassen, war er Vater einer Tochter und Witwer. Zehntes Kapitel Am folgenden Morgen, bei Tagesanbruch, kam der Sheriff der Grafschaft nach Ellangowan, um kraft seines Amtes die erforderlichen Nachforschungen anzustellen. Sein erstes Geschäft war, alle Zeugnisse zu sammeln, die auf das geheimnisvolle Ereignis Licht werfen konnten. Seine sorgfältige Untersuchung des Falles brachte manche Umstände an den Tag, die die erste Vermutung, daß Kennedy durch einen unglücklichen Zufall von der Klippe gefallen, über den Haufen stießen. Der Leichnam war, wie man ihn gefunden, in eine benachbarte Fischerhütte gebracht worden. Bei der Untersuchung fand man ihn wohl gräßlich zerschmettert von dem furchtbaren Sturze, aber auch eine tiefe Wunde im Kopfe, die nach der Meinung des geschickten Wundarztes, der zur Leichenschau gezogen wurde, von einem Schwert oder Säbelhieb herrührte. Der erfahrene Mann entdeckte noch andere verdächtige Zeichen. Das Gesicht war schwarz, die Augen waren verdreht und die Halsadern geschwollen. Die Halsbinde, die der Unglückliche trug, hatte nicht mehr die gewöhnliche Lage, sondern war locker, die Schleife aber verschoben und sehr fest gezogen, als ob man den Verstorbenen daran geschleppt hätte. Der Geldbeutel des Toten war unberührt, die Pistolen aber, die er gewöhnlich bei sich trug, wenn er auf gefährliche Abenteuer ging, fand man geladen in seiner Tasche, was um so mehr auffiel, als Kennedy bei den Schleichhändlern als unerschrockener Mann, der sich seiner Waffen geschickt zu bedienen wußte, gefürchtet war. Bertrams Dienstboten erzählten zwar, er habe gewöhnlich auch einen Hirschfänger getragen, doch fand man solche Waffe nicht bei dem Leichnam, und niemand wußte bestimmt anzugeben, ob er sie an diesem Tage bei sich geführt habe. Der Beamte schritt darauf zur Besichtigung des Fundortes der Leiche und ließ sich umständlich erzählen, wie man sie gefunden. Ein großes Felsenstück schien mit dem Unglücklichen von der Klippe herabgerollt oder ihm nachgestürzt zu sein. Die feste Steinmasse war bei dem Sturze so wenig zersplittert, daß sich durch genaue Untersuchung erkennen ließ, welche Lage sie auf der Höhe des Felsens eingenommen. Als man darauf die Klippe erstieg und die Stelle untersuchte, wo das Felsenstück gelegen haben mußte, glaubte man sicher zu sein, daß ein einziger Mensch nicht stark genug gewesen sei, es mit sich zu reißen. Hingegen schien der Block auch so locker gelegen zu haben, daß die vereinte Kraft von drei bis vier Menschen ihn leicht von seiner Stelle gerückt haben konnte. Der Boden war rings umher zertreten, und menschliche Fußtapfen, die man entdeckte, schienen zu verraten, daß hier ein heftiger Kampf stattgefunden. Aehnliche, doch minder sichtbare Spuren leiteten ans den Rand der Waldhöhe, und man verfolgte dieselben bis tief in das wild verwachsene Dickicht, wohin niemand anders, als in der Absicht, sich darin zu verbergen, seinen Weg genommen haben konnte. Hier fand man, je weiter man kam, deutliche Spuren von Gewalttätigkeit und Kampf. Zweige waren niedergebogen, als ob sie von einem Unglücklichen, den man hindurch geschleppt, in heftigem Widerstände erfaßt worden wären; und wo der Boden weich war, sah man verschiedene Fußtapfen auf weißlichem Tonboden, und am Rückenteil von Kennedys Rocke hatte man Flecke von der gleichen Farbe bemerkt. Die Fährte verfolgend, fand man in einiger Entfernung vom Rande des Abgrundes einen offenen Platz, der zerstampft und offenbar mit Blut befleckt war, obgleich man Laub darauf gestreut hatte, diese Spuren zu verdecken. Auch wurde hier der Hirschfänger des Unglücklichen und nicht weit davon, aber sorgfältiger versteckt, Gürtel und Scheide dazu entdeckt. Bei genauer Untersuchung der Fußstapfen ergab sich, daß einige von ihnen mit dem Fuße des Ermordeten übereinstimmten; andere aber waren größer oder kleiner, und man glaubte annehmen zu dürfen, daß wenigstens vier bis fünf Menschen mit ihm gekämpft haben müßten. Ueberdies bemerkte man hier, aber nirgendwo anders, Fußstapfen von einem Kinde, und da man bis nahe der Stelle eine tiefe Pferdespur verfolgt hatte, konnte man annehmen, daß der Knabe während der Verwirrung in dieser Richtung entflohen sein müßte. Da man jedoch gar nichts von dem Knaben gehört hatte, äußerte der Beamte, nach Erörterung all dieser Umstände, die Meinung, Kennedy sei hinterlistig überfallen worden, und die Mörder, wer sie auch gewesen sein möchten, hätten sich des Kindes bemächtigt. Man bot nun alles auf, die Täter zu entdecken. Der Verdacht schwankte zwischen Schleichhändlern und Zigeunern. Das Schicksal von Dirk Hatteraicks Fahrzeug war keinem Zweifel unterworfen. Zwei Männer von der entgegengesetzten Seite der Warroch-Bai hatten, freilich aus weiter Entfernung, gesehen, wie das Schiff, nachdem es die Landspitze umsegelt, ostwärts gesteuert habe, aber, nach seinen Bewegungen zu urteilen, in schlechtem Zustande gewesen sei. Bald darauf sei es gesunken und dann in Feuer aufgegangen. Da erst sei ein königliches Schiff um das Vorgebirge herumgekommen, habe sich aber, der eigenen Sicherheit wegen, in gemessenem Abstande halten müssen, und sei endlich südwärts gesteuert. Ob das Schleichhändlerschiff Boote ausgeschickt hätte, wußte niemand zu sagen; doch sei es möglich, daß das brennende Schiff die Boote den Blicken entzogen haben könne. Der Befehlshaber des königlichen Schiffes machte dem Sheriff Mitteilungen, die jene Aussage bestätigten und es außer Zweifel setzten, daß Dirk Hatteraick der Eigentümer des zerstörten Schiffes gewesen; er war überzeugt, daß die Mannschaft ihr Fahrzeug in Brand gesteckt und sich in den Booten gerettet hätte. Sein Schiff hatte später die Küsten der Insel Man untersucht, um den Schlupfwinkel der Schleichhändler zu entdecken, aber durchaus keine Spur gefunden. Unter der Voraussetzung also, daß die Mannschaft des Schleichhändlerschiffes sich gerettet habe, war der Tod des unglücklichen Kennedy, wenn er in den Wäldern unter die Wütenden gefallen, leicht zu erklären, und da man wußte, daß Hatteraick gegen Bertram heftige Drohungen ausgestoßen, glaubte man mit Wahrscheinlichkeit annehmen zu dürfen, daß jene Menschen selbst vor dem Morde des Kindes nicht zurückgebebt hätten. Gegen diese Vermutung wurde eingewendet, daß fünfzehn bis zwanzig Seeleute sich nicht leicht auf der Küste hätten verbergen können, da doch dort sogleich nach der Zerstörung des Schiffes sorgfältige Nachforschungen angestellt worden seien, man also doch wenigstens ihre Boote hätten finden müssen. Und daß sie in einer so schwierigen Lage, die jede Flucht gewissermaßen ausschloß, sich zu einem unnützen Mord, bloß aus Rache, hätten zusammentun sollen, schien auch eine haltlose Annahme. Diejenigen, die solche Zweifel hegten, vermuteten, daß entweder die Boote des Schleichhändlers unbemerkt die See gewonnen und vor dem verfolgenden Fahrzeuge sich gerettet hätten, oder daß die Mannschaft, nachdem ihre Boote durch das Feuer der Schaluppe zerstört worden, mit dem Schiffe umgekommen wäre. Allerdings schien für diese Meinung zu sprechen, daß man weder Hatteraick noch einen von seinen Seeleuten, die bekannt genug waren, auf der Küste oder auf der Insel Man bemerkt hatte, und daß nur ein Leichnam, ein, wie es schien, erschossener Seemann, von der Flut auf das Gestade geworfen worden. Eine andere Vermutung wollte den Verdacht des schrecklichen Verbrechens auf die vertriebenen Bewohner von Derncleugh lenken. Man wußte, daß sie gegen den Laird von Ellangowan heftig erbittert gewesen waren und schwere Drohungen ausgestoßen hatten. Kindesraub war ein Verbrechen, das ihnen eher als den Schleichhändlern zuzutrauen war. Konnte nicht Kennedy bei dem Versuche, das Kind zu retten, umgekommen sein? Er hatte sich freilich bei der Vertreibung der Zigeuner beteiligt, und auch gegen ihn waren Drohungen gefallen. Die letzten, von Meg Merrilies gegen Ellangowan gerichteten Worte erweckten selbst dem Sheriff Verdacht, Ein Landmädchen, das in dem Walde von Warroch Nüsse gepflückt hatte, meinte auch gesehen zu haben, wie Meg Merrilies, oder doch ein Weib von ihrer großen Gestalt, plötzlich aus dem Dickicht gestürzt wäre. Sie habe sie bei Namen gerufen, setzte das Mädchen hinzu, aber da die Gestalt das Gesicht abgewendet und nicht geantwortet habe, könne sie nicht wissen, ob es die Zigeunerin gewesen oder ihr Schatten, und sie habe sich gefürchtet, zu einem Weibe zu treten, in dessen Nähe es doch nicht geheuer sei. Diese Erzählung schien eine Bestätigung durch den Umstand zu erhalten, daß man in der verlassenen Hütte der Zigeunerin Feuer gefunden hatte, obgleich sich kaum annehmen ließ, daß Meg Merrilies, als Mitschuldige des gräßlichen Verbrechens, an demselben Abend, da es verübt worden, an einem Orte hätte Zuflucht suchen sollen, wo man zuerst nach ihr forschen mußte. Die Zigeunerin wurde verhaftet und verhört. Sie blieb standhaft dabei, an dem unglücklichen Tage weder in Derneleugh noch im Walde von Warroch gewesen zu sein, und einige von ihrer Horde beteuerten eidlich, sie habe das Lager nicht verlassen, das sich in einem Tale ungefähr fünf Wegstunden von Ellangowan befand. Auffallend war jedoch der Umstand, daß ihr Arm durch eine scharfe Waffe, wie es schien, leicht verwundet und mit einem Schnupftuch, das dem kleinen Harry gehörte, verbunden war; der Hauptmann der Horde aber behauptete, er habe sie an jenem Tage mit seinem Dolche gezüchtigt; sie selbst und andere gaben dieselbe Ursache der Verwundung an, und da in den letzten Monaten so viel Wäsche in Ellangowan gestohlen worden, ließ sich ebenfalls erklären, wie Meg Merrilies zu dem Tuche gekommen, ohne daß man darum den Verdacht des schweren Verbrechens auf sie werfen konnte. Bei dem Verhöre fiel es auf, daß sie alle Fragen, die sich auf die Ermordung Kennedys, oder »des Zöllners«, wie sie ihn nannte, bezogen, mit Gleichgültigkeit beantwortete, aber mit lebhaftem Unwillen sich darüber äußerte, daß man sie fähig halte, dem kleinen Harry ein Leid zuzufügen. Man ließ sie lange im Gefängnisse sitzen, in der Hoffnung, irgend einen Umstand zu entdecken, der Licht auf die geheimnisvolle blutige Tat werfen könnte; als sich jedoch weiter nichts ergab, wurde sie zwar entlassen, aber als Landstreicherin und Diebin aus der Grafschaft verbannt. Nie fand sich eine Spur von dem Knaben, und endlich hörte man, auf, von der unerklärlichen Geschichte zu reden, deren Andenken nur in dem Namen »Zöllnersprung«, wie man den Felsen nannte, wo Kennedy seinen Tod gefunden, noch fortlebte. Elftes Kapitel Siebzehn Jahre nach dem erzählten unglücklichen Ereignisse – in welch langer Zeit sich nichts von Wichtigkeit für den Verlauf unserer Handlung zugetragen, – an einem kalten, stürmischen Novemberabend saß eine muntere Gesellschaft in der Küche des Wirtshauses zu Kippletringan vor dem Herdfeuer. Die Wirtin, Frau Mac Canlish, thronte in einem mit schwarzem Leder überzogenen Lehnstuhle und bewirtete ein paar Gevatterinnen aus der Nachbarschaft mit einer Schale Tee, wobei die sorgsame Hausfrau jedoch nicht vergaß, auf die geschäftig hin- und hergehenden Dienstboten ein wachsames Auge zu haben. Der Küster saß in einiger Entfernung, seine Sonnabendpfeife rauchend, und blies den leichten Dampf von Zeit zu Zeit über sein Glas, um die Zunge mit einem Gemisch von Branntwein und Wasser zu erquicken. Der Almosenpfleger, Krämer Bearcliff, ein wichtiger Mann im Dorfe, rauchte seine Pfeife zu dem leichten, mit Branntwein versetzten Tee. Weiter entfernt saßen ein paar Landleute bei einem bescheidenen Kruge Dünnbier. »Ist die Stube zurecht?« fragte die Wirtin ihre Hausmagd. »Brennt das Feuer hell, und raucht die Esse nicht?« Das Mädchen sagte, es sei alles in Ordnung. »Man darf nicht unfreundlich gegen sie sein, zumal in ihrem Unglück,« fuhr die Wirtin fort, sich zu dem Krämer wendend. »Gewiß nicht, Frau Mac Candlish, gewiß nicht,« erwiderte Bearcliff. »Glaubt mir, was sie von Kleinigkeiten aus meinem Laden brauchen unter sieben, acht oder zehn Pfund Sterling, ich schreib es ihnen gern an wie den ersten in unserer Gegend, Werden sie in der alten Kutsche kommen?« »Ich glaube nicht,« sprach der Küster. »Denn Fräulein Bertram kommt immer auf dem Weißen Schimmel zur Kirche. Sie ist eine fleißige Kirchgängerin, und man hört sie gar gern Psalmen singen, das liebe junge Blut.« »Ja, und der junge Laird von Hazlewood reitet nach der Predigt immer bis auf den halben Weg mit ihr heim,« fiel eine der Gevatterinnen ein ... »Mich wundert, daß der alte Hazlewood das leidet.« »Ich weiß nicht, wie er's jetzt leiden kann,« sprach ein anderer Teegast; »aber es gab eine Zeit, wo es Ellangowan gar nicht recht gewesen, wenn seine Tochter sich mit dem Sohne des Lairds von Hazlewood eingelassen hätte.« »Ja, es gab solche Zeit!« antwortete die erste mit Nachdruck. »Ja gewiß, Nachbarin,« sprach die Wirtin, »Hazlewoods sind ein gutes altes Haus hier im Lande, aber es ist ihnen erst seit ein paar Mandel Jahren eingefallen, sich den Ellangowans gleich zu stellen. Die Bertrams von Ellangowan sind die alten Mac Dingawaie, wie ein altes Lied sagt; Herr Skreigh kann uns das Lied singen.« »Frau Wirtin,« antwortete der Küster, seinen Branntweinpunsch feierlich schlürfend, »wir haben unsere Gaben zu anderen Dingen, als alte Lieder so nahe vor dem Sonntag zu singen.« »O, lieber Herr Skreigh, ich habe Euch schon oft ein lustiges Liedchen am Sonnabend singen hören ... Aber um wieder auf die Kutsche zu kommen, die hat im Schuppen gestanden, seit Frau Bertram tot ist, das geht nun ins siebzehnte Jahr. Johnny ist mit meiner Kutsche fort. Ich weiß nicht, wo er bleibt. Der Weg ist nicht überall schlecht, und Johnny weiß Bescheid.« Da wurde laut an die Tür geklopft ... »Das sind sie nicht; ich höre keine Räder,« meinte die Wirtin und schickte das Mädchen hinaus. »Es ist ein einzelner Herr,« meldete die Magd; »soll ich ihn in die Stube führen?« »Auf die Beine! Auf die Beine! Es wird wohl ein englischer Herr sein, der noch spät ohne Diener kommt. Hat der Stallknecht das Pferd? Geschwind Feuer in die rote Stube!« »Liebe Frau,« sprach der Reisende, in die Küche tretend, »ich will mich hier ein wenig wärmen; es ist eine kalte Nacht.« Sein Aeußeres, seine Stimme und sein Benehmen machten sogleich einen günstigen Eindruck. Es war ein schöner, schlanker Mann, schwarz gekleidet, wie man sah, als er seinen Oberrock abgelegt hatte; ungefähr vierzig bis fünfzig Jahre alt, von ernsten, einnehmenden Zügen und militärischem Aussehen. Frau Mac Candlish hatte durch lange Praxis ein scharfes Verständnis für Gäste gewonnen und wußte ihren Stand auf den ersten Blick zu erraten und den Empfang danach einzurichten. Sie machte bei dieser Gelegenheit sehr tiefe Verbeugungen, war verschwenderisch mit verbindlichen Worten und ging, als der Fremde um recht gute Behandlung für sein Pferd bat, selbst in den Stall. Ein schöneres Stück Vieh habe noch nicht im Stalle zu Kippletringan gestanden, äußerte der Knecht, und diese Versicherung erhöhte die Achtung der Wirtin vor dem Reiter. Sie räumte ihm den besten Platz am Herde ein und bot ihm das Beste an, was Küche und Keller bargen. Er begehrte eine Schale Tee. Sogleich verstärkte sie ihren Aufguß durch einen reichlichen Zusatz von bestem Haisan und bediente den Fremden mit liebreichem Anstande ... »Wir haben eine recht hübsche Stube,« hob sie wieder an, »aber sie ist für heute versprochen an einen Herrn und seine Tochter, die von hier wegziehen. Meine Kutsche holt sie ab. Es geht ihnen jetzt nicht mehr so gut in der Welt, wie einst; wie es nun so trifft im Leben, bald oben, bald unten, das wird Euer Gnaden wohl wissen. Aber ist Ihnen der Tabakrauch nicht zuwider?« »Nicht doch, liebe Frau, ich bin ein alter Kriegsmann und schon daran gewöhnt.« In diesem Augenblicke hörte man einen Wagen rollen. Die Wirtin eilte an die Tür, kam aber sogleich mit einem Fuhrknechte zurück. »Nein,« sprach dieser, »sie können gar nicht kommen, der Laird ist schwerkrank.« »Gott stehe ihnen bei!« erwiderte die Wirtin. »Und morgen ist der letzte Tag, der allerletzte Tag, wo sie im Hause bleiben können.« »Ja, sie können nicht kommen, sage ich Euch,« hob der Fuhrknecht wieder an. »Herr Bertram kann nicht von der Stelle.« »Wie, Herr Bertram?« sprach der Fremde. »Doch nicht Bertram von Ellangowan?« »Eben der,« war die Antwort, »und wenn Sie ein Freund von ihm sind, so kommen Sie gerade recht.« »Ich bin lange außer Landes gewesen,« erwiderte der Fremde. »Ist seine Gesundheit so schwer zerrüttet?« »Ja, seine Gesundheit, und seine Umstände auch,« fiel Bearcliff ein. »Die Gläubiger haben Beschlag auf sein Vermögen gelegt, und die Güter kommen unter den Hammer. Jemand, der ihm fast alles verdankt, – ich nenne keine Namen, aber Frau Mac Candlish weiß, was ich meine – ist jetzt am meisten über ihn her. Ich habe auch etwas zu fordern, aber lieber möchte ich's verlieren, als daß ich den alten Mann aus dem Hause werfen sollte, in dem Augenblicke, da ihm der Tod naht.« »Ja freilich,« sprach der Küster, »der Glossin will den alten Laird gern los sein; er fürchtet, der männliche Erbe möchte ihm über den Hals kommen. Denn ich habe mir sagen lassen, wenn ein männlicher Erbe da wäre, so konnte das Gut wegen der Schulden des alten Ellangowan nicht verkauft werden.« »Er hatte ja einen Sohn, der schon vor vielen Jahren geboren ist,« hob der Fremde wieder an. »Aber er ist wohl tot?« »Das kann niemand sagen,« antwortete der Küster geheimnisvoll. »Tot!« fiel Bearcliff ein. »Ich wette, schon lange tot! Seit zwanzig Jahren hat man nichts von ihm gehört.« »Nicht zwanzig Jahre,« fiel die Wirtin ein. »Es sind ungefähr siebzehn, gerade um diese Zeit. Es war damals großes Gerede davon. Das Kind verschwand an eben dem Tage, wo der berittene Zollwächter Kennedy ums Leben kam. Wenn Sie hier zu Lande bekannt sind, gnädiger Herr, so werden Sie den Kennedy ja gekannt haben. Ich war damals noch jung und noch nicht lange verheiratet mit meinem Manne – Gott habe ihn selig! – und habe viel Spaß gehabt mit dem Kennedy. Und sehen Sie, gnädiger Herr, da fiel ein Kriegsschiff über den Dirk Hatteraick her – Ihr erinnert Euch ja noch, Herr Bearcliff, Ihr habt ia selbst mit Dirk zu tun gehabt. Es war ein herzhafter Kerl und focht auf seinem Schiffe, bis es in die Luft flog. Kennedy war zuerst auf seinem Schiffe und wurde wohl ein Paar tausend Fuß weit geschleudert und fiel ins Wasser unter der Warroch-Spitze bei dem Felsen, der noch heutigen Tages der Zöllnersprung heißt.« »Und was hat Bertrams Kind mit all diesen Dingen zu tun?« fragte der Fremde. »Das Kind war bei dem Zollwächter,« erwiderte die Wirtin. »Alle Leute meinten, es wäre mit ihm aufs Schiff gegangen, wie nun Kinder immer gern vorweg sind, wo's Unfug gibt.« »Nein, nein,« fiel der Krämer ein, »Ihr seid ganz falsch berichtet. Der Junker ist von einem Zigeunerweib weggefangen worden; es war die Meg Merrilies; ich kann mich ganz wohl auf sie besinnen. Sie hatte den Ellangowans Rache geschworen, weil man sie durch Kippletringan getrommelt, als sie einen silbernen Löffel gestohlen hatte.« »Nehmt mir's nicht übel,« sprach der Küster, »Ihr seid fast ebenso im Irrtum, wie unsere Frau Wirtin.« »Und was sagen Sie denn zu der Geschichte?« sprach der Fremde, sich neugierig zu ihm wendend. »Davon ist nicht gut zu erzählen,« erwiderte der Küster feierlich. Der Fremde drang in ihn, ohne Rückhalt zu reden. Darauf stieß der Küster ein paar dicke Tabakswolken aus, räusperte sich ein paarmal und ließ nun, die Beredsamkeit nachahmend, die er wöchentlich einmal von der Kanzel donnern hörte, aus der Wolkenhülle, die ihn umgab, folgende Worte ertönen: »Was ich Euch zu sagen habe, meine Brüder – meine lieben Freunde, will ich sagen – kann als Antwort für alle Hexenverteidiger, Gottesleugner und Ketzer dienen. Ihr sollt wissen, daß der achtbare Laird von Ellangowan nicht so eilig war, als es sich gebührt, sein Gebiet zu säubern von Hexen, von denen da geschrieben stehet: Du sollst keine Hexe leben lassen – noch von solchen, so da mit bösen Geistern Umgang haben und Wahrsagerei treiben, wie es die Zigeuner tun. Und der Laird war drei Jahre lang vermählt und bekam keinen Erben. Alle Welt aber dachte, daß er viel Verkehr mit der Meg Merrilies gehabt, die die verrufenste von allen Hexen in Galloway und Dumfries war.« »Daran ist wohl etwas,« fiel die Wirtin ein, »er hat ihr einmal zwei Gläser Branntwein hier in meinem Hause schenken lassen.« »Die Edelfrau wurde endlich gesegneten Leibes, und in der Nacht, da sie eines Kindes genesen sollte, siehe! da kommt an die Tür des Hauses – das Schloß Ellangowan nennen sie's – ein alter Mann, seltsam gekleidet, und bat um Herberge. Sein Haupt, seine Beine und Arme waren nackt, wiewohl es Winterszeit war, und er hatte einen grauen Bart, drei Viertelellen lang. Man ließ ihn herein, und als die Edelfrau entbunden war, wollte er genau den Augenblick der Geburt wissen und ging darauf hinaus, die Sterne zu befragen. Als er nun zurückkam, sagte er dem Laird, daß der böse Geist Gewalt haben würde über das Kind, so in jener Nacht geboren, und er schärfte ihm ein, den Knaben zur Gottesfurcht zu erziehen und einen Geistlichen ihm an die Seite zu stellen, der mit ihm und für ihn bete. Und der Greis verschwand, und niemand hier zu Lande hat wieder etwas von ihm gesehen.« »Nein, das kann nicht sein,« rief John, der Fuhrmann, der bisher in ehrerbietiger Entfernung dem Gespräch zugehört hatte; »Herr Skreigh wird es mir verzeihen, jener Mann hatte nicht mehr Haare im Gesichte, als der Herr Küster selbst, und hatte gute Stiefel an und Handschuhe dazu.« »Still, Johnny, still!« rief die Wirtin, und der Küster setzte verächtlich hinzu: »Was könnt denn Ihr davon wissen!« »Nicht viel, Herr Skreigh, aber ich wohnte zu jener Zeit keine zwanzig Schritt weit von dem Schlosse, als in der Nacht, wo der junge Laird geboren war, ein Mann an unsere Haustür kam, mit dem meine Mutter mich zum Schlosse schickte. Wär' er ein Zauberer gewesen, so hätte er's ja wohl selbst finden können. Es war ein junger, hübscher Mann wie ein Engländer. Ich sage Euch, er hatte so gut einen Hut, Stiefel und Handschuhe als sonst ein Herr. Es ist wahr, er sah ein bißchen schauerlich zum Schlosse hinan, und man hat mancherlei davon geredet; aber – mit dem Verschwinden ist's nichts. Ich habe ihm selbst die Steigbügel gehalten, als er wegritt, und er gab mir eine halbe Krone. Das Pferd gehörte dem Greggy Dumfries; es war spatlahm, ich hab' es vorher und nachher oft gesehen.« »Nun, nun, John,« erwiderte der Küster mit freundlich-feierlichem Tone, »unsere Erzählungen sind in wesentlichen Dingen nicht verschieden; ich wußte nicht, daß Ihr den Mann gesehen habt. Der Wahrsager also, meine Freunde, hatte dem Kinde Böses geweissagt, und sein Vater nahm einen gottseligen Geistlichen an, der Tag und Nacht bei dem Knaben sein mußte.« »Ja, das war Magister Sampson,« sprach der Fuhrmann. »Der ist ein Erzpinsel,« fiel der Krämer ein. »Man sagt, er habe nie mehr als fünf Worte von einer Predigt herausbringen können, seit er aus dem Magister-Examen gekommen.« »Nun ja,« hob der Küster wieder an, mit der Hand winkend, als hätte er gern wieder allein das Wort führen wollen. »Er bewachte den jungen Laird Tag und Nacht. Als nun der Knabe fünf Jahre alt war, da begab es sich, daß der Laird seinen Irrtum erkannte, und beschloß, die Zigeuner zu verjagen. Und Francis Kennedy, ein wilder Bursche, der sich immer mit Flüchen vermaß, wurde abgeschickt, sie hinauszuwerfen. Und er verfluchte und verwünschte sie, und Meg Merrilies, die mit dem Feinde des Menschengeschlechts im Bunde war, schwor ihm zu, sie werde ihn mit Leib und Seele haben, ehe drei Tage über sein Haupt gegangen. Meg Merrilies erschien dem Laird – das hab ich von guter Hand – als er von Singleside heimritt, und drohte ihm, was sie an den Seinigen tun wollte. Doch ob's Meg war oder ein böser Geist in ihrer Gestalt, das weiß ich nicht; denn sie war dicker als ein sterbliches Wesen, wie mir der Reitknecht erzählte.« »Und das Ende von allem diesen?« fiel der Fremde ungeduldig ein. »Nun,« fuhr der Küster fort, »der Erfolg und das Ende war: als sie in die See hinaus sahen, wo ein königliches Schiff einen Schleichhändler verfolgte, da riß Kennedy plötzlich aus, niemand wußte, warum – nicht Stricke und Bande hätten ihn halten können – und fort ging's zu dem Walde von Warroch, was das Pferd laufen konnte. Unterwegs traf er den jungen Laird und den Lehrer, und er nahm den Knaben aufs Pferd und schwor, wenn er behext wäre, so sollte der Knabe mit ihm gleiches Schicksal haben. Und der Geistliche folgte, so schnell er konnte, und fast so schnell als sie, denn er war wundersam schnell zu Fuße, und er sah, wie Meg Merrilies, oder ihr Meister in ihrem Ebenbilde, plötzlich aus der Erde stieg und das Kind dem Zöllner aus den Armen riß. Dann zog er sein Schwert, denn Ihr wißt, wer den Tod finden soll, und ein Hengst, die fürchten auch den Teufel nicht. Aber sie packte ihn und schleuderte ihn, wie einen Stein über die Felsenspitze von Warroch, wo man ihn am Abend fand. Was aber aus dem Knaben geworden, weiß ich nicht zu sagen. Der Pfarrer, der sonst hier war, meinte, der Knabe wäre nur auf einige Zeit ins Feenland gebracht worden.« Der Fremde hatte bei dieser Erzählung zuweilen gelächelt; aber ehe er antworten konnte, hörte man draußen lauten Hufschlag; und alsbald kam ein zierlich gekleideter Diener in die Küche, der, den Fremden bemerkend, ehrerbietig zu ihm trat und ihm einen Brief überreichte ... »Der Laird von Ellangowan ist in großer Not und nicht imstande, Besuch anzunehmen.« »Ich weiß es,« erwiderte der Fremde und bat darauf die Wirtin, ihm die Stube einzuräumen, die durch das Ausbleiben der erwarteten Gäste frei geworden war. Geschäftig leuchtete Frau Mac Candlish dem Fremden. Der Krämer reichte dem jungen Diener, der in der Küche blieb, sein Glas ... »Es wird Euch schmecken nach Eurem Ritte.« Der Diener trank es auf des Krämers Gesundheit, der darauf wieder anhob: »Und wer ist denn Euer Herr, mein Freund?« »Der berühmte Oberst Mannering aus Ostindien.« »Wie? von dem wir in den Zeitungen gelesen haben?« »Ja, eben der. Er hat Cuddiburn entsetzt, Chingalor verteidigt und den großen Maharatten-Fürsten, Ram Tscholli Bundelmann, geschlagen. Ich war meist bei ihm auf seinen Feldzügen.« »Gott segne uns!« rief die Wirtin. »Ich muß nur gleich zu ihm gehen und fragen, was er zu Abend speisen will. O, daß ich ihn auch hier konnte sitzen lassen!« »Das war ihm gerade recht, Mutter. Ihr habt in Eurem Leben keinen schlichteren Mann gesehen als den Obersten, und doch hat er auch etwas vom Teufel im Leibe.« Zwölftes Kapitel Der Oberst ging gedankenvoll auf und nieder, als die geschäftige Wirtin hereintrat und nach seinen Wünschen fragte ... »Habe ich recht verstanden,« sprach er, »so verlor Herr Bertram seinen Sohn im fünften Lebensjahre?« »Allerdings, edler Herr,« antwortete sie, »aber über das Wie dabei hat man schon viel tolles Zeug geschwatzt. Es ist nun schon eine alte Geschichte. Das Kind ging in seinem fünften Jahre verloren; die Edelfrau war hochschwanger, und als man ihr die Nachricht unvorsichtig brachte, hatte sie den Tod davon in selbiger Nacht. Seit jenem Tage konnte der Laird nie wieder aufkommen und war gleichgiltig gegen alles. Als seine Tochter groß wurde, wollte sie wieder Ordnung ins Haus bringen; aber was konnte sie tun, das arme Kind? Jetzt werden sie von Haus und Hof getrieben.« Der Oberst fragte, um welche Zeit das Kind verloren gegangen, und nach einigem Besinnen antwortete die Wirtin, es wäre gerade im Anfange des November 17 ... gewesen ... Der Fremde ging eine Weile schweigend auf und nieder ... »Habe ich recht verstanden,« hob er endlich wieder an, »so soll die Herrschaft Ellangowan verkauft werden?« »Ja, verkauft. Uebermorgen wird sie dem Meistbietenden zugeschlagen und Hausrat und Habe versteigert. Alle Leute sagen, man habe schändlicherweise den Verkauf zu dieser Zeit betrieben, wo wegen des bösen Kriegs in Amerika so wenig Geld im Lande ist. Da ist jemand, der das Gut um ein Spottgeld haben will. Der schwarze Tod soll über ihn kommen!« setzte die Wirtin im Zorn über die vermeintliche Ungerechtigkeit hinzu. »Und wo soll der Verkauf vor sich gehen?« fuhr der Oberst fort. »In Ellangowan, so viel ich weiß.« Der Fremde erkundigte sich darauf, wer über die Angelegenheit ihm genauere Nachweisungen geben könne; und als die Wirtin Herrn Mac Morlan, den Unter-Sheriff der Grafschaft, genannt und ihn als einen wackern Mann gerühmt hatte, der, wie sie sagte, eben im Dorfe wäre, ersuchte sie der Oberst, den Beamten zu ihm einzuladen, aber niemand ein Wort von der Sache zu sagen. »Nicht ein Wort,« erwiderte sie lebhaft. »Ich wollte, Euer Gnaden, oder sonst ein edler Herr, der für das Vaterland gefochten hat, könnte das Gut haben, da es die alte Familie doch einmal verlassen muß, wenn's nur der Schuft, der Glossin, nicht kriegt, der auf den Untergang seines besten Freundes sein Glück gebaut hat.« Nach diesen Worten eilte die Wirtin fort, den erhaltenen Auftrag auszurichten, und in einigen Augenblicken saß Oberst Mannering, mit der Feder in der Hand, vor seinem Tische. Wir blicken über seine Schulter und teilen unsern Lesern mit, was er niederschreibt. Es ist ein Brief an Arthur Mervyn zu Mervyn-Hall, in Westmoreland. Nach einer kurzen Nachricht über des Schreibers Reise von dem Landsitze seines Freundes bis nach Schottland hieß es weiter: »Und wollen Sie mir noch immer meine Schwermut vorwerfen, lieber Mervyn? Glauben Sie denn, ich könnte nach Verlauf von fünfundzwanzig Jahren, wo ich Schlachten, Wunden, Gefangenschaft und Mißgeschick aller Art erdulden mußte, noch immer der lebhafte muntere Guy Mannering sein, der mit Ihnen den Skiddow erklomm und Haselhühner auf dem Croßfell schoß? Daß Sie, der Sie im Schoße häuslichen Glückes blieben, sich wenig verändert haben, daß Ihr Schritt noch so leicht, Ihre Seele noch voll heiteren Sonnenscheins ist, das nenne ich die glückliche Wirkung der Gesundheit und der Gemütsstimmung, die Wirkung der Zufriedenheit und einer ruhigen Fahrt auf dem Strome des Lebens. Auf meiner Laufbahn aber fand ich nur Beschwerden, Zweifel, Irrungen, Wirrungen. Seit meiner Kindheit war ich ein Spiel des Zufalls, und obgleich der Wind mich oft in einen Hafen führte, so war's doch selten der Hafen, wohin der Steuermann seinen Lauf gerichtet hatte. Ich will Ihnen, doch nur mit wenigen Worten, die seltsamen Schicksale meiner Jugend und das Mißgeschick meines Mannesalters zurückrufen. »Meine Jugend, werden Sie sagen, wäre ja eben nicht schrecklich gewesen. Ja, zwar nicht die beste, doch ganz erträglich. Mein Vater, der älteste Sohn eines alten, aber herabgekommenen Hauses, ließ mich mit geringem Vermögen, aber mit den Namen des Stammhalters seines Geschlechts, in dem Schutze seiner glücklichern Brüder, die so vernarrt in mich waren, daß sie sich beinahe um mich zankten. Mein Oheim, der Bischof, wollte mich in den geistlichen Stand bringen und mir eine Pfründe verschaffen; mein Oheim, der Kaufmann, hätte mich gern in seine Schreibstube gesetzt und wollte mir einen Anteil geben an dem schwunghaften Geschäfte des Hauses Mannering und Marshall in der Lombard-Street. So zwischen zwei Stühle gestellt, oder vielmehr zwischen die weichen bequemen gut gepolsterten Lehnsessel der Gottesgelehrtheit und der Kaufmannschaft, schlüpfte ich Unglücklicher mitten hindurch und kam auf einen Dragonersattel zu sitzen. Darauf wollte der Bischof mich mit der Nichte und Erbin des Dechants von Lincoln vermählen, und mein Oheim, der Alderman, mit der einzigen Tochter des großen Weinhändlers Sloethorn, der so reich war, daß er Haarwickel aus Banknoten drehte, aber ich zog meinen Hals aus beiden Schlingen und heiratete die – arme, blutarme Sophie Wellwood. »Sie werden sagen, ich hätte in Indien, wohin ich mit meinem Regimente ging, doch mit meiner kriegerischen Laufbahn einigermaßen zufrieden sein müssen, und Sie haben recht. Auch werden Sie meinen, daß ich mir doch nicht das Mißfallen der beiden Pfleger meiner Kindheit zugezogen, obgleich ich die Hoffnungen derselben täuschte; daß der Bischof mir, außer seinem Segen, seine handschriftlichen Predigten und eine merkwürdige Mappe vermachte, die drei Bildnisse berühmter Geistlichen der englischen Kirche enthielt, und daß mein Oheim, Paul Mannering, mich zum einzigen Erben seines großen Vermögens einsetzte. Alles dies hilft mir leider nichts. Ich habe Ihnen schon gesagt, es lag etwas auf meiner Seele, das ich wohl mit ins Grab nehmen werde – ein ewiger Aloegeschmack im Kelche des Lebens! Ich will Ihnen die Ursache umständlicher erzählen, wozu ich nicht das Herz hatte, als ich unter Ihrem gastfreien Dache wohnte. Man wird Ihnen vielleicht oft davon erzählen, und vielleicht mit abweichenden Umständen. Ich will Ihnen also ohne Rückhalt alles mitteilen, aber dann möge von dem Ereignisse selbst und von der Schwermut, die es in meiner Seele erweckte, nie wieder die Rede zwischen uns beiden sein. »Sophie begleitete mich, wie Sie wissen, nach Indien. Sie war unschuldig, munter und froh, zum Unglück für uns beide, beides im gleichen Maße. Mein Leben hatte sich teils durch die gelehrten Beschäftigungen, die ich aufgegeben, teils durch die Liebe zur Einsamkeit gebildet, die sich aber mit meiner Lage als Regimentskommandeur in einem Lande, wo jeder Ansiedler, der auf den Rang eines achtbaren Mannes Anspruch macht, Gastfreundschaft anbietet und erwartet, nicht recht vertrug. Sie wissen, in welcher Verlegenheit wir zuweilen um weiße Gesichter waren, unsere Schlachtlinie in Ordnung zu halten. In solchem schlimmen Augenblick kam ein junger Mann, Namens Brown, als Freiwilliger zu unserm Regimente, und da er das Kriegsgewerbe seiner Neigung angemessener fand als den Handel, dem er sich früher gewidmet, blieb er als Kadett bei uns. Ich muß meinem unglücklichen Opfer Gerechtigkeit widerfahren lassen: er zeigte sich bei jeder Gelegenheit so tapfer, daß man ihm den Anspruch auf die erste erledigte Offizierstelle zuerkannte. Als ich von einer Unternehmung in einer entlegenen Gegend nach einigen Wochen heimkehrte, fand ich diesen jungen Mann als Hausfreund, als gewöhnlichen Gesellschafter meiner Frau und meiner Tochter in meinem Hause. Dies mißfiel mir in mehr als einer Hinsicht, obgleich sich gegen die Sitten oder den Charakter des Mannes nichts sagen ließ. Ich hätte mich jedoch mit seinem Umgange in meinem Hause wohl wieder ausgesöhnt, wenn nicht Ohrenbläserei mich aufgebracht hätte. Wenn Sie den Othello – ich traue mich nie, das Buch aufzuschlagen – lesen, so werden Sie ahnen können, was erfolgte; ich rede von meinen Beweggründen, denn meinen Handlungen war, Gott sei Dank! weniger vorzuwerfen. Wir hatten noch einen andern Kadetten, der nach der erledigten Offizierstelle trachtete. Er machte mich auf die Liebelei meiner Frau mit dem jungen Manne, wie ich, durch ihn verleitet, es nannte, aufmerksam. Sophie war tugendhaft, aber stolz auf ihre Tugend, und durch meine Eifersucht gereizt, beging sie die Unvorsichtigkeit, eine Vertraulichkeit, die, wie sie sah, meinen Argwohn erweckte, zu ermuntern. Zwischen Brown und mir herrschte eine Art innerer Abneigung. Er machte einige Versuche, mein Vorurteil zu beseitigen; aber in meinem Vorurteil schrieb ich diese Schritte einer falschen Ursache zu. Als er sich, und nicht ohne Unmut, abgewiesen sah, ließ er ab, und da er ohne Angehörige, ohne Freunde war, hielt er das Betragen eines Mannes, der beides hatte, desto aufmerksamer im Auge. »Sonderbar, daß es mir so schmerzlich ist, diesen Brief zu schreiben. Und doch fühle ich mich getrieben, diese Qual zu verlängern, als könnte ich dadurch das Ereignis entfernen, das mein Leben so lange verbittert hat. Doch – es muß erzählt werden, und so soll es denn kurz geschehen. »Meine Frau, zwar nicht mehr jung, war noch sehr hübsch, und – lassen Sie es mich sagen, wenn es mich rechtfertigen kann – sie hatte es gern, daß man sie dafür hielt. Noch einmal, ich hegte nie Zweifel gegen ihre Tugend, aber durch Archers listige Eingebungen verleitet, glaubte ich, sie sei wenig besorgt für die Ruhe meines Gemütes, und der junge Mann wolle, mir zum Trotze, ihr seine Huldigungen darbringen. Er hielt mich vielleicht für einen herrschsüchtigen Aristokraten und meinte, daß ich meinen Rang in der Gesellschaft und im Heere benutzen wollte, diejenigen zu drangsalieren, die der Zufall mir untergestellt hatte. Wenn er meine törichte Eifersucht bemerkte, so glaubte er wahrscheinlich für die kleinen Tücken, die ich in meiner Lage ihm antun konnte, sich am besten dadurch zu rächen, daß er mich an jener wunden Stelle meines Gemütes faßte. Ein scharfsichtiger Freund wollte die Bewerbungen des jungen Mannes argloser, wenigstens minder beleidigend finden, indem er mich zu überreden suchte, daß Brown seine Absicht auf meine Tochter gerichtet habe, obgleich er sich an die Mutter wende, um die Gunst derselben zu gewinnen. Ich hätte zwar auch in einer solchen Bewerbung eines jungen Mannes, ohne Herkunft und ohne Namen, eben nichts Schmeichelhaftes sehen, aber mich doch durch eine solche Torheit nicht so beleidigt finden können, als ich es durch die Vermessenheit war, die ich argwöhnte. Ja, ich fühlte mich empfindlich beleidigt. »Ein kleiner Funke wird leicht zur hellen Flamme, wo alles umher liegt, was Feuer fangen kann. Ich habe die nächste Veranlassung des Streits gänzlich vergessen, aber es war eine Kleinigkeit am Spieltisch, die zu heftigen Worten und zu einer Herausforderung führte. Wir trafen uns jenseits der Wälle der Festung, wo ich Befehlshaber war, nicht weit von der Grenze. So war es verabredet zu Browns Sicherheit, wenn er davonkommen sollte. Möchte er davongekommen sein, wenn auch zu meinem Nachteile! Er fiel auf den ersten Schuß. Wir wollten ihm beistehen, aber einige von den einheimischen Räubern, den sogenannten Luti, die überall auf Beute lauern, überfielen uns. Nicht ohne Schwierigkeit gelang es mir und meinem Begleiter Archer, zu unsern Pferden zu kommen, und erst nach einem harten Kampfe, worin Archer gefährlich verwundet wurde, sahen wir uns außer Gefahr. Es war nicht das einzige Unglück des verhängnisvollen Tages. Meine Frau, die meine Absicht geahnt hatte, als ich die Festung verließ, war mir in ihrem Palankin gefolgt und wurde von einem andern Räuberhaufen überfallen und wäre fast in Gefangenschaft geraten. Eine Abteilung unserer Reiterei rettete sie zwar, aber ich kann es mir nicht verbergen, daß die Ereignisse jenes unglücklichen Morgens ihre schon wankende Gesundheit völlig erschüttert haben. Als sich Archer dem Tode nahe glaubte, gestand er, daß er einige Umstände ersonnen und andern die schlimmste Deutung gegeben hätte, um seine Absichten zu erreichen. Es folgte eine offene Erklärung; wir verziehen einander; aber die Krankheit meiner Frau wurde dadurch in ihrem Fortgange nicht gehemmt. Sie starb acht Monate nach dem unglücklichen Vorfall und hinterließ mir eine einzige Tochter, die Ihre Gemahlin einstweilen unter Obhut zu nehmen so gütig gewesen. Auch Julie wurde krank, und zwar so bedenklich, daß ich meine Stelle aufgab, um nach Europa zurückzukehren, wo heimische Luft, Zeit und die Neuheit der Umgebung beigetragen haben, ihre Traurigkeit zu zerstreuen und ihre Gesundheit herzustellen. »Sie kennen nun meine Geschichte und werden mich wohl nicht mehr fragen, was mich zur Schwermut stimmte. Lassen Sie mich immer diesem Trübsinne nachhangen! In der Erzählung, die ich Ihnen soeben mitteilte, liegt gewiß genug, um den Kelch, welchen Glück und Ruhm, wie Sie oft sagten, mir zur Erheiterung der einsamen Lebensjahre bereitet haben, wenn auch nicht zu vergiften, doch zu verbittern. »Ich könnte noch manche Umstände hinzufügen, die unser alter Lehrer als Beweise für Unglückstage angeführt hätte; aber Sie möchten wohl lachen, wenn ich davon reden wollte, zumal da Sie wissen, daß ich selbst nicht daran glaube. Indes seit ich in dem Hause bin, woher ich Ihnen jetzt schreibe, habe ich ein seltsames Zusammentreffen von Umständen entdeckt, das uns künftig, wenn es sich wirklich bestätigen sollte, zu einer anziehenden Erörterung Stoff geben wird. Aber ich nehme Abschied von Ihnen, da ich eben jemand erwarte, mit dem ich über den Ankauf eines Gutes in dieser Gegend, das feil ist, sprechen will. Ich habe eine törichte Vorliebe für den Ort und hoffe, durch die Erwerbung des Gutes denjenigen, die es aufgeben müssen, nützlich zu werden, da man damit umgeht, es unter dem Werte zu verkaufen. Empfehlen Sie mich Ihrer Gemahlin, und obgleich Sie noch gern für einen lebhaften jungen Mann gelten wollen, so wage ich's doch, Ihnen den Auftrag zu geben, meine Tochter für mich zu küssen. Leben Sie wohl, lieber Mervyn.« »Der Ihrige Mannering.« Mac Morlan trat herein, als der Brief vollendet war. Dem verständigen und rechtlichen Manne war Oberst Mannering dem Rufe nach so vorteilhaft bekannt, daß er sich sogleich zu vertraulichen Mitteilungen bereit zeigte und die Vorteile und Nachteile des Kaufes auseinandersetzte. »Die Besitzung kann, wenigstens dem größten Teile nach, nur auf männliche Erben übergehen,« sprach er, »und der Käufer würde den Vorteil haben, einen ansehnlichen Teil des Kaufgeldes an sich zu behalten für den Fall, daß der Sohn, der in seiner Kindheit verschwunden ist, zurückkommen sollte.« »Aber warum soll denn der Verkauf beschleunigt werden?« fragte Mannering. »Angeblich,« antwortete Mac Morlan lächelnd, »um von dem Gelde Zinsen zu ziehen, statt unregelmäßig eingehenden Pachtgeldes von schlecht angebauten Ländereien; eigentlich aber, um die Wünsche und Absichten eines gewissen Mannes zu befriedigen, der als Hauptgläubiger das Gut zu erstehen denkt, und durch Mittel, die er selbst am besten kennen wird, die Sache so weit getrieben hat. Man meint, es werde ihm sehr gelegen kommen, das Gut zu kaufen, ohne den Kaufpreis zu bezahlen.« Mannering überlegte mit Mac Morlan, wie diese unredlichen Absichten vereitelt werden könnten. Darauf sprachen sie lange über das seltsame Verschwinden des jungen Harry Bertram an demselben Tage, wo er fünf Jahre alt geworden, wodurch Mannerings Prophezeiung so merkwürdig in Erfüllung gegangen war. Mac Morlan, der zu jener Zeit noch nicht angestellt gewesen war, aber alle Umstände genau kannte, versprach dem Obersten, ihm von dem Unter-Sheriff selbst, der die Verhandlungen über jenes Ereignis geführt hatte, die umständlichste Nachricht zu verschaffen, und beide schieden, äußerst zufrieden miteinander. Mannering wohnte am folgenden Tage dem Gottesdienste bei. Von Ellangowan war niemand in der Kirche, und man erzählte, das Befinden des alten Lairds sei eher schlimmer als besser geworden. Dreizehntes Kapitel Früh am nächsten Tage stieg Mannering zu Pferde und nahm, von seinem Diener begleitet, den Weg nach Ellangowan. Er brauchte keinen Führer; denn von allen Seiten strömten Kauflustige oder Neugierige zu dem Schlosse. Als er ungefähr eine Stunde geritten war, erblickte er die alten Türme der verfallenen Burg. Die Erinnerung an die ganz andern Empfindungen, womit er vor vielen Jahren den letzten Blick auf diese Trümmer geworfen, ergriffen sein Gemüt tief. Die Landschaft war noch die gleiche; aber wie so ganz anders waren die Gefühle, Hoffnungen, Erwartungen des Beschauers! Leben und Liebe waren für ihn zu jener Zeit neu, und ihre Strahlen vergoldeten die ganze Aussicht. Aber jetzt, getäuscht in der Liebe, gesättigt mit Ruhm und mit dem, was die Welt Glück nennt, trug er bittere, reuige Erinnerungen in der Seele, und seine beste Hoffnung war, eine einsame Zuflucht zu finden, wo er seiner Schwermut bis zum Grabe leben konnte ... »Warum klagen,« sprach er zu sich selbst, »über getäuschte Hoffnungen und verschwundene Aussichten? Hätten die alten Häuptlinge, die diese ungeheuren Türme erbauten, um der Macht ihres Hauses einen festen Sitz zu geben, – hätten sie es sich träumen lassen, daß einst der Tag kommen sollte, wo der letzte ihres Stammes aus seinem Eigentume wandern muß? Aber die Natur spendet ihre Wohltaten immer gleich! Mögen diese Trümmer Eigentum eines Fremden oder eines niederträchtigen Rechtsverdrehers sein, die Sonne wird sie so schön bescheinen, wie zu jener Zeit, wo das Banner ihres Erbauers auf ihren Zinnen wehte.« Unter diesen Betrachtungen kam Mannering vor die Tür des Hauses, das für jedermann offen stand. Er ging mit andern hinein, die durch die Zimmer wanderten, um sich Gegenstände zum Kauf auszusuchen oder ihre Neugier zu befriedigen. Es liegt etwas Trauriges in solchem Schauspiele, selbst wenn die Umstände am günstigsten liegen. Der Wirrwarr unter dem Hausgeräte, das, um die Kauflust zu wecken und den Transport zu erleichtern, gruppenweise zusammengestellt ist, wirkt auf das Auge unangenehm. Dinge, die sich an den ihnen zukommenden Plätzen nett und gut ausnehmen, sehen dann schlecht und armselig aus, und die Zimmer, von allem entblößt, was sie bequem und angenehm macht, zeigen ein wüstes, ödes Bild, wie auch jetzt in Ellangowan, hier aber doppelt peinlich, weil alles mit auf den Untergang eines alten Geschlechtes des Landes, auf den Verfall eines seiner Ursitze deutete. Es dauerte lange, ehe Mannering jemand fand, der auf seine wiederholten Fragen nach dem alten Laird von Ellangowan Antwort zu geben Lust hatte. Eine bejahrte Magd erzählte ihm endlich, indem sie sich die Tränen aus dem Auge wischte, mit dem Laird ginge es kaum besser, man hoffe aber, er werde das Haus noch heute verlassen können. Fräulein Lucy, setzte sie hinzu, erwarte jeden Augenblick die Kutsche, und da das Wetter für die Jahreszeit mild und freundlich sei, habe man den alten Herrn in seinem Lehnstuhle auf den grünen Platz vor dem alten Schlosse getragen, damit er das traurige Schauspiel nicht mit ansehen müsse. Mannering begab sich dorthin und erblickte bald die kleine Gruppe. Da der Weg steil hinanging, hatte er Zeit, die Gestalten zu betrachten und zu überlegen, wie er ihnen entgegenträte. Bertram, gelähmt, fast außerstande, sich zu bewegen, saß in seinem Armstuhl, eine Zipfelmütze auf dem Kopfe, in einem weiten Kamelottrock, die Füße mit Tüchern umwickelt. Hinter ihm stand, die Hände auf dem stützenden Stocke kreuzend, Sampson, den Mannering sogleich wiedererkannte. Die Zeit hatte ihn gar nicht verwandelt, außer daß sein schwarzer Rock brauner geworden war und seine magern Wangen noch schlaffer herabhingen als zu der Zeit, da Mannering ihn zum erstenmal gesehen. Auf der einen Seite des alten Mannes stand eine holde Gestalt, ein Mädchen von ungefähr siebzehn Jahren, die Mannering für die Tochter halten zu sollen glaubte. Sie blickte von Zeit zu Zeit kummervoll nach dem Fahrwege, der zu der Burg führte, als ob sie der Kutsche entgegensähe, zupfte zuweilen die Tücher um des Vaters Füße zurecht, oder beugte sich zu ihm herab, um Fragen zu beantworten, die er ungeduldig und verdrießlich zu stellen schien. Sie getraute sich nicht, nach dem Wohnhause zu sehen, obgleich das Gemurmel der dort versammelten Menge ihre Blicke dahin ziehen mußte. Die vierte Gestalt in der Gruppe war ein schöner junger Mann, der des Mädchens Bekümmernis und ihre Sorgfalt, des Vaters Zustand zu lindern, zu teilen schien. Der junge Mann bemerkte zuerst den Fremden und eilte ihm sogleich entgegen, wie wenn er die Absicht hatte, ihn von der trauernden Gruppe fern zu halten. Mannering erklärte sich: er sei ein Fremder, der bei Herrn Bertram vor Jahren Gastfreundschaft genossen habe, er würde sich aber in einem so traurigen Augenblick nicht hineindrängen, wenn es ihm nicht so vorgekommen wäre, als ob die unglücklichen Menschen von allen Freunden verlassen wären, und er wollte nur fragen, ob er dem Laird und dem Fräulein irgendwie gefällig sein könne. Er blieb in einiger Entfernung von dem Lehnstuhle stehen. Sein alter Bekannter blickte mit erstorbenen Augen auf ihn und verriet auf keine Weise, daß er ihn wiedererkannte. Sampson schien so tief in Traurigkeit versunken zu sein, daß er ihn kaum bemerkte. Der junge Mann sprach allein mit Lucy, die schüchtern zu dem Fremden trat und ihm für seine Güte dankte. Aber sie fürchte, setzte sie hinzu, während ihr die Tränen in die Augen traten, ihr Vater werde sich seiner nicht erinnern. Darauf trat sie mit dem Obersten zu dem Lehnstuhle ... »Vater,« sprach sie, »hier ist Herr Mannering, ein alter Freund, der Sie besuchen will.« »Er ist herzlich willkommen,« sprach der Alte, und vom Stuhle sich erhebend, wollte er versuchen, dem Gaste eine Verbeugung zu machen, während ein Strahl gastfreundlicher Zufriedenheit über seine matten Züge zu fliehen schien. – »Aber laß uns ins Haus gehen, Lucy, hier draußen kannst Du doch den Herrn nicht empfangen. Sampson, nehmt den Schlüssel zum Weine. Herr ... Herr ... wird nach dem Ritte eine Erfrischung wünschen.« Mannering war unbeschreiblich gerührt, als er diesen Willkommen mit jenem verglich, den ihm dieser unglückliche Mann vor Jahren bereitet hatte. Er konnte die Tränen nicht zurückhalten, und die Erschütterung, die sein Gesicht verriet, gewann ihm sogleich das Vertrauen der Tochter. »Ach,« sagte sie, »selbst einem Fremden geht das zu Herzen! Aber es ist wohl besser für meinen armen Vater, daß er in diesem Zustande ist, als wenn er alles wüßte und fühlen könnte.« Ein Diener in Livree kam in diesem Augenblick den Pfad hinauf und sagte halblaut zu dem jungen Manne: »Die gnädige Frau läßt bitten, Sie möchten sogleich kommen und für sie das schwarze Ebenholz-Kästchen erstehen. Sie sollten ja gleich kommen.« »Sagt ihr, Ihr hättet mich nicht gefunden, Tom! Oder – sagt, ich wäre zu den Pferden gegangen.« »Nein, nein,« fiel Lucy ernst ein, »wenn Sie diesen unglücklichen Tag nicht noch unglücklicher machen wollen, so gehen Sie sogleich zu den Ihrigen. Der Herr hier wird uns gewiß zu dem Wagen begleiten.« »Allerdings, Fräulein,« sprach Mannering, »Ihr junger Freund darf darauf rechnen, daß ich Ihnen alle Aufmerksamkeit erweisen werde.« »Leben Sie wohl!« sprach der junge Mann, flüsterte Lucy etwas ins Ohr und eilte den Pfad hinab, als ob er, wenn er gezögert hätte, sich auf seinen Willen nicht hätte verlassen können. »Wohin läuft Charles Hazlewood?« fragte der Kranke, dem Anschein nach an des jungen Mannes Gegenwart gewöhnt ... »Warum geht er weg?« »Er wird bald wieder da sein,« sprach Lucy sanft. Aus den Trümmern schallten Stimmen herauf. Wir erinnern uns, daß zwischen dem alten Schlosse und dem Meeresstrande ein Verbindungsgang war, und die Treppe desselben stiegen die Leute hinauf, denen die Stimmen gehörten. »Ja, Hier gibt's genug Muscheln und Mörtel,« sprach eine Stimme, »und wenn Ihr Lust habt, ein neues Haus zu bauen, so findet Ihr hier in dem alten Teufelsneste behauene Steine, so viel Ihr braucht.« »O Gott!« sprach Lucy zu Sampson, »der elende Glossin! Wenn mein Vater ihn sieht, wird er den Tod haben.« Sampson drehte sich um und ging mit langen Schritten auf Glossin zu, der aus dem Torwege des alten Schlosses trat. »Von hinnen!« sprach er, »von hinnen! Willst Du, indem Du das Gut nimmst, auch den Leib nehmen?« »Nun, nun, Magister Sampson,« antwortete Glossin trotzig, »wenn Ihr auf der Kanzel nicht predigen könnt, hier brauchen wir keine Predigten. Wir halten uns ans Recht, mein Freund, und überlassen Euch das Evangelium.« Der unglückliche Kranke hatte in der letzten Zeit den Namen dieses Mannes nicht ohne die heftigste Bewegung hören können, und die Stimme desselben brachte im Nu ihre Wirkung. Bertram sprang auf, ohne Hilfe zu brauchen – und als er sich jetzt gegen den verhaßten Menschen wandte, war die Leichenblässe seines Gesichts zur Heftigkeit seiner Stimme in seltsamen Kontrast getreten. »Aus meinen Augen, Du Schlange!« rief er. »Du kalte Schlange, die ich wärmte, bis sie mich stach. Fürchtest Du nicht, daß die Mauern der Wohnung meines Vaters niederstürzen und Dir Arme und Beine zerschmettern? Fürchtest Du nicht, daß die Schwelle des Schlosses Ellangowan sich öffne und Dich verschlinge? Warest Du nicht freundlos, heimatlos und arm, als ich Dich bei der Hand nahm? Und nun willst Du mich und dieses unschuldige Mädchen, freundlos, heimatlos und arm – aus dem Hause jagen, das uns und den Unsrigen tausend Jahre Obdach gegeben!« Wäre Glossin allein gewesen, so wäre er wahrscheinlich gegangen, aber da er sah, daß außer seinem Begleiter, einem Feldmesser, auch ein Fremder Zeuge dieses Auftritts war, so faßte er sich ein Herz ... Doch selbst für seine Frechheit war dies fast zu schwer. »Herr ... Herr Bertram« – stammelte er, »Ihr solltet mich nicht tadeln, sondern Eure eigene Unvorsicht.« Mannering geriet in heftigen Unwillen ... »Mein Herr,« rief er, »ohne über Recht und Unrecht in diesem Streite entscheiden zu wollen, muß ich Ihnen sagen, daß Sie Ort, Zeit und Umstände dazu auf das schändlichste mißbrauchen. Entfernen Sie sich, bitte, ohne jedes weitere Wort.« Glossin, ein starker, rüstiger Mann, verspürte Lust, es mit dem Fremdling aufzunehmen, da er es mit ihm aufnehmen zu können glaubte ... »Ich weiß nicht, wer Sie sind, mein Herr,« versetzte er, »und werde niemand solche Worte gegen mich erlauben. Mannering war von Natur heftig. Seine Augen flammten, und vor Glossin tretend, rief er: »Daß Sie mich nicht kennen, Herr, darauf kommt's nicht an. Aber ich kenne Sie, und wenn Sie nicht im Augenblicke die Treppe hinuntergehen ohne jedes weitere Wort – so, bei dem Himmel, der über uns ist! sollen Sie den Weg hinunter mit einem einzigen Schritt finden!« Sein gebieterischer Ton brachte den feigen Polterer auf einmal zum Schweigen. Nach einigem Zögern machte er Kehrt, und zwischen den Zähnen murmelnd, daß er bloß das Fräulein nicht in Angst bringen wollte, befreite er die Gesellschaft von seiner verhaßten Gegenwart. Der Kutscher der Wirtin in Kippletringan, der indes dazu gekommen war, rief laut: »Hätte er sich nicht davongemacht, der schmutzige Schuft, so hätte auch ich ihm dazu geholfen!« Darauf näherte er sich, um zu melden, daß der Wagen bereit sei, den Laird und das Fräulein aufzunehmen. Aber es war zu spät. Der letzte Ausbruch des Unwillens hatte die letzten Kräfte des Kranken erschöpft, und als er in seinen Lehnstuhl zurücksank, hauchte er fast ohne Todeskampf seinen Atem aus. Das Erlöschen der Lebensflamme veränderte seine Züge so wenig, daß erst das Angstgeschrei seiner Tochter, als sie sein starres Auge sah und seinen Puls nicht mehr schlagen fühlte, den Umstehenden seinen Tod verkündete. Vierzehntes Kapitel Die zahlreichen Zuschauer und Müßiggänger, die sich in Ellangowan eingefunden, waren ihrem Vergnügen oder ihren Obliegenheiten – oder was sie so nannten – nachgegangen, ohne sich viel um die Leute auf Ellangowan zu kümmern, und nur wenige wußten etwas von der bedrängten Familie. Der Vater, abgeschieden, unglücklich und schwachsinnig, war seit vielen Jahren bei den Mitlebenden in Vergessenheit geraten und seine Tochter fern von der Welt. Als aber verlautete, daß dem unglücklichen Bertram, in dem Augenblick, da er die Wohnung seiner Väter habe verlassen sollen, das Herz gebrochen sei, wurde die Teilnahme plötzlich allgemein, und alles sprach mit Achtung von dem hohen Alter und dem allzeit redlichen Wandel dieses Geschlechts. Mac Morlan erklärte ohne weiteres, daß er mit dem Verkaufe des Gutes und des übrigen Vermögens inne halten und die Tochter einstweilen im Besitz der Grundstücke des Verstorbenen lassen wolle, damit sie sich mit ihren Freunden besprechen und für die Beerdigung ihres Vaters Anstalten treffen könne. Glossin hatte, angesichts der veränderten Sachlage, und da das allgemeine Mitgefühl gleichsam elementarisch hervorbrach, ein Paar Augenblicke lang schüchtern, dann aber dreist gemacht durch die Wahrnehmung, daß sich kein Unwille gegen ihn richte, gefordert, daß mit dem Verkaufe fortgefahren werde. »Ich darf mich für ermächtigt halten,« sagte Mac Morlan, »den Verkauf auszusetzen und nehme die Folgen auf mich. Ich werde bekannt machen, wann mit dem Verkauf fortgefahren werden soll. Es liegt in aller Beteiligten Interesse, daß die Ländereien den höchsten Verkaufspreis erzielen, und dies läßt sich im gegenwärtigen Augenblicke gewiß nicht erwarten. Noch einmal, ich nehme die Verantwortlichkeit auf mich.« Glossin entfernte sich, heimlich und eilig, und wahrscheinlich zu seinem Glück, da Johnny eben einem zahlreichen Schwarm barfüßiger Jungen begreiflich machte, daß es hoch an der Zeit sei, den verhaßten Menschen hinauszuwerfen. Einige Zimmer für Lucy und die Leiche ihres Vaters wurden schnell in stand gesetzt, Mannering glaubte nun, seine fernere Einmischung sei unnötig und könne vielleicht gar mißdeutet werden, zumal er bemerkte, daß ein paar Vettern und Basen, die ihren Anspruch auf adeligen Rang hauptsächlich auf die Verwandtschaft mit dem Hause Ellangowan gründeten, jetzt die Neigung verrieten, ihren Stammbäumen eine Aufmerksamkeit zu schenken, wozu sie das Mißgeschick ihrer Verwandten nie hatte bewegen können, Um die Ehre, das Leichenbegängnis des Lairds zu besorgen, stritten sich annähernd sieben angesehene, reiche Männer, von denen keiner dem Unglücklichen bei seinen Lebzeiten eine Zuflucht angeboten hatte. Der Oberst beschloß also, da seine Gegenwart entbehrlich war, eine kleine Tour zu unternehmen und erst nach vierzehn Tagen zum neuen Verkaufstermin zurückzukehren. Vor seiner Abreise wünschte er, mit Sampson zu sprechen. Der arme Mann erschien, als er hörte, daß ein fremder Herr nach ihm gefragt habe, und seine hageren durch den Schmerz über den Verlust des alten Freundes starkvergrämten Züge verrieten einige Ueberraschung, als er Mannering jetzt ins Gesicht sah. Aber nach ein paar tiefen Verbeugungen blieb ei ruhig stehen und wartete geduldig darauf, was Mannering von ihm wolle. »Sie ahnen wohl nicht, Herr Sampson,« sagte Mannering, »was Ihnen ein Fremder zu sagen haben könnte?« »Wenn sich's nicht darum handelt, einen jungen Mann in nützlicher Gelehrsamkeit zu unterrichten ... Aber ich kann nicht – kann nicht – bin schon in Anspruch genommen.« »Nein, Herr Sampson, so hoch versteigen sich meine Wünsche nicht. Ich habe keinen Sohn, und meine einzige Tochter möchten Sie wohl kaum für eine passende Schülerin ansehen.« »Sicherlich nicht. Ich habe zwar auch Fräulein Lucy in allen nützlichen Kenntnissen unterrichtet ...« »Schön, Herr Sampson – von Fräulein Lucy wollte ich eben sprechen. Sie erinnern sich meiner Wohl nicht mehr?« Sampson, dessen Geist immer in anderen Regionen zu schweifen pflegte, erinnerte sich aber weder des Sterndeuters aus einer fernen Vergangenheit noch auch des Fremden, der seinen Gönner gegen Glossin in Schutz genommen ... seine Gedanken waren durch seines Freundes plötzlichen Tod in zu große Wirrnis geraten. »Doch – darauf kommt's auch nicht an,« fuhr Mannering fort. »Ich bin ein alter Bekannter Ihres verstorbenen Freundes und im stande, wie auch bereit, seiner Tochter in ihrer jetzigen Lage beizustehen. Zudem habe ich Lust, dieses Gut zu kaufen und muß also wünschen, daß das Haus in guter Ordnung gehalten werde. Wollen Sie, bitte, diese kleine Summe zu den gewöhnlichen häuslichen Bedürfnissen verwenden?« Mit diesen Worten legte er eine Goldbörse in Sampsons Hand ... »Ko–misch!« rief Sampson ganz erschrocken – und in diesem Worte machte sich seine Verwunderung in der Regel Luft, ... »aber wenn Euer Gnaden warten wollten ...« »Unmöglich, lieber Herr Sampson, unmöglich!« sagte Mannering, sich losreißend. »Ko–misch!« wiederholte Sampson und folgte ihm mit der Börse in der Hand bis zur Treppe ... »Aber dieses Geld –« Mannering eilte so schnell wie möglich hinab. »Ko–misch!« rief Sampson zum drittenmal und stand schon an der Haustür. Mannering aber hatte sich bereits aufs Pferd geschwungen und hörte ihm nicht mehr. Sampson, der nie, weder für sich, noch für andere, den vierten Teil dieser Summe, die doch nur aus zwanzig Guineen bestand, besessen hatte, ging mit sich zu Rate, was er mit dem ihm anvertrauten Gelde anfangen sollte. Zum Glück fand er einen uneigennützigen Ratgeber in Mac Morlan, der ihm mit Auskünften, wie sich das Geld am zweckmäßigsten zu Lucys Nutzen, wozu der Geber es bestimmt hatte, verwenden lasse, an die Hand ging. Viele adelige Familien in der Nachbarschaft kamen dem verwaisten Mädchen gastfreundlich und wohlwollend entgegen; Lucy aber fühlte einen natürlichen Widerwillen gegen alle Wohltat von fremder Seite und wollte vorderhand abwarten, wie sich ihres Vaters nächste Verwandte, ein Fräulein Margarete Bertram von Singleside, gegen sie verhielte. Das Leichenbegängnis wurde dem Range gemäß, aber in aller Stille vollzogen, und die unglückliche Waise betrachtete sich jetzt nur als einstweilige Bewohnerin des Hauses, worin sie geboren und solange als Pflegerin des greisen Vaters gelebt hatte. Aus mehreren Unterredungen mit Mac Morlan hatte sie die Hoffnung geschöpft, daß sie nicht jäh aus diesem Zufluchtsorte gestoßen würde, aber das Schicksal hatte es anders beschlossen. Es waren nur noch zwei Tage bis zu der Frist, die für den Verkauf der Güter ihres Vaters gelassen worden war, Mac Morlan wartete ungeduldig auf Mannerings Rückkehr oder wenigstens auf eine Vollmacht, für ihn als Käufer einzutreten. Vergebens, es erschien weder der Oberst noch ein Brief. Er bereitete, als der bestimmte Tag kam, alles in seiner Wohnung für den Empfang des Gastes. Vergebliche Hoffnung! »Hätte ich das vorausgesehen,« sprach er schmerzlich, »so wäre ich durch ganz Schottland gereist, um jemand zu finden, der gegen Glossin hätte bieten können,« Aber zu spät; es schlug die Stunde, und die Kauflustigen versammelten sich in Kippletringan, wo der Verkauf vor sich gehen sollte. Mac Morlan suchte die vorläufigen Verhandlungen, so weit es anging, in die Länge zu ziehen, und las die Kaufbedingungen so langsam, als ob er sein Todesurteil verlesen hätte. Er sah sich um, so oft die Tür aufging, aber seine Hoffnungen sanken immer tiefer. Er horchte auf jedes Geräusch im Dorfe, aber alles vergebens; weder der Hufschlag eines Pferdes noch das Rasseln eines Wagens drangen an sein Ohr. Der Gedanke, daß Mannering einem andern Vollmacht gegeben haben könnte, regte sich in seinem Herzen; aber auch diese Hoffnung verschwand. Nach einer feierlichen Pause bot Glossin den Schätzungspreis für die Herrschaft Ellangowan, und als kein Mitbewerber erschien und nach Ablauf der Sanduhr die gewöhnliche Wartezeit verflossen war, mußte Mac Morlan erklären, daß der Verkauf gesetzmäßig geschlossen sei. Der wackere Beamte schlug es aus, dem glänzenden Gastmahl beizuwohnen, das Herr Glossin für die Anwesenden veranstaltete, und kehrte heim mit einer bittern Empfindung im Herzen über den Flattersinn und die Launen der indischen Nabobs, deren Entschlüsse selten über zehn Tage hinaus Bestand hätten. Um sechs Uhr abends aber kam ein Eilbote sternhagel betrunken, wie die Hausmagd meldete, mit einem großen Briefe, den der Oberst vor vier Tagen aus seiner Stadt, ungefähr vierzig Wegstunden von Kippletringan entfernt, abgeschickt hatte, und mit einer ausgedehnten Vollmacht für Mac Morlan, die Herrschaft auf Ellangowan zu kaufen, Mannering teilte dabei mit, daß eine wichtige häusliche Angelegenheit ihn nach Westmoreland zu Arthur Mervyn in Mervyn-Hall abgerufen habe. Mac Morlan warf unmutig den Brief auf die Seite, unterließ zwar nicht, den lässigen Boten, durch den seine Hoffnungen so empfindlich vereitelt worden, seinen Zorn fühlen zu lassen, konnte aber an der vollzogenen Tatsache selbst nichts mehr ändern. Fünfzehntes Kapitel Als Lucy Bertram diese schmerzliche, und nach den letzten Vorfällen unerwartete Nachricht erhalten hatte, machte sie sich sogleich bereit, die väterliche Wohnung zu verlassen. Mac Morlan leistete ihr dabei freundlichen Beistand und lud sie dringend ein, in seinem Hause zu verweilen, bis sie Antwort von ihrer Verwandten erhalten, oder einen festen Lebensplan entworfen hätte, Ohne unfreundlich zu erscheinen, konnte sie hierzu nicht nein sagen, Mac Morlans Gattin war eine gebildete Frau, die es verstand, Gästen den Aufenthalt in ihrem Hause angenehm zu machen. Leichteren Herzens zahlte nun Lucy den Dienstboten ihres Vaters den rückständigen Lohn aus und verabschiedete sich von ihnen, was jedoch unter diesen Umständen für beide Teile doppelt schmerzlich war. Alle aber schieden mit Dank und guten Wünschen von ihrer Gebieterin. Es blieb niemand im Zimmer, als Mac Morlan, der das Fräulein abholen wollte, Magister Sampson und Lucy ... »Und nun,« sagte das arme Mädchen, »muß ich einem meiner ältesten und gütigsten Freunde Lebewohl sagen. Gott segne Euch, Herr Sampson, und vergelte Euch die Güte, die Ihr mir durch Euren Unterricht und Eure Freundschaft gegen meinen armen Vater erwiesen habt. Hoffentlich höre ich recht oft was von Euch.« Mit diesen Worten drückte sie ihm ein Papier mit einigen Goldstücken in die Hand und stand auf, das Zimmer zu verlassen. Sampson erhob sich auch und stand in sprachlosem Staunen vor ihr. Den Gedanken, von Lucy sich trennen zu sollen, hatte er in seiner Herzenseinfalt noch nie gefaßt. Er legte das Geld auf den Tisch. »Es ist freilich,« sprach Mac Morlan, Sampsons Meinung verkennend, »nicht ganz angemessen, aber die Umstände –« Sampson bewegte ungeduldig die Hand. »Was soll mir das Geld?« sagte er – »nicht das ist's, was mir nahe geht! aber ich habe von Ihres Vaters Brote gegessen und aus seinem Glase getrunken zwanzig Jahre und länger, und soll Sie nun verlassen in Schmerz und Bedrängnis? Nein, Fräulein Lucy, das kann nicht Ihre Meinung sein. Sie würden Ihres Vaters armen Hund nicht von sich stoßen, und wollten schlimmer mit mir umgehen? Nein, Fräulein Lucy, so lange ich lebe, scheide ich nicht von Euch, Ich will Ihnen nicht zur Last fallen; ich weiß schon, wie ich das verhüten werde. Aber wie Ruth zu Naemi sprach: »Rede mir nicht darein, daß ich Dich verlassen solle, und von Dir umkehren; wo Du hingehst, da will auch ich hingehen, wo Du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und Dein Gott ist mein Gott, Wo Du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. Der Herr tue mir dies und das, der Tod muß mich und Dich scheiden.« Nährend Sampson diese Worte sprach, die längste Rede, die er je gehalten, flossen die Tränen aus den Augen des gutmütigen Geschöpfs, und weder Lucy noch Mac Morlan konnten bei diesem unerwarteten Gefühlsausbruch eine Regung des Mitgefühls unterdrücken ... »Herr Sampson,« sagte Mac Morlan, »mein Haus ist groß genug; und wenn Sie eine Lagerstätte bei mir annehmen wollen, so lange Fräulein Bertram mir die Ehre ihres Besuches gönnt, so wird es mich sehr freuen, einen so wackern, getreuen Mann unter meinem Dache zu haben.« Um jedem Einwurfe zu begegnen, der von Lucys Seite kommen könnte, setzte er zart hinzu: »Ich brauche bei meinen Geschäften oft einen bessern Rechner, als ich unter meinen Schreibern habe, und es wäre mir recht angenehm, wenn ich zuweilen Ihren Beistand in Anspruch nehmen dürfte.« »Gewiß, gewiß,« erwiderte Sampson lebhaft, »ich verstehe die doppelte italienische Buchhaltung.« Frau Mac Morlan empfing ihre Gäste aufs herzlichste. Ihr Mann sagte ihr wie den übrigen Hausgenossen, er brauche Sampsons Hilfe zur Abwicklung einiger Konten und wünsche, daß derselbe wählend dieser Arbeit, der Bequemlichkeit wegen, bei ihm wohne. Bei seiner Weltkenntnis konnte er sich nicht verhehlen, daß Sampson, wie ehrenvoll auch für ihn selbst und die Familie von Ellangowan seine Anhänglichkeit sei, sich als Begleiter eines schönen Mädchens von siebzehn Jahren doch ziemlich lächerlich ausnehmen müsse. Sampson unterzog sich aller Arbeit, die ihm sein neuer Beschützer zuwies, mit Eifer; aber man bemerkte bald, daß er jedesmal nach dem Frühstück zu einer bestimmten Stunde sich entfernte und etwa zur Tischzeit wiederkam. Den Nachmittag brachte er in Mac Morlans Schreibstube zu. Am Sonnabend trat er mit freudigen Blicken zu Mac Morlan und legte zwei Goldstücke auf Ken Tisch ... »Was soll das, lieber Herr Sampson?« fragte Mac Morlan. »Zuvörderst soll es Sie für die Ausgaben schadlos halten, die ich Ihnen verursacht habe; das übrige ist zu Fräulein Lucys Nutzen.« »Aber, Herr Sampson, Ihre Arbeit in meiner Schreibstube vergilt mir alles reichlich; ich bin Ihr Schuldner, lieber Freund.« »So sei alles für Fräulein Bertram,« erwiderte Sampson. »Gut, aber wie haben Sie das Geld –« »Ehrlich erworben, Herr Mac Morlan. Es ist das Honorar für Sprachunterricht, den ich einem jungen Herrn täglich drei Stunden gebe.« Nach einigen Fragen ergab sich, daß dieser freigebige Schüler kein anderer als der junge Hazlewood war, der, durch Frau Mac Candlish über Sampsons Anhänglichkeit und Treue unterrichtet, sich denselben zum Lehrer gedungen hatte und, um seinen Unterricht zu genießen, täglich drei Wegstunden hin und zurück ritt. Obgleich nun Sampson ein sehr gelehrter und braver Mann war, kam solcher Lerneifer Mac Morlan bei einem zwanzigjährigen Jüngling doch höchst eigentümlich vor. Sampson auszuforschen, war wenig Kunst nötig; denn in dem Herzen dieses ehrlichen Mannes wohnten nur ehrliche, schlichte Gedanken, »Weiß denn Fräulein Bertram, wie Sie Ihre Zeit zubringen, mein Freund?« »Durchaus nicht! Herr Hazlewood hat mich auch gebeten, es ihr zu verschweigen, damit sie nicht Bedenken trage, den kleinen Beistand anzunehmen, der ihr daraus zufließen solle. Aber es wird ihr nicht lange verborgen bleiben können, denn Herr Hazlewood wünscht seine Lehrstunden dann und wann hier im Hause zu nehmen.« »Aber sagen Sie mir doch, Herr Sampson, bringen Sie die drei Stunden bloß mit Erklären und Uebersetzen zu?« »Das just nicht. Kommt wohl auch vor, daß wir uns zusammen unterhalten. Neque semper arcum tendit Apollo.« [Auch Apollo spannt nicht immer den Bogen.] Mac Morlan forschte weiter, um welche Dinge sich diese Gespräche drehten. »Um unser Beisammensein in Ellangowan,« antwortete Sampson, »und oft kommt wohl auch die Rede auf Fräulein Lucy. Herr Hazlewood ist in dieser Beziehung ganz wie ich, lieber Herr Mac Morlan; komme ich erst einmal auf sie zu sprechen, so kann ich kein Ende finden, und so stiehlt sie uns« – setzte er spaßhaft hinzu – »oft die halben Lehrstunden weg.« »O, kommt der Wind daher!« dachte Mac Morlan, der schon früher von Beziehungen zwischen den jungen Leuten gehört zu haben meinte. Er überlegte, wie Fräulein Lucy und er selbst sich in dieser Angelegenheit am besten verhielten, denn der alte Hazlewood war mächtig, reich, ehrgeizig und rachsüchtig, und bestand, wenn eine Heirat für seinen Sohn in Betracht kam, doch sicher auf Vermögen und edler Herkunft. Er kam zu dem Schlusse, seiner Schutzbefohlenen, von deren Verstand und Scharfsinn er die beste Meinung hatte, einen Wink zu geben ... »Freuen Sie sich,« sprach er, als er sie allein fand, »Ihr Freund Sampson ist recht glücklich gewesen? er hat einen Schüler, der ihm für zwölf Stunden im Griechischen und Lateinischen zwei Guineen bezahlt.« »Was Sie sagen! das freut mich sehr. Aber wer ist denn der Freigebige? Oberst Mannering ist doch nicht wieder da?« »Nein, nein, nicht Mannering. Aber was denken Sie von Ihrem Bekannten, Charles Hazlewood? Er spricht davon, seine Lehrstunden hier zu nehmen. Recht gern, wenn wir's einrichten könnten!« Tiefe Glut bedeckte Lucys Wangen... »Um Himmels willen nicht, Herr Mac Morlan!« sprach sie. »Geben Sie das nicht zu! Hazlewood hat schon Verdruß genug deshalb gehabt.« »Wegen der alten Schriftsteller, Fräulein? Freilich machen sie den meisten jungen Herrn den Kopf zu gewissen Zeiten recht dick, aber jetzt studiert er sie doch aus freiem Willen.« Lucy brach ab, ihr Wirt knüpfte das Gespräch nicht wieder an, aber am folgenden Tag nahm sie Gelegenheit, mit Sampson zu sprechen. Sie gab ihrer Dankbarkeit für seine uneigennützige Zuneigung und ihrer Freude über die gute Einnahme, die er gefunden, Ausdruck: gab ihm aber dabei zu verstehen, daß es besser sein möchte in seinem wie seines Schülers Interesse, wenn er für die Dauer dieses Unterrichtes seine Wohnung mehr in die Nähe seines Schülers legte. Sampson wollte, wie sie erwartet hatte, von diesem Vorschlage nichts hören und sie nicht verlassen, selbst wenn er der Lehrer des Prinzen von Wales hätte werden sollen. »Aber ich sehe wohl,« setzte er hinzu, »Sie sind zu stolz, meinen Beistand gelten zu lassen, und ich werde Ihnen lästig.« »Nein, gewiß nicht,« antwortete Lucy, »Sie waren meines Vaters alter, ja fast sein einziger Freund, und ich bin nicht stolz, Gott weiß es, ich habe keine Ursache dazu. Sie mögen in andern Dingen tun, was Sie für das beste halten; aber sagen Sie, bitte Herrn Hazlewood, in meinem Auftrage, daß Sie mit mir über seine Lernbegierde gesprochen, und daß ich der Meinung sei, es ginge unter keinen Umständen an, daß er seine Stunden hier im Hause nehme.« Sampson verließ sie mit größter Bestürzung, und als er die Tür schloß, konnte er nicht umhin, Vergils Worte über die Veränderlichkeit der Frauen in den Bart zu murmeln. Am folgenden Tage trat er mit sichtlicher Bekümmernis zu Fräulein Lucy und übergab ihr einen Brief. »Herr Hazlewood,« sagte er, »will seine Stunden aussetzen, aber er hat großmütig ersetzt, was ich dabei verbüße. Was ihm an Kenntnissen, die er durch mich hätte erwerben können, verloren geht, wird er sich selbst freilich nicht ersetzen. Auch mit dem Schreiben will's nicht recht fort. Um dieses kleine Briefchen zustande zu bringen, hat er eine ganze Stunde gebraucht und vier Federn und manches schöne Blatt Papier verdorben. Ich hätte ihm in drei Wochen eine feste, fließende, leserliche Hand beigebracht. Doch – Gottes Wille geschehe.« Der Brief enthielt nur wenige Zeilen. Hazlewood klagte über Lucys Grausamkeit, die ihn nicht nur aus ihrer Nähe verbannte, sondern ihm nicht einmal vergönnen wollte, sich aus der Ferne nach ihr zu erkundigen und ihr beizustehen, so weit es in seinen Kräften läge. Mit der Versicherung, daß seine Zuneigung trotzdem unwandelbar sei, schloß der Brief. Sampson erhielt durch seine Gönnerin, Frau Mac Candlish, zwar andere Schüler, die aber weder so vornehm noch so frei wie Hazlewood waren. Er verdiente aber immerhin etwas und war herzlich froh, wenn er wöchentlich Mac Morlan den kleinen Ertrag einhändigen konnte, nach Abzug eines minimalen Prozentsatzes für seine Tabaksdose und seine Pfeife. Sechzehntes Kapitel Mannering hatte die kleine Tour nach Bertrams Tod angetreten mit der festen Absicht, vor dem Verkaufe des Gutes Ellangowan zurückzukehren. Er fuhr nach Edinburgh und in andere Gegenden Schottlands; aber auf dem Rückwege nach dem südwestlichen Teile des Landes, wo unser Schauplatz liegt, in einem Flecken, ungefähr vierzig Wegstunden von Kippletringan, erhielt er einen Brief von Mervyn, der ihm ziemlich unangenehme Nachrichten meldete. »Verzeihen Sie, Teuerster,« schrieb der Freund, »daß ich Ihnen den Schmerz verursacht habe, Wunden aufzureißen, von denen Ihr Brief meldet. Man hat mir immer, vielleicht irrig, erzählt, Browns Bewerbungen hätten Julien gegolten. Wie dem auch sein möge, so stand zu erwarten, daß Sie in Ihrer Lage seine Kühnheit nicht ungestraft lassen würden. Männer von Verstand meinen, daß wir der bürgerlichen Gesellschaft unser natürliches Selbstverteidigungsrecht nur unter der Bedingung überlassen, daß uns das Gesetz seinen Schutz nicht vorenthalte. Eins ohne das andere ist nicht denkbar und nicht statthaft. Niemand, wird zum Beispiel mir das Recht abstreiten, mein Leben und meinen Beutel gegen einen Straßenräuber zu verteidigen, gleich dem wilden Indianer, der weder Gesetz noch Obrigkeit kennt. Die Frage, ob ich Widerstand leisten oder mich unterwerfen müsse, muß ich nach allen meinen Hilfsmitteln und meiner Lage beurteilen. Wenn ich aber, bewaffnet und gleich an Stärke, Unrecht und Gewalttätigkeit von irgend jemand, er sei hoch oder niedrig, ohne Widerspruch erleide, so wird man es schwerlich religiösen oder moralischen Gefühlen weder bei mir noch bei irgend jemand zuschreiben, ausgenommen etwa bei einem Quäker. Ein Angriff auf meine Ehre ist meines Bedünkens dasselbe. Die Beleidigung, wenn auch unbedeutend an sich, hat weit wichtigere Folgen für alle Lebensverhältnisse als, irgend ein Unrecht, das ein Straßenräuber mir zufügen könnte, und der Ersatz steht weit weniger in der Gewalt der öffentlichen Gerechtigkeit oder liegt vielmehr gänzlich außer dem Kreise ihrer Wirksamkeit. Wenn es irgend jemand einfällt, mir Geld aus meinem Beutel zu nehmen, und es fehlen mir die Mittel zur Verteidigung oder die Geschicklichkeit und der Mut, sie zu brauchen, so wird meine Obrigkeit mir Gerechtigkeit schaffen dadurch, daß sie den Räuber aufknüpft. Aber wer wird mir die Verpflichtung zumuten, auf diese Gerechtigkeit zu warten, wenn ich selbst Mittel und Mut habe, mein Eigentum zu beschützen? Wenn man mir aber eine Beleidigung zufügt, die ich nicht erdulden kann, ohne meinen Ruf bei Männern von Ehre für immer zu beschimpfen, welches Gesetz oder welcher rechtliche Grund sollte mich abhalten, zu beschützen, was jedem Mann teurer ist und teurer sein muß als sein ganzes Vermögen? Vom religiösen Gesichtspunkte will ich nichts sagen, bis ich einen Gottesgelehrten finde, der Selbstverteidigung von Leben und Eigentum verdammt. Nimmt man die Sache hier allgemein, so möchte man wohl wenig Unterschied machen können zwischen Beschützung von Leben und Vermögen und Verteidigung des guten Rufs. Daß dieser von Menschen, die nicht im gleichen Range mit uns stehen, vielleicht in sittlicher Hinsicht tadellos und von guter Sinnesart sind, angegriffen werden kann, wird unser Recht zur Selbstverteidigung nicht aufheben. Es kann mich schmerzen, daß Umstände mich gezwungen haben, mit einem solchen Menschen zu kämpfen; aber eben dieses Gefühl mußte ein edler Feind, der im Kriege unter meinem Schwerte fiele, in mir erregen. Mögen die Kasuisten diese Streitfrage ausmachen, ich bemerke nur, daß alles, was ich geschrieben habe, weder der gewerbsmäßige Raufbold noch der Duellant, der seine Ehre rehabilitieren will, für sich ausführen könnte. Ich will bloß denjenigen entschuldigen, der durch eine Beleidigung, die niemand geduldig ertragen kann, ohne für immer Ansehen im Leben zu verlieren, zum Kampfe gezwungen wird. »Es tut mir leid, daß Sie sich in Schottland ansiedeln wollen, doch freut es mich, daß die Entfernung nicht unermeßlich und die Lage ganz zu unserm Vorteil ist. Von Devonshire sich nach Westmoreland zu begeben, könnte einem Indier Schauder erregen, aber von Galloway oder Dumfries zu uns zu kommen, ist ein kleiner Schritt näher zur Sonne. Wenn zudem, wie, ich vermute, das Gut, auf das Sie Ihr Auge gerichtet haben, zu dem alten Spukschlosse gehört, worin Sie vor vier- bis fünfundzwanzig Jahren den Sterndeuter spielten, so darf ich wohl nicht hoffen, daß Sie sich von dem Ankaufe abraten lassen, da Sie mir jenen Auftritt so oft mit komischem Pathos geschildert haben. Der gastfreundliche Laird ist wohl noch nicht zu seinen Vätern versammelt worden, und sein Kaplan, den Sie uns oft so possierlich schilderten, weilt auch wohl noch unter den Sterblichen. »Möchte ich hier, lieber Mannering, schließen können, denn es tut mir unbeschreiblich weh, Ihnen das schreiben zu müssen, was noch fehlt. Zum voraus aber muß ich Ihnen die Versicherung geben, daß ich Ihrer mir einstweilen in Obhut gegebenen Tochter nicht den geringsten absichtlichen Verstoß gegen unsere gesellschaftlichen Rücksichten beimessen will; aber sie hat viel von der romantischen Gemütsstimmung des Vaters und eine schwache Dosis von jenem Hange zur Bewunderung, der allen hübschen Damen mehr oder weniger eigentümlich ist. Sie wird zudem wahrscheinlich Ihre Erbin sein; ein belangloser Umstand für Leute, die Julien mit meinen Augen ansehen, aber ein mächtiger Hebel für Scheinheilige, Arglistige und Unwürdige. Sie wissen, wie ich über Juliens sanfte Schwermut, ihre einsamen Wanderungen früh vor Sonnenaufgang und abends bei Mondschein, wenn alles zu Bette ist oder beim Spieltisch sitzt, gescherzt habe. Die Begebenheit, die ich Ihnen erzählen will, konnte vielleicht auch nicht anders als Scherz behandelt werden, doch wollte ich lieber, der Scherz käme von Ihnen, als von mir. »In den letzten vierzehn Tagen habe ich ein paarmal spät in der Nacht oder früh am Morgen das kleine Hindu-Liedchen, das Ihre Tochter so sehr liebt, auf einer Flöte blasen hören. Ich glaubte anfangs, ein Dilettant unter der Hausdienerschaft, der bei Tage seinem Hange zur Musik nicht frönen könne, habe sich diese einsame Stunde ausgesucht, um eine Melodie nachzusingen, die er bei seiner Arbeit im Wohnzimmer gehört habe. Als ich aber gestern abend in meinem Studierzimmer, gerade unter Juliens Zimmer saß, hörte ich zu meinem Erstaunen nicht nur ganz deutlich die Töne der Flöte, sondern überzeugte mich auch, daß sie von dem See unter dem Fenster kamen. Neugierig, wer uns zu so ungewohnter Stunde eine Serenade brächte, schlich ich mich an mein Fenster. Aber es waren noch andere Wächter da, als ich. Sie werden sich erinnern, daß Julie dieses Zimmer um des Erkers willen vorzog, der auf den See hinausgeht. Ich hörte, wie das Fenster geöffnet wurde, und wie sie mit jemand sprach, der von unten herauf redete .. Dies ist etwa nicht – »viel Lärm um nichts,« nein, ich irrte mich nicht, es war ihre Stimme, so sanft, so einschmeichelnd, und die Töne von unten waren der Ausdruck inniger Liebe. Von dem Inhalte des Gespräches kann ich nichts sagen. Ich drückte mein Fenster auf, um etwas mehr von diesem spanischen Melodram als bloßes Gemurmel zu hören; aber all meine Vorsicht betrog mich doch, mein leises Knarren störte das junge Paar, und Juliens Fenster war im nächsten Augenblick geschlossen. Der Ruderschlag auf dem See belehrte mich, daß sich der männliche Teilnehmer an diesem Duett zurückzog. Ich sah auch bald seinen Kahn, den er mit großer Geschicklichkeit lenkte, über den See fliegen. Am folgenden Morgen fragte ich scheinbar zufällig bei meinen Dienstboten herum und erfuhr, daß der Hegereiter bei seiner Runde den Kahn mit einem einzigen Manne zweimal unter dem Hause gesehen und auch die Flöte gehört hatte. Weitere Fragen mochte ich nicht stellen, aus Bangen, Julien bei meinen Leuten in Mißkredit zu setzen. Beim Frühstück gab ich durch einen Wink zu verstehen, daß ich die nächtliche Musik gehört hätte, und gebe Ihnen mein Wort, daß Julie abwechselnd rot und blaß wurde. Ich gab der Sache auf der Stelle eine solche Wendung, daß sie glauben konnte, meine Beobachtung sei bloß zufällig gewesen, habe aber seitdem ein Nachtlicht in mein Bücherzimmer gestellt und die Fenster offen gelassen, um den nächtlichen Besucher abzuschrecken! habe auch die strenge Witterung des herannahenden Winters und die rauhen Nebel geltend gemacht als bedenklich für den Aufenthalt im Freien. Julie hat sich mit einer Geduld gefügt, die gar nicht in ihrer Gemütsart liegt und, aufrichtig gesagt, ein Zug ist, der mir bei der Sache am wenigsten gefällt. Julie hat zuviel von ihres Vaters Temperament, als daß sie sich gern in ihren Launen stören ließe, wenn ihr nicht das pochende Gewissen sagte, es sei klug – allen Streit zu vermeiden. »Meine Geschichte ist nun erzählt, und Sie werden ermessen, was Sie zu tun haben. Ich habe meiner Frau nichts von der Sache gesagt; sie hätte vielleicht dagegen Einspruch erhoben, daß ich Sie benachrichtigte – hätte sich's vielleicht in den Kopf gesetzt, Julien Vorstellungen zu machen, die aber wohl mehr Böses als Gutes gestiftet hätten. Julie hat nun einmal eine reizbare Einbildung und lebhafte Empfindung; sie ist edelmütig, geistreich und liebenswürdig. Den Kuß, den Sie schickten, habe ich bestellt, aber zum Danke hat sie mich derb auf die Finger geklopft. Kommen Sie sobald wie möglich wieder zu uns; bis dahin rechnen Sie auf die treue Fürsorge Ihres Arthur Mervyn.« »P.S. Sie werden neugierig fragen, ob ich irgend eine Ahnung habe, wer der nächtliche Flötenspieler sei. Nein, solche Ahnung habe ich nicht. Es gibt hier keinen jungen Mann, der sich durch Rang oder Vermögen berechtigt fühlen könnte, seine Augen auf Ihre Tochter zu richten, und von dem sich glauben ließe, daß er solche Rolle gespielt hätte. Auf dem andern Ufer des Sees aber, uns gerade gegenüber, liegt eine verwünschte Kneipe, der Zufluchtsort von Fußwanderern aller Art, Dichtern, Schauspielern, Malern, Tonkünstlern, die hierher kommen und über unser malerisches Land faseln, deklamieren und sonst allerlei Torheiten treiben. Wäre Julie meine Tochter, so würde ich gerade diese Burschen am meisten fürchten. Sie ist hochsinnig und schwärmerisch. Sie schreibt jede Woche sechs Bogen an eine Freundin, und es ist ein schlimmes Ding, wenn einem hierzu der Stoff ausgeht. Noch einmal Lebewohl! Wollte ich diesen Gegenstand ernstlicher behandeln, als ich getan, so würde ich Ihrem Gefühle zu nahe treten; wollte ich ihn gänzlich übersehen, so würde mein Gefühl zweideutig erscheinen.« Dieser Brief hatte zur Folge, daß Mannering, zuerst einen Boten an Mac Morlan mit der nötigen Vollmacht zum Ankaufe der Herrschaft Ellangowan abschickte, dann sein Pferd wandte, eine südlichere Richtung nahm und ohne Rast fortritt, bis er die Wohnung seines Freundes am Strande eines Landsees in Westmoreland erreicht hatte. Siebzehntes Kapitel Mannering hatte gleich nach seiner Ankunft in England seine Tochter in eine rühmlich bekannte Erziehungsanstalt gebracht, Schon am Ende des ersten Vierteljahrs aber nahm er sie wieder weg, da er fand, daß ihre Fortschritte seinen Erwartungen nicht entsprachen. Julie hatte gerade nur so viel Zeit gehabt, einen ewigen Freundschaftsbund mit der ihr ungefähr gleichalterigen Mathilde Marchmont zu schließen, an die die dicken Briefhefte gerichtet waren, die von Mervyn-Hall auf Postfittichen abgingen. Einige Auszüge aus diesen vertraulichen Mitteilungen dürften zum Verständnis unserer Geschichte notwendig sein. »Ach, teuerste Mathilde, traurig ist meine Geschichte zu erzählen. Mißgeschick hat seit der Kindheit Deine unglückliche Freundin verfolgt. Um einer so unbedeutenden Ursache willen mußten wir getrennt werden! Eine unrichtige Redensart in meiner italienischen Aufgabe und drei falsche Noten in einer Sonate von Paesiello! Aber das liegt in der Gemütsart meines Vaters, von dem ich nicht leicht sagen kann, ob ich ihn mehr liebe, mehr bewundere, oder fürchte. Glücklich im Leben und im Kriege, gewohnt, jedes Hindernis, selbst wenn es unbezwinglich erschien, durch unbändige Energie zu besiegen, hat er sich eine gewisse Rauheit und Rücksichtslosigkeit angeeignet, die ihn keinen Widerspruch dulden läßt und unnachsichtig gegen jeden Fehler macht: und er selbst ist so vollkommen! Du weißt vielleicht, daß infolge einiger dunklen Worte, die meine arme Mutter einmal hatte fallen lassen, die Rede von ihm aufgekommen, daß er über noch andere Kenntnisse gebiete, die den Menschen befähigen sollen, die dunklen Schattengestalten der Zukunft heraufzubeschwören. Muß nicht schon der Gedanke an solche Gewalt, – oder richtig gesagt – die hohe Geisteskraft und den überlegenen Verstand, den Menschen mit einem gewissen geheimnisvollen Nimbus umkleiden? Du wirst das Schwärmerei nennen; aber bedenke, daß ich im Lande der Feen und Zauberer geboren bin, und daß Märchen, die Ihr nur in der entstellenden Hülle französischer Uebersetzungen kennt, um meine Wiege geklungen. O Mathilde, ich wollte, Du hättest die dunklen Gesichter meiner indischen Wärterinnen sehen können, wenn sie in stiller Andacht den Zaubergeschichten lauschten, die, halb Prosa, halb Dichtung, dem Munde des Märchenerzählers entströmten. Daß mir europäische Dichtungen kalt und trocken vorkommen, nachdem ich die wunderbaren Wirkungen gesehen, die die morgenländischen Märchen auf die Zuhörer machen, ist wohl begreiflich.« »Du kennst mein Herzensgeheimnis, Mathilde, denn Du weißt, wie teuer Brown mir ist. Ich sage nicht, sein Andenken; denn ich bin überzeugt, er lebt und ist mir treu. Er wurde in seinen Bewerbungen um mich durch meine verstorbene Mutter ermuntert, vielleicht unvorsichtigerweise, da sie meines Vaters Vorurteile über Herkunft und Rang kennen mußte. Aber gewiß konnte man von mir – ich war zu jener Zeit fast noch ein Kind – keine größere Portion Klugheit erwarten, als von derjenigen, unter deren Obhut die Natur mich gestellt. Meinen Vater, der fast immer von seiner Soldatenpflicht festgehalten wurde, sah ich nur selten, und man lehrte mich, mehr mit scheuer Ehrfurcht als Vertrauen auf ihn blicken. Wollte Gott, es wäre anders gewesen! Vielleicht würde es jetzt besser um uns alle stehen.« »Du fragst mich, warum ich es meinem Vater nicht sage, daß Brown noch am Leben ist? warum ich wenigstens nicht entdecke, daß er die Wunde, die er in jenem unglücklichen Zweikampfe empfing, überlebt und in seinem letzten Briefe an meine Mutter seine Genesung gemeldet und der Hoffnung Ausdruck gegeben hat, bald aus seiner Gefangenschaft befreit zu werden? Ein Krieger, der im blutigen Waffengewerbe so manchen Feind erschlug, findet sich wahrscheinlich mit dem Gedanken an vermutetes Unglück leichter ab als Menschen wie ich, die darüber vor Grauen schier vergehen. Und wollte ich ihm nun jenen Brief zeigen, was würde die Folge sein? Würde nicht Brown, wenn er lebte und die Ansprüche, um derenwillen mein Vater ihm einst nach dem Leben getrachtet, wieder geltend machen und von neuem verfolgen wollte, die Gemütsruhe meines Vaters furchtbarer stören, als jetzt, da er für tot gehalten wird? Ist er jenen Räubern entronnen, so wird er gewiß bald nach England kommen, und es wird dann Zeit sein, zu überlegen, wie ich meinem Vater das Geheimnis entdecken könne. Aber ach! sollte meine zuversichtliche Hoffnung getäuscht werden, was möchte es helfen, ein Geheimnis zu enthüllen, an das sich so viele schmerzliche Erinnerungen knüpfen? Meine gute Mutter hatte vor dieser Entdeckung so große Bange, daß ich glaubte, sie wollte meinen Vater lieber in dem Argwohn lassen, daß Browns Bewerbungen ihr gegolten hätten, als ihm den wahren Sachverhalt zu verraten. O Mathilde, wie viel Achtung ich auch dem Andenken meiner Mutter schuldig bin, laß mich gerecht gegen meinen Vater sein! Ich muß das zweideutige Betragen, das sie beobachtete, verdammen, weil es ungerecht gegen meinen Vater und höchst gefährlich für sie selbst und für mich war. Doch Friede sei mit ihrem Staube! Sie ließ sich mehr von ihrem Herzen als ihrem Verstande leiten, und sollte ich, die Erbin ihrer Schwäche, zuerst den Schleier von ihren Mängeln ziehen?« Mervyn-Hall »Indien ist ein Wunderland, liebe Mathilde, hier aber lebe ich im romantischen Lande. Die Landschaft vereinigt die erhabensten Gebilde der Natur: donnernde Wasserfälle, Berge, die mit ihren Häuptern den Himmel berühren, Seen, die, durch schattige Täler sich windend, bei jeder Krümmung ihrer Ufer in wilde Einsamkeit führen, Felsen, deren Gipfel über die Wolken ragen. Hier Salvator Rosas Wildheit, dort ein Feenland von Claude Lorrain! Es freut mich, daß ich wenigstens einen Gegenstand finde, der meinen Vater nicht weniger begeistert als mich. Er ist ein maßloser Naturfreund, als bildender Künstler sowohl wie als Dichter, und ich habe ihm mit dem innigsten Vergnügen zugehört, wenn er über Wesen und Wirkungen dieser phänomenalen Schöpferkraft sprach. Ach, wenn er sich doch in dieser bezaubernden Gegend niederließe! Aber seine Absichten sind weiter nach Norden gerichtet, und eben jetzt ist er nach Schottland gereist, um sich, wie ich vermute, dort anzukaufen. Erinnerungen aus seinem früheren Leben haben ihm eine Vorliebe für jenes Land eingeflößt. Ich werde Dir also noch weiter entrückt werden, teure Mathilde, ehe ich eine Heimat habe, O, wie froh werde ich sein, wenn ich einst sagen kann: Komm, Mathilde, und sei der Gast Deiner Julie. Ich wohne jetzt bei Herrn Mervyn, einem alten Freunde meines Vaters. Seine Gattin ist eine recht wackere Frau, anständig und häuslich, aber nach höheren Vollkommenheiten darfst Du nicht fragen. Mervyn ist ein anderer Mann, als mein Vater, ein ganz anderer Mann, aber ich habe ihn gern, und er ist nachsichtig gegen mich. Ein dickes, munteres Männchen, sehr klug, fast pfiffig und nicht ohne Humor. Es macht mir Spaß, ihn mit mir auf die Gipfel der Berge hinauf- und zu dem Fuße der Berge und zu dem Fuße der Wasserfälle heranzuführen, und ich muß dagegen zum Danke seine Rüben, seinen Klee und sein Gras bewundern. Er mag mich wohl für ein einfältiges, schwärmerisches Ding halten, nicht ohne – das Wort will heraus – Schönheit, nicht ohne Gutmütigkeit, und ich meine, der liebe Herr hat, was die weibliche Außenseite betrifft, einen guten Geschmack, und ich denke nicht, daß er tiefer in mein Inneres zu blicken versteht. So neckt er mich, führt mich an der Hand und humpelt neben mir her – denn der gute Mann hat auch das Podagra – und erzählt alte Geschichten aus der vornehmen Welt, deren er viele in petto hat, und ich höre zu, lächle, und sehe so nett und freundlich dazu, als ob ich kein Wässerlein trüben könnte – und wir kommen recht gut miteinander aus. Aber ach, teuerste Mathilde, wie könnte ich die Zeit hinbringen, selbst in diesem Paradiese, an der Seite eines Paares, das zu meinen Anschauungen so wenig paßt, wenn Du nicht auf meine kaum interessanten Mitteilungen mit so freundlicher Treue antwortetest. Ich bitte Dich, schreibe mir wenigstens dreimal in der Woche. Du wirst ja immer etwas zu erzählen haben,« 5 »Wie soll ich Dir sagen, was ich Dir jetzt mitzuteilen habe! Hand und Herz zittern noch so heftig, daß ich kaum schreiben kann. Sagte ich Dir nicht, daß er noch lebe? Sagte ich Dir nicht, ich wollte nicht verzweifeln? Wie konntest Du glauben, Mathilde, daß meine Gefühle, da ich in so früher Jugend von ihm getrennt worden, eher einer glühenden Einbildung als meinem Herzen entsprüngen! Nein, wie oft wir uns auch über die Regungen unseres Herzens täuschen mögen, ich war sicher, daß diese Empfindungen echt waren. Doch höre meine Geschichte! Aber sie sei Dir ein heiliges Unterpfand, wie diese Mitteilung die aufrichtigste Freundschaftsprobe ist. Wir gehen hier früh zu Bette, früher als mein Herz mit seiner Sorgenlast Ruhe finden kann. Ich nehme daher gewöhnlich, sobald ich allein bin, auf ein Paar Stunden ein Buch in die Hand, um vor dem Schlafengehen, wie gewöhnlich, auf den See im Mondschein hinauszusehen. Mein Zimmer hat, wie ich Dir wohl schon gesagt habe, einen kleinen Erker mit einer Aussicht über den See. Mervyn-Hall, zum Teil ein altes, zur Verteidigung eingerichtetes Gebäude, liegt auf dem hohen Ufer des Sees. Ich war ganz vertieft in den schönen Auftritt im Kaufmanne von Venedig, wo zwei Liebende die Reize einer stillen Sommernacht wetteifernd beschreiben, und ganz versunken in die verwandten Erinnerungen und Empfindungen, die in mir erwachten, als ich den Ton einer Flöte auf dem See hörte. Ich habe Dir schon gesagt, die kleine Querflöte war Browns Lieblingsinstrument. Wer konnte sie spielen in einer Nacht, zwar still und heiter, aber doch zu kalt und winterlich, als daß sie einen Wanderer hätte locken können, eine Lustfahrt auf dem See zu machen! Ich ging näher ans Fenster und horchte, kaum aufatmend. Die Töne schwiegen eine Weile, wurden von neuem laut, schwiegen noch einmal, und drangen wieder, immer näher kommend, an mein Ohr. Endlich hörte ich deutlich das kleine Hindu-Lied, das Du mein Leibstückchen nanntest – Du weißt, von wem ich's gelernt habe. Es waren seine Töne. War es irdische Musik, oder wehte der Wind mir diese Töne zu, seinen Tod mir anzukündigen? Es dauerte einige Augenblicke, ehe ich mich faßte, auf den Erker zu treten; aber nichts hätte mich hierzu vermocht, als die feste Ueberzeugung, daß er noch lebe und daß wir uns wiedersehen würden. Mein Herz klopfte ungestüm. Ich sah einen kleinen Kahn mit einem einzigen Menschen. O Mathilde, er war's! Ich erkannte ihn nach so langer Trennung und selbst im Schatten der Nacht so genau, als ob wir erst gestern uns getrennt hätten und im vollen Sonnenschein uns wiedersähen. Er kam mit seinem Kahn unter den Erker und sprach mit mir. Ich weiß kaum, was er sagte, noch was ich antwortete. Ich konnte kaum reden vor Weinen, aber es waren wonnevolle Tränen. Hundegebell, das in einiger Entfernung laut wurde, störte uns, und wir schieden, als er mich beschworen hatte, ihm heute abend am selbigen Orte und zur selbigen Stunde eine neue Zusammenkunft zu bewilligen. Aber was soll daraus werden? Kann ich's wissen? nein, ich kann's nicht. Der Himmel, der ihn vom Tode rettete und ihn aus der Gefangenschaft befreite, der meinen Vater behütete, einen Mann zu ermorden, der ihm nicht ein Haar auf dem Haupte gekrümmt hätte, er muß auch mich aus dem Irrgange führen. Für jetzt genügt mir der feste Entschluß, daß Mathilde nicht über ihre Freundin, mein Vater nicht über seine Tochter, mein Freund nicht über diejenige erröten soll, der er seine Zuneigung gewährt hat.« Achtzehntes Kapitel Julie hatte Verstand, Grundsätze und ein gefühlvolles Herz; aber es machte sich bei ihr auch der Einfluß einer mangelhaften Erziehung durch eine irregeleitete Mutter geltend, die ihren Mann im Herzen so lange einen Tyrannen schalt, bis sie ihn als solchen fürchten lernte, und so lange Romane über Romane las, bis sie sich in die darin geschilderten Irrungen und Verwirrungen so verstrickte, daß sie nicht mehr anders konnte, als selbst einen kleinen Familienroman anlegen, in welchem ihre Tochter, ein sechzehnjähriges Mädchen, die Hauptheldin spielen sollte. Sie fand ihr Vergnügen an kleinen Geheimnissen und Ränken und zitterte vor dem Unwillen, wozu diese unwürdigen Schritte ihren Mann reizten. So faßte sie bloß aus Uebermut oder Hang zum Widerspruche den Plan zu einem Anschlag, verwickelte sich unmerklich tiefer, suchte sich durch neue Künste herauszuziehen oder ihren Fehler durch Verstellung zu beschönigen, verstrickte sich in ihren eigenen Schlingen und sah sich, um sich aus der Situation zu helfen, in die Mutwille sie gestürzt hatte, zu Ränken und Intrigen gezwungen. Der junge Mann, den sie so unvorsichtigerweise zu ihrem Vertrauten machte und ermunterte, seine Blicke auf ihre Tochter zu richten, besaß zum Glück strenge Grundsätze und edlen Stolz, und sie hatte einen minder gefährlichen Hausfreund in ihm gefunden, als sie wohl hätte rechnen dürfen. Ein anderer Einwand als zweifelhafte Herkunft ließ sich nicht gegen ihn machen; aber Edelmut und Ruhmbegier eröffneten ihm glänzende Aussichten, und jeder, der den wackern Jüngling im Auge hielt, sagte ihm eine glückliche Laufbahn voraus. Daß er Lockungen, wie sie ihm durch Juliens unvorsichtige Mutter bereitet wurden, hätte widerstehen oder gegen ein Mädchen, dessen Schönheit und Anmut zur Liebe aufmunterten, hätte gleichgiltig bleiben sollen, ließ sich nun freilich nicht erwarten, zumal auf einem Schauplatz nicht, wie dem einer indischen Festung, wo an weiblichen Reizen wahrlich kein Ueberfluß zu herrschen pflegt. Ueber die unglücklichen Folgen dieses Ehelebens hat uns Mannering schon unterrichtet, und es würde überflüssig sein, darüber weitere Worte zu verlieren. Wir fahren daher in den Auszügen aus Juliens Briefen fort. »Ich habe ihn wiedergesehen, Mathilde; ich habe ihn zweimal gesehen. Aber nach den Gründen habe ich nicht gesucht, die ihn überzeugen, daß unser geheimes Verständnis für uns beide gefährlich ist, ja ich habe in ihn gedrungen, er möge seinem Glück nachgehen, ohne weitere Rücksicht auf mich, und Beruhigung in dem Gedanken suchen, daß ich den Frieden meines Gemüts wiedergefunden, seit ich weiß, daß er nicht von meines Vaters Hand gefallen sei. Er antwortete – aber wie könnte ich Dir alles sagen, was er zu antworten hat? Die Hoffnungen, die meine Mutter ihm gemacht, wolle er als sein Eigentum fest halten, ja, er möchte mich zu dem wahnsinnigen Gedanken verleiten, mich ohne meines Vaters Willen mit ihm ehelich zu verbinden. Nein, Mathilde, dazu soll er mich nicht bringen. Ich habe ihm widerstanden, ich habe das wilde Gefühl gemeistert, das für ihn sprach; aber wie soll ich mich aus diesem unglücklichen Irrgang zurecht finden, in den Verhängnis und Torheit uns verwickelt haben! Ich habe lange, lange darüber nachgedacht, so lange, daß mir fast der Kopf schwindelt. Ich finde keinen andern Ausweg, als meinem Vater alles zu gestehen. Er verdient es; denn seine Güte währet immer, und seit ich seine Gemütsart genauer studiert habe, scheint es mir, als ob er nur dann zur Härte sich wende, wenn er Arglist oder Täuschung argwohnt, und in dieser Hinsicht hat meine Mutter sein Gefühl wohl verkannt. Auch ist ein leiser Anklang von Schwärmerei in seinem Wesen: ich habe gesehen, wie die Erzählung einer edlen Tat, ein Zug von Heldenmut, oder tugendhafter Selbstverleugnung Tränen aus seinen Augen lockten, die alltägliches Herzeleid nicht hervorrufen konnte. Aber Brown wendet ein, mein Vater habe eine persönliche Abneigung gegen ihn. Und seine dunkle Herkunft – freilich, das wird ein Stein des Anstoßes sein! Ich denke mir, liebe Mathilde, auch keiner von Deinen Vorfahren habe bei Poitiers [1356, wo die Franzosen von Eduard, dem schwarzen Prinzen, geschlagen wurden.] und Azincourt [1415, wo Heinrich V. von England die Franzosen besiegte.] gefochten. Hielte mein Vater nicht das Andenken des gestrengen Miles Mannering so unendlich hoch, so würde ich nicht halb so viel Angst davor empfinden, mich ihm zu offenbaren.« »Ich habe soeben Deinen lieben so sehr willkommenen Brief erhalten. Dank Dir, teuerste Freundin, für Deine Teilnahme und Deine Ratschläge, Ich kann es Dir nur mit unbegrenztem Vertrauen vergelten. Du fragst mich, woher denn Brown stamme, da seine Herkunft meinem Vater so anstößig sei. Seine Geschichte läßt sich kurz erzählen. Er stammt aus Schottland, ist aber früh verwaist und wurde von seinen Verwandten in Holland erzogen. Man bestimmte ihn zum Kaufmannsstande und schickte ihn in seinen ersten Jünglingsjahren in eine unserer ostindischen Niederlassungen, zu einem Handelsfreund seines Pflegevaters. Als Brown aber in Indien ankam, war dieser Freund gestorben, und es blieb ihm nichts übrig, als sich in einem Kontor als Schreiber zu verdingen. Da brach der Krieg aus. Die bedrängte Lage, in der wir uns anfangs befanden, gab jedem jungen Manne, der zu den Waffen greifen wollte, Gelegenheit zu einer günstigen Laufbahn, und Brown, von seiner Neigung dazu getrieben, gab sofort eine Laufbahn auf, die zum Reichtum führen konnte, um der Bahn des Ruhmes zu folgen. Seine übrige Geschichte kennst Du. Denke Dir nun den Unwillen meines Vaters, dem der Kaufmannsstand zuwider ist, trotzdem er sein Vermögen hauptsächlich von meinem Großoheim her besitzt, der diesem ehrenvollen Stande angehörte. Erwäge nun, wie er sich, zumal er feindselig gegen alles Holländische gesinnt ist, zu einem Antrage Vanbeest Browns stellen würde, der von dem Hause Vanbeest und Vanbrüggen aus Barmherzigkeit erzogen wurde! Nein, Mathilde, es geht nicht! Ja sieh, so kindisch bin ich selbst, daß ich mich kaum enthalten kann, seine aristokratischen Gesinnungen zu teilen. Frau Vanbeest Brown – der Name hat wahrlich wenig Klang, – ach, Mathilde! was sind wir Menschen doch für Kinder!« »Alles ist vorbei, Mathilde. Ich werde den Mut, mit meinem Vater zu reden, nie finden. Ja, ich fürchte, er hat schon auf anderm Weg mein Geheimnis erfahren. Ich käme also mit meiner Mitteilung zu spät, wenigstens würde ihr der Reiz der Unbefangenheit fehlen; kurz, ich sehe alle Hoffnungen schwinden, auf die ich gebaut hatte. Gestern nacht kam Brown wie gewöhnlich, und seine Flöte kündigte seine Nähe. Wir hatten verabredet, daß er sich durch dieses Zeichen kenntlich mache. Die herrlichen Seen unserer Gegend locken viele Wanderer zu allen Stunden herbei; wir hofften also, Brown werde, wenn ihn jemand aus dem Hause bemerken sollte, für einen solchen Naturschwärmer gehalten werden; auch konnte Flötenspiel meinen Aufenthalt auf dem Erker entschuldigen. Gestern nacht aber, als ich mich lebhaft mit dem Gedanken, meinem Vater alles zu gestehen, befaßte und Brown eben so lebhaft dagegen sprach, wurde das Fenster in Mervyns Bücherzimmer, das gerade unter meiner Wohnstube ist, leise geöffnet. Ich gab Brown ein Zeichen, sich zu entfernen, und trat schnell vom Erker, noch von der Hoffnung erfüllt, unbemerkt geblieben zu sein. Sie schwand aber in dem Augenblicke, als ich Herrn Mervyn beim Frühstücke ansah. Sein Blick schien mir zu sagen, er wisse alles, ja mir kam es vor, als wollte er mich geradezu herausfordern, daß ich recht böse hätte werden können, wenn ich es hätte wagen dürfen. Aber ich muß schon höflich und artig bleiben. Meine Spaziergänge beschränken sich nun auf den Umkreis des Guts, wohin mich der gute Herr Mervyn ohne Scheu und ohne Störung gehen lassen darf. Zweimal habe ich ihn wohl bei dem Versuche ertappt, in meinen Gedanken und auf meinem Gesichte zu lesen. Er hat schon mehr als einmal von der Flöte gesprochen, hat die Wachsamkeit und Wildheit seiner Hunde gerühmt und vor der Gewissenhaftigkeit seines Wildhüters gewarnt, der nie anders als mit geladener Flinte die Runde mache. Auch ließ er Andeutungen auf Fußangeln und Selbstschüsse fallen. Es sollte mir wehe tun, meines Vaters alten Freund in seinem Hause zu kränken; aber zeigen möchte ich ihm doch, daß ich meines Vaters Tochter bin, und daß Herrn Mervyn in dieser Hinsicht keine Zweifel bleiben sollen, wenn ich mich zu einer Antwort auf diese Winke hinreißen ließe, weiß ich jetzt bestimmt. Wofür ich ihm aber herzlich dankbar bin: er hat seiner Frau nichts gesagt! Lieber Himmel, was für Vorlesungen hätte ich sonst hören müssen über die Fährlichkeiten der Liebe und der Abendluft auf dem See, über die Möglichkeit, durch Glücksjäger in leibliche und seelische Not zu geraten, über Erkältungsgefahr einerseits und verschlossene Fenster anderseits. – Du siehst, Mathilde, Scherz und Posse kann ich nicht lassen, so weh mir ums Herz ist. Was Brown anfangen wird, weiß ich nicht. Die Furcht vor der Entdeckung wird ihn wohl abhalten, seine nächtlichen Besuche fortzusetzen. Er wohnt in einem Wirtshause am jenseitigen Ufer des Sees, unter dem Namen Dawson – er ist recht unglücklich in der Namenwahl, das läßt sich nicht in Abrede stellen. Er dient, glaube ich, nicht mehr im Heere, spricht aber nichts davon, wie er sein Leben zu gestalten denkt. Die plötzliche Rückkehr meines Vaters hat meine Besorgnis erhöht. Er schien sehr verdrießlich zu sein. Unsere Wirtin rechnete erst in acht Tagen auf seinen Besuch, wie ich aus einer lebhaften Erörterung zwischen ihr und der Haushälterin erraten habe; aber seinen Freund Mervyn scheint sein Besuch nicht überrascht zu haben. Sein Benehmen gegen mich war so auffallend kalt und gezwungen, daß ich allen Mut verloren habe, mich ihm zu offenbaren und seiner Großmut anzuvertrauen. Seine Mißlaune soll, wie er sagt, daher rühren, daß ihm ein Gut im südwestlichen Schottland, an dem durch Zusammentreffen verschiedener Umstände sein Herz hing, verloren gegangen; aber ich glaube nicht, daß ihn solche Kleinigkeit so aus der Ruhe hat bringen können. Bald nach der Ankunft machte er in Mervyns Kahn eine Fahrt über den See, zu dem Wirtshaus hin, von dem ich Dir geschrieben. Du kannst Dir denken, mit welcher Angst ich seine Rückkehr erwartete. Wer könnte die Folgen ahnen, wenn er Brown wiedergesehen hätte! Er kehrte aber zurück, ohne etwas entdeckt zu haben. Er will nun, wie ich höre, eine Wohnung mieten, dem Anscheine nach in der Nachbarschaft von jenem Ellangowan, wovon ich mir so viel sagen lassen muß, denn er vermutet, daß das Gut, das er zu besitzen wünscht, bald wieder unter den Hammer kommen werde. Ich will diesen Brief erst absenden, wenn ich über seine Absichten genau unterrichtet bin. Ich habe eine Unterredung mit meinem Vater gehabt, so vertraulich, wie es ihm, scheint es mir, genehm ist. Ich mußte heute nach dem Frühstück mit ihm ins Bücherzimmer gehen. Die Kniee zitterten mir und, ohne zu übertreiben, liebe Mathilde, ich konnte ihm kaum folgen. Ich hatte vor etwas Furcht – wußte aber und weiß auch jetzt nicht, wovor. Seit meiner Kindheit bin ich gewohnt, alles vor seinem Blicke beben zu sehen. Ich mußte mich setzen und habe so schnell wohl noch keinem Befehle gehorcht. Kaum daß ich mich aufrecht halten konnte. Er ging auf und ab im Zimmer. Du hast meinen Vater gesehen, und auch Dir ist, wie ich mich erinnere, der kräftige Ausdruck seiner Züge aufgefallen. Wenn er ergriffen oder unwillig ist, wird sein sonst mattfarbiges Auge dunkler und fängt an zu strahlen; er hat die Gewohnheit, bei heftiger Erschütterung die Lippen einzuziehen, was mir als Zeichen des Kampfes erscheint zwischen der angeborenen Heftigkeit seines Gemüts und der durch Gewohnheit erworbenen Selbstbeherrschung. Ich war zum erstenmal seit seiner Rückkehr aus Schottland mit ihm allein, und als ich jene Merkmale seiner Gemütsbewegung entdeckte, war es mir nicht zweifelhaft, daß er im Begriffe stand, von dem Gegenstande zu sprechen, den ich am meisten fürchtete. Mir wurde es unbeschreiblich leicht ums Herz, als ich sah, daß ich mich darin geirrt hatte, und daß er, was er auch von Mervyns Argwohn oder Wahrnehmungen wissen mochte, gar nicht die Absicht hatte, über diese Sache mit mir zu sprechen, wiewohl er, wenn er die Gerüchte, die ihm vielleicht Zu Ohren gekommen, untersucht hätte, viel Schlimmeres als sein Argwohn vermutet, erfahren haben möchte. Bei meiner Schüchternheit wurde es mir wirklich unaussprechlich leicht, nichtsdestoweniger fand ich den Mut nicht, die Unterhaltung zu beginnen, sondern erwartete schweigend seine Befehle. »Julie,« hob er endlich an, »mein Geschäftsführer in Schottland schreibt mir, er habe eine schickliche Wohnung für uns gemietet, die alle Bequemlichkeiten in sich vereine. Sie liegt nur etwa eine Stunde von dem Gute, das ich kaufen wollte.« Er schwieg und schien Antwort von mir zu erwarten, »Jede neue Wohnung, die Ihnen gefällt,« sagte ich, »muß mir ja recht sein, Vater.« »Hm! aber es will mir nicht gefallen, Julie, daß Du während des Winters allein dort wohnen sollst.« »Nun, Herr und Frau Mervyn, dachte ich, werden ja da sein, sagte aber nach einer Pause wieder: Jede Gesellschaft, die Ihnen angenehm ist – »O, fast zu viel von bedingungsloser Unterwürfigkeit!« fiel er ein, »Eine herrliche Tugend ... ohne Frage – aber Deine ewige Wiederholung solcher gehorsamen Reden erinnert mich an die endlosen Selams [Morgenländische Begrüßungen] unserer schwarzen Diener in Indien, Mit einem Worte, ich weiß, daß Du Gesellschaft liebst, und habe die Absicht, ein junges Mädchen, die Tochter eines verstorbenen Freundes, auf einige Monate zu uns zu nehmen.« »Aber um Himmels willen, Vater, doch keine Hofmeisterin?« rief ich Unglückliche, durch meine Besorgnisse ganz aus der Fassung gebracht. »Keine Hofmeisterin, Julie,« antwortete mein Vater, ziemlich finster, »aber ein junges Mädchen, in der Schule des Unglücks aufgewachsen, das Du Dir, meine ich, in ein paar Dingen zum Vorbild wirst nehmen können. – Eine Antwort hierauf wäre bedenklich gewesen, daher folgte eine Pause. »Ist sie eine Schottländerin?« hob ich endlich wieder an. Ein trockenes – »Ja!« »Sie spricht wohl das Englische mit schottischem Accent?« fragte ich weiter. »Schwerenot,« rief mein Vater heftig, »glaubst Du, ich kümmere mich um Aussprache? Julie, ich rede im tiefsten Ernst. Du neigst dazu, Dich in Beziehungen einzulassen, die Du Freundschaften nennst« – war das nicht hart, Mathilde? – »Um Dir nun Gelegenheit zum Erwerb wenigstens einer würdigen Freundin zu geben, wünsche ich, daß dieses Mädchen ein paar Monate in meinem Hause lebt, und ich erwarte, Du wirst ihr alle Aufmerksamkeit beweisen, die Unglück und Tugend beanspruchen dürfen.« »Gewiß, lieber Vater,« erwiderte ich. »Ist meine künftige Freundin rothaarig?« Mein Vater warf einen strengen Blick auf mich ... Du wirst vielleicht sagen, es sei mir recht geschehen, aber ich weiß nicht, welcher böse Geist mich zuweilen treibt, die Menschen durch Fragen zu peinigen. »Sie hat eben so viel äußere Vorzüge vor Dir, meine Tochter, als sie Dich in klugem Verhalten gegen Menschen und Freunde übertrifft,« sagte er. »Aber halten Sie solche Ueberlegenheit für eine Empfehlung? – Doch nein, lieber Vater, ich sehe, Sie gehen darauf aus, alles was ich sage, zu ernst zu nehmen; wer aber auch das Mädchen sein mag, sie soll gewiß nicht Ursache haben, sich über Mangel an Aufmerksamkeit von meiner Seite zu beklagen, da sie mir von Ihnen empfohlen wird. Hat sie einen dienstbaren Geist bei sich?« fuhr ich nach einer Pause fort ... »Ich muß doch für die Bequemlichkeit meiner neuen Freundin sorgen ...« »Nein, einen dienstbaren Geist eigentlich nicht. Der Kaplan, der bei ihrem Vater lebte, ist ein gutmütiger Mensch, und ich glaube, es wird auch für ihn Platz in unserem Hause sein.« »Ein Kaplan, Vater? Lieber Himmel!« »Ja, Julie, ein Kaplan. Warum fällt Dir das Wort so sehr auf? Hatten wir nicht auch einen Kaplan, als wir in Indien waren?« »Aber damals, lieber Vater, waren Sie doch Armeebefehlshaber –« »Und jetzt, Julie – bin ich Kommandeur in meinem Hause.« »Gewiß, mein Vater, Aber wird er uns nach den Gebräuchen der englischen Kirche vorbeten?« Der scheinbaren Unbefangenheit hielt sein Ernst nicht stand,. »Tu bist ein wunderliches Mädchen, Julie, und es hilft mir nichts, wenn ich Dich schelte. Mir ist es nicht zweifelhaft, daß Du Deine künftige Gesellschafterin lieben wirst, und der Mann, den ich aus Mangel an einem passenden Worte Kaplan genannt habe, ist ein würdiger Mann, der nur ein paar Wunderlichkeiten an sich hat, aber es wohl nie merken wird, wenn Du über ihn lachst, Du müßtest gerade sehr laut lachen.« »Das gefällt mir an ihm. Aber werden wir dort ebenso schön wohnen wie hier?« »Vielleicht nicht ganz so nach Deinem Geschmacke. Es ist kein See unter den Fenstern, und Du wirst Dich auf Hausmusik beschränken müssen.« Dieser letzte Schlag machte dem scharfen Wettkampf unseres Witzes ein Ende, denn Du kannst denken, Mathilde, daß ich allen Mut zu einer Antwort verloren hatte. Sonst aber sehe ich den Dingen, gleichsam mir selbst zum Trotze, mutiger entgegen denn je. Brown lebt, ist frei, ist in England; Verlegenheit und Kümmernis können und müssen von allen Menschen, auch von mir getragen werden. Uebermorgen reisen wir von hier nach unserm neuen Wohnsitze ab. Ich werde Dir selbstverständlich mitteilen, was ich von meinen schottischen Hausgenossen halte, die mein Vater, wie ich wohl nicht ohne Grund vermute, als ehrsame Spione wird benutzen wollen. O wie verschieden von der Gesellschaft, die ich mir so gern gewählt hätte! Gleich nach meiner Ankunft in meinem künftigen Aufenthalte erhältst Du Nachricht von Deiner Julie Mannering.« Neunzehntes Kapitel Woodbourne, der Landsitz, den Mac Morlan für Mannering gemietet, lag freundlich am Fuße eines waldigen Hügels, der das große, bequeme Haus gegen Mitternacht und Morgen beschirmte. Die Vorderseite war gegen einen kleinen Grasplatz gekehrt, der mit einer Reihe von alten Bäumen eingefaßt war. Rings umher lagen Ackerfelder bis zum Flusse hinab, den man aus den Fenstern des Hauses sah. Ein leidlicher, wiewohl etwas altfränkischer Garten, ein wohlversehener Taubenschlag, und so viel Feld, als für die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Bewohner von nöten, machten den Landsitz in allen Hinsichten passend für eine angesehene Familie. Hier wollte Mannering, eine Zeitlang wenigstens, seinen Wanderstab niederlegen. Er war, obgleich er aus Indien kam, nichts weniger als von der Sucht besessen, mit Reichtum zu prahlen, wollte vielmehr, zu stolz um Geck zu sein, nur wie ein wohlsituierter Landedelmann leben, ohne in seinem Haushalte jenen Prunk zu zeigen, den man in jener Zeit für das eigentliche Merkmal eines Nabobs hielt. Er hatte die Herrschaft Ellangowan noch immer im Auge; Mac Morlan vermutete, Glossin werde die Besitzung bald wieder aufgeben müssen, da einige Gläubige ihm das Recht streitig machten, einen so beträchtlichen Teil des Kaufschillings in Händen zu behalten, und seine Zahlungsfähigkeit vielfachen Zweifeln begegnete. Darum meinte Mac Morlan, daß Glossin, wenn ihm etwas über den Preis, den er zu zahlen versprochen, geboten würde, wohl von dem Kaufe zurückzutreten geneigt sein möchte. Daß Mannering sich zu einem Orte, den er nur einmal, in seinen Jugendjahren und nur auf kurze Zeit gesehen, so kräftig hingezogen fühlte, könnte seltsam erscheinen; aber was da vorgegangen war, hatte seine Phantasie lebhaft ergriffen. Es schien hier ein Verhängnis zu walten, das die merkwürdigsten Begebenheiten in seinem eigenen Hause mit den Schicksalen der Bewohner von Ellangowan verknüpfte, und eine geheimnisvolle Sehnsucht nach jenem Erdhügel, wo er in den Sternen ein Ereignis gelesen, das an dem Erben des unglücklichen Hauses so wunderbar erfüllt worden und mit einem Unfall in seinem eigenen Hause so merkwürdig zusammentraf, verließ ihn nicht. Daß es ihm empfindlich war, seine Absicht durch einen Menschen wie Glossin vereitelt zu sehen, daß sich sein Stolz mit der Phantasie zusammentat und beides ihn in dem Entschlusse, das Landgut noch an sich zu bringen, befestigte, wird niemand wundern. Man wäre jedoch ungerecht, wenn man dem Wunsche, der unglücklichen Lucy nützlich zu werden, keinen Teil an seinem Entschlusse zubilligte. Die Vorteile, die seiner Tochter aus dem Umgange mit ihr erwachsen konnten, waren ihm nicht entgangen, traute er ihr doch Klugheit und Verstand zu, und seine Achtung vor ihr war, seit ihm Mac Morlan unter dem Siegel der Verschwiegenheit erzählt hatte, wie sie sich gegen Hazlewood benommen, bedeutend gestiegen. Hätte sie sich von der Heimat und den wenigen Menschen, die sie Freunde nannte, auf immer trennen sollen, wäre ihr der Entschluß vielleicht weniger leicht gefallen; aber in Woodbourne nur eine Zeitlang als Gast in Juliens Gesellschaft zu leben, nahm sie gern an, zumal ihr feines Empfinden ihr sagte, daß Mannering, so zart er es auch verschleiern wollte, sich doch vor allem durch seine Großmut, ihr zu helfen, zu dem Vorschlage leiten ließ. Dazu kam noch, daß sie von jener Verwandten, an die sie sich gewandt hatte, einen sehr kaltherzigen Brief bekam. Es war zwar eine kleine Summe beigefügt, aber mit dem ernsten Rate, recht sparsam zu leben und bei ruhigen Leuten in Kippletringan, oder in der Nachbarschaft, Unterkunft zu suchen. Dabei hatte die Verwandte zu Lebzeiten von Lucys Mutter fast drei Jahre in Ellangowan gelebt und erst, als ihr ein jährliches Einkommen von 100 Pfund Sterling durch Erbschaft zugefallen war, das gastfreundliche Haus verlassen, wo sie sonst bis zum Tode des Eigentümers ein Obdach gefunden hätte; aber nach ruhiger Ueberlegung begnügte sich Lucy mit der Antwort, sie wolle die paar Pfund nur als Darlehen annehmen und so bald wie möglich zurückerstatten, ersuchte aber ihre Verwandte um Rat, wie sie sich der Einladung des Obersten Mannering gegenüber verhalten sollte. Auf diese Frage kam die Antwort mit umgehender Post, so ängstlich war es der alten Dame darum zu tun, die Base versorgt und sich aller weitern Verbindlichkeiten enthoben zu sehen. Wollte also Lucy nicht ihrem bisherigen Beschützer, der zu freigebig war, als daß er hätte reich sein können, noch länger beschwerlich fallen, so blieb ihr keine andere Wahl als den Vorschlag des Obersten anzunehmen, denn so, wie die eine ihrer Verwandten, verhielten sich alle. Sampsons Los wäre nicht minder traurig gewesen, wenn nicht Mannering, der für menschliche Absonderlichkeiten immer eingenommen gewesen, und der von Mac Morlan erfahren hatte, wie brav der wackre Mensch an der Tochter seines alten Gönners gehandelt, denselben gebeten hätte, Sampson mitzuteilen, daß er ihn recht nötig brauche für die Verwaltung der Büchersammlung, die er von seinem Oheim, dem Bischof, geerbt habe und zur See nach Schottland bringen lasse; auch seien manche Handschriften zu kopieren, Register anzulegen usw. »Bestimmen Sie seinen Gehalt nach Ihrem Gutdünken!« schloß der Oberst; »aber besorgen Sie dem braven Mann einen anständigen Anzug und lassen Sie ihn zusammen mit dem Fräulein nach Woodbourne kommen.« Mac Morlan empfing diesen Auftrag mit lebhafter Freude; es machte ihm aber manches Kopfzerbrechen, wie er es anstellen solle, den alten Mann neu zu kleiden, so notwendig dies auch schon lange war. Ihm das Geld dazu auszuhändigen und ihn für die Anschaffung selbst sorgen zu lassen, hätte kaum etwas anderes bedeutet, als ihm Gelegenheit zu geben, sich lächerlich zu machen; denn wenn Sampson einmal an seinem Anzüge Veränderungen vorgenommen hatte, waren dieselben immer so merkwürdiger Natur gewesen, daß ihm die Dorfjugend tagelang nachlief. Ihm aber durch einen Schneider Maß nehmen zu lassen und ihm den neuen Anzug zuzuschicken, hätte er wahrscheinlich, wenn er sich dazu verstand, äußerst ärgerlich aufgenommen. Mac Morlan fragte Lucy um ihren Rat. Sie meinte, wenn sie auch selbst keinen Mannsrock ausbessern oder machen könne, so sei wohl nichts leichter als Sampson mit solchem zu versorgen ... »Mein Vater,« setzte sie hinzu, »ließ, wenn Sampson etwas Neues brauchte, ihm durch einen Dienstboten nachts, wenn er schlief, das alte Kleidungsstück wegnehmen und das neue an die Stelle legen. Daß Sampson solche Veränderung in seiner äußern Tracht je wahrgenommen, sei ihr niemals aufgefallen.« Mac Morlan wandte sich nun an einen Schneider, der es auf sich nahm, Sampson zwei Anzüge, einen schwarzen und einen grauen, ohne vorherige Maßnahme zu fertigen; Mac Morlan verhielt sich nun so, wie Lucys Vater, und machte mit den Beinkleidern den Anfang am ersten Abend, mit der Weste am zweiten die Fortsetzung, und mit dem Rock am dritten den Schluß. Als nun Sampson vollständig verwandelt und zum erstenmal in seinem Leben anständig gekleidet war, glaubte man doch wahrzunehmen, daß ihm eine dunkle Ahnung von einer Handlung in seinem äußern Menschen aufdämmerte; wenigstens sah man, daß er bald auf den Rockärmel, bald auf die Knie guckte und wohl nach Stellen suchte, wo er die mit blauem Zwirn gestopften Risse und aufgehefteten Flicken vermißte; und das ging so lange, bis er sich endlich an den neuen Anzug gewöhnt hatte. Er machte aber bloß die einzige Bemerkung dazu, daß die Luft in Kippletringan so gut sei, daß sie selbst Kleidern zu bekommen scheine, denn sein Rock sehe fast so neu aus, wie an dem Tage, da er ihn zum erstenmal angezogen, als er nämlich die Predigtamtsprüfung abgelegt hätte. Als die Nachricht von Mannerings Anerbieten einer Bibliothekarsstelle in Kippletringan eintraf, warf Sampson zuerst einen besorgten Blick auf Lucy, als sei es auf eine Trennung von ihr abgesehen; sobald aber Mac Morlan ihn durch die Versicherung beruhigt hatte, daß auch sie eine Zeitlang als Gast in Woodbourne wohnen solle, rieb er sich die großen Hände und lachte seit langer Zeit wieder einmal aus vollstem Halse. Nach diesem Ausbruche seines Behagens verhielt er sich aber allen weitern Zurüstungen gegenüber völlig passiv. Zwanzigstes Kapitel Der Tag im Dezember, an welchem Mannering mit seiner Tochter in Woodbourne erwartet wurde, erschien. Jeder in dem kleinen Kreise sah dem Ereignis mit eigener Besorgnis entgegen. Mac Morlan wünschte sich in der Gunst eines so reichen, bedeutenden Mannes wie Mannering zu befestigen. Es war ihm nicht entgangen, daß Mannering, so großmütig und wohltätig er war, die Schwachheit hatte, seine Wünsche bis aufs kleinste genau erfüllt zu sehen; er hielt deshalb peinliche Umschau, von der Dachstube bis herab zu den Ställen, ob alles in Ordnung sei. Seine Frau tat das gleiche in ihrem engeren Kreise, dem Speisezimmer und der Küche, war aber in ständiger Bange, daß das Mittagessen verderben und ihr guter Ruf als Hauswirtin Schaden erleiden möchte. Selbst Sampson wurde in seiner Gemütsruhe gestört, trat zweimal an das Fenster, das nach der Landstraße hinaussah, und rief zweimal, wie es nur käme, daß die Räder so langsam rollten? Lucy, die ruhigste von allen, hatte von allen die trübsten Gedanken; sollte sie doch nun, auf fremde Wohltätigkeit angewiesen, abhängig von Fremden leben, mit deren Denkungsart, so freundlich sie sich auch bisher gezeigt hatten, sie doch kaum bekannt war. Endlich hörte man den Wagen rollen. Zuerst kam die Dienerschaft und stellte sich im Hausflur zum Empfange auf mit einer Wichtigkeit und Geschäftigkeit, die für Lucy, die weder an Gesellschaft gewöhnt war, noch die Sitten der vornehmen Welt kannte, höchst beunruhigend waren. Mannering, bei wie gewöhnlich die Reise zu Pferde zurückgelegt hatte, trat herein, mit seiner Tochter am Arm. Julie war von Mittelgröße und eine zierliche Gestalt, mit durchdringenden dunklen Augen und tiefschwarzem langgelockten Haare, das gut zu dem lebhaften, klugen Gesichte stand, das ein seltsames Gemisch von Stolz und Scheu, von Humor und Sarkasmus zeigte. Lucys erste Empfindung war: »meine Freundin wird sie nie werden,« als sie das Gesicht aber zum zweitenmal musterte, meinte sie: »vielleicht wird sie es doch!« Julie war bis ans Kinn gegen die rauhe Winterkälte in Pelze vermummt; ihr Vater hatte den Oberrock bis an den Hals zugeknöpft. Er grüßte Frau Mac Morlan, der auch Julie eine kurze Verbeugung machte, die ihr nicht eben schwer fiel und der Mode und dem Anstande gerecht wurde. Mannering führte darauf seine Tochter zu Lucy, die er freundlich, fast mit väterlicher Zuneigung, bei der Hand faßte, und sagte: »Hier, Julie, ist Fräulein Bertram; hoffentlich ist es unserem Freunde gelungen, sie zu einem recht langen Besuche zu bestimmen. Es wird mich sehr freuen, Julie, wenn Du dem Fräulein den Aufenthalt in Woodbourne so angenehm machen kannst, wie ich ihn zu Ellangowan fand, als ich das erstemal im Leben als Fremder in dieses Land kam.« Julie faßte die neue Freundin liebreich bei der Hand, und Mannering wandte sich nun zu Sampson, der seit dem Eintritt des Obersten unaufhörlich Verbeugungen gemacht, die Beine gespreizt und den Rücken gekrümmt hatte, wie ein Automat, der sich so lange dreht, bis er abgestellt wird. Mannering stellte ihn seiner Tochter vor, indem er sie mit strengem Blick ansah; aber es fiel ihm schwer, das Lachen zu verbeißen, das Julie anzustimmen große Lust hatte ... »Mein lieber Freund, Herr Sampson,« hob er an; »er wird meine Bücherei in Ordnung bringen, sobald sie ankommt, und ich rechne darauf, von seiner ausgebreiteten Gelehrsamkeit großen Nutzen zu ziehen.« Julie verlor, als ihr Vater die Stirn runzelte, die Lust zu einem Scherze, der ihr auf den Lippen schwebte, und wandte sich schnell zu Lucy. »Wir haben heute eine starke Tagreise gemacht,« sagte sie ... »Sie nehmen es mir wohl nicht übel, wenn ich mich vor Tische auf ein paar Augenblicke entferne?« Die ganze Gesellschaft zerstreute sich bis auf Sampson, dem es nicht in den Sinn kam, sich zu anderer Zeit, als beim Aufstehen, an- und beim Schlafengehen auszuziehen. Er blieb allein und kaute an einem mathematischen Beweise, bis die Gesellschaft sich wieder versammelte, um sich ins Speisezimmer zu begeben. Gegen Abend suchte Mannering Gelegenheit, mit seiner Tochter allein zu sprechen ... »Nun, gefallen Dir unsere Gäste, Julie?« »O, Fräulein Bertram, ganz gut! Aber dieser seltsame Pfaffe – Lieber Vater, wer kann den ansehen, ohne daß ihm das Lachen ankommt?« »So lange er in meinem Hause wohnt, muß jedermann Ernst in seiner Gegenwart lernen.« »Du mein Himmel, selbst die Lakaien können nicht ernsthaft bleiben.« »So mögen sie meine Livreen ausziehen und sich anderswo vor Lachen ausschütten. Herr Sampson ist ein Mann, den ich wegen seiner Einfalt und seines redlichen Gemüts hochachte.« »O, auch an seiner Freigebigkeit zweifle ich nicht,« rief Julie. »Kann er doch keinen Löffel Suppe zum Munde bringen, ohne allem, was an ihm und um ihn ist, was abzugeben.« »Du bist unverbesserlich, Julie, aber das laß Dir gesagt sein: ich erwarte, daß Du Deinen Witz ihm gegenüber in Schranken hältst und weder ihn noch Fräulein Bertram kränkst, der jede Kränkung, die ihm widerfährt, empfindlicher sein möchte als ihm selbst. Und nun, gute Nacht, meine Tochter, und laß Dir noch gesagt sein, Herr Sampson hat freilich nicht den Grazien geopfert, aber es gibt vieles in der Welt, was weit lachhafter ist als linkisches Betragen oder einfältiger Sinn.« Zwei Tage nachher verließ Mac Morlan mit seiner Frau den Landsitz, dessen Bewohner sich bald eingerichtet hatten. Die beiden Mädchen setzten ihre Beschäftigung gemeinsam fort und amüsierten sich zusammen. Mannering nahm mit Vergnügen wahr, daß Lucy im Französischen und Italienischen gut beschlagen war, was sie Sampson zu verdanken hatte, der sich durch beharrlichen Fleiß, in aller Stille, auch mit den meisten neuern Umgangssprachen bekannt gemacht hatte. Von Musik verstand sie wenig oder nichts, aber Julie nahm es auf sich, sie darin zu unterrichten, wogegen ihr Lucy die Kunst des Reitens beibrachte, sie auch mit Bewegung im Freien vertraut machte. Mannering ließ es sich angelegen sein, ihnen solche Bücher zum Lesen zu geben, die Belehrung mit Unterhaltung verbanden, und da er selbst mit Geist und Geschmack vorlas, gingen die Winterabende angenehm vorüber. Es fand sich auch bald Gesellschaft, wozu mancherlei anlockte. Die meisten Gutsherren aus der Nachbarschaft machten dem Obersten Besuche. Hoch in seiner Gunst stand Charles Hazlewood, der oft bei ihm war, und zwar mit Einwilligung seiner Eltern, die zu meinen schienen, Juliens indische Schätze wären ein Preis, der einiger Mühe schon wert sei. Durch diese Aussicht verblendet, übersahen sie die Gefahr, die sie schon einmal gefürchtet hatten, daß er nämlich seine Neigung der armen Lucy schenken möchte, die nichts auf der Welt besaß als ein hübsches Gesicht, gute Herkunft und ein liebevolles Herz. Mannering war umsichtiger. Er hielt es als Lucys Vormund für Pflicht, den jungen Mann von jeder bindenden Erklärung gegen ein Mädchen so lange zurückzuhalten, bis er mehr vom Leben und von der Welt gesehen und das Alter erreicht hätte, in welchem ihm ein selbständiges Urteil in einer Angelegenheit, die sein Lebensglück so nahe anging, zuzutrauen sei. Während die Aufmerksamkeit der Landhausbewohner solchermaßen in Anspruch genommen wurde, widmete sich Sampson mit allem Eifer der bischöflichen Büchersammlung, die inzwischen von Liverpool angekommen und auf dreißig bis vierzig Karren aus dem nächsten Hafenorte herbeigeschafft worden war. Unbeschreiblich war seine Freude, als er den reichen Inhalt der Kisten auf dem Fußboden erblickte und alles in Reih und Glied aufstellte. Gleich Windmühlenflügeln schwang er die Arme, und seine Lieblingswort »Komisch! komisch!« dröhnte durch das ganze Haus. So viele Bücher, meinte er, hätte er, ausgenommen in der Bibliothek der Hochschule, nie im Leben beisammen gesehen, und berauscht von dem Gedanken, der Verwalter solch herrlichen Schatzes zu sein, kam er sich schier vor wie der Universitäts-Bibliothekar, den er immer für den größten und glücklichsten Menschen auf Erden gehalten. Seine Wonne wurde nicht vermindert, als er die Bände zu mustern und zu sortieren begann ... Manche freilich, wie Gedichte, Schauspiele, geschichtliche Denkwürdigkeiten, warf er verächtlich auf die Seite mit einem: »Bah!« oder gar: »unnützes Zeug«; – aber die meisten und dicksten Bände waren wuchtigerer Tendenz: theologische Werke, Bibel-Erläuterungen, Polyglotten, Kirchenväter, Predigten und andere wissenschaftliche Werke alter und neuer Zeit in den besten und seltensten Ausgaben. Sampson trug alles in ein Verzeichnis ein, das er zierlich und korrekt, wie ein Verliebter ein zärtliches Briefchen, schrieb, und stellte jedes Buch ehrfürchtig auf seinen Platz. Bei allem Eifer rückte aber die Arbeit nur langsam vor; denn oft blieb er mit einem Bande auf der Hälfte der Bücherleiter stehen und las darin, seiner unbequemen Stellung ungeachtet alles um sich her vergessend, bis der Diener ihn am Rockschoße zog und ihm sagte, daß man zu Tische gehe. Dann begab er sich ins Speisezimmer, schlang alles in großen Bissen hinunter, beantwortete mit Ja und Nein aufs Geratewohl jede Frage und eilte, sobald das Tischtuch weggenommen war, zurück ins Bücherzimmer. Einundzwanzigstes Kapitel Brown war seit seiner Kindheit ein Ball des Schicksals gewesen, aber die Natur hatte sein Gemüt mit jener Kraft begabt, die im Kampfe erstarkt. Eine hohe männliche Gestalt; Züge zwar nicht völlig regelmäßig, aber mit viel Ausdruck von Verstand und Laune, und wenn er sprach, oder in Bewegung geriet, ungemein anziehend. Sein Benehmen verriet den kriegerischen Stand, worin er sich jetzt zu dem Range eines Rittmeisters erhoben hatte, da Mannerings Nachfolger bemüht gewesen war, die Ungerechtigkeit wieder gut zu machen, die Brown von jenem erlitten. Aber dies, sowie seine Befreiung aus der Gefangenschaft fiel in die Zeit nach Mannerings Abreise aus Indien. Brown folgte ihm bald nachher, da sein Regiment nach Europa zurückkehrte. Er erkundigte sich sogleich nach Mannering, und als er erfuhr, daß dieser nach Norden bezogen, folgte er ihm, in der Absicht, seine Bewerbungen um Julie zu erneuern. Er glaubte, Rücksichten gegen ihren Vater nicht nötig zu haben; denn unbekannt mit dem Verdachte, der dem Obersten beigebracht worden, sah er in ihm bloß den aristokratischen Unterdrücker, der seine Amtsgewalt gemißbraucht, um ihn der wohlverdienten Beförderung verlustig zu machen, und ihn zum Zweikampfe gezwungen hatte, bloß weil er kühn genug gewesen war, der schönen Tochter, die ihm ihre Gunst geschenkt und deren Mutter ihn ermunterte, den Hof zu machen. Er wollte von niemand als dem Mädchen selbst – das war sein Entschluß, – eine abschlägige Antwort annehmen. Das harte Unglück, das er erduldet, eine schmerzliche Wunde und Gefangenschaft, die Folge der Beleidigung, die er von ihrem Vater empfangen, gaben ihm, wie er meinte, das Recht, mit diesem Manne wenig Umstände zu machen. Wir wissen, wie weit sein Plan gelungen war, als seine nächtlichen Besuche durch Mervyn entdeckt wurden. Dieses unangenehme Ereignis bewog Brown, das Wirtshaus zu verlassen, wo er unter dem Namen Dawson sich aufhielt, so daß Mannering ihm nicht auf die Spur kommen konnte. Aber keine Schwierigkeit sollte ihn abschrecken, sein Unternehmen auszuführen, so lange Julie ihm noch einen Hoffnungsschimmer ließ. Sie hatte es ihm nicht verbergen können, was sie für ihn empfand, und mit dem Mut eines Paladins raffte er sich auf zu unerschütterlichem Ausharren. Er mag seine Denkungsart und seine Absichten selbst enthüllen, wie er es in einem Briefe an seinen vertrauten Freund, den Rittmeister Delaserre, einen Schweizer, tat. »Lassen Sie mich doch bald etwas von sich hören, lieber Delaserre. Bedenken Sie, daß ich nur durch Ihre gütige Vermittlung von unserm Regiment etwas erfahren kann, und daß ich natürlicherweise dies und das gern von ihm wissen möchte. Nach unserm wackern Freunde, dem Oberstleutnant, frage ich nicht; ich habe ihn gesehen, als ich durch Nottingham reiste, wo er glücklich im Kreise der Seinigen lebt. Welch ein Glück ist's für uns arme Teufel, lieber Delaserre, wenn wir ein Ruheplätzchen finden zwischen Lager und Grab, wenn Krankheiten, Eisen und Blei und die Folgen harter Beschwerden uns nicht frühzeitig hinwegreißen. Sie und ich, Delaserre, beides Fremdlinge – denn was bin ich anders, obgleich ich aus Schottland stamme, da die Engländer mich selbst, wenn ich meine Abkunft beweisen könnte, doch schwerlich für einen Landsmann anerkennen würden – wir dürfen stolz darauf sein, daß wir unsere Beförderung erfochten und mit dem Schwerte gewonnen haben, was uns auf andere Weise infolge unserer Armut nicht beschieden gewesen wäre. »Aber ich denke, Sie haben mich schon lange mit ungeduldiger Neugier fragen wollen, was aus meinem Liebeshandel geworden sei. Ich habe Ihnen erzählt, daß ich es für gut gehalten, mit Dudley, einem jungen englischen Künstler, den ich kennen gelernt habe, eine Fußreise in die Gebirge von Westmoreland zu machen. Mein Gesellschafter ist ein angenehmer Mann; er malt leidlich, zeichnet schön, hat eine vorzügliche Unterhaltungsgabe, spielt vortrefflich die Flöte und ist bei all dem bescheiden und anspruchslos. Als wir nach einigen Tagen von unserer Reise zurückkehrten, erfuhr ich, daß der Feind gespäht hatte. Mervyns Kahn war über den See gekommen, wie der Wirt erzählte, mit dem Junker und seinem Gaste. »Und wie sah er ungefähr aus?« fragte ich. Es sei ein finsterer Mann gewesen, der wie ein Offizier ausgesehen und den man Oberst genannt habe, war die Antwort. Herr Mervyn soll scharf examiniert haben, mein Wirt aber, der Lunte gerochen haben will, beteuert mir, er habe von meinen Streifereien nichts verraten. »Sie werden mir zugeben, daß es unter solchen Umständen für mich das geratenste war, meine Zeche zu begleichen und das Feld zu räumen, wenn ich nicht meinen Wirt ins Vertrauen ziehen wollte, wozu ich aber gar keine Lust verspürte. Zudem kam mir zu Ohren, daß der ehemalige Herr Oberst im Begriff stehe, Schottland zu seinem künftigen Domizil zu erküren und die arme Julie mit sich dorthin zu nehmen. Von den Leuten, die sein Gepäck transportieren, habe ich gehört, daß er beabsichtige, auf einem Landsitze, Woodburne in der Grafschaft C ..., Winterquartiere zu beziehen. Ich vermute, daß er jetzt wohl auf der Hut sein wird, und lasse ihn deshalb in seine Verschanzung retirieren, ohne ihn vorderhand zu beunruhigen ... Dann aber, mein teurer Herr cidevant-Oberst, dem ich zu so großem Danke verpflichtet bin, dürften Sie Anlaß haben, sich auf Ihre Defensive zu rüsten. Fürwahr, mein lieber Delaserre, mir schwant zuweilen, als käme der Geist des Widerspruchs über mich, wenn mich der Eifer, mein Vorhaben auszuführen, übermannt. Mir schwant zuweilen, als sei es gescheiter, wenn ich diesen hochmütigen Herrn dazu zwänge, seine Tochter zur Frau Brown zu machen, gescheiter als wenn ich mich darauf vertröstete, sie einst mit seiner Einwilligung zu nehmen und mit Königs Erlaubnis, Titel, Wappen und Namen Mannerings weiter zu führen, auch wenn ich all sein Moos damit erhielte. Eins nur macht mir dabei Bedenken: Julie ist eine schwärmerische Natur und ist noch sehr jung, und es widerstrebt mir, sie zu einem Schritte zu treiben, den sie in reiferen Jahren vielleicht doch bereuen möchte. Ebensowenig möchte ich den Vorwurf auf mich laden, ihr Glück zertreten zu haben, und mich in die Gefahr setzen, solchen Vorwurf später einmal aus ihrem Munde zu hören; es wäre mir schrecklich, dann Worte zu hören, wie: »Ja, wäre mir Zeit geblieben, mich zu bedenken, mir die Sache zu überlegen, dann hätte ich wohl klüger und richtiger gehandelt!« Vorgekommen sein sollen solche Dinge im lieben Leben, und mögen Wohl täglich vorkommen ... Nein, Delaserre, so etwas soll nicht passieren, wenigstens mir nicht. Gerade dieser Umstand macht mir Sorge, weil mir recht gut bekannt ist, daß ein Mädchen in Juliens Situation von dem Opfer, das sie bringt, keine bestimmte und sichere Vorstellung hat. Erschwerende Umstände kennt sie doch eben nur dem Namen nach, und von Drangsalen des menschlichen Lebens hat sie gar keinen Begriff; wenn sie an Liebe und daran denkt, daß Raum für eine liebendes Paar in der kleinsten Hütte sei, so stellt sie sich unter einer solchen Hütte doch keine andere vor als eine in einem romantischen Lustparke eines hohen Herrn, der wenigstens über zwölftausend Pfund Revenuen zu verfügen hat, denn in andere Situationen sich hineinzudenken, ist für sie ganz ausgeschlossen. Sollte sie sich in einer ärmlichen Schweizerhütte einrichten müssen, von der wir so oft uns unterhalten, und all die Drangsale überstehen müssen, ehe wir solchen Nothafen erreichten, möchte bei ihr vielleicht bald in Erfüllung gehen, was ein anderer Dichter nicht minder schön gesagt, wenn auch einige Töne tiefer: daß Hunger wohl der beste Koch, aber auch das schärfste Gift für die Liebe sei. Kurz und gut: dieser Punkt will scharf überlegt sein. Juliens Schönheit und Zuneigung haben ja unstreitig auf mich einen ewig unauslöschlichen Eindruck gemacht, aber das muß für mich dabei feststehen, daß sie die Lebensvorteile, die sie um meinetwillen eventuell in die Schanze schlagen will, vollauf würdigt, oder würdigen lernt, ehe ich mich damit einverstanden erkläre, daß sie sie in die Schanze schlägt. »Meinen Sie, Delaserre, ich sei zu stolz, zu eingenommen von mir, wenn ich mich in dem Gedanken wiege, daß auch diese Prüfung meinen Wünschen genehm bestanden wird? ...wenn ich meine, daß die paar persönlichen Vorzüge, die ich besitze, im Bunde mit den beschränkten, um nicht zu sagen, dürftigen Mitteln, die mir für die Führung eines Haushalts zur Verfügung stehen, und mit dem Vorsatze, ihrem Glück mein Leben zu weihen, einem solchen Mädchen Entschädigung sein könnten für die großen Opfer, die sie mir bringen soll? Oder wird sie für die Wandlung, die dann in Garderobe, Bedienung, vornehmer Lebensführung, wie man die Möglichkeit, sein Domizil je nach Gefallen, je nach dem Unterhaltungsbedürfnis, das man fühlt, wechseln zu können, nun einmal nennt, oder zu nennen sich gewöhnt hat, ... wird sie für solche durchgreifende Wandlung all ihrer Lebensverhältnisse Ersatz, genügenden Ersatz finden in der Aussicht auf ein sogenanntes Glück? in der Zuversicht inniger Zuneigung? Von ihrem Vater spreche ich nicht: seine guten und schlimmen Eigenschaften stehen in einem so seltsamen Mischungsverhältnis, daß die ersteren von den letzteren sattsam aufgewogen werden, und was Julie als Tochter ungern vermissen möchte, ist mit jenem, was sie als Mädchen, als Weib so innig herbeisehnt, ebenfalls derart verschmolzen, daß mir vorkommen will, als sei die Trennung vom Vater ein Umstand, auf den hier wenig Gewicht gelegt werden kann. Immerhin bin ich guten Mutes, so weit es in solcher Lage möglich ist, ihn aufrecht zu erhalten. Ich habe des Ungemachs und der Beschwerden im Leben zuviel ertragen, als daß ich so verwegen sein könnte, voreilig auf glücklichen Erfolg zu rechnen, aber anderseits wieder zu häufig unverhoffte Hilfe gefunden, als daß ich ohne weiteres mutlos verzagen sollte. Ich wünschte, Sie könnten dieses Land, diese Gegend sehen! Sie würden, wie ich überzeugt bin, Freude an allem haben, was Ihr Auge hier sieht. Mich wenigstens erinnert die ganze Szenerie an die feurigen Schilderungen, die Sie mir von Ihrem Heimatlande entworfen haben. Freilich haben sie für mich auch den Reiz der Neuheit. Von den schottischen Bergen habe ich, obgleich mir gesagt worden, ich sei dort geboren, nur eine sehr unklare Vorstellung. Daß mein jugendliches Gemüt, wenn ich das Auge über die Ebenen von Neuseeland schweifen ließ, eine schreckliche Oede fühlte, dessen erinnere ich mich nur allzu deutlich; ich schließe aber daraus, daß ich solche Empfindung wohl kaum gehabt hätte, wenn mir nicht in meinem früheren Leben Hügel und Felsen vertraut gewesen wären und auf meine kindliche Phantasie nicht einen tiefen Eindruck gemacht und dort hinterlassen hätten. Mir steht noch deutlich vor Augen, wie ich den berühmten Gebirgspaß in Maisur zum ersten Male erstieg, und alle meine Begleiter über die Erhabenheit der Szenerie nur Ehrfurcht und Staunen empfanden, während ich mich, gleich Ihnen, lieber Freund, von einer Art Heimweh beim Anblick der wilden Felsen ergriffen fühlte. Ja, trotzdem ich in Holland meine Erziehung genossen, erscheint mir ein blauer Berg doch immer wie ein Freund, und jeder rauschende Bergstrom gemahnt mich an ein Ammenlied, das mich in Schlaf lullte. Nie haben mich diese Empfindungen so lebhaft ergriffen wie hierzulande, und mir geht nichts mehr zu Herzen, als daß Ihre Pflicht sie hindert, mich zu begleiten auf meinen Touren durch die herrlichen Täler und in die wilden Berge. Mit ein paar Skizzen habe ich es ja versucht, aber etwas Rechtes bringe ich nicht zu stande. Dudley dagegen zeichnet prächtig, so frisch und flott, als ob eine Zaubergewalt ihm die Hand führte. Ich kann mich noch sehr quälen, und mehr als eine Karikatur, als ein abscheuliches Zerrbild von Landschaft wird doch nie auf meinem Zeichenblatt erscheinen. Ich muß mich an meine Flöte halten, denn Musik ist die einzige Muse, die mich in der Wiege mit holdem Blicke angelacht hat. »Wissen Sie denn schon, daß der Oberst Mannering auch Zeichner ist? Wohl kaum, denn vor Untergebenen mit seinen Talenten zu paradieren, ist seine Sache bekanntlich nicht. Aber er zeichnet wirklich sehr nett. Nachdem er mit Julien Mervyn-Hall den Rücken gekehrt, ist Dudley dorthin zitiert worden, um für den Gutsherrn mehrere Skizzen zu vollenden, die Mannering, zufolge seiner schnellen Abreise, unvollendet lassen mußte. Aber vier davon hat er vollständig ausgearbeitet, auch jeder ein paar Verse beigefügt. Saul unter den Propheten? werden Sie unwillkürlich ausrufen. Oberst Mannering zeichnet und dichtet? Nun, fürwahr, dieser Mann muß sich ebensoviel Mühe gegeben haben, sein Licht unter den Scheffel zu stellen, wie andere, es recht leuchten zu lassen. Stolzer und ungeselliger als er, konnte doch kaum jemand sein! und eine größere Abneigung, sich an einer Unterhaltung zu beteiligen, die für die Allgemeinheit interessant zu werden versprach, auch niemand an den Tag legen ... Und nun gar erst seine Vorliebe für dieses Subjekt von Archer, einen Menschen, der doch so tief unter ihm stand! und weshalb? weil er Bruder vom Viscount Archerfield, einem verarmten schottischen Baron, war! ... Wäre dieser Archer nicht an den Blessuren draufgegangen, die er im Gefecht von Caddyboram erhalten, so hätte man vielleicht noch manches erfahren, was über die vielen Widersprüche im Charakter dieses seltsamen Menschen Licht gebracht hätte. Mehr denn einmal wenigstens hat er zu mir geäußert, daß er Dinge wisse, die meine harte Meinung über den Mann recht wohl zu ändern vermöchten ...aber der Tod kam zu schnell über ihn, und wenn er mir, mancherlei Reden nach, solche Genugtuung hat schaffen wollen, so hat ihn der Tod eben zu schnell abgerufen, als daß er es gekonnt hätte. »Ich beabsichtige, bei dem prächtigen Frostwetter noch eine Tour durch dieses schöne Gebirgsland zu machen. Dudley, der ein ebenso flotter Fußgänger ist, wie ich, macht die Tour ein Stück mit. An der Grenze von Cumberland trennen wir uns; Dudley geht nach London zurück, in das dritte Stock eines Hauses, wo er, seiner beliebten Redensart nach, »die rationelle und kommerzielle Seite seines Berufes ausübt.« Einen größeren Abstand als zwischen den beiden Naturen, die jeder Künstler haben muß, sagt er, wenn er nicht verhungern will, läßt sich unter allen Berufen des menschlichen Lebens nicht wieder auffinden. Im Sommer frei und ungebunden wie ein Indianer, genießt man mit vollen Zügen die großartige Schönheit der Natur, während man im Winter und Frühjahr zwischen seinen engen vier Pfählen hockt und dazu verurteilt, sich in die Schnurren und Grillen von Hohlköpfen zu finden, die aber in der Gesellschaft eine Rolle spielen und auf dem Geldsacke sitzen; diese größere Zeit des Jahres kommt sich jeder Künstler vor wie ein Galeerensklave. Ich habe ihm versprochen, Sie mit ihm bekannt zu machen, Delaserre; und bin der unverhohlenen Meinung, daß seine Kunstfertigkeit Sie ebenso erfreuen wird wie ihn die schwärmerische Begeisterung, mit der Sie an Ihrer Heimat, an Ihren Bergriesen und Wasserfällen, hängen. »Ich beabsichtige, wenn wir uns getrennt haben werden, eine Straße einzuschlagen, die, wie man mich berichtet, durch eine wilde Gegend im obern Teile von Cumberland nach Schottland führen soll. Ich will nämlich dem cidevant-Oberst, ehe ich seine Stellung rekognosziere, Zeit lassen, sein Lager aufzuschlagen. Und nun, Lebewohl, teurer Freund! Ich dürfte wohl kaum Gelegenheit finden, noch einmal an Sie zu schreiben, ehe ich Schottland erreiche.« Zweiundzwanzigstes Kapitel Wir treffen uns mit dem Leser an einem hellen, frostigen Novembermorgen wieder, auf einer offnen Heide, die zum Hintergrunde eine hohe Gebirgskette hat, aus der der Skiddaw und der Saddleback aufragen. Auf einem nur schwach kenntlichen Pfade, – denn er unterscheidet sich von dem dunklen Heideboden nur durch ein helleres Grün und ist eigentlich nur von weitem sichtbar, weil er dem Auge sozusagen gleich verschwindet, wenn ihn der Fuß betreten hat – bewegt sich die Person zu uns heran, mit der sich unsere Erzählung nunmehr zu befassen hat. Eine militärische Erscheinung ist es, mit aufrechter, kühner Haltung, festem Tritt und – von annähernd sechs Fuß Höhe, Größe und Gestalt stehen im wohltuenden Einklange. Aus der schlichten Tracht läßt sich auf keinen Rang schließen: es kann ebensogut ein vornehmer Herr sein, dem es gefällt, auf solche Weise eine Vergnügungstour zu machen, wie eine Person aus niederem Stande, die sich auf eine bescheidene Tracht beschränken muß. Sein Gepäck konnte kaum bescheidener, schlichter sein: ein kleines Bündel mit Leibwäsche über der Schulter, in der Hand einen eichenen Stock und in der Tasche einen Shakespeare-Band: das ist alles, was der Wanderer, den wir dem Leser vorstellen, an »Ausstattung« bei sich führt. Zeit der Handlung, in die wir nunmehr treten, ist jener Morgen, an welchem Brown sich von seinem Freunde Dudley verabschiedet und seine einsame »Tour« durch Schottland angetreten hat. Die erste Stunde legt er in etwas trübsinniger Stimmung zurück, hervorgerufen durch die Einbuße der ihm liebgewordenen Gesellschaft des Freundes, Trübsinn ist aber nicht seine Sache, und er streift ihn auch bald von sich, denn die gesunde Motion und kräftige Wirkung der Morgenluft verträgt sich nicht mit Trübsinn. Jedem Bauern, den er trifft, sagt er freundlich guten Tag oder macht einen Scherz mit ihm; »ein lustiger Patron! daß ihn Gott segnen möge!« klingt's aus jedem Munde, wenn er vorüber ist: jede Dirne guckt der athletischen Gestalt, die zu der freien, schlichten Rede des Fremdlings schön paßt, länger nach, als sich eigentlich schickt. Ein munterer Dachshund, der ständige Kamerad des Wanderers, und mit ihm an Frohsinn wetteifernd, rennt auf der Heide umher und springt, wenn er zurückkehrt, lustig an seinem Herrn in die Höhe, um ihm zu sagen, daß er sich über die Wanderung ebenso freue wie er. Unser großer Sittenprediger Johnson meint ja, daß nichts im Leben über die Lust ginge, schnell in einer Postchaise durch eine schöne Gegend zu fahren und alle Eindrücke gleichsam im Fluge in sich aufzunehmen; wer aber in der Jugend fröhlich gewandert ist, der wird dagegen meinen, daß sich auf solche Weise Wohl ein Geschmack recht bequem und leicht befriedigen lasse, daß aber keine Postfahrt dem Bereiter das prächtige Gefühl schaffen könne, das man mit dem Worte Wanderlust so richtig und glücklich bezeichnet. Was nun insbesondere Brown dazu bestimmt hat, seinen Weg durch die unwirtlichen Gegenden des östlichen Cumberland zu nehmen, ist im Grunde genommen nichts anderes gewesen als der Wunsch, die Ueberreste der berühmten römischen Mauer zu sehen, die sich besonders hier besser erhalten hat als irgendwo anders in England. Browns Erziehung ist keine gründliche gewesen, aber weder die Jahre, die er am Schreibpult gestanden, noch die Zerstreuungen in der Knabenzeit, noch der Geldmangel, unter dem sein Leben eigentlich von Beginn an zu leiden gehabt hat, sind ihm ein Hindernis gewesen, sich auf geistigem Boden zu bilden ...»Ha!« rief er begeistert aus, als er eine Höhe erklommen hatte und jene Ruinen aus dem grauen Altertum vor seinen Augen sich erstrecken sah, »das also ist die römische Mauer! Welch ein Volk müssen doch diese Römer gewesen sein, die selbst am äußersten Ende ihres Weltreiches Bauten ausgeführt haben von einer Größe und Dauerhaftigkeit, daß sie noch Jahrtausende später die Bewunderung der Menschen ernten! Wie wenige Spuren von Arbeiten eines Vauban und Coehorn werden noch vorhanden sein, wenn die Kriegskunst in andere Bahnen gelenkt ist? Aber die alten Römerbauten werden ihr faszinierendes Interesse auch dann noch besitzen! All ihre Bauwerke künden den ernsten, majestätsvollen Charakter ihrer Sprache, im Vergleiche mit welcher all unsere Bauten, all unsere Sprachen nur wie aus Bruchstücken zusammengeflickt erscheinen.« Nach diesem Ergusse geistiger Natur fühlte er menschliche Regungen und lenkte die Schritte nach einer kleinen Schenke am Wege in einem Talgrunde, der von einem Bächlein durchrieselt wurde. Neben dem Hause stand eine mächtige Esche, die Haus und Stall, eigentlich bloß eine Lehmhütte, beschattete. Dort stand ein Gaul, der eben beim Fressen war. Das Aeußere der Schranke sah nicht vielversprechend aus, trotzdem sein Schild einen Bierkrug zeigte, aus dem in einen drunter stehenden Humpen braunes Naß floß, während unter ihm Worte zu lesen oder vielmehr zu entziffern standen, die etwa heißen mochten: Hier wird für Bewirtung und Obdach aufs beste gesorgt. Aber Brown war nicht wählerisch, sondern trat in die Schenke. Was ihm zuerst in die Augen sprang, war die Gestalt eines in weiten Reitrock gehüllten kräftigen Landmannes, dem das im Stalle stehende Pferd gehörte. Er kaute an einigen derben Schnitten gekochten Rindfleischs, während er hin und wieder einen Blick durch das Fenster hinauswarf, um zu sehen, wie es seinem Gaule mundete. Neben seinem Teller stand ein großer Bierkrug, dem er von Zeit zu Zeit tüchtig zusprach. Die Wirtsfrau war mit Backen beschäftigt. Auf einem steinernen Herde, wie sie in dieser Gegend im Gebrauche, brannte Feuer, mitten auf einem Kamin von ungeheuerm Format, an welchem zwei Bänke angebracht waren. Auf der einen von ihnen saß eine Frau von ganz auffallender Leibesgröße, die in einen roten Mantel gehüllt war und eine gekrempte Haube auf dem Kopfe trug. Im übrigen sah sie ganz aus wie eine Kesselflickerin oder ein Bettelweib. Sie hatte eine kurze schwarze Tabakspfeife im Munde und rauchte tüchtig. Brown verlangte etwas zu essen. Die Wirtin wischte mit ihrer mehlbestreuten Schürze die einzige Tischdecke ab, stellte einen Holzteller hin, legte Messer und Gabel daneben und sagte, der Herr möchte es machen wie Herr Dinmont und sich das Fleisch munden lassen. Dabei zeigte sie mit dem Finger auf das Rindfleisch, von welchem sich genannter Herr Dimnont ein paar derbe Schnitten abgesäbelt hatte; dann füllte sie einen Humpen mit Hausbier und stellte ihn neben den Teller. Brown war kein Kostverächter und ließ sich nicht lange nötigen. Eine Weile lang war sein Nachbar noch zu sehr befaßt mit seiner leiblichen Stärkung, als daß er sich um ihn hätte bekümmern können; dann aber taute er doch so weit auf, daß er, wenn Brown zum Bierkruge griff, ihm freundlich zunickte. Als nun aber unser Wanderer sich dabei machte, dem kleinen Wasp, wie sein Hund hieß, eine Portion Fressen zu reichen, schien es dem schottischen Pächter, denn ein solcher war Herr Dinmont, doch nicht mehr gut möglich, seinen Nachbar ohne eine »Ansprache« zu lassen. »Ein netter Dachs, Herr,« begann er, »stellt auf der Jagd gewiß seinen Mann, vorausgesetzt natürlich, daß er dressiert ist; denn auf die Dressur kommt ja doch bei Hunden alles an.« »Allerdings, Herr,« erwiderte Brown, »leider ist es bei ihm in dieser Hinsicht ein wenig versehen worden. Was an meinem Hunde besonders zu schätzen ist, ist seine Eigenschaft, einen guten Gesellschafter abzugeben.« »So? Na, Herr – nehmen Sie es mir aber nicht weiter übel – das ist doch recht schade, Herr, denn an Dressur darf's eben nie fehlen, weder beim Menschen noch beim Tiere ...Ich habe ein halbes Dutzend Dachse zu Hause, und zwei Jagdhunde außerdem, auch noch fünf Windspiele und verschiedene andere Köter. Aber dressiert sind sie alle, erst auf Kaninchen, dann auf Wiesel, letzterhand auf Dachse und Füchse ...meine vierfüßigen Patrone fürchten sich jetzt vor keinem haarigen Bieste mehr.« »Ich glaub's Ihnen schon, daß Sie Ihre Menagerie gut dressiert haben,« erwiderte Brown lächelnd, »aber gibt's denn viel Wild hier?« »Viel Wild?« rief der Pächter, »na, Herr! daß es mehr Hasen in der Gegend gibt, als ich Schafe in meinen Ställen habe, dürfen Sie mir schon glauben; und was die Feld- und Haselhühner angeht, na, so kommen meine Tauben im Taubenschlage auch nicht mit. Aber haben Sie schon 'mal Birkwild gejagt, Herr?« »Nein, habe einen Birkhahn überhaupt noch nicht gesehen, außer einem ausgestopften im Keswicker Museum.« »Na, da haben wir's! Zu merken war's ja an der südlichen Redeweise ... aber daß es so wenig Leute drunten in England gibt, die Lust haben, sich 'mal bei uns einen Birkhahn anzusehen, das ist doch höchst sonderbar! Wissen Sie was? Sie scheinen mir ein recht braver Kerl zu sein, und wenn Sie 'mal bei mir mit vorkommen wollen, in Charleshope, bei Dandy Dinmont ... da sollen Sie nicht bloß einen Birkhahn sehen, sondern auch einen schießen und essen; Herr!« »Nun, das letztere müßte wohl die Hauptsache dabei sein, Herr. Wenn ich 'mal Zeit übrig habe, dann werde ich an Ihre Einladung denken, Herr.« »Wenn Sie Zeit 'mal haben werden? Was soll das heißen, Herr? Sie können ja doch gleich mitkommen, Herr. Wie reisen Sie eigentlich?« »Ich? Zu Fuß, Herr; und wenn der schmucke Gaul im Stalle Ihnen gehört, Herr, dann möchte es für mich wohl nicht eben leicht sein, Schritt mit Ihnen zu halten.« »Das wohl, Sie müßten denn sieben Stunden in einer laufen können ... Aber vor Nacht können Sie noch bis Riccarton kommen und im dortigen Wirtshause Einkehr halten; oder wenn es Ihnen beim Jockey Grieve auf der Heide lieber sein sollte, auch dort, denn der würde Sie sicher gern aufnehmen; ich reite ohnehin bei ihm vorbei und kippe einen bei ihm: da kann ich's ihm ja gleich sagen, daß er auf Sie rechnen solle ... Aber halt, Weib!« wendete er sich an die Wirtin, »wie wär's denn mit Ihrem Gaule? Den könnten Sie doch dem Herrn borgen?« Aber der Wirtsgaul war auf die Weide gelassen worden, und bis man ihn eingefangen hätte, wäre mehr Zeit verloren gegangen, als Herr Dinmont hätte warten wollen ... drum sagte er: »Na, da müssen wir uns eben drein sitzen, Herr! Aber vergessen Sie nicht, morgen bei mir mit vorzukommen; und nun, Frau Wirtin, schnell meine Zeche! Ich muß wacker zureiten, damit ich vor Einbruch der Dunkelheit noch an der Furt bin, denn Ihr wißt doch, bei Euch auf der Heide ist's nicht ganz geheuer.« »Aber, Herr Dinmont! Was fällt Ihnen denn ein? Wie können Sie denn unsere Heide in solchen Mißkredit setzen,« erwiderte die Wirtin, »seit Sawney Culloch vor zwei Jahren in Carlisle gehenkt worden, zusammen mit Rowley Overdees und Jack Penny, ist kein Mensch mehr in unsrer Heide belästigt worden. Wem möchte es in ganz Newcastle einfallen, so etwas zu tun? Wir sind ehrliches Volk hier.« »Na, Wirtin, so lange der Teufel blind ist, mögt Ihr recht haben; aber meines Wissens sieht er noch recht gut! Ich bin fast überall in Galloway und Dumfriesshire, auch in Carlisle und zu Stoneshire auf dem Markte gewesen und hab verteufelt wenig Lust, wieder so nahe zu Hause noch ausgeplündert zu werden; deshalb ist's schon gescheiter, ich mache mich beizeiten auf den Trab.« »So? In Dumfries und Galloway seid Ihr gewesen?« fragte die alte große Frau, die bisher, ohne sich mit einem Worte in die Unterhaltung zu mischen, am Kamine auf der Bank gesessen und ihre Pfeife geraucht hatte. »Allerdings, Frau, und müde genug bin ich von der Tour geworden.« »Dann kennen Sie wohl auch einen Ort mit Namen Ellangowan?« fragte die Alte. »Ellangowan? Das war doch das Bertramsche Familiengut? ... O ja, den Ort kenne ich ganz gut. Ist doch der alte Laird vor etwa vierzehn Tagen gestorben. Hab wenigstens so gehört.« »Gestorben? Laird Bertram?« fragte die Alte und ließ ihre Stummelpfeife vor Schreck zur Erde fallen – dann stand sie auf und trat vom Kamine hinweg ...»Gestorben?« wiederholte sie, »der Laird? Wißt Ihr das bestimmt?« »Ganz bestimmt,« erwiderte Dinmont, »ist doch in der ganzen Grafschaft des Redens davon kein Ende gewesen! Der Sensenmann holte ihn gerade an dem Vormittag, als sein Gut versteigert werden sollte. Infolgedessen wurde die Versteigerung ausgesetzt, und viele Leute hatten den Weg dorthin umsonst gemacht ...Es ging auch die Rede, er sei der letzte des alten Geschlechts, und wohl keinen hat's gegeben, der ihn nicht von Herzen beklagt hätte ...aber was ist dagegen zu machen? Das adelige Blut wird nun einmal in Schottland von Jahr zu Jahr spärlicher.« »Gestorben!« wiederholte die Alte, in welche der Leser wohl schon die alte Bekannte von ihm, mit Namen Meg Merrilies, wiedererkannt haben dürfte ...»Gestorben! Na, das gleicht vieles aus ... Und ohne Erben, sagt Ihr, sei er gestorben?« »Jawohl, Frau,« sagte der Pächter, »und ebendeshalb ist ja doch das Gut und alle Habe unter den Hammer gekommen! Wäre ein Erbe dagewesen, hieß es, so hätt's zu keiner Versteigerung kommen können.« »Versteigert!« rief die Zigeunerin in einem Tone, der sich fast wie ein unartikulierter Schrei anhörte, »wer hat's gewagt, auf Ellangowan zu bieten, der nicht von Bertrams Blute war? ...und wer hat sagen können, daß der schmucke Junker nicht zurückkäme, sein Erbe in Anspruch zu nehmen? ...Wer hat's gewagt, Gut und Schloß Ellangowan an sich zu bringen?« »Ich glaube, Frau, es ist einer von dem Schreibervolk, Glossin mit Namen, glaub' ich.« »Glossin? Gibbin Glossin? Daß mich doch gleich ...! den Wicht hab' ich ja, weiß der Teufel wieviel mal im Korbe getragen, war doch seine Mutter kein Haar vornehmer als ich! Dieser Wicht wagt die Baronie Ellangowan zu kaufen? ... Jesus! ist das eine Welt geworden! viel Gutes hab ich dem Wicht ja nie gewünscht, aber solches Unglück doch, weiß Gott! auch nicht! Der bloße Gedanke verursacht mir Herzspannen!« – Sie schwieg eine Weile, wehrte aber dem Pächter, als er gehen wollte, mit der Hand, da er ihr bei jedem Absatz, den sie in ihrer Rede machte, den Rücken drehte, aber jedesmal wieder gutmütig stehen blieb, wenn er sah, welch regen Anteil sie an seinen Antworten nahm. »Da wird man ja bald weiteres hören und sehen, denn Erd und Meer werden ja nicht länger Ruh und Frieden halten ...Wißt Ihr, ob derselbe Mann noch Sheriff in der Grafschaft ist, der es vor einigen Jahren war?« »Nein, der soll nach Edinburg versetzt worden sein ...aber, meiner Sixen, Frau, jetzt muß ich weg.« Sie folgte ihm zu seinem Pferde, und während er dasselbe sattelte, bestürmte sie ihn in einemfort mit Fragen über den Tod des Laird Bertram und das Schicksal von seiner Tochter, worüber sie aber von dem ehrlichen Manne nicht viel erfahren konnte. »Habt Ihr 'mal einen Ort gesehen, Derncleugh mit Namen, ein knappes halbes Stündchen von Ellangowan?« »O ja, Frau, aber das Nest sieht schlimm aus, alle Hütten sind verfallen, auf keiner mehr sitzt das Dach; ich war mit einem dort, der hindurchritt, um sich den Grund und Boden anzusehen, weil er die Absicht hatte, sich dort anzukaufen.« »Es war einmal eine trauliche Stätte,« sprach die alte Frau vor sich hin, »aber das ist geraume Zeit her ... Habt Ihr vielleicht eine alte Weide dort gesehen, so gut wie umgebrochen, aber noch im Erdreiche wurzelnd und grüne Zweige treibend ... dort hab ich manchen Tag gesessen und gestrickt.« »Mit der alten Frau scheint's nicht richtig zu sein, denn sonst schwatzte sie wohl nicht in einem weg von Weidenbäumen und von Ellangowans .. Na, Frau, jetzt muß ich aber fort, Gott befohlen! Da habt Ihr ein paar Pence, kauft Euch ein halbes Maß Hausbier, aber befaßt Euch nicht soviel mit alten Geschichten, das tut nie gut!« »Schönen Dank, mein Herr! Nun will ich Euch auch einen guten Rat geben, da Ihr mir auf all meine Fragen so bereitwillig geantwortet habt. Aber Ihr dürft nicht fragen, warum ich Euch den Rat gebe. Die Mumps wird gleich wieder da sein, die Tib, die Wirtin, meine ich, und die wird Euch fragen, ob Ihr Euren Weg über die Willies-Heide oder über das Conscowthart-Moor nehmen wollt .. sagt Ihr, was Ihr wollt; bloß nehmt Euch in acht« – setzte sie hinzu, die Stimme senkend, »daß Ihr den Weg nicht reitet, den Ihr ihr sagt.« Der Pächter mußte lächeln, sagte aber, daß er ihren Rat nicht unbeachtet lassen wolle. Während die Zigeunerin beiseite trat, fragte Brown, der dem Gespräch aufmerksam zugehört hatte, ob er sich wirklich nach dem Rate zu richten gedenke ... »Weiter fehlte nichts!« antwortete der Pächter, hell auflachend, »dazu ist mir die alte Hexe denn doch zu schmutzig! Nein, da redete ich doch noch lieber mit der Tib Mumps als mit ihr .. wiewohl ihr auch nicht über den Weg zu trauen ist, und wenn Ihr meinem Rate folgen wollt, dann bleibt in dem Hause hier nicht über Nacht!« Im andern Augenblick erschien die Wirtin mit dem Abschiedskruge, dem eifrig zugesprochen wurde. Sie fragte, wie die Meg gesagt, ob der Pächter über die Höhe oder durchs Moor reiten wolle; er sagte, durchs Moor, grüßte Brown aufs freundlichste, sagte nochmals, daß er drauf rechne, ihn spätestens morgen in Charlieshope zu sehen, und ritt dann im schnellsten Trabe von dannen. Dreiundzwanzigstes Kapitel Brown zahlte kurz darauf gleichfalls seine Zeche, denn er war willens, dem Rate des Pächters gemäß zu handeln. Ehe er aber den Fuß aus der Stube setzte, konnte er nicht umhin, die Zigeunerin nochmals zu mustern: sie war wirklich dieselbe Hexe, die wir vor so vielen Jahren zum ersten Male in Ellangowan getroffen. Freilich hatte die Zeit ihre Rabenlocken grau gefärbt und ihrem wilden Gesicht die Runzeln nicht erspart; aber die hohe Gestalt hatte sie noch immer, wie damals, und an Elastizität hatte sie auch noch nichts eingebüßt. Sie stand am Fenster, mit leicht rückwärts geneigtem Kopfe, so daß die große Haube, die sie trug, ihre Augen nicht behindern konnte, den Wanderer genau zu betrachten. Es war, wie wenn sie durch jede Gebärde, die er machte, durch jeden Klang seiner Stimme auf das tiefste ergriffen würde. Aber auch er war nicht weniger seltsam berührt von der Wahrnehmung, daß er den Blick gleichfalls nicht ohne eine seltsame Erschütterung aus diese alte Frau richten konnte ... »Ist mir dieses Weib im Traum erschienen, oder ruft es mir Gestalten in die Erinnerung, die ich in den Pagoden Indiens gesehen?« So sprach er bei sich selbst; und während die Wirtin das zum Herausgeben auf die ihr von Brown gereichte Guinee notwendige Silbergeld zusammensuchte, sah er plötzlich, daß die Zigeunerin auf ihn zutrat, und fühlte, wie sie ihn bei der Hand nahm. Er war keiner anderen Meinung, als daß sie ihm werde wahrsagen wollen, indessen schienen es andere Gefühle zu sein, die sie jetzt beschäftigten. »Sagen Sie mir, junger Herr, um Gottes willen sagen Sie mir, wie Sie heißen und woher Sie kommen.« »Ich heiße Brown, liebe Mutter, und komme direkt aus Ostindien.« »Aus Ostindien!« wiederholte sie, dann ließ sie seufzend seine Hand fallen ...»so kann es nicht sein! Nein, dann kann es nicht sein! Aber ich bin nun einmal solche Närrin geworden, daß mir alles, was ich sehe, als dasjenige vorkommt, was ich gern sehen möchte. Aber Ostindien! Nein, nein, dann kann's nicht der Fall sein! Nun, seien Sie, wer sie wollen, junger Herr, aber Sie haben ein Gesicht und eine Stimme, die meinen Geist in alte Zeiten zurückversetzt ...Gott befohlen, junger Herr! Beeilen Sie Ihre Weiterreise; und sollten Sie ja einmal Leuten von unserer Rasse begegnen, dann mischen Sie sich in nichts, was sich Ihren Augen zeigt, und Sie werden unbehelligt bleiben.« Brown hatte mittlerweile sein einzelnes Geld bekommen und drückte der Zigeunerin einen Schilling in die Hand; dann sagte er der Wirtin guten Tag und schlug denselben Weg ein, wie der Pächter, und schritt rüstig vorwärts, den frischen Hufspuren entlang, die das Roß des andern ins Erdreich gedrückt. Meg Merrilies sah ihm eine Zeitlang nach; dann murmelte sie vor sich hin: »Ich muß den Burschen wiedersehen – und kann auch nach Ellangowan zurückgehen. Der Laird ist tot, wohlan! Tod begleicht Schulden – und einstens war er ja auch ein freundlicher Mann. – Der Sheriff ist versetzt; also kann ich mich wieder dort aufhalten – ohne zu riskieren, daß ich wieder eingesperrt werde. – Ja, das schöne Ellangowan muß ich noch einmal sehen, eh' ich sterbe.« Brown schritt inzwischen gen Norden über die Moorgegend, die als die wüste Heide von Cumberland bekannt ist. Der Weg führte ihn an einem einsamen Haus vorüber, wohin auch, nach den Fußstapfen des Rosses zu schließen, der Reiter sich begeben zu haben schien. Ein Stück weiter schien er wieder auf die Landstraße zurückgekehrt zu sein. »Mir wär' es schon recht,« dachte Brown, »der Pächter hätte hier auf mich gewartet, daß ich ihm einige Fragen über den Weg vorlegen könnte, der mit jedem Schritte wilder zu werden scheint.« Wirklich hatte die Natur, gleich als hätte sie diesen Landstrich zum Grenzwall zwischen zwei feindlichen Völkern machen wollen, demselben einen wilden, öden Charakter gegeben. Die Hügel sind hier weder hoch noch felsig, sondern das Land besteht nur aus Heide und Sumpf; und Wohnstätten, ärmlich und elend, finden sich nur in weiten Zwischenräumen. In ihrer unmittelbaren Nähe zeigt sich im allgemeinen etwas Anbau; aber einige halbausgewachsene, an den Hinterfüßen zusammengebundene Füllen lassen erkennen, daß hier der Hauptnahrungszweig die Pferdezucht ist. Die Leute sind von roherm Schlage, als sonst in Cumberland, was zumeist wohl von ihrer Vermischung mit Landstreichern und Verbrechern herrühren mag, die in dieser wilden Gegend Zuflucht vor der Gerechtigkeit suchen. Brown hatte von ihrer Unsicherheit wohl mancherlei schon gehört, und sein Argwohn war nach dem Gespräche zwischen der Wirtin, Dinmont und der Zigeunerin durchaus nicht geschwunden; aber er war von Natur furchtlosen Gemüts, hatte nichts bei sich, was einen Räuber locken konnte, und hoffte zudem, noch vor Einbruch der Nacht durch die Heide zu kommen. Hierin aber sollte er sich getäuscht sehen. Der Weg zog sich über Erwarten in die Länge; und der Horizont begann sich zu verfinstern, gerade als Brown ein ausgedehntes Stück Moorland betrat. Der Weg führte nun auf einem Pfade hin, der bald zwischen zwei Wänden von lockerer Moorerde hinlief, bald durch schmale, aber tiefe Gräben gekreuzt wurde, die mit Schlamm und Wasser gefüllt waren; ebenso bildeten Haufen von Sand und Steinen, die von Quellen und Gießbächen, die von den muß den Burschen wiedersehen – und kann auch nach Ellangowan zurückgehen. Der Laird ist tot, wohlan! Tod begleicht Schulden – und einstens war er ja auch ein freundlicher Mann. – Der Sheriff ist versetzt; also kann ich mich wieder dort aufhalten – ohne zu riskieren, daß ich wieder eingesperrt werde. – Ja, das schöne Ellangowan muß ich noch einmal sehen, eh' ich sterbe.« Brown schritt inzwischen gen Norden über die Moorgegend, die als die wüste Heide von Cumberland bekannt ist. Der Weg führte ihn an einem einsamen Haus vorüber, wohin auch, nach den Fußstapfen des Rosses zu schließen, der Reiter sich begeben zu haben schien. Ein Stück weiter schien er wieder auf die Landstraße zurückgekehrt zu sein. »Mir wär' es schon recht,« dachte Brown, »der Pächter hätte hier auf mich gewartet, daß ich ihm einige Fragen über den Weg vorlegen könnte, der mit jedem Schritte wilder zu werden scheint.« Wirklich hatte die Natur, gleich als hätte sie diesen Landstrich zum Grenzwall zwischen zwei feindlichen Völkern machen wollen, demselben einen wilden, öden Charakter gegeben. Die Hügel sind hier weder hoch noch felsig, sondern das Land besteht nur aus Heide und Sumpf; und Wohnstätten, ärmlich und elend, finden sich nur in weiten Zwischenräumen. In ihrer unmittelbaren Nähe zeigt sich im allgemeinen etwas Anbau; aber einige halbausgewachsene, an den Hinterfüßen zusammengebundene Füllen lassen erkennen, daß hier der Hauptnahrungszweig die Pferdezucht ist. Die Leute sind von roherm Schlage, als sonst in Cumberland, was zumeist wohl von ihrer Vermischung mit Landstreichern und Verbrechern herrühren mag, die in dieser wilden Gegend Zuflucht vor der Gerechtigkeit suchen. Brown hatte von ihrer Unsicherheit wohl mancherlei schon gehört, und sein Argwohn war nach dem Gespräche zwischen der Wirtin, Dinmont und der Zigeunerin durchaus nicht geschwunden; aber er war von Natur furchtlosen Gemüts, hatte nichts bei sich, was einen Räuber locken konnte, und hoffte zudem, noch vor Einbruch der Nacht durch die Heide zu kommen. Hierin aber sollte er sich getäuscht sehen. Der Weg zog sich über Erwarten in die Länge; und der Horizont begann sich zu verfinstern, gerade als Brown ein ausgedehntes Stück Moorland betrat. Der Weg führte nun auf einem Pfade hin, der bald zwischen zwei Wänden von lockerer Moorerde hinlief, bald durch schmale, aber tiefe Gräben gekreuzt wurde, die mit Schlamm und Wasser gefüllt waren; ebenso bildeten Haufen von Sand und Steinen, die von Quellen und Gießbächen, die von den »Hoffentlich nicht gefährlich verwundet, Herr?« »O, hat nicht viel auf sich – mein Kopf verträgt schon einen Puff – obwohl ich den Schuften nicht dafür danke, wohl aber Ihnen für Ihren Beistand. Doch nun, Landsmann, helfen Sie mir mein Pferd fangen: dann setzen Sie sich hinter mich, denn wir müssen flott darauf los reiten, wenn wir nicht die ganze Zigeunerbande auf den Hals bekommen wollen: weit wird die Sippschaft wohl nicht sein.« Der Klepper ließ sich zum Glück leicht fangen; Brown suchte aber geltend zu machen, daß er die Last nicht tragen möchte. »Hat gar nichts auf sich, Herr,« antwortete der Pächter, »Dumple könnte sechs Mann tragen, wäre sein Rücken nur lang genug – aber um des Himmels willen schnell aufgestiegen! denn ich sehe dort Volk über die Heide gerannt kommen, das wir besser nicht erst abwarten.« Brown sah jetzt auch ein halbes Dutzend Kerle quer über das Moorland rennen, mit denen die anderen Gemeinschaft zu haben, schienen, und dieser Umstand mußte alle Rücksichten aufheben. Er stieg hinter Dinmont auf, und das kleine mutige Tier flog mit den beiden großen Männern auf dem Rücken einher, als wären es sechsjährige Kinder gewesen. Der Pächter, dem die Pfade dieser Wildnis genau bekannt schienen, suchte, unterstützt von dem Instinkte seines Kleppers, der nie verfehlte, die schwierigen Stellen immer genau an dem Flecke und auf die Weise zu überschreiten, wo und wie sie am sichersten zu passieren waren – mit scharfem Blick die sichersten Wege, konnte jedoch trotz aller Vorsicht nicht verhindern, daß sie manchmal die Richtung verloren ... »Wenn wir nun erst Withershins Bruch hinter uns haben,« sagte der unerschrockene Mann zu seinem Gefährten, »dann wird die Straße besser, und wir werden den Kerlen schnell aus dem Gesichte sein.« Withershins Bruch war ein schmaler Kanal, in welchem Schlammwasser träge sickerte, das mit grünen Sumpfpflanzen überdeckt war. Dinmont lenkte sein Pferd nach einer Uebergangsstelle, wo das Wasser auf härterm Boden rascher zu fließen schien; aber Dumple stutzte, senkte den Kopf, wie wenn er den Sumpf genauer in Augenschein nähme, stemmte die Vorderfüße fest vor sich und stand so unbeweglich wie ein steinernes Bild. »Täten wir nicht besser,« sagte Brown, »wenn wir abstiegen und das Pferd seinem Schicksal überließen? Zwingen wird es sich kaum lassen.« »Nein, nein,« entgegnete der Landmann, »meinem Dumple zuwiderhandeln, das gibt's nicht – er hat bessern Verstand als mancher Christenmensch.« Dann wandte er sich zu dem Pferde: »Nun, wohlan, Dumple, such' Dir den Weg selber aus – zeig uns, wo Du hinüber willst.« Dabei liebkoste er sein Tier mit dem Zügel ... . Dumple trabte nun rasch nach einer andern Stelle des Sumpfes, die Brown viel ungünstiger vorkam: Scharfsinn oder Instinkt hatten das Tier aber sicher geführt; es stieg in den Bruch hinein und erreichte ohne Schwierigkeit die entgegengesetzte Uferseite. »Ich bin froh, daß wir aus dem Moorgrunde sind,« sagte Dinmont; »denn da gibt's mehr Ställe für Pferde als Absteigequartiere für Menschen – wir kommen nun auf den Jungfernweg, wo es besser gehen wird.« Schnell erreichten sie nun eine holprige Heerstraße, den letzten Rest einer alten römischen Straße, die diese Wildnis genau in nördlicher Richtung durchschneidet. Hier legten sie in einer Stunde über zwei Meilen zurück, denn Dumple verlangte keine andere Rast, als notwendig war, seinen Paß mit Trab zu vertauschen. Brown meinte, da man nun weit aus dem Bereiche der Schurken sei, wäre es doch wohl geraten, wenn sich der Pächter ein Tuch um den Kopf bände, die Frostluft könnte doch nachteilig auf die Wunde wirken. »Was sollte das nützen?« versetzte der abgehärtete Mann; »am besten ist's, man läßt das Blut auf der Backe gerinnen, – das spart Pflaster, Landsmann. Uebrigens sind wir binnen fünf Minuten in Schottland, und sie kommen nun mit bis Carlieshope; davon geh ich nicht ab. Brown nahm bereitwillig das Anerbieten an. Bei einbrechender Nacht sahen sie einen breiten Fluß, der sich durch eine grüne Landschaft wand. Die Gegend verlor ihren wilden Charakter, und grasige Abhänge senkten sich zu dem Flußufer nieder. Ein einsames, anmutiges Landschaftsbild: keine Einfriedigungen, keine Straßen, wenig Ackerland – so recht eine Gegend, wie ein Patriarch sie zur Weide für seine Herden gewählt haben würde, Hie und da ein verfallener Turm, als Wahrzeichen dafür, daß das Land einst andere Menschen beherbergt hatte als jetzt, Freibeuter nämlich, die in den Kriegen zwischen England und Schottland ihr Wesen trieben. Der Klepper fand wieder die Furt über den Fluß und trabte dann mit schnellerem Schritte etwa eine halbe Stunde am Ufer hin, bis er sich einigen niedern, strohgedeckten Häusern näherte, die mit ihren Ecken so gegeneinander standen, als wollten sie aller Symmetrie Hohn sprechen. Dies waren die Wirtschaftsgebäude von Charlieshope. Mit wütendem Gebell begrüßte die Angekommenen die ganze Hundesippschaft; des Pächters wohlbekannte laute Stimme stellte aber bald Ruhe und Ordnung her; die Schafmelkerin, die eben von ihrer Arbeit kam, öffnete die Pforte, und als sie dieselbe wieder verschlossen hatte, flog sie ins Haus mit dem Rufe: Frau! Frau! der Herr ist da, und noch ein Mann mit ihm.« Der Rappe suchte von selbst seinen Stall, als die Reiter abgestiegen waren, und das frohe Gewieher, womit er sich ankündigte, ward alsbald von seinen Bekannten im Stalle beantwortet. Brown hatte indes Mühe genug, den armen Wasp gegen die Hofhunde zu schützen, die nicht so gastfreundlich wie ihr Herr, große Lust hatten, den eingedrungenen Fremdling zu mißhandeln. Die Hausfrau, ein freundliches, flinkes Weibchen, erschien alsbald und bewillkommte ihren Mann mit herzlicher Freude... »Ei, ei! Väterchen, wie lange Du geblieben bist!« »Es ist ein Wetterweib,« sprach Andrew Dinmont, sich freundlich und mit einem liebevollen Blicke aus ihren Armen lösend. »Liese, siehst Du denn nicht den fremden Herrn?« Die Hausfrau sah sich um, ihre Entschuldigung zu machen... »Ich war so froh, meinen Mann zu sehen, daß – Aber, gütiger Gott! was ist mit Euch beiden vorgegangen?« setzte sie erschrocken hinzu, als sie mit den Männern in die Stube trat und bei dem Scheine der Lampe Dinmonts Wunden und seines Gefährten blutbefleckte Kleider sah ... »Du hast gewiß wieder mit den Pferdehändlern gerauft, Andrew. O Väterchen! Aber ein Ehemann, und ein Mann, der so viele liebe Kinder hat wie Du, sollte besser bedenken, was eines Vaters Leben wert ist ...« Und die Tränen standen der guten Frau in den Augen, als sie diese Worte sprach. »Still, still, Mütterchen!« erwiderte der Mann mit einem herzlichen Schmatze. »Was bedeutet's denn! Der Herr hier kann Dir sagen, wie's gekommen ist. Ich hatte in der Schenke ein Glas Schnaps getrunken, und ritt wieder ins Moor, da sprangen zwei Landstreicher aus einem Torfgraben auf mich zu und schlugen mich nieder; und, beim Himmel, Mutter, wäre dieser ehrliche Mann nicht dazu gekommen, sie hätten mich noch schlimmer zugerichtet und mir wohl mehr Geld genommen, als ich entbehren könnte. Nächst Gott, hast Du's ihm zu danken.« Mit diesen Worten zog er aus der Seitentasche eine große lederne Brieftasche, die er seiner Frau aufzubewahren gab. »Gott segne den Herrn! Ja, das sag' ich vom Herzen. Aber wie können wir es ihm anders danken, als daß wir ihm Herberge und Nahrung geben, was wir auch dem Aermsten nicht versagen; es wäre denn,« – setzte sie hinzu, einen Blick auf die Brieftasche werfend, aber mit einem Benehmen bei diesem Winke, welches das feinste Zartgefühl verriet – »es wäre denn, daß wir auf eine andere Art ...« Brown wußte diesen Ausdruck einer gutmütigen Einfalt und dankbaren Gesinnung, der so unbefangen und zart war, gebührend zu würdigen; aber da er wohl merkte, daß sein Aeußeres, sein zerrissener, blutiger Anzug ihn zu einem Gegenstande des Mitleids zu machen schienen, so zögerte er nicht, zu sagen, daß er Brown heiße, Rittmeister in dem X'schen Dragoner-Regiment sei und, sowohl zu seinem Vergnügen, als aus Sparsamkeit, zu Fuß reise. Darauf erinnerte die freundliche Wirtin, es werde nötig sein, nach ihres Mannes Wunden zu sehen, die dieser von ihm nicht habe untersuchen lassen wollen. Frau Dinmont, die eher daran gewöhnt war, ihren Mann verwundet heimkommen zu sehen, als einen Dragoner-Rittmeister zu bewirten, blickte auf das nicht ganz reine Tischtuch und dachte ein paar Augenblicke an das Abendessen.. Endlich schlug sie ihren Mann auf die Schulter und hieß ihn sich niedersetzen. Er wäre ein Hartkopf, sagte sie, der immer sich und andere in Schlägereien brächte. Dinmont machte erst ein paar Luftsprünge und spottete über die Aengstlichkeit seiner Frau, ehe er sich endlich niedersetzte, um seinen runden, schwarzen, dichtbehaarten Kopf von ihr untersuchen zu lassen. Sie zeigte sich ziemlich sachkundig; denn sie schnitt die blutigen Haare ab, bedeckte die Wunden mit einer Salbe, die man im ganzen Tale für das wirksamste Heilmittel hielt, legte sorgfältig einen Verband darüber, und wie auch der Mann sich sträuben mochte, zog sie ihm eine reinliche Nachtmütze über den Kopf, damit alles gehörig in seiner Lage bliebe. Einige leichte Quetschungen an der Stirn und der Schulter wurden mit Branntwein gewaschen, was der Verwundete nicht eher zuließ, bis die liebe Wundärztin seinen Lippen einen schweren Zoll entrichtet hatte. Als sie fertig war, bot sie auch dem Gaste ihren Beistand an. Brown versicherte, daß er desselben nicht bedürfe, und bat bloß um Waschbecken und Handtuch. »Daran hätte ich schon eher denken sollen,« antwortete sie. »Ich habe auch daran gedacht, aber ich durfte die Tür nicht aufmachen; die Kinder sind draußen, die armen Dinger, sie wollen den Vater gern sehen.« Ein lautes Trommeln und Weinen vor der Tür der kleinen Wohnstube, welche die Mutter sogleich verriegelt hatte, als es laut geworden war, wurde dem Gaste durch diese Worte erklärt. Kaum aber hatte sie die Tür geöffnet, um Waschbecken und Handtuch zu holen, als eine Flut flachsköpfiger Kinder hereinströmte. Einige kamen aus dem Stalle, wo sie den Rappen mit einem Teile ihres Vesperbrotes bewillkommt hatten, andere aus der Küche, wo die alte Hanne Märchen erzählte und Lieder sang; das jüngste war halbnackt aus dem Bette gesprungen, und alle kamen gelaufen, Väterchen zu sehen, und zu hören, was er ihnen mitbrächte von den Jahrmärkten, die er besucht hatte. Der Vater küßte sie alle nach der Reihe, und dann teilte er Pfeifchen, Trompeten und Pfefferkuchen aus; und als endlich der frohe Lärm der Kinder und die Freude des Willkommens zu laut wurde, rief er dem Gaste zu: »Daran ist die Mutter schuld, Herr Rittmeister; sie laßt dem jungen Volke zuviel Willen.« »Lieber Himmel!« sprach Liese, als sie in diesem Augenblicke mit Waschbecken und Handtuch wieder hereintrat, »was kann ich dafür! Ich kann ihnen ja nichts anders geben, den armen Dingern!« Dinmont setzte darauf sein persönliches Ansehen in Geltung und teils schmeichelnd, teils drohend und hinausschiebend, säuberte er die Stube von der wilden Schar; nur ein Knabe und ein Mädchen, die beiden ältesten, wurden geduldet, weil sie, wie der Vater sagte, sich schon manierlich zu benehmen verständen. Aus gleichen Gründen, aber mit weniger Umständen, wurden sämtliche Hunde vertrieben, ausgenommen die ehrwürdigen Patriarchen, der alte »Pfeffer« und der alte »Senf«, die durch mancherlei Züchtigung schließlich so weit gebracht wurden, daß sie dem kleinen Wasp, der bis jetzt unter dem Stuhle seines Herrn Zuflucht gesucht, nach gegenseitigen Auseinandersetzungen, die sie durch bescheidenes Knurren äußerten, ein altes Widderfell mit ihnen zu teilen erlaubten. Die sorgsame Hausfrau hatte indes dem geehrten Gaste ein paar junge Hühner geopfert, die aus Mangel an Zeit nur auf dem Roste gebraten wurden. Ein mächtiges Stück Rindfleisch, Eier, Butter und Gerstenmehl-Kuchen in Fülle, und vortreffliches Bier vom Hausgebräu nebst einer Flasche mit Branntwein gaben ein stattliches Mahl. Schwerlich würde ein Kriegsmann, nach hartem Tagewerk und einem Gefechte obendrein, gegen ein solches Mahl etwas auszusetzen gehabt haben, und auch Brown ließ es sich schmecken. Während die Hausfrau teils half, teils anwies, nahm eine rüstige Magd, deren Wangen beinahe so rot wie ihr Haarwulst waren, das Gedeck hinweg und brachte Zucker und heißes Wasser, das sie über dem Verlangen, einen Rittmeister recht anzusehen, fast vergessen hätte. Brown benutzte diese Pause zu der Frage an seinen Wirt, ob er es nicht bereute, den Wink der Zigeunerin vernachlässigt zu haben. »Je nun, wer weiß, ob's mir was geholfen hätte,« antwortete Dinmont, »Es ist ein Teufelsvolk. Vielleicht wär ich der einen Bande entgangen, und unter die andere geraten. Doch ich will das gerade nicht behaupten, und wenn das Weib nach Charlieshope käme, sollte sie doch eine Flasche Branntwein und ein Pfund Tabak für den ganzen Winter haben. Ja, es ist ein Teufelsvolk, wie mein alter Vater zu sagen pflegte, das eben sein Gutes und sein Böses hat, aber sie sind schlimm, wenn man schlimm mit ihnen umgeht.« Bei diesen und ähnlichen Gesprächen ward der Bierkrug noch einmal gefüllt und die Mischung von Branntwein und Wasser erneuert. Brown lehnte es ab, an diesem Abend länger zu zechen, Unpäßlichkeit und Müdigkeit vorschützend, weil er wohl wußte, daß Dinmont vor der Gefahr, durch Unmäßigkeit seinen Zustand zu verschlimmern, auf andere Weise nicht werde zu bewahren sein. Eine schmale Lagerstätte, aber ein sehr reinliches Bett, nahm den müden Wanderer auf. Wasp leckte seinem Herrn die Hand, und als er stillschweigende Erlaubnis erhalten, legte er sich auf die Bettdecke zu den Füßen des Gebieters nieder, dessen Auge bald ein erquickender Schlummer schloß. Vierundzwanzigstes Kapitel Die Pächter im südlichen Schottland sind jetzt weit kultivierter, als es ihre Väter waren, und die Sitten, die wir hier schildern, haben sich teils gänzlich verloren, teils sehr verändert. Noch immer zwar findet man die alte ländliche Einfalt, aber allerhand Künste und Fertigkeiten, wovon das frühere Geschlecht nichts wußte, sowohl was die Verbesserung der Grundstücke, als alle Bequemlichkeiten des Lebens angeht, haben jetzt Eingang gefunden. Ihre Häuser sind gemächlicher, ihre Lebensweise ist dem Leben der gesitteten Welt ähnlicher, und in den letzten dreißig Jahren sind auch ernstere Kenntnisse in ihren Tälern einheimisch geworden. Zechen, ehedem ihre Lieblingsunterhaltung, ist fast gar nicht mehr üblich, aber Gastfreundschaft wird nach wie vor mit der alten Herzlichkeit geübt. Als Brown bei Tagesanbruch aufstand, ging er hinaus, die Besitzung seines neuen Freundes in Augenschein zu nehmen. Alle Umgebungen des Hauses waren öde und verwahrlost. Ein armseliger Garten; nirgends Spuren von Anstalten, die Gegend trocken und freundlich zu machen, und gänzlicher Mangel jener Nettigkeit, die in einem englischen Pachthause das Auge so erfreulich anspricht. Man sah jedoch deutlich, daß nur Ungeschmack oder Unwissenheit schuld daran war, nicht aber Armut oder die Nachlässigkeit, die aus ihr entspringt. Ein Stall mit guten Milchkühen, ein anderer mit Mastochsen von der besten Zucht, zwei Gespanne guter Pferde; fleißiges, mit seinem Lohne anscheinend zufriedenes Gesinde, überhaupt ein gewisses Ansehen freigebiger, wenn auch nicht reichlicher Fülle, alles verriet den wohlhabenden Landmann. Das Wohnhaus lag am Ufer des Flusses, an einem sanften Abhange. Zwischen dem Hause und der Weide am Hügel war ein tiefer Sumpf, welcher vor Zeiten eine Feste verteidigt hatte, von der aber keine Ueberreste mehr zu sehen waren. Brown suchte sich mit den Kindern bekannt zu machen, die unter einer breitwipfeligen Eiche spielten, aber sie flohen vor ihm, und nur die beiden Ältesten blieben stehen, als sie eine Strecke weit gelaufen waren, und sahen sich nach ihm um. Brown nahm seinen Weg nach dem Hügel, und als er über einige schmale Schrittsteine durch den Sumpf gekommen war, sah er einen Mann von der Anhöhe kommen, in welchem er alsbald seinen freundlichen Wirt erkannte. Dinmont trug jetzt, statt der Reisejacke, einen grauen gewürfelten Schäfermantel, und eine, mit dem Fell einer Wildkatze eingefaßte Mütze bedeckte bequem seinen verbundenen Kopf. Als Brown ihn aus dem Morgennebel hervortreten sah, bewunderte er die hohe Gestalt des breitschulterigen Mannes, der mit festen Schritten einherging, und Dinmont sah mit nicht geringerm Vergnügen auf den kräftigen jungen Mann, den er bis jetzt noch nicht so genau betrachtet hatte. Nach freundlichen Begrüßungen von beiden Seiten fragte Brown, wie er sich nach dem gestrigen Unfalle fühle. »Fast schon vergessen,« antwortete der Pächter. »Aber jetzt frisch und gesund, denke ich, würden wir beide es wohl mit einem halben Dutzend solcher Mordskerle aufnehmen, wenn wir auch nur einen derben Eichenknüttel hätten.« »Es wäre aber doch gut gewesen, wenn Ihr ein paar Stunden länger ausgeruht hättet, nach einer so schweren Konfusion.« »Konfusion? Nein, lieber Rittmeister, mir macht nichts den Kopf konfus. Seht, ich stürzte einmal auf der Fuchsjagd dort unten von der steilen Höhe hinab, und mir nichts dir nichts war ich wieder auf den Beinen und führte die Hunde auf die Spur. Mich macht nichts konfus, als wenn ich einmal zu tief ins Glas geguckt habe. Ich mußte auch heute ausgehen, um nach den Herden zu sehen. Die Leute sind faul, wenn unsereins weg ist. Da bin ich den Nachbarn begegnet, die heute auf die Fuchsjagd gehen. Wie wär's, hättet Ihr Lust dazu? Ihr könnt den Rappen reiten, ich nehme den Falben.« »Aber, lieber Dinmont, ich werde wohl Abschied nehmen müssen.« »Damit kommt mir nicht! Unter vierzehn Tagen lasse ich Euch nicht fort. Solche Freunde findet man nicht jede Nacht auf dem Moore von Newcastle.« Brown, der nicht die Absicht hatte, seine Reise zu beschleunigen, nahm die herzliche Einladung an und versprach, wenigstens noch acht Tage zu bleiben. Als sie ins Wohnhaus zurückkamen, wartete die Hausfrau mit einem guten Frühstücke. Sie hörte die Nachricht von der bevorstehenden Fuchsjagd zwar nicht gern, aber doch ohne Besorgnis ... »Du bist noch immer der alte!« sprach sie, »nimmst keine Warnung an, bis sie Dich einmal nach Hause tragen müssen.« Nach dem schnell genossenen Frühstück machten sich die Männer auf den Weg. Sie verließen bald das Tal und kamen zwischen ziemlich steile Hügel. Noch hingen trübe Nebel um die Gipfel der Berge, da mit einem Regenschauer Tauwetter eingetreten war; kleine Bäche flossen, wie Silberfäden, von den Abhängen herab. Auf schmalen Pfaden, die längs den Anhöhen liefen, ritt Dinmont furchtlos voran, und so näherten sie sich dem Jagdplatze, wo sich die übrigen Jäger zu Fuß und zu Pferde versammelten. Brown begriff nicht, wie man Füchse jagen wollte, mitten in einer so gebirgigen Gegend, wo die an den Boden gewöhnten Pferde kaum zu gehen vermochten, und der Reiter, von dem schmalen Pfade abweichend, in Sümpfe oder in Abgründe stürzen konnte. Sein Erstaunen stieg, als sie auf den Jagdplatz kamen. Die Reiter waren nach und nach auf eine ansehnliche Höhe gelangt und hielten jetzt auf einem Bergrücken, der über einem tiefen, sehr schmalen Tale hing. Der verfolgte Fuchs hatte zwar weniger freien Spielraum als im offenen Felde, aber die Festigkeit seiner Höhle und die Beschaffenheit der Umgebung gaben ihm dagegen manche Vorteile. Die Wände, die das Tal einfaßten und aus zerrissenen Erdschichten und zerrütteten Felsen bestanden, senkten sich ziemlich steil herab bis zu dem kleinen Flusse, der sich durch die Tiefe wand, und waren nur hie und da mit Strauchholz und Heidekraut bekleidet. Längs dem Rande dieser Schlucht stellten die Jäger zu Pferde und zu Fuße sich auf. Jeder Pächter hatte wenigstens ein Paar große wilde Windhunde bei sich. Der Oberjäger, der von den Bewohnern des Bezirks etwas Mehl und für jeden erlegten Fuchs eine Belohnung erhält, war schon unten in der Schlucht, wo der Widerhall den Jägerruf an die Fuchshunde verdoppelte. Auch waren Dachshunde bereit, mit Einschluß der ganzen Sippschaft von »Pfeffer« und »Senf«, und die Leute am Rande der Schlucht hielten ihre Windhunde an der Koppel, um sie auf den Fuchs loszulassen, sobald ihn die Jäger in der Tiefe aus seiner Höhle aufgejagt hätten. Das Schauspiel war zwar seltsam für einen erfahrenen Weidmann, doch sehr anziehend; die Gestalten auf dem Bergrande schienen auf dem blauen Himmelsgrunde gleichsam in der Luft sich zu bewegen; die Hunde, ungeduldig sich dem Zwange fügend, und gereizt durch das Gebell in der Schlucht, sprangen hin und her und zerrten an den Stricken, womit sie festgehalten wurden. Nicht minder anziehend war ein Blick in die Schlucht. Die dünnen Nebel waren hier noch nicht ganz zerstreut, und oft erblickte man die Bewegungen der Jäger in der Tiefe nur durch diesen trüben Flor. Zuweilen machte ein Windstoß alles sichtbar, und man sah das blaue Bächlein, das sich durch die wilde einsame Schlucht drängte; dann wieder die Schäfer in der Tiefe, wo sie wie Zweige erschienen, munter und furchtlos von einer Klippe zur andern springend, um die Hunde auf die Spur zu leiten. Bald aber wurden sie wieder von Nebeln eingehüllt, und außer dem Jägerruf und dem Hundegebell verriet dann nichts den weitern Verlauf der Jagd; beides hörte sich an, wie Stimmen, die aus den Innern der Erde heraufzusteigen schienen. Als endlich der verfolgte Fuchs, von einer Höhle in die andere gejagt, das Tal verlassen mußte, um eine entferntere Zuflucht zu suchen, ließen die Jäger auf dem Bergrande, die alle Bewegungen des gehetzten Tieres beobachteten, ihre Windhunde los, welche, schneller als der Fuchs und eben so wild und mutig, ihn bald zum Tode brachten. Es wurden vier Füchse an diesem Morgen erlegt, und selbst Brown, der Indiens fürstliche Jagdfeste gesehen und, auf einem Elefanten reitend, den Nabob von Arcot auf einer Tigerjagd begleitet hatte, war sehr zufrieden mit der Unterhaltung. Als die Jagd zu Ende war, gingen die meisten Teilnehmer, nach der gastfreundlichen Landessitte, mit dem Pächter zum Mittagessen nach Charlieshope. Auf dem Heimwege begegnete Brown dem Oberjäger und stellte verschiedene Fragen über die Fuchsjagd; aber er bemerkte alsbald, daß der Mann seinen Blicken auszuweichen suchte und nicht Lust hatte, länger bei ihm zu bleiben und sich mit ihm zu unterhalten, was dem Fremden unerklärlich war. Der Jäger war ein schlanker, rüstiger Kerl, kräftig gebaut, wie es sein kühnes Gewerbe verlangte, aber in seinen Zügen zeigte sich nicht die Offenheit eines fröhlichen Weidmannes; er war stets verlegen und ängstlich und schlug die Augen nieder, wenn jemand ihn scharf ansah. Nach einigen unbedeutenden Worten über das Jagdglück des Tages, gab Brown ihm eine Kleinigkeit und ritt mit seinem Wirte nach dem Pächterhause, wo Frau Liese ihre Gäste erwartete. Die nächsten Tage wurden andern ländlichen Belustigungen gewidmet; ein Lachsfang aber war das wichtigste Fest, das Dinmont seinem Gaste bereitete. Diese Jagd, wobei der Fisch mit Spießen mit Widerhaken oder langschäftigen Dreizacken verfolgt und erlegt wird, ist in der Mündung des Flusses Esk, und an andern lachsreichen Flüssen in Schottland, sehr gewöhnlich. Man wählt meist die Nacht dazu, wo man den Lachs bei Fackelschein oder beim Lichte von Feuerbecken findet, die man mit Dauben von Teertonnen füllt. Einige von der Gesellschaft, die Dinmont zur Jagd versammelt hatte, fuhren in einem gebrechlichen Boote auf dem Flusse, den ein Mühlenwehr verbreiterte und vertiefte. Die übrigen liefen längs dem Ufer, ihre Fackeln und Spieße schwingend, und jagten den Lachs. Bald suchte der Fisch stromaufwärts schwimmend zu entkommen, bald sich unter Baumwurzeln und Steinen vor den Blicken seiner Verfolger zu verbergen. Diejenigen aber, die im Boot saßen, entdeckten dies alsbald, und das Schimmern einer Floßfeder oder das Aufsteigen einer Luftblase war für die geschickten Jäger hinreichend, um ihren Waffen die gehörige Richtung zu geben. Das Schauspiel war für jeden, der daran gewöhnt war, ungemein unterhaltend. Brown aber, der in der Führung eines Spießes keine Uebung hatte, machte nur unglückliche Versuche, die seinen Arm ermüdeten, indem er, statt des Lachses, worauf er zielte, die Felsen des Flußbettes traf. Es tat ihm weh, den Todeskampf der verwundeten Lachse, die blutend im Boote lagen, anzusehen, aber er verbarg Gefühle, die niemand begriffen hätte, und er bat, man möge ihn wieder ans Land setzen. Er bestieg eine Anhöhe, wo er das Schauspiel bequemer genießen konnte. Bald verlor sich der Schein der Lichter in der Ferne und schimmerte matt auf dem Wasser, wie das Licht, das, nach der Sage des Volkes, die Wassernixe aus der Tiefe aufsteigen läßt, um das feuchte Grab ihrer Opfer anzuzeigen; bald näherte sich der Lichtglanz, hell und voll, bis die lodernde Flamme im schnellen Laufe Ufer, Felsen und Bäume in Sicht setzte und sie bald mit rötlichem Lichte übergoß, bald, sich entfernend, in Dunkelheit oder matte Dämmerung zurücktreten ließ. Auch die Gestalten im Kahne zeigten sich bei dem Scheine der Lichter am Ufer, wie sie ihre Waffen bald erhoben, bald sich bückten, um den Lachs zu treffen, bald aufrecht standen, rötlich beleuchtet, gleich Erscheinungen aus der Unterwelt. Endlich kehrte Brown langsam zu dem Pächterhause zurück und stand zuweilen still, um den bei dem Fange beschäftigten Männern zuzusehen. Gewöhnlich sind zwei bis drei beisammen: der eine hält die Fackel, während die andern die Spieße bereit halten, ihre Beute zu treffen. Als unser Wanderer bemerkte, daß ein Mann mit einem schweren, bereits durchbohrten Lachs kämpfte und sich vergebens anstrengte, ihn aus dem Wasser zu ziehen, ging er näher ans Ufer, um den Erfolg Zu sehen. Der Mann, welcher die Fackel hielt, war der Oberjäger, dessen mürrisches Wesen Brown schon mit Verwunderung bemerkt hatte. »Hierher, lieber Herr! hierher! Seht einmal das mächtige Tier!« riefen die Fischer ihm zu, als sie ihn erblickten. »Frisch darauf los! haltet ihn nieder! Habt Ihr denn gar kein Mark in den Knochen?« riefen, ermunternd und verweisend, die Jäger vom Ufer dem Manne zu, der bis an den Gürtel zwischen Eisschollen im Wasser stand und gegen die Kraft des Fisches und die Gewalt des Stromes kämpfte, ungewiß, wie er seine Beute sichern sollte. »Haltet Eure Fackel, hoch, Jäger!« rief Brown, sich nähernd, indem er bei dem hellen Lichtglanze das finstere Gesicht des Mannes erkannte. Kaum aber hatte der Jäger Browns Stimme vernommen, als er die Fackel, statt sie zu erheben, scheinbar zufällig ins Wasser fallen ließ. »Den Gabriel plagt der Teufel!« rief der Fischer, als das brennende Holz, halb lodernd, halb glänzend, oder bald erlöschend, den Strom hinabschwamm, »Verdammt! ich kann ihn nicht bezwingen ohne Licht, und einen herrlicheren Lachs hat man noch nicht gefangen.« Einige Männer sprangen ins Wasser, dem Fischer beizustehen, und der Lachs wurde glücklich ans Ufer gezogen. Brown war nicht wenig erstaunt über das seltsame Benehmen des Jägers. Er konnte sich nicht erinnern, ihn je gesehen zu haben, und begriff nicht, warum der Mann, wie es offenbar der Fall war, seinen Blicken auswich. War er etwa einer von den Räubern aus der Heide? Die Vermutung war gar nicht unwahrscheinlich, obgleich Brown keineswegs irgend eine Bemerkung gemacht hatte, die ihm Grund dazu geben konnte; aber die Räuber hatten ja die Hüte so tief ins Gesicht gedrückt, waren in weite Kleider gehüllt, und hatten in ihrer Gestalt keine auffälligen Unterschiede aufgewiesen. Er nahm sich vor, am nächsten Morgen mit seinem Wirte darüber zu sprechen. Mit reicher Beute beladen, zogen die Fischer heim. Die besten Lachse wurden für die Pächter ausgelesen, die bei dem Fange zugegen gewesen waren, die übrigen aber unter die Schäfer, Häusler und Hörigen verteilt, die sie in ihren Hütten räucherten, um sie als köstliche Zugabe zu ihrer gewöhnlichen Winterspeise, Kartoffeln mit Zwiebeln, aufzubewahren. Dinmont ließ indes Bier und Branntwein unter die Leute verteilen und ein paar Fische zum Abendessen für sie kochen. Als sie in der großen, rauchigen Küche bei dem Mahle saßen, trat Brown mit seinem Wirte herein. Alle waren guter Dinge, bei Scherz und frohem Gelächter. Brown suchte überall das finstere Gesicht des Fuchsjägers, aber der Mann war nirgends zu sehen. Endlich wagte er eine Frage. Der Schäfer, der mit dem großen Lachse sich geplagt hatte, war der Meinung, der Jäger habe die Fackel absichtlich ins Wasser fallen lassen... »Er kann's nicht leiden,« sprach er, »wenn jemand eine Sache besser macht als er.« – »Er mag sich wohl selbst schämen,« sprach ein anderer, »sonst würde er hier nicht fehlen.« »Ist er hier aus der Gegend gebürtig?« fragte Brown. »Nein, er ist noch nicht lange im Dorfe, aber ein guter Jäger. Ich glaube, er ist in Dumfries zu Hause.« Brown fragte nach dem Namen des Mannes... »Gabriel,« war die Antwort; aber den Zunamen wußte niemand anzugeben, da zu jener Zeit noch häufig Leute sich zu einem andern Stamme gesellten, dessen Namen sie sich dann beilegten, Geschlechtsnamen daher weniger üblich waren, und besonders Leute aus der geringern Volksklasse sind gewöhnlich nur durch Beinamen, die von einer Beschäftigung, einem Gewerbe, oder einer persönlichen Auszeichnung entlehnt wurden, unterschieden. So hieß der mürrische Mann nur »Fuchs-Gabriel«, oder »Jäger-Gabriel«. Brown ging darauf mit Dinmont in die Wohnstube, und der Abend wurde, wie immer, fröhlich zugebracht; doch würde die muntere Zechlust der Männer heute wohl die Grenzen überschritten haben, wenn nicht auch glücklicherweise mehrere Pächtersfrauen aus der Nachbarschaft nach Charlieshope gekommen wären, um die Freude des merkwürdigen Tages zu teilen. Als der Punschnapf so oft gefüllt wurde, daß sie besorgt sein mußten, man werde ihre holde Gegenwart gänzlich vergessen, zogen sie, von der Hausfrau geführt, mutig zu den fröhlichen Zechern herein. Der Fiedler und der Pfeifer folgten dem Zuge, und die übrigen Stunden der Nacht vergingen unter lustigen Tänzen. Am nächsten Tage war eine Otterjagd, und tags darauf eine Dachshatz ... Hoffentlich sinkt unsrer Wanderer nicht in der Meinung des Lesers, wäre er auch ein noch so eifriger Weidmann, wenn ich ihm erzähle, daß Brown bei der letzten Gelegenheit, als der junge »Pfeffer« einen Vorderfuß verloren hatte und »Senf«, der zweite, beinahe erwürgt worden wäre, es sich von seinem Wirt als besondere Gunst ausbat, den armen Dachs, nach einer so tapfern Gegenwehr, ohne weitere Störung in seine Höhle gehen zu lassen. Dinmont, der ein solches Gesuch, wenn es von sonst jemand gekommen wäre, mit der größten Verachtung aufgenommen hätte, begnügte sich, gegen Brown sein höchstes Erstaunen auszudrücken. »Ja, das ist seltsam von Euch!« sprach er. »Aber weil Ihr seine Partei nehmt, so soll der Teufel den Hund holen, der ihn wieder anpackt, so lang' ich lebe. Ja, wir wollen ihn sogar zeichnen und ihn »Rittmeisters Dachs« nennen. Es ist mir lieb, daß ich Euch etwas zu Gefallen tun kann. Aber – Gott sei uns gnädig! wie kann man sich um einen Dachs bekümmern!« Eine ganze Woche hatte Brown mit ähnlichen Vergnügungen unter dem Dache seines freundlichen Wirts zugebracht, als er endlich Abschied nahm. Die Kinder, deren Liebling er geworden war, weinten in vollem Chore, als die Trennungstunde kam, und er mußte ihnen wohl zwanzigmal versprechen, daß er bald wiederkehren und ihnen dann alle Lieblingsliedchen auf seiner Flöte so lange vorspielen wollte, bis sie alles auswendig wüßten. »Komm wieder, Rittmeister,« sprach ein kecker, kleiner Junge, »und Jenny soll Deine Frau werden.« Jenny, ungefähr elf Jahre alt, lief weg und verbarg sich hinter der Mutter. »Rittmeister, komm wieder!« sprach ein dralles, sechsjähriges Mädchen und hielt ihren Mund zum Küssen hin, »ich will Deine Frau sein.« Der Abschied wurde ihm schwer. Auch die gute Hausfrau bot dem scheidenden Gaste die Wange mit ehrbarer Sittsamkeit und der freundlichen Einfalt der alten Zeit ...»Es ist wenig, was unsereins tun kann,« sprach sie, »sehr wenig, doch wenn nur etwas wäre, das –« »Liebe Frau Dinmont,« fiel Brown ein, »ich will so dreist sein, eine Bitte zu tun. Wollt Ihr so gut sein, mir einen grauen Mantel zu weben, wie Väterchen hat?« Er hatte die Sprache und die Empfindungen der Bewohner während seines Aufenthaltes in der Gegend gelernt, und konnte wohl ahnen, wieviel Freude seine Bitte machen würde. »Den sollt Ihr haben,« antwortete die Frau mit freudestrahlendem Auge, »oder es müßte kein Faden Wolle mehr im Lande sein, und so gut, als je einer gemacht wurde. Ich will mit dem Weber sprechen, morgen am Tage. Lebt wohl, lieber Herr! Seid selbst so glücklich, als Ihr's irgend jemand wünscht, und das mag ein guter Wunsch für manche Leute sein.« Unser Wanderer ließ seinen treuen Begleiter, den kleinen »Wasp«, als Gast in Charlieshope zurück, da er voraussah, daß der Hund ein lästiger Gesellschafter sein werde in einer Lage, die ihm Heimlichkeit auferlegte. Der älteste Knabe übernahm es, für den Dachshund zu sorgen, und versprach – mit den Worten eines alten Liedchens – das Tier sollte »Ein bißchen vom Brote, ein bißchen vom Bett« haben, und nie zu solchen gefährlichen Zeitvertreiben gebraucht werden, wobei »Senf« und »Pfeffer« Verstümmelungen erlitten hatten. Dinmont, ein rüstiger Reiter, wie alle Pächter im ganzen Tale, bestand darauf, Brown müßte die Reise zu Pferde machen. Er wollte ihn bis zur nächsten Stadt in der Grafschaft Dumfries begleiten, wohin das Gepäck vorausgesandt worden war. Unterwegs fragte Brown noch einmal nach dem Fuchsjäger, der ihm immer noch im Sinne lag. Dinmont wußte wenig Auskunft zu geben, da erst während der Zeit, da er die hochländischen Jahrmärkte besucht hatte, der Mann in Dienst gekommen war ... »Es ist ein verdammter Kerl,« setzte er hinzu, »und ich möchte sagen, er hat Zigeunerblut im Leibe. Aber von den Räubern im Moor ist er keiner, darauf könnt Ihr Euch verlassen. Es gibt unter dem Zigeunervolk auch nicht lauter schlechte Leute, und wenn ich das alte, lange, klapperdürre Weib einmal wiedersehe, so gebe ich ihr etwas für Tabak. Ich glaube, sie hat's doch ehrlich mit mir gemeint.« Als der Augenblick der Trennung kam, hielt der gute Pächter lange schweigend die Hand des Gastfreundes, bis er endlich anhob: »Herr Rittmeister, die Wolle steht heuer so gut im Preise, daß ich den ganzen Zins damit habe bezahlen können, und wenn mein Mütterchen ihren neuen Rock und die Kinder ihre Kappen haben, so weiß ich mit dem übrigen Gelde nichts anzufangen. Ich möchte es gern in sichere Hände legen, denn es ist viel zu viel für Zucker und Branntwein. Nun hab' ich gehört, Ihr Herren von der Armee könnt Euch zuweilen für ein Stück Geld einen Schritt höher herauf bringen. Können Euch einmal bei so einer Gelegenheit ein paar hundert Pfund helfen, so ist mir ein Stückchen Papier von Eurer Hand so lieb, als mein Geld. Und Ihr könnt's behalten, so lang Ihr wollt, das wird mir recht lieb sein.« Brown wußte das Zartgefühl, das unter dem Vorwande, eine Gunst zu erbitten, eine Gefälligkeit erzeigen wollte, zu würdigen; er dankte dem wackern Manne herzlich und gab ihm die Versicherung, daß er ohne Bedenken Zuflucht zu ihm nehmen werde, wenn irgend einmal die Umstände es nützlich für ihn machen sollten. Fünfundzwanzigstes Kapitel Als Brown von dem Pächter Abschied genommen, mietete er eine Postkutsche bis Kippletringan, wo er über die Familie zu Woodbourne Erkundigungen einziehen mußte, bevor er Julien ein Zeichen seiner Nähe geben konnte. Es war ein ziemlich langer Weg. Trotz dem heftigen Schneegestöber ging es doch frisch voran, ohne daß der Fuhrmann irgend eine Bedenklichkeit verriet; als aber die Nacht angebrochen war, stiegen doch Zweifel in ihm auf, ob er auf dem rechten Wege sei. Ein mißlicher Umstand, da der Schnee immer stärker fiel und weit umher auf der endlosen weißen Fläche nirgends ein Weg zu unterscheiden war. Brown stieg aus und sah sich um, ob sich etwa ein Haus entdecken ließe, wo er sich nach dem rechten Wege erkundigen könnte. Aber umsonst; und so blieb nichts übrig, als immer weiter zu fahren. Der Weg ging durch so ausgebreitete Kulturen, daß Brown vermutete, es müsse ein Landgut in der Nähe sein. Endlich hielt der Fuhrmann still. Die Pferde wollten keinen Fuß weiter setzen, versicherte er, aber er sehe Licht zwischen den Bäumen, das aus irgend einem Hause kommen müsse ... Er stieg ab und trabte mit seinen schweren Stiefeln im hohen Schnee, bis endlich Brown ungeduldig aus dem Wagen sprang und dem Fuhrmann befahl, bei den Pferden zu bleiben, während er selbst das Haus suchen wollte, um Erkundigungen einzuziehen ... Unser Wanderer war einige Minuten dem fernschimmernden Lichte nachgegangen, als er in der Hecke ein Brett zum Uebersteigen und einen Fußpfad fand, der in ein gebautes Feld führte. Er ging immer weiter, aber bald verlor sich der helle Schein gänzlich zwischen den Bäumen. Der Pfad, der anfangs breit in das Gehölz zu laufen schien, war jetzt kaum zu unterscheiden, obgleich der Widerschein des Schnees leuchtete. Der Boden senkte sich endlich und wurde ungleich. Brown wollte umkehren, nachdem er mehr als einmal in Gräben und Brüche gestüzt war, die der immer dichter fallende Schnee verbarg. Die letzte Anstrengung wagend, ging er noch einmal voran, und zu seiner großen Freude blickte nun in geringer Entfernung das Licht wieder zwischen den Bäumen hervor und schien mit dem Wege in gleicher Höhe zu sein. Der Boden aber senkte sich immer tiefer, und Brown sah, daß eine tiefe Schlucht zwischen ihm und dem Lichte lag. Als er mit vorsichtigen Schritten dem Abhange folgte, kam er in ein enges, sehr steil abstürzendes Tal, durch das sich ein kleiner Bach wand, dessen Lauf fast ganz durch Schnee gehemmt wurde. Die Trümmer einiger Hütten, deren schwarze Gipfel auf der Schneedecke abstachen, hinderten die Schritte des Wanderers, aber jede Schwierigkeit mutig überwindend, watete er durch den Bach und erreichte nach vielen Fährlichkeiten das jenseitige steile Ufer, bis er endlich vor dem Gebäude stand, aus welchem Licht kam. Bei dem matten Scheine ließ sich das Gebäude nicht genau erkennen, doch schien es viereckig, klein, und sein oberer Teil ganz verfallen zu sein. Der übrig gebliebene Bogen des untern Gewölbes diente dem Gebäude in seinem gegenwärtigen Zustande als Dach. Das Licht kam aus einer langen, schmalen Spalte der Schießscharte, wie man sie gewöhnlich in alten Schlössern findet. Neugierig, das Innere des seltsamen Gebäudes zu sehen, blickte Brown durch die Oeffnung. Wilde Zerstörung! Auf dem Boden brannte ein Feuer! Dicker Rauch durchzog das Gemach, ehe es durch ein in den Gewölbebogen gebrochenes Loch seinen Ausgang suchte. Das qualmende Licht gab den Wänden das wüste Ansehen dreihundertjähriger Trümmer. Einige zerbrochene Kisten und Packe lagen in wilder Unordnung durcheinander. Noch mehr zogen die Bewohner des Gebäudes den Blick unseres Wanderers an. Auf einem Strohlager, das mit einem weißen Tuche bedeckt war, lag eine Gestalt so still und ruhig, daß Brown sie anfangs für eine Leiche hielt, bis ein tiefes schweres Stöhnen ihm verriet, daß sie erst dem Tode nahe war. Eine weibliche Gestalt, in einem langen Mantel, saß auf einem Steine neben dem armseligen Lager; sie stützte die Ellbogen auf ihre Knie, und ihr Gesicht, abgewendet von dem Lichte einer eisernen Lampe, die neben ihr stand, war auf den Sterbenden gerichtet. Sie netzte seine Lippen von Zeit zu Zeit mit einem Getränk und sang dazwischen, tief und eintönig, eines von den Gebeten oder Zaubersprüchen, womit der Aberglaube des gemeinen Volks in einigen Gegenden von Schottland und Nord-England das Scheiden der Seele vom Leibe zu erleichtern wähnt, gleich dem Glockengeläute in der katholischen Zeit. Sie begleitete diese traurigen Töne mit einer langsamen, wiegenden Bewegung ihres Leibes, als ob sie das Zeitmaß des Gesanges dadurch hätte angeben wollen. Die Worte lauteten also: Matt und müde, säumst Du doch, Ringst mit Staub und Erde noch? Aus dem Leibe schwing Dich hoch, Hör' die Messe singen! Wirf von Dir Dein sterblich Kleid; Muttergottes hilft bereit, Heil'ge lindern Dir Dein Leid, Horch! die Glocken klingen. Scheu' nicht Schnee vom Wind gejagt, Regen, Hagel, Sturmesnacht; Wirst in's Sterbkleid bald gebracht Auf Dich fällt des Schlafes Nacht, Wirst kein Licht mehr scheuen. Eile, eile, nicht gesehnt! Erde flieht, die Stunde tönt; Ausgeatmet, ausgesöhnt! Auf zum Himmel schauen! Denn der Tag will grauen. Die Sängerin schwieg, und es antwortete ihr ein dumpfes Stöhnen, das den letzten Todeskampf anzukündigen schien. »Es geht nicht,« – murmelte sie vor sich hin, »die Seele will nicht fort, es liegt zu schwer auf ihr. – Es hält ihn hier fest – Himmel wird ihn nicht mögen, Erde mag ihn nicht hegen. Ich muß schon aufmachen und das Gesicht zum Eingang hin kehren,« sagte sie und stand auf, war aber vorsichtig dabei bedacht, sich nicht umzuschauen, schob behutsam die Riegel von der sorgfältig verschlossenen Tür weg und sprach dabei: »Auf den Riegel – Kampf, vergeh! Komm, du Tod, und Leben, geh! Brown war von seinem Platze weggetreten und stand jetzt vor ihr, als die Tür sich auftat. Das Weib trat einen Schritt zurück und erkannte ihn auf den ersten Blick, als er den Fuß über die Schwelle setzte; aber auf ihr Gesicht trat auch sogleich ein Ausdruck von Verdruß, ja Schreck, während er dasselbe Gefühl wieder hatte, wie sie, denn auch er erkannte in ihr die Zigeunerin wieder, die er bei dem Ueberfall auf Dinmont in dem einsamen Wirtshause gesehen hatte. Er sah sie noch einmal an, und nun nahm er auf ihrem Gesichte, zu seiner nicht geringeren Ueberraschung, einen Zug von Besorgtheit, von Kümmernis wahr, der ihn an die wohlwollende Fee im Märchen erinnerte, die den Fremdling vor dem Eintritt in das gefahrvolle Schloß ihres Gemahls warnt. Dann hob sie, wie zürnend, die Hand und sagte: »Hab' ich es Euch nicht gesagt? Ihr sollt Euch in nichts mengen, was Eure Augen sehen, wenn Ihr unbehelligt bleiben wollt? Nehmt Euch in acht vor Streichen, die man in Händeln davonträgt, die einen nichts angehen! Hier winkt Euch kein sanftes Sterbelager.« Mit diesen Worten griff sie nach der Lampe und ließ ihren Schein auf das rauhe, wilde Gesicht des Sterbenden fallen, der eben den letzten Kampf bestand. Ein Stück Leinwand, das zu seinem Haupte lag, war mit Blut befleckt, und alles verriet, daß er keines natürlichen Todes gestorben war. Brown bebte zurück bei dem gräßlichen Anblick, und zu der Zigeunerin sich wendend, rief er: »Unglückliches Weib! Wer hat das getan?« »Wem es so bestimmt war, es zu tun, der hat's getan, kein anderer!« erwiderte sie, auf das Gesicht des eben verschiedenen Mannes einen festen, forschenden Blick werfend; »er hat einen harten Kampf gekämpft; aber jetzt ist's vorbei. Daß es so kommen werde, habe ich gewußt; daß es nicht schnell mit ihm gehen werde, auch; ich hab's aber gesehen, als Ihr hereintratet, daß ihm das letzte nun bevorstände; es war der Todesstoß ...und nun ist er hinüber!« Da vernahm man in der Ferne Stimmen... »Sie kommen!« sagte die Zigeunerin, »und wenn sie Euch finden, so seid Ihr ein Kind des Todes, und hättet Ihr gleich hundert Leben zu vergeben!« Brown blickte sich unruhig nach einer Waffe in dem Raume der Hütte um, sah aber keine Spur von einer solchen. Daraus eilte er zur Tür, um aus dem Raume zu fliehen, den er für eine Mördergrube hielt; aber Meg Merrilies packte ihn mit beispielloser Kraft am Arme und hielt ihn fest ...»Hierher, hierher!« rief sie leise; »und rührt Euch nicht, gleichviel was Eure Ohren vernehmen. Hier seid Ihr sicher, draußen nicht. Aber ruhig verhalten, und es wird Euch kein Leid geschehen!« Brown erinnerte sich in seiner verzweifelten Lage an den wohlmeinenden Wink, den ihm die Zigeunerin früher gegeben, und meinte, daß er am besten für seine Sicherheit sorgen werde, wenn er sich nach ihren Worten richtete. Er mußte sich der Leiche gegenüber auf ein Strohlager werfen; sie deckte ihn sorgsam zu und warf auch ein paar Säcke noch drüber. Brown aber, um sehen zu können, was vorging, schob behutsam die Strohschicht ein wenig beiseite, so daß eine Art Luke für seine Augen entstand, die ihm ermöglichte, zu beobachten, was um ihn her vorging. Mit unruhigem Herzen wartete er nun den weiteren Verlauf des unheimlichen Abenteuers ab. Unterdes trat die Zigeunerin zu der Leiche zurück, rückte sie zurecht und legte ihr die Arme an die Seiten. Dann setzte sie ihm einen Holzteller mit Salz auf die Brust und ein Licht zu seinen Häupten, ein anderes zu seinen Füßen und steckte sie beide an. Dann stimmte sie ihren Gesang wieder an und wartete den Eintritt der Männer ab, deren Stimmen draußen zu hören waren. Brown war ein tapferer Mann, aber er konnte eine gewisse Angst nicht bezwingen. Was hatte er anders zu gewärtigen, als daß Bösewichter, deren Gewerbe nächtlicher Mord war, ihn aus seinem elenden Versteck zerrten und den Mordstahl auf ihn zückten? Was blieb ihm in seiner hilflosen Lage, ohne Waffen, anders übrig als Bitten, die ihnen ein Spott sein mußten? Was weiter als Geschrei um Hilfe, das niemand hören konnte? Welch andere Bürgschaft für seine Sicherheit hatte er als das Mitleid der Alten, auf die am Ende auch nur geringer Verlaß war? Als der Schein der trüben Lampe auf ihr Gesicht fiel, forschte er in ihren Zügen, ob er dort etwas lesen konnte, das jenem echten Mitleid nahe käme, das Frauenherzen auch in dem Zustande der allertiefsten Gesunkenheit doch nicht vollständig unterdrücken können ... Aber er fand dort keinen Zug von wahrer, milder Menschlichkeit. Die Teilnahme, oder was es sonst war, das sich in dem Herzen dieses alten Weibes für ihn regte, entsprang nicht aus menschlichem Mitleide, sondern aus irgend einer wunderlichen, grillenhaften Verkettung von Empfindungen, die ihm unerklärlich waren. Vielleicht war eine eingebildete oder vermutete Aehnlichkeit dabei mit im Spiele? ähnlich, wie Macbeths Gemahlin meinte, der schlafende König habe Aehnlichkeit mit ihrem Vater ... Diese Gedanken flogen schnell durch Browns Seele, als er den Blick auf dieses seltsame Geschöpf gerichtet hielt. Noch immer aber ließ sich kein Mensch sehen, und fast fühlte er sich versucht, seinen ersten Entschluß, sein Heil in der Flucht zu suchen, in Ausführung zu setzen, die Unschlüssigkeit verwünschend, die ihn in eine Lage gebracht hatte, wo ihm weder Widerstand noch Flucht möglich war. Auch Meg Merrilies schien wachsam zu sein; denn sie lauschte, wie Brown recht gut merkte, auf jeden Ton, der draußen laut wurde. Dann drehte sie sich wieder nach der Leiche herum, um dies und jenes in ihrer Lage zu verändern; dann holte sie einen langen, dunkelfarbigen Schiffermantel aus einem Winkel hervor, den sie als Bahrtuch brauchte, und legte den Kragen desselben so, daß er den blutigen Verband verdeckte, was, wie sie murmelte, der Leiche doch ein besseres Aussehen gäbe. Endlich traten mehrere Männer herein, wild von Aussehen, Gestalt und Kleidung. »Meg, Du Satanskind!« riefen sie statt allen Grußes, »was fällt Dir ein, die Tür offen zu lassen?« »Und hat einer von Euch je gehört, daß eine Tür verriegelt gewesen wäre, wenn jemand dahinter in Todesängsten gelegen? Wie soll die Seele durch Schloß und Riegel fahren?« »Ist er denn tot?« fragte einer, zu dem Sterbelager tretend. »Tot, mausetot!« erwiderte ein anderer; »aber hier ist was von guter Totenwache!« Dabei holte er aus einem Winkel ein Fäßchen mit Branntwein, und Meg Merrilies beeilte sich, Pfeifen und Tabak unter die Männer zu verteilen. Ihre Emsigkeit dabei galt Brown für ein sichres Zeichen daß sie es wirklich gut mit ihm meine; denn ihre Absicht, die wilden Männer zum Zechen zu verleiten, und auf diese Weise seine Entdeckung zu verhindern, war unverkennbar. Brown konnte nun die Männer zählen: es waren ihrer fünf. Zwei von ihnen, starke, rüstige Gestalten, schienen Seemänner zu sein; die drei übrigen, ein Greis und zwei Jungen, alle mit pechschwarzem Haar, gehörten augenscheinlich zu der Zigeunerhorde der Meg Merrilies. Der Schnaps fing an zu kreisen ... »Glückliche Reise!« rief einer von den beiden Seeleuten; »er hat, meiner Treu! eine stürmische Nacht getroffen, um in den Himmel zu steuern.« »Was liegt ihm an Wind und Wetter?« fiel der andere ein; »ihm hat ja so mancher Nordwest um die Nase gepfiffen.« »Aber gestern zum letztenmal!« meinte ein anderer verdrossen; »und nun mag die alte Meg für ihn beten wie schon oft.« »Das tu ich nicht mehr,« sprach Meg, »und auch für euch nicht. Die Zeiten haben sich sehr geändert. Männer waren sonst Männer und fochten miteinander im offenen Felde. Und der Edelmann hatte ein freundliches Herz, ließ den armen Zigeuner nicht mit leerer Hand gehen. Aber ihr haltet auch nicht mehr auf die guten alten Gesetze, und da ist's eben kein Wunder, daß ihr so oft die Ketten scheuern müßt. Nein, ihr eßt von des Landmanns Brote, trinkt aus seinem Fasse, schlaft auf seinem Stroh in der Scheune, reißt ihm's Haus ein und schneidet ihm die Kehle ab für seine Mühe. Es ist Blut an euren Händen, mehr als je beim redlichen Kampfe. Seht zu, wie ihr einst sterben könnt! Es dauerte lange, ehe er starb; er hatte einen harten Kampf; konnt' nicht sterben, noch leben. Aber ihr – das halbe Land wird sehen, wie ihr am dürren Holze hängt.« Ein wildes Gelächter erscholl auf diese Weissagung ... »Und warum bist Du zurückgekommen, alte Hexe,« sprach einer von den Zigeunern. »Konntest Du nicht bleiben, wo Du warst, und den Bauern im Cumberland wahrsagen? Sieh zu, daß Dir niemand auf der Fährte ist!« »So? Sonst war ich wohl gut, als ich euch in dem großen Gefechte mit diesen Händen half,« antwortete Meg, ihre Fäuste erhebend. »Was wäre sonst aus euch geworden, ihr Maulhelden!« Darauf setzte sie sich vor das Lager, wo Brown verborgen war, in einer Stellung, die jeden verhindert hätte, sich dem Versteckten, wenn sie nicht vorher aufgestanden wäre, zu nähern. Niemand aber schien sie stören zu wollen. Die Männer setzten sich ans Feuer und schienen eifrig Rats zu pflegen, sprachen aber so leise und in so wildem Kauderwelsch, daß Brown wenig verstand. Nur so viel erriet er, daß sie ihrem Unwillen gegen jemand Luft machten ... »Er wird schon sein Teil kriegen,« sprach einer und sagte einem Gesellen etwas ins Ohr. »Damit habe ich nichts zu schaffen,« erwiderte dieser. »Seit wann bist Du so hasenherzig geworden, Johnny?« »Nicht mehr als Du, aber es war so etwas, das vor fünfzehn bis zwanzig Jahren den ganzen Handel störte. Hast Du von dem Sprunge gehört?« »Der da,« antwortete der andere, auf den Leichnam deutend, »hat mir davon gesagt. Er lachte recht, wenn er uns zeigte, wie er ihn von dem Felsen geworfen hätte.« »Aber die alte Meg schläft ein?« hob ein anderer an, »Sie wird faselig und fürchtet ihren eigenen Schatten. Gebt acht, sie wird noch aus der Schule schwatzen, wenn ihr nicht scharf aufpaßt.« »Seid davor nicht bange,« fiel der alte Zigeuner ein. »Meg ist redlich, aber sie hat ihre eigenen Launen, und führt oft grillige Reden.« Das Gespräch wurde in so rohem Kauderwelsch fortgesetzt, daß sich selbst aus Winken und Gebärden sein Inhalt nicht mehr erraten ließ. Als endlich einer der Männer bemerkte, daß Meg fest eingeschlafen war oder zu sein schien, befahl er einem der beiden Jungen, den schwarzen Peter hereinzubringen. Der Junge ging hinaus und kam mit einem Felleisen zurück, das Brown sogleich für das seinige erkannte. Er dachte mit unruhiger Besorgnis an den armen Burschen, den er bei dem Wagen zurückgelassen hatte. Mit ängstlicher Aufmerksamkeit sah er zu, und während die Kerle das Felleisen öffneten und auspackten, horchte er eifrig, ob nicht irgend etwas ihm das Schicksal des Fuhrmanns verriete. Die Spitzbuben waren zu erfreut über die Beute und zu eifrig mit ihrer Untersuchung beschäftigt, als daß sie über die Art, wie sie dazu gekommen waren, ein Wort hätten verlieren sollen. Brown hätte zu keiner andern Zeit so ruhig zugesehen, wie man ohne alle Umstände sein Eigentum teilte; aber in diesem gefährlichen Augenblicke konnte er nur an seine Selbsterhaltung denken. Als der Inhalt des Felleisens verteilt war, ging es wieder ans Trinken, womit die Männer den größten Teil der Nacht zubrachten. Brown hoffte anfangs, sie würden sich völlig berauschen und ihm dadurch Gelegenheit zur Flucht geben; aber die Vorsicht, die ihr gefährliches Gewerbe notwendig machte, zwang sie, bei ihren Ausschweifungen Maß zu halten. Drei von ihnen legten sich endlich zur Ruhe, der vierte aber wachte und wurde nach zwei Stunden von einem andern abgelöst. Nach der zweiten Wache wurden die Schlafenden aufgeweckt, und man schien sich zum Aufbruche zu rüsten. Zwei Männer holten darauf eine Hacke und einen Spaten hervor, ein dritter fand eine Axt hinter dem Stroh, worauf der Leichnam lag. Mit diesen Werkzeugen gingen sie hinaus, während drei von ihnen, darunter die beiden rüstigen Seeleute, als Wächter zurückblieben. Ungefähr eine halbe Stunde nachher kam einer zurück und flüsterte dem andern etwas zu. Darauf wickelten alle den Leichnam in den Mantel und trugen ihn hinaus. Meg Merrilies erhob sich sogleich, und als sie eine Weile an der Tür gelauscht hatte, kam sie zurück und befahl ihrem Gaste mit leiser gedämpfter Stimme, ihr sogleich zu folgen. Er gehorchte. Als er aus der Hütte ging, wollte er sein Geld, wenigstens seine Papiere wieder an sich nehmen, aber sie verbot es durchaus, und da er selbst bedachte, daß auf die Alte, die sein Leben, wie es schien, gerettet hatte, aller Verdacht fallen würde, wenn er etwas wegnehmen wollte, so gab er den Gedanken auf, nach seinem Eigentume zu greifen, und begnügte sich, einen Säbel sich anzueignen, den einer der Männer auf die Seite geworfen hatte. Es war ein kalter Wintermorgen. Die blendende Schneefläche ringsumher erhöhte das matte Licht der Dämmerung. Brown warf einen Blick in die Gegend, um sich künftig der Stelle wieder erinnern zu können. Der verfallene Turm, worin er die Nacht zugebracht hatte, stand auf dem Rande eines Felsens, der über dem Flusse hing, und war nur von einer Seite, und zwar von der tiefen Schlucht her, zugänglich. Auf den übrigen Seiten aber war der Felsen so steil abgeschnitten, daß Brown am vorigen Abend mehr als einer Gefahr entgangen war; denn hätte er, wie es einmal seine Absicht gewesen, es versucht, rings um den Turm zu gehen, so würde er unvermeidlich seinen Untergang gefunden haben. Die Schlucht war so enge, daß die mit Schnee beladenen Wipfel der Bäume auf beiden Seiten an einigen Stellen sich berührten und ein Gewölbe über den Fluß bildeten, der langsam in der Tiefe rann. Auf der Stelle, wo die Schlucht sich ein wenig erweiterte und eine schmale Fläche zwischen dem Ufer und der steilen Bergwand sich ausbreitete, lagen die Trümmer des Dörfchens, durch die Brown in der verflossenen Nacht gekommen war. Die zerstörten Giebel, deren innere Seiten von Torfruß glänzten, sahen noch schwärzer aus gegen den Schnee, den der Wind ihnen entgegengetrieben hatte. Brown konnte nur einen sehr flüchtigen Blick auf diese winterliche, traurige Landschaft werfen, denn als seine Führerin einen Augenblick verweilt hatte, als ob sie ihm hätte gestatten wollen, seine Neugierde zu befriedigen, ging sie schnell den Pfad hinab, der in das Tal führte. Er bemerkte, nicht ohne eine Regung des Argwohns, daß sie einen Weg nahm, den schon verschiedene Fußstapfen bezeichneten, ohne Zweifel von den Räubern, die die Nacht im Turme zugebracht hatten. Nach kurzem Nachdenken aber gab er seinen Verdacht auf. Sollte die Alte, die ihn den Zigeunern überliefern konnte, als er wehrlos war, erst in dem Augenblicke, wo er Waffen hatte und sich im freien Felde befand, zur Verräterin werden wollen? Er folgte ihr nun vertrauensvoll und schweigend. Der Weg ging durch das Bächlein, den frischen Fußstapfen nach, die weiter durch das zerstörte Dorf und dann in die Schlucht hinab führten, die bald wieder enger wurde. Endlich aber verließ die Zigeunerin diese Spur, und seitwärts sich wendend, wählte sie einen rauhen, unebenen Pfad zu der Bergwand hinan, die über das Dörfchen hing. Fast überall waren die Fußpfade verschneit; Meg Merrilies aber ging mit einem festen, sichern Schritt voran, der ihre genaue Bekanntschaft mit der Gegend verriet. Als sie die Höhe erreicht hatten, breitete sich eine weite, offene Gegend aus, die auf der einen Seite durch ein dichtes Gehölz begrenzt wurde. Meg Merrilies ging weiter, längs dem Rande der Schlucht, bis sie unten Stimmen hörte. Darauf zeigte sich auf einmal, nicht weit entfernt, eine dichte Baumallee ... »Der Weg nach Kippletringan,« sprach sie, »läuft auf der andern Seite des Gehölzes. Aber macht, so schnell Ihr könnt! Es liegt mehr an Eurem Leben, als an dem andrer Leute. Und doch ... Ihr habt alles verloren ...« Sie suchte in einer ungeheuren Tasche und zog einen schmutzigen Beutel hervor ... »Meg und die Ihrigen haben viel Almosen von Eurem Hause empfangen, und sie hat so lange leben sollen, daß sie etwas ersetzen kann.« Mit diesen Worten legte sie den Beutel in seine Hand. »Das Weib ist unsinnig,« dachte Brown; aber es war nicht Zeit, über die Sache Worte zu wechseln, da die Stimmen aus der Tiefe wahrscheinlich den Räubern gehörten ... »Wie soll ich Euch das Geld erstatten?« sprach er; »wie soll ich Euch für die Güte erkenntlich werden, die Ihr mir bewiesen habt?« »Ich habe zwei Bitten an Euch,« antwortete die Zigeunerin, sehr leise und schnell. »Fürs erste sollt Ihr nie etwas von allem sagen, was Ihr heute nacht gesehen habt. Fürs zweite sollt Ihr diese Gegend nicht verlassen, ohne mich noch einmal zu sehen, und Ihr müßt mir im Wirtshause zu Kippletringan Nachricht lassen, wo Ihr zu finden seid; und wenn ich Euch rufe, es mag in der Kirche sein, oder auf dem Markte, auf der Hochzeit, oder beim Begräbnis, am Sonntage oder am Sonnabend, Fleischtag oder Fasttag, Ihr müßt alles verlassen und zu mir kommen.« »Aber was wird Euch das helfen können, Mutter?« »Euch gar viel, und das ist's, woran ich denke. Ich bin nicht toll, wenn auch gar vieles mich um den Verstand hätte bringen können. Ich bin nicht toll, ich fasele nicht und bin auch nicht betrunken; ich weiß, was ich verlange; ich weiß es, es ist Gottes Wille gewesen, Euch aus wunderbaren Gefahren zu erretten, und ich soll das Werkzeug sein, Euch wieder auf Eures Vaters Sitz zu bringen. Drum gebt mir Euer Wort und denkt daran, daß Ihr mir das Leben verdankt, in dieser gesegneten Nacht.« »Wahrlich,« dachte Brown, »es ist etwas Wildes in ihrem Wesen, aber es ist mehr das Wilde der Kraft als des Wahnsinns... Wohlan, Mutter,« fuhr er fort, »ich gebe Euch mein Wort, da Ihr eine so unnütze geringe Gunst fordert. Es wird mir wenigstens Gelegenheit geben, Euch Euer Geld zu erstatten, und mit einer Zugabe.« »Fort, Fort!« rief sie, mit der Hand winkend. »Denkt nicht ans Geld; es ist Euer eigen; aber denkt an Euer Versprechen und wagt es nicht, mir zu folgen und mir nachzusehen.« Mit diesen Worten eilte sie in die Schlucht, und hinter ihr fielen Eiszapfen und Schneeflocken nieder, als sie verschwand. Trotz ihres Verbotes suchte Brown eine Stelle auf dem Bergrande, wo er ungesehen in das Tal hinabblicken könnte, und es gelang ihm nach einigen Schwierigkeiten. Er fand eine Felsenspitze, die steil unter Bäumen und Gestrüpp hervorsprang. Brown kniete auf den Schnee, und vorsichtig das Haupt vorstreckend, konnte er beobachten, was in der Tiefe der Schlucht vorging. Er sah, wie er erwartet hatte, seine nächtlichen Gefährten, zu denen nun noch ein paar andere Männer gekommen waren. Sie hatten den Schnee am Fuße des Felsens weggeräumt und eine tiefe Grube gemacht, die zu einem Grabe dienen sollte. Alle standen rings umher und senkten eine Last, die in einen Schiffermantel gehüllt war, hinab, wie Brown sogleich vermutete, die Leiche des Mannes, den er in der vorigen Nacht hatte sterben sehen. Darauf standen sie einige Augenblicke schweigend, als ob ein teilnehmendes Gefühl über den Verlust ihres Gefährten in ihnen erwacht wäre. Alle Hände regten sich nun, das Grab zuzuwerfen, und da Brown bemerkte, daß die Arbeit bald vollendet war, so hielt er es für das sicherste, den Wink der Zigeunerin zu befolgen und schnell voran zu gehen, um das Gehölz zu erreichen. Als er unter den Bäumen war, dachte er sogleich an den Beutel der Zigeunerin. Er hatte die Gabe ohne Bedenken angenommen, obgleich bei dem Gedanken an den Stand der Geberin das Gefühl in ihm erwachte, daß er sich dadurch manches in seiner Würde vergäbe. Aber er war freilich aus seiner mißlichen, wenn auch nur vorübergehenden Verlegenheit gerettet. Sein Geld, etwas Scheidemünze ausgenommen, war in dem Felleisen, das Megs Freunde genommen hatten. Es verging immer einige Zeit, ehe er von seinem Agenten Antwort, oder auch von seinem Gastfreunde in Charlieshope den Beistand erhalten konnte, auf den er rechnen durfte. Er faßte daher den Entschluß, Megs Hilfe einstweilen zu benutzen, da er ihr das Geld bald mit reichlichen Zinsen zu erstatten hoffte. »Es kann nur wenig sein,« dachte er, »und ich darf wohl glauben, die gute Frau wird auch ihren Anteil von meinen Banknoten erhalten, um sich für dieses Opfer zu entschädigen.« Aber wie groß war sein Erstaunen, als er, den Beutel öffnend, eine große Anzahl von Goldstücken verschiedenen Gepräges und aus verschiedenen Ländern fand, die zusammen gegen hundert Pfund Sterling betragen mochten, und außerdem mehrere Ringe und andere Kleinode, deren Wert er, auch nur nach einer flüchtigen Ansicht, sehr hoch anschlug. Er war ebenso erstaunt als bestürzt, sich im Besitze eines Vermögens zu sehen, das mehr als sein eigenes betrug, aber wahrscheinlich durch eben die unrechtlichen Mittel erworben worden war, durch die er das seinige verloren hatte. Sein erster Gedanke war, sich an den nächsten Friedensrichter zu wenden, ihm den Schatz zu übergeben, der so unerwartet in seinen Gewahrsam gekommen, und dabei die merkwürdigen Ereignisse zu erzählen, die ihm begegnet waren. Bei flüchtigem Nachdenken aber stiegen manche Bedenklichkeiten dagegen auf: Würde er nicht sein Wort brechen und die Sicherheit, vielleicht das Leben der alten Frau in Gefahr setzen, die das ihrige gewagt hatte, ihn zu retten? Ueberdies war er ein Fremdling und hatte, wenigstens fürs erste, nicht die Mittel in Händen, sich bei einem beschränkten oder eigensinnigen Landbeamten, wie man ihrer unter den Friedensrichtern zur Genüge fand, Glauben zu verschaffen. Er wollte die Sache reiflicher erwägen. Vielleicht lag in dem Hauptorte der Grafschaft ein Regiment, und da er unter den Offizieren der Armee viele Bekannte hatte, konnte er dann leicht Mittel finden, sich über seine Person auszuweisen, und durch den Beistand des Regimentskommandeurs die Sache so vermitteln, daß die arme Zigeunerin, die er für verrückt hielt, und deren Zuneigung er einem Mißverständnisse oder einem Vorurteile zuschrieb, in sichere Verwahrung gebracht würde... »Nein,« sprach er zu sich selbst, »sie hat sich auf meine Ehre verlassen, und wenn sie der Teufel wäre, so soll sie sich nicht geirrt haben.« Nach dieser Ueberlegung nahm er aus dem Schatze der Zigeunerin drei bis vier Goldstücke, um seine dringendsten Bedürfnisse zu befriedigen; das übrige aber ließ er in dem Beutel, mit dem Entschlusse, denselben nicht wieder zu öffnen, bis er das anvertraute Gut entweder der Geberin erstatten oder in die Hände eines öffentlichen Beamten niederlegen konnte. Den mitgenommenen Säbel wollte er anfangs im Walde liegen lassen; aber es wäre unvorsichtig gewesen, sich wehrlos zu machen, so lange er noch Gefahr lief, den Räubern wieder zu begegnen. Sein einfaches Reisekleid verriet noch immer so sehr den Kriegsmann, daß die Waffe nicht übel dazu paßte. So ging er mutig durch den Wald, die Landstraße zu suchen, die nach Kippletringan führen sollte. Sechsundzwanzigstes Kapitel Julie Mannering an Mathilde Marchmont. Wie kannst Du mir vorwerfen, teuerste Mathilde, daß meine Freundschaft erkaltet und meine Zuneigung unbeständig sei? Konnte ich die Freundin vergessen, die mein Herz auserwählte, und in deren treue Brust ich jedes Gefühl niedergelegt habe, das ich mir selbst einzugestehen wage? Und eben so unrecht tust Du mir, wenn Du mir vorwirfst, daß ich jetzt Lucys Freundschaft Deiner Liebe vorziehe. Ich beteure Dir, sie hat nicht die Eigenschaften, die ich bei einer Busenfreundin suchen muß. Wohl ist sie ein liebes Mädchen; ich bin ihr auch recht gut und will es Dir nur gestehen, unsere Morgen- und Abendunterhaltungen haben mir weniger Zeit zum Schreiben gelassen, als ich zu dem verabredeten regelmäßigen Briefwechsel brauchte. Aber es fehlt ihr gänzlich an allen feineren Vollkommenheiten, die Kenntnis des Französischen und Italienischen ausgenommen, die sie dem seltsamsten Ungeheuer verdankt, das Du je gesehen hast, dem Manne, dem mein Vater seine Büchersammlung anvertraut hat, und den er, wie ich glaube, bloß unter seinen Schutz genommen hat, um der Welt zu zeigen, daß er ihrer Meinung trotzt. Mein Vater scheint sich vorgenommen zu haben, nichts für lächerlich gelten zu lassen, so lange er es vertritt oder an sich hat, oder damit in Verbindung steht. Ich erinnere mich, wie er einst in Indien irgendwo einen Hund eingefangen, mit krummen Beinen, langem Rücken und großen schlappen Ohren. Von der Idee, dieses wunderliche Geschöpf, allem Geschmacke zum Trotz, zu seinem Lieblinge zu machen, war er nicht abzubringen, und ich besinne mich, daß er einmal als Beweis für Browns mutwillige Laune, wie er Browns Weise zu nennen liebte, den Umstand anführte, daß Brown sich über Bingos schiefe Beine und schlappe Ohren aufgehalten habe. Wahrlich, Mathilde, ich glaube, seine hohe Meinung von diesem linkischen Schulfuchs beruht auf einem ähnlichen Grunde. Könntest Du doch den Mann hören, wie er das Tischgebet spricht, das sich ungefähr anhört wie das Geschrei eines Ausrufers in den Straßen von London. Dann schlingt er seine Bissen hinunter, ohne, wie es scheint, zu wissen, was er schluckt, und sobald er, als Dankgebet, abermals ein Paar unverständliche Töne von sich gegeben, stapft er hinaus, um sich unter einen Haufen wurmstichiger Bücher zu begraben, die so absonderlicher Art sind, wie er selbst. Ich könnte ihn allenfalls noch ertragen, wenn ich nur jemand hätte, der mit mir lachte; aber ich darf nur etwas vorbringen, das aussieht wie ein Scherz über den Herrn Sampson – das ist nämlich dieses gräßlichen Subjekts Name – so sieht Lucy Bertram mich mit so kläglichen Blicken an, daß ich allen Mut verliere, mich weiter mit ihm zu befassen, zumal dann auch mein Vater die Stirn runzelt und Flammenblitze aus seinen Augen auf mich schießt, wenn er sich nicht gar in die Lippe beißt und Worte spricht, die für mein weicheres Gefühl sich sehr hart anhören. Doch ich wollte Dir von dem grundgelehrten Manne weiter nichts sagen, als daß er Lucy in den neueren Sprachen unterrichtet hat, und ich glaube, sie verdankt es nur ihrer guten Vernunft oder ihrem Eigensinne, daß nicht auch Griechisch und Lateinisch, und vielleicht gar Hebräisch, zu ihren Kenntnissen gehören. Sie hat in der Tat sehr viele Kenntnisse, und ich wundere mich jeden Tag, wieviel Mittel sie durch ihre große Belesenheit besitzt, sich selbst zu unterhalten; wir lesen jeden Morgen miteinander, und ich fange an, mehr Gefallen an dem Italienischen zu finden, als zu der Zeit, wo der eingebildete Pinsel Cicipici uns unterrichtete. »Aber vielleicht liebe ich Lucy mehr wegen der Vollkommenheiten, die ihr fehlen, als wegen der Kenntnisse, die sie besitzt. Von der Tonkunst versteht sie gar nichts, und vom Tanzen nicht mehr, als alle Landleute hier, die doch den Tanz nur wenig lieben. Ich bin also auch ihre Lehrerin geworden. Sie ist mir sehr dankbar für Klavierunterricht, und ich habe ihr schon gezeigt, was ich von unserm Tanzmeister, Le Pique, gelernt habe, der, wie Du weißt, mich für eine sehr hoffnungsvolle Schülerin hielt. »Abends liest uns mein Vater öfter vor, und das muß ich sagen, ich habe Gedichte nie von einem andern Manne so trefflich vortragen hören wie von ihm; nicht etwa wie ein Deklamator, der sich als Mittelding von Vorleser und Schauspieler aufspielt, die Stirn runzelt, das Gesicht verdreht und ein Gebärdenspiel treibt, als ob er in vollem Theaterschmucke auf den Brettern stände. Nein! ganz anders ist meines Vaters Art; durch Gefühl, durch Geschmack, durch Modulation der Stimme, bringt er die feinsten Wirkungen hervor, nicht durch Gebärdenspiel und Mummerei. Lucy reitet sehr gut, und durch ihr Beispiel ermuntert, habe ich es schon so weit gebracht, sie auf ihren Ritten zu begleiten. Auch gehen wir, trotz der Kälte, viel ins Freie. Und so habe ich freilich nicht mehr so viel Zeit zum Schreiben als sonst. »In der Tat, liebe Mathilde, muß ich auch die Entschuldigung aller einfältigen Briefschreiber brauchen, »daß ich weiter nichts zu sagen habe.« Meine Hoffnungen, meine Besorgnisse beanspruchen geringes Interesse, seit ich weiß, daß Brown frei und gesund ist. Und ich denke auch, er hätte bis jetzt wohl Zeit finden können, mir Nachricht von sich zu geben. Unser Verhältnis mag unbedachter Art gewesen sein, aber ich möchte es nicht eben schmeichelhaft für mich finden, wenn Brown dies zuerst herausgefunden haben und daraufhin zurückgetreten sein sollte. Er könnte sich schon darauf verlassen, daß unsere Meinungen, wenn er solcher Meinung wäre, nicht sonderlich auseinandergehen möchten, denn es ist mir oft so vorgekommen, als ob ich mich in dieser Sache recht töricht benommen habe. Aber ich habe wirklich eine so gute Meinung von Brown, daß ich den Gedanken nicht loswerden kann, es müsse eine besondere Bewandtnis mit seinem Stillschweigen haben. »Aber noch einmal, liebe Mathilde, wegen Lucy Bertram magst Du ganz unbesorgt sein. Sie kann nie, nie Deine Nebenbuhlerin werden, und Deine zärtliche Eifersucht ist ohne Grund. Ja, sie ist ein hübsches, gefühlvolles, recht herzliches Mädchen, und ich glaube, bei solcher Freundin, wie sie es ist, würde ich am liebsten Trost in allen wirklichen Lebensleiden suchen. Aber diese treten uns so selten in den Weg, und man braucht einen Freund, der an eingebildeten Leiden Anteil nimmt, wie an wirklichem Mißgeschicke. Gott weiß es, und Du weißt es, meine teure Mathilde, daß wahre Herzens-Krankheiten den Balsam des Mitgefühls und der Zuneigung ebenso brauchen, wie Leiden, die offener zu Tage liegen und den Menschen schärfer alterieren. Lucy Bertram aber hat nichts von diesem freundlichen Mitgefühle, gar nichts, liebe Mathilde. Läge ich im Fieber krank, so säße sie jede Nacht an meinem Bette und pflegte mich mit der unermüdlichsten Geduld; aber an dem Herzensfieber, das meine Mathilde so oft gelindert hat, nimmt sie ganz ebensowenig Anteil wie ihr alter Lehrer. Und was mich nicht wenig ärgert, das spröde Aeffchen hat Dir wirklich einen Liebhaber, und ihre gegenseitige Neigung – denn für gegenseitig halte ich sie – ist recht romantisch. Sie war einst, wie Du schon weißt, eine reiche Erbin, die durch die unvorsichtige Freigebigkeit ihres Vaters und die Niederträchtigkeit eines abscheulichen Menschen, dem er blindes Vertrauen schenkte, um ihr Vermögen kam. Einer der schönsten jungen Männer in dieser Gegend ist ihr Liebhaber; aber da er der Erbe eines ansehnlichen Besitztumes ist, will sie seine Bewerbungen, eben der ungleichen Finanzverhältnisse halber, nicht dulden.« »Doch bei all dieser Besonnenheit, Selbstverleugnung, Bescheidenheit und so weiter, ist Lucy ein kluges Kind, gewiß, sie liebt den jungen Hazlewood, und ebenso gewiß weiß ich, daß er es ahnt und sie wohl zu einem Geständnis ihrer Liebe brächte, wenn mein Vater oder sie selber ihm Gelegenheit dazu vergönnen wollte. Aber Du mußt wissen, mein Vater ist immer bei der Hand Lucy jene kleinen Aufmerksamkeiten zu erweisen, die einem jungen Manne in Hazlewoods Lage die beste Gelegenheit zu freundlicher Annäherung schaffen würden. Ich wollte, mein lieber Vater wäre ein wenig mehr auf der Hut, damit er nicht noch die Strafe bezahle, die gewöhnlich nicht ausbleibt, wenn man sich in fremde Händel mengt. Wahrlich, wenn ich Hazlewood wäre, so hätte ich wohl ein schärferes Auge auf diese Artigkeiten und Komplimente. diese Bemühungen, die Mantille umzuhängen, den Shawl abzunehmen, die Hand zu führen, den Arm zu reichen, und so weiter und so weiter: ich glaube übrigens, daß er sich in manchen Augenblicken auch seine Gedanken darüber macht. Denke Dir, wie einfältig bei solchen Gelegenheiten Deine arme Julie sich ausnimmt! Hier tut mein Vater schön mit meiner Freundin; dort bewacht Hazlewood jedes Wort, das über ihre Lippen kommt, und jede Bewegung ihres Auges, und ich habe nicht das armselige Vergnügen, den Blick irgend eines menschlichen Wesens auf mich zu ziehen, nicht einmal jenes seltsamen Geistlichen, denn auch der sitzt immer da mit offenem Munde und heftet die großen glotzenden Augen voller Bewunderung auf Fräulein Bertram. »Alles dies macht mich zuweilen nervös, zuweilen sogar ein bißchen boshaft. Ich war neulich so ärgerlich auf meinen Vater und das Liebespaar, weil niemand sich mit mir befaßte oder mit mir sprach, daß ich mich bei Hazlewood direkt beschwerte, und auf eine Weise, die es ihm unmöglich machte, still zu bleiben, wenn er nicht unhöflich werden wollte. Er wurde unmerklich warm bei seiner Verteidigung. Du kannst es mir glauben, Mathilde, er ist ein sehr geschickter, ein sehr hübscher junger Mann, und er war mir noch nie in so günstigem Lichte erschienen wie gerade jetzt. Aber mitten in unserer lebhaften Unterhaltung drang mir ein leiser Seufzer aus Lucys Munde ins Ohr, und – wie ich bekenne – zu meiner gar nicht geringen Freude. Aber diesen kleinen Sieg weiter zu verfolgen, ließ meine Großmut nicht zu, auch wenn mir nicht vor meinem Vater bange gewesen wäre. Zum Glück war er in diesem Augenblick gerade in einer langen Schilderung der merkwürdigen Sitten eines indischen Volksstammes befaßt, der in einer abgelegenen Gegend wohnt, und erläuterte seine Beschreibung durch Zeichnungen von Trachten, die er auf Lucys Stickmuster machte, ohne es zu gewahren, daß er ein paar dadurch verdarb. Ich glaube, sie hat in diesem Augenblicke wohl weniger an ihr eigenes Kleid als an die indischen Turbane gedacht. Recht gut, daß er nicht sah, was ich durch mein kleines Manöver angestellt hatte, denn er hat sonst ein Falkenauge, und alles, was irgend nach Liebelei aussieht, ist ihm in den Tod verhaßt. »Auch Hazlewood vernahm den kaum hörbaren Seufzer aus Lucys Munde, bereute sogleich die flüchtige Aufmerksamkeit, die er einem so unwürdigen Gegenstande erwiesen, wie Deine Julie es einmal ist, und mit einem wahrhaft lustigen Ausdruck von Schuldbewußtsein postierte er sich wieder hinter Lucys Stickrahmen. Er sprach ein paar nichtssagende Worte, und ihre Antwort war so beschaffen, daß nur das scharfe Ohr eines Verliebten oder eines so neugierigen Beobachters, wie ich, einen stärkeren Grad von Kälte oder Dürre heraushören konnte, als man gewöhnlich wohl darin finden mag. Der schuldbewußte Held fühlte indes den Vorwurf und schlug errötend die Augen nieder. Nicht wahr, es würde einen zu großen Mangel an Großmut verraten haben, wenn ich nicht die Vermittlerin hätte machen wollen? Ich mischte mich also in ihr Gespräch, gelassen und ruhig, wie es sich einer unaufmerksamen, unbefangenen Teilnehmerin schickt, und lenkte sie unmerklich wieder in die frühere leichte und bequeme Unterhaltung zurück. Als mir dies aber gelungen war, animierte ich sie zu einer Schachpartie, trat zu meinem Vater, der noch immer mit seinen Zeichnungen befaßt war, und neckte ihn ... Die Schachspieler saßen nicht weit vom Kamine vor einem Nähtischchen; mein Vater saß in einiger Entfernung vor einem Büchertische. »Das Schachspiel ist wohl sehr amüsant, Vater,« hob ich an. »Es gilt allgemein dafür,« antwortete er, ohne mich eines Blickes zu würdigen. »Es muß wohl so sein; sonst würden wohl Herr Hazlewood und Lucy sich nicht so ernst damit befassen.« »Mein Vater blickte schnell auf mich und hielt den Bleistift eine Weile untätig in der Hand. Wahrscheinlich aber sah er nichts, was seinen Argwohn wecken konnte, denn er skizzierte weiter an seinem Mahratten-Turban, dessen Falten ihm nicht recht gelingen wollten. »Wie alt ist denn eigentlich Fräulein Bertram, Vater?« hob ich wieder an. »Wie kann ich es wissen! Vermutlich so alt wie Du!« »Sie dürfte wohl älter sein, Vater! Sie sagten mir ja immer, Lucy wisse sich so anständig beim Teetische zu benehmen ... Warum wollen Sie ihr nicht ein für allemal den Vorsitz dort einräumen?« »Julie,« antwortete mein Vater, »Du bist entweder ein recht albernes Ding oder findest am Unheilstiften mehr Lust und Vergnügen, als ich Dir bis jetzt zugetraut habe.« »O, lieber Vater, legen Sie mir doch nicht alles aufs schlimmste aus! Ich möchte um alles in der Welt nicht gern für ein albernes Ding gelten.« »Warum führst Du denn aber Reden, die auf solche Meinung führen müssen?« »Du meine Güte, Vater – mir kommt, was ich sage, gar nicht so albern vor – wirklich nicht! weiß doch alle Welt, daß Sie noch ein sehr hübscher Mann sind« (ein leichtes Lächeln wurde sichtbar) – »ich meine, für Ihr Alter« (der Schimmer von Fröhlichkeit schwand), »wenn Sie auch noch in den besten Jahren stehen. Warum sollten Sie nicht Ihrer Neigung folgen? Ich weiß wohl, daß ich nur ein unbesonnenes Mädchen bin, und wenn eine ernsthaftere Lebensgefährtin Sie glücklicher machen könnte, warum sollte es dann nicht Ihnen anheimgestellt sein, sie sich zu suchen?« »Auf seine Züge trat, als er jetzt meine Hand nahm, ein seltsames Gemisch von Verdruß und herzlicher Liebe; und mir bedeutete dasselbe eine ernste Zurückweisung des kleinen Scherzes, den ich mir mit seinen Empfindungen erlaubt hatte... »Julie,« sagte er, »ich bin sehr nachsichtig gegen Deinen Mutwillen, weil ich glaube, daß ich es schuldigerweise versäumt habe, strenger über Deine Erziehung zu wachen. Aber daß Du Deinen Mutwillen auch mit einem so zarten Gegenstande treiben willst, entspricht nicht meinen Wünschen. Willst Du die Empfindungen nicht ehren, die im Herzen Deines Vaters nach wie vor für Deine Mutter wohnen, so achte wenigstens das heilige Recht des Unglücks. Vergiß nicht, daß, wenn auch nur das leiseste Wort von solchem Scherze Lucy zu Ohren käme, sie ihre jetzige Zuflucht nicht allein auf der Stelle verließe, sondern sich ohne Schutz in die Welt hinausgestoßen sähe, deren rauhe Seite sie doch schon mehr als genug empfunden hat.« »Was konnte ich dazu sagen, Mathilde? Ich bat ihn herzlich um Verzeihung und versprach, in Zukunft ein frommes Kind zu sein. So stehe ich denn wieder ganz allein. Ich darf nun, ohne mich dem eigenen Vorwurfe auszusetzen, die arme Lucy nicht mehr durch neckische Manöver gegen Hazlewood quälen, ebensowenig es aber wagen, meinem Vater gegenüber den zarten Punkt noch einmal zu berühren. Da sitze ich denn und brenne Papierröllchen ab und zeichne mit dem schwarzen Ende Türenköpfe auf Karten oder spiele auf dem leidigen Klavier und fange wohl auch an, irgend ein ernsthaftes Buch von hinten an zu lesen, wie es die Juden machen sollen. »Browns Stillschweigen macht mich wirklich recht verdrießlich. Hätte er das Land verlassen müssen, so hätte er mir doch gewiß geschrieben! Sollte mein Vater seine Briefe aufgefangen haben? Doch nein, das wäre durchaus gegen seine Grundsätze! Ich glaube nicht, daß er einen Brief öffnete, den ich abends erhielte, selbst wenn er dadurch verhüten könnte, daß ich am andern Morgen aus dem Fenster spränge! Doch was für Worte sind mir da entschlüpft! Ich sollte darüber erröten, Mathilde, wenn ich es auch nur Dir gegenüber im Scherze ausgesprochen! Aber ich kann kein Verdienst darin erblicken, wenn man handelt wie man handeln muß. Brown ist ja kein so feuriger Liebhaber, daß er die Person, der seine Neigung gehört, zu dergleichen unbedachten Schritten verleiten möchte! Im Gegenteil! er läßt einem Zeit genug zu ruhiger Ueberlegung. Doch ich will ihn nicht ungehört tadeln, will mir nicht herausnehmen, an der männlichen Festigkeit seines Gemüts zu zweifeln, das ich Dir oft genug gepriesen habe. Wäre er imstande, Zweifel und Besorgnis zu hegen, wäre er fähig, Unbeständigkeit auch nur leise zu argwöhnen, so hätte ich wahrlich nur geringe Ursache, seinen Verlust zu beklagen. »Du wirst fragen, warum ich, wenn ich solch ideale Anschauungen von einem Liebhaber nähre, so ängstlich bekümmert um Hazlewoods Tun und Lassen sei? oder wem er den Hof mache? Die gleiche Frage stelle ich mir wohl hundertmal am Tage selbst, finde aber immer nur die recht törichte Antwort, daß man, auch wenn man zu ernstlicher Untreue nichtsdestoweniger denn animieren möchte, doch über jede, wenn auch nur scheinbare Vernachlässigung sich ärgert. »Ich schreibe Dir all diese Kleinigkeiten, weil Du schreibst, daß sie Dich amüsieren; aber daß dem so ist, wundert mich doch! Ich erinnere mich wohl, wie Du bei unsern Ausflügen in die Welt der Poesie immer nur Meinung hattest für das Große und Romantische! Rittergeschichten, Zwerge, Riesen, bedrängte Fräulein, Wahrsager, Geisterspuk und dergleichen waren Dein Fall, während mich nur die gewöhnlichen Lebensverwickelungen fesseln konnten, oder höchstens nur das bißchen von Wunder, das wir durch einen morgenländischen Genius oder eine wohlwollende Fee bewirken können. Du hättest Deine Lebensbahn gern über das weite Weltmeer, durch seine Windstillen, seine heulenden Stürme, seine Wirbelwinde, seine berghohen Wogen geführt; ich aber wäre mit meinem kleinen Boote bei frischem Winde lieber in einen Landsee oder eine stille Bucht eingelaufen, wo man wohl immer noch Geschicklichkeit hätte aufbieten müssen, aber schließlich keine Gefahr gelaufen wäre. Du also, Mathilde, hättest meinen Vater haben müssen mit seinem Kriegsruhm und seinem Ahnenstolz, seinem ritterlichen Ehrgefühl, seinen hohen Geistesgaben und seiner Vorliebe für allerhand tiefsinnige, geheimnisvolle Forschungen; Deine Freundin hätte aber Lucy Bertram sein müssen, deren Altvordern mit Namen, die sich so wenig behalten wie schreiben lassen, in diesem romantischen Lande herrschten, und deren Geburt, wie ich freilich nur aus unbestimmten Nachrichten weiß, unter ganz sonderbaren Umständen erfolgt ist. Unsere von Bergen umringte Wohnung und unsere Spaziergänge zwischen gespenstervollen Trümmern wären Dir auch recht gewesen. Mir aber hätte der schöne Park einer freundlichen, nachsichtigen Tante zufallen mögen, mit ihrer Betstunde am Morgen, ihrem Mittagsschläfchen und ihrer Whistpartie am Abend, die drallen Kutschpferde und den noch dralleren Kutscher nicht zu vergessen! Uebersieh aber nicht, daß Brown in diesen Tausch nicht eingeschlossen ist! Sein freundliches Gemüt, seine lebhafte Unterhaltungsgabe, seine frischfröhliche Tapferkeit passen ebensogut zu meinem Lebensplane, wie seine kräftige Gestalt, seine schönen Züge, sein hoher Mut mit Ritterlichkeit vereinbar wären. Wir können also keinen vollständigen Tausch eingehen, und so wird jeder doch eben behalten müssen, was er hat. Siebenundzwanzigstes Kapitel Julie Mannering an Mathilde Marchmont. »Ich stehe eben vom Krankenbette auf, teuerste Mathilde, und will Dir die sonderbaren entsetzlichen Ereignisse erzählen, die ich erlebt habe. O, man sollte nicht über die Zukunft scherzen! Ich schloß meinen letzten Brief an Dich in fröhlichem Uebermute und dachte nicht daran, daß ich Dir binnen wenigen Tagen solche schrecklichen Dinge mitteilen müßte. Es ist etwas ganz anderes, liebe Mathilde, furchtbare Auftritte mit anzusehen, mit zu durchleben, oder sie nur in Schilderungen zu lesen; eben so verschieden, als wenn man, am Rande eines Abgrundes schwebend, an einem fast entwurzelten Strauche sich hielte, und solchen Absturz in einem Landschaftsbilde von Salvator Rosa sähe. »Dem ersten Teil meines Berichts fehlt es zwar nicht an Grausen, doch tritt er, wie Du wissen mußt, meinem Herzen nicht nahe, Unser Küstenland ist für eine Schar verzweifelter Menschen, die auf der benachbarten Insel Man hausen, das richtige Eldorado, für die vielen Schleichhändler nämlich, die die Gegend schon so oft in Angst und Schrecken gesetzt haben, sobald jemand ihrem Treiben ein Ziel setzen wollte. Die Zollbeamten sind, aus Furchtsamkeit oder aus schlimmern Beweggründen, lässig und ängstlich, und gehen diesen Menschen, die durch solche schlaffe Justiz trotzig und verwegen geworden, am liebsten aus dem Wege. Mein Vater, der hier fremd ist und dem alles gerichtliche Ansehen fehlt, hat begreiflicherweise mit solchen Dingen im Grunde nichts zu schaffen. Aber wenn er meint, unter dem Zeichen des Mars geboren zu sein und von Kampf und Blutvergießen selbst in der tiefsten Einsamkeit und in friedlichen Lebensverhältnissen nicht verschont zu bleiben, so kann man ihm nicht unrecht geben. »Am vorigen Dienstag, ungefähr gegen elf Uhr vormittags, als Hazlewood und mein Vater eben auf dem Wege zu einem kleinen See, ungefähr drei Meilen von hier, waren, wo sie wilde Enten schießen wollten, wurden wir, mit den Vorbereitungen zu unsrer Tagesarbeit befaßt, plötzlich durch Pferdegetrappel in Unruhe gesetzt, das sich auf dem hartgefrorenen Boden unheimlich laut anhörte. Im andern Augenblick kamen drei Reiter, jeder mit einem bepackten Rosse, auf dem Freiplatze vor dem Hause in Sicht, die in großer Bedrängnis und Eile zu sein schienen und sich oft umblickten, als ob sie Verfolger hinter sich wüßten... »Mein Vater begab sich mit Hazlewood an die Haustür und fragte nach dem Begehren der Leute. Es waren Zollwächter, die mit Schmugglerware bepackte Pferde in einem nicht weit entfernten Dorfe weggenommen hatten und nun von dem verstärkten Haufen der Schleichhändler grimmig verfolgt wurden. Sie suchten Zuflucht in Woodbourne und baten meinen Vater, ihnen als Regierungsbeamten, die bei Ausübung ihrer Pflicht in Lebensgefahr geraten seien, seinen Schutz nicht zu versagen. »Meinem Vater, einem begeisterten Anhänger von Recht und Gerechtigkeit, dem selbst ein Kind, wenn er im Namen des Königs käme, ein Gegenstand unbegrenzten Respekts wäre, gab sogleich Befehl, das Schmugglergut in seinem Haus in Sicherheit zu bringen, alles Dienstvolk zu bewaffnen und das Haus für jeden Notfall in Verteidigungszustand zu setzen. Hazlewood ging ihm wacker zur Seite, und selbst Sampson kam aus seiner Bücherhöhle hervor und ergriff eine Jagdflinte, die mein Vater abgelegt und mit einer jenen Explosionsbüchsen vertauscht hatte, die man in Indien zur Tigerjagd benutzt. Aber in der ungeschickten Hand des armen Bücherwurms ging die Jagdflinte los, und wenig fehlte, so wäre einer von den Zollwächtern von der Schrotladung getroffen worden. Bei diesem unerwarteten Zufalle rief natürlich Held Sampson sein Leibwort: »Ko-misch!«, wie gewöhnlich, wenn er in Erstaunen gerät. Aber niemand konnte ihn bewegen, die losgegangene Flinte aus der Hand zu legen, doch sorgte man dafür, daß ihm Pulver und Blei unzugänglich blieben. Hazlewood hat uns nachher all diese Dinge erzählt, die ich selbst, wie Du leicht denken kannst, in jenem Augenblicke nicht wahrnahm, und uns durch seine lustige Schilderungsweise unendlich viel Spaß gemacht. »Als mein Vater alles zur Verteidigung hergerichtet und seine Leute mit Feuergewehren an die Fenster postierte, wollte er uns in Sicherheit, in einen Keller, glaube ich, bringen; aber wir rührten uns nicht von der Stelle. Ich habe, wenn ich auch heftig erschrocken war, doch so viel von meines Vaters Mut geerbt, daß ich der drohenden Gefahr lieber offen ins Auge blicken, als den Gang der Dinge nur aus der Ferne beobachten wollte, Lucy, bleich wie ein Marmorbild, heftete ihre Blicke auf Hazlewood und schien kaum zu hören, als er sie bat, wenigstens die Vorderseite des Hauses zu meiden. Die Gefahr war in der Tat unbedeutend für uns, wenn die Tür nicht erstürmt wurde, denn alle Fenstern waren mit Kissen und Polstern und, zu Sampsons großem Leidwesen, mit eilig herbeigeschleppten Folianten verschanzt worden, ja man hatte nur kleine Schießlöcher freigelassen. »Wir sahen in dem dunklen Zimmer in banger Erwartung, Alle Männer standen schweigend auf ihren Posten. Mein Vater, in solcher Situation völlig zu Hause, wanderte vom einen zum andern und schärfte jedem ein, nicht früher zu schießen als auf sein Kommando. Hazlewood, durch meines Vaters Beispiel ermuntert, übernahm den Adjutantendienst und war gleichfalls immer unterwegs, um die Anordnungen meines Vaters überall und schnell in die Tat umzusetzen. Unsere Besatzung mochte sich auf annähernd ein Dutzend Köpfe belaufen. »Endlich wurde die erwartungsvolle Stille wieder durch lautes Pferdegetrappel unterbrochen. Ich hatte mir ein kleines Loch in einen Fensterkasten gebohrt und sah, daß mehr als dreißig Berittene auf dem Platze vor dem Hause hielten. Niemals in meinem Leben habe ich gräßlichere Gestalten gesehen! Ungeachtet der heftigen Kälte gingen die meisten halbnackt, trugen seidene Tücher um den Kopf geschlungen und waren mit Karabinern, Pistolen und kurzen Säbeln bewaffnet. Ihre Pferde dampften von dem schnellen Ritte ... Wildes Geschrei erscholl, als sie inne wurden, daß ihnen ihre Beute aus den Zähnen gerückt war. Eine kurze Stille folgte. Die Räuber schienen Rat zu halten, denn die zu ihrem Empfange getroffenen Inrüstungen waren ihnen natürlich nicht entgangen. Endlich näherte sich einer, dessen Gesicht mit Pulver geschwärzt war, mit einem weißen Tuch auf dem Karabiner und verlangte mit dem Obersten Mannering zu sprechen. Zu meinem unsäglichen Schreck machte mein Vater das Fenster auf, vor welchem ich stand, und fragte, was man von ihm wolle .. »Unser Gut wollen wir, das uns die Schnapphähne von Zollwächtern geraubt haben,« lautete die Antwort. »Unser Leutnant läßt Euch melden, daß wir abziehen wollen, sobald uns alles Gut wieder ausgefolgt wird, und daß wir den Schurken dann nicht an den Kragen gehen werden, die so frech waren, es uns abzunehmen .. daß wir aber, falls unserm Willen nicht Folge geleistet wird, dem Obersten den roten Hahn aufs Dach setzen und nichts drinnen schonen werden, bis auf den letzten Blutstropfen!« Die Drohung war mit entsetzlichen Flüchen begleitet. »Wer ist Euer Leutnant?« fragte mein Vater. »Der dort auf dem Grauschimmel, mit dem roten Tuch um den Kopf,« erwiderte der Kerl. »Nun, dann sagt ihm,« rief mein Vater mit lauter Stimme, »wenn er und die Schurken, die bei ihm sind, nicht auf der Stelle den Platz räumen, so lasse ich Feuer geben!« Mit diesen Worten schlug er das Fenster zu. Kaum war der Bote wieder zu dem Haufen zurückgekehrt, als alle unter wildem Geheul ihre Gewehre gegen das Haus abfeuerten. Klirrend Prasselten die Scheiben aus den Fenstern: aber die von meinem Vater angeordneten Schutzmaßregeln bewährten sich, und es wurde niemand von einer Kugel getroffen. Dreimal schossen die Belagerer, ohne daß auch nur ein Schuß aus dem Hause auf sie fiel. Als aber mein Vater nun wahrnahm, daß die Belagerer zu Beilen und Brechstangen griffen in der offenkundigen Absicht, das Haustür zu erbrechen, kommandierte er laut: »Keiner feuert, außer mir und Hazlewood! Sie, Hazlewood, nehmen den Botschafter aufs Korn!« Von seiner Kugel getroffen, fiel im andern Augenblicke der Mann, den sein Kamerad als den Leutnant bezeichnet hatte, von seinem Schimmel, und Hazlewood erwies sich als ebenso tüchtiger Schütze, denn der Schmuggler, der inzwischen abgestiegen war und sich mit der Axt in der Hand heranschlich, stürzte ebenfalls. Infolge dieser kräftigen Gegenwehr sank den anderen der Mut: sie rannten zu ihren Pferden, gaben wohl noch ein paar Schüsse ab, dann jedoch Fersengeld, nahmen aber ihre beiden angeschossenen Gefährten mit. Ob sie noch größeren Verlust erlitten, konnten wir nicht feststellen. Gleich nach ihrer Flucht erschien zu unsrer großen Freude ein Kommando Soldaten, das in die benachbarten Dörfer gelegt wurde. Eine Abteilung geleitete die Zollwächter mit dem konfiszierten Schmugglergute nach einem kleinen Hafenorte in der Nähe, und auf meine dringliche Bitte blieb eine andere Abteilung bis zum folgenden Tage bei uns im Hause, um uns vor etwaiger Rache der Schmuggler zu schützen. »Dies war die erste wirkliche Angst, liebe Mathilde, die ich in meinem Leben ausgestanden habe. Fast hätte ich vergessen, Dir zu sagen, daß die Räuber den Kerl mit dem geschwärzten Gesicht auf der Landstraße vor einer Hütte zurückgelassen haben, wahrscheinlich weil er nicht weiter transportabel gewesen ist. In der andern halben Stunde hat derselbe seinen Geist aufgegeben. Bei der Leichenschau wurde festgestellt, daß es ein Bauer aus der Umgegend war, der als Schleichhändler schon lange im schlimmsten Rufe gestanden. Von den benachbarten Familien laufen fortwährend Gratulationen zu der glücklichen Abweisung des Ueberfalles ein, und allgemein herrscht die Meinung, daß wir uns auf das mannhafteste gewehrt hätten. Mein Vater hat unter das Dienstvolk Prämien ausgeteilt und Hazlewood für den bewiesenen Mut außerordentlich gelobt; auch Lucy und ich haben ein paar beifällige Worte aus seinem Munde vernommen, weil wir die Situation weder durch Geschrei noch durch Widerspruch erschwert hätten. Mit Magister Sampson wollte mein Vater die Tabaksdosen austauschen. Der brave Mensch sträubte sich erst dagegen, war aber nachher höchst erfreut über solches Ansinnen und fand der Worte gar nicht genug, die Schönheit seiner neuen Dose zu preisen, die ganz so aussähe, sagte er – »ko-misch, ko-misch!« – wie echtes Gold aus Ophir. Es wäre nun allerdings merkwürdig gewesen, wenn sie nicht so ausgesehen hätte, denn sie war von Gold; aber um dem ehrlichen Tolpatsch Gerechtigkeit angedeihen zu lassen, so glaube ich, daß er, wenn er den wahren Wert der Dose gekannt hätte, seiner Dankbarkeit gegen meines Vaters Edelsinn auch keinen schärferen Ausdruck hätte geben können, als jetzt, da er nicht anders meinte, als sie sei aus Tombak und nur vergoldet ... Viel Arbeit und Mühe hat es ihm heut bereitet, die Folianten, die als Schanzkörbe oder Bollwerke gebraucht wurden, wieder an ihren Platz zurückzuschaffen; er wird wohl auch manche Ecke haben gerade biegen und manches Eselsohr glatt streichen müssen. Ja er hat uns sogar ein Paar Kugeln gezeigt, die er aus den Büchern gezogen hatte, und wäre es mir wohler zu mute, so könnte ich Dir eine gar lustige Geschichte erzählen von dem Eifer und Staunen, das dieser »Held des Tages« an den Tag gelegt und mit welcher Bravour er uns von den Wunden erzählt hat, die sich ein Thomas von Aquino und andere Heilige in andern harten Kämpfen geholt! ...Aber ich habe zu scherzen jetzt keine Lust und will Dir lieber eine andere Sache erzählen, die ich noch in petto habe und die Deine Teilnahme wohl mehr in Anspruch nehmen dürfte. Doch nicht gleich; denn ich bin so erschöpft von meiner heutigen Mühsal, daß ich erst morgen fortfahren kann ... Ich will aber den Brief, um Dir keine Sorge zu bereiten, nicht eher abschicken, als bis ich meine Nachschrift fertig habe ...« Ich nehme, meine teuerste Freundin, den Faden meines gestrigen Berichtes wieder auf ... »Von der ausgestandenen Belagerung war natürlich mehrere Tage lang ausführlich die Rede, und allerhand Weiterungen wurden nicht minder daraus erwartet: wir machten deshalb meinem Vater den Vorschlag, eine Tour nach Edinburg zu unternehmen, oder eventuell wenigstens bis nach Dumfries: um den Schleichhändlern Zeit zur Beruhigung zu gönnen; mein Vater jedoch will nichts davon wissen, er meint nämlich, daß der Empfang, den die Schurken gefunden, sie kaum zu einem zweiten Besuche animieren dürfte; daß aber anderseits, wenn er durch Entfernung Furcht zeige, leicht das Gegenteil eintreten konnte; jedenfalls käme es ihm niemals in den Sinn, das ihm anvertraute Haus und Eigentum widerstandslos Bösewichtern in die Hände fallen oder gar die Seinigen ohne seinen Schutz und Beistand zu lassen. Durch solche Worte ermutigt, gewannen auch wir unsere Ruhe wieder und nahmen unsere früheren Spaziergange wieder auf; doch mußten auf Befehl meines Vaters die Männer zuweilen die Flinten mitnehmen, und es entging mir auch nicht, daß mein Vater nachts manchmal recht besorgt war und dem Dienstvolk untersagte, sich anders, als mit Waffen über dem Bette, schlafen zu legen. »Drei Tage später aber trug sich ein Vorfall zu, der mich in weit größere Angst und Unruhe versetzte, als der Angriff der Schleichhändler auf unser Haus. Ich habe Dir schon gesagt, daß nicht weit von Woodbourne ein kleiner See liegt, wo mein Vater und Hazlewood zuweilen auf Wildenten jagen. Beim Frühstück gab ich dem Wunsche Ausdruck, eine Partie dorthin zu unternehmen, um uns die Schlittschuhläufer anzusehen, die jetzt dort ihrem gesunden Sport obliegen. Der verschneite Boden war fest gefroren und von den Schaulustigen, die täglich zum See hinauswanderten, ein so fester Pfad getreten worden, daß Lucy und ich keinerlei Bedenken trugen, uns bis zum See hinaus zu wagen, Hazlewood erbot sich, uns mit seiner Büchse zu begleiten; zuerst lachte er über unsere Aengstlichkeit, aber um uns zu beruhigen, gab er einem Reitknecht, der auch zuweilen den Wildhüter macht, – da er sich selbst nicht damit beschweren wollte, – den Befehl, ihm mit der Flinte zu folgen. »Mein Vater, der alles Menschengedränge und Schaugepränge haßt, solches soldatischer Natur ausgenommen, hatte keine Lust, sich an dem kleinen Ausfluge zu beteiligen. »Wir brachen in aller Frühe auf. Es war ein frischer, schöner Morgen, und wir fühlten uns bald durch den Genuß der reinen Winterluft wunderbar gestärkt. Der Weg zum See bot allerhand Reiz, und die kleinen Strapazen, die wir dabei überwinden mußten, waren so recht danach beschaffen, uns in lustige Stimmung zu versetzen; galt es doch, hin und wieder einen glatten Hang hinunterzurutschen oder über einen gefrorenen Graben zu springen, und mancherlei solche Dinge mehr, die uns Hazlewoods Beistand unentbehrlich machten; und daß dieselben Lucy den Weg etwa nicht angenehm hätten, möchte ich keinesfalls Dir vorschwatzen. »Der See bot einen allerliebsten Anblick: auf der einen Seite wird er von einem steilen Felsen begrenzt, von welchem tausend und abertausend Eiszapfen, oft von erstaunlicher Größe und wie Kristall im Sonnenscheine glitzernd, herniederhingen; auf der andern Seite stand ein Fichtenwäldchen, dessen dunkle, mit Schnee beladene Wipfel ein höchst pittoreskes Bild zeigten. Ueber die gefrorene Fläche hin flogen zahllose Gestalten; die einen flink und behend, wie Schwalben, die andern lustig im Kreise sich drehend, noch andere eifrig um die für allerhand winterliche Spiele ausgesetzten Preise ringend. »Wir gingen um den See herum; Hazlewood führte uns, unterhielt sich aufs freundlichste mit alt und jung und schien überhaupt recht beliebt unter dem Volke zu sein. Endlich dachten wir an die Heimkehr. »Warum erzähle ich Dir all diese Kleinigkeiten so ausführlich? Nein, sicherlich nicht deshalb, weil ich mir einbilde, daß sie Dich jetzt sonderlich interessieren könnten, sondern nur, weil ich, dem Ertrinkenden ähnlich, der nach dem schwanken Zweige greift, alles wahrzunehmen suchte, was mich in die Möglichkeit setzt, den nun folgenden grausigen Abschnitt meiner Schilderung aufzuschieben. Aber ich muß es Dir erzählen; muß es in dieser Form erzählen; denn für das herzzerreißende Unglück muß ich wenigstens bei einem freundlichen Wesen Mitgefühl zu wecken suchen. »Wir gingen auf dem Fußpfade weiter, der durch ein junges Föhrendickicht lief. Lucy hatte Hazlewoods Arm losgelassen, denn sie will Beistand von ihm bloß in den dringendsten Fällen in Anspruch nehmen. Ich aber hing noch an seinem Arme. Lucy ging dicht hinter uns, und der Reitknecht mochte etwa drei Schritte noch weiter hinter uns sein. Jetzt machte der Pfad eine jähe Biegung ... und da stand auf einmal, wie aus der Erde emporgewachsen, Brown vor uns. Er war sehr schlicht, ja ich muß sagen, fast ordinär gekleidet, und in seinem ganzen Wesen lag eine gewisse Wildheit oder Verstörtheit. Ich schrie laut auf, halb verdutzt, halb erschreckt; Hazlewood mißverstand, was mich erregte; und da Brown sich auf mich zu bewegte, als ob er mit mir sprechen wollte, herrschte Hazlewood ihn an, er solle den Weg frei geben und mich nicht in Unruhe setzen ... Brown gab eine nicht minder stolze, ja heftige Antwort: er brauche keine Belehrung über den Umgang mit Damen, am wenigsten von einem so jungen Menschen ... Ich bin ganz entschieden der Meinung, daß Hazlewood der Meinung war, in dem ihm unbekannten Manne einen Genossen der Schleichhändler vor sich zu haben, den böse Absicht hierher geführt. Er riß dem Reitknecht, der inzwischen dicht zu uns herangetreten war, die Flinte aus der Hand, legte sie auf Brown an und befahl ihm noch einmal kurz, den Weg freizugeben, widrigenfalls er ihn niederschießen wolle wie einen Hund ... Brown, sich also bedroht sehend, sprang auf Hazlewood zu und rang mit ihm. Ich stieß einen Schrei des Entsetzens aus, der das unglückliche Ereignis noch beschleunigte. Brown hatte Hazlewood fast schon die Waffe entwunden, als der Schuß losging und Hazlewood an der Schulter blessierte. Auf der Stelle brach der arme Mensch zusammen. Ich sah nichts mehr, hörte nichts mehr, sondern schwankte ohnmächtig zurück. Wie Lucy mir nachher erzählt hat, blickte der unglückliche Brown einen Augenblick aus das entsetzliche Schauspiel, bis ihr furchtbares Geschrei Leute vom See herbeilockte. Brown sprang über einen Zaun, der den Pfad von dem Dickicht trennte; seitdem ist nichts mehr von ihm zu hören gewesen. Der Reitknecht machte keinen Versuch, ihn fest- oder auch nur aufzuhalten; was er den herbeistürzenden Leuten von ihm erzählte, bestimmte dieselben auch mehr, sich um mich zu bemühen, als hinter einem Flüchtlinge herzusetzen, der nach der vom Knechte gegebenen Schilderung ein Mensch von furchtbarer Stärke und bis an die Zähne bewaffnet sein sollte. »Hazlewood wurde nach Woodbourne gebracht. Ich glaube, seine Wunde ist in keiner Hinsicht gefährlich, aber er hat große Schmerzen auszustehen. Für Brown dagegen müssen die Folgen höchst schwerer, wenn nicht ganz unglücklicher Natur sein: ist doch mein Vater ohnehin schon mehr denn erbittert auf ihn, und droht ihm doch größere Gefahr noch durch die Verfolgung der Behörde und die Rache des alten Hazlewood, der alles in Bewegung setzen will, den Täter zu entdecken. Wie wird es Brown möglich sein, solcher Rachgier zu entgehen? Wie wird er, wenn er gefangen wird, sich gegen die Strenge des Gesetzes verteidigen? Steht ja doch, wie ich höre, sogar sein Leben dadurch in Gefahr! Lucys maßloser Kummer über die dem Geliebten zugefügte Verwundung geht mir ebenfalls tief zu Herzen, Wie konnte aber Brown sich durch sein Ungestüm zu solcher Unbesonnenheit hinreißen lassen! »Ich war zwei Tage lang recht krank. Aber Hazlewood befindet sich wieder auf dem Wege der Besserung. Von Brown hat sich nirgendwo eine Spur gefunden, und alles glaubt, daß er zu den Schleichhändlern gehöre. Dies beides leiht mir einigen Trost. Brown wird die Flucht um so leichter sein, als sich der Verdacht auf jene Bösewichter gelenkt hat, und hoffentlich befindet er sich bereits in Sicherheit. »Den besten Trost gibt mir Hazlewoods edelsinnige Aufrichtigkeit. Er bleibt bei der Erklärung, daß die Flinte, in welcher Absicht uns auch der unbekannte Mensch in den Weg getreten sei, während des Ringens sich zufällig entladen habe. Der Reitknecht hingegen behauptet, daß die Flinte Hazlewood aus der Hand gewunden und vorsätzlich auf ihn gerichtet worden sei. Auch Lucy neigt zu dieser Auffassung. Daß diese beiden die Situation absichtlich fälschen wollen, glaube ich nicht; aber man sieht hieraus, wie armselig es um Zeugnis aus menschlichem Munde bestellt ist ... Ich kann die Situation unmöglich anders auffassen, als daß der Schuß zufällig, ohne jede Absicht von seiten Hazlewoods Gegners gefallen ist ... Vielleicht wäre es das beste, wenn ich Hazlewood mein Geheimnis offenbarte? Aber er ist doch noch gar so jung, und es ist mir nicht möglich, die Abneigung zu überwinden, die ich davor habe, ihm meine Torheit zu bekennen. Neulich wollte ich Lucy das Geheimnis offenbaren; ich fragte sie, ob sie sich der Gestalt und Gesichtszüge des Mannes noch entsänne, der uns in den Weg gekommen sei; aber sie gab von diesem »Buschklepper«, wie sie ihn nannte, eine so greuliche Schilderung, daß mir aller Mut und alle Lust vergingen, ihr meine Zuneigung zu ihm zu gestehen. »Wahrlich! Lucy hat sich von ihrem Vorurteil ganz eigentümlich blenden und von ihrem Mitleid für den Geliebten vollständig irreführen lassen; denn es gibt wohl nur wenig schönere Männer als gerade Brown. »Ich hatte ihn lange nicht gesehen; aber selbst ein plötzliches Auftauchen und seine durchaus unvorteilhafte Erscheinung hat seiner Schönheit keinerlei Eintrag tun können – ja, ich möchte fast sagen, seine Züge seien noch edler, noch männlicher geworden. Werde ich ihn je im Leben wiedersehen? Ach, wer kann es sagen? Schreibe mir bald, recht bald, und schreib' recht freundlich! Doch, wann schriebst Du mir je anders? Aber glaube mir, teuerste Freundin! Ich bin nicht in der Stimmung, Rat oder Tadel annehmen zu können; ich bin nicht kräftig, nicht mutig genug dazu, sie mit einem Scherze von mir zu weisen! Ich komme mir vor wie ein Kind, das in gedankenloser Spielerei eine Maschine in Gang gesetzt hat und nun über die schreckliche Kraft der rollenden Räder und rasselnden Ketten, die es mit seiner schwachen Hand in Bewegung gesetzt, wohl erstaunt und erschrocken ist, – das vor den schweren Folgen, die dadurch entstehen können, wenn nicht müssen, wohl angstvoll zurückbebt, aber kein Glied rühren kann, sie abzustellen ... »Mein Vater ist, wie ich nicht vergessen darf, Dir zu sagen, gegen mich sehr gütig und liebevoll; die Angst, die ich ausgestanden, entschuldigt hinlänglich die Klagen über Nervenschwäche, die über meine Lippen kommen; einzig und allein die Hoffnung hält mich aufrecht, daß Brown in England oder vielleicht in Irland, wenn nicht gar auf der Insel Man, eine sichere Zuflucht gefunden haben möchte; in beiden oder, wenn Du willst, allen drei Fällen wird er den Ausgang der Krankheit mit Sicherheit und in Ruhe abwarten können, denn die Verbindung Schottlands mit beiden Ländern in Dingen der Rechtspflege ist – in diesem Falle sage ich, Gott sei Dank! – ziemlich loser Natur ... Ach! schrecklich müßten die Folgen sein, wenn man Brown jetzt ergriffe! Gegen die Möglichkeit solches Unglücks suche ich mein Gemüt auf alle Weise zu wappnen ... O, teure Freundin! wie rasch ist Herzeleid und Kummer in meine einförmige, ruhige Lebensweise gedrungen – aber nicht länger will ich Dich mit Klagen peinigen ... Lebe wohl, teure Mathilde! Deine Julie Mannering.« Ende des ersten Bandes. Zweiter Band Erstes Kapitel Niemand zeigte sich so eifrig, den Unbekannten zu entdecken, durch den Charles Hazlewood überfallen und verwundet worden war, als der einstige Schreiber und jetzige Laird von Ellangowan, Gilbert Glossin, zugleich auch wohlbestallter Friedensrichter und als solcher ohne Widerrede auch völlig befugt dazu. Er hatte der Gründe mancherlei, die ihn dazu trieben; nach allem aber, wie wir ihn bisher kennen gelernt haben, wird wohl die Liebe zur Gerechtigkeit nicht der Beweggrund dazu gewesen sein. Glossin sah sich in seinen Erwartungen trotz allem schließlich bitter getäuscht; und wenngleich er durch seine Ränke in den Besitz der Gutsherrschaft seines alten Wohltäters gekommen war, so hatte sich doch nicht alles nach seinem Wunsche gestaltet, und es war ihm durchaus nicht leicht und behaglich zu mute. Saß er zu Hause mit sich allein, wo so manches ihn an die alten Zeiten gemahnte, so stiegen allerhand Gedanken in ihm auf, doch nicht immer solche froher Natur, und nicht immer meinte er sich zu der ihm gelungenen List gratulieren zu dürfen; denn wenn er die Blicke um sich her schweifen ließ, so nahm er nicht ohne lebhaften Verdruß wahr, daß ihm die Landedelleute aus dem Wege gingen; und nachdem ihm Ellangowan gerichtlich zugesprochen worden war, meinte er doch, sich zu ihnen rechnen zu dürfen; aber er merkte, daß sie ihn aus ihrer gesellschaftlichen Sphäre ausgeschlossen, daß er in der Oeffentlichkeit gemieden, ja bei fast allen Gelegenheiten mit Kälte und Verachtung behandelt wurde. Grundsätze und Vorurteile waren die Faktoren, die solche Abneigung weckten, denn die Landedelleute sahen ihn über die Achsel an, weil sie ihn nicht für ebenbürtig hielten, und haßten ihn, weil sie die Mittel verabscheuten, durch die er sich sein Vermögen verschafft hatte. Weit schlimmer jedoch stand es mit seinem Ansehen noch bei den unteren Volksklassen, die ihn weder nach seiner Herrschaft Ellangowan nennen, noch ihm auch nur den »Herrn« vor seinem Namen vergönnen wollten; bei ihnen war er »der Glossin« und nichts mehr; aber in seinem eitlen Sinne lag ihm an dieser Kleinigkeit so außerordentlich viel, daß er einmal einem Bettler, der ihn dreimal als den gnädigen Laird von Ellangowan um ein Almosen angebettelt hatte, eine halbe Krone gab. Diese Verweigerung aller öffentlichen Achtung ging ihm um so tiefer zu Herzen, als er doch immer vor Augen hatte, wie beliebt Mac Morlan, der doch bei weitem nicht so gut dastand wie er, bei arm und reich war und, wenn auch langsam, doch sicher in seinen Vermögensverhältnissen ebenso vorwärts kam, wie in seinem bürgerlichen Ansehen. Aber so sehr er sich über diese Vorurteile von Landjunkern, wie er sich ausdrückte, ärgerte, so war er doch klug genug, keine Klage darüber laut werden zu lassen. Die Zeit, dachte er, schwächt den Wert von Wundern ab und deckt über Vergehen den Mantel des Vergessens. Gewandt, wie jemand sein muß, der sein Glück durch die Erkenntnis der menschlichen Schwächen gemacht hat, nahm er sich vor, jede Gelegenheit zu ergreifen, sich sogar denjenigen nützlich zu machen, die ihn am wenigsten leiden konnten. Er rechnete auf seine Geschicklichkeit, auf die Streitsucht der Landedelleute, denen der Rat eines im Rechtswesen erfahrenen Mannes oft unschätzbar sein mußte, und auf tausend andere Umstände, die er mit Geduld und Klugheit zu seinem Vorteile benutzen zu können hoffte, und so glaubte er, daß es ihm auf diesem Wege mit der Zeit gelingen werde, seinen Nachbarn in einem günstigern Lichte zu erscheinen. Der Angriff auf Mannerings Wohnung und der Unfall des jungen Hazlewood schienen ihm eine gute Gelegenheit darzubieten, der ganzen Gegend zu beweisen, welche wichtigen Dienste ein tätiger Beamter leisten könne, der mit dem Gesetze ebenso wohlbekannt sei, als mit den Gängen und Gewohnheiten der Schleichhändler. Seine Kenntnisse in letzter Hinsicht hatte er sich früher durch heimlichen Verkehr mit verschiedenen Genossen derselben und zwar solcher der schlimmsten Art erworben, bald indem er sich an ihren Unternehmungen direkt beteiligte, bald indem er ihnen zu solchen geraten oder auch allerhand Umstände dabei verraten hatte. Da er aber diesen Umgang seit Jahren aufgegeben hatte, und solche Menschen ihr gefährliches Gewerbe bekanntlich selten lange treiben können oder in der Regel von einem Orte zum andern gejagt werden, so machte er sich keinerlei Sorge, durch seine Nachforschungen etwa alte gute Freunde, die mit ihm noch ein Hühnchen zu rupfen haben möchten, in Verlegenheit oder Unruhe zu setzen. Daß er mit solchen Subjekten und Schlichen in Beziehung gestanden, durfte ihn nach seiner Meinung nicht abhalten, seine Erfahrungen zum Nutzen des Gemeinwesens, wohl auch im eignen Interesse auszunützen. Daran hingegen, Mannerings Achtung und Gunst zu erwerben, mußte ihm vor allem liegen, noch wichtiger für ihn war es aber, in gute Beziehungen zum alten Hazlewood zu treten, der über großen Anhang in der Grafschaft verfügte; wenn es ihm nun gelang, die Schuldigen zu entdecken und dem Gerichte zur Bestrafung zu überliefern, so stand es außer Zweifel, daß ihm Mannering und Hazlewood näher treten müßten, und außerdem winkte ihm noch die Freude, Mac Morlan zu demütigen und zu übertrumpfen, denn diesem als Unter-Sheriff lag es noch mehr ob als ihm, in solcher Sache sich zu bemühen. Glossin scheute keine Mühe, Mitglieder der Bande, die Woodbourne überfallen hatte, besonders aber dasjenige Subjekt ausfindig zu machen, von welchem Hazlewood verwundet worden war. Er setzte Prämien aus, gab Mittel und Wege bekannt, wie es seiner Meinung nach gelingen müsse, das Versteck der Uebeltäter zu ermitteln, und benutzte allen Einfluß auf alte Bekannte aus der Zeit seines Verkehrs mit den Schleichhändlern, ihnen klar zu machen, daß sie klüger täten, ein paar Leute, an denen nichts gelegen sei und die ihnen nichts mehr schaden oder nützen könnten, zu opfern, statt sich dem häßlichen Verdacht einer Mitschuld an solch empörender Missetat auszusetzen. Zunächst blieben all seine Bemühungen fruchtlos. Das niedere Volk war mit dem Schleichhandel zu eng verwachsen, daß sich jemand darunter hätte finden sollen, der als Zeuge vor Gericht in einer Sache hätte auftreten mögen, die alle Schmuggler auf die Beine bringen und ihm auf den Hals hetzen mußte. Nach einiger Zeit aber bekam Glossin, der die Hände nicht mehr ruhen ließ, Wind davon, daß ein Mann, auf den das Signalement von Hazlewoods Feinde ziemlich genau paßte, am Abend vor dem Ueberfall im Wirtshause zu Sippletringan aufhältlich gewesen sei. Glossin begab sich auf der Stelle dorthin. Frau Mac Candlish mochte, wie sich der Leser erinnern dürfte, von Glossin nicht viel wissen. Sie sagte ihm kaum guten Tag und ließ sich lange bitten und nötigen, bis sie sich dazu verstand, mit ihm in ihre Wohnstube zu gehen. »Recht hübsch frisch heute früh, liebe Frau Candlish, aber herrliches Wetter,« begann Glossin die Unterhaltung. »O ja, solchen Morgen kann man sich schon gefallen lassen,« »Sagen Sie mal, liebe Frau Mac Candlish,« fragte er nun, »kommen die Herren Friedensrichter noch immer nach der Dienstagssitzung zu Ihnen zu Tisch?« »O freilich, – warum sollten sie nicht? Sie werden wohl kommen wie immer,« versetzte die Wirtin trocken und schickte sich an, die Stube zu verlassen. »Haben Sie es doch nicht so eilig, liebe Frau! Sie sind doch gewiß nicht böse, eine nette Tischgesellschaft einmal in jedem Monat bei sich zu sehen?« »Sicher nicht, Herr Glossin, wenn es Herren sind, die sich sehen lassen dürfen –« »Na, das sollt ich meinen, Gutsbesitzer und Leute, die in der Grafschaft eine Rolle spielen, meine ich; ich möchte solchen Mittagsklub einrichten.« Frau Mac Candlish antwortete hierauf mit einem Husten, den man nicht gerade als Zeichen der Ablehnung aufzufassen brauchte, aus dem aber gewiß Zweifel herausklangen, ob zu so etwas ein Mann wie Glossin der rechte sei. Glossin fühlte das recht gut heraus, aber Empfindlichkeit hierüber merken zu lassen, war jetzt nicht an der Zeit ... »Der Verkehr auf der Landstraße läßt wohl noch immer nichts zu wünschen?« fuhr er fort; – »wohl auch heute viel Gesellschaft da?« »O ja! die Gäste werden auf mich warten!« »Nur ein Paar Sekunden noch, liebe Frau! Ein alter Kunde wie ich darf darum wohl bitten ... Hat nicht in der letzten Woche ein großer junger Mensch bei Ihnen logiert – oder genächtigt?« »Das kann ich wirklich nicht sagen. Ich sehe mir meine Gäste nicht darauf an, ob sie lang oder kurz sind, sondern ob sie lange oder kurze Rechnungen machen.« »Und wenn die Gäste für lange Rechnungen nicht sorgen, Frau Mac Candlish, dann tun Sie es – wie? – he! – – – Aber der junge Mensch, den ich meine, hat einen dunklen Rock mit blanken Knöpfen angehabt, hat hellbraunes Haar, blaue Augen und eine gerade Nase gehabt und ist zu Fuß gereist ohne Diener, ohne Gepäck. Auf solchen Gast müßten Sie sich doch besinnen können!« »So etwas, Herr Glossin, kann man in einem Hause wie hier wirklich nicht im Kopfe behalten. Da gibt's doch mehr zu tun, als das, sich um Haar und Nase von Gästen zu bekümmern.« »Nun, dann muß ich eben mit der Sprache herausrücken, Frau Mac Candlish! Dieser junge Mensch steht im Verdacht, sich eines Verbrechens schuldig gemacht zu haben – und ich als Friedensrichter muß solche Auskunft von Ihnen verlangen, und weigern Sie sie mir, dann kommt es zum Eide.« »Aber ich darf, nicht schwören, Herr Glossin! Sie wissen doch, daß mein Mann – Gott habe ihn selig! sich zu dem presbyterianischen Glauben bekannte, und daß ich als seine Witwe mich zu einem andern Glauben nie bekennen darf und werde; wenn ich schwören soll, so muß ich mich erst bei unserm Geistlichen befragen, zumal es sich um ein so unschuldiges Menschenkind handelt, das so fremd und mutterseelenallein durch die Grafschaft pilgerte.« »Nun, vielleicht kommen wir um Ihre Bedenklichkeiten herum, ohne den ehrwürdigen Pfarrer zu behelligen, wenn ich Ihnen sage, daß der Fremde, den wir suchen, kein anderer ist als der, der auf unsern jungen Hazlewood geschossen hat.« »Heiliger Gott! Wer hätte so etwas von ihm gedacht! – Nein, hätte es sich um Geldschulden gehandelt, oder wären Differenzen mit Zöllnern im Spiele gewesen, so hätte mir nichts die Zunge lösen sollen; hat er aber wirklich den jungen Hazlewood angeschossen, – aber nein! von einem so gutmütigen Menschen, Herr Glossin, läßt sich das gar nicht annehmen – es handelt sich doch sicher bloß um irgend einen Kniff von Ihnen – Sie suchen nach irgend einer Handhabe, ihn ins Gefängnis zu bringen!« »Sie haben, sehe ich, kein Vertrauen zu mir, Frau Mac Candlish. Wenn Sie aber diese Zeugenaussagen hier lesen möchten, wird es Ihnen nicht schwer fallen, Klarheit zu gewinnen, ob das Signalement des Verbrechers auf Ihren Gast paßt oder nicht.« Die Wirtin las das Dokument, das ihr Glossin gab, aufmerksam, nahm auch einige Male die Brille ab, um einen Blick zum Himmel empor oder eine Träne aus dem Auge zu wischen, denn der junge Hazlewood hatte einen großen Stein bei ihr im Brett. »Ja freilich,« sagte sie dann, als sie mit Lesen fertig war, »wenn die Dinge so stehen, dann habe ich wahrlich keine Ursache mehr, dem Menschen das Wort zu reden. Guter Gott! können wir arme Menschen uns irren! Aber,« setzte sie nach längerer Pause hinzu, »sagen muß ich doch, daß ich nie im Leben ein Gesicht vor Augen gehabt habe, das mir besser gefallen hätte, und auch keins, das einen rechtschaffnern, ehrlichern Eindruck gemacht hätte. Ich bin der Meinung gewesen, es sei ein gar vornehmer Herr, der nur augenblicklich in Verlegenheit wäre. Aber wenn es sich so verhält, mag ich nichts mehr von ihm wissen. Dem armen Hazlewood eine Kugel in den Leib zu jagen, obendrein angesichts der beiden jungen Fräulein! Ach Gott, die armen Kinder! Muß das ein Schreck für sie gewesen sein! – Nein nein! von solchem Menschen mag ich nichts mehr wissen – absolut nichts mehr!« »Sie räumen also ein, daß ein solcher Mensch in ihrem Gasthause logiert hat, und zwar in der Nacht vor der Missetat?« »Gewiß! das ist richtig; und allen meinen Leuten hatte er's angetan mit seinem offenen Gesicht und ehrlichen Wesen. Verzehrt hat er freilich nicht viel, auch habe ich ihn zu einem Glas Tee eingeladen, das ich aber nicht mit auf die Rechnung gesetzt habe. Abendbrot hat er gar nicht gegessen, er wäre zu müde, sagte er, weil er die ganze vorige Nacht unterwegs gewesen. Weither schien er allerdings zu kommen.« »Haben Sie vielleicht gehört, wie er heißt?« fiel ihr Glossin ins Wort. »Gewiß – gewiß,« erwiderte die Wirtin, der nun auf einmal die Zunge gelöst war – »er sagte, es könnte passieren, daß eine alte Frau, die wie eine Zigeunerin aussähe, nach ihm fragte. – Ja, ja, wie es im Sprichworte heißt: sage mir, mit wem Du umgehst, und ich will Dir sagen, wer Du bist! Nein, solch abscheulicher Mensch! Und dabei hat er, als er früh am Tage aufbrach, seine Rechnung auf Heller und Pfennig bezahlt, auch der Hausmagd ein Trinkgeld gegeben!« Glossin wurde ungeduldig und suchte die redselige Frau auf die Hauptsache zu bringen; sie aber schwatzte weiter . , . »Jawohl, er sagte, wenn solch alte Frau nach einem gewissen Brown fragen sollte, dann möchte ich nur sagen, er sei zum Creeran-See gegangen, um sich die Schlittschuhläufer anzusehen, und gegen Mittag würde er wieder da sein; aber zurückgekommen ist er nicht. Ich hatte ein junges Huhn und Schellfisch für ihn hergerichtet, was sonst nicht alle Tage bei mir vorkommt. Aber wer kann denn ahnen, was solcher Mensch im Schilde führt! Du mein Gott! auf solchen netten Menschen wie den jungen Hazlewood zu schießen!« Glossin ließ der Frau reichlich Zeit, sich von ihrer Ueberraschung zu erholen und ihren Groll zu besänftigen, ehe er die weitere Frage stellte, »ob der unter solchem Verdacht stehende Fremde etwa Sachen oder Papiere bei ihr zurückgelassen habe.« »Ach richtig, ein Päckchen, aber ein ganz kleines, hat er mir in Verwahrung gegeben; auch ein bißchen Geld; zu ein Paar Hemden nämlich, die ich ihm machen lassen sollte.« Glossin verlangte das Päckchen zu sehen; aber die Wirtin zog das Gesicht in Falten; der Gerechtigkeit, meinte sie, müsse freilich ihr Lauf gelassen werden; für Sachen aber, die ihr anvertraut worden, behielte sie die Verantwortung – sie wollte aber den Armenpfleger Bearcliffe holen lassen, und wenn Glossin ein Verzeichnis von den Sachen aufsetzen, oder, was ihr noch lieber wäre, alles versiegeln und in Bearcliffes Verwahrung lassen wollte, so wüßte sie nicht, ob sie sich dann noch Gedanken zu machen brauchte. Glossin sah ein, daß er auf andere Weise bei der starrsinnigen Frau nicht zum Ziele kommen werde, und ließ den Pfleger holen. Bearcliffe kam auch so flink, daß er sich gar nicht Zeit gelassen hatte, die kleine Perücke gerade zu rücken, die er gegen seine Ladenmütze vertauscht hatte. Frau Mac Candlish brachte nun das Päckchen zur Stelle, das Brown ihr in Verwahrsam gegeben hatte. Der Beutel, den die Zigeunerin Brown gegeben, befand sich darin, und als die Wirtin sah, welch wertvollen Inhalt das Päckchen barg, war sie doppelt froh über ihre Vorsicht; Glossin aber kam nun, den uneigennützigen, ehrlichen Mäkler spielend, selbst mit dem Rate, von allen Habseligkeiten des verdächtigen Menschen ein genaues Verzeichnis aufzunehmen und sie dann dem Pfleger in Gewahrsam zu geben, bis die höhere Behörde sie ihm abverlangen werde. Er selbst, bemerkte er, fühle nicht das mindeste Verlangen, für Dinge Verantwortlichkeit zu übernehmen, die scheinbar einen hohen Wert hätten, und die womöglich auf keine ehrliche Weise an sich gebracht seien. Glossin untersuchte das Papier, in das der Beutel gewickelt gewesen, und fand den Namen »V. Brown« darauf vermerkt. Alles andere war weggerissen. So eifrig die junge Wirtin vorher gewesen war, dem jungen Menschen einen Rückhalt zu lassen, so begierig war sie jetzt, seine Flucht aufzuhalten, denn der Inhalt des Beutels weckte auch bei ihr Argwohn; ja, sie hielt mit der Meinung nicht hinter dem Berge, ihre Knechte müßten den Fremden an dem Tage, an welchem der junge Hazlewood verwundet worden, auf dem Eise gesehen haben. Nun wurde zuerst unser alter Bekannter, der Fuhrknecht John, hereingerufen. Er bekannte, ohne Vorbehalt, an dem betreffenden Morgen einen Fremden, der abends vorher im Wirtshause eingekehrt war, auf dem Eise gesehen, auch mit ihm gesprochen zu haben. »Und um was hat sich euer Gespräch gedreht?« fragte Glossin. »Gedreht?« wiederholte der Knecht – »gedreht haben wir uns überhaupt nicht, sondern sind immer geradeaus gegangen.« »Schön! aber worüber habt ihr gesprochen?« »Er hat gefragt, wie jeder Fremde fragt,« gab der Fuhrknecht zur Antwort, in den der verstockte Sinn gefahren zu sein schien, der vordem die Wirtin beherrscht hatte. »Was denn?« fuhr ihn Glossin ungeduldig an, »Na, nach den Leuten hat er gefragt, die auf dem Eise liefen, und nach dem Spiel hat er gefragt, und nach den Frauenzimmern hat er gefragt.« »Nach was für Frauenzimmern?« »Nun, nach Fräulein Julie Mannering und Fräulein Lucy Bertram, die Sie ja auch kennen, Herr Glossin. Die beiden Damen liefen mit dem jungen Laird von Hazlewood Schlittschuh.« »Und was hast Du ihm für Bescheid gegeben?« »Daß Fräulein Lucy eigentlich schwer reich sein müßte, wenn alles gut gegangen wäre, denn das Gut wäre ihr Erbteil gewesen, und daß Fräulein Julie den jungen Laird heiraten sollte. Sie hing gerade an seinem Arm, als ich ihm das sagte – und –« »Und –? na – und was hat er darauf gesagt?« »Er hat die beiden Mädel scharf gemustert und mich dann gefragt, ob es auch gewiß sei, daß Fräulein Mannering den Laird heirate. Ich habe ihm gesagt, es sei eine ausgemachte Sache, wüßte ich es doch von meiner Muhme, der Jenny Claverse – die kennen Sie doch auch, Herr Glossin, denn sie ist ja mit Ihnen gleichfalls verwandt – und die hat's von der Haushälterin in Woodbourne, die eine gute Bekannte von ihr ist.« »Was hat der Fremde weiter gesagt, als Sie ihm das sagten?« »Gar nichts hat er gesagt; bloß als die Frauenzimmer um den See gingen, hat er sie wieder angestiert, als ob er sie hätte fressen wollen. Dann ist er vom Eise weg, über den Kirchweg durchs Gehölz von Woodbourne gegangen, und wir haben nichts mehr von ihm gesehen.« »Der muß ja ein steinhartes Herz haben!« rief die Wirtin, »den armen jungen Menschen vor den Augen der Braut anzuschießen!« »O, dergleichen Fälle kennt die Justiz mehr,« antwortete Glossin; »jedenfalls hat er sich für seine Rache die Stelle gesucht, wo sie am sichersten traf!« »Gott helf uns!« rief der Armenpfleger, »was sind wir doch für schwache Geschöpfe, wenn wir uns selbst überlassen sind! Wie kann ein Mensch vergessen, was in der Schrift steht: Mein ist die Rache, spricht der Herr, ich will vergelten.« »Aber, ihr Herren,« meinte John, in seiner hartköpfigen Pfiffigkeit sichtlich bemüht, das Wild aufzutreiben, während die andern bloß auf den Busch klopften – »Sie dürften sich am Ende doch irren! Mir wenigstens will es nicht in den Kopf, daß jemand seinen Mitmenschen mit dessen eigenem Gewehre erschießt, wenn er's ihm erst dazu aus der Hand reißen muß. Ich bin nur ein schwacher Kerl, aber mir sollte der stärkste Mann in Schottland meine Flinte nicht aus der Hand reißen, ehe ich ihm nicht eine Kugel daraus durch die Rippen gejagt hätte.« John ging, denn er wußte weiter nichts auszusagen. Die Aussage, die der Hausknecht machte, stimmte mit der von John gemachten so ziemlich überein. Glossin fragte, ob Brown an dem unglücklichen Morgen Waffen bei sich gehabt hätte; aber keiner von beiden Zeugen hatte außer dem kurzen Säbel, den der Fremde an der Seite gehabt, eine Waffe bei ihm gesehen. »Ich muß Ihnen sagen, mein lieber Glossin,« nahm der Krämer und Pfleger das Wort und vergaß im Eifer, daß er einen Friedensrichter – noch dazu einen, der eben erst dazu ernannt wurden, – vor sich hatte, und faßte Glossin vertraulich am Rockknopfe: »Mir kommt die Geschichte immer wunderlicher vor! Wie kann einer mit solchem Käsemesser darauf ausgehen sollen, sich an jemand zu vergreifen?« Glossin machte seinen Rockknopf von der Hand des Krämers frei und ließ, aber nicht unfreundlich, – denn es mußte ihm jetzt daran liegen, überall von sich die beste Meinung zu wecken – das Thema fallen, erkundigte sich nach dem Preise von Tee und Zucker und ließ ein Wort darüber fallen, daß er nicht abgeneigt sei, bei Bearcliffe seinen nächsten Jahresbedarf zu decken. Zunächst bestellte er bei Frau Candlish ein gutes Essen für eine Gesellschaft von fünf Personen, und drückte John, der ihm statt des Hausknechtes das Pferd hielt, eine halbe Krone in die Hand. »Das muß wahr sein,« meinte der Krämer zu Frau Mac Candlish, als sie ihm einen Bittern eingoß; »der Teufel ist so böse nicht, wie man ihn macht. Es verdient immer Anerkennung, wenn sich jemand mit öffentlichen Dingen so eifrig befaßt wie Herr Glossin.« »Das stimmt, Herr Bearcliffe, das stimmt,« Pflichtete die Wirtin bei, »und doch kommt's mir sonderbar vor, daß unsere Lairds solchem Manne ihre Angelegenheiten anvertrauen. Aber freilich, so lange das liebe Geld eben rund bleibt und rollt, so lange darf man es nicht so genau damit nehmen, was für ein Königskopf darauf geprägt ist.« »Mir scheint, als ob Glossin nicht viel Ehre aus der Sache ernten wird,« meinte John, am Schenktische vorübergehend, »aber das tut der halben Krone keinen Abbruch, die er mir gegeben.« Zweites Kapitel Glossin ritt langsam heim nach Ellangowan. Viel Licht hatten ihm seine Erkundigungen ja noch nicht gebracht, aber je mehr er über den Fall nachdachte, desto fester wurde seine Meinung, daß sich ihm eine gute Gelegenheit bot, sich bei Hazlewood und Mannering in ein gutes Licht zu setzen, falls es ihm glückte, Licht in die geheimnisvolle Affäre zu bringen. Vielleicht meinte er auch, sich schon deshalb nach Kräften bemühen zu müssen, weil andernfalls sein Renommee als kluger Kopf auf dem Spiele stünde. Seine Freude war begreiflicherweise nicht gering, als ihm bei der Heimkehr nach Kippletringan berichtet wurde, dem Gendarmen Mac Guffog sei ein guter Fang geglückt, und er warte in der Küche auf ihn. Glossin war im Nu vom Pferde und ließ seinen Schreiber rufen. »Nun, Mac Guffog,« fragte er, als er sich mit dem Schreiber am Tisch postiert hatte. »Wo habt Ihr Euren Gefangenen erwischt?« Mac Guffog, ein stämmiger, krummbeiniger Gesell mit dickem Stiernacken, hochrotem Vollmondgesicht und Schielaugen, machte zuerst eine Reihe von plumpen Verbeugungen und tischte dann seine Sache auf ... »Ich bin in das Haus gegangen, das Euer Edlen mir nannten,« sagte er, »und worin die Frau wohnt, die Euer Edlen kennen. Was ich Gutes brächte, fragte sie; ich käme doch von Ellangowan? – Ja, sagte ich, den Herrn von Ellangowan kennen Sie doch von früher?« »Was soll das?« fiel ihm Glossin ins Wort. »Zur Sache.« »Ja doch,« sagte Mac Guffog störrisch – »als wir bei einem Gläschen saßen, da – nun, da kam er herein.« »Wer?« fragte Glossin. »Na, der,« versetzte Mac Guffog und zeigte auf die Küche; »er hatte sich in den Mantel gehüllt, und ich sah recht gut, daß er Waffen bei sich trug. Da dachte ich, es wäre doch am besten, ihn recht sicher zu machen, und fing so vertraulich zu schwatzen an, daß er schier meinte, ich sei einer von der Insel Man. Nun setzte ich mich zwischen ihn und sie, daß sie ihm keinen Wink geben sollte. Als wir im besten Trinken waren, wettete ich mit ihm, auf einen Zug, ohne abzusetzen, ein Quart Schnaps auszutrinken. Er ging darauf ein, und als er eben angesetzt hatte, sprangen John und Richard auf ihn zu und legten ihm die Ketten an; er aber blieb ruhig wie ein Lamm. Jetzt hat er ausgeschlafen und ist frisch wie ein Maikäfer,« »Waffen hatte er bei sich?« fragte Glossin wieder. »Solche Kerle sind nie ohne Dolch und Genickfänger.« Mac Guffog wurde verabschiedet. Gleich darauf hörte man Kettengerassel auf der Treppe, und ein dicker, rüstiger Mann wurde hereingeführt, dessen graues Haar schon ein ziemlich hohes Alter verriet; er war nicht groß von Figur, und doch möchten nur wenige Luft gehabt haben, sich in einen Kampf mit ihm einzulassen. Sein Gesicht verriet noch die Spuren des Rausches, der seine Verhaftung erleichtert hatte, aber der kurze Schlaf und noch mehr die Erkenntnis seiner gefährlichen Lage hatten ihn wieder zu voller Besinnung gebracht. Der Friedensrichter und der Gefangene sahen einander lange an, ohne ein Wort zu wechseln. Glossin schien in dem Manne einen frühern Bekannten gefunden zu haben und war sichtlich verlegen, wie er sich ihm gegenüber verhalten, und wie er das Verhör beginnen sollte, Endlich fragte er: »Seid Ihr es wirklich, Kapitän? Ihr habt Euch seit ein paar Jahren recht fremd hier gemacht!« »Ich fremd?« erwiderte der andere; »mehr als fremd, dächte ich – denn der Teufel soll mich scheren, wenn ich je hier gewesen bin.« »Damit werdet Ihr schwerlich durchkommen, Kapitän!« »Werd' schon damit durchkommen müssen, Herr Friedensrichter, oder – der Teufel schert uns beide,« versetzte der andere tückisch. »Und wie beliebt's Euch jetzt genannt zu werden?« fuhr Glossin fort. »Oder soll ich Leute zitieren, die Eurem Gedächtnis ein bißchen aushelfen?« »Wer ich bin? – Mord und Brand! Jans Janson von Cuxhaven bin ich – wer denn sonst?« Glossin langte aus einer Schublade ein Paar Taschenpistolen, die er mit großer Sorgfalt lud .. »Ihr könnt einstweilen mit den Leuten abtreten,« sagte er zu dem Schreiber, »bis ich Euch rufe. Aber im Vorsaal geblieben, verstanden?« Dem Schreiber wollte es gar nicht gefallen, daß sein Herr mit dem Gefangenen allein blieb; aber Glossin winkte ungeduldig, und so mußte er gehen. Glossin ging ein paarmal auf und nieder, setzte sich dann dem Gefangenen so gegenüber, daß er ihm ins Gesicht sehen konnte, legte die Pistolen bereit und sagte mit fester Stimme: »Ihr seid Dirk Hatteraick – he? – Hatteraick von Flushing?« Der Gefangene blickte unwillkürlich nach der Tür, als ob er dort einen Horcher fürchtete. Glossin erhob sich, trat zur Tür, machte sie so weit auf, daß der Gefangene von seinem Stuhl aus sehen konnte, daß niemand dort war, setzte sich dann wieder ihm gegenüber, und wiederholte seine Frage: »Ihr seid Dirk Hatteraick?« mit dem Zusätze: »früher Kapitän der Jungfer Haagenslaapen, – he?« »Alle Schock Teufel, wenn Ihr's wißt, warum fragt Ihr?« »Weil ich mich wundere, Euch da zu sehen, wo Ihr zu allerletzt sein solltet, wenn Euch an Eurem Leben gelegen ist.« »Alle Schock Teufel! wer solche Reden zu mir führt, dem liegt ein Quark am eigenen Leben.« »Wie? ohne Waffen und in Ketten? aber poltern hilft hier nicht, Kapitän,« versetzte Glossin, »man wird Euch schwerlich hier weglassen, bevor Ihr nicht Rede und Antwort gestanden über einen kleinen Vorfall, der sich vor geraumer Zeit bei der Warrocher Landspitze abgespielt hat.« Hatteraicks Augen schossen grelle Blitze. »Ich für meine Person,« fuhr Glossin fort, »habe gar keine Veranlassung, mit einem alten Bekannten hart ins Gericht zu gehen. Aber meine Pflicht als Beamter muß ich tun, und werde nicht umhin können, Euch noch heute mit Post nach Edinburgh zu schaffen.« »Alle Schock Teufel!« rief Hatteraick, doch mit einer festen Stimme, die um vieles milder klang als vordem – »das werdet Ihr bleiben lassen – wie? Habt Ihr nicht den Wert der halben Ladung bekommen in Wechseln auf Vanbeest und Vanbrüggen?« »Die Geschichte ist schon lange her, Kapitän, daß ich wirklich nicht mehr weiß, was ich für meine Mühe erhalten habe.« »Für Eure Mühe?« wiederholte Hatteraick – »dafür, daß Ihr das Maul gehalten habt, wollt Ihr sagen!« »Es war ein Geschäft,« erwiderte Glossin – »und von Geschäften habe ich mich seit einiger Zeit zurückgezogen.« »So? daß ich Euch aber wieder ins Geschäft bringen könnte, wißt Ihr nicht – he? wollt ich Euch doch, alle Schock Teufel! eben aufsuchen, um Euch etwas zu sagen, das Euch verteufelt nahe angeht.« »Von dem Jungen?« fragte Glossin unruhig. »Jawohl, von dem Jungen.« »Er lebt doch nicht mehr? Wie? oder etwa doch?« »Er lebt – und ist gesünder als Ihr und ich.« »Herrgott im Himmel! aber doch in Indien?« »Nein, alle Schock Teufel! Hier lebt er – hier an Eurer elenden Küste!« »Aber, Hatteraick, – wenn es an dem ist – aber ich glaub's noch nicht – dann geht's uns beiden an den Kragen! Er wird sich gewiß darauf besinnen, wie Ihr ihm mitgespielt habt, und für mich – für mich kann's die schlimmsten Folgen setzen. Wie gesagt, es geht uns beiden an den Kragen!« »An den Kragen wird's Euch gehen – sonst niemand,« versetzte Hatteraick – »denn ich – ich hab keinen Kragen mehr – und wenn ich büßen muß – nun, dann soll alles heraus!« »Welcher Satan hat Euch wieder ans Land getrieben?« »Je nun, das Geld war futsch, das Haus fing an zu wackeln, und ich habe gedacht, die alte Geschichte sei vergessen.« »Pst!« machte Glossin – »was soll nun werden? Loslassen darf ich Euch nicht. Das wäre zuviel riskiert. Aber könnt Ihr Euch nicht unterwegs freimachen? Dem Leutnant Brown nur ein Wort gesagt, – und ich lasse die Leute mit Euch den Weg am Strande nehmen.« »Damit ist nichts, Brown ist tot – erschossen – oder der Satan hat ihn sonstwie geholt.« »Erschossen? Wohl bei Woodbourne?« »Ja freilich.« Glossin schwieg eine Weile. Angstschweiß trat ihm auf die Stirn, während Hatteraick an seinem Tabak kaute und ihn ansah. »Hört, Hatteraick,« nahm Glossin endlich wieder das Wort, »loslassen kann ich Euch nicht, aber Ihr sollt an einen Ort kommen, wo Ihr Euch selbst in Freiheit setzen könnt. Einem alten Freunde helf ich gern. Ich schicke Euch heute nacht ins alte Schloß und gebe der Wache eine doppelte Portion Branntwein. Der Gendarm wird in die Schlinge fallen, in der er Euch gefangen hat. Die Fensterstangen sind zerbrochen. Es ist kaum ein Sprung von zwölf Fuß, und der Schnee liegt tief.« »Aber die Ketten?« sprach Hatteraick. »Hier, Hatteraick,« antwortete Glossin und gab ihm, eine kleine Feile, »die klein Freundin wird Rat schaffen; und den Weg an die Küste könnt Ihr beim Sternenlicht finden.« Hatteraick schüttelte freudig seine Ketten, als ob er schon frei wäre, und mühte sich, die gefesselte Hand seinem Beschützer zu reichen. Glossin legte den Finger auf den Mund und blickte vorsichtig auf die Tür, ehe er mit seinen Weisungen fortfuhr ... »Ihr müßt meinen Kahn stehlen, der unten in der Bucht liegt,« sagte er, »aber bei der Warrochspitze wartet Ihr auf mich!« »Bei der Warrochspitze?« wiederholte Hatteraick betroffen. »Ja,« versetzte Glossin: »Ihr hört's doch!« »Wohl in der Höhle? Ich wollte lieber, sonst wo! Dort spukt's, und die Leute behaupten, er lasse sich da sehen. Aber alle Schock Teufel! ich habe ihn nicht gefürchtet, als er lebte, und sollte ihn fürchten, da er tot ist? Nein! Unsinn! ich warte, bis Ihr kommt.« »Darauf rechne ich,« antwortete Glossin; »jetzt muß ich aber meine Leute hereinrufen.« Mac Guffog erschien mit seinen Gesellen ... »Ich kann nichts aus dem Hauptmann Janson herausbringen,« sagte Glossin ... »Ihn heut ins Gefängnis zu schicken, ist's zu spät – wir haben doch im Schlosse ein festes Behältnis?« »O ja, im alten,« antwortete Mac Guffog; »mein Vetter, der Konstabler, hat dort einen Gefangenen drei Tage lang gehütet, als der alte Ellangowan noch lebte. Aber recht staubig war's darin, und auch an Gewürm hat's nicht gefehlt.« »Macht nichts, der Gefangene bleibt bloß eine Nacht hier. Im kleinen Gewölbe das an das Verließ stößt, könnt Ihr Euch Feuer machen, und ich werde Euch einen Tropfen schicken, der Euch munter halten soll. Vergeßt mir aber nicht, die Tür hinter dem Gefangenen zu verriegeln. Ihr müßt ihm auch etwas Feuer machen; sonst möcht's ihm zu kalt werden.« Nachdem Glossin diese Anordnungen getroffen, schickte er seine Leute mit dem Gefangenen und ausreichendem Vorrat von Speisen und Getränken ins alte Schloß, in der festen Zuversicht, daß sie die Nacht weder mit Wachen noch mit Beten verbringen würden. Er selbst fand wenig Schlaf. Seine Lage war äußerst heikel. All die Missetaten seines verbrecherischen Lebens stiegen um ihn her auf, und als er endlich auf seinem Lager eingeschlummert war, schreckten ihn ängstliche Träume. Jetzt erschien sein ehemaliger Gönner, totenblaß, wie in jenem Augenblicke, wo er sich noch einmal mit der letzten Kraft aufraffte, und wollte ihn aus der Wohnung seiner Väter vertreiben. Jetzt fand er sich auf weitgedehnter Heide und stand, nach langer Wanderung vor einem Wirtshause, aus dem Stimmen von lustigen Zechern schallten, und wen erblickte er, als er hereintrat? Frank Kennedy, mit blutenden Wunden, wie er ihn einst am Ufer unter der Warrochspitze gesehen, aber mit einem Napfe dampfenden Punsches in der Hand. Und jetzt? jetzt tat sich ein Kerker auf, in welchem Dirk Hatteraick, den Tod vor Augen, einem Priester beichtete ... Und was beichtete er? ... »Als die blutige Tat geschehen war, da gingen wir in eine Höhle, nicht weit davon, die nur ein Mensch in der Gegend kannte. Dort überlegten wir, was wir mit dem Kinde anfangen sollten, und hatten beschlossen, es den Zigeunern auszuliefern, als wir lautes Geschrei von unsern Verfolgern vernahmen. Ein Mann trat in die Höhle: der Schurke, der um das Geheimnis wußte; aber wir machten ihn uns zum Freunde, indem wir ihm die Hälfte der geretteten Güter abtraten. Auf seinen Rat hin nahmen wir das Kind mit nach Holland auf unserm Beischiffe, das in der folgenden Nacht uns von der Küste abholte. Und der Mann – der Mann war –« »Nein, es ist nicht wahr, ich war's nicht!« rief Glossin, aus dem Schlafe auffahrend. Das geänstigte Gewissen hatte die grausigen Bilder vor seine Seele geführt. Treue Bilder aus der Vergangenheit! Glossin, besser als irgend jemand mit den Schlupfwinkeln der Schleichhändler bekannt, war stehenden Fußes zu der Höhle gerannt, noch ehe er wußte, daß Kennedy ermordet worden, in der Meinung vielmehr, ihn als Gefangenen der Schleichhändler zu finden. Er kam mit der Absicht, den Vermittler zu machen; als er aber zu ihnen trat, waren alle von bangem Schrecken ergriffen, und die Wut, die sie zum Morde verleitet hatte, war bei allen, nur nicht bei Hatteraick, der Gewissensangst und Furcht gewichen. Glossin war damals arm und hatte der Schulden mehr als Haare auf dem Kopfe, aber Bertrams Vertrauen hatte er bereits gewonnen und kannte dessen Fügsamkeit und Schwäche gut genug, daß es ihm gar nicht schwer erscheinen konnte, sich auf seine Kosten zum reichen Manne zu machen, sobald es ihm nur gelang, den männlichen Erben auf die Seite zu schaffen, da dann das alte Gut das unbeschränkte Eigentum des schwachen, verschwenderischen Vaters wurde. Für ihn handelte es sich momentan nicht bloß um die Anwartschaft auf weitere Vorteile,, – er nahm, was ihm die in Schreck gejagten Schleichhändler anboten, um ihm den Mund zu stopfen, nicht bloß an – nein! er bestärkte sie in ihrer Absicht, das Kind seines Wohltäters aus dem Lande zu schaffen, war es doch alt genug, von dem schrecklichen Ereignis, dessen Zeuge es gewesen, eine Schilderung zu geben, Wohl versuchte Glossin sein Gewissen zu beschwichtigen, aber es wollte ihm nicht gelingen, wenn er sich auch vorredete, daß die Versuchung groß gewesen sei, daß sie plötzlich über ihn gekommen, daß sie ihm alle Vorteile, nach denen er lange gerungen, jäh vor Augen gerückt, daß sie ihm vorgespielt habe, ihn aus seinem finanziellen Jammer mit einmal zu erlösen, aus all den Bedrängnissen, die ihm das Messer an der Kehle hielten. Auch daß er sich weiter einredete, die Selbsterhaltungspflicht lasse ihm keine andere Wahl, wollte wenig nützen; nur das Bewußtsein, sich in der Gewalt von Räubern zu befinden, die ihm, wenn er sich auf ihr Ansinnen nicht einließe, keine Zeit gönnen würden, die freilich nicht eben ferne Hilfe herbeirufen könnten, sondern, wie so oft bei geringeren Anlässen, sicherlich vor keinem Morde zurückschrecken möchten. Unruhig fuhr Glossin von seinem Lager auf und blickte hinaus in die Nacht. Rings umher war die Gegend mit Schnee bedeckt, von dessen weißem Glänze die Fläche des düstern Meers grell abstach. Sein Blick fiel auf die finstern Trümmer des alten Schlosses, aus dessen vorspringendem Turme zwei Lichter blinkten; eins aus Hatteraicks Verließ, das andere aus der Stube, in der die Wächter lagen. Ob er die Flucht schon bewerkstelligt hat? fragte sich Glossin ... Ob sie ihm gelingen wird? Ob die, Leute, auf die sonst nie Verlaß war, heute gewacht hatten, ihn vollends zu verderben? War der Verbrecher früh noch im Kerker, so mußte er ihn nach Edinburg schaffen, und ob nun Mac Morlan oder sonst jemand die Untersuchung führte, so stand außer Zweifel, daß er selbst hineingezogen, überführt und ein hartes Urteil zu gewärtigen hatte; denn Dirk Hatteraick schonte seiner doch gewiß nicht. Eine Beute dieser quälenden Gedanken, war er kaum imstande, sich ruhig zu verhalten, als er mit einemmale wahrnahm, daß eins der beiden Lichter sich verfinsterte, ganz so, als ob eine dunkle Gestalt ans Fenster getreten wäre. O, dieser Augenblick peinvoller Erwartung! Ist er der Fesseln ledig? Ha! er rüttelt an den Gitterstangen! Sie sind morsch, sie fallen, sie schlagen klirrend auf die Steine! Das Gepolter muß doch die Wächter aufstören ... Hol der Teufel seine Ungeschicklichkeit! Da, das Licht brennt wieder hell – sie haben ihn vom Fenster gerissen, sie binden ihn – doch nein! er ist bloß auf einen Augenblick vom Fenster getreten – das Poltern der fallenden Eisenstangen hat ihn selbst erschreckt – jetzt steht er wieder am Fenster – das Licht ist weg – eine breite Masse lagert sich davor – sie bewegt sich – er hat sich durchs Fenster geschwungen – da – ein dumpfer Aufprall, wie von einem in weichen Schnee fallenden Körper, und der ängstliche Horcher gewinnt die Zuversicht, daß Hatteraicks Flucht geglückt ist! Und nicht lange mehr, so sieht er eine dunkle Gestalt wie einen Schatten längs dem weißen Gestade hinschleichen, zu dem Orte hin, wo das Schiff lag ... Neue Besorgnisse! Wird er allein stark genug sein, es loszumachen? oder muß ich, fragte sich Glossin, hinabgehen und ihm helfen? Nein! Das Schiff ist los, Gott sei Dank! Schon glitzert das Segel im Mondlicht. Der Wind ist ihm günstig – o, wenn sich ein Sturm erheben – wenn die Flut ihn verschlingen wollte! Mit diesem satanischen Begehr im Herzen verfolgte er den Lauf des Bootes, das nach der Warroch-Klippe zulenkte, mit den Blicken, bis das dunkle Segel sich von den finstern Wogen, über die es entlang zog, nicht mehr unterscheiden ließ. Drittes Kapitel Bei dem Gendarmen und den Fronen herrschte am nächsten Morgen arge Bestürzung, als sie die Flucht ihres Gefangenen entdeckten. Noch schwer im Kopfe und von Bange geschüttelt, trat Mac Guffog mit der Unglücksbotschaft vor den Friedensrichter, kam aber mit einem ernsten Rüffel davon. Ueber dem Eifer, des Entsprungenen habhaft zu werden, schien Glossin der Pflicht, die lässigen Wächter zu strafen, zu vergessen. Den Häschern legte er vor allem ans Herz, in den ruinenhaften Ueberbleibseln von Derncleugh, wo Landstreicher oft nachts Zuflucht suchten, Nachsuche zu halten. Darauf eilte er selbst auf Umwegen durch den Wald von Warroch zu der Höhle, wo er den Schleichhändler zu treffen dachte, von dem er dort in größerer Ruhe Nachricht über die Rückkehr des Erben von Ellangowan zu bekommen rechnete. Wie ein Fuchs, der, um den Hunden auszuweichen, im Zickzack herumfährt, suchte Glossin sich dem Orte der Zusammenkunft zu nähern, ohne durch eine Spur im Schnee seinen Weg zu verraten. O, wie wünschte er, daß es schneite, daß der Schnee doch seine Tritte verdeckte! denn fand sie einer der Spürhunde, so war es außer Zweifel, daß er sie verfolgte! Er stieg nicht ohne Beschwerde die Klippe hinab, und kletterte zwischen den Felsen und den Spritzwellen, die die Flut auf den Strand spülte, ängstlich umher, bald aufwärts schauend, ob ihn jemand von der Höhe bemerkte, bald unruhig auf die See blickend, ob ein Boot sich zeigte, das ihn beobachten könnte. Aber selbst diese Regungen eines von Selbstsucht erfüllten Gemüts erstarben, als er zu der Stelle kam, wo Kennedys Leichnam gefunden worden war. Noch sah man das Felsstück, das mit ihm oder hinter ihm her gestürzt war; es hatte sich mit kleinen Schaltieren bedeckt und war mit Seegras überwachsen, aber von den umherliegenden Felsstücken noch immer deutlich zu unterscheiden. Daß er der Stelle bisher fürsorglich aus dem Wege gegangen war, läßt sich denken – und als er sie nun zum erstenmal seit dem unglücklichen Tage wieder erblickte, stand die schreckliche Szene mit allem ihrem Grausen urplötzlich vor seiner bebenden Seele. Es fiel ihm ein, wie er sich damals ängstlich aus der Höhle vorschlich und behutsam unter die erschrockenen Männer gemischt hatte, die um den Leichnam herum standen, immer zitternd vor der wahrscheinlichen Frage, woher denn er gekommen; es fiel ihm ein, wie er im Bewußtsein seiner Schuld die Blicke von dem gräßlichen Schauspiele abgewendet hatte. Das Wehgeschrei seines Wohltäters: »O mein Kind!« klang ihm wieder in den Ohren ... »O Gott!« rief er da, »ist alles, was ich gewonnen, der Angst wert, die seitdem mein Leben verbittert hat? O, läge ich doch, wo jener Unglückliche liegt, und stände er doch an meiner Stelle hier lebend und gesund! – Doch all diese Klagen kommen zu spät!« Diese qualvollen Empfindungen bekämpfend, schlich er zu der Höhle, die der Stelle, wo man den Leichnam gefunden, so nahe war, daß die Schleichhändler in ihrem Zufluchtsorte alles, was die Umstehenden über das Schicksal des Ermordeten gesprochen, hatten hören müssen. Die enge Oeffnung der Höhle lag an der Vorderseite der Klippe hinter einem aufrecht stehenden schwarzen Felsblocke, der zweierlei Zweck erfüllte: dem Unkundigen den Eingang zu ihr zu verbergen, dem Kundigen aber ihre Lage zu verraten. Der Raum zwischen dem Felsblocke und der Klippe war sehr enge, und dermaßen mit Sand und Schutt angefüllt, daß man selbst bei sorgfältigem Suchen die Höhle nicht hätte entdecken können, ohne zuvor wegzuräumen, was die Flut vor ihrem Zugang gespült hatte. Um sie noch unauffindbarer zu machen, verstopften die Schleichhändler, sobald sie in dem Schlupfwinkel waren, die Oeffnung gewöhnlich mit welkem Seegras, das sie so locker zu schlichten wußten, daß es aussah, als sei es von den Wogen hinweggeschwemmt worden. Dirk Hatteraick war dieser Vorsicht nicht bloß eingedenk, sondern hatte sie auch jetzt nicht außer acht gelassen. Ein so kühner, verwegener Mann Glossin war, so klopfte ihm das Herz doch und die Kniee schlotterten ihm heftig, als er sich jetzt rüstete, in jenen Schlupfwinkel der schlimmsten Verbrecher zu kriechen und mit Dirk Hatteraick zu verhandeln, den er als den tollkühnsten, rohesten, verzweifeltsten von allen zur Genüge kannte. »Aber er hat keinen Vorteil dabei, mir zu schaden,« dachte er bei sich und suchte Trost hierin. Er vergaß aber nichtsdestoweniger, seine Taschenpistolen nachzusehen, ehe er das Seegras wegräumte und auf Händen und Beinen in die Höhle kroch. Der Eingang war so niedrig und eng, daß ein Mensch nur kriechend hineingelangen konnte; gleich dahinter breitete sich die Höhle zu einem hohen, geräumigen Gewölbe. Kies von herrlicher Reinheit bedeckte den allmählich ansteigenden Boden. Noch ehe Glossin sich wieder auf die Beine emporgerichtet hatte, dröhnte Hatteraicks rauhe, aber gedämpfte Stimme, durch die Windungen der Höhle ... »Alle Schock Teufel! bist Du's?« »Seid Ihr im Finstern?« fragte Glossin. »Im Finstern? Zum Henker ja! Woher sollt ich Licht kriegen?« »Ich bringe Licht,« antwortete Glossin, schlug Feuer an und steckte eine kleine Handleuchte an. »Ihr müßt auch Feuer anmachen,« herrschte Hatteraick ihm zu, »ich bin schon ganz erfroren.« »Ja, kalt ist's hier, sehr kalt,« versetzte Glossin und suchte Faßdauben und Holz zusammen, das vielleicht seit Hatteraicks letztem Aufenthalte hier herumgelegen hatte. »Kalt? Alle Schock Teufel! Ich habe mich bloß warm halten können durch Auf- und Niedergehen – ein gottvermaledeites Loch, diese Höhle! Ein Glück, daß mir die lustigen Zechstunden einfielen, die wir hier verlebt haben.« Die Flamme fing an hell aufzulodern. Hatteraick wandte sein braunes Gesicht gegen das Feuer und hielt die rauhen nervigen Hände begierig darüber. Der Flackerschein erhellte seine wilden, finstern Züge. Der Rauch, der dem von Kälte erstarrten Mann mit Erstickung drohte, wirbelte ihm um den Kopf und stieg zu dem finstern Gewölbe auf, um seinen Ausgang durch verborgene Felsspalten zu suchen, durch die, wenn die Flut hereintrat, Luft zugeführt werden mochte. »Ich bringe Euch was zum Frühstück mit,« sagte Glossin wieder und holte Brot und Fleisch und Schnaps aus seinen Taschen hervor. Hatteraick griff begierig nach der Flasche und tat einen kräftigen Zug ... »Das schmeckt! das wärmt den Magen!« rief er lustig und stimmte ein paar Strophen eines deutschen Trinkliedes an: Saufen Bier und Branntewein, Schmeißen allen die Fenster ein; Ich bin liederlich. Du bist liederlich, Sind wir nicht liederliche Leut! »Gut gesagt, mein Herzenshauptmann!« rief Glossin und stimmte in den Zecherton ein, indem er das Lied weiter sang: Branntwein vollauf, auch Wein soll fließen, Frisch die Fenster eingeschmissen! War'n drei wilde Jungen doch, Wilde Jungen war'n wir doch, Du auf dem Land, und ich auf dem Sand, Und Hans am Galgen hoch – hoch – hoch! Ei, nicht wahr, das paßt zu Eurer Weise? – Aber nun laßt uns von unsern Geschäften reden!« »Von Eurem Geschäfte, bitte!« fiel ihm Hatteraick ins Wort. »Mein's war abgetan, sobald ich die Kette los war.« »Geduld, mein Freund! ich will Euch bald klar machen, daß unser Vorteil ein und derselbe ist,« hob Glossin wieder an und setzte, als Hatteraick ihm mit einem trocknen Husten antwortete, nach einer Pause hinzu: »Sagt 'mal, wie kam's denn, daß Ihr den Knaben habt entwischen lassen?« »Alle Schock Teufel! was ging er mich an? Leutnant Brown übergab ihn seinem Vetter im Hause Vanbeest und Vanbrüggen zu Middleburg, band ihnen das Märchen auf, der Junge sei in einem Gefecht mit Schnapphähnen eingefangen worden, und ließ ihn ihnen als Laufjungen – von Entwischen lassen, Glossin, ist keine Rede; bloß gekümmert hab ich mich nicht weiter um ihn.« »So – und Laufjunge ist er geblieben, – he?« »O bewahre! der alte Herr hatte bald einen Narren an dem Jungen gefressen, hat ihm seinen Namen gegeben, hat ihn die Kaufmannschaft erlernen lassen und hat ihn nach Indien geschickt. Ich glaube gar, er hätte ihn wieder hierher geschickt, hätte sein Vetter ihm nicht gesagt, daß es mit dem Freihandel auf lange Zeit aus sein dürfte, wenn der Junge wieder nach Schottland käme.« »Ob er jetzt über seine Herkunft was weiß?« »Wie kann ich sagen, was er jetzt weiß oder nicht weiß! Aber auf mancherlei besinnen konnte er sich. In seinem zehnten Jahre beschwatzte er einen anderen Jungen – auch aus England – mein Boot zu stehlen, um in sein Land, wie er's nannte, zurückzukehren, und ehe wir sie einholen konnten, war das Boot schon weit weg – im Meere hätt' es untergehen müssen –« »O, wäre es doch untergegangen – und er mit!« »Ja, ich war selbst so fuchswild auf ihn, daß ich ihm einen derben Puff versetzte – aber der Junge schwamm wie eine Ente! Eine Stunde lang habe ich ihn Wasser schlucken lassen, um ihn Mores zu lernen, und Hab ihn erst wieder ins Boot hereingenommen, als er unterzusinken drohte. Meiner Treu! Euch wird er schon was zu knacken geben!« »Aber wie ist er denn aus Indien hergekommen?« fragte Glossin gespannt. »Woher soll ich das wissen? Das Haus hatte falliert, und das hat uns in Middleburg auch böse getroffen; drum schickten sie mich wieder hierher, ob sich mit meinen alten Bekannten etwas machen lasse; die alten Faxen seien längst vergessen, dachten wir. Ich hatte auf den beiden letzten Reisen einen hübschen Handel in Gang gebracht; aber der dumme Brown, der Spitzbube, hat alles wieder verbuttert dadurch, daß er sich vom Obersten hat anschießen lassen.« »Und warum wart Ihr nicht dort?« »Alle Schock Teufel! Ich kenne keine Furcht – aber so weit ins Land hinein durfte ich mich doch nicht wagen; meine Fährte hätte man gar leicht finden können.« »Allerdings – aber – um wieder auf den Jungen zu kommen –« »Ja, das geht Euch an,« sagte Hatteraick. »Wißt Ihr auch ganz bestimmt, daß er wieder im Lande ist?« »Gabriel hat ihn im Gebirge gesehen,« »Gabriel? Wer ist das?« »Ein Zigeuner, der hier vor achtzehn Jahren zum Dienste gepreßt wurde. Er warnte uns vor dem Spürhund an dem Tage, da Kennedy umkam, und sagte uns, daß Kennedy uns verpetzt hätte. Die Zigeuner waren dem Kennedy ohnedies nicht grün. Gabriel ging nach Ostindien im gleichen Schiffe mit Eurem Junker und kannte ihn recht gut, wenn auch der andere sich nicht auf ihn besinnen mochte. Gabriel ging ihm aus dem Wege, weil er desertiert war und auf holländischen Schiffen gegen England gedient hatte, aber er ließ es uns gleich wissen, daß der Musje hier sei. Doch was geht das uns an!« »Also wirklich hier im Lande, Hatteraick?« fragte Glossin – »auf Treue und Gewissen!« »Alle Schock Teufel, ja doch! Was denkt Ihr denn von mir?« »Daß Ihr ein verwegener Raufbold seid,« dachte Glossin, fragte aber laut weiter: »Wer von Euch hat den Hazlewood angeschossen?« »Ei, meint Ihr denn, wir seien toll? Von uns keiner. Nach dem dummen Streiche, den Brown bei Woodbourne gemacht, war's aus hier für uns –« »Nun, Brown soll ja den Hazlewood angeschossen haben.« »Nicht unser Leutnant, das kann ich Euch versichern. Der lag schon sechs Fuß tief unter Derncleugher Erde tags vorher, ehe das passierte.« Jetzt ging Glossin mit einemmale ein Licht auf ... »Sagtet Ihr nicht, der Junker, wie Ihr ihn nennt, hieße Brown?« »Ja, Vanbeest Brown. Der alte Vanbeest Brown hat ihm seinen Namen gegeben.« »Dann, meiner Sixen!« rief Glossin, sich die Hände reibend, »dann ist er's auch, der das Verbrechen begangen hat.« »Was geht's uns an!« versetzte Hatteraick. Glossin schwieg und schmiedete nun an der Hand solch ausgiebiger Hilfe seinen Plan, rückte auch dem Schleichhändler gleich vertraulich näher ... »Ihr wißt, lieber Hatteraick, vor allen Dingen ist's notwendig für uns beide, den jungen Menschen uns vom Leibe zu schaffen.« »Hm!« machte der Schleichhändler. »Es soll mir ferne sein, ihm Böses zu wünschen,« sagte Glossin wieder, »wenn – wenn es auf andere Art geschehen kann. Aber weil er den gleichen Namen mit Eurem Leutnant führt, der in die Geschichte bei Woodbourne verwickelt war, und ferner, weil er den Hazlewood angeschossen hat, könnte es sich doch machen, daß er hinter Schloß und Riegel kommt.« »Aber was soll das Euch helfen? Er muß doch wieder herausgelassen werden, so bald er seine andere Flagge bekennt.« »Ganz recht, Freund Hatteraick! Aber zu einstweiliger Verhaftung wird's doch kommen, und die wird so lange dauern, bis er aus England, oder sonst woher, Ausweise bekommt. Ich weiß doch, Kapitän, wie es in unserm Rechtsstaate zugeht, und lasse mich auf keine Bürgschaft ein, und wenn er mit der besten und sichersten anträte, bis er das zweite Verhör passiert hat – nun, wo denkt Ihr wohl, daß ich ihn einsperren lassen will?« »Was geht's mich an!« rief Hatteraick wieder. »Oho, Kamerad, viel, sehr viel! Ihr wißt, daß Euer konfisziertes Gut im Zollhause zu Portanferry, der kleinen Fischerstadt, liegt. Ins Arbeitshaus, nahe beim Zollhause, sperr ich ihn ein! Die Soldaten sollen über Land marschieren, dafür will ich sorgen. Ihr landet dort in der Nacht, holt Euch Euer Gut und nehmt den Junker Brown mit nach Blissingen ... He?« »Ja, oder mit nach Amerika?« »Wohin Ihr wollt,« versetzte Glossin. »Oder – werfe ihn über Bord?« »Nein, zu Gewalttätigkeit mag ich nicht raten.« »Nun, das überlaßt nur mir! In dieser Hinsicht kenne ich Euch von alter Zeit her – aber sagt mir' bloß, was hab' ich davon?« fragte Hatteraick. »Ist's denn Euer Vorteil nicht so gut wie der meinige? Und habe ich Euch nicht heute morgen in Freiheit gesetzt?« »Ihr mich? Das habe ich mir selbst zu danken.« »Keine dummen Späße, Dirk! Noch einmal, es geht Euch an so gut wie mich,« sagte Glossin. »Was schwatzt Ihr bloß immer von mir? Habt denn nicht Ihr dem Junker sein ganzes Erbe genommen? In meine Hände ist doch von all seinem Gute kein Heller gekommen.« »Still, still! Diesmal geht's halbpart mit dem Gewinne!« »So? Halbpart soll's gehen? Das Gut auch?« »Was? das Gut auch? Aber was sind das für Ideen! Wir können doch nicht zusammen in Ellangowan wohnen.« »Aber den halben Wert könnt Ihr mir auszahlen! Mit Euch zusammen wohnen? Nein! das mag ich nicht. Ich kaufe mir eine Villa in Middleburg und einen Blumengarten – und dann soll mich kein Bürgermeister mehr scheren!« »Ja, mit einem hölzernen Löwen vor der Tür und einer gemalten Schildwache im Garten mit einer Pfeife im Munde. Aber, Hatteraick, was können Euch all Eure Lusthäuser und Blumengärten in Holland nützen, wenn Ihr hier in Schottland an den Galgen kommt?« »An den Galgen?« wiederholte Hatteraick, und sein Gesicht legte sich in finstre Falten. »Freilich, Kapitän! Vor dem Schicksal, als Mörder und Kindsräuber den Galgen zu zieren, bewahrt Euch kein Teufel, sobald der junge Bertram wiederkommt und der tapfere Hauptmann einmal bei seinem Handel erwischt wird. Man schwatzt ja viel von Frieden, und wer weiß, ob Euch die General-Staaten nicht, ihren neuen Bundesgenossen zu gefallen, am Ende gar ausliefern möchten, selbst wenn Ihr Euch in der Heimat sicher fühlen solltet.« – Glossin schwieg hinterhältig. »Alle Schock Teufel! mir kommt's fast vor, als ob Ihr recht hättet!« rief Hatteraick. »Meint aber ja nicht, ich wollte unhöflich sein,« erwiderte Glossin, als er sah, daß seine Worte ihre Wirkung nicht verfehlten, und ließ eine Banknote in Hatteraicks Hände gleiten. »Ist das alles?« brummte der Schleichhändler. »Ihr habt als Schweigegeld den Wert einer halben Ladung bekommen – und dabei mußten wir uns um alles Weitere selbst kümmern!« »Aber, Freundchen, Ihr vergeßt, daß Ihr doch Euer Gut wiederbekommen sollt!« »Ja, doch auf die Gefahr hin, mir den Hals dabei zu brechen? Dazu brauchen wir Euch, Schockschwerenot, doch nicht!« »Das bezweifle ich doch, Kapitän. Ein Dutzend Rotröcke dürftet Ihr ohne meine Hilfe ganz sicher im Zollhause finden. Laßt Euch zureden. Ich will so freigebig sein, wie nur möglich, aber ganz ohne Gewissen dürft Ihr auch nicht sein!« »Macht mich nicht wild!« rief Hatteraick – »Ihr raubt und mordet, und laßt mich für Euch rauben und morden und den Seelenverkäufer machen – und nun redet Ihr mir von Gewissen! Könnt Ihr Euch den Jungen nicht auf bequemere Weise vom Halse schaffen?« »Nein, auf keine andere Weise als daß ich ihn Euch überlasse,« versetzte Glossin. »Mir? Ha, das heißt ihn ans Messer liefern! Nun – wenn's sein muß, so muß es sein; aber erraten könnt Ihr es, was daraus werden kann.« »Mein Lieber, hoffentlich wird solche Härte nicht von nöten sein,« meinte Glossin wieder hinterhältig. »Härte?« wiederholte Hatteraick in einem Tone, der sich wie ein Seufzer anhörte. – »Ich wollte, Ihr hättet geträumt, wie ich, als ich wieder in dieser verdammten Höhle steckte und mich auf dem dürren Seegrase zum Schlafen hinstrecken wollte. Da sah ich den Mann in seinem Blute – mit dem gebrochenen Rückgrate und dem Felsblock daneben, den ich auf ihn gewälzt hatte – ha! geschworen hättet Ihr, er läge da, wo Ihr steht, und zuckte wie ein von einem Fußtritt zermalmter Frosch –« »Was soll der Unsinn!« fiel ihm Glossin ins Wort. »Wenn Ihr zum Hasenfuß geworden, dann freilich ist das Spiel aus; aber dann auch mit uns beiden!« »Zum Hasenfuß? Nein! ich habe nicht darum gelebt, daß ich am Ende zittern sollte.« »Wohlan, trinken wir noch eins! Ihr habt Euch das Herz noch nicht erwärmt, merk' ich. – Und nun sagt mir, was ist aus Eurer alten Mannschaft geworden?« »Tot, alles tot, gehängt, ertrunken, im Zuchthaus! Brown war der letzte. Nur Zigeuner Gabriel ist noch da. Aber der wird auch wohl ruhig sitzen, um seinetwillen, oder wegen seiner Muhme, der alten Meg.« »Wer ist das?« »Meg Merrilies, die alte Teufelsbrut von einer Zigeunerhexe,« antwortete Hatteraick. »Die lebt noch? und ist hier im Lande?« »Ja hier. Sie war neulich in Derncleugh, mit zwei von meinen Leuten und einigen Zigeunern.« »Wieder ein Quälgeist mehr, Hauptmann. Wird sie nicht petzen?« fragte lauernd Glossin. »Die nicht, Sie hat uns hoch und teuer geschworen, wenn wir dem Jungen nichts zuleide täten, so wollte sie nichts vom Zöllner sagen. Ich hab ihr im Gefecht einen Hieb über den Arm gegeben, und sie hat lange sitzen müssen, wie Ihr wißt, und doch war sie treu wie Stahl.« »Ihr habt recht. Aber besser wär es doch, wenn Ihr sie mit nach Zeeland nehmen könntet, oder –« Hatteraick sprang auf und maß Glossin mit einem grimmigen Blicke ... »Ich sehe den Pferdefuß nicht,« rief er endlich, »und Ihr müßt doch der leibhaftige Teufel sein. Aber die Meg Merrilies ist mit dem Satan in noch engerm Bunde als Ihr! Ich habe nie so schlimmes Wetter gehabt, als seit ich ihr den Arm geritzt habe ... Nein, nein! ich mag nichts mehr mit ihr zu schaffen haben. Doch fürs übrige, wenn unser Handel dabei nicht leidet, so will ich Euch schon von dem Junker befreien; laßt's mich nur wissen, wenn Ihr ihn habt.« Beide schieden, nachdem sie einig waren, und verabredeten, wo sie einander treffen wollten. Viertes Kapitel Bei sich zu Hause fand Glossin unter den inzwischen eingegangenen Schriftstücken eins von einem Edinburger Rechtsgelehrten, namens Protocol, durch das ihm als Verwalter des verblichenen Laird Godfrey Bertram von Ellangowan und dessen Erben das plötzliche Abscheiden des Fräuleins Margareth Bertram von Singleside mitgeteilt wurde. Zugleich wurde er aufgefordert, Bericht darüber zu erstatten, ob es besagte Erben für nötig erachten sollten, sich durch einen Bevollmächtigten bei der Nachlaßeröffnung vertreten zu lassen. Glossin, dem es keine Minute zweifelhaft war, daß der Anwalt, von dem diese Zuschrift herrührte, über das feindselige Verhältnis zwischen ihm und dem verblichenen Laird nichts wußte, war keinen Augenblick im Zweifel, daß außer Lucy Bertram niemand einen rechtlichen Anspruch auf das Erbe der Verstorbenen hatte; aber ebenso sicher schien es ihm zu sein, daß dieses wunderliche alte Fräulein über ihren Nachlaß ganz anders verfügt hätte. Nach reiflicher Erwägung, ob für ihn Vorteil aus diesem Umstande erwachsen könne, erblickte er nur ein Mittel darin zur bequemeren Ausführung seines Vorhabens, sich in Würde und Ansehen zu setzen. Ich muß mir, sagte er sich, festen Boden schaffen, damit ich wenigstens, wenn die Sache mit Hatteraick schlecht ausfallen sollte, die gute Meinung für mich habe. Anderseits mochte er – und diese Gerechtigkeit müssen wir ihm wohl oder übel widerfahren lassen, – bei aller Schlechtigkeit seines Charakters einen gewissen Trieb in seinem Heizen fühlen, Lucy für das schwere Unrecht, das er ihr und ihrem alten Hause angetan, zu einer Aufbesserung ihrer Lage zu verhelfen, zumal seine persönlichen Interessen dabei nicht ins Spiel kamen. Er nahm sich vor, am folgenden Tage nach Woodbourne hinüberzureiten – tat es aber erst nach mancherlei Bedenken, denn der Gedanke, dem Obersten Mannering gegenüber zu stehen, war ihm höchst unsympathisch, wie ja bekanntlich jeder Betrüger sich scheut, einem ehrlichen, rechtschaffenen Menschen vor die Augen zu treten. Er hatte jedoch ein ziemlich unbegrenztes Vertrauen zu seiner Gewandtheit und viel natürlichen Scharfsinn; auch hatte ihm ein mehrmaliger Aufenthalt in England eine gewisse Nonchalance verliehen. Gegen zehn Uhr kam er in Woodbourne an und ließ sich erst vor der Tür des Zimmers, in welchem die Herrschaften das Frühstück einnahmen, durch den Diener bei Fräulein Bertram melden. Lucy, der bei dem Namen Glossin die letzten Augenblicke ihres Vaters vor die Seele traten, wurde totenblaß und wäre fast ohnmächtig vom Stuhle gefallen. Julie Mannering trat sogleich zu ihr und begleitete sie hinaus. In dem Zimmer blieb nur der Oberst, Charles Hazlewood, – der den Arm noch in der Binde trug, und Sampson, auf dessen Gesicht ein Ausdruck von tödlichster Feindschaft trat, als er Glossin erkannte. Glossin schien sich wohl beschämt zu fühlen, als er sah, welchen Eindruck sein Besuch machte; er trat aber selbstbewußt näher und meinte, hoffen zu dürfen, daß er die Damen nicht gestört habe. Der Oberst erwiderte mit stolzer Offenheit, daß er keine Ahnung davon habe, welcher Umstand ihm die Ehre eines Besuches von seiten des Herrn Glossin verschaffen könne. »Ich erlaubte mir nur, bei Fräulein Bertram vorzusprechen,« versetzte Glossin, – »in einer Geschäftssache.« »Wenn Sie mit Herrn Mac Morlan darüber reden könnten, dürfte es, meiner Meinung nach, dem Fräulein angenehmer sein.« »Bitte um Verzeihung, Herr Oberst, in gewissen Fällen ist es für die unmittelbar Beteiligten doch wohl richtiger, Mittelspersonen zu umgehen.« »Dann teilen Sie der Dame doch schriftlich mit, um was es sich handelt.– Fräulein Bertram wird es an Aufmerksamkeit nicht fehlen lassen.« »Daran zweifle ich nicht. Aber in gewissen Dingen empfiehlt sich der mündliche Verkehr doch nicht. Der Herr Oberst sind, wie ich merke, von Vorurteil gegen mich eingenommen, so daß Ihnen mein Besuch als zudringlich erscheinen mag. Aber ich gebe es Ihrem Ermessen anheim, ob es klug sein möchte, mir, ohne die Absicht meines Besuches zu kennen, ein freundliches Gehör zu versagen; es könnte am Ende dem gnädigen Fräulein, dem Sie Ihren Schutz weihen, zum Nachteil gereichen.« »Das ist keineswegs meine Absicht,« erwiderte Mannering. »Ich werde Fräulein Bertram um ihre Meinung fragen, und bitte Sie, auf die Antwort zu warten, wenn Sie Zeit haben.« Mit diesen Worten verließ er Glossin, der noch immer in der Mitte des Zimmers stand, denn der Oberst hatte ihn weder durch ein Wort noch durch eine Bewegung zum Sitzen eingeladen und war selbst während der ganzen Unterredung vor ihm stehen geblieben. Als Mannering aber die Tür hinter sich geschlossen hatte, nahm sich Glossin einen Stuhl und setzte sich mit einer Miene, die die Mitte etwa zwischen Bedrücktheit und Unverschämtheit hielt. Höchst unangenehm empfand er das tiefe Schweigen, das die übrigen Anwesenden beobachteten, und schließlich wandte er sich an Sampson mit den Worten: »Ein recht schöner Tag heute, Herr!« Sampson antwortete mit einem Geknurr, das auch der größte Optimist nicht für ein Zeichen des Beifalls hätte nehmen können. »Warum kommen Sie denn gar nicht mehr nach Ellangowan hinunter, Herr Sampson?« fragte Glossin; »Ihre alten Bekannten vermissen Sie recht. Finden würden Sie ja noch die meisten dort. In meinem Herzen wohnt ein viel zu hoher Respekt vor dem alten Stammhause, daß ich alte Gäste desselben stören oder gar wegschicken möchte, wenn ich auch sonst ein Mann von Reformen bin. Aber es liegt nicht in meiner Art – und dann, Herr Sampson, verdammt ja auch die heilige Schrift Härte gegen die Armen!« »Auch Verkürzung von Waisen in ihrem Erbe,« fiel ihm Sampson ins Wort ... »Anathema! Maranatha!« und mit diesen Worten stand er auf, nahm einen Folianten, in dem er gelesen, auf die Schulter und verließ mit soldatischen Schritten das Zimmer. Glossin ließ sich dadurch nicht beirren, oder stellte sich wenigstens so, als wenn es nicht der Fall wäre, wandte sich vielmehr zu Hazlewood, der eine Zeitung vor der Nase hatte ... »Was gibt's denn Neues in der Welt?« fragte er den jungen Laird. Hazlewood blickte auf, sah ihn an, schob ihm gleichgiltig das Blatt hin und stand auf, um hinauszugehen. »Verzeihen Sie, Herr Hazlewood,« hob Glossin wieder an, »ich möchte Ihnen gratulieren, daß Sie sich von dem schrecklichen Unfall so schnell erholt haben.« Hazlewood nickte kühl. »Ich beteure Ihnen, Herr Hazlewood, es hat niemand so lebhaft Anteil daran genommen, wie ich, nicht allein um der öffentlichen Wohlfahrt willen, als aus ganz besonderer Achtung gegen Ihr hohes Haus, das einen so ansehnlichen Rang unter uns behauptet. Ja, einen sehr ansehnlichen Rang, und wenn Sie mir erlauben, als Freund zu sprechen und als Mann, der in solchen Dingen einige Kenntnis hat, so möchte ich mir erlauben, Ihnen zu bemerken, daß Sie bei der bevorstehenden Wahl sich doch um eine Kandidatur bewerben sollten – und was meinen Einfluß betrifft –« Hazlewood maß ihn mit einem vernichtenden Blicke. »Auch hier abgewiesen!« dachte Glossin bei sich, begann jedoch gleich wieder: »Was mir da eben einfällt, Herr Hazlewood, Sie dürften doch bald wieder imstande sein, den Jagdsport zu treiben – warum jagen Sie denn bloß immer in Ihrem Gebiete? Sie werden doch hoffentlich auch einmal in Ellangowan jagen, wo sich ein weit besserer Schnepfenstand vorfindet, als anderswo?« Hazlewood dankte für die Einladung wiederum mit einer so kalten, gezwungenen Verbeugung, daß Glossin für geboten hielt, das Gespräch so lange abzubrechen, bis Mannerings Rückkehr ihn halb und halb aus der Verlegenheit befreite. »Bedauere sehr,« sagte dieser, »daß ich Sie so lange aufhalten mußte, Herr Glossin; aber es ist mir nicht möglich gewesen, Fräulein Bertram, wie ich es wünschte, zu einer Unterredung mit Ihnen zu bestimmen; es gibt Erinnerungen im Leben, die sich nicht leicht uns dem Gedächtnisse verwischen lassen, und es wäre ungalant gewesen, hätte ich noch länger versuchen wollen, darauf zu bestehen. Fräulein Bertram hat mich gebeten, in ihrem Namen mit Ihnen zu verhandeln.« »Hm, hm, es sollte mir sehr leid tun, wenn ... wenn sich bei Fräulein Bertram ... ein Vorurteil ... oder etwa gar die Meinung ... als handle es sich meinerseits ...« »Mein Herr,« erwiderte der Oberst, »wenn keine Beschuldigung erhoben wird, ist keine Entschuldigung am Platze, und auch keine Erörterung. Daß ich interimistisch die Vormundschaft über Fräulein Lucy Bertram führe, wird Ihnen bekannt sein, und ich richte die Frage an Sie, ob Sie meinen, mir die Kenntnis von Umständen, die auf ihr Wohl hinwirken können, vorenthalten zu sollen?« »Durchaus nicht, Herr Oberst; ich bin vielmehr der Meinung, daß Fräulein Bertram den besten Vormund in Ihnen besitzt, der sich für sie hätte finden lassen, und daß ich niemand wüßte, mit dem ich mich so gern wie mit Ihnen offen und ehrlich ausgesprochen hätte.« »Zur Sache, bitte!« »Aber, Herr Oberst! Das ist doch nicht so leicht und einfach. ... O bitte, warum will uns denn Herr Hazlewood allein lassen? Das ist wirklich nicht nötig. Ich nehme an Fräulein Bertrams Geschick so regen Anteil, daß es wirklich gut wäre, die ganze Welt hörte, was ich zu sagen habe.« »Herrn Hazlewood dürfte wahrscheinlich nicht viel daran liegen, Dinge zu erfahren, die ihn persönlich nichts angehen,« erwiderte Mannering ... »und jetzt!« fuhr er fort, »da mein Freund es vorgezogen hat, sich zu entfernen, muß ich Sie wiederholt ersuchen, sich kurz und deutlich zu erklären. Ich bin Soldat und als solcher kein Freund von Umschweifen und langen Vorreden.« Mit diesen Worten setzte er sich und wartete ab, was ihm Glossin zu sagen hätte. »Lesen Sie, bitte, dieses Schreiben,« versetzte Glossin, nachdem Mannering sich gesetzt hatte. Der Oberst las das Schreiben ein paarmal, dann vermerkte er sich den Namen seines Absenders in seinem Notizbuche ... »Hierüber ließe sich viel reden,« sagte er, »ich will die nötige Sorge tragen, daß Fräulein Bertrams Interessen nicht verkürzt werden.« »Aber, Herr Oberst,« versetzte Glossin, »es tritt noch ein anderer Umstand hier in Betracht, den niemand außer mir zu erklären vermag. Fräulein Margarethe Bertram hat eine Verfügung zu gunsten des Fräuleins Lucy Bertram getroffen, als sie noch bei meinem Freunde, dem alten Laird, in Ellangowan wohnte. Herr Sampson und ich haben als Zeugen das betreffende Schriftstück unterfertigt. Fräulein Margarethe Brown war zurzeit noch unbedingt dispositionsfähig, und sie war Erbin des Gutes Singleside, obgleich ihre ältere Schwester ein Leibgedinge daran hatte. Der alte Laird Singleside war ein wunderlicher Kauz und fand eine besondere Freude daran, die beiden Töchter, die er hinterließ, wie ein Paar Katzen aufeinander zu hetzen .« »Sie sagen,« unterbrach ihn Mannering, »Fräulein Margarethe Bertram sei befugt gewesen, ihr Gut Fräulein Lucy zu vergeben, und habe es ihr vererbt?« »So ist's, Herr Oberst. In unserm Rechtswesen muß ich doch wohl Bescheid wissen, habe ich doch viele Jahre darin gearbeitet – und wenn ich mich auch seit einer geraumen Weile von dieser Tätigkeit zurückgezogen habe, so vergrabe ich doch deshalb mein Pfund nicht, sondern halte mich auf dem laufenden, denn so ein bißchen Jus ist, möchte ich sagen, besser als Haus und Hof, heißt's doch schon im Liede: »Gar herrlich, all ihr Toren, Gut retten, das verloren ...« und wenn man sich schließlich auch bloß damit abgibt, guten Bekannten und Freunden zu Diensten zu sein.« Glossin war der Meinung, sich hierdurch bei dem Oberst in besseres Licht gesetzt zu haben; der Meinung war dieser nun freilich, daß durch den Eintritt dieses Ereignisses in den Verhältnissen seines Mündels ein Wendepunkt bedingt sein möchte, und indem er seine Abneigung gegen Glossin zu bekämpfen suchte, lieh er ihm ruhig Gehör, ja stellte ihm schließlich die Frage, ob er über den Verbleib der betreffenden Urkunde etwas zu sagen wisse. »O freilich – ich glaube sogar, sie finden zu können. Aber wer dergleichen in Gewahrsam hält, erhebt wohl in der Regel auch Ansprüche auf Abfindung –« »Das soll uns kein Hinderungsgrund sein, weiter zu verhandeln,« versetzte der Oberst barsch und klappte sein Taschenbuch auf. »Aber, Herr Oberst, Sie sind doch wohl gar zu kurz angebunden – nehmen Sie es mir nicht übel! Meine Rede lautet doch nur, bei gewissen Leuten sei es wohl Brauch, eine gewisse Abfindung zu begehren – für meinen Teil aber, Herr Oberst, möchte ich diesen Anlaß vielmehr benutzen, Fräulein Bertram und ihren Freunden die Ueberzeugung zu verschaffen, daß mich bloß die ehrliche Absicht, ihr nützlich zu sein, leitet. Hier ist die Urkunde, Herr Oberst. Es hätte mir Freude gemacht, sie dem Fräulein selbst einzuhändigen und ihr zu der erfreulichen Aussicht zu gratulieren. Aber da sich gegen gefaßte Vorurteile schwer ankämpfen läßt, bleibt mir weiter nichts übrig, als ihr durch Ihre gütige Vermittlung die Versicherung zu geben, daß ich jederzeit bereit bin, die Echtheit der Urkunde durch mein Zeugnis zu erhärten. Ich wünsche Ihnen guten Morgen, Herr Oberst.« Die letzten Worte waren von Glossin so geschickt gewählt und wurden mit einem solchen Trotz und Selbstbewußtsein gesprochen, daß selbst Mannering in seinem Vorurteile gegen ihn unsicher wurde. Er ging ein paar Stufen mit ihm die Rampe hinunter und erwies ihm beim Abschiede, wenn er auch kalt und ernst blieb, doch mehr höfliche Rücksicht als während der bisherigen Unterredung. So erfreut Glossin über den günstigen Eindruck war, den er zurückließ, so empfindlich hatte ihn doch die behutsame Zurückhaltung, der strenge Stolz berührt, mit dem man ihm gegenübergetreten ... »Um einiges höflicher hätte der Oberst schon sein können,« meinte er bei sich selbst. »Alle Tage wird's einem armen Mädchen nicht passieren, daß ihm vierhundert Pfund jährlicher Rente auf den Tisch gelegt werden. Jeder andere an meiner Stelle hätte sein Interesse dabei besser gewahrt – aber freilich, mit dem Wie habe ich mich bis jetzt ja noch gar nicht befaßt – und ob es sich so leicht hätte machen lassen, sich die Beute selbst anzueignen, will mir ohne weiteres nicht in den Kopf.« Mannering ließ, sobald Glossin außer Sehweite war, Mac Morlan rufen und legte ihm die Urkunde vor mit der Frage, ob sich durch Lucy damit vorgehen lasse. »Brillant!« rief Mac Morlan strahlenden Gesichts, als er das Schriftstück gelesen hatte; »was Besseres hätte an uns Glossin nicht tun können, sofern er nicht etwa Schlimmeres im Sinne hat ... Aber freilich,« sagte er nach einer Weile, und sein Blick verlor an freudigem Ausdruck, – »die Jungfer kann ihren Willen in letzter Stunde auch geändert haben.« »Und wie erfahren wir das?« »Fräulein Lucy muß sich bei der Testamentseröffnung durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen.« Der Oberst ersuchte Mac Morlan, dies Amt zu übernehmen; da aber Mac Morlan durch dringende Amtsverrichtungen behindert war, entschloß sich Mannering, den Termin zu wahren und am andern Morgen mit Sampson, der die Urkunde als Zeuge mit unterzeichnet hatte, die Reise nach Edinburg zu unternehmen. Mac Morlan gab ihm ein paar Zeilen an einen angesehenen Anwalt dort mit, der früher Sheriff ihrer Grafschaft gewesen war, und dessen Rat und Beihilfe dem Obersten, wie Mac Morlan meinte, von gutem Nutzen sein möchte. »Sollen wir Fräulein Lucy von der Aussicht, die sich ihr eröffnet, schon jetzt Mitteilung machen?« fragte der Oberst noch. »Selbstverständlich,« versetzte Mac Morlan, »muß sie doch die Vollmacht unterfertigen, die ich gleich aufsetzen will. Aber keine Sorge, lieber Oberst! Fräulein Lucy wird keine Luftschlösser darauf bauen, sondern die Sache mit nüchternen Augen betrachten – als eine Möglichkeit zur bessern Gestaltung ihrer Zukunft – als sonst nichts weiter.« Mac Morlan hatte recht. Lucy ließ sich in keiner Weise merken, daß der so unvermutet eingetretene Todesfall ihr günstige Aussicht für die Zukunft eröffnete. Zwar richtete sie abends an Mac Morlan die scheinbar zufällige, doch aber nicht unauffällige Frage, wie hoch sich Hazlewoods Einkünfte im Jahre wohl stellen möchten; aber wer hätte daraus schließen mögen, daß sie sich mit der Frage befaßte, ob sie als Erbin von vierhundert Pfund Jahresrente eine passende Partie für den jungen Laird sei? Fünftes Kapitel Mannering säumte keinen Augenblick, die Reise nach Edinburg anzutreten, und lotste mit Hilfe seines Dieners den braven Sampson, trotzdem er zweimal in Gefahr geriet, ihn unterwegs zu verlieren, glücklich in ein Edinburger Gasthaus. In einem Städtchen, wo gehalten werden mußte, war er mit dem Schulmeister über einen Vers in einer horazischen Ode in endlosen Diskurs geraten; das andere Mal war er entschlüpft, um sich das Schlachtfeld von Rullion-Green [Im Jahre 1566 wurden die Presbyterianer von dem königlichen Heere, unter dem tapfern General Dalzell, hier geschlagen. Siehe hierüber den Roman: »Die Schwärmer« von Walter Scott.] anzusehen, das für den eifrigen Presbyterianer ein höchst sehenswertes Objekt darstellte. Als ihn der Diener Mannerings endlich aufstöberte und ihn barsch anfuhr, daß alles bloß auf ihn wartete, schreckte er ordentlich zusammen und ließ den stereotypen Ausruf seiner Verwunderung: »Komisch! komisch!« hören – um noch hinzuzusetzen: »Du liebe Zeit! Wie konnte ich mich so vergessen!« Diener Barnes konnte sich über seines Herrn Geduld Sampson gegenüber nicht genug wundern, wußte er doch, wie verhaßt seinem an militärischen Drill gewöhnten Herrn jeder Zug von Saumseligkeit und Lässigkeit war. Aber Sampson und Mannering harmonierten immer ausgezeichnet, ja sie schienen zu Lebensgefährten förmlich wie geschaffen. Brauchte Mannering irgend ein Buch, so schaffte der Magister es zur Stelle; galt es Rechnungen zu prüfen oder zu ordnen, war Sampson im Nu bereit; suchte Mannering irgend eine Klassikerstelle, so wußte sie Sampson auf den Moment, war er doch ein lebendiges Wörterbuch; und für einen so stolzen, in sich abgeschlossenen Mann, wie Mannering, hatte solch ein auf die Minute bereiter »zweibeiniger Universalkatalog« und »allzeit dienstbares Faktotum« natürlich der Vorteile mancherlei. Kaum in Edinburg angekommen, ließ sich Mannering zu dem Rechtsgelehrten Pleydell führen, an den ihn Mac Morlan empfohlen hatte, schärfte aber seinem Diener ein, dieweil ein wachsames Auge auf Sampson zu haben. Damals – gegen Ausgang des amerikanischen Krieges – hatte sich Edinburg nur wenig entwickelt. Mit dem Bau der Neustadt auf der Nordseite, die jetzt fast eine Großstadt für sich geworden, wurde gerade erst begonnen. Die höhern Stände, besonders aber die Rechtsgelehrten, hatten ihre Wohnungen noch fast ausschließlich in der dunklen, verräucherten Altstadt, und dort wohnte auch Herr Paul Pleydell, ein strammer Verfechter der sogenannten »guten alten Zeit,« der mit Eigensinn an sanktionierten Bräuchen der Vergangenheit festhielt, und dementsprechend nicht bloß ein trefflicher Rechtsmann, sondern ein Bieder- und Ehrenmann war. Als Mannering mit seinem Führer durch einige Straßen zwischen den himmelhohen, bis unter das Dach erleuchteten Häusern der High-Street gegangen war, kamen sie endlich zu einem unscheinbaren Gebäude und waren schon ziemlich hoch auf steilen Treppen gestiegen, als sie, zwei Stockwerke höher, ein lautes Pochen horten. Eine Tür tat sich auf, und alsbald wurde das wilde Gebell eines beißenden Hundes, Weibergeschrei, Katzengeheul, und dazwischen eine Männerstimme laut, die gebieterisch rief: »Kusch dich, Senf! kusch!« »Gott sei uns gnädig!« rief die Weiberstimme. »Hält' er die Katze erwürgt, dann wäre mein Herr schier außer sich.« »Ach, was soll denn der Katze geschehen sein? Also nicht da, sagst Du?« fragte der Mann, Dinmont mit Namen. »Nein, Herr Pleydell ist Sonnabends nie da!« »Und morgen ist Sonntag,« versetzte Dinmont, »was soll man da machen?« Mannering kam inzwischen die Treppe herauf und sah sich einem rüstigen Landmann in grauem Rocke mit dicken Metallknöpfen, einem glänzenden Hut auf dem Kopfe, in blitzblanken Stiefeln, mit langer Reitpeitsche unter dem Arm, gegenüber – der mit einem Mädchen sprach, das in der einen Hand das Türschloß, in der andern eine Gelte mit weißer Tünche hielt, dem in Edinburg Sonnabends üblichen Säuberungsmittel. »Herr Pleydell also nicht da, Kind?« fragte Mannering wieder. »Da ist er, Herr, aber nicht daheim.« »Aber ich komme weither, Kind, und habe es höchst eilig,« erwiderte Mannering; »wo treffe ich Deinen Herrn?« »Herr Pleydell wird wohl im Wirtshause sein,« meinte sein Führer. »So bringt mich dorthin,« wandte der Oberst sich zu seinem Begleiter; »er wird mich hoffentlich dort anhören, da ein sehr wichtiges Geschäft mich zu ihm führt.« »Darüber kann ich nichts sagen,« antwortete das Mädchen, »Sonnabends läßt er sich nicht gern stören; aber die Höflichkeit gegen Fremde läßt er nicht außer acht.« »Ich gehe mit in die Schenke,« meinte Dinmont; »ich komme auch weither und habe auch wichtige Geschäfte.« »Je nun,« meinte die Magd, »wenn er mit dem Herrn da redet, wird er für Euch gemeineren Mann wohl auch ein Wort übrig haben. Sagt aber um Himmels willen nicht, daß ich Euch schicke.« »Nun, wenn ich auch nicht zu den Vornehmen rechne, so verlange ich doch von niemand was umsonst,« versetzte der Pächter in ehrlichem Stolze und ging schweren Schrittes die Treppen hinunter. Mannering, ihm auf dem Fuße folgend, konnte nicht umhin, den festen Schritt des Bauern zu bewundern, der ihnen durch das Straßengewühl den Weg bahnte ... »Nun, der mag nicht aus der Straßenmitte,« meinte der Führer zum Obersten, »aber wundern sollte es mich, wenn nicht schließlich jemand mit ihm anbände!« Die Vermutung bestätigte sich aber nicht. Dinmonts urkräftige Gestalt flößte solchen Respekt ein, daß sich niemand an ihn herantraute, sondern ihn ungestört ziehen ließ. Endlich drehte sich Dinmont um und sagte zu dem Führer: »Da geht's wohl hin zu der Schenke, nicht wahr, Freund?« Der Führer nickte, und Dinmont ging erst einen dunklen Gang entlang, dann eine dunkle Treppe hinunter und geriet endlich vor eine offene Tür. Dort pfiff er laut nach dem Aufwärter wie einem seiner Hunde; und Mannering sah sich um, außerstande zu begreifen, wie ein Mann von Bildung, der an gute Gesellschaft gewöhnt ist, in einem so armseligen, halbverfallenen Hause Unterhaltung suchen könne. Der Korridor, in welchem sie standen, hatte ein kleines Fenster, das zur Küche führte. Beim Scheine eines hellflackernden Feuers erblickte man dort Männer und Weiber in der muntersten Tätigkeit – teils mit Backen und Braten, teils mit dem Rösten von Austern beschäftigt, während die Beherrscherin dieses Feuerreiches in ausgetretenen Schuhen, mit wildfliegendem Haar, das zu einer kleinen Haube heraushing, wie eine Megäre herumschoß, kommandierend, arbeitend, und Befehlen einer noch höheren Gewalt fügsam ... Aus verschiedenen Teilen des Hauses erscholl munteres Gelächter, ein Zeichen dafür, daß die Megäre es verstand, durch gute Speisen ihre Gäste in gute Stimmung zu setzen. Endlich lieh sich der Kellner herbei, den Obersten und den Bauern nach dem Zimmer zu geleiten, in welchem der vielbegehrte Rechtsgelehrte seine Wochenkneipsitzung abhielt. Das Schauspiel, das sich den beiden Fremden bot, setzte sie in das größte Erstaunen. Pleydell war ein munterer Herr mit klugem Gesicht, pfiffigen Augen und von jener Förmlichkeit im Wesen, die der Amtsberuf mit sich bringt. Sonnabends aber streifte er mit seiner dreizöpfigen Perücke und seinem schwarzen Rocke auch alle Förmlichkeit ab und war unter fidelen Kameraden der fidelste. Seit vier Uhr saßen sie schon beisammen, all die starken Trinker vorm Herrn, unter Leitung eines wackern Vortrinkers, der schon drei Menschenalter hindurch diesen Gelagen beiwohnte und während der Hälfte dieser Zeitspanne auch präsidierte. Ein uraltes, jetzt vergessenes Spiel, »Highs-Jinks« genannt, wurde dabei getrieben, aber auf höchst verschiedene Weise: mit Karten, Würfeln, Brettsteinen usw. Wen das Los traf, der mußte entweder eine Zeitlang im Geiste einer bestimmten Rolle handeln oder eine gewisse Menge von schnurrigen Versen in bestimmter Ordnung herleiern. Wer aus der Rolle fiel oder steckenblieb, mußte büßen und zur Strafe entweder einen Becher mehr trinken oder einen Strafgroschen in die »Pinke« stiften. Als Mannering eintrat, war Pleydell eben zum König ausgerufen worden, saß auf einem Lehnstuhl, der auf den Tisch gestellt worden war, hatte die zerzauste Perücke schief auf dem Kopfe und an Stelle einer Krone einen Flaschenuntersatz darüber, während ihm alle fidelen Geister des Weines aus den Augen blitzten. Von dem lustigen Hofe, der ihn umringte, wurden allerhand schnurrige Reime gesungen, wie: »Ei, wo ist Gerunto jetzt? Was ist aus ihm worden letzt? Ach, er war ein Schwimmer nie – drum ist er ersoffen letzt, drum ersäuft er wieder jetzt! Dinmont rief von der Schwelle aus: »Weiß Gott! er ist's! aber so etwas ist mir mein Lebtag nicht vor Augen gekommen! mein Lebtag nicht!« und wie außer sich vor Verwunderung und Staunen klatschte er in die Hände. »Herr Dinmont und Oberst Mannering möchten Sie sprechen, Herr Pleydell!« wandte sich der Aufwärter jetzt zu dem lustigen Zecherkönig – und dieser schaute sich um, wurde rot bis hinter die Ohren, als er den vornehmen Herrn aus England erblickte; aber er dachte wie Falstaff: »Ausgespielt, ihr Schelme, das Spiel ausgespielt!« und hielt es für gescheiter, den Harmlosen zu spielen. »Wo ist unsere Leibwache?« rief er lustig: »seht Ihr nicht den fremden Ritter, der aus fremden Landen kommt, unsern Hof zu besuchen? Da ist ja auch unser wackrer Freisasse, Andrew Dinmont, der Hüter unserer königlichen Herden, im Kedwooder Walde, die dort, dank unserer königlichen Fürsorge, sicher weiden, wie in Abrahams Schoße! wo ist unser Lord Lyon? [Das schottische Herolds-Kollegium wird »Lyon-Office« genannt und besteht aus dem Lord Lyon und mehreren Herolden und Persevanten.] wo stecken unsere Herolde und Persevanten? Geleitet die Fremden zu unserer Tafel und traktiert sie ihrem Range gemäß, würdig dem hohen Feste! Morgen wollen wir hören, was uns die Gäste bringen.« »Morgen, mit Verlaub, ist Sonntag,« meinte einer von der Sippe. »Sonntag? Morgen? Nun, dann sei der Kirche kein Anlaß zum Aergernis gegeben; dann sollen sie am Montag Gehör erhalten.« Mannering, einen Augenblick unschlüssig, ob er den Fuß weiter hinein, in die Stube oder wieder aus ihr heraussetzen sollte, hielt es im andern Augenblicke für klüger, das Possenspiel eine Weile mitzumachen, obgleich er im stillen Mac Morlan grollte, ihm solch seltsamen Herrn zum Berater in solch wichtiger Sache empfohlen zu haben. Sich dreimal hintereinander tief verneigend, trat er zu dem Throne der Trinkermajestät und ersuchte um die Vergünstigung, sein Beglaubigungsschreiben zu den Füßen des Monarchen niederzulegen. Seine gut gespielte Gravität und seine tiefen Bücklinge, mit denen er den ihm vom Zeremonienmeister angewiesenen Sitz erst ablehnte, nach einigem Zieren aber annahm, wurden mit dreimaligem Applaus belohnt. »Da soll mir doch der Teufel ins Genick fahren, wenn sie nicht alle miteinander fürs Narrenhaus reif sind!« meinte Dinmont, indem er sich ohne viel Umstände einen Platz am Ende der Tafel suchte. Ein Becher Bordeaux wurde dem Obersten kredenzt, der ihn auf das Wohl des Königs leerte ... »Ihr seid meines Vermutens,« hob darauf der König an, »der vielgerühmte Miles Mannering, der sich in den Kriegen gegen Frankreich hervorgetan – und werdet uns sagen können, ob die Gascogner Weine in unserm nördlicher gelegenen Reiche an Geschmack und Blume Schaden leiden oder nicht.« Mannering, durch diese Anspielung auf den Ruhm seines gefeierten Ahnherrn geschmeichelt, erwiderte, zwar nur ein entfernter Verwandter des biedern Ritters zu sein, erklärte aber den Wein für vortrefflich. »Für meinen Magen nicht,« sagte Dinmont, das leere Glas auf den Tisch setzend. »Dem wollen wir abhelfen,« sagte König, Paul, der erste dieses Namens. »Es war uns aus dem Sinn gekommen, daß die dicke, feuchte Luft in unserm Liddes-Tale stärkeres Getränk erfordert. Seneschal, reicht unserm getreuen Freisassen einen Becher Branntwein; der wird ihm besser tun.« »Wir haben Eure huldvolle Majestät unbedachterweise bei fröhlicher Erholung gestört,« nahm Mannering das Wort, »darum geruhen dieselben wohl zu sagen, wenn ein Fremdling in der wichtigen Angelegenheit, die ihn nach Eurer Hauptstadt geführt hat, vorsprechen darf mit der Zuversicht, Gehör zu erhalten?« Der König brach Mac Morlans Schreiben auf, überflog es geschwind und rief mit seiner Amts- oder Berufsstimme: »Lucy Bertram von Ellangowan? Ach, das arme Ding!« »Buße! Buße!« riefen ein paar Dutzend Stimmen; »Majestät sind aus der Rolle gefallen.« »Nicht doch! nicht doch!« antwortete der König; »dieser wackere Ritter sei Richter! Auch ein König darf einer Maid von geringem Blut Liebe weihen! Ich zitiere den König Cophetua mit seiner Bettlermaid als casus in terminis.« »Schusterrede! Schusterrede!« riefen die stürmischen Edlen; »abermals Buße! abermals Buße!« »Hatten nicht Unsere Vorfahren im Reiche,« nahm der König wieder das Wort mit gehobener Stimme, bemüht, das Geschrei der Mißvergnügten zu betäuben: »hatten nicht auch sie ihre Johannen und Lisen? ihre Oliphants, Sandilands usw.? Uns soll's verwehrt sein, den bloßen Namen einer Maid zu nennen, der Wir Unsere Gunst schenken? Nein! so stürze der Thron, und die Herrschaft versinke! Gleich Karl V. lege ich die Krone nieder und danke ab, um im stillen Schatten bürgerlichen Lebens die Freuden zu genießen, die dem Königsthrone versagt sind.« Mit diesen Worten schleuderte er die Krone vom Haupte, sprang von seinem Throne Zur Erde, um vieles behender, als sich bei seinem Alter erwarten ließ, bestellte Lichter, Waschbecken und Tee in ein Nebenzimmer und winkte Mannering, ihm zu folgen. Im Nu hatte er Hände und Gesicht gewaschen, die Perücke vor dem Spiegel zurecht gerückt und wurde zu Mannerings nicht geringem Erstaunen ein ganz anderer Mensch als jener König eines kindischen Gelages ... »Herr Oberst,« sagte er, »gewisse Leute sollten, wenn sie sich als Narren aufspielen, scharf aufs Korn genommen werden, weil sie entweder zu viel bösen Witz oder zu wenig gesunden Sinn haben. Ich kann Ihnen kein besseres Kompliment machen, als Ihnen zeigen, daß ich mich schäme, vor Ihnen zu stehen, und wenn ich nicht sehr irre, habe ich das Ihrer freundlichen Nachsicht schon heute abends bewiesen ... Aber – entschuldigen Sie, bitte – was mag der stämmige Patron dort wollen?« Dinmont war hinter dem Obersten eingetreten und machte nun einen Bückling und einen Kratzfuß über den andern – dann hub er an: »Ich bin Andrew Dinmont aus Charlieshope im Liddes-Tale. Sie haben 'mal für mich einen Prozeß gewonnen.« »Prozeß? Was für einen? Sie meinen doch nicht, daß ich mich auf alle Toren besinnen soll, die mir meine gute Laune verderben?« »Aber, Herr Pleydell, es war doch der große Prozeß um die Hutweide!« sagte Dinmont, »Weiß von nichts, Mann! Geben Sie mir die Urteilsschrift oder was Sie sonst wollen, und kommen Sie Montag früh um zehn Uhr in meine Kanzlei.« »Ich habe nichts Schriftliches bei mir, Herr Pleydell. Sie haben doch immer gesagt, es wäre Ihnen am liebsten, wenn wir Leute aus dem Tale unsere Sache mündlich vorbrächten.« »So? na, wenn ich das gesagt habe, mag meine Zunge der Geier holen. Meine Ohren müssen nun dafür büßen! Also was führt Sie her? Kurz, bitte! Sie sehen ja, daß der Herr dort wartet.« »O, wenn es dem Herrn lieber ist, kann er seine Sache ja zuerst vortragen und ich nachher.« »Was soll sich der Herr Ihren Kram mit anhören? Und daß Sie anhören, was er zu sagen hat, läßt sich ihm doch nicht zumuten.« »Auch gut! Ganz, wie's Ihnen und ihm beliebt,« meinte Dinmont und berichtete nun mit vielen Worten und haarkleinen Ortsschilderungen den Streit, in den er mit zwei seiner Nachbarn über die Grenze einer Weide-Parzelle geraten sei. »Nun, liegt denn gar so viel an dem bißchen Land?« fragte Pleydell; »wieviel Schafe könnt Ihr denn drauf füttern?« »Nun, Schafe nicht eben viel,« meinte Dinmont, »dazu liegt's zu hoch und zu kalt, höchstens ein Ferkel wird darauf satt, in guten Jahren vielleicht zwei.« »Und um des bißchen Grases willen, das höchstens fünf Schillinge wert ist, wollt Ihr ein Paar hundert Pfund wegwerfen?« »Nein, Herr Pleydell, um das Gras geht's mir nicht, aber um die Reputation – um Recht und Gewissen.« »Mein Lieber, in Sachen von Recht und Gewissen, meine ich, ist sich jeder selbst der Nächste. Denkt an Euer Weib und Kind und laßt die Sache schießen!« Dinmont blieb unschlüssig stehen, den Hut in der Hand drehend ... »Es möchte ja alles sein, lieber Herr; aber bei den Nachbarn heißt's, sie wollen ein halbes Schock Zeugen bringen; und mir fehlen sie auch nicht, das kann ich wohl sagen, und jeder kann beschwören, daß mir das Stück Land gehört – wie soll ich leiden sollen, daß das Gut um eine Gerechtigkeit verkürzt wird?« »Aber, lieber Mann, prozessiert doch nicht starrköpfig um solche Kleinigkeit!« sagte der Anwalt. »Also, Herr Pleydell, Sie mögen den Prozeß nicht führen?« »Nein, Mann, ich nicht! Geht hübsch nach Hause, trinkt einen Schluck zusammen und vertragt Euch miteinander!« »Eins noch, Herr, und das betrifft die Erbschaft der verstorbenen Mamsell Bertram von Singleside.« »Was, Mann? die Erbschaft?« fragte Pleydell, aufs höchste erstaunt. »Ja, wir sind zwar nicht verwandt mit den Bertrams – denn das sind gar vornehme Leute, Aber die Jenny Liltup, die war Haushälterin beim alten Singleside und ist die Mutter der beiden alten Mamsells, die nun beide tot sind. Die Jenny war ander Geschwisterkind mit meiner Mutter ihrer Stiefschwester und hatte mit dem alten Singleside ihr Techtelmechtel, zum ewigen Verdruß ihrer ganzen Sippe und Verwandtschaft. Aber er hat sich doch schließlich mit ihr trauen lassen, und da ist mir nun eingefallen, ob wir nicht schließlich auch einen Anspruch auf Erbschaft hätten?« »Keine Spur von Anspruch,« antwortete Pleydell. »Na, armer werden wir darum auch nicht,« versetzte Dinmont, »aber wenn sie ein Testament gemacht hat, wär's doch vielleicht möglich, daß sie uns bedacht hat. So, nun bin ich fertig, Herr Pleydell. Wünsche gute Nacht und ...« Bei diesen Worten fuhr er mit der Hand in die Tasche ... »Nein, nein, mein Lieber,« fiel ihm der Rechtsgelehrte ins Wort, »Sonnabends nehme ich von niemand Geld, zumal von Leuten nicht, die nichts Schriftliches mithaben. – Gehabt Euch Wohl, Andrew!« »Eure Majestät haben ihren Verzicht auf den Thron mit einer milden Handlung geklönt,« sagte Mannering lachend, als Dinmunt sich entfernt hatte. »Dem guten Manne wird's wohl nicht einfallen, vor Gericht zu gehen,« »Das glauben Sie ja nicht! Mir ist bloß ein Klient flöten gegangen – das ist alles! Aber ruhen wird er nicht eher, als bis er einen andern gefunden, der ihm zu der Torheit zuredet. Sonnabends sage ich immer die Wahrheit. Das ist meine schwache Seite.« »Hoffentlich doch auch an Wochentagen?« fragte Mannering scherzend. »O ja, so weit es sich mit meinem Beruf verträgt. Ich bin, wie Hamlet sagt, passabel ehrlich, solange die Parteien mich nicht nötigen wollen, ihre doppelten Lügen vorm Gericht zu vertreten. Aber man muß leben; und das ist ein böses Ding ... Doch nun zu unserer Sache! Es freut mich von meinem alten Freunde, Mac Morlan, daß er Sie Zu mir geschickt hat, Herr Oberst! Mac Morlan ist ein braver Mensch und ein kluger Kopf: er weiß, daß ich lebhaften Anteil an der unglücklichen Familie von Ellangowan nehme, besonders an dem armen Mädel, der Lucy! Sie war gerade zwölf Jahre alt, als ich sie zum letztenmal gesehen, ein hübsches, liebes, süßes Ding! Schade, daß ihr Vater solch gutmütiger Schwachkopf war! Aber meine Anteilnahme an ihrem Schicksal rührt aus früherer Zeit hei – ich führte damals als Sheriff der Grafschaft die Untersuchung in einer Mordsache, Gerade an dem Tage, als das arme Kind zur Welt kam, war ein gewisser Kennedy in der Nähe von Ellangowan umgebracht worden, und durch eine sonderbare Verkettung von Umständen, in die ich leider kein Licht bringen konnte, war dabei auch ihr Brüderchen verschwunden, entweder geraubt oder auch ermordet – ihr einziges Brüderchen, ein fünfjähriger Knabe! O, Herr Oberst, nie im Leben vergesse ich, wieviel Elend in dieser Zeit über die arme Familie hereinbrach! Der Vater halb wahnsinnig – die Mutter nach der Frühgeburt auf dem Totenbette – so kam das hilflose Kind unter Tränen und Jammer in diese unglückliche Welt, in der sich kaum jemand fand, es abzuwarten und zu pflegen. Wir Rechtsleute find nicht von Erz und Eisen, so wenig wie Ihr Kriegsleute von Stahl. Wir haben mit Verbrechen und Unglück der Menschheit zu schaffen, Ihr mit den Drangsalen des Krieges – und wer von uns seine Pflicht tun will, – braucht schon eine Dosis von Kaltblütigkeit – aber der Teufel hole solchen Krieger, dessen Herz hart ist wie sein Schwert, und jeden Rechtsmenschen, der statt der Stirn sich die Brust bepanzert! – Doch ich komme ja ganz um meinen Sonnabend! Bitte, lassen Sie mir die Schriftstücke, die sich auf Fräulein Lucys Fall beziehen. Morgen mittag seien Sie, bitte, in meinem Junggesellenheim mein Gast. – Um drei Uhr erwarte ich Sie. Die alte Mamsell wird am Montag begraben. Da es sich um ein Waisenkind handelt, dürfen wir schon eine Stunde vom Sonntage wegnehmen, um über den Fall zu verhandeln. Jetzt lassen Sie mich zu meinen Untertanen, denn sie werden ungeduldig über das Interregnum, An unserm Fest teilzunehmen, mag ich Sie nicht einladen, Herr Oberst – das hieße Ihnen zuviel, zumuten.« Darauf trennten sie sich. Mannering kehrte nach seinem Gasthof zurück, jetzt vollauf zufrieden mit dem Manne. Nicht wenig erstaunt war er, am andern Morgen, als er mit Sampson beim Frühstück saß, Pleydell plötzlich eintreten zu sehen, vom Scheitel bis zur Sohle Rechtsanwalt, wie er im Buche steht. »Ich komme,« lautete seine höfliche Ansprache, »meine königliche Gewalt über Sie in geistlicher, wie in weltlicher Hinsicht auszuüben. Soll ich Sie in die Presbyter-Kirche oder ins Versammlungshaus der Bischöflichen Gemeinde führen? Wir Rechtsleute sind, wie Sie wissen, in Religionsfragen beidlebige Wesen – oder haben Sie Lust, den Vormittag anderweit zu verleben? Nehmen Sie mir meine altfränkische Zudringlichkeit nicht übel! Ich stamme aus einer Zeit, wo man einen Schotten für einen Verbrecher am Gastrechte hielt, sobald er seinen Gast für einen Augenblick allein ließ, die Schlafenszeit ausgenommen. Sie sagen es mir aber unverblümt, wenn ich Ihnen beschwerlich falle?« »Aber, lieber Herr Pleydell, was konnte mir lieber sein, als mich Ihrer Führung zu überlassen? Einen schottischen Prediger hörte ich gewiß gern – machen sie ihrem Vaterlande durch ihre reichen Gaben doch große Ehre! Indessen,« fuhr er fort, Pleydell auf die Seite nehmend, mit einem Blick auf Sampson; »mein braver Freund hier ist ein bißchen unbeholfen und zerstreut, will aber auch in die Kirche gehen, ich möchte ihm aber meinem Diener, der sonst immer mit ihm geht, in solchem Falle doch nicht gern anvertrauen.« Pleydell wußte auf der Stelle Rat und ließ einen ortskundigen Mann rufen, den der Oberst für die Dauer seines Edinburger Aufenthaltes als Cicerone für Sampson dang. Mannering besuchte mit dem Rechtsgelehrten ein paar Kirchen, um mehrere Prediger zu hören, von denen er Rühmliches vernommen. Dann schieden sie auf ein paar Stunden; zur festgesetzten Zeit aber verfügte sich der Oberst in das Haus seines freundlichen Anwalts, Nach allem, was er von dessen Wohnung gesehen, begab er sich mit keinerlei großen Erwartungen zu der Mahlzeit, zu der er geladen worden. Das Haus nahm sich bei Tage innen und außen fast noch schlechter aus als am Abend vorher. Das Bücherzimmer aber, wohin ihn ein ältlicher Diener führte, stach vorteilhaft ab von der wenig versprechenden Vorhalle. Es war geräumig und freundlich, mit Bildnissen berühmter Schottländer geschmückt, und mit Büchern, den besten Ausgaben der besten Schriftsteller, aufs reichste ausgestattet ... »Mein Handwerkszeug,« meinte Pleydell; »ein Rechtsmensch ohne Kenntnis von Geschichte und Philosophie ist eine Null in unserem Stande; verfügt er aber über solche Kenntnisse, darf er sich einen Baumeister nennen.« Nachdem sich Pleydell an der Ueberraschung seines Gastes sattsam geweidet, brachte er die Rede wieder auf Lucys Fall ... »Ich habe noch immer, wenn auch nur schwach, gehofft,« meinte er, »Mittel und Wege ausfindig zu machen, wie sich ihr unbestreitbares Recht auf das Gut Singleside durchführen ließe; aber all meine Nachforschungen sind fruchtlos verlaufen; die alte Mamsell war allerdings unbeschränkte Herrin über ihr Vermögen und konnte damit schalten und walten nach Belieben. Es bleibt uns nur die eine Hoffnung, daß sie kein böser Geist getrieben, ihre erste Verfügung umzustoßen. Wir müssen das Leichenbegängnis abwarten; Sie werden dazu eingeladen werden, nachdem ich dem Anwalt der Verstorbenen von Ihrer Anwesenheit Mitteilung gemacht – dann werde ich Sie in der Wohnung der Verstorbenen treffen und darüber wachen, daß bei der Testamentseröffnung alles mit rechten Dingen zugeht. Die alte Mamsell hat ein junges Mädchen bei sich gehabt, eine Waise, mit ihr verwandt, die den Puttel bei ihr gemacht hat. Hoffentlich hat sie es nicht fehlen lassen, das arme Wesen für all die Härte, mit der sie sie bei Lebzeiten behandelt, zu bedenken.« Mannering brachte den Nachmittag bei seinem Gastfreunde in Gesellschaft einiger gemütlichen Herren aufs angenehmste zu, und als er abends in seinen Gasthof zurückkehrte, fand er die Einladung zum Leichenbegängnisse vor, von der ihm Rechtsanwalt Pleydell gesprochen. Sechstes Kapitel Zur bestimmten Stunde stand Mannering im Trauerhause in der Südvorstadt, unter den leidtragenden Verwandten dritten, vierten, fünften und sechsten Gliedes, bemüht, seinem Gesichte jenen feierlichen Ausdruck zu geben, den er bei allen Anwesenden wahrnahm – jenen Anflug von Kummer und Herzeleid, als ob er in der Verstorbenen eine Schwester oder Mutter verloren hätte. Nach einer langen, feierlichen Stille fing unter den Versammelten die Unterhaltung an, aber so leise, als ob sie gefürchtet hätten, eine in den letzten Zügen lebende Person zu stören ... »Unsere gute, liebe Freundin,« sagte ein höchst gesetzter Herr, indem er kaum den Mund auftat, um sein Gesicht nicht aus den feierlichen Falten zu bringen, »unsere gute liebe Freundin hat doch für ein recht anständiges Begräbnis Sorge getragen, für ihre Lebensumstände wirklich recht passabel!« »Ja,« antwortete der Angeredete, indem er die Augen zu schließen versuchte, »Fräulein Margarethe hat das Ihrige zusammenzuhalten verstanden.« »Nichts Neues heute, Herr Oberst?« hob ein anderer, der sich tags zuvor mit Mannering bei Tisch getroffen, in einem so ernsten Tone an, als ob er den Tod seiner ganzen Familie zu verkünden gehabt hätte. »Nichts Besonderes, Herr,« antwortete Mannering, den im Trauerhause vorherrschenden Ton anschlagend. »Wie man hört,« sagte der erste wieder, mit der Miene eines Menschen, der über alles Bescheid weiß, »ist ein Testament vorhanden.« »Was wird wohl die kleine Jenny bekommen?« »Hundert Pfund und die alte Repetieruhr.« »Wenig, blutwenig! Das arme Ding hat viel ausstehen müssen bei der alten Muhme. Aber auf anderer Leute Tod zu warten, ist halt immer ein schlimmes Ding.« »Wir werden wohl,« nahm Mannerings Nachbar wieder das Wort, »mit unserm alten Freunde Tippu Sahib noch nicht fertig sein – er wird der Kompagnie wohl noch zu schaffen machen. – Bekannt mag's wohl auch schon sein, denn die indischen Papiere sollen, heißt's, gar keine Tendenz mehr zum Steigen haben.« »Wenn sie bloß bald steigen wollten,« meinte Mannering. »Die verstorbene Dame,« mischte sich ein anderer ins Gespräch, »hat indische Papiere besessen; ich weiß es daher, weil ich die Zinsen für sie abgehoben habe. Gut wäre es ja, wenn sich die Kuratoren und Erben beim Herrn Obersten Rat holen wollten, wie sich solche Papiere am besten an den Mann bringen lassen. Ich meinerseits bin der Ansicht –« Der Zeremonienmeister trat zur Versammlung, um den Bahrtuchträgern ihre Plätze anzuweisen, und zwar je nach dem Verwandtschaftsgrade, in welchem der betreffende zu der Abgeschiedenen gestanden. Natürlich kam bei jedem der Ehrgeiz hierbei in Betracht, und so vorsichtig der Zeremonienmeister bei der Verteilung der Karten zu Werke ging, so ließ es sich doch nicht hindern, daß er hie und da einen kleinen Verstoß beging und daß unfreiwilliges Murren von verschiedenen Seiten laut wurde. Freund Dinmont aber, der sein Mißvergnügen nicht unterdrücken oder den zu der Feierlichkeit passenden Ton nicht finden konnte, gab Ursache zu mancherlei Aergernis: »Einen Zipfel vom Tuche oder eine Ecke vom Sarge hättet Ihr mich wohl auch tragen lassen können!« sagte er, und zwar um vieles lauter, als es die Rücksicht auf den Anstand gestattete ... »Wär bloß nichts zu erben da, – dann könnt ich bestimmt rechnen, daß ich den Sarg allein tragen müßte, soviel vornehmere Herrschaften jetzt auch hier sind, als meine Wenigkeit.« Dem derben Mann vom Lande, der mit seiner Meinung so gar nicht hinter dem Berge hielt, traf mancher böse Blick. Zum Glück setzte sich der Leichenzug bald in Bewegung und erreichte auch bald die Kirchhofspforte und, durch eine Reihe von müßigen Weibern, die ihre Kinder auf dem Arme hielten, und einem Schwarm von tobenden Jungen und Mädchen, den Erbbegräbnis-Platz der Familie Singleside, der mit einem eisernen Gitter eingefriedigt war, auf der einen Seite von einem Engel, der zwar die Nase und einen Flügel eingebüßt hatte, aber seinen Ehrenposten schon volle hundert Jahre rühmlich behauptete, auf der andern durch einen Cherub gehütet wurde, der aber von seinem Piedestal herabgeglitten war und zwischen Kletten, Schierling und Nesseln lag, die üppig um die Mauern der Gruft wuchsen. Kaum waren die sterblichen Reste der alten Dame in die Ahnengruft gesenkt, so trieben die ungeduldigen Verwandten die Mietskutscher zur Rückfahrt, weil es ihnen drum ging, endlich zu wissen, wie es sich mit dem Testament verhielt. Wie in Lucians Fabel die trefflich abgerichteten Affen mit großem Beifall ein Trauerspiel aufführten, bis auf einmal durch eine Handvoll Nüsse, die ein Schalk auf die Bühne warf, der ganze theatralische Anstand gestört wurde und die natürlichen Leidenschaften der Schauspieler in einen höchst manierlichen Wetteifer ausarteten, gerade so weckte die bevorstehende Entscheidung unter den Erbschaftskandidaten Empfindungen, die höchst verschieden waren von denen, die sie wenige Minuten vorher zum Ausdruck gebracht hatten. Dieselben Augen, die eben erst andächtig zum Himmel oder demütig auf den Boden geblickt hatten schossen jetzt scharfe, inquisitorische Blicke in alle Ecken und Winkel, in alle Regale, Fächer, Kisten und Kasten; aber vergebens suchte man das vielerwähnte, mit Spannung erwartete Testament. In einem Winkel wurde ein Schuldschein über zwanzig Pfund gefunden mit dem Vermerk darauf, daß die fälligen Zinsen am letzten Martinstage bezahlt worden seien; im andern Winkel ein höchst wunderlicher Liebesbriefwechsel zwischen der Verstorbenen und einem Leutnant von der Infanterie mit Namen O'Kean, der mit einer Urkunde zusammengebunden war, die der lieben Verwandtschaft über die Umstände ausführlich Auskunft gab, die zur plötzlichen Auflösung des höchst prekären Verhältnisses Anlaß gewesen: sie war nämlich nichts anders als eine Schuldverschreibung des Leutnants über zweihundert Pfund, auf die kein Pfennig Zinsen bezahlt worden zu sein schien. In einem dritten Winkel lagen in einem halb vermoderten Pappkasten Münzen von allerlei Gepräge, Stückchen von zerbrochenem Gold und Silber, alte Ohrringe, Gelenke von Tabaksdosen, Brillenfassungen usw. Von einem letzten Willen aber war noch immer keine Spur zu entdecken, und Mannerings Hoffnung, daß die ihm von Glossin behändigte Urkunde tatsächlich die letzten Verfügungen der Verstorbenen enthalte, steigerte sich. Anwalt Pleydell aber trat jetzt ein und dämpfte die Hoffnung wieder um einige Grade ... »Ich kenne den Mann,« sagte er, »der den Fall in der Hand hat, und sein Verhalten läßt mich schließen, daß er manches mehr darüber weiß, als wir alle zusammen.« Unter der übrigen Verwandtschaft schienen einige ganz besonderes Interesse an dem Verlaufe zu nehmen: Dinmont, nach wie vor mit der Reitpeitsche unterm Arme, beschränkte sich darauf, dem als Nachlaßverwalter eingesetzten Advokaten scharf über die Achsel zu gucken. Unweit von ihm stand, in einem streng korrekten Traueranzug, ein älterer Herr mit Namen Mac Casquill, ein weitläufiger Verwandter der Verstorbenen, der auf Berücksichtigung im Testamente deshalb Anspruch zu haben meinte, weil er mit ihr alle Sonntag im gleichen Kirchstuhl gesessen und alle Sonnabend abends mit ihr Cribbage gespielt, aber es immer so einzurichten gewußt hatte, daß nicht er, sondern sie gewann. Wieder ein anderer, der das Haar in einen Lederzopf geflochten trug, ein Tabakshändler und mütterlicherseits verwandt, meinte darum auf ein Miterbe rechnen zu dürfen, weil er der Verstorbenen auch nach der Preissteigerung während des Krieges ihre Schildpatt-Dose wöchentlich mit dem besten Raps ebenso billig geliefert hatte wie vordem, und weil sich die Verstorbene dabei ihm jedesmal bestens hatte empfehlen lassen. Mannering interessierte im Grunde bloß eine Person: das arme Mädchen, das ihre ganze Jugendzeit der alten Mamsell geopfert hatte, immer der Spielball ihrer üblen Laune gewesen und alle Geschäfte und Arbeiten für sie hatte verrichten müssen. Auf sie hefteten sich aller Blicke mit Groll und Ungunst, einzig und allein Dinmont, den ehrlichen Bauer ausgenommen; denn alle erblickten in ihr eine Person, die ihnen das Erbe verkürzte, und dabei schien doch allein sie den Heimgang ihrer langjährigen Herrin aufrichtig zu beklagen. »Zu verwundern wäre es doch,« meinte endlich in seiner Ehrlichkeit Dinmont zu dem Nachlaßverwalter, »wenn sie kein Testament gemacht haben sollte.« »Abwarten, Freund, abwarten,« erwiderte dieser; »Fräulein Bertram war eine herzensgute, aber sehr kluge, umsichtige Dame, die sich immer an die rechten Leute zu wenden wußte, und wohl kaum mehr denn ein einziges Mal sich mit jemand befaßt hat, der ihres Vertrauens nicht würdig gewesen wäre.« »Zehn gegen eins wette ich, daß er das, worauf wir alle warten, in der Tasche hat,« flüsterte Pleydell dem Obersten zu und wandte sich dann an den Verwalter mit den Worten: »Ich denke, Herr Kollege, wir machen die Sache kurz ab. Bitte, hier habe ich eine letztwillige Verfügung über Gut und Herrschaft Singleside, handschriftlich ausgestellt und auch unterschrieben vor mehr denn Jahresfrist von der Verstorbenen, laut welcher dasselbe nach ihrem Ableben auf Fräulein Lucy Bertram von Ellangowan fällt–« Aller Blicke richteten sich mit einem Anfluge von Entsetzen ob der grausamen Enttäuschung auf Pleydell. »Herr Kollege Protocol,« nahm Pleydell wieder das Wort, halb an diesen, halb an die Erb-Versammlung gerichtet, »wird uns zweifelsohne sagen, ob nach dieser Verfügung eine weitere getroffen worden oder nicht.« »Mit Verlaub, Herr Kollege,« versetzte Protocol und griff nach der Schrift, um sie rasch zu überfliegen. »Der Halunke,« flüsterte Pleydell dem Obersten zu, »wenn er sich so benimmt, kalt wie ein Frosch, steht's außer Zweifel, daß er was anderes in der Tasche hat.« »Aber warum bringt er's nicht zum Vorschein?« fragte Mannering, dessen Geduld sich zu erschöpfen drohte. »Ja, wer kann's wissen,« erwiderte der Rechtsgelehrte; »warum beißt die Katze die gefangene Maus nicht gleich tot? Doch wohl nur, weil sie sich an dem Bewußtsein ihrer Ueberlegenheit weidet – vielleicht auch aus Lust am Necken und Tändeln« – dann wandte er sich zu dem Kollegen: »Nun, Herr Protocol, und Ihre Meinung zur Sache?« »In aller Form Rechtens abgefaßt und vorschriftsmäßig beglaubigt, auch von Zeugen unterfertigt.« »Aber durch eine spätere Verfügung, die Sie in Händen haben, überholt – nicht wahr?« »Das könnte freilich wohl der Fall sein, Herr Kollege,« versetzte Protocol und nahm ein Bündel Schriften aus seinem blauen Beutel, das mit Bindfaden umschnürt und schwarz gesiegelt war. »Die Urkunde, die Sie präsentieren, Herr Kollege, datiert vom 1. Juni des Jahres 17 ... Diese hier aber,« schloß er, indem er die Siegel löste und das Papier langsam auseinanderfaltete, »vom 21. April des laufenden Jahres, ist also volle zehn Jahre jünger.« »Wirklich und wahrhaftig« rief Pleydell, nach einem Blick auf das Datum – »das Dokument datiert von dem Monat, in welchem Ellangowans mißliche Lage allgemein offenbar wurde. Aber, bitte, lesen Sie es vor!« Der letzte Wille der verstorbenen alten Mamsell war höchst unvermuteten Inhalts: Gut und Herrschaft Singleside samt allem Zubehör fiel an – an den Nachlaßverwalter, der jetzt die Stimme zu einem sanften, bescheidenen Pianissimo senkte – an Herrn Peter Protocol, in dessen Tüchtigkeit und Redlichkeit die Erblasserin immer das größte Vertrauen gesetzt habe – diese Worte wiederholte er mit der Beteuerung, daß sie Aufnahme in dem Schriftstück gefunden hätten auf ausdrückliches Verlangen seiner würdigen Freundin ... »jedoch nur als,« führ er darauf fort, »anvertrautes Depositum«, nach diesem Beisatze verkürzten sich die langen Gesichter der Zuhörer merklich – »und zwar unter nachbenannten Bedingungen und Bestimmungen ...« und in diesem Vorbehalt lag der Schwerpunkt ... Die erste Bedingung – der ein paar einleitende Worte über die direkte Abstammung der Erblasserin von dem alten Hause Ellangowan vorausgingen – lautete: Harry Bertram, Sohn und Erbe von Godfrey Bertram, Baron von Ellangowan, sei in frühester Kindheit seinen Eltern geraubt worden; sie aber, die Erblasserin, wisse bestimmt, daß Harry noch am Leben sei, aufhaltlich außerhalb Englands, und daß ihn die göttliche Vorsehung noch in das Erbe seiner Väter einsetzen werde. Sobald nun besagter Harry Bertram auftauche, solle Herr Peter Protocol verpflichtet und verbunden sein, ihm die gesamte Erbschaft, nach Abzug einer gemessenen Vergeltung für seine Mühewaltung, auszufolgen und zu überantworten. Bloß zwei Vermächtnisse waren noch ausgesetzt: eins von hundert Pfund für die alte Magd der Verstorbenen, die bei ihr immer einen großen Stein im Brett gehabt hatte – ein anderes in gleicher Höhe für Janet Gibson, – die, wie es im Testament hieß – von der Erblasserin erzogen worden sei, ohne daß sie irgendwelche Entschädigung dafür genossen – und der sie diese Summe vermache, damit sie die Möglichkeit gewänne, sich einem ehrsamen Lebensberufe zuzuwenden. Tiefes Stillschweigen folgte auf die Verlesung. Der erste, der es brach, war Pleydell, der sich das Testament zur Einsichtnahme ausbat. Er las es durch, erklärte es für richtig abgefaßt und in Ordnung und gab es ohne alle Bemerkung zurück. Dann sagte er leise zu Mannering: »Ich glaube, Protocol ist nicht besser, aber auch nicht schlimmer als andere Leute; aber das alte Fräulein hat die ganze Geschichte so arrangiert, daß es ihm, wenn er noch kein Schurke ist, an Versuchung, es zu werden, nicht fehlen kann.« »Na, das muß man sagen, so etwas ist noch nicht dagewesen!« rief Mac Casquill. »Eins, Herr Protocol, möchte ich noch wissen, wie ist denn die verblichene Dame darauf gekommen, einen Jungen noch bei Leben zu halten, der doch, wie jedermann weiß, schon vor Anno Tobak umgebracht worden ist?« »Darüber kann ich nicht mehr aussagen, als Sie selbst hier in diesem Schriftstücke hinterlegt hat,« antwortete Protocol; »sie war eine brave und fromme Dame, die vielleicht in ihrem Glauben an den ewigen Gott und seine allwaltende Gerechtigkeit Gründe gefunden, an das Nochvorhandensein des besagten Ellangowan zu glauben.« »Ich weiß es, was für Gründe sie dazu bestimmt haben,« fiel der Tabakshändler ein: »Jungfer Rebekka, die dort drüben sitzt, hat mir's wohl hundertmal im Leben gesagt, daß eine alte Zigeunerin ihr gesagt hätte, der Harry Bertram sei noch am Leben. Nicht wahr, Jungfer Rebekka, so verhält es sich? Was Sie Ihrer Dame, wozu ich Sie oft animiert und wofür ich Ihnen auch manche halbe Krone geschenkt, ans Herz legen sollten und wollten, das haben Sie freilich vergessen.« »Daß ich nicht wüßte,« versetzte Rebekka mürrisch und mit einem Gesicht, das deutlich verriet, daß sie keine Lust hatte, sich an etwas erinnern zu lassen, was weder angenehm noch rühmlich für sie war. Die Trauergesellschaft schickte sich zum Auseinandergehen an; Protocol übertrug der Hausmagd Rebekka die einstweilige Aufsicht über das Haus, das er, wie er sagte, in einigen Tagen zu vermieten denke; der ehrliche Dinmont, der sich auch nicht ganz ohne Hoffnung eingefunden, hatte die Zeit über ziemlich verdrossen im Lehnstuhle der Verstorbenen gesessen, die sicher außer sich geraten wäre, wenn sie mitangesehen, wie er den Plüschüberzug mit seiner Reitpeitsche traktierte, stand jetzt auf und setzte die Trauergesellschaft durch die Worte in Aufregung: »Was soll denn aber aus dem armen Dinge, der Janet Gibson, werden? So lange die Erbschaft noch in Aussicht stand, hat's Verwandtschaft von der Margareth schier geregnet; ich dächte, nun müssen wir zusehen, was für sie zu tun.« Den Worten wohnte scheinbar eine geheime Wunderkraft inne, denn sie setzte die Beine fast sämtlicher Anwesenden in energische Bewegung, Alles fing an zu rennen und zu flüchten. Mac Casquill murmelte, er habe für Köpfe mehr als genug zu sorgen, und eröffnete diesen »Ausmarsch aus Aegypten.« Der Tabakshändler meinte, Herr Protocol habe ja das Legat auszuzahlen und werde sich um das Mädel schon kümmern; und lief so flink, daß er Mac Casquill fast umrannte. Protocol rief ihm hinterher, freilich habe er daran gedacht, diese Sorge vorderhand auf sich zu nehmen, es möchte aber alles, was er für sie tue, bloß aus Barmherzigkeit getan gelten. Dinmont aber schüttelte seinen weiten Flausrock, wie ein Neufundlandhund seinen zottigen Pelz, wenn er aus dem Wasser kommt, und rief: »Schockschwerenot, Herr Protocol, sie soll Ihnen nicht zur Last fallen, sofern sie Lust hat, mit auf mein Gut im Hochland zu kommen. Fehlen soll es ihr bei uns an nichts; mit dem feinen Leben wird's freilich vorbei sein, und in Büchern zu lesen, wird's auch nichts geben, auch keine Stickerei oder Weißnähen, wie bei der alten Mamsell, bei der sie so lange gelebt hat. Aber sorgen will ich für alles, und die hundert Pfund sollen Sie ruhig in Verwahrsam behalten, Herr Protocol; ja, ich will sogar noch was dazu legen, wenn sich 'mal ein wackerer Bursche in unserm Tale finden sollte, der eine Hausfrau braucht und ein Auge auf sie wirft. Na, was meinen Sie zu dem Vorschlag, Janet? Aber reiten lernen mußt Du, Kind, denn von Kutschen gibt's noch keine bei uns im Tale; und falls Jungfer Rebekka sich Dir anschließen und Lust haben sollte, ein paar Monate bei uns zu bleiben, so lange Du Dich noch nicht heimisch bei uns fühlst, nun, so sollte es mir bloß recht sein.« Rebekka knickste höflich und hielt auch die arme Waise dazu an, und als Dinmont zu ihr trat und ihr mit seiner rauhen Herzlichkeit zuredete, das Weinen zu lassen, fuhr der alte Pleydell mit allen fünf Fingern in seine Tabaksdose ... »Das ist Wasser auf meine Mühle,« meinte er zum Obersten – »darüber könnt ich schier Essen und Trinken vergessen – solch ehrliche Haut nach all dem Heuchelpack zu hören, ist Medizin für ein Menschenherz! Na, dafür muß ich ihm auch zum Ruin verhelfen. Ruhe findet er früher doch nicht! Na, Ihr da, aus dem Liddestale! Dandie, Charlie – oder wie Ihr heißt –« Der Pächter froh, daß man sich mit ihm befaßte, wenn auch nur auf solche Art von oben her, drehte sich um und reichte dem Anwalt, vor dem er großen Respekt hatte, die Hand. »Na, wollt Ihr die Geschichte ruhen lassen?« fragte dieser. »Nicht doch, lieber Herr Pleydell. Niemand büßt gern was ein, worauf er ein Recht hat, und läßt sich noch obendrein auslachen. Aber da es Ihnen nicht angenehm ist, sich damit zu befassen, – vielleicht auch, weil Sie es mit der Gegenpartei halten, nun, so muß ich mich schon nach einem andern umsehen.« »Hab ich's nicht gesagt, Herr Oberst,« wandte sich Pleydell schmunzelnd an Mannering, um dann zu Dinmout zu sagen: »Nun, wenn Ihr durchaus nicht anders könnt, als Euch als Narr aufzuspielen, dann muß ich doch zusehen und sorgen, daß Ihr wohlfeil davonkommt und, wenn's angeht, auch als Sieger aus dem Prozesse hervorgeht. Schickt mir also Eure Papiere, und laßt mich weiter sorgen! Warum solltet Ihr schließlich nicht prozessieren? Genau so gut. Mann, wie Eure Altvordern brandschatzten und mordeten.« »Das dächt ich auch, Herr Pleydell! Recht muß Recht bleiben – und hätte sich das Leben nicht so ganz umgestaltet, dann suchten wir auch keine andern Wege als unsere Altvordern. Heute heißt's: Recht bindet uns und muß uns lösen. Und wer bei uns nicht vor Gericht gestanden, der hat kein rechtes Ansehen.« »Sehr gut, mein Lieber, sehr gut! Na, für heute Gott befohlen! Schickt mir Eure Papiere, und ich will zusehen, was sich tun läßt ... Bitte, Herr Oberst, wir haben hier nichts mehr zu schaffen.« »Na,« rief Dinmont, indem er sich vergnügt die Schenkel klopfte – »jetzt ist mir die Hutweide sicher.« Siebentes Kapitel Die beiden Männer schieden mit der Abrede, daß Pleydell am nächsten Donnerstage Mannerings Gast sein solle, denn Mannering hatte sich vorgenommen, acht Tage lang in Edinburg zu bleiben. Er verlebte die Zeit aufs angenehmste, denn Pleydell versäumte nicht, ihn mit allen Edinburger Berühmtheiten jener Zeit, David Hume, Adam Smith, Robertson, Ferguson, Home, bekannt zu machen. Am festgesetzten Tage stellte sich Pleydell, ein großer Freund von Tafelfreuden, bei ihm ein; aber mehr noch als durch ausgezeichnete Bewirtung erfreute ihn Sampson durch seine kurzen, ernsten Antworten auf die oft recht verfänglichen Fragen, die ihm Pleydell stellte, und seine gutmütige Einfalt, die selbst dem Obersten manche neue Seite an dem Manne offenbarte, »Was sie nur bestimmt haben mag, unsere alte Mamsell,« meinte Pleydell im Verlaufe des Tischgesprächs, »der armen Lucy das Erbe vorzuenthalten, um jemand, der schon als Kind für tot und verschwunden gegolten, zu ihrem Erben einzusetzen? Ach, bitte, mein lieber Herr Sampson,« wandte er sich an den Magister, »Sie müssen mir es schon zu gute halten, daß ich dieses Thema berühre – ohne Rücksicht darauf, daß es Ihnen so nahe geht. Ich weiß ja, wie schwer es mir bei Ihrer Vernehmung wurde, auch nur drei zusammenhängende Worte aus Ihnen herauszuzapfen. Erzählen Sie mir noch soviel von Ihren stummen Brahminen, lieber Herr Oberst, gegen unsern Gelehrten hier kommen sie im Punkte der Schweigsamkeit ganz bestimmt nicht auf ... Aber, wie es im Sprichworte heißt: eines Weisen Worte sind kostbar und sollen nicht in den Wind gesprochen sein,« »Das muß ich Wohl sagen,« versetzte Sampson, indem er sein blaugewürfeltes Taschentuch von den Augen nahm, »das war ein herber Tag! Aber wem der Herr Lasten gibt, dem gibt er auch Kräfte, sie zu tragen,« Mannering lieh sich von Pleydell die näheren Umstände auseinandersetzen, unter denen der Knabe verschwunden war, und fragte den neuen Freund, als er ihm diesen Wunsch erfüllt hatte, wie er wohl selbst über den Fall dächte. »Daß Kennedy ermordet worden, daran besteht kein Zweifel,« meinte Pleydell, »Aber, was ist aus dem Knaben geworden?« »Meiner Meinung nach ist er mit ermordet worden, stand er doch schon in dem Alter, über alles, was er mitangesehen, aussagen zu können, und daß sich die Schurken, sobald es ihr Interesse notwendig machte, bedacht hätten, das Kind zu morden, nachdem sie den Mann gemordet hatten, möchte ich für sehr unwahrscheinlich halten.« »Gräßlich!« tief Sampson, tief aufseufzend; »gräßlich! gräßlich!« »Es war ja aber in der Erbenversammlung auch von der Zigeunerin die Rede,« bemerkte Mannering, »und was jenes ordinäre Subjekt nach dem Begräbnisse sagte, zu der Magd Rebekka, meine ich –« »Sie haben recht,« fiel Pleydell ihm ins Wort, »die alte Mamsell hat auf die Aussage einer Zigeunerin gefußt, daß das Kind noch am Leben sei ... Das muß ich sagen, Herr Oberst, Ihre Divinationsgabe ist außerordentlich, und ich als Rechtsmensch beneide Sie darum! ja, es ist direkt unverzeihlich, wenn nicht beschämend für mich, daß ich auf diesen Schluß nicht selbst gekommen bin ... Aber wir wollen den Fall sogleich festnageln.« Der Anwalt ließ seinen Schreiber holen. Er saß im Gasthause, bei einer Partie »Großschlemm«, wie Herr Pleydell mit dem Bemerken andeutete, daß Rechtsleute nun einmal bei aller Geregeltheit ihres Berufes die »ungeregeltsten« Leute seien, und sagte zu dem Boten, er solle nicht vergessen zu sagen, daß er, Pleydell, für die Buße aufkomme, die der Schreiber wegen zu frühen Aufstehens von der Partie zu zahlen haben dürfte. »Erscheinen wird er doch?« fragte Mannering. »Bitte, nichts mehr davon,« versetzte Pleydell; »aber es wird notwendig sein,« fuhr er lächelnd fort, »uns Nachrichten aus dem Lande Aegypten zu verschaffen. Habe ich nur erst das eine Ende des Fadens in den Händen, dann soll es nicht lange mehr dauern, bis ich Sie in das Labyrinth hineinführe. Die Zigeunerin will und werde ich schon zu einem Geständnis bringen,« Der Schreiber kam so eilig, daß er sich nicht einmal Zeit genommen, die Spuren des eben genommenen »Liebesmahles« aus den Lippenwinkeln zu wischen. Pleydell hieß ihn, die alte Magd der alten Mamsell aufzusuchen und unter irgend welchem Vorwande zu bewegen, daß sie sich am andern Morgen früh um acht Uhr bei ihm in seiner Wohnung einfände. Als der Schreiber sich wieder entfernt hatte, wandte Pleydell sich an Mannering: »Sie glauben gar nicht, wie verwendbar dieser Mensch ist. Dreimal in der Woche schreibt er mir nachts nach Diktat, ohne einzuschlafen, oder wenn er 'mal nickt, dann schreibt er ganz ebenso schnell und korrekt, wie wenn er munter wäre. Dabei ist er ein Muster von konservativer Denkungsart. Er verkehrt Sommer und Winter in der gleichen Schenke und beschränkt seine Spaziergänge auf diesen engen Raum hier, so daß ich immer weiß, wo ich ihn zu suchen habe, sobald Ich ihn zu irgendwelcher Arbeit brauche, was begreiflicherweise von unschätzbarer Wichtigkeit in unserm Berufe ist.« »Er trinkt aber gern einen?« fragte der Oberst. »Freilich, Ich meine fast, Bier müsse ihm alles ersetzen, Essen, Anziehen, Schlafen, Waschen und Bier: das ist sein ganzer Lebenslauf.« »Bei solchem Menschen laßt sich aber doch ständige Tauglichkeit zur Arbeit kaum voraussetzen?« »O, er kann schon einen tüchtigen Rausch haben, ohne daß es ihn bei der Arbeit molestierte. So habe ich ihn einmal Sonnabends, vom Biertisch weg zu einer höchst pressanten Arbeit holen lassen müssen. Er befand sich in solch bedenklichem Zustande, daß ich selbst kaum glaubte, ihn brauchen zu können: und siehe da! sobald er den weißen Bogen vor sich und die Feder zwischen den Fingern hatte, ging die Sache wie geschmiert; nur um eines kam er nicht herum: er fand das Tintenfaß nicht, und so mußte ich mich dazu bequemen, ihm immer die Feder einzustippen,« »Und wie sah die Schrift am andern Morgen aus?« fragte Mannering. »O, ganz ausgezeichnet. Nicht drei Worte brauchten geändert zu werden, und wir konnten das Schriftstück ohne Verzug auf die Post bringen. Aber morgen zum Frühstück sehe ich Sie bei mir? Sie werden doch mit anhören, was diese alte Magd der alten Mamsell zu Protokoll gibt?« »Sie fangen leider recht früh am Tage an?« »Später läßt es sich nicht machen, Herr Oberst. Wollte ich nicht pünktlich früh in der Kanzlei erscheinen, möchte sogleich das Gerede aufkommen, daß mich der Schlag gerührt haben müsse und unter den Folgen solches Geredes hätte ich während der ganzen Verhandlung zu leiden.« »Nun, meinetwegen,« erwiderte der Oberst, »ich werde schon nicht auf mich warten lassen.« Hierauf gingen die Herren auseinander. Am andern Morgen stellte sich der Oberst pünktlich in der Kanzlei des befreundeten Anwalts ein, wo er die Jungfer Rebekka bereits antraf, bei einem Täßchen Schokolade, das ihr der Anwalt hatte vorsetzen lassen. »Seien Sie ganz ohne Sorge, Fräulein Rebekka,« eröffnete der Anwalt das Verhör, »es liegt nicht im geringsten in meiner Absicht, den letzten Willen Ihrer verstorbenen Herrschaft anzufechten. Das Vermächtnis, auf das Sie doch wahrlich so gerechten Anspruch haben, bleibt unbedingt aufrecht.« »Nun, wenn sich die Dinge so verhalten,« erwiderte Rebekka, »so will ich Ihnen gern erzählen, wie die Geschichte verlaufen ist. Sehen Sie, es mag so ungefähr ein Jahr her sein, da ging meine Dame auf ein paar Wochen nach Gilsland, zu ihrer Erholung. Es wurde schon damals viel von den zerrütteten Vermögensverhältnissen des Lairds von Ellangowan gesprochen, und darüber bekümmerte sich das Fräulein ganz außerordentlich, denn sie war sehr stolz auf ihr Haus und ihre Familie. Mit dem Laird hat sie sich manchmal vertragen, manchmal nicht; aber in den letzten drei Jahren waren alle Differenzen ausgeglichen, und es hatten sich recht gute Beziehungen zwischen ihm und meiner Herrin angebahnt. Der Laird wollte Geld borgen, und das konnte und wollte sie ihm nicht geben, weil sie dachte, er könnte es ihr doch nicht wieder bezahlen. Da erzählte ihr jemand von der Gesellschaft zu Gilsland, die Herrschaft Ellangowan sollte verkauft werden, und ich möchte sagen, von dem Augenblick an mochte sie von Fräulein Lucy Bertram nichts wissen. Wohl hundertmal sagte sie zu mir: »O Rebekka, wenn doch das unnütze Ding, das Mädchen in Ellangowan, das ihren Vater nicht in Ordnung halten kann, ein Junge wäre! Dann könnte man das alte Stammgut nicht verkaufen, wegen der Schulden des einfältigen Narren.« Das mußt ich immer und ewig von ihr hören, so daß ich seiner am Ende ganz überdrüssig werde. Einmal als ich mit ihr spazieren ging, sah sie einige hübsche Jungen, die einem Landmann gehörten. Und sie sagte zu mir: »Es ist doch recht unglücklich, jeder arme Bauersmann hat hier einen Sohn und Erben und das Haus Ellangowan hat keinen männlichen Erben.« Da stand eine Zigeunerin hinter uns und hörte das – ich habe in meinem Leben nicht eine Frau gesehen, die so schrecklich aussah. »Was ist das?« sagte sie, »wer darf sagen, daß das Haus Ellangowan ohne männlichen Erben untergehen solle?« Meine Herrschaft sah sich um – sie war nichts weniger als schüchtern und hatte immer eine Antwort bei der Hand. »Ich sage es,« antwortete sie, »und mit schwerem Herzen,« Da nahm das Zigeunerweib ihre Hand und sagte: »Ich kenne Euch recht gut, wenn Ihr mich auch nicht kennt. Aber so gewiß die Sonne am Himmel scheint, so gewiß dies Wasser ins Meer fließt, und so gewiß als ein Auge ist, das uns beide sieht, und ein Ohr, das uns beide hört, Harry Bertram, der bei dem Warroch-Felsen umgekommen sein soll, ist dort nicht gestorben. Er hat viel ausstehen müssen, bis er einundzwanzig Jahre alt war, das wurde ihm gewahrsagt: aber wenn Ihr am Leben bleibt, und ich's erlebe, so sollt Ihr mehr hören von ihm in diesem Winter, ehe der Schnee zwei Tage auf den Feldern von Singleside gelegen hat .. Ich brauche Euer Geld nicht,« sprach sie weiter, als meine Dame ihr einige Münze geben wollte, »Ihr möchtet sonst glauben, ich wollte Euch blauen Dunst vormachen. Lebt wohl bis nach St. Martinstag,« Und so ließ sie uns stehen, »Sie war sehr groß, die Zigeunerin – nicht wahr?« fragte Mannering, »Sie hatte schwarzes Haar, schwarze Augen und eine Schmarre auf der Stirn?« fügte Pleydell hinzu, »Ich habe mein Lebtag kein so großes Weib gesehen,« antwortete Rebekka, »Ihr Haar war schwarz wie die Nacht, und sie hatte eine Schmarre überm Auge, in die man einen Finger legen konnte. Wer sie einmal gesehen hat, der kann sie nimmer vergessen. Ich bin gewiß, meine Herrschaft hat bloß auf das Wort der Zigeunerin hin ihr Testament gemacht, da sie das Fräulein von Elangowan nicht mehr leiden konnte, Und sie konnte sie noch um so weniger leiden, als sie ihr zwanzig Pfund hatte schicken müssen, und sie sagte mir oft: Es ist nicht genug, daß Lucy das Gut in fremde Hände gehen lassen muß, weil sie ein Mädchen und kein Junge ist, sie wird auch durch ihre Armut uns Verwandten noch zur Last fallen,« Pleydell beruhigte noch einmal die wiedererwachten Besorgnisse der Magd um ihr Vermächtnis und fragte sie nach der Janet Gibson. Rebekka erzählte, die Waise habe Dinmonts Vorschlag angenommen, was sie selbst auch getan, »Die Dinmonts,« sagte sie, »sind gute Leute: Meine Herrschaft mochte freilich nicht gern etwas von diesen Verwandten hören. Aber die Schinken von Charlieshope nahm sie ganz gern, und den Käse und das Geflügel, und was man ihr sonst schickte, und die Strümpfe und Handschuhe von Lämmerwolle, das war ihr alles mehr als recht.« Als Rebekka entlassen worden, hub der Rechtsgelehrte an: »Ich glaube, ich kenne die Zigeunerin.« »Meg Merrilies,« antwortete Mannering. »Wissen Sie das gewiß?« fragte Pleydell. Mannering erwiderte, er habe ein solches Weib gekannt, als er vor fünfundzwanzig Jahren in Ellangowan gewesen sei, und erzählte darauf die merkwürdigen Umstände, die jenen Besuch ihm so unvergeßlich gemacht hatten. Pleydell hörte ihm sehr aufmerksam zu. »Ich habe mich gefreut,« sagte er darauf, »in Ihrem Kaplan einen grundgelehrten Theologen zu finden, aber das hatte ich wahrlich nicht erwartet, in seinem Gönner einen Schüler von Albumasar und Messahala zu finden ... Aber ich denke, die Zigeunerin wird uns wohl mehr von der Sache erzählen können, als Sie aus den Sternen gelesen haben, oder sie selbst aus ihren Wahrsagekünsten weiß. Ich habe sie schon einmal unter den Händen gehabt, konnte damals aber wenig aus ihr herausbringen,« Pleydell versprach, seinen alten Freund, Mac Morlan, der Zigeunerin an die Fersen zu heften und, wenn er sie aufgestöbert hätte, selbst in die Grafschaft zu kommen und ihrem Verhöre dort anzuwohnen. Er mußte dem Obersten weiter versprechen, in diesem Falle sein Quartier in Woodbourne zu nehmen. Am folgenden Tage trennten sich die beiden Männer, beide sehr froh, sich gefunden zu haben, Pleydell ging in seine Kanzlei, und Mannering gelangte wohlbehalten nach Woodbourne zurück. Achtes Kapitel Wir blicken auf die Zeit zurück, da Hazlewood verwundet wurde. Der Gedanke, welche Folgen dieser Unfall für Julien und ihn haben mußte, erschütterte ihn lebhaft. Zwar ließ sich nach der Richtung des Flintenlaufs im Augenblicke des Schusses ernstliche Gefahr für den Verwundeten kaum befürchten; aber ihm als Fremdling, der außer stände war, auf der Stelle beweiskräftige Auskunft über seinen Stand zu geben, mußte daran liegen, seiner Verhaftung zu entgehen, Er faßte den Entschluß, fürs erste nach der benachbarten Küste von England zu entfliehen und dort ein Versteck zu suchen, bis er Briefe von seinem Regiment und Geld von seinem Agenten bekommen hüte, was ihn in die Lage setzte, die entsprechende Auskunft über sich zu geben und dem jungen Hazlewood ausreichende Genugtuung zu schaffen. Mit diesem Vorsatze machte er sich auf den Weg und gelangte glücklich zu dem Küstenorte, den wir Pontanferry genannt haben. Eben wollte ein kleines Boot nach dem kleinen Hafenorte Allonby in Cumberland vom Ufer abstoßen. Brown bestieg es, weil er dort Briefe und Geld abwarten wollte. Während der kurzen Ueberfahrt unterhielt er sich mit dem Steuermann, einem noch recht muntern Greise, der, wie die meisten Fischer in diesen Gewässern, mitunter auch Schleichhandel getrieben hatte. Brown brachte das Gespräch auf den Obersten Mannering, und der Schiffer erzählte ihm, doch mit lebhaftem Tadel des Verhaltens der Schleichhändler, von dem Angriff auf Woodbourne ... »Die Hand davon!« sagte er, »das ist das beste! Die ganze Nachbarschaft werden sie noch wilder sich aufbringen. Da wüßt' ich was Gescheiteres, wie zum Beispiel ein Spielchen beim Glase Branntwein mit den Herren vom Zollamt. Eine Ladung genommen, hieße es dann. Nun, recht gut für sie, aber eine andere wäre durchgeflitzt, und die gehörte mir; nein, nein! eine Krähe hackt der andern die Augen nicht aus, und das muß man gelten lassen! Sonst geht ja alles drunter und drüber im Leben.« »Und Oberst Mannering?« fragte Brown wieder. »Von ihm ist's auch nicht eben klug, sich in solche Affäre zu mischen. Daß er den Zöllnern das Leben rettete, war ja ganz gut; aber solch vornehmer Herr darf eben auch nicht zu den Waffen greifen, um dem armen Volke den Tee und Branntwein zu verteuern. Aber so ist's nun 'mal mit den großen Herren und Offizieren: die machen mit unsereinem, was Ihnen beliebt.« »Aber seine Tochter,« sagte er, »heiratet, glaube ich, in ein vornehmes Haus?« »Sie meinen Wohl den Hazlewood?« erwiderte der Schiffer; »ei, Gott bewahre! Das ist ja eitles Geschwätz. Der junge Herr ist ja doch jeden Sonntag mit der Tochter vom alten Ellangowan ausgeritten, und mein Mädel, das bei Mannerings dient, hat mir gesagt, der Herr Charles dächte an Fräulein Mannering so wenig wie ich oder Sie!« Brown machte sich bittere Vorwürfe darüber, daß er sich durch die Eifersucht zu solch vorschneller Tat hatte hinreißen lassen, freute sich aber sehr, daß er Julien allem Anschein nach in falschem Verdacht gehabt habe. Was mußte aber Julie von ihm denken? In welchem Lichte mußte ihr sein Verhalten erscheinen? seine geringe Rücksicht auf ihre Seelenruhe? sein geringes Vertrauen zu ihrem Worte? Nach einer Pause fragte er wieder: »O! Ihre Tochter dient in Woodbourne? Ich habe Fräulein Mannering in Indien gekannt, und wenn auch meine Lebensumstände nicht mehr so günstig liegen wie dort, so darf ich doch noch mit einiger Sicherheit darauf rechnen, daß sie sich für mich verwendet .. Mit ihrem Vater hatte ich dort einen unglückseligen Zwist; er war mein Vorgesetzter, und ich glaube fest, daß die Tochter es sich angelegen sein lassen würde, eine Aussöhnung zwischen uns zu stande zu bringen. Vielleicht könnte Ihre Tochter ihr einen Brief zustellen, ohne daß zwischen dem Fräulein Tochter und ihrem Vater Unfrieden darüber entstände?« Der Schiffer versprach gern, den Auftrag zu besorgen und geheim zu halten, sobald er wieder in Allonby sein würde, und Brown brachte sogleich ein paar Zeilen zu Papier, Er beteuerte, das ihn seine Uebereilung tief schmerze, und beschwor sie, ihm eine Gelegenheit zu verschaffen, sich mit ihr auszusprechen, denn so lange er ihre Verzeihung nicht hätte, wäre er der unglücklichste Mensch auf Gottes Erdboden. Er hielt es aber nicht für klug, sich über die Umstände selbst näher auszulassen, und bewegte sich überhaupt in Ausdrücken, die einem Fremden keinen rechten Sinn gaben, auch keine Schlüsse auf den Schreiber des Briefes zuließen, weil er sich in keine Gefahr setzen wollte, falls der Brief etwa in fremde Hände käme. Der Schiffer versprach auch, wenn es irgend anginge, ihm gleich die Antwort des Fräuleins mitzubringen. Brown suchte sich in dem kleinen Hafenorte seinen bescheidenen Umstanden gemäß einzurichten, und zwar unter dem Namen seines Freundes Dudley; et konnte gut zeichnen, und sich also recht gut für einen Kunstmaler, ausgeben, der auf sein Gepäck warten müsse, das von Winton her unterwegs sei. Täglich erwartete er Antwort auf die Nachrichten, die er seinem Agenten, seinem Kameraden Delaserre und seinem Oberstleutnant übermittelt hatte. Von seinem Agenten erwartete er Geld, von seinem Vorgesetzten Atteste, um sich über Stand und fleckenlosen Ruf auszuweisen, seinen Kameraden Delaserre aber erwartete er persönlich. Wegen seines Mangels an Bargeld wandte er sich an Dinmont, den freundlichen Pächter von Charlieshope, und da es bis dorthin nur etwa 36 Stunden war, rechnete er auf baldigen Eingang des kleinen Darlehens, das ihm über die erste Verlegenheit hinweghelfen sollte. In dem Briefe setzte er dem wackern Manne das Mißgeschick auseinander, das ihn neuerdings getroffen hatte. Aber die Post brauchte zu jener Zeit ihre Weile, und bei Dinmunt lagen die Dinge unglücklicherweise so, daß er regelmäßige Postsendungen nur dann erhielt, wenn er Prozesse in der Stadt führte, sonst aber kaum alle Vierteljahre einen Postbeutel sah, der außer den für ihn eingelaufenen Briefen auch die Zeitungen, Pfefferkuchen und den Tabak enthielt, die zu den Bedürfnissen des Pächters gehörten, und da geschah es wohl auch, daß Briefe manchmal ein ganzes Vierteljahr und länger dazwischen liegen blieben, ehe sie aufgemacht und gelesen wurden. So hatte Brown schon ein paar Tage gewartet und war so gut wie völlig auf dem trocknen, als er durch einen Fischerjungen die folgenden Zeilen zugesteckt erhielt: »Wie konnten Sie bloß so unbedacht handeln? Ich habe daraus ersehen, daß ich auf Ihre Versicherungen, mein Glück und meine Ruhe betreffend, nicht bauen darf; wenig fehlte, so hätten Sie den Tod eines ehrenhaften jungen Menschen auf dem Gewissen! Soll ich Ihnen sagen, daß mich Ihr Unbedacht auf das Krankenlager geworfen hat? Die Folgen, die für Sie hieraus entstehen können, können meine Unruhe wahrlich nicht verringern. Und das alles um solcher Lappalie willen, wie Sie es mir in Ihrem Briefe schildern? Der O. ist auf ein Paar Tage verreist. H. ist so gut wie wieder hergestellt; ein Trost für mich, daß man den Täter auf ganz anderer Fährte zu suchen scheint. Indessen begehen Sie um Gottes willen nicht die Torheit, hierher zu kommen! Es sind der schrecklichen Unfälle zuviel über uns hereingebrochen, als daß ich hoffen dürfte, Einvernehmen herzustellen. Hat es uns doch schon so oft mit dem schwersten Unglücke bedroht! Leben Sie wohl und seien Sie versichert, daß Ihr Glück niemand mehr am Heizen gelegen sein kann als Ihrer Julie M.« Auf Brown machte der Brief den Eindruck, als solle er zu Schritten veranlassen, die dem darin empfohlenen Verhalten gerade zuwiderliefen, und er fragte den Fischerjungen deshalb, ob er direkt von Pontanferry käme und den Brief von seiner Schwester, die in Woodbourne beschäftigt sei, selbst bekommen habe. Der Junge bejahte die Frage, mit dem Beifügen, er wolle abends wieder zurückfahren. Brown entschloß sich zur Mitfahrt, wollte aber nicht in Pontanferry, sondern anderswo an der Küste ans Land gesetzt werden, wozu sich der Fischer gern bereit erklärte. Die Ausgaben, die durch diesen Entschluß notwendig wurden, gab seiner kleinen Barschaft vollständig den Rest. Er hinterlegte auf dem Postamte den Auftrag, ihm Briefe nach Kippletringan nachzusenden, wo er den bei der Wirtin hinterlegten kleinen Schatz abzuheben gedachte. Sobald er seine Papiere hätte, nahm er sich vor, Hazlewood jede Genugtuung als Offizier zu geben, die sich mit seiner Ehre vertrüge, und sein Verhalten als unvermeidliche Folge seines hochfahrenden Wesens hinzustellen. Der Wind stand konträr, und das schwerbeladene Boot mußte schwer gegen die Wogen ankämpfen. Brown, der ja in seiner Jugend dem Seemannsberufe angehört hatte, leistete dem Schiffer mit Rat und Tat Beistand, so daß es ihnen glückte, alle Gefahren hinter sich zu bringen, und so gelangten sie bei Tagesanbruch in Sicht einer schönen Bai an der Küste von Schottland. Das Wetter war milder geworden. Der Schnee war durch den Tauwind, der in den letzten Nächten eingesetzt hatte, in den Tälern völlig geschmolzen; nur die in der Ferne aufsteigenden Hügel trugen noch weiße Kappen. Das Gestade mit seinen Einschnitten, Baien und Buchten entschwand auf beiden Seiten in allerhand anmutigen Wellenlinien, denen das Auge gern folgte. Ebenso mannigfaltig wechselten die Erhöhungen des Gestades. Hier lief die Küste in schroffe Klippen aus, dort stieg sie zu sanft schwellenden Anhöhen auf. Die Wintersonne beleuchtete Gebäude von allerhand Art mit ihren hell blinkenden Strahlen, die das Licht pittoresk zurückwarfen, und die Wälder liehen, obgleich sie entblättert waren, der Landschaft einen berückenden Reiz. Brown weidete sich an diesem Anblick mit unverhohlener Freude, denn nach der unangenehmen Nachtfahrt wirkte er doppelt wohltätig auf sein Gemüt. Vielleicht mischten sich auch schlummernde Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit mit den frohen Empfindungen, die ihm der Anblick dieser Landschaft bereitete. »Wie heißt denn dieses schmucke Vorgebirge?« fragte er den Fischerjungen, »das dort drüben rechts seine waldigen Bergwände ins Meer hinunterstreckt?« »Die Warrochspitze,« versetzte der Junge. »Und das alte Schloß mit dem etwas tiefer liegenden neuen Gebäude?« fragte Brown weiter; »von hier gesehen, scheint es ja eine recht stattliche Besitzung?« »Es ist ein wunderliches Nest, dies alte Schloß,« versetzte der Fischerjunge, »und nach dem hohen Turme, den man schon von Ramsay auf der Man-Insel und vom Ayr-Kap aus sieht, richten wir Schiffer uns auf hoher See. Vor nicht langer Zeit hat's hier ein böses Zusammentreffen gegeben.« Brown hätte gern mehr erfahren, aber der Fischer wußte weiter nichts, als was er eben gesagt, zu sagen. Das Boot fuhr nun dicht an der Landspitze hin, auf der die Burg lag, die von dem Felsengipfel ernst auf das noch immer hochgehende Meer hinunterschaute ... »Ich glaube,« sagte der Schiffer, »daß Sie hier gute Landung haben werden. Hier lagen vorzeiten die Schiffe der Herren von Ellangowan; wir gehen aber jetzt hier selten vor Anker, weil es seine Schwierigkeiten hat, Güter über die engen Stufen oder Felsen zu schaffen.« Das Boot war in einen Hafen hineingesteuert, der sich hinter einer Felsenspitze ausbuchtete und zum Teil durch die Natur gebildet, zum Teil aber auch von den alten Schloßherren, um ihren Fahrzeugen eine sichere Zuflucht zu schaffen, angelegt und gegraben worden war. Die den Eingang flankierenden zwei Felsspitzen rückten so dicht aneinander, daß immer nur ein Boot allein passieren konnte. Zwei ungeheure Eisenringe waren tief in den Felsen eingelassen worden, durch die, der Sage nach, eine große Kette nachts gezogen wurde, um den Hafen völlig abzusperren. Auf dem vorspringenden harten Felsen war mit Spitzhacke und Meißel ein Strandweg ausgehauen worden, der zu einer hohen Steintreppe emporführte, auf der man zu der alten Burg hinaufgelangte. Hier ging der Schiffer vor Anker. Brown wollte ihm ein Trinkgeld geben, das der Fischer aber mit den Worten ausschlug, er habe ja für seine Ueberfahrt mehr gearbeitet, als jeder andere auf dem Boote, und wünschte ihm alles Glück für die Zukunft. Darauf stieß er ab, um auf der andern Strandseite seine Güter auszuladen, und Brown nahte sich nun, fremd, des Wegs unkundig, in den bedrängtesten Umständen, zudem freundlos und eines schweren Verbrechens beschuldigt, zum erstenmal den Ruinen jener Burg, auf der einst seine Ahnen als mächtiges Geschlecht geherrscht hatten. Neuntes Kapitel Wir werden unsern Wanderer, nachdem er den väterlichen Boden betreten, hinfort nicht mehr unter dem Namen Brown, sondern unter dem ihm zukömmlichen Bertram dem Leser vorführen und lassen ihn durch eine, dem Anscheine nach ehedem sorgfältig befestigte Hinterpforte in die Burg treten und aus einem Gemach in das andere wandern. In dem einen setzte ihn die Pracht, in dem andern die Größe und Stärke in Staunen und Verwunderung. In zwei Gemächern sah man Spuren, daß dieselben erst jüngst noch benutzt worden waren: leere Flaschen, Knochen, Ueberreste eines ausgebrannten Feuers. Daß dergleichen geringfügige Umstände mit Vorgängen in Verbindung standen, die sein Glück, seine Ehre, vielleicht sein Leben angingen, davon konnte Bertram allerdings nur wenig ahnen. Als er das Innere der Burg mit flüchtigen Blicken betrachtet hatte, ging er durch das große Tor, das sich nach der Landseite hin öffnete, und blickte hinaus auf die herrliche Landschaft, die sich vor ihm auftat. Vergebens aber suchte er die Lage von Woodbourne, obgleich er die Gegend von Kippletringan ungefähr bestimmen konnte. Dann warf er noch einen Rückblick auf die stattlichen Ruinen, die er eben durchwandert hatte, bewunderte die malerische Wirkung der gewaltigen Rundtürme, die, auf beiden Seiten vorspringend, den Eindruck des hohen, finstern Bogens, unterhalb dessen sich das Tor öffnete, noch erheblich verstärkten. Das über dem Tore in den Stein gehauene Wappenschild des alten Geschlechts, drei Wolfsköpfe, erblickte man unter dem Helme und dem Helmbusche, den ein von einem Pfeile durchbohrter ruhender Wolf bildete. Als Schildhalter stand zu beiden Seiten ein wilder Mann, der in der einen Hand einen entblätterten Eichbaum hielt. »Ob sie noch immer im Besitze des Gebietes sind, das ihre Ahnherren so stark befestigten, die Nachkommen der mächtigen Herren, denen das Wappen hier angehörte?« sprach Bertram bei sich; »oder ob sie umherwandern in der Welt, unbekannt vielleicht mit dem Ruhme der Macht, die dem Geschlechte ehedem gehörte? während Fremdlinge auf ihrem Erbe hausen? Wie kommt es,« fuhr er fort, »daß so mancher Anblick Erinnerungen weckt, die zu den Träumen früher, dunkler Erinnerungen zu gehören scheinen? . ... Mein alter Brahmine mochte sie wohl für Erinnerungen aus einem früheren Dasein gehalten haben .. Selbst unter Menschen, die wir vorher nie mit einem Blicke sahen, scheint uns oft ein geheimnisvolles, unerklärliches Gefühl zu sagen, daß uns Schauplatz, handelnde Figuren, der Gegenstand der Handlung nicht völlig fremd seien, ja es kommt uns vor, als könnten wir ein noch nicht angeknüpftes Gespräch erraten, und so ist es mir, wenn ich auf diese Trümmer hier blicke .. Ich kann den Gedanken nicht los werden, als ob mir alles, was ich hier sehe, Türme, Tor und Schloßhof, nicht völlig fremd sei, ja als ob es mir in meinen Kinderjahren liebe Gegenstände gewesen seien .. Aber Brown, der mich doch sicher nicht hat hintergehen wollen, hat mir doch immer gesagt, ich sei nach einem Gefechte, in welchem mein Vater gefallen sei, von der östlichen Küste weggebracht worden, und auf solchen schrecklichen Kampf besinne ich mich wirklich, so daß ich seiner Erzählung wohl oder übel glauben muß.« Die Stelle, von welcher aus Bertram wirklich die Burg überschaute, war gerade die Stelle, wo sein Vater das Zeitliche gesegnet hatte. Eine breitwipfelige alte Eiche bezeichnete sie: die einzige auf dem Erdhügel, die unter dem Namen des Gerichtsbaums bekannt war, weil die Herren von Ellangowan hier vorzeiten das Blutgericht abgehalten hatten ... Glossin kam am selben Morgen mit einem Feldmesser, der auch den Baumeister der Gegend machte, die Anhöhe hinauf. Ihm waren die alten Trümmer ein Dorn im Auge, darum hatte er sich vorgenommen, sie abzutragen und zum Bau eines neuen Wohnhauses zu benutzen, Bertram stand ihnen mit dem Rücken zugekehrt und von den Zweigen des alten Baumes so verborgen, daß er von Glossin nicht früher bemerkt wurde, als bis er dicht vor ihm stand. »Ja, ich hab's Ihnen schon oft gesagt,« hub der Feldmesser an, »das alte Schloß hat gar schöne Bausteine, und für Ihr Gut wäre es gewiß das allerbeste, wenn Sie es ganz niederrissen, im Grunde ist's ja doch kaum etwas anderes als ein Schlupfwinkel für Schleichhändler.« In diesem Augenblicke drehte sich Bertram herum, von Glossin nur durch einige Schritte noch getrennt. »O, was sagen Sie? Sie wollen das alte, ehrwürdige Schloß abtragen lassen?« Gestalt, Gesicht und Stimme des Fremdlings erinnerten an den Vater, als er in der Vollkraft seiner Männlichkeit stand, und Glossin, als er die Stimme hörte und diese Gestalt und dieses Gesicht so blitzartig vor sich auftauchen sah, genau auf der Stelle, wo sein Gönner das Zeitliche gesegnet hatte, meinte fast im ersten Augenblicke, das Grab habe den Toten verjüngt wieder auferstehen lassen. Unwillkürlich fuhr er ein paar Schritte zurück, aber schnell faßte er sich und sagte sich, daß es kein Bewohner der andern Welt sei, der vor ihm stehe, sondern ein in seinem Rechte benachteiligter Mensch, dem er, falls er nicht scharf aufpasse, leicht Anlaß geben könne, sich sein Recht zu suchen, und zwar auf seine Kosten. Aber trotzdem war er so heftig erschüttert, daß er nur verlegen zu fragen im stände war: »Um Gottes willen, wie haben Sie den Weg hierher gefunden?« »Ich bin vor etwa einer Viertelstunde in der Bucht unterhalb des Schlosses gelandet und habe mir nur auf ein paar Minuten die stattlichen Ruinen ansehen wollen. Hoffentlich habe ich mich keiner Übertretung schuldig gemacht?« »Nein, nein, Herr, keiner Übertretung,« stotterte, noch immer verlegen, der neue Schloßherr, um nach einer Weile, als er sich gefaßt hatte, an seinen Begleiter ein paar Worte zu richten, worauf dieser sogleich sich in das Wohnhaus zurückbegab . ... »Nein, nein,« wiederholte Glossin, sich zu ihm wendend ... »Im Gegenteil, Sie sind willkommen wie jeder Fremde, den die Neugierde hierher treibt.« »Besten Dank, Herr. Es soll ein sehr altes Schloß sein, wie man allgemein hört.« »Ganz recht. Im Gegensatze zu dem neuen Gebäude dort unten,« versetzte Glossin, den es begreiflicherweise interessierte, festzustellen, ob Bertram aus seiner Kindheit noch Eindrücke in sein späteres Leben hinübergenommen hätte, auf der andern Seite sich aber zur äußersten Vorsicht genötigt sah, um nicht durch einen Namen oder irgend eine Redensart schlummernde Erinnerungen zu wecken .. »Ich möchte wissen, wie das Geschlecht heißt, dem diese herrliche Burgruine gehört,« sagte Bertram harmlos. »Wem sie gehört?« versetzte Glossin; »mir! mein Name ist Glossin.« »Glossin? Glossin?« wiederholte Bertram, scheinbar in Gedanken, oder wie wenn er eine andere Antwort erwartet hätte, setzte aber gleich hinzu! »Entschuldigen Sie, bitte, Herr Glossin, aber ich war zerstreut .. Wie lange befindet sich das Schloß im Besitz Ihrer Familie?« »Es ist wohl vor langer Zeit und meines Wissens von einer Familie Mac Dingawaie erbaut worden,« antwortete Glossin ausweichend, da er nicht dazu beitragen mochte, Bertrams Erinnerungen aufzufrischen. »Und was steht denn über dem Gebälk, wo das Wappen in den Stein gehauen ist?« »Das kann ich selbst auch nicht recht lesen,« versetzte Glossin. »Wenn ich recht lese,« nahm Bertram wieder das Wort, »so heißen die Worte: Unser Recht ist unsre Macht.« »Mag wohl sein,« erwiderte Glossin knurrig. »Wohl der Wahlspruch Ihres Hauses?« fragte Bertram. »Nein, nein! nicht unser Wahlspruch! Mein Wahlspruch ... Hm, habe mich erst seinetwegen an das Heroldsamt zu Edinburg gewandt; meines Wissens hat die Familie Glossin den Wahlspruch: Wer's nimmt, der hat's.« »Wenn Sie noch nicht schlüssig darüber sind, so würde ich, entschuldigen Sie, bitte, die unmaßgebliche Meinung äußern, dem alten Spruche den Vorzug zu geben, der mir entschieden als der bessere dünkt.« Glossin sagte nichts, sondern nickte nur. »Seltsam,« sagte Bertram wieder, den Blick auf Wappen und Tor heftend, »seltsam! was für Streiche uns unser Gedächtnis doch spielen kann! Wie ich den Wahlspruch las, fiel mir ein altes Lied, eine Prophezeiung oder so etwas, ein: Was dunkel ist, soll Licht, das Unrecht werden Recht, wenn Bertrams Recht und Bertrams Macht auf .. auf .. Ich kann mich auf den letzten Reim tatsächlich nicht besinnen, aber auf »wacht« ging er aus .. das weiß ich.« »Möge ihm der Sinn nie klar werden,« meinte Glossin bei sich, »er besinnt sich so schon auf zuviel.« »Auch andere Verse fallen mir darüber ein,« meinte Bertram weiter, »kennt man hier wohl ein altes Lied von einer Königstochter auf der Insel Man, die sich von einem schottischen Ritter entführen ließ?« »In alten Volkssagen bin ich ganz und gar nicht bewandert,« sagte Glossin. »Als ich noch Knabe war,« sagte Bertram, »kannte ich solches Lied vollständig auswendig; »Schottland ist mein Vaterland, ich habe es jedoch in früher Jugend verlassen, und die Leute, denen meine Erziehung oblag, haben nichts getan, meine Erinnerungen an die Heimat zu festigen, wahrscheinlich, weil ich bemüht war, mich ihrer Aufsicht zu entziehen.« Glossin schien während der Unterhaltung in sich zusammenzuschrumpfen und kein Wort der Erwiderung zu finden, setzte vielmehr, zum Zeichen der Verlegenheit, die ihn befiel, bald den einen, bald den andern Fuß vor, bald bückte er sich, bald zog er die Schultern hoch, spielte bald mit den Knöpfen an seiner Weste, oder klappte die Hände zusammen: ganz wie ein böser Mensch, den Bange vor der Entdeckung seiner Schandtaten befällt. Bertram aber bemerkte nicht, was in Glossin vorging, da er zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt war. »Ja ja, aber meine Muttersprache,« sagte er, »konnten sie mir nicht abspenstig machen; trotzdem alle auf dem Schiffe nur Englisch redeten; und sobald ich mich allein in irgend einem Winkel befand, hab ich das Lied von Anfang bis zu Ende gesungen. Den Text habe ich wohl vergessen; aber die Melodie kenne ich noch ganz genau .. aber wie es kommt, daß mir das alles jetzt so unmittelbar in die Erinnerung tritt, das kann ich nicht begreifen.« Bei diesen Worten zog er eine Flöte aus der Tasche und blies eine einfache Weise, die wohl in einem Mädchen, das unfern davon bei einer Quelle, die einst das Schloß mit Wasser versorgt hatte, mit dem Bleichen von Leinwand beschäftigt war, ähnliche Gedanken wachrufen mochte, denn aus ihrem Munde ertönte jetzt das Lied: Sie sprach: Ist dies Forths Uferland? Ist es die Bucht von Dee? Der schöne Wald auf Warrochs Wand? Wie gerne sah ich sie! »Beim Himmel! Das ist das alte Lied!« rief Bertram, wie aus einem Traume erwachend; »das Mädchen muß mir das Lied hersagen.« »Beim Teufel!« dachte Glossin bei sich; »tue ich hier nicht Einhalt, so ist alles verloren! Hol der Henker alle Lieder und Reimschmiede, und alle Dirnen, die kaum was anderes mehr verstehen, als ein Lied herfaseln. Aber,« wandte er sich laut zu Bertram, als er den Feldmesser mit ein Paar Männern daherkommen sah; »dazu findet sich wohl später Zeit; jetzt gibt's Nichtigeres hier zu reden!« »Wie soll ich das verstehen?« fragte Bertram, über den Ton, den sich Glossin gegen ihn erlaubte, ziemlich unwillig. »Sie heißen Brown?« fragte Glossin. »Wozu die Frage?« erwiderte Bertram. Glossin guckte über die Schulter, um nach den Männern zu sehen ... »Banbeest Brown, wenn ich nicht irre?« fragte Glossin weiter. »Aber wozu das?« wiederholte Bertram, noch unwilliger als vordem. »Nun, in diesem Falle sind Sie mein Gefangener, im Namen des Königs,« rief Glossin und packte ihn beim Kragen, während die herzugetretenen Männer ihn an den Armen packten. Brown riß sich im Nu los und zog seinen Säbel .. »Keiner wage es, die Hand gegen mich zu heben!« rief er drohend; »einem Befehle der Obrigkeit, wenn er mir vorgewiesen wird, werde ich mich fügen, im andern Falle aber meiner Haut mich wehren, so lange ich den Säbel da zu führen vermag.« Auf Glossins Wink zeigte einer der Gerichtsfrone den Befehl vor, Banbeest Brown, angeklagt des vorsätzlichen und böswilligen Ueberfalles auf Charles Hazlewood, wie auch anderer Vergehungen und Uebertretungen, überall dingfest zu machen, wo man ihm begegne, und in das nächste Untersuchungsgefängnis abzuliefern. Zehntes Kapitel Während die Vorkehrungen zum Transport des Gefangenen, der einstweilen in einem noch bewohnbaren Raume des Schlosses untergebracht war, getroffen wurden, setzte sich Glossin an seinen Schreibtisch, um an Sir Robert Hazlewood auf Hazlewood, das Haupt eines der angesehensten Geschlechter Schottlands, das durch den Verfall des Hauses der Ellangowan an Ehren und Einfluß merklich gewonnen hatte, die Anfrage zu stellen, ob es ihm vielleicht genehm sei, den Verbrecher, der seinen Sohn angeschossen hätte, selbst zu verhören: es sei ihm geglückt, desselben habhaft zu werden; falls es dem edlen Herrn genehm sei, sich dieser unangenehmen Verpflichtung zu unterziehen, wolle er durch den gleichen Boten geneigtest Bescheid geben. Der Herr von Hazlewood, der gern etwas von sich hermachte, dankte Glossin verbindlichst für die Mühe, die er sich auferlegt, und zwar in einer Angelegenheit, die ausschließlich seine, Hazlewoods, Familie anginge, ersuchte um Ueberführung des Delinquenten nach Hazlewood und schloß mit einer Einladung zum Mittagessen, falls Herr Glossin seine Liebenswürdigkeit so weit triebe, den Delinquenten persönlich nach Hazlewood zu bringen. »Nu, einen Finger hätten wir ja in der Sache,« dachte Glossin bei sich, »nun werde ich wohl die ganze Hand hinein bringen! Zuerst muß ich aber diesen leidigen jungen Wicht mir vom Halse schaffen; dann denke ich den alten Herrn schon kirre zu machen. Er ist etwas schwachsinnig, spielt sich aber gern als großer Herr auf. Er wird sich gewiß von mir beschwatzen lassen, die Affäre so abzuwickeln, wie sie mir in den Kram paßt, kann er sich doch dabei besser aufspielen als je in seinem Leben, und sich so stellen, als sei alles aus seinem eigenen Kopfe hervorgegangen. Mir bleibt der Vorteil dabei, die Fäden hinter den Kulissen zu ziehen, ohne das mich irgendwelche Verantwortlichkeit für etwas dabei trifft.« Unter diesen vergnügten Aussichten fuhr er durch eine Doppelreihe alter Eichen dem Landsitze des Baronets entgegen, der ehedem eine Abtei gewesen war, aber zur Zeit der Königin Maria Stuart [Vergleiche hierzu den Roman »Der Abt« mit dem Vorspiele »Das Kloster« von Walter Scott] dem Stifter des Hauses nebst den angrenzenden Ländereien von der Krone geschenkt worden war. Das Schloß lag äußerst anmutig inmitten eines großen Parkes, am Ufer eines kleinen Flusses. Der Charakter der umliegenden Landschaft war finster und feierlich, paßte jedoch gut zu dem schwermütigen Ernste des alten Gebäudes. Alles zeigte auf Reichtum und hohen Rang seines Besitzers. Sir Robert erblickte den Wagen seines Nachbarn vom Fenster aus. In seinem Ahnenstolz empfand er es schon als eine Anmaßung beispielloser Art, daß sich ein Emporkömmling, wie dieser ehemalige Schreiber, zu einem Wagen verstiegen hatte; als er aber sah, daß auf dem Kutschenschlage bloß die Namens-Initialien G. G. standen und das Wappen fehlte, milderte sich sein Groll; freilich war schuld hieran weniger Glossins Bescheidenheit als die schleppende Erledigung seines Gesuchs seitens des Edinburger Wappenherolds, der zu einem Entwurfe des Wappenschilds für den neuen Laird von Ellangowan noch keine Zeit hatte finden können. Während die Frone mit dem Gefangenen in eine Stube zu ebener Erde gewiesen wurden, ließ Sir Hazlewood den Gast Gilbert Glossin in das sogenannte Eichenzimmer geleiten: ein großes, mit lackiertem Täfelwerk ausgelegtes Gemach, worin die Ahnen des edlen Geschlechts mit ihren grimmen Gesichtern hingen. Hier empfing ihn Hazlewood mit all der gnädigen Herablassung, die er Menschen gegenüber, die er nicht für ebenbürtig seinem Range hielt, mit ausgezeichneter Verve zu entfalten verstand. Er dankte Glossin für seine Aufmerksamkeit bei dieser seinen Sohn so nahe angehenden Affäre, deutete mit der Spitze seines Zeigefingers auf die an den Wänden hängenden Ahnenbilder und sprach salbungsvoll: »Selbst diese ehrwürdigen Gestalten, lieber Herr Glossin, werden Ihnen verbunden sein für die Arbeit und Mühe, die Sorge und Beschwerde, die Sie sich auferlegt haben, und könnten sie sprechen, so möchte ich keinen Moment zweifeln, daß sie ihre Dankbarkeit mit der meinen vereinigen würden, um Ihnen zu danken für den guten Dienst, den Sie unserm Hause erwiesen haben.« Glossin verneigte sich dreimal, und jedesmal tiefer, zur Erde hinunter: einmal zu Ehren des edlen Herrn, der in gemessener Haltung vor ihm stand, zum andern Male den an den Wänden hängenden stummen Bildern zur Huldigung, und zum dritten Male als Aufmerksamkeit dem letzten Sprößlinge gegenüber, der berufen war zur Fortpflanzung des alten Geschlechts und Namens. Hazlewood war sehr erfreut über die ihm und seinem Hause von diesem »Bürgerlichen« erwiesenen Ehrenbezeigungen und nahm in freundlich-vertraulichem Tone das Wort: »Nun müssen Sie mir schon erlauben, mein lieber Freund, an Ihre Rechtskenntnis in diesem Falle zu appellieren. In friedensrichterlichen Funktionen habe ich nur geringe Erfahrung; sie eignen sich eben besser für solche Leute, die von ihren häuslichen Obliegenheiten weniger in Anspruch genommen werden als unsereiner.« Glossin erwiderte, daß er selbstverständlich bereit sei, alles zu tun, was in seiner geringen Kraft stehe; aber der Baronet sei doch in allen einschlägigen Kreisen so rühmlich als tüchtiger Rechtsmann bekannt, daß er sich der Hoffnung auf wichtigere Dienste wohl kaum zu versehen haben dürfte. »Nun, mein lieber Herr Glossin,« sagte darauf Hazlewood, »ich meine ja auch nur die gerichtliche Präzis, wenn ich mich so ausdrücken darf. Freilich habe ich auch das edle Jus studiert und darf mich wohl einiger Fortschritte in dieser Wissenschaft rühmen, doch fallen dieselben in eine frühere Zeit. Heute bietet sich für einen Mann vom Stande wenig Gelegenheit, es im edlen Jus so weit zu bringen, wie andere Leute, die für den Plebs ebensowohl als für den ersten Edelmann im Lande Prozesse führen. So etwas muß Leuten von meinem Range natürlich die Lust verleiden. Schon bei dem ersten Prozesse, der mir zuerteilt wurde, ist mir richtig übel geworden: das Objekt, um das die beiden Parteien stritten, war Talg ... Talg! Ich bitte Sie, Herr! Ein Fleischer und ein Lichtzieher waren die beiden Streithammel, und mir wurde zugemutet, ihren Namen in den Mund zu nehmen und mich mit den terminis technicis ihrer beiden Gewerbe zu befassen. Seit diesem Prozesse, lieber Herr Glossin, habe ich tatsächlich kein Talglicht mehr riechen können.« Glossin bedauerte, wie erwartet, daß man einem Baronet mit so hervorragenden Fähigkeiten solche Bagatelle, obendrein von so übelduftender Sorte, zugemutet hätte, und erklärte sich bereit, bei dem Verhöre, um das sich freilich nicht herumkommen ließe, das Protokoll zu führen, oder sich anderweit nützlich zu machen, je nachdem der Baronet bestimmen würde ... »Wir werden vor allen Dingen,« sagte er, »feststellen müssen, daß der Gefangene derjenige ist, der den Schuß abgegeben hat; was übrigens nicht eben schwierig sein dürfte. Falls er es in Abrede stellen sollte, wird Ihr Herr Sohn ja zweifellos es durch seine Aussage bekräftigen können.« »Mein Sohn ist heute nicht zu Hause anwesend.« »Aber der Reitknecht, den Ihr Herr Sohn bei sich hatte, wird es beschwören können. Das Faktum wird sich, meines Erachtens, nicht in Abrede stellen lassen; aber daß durch die nachsichtige Weise, wie Ihr Herr Sohn den Vorfall schildert, die Tat nur als bloßer Zufall und nicht als vorsätzlich begangen erscheint und aufgefaßt wird, ist freilich nicht ausgeschlossen.« »Ich habe ja nicht die Ehre, unsere liebe Obrigkeit in dieser Hinsicht zu kennen,« versetzte der Baronet, »aber vermuten möchte ich, um nicht zu sagen, daß ich davon überzeugt sei, daß die Tatsache, meinen Sohn verwundet zu haben, sei es auch nur unvorsichtigerweise geschehen, wenn ich die mildeste, günstigste und unwahrscheinlichste Auslegung annehmen will, von ihr für ein Verbrechen angesehen wird, das mit Gefängnis nicht als gebüßt angesehen werden dürfte, sondern zum wenigsten mit Landesverweisung geahndet werden müsse.« »Ich bin allerdings in dieser Hinsicht ganz Ihrer Meinung, Sir Robert,« erwiderte Glossin; »aber ich weiß nicht, wie es kommt, daß in Edinburgh die Justiz etwas darunter zu suchen scheint, bei der Rechtsprechung auf Rang und Geburt keinerlei Rücksicht zu nehmen ..« »Was fällt Ihnen denn ein, Herr Glossin, so etwas zu sprechen,« rief Hazlewood; »keine Rücksicht auf Rang und Geburt? Das wäre ja noch schöner! Wie können sich Leute von Bildung und Erziehung auf solchen Standpunkt stellen? wie zu solchen Anschauungen bekennen? Es ist doch ganz etwas anderes, wenn ein Spitzbube auf offener Straße eine Kleinigkeit stiehlt, als wenn er das gleiche Verbrechen in einer Kirche begeht: im ersten Falle ist's weiter nichts als ein gemeiner Diebstahl, im andern aber Tempel- oder Kirchenraub. Im gleichen Verhältnisse sollte also, der richtigen Stufenfolge in der bürgerlichen Gesellschaft gemäß, die Strafe für Beleidigung auch nach dem Range der Person, gegen die sie verübt wird, bemessen, beziehungsweise erhöht werden.« Glossin antwortete mit einer tiefen Verbeugung und bemerkte, daß, wenn dergleichen verderbliche Lehren tatsächlich Eingang finden sollten, Vanbeest Brown vom Gericht auch aus anderm Grunde noch in Anspruch genommen werden dürfte. »Vanbeest Brown heißt er?« fiel Hazlewood ein,. »Gerechter Gott, und durch solch unbekannten Menschen ist meines Sohnes Leben bedroht worden, das Schlüsselbein der rechten Schulter zerrissen und verschoben, und etwas geronnenes Blut, wie in dem Berichte unseres Wundarztes ausdrücklich geschrieben steht, in Acromium abgesetzt worden.« »Ja, wahrlich, Sir Robert, man kann den Gedanken kaum ertragen,« erwiderte Glossin. »Aber ich bitte tausendmal um Verzeihung, daß ich noch einmal darauf zurückkomme; ein Mensch eben dieses Namens ist, wie aus diesen Blättern hier erhellt« – er zeigte Hatteraicks Schiffsbuch vor – »Steuermann auf dem Schleichhändlerschiffe, dessen Mannschaft einen Angriff auf Woodbourne gewagt hat; ohne Zweifel einunddieselbe Person.« »Ganz gewiß, lieber Glossin. Man würde ja selbst den gemeinsten Menschen unrecht tun, wenn man glauben wollte, es könnte unter ihnen zwei geben, die einen, jedem Ohre so häßlich klingenden Namen führen.« »Zweifelsohne, Sir Robert; aber Sie werden bemerken, daß solcher Umstand solch verzweifelte Tat eines Menschen erklärt. Sie werden das Motiv des Verbrechens finden, Sir Robert, wenn Sie den Fall untersuchen; ich meinesteils aber kann den Verdacht nicht unterdrücken, daß Rache die einzige Triebfeder zu dem Verbrechen gewesen, da Ihr Herr Sohn sich bei der Verteidigung von Woodbourne gegen das Gesindel und diesen Schurken so rühmlich hervorgetan hat.« »Ich will den Fall untersuchen und feststellen, lieber Herr Glossin, möchte mich aber schon jetzt der Meinung zuneigen, daß Sie die richtige Lösung dieses Rätsels oder Geheimnisses gegeben haben. Ja, Rache muß es sein – und Du mein Herrgott! von wem und gegen wen? Gegen meinen lieben Sohn Charles ausbrütet und ausgeführt von einem Vanbeest Brown! Wir leben doch wahrhaftig in einer sehr schlimmen Zeit,« fuhr der Baron fort, und verriet durch den freundlichen Zusatz: »mein würdiger Nachbar,« wie schnell Glossin in seiner Gunst gestiegen – »in einer gar schrecklichen Zeit; alle Fundamente der bürgerlichen Ordnung sind erschüttert – ach! wie war's doch so ganz anders, als ich ins Leben trat, da war der Gebrauch von Schwertern, Pistolen und andern Waffen dem Adel vorbehalten, und das gemeine Volk war auf die Waffen angewiesen, die ihnen die Natur verliehen, oder auf Knüttel, die sie sich im ersten besten Walde brechen, schneiden oder hauen mußten. Aber der Gefangene soll hereingeführt werden, damit wir seiner wenigstens jetzt los werden.« So geschah es. Glossin, dem das Gewissen doch nicht recht Ruhe ließ, hielt es für besser, seinem Amtsbruder die äußere Führung des Falles zu überlassen, hielt die Augen auf den Tisch geheftet, augenscheinlich erpicht auf die Durchsicht der diesbezüglichen Schriftstücke, und warf nur hin und wieder ein Wort dazwischen, wenn er merkte, daß Ritter Hazlewood stecken zu bleiben drohte, was ihm oft einmal passierte, trotzdem oder weil er beflissen war, den strengen Ernst des Richters mit der Würde des Oberhauptes eines alten Geschlechts zu vereinigen. Unten am Tischende wird er postiert, Frone,« herrschte er die Schergen an und den Gefangenen: »Ins Gesicht soll Ihr mir sehen, verstanden? und auf die Fragen, die ich an Euch richten werde, habt Ihr laut und vernehmlich zu antworten, – verstanden?« »Zunächst möchte ich Auskunft darüber fordern, wen ich in Ihnen vor mir habe? Den Männern, die mich hergebracht, hat's nicht beliebt, mir darüber Bescheid zu geben.« »Was hat Namen und Stand mit den Fragen zu tun, die ich Euch vorlege?« »Am Ende wenig oder gar nichts! aber auf meine Lust zu antworten, könnte es von merklichem Einflüsse sein.« »Nun, dann wißt, daß Ihr in mir Sir Robert Hazlewood, Friedensrichter, und einen Amtskollegen aus derselben Grafschaft vor Euch habt. Daran laßt Euch genügen!« Diese Mitteilung hatte aber die erwartete Wirkung ganz und gar nicht, und so war es nicht zu verwundern, daß bei Sir Robert in dem Verhör, das er führte, eine ständig wachsende Abneigung gegen den Gefangenen sich bemerkbar machte, »Ihr heißt Vanbeest Brown?« »Ja.« »Stand, Gewerbe?« »Rittmeister im königlich britischen Dragonerregiment Nr. 7.« Der Baronet hörte die Antwort mit Verwunderung, fand aber seine Zuversicht schnell wieder, als er Glossins spöttisches Lächeln sah. »Wir dürften wohl, mein Lieber, bevor wir auseinandergehen, eine bescheidenere Rangordnung für Euch finden .. Kennt Ihr den jungen Hazlewood von Hazlewood?« »Zuvörderst verlange ich diejenige Behandlung, die meinem Stande gebührt, und dulde keinen Zweifel an meinen Angaben,« versetzte Bertram; »ich habe den Herrn, der meines Wissens sich so nennt, ein einziges Mal gesehen, und leider unter höchst leidigen Umständen.« »Ihr räumt also ein, dem jungen Manne durch einen Schuß nach dem Leben getrachtet zu haben? ihm bei diesem Versuche das Schlüsselbein der rechten Schulter gefährlich verletzt zu haben?« »Ich kann bloß sagen, Herr, daß ich nicht weiß, ob der junge Mann schwer oder leicht verwundet worden – versichre Ihnen aber, daß mir der Unfall aus tiefstem Herzen leid tut. Er geriet mir auf einem schmalen Pfade in den Weg, den er mit zwei Damen und einem Diener ging, und ehe ich vorbei war, oder sie ansprechen konnte, riß der junge Mann dem Diener die Flinte aus der Hand, legte auf mich an und befahl mir hochmütig, meiner Wege zu gehen. Ich fühlte mich nicht geneigt, mich seiner herrischen Weisung zu fügen, aber auch nicht in der Lage, ihn im Besitz seiner Waffe zu lassen, von der er in so unbesonnener Weise Gebrauch machen wollte. Deshalb suchte ich ihm die Waffe aus der Hand zu winden; dabei aber entlud sich die Flinte, und auf diese Weise bekam der junge Mann zu meinem tiefsten Bedauern, eine empfindlichere Züchtigung, als ich ihm wünschte; nichtsdestoweniger erfüllt es mich mit Befriedigung, daß er mit einem blauen Auge davonkommen wird.« »Ihr bekennt also,« nahm der Baronet, sein Gesicht im Gefühl der gekränkten Amtswürde in tiefe Falten legend, »daß Ihr dem jungen Herrn Hazlewood vorsätzlich auf offener Straße sein Gewehr abgenommen, das heißt aus der Hand gerissen habt? .. Darauf, mein lieber Nachbar, wollen wir fußen,« wandte er sich an Glossin, »das wird die Haftnahme begründen.« »Sie werden das Richtige schon anordnen, Sir Robert, aber eine Bemerkung gestatten Sie mir wohl: es kam doch auch einiges, was die Schleichhändler betraf, in Betracht,.« »Ganz recht, mein lieber Glossin ... Vanbeest Brown, Ihr nennt Euch Rittmeister in königlichen Diensten? Dabei seid Ihr doch bloß Steuermann eines Schmugglerschiffes und Genosse und Helfershelfer von Schmugglern!« »Hätte ich nicht einen alten Herrn in Ihnen vor Augen,« erwiderte Bertram, »und müßte ich Sie nicht in grobem Irrtum befangen halten, so sollte Ihnen diese Rede nicht so leicht hingehen.« »Alter Herr ... grober Irrtum,« wiederholte Hazlewood, »ich frage hierauf, Vanbeest Brown! können Sie sich durch Legitimationspapiere ausweisen?« »Momentan nicht; aber nach Eingang der nächsten oder übernächsten Post.« »Wie kommt Ihr als britischer Rittmeister dazu, Euch ohne Legitimation und ohne Gepäck, ja ohne Eurem Rang und Stande zukömmliche Attribute in Schottland auf Reisen zu befinden?« »Mich hat das Unglück betroffen, in die Hände von Räubern zu geraten –« »Oho! dann seid Ihr also der Mann, der mit der Post nach Kippletringan fuhr, den Postillon auf offener Straße halten und ihn durch zwei Spießgesellen durchprügeln ließ, weil er ihm das Gepäck nicht mitnehmen lassen wollte?« »Mit der Post, Herr, bin ich allerdings gefahren, habe mich aber auf dem Wege nach Kippletringan verlaufen. Die Wirtin dort wird mir gern bestätigen, daß ich gleich nach meiner Ankunft nach dem Postillon fragte.« »Und wo habt Ihr genächtigt, – he? Im Schnee doch gewiß nicht?« Bertram gedachte des der Zigeunerin gegebenen Versprechens und suchte seine Gedanken zu sammeln – dann erwiderte er: »Ich kann momentan keine Antwort hierauf geben.« »Kann ich mir denken, mein Lieber! Im verfallenen Turm von Derncleugh seid Ihr gewesen – he?« »Ich wiederhole, daß ich auf diese Frage zunächst die Antwort verweigere.« »Nun, dann wandert Ihr wieder ins Loch, mein Vanbeest Brown – was anders gibt's nicht! Seht Euch dieses Papier hier an! Ihr seid doch der darin genannte Vanbeest-Brown?« Glossin hatte unter die Papiere ein Paar Bertram gehörige geschoben, die von den Fronen in dem Gewölbe, worin die Räuber das Felleisen geplündert hatten, gefunden wurden waren. »Ein Paar von den Papieren gehören mir,« versetzte Bertram, »und befanden sich, als mein Gepäck gestohlen wurde, in meiner Reisetasche. Aber ich sehe, daß man gerade diejenigen davon herausgesucht hat, die mir für Rang und Stand keinerlei Ausweis bieten, was in andern recht wohl der Fall gewesen wäre; sie sind auch mit Schiffspapieren und andern Schriftstücken zusammengesteckt, die mich nichts angehen, sondern einem Manne gleichen Namens gehören mögen.« »Und Ihr wollt mir einreden, Freund, daß zwei Menschen in der Welt herumlaufen, die einen so absonderlichen Namen, obendrein von so üblem Klange führen?« »Warum sollte das nicht der Fall sein? gibt es doch einen alten und einen jungen Hazlewood – und es sollte keinen alten und keinen jungen Vanbeest Brown geben können? Aber lieber ein Paar Worte im Ernste! Ich bin in Holland erzogen worden und weiß, daß der Name Brown, so unangenehm er britischen Ohren auch klingen mag –« Glossin, der recht gut merkte, daß der Arrestant sich auf einen ihm gefahrvollen Boden zu begeben anschickte, warf hier freilich unnötigerweise, ein Wort dazwischen, das Hazlewood ablenken sollte – denn der Aerger über den vermessenen Vergleich, den Bertram zwischen ihm und sich gezogen, hatte ihn ganz sprachlos gemacht. Die Stirn runzelnd, zog er langsam den Atem ein. »Sir Robert,« fiel ihm Glossin ins Wort, »sofern ich meine Meinung äußern darf, könnten wir den Fall doch jetzt auf sich beruhen lassen. Von den Beweisen abgesehen, die wir schon in Händen haben, erklärt einer der Frone sich zu der eidlichen Aussage bereit, daß sich der Gefangene, als ihm heute morgen der Säbel abgenommen wurde, widersetzt hat. Vielleicht kann uns der junge Mann sagen, wie er zu der Waffe gekommen ist. Der Fron behauptet, sie schon bei dem Ueberfall auf Woodbourne bei den Schleichhändlern gesehen zu haben.« »Auf diese Frage werde ich keine Antwort geben,« erwiderte Bertram. »Es verdient noch eins Berücksichtigung,« nahm Glossin wieder das Wort. »Arrestant hat der Wirtin in Kippletringan ein Päckchen mit Goldmünzen und andern Wertsachen übergeben; vielleicht wäre die Frage am Platze, Sir Robert, wie er zu solchem doch keinesfalls alltäglichen Besitztum gekommen sei.« »Vanbeest Brown, Ihr hört die Frage des Herrn – was habt Ihr darauf zu antworten?« »Besondere Gründe legen mir die Pflicht auf, auch hierauf die Antwort zu verweigern.« »Dann wird unsere Pflicht uns nötigen, Euch in Haft zu behalten.« »Was man nicht hindern kann, das muß man geschehen lassen, ich gebe aber anheim, den Schritt reiflich zu überdenken. Ich wiederhole, daß ich Rittmeister in der königlich britischen Armee bin, daß ich eben aus Indien zurückkomme, also unmöglich mit Schleichhändlern zu tun haben oder gehabt haben kann. Mein Oberstleutnant befindet sich momentan in Nottingham, der Major und die andern Offiziere liegen in Kingston an der Themse in Quartier, und ich erkläre, mich jeder Strafe willig zu unterwerfen, sofern sich mit der nächsten oder übernächsten Nottinghamer oder Kingstoner Post meine Aussagen nicht bestätigen sollten.« »Alles ganz gut und schön,« fiel ihm Glossin ins Wort, besorgt, daß Bertrams letzte Antwort nicht ohne Eindruck auf Hazlewood bleiben dürfte, war es doch keine Kleinigkeit, einen Offizier – wenn Bertram wirklich diesen Rang bekleidete – in Arrest zu setzen .. »alles ganz gut und schön, aber es fehlt doch an jeglichem Zeugnis für Ihre Behauptungen!« »Zwei Personen, denen ich bekannt bin, lassen sich namhaft machen: ein Landmann im Liddestale, mit Namen Dinmont, der indessen über mich nicht mehr aussagen könnte, als ich selbst gesagt und eben wiederholt habe ...« »Und der andere?« fragte Hazlewood »Aus besonderen Gründen persönlicher Natur nenne ich ihn nicht gern; ich habe in Indien unter ihm gedient – aber er ist im Grunde solch ein Ehrenmann, daß er mir sein Zeugnis nicht verweigern wird.« »Und wer ist's? dieser wackere Bürge? Wohl ein verabschiedeter Wachtmeister oder Feldwebel?« meinte Glossin, »Herr Oberst Mannering.« »Mannering!« rief Glossin, »wer wäre Schwerenot! wohl darauf gekommen?« »Oberst Mannering,« wiederholte jetzt auch Hazlewood und gewann auf einmal die Meinung, daß er doch vielleicht zu weit gegangen sei. »Lieber Glossin,« wandte er sich leise an seinen Kollegen, »der junge Mann hat, von seinem gewöhnlichen Namen und etwas unfeinem Benehmen abgesehen, doch etwas von einem Manne von Stande an sich, scheint wenigstens in halbwegs guter Gesellschaft sich bewegt zu haben – ein Offizierspatent in Indien zu erlangen, soll ja nicht schwierig sein. Ich hielte es doch für am besten, die Rückkehr des zurzeit in Edinburg befindlichen Obersten abzuwarten.« »Ganz, wie Sie meinen, Sir Robert,« antwortete Glossin, »ganz, wie Sie meinen – aber ich stelle es Ihrem Ermessen anheim, ob wir befugt sein möchten, den Arrestanten auf Aussagen hin aus der Haft zu entlassen, die durch Zeugen nicht erwiesen sind.« Er sah recht gut, daß sein Kollege sich unsicher fühlte, und setzte, um die Sache zum Schlusse zu bringen, devot hinzu: »Ich darf wohl die gehorsamste Frage stellen, ob es sich nicht mehr empfehle, den jungen Mann, statt ins Stadtgefängnis, nach dem Stockhaus von Portanferry zu bringen, wo er in sicheren Verwahrsam genommen werden kann, ohne den Blicken von all und jedem ausgesetzt zu sein – ich meine, dieser Umstand verdiente für den Fall, daß seine Angaben nicht aller Wahrheit entbehren, einige Berücksichtigung.« »Der Gedanke läßt sich hören,« erwiderte der Baronet, »wir haben in Portanferry zur Beschützung des Zollgebäudes eine Militärwache – die uns Bürgschaft genug sein kann für die Sicherheit unseres Arrestanten. – Sie haben recht, Glossin, lassen wir ihn dorthin abführen – oder vielmehr, autorisieren wir ihn zum Aufenthalte daselbst!« Glossin verabschiedete sich mit unzähligen Bücklingen. Die beiden Amtsbrüder wechselten noch ein paar höfliche Worte; und auf dem Heimweg führte Glossin das folgende Selbstgespräch: »So! und nun zu Hatteraick! die Wache eskamotiert, und dann den Wurf gewagt! Aber hurtig, hurtig! Ist das ein Glücksfall, daß Mannering in Edinburg ist! Die Bekanntschaft zwischen ihm und diesem Brown setzt mich in neue Gefahr. Aber wie wäre es, wenn ich mich mit dem Erben verständigte?« meinte er, sein Pferd anhaltend, »schließlich fände er sich bereit, eine schickliche Summe als Abstandsgeld an mich zu zahlen – und dann würde ich den Hatteraick los? Aber nein, nein! es sind der Augen zuviel auf mich gerichtet – lassen wir's lieber beim ersten Entschlusse!« . ... Und seinem Pferde die Sporen in die Seiten jagend, ritt er im Galopp davon, getrieben von dem Gedanken, seinen Plan so schnell wie möglich in Ausführung zu setzen. Elftes Kapitel In dem gleichen Wagen, worin er hergebracht worden, wurde Bertram nach Portanferry transportiert, in das neben dem Zollhause, dicht am Seestrande, befindliche Stockhaus. Die beiden Gebäude wurden durch ein starkes Bollwerk, das sich jäh zum Ufer hinsenkte, gegen den Anprall der Wogen geschützt. Die Vorderfront schloß eine hohe Mauer ein, die einen kleinen Hof bildete, in welchem die Insassen sich ergehen durften. Gendarm Mac Guffog, der Bertram arretiert hatte, war Aufseher des Hauses. Er ließ den Wagen vor das Tor fahren und rief die Wächter herbei. Ein Schwarm zerlumpter Jungen, die sich die Zeit damit vertrieben, auf den Lachen, die die Flut zurückgelassen, Papierfregatten treiben zu lassen, rannten herbei, neugierig, wer in Glossins neuem Wagen säße. Riegel wurden zurückgeschoben, Ketten rasselten, und Frau Mac Guffog, eine derbe Hünin, die, wenn ihr Mann abkommandiert war, die »Kommandeuse« spielte, riß das Tor auf; vor ihr hatten die Jungen einen Heidenrespekt und retirierten in gemessener Entfernung. Bertram wurde von ihrem Manne ziemlich unsanft aus dem Wagen befördert und in den Hof gezerrt, und als er nun den Blick warf auf die hier auf und niedergehenden Verbrecher, denen Verzweiflung und Liederlichkeit ihr Brandmal aufgedrückt hatten, fühlte er sich unsäglich gedrückt durch den Gedanken, in solcher Gemeinschaft auch nur Augenblicke zu verweilen ... »Sie weisen mir hoffentlich eine besondere Zelle an?« fragte er Mac Guffog. »Und was hätte ich davon?« antwortete dieser. »Mein Aufenthalt hier wird höchstens zwei Tage dauern. Ich will mich gern für solche Gefälligkeit bei Ihnen abfinden.« »Ja, aber wann und wie?« »Sobald ich frei bin und mein Geld aus England erhalte.« Mac Guffog schüttelte ungläubig mit dem Kopfe. »Sie halten mich doch nicht für einen gemeinen Verbrecher?« fragte Bertram wieder. »Kann ich's wissen, oder nicht? aber soviel ist klar, daß Ihr nicht zu den geriebenen gehört, wenn Ihr dazu gehört!« »Wie habe ich das zu verstehen?« »Nun, was Ihr in Kippletringan gelassen habt, läßt sich doch nur ein Tropf nehmen. Mir hätte es nicht passieren sollen – keinen roten Stüber hätten sie bekommen! Ihnen das Geld abzunehmen, war nicht in Ordnung; und Sie ins Loch zu stecken, ohne alle Mittel, was hier für sich zu haben und auf sich wenden zu können, erst recht nicht. Alles andere hätten sie ja als Beweismaterial behalten können. Warum haben Sie dann aber Ihre Guineen nicht zurückverlangt? Ich habe Ihnen doch beim Verhöre immer zugewinkt und zugenickt; aber Sie hatten ja weder Auge noch Ohr für mich.« »Ich danke Ihnen, Mann, und wenn ich mein Geld fordern darf, so werde ich es auch sicher tun, und um Ihnen davon zu zahlen, was Ihre Forderung beträgt, dazu reicht's allemal,« »Wie es um Ihre Geldverhältnisse steht, weiß ich nicht, mein lieber Herr,« versetzte Mac Guffog, »aber auch nicht, wie lange Sie hier vielleicht werden brummen müssen. Und Borgen ist an sich ein dummes Ding, das dümmste aber in Verhältnissen, wie zwischen uns. Und wer borgen soll, der rechnet auch alles höher. Aber immerhin – meine Frau sagt zwar, ich käme durch meine Gutmütigkeit immer ins Schlamassel; ich will aber noch 'mal ein Auge zudrücken und mich mit einem Gutschein auf Ihr Geld hin begnügen. Mit dem Glossin werde ich schon fertig werden; weiß ich doch einiges über einen gewissen Arrestanten, der jüngst aus Ellangowan ausgebrochen ist; mir wird der Glossin schon zum Rechte verhelfen.« Bertram versprach ihm, den Gutschein zu geben, falls er nicht binnen der nächsten beiden Tage auf andere Weise aus der Verlegenheit kommen sollte ... »Na, dann abgemacht,« sagte Mac Guffog, »dann soll's Euch an nichts fehlen.« Um jede Differenz zu vermeiden, erklärte er rund heraus, was er für eine besondere Zelle, für Benutzung von Gerät und Bett forderte, und versprach, für Essen und Trinken sich mit zwanzig Prozent über den Einkaufspreis zu begnügen. »Außer diesen Hauptsachen,« setzte er hinzu, »dürften wohl nur ein paar kleine Nebenkosten noch in Betracht kommen, so z.B. für das Recht, frei im Hofe zu spazieren, jedesmal sechs Pence.« Mit der Aussicht auf derlei große »Benefizien« führte er seinen Arrestanten eine steile Steintreppe hinan, oben mit einer starken Tür verschlossen und auf einen langen schmalen Gang mündend, auf dessen beiden Seiten je drei ärmliche Zellen mit eisernen Bettstellen und Strohsäcken lagen, am hintersten Ende aber ein kleines Stübchen noch lag, das, von dem Gitterfenster und der mit Eisen beschlagenen Tür abgesehen, in keiner Hinsicht an eine Kerkerzelle erinnerte und meist als Krankenstube für die Arrestanten gebraucht wurde. »So! das ist Ihr Bett, Rittmeister,« sagte Mac Guffogs Frau, die gleich merkte, woher bei dem neuen Insassen der Wind wehte, »und wenn Sie Betttücher, oder Kopfkissen oder etwas Tischzeug, oder Handtücher brauchen, so sagen Sie es nur, denn das geht meinen Mann nicht an, und er macht darüber nie etwas aus.« »In Gottes Namen,« antwortete Bertram, »macht nur alles anständig und fordert, was Ihr wollt.« »O, das ist bald getan; wir schröpfen niemand, wenn wir auch dicht am Zollhause wohnen.« Bertram war allein. Trübselig ging er ein paarmal in der Zelle auf und ab, blickte ein paarmal durch das enge, vergitterte Fenster auf die See hinaus, las auch ein paar von den Witzen, der der und jener frühere Insasse in seiner desperaten Stimmung auf die getünchten Wände gekritzelt hatte. Was er zu hören bekam, war so häßlich wie alles, was er sah; bald schlug die Flut brausend gegen den Fuß der Mauern, bald knarrten Riegel oder Angeln, bald hallte die rauhe Stimme Mac Guffogs oder die gellende seiner keifsüchtigen Ehefrau, bald das Gebell des grimmigen Kettenhundes, wenn ihn Gefangene neckten, in seinen Ohren wider. Eine schmutzige Magd kam, den Tisch zum Essen herzurichten, indem sie Messer und Gabel, denen man nicht ansah, daß sie viel geputzt wurden, neben einen zerbrochenen Steingutteller legte, zusammen mit einem leeren Senftopf und einem Salzfaß, das bedenkliche Gebrauchspuren aufwies. Bald kam die nichts weniger als appetitliche Hebe zum andern mal wieder mit Rindfleischschnitten in wässriger Brühe, und einem Stück Schwarzbrot, und fragte, was der Gefangene trinken wolle. Bertram hielt sich an Wein und Brot mit etwas Käse, gab auf die Frage, ob ihr Herr ihn besuchen solle, der Magd den Bescheid, daß er lieber allein bleiben wolle, und ließ sich Licht, Papier, Feder und Tinte geben. Aber nur Licht konnte er haben, die andern Dinge, ließ Mac Guffog sagen, müßten erst besorgt werden, aber er könne das Geld dafür nicht auslegen. Bertram fragte, ob er ein Buch haben könne, und drückte der Magd ein Trinkgeld in die Hand. Nach geraumer Zeit kam sie mit ein Paar Heften des Newgate [die bekannte Londoner Strafanstalt] -Registers wieder, die Bertrams Gedanken sehr trübe stimmten, weckten sie doch das Bewußtsein seiner trüben Lage immer von neuem in seinem Herzen, so sehr er sich auch Mühe gab, sie im günstigsten Lichte zu betrachten. Bertram dachte an Delaserre, der nun bald in Schottland sein mußte, an die Papiere, die auch bald von seinen Vorgesetzten kommen mußten; er dachte an den Obersten Mannering, der ihm schlimmstenfalls sein Zeugnis nicht weigern würde – er dachte weiter, ob es nicht vielleicht auf diese Weise zu einer Aussöhnung mit ihm kommen möchte? hatte er doch mehr denn einmal bei ihm die Beobachtung gemacht, daß er, wenn er sich einmal für jemand zu erwärmen anfing, vor keinem Opfer zurückscheute, und denjenigen immer am meisten anhing, denen er das Leben hatte schwer machen müssen. Vom Obersten fanden seine Gedanken den Weg zu Julien, seiner Tochter, und ohne Acht für die Kluft, die ihn, einen Glücksritter und Emporkömmling, der sich auf ihres Vaters Zeugnis angewiesen sah, um der Haft ledig zu werden, von der Tochter eines durch seine Waffentaten berühmten Helden und einzigen Erbin all seiner Reichtümer und Schätze schied, genau abzumessen, baute er die größten Luftschlösser und dekorierte sie mit all dem muntern Farbenspiel eines Sommerabend-Himmels, als plötzlich lautes Pochen am Außentore und heftiges Hundegebell ihn aus seinen Sinnen riß. Bald nachher hörte er das Tor offnen und jemand eintreten. Dann kam ein Hund die Treppe herauf und kratzte winselnd mit der Pfote an der Tür; dann tönten schwere Schritte auf dem Korridor, Mac Guffogs rauhe Stimme ließ sich vernehmen, dann wurde die Tür geöffnet, und zur nicht geringen Verwunderung und Freude sah Bertram Silvan, seinen Dachshund, über die Schwelle springen; ihm hinterher kam sein anderer treuer Freund aus Charlieshope, der Landmann Dinmont. »Ei! sieh da!« rief dieser mit einem Blick auf die elende Zelle – »was ist denn mit Ihnen vorgegangen?« »Das Schicksal hat mir eins ausgewischt, Freund Dinmont,« erwiderte Bertram, ihm herzlich die Hand schüttelnd – »sonst ist nichts weiter!« »Aber was soll – was kann dabei geschehen? Welcher Grund liegt dabei vor? Geldschulden? Oder was sonst?« fragte Dinmont lebhaft. »Falls Ihr Zeit habt, lieber Dinmont, und Euch ein Weilchen setzen könnt, will ich Euch sagen, was ich von der Sache weiß.« »Zeit? Na, Schwerenot, Freund! Ich bin ja doch zu dem Zwecke hier, zu sehen, was los ist, denke aber, Sie essen doch lieber erst? Spät genug ist's wenigstens dazu. Im Wirtshause, wo mein Rappen steht, habe ich den Leuten gesagt, sie sollen mir das Abendessen hierherbringen, und Mac Guffog, der liebe Mensch! läßt's passieren – die Sache ist schon mit ihm abgemacht. Aber nun sagt mir, was Euch passiert ist ... Kusch dich, Silvan! ... Der arme Kerl freut sich noch scheckig, Sie wiederzusehen!« Bertram hatte bald erzählt, was ihn hierhergebracht: das unselige Vorkommnis mit dem jungen Hazlewood, und die Verwechslung mit einem beim Angriffe gegen Woodbourne beteiligt gewesenen Schmuggler gleichen Namens. Dinmont hörte aufmerksam zu ... »Na, dann ist die Sache ja nicht weiter schlimm! Dem jungen Laird geht's ja besser und ein Paar Schrotkörner in der Schulter haben nicht viel auf sich – freilich, wenn er das Auge dabei eingebüßt hatte, wär's anders!« »Aber wie habt Ihr erfahren, Freund, daß ich hier stecke?« »Ja, das ist eine schnurrige Geschichte! Aber erst wollen wir essen. So lange dies weibliche Ungetüm sich um uns herbewegt, wär's kaum gut, davon zu reden.« Das Essen kam, und Bertram mußte seine Neugier zügeln; denn Dinmont hatte, wie er sagte, seit dem Frühstück keinen Bissen genossen, rechnete dabei freilich die halbe Hammelkeule nicht, die er sich zu Mittag hatte schmecken lassen, und fiel wie ein Scheunendrescher über das leckere Mahl her, ganz wie ein homerischer Held, wenig, weder Gutes noch Schlimmes, redend, bis Hunger und Durst gestillt waren. »Nun,« begann er endlich, die Knochen eines verspeisten Huhns mit den Blicken wägend, »für eine Stadthenne im Grunde genommen gar nicht übel, aber unsere Hühner in Charlieshope sind mir doch lieber, Kind,« rief er der Magd zu, »Rum, heißes Wasser und Zucker haben wir – Du kannst also Deiner Wege gehen; wir wollen allein sein.« Die Magd ging: Dinmont guckte durch das Schlüsselloch, um zu sehen, daß auch niemand lauschte, trat zum Tische, mischte einen strammen Grog, fachte das Feuer an und nahm endlich das Wort auf eine sonst ihm nicht gewohnte ernste Weise. »Seht, Rittmeister,« sagte er, »ich bin ein paar Tage in Edinburg gewesen, beim Begräbnis einer weitläufigen Verwandten, hab wohl gedacht, der Ritt würde was einbringen, bin aber abgefallen. Was kann das aber helfen? Auch um einen Prozeß ging's mir – um ein Stück Hutweide – aber was interessiert das Sie? Kurz und gut, ich hatte in Edinburg nichts mehr zu verrichten und war frühmorgens draußen auf der Heide, um nach den Herden zu sehen, und da kam mir ein Mensch in Sicht, der keiner von den Hirten war – wer aber war's? Gabriel, der Fuchsjäger! Das wunderte mich nicht wenig ... »He, was macht denn Ihr hier, ohne Eure Hunde?« fragte ich; »wollt wohl den Fuchs fangen ohne Hunde?« »Nein, Herr,« versetzte er, »Euch suche ich!« – »Nun, was wollt Ihr denn von mir?« fragte ich, »wohl was für den Winter?« – »Nein, nein, so was nicht,« sagte er; »aber, mit dem Rittmeister, dem Brown, der hier war, steht Ihr doch gut?« – »Freilich, Gabriel,« erwiderte ich, »was ist denn los mit ihm?« – »Na,« sagte er, »es gibt noch andre, die's gut mit ihm meinen, und Leute, denen ich parieren muß, also ist's nicht aus eignem Willen, daß Ihr mich hier seht – aber wenn Ihr's gut mit ihm meint, dann reitet Ihr nach Portanferry; laßt aber nicht Gras unterm Hufe wachsen; und trefft Ihr ihn im Stockhause, so bleibt zwei Tage bei ihm, Tag und Nacht, denn er wird Freunde brauchen, die ihre Fäuste zu führen wissen. Versäumt's nicht, denn Ihr möchtet's 'mal bereuen; solche Gelegenheit, ihm rechter Freund zu sein, kommt Euch Euer Lebtag ganz gewiß nicht wieder.« – »Aber, Gabriel,« sagte ich, »wie habt Ihr denn das erfahren? Bis Portanferry ist eine stramme Tour.« – »Schert Euch nicht um das Wie,« sagte er, »auch nicht um den Mann, der die Kunde brachte, und der Tag und Nacht hat reiten müssen. Aber Ihr müßt, wenn Ihr noch was helfen wollt, auf der Stelle fort – sonst hab ich Euch weiter nichts zu sagen.« Darauf ging er ins Tal hinunter. Ich ritt heim, wußte eigentlich nicht, was ich machen sollte, dachte, es wäre doch dumm, sich von einem Landstreicher in den April schicken zu lassen. Da kam ich ja schön an bei meiner Alten! »Eine Schande wär's,« sagte sie, »wenn Ihnen was zustieße, was ich vielleicht hindern könnte.« Da kam Ihr Brief, der alles bestätigte, und da bin ich zu meinem Kasten gegangen, hab ein Paar Banknoten herausgenommen für alle Fälle und von dem Jungen den Rappen satteln lassen, der frisch war wie ein Röschen, denn ich hatte die Tour nach Edinburg auf dem Falben gemacht. Und Silvan, der Strick, war gar nicht zu halten, wie wenn er gewußt hätte, wohin es gehen sollte – und, nun bin ich da, Freund – aber – die Hosen hab ich mir durchgeritten – 's war eine stramme Tour!« Bertram erkannte daraus, daß eine neue Gefahr über ihm schwebte, vielleicht bedrohlicherer Art, als ein kurzer Arrest sie ihm hätte bringen können, sowie weiter, daß ein unbekannter Freund über ihm wachte und für ihn arbeitete ... »Sagtet Ihr nicht, Freund Dinmont,« fragte er, »der Gabriel, von dem Ihr spracht, gehöre zu den Zigeunern im Lande?« »So heißt es,« antwortete Dinmont, »und was wir jetzt erfahren, macht es sehr wahrscheinlich. Die wissen alles voneinander und untereinander und tragen Neuigkeiten durch das ganze Land von einem Ende zum andern. Daß ich's übrigens nicht vergesse, nach dem alten Weibe, das wir in Newcastle gesehen, hat Tod und Teufel gefragt – die Behörde hat an allen Ecken und Enden nach ihr suchen lassen und eine Prämie von fünfzig Pfund auf ihren Kopf gesetzt, aber kriegen wird man sie drum doch nicht, wenn sie sich nicht kriegen lassen will.« »Und warum wird sie gesucht?« fragte Bertram. »Kann's nicht sagen. Was drüber geschwatzt wird, ist wohl dummes Zeug; bei den einen heißt's, sie könne sich unsichtbar machen und durch Schlüssellöcher kriechen – andre, sie sei schon über hundert Jahre alt und könne von den unruhigen Zeiten erzählen, als die Stuarts aus dem Lande gejagt wurden. Ja, hätte ich gewußt, daß es die Meg Merrilies wäre, die wir in der Schenke sahen, so hätte ich ihr schon was in die Hände gedrückt.« Bertram lauschte Dinmonts Worten sehr gespannt, trafen sie doch in so manchen Stücken mit all dem zusammen, was er selbst von der alten Sibylle gesehen. Nach kurzem Besinnen meinte er, sich nicht wortbrüchig zu machen, wenn er dem Freunde, der von der Zigeunerin eine so gute Meinung zu haben schien, alles erzählte, was er in Derncleugh erlebt hatte. Dinmont schüttelte drob seine schwarzen Locken ... »Ja, ja, Gutes und Böses wohnt beides in diesem wunderlichen Volk, und uns geht's nicht an, wenn sie gemeinsame Sache mit dem Bösen machen – das müssen sie 'mal selbst ausbaden – soviel bloß weiß ich, die Schmuggler lassen, wenn einer von ihnen im Kampfe geblieben, immer gleich ein Weib wie die alte Meg holen, damit sie die Leiche in Ordnung bringt; von einem Begräbnis wie wir, wissen sie nichts; hat die Leiche, was ihr zukommt, dann wird sie verscharrt wie ein Hund. Bloß ein altes Weib muß dabei sein, das alte Lieder oder Zaubersprüche herleiert. Ich wette, der Tote war einer von den Leuten, die bei dem Woodbourner Brande erschossen wurden.« »Aber Woodbourne ist ja nicht niedergebrannt worden,« fiel ihm Bertram ins Wort. »Nun, recht gut für alle, die darin wohnen. Bei uns hat's geheißen, es sei kein Stein auf dem andern geblieben. Aber gekämpft worden ist, und ohne Frage ist der Tote auch dort geblieben, wie auch die Zigeuner Ihnen das Felleisen genommen haben, als Ihre Kutsche im Schnee steckte.« »Wenn das alte Weib aber so viel Macht über sie hat, warum konnte sie mich nicht offen beschützen und mir meine Habe zurückgeben lassen?« »Wer vermöchte das zu sagen?« versetzte Dinmont, »die andern werden wohl auf ihrem Willen bestehen, wenn ihnen Profit winkt. Es waren ja doch auch Schmuggler mit dabei, und über sie hat die Meg nicht soviel Gewalt. Und dann ist wohl auch zu bedenken, daß die Alte nicht ganz richtig im Kopfe ist. Das Wahrsagen mag sie wohl verstehen, zum wenigsten glaubt sie selbst steif und fest daran und richtet sich immer nach ihrem wunderlichen Getue – aber bleib mir einer mit solchem Krame, wie Zauberei, Leichenverscharren und dergleichen vom Halse! wir leben doch in keinem Märchenparadiese!« Mac Guffog störte die Unterhaltung, indem er die Riegel wegschob und den Kopf zur Tür hereinsteckte ... »Na, nun wird s Zeit, Herr Dinmont,« fügte er, »eine Stunde haben wir Euch zu Gefallen zugegeben, aber jetzt müssen wir die Bude schließen – Sie müssen sich in Ihr Quartier begeben.« »Ich, Freund? Reden Sie nicht! ich schlafe heute nacht hier. Ein Bett ist ja übrig.« »Das geht nicht,« versetzte Mac Guffog – »unter keinen Umständen.« »Geht nicht? Sie meinen, ich gehe nicht? Na, das sollen Sie auch erleben. Nicht von der Stelle geh ich. Kommt her und nehmt mal ein paar gute Schlucke.« Mac Guffog nahm ein paar gute Schlucke, bestand aber auf seinem Begehr ... »Es ist wider die Hausordnung, Herr Dinmont! Hier haben bloß Missetäter und Vagabunden Unterkunft, und Sie sind keins von beiden,« »Den Kopf schlag ich Euch ein, Kerl, wenn Ihr das Maul noch einmal aufmacht – und hier Anspruch auf ein Nachtquartier zu haben, wird dann wohl weitere Missetat nicht von nöten sein.« »Aber, Herr Dinmont, es ist wider die Hausordnung, und ich komme um mein Amt!« »Mac Guffog, nur zwei Worte noch! Ihr kennt mich und wißt, daß ich keinem Arrestanten zur Freiheit verhelfe.« »Woher soll ich das wissen?« »Wißt Ihr das nicht, dann was anderes: z. B., daß Euch Euer Amt zuweilen in unser Tal führt. Laßt mich heut ruhig beim Rittmeister nächtigen; ich zahle Euch die doppelte Stubentaxe – sagt Ihr aber nein, dann gibt's eine Prügelsuppe, wie noch nie, sobald Ihr wieder einen Fuß zu uns ins Tal setzt.« »Gut denn, Herr Dinmont, wer auf seinem Kopfe besteht, muß seinen Willen haben. Das ist 'mal nicht anders. Aber werd' ich darüber zur Rede gestellt, dann weiß ich, an wen ich mich zu halten habe. Das laßt Euch gesagt sein.« Darauf ging er, visitierte noch sämtliche Türen und begab sich zur Ruhe. »Es ist zwar noch nicht spät,« meinte Dinmont, als sie allein waren und die Glocke die neunte Stunde schlug; »aber Sie sind müde, wie ich merke. Legen wir uns aufs Ohr, wenn Sie keine Lust haben, noch einen Becher mit mir zu leeren.« Bertram ließ sich nicht lange nötigen, konnte sich aber, als er sich das Bett ansah, nicht zum Auskleiden entschließen, sondern warf sich in Sachen auf die von der Schließerin für rein erklärten und doch höchst unsaubern Laken. »Sie haben recht, Rittmeister,« meinte Dinmont, »und ich will's ebenso machen; zum Glück wird mein Flausrock schon was abhalten.« Und mit einer Wucht, daß alle Fugen krachten, warf er sich auf das Bett, und sein Schnarchen verriet bald, daß er im tiefsten Schlafe lag. Bertram konnte lange nicht einschlafen, denn sein Gemüt war zu rege befaßt mit dem Gedanken an sein seltsames Geschick und die Geheimnisse, die sich immer dichter um ihn scharten, während Feinde und Freunde aus einer Menschenklasse, mit der er bislang nie in Verbindung gestanden, ihn verfolgten und beschützten, ohne daß er weder diese noch jene kannte. Endlich schloß ihm Müdigkeit die Augen, und er schlief bald ganz eben so fest wie sein Gefährte. Zwölftes Kapitel Am Abende jenes Tages, an welchem Bertram verhört worden war, kam Oberst Mannering wieder nach Woodbourne, wo er alles gesund und munter fand. Hätte seine Tochter Julie Kenntnis von Bertrams Haft gehabt, so wäre sie sicher nicht munter, vielleicht sogar nicht gesund gewesen. Die beiden Mädchen hatten aber während Mannerings Abwesenheit in solcher Abgeschlossenheit gelebt, daß sie die unselige Kunde nicht hatte treffen können. Lucy Bertram war durch den dem Obersten vorausgegangenen Brief von dem Ausfall des in Aussicht gestandenen Erbes schon benachrichtigt worden, und wenn hierdurch auch Hoffnungen zerstört worden waren, so ließ sie es den Obersten, ihren einstweiligen Vormund, als sie ihn begrüßte, doch nicht merken, schon um ihm zu zeigen, wie hoch sie seine väterliche Güte zu schätzen wußte, und gab ihrem lebhaften Bedauern, daß er in so rauher Jahreszeit ihretwillen eine so weite Reise habe machen müssen, lebhaften Ausdruck. »Das Bedauern, mein liebes Fräulein, liegt ganz auf meiner Seite,« antwortete Mannering; »ich habe aber so interessante Bekanntschaften in unserer Hauptstadt gemacht und meine Zeit dort so angenehm verlebt, daß ich mich wirklich freuen muß, wieder einmal dort gewesen zu sein. Selbst unser Freund Sampson ist ein ganz anderer Mensch geworden, seit er sich mit den Koryphäen der Wissenschaft dort hat katzbalgen können.« »Gewiß, gewiß,« pflichtete Sampson selbstgefällig bei, »ich habe gestritten, ohne zu wanken, so gewandt auch die Gegner waren, mit denen ich es aufnehmen mußte.« Am folgenden Morgen aber ließ sich Sampson beim Frühstück nicht sehen. Einer von der Hausdienerschaft meldete, daß Herr Sampson schon in aller Frühe ausgegangen sei; ihn bei Tische einmal nicht zu sehen, war man schon so gewöhnt, daß man sich dadurch längst nicht mehr stören ließ. Der greisen Haushälterin, die dem greisen Herrn sehr wohlgesinnt war, blieb dann die Sorge um ihn überlassen. In der Regel ging man ihm ein Stück entgegen. Daß er aber, wie heute, zwei Mahlzeiten ausließ, das kam sehr selten vor. Die Unterhaltung des Rechtsanwalts Pleydell mit Oberst Mannering über Harry Bertrams Verschwinden hatte tiefen Eindruck auf Sampson gemacht und all die schmerzlichen Empfindungen wieder wach gerufen, die jenes traurige Ereignis in seinem Gemüt hinterlassen hatte. Den Vorwurf der Nachlässigkeit, das Kind Kennedy überlassen und dadurch mittelbar auch den Tod der Mutter und den völligen Verfall des alten Geschlechts und Hauses verursacht zu haben, war er nie losgeworden, wenn er auch nie darüber zu sprechen pflegte. Und nun war er im Verfolg der trüben Gedanken, die er sich von neuem machte, in Kummer darüber, daß dem einzig noch am Leben befindlichen Gliede des Hauses, der von ihm so verehrten Lucy, auch das Erbe der alten Mamsell Tante entging, auf den Einfall gekommen, den Schauplatz jenes traurigen Vorfalls, die Warrochspitze, wohin er seit Jahren den Fuß nicht mehr gesetzt, wieder einmal zu besuchen. Es war ziemlich weit bis dorthin, und Sampson verlief sich auch mehreremale, hatte aber doch endlich den Wald erreicht, ihn nach allen Seiten hin durchstrichen, bis hinauf zur Spitze, hatte alles, was dort vorgegangen, im Geiste noch einmal durchlebt und hatte sich dann wieder auf den Rückweg nach Woodbourne gemacht. Der Hunger hatte sich auch mit der Zeit geregt, und als er zu dem verfallenen Turme von Derncleugh kam, wo Bertram den Tod des verwundeten Schleichhändlers mit angesehen, konnte er des grausigen Gefühls, das ihn beim Anblick der alten Trümmer überkam, fast nicht mehr Herr werden. Zudem war der brave Sampson bei aller Gelehrsamkeit, die er besaß, kein solcher Philosoph, daß er frei von dem Glauben an Zauberei, Hexen und Gespenster gewesen wäre. Der nahende Abend eines trüben Nebeltages erhöhte solche Disposition, und ein geheimer Schauer ergriff ihn, als er sich dem alten Turme näherte. Jenes Tor, das der Sage nach von einem der letzten Lairds von Ellangowan errichtet worden, um kühnen Eindringlingen den Zugang zu sperren, und zu dem, wie es hieß, der Schlüssel im Pfarrhause läge, tat sich zu seinem Staunen jetzt plötzlich auf, und die ihm, wenn er sie auch viele Jahre nicht gesehen, doch noch recht gut bekannte Figur der alten Meg Merrilies zeigte sich vor seinen Augen. Sie stand ihm gerade im Wege, so daß er nicht vor-, sondern nur zurücktreten konnte, und das ließ sein Mannessinn nicht zu. »Ich hab's gewußt, daß ich Euch hier treffen würde,« sagte sie mit ihrer rauhen, tiefen Stimme, »und weiß, wen Sie suchen. Aber Sie müssen sich meinem Gebot fügen.« »Hinweg, hinweg!« rief Sampson, außer sich vor Schreck ... »Hebe Dich von mir! Conjuro te!« [Ich beschwöre dich!] Meg kehrte sich nicht an seinen Schreck und nicht an seine Stimme, nicht an seinen Beschwörungsruf, sondern erwiderte rauh und kalt: »Was fürchtet Ihr Euch vor mir? und warum rieft Ihr den Teufel an? Hört, was ich Euch zu sagen habe, oder es wird Euch leid tun, so lange Euer Leib noch in seinem Gebein hängt. Sagt dem Obersten Mannering, daß es mir nicht fremd sei, daß er mich suche. Er weiß wie ich, daß das Blut abgewaschen, und der Verlorene gefunden werden wird. – Da ist ein Brief für ihn, den ich auf anderm Wege an ihn gelangen lassen wollte. Selbst schreiben kann ich nicht, hab' aber Leute, die es verstehen, die für mich auch lesen, wie sie reiten und laufen für mich. Sage ihm, daß die Zeit nun gekommen sei, daß das Schicksal erfüllt sei, daß er nach den Sternen sehen solle, wie ehedem. Wollt Ihr's besorgen und nichts davon vergessen?« »Will's gerne besorgen und gewiß nichts vergessen,« antwortete Sampson. »Aber, Weib! Deine Rede erschreckt mich – und Zittern befällt mich, wenn ich Deine Stimme höre.« »Schlimmes kommt nicht durch meine Rede, aber Gutes kann aus ihr werden.« »Hebe Dich weg! Gutes auf unrechtem Wege durch unrechte Mittel verabscheue ich.« »Narr Du!« rief Meg zornig, dicht vor ihn hintretend, und ihre schwarzen Augen leuchteten wie Flammen unter der finstern Stirn. »Narr Du! Wollt ich Böses tun, wer möchte mich hindern, Dich von diesem Felsen zu schleudern? und würde je wohl jemand mehr von Dir drüber erfahren, als von Frank Kennedy?« »Im Namen aller guten Geister!« schrie Sampson, seinen langen Stecken mit großem Zinnkopf wie einen Spieß gegen die vermeintliche Hexe erhebend: »Hebe Dich weg von mir! Du sollst mich nicht führen und leiten – hinweg, sage ich – oder ich wehre mich Deiner – auf Deine Gefahr!« Meg aber – so hat er's selbst erzählt – umschlang ihn mit übermenschlicher Kraft, schleifte ihn auf den Boden hin und zerrte ihn in den Turm. Dort stieß sie ihn auf einen Schemel und herrschte ihn an: »Niedergesetzt, und beruhige, mäßige Dich, Du schwarzes Klapperbein! Hast Du heute schon was im Magen oder noch nicht?« »Bloß Sünde, bloß Sünde hab ich gesehen, sonst nichts!« antwortete Sampson, der sich langsam zu erholen anfing. Als er aber inne wurde, daß all seine Beschwörungen bloß dazu dienten, die starre Hexe noch mehr aufzubringen, hielt er es für das klügste, sich ihrem Willen zu fügen und seine Beschwörungen, statt laut, nur im Herzen zu wiederholen; Meg trat nun zu einem großen schwarzen Kessel, der über dem Feuer auf bei Erde hing, und nahm den Deckel ab. Ein Duft stieg aus dem brodelnden Inhalt auf und füllte das Gewölbe, bessere Dinge verheißend, als Hexenkessel gemeinhin enthalten sollen: es roch lieblich nach geschmortem Hasen-, Reb-, Hasel- und anderm Geflügel-Fleisch, im trauten Gemenge mit Kartoffeln, Zwiebeln und Lachs, das, nach der Größe des Kessels, wenigstens ein halbes Dutzend Menschen zu sättigen imstande sein mußte. »Also noch gar nichts habt Ihr heut im Magen?« sagte Meg, indem sie eine braune Schüssel aus dem Kessel füllte und schmackhaft mit Salz und Pfeffer bestreute. »Noch keinen Bissen,« antwortete Sampson, »sceleratissima [Erzverbrecherin] wollte sagen – Frau Wirtsmutter!« »Nun, dann greift zu,« fuhr sie fort, die Schüssel vor ihn setzend; »Essen wird Euch gut tun.« »Habe keinen Hunger – malefica [böse Hexe] wollte sagen, Frau Merrilies ... Aber,« sagte er zu sich selbst, »gut riecht's, wär's nur nicht gekocht von einer Okranidia oder Erikothoe.« »Eßt Ihr nicht auf der Stelle – dann bei Brot und Salz! schieb ich's Euch in die Kehle mit dem Löffel hinunter, so heiß es ist. Den Mund aufgesperrt, Sünder, und den Gaumen geschwungen!« Sampson mochte, aus heiliger Scheu vor Salamanderaugen, Froschzehen und Tigerkaldaunen, gar nicht recht essen, aber der liebliche Duft war stärker als diese Regung, und so dauerte es nicht eben lange, bis ihm der Mund zu wässern anfing, und den Rest gaben ihm die drohenden Worte der Hexe; Hunger und Furcht sind vorzügliche Eideshelfer ... »Saul,« sprach der Hunger leise zu ihm, »speiste mit der Hexe von Endor; und das Salz,« fiel die Furcht dazu ein, »das die Alte auf das Essen gestreut, zeigt doch, daß es kein Hexenfutter ist, denn dabei kommt Salz ja niemals in Betracht.« Und das letzte Wort hatte der Hunger, denn nach dem ersten Bissen flüsterte es aus dem Magen zum Herzen hinüber und von dem Herzen nach dem Kopfe hinauf: »Nicht übel, nicht übel! Das Fleisch ist sogar delikat.« »Na, schmeckt's?« fragte die Meg. »Ja,« gab Sampson zur Antwort, »und ich danke Euch auch schön – sceleratissima – wollte sagen, Frau Wirtin.« »Na, dann eßt Euch satt, genug dazu ist ja da ... aber wüßtet Ihr, wie wir dazu gekommen, dann möcht's Euch wohl kaum schmecken.« Sampson ließ den Löffel fallen, als ihn die Hand zum Munde führen wollte. »Sonst hat's kein Wenn und Aber?« meinte Sampson bei sich und fuhr mit dem Löffel wieder tief in die Schüssel. »Auch ein Schluck gefällig?« fragte die Meg. »O ja,« versetzte Sampson – »conjuro te, wollte sagen, danke von Herzen!« Bei sich aber sagte er: »Hat einen der Teufel nur erst einmal bei einem Haar, dann muß man ihm gleich den ganzen Schopf lassen« – und dabei setzte er einen Humpen voll Schnaps an die Lippen, um ihn auf die Gesundheit der Hexe zu trinken. Hiernach kam er sich gut bei Kräften vor und es war ihm, als könnte ihm etwas Böses nun nicht mehr zustoßen. »Aber, was ich Euch gesagt habe,« fragte Meg wieder, »das vergeßt Ihr doch nicht? An den Augen seh ich's Euch an, daß Ihr ein ganz anderer Mensch geworden seid als vorher.« »Freilich, Frau Meg, freilich,« versetzte Sampson fest, »ich werde ihm den versiegelten Brief übergeben und dabei sagen, was Ihr bestellt haben wollt.« »Das ist kurz abgemacht,« versetzte Meg; »sagt ihm, er solle heute nacht nach den Sternen gucken und tun, was hier in dem Briefe steht, sofern er wolle, Daß Bertrams Recht und Bertrams Macht Auf Ellangowans Berg erwacht. – Zweimal hab ich ihn gesehen, während er mich nicht sah! gekannt hab ich ihn, als er hier zum erstenmal im Lande war, und was ihn hergeführt hat, weiß ich so gut wie er. Nun aber auf die Beine und fort! Zu lange schon habt Ihr hier gesäumt. – Kommt und folgt mir!« Meg führte ihn quer durch den Wald auf einem weit kürzeren Wege als er gekommen war, den er aber nimmer gefunden hätte; er führte hinaus auf die Gemeindewiese; Meg ging auch hier noch mit weiten Schlitten voran bis zum Gipfel eines kleinen Hügels, der über den Weg hinüber hing ... »Hier,« sagte sie, »warte und sieh! Sieh, wie die sinkende Sonne durch die Wolken bricht, die den Himmel heut seit dem frühen Morgen verfinstert haben. Sieh, wohin der erste Lichtstrahl fällt – auf Donagilds runden Turm, das älteste Gebäude von Ellangowan – sieh, wie der Strahl auf dem Meere spielt, dort auf das Schiff in der Bucht – hier bin ich gestanden, hier auf dieser Stelle,« fuhr sie fort, die hohe Gestalt aufrichtend, den langen, nervigen Arm und die geballte Hand von sich streckend: »hier bin ich gestanden, als ich dem letzten Laird von Ellangowan sagte, was über sein Haus kommen werde – und ist's zu Grunde gegangen? Nein – es ersteht wieder! Und hier, wo ich den Stab des Friedens über ihm zerbrach, hier stehe ich wieder und bitte Gott, daß er Segen und Gedeihen gebe dem rechten Erben zu Ellangowan, der bald wieder zu seinem Eigentume kommen wird! Und der beste Laird wird er sein, den Ellangowan seit drei Jahrhunderten besessen – wer weiß, ob ich's noch erlebe; aber manch glückliches Auge wird's sehen, wenn sich das meine längst geschlossen haben wird. – Und nun, Abel Sampson, sofern Ihr auf Ellangowan und sein Geschlecht und Haus je was gehalten habt, dann tummelt Euch mit dem Briefe zu dem englischen Obersten, tummelt Euch, als hinge Leben und Tod an Eurer Eile!« Hierauf drehte sie sich jäh um und verließ Sampson, der so erschrak, daß er den Fuß im ersten Augenblick nicht heben konnte. Mit langen Schritten erreichte sie bald den Wald wieder, aus dem sie ihn geführt; er aber sah ihr noch eine Weile verwundert nach, dann lief auch er, gehorsam ihrem Befehle, schnelleren Schrittes als sonst, in der Richtung auf Woodbourne zu, davon – und dreimal hintereinander entfuhr es seiner Kehle: »Komisch! Komisch! Komisch!« Dreizehntes Kapitel Als Sampson verstörten Blickes daheim ankam, stürzte ihm die Haushälterin, die auf ihn gewartet hatte, entgegen ... »Aber, wo stecken Sie denn bloß, Herr Sampson? Ei, so schlimm war's aber doch nie mit Ihnen! Wie können Sie denn so lange hungern? Das muß Ihnen doch am Leibe schaden! So was verträgt kein menschlicher Magen ... Steckt Euch künftig Pfeffermünztropfen in die Tasche, und eine Schnitte Brot mit etwas kaltem Fleisch!« »Hebe Dich weg von mir!« rief Sampson, in der Meinung, noch immer Meg Merrilies vor sich zu haben, und rannte ins Wohnzimmer. »Nein, geht nicht dort hinein,« rief die Haushälterin; »es ist schon seit einer Stunde abgedeckt, und der Oberst sitzt beim Weine. Kommt zu mir herein; ich hab Euch was Leckeres aufgehoben.« »Ich habe gegessen,« erwiderte Sampson. »Gegessen? Unmöglich! Wo denn, Ihr kehrt doch nirgends ein!« »Mit Beelzebub, sofern ich recht berichtet bin,« rief Sampson unwirsch. »Jesus! der Mann ist behext!« rief die Frau, die Hände über dem Kopfe zusammenschlagend, und ließ ihn gehen. »Behext oder toll ... Jesus! es ist doch ein Jammer, wenn es mit solchem gescheiten Menschen so weit kommt.« Während sie in ihre Stube lief, trat Sampson in das Eßzimmer, von Kopf zu Füßen bespritzt, und fast leichenblaß infolge der Anstrengung und des Schreckens. Alles starrte ihn verblüfft an.. »Aber was ist denn mit Ihnen, Sampson?« fragte Mannering, als er Lucys ängstlichen Blick sah. Exociso te! [Ich beschwöre Dich!] rief Sampson mit Grabesstimme. »Was soll das, Freund?« fragte Mannering außer sich. »Pardon, Herr Oberst, in meinem Kopfe« – »Aber, Herr Sampson, fassen Sie sich doch, und sagen Sie uns, was dies alles bedeutet?« Sampson wollte antworten, aber seine Beschwörungsfloskeln drängten sich ihm wieder auf die Lippen; er hielt es deshalb für am besten, von aller mündlichen Erörterung abzusehen, und händigte dem Obersten das Papier ein, das ihm die Zigeunerin gegeben. Mannering löste das Siegel und las mit Staunen ... »Wohl ein Narrenscherz?« rief er, »zudem ein recht dummer ... so sieht's ganz aus!« »Die Person, von der ich das Papier bekam,« fiel Sampson ein, »sah nicht aus, als ob sie scherzen möchte.« »Von wem haben Sie das Papier?« Sampson, wenn Lucys Interesse in Betracht kam, oft außerstande gegen sein Zartgefühl anzukämpfen, gedachte der schmerzlichen Umstände, die mit der Zigeunerin zusammenhingen, blickte die beiden Mädchen an und schwieg. »Ich sehe,« wandte sich Mannering an sie, »daß Herr Sampson mit mir allein sprechen will – geht also – wir kommen gleich zum Tee. – Nun, die Mädchen sind fort, lieber Sampson,« wandte er sich an ihn, – »nun sagen Sie mir, was dies alles bedeutet?« »Vielleicht eine Botschaft vom Himmel,« antwortete Sampson, »aber bestellt ist sie von Beelzebubs Postmeisterin worden, denn ich hab sie von der Hexe Meg Merrilies, die schon vor zwanzig Jahren in einer Teertonne hätte verbrannt werden müssen als Hure, Diebin, Hexe.« »War es auch wirklich die Zigeunerin?« fragte Mannering lebhaft. »Gewiß, Herr Oberst! Ein zweites Frauenzimmer wie die Merrilies gibt's nicht mehr auf Erden.« Der Oberst ging hastig auf und ab, in stürmischen Gedanken ... »Ob man sie festnehmen läßt?« fragte er sich ... »Aber darüber geht zuviel Zeit verloren, muß ich doch erst zu Mac Morlan schicken, und der alte Hazlewood ist ein eingebildeter Tropf ... und wenn wir sie dort, wo wir sie suchen, nicht finden sollten, oder, wenn sie wieder, wie früher, den Mund nicht auftun sollte? ... Nein, und wenn man mich zehnmal für einen Esel hält, so will ich doch lieber dem Wink folgen, den sie mir gibt. Mancher von ihrem Schlag fängt mit Betrug an und hört mit Muckerei auf oder wandelt eine Bahn, die zwischen beidem liegt, ohne Ahnung, womit sie sich selbst oder andere betrügen. Nun, mir ist der Weg auf alle Fälle vorgezeichnet, – er geht schnurgerade – mag mir Vorteil oder Nachteil, Lohn oder Schaden daraus entstehen; daß ich mich auf meine Klugheit verlassen sollte, um Nachteil oder Schaden aus dem Wege zu gehen, kann mir nicht passieren.« Darauf klingelte er Barnes, seinem Diener. Ehe wir aber dem Leser melden, wie die Weisungen lauteten, die er ihm heimlich erteilte, wollen wir uns nach einem anderen Ereignisse dieses Tages umsehen. Charles Hazlewood hatte sich während Mannerings Abwesenheit in Woodbourne nicht sehen lassen. Aus Mannerings ganzem Benehmen gegen ihn war ihm klar geworden, daß es der Oberst übel aufnehmen würde, und der Respekt vor dem angesehenen Heerführer und feingebildeten Manne war bei Charles Hazlewood so groß, daß er sich der Gefahr, ihn zu verletzen, unter keinen Umständen hätte aussetzen mögen; wohl meinte er durchblicken zu können, daß der Oberst seine Beziehung zu Lucy nicht eben tadelte; aber sein Zartgefühl sagte ihm, wie ungeziemend unter solcher Voraussetzung jedes Bemühen, sich mit Lucy auf vertrauteren Fuß zu setzen, erscheinen mußte, zumal sich seine Eltern, wie er recht gut wußte, nicht anders als ablehnend dagegen verhalten würden – darum respektierte er die zwischen dem Mädchen und ihm gezogene Schranke ebensowohl um Mannerings willen, als um sie nicht dem Schutz eines so edlen und wohlwollenden Freundes zu berauben ... »Nein,« sagte er zu sich selbst, »meine Lucy in solche Gefahr zu bringen, wird mir nie einfallen – selbst dann nicht, wenn ich ihr ein eigenes Heim zu bieten vermag.« Um jeder Versuchung die Spitze abzubrechen, beschloß er einen Besuch bei entfernten Verwandten zu machen, den er schon lange zugesagt hatte, und bis zur Rückkehr des Obersten von Woodbourne fernzubleiben. Allerhand widrige Zufälle durchkreuzten aber diesen Plan: dem Pferde mußten die Eisen geschärft werden, weil über Nacht Frostwetter eingetreten war; dann gefiel es der Hausfrau, mit dem Frühstück warten zu lassen; dann mußte er sich die Jungen ansehen, die sein bester Hühnerhund in der Frühe geworfen hatte. Darüber verstrich der Morgen, und jetzt zum Essen nach Woodbourne zu reiten, erschien ihm nicht mehr schicklich. Er ließ also den Weg zum Landhaus seitwärts liegen, aber während er den Blick auf die blaue Rauchsäule richtete, die an dem bleichen winterlichen Abendhimmel aufstieg, war es ihm, als ob er Sampson durch den Wald gehen sähe. Er rief ihn an, aber umsonst, denn der für äußere Eindrücke überhaupt nicht empfängliche Magister hatte eben die alte Meg Merrilies verlassen, und war über die von ihr gehörten Dinge noch in so tiefen Gedanken, daß er für alles um sich her weder Auge noch Ohr hatte. So kam der junge Laird um die Gelegenheit, sich über die Bewohner von Woodbourne zu befragen, wobei Lucys Namen doch sicher genannt worden wäre. Er ließ nun seinem Tiere die Zügel frei, einen steilen, sandigen Weg hinauf, der zwischen zwei hohen Wänden entlang auf eine Anhöhe führte, die einen weiten Ausblick über die umliegende Gegend bot. Da schreckte ihn eine Stimme, zu rauh für eine weibliche, zu hoch und hell für eine männliche, aus seinem Sinnen ... »Was hält Euch so lange auf der Straße? Müssen wohl andere Leute Arbeit für Euch verrichten?« Eine Frau von großer Figur, mit einem dicken Tuch um den Kopf, unter dem wirre graue Locken hervorquollen, in langem, rotem Mantel, einen Stecken mit beschlagener Spitze in der Hand, stand vor ihm: Meg Merrilies! Charles Hazlewood hatte sie noch mit keinem Blicke gesehen und zog verdutzt die Zügel an ... »Ich dachte,« fuhr sie fort, »wer's gut meint mit Ellangowan, sollte nicht schlafen heute nacht. Drei Leute waren schon auf der Suche nach Euch, und Ihr bleibt zu Hause in Eurem Bette? Denkt Ihr denn, der Schwester könnte es wohl gehen, wenn der Bruder umkommt?« »Ich verstehe den Sinn Eurer Worte nicht, Frau,« erwiderte Hazlewood, »sprecht Ihr von Fräulein – ich meine, von jemand aus dem einstigen Hause von Ellangowan – dann sagt – sagt schnell, was ich für sie tun kann!« »Das einstige Haus Ellangowan!« wiederholte sie heftig – »und wann war je ein Geschlecht Ellangowan, das nicht den edlen Namen Bertram führte – wann wird ein solches Haus sein ohne diesen Namen?« »Aber was soll das alles, gute Frau?« »Eine gute Frau bin ich nicht: das ganze Land weiß es; aber ich kann tun, was kein gutes Weib kann, kein gutes Weib darf; ich kann tun, was Weibern, die von zu Hause nicht weggekommen und nichts weiter verstehen, als Kinder päppeln und schaukeln, das Blut in den Adern gerinnen macht. Hört, was ich Euch sage! Man hat die Wache aus Portanferry nach Hazlewood abrücken lassen auf Befehl Eures Vaters, der für heute nacht einen Ueberfall durch Schmuggler befürchtet. Aber kein Mensch denkt an so etwas gegen einen Herrn von gutem und edlem Blut. Schickt die Reiter wieder heim auf ihre Posten. Heute nacht gibt's Arbeit, viel Arbeit; es werden Flinten knallen und Schwerter im Mondschein glitzern.« »Was faselt Ihr, Weib? Man könnte meinen, Ihr seid verrückt: und doch scheint alles, was Ihr sagt, in gewissem, wenn auch wunderlichem Zusammenhange.« »Verrückt bin ich nicht, wenn sie mich auch als verrückt eingesperrt und gegeißelt und des Landes verwiesen haben. Aber verrückt bin ich nicht! Charles Hazlewood, sagt, grollt Ihr dem Manne, der Euch verwundete?« »Um Gottes willen nicht – mein Arm ist wieder hergestellt, und ich habe immer behauptet, daß das Gewehr zufällig losging – lieb wär's mir, ich könnt's dem jungen Manne selbst sagen.« »So tut, was ich Euch sage, und Ihr werdet ihm mehr Gutes tun, als er Euch je Böses tat. Fällt er seinen Feinden in die Hände, so ist er früher, als der Tag graut, eine Leiche, oder aus dem Lande geschafft – aber noch ist Einer über uns allen! Tut, was ich Euch heiße, und schickt die Reiter wieder heim!« Nach dieser Mahnung war sie mit ihrer gewöhnlichen Schnelligkeit verschwunden. Hazlewood hatte die jähe Erscheinung der Zigeunerin und ihre gebieterische Redeweise heftig alteriert. Er ritt schnell nach Hause, kam nach Anbruch der Dunkelheit hin, und fand beim ersten Blick in den Hof die Bestätigung für die Worte der Zigeunerin; dreißig Dragonerpferde standen zusammengekoppelt unter einem Schuppen; drei bis vier Reiter hielten Wache, die andern marschierten mit gezogenem Seitengewehr vor dem Hause auf und ab. Hazlewood fragte den Wachtmeister nach dem Standquartier. »Portanferry,« lautete die Antwort. »Ist Wache dort geblieben?« fragte Hazlewood weiter. »Nein, auf Sir Robert Hazlewoods Befehl hin sind alle Mann hierher marschiert zum Schutz gegen einen von den Schmugglern geplanten Ueberfall.« Charles Hazlewood begab sich auf der Stelle zu seinem Vater. Auf seine Frage nach dem Grunde der von ihm angeordneten Maßregel bekam er dieselbe Antwort wie von dem Wachtmeister. Er kannte seines Vaters Schwächen und versetzte, es wolle ihm nicht recht glaubhaft erscheinen, daß es auch den verwegensten Menschen einfallen sollte, ein Schloß mit so zahlreicher Dienerschaft und soviel Hörigen anzugreifen; dagegen möchte es doch bedenklich sein, Soldaten vom Dienste wegzurufen, um sich persönlichen Schutz zu schaffen, anderseits wäre wohl zu befürchten, daß man sich zum Gespött der ganzen Nachbarschaft machte, falls sich solche großartigen Vorsichtsmaßregeln als unnütz erweisen sollten. Sir Robert wurde hierüber recht perplex, denn vor Gespött hatte er eine Heidenangst; aber es ging ihm nicht minder gegen den Strich, vor seinem Sohne die Segel zu reffen, und so stellte er sich, als ob ihm an der Meinung der Welt nicht das geringste gelegen wäre, und zog gegen den Sohn alle Register seiner väterlichen Würden. »Ich sollte doch meinen,« sagte er, »daß die meinem Hause an Deiner Person, meinem nächsten Erben, widerfahrene Beleidigung, um nicht Ehrabschneidung zu sagen, beim größten Teile des Publikums Maßregeln, wie ich sie getroffen, sattsam rechtfertigen dürfte.« »Ich habe Ihnen aber doch schon wiederholt erklärt, Vater, daß nach meiner festen Ueberzeugung das Gewehr bloß zufällig losgegangen ist.« »Davon kann keine Rede sein; aber Du bist ja immer klüger als ältere Leute.« »Aber, Vater, in einem Falle, der mich so nahe betrifft –« »Dich geht er nicht näher an als mich – nicht näher als unsre ganze Grafschaft, als das ganze Königreich Schottland, insofern als das Interesse des Hauses Hazlewood in Dir benachteiligt, bedroht und gefährdet wurde ... Aber das Subjekt, das Dich angeschossen, ist in sicherem Verwahrsam, und Glossin meint –« »Glossin, Vater?« »Jawohl, Glossin, der jetzige Herr und Eigentümer von Ellangowan! Du kennst ihn doch?« »Aber, Vater, daß Sie sich auf einen solchen Mann berufen möchten, hätte ich nie gedacht, nie für möglich gehalten – gilt er doch bei aller Welt als geizig, betrügerisch, gemein, intrigant, und wer weiß, was er noch für Tugenden an sich hat! Auf seinen Rat hin, Vater, ist wohl die Wache aus Portanferry abkommandiert worden?« »Auf Glossins Rat?« wiederholte Sir Robert – »nun, lieber Sohn, ich glaube nicht von dem Herrn, daß er sich herausnehmen möchte, mir seine Meinung oder gar seinen Rat aufzudrängen, in Fällen, wo Haus und Geschlecht Hazlewood in Betracht kommen –« »Aber zugestimmt zu Deinem Gedanken hat er – wie?« fragte Charles wieder. »Mir erschien es angemessen, ihn als die nächste Amtsperson zu Rate zu ziehen, als mir die Nachricht von dem gegen mein Besitztum geplanten Ueberfalle bekannt wurde – und da muß ich freilich sagen, daß er zwar nichts davon wissen mochte, den diesbezüglichen Befehl an die Wache von Portanferry mit zu unterzeichnen, den Schritt selbst aber vollkommen guthieß.« Mac Morlan trat ins Zimmer ... »Bedaure sehr, Sir Hazlewood, wenn ich stören sollte?« »Durchaus nicht, Herr Mac Morlan, durchaus nicht,« fiel ihm der Laird ins Wort – »bitte, was führt Sie zu mir? amtliche Verrichtung oder eine Ursache privater Natur?« »Amtliche Verrichtung, Sir Robert,« erwiderte Mac Morlan kühl – »es handelt sich um das Kommando von Portanferry, das unverzüglich zurückmarschieren muß. Für Ihres Hauses Sicherheit übernehme ich Bürgschaft.« »Die Wache soll ich missen? und mit Ihrer Bürgschaft mich begnügen, Herr Mac Morlan?« fuhr Sir Robert auf; »wie sollte mir solche für meines Hauses Sicherheit ausreichen? Nicht eins von diesen Ahnenbildern möchte ich verrückt oder gar beschädigt sehen–« »Darüber zu diskutieren, Sir Robert, muß ich zu meinem Bedauern ablehnen,« versetzte Mac Morlan, »glaube aber versichern zu dürfen, daß durch mein Verhalten kein unersetzlicher Verlust dieser Art entstehen wird, zumal sich kein sterblicher Mensch mit dem Gedanken eines Angriffs gegen Ihr Schloß trägt. Ich habe im Gegenteil Winke bekommen, die mir den Verdacht wecken, daß das Gerücht lediglich zu dem Zwecke ausgesprengt worden ist, einen Grund zur Entfernung der Wache von Portanferry zu haben. Infolgedessen muß ich von meinem amtlichen Rechte Gebrauch machen, und das Kommando, wenigstens zum großen Teil, wieder nach seinem Standquartiere zurückschicken. Für sehr bedauerlich halte ich es, daß durch meine zufällige Abwesenheit schon soviel Zeit verloren gegangen ist, daß ich fast fürchten muß, das Kommando wird zu spät in Portanferry wieder eintreffen.« Gegen eine so bestimmte Erklärung der zuständigen Obrigkeit erlaubte auch der Baronet sich keinen weitern Einwand, sondern erteilte sogleich seinen Dienstmannen Befehl, sich zu bewaffnen. Charles Hazlewood hätte die Reiter, die unter Mac Morlans Führung nach Portanferry zurückritten, am liebsten begleitet, aber dem Vater solch empfindliche Kränkung anzutun, mochte er doch nicht wagen; mit schlechtverhehltem Unmute sah er dem Wegritt des Kommandos vom Fenster aus zu, und nicht lange währte es mehr, so waren die Reiter unter den Bäumen der Straße verschwunden und der Hufschlag ihrer Rosse verhallt. Vierzehntes Kapitel Wir eilen den Reitern zuvor, und blicken in das Gemach, wo wir Bertram und seinen biedern Freund zurückließen. Der Landmann schlief sehr fest, Bertram aber erwachte noch vor Mittelnacht aus dem ersten tiefen Schlafe, und konnte nicht wieder einschlummern. Die Bewegung seines unruhigen Gemüts wurde durch einen Fieberschauer erhöht, den die dumpfige Luft des engen Gemachs ihm zugezogen hatte. Endlich erhob er sich und suchte das Fenster zu öffnen, um frische Luft zu schöpfen. Aber ach! der erste Versuch erinnerte ihn, daß er in einem Gefängnisse war. Er blieb vor dem fest verschlossenen Fenster stehen. Der kleine Silvan, so müde er noch von der vorigen Tagfahrt war, kroch auch aus dem Bette, rieb sich an den Beinen seines Herrn und schien durch freundliches Knurren seine Freude über die Wiedervereinigung aussprechen zu wollen. Bertram blickte einige Zeit auf das Meer. Die Flut schwoll hoch an und schlug dumpf und dicht bis an die Grundmauer des Hauses. Zuweilen stiegen hohe Wogen bis an das die Gebäude schützende Bollwerk und brachen sich hier mit heftigerer Gewalt als die am Sandufer zerfließenden. Fern in der Beleuchtung des eilenden, oft bewölkten Mondes wälzte das Meer in wildem Gedränge seine Wogen. »Ein wildes, finstres Schauspiel,« sprach Bertram zu sich selbst. »Ganz wie die drängenden Wellen des Schicksals, die mich seit meiner Kindheit durch die Welt fortgestoßen haben! Wann wird diese Ungewißheit aufhören? wann wird es mir vergönnt sein, nach einer stillen Heimat zu sehen, wo ich ruhig und ohne Furcht, ohne Unruhe die Künste des Friedens pflegen kann, von denen mich bis jetzt eine mächtige Gewalt abgezogen hat? Möchte es doch wahr sein, was man sagt, daß das geistige Ohr die Stimme der Seenymphen und Tritonen unter dem Wogengeräusch unterscheiden könne! Mochte doch eine Sirene, oder ein Proteus, aus den Wellen aufsteigen, um mir das Rätsel des seltsamen Schicksals zu lösen, das mich von allen Seiten umfängt ... Glücklicher Freund,« fuhr er fort, auf den tief schlummernden Landmann blickend: »Deine Sorgen sind beschränkt auf den engen Kreis einer gesunden und gedeihlichen Beschäftigung. Du kannst sie nach Gefallen beiseite legen und die tiefe Ruhe des Leibes und der Seele genießen, die eine gesunde Arbeit Dir bereitet hat.« In diesem Augenblicke wurden seine Betrachtungen durch Silvan, der mit wütendem Gebell zu dem Fenster hinanzuspringen versuchte, unterbrochen. Dinmont vernahm den gellenden Ton, aber noch verschwand die Täuschung des Traumes nicht, der ihn aus dem armseligen Raum hinaus unter seine grünen Hügel geführt hatte, und einige Töne aus seiner Kehle verrieten, daß er seinen Schäferhund rief. Silvans Gebell wurde durch das Geheul des Kettenhundes im Hofe sekundiert, der sich lange still verhalten und nur einmal, als der Mond jäh aus den Wolken hervorblinkte, einen kurzen, tiefen Ton ausgestoßen hatte, nun aber ein wütendes Gebell anhob, als ob er durch irgend eine Störung gereizt worden wäre. Bertram, dessen Aufmerksamkeit nun lebhaft gespannt war, glaubte ein Boot auf dem Meere zu sehen, und unterschied deutlich Ruderschlag und menschliche Stimmen unter dem Brausen der Wogen ... »Vielleicht ein Schiffer, den die Nacht überfallen,« dachte er, »oder verwegene Schleichhändler von der Insel Man? Sehr verwegen, dem Zollhause so nahe zu kommen, wo doch Wache liegen muß? Das Boot ist groß und dicht besetzt. Vielleicht sind's Leute vom Zollamt?« Bertram wurde in dieser Meinung durch die Wahrnehmung bestärkt, daß das Boot an einem schmalen Strandwege anlegte, der gleich hinter dem Zollhaus zum Meer hinunterlief. Die Mannschaft sprang ans Ufer, und ihrer zwanzig an der Zahl, gingen sie im Gänsemarsch eine schmale Gasse hinauf, die das Zollhaus von dem Stadthause trennte, und verschwanden dort. Nur zwei Männer blieben als Wache bei dem Boote zurück. Der Ruderschlag und die gedämpfte Stimme der Männer hatten den Hofhund geweckt, der jetzt ein so furchtbares Geheul ausstieß, daß Mac Guffog, sein Herr, endlich erwachte. Aus dem Fenster hinaus schrie er: »Tirum! Tirum! was gibt's!« Doch Tirum schwieg nicht, sondern übertäubte die beunruhigenden Töne, die ihn munter gemacht hatten. Frau Mac Guffog aber, die ans Fenster trat, hatte ein schärferes Ohr als ihr Mann ... »Geh hinunter,« sagte sie, »und laß den Hund los. Ich wette, es sind Kerle, die zum Tor hinein wollen; muß auch der alte Narr in Hazlewood die Wache wegholen lassen! Aber, Mann, Du hast wirklich nicht mehr Mut als eine Katze!« Sie ging hinunter, den Hund selbst los zu machen, während ihr Mann, der vor Krawall in seinen vier Pfählen größere Angst hatte als vor einem Sturm draußen, alle Türen untersuchte, um sich zu vergewissern, daß die Arrestanten nicht etwa ausbrechen könnten. Bertram, dessen Zelle auf der Seeseite lag, konnte nur wenig von dem Lärm auf der Vorderseite hören, wohl aber alles deutlich, was im Innern vorging und zur vorgeschriebenen nächtlichen Ruhe eines Stockhauses recht wenig paßte; er konnte nicht anders als annehmen, daß etwas Ungewöhnliches im Werke sei. Von diesem Gedanken beherrscht, trat er zu Dinmont und schüttelte ihn munter. »Ih! – O! Lieschen! Es ist ja noch nicht Zeit zum Aufstehen!« rief der Mann aus den Bergen, noch halb im Schlafe. Endlich aber ermunterte er sich und fragte verdutzt: »Jesus Maria, was gibt's?« »Das weiß ich nicht,« erwiderte Bertram, »aber es muß Feuer im Hause sein, oder sonst etwas vorgehen. Hört doch, wie man die Türen wirft, und die rauhen Stimmen! Es muß von draußen her kommen! Steht auf, bitte, steht auf! wir müssen auf der Hut sein!« Dinmont war im Nu auf den Beinen, unerschrocken und mutig, wie jeder seiner Vorfahren, sobald die Feuerzeichen leuchteten. »Ein verwünschter Ort!« sagte er; »bei Tage lassen sie einen nicht heraus und bei Nacht nicht schlafen. Hier käm ich in den ersten vierzehn Tagen um ... Aber was ist das für ein Getöse? Wenn wir nur Licht hätten! Silvan, Silvan, bscht! Man kann ja über Deinem Gebell nicht hören, was los ist.« Vergebens suchten sie nach einer Kohle unter der Asche, um das Licht anzustecken. Der Lärm wuchs, Dinmont trat ans Fenster ... »Um Gottes willen, Rittmeister, kommt her! Die Schmuggler sind ins Zollhaus eingebrochen.« Bertram eilte ans Fenster und erblickte einen dichten Schwarm Schmuggler und andern Gesindels, einige mit brennenden Fackeln in der Hand, andere schleppten Ballen und Fässer zum Boote hinab, das am Strandwege lag, wo jetzt noch einige Fischerboote sich zeigten, die nacheinander geladen wurden, während einige schon in die See gegangen waren. »Die Sache ist klar,« hob Bertram wieder an; »aber ich fürchte, es ist noch Schlimmeres geschehen. Riecht es nicht nach Rauch? Oder ist es Einbildung von mir?« »Einbildung?« wiederholte Dinmont; »nein, es raucht wie im Ofen. Verdammt! wenn sie's Zollhaus angesteckt haben, kommt das Feuer auch hierher, und wir verbrennen alle miteinander wie Teertonnen ... Mac Guffog! Hört Ihr denn nicht?« schrie er aus allen Kräften. »Wollt Ihr einen ganzen Knochen im Leibe behalten, so laßt uns heraus, laßt uns heraus!« Das Feuer loderte nun hoch auf, und dicke Dampfwolken zogen an den Fenstern vorüber, wo Bertram und Dinmont standen. Zuweilen trieb der Wind den Rauch in so dunkle Wolken zusammen, daß sich nichts mehr erkennen ließ; zuweilen wieder erhellte roter Lichtglanz Land und Meer und beschien die finstern, furchtbaren Gestalten, die mit wilder Eile ihre Kähne beluden. Das Feuer nahm mehr und mehr überhand; aus allen Fenstern des brennenden Gebäudes drangen die Flammen hervor, während der Wind lohende Stoffe gegen das anstoßende Gefängnis trieb und eine finstere Rauchschleppe sich über die ganze Gegend hinzog. Von allen Seiten her erscholl Geschrei von wilden Haufen, von Gesindel, das sich aus dem Städtchen und der Umgebung zu den Schleichhändlern geschlagen hatte, sobald es ruchbar geworden, daß sie im Vorteil geblieben, und das, wie immer, ungeachtet der späten Nachtstunde überall auf den Beinen war. Bertram war in ernstlicher Sorge. Im Hause rührte sich nichts mehr. Unheimliche Stille im ganzen Innern. Der Gefangenwärter schien Reißaus genommen zu haben und das Gefängnis mit all seinen unglücklichen Insassen den Flammen überlassen zu wollen, die es zu ergreifen drohten. Es wurde ein neuer heftiger Angriff auf das äußere Tor unternommen mit Hämmern und Brechstangen, und nicht lange, so waren die Schmuggler seiner Herr. Was von Dienstvolk noch da war, überlieferte willig die Schlüssel, und nun mischten sich die freigewordenen Gefangenen unter wildem Gejohle zwischen den Pöbel, der ihre Fesseln gesprengt hatte. Mitten in diesem Durcheinander stürzten Schleichhändler, einige mit geschwärzten Gesichtern, Fackeln schwingend und bewaffnet mit Säbeln und Pistolen, in Bertrams Gemach ... »Heidi!« rief ihr Führer, »hier kommen wir recht!« Zwei Männer packten Bertram; einer raunte ihm zu: »Keinen Widerstand, bis Ihr draußen seid!« und sich gleich darauf zu Dinmont wendend, setzte er ebenso leise hinzu: »Macht's wie Euer Kamerad – draußen aber rührt die Fäuste, sobald Ihr seht, daß es am Platze ist.« Dinmont, unter dem Drange der Umstände Gehorsam für das beste haltend, blieb Bertram dicht auf den Fersen, der von den beiden Schleichhändlern die Treppe hinunter, über den von der Flamme nun hell erleuchteten Hof in eine enge Gasse geschleppt wurde, zu der man vom äußern Tor gelangte. Hier staute sich der Menschenschwarm, und plötzlich dröhnte es wie Pferdegetrappel aus der Ferne herüber: ein Geräusch, nicht danach beschaffen, die Verwirrung zu mindern ... »Potz Pulver und Blei!« rief der Führer, »was ist das?« und zu dem Haufen gewandt, setzte er hinzu: »Zusammengehalten, Jungens! und laßt den Kerl nicht entwischen, den wir erwischt haben!« Aber an dem Umstände, daß diejenigen beiden, die Bertram führten, die letzten im Zuge waren, vermochte all sein Rufen und Wettern nichts zu ändern, denn es war unmöglich, vorzudringen. Alsbald kam es an der Spitze des Zuges zum Handgemenge. Schüsse fielen und Dragonersäbel blitzten über den Köpfen der Schmuggler. »Jetzt,« rief leise die Stimme wieder, die Bertram schon einmal gewarnt hatte, »nieder mit dem Kerl, und mir hinterher!« Es gelang Bertram, sich mit einem Ruck von dem Manne, der ihn am Kragen hielt, freizumachen. Zwar griff derselbe stracks zum Pistol, aber ein Schlag von Dinmonts kräftiger Faust streckte ihn im andern Augenblicke besinnungslos zu Boden. »Schnell hinter mir her!« rief die warnende Stimme wieder, und der Mann, dem sie gehörte, stieß sie durch eine enge, schmutzige Gasse, die aus der Straße führte, weiter. Da die Schleichhändler mit den von Mac Morlan herbeigeführten Reitern noch vollauf zu tun hatten, blieben sie unverfolgt. Die Reiter wären früher dagewesen, vielleicht früh genug, den Ueberfall zu verhüten, aber Mac Morlan hatte unterwegs sich durch die falsche Nachricht düpieren lassen, die Schleichhändler seien in der Bai von Ellangowan gelandet, und auf diese Weise waren beinahe zwei Stunden eingebüßt worden – ein Umstand, den man wohl, ohne gehässig zu erscheinen, Glossin auf Rechnung setzen dürfte; denn, daß die Reiter von Hazelwood ausgerückt waren, konnte ihm am wenigsten verborgen bleiben, andererseits lag ihm wahrlich genug daran, ihr Erscheinen vor dem Stockhause zu verzögern, wenn nicht gar zu verhindern. Bertram eilte inzwischen seinem Führer nach, und ihm folgte Dinmont. Das Geschrei, der Hufschlag, die Schüsse wurden schwächer und schwächer; aber sie machten nicht eher Halt als am Ende der Gasse, wo sie einen Wagen mit vier Pferden fanden .. »Seid Ihr zur Stelle? Sprecht im Namen Gottes!« rief der Führer den Kutscher an. »Ja, da bin ich, wollte aber, ich wäre sonstwo.« »Den Verschlag geöffnet! Flott in den Wagen herein, ihr Herren! Noch eine Weile, dann sind Sie geborgen!« So rief ihnen ihr unbekannter Führer zu, der gleich darauf sich zu Bertram wandte und ihm leise sagte: »Vergeßt das Versprechen nicht, das Ihr der alten Zigeunerin gabt!« Bertram, keine Sekunde im Zweifel, dem Unbekannten, der ihm solch außerordentlichen Dienst geleistet, blinden Gehorsam schuldig zu sein, stieg auf der Stelle ein; Dinmont folgte seinem Beispiel; der treue Silvan, der sich ihnen dicht auf den Fersen gehalten, sprang gleichzeitig mit Dinmont herein, und schnell flog der Wagen davon ... »Gebt acht,« sagte Dinmont, »nun kommt das Aergste! Potz Pulver und Kanonen! sie werden uns doch nicht umwerfen? Was bloß aus meinem Rappen geworden? Lieber wär's mir schon, ich säße auf seinem Rücken, als in solcher Kutsche, mag sie gleich einem Herzoge gehören!« Bertram erwiderte, ohne die Pferde zu wechseln, könnten sie unmöglich lange in solchem Tempo fahren; darum sei es kaum zu umgehen, daß in dem ersten Wirtshause, das sie träfen, Rast gemacht und der Tag abgewartet würde; dort würde sich Auskunft über Grund und Ziel der Fahrt einholen lassen, dort würde Dinmont nach seinem Pferde schicken können ... »Gott geb es!« meinte Dinmont; »wären wir nur erst wieder aus diesem Lärmkästen, dann sollte es ihnen schwer fallen, uns anderswohin zu schaffen, als in unserm Willen liegt.« Da machte der Wagen eine jähe Wendung. Den beiden Insassen zeigte sich das Städtchen noch immer im hellen Feuerschein, Ein Speicher, in welchem Branntwein lag, war von den Flammen ergriffen worden, eine Flackersäule von weißglühendem Scheine! Aber das grausig-schöne Schauspiel zu bewundern blieb ihnen nicht lange Zeit, denn bald machte der Wagen eine abermalige Wendung und bog in einen dichten Wald hinein, wo die Fahrt auf schmalem Pfade in tiefer Finsternis weiter ging. Fünfzehntes Kapitel Wir verließen Woodbourne in dem Augenblick, als Oberst Mannering seinen vertrauten Diener mit Aufträgen entließ, worauf er in Gedanken sich wieder in das Wohnzimmer begab. Die beiden Mädchen waren über sein Aussehen fast erschrocken, wußten aber, daß er selbst von Personen, die er herzlich liebte, neugierige oder teilnehmende Fragen nicht leiden mochte. Man setzte sich zum Tee, und die Stille wurde nicht unterbrochen, bis plötzlich ein Wagen vorfuhr und die Glocke Besuch ankündigte .. »Doch sicher noch einige Stunden zu früh,« sagte Mannering halblaut. Bald öffnete ein Diener die Tür und meldete Herrn Pleydell aus Edinburg. Mannering hieß ihn mit herzlichem Händedruck willkommen ... »Sie kommen mir gerade recht, Freund,« sagte er, – »ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich die erste Gelegenheit zu einem Besuche wahrnehmen würde; und wenn ich mich in dem Augenblicke von Edinburg losmache, da der Gerichtshof seine Sitzungen eröffnet, so ist das gewiß kein kleines Opfer; aber ich war der Meinung, meine Anwesenheit möchte hier von Nutzen sein; obendrein habe ich hier einem Zeugenverhöre anzuwohnen. Aber möchten Sie mich nicht den Damen vorstellen? .. Die eine kenne ich ja bereits – wenigstens lassen mich die bekannten Familienzüge nicht über ihre Abkunft im Zweifel ... Fräulein Bertram – Fräulein Lucy! – sehr erfreut, Sie wieder einmal zu sehen!« – Und also sprechend, legte er den Arm um ihre Taille und gab ihr einen herzhaften Kuß auf beide Wangen; Lucy errötete wohl, störte aber den lustigen alten Herrn nicht, der mit den Worten: »On n'arrête pas dans un si beau chemin,« sich bei der Tochter des Obersten, als sie ihm vorgestellt wurde, die gleiche Freiheit herausnahm, Julie machte sich, herzlich lachend, aber nicht minder tief errötend, los. »Bitte tausendmal um Verzeihung,« sagte Pleydell mit einer Verbeugung, die nichts weniger als linkisch war. »Alter und alte Sitten geben Vorrechte, und ich weiß wirklich nicht, ob ich's lebhafter bedaure, schon Anrecht darauf zu haben, als ich mich glücklich fühle, Gelegenheit zu so angenehmer Wahrung solchen Anrechts zu finden.« »Wer es versteht,« versetzte Julie lachend, »Missetaten durch so schmeichelhafte Worte gut zu machen, versetzt doch in Zweifel, ob ihm gestattet werden darf, sich unter den Schutz der genannten Eigenschaften zu flüchten!« »Du hast mehr denn recht, Julie, zu solcher Rede,« meinte der Oberst, »denn mein lieber Freund Pleydell ist ein sehr schlimmer Herr. – Als ich zum letztenmal das Vergnügen hatte, ihn zu sehen, saß er schon um acht Uhr früh im Tête-á-Tête mit einer reizenden Dame.« »Allerdings, lieber Oberst, aber Sie sollten doch nicht unerwähnt lassen, daß ich diese Gunst mehr meiner Schokolade als meiner Persönlichkeit zu verdanken hatte, denn solch einsichtsvolle Jungfrau wie die Rebekka, läßt sich nun einmal kein X für ein U machen.« »Was mich daran erinnert, Herr Pleydell,« fiel Julie ein, »Ihnen noch die Aufforderung zum Tee schuldig zu sein – wobei ich freilich voraussetze, daß Sie bereits zu Mittag gespeist haben.« »So gut, verehrtes Fräulein, wie sich in einem schottischen Wirtshause speisen läßt.« »Sagen wir statt gut, lieber schlecht, Freund Pleydell,« versetzte der Oberst, nach der Klingelschnur greifend; »da müssen wir schon für Besseres sorgen,« »Bitte, lassen Sie lieber,« antwortete Pleydell; »ich habe, als ich mich unten ein Weilchen aufhielt, um die Reisegamaschen abzustreifen, die mir doch ein bißchen zu weit waren –« hierbei warf er einen selbstgefälligen Blick auf sein für seine Jahre noch immer recht stattliches Bein, – »ein Wörtlein mit Ihrem Barnes und mit einer recht verständigen Person, die ich für Ihre Wirtschafterin angesehen – gesprochen, und dabei ist ausgemacht worden, daß dem Abendtische ein paar Wildenten beigefügt werden sollen – wir haben uns auch ein bißchen über die dazu notwendige Sauce unterhalten, und da ich bei genannter Dame hierüber die gleichen Ansichten fand, wie ich sie habe, so gestatten Sie mir wohl, mit der Magenfüllung so lange zu warten, bis die gute Dame mit ihrem lukullischen Werke erscheint,« »Aber wir essen heute früher als gewöhnlich,« sagte der Oberst, »Damit bin ich von Herzen einverstanden,« erwiderte Pleydell, »doch mache ich mir aus, daß die Gesellschaft der beiden jungen Damen mir bis dahin nicht verloren geht. Ich liebe die coena, das Mahl der Alten, und das gesellige Glas, das die Spinngewebe, mit denen uns Geschäfte und Sorgen tagtäglich das Gehirn umziehen, aus der Seele spült.« Den beiden Mädchen machte das lebhafte Wesen des alten Herrn und die ruhige Unbefangenheit, womit er die Bedürfnisse seiner epikuräischen Gemächlichkeit kund gab, viel Vergnügen; vor allem aber fand Julie Gefallen an ihm und widmete ihm eine so schmeichelhafte Aufmerksamkeit, daß die Artigkeiten auf beiden Seiten gar kein Ende nehmen wollten. Nach dem Thee faßte der Oberst den Arm des Rechtsgelehrten und führte ihn in eine, an das Wohnzimmer anstoßende Studierstube, in der es abends nie an Licht und Feuer fehlte. »Wie ich sehe,« begann hier Pleydell, »haben Sie mir etwas über Ellangowan zu sagen. Ist's irdischer oder himmlischer Art? Was spricht mein kriegerischer Albumasar? Haben Sie die Sterne befragt und die Zukunft berechnet?« »Nein, lieber Pleydell, Sie sind der einzige Ptolemäus, an den ich mich bei gegenwärtigem Anlasse wenden will, denn ich habe, ein anderer Prospero, meinen Stab zerbrochen und mein Buch ins Meer versenkt. Aber große Neuigkeiten, trotz allem, lieber Freund – trotz allem! Unsere Sibylle Meg Merrilies ist heute vor dem Magister erschienen und mag den Biedermann nicht wenig erschreckt haben,« »Was Sie sagen!« »Ja, und mir hat sie die Ehre eines Schriftwechsels angetan, in der Annahme, ich sei in die Geheimnisse der Sterndeutung noch eben so tief eingeweiht, wie zur Zeit unserer ersten Begegnung. Hier ist das Blättchen, das der Magister mir behändigt hat.« Pleydell setzte hurtig die Brille auf die Nase. »Was für ein Gekritzel, Inizialbuchstaben so spitz und gerade wie die Spanferkelrippen! Ich kann's nicht entziffern – wenigstens nur langsam,« »Lesen Sie doch laut,« meinte Mannering. »Versuchen will ich's ... Ihr könnt's wohl suchen, wißt's aber nicht zu finden. Ihr gabt Euch Mühe, ein wackliges Haus zu stützen, hattet aber etwas wie Ahnung, es wieder erstehen zu sehen. Helft jetzt bei dem Werke, das nahe ist, wie Ihr das ferne Schicksal im Auge hieltet. Laßt heute nacht um zehn Uhr beim Graben von Portanferry einen Wagen halten und die Leute nach Woobourne bringen, die die Eurigen fragen werden, ob sie da seien, in Gottes Namen. Halt, nun kommen gar Verse: Was dunkel ist, soll Licht Und Unrecht werden Recht, Und Bertrams Recht und Bertrams Macht Auf Ellangowan sind erwacht.« Fürwahr, ein Brief mit sieben Siegeln,« rief Pleydell, »der kumäischen Sibylle würdig. Und wie haben Sie sich dazu verhalten?« »Nun, eine Gelegenheit, Licht in die Sache zu bringen, wollte ich mir nicht entgehen lassen. Das Weib mag ja nicht ganz bei Verstand sein, und vielleicht beruht alles, was sie redet, bloß auf Einbildung: aber Sie waren ja selbst der Meinung, daß Meg Merrilies von der wunderlichen Geschichte mehr wisse, als sie je gesagt habe,« »Sie haben den Pagen also an den bezeichneten Ort geschickt?« »Wenn ich ja sage, lachen Sie mich vielleicht aus!« »Ich? ganz gewiß nicht! Ich möchte eher meinen, es sei das klügste, was Sie tun konnten.« »Nun, schlimmstenfalls wäre der Fuhrlohn hinausgeworfen gewesen. Kurz und gut, ich habe einen Vierspänner von Kippletringan abgehen lassen und den Kutscher angewiesen, sich nach dem Schreiben zu verhalten. Einen harten Stand wird er in der kalten Nacht freilich haben, wenn wir falsch berichtet wurden.« »Wir dürften meiner Ansicht nach das Gegenteil erfahren. Die alte Hexe hat ihre Rolle so lange gespielt, daß sie endlich selbst daran glaubt oder, falls ihr Tun nur eitel Trug und sie dabei tatsächlich frei von Selbsttäuschung sein sollte, vielleicht darauf sehen zu müssen meint, daß sie nicht aus der Rolle fällt. Eins darf ich sagen, daß bei ihr alle gewöhnlichen Mittel, aus einem Menschen was herauszubringen, nichts gefruchtet haben. Das klügste, was wir tun können, dürfte vielleicht noch sein, ihr die Sache ganz in die Hand zu geben, – ich meine, es ihr zu überlassen, wie sie dabei vorgehen will. Nun, sind wir fertig? Oder haben Sie noch etwas auf dem Herzen? Wenn nicht, so wollen wir zu unseren schönen Damen zurückgehen.« »Ich fühle mich heute über die Maßen erregt und – doch nein, ich habe nichts mehr auf dem Herzen, bloß die Minuten zählen werde ich, bis der Wagen kommt. Daß Sie meine Ungeduld teilen, darf ich freilich nicht erwarten.« »Warum nicht? Gewohnheit ist die Mutter alles Schlendrians, im Tun wie im Denken. Drum nehme ich gewiß lebhaften Anteil an Ihrem Empfinden, werde aber über die Zwischenzeit wohl hinwegkommen, wenn die jungen Damen so nett sein wollen, uns mit etwas Musik zu unterhalten.« Mit diesen Worten stand er auf und ging in das Wohnzimmer, wo sich Julie auf seine Bitte ans Klavier setzte. Lucy Bertram, die im Vortrag von Liedern ihrer Heimat Vorzügliches leistete, begleitete die Freundin, die zuletzt noch ein Paar Sonaten von Diabelli zum besten gab. Der alte Rechtsgelehrte, der einem Edinburger Musikkränzchen angehörte, und das Cello leidlich spielte, war so erbaut über diese improvisierte Abendunterhaltung, daß ihm die Wildenten ganz aus dem Gedächtnis gekommen zu sein schienen, als Lakai Barnes zur Abendtafel invitierte. »Sage Mrs. Allan,« befahl der Oberst dem Diener, »sie möge sich auf weitere Gäste einrichten. Ich rechne – wollte sagen hoffe, daß wir heute abend noch Gesellschaft bekommen. Bleib Du mit den übrigen Leuten auf! Das äußere Hoftor wird heute nicht eher geschlossen, als ich Befehl dazu gebe.« »Aber wer könnte noch kommen, Papa?« fragte Julie verwundert. »Nun, ein paar Fremde vielleicht, die heute abend noch mit mir sprechen wollen – in Geschäften natürlich, es ist aber auch noch ganz ungewiß.« »Wir werden Ihnen aber die Störung nicht verzeihen, außer sie bringen eine ebenso freundliche Laune, ein ebenso offenes Herz mit, wie mein Freund, und wie er sich selbst zu nennen liebt, Verehrer, Herr Pleydell,« erwiderte Julie. »O, Fräulein Julie,« versetzte Pleydell, ihr höflich den Arm reichend, um sie ins Speisezimmer zu führen: »es hat eine Zeit gegeben – damals als ich von Utrecht nach England zurückkam, anno 1788 –« »O bloß nicht tempi passati streifen, Herr Pleydell, wir haben Sie lieber, so wie Sie jetzt sind, Utrecht! Du lieber Gott! Ein Glück für uns, daß Sie all die spätere Zeit darauf verwandt haben, sich von den Schlacken Ihrer holländischen Kultur wieder zu säubern.« »O, bitte sehr, mein Fräulein, die Holländer sind weit galanter gegen Frauen, als ihre quecksilbrigen Nachbarn zugeben wollen: Pünktlich wie die Uhr sind sie in ihren Huldigungsbeweisen.« »Das möchte mich bald ennuyieren,« meinte Julie. »Und von unerschütterlichem Ebenmaße in allem Tun und Lassen.« »Was mich noch viel weniger reizen könnte!« »Und hat Ihnen Ihr Galan sechsmal dreihundertfünfundsechzig Tage lang den Pelzkragen um den Hals gelegt und das Kohlenbecken unter die Füße geschoben, im Winter Sie im Sitzwägelchen über das Eis und im Sommer im Kabriolett durch den Staub gefahren, so dürfen Sie ihm ohne Grund und Entschuldigung über Nacht den Abschied geben am zweitausendeinhundertundneunzigsten Tage – so lange wird ungefähr, das Schaltjahr nicht gerechnet, die Periode der supponierten Verehrung dauern, – und nicht einmal in dieser Zeitspanne wird sich für Ihre Empfindungen die mindeste Veranlassung zu Besorgnissen, daß Mynheer durch seine Zärtlichkeit in irgendwelche Schwulitäten kommen könnte, geboten haben,« »Nun, Herr Pleydell, das letzte ist wahrlich Empfehlung für einen Sohn Hollands – doch müßten Gläser und Herzen in der Welt dann alles Wertes verlustig gehen, wenn sie nicht zerbrechlich wären.« »Darum, liebes Fräulein, ist es ja doch ebenso schwer, Herzen zu finden, die noch brechen, und eben darum möchte ich jetzt mein Glas erheben – aber ich sehe, Herr Sampson hält die Augen schon geschlossen und die Hände gefaltet, um das Tischgebet zu sprechen – und die Wildenten sehen gar zu appetitlich aus –« Damit setzte er sich und setzte alles Süßholzraspeln außer Kurs, um den die Tafel zierenden Finessen schottischer Küche alle gebührende Ehre zu erweisen. Geraume Zeit ließ er nichts mehr von sich hören, eine kleine Lobrede auf die Köchin ausgenommen, bis ihn endlich Julie unterbrach. »Ei, ei, Herr Pleydell, gleich am ersten Tage muß ich es erleben, daß mir ein so schlimmer Rivale um Ihre Verehrung erwächst?« »Bitte um Pardon, schönes Fräulein, einzig und allein Ihre Strenge hat mich zu der Taktlosigkeit verführt, mir in Ihrer Gegenwart einen guten Happenpappen schmecken zu lassen. Wie ließe sich Ihrer Strenge stand halten, wollte man nicht für Auffrischung der Kräfte sorgen? Nach diesem und keinem andern Grundsätze vergönnen Sie mir, bitte, die Freiheit, Ihnen ein Gläschen zu kredenzen?« »Wohl auch Utrechter Sitte?« »Bitte um Pardon, liebes Fräulein. »Die Franzosen, bekanntlich Muster in der Galanterie gegen das schöne Geschlecht, geben dem Gastwirte den Namen Restaurateur, doch sicher im Hinblick auf die Stärkung und Erfrischung, die er dem geknickten Liebhaber zu bieten vermag, der sich vom Busen seiner gestrengen Herzensdame hinweg an den seinen flüchtet – wie auch ich jetzt tun möchte, indem ich Herrn Sampson bitte, mir noch einen Entenflügel zu reichen,« Während der alte Herr, durch Juliens Lebhaftigkeit und Aufmerksamkeit erfreut, sie und sich selber zu unterhalten suchte, konnte Mannering seine Ungeduld nicht mehr bemeistern, stand von der Tafel auf unter dem Vorwande, nie viel zu Abend zu essen, rannte in der Stube auf und nieder, trat bald ans Fenster, um in die Nacht hinauszusehen, lauschte bald unruhig, ob sich nicht draußen ein Wagen hören ließe, und verließ endlich, von seiner Ungeduld getrieben, das Zimmer, stülpte sich den Hut auf, warf den Mantel über und lief draußen auf dem Baumwege herum, der zu dem Landhause führte. »Wenn sich der Oberst doch nicht nachts ins Freie hinauswagen möchte!« sagte Lucy; »Sie haben wohl von dem Schrecken gehört, Herr Pleydell, den wir jüngst hier ausgestanden haben?« »Mit den Schleichhändlern meinen Sie?« fragte der Advokat; »das sind ja alte Bekannte von mir, habe vor langer Zeit, als ich hier Sheriff war, einige dieser Brüder nach Nummer Sicher gebracht.« »Einer hat seinen Rachedurst an uns stillen wollen – ach! waren das schreckliche Stunden!« rief Lucy. »Sie meinen Herrn Hazlewoods Verwundung?« fiel Pleydell ein, »davon habe ich auch gehört.« »Sie können sich gar nicht denken, Herr Pleydell, wie es uns angegriffen hat, Fräulein Mannering und mich! war's doch ein Räuber, der auf uns losstürzte, gleich schrecklich durch seine Stärke, wie durch den wilden Ausdruck seines Gesichts,« »Die Sache liegt hier nämlich so, Herr Pleydell,« nahm Julie hier das Wort, die ihren Verdruß über diese, wenn auch unabsichtliche, so doch nicht minder garstige Schmähung ihres Anbeters nicht länger unterdrücken konnte, »daß der junge Hazlewood bei den Damen der hiesigen Gegend für solchen Seladon gehalten wird, daß ihm keiner ein Haar krümmen oder auch nur zu nahe treten darf, ohne gleich für einen Strauchdieb oder einen Fra Diavolo gehalten zu werden.« »Oho!« dachte Pleydell, ein scharfer Beobachter, wie es ja sein Beruf schon mit sich bringt, »zwischen den beiden Mädchen ist doch sicher etwas nicht ganz in Ordnung!« – »Ich habe den jungen Herrn Hazlewood,« wandte er sich an Julien, »schon seit Jahren nicht gesehen, und so muß ich schon wohl oder übel unsern Damen ihr Recht lassen; aber glauben Sie mir, Sie mögen spotten, soviel Sie wollen, wer wirklich hübsche junge Männer sehen will, der muß nach Holland gehen. Einen schönern Mann, als den jungen Vanbost oder Vanbuster, oder wie der barbarische Name sonst geheißen haben mag, habe ich mein Lebtag nicht wiedergesehen.« Nun war die Reihe an Julien, aus der Fassung zu kommen; zum Glück trat gerade jetzt der Oberst wieder herein ... »Ich höre noch nichts,« sagte er; »doch bleiben wir noch beisammen. Wo ist Sampson, unser Magister?« »Hier, Herr!« »Was haben Sie da für ein Buch in der Hand, lieber Sampson?« »De Lyra, Herr! Ich wollte Herrn Pleydell um seine Meinung über eine streitige Stelle bitten.« »Lieber Herr Sampson,« beschied ihn Pleydell, »dazu bringen Sie mich momentan nicht, so lange mich ein kräftigeres Metall anzieht, wie unsere schönen Damen, die ich noch immer zu bestimmen hoffe, eins mit mir zu singen, heißt es doch in Edinburg, daß sich mein Baß ganz gut hören lassen könne – lassen Sie also Ihren de Lyra vorläufig von der Tagesordnung, mein Lieber.« Sampson klappte das Buch zu, nicht wenig verwundert, wie sich ein so gelehrter Mann wie Herr Pleydell mit dergleichen Tand befassen könne. Den alten Herrn ließ es aber jetzt sehr kalt, ob er seinen Ruf als Gelehrter in Gefahr setzte oder nicht, sondern füllte seinen Humpen mit Burgunder und animierte, mit seiner schon stark »lädierten« Stimme die Melodie zum »alten Matrosen« anstimmend, die jungen Damen lustig, ihn zu begleiten – wozu sich beide auch nicht lange nötigen ließen. Endlich schlug es ein Uhr ... »Heute wird's nichts mehr werden,« meinte Mannering, schon lange am Ende seiner Geduld, und wollte eben vom Fenster wegtreten, – doch was nun folgt, erheischt ein besonderes Kapitel Sechzehntes Kapitel »Ein Wagen!« rief Mannering dumpf, die Uhr, die er aus der Tasche genommen, wieder einsteckend – »oder rauscht der Wind durch die kahlen Bäume? Treten Sie ans Fenster, Herr Pleydell!« Pleydell saß, mit seinem großen seidenen Schnupftuch in der Hand, neben Julien, in einer seiner Meinung nach interessanten Unterhaltung, leistete aber, nachdem er vorher, um sich nicht zu erkälten, sein Schnupftuch um den Hals geworfen, der Aufforderung Mannerings auf der Stelle Folge. Rädergerassel wurde nun deutlicher hörbar. Pleydell, als ob er seiner Neugier nun die Zügel schießen ließe, rannte zur Tür hinaus; Mannering rief seinen Diener und hieß ihn die Insassen des in der Herfahrt begriffenen Wagens in ein besonderes Zimmer führen, da man sich doch erst vergewissern müsse, wer es sei. Noch aber hatte er nicht seinem Befehl vollen Ausdruck gegeben, als sich auch schon die Tür öffnete. »Sieh da,« rief Pleydell von draußen, »unser Freund aus dem Liddes-Tale, mit einem kräftigen jungen Burschen von gleichem Schlage.« Dinmont erkannte den befreundeten Anwalt gleich an der Stimme ... »O, wenn Sie es sind, Herr Pleydell,« rief er lustig, »dann ist alles auf gutem Wege.« Während er stehen blieb, dem Anwalt sein Kompliment zu machen, trat Bertram, von dem jähen Lichtglanz geblendet und über die Situation noch völlig im unklaren, in die ihn sein letztes Abenteuer gebracht, in die offene Tür, fast ohne es zu wissen, und erkannte nun seinerseits den ihm entgegentretenden Oberst. Der helle Lichtschein im Zimmer ließ keinen von beiden über sich im Zweifel, und einer war über die unerwartete Begegnung genau so betroffen wie der andere. Mannering hatte den Mann vor Augen, den er in Indien ums Leben gebracht zu haben glaubte; Julie erblickte ihren Geliebten in einer für ihn höchst gefahrvollen Lage, und Lucy erkannte im Nu den Mann, der ihrer Meinung nach auf Charles Hazlewood geschossen hatte, Bertram aber, seinerseits in der Meinung, den starren Ausdruck im Gesicht des Obersten als Unwillen über seine Zudringlichkeit deuten zu müssen, entschuldigte sich auf der Stelle, er sei nicht aus freiem Willen hier, wisse nicht, wer ihn hierhergebracht, und habe auch nicht gewußt, wohin man ihn Zu bringen vorgehabt. »Herr Brown, sofern ich nicht irre?« fragte Oberst Mannering, »Jawohl, Herr, derselbe, den Sie in Indien kannten,« versetzte Bertram bescheiden, »und der sich der Hoffnung hingibt, trotz allem, was Ihnen damals über ihn bekannt geworden, als Mann von Ehre vor Sie treten und auf Ihr Zeugnis als solcher anderen gegenüber rechnen zu dürfen.« »Herr Brown, solche Ueberraschung habe ich selten, fast wohl nie erlebt – aber daß ich Sie nach dem zwischen uns Vorgefallenen für berechtigt halte, sich auf mein Zeugnis zu berufen, darüber meine ich Sie keine Sekunde im unklaren lassen zu dürfen.« Pleydell sah zu seiner nicht geringen Verwunderung, wie der Oberst fast sprachlos war, wie Lucy sich kaum auf den Füßen halten konnte, wie Julie sich umsonst bemühte, die Fassung zu behalten. ... »Was geht denn vor?« rief er; »hält dieser junge Mensch etwa das Gorgonenhaupt in seiner Hand? Vergönnt mir doch einen Blick auf ihn! – Meiner Treu!« meinte er leise bei sich, »das leibhaftige Ebenbild des alten Ellangowan! Die Hexe hat Wort gehalten!« Er trat schnell zu Lucy, »Sehen Sie doch den jungen Mann an, Lucy! Haben Sie nicht schon jemand in Ihrem Leben gesehen, der ihm aufs Haar ähnlich war?« Lucy hatte auf den Mann, in welchem sie auf der Stelle denjenigen wiedererkannte, der das Leben ihres Geliebten bedroht hatte, nur einen flüchtigen Blick geworfen; aber Furcht lähmte sie dermaßen, daß sie außerstande war, der Aufforderung des Anwaltes nachzukommen ... »Sprechen Sie mir nichts von ihm!« rief sie leise, »um Gottes willen nicht! Schicken Sie ihn weg – weit weg – denn er bringt uns alle noch um!« »Umbringen?« wiederholte Pleydell, nicht ohne Unruhe, »Aber ich bitte Sie! Wir sind unser drei, das Dienstvolk nicht gerechnet. Und unsern ehrlichen Freund aus dem Liddes-Tale rechnen Sie nicht? und doch wiegt er ein halbes Dutzend Landsknechte auf. Immerhin, David, Dindie, oder wie Ihr Euch nennt, faßt Posten zwischen dem Patron und uns, zum Schütze unserer Damen.« »Ei, du meine Güte, Herr Pleydell, das ist ja doch Rittmeister Brown. Kennt Ihr ihn denn nicht?« »Nein,« antwortete Pleydell, »aber wenn Ihr Euch gut mit ihm steht, werden wir wohl nichts zu fürchten haben; doch haltet Euch immerhin in unserer Nähe.« Alles dies spielte sich so geschwind ab, daß Sampson in seiner Ecke nicht einmal Zeit blieb, sich zu sammeln; er klappte das Buch zu, worin er gelesen hatte, und machte einen Schritt vorwärts, um sich die Fremden anzusehen. Aber kaum hatte er einen Blick auf Bertram geworfen, als er auch mit lauter Stimme rief: »Wenn Gräber Tote wiedergeben können, dann ist dies mein lieber, über den Tod hinaus verehrter Herr!« »Beim Himmel, Sie haben recht,« rief Pleydell, »und ich wußte es! Das wahre Ebenbild seines Vaters! Aber was fehlt Ihnen, lieber Oberst, daß Sie Ihren Gast nicht willkommen heißen? Ich glaube, ich hoffe, ja – ich weiß: wir sind im Recht, Nie ist mir solche Aehnlichkeit vor Augen gekommen. Aber Geduld! – Sampson, sagen Sie nichts, und Sie, junger Herr, setzen Sie sich!« »Bitte,« versetzte Bertram, »ich bin, wie ich höre, im Hause des Obersten Mannering, und möchte zuvor hören, ob er Anstoß an meinem zufälligen Erscheinen nimmt, oder ob er mich willkommen heißen will.« Oberst Mannering überwand die Regung in seinem Herzen und zwang sich zu der Antwort: »Willkommen? O, gewiß; vor allem, wenn Sie mir sagen können, wie ich mich Ihnen dienstfertig zeigen kann. Manches Unrecht habe ich ja doch gegen Sie gut zu machen. Eine innere Stimme hat es mir schon oft gesagt, aber Ihr so plötzliches und unerwartetes Auftauchen hat mancherlei schmerzliche Erinnerung geweckt und mich zunächst verhindert, Ihnen zu sagen, daß Ihr Besuch mir angenehm ist, gleichviel, welchem Umstände ich ihn beizumessen habe,« Bertram verneigte sich vor dem, wenn auch höflichen, so doch ernsten Manne dankbar, doch zurückhaltend. »Liebe Julie,« nahm der Oberst wieder das Wort, »besser möchte es wohl sein, wenn Du uns verließest; Herr Brown wird Dich entschuldigen! Mancherlei Erinnerungen rufen Dir, wie ich sehe, schmerzliche Gedanken wach.« Julie stand auf und verließ das Zimmer, hatte aber, als sie an Bertram vorbeiging, nicht umhin gekonnt, ihm zuzuflüstern: »Unbesonnener! Zum zweitenmale!« Niemand als er hatte die Worte vernommen. Lucy ging mit ihrer Freundin hinaus. Ihr war der Schreck so in die Glieder gefahren, daß sie sich nicht traute, noch einen zweiten Blick auf diesen Mann des Grauens zu werfen; es mußte ein Mißverständnis obwalten, das merkte sie, und sie wollte die Verwirrung nicht dadurch vermehren, daß sie den Fremden als Mörder hinstellte; sah sie doch, daß der Oberst ihn kannte und als Ehrenmann behandelte; die Tat fiel ihm also entweder gar nicht zur Last, oder Hazlewood hatte doch recht, daß das Gewehr durch einen unglücklichen Zufall losgegangen war. Tiefes Schweigen herrschte nun; jeder war zu rege mit sich selbst beschäftigt, als daß es ihm hatte auffallen können, was mit den andern vorging. Bertram sah sich unvermutet in dem Hause des Mannes, in welchem er bald seinen persönlichen Feind erblicken mußte, bald wieder den Vater seiner Geliebten zu achten sich verpflichtet sah. In Mannering kämpfte der rege Sinn für Höflichkeit und Gastfreundschaft, das frohe Bewußtsein, sich der Schuld, ein Menschenleben im Zweikampfe zerstört zu haben, ledig zu wissen, mit den in seinem stolzen Gemüt älter eingesessenen Empfindungen von Abneigung und Vorurteil, die jetzt von neuem erwachten, als ihm der Mann, der sie geweckt hatte, vor Augen stand, Sampson fühlte sich so heftig ergriffen, daß er sich auf eine Lehne stützen mußte; keinen Blick ließ er von Bertram, und auf sein Gesicht trat ein Ausdruck so heftiger Bestürzung, daß sich seine Züge förmlich verzerrten. Dinmont, in seinem weiten zottigen Oberrock an den Bären in seinen Bergen erinnernd, blickte mit seinen großen Augen ganz verdutzt auf das seltsame Schauspiel. Pleydell allein war ganz in seinem »esse« und sah sich pfiffig und rege um; seine Gedanken waren schon bei dem absonderlichen, fast präcedenzlosen und mysteriösen Prozesse, der ihm winkte, und aus dem er sich als Sieger hervorgehen sah – er kam sich vor wie ein Feldherr, umgeben von seinem Generalstabe, dem das Herz vor Stolz darüber schwillt, daß er allein die schwierige Aufgabe, den Kampf zum Siege zu wenden, lösen solle und lösen könne – »Kommt, meine Herren,« rief er, lebhaft hin und her tretend, »das fällt alles in meinen Ressort – das muß ich alles für euch alle ins Lot bringen ... Bitte, Platz zu nehmen, mein lieber Oberst, und bitte, freie Hand! – Herr Brown, bitte, gleichfalls Platz zu nehmen – auf quocunque alio nomine voceris – Magister Sampson, keine Umstände, und braver Dinmont, nieder auf den Stuhl da!« »Ich weiß nicht, Herr Pleydell,« versetzte dieser mit einem Blick von seinem groben Rock hinüber auf das stattliche Zimmergerät – »aber es wäre wohl besser, ich ginge anderswohin, und ließe Sie allein, bis Sie mit Ihrer Angelegenheit ...« Der Oberst erkannte erst jetzt den ehrlichen Landmann und hieß ihn von Herzen und mit ein paar artigen Worten, daß er nach allem, was er in Edinburg von ihm gesehen, überzeugt sei, sein grober Rock und derbes Schuhzeug dürfte sich in jedem Prunkgemache mit Ehren sehen lassen, willkommen. »Nein, nein, Herr Oberst, Landvolk paßt bloß aufs Land, aber daß ich gern erführe, ob das Glück dem Rittmeister heute 'mal hold sein wird, kann ich nicht in Abrede stellen. Anderseits weiß ich freilich, daß alles gut und recht gehen wird, was der Herr Pleydell in die Hand nimmt.« »So stimmt's, Dandie Dinmont,« versetzte Pleydell, »und nun still verhalten! – Also, jetzt sitzen wir alle! Aber ehe ich mit meinem Sermon beginne, noch ein Glas Wein! ... Und dann, mein lieber junger Herr, wer und was sind wir?« So betroffen sich auch Bertram fühlte, so konnte er bei diesem, Verhörsanfange sich einer Anwandlung, zu lachen, nicht erwehren ... »Ich muß nun freilich sagen,« erwiderte er, »daß ich das bisher zu wissen gemeint habe; jüngst sind aber mancherlei Dinge passiert, die mich in dieser Meinung einigermaßen erschüttert haben.« »Und welcher Meinung über sich waren Sie bisher?« »Nun, daß ich Vanbeest Brown sei, dem Namen nach, den ich führte. Ich habe als Freiwilliger im Ostindischen Dragonerregiment des Herrn Obersten gedient und darf wohl hinzusetzen, daß ich die Ehre hatte, ihm damals nicht unbekannt zu sein.« »Das trifft zu,« versetzte Mannering, »und hinzusetzen darf ich, daß Herr Brown sich recht intelligent und mutig erwiesen hat.« »Läßt sich hören, Herr Oberst – läßt sich hören,« fiel ihm Pleydell ins Wort; »doch das gehört ins allgemeine Auskunftswesen. Wir müssen jetzt von Herrn Brown hören, wo er das Licht der Welt erblickt hat.« »Meines Wissens in Schottland, doch kann ich den Ort nicht nennen.« »Besinnen Sie sich auf keinerlei Umstände aus Ihrem frühesten Leben, ehe Sie aus Schottland den Fuß setzten?« »Kaum – von unbestimmten Erinnerungen abgesehen, daß ich in meiner ersten Kindheit viel Liebe und Güte erfahren, und daß ich einen lieben freundlichen Herrn Papa und eine kränkliche Dame Mama genannt habe; aber dies alles steht mir nur wirr und unklar vor der Seele. Doch eines langen, magern, schwarzgekleideten Mannes, der mir Unterricht im Schreiben und Lesen gab, und mit mir ins Freie hinausging und, soweit ich mich besinnen kann, gerade in der letzten Zeit meiner glücklichen Kindheit – erinnere ich mich noch –« Sampson konnte sich nicht länger halten; verriet ihm doch jedes Wort, das der junge Mann sprach, daß der Sohn seines Wohltäters vor ihm stand. Wohl hatte er sich bis jetzt Gewalt angetan, seine Erschütterung zu verbergen; als aber Bertram sich seiner so unmittelbar zu entsinnen anfing, als er von ihm in so treffenden Worten zu reden anfing, da konnte der ehrliche Magister nicht mehr an sich halten, und aufspringend und die Hände zusammenschlagend, rief er mit schlotternden Gliedern und mit Tränen in den Augen: »Harry Bertram, sieh mich an, bin ich es nicht gewesen, der Dich lehrte und leitete?« »Ja!« rief Bertram, von seinem Stuhle emporfahrend, als ob es Licht in seinem Geiste würde; »ja, so hat der Mann mich gerufen – und jetzt erkenne ich Stimme und Gestalt des Mannes, der mir ein guter, sanfter Lehrer war.« Sampson riß Bertram an seine Brust mit einer Inbrunst, die sein ganzes Wesen erschütterte. Mannering verbarg die Bewegung nicht, die auch ihn ergriffen hatte; und Pleydell verzog das Gesicht und putzte an den Gläsern seiner Brille herum, während Dinmont heftig zu schlucken anfing und mühsam stotterte: »Ein Teufelsbraten, dieser Rittmeister – kriegt's, weiß es Gott, fertig, das etwas über mich kommt, was ich seit meiner alten Mutter Tode nicht gespürt habe!« »Achtung jetzt!« rief Pleydell; »noch sind wir nicht zu Ende – bevor der Tag graut, wird es, vermute ich, noch weitere Arbeit setzen.« »Ich will ein Pferd satteln lassen, wenn Sie meinen,« fiel der Oberst ein. »Nein, nein! Dazu ist noch Zeit! Aber, Magister, Sie haben nun Zeit genug gehabt, Ihrer Empfindungen Herr zu werden. Ich muh die Sache richtig in die Hand nehmen. Jahren wir also fort!« Sampson war an Gehorsam gegen jeden Befehl gewöhnt, der ihm erteilt wurde. Er sank auf seinen Stuhl zurück, hielt sich das Schnupftuch vor die Augen und faltete die Hände über der Brust, woraus sich folgern ließ, daß seine Seele sich dankend zum Himmel erhob. So saß er nun in sich gekehrt, den Blick nur zuweilen hebend, um sich zu vergewissern, daß die liebe Gestalt seines einstigen Schülers nicht etwa verschwunden sei, in fromme Betrachtungen versunken, bis der Anwalt durch weitere Fragen an Bertram ihn auf neue Gedanken brachte. »Und nun,« sagte Pleydell, nachdem er noch mehreres über Dinge gefragt, die in Bertrams Kindheit gehörten – »mein lieber Herr Bertram, – denn es wird sich nun wohl so gehören, daß wir Sie bei Ihrem rechten Namen nennen – nun erzählen Sie uns doch, bitte, was Ihnen noch darüber, wie Sie Schottland verlassen haben, in Erinnerung geblieben.« »Ich weiß mich zwar auf den grausigen Tag noch deutlich zu besinnen, aber eben der Schreck über all jene Geschehnisse hat die nähern Umstände in meiner Seele gänzlich verwirrt und verwischt. Nur daß ich mich irgendwo im Freien befand – wenn ich mich nicht irre, in einem Walde, das ist mir im Gedächtnis geblieben.« »Richtig, lieber Harry, im Warroch-Walde war es,« rief Sampson lebhaft. »Still, Herr Magister,« fiel ihm Pleydell ins Wort. »Ja, in einem Walde war's,« nahm Bertram wieder das Wort, in dessen Geiste sich die Gedanken langsam zu ordnen anfingen, »und jemand war bei mir, der würdige Herr dort, glaub' ich–« »Ja, ja, Harry, Gott segne Dich! Ich war es – ich war es!« rief Sampson. »Ruhig, Magister,« rief Pleydell wieder – »lassen Sie doch unsern jungen Freund sich selbst finden und sammeln« – dann wandte er sich wieder zu Bertram: »und weiter?« »Dann hab ich auf einem Pferde gesessen, vor dem Manne, glaub ich, der bei mir war.« »Nein, nein!« rief Sampson; »ich habe meine Glieder nie in solche Gefahr gesetzt, und Deine, Harry, erst recht nicht.« »Das kann ja kein Mensch aushalten!« rief Pleydell; »noch ein Wort, Magister, ohne meine Erlaubnis, und ich lese drei Sprüche aus dem schwarzen Buche, schwinge dreimal meinen Stab ums Haupt, vernichte alles Zauberwerk dieser Nacht und verwandle unsern Harry Bertram flugs wieder in Vanbeest Brown.« »Bitte vielmals um Verzeihung, würdiger Herr Pleydell,« rief Sampson kläglich, »es war ja nur verbum volans.« »Sie haben eben nolens volens den Schnabel zu halten, Magister,« versetzte der Anwalt mit kurioser Barschheit. »Für Ihren jungen Freund, mein Lieber,« wandte sich der Oberst an Sampson, »ist es freilich von Belang, wenn Herr Pleydell in seinen Fragen ungestört bleibt,« »Ich will ja stumm sein wie das Grab,« erklärte Sampson eingeschüchtert. »Da sprangen plötzlich Männer auf uns zu,« erzählte Bertram weiter, »und rissen uns vom Pferde ... Aber von da ab weiß ich nur noch, daß es zu einem wilden Kampfe kam zwischen dem Manne, der hinter mir gesessen hatte, und den Männern, die uns überfallen hatten – und daß ich zu entfliehen suchte, aber von einem großen Weibe, das aus dem Gebüsch hervorstürzte, gepackt wurde, das mich mit wegriß, – – – auf mehr kann ich mich nicht entsinnen, alles andere liegt wie ein banger Traum auf mir – nur eine matte Erinnerung habe ich noch von einem Strande und einer Höhle, und daß ich durch ein starkes Getränk in langen Schlaf versetzt worden bin. Von da ab ist aber eine weite Lücke in meinem Gedächtnis bis zu der Zeit, wo ich mich als Schiffsjungen an Bord einer Schaluppe wiederfinde, bis ich dann nach Holland unter dem Schutze eines alten Kaufherrn gelangt bin, der mich sehr lieb gehabt hat.« »Und was hat Ihnen dieser alte Kaufherr über Ihre Herkunft gesagt?« »Wenig, und hat mir obendrein befohlen, nicht weiter zu forschen. Mein Vater habe Schleichhandel an der östlichen Küste Schottlands getrieben und sei in einem Gefechte mit der Zollwache umgekommen; Kameraden von ihm hätten mich aus Mitleid nach Holland geschafft. In meinen spätern Jahren schien mir freilich mancherlei mit meinen Erinnerungen nicht übereinzustimmen; ich besah aber keine Mittel, mich solcher Zweifel zu entledigen, und keinen Freund, mit dem ich darüber hätte sprechen können, Ueber mein späteres Leben ist Oberst Mannering unterrichtet. Ich fand in Ostindien Unterkunft als Kommis in einem holländischen Handlungshause, das aber fallierte, habe mich dann beim Militär anwerben und mir während des Dienstes nichts zu schulden kommen lassen, bin vielmehr ziemlich rasch befördert worden.« »Aber die Geschichte mit Hazlewood?« fragte Pleydell. »Sie ist weiter nichts, als ein unglücklicher Zufall,« versetzte Bertram; »ich war auf einer Erholungstour durch Schottland und acht Tage beim Pächter Dinmont gewesen, mit dem ich zufällig bekannt, und, wie ich zu meinem Glücke sagen darf, befreundet geworden –« »Für mich war's ein Glück,« fiel ihm Dinmont ins Wort, »denn wenn er nicht gewesen wäre, hätten mir ein Paar Strolche auf der Heerstraße den Schädel eingeschlagen!« »Bald nachher – wir hatten uns im nächsten Städtchen getrennt – wurde mir mein Gepäck gestohlen, und in Kippletringan traf ich zufällig mit dem jungen Hazlewood zusammen, als ich auf Fräulein Mannering zutreten wollte, um ihr als einer ostindischen Bekanntschaft guten Tag zu sagen. Es mag wohl sein, daß mein Touristenanzug bei dem jungen Herrn keine hohe Meinung von mir geweckt hat; er hieß mich gehen; mein Stolz bäumte sich dagegen auf, und so wurden wir handgemein, und mir passierte das Mißgeschick, ihn durch einen unglücklichen Zufall zu verwunden. Hiermit meine ich nun, Ihnen volle Beichte abgelegt zu haben –« »Noch nicht,« fiel ihm Pleydell ins Wort, mit den Augen zwinkernd, »ein paar Fragen bleiben noch, die ich aber bis morgen aufsparen will, denn für heute nacht, oder vielmehr heute morgen, ist's nun Zeit, die Sitzung zu schließen.« »Immerhin meine ich, nachdem ich auf alle Fragen Rede und Antwort gestanden, die Sie an mich zu stellen für angemessen erachteten, meinerseits berechtigt zu sein zu der Frage, warum Sie solchen Anteil an meinen Verhältnissen nehmen? und, da meine Abkunft so große Bewegung verursacht, zu der weitern Frage: für wen Sie mich eigentlich halten?« »Was mich angeht, so bin ich Paul Pleydell, Advokat und Notar in Edinburg. Für wen wir aber Sie halten, darüber läßt sich momentan noch nichts völlig Verläßliches sagen; ich hoffe jedoch, Sie in kürzester Zeit als Harry Bertram, letzten Erben und Sprößling eines der ältesten Häuser in Schottland und Fideikommis-Erben der Herrschaft Ellangowan, begrüßen zu dürfen. »Ja,« schloß er seine Rede, während ihm die Augen schon zufielen, mehr zu sich als zu den andern gewandt: »es wird das beste sein, den Vater zu übergehen und ihn als Erben seines Großvaters, des Fideikommisses Stifter, auftreten zu lassen, der war der einzige wirklich gescheite Mensch in dem ganzen Geschlechte, von dem wenigstens ich gehört habe.« Alle hatten sich erhoben, um ihr Nachtlager aufzusuchen. Oberst Mannering trat zu Bertram, der von Pleydells Mitteilung aufs tiefste betroffen war ... »Zu der Aussicht, die das Schicksal Ihnen eröffnet, gratuliere ich Ihnen von Herzen. Ich habe in meinen jungen Jahren Gelegenheit gehabt, Ihren Vater zu meinen Bekannten zu rechnen – ja, der Zufall hat es sogar gefügt, daß ich in derselben Nacht, in der Sie geboren wurden, auf Ellangowan als ein ebenso unvermuteter Gast eintraf, wie jetzt Sie in meinem Hause. Von solcher Ahnung war ich nun freilich weit entfernt; will nun aber hoffen, daß alles, was zwischen uns vorgefallen, vergessen sein soll. Daß ich mir, als ich Sie als Herr Brown hier vor mir sah, wie von einem Alpe erlöst vorkam, dürften Sie mir glauben; daß mir aber Ihr Anrecht auf Rang und Namen meines alten Freundes Bertram Ihre Gegenwart doppelt willkommen macht, werde ich Ihnen nicht erst zu beteuern brauchen,« »Und meine Eltern?« fragte Bertram. »Ihre Eltern sind tot, Ihr Erbe ist zwangsweise verkauft worden, wird sich aber hoffentlich wiedererlangen lassen, und was zur Geltendmachung Ihrer Rechte nötig sein wird, stelle ich Ihnen mit Vergnügen zur Verfügung,« antwortete Mannering. – »Nein, das lassen Sie meine Sache sein,« nahm Pleydell das Wort, »das schlägt in meinen Ressort und ich werde schon wissen, was hier zu tun ist.« Hiermit griff der alte Herr zu seinem Licht und ging hinaus. Die übrigen folgten seinem Beispiel. Nur Sampson ließ es sich nicht nehmen, seinen »kleinen Harry,« wie er den sechsfußhohen Soldaten nannte, vorher noch einmal zu herzen und zu küssen. Siebzehntes Kapitel Andern Tags, zur festgesetzten Stunde, saß Pleydell vor einem lustigen Kaminfeuer, im warmen seidenen Schlafrock, mit seinem Sammetkäppchen auf dem Kopfe, und ordnete beim flackernden Licht von zwei Wachskerzen die über Kennedys Ermordung vorhandenen Papiere. An Mac Morlan war bereits ein Eilbote abgefertigt worden, mit der Aufforderung, eines wichtigen Falles wegen sobald wie möglich nach Woodbourne zu kommen. Dinmont, den die Vorgänge der letzten Nacht stark angegriffen hatten, war von seinem Bett im Vergleich zu den Schragen, auf dem er in Portanferry nächtigen mußte, so erbaut, daß er es nichts weniger als eilig hatte, sich aus ihm herauszufinden, Bertram hätte die Ungeduld längst ins Freie hinausgetrieben, hätte er nicht auf Oberst Mannering warten müssen, der seinen Besuch beim Auseinandergehen angekündigt hatte. Endlich kam der Oberst, und Bertram hatte mit ihm eine lange, auch befriedigende Unterredung, Beide aber hielten mit etwas hinter dem Berge: Mannering konnte es nicht über sich gewinnen, von dem Horoskop zu sprechen, das er bei Harry Bertrams Geburt gestellt hatte, und dieser wiederum verschwieg aus leicht begreiflichen Gründen seine Liebe zu Julien. Lucy war schon zum Frühstück im Wohnzimmer, als Sampson mit freudestrahlendem Gesicht hereinstolziert kam. Solche Stimmung war bei ihm so ungewöhnlich, daß Lucy im eisten Augenblick glaubte, es habe sich jemand einen Scherz mit ihm durch irgendwelche Tatarennachricht gemacht. Ein Paar Augenblicke rückte er unruhig auf dem Stuhle herum, bis er zuletzt mit der Frage hervortrat: »Und wie ist denn Ihre Ansicht über ihn, Fräulein Lucy?« »Ueber wen, Herr Sampson?« »Nun, über Har- nein, über den Mann, den Sie kennen.« »Den ich kenne?« wiederholte Lucy, außerstande, den Sinn seiner Worte zu fassen, »Nun ja doch, über den fremden Gast, der gestern abend spät noch in der Postkutsche kam, – der den jungen Hazlewood – Ha! ha!« und Sampson lachte so überlaut, daß es sich fast wie ein Gewieher anhörte. »Aber, Herr Sampson, ich begreife wahrhaftig nicht, wie Sie darüber so lustig sein können ... Ich habe gar keine Meinung über den Mann, und wünsche und hoffe lediglich, daß sein Renkontre mit Hazlewood zufällig gewesen und keine Wiederholung erleben möge.« »Zufällig! Ha! ha!« lachte Sampson wieder. »Sie sind ja heute ganz außer Rand und Band,« meinte Lucy leicht empfindlich. »Stimmt, stimmt,« rief der Magister, in die Hände klatschend – »stimmt wie eine schottische Orgel – aus Rand und Band – ha! ha! ha!« »Jawohl, und zwar dermaßen, Herr Sampson, daß ich bitten möchte, mich über die Ursache zu Ihrer frohen Stimmung zu unterrichten, mit ferneren Ausbrüchen derselben aber zu verschonen.« »Na, na, erzürnen, liebes Fräulein, will ich Sie nicht – da sei Gott vor! Aber können Sie sich noch auf Ihren Bruder besinnen?« »Jesus! ist das eine Frage! Sie wissen doch recht gut, daß er am Tage meiner Geburt vermißt wurde!« »Ach, richtig, richtig!« rief Sampson, mit Lachen auf der Stelle aufhörend, »wie konnte ich nur so vergeßlich sein! Ja doch, ja doch! Aber auf Ihren lieben guten Vater besinnen Sie sich?« »Aber, Herr Sampson, sind das heute Fragen! Wie können Sie meinen, ich besänne mich auf den Vater nicht mehr? Ist er doch erst vor knapp einem Jahre uns genommen worden!« »Richtig, richtig! Ich will nicht mehr lachen und scherzen bei diesen trüben Erinnerungen ... Sehen Sie sich aber den jungen Mann doch einmal genau an!« Bertram trat gerade ins Zimmer ... »Ja, Fräulein Lucy, sehen Sie ihn 'mal recht genau an,« fuhr Sampson fort, »ist er nicht Ihres Vaters leibhaftes Ebenbild? – Und da Gott euch, meine lieben Kinder, eure lieben Eltern genommen hat, so liebt euch einander um so herzlicher – um so inniger!« »Jesus, Sampson! was sehe ich? es sind wahrhaftig meines Vaters Züge, es ist wahrhaftig der Vater, wie er leibt und lebt,« rief Lucy, und alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. Bertram aber flog zu ihr hin, um sie zu halten, und Sampson fuhr mit der Hand in seiner Zerstreutheit in die Theekanne, um ihr das heiße Wasser ins Gesicht zu spritzen – als sich zum Glück ihre Wangen wieder röteten, so daß er auf dieses prekäre Mittel, sie wieder zu sich zu bringen. Verzicht leisten konnte ... »Herr Sampson,« flüsterte sie, und ihre Stimme zitterte, hörte sich aber seltsam-feierlich an ... »Sagen Sie mir, Herr Sampson, ist's wirklich mein Bruder?« »Er ist's, Lucy, er ist's! ja, Lucy, es ist der kleine Harry, der Harry Bertram, so wahr Gottes Sonne am Himmel scheint!« »Und sie ist meine Schwester!« rief Bertram, außer sich vor Freude, und zu lautem Ausbruch kamen die brüderlichen Empfindungen, die so lange in seiner Brust geschlummert hatten. »Sie ist's! Sie ist's! Fräulein Lucy Bertram! Meisterin in den Sprachen von Frankreich, Italien, ja selbst von Spanien; Meisterin in ihrer Muttersprache, im Rechnen und in der einfachen und doppelten Buchhaltung, Von ihren Kenntnissen im Zuschneiden, Säumen und in der Hauswirtschaft spreche ich nicht, da sie sie nicht mir, sondern der alten Wirtschafterin dankt. Auch rechne ich mir ihre musikalischen Kenntnisse nicht zum Verdienst, denn daß sie auch solche besitzt, ist die Schuld eines edlen, tugend- und sittsamen, auch recht gutherzigen, lustigen Fräuleins, der Tochter des, Obersten, Julia Mannering, Der Wahrheit die Ehre – und suum cuique tribuito.« »Du bist also die einzige, die mir geblieben,« sprach Bertram bewegt, »Oberst Mannering hat mir das Unglück, das über unsere Familie hereingebrochen, eben ausführlich erzählt, aber er hat mir nicht gesagt, daß ich hier eine Schwester finden würde.« »Das sollte Dir der gute Mann hier sagen,« erwiderte Lucy, »einer der besten, gütigsten, treuesten Freunde, der meinen Vater in seiner langen Krankheit pflegte, ihn sterben sah und mich, die Waise, selbst unter den härtesten Schicksalsschlägen nicht hat verlassen wollen.« »Gott segne ihn dafür!« rief Bertram, Sampson herzlich die Hand drückend. »Er ist der Liebe wert, mit der ich auch den Schatten seines Andenkens immer verehrt habe, das mir aus meiner Kindheit immerfort vorgeschwebt hat.« »Gott segne euch beide, ihr lieben Kinder!« rief Sampson wieder; »wäret nicht ihr noch auf Erden gewesen, so hätte ich, wenn es dem Himmel gefallen hätte, mich abzurufen, mein Haupt neben dem Rasen hingelegt, der meines Gönners irdische Reste deckt.« »Aber ich rechne,« rief Bertram, »daß wir noch bessere Tage erleben werden, denn der Himmel hat uns Freunde gegeben.« »Freunde, fürwahr,« wiederholte Sampson, »und Ihr habt recht, er hat sie geschickt. Er, zu welchem ich Euren Blick frühzeitig lenkte, als zu der Quelle alles Guten! Den wackern Oberst Mannering aus Ostindien, einen in Anbetracht der spärlichen Gelegenheiten, die ihm zum Studium blieb, grundgescheiten Herrn – den tüchtigen Advokat Pleydell, und den biedern Dandie Dinmont, der zwar kein gelehrter Mann ist, sich aber gleich den Patriarchen des Altertums auf alles versteht, was Viehzucht und Herden anbelangt. Endlich bin auch ich da. Ich habe mehr Gelegenheit zu Studien gehabt als besagte achtbare Männer, und habe sie auch nie versäumt! und all mein Wissen soll meinem kleinen Harry zu gute kommen, denn, lieber Harry, wir müssen wieder lernen, und von Grund auf müssen wir's! Mit Englisch fangen wir an und gehen bis zum Hebräischen und Chaldäischen zurück.« Als Mannering sich von seinem Gast verabschiedet hatte, begab er sich in das Zimmer seiner Tochter. »Lieber Papa,« rief ihm Julie entgegen, »Sie scheinen vergessen zu haben, daß in der letzten Nacht recht wenig Schlaf in unsere Augen gekommen ist; denn Sie lassen mir ja kaum Zeit, mir das Haar zu machen, und wenn sie einem bei all dem Wust von Wundern, die über uns gekommen, zu Berge stehen, so ist das wahrlich nicht zu verwundern!« »Mich interessiert jetzt nicht Dein Haar, sondern Dein Herz, Julie, aber in ein paar Minuten wirst Du Dich Deiner Kammerfrau wieder überantworten können.« »Aber, lieber Papa, bedenken Sie, mir muß es ja noch ganz wüst im Kopfe sein – wie können Sie meinen, mir in ein paar Minuten Dinge plausibel zu machen, die mein Herz angehen? Ist's mir doch, als hätte ich einen wilden, wilden Traum durchlebt,« rief Julie. »Nun, ich will sehen, ob sich Dein Traum deuten läßt,« versetzte Mannering, und nun erzählte er ihr von Bertrams Schicksal und von den Aussichten, die sich für dessen weiteres Leben eröffneten, und Julie lauschte seinen Worten mit unverhohlener Teilnahme. »Nun?« fragte der Oberst, als er zu Ende war – »hat sich Dein Traum ein wenig geklärt?« »Daß ich nicht wüßte, mein lieber Papa! Da kommt ein junger Mensch, den man für tot gehalten, aus Indien zurück, wie Abulfuaris, der große Reisende zu seiner Schwester Canzade und seinem Bruder Hur. Doch nein! da irre ich mich doch; denn Canzade war ja seine Frau; Lucy mag die eine und der Magister den andern abgeben, und der wunderliche, aber kreuzfidele Rechtsanwalt macht sich dabei wie ein Pantaleone am Schlusse eines Trauerspiels ... Eins aber soll uns alle freuen, ich meine, wenn unsre Lucy wieder zu ihrem Gelde kommt!« »Was aber mir,« bemerkte Mannering wieder, »am geheimnisvollsten bei der ganzen Sache vorkommt, ist, daß meine Julie, der doch ihres Vaters Bekümmernis über Browns Schicksal kein Geheimnis war, ihn, als Hazlewood den unglücklichen Schuß bekam, gesehen haben und ihrem Vater doch kein Wort davon gesagt haben, sondern es ruhig geschehen lassen sollte, daß man den jungen Mann als des Mordes verdächtig verfolgte.« Julie, die bis jetzt allen Mut zusammengenommen hatte, diese Unterredung mit dem Vater zu bestehen, senkte jetzt still den Blick Zu Boden. Umsonst hatte sie nach einem Worte gerungen, um in Abrede zu stellen, daß sie Brown bei dieser Gelegenheit wiedererkannt habe. »Du findest keine Antwort auf meine Frage?« fuhr Mannering fort; »nun, dann sage mir wenigstens, ob Du Brown damals zum erstenmal seit seiner Rückkehr aus Indien gesehen? ... Auch darauf keine Antwort? So muß ich denn annehmen, daß Du ihn damals nicht zum erstenmal gesehen? – Auch jetzt noch keine Antwort? Julie, laß mich, bitte, nicht ohne solche! – Wer ist der junge Mann gewesen, der in Mervyn-Hall unter Dein Fenster gekommen und sich mit Dir unterhalten hat? Julie, ich fordre Aufrichtigkeit von Dir – ich bitte Dich um Aufrichtigkeit.« Julie lichtete den Blick auf den Vater ... »Ich bin töricht gewesen, Papa – bin es wohl noch immer – bin's in hohem Maße. Papa, es ist hart, sehr hart für mich, mit diesem Manne, der mich zu meiner Torheit wohl nicht eigentlich veranlaßt, doch aber sich mitschuldig daran gemacht hat, in Ihrer Gegenwart – unter Ihren Augen zusammenzutreffen.« Darauf schwieg sie wieder. »Er hat also Dir in Mervyn-Hall Serenaden gebracht?« fragte Mannering weiter. Julie faßte bei dieser Frage wieder Mut ... »Er war es, Papa, und wenn ich unrecht getan habe, wie ich oft gedacht, so kann ich doch etwas zu meiner Entschuldigung anführen.« »Und das wäre?« fragte Mannering schnell und nicht ohne Strenge. »Ich traue mir, sie zu sagen, Papa, aber –« hier nahm sie ein kleines Etui aus der Tasche, öffnete es und gab ihrem Vater verschiedene Briefe ... »Hieraus, Papa,« sagte sie, werden Sie ersehen können, wie es zu Beziehungen zwischen ihm und mir kam, und durch wen ich dazu aufgemuntert worden bin.« Mannering, dem sein Stolz es nicht gestattete, weiter zu gehen, trat mit den Papieren ans Fenster und überflog einige Stellen darin mit unruhigem Blicke und mit heftiger Erregung; es gelang ihm aber, sich zu beherrschen, und als er nun zu seiner Tochter zurücktrat, die Empfindungen, die ihn beherrschten, zu unterdrücken ... »Allerdings keine geringe Entschuldigung für Dich, Julie,« sagte er, aber aus dem Ton seiner Stimme war noch immer nicht alle Strenge gewichen – »so weit ich nach einem flüchtigen Blick auf diese Briefe urteilen kann. Du bist wenigstens gegen Deine Mutter gehorsam gewesen. Doch laß uns an ein schottisches Sprichwort denken, das Sampson neulich anführte: »Geschehen ist geschehen; was kommt, wird noch gehen.« Vorwürfe über den Mangel an Vertrauen mir gegenüber mag ich Dir nicht machen, Julie. Schließe aber auf meine Gesinnungen aus meinen Handlungen, die Dir bis jetzt Wohl noch keine Ursache zu Klugen gegeben haben. Nimm Deine Briefe wieder; für mich sind sie niemals bestimmt gewesen, und mehr davon zu lesen, als Dir zu Deiner Rechtfertigung wünschenswert, verlangt mich nicht. Und nun, Julie, sind wir Freunde? oder vielmehr gewinnst Du Verständnis für meine Weise und mein Verhalten?« »O, mein lieber guter – mein edler Papa!« rief Julie, ihm in die Arme sinkend; »wie konnte es kommen, daß ich Sie nur einen Augenblick nicht verstand?« »Kein Wort mehr davon, Julie! Wen Stolz hindert, Zuneigung und Vertrauen dort zu fordern, wo er auch ohne Bitten auf beides Anspruch zu haben meint, wird sich oft und vielleicht nach Verdienst getäuscht sehen. Es ist schon ein mir unsäglich teures Wesen, ohne mich zu verstehen, ins Grab gestiegen, aus dem es keine Klage, keine Reue zurückholen kann – mag es genug daran sein! möge mir Gott das Herzeleid, das Vertrauen einer Tochter zu verlieren, die mich lieben muß, wenn sie sich nicht vor sich selbst verleugnen will, in seiner Allgüte ersparen!« »O, darum keine Sorge, Papa! Weiß ich nur erst, wie ich mich, um Ihnen zu Willen zu sein, verhalten muß, und meinem Gewissen nach, verhalten kann, so wird mir nichts schwer sein zu befolgen, was Sie mir vorschreiben.« »Gut denn, mein Kind,« versetzte Mannering, sie auf die Stirn küssend: »hoffentlich werden an Deinen Heldensinn nicht allzu hohe Anforderungen gestellt: was aber die Bewerbungen jenes jungen Mannes anbetrifft, so darf vor allen Dingen keine Rede sein von irgend welchem heimlichen Verständnis, – denn auf dergleichen darf sich kein junges Mädchen einlassen, das sich nicht in ihren eigenen und in den Augen ihres Geliebten herabsetzen will. Das ist mein striktes Verlangen, Julie! Fragt Bertram nach Gründen, dann weise ihn an mich! Doch auch Du wirft sie kennen lernen wollen; sie sind einfach, aber einleuchtend genug: vorerst will ich Gemüt und Charakter des jungen Mannes genauer kennen lernen, als es Umstände und Vorurteile mir früher ermöglichten. Nicht minder muß es mein Wunsch sein, ihn wieder in seinem standesgemäßen Verhältnis zu sehen. Darum, ob er wieder in den Besitz von Ellangowan gelangen wird, bin ich nicht besonders ängstlich, wenn auch solcher Umstand, von Romanen abgesehen, von niemand auf Erden für gleichgültig gehalten werden wird. Harry Bertram, als Erbe von Ellangowan, ob er nun sein Erbe wieder antritt oder nicht, ist eo ipso eine durchaus andere Persönlichkeit als Vanbeest Brown, der den lieben Niemand zum Vater hatte. Die Bertrams sind mit Ruhm und Ehre dem Banner ihrer Könige gefolgt, während die Mannerings bei Crecy und Poitiers gefochten haben. Mit einem Worte, ich will meine Zustimmung weder geben, noch weigern; ich erwarte aber von Dir, daß Du frühere Irrungen wieder gut machst, und da Du nun leider nicht beide Eltern mehr zur Zuflucht hast, so rechne ich auf Erfüllung Deiner Kindespflicht mit Zuversicht insoweit, als Du mir all Dein Vertrauen schenken wirst, zumal mich mein Verlangen, Dich glücklich zu machen, dazu berechtigt, es als eine Kindesschuld von Dir zu fordern.« »Ich verstehe Sie, Papa, vollständig,« versetzte sie und küßte ihn, tief ergriffen von seinen Worten, »Sie werden mich als Ihre gehorsame Tochter finden.« »Ich danke Dir, mein Kind,« sagte Mannering, ihren Kuß innig erwidernd – dann setzte er hinzu: »Was mir vor allem am Herzen liegt, ist Dein Lebensglück – nichts anderm gilt meine Sorge – aber jetzt wische Dir die verräterischen Perlen aus Deinen Augen – wir wollen ins Frühstückszimmer gehen.« Achtzehntes Kapitel Bei wohl allen Personen, die um den Frühstückstisch herumsaßen, war ein gewisser Grad von Verlegenheit zu bemerken. Juliens Stimme war, als sie Bertram fragte, ob sie ihm noch Tee einschenken solle, kaum vernehmlich, und Bertram war, als er unter Mannerings Augen sein Butterbrot verzehrte, nicht minder verlegen. Lucy kam, bei aller Liebe für den nach so langem Alleinsein gefundenen Bruder oder vielmehr um dieser Liebe willen, sein Zwist mit Hazlewood nicht aus dem Sinne. Den Obersten berührte es unangenehm, sich bezüglich seines Tun und Lassens der peinlichen Kontrolle seiner Umgebung ausgesetzt zu sehen. Das Gesicht des Advokaten legte sich in ernste Falten, während er sich sein Brot mit Butter bestrich. Sampson dagegen war in der fidelsten Stimmung, musterte bald Bertram, bald Lucy, schwatzte in allen Tonarten, verstieß aller Augenblicke gegen Gewohnheit und Sitte und beging einen Schnitzer über den andern, schüttete die Rahmkanne in seine Morgensuppe, die Morgensuppe in die Zuckerschale, statt auf seinen Teller, zuletzt die ganze heiße Brühe über des Obersten Lieblingshund, den alten Plato, der für solche Aufmerksamkeit nichts als Geheul und Gewinsel hatte, das seinem philosophischen Sinn freilich sehr wenig Ehre machte. Zum Glück machte ein Brief der Frau Mac Morlan der schiefen Situation ein Ende. Sie schrieb, daß ihr Mann noch nicht aus Portanferry wieder da sei, was Pleydell im ersten Augenblicke verdrießlich war, da ihm die Beihilfe seines Amtsbruders in mancherlei Hinsicht fehlte ... »Indessen,« setzte er, sich tröstend, hinzu, ist ja durchaus nichts verloren, denn unser junger Freund muß vor allem als entwichener Gefangener, auf den das Gericht ein gewisses Anrecht hat, sui juris werden, deshalb, Herr Oberst, wollen wir nach Hazlewood hinüberfahren, um uns als Bürgen für ihn zu stellen. Sir Robert Hazlewood wird solche Bürgschaft, meine ich, wohl gelten lassen müssen.« »Selbstverständlich bin ich dazu bereit,« versetzte der Oberst und erteilte sogleich die nötigen Befehle, »Und unterdessen ..?« fragte er. »Müssen wir uns nach triftigem Beweismaterial umsehen, denn Bertrams Erinnerungen gelten natürlich nicht als solches, und Fräulein Bertram, Herr Sampson und meine Wenigkeit können bloß sagen, was jeder andere sagen wird, der den seligen Laird gekannt hat und jetzt den jungen Mann sieht: daß er das leibhaftige Ebenbild desselben ist; solche Ansicht oder Meinung macht ihn aber noch nicht zu Ellangowans Sohne und verschafft ihm das Erbgut nicht wieder.« »Und was ist also dazu nötig?« fragte Mannering. »Klare Beweise. Da wären ja zunächst die Zigeuner da; aber, Du lieber Himmel, sie gelten doch vor unsern Richtern fast als ehrlos und kaum fähig, Zeugnis abzulegen; vor allem wird das zutreffen auf die Meg Merrilies, die doch so verschiedenerlei Aussagen gemacht, ja im Verhör, dem ich sie unterzog, alle Kenntnis der Sache rundweg bestritten hat.« »Wir müssen zusehen, aus Holland von den Leuten, die sich unsres jungen Freundes in seiner Knabenzeit angenommen haben, Beweismaterial zu bekommen. Freilich werden sie fürchten, noch wegen des an dem Zollbeamten begangenen Mordes zur Rechenschaft gezogen zu werden, und ihre Aussage weigern oder, wenn sie sich dazu bereit finden lassen, für uns wiederum den Nachteil haben, als Ausländer oder als Leute, die außerhalb des Gesetzes stehen, angesehen zu werden. – »Kurz, überall Hemmnisse!« »Hoffen wir das, liebster Herr Sampson,« erwiderte Pleydell; »solche fromme Zuversicht enthebt uns aber der Pflicht nicht, nach den rechten Mitteln zur Geltendmachung dessen, was wir für recht halten, zu suchen, und sie zu erlangen, wird, fürchte ich, uns schwerer fallen, als ich mir in der ersten Zeit vorgestellt habe; ein Herz ohne Mut gewinnt aber nie eine schöne Braut . ... Aber der Wagen fährt vor, Herr Oberst,« rief er – »also auf fröhliche Wiederkunft, Leutchen! und Sie, Fräulein Julie, bewahren Sie ja bis dahin Ihr Herzchen, damit ich dann auch mein Recht noch finde, – bin ja doch jetzt imstande des non volens agere.« Sir Robert Hazlewood bereitete den beiden Herren, trotzdem er vor dem Obersten gewaltigen Respekt und von Advokat Pleydell seit langem die beste Meinung hatte, einen recht trockenen, frostigen Empfang. Gegen die angebotene Bürgschaft ließe sich ja nichts einwenden, sagte er, und er nähme sie sicher an, trotzdem sein Sohn, Hazlewood junior von Hazlewood, der Betroffene sei, aber der Missetäter habe sich einen Stand beigelegt, der ihm nicht gehöre, und sich als ein so gemeingefährliches Subjekt erwiesen, daß man die Verantwortung, ihn freizulassen, der Gesellschaft gegenüber schwerlich übernehmen könne ... »Hoffentlich werden Sie, Sir Hazlewood,« nahm der Oberst das Wort, »in meine Aussage, daß der Deliquent als Kadett in Indien unter mir gedient hat, keinen Zweifel setzen?« »Durchaus nicht,« versetzte der Baronet; »der Mann behauptet aber, nicht Kadett, sondern Rittmeister zu sein!« »Seit ich mich von meinem Posten begeben, ist er in höhere Chargen aufgerückt,« sagte Mannering. »Aber das müßte Ihnen doch bekannt geworden sein?« »Wieso? Ich bin häuslicher Verhältnisse wegen aus Indien nach England zurückgekehrt und habe mich seitdem um das Regiment wenig bekümmert. Der Name Brown ist zudem so alltäglich, daß sich von seiner Beförderung vielleicht auch gelesen habe, ohne darauf zu achten. In ein paar Tagen werden aber seine Legitimationspapiere zur Stelle sein.« »Mir ist zu Ohren gekommen, Herr Pleydell,« nahm der Baronet wieder das Wort, »daß er nicht gesonnen sei, den Namen Brown weiterzuführen, sondern als ein Bertram Anspruch auf Ellangowan zu erheben.« »Und von wem wissen Sie das, Herr Baronet?« fragte Pleydell. »Gibt solches Gerücht,« fiel Mannering ein, »dem Gerichte ein Recht, ihn in Arrest zu nehmen?« »Still, Oberst still!« rief Pleydell, »sollte er als Betrüger entlarvt werden, würden Sie ihn so wenig wie ich einer Unterstützung für würdig erachten – aber im Vertrauen, Sir Robert, von wem haben Sie diese Mitteilung?« »Von einem Mann, dem sehr viel daran liegt, der Sache auf den Grund zu gehen. Ich muß indessen ablehnen, verzeihen Sie, mich bestimmter darüber auszulassen.« »So? und wie begründet er dieses Gerücht?« fragte Pleydell weiter. »Es soll sich unter Zigeunern und anderm solchen Gelichter die Kunde verbreitet haben, daß der junge Mann, von dem wir sprechen, ein Bastard des feigen Ellangowan sei und durch seine große Aehnlichkeit auf den Gedanken gekommen sei, den Betrüger zu spielen.« »Existiert denn solch unehelicher Sohn wirklich, Sir Robert?« »Allerdings, darüber bin ich genau unterrichtet. Ellangowan hat ihn durch Vermittlung eines Verwandten als Schiffsjungen auf einen Zollkutter gebracht.« »Gut, Sir Robert,« versetzte Pleydell, dem ungeduldigen Obersten das Wort vom Munde nehmend: »Sie erzählen mir etwas Nagelneues, und ich werde es nicht verabsäumen, es zu untersuchen; bewahrheitet sich das Gerücht, so hat der junge Mensch auf Unterstützung von unserer Seite nicht mehr zu rechnen. Trotz allem würden Sie sich einer gesetzwidrigen Handlung schuldig machen und großer Verantwortung aussetzen, wenn Sie die von uns angebotene Bürgschaft ausschlagen wollten.« »Wenn Sie mir versprechen, Herr Pleydell, den jungen Mann fallen zu lassen –« »Falls es sich ausweist, daß er ein Betrüger ist,« erklärte Pleydell. »Nichts anders meinte meine Rede – unter dieser Bedingung, wie gesagt, will ich Ihre Bürgschaft gelten lassen. Immerhin muß ich bemerken, daß ein sehr wohlgesinnter, höflicher Nachbar, der sich auch auf die Rechtsfragen versteht, mir erst heute morgen noch den Wink gegeben hat, solchem Verlangen nicht Folge zu leisten; von ihm habe ich auch gehört, daß der junge Mensch seine Freiheit wiedererlangt oder vielmehr aus dem Gefängnis ausgebrochen ist.« Die Angelegenheit wurde schnell geregelt, der Bürgschein vom Obersten und Herrn Pleydell, der Freilassungsbefehl von Sir Robert Hazlewood ausgestellt, und bald saßen die ersteren beiden wieder in ihrem Wagen, jeder in eine Ecke gelehnt. Es verging geraume Zeit, bis die Unterhaltung zwischen ihnen in Gang kam. »Sie wollen den armen jungen Menschen,« nahm der Oberst endlich das Wort, »also gleich bei der ersten Schwierigkeit, die sich bietet, fallen lassen?« »Ich?« rief Pleydell, »das sollte mir einfallen! Aber was hätte es mir genützt, mich mit dem alten Toren über Rechtsfragen zu streiten? Weit besser dient er uns, wenn er seinem Einhelfer Glossin meldet, daß wir uns gleichgültig oder lau bei dem ganzen Handel gezeigt haben. Ich wollte überdies dem Feinde gern ein bißchen in die Karten gucken.« »So? Also auch Ihr Rechtsleute habt Eure Kriegslisten, so gut als wir Soldaten? Und wie denken Sie über die feindliche Aufstellung?« »Gar nicht übel gewählt, aber ein wenig gewagt,« erwiderte Pleydell: »man will mit zuviel List operieren – bei solchen Dingen bekanntlich der gewöhnliche Fehler.« Der Wagen setzte inzwischen seine Fahrt schnell fort, ohne daß sich irgend etwas von Wichtigkeit ereignet hätte – abgesehen davon, daß sie den jungen Hazlewood trafen, der von einem Morgenritte heimkehrte. Mit wenigen Worten erzählte ihm der Oberst, daß Bertram in Woodbourne sei, was Hazlewoods lebhafte Teilnahme erweckte, so daß er seinem Pferde die Sporen gab, um den beiden Herren vorauszureiten und Lucy zu dem frohen Ereignis von Herzen zu gratulieren. Die Unterhaltung in Woodbourne hatte sich zumeist um das alte Haus Ellangowan, seine einstige Macht und Größe gedreht. »Also unter der Burg meiner Väter,« sagte Bertram, »war es, wo ich vor einigen Tagen ans Land stieg, kaum zu unterscheiden von einem Landstreicher! Und die verfallenen Türme und dunklen Gewölbe weckten Gedanken in mir, die meine ganze Seele tief ergriffen, Erinnerungen, über die ich mir nicht klar werden konnte. Ich will die alte Stätte nun wieder besuchen, aber mit andern Gefühlen und, wie ich hoffen darf, mit besseren Lebensaussichten.« »Geh jetzt nicht hin,« bat die Schwester; in unserer Väter Hause wohnt jetzt ein Schurke, ebenso tückisch wie gefährlich. Durch seine Schlechtigkeit ist unserm armen Vater frühzeitig das Herz gebrochen worden.« »Du wehrst durch Deine Worte mein Verlangen, dem Wichte gegenüber zu treten, in dem Schlupfwinkel, in dem er sich verkrochen hat. Gesehen habe ich ihn wohl schon.« »Vergessen Sie nicht, Heu,« nahm hier Julie das Wort, »daß wir beide, Lucy und ich, über Sie wachen sollen und Sie für Ihr Tun und Lassen verantwortlich machen. Oder meinen Sie, ich solle auf die Ehre, zwölf Stunden lang die besondere Gunst eines Rechtsanwalts genossen zu haben, so ohne weiteres verzichten? Es wäre doch wahrhaftig eine Torheit ihresgleichen, jetzt nach Ellangowan gehen zu wollen; es ginge doch höchstens an, daß wir zusammen bis ans Ende der Allee gingen, und daß wir Ihnen dann noch in unserer Gesellschaft den Aufstieg auf die nahe Höhe gestatten, damit Ihr Auge sich an dem Blick auf die dunklen Türme Ihres väterlichen Schlosses werden kann.« Der Spaziergang wurde sogleich beschlossen; die Damen nahmen die Mäntel, und machten sich in Bertrams Gesellschaft auf den Weg. Es war ein schöner Wintermorgen, der Wind nicht kalt, sondern nur frisch. Ein geheimes Band verknüpfte die beiden Mädchen, wenn auch keines von ihnen sich darüber aussprach. Bertram dagegen sorgte, daß die Unterhaltung nicht ins Stocken kam, indem er von seinen Erlebnissen in Indien erzählte. Lucy war nicht wenig stolz auf einen Bruder, der soviel erstaunliche Gefahren mit so großem Mute bestanden hatte, Julie aber, der Worte ihres Vaters eingedenk, wiegte sich in der frohen Zuversicht, daß ihr Vater Vertrams stolzen Sinn nicht mehr für Anmaßung eines bürgerlichen, sondern für den Erben eines berühmten Geschlechts angemessenen Edelsinns schätzen werde. Die drei Spaziergänger erreichten bald die in unserer Geschichte oft erwähnte Höhe über dem Hohlwege an der Grenze der Herrschaft Ellangowan, und ein überaus liebliches Landschaftsbild zeigte sich ihren Blicken: Täler und Hügel, begrenzt von Wäldern, die zur herrschenden Jahreszeit eine dunkle Purpurfarbe aufwiesen, während an andern Stellen die Aussicht scharf abgeschnitten wurde durch dichtes Kiefergebüsch, dessen dunkles Grün in allerhand Tönen hervorstach. Ungefähr eine halbe Stunde weit lag die Bai von Ellangowan, deren Wellen der Westwind kräuselte. Die Türme des alten Schlusses ragten in der Landschaft des alten Schlosses hoch empor und färbten sich heller im Strahlenmeer der Wintersonne. »Dort liegt es, das Heim unserer Väter!« rief Lucy, auf das ferne Schloß zeigend. »Nicht die Macht und Größe dieser alten Burgherren ist's, Bruder, die ich für Dich begehre, – dafür ist mir Gott Zeuge, denn die Macht haben sie, heißt, oft übel angewandt und die Größe nicht festzuhalten verstanden. Aber soviel noch von beiden möchte ich in Deinen Händen sehen, daß Du unabhängig von andern und frei von irdischer Sorge leben, auch den alten Dienern unseres Hauses Unterstützung gewähren könntest, die seit unseres armen Vaters Tode –« »Recht so, Schwester! und hoffentlich gelingt es mit Hilfe unserer wackern Freunde und unter gütigen Beistand des Himmels nach so harten Kämpfen dieses glückliche Ziel zu erreichen.« »Hier sah er sich durch Dinmont unterbrochen, der eilig, aber bis er zur Stelle war, ungesehen von den übrigen, die Straße heraufkam ... »Rittmeister! Rittmeister! es sucht Euch jemand – die Alte, die Alte, die Ihr schon kennt.« Im andern Augenblick stieg Meg Merrilies wie aus dem Schoße der Erde aus dem Hohlwege herauf und stand vor ihnen.. »Ich habe Euch schon im Hause gesucht, aber bloß den, »sagte sie auf Dinmont deutend, – »drin gefunden – Ihr habt recht, und ich hab unrecht; hier sollten wir uns finden, hier auf dieser Stelle! Gedenket an Euer Wort und – folget mir!« Julie und Lucy fuhren entsetzt zurück, als sie die Zigeunerin erblickten ... »Um Gottes willen!« rief Julie, ihre Börse aus der Tasche ziehend: »geben Sie dem Weibe etwas, und sagen Sie ihr, daß sie gehe.« »Das kann ich nicht,« erwiderte Bertram; »beleidigen oder kränken darf ich sie nicht.« »Was hält Euch hier?« fragte Meg Merrilies, ihre rauhe Stimme verschärfend; »warum folgt Ihr mir nicht? Muß Eure Stunde Euch zweimal rufen? Gedenkt Eures Schwures – es sei in der Kirche oder auf dem Markte, bei der Hochzeit oder beim Leichenbegängnis –« und drohend hob sie den dürren Zeigefinger empor. Bertram wandte sich zu den von Angst erfüllten Mädchen .. »Ich muß mich auf eine Weile entfernen; ein Gelübde bindet mich, der Frau zu folgen.« »Jesus! einem mit Narrheit geschlagenen Weibe!« rief Julie. »Einem Zigeunerweib, das mit ihrer Bande im Walde haust und Dir nach dem Leben trachten wird!« setzte Lucy hinzu. »So soll niemand sprechen vom Hause Ellangowan!« rief Meg Merrilies, einen finstern Blick auf Lucy richtend – »Böses tut, wer Böses fürchtet.« »Es geht nicht anders – ich muß gehen,« nahm Bertram wieder das Wort ... »es muß sein, Lucy, ich bleibe nicht lange – fünf Minuten – dann bin ich wieder da.« »Fünf Minuten?« wiederholte die Zigeunerin – »nicht in fünf Stunden seid Ihr wieder hier!« »Hören Sie, was Sie spricht?« rief Julie ängstlich – »um Gottes willen! gehen Sie nicht!« »Ich muß gehen,« versetzte Bertram, »Dinmont wird Sie und die Schwester heimbegleiten.« »Nein,« fiel Meg Merrilies ein, »der Mann muß mitgehen; zu diesem Zwecke ist er hier, und daß er's tut, ist nicht mehr als recht und billig, denn Ihnen hätte seine Rettung weit teurer zu stehen kommen können.« »Meiner Treu, das stimmt!« rief Dinmont, »und ich will's ihm zeigen, daß ich's noch nicht vergessen habe.« »Jawohl,« riefen beide Mädchen wie aus einem Munde, »müssen Sie dem Weibe folgen, dann soll er Ihnen folgen!« Bertram drückte der Schwester die Hand und nahm von Julien mit einem zärtlichen Blick Abschied. Fast betäubt von Erstaunen und Furcht folgten die Mädchen mit ihren Blicken dem Wege, den Bertram mit seinem Gefährten und der seltsamen Führerin nahm. Die hohe Gestalt der letztern durchmaß die winterliche Heide mit so schnellen, weiten Schritten, daß sie weniger zu gehen als zu schweben schien; und durch ihr langes, fliegendes Gewand und die hohe Kopftracht wurde der Eindruck geweckt, als reichten Bertram und Dinmont kaum an sie heran. Sie ging geraden Weges über das Gemeinland, ohne die Seitenpfade einzuschlagen, auf denen Wanderer sonst den Unebenheiten und Wasserläufen auszuweichen suchten. Bald entschwanden die drei Gestalten den Blicken der nachblickenden Mädchen, bald zeigten sie sich wieder, je nachdem sie durch Gräben schritten oder aus Hohlwegen heraufstiegen, bis sie endlich im Dickicht verschwanden, das sich nach der Trümmerstätte von Derncleugh zu erstreckte. »Sonderbar,« sprach Lucy nach längerer Pause zu ihrer Freundin: »was kann ihn mit dem alten Weibe verknüpfen?« »Mich schaudert's,« erwiderte Julie,« und unwillkürlich muß ich an die Märchen von Zauberern und bösen Geistern denken, die mir in Indien erzählt worden sind. Was kann Ihren Bruder so an diese Hexe ketten, das er uns, offenbar widerwillig, verläßt und sich den Befehlen des schrecklichen alten Weibes fügt?« »Wir können wenigstens sicher sein, daß ihm nichts Böses begegnen wird,« erwiderte Lucy, »sonst würde das Weib doch den brauen Dinmont nicht zur Begleitung aufgefordert haben, von dessen Mut und Treue mein Bruder uns soviel erzählt. Begeben wir uns schnell nach Hause und erwarten wir dort Ihren Herrn Vater, der ja am besten wissen wird, was nun mehr getan werden muß.« Arm in Arm gewannen die beiden jungen Mädchen bald die Baumreihe wieder, die bis zum Landhause führte, als sie plötzlich lauten Hufschlag hinter sich vernahmen. Erschrocken wandten sie sich um, waren aber nicht wenig froh, als sie Charles Hazlewood erblickten .. »Der Herr Oberst wird gleich hier sein,« rief er; »ich bin vorausgeritten, um Fräulein Bertram zu der frohen Wiederkunft ihres Bruders zu gratulieren. Stellen Sie mich nur recht bald dem Rittmeister vor, damit ich ihm für die wohlverdiente Lehre danke, die er mir für meine Uebereilung und Unbesonnenheit gegeben hat.« »Mein Bruder hat uns eben verlassen,« antwortete Lucy, »aber auf eine Art, die uns recht sehr erschreckt hat.« Da fuhr auch schon der Wagen heran, in welchem Oberst Mannering mit seinem Freunde sah. Sobald sie der beiden Mädchen ansichtig wurden, stiegen sie aus, und traten zu ihnen. »Schon wieder diese Meg Merrilies!« rief Mannering, als er über den neuen Vorfall unterrichtet worden war ... »Führwahr, ein geheimnisvolles, unergründliches Wesen. Sie wird wohl Bertram etwas mitzuteilen haben, das wir nicht wissen sollen!« »Hole der Henker den alten Besen!« rief Pleydell; »warum läßt sie der Sache nicht ihren Gang? Immer muß sie die Hand im Spiele haben; immer will sie es nach ihrem Sinne leiten. Ich fürchte fast, daß sie nach Ellangowan unterwegs sind! Der schurkische Glossin hat uns ja schon gezeigt, über was für schlimme Subjekte er verfügt – wenn nur der ehrliche Dinmont ihm Schutz genug bietet!« »Wenn Sie meinen, daß er Hilfe brauchen könne,« rief Hazlewood, so will ich gern hinterher reiten. Daß ihm jemand in meiner Gegenwart ein Haar krümmen möchte, will mir nicht als möglich erscheinen. Dazu bin ich doch im Lande zu gut bekannt. Ich will mich vorsichtig in einigem Abstände halten, damit es nicht so aussieht, als ob ich die Zigeunerin ausspionieren möchte – und die Mitteilungen zu hindern, die sie ihm doch vielleicht machen will, wäre doch auch nicht klug.« »Das muß ich sagen, dieser junge Herr hat alles Zeug, ein tüchtiger Mann zu werden,« meinte Pleydell zu dem Obersten, aber so, daß ihn Hazlewood nicht hörte – »ich fürchte eher einen neuen Versuch, unserm jungen Freund auf gesetzlichem Wege zu schaden, als durch offene Gewalt, denn von solcher würde Hazlewoods Gegenwart Glossin und seine Halunken schon abhalten ... Also frisch voran, mein junger Freund!« rief er dem Reiter zu; »nach Dernoleugh hinüber, dort werden sie wohl stecken, wenn nicht im Warroch-Walde.« Hazlewood gab seinem Pferde die Sporen und sprengte davon. »Zu Mittag sehen wir uns wieder!« rief der Oberst ihm nach, und Hazlewood nickte. Neunzehntes Kapitel Bertram und Dinmont folgten ihrer seltsamen Führerin, durch Wälder und über Täler zwischen der offenen Heide und den verfallenen Hütten von Derncleugh. Bloß als sie sie zu rascherem Laufe anspornen wollte, wandte sie den Blick rückwärts und kehrte sich wenig oder gar nicht daran, daß ihnen der Schweiß in dicken Tropfen von der Stirn rann. Zuweilen sprach sie auch mit sich selbst, und dann immer in abgebrochenen Sätzen ... »Das alte Haus soll wieder aufgebaut – der Grundstein soll gelegt werden – ha! habe ich ihn denn nicht gewarnt? Hab ich ihm nicht gesagt, daß ich geboren sei, es zu vollbringen, und ginge der Weg auch über meines Vaters Leiche? Verurteilt, in Kerker und Verließ geworfen hat man mich – und doch bin ich meinem Vorsatze treu geblieben – verbannt aus dem Lande hat man mich, und mitgenommen habe ich ihn in ein freundlicheres Land – ausgepeitscht hat man mich und gebrandmarkt, aber was ich im Sinne hatte, ließ sich nicht erschüttern – denn bis dorthin reichten weder Geißel noch glühendes Eisen – nun aber – nun ist die Stunde gekommen –« »Rittmeister,« sagte Dinmont leise, »wenn sie bloß nichts Schlimmes im Sinne hat! Was sie spricht, klingt nicht, als käme es von Gott oder wie aus anderer Menschen Munde.« »Habt keine Furcht, Freund,« erwiderte Bertram. »Furcht? Nein, mich schert weder Hexe noch Teufel!« rief Dinmont, »bloß klar sehe ich gern.« »Still!« rief Meg und guckte ihm finster über die Schulter: »meint Ihr, Zeit und Ort wäre beschaffen danach, daß Ihr reden dürftet?« »Gute Frau,« fiel Bertram ein, »ich zweifle ja nicht an Eurer redlichen Absicht und Freundschaft, denn Ihr habt mir ja schon Beweise davon gegeben; aber Ihr sollt auch mir Vertrauen entgegenbringen. Drum sagt mir, wohin Ihr mich führt.« »Ich habe nur eine Antwort darauf, Harry Bertram. Meiner Zunge habe ich verschworen, es Euch zu sagen, nicht aber meinem Finger, es Euch zu zeigen. Geht voran, und sucht Euer Glück! oder kehrt um und verliert's! Ganz, wie Ihr wollt! Weiteres kann ich Euch nicht sagen.« »Vorwärts denn,« rief Bertram, »ich werde Euch keine weitern Fragen stellen.« Ungefähr auf derselben Stelle, wo Meg sich früher von Bertram getrennt hatte, kletterten sie in die Schlucht hinunter. Einen Augenblick lang blieb Meg unter dem hohen Fenster stehen, von wo aus er damals die Beeidigung mit angesehen, und stampfte auf ben Boden, der trotz aller angewandten Vorsichtsmaßregeln noch deutlich verriet, daß er vor kurzem erst aufgewühlt worden ... »Hier ruht einer,« sagte sie, »der vielleicht bald Nachbarn bekommt.« Dann ging sie längs dem Bache hin zu dem zerstörten Dörfchen, wo sie vor einem noch aufrecht stehenden Giebel verweilte. Ihr Auge schien ein milderes Gefühl zu beseelen, und als sie nun wieder das Wort nahm, geschah es nicht in der abgerissenen Weise von ehedem, aber noch immer in dem feierlichen Tone, der ihrer Stimme eigen war: »Seht Ihr das schwarze verfallene Stück Hütte dort? Dort hat mein Kessel vierzig Jahre gekocht; dort habe ich zwölf Söhne und Töchter geboren, – wo sind sie heute? Wo sind die Blätter, die an jener alten Esche am Martinstage hingen? Der Abendwind hat sie kahl gefegt. – Auch ich bin kahl! Seht Ihr den Weidenbaum dort? Es ist bloß ein schwarzer, verfaulter Stumpf noch ... An manch schönem Sommerabend hab ich drunter gesessen im Schatten der frischen Zweige, die über dem murmelnden Wasser hingen. Dort saß ich –« fuhr sie fort, ihre Stimme verschärfend, – »dort hielt ich Euch auf meinem Schöße, Harry Bertram, und sang Euch Lieder von den alten Baronen und den blutigen Kämpfen, die sie geführt haben. Sie wird nie wieder grünen, die alte Esche, und Meg Merrilies nie wieder singen, weder ein frohes Lied noch ein trauriges; aber vergessen werdet Ihr sie nicht; werdet Ihr doch die alten Mauern wieder aufbauen lassen, um ihretwillen! Und laßt jemand hier wohnen, der nicht bös genug ist, die Schatten aus einer andern Welt zu fürchten. Kehren die Toten je wieder unter die Lebendigen, dann soll man mich, wenn diese Gebeine Staub geworden, in diesem Tale hier Nacht für Nacht sehen.« Während sie dies sprach in einem Tone, der sich wahnsinnig, halb wie wild-pathetisch anhörte, hielt sie den entblühten rechten Arm ausgestreckt, den linken gebogen unter den tiefroten Falten ihres Mantels verborgen ... »Und nun,« fuhr sie fort, jäh wieder in die ihr eigene, abgerissene ernste hastige Redeweise fallend, »zur Arbeit – zu unserer Arbeit!« Sie nahm den Weg zu dem vorspringenden Berge hin, der den Turm von Derncleugh trug, zog einen großen Schlüssel aus der Tasche und schloß die Tür auf. Innen herrschte bessere Ordnung als sonst ... »Ich hab's anständig eingerichtet,« sagte sie, »und könnt mich wohl hier hinstrecken bis zum Einbruch der Nacht. Zur Totenwache werden ohnehin nur wenige sich einfinden, denn nicht wenige von unseren Leuten werden mir grollen um deswillen, was ich getan und was ich tun will.« Sie wies nun auf einen Tisch mit kalten Speisen, die besser und sauberer aussahen, als man von Meg sich hätte vermuten lassen ... »Eßt,« sagte sie, »Ihr werdet's brauchen, heute abend.« Bertram nahm, um die alte Frau nicht zu kränken, ein paar Bissen; Dinmont aber langte wacker zu, denn ihm konnten weder Abenteuer noch Gefahren die Eßlust verderben. Meg reichte zum Schlusse der Mahlzeit jedem ein Glas Schnaps, aber nicht mehr. »Und Ihr? – nehmt Ihr nicht auch etwas zu Euch?« fragte Dinmont die Alte. »Ich werde nichts brauchen,« antwortete sie. – »Aber Ihr – Ihr müßt auch Waffen haben. Doch greift nicht vorwitzig dazu! Nehmt gefangen, wen Ihr bekommen könnt, aber schont das Leben! Die Gerechtigkeit will auch ihr Teil haben; und er muß reden, bevor er stirbt.« »Wen sollen wir fangen, und wer soll reden?« fragte Bertram verblüfft, als sie ihm geladene Pistolen reichte. Ohne auf seine Frage zu achten, drückte sie auch Dinmont ein großes Taschenpistol in die Hand und holte aus einem Winkel ein paar Knüttel, verdächtigen Aussehens hervor. Hierauf verließen fie zusammen den Turm; Bertram aber nahm den günstigen Augenblick wahr, dem Freunde zuzuraunen: »etwas ist hier nicht begreiflich; wir wollen uns aber vornehmen, von den Waffen nur im äußersten Notfall Gebrauch zu machen. Richtet Euer Verhalten in dieser Hinsicht ganz nach dem meinigen!« Dinmont antwortete mit pfiffigem Blinzeln, Dann ging es weiter über Moor und Brachfeld, der Zigeunerin nach, die sie Zum Warroch-Walde auf dem nämlichen Pfade geleitete, den der unglückliche Ellangowan an jenem Abend geritten war, als Kennedy ermordet wurde, um in Derncleugh sein Kind zu suchen. Endlich kamen sie in das Gehölz, durch dessen Wipfel rauh und kalt der winterliche Seewind pfiff. Meg Merrilies schien sich einen Augenblick auf den Weg besinnen zu müssen. – »Wir können keinen andern Weg wählen,« sagte sie im Weitergehen, schritt aber nicht mehr, wie bisher, geradeaus, sondern im Zickzack und auf Schlangenwegen. Endlich brachte sie die beiden Männer durch das Dickicht auf einen offenen, von Bäumen und Sträuchern wild umwachsenen Platz, der selbst im Winter, trotzdem es an dem Schatten grüner Wipfel fehlte, still und lauschig war, Bertram hatte sich umgesehen, und sein Gesicht hatte sich jäh verfinstert ... »Hier ist's gewesen,« sprach Meg leise vor sich hin – dann sah sie ihn von der Seite an und fuhr fort: »Besinnt Ihr Euch?« »Ja,« versetzte Bertram, »eine dunkle Erinnerung taucht mir auf« – »Dort drüben stürzte der Mann vom Pferde,« hob die Zigeunerin wieder an; »ich stand im selben Augenblicke dort hinter dem Hollunderbusche. Er wehrte sich wacker, sehr wacker und schrie oft um Erbarmen; aber er hatte es zu tun mit Menschen, die kein Erbarmen kannten. Nun laßt ihn Euch weiter zeigen, den Weg, den Ihr damals gewandelt seid – getragen hier von diesen Armen.« Einen langen, fast ganz mit Buschwerk verwachsenen Schlangenpfad ging es nun entlang, und mit einem Male standen sie, ohne daß der Weg merklich bergab geführt hatte, am Meeresstrande. Meg lief an der Felswand hin, an der sich die Flut brandete, bis zu einem großen, freiliegenden Steinblocke. ... »Hier,« sagte sie in leisem kaum hörbarem Tone, »hier wurde sein Leichnam gefunden.« »Und die Höhle,« ergänzte Bertram im gleichen Tone, »ist dicht in der Nähe. Bringt Ihr uns zu ihr hin?« »Ja. Faßt Euch beide ein Herz! Kriecht mir hinterher – ich habe das Brennholz so geschichtet, daß Ihr verdeckt steht. Bleibt solange hinter dem Stoße, bis ich rufe: Stunde und Mann sind gekommen! Dann fallt über ihn her, nehmt ihm die Waffen ab und bindet ihn – fest! so fest, bis ihm das Blut zwischen den Nägeln hervorspritzt.« »Ich will's, wenn's der Mann ist, an den ich denke,« sagte Bertram – »wenn's Jansen ist!« »Ja, Jansen ist's oder Hatteraick – führt er wohl an die zwanzig Namen!« »Dinmont, jetzt müßt Ihr Euren Mann mitstellen – denn dieser Kerl ist der wahre Teufel!« »Zweifelt nicht daran,« antwortete Dinmont leise. »Aber ehe ich der Hexe in ihre Höhle nachkrieche, möchte ich zuvor beten; es wäre doch ein böses Ding, wenn wir in solchem Loche umkommen sollten wie ein Fuchs in seinem Baue. Aber des Teufels will ich sein, wenn ich Euch im Stiche lasse.« Der Eingang zur Höhle lag jetzt offen. Meg kroch auf Händen und Füßen hinein, Bertram folgte, ihm hinterher Dinmont, nachdem er sich noch einmal bekümmert nach dem Tageslichte umgesehen hatte. Im selben Augenblick aber, als er sich mühsam durch die Oeffnung zwängte, griff eine kräftige Hand nach seinem Beine. Dem kühnen Manne fing das Herz zu schlagen an, und nur mühsam gelang es ihm, einen Schrei zu unterdrücken, der in der wehrlosen Lage, in der sie sich befanden, ihnen allen das Leben hätte kosten können. Er wurde des Schrecks aber Herr und zog. ohne einen Laut von sich zu geben, den Fuß aus der Hand dessen, bei sich so unvermuteterweise an seine Fersen gehängt hatte. »Seid ruhig,« sprach jetzt eine Stimme hinter ihm, »gut Freund – Charles Hazlewood.« Meg Meirilies, die den Klang seiner Stimme, so leise er auch sprach, vernommen haben mochte, fuhr erschrocken zusammen. Sie war schon an der Stelle, wo die Höhle sich erweiterte, und fing schon an zu murmeln und zu singen, als ob sie ein horchendes Ohr hätte täuschen wollen, hantierte auch zwischen dem Reisig, das in der Höhle aufgehäuft lag. Da schrie eine Stimme aus dem Innern her: »Teufelsbraten! Was treibst Du da?« »Ich rücke das Holz zurecht. Der kalte Wind soll nicht Eingang finden.« »Bringt Ihr mir Schnaps und Kunde von meinen Leuten?« »Hier habt Ihr die Flasche! Eure Leute sind zerstreut und flüchtig vor den Rotröcken.« »Schlag der Teufel drein! Diese Küste ist das schlimmste Pech für mich!« »Vielleicht gibt sie Euch noch bessern Grund zu solcher Rode!« Während dieses Zwiegespräch geführt wurde, hatten Bertram und Dinmont das Eingangsloch Passiert und sich hinter dem Holzstoße aufgerichtet. Die Höhle wurde von dem Flackerlicht des Kohlenfeuers erhellt, das auf einem Roste, wie ihn die Fischer nachts beim Lachsfange brauchen, aufgeschichtet brannte. Hatteraick warf wohl dann und wann eine Hand voll Späne hinein, aber die Höhle in ihrem ganzen Umfange zu erleuchten, war der Feuerschein viel zu gering. Der Schleichhändler lag auf derjenigen Seite des Rostes, die am weitesten vom Höhleneingange entfernt lag; es war daher leicht möglich, daß er sah, was dort vorging. Die in die Höhle eingedrungenen Männer, deren Zahl sich so unvermutet um einen vermehrt hatte, standen hinter dem aufgehäuften Reisig, und Dinmont hatte soviel Geistesgegenwart gehabt, den jungen Hazlewood mit der Hand solange festzuhalten, bis er Bertram hatte zuflüstern können: »Gut Freund – Hazlewood!« Die Kohlenglut wurde bald Heller, bald düsterer, je nach der Holzmenge, mit der Hatteraick das Feuer speiste; bald stieg eine schwarze Dampfwolke zur Decke der Hohle auf, bald loderte eine Flamme durch die Rauchsäule, mit einem Male helles Licht verbreitend; bei solch wechselnder Beleuchtung konnten die versteckten drei Männer bald schärfer, bald schwächer die Gestalt des Schmugglers unterscheiden, dessen wilde Züge durch seine finstere Stimmung noch schrecklicher wurden und vortrefflich zu der wilden Szenerie paßten, die die Höhle um ihn her bildete. Die aufrechte Gestalt der Zigeunerin, die langsam um ihn herschritt, bald im hellen Lichtschein der Flamme, bald umhüllt von Dampf, stach kräftig ab gegen den am Boden hingestreckten Hatteraick, der, da er vom vollen Flammenschein getroffen wurde, immerfort sichtbar blieb, während Meg Merrilies wie ein Gespenst erschien und verschwand. Bertrams Blut fing an zu sieden, als er den Schleichhändler sah. Er hatte ihn als jenen Jansen wiedererkannt, der ihn nach Kennedys Ermordung im Verein mit seinem Steuermann Brown während seiner ganzen Kindheit gräßlich gequält und gemißhandelt hatte. Bertram begriff nun, indem er seine eigenen dunklen Erinnerungen mit Mannerings und Pleydells Erzählungen verwob, daß dieser Mann es hauptsächlich gewesen war, der ihn aus dem Kreise der Seinen und aus der Heimat gerissen hatte. Kaum konnte er noch an sich halten, auf den Verruchten loszustürzen und ihm den Kopf an der Felswand zu zerschmettern. Aber Hatteraick war bis an die Zähne bewaffnet, und daß der Schurke sich verzweifelt wehren würde, stand mit Sicherheit zu erwarten. Zudem wäre es, sagte sich Bertram, weder schicklich noch rühmlich, dem Henker vorzugreifen; dagegen von höchster Wichtigkeit, ihn lebendig zu fangen und seinen Rächern zu überliefern. Er wartete also ab, was weiter zwischen der Zigeunerin und dem Schurken vorgehen würde. »Und wie ist's geworden mit Euch?« fragte Meg Merrilies mit rauhem Tone; »Hab' ich Euch nicht gesagt, daß es so kommen würde? Ja, und eben in dieser Höhle, wo Ihr Euch verstecktet nach der Tat.« »Potz Sturm und Wetter, Du Hexe! Geh und bete zu Beelzebub, bis man Dich braucht ... Habt Ihr den Glossin gesehen?« »Nein! Ihr habt Euch verrechnet – von diesem Versucher habt Ihr Bluthund nichts mehr zu erwarten!« »Alle Hagel!« schrie der Schurke; »hätt' ich ihn nur bei der Kehle! ... Was soll ich jetzt machen?« »Sterben wie ein Mann,« antwortete die Zigeunerin, »oder am Galgen verrecken wie ein Hund.« »Am Galgen, Du Hexe! Der Hanf ist noch nicht gesät zu dem Strick, an dem ich hängen soll.« »Er ist gesät und ist gewachsen; er ist gehechelt und auch gesponnen, Hatteraick! Hab ich Euch nicht gesagt, als Ihr den kleinen Harry Bertram wegführen wolltet, all meinen Bitten zum Trotze, daß er wiederkehren werde, wenn sein Schicksal erfüllt sei im fremden Lande, wenn er sein einundzwanzigstes Jahr vollendet hätte? Habe ich Euch nicht gesagt, daß das alte Feuer niederbrennen werde bis zum letzten Funken, an ihm aber auflodern werde zum neuen Brande?« »Ja, Teufelsmutter, gesagt habt Ihr's! Und, alle Hagel! Ich glaube beinahe, Ihr habt wahr geredet. Der Junker von Ellangowan ist mir zeitlebens ein Stein im Wege gewesen; und nun ich durch Glossins Ränke meine Mannschaft eingebüßt und meine Kähne verloren habe – ja, wie ich fürchte, auch mein Schiff, auf dem nicht Mannschaft genug war, es zu bugsieren, geschweige zu verteidigen, nun – alle Hagel! nun darf ich mich in Vlissingen, Gott straf mich! nicht mehr sehen lassen!« »Das erste kann passieren – das andere braucht Ihr nicht mehr.« sagte Meg Merrilies. »Was führt Euch her, Weib – und was soll die Rede heißen?« Meg Merrilies hatte während des Zwiegespräches Flachs auf ein Häufchen geschoben und Branntwein darauf geschüttet – und ehe sie auf Hatteraicks Frage Antwort gab, warf sie nun Brand darauf, daß im Nu eine Flammensäule zur Decke aufloderte – da rief das Weib mit wildgellender Stimme: »Ich bin gekommen, weil Stunde und Mann gekommen sind!« Auf diese Parole hin sprangen Bertram und Dinmont hinter dem Holzstoß vor und über Hatteraick her. Ihnen auf dem Fuße folgte, aber ohne Kenntnis dessen, um was es sich handelte, Charles Hazlewood. Kaum hatte der Bösewicht erkannt, daß er verraten worden, als seine Rache sich zuerst gegen Meg Merrilies wandte, auf die er sein Pistol abdrückte. Mit wildem Schrei brach sie zusammen ... »Daß es so kommen werde,« ächzte sie, »habe ich gewußt.« Bertram strauchelte beim Sprunge über den unebenen Boden und stürzte – zum Glück für ihn, denn im andern Augenblicke pfiff Hatteraicks Kugel über ihn hinweg, und so gut gezielt war der Schuß, daß Bertram, wenn er gestanden hätte, unfehlbar ein Kind des Todes gewesen wäre. Bevor er aber den dritten Schuß abgeben konnte, fiel Dinmont über ihn her: aber so groß war die Stärke des rabiaten Bösewichts, daß er den Riesen von Landmann durch den brennenden Flachs riß, – und wenig fehlte, so wäre es ihm geglückt, Dinmont mit einem dritten Schuß niederzustrecken, woran er aber durch Bertram und Hazlewood noch glücklich verhindert wurde, die mit rasender Anstrengung den Schmuggler niederwarfen, entwaffneten und fesselten. Als er inne wurde, daß ihm nichts mehr helfen konnte, lag er regungslos da wie ein Klotz. »Er hat sich stramm gewehrt,« sagte Dinmont, indem er sich den brennenden Flachs vom Rocke und aus dem halbversengten Haare schüttelte, »und das gefällt mir nicht am schlechtesten von ihm.« »Bleib bei ihm, Dinmont, und bewacht ihn,« sagte Bertram. »Ich will sehen, ob das arme Weib tot ist oder noch lebt.« Er hob mit Hazlewoods Beistand die Zigeunerin auf ... »Daß es so kommen mußte,« lallte sie, »habe ich gewußt.« Die Kugel war unter der Kehle in die Brust gedrungen. Bertram erkannte auf der Stelle, daß die Wunde gefährlich war. »Du mein Gott,« rief er, »was sollen wir mit der Aermsten anfangen?« »Mein Pferd steht oben im Walde angebunden,« sagte Hazlewood: »ich will ein paar Leute herbeiholen, auf die Verlaß ist – halten Sie mittlerweile den Eingang zur Höhle!« Mit diesen Worten stürmte er hinaus. Bertram verband die Wunde der Zigeunerin, so gut es anging, und postierte sich dann draußen vor der Höhle, während Dinmont den Schleichhändler bewachte. Tiefe Stille herrschte nun, bloß hie und da gestört durch das gedämpfte Wehklagen des verwundeten Weibes und die schweren Atemzüge des gefesselten Schmugglers. Zwanzigstes Kapitel Nach dreiviertel Stunden, die Bertram sowohl wie auch Dinmont in ihrer Ungewissen, gefahrvollen Lage wie eine halbe Ewigkeit dünkten, wurde draußen Hazlewoods Stimme laut und im andern Augenblick er selbst sichtbar. Unter den Leuten, die er mitbrachte, war ein Gerichtsfron, der den Weitertransport des durch den jähen Wechsel von Dunkel und Helle schier geblendeten Gefangenen übernahm, während die übrigen sich mit der Zigeunerin befaßten. Als der Fron die Schmuggler aufforderte, sich auf einen Felsblock dicht am Strande nahe der Fluthöhe zu sehen, ergriff es ihn wie ein Schauder, und er schrie: »Alle Hagel! Bloß hier nicht! Bloß hier nicht!« Seinen Leib- und Magenfluch abgerechnet, waren es nur drei Worte; aber das tiefe Entsetzen, das aus ihnen sprach, ließ deutlich erkennen, was in seinem Innern vorging. Auch nach einem Wundarzt hatte Hazlewood geschickt und riet, das verwundete Weib bis zur Ankunft desselben nach der nächsten Hütte zu schaffen; aber sie wehrte sich mit aller Kraft dagegen ... »In den Turm von Dernclengh bringt mich – in den Turm von Derncleugh! Nirgends wo anders als dort kann die Seele frei werden vom Leibe.« »Es wird am besten sein, ihr den Willen zu tun,« meinte Bertram! »wir müssen sonst befürchten, daß ihr verstörtes Gemüt das Wundfieber verschlimmert.« Man trug sie auf einer Weidenbahre in den Turm; auf dem Wege dorthin schien sie sich mehr mit den letzten Vorgängen als mit Gedanken an ihren nahen Tod zu beschäftigen ... »Drei Männer waren über ihm,« meinte sie; »und ich hatte doch nur zwei mit hergebracht, Wer war der dritte? Ist er etwa selbst zurückgekehrt, seine Rache zu stillen?« Offenbar hatte Hazlewoods unerwartetes Erscheinen tiefen Eindruck auf sie gemacht, da sie, auf den Tod verwundet, ihn nicht hatte erkennen können, und sie kam oft auf ihn zurück. Bertram war über das Zusammentreffen mit ihm nicht weniger verwundert, bis Hazlewood ihm erzählte, wie er der Zigeunerin und ihren beiden Begleitern durch Heide, Tal und Wald bis zur Höhe gefolgt und endlich dem Landmanne nachgekrochen sei und ihn in dem dunklen Gange am Beine festgehalten Hab?, Vor dem Turme angelangt, zog Meg Merrilies den Schlüssel aus der Rocktasche; als man sie aber auf einen Heuhaufen betten wollte, rief sie unruhig: »Nein, nein! so nicht, nicht mit dem Gesicht gen Abend! Zum Morgen hin! Zum Morgen hin!« Sie nahm die Schmerzen, die der Wechsel ihrer Lage verursachte, willig hin und wurde, als sie zur Sonne hin lag, zusehends ruhiger. Bertram fragte, ob kein Geistlicher in der Nähe sei, der unglücklichen Frau in ihrer letzten Stunde beizustehen. Dem Ortspfarrer, Hazlewoods einstigem Lehrer, war, wie anderen Leuten auch, die Kunde, daß Kennedys Mörder endlich vom Schicksale ereilt und daß ein Zigeunerweib von ihm auf den Tod bei seiner Festnahme verwundet worden sei, Zu Ohren gekommen. Neugierde und Pflichtgefühl hatten seine Schritte zum Turme von Derncleugh gelenkt, und gleichzeitig mit ihm fand sich der von Hazlewood zitierte Wundarzt ein, Meg Merrilies aber wies beide von sich ... »Menschenkunst kann mich nicht heilen noch retten,« lallte sie; »was noch gesagt werden muß, laßt mich sagen; dann sollt Ihr Euern Willen haben. Ich mag Euch nicht hinderlich sein – aber wo ist Harry Bertram?« Die Umstehenden, denen dieser Name so lange nicht mehr zu Ohren gekommen, sahen einander betroffen an. »Ja,« wiederholte sie, ihre rauhe Stimme verstärkend: »Harry Bertram von Ellangowan rufe ich ... Tretet mir aus dem Lichte, daß ich ihn sehen kann.« Aller Blicke richteten sich auf Bertram, der zu dem armseligen Lager trat, Meg Merrilies nahm ihn bei der Hand ... »Seht ihn an,« rief sie, »jeder, der seinen Vater oder Großvater gekannt hat, lege Zeugnis ab, daß er beider leibhaftes Ebenbild ist.« Die Aehnlichkeit sprang in die Augen, und durch die Reihen der Männer, die das Lager umstanden, lief dumpfes Gemurmel. »Und nun hört mich,« fuhr die Zigeunerin fort und wies mit der Hand auf den Schmuggler, der in einigem Abstande zwischen, seinen Wächtern saß – »mag Hatteraick leugnen, was ich nun sprechen werde, sofern er's leugnen kann. Der Mann, der dort vor euch steht, ist Harry Bertram, Godfrey Bertrams, weiland Herrn von Ellangowans leibhafter Sohn, der als Knabe durch Dirk Hatteraick im Walde von Warroch geraubt wurde, an dem Tage, da der Zöllner Kennedy durch diesen ermordet wurde. Ich war Zeuge beider Vorgänge, denn mich drängte es, noch einmal den Wald zu sehen, ehe wir die Gegend verließen. Ich rettete dem Knaben das Leben; ich bat und flehte, ihn mir zu lassen. Aber sie beharrten darauf, ihn mitzunehmen, und er ist lange, lange überm Meer gewesen. Nun aber kommt er zurück, sein väterliches Erbe zu fordern. Wer will etwas wider ihn? Ich habe geschworen, sein Geheimnis zu wahren, bis er sein einundzwanzigstes Jahr vollendet habe. Daß er sein Schicksal tragen müsse, bis der Tag gekommen, habe ich gewußt und habe meinen Schwur gehalten. Mir selbst aber habe ich einen andern Schwur getan: daß ich ihn, wenn ich den Tag seiner Rückkehr erlebte, in sein väterliches Erbe wieder einsetzen wolle, sollte auch jeder Schritt über eine Leiche gehen! Auch den Schwur habe ich gehalten. Ein Schritt wird über meine eigene Leiche führen – ein anderer Schritt,« schloß sie, auf Hatteraick weisend – »über jenes Mannes Leiche – und auch ein dritter noch wird sein Leben nach uns lassen müssen.« Hier schwieg sie. Der Geistliche meinte, es sei bedauerlich, daß ihre Aussage nicht in rechtlicher Form zu Papier gebracht werden könnte; dem Wundarzt erschien es notwendiger, die Wunden der Frau zu untersuchen, statt sie durch ein Verhör zu erschöpfen. Als der Schleichhändler hinausgeführt werden sollte, damit der Wundarzt in seinen Verrichtungen nicht gestört werde, richtete Meg Merrilies sich in die Höhe und richtete die laute Frage an ihn: »Dirk Hatteraick, erst vor Gottes Richterstuhl sehen wir uns wieder. Wollt Ihr bekennen, was ich Euch gesagt?« Der Schmuggler sah sie mit frecher Stirn an; aus seinen Blicken sprach unbeugsamer Trotz. »Dir! Hatteraick, Blut klebt an Euren Händen, wagt Ihr's, ein Wort von dem zu leugnen, was mein sterbender Mund gesprochen?« Noch immer sah er sie frech und verstockt an, und noch immer fand sich kein Wort über seine wildarbeitenden Lippen. »Lebt Wohl denn, und vergeb Euch Gott!« sprach die Zigeunerin, das Wort zum drittenmal an ihn richtend, »Eure Hand hat durch Blut mein Zeugnis besiegelt, Unter Menschen galt ich nie anders denn als wahnsinniges Zigeunerweib, das man auspeitschen, brandmarken, des Landes verweisen lieh – das sich von Haus zu Haus betteln mußte, das von Kirchspiel zu Kirchspiel gehetzt wurde, wie ein verlaufener Köter ... Wer hätte da wohl auf mein Wort gehört? Jetzt aber bin ich Mensch wie sie, denn ich liege im Sterben; jetzt werden meine Worte nicht tot auf die Erde fallen, die bald mein Blut tränken wird.« Sie hielt inne. Alle verließen die Höhle, bis auf den Wundarzt und zwei bis drei Frauen. Seine Untersuchung währte nur kurze Zeit. Er gab alle Hoffnung auf und räumte seinen Platz dem Geistlichen. Der Gerichtsfron hielt, um Hatteraick wegzuführen, einen Wagen an, der leer nach Kippletringan unterwegs war. Als der Kutscher horte, was in Derneleugh vorgegangen, übergab er einem Burschen seine beiden Pferde und rannte zum Turme hin und drängte sich durch das Landvolk, das sich inzwischen angesammelt hatte, den wiedergefundenen Sohn des verstorbenen Grundherrn zu sehen. Kaum hatte er den Blick auf Bertram geworfen, so rief er feierlich: »Fürwahr! das ist Ellangowan, vom Tode auferstanden!« Diese spontane Erklärung eines einwandfreien Zeugen setzte, wie ein Funke, die Gemüter der vor der Hohle gruppierten Menschen in Flammen. »Hoch Bertram,« erklang es von allen Seiten – »lang lebe Ellangowan! Möge Gott ihn in sein Erbe einsetzen, daß er uns ein gütiger Herr sei, wie es all seine Vorfahren waren!« »Hört ihr's? Hort ihr's?« rief, aus der die nahe Auflösung kündenden Betäubung wild emporfahrend, die Zigeunerin, der der Geistliche vergeblich Gebete vorsagte – »hört ihr's? Alle kennen ihn wieder, – O, nur so lange hat mein Leben reichen sollen – ich bin ein sündiges Weib ... was aber mein Fluch über ihn brachte, das hat mein Segen von ihm wieder genommen. O, daß mir noch andere Worte vergönnt gewesen wären! Doch kann's nicht sein und soll's nicht sein. – Aber halt!« fuhr sie fort, ihr Gesicht zu dem Lichtschimmer hin wendend, der durch die enge Mauerspalte fiel: »Steht er nicht dort? Geht mir aus dem Wege, daß ich ihn noch einmal sehe . ... Ueber meine Augen legt sich die Finsternis« – starr schaute sie in das Dämmerlicht – dann sank sie zurück, und nur undeutliches Lallen fand noch den Weg über ihre Lippen. – »Alles ist aus! Alles!« schien sie sagen zu wollen – »Odem muß gehn, Tod, laß Dich sehn!« Mit diesem letzten Wunsche verschied sie ohne einen Seufzer, Pfarrer und Wundarzt brachten die Aussage der Frau zu Papier, in der festen Ueberzeugung von ihrer Wahrhaftigkeit, doch mit dem Bedauern, daß man sie nicht schärfer verhört hatte. Hazlewood war der erste, der dem Erben von Ellangowan zu der erfreulichen Aussicht gratulierte, die sich ihm eröffnete. Der Kutscher erzählte nun von dem Renkontre, das der junge Laird mit Bertram gehabt, und von dem unglücklichen Zufall mit dem Schusse, und nun gedachten die Anwesenden auch Hazlewoods mit ehrenden Zurufen. Hatteraicks starrer Sinn schien während der letzten Auftritte doch zu weichen. Wenigstens ließ sich wahrnehmen, daß er die Augen niederschlug und mit den gefesselten Händen den Hut tiefer ins Gesicht hineinzuziehen suchte, ja sogar unruhig nach der Straße hinblickte, als ob er sich vor dem Wagen gefürchtet hätte, der ihn wegführen sollte. Hazlewood bangte es davor, daß sich die Volkswut gegen den Gefangenen richten möchte; er ließ ihn nun nach Kippletringan abführen, während er Mae Morlan durch einen besonderen Boten von den Vorgängen des Tages unterrichten ließ ... »Es würde mir recht lieb sein,« sagte er schließlich zu Bertram, »wenn Sie mich nach Hause begleiteten. – Da ich aber wohl annehmen darf, daß es Ihnen heute weniger recht sein möchte als hoffentlich in ein paar Tagen, so bleibt mir nur übrig, Sie nach Woodbourne zu begleiten. Aber Sie sind nicht beritten –« Ein halbes Dutzend Stimmen auf einmal wurden unter den Landleuten laut, um dem jungen Laird ein Pferd anzubieten, und einer suchte dem andern die Gunst streitig Zu machen. Während das Pferd, zu dem sich Bertram entschlossen hatte, weil es von ihm hieß, es laufe fünf Meilen in einer Stunde, ohne daß man ihm die Peitsche oder den Sporn zu geben brauche, gesattelt und gezäumt wurde, begab sich Bertram mit dem Geistlichen in den Turm. Dort heftete er minutenlang schweigend den Blick auf den Leichnam. Der Tod hatte die Züge der Zigeunerin noch verschärft: noch immer aber verrieten sie den ernsten, kräftigen Geist, durch den sie die rohe Horde beherrscht hatte, unter der sie gelebt hatte, – Dann bat er den Geistlichen, für ein anständiges Begräbnis zu sorgen, mit dem Bemerken, daß er noch Geld in Händen hätte, das der Verstorbenen gehöre, und daß er also für die Kosten unter allen Umständen eintrete. Jetzt rief Dinmont, der von einem Bekannten ein Pferd geliehen, daß alles bereit sei. Bertram und Hazlewood legten dem auf etliche hundert Köpfe angewachsenen Landvolk ans Herz, durch unbedachtsamen Eifer dem jungen Laird, wie sie ihn nannten, nicht etwa zum Schaden zu sein, und verabschiedeten sich dann herzlich von der ihnen von neuem zujubelnden Menge. Ein schneller Ritt brachte sie nach Woodbourne, wohin die große Neuigkeit ihnen vorausgeeilt war, und von allen Insassen der Gutsherrschaft wurde Bertram mit Heilrufen bewillkommt.. »Den treuen Freunden hier,« sprach er zu der ihm zuerst von allen zufliegenden Schwester, »hast Du es zu danken, daß Du mich wiedersiehst.« Während Julie Manning einen Blick von ihm zu erhaschen suchte, dankte Lucy unter holdem Erröten dem Geliebten durch ein Nicken, und dem wackern Dinmont durch einen Händedruck. Dinmont nahm sich im Uebermaß seiner Freude die Freiheit, dem Mädchen durch einen Kuß seinen Tank abzustatten, wich aber im andern Augenblick wie ein betrippter Pudel ein halbes Dutzend Schritte zurück und stotterte, schier außer sich vor Schreck: »Um Jesu Christi willen, liebes Fräulein, nehmen Sie es mir nicht übel! Hab ich doch, weiß Gott im Himmel, gedacht, eins von meinen Kindern vor mir zu haben. Ueber der Liebe und Leutseligkeit unsers Rittmeisters lernt man wahrhaftig vergessen, wer man ist.« »Oho! wenn hier mit solcher Münze die Sporteln bezahlt werden –« rief der Anwalt, der gerade hinzutrat, mit lustigem Lachen. »Gemach, gemach, Herr Pleydell,« fiel ihm Julie ins Wort, »Sie haben sich für Ihre Gebühren den üblichen Vorschuß zahlen lassen – Sie wissen doch – gestern abend?« »Zu einem einmaligen Vorschuß bekenne ich mich,« erwiderte der alte Herr, »aber ich werde doppelte Gebühren zu kassieren haben, von Ihnen und von Fräulein Lucy, wenn ich morgen Hatteraick verhört habe – und kirre will ich den Patron schon machen! Darum keine Sorge! Sie sollen's erleben, Oberst, und die spröden jungen Damen auch – zum wenigsten hören sollen's die beiden, wenn sie's nicht sehen mögen.« »Vorausgesetzt, daß wir es hören wollen,« bemerkte Julie. »Wollen wir wetten, daß Ihnen die Neugierde schon Lust machen wird, einen kleinen Appell an Ihre Ohren zu richten?« fragte neckisch der Anwalt. »Im Verkehr mit so naschhaften Herren, wie Ihnen, wird es nichts schaden, sich ein bißchen Fingerfertigkeit anzueignen,« meinte Julie mit Lachen. »Die ist am besten Platze am Klavier, mein schönes Fräulein,« erwiderte Pleydell, scherzhaft die Hand gegen sie schwenkend – »dort schadet sie zum wenigsten nicht.« Die Tür ging auf, und Oberst Mannering führte Mac Morlan, den Untersheriff, herein, um ihn seinem Gaste vorzustellen. »Sie haben meiner Schwester Ihr Haus geöffnet,« rief Bertram bewegt und schloß ihn in die Arme, »als sie sich von Verwandten und Freunden verlassen sah.« Da aber drängte sich Sampson vor, versuchte zu lachen, brachte es aber nur zu einer Art von Geknurr, versuchte zu Pfeifen, was ihm aber noch weniger gelang, und rannte schließlich hinaus, um sich unbehelligt von andern auszuweinen. Einundzwanzigstes Kapitel Am andern Morgen war alles auf den Beinen nach Kippletringan, dem Verhöre des Schleichhändlers beizuwohnen. Anwalt Pleydell wurde zufolge seiner Vertrautheit mit dem Falle, nicht minder auch wegen seiner hervorragenden juristischen Tüchtigkeit und Kenntnisse, mit dem Vorsitz bei der Verhandlung betraut. Bevor er sie eröffnete, ließ er noch einmal die Zeugen vortreten und brachte nach ihrem Verhör die vom Pfarrer und Wundarzt zu Papier gebrachten letztwilligen Aussagen der Zigeunerin Meg Merrilies zur Verlesung. Dieselbe hatte, wie beide Amtsträger bestimmt behaupteten, sich als Augenzeugin von Kennedys Ermordung bekannt und Hatteraick und zwei andere Schleichhändler des Mordes beziehentlich der Teilnahme bezichtigt: ihren Neffen Gabriel, mit Vatersnamen Faa, und einen, über den sie weiteres auszusagen durch ihre Schwäche verhindert worden war. Nun wurde Dirk Hatteraick gefesselt in das Verhandlungszimmer geführt. Auf alle an ihn gestellten Fragen nach Namen, Herkunft, Stand, und so weiter, verweigerte er die Antwort, Pleydell putzte sich die Brille, flüsterte Mannering zu, daß er noch kaum solch hartgesottenen Sünder in der Schere gehabt habe, ihm aber die Hölle heiß machen wolle – und ließ den Schuhmacher zitieren, der bei der ersten Feststellung des Tatbestandes die Fußstapfen im Walde gemessen hatte; nun ergab sich, daß das eine der notierten Maße mit den Schuhen des Schmugglers Brown, die im Derncleugher Turme damals gesunden worden waren, das andere aber mit dem Fuße des Delinquenten haarscharf übereinstimmte. Dieses unvermutete Beweismoment brachte Hatteraick um alle Besonnenheit ... »Alle Hagel!« rief er, »wie hat man denn Fußstapfen sehen wollen? Der Boden war doch an dem Tage hart gefroren wie Stein!« »Am Abend wohl, Hatteraick,« bemerkte Pleydell, »nicht aber Vormittags – und wo wart Ihr denn an dem Tage, auf dessen Wetter Ihr Euch so genau besinnt?« Hatteraick merkte sofort, wie sehr er sich durch seine Unbedachtsamkeit geschadet hatte, und verlegte sich wieder auf hartnäckiges Schweigen. Da ging plötzlich die Tür auf und zu aller Ueberraschung und Staunen trat Glossin über die Schwelle, Durch ein Paar gute Freunde, deren er noch immer hatte, war ihm berichtet worden, daß Meg Merrilies in der vor ihrem Verscheiden gemachten Aussage von ihm mit keiner Silbe gesprochen habe, und so glaubte er außer Hatteraicks Zeugnis keines befürchten zu müssen – um aber dieses zu verhindern dadurch, daß er seinem Mitschuldigen Mut einflößte, hatte er sich entschlossen, der Verhandlung beizuwohnen, zumal er meinte, hierdurch von seinem guten Gewissen einen besonderen Beweis zu erstatten. Alle, Sir Robert Hazlewood nicht ausgeschlossen – dem inzwischen der Argwohn aufgestiegen war, von ihm irregeführt worden zu sein, – erwiderten seine Begrüßung kalt und förmlich. »Vielleicht komme ich nicht gelegen, meine Herren,« fragte Glossin. »Die Verhandlung ist doch öffentlich?« »Was mich angeht,« vernetzte Pleydell, »so bin ich noch nie in meinem Leben über unerwarteten Besuch so erfreut gewesen, wie heut über den Ihrigen – ganz »abgesehen davon, daß sich vielleicht noch Ursache gefunden hätte, Sie um denselben zu bitten.« »Nun denn, meine Herren,« nahm Glossin wieder das Wort, indem er sich zu den andern Herren setzte und mit der Hand nach den auf dem Tische liegenden Akten griff – »wie weit sind wir? Bei welchem Punkt der Verhandlung stehen wir?« »Geben Sie mir alle meine Papiere her,« befahl Pleydell seinem Schreiber, »ich habe eine eigne Weise, meine Alten zu ordnen, Herr Glossin, und sehe es nicht gern, wenn andere dazwischen geraten. Aber es wird sich, denke ich, schon Veranlassung bieten, Sie um Ihre Gegenwart zu bitten.« Glossin schielte nach Hatteraick hinüber, konnte aber in dem finstern Auge des Gefangenen nur Bosheit und Haß lesen. »Aber, meine Herren,« bemerkte er wieder, »ich finde es doch nicht in Ordnung, den armen Menschen in Eisen zu schließen; zunächst handelt es sich doch nur um sein Verhör?« Er beabsichtigte mit der Rede nur, sich bei Hatteraick in günstiges Licht zu setzen – Mac Morlan aber beschied ihn mit der trockenen Antwort: »Der Mann ist schon einmal entsprungen,« und Glossin mußte schweigen. Bertram wurde hereingeführt. Glossin war nicht wenig betroffen, als er wahrnahm, daß ihn sogar der Baronet ganz freundlich grüßte, Bertram erzählte, was ihm aus seiner Kinderzeit noch erinnerlich, schlicht und ruhig, so daß niemand ein Zweifel an seiner Wahrhaftigkeit kam ... »Meine Herren,« nahm Glossin das Wort, von seinem Platze aufstehend, »dies sieht allem andern ähnlicher als einer Kriminal-Untersuchung; Sie wissen aber, von welchem Belang es für mich sein kann, wenn sich die Reden dieses jungen Menschen von seinen vermeintlichen Verwandtschaftsverhältnissen vertiefen, und werden mir darum wohl nicht verübeln, wenn ich vorziehe, mich zu entfernen.« »Nicht doch,« erwiderte Pleydell, »davon kann keine Rede sein, denn wir können Sie jetzt nicht missen. Weshalb betonen Sie das Vermeintliche der Ansprüche dieses jungen Mannes? Es sei mir ferne, Ihre Einreden gegen denselben erforschen zu wollen, wenn Sie zu solchen Veranlassung haben, aber –« »Die Sache ist mit wenig Worten erklärt,« antwortete Glossin; »dieser junge Mensch, nach meinem Glauben und Wissen ein natürlicher Sohn des verstorbenen Ellangowan, hat sich ein paar Wochen in unserer Gegend unter allerhand Namen umhergetrieben, hat mit einem verrufenen irrsinnigen Weibe sein Techtelmechtel gehabt und unser Landvolk durch Kesselflicker, Zigeuner und ähnliches Gesindel gegen uns Gutsherren aufgewiegelt.« »Ich muß Ihnen abermals ins Wort fallen,« bemerkte Pleydell, »wer ist der junge Mann nach Ihrem Glauben und Wissen, wie Sie sagen?« »Ein unehelicher Sohn des verstorbenen Ellangowan, – was wohl auch der Mann dort,« – dabei wies Glossin auf Hatteraick – »wissen dürfte – seine Mutter war eine Dirne vom Lande, Janet Lightoheel mit Namen, die später einen Schiffbauer Hewit in der Allaner-Gegend geheiratet hat. Er heißt mit seinem rechten Namen Godfreh Bertram Hewit und ist unter diesem Namen auf den königlichen Zollkutter Carolina gebracht worden.« »So, so,« meinte Pleydell, »gar nicht so unwahrscheinlich, was Sie uns da zum besten geben – bloß stimmt's nicht ganz mit dem Aussehen – Augen, Gesichtsfarbe und so weiter variieren – tretet 'mal näher, junger Freund! ... Na, da ist unser Seemann, besagter Hewit, Godfrey Bertram Hewit, Steuermann auf einem Westindienfahrer, und gestern abends via Liverpool von Antigua gekommen, im übrigen auf dem besten Wege, gut durch die Welt zu kommen, wenn auch sein Debüt nicht so ganz der allgemeinen Regel entsprochen hat.« Während die übrigen Gerichtsbeisitzer sich mit dem jungen Steuermann in ein Gespräch einließen, zog Pleydell zwischen seinen Akten Hatteraicks Brieftasche hervor. Da fing er einen Blick des Schmugglers auf, der ihn auf den Gedanken brachte, daß es mit der Brieftasche eine besondere Bewandtnis haben möchte, und er untersuchte sie, fand aber erst nach geraumer Zeit zwischen Pappe und Leder einen Schlitz, in welchem sich drei schmale Papiere befanden. Nachdem er sie angesehen, stellte er Glossin die Frage, ob er sich bei der Suche nach der Leiche Kennedys und nach dem Verbleib des kleinen Bertram befunden habe. »Nein,« versetzte Glossin, dem aber im Nu das Gewissen schlug – »das heißt – ich –« »Als ein so guter Bekannter der Familie Ellangowan hätten Sie doch vernommen werden müssen,« sagte Pleydell, – »meines Wissens ist das nicht der Fall gewesen – wie erklären Sie das? Gemeldet haben Sie sich nicht – das weiß ich bestimmt, denn ich habe ja die Untersuchung geführt!« »Ich mußte am Tage nach dem unglücklichen Ereignis in Geschäften nach London reisen.« »Wohl um die drei Wechsel hier an den Mann zu bringen?« fragte Pleydell, »die Sie auf Vanbeest und Vanbrüggen gezogen hatten, und die den Annahmevermerk eines gewissen Dirk Hatteraick trugen, zudem am Tage des Mordes ausgestellt worden waren?« ... Glossin war nahe daran, die Fassung zu verlieren ... »Viel Aussicht, daß Ihnen das Geschäft glücken werde, war freilich nicht vorhanden; daß die Wechsel aber eingelöst wurden, geht aus diesen Papieren hervor, in denen uns ein gewisser Gabriel Faa meldet, wie Sie sich in diesem besonder« Falle benommen oder zu benehmen für geraten erachtet haben – können Sie uns darüber naher unterrichten?« »Herr Pleydell,« versetzte Glossin, schnell gefaßt, »wären Sie im vorliegenden Falle mein Anwalt, so dürften Sie mir vermutlich den guten Rat geben, auf eine Anschuldigung, die ein gemeines Subjekt durch einen Meineid erhärten zu wollen scheint, nicht ohne weiteres zu reagieren.« »Mein Rat würde sich nach der Ansicht richten, die ich mir über Ihre Schuld oder Nichtschuld gebildet habe. Im vorliegenden Falle dürfte es wohl jedem als das geratenste erscheinen, Sie in Haft zu nehmen!« »In Haft!« wiederholte Glossin, »und auf welchen Verdacht hin? Doch nicht am Ende gar als Mordes verdächtig?« »Nein, Glossin,« versetzte Pleydell, »aber verdächtig als Anstifter von Kinderraub!« »Das läßt Haftentlassung gegen Sicherstellung zu,« meinte Glossin. »Bitte recht sehr,« versetzte Pleydell, »Kinderraub ist ein plagium – ein Kapitalverbrechen – und bedingt strenge Haft.« Er gab dem nächsten Fron einen Wink, worauf Glossin abgeführt wurde. Nun wurde zum Verhöre des Zigeuners Gabriel Faa geschritten, der von dem Schiffe, auf dem er deportiert werden sollte, entwichen war und sich an dem verhängnisvollen Tage unter den Schleichhändlern befunden hatte. Nach seiner Aussage hatte Hatteraick Feuer im Schiffe angelegt, als es zu sinken drohte, und war unter Wahrnehmung der dadurch entstandenen Verwirrung mit seiner Mannschaft und allem rettbaren Gute entflohen ... In der Höhle hatten sie Zuflucht gesucht. Hatteraick, Vanbeest Brown und drei andere, darunter Gabriel, hatten sich zur Beratung mit ein paar Bekannten aus der Gegend in den nahen Wald begeben. Hier waren sie unvermutet auf Kennedy gestoßen, den Hatteraick und Brown als den Urheber des über sie hereingebrochenen Mißgeschicks zu ermorden beschlossen. Nach Vollbringung der blutigen Tat waren sie alle auf verschiedenen Wegen nach der Höhle zurückgekehrt. Hatteraick hatte dort erzählt. wie er dem Ermordeten einen Felsblock nachgestürzt hätte; da war Glossin unter ihnen erschienen und ließ sich sein Stillschweigen teuer bezahlen. Ueber Vertrams Schicksal konnte Gabriel bis Zu seiner Verschiffung nach Indien Auskunft geben. Von da ab hatte er ihn jedoch aus dem Gesichte verloren und ihn erst im Liddes-Tale wiedergesehen. Er hatte es sogleich seiner Muhme, der Meg Merrilies, erzählt, daß er Bertram gesehen, sie hatte ihm aber streng verboten, hiervon Hatteraick Mitteilung zu machen, der Zur selben Zeit an der schottischen Küste gelandet war; kurz nachher hatte Meg Merrilies erklärt, dem jungen Ellangowan zu seinem Rechte helfen zu wollen, selbst wenn sie Dirk Hatteraick dadurch bloßstellen müsse. Auf ihr Geheiß sei Bertram bei dem Sturm auf das Zollhaus durch ihn befreit worden. Zuletzt berichtete der Zigeuner, die Meg Merrilies hätte immer gefügt, Bertram trüge etwas um den Hals, das über seine Herkunft klaren Ausweis gebe, einen Talisman, den ein Oxforder Studiosus für ihn gemacht habe, und den er wohl noch bei sich tragen werde, wenigstens hätte sie den Schleichhändlern vorgeredet, daß das Schiff dem Untergange geweiht wäre, wenn dem Kinde der Talisman genommen würde. Bertram brachte ein kleines Beutelchen von Sammet zum Vorschein, das er, wie er sagte, seit seiner Kindheit um den Hals getragen und anfangs aus Aberglauben, späterhin aber in der Hoffnung, daß es ihm einmal zur Ermittlung seiner Herkunft dienen werde, aufbewahrt habe; und als das Beutelchen nun geöffnet wurde, fand sich darinnen in einer blauseidenen Hülle das Horoskop, das Mannering sofort wiedererkannte. Nun erzählte er, wie er bei dem ersten Besuche, den er in Ellangowan abgestattet hatte, dazu gekommen war, den Sterndeuter zu spielen. Aus Rücksicht auf seinen Stand und Bildungsgrad war unterlassen worden, Glossin Fesseln anzulegen. Mac Guffog, der nach der Zerstörung des Zuchthauses in Portanferry nach Kippletringan versetzt wurden war, wies ihm eine der besseren Zellen an. Als er dort allein mit sich war und seine Lage überdachte, konnte er sich nicht verhehlen, daß es um seine Sache höchst gefährlich stand, und sobald Mac Guffog wieder in seine Zelle trat, sprach er ihm die Bitte aus, ihm zu einer Zusammenkunft mit Hatteraick zu verhelfen, Mae Guffog sprach von ausdrücklichem Befehle, die beiden Arrestanten in strenger Sonderhaft zu halten, aber ein paar Goldstücke schafften seine Bedenken aus dem Wege, und er erklärte sich bereit, Glossin zur Schließzeit in Hatteraicks Kerker einzulassen, wo er aber dann bis zum Tagesanbruch aushalten müßte. Um zehn Uhr fand sich Mac Guffog auch mit einer kleinen Blendlaterne ein. Glossin mußte die Schuhe ausziehen; dann ging es, nachdem Mac Guffog die Zellentür mit recht viel Lärm zugeschlagen und geschlossen hatte, eine steile Treppe hinauf zur Armensünderzelle. Hier hinein schob ihn Mac Guffog, um die Tür wiederum geräuschvoll hinter ihm zu schließen. In dem finstern Raume, beim matten Schimmer seiner Laterne, sah Glossin zuerst so gut wie nichts, bis er den Blick auf die Pritsche richtete, auf der Dirk Hatteraick lag. Er rief ihn an, und der Delinquent fuhr empor, mit seinen Ketten rasselnd ... »Alle Hagel!« schrie er; »wird mein Traum denn wahr? Hinweg, hinweg! Laßt mich allein! Es ist am besten für Euch!« »Aber, alter Freund,« sagte Glossin, »macht Euch die Aussicht auf eine kurze Haft denn völlig mürbe?« »Ja, denn mich macht bloß ein Strick noch frei! Hinweg, sage ich – und bringt mir das Licht aus dem Gesichte!« »Aber, Dirk, seid doch ohne Furcht! Mir ist ein feiner Plan eingefallen, alles wieder ins Lot zu bringen.« »Hol Euch der Teufel mit samt Euren Plänen! Ihr habt mich um Schiff, Ladung und Leben gebracht – und eben hat mir geträumt, Meg Merrilies schleppte Euch bei den Haaren herbei und reichte mir ein langes Messer – seid gescheit und versetzt mich nicht in Versuchung!« »Hatteraick, steht auf und laßt uns zusammen reden!« »Ich mag nicht. Ihr seid an all meinem Unglück schuld. Ihr wolltet der Meg den Jungen nicht lassen. Sie hätte ihn wiedergebracht, wenn er alles vergessen hätte.« »Hatteraick, Ihr faselt ja!« »Ha! und Portanferry? hat uns der Streich dort nicht alles gekostet? habt Ihr mich dazu angestiftet aus andrer Ursache als Eurem Vorteil?« »Aber Euer Hab und Gut –« »Der Teufel soll's fressen! Wir hätten was andres gewinnen können. Aber Schiff und Mannschaft zu verlieren und sein eignes Leben gefährdet zu sehen um eines elenden Schuftes willen, der immer mit andrer Leute Händen seine Tasche füllt und sich weißbrennt – kein Wort mehr, sage ich – Ihr habt's mit einem Kerl zu tun, der –« »Bloß ein Wort, ein einziges, Hatteraick!« »Alle Hagel! Kein Wort mehrt! Keine Silbe mehr!« »So steht wenigstens auf, Ihr Dickhäuter!« rief Glossin, die Fassung verlierend, und stieß den Schmuggler mit dem Fuße, der rasend vor Wut aufsprang und ihn mit den Ketten umschlang – »wenn Ihr's nun einmal nicht besser haben wollt!« Es kam zu einem wilden Ringen, in welchem Glossin schließlich unterlag und mit dem Genick auf das eiserne Geländer schlug. Die Zelle unter der Armsünderzelle war nun leer – es war Glossins Zelle – aber die Insassen der Nachbarzellen hatten den schweren Fall und dann Stöhnen vernommen ... doch gewöhnt an dergleichen Schreckenstöne, machten sie keinerlei Lärm. Früh bei Tagesanbruch kam Mac Guffog herein und rief leise Glossin bei Namen. »Lauter!« versetzte Hatteraick höhnisch, »lauter!« »So kommt doch bloß heraus, Glossin!« »Ohne Eure Hilfe wird's kaum gehen,« sagte Hatteraick wieder. »Was sind das für Reden, Mac Guffog?« rief der Inspektor von unten her. Nochmals mahnte Mac Guffog zur Eile, aber schon kam der Inspektor mit Licht. Mit Entsetzen sah nun Mac Guffog Glossins Leiche an dem Geländer hängen, der Hals war ihr umgedreht; und nicht weit von ihr lag Dirk Hatteraick auf seiner Streu. Neben der Leiche stand die kleine Laterne mit eingeschlagenen Scheiben. Mac Morlan wurde gerufen. Er befand sich in der Stadt, ließ aber nicht lange warten. »Wer hat Glossin hierher gebracht?« fragte er den Schmuggler. »Der Teufel,« versetzte dieser. »Und was habt Ihr ihm angetan?« »In die Hölle vorausgeschickt hab ich ihn.« Zweiundzwanzigstes Kapitel Da Glossin ohne Leibeserben starb und auch den Kaufschilling noch nicht vollständig erlegt hatte, sollte die Herrschaft Ellangowan neuerdings im Interesse von Godfrey Bertrams Gläubigern zum Zwangsverkaufe gebracht werden, trotzdem keine geringe Anzahl derselben leer hätte ausgehen müssen, falls Harry Bertram als Fideikommiß-Erbe aufgetreten wäre. Dieser erachtete es für das klügste, die Verwaltung seiner Interessen in die Hände von Pleydell und Mac Morlan zu legen, mit dem ausdrücklichen Bedingnis indessen, daß sämtliche nachweisbaren Schulden, außer den gerichtlich anerkannten, auf Heller und Pfennig bereinigt werden sollten, auch in dem Falle, wenn er wieder nach Ostindien abkommandiert werden sollte. Oberst Mannering drückte ihm, als er diese ritterliche Erklärung vernahm, auf das herzlichste die Hand, und von da ab herrschte zwischen den beiden Männern das vollkommenste Einverständnis. Was ihm an Bargeld aus dem Nachlasse von Jungfrau Margarethe zufiel, war, mit Hinzunahme der freiwilligen Unterstützung des Obersten, für den jungen Erben ausreichend, die bereits eingeklagten Schulden zu tilgen. Seinem Rechtsfreunde Pleydell gelang es, in den von Glossin aufgestellten Rechnungen mancherlei Posten zu entdecken, die weit über den normalen Anspruch hinausgingen, und deren Reduktion die eigentliche Schuldsumme beträchtlich herabsetzte, so daß die Hauptschuldiger schließlich gern darein willigten, Bertram in seinem Erbrecht anzuerkennen und ihm in der Uebernahme der Standesherrschaft keinerlei Schwierigkeiten zu bereiten, Bertram siedelte als junger Laird von Woodbourne nach Ellangowan über und nahm in Gegenwart all seiner Freunde, und freudig begrüßt von seinen Pächtern und allem Landvolke, Besitz von dem alten Stammschlosse. Dem Obersten Mannering lag die Durchführung der Umbauten, mit denen er sich zurzeit, da er sich mit dem Gedanken getragen, Ellangowan durch Kauf in seinen Besitz zu bringen, befaßt hatte, so sehr am Herzen, daß er mit seiner Tochter selbst seinen Wohnsitz in das alte Schloß verlegte, ungeachtet mancher Bequemlichkeit, auf die er dabei verzichten mußte. Ganz aus dem Häuschen vor Freude war Sampson, der alte Magister und Freund der Familie. Drei Stufen auf einmal nahm er die Treppe hinauf, um das ärmliche Stübchen unter dem Dache wiederzusehen, worin er so lange gehaust hatte, und das ihm auch in seiner besseren Wohnung in Woodbourne nie aus dem Gedächtnisse geschwunden war. Da kam ihm aber plötzlich ein herber Gedanke: die Bücher! und der drängte sich ihm schwer aufs Herz. Wo sollte er sie hier in diesem engen Raume lassen? Nicht einmal drei Stuben wären in Ellangowan ausreichend gewesen, all die Schätze zu fassen, die ihm der Oberst in Verwaltung gegeben! Ein Glück für den Armen, daß er gleich darauf zu dem Obersten gerufen wurde, um zusammen mit ihm über den Plan zu einem neuen großen Herrschaftshause zu beraten, das unfern von dem dermaligen Schloßgebäude in einem den beiden alten geschichtlichen Türmen angemessenen Stile erbaut werden sollte. In diesem Plane war eine besondere Zimmerflucht vorgesehen, die die Aufschrift »Bibliothek« zeigte und an die sich ein Wohnzimmer mit Kabinett schloß, über welchem die Zeile prangte: »Herrn Sampsons Gemächer.« Da schlug der gelehrte Magister die Hände über dem Kopfe zusammen; aber die Freude, die ihn darob erfaßte, machte sich nur in dem Leib- und Magen-Ausrufe Luft: »Komisch! komisch! komisch!« Der biedere Rechtsanwalt Pleydell hatte sich von seinen Freunden auf einige Zeit verabschiedet, zum Weihnachtsfeste aber fand er sich, dem gegebenen Versprechen gemäß, in Ellangowan wieder ein, wo er jedoch niemand außer dem mit seinen Bauplänen und allerhand Entwürfen zu Parkanlagen, in denen er Meister war, eifrig befaßten Obersten antraf. »Ei, und wo befinden sich denn unsere schönen Damen?« fragte er, als die ersten Begrüßungsworte ausgetauscht waren, den Freund; »und wo steckt denn die holde Julie?« »Nicht weit,« antwortete Mannering, »nur gerade auf einem Spaziergange begriffen mit dem jungen Herrn Hazlewood, dem jungen Laird und dessen Freunde und Kameraden Delaserre, der seit ein paar Tagen als Gast bei uns weilt. Wir sind nämlich willens, in Derncleugh die Hütte neu aufzubauen, die der alten Merrilies als Obdach gedient hat, und die fortan nach ihr benannt, werden soll.« »Und unser gemeinsamer Freund aus dem Liddes-Tale?« fragte Pleydell. »Der ist schon lange in seinen Bergen,« erwiderte Mannering, »hat aber meiner Tochter fest versprochen, uns im Laufe des Sommers wieder zu besuchen und auch seine Frau mitzubringen, vielleicht auch seine Kinder; wieviel das sein werden, darüber hat er sich freilich nicht geäußert.« »O, die kleinen Blondköpfe! Na, da muß ich mich auch einfinden, denn ohne Versteckens und Blindekuh können die ja doch schwerlich sein, und dazu bin ich doch ohne Frage der beste Partner ... Aber was seh ich da? Baupläne? mit Turm in der Mitte? ganz nach dem Muster des Caernarvoner Adlerturms? und auch mit Corps de logis-Flügeln? Oho! der Neubau wird ja ganz Ellangowan auf seinen Buckel laden und mit ihm auf und davon fliegen.« »Nun, dann wird uns wohl nichts anders übrig bleiben als ein paar gutgespickte Beutel als Ballast hineinzuwerfen!« »Ei, ei! Aus dem Quartier pfeift der Wind?« rief mit schelmischem Lachen der Anwalt, »dann muß man wohl gar damit rechnen, daß mir der flotte Bursch die holde Julie vor der Nase wegfischt?« »Das wird freilich der Fall sein, mein werter Herr Pleydell!« erwiderte der Oberst. »Diese post nati Schelme laufen uns Schlemihls aus der alten Schule leider immer den Rang ab,« antwortete Pleydell lachend, »aber vielleicht bleibt mir wenigstens die Lucy sicher?« »Ich fürchte stark, Pleydell,« sagte Mannering, »auch nach dieser Seite hin dürften Sie mit einem kleinen Schiffbruch zu rechnen haben!« »Was Sie sagen!« »Sir Robert Hazlewood war bei unserm Harry Bertram, heute vor ein paar Tagen, um seine Meinung über ein paar Fälle auszusprechen ...« »Ach, bitte, Oberst, ersparen Sie mir die nähere Kenntnis von Phrasen aus dem Munde dieses würdigen Herrn!« »Nun, so will ich mich so kurz fassen wie möglich,« erwiderte Mannering, »er war der Meinung, es ließe sich vielleicht insofern über einen Ausgleich zwischen den beiden Landeigentümern sprechen, als Gut Singleside zwischen zwei von seinen Pachthöfen eingeschoben läge bei mehr als zwei Stunden Entfernung von Ellangowan ... Ihm wenigstens möchte ein Tausch, auch wohl ein Verkauf, oder sonst welche Abmachung genehm sein.« »Schön! Und was hat Bertram dazu für Meinung?« »Daß Singleside, gemäß der letztwilligen Verfügung seiner Schwester, der verblichenen Jungfer Margarethe, und nicht minder seinem Wunsche entsprechend, als Eigentum seiner Schwester zu gelten habe und sich zufolgedessen jeglicher Verfügung seinerseits entziehe.« »Solch ein Spitzbub!« rief Pleydell, sich ostentativ die Brille putzend, »nicht bloß die Liebste, auch das Herz muß er mir noch entziehen! – Et puis»?« fragte er lauernd. »Et puis,« knüpfte Mannering an die Frage des Freundes an, »entfernte Sir Robert sich und nahm mit vielen verbindlichen Worten einstweiligen Abschied, fand sich aber in der letztverwichenen Woche wiederum ein, diesmal jedoch mit voller Heeresmacht, das heißt sechsspännig, in gestickter Scharlachweste und mit der besten Perücke auf dem Kopfe, kurz, von A bis Z als nobler Herr!« »Und in welcher Absicht?« »Nun, zuerst erging er sich in einer recht ausführlichen Schilderung von der Neigung, die im Herzen seines Sohnes Charles für Jungfrau Lucy Bertram wohne ...« »Ei, ei! Seit Gott Amor seine Residenz auf den Zinnen von Singleside aufgeschlagen, ist's ihm also geglückt, die Aufmerksamkeit des alten Herrn auf sich zu lenken? Und bei dem alten Gecken und seiner Dame, dem Reisigen im Unterrock, soll das arme Ding, die Lucy, künftighin hausen?« »O, nicht doch! Wir gehen mit dem Gedanken um, das Ding anders einzurichten. Singleside soll künftighin als Ober-Hazlewood auf den Landkarten erscheinen und das junge Paar in seinen Räumen aufnehmen.« »Und Sie, lieber Oberst, gedenken hinfort in Woodbourne zu residieren?« »Wenigstens so lange, bis die Baupläne hier in die Praxis übertragen sein werden,« versetzte Mannering: »da, bitte, ist der Plan zu meinem Heim, und, wie Sie zugeben dürften, gar nicht so übel? Wenigstens wird es mir an Raum darin nicht fehlen, mich auszubrummen, wenn mich die Laune dazu befällt.« »Ei, und so dicht beim alten Schlosse? Da haben Sie wohl Absichten auf den Turm Donagilds, um sich wieder mit astrologischen Studien zu befassen?« fragte Pleydell schelmisch. »O nein, mein lieber Herr Juriskonsulent,« antwortete Mannering, »hier sagt der Astrolog Valet!« Schluß des Romans. Der Altertümler Erster und zweiter Band Übersetzt von Erich Walter The Antiquary Edinburgh 1816 Erster Band Erstes Kapitel An einem schönen Sommermorgen gegen Ende des vorigen Jahrhunderts kaufte sich ein junger Mann von vornehmer Erscheinung, der auf der Reise war nach dem Nordosten Schottlands, einen Fahrschein für eine jener öffentlichen Postkutschen, die zwischen Edinburgh und Queensferry verkehren, und an diesem letzteren Orte geht, wie schon der Name besagt und wie meine Leser aus dem Norden alle wissen, eine Fähre über den Firth of Forth. Die Kutsche war für sechs Fahrgäste eingerichtet, ungerechnet die blinden Passagiere, die der Postillon unterwegs auflesen und zwischen die, die ihren Platz ordnungsgemäß bezahlt und daher ihr Anrecht darauf hatten, hineinzwängen konnte. Die Fahrscheine, durch die ein Anrecht auf einen Sitz in diesem wenig behaglichen Beförderungsmittel erlangt wurde, wurden ausgegeben von einer kleinen alten Dame, die eine Brille auf der Nase hatte und luchsäugig umher schaute. Sie war in einem Keller einquartiert, von dem aus eine enge steile Treppe nach der Landstraße hinaufführte, da unten verkaufte sie Band, Zwirn, Nadeln, Wollgarn, grobe Leinwand und andere Frauenartikel an jedermann, der die Geschicklichkeit und Beherztheit hatte, in die Tiefe ihrer Behausung hinabzusteigen, ohne kopfüber hinunterzupurzeln oder ein paar Stücke von der Ware umzuwerfen, die, reichhaltig zu beiden Seiten des Abstieges aufgestapelt, das Gewerbe der unten wohnenden Trödlerin verriet. Der geschriebene Fahrplan war an ein vorspringendes Brett geklebt und verkündete, daß der Queensferry-Omnibus am Donnerstag, dem 15. Juli 17 ..., pünktlich um 12 Uhr abfahre, die Fahrgäste hätten auf diese Weise Anschluß zu einer Überfahrt, während der Flut über den Firth. Dieser Fahrplan log aber diesmal wie ein Zeitungsbericht. Denn obgleich schon die St. Giles-Kirche vom Turm herab die Stunde geschlagen und die Tronkirche den Schlag wiederholt hatte, ließ doch noch keine Kutsche sich an dem bestimmten Platze erblicken. Allerdings waren bloß zwei Fahrscheine ausgegeben worden, und möglicherweise hatte die Dame in der unterirdischen Behausung sich mit ihrem Automedon verständigt, daß für solche Fälle eine kleine Wartezeit gestattet sein sollte, damit eventuell die leeren Plätze noch besetzt werden konnten – oder der besagte Automedon hatte am Ende ein Leichenbegängnis fahren müssen und Aufenthalt erlitten, weil er erst die Trauerdekoration wieder von seinem Fahrzeug hatte entfernen müssen – oder er hatte mit seinem »Spezi«, dem Stallknecht, einen halben Liter »Extrafeinen« getrunken – oder – kurz und gut, er kam und kam nicht. Zu dem jungen Manne, der mit der Zeit ein wenig ungeduldig wurde, gesellte sich jetzt ein Genosse in dieser unbedeutende Mißhelligkeit des Menschendaseins – der Mann, der den andern Platz genommen hatte. Wer eine Reise machen will, ist in der Regel leicht von seinen Mitbürgern zu unterscheiden. Die Stiefel, der Mantel, der Regenschirm, das kleine Bündel in der Hand, der bis auf die entschlossen gerunzelten Brauen herabgedrückte Hut, die kurzen Antworten auf die Begrüßungen von müßig herumstehenden Bekannten – all dies sind Merkmale, an denen der erfahrene Postkutschen-Reisende den Gesellschafter seiner bevorstehenden Fahrt, sobald er nur dem Abfahrtsplatze sich mit hastigen Schlitten nähert, unfehlbar schon von weitem erkennt. In diesem Augenblicke beeilt sich dann der, der zuerst am Platze war, sich die bequemste Ecke in der Kutsche selber zu sichern und sein Gepäck aufs behaglichste zurechtzulegen, ehe noch seine Mitbewerber eintreffen. Unser Jüngling war mit nur geringer Besonnenheit dieser Art begabt, und überdies hatte er nicht die Gelegenheit, das Sprichwort, wer zuerst kommt, malt zuerst, zu seinen Gunsten anzuwenden, da ja die Kutsche noch gar nicht da war. Er vertrieb sich daher die Zeit damit, Betrachtungen anzustellen über Beruf und Charakter des Mannes, der jetzt bei der Fahrscheinausgabe angekommen war. Er war ein Mann von etwa sechzig Jahren, vielleicht auch noch älter, aber er sah noch rüstig aus, und seine gesunde Farbe und der feste Schritt bewiesen, daß die Jahre ihm Kraft und Wohlbefinden noch nicht geschwächt hatten. Sein Gesicht war vom echten schottischen Schnitt, stark ausgeprägt, mit scharfen, fast strengen Zügen, klugen, durchdringenden Augen und einer Miene, in der gewohnheitsmäßige Würde sich launig mit einem Stich ins Ironische mischte. Seine Kleidung war einförmig und von einer Farbe, wie sie seinem Alter und seiner Würde angemessen war. Eine wohlgestutzte und gepuderte Perücke, über der ein breitkrempiger Schlapphut saß, gab ihm fast das Aussehen eines Gelehrten. Er konnte Pfaffe sein, aber er machte doch mehr den Eindruck eines Mannes von Welt, als man sonst bei den Jüngern der schottischen Kirche findet, und sein erster Ausruf erhob diese Frage über jeden Zweifel. Er langte in eiligem Schritt an, warf einen bestürzten Blick auf das Ziffernblatt der Kirchenuhr, sah dann auf den Platz, wo die Kutsche hätte stehen sollen, und rief: »Da steckt der Teufel drein! Ich bin doch noch zu spät gekommen!« Der junge Mann befreite ihn aus seiner Besorgnis, indem er ihm mitteilte, daß der Omnibus noch nicht gekommen sei. Der alte Mann war sich augenscheinlich seines eigenen Mangels an Pünktlichkeit bewußt und fand nicht sogleich den Mut, die Unpünktlichkeit des Postillons zu kritisieren. Er nahm ein Paket, das dem Aussehen nach einen großen Folioband enthielt, einem kleinen Jungen ab, der mit ihm gekommener, klopfte dem Knaben zärtlich aufs Köpfchen, hieß ihn gehen und trug ihm auf, er solle Frau B. sagen, wenn er gewußt hätte, daß er noch so viel Zeit hätte, wäre er gern noch um einen »Plausch« länger geblieben – dann legte er dem Jungen ans Herz, hübsch fleißig zu sein und bei der Sache zu bleiben, und er würde ein so tüchtiger Bursche werden, wie nur je einer einen Duodezband abgestäubt hätte. Der Junge zauderte noch ein wenig, vielleicht in der Erwartung, ein paar Pfennige zu bekommen, daß er sich ein paar Murmeln kaufen könnte, aber es setzte keinen Heller. Unser alter Herr legte sein kleines Bündel auf einen der Treppenpfosten, musterte den Reisenden, der zuerst angekommen war, und wartete schweigend etwa fünf Minuten lang auf die Ankunft der fälligen Kutsche. Mehrmals hatte er einen ungeduldigen Blick auf den weiterrückenden Minutenzeiger der Uhr geworfen, hatte ihre Zeitangabe mit seiner eigenen Taschenuhr, einer mächtigen, antiken goldenen Repetieruhr, verglichen, hatte ein Gesicht geschnitten, um mehreren verdrießlichen »Pahs!« gehörigen Nachdruck zu verleihen und rief dann der alten Dame im Keller zu: »Gute Frau, wie zum Kuckuck heißt sie doch gleich? Frau Macleuchar!« Frau Macleuchar ahnte, daß sie in der nun folgenden Unterredung sich zu verteidigen hätte, und hatte es nicht eilig, die Diskussion durch eine bereitwillige Antwort in Fluß zu bringen. »Frau Macleuchar, gute Frau,« (mit erhobener Stimme – dann beiseite): »Alte ausgediente Hexe! Sie ist so taub wie 'n Türpfosten! – Heda, Frau Macleuchar!« »Ich bediene eben einen Kunden. Wahrhaftig, Herzchen, ich laß es nicht um einen Pfennig billiger, als ich sage!« »Weib,« rief der Reisende weiter, »denken Sie denn, wir können hier den ganzen Tag lang stehen, bis Sie dem armen Dienstmädchen den Halbjahrslohn und die Trinkgelder obendrein abgegaunert haben?« »Abgegaunert?« versetzte Frau Macleuchar, der darum zu tun war, auf dem Boden ihrer Verteidigung ordentlich schimpfen zu können. »Ich mach mir grad was draus, was Sie da sagen! Sie sind ein ganz unhöflicher Patron, und was fällt Ihnen überhaupt ein, da zu stehen und mir an meiner eigenen Treppe Gemeinheiten an den Kopf zu werfen?« »Dieses Weib,« sagte der alte Herr mit einem pfiffigen Blick auf seinen Reisegefährten, »hat keine Ahnung davon, welchen Wortlaut eine Beschwerde haben muß. – Weib,« wandte er sich wieder nach dem Keller, »ich will Ihnen ja nicht im geringsten nahe treten, ich möchte bloß wissen, was aus dem Omnibus geworden ist.« »Was wollen Sie?« entgegnete Frau Macleuchar, wieder in Taubheit verfallend. »Wir haben Plätze genommen, gute Frau,« sagte der jüngere Fremde, »in Ihrem Omnibus nach Queensferry –« »Der jetzt schon halb bis hin sein müßte,« setzte der ältere und ungeduldigere Reisende hinzu, während seiner Worte in Wut geratend, »und nun werden wir aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr rechtzeitig zur Flut hinkommen, und ich habe wichtige Geschäfte auf dem anderen Ufer, und Ihr verfluchter Omnibus ... !« »Die Kutsche? Gott sei mit uns, meine Herren, ist sie denn noch nicht da?« antwortete die Alte, indem ihr schriller, herausfordernder Ton zu einem begütigenden Gegreine herabsank. »Haben Sie auf die Kutsche gewartet bis jetzt?« »Aus welchem Grunde sollten wir uns denn sonst hier von der Sonne braten lassen neben der Gosse da – Sie unzuverlässiges Weibsbild Sie!« Frau Macleuchar stieg nun ihre Falltreppe hinauf – denn so ließ sie sich nennen, obgleich es eine steinerne Treppe war – bis ihre Nase sich in gleicher Höhe mit dem Pflaster befand, dann wischte sie sich ihre Brille ab, um nach dem auszuschauen, was, wie sie doch recht wohl wußte, nicht zu entdecken, sein würde, und rief mit gut geheucheltem Erstaunen: »Gott sei mit uns –hat man schon so etwas erlebt?« »Jawohl, Sie abscheuliches Weibsbild Sie!« schimpfte der Reisende, »das haben schon viele erlebt, und das werden noch alle erleben, die mit dem bummligen schlumpigen Weibsvolk sich einlassen!« Dann schritt er in heftiger Entrüstung vor dem Zugang zum Laden auf und ab, und wie ein Schiff, das, in Höhe einer feindlichen Festung vorüberfahrend, eine Breitseite abgiebt, schleuderte er jedesmal, wenn er vorbeiging, Beschwerden, Drohungen und Vorwürfe auf die ganz niedergedrückte Frau Macleuchar hinab. Er wolle sich eine Postkutsche kommen lassen – eine Eilkutsche wollte er sich kommen lassen – eine vierspännige – er müsse sich eine kommen lassen – es bliebe ihm gar nichts mehr übrig – heute noch wolle er auf dem Nordufer sein – und all die Reisekosten neben dem unmittelbaren und aus den Folgen der Verspätung erwachsenden Schaden sollten auf das dreimal verruchte Haupt der Frau Macleuchar gehäuft werden. Es lag in seinem mürrischen Groll etwas so Komisches, daß der jüngere Reisende, der es mit der Abreise nicht so dringend eilig hatte, unwillkürlich seinen Spaß daran hatte, zumal es auffiel, daß der alte Herr, so erbost er auch war, ab und zu selber über seine Heftigkeit lachen mußte. Aber wenn Frau Macleuchar auch in das Gelächter einzustimmen begann, schob er ihrer unangebrachten Lustigkeit sofort einen Riegel vor. »Weib,« sagte er und zeigte auf ein kleines zerknülltes Stück bedruckten Papiers. »Ist die Annonce hier von dir? steht da nicht darauf, daß, so Gott mit uns ist, wie du scheinheilig dich ausdrückst, die Kutsche nach Queensferry heute um 12 Uhr abginge, und ist es nicht, du falschestes aller Geschöpfe, jetzt schon ein Viertel eins? Und von einem Omnibus ist noch nichts zu sehen! – Weißt du denn, was es für Folgen haben kann, wenn man das Publikum hintergeht durch Vorspiegelung falscher Tatsachen? – Weißt du, daß das unter den Paragraphen des wissentlichen Betrugs fallen kann? – Antworte! Und ein einzigesmal in deinem langen nutzlosen und alles Guten baren Leben, sprich jetzt Worte der Wahrheit und Aufrichtigkeit – hast du überhaupt solch einen Omnibus? – In rerum natura? – Oder ist diese verworfene Ankündigung ein bloßer Schwindel, auf den die Unvorsichtigen hineinfallen sollen, durch den ihnen die Zeit gestohlen werden soll, durch den sie um ihre Geduld gebracht werden sollen und um ihre drei Schillinge in der Währung dieses Königreiches? – Hast du, wiederhole ich, überhaupt so einen Omnibus oder nicht?« »Ei herrjeses, gewiß doch, mein Herr! Die Leute hier herum kennen den Omnibus alle gut, grün angestrichen mit roten Pünktchen – drei gelbe Räder und ein schwarzes.« »Weib, die eingehende Beschreibung nutzt uns den Geier was – das ist vielleicht auch bloß Schwindel mit Sauce drum.« »O Mann, Mann!« sagte die niedergeschmetterte Frau Macleuchar, die völlig erschöpft war, nachdem sie solange die Zielscheibe seines Redeflusses gewesen war, »nehmen Sie Ihre drei Schillinge wieder und machen Sie, daß ich Sie los werde!« »Nur langsam, langsam, Weib! – Werden die drei Schillinge mich nach Queensferry bringen, wie es deinem betrügerischen Fahrplan entspräche? oder wird mir auf diese Weise der Schaden ersetzt, den ich unter Umständen erleide, wenn ich mein Geschäft unerledigt lasse, oder die Ausgaben zurückerstattet, die es mich kostet, wenn ich die Flut versäume und am Südufer womöglich einen Tag Aufenthalt nehmen muß? Und kann ich damit schließlich eine Pinasse heuern, für die allein der tarifmäßige Preis fünf Schillinge beträgt?« An dieser Stelle wurde seine Beweisführung durch ein Gepolter unterbrochen, durch das sich die Ankunft des erwarteten Fahrzeuges verriet. Mit all der Eile, zu der ein Paar abgetriebene Gäule zu bringen waren, kam es herbei. Unsagbares Vergnügen bereitete es der Frau Macleuchar, ihren Peiniger endlich in der ledernen Kutsche sitzen zu sehen, aber während der Omnibus davonfuhr, war noch sein Kopf zum Fenster herausgestreckt und hielt ihr noch immer in Worten, die, unter dem Gerumpel der Räder untergingen, vor, daß sie, Frau Macleuchar, für alle etwaigen Folgen verantwortlich gemacht werden sollte, wenn der Omnibus die Fähre nicht rechtzeitig zur Flut erreichte. Zwei Meilen mochte die Kutsche schon unterwegs gewesen sein, ehe der Reisende seinen Gleichmut wieder völlig erlangt hatte, was unzweideutig aus den ab und zu in betrübtem Tone getanen Äußerungen hervorging, daß sie höchstwahrscheinlich, ja ganz bestimmt die Flut verpassen würden. Allmählich aber legte sich seine Wut. Er wischte sich die Stirn, sein Runzeln glättete sich, er wickelte das Palet in seiner Hand aus und langte einen Folioband daraus hervor, auf den er von Zeit zu Zeit mit dem sachkundigen Auge eines Liebhabers blickte, bewunderte die Größe und Qualität und überzeugte sich durch peinliche und besondere Prüfung jedes Blattes, daß der Band unbeschädigt sei von vorn bis hinten. Sein Reisegefährte nahm sich die Freiheit zu fragen, was das für ein Buch sei, das er so genau untersuche. Er hob die Augen mit einem etwas sarkastischen Blick, als sei er der Meinung, der jugendliche Frager würde über seine Antwort nicht sonderlich erbaut sein, ja sie vielleicht gar nicht verstehen und sagte dann, das Buch sei Sandy Gordons Itinerarium Septentrionale – eine ausführliche Beschreibung der Reliquien aus der Römerzeit in Schottland. Der Frager ließ sich aber durch diesen gelehrten Titel nicht abschrecken und stellte mehrere Fragen, welche bewiesen, daß er von einer guten Erziehung auf gute Weise Gebrauch zu machen wußte, und, obwohl über Antiquitäten nicht genau unterrichtet, doch von den Klassikern Kenntnis genug besaß, um einen verständigen und teilnehmenden Zuhörer abzugeben, wenn sie sich weiter über dieses Thema verbreiteten. Der ältere Reisende sah mit Vergnügen, daß sein zeitweiliger Gefährte fähig war, ihn zu verstehen und ihm zu antworten, und tauchte nun kopfüber in eine See von Erörterungen über Urnen, Vasen, Votiv-Altäre, römische Lager und die Regeln des Lageraufbaues. Das Vergnügen an diesem Gespräche hatte eine so lindernde Wirkung, daß trotz zweier Anlässe zum Aufenthalt, die beide von bedenklicherer Dauer waren, als eine Verspätung, die seinen Zorn auf die unglückliche Frau Macleuchar heraufbeschworen hatte, unser Antiquar den Versäumnissen nur ein paar eingestreute Puhs und Pahs widmete, die mehr der Unterbrechung seiner Auseinandersetzung als der Verzögerung seiner Reise zu gelten schienen. Der erste Aufenthalt hatte seine Ursache darin, daß eine Feder sprang, die nach halbstündiger Arbeit mit knapper Not ausgebessert war. Zu dem zweiten hatte der Antiquar selber mit den Anlaß gegeben, wenn er nicht gar allein daran schuld war, denn als er bemerkte, daß eines der Pferde ein Hufeisen an den Vorderfüßen verloren hatte, machte er den Postillon auf diesen schwerwiegenden Verlust aufmerksam. »Der Hufbeschlag ist laut Kontrakt an Jamie Martingale übertragen,« antwortete der Schwager, »und ich bin nicht befugt, Aufenthalt zu nehmen oder auf irgendwelche Vorstellungen über derartige Vorfälle zu hören.« »Wenn Sie nicht auf der Stelle anhalten und das arme Vieh zum nächsten Schmied bringen, so sorge ich dafür, daß Sie bestraft werden, sofern es noch ein Friedensgericht in Midlothian gibt.« Und er öffnete die Kutschentür und sprang heraus, während der Postillon sein Geheiß befolgte und vor sich hinmurmelte, wenn der Herr nun die Flut versäumte, so ließe sich nichts anderes sagen, als daß es seine eigene Schuld sei, denn er, der Postillon, habe den besten Willen gehabt, schnell vorwärts zu kommen. Ich habe so wenig Lust, den Wirrwarr von Ursachen zu analysieren, aus dem Handlungen fließen, daß ich mich nicht darauf einlasse, festzustellen, ob die Teilnahme unseres Antiquars mit dem armen Pferde nicht in gewissem Grade von seinem Verlangen unterstützt war, seinem Reisegefährten ein Piktenlager zu zeigen, ein in Kreisform angelegtes Lager – ein Gegenstand, über den er sehr ausführlich gesprochen hatte – und ein Exemplar dieser Gattung, das sehr merkwürdig und wirklich ganz vollkommen war, befand sich zufällig in unmittelbarer Nähe des Ortes, wo die Unterbrechung stattfand. So viel Zeit ging über diesen Unterbrechungen ihrer Reise verloren, daß bei ihrer Ankunft an dem »Hügel über den Hawes« (so heißt der Gasthof an der Südseite von Queensferry) das kundige Auge des Antiquars an der weiten Strecke weißen Sandes und der großen Zahl schwarzer von Seetang bedeckter Steine und Klippen, die entlang dem Ufersaume zu sehen waren, auf den ersten Blick erkannte, daß die Stunde der Flut vorüber sei. Der junge Reisende erwartete einen Ausbruch der Entrüstung, aber ob unser Held sich durch seine Klagen schon im voraus mit seinem Mißgeschick abgefunden hatte, so daß er es nicht mehr empfand, als es in der Tat eintraf, oder ob ihn die Gesellschaft, die er gefunden hatte, zu kongenial anmutete, als daß es ihm um irgendwelchen Aufschub seiner Reise hätte leid sein sollen, jedesfalls gab er sich mit großer Seelenruhe in sein Schicksal. »Der Teufel steckt, in dem Omnibus und in der alten Hexe, der er gehört. – Omnibus sag ich? Die reine Schneckenpost ist es! Aber einerlei! Die Flut und die Zeit halten sich eines Menschen wegen nicht auf, und so wollen wir, mein junger Freund, einen Plausch veranstalten hier im Hawes-Gasthof – es ist ein sehr anständiges Lokal, und es wird mir große Freude machen, den Bericht zu vollenden, den ich Ihnen gegeben habe über den Unterschied zwischen der Methode der castra stativa und der Methode der castra aestiva – zwei Begriffe, die von zu vielen unserer Geschichtsschreiber durcheinander geworfen werden. Wenn sie sich bloß die Mühe genommen hätten, sich durch eigenen Augenschein zu überzeugen, statt einer es dem andern blind nachzuschreiben! – Na, im Hawes-Gasthofe werden wir sehr gut aufgehoben sein, und irgendwo müssen wir ja schließlich doch etwas essen, und es wird angenehmer sein, die Überfahrt mit der Ebbe und bei der Abendbrise zu machen.« In dieser durchaus christlichen Stimmung, allen Zwischenfällen die beste Seite abzugewinnen, stiegen unsere Reisenden im Hawes-Gasthofe ab. Zweites Kapitel Als der ältere Reisende die wackeligen Stufen des Omnibusses am Gasthofe hinabkletterte, wurde er begrüßt von dem fetten, schwammigen, pustenden Wirt mit jener Mischung von Respekt und Vertraulichkeit, mit der die schottischen Wirte von der Alten Schule ihre besseren Kunden zu empfangen pflegen. »Ei du meine Güte, Monkbarns,« sagte er, indem er ihm den Namen seiner Besitzung beilegte, der stets dem Ohre eines schottischen Grundbesitzers am angenehmsten klingt, »Sie sinds? Ich hätte nicht gedacht, Euer Ehren noch vor dem Ablauf der Sommer-Gerichtsperiode zu sehen!« »Sie verflickster alter Teufelskerl,« antwortete sein Gast, bei dem in der Erregung der schottische Akzent vorherrschte, »Sie verflickster alter verkrüppelter Idiot, was hab ich zu schaffen mit der Gerichtsperiode oder mit den Gänsen, die dahin gehen, oder mit den Geiern, von denen sie sich rupfen lassen?« »Wahr freilich und richtig!« sagte unser Wirt. »Das ist sehr wahr, aber ich dachte, Sie hätten vielleicht eine eigene Gerichtssache zu vertreten gehabt – ich selber habe eine – ein Bandwurm von einem Prozeß, den mein Vater mir hinterlassen hat und den er schon von seinem Vater hinterlassen bekommen hat. Wegen unserm Hinterhofe ist es – vielleicht haben Sie von der Geschichte schon gehört im Parlamentshause – Sachen Hutchinson contra Mackitchinson – das ist ein weit und breit bekannter Prozeß – viermal ist schon Termin gewesen, und die Gescheitesten haben einen Teufelsquark was draus machen können, und allemal ist die Sache wieder vertagt worden. Es ist doch was Schönes, wenn man so mitansieht, wie lange und wie sorgfältig in diesem Lande die Gerechtigkeit erwogen wird.« »Halten Sie doch den Mund, Sie Schafskopf,« sagte der Reisende, aber in breiter Gutmütigkeit, »sagen Sie uns lieber, was Sie diesem jungen Herrn und mir zum Mittag vorsetzen können.« »O, da wäre zuvörderst Fisch, jawohl ja – Schellfisch und Lachsforellen,« sagte Mackitchinson, indem er sein Serviertuch in den Händen drehte, »auch ne Hammelkeule können Sie haben, und Törtchen von Kranichbeeren sind da – äußerst delikat – und überhaupt es ist alles da, was Sie nur haben möchten.« »Das heißt so viel, wie sonst ist weiter nichts da. Schon gut, schon gut, Fisch, Keule und Törtchen genügen vollständig. Aber machen Sie nicht den umsichtigen Zeitaufwand nach, den Sie vom Gerichtshof so loben, verstehen Sie!« »Nein, nein,« sagte Mackitchinson, der ganze Bände von Gerichtszeitungen gelesen hatte und daher einige Gerichtsausdrücke kannte, »das Essen soll quam primum serviert werden und zwar peremptorie...« Und mit dem einschmeichelnden Lachen eines Wirtes, der etwas verspricht, ließ er sie in seiner mit frischem Sand bestreuten Gaststube allein. Trotzdem er das Gegenteil verheißen hatte, fanden die rühmlichen Zeitaufwände des Gerichtes ihr treffliches Seitenstück in der Küche des Gasthofes, und so hatte unser junger Reisende Gelegenheit, hinauszugehen und die Leute vom Hause nach dem Range und der Stellung seines Gefährten zu fragen. Die Auskunft, die er erhielt, war von allgemeiner und wenig verlässigter Natur, aber sie reichte hin, ihm Aufschluß zu geben über den Namen, die Geschichte und die Verhältnisse des Herrn, den wir jetzt in kurzen Worten unsern Lesern näher vorzustellen versuchen wollen. Jonathan Oldenbuck, oder Oldinbuck, oder wie die volkstümliche Verkürzung lautete, Oldbuck, von Monkbarns war der zweite Sohn eines Herrn, der ein kleines Gut besaß in der Umgegend einer blühenden Seehafenstadt an der Nordostküste Schottlands, welche wir aus verschiedenen Gründen Fairport nennen wollen. Sie saßen schon seit mehreren Generationen als Grundbesitzer in der Grafschaft und hätten in den meisten Shires von England für Leute von Ansehen gegolten, aber in der Grafschaft von ..... saßen viele Edelherren von älterer Abkunft und größerem Vermögen. In der letzten Generation waren auch die Edelherren der Umgegend fast ausnahmslos Jakobiten gewesen, während die Eigentümer von Monkbarns gleich den Bürgern der Stadt, in deren Nähe sie ansässig waren, beständige Anhänger der protestantischen Erbfolge geblieben waren. Die Monkbarns hatten indessen ihren eigenen Stammbaum, auf den sie nicht wenig stolz waren. Der erste Oldenbuck, der sich kurz nach der Reformation in ihrem Familienhause niedergelassen hatte, stammte, nach ihrer Behauptung von einem der ersten Drucker Deutschlands ab und war wegen der Verfolgungen, denen alle Bekenner des reformierten Glaubens ausgesetzt waren, aus seinem Vaterlande ausgewandert. In der Stadt, in deren Nähe seine Nachkommen noch jetzt wohnten, hatte er eine Zuflucht gefunden, um so bereitwilliger war er dort aufgenommen worden, als er ein Dulder um des Protestantismus willen war und ferner Geld genug mitbrachte, um das kleine Gut Monkbarns zu kaufen, das damals ein abgewirtschafteter Lord veräußerte. Die Oldenbucks waren daher bei allen Aufständen loyale Untertanen geblieben, und einer von ihnen, ein sparsamer umsichtiger Mann, hatte es fertig gebracht, das väterliche Vermögen erheblich zu vermehren. Dieser hatte nur zwei Söhne, von denen unser Jonathan der jüngere war, und zwei Töchter, von denen eine noch immer das Glück des Ledigseins genoß, während die andre, die um vieles jünger war, sich in einen Hauptmann verliebt hatte, der weiter nichts sein eigen nannte, als sein Patent und seinen Hochländer-Stammbaum. Die Armut zerstörte einen Ehebund, den die Liebe sonst glücklich gestaltet hätte, und aus Rücksicht auf seine Frau und seine zwei Kinder, einen Knaben und ein Mädchen, hatte sich Hauptmann M'Intyre gezwungen gesehen, nach Ostindien zu gehen. Auf einer Expedition gegen Haidar Ali war die Abteilung, zu der er gehörte, abgeschnitten worden, und seine unglückliche Frau hatte nie Nachricht erhalten, ob er im Kampfe gefallen oder im Gefängnis ermordet worden war, oder ob er noch am Leben war und in einer, den Gepflogenheiten des indischen Tyrannen entsprechend, hoffnungslosen Gefangenschaft schmachtete. Unter der allzu großen Last von Gram und Ungewißheit brach sie zusammen und hinterließ einen Sohn und eine Tochter der Obhut ihres Bruders, des gegenwärtigen Laird von Monkbarns. Die Geschichte dieses Eigentümers selber ist bald erzählt. Da er, wie wir erwähnt haben, ein zweiter Sohn war, so bestimmte sein Vater, daß er in ein Kaufmannsgeschäft eintrat, das einige Verwandte mütterlicherseits betrieben. Hiergegen aber lehnte sich Jonathans Sinn aufs Unversöhnlichste auf. Dann kam er in die Lehre für den Beruf eines Sachwalters, und hierin machte er die ausgezeichnetsten Fortschritte. Aber auf der Schwelle blieb er stehen, und wenn er auch über Ursprung und System des Gesetzes seines Landes einige Kenntnis erlangte, so war er doch nie dazu zu bewegen, sie zu praktischen Zwecken zu verwenden und einen Gelderwerb daraus zu machen. Nicht aus unbesonnener Mißachtung der Vorteile, die der Besitz von Geld mit sich brachte, täuschte er so die Erwartungen seines Lehrherrn. – »Wenn er gedankenlos wäre oder leichtsinnig oder rei suae prodigus,« sagte dieser, »so wüßte ich, was ich von ihm zu halten hätte. Aber wenn er einen Schilling bezahlt, dann paßt er ganz genau auf, was er herausbekommt, und er weiß mit einem Sixpence mehr anzufangen, als ein anderer Bursche mit einer halben Krone, und über einer alten Kopie der Parlamentsakten kann er tagelang hocken und versagt sich da lieber jede Zerstreuung. Und doch verwendet er nicht einen Tag so mal auf ein kleines Geschäftchen, wie sie sich uns bieten, wodurch er so mal zwanzig Schillinge für sich verdienen könnte. Eine seltsame Mischung von Anspruchslosigkeit, Fleiß und Eifer, und hochnäsiger Wurschtigkeit – ich weiß faktisch nicht, was ich aus ihm machen soll.« Aber im Laufe der Zeit kam sein Schüler in den Besitz der Mittel, daß er tun konnte, wozu er Lust hatte. Denn sein Vater war gestorben, und der älteste Sohn überlebte ihn nicht lange. Der war ein passionierter Freund von Fisch- und Vogelfang, und eine heftige Erkältung, die er sich in dieser Liebhaberei zuzog – auf der Entenjagd in den Sümpfen, die das Kittlefitting-Moor genannt wurden – hatte, obgleich er am selben Abend eine Flasche Branntwein leerte, um sich die Erkältung vom Leibe zu halten, ihm das Leben gekostet. Das Besitztum ging daher auf Jonathan über, und damit hatte er die Mittel zu existieren, ohne die verhaßte Plackerei der Sachverwalterschaft. In seinen Wünschen war er bescheiden, und da seine Rente aus dem kleinen Grundbesitz mit der Verbesserung des Landes stieg, so war sie bald bei weitem größer, als seine Bedürfnisse und Ausgaben erheischt hätten, und obgleich er zu gleichgiltig war, selber Geld zu erwerben, so war er doch nicht unempfindlich gegen die Freude, es wachsen zu sehen. Die Bürger der Stadt, in deren Nähe er lebte, betrachteten ihn gewissermaßen voller Neid und Scheelsucht, sie sahen in ihm einen, der den Dünkel hatte, sich von ihnen abzusondern und eine separate Stellung in der Gesellschaft einzunehmen, auch waren seine Studien und Neigungen ihnen gleicherweise unverständlich. Dennoch war eine Art vererbten Respekts vor dem Laird von Monkbarns auf ihn übergegangen, dazu kam noch, daß er als ein Mann von barem Gelde bekannt war, und so genoß er denn unter dieser Klasse seiner Nachbarn immer noch nicht geringen Ansehens. Die Landedelherren waren ihm im allgemeinen an Vermögen überlegen, reichten aber an Intelligenz nicht an ihn heran; außer einem, mit dem er in engem Verkehr stand, hatten sie auch wenig Beziehungen zu Herrn Oldbuck von Monkbarns. Er hatte indessen die übliche Zuflucht, die Gesellschaft des Landpfarrers und des Doktors, wenn er danach Bedarf hatte; und außerdem hatte er seine besonderen Beschäftigungen und Neigungen, durch die er im lebhaftesten Briefwechsel mit den meisten Antiquitätenkennern seiner Zeit stand, welche gleich ihm verfallene Verschanzungen maßen, Pläne von den Trümmern ehemaliger Schlösser anfertigten, unleserliche Inschriften entzifferten und Abhandlungen über Münzen, im Verhältnis von zwölf Seiten auf jeden Buchstaben der Umschrift der Münze, schrieben. Eine vorschnelle Reizbarkeit hatte er sich angewöhnt; teils, wie in der Pflege von Fairport die Rede ging, rührte dies von einer frühen Enttäuschung in der Liebe her, auf Grund deren er, wie er es nannte, Misogyn geworden war; wahrscheinlich aber war der Grund hierzu mehr die dienstbeflissene Aufmerksamkeit, die ihm seine altjüngferliche Schwester und seine verwaiste Nichte widmeten. Er hatte beide dahin angelernt, daß sie ihn für den größten Mann auf Erden hielten, dahingegen rühmte er sie als die einzigen gut abgerichteten und an Gehorsam gewöhnten Frauenzimmer, die er kennen gelernt habe. Allerdings muß zugegeben werden, daß Jungfer Grizzy Oldbuck es fertig brachte, zu »bocken«, wenn er die Zügel zu straff anzog. Im übrigen muß sein Charakter aus der Geschichte heraus erkannt werden, und wir lassen mit Vergnügen die mühsame Arbeit, seine Eigenschaften einzeln aufzuzählen, fallen. So lange sie zu Mittag speisten, hatte Herr Oldbuck, getrieben von der gleichen Neugierde, die sein Reisegefährte in Bezug auf seine Person gehegt hatte, in wenig umständlicher Weise, wie er bei seinem Alter und seiner Stellung es sich auch ruhig erlauben durfte, einige Fragen gestellt, um sich über Namen, Reiseziel und Persönlichkeit seines jungen Gefährten zu erkundigen. Sein Name, sagte der junge Herr, sei Lovel. Was! Ob er wohl gar ein Abkömmling von Richards Günstling sei? Er habe keinen Anspruch, erwiderte er, sich dieser Abstammung zu rühmen. Sein Vater sei ein Edelmann vom Norden Englands. Er reise zur Zeit nach Fairport (der Stadt, in deren Nähe Monkbarns lag), und wenn es ihm in dieser Stadt gefalle, würde er vielleicht ein paar Wochen dort bleiben. Ob Herr Lovel lediglich zu seinem Vergnügen reise? Nicht ausschließlich. Vielleicht ein Geschäft mit einem der Kaufleute von Fairport im Gange? Ein Geschäft sei auch dabei im Spiele, aber keines mit Handelsmännern. Hier hielt er inne. Herr Oldbuck hatte seine Fragerei so weit getrieben, wie es mit dem guten Ton noch vereinbar war, und mußte nun das Thema wechseln. Der Altertümler war zwar kein Feind gemütlicher Lustbarkeit, aber er haßte alle Unnötigen Ausgaben auf einer Reise, und als sein Reisegefährte eine Andeutung auf eine Flasche Portwein machte, entwarf er ein grauenhaftes Gemälde von der Mischung, die gewöhnlich unter dieser Spitzmarke verkauft würde. Ein kleiner Punsch, meinte er, sei unverfälschter und auch der Jahreszeit besser angemessen, und er legte die Hand an die Klingel, um zu bestellen, was dazu gebraucht wurde. Aber Mackitchinson hatte in seinem eigenen Sinne schon ganz anders bestimmt, was sie trinken sollten, und erschien mit einer riesigen Doppelquartflasche in der Hand – einem Magnum, wie man in Schottland sagt. Sie war mit Sägespänen und Spinnweben – untrüglichen Zeichen ihres Alters – über und über bedeckt. »Punsch!« sagte er, im Eintreten das Wort aufschnappend. Den Teufel hat sichs was mit Punsch! Davon gibt's nichts!« »Was wollen Sie damit sagen, Sie unverschämter Schuft?« »Nein, nein, davon ist keine Rede! Erinnern Sie sich noch, was Sie mir für einen Streich gespielt haben, wie Sie das letzte Mal hier waren?« »Ich hätte Ihnen einen Streich gespielt?« »Jawohl, Sie selber, Monkbarns! Der Laird von Tamlowrie und Sir Gilbert Grizzlecleugh und der alte Roßballoh und der Amtmann saßen hier an einem Nachmittag fidel beieinander, und da kommen Sie und machen ihnen mit einer von Ihren Geschichten aus der alten Welt, denen keine Menschenseele widerstehen kann, den Kopf dick, daß sie aufstehen und weglaufen, um sich das alte Römerlager anzuschauen. – »Ach, Herr,« sagte er, zu Lovel gewendet, »die Vögel könnt er meinetwegen vom Ast herunterlocken mit seinen Geschichten, die er von längst verschollenem Volk zu erzählen weiß, wenn ich nicht dabei um eine Zeche von sechs Rössel guten Rotweins gekommen wäre, denn kein Teufel von den Herren hätte sich eher von dem Platze gerührt, als bis nicht dieses Quantum bis auf die Neige ausgetrunken worden wäre.« »Hören Sie den unverschämten Schuft,« sagte Monkbarns, aber unter Lachen. Denn der Wirt, wie er sich selber rühmte, verstand jeden Gast bei seiner schwachen Seite zu nehmen. »Schon gut, schon gut, Sie können uns eine Flasche Portwein hereinschicken.« »Portwein? Nicht doch! Portwein und Punsch können Sie unsereinem überlassen, für Sie Herren Lairds geziemt sich Bordeaux.« Der Wirt war immer gleich bei der Hand und hatte denn den Korken rasch ausgezogen, leerte den Wein in ein Gefäß, das genug faßte, erklärte, die Blume erfülle das ganze Zimmer mit Wohlgeruch, und überließ es dann seinen Gästen, ihn sich gut schmecken zu lassen. Mackitchinsons Wein war wirklich gut und tat seine Wirkung auf die Stimmung des älteren Gastes, der ein paar hübsche Geschichten erzählte, ein paar nette Witze riß und schließlich eine gelehrte Erörterung über die Dramatiker der Antike begann – ein Thema, auf dem sich sein neuer Bekannter von einer so bedeutenden Stärke zeigte, daß er zuguterletzt zu der Annahme gelangte, es sei das berufsmäßige Studium des jungen Herrn. »Er reist, teils in Geschäften, teils zum Vergnügen?« – Nun, die Bühne bringt beides mit sich, es ist eine Arbeit für die Darsteller und ein Vergnügen – oder soll wenigstens ein Vergnügen sein – für die Zuschauer. An Benehmen und Stand scheint er über der Klasse von jungen Leuten zu stehen, die sich sonst diesem Fache widmen, aber wenn ich mich recht erinnere, habe ich davon gehört, das kleine Theater van Fairport soll mit dem Debüt eines jungen Herrn eröffnet werden.« – »Wenn du das sein solltest, Lovel?« – »Lovel? Ja, ja – Lovel oder Belleville, das sind gerade so Namen, wie sie die jungen Leute bei solchen Anlässen gern annehmen. – Bei meinem Leben, es tut mir leid um den Burschen!« Herr Oldbuck war von Gewohnheit sparsam, aber keineswegs knauserig. Sein erster Gedanke war, seinem Gefährten jeden Anteil an dem kostspieligen Abendgetränk zu ersparen, das, wie er glaubte, ihm in seiner Lage eine mehr oder minder unliebsame Ausgabe sein müsse. Er benutzte daher eine Gelegenheit, mit Herrn Mackitchinson insgeheim die Zeche zu begleichen. Der junge Mann erhob Einspruch dagegen, sich frei halten zu lassen, und willigte nur in Rücksicht auf die Jahre und Achtbarkeit des alten Herrn darein. Da sie beide so trefflich miteinander auskamen, so schlug Herr Oldbuck vor und Lovel nahm es gern an, die Reise bis zum Ziel auch gemeinschaftlich zu machen. Herr Oldbuck äußerte den Wunsch, zwei Drittel des Fahrpreises zu bezahlen, mit der Begründung, daß er ja auch einen entsprechenden Raum zu seiner Bequemlichkeit benötige, das aber lehnte Herr Lovel sehr entschieden ab. Sie teilten sich also nun in die Kosten, nur ab und zu ließ Herr Lovel über seinen Anteil noch einen Schilling in die Hand, eines brummigen Postillons gleiten, denn Herr Oldbuck war ein hartnäckiger Anhänger vorsintflutlicher Gebräuche und gab nie mehr als achtzehn Pence Trinkgeld für jede Teilstrecke. In dieser Weise reisten sie weiter und trafen am folgenden Tage um zwei Uhr in Fairport ein. Lovel erwartete wahrscheinlich, sein Gefährte würde ihn bei seiner Ankunft zu Tische laden. Aber Oldbuck wußte, daß man in seinem Hause auf unvermutete Gäste nicht hinreichend eingerichtet war, und vielleicht hinderten ihn auch noch andere Gründe, diese Aufmerksamkeit zu erweisen. Er bat ihn nur, ihn einmal, sobald er es möglich machen könne, an einem Vormittage zu besuchen, und empfahl ihn einer Witwe, die Zimmer zu vermieten hatte, und einer andern Frau, die einen guten Mittagstisch hatte. Beiden aber gab er gleichzeitig der Vorsicht halber insgeheim zu verstehen, daß er Herrn Lovel nur als angenehmen Reisegefährten von der Postkutsche her kenne und er nicht etwa daran dächte, für irgendwelche Schulden, die er während seines Aufenthaltes in Fairport machen könnte, aufzukommen. Gesicht und Wesen des jungen Mannes – ganz zu schweigen von einem wohlgefüllten Koffer, der bald darauf mit dem Schiff an seine Adresse in Fairport ankam, sprachen wahrscheinlich ebenso sehr zu seinen Gunsten, wie die mit Vorbehalt gegebene Empfehlung seines Reisekameraden. Drittes Kapitel, Als Herr Lovel sich in seiner neuen Wohnung in Fairport häuslich eingerichtet hatte, dachte er daran, seinem Reisegefährten den erbetenen Besuch abzustatten. Er tat es nicht früher, weil bei aller Gutmütigkeit und Gelehrsamkeit der alte Herr doch in seiner Sprache und seinem Benehmen zu ihm bisweilen einen Zug der Ueberlegenheit hatte durchblicken lassen, der nach dem Erachten des Jüngern bei weitem das überstieg, was sich bei dem Altersunterschied entschuldigen ließ. Er wartete daher, bis sein Gepäck aus Edinburgh eingetroffen war, damit er der Mode des Tages entsprechend Toilette machen und sein Äußeres, dem gesellschaftlichen Range anpassen konnte, den einzunehmen er sich berechtigt glaubte oder wußte. Es war der fünfte Tag nach seiner Ankunft, als er sich nach dem Wege erkundigt hatte, und sich auf den Weg machte, in Monkbarns seine Reverenz zu erweisen. Ein Fußpfad führte über einen mit Heidekraut bewachsenen Hügel und über ein paar Wiesen, und auf ihm gelangte er zu dem Hause, das an der entgegengesetzten Seite dieses Hügels lag und eine hübsche Aussicht auf die Bucht mit all ihren Schiffen hatte. Von der Stadt durch den ansteigenden Boden abgeschnitten, der es gleichzeitig vorm Nordwestwind schützte, nahm sich das Haus einsam und versteckt aus. Von außen mutete es wenig an. Es war ein unregelmäßiger altmodischer Bau, von dem ein Teil Wirtschaftsgebäude gewesen war, in welchem der Vogt des Klosters gewohnt hatte, als es noch den Mönchen gehört hatte. Hier hatten die Klosterbrüder das Korn aufgespeichert, das sie als Bodenzins von ihren Vasallen bekamen, denn mit der ihrer Klasse eigenen Schlauheit ließen sie sich alle herkömmlichen Abgaben in Materialien entrichten, und daher kam auch, wie der gegenwärtige Eigentümer gern erzählte, der Name Monkbarns, das heißt soviel wie Mönchsspeicher. Zu den Überresten der Vogtswohnung hatten die nachfolgenden Laien-Insassen je nach den von ihrem Hausstand erforderten Räumlichkeiten verschiedene Zusätze gemacht, und da dies unter einer ebenso großen Mißachtung der Bequemlichkeit innen wie der architektonischen Regelmäßigkeit nach außen geschehen war, so sah das Ganze recht zusammengewürfelt aus. Umschlossen war es von hohen Hecken von gestutztem Taxus und Stechpalmen, von denen einige noch die Geschicklichkeit des topiarischen Künstlers [Ars topiaria, die Kunst, Taxushecken zu phantastischen Figuren zurechtzuschneiden, ein lateinisches Gedicht dieses Titels gibt eine schnurrige Beschreibung des Verfahrens.] zeigten und bizarre Lehnstühle, Türme und die Figuren vom heiligen Georg und dem Drachen darstellten. Ein großer Taxus aber war von der Scheere verschont geblieben, und auf einem Gartensitz in seinem Schatten sah Lovel seinen Freund mit der Brille auf der Nase sitzen, emsig vertieft in eine Londoner Zeitung. Leise rauschte das Sommerlüftchen im raschelnden Gezweig, und von den Wogen her, die am Ufersande sich kräuselten, kam fernes Murren. Herr Oldbuck stand sofort auf und ging seinem Bekannten entgegen, den er mit einem herzlichen Händedruck begrüßte. »Meiner Treu,« sagte er, »ich glaubte schon, Sie hätten sichs anders überlegt und hätten die Leute von Fairport so langweilig gefunden, daß Sie sich schon wieder, wie wir sagen, englisch empfohlen hätten, wie es mein alter Freund und Kollege im Antiquitätenfache, Mac-Cribb, gemacht hat, als er mit einer meiner syrischen Münzen über alle Berge ging.« »Ich hoffe, mein guter Herr, Sie haben so etwas nicht ernstlich von mir befürchtet.« »Es wäre ebenso schlecht gewesen, wenn Sie sich wieder davon geschlichen hätten, ohne, mir das Vergnügen eines Wiedersehens zu gewähren. – Da hätten Sie mir lieber meinen kupfernen Otho selber stehlen können. – Aber kommen Sie, ich will Sie in mein Sanctum sanctorum führen – in meine Zelle, wie ich es nennen könnte, denn abgesehen von zwei nichtsnutzigen Exemplaren Weibsvolk–« mit diesem verächtlichen Ausdruck, den er von seinem Kollegen im Antiquitätenfach, dem zynischen Anthony a Wood entlehnt hatte, pflegte Herr Oldbuck das schöne Geschlecht im allgemeinen und seine, Schwester und Nichte im besonderen zu bezeichnen –, »die unter dem müßigen Vorwand einer Verwandtschaft sich in meinen vier Pfählen festgesetzt haben, lebe ich hier ebenso als Coenobit wie mein Vorgänger John of the Girnell, dessen Grab ich Ihnen auch einmal zeigen werde.« Mit diesen Worten ging der alte Herr voran durch ein niedriges Tor, aber ehe er hineintrat, blieb er plötzlich stehen und deutete auf, wie er es nannte, einige Spuren einer Inschrift, die er kopfschüttelnd als völlig unleserlich erklärte. »Ach, wenn Sie bloß wüßten, Herr Lovel, was diese zerbröckelnden Spuren von Buchstaben mich gekostet haben! So viel hat keine Mutter je um ihr Kind ausgestanden – und alles ohne Erfolg. – allerdings habe ich fast völlige Gewißheit darüber, daß diese zwei letzten Zeichen die Figuren oder Lettern L V sind, und uns einen guten Anhalt geben für das wirkliche Alter dieses Gebäudes. Wir wissen nämlich aus anderer Quelle, daß es vom Abt Waldimir um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts gegründet worden ist, und ich gebe zu, dieses Mittelornament ließe sich schon noch entziffern, wenn man bessere Augen hat als ich.« »Mich dünkt,« sagte Lovel, um auf die Stimmung des alten Herrn einzugehen, »es sieht ganz aus wie eine Bischofsmütze!« »Da haben Sie ganz gewiß recht! Da haben Sie recht! Das ist mir noch gar nicht aufgefallen – da sehen Sie, wenn man jüngere Augen hat! – eine Mitra, eine Mitra, das stimmt in jeder Beziehung.« Die Ähnlichkeit war nicht größer, als die Wolke des Polonius mit einem Walfisch oder einem Wiesel gehabt hatte, indessen war sie hinreichend, das Gehirn des Altertümlers in Tätigkeit zu bringen. »Eine Mitra, mein teurer Herr,« fuhr er fort, indem er den Weg durch ein Labyrinth von unbequemen dunklen Gängen führte und seine Erörterung mit mehreren notwendigen Winken zur Vorsicht begleitete, »eine Bischofsmütze, mein werter Herr, wird unserm Abte ebensogut stehen wie einem Bischof – er war ein insulierter Abt und stand an der ersten Stelle in der Liste – drei Stufen, sehen Sie sich vor – ich weiß freilich, Mac Cribb bestreitet es, es ist aber ebenso Tatsache, wie daß er mir meinen Antigonus weggenommen hat, ohne mich drum zu fragen – der Name des Abtes von Trotcosey, Abbas Trotcosiensis, findet sich, an der Spitze der Parlamentslisten vom vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert – es ist sehr wenig Licht hier, immer läßt das verflixte Weibsvolk die Waschzuber im Gange hier stehen! – nun hier an der Ecke nehmen Sie sich in acht, steigen Sie zwölf Stufen hinunter, und Sie haben es geschafft.« Herr Oldbuck hatte inzwischen den Boden der Wendeltreppe erreicht, die in sein eigenes Zimmer führte, öffnete eine Tür, schob ein Stück Tapete zurück, von dem sie bedeckt war, und sein erster Ausruf war: »Was habt ihr hier zu suchen, ihr Schlumpen?« Ein schmutziges, barfüßiges Dienstmädchen ließ ihren Schrubber fallen, als es sich über der frevelhaften Beschäftigung ertappt fand, im Sanctum sanctorum aufzuräumen und flüchtete zu einer gegenüber liegenden Tür vor dem zornroten Antlitz ihres Herrn. Ein sanft aussehendes junges Weib, das die Arbeit überwacht hatte, hielt, allerdings ein wenig eingeschüchtert, stand. »Wirklich, Onkel, dein Zimmer war einfach schon nicht mehr anzusehen, und ich bin eben gekommen und Hab aufgepaßt, daß Hanne alles wieder dahin gelegt hat, wo sie es weggenommen hat.« »Und wie dürft ihr, du oder gar Hanne, es euch herausnehmen, euch in meine Privatangelegenheiten zu mischen? Mach dich an deine Näherei, du Affe, und laß dich hier nicht wieder sehen, wenn dir deine Ohren lieb sind. – Ich versichere Ihnen, Herr Lovel, daß der letzte Einbruch dieser Freundinnen der Reinlichkeit hier meiner Sammlung im höchsten Maße verderblich gewesen ist.« Die junge Dame hatte Herrn Lovel einen Knicks gemacht und war dann entschlüpft.« »Sie werden schier vergiftet werden von den Staubmassen, die sie aufgewirbelt haben,« fuhr der Altertümler fort, »aber ich versichere Ihnen, der Staub war vor einer Stunde noch steinalter, friedlicher, stiller Staub und wäre, es hundert Jahre lang geblieben, wenn nicht Hexen ihn aufgestört hätten, so wie sie alles auf der Welt aus der Ruhe bringen.« Allerdings dauerte es ein Weilchen, bis Lovel durch die dicke Atmosphäre hindurch erkennen konnte, in welcher Art von Höhle sein Freund sein Quartier aufgeschlagen hatte. Es war ein hohes Gemach von Mittelgröße, das von hohen engen vergitterten Fenstern nur mattes Licht erhielt. Das eine Ende war ganz von Bücherregalen eingenommen, die an Raum bei weitem zu klein waren für die Unzahl von Bänden, die darauf standen. Sie waren daher auch in zwei bis drei Reihen hintereinander gestellt, während zahllose andere auf dem Boden und auf den Tischen herumlagen, inmitten eines Chaos von Landkarten, Stichen, Pergamentblättern, Bündeln von Papieren, alten Waffen und Stücken rostiger Rüstungen, Schwertern, Säbeln, Helmen und hochländischen, Schilden. Hinter dem Stuhle des Herrn Oldbuck – einem alten mit Leder bezogenen Sorgenstuhl, der von beständigem Gebrauch ganz glatt abgerieben war – stand ein riesiger eichener Schrank, der an jeder Ecke mit Cherubsköpfen verziert war mit ausgebreiteten kleinen Entenflügeln und mächtigen Pausbacken. Oben, auf diesem Schranke standen Büsten, römische Lampen und Opferschalen, dazwischen auch ein paar Bronzefiguren. Die Wände des Gemaches waren zum Teil bekleidet mit alter düsterer Tapete, auf der die denkwürdige alte Geschichte von Sir Gawaines Hochzeit dargestellt war, der übrige Teil war mit schwarzem Eichengetäfel versehen, woran zwei bis drei Bildnisse in Rüstung hingen – Gestalten aus der schottischen Geschichte, Lieblinge des Herrn Oldbuck – und ebenso viele in Perücken und Spitzenröcken, glotzäugige Porträte von Herrn Oldbucks Ahnen. Ein großer altmodischer Eichentisch war bedeckt mit einer Unmasse von Papieren, Pergamenten, Büchern und allerlei unbeschreiblichem Tand und Krimskrams, die trotz all ihrem Rost und offenkundigem Alter nach nichts besonderem aussahen. Inmitten dieses Wirrwarrs von antiken Büchern und Gegenständen, mit einer Würde wie Marius unter den Ruinen von Karthago, saß eine große schwarze Katze, die ein abergläubisches Auge für den genius loci, den Schutzgeist des Gemaches hätte halten können. Der Boden wie der Tisch und die Stühle waren ebenfalls überflutet von dem marc magnum kunterbunten Plunders, und es wäre wohl ebenso schwer gewesen, einen bestimmten Gegenstand, den man gerade haben, wollte, darin herauszufinden, wie ihn, wenn man ihn gefunden hätte, zu irgend etwas zu gebrauchen. Inmitten dieses Gerümpels war es nicht leicht, den Weg zu einem Stuhle zu finden, ohne über einen hingeworfenen Folioband zu stolpern oder – was ein noch unangenehmeres Pech gewesen wäre – ein Stück römischer oder englischer Keramik umzustoßen. Und wenn man, glücklich den Stuhl erreicht hatte, so mußten erst Stiche, die leicht beschädigt werden konnten, und antike Sporen und Schnallen, die ihrerseits sicherlich jeden beschädigt hätten, der sich unversehens hätte daraufsetzen wollen, mit behutsamer Hand davon heruntergenommen werden. Endlich hatte Lovel glücklich Platz gefunden und stellte nun allerlei Fragen nach den seltsamen Dingen um ihn her, die sein, Wirt, so weit wie möglich, bereitwillig beantwortete. So führte er ihm einen großen Kolben oder Prügel vor, mit einer eisernen Spitze am Ende, der allem Anschein nach vor kurzem auf einem Felde neben einem alten Friedhofe im Gute Monkbarns gefunden worden war. Das Ding sah ganz aus wie einer jener Stöcke, die die hochländischen Schnitter auf ihren jährlichen Wanderungen von den Bergen herab tragen, aber Herr Oldbuck neigte entschieden zu dem Glauben, daß es seiner eigentümlichen Form nach einer jener Prügel sein müsse, mit denen die Mönche in Ermangelung andern kriegerischen Gewehrs ihre Bauern bewaffneten, woher auch die Schurken die Bezeichnung Colve-carles oder Kolb-kerls, das heiße Clavigeri oder Keulenträger führten. Daß es mit diesem Brauche seine Richtigkeit habe, sei zu ersehen aus der Chronik von Antwerpen und der von St. Martin, und diesen Autoritäten hatte Lovel nichts, entgegenzusetzen, da er bis auf diesen Augenblick noch nie von ihnen gehört hatte. Herr Oldbuck zeigte zunächst Daumschrauben, unter denen den Covenanters in der guten alten Zeit die Gelenke geknackt hätten, und ein Halseisen mit dem Namen eines wegen Diebstahl verurteilten Kerls. Mannigfach und zahlreich waren die anderen Raritäten, die er zeigte. Am meisten aber war er auf seine Bücher stolz. Die Sammlung war in der Tat merkwürdig und hätte Wohl den Neid eines Bibliophilen erregen können. Doch war sie nicht zu den enormen Preisen der Neuzeit gesammelt worden, die sicherlich selbst den passioniertesten wie frühesten Bücherfex, von dem die Geschichte weiß, zurückgeschreckt hätten, und für diesen erklären wir keinen geringern als den berühmten Don Quixote de la Mancha, denn abgesehen von anderen unwesentlichen Andeutungen aus nicht ganz zuverlässigen Quellen berichtet sein wahrheitsgetreuer Biograph, Cid Hamet Benengeli, von ihm, daß er Felder und Farmen gegen Folio- und Quartbände der ritterlichen Literatur eingetauscht hätte. In dieser Abart der Bodenverwertung haben diesem guten irrenden Ritter Lords, Ritter und Adelige unserer Zeit nachgeahmt, wenngleich wir noch von keinem weiter gehört haben, der ein Wirtshaus für ein Schloß angesehen oder die Lanze gegen eine Windmühle gefällt hätte. Herr Oldbuck hatte es diesen Sammlern in ihren verschwenderischen Ausgaben nicht nachgetan, aber es hatte ihm Vergnügen gemacht, die Zusammenstellung seiner Bibliothek persönlich zu besorgen, und wenn es ihn auch mehr Zeit und Mühe gekostet hatte, so war er doch billiger dazu gekommen. »Ich kann Ihnen, Herr,« sagte er, »ein paar Sachen zeigen, die ich zusammengetragen habe – nicht durch Geldaufwand, denn das kann jeder reiche Mann – sondern in einer Art und Weise, die zeigt, daß ich was von der Sache verstehe. Sehen Sie dieses Pack von Balladen – keine davon stammt aus einer jüngeren Zeit als 1700 und einige sind sogar noch hundert Jahre älter. Das habe ich einer alten Frau abgezwiebelt, die es höher gehalten hatte, als ihr Gesangbuch. Tabak, Herr, Schnupftabak hab ich dafür gegeben. Für diese verstümmelte Abschrift der Complaint of Scottland habe ich dem letzten gelehrten Besitzer zwei Dutzend Flaschen starken Biers spendiert, und aus Dankbarkeit hat er es in seinem Testament mir vermacht. Diese kleinen Elzeviers sind die Souvenirs und Trophäen manches abendlichen und morgendlichen Weges durch Cowgate, Canongate, Bow und St. Mary's Wynd – und wo nur immer Trödler- und Althändlerbuden, zu finden waren. Wie oft hab ich gestanden und gefeilscht um einen halben Penny und nicht gleich ohne weiteres die erste Forderung des Krämers bewilligt, damit er nicht Verdacht wittern sollte, wie großen Wert ich dem Dinge beilegte und wie viel mir daran gelegen sei! Und dann die heimliche Freude, Herr Lovel, mit der man den Betrag zahlt und das Ding einsteckt – kalte Gleichgültigkeit heuchelt man, während die Hand vor Wonne zittert! – Und dann die Augen unserer reicheren und neidischen Konkurrenten zu blenden, indem man ihnen einen Schatz wie diesen zeigt (und er wies ihm ein kleines schwarz geräuchertes Büchlein von ganz winziger Form) – sich an ihrem Erstaunen und ihrer Begehrlichkeit zu werden – dies, mein junger Freund, sind die lichten Augenblicke im Leben, die Mühe und Schererei und beharrlichen Fleiß uns vergelten, denn ohnedem wird in unserm Fache vor allen andern nichts geschafft.« Es bereitete Lovel nicht geringes Vergnügen, den alten Mann in dieser Weise reden zu hören, und obgleich er nicht sich zu der vollen Würdigung dessen, was er sah, versteigen konnte, so bewunderte er doch, soweit von ihm erwartet werden konnte, die verschiedenen Schätze, die Oldbuck ihm zeigte. Hier waren Ausgaben, die besonders hochgeschätzt waren, weil sie die ersten der betreffenden Werke waren, und hier waren, Ausgaben, die kaum weniger geschätzt waren, weil sie die letzten und besten waren. Hier war ein Buch, dessen Wert darin bestand, daß es die Schlußverbesserungen des Verfassers enthielt, und hier war wieder eins, dessen Wert – seltsamerweise – wieder darin bestand, daß es keine solche Verbesserungen enthielt., Das eine war kostbar, weil es ein Folio war, das andere, weil es ein Duodez war, einige, weil sie groß waren, andere, weil sie klein waren, beim einen lag der Wert im Titelblatt, bei andern in der Stellung der Lettern bei dem Worte Finis. Wie es schien, machten alle nur möglichen noch so unbedeutenden und winzigen Unterscheidungen den Wert eines Bandes aus, abgesehen von der unerläßlichen Eigenschaft der Seltenheit, »Die Reize, an denen wir uns weiden,« sagte Herr Oldbuck, »mögen freilich der Jugend nicht so in die Augen springen wie die Schönheit einer jungen Dame, aber die Jugend wird weiser und lernt besser sehen, wenn sie in die Jahre kommt, wo sie Brillen trägt. – Doch warten Sie, ich habe ein Stücklein Rarität, das auch Sie vielleicht hochschätzen werden.« Mit diesen Worten schloß Herr Oldbuck eine Schublade auf und nahm ein Schlüsselbund heraus, dann schob er ein, Stück Tapete beiseite, hinter dem die Tür zu einem kleinen Kabinett verborgen war. Auf vier Steinstufen stieg er dort hinunter, und nachdem er eine Weile zwischen Flaschen und Kannen herumgeklappert hatte, holte er zwei Weingläser mit langen Füßen und bauchigen Kelchen hervor – wie man sie auf Teniers Gemälde sieht – und eine Flasche alten echten Kanariensekt und ein Stück Diätkuchen auf einem kleinen silbernen Tablett von hochfeiner alter Arbeit. »Von dem Tablett will ich gar nichts sagen,« bemerkte er, »es soll allerdings von dem alten verrückten Florentiner Benvenuto Cellini geschmiedet worden sein. Aber, Herr Lovel, unsere Ahnen tranken Sekt – Sie als ein Bewunderer des Dramas wissen, wo solche schöne Trinkszenen vorkommen. Na, auf einen guten Erfolg Ihrer Vorstellungen in Fairport!« »Und aus Ihr Wohl, Herr, und auf noch recht reiche Vermehrung Ihrer Schätze!« Nach einem Trunk, der so trefflich zu ihrem Zeitvertreib paßte, erhob sich Lovel, um sich zu verabschieden, und Herr Oldbuck machte sich fertig, ihn ein Stück des Weges zu begleiten und ihm einiges Bemerkenswerte auf dem Rückweg nach Fairport zu zeigen. Viertes Kapitel Unsere beiden Freunde schritten durch einen kleinen Obstgarten, wo die alten, schwer mit Früchten beladenen Apfelbäume bewiesen, daß die Mönche ihre Tage nicht immer in gleichgültigem Nichtstun verbrachten, sondern oft sich mit Gartenbau und Baumpflege befaßten. Herr Oldbuck unterließ nicht, Lovel darauf aufmerksam zu machen, daß die Pflanzer jener Tage schon das moderne Geheimnis gekannt hätten, zu verhindern, daß die Obstbäume die Zweige senkrecht in die Erde schlügen, und sie zu zwingen, daß sie nach der Seite die Wurzeln auseinanderbreiteten. Sie hätten gleich nach dem Einpflanzen Pflastersteine unter die Bäume gelegt zwischen die Wurzeln und den Untergrund. »Dieser alte Bursche hier,« sagte er, »vergangenen Sommer ist er vom Sturm gebeugt worden, aber trotzdem er halb auf der Erde liegt, ist er doch noch voller Früchte – dieser alte Kerl hat, wie Sie sehen, eine solche Steinschicht zwischen den Wurzeln und dem harten Lehmboden. Dieser andere Baum hier hat eine Geschichte. Die Frucht heißt der Abtsapfel. Die Frau eines Barons aus der Umgegend war so närrisch danach, daß sie oft in Monkbarns einen Besuch machte, um zu ihrem Vergnügen Äpfel zu pflücken und frisch vom Baume zu essen. Der Gemahl, ein eifersüchtiger Mann, hatte den Verdacht, daß ein so nahe an die Torheit der Mutter Eva streifender Geschmack auch einen ähnlichen Sündenfall verkünde. Sintemalen die Ehre einer adeligen Familie hierbei in Betracht kommt, so sage ich nichts weiter über die Geschichte, allein die Güter von Lochard und Cringlecut zahlen noch heute jährlich ihre sechs Maß Gerste vollgerüttelt, um die Schuld ihres tollkühnen Besitzers abzubüßen, der mit seinem weltlichen Verdacht den frommen weltverlorenen Zusammenkünften des Abtes und seiner Büßerin zu nahe getreten ist. – Aber für jetzt will ich nicht mehr sagen, ich hebe noch einiges für einen andern Besuch auf. Und hier haben wir etwas wirklich höchst Merkwürdiges vor uns.« Unter solchem Geplauder war er wacker über satte Weidewiesen nach einem offnen Heidestück geschritten und sie standen nun auf der Kuppe einer kleinen Erhöhung. »Hier, Herr Lovel,« sagte er, »ist ein wahrhaft bemerkenswerter Fleck.« »Eine schöne Aussicht hat man hier,« sagte sein Gefährte, in die Runde schauend. »Allerdings. Aber nicht wegen der Aussicht hab ich Sie hierher geführt. Sehen Sie sonst nichts Merkwürdiges? Nichts auf dem Erdboden?« »Ei freilich, einen undeutlich markierten Graben, wie, mir scheint.« »Undeutlich! – Na, ich bitt schön, Herr, die Undeutlichkeit muß schon in Ihrer Sehkraft liegen. Deutlicher kann überhaupt nichts abgezeichnet sein. Das ist ein richtiger echter ager oder vallum mit dem dazu gehörigen Graben oder fossa. – Undeutlich! ei, helf Ihnen der Himmel, meine Nichte, ein so seichtköpfiges Gänschen, wie nur eins unterm Weibsvolk zu finden ist, hat die Spuren des Grabens auf den ersten Blick erkannt. – Undeutlich! ei, Sie müssen doch annehmen, daß Schafsköpfe, Rindviecher und Idioten wie die leibhaftigen Kannibalen, die von nichts was verstehen, das Land aufgepflügt und dabei zwei Seiten des Vierecks ganz vernichtet und die dritte Seite erheblich beschädigt haben – aber die vierte, das sehen Sie doch selber, ist noch unversehrt!« Lovel versuchte sich zu entschuldigen und seine schlecht angebrachten Worte wieder gut zu machen, indem er seine Unerfahrenheit einwandte. Aber es gelang ihm nicht sogleich, seine ersten Worte waren zu offenherzig und natürlich herausgekommen, als daß Sie den Altertümler nicht hätten beunruhigen sollen, und über den Schreck darüber konnte er nicht sogleich hinwegkommen. »Mein werter Herr,« fuhr der alte Herr fort, »Ihre Augen find nicht unerfahren. Sie können doch Wohl, sollt ich meinen, einen Graben von ebener Erde unterscheiden? Undeutlich! ei, der gemeinste Pöbel, der niedrigste Junge, der eine Kuh hüten kann, nennt es das Kaim von Kinprunes, und wenn damit nicht ein antikes Lager gemeint ist, dann weiß ich nicht, was es sonst heißen soll.« Lovel gelang es endlich, die gekränkte und empfindliche Eitelkeit des Altertümlers zu beruhigen, und dieser fuhr in seiner Tätigkeit eines Cicerone fort. »Sie müssen wissen, unsere schottischen Altertümler sind sehr verschiedener Meinung darüber, an welchem Punkte der Endkampf zwischen Agricola und den Kaledoniern stattgefunden habe. Nun, was würden Sie sagen – was würden Sie denken, Herr Lovel, wenn der Schauplatz dieses denkwürdigen Kampfes eben hier an dem Kaim von Kinprunes läge? auf dem Grund und Boden des obskuren unbedeutenden Individuums, das jetzt zu Ihnen spricht?« Er machte eine kleine Pause, um seinen Gast eine so schwerwiegende Mitteilung verdauen zu lassen, und fuhr dann in höherem Tone fort: »Jawohl, mein guter Freund, ich müßte mich in der Tat sehr irren, wenn diese Stelle nicht mit allen Angaben über dieses berühmte Schlachtfeld übereinstimmte! Es war in der Nähe der Grampian-Berge! – nun! dort liegen sie, am Rande des Horizonts verlieren sie sich in den Himmel hinein – es lag in conspectu classis – in Sehweite der römischen Flotte – und könnte ein römischer oder englischer Admiral eine bessere Bucht zum Landen finden, als die dort rechter Hand? Ich Hab meine Meinung für mich behalten, bis ich den Grund und Boden an mich gebracht hatte, denn er gehörte damals dem alten Hannes Howie, einem kleinen Lord ganz hier in der Nähe, und wir haben manche Unterhandlung miteinander gehabt, ehe wir einig geworden sind. Endlich hab ich – fast schäme ich mich, es zu sagen – meinem Herzen einen Stoß gegeben und hab ihm ebensoviel von meinem guten Getreideboden für diesen wüsten Fleck gegeben, aber es war eine nationale Angelegenheit, und da der Schauplatz einer so berühmten Schlacht mein Eigentum geworden ist, so hab ich ihn doch übervorteilt. Dann hab ich angefangen nachzugraben, ob sich nicht irgendwas in der Erde fände, und am dritten Tage haben wir einen Stein gefunden, den ich nach Monkbarns gebracht habe, um von der Skulptur einen Gipsabguß zu machen. Es ist ein Opfergefäß darin gemeißelt mit den Buchstaben: A. D. L. L., die man, ohne daß es an den Haaren herbeigezerrt erscheinen möchte, deuten kann als: Aricola, dicavit lidens ludens. – Mein guter Freund, ich berufe mich nur auf das, was man mit Augen sieht! Haben wir nicht hier vor uns die porta decumana? – und dort wurden wir, wenn nicht der greuliche Pflug so gewüstet hätte, die porta praetoriana sehen. Zur linken Hand können Sie ein paar leise Spuren von der porta sinistra sehen, und rechts haben wir eine Seite der porta Dextra noch fast ganz unversehrt. Hier nun wollen wir hintreten auf diesen tumulus, der den Ausgangspunkt des verfallenen Komplexes darstellt – das Zentrum, ohne Frage, das Praetorium des Lagers. Von diesem Platze aus, der jetzt von den übrigen Teilen der Befestigung kaum noch zu unterscheiden ist, höchstens an der ein wenig höhern Lage und dem grünern Rasen, von diesem Punkte aus können wir uns vorstellen, hat Agricola nach dem riesigen Heere der Kaledonier hingeblickt, das den Abhang des gegenüberliegenden Hügels besetzt hatte. Ja, mein lieber Freund, von diesem Standorte aus hat er wahrscheinlich, nein, ganz bestimmt, die Schlacht geleitet! Von diesem selben Praetorium aus–« Eine Stimme hinter ihnen unterbrach seine überschwengliche Beschreibung. »Praetorium hin, Praetorium her, ich erinnere mich noch gut, wie das hier gebaut worden ist.« Beide drehten sich zugleich um, Lovel mit Überraschung, Oldbuck mit Überraschung und Entrüstung über eine so unhöfliche Unterbrechung. Ungesehen und ungehört über der enthusiastischen Ausführung des Altertümlers und Lovels höflicher Aufmerksamkeit, hatte ein Zuhörer sich zu ihnen herangeschlichen. Er hatte das Äußere eines Bettlers, ein breitkrempiger Hut von riesigem Umfange, ein langer weißer Bart, der sich mit seinem graumelierten Haar vermischte, ein altes, aber stark geprägtes, ausdrucksvolles Gesicht, das von Wetter und schutzloser Preisgebung gehärtet war und braun war wie Ziegelstaub, ein langer blauer Kittel mit einem Abzeichen von Zinn am rechten Arm, ein paar über die Schulter geworfene Rucksäcke, in die er die Nahrung hineintat, wenn er milde Gaben, in Materialien von denen empfing, die selber nur um einen Grad wohlhabender waren als er, – all dies kennzeichnete ihn als Bettler von Beruf und zwar einen von jener privilegierten Klasse, die in Schottland, Königs Gnadenleut oder Blauröcke heißen. »Was, Ihr seids, Edie?« sagte Oldbuck, der vielleicht hoffte, seine Ohren hätten ihn betrogen. »Was habt Ihr da geredet?« »Über dies Stückchen Ruine da. Euer Ehren,« versetzte der unerschrockene Edie. »Ich kann mich drauf besinnen, wie es gebaut worden ist.« »Den Teufel könnt Ihr! Ihr alter Narr, es war ja schon hier, ehe Ihr noch ans die Welt gekommen seid, und wird noch da sein, wenn Ihr schon längst am Galgen gehangen habt, Mensch!« »Ob gehängt oder ersoffen, ob hier oder anderswo, ob tot oder lebendig, ich weiß noch, wie es gebaut worden ist.« »Ihr – Ihr – Ihr –,« versetzte der Altertümler, zwischen Verwirrung und Ärger stotternd, »Ihr alter Bummelant und Vagabund, was wißt denn Ihr davon?« »O, ich weiß Bescheid darüber – und was hätte ich denn für Nutzen davon, Ihnen etwas vorzulügen? Ich weiß folgendes darüber: Zwanzig Jahre mags her sein, da haben ich und ein paar Schnorrer wie ich und die Maurergesellen, die den langen Deich gemacht haben am Fußsteige unten, uns an die Arbeit gemacht und das Ding hier gebaut, das sie ein – ein Praetorium nennen. Damals hatte der alte Trumm Hochzeit, und wir haben oft drin gesessen, wenns regnete. Mehr Beweise finden Sie, Monkbarns, wenn Sie die Erde aufgraben, wie Sie schon angefangen haben, und dann werden Sie, wenn Sie ihn nicht überhaupt schon gefunden haben, einen Stein finden, auf dem einer von den Maurergesellen einen Suppenlöffel ausgehauen hat, zum Jux auf den Bräutigam, und er hat vier Buchstaben darauf gegraben, nämlich A. D. L. L. – Aiken Trums Langer Löffel – denn Aiken war einer von denen, die sich in Suppe todessen konnten.« Lovel warf einen verstohlenen Blick auf unsern Altertümler, sah aber sogleich in purem Mitleid wieder weg. Denn, gütiger Leser, wenn du je das Gesicht eines sechzehnjährigen Backfischchens gesehen hast, dessen Schwärmerei von treuer Liebe durch eine unzeitige Entdeckung zerstört worden ist, oder eines zehnjährigen Kindes, dessen Kartenhaus von einem boshaften Spielkameraden umgeblasen worden ist, – ich kann dir getrost sagen, Jonathan Oldbuck von Monkbarns sah weder viel weiser noch weniger betrübt aus. »Da liegt ein Irrtum vor,« sagte er plötzlich und wandte sich von dem Bettler ab. »Nicht der geringste von meiner Seite,« versetzte der kecke Bettler. »Ich bin kein Freund von Irrtümern, es schaut doch immer ein Malheur dabei heraus. – Nun, Monkbarns, der junge vornehme Herr, der bei Euer Ehren ist, denkt gering von einem Kerl wie ich, und doch wette ich, ich kann ihm sagen, wo er gestern in der Dämmerstunde gewesen ist, bloß ist's ihm vielleicht nicht angenehm, daß in andrer Leute Beisein darüber gesprochen wird.« Lovels Wangen färbten sich vor Scham, mit der starken Röte eines Zweiundzwanzigjährigen. »Laßt den alten Gauner,« sagte Herr Oldbuck. »Meinen Sie nicht etwa, ich dächte geringer von Ihnen Ihres Berufes wegen. Wer das tut, ist ein Narr voller Vorurteile und ein Hanswurst. Es wird Ihnen erinnerlich sein, was der große Tullius in seiner Rede pro archia poeta sagt, wer unter uns wäre wohl so roh und barbarisch, daß ihn der Tod des großen Roscius nicht rühre, bei seinem hohen Alter habe man doch so wenig sich darauf gefaßt gemacht, daß er sterben könnte, sondern vielmehr gehofft, ein so anmutsvoller, so ausgezeichneter Meister seiner Kunst müsse von dem allgemeinen Lose des Todes ausgenommen sein. So sprach der König der Redner von der Bühne und ihren Jüngern!« Die Worte des alten Mannes schlugen Wohl an Lovels Ohr, aber sie vermittelten ihm keinen bestimmten Begriff, denn sein Geist war jetzt damit beschäftigt, darüber zu grübeln, auf welche Weise Wohl der alte Bettler, der ihn noch immer mit herausfordernd verschlagener pfiffiger Miene ansah, etwas von seinen Angelegenheiten erfahren haben könnte. Er griff in die Tasche, das sicherste und schnellste Mittel, ihm begreiflich zu machen, daß er auf seine Verschwiegenheit rechne, und gab ihm ein Almosen, dessen Höhe wohl mehr seinen Besorgnissen als seiner Barmherzigkeit entsprach, dabei sah er ihn mit einem ausdrucksvollen Blick an, den der Bettler – ein Physioanomiker von seinem Gewerbe her – vollkommen zu verstehen schien. »Seien Sie unbesorgt Herr, ich bin keine Schlabbertasche, aber es sind noch mehr auf der Welt als ich,« sagte er, indem er Lovels Gabe einsteckte. Er sprach die Worte in so leisem Tone, daß nur Lovel ihn verstehen konnte, aber mit einem Ausdruck, der das, was er unausgesprochen ließ, vollauf zu verstehen gab. Dann wandte er sich an Oldbuck. »Ich gehe jetzt nach der Pfarre. Haben Euer Ehren was zu bestellen dort oder vielleicht auch an Sir Arthur, denn ich treffe wohl auch noch vor Abend auf Schloß Knockwinnock ein.« Oldbuck fuhr auf, wie aus einem Traume. In hastiger Rede, in der Ärger mit dem Wunsche, sich nichts merken zu lassen, stritt, und indem er gleichzeitig seinen Tribut in Edies weichen fettigen Hut warf, sagte er: »Geht nach – nach Monkbarns – laßt Euch was zu essen geben – doch hört! wenn Ihr nach der Pfarre geht oder nach Knockwinnock, so braucht Ihr nichts von Euer albernen Geschichte von vorhin zu erzählen.« »Wer, ich?« versetzte der Bettler. »Gott segne Euer Ehren! Von mir soll keine Menschenseele ein Wort davon erfahren, meinetwegen mag das Ding da immer schon von Noahs Sintflut da sein. Meine Lippen sollen Verschwiegenheit darüber bewahren. Aber, Herr, die Leut reden, Euer Ehren hatten Hannes Howie für diese dürre Heide ebensoviel von dem besten Boden gegeben! Nun, wenn er wirklich Ihnen das Ding da für ein antikes Werk angeschwindelt hat, so ist meine aufrichtige Meinung, der Handel kann nimmer gelten, Sie brauchten sich nur ein Herz zu fassen und die Sache beim Gericht anhängig zu machen und zu sagen, daß Sie übers Ohr gehauen worden wären.« »Der freche Schurke!« murmelte der entrüstete Altertümler zwischen den Zähnen, »dafür soll aber doch noch dein Buckel die Geißel des Henkers kennen lernen.« Und in lauterm Tone setzte er hinzu: »Gebt Euch zufrieden, Edie, es ist alles ein Irrtum.« »Wahrlich, so denk ich auch,« fuhr sein Peiniger fort, dem es Vergnügen zu machen schien, die wunde Stelle zu kitzeln. »Wahrlich, so hab ich immer schon gedacht, und es ist noch gar nicht so lange her, da hab ich zu Lucie Gemmels gesagt: Kein Gedanke daran, hab ich gesagt, daß seine Ehren Monkbarns so eine Dummheit gemacht haben sollte und einen Boden, von dem der Acker fünfzig Schilling wert ist, für so eine Wüstenei, die mit einem schottischen Pfund zu teuer bezahlt wäre, hingegeben hätte. Verlassen Sie sich drauf, der gnädige Herr ist übers Ohr gehauen worden von dem alten Teufelskerl, dem Hannes Howie. – Aber soll der Himmel uns behüten, Ihr Herrn, wie ist das nur möglich,« sagt sie, »der Lord ist doch so gelehrt in den Büchern– so einen gibts überhaupt nicht wieder hier herum – und Hannes Howie hat doch, nicht Grieps genug im Schädel, daß er seine Rindviecher aus dem Gemüsegarten jagen kann? – Ja doch, ja doch, sag ich, – er hat ihn an der Nase herumgeführt mit einer von seinen Geschichten aus der alten Welt – denn Sie besinnen sich doch wohl noch, Herr, wie Sie damals mal von einem alten schottischen Dreier sagten, es wäre eine antike Münze.« »Geh zum Teufel,« sagte Oldbuck, und dann setzte er in milderm Tone hinzu, wie einer, der wohl weiß, daß sein Ruf in der Macht seines Gegners läge: »Schert Euch nach Munkbarns, und wenn ich zurückkomme, will ich Euch 'ne Flasche Bier in die Küche schicken.« »Lohns der Himmel Euer Ehren!« Diese Worte waren gesprochen in dem echten weinerlichen Geplärr des Bettlers, während er, seinen Stab vor sich setzend, in der Richtung auf Monkbarns hinwegschritt. »Aber haben Euer Ehren,« und er wandte sich noch einmal um, »jemals das Silber zurückbekommen, das Sie dem herumziehenden Trödler für den schottischen Dreier bezahlt haben?« »Fluch dir! geh an dein Geschäft!« »Schon gut, schon gut, Herr! Gott segne Euer Ehren! – Ich hoffe, Sie werdens Hannes Howie schon heimzahlen, und ich erlebs noch!« Und mit diesen Worten ging der alte Bettler, Herrn Oldbuck endlich von Erinnerungen befreiend, die nichts weniger als angenehm waren. »Wer ist der zudringliche alte Kerl?« fragte Lovel, als der Schnorrer aus Hörweite war. »O, eine von den Landplagen dieser Gegend – ich bin immer gegen die Abgaben für die Armen und gegen die Arbeitshäuser gewesen – ich denke, ich werde jetzt dafür stimmen, damit dieser Schurke hinter Schloß und Riegel kommt. Wer er ist? Ei, er ist mit allem so ziemlich durch! Ist Soldat gewesen, Bänkelsänger, wandernder Kesselflicker, und jetzt ist er Bettler. Unser törichter Landadel schont seiner und verhätschelt ihn förmlich. Sie lachen über seine Witze und erzählen die Schnurren Edie Ochiltrees weiter.« »Er nimmt sich viel Freiheit heraus – was ja die Seele des Witzes ist,« bemerkte Lovel. »Ei ja, Freiheiten genug,« sagte der Altertümler. »In der Regel erfindet er so eine verdammte unwahrscheinliche Schwindelei, um einen zu hänseln, wie den Mumpitz, von dem er eben geschwatzt hat, aber ich will jetzt noch nicht weiter darauf eingehen, bis ich nicht der Sache auf den Grund gegangen bin.« »In England,« sagte Lovel, »würde mit einem solchen Bettler kurzer Prozeß gemacht werden.« »Freilich, die Parochievorsteher und Büttel würden ihm seine faulen Witze bald versalzen! Aber hier! – Fluch ihm! – hier ist er eine Art privilegierten Ärgernisses – einer der letzten Vertreter der altmodischen schottischen Bettlersippschaft, die in einem Landstrich ihre Runde machten und der Neuigkeitskrämer, der fahrende Sänger und oft auch der Chronist des Kreises waren. Dieser alte Gauner weiß mehr alte Balladen und Traditionen als irgend einer in diesem oder den vier nächsten Sprengeln. Und schließlich,« setzte er hinzu und wurde ein wenig milder gestimmt, während er Edies gute Seiten beschrieb, »der Hund hat Humor und ist eine gutmütige Haut. Er hat sein hartes Geschick mit ungebrochenem Mute ertragen, und es wäre grausam, wenn man ihm den Trost versagen wollte, über die Leute, denen es besser geht wie ihm, sich lustig zu machen. Für das Vergnügen, daß er mich gefoppt hat, kriegt er auf ein paar Tage Essen und Trinken. Aber ich muß zurück und ihm nachschaun, sonst verbreitet er seine verdammte unsinnige Geschichte über die halbe Gegend.« Nach diesen Worten verabschiedeten sich unsere Helden, Herr Oldbuck kehrte zu seinem hospitium in Monkbarns zurück, und Lovel nach Fairport, wo er ohne jeden weiteren Zwischenfall anlangte. Fünftes Kapitel Das Theater in Fairport war eröffnet, aber kein Herr Lovel erschien auf der Bühne, noch lag in dem Wesen und Benehmen des jungen Mannes etwas, das Herrn Oldbucks Vermutung, sein Reisegefährte sei ein Bewerber um die Gunst des Publikums, hätte bekräftigen können. Regelmäßig erkundigte sich der Altertümler bei einem altmodischen Barbier, der die einzigen drei Perücken im Sprengel frisierte – trotz der Kosten und des Zeitaufwandes durfte er sie immer noch regelmäßig pudern und kräuseln, und er verteilte daher seine Zeit unter die drei letzten Kunden, die ihm im Wechsel der Mode treu geblieben waren – regelmäßig, wie gesagt, erkundigte sich Herr Oldbuck bei dieser Person nach den Neuigkeiten des kleinen Theaters in Fairport, und jeden Tag erwartete er, von Herrn Lovels Auftreten zu hören. Der alte Herr hatte sich fest vorgenommen, zu Ehren seines jungen Freundes nicht nur selber sich das Stück anzusehen, sondern sogar sein Weibsvolk mitzunehmen. Aber der alte Jakob Caxon brachte keine Nachricht, die ihn zu einem so entscheidenden Schritt, sich eine Loge zu kaufen, hätte veranlassen können. Er brachte im Gegenteil die Mitteilung, es lebe jetzt ein junger Mann in Fairport, aus dem die Stadt (mit diesem Begriff meinte er alle Klatschmäuler, die selber nichts zu tun haben und daher sich die faule Zeit damit vertreiben, daß sie sich um anderer Leute Angelegenheiten bekümmern) nicht klug werden könne. Er suche keinen Umgang, ja vermeide sogar den Verkehr, den nach seiner äußeren Vornehmheit und auch aus einiger Neugierde viele Leute ihm angeboten hätten. Und doch könne man sich nichts Regelmäßigeres und einem Abenteurer Unähnlicheres denken als seine Lebensweise, die zwar einfach, aber doch so wohl geordnet sei, daß alle Leute, die geschäftlich mit ihm zu tun hätten, des Lobes über ihn voll wären. Dieser Tugenden könne sich freilich ein Held des Kothurns nicht rühmen, dachte Oldbuck bei sich selber. So hartnäckig er auch gewohnheitsmäßig an seinen Meinungen festhielt, so hätte er doch wohl oder übel die in diesem Fall gefaßte Meinung aufgeben müssen, hätte nicht Caxon in seinem Bericht den folgenden Zusatz gemacht: »Der junge Herr, das haben viele gehört, hat oft mit sich selber gesprochen und im Zimmer herumspektakelt, als wenn er einer von dem Komödiantenvolk wäre.« Außer diesem einzigen Umstand konnte jedoch nichts Herrn Oldbucks Annahme bestätigen, und es blieb ein ungelöstes Rätsel, was ein wohlgebildeter junger Mann ohne Freunde, Beziehungen oder Beschäftigung irgendwelcher Art in Fairport zu tun haben könne. Augenscheinlich machte er sich weder aus Portwein noch aus Whist etwas. Er vermied es, an den geselligen Zusammenkünften einer der beiden Parteien, in die sich die Einwohnerschaft von Fairport schied – wie die ja auch in größeren Städten der Fall ist – teilzunehmen. Er war zu wenig Aristokrat, um dem Klub der königlichen Blaublütler beizutreten, und zu wenig Demokrat, um sich mit einer Gesellschaft der sogenannten Volksfreunde zu verbrüdern, die der Kreis auch das Glück hatte zu besitzen. Kaffeelokale waren sein Abscheu, und für einen Teetisch – leider kann es nicht verschwiegen werden – hatte er wenig Sympathie. In der Tat, seit der Name in Romanen oder Erzählungen gebräuchlich war – und das ist schon sehr, sehr lange her – hatte es noch nie einen Herrn Lovel gegeben, über den so wenig Bestimmtes bekannt war und über den alle Welt nur Beschreibungen in so ausschließlich negativer Form vorzubringen gewußt hätte. Ein negativer Umstand jedoch war sehr wesentlich, es wußte niemand etwas Schlechtes von Lovel. Wäre dies der Fall gewesen, so wäre es in der Tat schleunigst ruchbar geworden, denn das natürliche Verlangen, vom lieben Nachbar übel zu reden, wäre in seinem Falle von keinem Gefühl der Sympathie für einen so einsiedlerischen Menschen gemildert worden. Nur in einem Punkte traute man ihm nicht recht über den Weg. Da er auf seinen einsamen Spaziergängen viel mit dem Bleistift arbeitete und mehrere Ansichten vom Hafen gezeichnet hatte, darunter auch den Signalturm und die Batterie mit den vier Geschützen, so verbreiteten ein paar biereifrige Kannegießer das Gerücht, dieser geheimnisvolle Fremdling müsse ein französischer Spion sein. Demzufolge war auch der Herr Sheriff bei Herrn Lovel gewesen, aber das »Interview« hatte dahin geführt, daß der Beamte seinen Verdacht völlig aufgegeben hatte, denn nicht nur wurde der junge Mann in seiner Behausung ganz ungeschoren gelassen, sondern er wurde, wie glaubwürdig berichtet wurde, sogar zweimal zu Tisch gebeten, welche beiden Einladungen eine höfliche Ablehnung erfuhren. Ueber den Inhalt der Auseinandersetzung aber bewahrte der Beamte der Obrigkeit tiefes Schweigen, nicht nur dem Publikum im großen und ganzen gegenüber, sondern auch vor seinem Schreiber, seiner Frau und seinen zwei Töchtern, die sonst in allen Fragen der Amtspflicht seinen geheimen Kabinettsrat bildeten. All diese Einzelheiten, die Herr Caxon getreulich dem Gutsherrn von Monkbarns zutrug, ließen Lovel in der Meinung seines Reisegefährten sehr gewinnen. »Ein anständiger, verständiger Bursche,« sagte er zu sich selber, »er hält es unter seiner Würde, die Dummheiten und den Mumpitz der Fairporter mitzumachen. – Ich muß mich ein wenig seiner annehmen – ich muß ihn zu Tisch laden – und ich will auch Sir Arthur schreiben, daß er nach Monkbarns kommen und ihn kennen lerne soll. – Da muß ich mal mit meinem Weibsvolk reden.« Nachdem demgemäß eine solche Beratschlagung stattgefunden hatte, wurde ein Sendbote – kein Geringerer als Caxon selber – beauftragt, sich auf einen Weg nach Schloß Knockwinnock einzurichten und einen Brief mitzunehmen an den sehr ehrenwerten Sir Arthur Wardour von Knockwinnock, Baronet. Dieses Schreiben lautete folgendermaßen: »Sehr werter Sir Arthur! Am Donnerstag den 17. curr. stilo novo veranstalte ich, zu Monkbarns ein Symposion von Zoenobiten und ersuche Sie, daran teilzunehmen und um 4 Uhr pünktlich zu erscheinen. Wenn meine schöne Feindin, Fräulein Isabella, uns die Ehre erweisen kann und mitzukommen will, so wird mein Weibsvolk nur zu stolz sein eine solche Verbündete in Sachen des Widerstandes gegen schwere Disziplin und direkte Knechtung zu erhalten. Wenn nicht, so werde ich das Weibsvolk für diesen Tag dem Pastor auf den Hals schicken. Ich habe einen jungen Bekannten Ihnen vorzustellen, in welchem eine Spur von besserem Geiste steckt, als sonst unserer hirnverbrannten Zeit zu eigen ist – hat Respekt vor älteren Herren und weiß auch ganz hübsch Bescheid über die Klassiker – und da ein solcher junger Mann naturgemäß den Pöbel um Fairport herum verachten muß, so wünsche ich ihm eine ebenso vernünftige wie ehrwürdige Gesellschaft zu zeigen. Ich verbleibe, sehr werter Sir Arthur etc. etc. etc.« »Fliegen Sie mit diesem Briefe, Caxon,« sagte der alte Herr, und hielt ihm sein Schreiben hin, signatum atque sigillatum, »fliegen Sie mit diesem Briefe nach Kockwinnock und bringen Sie mir eine Antwort zurück. Fliegen Sie, wie wenn der Stadtrat zusammengetreten wäre und nur noch auf den Herrn Vorsteher und der Herr Vorsteher auf seine frisch gepuderte Perücke wartete.« Während Caxon auf seinem Hin- und Rückwege sich befindet, ist es wohl ganz am Platze, dem Leser mitzuteilen, zu welchem Hause ihn seine Sendung führte. Wir haben bereits gesagt, daß Herr Oldbuck wenig Verkehr mit den Edelherren der Umgegend pflegte, abgesehen von einer einzigen Person. Dies war Sir Arthur Wardour, ein Baronet aus altem Geschlecht und von großem Vermögen, aber trotzdem mißlichen Verhältnissen. Sein Vater, Sir Anthony, war Jakobit gewesen und hatte alle Begeisterung für diese Partei an den Tag gelegt, so lange man ihr noch mit bloßen Worten nützlich sein konnte. Niemand hat die Zitrone mit einer bezeichnenderen Handbewegung ausgedrückt, und niemand konnte mit mehr Geschick einen gefährlichen Trinkspruch ausbringen, ohne dabei unter die Paragraphen des Strafgesetzbuches zu fallen; und vor allem, niemand hat auf den Erfolg der Sache annähernd soviel und annähernd so anhänglich getrunken. Aber als 1745 die Hochlandsarmee heranrückte, schien der Eifer des würdigen Baronets ein wenig nachzulassen, während doch gerade die Konsequenz eine Steigerung erheischt hätte. Er schwatzte in der Tat viel davon, daß er für die Rechte Schottlands und Karl Stuarts seinen Mann stellen wolle; aber sein Sattel paßte nur auf eins von seinen Pferden, und das konnte kein Pulver riechen und war auch nicht dazu zu bringen. Vielleicht teilte der würdige Eigentümer die Bedenken dieses scharfsinnigen Vierfüßlers und begann zu denken, was dem Tiere solches Grausen einflöße, könne auch dem Reiter nicht zuträglich sein. Dieweil Sir Anthony Wardour schwatzte und trank und zauderte, rückte der herzhafte Amtmann von Fairport (der niemand andres war als der Vater unseres Altertümlers) an der Spitze einer Schar von Bürgern aus, besetzte im Namen Georgs II. ohne weiteres Knockwinnock, nahm die vier Kutschpferde in Beschlag und verhaftete den Besitzer. Kurz darauf wurde Sir Anthony laut königlichem Haftbefehl nach dem Tower zu London geschickt, und mit ihm ging sein Sohn Arthur, damals noch ein Jüngling. Da man ihnen aber nichts als offenkundige Verräterei auslegen konnte, so wurden Vater und Sohn wieder in Freiheit gesetzt und kehrten nach ihrem Herrenhause Knockwinnock zurück, um auch weiterhin fünf Klaftern tiefe Gesundheiten aus das Haus Stuart zu trinken und zu erzählen, was sie alles für die königliche Sache gelitten hatten. Und so sehr wurde dies zu einer Art Gewohnheit, daß nach seines Vaters Tod Sir Arthur noch immer unentwegt für das Haus Stuart betete, selbst als die Familie schon längst erloschen war. Sonst führte Sir Arthur dasselbe Leben wie die Mehrzahl der schottischen Krautjunker – jagte, angelte, gab Diners und ging zu Diners – war bei Pferderennen und Landtagen zugegen, war Vizestatthalter und Administrator der Chauseeverwaltungskommission. In seinen vorgerückten Jahren, als er für den Sport in Feld und Wald zu faul und auch zu schwerfällig wurde, las er statt dessen ab und zu schottische Geschichte, und da er allmählich Geschmack an Raritäten zu finden begann – freilich ging die Liebhaberei nicht sehr tief und blieb auch ohne Fachkenntnis – so wurde er ein intimer Freund seines Nachbars, des Herrn Oldbuck von Monkbarns, und Mitarbeiter in seinen antiquarischen Beschäftigungen. Es bestanden aber zwischen den beiden wunderlichen Heiligen verschiedene Meinungsverschiedenheiten, die manchmal zu kleinen Mißstimmungen führten. Sir Arthur war als Altertümler von grenzenloser Leichtgläubigkeit, und Herr Oldbuck war – trotz der Geschichte mit dem Praetorium im Kaim of Kinprunes – viel bedenklicher und vorsichtiger, ehe er eine Legende als giltige oder authentische Münze annahm. Sir Arthur hätte sich selber des Verbrechens der Majestätsbeleidigung für schuldig erachtet, wenn er an der Existenz eines einzigen in der fürchterlichen Reihe von einhundertundvier schottischen Königen gezweifelt hatte, – eine Ahnenreihe, aus die Jakob IV. seinen Anspruch auf den Thron begründete und deren Porträte noch jetzt grimmig von der Galerie von Holyrood herunterschauen. Oldbuck aber als kniffliger mißtrauischer Mann gab nicht viel auf göttliches Erbrecht und machte sich gern über diese geheiligte Ahnenreihe lustig. Ein andrer heikler Punkt war der gute Ruf der Königin Maria, den der Baron aufs ritterlichste behauptete, wahrend der Lord ihn trotz ihrer Schönheit und trotz ihres Unglücks angriff. Wenn ihre Unterhaltung sich auf noch spätere Zeiten erstreckte, so fanden sich Gründe zur Uneinigkeit fast auf jeder Seite der Geschichte. Oldbuck war aus Prinzip ein hartnäckiger Presbyterianer und ein Freund von revolutionären Grundsätzen und von der protestantischen Dynastie, und Sir Arthur war in all diesen Stücken sein gerades Widerspiel. Der einzige Punkt, in dem sie eins waren, war treue Liebe und Anhänglichkeit für den Herrscher, der zur Zeit auf dem Throne saß. So kam es denn mitunter zu heißen Plänkeleien zwischen beiden, in welchen Oldbuck nicht immer seinen kaustischen Humor unterdrücken konnte, während bei dem Baronet oft die Erinnerung an die Beschlagnahme der Kutschpferde und die Besetzung seines Herrenhauses durch Oldbucks Vater zum Durchbruch kam und zugleich seine Wangen und seine Redeweise erhitzte. Und letztens einmal, als Herr Oldbuck die Meinung gefaßt hatte, daß sein Freund und Kamerad in mancher Hinsicht ein richtiger Esel sei, war er der Unhöflichkeit, diese ungünstige Meinung zu äußern, näher gekommen, als die Vorschriften der modernen Höflichkeit es gestatten. In solchen Fallen gingen sie oft in tiefem Groll auseinander und waren fest entschlossen, in Zukunft sich überhaupt nicht mehr anzusehen. Aber jeder wußte doch, daß ihm die Gesellschaft des andern durch langjährige Gewohnheit zur Gemütlichkeit erforderlich war, und so war der Bruch zwischen beiden immer bald wieder geheilt. Dann bekundete immer Oldbuck, der sehr richtig kalkulierte, daß der Baron in seiner Empfindlichkeit wie ein kleines Kind sei, stets seinen überlegnen gesunden Sinn und machte mitleidsvoll die ersten Schritte zur Versöhnung. Und wenn gar einmal der Bruch unheilbar zu sein schien, so gelang es doch stets den liebevollen Bemühungen und der Vermittlung der Tochter des Baronets, Fräulein Isabella Wardour, die neben einem Sohne – jetzt in fremdem Lande beim Militär – die ganze Familie ausmachte. Sie wußte sehr wohl, wie unentbehrlich Herr Oldbuck ihrem Vater zum Zeitvertreib und zur Gemütlichkeit war, und stets war ihre Einmischung von günstigem Erfolge. Da sie aber in diesen Streitigkeiten in der Regel die Partei ihres Vaters ergriff, wenn auch in scherzhafter Weise, so nannte Oldbuck sie immer seine schöne Feindin – im Grunde aber hielt er von ihr mehr als von irgend einer andern Person ihres Geschlechtes, von dem er ja, wie wir gesehen haben, kein Bewunderer war. Noch eine andere Beziehung bestand zwischen diesen Ehrenmännern, die abwechselnd einen abstoßenden und anziehenden Einfluß auf ihren Verkehr hatte. Sir Arthur wünschte immer zu borgen, und Herr Oldbuck war nicht immer willens zu leihen. Dahingegen wünschte Herr Oldbuck immer regelmäßig Zurückzahlung, und Sir Arthur war nicht immer – ja fast nie in der Lage, dem vernünftigen Wunsche nachzukommen, und bei so entgegengesetzten Neigungen kam es gelegentlich zu Verdrießlichkeiten. Dennoch bestand, alles in allem, der Geist gegenseitiger Anpassung, und sie trotteten durchs Leben wie zwei angeschirrte Hunde – gelegentlich haperte es und sie knurrten einander an, aber zu einem völligen Stillstand oder daß gar einer den andern erwürgt hatte, soweit kam es nie. Eine kleine Mißstimmung, wie wir sie beschrieben haben, ob sie nun aus Geschäften oder aus politischer Plänkelei entstanden sein mochte, hatte die Häuser Knockwinnock und Monkbarns wieder einmal entzweit, als der Bote des letzteren erschien, seine Sendung zu erfüllen. In seinem altgotischen Zimmer, dessen Fenster auf der einen Seite auf den ruhelosen Ozean hinausschauten und auf der andern eine Aussicht auf die lange schnurgerade Allee boten, saß der Baron und blätterte gerade in einem dickleibigen Folio, ab und zu einen gelangweilten Blick nach den Sonnenflecken werfend, die auf dem dunkelgrünen Laub und den glatten Stämmen der breitwipfligen Linden der Allee zitterten. Endlich – welch erfreulicher Anblick! ist etwas zu sehen, das sich bewegt, und Ursache gibt zu den üblichen Fragen: Wer ist das wohl? Und was mag er zu bestellen haben? An dem alten weißlich grauen Kittel, dem Hute, der halb Schlapphut, halb steifer Hut ist, war der abgedankte Perückenmacher zu erkennen, und so blieb denn nur noch die zweite der beiden Fragen aufzuwerfen. Und diese wurde bald beantwortet, indem ein Diener hereintrat. »Ein Brief von Monkbarns, Sir Arthur!« Mit der gebührlichen Miene der Würde, die ihren Standpunkt festzuhalten weiß, nahm Sir Arthur die Epistel entgegen. »Nimm den alten Mann in die Küche, und laß ihm etwas Erfrischung geben,« sagte die junge Dame, deren mitleidiges Auge sein dünnes graues Haar und seine abgetragene Kleidung erkannt hatte. »Herr Oldbuck, meine Liebe, lädt uns für Donnerstag, den 17. zu Tisch,« sagte der Baronet mit Unterbrechungen, »er scheint wahrhaftig zu vergessen, daß er sich neulich nicht gerade so höflich gegen mich benommen hat, wie wohl zu erwarten gewesen wäre.« »Lieber Vater, du hast soviel vor dem armen Herrn Oldbuck voraus, daß es wohl kein Wunder ist, wenn er einmal ein wenig mißmutig wird. Aber ich weiß, er hat soviel Respekt vor deiner Person und vor deiner Konversation, und nichts würde ihm mehr leid tun, als wenn es an aufrichtiger Aufmerksamkeit sollte fehlen lassen.« »Wahr, wahr, Isabella, und man muß auch seiner Herkunft manches zu gute halten, es fließt noch ein wenig von der deutschen Grobheit in seinen Adern, etwas von der der Partei der Whigs eigentümlichen hartnäckigen Auflehnung gegen alteingesessnen Rang und Vorrechte. Du wirst bemerken, er hat in keiner Debatte einen Vorteil vor mir, außer wenn er mit seiner chikanösen Beschlagenheit in Daten, Namen und allerlei nebensächlichen Ereignissen loslegt – eine ermüdende, gehaltlose Gedächtnisfaxe, die auch bloß dem Umstande zuzuschreiben ist, daß er von einem Handwerker abstammt.« »Das mag ihm aber meiner Meinung nach bei historischen Untersuchungen sehr zu gute kommen.« »Es führt zu einer unhöflichen rechthaberischen Führung jeder Debatte, und es führt auch zu einer kaufmännischen krämerhaften Manier in Geschäftssachen, die selbst ein Gutsbesitzer von einem zwei bis drei Generationen alten Geschlechte unter seiner Würde halten sollte – ich frage nur, versteht es wohl in Fairport irgend ein Ladenschwengel eines Händlers so gut, wie Monkbarns, eine Zinsenrechnung aufzusetzen?« »Aber du nimmst doch seine Einladung an, Papa?« »Na ja – jawohl, wir haben, glaube ich, gerade nichts weiter vor. Wer mag nur der junge Mann sein, von dem er spricht? Eine neue Bekanntschaft bei ihm ist eigentlich eine Seltenheit, und Verwandte hat er auch nicht – habe nie von welchen gehört.« »Wahrscheinlich ein Verwandter seines Schwagers, des Kapitäns M'Intyre.« »Sehr leicht möglich, jawohl, wir werden annehmen. Die M'Intyres stammen aus sehr alter hochländischer Familie. Du kannst sein Schreiben in zusagendem Sinne beantworten.« Diese wichtige Angelegenheit war also erledigt. Fräulein Wardour bestellte für sich und Sir Arthur beste Grüße, und sie würden sich die Ehre geben, Herrn Oldbuck zu besuchen. Fräulein Wardour benutzte die Gelegenheit, ihre Feindseligkeiten mit Herrn Oldbuck zu erneuern, weil er sich solange nicht auf Knockwinnock habe sehen lassen. Mit dieser Antwort trat Caxon, der inzwischen wieder zu Kräften und auch zu Atem gekommen war, den Rückweg nach dem Hause des Altertümlers an. Sechstes Kapitel Unser junger Freund, Lovel, der eine entsprechende Einladung erhalten hatte, traf pünktlich zur festgesetzten Stunde, und zwar noch fünf Minuten vor vier Uhr am siebenten Juli in Monkbarns ein. Der Tag war merkwürdig trübe, und große Regentropfen waren ab und zu gefallen, das drohende Unwetter war aber bis jetzt immer wieder vorübergezogen. »Willkommen zu meinem Symposion, meinem Gastmahle!« begrüßte ihn Herr Oldbuck, – »und nun will ich Ihnen mein unglückseliges nichtsnutziges Weibsvolk vorstellen – malae bestiae, Herr Lovel!« »Die Damen verdienen sicher Ihre satirische Darstellung ganz und gar nicht, oder ich müßte mich sehr täuschen,« sagte Lovel. »Wischiwaschi! Herr Lovel, Sie werden selber sehen, sie sind weiter nichts als eben Weiber – aber da sind sie. Ich stelle Ihnen, wie es sich gehört, meine sehr artige Schwester Griselda vor und meine ausgezeichnete Nichte, – ihre Mutter hieß Mary und wurde manchmal Molly gerufen.« Die ältliche Dame rauschte einher in Seide und Satin und trug auf ihrem Haupte einen Bau, wie man sie in den Modeblättern von 1770 findet – ein prächtiges Stückchen Architektur – nicht sonderlich geringer als ein modernes gotisches Schloß – die Locken konnten die Türmchen darstellen, die schwarzen Nadeln die Chevaux de frize und die Haubenflügelchen die Banner. Das Gesicht, das gleich dem der antiken Bestastatuen also mit Türmen gekrönt war, war groß und lang und spitz an Nase und Kinn und hatte im übrigen eine so spaßhafte Ähnlichkeit mit der Physiognomie Jonathan Oldbucks, daß Lovel, wären sie nicht zu gleicher Zeit beide vor ihm erschienen, hätte denken können, die Gestalt vor ihm sei sein alter Freund in weiblicher Verkleidung. Ein antikes geblümtes Seidenkleid zierte die außerordentliche Person, der dieser unverhältnismäßige Kopfputz angehörte – ihr Bruder sagte immer, er passe besser zu einem Turban von Mahund oder Termagent, statt auf den Kopf einer vernünftigen Kreatur oder gar eines christlichen Weibes. Zwei lange knöcherne Arme waren an den Ellbogen von dreifachen Spitzenkräuschen umgeben, und da sie vor dem Leibe kreuzweis übereinander gelegt waren und mit langen Handschuhen von grellroter Farbe geziert waren, so hatten sie eine große Ähnlichkeit mit einem Paar gigantischer Hummern. Schuhe mit hohen Absätzen und ein kurzes seidnes Mäntelchen, das sie in graziöser Nachlässigkeit über die Schultern geworfen hatte, vervollständigten das Äußere der Jungfer Griselda Oldbuck. Ihre Nichte – dieselbe, die Lovel auf seinem ersten Besuche flüchtig gesehen hatte, war ein hübsches junges Weibchen, der Mode des Tages entsprechend gefällig gekleidet, mit einem Zug von Schalkhaftigkeit, der ihr sehr gut stand, und der vielleicht aus dem der Familie des Oheims eignen kaustischen Humor auf sie übergegangen war – nur nach der Übertragung gemildert und verfeinert. Herr Lovel begrüßte beide Damen aufs höflichste. Die ältere Dame antwortete mit dem echten langen Knicks von 1760, die jüngere mit einer modernen Verneigung, mit der sie viel rascher fertig war. Während noch diese Begrüßungen ausgetauscht wurden, erschien Sir Arthur mit seiner schönen Tochter am Arme an der Gartentür – er hatte eben seinen Wagen weggeschickt – mit aller gebührenden Achtung bekomplimentierte er die Damen. »Sir Arthur,« sagte der Altertümler, »und Sie, meine schöne Feindin, lassen Sie mich Ihnen meinen jungen Freund, Herrn Lovel, vorstellen, einen jungen Herrn, der inmitten des Scharlachfiebers, das jetzt auf dieser unserer Insel grassiert, doch so viel Tugend und Anstand besitzt, in einem Rock von gesitteter Farbe zu erscheinen. Sie sehen indessen, daß die Modefarbe, die zwar nicht an seinem Anzüge zu finden ist, ihm doch in die Wangen gestiegen ist. Sir Arthur, lassen Sie mich Ihnen einen jungen Herrn vorstellen, den Sie bei näherer Bekanntschaft als ernst, weise, höflich, gebildet, wohlbewandert und tief belesen und von Grund auf vertraut mit all den verborgenen Geheimnissen der Bühne – er errötet wieder –« »Mein Bruder« sagte Jungfer Griselda, »hat eine so närrische Manier, sich auszudrücken, mein Herr. Kein Mensch gibt was drauf, was Monkbarns schwatzt, so bitte ich Sie, lassen Sie sich nicht so verwirren von seinem Unsinn. Aber es muß Ihnen unterwegs in der brennenden Sonne warm geworden sein – wollen Sie etwas zu sich nehmen – ein Gläschen Balsam-Wein?« Ehe Lovel antworten konnte, mischte der Altertümler sich drein. »Hebe dich weg, Hexe! wolltest du meine Gäste vergiften mit deinem infernalischen Gebräu? Erinnerst du dich nicht mehr, wie es dem Pfarrer ergangen ist, den du verlockt hast, von diesem heimtückischen Getränk zu genießen?« »O pfui, pfui, Bruder! Sir Arthur, ist Ihnen so etwas schon vorgekommen? Es muß alles nach seiner Manier sein, sonst erfindet er derartige Geschichten. Aber da geht Hanne die alte Glocke läuten, um uns anzukünden, daß das Mittagessen fertig ist.« Streng in seiner Sparsamkeit, hielt sich Herr Oldbuck keinen männlichen Bedienten. Er verbarg dies unter dem Vorwande, das männliche Geschlecht sei zu edel, um in dieser Tätigkeit persönlichen Dienstes verwendet zu werden, die in früheren Gesellschaftsperioden ausschließlich von den Weibern verrichtet worden sei. »Warum,« sagte er, »warum hat der Bengel, Tom Rintherout, den ich auf meiner Schwester Anregung hin, ich, der ich doch so klug bin, auf Probe angestellt hatte, warum hat er Apfel gemaust, Vogelnester ausgenommen, Gläser zerschlagen und mir schließlich gar die Brille gestohlen – bloß weil er den edlen Tatendrang in sich hatte, der dem männlichen Geschlecht die Brust schwellt? Und dieser Tatendrang hat ihn denn auch nach Flandern geführt, mit einem Schießprügel über der Schulter, und wird ihn ohne Zweifel noch zu einer ruhmvollen Hellebarde bringen oder gar an den Galgen! Und warum bewegt sich dieses Mädchen, seine leibliche Schwester, Hanne Rintherout, in demselben Berufe mit so sicherem geräuschlosen Fuße, ob sie nun Schuhe anhat oder barfuß geht, so leise wie eine Katze oder so sachte wie ein Hühnerhund – warum? Eben weil es ihr Beruf ist. Dienen mögen sie uns, Sir Arthur, dienen – sage ich – das ist das einzige, wozu sie sich eignen. Alle Gesetzgeber des Altertums – von Lykurg bis auf Mohammed, fälschlich Mahommet genannt – stellen sie einstimmig auf den ihnen zukommenden untergeordneten Rang, und nur in den verrückten Köpfen unserer ritterlichen Ahnen sind die Dulcineas zu despotischen Prinzessinnen aufgerückt.« Fräulein Wardour protestierte laut gegen diese jeder Galanterie Hohn sprechende Doktrin, aber jetzt läutete die Glocke zum Mittagstisch. »Einer so schonen Gegnerin gegenüber will ich all die Pflichten zarter Höflichkeit erfüllen,« sagte der alte Herr, ihr den Arm bietend. Er führte sie in das Eßzimmer, das Lovel noch nicht gesehen hatte. Es war mit Getäfel versehen und enthielt wunderliche Gemälde. Bei Tische bediente Hanne, aber eine Art weiblichen Mundschenks stand am Serviertische und nahm das schwere Los auf sich, mehrmals Tadel von Herrn Oldbuck und weniger grobe, aber nicht minder beißende Bemerkungen von seiner Schwester hinzunehmen. Das Mittagessen war ganz der Manier eines berufsmäßigen Altertümlers entsprechend und enthielt mehrere schmackhafte altschottische Gerichte, die jetzt von den sogenannten vornehmen Tischen verschwunden sind. Da gab es die köstliche Solandgans oder Rotgans, die einen so starken Duft an sich hat, daß sie nie im Hause drinnen zubereitet wird. Diesmal war sie unglücklicherweise noch blutig und nicht ganz gar, und Oldbuck drohte, den fettigen Seevogel der liederlichen Haushälterin an den Kopf zu werfen. Aber zum Glück war das schottische Allerlei ihr besser gelungen – es wurde einstimmig als unnachahmlich erklärt. »Daß uns das glücken würde, hab ich von vornherein gewußt,« sagte Oldbuck in heller Freude, »denn Davie Nibble, der Gärtner – er ist Junggeselle wie ich –läßt es nicht zu, daß das nichtsnutzige Weibsvolk ihm das Gemüse verschandelt. Und hier haben wir Fisch mit Sauce – das Gericht versteht unser Weibsvolk ganz ausgezeichnet zu bereiten, geb ich zu – sie haben dabei aber auch das Vergnügen, zweimal die Woche mit der alten Maggie Mucklebackit, dem Fischweib, herumzufeilschen. Die Hühnerpastete, Herr Lovel, ist nach einem Rezept gemacht, das mir meine Großmutter selig hinterlassen hat. Und wenn Sie sich auch an ein Glas Wein herantrauen, so werden Sie finden, es macht einem alle Ehre – einem, der sich zu dem Grundsätze des Königs Alphons von Kastilien bekennt: Altes Holz zum Brennen – alte Bücher zum Lesen – alten Wein zum Trinken – und alte Freunde, Sir Arthur – ja, Herr Lovel, und auch junge Freunde zum Plaudern.« »Und was bringen Sie uns Neues aus Edinburgh, Monkbarns?« fragte Sir Arthur. »Toll, toll, Sir Arthur – nicht wieder gut zu machen! Die schlimmste Art von Wahnsinn – ein Militärrappel – hatte Mann, Weib und Kind ergriffen.« »Und das ist auch hohe Zeit, dünkt mich,« sagte Fräulein Wardour, »wenn wir mit Einfallen von außen und Revolution von innen bedroht sind.« »Oh, ich habe auch gar nicht daran gezweifelt, daß Sie auf die Seite des scharlachroten Heeres der Feinde treten würden – die Weiber sind wie die Truthähne, über einen roten Lappen verlieren sie den Verstand. Aber haben Sie je die Geschichte von der Schwester Margarete gehört? Der Kopf, der sie ausgeheckt hat, ist zwar jetzt alt und auch schon grau, hat aber mehr gesunden Menschenverstand und politischen Scharfblick, als heutzutage in einer ganzen Synode zu finden ist. Besinnen Sie sich auf den Traum der Amme, in jenem ausgezeichneten Werke, den sie in so großer Todesangst Hubble-Bubble erzählt? – Wenn sie in ihrem Traum, ein Stück breite Leinwand in die Hand genommen hatte, – bums! explodiert wars wie eine große eiserne Kanone. Wenn sie nach einer Spindel griff, reckte sie sich in ihren Augen als Pistole empor. Mir war in Edinburgh zu Mute, als ob ich einen ähnlichen Traum hätte. Ich bin zu meinem Anwalt gegangen, er trug Dragoneruniform, gestiefelt und gespornt, und war im Begriff, ein Streitroß zu besteigen, das sein Schreiber (der als Scharfschütze eingekleidet war) vor der Tür hin- und herführte. – Da ging ich zu meinem Geschäftsführer, um ihn auszuzanken, daß er mich an einen Irrsinnigen gewiesen hätte, er hatte sich einen ganzen Busch von den Federn, die er in ruhigeren Zeiten sonst zwischen den Fingern abstrapaziert hatte, auf den Kopf gesteckt und war als Artillerieoffizier gekleidet. Mein Schnitthändler hatte eine Hellebarde in der Hand, als wolle er mit diesem Gerät sein Tuch messen, statt mit der gesetzmäßigen Elle. Der Bankiersbuchhalter, der angewiesen war, mein Konto aufzustellen, verrechnete sich dreimal, weil er noch den Kopf voll hatte von seinem militärischen Rapport bei der Vormittagsübung, und das machte ihn ganz dumm. Mir war unwohl, und ich schickte zu einem Arzt. Er kam – doch Mut in seinen Augen glühte, Ein Säbel an der Seite Flammen sprühte, Er war, bei Gott, so ganz zu Stahl geworden – Ich dacht, er käm – zu heilen nicht – zu morden. Ich wandte mich an einen andern Arzt, aber er schien auch den Menschenmord mehr en gros zu üben, als sein Beruf ihm vermutlich sonst gestattet hatte. Und nun ich hierhergekommen bin, hat die Laune der Tapferkeit selbst unsre weisen Nachbarn von Fairport ergriffen. Ich hasse ein Gewehr wie eine angeschossene Wildente, ich verabscheue eine Trommel wie einen Quäcker – und sie donnern und rasseln da drüben auf der Stadtwiese, daß jeder Wirbel und jede Salve mir schier das Herz zersprengt!« »Lieber Bruder, sprich doch nicht so von den Herren Freiwilligen. Sie haben doch eine sehr schmucke Uniform. Ich wette, vergangene Woche sind sie zweimal bis auf die Haut naß geworden. Denk doch, was sie sich für Blackerei machen – dafür müssen wir ihnen doch sicherlich dankbar sein.« »Und mein Onkel,« sagte Fräulein M'Intyre, »hat auch zwanzig Guineen bewilligt als Beisteuer für ihre Ausrüstung.« »Branntwein und Zuckerkant sollten sie dafür kaufen,« versetzte der Zyniker, »damit Schwung in den Handel kommen sollte und die Offiziere, die sich im Dienste des Vaterlandes heiser gebrüllt hatten, sich die Kehlen wieder ein bißchen schmieren sollten.« »Nehmen Sie sich in acht, Monkbarns, wir werden Sie noch auf die schwarze Liste setzen.« »Nicht doch, Sir Arthur, einen harmlosen Brummbär wie mich! Ich verlange nur das Recht, hier in meinem eigenen Winkel krakehlen zu können, aber dem großen Chorus der Heerstraße misch ich mein Trotzen nicht bei. Ni quito, Rey, ni pongo Re – das heißt, ich mache keinen König und ich tu auch keinem König weh, wie Sancho Pansa sagt. Ich bete von ganzem Herzen für unsern Herrscher, zahle Steuern und Abgaben und schimpf auf den Einnehmer, aber da kommt zur rechten Zeit der Schafkäse, der ist besser für den Magen als die Politik.« Als das Mittagsmahl vorüber war und die Becher auf den Tisch kamen, brachte Herr Oldbuck die Gesundheit des Königs aus in einem großen Humpen, und Lovel und der Baronet taten ihm gern Bescheid – denn der Jakobitismus des letzteren war jetzt bloß noch spekulative Ansichtssache – der Schatten eines Schattens. Nachdem die Damen das Zimmer verlassen hatten, entspannen sich zwischen dem Wirt und Sir Arthur mehrere tiefsinnige Erörterungen, an denen der jüngere Gast, wohl weil sie sich in zu komplizierter Gelehrsamkeit verloren, nur geringen Anteil nahm, bis er endlich aus einer tiefen Träumerei erwachte, indem er inne wurde, daß beide in hitzigern Ton verfallen und auf einen jener Punkte geraten waren, über die es leicht zwischen ihnen zu Mißstimmungen kam. »Es gibt eine Liste von Königen der Pikten,« sagte Sir Arthur, »die vollauf beglaubigt ist, von Crentheminachcryme (das Datum seiner Regierung steht nicht genau fest) bis auf Drusterstone, mit dessen Tode ihre Dynastie erloschen ist. Die Liste dieser Herrscher ist von Henry Maule von Melgum aus den Chroniken von Loch-Leven und Saint-Andrews kopiert worden, er hat sie dann in seiner kurzen aber befriedigenden Geschichte der Pikten veröffentlicht im Jahre des Herrn siebzehnhundertundfünf oder sechs, das weiß ich nicht genau, aber ich habe selber ein Exemplar zu Hause. Was sagen Sie dazu, Herr Oldbuck?« »Was ich dazu sage? Je, ich lache über Harry Maule und seine Geschichte,« antwortete Oldbuck. »Lachen Sie nicht über einen Mann, der mehr wert ist, wie Sie selber,« erwiderte Sir Arthur in etwas verächtlichem Tone. »Henry Maule war ein Ehrenmann.« »Ich dächte, darin hätte er vor mir nichts voraus,« sagte der Altertümler, ein wenig patzig. »Gestatten Sie, Herr Oldbuck, er war ein Edelmann aus hoher Familie und von sehr alter Abkunft und daher –« »Daher sollte der Abkömmling eines westfälischen Druckers nicht mit Geringschätzung von ihm sprechen? – So mögen Sie ja denken, Sir Arthur. Ich bin der Meinung, daß meine Abkunft von dem betriebsamen und sorgfältigsaubern Typographen Wolfbrand Oldenbuck, der im Dezember 1493 unter der Gönnerschaft von Sebaldus Scheyter und Sebastian Kammermeister den Druck der großen Chronik von Nürnberg vollendet hat – ich bin der Meinung, daß meine Abkunft von diesem großen Manne der Bildung für mich als Gelehrten rühmlicher ist, als wenn ich in meiner Genealogie alle die bramarbasierenden, alten gotischen Barone mit Köpfen und Fäusten von Eisen von den Tagen des Crentheminachcryme an aufzuweisen hätte – von denen nicht einer, glaub ich, seinen eigenen Namen hat schreiben können.« »Wenn Sie diese Bemerkung als Hohn auf meine Ahnen gemünzt haben,« sagte der Ritter mit einer Pose würdevoller Überlegenheit, »so habe ich das Vergnügen, Ihnen mitzuteilen, daß mein Ahnherr, Gamelyn de Guardover, seinen Namen in sauberer Schrift eigenhändig in die früheste Kopie der Ragman-Liste eingetragen hat.« »Was beweist weiter gar nichts, als daß er der erste war, der das niedrige Beispiel gegeben hat, sich Eduard I. zu unterwerfen. Was haben Sie noch von der fleckenlosen Königstreue Ihrer Familie zu sagen, Sir Arthur, nach solcher Abtrünnigkeit?« »Es ist genug, Herr,« sagte Sir Arthur und fuhr zornig auf, den Stuhl zurückstoßend, »ich werde in Zukunft mich vorsehen, mit meiner Gesellschaft einen Mann zu beehren, der sich für meine Herablassung so undankbar erzeigt.« »In diesem Punkte handeln Sie nur ganz nach Belieben, Sir Arthur. Ich bin mir allerdings nicht vollauf bewußt gewesen, ein wie großes Entgegenkommen Sie mir erzeigt haben, indem Sie mein armes Haus besuchten, ich hoffe daher, Sie werden es mir nicht verübeln, daß ich die Dankbarkeit nicht bis zur knechtischen Unterwürfigkeit getrieben habe.« »Sehr wohl, Herr Oldbuck– ich wünsche Ihnen einen guten Abend, Herr – ä–ä–ä – Shovel,– ich wünsche Ihnen einen sehr guten Abend.« Hinaus aus der Stube sauste Sir Arthur und durchmaß mit langen Schritten das Labyrinth von Gängen, das nach dem Gesellschaftszimmer führte. »Ist Ihnen schon einmal solch ein verbohrter Dicknischel vorgekommen?« wandte sich Oldbuck plötzlich an Lovel. »Aber ich darf ihn nicht wie einen Tollhäusler davonrennen lassen.« Mit diesen Worten, schoß er hinter dem Baron drein und folgte ihm, dem Knallen mehrerer Türen nach, die der Zürnende in der Suche nach dem Teezimmer aufriß und jedesmal, wenn es nicht das gesuchte Zimmer war, wieder zuwarf. »Sie werden sich noch Schaden tun!« brüllte der Altertümler. »Qui ambulat in tenebris, nescit quo vadit – Sie werden noch die Hintertreppe hinunterfallen!« Sir Arthur befand sich jetzt in tiefer Finsternis, deren niederschlagende Wirkung Ammen und Erzieherinnen gut kennen, die mit kleinen nergligen Kindern zu tun haben. Die Finsternis verlangsamte den Schritt des entrüsteten Barons, wenn sie auch seinen Ärger nicht dämpfte, und Herr Oldbuck, der ja mit den Örtlichkeiten besser Bescheid wußte, holte ihn gerade in dem Augenblicke ein, als er die Hand auf die Klinke zum Gesellschaftszimmer legte. »Warten Sie einen Augenblick, Sir Arthur,« sagte Oldbuck, indem er ihn nicht so jäh in das Zimmer eintreten ließ. »Seien Sie nicht so ungestüm, mein guter alter Freund, – ich bin ein bißchen zu grob gewesen zu Ihnen, was Sir Gamelyn anbetrifft, – ei, du meine Güte, dabei ist er ein alter Bekannter von mir, der Sir Gamelyn – ein Liebling von mir – er war ein Gefährte von Bruce und Wallace! Kommen Sie, lassen Sie vergeben und vergessen sein und lassen Sie uns zugeben, daß wir dem jungen Herrn hier ein Recht gegeben haben, uns für zwei eigensinnige alte Schafsköpfe zu halten.« »Na sprechen Sie nur für sich selber, Herr Oldbuck,« sagte Sir Arthur mit Majestät. »Na denn meinetwegen – wer eben ein Trotzkopf ist, muß seinen Willen haben.« Mit diesen Worten öffnete er die Tür, und hinein in das Gesellschaftszimmer trat die hohe hagere Gestalt Sir Arthurs. Herr Lovel und Herr Oldbuck folgten – sie sahen alle ein wenig ratlos und sehr mißgestimmt aus. »Ich habe auf dich gewartet, lieber Vater,« sagte Fräulein Wardour, »ich möchte dir vorschlagen, der Kalesche entgegen zu gehen, da es ein so schöner Abend ist.« Sir Arthur summte diesem Vorschlage bereitwillig bei, paßte er doch vortrefflich zu der zornigen Stimmung, in der er sich befand. Nachdem er, wie es in Fällen der Mißstimmung immer geschah, die Erfrischung von Thee und Kaffee abgelehnt hatte, nahm er den Arm seiner Tochter, verabschiedete sich mit vieler Zeremonie von den Damen und sehr trocken von Herrn Oldbuck – und ging von dannen. »Mir scheint,« sagte Fräulein Oldbuck, »Sir Arthur hat schon wieder das böse Wesen.« »Das böse Wesen? Den Teufel hat er! Alberner ist er wie das Weibsvolk! – Was sagen Sie, Lovel? – zum Kuckuck! der Bursche ist auch schon weg.« »Er hat sich empfohlen, Oheim,« sagte Fräulein M'Intyre, »während Fräulein Wardour sich ankleidete. Aber du hast gar nicht nach ihm hingesehen.« »Der Teufel steckt in dem Volke! Das hat man nun davon, daß man sich am Leibe reißt und sich allerlei, Scherereien macht, um Diners zu geben – ganz zu schweigen von all den Unkosten. – O Sagad, König von Äthiopien!« sagte er, indem er eine Tasse Tee in die eine und ein Buch in die andere Hand nahm – denn es war seine Gepflogenheit, wenn er im Beisein seiner Schwester aß oder trank, zu lesen – dieser Kunstgriff diente gleichzeitig dazu, seine Verachtung gegen die Gesellschaft der Frauen zu bekunden, wie zu beweisen, daß er nicht einen Augenblick, den er zu seiner Weiterbildung verwerten könne, unausgenutzt lassen wolle. – »O Sagad, Herrscher von Äthiopien! wie recht hast du – niemand soll so kühn sein und sagen: Dies wird sein ein Tag des Glückes!« Oldbuck fuhr fast eine volle Stunde in seinen Studien fort, ohne daß die Damen ihn unterbrochen hätten, die in tiefem Schweigen irgend einer weiblichen Beschäftigung nachgingen. Endlich klopfte es leise und bescheiden an die Tür. »Seid Ihrs, Caxon? Nur herein, nur herein, Mann!« Der alte Mann öffnete die Tür, schob sein mageres, mit grauen dünnen Locken umgebenes Gesicht und einen Ärmel seines weiten Rockes herein und sagte in unterdrücktem geheimnisvollem Tone: »Ich wollte mit Ihnen sprechen, Herr.« »So kommen Sie doch herein, Sie alter Dummkopf, und sagen Sie, was Sie zu sagen haben.« »Kann sein, ich erschreck' die Damen,« sagte der Ex-Friseur. »Erschrecken?« versetzte der Altertümler. »Was soll das heißen? um die Damen kümmern Sie sich nur nicht weiter! Haben Sie vielleicht wieder einen Geist gesehen?« »Nein, Herr, diesmal ists kein Geist,« versetzte Caxon. »Aber ich bin in großer Sorge.« »Habt Ihr etwa gehört, daß wär zur Zeit irgend jemand nicht?« antwortete Oldbuck. »Was hat denn da ein alter abgerackerter Puderfex wie Ihr, für Ursache, nicht in Sorge sein zu wollen, wo es sonst alle Welt ist?« »Es ist nicht um mich selber, Herr, aber es zieht eine furchtbare Nacht herauf, und Sir Arthur und Fräulein Wardour, das arme Ding –« »Ei, Mann, die müssen doch an der grünen Gasse oder da herum ihre Kutsche getroffen haben, die sind gewiß schon längst zu Hause.« »Nein, Herr, sie sind eben nicht, die Chaussee nach dem Schlagbaum, dem Wagen entgegengegangen, sie sind über die Dünen gegangen.« Das Wort wirkte auf Oldbuck elektrisierend. »Die Dünen!« rief er. – »Unmöglich!« »Ja, Herr, das habe ich dem Gärtner auch gesagt, aber er hat gesagt, er hätte sie nach dem Muschelriff hinabgehen sehen – meiner Treu, sag ich zu ihm, wenn das der Fall ist, dann befürchte ich –« »Einen Kalender! einen Kalender!« rief Oldbuck, in Bestürzung aufspringend. »Großer Gott! meine arme liebe Isabella! Holt mir auf der Stelle den Fairport-Kalender!« Er wurde gebracht, der Altertümler sah nach, und seine Unruhe stieg aufs höchste. »Ich will selber gehen! ruft den Gärtner und den Ackerknecht! Taue sollen sie mitnehmen und Leitern – sie sollen unterwegs Leute zur Hilfeleistung aufbieten – auf die Spitze der Klippen sollen sie und ihnen zurufen!« »Was ist denn los?« fragte Jungfer Oldbuck. »Die Flut! die Flut!« antwortete der bestürzte Altertümler. »Wärs da nicht besser, wenn Hanne – aber nein! ich will selber gehen,« sagte die jüngere Dame, das Entsetzen ihres Oheims teilend. »Ich will selber zu Saunders Mucklebackit laufen und ihn sein Boot aussetzen lassen.« »Dank dir, liebes Kind, das ist das gescheiteste Wort, das bis jetzt gesprochen worden ist. Lauf! lauf! auf nach den Dünen!« Und er griff nach Hut und Stock. »Ist je schon solch ein hirnverbrannter Blödsinn vorgekommen!« setzte er hinzu und stürmte davon. Siebentes Kapitel Die Mitteilung des Gärtners, die in Monkbarns so große Bestürzung wachgerufen hatte, war zutreffend. Sir Arthur und seine Tochter waren ihrem ersten Vorsatz gemäß willens gewesen, auf der Landstraße nach Knockwinnock zurückzukehren. Aber als sie die sogenannte grüne Gasse erreichten, sahen sie ein Stückchen vor sich Lovel, der absichtlich langsam zu gehen schien, um mit ihnen zusammenzutreffen. Fräulein Wardour schlug sofort ihrem Vater vor, einen andern Weg zu gehen und, da es schönes Wetter war, über die Dünen heimzukehren, die unterhalb eines malerischen Kammes von Klippen sich hinstreckend, fast zu allen Zeiten eine angenehmere Verbindung zwischen Monkbarns und Knockwinnock boten als die Landstraße. Sir Arthur stimmte bereitwillig ein. Es sei nicht gerade angenehm, sagte er, wenn dieser junge Mann mit ihnen gehen wollte, den Oldbuck ihnen vorzustellen sich die Freiheit genommen habe. Seine altmodische Höflichkeit wußte noch nichts von den bequemen Manieren unserer Zeit, einen, mit dem man eine Woche lang Verkehr gehabt hat, zu »schneiden«, wenn man gerade so gelaunt ist, oder wenn man sich in einer Lage befindet, wo es einem unangenehm ist, sich als einen Bekannten des Betreffenden zu bekennen. Sir Arthur bestimmte nur, daß ein kleiner, zerlumpter Bengel für ein Trinkgeld von einem Penny zum Kutscher laufen und ausrichten sollte, daß die Equipage nach Knockwinnock zurückfahren solle. Als dies erledigt und der Sendbote abgeschickt war, bogen der Ritter und seine Tochter von der Chaussee ab und schlugen einen Pfad ein, der sich zwischen hügeligen Dünen hinschlängelte. Sie waren zum Teil bewachsen mit Pfriemenkraut und Binsen. Auf diesem Wege erreichten sie bald die Meeresküste. Die Flut konnte bei weitem nicht mehr so fern sein, wie sie erwartet hatten, aber das beunruhigte sie nicht, es gab kaum zehn Tage im Jahre, wo sie so dicht an die Klippen herangekommen wäre, daß nicht noch ein trockener Fußweg geblieben wäre. Aber zu Zeiten der Springflut, oder wenn die gewöhnliche Flut durch hohe Winde beschleunigt wurde, dann war dieser Weg ganz unter Wasser, und es wurden manche Unglücksfälle berichtet, die dann sich zugetragen hatten. Allein solche Gefahr hielten die beiden für ausgeschlossen, und sie ließen sich dadurch nicht abhalten, am Strande entlang von Monkbarns nach Knockwinnock zu gehen, wie es die meisten andern Leute ja auch taten. Als Sir Arthur und Fräulein Wardour dahinschritten, den schönen Spaziergang auf dem kühlen feuchten festen Sande angenehm empfindend, bemerkte Fräulein Wardour unwillkürlich, daß die letzte Flut die gewöhnliche Fluthöhe beträchtlich überschritten habe. Sir Arthur machte die gleiche Beobachtung, aber sie erblickten beide hierin keinen Grund, sich zu beunruhigen. Die Sonne ruhte jetzt mit ihrer riesigen Scheibe am Saume des spiegelglatten Ozeans und vergoldete die Masse aufgetürmter Wolken, durch die sie den lieben langen Tag gewandelt war, und die jetzt von allen Seiten herbeiwallten wie Mißgeschick und Unheil um ein sinkendes Reich und um einen fallenden Monarchen. Aber ihr ersterbender Glanz kleidete in düstre Herrlichkeit und Pracht die wuchtige Dunstmasse, die aus ihrem wesenlosen Dunkel heraus Pyramiden und Türme hervorblicken ließ, hier mit Gold bekleidet, dort von Purpur angehaucht, dort wieder in tiefes, dunkles Rot getaucht. Die ferne See, unter diesem bunten prunkenden Baldachin hingestreckt, lag fast unheimlich und verderbendrohend still und spiegelte die blendenden wagerechten Strahlen des untergehenden Tagesgestirns wider und die prächtige Färbung der Wolken, in deren Mitte es versank. Näher dem Strande kräuselte sich die Flut in Wellen von blitzendem Silber, die unwahrnehmbar, aber doch reißend schnell höher und höher zur Düne heranfliegen. Im Geiste in Bewunderung dieses romantischen Anblicks versunken oder vielleicht auch mit einem anderen Gegenstande von beunruhigenderer Art beschäftigt, schritt Fräulein Wardour schweigend neben ihrem Vater her, der in seiner kürzlich gekränkten Würde sich zu keinerlei Gespräch herabließ. Sie folgten den Windungen des Gestades und überschritten einen vorspringenden Punkt oder Klippenansatz nach dem andern. So befanden sie sich jetzt unter einer riesigen langhingedehnten Masse steil abstürzender Klippen, wie sie an den meisten Stellen diese Küste wie ein eiserner Gürtel umschließt und schützt. Lang vorgestreckt lagen Riffe unter Wasser, die nur hier und da an einer freien herausragenden Spitze oder an den »Weißköpfen« und der Brandung, die über den teilweis unter Wasser befindlichen schäumten, zu erkennen waren. Infolgedessen war die Bai von Knockwinnock von Lotsen und Schiffseignern gefürchtet. Die Felsen, die zwischen dem Gestade und dem Festlande sich erhoben, zwei- bis dreihundert Fuß hoch, beherbergten in ihren Spalten unzählige Seevögel, die in der schwindelnden Höhe augenscheinlich vor der Raubsucht des Menschen gesichert waren. Viele dieser wilden Schwärme, getrieben von dem Instinkt, vorm Ausbruch eines Sturmes das Land aufzusuchen, kamen jetzt mit dem schrillen mißtönenden Geschnarr und Geschrei, das Unruhe und Furcht bekundet, ihrem Neste zugeflattert. Ehe die Scheibe der Sonne schon ganz unter den Horizont gesunken war, wurde sie fast völlig verfinstert, und ein früher fahler Schatten von Dunkelheit trübte das heitere Zwielicht eines Sommerabends. Nun sprang auch ein Wind auf, aber schon lange war sein klagendes wildes Brausen zu hören und schon lange war seine Wirkung auf der Meeresfläche sichtbar, ehe am Strande noch die Brise sich bemerkbar machte. Finster jetzt und drohend begann die Wassermasse sich in breiteren Kämmen zu heben und in tieferen Furchen zusammenzusinken und bildete Wogen, die in lauter Schaum auf den Riffen hoch emporstiegen oder am Strande mit einem Grollen wie feiner Donner barsten. Erschrocken über diese plötzliche Veränderung des Wetters schmiegte sich Fräulein Wardour eng an ihren Vater und hielt seinen Arm fest umklammert. »Ich wünschte,« sagte sie endlich, aber in fast flüsterndem Tone, als schäme sie sich ihrer wachsenden Angst, »ich wünschte, wir wären auf der Chaussee geblieben oder hätten in Monkbarns auf die Kutsche gewartet.« Sir Arthur hielt Umschau, aber er sah nichts oder wollte nichts sehen, was auf bevorstehenden Sturm deutete. Sie würden Knockwinnock, sagte er, längst vor dem Ausbruch des Unwetters erreichen. Dabei ging er aber so eilig, daß Isabella kaum Schritt halten konnte, als ob er sich selber bewußt sei, daß sie sich doch sehr dazuhalten müßten, wenn er mit seiner tröstlichen Versicherung Recht behalten wolle. Sie waren jetzt dem Mittelpunkt einer tiefen engen Bucht oder eines Einschnittes nahe, der von zwei vorspringenden Spitzen hoher unersteigbarer Felsen gebildet wurde. Wie die Hörner der Mondsichel ragten sie in die See hinein. Sie wagten beide nicht, einander die Befürchtungen zu gestehen, die sie hegten, daß bei dem reißend schnellen Wachsen der Flut, ihnen der Weg um das Vorgebirge vor ihnen herum. Wie auch die Umkehr auf dem Wege, auf dem sie hierher gekommen waren, abgeschnitten würde. Während sie so vorwärts schritten – zweifellos von dem Wunsche beseelt, von dem leichten Bogen, den sie bei den Krümmungen der Bucht machen mußten, abzukommen und auf einen geraderen und kürzeren Pfad zu gelangen, wenn sie dabei auch auf die landschaftlichen Schönheiten hätten verzichten sollen, erblickte Sir Arthur eine menschliche Gestalt, die am Strande ihnen entgegenkam. »Gott sei Dank!« rief er aus. »Wir werden um die Halket-Spitze herum kommen. Der Mann da muß von da herkommen.« »Ja, wirklich! Gott sei Dank!« sagte halb hörbar, halb bei sich selber seine Tochter, wie um die Dankbarkeit auszudrücken, die sich mächtig in ihr regte. Die Gestalt, die auf sie zukam, machte viele Zeichen, die sie in der dunstigen Luft, in dem Winde und dem treibenden Regen nicht erkennen oder gar verstehen konnten. Erst kurz vor ihrem Zusammentreffen konnte Sir Arthur den alten Bettler im blauen Kittel, Edie Ochiltree, erkennen. Man sagt, selbst die rohe Kreatur, selbst die wilden Tiere lassen ihre Feindseligkeiten und Abneigungen fallen, wenn sie von unmittelbarer und gemeinsamer Gefahr gedrängt sind. Der Strand unter der Halket-Spitze, der durch die vorspringende hereinschlagende Springflut und dem Nordwestwind an Breite reißend verlor, war gewissermaßen ein neutraler Boden, auf dem selbst ein Friedensrichter und ein herumstrolchender Bettler sich mit einander vertragen konnten. »Kehrt um! kehrt um!« rief der Landstreicher. »Warum sind Sie nicht schon umgekehrt, wie ich Ihnen zuwinkte?« »Wir dachten,« antwortete Sir Arthur, »wir könnten noch um die Halket-Spitze herumkommen.« »Um die Halket-Spitze? Da braust jetzt schon die Flut wie ein Wasserfall. Es war nachgerade ein Glück, daß ich vor zwanzig Minuten dort herumgekommen bin, da stand das Wasser schon drei Fuß hoch. Wir können aber vielleicht nach Ballyburgh Neß-Point zurückgelangen. Helf uns der liebe Gott! es ist das einzige, was uns noch übrig ist – wir können es nur versuchen.« »Mein Gott! Mein Kind!« – »Mein Vater! Mein lieber Vater!« riefen Vater und Tochter aus. Die Furcht verlieh ihnen Kraft und beflügelte ihren Schritt, sie drehten um und versuchten den Punkt zu umschreiten, dessen vorspringende Höhe das Südende der Bucht bildete. »Ich hatte gehört, daß Sie hier entlang gegangen waren – der Bursche, den Sie nach Ihrer Kutsche geschickt haben, hat mirs gesagt,« sagte der Bettler, indem er rüstig etwa einen Schritt hinter Fräulein Wardour dreinschritt. »Und ich mußte daran denken, in was für eine Gefahr die schmucke junge Dame geraten müsse, die schon zu allen Unglücklichen, die in ihre Nähe gekommen sind, lieb und freundlich gewesen ist. So sah ich denn nach der Fluthöhe und hab mich davon überzeugt, daß ich noch rechtzeitig hinunterkommen könnte, um Ihnen eine Warnung zu bringen, und daß dann noch alles gut ablaufen könnte. Aber ich befürchte, ich befürchte, ich habe mich verrechnet! denn hat' wohl je ein Sterblicher die Flut so reißend schwellen und steigen sehen wie jetzt? Sehen Sie da drüben die Rattenklippe, sie hat sonst immer mit der Spitze übers Meer geschaut – jetzt ist sie ganz unter Wasser.« Sir Arthur warf einen Blick in die Richtung, nach der der alte Mann deutete. Ein gewaltiger Felsen, der gewöhnlich, selbst wenn Springflut war, einen Kamm gleich dem Kiele eines großen Schiffes zeigte, stand jetzt ganz unter Wasser, und sein Standort war nur durch die kochenden brandenden Wogen, die sich an dem Widerstände brachen, gekennzeichnet. »Halten Sie sich dazu, schnell, schnell, gute Name, und es gelingt uns am Ende noch!« fuhr der Alte fort. »Halten Sie sich an meinem Arme – ein alter gebrechlicher Arm ists jetzt, aber er war einmal straff und kraftvoll. Halten Sie sich an meinem Arme fest, meine holde Dame! Sehen Sie den schwarzen Fleck dort unter den wallenden Wogen? Heute morgen noch war er so hoch wie der Mastbaum einer Brigg – jetzt ist er recht klein – aber wenn ich auch jetzt nur noch so viel Schwarzes dort herumsehe wie mein Hutdeckel dahier, so denke ich doch, wir werden trotz alledem noch um Ballyburgh-Neß herumkommen.« Isabella nahm schweigend den Beistand des alten Mannes an, da Sir Arthur noch weniger imstande war, sie zu stützen. Die Wellen waren jetzt so weit auf dem Strande vorgedrungen, daß sie den festen und glatten Pfad, auf dem sie über den Sand hergekommen waren, nicht mehr gehen konnten und einen weit rauheren Pfad dicht am Fuße der Felsenabstürze einschlagen mußten, der stellenweise sogar auf die niedrigeren Kamme hinaufführte. Ohne die Führung und die Ermutigung des Bettlers, der schon oft bei hoher Flut hier gewesen war, wenn auch, wie er zugab, noch nie in einer so entsetzlichen Nacht, wäre es für Sir Arthur und seine Tochter ganz unmöglich gewesen, sich in diesen Scheren zurechtzufinden. Es war in der Tat ein fürchterlicher Abend. Das Heulen des Sturmes, in das das Gekreisch der Seevögel hineinklang, tönte wie das Grablied der drei todgeweihten Wesen, die – mitten innen zwischen zweien der prachtvollsten und doch auch entsetzlichsten Bildungen der Natur, einer rasenden See und einem unübersteigbaren Felsabsturz, eingekeilt waren – und auf ihrem mühsamen und gefahrvollen Pfade dahinschritten, oft bespritzt von einer riesigen Welle, die höher zum Gestade herausschlug als ihre Vorgänger. Mit jeder Minute gewann ihr Todfeind sichtlich Boden vor ihnen. Nicht willens, der letzten Hoffnung auf Leben zu entsagen, hingen sie mit den Blicken noch immer an dem schwarzen Felsen, auf den Ochiltree deutete. Noch immer war er deutlich in der Brandung zu sehen und blieb sichtbar, bis sie an eine Biegung ihres spärlichen Pfades gelangten, wo ein vorspringender Felsen ihn ihren Blicken entzog. Na ihnen nun der Anblick der Warte fehlte, auf die sie sich verlassen hatten, empfanden sie die doppelte Qual des Entsetzens und der Spannung. Sie kämpften sich weiter vorwärts, aber als sie den Punkt erreichten, von dem aus sie den Felsen wieder hätten erblicken müssen, da war er nicht mehr zu sehen. Ihr Wahrzeichen der Rettung war unter tausend brandenden Wellen verschwunden, die an der Spitze des Vorgebirges zerschellten und in riesigen Massen schneeigen Schaumes emporschlugen gegen die finstre Wand des Absturzes, so hoch, wie der Mast eines Kriegsschiffes erster Klasse. Der Alte wurde totenbleich. Isabella stieß einen schwachen Schrei ans. »Der Herr erbarme sich unser!« murmelte feierlich ihr Führer, und von Sir Arthurs Lippen klang es in kläglichem Tone: »Mein Kind! mein Kind! – solch eines Todes zu sterben!« »Mein Vater, mein lieber Vater!« rief seine Tochter, »und auch Ihr, der Ihr Euer Leben verliert in dem Bemühen, das unsere zu retten!« »Das ist nicht der Rede wert,« sagte der alte Mann. »Mein Leben war so, daß ich es lange schon satt habe, und hier oder dort – ob in einem Schneesturm oder in der brandenden Flut – was besagt es, wie der alte Bettler stirbt?« »Guter Mann,« sagte Sir Arthur, »habt Ihr keinen Ausweg? – keine Hilfe mehr? – ich will Euch reich machen – ich will Euch eine Farm geben – ich will–« »Wir werden bald einer so reich sein wie der andere,« sagte der Bettler, mit einem Blick auf die wogende See. »Ja, wir sind es schon, denn ich habe kein Land, und Sie würden all Ihre schönen Güter und Ihre Baronie hingeben für einen Fuß breit Felsen, der zwölf Stunden lang trocken bliebe.« Während sie so sprachen, machten sie auf dem Felsenrande Rast, so hoch sie hatten hinansteigen können. Denn nun schien es, als ob jeder Versuch, weiter vorzudringen, ihr Verderben nur beschleunigen mußte, hier standen sie nun und warteten das sichere langsame Steigen des rasenden Elements ab. Noch diese furchtbare Pause gab Isabella Zeit, die Kräfte eines von Natur starken mutigen Gemütes zu sammeln, die sich eben an den Schrecken dieser furchtbaren Lage stählten. »Müssen wir das Leben lassen,« sagte sie »ohne einen Kampf? Ist denn kein Pfad, und wäre er noch so entsetzlich, auf dem wir die Klippe erklimmen oder wenigstens zu einer Höhe gelangen könnten, die über der Flut läge und wo wir warten könnten bis zum Morgen, oder bis Hilfe käme? Sie müssen sich denken können, in welcher Lage wir uns befinden und werden das ganze Land aufbieten, uns zu erlösen.« Sir Arthur, der die Frage seiner Tochter hörte, aber kaum begriff, wandte sich instinktiv und begierig nach dem Alten, als ob ihr Leben in seiner Hand läge. Ochiltree hielt inne. »Ich war ein kühner Kletterer,« sagte er, »wie ich noch jung war. Manches Vogelnest habe ich ausgenommen unter diesen schwarzen Felsen hier, aber das ist schon lange her, lange, lange her! Und da kann kein Sterblicher ohne ein Tau hinauf – und wenn ich eins hätte – mein Auge ist schwach und meine Hand und mein Fuß sind nicht mehr sicher und fest – wie sollte ich Sie retten können? Aber einen Pfad hats hier einmal gegeben, freilich, wenn wir ihn sehen könnten, so würden Sie vielleicht lieber bleiben, wo Sie sind. – Gelobt sei sein Name!« rief er plötzlich aus. »Da kommt einer den Felsen herunter!« Dann strengte er seine Stimme an und rief dem tollkühnen Kletterer Ratschläge und Weisungen zu, die seine frühere Übung und die Erinnerung an die örtlichen Verhältnisse ihm eingaben. »So ist recht! so ist recht! da gehts hindurch – jawohl! Machen Sie Ihr Seil am Kuhhorn fest – das ist der schwarze Stein da – zweimal herumgeschlungen – so ist recht! Nun wenden Sie sich ein kleines Stück mehr nach Osten – noch ein bißchen mehr bis zu dem andern Steine da – wir haben die Stelle immer das Katzenloch genannt – da hat sonst eine Eiche gewurzelt – so ist recht! – Nun behutsam, Bursch! Behutsam! Geben Sie acht und nehmen Sie sich Zeit! – Um Himmels willen, lassen Sie sich doch Zeit! – Sehr gut so! – Nun müssen Sie hinüber zu Liesels Schürze – das ist der breite flache blaue Stein dort – und dann denk ich, mit Ihrer Hilfe und dem Tau kann ich zu Ihnen gelangen, und dann wird es uns möglich sein, die junge Dame und Sir Arthur hinaufzuholen.« Der Wagehalsige hatte die Weisungen des alten Edie befolgt und warf ihm jetzt das Tauende zu, das dieser um Fräulein Wardour wand, nachdem er sie in seinen blauen Kittel gewickelt hatte, um ihr möglichst wenig weh zu tun. Dann hielt er sich an dem Tau fest, das am andern Ende festgemacht worden war, und begann an den Felsen empor zu klimmen – ein unsicheres schwindeliges Unterfangen, aber nach ein paar Fehltritten gelangte er wohlbehalten auf den breiten flachen Stein neben unseren Freund Lovel. Mit vereinten Kräften konnten sie dann Isabella zu dem sicheren Fleck emporziehen, den sie erreicht hatten. Dann stieg Lovel hinab, um Sir Arthur festzumachen, um den er das Tau schlang. Wieder stieg er zu ihrem Zufluchtsort empor, und mit Hilfe Ochiltrees und Sir Arthurs eigenen Bemühungen brachten sie nun auch ihn über den Bereich der Wellen empor. Das Bewußtsein der Rettung vor nahem und augenscheinlich unvermeidlichem Tode hatte die gewöhnliche Wirkung. Vater und Tochter fielen einander in die Arme, küßten sich und weinten vor Freude, wenn auch ihr Entkommen die Aussicht mit sich brachte, am steilen Abhänge eines Felsens eine stürmische Nacht zu verbringen. Kaum war Platz genug zum Stehen für die vier zitternden Wesen, die nun wie die Seevögel um sie her hier hingen und hofften, vor dem verschlingenden Element, das unter ihnen tobte, geborgen zu sein. Der Sprühregen der Wellen, die in furchtbarem Vordringen den Fuß des Abgrunds erreicht hatten und das Gestade überfluteten, auf dem sie eben noch gestanden hatten, flog selbst bis zu ihrem jetzigen Zufluchtsorte hinauf, und das betäubende Getöse, mit dem sie gegen die Felsen unten prallten, klang, als verlangten sie noch nach den Flüchtlingen, als nach einer ihnen bestimmten Beute. Es war eine Sommernacht, gewiß, aber es bestand wenig Wahrscheinlichkeit, daß ein so zartes Wesen wie Fräulein Wardour bis zum Morgen in dem durchnässenden Sprühregen standhalten würde, und der strömende Regen, der jetzt mit voller Gewalt losbrach, und die tiefen schweren Windstöße erhöhten noch die Qual und Gefahr ihrer Lage. »Die Dame, die arme Dame,« sagte der Alte, »Manche Nacht daheim und in der Fremde hab ich in Sturm und Wetter unter freiem Himmel zugebracht, aber, Gott sei mit uns! wie soll sie es überstehen?« Er teilte seine Befürchtungen in gedämpftem Tone Lovel mit. »Ich will wieder zur Klippe hinauf,« sagte dieser, »es ist hell genug, daß ich sehen kann, wo ich den Fuß hinsetze. Ich will hinauf und mehr Hilfe holen.« »Tun Sie das, tun Sie das, ums Himmels willen!« rief Sir Arthur. »Sind Sie von Sinnen?« sagte der Bettler. »Der kühnste Kletterer dürfte sich nach Sonnenuntergang nicht auf die Halket-Spitze hinauswagen. Es ist eine Gnade Gottes und ein Wunder, daß Sie nicht bei Ihrem Abstieg bis hierher in die brüllende See gestürzt sind. Ich hab's nicht für möglich gehalten, daß ein Mensch überhaupt an den Klippen herabklimmen könne, wie Sie es fertig gebracht haben. Ich bezweifle sehr stark, daß ich es selber zu dieser Stunde und bei diesem Wetter selbst in der vollsten Jugendkraft vermocht hätte. Aber sich wieder hinauf zu wagen, – das heißt denn doch Gott versuchen!« »Ich fürchte mich nicht,« antwortete Lovel, »ich habe mir beim Abstieg die Trittstellen alle genau gemerkt, und es ist noch Licht genug da, daß man sie alle gut sehen kann – ich bin überzeugt, ich kann es ohne alle Gefahr tun. Bleiben Sie hier, guter Freund, bei Sir Arthur und der jungen Dame!« »Der Teufel soll mir in die Glieder fahren,« antwortete der Bettler entschlossen, »wenn Sie gehen, geh ich mit, denn es wird Arbeit genug sein für uns beide!« »Nein, nein, bleiben Sie hier und geben Sie acht auf Fräulein Wardour, Sie sehen, Sir Arthur ist völlig erschöpft!" »So bleiben Sie selber und lassen Sie mich gehen,« sagte der Alte, »der Tod mag das grüne Korn verschonen und das reife nehmen.« »Bleiben Sie beide, ich bitte Sie,« sagte Isabella schwach. »Ich fühle mich wohl und kann die Nacht hier sehr gut zubringen. Ich fühle mich völlig bei Kräften.« Mit diesen Worten erstarb ihr die Stimme – sie sank zu Boden und würde abgestürzt sein, wenn nicht Lovel und Ochiltree sie gehalten hätten. Sie brachten sie in eine halb liegende, halb sitzende Lage neben ihrem Vater, der, von einer so ungewohnten und aufreibenden Anspannung des Leibes und Gemütes bis aufs äußerste erschöpft, sich schon in einer Art von Betäubung auf einen Stein hingesetzt hatte. »Ich kann sie unmöglich verlassen,« sagte Lovel. »Was ist zu tun? – Horch, – horch! Mir wars, als hörte ich einen Zuruf!« »Es ist der Schrei des Seetauchers,« antwortete Ochiltree. »Ich kenne den Schrei gut!« »Nein, beim Himmel,« sagte Lovel, »es war eine Menschenstimme.« Ein ferner Zuruf ward vernommen, der Laut war deutlich zu unterscheiden inmitten der verschiedenen Laute und all des Getöses der Elemente und des Geschreies der Seemöwen um sie her. Der Bettler und Lovel erhoben vereint ihre Stimmen zu einem lauten Halloh, und der erstere ließ von seinem Stabe Fräulein Wardours Taschentuch wehen, daß man es von oben sollte sehen können. Obwohl der Schrei wiederholt wurde, dauerte es doch noch eine Weile, bis Antwort auf ihren Ruf gegeben wurde, und die unglücklichen Dulder verblieben noch in Ungewißheit, ob bei der Finsternis und in dem steigenden Unwetter die Leute, die sicherlich über die Höhe des Felsens herkamen, um ihnen Hilfe zu bringen, den Platz entdecken würden, wo sie Zuflucht gefunden hatten. Endlich wurde ihr Halloh regelmäßig und deutlich beantwortet, und ihr Mut stieg von neuem unter der Gewißheit, daß sie in Hörweite waren, wenn auch nicht in Armesnähe, von Freunden, die ihnen Hilfe brachten. Achtes Kapitel Das Geschrei und die Zurufe menschlicher Stimmen wurden bald lauter über ihnen, und das Licht von Fackeln mischte sich in den Schein des Abends, der inmitten der Finsternis des Sturmes noch immer nicht völlig erloschen war. Es wurde ein Versuch gemacht, eine Verständigung zwischen den Leuten oben, die Hilfe brachten, und den Duldern unten, die noch immer an ihrer gefahrvollen Steinplatte hingen, herzustellen. Aber bei dem Geheul des Sturmes blieb ihre Verständigung auf Schreie beschränkt, die so unartikuliert waren, wie die der gefiederten Bewohner des Felsens, die entsetzt über den wiederholten Klang menschlicher Stimmen hier, wo sie nur selten vernommen wurden im Chore kreischten. Am Rande des Abgrunds hatte sich nun eine angstvolle Gruppe versammelt. Oldbuck war der vorderste und besorgteste. Mit ungewohnter Kühnheit wagte er sich bis an die Schneide des Absturzes, Hut und Perücke hatte er durch ein ums Kinn geschlungenes Taschentuch festgemacht. So reckte er den Kopf über die schwindelnde Tiefe mit einer Miene der Entschlossenheit, die seinen etwas furchtsamen Gefährten großen Respekt einflößte. »Sehen Sie sich vor, sehen Sie sich vor, Monkbarns,« rief Caxon, indem er seinen Gönner an den Rockschößen festhielt und ihn, soweit seine Kräfte erlaubten, vor Gefahr schützte. – »Um Gottes Willen, sehen Sie sich vor! Sir Arthur ist schon ertrunken, und wenn Sie noch über die Klippe hinabstürzen, dann ist bloß noch eine Perücke im Sprengel da, nämlich dem Geistlichen seine.« »Geben Sie acht auf den Fels da!« rief Mucklebackit, ein alter Fischer und Schmuggler. »Steenie Wilks, bring das Tau her – ich steh dafür, daß wir sie in einer halben Stunde alle an Bord haben, Monkbarns, wenn Sie nur aus dem Wege gehen wollten.« »Ich seh sie,« sagte Oldbuck, »ich seh sie dort unten auf dem flachen Steine. Hilli-Halloh!« »Ich sehe sie selber gut genug,« sagte Mucklebackit, »sie sitzen da unten wie Krähen im Nebel. Aber bilden denn Sie sich ein, Sie helfen ihnen, wenn Sie da herumschreien wie ein alter Seerabe vorm Unwetter? – Steenie, stell den Mast auf, paßt auf, ich kriege sie herauf, wie wir immer die Branntweinfässer heraufgeleiert haben – bring die Hacke her – mach den Sitz an der Strickleiter fest – Nun stramm ans Werk.« Die Fischer hatten den Mast eines Bootes mitgebracht, und da die Hälfte der Bauernburschen aus der Umgegend teils aus Neugierde, teils aus Eifer mitgekommen war, so war der Mast bald in die Erde gesenkt und genügend fest gemacht. Eine quer auf dem Mast befestigte Segelstange und ein an ihr entlang gefühltes Tau, das an beiden Enden durch einen Block gesteckt war, bildeten einen primitiven Kran, an welchem ein sicher festgebundener Lehnstuhl nach einem flachen Stein, auf dem die Dulder hockten, heruntergelassen werden konnte. Ihre Freude, als sie oben die Vorbereitungen zu ihrer Befreiung treffen hörten, sank beträchtlich, als sie die unsichere schwankende Vorrichtung sahen, mittels der sie in die Luft emporgehoben werden sollten. Der Lehnstuhl schaukelte eine Elle weit von dem Flecke, auf dem sie saßen; jedem Zuge des Sturmes gehorchend, die leere Luft rings um ihn her, so hing er nur an dem Halt eines Taues, das bei der zunehmenden Finsternis zu einem fast unerkenntlichen. An sich war es ein Wagnis, ein menschliches Wesen in solch einem haltlosen Beförderungsmittel der leeren Luft zu übergeben, aber es kam noch die furchtbare Gefahr hinzu, daß der Stuhl und die Person auf ihm entweder durch den Sturm oder durch die Schwingungen des Seiles gegen die rauhe Felswand geschleudert und zerschellt würden. Um aber die Gefahr so weit wie möglich zu vermindern, hatte Faden eingeschrumpft war der erfahrene Seemann mit dein Stuhle ein zweites Seil hinuntergelassen, das daran befestigt und von den Leuten unten festgehalten werden sollte. Auf diese Weise wurde der Aufzug stetiger und war weniger der Gewalt des Sturmes preisgegeben. Aber um sich inmitten eines heulenden Sturmes von Regen und Wind, einem solchen Sitz anzuvertrauen, über sich den überhängenden Felsen, unter sich den tosenden Abgrund, dazu gehörte der Mut, den nur die Verzweiflung einzugeben vermag, Sa wild aber auch der Lärm und der Anblick der Gefahr waren, über ihnen, unter ihnen und um sie her, und so bedenklich und gefahrvoll der Rettungsweg erschien, so kamen Lovel und der alte Bettler nach kurzer Beratung und nachdem der erstere unter großer Gefahr für sein Leben sich durch einen kräftigen Ruck an dem Tau davon überzeugt hatte, daß es fest war, dahin überein, daß es das beste sei, Fräulein Wardour auf dem Stuhle festzubinden und der Fürsorge der Leute oben anzuvertrauen, die sie gewiß wohlbehalten auf die Höhe hinaufziehen würden. »Lassen Sie meinen Vater zuerst hinauf,« rief Isabella. »Um Gottes Willen, meine Freunde, bringen Sie ihn zuerst in Sicherheit.« »Es kann nicht sein, Fräulein Wardour,« sagte Lovel. »Ihr Leben muß zuerst gerettet werden. Das Tau kann wohl Ihre Last aushalten, aber es könnte –« »Ich will auf einen so selbstsüchtigen Grund nicht hören.« »Aber Sie müssen darauf hören, gute Dame,« sagte Ochiltree, »denn unser aller Leben hängt davon ab. Wenn Sie hinaufkommen, können Sie den Leuten genau beschreiben, wie es hier auf unsrer Zuflucht aussieht, und das ist, glaube ich, jetzt von Sir Arthur nicht zu erwarten.« Dies leuchtete ihr ein und sie rief: »Wahr, sehr wahr! Ich bin bereit und will als erste den Versuch machen – was soll ich unser Freunden oben sagen?« »Bloß daß sie sich vorsehen sollen, daß ihr Tau nicht an der Felswand schurrt, und den Stuhl herablassen und fein behutsam wieder hinaufziehen sollen. Wenn wir hier fertig sind, rufen wir.« Mit der bedachtsamen Aufmerksamkeit eines Vaters zu seinem Kinde, band Lovel mit seinem Taschentuch, Halstuch und dem ledernen Leibriemen des Bettlers Fräulein Wardour an die Rücken- und Armlehnen des Stuhles fest, sorgsam prüfte er die Festigkeit jedes Knotens, während Ochiltree Sir Arthur beruhigte. »Was tut Ihr da mit meinem lieben Kinde? – Sie soll nicht von mir weggenommen werden – Isabella, bleibe bei mir, ich befehle es dir!« »Ums Himmels Willen, Sir Arthur, halten Sie den Mund und danken Sie lieber Gott, daß klügere Leute als Sie die Sache in die Hände genommen haben.« »Lebe wohl, mein Vater – leben Sie wohl, meine Freunde,« murmelte Isabella, dann schloß sie die Augen, dem Rat des erfahrenen Ochiltree folgend, und gab das Zeichen Lovel, der es wieder denen oben weiter gab. Sie stieg empor. während der Stuhl durch das Seil, das Lovel unten hielt, in ruhiger Lage gehalten wurde. Mit klopfendem Herzen folgte er dem wehenden Fleck ihres weißen Kleides, bis der Fahrstuhl in einer Höhe mit dem Rande des Abgrundes war. »Vorsichtig nun, Jungens, vorsichtig!« rief der alte Mucklebackit, der als Kommodore tätig war, »laßt die Raa ein wenig nach! So, nun sitzt sie wohlbehalten auf dem Trockenen!« Lauter Jubelruf meldete ihren Leidensgefährten unten das glückliche Gelingen, sie antworteten unverzüglich mit frohem Halloh. Monkbarns zog in seiner übergroßen Freude den Mantel aus, um die junge Dame einzuhüllen, und hätte zu demselben Zweck noch Rock und Weste ausgezogen, wenn ihn der vorsichtige Caxon nicht davon abgehalten hätte. »Sehen Sie sich vor, Herr, Sie erkälten sich auf den Tod! Der Wagen steht ja da unten, zwei Burschen mögen, die junge Dame dorthin tragen.« »Sie haben recht,« sagte der Altertümler und schob Ärmel und Kragen seines Rockes wieder zurecht, »Caxon, Sie haben recht. Fräulein Wardour, ich will Sie nach dem Wagen bringen.« »Nicht um die Welt! erst will ich meinen Vater gerettet sehen!« Mit ein paar klaren Worten, die deutlich ausdrückten, wie ihre Entschlossenheit selbst die tödliche Furcht vor einem so auflegenden Wagnis überwunden hatte, schilderte sie die Lage unten und die Wünsche Lovels und Ochiltrees. »Sehr recht, sehr recht. Ich möchte selber, den Sohn von Sir Gamelyn de Guardover aufs trockne gebracht sehen. Ich vermute, er würde gern auf die Ragman-Liste verzichten und zugeben, daß es mit der Königin Maria doch nicht weit her sei, wenn er nur wieder neben meiner Flasche alten Portwein sitzen könnte, von der er weggelaufen ist – kaum angebrochen war sie! Aber er ist nun in Sicherheit, und da kommt er an – da kommt er an –« (denn der Stuhl war wieder heruntergelassen und Sir Arthur darauf befestigt worden, der freilich fast ganz ohne Besinnung war) – »seid vorsichtig mit ihm, Jungens, ein Stammbaum von hundert Gliedern hängt jetzt an diesem Tau – die ganze Baronie von Knockwinnock hängt an dem Seile! – Willkommen, willkommen, mein guter alter Freund, auf festem Lande, wenn ich auch nicht sagen kann auf warmem Lande oder auf trockenem Lande!« Während Oldbuck so sprach, wurde Sir Arthur, der wohlbehalten oben angelangt war, von seiner Tochter in die Arme geschlossen. Dann befahl sie ein paar Burschen, ihn nach dem Wagen zu bringen, indem sie versprach, ihm binnen kurzem zu folgen. Sich am Arme eines alten Bauern haltend, blieb sie noch auf der Klippe. Wahrscheinlich wollte sie nun auch erst die beiden andern, deren Gefahren sie geteilt hatte, gerettet sehen. »Was haben wir denn hier?« rief Oldbuck, als der Stuhl noch einmal emporstieg. »Was für ein zerzaustes verwittertes Ding kommt denn da an?« Dann fiel der Fackelschein auf das alte rauhe Antlitz und das graue Haar Ochiltrees. »Was? du bists! Na, komm nur her, alter Gaukler, ich, muß schon gut Freund mit dir sein – aber wer zum Teufel hat dir denn noch Gesellschaft geleistet?« »Einer, der noch einmal soviel wert ist wie wir beide zusammen, Monkbarns – der junge Fremde ists, den sie Lovel nennen – und er hat sich in dieser verdammten Nacht so tapfer gezeigt, als hätte er drei Leben, auf die er bauen könnte, und als wolle er alle drei willig hingeben, ehe er andre Leute in Gefahr ließe! – Zieht vorsichtig, es ist niemand mehr unten, der das zweite Tau halten kann.« »Ja, seht Euch vor, Mucklebackit! Was, es ist mein Reisegefährte aus dem Omnibus? – nehmt Euch in acht, Mucklebackit!« »So sehr in acht, als wenn 'ne Tonne Branntwein dranhinge,« versetzte der Fischer. »Joho, meine Jungens, herauf mit ihm!« Lovel schwebte in der Tat in weit größerer Gefahr als irgend einer seiner Vorgänger. Sein Gewicht war nicht schwer genug, als daß es sich bei dem heftigen Sturm ruhig und sicher hätte hinaufziehen lassen, und er schaukelte wie ein Pendel, jeden Augenblick in der tödlichen Gefahr, am Felsen zerschmettert zu werden. Aber er war jung, beherzt und gewandt, und mit Hilfe des starken spitzen Stabes Ochiltrees, den er auf den Rat des Bettlers hin unten behalten hatte, gelang es ihm, sich von dem Felsen und den noch schärfer hervorspringenden Klippen abzuhalten. Im leeren Räume hin und her gewirbelt wie eine leichte, wesenlose Feder, in so heftiger Bewegung, daß jeder andere vor Furcht und Schwindel die Besinnung hätte verlieren müssen – verlieh ihn die flinke Gewandtheit und die Geistesgegenwart nicht. Erst als er glücklich auf der Höhe der Klippe angelangt war, befiel ihn vorübergehend ein Unwohlsein und Schwindel. Als er aus einer leichten Ohnmacht wieder zu sich gekommen war, sah er sich hastig um. Die, die er so gern noch erblickt hätte, war schon fast aus dem Gesicht, und ihr weißes Kleid war gerade noch zu sehen, während sie auf dem Wege dahin eilte, den ihr Vater bereits gegangen war. Sie hatte so lange gewartet, bis der letzte ihrer Unglücksgefährten aus der Gefahr errettet war und bis Mucklebackit ihr versichert hatte, daß er mit heilen Gliedern heraufgekommen sei und nur eine leichte Betäubung ihn befallen habe. Aber Lovel wußte nichts davon, daß sie soviel Anteil an seinem Schicksal bekundet hatte, und wenn es auch nur eben soviel war, wie einem Fremden zukam, der ihnen in solcher Stunde der Gefahr geholfen hatte, so hatte doch Lovel dafür noch weit mehr sein Leben aufs Spiel gesetzt, als er an diesem Abend getan hatte. Dem Bettler hatte sie schon befohlen, am Abend noch nach Knockwinnock zu kommen. Er hatte sich entschuldigt. »Wann laßt Euch morgen sehen.« Der alte Mann hatte versprochen zu gehorchen. Oldbuck schob ihm etwas in die Hand. Ochiltree sah sichs beim Fackelschein an und sagte, indem er es ihm wieder zurückgab: »Nein, nein, Gold nehme ich nie, – und außerdem, Monkbarns, morgen würde es Ihnen leid tun.« Dann wandte er sich an die Schar von Fischern und Bauern. »Na,« sagte er, »wer will mir ein bißchen Abendbrot und eine Schütte frisches Stroh geben?« »Ich!« und »Ich!« und »Ich!« rief manche Stimme bereitwillig. »Na, da es so ist, und ich nur in einer Hütte auf einmal schlafen kann, so will ich mit Saunders Mucklebackit nuntergehn – er hat auch eine gute Suppe zu Hause. Und liebe Leute, es trifft sich vielleicht noch, daß ich bei euch andern allen mal eine Nacht einsprechen und euch daran erinnern kann, daß ihr mir Quartier und milde Gabe versprochen habt.« Oldbuck hielt Lovel mit starker Hand fest. »Heute nacht dürfen Sie mir nicht erst noch nach Fairport, junger Mann, Sie müssen mit mir nach Monkbarns gehen. Ei, Mann, Sie sind ein Held gewesen – ein richtiger William Wallace in allen Stücken. Kommen Sie, mein guter Junge, halten Sie sich an meinem Arme fest, ich bin freilich keine sehr standfeste Stütze in solchem Sturme, aber Caxon wird uns helfen – hier, Sie alter Idiot, kommen Sie auf die andere Seite. Und wie zum Teufel find Sie auf diese Felsenplatte hinuntergekommen?« »Ich bin ein geübter Bergsteiger und ich habe seit langem schon die Vogeljäger beobachtet, wenn sie hier heruntergestiegen sind.« »Aber wie bei allem, was wunderbar ist, haben Sie die Gefahr des kindischen Barons und seiner weit tüchtigeren Tochter erkennen können?« »Ich sah sie vom Rande des Abgrundes aus.« »Vom Rande? Hat Sie der leibhaftige Teufel geplagt, daß Sie sich bis an den Rand des Abgrundes gewagt haben?« »Nun – ich sehe gern, wie ein herannahender Sturm sich grollend entfacht, – oder um mit ihrer klassischen Redeweise zu sprechen, Herr Oldbuck, suave mari magno, und so weiter – doch hier biegt der Weg nach Fairport ab, ich wünsche Ihnen guten Abend.« »Nicht einen Schritt, nicht einen Fuß, nicht einen Zoll, nicht eines Schuhes Breite –« »Aber, mein lieber Herr, ich muh wirklich heim, ich bin bis auf die Haut naß.« »Sie sollen meinen Schlafrock haben und meine Pantoffel, Mann – nein, ich weiß schon, was dahinter steckt, Sie fürchten, Sie könnten dem alten Junggesellen Unkosten machen. Aber von der gloriosen Hühnerpastete ist noch ein gutes Stück da, und meo arditrio, schmeckt die kalt besser als warm. Und dann ist auch noch die Flasche von meinem ältesten Portwein da, aus der der alberne schwachsinnige Baron – ich kann ihm nicht mehr verzeihen, seit er sich um ein Haar das Genick gebrochen hat – gerade ein Glas getrunken hat, als er in seiner Blödsinnigkeit wegen Sir Gamelyn de Guardove in Wolle geriet.« Mit diesen Worten zog er Zovel mit bis zu dem Tore seines Hauses. Nie vielleicht waren zwei Männer hindurch gegangen, die der Ruhe bedürftiger gewesen wären, denn Monkbarns war so abgespannt, wie er seit erdenklicher Zeit nicht wieder gewesen war, von der so ganz seinen sonstigen Gewohnheiten widersprechenden Anstrengung, und sein jüngerer und kraftvollerer Gefährte hatte an diesem Abend eine Gemütserregung erlitten und überstanden, die ihn mehr als seine gewohnheitsmäßigen Leibesübungen mitgenommen und erschöpft hatte. Neuntes Kapitel Sie traten in das Zimmer, wo sie gespeist hatten und wurden lärmend von Jungfer Oldbuck bewillkommnet. »Wo ist die jüngere Frauensperson?« fragte der Altertümler. »Ja, Bruder, bei all dem Wirrwarr hat sich Maria nicht von mir zurückhalten lassen – sie ist nach der Haltet-Spitze gegangen – ich wundre mich, daß du sie nicht gesehen hast.« »Was – was sagst du, Schwester – ist das Mädchen in solch einer Nacht ausgegangen und obendrein nach der Halket-Spitze? – Guter Gott! ist das Elend dieser Nacht noch nicht vorüber?« »Aber so warte doch, Monkbarns – du bist immer so gebieterisch und ungeduldig.« »Wischiwaschi, Weib,« sagte der ungeduldige und aufgeregte Altertümler, »wo ist meine liebe Mary?« »Na, wo du auch sein solltest, Monkbarns, oben, im warmen Bett.« »Darauf hätte ich schwören können,« sagte Oldbuck lachend, aber sichtlich erleichtert, »darauf hätte ich schwören können, daß der faule Affe sich kein graues Haar drum hätte wachsen lassen, ob wir alle ertrunken wären. Warum hast du gesagt, sie wäre weggegangen?« »Aber du hast mich ja nicht zu Ende angehört, Monkbarns. Sie ist ausgegangen und mit dem Gärtner gleich wieder gekommen, wie sie gesehen hatte, daß keiner von Euch die Halket-Spitze heruntergefallen war, und daß Fräulein Wardour wohlbehalten im Wagen saß. Vor 'ner Viertelstunde wohl mochte sie heimgekommen sein, es geht jetzt auf zehn, und sie war pitschenaß, das arme Ding, da hab ich ihr ein Glas Sherry in ihre Wassersuppe getan.« »Recht, Griselda, aber höre, meine ehrwürdige Schwester – stoß dich nicht an dem Worte ehrwürdig, es schließt viele lobenswerten Eigenschaften außer dem Alter in sich, obzwar auch dies ehrenwert ist – allerdings ist es die allerletzte Eigenschaft, um die das Weibsvolk verehrt zu werden hoffen kann –– aber höre, was ich dir sage: bring mir und Herrn Lovel auf der Stelle den Rest der Hühnerpastete und des Portweins.« »Die Hühnerpastete – der Portwein – o jemine, Bruder! Das waren ja nur noch ein paar Knochen und kaum noch ein Glas voll.« Der Altertümler zog ein finstres Gesicht, obwohl er zu wohlerzogen war, um in Anwesenheit eines Fremden der unangenehmen Überraschung über das Verschwinden des Abendbrotes, auf das er mit Bestimmtheit gerechnet hatte, Luft zu machen. Aber seine Schwester verstand diese Blicke sogleich. »O du liebe Güte, Monkbarns, wirst doch nicht gar ein Geseires machen?«« »Ich mache kein Geseires, wie du es nennst, Weib.« »Ich will dir sagen, wie es gekommen ist. Der Geistliche war hier, ein würdiger Mann, wie du weißt. Und er wollte durchaus bleiben, bis er bestimmte Nachricht bekommen könnte, wie alles abgelaufen sei. Schöne Worte hat er gesprochen von der Ergebenheit in die Fügungen des Schicksals – ein würdiger Mann!« »Na, jedenfalls ist alles verputzt, was, Griselda?« »Aber, Monkbarns, du sprichst gerade, als ob weiter kein Fleisch im Hause wäre. Hätte ich etwa dem wackern Manne nichts vorsetzen sollen, wo er den weiten Weg von der Pfarre hergemacht hatte?« Griselda beeilte sich dann, ihren Bruder zu beruhigen, indem sie ihm ein paar Reste vom Mittagstisch auftrug. Er sprach von einer anderen Flasche Wein, zog aber schließlich ein Glas Branntwein vor, der wirklich ausgezeichnet war. Da Lovel nicht dazu zu bewegen war, die samtne Kappe und den Schlafrock seines Wirtes anzulegen, bestand Oldbuck, der sich etwas auf ein wenig Kenntnis in der Heilkunde zugute tat, darauf, daß er sobald wie möglich zu Bett gehen sollte und schlug vor, einen Boten (den unermüdlichen Caxon) nach Fairport zu senden und neue Kleider holen zu lassen. Dies war die erste Andeutung, die Jungfer Oldbuck erhielt, daß der junge Fremde die Nacht über ihr Gast sein solle, und ihre große Verwunderung über einen so ungewohnten Vorschlag machte sich in dem Rufe Luft: »Herr du meine Güte!« »Was ist denn los, Griselda?« »Was du nur da eben geredet hast?« »Geredet? – Was soll ich denn auch, noch lange reden. Ich will zu Bett – und hier für den armen jungen Mann laß sofort ein Bett zurecht machen.« »Ein Bett! – Gott soll uns behüten!« »Na, was ist denn los? Sind nicht Betten und Zimmer genug im Hause? Haben doch, wie verbürgt ist, ehedem schockweis die Pilger hier übernachtet?« »O du liebe Güte, Monkbarns, wer soll wissen, was vor so langer Zeit geschehen ist? aber heutzutage! – Betten – ja, freilich, Betten sind genug da, wie sie nun eben sind – und Zimmer auch – aber du weißt ja selber, in den Betten hat seit langem keine Menschenseele mehr geschlafen, und die Zimmer sind wer weiß wie lange nicht gelüftet worden. Wenn ich was gewußt hätte, dann hätte ich ja mit der Mary nach der Pfarre gehen können, sie hätten uns dort sehr, gern aufgenommen – aber jetzt – Gott sei mit uns!« »Da ist doch das grüne Zimmer.« »Ja freilich, und es ist auch in Ordnung, aber es hat niemand mehr dort geschlafen, seit Doktor Heavysterne, und –« »Und was denn?« »Und was? Ich dachte, du wüßtest selber, was für eine Nacht er durchgemacht hat – du möchtest doch den jungen Herrn nicht eine solche Nacht erleben lassen?« Als Lovel dies Gespräch hörte, mischte er sich ein und erklärte, er würde weit lieber nach Hause gehen, als ihnen die geringste Unannehmlichkeit bereiten – die Bewegung könne ihm nur dienlich sein – er kenne den Weg nach Fairport sehr genau und könne sich bei Nacht ebenso wenig verlaufen wie bei Tage – der Sturm ließe ja jetzt nach, und so weiter. Aber das Heulen des Windes und das Prasseln des Regens und seine Kenntnis von den überstandenen Mühsalen muhten Oldbuck, auch wenn er weniger Anteil an seinem Freunde genommen hätte, als er in der Tat für ihn hegte. auf alle Fälle davon abhalten, ihn gehen zu lassen. Außerdem kam es ihm drauf an, zu zeigen, daß es bei ihm nicht nach den Frauensleuten ginge. »Setzen Sie sich, setzen Sie sich, setzen Sie sich, Mann,« wiederholte er. »Ehe Sie so Weggehen, wünschte ich lieber, ich möchte nie wieder eine Flasche aufziehen – und da zieh ich eben den Korken aus einer Primapulle starken Ales. Und damit Sie den geringsten Wunsch aufgeben, heute noch nach Fairport zu gehen, so wissen Sie, wenn Sie gehen, so ist Ihr Ruf als mutiger Ritter für immer dahin. Ei, es ist ein kühnes Wagestück, Mann, in dem grünen Zimmer von Monkbains zu schlafen – Schwester, laß es bitte zurechtmachen. Der kühne waghalsige Heavysterne hat zwar Qualen und Schmerzen in dem verzauberten Gemach erlitten, aber warum sollte nicht ein tapferer Ritter wie Sie – zweimal so groß und nicht halb so schwer – dem Zauber die Stirn bieten und ihn brechen können?« »Was? wohl gar ein Spukzimmer, wie?« »Gewiß, gewiß! Jedes Herrenhaus im Lande – sei es auch von geringstem Alter – hat seine Geister und sein heimgesuchtes Zimmer, und Sie müssen nicht denken, daß wir in irgendetwas schlechter weggekommen wären als unsere Nachbarn.« Jungfer Oldbuck kehrte wieder mit seltsam ernstem Ausdruck. »Herrn Lovels Bett ist fertig,« sagte sie. »Frisch überzogen – gut gelüftet – Feuer im Kamin gemacht – Ich hoffe,« wandte sie sich an Herrn Lovel selber, »Sie werden eine gute Nachtruhe haben, allein ...« »Meine liebe Dame, aus welchem Grunde sind Sie denn so besorgt um mich?« fragte Lovel. »Ach, Monkbarns hört nicht gern davon – aber er weiß selber, daß das Zimmer einen übeln Namen hat. Es ist noch in aller Erinnerung, daß der alte Rab Tull darin geschlafen hat, wie er die wunderbare Mitteilung hatte, betreffs des großen Prozesses zwischen uns und den Pächtern der Muschelklippe. Der hat ein gutes Stück Silber gekostet, denn die Prozesse waren früher genau so kostspielig wie jetzt – der Monkbarns von dazumal – unser Großvater, Herr Lovel – hätte um ein Haar den Prozeß verloren, weil ein bestimmtes Papier nicht beigebracht werden konnte – Monkbarns weiß genau, was das für eine Sorte Papier war, aber ich sehe schon, er hilft mir nicht weiter in meiner Geschichte – na, jedenfalls war es ein sehr wichtiges Papier, und der Prozeß wäre beinahe verloren gewesen, weil es nicht da war. Da ist denn der alte Rab Tull, der Stadtschreiber, herübergekommen und hat noch ein letztes Mal nach dem Papier gesucht, das sich nicht anfinden wollte, ehe unser Großvater zum Termin fahren mußte nach Edinburgh – es war gerade noch ein bißchen Zeit übrig – er war ein zerstreuter schnurriger Kerl, der Rab, soviel ich gehört habe – aber er war der Stadtschreiber von Fairport, und die Monkbarns haben mit ihm viel zu tun gehabt, wissen Sie ...« »Das ist einfach gräßlich, Schwester Griselda,« unterbrach sie Oldbuck. »Trink ein Glas Bier, und dann komm zu Rande mit deiner Geschichte, denn es wird spät.« »Hanne wärmt eben dein Bett, Monkbarns, und da mußt du schon warten, bis sie fertig ist. – Also ich war da, wo unser Großvater mit Rab Tulls Beistand sich auf die Suche machte. Aber sie konnten nichts finden, was ihnen geholfen hätte. Und nachdem sie also einen großen Haufen von Papieren durchstöbert hatten, da kriegte der Stadtschreiber natürlich sein Töpfchen mit Punsch, daß er sich die Kehle von dem Staube säubern konnte. Trinker sind in unserm Hause nie gewesen, Herr Lovel, aber der Kerl hatte sich von den Gerichtsherren das Zechen so angewöhnt, daß er gar nicht mehr einschlafen konnte, wenn er nicht vorher einen gekippt hatte. Also seinen Punsch kriegt er und dann geht er zu Bett – und gegen Mitternacht hat er ein furchtbares Erwachen! – seitdem ist er nie wieder der alte geworden und an demselben Tage hat ihn vier Jahre nachher der Schlag getroffen. Ihm war, Herr Lovel, als hörte er die Vorhänge seines Bettes rauschen, und er sah hinaus, weil er, der arme Kerl, dachte, es wäre die Katze gewesen. Aber da sah er – Gott soll uns behüten – mich überläufts noch, immer eisig kalt, obgleich ich die Geschichte schon zwanzigmal erzählt habe! – da sah er einen stattlichen alten Herrn neben seinem Bette stehen, im Mondschein – er trug einen Anzug von absonderlicher Mode mit manchem Knopf und Bündchen und Schleifchen daran, und der Teil seiner Tracht, den ein Frauenzimmer schicklicherweise nicht näher beschreiben kann, war lang und weit und schlug viele Falten – auch einen Bart hatte er, und einen hochgezwirbelten Schnauzbart auf der Oberlippe – und noch viele Einzelheiten schilderte Rab Tull, aber sie sind jetzt vergessen, – es ist ja eine alte Geschichte. Rab Tull hatte als Landstreicher Courage genug, er hatte das Herz auf dem rechten Flecke und war vielleicht weniger erschrocken, als man hätte erwarten mögen – und er fragte im Namen der Gottheit, was die Erscheinung wolle. Und der Geist antwortete in einer unbekannten Zunge. Da besann sich Rak auf die paar lateinischen Brocken, die er aus seiner amtlichen Tätigkeit her kannte, und kaum hatte er es damit versucht, so sprudelte der Geist eine solche Flut von Latein hervor, daß der arme Rab Tull, der eben nicht viel Gelehrsamkeit hatte, sich nicht mehr zu helfen wußte. Aber ein dreister Bursche war er, und da fiel ihm das Wort ein für das, was er haben wollte: darta. Ja, ja, sagte das Gespenst, carta, und machte Rab ein Zeichen, ihm zu folgen. Rab Tull faßte sich ein Herz und sprang aus dem Bett und folgte der Erscheinung treppauf und treppab bis nach einem kleinen Turme in der Ecke des alten Hauses, wo ein Wirrwarr von nutzlosen Kisten und Kasten herumlag, und da gab der Geist Rab einen Tritt mit dem einen Fuß, und mit dem andern stieß er gegen eben den alten Schrank, den mein Bruder neben seinem Tisch in der Bibliothek zu stehen hat, und dann verschwand er wie ein Paff von Zigarrenrauch und ließ Rab in recht jammervoller Lage zurück.« »Na, genug des Gewäschs,« unterbrach sie Oldbuck. »Jedenfalls wurde das Aktenstück in einem Fache eben dieses vergessenen Schrankes gefunden, in dem noch viele andere seltsamen Papiere enthalten waren, die jetzt alle registriert und geordnet sind. Sie scheinen noch von unserm Ahnherrn, dem ersten Eigentümer von Monkbarns, zu stammen. Das ganze Wunder läßt sich wohl auf natürlichem Wege erklären.« »O Bruder, Bruder, und Doktor Heavysterne, der so furchtbar aus dem Schlaf geschreckt wurde, daß er erklärte, er wolle nicht noch eine einzige Nacht im grünen Zimmer zu Monkbarns verbringen?« »Ei, Griselda, der Doktor ist ein guter ehrlicher, dickköpfiger Deutscher, sehr tüchtig in seinem Fache, aber wie viele seiner Landsleute ein Freund von allem Mystischen. Du und er, ihr habt den ganzen Abend miteinander geschwatzt von Mesmer, Cagliostro und andern modernen Verfechtern des Spiritismus, und dann, abgesehen von allen den Geschichten von erschienenen Geistern und gefundenen Schätzen, die ihr einander aufgetischt habt, darf man nicht vergessen, daß der gute Mann eine gewaltige Portion Kalbsbraten zum Abend gegessen, sechs Pfeifen geraucht und dementsprechend viel Bier und Branntwein getrunken hatte. Da nimmt michs gar nicht wunder, daß er Alpdrücken bekommen hat. Aber es ist nun alles fix und fertig, gestatten Sie mir, daß ich Ihnen nach Ihrem Zimmer leuchte, Herr Lovel. Sicherlich haben Sie Bedürfnis nach Ruhe. Ich bin überzeugt, mein Ahnherr achtet die Pflichten der Gastlichkeit zu sehr, als daß er die Ruhe stören sollte, die Sie sich so wacker verdient haben durch Ihr mannhaftes, ritterliches Benehmen.« Mit diesen Worten nahm der Altertümler einen Schlafstubenleuchter zur Hand, der aus massivem Silber und von antiker Form war und ebendemselben Ahnherrn gehört hatte, von dem sie gesprochen hatten. Er führte den jungen Mann durch manchen düstern zugigen Gang, jetzt treppauf und dann gleich wieder treppab, bis sie das Zimmer erreicht hatten, das für den jungen Gast hergerichtet worden war. Zehntes Kapitel Im sogenannten grünen Zimmer angelangt, stellte Oldbuck den Leuchter auf den Toilettentisch vor einen großen Spiegel mit schwarz lackiertem Rahmen. Dann sah er sich mit ein wenig verstörtem Ausdruck um und sagte: »Selten komme ich hierher, und stets wenn ich einmal das Zimmer betrete, ergreift mich ein schwermütiges Gefühl – das hat natürlich nichts mit dem kindischen Unsinn zu tun, den Griselda erzählt hat, sondern rührt noch von einer unglücklichen Jugendliebe her. In solchen Augenblicken, Herr Lovel, wie diesen fühlen wir, wie mit der Zeit alles anders wird. Dieselben Gegenstände stehen vor uns – die leblosen Dinge, die wir in launischer Kindheit und als stürmischer Jüngling und dann als sorgsamer zielbewußter Mann betrachtet haben, – sie sind beständig die gleichen geblieben. Aber wenn wir sie jetzt im kalten gefühllosen Alter betrachten, können da wir, die wir in Gemütsart, Tun, Treiben und Gefühlen uns verändert haben – die wir im Körperbau, den Gliedern und der Stärke uns verwandelt haben – können wir noch dieselben genannt werden? – oder schauen wir nicht vielmehr voller Verwunderung sozusagen zurück auf unser früheres Selbst, das deutlich verschieden ist von dem, was wir jetzt sind? Mich rührt immer das Gefühl, das so schön in einem Gedicht, das ich mal, gehört habe, ausgesprochen ist: Den Blick trübt kindischer Tränen Flor, Das Herz ist mir töricht beklommen, Derselbe Laut klingt mir im Ohr, Den damals ich vernommen. So schmerzt am Lebensabend spät Das Herz in weisern' Stunden Weit mehr, was noch bevor uns steht. Als was bereits entschwunden. Na, die Zeit heilt jede Wunde, und wenn auch die Narbe bleibt und manchmal schmerzt, so ist doch von der Qual, die sie ehedem, kaum geschlagen, bereitete, nichts mehr zu spüren.« Schritt für Schritt konnte Lovel verfolgen, wie sein Wirt zurückkehrte, und jede Tür, die er hinter sich schloß, klang ferner und hohler. Also getrennt von der lebenden Welt, nahm Lovel die Kerze und besichtigte das Gemach. Das Feuer lohte lustig. Jungfer Griselda hatte ein wenig frisches Holz dagelassen, damit er nachlegen könne. Das Zimmer sah zwar nicht sonderlich heiter, aber doch recht behaglich aus. Es war mit Tapeten verhängt, die im sechzehnten Jahrhundert auf den Webstühlen von Arras gefertigt worden waren und die der gelehrte Buchdrucker, den wir schon so oft genannt haben, als eine Probe der Geschicklichkeit und Kunstfertigkeit des Festlandes mitgebracht hatte. Eine Jagdszene war darauf dargestellt, und da das Gezweig und Blätterwerk der Bäume im Walde die vorherrschende Farbe bildeten, war das Zimmer die grüne Stube genannt worden. Grimmige Gestalten in der alten vlämischen Tracht mit aufgeschlitztem Wams voller Schleifen und Bänder, in kurzen Mäntelchen und Pluderhosen hielten Windspiele und Vorstehhunde an der Koppel oder ließen sie auf das Wild los. Andre mit Hirschfängern oder Schwertern und altmodischen Büchsen griffen Eber oder Hirsche an, die sie gestellt hatten. In den Zweigen des gewebten Waldes wimmelte es von Vögeln aller Art, die alle in den richtigen Farben ihres Gefieders dargestellt waren. Das Bett war von verschossenem Dunkelgrün, es sollte zur Tapete passen, war aber von der weniger geschickten Hand eines modernen Handwerkers gefertigt. Die großen wuchtigen Stühle mit Stoffpolstern und ebenholzschwarzen Lehnen waren mit Stickereien des gleichen Musters versehen, und ein hoher Spiegel über dem antiken Kaminaufsatz entsprach in seiner Mache dem auf dem altmodischen Toilettentisch. »Ich habe gehört,« murmelte Lovel, als er die Stube und ihre Ausstattung überschaute, »Geister sollen sich oft das beste Gemach in dem Hause, das sie heimsuchen, wählen, und da kann ich wirklich den Geschmack des entseelten Druckers der Augsburger Konfession gar nicht tadeln.« Aber seine Gedanken auf die Geschichten zu richten, die er von dem Zimmer gehört hatte, und die auch so seltsam zu ihm zu passen schienen, fiel ihm so schwer, daß es ihm fast leid tat, so ganz frei zu sein von den aufgeregten Empfindungen, die, halb Furcht, halb Neugierde, für die alten Sagen von Grausen und Wunder empfänglich stimmen. Die bange Wahrheit seiner hoffnungslosen Leidenschaft hielt ihn jetzt fern von diesem Reich des Spukes. Denn er empfand jetzt nur die Gefühle, die in den Zeilen ausgedrückt sind: Grausame Maid, wie hast du mich verwandelt! Nie anders ward mir Herz und Sinn! So bitter schlecht hast du an mir gehandelt, Daß ich wie du jetzt lieblos bin! Es fiel ihm immer wieder ein, wie Fräulein Wardour sich ihm fremd gestellt hatte, da sie notgedrungen seine Gesellschaft hatte ertragen müssen und wie sie ihren festen Entschluß kund gegeben hatte, sich ihm fern zu halten, und diese Erinnerung hatte sein Gemüt ausschließlich beschäftigt. Aber hierzu kamen Erinnerungen aufregenderer, wenn auch weniger schmerzlicher Art – wie sie um ein Haar dem Tode entronnen war – wie er ihr so glücklich hatte Hilfe bringen können – und doch! wie war es ihm gelohnt worden? Während noch niemand Gewißheit hatte, ob er gerettet würde, war sie schon gegangen – während es noch unbestimmt war, ob nicht ihr Retter sein Leben verlieren würde, das er so hochherzig für sie eingesetzt hatte – hatte sie die Klippe verlassen! Gewiß hätte sie zum mindesten aus Dankbarkeit ein wenig Anteil an seinem Schicksal nehmen müssen – doch nein, ungerecht oder selbstsüchtig konnte sie nicht sein, das lag nicht in ihrer Natur. Sie wünschte nur, von vornherein keine Spur von Hoffnung aufkommen zu lassen und eben aus Mitleid mit ihm eine Liebe zu ersticken, die sie nicht erwidern konnte. Aber diese liebhabermäßige Art der Betrachtung war nicht dazu angetan, ihn mit seinem Schicksal zu versöhnen, denn je liebenswerter ihm die Phantasie Fräulein Wardour vorstellte, um so untröstlicher mußte er sich fühlen unter dem Zwang, seiner Hoffnung zu entsagen. Er war sich allerdings bewußt, daß er die Macht besaß, ihre Vorurteile in einigen Punkten zu überwinden, aber selbst in seiner schmerzvollen Bedrängnis war er entschlossen, an dem ursprünglich gefaßten Vorsatz festzuhalten: ehe er ihr eine Erklärung aufdrängte, wollte er sich vergewissern, daß sie nach einer verlangte. Und er mochte die Sache betrachten, von welcher Seite er wollte, er konnte seine Werbung noch nicht als gänzlich hoffnungslos ansehen. Als Oldbuck ihn vorgestellt hatte, war Verlegenheit und ernstes Erstaunen in ihren Blicken zu erkennen gewesen, und vielleicht hatte sie auf flüchtige Überlegung hin den einen Ausdruck angenommen, um den andern zu verbergen. Er wollte seine Liebeswerbung noch nicht aufgeben, obgleich sie ihm schon so viele Schmerzen bereitet hatte. Pläne, entsprechend der romantischen Gemütsart des Gehirns, die sie hegte, jagten einander, in dichtem, unregelmäßigem Spiele wie die tanzenden Sonnenstäubchen, und lange noch, nachdem er sich schon niedergelegt hatte, hielten sie noch immer von ihm die Ruhe fern, deren er so dringend bedurfte. Überdrüssig der Ungewißheit und der Schwierigkeiten, mit denen jeder einzelne Plan verknüpft zu sein schien, versuchte er seinen Geist zu dem schweren Entschlüsse zu zwingen, seine Liebe von sich zu schütteln und die Studien und die Laufbahn wieder aufzunehmen, die er um seiner unerwiderten fruchtlosen Liebe willen so lange und so unnütz unterbrochen hatte. In diesem letzten Entschlüsse bemühte er sich, sich selber, durch jeden Beweggrund, den ihm Stolz und Vernunft unterbreiten konnten, zu bekräftigen. »Sie soll nicht denken,« sagte er zu sich selber, »daß ich auf Grund eines zufälligen Dienstes, den ich ihr und ihrem Vater geleistet habe, mich ihr aufdrängen wollte und jene Beachtung und Teilnahme von ihr erwartete, zu der sie persönlich mich für unwürdig und nicht berechtigt halten müßte. Ich will sie nicht wiedersehen. Ich will zurück nach dem Lande, das, wenn auch keine schönern, doch viele ebenso schönen und weniger hochmütigen Mädchen hat als Fräulein Wardour. Morgen will ich Lebewohl sagen diesem nördlichen Gestade und ihr, die ebenso kalt und unbarmherzig ist, wie dies Klima hier!« Nachdem er eine Zeitlang über diesem trotzigen Entschluß gebrütet hatte, verlangte endlich die erschöpfte Natur ihre Rechte, und trotz alles Zornes, Zweifels und bangen Sorgens sank er in Schlummer. Selten ist ein Schlaf nach so heftiger Aufregung tief und ruhig oder doch erfrischend. Lovels Schlaf war von tausend haltlosen verworrenen Gesichtern gestört. Er war ein Vogel – er war ein Fisch – oder er flog wie ein Vogel – oder er schwamm wie ein Fisch – Eigenschaften, die vor wenigen Stunden noch seine Lebensgefahr um ein bedeutendes verringert hätten. Dann war Fräulein Wardour eine Sirene oder ein Paradiesvogel, ihr Vater ein Triton oder eine Seemöwe, und Oldbuck bald ein Meerschwein, bald ein Kormoran. In diese angenehmen Phantasien mischten sich die gewöhnlichen tollen Fratzen eines Fiebertraumes. Die Luft wollte den Träumenden nicht mehr tragen, das Wasser schien ihn zu verbrennen – die Felsen fühlten sich an wie Daunenkissen, als er gegen sie geschleudert wurde. Was er auch unternahm, schlug auf irgend eine fremdartige, unerwartete Weise fehl – und was immer seine Aufmerksamkeit fesselte, erlitt, sobald er es untersuchen wollte, eine wilde wunderbare Verwandlung, dabei war sich sein Geist immer noch in gewissem Grade bewußt, daß alles ein Traumbild sei, – suchte aber vergebens, sich ihm durch Erwachen zu entreißen. Das alles waren fieberhafte Symptome, die jedem, der an Alpdrücken leidet, sehr wohl bekannt sind. Endlich kam ein wenig Regelmäßigkeit und Ordnung in diese Traumgebilde, sofern nicht die Phantasie Lovels, nachdem er schon munter geworden war (denn er hatte eine ziemlich lebhafte und reiche Phantasie), allmählich, unmerklich und unabsichtlich bessere Ordnung in das Bild brachte, daß sich ihm im Schlafe nur in wenig deutlichen Umrissen gezeigt hatte. Oder möglicherweise kam ihm auch seine fieberhafte Aufregung bei der Bildung der Erscheinung zu Hilfe. Wir überlassen diese Erörterung den Gelehrten und wollen sagen, daß nach einer Folge von wilden Geschichten unser Held – denn als solchen müssen wir ihn anerkennen – soweit zu einem Bewußtsein der Örtlichkeit erwachte, daß er sich erinnerte, wo er sich befand, und die ganze Ausstattung des grünen Zimmers sich vor seinem schlummernden Auge darstellte. Und nochmals will ich hier bekennen: wenn soviel altmodische Leichtgläubigkeit unter diesem scharfsinnigen skeptischen Geschlecht noch vorhanden ist, daß jemand glauben will, was nun folgt, sei mehr mit dem Auge geschaut, als von der Phantasie vorgegaukelt worden – ich widerspreche dieser Auffassung nicht. Lovel also war – oder bildete es sich ein zu sein – völlig wach im grünen Zimmer und sah in die flackernde launenhafte Flamme, die aus den Resten der noch nichtausgebrannten Scheite hervorzüngelte. Eine nach der andern fielen die Holzkohlen in die rote Glut. Ohne daß er es merkte, erwachte in seinem Geiste die Mär von Aldobrand Oldenbuck und seinem Besuch in dieser Kammer – und damit erwachte auch, wie wir es in Träumen oft empfinden, eine ängstliche furchtsame Erwartung, die fast immer unverzüglich den Gegenstand unserer Furcht vor unser geistiges Auge hinzaubert. Heller zuckender Schein flammte aus dem Kamin mit so grellem Geleucht, daß das ganze Zimmer erhellt war. Wild wehte die Tapete an der Wand, bis ihre düsteren Gestalten sich zu beleben schienen. Die Jäger bliesen in die Hörner – der Hirsch schien zu flüchten – der Eber schien sich zu wehren – und die Hunde schienen über den einen herzufallen und die andern zu verfolgen – das Geschrei des Wildes, das von Hunden gewürgt wurde, die Rufe von Männern und das Getrappel von Pferden schien ihn plötzlich zu umgeben – während jede Gruppe bei all der Wildheit der Jagd sich doch in der Weise betätigt zeigte, wie der Künstler sie dargestellt hatte. Lovel starrte auf diese Szene ohne jede Verwunderung – ein Gefühl, das sich der schlafenden Phantasie selten aufdrängt – aber mit einem bangen Gefühl entsetzlicher Angst. Als er starrer auf die gewebten Jäger blickte, schien eine besondere Gestalt unter ihnen die Tapete zu verlassen und auf das Bett des Schlummerers zuzukommen. Im Näherkommen schien sich seine Gestalt zu verändern. Sein Hifthorn wurde ein dickes Buch mit Metallklammern, seine Jagdkappe wurde eine Pelzmütze, wie sie die Bürgermeister Rembrandts tragen, das vlämische Gewand blieb, aber sein Gesicht bewegte nicht mehr der tolle Eifer der Jagd, es hatte eine so starre, ehrfurchtgebietende Ruhe und Fassung, wie sie am besten den ersten Eigentümer von Monkbarns mag gekleidet haben und wie er Lovel im Laufe dieses Abends von den Nachkommen beschrieben worden war. Wählend diese Verwandlung vor sich ging, verschwand das Leben und Treiben unter den andern Personen auf dem Gewebe aus der Phantasie des Träumers, die jetzt ausschließlich auf die einzelne Gestalt vor ihm konzentriert war. Lovel bemühte sich, ja strengte sich an, die schreckliche Person in der Form einer passenden Beschwörung zu fragen, aber wie es in furchtbaren Träumen zu geschehen pflegt, die Lunge versagte ihm den Dienst und hing wie gelähmt am Gaumen fest. Aldobrand hob den Finger, wie um dem Gaste, der in sein Zimmer eingedrungen war, Schweigen zu gebieten, und begann bedächtig das ehrwürdige Buch aufzuschlagen, das er in der linken Hand trug. Als er es aufgeschlagen hatte, wandte er hastig die Blätter ein kleines Stück um, und dann richtete er seine Gestalt zu ihrer vollen Größe auf, hielt das Buch hocherhoben in der linken Hand und deutete auf eine Stelle aus der Seite, die er so hinhielt. Obwohl die Sprache unserm Träumer unbekannt war, schienen Auge und Aufmerksamkeit von der Zeile, die die Gestalt ihm so hinzeigte, fest gebannt, und die Worte schienen in übernatürlicher Glut zu flammen und blieben seinem Gedächtnis eingeprägt. Als die Erscheinung das Buch wieder schloß, schien eine entzückende Musik das Gemach zu erfüllen – Lovel fuhr auf und erwachte vollends. Aber die Musik blieb noch in seinem Ohr und verstummte auch nicht, und deutlich vernahm er die Weise eines alten schottischen Liedes. Er setzte sich im Bette auf und bemühte sich, die Phantasie von den Phantomen, die sie in dieser qualvollen Nacht aufgestört hatten, zu säubern. Die Strahlen der Morgensonne fielen durch die halbgeschlossenen Fensterladen und ließen helles Licht ins Zimmer. Er sah sich rings um und musterte die Tapeten, aber die bunten Gruppen gewebter seidener Jäger waren regungslos, und nur leise erbebte das Gehänge im Frühwinde, bei durch eine Spalte in den Läden hereinkam und über die Tapeten hinstrich. Lovel sprang heraus, hüllte sich in einen Morgenrock, den sie ihm vorsorglich neben das Bett gelegt hatten und trat ans Fenster, das auf die See hinaussah. An dem Wellengange war zu erkennen, daß der Sturm vom verflossenen Abend sich noch nicht völlig gelegt hatte, obwohl der Morgen schön und heiter war. Das Fenster eines Türmchens, das an einer Ecke der Mauer hervorsprang und so ganz in der Nähe von Lovels Zimmer gelegen war, stand halb offen, und aus diesem Gemach hörte er abermals die Musik, die wahrscheinlich seinen Traum zu einem raschen Ende gebracht hatte. Mit dem visionären Eindruck hatte sie auch viel von ihrem Reize verloren – es war jetzt weiter nichts mehr als ein leidlich ausgeführter Harfengesang, von einer Frauenstimme mit Geschmack und Schlichtheit vorgetragen. Das Lied lautete folgendermaßen: Was weilst du bei dem Trümmerhaus, Du finstrer Kerl in grauen Haaren? Malst du die frühere Pracht dir aus? Sinnst du, wie sie verfiel seit Jahren? »Kennst du mich nicht?« die Antwort tönt. »So oft mißbraucht, so lang genossen – Verflucht, verschmäht, erwünscht, ersehnt – Ob du vergnügt – ob du verdrossen? Die Menschen und ihr Tun verwehn Vor meinem Hauch wie loser Zunder – Und Reiche wechselvoll entstehn, Und wachsen hoch und gehen unter! Doch nutz es aus – kurz ist die Frist.– Und maßlos werden Freud und Leiden, Wenn erst der Sand verronnen ist Und Zeit und du auf immer scheiden!« Noch während die Verse erklangen, war Lovel zum Bette zurückgekehrt, die Gedanken, die sie erweckten, waren romantisch und lieblich, wie er ihnen voller Freude nachzuhängen pflegte, und willig ließ er, bis es hellerer Tag geworden wäre, die bedenkliche Aufgabe, sich über sein künftiges Verhalten schlüssig zu werden, einstweilen fallen und überließ sich dem süßen Verlangen, mit dem die Musik ihn erfüllte, und verfiel in einen festen erquickenden Schlaf, aus dem er erst spät von dem alten Caxon aufgeweckt wurde, der sich leise ins Zimmer stahl) um, sich als Kammerdiener nützlich zu machen. »Es ist doch jammerschade, daß er sich nicht frisieren und pudern läßt,« jammerte der ehemalige Friseur, als er in die Küche zurückgekehrt war, wo er unter dem oder jenem Vorwande dreiviertel seiner müßigen Zeit verbrachte – das will soviel sagen wie seiner ganzen Zeit – »Es ist jammerschade, denn er ist ein schmucker, junger Herr!« »Gehn Sie, Sie alter Schafskopf Sie!« sagte Hanne Rintherout. »Möchten Sie am Ende sein hübsches, braunes Haar mit Ihrem ekelhaften Fett und Oel einschmieren und dann zurechtzwirbeln wie dem alten Pastor seine Perücke? Den natürlichsten und schönsten Kopf voll Haaren würden Sie verschandeln, den es in ganz Fairport, in der Stadt und auf dem Lande gibt.« Elftes Kapitel Ein Frühstück war von den Damen hergerichtet worden, und als Lovel mit Oldbuck und den Damen zusammen im Eßzimmer saß, hatte er mancherlei Fragen zu beantworten, wie er die Nacht verbracht hätte. »Nun, ich hoffe,« sagte der Altertümler im Laufe dieses Gesprächs, ohne daß Lovel das Traumgesicht erzählt hatte, »Sie werden noch eine Nacht den Schrecken des Spukzimmers und noch einen Tag Ihren treuen Freunden vergönnen.« »Ich wünschte es selber von ganzem Herzen – aber –« »Nein, kommen Sie mir nicht mit Abers – ich bin nun einmal mit ganzer Seele darauf versessen.« »Ich bin Ihnen sehr dankbar, werter Herr, aber –« »Potz schon wieder ein Aber! – Ich hasse das Aber! – Das Aber ist für mich noch eine abscheulichere Zusammenstellung von Buchstaben als das Nein. Nein ist ein barscher, ehrlicher Kerl, der seine Meinung rund heraussagt und keine Umschweife macht – Aber ist eine schleichende, schielende Sorte von Konjunktion, die Ausflüchte macht und wie die Katze nm den heißen Brei geht. Das Aber nimmt einem den Becher von den Lippen weg, wenn man ihn eben ansetzt.« »Na gut,« sagte Lovel, der im Augenblick wirklich noch nicht recht wußte, was er wollte, »Sie sollen die Erinnerung an meinen Namen nicht mit einem so rauhen Worte verknüpfen – ich muß binnen kurzem daran denken, Fairport zu verlassen, fürchte ich. Und da Sie es wollen und es mir gütigst anbieten, will ich die Gelegenheit benutzen und noch einen Tag hier bleiben.« »Und das will ich Ihnen lohnen, mein Junge – zuerst sollen Sie John o'the Girnels Grab sehen, und dann wollen wir gemächlich an den Dünen hingehen – das heißt, über den Stand der Flut schaffen wir uns erst Gewißheit – denn so ein Abenteuer wollen wir nicht noch einmal haben – bis nach Schloß Knockwinnock und uns erkundigen, wie es dem alten Ritter und meiner schönen Feindin ergeht – das verlangt die bloße Höflichkeit, und dann –« »Verzeihen Sie bitte, Herr, aber diesen Besuch verschieben Sie vielleicht lieber bis morgen – ich bin den Herrschaften fremd, wie Sie wissen.« »Und sind daher noch weit mehr verpflichtet, sich höflich zu zeigen, sollt ich meinen –« »Wenn – wenn – wenn Sie denken, es würde darauf gerechnet – aber ich glaube, ich bleibe besser fort.« »Nein, nein, mein junger Freund – ich bin nicht so altmodisch, daß ich Sie zu etwas dränge, was Ihnen unangenehm ist – ich brauche bloß zu merken, daß Sie Ihre Ursache haben, nicht mitzumachen – was für eine Ursache, danach habe ich nicht zu fragen. Sie find vielleicht auch noch ein bißchen müde. Ich steh Ihnen dafür, daß ich Mittel finde, Ihren Geist zu beschäftigen, ohne Ihre Glieder anzustrengen – ich bin selber kein Freund vom Strapazieren – ein Spaziergang im Garten, einmal am Tage, ist Leibesübung genug für jedes denkende Wesen. – Hier, einstweilen sehen Sie sich einmal dieses Kleinod an.« Mit diesen Worten öffnete der Altertümler einen Schubkasten und legte in Lovels Hand eine Schachtel von Eichenholz, die an den Ecken mit silbernen Rosetten verziert war. »Bitte, machen Sie den Knopf da auf,« setzte er hinzu, als er sah, daß sein Gast an der Klammer herumnestelte. Er tat es, der Deckel öffnete sich, und es zeigte sich ein dünner, seltsam in Schagrin gebundener Quartband. »Dies, Herr Lovel,« sagte der Altertümler, »ist der seltene Quartband der Augsburger Konfession, des Fundaments und Bollwerks der Reformation, entworfen von dem gelehrten ehrwürdigen Melanchthon, verteidigt von dem Kurfürsten von Sachsen und den anderen tapferen Herzen, die für ihren Glauben eingetreten sind, selbst einem mächtigen siegreichen Kaiser gegenüber. Gedruckt ist sie von dem kaum weniger ehrwürdigen, lobenswerten Aldobrand Oldenbuck, meinem glücklichen Ahnherrn und Stammvater, zur Zeit der tyrannischen Versuche Philipps II, zugleich die Freiheit der Bürger und der Religion zu unterdrücken. Ja, Herr, weil er dieses Werk gedruckt hat, ist der hervorragende Mann aus seinem undankbaren Vaterlande vertrieben worden, deshalb ist er gezwungen worden, hier in Monkbarns sein Heim aufzuschlagen, unter den Ruinen päpstlichen Aberglaubens und Willkür. Sehen Sie hier seinen Lieblingsspruch, der zugleich Unabhängigkeit und Selbstvertrauen ausdrückte, die es unter ihrer Würde hielten, irgend etwas einem Gönner zu verdanken. Er war in der Tat ein Mann, der fest gestanden hätte, wenn auch seine ganze Druckerei mit Pressen und Formen und allem Zubehör in Stücke zerschellt wäre um ihn her. Lesen Sie, sage ich, sein Motto, denn jeder Drucker hatte sein Motto oder seinen Wahlspruch, als diese großartige Kunst im Entstehen war. Mein Ahnherr hatte wie Sie sehen, zur Devise das deutsche Sprichwort: Kunst macht Gunst – das ist, Fertigkeit oder Wissen in der Ausnutzung unserer natürlichen Begabung und Talente, werden uns Beliebtheit und Gönnerschaft eintragen.« »Und diese Bedeutung also,« sagte Lovel nach kurzem, sinnendem Schweigen, »haben diese deutschen Worte?« »Eine Frage – Sie merken, wie sehr sie passen zu einem Bewußtsein des inneren Wertes und einer hervorragenden Befähigung zu einer nützlichen und ehrenvollen Kunst. Es besteht eine Familientradition, daß er durch romantische Umstände zur Wahl dieses Spruches gekommen sein soll.« »Und auf welche Weise denn wohl, mein guter Herr?« fragte sein junger Freund. »Nun, es schmälert eigentlich ein wenig den Ruf meines Ahnherrn, ein besonders weiser und kluger Mann gewesen zu sein – aber es hat mal jeder eine Dummheit gemacht. Mein Ahnherr soll während seiner Lehrzeit bei dem alten Drucker Just sich in ein armseliges, Stückchen von Weibe, die Tochter seines Meisters, namens Bertha, verliebt haben. Sie wechselten Ringe oder trieben sonst welche Allotria von blödsinniger Zeremonie, wie Usus ist, wenn ein treuer Liebesbund geschlossen wird – und Aldobrand trat seine Reise durch Deutschland an, wie es sich für einen ehrlichen Handwerker geziemte. Denn es war damals Sitte unter den Handwerkern jener Zeit, daß sie eine Rundreise durchs Reich machten und in ihrem Fache in allen hervorragenden Städten eine Zeitlang arbeiteten, ehe sie sich fürs Leben irgendwo festsetzten. Es war eine weise Sitte, denn die Reisenden wurden wie Brüder in jeder Stadt von den Männern ihres Gewerbes aufgenommen und hatten in jedem Falle sichere Gelegenheit, Kenntnisse zu sammeln und mitzuteilen. Als mein Ahnherr nach Nürnberg zurückkehrte, soll er seinen alten Meister nicht mehr lebend angetroffen haben, vor kurzem war er gestorben, und zwei bis drei vornehme junge Verehrer darunter wohl auch ein paar halb verhungerte Sprößlinge von Adligen – bewarben sich um die Jungfrau Hertha, der der Vater eine Mitgift hinterlassen haben sollte, die wohl sechzehn Wappenschilde hatte aufwiegen können. Aber Bertha war eben kein allzu schlechtes Exemplar von einem Weibsstück und hatte ein Gelübde getan, nur den Mann zu heiraten, der die Presse des Vaters zu handhaben verstand. Diese Kunstfertigkeit war damals ebenso selten wie wundersam, und dazu befreite dieses Verfahren sie mit einemmale von der Mehrzahl ihrer zärtlichen Freier. Ein paar gewöhnliche Buchdrucker machten den Versuch, aber keiner war hinreichend mit dem Geheimnis vertraut – aber ich langweile Sie.« »Keineswegs, bitte, fahren Sie fort, Herr Oldbuck! Ich höre Ihnen mit ungewöhnlichem Interesse zu.« »Ach! Torheit ist es ja doch – na also – Aldobrand kam in der üblichen Tracht eines fahrenden Druckers an in demselben Habit, in dem er Deutschland durchreist und mit Luther, Melanchton, Erasmus und anderen Gelehrten gesprochen hatte, die seine Kenntnisse nicht gering achteten, wenn sie auch unter so bescheidener Tracht verborgen waren. Aber was in den Augen der Weisheit, Religion, Bildung und Philosophie ehrenwert erschien, das erschien, wie ja leicht anzunehmen gewesen war niedrig und verabscheuenswert in den Augen des albernen affektierten Weibsvolkes, und Bertha wollte nichts mehr von ihrem früheren Geliebten wissen, als er in dem zerrissenen Wams, der Pelzmütze, den Nagelschuhen und der ledernen Schütze eines wandernden Handwerkers wieder vor sie hin trat. Er machte indessen sein Vorrecht geltend, auch zu der Probe zugelassen zu werden. Er legte sie glänzend ab, und lauter Beifall aller Zuschauer lohnte den würdigen Nachfolger Fusts – das errötende Mädchen gab ihren Irrtum zu, daß sie dem Auge mehr als dem Verstände getraut habe, und von da ab wählte sich der Bräutigam den Wahlspruch: Kunst macht Gunst. – Wer was ist denn mit Ihnen los? Sie sind ja in tiefes Sinnen versunken!« »Verzeihen Sie,« sagte Lovel, – »ich komme Ihnen wohl sehr albern und grillig vor, aber Sie schienen zu meinen, Sir Arthur erwarte aus bloßer Höflichkeit, daß ich ihn besuche?« »Na, du lieber Gott, ich kann Sie ja auch schließlich entschuldigen. Und wenn Sie doch so früh schon von uns wegmüssen, was hat es dann zu besagen, ob Sie bei Seiner Ehren eine gute Meinung hinterlassen haben? Aber wenn ich Sie so ansehe, kommt es mir vor, als seien Sie anderer Meinung. Nun so sagen Sie doch rund heraus – wollen wir gehen oder nicht?« »Wir wollen gehen, auf alle Fälle.« Zwölftes Kapitel Mit Verlaub des Lesers wollen wir den Altertümler auf seinem langsamen, wenn auch rüstigem Gange überholen, während er aller Augenblicke Halt machte, um seinem Gefährten einen bemerkenswerten Punkt der Landschaft zu zeigen oder über ein Lieblingsthema in nachdrücklicherer Weise sich zu verbreiten, als es ihm unterm Gehen möglich war, und auf diese Weise ziemlich lange Zeit zu seinem Wege brauchte. Trotz der Strapazen und Gefahren vom verflossenen Abend konnte Fräulein Wardour zur gewohnten Stunde aufstehen und sich ihrer gewöhnlichen Beschäftigung widmen, nachdem sie zuerst die Sorge um das Befinden ihres Vaters beschwichtigt hatte. Sir Arthur war zwar nur von der großen Aufregung und der ungewohnten Anstrengung mitgenommen, doch genügte diese Unpäßlichkeit für ihn, um sich aus seinem Schlafzimmer nicht herauszurühren. Der Rückblick auf die Ereignisse des verflossenen Tages war für Isabella unangenehm. Sie dankte das Leben und das ihres Vaters dem Manne, dem von allen andern sie am wenigsten irgendwie verpflichtet zu sein wünschte, weil sie ihm gegenüber schwerlich auch nur alltägliche Dankbarkeit äußern konnte, ohne ermutigende Hoffnungen zu erwecken, die für sie beide verderblich werden konnten. »Warum muß es mein Schicksal sein, daß mir solche Wohltat, unter so großer persönlicher Gefahr, erwiesen wird von eben dem Manne, dem ich in seiner romantischen Liebe so fortgesetzt Abweisungen erteilt habe? Warum mußte der Zufall ihm diesen Vorteil über mich geben? Und warum, o warum muß ein halb unterdrücktes Gefühl in meiner Brust meiner nüchternen Vernunft zum Trotze fast darüber frohlocken, daß er ihn erlangt hat?« Während Fräulein Wardour also sich selber mit launigen Grillen quälte, sah sie auf der Allee einherkommen nicht ihren jüngeren und gefürchteten Retter, sondern den alten Bettler, der in dem Melodrama vom vergangenen Abend eine solche Hauptrolle gespielt hatte. Sie klingelte ihrer Zofe. – »Laß den alten Mann herauf.« Das Dienstmädchen kam gleich darauf wieder. »Er will auf keinen Fall heraufkommen, gnädiges Fräulein. Er sagt, seine Nagelschuhe hätten noch in seinem ganzen Leben keinen Teppich betreten und sollten's auch nicht, so es Gott gefalle. Soll ich ihn in das Dienstbotenzimmer führen?« »Nein; warte, ich will mit ihm reden. – Wo ist er denn?« Denn als er an das Haus herangekommen war, hatte sie ihn aus den Augen verloren. »Er sitzt auf der Steinbank im Hofe in der Sonne.« »So sag ihm, er solle dort warten – ich werde in die Stube hinuntergehen und durchs Fenster mit ihm reden.« Sie ging hinunter und fand den Bettler halb sitzend, halb lehnend auf der Bank neben dem Fenster. Edie Ochiltree – Greis und Bettler, wie er war – mußte sich doch wohl im Innern des vorteilhaften Eindrucks bewußt sein, den seine hohe Gestalt, seine gebieterischen Züge und sein langer weißer Bart machten. Es ging über ihn die Rede, daß man ihn selten in einer Stellung sah, die diese persönlichen Vorzüge nicht vorteilhaft zur Geltung brachte. Diesmal lag er halb zurückgelehnt, die runzligen doch frischen Wangen und das graue Auge zum Himmel emporgekehrt, Stock und Sack neben sich und ein Zug von Bauernschlauheit und sarkastischer Ironie im Antlitz – er sah sich ein Weilchen im Hofe um und dann blickte er wieder zum Himmel empor – so hätte ihn ein Künstler zum Modell für einen Philosophen aus der Schule der Zyniker nehmen können, der über die Fruchtlosigkeit menschlichen Treibens und den immer schwankenden Bestand menschlichen Besitztums nachsann und aufsah zu jener Quelle, aus der allein alles dauernde Glück kommen konnte. Nachdem Fräulein Wardour in freundlicher Weise dem Bettler ihren Dank ausgesprochen hatte, den dieser von sich wies, als weit über Verdienst, schlug sie einen Ton an, der ihres Erachtens nach seinem Begriffsvermögen besser entsprechen würde. »Sie wisse nicht, was ihr Vater für ihren Retter tun wolle, aber sicher beabsichtige er etwas, was ihn für sein Leben von aller Not befreien würde. Wenn er im Schlosse wohnen wolle, so wolle sie Anordnungen treffen......« Lächelnd schüttelte der alte Mann den Kopf. »Ich würde Ihren seinen Dienern und Dienstmädchen nur ein Dorn im Auge sein und ein Schandfleck unter ihnen, meine Dame, und ein Schandfleck bin ich eigentlich noch für niemand gewesen – daß ich nicht wüßte...« »Sir Arthur würde strengen Befehl erteilen . ...« »Sie sind sehr gütig, ganz gewiß, ganz gewiß. Aber es gibt so Sachen, die kann ein Herr schon befehlen, aber es gibt ihrer, die kann er nicht befehlen. Freilich wohl würde er sie davon abhalten, daß sie sich an mir vergriffen, und ich selber möcht's auch keinem geraten haben, sich sowas herauszunehmen – und er würde sie wohl dazu bringen, daß sie mir Suppe und Fleisch geben, – Aber glauben Sie, Sir Arthurs Befehl könne das Spiel der Jungen oder den Blick der Augen verwehren oder sie davon abhalten, mich zu verhöhnen oder zu schmähen? – Außerdem bin ich der faulste alte Kerl, der je gelebt hat, und ich habe mich nicht an bestimmte Stunden zum Essen und zum Schlafen gewöhnt, und die ehrliche Wahrheit zu gestehen, ich passe ganz und gar nicht in einen geregelten Hausstand hinein.« »Na, Edie, was sagen Sie dann zu einem netten Häuschen und einem Garten, wo Sie nichts zu tun hatten, als ein bißchen in Ihrem Garten zu graben, wenn Sie Lust dazu hätten?« »Und wie oft hätte ich wohl dazu Lust, was meinen Sie wohl, meine Dame? Vielleicht nicht einmal zwischen Lichtmeß und Weihnachten. Und ich kann auch nicht an einem Fleck stillsitzen und Abend für Abend dasselbe Dach und dieselben Sparren mir zu Häupten sehen.« »Aber bedenken Sie doch, Sie sind schon alt.« »O, damit hat's noch keine Not,« versetzte der Schnorrer. »Erst gestern bin ich rüstig gewesen und flink wie ein Aal. Und was sollte denn das ganze Land tun, wenn der alte wie Ochiltree verschwände, der Neuigkeiten und Geschwätz von Kreisangelegenheiten von einem Bauernhöfe zum andern trägt? Er bringt den Mädels Pfefferkuchen und hilft den Jungen die Fiedeln ausbessern und flickt den Weibern die Pfannen und macht den Kindern Soldatenmützen und Holzschwerter und versteht sich darauf, Pferde und Rindvieh zu kurieren, und kennt mehr alte Lieder und Geschichten als irgendwer ringsherum und macht alle Welt zum Lachen, wohin er nur kommt. Wahrhaftig, Fräulein, ich kann meinen Beruf nicht niederlegen – es wäre ein Verlust fürs Publikum.« »Na, Edie, wenn Sie von Ihrer Wichtigkeit eine so hohe Meinung haben, daß Sie sich selbst durch die Aussicht auf Unabhängigkeit nicht bewegen lassen ...« »Nein, nein, Fräulein – ich bin nämlich auf diese Weise mehr unabhängig,« antwortete der alte Mann. »Ich bitt' an keinem Hause um mehr als um etwas zu essen oder auch nur um einen Mundvoll Futter – wird mir's an der einen Stelle abgeschlagen, gehe ich zur andern – so kann mir niemand nachsagen, ich hinge ganz und gar von irgendwem ab, sondern ich bin eben nur so auf das Land im großen und ganzen angewiesen.« »Gut, dann versprechen Sie mir, daß Sie mich's wissen lassen wollen, wenn Sie je im späteren Alter Lust bekommen, sich zur Ruhe zu setzen. Bis dahin nehmen Sie dies hier.« »Nein, nein, Fräulein, soviel Silber auf einmal nehm ich nicht, es ist gegen unsere Regel – und wenn es auch nicht höflich sein mag, dergleichen wieder zu sagen, die Leut da herum reden, Silber sei bei Sir Arthur selber ein rarer Artikel und er hätte an seinen Blei- und Kupfergruben gar viel edlers Metall verloren.« Isabella hatte wohl selber schon hiervon eine leise Ahnung, erschrak aber, als sie hörte, daß die finanziellen Schwierigkeiten ihres Vaters schon so sehr zum öffentlichen Gespräch geworden seien, als ob nicht die Klatschsucht zu jeder Zeit am liebsten über ein so angenehmes Thema wie das Mißgeschick eines guten, den Zusammenbruch eines mächtigen oder den Fall eines glücklichen Menschen hergefallen wäre. Sie seufzte tief. »Wir haben noch genug, Edie,« sagte sie, »unsere Schulden zu bezahlen, mögen die Leute sonstwas schwätzen, und Ihnen zu vergelten, ist unsere nächste Schuld – lassen Sie mich also Ihnen diese Summe aufdrängen.« »Daß ich in einer schönen Nacht mal auf der Bandstraße totgeschlagen werde oder, was eben so schlimm ist, beständig in tausend Ängsten leben muß? ich bin –« und er dämpfte die Stimme und sah sich vorsichtig um – »ich bin gar nicht einmal so blutarm, und wenn ich auch mal auf der Straße sterben sollte, hier in meinem blauen Kittel findet sich genug eingenäht, daß man mir ein christliches Begräbnis bereiten kann.« »So kann ich denn nichts für Sie tun?« »Ei ja doch – ich komm um meine Almosen wie bisher – und Sie können auch dem Gendarm und dem Polizisten sagen, sie möchten ein Auge zudrücken und vielleicht können Sie auch ein gutes Wort für mich beim Müller einlegen, daß er seinen großen Hund an die Kette legt – ich möchte freilich nicht, daß er das arme Tier schlüge, denn das, tut ja nur seine Pflicht, wenn es einen Landstreicher wie mich anbellt, – und dann hätte ich wohl noch eins, aber Sie denken vielleicht, es wäre recht frech von mir, über sowas zu reden.« »Was ist's denn, Edie? Wenn es Sie angeht, so soll es geschehen, sofern es in meinen Kräften steht.« »Es geht Sie selber an, und es steht in Ihren Kräften, und ich muß es nur frei heraus sagen. Sie sind eine gute junge Dame, eine herzensgute, und wohl auch sehr gebildet – aber weisen Sie nicht so verächtlich den jungen Herrn Lovel ab, wie Sie es neulich getan haben auf dem Wege unterhalb Brierybank, wo ich Sie beide gesehen und auch gehört habe, wenngleich Sie mich nicht gesehen haben. Gehen Sie sanft mit dem Burschen um, denn er hat Sie sehr gern, und ihm, nicht aber irgendwelcher Tat von mir, verdanken Sie es, daß Sir Arthur und Sie gestern mit dem Leben davongekommen sind.« Er sprach diese Worte in leisem, doch deutlichem Tone, und ohne eine Antwort abzuwarten, ging er auf eine niedrige Tür zu, die in die Gesindestuben führte und trat so in das Haus. Fräulein Wardour blieb einen Augenblick in der Stellung, in der sie die letzten seltsamen Worte des alten Mannes gehört hatte – gegen das Fenster gelehnt, – sie vermochte sich nicht aufzuraffen, auch nur ein Wort über diese so heikle Angelegenheit zu äußern, bis der Bettler verschwunden war. Es war wirklich schwierig, sich zu irgend etwas zu entschließen. Daß sie eine geheime Unterredung unter vier Augen mit dem jungen unbekannten Fremden gehabt hatte, in dieses Geheimnis war also ein Mann aus der letzten Klasse eingeweiht, in der eine junge Dame einen Vertrauten hätte suchen können. Es war einem Manne preisgegeben, der von Gewerbe die Klatschbase für die ganze Umgegend war. Das schmerzte sie tief. Sie hatte allerdings keinen Grund zu glauben, daß der alte Mann absichtlich sie verletzen oder ihr einen boshaften Streich spielen würde, aber daß er überhaupt sich die Freiheit genommen hatte, darüber mit ihr zu reden, das bewies, wie es ja nicht anders zu erwarten gewesen wäre, daß ihm jegliches Zartgefühl abging und daß ein so erklärter Verehrer aller Zwanglosigkeit auch ohne alle Bedenken tun oder sagen würde, was ihm eben gerade in den Sinn kommen würde. Dieser Gedanke schmerzte sie so sehr, daß sie fast gewünscht hätte, sie hätte am verflossenen Abend Lovels und Ochiltrees Beistand nicht gefunden. Während sie in solcher Erregung sich befand, sah sie plötzlich Oldbuck und Lovel in den Hof treten. Sie trat sofort so weit vom Fenster zurück, daß sie die beiden sehen konnte, ohne selber gesehen zu werden. Sie sah, wie der Altertümler vor dem Gebäude stehen blieb und mit der Gebärde, als tische er Lovel manche lehrreiche Ausführung auf, nach den verschiedenen Wappenschilden der früheren Besitzer deutete, und wie Lovel – sie erkannte es deutlich an seiner abwesenden Miene – gar nicht darauf hörte. Sie sah ein, daß sie auf der Stelle einen Entschluß fassen müsse – sie klingelte daher einem Dienstmädchen und befahl, die Gäste in den Salon zu führen, während sie auf einer anderen Treppe sich in ihr eigenes Zimmer begab, um, ehe sie sich zeigte, zu überlegen, wie sie sich am passendsten zu verhalten hätte. Ihren Weisungen gemäß wurden die Gäste in das, Zimmer geführt, wo in der Regel Besuch empfangen wurde. Dreizehntes Kapitel Ein hohes Rot bedeckte Fräulein Wardours Wangen, als sie nach einer Weile den Salon betrat. »Es freut mich, daß Sie gekommen sind, meine schöne Feindin,« begrüßte der Altertümler sie aufs freundlichste, – »denn in meinem jungen Freunde hatte ich einen sehr gleichgültigen Zuhörer, als ich ihn in die Geschichte von Knockwinnock einweihte. Mich dünkt, die Gefahr von gestern nacht hat den armen Jungen schier um den Verstand gebracht. Aber Sie, Fräulein Isabella, Sie sehen aus, als ob das Fliegen durch die Nachtluft Ihre natürliche und liebste Beschäftigung sei. Ihre Gesichtsfarbe ist sogar besser als gestern, wie Sie zu meinem Hospitium kamen. Und Sir Arthur – wie geht es meinem alten Freunde?« »Leidlich wohl, Herr Oldbuck, aber ich fürchte, er wird nicht in der Lage sein, Ihre Glückwünsche entgegenzunehmen oder Herrn – Herrn Lovel seinen Dank abzustatten für seine unvergleichliche Tat.« »Ich hätte nicht beabsichtigt, mich aufzudrängen,« sagte Lovel, indem er zu Boden sah und zögernd und mit unterdrückter Erregung sprach, »ich war nicht willens, Sir Arthur zu belästigen – oder Fräulein Wardour ich weiß ja, daß ich unwillkommen sein muß, – da ich ja doch nur schmerzliche Erinnerungen wachrufe.« »Halten Sie meinen Vater nicht für undankbar und ungerecht,« sagte Fräulein Wardour »Ganz gewiß,« fuhr sie fort, in der gleichen Beklommenheit wie Lovel, »ganz gewiß – ich bin überzeugt – würde sich mein Vater glücklich schätzen, seine Dankbarkeit zu erzeigen – auf irgend eine Weise – ich meine, auf eine Weise, die Herr Lovel wohl angeben könnte.« »Ei, zum Kuckuck,« unterbrach sie Oldbuck, »lassen wir doch diesen Unsinn beiseite – Sir Arthur, wird uns schon ein andermal guten Tag sagen. – Was haben Sie für Nachricht aus dem Königreiche der unterirdischen Finsternis und der luftigen Hoffnung? Was sagt der schwarze Geist des Bergwerks? – Hat Ihr Vater gute Nachricht von seinem letzten Unternehmen in Glen-Withershins?« Fräulein Wardour schüttelte den Kopf. »Nicht der Rede wert, fürchte ich,« antwortete sie. »Aber dort liegen ein paar Proben, die vor kurzem hinuntergesandt worden sind.« »Ach, meine armen lieben hundert Pfund, für die ich auf Sir Arthurs Zureden hin Anteile an diesem hoffnungsvollen Unternehmen genommen habe! – Wollen uns die Dinger mal ansehen!« Mit diesen Worten setzte er sich an den Tisch, auf dem die Minenprodukte lagen, und fing an sie zu untersuchen, wobei er über jedes brummte, das er aufnahm und unbefriedigt wieder hinlegte. Inzwischen war Lovel durch Oldbucks Verhalten, gewissermaßen in ein notgedrungenes Tête-à-tête mit Fräulein Wardour hineingeraten – er benutzte die Gelegenheit, sie mit leiser Stimme, in stockender Rede anzusprechen. »Ich hoffe zuversichtlich, Fräulein Wardour wird es fast unwiderstehlichen Umständen zuschreiben, wenn sich in dieser Weise ein Mann, der Ursache hat, sich für einen so unwillkommenen Gast zu halten, in ihre Nahe gedrängt hat.« »Herr Lovel,« antwortete Fräulein Wardour, den gleichen vorsichtigen Ton anschlagend, »ich glaube, ganz gewiß, daß Sie – ich bin überzeugt, daß Sie nicht der Mann sind, die Vorteile zu mißbrauchen, die Sie durch die uns erwiesenen Dienste über uns erlangt haben. Soweit sie meinen Vater betreffen, können diese Dienste nie hinreichend anerkannt oder vergolten werden. Könnte Herr Lovel mich sehen, ohne daß sein Gemütsfriede darunter litte – könnte er mich wie eine Freundin besuchen – wie eine Schwester – so wird niemand – und nach allem, was ich von Herrn Lovel gehört habe, würde er das auch vollauf verdienen – willkommner sein, aber –« Im Innern wiederholte Lovel jetzt Oldbucks Verurteilung des leidigen Aber. »Verzeihen Sie mir, wenn ich Sie unterbreche, Fräulein Wardour. – Sie brauchen nicht befürchten, daß ich einen neuen Versuch machen würde, wo ich bereits so strenge Abweisung erfahren habe. Es ist aber streng genug, daß Sie meine Liebe abweisen, fügen Sie nicht noch die Grausamkeit hinzu, daß Sie mich zwingen wollen, meine Liebe zu verleugnen.« »Sie bringen mich in größte Verlegenheit, Herr Lovel,« versetzte die Baroneß, »durch Ihre – ich möchte nicht gern ein hartes Wort gebrauchen – durch Ihre romantische hoffnungslose Hartnäckigkeit – nur um Ihretwillen bitte ich, denken Sie daran, daß unser Vaterland einen Anspruch hat auf Ihre reichen Talente. Vergeuden Sie doch nicht in müßiger grilliger Hingebung an eine schlecht angebrachte Verliebtheit die kostbare Zeit, die, in reger Tätigkeit klug angewendet, für Sie der Grundstein zu künftiger Auszeichnung wäre. Lassen Sie mich Sie ersuchen – fassen Sie einen männlichen Entschluß –« »Es ist genug, Fräulein Wardour, ich sehe klar, daß –« »Herr Lovel, Sie fühlen sich verletzt – und glauben Sie mir, mich selber schmerzt es, daß ich Ihnen weh tun muß. Aber kann ich, wenn ich gegen mich selbst gerecht und gegen Sie ehrenvoll handeln will, anders tun? – Ohne meines Vaters Einwilligung werde ich niemals Verkehr mit irgendwem unterhalten, und es ist ja ganz und gar unmöglich, daß er die Neigung begünstigen würde, mit der Sie mich beehren – Sie selber wissen ja vollkommen – und in der Tat ... .« »Nein, Fräulein Wardour,« antwortete Lovel im Tone leidenschaftlicher Bitte, – »gehen Sie nicht weiter – es ist genug damit, daß Sie jede Hoffnung in unserer gegenwärtigen Lage zueinander vernichten – gehen Sie nicht weiter in Ihren Entschlüssen – warum wollten Sie mich wissen lassen, wie Sie sich verhalten würden, wenn Sir Arthurs Einwendungen sich beseitigen ließen?« »Allerdings ist es unnütz, Herr Lovel,« sagte Fräulein Wardour, »weil es eben doch unmöglich ist, sie zu beseitigen. Und als Ihre Freundin und als eine Dankbare, die für ihr und ihres Vaters Leben Ihnen verpflichtet ist, wünsche ich nur, ich könnte Sie bewegen, diese unglückliche Liebe zu unterdrücken – ein Land zu verlassen, daß für Ihre Begabung keinen Boden bietet, und den ehrenvollen Beruf wieder zu ergreifen, den Sie aufgegeben zu haben scheinen.« »Wohl, Fräulein Wardour, ich werde mich nach Ihren Wünschen richten – haben Sie Geduld mit mir noch einen kleinen Monat, und wenn ich Ihnen in dieser Frist nicht triftige Gründe nachweisen kann, die mich zu noch längerm Aufenthalt in Fairport veranlassen – Gründe, die selbst Sie gutheißen müßten – dann will ich dieser Gegend Lebewohl sagen und damit alle Hoffnungen aufgeben, daß ich jemals glücklich werden könnte.« »Nicht doch, Herr Lovel, viele Jahre wohlverdienten Glücks, daß auf vernünftigerer Grundlage, als Ihre derzeitigen Wünsche sind, Ihnen erblühen wird – liegen vor Ihnen, das glaube ich zuversichtlich. Aber es ist hohe Zeit, dieses Gespräch zu beenden – ich kann Sie nicht zwingen, meinen Rat anzunehmen – ich kann meines Vaters Haus nicht dem Manne, der ihm und mir das Leben gerettet hat, verschließen – aber je früher Herr Lovel sich zu der vollen Erkenntnis zwingen könnte, daß die Wünsche nie erfüllt werden können, die so voreilig gefaßt worden sind, um so höher wird er in meiner Achtung steigen – und inzwischen muß er um meinet- und um seinetwillen entschuldigen, wenn ich einem Gespräch über einen so peinlichen Gegenstand ein Ende mache.« In diesem Augenblick meldete ein Diener, Sir Arthur wünsche mit Herrn Oldbuck in seinem Ankleidezimmer zu sprechen. »Ich will Sie führen,« sagte Fräulein Wardour, die augenscheinlich eine längere Dauer ihres Alleinseins mit Lovel fürchtete, und sie führte den Altertümler in ihres Vaters Zimmer. Die Beine in Flanelltücher gewickelt, lag Sir Arthur auf dem Bette. »Willkommen, Herr Oldbuck,« fügte, er. »Ich hoffe, Sie sind bei dem unangenehmen Vorfall von gestern abend besser weggekommen als ich.« »Allerdings, Sir Arthur, ich habe auch nicht so sehr darunter zu leiden gehabt – ich war immer auf terra firma. – Sie aber haben sich im buchstäblichsten Sinne der kalten Nachtluft aussetzen müssen. Aber derlei Abenteuer geziemen sich besser für einen vornehmen Ritter als für einen einfachen Landadeligen. Was haben wir denn Neues von unserem Bergwerk »Gute Hoffnung«? von unserer terra incognita, von Withershins?« »Noch nicht viel Gescheites,« sagte der Baron, sich hastig umwendend, als wenn ihm die Gicht einen Stich gegeben hätte. »Aber Dusterschieler hat die Flinte noch nicht ins Korn geworfen.« »Noch nicht?« sagte Oldbuck. »Ich aber schon lange, wenn er nichts dagegen hat – ich glaube, wir werden im ganzen Leben nicht soviel Kupfer finden, daß wir uns zwei Hosenschnallen davon machen könnten. Ihrem Herrn Dusterschieler trau ich nicht viel zu, und wir sind gehörig hineingefallen, wenn wir nicht bald die verdammte Ader entdecken können, die er nun schon zwei Jahre lang prophezeit.« »Na, Sie sind doch nicht stark dabei beteiligt, Herr Oldbuck,« sagte der Baron. »Nur allzu stark, nur allzu stark, Sir Arthur – und doch möchte ich um meiner schönen Feindin willen gern alles einbüßen, wenn Sie nur nicht mehr dabei zu riskieren hätten.« Es herrschte ein paar Minuten lang ein peinliches Schweigen, denn Sir Arthur war zu stolz, den Zusammenbruch seiner goldenen Träume einzugestehen, wenn er sich es auch nicht länger verhehlen konnte, daß ein solches Ende dem Unternehmen ohne Frage beschert sei. »Wie ich höre,« sagte er endlich, »hat der junge Mann, der uns durch seine ritterliche Tapferkeit und Geistesgegenwart gestern abend einen so großen Dienst erwiesen hat, mich mit einem Besuche beehrt – ich bin trostlos, daß ich ihn nicht empfangen kann – ich kann in der Tat in meinem Zustand niemand empfangen als eben einen so alten Bekannten wie Sie, Herr Oldbuck.« Mit einer steifen Verbeugung dankte der Altertümler für diesen Vorzug. »Sie haben den jungen Herrn wohl in Edinburgh kennen gelernt?« Oldbuck erzählte, wie sie miteinander bekannt geworden waren. »Na, da ist meine Tochter ja schon länger mit Herrn Lovel bekannt als Sie,« sagte der Baron. »Was Sie sagen! das wußte ich nicht,« antwortete Herr Oldbuck, ein wenig überrascht. »Ich habe Herrn Lovel,« sagte Isabella leicht errötend, »kennen gelernt, als ich im vorigen Frühjahr bei meiner Tante, Frau Wilmot, war.« »In Yorkshire? und was für eine Stellung hatte er denn da inne, oder als was ist er angestellt gewesen?« fragte Oldbuck. »Und wieso haben Sie ihn nicht wiedererkannt, als Sie ihm vorgestellt wurden?« Isabella beantwortete die weniger schwierige Frage und ging über die andere hinweg. »Er war Offizier, und er hatte, glaube ich, sich einen guten Ruf verschafft, war sehr beliebt als liebenswürdiger, vielverheißender junger Mann.« Der Altertümler war nicht geneigt, sich auf zwei deutliche Fragen mit einer Antwort abfinden zu lassen. »Und warum haben Sie denn den jungen Mann nicht gleich begrüßt, als Sie ihn in meinem Hause sahen? – Ich habe gedacht, Sie hätten weniger von dem kleinlichen Stolze des Weibsvolks an sich, Fräulein Wardour.« »Das hatte seinen Grund,« sagte Sir Arthur würdevoll. »Sie kennen die Ansichten – Vorurteile werden Sie es vielleicht nennen – unsers Hauses, hinsichtlich einer tadellosen Herkunft. Dieser junge Mann ist vermutlich der uneheliche Sohn eines vermögenden Mannes. Meine Tochter wollte die Bekanntschaft nicht erneuern, ehe sie nicht wußte, ob es mir lieb sei, daß irgendwelcher Verkehr mit dem jungen Manne gepflogen würde.« »Wenn es sich um seine Mutter handelte,« sagte Oldbuck mit seinem gewöhnlichen, kaustischen Humor, »dann wäre mir die Sache plausibel. Der arme Bursche! Das war also der Grund, daß er so zerstreut und verwirrt schien, als ich ihm die Geschichte von Malcolm, dem Bastard, erzählte, von dem ein Wappenschild drüben unter dem Eckturm hängt. Der arme Junge! Es muß ihm sehr weh getan haben! Ich nahm seine mangelnde Aufmerksamkeit für Interesselosigkeit und war ein wenig pikiert darüber, nun stellt sichs heraus, daß es nur ein Aufwallen unliebsamer Gefühle war. Ich hoffe, Sir Arthur, Sie werden deswegen Ihr Leben nicht für geringwertiger erachten, weil es durch die Hilfe eines solchen Mannes gerettet worden ist?« »Auch denk' ich nicht geringer von meinem Retter selber,« sagte der Baron, »mein Haus und mein Tisch sind ihm zugänglich, als wenn er von untadeligster Abstammung wäre.« »Na, das freut mich, er weiß doch wenigstens, wo er was zu essen kriegen kann, wenn er mal in Verlegenheit drum ist. Aber was kann er in dieser Gegend vorhaben? Ich muß ihn ins Gebet nehmen, und wenn es not tut – ja ob es nun not tut oder nicht – jedenfalls soll ihm mein bester Rat zur Seite stehen.« Wählend der Altertümler dieses wohlwollende Versprechen gab, verabschiedete er sich von Fräulein Wardour und ihrem Vater, denn er konnte es gar nicht erwarten, Herrn Lovel in der beabsichtigten Weise zu bearbeiten. Er sagte ihm nur kurz, Fräulein Wardour lasse sich empfehlen, wolle aber bei ihrem Vater bleiben, und dann nahm er ihn unterm Arm und führte ihn zum Schlosse hinaus. Knockwinnock hatte noch mancherlei äußerliche Eigentümlichkeiten eines alten Freiherrnsitzes. Es hatte seine Zugbrücke, die allerdings nie hoch gezogen wurde, und seinen trocknen Graben, dessen Wände mit Gestrüpp bewachsen waren. Über diesen erhob sich das alte Gebäude, teils auf einem Fundament von rotem Gestein, das gegen den Strand abfiel, teils auf dem steilen grünen Rande des Grabens. Die Bäume der Allee sind bereits beschrieben worden – und noch viele andere stattliche Bäume standen umher, wie um die allgemeine Ansicht zu widerlegen, daß man in der Nähe des Meeres kein Nutzholz ziehen könnte. Die beiden Männer machten Halt und schauten nach dem Schlosse zurück. Sie standen auf einem kleinen Hügel, über den ihr Heimweg hinführte. Das Gebäude warf seinen breiten Schatten auf das buschige Laub des Gestrüpps am Grunde, die Fenster der Vorderseite blitzten in der Sonne, Die beiden, die jetzt danach hinsahen, betrachteten das Bild mit verschiedenen Empfindungen. Mit der zärtlichen Sehnsucht, die ihre Nährung aus Kleinigkeiten nimmt, war Lovel bemüht, herauszufinden, welche von den zahlreichen Fenstern zu dem Zimmer gehörten, das jetzt durch, Fräulein Wardours Anwesenheit geziert wurde. Die Betrachtungen des Altertümlers waren von mehr melancholischer Art und kamen zum Teil zum Ausdruck in dem Rufe: cito peritura [Wie bald wirst du vergehen], während er sich von dem Anblick abwandte. Aus seiner Träumerei aufgeschreckt, sah Lovel ihn an, wie um ihn zu fragen, was er mit einem so böses verheißenden Ausrufe sagen wolle. Der alte Mann schüttelte den Kopf. »Ja, mein junger Freund,« sagte er, »ich befürchte stark – und es preßt mir das Herz ab, daß ich es sagen muß – mit dieser alten Familie geht es rasch zu Grunde!« »Wirklich!« rief Lovel. »Sie setzen mich aufs höchste in Erstaunen.« »Umsonst härten wir uns ab,« fuhr der Altertümler fort, seinem eigenen Gefühls- und Gedankengange folgend, »vergeblich härten wir uns ab, daß wir mit der Gleichgültigkeit, die sie verdienen, die Wandlungen in dieser lumpigen firlefanzigen Welt hinnehmen – wir mühen uns fruchtlos ab, ein selbstgenügsames, unverwundbares Wesen zu werden – die stoische Erhabenheit, die die Philosophie uns über die Schmerzen und Verdrießlichkeiten des Lebens verleiht, ist ebenso eine Sache der Einbildung, wie der Zustand mystischer Gleichgiltigkeit und Vollkommenheit, auf den hirnverbrannte Enthusiasten hinarbeiten.« »Verhüte der Himmel, daß es anders wäre!« sagte Lovel mit Wärme. »Verhüte der Himmel, daß ein philosophisches System imstande wäre, so sehr unsere Gefühle abzustumpfen und zu verhärten, daß sie durch nichts mehr in Wallung gebracht werden könnten, als was unmittelbar unsre eignen selbstischen Interessen angeht! Ehe jener Stoizismus, der mein Herz hart wie einen Mühlstein machen sollte, mein Ehrgeiz wäre, eher möcht ich wünschen, meine Hand wäre so schwielig wie Horn, daß sie gegen einen gelegentlichen Stich oder Riß unempfindlich wäre.« Der Altertümler maß seinen jugendlichen Gefährten mit einem Blick halb des Mitleids und halb der Sympathie. Achselzuckend erwiderte er: »Warten Sie, junger Mann, warten Sie, bis Ihre Barke sechzig Jahre lang im Sturme irdischen Unbestands herumgeworfen worden ist. Dann werden Sie es schon lernen, die Segel zu reffen, daß das Boot dem Steuer gehorcht, oder um mit der Sprache dieser Welt zu reden, Sie werden genug Mißgeschicke erfahren, die schon erduldet sind oder die noch zu erdulden sind, daß Sie Ihre Gefühle und Ihre Teilnahme sich in voller Frische erhalten und sich doch nicht mehr darum härmen, wie es andern ergeht, als eben unbedingt nötig ist.« »Wohl, Herr Oldbuck, das mag ja sein, bis jetzt aber kann ich nicht anders, als am Schicksal der Familie, die wir eben verlassen haben, das tiefste Interesse zu nehmen.« »Und dazu haben Sie auch Ursache,« erwiderte Oldbuck. »Sir Arthur ist in letzter Zeit in vielfältige und arge Schwierigkeiten geraten, und es wundert mich nur, daß Sie nicht schon davon gehört haben. Und dann seine albernen kostspieligen Unternehmungen mit diesem Landstreicher, dem Dusterschieler.« »Ich glaube, diesen Mann habe ich gesehen, als ich durch einen seltnen Zufall mal in das Café zu Fairport gekommen bin – ein großer vierschrötiger Mensch mit buschigen Augenbrauen, der, wie es wenigstens meiner Unmaßgeblichkeit erschien, mit mehr Zuversicht als Sachkenntnis über wissenschaftliche Themata sprach, in sehr rechthaberischer Weise seine Meinungen darlegte und bekräftigte und seine wissenschaftlichen Ausführungen mit einem seltsamen Kauderwelsch von Mystizismus vermischte. Ein simpler Jüngling flüsterte mir zu, er wäre ein Erleuchteter und pflege Verkehr mit der unsichtbaren Welt.« »Das ist er – das ist er – er hat genug praktische Kenntnisse, daß er zu denen, die in ihrer Borniertheit Respekt vor ihm haben, wie ein Gelehrter, ja wie ein Weiser reden kann, und daß ich die Wahrheit gestehe, diese Fähigkeit, zusammen mit seiner beispiellosen Unverschämtheit, hatte es auch mir eine Zeitlang angetan, als ich ihn kennen gelernt hatte. Aber seitdem habe ich erkannt, daß er, wenn er mit Eseln und mit Weibsvolk zusammen ist, sich als ein Charlatan durch und durch zeigt – dann spricht er vom Magistertum – von Sympathien und Antipathien – von der Kabbala – von der Wünschelrute und von all dem Humbug und Blendwerk, mit dem die Rosenkreuzer ein weniger aufgeklärtes Zeitalter zum Narren gehalten haben und das zu unsrer Schande in unsrer Zeit wieder in gewissem Grade zur Geltung gekommen ist. Mein Freund Heavysterne hat diesen Kerl im Auslande kennen gelernt und hat mir unabsichtlich – denn er, müssen Sie wissen, glaubt selber ein wenig an derlei Zeug – einen tiefen Einblick in die wahre Art dieses Gauners verschafft. Und nun hat dieser erbärmliche Lump und Quacksalber den letzten Schlag zur Vernichtung einer alten ehrenvollen Familie getan!« »Aber wie hat er denn Sir Arthur soweit täuschen können, daß es der Ruin des Barons werden kann?« »Ja, das weiß ich nicht – Sir Arthur ist ein gutmütiger, ehrenwerter Mann – aber mit dem Verstand ist es bei ihm nicht eben sehr weit her – wie man sagt, er ist gerade kein Kirchenlicht. Seine Besitzung ist ein unveräußerliches Gut laut testamentarischer Bestimmung, und so ist er immer schon in finanziellen Schwierigkeiten gewesen, der Schwindler versprach ihm goldene Berge, und es wurde eine, englische Gesellschaft gegründet, die große Summen hergab, und zwar, wie ich fürchte, gegen Sir Arthurs Bürgschaft. Einige Herren – ich selber bin auch mit unter den Eseln – haben sich, bei der Sache mit kleinen Beiträgen beteiligt, und Sir Arthur selber hat viel hineingesteckt. Wir wurden durch! falsche Vorwände und noch falschere Lügen hingehalten, und nun geht es uns wie John Bunyan, wir erwachen und erkennen, daß alles ein Traum war.« »Es wundert mich, Herr Oldbuck daß auch Sie Sir Arthur durch Ihr Beispiel ermutigt haben.« »Freilich,« sagte Oldbuck, und seine starken grauen Augenbrauen senkten sich, »das wundert und beschämt mich eigentlich selber. Es war nicht die Sucht, ein Geschäft zu machen. Kein Mann schert sich weniger – soweit es ein kluger Mann kann – um Geld als ich. Aber ich dachte, die kleine Summe könnte ich ruhig riskieren. Ich habe auch so eine Idee gehabt, als ob die Phönizier in alten Zeiten an eben derselben Stelle Kupfer gefunden Hütten. Dieser pfiffige Schurke, der Dusterschieler, hat meine Achillesferse zu finden verstanden und hat schnurrige Geschichten vorgebracht – hol ihn der Satan – daß alte Schächte und Spuren von Bergwerksarbeiten gefunden worden seien, die wären ganz andrer Art gewesen, als sie in unsrer Zeit ausgeführt würden, und ich –na kurz und gut, ich bin ein Esel gewesen, und damit basta! Ich verliere nicht viel – nicht der Rede wert, aber Sir Arthur sitzt, das weiß ich, tief drin, sehr tief, und das Herz tut mir weh um ihn und um die arme junge Dame, die sein Unglück teilen muß.« Nach diesen Worten trat eine Pause in ihrem Gespräch ein. Wir nehmen die Fortsetzung im folgenden Kapitel wieder auf. Vierzehntes Kapitel Ner Bericht über Sir Arthurs verhängnisvolles Unternehmen hatte Oldbuck ein wenig abgebracht von seinem Vorsatz, Lovel auszufragen, zu welchem Zwecke er sich eigentlich in Fairport aufhalte. Nun aber war, er entschlossen, sein Verhör zu beginnen, »Fräulein Wardour kennt Sie schon von früher her, wie sie mir sagt, Herr Lovel?« »Er hätte das Vergnügen gehabt,« antwortete Lovel, »sie bei Frau Wilmot in Yorkshire zu sehen.« »Nanu! Sie haben mir davon noch gar nichts gesagt und haben Sie auch nicht wie eine alte Bekannte begrüßt.« »Ich – ich wußte nicht gleich,« sagte Lovel in großer Verlegenheit, »daß es dieselbe Dame war, bis wir uns sahen, und dann war es doch meine Pflicht, zu warten, ob sie mich wiedererkennen würde.« »Ich verstehe Ihr Zartgefühl. Der Ritter ist ein peinlich formeller alter Schafskopf, aber ich verspreche Ihnen, seine Tochter ist über all diese unsinnigen Zeremonien und Vorurteile erhaben. Und da Sie nun hier neue Freunde gefunden haben, darf ich Sie fragen, ob Sie Fairport auch nun noch so bald verlassen werden, wie Sie vorhatten?« »Wie, wenn ich nun Ihre Frage durch eine andre beantworte?« versetzte Lovel. »Wie, wenn ich Sie frage, was halten Sie von Träumen?« »Von Träumen, närrischer Junge? – ei, was sollt ich von ihnen halten? Für mich sind Sie Trugbilder der Phantasie, die sich einstellen, wenn die Vernunft die Zügel fallen laßt. – Ich kenne keinen Unterschied zwischen ihnen und den Halluzinationen des Irrsinns – in beiden Fällen gehen die unbewachten Pferde mit dem Wagen durch – nur ist im einen Fall der Kutscher betrunken, und im andern schläft er.« »Dann sagen Sie mir,« fuhr Lovel fort, »wie geht das zu? Als ich noch nicht ganz schlüssig war, ein Unternehmen aufzugeben, das ich vorschnell vielleicht begonnen habe, ist mir gestern nacht im Traum Ihr Ahnherr erschienen und hat mir einen Sinnspruch gezeigt, der mich zur Ausdauer ermutigte. Warum sollen mir diese Worte in den Sinn gekommen sein, die ich mich nicht erinnern kann, je vorher gehört zu haben, die in einer mir unbekannten Sprache sich mir zeigte und die mir doch in der Übersetzung eine Lehre erteilt haben, die sich so klar auf meine Verhältnisse anwenden läßt?« Der Altertümler brach in lautes Lachen aus. »Entschuldigen Sie, mein junger Freund, aber so betrügen wir blöden Sterblichen uns selber und schauen draußen nach Beweggründen um, die doch nur in unserem eigenen launischen Willen entsprungen sind. Ich denke, ich kann Ihnen erklären, wie dieses Gesicht entstanden ist. Gestern nach Tisch waren Sie so tief in Gedanken versunken, daß Sie meine Debatte mit Sir Arthur nicht verfolgt haben, bis wir wegen der Pikten-Könige in Streit gerieten, der dann zu so jähem Abbruch kam. Aber ich erinnere mich, daß ich Sir Arthur ein von meinem Ahnherrn gedrucktes Buch gezeigt habe und daß ich ihn auf den Wahlspruch aufmerksam gemacht habe. Ihr Geist war anderswo, aber Ihr Ohr hat mechanisch die Worte aufgefangen und behalten, und Ihre geschäftige Phantasie, die obendrein noch durch das Ammenmärchen meiner Schwester Griselda außer Rand und Band gebracht worden war, hat diese Brocken deutscher Sprache in Ihren Traum verwebt. Daß der Verstand im Wachen nach einem so läppischen Umstand griff, als nach einem Vorwand und einer Entschuldigung, um bei einem Unternehmen zu beharren, das fortzuführen er keine bessere Berechtigung finden konnte – das ist eben weiter nichts als so ein Gaukelspiel oder Hokuspokus, wie es die Gescheitesten unter uns ab und zu spielen, um einer Neigung zu folgen auf Kosten des Verstandes.« »Allerdings,« sagte Lovel, tief errötend, »ich glaube, Sie haben recht, Herr Oldbuck. Ich müßte wohl in Ihrer Achtung sinken, wenn ich einer so nichtssagenden Geschichte auch nur auf einen Augenblick Bedeutung und Wirkung in die Zukunft beimessen wollte; ich befand mich aber in einem Widerstreit von Gefühlen und Entschlüssen, und Sie wissen, ein wie leichtes Tau ein Boot zu ziehen vermag, wenn es auf den Wellen schwimmt, während ein Kabel es kaum ein Stückchen wegrücken kann, wenn es auf den Strand gezogen ist.« »Recht, recht,« sagte der Altertümler, »in meiner Achtung fallen? Nicht ein bißchen – nur um so mehr habe ich Sie lieb, Mann – ei, nun haben wir jeder unser Märchen, und ich brauche mich nicht mehr so zu schämen, daß ich mich mit dem verflixten Prätorium da blamiert habe – aber ich bin immer noch fest überzeugt, daß Agricolas Lager hier in der Drehe herum gewesen ist. Und nun, Lovel, mein Junge, seien Sie offen zu mir, warum haben Sie Ihr Land und Ihren Beruf verlassen und halten sich hier so müßig in Fairport auf? Lust zum Faulenzen, fürchte ich.« »Das stimmt auch,« sagte Lovel, indem er sich geduldig in ein Verhör fügte, dem er nicht gut ausweichen konnte. »Doch ich bin so von der Welt losgelöst, habe so wenige, an denen ich ein Interesse habe oder die an mir ein Interesse haben, daß eben dieser Zustand der Einsamkeit mich unabhängig macht. Wer so dasteht, daß es ihn ganz allein angeht, ob es ihm gut oder böse geht, der hat auch ein gutes Recht, sich seinem Schicksal ganz nach seinem Geschmack zu überlassen.« »Verzeihen Sie, junger Mann,« sagte Oldbuck, indem er ihm die Hand auf die Schulter legte und stehen blieb. » Sufflamina! ein bißchen verpusten! – Ich will annehmen, daß Sie keine Freunde haben, die an Ihrem Erfolg im Leben teilnehmen oder sich freuen würden, daß Sie nicht zurückblicken können auf die, denen Sie Dankbarkeit schuldig sind – noch auch vorwärts auf die, denen Sie Schutz gewähren sollen – aber es liegt Ihnen deswegen nicht weniger ob, stetig und unentwegt auf dem Pfade der Pflicht weiterzuwandeln – denn daß Sie tätig sind und mitarbeiten, das sind Sie nicht nur der Gesellschaft schuldig, sondern auch in demütiger Dankbarkeit dem Wesen, das Sie zu einem Mitgliede der Gesellschaft gemacht hat und Ihnen die Fähigkeiten gegeben hat, Ihnen selber und andern zu helfen.« »Aber ich bin mir gar nicht bewußt, daß ich solche Fähigkeiten besitze,« sagte Lovel, ein wenig ungeduldig; – »ich verlange selber nichts von der Gesellschaft, als die Erlaubnis, harmlos meines Weges durchs Leben zu pilgern, ohne andere anzurempeln oder mich von andern anrempeln zu lassen. Ich bin keinem Menschen was schuldig – ich habe die Mittel, ein völlig unabhängiges Leben zu führen, und so bescheiden sind meine Wünsche in dieser Hinsicht, daß diese meine Mittel, wenn sie auch beschränkt, fast noch zu reichlich für mich sind.« »Je nun,« sagte Oldbuck, nahm die Hand weg und ging weiter, »wenn Sie so durch und durch Philosoph sind, daß Sie denken, Sie hätten ja Geld genug, dann ist dazu nichts weiter zu sagen. Ich wüßte auch nicht, daß ich befugt wäre, Ihnen einen Rat zu geben. Sie haben die akme – die Höhe der Vollkommenheit erreicht. Und wie kam denn Fairport dazu, die auserlesene Wohnstätte so selbstverleugnender Philosophie zu werden? Es gibt in Fairport kaum einen, der nicht ein ausgesprochener Verehrer des goldenen Kalbes wäre – des ungerechten Mammons – ei, sehen Sie, Mann, selbst ich bin derartig von der schlechten Nachbarschaft angesteckt, daß ich mitunter Neigung verspüre, mit vor dieser Gottheit zu Kreuze zu kriechen.« »Mein Zeitvertreib ist in der Hauptsache die Literatur,« antwortete Lovel, »und Verhältnisse, die ich nicht erwähnen kann, haben mich bewogen, den Militärdienst zu verlassen, und so habe ich mich denn in Fairport niedergelassen, weil ich an diesem Orte am wenigsten Störungen in meiner Beschäftigung ausgesetzt bin, wie sie der regere gesellschaftliche Verkehr in einer vornehmeren Stadt mit sich gebracht hätte.« »Aha!« versetzte Oldbuck pfiffig. »Jetzt verstehe ich so langsam, in welchem Sinne Sie das Motto meines Ahnherrn anwenden. Sie sind einer, der sich um die Gunst des Publikums bewirbt, wenn auch nicht von jener Art, wie ich zuerst vermutete. – Sie haben den Ehrgeiz, als literarische Person zu glänzen, und Sie hoffen, Gunst zu verdienen durch Fleiß und ausdauernde Arbeit.« Lovel fühlte sich durch die fast zudringliche Wißbegier des alten Herrn in die Enge getrieben und meinte, es sei das beste, ihn in dem Irrtum zu lassen, auf den er ganz ohne eigentlichen Grund nun wieder gekommen war. »Zu Zeiten bin ich allerdings so töricht gewesen,« erwiderte er, »derartige Gedanken zu hegen.« »Ach, armer Bursche! es gibt überhaupt nichts Traurigeres! Außer denn Sie hätten sich, wie das bei jungen Leuten manchmal so ist, in irgend ein albernes Frauenzimmer verliebt.« Dann fragte er weiter, wobei er manchmal so freundlich war, sich seine Fragen selber zu beantworten. Denn von seinen antiquarischen »Stöbereien« her hatte dieser gute alte Herr eine wahre Wonne daran, aus Vermutungen, die oftmals gar keine feste Grundlage hatten, Theorien aufzubauen; und da er, wie der Leser schon bemerkt haben muß, ziemlich rechthaberisch war, so ließ er es sich nicht gern bieten, sich in faktischen Angaben oder in Urteilen berichtigen zu lassen, und sei es selbst von denen, die vor allem an den Gegenständen, über die er Betrachtungen anstellte, beteiligt waren. So fuhr er denn fort, sich Lovels literarische Laufbahn selber auszumalen. »Und womit wollen Sie den Anfang machen?« fragte er dann schließlich. »Ich habe vorderhand noch nicht daran gedacht, etwas zu veröffentlichen.« »Na, bloß keine solche Romanzen oder so einen Quark von Novellen! Sie mühten sich gleich auf erhabenen Boden stellen. Was meinen Sie zu einem echten Epos? zu dem altmodischen, aber großartigen historischen Gedicht, das zwölf oder vierundzwanzig Bande lang war – so etwas müßten wir machen – den Stoff will ich Ihnen verschaffen: Die Schlacht zwischen den Kaledoniern und den Römern – die Kaledoniade, oder der siegreich abgewehrte Einfall, so müßte der Titel sein! Das würde auch dem gegenwärtigen Geschmack entsprechen und Sie könnten damit einen Schlager machen.« »Aber Agricolas Einfall ist ja nicht siegreich abgewehrt worden.« »Nein doch, aber Sie sind ein Dichter – Sie können sich eine dichterische Freiheit erlauben und die Römer trotz Tazitus aufs Haupt schlagen lassen.« »Und Agricolas Lager soll aufgeschlagen sein auf dem Kaim of – wie nannten Sie es doch gleich,« antwortete Lovel, »trotz Edie Ochiltree?« »Nichts mehr davon, sofern Sie mich lieben! Und doch können Sie nach beiden Seiten hin das rechte treffen, trotz der Toga des Historikers und dem blauen Kittel des Bettlers.« »Ein vortrefflicher Rat – wohl, ich will mein bestes tun! Sie werden mir freundlichst mit Ihrer Lokalkenntnis zur Hand gehen?« »Ob ich will, Mann! Ei, ich schreibe die kritischen und historischen Noten zu jedem Gesange und werde den Plan zur Geschichte selber entwerfen. Ich habe selber poetische Begabung, nur habe ich es nie fertig gebracht, Verse zu schreiben. Mit meinem Namen möchte ich allerdings nicht an die Öffentlichkeit treten – im Vorwort kann ja der Dank für die Beihilfe eines gelehrten Freundes ausgesprochen werden, wie Sie das machen wollen – schriftstellerische Eitelkeit liegt mir durchaus fern.« Diese Erklärung machte Lovel Spaß, denn sie stand in offenkundigem Widerspruch zu der großen Begierde, mit der der alte Herr eine Gelegenheit, an die Öffentlichkeit zu treten, ergriff. In der Tat war der Altertümler sehr erfreut, denn wie viele Männer, die ihr Lebenlang im Verborgenen literarische Untersuchungen betrieben haben, hegte er den geheimen Ehrgeiz, etwas drucken zu lassen und war bisher nur immer durch mangelndes Selbstvertrauen, Furcht vor der Kritik und gewohnheitsmäßige Gleichgültigkeit und Aufschub für später davon abgekommen. »Aber,« dachte er bei sich, »ich kann meine Pfeile hinter dem Schild meines Verbündeten her loslassen, und falls es sich herausstellen sollte, daß er kein Dichter erster Klasse ist, so bin ich für seine Mangelhaftigkeit nicht verantwortlich, und die guten Noten werden für einen unbedeutenden Text entschädigen. Aber er ist – er muß ein guter Dichter sein – er hat alles, was dazu gehört – er beantwortet selten eine Frage, ehe sie nicht gestellt worden ist – er trinkt seinen Tee kochend heiß – er ißt, ohne zu wissen, was er in den Mund steckt. Das ist der echte divinus afflatus, der den Dichter über die Beschränktheit dieser irdischen Dinge hinausträgt. Auch seine Traumgeschichte deutet auf dichterischen Wahnsinn – ich muß daran denken, Caxon zu ihm zu schicken, der muß darauf sehen, daß er des Nachts seine Kerze auslöscht – Dichter und Träumer sind hierin leicht sehr nachlässig.« Dann wandte er sich an seinen Gefährten und fuhr laut also fort: »Ja, mein lieber Lovel, ich will Ihnen die vollständigen Noten liefern, ich denke, wir können meine ganze Abhandlung über die Kunst des Lagerbaues aufnehmen.« »Aber wir müssen auch die Herstellungskosten bedenken,« sagte Lovel, der absichtlich versuchen wollte, ob diese Andeutung auf den Eifer seines Mitarbeiters abkühlend wirken würde. »Die Kosten,« sagte Herr Oldbuck, blieb stehen und suchte mechanisch in seiner Tasche herum. »Das ist wahr, ich will Ihnen was sagen, ich glaube, ich kenne einen Buchhändler, der sehr viel auf meine Meinung gibt. Ich werde Papier und Druck bezahlen, und für Sie will ich soviel Exemplare verkaufen lassen, als irgend möglich ist.« »O, mir geht es nicht um den Verdienst,« antwortete Lovel lächelnd. »Ich möchte nur dabei nicht etwa Geld zusetzen.« »Pst! pst! dafür wollen wir schon sorgen! Die Verleger sollen uns dafür schon aufkommen. Ich wünsche sehnlichst, daß Ihre Arbeiten belohnt werden. Sie werden natürlich den fünffüßigen Jambus wählen, ganz ohne Frage! – das macht sich bei einem historischen Stoffe großartiger, und, wie mich dünkt, mein Freund, schreiben sich die Jamben auch leichter.« Über diesem Gespräch hatten sie Monkbarns erreicht, wo sie gerade zur rechten Zeit eintrafen, denn eben läutete Hanne die Glocke zum Mittagstisch. Fünfzehntes Kapitel Wir lassen Herrn Oldbuck und seinen Freund beim Mittagsmahl und begeben uns in die Hinterstube beim Postmeister zu Fairport, wo eben die Frau Postmeisterin, da der Herr Postmeister selber nicht zugegen ist, damit beschäftigt ist, die letzte Post von Edinburgh zur Bestellung zu sortieren. In Landstädtchen ist dies dann oft die Stunde, zu der Klatschbasen sich das Vergnügen machen, die Postmeisterin zu besuchen, um an der Außenseite von Briefen oder, sofern ihnen damit nicht zuviel nachgeredet wird, manchmal auch an dem, was darin steht, ihre Neugierde zu befriedigen oder allerlei Schlüsse über den Briefwechsel ihrer Nachbarsleute zu ziehen. Zwei Frauenzimmer dieser Sorte waren diesmal zugegen, um Frau Briefbeutel in ihrer amtlichen Tätigkeit zu unterstützen oder vielmehr zu behindern. »Ei, Gott soll hüten,« sagte die Schlächtersfrau, »da sind ja zehn, elf, zwölf Briefe an Tennant & Co. – die Leite machen mehr Geschäfte als alle anderen in der Stadt.« »Ja, aber sehen Sie nur, Frau Gevattern, da sind zwei davon so dick versiegelt, vielleicht sind nur Wechsel drin, die zum Protest kommen.« »Ist noch kee Brief da für Hanne Caxon?« fragte die Frau der Schinken und Gekröse. »Der Leitnant is doch nu drei Wochen weg.« »Vorchen Dinnstag war eener gekommen,« sagte die Postmeisterin. »E Brief vom Schiffe?« »Freilich!« »Der war jedenfalls vom Leitnant,« sagte die Wurstmadame ein wenig enttäuscht, »ich hätt mersch nich lassen traimen, daß er, wo er erscht weg war, noch hinter ihr hergucken däte.« »I du meine Giete, hier is schone widder eener!« sagte Frau Briefbeutel. »E Brief vom Schiffe – Poststempel Sunderland.« Alle stürzten hinzu und griffen danach. »Ne, ne, meine Damen!« wandte Frau Briefbeutel ein. »Davon habe ich noch die Nase voll! Wissen Sie noch, was forne Schererei mein Mann vom Amte in Edingburgh gehabt hat, weil sich Aily Bisset beschwert hatte – der ihren Brief hatten sie uffgemacht, Frau Kurzweck.« »Ich un uffgemacht?« entgegnete die bessere Hälfte des ersten Bäckers von Fairport. »Meine Gutste, Sie wissen doch wohl selber, wie ich den in die Hand bekam, da war er schon von selber uffgegangen ... Was gonnt ichn nachens dadervor? sollten doch de Leite bessern Siegellack zum Zuklähm nähm!« »Na, das is nune ganz wurscht!« sagte Frau Briefbeutel. »Ich habe nischt d'rgegen, daß Sie die Briefe sich von außen angucken dun – gucken Se, das Siegel hier hat e Anker druff. Den hat er sicher mit eenem von seine Knöppe druffgedrickt.« »Herzeigen! herzeigen!« sagten die Weiber vom ersten Bäcker und vom ersten Schlächter und fielen über den mutmaßlichen Liebesbrief her. Frau Hackebein war eine große Frau und hielt den kostbaren Brief zwischen ihren Augen und dem Fenster empor. Frau Kurzweck war eine kleine steife Person und reckte sich, so hoch es gehen wollte, um auch etwas zu sehen. »Der is von ihm,« sagte die Schlächterin. »In der Ecke hier kann ich seinen Namen Richard Taffril lesen.« »Halten Sie ihn doch e bißchen tiefer, Gutste,« rief Frau Kurzweck. »Denken Sie denn, Sie kenn alleene bloß Geschriemnes lesen?« »Pst! pst! ums Himmelswillen!« rief Frau Briefbeutel. »s is wer im Laden!« dann setzte sie laut hinzu: »Geh, sieh nach de Gunden meine Gleene!« Die Kleine – Frau Briefbeutels dienstbarer Geist – rief gleich darauf vom Laden herein: »Hanne Caxon is es, Frau Meestern, ob e Brief für sie da wäre?« »Sag ihr,« erwiderte die zuverlässige Postmeisterin, indem sie ihren Gefährtinnen zublinzelte, »sie soll morchen frieh um zehne noch emal widdergummen – mir han noch geene Zeit gehabt, die Post zu sortieren – die hats egal brenzlich, als ob ihre Brief mehr wert wärn, als die von de besten Koofleite in der Stadt.« Das arme Hannchen, ein sehr bescheidenes und sehr schönes Mädchen, konnte sich nur in ihren Mantel hüllen, um ihre Enttäuschung nicht sehen zu lassen, und wieder heimkehren, noch eine Nacht das Herzweh zu erdulden, das verzögerte Hoffnung schafft. »Nu, ihr Vater is bloß e Balbier un sie is enne Mantelnäherin,« sagte die mildherzige Frau Hackebein. »Was so eener bloß einfällt, mit e Leitnant zu verkehren!« »Das is ja richtig,« sagte Frau Briefbeutel, »aber für de Post sin se grade was scheenes diese Liebesbriefe – gucken Se, da sin fimf oder sechs Briefe für Sir Arthur Wardour – merschdendeels sin se mit Oblaten zugeklebt, nich mit Siegellack – da gibt's bald e großen Krach, das kenn Se mir gloom.« »Ja, ja, Hochmut kommt vor dem Fall,« sagte Frau Hackebein. »Bei mein' Mann hat er e ganzes Jahr lang schon keene Rechnung mehr bezahlt. Ich gloobe, bei die Leite stinkt's schone.« »Na, un bei uns seit e halm Jahre nich!« setzte Frau, Kurzweck hinzu. »Ich gloobe, mit die steht's schone brenzlich!« »Da is e Brief,« unterbrach sie die gewissenhafte Postmeisterin, »da is e Brief von sein' Sohn, den Kapitän – sieht ganz so aus, nach den Siegel zu schließen. Er wird wahrscheinlich nach Hause gommen un sehen, was aus dem Feier zu retten is.« Mit dem Baron waren sie nun fertig – jetzt kam der Gutsbesitzer an die Reihe. »Zwee Briefe für Monkbarns – die sin von e paar von sein gelehrten Freinden. Ganz eng sin se beschriem bis ans Siegel nunter und bloß, damits keen Doppelbrief kosten dut. Wenn er selber e Brief wegschickt, dann nutzt ers Gewicht so genau aus, daß enne Stecknadel dazugetan, das Iebergewicht fertig machen däte – un nich e eenzchesmal dut er zuviel nein!« »Ja, das is e Geizkragen, der Herr von Monkbarns,« sagte Frau Hackebein. »Der handelt Sie im August um eene Hammelkeile ebenso wie um e Rindervertel!« »Na, ich willn nischt Schlechtes nachsagen,« setzte Frau Kurzweck hinzu, »die Leite nehm 's Friehstick von uns, un er gommt alle Wochen bezahln.« »Na, nu sehn Sie aber emal hier!« unterbrach sie Frau Briefbeutel. »Hier gibts was zu sehn! Was däten Sie wohl drum gäm, wenn Sie wißten, was in dem Briefe drinne stehn dut? Das is enne ganz neie Sorte – so eenen habch noch nich gesehn – an Herrn William Lovel, Wohlgeboren, bei Frau Hadoway, Hohe Straße, Fairport. Das is der zweete Brief, der an ihn gommt, seit er hier is.« »I du liebe Giete! Lassen Sie doch emal sehn! I du liebe Giete, dun Sie doch emal herzeigen! Das is ja der Mensch, von dem de ganze Stadt nischt weeß – un e hibscher Kerl is es ooch – i lassen Se doch emal sehn!« »Ne, ne, meine lieben Damen, bleim Sie mir von Leibe! Gehn Se weg!« rief Frau Briefbeutel, »Das is keener von die gewehnlichen Briefe – hier is enne Anweisung vom Amt in Edinburgh dabei, daß der Brief durch Eilboten an den jungen Mann bestellt werden soll, oder nachgeschickt, wenn er nich zu Hause is. Ne, ne, liebe Damen, lassen Sie die Finger dad'rvon. Hier derf mer keene Mätzchen machen.« »Aber von außen kenn Sie 'n uns doch emal angucken lassen!« Von außen war nichts zu sehen. Die Sendung war in starkes, dickes Papier gehüllt, das für die neugierigen Augen der Klatschbasen undurchdringlich war, wenn sie auch darauf hinstierten, als sollten ihnen die Augen aus den Höhlen fallen. Das Siegel war ein guter tiefer Wappenabdruck, und es war nicht daran zu denken, es zu lösen. »Na, mir wolln e bischen drieber schwatzen,« sagte die Postmeisterin. »Gleene, bring Deewasser! Ich dank Ihnen ooch scheen, Frau Gurzweckn, fier die scheenen Guchen. Den Laden machen mir zu, bis mei Mann heemegommt.« »Aber wollen Sie nich erscht den Brief an Herrn Lovel schicken?« fragte Frau Hackebein. »Ich will unsern gleen David schicken, der alte Caxon hat mir gesagt, Herr Lovel war heite 'n ganzen Tag in Monkbarns. Wenn Sie mir Ihr Färd borchen wollten, da kennt er hinreiten.« Dementsprechende Weisungen wurden erteilt, das ungefüge Pony wurde aus dem Stall geholt und gesattelt – und David (einen ledernen Postsack um die Schulter) wurde auf den Sattel gehoben, wobei ihm eine Träne im Auge glänzte, er bekam auch eine Peitsche in die Hand. Der Schlächterbursch führte das Tier zur Stadt hinaus, und als es seine Peitsche knallen und sein wohlbekanntes Halloh hörte, setzte es sich in Bewegung und trabte gegen Monkbarns zu. Der Ritt verlief jedoch so einfach nicht. Als das Tier verspürte, wie David, dessen kurze Beine nicht hinreichten, das Gleichgewicht zu bewahren, auf seinem Rücken auf und nieder hüpfte und hin und her rutschte, da fing es an, den Peitschenhieb und den Zuruf des Schlächterburschen zu vergessen und sich an die schwächlichen Weisungen seines neuen Reiters gar nicht zu kehren. Zuerst verfiel es nur in eine langsamere Gangart, das war nun freilich seinem Reiter gar nicht unangenehm, denn dem tat schon der Leib weh von dem schrecklichen Galopp bisher, er benutzte die Gelegenheit dieses gemütlichen Schrittganges und knabberte ein Stück Pfefferkuchen, das ihm die Mutter mit auf den Weg gegeben hatte. Allmählich fing nun das Pony an, den Rand des Weges abzugrasen. Verblüfft über diese Anzeichen eigenwilliger Auflehnung, und vor lauter Angst, daß er herunterfallen könnte, erhob der kleine David, dem der Zügel entfallen war, die Stimme und weinte laut. In dieser hilflosen Lage fand ihn Edie Ochiltree, der gerade des Weges daherkam, »Wer bist du und wohin willst du?« fragte er ihn. »Ich bin der kleine David,« heulte der Bengel, »und soll mit einem Briefe nach Monkbarns.« Das Herz des alten Edie war rasch gerührt, wenn es sich um ein Kind handelte. »Ich habe zwar dort jetzt nichts zu suchen,« dachte er, »aber das ist schließlich doch immer noch das beste an meinem Leben, daß ich nie einen falschen Weg gehen kann. In Monkbarns werden sie mir gern Obdach gehen, und so will ich denn den Jungen hier hinbringen.« Er griff daher nach den Zügeln des Tieres. Auf dem Hügel Kinprunes, wohin der Altertümler Lovel geführt hatte, erging sich der alte Herr, wieder ausgesöhnt mit dem geschmähten Platze, des langen und breiten über die Szenerie, die zu einer Beschreibung von Agricolas Lager im Morgengrauen zu wählen sei, als er den Bettler und seinen Schützling erblickte. Der Bettler erklärte, was ihn herführe, und der kleine David, der absolut auf einer buchstäblichen Ausführung seines Auftrages bestehen und nach Monkbarns reiten wollte, war nur schwer dazu zu bewegen, den Brief an den Adressaten auszuhändigen, obwohl er diesen eine halbe Meile noch vor dem Ziele seines Rittes traf. »Aber meine Mutter hat gesagt, ich kriegte zwanzig Schillinge und fünf Schillinge für die Postsache und zehn Schillinge und sechs Pence für die Eilbestellung. Hier ist die Rechnung.« Lovel hatte einen Blick auf die Sendung geworfen, bezahlte rasch, was der kleine Junge verlangte, und wandte sich an Oldbuck mit der Bitte um Entschuldigung, daß er zum Abend nicht mit ihm nach Monkbarns zurückkehren könne. »Ich muß auf der Stelle nach Fairport, und muß vielleicht ganz plötzlich fort. Ihre Liebenswürdigkeit, Herr Oldbuck, kann ich nie vergessen.« »Keine schlechten Nachrichten, hoffe ich?« fragte der Altertümler. »Nachrichten sehr buntscheckiger Art,« antwortete sein Freund. »Leben Sie wohl – in Glück und Unglück werde ich Ihre Güte nicht vergessen.« »Nicht doch, nicht doch, warten Sie doch einen Augenblick. Wenn – wenn –« er riß sich förmlich zusammen, um das Anerbieten auszusprechen – »wenn es sich um finanzielle Schwierigkeiten handelt, ich stelle Ihnen fünfzig oder hundert Guineen zur Verfügung – bis Pfingsten – oder solange wie Sie wollen.« »Ich bin Ihnen sehr dankbar, Herr Oldbuck, aber ich bin reichlich versehen,« sagte sein geheimnisvoller Freund. »Entschuldigen Sie mich, ich kann im Augenblick wirklich nicht länger mit Ihnen plaudern. Ich schreibe Ihnen noch oder besuche Sie, das heißt, wenn ich von Fairport wegmuß.« Mit diesen Worten schüttelte er dem Altertümler warm die Hand, wandte sich von ihm und schlug raschen Schrittes den Weg nach der Stadt ein. »Sehr seltsam,« sagte Oldbuck. »Aber dieser Junge hat etwas an sich, was ich nicht ergründen kann. Und dennoch kann ich deswegen nicht böse von ihm denken. Ich will nur heim und das Feuer im grünen Zimmer ausmachen, denn mein Weibsvolk wagt sich am Abend doch nicht da hinein.« »Und wie soll ich nun heimkommen?« heulte der trostlose Postbote. »Es ist ein schöner Abend,« sagte der Blaurock, zum Himmel aufschauend. »Ich kann ebenso gut nach der Stadt zurück und mich des armen Jungen annehmen.« »Recht so, recht so, Edie,« und der Altertümler kramte eine Weile in seiner Weste herum, bis er fand, was er suchte, und setzte hinzu: »Da habt Ihr ein Sechspencestück – könnt Euch Schnupftoback dafür kaufen.« Sechzehntes Kapitel Vierzehn Tage lang brachte der alte Caxon dem Altertümler regelmäßig Nachricht, was er von Herrn Lovel erfahren hatte, und regelmäßig lautete seine Mitteilung, die ganze Stadt könne nichts über ihn erfahren, bloß daß er wieder ein paar Briefe aus dem Süden bekommen hätte, und auf der Straße lasse er sich schon gar nicht mehr blicken. »Wie lebt er, Caxon?« »Nu, seine Wirtin macht ihm ein Beefsteak oder ein Hammelkotelette oder ein Backhuhn oder was ihr sonst grade einfällt, und das ißt er in dem kleinen roten Stübchen neben seiner Schlafstube. Sie kann ihn ganz und gar nicht dazu bewegen, daß er mal sagt, das eine wär ihm lieber als das andre, und frühmorgens macht sie ihm Tee, und alle Woche rechnet er reell mit ihr ab.« »Und geht er denn nie aus?« »Das Ausgehn hat er ganz aufgegeben und sitzt den ganzen Tag in seiner Stube und liest oder schreibt. Seine Wirtin meint, er sähe schon recht elend aus, sein Appetit ist auch futsch, und doch will er nichts davon wissen, auch nur über die Schwelle zu gehn, und dabei ist er doch früher so viel weggegangen.« »Das ist nicht recht. Ich kann mir schon denken, woran er arbeitet. Aber er darf sich nicht so furchtbar abbüffeln. Ich will ihn heute noch aufsuchen – ohne Zweifel sitzt er bis über die Ohren in der Kaledonia drin.« Ein Spaziergang nach Fairport war für Herrn Oldbuck schon sozusagen ein Abenteuer, und zwar eins, an dem ihm nicht sehr viel gelegen war. Das Grüßen auf dem Marktplatz war ihm verhaßt. Und auch auf den Straßen standen fast immer Tagediebe herum, die ihn mit allerlei Neuigkeiten oder kleinen Geschäften aufhielten. Nach mancherlei derartigem Aufenthalt gelangte er denn glücklich nach dem Hause der Frau Hadoway. Diese gute Frau war die Witwe eines Geistlichen zu Fairport, die durch den Tod ihres Mannes in mißliche beschränkte Lage geraten war, wie man sie bei den Witwen schottischer Pfarrer nur zu oft antrifft. Die Wohnung, die sie innehatte und die Möbel, die sie besaß, ermöglichten es ihr, einen Teil ihres Hauses zu vermieten, und da Lovel ein ruhiger, ordentlicher und auch gut zahlender Mieter war, und sich stets sehr höflich und zuvorkommend gegen sie benahm, so hatte die gute Frau eine große Anhänglichkeit an ihren Mieter und bediente ihn aufs aufmerksamste. Als sie jetzt die Tür öffnete, war sie so sehr überrascht, Herrn Oldbuck zu sehen, daß ihr sogleich die Tränen in die Augen traten. »Freut mich, Sie zu sehen, freut mich gar sehr, Herr. Mit meinem armen Herrn stehts, fürcht ich, sehr schlecht. Und er ist noch so jung und wohlgebildet. Von Tag zu Tag hat er weniger gegessen, und jetzt rührt er kaum noch etwas an. Von Tag zu Tag ist sein armes Gesicht blässer und schmäler geworden, und er sieht jetzt wirklich schon so alt aus wie ich, die ich doch seine Mutter sein könnte.« »Macht er sich denn gar keine Bewegung?« »Wir haben ihn glücklich so weit gebracht, und er hat sich nun ein Pferd gekauft von Gibbie Flinkfuß, und gestern Morgen und heute Morgen vorm Frühstück ist er ausgeritten. Aber wollen Sie nicht zu ihm hineingehen?« »Gleich, gleich. Aber bekommt er denn gar keinen Besuch?« »Ach, Herr Oldbuck, keine Menschenseele, kommt zu ihm. Hat er doch niemand zu sich gelassen, wie er noch frisch und munter war – und wer sollte ihn aus Fairport denn gar jetzt aufsuchen?« »Freilich, freilich, hätt mich auch gewundert, wenns anders gewesen wäre. Führen Sie mich hinauf, Frau Hadoway, damit ich mich nicht verlaufe und irgendwo hineingerate, wo ich nichts zu suchen habe.« Die gute Wirtin führte Herrn Oldbuck die enge Treppe hinauf. Sie klopfte am Zimmer ihres Mieters an. »Herein!« rief Lovel, und Frau Hadoway ließ den Herrn von Monkbarns eintreten. Das kleine Zimmer war nett und sauber, aber es war eng und überheizt und, wie es Herrn Oldbuck vorkam, ein unpassender Aufenthalt für einen jungen Mann, der kränkelte. Dieser Eindruck brachte ihn auf einen Entschluß, den er in Hinsicht auf Lovel gefaßt hatte. Einen Schreibtisch vor sich, auf dem eine Menge Bücher und Papiere lagen, saß Lovel auf einem Sofa in Schlafrock und Pantoffeln. Oldbuck erschrak, als er ihn so verändert sah. Wange und Stirn waren geisterhaft bleich, nur ein heller Fleck von hektischem Rot hob sich kraß auf jeder Backe ab. Ganz verschwunden war die kräftige gesunde Gesichtsfarbe, die er ehedem gehabt und die ihm einen etwas bräunlichen Teint verliehen hatte. Oldbuck bemerkte, daß er in Trauer gekleidet war und daß ein Rock von der gleichen Farbe auf einem Stuhle neben ihm hing. Als der Altertümler eintrat, erhob sich Lovel und ging ihm entgegen. »Das ist aber nett,« sagte er, schüttelte ihm die Hand und dankte ihm warm für seinen Besuch. »Das ist sehr nett. Sie kommen mir da mit einem Besuche zuvor, mit dem ich Sie zu belästigen die Absicht hatte – denn Sie müssen wissen, ich bin seit kurzem Reitersmann geworden.« »Hab's schon von Frau Hadoway gehört – hoffe nur, mein junger Freund, Sie haben auch ein ruhiges Pferd gekriegt. Sie meinen, Sie sind ein geübter Reiter, wie?« »Na, wenigstens möcht ich mich nicht gern für einen schlechten ausgeben.« »Aber haben Sie denn überhaupt Übung gehabt? Ein Pferd, wenn es wild wird, versteht keinen Spaß.« »Na, ich will mich ja gerade keinen ausgezeichneten Reiter nennen, aber als ich als Adjutant des Sir ... die Attacke bei .... mitritt, im vergangenen Jahr, da sah ich manchen besseren Reiter vom Gaule purzeln.« »Ei, also haben Sie dem grimmigen Gott der Waffen selber ins Angesicht geschaut? Sie kennen die finstere Stirn des waffengewaltigen Mars? Diese Erfahrung macht das Maß Ihrer Befähigungen zu der Dichtung voll. Na, und war denn die Muse bei Ihnen zu Gaste? Haben Sie schon was fertig, was Sie mir zeigen könnten?« »Meine Zeit,« sagte Lovel mit einem Blick auf seinen schwarzen Anzug, »haben weniger angenehme Dinge beansprucht.« »Ein Freund gestorben?« fragte der Altertümler. »Ja, Herr Oldbuck, der einzige Freund, den zu besitzen ich mich rühmen konnte.« »Wirklich? Nun, junger Mann,« sagte sein Gast in einem ernsten Tone, der ganz anders klang, als die angenommene Würde, mit der er sonst sprach, »lassen Sie sich trösten – wenn Sie einen Freund verloren haben, solange Sie noch in warmer Freundschaft und Herzenstreue aneinander hingen, und Ihre Träne nun fließen kann, unverbittert durch Entfremdung oder Mißtrauen oder Verrat, so sind Sie vielleicht nur vor einem schweren Schicksalsschlage bewahrt geblieben. Schauen Sie um sich! wie wenige sehen Sie alt werden, denen die Liebe und die Freundschaft ihrer Jugendzeit treu bleibt! Unsere Quellen gemeinsamer Freuden trocknen allmählich aus auf unserer Pilgerfahrt durch dieses Jammertal, und wir graben uns andere Zisternen, aus denen wir die ersten Gefährten unserer Wanderung nicht mitschöpfen lassen – Eifersucht, Nebenbuhlerschaft, Neid drängen sich ein und trennen auch andere von uns, bis niemand übrig bleibt als die, die mit uns verwandt sind oder uns mehr aus Gewohnheit als aus Zuneigung nahe stehen und vielleicht dem alten Manne nur deshalb in seinem Leben Gesellschaft leisten, daß er sie bei seinem Tode nicht vergessen soll. Ach, Herr Lovel, wenn es Ihr Los sein sollte, den frostigen, nebligen, trostlosen Abend des Lebens zu erreichen, dann werden Sie an die Sorgen Ihrer Jugend nur denken als an die leichten schattigen Wolken, die nur auf einen Augenblick sich vor die Strahlen der Sonne geschoben haben, als sie aufging. Aber ich stopfe Ihnen diese Worte ins Ohr, und der Magen Ihres Verstandes nimmt sie nicht an.« »Ich bin Ihnen dankbar für Ihre Freundlichkeit,« antwortete der junge Mann, »aber die Wunde, die mir so kürzlich geschlagen worden ist, wird immer heftig schmerzen. In meinem augenblicklichen Kummer wäre es mir nur ein geringer Trost, – verzeihen Sie, daß ich so spreche – wenn ich der Überzeugung Raum gäbe, daß das Leben für mich nichts weiter als eine ununterbrochene Folge von Schmerzen enthalten werde. Und erlauben Sie mir hinzuzusetzen, daß Sie, Herr Oldbuck, von vielen Männern am wenigsten Ursache haben, das Leben so düster zu betrachten. Sie haben ein ausreichendes Vermögen – sind allgemein geachtet – können sich den Studien hingeben, zu denen Ihre Neigung Sie zieht, – Sie können außer dem Hause verkehren, mit wem Sie wollen, und im Hause umgibt sie die liebevolle sorgsame Aufmerksamkeit der nächsten Anverwandten.« »Na ja, das Weibsvolk ist ja, dank meiner Zucht, sehr höflich und sehr gefügig. Stört mich nicht in meinem Morgenstudium – geht auf den Zehenspitzen über den Korridor, wenn es mir mal behagt, nach dem Essen oder nach dem Tee in meinem Lehnstuhle ein Schläfchen zu machen. Das ist ja alles ganz gut und schön; aber ich brauche wen, mit dem ich Gedanken austauschen kann – ich brauche wen, mit dem ich vernünftig plaudern kann.« »Warum laden Sie dann nicht Ihren Neffen, den Hauptmann M'Intyre, ein, daß er zu Ihnen ins Haus zieht – er soll doch ein geistvoller junger Mann sein?« »Wer?« rief Monkbllins. »Mein Neffe Hektor? – Der Heißsporn aus dem Norden? – Ei, der Himmel sei Ihnen gnädig, eher wollt' ich mir einen Feuerbrand in den Holzstall legen! Das ist ein wahrer Almansor – er hat einen hochländischen Stammbaum, so lang wie sein Schlachtschwert, und ein Schlachtschwert, so lang wie die Chaussee von Fairport, – als er das letztemal in Fairport war, hat er es aus der Scheide gezogen und ist auf den Arzt losgegangen. Ich erwarte ihn in einigen Tagen hier – aber ich will ihn mir zehn Schritt vom Leibe halten, das kann ich Ihnen versichern. Er und in mein Haus ziehen! daß er mir die Stühle und Tische zittern und tanzen macht, mit seinem Gebrüll und Gestampf! – Nein, nein, von Hektor M'Intyre will ich nichts wissen. Aber hören Sie, Herr Lovel, Sie sind ein ruhiger, sanftmütiger Junge. Wäre es nicht besser, wenn Sie sich auf ein paar Monate in Monkbarns einquartierten? Sie wollen ja doch nicht so rasch aus dieser Gegend weg? Ich lasse eine Tür nach dem Garten zu ausbrechen – das kostet herzlich wenig – und da können Sie dann aus dem grünen Zimmer ein und aus, wenn es Ihnen paßt, und Sie kommen nicht dem alten Mann in die Quere und er Ihnen auch nicht. Sie sind ja auch sonst bescheiden, wie mir Frau Hadoway sagt, und so werden Sie auch mit meinem bescheidenen Tische zufrieden sein. Was das Waschen betrifft. ... .« »Halten Sie ein, mein lieber Herr Oldbuck,« unterbrach ihn Lovel, der sich eines Lächelns nicht erwehren konnte, »ehe Ihre Gastfreundlichkeit mir alles so schön einrichtet, lassen Sie mich Ihnen von ganzem Herzen danken für ein so freundliches Anerbieten. Es steht augenblicklich noch nicht in meiner Macht, es anzunehmen. Aber bevor ich Schottland Lebewohl sage, wird sich Gelegenheit finden, daß ich Ihnen einen längeren Besuch abstatte.« Herr Oldbuck zog ein langes Gesicht. »Hm, ich dachte, ich hätte die Sache auf eine Weise angeordnet, die uns beiden recht sein würde. Und wer weiß, was mit der Zeit noch werden könnte und ob wir uns überhaupt trennen könnten. Ich bin Herr meines Grundbesitzes, Mann, und niemand kann mich zwingen, meine Güter jemand anderm zu vermachen, als mir paßt. Na, ich sehe, für jetzt wollen Sie sich nicht verlocken lassen. Aber die Kaledoniade macht hoffentlich Fortschritte?« »O gewiß!« sagte Lovel. »Ich werde mir's doch nicht einfallen lassen, einen so hoffnungsvollen Gedanken aufzugeben.« In diesem Augenblick klopfte es an die Tür, und ein Brief für Herrn Lovel wurde hereingereicht. Der Diener, sagte Frau Hadoway, warte auf eine Antwort. »Das geht auch Sie an, Herr Oldbuck,« .sagte Lovel nachdem er das Schreiben überflogen hatte. Dann reichte er es dem Altertümler hin. Es war ein Brief von Sir Arthur Wardour. Er war in außerordentlich höflichem Tone abgefaßt. Sir Arthur bedaure, daß ein Gichtanfall ihn bisher daran gehindert habe, Herrn Lovel für die Hilfe zu danken, die er ihm in Lebensgefahr kürzlich geleistet habe – er entschuldige sich, daß er ihm nicht persönlich seine Erkenntlichkeit ausspreche, er hoffe jedoch, daß Herr Lovel ihn von dieser Förmlichkeit entbinde, und lade ihn zu einer kleinen Partie für den folgenden Tag nach den Ruinen der Abtei St. Ruth ein, das Mittagsmahl solle in Knockwinnock eingenommen werden, wo sie zu gemütlichem Abend beieinander sein wollten. Sir Arthur schloß mit der Bemerkung, er habe auch der Familie Monkbarns eine Einladung gesandt, an der von ihm vorgeschlagenen Vergnügungspartie teilzunehmen. Als Versammlungsplatz war ein Schlagbaum bestimmt, der von allen Punkten, von denen her die Gesellschaft sich zusammenfinden sollte, gleich weit entfernt war. »Was sollen wir tun?« fragte Lovel – dabei war er sich völlig darüber klar, wie er für sein Teil handeln werde. »Mitmachen – Mann, auf alle Fälle mitmachen! Wollen mal sehen – es wird allerdings eine Postkutsche kosten, für Sie, mich und Marie M'Intyre – die alte Dame mag nach der Pfarre gehen. Sie können in der Kutsche nach Monkbarns gefahren kommen, denn ich miete dann den Wagen für den ganzen Tag.« »Ich glaube, ich reite besser.« »Richtig, richtig, an Ihr Pferd habe ich gar nicht gedacht. Sie sind ein törichter Junge übrigens, daß Sie sich so ein Vieh gleich angeschafft haben.« »Ja, aber zu Pferde kommt man doch weit schneller vorwärts.« »Na, genug, genug, tun Sie, was Ihnen behagt. Na, dann nehm ich eben entweder Griselda oder den Pfarrer mit, denn wenn ich 'ne Postkutsche miete, nutz' ich's auch gern voll aus – und wir treffen uns Freitag pünktlich um 12 Uhr am Schlagbaum von Tirlingen.« Nach dieser Vereinbarung trennten sich die beiden Freunde. Siebzehntes Kapitel Der Freitagsmorgen war so heiter und schön, wie wenn keine Vergnügungspartie geplant wäre; denn in der Tat ist dies in Romanen wie im wirklichen Leben ein seltenes Zusammentreffen. Unter dem erheiternden Einfluß des Wetters und in der Freude, daß er noch einmal Fräulein Wardour sehen solle, trabte Lovel in besserer Stimmung, als er seit langem gehabt hatte, nach dem Platze, wo die Gesellschaft zusammenkommen sollte. In mancher Hinsicht schien die Zukunft offener und heller vor ihm zu liegen. Die Hoffnung, ob sie auch erst wie die Morgensonne durch Wolken und Regenschauer brach, schien doch nun sich anzuschicken, den Pfad vor ihm zu beleuchten. Wie bei solcher Stimmung zu erwarten war, traf er als erster an dem Platze ein, und wie ferner vorauszusehen war, haftete sein Blick so gespannt auf der Straße nach Schloß Knockwinnock, daß er die Ankunft der Abteilung Monkbarns nicht eher gewahr wurde, als bis der Postillon, der hinter ihm herangepoltert kam, ihm sein Juhuhp! zurief. In dieser Kutsche waren untergebracht: zuvörderst die stattliche Gestalt des Herrn Oldbuck selber, zweitens die kaum minder umfängliche Person seiner Ehrwürden des Herrn Heulmeier, Pfarrers von Trotcosey, dem Sprengel, in welchem Monkbarns und Knockwinnok lagen. Der ehrwürdige Herr trug eine krause Perücke und darüber einen Dreispitz. Die Perücke war das Vorbild der drei noch übrigen Perücken des Sprengels, die untereinander verschieden waren – so bemerkte Monkbarns – wie die drei Vergleichungsgrade: Sir Arthurs war der Positiv, seine der Komparativ und die gewaltige graue des Pfarrers der Superlativ. Der Pfleger dieser antiken Kopfputze meinte bei einer Gelegenheit, wo sie alle drei beieinander waren, nicht gut fehlen zu dürfen, und hatte sich hinten auf den Wagen gesetzt, um »zur Hand zu sein, wenn die Herren vorm Mittagessen rasch noch mal frisiert sein wollten.« Zwischen den massigen Gestalten von Monkbarns und dem Prediger war wie ein kleiner überflüssiger Gegenstand das schlanke Figürchen der Marie M'Intyre eingeklemmt worden – ihre Tante hatte es vorgezogen, einen Besuch in der Pfarre zu machen und sich lieber mit Fräulein Beckie' Heulmeier einmal hübsch auszuplaudern, als, eine Besichtigung der Ruinen der Abtei St. Ruth mitzumachen. Als zwischen der Monkbarns-Gesellschaft und Lovel die Begrüßung eben beendet war, kam die Kutsche des Barons, eine offene Kalesche, auf dem Versammlungsplatze schneidig vorgefahren. Mit den dampfenden Pferden, den schmucken Kutschern, dem Wappen am Schlag und den beiden Leibjägern stach sie kraß ab gegen die ausgeleierte »Familienfuhre«, die den Altertümler und seinen Anhang hergebracht hatte. Den Vordersitz im Wagen hatten Sir Arthur und seine Tochter inne. Beim ersten Blick, den die junge Dame mit Lovel wechselte, errötete sie stark, aber sie hatte sich augenscheinlich vorgenommen, ihn als Freund zu begrüßen, und nur als solchen, und in ihrem Wesen lag Fassung und Höflichkeit zugleich, als sie seinen verwirrten Gruß erwiderte. Sir Arthur ließ die Kalesche halten, um seinem Retter freundlich die Hand zu drücken und zu versichern, daß es ihm ein großes Vergnügen sei, ihm persönlich Dank abzustatten, und dann setzte er hinzu, wie die Herren nebenher einander vorstellend: »Herr Dusterschieler, Herr Lovel.« Lovel nahm, da es nicht zu umgehen war, Notiz von dem deutschen Adepten, der auf dem Rücksitz im Wagen saß – ein Platz, der gewöhnlich geringern Personen oder Untergebenen angewiesen wurde. Das breitfertige Grinsen und die kriechende Verneigung, mit der sein ziemlich flüchtiger Gruß von dem Ausländer erwidert wurde, erhöhten noch den innerlichen Widerwillen, den Lovel schon gegen ihn gefaßt hatte. Aus dem unfreundlichen Scheelblick, den der Altertümler unter seinen buschigen Brauen nach ihm hinwarf, ging deutlich die gleiche Abneigung hervor. Die Teilnehmer der Partie grüßten einander überhaupt nur oberflächlich, bis sie von dem Platz des Zusammentreffens aus etwa noch drei englische Meilen weiter gefahren waren. Dann machten die Wagen Halt beim Schilde des Gasthofes zu den vier Pferdehufen – einer kleinen Herberge. Hier öffnete Caxon untertänig die Tür der Postkutsche und ließ das Trittbrett herunter, während die Insassen der Baronskalesche von ihren höfischeren Dienern aus der Equipage hinauskomplimentiert wurden. Hier fanden nun von neuem Begrüßungen statt. Die jungen Damen schüttelten sich die Hand, und Oldbuck, vollkommen in seinem Element, setzte sich als Führer und Cicerone an die Spitze der Partie, die von hier aus zu Fuße sich nach ihrem Ziele begeben sollte. Er traf Sorge, Lovel dicht an seiner Seite zu halten, weil er der dankbarste Zuhörer der Gesellschaft war, und warf ab und zu ein erklärendes Wort Fräulein Wardour und Marie M'Intyre zu, die als nächste folgten. Den Baron und den Prediger ließ er beiseite, weil er sehr wohl wußte, daß die beiden sich einbildeten, sie verstünden das alles ebenso gut, ja wohl noch besser als er; und Dusterschieler war, abgesehen davon, daß er ihn als Charlatan ansah, in so enger Beziehung zu seinem befürchteten Verlust bei dem Bergwerksgeschäfte, daß er seinen Anblick gar nicht vertragen konnte. Diese beiden letzteren Satelliten kreisten daher um den Planeten Sir Arthur, der ja auch als die wichtigste, vornehmste Person der Gesellschaft auf diese Aufmerksamkeit das meiste Anrecht hatte. Es trifft sich oft, daß die schönsten Punkte schottischer Landschaft in einem abgelegenen Tale liegen, und man kann im ganzen Lande herumreisen, ohne von der großen Nähe einer wahren Sehenswürdigkeit etwas zu merken, wenn nicht Absicht oder Zufall einen an den Fleck selber führt. Das ist besonders in der Gegend um Fairport herum der Fall, die im allgemeinen offen, ohne Einschnitte und flach daliegt. Aber doch gelangt man hie und da, wenn man einem Gewässer oder einem kleinen Flusse weiter folgt, in Schluchten oder, wie man dort zu Lande sagt, Klammen, auf deren hohen Felsenrändern Bäume und Gestrüpp aller Art sich festgenistet haben und in üppiger Fülle wuchern – was durch den unerwarteten Kontrast zu dem allgemeinen Gesicht der Gegend um so reizender wirkt. Diesen Eindruck hatte man in hohem Maße, wenn man den Ruinen von St. Ruth sich näherte. Der Weg war eine ganze Strecke lang nur ein Schafpfad, der am Abhang eines steilen kahlen Hügels entlang führte. Allmählich aber – der Pfad schlängelte sich um die Flanke der Höhe herum und führte zu Tal – erschienen Bäume, erst vereinzelt, verkümmert und versehrt, mit Flocken Wolle an den Stümpfen. Die Wurzeln waren ausgehöhlt zu Schlupfwinkeln, in denen die Schafe gern ruhen, ein Anblick, der allerdings einen Bewunderer des Malerischen mehr entzücken mochte als einen Pflanzer oder Forstmann. Allmählich wurden die Bäume dichter und bildeten Gruppen, deren Ränder von Dorngestrüpp und Haselsträuchern umsäumt waren – auch in der Mitte wucherte verdichtendes Gesträuch. Und endlich schlossen diese Gruppen sich so dicht aneinander, daß die Landschaft entschieden als Waldland bezeichnet werden konnte, obwohl hie und da unter dem Laubdach eine breite Lichtung sich öffnete oder ein kleiner Fleck Moor- oder Heideland lag, der kein Wachstum hatte aufkommen lassen. Die Seiten des Tales begannen einander näher zu kommen. Das Rauschen eines Baches ließ sich unten vernehmen, und wenn der Wald sich auftat, konnte man das Wasser klar und reißend unter dem grünen Baldachin dahinbrausen sehen. Oldbuck nahm nun die ganze Vollmacht eines Cicerone auf sich und legte der Gesellschaft ans Herz, nicht um eines Fußes Breite von dem Pfade abzubiegen, den er ihr weisen werde, wenn sie den vollen Genuß von ihrem Ausfluge haben wollten. Und nachdem sie ihm durch eine Bresche in einer alten, zerfallenen Mauer gefolgt waren, sahen sie sich denn auch in der Tat plötzlich vor einem ebenso unerwarteten wie interessanten Bilde. Sie standen ziemlich hoch am Hange der Klamm, die sich plötzlich zu einer Art Amphitheater aufgeschlossen hatte mit einem reinen, tiefen See in der Mitte und einem Stückchen ebnen Bodens um ihn her. Von da ab stiegen dann die Felsenränder ziemlich steil empor. Aus diesem See entsprang der sprudelnde tosende Bach, der der ganzen Klamm entlang ihr Gefährte gewesen war. An der Stelle, wo er aus dem See ausbrach, stand die Ruine – das Ziel ihrer Partie. Sie war nicht groß, aber die eigenartige Schönheit und der wilde entlegene Fleck, an dem sie lag, gaben ihr ein höheres Interesse und tiefere Bedeutung, als sie manche Ruine von architektonisch höherm Werte hat, die aber in der Nähe alltäglicher Häuser liegt und weniger romantisches Beiwerk aufweist. Das Ostfenster der Kirche war noch unversehrt in allem Ornament und Zierat. Die Seiten waren von Schwibbogen getragen, die, von der Mauer abgelöst, dem Gebäude einen zierlichen, fast flotten Charakter verliehen. Das Dach und Westende der Kirche waren fast ganz zerfallen, das letztere schien die eine Seite eines Vierecks gebildet zu haben, dessen andre beiden Seiten die klösterlichen Gebäude und dessen vierte Seite der Garten ausmachte. Die Seite dieser klösterlichen Bauten, die über den Bach herüberhing, war zum Teil auf einem steil abstürzenden Felsen gebaut, denn der Platz war zeitweise zu militärischen Zwecken verwendet worden und fiel in den Kriegen Montroses erst nach furchtbarem Blutbade. Die Ausdehnung des ehemaligen Gartens war noch durch ein paar Obstbäume gekennzeichnet. In größerer Entfernung von den Gebäuden standen Eichen, Ulmen und Nußbäume, die alle zu mächtigem Umfange gelangt waren. Der übrige Raum zwischen der Ruine und dem Hügel war ein kahlgeschnittener Rasen, den täglich die Schafe abweideten. Er war daher in weit besserer Ordnung, als wenn Sichel und Rechen ihn bearbeitet hätten. Die ganze Szene atmete eine Ruhe, die nicht eintönig wirkte, sondern zu Herzen ging. Das dunkle, tiefe Becken, in welchem der blaue See ruhte – die Wasserlilien, die auf seiner Fläche wuchsen, und die Bäume, die hie und da die Zweige vom Ufer herüberstreckten, klar widerspiegelnd – gab einen entzückenden Kontrast zu der Hast und dem Aufruhr des Baches, der aus ihm herausbrach, wie wenn er einem Kerker entrann, und die Klamm hinabstürzte, den Fuß des Felsens, auf dem die Ruine lag, reißend umkreisend und mit jedem Stein und jedem Felsstück, das ihm den Weg versperren wollte, unter wildem Schäumen schimpfend und polternd. »Hier war also die Heimstätte der Gelehrtheit in den Tagen der Finsternis, Herr Lovel,« sagte Oldbuck, um den sich jetzt die Gesellschaft gruppiert hatte, während sie den romantischen Anblick, der sich so unerwartet auftat, bewunderte, »hier wohnten die weltmüden Weisen, ganz dem Gedanken an das Künftige hingegeben, oder dem Dienste der Generationen geweiht, die ihnen hienieden folgen sollten. Ich werde Ihnen gleich die Bibliothek zeigen – sehen Sie jenen Mauerstrich dort mit den viereckigen Fenstern – dort war sie – wie ein altes Manuskript in meiner Sammlung besagt, enthielt sie fünftausend Bände.« Mit diesen Worten führte der Altertümler sie auf einem steilen aber sichern Pfade zu der grünen Rasenfläche hinunter, auf der die Ruinen standen. »Dort lebten sie,« fuhr der Altertümler fort, »und sie hatten nichts weiter zu tun, als das graue Altertum zu erforschen, Handschriften abzuschreiben und neue Werke zur Belehrung der Nachwelt zu verfassen.« »Und,« setzte der Baron hinzu, »die Zeremonien des Gottesdienstes mit einem Pomp und einer Feierlichkeit zu verrichten, die der Priesterschaft würdig waren.« »Und wenn Ihro Erlaucht, Sir Arthur, erlauben,« sagte der Deutsche mit einer tiefen Verbeugung, »die Mönsche mögen auch gemacht haben die seltsamschte Ekschperimente in ihren Laboratorien, sowohl in der Alschymie als in der magia naturalis.« »Ich meine,« sagte der Geistliche, »sie hätten genug damit zu tun gehabt, die Zehnten aus der Einwohnerschaft von drei guten Sprengeln einzutreiben.« »Und alles das,« setzte Fräulein Wardour hinzu, dem Altertümler zunickend, »ohne daß sie von Weibsvolk gestört wurden.« »Freilich, meine schöne Feindin,« sagte Oldbuck, »dies war ein Paradies, in das keine Eva hineindurfte, und um so mehr müssen wir uns wundern, daß die guten Väter daraus vertrieben worden sind.« Unter solchen Betrachtungen über die Lebensweise derer, Von denen die Ruinen ehemals bewohnt gewesen waren, gingen sie eine Zeitlang von einer moosbewachsenen Kapelle zur andern. Oldbuck führte sie und erklärte mit großer Verständlichkeit den Grundriß des Gebäudes und las und erläuterte die verschiedenen verwitterten Inschriften, die sich noch auf den Grabmälern der Toten oder unter den leeren Nischen der Heiligenbilder erkennen ließen. »Was ist die Ursache,« fragte endlich Fräulein Wardour, »daß uns die Tradition nur so wenige magere Berichte Von den Insassen dieser stattlichen Gebäude hinterlassen hat? Und doch sind sie mit so großem Aufwand an Arbeit und Geschmack errichtet worden, und ihre Eigentümer waren ihrerzeit Leute von so ehrfurchtgebietender Macht und Bedeutung. Der gemeinste Turm eines freibeuternden Barons oder Grafen, der von Lanze und Schwert lebte, ist durch seine besondere Sage geweiht, und der Schäfer erzählt einem ganz genau, wie die Bewohner geheißen haben und was sie für Heldentaten verrichtet haben. Aber fragt man einen Landmann, was es mit diesen schönen und ausgedehnten Ruinen für eine Bewandtnis habe, mit diesen Türmen, Bogen, Kreuzfenstern, die unter so großen Kosten errichtet worden sind – dann machen drei Worte seine Antwort aus: »Die Mönche haben's gebaut vor langer, langer Zeit.« Die Frage war etwas kompliziert. Sir Arthur sah zum Himmel hinauf, als ob er eine Antwort von oben erwarte – Oldbuck kratzte sich hinter dem Ohr – Lovel meinte, die Frage lasse sich am besten lösen, wenn man darauf zurückginge, welche Ereignisse den stärksten Eindruck auf den Geist der großen Masse hinterließen. »Nicht solche,« führte er aus, »die dem allmählichen Vordringen eines befruchtenden Baches glichen, sondern die, die der kopfüber dahinbrausenoen Wut einer gewaltigen, unheilvollen Flut glichen. Die Abschnitte, in die die große Menge sich die Zeit zerlegt, sind in der Regel Zeiten des Grausens oder der Verwirrung, und sie rechnen nach einem Erdbeben, einem Unwetter oder dem Ausbruch bürgerlicher Unruhen. Da nun die Geschehnisse solcher Art am längsten und deutlichsten in der Erinnerung des großen Volkes fortleben,« schloß er, »so kann es uns nicht wunder nehmen, daß man des wilden, grimmigen Kriegsmannes gedenkt und daß die friedlichen Äbte der Vergessenheit anheimgefallen sind.« »Wenn Sie nichts dagegen haben, meine Herren und Damen,« sagte der Deutsche, »und indem ich Sir Arthur und Fräulein Wardour und diesen würdigen Geischtlichen und Herrn Oldenbuck, der ja mein Landschmann ist, und auch den guten Herrn Lofel um Vertscheihung bitte, so möchte ich meine Meinung dahin äußern, daß dies alles zurücktschuführen sei auf die Hand des Ruhmes.« »Was für 'ne Hand?« rief Oldbuck. »Die Hand des Ruhmes, mein guter Meister Oldenbuck – und das ist sehr ein großes schreckliches Geheimnis – das die Mönsche pflegten zu verbergen unter ihren Schätschen, als sie vertrieben wurden aus ihren Klöschtern durch die sogenannte Reformatschon.« »Was Sie sagen! davon müssen Sie uns mehr erzählen,« sagte Oldbuck. »Diese Geheimnisse sind interessant.« »Je nun, mein guter Meister Oldenbuck, Sie werden mich auslachen – aber die Hand des Ruhmes ist sehr wohl bekannt in den Ländern, wo Ihre Vorfahren gelebt haben – und es ist die Hand abgeschnitten von einem Toten, der wegen Mordes am Galgen hat gehangen, und gantsch derbe gedörrt im Rauche von Wachholderholtsch – und wenn Sie noch ein bißchen von – was Sie nennen Eibenholtsch hintschutun tschu dem Wachholderholtsch, so wird es damit nicht besser, das heißt vielmehr, es wird dadurch nicht schlechter – dann nehmen Sie noch von dem Fette des Bären und des Dachses und des großen Ebersch, wie man auch nennt das Wildschwein, und das von einem kleinen Säugling, das noch nicht getauft wurden ist (darauf kommt's vor allem an) – und daraus machen Sie eine Kertsche und stecken Sie zur richtigen Stunde und Minute und unter der richtigen Tscheremonie in die Hand des Ruhmes, und derjenige so da nach Schätschen sucht, wird niemals keine finden.« »Auf diesen Schluß leiste ich einen leiblichen Eid,« sagte der Altertümler. »Und hatte man in Westfalen, Herr Dusterschieler, die Gepflogenheit, diesen eleganten Leuchter zu verwenden?« »Schtetsch, Herr Oldenbuck, wenn Sie nicht wünschten, daß niemand nicht reden sollte, von was sie vorhatten, und tschwar regelmäßig, wenn sie das Silbertscheug der Kirche und ihre großen Kelche und die Ringe mit den äußerscht koschtbaren Steinen und Juwelen versteckten.« »Aber trotzdem habt doch sicher ihr Ritter vom Rosenkreuz Mittel gehabt, den Zauber zu brechen und zu entdecken, was die armen Mönche unter so großer Mühsal verborgen haben?« »Ah, guter Herr Oldenbuck,« versetzte der Adept, geheimnisvoll den Kopf schüttelnd, »Sie sind ein Kleingläubiger. Aber wenn Sie gesehen hätten die großen, riesigen Stücke massiven Silbergeräts, Sir Arthur, – so fein gearbeitet, Fräulein Wardour, – und das silberne Kreutsch, das wir gefunden haben (Schröpfer ist es gewesen und ich selber) für den Herrn Freigrafen, wie der Baron von Blunderhaus genannt wird, dann, glaube ich, hätten Sie's geglaubt.« »Sehen heißt glauben, allerdings – aber was war Ihre Kunst – was war Ihr Geheimnis, Herr Dusterschieler?« »Aha, Herr Oldenbuck, das ist mein kleines Geheimnisch, mein guter Herr, – Sie werden mir vertscheihen, daß ich das nicht verrate – aber ich will Ihnen sagen, daß es gibt verschiedene Methoden. Ja, gantsch gewiß, da ist tschunächst der Traum, den man träumt dreimal – ja, das ist sehr ein gutes Mittel.« »Das freut mich,« sagte Oldbuck. »Ich habe einen Freund«, (mit einem Seitenblick auf Lovel) »den die Elfenkönigin mit Vorliebe besucht.« »Dann sind da die Sympathien und die Antipathien und die seltenen Eigenschaften und natürlichen Vortschüge von Kräutern und von der kleinen Wünschelrute!« »Ich möchte lieber ein paar von diesen Wundern sehen, statt von ihnen bloß reden zu hören,« sagte Fräulein Wardour. »Aha, aber meine sehr geehrte Dame, dies ist nicht die Tscheit und auch nicht die rechte Weise, das große Wunder tschu verrichten, tschu finden all das Silbergeschirr und die Schätsche der Kirche. Wer um Ihnen einen Gefallen tschu tun und Sir Arthurn, meinem Gönner, und auch diesem ehrwürdigen Geischtlichen und Herrn Oldenbuck und auch Herrn Lofel, der ein sehr liebenswürdiger junger Herr ist, will ich Ihnen tscheigen, daß es möglich ist – sehr möglich ist, tschu entdecken das Wasser in der Erde oder das kleine Quellchen tief im Grunde ohne Hacke oder Spaten und ohne tschu graben.« »Hum!« machte der Altertümler. »Von diesem Hokuspokus habe ich schon gehört. Das wird in unserm Lande eine ziemlich brotlose Kunst sein, die nicht viel fertig bringen kann – mit der Eigenschaft sollten Sie nach Portugal oder Spanien gehen und ein gutes Geschäft machen.« »Ah! mein guter Meister Oldenbuck, da ist die Inquisition und das Autodafé, da täten sie mich verbrennen, mich, der ich doch bloß ein simpler Philosoph bin, als großen Geischterbeschwörer – und Hekschenmeischter.« »Das wäre schade um die Kohlen,« sagte Oldbuck, »aber,« setzte er leise zu Lovel hinzu, »wenn Sie ihn an den Pranger stellten, als den unverschämtesten Schurken, der je Zungendrescherei betrieben hat, dann würde die Bestrafung besser im Einklang zu dem, was er verdient, stehen. Aber wir wollen mal sehen. Ich glaube, er wird uns jetzt etwas von seinem Hokuspokus vorführen.« In der Tat war der Deutsche jetzt zu einem kleinen Dickicht in der Nähe der Ruine gegangen und stellte sich, als suche er eifrig nach der Rute, die sich zu seinem Mysterium eignete, und nachdem er mehrere abgeschnitten, geprüft und beiseite geworfen hatte, nahm er endlich einen kleinen Haselzweig, der ein Gabelende hatte. Dieser hatte, wie er erklärte, die Eigenschaft, die zu dem Experiment erforderlich sei. Die Gabelenden der Gerte hielt er nun zwischen Daumen und Finger, so daß die Rute nach oben gekehrt war, und durchschritt nun die zerfallenen Hallen und Ecken, und die Gesellschaft folgte ihm in bewundernder Prozession. »Ich glaube, hier ist gar kein Wasser,« sagte der Schwarzkünstler, nachdem er ein paarmal um verschiedene Gebäude herumgeschritten war, ohne die Anzeichen zu verspüren, die er erwartete – wenigstens tat er so. »Ich glaube, diese schottischen Mönsche haben das Wasser zu kalt gefunden für ihr Klima und haben getrunken den guten wohltuenden Rheinwein. Aha! Sieh da!« Nun sahen denn auch die anderen die Rute sich in seinen Fingern drehen, obwohl er so tat, als hielte er sie ganz fest. »Hier herum ist Wasser, ohne Tschweifel.« Dann wandte er sich hierhin und dorthin, je nachdem ob die Bewegungen der Wünschelrute zuzunehmen oder sich zu verringern schienen, und endlich schritt er mitten in eine leere, dachlose Einfriedigung, die einst die Küche der Abtei gewesen war. Hier verdrehte die Rute sich so, daß sie fast kerzengerade zu Boden zeigte. »Hier ist der Platsch,« sagte der Alchymist, »und wenn Sie nicht das Wasser hier finden, so will ich Ihnen allen die Berechtigung einräumen, mich einen unverschämten Schurken tschu nennen.« »Die Berechtigung nehm' ich mir auch so,« flüsterte der Altertümler Lovel zu, »ob nun das Wasser entdeckt ist oder nicht.« Ein Diener, der mit einem Korbe kalter Erfrischungen herbeigekommen war, wurde jetzt zu einem Förster in der Nähe geschickt, um Spaten und Beilpicke zu holen. Als die losen Steine und der Schutt von dem Flecke entfernt worden waren, den der Deutsche bezeichnet hatte, stieß man bald auf die Seiten eines regelrecht gebauten Brunnens, und als mit Hilfe des Försters und seiner Söhne der Schutt ein paar Fuß tief weggeräumt worden war, begann das Wasser sehr schnell zu steigen, zum Entzücken des Philosophen, zum Erstaunen der Damen, des Herrn Heulmeier und Sir Arthurs, zur Überraschung Lovels und zur Verwirrung des ungläubigen Altertümlers. Der aber unterließ nicht, Lovel seinen Protest gegen das Mirakel ins Ohr zu flüstern: »Das ist ein bloßer Spielerkniff, der Schurke hat sich vorher davon überzeugt, daß dieser alte Brunnen da ist, auf die eine oder andere Weise, ehe er uns dieses mystische Gaukelspiel vorgemacht hat. Passen Sie auf, wovon er zunächst reden wird. Ich müßte mich sehr irren, wenn das nicht als Vorspiel zu einer ernsteren Betrügerei beabsichtigt ist. Sehen Sie bloß, wie der Schuft sich brüstet, daß er Erfolg gehabt hat und wie der arme Sir Arthur den ganzen Schwall von Blödsinn als Lehren der okkulten Wissenschaft in sich aufnimmt.« »Sie sehen, mein guter Gönner, Sie sehen, meine guten Damen, Sie sehen, würdiger Herr Heulmeier, und selbst der Herr Lofel und der Herr Oldenbuck können sehen, sofern Sie wollen sehen, daß die Kunscht keinen Feind nicht hat als wie bloß allein die Ignorantsch. Sehen Sie dieses Haselstöckchen an – es ist tschu nichtsch tschu brauchen als wie bloß durchtschuhauen die kleinen Kinderchen« – (»Für dich würd' ich dazu lieber eine neunschwänzige Katze nehmen,« flüsterte Oldbuck beiseite) – »und Sie geben sie in die Hand dem Philosophen und – baff! da macht sie die große Entdeckung! Aber dies ist nichts, Sir Arthur, gantsch und gar nichts, würdiger Herr Heulmeier, – nichts im geringsten, nieine Damen – absolut nichts, junger Herr Lofel, und guter Herr Oldenbuck, gegen das, was die Kunscht noch kann. Ah! wenn ein Mann da Ware, der den Geischt hätte und den Mut, so wollt ich ihm tscheigen bessere Dinge als den Brunnen mit Wasser – ich wollt ihm tscheigen...« »Und wohl auch ein bißchen Geld wär' nötig, was?« fragte der Altertümler. »Bah! eine gantsche Kleinigkeit, nicht des Maulauftuns wert, tät erforderlich sein,« antwortete der Schwarzkünstler. »Das dacht' ich mir doch,« versetzte der Altertümler trocken. »Und ich will einstweilen ohne irgend welche Wünschelrute Ihnen eine ausgezeichnete Wildpastete und eine Flasche vorzüglichen Madeira aus London zeigen, und ich glaube, das hält allem die Stange, was Herrn Dusterschielers Kunst uns nur zu zeigen vermag.« Das Mahl wurde auf dem grünen Rasen ausgebreitet unter einem großen mächtigen Baume, der die Priorseiche hieß, die Gesellschaft setzte sich darum und tat dem Inhalt des Körbchens alle Ehre an. Achtzehntes Kapitel Als der Imbiß beendet war, nahm Sir Arthur den Bericht über die Mysterien der Wünschelrute wieder auf – ein Thema, über das er vor kurzem mit Dusterschieler gesprochen hatte. »Mein Freund, Herr Oldbuck, wird jetzt soweit eingeweiht sein, daß er den Geschichten, die Sie uns über die letzten Entdeckungen Ihrer Brüder in Deutschland erzählt haben, mit größerer Achtung lauschen wird.« »Ach, Sir Arthur, das war kein Gegenstand, über den Sie mit diesen Herren hätten reden sollen, weil es eben gerade der Mangel an Glauben und Tschuversicht ist, wodurch das große Unternehmen tscherstört wird.« »Zum wenigsten lassen Sie meine Tochter die Erzählung vorlesen, die sie aus der Geschichte Martin Waldecks gemacht hat.« »Ah, das war eine sehr wahre Geschichte, aber Fräulein Wardour, sie ist so klng und so geischtreich, sie wird daraus eine richtige Romantsche gemacht haben, wie Goethe oder Wieland, bei meinem ehelichen Worte!« »Die Wahrheit zu sagen, Herr Dusterschieler,« antwortete Fräulein Wardour, »in dieser Legende herrschte an sich das Romantische derartig vor dem Wahrscheinlichen vor, daß es für eine Liebhaberin des Feenlandes wie mich selbstverständlich war, die Farben noch ein wenig stärker aufzutragen, um sie in ihrer Art vollkommen zu machen. Aber ich habe sie hier, und wenn wir in diesem Schatten hier bleiben wollen, bis die Hitze des Tages ein wenig nachgelassen hat, und wenn Sie meine minderwertige Ausarbeitung freundlich hinnehmen wollen, so wird vielleicht Sir Arthur oder Herr Oldbuck uns die Geschichte vorlesen.« »Ich nicht,« sagte Sir Arthur, »ich war nie ein Freund vom lauten Lesen.« »Ich auch nicht,« sagte Oldbuck, »ich habe meine Brille vergessen. Aber hier ist Herr Lovel, der hat scharfe Augen und eine gute Stimme.« Das Amt des Vorlesers wurde also an Lovel gegeben, und Fräulein Wardour reichte ihm mit leiser Verlegenheit ein kleines Schreibheft, das er mit leisem Beben entgegennahm. Die Blätter waren beschrieben von jener schönen Hand, nach deren Besitz er als nach dem höchsten Glück der Welt schmachtete. Aber er mußte seine Bewegung unterdrücken, er warf einen Blick über das Manuskript, wie um sich ein wenig an die Handschrift zu gewöhnen, sammelte sich und las der Gesellschaft die folgende Erzählung vor: »Martin Waldecks Schicksale.« [Die Umrisse dieser Erzählung sind dem Deutschen entnommen, der Verfasser vermag aber im Augenblick nicht zu sagen, in welcher der verschiedenen Sammlungen deutscher Sagen das Original zu finden ist.] »Die abgelegenen einsamen Höhen des Harzes in Deutschland, vor allem aber der Berg mit Namen Blocksberg oder vielmehr der Brocken, sind Lieblingsschauplätze für Geschichten von Hexen, Dämonen und Erscheinungen. Die Beschäftigungen der Einwohner, die entweder Förster oder Bergmänner sind, stimmen für Aberglauben besonders empfänglich, und die natürlichen Phänomene, die sie in ihrem einsamen oder unterirdischen Gewerbe mit ansehen, werden von ihnen oft auf die Einmischung von Kobolden oder magischen Gewalten zurückgeführt. Unter den verschiedenen Sagen, die in diesem wilden Lande umgehen, ist eine besonders beliebt und verbreitet, nach der im Harz eine Art Schutzgeist hausen soll in Gestalt eines wilden Mannes von riesigem Wuchse, der ums Haupt und um die Hüften einen Kranz von Eichenblättern und in der Hand eine mit den Wurzeln herausgerissene Fichte trägt. Es steht fest, daß viele Leute beteuern, sie hätten eine solche Gestalt in der gleichen Richtung wie sie mit Riesenschritten dahingehen sehen. Wenn eine enge Klamm zwei Berge trennte, habe sie die Kluft mit einem Satze überschritten. Die Tatsache dieser Erscheinung wird so allgemein zugegeben, daß die moderne Wissenschaft sich mit ihr hat abfinden müssen und sich nur dadurch hat helfen können, daß sie sie auf eine optische Täuschung zurückführt. [Der Schatten desjenigen, der das Spukbild sieht, fällt auf eine Nebelwolke gleich dem Bilde, das die Laterna magica auf ein weißes Tuch wirft, und durch diese Luftspiegelung soll das sogenannte Brockengespenst entstehen.] In früheren Zeiten stand der Geist mit den Einwohnern in vertrauterm Verkehr, und nach den Traditionen des Harzes pflegte er mit der Willkür, die man gewöhnlich diesen erdgeborenen Kräften zuschreibt, sich in die Angelegenheiten der Sterblichen einzumischen, bald zu ihrem Wohl, bald zu ihrem Wehe. Es wurde aber auch beobachtet, daß selbst seine Gaben, – sich nach langer Zeit erst für die, denen sie verliehen worden waren, als verderbenbringend erwiesen, und es war nichts Seltenes, daß die Hirten, in der Sorge um ihre Herden, lange Gebete verfaßten, deren Quintessenz immer eine Warnung war, in irgendwelchen unmittelbaren oder mittelbaren Verkehr mit dem Harzgeiste zu treten. Die Schicksale Martin Waldecks sind oft von den Alten ihren Kindern erzählt worden, wenn sie leichtsinnig über eine Gefahr spotteten, die nach ihrer Meinung nur eine Sache der Einbildung sei. Ein fahrender Kapuziner hatte sich die Kanzel der kleinen, mit Stroh gedeckten Kirche eines Dörfleins im Harzbezirk, mit Namen Morgenbrod, zu eigen gemacht. Hier predigte er nun gegen die Gottlosigkeit der Bewohner, gegen ihre Gemeinschaften mit bösen Feinden, Hexen und Elfen und vor allem mit dem Waldkobold des Harzes. Die Lehren Luthers hatten sich schon unter der Bauernschaft verbreitet, denn das Vorkommnis fällt unter die Regierung Karls V., und sie verlachten den ehrwürdigen Mann und verhöhnten ihn um des Eifers willen, mit dem er bei der Sache war. Je heftiger er nun gegen sie wetterte, um so mehr wuchs auch ihr Widerspruch. Es paßte den Einwohnern nicht, daß ein stiller Geist, der so viele Menschenalter hindurch den Brockenberg bewohnt hatte, kurzweg mit Baal, Astaroth und Beelzebub selber zusammengeworfen und in Grund und Boden verdammt wurde. Die Befürchtung, daß der Geist sich an ihnen rächen könnte, weil sie einem solchen ungerechten Urteil ihr Ohr liehen, wurde noch durch das nationale Interesse, das sie für ihren Geist hatten, bestärkt. Ein wandernder Mönch, sagten sie, der heute hier ist und morgen wieder weg, mag reden, was ihm gefällt. Wir aber, die ständigen und alten Einwohner des Landes, sind der Gnade des beleidigten Geistes anheimgegeben und müssen natürlich für alles büßen. Durch solche Betrachtungen aufgebracht, begnügten sich die Einwohner schließlich nicht mehr mit Schmähungen, sondern griffen zu Steinen, und als sie den Priester mit einem wackern Hagel überschüttet hatten, jagten sie ihn aus ihrem Sprengel hinaus, daß er anderswo gegen die Geister predigen möge. Drei junge Männer waren auch mit dabei gewesen und waren eben auf der Heimkehr zu der Hütte, wo sie der mühseligen und ärmlichen Beschäftigung oblagen, Holzkohle für die Hochöfen zu bereiten. Unterwegs kam die Rede natürlich auf den Harzgeist und auf die Lehren des Kapuziners. Max und Georg Waldeck, die beiden älteren Brüder, waren allerdings der Meinung, daß die Sprache des Kapuziners unbedacht und verwerflich gewesen sei, hegten aber die volle Überzeugung, daß es im höchsten Grade gefahrvoll sei, seine Gaben anzunehmen oder irgend welchen Verkehr mit ihm zu pflegen. Er sei wohl mächtig, das gaben sie zu, aber auch launisch und willkürlich, und die, die mit ihm Verkehr hätten, kämen selten zu einem guten Ende. Hätte er nicht dem tapfern Ritter Eckbert von Rabenwald das berühmte schwarze Roß gegeben, mit dem er alle Kämpen auf dem großen Turnier zu Bremen besiegt habe? und hätte nicht dasselbe Roß sich nachher mit ihm in einen so tiefen schauerlichen Abgrund gestürzt, daß man Roß und Reiter nie wieder gesehen habe? Hätte er nicht der Dame Gertrud Trodden einen seltsamen Zauber, Butter zu bereiten, anvertraut? und sei sie nicht nachher als Hexe von dem Oberkriminalgericht des Kurfürstentums verbrannt worden, weil sie sich dieser Verleihung bedient hätte? Aber diese und noch viele andere Beispiele, die sie dafür anführten, daß die anscheinenden Wohltaten des Geistes zu guter Letzt Unglück und Verderben im Gefolge hätten, machten nicht den geringsten Eindruck auf Martin Waldeck, den jüngsten der Brüder. Martin war jugendlich, rasch und ungestüm. Er war ein Meister in all den Fertigkeiten, die einen Bergbewohner auszeichnen, und die Vertrautheit mit all den Gefahren, die sie mit sich bringen, hatte ihn mutig und unerschrocken gemacht. Er lachte über die Furchtsamkeit der Brüder. »Redet mir nicht solche Torheiten,« sagte er, »der Geist ist ein guter Geist – er lebt unter uns, als wäre er selber ein Bauer wie wir – er streift auf den einsamen Höhen und in den Verstecken der Berge herum wie ein Jäger oder Ziegenhirt – und wer den Harz und seine wilden Landschaften liebt, kann nicht gleichgültigen Herzens sehen, wie es den kühnen Kindern dieses Bodens ergeht. Aber wenn der Geist so boshaft wäre, wie ihr ihn machen wollt, wie könnte er dann Macht über Sterbliche erlangen, da sie ja bloß sich seiner Gaben bedienen, ohne daß sie sich verpflichten, sich seinem Willen zu unterwerfen? Nicht die Gaben des Koboldes sind es, die uns Gefahr bringen, sondern in dem Gebrauche, den wir davon machen, liegt unsere eigene Verantwortung. Und sollte der Geist jetzt selber vor mir erscheinen und mir eine Gold- oder Silbergrube zeigen, so wollte ich schon wacker zu graben anfangen, ehe er noch den Rücken gekehrt hätte, und würde mich sicher wissen unterm Schutze eines, der weit größer ist als er, dabei würde ich aber den Reichtum, den er mir gezeiget hätte, zu wohltätigem Gebrauche verwenden.« Hierauf erwiderte der ältere Bruder, schlecht erworbener Reichtum werde selten gut angewendet. Martin aber erklärte voller Eigendünkel, er würde sich in seinen Gewohnheiten, seiner Gesinnung und seinem Charakter nicht im geringsten ändern, und wären auch alle Schätze des Harzes sein eigen. Sein Bruder bat Martin, nicht so wild über so eine Sache zu schwatzen, und mit einiger Mühe gelang es ihm, ihn davon abzubringen, indem er seine Gedanken auf die bevorstehende Eberjagd lenkte. Unter diesem Gespräch kamen sie nach ihrer Hütte, einem elenden Wigwam, der an der einen Seite einer wilden, engen, romantischen Schlucht in der Einöde des Brockens lag. Sie lösten ihre Schwester ab, die unterdessen an dem Kohlenmeiler gewacht hatte, denn der Brand bedarf ständiger Beobachtung und Aufmerksamkeit. Dann teilten sie sich in die Wache über Nacht, wie es immer ihre Gewohnheit war. Einer hielt stets die Wache, während seine Brüder schliefen. Max Waldeck, der älteste, hatte während der ersten Stunden der Nacht die Wache, und er erschrak sehr, als er an dem gegenüberliegenden Rande der Schlucht, – ein riesiges Feuer erblickte, um das Gestalten mit phantastischen Gebärden herumtanzten. Max wollte erst seine Brüder rufen, aber er dachte an die tollkühne Art des jüngsten, und da es doch unmöglich war, den älteren zu wecken, ohne den jüngsten zu stören und da er auch das Bild für einen Spuk des Harzgeistes hielt, der sie vielleicht für Martins waghalsige Worte an diesem Abend strafen wollte, so hielt er es für das beste, zu seinem Schutze die Gebete herzumurmeln, die ihm bekannt waren, und mit großer Furcht und tiefem Mißbehagen die seltsame und beängstigende Erscheinung zu beobachten. Das Feuer hatte eine Weile geloht und verblaßte dann in der Finsternis mehr und mehr, bis es völlig erloschen schien, und der Rest von Maxens Wache war nur noch durch die Erinnerung an den überstandenen Schrecken gestört. Nun hatte Georg den Platz seines ältern Bruders inne, der sich zur Ruhe niedergelegt hatte. Die Erscheinung eines riesigen lodernden Feuers an der andern Seite der Schlucht zeigte sich abermals dem Auge des Wächters. Wie zuvor war es von Gestalten umgeben, die, wie an schattenhaften Formen zu erkennen war, sich zwischen dem rotglühenden Licht und dem Zuschauer befanden und es gespenstisch umschwirrten, als betrieben sie eine mystische Zeremonie. Georg war zwar ebenso vorsichtig, aber doch beherzter als sein Bruder. Er beschloß, sich die seltsame Erscheinung aus größerer Nähe anzusehen, er überschritt das Wässerchen, das zwischen den beiden Hängen der Schlucht dahinfloß, kletterte an der entgegengesetzten Seite empor und näherte sich bis auf einen Pfeilschuß dem Feuer, das augenscheinlich noch ebenso hell lohte, als wie er es zuerst wahrgenommen hatte. Die Erscheinungen, die es umschwirrten, glichen den Schemen, die ein wilder Traum hervorbringt, und er fühlte sich bestärkt in dem Gedanken, der ihm von vornherein gekommen war, daß die Gestalten nicht der Menschenwelt angehörten. Unter diesen seltsamen unirdischen Gestalten unterschied Georg Waldeck die eines Riesen, der ganz behaart war und in der Hand eine mit den Wurzeln ausgerissene Fichte trug, mit der er ab und zu das lodernde Feuer zu schüren schien. Er trug nichts weiter als ein Gewinde von Eichenblättern um Stirn und Lenden. Dem verborgenen Zuschauer sank das Herz, als er die wohlbekannte Erscheinung des Harzgeistes erkannte, wie sie ihm so oft von den alten Hirten und Weidmännern beschrieben worden war, die seine Gestalt durch die Berge hatten schreiten sehen. Er wandte sich und wollte flüchten, aber er besann sich, tadelte sich seiner Feigheit wegen und sprach bei sich selber den Vers des Psalmisten: »Alle guten Geister loben den Herrn!« – der in diesem Lande für eine wirksame Beschwörungsformel gilt. Dann wandte er sich noch einmal nach dem Fleck, wo er das Feuer gesehen hatte, aber es war nicht mehr sichtbar. Der bleiche Mond allein beleuchtete die Seite des Tales, und als Georg mit zitterndem Schritt, feuchter Stirn und unter der Kappe zu Berge gestiegenem Haar nach dem Flecke hinging, wo eben noch das Feuer zu sehen gewesen war – der Platz war an einer verwitterten Eiche unfehlbar kenntlich – da war auf dem Waldboden nicht die geringste Spur von dem, was er gesehen hatte, zu entdecken. Moos und wilde Blumen zeigten keine Brandspuren, und die Zweige der Eiche, die vor kurzem noch umhüllt von Flammen und Rauch erschienen waren, zeigten sich benetzt vom Tau der Mitternacht. Mit bebenden Schritten kehrte Georg zur Hütte zurück. Er dachte wie sein älterer Bruder und beschloß, nichts zu sagen, um in Martin nicht die tollkühne Neugier zu erwecken, die seiner Meinung nach nicht ganz frei von Gottlosigkeit war. Nun war Martin an der Reihe zu wachen. Der Hahn im Hause hatte schon den ersten Schrei getan, und die Nacht war so gut wie vorüber. Als er den Meiler untersuchte, in welchem das Holz sich in Kohle zu verwandeln hatte, sah er zu seiner Verwunderung, daß das Feuer nicht hinreichend unterhalten worden war, denn über seinem nächtlichen Wege und seinen Folgen hatte Georg ganz den Hauptzweck seiner Wache vergessen. Martins erster Gedanke war, die Schlummerer aufzurufen, aber als er sah, daß seine beiden Brüder ungewöhnlich fest und tief schliefen, da mochte er sie nicht aus der Ruhe reißen und machte sich daran, den Meiler ohne ihre Hilfe wieder in Ordnung zu bringen. Aber was er aufhäufte, schien feucht und zu dem Zwecke nicht geeignet, denn statt zuzunehmen, schien das Feuer nur noch mehr zu erlöschen. Martin ging nun, um von einem Holzstapel, wo sorgsam ausgesuchtes und getrocknetes Reisig aufeinander gehäuft war, ein paar Zweige zu holen, aber als er zurückkehrte, war das Feuer völlig aus. Das war nun ein ernster Übelstand und drohte ihnen die Arbeit mehrerer Tage zu vernichten. Der Wächter, außer sich vor Verdruß, wollte nun Licht machen, um das Feuer wieder anzufachen, aber der Zunder war feucht, und seine Bemühungen blieben auch hier erfolglos. Nun wollte er seine Brüder wecken, denn die Sache duldete jetzt keinen Aufschub mehr, da flimmerten Blitze von Licht nicht nur durch das Fenster, sondern durch jeden Spalt der roh gebauten Hütte, und nun sah auch er die gleiche Erscheinung, die zuvor seine Brüder in Schrecken gesetzt hatte. Zuerst wollte nun auch er seine Brüder wecken, dann aber schloß er aus den Gebärden derer, die im Feuer zu arbeiten schienen, daß er eine übernatürliche Erscheinung vor sich habe. »Ob das nun Menschen sind oder Gespenster,« sagte der unerschrockene Waldbewohner, »die dort eine so phantastische Zeremonie mit so seltsamem Gebärdenspiel betreiben, ich will gehen und sie um einen Feuerbrand bitten, daß ich unsern Meiler wieder anbrennen kann.« Gleichzeitig gab er den Gedanken auf, seine Brüder zu wecken. Es herrschte der Glaube, daß derlei Abenteuer, wie er es jetzt vorhatte, nur von einem allein bestanden werden könnten. Er fürchtete auch, seine Brüder könnten ihn von seinem Vorhaben in ihrer Furchtsamkeit abhalten. Er riß daher seinen Eberspeer von der Wand, und nun ging der unerschrockene Martin Waldeck allein auf sein Abenteuer. Mit dem gleichen Erfolg, aber mit weit höherem Mute überschritt Martin den Bach, stieg den Hügel hinan und näherte sich so weit der gespenstischen Versammlung, daß er in der Hauptfigur deutlich den Harzgeist an seinen Attributen erkennen konnte. Zum erstenmal in seinem sieben befiel ihn ein kalter Schauer. Aber der Gedanke, daß er vor kurzem erst mit kühnen Worten von dem Zusammentreffen gesprochen hatte, das jetzt stattfinden sollte, ja daß er es herbeigewünscht hatte, frischte seinen wankenden Mut wieder auf und er schritt mit verhältnismäßig festem Fuß auf das Feuer zu. Die Gestalten, die es umgaben, erschienen um so wilder, phantastischer und übernatürlicher, je näher er der Versammlung kam. Mit einem lauten Gelächter mißtönenden, unnatürlichen Klanges wurde er empfangen. Betäubend gellte es ihm in die Ohren und klang ihm entsetzlicher, als ein Konzert der kläglichsten, traurigsten Töne hatte klingen können. »Wer bist du?« fragte der Riese. »Martin Waldeck, der Köhler,« antwortete der kühne Jüngling. »Und wer bist du?« »Der König der Wüste und des Bergwerks,« erwiderte das Gespenst. »Und warum, wozu hast du dich so dreist zu meinen Mysterien herzugedrängt?« »Ich wollte einen Brand suchen, daß ich mein Feuer wieder anbrennen kann,« antwortete Martin unerschrocken, und dann fragte er beherzt: »Was sind das für Mysterien, die Ihr hier feiert?« »Wir feiern,« antwortete der Dämon huldvoll, »die Hochzeit des Hermes mit dem schwarzen Drachen. Aber nimm dein Feuer, um das du kamst, und geh wieder. Kein Sterblicher kann uns lange ansehen und doch dabei am Leben bleiben.« Der Landmann bohrte seine Speerspitze in ein großes Stück lodernden Holzes, das er nur mit Mühe emporheben konnte, und dann wandte er sich nach der Hütte zurück. Hinter ihm erscholl wieder das Gelächter mit verdreifachter Heftigkeit und schallte noch weit in das enge Tal hinunter. Als Martin nach der Hütte zurückkehrte, war es seine erste Sorge, so erstaunt er auch war über das, was er gesehen hatte, den Brand an den Meiler zu legen, so daß er gut wieder Feuer fangen sollte. Aber nach vielen Versuchen und nach harter Arbeit mit Blasebalg und Schürbalken erlosch die Kohle, die er vom Gespenst mitgenommen hatte, völlig, ohne die andern in Brand gesetzt zu haben. Er wandte sich um und sah das Feuer noch auf dem Hügel brennen, nur die Gestalten darum her waren verschwunden. Er meinte, der Geist hätte nur Scherz mit ihm getrieben und so gab er der natürlichen Kühnheit seines Gemütes Raum. Er beschloß, das Abenteuer durchzuführen, und kehrte nach dem Feuer zurück, von dem er abermals, unangefochten von dem Dämon, in der gleichen Weise ein glühendes Stück Holzkohle mitnahm, ohne daß es ihm aber auch diesmal gelungen wäre, das Feuer anzustecken. Die Straflosigkeit hatte sein Ungestüm gesteigert, er beschloß ein drittes Mal das Wagestück zu unternehmen, und er hatte wieder das Glück wie die andern Male, daß er das Feuer erreichte. Aber als er sich abermals ein Stück von der brennenden Kohle angeeignet hatte und sich zur Rückkehr wandte, hörte er hinter sich die heisere, übernatürliche Stimme, die ihn zuvor angeredet hatte, die Worte sprechen: »Wage dich nicht ein viertes Mal hierher!« Der Versuch, das Feuer mit dieser dritten Kohle anzubrennen, erwies sich ebenso erfolglos wie seine vorigen Bemühungen, und Martin gab das hoffnungslose Vorhaben auf und warf sich aus sein Blätterlager, entschlossen, nicht vor dem andern Morgen seinen Brüdern sein übernatürliches Abenteuer mitzuteilen. Vor körperlicher Erschöpfung und innerer Aufregung verfiel er in einen schweren Schlaf, ans dem ihn Rufe des Erstaunens und der Freude erweckten. Erstaunt, das Feuer beim Erwachen erloschen zu finden, hatten seine Brüder sich angeschickt, den Meiler wieder in Brand zu stecken – da hatten sie in der Asche drei riesige Metallblöcke gefunden, die sie mit Kennerblick (denn die meisten Bauersleute im Harz sind praktische Mineralogen) sofort als lauteres Gold erkannten. Ihre freudigen Beglückwünschungen wurden allerdings ein wenig gedämpft, als sie von Martin erfuhren, auf welche Weise er den Schatz erlangt hatte. Da sie selber die nächtliche Erscheinung gesehen hatten, konnten sie an seinem Bericht nicht im mindesten zweifeln. Der Versuchung, den Reichtum ihres Bruders zu teilen, konnten sie jedoch nicht widerstehen. Martin Waldeck war nun das Oberhaupt der Familie und kaufte Land und Wälder und baute ein Schloß, erlangte ein Adelspatent und wurde zur Entrüstung aller alteingesessenen Adligen der Gegend mit den vollen Vorrechten eines Mannes von hohem Hause belehnt. Sein Mut in den Feldzügen des Landes wie in Privatfehden und die große Zahl von Söldnern, die er unterhielt, schützten ihn eine Zeitlang gegen den Haß, den seine plötzliche Erhebung und seine Arroganz und Dünkelhaftigkeit ihm zugezogen hatten. Und nun war an Martin Waldecks Beispiel, wie es schon in manchen andern Fällen gewesen war, zu erkennen, wie wenig ein Sterblicher die Wirkung plötzlichen Wohlstandes auf seinen Charakter voraussehen kann. Die schlimmen Veranlagungen seiner Natur, die die Armut zurückgehalten und unterdrückt hatte, reiften und zeitigten ihre unglückselige Frucht, denn nun trat die Versuchung heran und nun hatte er ja auch die Mittel, all seinen Gelüsten nachzuhängen. Eine böse Leidenschaft erweckte die andere. Der Teufel der Habgier rief den Dämon des Stolzes auf, und der Stolz wurde unterstützt durch Grausamkeit und Tyrannei. Waldeck war immer kühn und waghalsig gewesen, jetzt machte ihn das Vermögen wild und anmaßend. Bald war er verhaßt, nicht nur bei den Edelleuten, sondern im gleichen Maße unter dem niedern Volke, das mit doppeltem Unmut sah, wie die tyrannischen Rechte des Adels so gewissenlos von einem Manne ausgeübt wurden, der selber aus der Hefe des Volkes emporgestiegen war. Sein Abenteuer war zwar sorgfältig geheim gehalten worden, doch begann man jetzt auch davon zu murmeln, und die Geistlichkeit begann schon den Beklagenswerten, der zu einem so großen Reichtum gelangt war, – und nicht einen beträchtlichen Teil der Kirche vermacht hatte, als einen Zauberer und Bundesgenossen der Geister zu brandmarken. Umgeben von Feinden in der großen Öffentlichkeit und im privaten Verkehr, gepeinigt von vielen Fehden und von der Kirche mit Exkommunikation bedroht, beklagte Martin Waldeck, oder wie er jetzt hieß, Baron von Waldeck, oftmals bitterlich, daß er nicht mehr der unbeneidete und unbelästigte, wenn auch von schwerer Arbeit bedrückte arme Köhler von früher war. Aber unter all diesen Schwierigkeiten verließ ihn der Mut nicht, der vielmehr zu wachsen schien, je dringender die Gefahren wider ihn anstürmten, bis ein unglücklicher Zufall seinen Sturz beschleunigte. Der regierende Herzog von Braunschweig hatte zu einem festlichen Turnier alle deutschen Edelleute von freier adliger Herkunft eingeladen, und Martin Waldeck, glänzend bewaffnet, begleitet von seinen beiden Brüdern und einem vornehm ausgerüsteten Gefolge, hatte die Anmaßung, unter der Ritterschaft der Provinz zu erscheinen, und stellte das Ansuchen, sich in die Listen einzuzeichnen. Das schien der Höhepunkt seiner Dünkelhaftigkeit zu sein. Tausend Stimmen riefen: »Wir wollen keinen Kohlenbrenner bei unsern ritterlichen Spielen haben!« Außer sich vor Zorn zog Martin sein Schwert und schlug den Herold nieder, der auf den allgemeinen Protest hin sich weigerte, ihn in die Listen einzutragen. Hundert Schwerter fuhren sogleich aus der Scheide, um dieses Verbrechen zu rächen, das den damaligen Begriffen nach eins der schwersten war, allein von Gotteslästerung und Königsmord überboten. Waldeck wehrte sich wie ein Löwe, aber er wurde überwältigt, und auf der Stelle wurde ihm von den Richtern des Turniers der Prozeß gemacht. Er hatte den Frieden des Reiches gebrochen und die heilige Person eines Herolds erschlagen, und als entsprechende Ahndung ward über ihn, verhängt, daß ihm schmählich die rechte Hand abgeschlagen, ihm auch seine Adelsrechte abgesprochen und er aus der Stadt vertrieben werden sollte. Als ihm die Waffen abgenommen worden waren und er die Verstümmelung, die das harte Urteil über ihn verhängte, erlitten hatte, wurde er, das beklagenswerte Opfer seines Ehrgeizes, dem Pöbel überliefert. Der verfolgte ihn mit lautem Geschrei, ihn als Teufelskünstler und Tyrann verwünschend. Und schließlich fiel denn der Pöbel über ihn her. Seine Brüder (denn die Söldner waren geflüchtet) konnten ihn endlich nach vieler Mühe aus den Händen der Menge retten, die ihre Grausamkeit befriedigt hatte und, da er vom Blutverlust und den erlittenen Mißhandlungen halb tot war, von ihm abließ. Sie fanden kein anderes Gefährt, ihn wegzuschaffen – so sinnreich war die Grausamkeit ihrer Feinde, – als einen Köhlerkarren, wie sie ihn früher selber benutzt hatten. Auf eine Schütte Stroh betteten sie ihn und konnten nicht hoffen, irgend ein Obdach zu erreichen, ehe noch der Tod ihn von seinen Qualen erlösen würde. Auf dieser jammervollen Fahrt waren sie an die Grenze ihrer Heimat gelangt und befanden sich in einem Hohlweg zwischen zwei Bergen – da sahen sie eine Gestalt auf sich zukommen – auf den ersten Blick schien es ein alter Mann zu sein. Aber als er näher kam, nahmen Glieder und Wuchs an Größe zu, der Mantel fiel ihm von den Schultern, der Pilgerstab verwandelte sich in eine bei den Wurzeln herausgerissene Fichte, und die gigantische Gestalt des Harz-Geistes schritt in all ihrer Furchtbarkeit an ihnen vorüber. Als er bei dem Karren anlangte, auf dem der unglückliche Waldeck lag, zogen seine Züge sich breit auseinander zu einem Grinsen unsäglicher Verachtung und Boshaftigkeit. »Wie behagt dir das Feuer, das meine Kohlen angefacht haben?« fragte er den Dulder. Während seine Brüder vor Entsetzen kein Glied zu rühren vermochten, schien bei Martin in einem letzten Aufflammen feines Mutes noch einmal die Kraft zu erwachen. Er richtete sich in dem Karren auf, runzelte die Stirn und schüttelte die linke Faust nach dem Gespenst hin, mit einem Blick des Hasses und Trotzes. Der Kobold verschwand mit seinem gräßlichen schallenden Lachen, und Waldeck sank nunmehr nach dieser letzten Anstrengung in völlige Erschöpfung. Die erschreckten Brüder kehrten ihr Gefährt nach den Türmen eines Klosters, die in einem Fichtenwalde am Wegesrande sich erhoben. Ein barfüßiger langbärtiger Kapuziner empfing sie barmherzig, und Martin lebte nur noch so lange, daß er die erste Beichte seit dem Tage, da er reich geworden war, ablegen und Absolution von ebendemselben Priester erlangen konnte, den am selben Tage vor drei Jahren die Menge – und er mit – aus Morgenbrod vertrieben hatte. Daß er drei Jahre sich seines unsicheren Reichtums erfreut hatte, und daß er dreimal nach. dem gespenstischen Feuer auf dem Hügel gegangen war, wurde für eine geheimnisvolle mystische Wechselbeziehung erklärt. Die Leiche Martin Waldecks wurde bestattet in dem Kloster, wo er seinen Geist ausgehaucht hatte. Seine Brüder aber nahmen das Kleid des Ordens an und starben nach einem Leben der Mildtätigkeit und der Andacht. Sein Land, auf das niemand Anspruch geltend machen konnte, lag brach, bis der Kaiser es als verfallenes Lehen an sich nahm, und die Ruinen des Schlosses, das Waldeck nach seinem eigenen Namen genannt hatte, werden noch jetzt von Wald- und Bergleuten gemieden als Heimstätte böser Geister. Unglück brachte rasch und schlimm erworbner Reichtum mit sich – wie zu ersehen war aus dem Schicksal Martin Waldecks. Neunzehntes Kapitel Die aufmerksamen Zuhörer zollten der schönen Kopistin dieser Sage den Dank, den die Höflichkeit erforderte. Oldbuck allein rümpfte die Nase und bemerkte, Fräulein Wardour habe hier fast die Geschicklichkeit eines Schwarzkünstlers bewiesen, indem sie eine tiefe und schätzenswerte Moral aus einer recht albernen, lächerlichen Sage gezogen habe. »Die Mode, soviel ich weiß, will es nun einmal, daß solche extravaganten Hirngespinste bewundert werden. Was mich aber betrifft: Ein englisch Herz und furchtlos ist das meine, Ihm tun Gespenster nichts noch rasselnde Gebeine.« »Wenn Sie erlauben, mein guter Herr Oldenbuck,« sagte der Deutsche, »Fräulein Wardour hat der Geschichte – aber das macht sie mit allem so, was sie anfaßt – eine wirklich allerliebste Wendung gegeben. Aber all die Geschichten von dem Hartschgeischt, wie er in den wilden Bergen herumgeht mit einem großen Fichtenstamm als Spatschierstock und dem grünen Krantsch um Kopf und Leib – die sind alle wahr – so wahr ich ein ehrlicher Kerl bin.« »Gegen eine so gute Bürgschaft läßt sich nichts einwenden,« versetzte der Alteitümler trocken. Das Gespräch wurde hier unterbrochen durch die Ankunft einer neuen Person. Ein junger, hübscher Mann war's, fünfundzwanzig Jahre mochte er alt sein, er trug eine militärische Uniform und in Blick und Wesen verriet sich sofort sein Soldatenberuf, ja, vielleicht etwas aufdringlicher, als mit dem Benehmen eines Mannes von guter Lebensart und Erziehung vereinbar ist, bei dem berufsmäßige Manieren nicht vorherrschen sollen. Die Mehrzahl der Ausflügler begrüßte ihn sofort. »Mein lieber Hektor!« sagte Fräulein M'Intyre, erhob sich und nahm seine Hand. »Hektor, Priamos' Sohn, von wannen kommst du?« fragte der Altertümler. »Von Fife, mein Lehnsherr«, antwortete der junge Soldat, und als er die Anwesenden und besonders Sir Arthur und Fräulein Wardour höflich begrüßt hatte, fuhr er fort: »Wie ich nach Monkbarns ritt, dir meine Huldigung darzubringen, hört ich von dem Dienstvolk, ich würde die ganze Gesellschaft hier bei den Ruinen finden, so nahm ich gern die Gelegenheit wahr, so vielen Bekannten auf einmal meine Reverenz zu erweisen.« »Und auch einem neuen, mein wackrer Trojaner,« sagte Oldbuck, »Herr Lovel, dies ist mein Neffe, Herr Kapitän M'Intyre. –Hektor, ich empfehle dir Herrn Lovel zur nähern Bekanntschaft.« Der junge Soldat heftete sein scharfes Auge auf Lovel und grüßte ihn mit mehr Zurückhaltung als Herzlichkeit; und da unser Freund seine Kälte fast hochfahrend fand, so erwiderte er den Gruß ebenso unnahbar und stolz. So schien sich im eisten Augenblick ihrer Bekanntschaft ein Vorurteil voreinander herausgebildet zu haben. Die Beobachtungen, die Lovel im weiteren Verlauf ihrer Partie machte, waren nicht dazu angetan, ihm diesen neuen Teilnehmer sympathischer zu machen. Kapitän M'Intyre widmete sich in der Zuvorkommenheit, die von seinem Alter und seinem Stande erwartet werden konnte, dem Dienste Fräulein Wardours und erwies ihr bei jeder möglichen Gelegenheit Aufmerksamkeiten, die Lovel um alle Welt ihr am liebsten selber erwiesen hätte, nur hielt ihn die Furcht ab, ihr zu mißfallen. Einmal mit trostloser Niedergeschlagenheit, dann wieder mit reizbarer Achtsamkeit sah er mit an, wie der hübsche junge Soldat all die Pflichten eines werbenden Kavaliers auf sich nahm und ausübte. Er reichte Fräulein Wardour die Handschuhe, half ihr den Schal umlegen, begleitete sie, als es weiterging, beseitigte bereitwillig alle Hemmnisse auf dem Wege und reichte ihr den Arm wo der Pfad schwierig und rauh war, wenn er sprach, wandte er sich vor allen an sie, und so oft es ging oder die Umstände es gestatteten, sprach er nur mit ihr. Dies alles, das wußte Lovel, konnte nur so die egoistische Galanterie sein, mit der die jungen Männer gern sich das Ansehen gaben, als wüßten sie die Aufmerksamkeit der hüschesten Name, die sonst an niemand Gefallen finden mochte, auf der Stelle an sich zu fesseln. Aber es kam ihm so vor, als läge im Benehmen des Kapitäns M'Intyre eine scharf ausgesprochene Zuvorkommenheit, die wohl einen Liebhaber eifersüchtig machen konnte. Auch nahm Fräulein Wardour seine Aufmerksamkeiten entgegen, und wenn er sich auch freimütig eingestand, daß sie nicht gut abgelehnt werden konnten, ohne unliebsames Aufsehen zu machen, so war es doch Wermut für seine Seele, es mitanzusehen. Sie befanden sich nun auf dem Rückweg nach dem Platze, wo sie die Wagen zurückgelassen hatten. Fräulein Wardour und ihr Kavalier waren den andern auf einem engen Wege ein Stück voraus, aber anscheinend wünschte die junge Dame sich der übrigen Gesellschaft wieder anzuschließen und dem Alleinsein mit dem jungen Offizier ein Ende zu machen. Sie blieb daher stehen und wartete, bis Herr Oldbuck herangekommen war. »Ich möchte Sie gern einmal fragen, Herr Oldbuck,« sagte sie, »wie alt Wohl diese interessanten Ruinen sein mögen.« Es hieße der Lebensart Fräulein Wardours nicht gerecht werden, wollte man meinen, sie hätte nicht von vornherein gewußt, daß diese Frage zu einer allenfalls langatmigen Antwort führen müsse. Der Altertümler stürzte sich denn auch – wie ein Streitroß sich bäumt bei der Drommete Klang – Hals über Kopf in allerlei Ausführungen für und gegen das Jahr 1273, das von einer neueren Schrift über Altertümer der schottischen Baukunst als Gründungsjahr von St. Ruth bezeichnet worden war. Er zählte die Namen aller Äbte her, die der Stiftung vorgestanden hatten, aller Edelherren, die ihr Ländereien vermacht hatten, und aller Herrscher, die hier ihren letzten Schlaf getan hatten. Wie eine Zündschnur, die Feuer gefangen hat, leicht eine andere ansteckt, wenn Brennstoff in der Nähe ist, so schnappte der Baron den Namen eines seiner Ahnen auf, der in Oldbucks Statistik vorkam, und begann nun zu erzählen, was dieser Mann für Kriege geführt, was er für Siege erfochten und was er für Trophäen erbeutet habe. So rannten nun die Redner wie Rennpferde auf ihr Ziel los, einer den andern überbietend, und es machte ihnen nichts aus, wenn sie einander in die Quere kamen oder sich gar anrannten. So uninteressant dieses Gewäsch auch sein mochte, es war offenkundig, daß Fräulein Wardour entschlossen war, lieber aufmerksam zuzuhören, als Kapitän M'Intyre Gelegenheit zu geben, ihr Gespräch unter vier Augen zu erneuern, Der junge Krieger wartete denn auch eine Weile mit schlecht verhehltem Mißfallen in den hochnäsigen Zügen und überließ sie dann ihrem schlechten Geschmack, indem er den Arm seiner Schwester nahm und sie ein wenig hinter der Gesellschaft zurückhielt. »Ich merke schon, Mariechen, ihr seid hierherum nicht eben flotter und auch nicht gebildeter geworden.« »Es hat uns deine Geduld und deine Weisheit zum Unterricht gefehlt, Hektor.« »Sehr nett, Schwesterchen. Aber ihr habt an deines Bruders Stelle einen weisern, wenn auch nicht ganz so flotten Zuwachs zu eurer Gesellschaft bekommen. Bitte, sag' mal, wer ist denn dieser Herr Lovel, den unser guter alter Oheim mit einem Male so hoch in Gnaden aufgenommen hat? – er läßt sich doch sonst nicht so leicht mit fremden Leuten ein.« »Herr Lovel, Hektor, ist ein sehr netter junger Mann.« »Pah! das heißt weiter nichts, als er macht 'ne Verbeugung, wenn er ins Zimmer kommt und hat einen Rock an, der an den Ellenbogen ganz ist.« »Nein, Bruder, das besagt weit mehr. Ich will damit sagen, seine Manieren und seine Redeweise deuten auf den Charakter und die Bildung eines Mannes von höherem Stande.« »Ich aber verlange genau zu wissen, von welcher Herkunft er ist und was für einen Rang er in der Gesellschaft einnimmt. Und vor allem welches Recht er hat, in dem Kreise zu verkehren, in dem ich ihn schon so hübsch heimisch finde.« »Wenn du meinst, wie er dazu käme, daß er uns in Monkbarns besucht, da mußt du Onkel fragen, und der wird dir voraussichtlich sagen, daß er sich einladet, wen er will. Und wenn du Sir Arthur fragen willst, so mußt du wissen, daß er Fräulein Wardour und ihm einen hervorragenden Dienst geleistet hat.« »Was? Diese romantische Geschichte ist also wahr? Und bitte, sag' mal, rechnet der tapfere Ritter etwa auf die Hand der Baroneß, die er aus der Gefahr errettet hat? Das wäre vorschriftsmäßig, wie es in einem hübschen Roman sein müßte. Und mir kommt's auch so vor, als wäre sie zu mir ungewöhnlich kurz gewesen. Manchmal schien sie auch sich zu überzeugen, ob sie auch ja nicht bei ihrem galanten Kavalier Anstoß errege.« »Lieber Hektor,« sagte seine Schwester, »wenn du wirklich noch immer Fräulein Bardour liebst...« »Wenn? Mariechen, da ist keine Rede von wenn!« »Nun, ich will dir's nur gestehn, ich halte deine hartnäckige Werbung für aussichtslos.« »Und warum hoffnungslos, Meine weise Schwester?« fragte Kapitän M'Intyre. »So wie es mit ihrem Vater steht, kann Fräulein Wardour auf großes Vermögen keinen Anspruch machen – und was die Familie anbetrifft – na, ich denke doch, die M'Intyres stehen ihnen nicht nach.« »Aber Hektor, Sir Arthur hat uns immer für Mitglieder des Hauses Monkbarns angesehen.« »Darüber mag Sir Arthur denken, was er will,« antwortete der Hochländer zornig. »Aber jeder, der seine fünf Sinne beisammen hat, wird so denken, daß das Weib den Rang vom Manne erhält und daß meines Vaters Stammbaum von fünfzehn untadelhaften Ahnen meine Mutter veredelt haben muß, und wenn Druckerschwärze selbst in ihren Adern geflossen wäre!« »Um Gotteswillen, Hektor,« versetzte seine ängstliche Schwester, »sieh dich vor – wenn ein indiskreter oder hinterlistiger Lauscher einmal eine einzige derartige Äußerung dem Onkel hinterbrächte, so hättest du sein Wohlwollen für immer verloren, und all deine Aussicht, einmal sein Vermögen und seine Besitzung zu erben, wäre dahin.« »Meinetwegen!« erwiderte der achtlose junge Mann, »ich gehöre zu einem Berufe, den die Welt bisher noch nie hat entbehren können und auch noch ein halbes Jahrhundert lang mindestens nicht wird entbehren können, und mein guter alter Onkel mag sein gutes Besitztum und seinen plebejischen Namen an dein Schürzenband hängen, wenn er will, Mariechen, und du magst diesen seinen neugebackenen Günstling heiraten, wenn du willst, und ihr mögt beide still, friedlich und hübsch ordentlich leben miteinander, wenn der Himmel will. Mein Entschluß steht fest – ich tu keinem Menschen schön wegen eines Erbes, das durch Geburt überhaupt mein sein sollte.« Fräulein M'Intyre legte ihrem Bruder die Hand auf den Arm und bat ihn sich in seinem Ungestüm zu mäßigen. »Wer tritt dir denn zu nahe oder trachtet auch nur danach, als du dir selber in deinem Jähzorn? Was für Gefahren trotzest, du denn, als bloß denen, die du selber heraufbeschworen hast? – Unser Oheim ist doch bisher zu uns immer freundlich und väterlich gewesen, und warum wolltest du denn denken, es würde anders werden, als es bisher immer gewesen ist, seit wir als Waisen unter seiner Obhut stehen?« »Er ist ein ausgezeichneter alter Herr, – muß ich zugeben,« erwiderte M'Intyre, – »und ich bin selber fuchsteufelswild auf mich, wenn ich ihm mal zufällig weh tue. Aber seine ewigen Salbadereien über Gegenstände, die keinen Schuß Pulver mehr wert sind – seine Untersuchungen über angebrochene Töpfe und Pfannen und ausgediente Pfeifenstopfer – all diese Sachen sind mir unerträglich – dabei reiht mir die Geduld – hab' etwas vom Heißsporn an mir, Schwesterchen – muß ich gestehn.« »Nur zu viel, Bruder, nur zu viel. In wieviel Gefahren, und verzeih mir, manche davon waren recht unvernünftig und unrühmlich – hat dich nicht schon dieses zufahrende ungestüme Wesen gebracht! Laß nicht solche Wolken die, Zeit verdüstern, die du jetzt bei uns zubringen willst, sondern laß unsern alten Wohltäter seinen Verwandten sehen wie er ist: hochherzig, lieb und flott, nicht roh, starrsinnig und ungestüm.« »Schön,« sagte Kapitän M'Intyre, »da hab' ich meine Gardinenpredigt weg – so will ich denn mich guter Manieren befleißigen! Ich will gleich bei eurem neuen Freunde den Höflichen machen – will mal 'n kleinen Plausch veranstalten mit diesem Herrn Lovel.« Mit diesem Vorsatz, mit dem er es für den Augenblick völlig ehrlich meinte, begab er sich wieder zu der Gesellschaft, die vor ihnen einherging. Sir Arthur sprach jetzt über die' neuesten Nachrichten aus dem Auslande und über die politische und militärische Lage des Landes – Themata, über die eine Meinung zu äußern sich jedermann für befähigt hält. Es war die Rede auf eine Schlacht vom vergangenen Jahre gekommen, und Lovel hatte sich zufällig ins Gespräch gemischt und eine Behauptung inbetreff dieser Schlacht geäußert, von deren Richtigkeit Kapitän M'Intyre nicht überzeugt zu sein schien. Er äußerte seine Zweifel in höflicher Form. »Hier mußt du deinen Irrtum zugeben, Hektor,« sagte sein Oheim, »freilich kenn' ich keinen, der weniger gern ein Unrecht eingestünde – aber du warst damals in England, und Herr Lovel war wahrscheinlich selber mit in dieser Schlacht.« »So rede ich mit einem Militär,« sagte M'Intyre. »Darf ich fragen, welchem Regiment Herr Lovel angehört?« Herr Lovel nannte die Nummer seines Regiments. »Es ist komisch, daß wir uns noch nie gesehen haben, Herr Lovel. Ich kenne Ihr Regiment sehr gut und habe mehrmals mit ihm in einem Quartier gelegen.« Eine Röte fuhr über Lovels Gesicht. »Ich bin seit einiger Zeit nicht mehr bei meinem Regiment gewesen,« erwiderte er. »Ich bin im letzten Feldzuge zum Generalstab abkommandiert gewesen, unter Sir...« »Was Sie sagen! das ist ja noch wunderbarer, denn ich habe allerdings nicht unter Sir... gedient, aber ich hatte Gelegenheit, die Namen aller Offiziere zu lesen, die unter ihm gestanden haben, und ich kann mich eines Lovel nicht erinnern.« Bei diesen Worten errötete Lovel abermals so tief, daß es der ganzen Gesellschaft auffallen mußte, während Kapitän M'Intyre mit einem verächtlichen Lachen seinen Triumph zu zeigen schien. Lovel hatte inzwischen sein Notizbuch hervorgezogen und einen Brief herausgesucht, den er aus dem Umschlag nahm und M'Intyre reichte. »Sie kennen höchstwahrscheinlich die Handschrift des Generals,« sagte er, »eigentlich' sollte ich ja wohl nicht diese überschwenglichen Äußerungen seiner Achtung und Hochschätzung meiner Wenigkeit zeigen.« In dem Schreiben sprach der betreffende Offizier seine hohe Anerkennung eines vor kurzem geleisteten militärischen Dienstes aus. Kapitän M'Intyre überflog es und konnte nicht bestreiten, daß es in der Handschrift des Generals geschrieben war, aber er gab es zurück mit den trocknen Worten, daß die Adresse fehle. »Die Adresse, Kapitän M'Intyre,« antwortete Lovel im selben Tone, »steht Ihnen zur Verfügung, sobald es Ihnen beliebt, sie sich auszubitten.« »Ich werde sicherlich darauf zurückkommen,« sagte der Soldat. »Nanu, nanu!« unterbrach sie Oldbuck. »Was soll denn das bedeuten? Laßt mal eure Eisenfresserei, ihr Bürschchen! Seid ihr vom Kriege in der Ferne hergekommen, um häuslichen Zank in unserm friedlichen Lande anzustiften? Seid ihr denn wie die Schlächterhunde, die, wenn das Schlachtvieh weggebracht worden ist, übereinander herfallen und sich beißen und ehrlichen Leuten, die dabei stehen, an die Waden fahren?« Sir Arthur meinte, die jungen Herren würden sich doch hoffentlich nicht über eine solche Kleinigkeit wie eine Briefadresse ereifern? Die beiden Gegner stritten jede derartige Absicht ab, und während sie hochrot erglühten und ihre Augen flammten, beteuerten sie doch, sie seien noch nie in ihrem Leben so ruhigen Blutes gewesen. Aber das Vergnügen des Ausflugs hatte einen merklichen Riß bekommen, das Gespräch bewegte sich von nun an durchaus in den Grenzen gesellschaftlicher Vorschriften, und Lovel, der sich kalten, mißtrauischen Blicken allerseits ausgesetzt glaubte und wohl verspürte, daß seine ungenauen Antworten seltsame Gedanken über seine Person wachgerufen haben mußten, entschloß sich schweren Herzens, auf das Vergnügen, den Abend in Knockwinnock zu verbringen, wie er es sich zuerst vorgenommen hatte, zu verzichten. Er gab daher als Entschuldigung an, daß ihn ein heftiges Kopfweh befallen habe, wie er es seit seiner Erkrankung noch nicht gehabt habe – er schrieb es der Hitze des Tages zu. Sir Arthur, den er der Förmlichkeit halber bat, ihn für den Abend zu beurlauben, hörte mehr auf den plötzlich erwachten Verdacht, als auf die Dankbarkeit für früher getane Dienste und drängte ihn nicht mehr, sein Versprechen zu halten, als es der gute Ton allenfalls verlangte. Als Lovel sich von den Damen verabschiedete, schien Fräulein Wardour besorgter, als je bisher. Sie warf einen Blick, den Lovel allein bemerken konnte, nach Kapitän M'Intyre hin, ihn als die Ursache ihrer Besorgnis bezeichnend, und in einem Tone, weit leiser als sie sonst zu sprechen pflegte, sprach sie die Hoffnung aus, es möge eine nicht minder angenehme Einladung sein, die Herrn Lovel bewege, sie des Vergnügens seiner Gesellschaft zu berauben. »Es handelt sich um keine Einladung,« versicherte er ihr, »nur das Leiden ist wiedergekehrt, das mich seit einiger Zeit ab und zu befällt.« »In solchem Falle ist das beste Mittel Klugheit, und ich – jeder, der es gut mit Herrn Lovel meint, wird erwarten, daß er das Mittel anwendet.« Lovel verbeugte sich und errötete tief, und Fräulein Wardour wandte sich ab, als fühle sie, daß sie zu viel gesagt hätte, und stieg in den Wagen. Nun hatte Lovel sich von Oldbuck zu verabschieden. »Was, Mann!« rief dieser. »Sie wollen uns doch nicht etwa verlassen wegen der Zudringlichkeit und des Ungestüms Hektors? Ei, das ist ein gedankenloser Bengel – seit der Zeit schon, wo er noch in den Armen der Amme gelegen hat, ist er eine verzogene Range – wenn ich ihm das Stück Zucker, um das er nergelte, nicht hab' geben wollen, hat er mir sein Spielzeug an den Kopf geworfen – und Sie haben doch zuviel Verstand, als daß Sie sich um so einen schrulligen Jungen kümmern sollten? Ich will ihn schon mit der Zeit Mores lehren und alles ins rechte Geleise bringen.« Aber Lovel bestand darauf, nach Fairport zurückzukehren. Da schlug der Altertümler einen ernstern Ton an. »Nehmen Sie sich in acht, junger Mann, und erwägen Sie wohl, was jetzt in Ihnen sich regt. Das Leben ist Ihnen zu nützlicherem und wertvollerem Zweck gegeben und Sie müssen es erhalten, um die Literatur unsers Landes zu zieren, sofern es nicht Ihre Pflicht ist, es zur Verteidigung des Landes oder zur Rettung der Unschuldigen in die Schanze zu schlagen. Der Krieg zwischen zweien ist dem zivilisierten Altertum ganz unbekannt und von allen Albernheiten, die die gotischen Stämme aufgebracht haben, die gröbste, ruchloseste und grausamste. Lassen Sie mich nichts mehr von diesen albernen Zänkereien hören, und ich will Ihnen auch meine Abhandlung über das Duell zu lesen geben.« »Aber ich versichere Ihnen, mein lieber Herr, es ist nichts zwischen Kapitän M'Intyre und mir vorgefallen, und es liegt kein Anlaß zu einer so schätzenswerten Vermittlung vor.« »Sehen Sie zu, daß dem so sei, denn sonst, meiner Treu, – ich sekundiere Ihnen beiden, – das heißt, ich leuchte Ihnen heim!« Mit diesen Worten stieg der alte Herr in die Postkutsche, bei der Marie M'Intyre ihren Bruder zurückgehalten hatte. Aber Hektor verstand es doch, ihrer Vorsicht ein Schnippchen zu schlagen. Als er zu Pferde saß, ritt er langsam hinter dem Wagen her, bis sie um die Ecke der Chaussee von Knockwinnock gebogen waren, und dann warf er den Kopf seines Pferdes herum, gab ihm die Sporen und galoppierte in der entgegengesetzten Richtung davon. In wenigen Minuten hatte er Lovel eingeholt, der vielleicht seine Absicht vorausgeahnt hatte und daher im Schritt geritten war. Der junge Soldat, schon von Natur heißblütig, war durch den scharfen Ritt noch mehr in Hitze geraten und brachte sein Pferd mit einem jähen Ruck neben Lovel zum Stehen. Flüchtig griff er an seinen Hut und fragte in hochfahrendem Tone: »Sie sagten, Herr, Ihre Adresse stände mir zur Verfügung – wie hab' ich das zu verstehen?« »Sehr einfach, Herr!« versetzte Lovel. »Das heißt, daß ich zur Zeit in Fairport wohne, wie Sie aus dieser Karte ersehen.« »Und das ist die ganze Auskunft, die Sie mir geben wollen?« »Ich wüßte nicht, daß Sie ein Recht hätten, mehr zu verlangen.« »Ich finde Sie, Herr, im Verkehr mit meiner Schwester,« sagte der junge Soldat, »und ich habe ein Recht zu erfahren, wer in den Umgang von Fräulein M'Intyre eingeführt wird.« »Ich bin so frei, dieses Recht zu bestreiten,« versetzte Lovel in ebenso hochfahrendem Wesen, wie der junge Mann gegen ihn herauskehrte. »Sie finden mich in einer Gesellschaft, die mit der Auskunft, die ich über mich und meine Angelegenheiten zu geben für angebracht gehalten habe, zufrieden ist, und Sie, ein bloßer Fremder, haben gar kein Recht, weiter nachzufragen.« »Herr Lovel, wenn Sie Offizier sind, wie Sie sagen ...« »Wenn!« unterbrach ihn Lovel. » Wenn ich Offizier bin, wie ich sage?« »Jawohl, so sagte ich, Herr – wenn Sie es sind, dann müssen Sie wissen, daß Sie mir Satisfaktion schuldig sind.« »Wenn Sie meinen – es soll mich stolz machen, Kapitän M'Intyre, Ihnen in der unter Männern von Ehre allgemein üblichen Weise Satisfaktion zu geben.« »Sehr wohl, Herr,« versetzte Hektor und wandte sein Pferd und galoppierte nun wieder seinen Angehörigen nach. Seine Abwesenheit hatte sie schon in Sorge versetzt, seine Schwester hatte halten lassen und steckte den Hals zum Wagen heraus, um zu sehen, wo er stecke. »Was ist los mit dir?« rief der Altertümler. »Reitest hin und her, als säß dir der Satan im Genick – was bleibst du nicht beim Wagen?« »Hatte meinen Handschuh vergessen, Onkel,« sagte Hektor. »Deinen Handschuh vergessen! – Glaube eher, hingeworfen hast du deinen Handschuh – aber ich will dir schon den Standpunkt klar machen, Musjöchen! – Heute nacht sollst du mit mir nach Monkbarns.« Mit diesen Worten hieß er den Postillon weiterfahren. Zwanzigstes Kapitel Früh am andern Morgen sprach ein Herr bei Herrn Lovel vor, der bereits auf war und ihn sofort empfing. Es war ein Offizier, ein Freund des Kapitäns M'Intyre, der gegenwärtig zur Rekrutenaushebung in Fairport weilte. Lovel und er kannten sich flüchtig. »Ich vermute, Herr,« sagte Herr Lesley (so hieß der Besuch), »Sie können sich denken, was mich so früh zu Ihnen führt.« »Wahrscheinlich eine Nachricht von Kapitän M'Intyre.« »So ist es. Er hält sich für beleidigt durch die Art und Weise, wie Sie gestern auf gewisse Fragen geantwortet haben, die er über einen in seiner Familie zugelassenen Herrn sich zu stellen für berechtigt erachtete.« »Darf ich fragen, Herr Lesley, ob Sie willens gewesen wären, Fragen, die in so hochmütigem Tone, ohne jede Höflichkeit und geradezu in der Form eines Verhörs an Sie gestellt worden wären, zu beantworten?« »Möglicherweise nicht. Und da ich weiß, wie leicht bei solchen Anlässen mein Freund M'Intyre aus der Haut fährt, so hege ich den innigen Wunsch, als Friedensstifter einzutreten. Jedermann wird es herbeiwünschen, daß Herr Lovel bei seinem durchaus ehrenhaften Charakter alle jene unklare, haltlose Verleumdung abschnitte, die sich nun einmal immer an jemand heftet, über dessen Person nicht alles klippeklar liegt. Wenn er mir gestatten möchte, in freundschaftlicher Vermittlung Kapitän M'Intyre seinen wahren Namen mitzuteilen, denn wir sind zu dem Schlusse gekommen, der Name Lovel ist ein angenommener ....« »Bedaure sehr, Herr – eine solche Vermittlung kann ich nicht zugeben.« »Oder wenigstens,« fuhr Lesley fort, »sind wir des Glaubens, es sei nicht der Name, unter dem sich Herr Lovel jeder Zeit ausgezeichnet hat – wenn Herr Lovel die Güte haben wollte, diesen Umstand klarzustellen, was er meiner Ansicht nach schon aus Gerechtigkeit gegen sich selber tun sollte, dann bürge ich für eine gütliche Erledigung dieser unangenehmen Angelegenheit.« »Das heißt also, Herr Lesley, wenn ich mich bereit finden lasse, Fragen zu beantworten, die keinem Menschen zukommen und die mir jetzt gestellt werden unter der Androhung, den Zorn des Kapitäns M'Intyre auf mich zu lenken – dann wird Kapitän M'Intyre sich bereit finden lassen, die Sache auf sich beruhen zu lassen? Herr Lesley, ich habe hierzu nur eins zu sagen – ich bezweifle nicht, daß mein Geheimnis, wenn ich eins hätte, Ihrer Ehre ohne Bedenken anvertraut werden könnte, aber ich fühle mich nicht veranlaßt, die Neugierde irgendwessen zu befriedigen. Kapitän M'Intyre hat mich in einer Gesellschaft getroffen, die allein schon für alle Welt zur Genüge Bürge dafür ist, daß ich ein Ehrenmann bin, und er vor allen hätte sich hierbei beruhigen sollen. Er hat meiner Meinung nach kein Recht, weiter zu gehen oder nach dem Rang, Stammbaum oder den Verhältnissen eines Fremden zu fragen, der, ohne nach einem intimen Verkehr mit ihm zu trachten, zufällig bei seinem Oheim zu Mittag speist oder in Gesellschaft seiner Schwester einen Ausflug macht.« »In diesem Falle wünscht Kapitän M'Intyre Sie wissen zu lassen, daß Ihre ferneren Besuche in Monkbarns und alle Beziehungen zu Fräulein M'Intyre ihm unangenehm sind und zu unterbleiben haben.« »Ich werde sicherlich,« sagte Lovel, »Herrn Oldbuck besuchen, wann es mir paßt, ohne mich an die Drohungen oder an die Reizbarkeit seines Neffen im mindesten zu kehren. Den Namen der jungen Dame achte ich zu hoch (allerdings kann es im übrigen eine oberflächlichere Bekanntschaft überhaupt nicht geben) – um ihn in eine solche Erörterung einzubeziehen.« »Da dies Ihr Entschluß ist, Herr,« antwortete Lesley, »verlangt Kapitän M'Intyre, daß Herr Lovel, sofern er nicht für einen sehr fragwürdigen Charakter erklärt werden wolle, ihm die Ehre geben werde, heute abend um 7 Uhr an dem hohen Dornbusch dicht bei den Ruinen von Sankt Ruth mit ihm zusammenzutreffen.« »Ganz ohne Frage werde ich mich ihm stellen. Es ist da nur eine Schwierigkeit – ich muß einen Freund finden, der mich begleitet, und wo soll ich einen finden in dieser kurzen Frist, da ich in Fairport niemand kenne? Trotzdem aber werde ich zur Stelle sein, darauf kann Kapitän M'Intyre rechnen.« Lesley hatte zum Hute gegriffen und war schon an der Tür, da kehrte er noch einmal zurück, wie aus Teilnahme an Lovels eigentümlicher Lage, und sagte zu ihm: »Herr Lovel, die ganze Sache ist so seltsam, daß ich nicht umhin kann, noch einmal Ihnen den Fall vorzuhalten. Sie müssen in diesem Augenblick selber zugeben, wie mißlich es ist, daß Sie ein Inkognito wahren wollen, für das, davon bin ich überzeugt eine unehrenhafte Veranlassung nicht vorliegt. Dennoch macht dieses Geheimnis es Ihnen zur Schwierigkeit, sich in einer so heikeln Lage den Beistand eines Freundes zu verschaffen – ja, ich muß hinzusetzen, daß von vielen Seiten es dem Kapitän M'Intyre gewissermaßen als Don-Quixoterie angerechnet werden dürfte, daß er Sie fordert, da doch Ihr Charakter und Ihre Verhältnisse so in Dunkel gehüllt sind. Da mir selber aber daran gelegen sein muß, eine so schwere Verantwortung mit einem geeigneten Sekundanten zu teilen, so will ich Ihnen mitteilen, daß Leutnant Taffrils Kanonenbrigg hier angelegt hat. Er selber wohnt zur Zeit beim alten Caxon. Ich glaube, Sie kennen ihn ebenso gut wie ich, und so wie ich Ihnen ganz gewiß sehr gern diesen Dienst erwiesen hätte, wenn ich nicht schon von der andern Seite beansprucht wäre, so wird er sich, davon bin ich überzeugt, auf ein Ansuchen Ihrerseits sofort dazu bereit erklären.« »Beim Dornbusch also, Herr Lesley, heute abend um 7 Uhr. Die Waffen sind vermutlich Pistolen?« »Ganz recht. Herr M'Intyre hat die Stunde gewählt, zu der er am besten von Monkbarns entkommen kann – heute früh um 5 Uhr war er mit mir dort, um rechtzeitig, wenn sein Oheim auf wäre, wieder zurück zu sein. Guten Morgen, Herr Lovel!« Und Lesley verließ das Zimmer. Lovel war gewiß mutig wie einer, aber niemand kann eine Krise, wie sie jetzt ihm bevorstand, ohne tiefe Gefühle der Beklommenheit und Unsicherheit betrachten. In ein paar Stunden vielleicht war er in einer andern Welt – und das durch eine Tat, die, wie er bei ruhigem Bedacht sich sagen mußte, vom religiösen Gesichtspunkt aus nicht zu rechtfertigen war –, oder er irrte in dieser Welt umher wie ein Kain unter der Last der Blutschuld. Und all dies konnte erspart werden, wenn er ein einziges Wörtchen sprach. Doch der Stolz flüsterte ihm zu, daß dieses Wort, spräche er es jetzt, einem Beweggrund zugeschrieben würde, der ihn weit mehr entwürdigen müßte, als selbst die ehrenrührigsten Gründe, die man seinem Schweigen unterschieben könnte. Jeder, selbst Fräulein Wardour, hätte ihn dann einen niedrigen, ehrlosen Prahlhans nennen müssen, dem die Furcht vor einem Zweikampf mit Kapitän M'Intyre die Erklärung entriß, die er den ruhigen und vernünftigen Auseinandersetzungen Lesleys verweigert hatte. Die Unverschämtheit, mit der M'Intyre ihm persönlich gegenübergetreten war, das anmaßende Wesen, das er gegen Fräulein Wardour gezeigt hatte, die Ungerechtigkeit, Arroganz und Unhöflichkeit seiner an einen ihm völlig Fremden gestellten Fragen schienen Lovel recht zu geben, wenn er seine dreiste Zudringlichkeit zurückwiese. Kurz, er faßte den Entschluß, wie das von einem so jungen Manne auch nicht anders erwartet werden mochte, die Augen zu schließen vor allem seiner ruhigeren Vernunft gegenüber und dem Gebot zu folgen, das sein gekränkter Stolz ihm vorschrieb. Mit diesem Vorsatz suchte er Leutnant Taffril auf. Der Leutnant empfing ihn mit der guten Lebensart eines Soldaten und der Ungeniertheit eines Seemannes. Mit nicht geringem Erstaunen hörte er den Bericht an, der dem Ansuchen voranging, in dem Duell mit Kapitän M'Intyre als Lovels Sekundant tätig zu sein. Als er geendet hatte, stand Taffril auf und schritt ein paarmal durch das Zimmer. »Die Sache liegt sehr komisch,« sagte er, »und in der Tat. ...« »Ich weiß sehr wohl, Herr Taffril, wie wenig ich berechtigt bin, ein solches Ansinnen zu stellen, aber die dringliche Sachlage läßt mir kaum eine Wahl.« »Gestatten Sie mir eine Frage,« sagte der Seemann. »Sie haben sich geweigert, über Ihre Verhältnisse Auskunft zu geben – geschah das, weil Sie sich irgendeiner Sache zu schämen hätten?« »Bei meiner Ehre nein. Nichts derartiges liegt vor, und in ganz kurzer Zeit hoffe ich aller Welt die ganze Sache zu enthüllen.« »Ich hoffe auch, das Geheimnis rührt nicht von falscher Scham über irgendwie niedrige Verhältnisse Ihrer Freunde oder Verwandten her?« »Nein, mein Wort darauf,« erwiderte Lovel. »Ich habe wenig übrig für solchen Mumpitz,« sagte Taffril. »Das kann eigentlich auch kein Mensch von mir erwarten. Denn wenn ich von meinen Angehörigen sprechen sollte, so bin ich selber sozusagen im Zwischendeck zur Welt gekommen, und binnen kurzem werde ich eine Verbindung eingehen, die die Welt als sehr minderwertig bezeichnen wird. Ich werde ein liebes gutes Mädel heiraten, in das ich verliebt bin, seit wir auf einem Korridor wohnen, und das hat schon angefangen, lange ehe ich noch hätte ahnen können, daß ich mit der Beförderung solches Glück haben würde.« »Ich versichere Ihnen, Herr Taffril,« versetzte Lovel, »was auch die gesellschaftliche Stellung meiner Eltern und Anverwandten wäre, ich würde nie daran denken, aus kleinlichem Stolze ein Geheimnis daraus zu machen. Aber meine Lage verbietet mir's für den Augenblick, über meine Familie im geringsten mich auszulassen.« »Genügt vollständig,« sagte der ehrliche Seemann, »geben Sie mir Ihre Hand. Ich werde Ihnen in der Geschichte beistehen, so gut ich kann. Aber unangenehm bleibt die Chose doch. Aber was denn? Nächst unserm Vaterlande hat unsere eigene Ehre den größten Anspruch auf uns. Sie sind ein couragierter und geistreicher Bursche, und ich gebe es offen zu, Herr Hektor M'Intyre ist mit seinem langen Stammbaum und seinem Familiendünkel ein rechter Maulaffe. Wissen Sie was? Wir wollen zusammen zu Mittag speisen und alles Weitere in Ordnung bringen. Mit der Handhabung der Waffe sind Sie doch wohl vertraut?« »Nicht besonders,« antwortete Lovel. »Bedauerlich – M'Intyre soll ein guter Schütze sein.« »Tut mir auch leid,« sagte Lovel, »um seinet- wie um meinetwillen. Muß eben zur Selbstverteidigung so gut zielen, wie es geht.« »Na, ich lasse unsern Wundarzt hinkommen,« sagte Taffril, »ein kluger junger Mann – versteht sich aufs Zuflicken einer Schußwunde ausgezeichnet. Will auch Lesley sagen – ein guter Kerl und ein Landsmann von mir – daß der Arzt für beide Parteien sein soll. Kann ich sonst noch was für Sie tun – im Falle die Sache schief geht?« »Ich hätte Ihnen nur wenig aufzutragen,« sagte Lovel. »In diesem kleinen Briefchen befindet sich der Schlüssel zu meinem Schreibtisch und zu meinem kleinen Geheimnis. In meinem Schreibtisch liegt ein Brief –« er schluckte einen Schluchzer hinunter, der ihm plötzlich in die Kehle stieg – »den ich Sie eigenhändig an die Adresse zu befördern bitte.« »Ich verstehe,« sagte der Seemann. »Nein, mein Freund, schämen Sie sich nicht deswegen. Ein liebevolles Herz kann schon auf einen Augenblick ein paar Tränen schimmern lassen, wenn das Schiff klar zum Gefecht macht. Und verlassen Sie sich darauf, was Ihre Aufträge betrifft, Dan Taffril wird sie achten als das Vermächtnis eines sterbenden Bruders. Doch das ist ja direkt Stuß! Wir müssen nun alles in Ordnung bringen, und Sie werden mit mir und meinem kleinen Wundarzt hier gerade 'rüber um 4 Uhr zu Tisch sein.« »Abgemacht,« sagte Lovel. »Abgemacht!« stimmte Taffril bei, und die ganze Sache war geregelt. Es war ein schöner Sommerabend, und der Schatten des einsamen Dornbusches fiel schon lang auf den kurzen grünen Rasen des engen Tales, das von den Wäldern um St. Ruth her umsäumt wurde. Lovel und Leutnant Taffril kamen mit dem Wundarzt zu einem Zwecke hierher, der mit dem milden friedlichen Charakter der Stunde und des Platzes in keinem Einklang stand. Taffril und Lovel waren in tiefem Gespräch, aus Furcht vor Entdeckung hatten sie ihre Pferde mit dem Diener des Leutnants nach der Stadt zurückgeschickt. Der Gegner war noch nicht zur Stelle. Aber als sie den vereinbarten Platz erreichten, saß da auf den Wurzeln des alten Dornbusches eine Gestalt, die in ihrem Verfall noch ebenso kraftvoll war wie die von Moos überwucherten starken und verrenkten Zweige, die ihm zum Baldachin dienten. Es war der alte Ochiltree. »Das ist fatal,« sagte Lovel. »Wie sollen wir den alten Kerl los werden?« »He, Vater Adam!« rief Taffril, der den Bettler schon lange kannte. »Hier habt Ihr eine halbe Krone – Ihr müßt mal hinunter nach den »Vier Pferdehufen« – nach dem kleinen Wirtshaus, wißt Ihr – und nach einem Diener mit blau-gelber Livree fragen. Wenn er noch nicht da ist, wartet Ihr auf ihn. Sagt ihm, er möge in etwa einer Stunde zu seinem Herrn kommen. Auf alle Fälle habt Ihr selber zu warten, bis wir zurückkommen, und – und – na, macht, daß Ihr hier weg kommt – los, los, lichtet den Anker!« »Schön Dank für Ihr Almosen,« sagte Ochiltree, das Geldstück einsteckend, »aber bitt' um Entschuldigung, Herr Taffril, Ihren Auftrag kann ich jetzt gleich nicht ausführen.« »Warum nicht, Mann? was kann Sie daran hindern?« »Ich möcht' ein Wort reden mit dem jungen Herrn Lovel.« »Mit mir?« antwortete Lovel. »Was hätten denn Sie mit mir zu reden? Kommen Sie und schießen Sie los und machen Sie's kurz!« Der Bettler nahm ihn ein paar Schritte beiseite. »Sind Sie dem gnädigen Herrn von Monkbarns was schuldig?« »Schuldig? nein, ich nicht – was soll das? wie kommen Sie darauf?« »Sie müssen wissen, ich war heute beim Sheriff, denn, Gott helfe mir! – ich klopf' an alle Türen an wie der unruhige Geist, und wer wird da in einer Postkutsche angesaust kommen in furchtbarer Aufregung? Monkbarns! Na, das kann doch keine Kleinigkeit gewesen sein, weswegen dero Gnaden eine Postkutsche genommen hat mit Postpferden und auf zwei Tage!« »Na, und was geht denn das alles mich an?« »Na, da hören Sie, hören Sie. Monkbarns wird zu dem Herrn Sheriff sofort hereingelassen, und die armen Leute können draußen warten – o ja, o ja, die Herren sind untereinander sehr höflich!« »Zum Donnerwetter, alter Freund ...« »Könnten Sie mich nicht gleich rundheraus zum Teufel gehn heißen, Herr Lovel?« »Aber ich habe mit Leutnant Taffril dringend zu tun hier.« »Ja doch, ja doch, alles zu seiner Zeit,« sagte der Bettler. »Herrn Daniel Taffril gegenüber kann ich mir schon ein bißchen was herausnehmen. Hab' schon manche Arbeit für ihn getan, denn ich versteh' die Zimmerei ebenso gut wie das Kesselflicken.« »Entweder Sie sind verrückt, Adam, oder Sie wollen mich verrückt machen.« »Nichts von alledem,« sagte Adam, – indem er plötzlich von dem langgezogenen Gedahle des Bettlers zu einem kurzen, entschiedenen Ton überging. »Der Sheriff hat nach seinem Schreiber geschickt, und da der Junge schwatzhaft ist, erfuhr ich leicht, daß es sich um einen Haftbefehl gegen Sie handelte; ich dachte nun zuerst, es wär' wegen Schulden, denn alle Welt weiß, der Herr von Monkbarns läßt sich von niemand die Taschen plündern – aber jetzt kann ich ja das Maul halten, denn dort seh' ich den jungen M'Intyre und Herrn Lesley herankommen, und ich kann mir schon denken, Monkbarns hat eine sehr gute Absicht gehabt, aber die Ihre ist schlecht und verbrecherisch!« Die Gegner traten aufeinander zu und begrüßten sich mit der kalten Höflichkeit, die der Anlaß erheischte. »Was hat der alte Kerl hier zu suchen?« fragte M'Intyre. »Wohl bin ich ein alter Kerl,« sagte Edie, »aber ich bin auch ein alter Soldat von Ihrem Vater, denn ich hab' unter ihm gedient bei den 42ern.« »Dient, wo Ihr wollt, aber nehmt's Euch nicht heraus, uns hier zu belästigen,« sagte M'Intyre, – »sonst –« Und er hob den Stock, allerdings nur, um ihm zu drohen, denn es lag ihm völlig fern, den alten Mann etwa zu schlagen. Aber die Schmähung erweckte Ochiltrees Mut. »Herunter mit Ihrem Stöckchen,« sagte er. »Kapitän M'Intyre, ich bin ein alter Soldat, wie ich Ihnen schon sagte, und von Ihres Vaters Sohn möcht' ich wohl manches hinnehmen, aber keinen Schlag mit dem Stock, solange noch mein Stock selber nicht zerbrochen ist.« »Schon gut, schon gut – hab' unrecht gehabt – hab' unrecht gehabt,« sagte M'Intyre. »Da ist 'ne halbe Krone für Euch – aber macht, daß Ihr weiter kommt! Na, was wollt Ihr denn noch?« Der alte Mann richtete sich zu der vollen, imposanten Höhe seiner ungewöhnlich großen Gestalt auf, und trotz seiner Kleidung, die allerdings mehr der eines Pilgers als der eines gemeinen Bettlers glich, ließen ihn seine Größe, sein Wesen und der Nachdruck seiner Stimme und Gebärde eher wie einen grauen Psalmisten oder einen Einsiedlerpriester, wie den geistlichen Ratgeber der jungen Männer, die um ihn her standen, erscheinen als wie den auf ihre Mildtätigkeit angewiesenen Bettler. Seine Rede war in der Tat so schmucklos und schlicht wie seine Kleidung, aber auch so kühn und zwanglos, wie sein hoch aufgerichteter Wuchs und sein würdevolles Wesen. »Wozu sind Sie hierher gekommen, junge Herren?« sagte er, sich an die erstaunten Zuhörer wendend. – »Sind Sie unter die schönsten Werke Gottes getreten, um seine Gesetze zu brechen? Haben Sie verlassen die Werke der Menschen, die Städte und die Häuser, die bloß Schutt und Staub sind gleich wie ihre Erbauer, und sind Sie hierher gekommen unter die friedlichen Hügel und zu den stillen Wassern, die so lange dauern werden wie die Erde selber, um einander das Leben zu nehmen, das Leben, das nach dem Lauf der Natur nur von ganz kurzer Dauer sein wird mit einer langen Rechenschaft am Abschluß! O meine Herren! Haben Sie Brüder, Schwestern, Väter, die Sie erzogen haben, Mütter, die um Ihretwillen Schmerzen gelitten haben, Freunde, die Sie ein Stück Ihres Herzens genannt haben, und wollen nun sie alle kinderlos, bruderlos und freundlos machen? Wehe! das ist ein gar schlimmer Kampf, wo der, der den Sieg davon trägt, am schlimmsten dran ist! Überlegen Sie sich das, junge Herren! Ich bin ein armer Mann – aber ich bin auch ein alter Mann – und was die Armut meinem Rate an Nachdruck nimmt, graue Haare und ein treues Herz legen zwanzigmal mehr wieder dazu. Gehen Sie heim, gehen Sie heim – wie gute Jungens! – Bald wird der Franzose, uns hier drüben zu schaffen machen, und es wird genug zu kämpfen geben, und vielleicht humpelt der alte Edie auch noch mit und kann Ihnen dann vielleicht selber sagen, wer es am besten versteht, wo es eine gute Sache gilt.« Die furchtlose freimütige Weise, das kühne Urteil und die männlich rauhe Sprache des Greises machte Eindruck auf die Gesellschaft, besonders auf die Sekundanten, die nicht ihren Stolz darein zu setzen hatten, daß die Sache durch blutigen Spruch abgemacht würde, sondern vielmehr begierig nach einer Gelegenheit, Versöhnung zu stiften, ausspähten. »Mein Wort darauf, Lesley,« sagte Taffril, »der alte Adam spricht wie ein Orakel. Unsere Freunde hier sind gestern sehr hitzig gewesen und natürlich sehr töricht. Heute sollten sie ruhig und vernünftig sein, oder wenigstens sollten wir das für sie sein. Ich dächte, das Wort sollte auf beiden Seiten vergeben und vergessen sein. Wir sollten uns alle die Hände schütteln, die dummen Knallschoten da in die Luft abfeuern und nach Hause gehen und allesamt zu Abend speisen.« »Das möcht' ich auch von ganzem Herzen empfehlen,« sagte Lesley, »denn sie sind beide erhitzt und erbost gewesen, aber abgesehen davon, muß ich gestehen, ich kann keinen vernünftigen Grund zu dem Zweikampf erkennen.« »Meine Herren,« sagte M'Intyre mit eisiger Kälte, »das hätte alles vorher bedacht werden müssen. Ich meinesteils fühle mich nur verpflichtet, Sie aufzufordern, nunmehr ohne weitern Zeitverlust zur Sache zu kommen,« »Und ich,« sagte. Lovel, »habe nie einen Aufschub gewünscht und habe diese Herren nur zu bitten, die Vorbereitungen so rasch wie möglich zu treffen.« »Junge Herren, junge Herren!« rief der alte Ochiltree, da er aber sah, daß sie sich nicht mehr an ihn kehrten, setzte er hinzu: »Tollhäusler, sollt' ich sagen – aber Euer Blut komme über Euch!« Und er entfernte sich. Die Sekundanten maßen nun den Boden ab und trafen, ohne weiter auf den alten Mann zu achten, die nötigen Vorkehrungen zum Duell, und es wurde ausgemacht, daß beide Parteien schießen sollten, wenn Herr Lesley das Taschentuch senken würde. Das unglückselige Zeichen wurde gegeben – beide feuerten fast im gleichen Moment. Kapitän M'Intyres Kugel streifte die Seite seines Gegners, doch floß kein Blut. Lovels Schuß saß besser. M'Intyre wankte und fiel. Er stützte sich sogleich auf und rief: »Es ist nichts – es ist nichts – neue Pistolen her!« Aber gleich darauf setzte er leiser hinzu: »Ich glaube, ich habe genug! Und das Schlimmste ist, ich fürchte, es geschieht mir recht. Herr Lovel, oder wie Sie sonst heißen mögen, fliehen Sie und retten Sie sich – Ihr alle seid Zeugen – ich habe dies so weit getrieben.« Dann richtete er sich noch einmal auf seinem Arme in die Höhe und setzte hinzu: »Ihre Hand, Lovel – ich glaube, Sie sind ein Ehrenmann – vergeben Sie mir meine Roheit, und ich vergebe Ihnen, daß Sie mich erschossen haben – o meine arme Schwester!« Der Wundarzt kam heran, um nun auch seine Rolle bei dem Trauerspiel zu spielen, und Lovel stand und starrte auf das Unheil hin, das er angerichtet hatte, wenn auch wider Willen – und vor den Augen drehte sich ihm alles im Kreise. Der Griff des Bettlers riß ihn aus seiner Versunkenheit. »Was stehen Sie und starren auf Ihre Untat hin? Geschehen ist geschehen – und was geschehen, ist nicht ungeschehen zu machen! Aber weg von hier – weg, wenn wir Ihr junges Blut vor schmachvollem Tode erretten wollen! Da seh' ich schon die Leute kommen, die wohl zu spät kommen, Sie auseinander zu bringen, aber noch früh genug, überfrüh, Sie ins Gefängnis, zu schleppen.« »Er hat recht, er hat recht!« rief Taffril. »Sie dürfen nicht auf die Chaussee – gehen Sie in den Wald, bis es Nacht ist! Meine Brigg wird dann unter Segel sein, und um 3 Uhr morgens, wenn die Flut uns zu Hilfe kommt, soll mein Boot an der Muschelklippe, auf Sie warten.« »O ja, fliehen Sie, fliehen Sie!« rief der Verwundete, der vor krampfhaftem Schluchzen nichts weiter sagen konnte. »Kommen Sie mit mir,« sagte der Bettler und schleppte ihn förmlich hinweg, – »der Plan des Kapitäns ist gut – ich will Sie an einen Fleck bringen, wo Sie bis dahin sicher geborgen sein werden, und sollten sie Sie mit Bluthunden suchen.« »Fort! Fort!« drängte Leutnant Taffril. »Hier bleiben wäre Wahnsinn!« »Schlimmerer Wahnsinn war's, hierher zu kommen!« sagte Lovel, ihm die Hand drückend. »Leben Sie wohl!« Und er folgte Ochiltree in das Dickicht des Waldes. Ende des ersten Bandes. Zweiter Band Erstes Kapitel Fast mechanisch folgte Lovel dem Bettler, der schnellen rüstigen Schrittes den Weg führte durch Busch und Dorn. Er vermied die gebahnten Pfade und wandte sich oft und lauschte, ob Laute der Verfolgung hinter ihnen seien. Bisweilen stiegen sie in das Bett des Wildbachs selber hinab, bisweilen schlugen sie einen engen gefahrvollen Pfad ein, den die Schafe am Rande der überhängenden Flanken gebahnt hatten. Von Zeit zu Zeit hatte Lovel eine Aussicht auf den Weg, den er am verflossenen Tage mit Sir Arthur, dem Altertümler und den jungen Damen gegangen war. Niedergeschlagen, bestürzt und beherrscht von tausend unruhigen Gedanken, wie er war, was hätte er jetzt darum gegeben, das Bewußtsein der Unschuld wieder zu erlangen, das allein tausend Übeln die Wage hätte halten können. »Und doch,« solche Gedanken kamen ihm in Eile und unwillkürlich, »selbst schuldlos und wertgeschätzt von allen um mich her, kam ich mir unglücklich vor. Was bin ich nun, da das Blut dieses jungen Mannes mir an den Händen klebt? Das Gefühl des Stolzes, das mich zur Tat trieb, hat mich jetzt verlassen, und so, sagt man ja wohl, spielt der böse Feind selber denen mit, die er zur Schuld verlockt hat.« Vor den ersten Stichen der Gewissensbisse sank selbst seine Liebe zu Fräulein Wardour für den Augenblick, und er meinte, er könne jede Qual verschmähter Liebe ertragen, wenn er nur das Gewissen wieder frei von der Blutschuld hätte machen können, so wie es noch am Morgen gewesen war. Diese schmerzlichen Betrachtungen wurden durch kein Gespräch seines Führers unterbrochen, der ihn durch das Dickicht leitete, bald hielt er die Zweige zurück, damit er leicht hindurch könne, bald mahnte er ihn zur Eile, bald murmelte er, wie es einsame, vernachlässigte Greise zu tun pflegen, Worte vor sich hin, die Lovel vielleicht auch bei achtsamem Lauschen nicht verstanden hätte. Erschöpft von der Krankheit, die ihn in letzter Zeit geplagt hatte, von den quälenden Gedanken, die in ihm rege waren, und von der Anstrengung, auf einem so rauhen Pfade mit seinem Führer Schritt zu halten, begann Lovel endlich zu erschlaffen und zurückzubleiben. Aber noch ein paar unsichere Schritte brachte sie an den Rand eines von Gestrüpp überhangenen Abgrundes. Hier war eine Höhle, nicht breiter wie ein Fuchsloch, durch einen schmalen Spalt im Felsen bezeichnet und von den Zweigen einer alten Eiche beschirmt, die mit ihren dicken verschlungenen Wurzeln im oberen Teile der Klippe festsaß und die Zweige vom Felsrand aus fast wagerecht in die Luft reckte, die Höhle tatsächlich vor jedem Blick verbergend. Sie hätte selbst von einem, der an der Öffnung selber stand, unentdeckt bleiben können, so wenig einladend war das Portal, durch das der Bettler jetzt hineintrat. Im Innern aber war die Höhle höher und geräumiger, geteilt in zwei Verzweigungen, die, einander im rechten Winkel schneidend, ein Kreuz bildeten und die Höhle als die Behausung eines Anachoreten – vor langer Zeit vielleicht – erkennen ließen. Am Eingang herrschte düsteres Zwielicht, weiter innen völlige Finsternis. »Von dieser Stätte wissen nur wenige,« sagte der alte Mann. »Ich hab manchesmal schon gedacht, wenn ich alt und gebrochen bin und mich nicht mehr an Gottes gesegneter Luft erfreuen kann, dann wollt ich mich hierher schleppen mit ein bißchen Hafermehl zum Proviant, und dann sehen Sie, hier ist auch eine hübsche kleine Quelle, die rinnt dieses Weges hier Sommer und Winter hindurch. Und dann will ich mich hier ausstrecken – wegbringen laß ich mich nicht – und will hier liegen wie ein alter Hund, der seinen nutzlosen häßlichen Kadaver in einen Busch oder eine Schlucht schleppt, daß sich die Lebenden bei seinem Anblick nicht entsetzen mögen, wenn er verreckt ist.« Dann führte er Lovel, der ihm ohne Widerstreben folgte, in eine der inneren Verzweigungen der Höhle. »Hier,« sagte er, »ist ein Stück von einer Wendeltreppe, die nach der alten Kirche oben führt. Manche Leute sagen, die Mönche hätten die Gruft hier ausgehauen vor langer Zeit, um ihre Schätze hier zu verbergen. Manche sagen auch, sie hätten auf diesem Wege Sachen in die Abtei gebracht, die sie nicht gut zur Haupttür und bei hellem lichten Tage hätten hineinbringen können.« Sein unglücklicher Zuhörer hatte sich inzwischen auf einem aus dem festen Felsen gehauenen Sitz niedergelassen und überließ sich jener Erschlaffung des Geistes und Leibes, die gewöhnlich auf eine Abspannung beider folgt. »Der arme Bursch!« sagte der alte Edie, »nun schläft er in dieser feuchten Höhle, wie leicht möchte er gar nicht wieder erwachen oder sich eine schwere Krankheit zuziehen. Stehen Sie auf, Herr Lovel – alles in allem wird der Kapitän wohl noch leidlich weggekommen sein – und schließlich sind Sie nicht der erste, der dieses Unglück gehabt hat. Ich habe manchen Mann umbringen sehen, und habe selber mit dabei geholfen, obgleich wir uns gar nicht miteinander gezankt hatten – und wenn es nichts Unrechtes ist, jemand umzubringen, die uns gar nichts zuleide getan haben, bloß weil er eine andere Kokarde trägt und eine fremde Sprache spricht – so wird wohl einem Manne verziehen werden können, der seinen Todfeind tötet – kommt doch sein Todfeind selber heran mit den Waffen in der Hand und mit der Absicht, ihn zu töten. Ich sage nicht etwa, daß es recht wäre – verhüts Gott – oder daß es nicht sündhaft wäre, wegzunehmen, was man nicht wieder ersetzen kann, und das ist der Atem eines Mannes, – aber ich sage, es ist eine Sünde, die verziehen werden kann, wenn sie bereut wird. Wir sind allzumal Sünder, aber wenn Sie einem alten ergrauten Sünder glauben wollen, der Unheil und Unrecht viel gesehen hat – die Heilige Schrift hat so viel Verheißung in sich, daß der schlimmste unter uns sich der Gnade versehen darf – wenn wir nur dran glauben könnten.« Mit solchen Brocken des Trostes und der Andacht fuhr der Bettler fort, Lovel wach zu halten und zu zerstreuen, bis das Zwielicht zur Nacht zu werden begann. »Jetzt,« sagte dann Ochiltree, »will ich Sie nach einem behaglicheren Fleck führen, wo ich selber manchmal gesessen habe, wenn die Eule schon im Efeudickicht schrie und das Mondlicht durch die alten Fenster der Ruinen fiel. Zu dieser Nachtzeit kommt dort keine Seele mehr hin, und wenn auch die Häscher des Sheriffs dort nachgesucht haben, so ist das nun lange vorüber, und die Hasenfüße – denn das sind sie ebenso wie andere Leute, trotz all ihrer königlichen Haftbefehle – haben längst das Feld geräumt.« Mit diesen Worten beseitigte der Bettler ein paar lose Steine in einer Ecke, der Höhle, die den Zugang zu der Treppe versperrten, von der er gesprochen hatte, und stieg sie hinan, und in untätigem Schweigen folgte ihm Lovel. Die Treppe war zwar eng, aber noch gar nicht verfallen und bald gelangten sie in einen schmalen Gang, der innerhalb der Seitenmauer des Chores entlang lief, von dem er durch sinnreich in den Blumenornamenten der gotischen Bauart verborgene Öffnungen Luft und Licht erhielt. »Dieser geheime Gang führte ehemals um einen großen Teil des Gebäudes herum,« sagte der Bettler. »Der Prior mochte ihn wohl benutzt haben, um zu horchen, was die Mönche zur Essenszeit plauderten, und konnte auch sich überzeugen, ob sie da unten wacker Psalmen gröhlten, und wenn alles in Ordnung und zur Ruhe gegangen war, dann konnte er wohl auch auf diesem Wege hinwegschleichen und sich in die Höhle da unten ein hübsches Mädel holen, denn es waren schnurrige Gesellen, die Mönche, wenn alles wahr ist, was von ihnen erzählt wird.« Sie kamen jetzt zu einer Stelle, wo der Gang zu einem kleinen Kreise erweitert war, der groß genug war, daß ein steinerner Sitz darin Platz hatte. Eine Nische war genau davor angebracht und ragte nach dem Chore vor. An den Seiten war das Gestein durchbrochen, und so konnte man von hier aus den Chor nach allen Seiten übersehen. Wie Edie gesagt hatte, sollte dies wahrscheinlich ein bequemer Beobachtungsposten sein, von dem aus der oberste Priester selber ungesehen das Treiben seiner Mönche überwachen und sich davon überzeugen konnte, daß sie pünktlich diejenigen Andachtsübungen verrichteten, von denen er kraft seines Ranges befreit war. »Hier werden wir besser aufgehoben sein,« sagte Edie, sich auf die Steinbank setzend und den Schoß seines blauen Kittels auf die Stelle breitend, auf die er Lovel sich zu setzen einlud, »hier sind wir besser aufgehoben als dort unten, und die Luft ist frei und mild und der Duft der Blumen am Gemäuer ist weit erfrischender als die Feuchtigkeit unten. Am süßesten duften diese Blumen zur Nachtzeit, und am meisten wachsen sie auch um verfallene Gebäude herum. Nun, Herr Lovel, kann einer von euch gelehrten Leuten dafür einen guten Grund angeben?« Lovel verneinte. »Ich denke mir,« fuhr der Bettler fort, »es ist damit wie mit den guten Eigenschaften mancher Menschen, die erst im Unglück am besten und schönsten sich zeigen – oder vielleicht sollen sie uns ein Gleichnis lehren, diejenigen nicht zu verachten, die im Dunkel der Sünde und im Verfall des Elends leben, da ja Gott Wohlgerüche sendet, die schwärzeste Stunde zu erquicken, und mit Blumen und lieblichem Gesträuch die zerfallenen Gebäude bekleidet.« Plötzlich legte Lovel in eindringlicher Gebärde dem Bettler die Hand auf den Arm. »Still,« sagte er, »ich hörte jemand reden.« »Ich bin schwerhörig,« sagte Edie flüsternd, »aber hier sind wir sicher – ganz gewiß – wo kam das Geräusch her?« Lovel deutete nach dem Tor des Kirchenschiffes, das, mit hohem Zierat versehen, das Westende des Gebäudes einnahm, überragt von einem Bogenfenster, durch das eine Flut von Mondlicht hereinströmte. »Von unsern Leuten kann es niemand sein,« sagte Edie im selben leisen, vorsichtigen Tone, »es sind nur ihrer zwei, die diesen Fleck noch kennen, und die sind viele Meilen von hier weg, wenn sie überhaupt sich noch auf der mühseligen Wanderschaft durch dieses Jammertal befinden. Daß die Beamten zu dieser Nachtzeit hier sein könnten, halte ich für ausgeschlossen. Und an Altweibergeschichten von Geistern glaub ich nicht, wenn auch dies wohl ein passender Tummelplatz für sie wäre. Aber ob sie nun Sterbliche oder Angehörige des Jenseits sein mögen, hier kommen sie – zwei Männer und ein Licht.« Und in Wahrheit verdunkelten zwei menschliche Gestalten, noch während der Bettler sprach, mit ihrem Schatten den Eingang zur Kapelle, durch den man zuvor auf die monderhellte Wiese draußen hatte blicken können. Die kleine Laterne, die einer von ihnen trug, glimmerte bleich in den klaren starken Strahlen des Mondes, wie der Abendstern schimmert mitten im Licht des scheidenden Tages. Der erste und auch begreiflichste Gedanke war, daß trotz Edies Versicherung die Männer, die zu so ungewöhnlicher Stunde den Ruinen sich näherten, die Gerichtsbeamten sein müßten, die nach Lovel suchten. Ihr Treiben aber bestärkte diesen Verdacht in keiner Weise. Der alte Mann berührte Lovel leise und flüsterte ihm zu, daß es für ihn das beste sei, sich still zu verhalten und von ihrem Versteck aus zu beobachten, was die beiden beginnen würden. Wenn es sich zeigen sollte, daß sie flüchten müßten, so hatten sie ja die geheime Treppe und die Höhle hinter sich, durch die sie in den Wald entrinnen könnten, lange ehe die Gefahr einer Verfolgung dicht hinter ihnen sein könne. Sie verhielten sich also so still wie möglich und beobachteten mit begieriger und ängstlicher Neugierde jeden Laut und jede Bewegung dieser nächtlichen Wanderer. Nachdem sie ein Weilchen miteinander geflüstert hatten, traten die beiden Gestalten in die Mitte der Kapelle, und eine Stimme, in der Lovel an Ton und Dialekt sofort die Stimme. Dusterschielers erkannte, sprach in lauterem aber noch immer gedämpftem Tone: »In der Tat, mein guter Herr Baron, es kann keine schönere Stunde oder Jahrestscheit für dieses große Vorhaben geben. Sie werden sehen, mein guter Herr Baron, das ist nichts weiter als Wischiwaschi, alles, was Herr Oldenbuck sagt, und er weiß nicht, was er schwascht, gantsch wie ein kleines Kindchen. Meiner Seel'! er denkt sich, er wird gleich reich werden wie ein Jud von seinen paar lausigen schmierigen hundert Pfündchen, um die ich mich, bei meinem ehrlichen Worte, nicht mehr schere als um hundert Stüver! Aber Ihnen, mein sehr freigebiger und ehrwürdiger Herr Gönner, Ihnen will ich all die Geheimnisse tscheigen, die die Kunscht überhaupt tschu enthüllen vermag.« »Der andere muß,« flüsterte Edie, »nach der Ähnlichkeit zu schließen, Sir Arthur Wardour sein. Ich kenne keinen als ihn, der noch zu dieser Stunde mit diesem deutschen Strolch hierherkommen möchte. Möcht man hoch denken, der Hund hätt ihn verhext – er macht ihm schließlich noch weis, Kalk wäre Käse – wollen doch mal sehen, was sie hier noch anfangen werden.« Diese Unterbrechung und der leise Ton, in dem Sir Arthur sprach, ließen Lovel die Antwort ganz entgehen, die der Baron dem Schwarzkünstler gab, bis auf die letzten drei besonders betonten Worte: »Sehr große Ausgaben.« Hierauf antwortete Dusterschieler sofort: »Große Ausgaben – ei, freilich wohl! – aber sie müssen auch sein, die großen Ausgaben. – Sie erwarten doch nicht etwa tschu ernten, ehe Sie gestreut haben die Saat? – die Saat aber find die Ausgaben – die Reichtümer und das Bergwerk voller Edelmetalls und jetscht hier die großen riesengroßen Stücke von Silbergeschirr – das ist die Ernte – und sehr eine große Ernte, auf mein Wort! Nun, Sir Arthur, Sie haben heute abend eine kleine Saat von tschehn Guineen ausgestreut, das ist für Sie wie eine Prise Schnupftabak oder so was – – und wenn Sie nicht die große Ernte in die Scheuer bringen – die sehr große riesengroße Ernte für die kleine Prise Aussaat – so sollen Sie nie wieder Hermann Dusterschieler einen ehrlichen Mann nennen! – Nun, sehen Sie, mein Herr Gönner, denn ich will mein Geheimnis vor Ihnen nicht verbergen – hier ist eine kleine silberne Platte – Sie wissen, daß der Mond den gantschen Tierkreis durchlauft im Tscheitiaum von achtetschwantschick Tagen – das weiß jedes kleine Kindchen – nun, ich nehme eint silberne Platte, wenn der Mond in seiner funftschehnten ReWentsch ist, und diese Residentsch ist im obersten Teile der Libra, und ich tscheichne auf eine Seite die Worte ein: Schedbaischemoth Schartachan – das sind nämlich die Tscheichen für die Intelligentsch des MondsI – und ich tscheichne das Bild des Mondes selber als fliegende Schlange mit dem Kopfe eines Truthahnes – sehr gut so! – dann auf dieser Seite mache ich die Tafel des Mondes, nämlich ein Quadrat von neun multiplitschiert mit sich selber, mit einundachtschiff Tschiffern an geder Seite und dem Nurchmesser neun – hier ist es qemacht, gantsch ausgetscheichnet! – Nun will ich dasselbe Verfahren anwenden in gedem Mondesviertel, sobald es wechselt, und was ich an Kosten durch das Räucherwerk habe, wird sich verhalten tschu dem, was ich finden werde, wie neun tschu neun mit sich selber multiplitschiert. Heute aber werde ich nicht mehr finden als zwei oder dreimal neun, denn eben jetscht ist eine seindliche Macht im Hause des aufsteigenden Gestirns,« »Aber Dusterschieler,« sagte der einfältige Baron, »sieht das nicht aus wie Magie? – Ich bin ein gläubiger, wenn auch unwürdiger Sohn der Kirche, und ich will mit dem bösen Feinde nichts zu tun haben.« »Bah! Lah! nicht ein bißchen Magie ist dabei – nicht ein bißchen. Die gantsche Sache beruht auf dem planetarischen Einfluß und der Sympathie und Macht von Tschahlen – ich werd Ihnen noch viel was Meiners tsch eigen als das – denn es ist auch ein Geist mit dabei – von wegen dem Räucherwerk – aber wenn Sie sich nicht fürchten, bloß dann wird er nicht in Unsichtbarkeit verharren.« »Ich bin nicht im mindesten neugierig, ihn zu sehen,« sagte der Baron. »Das ist sehr schade,« sagte Dusterschieler, »gern hätte ich Ihnen getscheigt den Geischt, der diesen Schatsch behütet wie ein grimmiger Kettenhund – aber ich weiß, wie mit ihm umgegangen werden muß – liegt Ihnen nichts dran, ihn tschu sehen?« »Nicht das geringste,« antwortete der Baron in einem Tone erkünstelter Gleichgültigkeit. »Ich meine, wir haben nicht viel Zeit.« »Sie werden mir vertscheihen, mein Herr Gönner, es ist noch nicht tschwölf, und Punkt tschwölf erst ist die planetarische Stunde, und ich könnte Ihnen den Geischt sehr gut zeigen, nur so tschum Tscheitvertreib. Sehen Sie, ich würde nur ein Fünfeck – ein Pentagon – in einem Kreise tscheichnen – macht gar keine Mühe – und würde meine Räucherung darin vornehmen – und darin würden wir sein wie in einem festen Schlosse, und Sie würden das Schwert halten, während ich die nötigen Worte reden würde. Dann würden Sie die starke Mauer sich auftun sehen wie das Tor einer Stadt und dann – warten Sie – dann würden Sie sehen – tschuerscht – jawohl – tschuerscht würden Sie sehen einen Hirsch, verfolgt von drei schwartschen Windhunden, und die würden ihn tschu Boden jagen, wie es geschieht auf der großen Jagd des Kurfürschten – und dann würde ein kleiner häßlicher pechschwaitscher Neger erscheinen und ihnen den Hirsch wegnehmen – und paff! mit einem Male wären die alle weg und verschwunden – dann würden Sie krumme Hörner hören, daß die gantschen Ruinen davon widerhallen würden – mein Wort drauf, Sie würden ein seines Jägerstückchen spielen – sehr gut, ja – dann – na, dann kommt ein Herold, der heißt Ehrenhold – auch mit einem Hörn – und dann kommt der große Peolphan, genannt der mächtige Jäger des Nordens, auf seinem schwartschen Roß – aber es liegt Ihnen ja doch nichts dran, das alles tschu sehen?« »Jenun, ich fürchte mich nicht,« antwortete der arme Baron, – »das heißt – geschieht nicht – nicht leicht ein großes Unglück – bei solchen Gelegenheiten?« »Bah! Unglück? nein! – manchmal, wenn der Kreis nicht gantsch fest geschlossen ist oder der Tschuschauer ist ein furchtsamer Mensch und hält sein Schwert nicht fest und dem Geist gerade entgegen – dann rutscht der wilde Jäger seinen Vorteil aus und er reißt ihn aus dem Kreis heraus und erwürgt ihn. Das passiert wohl manchmal.« »Nun denn, Dusterschieler, wir wollen bei allem Vertrauen in meinen Mut und Ihre Geschicklichkeit uns diese Erscheinung schenken und uns an unser nächtliches Geschäft machen.« »Von gantschem Hertschen! – das ist mir gantsch egal – und nun ist auch die richtige Tscheit – halten Sie das Schwert, dieweil ich hier das bißchen sogenannte Spanholtsch antschünde.« Dusterschieler setzte demgemäß ein kleines Häuflein Reisig in Brand, das mit einer harzigen Masse bestrichen war, damit es tüchtig brennen sollte, und als die Flamme hoch aufloderte und mit ihrem kurzlebigen Schein die ganze Ruine ringsum beleuchtete, warf der Deutsche eine Handvoll Räucherwerk hinein, das einen starken beißenden Geruch verbreitete. Der Beschwörer und sein Jünger mußten denn auch heftig niesen und husten, und als der Dunst um die Säulen des Gebäudes herumzog und in jede Spalte gedrungen war, ging es dem Bettler und Lovel bald ebenso. »War das ein Echo?« sagte der Baron, verblüfft über das Niesen, das von oben herabschallte. »Oder,« – und er drängte sich dicht an den Adepten, – »kann es der Geist sein, von dem Sie sprachen, und lacht er über unseren Versuch, zu seinen verborgenen Schätzen zu gelangen?« »N–n–nein,« stammelte der Deutsche, den sein Jünger mit seinem Schrecken anzustecken schien, »das hoff ich nicht«. Jetzt erscholl ein lautes Niesen, das der Bettler nicht länger unterdrücken konnte und das auch auf keinen Fall für den hinsterbenden Nachklang eines Echos gehalten werden konnte, ein halbunterdrücktes grunzendes Husten folgte, und die beiden Schatzgräber standen starr vor Entsetzen. »Der Herr erbarme sich unser!« sagte der Baron. »Alle guten Geister loben den Herrn!« rief der erschrockene Schwarzkünstler. »Ich denke doch wohl, die gantsche Sache wird besser bei Tageslicht gemacht – es ist doch wohl das beste, wir machen jetscht, daß wir wegkommen!« »Du Schuft von einem Gaukelspieler!« sagte der Baron, – ein Verdacht ward durch diese Worte in ihm wachgerufen, der den Schreck überwand – ein Verdacht, der durch das Bewußtsein der Verzweiflung über den ihm drohenden Ruin verstärkt wurde. »Du schwindelhafter Quacksalber! – Das ist bloß so ein Hokuspokus-Trick von dir, um von dem gegebenen Versprechen entbunden zu werden, wie du es schon oftmals getan hast. Aber beim Himmel, in dieser Nacht will ich wissen, wem ich mein Vertrauen geschenkt habe, indem ich mich von Ihnen an der Nase herumführen ließ, bis Sie mich nun glücklich an den Rand des Ruins gebracht haben! – Weiter im Text, sage ich Ihnen, und mag eine gute Fee kommen oder ein böser Feind, Sie sollen mir den Schatz zeigen oder sich als Schurke und Schwindler bekennen. Sonst bei dem Worte eines verzweifelten und ruinierten Mannes, ich schicke Sie dorthin, wo Sie Geister genug sehen werden!« Zitternd in dem Grausen vor den übernatürlichen Wesen, von denen er sich umringt wähnte, und zitternd für sein Leben, das der Gnade eines Verzweifelten anheimgegeben zu sein schien, konnte der Schatzsucher nur die Worte stammeln: »Mein Herr Gönner, das ist nicht gerade allerbest von Ihnen gehandelt. Tschiehen Sie doch in Betracht, mein sehr geehrter Herr Gönner, daß die Geischter ...« Edie, dem nachgerade der Auftritt Spaß machte, ließ hier ein tolles Geheul hören, bei dessen Klang Dusterschieler auf die Knie niederstürzte. »Teurer Sir Arthur, lassen Sie uns gehen – oder wenigstens mich!« »Nein, du schuftiger Gauner,« sagte der Ritter und zog das Schwert, das er zur Beschwörung mitgebracht hatte, »so sollen Sie mir nicht entkommen – Monkbarns hat mich längst vor Ihren Gaunereien gewarnt – ich will diesen Schatz sehen, eher kommen Sie nicht hier weg, oder Sie sollen gestehen, daß Sie ein Schwindler sind – sonst, beim Himmel, renn ich Ihnen das Schwert durch den Leib, sollten auch alle Geister der Toten um uns her aufsteigen!« »Um der Liebe des Himmels willen, haben Sie Geduld, mein geehrter Herr Gönner, und Sie sollen haben alle Schätsche, die mir bekannt sind – ja – ja – das sollen Sie wahrhaftig – bloß sprechen nicht Sie von den Geischtern, die werden böse darüber!« Edie Ochiltree schickte sich an, noch einmal durch ein lautes Stöhnen das Gespräch zu unterbrechen, aber Lovel gebot ihm Schweigen. Dusterschieler, in seinem Grausen vor dem bösen Feinde und vor der Wut Sir Arthurs, spielte seine Veschwörerrolle herzlich schlecht, denn er hatte nicht den Mut, jene Vertrautheit und Zuversicht an den Tag zu legen, durch die allein er Sir Arthur hätte hintergehen können, weil er fürchtete, den unsichtbaren Geist, vor dem ihm grauste, zu beleidigen. Er rollte aber doch mit den Augen, murmelte und stotterte deutsche Veschwörungssprüche, verzerrte das Gesicht und verrenkte seine Gestalt – ein Gebaren, das eher aus Furcht als wohlüberlegter Betrügerei entsprang – und näherte sich endlich einer Ecke des Gebäudes, wo ein flacher Stein auf dem Boden lag, der auf der Oberfläche das Bildnis eines bewaffneten Kriegers in liegender Stellung, in Bas-Relief geschnitzt, zeigte. »Mein Herr Gönner, hier ist der Schatsch – Gott schütsche uns alle!« murmelte er Sir Arthur zu. Nachdem der erste Augenblick der abergläubischen Furcht vorüber war, schien Sir Arthur alle Fähigkeiten auf den Höhepunkt der Entschlossenheit geschraubt zu haben, der erforderlich war, das Abenteuer durchzuführen, und half dem Adepten den Stein umdrehen, was vermittelst eines Hebebaumes ihren vereinten Kräften gelang. Kein übernatürliches Licht brach von unten hervor, den unterirdischen Schatz anzuzeigen, noch erschienen Geister der Erde oder gar der Hölle. Aber als Dusterschieler zitternd und zagend ein paar Schläge mit einer Hacke getan und ebenso hastig ein paar Schaufeln voll Erde herausgeworfen hatte (denn sie hatten das zum Graben nötige Werkzeug mitgenommen) – da ward ein Laut vernommen wie das Klimpern eines fallenden Stückes Metall, und Dusterschieler nahm gierig den Gegenstand empor, der das Geräusch gemacht hatte und den seine Schaufel mit der Erde herausgeschleudert hatte, und rief: »Bei meinem teuern Worte, mein Herr Gönner, weiter können wir heute – ich meine, weiter können wir heute nichts mehr tun –« Und er starrte um sich mit lauerndem scheuem angstvollem Blick, wie um zu sehen, aus welcher Ecke der Rächer seines Schwindels hervorspringen würde. »Zeigen Sie es mir her,« sagte Sir Arthur, und dann setzte er noch energischer hinzu: – »ich will mich überzeugen – ich will mit eigenen Augen mich überzeugen!« Er hielt also das Ding gegen das Licht der Laterne. Es war ein kleines Kästchen – die genaue Form konnte Lovel bei der Entfernung nicht erkennen, aber aus dem Rufe, den der Baron tat, als er es öffnete, konnte er schließen, daß es Geld oder Münzen enthielt. »Naja!« sagte der Baron, »Das nenn ich doch Glück haben, und wenn das ein Anzeichen ist, daß bei weiteren Versuchen der Erfolg im Verhältnis steigt, dann will ich auch noch mehr riskieren. Die sechshundert Pfund von Goldvogel und die anderen dringenden Schulden hätten mir in der Tat den Hals brechen müssen. Wenn Sie meinen, daß wir das durch eine Wiederholung des Experiments aufbringen können – vielleicht beim nächsten Mondwechsel – dann will ich den nötigen Vorschuß riskieren, und sollt ich das Geld sonstwo hernehmen!« »O mein guter Herr Gönner, reden Sie nicht davon,« sagte Dusterschieler, »sondern helfen Sie mir den Stein wieder richtig legen, und lassen Sie uns machen, daß wir fortkommen.« Und sobald der Stein wieder zurückgelegt worden war, drängte er den Baron, der nun wiederum in seine Hand gegeben war, und sie verließen eiligst den Platz, wo der Deutsche in seinem Schuldbewußtsein und seiner abergläubischen Furcht hinter jedem Pfeiler Geister und Kobolde lauern sah, die ihn für seinen Verrat zu strafen trachteten. »Hat wohl je ein Mensch schon so was gesehen!« rief Edie, als sie wie Schatten durch das Tor verschwunden waren, zu dem sie hereingekommen waren. »Hat wohl je ein lebendes Wesen so was schon gesehen! – Aber was können wir tun für diesen armen, altersschwachen Teufel von einem Baron? – Potzblitz, er hat mehr Courage gezeigt, als ich ihm je zugetraut hätte! – Dacht ich doch, er würde dem Vagabunden das kalte Eisen durch den Leib rennen. War doch Sir Arthur in jener Nacht auf der Felsenplatte weit weniger beherzt. Aber was ist zu tun?« »Ich glaube,« sagte Lovel, »sein Zutrauen zu diesem Kerl ist durch diesen Betrug völlig wieder hergestellt, den der Schurke höchst wahrscheinlich vorher zurecht gemacht hat.« »Was? Das Silber? Ja, ja, das ist ihm zuzutrauen – wer vorher versteckt, weiß am besten, wo was zu finden ist. Er will ihm die letzte Guinea abgaunern und dann nach seiner Heimat ausreißen, der Landstreicher. Ich wär am liebsten vorgesprungen, wie er es klimpern ließ, und hätte ihm eins mit meinem Stock versetzt, er hätte es wahrscheinlich als eine Guttat von einem der toten Äbte hingenommen. Aber es ist nicht gut, so ungestüm zu sein – ich werde ihn mir schon eines Tages noch kaufen.« »Wie wäre es, wenn Sie Herren Oldbuck die Sache mitteilten?« fragte Lovel. »Na, ich weiß nicht recht – Monkbarns und Sir Arthur gleichen einander und doch sind sie einander sehr unähnlich – bisweilen hat Monkbarns Einfluß auf ihn, und bisweilen wieder fragt Sir Arthur so wenig nach ihm wie nach mir. Und in manchen Dingen ist Monkbarns selber nicht gerade übermäßig gescheit – nehmen Sie bloß sein Römerlager an. Nein, es ist möglich, daß er die Sache nur noch schlimmer statt besser machen würde, und am Ende würde Sir Arthur sich ein Vergnügen daraus machen, sich nur noch mehr mit dem Schwindler einzulassen, je mehr ihn Monkbarns warnen würde.« »Was meint Ihr dann dazu,« fragte Lovel, »wenn man Fräulein Wardour einweihte?« »Ach, das arme Ding! Wie könnte sie denn ihrem Vater wehren, daß er täte, was ihm beliebte? Und was sollte es auch helfen? – Es geht das Gerücht im Lande, daß Sir Arthur wegen der sechshundert Pfund einen Zahlungsbefehl geschickt gekriegt hat, und wenn er nicht zahlen könnte, dann müßte er ins Gefängnis wandern oder aus dem Lande fliehen. Er ist wie einer, der in höchster Verzweiflung ist, und er hascht nach diesem Glücke als nach dem letzten, was ihm noch übrig ist, um dem gänzlichen Verderben zu entrinnen. – Und außerdem, wenn ich die Wahrheit sagen soll, ich möchte nicht das Geheimnis dieses Fleckes hier preisgeben, denn wenn ich selber auch keinen Versteck mehr brauche, so kann ich doch nicht den Gedanken ertragen, daß sonst noch jemand um diese Stätte wisse. Man kann manchmal was sieben Jahre nicht brauchen können, und schließlich wird es einem doch noch einmal nützlich, und so kann ich vielleicht diese Höhle noch einmal gebrauchen, entweder für mich oder für jemand anders.« Der Vorfall aber tat Lovel gute Dienste, denn er lenkte seinen Geist von dem Unglück des Abends ab und rüttelte die Energie wieder auf, die beim ersten Anblick der verhängnisvollen Tat zusammengebrochen war. Er dachte, daß keineswegs eine gefährliche Wunde auch gleich tödlich sein müsse – daß er ja schleunigst fortgeeilt sei, ehe er noch das Urteil des Arztes über Kapitän M'Intyres Zustand gehört hätte – und daß er Pflichten auf Erden zu erfüllen habe – Pflichten, die, wenn auch das Schlimmste geschehen sei, ihm zwar den Seelenfrieden und das Bewußtsein der Unschuld nicht ersetzen konnten – aber ihm doch einen Grund gaben, das Leben zu ertragen und es noch zu wohltätigen Zwecken auszunutzen. Solcher Art waren Lovels Empfindungen, als die Stunde herankam, wo nach Edies Berechnung, der nach einem eigenen Verfahren, die Himmelskörper zu beobachten, keine Uhr brauchte, sie ihren Versteck verlassen und sich ans Gestade begeben mußten, um der Verabredung gemäß Leutnant Taffrils Boot zu treffen. Sie kehrten auf demselben Gange zurück, auf dem sie zu dem geheimen Beobachtungsposten des Priors gelangt waren, und als sie aus der Höhle in den Wald traten, verkündeten die Vögel, die zu zwitschern, ja zu singen begannen, daß der Tag graute. Das Licht und die rosigen Wolken über der See bestätigten ihnen das, sobald sie weit genug aus dem Gehölz heraus waren, daß sie den Horizont sehen konnten. Selbst für Lovel, der eine schlaflose und bange Nacht verbracht hatte, lag Kraft in der frischen Morgenluft, und er fühlte sich gestärkt an Leib und Geist. Mit erneuter Kraft folgte er dem kundigen Führer. Der erste Strahl der Sonne, als ihre strahlende Scheibe aus dem Meere emporstieg, fiel voll auf das kleine Kanonenboot, das in der Bucht lag, – dicht am Ufer wartete bereits das Boot, und Taffril selber in seinem Seemannsmantel saß am Steuer. Er sprang ans Ufer, als er den Bettler und Lovel herankommen sah, und schüttelte dem letzteren die Hand und bat ihn, nicht niedergeschlagen zu sein. »M'Intyres Wunde war zwar ernst,« sagte er, »aber durchaus nicht unbedingt tödlich.« Er war so aufmerksam gewesen und hatte Lovels Gepäck an Bord der Brigg bringen lassen. – Wenn Lovel auf dem Schiffe bleiben wolle, wäre eine kleine Kreuzfahrt die einzige Strafe und unangenehme Folge seines Duells. »Wir reden noch darüber, was wir beginnen werden,« sagte Lovel, »wenn wir an Bord sind.« Dann wendete er sich an Edie und wollte ihm durchaus Geld in die Hand drücken, aber der Bettler wies es zurück. »Das ganze Volk hier muß verrückt geworden sein, oder sie wollen mir absolut mein Gewerbe ruinieren, denn man sagt ja, wenn der Müller zuviel Wasser hat, ersäuft er. In den letzten drei Wochen hab ich mehr Geld bekommen, als ich je in meinem Leben gesehen habe. Behalten Sie das Silber, junger Herr, Sie werden es schon brauchen, dafür steh ich Ihnen, und ich brauche es nicht – meine Bedürfnisse sind nicht groß, und einen blauen Kittel krieg ich ja jedes Jahr, und so viel Silbergroschen, wie der König, Gott segne ihn, Jahre alt ist – Sie und ich, wir dienen demselben Herrn, wissen Sie, Leutnant Traffil – da ist für mich gesorgt, und mein Essen und Trinken krieg ich auf meinen Bettelgängen, und setzt's mal nichts, dann halt ich mal einen Tag ohnedem aus, denn ich hab mir's zum Gesetz gemacht, nie etwas dafür zu bezahlen. So kann ich denn das ganze Geld, das ich bekomme, für Rauch- und Schnupftabak verwenden und mal auch für einen Schnaps, wenn es ein kalter Tag ist – obgleich für einen Schnorrer ich ein sehr mäßiger Schnapstrinker bin – so nehmen Sie nur Ihr Geld wieder und geben Sie mir weiter nichts als einen hübschen blanken Schilling.« Das Boot fuhr davon. Der alte Mann sah ihm nach, wie es schnell unter sechs kräftigen Rudern der Brigg entgegenschoß, und Lovel sah ihn noch den blauen Hut zum Abschied schwenken, dann begann die hochaufgerichtete Gestalt sich langsam auf den Dünen hin zu entfernen, wie wenn Edie Ochiltree sich nun wieder auf seinen gewöhnlichen Bettlerrundgang begab. Zweites Kapitel Eine Woche war nach den im letzten Kapitel berichteten Abenteuern verflossen, da war Herr Oldbuck in sein Eßzimmer hinaufgestiegen und fand, daß sein Weibsvolk nicht den Dienst verrichtet und ihm das Frühstück noch nicht bereitet hatte. »Da nun dieser verwünschte Hitzkopf von einem Jungen,« sagte er bei sich selber, »nun so allmählich aus aller Gefahr ist, kann ich dieses Leben nicht mehr länger mit ansehen. Da geht ja alles drunter und drüber. Saturnalia scheinen in meinem friedlichen und ordentlichen Haushalt an der Tagesordnung zu sein. Ich frage nach meiner Schwester – keine Antwort – ich rufe, ich schreie – ich beschwöre meine Hausgenossen bei mehr Namen, als die Römer ihren Gottheiten gegeben haben. Endlich geruht Hanne, die ich nun schon eine halbe Stunde lang mit schriller Stimme in den Regionen des kulinarischen Tartarus keifen höre, mich zu hören und mir zu antworten, dabei kommt sie aber nicht die Treppe herauf, und das Gespräch muß mit der höchsten Kraft der Lungen fortgesetzt werden.« Und mit diesen Worten fing er wieder an laut zu brüllen: »Hanne, wo ist Jungfer Oldbuck?« »Fräulein Griselda ist im Zimmer des Kapitäns!« »Hum! Dacht ich mir's doch! – Und wo ist meine Nichte?« »Fräulein Mariechen macht dem Kapitän den Tee.« »Hum! Konnt ich mir auch selber sagen – und wo ist Caxon?« »Nach der Stadt und holt dem Kapitän die Jagdflinte und den Vorstehhund.« »Was soll eine Flinte und ein Hühnerhund hier? Das Vieh wird mir bloß die ganzen Möbel versauen, mir den Speck mausen und vielleicht die Katze malträtieren, und das Schießgewehr jagt einem höchstens noch mal 'ne Kugel durch den Kopf. Ich dächte, er hätte für 'ne Weile mit Flinten- und Pistolenschießen genug.« Jetzt trat Fräulein Oldbuck ins Zimmer, an dessen Tür der Altertümler diese Unterhaltung führte, indem er die Treppe hinunterbrüllte und sie wiederum die Treppe hinaufkreischte. »Lieber Bruder,« sagte die alte Jungfer, »du wirst dich noch so heiser schreien wie ein Kolkrabe – ist das eine Art und Weise, so herumzuschreien, wenn ein Kranker im Hause liegt?« »Auf mein Wort, der Kranke möchte wohl das ganze Haus für sich allein haben. Ich bin ohne Frühstück losgegangen, und nun soll ich wahrscheinlich auch ohne Perücke losgehen, und wahrscheinlich darf ich mir's auch nicht herausnehmen und sagen, daß ich Hunger hätte oder daß mich fröre, aus Furcht, den kranken Herrn zu stören, der sechs Stuben weit weg liegt und der sich wieder so wohl fühlt, daß er sich seine Flinte und seinen Hund holen läßt. Wo er doch weiß, Wie sehr ich diese Sachen verabscheue, seit unser älterer Bruder, der arme Willibald, auf einem Paar kalter Füße, die er sich auf der Entenjagd im Moor geholt hat, aus dieser Welt hinausspaziert ist. Aber das hat nichts zu sagen.« Jetzt kam Fräulein M'Intyre herein und begann ihre gewöhnliche Morgenbeschäftigung, das Frühstück ihres Oheims zurechtzumachen. Sie verrichtete sie diesmal mit großer Geschwindigkeit, wie eine, die sich verspätet hat und die versäumte Zeit wieder einholen will. Währenddessen schimpfte Oldbuck weiter, aber wie seine Schwester sagte, Montbarns bellte wohl, aber er biß nicht. In der Tat hatte Herr Oldbuck seelisch sehr gelitten, so lange sein Neffe in wirklicher Gefahr war, und nun er genas, fühlte er sich versucht, sich in Klagen über die Umstände, die ihm gemacht worden seien, auszulassen. Seine Schwester und seine Nichte hörten ihn in respektvollem Schweigen an, während er seinem Mißvergnügen brummend Luft machte und manches bissige Wort über Weibsvolk, Soldaten, Hunde und Flinten fallen ließ. In diesen mürrischen Ausladungen wurde er plötzlich durch das Geräusch eines Wagens unterbrochen, und bei diesem Klang warf er alle Verdrießlichkeit von sich, rannte rasch die Treppe hinauf und eine Treppe hinunter – denn das war beides nötig, um Fräulein Wardour und ihren Vater an der Tür seines Hauses zu empfangen. Eine herzliche Begrüßung fand von beiden Seiten statt. Und Sir Arthur nahm Bezug auf seinen Brief und seine Botschaft und erkundigte sich ganz besonders nach dem Befinden Kapitän M'Intyres. »Besser als er's verdient,« war die Antwort. »Besser als er's verdient, nachdem er mit seiner verwünschten Eisenfresserei uns alle aus dem Häuschen gebracht und den Frieden Gottes und des Königs gestört hat.« »Der junge Mann,« sagte Sir Arthur, »ist unklug gewesen, aber seiner Meinung nach seien Sie ihm doch zu Danke verpflichtet, denn er habe Ihnen doch die Augen geöffnet über den fragwürdigen Charakter des jungen Mannes namens Lovel.« »Nicht ein bißchen fragwürdiger als sein eigener,« antwortete der Altertümler, der seinen Liebling mit großem Eifer in Schutz nahm, »der junge Herr war ein bißchen töricht und eigensinnig und hat sich geweigert, auf Hektors dreiste Fragen zu antworten – das ist alles. Lovel, Sir Arthur, versteht sich besser die Leute auszusuchen, denen er sich anvertrauen will – jawohl, Fräulein Wardour, starren Sie mich nur an – aber es ist die reine Wahrheit – meiner Brust hat er es anvertraut, aus welchem geheimen Grunde er sich in Fairport aufhält, und ich wollte alle Hebel in Bewegung setzen, um ihm zu helfen in der Aufgabe, der er sich gewidmet hat.« Als Fräulein Wardour diese großmütige Erklärung des alten Altertümlers hörte, errötete sie und wollte kaum ihren Ohren trauen. Denn von allen Vertrauten, die man sich in Liebessachen hätte aussuchen können – und darum mußte nach ihrer Vermutung es sich gehandelt haben – erschien neben Edie Ochiltree Oldbuck als der wunderlichste. Die seltsame Fügung von Umständen, durch die ein so zartes Geheimnis in den Besitz von so ungeeigneten Vertrauensmännern gelangt war, konnte sie nicht genug halb bewundern, halb sich darüber grämen. Sie fürchtete nun, Oldbuck würde nach seiner Manier sofort mit ihrem Vater darüber reden, und sie mußte annehmen, daß es zu einem sehr heftigen Auftritt zwischen beiden kommen könnte, wenn sie auf dieses Thema zu sprechen kämen. Es erfüllte sie daher mit großer Besorgnis, als sie ihren Vater Herrn Oldbuck um eine Unterredung unter vier Augen ersuchen hörte, und als sie sah, daß Oldbuck sofort mit ihm nach der Bibliothek hinaufging. Das Gespräch der beiden Herren drehte sich aber um einen ganz anderen Gegenstand, als Fräulein Wardour vermutet hatte. »Herr Oldbuck,« sagte der Baron, nachdem sie im Allerheiligsten des Altertümlers Platz genommen hatten, »Sie, der Sie so genau in meine Familienangelegenheiten eingeweiht sind, »werden sich wahrscheinlich über die Frage wundern, die ich an Sie richten will.« »Sir Arthur, wenn es Geld betrifft, so tut es mir sehr leid ...« »Geldangelegenheiten betriffts allerdings, Herr Oldbuck.« »Wahrhaftig, Sir Arthur,« fuhr der Altertümler fort, »bei dem gegenwärtigen Stand des Geldmarktes – wo die Papiere so niedrig stehen –« »Sie mißverstehen mich, Herr Oldbuck,« sagte der Baron. »Ich wünschte Sie nur um Rat zu fragen, wie ich am besten eine große Summe Geldes anlege.« »Den Teufel auch!« rief der Altertümler, und da er sich selber wohl sagte, daß sein unwillkürlicher Ausruf des Erstaunens nicht übermäßig höflich war, so drückte er zur Abschwächung Sir Arthur seine Freude aus, daß er eine Geldsumme anzulegen habe, wo jetzt doch überall Geld ein rarer Artikel wäre. »Und wie Sie die Summe am besten verwenden?« fuhr er fort. »Momentan ist eine faule Zeit, wie ich schon sagte, aber mit Grundstücken ließe sich noch was machen. Aber täten Sie nicht besser, wenn Sie so langsam Schulden abzuzahlen anfingen, Sir Arthur? Da ist der Wechsel von Ihnen und die drei Schuldscheine« – fuhr er fort und zog aus dem rechten Schubkasten seines Schreibtisches ein gewisses rotes Merkbuch, das Sir Arthur schon verschiedentlich kennen gelernt hatte und dessen bloßer Anblick ihm Abscheu einflößte, – »die Zinsen miteingerechnet, beläuft sich die Summe nun auf – lassen Sie mal sehen –« »Auf etwa tausend Pfund,« sagte Sir Arthur rasch, »Sie haben mir die Summe erst neulich genannt.« »Aber seitdem sind neue Zinsen hinzugekommen, Sir Arthur, und das Ganze beträgt (Irrtum ausgschlossen) elfhundert und dreizehn Pfund sieben Schilling fünf dreiviertel Pennies – aber sehen Sie sich den Abschluß selber an.« »Jedenfalls stimmt alles, mein werter Herr,« sagte der Baron und schob das Buch von sich, wie man jene altmodische Höflichkeit von sich weist, die einem immer noch mehr Essen aufnötigt, wenn man schon so viel gegessen hat, daß einem übel wird, »stimmt ganz genau, jedenfalls, und in drei Tagen oder vielleicht noch in kürzerer Zeit sollen Sie vollen Ersatz haben, das heißt, wenn es Ihnen recht ist, die Summe in rohem Metall anzunehmen.« »In rohem Metall? Sie meinen wohl Blei. Was zum Teufel! Haben wir endlich die Ader gefunden? – Aber was könnte denn ich mit einer Masse Blei im Werte von tausend Pfund anfangen – die Äbte von Trotensey hätten ja freilich das Dach ihrer Kirche und ihres Klosters davon machen lassen können – aber für mich –« »In rohem Metall!« sagte der Baron. »Damit meine ich die Edelmetalle – Gold und Silber.« »Was Sie sagen? Und aus welchem Eldorado soll denn dieser Schatz importiert werden?« »Nicht weit von hier,« sagte der Baron bedeutungsvoll, »und da fällt mir ein, unter einer kleinen Bedingung sollen Sie den ganzen Vorgang sehen.« »Das wäre?« fragte der Altertümler. »Es würde nötig für Sie sein, daß Sie mir Ihren freundschaftlichen Beistand liehen und mir etwa hundert Pfund vorschössen.« Herr Oldbuck, der schon die Summe mitsamt den Zinsen, die er als gefährdete Forderung fast aufgegeben hatte, im Geiste in den Händen gehalten hatte, war so erstaunt über diese unerwartete Wendung, daß er nur in einem Tone des Schmerzes und der Überraschung die Worte wiederholen konnte: »Hundert Pfund vorschießen!« »Jawohl, mein guter Herr,« fuhr Sir Arthur fort, »aber gegen die bestmögliche Sicherheit, sie in zwei oder drei Tagen zurückzubekommen.« Es trat eine Pause ein. Entweder hatte sich Oldbucks Unterkiefer noch nicht wieder soweit eingerenkt, daß eine verneinende Antwort erfolgen konnte, oder der alte Herr schwieg vor Neugierde. »Ich würde nicht an Sie mit dem Ansinnen herantreten,« fuhr Sir Arthur fort, »mir in dieser Höhe beizuspringen, wenn ich nicht die Beweise für die Tatsächlichkeit der Aussichten, die ich Ihnen vorhalte, in den Händen hätte. Und ich versichere Ihnen, Herr Oldbuck, wenn ich mich über diesen Gegenstand eingehend ausspreche, so verfolge ich dabei den Zweck, mein Vertrauen in Sie zu beweisen und Ihnen meine Dankbarkeit für Ihr Entgegenkommen bei früheren Anlassen zu zeigen.« Herr Oldbuck beteuerte, er fühle sich sehr verbunden, aber er umging sorgfältig alles, was wie eine Zusage zu weiteren Unterstützungen aussehen konnte. »Herr Dusterschieler,« sagte Sir Arthur, »hat entdeckt...« Herr Oldbuck unterbrach ihn, seine Augen funkelten vor Entrüstung. »Sir Arthur, ich habe Sie so oft gewarnt vor der Schurkerei dieses schuftigen Pfuschers, daß es mich in der Tat wunder nimmt, wie Sie vor mir noch seinen Namen nennen können!« »So hören Sie doch – hören Sie,« unterbrach ihn Sir Arthur seinerseits, »es wird Ihnen weiter keinen Schaden tun. Kurz, Dusterschieler hat mich überredet, ein Experiment mitanzusehen, das er in den Ruinen von St. Ruth gemacht hat – und was meinen Sie wohl, was wir gefunden haben?« »Eine neue Wasserquelle, vermute ich, von der der Schurke Lage und Ursprung zuvor ausgekundschaftet hat.« »Nein, sondern ein Kästchen mit Gold- und Silbermünzen – hier sind sie.« Mit diesen Worten zog der Baron ein großes Widderhorn hervor mit kupfernem Deckel, das eine ansehnliche Menge Münzen, hauptsächlich Silbermünzen enthielt, unter denen sich aber auch ein Paar Goldstücke befanden. Die Augen des Altertümlers glänzten, als er sie auf dem Tische ausbreitete. »Bei meinem Worte – schottische, englische und ausländische Münzen aus dem fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert, und einige rari – und rariores – etiam rarissimi! – hier Jakob V., hier Jakob II. – ah, und hier Königin Maria, ihr Kopf und der des Dauphins – und die sind wirklich in den Ruinen von St. Ruth gefunden worden?« »Ganz gewiß – mit eigenen Augen habe ich es gesehen.« »Hm,« machte Oldbuck, »Aber Sie müssen mir das Wo und das Wann und das Wie erzählen.« »Das Wann,« antwortete Sir Arthur, »es war um Mitternacht beim letzten Vollmond – das Wo? ich habe Ihnen ja schon gesagt, in den Ruinen von St. Ruth – das Wie? durch ein nächtliches Experiment Dusterschielers, welchem ich selber beigewohnt habe.« »Wirklich?« rief Oldbuck. »Und was für Mittel haben Sie angewendet, um die Entdeckung zu machen?« »Nur ein bißchen Räucherwerk,« sagte der Baron, »und nur aufgepaßt haben wir, daß wir die richtige Planetenstunde benutzten.« »Einfaches Räucherwerk? Einfaches Mumpitzwerk! – Planetenstunde? – Planetennarretei! Mein lieber Sir Arthur, dieser Kerl hält Sie über und unter der Erde zum Narren.« »Aber Herr Oldbuck, so wahr ein Himmel über uns ist, ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie diese Münzen um Mitternacht in der Kapelle von St. Ruth ausgegraben wurden. Und Dusterschieler – wenn die Entdeckung auch seiner Wissenschaft zuzuschreiben ist – so glaube ich doch nicht, die Wahrheit zu sagen, daß er Courage genug gehabt hätte, die Sache auszuführen, wenn ich nicht bei ihm gewesen wäre.« »So, so!« sagte Oldbuck in jenem Tone, den man anschlägt, wenn man das Ende einer Geschichte hören will, ehe man sich dazu äußert. »Ja, wahrhaftig,« fuhr Sir Arthur fort, »ich versichere Ihnen, ich habe scharf aufgepaßt – wir haben sehr sonderbare Geräusche gehört, die aus den Ruinen hervorklangen, das steht fest.« »Tatsächlich?« sagte Oldbuck. »Wahrscheinlich war ein Helfershelfer darin versteckt.« »Keine Spur,« sagte der Baron; »die Laute, obwohl greulicher und übernatürlicher Art, glichen eher dem heftigen Niesen eines Menschen – auch ein tiefes Stöhnen habe ich außerdem vernommen – und Dusterschieler versichert mir, er hat den Geist Peolphan, den gewaltigen Jäger des Nordens, gesehen.« »Und trotz des Entsetzens, das Ihnen dieser schnupfende Kobold eingejagt hat, haben Sie die Sache durchgeführt?« »Na, ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß ein Mann von minderwertigerem Charakter oder geringerer Ausdauer es aufgegeben hätte, aber ich dachte, es wäre alles Schwindel, und zwang Dusterschieler durch heftige Drohungen, fortzufahren in seinem Beginnen, und, Herr, der Beweis seiner Fähigkeit und seiner Ehrlichkeit ist dieser Haufen Gold- und Silbermünzen, unter denen Sie sich, wenn ich bitten darf, diejenigen Stücke aussuchen wollen, die am besten in Ihre Sammlung hineinpassen,« »Nun, Sir Arthur, wenn Sie so gut sein wollen, so will ich nach Pinkertons Katalog den Wert feststellen, und unter der Bedingung, daß wir die einzelnen Beträge von der Rechnung in dem roten Buch abschreiben, will ich mir mit Vergnügen aussuchen...« »Nein,« sagte Sir Arthur Wardour, »ich meine nicht, daß Sie sie als etwas anderes ansehen möchten denn als eine Gabe der Freundschaft.« »Bitte, darf ich fragen, was diese Entdeckung Ihnen gekostet hat?« »Etwa zehn Guineen.« »Und dabei haben Sie etwas gewonnen, das etwa zwanzig Guineen an Geld wert ist und für solche Narren wie wir, die für Raritäten was bezahlen, noch einmal so viel wert sein mag. Das muß ich zugeben, da ist Ihnen beim ersten Versuch ein ganz verlockender Profit unter die Nase gerieben worden. Und was sollen Sie beim nächsten Mal riskieren?« »Hundertundfünfzig Pfund. Ein Drittel der Summe habe ich ihm schon gegeben, und das übrige glaubt ich bestimmt von Ihnen geliehen zu bekommen.« »Ich kann nicht glauben, daß dies schon der letzte Streich sein soll – dazu ist er nicht schwer genug und die Summe zu unbedeutend. Er wird uns wahrscheinlich auch diesmal noch gewinnen lassen, wie es die Bauernfänger beim Spiel machen. Sir Arthur, ich hoffe. Sie sind überzeugt, daß ich Ihnen gern einen Gefallen tue?« »Gewiß, Herr Oldbuck, ich denke, mein Vertrauen zu Ihnen bei solchen Anlässen gestattet hierüber keinen Zweifel.« »Na, dann lassen Sie mich mal mit Dusterschieler sprechen. Wenn das Geld zu Ihrem Nutzen und Vorteil vorgeschossen werden kann, dann sollen Sie es haben, jawohl, um der alten Nachbarschaft willen. Aber wenn ich, wie ich denke, den Schatz entdecken kann, ohne Ihnen einen solchen Vorschuß zu leisten, dann werden Sie vermutlich auch nichts dagegen haben.« »Nicht das geringste.« »Wo ist Dusterschieler?« fuhr der Altertümler fort. »Daß ich Ihnen die Wahrheit sage, er ist in meinem Wagen unten, da er aber weiß, was Sie für ein Vorurteil gegen ihn hegen ...« »Gott sei Dank, ich habe gegen keinen Menschen ein Vorurteil, Sir Arthur; gegen Systeme, nicht gegen Individuen richtet sich mein Widerwille.« Er schellte. »Hanne, Sir Arthur und ich lassen uns Herrn Dusterschieler empfehlen, dem Herrn in Sir Arthurs Wagen, und ersuchen um das Vergnügen, ihn hier zu sprechen.« Es war nicht Dusterschielers Absicht gewesen, daß Herr Oldbuck in sein vermeintliches Geheimnis eingeweiht würde. Er hatte sich darauf verlassen, daß Sir Arthur den erforderlichen Geldbetrag erhalten würde, ohne daß er sich über den Zweck und die Art der Verwendung zu äußern brauchte, und wartete nun unten, um sich so bald als möglich des Geldes zu versichern, denn er sah voraus, daß er hier sein Spiel bald zu Ende gespielt haben dürfte. Aber als er vor Sir Arthur und Herrn Oldbuck gerufen wurde, faßte er sich ein Herz im Vertrauen auf seine Frechheit, von welcher Gabe ihm, wie der Leser ja schon gesehen hat, Mutter Natur eine reichliche Portion auf den Weg gegeben hatte. Drittes Kapitel »Wie geht es Ihnen, mein guter Herr Oldenbuck? und ich hoffe, Ihr junger Herr, der Kapitän M'Intyre, befindet sich besser? – Ach! es ist eine schlimme Geschichte, wenn junge Herren sich gegenseitig Bleikugeln in den Leib jagen.« »Geschichten, wo es sich um Blei handelt, sind immer sehr gefährlich, Herr Dusterschieler, aber ich schätze mich glücklich, von meinem Freunde Sir Arthur zu erfahren, daß Sie sich einem besseren Gewerbe gewidmet haben und ein Goldsucher geworden sind.« »Ach, Herr Oldenbuck, mein guter und sehr geehrter Herr Gönner hätte über die kleine Geschichte nicht ein Wort ertschählen sollen – denn wenn ich auch feste Tschuversicht hege – ja sicherlich – tschu der Klugheit, Vorsicht und Verschwiegenheit des guten Herrn Oldenbuck und tschu seiner großen Freundschaft tschum guten Sir Arthur Wardour, so ist es doch, mein Himmel! ein schwerwiegendes Geheimnis.« »Und wiegt sogar noch schwerer als alles Metall zusammen, das wir mit seiner Hilfe finden können, fürchte ich,« antwortete Oldbuck. »Das kommt gantsch darauf an, wieviel Glauben und Geduld Sie dem großartigen Ekschperiment entgegenbringen. Wenn Sie sich mit Sir Arthur tschusammentun wollen, der selber hundertundfunftschig Pfund hineinstecken will – sehen Sie, hier ist eine von Ihren schmutschigen Fairporter Banknoten – stecken Sie auch hundertundfunftschig Pfund in diesen schmutschigen Noten hinein, und Sie werden das pure lautre blanke Gold und Silber dafür herausbekommen, wer weiß wie viel!« »Nicht eine Guinea für Sie,« sagte der Altertümler. »Aber hören Sie, Herr Dusterschieler, wenn wir nun, ohne noch einmal den niesenden Kobold mit irgendwelchem Räucherwerk zu belästigen, uns insgesamt auf den Weg machten und bei hellem Tageslicht und mit gutem Gewissen ans Werk gingen und weiter kein Veschwörungswerkzeug mitnähmen als ein paar derbe gute Hacken und Spaten und den Boden der Kapelle von St. Ruth ordentlich durchsuchten, von einem Ende zum andern, und so uns über das Vorhandensein dieses vermeintlichen Schatzes vergewisserten, ohne vor allen Dingen uns weitere Ausgaben zu machen – die Ruinen gehören ja Sir Arthur selber, also kann nichts dagegen eingewendet werden – meinen Sie, wir würden Erfolg haben, wenn wir die Sache in dieser Weise bewerkstelligten?« »Bah! Nicht ein wintschiges Stücklein Kupfer werden Sie finden – aber Sir Arthur wird tun, was ihm beliebt – ich habe ihm getscheigt, wie es sich machen läßt – wie es mit Sicherheit tschu machen ist – und wie er die große Summe Geldes finden kann, die er zu seinen Unternehmungen braucht – ich habe ihm das Ekschperiment getscheigt – wenn er nicht daran tschu glauben geruht, guter Herr Oldenbuck, so ist es nichts für Hermann Dusterschieler – er büßt nur das Gold ein und das Silber – das is alles.« Sir Arthur Wardour warf einen eingeschüchterten Blick auf Oldbuck, der besonders, wenn er anwesend war, trotz ihrer häufigen Meinungsverschiedenheit einen großen Einfluß auf das Urteil des Barons hatte. Sir Arthur fühlte, was er freilich nicht gern eingestanden hätte, daß sein Geist dem des Altertümlers überlegen war. Er achtete ihn als einen klugen, scharfsinnigen, sarkastischen Mann, fürchtete sich vor seiner satirischen Ader und hatte Zutrauen zu der allgemeinen Vernünftigkeit seiner Ansichten. Er sah ihn daher an, als wollte er ihn vorher um Nachsicht bitten, ehe er sich seiner Leichtgläubigkeit überließe. Dusterschieler erkannte, daß ihm sein auf den Leim gegangener Gimpel entgehen würde, wenn er nicht auf den Ratgeber des Barons einen günstigen Eindruck machen könne. »Ich weiß, mein guter Meister Oldenbuck, es ist ein eitles Beginnen, tschu Ihnen tschu sprechen von den Geischtern und den Kobolden. Aber sehen Sie dieses sonderbare Horn an, ich weiß, Sie kennen alle Merkwürdigkeiten von allen Ländern und wissen, daß das große Horn von Oldenburg, das noch im Museum von Kopenhagen aufbewahrt wird, dem Hertschog von Oldenburg von einer Waldfee gegeben worden ist. Nun könnt ich aber Ihnen wohl keine Fisimatenten vormachen, wenn ich auch wollte, da Sie ja alle Merkwürdigkeiten so gut kennen, und da ist das Horn voll von Müntschen – wäre es eine Schachtel oder ein Kästchen gewesen, so hätte ich nichts gesagt.« »Daß das ein Horn ist,« sagte Oldbuck, »bestärkt allerdings Ihre Ansicht. – Bei unkultivierten Völkern war es als ein von der Natur geliefertes Gefäß sehr in Gebrauch. Und dieses Horn hier,« fuhr er fort, und rieb es am Ärmel, »ist eine sonderbare und ehrwürdige Reliquie und sollte ohne Zweifel eine cornucopia, oder ein Füllhorn sein für irgendwen, ob aber für den Schwarzkünstler oder seinen Gönner, muß wohl dahingestellt bleiben.« »Nun, Herr Oldenbuck, ich finde Sie immer noch schwer zum Glauben zu bewegen – aber lassen Sie mich Ihnen versichern, die Mönche verstanden das Magisterium.« »Wir wollen uns nicht weiter auf das Magisterium einlassen, Herr Dusterschieler, sondern ein wenig an den Magistrat denken. Wissen Sie auch, daß diese Beschäftigung von Ihnen gegen das Gesetz Schottlands verstößt, und daß wir beide, Sir Arthur und ich, Mitglieder des Friedensgerichts sind?« »Mein Himmel! was tut das tschur Sache, wo ich doch alles Gute tue, was ich kann?« »Es muß Ihnen bekannt sein, daß die Abschaffung der grausamen Gesetze gegen Hexerei und Zauberei keinen Einfluß hatten auf die abergläubischen Neigungen der Menschheit und daß der Aberglauben nach wie vor in der Welt blieb. Damit nun aber diese Gefühle nicht von gerissenen betrügerischen Personen gewinnsüchtig ausgenutzt werden sollen, besteht der Gesetzesparagraph, daß wer in okkulter Wissenschaft oder geheimen Künsten bewandert zu sein vorgibt und behauptet, daß er Güter, die verloren, gestohlen oder verborgen sind, zu entdecken und ans Licht zu bringen vermöge, an den Pranger gestellt und mit Gefängnis bestraft werden soll als gemeiner Schwindler und Betrüger.« »Und so steht's im Gesetsch?« fragte Dusterschieler bestürzt. »Sie sollen selber den Paragraphen lesen,« erwiderte der Altertümler. »Dann, meine Herren, will ich mich empfehlen, das ist alles. Ich habe keine Luscht, an Ihrem sogenannten Pranger tschu stehen – das ist eine sehr schlechte Methode, Luft tschu schnappen, mein ich, und Ihre Gefängnisse hab ich noch viel mehr im Magen, wo man überhaupt nicht Luft schnappen kann.« »Wenn das Ihr Geschmack ist, Herr Dusterschieler,« sagte der Altertümler, »dann rat ich Ihnen, bleiben Sie, wo Sie sind, denn ich könnte Sie nicht weglassen, es sei denn, Sie gingen mit dem Büttel – und damit nicht genug, ich erwarte sogar, daß Sie uns zu den Ruinen von St. Ruth jetzt gleich begleiten und uns den Platz zeigen, wo Sie den Schatz zu finden denken.« »Mein Himmel, Herr Oldenbuck! Was ist das für eine Behandlung gegenüber Ihrem alten Freunde, wo ich Ihnen doch klar und deutlich sage, daß, wenn Sie jetscht gehen, Sie auch nicht ein schäbiges Fünfgroschenstück von einem Schatsche finden werden.« »Ich will aber das Experiment trotzdem versuchen, und Ihr Lohn soll je nach dem Erfolge abgemessen werden – immer natürlich, sofern Sir Arthur es gestattet.« Sir Arthur hatte während dieses Gesprächs sehr verlegen dreingeschaut, wie, um eine volkstümliche Wendung zu gebrauchen, ein Greis, der sich nicht zu helfen weiß. Oldbucks hartnäckiges Mißtrauen zwang ihn fast dazu, Dusterschieler des Betrugs zu verdächtigen, und die Art und Weise, wie der Adept sich verteidigte, zeigte weniger Entschlossenheit noch, als er selbst ihm zugetraut hatte. Dennoch wollte er ihn nicht völlig aufgeben. »Herr Oldbuck,« sagte der Baron, »Sie sind im höchsten Maße ungerecht gegen Herrn Dusterschieler. Er hat es unternommen, diese Entdeckung vermittels seiner Kunst zu bewerkstelligen, und Sie verlangen, daß er's bei Gefahr einer Bestrafung machen soll, ohne daß Sie ihm die Anwendung irgendwelcher derartiger Vorbereitungen erlauben, die er für die eigentlichen Mittel hält, zu Erfolgen zu gelangen.« »Das habe ich nicht direkt gesagt – ich habe nur verlangt, daß er mit dabei ist, wenn wir die Untersuchung vornehmen, und bei uns bleibt, bis wir fertig sind. Ich trau ihm nicht über den Weg, und was jetzt vielleicht noch in St. Ruth versteckt ist, verschwindet vielleicht sonst einstweilen, ehe wir hinkommen.« »Nun, meine Herren,« sagte Dusterschieler mürrisch, »ich will keinen Einwand machen und mit Ihnen gehen, aber ich sage Ihnen von vornherein, Sie werden nicht soviel finden, daß sichs verlohnt hätte, auch nur tschwantschick Schritt von Ihrer Tür sich tschu entfernen.« Fräulein Wardour erhielt den Bescheid, daß sie in Monkbarns bleiben möge, bis der Vater von einer kurzen Ausfahrt zurück sein werde. Die junge Dame konnte sich diesen Bescheid nicht recht mit dem von ihr vermuteten Ausgang der Unterredung zwischen den beiden Herren zusammenreimen, aber es blieb ihr vorderhand nichts weiter übrig, als sich in den sehr unangenehmen Zustand banger Spannung zu schicken. Die Fahrt der Schatzsucher war trübselig genug. Dusterschieler verharrte in finsterem, dickköpfigem Schweigen und dachte zugleich über enttäuschte Hoffnungen und drohende Bestrafung nach. Sir Arthur, dessen goldene Träume allmählich verblaßt waren, betrachtete in düsterer Versunkenheit die Schwierigkeiten seiner Lage; und Oldbuck, der erkannte, daß eine derartige Einmischung in die Angelegenheiten seines Nachbars den Baron eine tatsächliche und wirksame Unterstützung zu erwarten berechtigte, sann mißvergnügt darüber nach, wie weit er wohl oder übel die Börse werde öffnen müssen. So war jeder für sich in unbehagliches Grübeln versunken, und es wurde kaum ein Wort gesprochen, bis sie den kleinen Gasthof »Zu den vier Pferdehufen« erreichten. Hier verschafften sie sich die nötige Hilfsmannschaft und das Werkzeug zum Graben, und während sie noch hiermit beschäftigt waren, trat plötzlich der alte Bettler Edie Ochiltree zu ihnen. »Der Herr segne Euer Ehren!« begann der Blaurock, mit dem echten und rechten Greinen des Schnorrers, – »und langes Leben sei Ihnen beschert – es freut mich, daß ich höre, wie bald Kapitän M'Intyre sich wieder erholen wird. – Vergessen Sie an diesem Tage nicht Ihren alten Bettler!« »Na selbstverständlich, alte ehrliche Haut!« versetzte der Altertümler. »Ihr habt Euch ja nicht wieder sehen lassen in Monkbarns, seit dem Abenteuer am Strande. – Hier habt Ihr was, daß Ihr Euch Schnupftabak kaufen könnt –« und er suchte in der Tasche herum und zog dabei gleichzeitig das Horn hervor, in dem die Münzen waren. »Ei, und da ist auch was, wo ich ihn hineinstecken kann,« sagte der Bettler, das Widderhorn betrachtend, – »das Horn ist ein alter Bekannter von mir – das alte Schnupftabakshorn möcht ich unter tausenden wiedererkennen – habe es selber manches Jahr bei mir getragen, bis ich es gegen diese Dose hier dem alten Georg Glen, dem Bergwerker von Witershins, abgetreten habe – er war wie versessen drauf.« »Was Ihr sagt!« rief Oldbuck. »Also umgetauscht habt Ihrs mit einem Bergarbeiter? Aber ich glaube wohl, so gut gefüllt habt Ihrs noch nie zuvor gesehen?« Und er öffnete es und zeigte ihm die Münzen. »Freilich wohl, das können Sie mir glauben, Monkbarns, wie es noch mein war, ist nie mehr drin gewesen, als meinetwegen für einen Fünfer schwarzer Schnupftabak.« »Sie können sich nun denken,« sagte Oldbuck, indem er sich an Sir Arthur wandte, »wem Sie den guten Fund in jener Nacht, verdanken. Dieses Füllhorn stammt von einem Grubenarbeiter, und damit sind wir doch wohl einem Freund von uns beiden ziemlich nahe – ich hoffe, wir haben heute morgen ebensoviel Glück, ohne daß wir was dafür zu bezahlen brauchen.« »Und wo wollen Euer Ehren heute hin,« fragte der Bettler, »mit den Hacken und Spaten? – Potzblitz, das ist doch wieder so ein Streich von Ihnen, Monkbarns, und wenn Sie erlauben, ich geh mit Ihnen – ich will doch sehen, was da los ist.« Die Gesellschaft war bald bei den Ruinen der Abtei angelangt, und als sie in der Kapelle waren, machten sie Halt, um zu erwägen, was sie zunächst beginnen sollten. Einstweilen wandte sich der Altertümler an den Schwarzkünstler. »Bitte, Herr Dusterschieler, was raten Sie uns in dieser Angelegenheit? – Haben wir Aussicht auf Erfolg, wenn wir von Osten nach Westen graben, oder sollen wir von Westen nach Osten graben? – oder wollen Sie uns helfen mit Ihrer dreieckigen Phiole voll Maitau oder mit Ihrer Wünschelrute vom Haselstrauch?« »Herr Oldenbuck,« sagte Dusterschieler verbissen, »ich habe Ihnen schon gesagt, Sie werden gar kein Glück haben mit Ihrer Arbeit, und ich werde für mich selber schon einen Weg finden, Ihnen für die Höflichkeiten tschu danken, die Sie mir erweisen – ja, das werde ich gantsch gewiß.« »Wenn Euer Ehren den Boden umgraben wollen,« sagte der alte Edie, »und auf den Rat eines alten Kerls hören wollen, so würd ich unter dem alten großen Stein da anfangen, wo in der Mitte draus die Figur ausgestreckt eingegraben ist.« »Ich habe Grund, diesen Vorschlag selber für gut zu halten,« sagte der Baron. »Ich habe nichts dagegen einzuwenden,« sagte Oldbuck. »Es war nichts Ungewöhnliches, Schätze in den Grabstätten Verstorbener zu verbergen – dafür gibt es viele Beispiele.« Der Grabstein, derselbe, unter dem Sir Arthur und der Deutsche die Münzen gefunden hatten, wurde noch einmal zur Seite gehoben, und die Erde gab leicht der Hacke und dem Spaten Raum. »Hier ist schon gegraben worden,« sagte Edie, »das hackt sich so leicht. Ich kenn mich aus darauf.« Die Arbeiter waren jetzt soweit, daß sie die Seiten des Grabes erkannten, die durch vier Seitenwände gefestigt waren in Form eines Parallelogramms, das wahrscheinlich zur Aufnahme des Sarges bestimmt war. »Es verlohnt schon der Mühe,« sagte der Altertümler zu Sir Arthur, »in der Arbeit fortzufahren, wär's auch bloß aus Neugierde. Möchte doch wissen, auf wessen Grabmal sie eine so ungewöhnliche Sorgfalt verwendet haben.« »Das Wappen auf dem Schild,« sagte Sir Arthur mit einem Seufzer, »ist dasselbe, wie es auf dem Turme Schwarzrocks sich befindet, der der Sage nach von Malcolm dem Usurpator erbaut worden ist. Niemand weiß, wo er begraben worden ist, und es besteht eine alte Prophezeiung in unserer Familie, daß uns nichts Gutes bevorstände, wenn sein Grab gefunden würde.« »Weiß ich,« sagte der Bettler, »habs oft gehört, wie ich noch ein kleiner Junge war: Wenn einst das Grab gefunden wird Von Malcolm mit dem schwarzen Rock, Verloren und gewonnen wird Dann Schloß und Land von Knockwinnock.« Oldbuck hatte die Brille aufgesetzt und war an dem Grabmal niedergekniet und verfolgte halb mit dem Auge, halb mit dem Finger die verwitterten Inschriften auf dem Bildnis des abgeschiedenen Kriegers. »Das ist das Wappen von Knockwinnock, ganz gewiß,« rief er, »verbunden mit dem Wappen von Wardour.« »Richard, genannt Wardour mit der Roten Hand,« sagte Sir Arthur, »heiratete Sibylle Knockwinnock, die Erbin der sächsischen Familie, und durch diese Verbindung erhielt das Schloß im Jahre des Herrn 1150 den Namen Wardour.« Inzwischen fuhren die Arbeiter fort, zu graben, und hatten schon etwa fünf Fuß tief gegraben. Als die Arbeit des Aushebens immer mühsamer wurde, so fingen sie an, der Sache überdrüssig zu werden. »Wir sind bis auf den Grund,« sagte einer – »und ein Sarg ist nicht da, noch sonst etwas – hier ist schon irgendwer, der's versteht, vor uns dabei gewesen.« Und der Arbeiter kletterte aus dem Grabe heraus. »Halt, Bursche,« sagte Edie und kletterte an seine Stelle hinunter, »ich will mal sehn, was ein alter Bettler noch kann – ihr versteht euch wohl aufs Suchen, aber das Finden ist nicht eure Sache.« Sobald er ins Grab gestiegen war, stieß er seinen Stock wuchtig in den Boden – die Spitze stieß auf Widerstand, und der Bettler rief wie ein schottischer Schuljunge, der etwas findet: »Geteilt wird nicht – alles mein und nichts dem Nachbarn!« Jedermann, vom niedergeschlagenen Baron bis zum finsteren Adepten, ward jetzt von Neugierde ergriffen, und alles drängte sich um das Grab. Die Arbeiter, die in ihrer eintönigen und anscheinend hoffnungslosen Beschäftigung schon ermattet waren, nahmen das Werkzeug wieder zur Hand und gruben mit dem Eifer der Erwartung weiter. Bald stießen ihre Spaten auf eine harte Holzfläche, die, als die Erde weggeräumt war, die Form einer Kiste zeigte, aber weit kleiner als ein Sarg. Nun griffen alle Hände zu, sie aus dem Grabe zu heben, und alle riefen, wie schwer sie sei und schätzten sogleich ihren Wert. Als die Kiste außen niedergesetzt worden war, wurde der Deckel mit einer Hacke aufgebrochen. Nun zeigte sich zuerst eine Decke von rauher Leinwand. Dann kam eine Menge Werg zum Vorschein und darunter eine Unzahl Silberstücke. Eine so unerwartete und überraschende Entdeckung wurde mit allgemeinem Jubel begrüßt. Der Baron warf die Hände zum Himmel empor und schlug die Augen auf, in dem stummen Entzücken eines Mannes, der aus unsäglicher Not erlöst wird. Oldbuck wollte fast seinen Augen nicht trauen und hob ein Stück Silber nach dem anderen auf. Sie hatten weder Inschrift noch Prägung bis auf eines, das spanisch zu sein schien. Er konnte an dem hohen Werte und der Echtheit des Schatzes, der vor ihm lag, nicht zweifeln. Er mußte zugeben, daß Sir Arthur hier etwa tausend Pfund an rohem Metall gefunden habe. Sir Arthur versprach nun den Arbeitern einen reichen Lohn für ihre Mühe und begann sich schon den Kopf zu zerbrechen, wie dieser reiche Fund am besten nach Knockwinnock zu schaffen sei – da zupfte ihn der Schwarzkünstler am Ärmel. Er hatte sich inzwischen von seinem Erstaunen erholt, brachte demütig seine Glückwünsche dar und wandte sich dann mit einer Miene des Triumphes an Oldbuck. »Ich habe Ihnen gesagt, mein guter Freund Herr Oldenbuck, ich würde eine Gelegenheit suchen, Ihnen für Ihre Höflichkeit tschu danken, meinen Sie nicht, dah ich jetscht sehr eine gute Gelegenheit gefunden habe, Dank abtschustatten?« »Herr Dusterschieler, wollen Sie etwa behaupten, Sie hätten irgendwelches Verdienst an unserem guten Erfolg? Sie vergessen, daß Sie uns alle Hilfe abschlugen und uns den Dienst Ihrer Wissenschaft verweigerten. Mann! Und Sie sind auch hier ohne Ihre Waffen, mit denen Sie den Kampf bestehen wollten, den Sie nun für uns mit einem Male gewonnen haben wollen. Sie haben nichts von Ihren Künsten angewendet: Zauber, Siegel, Talisman, Amulett, Pentakulum, magische Spiegel und geomantische Figuren – alles ist unterblieben. Wo sind Ihre Periapten und Ihre Abrakadabras, Mann? Wo Ihr Farnsamen und Ihr Eisenkraut? Wo Ihre Kröten, Krähen, Drachen, Panther, Wo Sonne, Mond und Firmament und Sphäre, Wo Lato, Azoch, Zernick, Schibrit, Hautrit, Wo Brühen, Säfte und Materien, Bei deren bloßen Namen man verrückt wird?« Die Antwort des Adepten auf die Tirade des Altertümlers ist dem folgenden Kapitel vorbehalten. Viertes Kapitel Der Deutsche schien entschlossen, die vorteilhafte Position zu behaupten, die ihm die Entdeckung verschafft hatte, und antwortete mit großer Feierlichkeit und Würde auf den Angriff des Altertümlers: »Meister Oldenbuck, all das mag ja sehe geischtreich und witschick und wohl auch luschtick sein – aber ich habe nichts – aber auch gar nichts – tschu Leuten tschu sagen, die selbst noch nicht an das, was sie mit eigenen Augen sehen, glauben wollen. Es ist sehr wahr, daß ich heute nichts von dem Werktscheug der Kunscht hier habe, und es ist um so wunderbarer, was ich heute vollbracht habe. Aber ich möchte Sie bitten, mein sehr geehrter und guter und edelmütiger Herr Gönner, stecken Sie die Hand in die rechte Weschtentasche und tscheigen Sie mir, was Sie darin finden.« Sir Arthur erfüllte sein Ansuchen und zog das kleine Silberstück heraus, das er unter den Auspizien des Schwarzkünstlers bei dem ersten Versuche gebraucht hatte. »Es ist durchaus wahr,« sagte Sir Arthur mit einem ernsten Blick auf den Altertümler, »das ist das geläuterte und berechnete Siegel, mit dem Herr Dusterschieler und ich unsere erste Entdeckung bewirkt haben.« – »Pfui, pfui, mein lieber Freund,« sagte Oldbuck, »Sie sind zu gescheit, um an die Zauberkraft eines lumpigen Kronenstückes zu glauben, das dünngeschlagen und bloß ein bißchen zerkratzt worden ist. Ich sage Ihnen, Sir Arthur, wenn Dusterschieler gewußt hätte, wo er diesen Schatz allein hätte finden können, dann hätten Sie keinen Deut davon zu sehen bekommen.« »Wenn Euer Ehren nichts dagegen haben,« sagte Edie, der bei allen Gelegenheiten, wie es im Volksmunde heißt, seinen Senf dazuzugeben hatte, »wenn Herr Dusterschieler soviel Verdienst an der Entdeckung des Schatzes hat, so können Sie ihm, meine ich', zum wenigsten zugestehen, daß alles, was für seine Arbeit noch übrig ist, ihm gehören soll, denn der, der gewußt hat, wo so viel zu finden ist, weiß ohne Frage auch, wo noch mehr zu finden ist.« Als Dusterschieler diesen Vorschlag hörte, zog er ein sehr finsteres Gesicht, aber der Bettler zog ihn zur Seite und flüsterte ihm etwas ins Ohr, das ihn sehr zu interessieren schien. Inzwischen sagte Sir Arthur, dem von seinem Glücke das Herz voll war, mit lauter Stimme: »Kümmern Sie sich nicht um unseren Freund Monkbarns. Herr Dusterschieler, sondern kommen Sie morgen ins Schloß, und ich werde Sie überzeugen, daß ich nicht undankbar bin für die Winke, die Sie mir in dieser Sache gegeben haben, und die schmutzige Fairporter Fünfzigpfundnote, wie Sie sich ausdrücken, steht herzlich gern zu Ihrer Verfügung. Nun, Leute, macht den Deckel über dieser kostbaren Kiste wieder fest!« Aber der Deckel war in der Verwirrung zur Seite in das Gestrüpp gefallen oder unter die lose Erde geraten, die aus dem Grabe geworfen war, – kurz, er war nicht mehr zu sehen. »Leute,« sagte Sir Arthur, »kommt mit mir nach den Vier Pferdehufen, damit ich mir alle Eure Namen aufschreiben kann. Dusterschieler, ich möchte Sie nicht auffordern, jetzt mit nach Monkbarns zu kommen, da zwischen dem Laird und Ihnen eine so große Meinungsverschiedenheit herrscht, aber Sie kommen bestimmt morgen zu mir.« Dusterschieler knurrte eine Antwort, in der nur die Worte zu vernehmen waren: – »Pflicht – mein sehr geehrter Herr Gönner! – und Sir Arthur besuchen« – und als der Baron und sein Freund die Ruinen verlassen hatten, begleitet von den Arbeitern, die auf Lohn und Branntwein hofften, blieb der Schwarzkünstler in tiefstem Sinnen neben dem offenen Grabe stehen. »Wer hätte das denken sollen?« rief er unwillkürlich aus. »Meine Heiligkeit! Ich habe von solchen Dingen gehört und ich habe von solchen Dingen oft gesprochen, aber, sapperment, ich hätte nie gedacht, daß ich es leibhaftig schauen würde. Und wenn ich nur drei Fuß tiefer gegangen wäre, mein Himmel! Dann wäre alles mein eigen gewesen! – soviel mehr, als ich bis jetscht tropfenweis diesem Schafskopf abgetschwickt habe.« Der Deutsche brach sein Selbstgespräch ab, denn, indem er die Augen aufschlug, begegnete er dem Blick Edie Ochiltrees, der nicht mit den anderen gegangen war, sondern, wie gewöhnlich auf seinen Stab gestützt, sich auf der anderen Seite des Grabes aufgepflanzt hatte. Die Züge des alten Mannes, die von Natur fast einen spitzbübischen Ausdruck hatten, schienen jetzt so schlau und pfiffig, daß selbst die Dreistigkeit Dusterschielers, der doch ein Abenteurer von Profession war, gegen dieses Mienenspiel nicht aufkommen konnte. Aber er begriff, daß es notwendig sei, sich mit ihm einzulassen, faßte sich ein Herz und begann sogleich den Bettler über die Vorfälle des Tages auszufragen: »Guter Meister Edie Ochiltree ...« »Edie Ochiltree schlechtweg, nicht Meister oder Herr – nur der arme Bettelmann des Königs,« antwortete der Blaurock. »Na schön, schön, guter Edie also, was halten Sie von dem allen?« »Ich dachte eben, es wäre doch sehr freundlich, denn ich darf nicht sagen sehr einfältig, von Euer Ehren gewesen, daß Sie diesen beiden reichen Herren, die Länder und Lordschaften besitzen, diesen großen Silberschatz gegeben haben (der dreimal im Feuer gefeit ist, wie die Schrift sagt), wo doch mit ihm Sie selber und noch ein paar ehrliche Kerle außerdem so glücklich und zufrieden hätten werden können, wie der Tag lang ist.« »Allerdings Edie, mein ehrlicher Freund, das ist sehr wahr, nur wußte ich gar nicht, das heißt, ich war nicht genau darüber unterrichtet, wo ich das Geld selber hätte finden können.« »Was! So sind Monkbarns und der Ritter von Knockwinnock nicht auf Ihren Rat und Vorschlag hin hierhergekommen?« »Aha – ja doch – aber es verhält sich eben ein bißchen anders. Ich wußte nicht, daß sie den Schatsch finden würden, mein Freund, allerdings habe ich mir bei dem Krakehl und dem Husten und Niesen neulich nachtsch unter den Geischtern dahier gleich gedacht, daß hier ein Schatsch und edles Metall läge. Ach, mein Himmel! Der Geischt wird nun schön hinter seinem Gelde herheulen, wie ein deutscher Bürgermeister hinter seinen Talern nach einem Festessen im Stadthause.« »Und glauben Sie wirklich an so etwas, Herr Dusterschieler? Ein kundiger Mann wie Sie – pfui doch!« »Mein Freund,« sagte der Alchimist, durch die Umstände gezwungen, ein wenig mehr als sonst aus sich herauszugehen – »ich habe nicht mehr daran geglaubt, als Sie oder irgend ein Mensch, bis ich sie selber habe heulen und stöhnen und winseln hören mit meinen eigenen Ohren neulich in der Nacht, und bis ich heute die Geschichte gesehen habe, eine große Kiste voll bis zum Rande von lauterm Silber aus Mekschiko – und was soll ich denn nun anders denken?« »Und was würden Sie wohl einem Manne geben, der Ihnen zu einer anderen solchen Kiste voll Silber verhelfen würde?« »Was ich gäbe? Mein Himmel! – ein großes, riesengroßes Viertel davon!« »Nun, wenn ich das Geheimnis besäße,« sagte der Bettler, »so würde ich mir eine Hälfte ausbedingen, denn sehen Sie, wenn ich auch ein armes Luder bin und kein Geld mit mir herumtragen könnte, so hab ich doch Leute genug, die es mir aufheben würden mit besserm Profit für mich, als Sie denken.« »Ach Himmel! Mein guter Freund, was hab ich gesagt? – Ich wollte sagen, Sie sollten die drei Viertel davon haben, und das letschte Viertel sollte mein gerechter Anteil sein.« »Nein, nein, Herr Dusterschieler, wir wollen zu gleichen Teilen, was wir finden, unter uns verteilen, wie Bruder und Bruder. Nun, sehen Sie diesen Deckel an, den ich eben beiseite getan habe, während Monkbarns das Silber da unten anstarrte. Er hat ein scharfes Auge, Monkbarns. Ich war froh, daß ich das Ding ihm aus der Nase gerückt hatte. Sie werden vielleicht die Schrift besser lesen können, als ich – ich bin nicht so gelehrt – wenigstens bin ich nicht so geübt darin.« Mit dieser bescheidenen Versicherung seiner Unkenntnis brachte Ochiltree hinter einer Säule den Deckel der Schatzkiste hervor, der achtlos beiseite geworfen und dann von dem Bettler versteckt worden war. Ein Wort und eine Zahl stand auf dem Holze, und der Bettler spuckte in sein Taschentuch und rieb die Erde ab, damit sie deutlicher zu sehen sein sollten. Schrift und Zahl waren im alltäglichen Schwarzdruck aufgepreßt. »Können Sie es entziffern?« fragte der Bettler den Schwarzkünstler. »S,« sagte der Philosoph, wie ein Kind, das Fibelstunde hat, »S, A, C, H, E. – Sache – das besagt allerdings gar nichts.« »Sache!« rief Edie Ochiltiee. »Nein, nein Herr Dusterspieler, Sie verstehen sich doch mehr aufs Beschwören als aufs Lesen – Suche heißt es, Mann, suche. Sehen Sie, das U ist doch ganz deutlich.« »Aha! – Jetscht seh ichs. Suche heißt es. Suche Nummer I. Mein Himmel, dann muß ja eine Nummer Tschwei da sein, mein guter Freund. Denn suchen heißt so viel wie nach etwas graben, und dies ist erst Nummer Eins. – Mein Wort darauf, ein großer, riesengroßer Preis ist für uns aufbewahrt, guter Meister Ochiltree.« »Wohl, das mag schon sein – aber jetzt können wir nicht danach graben – wir haben keine Schaufeln, denn sie haben sie mitgenommen, und womöglich werden ein paar wieder hergeschickt, um die Erde ins Loch zu werfen und alles wieder sauber zu machen. Aber wenn Sie mich hier an dieser Stelle um zwölf Uhr mit einer Laterne treffen wollten, dann will ich Werkzeug bei der Hand haben, und wir wollen beide in aller Ruhe an die Arbeit gehen, und keine Menschenseele soll etwas davon merken.« »Ja, aber, mein guter Freund,« sagte Dusterschieler, – aus dessen Gedächtnis das vorige nächtliche Abenteuer sich nicht völlig vertilgen ließ, – »es ist zu solcher Nachttscheit durchaus nicht so geheuer in der Gegend des Grabes von unserem guten Freund Malcolm mit dem schwartschen Rock. Sie haben vergessen, was ich Ihnen ertschählt habe – daß die Geischter da geheult und gejammert haben. Ich sage Ihnen, dorten spuktsch.« »Wenn Sie sich vor Gespenstern fürchten,« antwortete der Bettler kühl, »dann will ich die Sache allein machen und Ihnen Ihren Teil an dem Silber irgend wohin bringen, wohin Sie mich bestellen wollen.« »Nein – nein, mein ausgetscheichneter alter Herr Edie, »tschu viel Mühe für Sie – das will ich nicht haben – ich werde selber kommen – und das wird das allerbeschte sein – denn, mein alter Freund, ich war's, ich, Hermann Dusterschieler, der das Grab des Meisters Schwartschrock entdeckt hat. Ich sah mich nämlich nach einem Fleckchen um, wo ich ein paar lausige Müntschen vergraben konnte – bloß um meinem lieben Freund Sir Arthur einen kleinen Streich tschu spielen so tschum Tscheitvertreib und Amüsement – ja, da hab ich ein bißchen sogenannten Schutt weggeräumt und dabei das Grab und das Monument vom guten Meister Schwartschrock entdeckt. Es hat den Anschein, als wollte er mich tschu seinem Erben haben, und da wäre es doch sehr unhöflich, wenn ich nicht selber käme, meine Erbschaft antschzutreten.« »Dann um zwölf Uhr,« sagte der Bettler, »wir treffen uns unter diesem Baume.« »Gut so, mein guter Meister Edie, ich will hier mit Ihnen tschusammentreffen, und wenn sich auch alle Geischter rein närrisch klagen und heulen sollten.« Mit diesen Worten schüttelte er dem alten Manne die Hand, und unter solcher gegenseitiger Versicherung der Pünktlichkeit gingen sie auseinander. Fünftes Kapitel Es war eine stürmische Nacht mit Wind und Regenschauern. »Ach du meine Zeit,« sagte der alte Bettler, indem er sich an der geschützten Seite der alten Eiche niederhockte, um auf seinen Gefährten zu warten. – »Was doch die Menschennatur für ein launisches, wunderliches Ding ist! – Aus purer Gewinnsucht kommt dieser Dusterwühler hierher in diesem Sturm und Unwetter um zwölf Uhr nachts an diese wilde Stätte! Und bin ich nicht ein größerer Narr als er, daß ich hier sitz und auf ihn warte?« Nach diesen weisen Betrachtungen hüllte er sich in den Mantel und heftete das Auge auf den Mond, der durch die stürmischen düsteren Wolken glitt. Der trübselige ungewisse Schein, den er durch die vorüberziehenden Schatten warf, fiel voll auf die Bogen und Fenster des alten Gebäudes, die so in ihrem Verfall auf einen Augenblick deutlich sichtbar wurden und dann wieder als dunkle, undeutliche, schattenhafte Masse erschienen. »Ich hab in Deutschland und in Amerika auf Posten gestanden,« sagte der Bettler zu sich selber, »in mancher schlimmern Nacht, wo ich wußte, daß ein Dutzend Scharfschützen vor mir im Dickicht liegen konnten. Aber ich hab meine Pflicht getan, und nie hat jemand Edie schlafend ertappt.« Während er so vor sich hinsprach, schulterte er unwillkürlich seinen Stock und stellte sich hin wie eine Schildwache, und als sich Schritte dem Baume näherten, rief er in einem Tone, der besser zu seinen militärischen Erinnerungen als zu seinem gegenwärtigen Zustande paßte: »Halt! Wer da?« »Tschum Satan, guter Edie,« antwortete Dusterschieler, »was brüllen Sie hier wie ein Bärenhäuter oder wie eine Schildwache?« »Weil ich eben im Augenblick dachte, ich wär eine Schildwache,« antwortete der Bettler. Eine entsetzliche Nacht ist's – haben Sie eine Laterne und einen Quersack, wo wir das Silber hineintun können?« »Ja – ja – mein guter Freund,« sagte der Deutsche, »hier ist ein doppelter sogenannter Sattelsack. Eine Seite ist für Sie, eine Seite für mich – ich nehme beide nachher auf mein Pferd, damit Sie es nicht selber tschu tragen brauchen, denn Sie sind ein alter Mann.« »Sie haben also ein Pferd hier?« fragte Edie Ochiltree. »O ja, mein Freund, da drüben habe ich's angebunden,« antwortete der Schwarzkünstler. »Na, da hab ich ja auch ein Wort mitzureden, von meinem Anteil soll nichts auf den Rücken des Pferdes kommen.« »Was sollten Sie dabei tschu befürchten haben?« ' »Bloß, daß mir Mann, Pferd und Geld ausreißen könnten,« versetzte der Landstreicher. »Wissen Sie auch, daß Sie damit einen Ehrenmann tschu einem großen Schurken stempeln?« »Mancher Ehrenmann kann das aus sich machen,« erwiderte Ochiltree. »Aber wozu streiten wir uns? Wenn Sie Lust haben, dann wollen wir uns ans Werk machen, wenn nicht, so kehr ich zurück zu meinem gemütlichen Strohlager bei Ringan Eichholz und nehme Schaufel und Spaten wieder mit, wo ich sie her habe.« Obwohl innerlich vor Wut kochend, nahm doch Dusterschieler den schmeichelnden Ton an, in dem er zu sprechen pflegte, und bat seinen Freund, den guten Meister Edie Ochiltree, er möchte ihn führen, und versicherte ihm, daß er mit allem einverstanden wäre, was ein so ausgezeichneter Freund vorschlagen würde. »Na schön,« sagte Edie, »dann sehen Sie sich vor, daß Sie in dem langen Grase nicht über lose Steine fallen.« Mit diesen Worten schritt Edie voran, der Ruine zu, und der Adept folgte ihm auf den Fersen. Gleich darauf aber blieb er wieder stehen. »Sie sind ein Gelehrter, Herr Dusterspieler, und wissen viel über das wunderbare Wirken der Natur – wollen Sie mir eines sagen? Glauben Sie daran, daß Geister und Gespenster auf der Erde wandeln? Glauben Sie daran? – ja oder nein?« »Ei, guter Herr Edie,« flüsterte Dusterschieler in mahnendem Tone, – »ist jetscht eine Tscheit und ist dies ein Ort, solche Fragen tschu stellen?« »Das ist es in der Tat, Herr Dusterspieler, denn ich muß Ihnen offen sagen, es geht die Rede, daß der alte Schwarzrock umgeht. Nun wär das aber eine sehr häßliche Nacht für ein Zusammentreffen mit ihm, und wer weiß, ob er über unseren Besuch bei seinem Grabe sehr erfreut sein würde.« »Alle guten Geister,« murmelte der Adept, und der Rest der Beschwörungsformel verlor sich in einem zitternden Brummen, »ich wünschte nur, Sie sprächen nicht so, Herr Edie, denn nach allem, was ich neulich Nacht gehört habe, glaube ich sehr stark ...« »Na, ich,« sagte Ochiltree und trat in die Kapelle, indem er mit einer trotzigen Gebärde den Arm schwenkte, »ich würde nicht soviel mehr für ihn geben, wenn er jetzt in diesem Augenblicke erschiene – er ist nur ein lebloses Wesen, und in uns ist Leben und Kraft.« »Um der Liebe des Himmels willen,« sagte Dusterschieler, »sagen Sie nichts von solchen Dingen!« »Schön,« sagte der Bettler, indem er den Schirm von der Laterne nahm, »hier ist der Stein, und Geist oder kein Geist, ich will noch ein bißchen tiefer ins Grab.« Und er sprang hinein, und nachdem er ein paar Stiche mit dem Spaten getan hatte, wurde er müde, oder er stellte sich wenigstens so – und sagte zu seinem Gefährten: »Ich bin schon alt und schwach und kanns nicht halten – kommen Sie herein und nehmen Sie die Hacke ein bißchen, nachher löse ich Sie wieder ab.« Dusterschieler stieg daher an Stelle des Bettlers hinein und arbeitete mit all dem Eifer, den die Habgier – freilich hatte auch das bange Verlangen, fertig zu werden und sobald wie möglich die unheimliche Stätte zu verlassen, seinen Teil daran – in einem zugleich gewinnsüchtigen und furchtsamen Gemüt erwecken konnte. So arbeitete denn Dusterschieler unter den Steinen und dem harten Boden wie ein Pferd und fluchte innerlich auf deutsch. Wenn solch ein unheiliges Wort seinen Lippen entschlüpfte, begann Edie, der ihm in aller Gemütsruhe bei seiner schweren Arbeit zusah: »O fluchen Sie nicht, fluchen Sie nicht! Wer weiß, wer's hören kann? – He, Gott sei bei uns! was ist das da? – He, es ist weiter nichts als ein Efeublatt, das von der Mauer weggeflattert ist. Wie der Mond darauf schien, sah es doch ganz aus wie der Arm eines Toten mit einer Kerze in der Hand. Dacht ich doch, es war der Schwarzrock selber. Aber lassen Sie sich nicht stören – arbeiten Sie weiter – werfen Sie die Erde hierher – fein verstehen Sie die Arbeit, wie ein echter und rechter Totengräber! Was halten Sie denn jetzt an?« »Halt!« sagte der Deutsche in einem Tone der Wut und Enttäuschung. – »Ich bin auf den Felsen geraten, auf dem diese verfluchten Ruinen – Gott vertscheih mir – gebaut worden sind.« »Gut,« sagte der Bettler, »das wird nur ein Stein sein, der dazwischen geschoben ist, damit man das Gold nicht sogleich sehen soll. Hauen Sie drauf, Mann – ein ordentlicher derber Schlag, und er wird zersplittern, dafür steh ich Ihnen. Na, so ist es recht!« Durch Edies Aufforderungen veranlaßt, hatte in der Tat der Adept ein paar verzweifelte Schläge geführt und zwar nicht den Stein – denn wie er vermutet hatte, war es allerdings der harte, feste Felsen – dafür aber das Werkzeug, das er führte, zerbrochen, und ein Krampf fuhr ihm durch die Arme bis hinauf in die Schulterblätter. »Hurra! Ringans Hacke ist zum Teufel!« rief Edie. »Eine Schande ist's, daß das Volk in Fairport so zerbrechliches Werkzeug verkauft! Versuchen Sie's mit der Schaufel. Nochmals ans Werk, Herr Dusterwühler!« Ohne eine Antwort kletterte der Adept heraus aus der Grube, die sechs Fuß tief war, und wandte sich an seinen Gefährten in einem Tone zitternder Wut. »Wissen Sie, Herr Edie Ochiltree, wer es ist, mit dem Sie Ihre Witsche und Schertsche reißen?« »Sehr gut, Herr Dusterwühler, sehr gut kenn ich Sie, und hab Sie schon lange gekannt, aber von Witzen und Scherzen ist hier gar keine Rede, denn mir liegt daran, daß wir unseren Schatz zu sehen kriegen – wir hatten längst schon den Mantelsack vollhaben müssen. Hoffentlich ist er groß genug, daß alles hineingeht?« »Warten Sie, Sie gemeine alte Person,« sagte der vor Wut rasende Philosoph, »wenn Sie noch einen Mumpitsch, mit mir treiben, dann schlag ich Ihnen mit dieser Schaufel den Schädel ein!« »Und wo wären dann wohl meine Hand und mein Stock hier?« versetzte Edie in einem Tone, der keine Furcht verriet. »Papperlappapp! Herr Dusterwühler, ich habe nicht so lange auf dieser Welt gelebt, daß ich nun auf diese Weise hinausgeschaufelt werden sollte. Was tut Ihnen denn weh, Mann, daß Sie sich mit Ihren Freunden zanken? Ich wette, ich finde den Schatz in einer Minute!« Und er sprang in die Grube und ergriff den Spaten. »Ich schwöre Ihnen,« sagte der Adept, dessen Verdacht nun voll erwacht war, »wenn Sie mir einen groben Streich gespielt haben, so will ich's Ihnen heimtschahlen mit groben Hieben.« »Da hör ihn einer,« sagte Ochiltree, »er weiß, wie der Hase läuft! Wer nicht selber hinter der Tür gesteckt hat, vermutet keinen anderen dahinter.« Bei dieser Bemerkung, die wahrscheinlich auf den Auftritt des Adepten mit Sir Arthur gemünzt war, verlor der Philosoph den letzten Rest an Geduld, der ihm noch verblieben war, und da er überhaupt wilden, leidenschaftlichen Charakters war, hob er den Stumpf der zerbrochenen Hacke, um sie auf das Haupt des alten Mannes niedersausen zu lassen. Der Schlag wäre aller Wahrscheinlichkeit nach verhängnisvoll gewesen, wenn nicht der, dem er galt, in strengem, festem Tone ausgerufen hätte: »Schande über Sie, Mann! Glauben Sie, Himmel oder Erde ließen es zu, daß Sie einen alten Mann ermorden, der Ihr Vater sein könnte? Mann, sehen Sie sich um!« Unwillkürlich wandte Dusterschieler sich um, und zu seinem größten Erstaunen sah er eine große, dunkle Gestalt dicht hinter sich stehen. Die Erscheinung ließ ihm nicht Zeit, mit Beschwörung oder in anderer Weise gegen sie vorzugehen, sondern ging sogleich zur Tat über und ließ mehrere so wuchtige Schläge auf die Schultern des Adepten niederrasseln, daß er zusammenbrach und zwischen Furcht und Betäubung eine Weile besinnungslos liegen blieb. Als er wieder zu sich kam, war er allein in der verfallenen Kapelle und lag auf der weichen, feuchten Erde, die aus Schwarzrocks Grab geworfen worden war. Er erhob sich mit einer gemischten Empfindung von Wut, Schmerz und Entsetzen, und erst, nachdem er ein Weilchen aufgerichtet dagesessen hatte, konnte er hinreichend Ordnung in seine Gedanken bringen, um sich zu erinnern, wie und in welcher Absicht er hierhergekommen war. Als ihm alles wieder einfiel, konnte er nicht daran zweifeln, daß die Lockspeise, mit der Edie Ochiltree ihn an diesen einsamen Ort gebracht hatte, der Spott, durch den er einen Zank mit ihm heraufbeschworen hatte, und die pünktlich bereite Hilfe, die den Streit beendet hatte – daß dies alles von vornherein abgekartete Sache war, um Hermann Dusterschieler Schande und Schaden zuzufügen. Er konnte kaum denken, daß er die schwere Arbeit, die Angst und die erlittenen Schläge allein der Bosheit Edie Ochiltrees verdanke, sondern meinte, daß der Bettler nur als Werkzeug einer wichtigeren Person tätig gewesen sei. Sein Argwohn schwankte zwischen Oldbuck und Sir Arthur Wardour. Daß es der letztere sei, hatte seines Erachtens die größere Wahrscheinlichkeit für sich, denn wenn Sir Arthur wohl auch noch nicht all seine Schlechtigkeit in ihrem vollen Umfange durchschaut haben mochte, so mußte der Adept doch vermuten, daß er wohl genug vom wahren Sachverhalt erfahren haben mußte, um Vergeltung an ihm zu üben. Dusterschieler hatte sich daher kaum in die Höhe gearbeitet, so hatte er auch bei sich selber schon geschworen, seinen Wohltäter ins Verderben zu stürzen, und unglücklicherweise lag es nur zu sehr in seiner Macht, den Zusammenbruch des Barons zu beschleunigen. Aber für die Rachegedanken, die ihm im Hirne rumorten, war jetzt nicht die Zeit. Die Stunde, die Stätte, seine eigene Lage, die Gegenwart oder vielleicht die Nähe derer, die ihn überfallen hatten, lenkten alles Sinnen des Adepten zunächst auf Selbsterhaltung. Die Laterne war umgefallen und in dem Ringen erloschen. Der Wind, der zuvor so laut durch die Bogen der Ruine geheult hatte, war fast ganz zur Ruhe gegangen, unterdrückt von dem Regen, der leise und stark herniederfiel. Der Mond war nun völlig verfinstert, und obwohl Dusterschieler einigermaßen in den Ruinen Bescheid wußte, und er sich darüber klar war, daß er das östliche Tor der Kapelle zu erreichen versuchen müsse, so waren doch seine Begriffe derartig verwirrt, daß er eine Zeitlang ratlos stand und nicht wußte, in welcher Richtung er es zu suchen habe. In dieser Verwirrtheit gewann wiederum der Aberglaube, unterstützt durch die Finsternis und sein böses Gewissen, die Oberhand über ihn. »Ah bah!« sagte er tapfer zu sich selber, »das ist alles Mumpitsch! – Das ist alles weiter nichts als großer, riesengroßer Schwindel und Betrug! Teufel! ein dicknischeliger schottischer Baron, den ich fünf Jahre lang an der Nase herumgeführt habe, sollte jetscht Hermann Dusterschieler tschum Narren haben!« Als er zu diesem Schluß gekommen war, da geschah etwas, das wohl angetan war, den Boden, auf den er sich in diesen Betrachtungen gestellt hatte, zu erschüttern. Mitten in dem melancholischen Geseufze des Windes und dem leisen Plätschern des Regens auf Blätter und Steine erhob sich plötzlich, und allem Anschein nach nicht weit von dem Hörer, eine klangvolle, melodische Musik, die in ihrer Schwermut und Feierlichkeit ganz so klang, als ob die abgeschiedenen Geister der Kirchenmänner, die einst diese verlassenen Ruinen bewohnt hatten, über die Einsamkeit und die Verwüstung klagten, denen ihre geweihte Wohnstätte preisgegeben war. Dusterschieler, der sich jetzt emporgerafft hatte und an der Mauer der Kapelle tastend entlangschlich, stand wie angewurzelt, als dieses neue Wunder sich ereignete. Jede Fähigkeit seiner Seele schien für den Augenblick mit in den Sinn des Hörens einbezogen, und alle schienen ihm einstimmig die Überzeugung aufzudrängen, daß der tiefe, wilde, langgezogene Gesang, den er jetzt hörte, eine der feierlichsten Totenweisen der römischen Kirche sei. Warum sie in dieser Einsamkeit gesungen wurde, und von was für einer Art Choristen sie gesungen wurde, das waren Fragen, die die entsetzte Phantasie des Adepten, in der all der deutsche Aberglaube von Nixen, Erlkönigen, Werwölfen, Kobolden, Waldschratten und schwarzen Geistern, weißen Geistern, blauen Geistern und grauen Geistern bunt durcheinander spukte, nicht zu beantworten wagte. Bald wurde ein anderer seiner Sinne von dem Wunder beansprucht. Am Ende eines der Durchgänge der Kirche, am Grunde einer kleinen Treppe von wenigen hinunterführenden Stufen war eine kleine Eisengittertür, die, soweit er sich erinnerte, in ein tiefes Gewölbe, eine Art Sakristei, führte. Als er nach der Richtung hinschaute, aus der die Musik erscholl, bemerkte er einen starken, glühroten Lichtschein, der durch das Gitter fiel. Dusterschieler stand einen Augenblick unschlüssig, was er tun sollte. Dann faßte er plötzlich einen verzweifelten Entschluß und schritt den Bodengang hinab nach der Stelle, von der das Licht ausging. Er schlug das Zeichen des Kreuzes zu seiner Stärkung und murmelte so viel Beschwörungsformeln, wie sein Gedächtnis ihm eingab – und so näherte er sich dem Gitter, von dem aus er, ungesehen, sehen konnte, was im Innern der Gruft vorging. Als er mit scheuen unsicheren Schritten herantrat, erstarb nach einigen wilden, langgezogenen Tönen der Gesang, und tiefes Schweigen herrschte. Das Gitter ließ ihn ein seltsames Bild im Innern der Sakristei erschauen. Ein offenes Grab mit vier großen, etwa sechs Fuß hohen Fackeln an den vier Ecken – eine Bahre und ein Leichnam darauf – die Arme auf der Brust gefaltet – dicht an einer Seite des Grabes, als sollte er eben bestattet werden. Ein Priester mit Hut und Meßgewand hielt das offene Andachtbuch in der Hand – ein anderer trug, gleichfalls im Ornat, ein Becken mit Weihwasser – und zwei Knaben in weißen Hemden hielten das Geschirr mit dem Weihrauch – ein Mann, einst von hohem, gebietendem Wuchse, jetzt von Alter oder Schwäche gebeugt, stand allein und dem Sarge am nächsten in der Tracht tiefster Trauer. Dies waren die hervorragenden Erscheinungen in dem Bilde. Ein Stückchen weiter entfernt standen ein paar Gestalten beiderlei Geschlechts in langen Trauergewändern, und noch mehr, etwa sechs an der Zahl, ebenfalls schwarz gekleidet, standen in noch größerer Entfernung an den Wänden der Gruft entlang, regungslos aufgestellt, jeder eine große Fackel von schwarzem Wachs in der Hand. Das qualmige Licht, das von so vielen Fackeln ausging, verbreitete eine rote, undeutliche Atmosphäre und gab den Umrissen dieser seltsamen Erscheinung ein nebliges, unklares und in der Tat geisterhaftes Gepräge. Die Stimme des Priesters las jetzt laut, klar und volltönend aus dem Brevier, das er in der Hand hielt, die feierlichen Worte vor. die im Ritus der katholischen Kirche für Beerdigungen vorgeschrieben sind. Inzwischen stand Dusterschieler noch immer am Gitter und war sich nicht klar darüber, ob das Bild, das sich ihm zeigte, der Wirklichkeit angehörte, oder ob es eine unirdische Darstellung der Zeremonien war, die in früheren Zeiten in diesen Mauern üblich waren, jetzt aber in protestantischen Ländern selten und in Schottland fast nie mehr ausgeübt wurden. Er wußte nicht, ob er die Feierlichkeit mit ansehen oder sich ans der Kapelle hinwegstehlen sollte, da verriet eine Bewegung seine Anwesenheit, und einer aus dem Trauergefolge erblickte ihn durch das Gitter. Die Person machte sofort durch einen Wink den Mann, der dem Sarge am nächsten stand, darauf aufmerksam, und als darauf er mit der Hand winkte, traten zwei aus der Gruppe heraus, kamen mit geräuschlosen Schritten heran, als fürchteten sie die Feier zu stören, und schlössen das Tor auf, das sie von dem Adepten trennte. Jeder von beiden nahm ihn an einem Arme, und mit Gewalt – soweit sie bei seiner widerstandslosen Furcht sie anwenden mußten, setzten sie ihn in der Kapelle nieder und nahmen neben ihm Platz zu beiden Seiten, wie um ihn festzuhalten. Beruhigt, daß er sich in der Gewalt von Menschen befand, die sterblich waren wie er, hätte der Adept sie gern ausgefragt, aber der eine deutete auf die Gruft, aus der die Stimme des Priesters deutlich herausklang, und der andere legte den Finger auf den Mund, ihn zur Ruhe zu ermahnen, und der Adept hielt es für das klügste, sich danach zu richten. Und so hielten sie ihn, bis ein lautes Hallelujah, das durch die verlassenen Wölbungen von St. Ruth hallte, die seltsame Feier schloß, zu deren Zeugen ihn der Zufall bestimmt hatte. Als der Hymnus und jedes Echo verklungen war, sagte einer von den Männern, die Dusterschieler hielten, in vertrautem Ton und Dialekt: »Du liebe Güte, sind Sie das, Herr Dusterschieler? Sie hätten es uns doch sagen können, wenn Sie gern der Feier beiwohnen wollten! – Nur konnte mein Herr nicht erlauben, daß Sie so hier hereinguckten.« »Im Namen aller irdischen und himmlischen Güte, sagen Sie mir, wer Sie sind?« unterbrach ihn der Deutsche. »Wer ich bin? Ei, wer sollt ich weiter sein als Ringan Eichholz, der Förster von Knockwinnock? Und was treiben Sie hier zu dieser Nachtzeit – wollten doch wohl bloß dem Begräbnis der Gnädigen beiwohnen?« »Ich erkläre Ihnen, mein guter Meister Förschter Eichholtsch Ringan,« sagte der Deutsche, indem er sich erhob, »in dieser selben Nacht bin ich ermordet, beraubt und in drohende Furcht um mein Leben versetscht worden!« »Beraubt? Wer sollte hier eine solche Tat begehen? Ermordet? Na, Sie reden noch ziemlich kräftig für einen Ermordeten. Furcht um Ihr Leben? Was hätte Ihnen denn Furcht einjagen können, Herr Dusterschieler?« »Das will ich Ihnen sagen, Meister Förschter Eichholtsch Ringan, der alte, verkrüppelte, hündische, schurkische Blaurock, der sogenannte Edie Ochiltree ist es gewesen.« »Das glaub ich im Leben nicht,« sagte Ringan. »Ich habe Edie gekannt und mein Vater vor mir – wir haben ihn immer nur gekannt als braven, treuen und friedliebenden Mann, und er schläft unten in unserer Hütte, und ist dort seit zehn Uhr abends.« »Meister Ringan Eichholtsch Förschter, ich sage Ihnen, ich bin diesen Abend um fufftschig Pfund beraubt worden von Ihrem braven friedliebenden Freund Edie Ochiltree, und ich sage Ihnen, er ist jetscht ebensowenig in Ihrer Hütte, als ich je in das Königreich des Himmels tschu gelangen hoffe.« »Nun Herr, wenn Sie mit mir kommen wollen, sobald die Trauergesellschaft sich zerstreut hat, dann wollen wir Ihnen bei uns ein Bett zurecht machen und sehen, ob Edie noch in der Scheune ist. Als wir mit der Leiche heraufkamen, sind zwei wild aussehende Kerle aus der Kirche verschwunden, das steht fest.« Mit diesen Worten zog der freundliche Mann, dem die stumme Person – sein Sohn – dabei behilflich war, den Mantel aus, und beide geleiteten nun den Adepten, um ihn zur Ruhe zu bringen, deren er so sehr bedurfte. »Ich wende mich morgen an die Obrigkeit,« sagte Dusterschieler, »oder all diesen Schweinehunden hetsch ich die Politschei und die Juschtitsch auf den Hals.« Sechstes Kapitel In der Fischerhütte von Mucklebackit sah es recht unordentlich, ja schmutzig aus. Aber bei allem Schmutz hatten Luckie Mucklebackit und ihre Familie in ihrem Äußern alle etwas Behagliches, so daß das alte Sprichwort: »Je klatriger, um so gemütlicher« hier zur Wahrheit zu werden schien. Auf dem Herde brannte ein riesiges Feuer, obwohl es Sommer war – es verbreitete zugleich Licht und Wärme und besorgte der Familie die Mahlzeit. Die stämmige athletische Gestalt Maggies, der Fischersfrau, schaffte emsig inmitten einer Schar halbwüchsiger und noch kleinerer Kinder, Jungen und Mädchen. Einen starken Kontrast zu ihr bildete die Mutter ihres Mannes – mit ihrem untätigen, halb blödsinnigen Blick und Wesen. Dieses Weib hatte die letzte Stufe menschlichen Lebens erreicht und saß an ihrem gewohnten Platz am Feuer, ohne aber die Wärme zu verspüren, sie murmelte vor sich hin und lächelte ab und zu irr den Kindern zu. Obgleich es schon lange nach Mitternacht war, war doch die ganze Familie noch auf den Beinen und dachte auch noch nicht daran, zu Bett zu gehen. Die Hausfrau war noch dabei, Haferkuchen zu backen, und ihre älteste Tochter richtete Heringe zu. Während sie so beschäftigt waren, klopfte es leise an die Tür, und herein kam Hanne Rintherout, das Dienstmädchen des Altertümlers. »Was? Ist's möglich, Hanne! Na, man bekommt dich ja recht selten zu sehen!« »Ach, Frau, die Wunde von Kapitän Hektor hat uns so viel zu schaffen gemacht, daß ich vierzehn Tage lang nicht hinausgekommen bin. Nun geht es ihm besser. Sobald daher heute unsere Herrschaft zur Ruhe gegangen ist, habe ich mich davon gemacht. Wollte doch mal sehen, ob es bei Ihnen was Neues gäbe. Haben Sie denn schon gehört von der großen Kiste voll Gold, die Sir Arthur unten in St. Ruth gefunden hat? Nun wird er großartiger sein als zuvor und die Nase noch höher tragen.« »Ja ja, davon spricht die ganze Gegend, aber der alte Edie sagt, sie machtens zehnmal größer, als es gewesen sei. Und er wär' dabei gewesen, wie sie sie gefunden hätten. Ja ja, lange dürfte es dauern, bis mal ein armer Kerl so was findet.« »Ja, das stimmt. Und Sie haben wohl auch gehört, daß die Gräfin von Glenallan gestorben ist und in St. Ruth in dieser Nacht beerdigt wird bei Fackellicht und alle Papisten und Ringan Eichholz – der ist ja auch Papist – ist auch mit dabei, und es soll ein prachtvoller Anblick sein.« »Die alte Metze, wie Ehrwürden Heulmeier sie nennt, hat wenig Freunde hier in der Gegend. Aber weshalb begraben sie den alten Drachen (ein schlimmes Weib war sie) in der Nacht? Die Großmutter wird's wohl wissen. He, Großmutter! Weshalb werden denn die von Glenallan immer bei Kerzenlicht in den Ruinen von St. Ruth beerdigt?« Die alte Frau hob ihr aschfarbenes Gesicht, das nur durch das Spiel zweier lichtblauer Augen von dem einer Leiche unterschieden war, und antwortete: »Weshalb die Glenallans ihre Toten bei Fackellicht beerdigen? Ist denn ein Mitglied der Glenallans jetzt gestorben?« »Die alte Gräfin, Großmutter.« »So ist sie endlich heimgerufen worden?« versetzte das alte Weib, mit mehr Aufregung, als sich bei ihrem hohen Alter erwarten ließ. »Soll sie denn endlich ihre letzte Rechenschaft ablegen nach ihrem langen Leben voller Stolz und Macht? O, Gott möge ihr verzeihen!« »Aber die Mutter hat gefragt,« wiederholte Hanne, »warum die Glenallans immer ihre Toten bei Fackellicht begraben?« »Das haben sie immer schon gemacht,« sagte die Großmutter, »seit der große Graf in der Schlacht von Harlow fiel, wo der Totengesang erklungen sein soll von der Mündung des Tay bis zum Ende des Crabrach, daß man nichts anderes vernehmen konnte als die Klagen der Männer um die Helden, die im Kampfe gegen Donald von den Inseln gefallen waren. Aber die Mutter des großen Grafen lebte noch, und die Frauen vom Geschlecht Glenallan waren hochfahrend und grausam – und die Mutter wollte keinen Totengesang für ihren Sohn singen lassen, und sie ließ ihn mitten im Schweigen der Mitternacht zu seiner letzten Ruhestätte tragen, ohne ein Leichenmahl zu halten oder ein Klagelied anzustimmen. – Sie sagte, er hätte genug erschlagen, daß die Witwen und Töchter der Hochländer, die er getötet, den Totengesang für ihre Gestorbenen und für ihren Sohn zugleich anstimmen könnten. Und mit trockenen Augen und ohne einen Laut der Klage hat sie ihn ins Grab gelegt. Das galt nun in der Familie für ein stolzes Wort, und daran haben sie festgehalten, besonders in der letzten Zeit, weil sie in der Nacht ihre papistischen Feierlichkeiten ungestörter Vollziehen können, als bei hellem Tage. Wenigstens in meiner Zeit ist es so gewesen. Am Tage hätte die Behörde sich eingemischt und auch der Pöbel von Fairport. Die Welt wird anders. Manchmal bin ich mir selber nicht klar, ob ich stehe oder sitze, ob ich noch lebe oder schon tot bin.« »Es ist ordentlich gruselig,« sagte Hanne, »die Großmutter in dieser Weise sprechen zu hören. Es ist, als ob ein Toter mit den Lebendigen spräche.« »Das stimmt, Mädel. Sie wird es nicht gewahr, was tagsüber vor sich geht. Bringt man sie aber auf alte Geschichten, dann kann sie reden wie ein Buch. Über die Glenallans weiß sie ganz genau Bescheid, denn ihr Mann war lange Zeit Fischer dort.« »Still! Still!« flüsterte Hanne. »Die Großmutter will wieder reden.« »Hat nicht irgendwer gesagt,« begann die alte Sibylle, »oder hab ich's geträumt, oder ist es mir geoffenbart worden, daß Joscelinde, die Gräfin Glenallan in dieser Nacht gestorben und begraben wäre?« »Ja, Großmutter, so ist es,« sagte Hanne. »Und recht ist es, daß es so ist,« sagte die alte Elsbeth. »Manches Herz hat sie schon schwer gemacht – selbst ihrem Sohn hat sie das Leben verbittert – lebt er noch?« »Ja, er lebt noch – aber wie lange wohl noch – erinnerst du dich nicht mehr, wie er vergangenen Frühling nach dir gefragt und Geld für dich dagelassen hat?« »Kann schon sein, Maggie – besinn mich nicht mehr drauf – aber ein hübscher Herr ist er gewesen und sein Vater auch. Ja, wenn der am Leben geblieben wäre, dann hätten sie glückliche Leute sein können. Aber er starb, und die Gnädige machte nun mit dem Sohne, was sie wollte, und zwang ihn, an Dinge zu glauben, die er nie hätte glauben sollen, und Dinge zu tun, die er sein Lebtag schon bereut hat und noch immer bereuen wird, wenn auch sein Leben so lang sein sollte, wie mein langes beschwerliches Dasein. Ach, bittet doch ihr alle zu Gott, daß ihr nicht einmal dem Stolz und der Willkür eures eigenen Herzens anheimfallt. Sie können in der Hütte ebenso die Oberhand gewinnen wie im Schlosse, das hab ich selber erlebt! – Ach, will denn die Erinnerung an diese furchtbare grausige Nacht nicht aus meiner Seele? Wie ich sie auf der Erde liegen sah, und ihr langes Haar troff vom Meerwasser! das wird der Himmel rächen an allen, die dabei beteiligt waren! Kinder, ist mein Sohn draußen in dieser stürmischen Nacht?« »Nein, Mutter, bei diesem Wetter kann kein Boot auf See sein. Mucklebackit schläft schon.« »Dann ist wohl Steenie, sein Sohn, draußen?« »Nein, Steenie ist mit dem Bettler Ochiltree weggegangen, sie wollen vielleicht die Beerdigung ansehen.« »Das kann nicht sein, die Sache war ja geheim gehalten worden und fünf Stunden vom Schlosse her ist die Leiche mitten in der Nacht gebracht worden.« »Dann weiß ich nicht,« sagte die Hausfrau, »was der alte Bettler mit meinem Jungen noch in der Nacht vorhaben mag.« In diesem Augenblick traten Steenie und Edie Ochiltree in die Hütte. Beide waren erhitzt und außer Atem. »Es hat uns jemand nachgesetzt,« sagte Steenie. »Ein Mann war's zu Pferde,« sagte Edie. »Ihr Gesellen ihr!« rief Maggie Mucklebackit, »es wird einer von den Reitern vom Begräbnis der Gräfin gewesen sein.« »Was!« sagte Edie, »ist die alte Gräfin heute nacht in St. Ruth beerdigt worden? Daher kamen also die Lichter, die uns verscheucht haben, und der Lärm! Hätt ich das gewußt, dann hätt ich den Kerl nicht dort liegen lassen. Aber die werden sich schon seiner annehmen. Du hast ordentlich auf ihn dreingeprügelt, Steenie, ich dachte, du würdest ihm den Garaus machen. Nun, wenn die Sache glatt abläuft, dann will ich die Vorsehung nicht noch einmal versuchen. Aber ich kann es nicht für strafbar ansehen, wenn man solch einem Schurken von einem Landstreicher, der selber bloß davon lebt, ehrlichere Leute an der Nase herumzuführen, einmal einen Possen spielt.« »Was sollen wir aber mit dem Ding da anfangen?« fragte Steenie und zog eine Brieftasche hervor. »Gott behüte uns, Steenie!« rief Edie, aufs höchste bestürzt. »Was mußtest du das Ding an dich nehmen. Jedes Blatt darin kann uns ins Verderben bringen!« »Das hab ich doch nicht gewußt,« erwiderte Steenie. »Die Brieftasche war ihm entfallen, glaub ich, denn ich fand sie vor meinen Füßen, als ich ihm wieder auf die Beine helfen wollte.« »Wir müssen sie dem Schurken auf irgend eine Weise wieder zurückbringen,« sagte Edie. »Am besten wär's wohl, wenn du die Brieftasche in aller Frühe selber zu Ringan Eichholz brächtest. Nicht um hundert Pfund wollte ich, daß sie in unserem Besitz gefunden würde.« Das versprach denn Steenie auch zu tun. Siebentes Kapitel Am andern Morgen war der alte Edie in aller Frühe wieder auf den Beinen, und seine erste Frage galt Steenie und der Brieftasche. Der junge Fischer hatte seinem Vater helfen müssen, um noch vor Tagesanbruch sich die Flut zu nutze zu machen, aber er hatte versprochen, gleich nach seiner Rückkehr die Brieftasche mit all ihrem Inhalt, sorgfältig in ein Stück Segeltuch gewickelt, selber bei Ringan Eichholz für den Eigentümer Dusterschieler abzugeben. Ehe der Bettler das Haus des Fischers verließ, trat er zu der alten Großmutter hin, die wieder an ihrem Platz am Herde saß, während die Fischerin selber schon zum Markt nach Fairport gegangen war. »Guten Tag, Mütterchen,« sagte er. »Zur Erntezeit komm ich wieder, und ich hoffe, Sie dann noch immer frisch und gesund anzutreffen.« »Bittet, daß Ihr mich in Ruhe im Grabe finden möget,« versetzte die Alte mit hohler, geisterhafter Stimme. »Hat nicht gestern jemand gesagt, – mir war's doch so, aber alte Leute haben ein schwaches Gedächtnis – hat nicht jemand gesagt, Joscelinde, die Gräfin von Glenallan, hätte das Zeitliche gesegnet?« »Wer das gesagt hat, der hat die Wahrheit gesagt,« erwiderte der alte Edie. »Gestern ist sie bei Fackellicht in St. Ruth beeidigt worden.« »Dann will ich mein Herz von seiner Last befreien, komme, was da wolle.« Dies sagte sie unter geringerer Mühsal, als ihr sonst das Sprechen zu bereiten schien, und machte dabei eine Bewegung mit der Hand, als wenn sie etwas wegwerfen wollte. Sie richtete sich auf und suchte mit der langen, welken Hand in einer großen, altmodischen Tasche. Endlich brachte sie einen hübschen Siegelring hervor, in welchen eine Haarlocke von zwei verschiedenen Farben, schwarz und hellbraun durcheinandergeschlungen, eingesetzt war, der mit Brillanten von beträchtlichem Werte geziert war. »Guter Mann,« sagte sie zu Ochiltree, »sofern Ihr je Gnade zu finden hofft, so müßt Ihr für mich nach dem Schlosse Glenallan gehen und den Grafen zu sprechen begehren.« »Den Grafen von Glenallan! Ei, Mütterchen, der empfängt schon niemand von den Edelherren des Landes – wie sollte er gar einen Landstreicher wie mich vor sich lassen?« »Geht hin und versuchts – und sagt ihm, Elsbeth von Craigburnfoot – wenn er den Namen hört, wird er sich auf mich besinnen können – müßte ihn sprechen, ehe sie von ihrer langen Pilgerfahrt abgerufen würde, sie sende ihm diesen Ring, damit er erkennen möge, worum es sich handle.« Ochiltree sah den Ring an und staunte über den offenbaren Wert des Kleinods, dann legte er ihn in das Schächtelchen zurück, wickelte dieses in ein altes zerlumptes Taschentuch und steckte es in seine Brusttasche. »Schön, Mütterchen,« sagte er, »ich will Ihren Auftrag ausführen, und wenn es nicht glückt, solls nicht meine Schuld sein. Aber das ist gewiß noch nicht dagewesen, kriegt ein Graf ein solches Juwel geschickt und von einem alten Fischweib, und der's ihm bringt, ist ein alter Bettelmann!« Mit diesen Worten ergriff Edie seinen Stab, setzte den breitkrempigen Hut auf und trat seine Wanderschaft an. Die alte Frau stand eine Weile in starrer Haltung, die Augen auf die Tür geheftet, durch die ihr Gesandter gegangen war, dann wich die Spannung von ihr, und in ihrer alten Apathie sank sie wieder auf ihrem gewohnten Platz in sich zusammen. Inzwischen schritt Edie Ochiltree seines Weges. Die Strecke bis Glenallan betrug zehn Meilen (nach englischer Messung) – ein Marsch, den der alte Soldat etwa in vier Stunden zurückgelegt hatte. Mit der seinem müßigen Gewerbe und seinem lebhaften Charakter eigenen Neugierde zerbrach er sich den ganzen Weg lang den Kopf darüber, was es wohl mit dieser seltsamen Sendung, die ihm aufgetragen worden war, für eine Bewandtnis habe, und in welcher Beziehung der stolze, reiche und mächtige Graf von Glenallan wohl zu den Verbrechen oder der Reue einer schwachsinnigen Greisin stehen könne, deren Stellung im Leben fast ebenso niedrig war wie die ihres Sendboten. Er bemühte sich, an alles zurückzudenken, was er je von der Familie Glenallan gehört hatte, aber auch das brachte ihn nicht weiter, und es war ihm unmöglich, zu irgend welchem Schlüsse in dieser Angelegenheit zu gelangen. Er wußte, daß das ganze ausgedehnte Besitztum dieser alten und mächtigen Familie an die vor kurzem verstorbene Gräfin übergegangen war, die in besonders hervortretendem Grade den starren, wilden, unbeugsamen Charakter geerbt hatte, der seit ihrem ersten Auftreten in der schottischen Geschichte der Familie Glenallan eigen gewesen war. Gleich allen ihren Ahnen war sie der römisch-katholischen Kirche in Eifer treu geblieben und war an einen englischen Edelmann derselben Konfession verheiratet worden, der aber zwei Jahre darauf schon gestorben war. Die Gräfin war also früh verwitwet und hatte ohne weitere Beaufsichtigung oder Beistand die bedeutenden Besitztümer ihrer beiden Söhne. Der ältere, Lord Geraldin, auf den Vermögen und Titel der Glenallan übergehen sollte, war zu Lebzeiten seiner Mutter völlig von ihr abhängig. Der jüngere nahm am Tage seiner Großjährigkeit Namen und Wappen seines Vaters an, ergriff Besitz von seinem Vermögen und seinen Gütern, gemäß den im Heiratsvertrag der Gräfin getroffenen Bestimmungen. Nach dieser Zeit hatte er hauptsächlich in England gelebt und, seiner Mutter und seinem Bruder nur sehr kurze Besuche abgestattet. Als er sich gar zur reformierten Konfession bekehrte, hörten diese völlig auf. Aber schon ehe er der Gebieterin von Glenallan diese tödliche Kränkung zufügte, hatte der Aufenthalt in Glenallan für einen jungen munteren Mann wie Edward Geraldin Neville wenig Verlockendes, wenn auch das düstere und abgeschiedene Leben dort dem menschenscheuen und melancholischen Wesen des älteren Bruders zuzusagen schien. Lord Geraldin war im Anfang seines Lebens ein vorzüglicher, vielverheißender Mann gewesen. Wer ihn auf seinen Reisen kennen gelernt hatte, hegte die höchsten Erwartungen von seiner zukünftigen Laufbahn. Aber solche schönen Hoffnungen werden oft sonderbar vereitelt. Der junge Mann kehrte nach Schottland zurück, und nachdem er ein Jahr etwa in Gesellschaft seiner Mutter gelebt hatte, schien die starre Finsternis und Schwermut ihres Charakters ganz auf ihn übergegangen zu sein. Da die Anhänger seiner Konfession von Staatsämtern ausgeschlossen waren, stand er dem politischen Leben fern, von allen Beschäftigungen leichterer Art hielt er freiwillig sich abseits, und so führte Lord Geraldin ein völlig zurückgezogenes Leben. Sein gewöhnlicher Verkehr war nur von den Geistlichen seiner Kommunion gebildet, die ab und zu in das Herrenhaus kamen; und nur bei hohen Festlichkeiten wurden zwei bis drei Familien, die gleichfalls noch der katholischen Konfession angehörten, formell auf Glenallan-Haus bewirtet. Der Tod der Gräfin hatte nun den finsteren Sohn zum Herrn gemacht, und Vermögen und Titel gingen auf ihn über. Doch schon verbreitete sich das Gerücht, die Gesundheit des Grafen sei durch das streng religiöse Leben untergraben, und er werde seiner Mutter bald ins Grab nachfolgen. Daß es so kommen würde, schien um so wahrscheinlicher, als sein Bruder an einem schleichenden Leiden gestorben war, das in den späteren Jahren seines Lebens zugleich seinen Leib und seinen Geist hingerafft hatte. Schon forschten die Genealogen in ihren Listen nach, wer wohl der Erbe dieser vom Unglück heimgesuchten Familie wäre, und die Advokaten freuten sich schon im voraus auf den bevorstehenden großen Prozeß der Glenallan-Erbfolge. Glenallan-Haus, ein altes umfangreiches Gebäude, lag jetzt vor Edie Ochiltree, und während er darauf zuschritt, überlegte er, wie er wohl am besten Zutritt erlangen könnte, um seinen Auftrag auszurichten. Nach mannigfachem Bedenken beschloß er, dem Grafen das Erkennungszeichen durch einen der Diener bringen zu lassen. Zu diesem Zwecke machte er an einer kleinen Hütte Halt, wo er aus dem Schächtelchen ein versiegeltes Päckchen machte, das er mit der Aufschrift versah: An Ihro Gnaden den Grafen von Glenallan. Aber da er sich doch sagen mußte, daß Sendungen, die von solchen Leuten wie ihm an den Toren vornehmer Häuser abgegeben wurden, nicht immer an die richtige Adresse gelangten, so beschloß Edie als alter Soldat, erst das Gelände aufzuklären, ehe er zum Angriff überging. Er näherte sich nun der Wohnung des Pförtners und sah davor arme Leute in Reihen stehen, darunter auch mehrere wandernde Bettler wie er. Er schloß daraus, daß eine allgemeine Spende oder Almosenausteilung stattfinden solle. Ein alter Bedienter teilte die Almosen aus, die in Fleisch, Brot und Geld bestanden, und als dieser ein paar Worte insgeheim wechselte und dabei sein Name genannt wurde, fiel dieser sowie das Gesicht des Mannes sofort unserem Blaurock auf, und als die anderen Leute alle ihr Teil erhalten und sich zerstreut hatten, rief er dem Manne, der eben gehen wollte, zu: »He, Francie Macraw! Könnt Ihr Euch nicht mehr besinnen auf Fontenoy und das Formiert das Karree!« »Hoho! Hoho!« rief Francie mit einem echten nordländischen Gebrüll des Erkennens, »so kann niemand anders sprechen als wie mein alter Kamerad aus dem ersten Glied Edie Ochiltree! Aber es tut mir leid. Mann, daß ich Euch in so jammervollem Zustand sehe.« »Nicht ganz so schlimm, wie Ihr vielleicht denken mögt, Francie. Aber ich will nicht von hier fortgehen ohne einen Plausch mit Euch, alter Kerl, und ich weiß nicht, wann ich Euch mal wieder sehen werde, denn Eure Herrschaft sieht keine Protestanten gern, und das ist auch der Grund, weshalb ich noch nie hier gewesen bin.« »Pst! Pst!« machte Francie. »Laßt diesen Flohstich jetzt! Wenn der Dreck trocken ist, könnt Ihr noch genug jucken. Jetzt kommt mit mir, ich will Euch was Besseres geben als das Zeug da!« Und nachdem er ein paar vertrauliche Worte mit dem Pförtner gesprochen, (wahrscheinlich um sein Einverständnis zu haben) und gewartet hatte, bis der Almosenverteiler mit feierlich gemessenem Schritte in das Haus zurückgekehrt war, führte Francis Macraw seinen alten Kameraden in den Hof von Glenallan-Haus, den sie so schnell wie möglich überschritten. Sie traten in ein kleines Gemach, das Francis allein innehatte, da er des Grafen Kammerdiener war. Es war für ihn nicht schwierig, etwas kalte Küche und Bier herbeizuschaffen, und nun schwatzten die beiden von ihrer Soldatenzeit, bis dieser Gegenstand erschöpft war und Edie beschloß, nunmehr auf seinen Auftrag zu kommen, den er beinahe ganz vergessen hätte. »Ich habe eine Bittschrift an den Grafen abzugeben,« sagte er. »Ach, guter Freund, sagte Francie, »von Bittschriften will der Graf nichts wissen, aber ich will sie dem Almosenier geben.« »Sie betrifft ein Geheimnis, und vielleicht ist es da dem Grafen das liebste, er sieht sie sich selber an.« »Gerade deshalb wird sie wohl der Almosenier vor allen andern zu allererst sehen wollen.« »Ich habe den weiten Weg hierher gemacht, Francie, da müßt Ihr mir nun schon behilflich sein.« »Na, da bleibt mir wohl nichts anderes übrig,« sagte sein Freund. »Mögen sie auf mich auch noch so böse sein. Mögen sie mich meinetwegen hinauswerfen!« Mit diesem Entschlusse ging Francie hinaus. Es dauerte lange, bis er wiederkam, und als er endlich zurückkehrte, verriet sein Wesen Verwunderung und Unruhe. »Mein Herr ist äußerst trostlos und sehr erstaunt,« sagte er. »Aber er will Euch sprechen, das hab ich erreicht. Ein paar Minuten lang war er wie abwesend, und ich dachte schier, er würde völlig den Verstand verlieren. Als er wieder zu sich kam, fragte er, wer den Brief gebracht hätte. Ich sagte ihm nun, das Papier hätte ein alter Mann mit einem weißen Barte gebracht, es könnt ein Kapuziner sein, denn er sei gekleidet wie ein alter Pilger. Er wird dich nun rufen lassen, sobald es ihm möglich ist.« »Ich wollte, ich hätte die Geschichte schon glücklich hinter mir,« sagte Edie. »Die Leute sagen, der Graf wär nicht recht bei Sinnen, und vielleicht wird er fuchsteufelswild, daß ich mir so viel herausgenommen habe.« Es gab nun aber kein Zurück mehr, denn es erklang jetzt eine Glocke und leise, als wär sein Herr ganz in der Nähe, sagte Macraw: »Da schellt mein Herr! – folgt mir und tretet hübsch sacht auf, Edie.« Edie folgte nun seinem Führer über einen langen Korridor und eine Treppe hinauf, die nach den Gemächern der Familie führte. Am Ende des Ganges traten sie in eine kleine, schwarzverhangene Antichambre. Hier sahen sie sich plötzlich dem Almosenier gegenüber, der das Ohr an die entgegengesetzte Tür gelegt hielt in der Stellung eines Mannes, der aufmerksam horcht, aber dabei ertappt zu werden fürchtet. Der alte Diener und der Geistliche stutzten beide, als sie sich erblickten. Aber der Almosenier faßte sich zuerst, trat auf Macraw zu und sagte in gedämpftem, aber herrischem Tone: »Wie könnt Ihr es wagen, dem Gemach des Grafen Euch zu nähern, ohne anzuklopfen? Und wer ist dieser Fremde und was hat er hier zu suchen? – Tretet in den Korridor zurück und wartet dort auf mich.« »Es ist unmöglich, Euer Ehrwürden jetzt zu Willen zu sein,« antwortete Macraw, indem er die Stimme erhob, so daß er im nächsten Zimmer gehört werden konnte, denn er wußte, daß der Priester ihn nicht weiter behelligen werde, wenn er vom Grafen gehört zu werden fürchten mußte. »Der Graf hat geklingelt.« Er hatte die Worte kaum gesprochen, da klingelte es nochmals, und stärker als zuvor. Der Geistliche sah ein, daß ein weiterer Einspruch unmöglich sei, drohte Macraw mit dem erhobenen Finger und ging hinaus. Edies Freund öffnete nun die Tür, an der sie den Kaplan hatten stehen sehen. Achtes Kapitel In Glenallan-Haus wurden die alten Formen der Trauer beobachtet, obwohl die Mitglieder der Familie in dem Rufe standen, daß sie ihre Toten nicht in der üblichen Weise zu beweinen pflegten. Als die Gräfin den Brief erhalten hatte, der ihr den Tod ihres zweiten und, wie man einst vermutete, ihres Lieblingssohnes meldete, war es aufgefallen, daß ihre Hand nicht gebebt, noch ihr Augenlid gezittert hatte: ruhig empfing sie das Schreiben, als betreffe es irgend ein alltägliches Geschäft. Der Himmel allein konnte wissen, ob die Strenge, mit der sie in ihrem Stolze ihre mütterlichen Gefühle unterdrückte, nicht dazu beigetragen hatte, ihren Tod zu beschleunigen. Wenigstens wurde allgemein angenommen, daß durch den Schlaganfall, der so kurz darauf ihrem Leben ein Ende machte, die zürnende Natur sich für die ihr angetane Vergewaltigung gerächt habe. Aber obgleich Lady Glenallan die gewöhnlichen äußeren Zeichen des Kummers nicht an den Tag legte, hatte sie doch viele der Gemächer – darunter ihr eigenes und das des Grafen – schwarz verhängen lassen. Der Graf von Glenallan saß daher in einem mit schwarzem Tuch verhängten Zimmer. In dunklen Falten hing die Trauerverkleidung von den hohen Wänden hernieder. Ein gleichfalls schwarz überzogener Schirm stand an dem hohen engen Fenster, so daß durch das bunte Glas nur wenig Licht hereinfiel. Der Tisch, an dem der Graf saß, war von zwei in Silber gearbeiteten Lampen erhellt. Sie verbreiteten jenes unangenehme fahle Licht, das entsteht, wenn künstliche Beleuchtung mit dem hellen Tageslicht vermischt wird. Auf demselben Tische stand ein Kruzifix und ein paar mit Schlössern versehene Pergament-Bücher. Der Insasse und Herr dieses Zimmers war ein Mann, der noch nicht über die Blüte des Lebens hinweg war, aber von Krankheit und seelischem Jammer so gebrochen war und so hager und gespenstisch abgezehrt erschien, daß man ihn ein Wrack von einem Menschen hätte nennen können. Und als er eilig aufstand und auf seinen Besuch zuging, schien bei dieser Anstrengung seine ausgemergelte Gestalt fast zusammenzubrechen. Als sie in der Mitte des Zimmers sich gegenüberstanden, war der Kontrast in höchstem Maße auffallend. Die gesunde Farbe, der feste Schritt, die aufrechte Haltung und das unerschrockene Wesen des alten Bettlers bekundeten Geduld und Zufriedenheit im höchsten Alter und in der niedrigsten Lage, zu der der Mensch herabsinken kann. Das niedergeschlagene leblose Auge, die bleiche Wange und die schlotternde Gestalt des Edelmannes zeigten dagegen, wie wenig der Reichtum, die Macht und selbst die Vorteile der Jugend mit den Kräften zu tun haben, die der Gestalt Festigkeit und der Seele Ruhe verleihen. Der Graf trat dem alten Mann in der Mitte des Zimmers entgegen und hieß seinen Diener auf den Korridor hinausgehen und dafür sorgen, daß niemand hereinkomme, bis er klingle. Dann wartete er mit fliegender Ungeduld, bis er die Tür erst seines Zimmers und dann der Antichambre sich schließen hörte. Als er sich dann gegen Lauscher gesichert wußte, trat er dicht an den Bettler heran, den er scheinbar irrtümlich für einen Mann der Religion in Verkleidung hielt, und sagte in hastigem, doch zitterndem Tone: »Im Namen dessen, was unsere Religion am heiligsten achtet, sagt mir, ehrwürdiger Vater, was habe ich von einer Mitteilung zu erwarten, die sich durch ein Zeichen voll so entsetzlicher Erinnerungen anzeigt?« Erschrocken über ein Wesen, das so ganz anders war, als er es von dem stolzen und mächtigen Edelmann erwartet hatte, wußte der alte Mann nicht, was er antworten und wie er ihn aufklären konnte. »Sagt mir,« fuhr der Graf fort, im Tone steigender Angst und Seelenqual, »sagt mir, kommt Ihr, um mir kund zu tun, daß alles, was getan worden ist, um so entsetzliche Schuld zu sühnen, zu nichtig und zu unbedeutend gegenüber der Missetat gewesen ist, und wollt Ihr neue und wirksamere Wege zu noch strengerer Buße weisen? – Ich will nicht davor zurückschrecken, Vater – laßt mich lieber die Qualen meines Verbrechens hier im Leibe leiden als nachher die Seele vergehen!« Edie hatte Geistesgegenwart genug, sich zu sagen, daß er Lord Glenallan in seiner Offenherzigkeit unterbrechen müsse, wenn er nicht mehr hören wollte, und daß es mit Gefahr seines Lebens verbunden sein möchte, der Vertraute eines so hohen Herrn in anscheinend so heiklen Dingen zu sein. Er sagte daher rasch und ängstlich: »Euer Lordschaft irren sich – ich bin nicht von Ihrer Konfession, noch überhaupt ein Geistlicher, sondern in aller schuldigen Ehrfurcht bin ich bloß Edie Ochiltree, Bettelmann Seiner Majestät des Königs und Eurer Lordschaft.« Diese Erklärung begleitete er mit einer tiefen Verbeugung und dann richtete er sich auf seinem Stabe kerzengerade in die Höhe, warf sein langes weißes Haar zurück und heftete die Augen auf den Grafen, auf eine Antwort wartend. »Und so seid Ihr nicht,« sagte Lord Glenallan, »so seid Ihr nicht ein katholischer Priester?« »Verhüts Gott!« rief Edie und vergaß in seiner Verwirrung ganz, mit wem er sprach. »Ich bin bloß Bettelmann des Königs und Euer Gnaden, wie ich schon sagte.« Der Graf wandte sich hastig ab und durchmaß das Zimmer ein paarmal, wie um diesen Irrtum zu überwinden. Dann trat er dicht an den Bettler heran und fragte in strengem gebieterischem Tone, wie er dazu käme, sich in seine Privatangelegenheiten zu mischen und wo er den Ring herhabe, den er ihm zugesandt habe. Edie, ein Mann von Mut und Beherztheit, war über diese Art der Anrede weit weniger erschrocken, als er zuvor durch den vertraulichen Ton in Verwirrung geraten war. Auf die wiederholte Frage, von wem er den Ring habe, antwortete er gefaßt: »Von jemand, der dem Herrn Grafen besser bekannt gewesen ist als ich.« »Mir besser bekannt, Kerl?« sagte Lord Glenallan. »Was meint Ihr damit? Erklärt Euch auf der Stelle, oder Ihr sollt es verspüren, was es heißt, sich in Stunden der Familientrauer hereinzudrängen.« »Die alte Elsbeth Mucklebackit hat mich hergeschickt,« sagte der Bettler, »ich soll bestellen ...« »Ihr faselt, Alter,« sagte der Graf. »Den Namen hab ich noch nie gehört – aber dieser entsetzliche Ring erinnert mich –« »Jetzt fällt mirs ein, Mylord.« sagte Ockiltree. »sie sagte, Euer Lordschaft würden sich besser auf sie besinnen, wenn ich sie Elsbeth von Craigburnfoot nennte. Diesen Namen führte sie, als sie bei Euer Gnaden in Dienst war, das heißt, bei Euer Gnaden Mutter, die damals noch lebte – Gott hab sie selig!« »Ah,« sagte der Graf und sein Gesicht wurde noch blässer und sein Blick noch leerer, »dieser Name steht allerdings auf dem tragischsten Blatte einer beklagenswerten Geschichte geschrieben. Aber was kann sie von mir wünschen – ist sie tot oder lebt sie noch?« »Lebt noch, Mylord und ersucht Sie, Sie möchten sie aufsuchen vor ihrem Tode, denn sie hat etwas mitzuteilen, das ihr schwer auf der Seele lastet, und sie sagt, sie könne nicht im Frieden sterben, bis sie Sie gesehen hat.« »Nicht, bis sie mich gesehen hat? – Was kann das bedeuten? – Aber sie ist schon schwachsinnig vor Alter – ich sage Euch, Freund, es ist noch nicht ein Jahr her, da war ich selbst in ihrer Hütte, weil mir gesagt wurde, es ginge ihr schlecht, und sie kannte nicht einmal mein Gesicht und meine Stimme.« »Mit Verlaub, Euer Gnaden.« sagte Edie, der bei der Länge der Unterredung seine natürliche Beherztheit und Geschwätzigkeit wieder erlangte, »mit Verlaub Euer Gnaden möcht ich sagen, die alte Elsbeth ist wie eins der verfallenen Schlösser, wenn man sie zwischen den Hügeln liegen sieht. Viele Teile ihres Geistes erscheinen, wenn ich so sagen darf, brach gelegt und verfallen, aber andere Teile erheben sich dafür um so stärker und großartiger, als sie noch wohl erhalten sich zeigen unter den übrigen Trümmern. Sie ist ein unheimliches Weib.« »Das war sie immer,« sagte der Graf, fast unbewußt den Worten des Bettlers zustimmend, »sie war immer anders wie die gewöhnlichen Weiber. Am meisten vielleicht hat sie an Charakter und Gemütsart der geglichen, die jetzt nicht mehr ist. Also wünscht sie mich zu sehen?« »Vor ihrem Tode,« sagte Edie, »ersucht sie noch ernstlich um dieses Vergnügen.« »Ein Vergnügen wird's für uns beide nicht sein,« sagte der Graf bitter, »doch soll es ihr gewährt sein. Sie wohnt, glaub' ich, am Strande im Süden von Fairport?« »Zwischen Monkbarns und Schloß Knockwinnock, aber näher nach Monkbarns zu. Euer Lordschaft kennen doch ohne Zweifel den Laird und Sir Arthur?« Ein starrer Blick, als begreife Lord Glenallan die Frage nicht, war die einzige Antwort. Edie sah, daß seine Gedanken anderswo weilten, und wagte nicht, die Frage zu wiederholen, die so wenig zur Sache gehörte. »Seid Ihr Katholik, Alter?« fragte der Graf. »Nein, ich bin, dem Himmel sei Dank, ein guter Protestant,« sagte Edie ohne Scheu. »Wer sich mit gutem Gewissen gut nennen kann, hat in der Tat Ursache, dem Himmel zu danken, welcher Konfession der Christenheit er auch angehören mag. – Geht, geht Eures Weges, und in all Eurer Armut, Eurem Alter und Eurer Mühsal beneidet nie den Herrn eines solchen Hauses wie dieses, ob er nun schläft oder wacht! – Hier ist etwas für Euch.« Der Graf legte Edie ein paar Guineen in die Hand. Dann rief er seinen Diener. »Führ den Mann hier sicher aus dem Schlosse heraus, laß niemand Fragen an ihn stellen – und Ihr, Freund, geht und vergeßt den Weg, der nach meinem Hause führt.« Neuntes Kapitel Es war ein schöner Sommerabend, und die Welt – das heißt, der kleine Bezirk, der eben für den, der ihn jetzt durchwanderte, die weite Welt war, lag offen vor Edie Ochiltree, daß er sich ein Nachtquartier aussuchen konnte, wo es ihm behagte. Als er die weniger gastfreundliche Nähe von Glenallan verlassen hatte, hatte er so viele Zufluchtsstätten für den Abend vor Augen, daß er heikel, ja selbst wählerisch wurde. Ailie Sims Wirtshaus lag eine Meile vor ihm am Wegesrande, aber dort waren am Sonnabend abend gewiß junge Burschen beieinander und eine gemütliche Unterhaltung also ausgeschlossen. Andere Männer und Frauen kamen ihm in den Sinn, aber der eine war taub und konnte ihn nicht hören, der andere war zahnlos und konnte sich nicht verständlich machen, der vierte war ein mißmutiger Mann, und die fünfte wieder ein böser Hausdrache. In Monkbarns und Knockwinnock hätte er ein sehr angenehmes Nachtquartier erhalten, aber beide lagen zu weit, als daß er sie in dieser Nacht noch bequem hätte erreichen können. Er entschloß sich endlich doch, zu Ailie Sim zu gehen. Als er den Hügel hinabstieg nach dem kleinen Dorfe, das nun sein Ziel war, hatte der Sonnenuntergang die Bewohner von der Arbeit gerufen und die jungen Männer nutzten den schönen Abend aus und spielten auf einer Gemeindewiese Kegel, während die älteren Männer und die Frauen zusahen. Das Gelächter und Schreien der Gewinnenden und Verlierenden klang in lautem Durcheinander zu Ochiltree hinauf und erinnerte ihn an die Tage, wo auch er an den Spielen der Kraft und Gewandtheit oftmals mit Eifer teilgenommen und sehr oft als Sieger hervorgegangen war. Er wurde aber sofort mit Jubel begrüßt, und seiner Erscheinung wurde mehr Wichtigkeit beigemessen, als er in seiner Bescheidenheit vermutet hätte. Es war zwischen den Parteien über einen Wurf zu einem Streit gekommen, und da der Eichmeister der einen Partei recht gab und der Schulmeister der anderen, so ließ sich wohl sagen, daß höhere Mächte sich der Sache angenommen hätten. Auch der Müller und der Schmied hatten sich zu verschiedenen Seiten geschlagen, und da die Schlagfertigkeit zweier solcher Streithähne zu bedenken war, so ließ sich mit Recht daran zweifeln, ob die Meinungsverschiedenheit zu einem freundschaftlichen Abschluß gelangen würde. Aber der erste, der des Bettlers ansichtig geworden war, rief: »Hollah! da kommt der alte Edie, der kennt die Spielregeln besser als irgend einer, der je eine Kugel geschoben hat – wir wollen nicht weiter streiten, Leute – wir wollen den alten Edie den Fall entscheiden lassen.« Edie wurde demgemäß willkommen geheißen und mit allgemeinem Jubelruf zum Schiedsrichter eingesetzt. Mit all der Bescheidenheit eines Bischofs, dem der Krummstab übergeben wird, oder eines neuen Redners, der die Bühne betritt, lehnte der alte Mann den verantwortlichen Posten, der ihm angetragen wurde, ab. Seine Selbstverleugnung und Bescheidenheit fand ihren Lohn, denn er hatte die Freude, daß durch erneuten Zuruf ihn alt und jung als die passendste Person bezeichnete, des schwierigen Amtes zu walten. Also ermutigt, machte er sich würdevoll an die Ausübung seines Amtes, indem er zunächst beiden Parteien alle beleidigenden Äußerungen untersagte. Dann hörte er den Schmied und den Eichmeister auf der einen und den Müller und den Schulmeister auf der andern Seite. Im Innern war sich jedoch Edie, ehe noch die Verhandlung begann, völlig klar über den Fall, wie es auch, manchem Richter ergeht, der dennoch aber alle Förmlichkeiten erledigen muß, und den Redeschwall der Advokaten in vollem Maße hinnehmen muß. Nachdem nun auf beiden Seiten alles gesagt und manches schon mehrmals wiedergekäut worden war, tat unser Alter nach gebührender reiflicher Überlegung den Spruch, daß der streitige Wurf keine Geltung habe und daher keiner Partei angerechnet werden könne. Durch dieses weise und gerechte Urteil wurde der Friede zwischen beiden Parteien wiederhergestellt, und es begann ein neues Spiel unter all dem lauten Lärm, wie er auf dem Lande üblich ist, wenn ein Spielchen gemacht wird. Die Lebendigeren hatten schon die Jacken ausgezogen und mit ihren bunten Schnupftüchern den Frauen, Schwestern oder Liebsten zum Halten gegeben. Aber ihre Freude wurde auf unerwartete Weise unterbrochen. Außerhalb des Kreises, den die Spieler gebildet hatten, erhoben sich Töne, die nichts mit der lustigen Freude des Spieles gemein hatten. Jener unterdrückte Seufzer und leise Ruf, mit dem die erste Nachricht eines Unglücks aufgenommen wird, ließ sich undeutlich vernehmen. Unter den Frauen ging das Gemurmel: »Je, o je! So jung noch und so plötzlich hingerafft!« Dann griff das Gemurmel auch unter den Männern um sich und brachte die Lust des Spieles zum Schweigen. Alle begriffen sogleich, daß in der Gegend sich ein Unglück zugetragen hätte, und jeder fragte den Nachbar, was denn los sei, der es ihm aber ebensowenig sagen konnte. Endlich kam das Gerücht in klarer Form dem Bettler zu Ohren, der in der Mitte der Versammlung stand. Mucklebackits Boot – wir haben den Fischer schon kennen gelernt – war auf See gekentert, und es ging die Rede, vier Männer, darunter auch Mucklebackit und sein Sohn, seien dabei ertrunken. Dies war aber vom Gerücht – wie dies bei solchen Anlässen meistens der Fall ist, übertrieben. Allerdings war das Boot gekentert, es war aber niemand ums Leben gekommen als Stephan, oder, wie er gewöhnlich hieß, Steenie Mucklebackit. Obwohl der junge Mann infolge seiner Lebensweise und seiner entlegenen Wohnstätte nur wenig Verkehr mit den Landleuten gehabt hatte, so hielten sie doch in ihrer ländlichen Lustbarkeit inne und zollten ihre Teilnahme dem jähen Unglück. Besonders auf Ochiltree wirkte die Nachricht wie ein Donnerschlag, zumal er vor kurzem noch mit dem Beistande des jungen Mannes einen losen Streich vollführt hatte; und obwohl sie nicht die Absicht gehabt hatten, dem deutschen Schwarzkünstler ein Leid zuzufügen, so war es doch eben keine derartige Tätigkeit gewesen, wie man sie gern in den letzten Stunden des Lebens verrichtet sieht. Ein Unglück kommt selten allein. Während Edie noch nachdenklich auf seinem Stabe lehnte und sich innerlich Vorwürfe machte, daß er ihn noch so kurz vor seinem Ende zu einem solchen Geschäft verleitet hatte, packte ihn plötzlich ein Polizist, der in der Rechten den Amtsstab hielt, am Kragen und rief: »Im Namen des Königs!« Der Eichmeister und der Schulmeister vereinten ihre Beredsamkeit, um dem Beamten klar zu machen, daß er kein Recht habe, einen Königsgnadenmann als Landstreicher festzunehmen, und die stumme Ausdrucksweise des Müllers und des Schmieds, die ihre Fäuste ballten, deutete darauf, daß die beiden bereit waren, aus echt hochländische Art für ihren Schiedsrichter einzutreten. Sein blauer Rock, sagten sie, sei sein Gewährschein, daß er wandern dürfe. Aber sein blauer Rock,« sagte der Beamte, »ist kein Freibrief auf Überfall, Diebstahl und Mord. Und mein Haftbefehl gegen ihn lautet auf diese Verbrechen.« »Mord?« rief Edie. »Wen soll ich denn ermordet haben?« »Herrn German Dusterzieler, den Agenten vom Bergwerk Glen-Witherschiens.« »Dusterspieler ermordet! Potzblitz! der lebt ja und ist ganz fidel.« »Dir hat er's nicht zu danken, wenn er's ist. Er hat schwer um sein Leben ringen müssen, wenn alles wahr ist, was er sagt, und du mußt dich jetzt vor Gericht deswegen verantworten.« Die eben noch Edies Partei ergriffen hatten, schreckten zurück, als sie hörten, wie schwere Beschuldigungen gegen ihn vorgebracht wurden, aber manche freundliche Hand schob ihm doch Fleisch und Brot und Geld zu, damit er im Gefängnis zu leben hätte, in das die Beamten ihn abzuführen hatten. »Habt Dank – vergelts euch Gott, Leute! Ich bin schon aus mancher schlimmeren Klemme herausgekommen, wo ich's noch weniger verdient hätte – ich werd auch diesmal davonkommen, wie der Vogel aus dem Netz. Spielt weiter und schert euch nicht um mich – mir tuts nur leid um den armen Steenie.« Der Gefangene ließ sich ohne Sträuben wegführen, während er mechanisch all die Almosen, die ihm in die Hände gesteckt wurden, in seinem Sacke verschwinden ließ. Als er das Dorf verließ, war er verproviantiert, als gings auf eine Weltreise. Die Mühe, diese Last zu tragen, wurde ihm aber erleichtert, denn der Beamte besorgte Pferd und Wagen, um den alten Mann auf eine Polizeiwache zu bringen, wo er verhört und in Gewahrsam gebracht werden konnte. Zehntes Kapitel »So soll also der arme Junge, der Steenie Mucklebackit, heute morgen begraben werden,« sagte unser alter Freund, der Altertümler, indem er den seidenen Schlafrock ablegte und statt des schnupftabakfarbigen Anzugs, den er sonst trug, einen altmodischen schwarzen Rock anzog. »Und es wird wohl angenommen, daß ich an der Feier teilnehme?« »Freilich,« antwortete der treue Caxon, indem er geflissentlich seinem Gönner die weißen Fäden und Flecke vom Rocke bürstete. »Der Leichnam – Gott helf uns, wir haben's gesehen, ist an den Klippen zerschellt, und da müssen sie nun wohl die Bestattung beschleunigen. Die See kennt keinen Spaß, wie ich immer zu meiner Tochter sage, wenn ich ihr ein bißchen Mut zusprechen will. Auf der See zu leben, sag ich immer zu ihr, das ist ein so unsicherer Beruf ...« »Wie der Beruf eines alten Perückenmachers, dem das Gewerbe abgeschnitten worden ist. Caxon, Eure Art, Trost zu sprechen, ist ebenso schlecht gewählt, wie sie hier gar nicht hergehört. Quid mihi cum femina? Was hab ich mit Eurem Weibsvolk zu schaffen, wo ich schon genug Plack mit meinem eigenen habe? – Ich frage Euch nochmals, erwarten diese armen Leute, daß ich bei der Beerdigung ihres Sohnes zugegen bin?« »O, ohne Frage werden Euer Ehren erwartet,« antwortete Caxon, »ganz gewiß!« »Nun ja,« erwiderte der Altertümler, »was den Brauch anbetrifft, daß der Edelmann der Leiche des Bauern folgt, so billige ich diesen Brauch durchaus, Caxon. Er rührt noch aus alten Zeiten her, er wurzelt tief in den Begriffen gegenseitiger Unterstützung und Unabhängigkeit zwischen dem Besitzer des Landes und dem Bebauer des Bodens. – Wo ist mein Neffe, Hektor M'Intyre?« »Er ist bei den Damen, Herr, im Salon.« »Schön,« sagte der Altertümler, – »ich werde mich dorthin begeben.« »Nun, Monkbarns,« sagte seine Schwester, als er hereintrat, »du darfst nicht böse sein.« »Mein lieber Onkel!« begann Fräulein M'Intyre. »Was soll das bedeuten?« fragte Oldbuck, dem schon ganz angst wurde, als er diesen bittenden Ton von den Damen vernahm. »Was soll das heißen? Warum bittet ihr mich um Nachsicht?« »Es ist nichts Besonderes, gewiß nicht,« sagte Hektor, der mit dem Arm in der Binde am Frühstückstisch saß, »aber ich nehme die Verantwortung dafür auf mich – wie für noch weit mehr Unruhe, die ich dir bereitet habe – allerdings hab ich wenig mehr als meinen Dank zum Entgelt dafür zu bieten.« »Schwamm drüber! Schwamm drüber!« sagte der Altertümler. »Laß es nur dir eine Warnung sein, daß du nicht wieder so deine Wutanfälle kriegst, – das ist ein kurzer Wahnsinn – ira furor brevis – aber um welches neue Malheur handelt sichs denn?« »Mein Hund, lieber Onkel, hat zum Unglück umgeworfen ...« »Gefalls dem Himmel, doch nicht etwa das Tränenkrüglein von Clochnaben?« unterbrach ihn Oldbuck. »Allerdings, Onkel,« sagte die junge Dame, »ich fürchte, das ist es gewesen – es hat auf dem Seitentischchen gestanden – das arme Tier wollte bloß ein bißchen frische Butter fressen.« »Und das hat er denn auch tüchtig getan, wie? Aber das ist Nebensache. Mein Tränenkrüglein – der Grundpfeiler meiner Theorie, die ich der Ignoranz des Mac-Cribb zum Trotz behauptet habe, daß nämlich die Römer durch die Engpässe dieser Berge gezogen sind und Spuren von ihrer Kunst und ihren Waffen zurückgelassen haben – mein Tränenkrüglein ist dahin – ist vernichtet – in tausend Stücke zerbrochen – in Scheiben, die nun ebenso gut von einem zerschlagenen Blumentopf herrühren können. Hektor ich liebe dich! Doch nimmermehr sei Führer meiner Scharen!« »Ei, Onkelchen, ich glaube, ich würde mich auch recht schlecht ausnehmen in einem Regiment, das du ausgehoben hättest.« »Zum mindesten wünschte ich, Hektor, du gäbest deinem Troß den Laufpaß und marschiertest expeditus oder relictus impedimentis. Du kannst dir gar nicht denken, wie mich das Beest schon malträtiert hat. Das Vieh verübt auch Einbrüche, glaub ich, denn wie ich gehört habe, soll es in die Küche eingedrungen sein, nachdem alle Türen zugeschlossen worden waren, und hat dort eine ganze Hammelkeule vertilgt.« »Es tut mir aufrichtig leid, lieber Onkel,« sagte Hektor, »daß Juno so etwas angestiftet hat – aber der Mann, der sie dressiert hat, ist auch nie mit ihr fertig geworden, sie hat mehr Mühe gemacht als irgend eine Hündin ihrer Rasse.« »Dann wünscht ich, Hektor, die Hündin machte sich auf und verließe meinen Grund und Boden.« »Wir werden das morgen alle beide tun, vielleicht heute noch, aber ich möchte nicht von meiner Mutter Bruder in Unfrieden scheiden wegen eines zerbrechlichen Töpfchens.« »O Bruder, Bruder!« rief Miß M'Intyre, außer sich über die wegwerfende Bezeichnung. »Wie sollt ich es denn anders nennen?« fuhr Hektor fort. »Es ist genau so ein Ding, wie sie es in Ägypten brauchen, um Wein oder Scherbet oder Wasser kalt zu stellen – ich hab ein paar solcher Töpfchen mitgebracht – zwanzig hätt ich mitbringen können.« »Was!« rief Oldbuck, »von derselben Form wie der, den dein Hund umgeworfen hat?« »Ja, Onkel, fast ebensolche Dinger, wie sie auf dem Seitentisch gestanden haben. In meiner Wohnung in Fairport hab ich sie – die sind ein prachtvoller Ersatz und werden dir Vergnügen machen. Es soll mir daher eine Ehre sein, wenn du sie von mir annimmst.« »Allerdings, mein Junge, würdest du mir damit eine große Freude machen. Die Beziehungen zwischen Völkerschaften durch den Vergleich ihrer Gebräuche und die Ähnlichkeit ihrer Geräte zu erforschen, ist schon lange mein Lieblingsstudium gewesen. Jeder Gegenstand, der solche Beziehungen beweist, ist mir sehr schätzbar.« »Schön, Onkel, es soll mir ein Vergnügen sein, wenn du diese Dinger und noch ein bißchen ähnlichen Kram von mir annehmen willst. Und nun, hoff ich, hast du mir verziehen?« »O, mein lieber Junge, du bist nur gedankenlos und töricht,« sagte Oldbuck, »und unter der Bedingung, daß sie in Zukunft vom Monkbarns-Salon verbannt ist, soll auch deiner Juno verziehen sein.« »Da nun alles vergeben ist, Onkel, wirst du deinem verwaisten Neffen, dem du ein Vater gewesen bist, erlauben, dir eine Kleinigkeit anzubieten, die wirklich sehr merkwürdig ist, wie ich mich vergewissert habe, und die dir früher anzubieten nur meine unerwartete Verwundung mich gehindert hat. Ich habe es von einem französischen Gelehrten bekommen, dem ich nach dem Gefecht bei Alexandria eine Gefälligkeit erwiesen habe.« Der Kapitän legte ein kleines Ringschächtelchen in die Hände des Altertümlers. Als dieser es öffnete, fand er einen antiken Ring aus massivem Golde mit einer sehr schön ausgeführten Kamee – einem Kopfe der Kleopatra. Der Altertümler ließ seinem Entzücken freien Lauf, schüttelte seinem Neffen herzlich die Hand, dankte ihm hundertmal und zeigte den Ring seiner Schwester und Nichte, von denen die letztere so viel Takt hatte, ihn gebührend zu bewundern, aber Fräulein Griselda, die zwar ihrem Neffen ebenso zugetan war, war nicht so politisch, ein Gleiches zu tun. Inzwischen hatte Juno, die mit dem merkwürdigen Instinkt der Hunde ganz genau wußte, wer sie leiden mochte und wer ihr übel wollte, mehrmals zur Tür hereingelugt, und da sie nichts bemerkt hatte, was ihr an der gefürchteten Person des Altertümlers diesmal Furcht hätte einflößen können, war sie endlich keck hereingekommen. Sie sah, daß sie ganz unbehelligt blieb, und dadurch kühn gemacht, fraß sie in der Tat Herrn Oldbucks geröstetes Brot auf, während dieser in seiner Lobrede auf den Ring begeistert fortfuhr, bis er sich endlich, unterbrach: »Hollah! da ist mein Röstbrot verschwunden! Und ich sehe schon, welchen Weg es gegangen ist! Hu, du Musterexemplar von Weibsvolk!« – und mit diesen Worten hob er die Faust gegen Juno, die spornstreichs aus der Stube sauste. – »Doch da nach Homer Jupiter im Himmel auch seiner Juno nicht Herr zu werden vermochte, und da der Dresseur dieser Juno auf Erden ebenso wenig Glück gehabt hat, so müssen wir uns eben mit dem Beest abfinden und es verbrauchen, wie es ist.« Nach diesem milden Urteilsspruch, der der Juno volle Verzeihung gewährte, setzte sich die Familie an die Morgenmahlzeit. Elftes Kapitel Der Altertümler war bald an den wenigen Hütten, die um die Muschelklippe herumstanden, angelangt. Neben ihrem gewöhnlichen schmutzigen, unbehaglichen Aussehen hatten sie jetzt noch die trübseligen Zutaten von Trauerhäusern. Die Boote waren alle auf den Strand gezogen; und obwohl das Wetter schön und günstig war, war doch der Sang, den die Fischer auf See anzustimmen pflegten, verstummt, und auch das Geschrei der Kinder und das schrille Lied der Mutter, wenn sie draußen vor der Tür die Netze flickte, war heute nicht zu hören. Ein paar von den Nachbarn – einige in den antiken,, aber gut gehaltenen schwarzen Anzügen, die meisten aber in ihren alltäglichen Kleidern, alle aber mit dem Ausdruck der Trauer über ein so plötzliches und unerwartetes Unglück – standen um die Tür der Mucklebackitschen Hütte herum und warteten, »bis die Leiche käme«. Als der Laird von Monkbarns kam, machten sie ihm Platz und zogen die Hüte, wie er vorbeiging, mit einer Gebärde schwermütiger Höflichkeit, und er erwiderte ihre Grüße in derselben Weise. Im Innern der Hütte bot sich ein charakteristisches Bild. Die Leiche im Sarge lag in der hölzernen Bettstelle, in der der junge Fischer zu Lebzeiten geschlafen hatte. Ein Stückchen davon stand der Vater, dessen verwittertes Gesicht, beschattet von graugesprenkeltem Haar, schon manche stürmische Nacht und manchen gefahrvollen Tag mitangesehen hatte. Was er an seinem Sohne verloren hatte, das bedachte er anscheinend bei sich mit dem starken Gefühl schmerzlichen Kummers, das harten und rauhen Charakteren eigen ist und sich fast in Haß gegen die Welt und alle, die nach dem Tode des geliebten Wesens in ihr bleiben, äußert. Der alte Mann hatte die verzweifeltsten Anstrengungen gemacht, seinen Sohn zu retten, und war nur durch Gewalt zurückgehalten worden, als er einen erneuten Versuch in einem Augenblick hatte machen wollen, wo er, ohne dem Opfer helfen zu können, selber hätte umkommen müssen. All dies brodelte jetzt, wie es schien, in seiner Erinnerung. Von der Seite starrte er nach dem Sarge hin, wie nach einem Dinge, das er nicht gerade ansehen konnte, von dem er aber doch den Blick nicht abzulenken vermochte. Auf die notwendigen Fragen, die ab und zu an ihn gerichtet wurden, gab er kurz, barsch und fast wütend Antwort. Seine Familie hatte bis jetzt noch kein Wort des Trostes oder des Beileids an ihn zu richten gewagt. Sein mannhaftes Weib, das sonst die ganze Familie, wie sie sich mit Recht rühmte, unter ihrer Fuchtel hatte, war durch diesen herben Verlust schweigsam und unterwürfig geworden; vor ihrem Manne hatte sie die Ausbrüche ihres mütterlichen Schmerzes verbergen müssen. Seit das Unglück geschehen war, hatte er Nahrung von sich gewiesen, und da die Frau selber nicht wagte, sich ihm zu nähern, so hatte sie an diesem Morgen in liebevoller Kriegslist ihr jüngstes und liebstes Kind mit etwas Essen zu ihm geschickt. Er hatte es zuerst mit zorniger Heftigkeit von sich gestoßen, daß das Kind erschrocken war, dann aber hatte er den Jungen an sich gerissen und mit heißen Küssen bedeckt. »Du wirst ein braver Bursch werden, Patie – und du wirst nicht ersaufen – aber du kannst nie – niemals das werden, was er mir gewesen ist! – Seit seinem zehnten Lebensjahre ist er mit mir hinausgesegelt, und er hat in der ganzen Gegend nicht seinesgleichen gehabt. Es heißt, der Mensch muß sich in alles fügen, ich will's versuchen.« In einer andern Ecke der Hütte, das Gesicht mit der darübergeworfenen Schürze bedeckt, saß die Mutter. Wie groß ihr Schmerz war, das verriet ihr Händeringen und das krampfhafte Wogen ihrer Brüste, das ihre Kleidung nicht verbergen konnte. Zwei ihrer Klatschschwestern, die ihr geflissentlich die gemeinplätzigen Redensarten, daß man sich mit unabänderlichem Mißgeschick abfinden müsse, ins Ohr flüsterten, konnten sie in ihrem Schmerze nicht trösten und schienen daher bemüht, ihren Jammer zu betäuben. Aber die Gestalt der alten Großmutter war die auffallendste Erscheinung in dieser Gruppe der Trauer. Sie saß auf ihrem gewöhnlichen Platz mit ihrer gewöhnlichen Apathie und Interesselosigkeit an den Vorgängen um sie her. Ab und zu bewegte sie die Hände, als drehe sie ihre Spindel, die aber weggelegt worden war, dann suchte sie erstaunt mit den Augen nach dem gewohnten Arbeitszeug, dann schien sie verdutzt über die schwarze Farbe des Kleides, das sie ihr angezogen hatten, und verwirrt so viele Leute um sich zu sehen. Dann endlich hob sie mit geisterhaftem Blick die Augen zu dem Bette, in welchem der Sarg ihres Enkels stand, und nun erst wurde ihr klar, welch unsägliches Unglück sie getroffen hatte. Dieser Wechsel von Gefühlen – Verwirrung, Verwunderung und Schmerz – schien sich auf ihrem sonst leblosen Gesicht öfter abzuspielen. Aber sie sprach kein Wort und vergoß keine Träne, auch konnte kein Mitglied der Familie an einem Blick oder ihrer Miene erkennen, bis zu welchem Grade sie das ungewöhnliche Treiben um sie her verstand. So saß sie unter der Trauergesellschaft wie ein Bindeglied zwischen den Hinterbliebenen und dem Toten, den sie beweinten – ein Wesen, in dem das Licht des Lebens schon verdunkelt war durch die zunehmenden Schatten des Todes. Als Oldbuck dieses Haus der Trauer betrat, wurde er von allen Seiten mit stummem Gruße empfangen, und der schottischen Sitte entsprechend wurde Wein und Branntwein und Brot unter den Gästen herumgereicht. Als diese Erfrischungen herumgetragen wurden, hielt die alte Elsbeth zum großen Schreck der Anwesenden das Mädchen, das sie brachte, an, nahm ein Glas zur Hand und stand auf. Das Lächeln des Irrsinns spielte auf ihrem verschrumpften Gesicht, wahrend sie mit hohler, zitternder Stimme sagte: »Auf euer aller Wohl, Leute! Und mögen wir noch oft so lustig zusammenkommen!« Dieser Spruch, der Unheil zu verkünden schien, flößte allen Entsetzen ein, sie rührten das Getränk nicht an und stellten die Gläser hin, sich vor Grauen schüttelnd, und wer da weiß, wie viel Aberglauben noch heute unter den gewöhnlichen Leuten besonders bei solchen Anlässen im Schwange ist, kann sich hierüber nicht wundern. Aber als das alte Weib das Getränk kostete, rief sie plötzlich mit kreischender Stimme: »Was ist das? – Das ist ja Wein. Wie kommt Wein in meines Sohnes Haus? Ach,« fuhr sie plötzlich mit unterdrücktem Seufzer fort, »jetzt besinn ich mich auf die traurige Ursache.« Das Glas fiel ihr aus der Hand, sie starrte eine Weile auf das Bett, in dem der Sarg ihres Enkelkindes stand, und allmählich sank sie in den Stuhl zurück und bedeckte Augen und Stirn mit ihrer verwelkten, wachsbleichen Hand. In diesem Augenblick trat der Geistliche in die Hütte, und nachdem er stumm und traurig von den Leuten drinnen begrüßt worden war, trat er auf den Vater zu und schien ihm ein paar Worte des Trostes und des Beileids zuzusprechen, aber der alte Mann war nicht imstande, darauf zu hören, dennoch nickte er mürrisch und schüttelte dem Prediger die Hand, wie um ihm für seine gute Absicht zu danken. Aber er war entweder nicht imstande oder nicht willens, ihm mit Worten zu antworten. Der Priester schritt dann zur Mutter, indem er so langsam, leise und behutsam über den Boden hinschritt, als ob er fürchtete, daß die Dielen wie unsicheres Eis unter seinen Füßen einbrechen könnten, oder daß das erste Echo eines Trittes irgend einen magischen Zauber lösen und die Hütte mit all ihren Einwohnern in einen unterirdischen Abgrund versenken könnte. Der Inhalt dessen, was er zu dem armen Weibe sagte, ließ sich nur aus ihren Antworten entnehmen, wie sie unter halb ersticktem Schluchzen nach jeder Pause in seiner Rede mit schwacher Stimme sagte: »Ja, Herr Pastor, ja – Sie sind sehr gütig, gewiß doch, sehr gütig! – Freilich, freilich – wir müssen uns drein schicken! – Aber, ach du lieber Gott, der arme Steenie, der Stolz meines Herzens, er war so hübsch und stattlich, und eine Stütze und Hilfe für seine Familie und ein Trost für uns alle und eine Freude für jeden, der ihn angesehen hat! Ach, mein Junge, mein Junge, mein Junge! was liegst du denn dort, und ach, weshalb bin ich noch am Leben, daß ich dich beweinen muß!« Gegen diesen Ausbruch von Kummer und natürlicher Liebe war nicht anzukämpfen. Oldbuck hatte wiederholt zu seiner Schnupftabakdose gegriffen, um seine Tränen zu verbergen, die trotz seines schnurrigen, kaustischen Temperaments bei solchen Gelegenheiten leicht sich einstellten. Die Frauen, die da waren, wimmerten, die Männer hielten sich die Hüte vors Gesicht und sprachen leise miteinander. Inzwischen sprach der Geistliche seinen geistlichen Trost der alten Großmutter zu. Zuerst hörte sie – oder wenigstens schien es so – auf das, was er sagte, doch mit ihrer gewohnten Apathie und Bewußtlosigkeit. Aber als er in eindringlicherer Rede ihrem Ohre so nahe kam, daß der Sinn der Worte ihr deutlich verständlich wurde, da nahm ihr Gesicht sofort den starren, ausdrucksvollen Zug an, der ihr in ihren lichten Augenblicken eigentümlich war. Sie richtete Kopf und Leib empor, schüttelte das Haupt in einer Weise, die zum mindesten Ungeduld, wenn nicht gar verächtliche Ablehnung seines Zuspruches verriet, und bewegte die Hand leichthin, aber mit einer so vielsagenden Gebärde, daß alle, die es sahen, erkennen konnten, wie wenig ihr an dem geistlichen Trost gelegen war, den sie mit unnahbarer Geringschätzung von sich weise. Der Prediger trat zurück, wie von Abscheu ergriffen, und indem er sanft die Hand hob und wieder fallen ließ, schien er zugleich Verwunderung, Kummer und Mitleid mit ihrem entsetzlichen Geisteszustande zu hegen. Die Umstehenden schienen diese Gefühle zu teilen, und ein Flüstern lief von Mund zu Mund und gab kund, wie sehr ihr verbissenes, wahnwitziges Wesen sie alle mit Grausen erfüllte. Inzwischen waren aus Fairport noch einige erwartete Gäste angekommen, und die Trauergesellschaft war nun vollzählig. Wieder wurde Wein und Branntwein herumgereicht und das stumme Begrüßen wiederholte sich. Die Großmutter nahm zum zweitenmal ein Glas zur Hand, trank den Inhalt und rief: »Hahaha! Zweimal an einem Tage habe ich Wein getrunken! Wann wäre das schon mal dagewesen, ihr Leute! Noch nie!« Die vorübergehende Röte wich aus ihrem Gesicht, sie setzte das Glas hin und sank wieder auf den Platz, von dem sie sich erhoben hatte. Als die allgemeine Verblüffung gewichen war, bedeutete Oldbuck, dem bei all diesen Vorgängen das Herz blutete, dem Prediger, es sei wohl Zeit, nun die Feierlichkeit zu vollziehen. Der Vater war unfähig, Weisungen zu geben; aber der nächste Verwandte der Familie gab dem Zimmermann ein Zeichen, der in solchen Fällen in dieser Gegend den Dienst des Leichenbestatters verrichtet. Das Knarren der Sargnägel verkündete nun, daß der Deckel über dem letzten Hause eines Menschen sich schlösse. Der Sarg war mit einem Tuche bedeckt worden und wurde von den nächsten Verwandten auf Querhölzern getragen. Man wartete nur auf den Vater, der, wie es üblich war, das Kopfende tragen sollte. Ein paar der ihm näher stehenden Leute sprachen zu ihm, aber er schüttelte zum Zeichen der Weigerung Hand und Kopf. Mehr in guter Absicht, aber ohne Aussicht auf Erfolg, wollten die Anverwandten ihn dringlicher dazu auffordern, da trat Oldbuck zwischen den trostlosen Vater und seine wohlmeinenden Quälgeister und sagte ihnen, er als Grundherr des Verstorbenen wolle selber »das Haupt des Toten zum Grabe tragen«. Trotz der traurigen Stunde fühlten doch die Verwandten die Herzen höher schlagen vor Freude über diese große Auszeichnung des Lairds, und durch diese Huldigung, die Oldbuck von Monkbarns den alten Sitten des schottischen Volkes darbrachte, gewann er sich mehr Popularität, als durch alle die Summen, die er jährlich zu wohltätigen Zwecken verteilen ließ. Der Leichenzug setzte sich nun in Bewegung. Voran schritten die Büttel mit ihren Amtsstäben, sie waren der schottischen Sitte gemäß in fadenscheinige, schwarze Röcke gekleidet und trugen Jagdmützen, die mit Krepp garniert waren. Der Kirchhof war etwa eine halbe englische Meile entfernt, und der Zug bewegte sich mit der bei solchen Anlässen üblichen Feierlichkeit – die Leiche wurde in die mütterliche Erde gebettet – und als die Totengräber ihre Arbeit getan und die Grube zugedeckt hatten, zog Oldbuck den Hut und grüßte die Teilnehmer, die in traurigem Schweigen dabei standen, und mit diesem Abschiedsgruß gingen die Leidtragenden auseinander. Der Geistliche bot dem Altertümler seine Begleitung an, aber Herr Oldbuck, noch zu sehr unter dem Eindruck, den das Verhalten des Fischers und seiner Mutter auf ihn gemacht hatte, und bewegt von Mitleid, vielleicht auch von jener Neugierde, die uns lockt, das, was zu sehen uns Schmerz bereitet hat, näher zu ergründen, zog er einen einsamen Rückweg an der Küste entlang vor, in der Absicht, noch einmal im Vorbeigehen in der Hütte vorzusprechen. Zwölftes Kapitel Der Sarg war aus der Hütte getragen worden. In regelmäßiger Folge, je nach ihrer Stellung oder Verwandtschaft mit dem Toten, hatten die Leidtragenden die Hütte verlassen, wahrend die kleineren Kinder hinter der Bahre ihres Bruders drein geführt wurden, ohne den Sinn der Feierlichkeit zu begreifen. Dann erhoben sich auch die Klatschschwestern und nahmen die Mädchen mit sich, um die unglücklichen Eltern allein zu lassen, daß sie ihr Herz gegeneinander ausschütten und durch gegenseitige Aussprache ihren Kummer lindern möchten. Sie erreichten jedoch ihre gut gemeinte Absicht nicht. Kaum hatte die letzte die Tür leise hinter sich zugezogen, da warf der Vater einen hastigen Blick um sich, und als er gesehen hatte, daß niemand Fremdes mehr da war, da fuhr er auf, schlug die Hände wild über seinem Haupte zusammen, und halb stürzend, halb taumelnd warf er sich auf das Bett, auf dem der Sarg gestanden hatte, begrub das Gesicht in den Betttüchern und machte seinem Schmerz in voller Leidenschaft Luft. Vergebens unterdrückte die unglückliche Mutter Schluchzer und Tränen – entsetzt durch das ungestüme Herzeleid ihres Mannes, das um so furchtbarer wirkte, als es einen Mann von hartem, festem Wesen und robuster Figur völlig darniederwarf – vergebens zog sie ihn an den Rockschößen und flehte ihn an, er solle doch aufstehen und daran denken, daß er noch ein Weib habe und andere Kinder, die ihn trösteten und ihm zur Seite ständen. Er hörte nicht auf ihr Flehen, das noch in einer zu frühen Stunde seines Grames kam, er blieb liegen und schluchzte so bitterlich und so heftig, daß das Bett schütterte, und mit geballten Fäusten zerknüllte er die Betttücher und seine Beine zuckten krampfhaft, so tief und furchtbar war die Qual und Not dieses Vaters. In diesem Augenblick klopfte es laut an die Tür. »Ach, du lieber Gott!« sagte die arme Mutter. »Wer kann denn jetzt noch zu uns wollen? Die Leute können doch noch nicht von unserem Unglück gehört haben.« Das Klopfen wurde wiederholt, sie stand auf, öffnete die Tür und fragte mürrisch: »Wer kommt und stört ein so in Trauer versetztes Haus?« Ein großer Mann in Schwarz stand vor ihr, in dem sie sofort den Lord Glenallan erkannte. »Wohnt nicht in diesem oder einem der Nachbarhäuser eine alte Frau mit Namen Elsbeth, die lange in Craigburnfoot und bei Glenallans gewohnt hat?« »Das ist meine Schwiegermutter, Mylord,« sagte Margarete, »aber sie kann jetzt mit niemand sprechen – uns hat ein schwerer Schlag getroffen.« »Gott verhüte,« sagte Lord Glenallan, »daß ich Euch aus nebensächlicher Ursache in Eurem Kummer stören sollte, aber meine Tage sind gezählt – Eure Schwiegermutter steht im höchsten Alter, und wenn ich sie heute nicht sehe, so treff ich sie vielleicht hienieden nie wieder.« »Und wozu,« antwortete die trostlose Mutter, »wollen Sie ein altes Weib sehen, das von Alter und Sorge und Herzeleid hingebracht worden ist? An diesem Tage, wo meines Sohnes Leiche hinausgetragen worden ist, soll weder Edelmann noch Bauer zu meiner Tür herein,« Mit diesen Worten stellte sich Maggie Mucklebackit in die Tür, wie um dem Gast den Eintritt zu verwehren. Aber die Stimme ihres Mannes ließ sich drinnen vernehmen. »Wer ist da, Maggie? Was läßt du ihn nicht herein? Was kommts drauf an, wer von jetzt ab noch hier aus und ein geht?« Die Frau trat auf ihres Mannes Geheiß hin zur Seite und ließ Lord Glenallan hereintreten. Er ging auf die alte Elsbeth zu, die auf ihrem gewohnten Platze saß, und fragte sie, so laut er sprechen konnte: »Bist du die Elsbeth von Craigburnfoot von Glenallan?« »Wer ist es, der nach der unglückseligen Wohnung dieses bösen Weibes fragt?« war die Antwort auf diese Frage. »Der unglückliche Graf von Glenallan.« »Graf – Graf von Glenallan!« »Er, der William Lord Geraldin genannt wurde,« sagte der Graf, »und der nach seiner Mutter Tode Graf von Glenallan geworden ist.« »Mach den Laden auf,« sagte die Alte fest und rasch zu ihrer Schwiegertochter, »mach schnell den Laden auf, daß ich sehen kann, ob das wirklich Lord Geraldin ist – der Sohn meiner Gebieterin – er, den ich in die Arme nahm, als er geboren wurde, – er, der ein Recht hat, mir zu fluchen, daß ich ihn nicht gleich nach der Geburt erstickt habe!« Das Fenster, das geschlossen worden war, damit ein düsteres Zwielicht die Feierlichkeit der Trauerversammlung erhöhen sollte, wurde geöffnet, wie sie es befahl, und warf ein plötzliches und grelles Licht durch die rauchige dicke Atmosphäre der engen Hütte. Der Schein fiel in einem Strom auf den Kamin und beleuchtete die Züge des unglücklichen Edelmannes und der alten Sibylle, die jetzt aufgestanden war, ihn an der Hand hielt und begierig mit ihren hellblauen Augen ihm ins Gesicht sah. Dabei hatte sie ihren langen, verwelkten Zeigefinger ihm dicht vors Gesicht gehalten und bewegte ihn nun langsam, als zöge sie die Umrisse nach und vergliche das, was sie jetzt sah, mit dem, dessen sie sich erinnerte. Als sie ihre Prüfung beendet hatte, sagte sie mit einem tiefen Seufzer: »Arg verändert – arg verändert! – und wer ist schuld daran? Aber das ist im großen Schuldbuch eingetragen und wird ausgeglichen. Es ist auf erzenen Tafeln mit einer Feder von Stahl geschrieben, – auf den erzenen Tafeln, auf denen alles verzeichnet ist, was von Menschen begangen ist.« Nach einer Pause setzte sie hinzu: »Und was will Lord Glenallan von einem armen alten Geschöpf wie ich, das schon tot ist und nur noch insofern dem Leben angehört, als sie noch nicht ins Grab gelegt worden ist?« »Im Namen des Himmels,« antwortete Lord Glenallan, weshalb hast du so dringend verlangt, mich zu sehen? und warum hast du zur Bekräftigung deines Verlangens mir ein Zeichen gesandt, dem ich, wie du wohl wußtest, nicht zu widersprechen wagen würde?« Mit diesen Worten langte er aus seiner Börse den Ring, den ihm Edie Ochiltree nach Glenallan-Haus gebracht hatte. Der Anblick dieses Zeichens hatte eine seltsame und unmittelbare Wirkung auf die alte Frau. Sie wandte sich an ihren Sohn und ihre Schwiegertochter und hieß sie gebieterisch die Hütte verlassen, damit sie mit Lord Geraldin (so nannte sie ihn noch immer) allein sein könne. Aber Maggie Mucklebackit, deren heftigster Schmerz sich gelegt hatte, war gar nicht willens, sich in ihren eigenen vier Pfählen von ihrer Schwiegermutter Vorschriften machen zu lassen, zumal die alte Frau, die nun so plötzlich wieder aufzuleben schien, schon langst nichts mehr zu sagen hatte. »Schnurrig ist's doch,« sagte sie in brummigem Tone, denn laut zu schimpfen wagte sie doch nicht in Gegenwart des Lords Glenallan, »daß eine Mutter aus ihrem eigenen Hause gewiesen wird, wo noch die Träne ihr im Auge hängt und wo kaum ihr Sohn als Leiche zur Tür hinausgetragen worden ist.« Der Fischer setzte in trotzigem, verbissenem Tone hinzu: »Das ist kein Tag für deine Geschichten aus der alten Welt, Mutter, – Mylord, wenn er ein Lord ist, kann ein andermal wiederkommen – oder er mag rasch sagen, was er zu sagen hat, wenn es ihm beliebt. Hier ist niemand, der ein Interesse hat, ihm oder dir zuzuhören. Aber weder wegen eines Lords noch wegen des ärmsten Kerls will ich mein Haus verlassen an dem Tage, wo mein armer –« Seine Stimme stockte und er konnte nicht weiter sprechen; aber da er aufgestanden war, als Lord Glenallan hereingetreten war, warf er sich jetzt störrisch auf einen Stuhl und blieb in der mürrischen Stellung eines Mannes, der entschlossen ist, sein Wort zu halten. Aber die alte Frau, der die Krise alle ihr früher in hervorragendem Maße eigenen geistigen Kräfte wiederzugeben schien, erhob sich, trat auf ihn zu und sagte mit feierlicher Stimme: »Mein Sohn, so du nicht deiner Mutter Schande mitanhören willst, so du nicht freiwillig Zeuge ihrer Schuld sein willst, so du ihren Segen dir verdienen und ihrem Fluch aus dem Wege gehen willst – so fordere ich dich auf, bei dem Leibe, der dich geboren und genährt hat, laß mich allein, daß ich ungestört mit Lord Geraldin sprechen kann, was keines Menschen Ohr als sein eigenes mitanhören darf. Gehorche meinen Worten, daß, wenn du mich begräbst – o! wär der Tag erst da! – du dieser Stunde gedenken kannst, ohne daß du dir den Vorwurf machen mußt, das letzte Geheiß, das deine Mutter dir gegeben hat, nicht befolgt zu haben!« Diese feierlichen Worte erweckten in dem Herzen des Fischers die Gewohnheit instinktiven Gehorsams, in der seine Mutter ihn erzogen hatte und der er sich früher unbedingt unterworfen hatte. Er nahm seine widerstrebende Frau am Arm und führte sie aus der Hütte hinaus, indem er hinter sich die Tür zuschloß. Als die unglücklichen Eltern gegangen waren, drang Lord Glenallan, der befürchtete, die Alte könnte wieder in ihre Lethargie verfallen, von neuem in sie, ihm zu sagen, weshalb sie so dringend nach ihm verlangt habe. »Sie werden es früh genug erfahren,« antwortete sie, »ich bin jetzt klar bei Verstand, und es ist nicht anzunehmen – zum wenigsten glaube ich es nicht – daß ich wieder vergessen könnte, was ich zu sagen habe. Es steht mir vor den Augen, als wäre es gestern gewesen, wie ich in Craigburnfoot gewohnt habe. Der grüne Strand – da, wo der Bach in die See mündet – die beiden kleinen Jollen mit den gerafften Segeln, in der von der Natur gebildeten Bucht verankert – die hohe Klippe, die die Gärten des Schlosses Glenallan mit dieser Bucht verbindet und hoch über dem Wasser herabhängt – ach! wohl kann ich vergessen, daß ich einen Mann gehabt habe und ihn verlor – daß von unseren vier hübschen Söhnen bloß noch einer lebt – daß Unglück auf Unglück unseren schlecht erworbenen Reichtum verschlungen hat – daß sie die Leiche meines ältesten Enkelkindes heute morgen aus dem Hause getragen haben – aber ich kann nie die Tage vergessen, die ich im holden Craigburnfoot verlebt habe.« »Du warst ein Liebling meiner Mutter,« sagte Lord Glenallan, der sie auf den Punkt zurückzubringen wünschte, von dem sie abschweifte. »Das war ich – das war ich – Sie brauchen mich nicht daran zu erinnern. Sie hat mich über meinen Stand erhoben, sie hat mir mehr Bildung beigebracht als meinen Kollegen und Dienstkameraden, aber wie der böse Versucher hat sie mich neben vielem Guten auch in das Böse eingeweiht.« »Um Gottes willen, Elsbeth,« sagte der erstaunte Graf, »fahr fort, wenn du kannst, und erkläre näher, was du so schrecklich andeutest – ich weiß wohl, du bist die Mitwisserin eines furchtbaren Geheimnisses – sprich weiter.« »Das will ich, das will ich,« sagte sie, »nur ein wenig Geduld müssen Sie mit mir haben.« Und nun kam sie auf den Gegenstand, der so lange schon ihr Gewissen bedrückt hatte und der ohne Frage sie oftmals beschäftigt hatte, wenn sie gegen ihre Umgebung tot zu sein schien. Und so sehr wirkte die geistige Energie auf ihre physischen Kräfte und ihr Nervensystem, daß bei all ihrer sonstigen Schwäche und Taubheit jedes Wort, das Graf Glenallan während dieses merkwürdigen Zwiegesprächs fallen ließ – und wenn er es auch im leisesten Tone des Entsetzens oder des Schmerzes sagte – in voller Deutlichkeit und Verständlichkeit an Elsbeths Ohr schlug. Auch sie selbst sprach klar und deutlich und langsam, als fürchte sie, daß sonst die Mitteilung, die sie zu machen hatte, nicht genau verstanden werden könne. Ihre Sprache verriet eine bessere Erziehung und einen ungewöhnlich starken, entschlossenen Geist, und einen Charakter von jener Art, von der sich große Tugenden oder große Verbrechen erwarten lassen. Dreizehntes Kapitel »Ich brauche Ihnen nicht zu sagen,« sagte die alte Frau zu Graf Glenallan, »daß ich der Liebling und die vertraute Dienerin von Joscelinde Gräfin von Glenallan war, der der Herr gnädig sein möge,« Mit diesen Worten bekreuzte sie sich. »Und ich denke, Sie werden nicht vergessen haben, daß sie viele Jahre lang große Stücke auf mich hielt, aber durch einen kleinen Akt des Ungehorsams verfiel ich in Ungnade – eine Person hatte es ihr hinterbracht, die mich nicht mit Unrecht in dem Verdacht hatte, daß ich auf alles, was die Gräfin und auch Sie, Mylord, begannen, insgeheim ein scharfes Auge hätte.« »Ich sage dir, Weib,« unterbrach sie der Graf mit vor leidenschaftlichem Zorne bebender Stimme, »nenne nicht ihren Namen vor meinen Ohren!« »Ich muß sie nennen!« versetzte die Alte fest und ruhig. »Wie sollten sonst Sie mich verstehen?« Der Graf stützte sich auf einen der Holzstühle, zog den Hut übers Gesicht, ballte die Fäuste und biß die Zähne aufeinander, wie jemand, der äußersten Mut zusammennimmt, um eine schmerzhafte Operation über sich ergehen zu lassen, und winkte ihr, fortzufahren. »Ich sage also,« begann die Alte wieder, »daß ich bei meiner Herrin in Ungnade fiel, das verdankte ich vor allem Fräulein Eveline Neville, die damals in Glenallan-Haus aufgezogen wurde als Tochter eines Vetters und engen Freundes Ihres Vaters, der schon gestorben war. Es war vieles nicht ganz klar mit ihr, aber wer hätte wohl gewagt, sich näher danach zu erkundigen, da die Gräfin nichts darüber verriet. Alles in Glenallan-Haus liebte Fräulein Neville – alles, bis auf zwei – Ihre Mutter und ich – wir beide haßten sie.« »Gott! aus welchem Grunde? Nie hat die Erde ein Wesen getragen, das so sanft und gut war und so dazu geschaffen schien, geliebt zu werden!« »Das mag wohl so gewesen sein,« versetzte Elsbeth, »aber Ihre Mutter haßte alles, was aus der Familie Ihres Vaters war – alles, bloß ihn selber nicht. Der Grund war wohl ein Streit, der kurz vor ihrer Verheiratung zwischen ihnen vorfiel, das Nähere tut hier nichts zur Sache. Aber doppelt haßte sie Eveline Neville, als sie gewahr wurde, daß zwischen Ihnen und der unglücklichen jungen Dame ein Liebesverhältnis im Entstehen war! Sie werden selber noch wissen, daß die Abneigung der Gräfin zunächst nur soweit ging, daß sie sich sehr kühl zu ihr stellte – wenigstens ließ sie sich sonst nichts weiter merken. Aber schließlich artete ihre Abneigung in solch wilden Haß aus, daß Fräulein Neville Zuflucht suchen mußte auf Schloß Knockwinnock bei Sir Arthurs Frau, die damals noch lebte – Gott Hab sie selig!« »Du zerreißt mir das Herz mit diesen Einzelheiten – aber fahre fort!« »Ein paar Monate war sie weg gewesen,« fuhr Elsbeth fort, »da wachte ich eines Nachts auf meiner Hütte, wo ich auf meinen Mann wartete, der vom Fischen heimkommen mußte, und ich weinte bittere Tränen, weil mein Stolz sich in mir aufbäumte, daß ich in Ungnade gefallen war. Da öffnete sich die Tür und die Gräfin, Ihre Mutter, trat herein. Ich dachte, ich hätte ein Gespenst gesehen, denn diese Ehre hatte sie mir nie erwiesen, und sie sah auch so bleich und geisterhaft aus, als sei sie eben aus dem Grabe gestiegen. Sie setzte sich nieder und rang die Nässe aus ihrem Haar und ihrem Mantel, denn es regnete in dieser Nacht und sie war durch die Pflanzungen gegangen, die vom Tau bedeckt waren. Ich erwähne das alles nur, damit Sie sehen sollen, wie genau ich mich noch auf diese Nacht besinnen kann, wie deutlich sie noch in meiner Erinnerung lebt – und das mit Recht. Ich war sehr erstaunt, sie zu sehen, aber ich wagte nicht zuerst zu reden – denn es war für mich schlimmer, als wenn ich ein wirkliches Gespenst gesehen hätte – für mich, die ich doch manches Bild des Grausens geschaut hatte und nie dabei gezittert habe. Nach einem Schweigen sagte sie also: Elsbeth Cheyne (denn sie nannte mich immer bei meinem Mädchennamen), bist du nicht die Tochter jenes Reginald Cheyne, der sein Leben ließ für seinen Herrn, Lord Glenallan, den er auf dem Felde von Sheriffmuir rettete? Und ich antwortete ebenso stolz fast wie sie mich fragte: So gewiß Sie die Tochter jenes Grafen von Glenallan find, den mein Vater rettete an diesem Tage seines eigenen Todes.« Nach diesen Worten trat eine lange Pause ein. »Und was folgte? was folgte? – Um Himmelswillen – gute Frau – doch warum brauche ich dieses Wort? Einerlei, ob gut, ob böse – ich befehle dir, erzähle weiter!« »Und wenig Gehör würde ich einem irdischen Befehl noch leihen,« antwortete Elsbeth. »Hätte nicht im Schlafen und Wachen eine Stimme zu mir gesprochen, die mich angetrieben hätte, diese traurige Geschichte zu erzählen. Also, Mylord, die Gräfin sagte zu mir: »Mein Sohn liebt Eveline Neville – sie sind beide einig – sie haben sich verlobt – wenn sie einen Sohn bekommen sollten, so ist mein Recht auf Glenallan erloschen, und von diesem Augenblick sinke ich, die Gräfin, herab zu einer elenden Person, die von ihren Zinsen lebt oder gar von Gnadengeld ihr Dasein fristet – ich, die ich Ländereien und Vasallen und edles Blut und alten Ruhm meinem Gatten eingebracht habe, ich muß aufhören, Herrin zu sein, wenn mein Sohn einen männlichen Erben hat. Aber darum geht es mir schließlich nicht – hätte er nur eine andere geheiratet als eine von den verhaßten Nevilles, so hätte ich mich damit abgefunden. Aber um ihretwegen, damit sie und ihre Abkömmlinge sich der Vorrechte und Ehren meiner Ahnen erfreuen sollen – das geht mir durchs Herz wie ein zweischneidiges Schwert. – Und dieses Mädchen gar, sie ist mir ein Greuel!« – »Und ich, denn mein Herz wurde heiß bei ihren Worten, ich sagte ihr, mein Haß sei dem ihren gleich.« »Erbärmliche!« rief der Graf, trotz seines Entschlusses, sich still zu verhalten. »Erbärmliches Weib! Was für eine Ursache zum Haß hätte dir ein so unschuldiges und sanftes Wesen geben können!« »Ich haßte, was meine Herrin haßte, wie es bei den Untertanen des Hauses Glenallan üblich war. Denn wenn ich auch unter meinem Stande heiratete, Mylord, so ist doch kein Ahne von Ihnen je zum Schlachtfeld geritten, ohne daß ein Ahne der gebrechlichen, schwachsinnigen, alten nutzlosen Hexe, die jetzt mit Ihnen spricht, ihm den Schild getragen hätte. Aber das war nicht alles,« fuhr die Vettel fort, in der die bösen Leidenschaften wieder sich entfachten, je mehr sie sich bei der Erzählung erhitzte, »das war nicht alles. Ich haßte Fräulein Eveline Neville um ihrer selbst willen. Ich hatte sie aus England hergebracht und auf dem ganzen Wege hatte sie sich über meine nordische Sprache und Manier lustig gemacht. Aber ich leugne nicht, daß ich sie mehr haßte, als sie es verdiente. Auch der Haß meiner Gebieterin war wilder geworden und sie sagte zu mir: Elsbeth Cheyne, dieser ungehorsame Bursche wird sie heiraten – wenn noch die früheren Zeiten waren, dann könnte ich ihn und seine Buhle in den Kerker von Glenallan werfen, aber diese Zeiten sind vorüber. Höre mich, Elsbeth Cheyne, wenn du deines Vaters Tochter bist wie ich die Tochter meines Vaters, so will ich Mittel und Wege finden, daß sie nicht zusammenkommen sollen. Sie geht oft nach der Klippe, die dein Wohnhaus überragt, und schaut aus nach dem Boote ihres Geliebten. (Sie erinnern sich vielleicht noch, welche Freude das für Sie immer war, wenn Sie auf See waren.) Er soll sie vierzig Klaftern tiefer finden, als er erwartet. Ja, Sie mögen die Augen aufreißen und die Fäuste ballen, aber – so wahr ich vor dem einzigen Wesen stehe, das ich je gefürchtet habe – o! hätte ich doch den dort oben mehr gefürchtet! – das waren Ihrer Mutter Worte! Was sollte es für mich für Nutzen haben, Sie zu belügen? Aber ich wollte nicht mir die Hände mit Blut beflecken. Dann sagte sie: Bei der Religion unserer heiligen Kirche, sie sind zu nahe miteinander versippt. Da aber der böse Feind stets in Köpfen wie dem meinen arg sein Wesen treibt, so ließ ich mich verlocken, hinzuzufügen: Aber es läßt sich so einrichten, daß man sie sich selber für so naheverwandt miteinander halten kann, daß kein christliches Gesetz ihre Vereinigung gestatten würde.« Graf von Glenallan unterbrach sie mit einem so durchdringenden Aufschrei, daß fast das Dach der Hütte zu beben schien. »Ah! Eveline Neville war also nicht ...« »Nicht die Tochter Ihres Vaters, wollen Sie sagen?« fuhr Elsbeth fort. »Nein, mag es Ihnen nun eine Marter sein oder ein Trost – Sie sollen die volle Wahrheit wissen: sie war ebenso wenig eine Tochter aus Ihres Vaters Hause wie ich.« »Weib, hintergeh mich nicht – mach nicht, daß ich dem Andenken der Mutter fluche, die ich vor kurzem ins Grab legte, daß ich sie verfluche als Mitschuldige an einem Komplott, dem grausamsten, höllischsten Komplott...« »Bedenken Sie sich, Lord Geraldin, ehe Sie dem Andenken einer toten Mutter fluchen – lebt denn nicht noch einer vom Blute der Glenallans, der eben die Ursache zu dieser furchtbaren Katastrophe gewesen ist?« »Meinst du meinen Bruder? – der ist auch tot.« »Nein,« erwiderte die Sibylle, »Sie selber meine ich. Hätten Sie nicht den Gehorsam eines Sohnes mit Füßen getreten und heimlich Eveline Neville, als Sie in Knockwinnock zu Gaste waren, geheiratet – so hätte unser Komplott Sie wohl eine Zeitlang voneinander trennen können, aber Ihr Kummer wäre dann wenigstens nicht durch Gewissensbisse verbittert gewesen. Aber Ihr eigenes Verhalten hat das Gift der Waffe, die wir schleuderten, beigefügt, und sie durchdrang Sie um so gewaltiger, als Sie in den tödlichen Wurf hineinliefen. Wäre Ihre Heirat eine offene, anerkannte Handlung gewesen, so hätte unser Plan, Ihnen ein unübersteigbares Hindernis in den Weg zu legen, nicht ausgeführt werden können.« »Großer, Gott!« sagte der unglückliche Edelmann. »Wie Schuppen fällt es mir von den Augen, Ja, nun versteh ich die fragwürdigen Trostesworte, die meine Mutter undeutlich hinwarf. Damit hat sie nur die Beweise der Schreckenstat ausmerzen wollen, an der ich mir die Schuld allein beimessen sollte!« »Sie hat nicht deutlicher sprechen können,« antwortete Elsbeth, »wenn sie nicht ihren eigenen Betrug, hätte eingestehen sollen, und lieber hätte sie sich von wilden Pferden zerreißen lassen, als daß sie ihre Tat enthüllt hätte. Und wenn sie noch am Leben wäre, auch mir sollte niemand das Geheimnis entreißen! Starke Herzen waren sie; die Weiber von Glenallan und die Männer auch.« Der unglückliche Edelmann war in seine eigenen verwirrten abschweifenden Gedanken versunken. »Großer Himmel!« rief er. »So bin ich frei von der entsetzlichsten Schuld, mit der der Mensch befleckt sein kann und deren Bewußtsein – ob ich auch die Tat nicht wollte oder mit Absicht begangen hatte – mir den Frieden vernichtet, die Gesundheit untergraben und mich frühzeitig an den Rand des Grabes gebracht hatte. Nimm,« setzte er in inbrünstigem Tone hinzu, die Augen gen Himmel erhebend, »nimm meinen innigsten Dank! – Wenn ich auch ein elendes Leben geführt habe, wenigstens werde ich nicht sterben mit dem unnatürlichen Schandfleck dieser Schuld! – Und du, fahr fort, wenn du noch mehr zu sagen hast – fahr fort, solange du noch eine Stimme hast zu reden, und ich die Kraft zu hören.« »Ja,« antwortete die Vettel, »die Stunde, da du hören sollst und ich reden werde, eilt reißend vorbei. Der Tod hat sein Kreuz dir schon auf die Stirn gezeichnet, und mir greift seine Faust tagtäglich kälter ans Herz, – Unterbrechen Sie mich nicht mehr mit Ausrufen, Stöhnen und Anklagen und hören Sie meine Geschichte zu Ende an. – Und dann – wenn Sie wirklich ein solcher Lord von Glenallan sind, wie ich die Glenallans zu meiner Zeit gekannt habe, dann lassen Sie Ihre Leute Holz und Reisig sammeln, und sie sollen es hoch auftürmen bis zum Giebel des Hauses, und dann verbrennt, verbrennt, verbrennt die alte Hexe Elsbeth und mit ihr alles, was daran erinnern kann, daß eine solche Kreatur je zwischen Himmel und Erde herumgekrochen ist!« »Weiter! weiter!« sagte der Graf. »Ich will dich nicht wieder unterbrechen.« Er sprach mit halb erstickter Stimme, aber in entschlossenem Tone, denn er wollte nicht durch übergroße Erregung seinerseits sich die Gelegenheit entgehen lassen, Beweise für die wunderbare Geschichte zu erhalten, die er nun hörte. Aber Elsbeth war durch die ununterbrochene Erzählung von so ungewöhnlicher Länge erschöpft, der zweite Teil der Geschichte kam verworrener zu Bericht und, wenn er auch in allen Teilen klar verständlich war, so fehlte ihm doch die Schärfe und die fast grelle Klarheit, die den ersten Teil in so erstaunlichem Grade ausgezeichnet hatte. Als sie ein paar erfolglose Versuche gemacht hatte, in ihrer Erzählung fortzufahren, mußte Lord Glenallan ihrem Gedächtnis nachhelfen, indem er sie fragte, was sie für Beweise für die Geschichte vorzubringen hätte, die so ganz anders laute, als, sie sie ursprünglich angegeben hätte. »Der Beweis,« sagte sie darauf, »von Eveline Nevilles wahrer Herkunft befand sich im Besitz der Gräfin, und sie hatte alle Ursache, ihn eine Zeitlang geheim zu halten. Wenn sie die Papiere nicht vernichtet hat, so werden sie sich noch in dem Schubkasten linker Hand des Ebenholzschränkchens finden, das im Ankleidezimmer stand – sie wollte sie solange verbergen, bis Sie wieder im Auslande wären, denn sie dachte, vor Ihrer Rückkehr Fräulein Eveline Neville in ihre Heimat zurückzubringen oder sie mit irgendwem zu verheiraten.« »Aber hast du mir nicht Briefe von meinem Vater gezeigt, die – wenigstens schien es mir so, sofern nicht alle meine Sinne mich in dieser entsetzlichen Stunde verlassen haben – das Geständnis zu enthalten schienen, daß er mit dieser Unglücklichen...« »Das taten wir,« versetzte die Hexe, »und wie hätten Sie danach an der Sache zweifeln können? Aber die wahre Erklärung dieser Briefe haben wir unterdrückt, nämlich, daß Ihr Vater es für Recht und angeraten hielt, daß die junge Dame eine Zeitlang für seine Tochter gelten sollte, aus gewissen Familiengründen, die sie für sich behielten.« »Aber weshalb wurde diese furchtbare List beibehalten, nachdem ihr von unserer Vereinigung gehört hattet?« »Erst als Lady Glenallan diese Lüge aufgebracht hatte, kam sie auf den Verdacht, daß Sie sich, tatsächlich hätten trauen lassen – selbst dann gaben Sie es noch nicht zu, so daß sie noch nicht völlige Gewißheit haben könnte, ob die Feier wirklich zwischen Ihnen vollzogen worden sei. Aber Sie werden sich noch sehr gut erinnern – ach! wie könnten Sie es nicht? – was bei der furchtbaren Unterredung sich zutrug.« »Weib! bei den Evangelien beschwurst du, was du jetzt als unwahr bezeichnest.« »Das tat ich, und ich hätte selbst einen noch heiligeren Eid darauf geleistet, wenn es einen heiligeren gegeben hätte – mein Blut sogar hätte ich dafür hingegeben oder meine Seele verkauft, um dem Hause Glenallan zu dienen.« »Elende! Eid nennst du diesen entsetzlichen Meineid, der von noch entsetzlicheren Folgen begleitet war – meinst du damit dem Hause deiner Wohltäter einen Dienst geleistet zu haben?« »Ich diente ihr, die damals das Oberhaupt der Glenallans war, und ich diente ihr, wie sie es verlangte. Die Sache hat sie mit Gott und ihrem Gewissen abgemacht – wie es gemacht werden sollte, das war zwischen meinem Gewissen und dem Himmel auch ins reine gebracht, nun ist sie hingegangen, Rechenschaft abzulegen, und ich will und muß ihr folgen. – Hab ich Ihnen nun alles erzählt?« »Nein,« antwortete Lord Glenallan, »du hast noch mehr zu sagen – du hast mir vom Tode des Engels zu erzählen, den dein Meineid zur Verzweiflung getrieben hat, weil sie sich befleckt glaubte – belastet mit einem so furchtbaren Verbrechen. Sprich die Wahrheit – war dieses schreckliche Geschehnis –« er vermochte die Worte kaum auszusprechen, »trug sich dieses schreckliche Geschehnis so zu, wie es berichtet wurde – oder war es ein weiterer Akt der entsetzlichen Grausamkeit, von andern verübt?« »Ich verstehe Sie,« sagte Elsbeth, »aber hier hat das Gerücht die Wahrheit gesagt – unser falsches Zeugnis war allerdings die Ursache, die Tat hat sie aber selber im Wahnsinn verübt. Bei dieser furchtbaren Enthüllung stürzten Sie von der Gräfin weg, sattelten Ihr Pferd und verließen das Schloß wie ein Feuersturm. Die Gräfin hatte daher von Ihrer geheimen Ehe noch nichts erfahren. Sie aber jagten davon, wie wenn Furien hinter Ihnen wären, und Fräulein Neville wurde in sicheren Gewahrsam gebracht. Aber der Wächter schlief – und die Gefangene wachte –. der Weg lag vor ihr, da war die Klippe und da war die See. O, wenn ich doch das vergessen könnte!« »Und so ist sie gestorben,« sagte der Graf, »ganz so, wie es berichtet wird?« »Nein, Mylord, ich war zur Bucht hinausgegangen, da sah ich einen weißen Gegenstand wie eine Seemöwe von der Klippe herunterschießen, dann gibt es einen lauten Klatsch, das Wasser gischt auf und ich sehe, daß ein menschliches Wesen in die Wogen gefallen ist. Ich war stark und mutig und vertraut mit der Flut. Ich stürzte mich hinein und faßte ihr Gewand und zog sie heraus und trug sie auf meinen Schultern – zwei solche hätte ich damals tragen können, und legte sie auf mein Bett. Da schickt ich zur Gräfin – und die Gräfin schickte ihre spanische Dienerin Theresa. Wenn je ein böser Feind in Menschengestalt auf Erden gewandelt ist, so war sie einer. Sie und ich sollten über der Unglücklichen wachen und keinen anderen zu ihr lassen. Der Himmel allein weiß, was der Spanierin aufgetragen worden war – sie hat es mir nicht gesagt – aber der Himmel nahm den Abschluß selber in die Hand. Die arme Dame kam vor der Zeit nieder und gebar ein Kind männlichen Geschlechts und starb in meinen Armen – in den Armen ihrer Todfeindin. Ja, Sie mögen weinen! – Ich ließ Theresa bei der Leiche und dem neugeborenen Kinde, um die Gräfin zu fragen, was nun geschehen solle. Es war schon spät, aber ich traf sie noch, und spät wie es war, rief sie noch nach Ihrem Bruder. Es ging damals die Rede, daß sie ihn zu ihrem Erben machen wollte. Was sie miteinander gesprochen haben, weiß ich nicht und kann ich nicht sagen, da ich es nicht gehört habe. Lange und ernst haben sie miteinander beraten, und als Ihr Bruder durch das Zimmer, wo ich wartete, hindurchging, da schien mir, als sei das Feuer der Hölle selber ihm in Gesicht und Augen entfacht worden. Aber seine Mutter schien er angesteckt zu haben. Sie kam wie eine Irrsinnige herein, und ihre ersten Worte waren folgende: »Elsbeth Cheyne, hast du je eine frisch erblühte Blume gepflückt? Ich sagte ja, das hatte ich wohl schon oft getan. Dann, sagte sie, wirst du am besten wissen, wie diese sündige, ketzerische Knospe vernichtet werden kann, die in dieser Nacht entsprossen ist zur Schande für das Haus meines edlen Vaters. Sieh hier, das Blut von Glenallans darf nur durch Gold vergossen werden, und mit diesen Worten gab sie mir eine goldene Nadel. Dieses Kind, sagte sie weiter, ist schon so gut wie tot, du und Theresa seid die einzigen, die überhaupt von seinem Dasein etwas wissen, so macht mit ihm, was ich von euch erwarte.« Und in Wut ging sie weg und ließ mich stehen mit der goldenen Nadel in der Hand. Hier ist sie. Diese und der Ring des Fräuleins sind alles, was mir von meinem schlecht erworbenen Gute noch übrig ist – denn groß war der Lohn, den ich erhielt, und gut hab' ich das Geheimnis bewahrt.« Und mit ihrer langen Knochenhand hielt sie Lord Glenallan eine goldene Nadel hin, an der er im Geiste noch das Blut seines Kindes herniederrieseln sah. »Teufelin! Hattest du das Herz?« »Weiß nicht, ob ich's hätte tun können oder nicht. Ich kehrte in meine Hütte zurück, ohne den Boden zu fühlen, den ich betrat, aber Theresa und das Kind waren nicht mehr da. Es war nur noch die Leiche da.« »Und hast du nie erfahren, was aus meinem Kinde geworden ist?« »Ich konnte nur raten, nur vermuten. Was Ihre Mutter beabsichtigte, das hab' ich Ihnen erzählt, und daß Theresa ein böses Weib war, habe ich gewußt. Sie ist in Schottland nie wieder gesehen worden, und soviel, ich gehört habe, ist sie in ihre Heimat zurückgekehrt. Ein finsterer Vorhang ist über die Vergangenheit gefallen, und die wenigen, die etwas davon hatten merken können, konnten nur Verführung und Selbstmord vermuten. Sie selber ....« »Ich weiß – ich weiß alles.« »Sie wissen nun allerdings alles, was ich sagen kann. Und nun, Erbe von Glenallan, können Sie mir vergeben?« »Darum bitte Gott, nicht Menschen!« sagte der Graf und wandte sich ab. »Und wie sollte ich vom Reinen und Unbefleckten erflehen, was eine Sünderin wie ich sich selber verweigert? – wenn ich gesündigt habe, so habe ich aber auch gelitten. Nicht einen Tag habe ich Frieden gehabt, seit diese langen nassen Locken aus meinem Kissen in Craigburnfoot gelegen haben. Mein Haus ist niedergebrannt mit dem Kinde in der Wiege. Meine Boote sind zerschellt, wo alle andern das Wetter überstanden. Und alles, was mir nahe stand und lieb war, hat Buße tun müssen für meine Sünden. O, wenn doch nun erst dieser Staub zum Staube geworden wäre!« Lord Glenallan ging zur Tür, aber die Edelmütigkeit seiner Natur bewog ihn, doch noch ein paar tröstliche Worte zu der Verworfenen zu sprechen. »Möge Gott dir vergeben, elendes Weib,« sagte er, »so aufrichtig wie ich es tue. Wende dich um Erbarmen an ihn, der allein Gnade spenden kann, und mögen deine Gebete erhört werden. – Ich will dir einen frommen Bruder senden.« Nein, nein, keinen Priester!« rief sie, und die Tür der Hütte öffnete sich, ihr das Wort abschneidend. Vierzehntes Kapitel Beiderseitiges Erstaunen lag auf ihren Gesichtern, als der Altertümler und Lord Glenallan sich begrüßten. Herr Oldbuck zeigte stolze Zurückhaltung, der Graf große Verlegenheit. »Mylord Glenallan, wo mir recht ist?« sagte Herr Oldbuck. »Ja – sehr verändert seit der Zeit, da er Herrn Oldbuck kannte.« »Ich wollte Euer Lordschaft nicht stören,« sagte der Altertümler; »ich wollte nur diese unglückliche Familie besuchen.« »Und Sie haben damit einen gefunden, der noch größern Anspruch auf Ihr Beileid hat.« »Mein Beileid? – Lord Glenallan kann meines Beileids nicht bedürfen. Und wenn er des bedürfte, so würde er mich wohl kaum darum angehen.« »Unsere frühere Bekanntschaft,« sagte der Graf. ... »Liegt nun ja so weit zurück, Mylord – und war auch von so kurzer Dauer und mit so außerordentlich peinlichen Umständen verknüpft, daß ich wohl meine, wir können von jeder Erneuerung absehen.« Mit diesen Worten wandte der Altertümler sich ab und verließ die Hütte, aber Lord Glenallan folgte ihm hinaus, und trotzdem Oldbuck ihm nur ein flüchtiges »Guten Morgen, Mylord,« zurief, bat doch der Graf ihn um eine kurze Unterredung und seinen Rat in einer wichtigen Angelegenheit. »Euer Lordschaft werden viele geeignetere und bessere Ratgeber finden, Mylord, die es sich zur Ehre anrechnen werden, von Ihnen gefragt zu werden. Ich meinerseits lebe zurückgezogen vom Geschäft und der Welt und bin kein Freund davon, die vergangenen Geschehnisse meines nutzlosen Lebens wieder auszukramen. Und nehmen Sie mir's nicht übel, aber es würde für mich ganz besonders schmerzlich sein, zu jener Periode meines Lebens zurückzukehren, wo ich wie ein Esel handelte und Euer Lordschaft wie ...« »Wie ein Schurke, wollten Sie sagen,« ergänzte Lord Glenallan, »allerdings muß ich Ihnen so vorgekommen sein.« »Mylord, Mylord, ich habe kein Verlangen, Ihre Beichte anzuhören,« sagte der Altertümler. »Aber, Herr, wenn ich zeigen kann, daß man mehr an mir gesündigt hat, als daß ich gesündigt habe – daß ich ein unglücklicher Mann – ein unsagbar unglücklicher Mann gewesen bin, der jetzt nach dem frühzeitigen Grabe als dem Hafen der Ruhe sich sehnt – so werden Sie sich nicht weigern, mich anzuhören oder dagegen Einspruch erheben, daß ich Ihr Erscheinen in diesem kritischen Augenblick als einen Wink vom Himmel ansehe.« »Gewiß, Mylord, werde ich nicht länger der Fortsetzung dieser außergewöhnlichen Zusammenkunft aus dem Wege gehen.« »Ich muß Sie dann an die gelegentlichen Begegnungen vor etwa zwanzig Jahren im Schloß Knockwinnock erinnern. – Sie werden sich auf eine Dame besinnen können, die damals zur Familie gehörte.« »Das unglückliche Fräulein Eveline Neville, Mylord, – ich erinnere mich recht gut.« »Sie brachten ihr Neigung entgegen.« – »Eine weit tiefere Neigung, als ich je zuvor und je seither einem Mitglieds ihres Geschlechts entgegengebracht habe. Ihre Sanftmut, ihre Gelehrigkeit, ihr Vergnügen an den Studien, die ich ihr wies, machten mir wohl das Herz wärmer, als meinem Alter geziemte (ich war allerdings noch gar nicht mal so sehr alt) oder bei der Solidität meines Wesens sich gehörte. Aber ich brauche Eure Lordschaft wohl nicht daran zu erinnern, auf wie mannigfache Weise Ihre Spottlust sich an dem linkischen zurückgezogenen Studenten betätigte, den die ihm so ganz neuen Gefühle verwirrten – und wahrscheinlich hat die junge Dame an der wohlverdienten Verhöhnung teilgenommen, – das ist ja so die Manier des Weibsvolks. Eure Lordschaft können versichert sein, daß ich mich noch auf alles sehr wohl erinnern kann, und Sie können Ihre Geschichte ohne Bedenken und ohne überflüssiges Zartgefühl erzählen.« »Das will ich,« sagte Lord Glenallan, »zuvörderst aber will ich Ihnen sagen, daß Sie dem Andenken der zartesten, liebsten und unglücklichen aller Frauen unrecht tun, wenn Sie meinen, Sie hätte mit der Zuneigung eines so biederen Mannes wie Sie Spott treiben können. Oft genug hat sie mich getadelt, wenn mein Leichtsinn sich Sie zum Ziel erkor. Darf ich nun annehmen, daß Sie jetzt über die Ausgelassenheit hinwegsehen, die Ihnen damals weh tat?« »Mylord, Sie haben volle Verzeihung,« sagte Herr Oldbuck, »Sie sollten wissen, daß ich wie andere damals keine Ahnung davon hatte, daß ich mit Eurer Lordschaft in Nebenbuhlerschaft trat; ich dachte damals, daß Fräulein Neville noch über ihre Hand zugunsten eines ehrlichen Mannes hätte entscheiden können. Aber ich vergeude nur Zeit, – ich. wünschte, ich könnte glauben, daß die Absichten anderer ebenso ehrlich und wohlgemeint gewesen wären wie meine.« »Herr Oldbuck, Sie urteilen hart.« »Nicht ohne Grund, Mylord. Als ich allein von allen Obrigkeitspersonen dieser Gegend – weil ich nicht wie viele unter ihnen die Ehre hatte, Ihre einflußreiche Familie zu kennen, noch auch wie wieder andere so feige war, eine so mächtige Familie zu fürchten – als ich, wie gesagt, als einziger eine Nachforschung darüber anstellte, wie Fräulein Neville ums Leben gekommen wäre – ich erschüttere Sie, Mylord, aber ich muß Ihnen reinen Wein einschenken – so muß ich zugeben, daß ich alle Ursache hatte, zu glauben, daß ihr höchst niederträchtig mitgespielt worden sei und daß sie entweder durch die Vorspiegelung einer Heirat betrogen oder sehr gewaltsame Maßregeln ergriffen worden seien, die Beweise einer wirklichen Heirat zu vernichten. Und ob diese Grausamkeit von seiten Eurer Lordschaft nun aus Ihrem freien Willen entsprungen oder aus der Beeinflussung der Gräfin hervorgegangen sein mag – ich kann bei mir selber nicht daran zweifeln, daß Sie dadurch die unglückliche junge Dame zu der verzweifelten Tat getrieben haben, mit der sie ihr Leben endete.« »Sie irren sich, Herr Oldbuck, und folgern falsch, wenn Sie auch in ganz natürlicher Weise aus den Umständen Ihre Schlüsse ziehen. Haben Sie die Güte, mit Platz zu nehmen auf dieser Bank, denn ich bin nicht imstande, länger zu stehen, und hören Sie die seltsame Entdeckung an, die ich heute gemacht habe.« Sie setzten sich, und Lord Glenallen begann seine unglückliche Familiengeschichte zu erzählen – seine heimliche Heirat – die entsetzliche Lüge, durch die seine Mutter die geschlossene Verbindung unmöglich gemacht hätte. Er schilderte eingehend die Künste, durch die die Gräfin die Dokumente über Fräulein Nevilles Geburt unterdrückt hätte, und wie sein Vater eine Zeitlang aus Familiengründen eingewilligt habe, daß sie für seine natürliche Tochter erklärt worden sei, und wie er unmöglich den Betrug seiner Mutter hätte ahnen oder gar entdecken können, zumal die Dienstpersonen Elsbeth und Theresa die Sache beschworen hätten. »Ich verließ mein Vaterhaus,« schloß er, »als wenn die Furien der Hölle mich vorwärts getrieben hätten, und jagte in wahnwitziger Schnelligkeit – wohin, weiß ich nicht. Auch habe ich nicht die mindeste Erinnerung, was ich getan oder wohin ich mich begeben habe, bis mein Bruder mich aufgefunden hatte. Ich will Sie nicht behelligen mit einer Beschreibung meines Krankenlagers und meiner Genesung, oder wie ich lange nachher noch Nachforschungen nach meiner unglücklichen Geliebten angestellt und erfahren habe, daß sie in ihrer Verzweiflung ein furchtbares Mittel gegen alles Leid gefunden hatte. Das erste, was mich wieder zur Besinnung brachte, war die Nachricht, daß sie in diese grausame Geschichte Licht zu bringen bemüht seien; und es wird Sie kaum wundernehmen, daß ich – da mir eine solche Darstellung der Sachlage beigebracht worden war, mich an den Bemühungen meiner Mutter und meines Bruders, Ihrer Nachforschung einen Riegel vorzuschieben, emsig beteiligte. Es gelang, Sie abzuschrecken und alle Zeugen, die bei der Eheschließung zugegen gewesen waren, mundtot zu machen oder außer Landes zu bringen. Ich selber, Herr Oldbuck,« fuhr der unglückliche Mann fort, »betrachtete mich von diesem Augenblicke an als ausgestrichen aus dem Buche der Lebenden und als einen, der auf dieser Welt nichts mehr zu suchen habe. Wenn während dieser zwanzig Jahre, Herr Oldbuck, ein Wesen auf der Erde herumgekrochen ist, das Ihr Mitleid verdiente, so bin ich dieses Wesen gewesen. Meine Nahrung hat mich nicht genährt – mein Schlaf hat mich nicht erfrischt – meine Frommheit hat mich nicht getröstet – alles, was für den Menschen erheiternd und nötig ist, hat sich für mich in Gift verwandelt. Dagegen anzukämpfen hätte eine Energie erfordert, die ich nicht mehr besaß, seit der vernichtende Schlag mich getroffen hatte. Ich vegetierte, so gut es eben ging – Phantasie, Gefühl, Urteil und Gesundheit gingen allmählich zugrunde, wie ein Baum eingeht, dessen Rinde zerstört wurde. Bemitleiden Sie mich nun? Vergeben Sie mir nun?« »Mylord,« sagte der Altertümler, sehr ergriffen, – »meine Vergebung – mein Mitleid, haben Sie nicht zu erbitten, denn Ihre Geschichte ist an sich die triftigste Entschuldigung für alles, was in Ihrem Verhalten geheimnisvoll erscheinen konnte, und mag wohl selbst Ihre schlimmsten Feinde, Mylord (und zu denen habe ich nie gezählt), zu Tränen und Beileid rühren. Aber erlauben Sie mir danach zu fragen, was Sie nun tun wollen und weshalb Sie mir die Ehre erwiesen, mich bei dieser Gelegenheit ins Vertrauen zu ziehen, da doch meine Meinung hier kaum in Frage kommen kann?« »Herr Oldbuck,« erwiderte der Graf, »die Natur des Bekenntnisses, das ich heute vernommen habe, konnte ich nicht voraussehen, und daher ist es mir, das brauche ich wohl nicht erst zu sagen, auch niemals in den Sinn gekommen, daß ich Sie einmal um Rat würde fragen müssen – aber ich bin ohne Freunde, an keine Geschäfte gewohnt durch meine lange Abgeschlossenheit, ich kenne auch nicht die Gesetze des Landes und die Gebräuche der lebenden Generation. Nun finde ich mich plötzlich in Dinge verwickelt, in denen ich gar nicht Bescheid weiß, und so greife ich wie ein Ertrinkender nach der ersten Stütze, die sich mir bietet, und wende mich an Sie um Rat, um Mitgefühl, um Hilfe.« »Sie sollen es nicht vergebens getan haben, Mylord,« sagte Oldbuck, »aber die Sache will reiflich bedacht sein, und gestatten Sie mir zunächst die Frage, was Sie momentan beabsichtigen?« »Ich will mir Gewißheit darüber verschaffen, was aus meinem Kinde geworden ist,« sagte der Graf, »mögen die Folgen sein, welche sie wollen, und ich will dem Andenken der Eveline Gerechtigkeit erweisen.« »Und das Andenken Ihrer Mutter?« »Muß seine eigene Last tragen,« versetzte der Graf seufzend, »besser sie wäre verdientermaßen des Betruges überführt, als andere ungerecht noch weit schrecklicherer Verbrechen angeklagt.« »Wann haben wir zunächst dafür zu sorgen,« sagte Oldbuck, »daß die Mitteilungen dieser alten Frau in gesetzmäßiger Form aufgenommen werden. Das wird uns vor morgen nicht möglich sein, und ich mache Ihnen daher den Vorschlag solange in Monkbarns mein Gast zu sein. Morgen werden die armen Fischersleute ihrem Gewerbe wieder nachgehen, und wir treffen dann die alte Elsbeth allein und können ihre Aussage zu Protokoll nehmen.« Nach einer förmlichen Entschuldigung der Umstände, die er ihm bereiten würde, nahm Lord Glenallan die Einladung an und ließ auf dem Heimweg geduldig die ganze Geschichte von John o'the Girnell über sich ergehen, eine Legende, die Herr Oldbuck bekanntlich jedem, der seine Schwelle betrat, zum besten gab. Fünfzehntes Kapitel Nach dem Kaffee ersuchte Lord Glenallan den Altertümler um eine Unterredung unter vier Augen und wurde von dem alten Herrn in die Bibliothek geführt. »Ich muß Sie dem Kreise Ihrer freundlichen Familie entziehen,« sagte der Graf, »um Sie in die Wirrungen eines unglücklichen Mannes hineinzuziehen. Sie wissen Bescheid in der Welt, aus der ich seit langer Zeit verbannt bin. Denn Glenallan-Haus ist für mich mehr ein Gefängnis als eine Wohnung gewesen, ein Gefängnis, aus dem auszubrechen ich weder die Lust noch die Kraft gehabt habe.« »Lassen Sie mich Eure Lordschaft zunächst fragen, was Sie in dieser Angelegenheit wünschen und beabsichtigen?« »Ich wünsche vor allen Dingen,« antwortete Lord Glenallan, »meine unglückliche Heirat anzuerkennen und den Ruf der armen Eveline wiederherzustellen, das heißt, sofern Sie eine Möglichkeit sehen, wie sich das machen ließe, ohne das Verhalten meiner Mutter bekannt zu geben.« » Suum cuique tribuito,« sagte der Altertümler, »tu recht gegen jedermann! Das Andenken dieser unglücklichen Dame hat lange gelitten, und ich denke, es kann gereinigt werden, ohne daß ein Fleck auf das Andenken Ihrer Mutter gebracht zu werden brauchte. Nur müßte allerdings zugestanden werden, daß sie die Verbindung in hohem Maße mißbilligte und sich ihr energisch widersetzt hat. Und alle – verzeihen Sie, Mylord, – alle, die die verstorbene Gräfin von Glenallan gekannt oder bloß von ihr gehört haben – wird eine derartige Eröffnung nicht sonderlich wunder nehmen.« »Aber Sie vergessen einen entsetzlichen Umstand,« sagte der Graf mit bewegter Stimme. »Nicht daß ich wüßte,« versetzte der Altertümler. »Das Schicksal des Kindes – es ist ja mit der treuen Dienerin meiner Mutter verschwunden, und nach Elsbeths Worten muß das Schrecklichste angenommen werden.« »Wenn Sie meine freie Ansicht hören wollen, Mylord,« antwortete Herr Oldbuck, »und sich nicht zu vorschnell daran klammern als an eine Hoffnung, dann möchte ich sagen, es ist sehr wohl anzunehmen, daß das Kind noch am Leben sei. Denn soviel ich bei meinen früheren Nachforschungen in dieser beklagenswerten Sache erfahren habe, so hat ein Weib mit einem Kinde in jener Nacht die Hütte bei Craigburnfoot verlassen in einem vierspännigen Wagen, und zwar zusammen mit Ihrem Bruder, Edward Geraldin Neville, und er ist mit ihnen zusammen nach England gereist – ich habe seine Reise eine Strecke weit verfolgen können. Ich war damals der Meinung, die Familie hätte sich dahin entschlossen, ein Kind, das als illegitim gelten sollte, fortzubringen, damit es nicht später Schutz finden und Anspruch auf seine Rechte erheben könnte. Aber ich denke, Ihr Bruder hat das Kind nur entfernt gehalten, teils aus Rücksicht auf die Ehre des Hauses, teils wegen der Gefahr, der es in Nahe der Lady von Glenallan ausgesetzt gewesen wäre.« Bei diesen Worten wurde Lord Glenallan sehr bleich und wäre fast von seinem Stuhle gesunken. Der bestürzte Altertümler rannte hin und her und suchte Arzenei, aber obwohl sein Museum mit tausend unnützen Sachen angefüllt war, so fand sich darin doch nicht das geringste, was bei dieser oder anderen Gelegenheiten zu brauchen gewesen wäre. Als er hinauseilte, um seiner Schwester Hausapotheke zu holen, konnte er sich nicht enthalten, ein paar brummige Worte der Betrübnis und Verwunderung zu äußern, daß sein Haus in letzter Zeit so manchen Handlungen unterworfen gewesen sei und daß es erst einem verwundeten Duellanten zum Krankenzimmer gedient habe und jetzt für einen todwunden Edelmann das Sterbezimmer hergeben müsse. »Und doch,« sagte er, »habe ich mir alles Soldatentum und alles Adelstum immer zehn Schritt vom Leibe gehalten, mein Coenobitium braucht nun bloß noch eine Entbindungsanstalt zu werden, dann ist die Umwandlung vollkommen.« Als er mit der Arzenei wiederkam, befand sich Lord Glenallan wieder viel wohler. Das neue unerwartete Licht, das Herr Oldbuck in die traurige Geschichte seiner Familie gebracht hätte, habe ihn fast überwältigt. »Sie denken also, Herr Oldbuck – denn Sie sind imstande zu denken, und das bin ich nicht – Sie denken also, es ist möglich – das heißt, es ist nicht unmöglich, daß mein Kind noch am Leben ist?« »Ich denke,« sagte der Altertümler, »daß durch Ihres Bruders Hand ihm unmöglich ein Leid angetan worden sein kann. Er war als flott und verschwenderisch bekannt, aber nicht als grausam oder unehrenhaft – auch ist es, wenn er Schlimmes im Schilde geführt hat, nicht anzunehmen, daß er sich selber so für das Kind verwendet hätte, wie er es getan hat – und das will ich Eurer Lordschaft beweisen.« Mit diesen Worten öffnete Oldbuck einen Schubkasten am Schranke seines Ahnherrn Aldobrand und nahm ein Päckchen Papiere heraus, die mit einem schwarzen Bändchen umschnürt waren und die Aufschrift trugen: »Untersuchungen etc., angestellt von Jonathan Oldbuck über den 18. Februar, 17 ....« – ein paar Zeilen tiefer standen in winziger Schrift geschrieben: »Eheu Evelina!« Dem Grafen rannen die Tränen rasch aus den Augen, als er vergebens versuchte, den Knoten zu lösen, der diese Schriftstücke zusammenhielt. »Eure Lordschaft tun besser,« sagte Herr Oldbuck, »das nicht jetzt zu lesen – Sie sind schon sehr erregt und haben noch viel vor sich, da sollten Sie Ihre Kraft nicht vorzeitig erschöpfen. Sie sind, vermute ich, nun der Erbe Ihres Bruders und es wird Ihnen ein leichtes sein, unter den Dienern und Lehnsleuten Nachfrage zu halten, wo das Kind geblieben ist, wenn es eben das Glück will, daß es noch am Leben ist.« »Das wage ich kaum zu hoffen,« sagte der Graf mit einem tiefen Seufzer, »warum sollte denn mein Bruder es mir verschwiegen haben?« »Nein, Mylord! warum hätte er im Gegenteil Eurer Lordschaft mitteilen sollen, daß ein Wesen noch lebt, welches Sie für den Abkömmling ....« »Sehr wahr – er hat offenbar in guter Absicht geschwiegen. Wenn in der Tat irgend etwas das Grausen des gespenstischen Traumes, der mir das Dasein vergiftet hat, noch hätte erhöhen können, so wäre es das Bewußtsein gewesen, daß ein solches Kind des Elends noch am Leben sei.« »Also,« fuhr der Altertümler fort, »wenn es auch voreilig wäre, wenn man jetzt nach über zwanzig Jahren die Überzeugung aussprechen würde, daß Ihr Sohn, noch am Leben sein müsse, weil er als kleines Kind nicht umgebracht worden wäre, so meine ich doch, Sie sollten ohne Säumen mit den Erhebungen beginnen.« »Das soll geschehen,« versetzte Lord Glenallan und griff schnell nach der ihm so gebotenen Hoffnung, der ersten, die er seit vielen Jahren wieder hegte. »Ich will an einen treuen Verwalter meines Vaters schreiben, der in derselben Stellung auch bei meinem Bruder Neville gewesen ist – aber, Herr Oldbuck, ich bin nicht Erbe meines Bruders.« »Nicht! – das ist ja schade, Mylord – es ist ein ansehnliches Gut, und die Ruinen des alten Schlosses von Neville-Burg allein – die stolzesten prächtigsten Reste der anglo-normannischen Architektur, die wir in dieser Gegend überhaupt haben – sind ein Besitz, der sehr hoch zu halten ist. Ich dachte, Ihr Vater hätte keinen Sohn oder nahen Verwandten sonst.« »Das hatte er auch nicht, Herr Oldduck,« erwiderte Lord Glenallan; »aber mein Bruder hat sich zu andern politischen Parteien geschlagen und auch eine andere Religion angenommen, als bisher in unserm Hause üblich gewesen ist. Wir waren schon lange durch entgegengesetzte Gesinnungen auseinander gekommen, und auch meine unglückliche Mutter hat nicht hinreichend Einfluß über ihn gewinnen können. Kurz, es gab einen Familienstreit, und mein Bruder, der über seine Besitzungen frei verfügen konnte, hat die ihm erteilte Befugnis sich zu nutze gemacht und einen Fremden zu seinem Erben erkoren. Das ist mir bisher völlig gleichgültig gewesen, denn wenn weltliches Besitztum das Elend leichter machen könnte – ich habe ja genug, ja übergenug! Aber jetzt sollte es mir doch leid tun, wenn deswegen sich irgendwelche Schwierigkeiten in unsern Nachforschungen ergeben sollten. Und ich ahne schon, daß das der Fall sein wird. Denn wenn ich einen gesetzlichen leiblichen Sohn habe, und mein Bruder ohne Nachkommen gestorben ist, so fielen jetzt meines Vaters Besitztümer diesem meinem Sohne zu. Es ist daher nicht wahrscheinlich, daß der von meinem Bruder gewählte Erbe, wer er auch sein mag, uns bei einer Untersuchung behilflich sein dürfte, die so sehr zu seinen Ungunsten ausfallen könnte.« »Und aller Wahrscheinlichkeit nach ist auch der Verwalter, von dem Eure Lordschaft gesprochen hat, auch bei ihm in Dienst,« sagte der Altertümler. »Das ist sehr wahrscheinlich, und da der Mann Protestant ist, so wird er einem protestantischen Erben günstiger gesonnen sein als einem Katholiken – wenn allerdings mein Sohn im Glauben seines Vaters erzogen worden ist – oder wenn er überhaupt noch lebt!« »Wir müssen uns ganz genau darüber informieren,« sagte Oldbuck, »ehe wir uns in die Sache einlassen. Ich habe einen Freund in York, mit dem ich wissenschaftlich korrespondiere, ich will an diesen Herrn, Dr. Dryasdust, sofort schreiben und mich ganz genau über den Charakter des Mannes, der Ihren Bruder beerbt hat, erkundigen, und wer für ihn die Geschäfte besorgt, und was sonst noch Klarheit in die Angelegenheit Eurer Lordschaft bringen kann. Inzwischen kann Eure Lordschaft die Beweise für die Ehe aufbringen, die sich doch wohl noch beschaffen lassen werden.« »Ohne Frage,« versetzte der Graf, »die Zeugen, die vor Ihren Nachforschungen seinerzeit zurückgezogen wurden, sind noch am Leben. Mein Erzieher, der die Ehe eingesegnet hat, war nach Frankreich geschickt worden und ist vor kurzem als Emigrant, als ein Opfer seiner Königstreue und seiner Religion, wieder in seine Heimat geflüchtet.« »Das ist eine glückliche Folge der französischen Revolution, das müssen Sie zum mindesten zugeben, Mylord,« sagte Oldbuck; »aber nichts für ungut, ich will mich Ihrer Sache so warm annehmen, als wenn ich in Politik und Glauben eines Bekenntnisses mit Ihnen wäre. Und hören Sie auf meinen Rat – wenn Sie irgend eine Sache sauber und sorgfältig besorgt haben wollen, so legen Sie sie in die Hände eines Antiquars, denn da ein Antiquar stets seine Begabung und seinen Forschereifer an kleinen Dingen betätigt, so ist er wichtigen Dingen stets trefflich gewachsen, denn Übung macht den Meister.« Sechzehntes Kapitel Am Morgen des folgenden Tages wurde der Altertümler, der ein Langschläfer war, eine Stunde früher, als er sonst aufzustehen pflegte, von Caxon aus dem Bett geholt. »Was ist los?« rief er gähnend und streckte die Hände nach der großen dicken Repetieruhr aus, die auf seinem seidnen Taschentuch wohlbehalten gebettet neben seinem Kopfkissen lag. »Was ist denn los, Caxon? Es kann noch nicht 8 Uhr sein.« »Nein, Herr, – aber Mylords Diener ist zu mir gekommen, denn er hält mich für Ihren Valet-de-Champ, – so heißt's ja wohl. Der große Mann ist schon vor Sonnenaufgang aufgestanden und nach der Stadt gegangen, um einen Boten nach seinem Wagen zu schicken, und der wird bald da sein, und bevor er wegfährt, möchte er Euer Ehren sehen.« »Ach was!« rief Oldbuck, »diese großen Herren verfügen über Zeit und Haus eines Mannes, als wenn sie ihr eigen wären. Na schön, einmal und nicht wieder. Hat sich Hanne nun über Steenies Tod beruhigt?« »Na, immer noch nicht ganz, Herr,« erwiderte der Barbier, »sie ist heute morgen mit der Schackelade wieder nicht recht bei Sinnen gewesen und hätte sie gar leicht ins Spülichtfaß gegossen und dann hat sie sie in ihrer Aufregung allein getrunken – aber schließlich hat sie sich beruhigt, weil ihr Fräulein M'Intyre gut zugeredet hat.« »Also ist mein ganzes Weibsvolk schon auf den Beinen und spukt herum, und ich kann nicht länger mich an meinem ruhigen Bett erfreuen. Alle Ordnung in meinem Haushalt ist zum Kuckuck. Langt mir meinen Rock her. – Und was gibt's denn in Fairport?« »Nun, Herr, was soll es dort weiter Neues geben als die große Neuigkeit von ,Mylord,« sagte der alte Mann, »der ist doch die zwanzig Jahre lang über seine Schwelle gekommen, und jetzt besucht er Euer Ehren!« »Aha!« sagte Monkbarns. »Und wie denkt man denn nun darüber?« »Allerdings, Herr, darüber herrschen verschiedene Meinungen. Die Kerle, die sogenannten Dehmelkraten, die gegen den König sind und gegen Perücken und Haarpuder – eine Bande von Spitzbuben – die sagen, er war gekommen, um mit Eurer Ehren darüber zu sprechen, daß er seine Hochlandsleute herunterkommen lassen will, um in die Zusammenkünfte der Volksfreunde einzugreifen – und wie ich den Leuten sagte, daß Euer Ehren sich in solche Dinge niemals einmische, wo es Schlägereien und Blutvergießen setzen könnte, da haben Sie gesagt, wenn Euer Ehren das auch nicht täte, dann tät's doch Ihr Neffe, der war ja bekannt als Königstreuer und kämpfe gern, bis ihm's Blut an die Knie ginge, und Sie wären der Kopf und er wäre die Hand, und der Graf brächte die Mannschaft und das Silber.« »Na,« sagte der Altertümler lachend, »da bin ich nur froh, daß dieser Krieg mich nichts weiter kosten wird als einen guten Rat.« »Nein, nein,« sagte Caxon, »das denkt auch keine Menschenseele, daß Euer Ehren selber mitkämpfen oder auch nur einen Pfifferling Silber für irgendwelche Partei ausgeben würde.« »Hum! Na, das wäre die Meinung der Dehmelkraten, wie Ihr sie nennt. – Was sagen denn nun die übrigen Leute in Fairport?« »Na, viel was Besseres,« sagte der aufrichtige Berichterstatter, »ist es nicht. Es wäre nicht recht, daß noch solche Papisten, die so viele Freunde in Frankreich hätten wie Graf Glenallan, durchs Land gingen, und – aber Euer Ehren werden sich ärgern.« »Denke nicht daran, Caxon,« sagte Oldbuck, »schieße nur los, Alter. – Ich habe ein dickes Fell.« »Nun, Herr, es heißt, Sie wären kein guter Freund von der Regierung, und wenn nun ein so mächtiger Mann wie der Graf und ein so kluger Mann wie Sie Zusammenkünfte abhalten, da sollte man doch scharf Obacht auf Sie haben, und manche sagen sogar, Sie sollten gleich alle beide nach Edingburgh auf Nummer Sicher gebracht werden.« »Auf mein Wort,« sagte der Altertümler, »ich bin meinen Nachbarn für ihre gute Meinung sehr verbunden. Ich, der ich mich nie um ihre Nergeleien gekümmert habe, außer um zur Ruhe und Mäßigung zu raten, ich werde also von beiden Parteien aufgegeben und für einen Hochverräter an König und Volk zugleich erklärt. Gebt mir meinen Rock, Caxon, gebt mir meinen Rock! Es ist nur ein Glück, daß ich nicht von dem guten Leumund lebe. – Haben Sie was von Leutnant Taffril und seinem Boot gehört?« Caxon schnitt ein saures Gesicht. »Nein, Herr, und es ist heftiges Unwetter gewesen, und es ist ein sehr gefährliches Kreuzen an dieser Küste, wenn Ostwind ist. Ein Schiff kann da schneller krachen gehen, als ich ein Rasiermesser schleifen kann, – es gibt keinen Hafen und keine Zufluchtsstätte an dieser Stätte, und nichts wie Scheren und Klippen. – Ein Schiff, das hier auf den Strand läuft, fliegt auf wie der Puder, wenn ich die Quaste schüttle – und es ist da kaum dran zu denken, irgendwen zu retten. – Das sag' ich immer meiner Tochter, wenn sie den Mut verliert, weil noch immer kein Brief von Taffril kommt. Na, das kann man doch dann unter diesen Umständen entschuldigen. Du solltest ihm keinen Vorwurf machen, Hannchen, sag ich zu ihr, denn du weißt ja gar nicht, was alles passiert sein kann.« »Na ja, Caxon, Ihr habt zum Tröster eben so viel Geschick als zum Kammerdiener. – Geben Sie mir eine weiße Binde her, Mensch! denken Sie denn, ich kann mit einem Halstuch um den Hals hinuntergehen, wenn ich Besuch habe?« Vorm Frühstück ging Lord Glenallan, der in besserer Stimmung zu sein schien als am Abend vorher, mit Herrn Oldbuck alle jene Einzelheiten durch, die dessen Bemühungen früher zutage gefördert hatten. Er wies auf die Mittel hin, die ihm zur Verfügung ständen, den Beweis für seine Eheschließung zu vervollständigen, und sprach seinen Entschluß aus, sogleich die peinliche Suche nach den Beweisen für Fräulein Nevilles Geburt in die Hand zu nehmen, welche Beweise ja, wie Elsbeth gesagt hätte, im Besitz ihrer Mutter gewesen wären. »Und doch, Herr Oldbuck,« sagte er, »ich fühle mich wie ein Mann, der wichtige Nachrichten erhält, ehe er noch ganz munter ist, und nicht recht weiß, ob diese Nachrichten dem tatsächlichen Leben angehören oder ob sie nicht eine Fortsetzung seines Traumes sind. Diese Frau, die Elsbeth – sie steht im höchsten Alter und ist schon halb blödsinnig. Bin ich nicht – es ist eine häßliche Frage – etwas vorschnell gewesen, ihre gegenwärtige Aussage gelten zu lassen gegenüber ihrem frühern Zeugnis in derselben Sache?« Herr Oldbuck hielt einen Augenblick inne, und dann antwortete er mit Festigkeit: »Nein, Mylord, ich kann nicht glauben, daß Sie irgendwelchen Grund hätten an der Wahrheit dessen zu zweifeln, was sie Ihnen erzählt hat, daß sie es aus einem andern Antrieb als ihren Gewissensbissen gestanden hat. Ihr Bekenntnis war freiwillig, uneigennützig, klar, in sich geschlossen und in Zusammenhang mit all den andern bekannten Umständen der Geschichte. Ich würde ohne Säumen alle andern Dokumente, auf die sie Bezug genommen hat, prüfen und ordnen, und ich bin auch der Meinung, daß die Angaben der Frau zu Protokoll genommen werden müßten, wenn das irgend möglich ist. Wir haben ja schon daran gedacht, das zusammen abzumachen. Aber es wäre für Euer Lordschaft eine Erleichterung und würde vor allem auch mehr unparteiisch aussehen, wenn ich allein die Untersuchung als Magistratsbeamter in die Hand nehme. Ich will das besorgen, das heißt, ich will es versuchen, sobald ich das Weib in geeignetem Geisteszustand antreffe, um ein solches Verhör über sich ergehen zu lassen.« Lord Glenallan drückte dem Altertümler die Hand in dankbarer Zustimmung. »Ich kann Ihnen nicht sagen,« sagte er, »Herr Oldbuck, wie sehr Ihre Mithilfe in dieser dunkeln und traurigen Angelegenheit mir Erleichterung und Zutrauen verschafft. Ich kann mir selber nicht Beifall genug zollen, daß ich dem Impuls nachgab, der mich bewog, Sie ins Vertrauen zu ziehen. Was auch der Ausgang dieser Dinge sein mag, – und ich möchte gern hoffen dürfen, daß endlich eine bessere Sonne über den Geschicken meines Hauses aufgehen möchte, wenn auch ich selber mich nicht daran werde erfreuen können, solange lebe ich ja nicht mehr – aber wie auch der Ausgang sein mag, Sie haben mich und meine Familie zu dauerndem Danke verpflichtet.« »Mylord,« sagte der Altertümler, »ich muß vor Eurer Lordschaft Familie die größte Hochachtung hegen, denn Ihre Familie ist, wie ich ja sehr gut weiß, eine der ältesten in Schottland, sicher abzuleiten von Sir Aymer de Geraldin, der im Parlament zu Perth gesessen hat unter der Regierung Alexanders II. und der seinerzeit nach der Tradition des Landes von Marmor von Clochnaben abstammen soll. – Bei all meiner Ehrfurcht aber vor Ihrer alten Herkunft muß ich doch zugeben, daß ich Eurer Lordschaft mehr noch deswegen beispringe, weil Ihr Kummer mir aufrichtige Teilnahme abnötigt und weil die Betrügereien, denen Sie solange zum Opfer gefallen sind, mich mit Abscheu erfüllen. – Aber, Mylord, das Frühstück ist fertig. – Erlauben Sie mir, Mylord, daß ich Sie durch die Irrgänge meines Coenobitium führe – das ist nämlich eigentlich gar kein Haus, sondern lauter Zellen und Kämmerchen aneinander geleimt und aufeinander gesetzt. Ich hoffe. Sie werden sich ein wenig für Ihre karge Zurückhaltung von gestern schadlos halten.« Aber das war allerdings bei Lord Glenallan ausgeschlossen. Nachdem er die Gesellschaft mit der ernsten schwermütigen Höflichkeit, die sein ganzes Wesen auszeichnete, begrüßt hatte, stellte sein Diener eine Schnitte geröstetes Brot und ein Glas frisches Wasser vor ihn – das war sein gewöhnliches Frühstück. Während noch der junge Soldat und der alte Antiquar in weit reichlicherer Weise ihr Morgenmahl hielten, wurde das Gerassel von Rädern vernommen. »Der Wagen Eurer Lordschaft, glaube ich,« sagte Oldbuck, ans Fenster tretend. »Auf mein Wort, das ist ein feines Viergespann!« »Und ich kann dreist sagen,« rief Hektor, begierig aus dem Fenster blickend, »vier hübschere und besser zusammengestellte Blässen sind noch nie angeschirrt worden. Darf ich fragen, ob die Tiere aus Eurer Lordschaft Gestüt sind?« »Ich – ich – glaube wohl,« sagte Lord Glenallan, »aber ich habe mich so wenig um meine Hausangelegenheiten gekümmert, daß ich mich zu meiner Beschämung an Calvert wenden muß –,« dabei sah er auf seinen Bedienten. »Die Pferde sind aus dem Gestüt Euter Lordschaft,« sagte Calvert, »von Mad Tom aus Jemima und Yariko, Eurer Lordschaft Zuchtstuten.« »Sind noch mehr solche da?« fragte Lord Glenallan. »Zwei, Mylord, – beides sehr schöne Tiere.« »Dann soll Dawkind sie morgen nach Monkbarns bringen,« sagte der Graf »ich hoffe, Kapitän M'Intyre wird sie annehmen – wenn sie überhaupt zu gebrauchen sind.« Kapitän M'Intyres Augen blitzten, und er erging sich in dankbarer Anerkennung, während Oldbuck den Grafen am Ärmel zupfte und einem Geschenk vorbeugen wollte, das seinem Kornboden und Heuschober nicht vorteilhaft sein könnte. »Mylord – Mylord – sehr verbunden – sehr verbunden – aber Hektor steht bei einer Fußtruppe und steigt auch im Felde nie zu Pferd – auch ist er Hochländer und seine Uniform ist für den Dienst eines Kavalleristen schlecht geeignet. Seine Liebhaberei ist nur, einen Wagen zu kutschieren, und den sich zu kaufen, hat er erstens kein Geld und zweitens hat er gar nicht das Geschick, einen zu fahren. Wenn er nun erst gar zwei solche Vierfüßler hat, so ist überhaupt nichts mehr mit ihm anzufangen.« »Augenblicklich müssen Sie freilich uns alle im Zaume halten, Herr Oldbuck,« sagte der Graf höflich, »aber ich hoffe. Sie werden nicht im Ernst Einspruch dagegen erheben, daß ich meinem jungen Freunde eine Freude mache.« »Wenn's ein nützlicher Gegenstand wäre, Mylord,« sagte der Altertümler, »aber kein curriculum – ich sage Ihnen, er wird dann bald auf den Gedanken kommen, sich gar eine quadriga zu halten. Und kaum daß ich davon spreche, da kommt faktisch die alte Postkutsche von Fairport angerasselt – was soll das heißen? Ich habe nicht nach ihr geschickt.« »Aber ich, Onkel,« sagte Hektor mürrisch, denn seines Oheims Einmischung war ihm nicht sehr angenehm gewesen. »Du, mein Sohn?« wiederholte der Altertümler. »Und was hast du denn mit der Postkutsche vor? – Soll diese glänzende Equipage – diese biga, wie ich das Ding nennen kann – als eine Vorbereitung zu einer quadriga, oder einem curriculum dienen?« »Wenn es nötig ist, Onkel,« versetzte der junge Soldat, »dir so genaue Auskunft zu geben, ich habe in Fairport etwas zu besorgen.« »Wirst du mir erlauben, Hektor, danach zu fragen, was das wohl sein mag?« antwortete sein Oheim, der gern ein wenig seine Autorität über seinen Neffen geltend machte. »Ich dächte doch, Regimentsangelegenheiten ließen sich durch deine wackere Ordonnanz erledigen – ein biederer Mann, der so liebenswürdig ist, sich hier häuslich niederzulassen, seit er hergekommen ist – ich dächte, wie gesagt, der könnte deine Geschäfte besorgen, ohne daß du einen Tag lang zwei Gäule dir mietest und solch' eine Kombination von verfaultem Holz, zerbrochnem Glas und Leder – solch ein Skelett von einer Postkutsche, wie sie da vor der Tür hält.« »Es sind keine Regimentsangelegenheiten, Onkel, die mich rufen. Und da du darauf bestehst, es zu erfahren, so muß ich dir es ja wohl sagen. Caxon hat mir heute morgen die Mitteilung gebracht, daß der alte Ochiltree, der Bettler, vernommen werden soll, ehe er vor Gericht gestellt wird, und da will ich hinein und sehen, ob sie mit dem alten Kerl gerecht verfahren – das ist alles.« »Hm! – Davon hab' ich auch gehört, aber ich habe mir nicht denken können, daß es Ernst sei. Und bitte, Kapitän Hektor, der du in allen Streitsachen ziviler oder militärischer Art, zu Lande oder zu Wasser, dich jedermann bereitwillig zum Sekundanten zur Verfügung stellst, was hast du im besondern mit dem alten Edie Ochiltree zu schaffen? »Er hat als Soldat in der Kompagnie meines Vaters gestanden, Onkel,« versetzte Hektor, »und als ich dabei war, eine sehr große Dummheit zu begehen, da hat er versucht, mich davon abzuhalten, und hat mir einen fast ebenso guten Rat erteilt, wie du selber es nicht besser verstanden hättest.« »Und mit demselben guten Erfolg, darauf kann ich wohl Gift nehmen – he, Hektor? – Komm, gesteh, der Rat war natürlich vergebens?« »Allerdings, aber ich sehe nicht ein, warum meine Torheit mich daran hindern sollte, ihm für seine beabsichtigte Güte dankbar zu sein?« »Bravo, Hektor! Das ist das verständigste Wort, das ich aus deinem Munde gehört habe – aber sage mir doch immer, was du vor hast – ohne Zurückhaltung. Nun, ich will selber mit dir gehen. Junge. Ich bin überzeugt, der alte Mann ist unschuldig, und ich will ihm in dieser Klemme wirksamer behilflich sein, als du es könntest. Und dann sparst du auf diese Weise eine halbe Guinee, und das ist eine Rücksicht, die ich dich öfter im Auge zu haben bitten möchte.« Lord Glenallan hatte Lebensart genug, sich abzuwenden und mit den Damen zu plaudern, als der Streit zwischen Oheim und Neffe zu lebhaft zu werden begann für das Ohr eines Fremden. Als aber am friedlichen Ton des Altertümlers zu hören war, daß wieder Friede und Freundschaft eingetreten war, nahm der Graf wieder an der Unterhaltung teil. Nachdem der Lord sich kurz hatte berichten lassen, was für eine Beschuldigung gegen den Bettler erhoben worden sei –die Oldbuck übrigens ohne Besinnen der Niederträchtigkeit Dusterschielers zuschrieb – fragte er, ob der Mann früher Soldat gewesen sei? – Die Frage wurde bejaht. »Hatte er nicht,« fuhr seine Lordschaft fort, »einen groben, blauen Kittel mit zinnernem Schild? – War er nicht groß, mit einem interessanten Gesicht, grauem Haar und Bart – ein Mann, der sich auffallend gerade hält und auch in einem selbstbewußten, freimütigen Tone redet, der einen starken Gegensatz zu seinem Berufe bildet?« »All dies gibt ein genaues Bild von dem Manne,« entgegnete Oldbuck. »Ich fürchte freilich, ich werde ihm in der gegenwärtigen Lage nicht viel nützen können,« fuhr Lord Glenallan fort, »wenn es aber derselbe ist, dann bin ich ihm Dank schuldig, denn er war der erste, der mir Nachrichten von größter Wichtigkeit gebracht hat. Ich würde ihm gern ein behagliches Alter sichern, wenn er nur erst aus seiner derzeitigen schwierigen Lage heraus ist.« »Ich fürchte, Mylord,« sagte Oldbuck, »es würde ihm schwer fallen, seine Landstreicher-Gewohnheiten aufzugeben und den freundlichen Vorschlag Eurer Lordschaft anzunehmen, wenigstens weiß ich, daß der Versuch schon einmal ohne Erfolg gemacht worden ist. Das Publikum im großen und ganzen anzubetteln, betrachtet er als Unabhängigkeit im Vergleich dazu, daß er seinen Lebensunterhalt von einer einzigen Person beziehen sollte. Er ist insoweit Philosoph, als er ein Verächter aller gewöhnlichen Regeln und einer geordneten Zeiteinteilung ist. Wenn er Hunger hat, dann ißt er, wenn er Durst hat, trinkt er, wenn er müde ist, schläft er, und so gering sind seine Ansprüche in dieser Hinsicht, daß er sicher noch nie schlecht gegessen hat oder schlecht einquartiert gewesen ist. Dann ist er gewissermaßen das Orakel des Kreises, in dem er seine Runde macht, – der Genealoge, der Neuigkeitskrämer, der Hundedoktor oder auch wohl gar der Gottesmann. Ich sage Ihnen, er hat zu viele Pflichten und läßt sich ihre Ausübung sehr angelegen sein, als daß er sich leicht zur Aufgabe seines Gewerbes bereden ließe. Aber es sollte mir aufrichtig leid tun, wenn sie den armen alten Mann mit dem leichten Herzen auf Wochen ins Gefängnis stecken würden. Ich bin überzeugt, die Haft würde ihm das Herz brechen.« Damit schloß die Besprechung. Lord Glenallan verabschiedete sich von den Damen und stellte Kapitän M'Intyre seine Besitzungen zum Jagen frei, was mit Freuden angenommen wurde. Dann nahm Lord Glenallan Platz in seinem Wagen und die vier schönen Pferde führten ihn davon. Oldbuck und sein Neffe aber setzten sich in die Fairporter Postkutsche, die unter Knarren und Rasseln der berühmten Seestadt zuholperte und sich freilich ganz anders ausnahm, als die Equipage des Grafen, die schnell und leicht und weich wie im Fluge verschwunden zu sein schien. Siebzehntes Kapitel Dank der Mildtätigkeit der Leute in der Stadt und mit Hilfe der vielen Vorräte, die er mit in die Haft gebracht hatte, hatte Edie Ochiltree es ein paar Tage ganz gut ausgehalten und den Mangel an Freiheit um so weniger hart empfunden, als das Wetter sehr schlecht geworden war. »Das Gefängnis,« sagte er, »ist gar kein so schlechter Platz als immer gesagt wird. Man hat doch ein gutes Dach über'm Kopf, das das Wetter abhält. – Wenn die Fenster auch keine Scheiben haben, so ist es dafür nur luftiger und angenehmer zur Sommerzeit. Und Leute sind auch genug da, mit denen man einen Plausch haben kann, und ich habe ja Brot genug, was brauch' ich mich da um das Weitere zu grämen?« Der Mut unsers Bettlers begann indessen doch ein wenig zu sinken, als die Sonnenstrahlen heiter auf die rostigen Sparren seines vergitterten Fensters fielen und ein armer, kläglicher Hänfling, dessen Bauer ein armer, kläglicher Schuldhäftling sich wahrscheinlich ans Fenster hatte hängen dürfen, ihn mit seinem Pfeifen begrüßte. »Du bist froher gelaunt als ich,« fügte Edie zu dem Vogel, »denn ich kann nicht pfeifen, wenn ich an die schönen Hügel und grünen Täler denke, die ich eigentlich bei solchem Wetter durchstreifen sollte. Aber hier, da hast du ein paar Krumen, weil du so lustig bist! Du hast ja auch noch alle Ursache, zu singen, wie dir der Schnabel gewachsen ist, denn daß du im Käfig sitzt, das hast du dir nicht selber eingebrockt, und ich habe es mir selber zuzuschreiben, daß ich an diesem trübseligen Fleck hier eingekerkert bin.« Ochiltree wurde in seiner Selbstbetrachtung gestört, denn es kam eine Gerichtsperson herein, um ihn vor den Richter zu führen. So schritt er nun in erhabener Protektion zwischen zwei jammervollen Kreaturen dahin, die alle beide nicht so stämmig waren wie er, um zum Verhör gebracht zu werden. Als der bejahrte Gefangene von den gebrechlichen Wärtern durch die Straßen geführt wurde, riefen die Leute einander zu: »Seht den alten Kerl, der soll noch jemand überfallen haben – und ist doch schon für's Grab reif!« Und die Kinder wünschten den Wärtern, die sie bald fürchteten, bald verspotteten, Glück dazu, daß sie diesmal einen Gefangenen hätten, der so alt wäre wie sie selber. Also geführt, wurde Edie Ochiltree (keineswegs zum erstenmal) vor den ehrwürdigen Amtmann Kleinhans gestellt, der, im Gegensatz zu seinem Namen, ein stattlicher, hochgewachsener Beamter war, bei dem die ihm zugeflossenen Gerichtsgebühren trefflich angeschlagen hatten. Er war ein eifriger Königstreuer aus der alten eifrigen Zeit, ein wenig streng und rücksichtslos in der Ausübung seines Amtes und ein wenig durchdrungen vom Bewußtsein seiner Macht und seiner Bedeutung, sonst aber ein ehrbarer, wohlmeinender und nützlicher Bürger. »Herein mit ihm, herein mit ihm!« rief er. »Das muß ich sagen, wir leben jetzt in einer entsetzlichen, unnatürlichen Zeit; die Bettler Seiner Majestät, die von seiner Gnade leben, sind die ersten, wenn es gilt, die Gesetze nicht zu halten. – Hier hat denn nun ein alter Blaurock Diebstahl begangen. Ich vermute, der nächste wird zum Dank für das königliche Privilegium, das ihm Kleidung, Pension und die Freiheit zu betteln gewährt, sich an Hochverrat beteiligen oder mindestens dazu verleiten. Aber nur immer herein mit dem Kerl!« Edie machte seine Ehrenbezeugung und stand dann, wie gewöhnlich, fest und aufgerichtet, das Gesicht ein wenig seitwärts nach oben gekehrt, wie um jedes Wort zu vernehmen, das der Beamte an ihn richten würde. Auf die ersten allgemeinen Fragen, die nur seinen Namen und sein Gewerbe betrafen, antwortete Edie schnell und exakt, aber als der Beamte, nachdem diese Angaben von dem Schreiber zu Protokoll genommen worden waren, die Frage stellte, wo der Bettler sich in der Nacht befunden hätte, als Dusterschieler das bekannte Unglück widerfahren sei, da fing Edie mit Umschweifen an. »Können Sie mir sagen, Herr Amtmann, – und Sie kennen sich ja doch, aufs Gesetz aus – was es für mich für Vorteil haben wird, wenn ich Ihnen auf Ihre Fragen Bescheid gebe?« »Vorteil? Gar keinen jedenfalls, höchstens kann ich Sie in Freiheit setzen, das heißt, wenn Sie wahrheitsgetreue Angaben machen und vor allem unschuldig sind.« »Aber mir kommt es doch vernünftiger vor, wenn Sie, Herr Amtmann, oder alle andern, die mir was nachzusagen haben, jetzt erst mal beweisen, daß ich schuldig bin, – nicht daß ich beweisen soll, daß ich unschuldig bin.« »Ich sitze nicht hier,« sagte der Beamte, »um über Rechtsfragen mit Ihnen zu debattieren. Ich frage, wollen Sie nun antworten auf die Frage, ob Sie an dem von mir genannten Abend bei dem Förster Ringan Eichholz gewesen sind?« »Wahrhaftig, Herr, ich möchte nicht behaupten, daß ich mich noch genau darauf besinnen könnte,« antwortete der vorsichtige Bettler. »Oder ob Sie im Laufe dieses Tages oder dieser Nacht,« fuhr der Beamte fort, »mit Steenie oder Steffen Mucklebackit zusammengetroffen sind? – Den Mann haben Sie doch wohl gekannt, wie?« »O, sehr gut hab' ich Steenie gekannt, den armen Jungen,« antwortete der Gefangene, »aber ich kann mich nicht genau erinnern, wann ich ihn in der letzten Zeit gesehen habe.« »Sind Sie im Laufe dieses Abends' zu irgendeiner Zeit in den Ruinen von St. Ruth gewesen?« »Amtmann Kleinhans,« sagte der Bettler, »wenn Euer Ehren nichts dagegen haben, dann wollen wir einer langen Geschichte rasch ein Ende machen, und ich will Ihnen sagen, ich habe nicht die geringste Lust, irgendeine dieser Fragen zu beantworten. Ich bin ein viel zu alter Landstreicher, als daß ich mir noch das Maul verbrennen sollte.« »Schreiben Sie,« sagte der Beamte, »der Beschuldigte weigert sich auf irgendwelche Fragen zu antworten, aus Rücksicht darauf, daß er sich, wenn er die Wahrheit sagte, in Verlegenheiten bringen könnte.« »Nein, nein,« sagte Ochiltree, »ich will nicht, daß das zu Papier gebracht wird als Antwort von mir – ich wollte damit nur gesagt haben, daß es, soweit ich für meine Person mich erinnern kann, noch nie zu was gutem geführt hat, wenn man müßige Fragen beantwortet.« »Schreiben Sie,« sagte der Amtmann, »der Beschuldigte kennt sich durch langjährige Erfahrung auf gerichtliche Verhöre aus, und da er oft Nachteil dabei erfahren hat, wenn er ihm vorgelegte Fragen beantwortet hat, so verweigert er – –« »Nein, nein, Amtmann,« wiederholte Edie, »auch auf diese Weise lasse ich mich nicht von Ihnen fangen.« »Dann diktieren Sie die Antwort selber, Freund,« sagte der Beamte, – und der Schreiber wird sie wörtlich, wie Sie sie sagen, niederschreiben.« »Na, ja, na, ja,« sagte Edie, »das nenn ich doch ehrlich gehandelt. Das will ich tun, ohne weiter Zeit zu versäumen. – Also, Nachbar, Sie können hinschreiben, daß Edie Ochiltree, der Beschuldigte, sich die Freiheit nimmt, –nein, das darf ich auch nicht sagen, – ich bin kein Freiheitsmensch, – bei den Aufständen in Dublin hab' ich gegen diese Sorte gefochten, und außerdem eß' ich nun schon eine liebe lange Zeit des Königs Brot. Halt, lassen Sie mal sehen – ja – jawohl – schreiben Sie, daß Edie Ochiltree, der Blaurock, für sich das Privilegium – geben Sie acht, daß Sie das Wort auch richtig schreiben, es ist so lang – das Privilegium, das alle Untertanen dieses Landes genießen, beansprucht, nicht ein Wort auf alle heute an ihn gestellten Fragen zu antworten, ehe ihm nicht gezeigt wird, was es für einen Zweck haben soll. Das schreiben Sie hin, Sie Mann.« »Also, Edie,« sagte der Beamte, »da Sie mir keine Auskunft in der Sache geben wollen, muß ich Sie wieder ins Gefängnis schicken, bis Sie nach erledigter Anklage herausgelassen werden können.« »Nun ja doch, Herr, sofern es des Himmels und der Menschen Wille ist, du liebe Güte, so muß ich mich halt drein schicken,« versetzte der Schnorrer. »Gegen das Gefängnis hab' ich nichts weiter einzuwenden, nur ist es eine böse Sache, daß man überhaupt nie ein bißchen raus kann. Und wenn es Ihnen, Herr Amtmann, recht wäre, dann will ich auch mein Wort darauf geben, daß ich an Gerichtsstelle erscheinen will an jedem Tage und an jedem Orte, wohin ich bestellt werde.« »Ich denke, mein guter Freund,« antwortete Amtmann Kleinhans, »Ihre Bürgschaft ist nicht weit her, wenn Ihnen der Hals in der Schlinge sitzt. Ich möchte fast glauben, Sie würden auf alle unsere Vorladungen pfeifen. Aber wenn Sie mir eine ausreichende Sicherheit geben könnten, dann schließlich ...« In diesem Augenblicke traten der Altertümler und Kapitän M'Intyre herein. »Guten Morgen, meine Herrn,« sagte der Beamte, »Sie finden mich bei meiner schweren Berufsarbeit, wie gewöhnlich – beschäftigt, die Vergehen des Volkes zu ahnden – für die res publica zu sorgen, – Herr Oldbuck – dem König unserm Herrn zu dienen, Kapitän M'Intyre – denn Sie wissen doch Wohl, daß ich zum Schwerte gegriffen habe.« »Das Schwert gehört ja wohl auch zu den Wahrzeichen der Justiz,« antwortete der Altertümler. »Aber ich hätte geglaubt, die Wagschale hätte Ihnen besser angestanden, Herr Amtmann.« »Sehr gut, Monkbarns, ausgezeichnet, aber ich nehme das Schwert nicht als Justizbeamter, sondern als Soldat zur Hand – allerdings sollte ich richtiger sagen, Flinte und Bajonett – dort stehen sie an der Lehne meines Stuhles. Ich bin nämlich noch nicht imstande mitzuexerzieren – ein kleiner Anfall von meinem alten Bekannten, dem Podagra – aber ich kann ja die Beine ruhig halten, während unser Sergeant mich in der Handhabung unterweist. Ich möchte gern wissen, Kapitän M'Intyre, ob er es richtig macht.« Mit diesen Worten hinkte er zu seinem Gewehr, um zu erklären, was ihm zweifelhaft erschiene, und seine Fortschritte zu zeigen. »Es ist eine wahre Lust, so eifrige Verteidiger zu haben, Herr Amtmann,« sagte Herr Oldbuck, »und ich denke, Hektor wird Sie zufrieden stellen, indem er Ihnen seinen Beifall zu Ihren Fähigkeiten in diesem neuen Gewerbe ausspricht. Aber wir haben jetzt andres zu tun, also lassen Sie den Krieg ruhen.« »Schön, mein guter Herr,« sagte der Amtmann, »und was haben Sie zu befehlen?« »Hier steht ein alter Bekannter von mir, mit Namen Edie Ochiltree, den ein paar von Ihren Myrmidonen ins Gefängnis gebracht haben, weil er diesen Kerl, den Dusterschieler, überfallen haben soll, von dessen Anklage ich nicht ein Wort glaube.« Der Beamte nahm eine ernste Miene an. »Sie sollten doch wohl wissen, daß er unter der Anklage des Diebstahls steht, nicht nur des Überfalls – das ist eine sehr schwere Sache – solche Verbrechen sind mir nicht oft zur Kenntnis gekommen.« »Und,« setzte Oldbuck hinzu, »da haben Sie sich, nun drauf versteift, dieses Ereignis nun auch nach Kräften auszuschlachten. Aber steht die Sache dieses alten Mannes wirklich so schlecht?« »Es ist eigentlich gegen die Vorschrift,« sagte der Amtmann, »da Sie aber selber Friedensrichter sind, Monkbarns, so kann ich Ihnen ja ruhig die Erklärung Dusterschielers zeigen und was sonst die Voruntersuchung zu Tage gefördert hat.« Und er legte dem Altertümler die Papiere in die Hand, der die Brille aufsetzte und sich in eine Ecke zurückzog, um sie durchzulesen. Die Beamten erhielten Weisung, ihren Gefangenen inzwischen in ein andres Zimmer zu bringen, aber zuvor benutzte M'Intyre die Gelegenheit, den alten Edie zu begrüßen und ihm eine Guinea in die Hand zu stecken. »Gott segne Ihro Gnaden,« sagte der Alte, »die Gabe kommt von einem jungen Soldaten und sollte sicherlich einem alten nur Gutes bringen. Ich will sie nicht zurückweisen, obwohl es gegen meine Grundsätze ist. Aber wenn sie mich hier einsperren, dann werden meine Freunde mich Wohl bald vergessen. Aus den Augen, aus dem Sinn – das ist ein altes Sprichwort. Und für mich, der ich ein Königsbettler bin und in der ganzen Welt betteln darf, würde es sich nicht geziemen, wenn ich zum Fenster heraus mit einem Strumpfe an einer Schnur nach Hellern angeln wollte.« Und er machte seine Ehrenbezeugung und wurde aus dem Zimmer hinausgeführt. Die Erklärung des Herrn Dusterschieler enthielt eine übertriebene Darstellung der ihm zugefügten Tätlichkeit und seines Verlustes. »Wonach ich ihn aber gern gefragt hätte,« sagte Monkbarns, »das ist, was er wohl in den Ruinen von St. Ruth, einem so einsamen Ort, zu einer solchen Stunde und mit einem solchen Gefährten wie Edie Ochiltree zu suchen hatte. Eine Chaussee führt nicht dort vorbei, und ich kann mir nicht denken, daß die bloße Lust am Malerischen den Deutschen in einer solchen stürmischen Nacht dorthin geführt haben sollte. Verlassen Sie sich darauf, er hat irgend eine Spitzbüberei vorgehabt und ist ohne Zweifel nur in eine selbst gestellte Falle gelaufen. Nec lex justitior ulla.« Der Beamte gab zu, es sei etwas Geheimnisvolles an diesem Umstände und entschuldigte sich, daß er Dusterschieler nicht befragt habe, weil er seine Aussage aus freien Stücken gemacht hätte. Aber zur Bekräftigung der Anklage legte er ihm die Zeugenaussage Eichholzens vor, der darüber Auskunft gegeben hatte, in welchem Zustand Dusterschieler gefunden worden sei, und der ferner die sehr wichtige Tatsache bekannt gegeben hatte, daß der Bettler in der Nacht die Scheune, in der er geschlafen habe, verlassen habe und auch nicht dorthin zurückgekehrt sei. Zwei Angestellte der Fairporter Beerdigungsanstalt, die in jener Nacht bei dem Begräbnis der Gräfin von Glenallan zu tun gehabt hätten, hatten ferner bekundet, sie seien hinter zwei Leuten hergeschickt worden, die St. Ruth verlassen hätten, sobald der Leichenzug angekommen wäre. Man hätte geglaubt, daß die beiden von dem Leichenschmuck etwas hätten stehlen wollen. Auf der Verfolgung hätten sie sie mehrmals aus den Augen verloren, weil das Gelände dort so uneben sei, daß es sich schlecht reiten ließe. Sie hätten sie aber immer wieder entdeckt, und schließlich hätten sie sie in Mucklebackits Hütte gehen sehen. Einer der Leute gab auch noch an: er, Zeuge, sei vom Pferde gestiegen und an das Fenster der Hütte getreten. Da habe er den alten Blaurock und den jungen Steenie Mucklebackit mit den andern essen und trinken sehen. Er habe ferner bemerkt, wie Steenie Mucklebackit den andern eine Brieftasche gezeigt habe. Er, Zeuge, habe daher nicht daran gezweifelt, daß Ochiltree und Steenie Mucklebackit die Männer gewesen waren, denen sie hätten nachreiten müssen. Als der Zeuge gefragt worden war, warum er nicht in besagte Hütte hineingegangen sei, hatte er erklärt, dazu sei er nicht befugt gewesen. Überdies seien ihm Mucklebackit und seine Familie als grobe Leute bekannt, und er habe daher keine Lust gehabt, sich in ihre Angelegenheiten hineinzumischen. Dies habe er der Wahrheit getreu bekundet usw. usw. »Was sagen Sie nun zu diesen schwerwiegenden Beweisen gegen Ihren Freund?« fragte der Beamte, als er sah, daß der Altertümler das letzte Blatt umgedreht hatte. »Jenun, wenn es sich um eine andre Person handelte, dann würde ich gewiß sagen, die Sache sähe prima facie recht häßlich aus, aber ich kann nicht gut zugeben, daß jemand Unrecht hätte, wenn er Dusterschieler durchprügelt. Wäre ich nur ein wenig jünger oder hätte ich einen Funken von Ihrem kriegerischen Genius, Amtmann, so hätte ich es schon längst selber getan. Er ist nebulo nebulonum, ein unverschämter, schwindelhafter, lügnerischer Quacksalber, dessen Schurkereien mich hundert Pfund gekostet haben und meinen Nachbar, Sir Arthur, wer weiß wieviel. Und nebenbei, Amtmann, ich glaube nicht einmal, daß er ein zuverlässiger Freund der Regierung ist.« »Wirklich!« rief Amtmann Kleinhans. »Wenn ich das genau wüßte, das würde allerdings die Sache erheblich anders gestalten.« »Richtig. Indem er ihn geprügelt hat,« bemerkte Oldbuck, »hat der Bettler bewiesen, daß er dem König dankbar ist und mit den Feinden des Königs kein Federlesen macht. Und wenn er ihn beraubt hätte, so hätte er nur einen Ägypter geplündert, den seines Reichtums zu entkleiden gesetzlich erlaubt ist. Nehmen Sie an, daß dieses Erscheinen in den Ruinen von St. Ruth mit Politik zu tun hatte, – und diese Geschichte von verborgenen Schätzen bloß nur ein Köder von der anderen Seite des Kanals für irgend eine hohe Person oder das Kapital, das einem revolutionären Klub das Bestehen sichern sollte?« »Mein Herr!« rief der Beamte, »Sie nehmen mir die Gedanken aus dem Kopf! Wie glücklich würde ich mich schätzen, wenn ich das bescheidene Werkzeug würde, solchen Gesellen das Handwerk zu legen! – Meinen Sie nicht, es wäre besser, wir riefen die Freiwilligen zusammen und gäben die Parole aus: Drauf und dran!« »Na, jetzt gleich noch nicht, weil das Podagra die Freiwilligen eines bedeutenden Mitgliedes berauben würde. – Aber wollen Sie mich mal den Ochiltree ins Gebet nehmen lassen?« »Gewiß. Sie werden aber erst recht nichts mit ihm anfangen können. Er gab mir deutlich zu verstehen, daß er wisse, wie gefährlich es sei, als Angeklagter vor Gericht eine Aussage zu machen. Dadurch sei schon mancher ehrlicherer Mann, als er, an den Galgen gekommen.« »Na, aber, Amtmann,« sagte Oldbuck, »Sie haben also nichts dagegen, wenn ich mir den Gefangenen vornehme?« »Nicht das geringste, Monkbarns. – Unten hör ich den Unteroffizier, wir werden derweil noch ein paar Griffe klopfen. – Junge, trage mein Gewehr und Seitengewehr in die Stube unten, dort machts weniger Lärm, wenn wir Chargierungen machen.« Und so ging der kriegerische Amtmann hinaus. »Hektor, mein Junge,« sagte Oldbuck, »häng dich an ihn. Häng dich an ihn. Beschäftige ihn auf eine halbe Stunde, mein Sohn – füttre ihn mit ein paar Kriegslehren – lobe seine Uniform und seine Tüchtigkeit.« Kapitän M'Intyre, der wie viele seines Berufes mit unendlicher Verachtung auf diese bürgerlichen Soldaten blickte, erhob sich nur widerstrebend und bemerkte, er wisse nicht, was er zu Herrn Kleinhaus sagen solle, und es sei doch zu lächerlich, einen solchen alten von der Gicht geplagten Menschen mit kriegerischen Waffen hantieren zu sehen.« »Kann schon sein, Hektor,« sagte der Altertümler, der, selten jemand unbedingt zustimmte, »kann schon so sein in diesem und in einigen andern Fällen, aber das Land ist eben zurzeit zu vergleichen mit den kleinen Gerichtshöfen, wo die Parteien sich selber vertreten, weil sie nicht Kleingeld genug haben, um sich einen solchen Helden von der Anwaltskammer zu leisten. Im einen Falle läßt sich die Pfiffigkeit und Redegewandtheit der Advokaten entbehren, und so hoffe ich auch, baß wir im andern Falle mit unsern Herzen und Flinten zurecht kommen werden, wenn wirs auch nicht zur Manneszucht solcher Kampfhähne wie Ihr bringen werden.« »Ich habe sicherlich nichts dagegen einzuwenden, Onkel, daß die ganze Welt sich in den Haaren läge und bekämpfe, wenn sie nur mich dabei in Ruhe lassen möchte,« sagte Hektor und erhob sich mit mürrischer Unlust. »Ja, du bist allerdings ein sehr ruhiger Mensch,« brummte sein Oheim. »Du kannst deine Zank- und Kampflust ja keine fünf Minuten lang bezähmen.« Aber Hektor hatte keine Lust, seinen Onkel in dieser Tonart weiter zu hören. Achtzehntes Kapitel Um nun den Angeklagten zu vernehmen, wozu ihm die Befugnis erteilt worden war, hielt es der Altertümler für besser, sich nach dem Zimmer zu begeben, in das Ochiltree gebracht worden war. Er wollte nicht, daß die Vernehmung irgendwelchen amtlichen Anstrich hätte, deshalb ließ er ihn nicht in das Zimmer des Beamten bringen. Er sah den alten Mann am Fenster sitzen, das aufs Meer hinaussah. Während er auf die Landschaft herabblickte, traten ihm unwillkürlich große Tränen in die Augen und rollten ihm über die Wangen hinab in den grauen Bart. Sein Gesicht war dabei friedlich und ruhig, und seine Haltung sprach Geduld und Ergebung aus. Oldbuck war an ihn herangetreten, ohne bemerkt zu werden, und weckte ihn jetzt aus seinen Betrachtungen mit den freundlichen Worten: »Es tut mir leid, Edie, daß ich Euch in so tiefer Niedergeschlagenheit wegen dieser Sache finde.« Der Bettler fuhr auf, trocknete sich hastig die Augen mit dem Rockärmel, und indem er versuchte, im gewöhnlichen Tone der Gleichgültigkeit und Spottlust zu sprechen, sagte er mit trotzdem merklich zitternder Stimme: »Hätt' mirs denken können, daß Sie es wären, Monkbarns, oder doch so einer wie Sie, der mich hier stört – denn es ist ein großer Vorteil der Gefängnisse und Gerichtshöfe, daß die Herren jederzeit hereindürfen, wenn es ihnen Spaß macht und daß die, die drin sind, gar nicht einmal fragen dürfen, was sie drinnen zu suchen haben.« »Na, Edie, ich hoffe,« sagte Oldbuck, »was Euch augenblicklich Kummer macht, das läßt sich wieder aus der Welt schaffen.« »Und ich hätte gehofft, Monkbarns,« erwiderte der Bettler in vorwurfsvollem Tone, »Sie hätten mich besser gekannt, als daß Sie glauben könnten, ich würde wegen einer solchen Lappalie Tränen vergießen. Haben doch meine Augen schon ganz andres Leid gesehn! – Über ich habe nämlich das arme Mädel, Caxon seine Tochter, gesehen, die suchte Trost, aber es könnt ihr niemand keinen geben. Seit dem letzten Sturm hat man nichts mehr von Leutnant Taffril seiner Brigg gehört. Und im Hafen geht das Gerücht, ein königliches Schiff sei am Riff von Rattray gescheitert und versunken mit Mann und Maus. Gott verhüts! Denn dann war auch der arme junge Lovel, den Sie so gern hatten, Monkbarns, mit zu Grunde gegangen.« »Jawohl! Gott verhüts!« wiederholte der Altertümler angstvoll. »Lieber wollt ich, in Monkbarns flöge der rote Hahn auf! Mein armer teurer Freund und Mitarbeiter! – gleich will ich nach dem Hafen gehen.« »Ich weiß, Sie werden dort nichts weiter hören, als was ich Ihnen sagte, Herr,« entgegnete Ochiltree. »Die Gerichtsdiener hier waren nämlich sehr freundlich (soweit das überhaupt solche Leute sein können) und sie haben alle Zeitungen und Berichte durchgesehen und doch nichts genaues herausbringen können.« »Es kann nicht der Fall, sein – es soll nicht sein,« sagte der Altertümler, »und ich will es nicht glauben. – Taffril ist ein ausgezeichneter Seemann – und Lovel (mein armer Lovel!) hat alle Eigenschaften eines vernünftigen und liebenswürdigen Gefährten zu Lande und Wasser. – Er ist ein so vornehmer edler Charakter, daß ich mit ihm, wenn ich das überhaupt je täte, selbst eine Seereise machen könnte – aber allerdings werde ich das nie tun, höchstens fahr ich mal über den Forth, fragile mecum solvere phasclum. Aber wie gesagt, mit ihm riskierte ichs, denn er ist so einer, an dem die Elemente ihre Rache nicht auslassen würden. Nein, Edie, es ist nicht der Fall und es kann nicht sein. Es ist eine Erfindung der nichtsnutzigen Weibsperson, der Fama, die ich am liebsten mitsamt ihrer Trompete am Galgen sehen würde, denn sie bringt mit ihren Unkenrufen, nur ehrliche Leute aus der Ruhe. – Nun aber sagt mir, wie Ihn in diese Teufelsküche geraten seid.« »Fragen Sie mich, Monkbarns, als Magistratsperson, oder tun Sie es bloß aus persönlichem Interesse?« »Lediglich aus persönlichem Interesse,« versetzte der Altertümler. »Dann tun Sie Ihr Notizbuch und Ihren Bleistift weg, denn ich sage Ihnen nicht ein Sterbenswörtchen, solange Sie das Schreibzeug bei der Hand haben. Die sind für Leute wie unsereinen ein Greuel. Hols der Henker! So ein Federfuchser wie der da drüben, kann schwarz auf weiß was hinschreiben, wofür man dann baumeln kann, ehe man noch überhaupt weiß, was man gesagt hat.« Monkbarns willfahrte der Grille des alten Mannes und steckte sein Notizbuch ein. Nun berichtete Edie mit großem Freimut, was dem Leser an der Geschichte schon bekannt ist. Er erzählte ihm, was in den Ruinen von St. Ruth zwischen Dusterschieler und dessen Gönner vorgefallen war und was er selber mitangesehen hatte. Er gestand offen ein, daß er der Versuchung nicht habe widerstehen können, den Schwarzkünstler noch einmal zu dem Grabe Schwarzrocks zu locken, weil er ihm einmal seine Schwindeleien gründlich habe versalzen wollen. Den Steenie, der ja ein leichtsinniger Bursche gewesen wäre, hätte er ohne Schwierigkeiten dazu bestimmt, ihm behilflich zu sein. So hätten sie beide sich den Jux gemacht, aber die Sache sei zu einem bösern Ende gekommen, als sie beabsichtigt hätten. Was die Brieftasche Dusterschielers anbetreffe, so habe er gleich am Abend noch Steenie gesagt, daß es ihm gar nicht lieb, sei, sie in seinen Händen zu wissen; der Fischer hätte sie aber ganz ohne Absicht an sich genommen, hätte auch vor allen Bewohnern der Hütte fest versprochen, sie am folgenden Tage wieder abzuliefern. Daran hätte ihn dann sein unerwarteter Tod gehindert. Der Altertümler überlegte einen Augenblick und sagte dann: »Euer Bericht klingt sehr nach Wahrheit, und soweit ich die beteiligten Personen kenne, glaube ich auch daran in allen Stücken. Aber ich glaube auch, daß Ihr noch weit mehr wißt, als Ihr sagen wollt, das heißt, was die Schatzgräberei anbelangt. Ich vermute, Ihr habt die Rolle des lar famaliaris im Plautus gespielt, das ist so eine Art Kobold, um ihm einen Namen zu geben, der Euch plausibel ist – der wacht über verborgenen Schätzen. Ich kann mich erinnern, daß Ihr der erste wart, den wir getroffen haben, als Sir Arthur seinen erfolgreichen Fischzug in Schwarzrocks Grab getan hatte, und daß auch Ihr, als die Arbeiter die Sache aufgeben wollten, der erste wart, der in die Grube sprang und den Schatz dann erst entdeckte. Dies alles müßt Ihr mir nun erklären, wenn ich Euch nicht so übel mitspielen soll, wie Euclio der Staphyla in der Aulularia des Plautus.« »Du meine Güte, Herr,« erwiderte der Bettler, – »was weiß ich von Hauluhraria? Das klingt ja wie Hundesprache, aber nicht wie Menschen reden.« »Ihr habt aber doch gewußt, daß die Kiste mit dem Schatz da war?« fuhr Oldbuck fort. »Werter Herr,« antwortete Edie und nahm eine Miene großer Einfalt an, – »wie sollte denn das wohl möglich sein? Meinen Sie denn, ein so armer, alter Kerl hätte von so einer Kiste voll Silber etwas wissen können, und hätte nicht dabei sein Profitchen gemacht? Und Sie wissen doch selber, daß ich gar nichts davon verlangt und auch nichts gekriegt habe? Wie sollte also ich etwas damit zu tun haben?« »Das eben solltet Ihr mir erklären,« sagte Oldbuck, »denn ich bin überzeugt, Ihr habt gewußt, daß der Schatz da war.« »Euer Ehren sind freilich einer, dem man kein X für ein U machen kann, Monkbarns, und ich muß allerdings zugeben, Sie treffen sehr oft den Nagel auf den Kopf.« »Ihr gebt also zu, daß meine Annahme begründet ist?« Edie nickte bejahend. »Dann bitte erklärt mir die ganze Sache von Anfang bis zu Ende,« sagte der Altertümler. »Wenn es mein Geheimnis wäre, Monkbarns,« erwiderte der Bettler, »dann sollten Sie nicht zweimal fragen, denn hinter Ihrem Rücken hab ich's oft gesagt, abgesehen von so einem bißchen Humbug, was Sie sich bisweilen in den Kopf setzen, sind Sie der vernünftigste, klarste Kopf hier unter unserm Landadel. Aber ich will offen zu Ihnen sein und Ihnen sagen, es ist das Geheimnis eines Freundes, und lieber mögen die Richter mich von wilden Pferden zerreißen lassen oder mich auseinander sägen, wie sie's mit den Kindern Ammons getan haben, ehe ich ein Wort weiter über die Sache verrate. Nur das will ich noch sagen, es ist keine böse Absicht dabei, sondern nur ein guter Zweck, und es sollte damit jemand geholfen werden, der mehr wert ist als zweitausend solche Kerle wie ich. Aber so ein Gesetz gibt's doch wohl nicht, daß es einem als Verbrechen ausgelegt werden kann, wenn man weiß, wo andrer Leute ihr Silber liegt, streckt man nur selber nicht die Hände danach aus.« Oldbuck durchmaß ein paarmal das Zimmer in tiefem Sinnen. Er suchte eine Erklärung für so geheimnisvolle Vorkommnisse zu finden. Aber diesmal ließ ihn sein Scharfsinn im Stich. Dann trat er wieder vor den Gefangnen. »Eure Geschichte, Edie, ist ein Rätsel durch und durch, und es müßte erst ein zweiter Ödipus geboren werden, es zu lösen. Wer Ödipus gewesen ist, das sag ich Euch ein andermal, wenn Ihr mich daran erinnern wollt. Aber ob ich es nun der Klarheit im Kopf oder dem Humbug zu danken habe – um im Tone Eures liebenswürdigen Kompliments zu reden – ich fühle mich stark bewogen, zu glauben, daß Ihr die Wahrheit gesagt habt, um so mehr, weil Ihr dabei keine jener Berufungen auf höhere Mächte eingeflochten habt, wie Euresgleichen immer tut, wenn es gilt, andre Leute anzuführen.« (Bei diesen Worten mußte Edie unwillkürlich lächeln.) – »Wenn Ihr mir daher noch auf eine Frage Auskunft geben wollt, so werde ich dafür sorgen, daß Ihr wieder auf freien Fuß gesetzt werdet.« »Die Frage lassen Sie mich doch erst hören,« sagte Edie, mit der Vorsicht eines pfiffigen Schotten, »und dann will ich Ihnen sagen, ob ich drauf antworten will.« »Die Frage ist sehr einfach,« sagte der Altertümler. »Hat Dusterschieler etwas über den Versteck der Silberkiste gewußt?« »Der niederträchtige Schurke!« versetzte Edie im offenherzigsten Tone, »wenn Dusterschieler was davon gewußt hätte, dann wär wohl wenig davon übrig geblieben. Da wär wohl der Bock der Gärtner gewesen. Da wär's wohl gegangen, wie verschwinde, verschwinde, wie die Wurst im Spinde.« »Das hatte ich mir gedacht,« sagte Oldbuck. »Schön, Edie, wenn ich Euch nun auf freien Fuß setzen lasse, dann müßt Ihr auch pünktlich an dem Tage der Vorladung erscheinen, damit ich die Kaution, die ich stellen muß, nicht verliere, denn die Zeiten sind jetzt schlecht, und eigentlich sollte ein vorsichtiger Mann sich gar nicht auf sowas wie eine Kaution einlassen, sofern Ihr verraten könntet, wo noch eine aula auri plena, quadrilibem verborgen ist – eine zweite Suche Nr. I.« »Ach!« sagte der Bettler und schüttelte den Kopf, »ich fürchte, der Vogel, der diese goldnen Eier gelegt hat, ist davon geflogen – denn eine Gans mag ich ihn nicht nennen, wenn er auch im Märchenbuche so heißt. Aber ich werde mich pünktlich, einstellen, Monkbarns, an mir sollen Sie nicht einen Pfennig verlieren. Allerdings wär ich gern wieder draußen, jetzt, wo das Wetter so schön ist – und dann hab ich auch die besten Chancen, von unsern Freunden was zu hören.« »Na, Edie, unten wird nicht mehr gestampft und gedonnert, und so wird wohl der Amtmann Kleinhaus seinen militärischen Lehrmeister wieder weggeschickt haben und nun von der Arbeit des Mars zum Dienste der Themis zurückkehren. Ich will mit ihm reden. Aber von Euern Hiobsbotschaften kann und will ich keine glauben.« »Gott geb's, daß Euer Ehren Recht haben!« sagte der Bettler, als Oldbuck hinausging. Der Altertümler fand den Amtmann erschöpft von den Exerzitien, er lehnte in seinem Sorgenstuhl und summte die Melodie: »'s gibt kein schöner Leben als Soldatenleben!« und nach jeder Zeile nahm er zur Stärkung einen Löffel Mockturtlesuppe. Er ließ für Oldbuck auch eine Portion zur Erfrischung kommen, der aber schlug es ab mit dem Bemerken, er sei kein Militär und Pflege außer seinen regelmäßigen Eßzeiten nichts zu sich zu nehmen. »Soldaten, wie Sie, Amtmann, müssen im Fluge ihre Brocken aufschnappen, wie sie eben kommen. Aber es tut mir leid, daß schlimme Nachrichten von der Brigg des jungen Taffril im Umlauf sind.« »Ach ja! der arme Bursche! die Stadt konnte stolz auf ihn sein,« sagte der Amtmann, »hat sich am ersten Juni sehr ausgezeichnet.« »Ich glaube nicht eine Silbe davon,« sagte Oldbuck. »Doch nun zu meiner Angelegenheit! Sie müssen für den Alten da Kaution annehmen, Amtmann– hoch, darf sie allerdings nicht sein, verstehen Sie.« »Sie bedenken nicht, was Sie da verlangen,« sagte der Amtmann. »Die Anklage lautet auf Raub und Überfall.« »Pst! gar keine Rede davon!« sagte der Altertümler. »Ich ließ doch vorhin schon so eine Andeutung fallen. Ich werde Ihnen die Sache später noch näher erklären – es ist ein Geheimnis dabei im Spiele, das kann ich Ihnen versichern.« »Aber, Herr Oldbuck, wenn es den Staat betrifft, da habe doch ich, der hier die ganze Plackerei auf sich hat, wirklich einen kleinen Anspruch darauf, mit zu Rate gezogen zu werden, und ehe nicht das –« »Still doch!« sagte der Altertümler, indem er ihm zublinzelte und den Finger an die Nase legte, »Sie sollen die ganze Sache in die Hand bekommen, wenn's erst soweit ist. Aber das ist ein starrsinniger Alter, der nichts davon wissen will, daß zwei Männer in sein Geheimnis eingeweiht sind, und er hat mir noch nicht völligen Einblick in die Schurkereien Dusterschielers verschafft.« »Gut, die Sache soll gemacht werden. Wollen Sie mit Vierhundert Mark für den Alten bürgen?« »Vierhundert Mark für einen alten Blaurock? Nein, streichen Sie eine Null! Mit vierzig Mark will, ich mich einverstanden erklären.« »Na, Herr Oldbuck, jedermann in Fairport tut gern Ihnen einen Gefallen. Ich weiß, Sie sind ein vorsichtiger Mann und würden ebenso ungern vierzig wie vierhundert Mark verlieren. Ich will also Ihre Kaution annehmen – meo periculo.« »Dann mag Ihr Schreiber den Schein aufsetzen und ich will ihn unterschreiben.« Nach Erledigung dieser Förmlichkeit machte der Altertümler Edie die erfreuliche Mitteilung, daß er wieder auf freiem Fuße sei, und forderte ihn auf, sich sogleich in Monkbarns einzufinden, wohin er sich selber nach Vollendung des guten Werkes mit seinem Neffen begab. Neunzehntes Kapitel Am folgenden Tage befand sich Herr Oldbuck mit seinem Neffen und dem Bettler auf dem Wege zur Hütte Mucklebackits. »Da wären wir angelangt,« sagte Edie, als sie vor der Tür des Häuschens standen. »Möchte nur wissen, warum Sie sich mit mir so viel Schererei machen? Ich sage Ihnen aufrichtig, viel Lust, hier hineinzugehen hab ich nicht. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, wie die jungen Leute um mich her dahingegangen, sind und ich als alter nutzloser Strunk zurückgeblieben bin, an dem kaum noch ein Blättchen grün ist.« »Die alte Elsbeth hat Euch als Boten zum Grafen von Glenallan geschickt, nicht wahr?« fragte Oldbuck. »Nanu!« versetzte der erstaunte Bettler. »Woher wissen Sie das?« »Lord Glenallan hat mir's selber gesagt,« antwortete der Altertümler. »Er wünscht, ich soll ihre Aussage über Familienangelegenheiten zu Protokoll nehmen, und deshalb nehme ich Euch mit, denn so wie es mit der Alten steht, die zwischen Irrsinn und Bewußtsein schwankt, ist es möglich, daß Euer Anblick ihre Erinnerung auffrischt, was sich auf andre Weise am Ende nicht erreichen läßt. Der Menschengeist will behandelt sein wie verfilzte Seide, man muß erst ein freies Ende finden, ehe man ans Aufknüpfen gehen kann.« »Davon weiß ich nichts,« sagte der Schnorrer, »aber wenn meine alte Bekannte noch sich selber gleicht, so wird sie uns wohl ein ordentliches Knäuel zu wickeln geben. Es ist förmlich zum Gruseln, wenn sie die Arme bewegt und ihr Englisch spricht wie ein gedrucktes Buch – und dabei ist sie bloß einem alten Fischer sein Weib. Aber freilich, sie hat eine gute Schule genossen und hatte viel los, als sie ein wenig unter ihrem Stande heiratete. Sie kann etwa zehn Jahre älter sein als ich, aber ich besinne mich noch gut darauf, es wurde viel davon gesprochen, als sie den Simon Mucklebackit, Saunders'n seinen Vater, geheiratet hatte. Wie wenn sie eine Adelige gewesen wäre. Sie haben viel Geld bekommen und dann sind sie aus dem Grundgebiet der Gräfin weggezogen und haben sich hier niedergelassen. Aber sie haben es nie zu was bringen können, es hat ihnen nichts so recht geglückt. Aber sie ist doch sehr gebildet, und wenn sie mit ihrem Englisch loslegt, dann kann sie uns allen eine Nuß zu knacken geben.« Als der Altertümler die Tür öffnen wollte, war er nicht wenig erstaunt, als er Elsbeth in grausig klagendem Tone eine alte Ballade singen hörte: »Der Hering gern das Mondlicht sieht, Den Wind liebt die Makrele, Doch die Auster liebt ein Fischerlied, Denn sie ist von edlerer Seele.« Als sorgfältiger Sammler dieser sagenhaften Brocken antiker Poesie, blieb er vor der Schwelle stehen und griff unwillkürlich zu Notizbuch und Bleistift. Von Zeit zu Zeit wisperte die Alte dazwischen, als spräche sie zu Kindern: »Eia popeia, Kinderchens! Bisch! Bisch! Ein hübscheres Liedchen nun!« »Nun, Frau'n und Männer, schweigt hübsch brav Und groß und klein gebt acht, Ich singe vom Glenallan Graf, Der schlug die Harlaw-Schlacht. Am Bennachie der Pibroch klang, Am Don und ringsumher, Gar blutig war der Waffengang, Das Hochland trauert schwer. Den nächsten Vers kann ich nicht mehr, mein Gedächtnis ist jetzt so schwach, und ich hab an so mancherlei zu denken gehabt. Der Herr führe uns nicht in Versuchung!« Ihre Stimme erstarb in undeutlichem Murmeln. »Es ist eine historische Ballade!« sagte Oldbuck begierig. »Ja, aber es ist doch recht traurig,« sagte der Bettler, »wenn man ein Menschengemüt so völlig zerstört sieht, daß es alte Balladen singt, wo doch eben im Hause der Tod zu Gaste gewesen ist.« »Still! Still!« sagte der Altertümler. »Sie hat wieder angefangen.« Und ehe er noch ausgeredet hatte, erklang das Lied: »Gezäumt die Rappen stehn zu Hauf, Die Schimmel sonder Zahl, Und stolze Ritter satteln auf, Von Kopf zu Fuß in Stahl. Kaum eine Meile ging's im Trab – Holla! was ficht euch an? Sprengt Donald nicht ins Tal herab Mit zwanzigtausend Mann? Breit weht der Banner stolzer Schwall, Die Schwerter blinken hell, Der Pibroch klingt im Widerhall, Er schmettert laut und grell. Der Graf im Bügel hoch sich hob Und rief im Jubel aus: Auf, Ritter werb um Ruhm und Lob, Hier gilt es harten Strauß! Was möchte wohl, mein Knappe brav, Jetzt deine Losung sein, Wärst du von Glenallan der Graf Und ich wär Roland Cheyne? Flucht wäre Schande, Knappe mein, Und Kampf bringt Todesschlaf! Was tätst du nun, mein Roland Cheyne, Wärst du Glenallans Graf? »Ihr müßt wissen, Kinderchen, dieser Roland Cheyne, so arm und alt ich auch hier am Kamin sitze, war mein Vorfahr, und ein fürchterlicher Mann war er an diesem Tage in der Schlacht, besonders seit der Graf gefallen war. Denn er machte sich's selber zum Vorwurf, daß er diesen Rat gegeben hatte, den Kampf zu wagen.« Ihre Stimme klang lauter, als sie den kriegerischen Rat ihres Ahnherrn sang: »Wär ich der Graf Glenallan, traun, Und Ihr wärt Roland Cheyne, So ließ ich schießen Rappes Zaum, Den Sporn drückt ich ihm ein. Und sind sie tausend auch an Zahl Und wir nur ein paar Schock, So tragen wir das Kleid von Stahl, Sie nur den Schottenrock. Mein Roß braust ihre Reih'n hindurch, Wie es durchs Moorland bricht, Wer edle Normann kennt die Furcht Vor Hochlandsknappen nicht.« »Hörst du, Neffe,« sagte Oldbuck, »deine gälischen Ahnen standen nicht eben in hoher Achtung bei den Kriegern des Tieflandes.« »Ich höre,« sagte Hektor, »ein schwachsinniges altes Weib eine blödsinnige Ballade singen. Ich bin überrascht, Onkel, daß du, der du von Ossians Gesängen nichts hören willst, an solchem Tratsch Geschmack findest. Ich habe noch nie eine armseligere Dreierballade gehört, und ich glaube, bei jedem Hausierer oder Bänkelsänger finden wir bessere. Es wäre eine Schande, wenn ein solches Gefasel an der Ehre des Hochlandes rühren könnte.« Und er warf den Kopf in die Höhe und schnaufte verächtlich. Die Alte hörte wohl ihre Stimmen, denn sie brach ihr Lied ab und rief: »Nur herein, ihr Herren, nur herein, wer in guter Absicht kommt, bleibt nicht auf der Schwelle stehn.« Sie traten ein, und zu ihrer Verwunderung sahen sie die Alte ganz allein. Wie ein Gespenst saß sie am Herde, runzlig, elend und widerlich, wackelnd und zitternd, triefäugig und von mißfarbiger Leichenblässe. »Sie sind alle fort,« sagte sie, als die Männer eintraten, »wenn Ihr aber ein Weilchen Platz nehmen wollt, es wird bald wer kommen. Wenn ihr mit meiner Schwiegertochter oder mit meinem Sohne was zu besorgen habt, die werden wohl bald da sein. Ich selber kümmre mich nie um Geschäfte. Kinderchen, gebt Stühle her – ja so, die Kinder sind wohl auch weg.« Sie sah sich um. »Ich habe lange gesungen,« fuhr sie fort, »damit sie still sein sollten, aber nun sind sie auf und davon. Nehmt nur Platz, ihr Herren, es wird bald wer kommen.« Sie ließ die Spindel, die sie hielt, aus der Hand gleiten, daß sie auf dem Boden sich tanzend drehte. Bald schien sie nur noch mit ihrer Spinnerei beschäftigt und schien von der Anwesenheit der Fremden gar nichts mehr zu wissen. »Edie,« sagte der Altertümler, »versucht, ob Ihr sie daran erinnern könnt, daß sie Euch nach Glenallan-Haus geschickt hat!« Edie erhob sich und stellte sich in derselben Haltung vor sie hin, die er in ihrem frühern Gespräch innegehabt hatte. »Freut mich, daß ich Euch so wohl und munter wieder finde, zumal, seit ich das letztemal hier war, der Tod in Euerm Hause eingekehrt ist.« »Ja,« sagte Elsbeth, der aber freilich nur eine allgemeine Vorstellung von erfahrenem Mißgeschick vorschwebte, ohne daß sie sich des einzelnen Vorfalles der letzten Zeit noch erinnerte, »wir haben Kummer gehabt. Mich wundert's nur, wie die jüngern Leute es überwinden. Mich drückt es schwer. Ich kann den Wind nicht pfeifen und die See nicht heulen hören, dann seh ich schon das Boot kieloben treiben und die Ertrinkenden mit den Wogen ringen. – Ach, ihr Herren, schlimme Träume hat man zwischen Schlafen und Wachen, ehe man zum langen tiefen Schlafe kommt. Manchmal ist mir ganz so, als wär mein Sohn oder Steenie gestorben und ich hätte gesehen, wie sie ihn zu Grabe getragen haben. Ist das nicht ein schnurriger Traum für eine alte, taube Bettel? – Das ist ganz gegen die Natur.« »Ich glaube, mit dieser blödsinnigen Alten wird wenig anzufangen sein,« sagte Hektor verächtlich. »Wir vergeuden nur Zeit, wenn wir hier sitzen und ihr Gefasel mitanhören.« »Hektor,« sagte der Altertümler, »wenn du auch ihr Unglück nicht respektierst, so ehre wenigstens ihr Alter und ihre grauen Haare – es ist dies das letzte Stadium des Daseins, das der lateinische Dichter so fein beschreibt: Membrorum damno major dementia, quae omni nec Nomina servorum, nec vultus agnoscit amici, Cum quo praeterita coenavit nocte, nec illos, Quos genuit, qos eduxit Schrecklicher noch als aller Glieder Verlust ist der Wahnsinn, Der nicht die Namen der Sklaven erkennt, noch das Antlitz des Freundes, Welcher Abends zuvor mit ihm saß beim Mahle, noch jene, Die er erzeugt und erzogen... »Das ist lateinisch!« sagte Elsbeth, und richtete sich auf, als lauschte sie den Versen, die der Altertümler mit feierlicher Betonung sprach, »das ist lateinisch.« Und sie warf einen wilden Blick um sich her. »Hat endlich ein Priester mich aufgesucht? Ich will keinen Priester haben,« begann sie wieder mit ohnmächtigem Ingrimm. »Wie ich gelebt habe, so will ich sterben. Niemand soll sagen, daß ich meine Herrin verraten habe, wär's auch um meine Seele zu retten.« »Das hat ein böses Gewissen gesprochen,« sagte der Bettler, »gewiß möchte sie gern sich der Schuld entladen, wär's nur um ihrer selbst willen.« Und er drang von neuem in sie. »He, Alte, Ihre Botschaft an den Grafen hab ich ausgerichtet.« »An was für einen Grafen? Ich kenn keinen Grafen. Eine Gräfin hab ich früher Mal gekannt. Denn aus dieser Bekanntschaft, Nachbar, da kam –« und sie zählte an ihren verwelkten Fingern ab, während sie sprach: »erst Stolz, dann Hinterlist, dann Rache, dann falsches Zeugnis, und auch der Mord hat angepocht, wenn er auch nicht hereinkam. Und sind das nicht angenehme Gäste gewesen im Herzen eines Weibes, wie? Ich meine, es war eine stolze Gesellschaft.« »Aber, Mütterchen, ich spreche ja gar nicht von der Gräfin Glenallan,« fuhr der Bettler fort, »sondern von ihrem Sohne, dem Lord Geraldin.« »Jetzt versteh ich,« sagte sie. »Hab ihn gar lang nicht gesehen, und wir haben eine schwere Besprechung miteinander gehabt. Ach, Herren, der schmucke junge Lord ist so alt und gebrechlich geworden wie ich. So richtet Herzeleid und zerstörtes Liebesglück das junge Blut hin. Aber darum hätte seine Mutter sich kümmern müssen. Wir waren ja nur ihre Diener und Untertanen, wißt ihr. Mir kann gewiß niemand einen Vorwurf machen. Er war ja nicht mein Sohn und sie war meine Gebieterin. Und er war ja auch nur ein Halbblut, aber in ihr floß das reine, echte Blut der Glenallans. Nein, nein, was ich für die Gräfin Joscelinde getan habe und gelitten habe, das tut mir nicht leid. Das wird mir nie leid tun.« Sie zog den Flachs vom Rocken mit der verstockten Miene einer Person, die nicht beichten will, und fuhr mit Spinnen fort. »Wie ich gehört habe, Alte,« sagte der Bettler und begann nun mit dem, was Oldbuck ihm von der Familiengeschichte erzählt hatte, »wie ich gehört habe, sollen zwischen dem Grafen, das heißt Lord Geraldin, und seiner Braut böse Zungen Unheil gestiftet haben?« »Böse Zungen?« sagte sie rasch und bestürzt. »Und was hatte denn sie von bösen Zungen zu befürchten? Sie war gut und schön – so sagte wenigstens alle Welt. Aber wenn sie nur selber die Zunge vor andern Leuten im Zaume gehalten hätte, dann hätte sie wie eine Lady trotz allem noch heute dastehn können.« »Aber wie ich gehört habe,« fuhr Ochiltree fort, »ging im Lande das Geklatsch, sie wären beide zu nahe miteinander verwandt gewesen, als sie sich trauen ließen?« »Wer wagt's, davon zu sprechen?« versetzte die Alte hastig. »Wer wagt's zu sagen, sie hätten sich trauen lassen, sie wären verheiratet gewesen? – Wer hat davon etwas gewußt? – Die Gräfin nicht – ich nicht – wenn sie sich heimlich geheiratet haben, so sind sie heimlich wieder geschieden worden. Sie tranken von der Quelle ihres eignen Betruges.« »Nein, verwünschte Bettel,« rief Oldbuck, der nicht länger still sein konnte, »getrunken haben sie von dem Gift, das du und deine gottlose Herrin ihnen gebraut habt.« »Ha ha!« versetzte sie. »Hab ich's doch gedacht, daß es dahin kommen würde. Wenn sie mich verhören wollen, dann brauch ich nur ganz still zu sitzen. Tortur gibt's ja nicht mehr heutzutage – und, gäb es sie noch, meinetwegen mögen sie mich zerreißen! Schlecht ständ es um den Mund eines Dieners, der den verrät, des Brot er ißt.« »Sprecht mit ihr, Edie,« sagte der Altertümler, »sie kennt Eure Stimme und gibt bereitwillig darauf Antwort.« »Wir werden nichts mehr aus ihr herauskriegen,« sagte Ochiltree, »wenn sie sich so niedergehockt hat und die Arme so über der Brust gekreuzt hat, dann soll sie, wie die Ihren sagen, wochenlang nicht ein Wort reden. Und nebenbei kommt mir's so vor, als wenn ihr Gesicht sich, seit wir hereingekommen sind, auffallend verändert hätte. Aber ich will's noch mal mit ihr versuchen, um Euer Ehren einen Gefallen zu tun. – Es ist Ihnen also nicht mehr in Erinnerung, Mütterchen, daß Ihre alte Herrin, die Gräfin Joscelinde, begraben worden ist?« »Begraben!« rief sie, denn dieser Name übte noch immer seine Wirkung auf sie. »Dann müssen wir also folgen. Alle müssen reiten, wenn sie im Sattel sitzt. Dem Lord Geraldin sollen sie sagen, wir wären voraus geritten. Bringt mir Hut und Schärpe – ich kann doch nicht zu meiner Herrin in den Wagen steigen mit so liederlichem Haar!« Sie hob die verschrumpften Arme und schien beschäftigt, sich den Mantel umzuhängen, dann ließ sie die Arme langsam und steif sinken, und dieselbe Idee einer Reise ging ihr noch durch den Kopf und sie faselte überstürzt und abgebrochen weiter: »Ruft Fräulein Neville. – Was wollt Ihr mit Lady Geraldin? Fräulein Neville sagt ich – nicht Lady Geraldin – eine Lady Geraldin gibt's nicht – sagt ihr das, und sie soll ihr nasses Kleid ausziehen und nicht so bleich dreinschauen. Ein Kleines? – Was sollte sie mit einem Kindchen zu tun haben? – Mädchen kriegen doch keins. Theresa, Theresa – die Gnädige ruft uns! Bringt eine Kerze, die große Treppe ist finster wie die Mitternacht – wir kommen, Gnädige!« Mit diesen Worten sank sie auf ihren Sitz zurück, und von da der Länge nach auf die Dielen. Edie lief hin, sie zu stützen, aber er hatte sie kaum aufgefangen, so rief er: »Es ist alles vorbei – mit dem letzten Wort ist sie hinüber.« »Unmöglich!« rief Oldbuck und trat herzu. Hektor eilte an seine Seite. Aber es war nicht mehr daran zu zweifeln. Mit dem letzten hastigen Worten hatte sie den Geist aufgegeben, und nichts war verblieben, als die sterblichen Reste des Geschöpfes, das so lange mit dem Bewußtsein verborgener Schuld und mit allem Jammer des Alters und der Armut gerungen hatte. Zwanzigstes Kapitel Von der Zeit an, da Sir Arthur den Schatz im Grabe Schwarzrocks gefunden hatte, hatte Sir Arthur sich in einer Stimmung befunden, die mehr einer Verzücktheit als vernünftiger Verständigkeit glich. Einmal hatte seine Tochter wirklich für seine fünf Sinne gefürchtet, denn, da er tatsächlich das Geheimnis zu besitzen wähnte, zu unermeßlichem Reichtum zu gelangen, so sprach er und benahm sich ganz wie jemand, der den Stein der Weisen gefunden hatte. Er sprach davon, ausgedehnte Güter anzukaufen, die vom einen Ende der Insel bis zur andern sich erstrecken sollten, wie wenn er fest entschlossen wäre, keinen Nachbar, als die See neben sich zu dulden. Mit einem berühmten Baumeister verhandelte er über den Neubau seines väterlichen Schlosses. Ein riesiger Park sollte gleichfalls angelegt werden. Scharen von Dienern in prächtigen Livreen sah er schon in seinen Sälen stehen und die Krone eines Marquis oder Herzogs (denn der Reichtum gibt ja Anspruch auf alle Ehren) strahlte ihm vor den Augen. Und auf welche Partien hatte nicht seine Tochter nun Anrecht? Sogar ein Schwiegersohn aus königlichem Blute lag nicht außer der Sphäre seiner Hoffnung. Seinen Sohn sah er schon als General – und sich selber auf einem Posten, wie ihn höchster Ehrgeiz nur irgend in seinen wildesten Phantasten erträumen kann. Der Leser wird sich die Verwunderung Fräulein Wardours denken können, als sie nicht, wie sie erwartet hatte, in Verhör wegen Lovels Liebeswerbungen genommen wurde, sondern daß sie aus allen Worten ihres Vaters nur entnehmen konnte, wie sehr all sein Denken und Trachten erhitzt war von der Hoffnung auf den grenzenlosesten Reichtum. Aber in ernste Unruhe geriet sie, als Dusterschieler nach dem Schloß geholt wurde – als sich ihr Vater mit ihm einschloß – ihm zu seinem Unfall sein Beileid aussprach – ihn in Schutz nahm und ihm den erlittenen Verlust ersetzte. Das Mißtrauen, das sie so schon gegen den Mann gehegt hatte, stieg noch, als sie ihn so eifrig bemüht sah, die goldnen Träume ihres Vaters zu nähren und unter den mannigfachsten Vorwänden sich soviel wie irgendmöglich von dem Sir Arthur so seltsam in die Hände gefallenen Schatze zu sichern. Andere böse Anzeichen machten sich eines nach dem andern bemerkbar. Briefe kamen mit jeder Post, die Sir Arthur, sobald sie kamen, von allen Seiten betrachtete und dann ins Feuer warf, ohne sie zu öffnen. Fräulein Wardour konnte sich des Argwohns nicht erwehren, daß diese Briefe, deren Inhalt ihr Vater sozusagen zu wittern schien, von drängenden Gläubigern kamen. Die Hilfe, die ihm vorübergehend der gefundene Schatz gewährt hatte, schwand inzwischen rasch dahin. Bei weitem der größere Teil war von dem fälligen Wechsel verzehrt worden, dessen Betrag von sechshundert Pfund Sir Arthur mit unvermeidlicher Katastrophe bedroht hatte. Der Rest ging zu einem Teile an den Adepten, zu anderm Teile wurde er in extravaganten Anschaffungen verschwendet, zu denen der arme Ritter sich angesichts seiner hoch aufgeblühten Hoffnungen durchaus für berechtigt hielt, ein dritter Teil wurde verwendet, um besonders einigen jener rücksichtsvollen Geldleiher »das Maul zu stopfen«, die der ewigen Vertröstungen müde waren und endlich mal etwas Geld sehen wollten. Endlich stellte es sich heraus, daß schon nach wenigen Tagen alles ausgegeben war, auf neuen Zuschuß aber nicht gerechnet werden konnte. Sir Arthur wurde natürlich ungeduldig und machte Dusterschieler von neuem Vorwürfe, daß er seine Versprechungen, alles Blei zu Golde zu machen, nicht erfülle. Dieser Ehrenmann aber hatte jetzt ausgedient und sein Plan stand fest. Er hatte Anstand genug, den Zusammenbruch eines Hauses, das er untergraben hatte, nicht noch mitanzusehen, und gab sich Mühe, Sir Arthur mit einigen Kunstausdrücken abzuspeisen. Er verabschiedete sich von Knockwinnock mit der Versicherung, daß er am folgenden Morgen wiederkommen werde, und zwar mit einer Nachricht, die Sir Arthur aus aller Not befreien würde. »Denn solange ich nun schon auch mich mit diesem Studium befasche,« sagte Hermann Dusterschieler, »soweit bin ich noch nie bis tschum arcanum vorgedrungen, wie man das große Geheimnis nennt. So nahe bin ich noch nie der panchresta – der polychresta gekommen, und ich weiß jetscht soviel davon wie Pelaso von Taranta oder Basilius – und entweder bring ich Ihnen in tschwei bis drei Tagen die Numero drei vom guten Meister Schwartschrock oder Sie mögen mich einen Schurken nennen und mir nie wieder ins Angesicht schauen.« Der Schwarzkünstler ging mit dieser Versicherung, fest entschlossen, den letztern Teil seines Vorschlages möglich zu machen und nie wieder vor seinem hintergangnen Gönner zu erscheinen. Sir Arthur blieb in zweifelhafter angstvoller Stimmung zurück. Die selbstbewußten Versicherungen des Weisen mit den schweren Worten Panchresta, Basilius und so weiter machten ja wohl einigen Eindruck. Aber er war schon oft mit solchem Kauderwelsch genasführt worden, und daher fühlte er sich auch jetzt nicht von allen Bedenken befreit. Er zog sich für den Abend in seine Bibliothek zurück, in der schrecklichen Stimmung eines Mannes, der über einem Abgrunde hängt und, ohne entrinnen zu können, den Stein, auf dem er sitzt, allmählich vom Felsen sich lösen fühlt, um mit ihm in die Tiefe hinabzustürzen. Die Träume der Hoffnung sanken zusammen, und dafür wuchs die fieberhafte Qual der bösen Ahnung, mit der ein in vornehmem Sinne erzogener und an Überfluß und Wohlleben gewöhnter Mann – der überdies der Träger eines alten Namens und Vater zweier blühender vielversprechender Kinder war – die Stunde herannahen sah, die ihn all des Glanzes, ihm mit der Zeit unentbehrlich gewordenen Glanzes berauben und ihn mitten hinein in den alltäglichen Kampf mit der Armut, Habgier und Verachtung werfen sollte. Am dritten Morgen nach dem Verschwinden Dusterschielers, legte der Diener wie gewöhnlich die Zeitungen und Briefe des Tages auf den Frühstückstisch. Fräulein Wardour nahm die Briefe an sich, um ihrem Vater, der schon sich heftig geärgert hatte, weil das geröstete Brot zu scharf gebräunt war, neuen Verdruß zu ersparen. »Ich sehe schon, wie es sich verhält,« sagte Sir Arthur, »meine Diener haben mein Glück mit mir geteilt – jetzt aber denken sie, es ist in Zukunft doch nicht viel mehr bei mir zu holen. Aber solange ich noch der Herr dieser Schurken bin, solange will ich es sein und mir keine Nachlässigkeiten bieten lassen – nicht eines Haares Breite sollen sie mir von dem Respekt versagen, den ich berechtigt bin, von ihnen zu verlangen.« »Ich bin bereit, den Dienst Euer Ehren auf der Stelle zu quittieren,« sagte der Diener, dem das Versehen mit dem Frühstücksbrot vorgeworfen worden war, »sobald Sie mir meinen Lohn auszahlen lassen.« Wie von einer Schlange gestochen, fuhr Sir Arthur mit der Hand in die Tasche und langte sofort das Geld heraus, das er darinnen hatte – es langte aber nicht für die Ansprüche des Mannes. »Was haben Sie für Geld bei sich, Fräulein Wardour?« fragte er mit erkünstelter Ruhe, aber man hörte ihm an, wie heftig erregt er war. Fräulein Wardour gab ihm ihre Börse, er versuchte die Banknoten zu zählen, die sie enthielt, konnte aber die Summe nicht zusammenrechnen. Nachdem er sich zweimal verrechnet hatte, warf er alles seiner Tochter hin und sagte in strengem Tone: »Bezahle den Schurken, dann soll er auf der Stelle aus meinem Hause!« Mit diesen Worten schritt er stolz hinaus. Herrin und Diener sahen sich an, gleich verwundert über seine Aufregung und Heftigkeit. »Wirklich, Gnädige, wenn ich gewußt hätte, daß ich an der Sache schuld wäre, dann hätt ich mich nicht verantwortet, wie Sir Arthur mich ausschalt. Ich bin lange in seinem Dienst und er ist immer ein freundlicher Herr gewesen wie Sie eine gütige Herrin. Ich möchte nicht, daß Sie von mir dächten, ich ginge wegen eines unfreundlichen Wortes weg. Es mag freilich unrecht von mir gewesen sein, daß ich von dem Lohne was gesagt habe, wo Sir Arthur jetzt vielleicht seine Schwierigkeiten hat. Ich hätte nie daran gedacht, daß ich einmal auf diese Weise dieses Haus verlassen sollte!« »Gehen Sie hinunter, Robert,« sagte seine Herrin, »es ist etwas vorgefallen, worüber mein Vater sich geärgert hat – gehen Sie hinunter, und wenn es klingelt, soll Mick an die Tür gehen.« Als der Mann hinausging, trat Sir Arthur wieder ein, als hätte er warten sollen, bis der Diener gegangen wäre. »Was soll das heißen?« sagte er hastig, als er das Geld noch auf dem Tische liegen sah. »Ist der Mann nicht entlassen? Wird mir der Gehorsam verweigert als Gebieter wie als Vater?« »Er ist gegangen, und wird seinen Posten als Hausverwalter an einen andern abtreten, Vater – ich dachte nicht, daß es so sehr eilig wäre.« »Es ist eilig, Tochter,« fiel ihr der Vater ins Wort. »Was ich hinfort noch im Hause meiner Ahnen tue, muß schnell oder nie verrichtet werden.« Dann setzte er sich nieder und nahm mit zitternder Hand eine für ihn zurechtgestellte Tasse, trank sie aber sehr langsam, um den Augenblick, wo er die auf dem Tische vor ihm liegenden Briefe öffnen mußte, noch möglichst hinauszuschieben. Inzwischen warf er ihnen ab und zu einen Blick zu, als wären sie ein Nest von Ottern, die im Nu lebendig werden und auf ihn losfahren könnten. »Es wird dich sehr freuen zu hören,« sagte Fräulein Wardour, die ihren Vater gern von seinen düstern Gedanken ablenken wollte, »daß Leutnant Taffrils Brigg glücklich in Leith Roads angelangt ist. Wie ich höre, ist man in Sorge um sein Leben gewesen – es freut mich, daß wir nichts davon gehört haben, bis wir nun vernehmen, daß er außer aller Gefahr ist.« »Und was geht mich Leutnant Taffrils Brigg an?« »Aber Papa!« rief Fräulein Wardour erstaunt. Denn in seiner gewöhnlichen Stimmung brachte Sir Arthur all dem Geklatsch des Tages und des Kreises ein kleinliches Interesse entgegen. »Ich wiederhole,« sagte er in höherm und ungeduldigerm Tone, »was kümmert es mich, wer gerettet wird oder wer draufgeht? Das geht doch mich nichts an, dächt ich.« »Ich wußte nicht, daß du beschäftigst seiest, Papa. Da aber Herr Taffril ein braver Mann und obendrein aus unsrer Gegend ist, so glaubt ich, du würdest dich glücklich schätzen ...« »O, ich schätze mich glücklich – so glücklich wie möglich – und damit auch du dich glücklich schätzen kannst, sollst du nun auch ein paar von meinen erfreulichen Nachrichten dafür zu hören bekommen.« Und er nahm einen Brief zur Hand. »Es kommt nicht drauf an, welchen ich zuerst öffne. Sie singen alle die gleiche Leier.« Er brach rasch das Siegel auf, überflog das Schreiben und warf es dann seiner Tochter hin. »Glücklicher hätte ich es gar nicht treffen können! – Das gibt den Rest!« In stummem Entsetzen nahm Fräulein Wardour den Brief auf. »Lies laut! – lies laut!« sagte ihr Vater. »Es kann nicht zu oft gelesen werden. Das wird dich vorbereiten, auf andre gute Nachrichten derselben Art.« Sie begann mit stockender Stimme zu lesen: »Werter Herr!« »Mit werter Herr redet er mich auch noch an, siehst du wohl – diese unverschämte Schreiberseele – ich vermute, nächstens avanciere ich sogar zu seinem werten Ritter.« »Werter Herr,« fuhr Fräulein Wardour fort, aber sie unterbrach sich, »ich sehe, der Inhalt ist nicht eben angenehm. – Du wirst dich nur darüber ärgern, wenn du ihn laut lesen hörst.« »Wenn du mir noch mein eignes Vergnügen gestattest, Tochter, dann lies bitte weiter. Wenn es nicht nötig wäre, so würde ich wahrscheinlich dir nicht die Mühe bereiten.« »Da ich in letzter Zeit,« fuhr Fräulein Wardour den Brief zu lesen fort, »in Teilhaberschaft getreten bin mit Herrn Gilbert Grünhorn, dem Sohne Ihres verstorbenen Korrespondenten und Geschäftsführers, Girnigo Grünhorn, Hochwohlgeboren und Sachwalter, dessen Geschäfte als Protokollführer im Parlament ich mehrere Jahre hindurch besorgt habe, und da unsere Geschäfte künftig unter der Firma Grünhorn & Grinderson weitergeführt werden (worauf ich Sie der richtigen Adresse wegen für die Zukunft hiermit aufmerksam gemacht haben möchte) – und da Ihre letzte verehrliche Zuschrift an meinen besagten Teilhaber, Herrn Gilbert Grünhorn, der zur Zeit anläßlich der Rennen in Lamberton weilt, in meine Hände gekommen und von mir geöffnet worden ist, so erlaube ich mir hierdurch ergebenst, auf dieses Ihr Schreiben zu antworten....« »Wie du siehst, weiß mein Freund den Hund zu führen und erklärt mir erst, wie ich zu einem so vornehmen und bescheidnen Briefwechsel komme. – Fahr nur fort, ich kann's ertragen.« Und er ließ jenes bittre Lachen hören, das vielleicht der entsetzlichste Ausdruck für seelisches Elend ist. Zitternd vor dem, was sie weiter lesen werde, und doch besorgt, ihren Vater durch Ungehorsam noch mehr zu reizen, fuhr Fräulein Wardour fort zu lesen: »In meinem und meines Teilhabers Namen muß ich unser Bedauern aussprechen, daß wir Ihnen für die genannten Summen keine längere Frist gewähren können und daß wir uns ferner auch nicht für eine längere Stundung der Forderungen Goldvogels verwenden können. Ein solches Verfahren würde uns in das Licht größter Inkonsequenz setzen, da wir aufgefordert worden sind, besagten Goldvogel vor Gericht zu vertreten. In dieser Eigenschaft haben wir Ihnen einen Zahlungsbefehl über die Summe von 4756 Pfund durch den Gerichtsvollzieher zugestellt, und wir erwarten, daß die betreffende Summe nebst Zinsen und Kosten in der erforderlichen Frist an uns gezahlt wird, damit alle weitern Unannehmlichkeiten vermieden werden. Gleichzeitig sehe ich mich genötigt, unsere eigene Forderung in Erinnerung zu bringen, welche sich auf 769 Pfund 10 Schillinge und sechs Pence beläuft. – Umgehende Begleichung wäre uns sehr erwünscht. Da wir aber Ihre Papiere, Privilegien und Rechtstitel als Unterpfand in Händen haben, so sind wir nicht abgeneigt, eine gemessene Prolongierung zu gewähren, nämlich bis zum nächsten Fälligkeitstermin. In meinem und meines Teilhabers Namen habe ich noch hinzuzufügen, daß wir von Herrn Goldvogel den Auftrag haben, peremptorie und sine mora vorzugehen. Ich habe also das Vergnügen, Ihnen dies mitzuteilen, um für die Zukunft Irrtümer zu vermeiden. Was wir für Maßregeln ergreifen werden, das behalten wir uns für die jeweiligen Fälle vor. Ich verbleibe, in meinem und meines Teilhabers Namen werter Herr, Ihr ergebner p. Grünhorn & Grinderson Gabriel Grinderson.« »Undankbarer Schurke!« sagte Fräulein Wardour. »Ei nicht doch, das ist ganz, wie es gemacht zu werden pflegt. Der Schlag hätte nicht so völlig zerschmetternd sein können, wenn eine andre Hand ihn geführt hätte. Es ist durchaus, wie es sein sollte,« antwortete der arme Baron, und die zitternde Lippe und das rollende Auge straften die erkünstelte Ruhe Lügen. »Aber hier ist noch ein Postskriptum – das hab ich nicht bemerkt. Bitte, lies die Epistel zu Ende.« »Ich habe hinzuzufügen (nicht in meinem, sondern lediglich in meines Teilhabers Namen), daß Herr Grünhorn gern Ihr silbernes Tafelgeschirr und Ihr Viergespann von Füchsen, wenn sie gesund an Lunge und Gliedern sind, als Teilzahlung annehmen wird.« »Gott vernicht ihn!« rief Sir Arthur und verlor über diesen herablassenden Vorschlag alle Selbstbeherrschung. »Sein Großvater hat noch meinem Vater die Pferde beschlagen, und dieser schuftische Abkömmling eines Grobschmieds will mich aus meinem Hause setzen. Aber ich will ihm eine Antwort schreiben, die sich gewaschen haben soll!« Er setzte sich hin und schrieb mit Ungestüm, dann hielt er inne und las laut: »Herrn Gilbert Grünhorn. In Erwiderung auf zwei Briefe, die ich vor kurzem erhielt, teile ich Ihnen mit, daß mir eine Zuschrift zugegangen ist von einer Person, die sich Grinderson nennt und sich als Ihren Teilhaber ausgibt. Wenn ich mich an jemand wende, so möchte ich mir doch verbeten haben, mir durch einen Stellvertreter zu antworten. Ich denke, ich bin Ihrem Vater von Nutzen gewesen und freundlich und zuvorkommend gegen Sie, und es setzt mich nun in Erstaunen, ... Und doch,« sagte er und hielt plötzlich inne, »warum sollte denn dies oder irgendetwas mich in Erstaunen setzen? oder warum sollte ich meine Zeit vergeuden, indem ich an solch einen Schurken schreibe? – Man wird mich doch nicht für immer im Gefängnis sitzen lassen, denk ich, und wenn ich wieder herauskomme, soll es mein erstes sein, diesem Schweinehund die Knochen zu brechen!« »Im Gefängnis, Vater?« sagte Fräulein Wardour tonlos. »Ja, im Gefängnis, gewiß. Fragst du danach auch noch? – Scheinbar ist des Herrn Soundso Brief in seinem und seines Teilhabers Namen für dich verlorene Liebesmüh gewesen, oder du mußt viertausend und soundsoviel hundert Pfund nebst der nötigen Summe an Pence und halben Pence parat haben, daß du seine Forderungen bezahlen kannst.« »Ich, Vater? – O wenn ich die Mittel hätte! – Aber wo ist mein Bruder? – Warum kommt er nicht? und solange weg aus Schottland? – Er kann vielleicht etwas für uns tun?« »Wer, Reginald? – Der wird wohl mit Herrn Grünhorn oder sonst einem liebenswürdigen Herrn zum Rennen nach Lamberton sein. Vergangne Woche habe ich ihn zurück erwartet. Aber es kann mich nicht wunder nehmen, wenn meine Kinder mich aufgeben, wie alle andern Leute. Aber dich sollt ich um Verzeihung bitten, liebes Kind, denn du hast mir nie in deinem Leben weh getan.« Und er küßte sie auf die Wange, während sie die Arme um seinen Hals schlang. Er empfand den Trost, den ein Vater in der größten Not fühlt, wenn er die Liebe eines Kindes besitzt. Fräulein Wardour benutzte diese weiche Stimmung und versuchte, ihren Vater zu beruhigen. Sie erinnerte ihn daran, daß er ja noch viele Freunde hätte. »Ich hatte einmal viele,« sagte Sir Arthur. »Aber bei vielen ist die Geduld durch meine hirnverbrannten Projekte zu Ende – andre sind nicht imstande, mir zu helfen – andre haben keine Lust – es ist eben vorbei mit mir – ich hoffe nur, Reginald nimmt sich ein warnendes Beispiel an meiner Torheit.« »Sollte ich nicht Monkbarns holen lassen?« Fragte die Tochter. »Zu welchem Zweck? Er kann mir eine solche Summe nicht leihen, und wenn er's auch könnte, so täte er es auch nicht, denn er weiß, daß ich anderweitig auch noch bis über die Ohren in Schulden stecke. Er würde mir nur misanthropische Brocken und schnurrige Schnitzelchen Latein zum besten geben!« »Aber er ist klug und verständig und ist im Geschäft in der Lehre gewesen, und er hat unser Haus stets geliebt.« »Ja, das glaube ich – aber es ist weit mit uns gekommen, wenn die Liebe eines Oldbuck für einen Wardour etwas zu sagen hat! Aber wenn es zu einer Katastrophe kommt, was ich jeden Augenblick erwarte, dann können wir ihn ja ebensogut holen lassen. Und nun geh ein wenig spazieren, mein liebes Kind – ich bin jetzt ruhiger, seitdem ich dir die furchtbare Enthüllung gemacht habe. – Du kennst nun das Schlimmste und kannst es täglich, ja stündlich erwarten, ja darauf gefaßt sein. Geh spazieren – ich möchte ein Weilchen allein sein.« Als Fräulein Wardour hinausgegangen war, benutzte sie sofort die halb erteilte Erlaubnis ihres Vaters und schickte den Boten nach Monkbarn, der den Altertümler und seinen Neffen in der Fischerhütte traf. Sie wußte kaum, wohin sie ging, und der Zufall führte sie mach der sogenannten Brierybank. Ein Wässerchen, das zu frühern Zeiten den Schloßgraben gespeist hatte, kam hier in enger Klamm zu Tal, zu der hinan Fräulein Wardour einen reizenden Weg hatte legen lassen. Der Pfad war sauber gehalten und leicht zu steigen, ohne daß er künstlich geschaffen und erhalten aussah. Auf diesem Pfade hatte jene Auseinandersetzung zwischen Fräulein Wardour und Lovel stattgefunden, die der alte Edie Ochiltree mitangehört hatte. Mit sanfter gestimmtem Gemüt – das von den Schatten des ihrer Familie drohenden Unglücks gedämpft war, – erinnerte jetzt Fräulein Wardour sich an jedes Wort und jeden Umstand, den Lovel zur Unterstützung seiner Werbung angeführt hatte, und sie mußte sich selber eingestehen, daß es sie nicht mit geringem Stolze erfüllen dürfe, einen jungen Mann von so hervorragender Begabung zu einer so starken und uneigennützigen Liebe beseelt zu haben. Daß er einen Beruf aufgegeben hatte, in dem er so schnell emporzusteigen begann, daß er sich in einer so unangenehmen Stadt wie Fairport festgesetzt hatte, und daß er dort über einer unerwiderten Liebe brütete, das hätten freilich wohl weniger romantische Seelen lächerlich gefunden, sie aber, der diese Leidenschaft galt, verzieh ihm natürlich diese Überschwenglichkeit der Liebe. Wenn er eine – wenn auch bescheidene – unabhängige Stellung gehabt oder unbestrittenen Anspruch auf den gesellschaftlichen Rang gehabt hätte, den einzunehmen er so voll befähigt schien, dann hätte es jetzt in ihrer Macht gelegen, für die Zeit ihres Unglücks dem Vater in ihrem eignen Heim eine Heimstätte zu bieten. Diese dem abwesenden Verehrer so günstigen Gedanken drängten sich einer nach dem andern auf mit einer bis in die Einzelheiten genauen Wiederholung seiner Worte, Blicke und Gebärden – ein deutliches Zeichen dafür, daß sie nur der Pflicht, nicht ihrer eignen Neigung gehorcht hatte, als sie ihn zuerst abwies. Wahrend Isabella abwechselnd über diesen Gegenstand, und über ihres Vaters Unglück nachsann, bog der Pfad um einen kleinen, mit Gebüsch bewachsenen Hügel herum, und hier erblickte sie plötzlich den alten Blaurock. Mit einer Gebärde, als habe er etwas Wichtiges und Geheimnisvolles mitzuteilen, zog er den Hut und näherte sich mit dem behutsamen Schritt und sprach im behutsamen Ton eines Mannes, der nicht gern von einem dritten gehört sein möchte. »Es ist mein dringender Wunsch gewesen, mit Euer Ladyschaft zusammenzutreffen – denn Sie wissen, ins Haus darf ich nicht kommen wegen Dusterschieler.« »Ich habe gehört, Edie,« sagte Fräulein Wardour, ein Almosen in seinen Hut werfend, »daß du etwas sehr Dummes, wenn nicht etwas sehr Schlechtes getan hast, und das hat mir leid getan.« »Ei, meine gute Dame, dumm – dumm ist ja alle Welt – wie sollte da der alte Edie weise sein? und was Schlechtes? mögen doch die, die mit Dusterschieler zu tun haben, mir sagen, ob er einen Deut mehr abgekriegt hat, als er verdient. Aber davon wollen wir jetzt nicht reden. Von Ihnen selber wollt ich mit Ihnen sprechen. Wissen Sie, was dem Hause von Knockwinnock bevorsteht?« »Großes Unglück, fürchte ich, Edie, aber es wundert mich, daß es schon so öffentlich bekannt ist.« »Öffentlich? Kehraus, der Gerichtsvollzieher, wird heute noch mit seiner ganzen Sippschaft da sein. Das weiß ich von einem seiner Kollegen. Und sie werden ohne weiteres an die Arbeit gehen, – und wen sie scheren, der braucht keinen Kamm mehr, denn es bleibt nicht ein Haar übrig.« »Weißt du's gewiß, Edie, daß diese schlimme Stunde so nahe ist? – Sag's nur, ich weiß es ja doch einmal.« »Es ist, wie ich Ihnen gesagt habe, Lady! Aber lassen Sie den Mut nicht sinken, es ist ein Himmel über Ihrem Haupte, auch jetzt, wie damals bei der Flut. Wenn die Not am größten, ist Gottes Hilf am nächsten. Und ich bin in aller Eile hierher gelaufen und Sie müssen dafür sorgen, daß ich heute noch weiterfahren kann.« »Aber wo willst du denn hin, Edie?« »Nach Tannonburgh, Mylady« (das war die erste Postkutschenstation von Fairport aus, aber noch ein gutes Stück näher an Knockwinnock heran) – »und zwar ohne Verzug – es betrifft Ihre eignen Angelegenheiten.« »Unsre eignen, Edie? Ach, ich glaube herzlich gern, daß du es gut meinst, aber...« »Da gibt's kein Aber, Gnädige, denn ich muß hin,« sagte der hartnäckige Blaurock. »Aber was willst du denn in Tannonburgh? oder wie kann es meinem Vater irgendwas nützen, wenn du hinfährst?« »Meine liebe gute Lady,« sagte der Schnorrer, »dieses kleine Geheimnis müssen Sie schon dem alten Edie lassen und dürfen auch gar nicht danach fragen. Wenn ich mein Leben in jener Nacht für Sie gewagt habe, so werden Sie mir wohl nicht zutrauen, daß ich jetzt was Böses gegen Sie im Schilde führte.« »So komm mit, Edie,« sagte Fräulein Wardour, – »und ich will zusehen, daß ich dir Pferd und Wagen nach Tannonburgh verschaffen kann.« »Dann beeilen Sie sich, gute Lady, machen Sie schnell, um des Himmels willen!« Und so mahnte er sie zur Eile, bis sie im Schloß angelangt waren. Einundzwanzigstes Kapitel Als Fräulein Wardour im Schloßhofe anlangte, erkannte sie auf den eisten Blick, daß die Gerichtsbeamten schon sich eingestellt hatten. Verwirrung und mürrische und traurige Stimmung herrschte, und Neugierde unter dem Dienstpersonal, während die Exekutoren von einem Platz zum andern gingen und ein Inventarium aller Gegenstände aufsetzten, die unter ihren Beschlagnahme-Befehl fielen. Kapitän M'Intyre flog Isabella entgegen, als sie, von der jähen Erkenntnis des völligen Zusammenbruchs wie betäubt, auf der Schwelle stehen blieb. »Teueres Fräulein Wardour,« sagte er, »machen Sie sich keine Sorge, mein Oheim wird gleich da sein, und er wird sicher Mittel und Wege finden, das Haus von diesen Schurken zu säubern.« »Ach, Kapitän M'Intyre, ich fürchte, es wird zu spät sein.« »Nein,« antwortete Edie, ungeduldig, »wenn ich nur nach Tannonburgh könnte. Ums Himmels willen, Kapitän, finden Sie Mittel und Wege, daß ich hinkommen kann, und Sie werden dieser ruinierten Familie den besten Dienst erweisen, den sie seit den Tagen Rothands erfahren hat. Denn wenn je eine alte Sage zur Wahrheit würde, so würde heute Knockwinnock Haus und Land an einem Tage verloren und gewonnen.« »Was könntet Ihr denn tun, Alter?« fragte Kapitän M'Intyre. Aber Robert, der Diener, mit dem Sir Arthur sich am Morgen entzweit hatte, ergriff die Gelegenheit, seinen Eifer zu betätigen, trat rasch vor und erklärte sich bereit, den Bettler in einer Stunde im Wagen nach Tannonburgh zu fahren. »In Gottes Namen,« sagte der Alte, »spannt an, Robert, und beeilt Euch, denn jeder Augenblick ist kostbar!« Aber als er den Wagen aus dem Stalle gezogen hatte und das Pferd anspannen wollte, klopfte ihm ein Exekutor auf die Schulter: »Mein Freund, das Pferd müssen Sie da lassen, das ist beschlagnahmt.« »Was?« sagte Robert, »soll ich nicht das Pferd meines Herrn nehmen dürfen, um den Auftrag des Gnädigen Fräuleins auszuführen?« »Sie dürfen absolut nichts von hier wegbringen,« sagte der Beamte, »oder Sie müssen für alle Folgen aufkommen.« »Was zum Teufel, Mann,« sagte Hektor, der mitgegangen war, um Edie Ochiltree näher nach der Art seiner Hoffnungen und Erwartungen auszufragen, – schon längst kochte in seinen Adern das Blut und er suchte nur nach einem Vorwand, seinem Ingrimm Luft zu machen, »was ist das für eine Unverschämtheit, den Diener hier an der Ausführung seiner Befehle zu verhindern?« Es lag im Ton und in der Haltung des jungen Soldaten etwas, das darauf zu deuten schien, daß er sich bei seiner Verwahrung am Ende nicht mit bloßen Worten begnügen würde. Wenn damit auch Aussicht war auf die Vorteile eines Strafverfahrens wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt und tätlicher Beamtenbeleidigung, so mußten doch erst die Unannehmlichkeiten hingenommen werden, die den Tatbestand für eine solche Anklage zu liefern hatten. »Kapitän M'Intyre,« sagte der Beamte, »ich habe mich mit Ihnen nicht herumzustreiten – aber wenn Sie mich in meiner Amtswaltung behindern, so machen Sie sich strafbar, und ich werde den Fall zur Anzeige bringen.« »Scher mich den Teufel drum,« rief Hektor, »ob ich mich strafbar mache – vor allen Dingen sind Sie strafbar und die Strafe soll sogleich an Ihnen vollzogen werden, wenn Sie noch länger den Burschen hier daran hindern, die Pferde anzuspannen und den Befehlen seiner Herrin nachzukommen.« In diesem Augenblick kam der Altertümler zur rechten Zeit an, um einem Auftritt ein Ende zu machen, der für Hektor unangenehme Folgen hätte haben können. Er kam pustend und keuchend, das Taschentuch hatte er sich unter den Hut gebunden und die Perücke auf das Ende seines Stockes gesetzt. »Was zum Kuckuck geht hier vor?« rief er, indem er hastig Perücke und Kopfbedeckung wieder in Ordnung brachte. »Ich bin dir nachgerannt, weil ich Angst hatte, du könntest dir deinen Brausekopf an einem Felsen einrennen. Und hier bist du kaum von deinem Bucephalus herunter, so zankst du dich auch schon mit Kehraus. Mit einem Gerichtsvollzieher, Hektor, ist nicht gut Kirschen essen.« »Soll ich etwa ruhig dabeistehen und zugucken, wie ein Schuft wie dieser Mensch da – mag er sich zehnmal Gerichtsvollzieher seiner Majestät schimpfen – eine junge Dame vom Hause Wardour beleidigt?« »Alles ganz gut und schön, Hektor,« sagte der Altertümler, »aber der König hat wie alle andern Leute ab und zu lumpige Geschäfte zu erledigen und – laß dir's ins Ohr sagen – dazu braucht er eben auch lumpige Kerls. Aber angenommen selbst, du weißt nicht mit den Statuten Wilhelms des Löwen Bescheid, in denen – capito quarto, versu quinto – dieses Verbrechen des Widerstandes und der Beamtenbedrohung als despectus domini regis bezeichnet wird, das heißt also, eine Beleidigung des Königs selber bedeutet – so mußtest du doch wissen, daß auch nach heutigem Gesetz dieses Vergehen als Auflehnung schwer geahndet wird. Aber ich will dich noch einmal aus diesem Wurstkessel herausbringen.« Dann sprach er mit dem Gerichtsvollzieher, der sich beruhigte und Herrn Oldbucks Bürgschaft annahm, daß Pferd und Wagen in zwei bis drei Stunden wieder zurück sein würden. »Schön, Herr, da Sie so zuvorkommend sind,« sagte der Altertümler, »so sollen Sie nun etwas ganz besonders Feines überwiesen bekommen – ein bißchen was im Gebiete der Politik – ein Verbrechen, das in die lex julia fällt – passen Sie mal auf, Herr Kehraus.« Und er flüsterte ein paar Minuten mit dem Beamten, und gab ihm ein Blatt Papier. Darauf stieg der Beamte auf sein Pferd und ritt mit ein paar seiner Unterbeamten im Galopp davon. Der Unterbeamte, der allein zurückblieb, schien seine Amtstätigkeit absichtlich sehr in die Länge zu ziehen, verrichtete alles aufs langsamste und mit der Vorsicht und Genauigkeit eines Untergebenen, dem ein kundiger und strenger Kontrolleur auf die Finger sieht. Inzwischen nahm Oldbuck seinen Neffen am Arm und ging mit ins Haus, und sie traten vor Sir Arthur Wardour, der in seiner Erregung, seinem verletzten Stolze, der qualvollen Angst und dem vergeblichen Bemühen, seine wahren Gefühle unter erkünstelter Gleichgültigkeit zu verbergen, ein schmerzlich interessantes Bild abgab. »Sehr erfreut, Sie zu sehen, Herr Oldbuck – immer erfreut, meine Freunde zu sehen in schönem und trübem Wetter,« sagte der arme Baron, der nicht nach Fassung rang, sondern sich heiter gestimmt zu stellen versuchte – eine Künstelei, die in starkem Kontrast stand zu dem nervösen und langen Händedruck und der Aufregung seines ganzen Wesens; »freut mich sehr, Sie zu sehen – sind zu Pferde da, wie ich sehe – hoffentlich fehlt es in diesem Tohuwabohu den Pferden an nichts – ich liebe es, daß die Pferde meiner Freunde ordentlich versorgt werden – na, das kann ja nun allerdings leicht geschehen, – denn von meinen eignen werden mir ja keine gelassen, wie Sie, sehen – hehehe! wie, Herr Oldbuck?« Dieser verunglückte Scherz wurde von einem hysterischen Kichern begleitet, das wie ein gleichgültiges Lachen herauskommen sollte. »Sie wissen doch, ich reite nie, Sir Arthur,« sagte der Altertümler. »Verzeihung! Aber Ihren Neffen Hab ich doch ganz gewiß vor kurzem zu Pferde ankommen sehen. Offizierspferde wollen besonders gepflegt sein, und das war ein hübscher grauer Renner, soviel ich gesehen habe.« Sir Arthur wollte läuten, aber Herr Oldbuck sagte: »Mein Neffe ist auf Ihrem eignen Grauschimmel hergekommen, Sir Arthur.« »Auf meinem!« sagte der arme Baron. »Das war mein Pferd? Na, da bin ich es freilich wert, kein Pferd mehr zu besitzen, da ich es nicht einmal selber mehr erkenne, wenn es mir vor Augen kommt.« Guter Himmel, dachte Oldbuck, wie hat sich dieser Mann verändert, der früher die Steifheit und Blödheit in Person war – er wird schalkhaft im Unglück. Sed percunti mille figurae. Dann fuhr er laut fort: »Sir Arthur, wir müssen notwendig von Geschäften sprechen.« »Ei gewiß,« sagte Sir Arthur. »Es war nur so ausgezeichnet, daß ich das Pferd nicht erkannt habe, das ich nun seit fünf Jahren reite. Hahaha!« »Sir Arthur,« sagte der Altertümler, »wir wollen nicht die kostbare Zeit vergeuden. Zum Scherzen werden wir, hoff ich, noch weit bessere Zeit haben – desipere in loco ist der Grundsatz des Horaz. Ich hege den dringenden Verdacht, es ist nur der Schurkerei Dusterschielers zu danken, daß es soweit gekommen ist.« »Nennen Sie den Namen nicht, Herr!« rief Sir Arthur und die erkünstelte Heiterkeit verwandelte sich jäh in wildesten Ingrimm – seine Augen sprühten – sein Mund schäumte – seine Fäuste ballten sich. »Nennen Sie den Namen nicht, Herr!« fluchte er. »Wenn ich nicht vor Ihren Augen in Wahnsinn verfallen soll! – Daß ich ein solcher Esel gewesen bin – ein solcher blödsinniger Schafskopf – solch ein dreifach verballhorntes Rindvieh – daß ich mich von solch einem Schurken habe anführen und zum Narren halten lassen und unter so lächerlichen Gaunereien! – Herr Oldbuck, ich könnte mich selber zerreißen, wenn ich daran denke!« »Ich wollte nur sagen,« antwortete der Altertümler, »daß dieser Bursche wohl noch seinen Lohn empfangen wird; und ich kann mir nicht anders denken, als daß wir ihm einen Schreckschuß einjagen und etwas entpressen werden, was uns von Nutzen sein kann. Er hat sicher eine gesetzeswidrige Korrespondenz mit Personen auf dem Festlande geführt ...« »Hat er? hat er? hat er wirklich? dann hol alles Hausgerät und Hab und Gut und Pferde und so weiter der Satan – als ein glücklicher Mann will ich ins Gefängnis ziehen, Herr Oldbuck – ich hoffe zum Himmel, es wird sich ein Grund finden, daß er an den Galgen kommt?« »Grund genug,« sagte Oldbuck, der ihn in dieser Annahme unterstützen wollte, um ein Gegengewicht gegen die Gefühle zu schaffen, die den armen Mann um den Verstand zu bringen drohten. »Es sind schon ehrlichere Männer an den Galgen gekommen – aber diese unglückliche Sache von Ihnen hier – kann denn nichts geschehen? – lassen Sie mich mal den Vollstreckungsbefehl sehen.« Er nahm die Papiere, und beim Lesen wurde sein Gesicht hoffnungslos finster und trostlos. Fräulein Wardour war inzwischen eingetreten, sie heftete die Augen auf Herrn Oldbuck, wie um ihr Schicksal in seinen Blicken zu lesen, und sah unschwer an dem Spiel seiner Augen und dem herabgesunknen Unterkiefer, wie wenig zu hoffen war. »So sind wir unrettbar ruiniert, Herr Oldbuck?« fragte die junge Dame. »Unrettbar? das hoff' ich nicht. Aber die Forderung ist sehr hoch – und es werden noch andre haufenweis kommen.« »Ja, das ist nicht zu bezweifeln, Monkbarns,« sagte Sir Arthur, »wo Aas ist, sammeln sich die Geier. Den Geier aber, der so lange auf mir herumgehackt hat – den haben Sie doch sicher?« »Sicher genug!« sagte der Altertümler. »Der Ehrenmann wollte heute auf den Flügeln der Morgenröte davon – nämlich mit der Postkutsche. Aber er hätte schon in Edinburgh Leimruten gefunden. So weit ist er aber gar nicht erst gekommen – denn die Kutsche ist umgeworfen – er ist dabei schlecht gefallen und in eine Hütte bei Kittlebrig gebracht worden. Damit er nun auf keinen Fall entkommen kann, hab' ich Ihren Freund Kehraus hingeschickt, der soll ihn in nomine regis nach Fairport bringen und den Krankenwärter bei ihm spielen, wozu er sich so gut eignet. – Und nun, Sir Arthur, will ich mit Ihnen über die gegenwärtige unangenehme Sachlage reden, und wir wollen sehen, was sich machen läßt, um Sie aus diesem Betteltanz herauszubringen.« Und der Altertümler nahm ihn mit in die Bibliothek. Sie waren etwa zwei Stunden dort eingeschlossen, da störte sie Fräulein Wardour, die in Mantel und Hut, wie zu einer Reise fertig, hereintrat. Sie sah sehr bleich aus, aber doch verriet ihr Gesicht die ihr eigne Fassung und Ruhe. »Der Gerichtsvollzieher ist zurück, Herr Oldbuck.« »Zurück? – Was zum Teufel! er hat doch nicht etwa den Kerl aus den Klauen gelassen?« »Nein, wie ich höre, hat er ihn in Gewahrsam gebracht, und nun ist er zurückgekehrt, um meinen Vater zu holen, er sagt, er kann nicht länger warten.« »Dann hilft es nichts,« sagte Oldbuck, »ich fürchte, Sie werden mit dem Manne nach Fairport gehen müssen, fürs erste ist nichts dagegen zu machen– ich werde mit Ihnen gehen, um zu sehen, was zu tun ist – mein Neffe wird Fräulein Wardour nach Monkbarns bringen – ich hoffe, sie wird in Monkbarns bleiben, bis die Unannehmlichkeiten beseitigt sind.« »Ich gehe mit meinem Vater, Herr Oldbuck,« sagte Fräulein Wardour fest. »Ich habe schon meine und seine Kleider gepackt – ich hoffe, man wird uns doch den Wagen zur Verfügung stellen.« »Alles, wie es sich gehört, gnädiges Fräulein,« sagte der Exikutor. »Der Wagen steht schon draußen – ich steige auf den Bock zum Kutscher– aber zwei meiner Unterbeamten müssen Sie zu Pferde begleiten.« »Ich reite auch mit,« rief Hektor und lief hinunter, sich selbst ein Pferd zu sichern. »So müssen wir gehen,« sagte der Altertümler. »Ins Gefängnis,« sagte der Baron und seufzte unwillkürlich. »Und was ist denn weiter dabei?« fuhr er im Tone erkünstelter Heiterkeit fort. »Das ist 'ja schließlich nur ein Haus, aus dem man nicht herauskann. Wenn ich einen Anfall von Gicht bekommen hätte, ginge mir's in Knockwinnock ebenso. Ja ja, Monkbarns, sagen wir, es wäre ein Gichtanfall ohne die verd..... Schmerzen!« Aber bei den Worten traten ihm die Tränen in die Augen und die versagende Stimme verriet, wie schwer ihm die erzwungene Heiterkeit wurde. Auf der ersten Treppruhe machte Sir Arthur überwältigt Halt. Als er die Augen des Altertümlers angstvoll auf sich gerichtet sah, sagte er mühsam, doch würdevoll: »Ja, Herr Oldbuck, dem Sprößling eines alten Geschlechts – dem Abkömmling Richards mit der roten Hand und Gamelyns de Guardover mag es verziehen sein, daß er seufzt, indem er aus dem Hause seiner Väter in dieser armseligen Weise hinaustransportiert wird. Als ich im Jahre 1745 mit meinem Vater selig zum Tower gebracht wurde – da geschah es wegen einer Anklage des Hochverrats – einer Beschuldigung, die unsere Abkunft nicht beeinträchtigte – und wir wurden eskortiert von einem Trupp der Leibgarde. Und nun werde ich in meinen alten Tagen von der Schwelle meines Hauses geschleppt durch einen so erbärmlichen Menschen wie dieser da (und er deutete auf den Gerichtsvollzieher) und wegen einer erbärmlichen Schuld von Pfunden, Schillingen und Pence.« »Wenigstens haben Sie jetzt die Gesellschaft einer liebevollen Tochter,« sagte Oldbuck, »und eines aufrichtigen Freundes, und das kann ein Trost sein – aber da hör ich diesen heißblütigen Burschen schon wieder und noch lauter als sonst! Hoffentlich hat er sich nicht wieder was eingebrockt!« In der Tat wurde plötzlich großer Lärm vernommen, und in dem Gewirr ließ sich Hektors nordischer Akzent vorherrschend vernehmen. Zweiundzwanzigstes Kapitel Das Triumphgeschrei Hektors klang in seiner kriegerischen Art fast wie ein Schlachtgeschrei. Aber als er mit einem Päckchen in der Hand die Treppe hinaufeilte und rief: »Lang lebe ein alter Soldat! hier kommt der alte Edie mit einem ganzen Haufen guter Nachrichten!« – da war es klar, daß seine gegenwärtige Ursache zum Jubelgeschrei nur angenehmer Art sein konnte. Er übergab Oldbuck den Brief, schüttelte Sir Arthur die Hand und wünschte mit all der offenherzigen Freude eines Hochländers Fräulein Wardour Glück. Der Gerichtsvollzieher, der eine Art instinktiver Furcht vor Kapitän M'Intyre hatte, trat dicht an seinen Gefangenen und hatte ein wachsames Auge auf die Bewegungen des Soldaten. »Bilden Sie sich nicht ein, daß ich mich an Ihnen vergreifen will, Sie Schmierfink,« sagte der Soldat, »da ist 'ne Guinea für die Angst, die ich Ihnen eingejagt habe.« Der Gerichtsvollzieher (einer von den Hunden, die sich auch schließlich vor einem schmutzigen Bissen nicht ekeln) fing die Guinea auf, die Hektor ihm ins Gesicht schnippte, und wartete nun neugierig, was für eine Wendung die Dinge nehmen würden. Inzwischen wurden von allen Seiten Fragen laut, die zu beantworten jedoch niemand Eile hatte. »Was ist denn los, Kapitän M'Intyre?« fragte Sir Arthur. »Fragen Sie den alten Edie,« sagte Hektor, »ich weiß nur, daß alles in Ordnung und gut ist.« »Was bedeutet das alles, Edie?« fragte Fräulein Wardour den Bettler. »Eure Ladyschaft müssen Monkbarns fragen, denn er hat den Brief.« »Heil dir im Siegerkranz!« rief der Altertümler, als er einen Blick in den Inhalt des Päckchens getan hatte, und vor Überraschung vergaß er Anstand und Würde, Philosophie und Phlegma und warf seinen Dreispitz in die Luft, von wo er nicht wieder herunterkam, da er an einem Arm des Kronleuchters hängen blieb. Alle stürmten nun auf ihn ein und begehrten lärmend den Grund zu einer so plötzlichen Verzückung zu wissen – wie beschämt über seine Freude, drehte er sich um, stieg zwei Stufen auf einmal hinauf und stand nun auf der Treppruhe, wo er sich' umdrehte und die erstaunte Zuhörerschaft anredete wie folgt: »Meine guten Freunde, favete inguis! Um Ihnen Mitteilung machen zu können, muß ich erst – wenn ich logisch verfahren will – selber Bescheid wissen. Mit Ihrer Erlaubnis will ich mich daher in die Bibliothek zurückziehen und diese Papiere prüfen – Sir Arthur und Fräulein Wardour werden die Güte haben, in den Salon zu gehen. Herr Kehraus wird uns einen Aufschub von fünf Minuten geben. Und seien Sie alle gutes Mutes, bis ich wiederkomme, das soll im Augenblick geschehen!« Was das Päckchen enthielt, kam in der Tat so unerwartet, daß man dem Altertümler sein Entzücken nicht verargen konnte, noch auch sein Verlangen, erst selber sich darüber völlig klar zu werden und es geistig zu verdauen, ehe er es den andern mitteilte. In der Hülle war ein Brief an Jonathan Oldbuck, Wohlgeboren, folgenden Wortlauts: Werter Herr! »An Sie als an den bewährten und geschätzten Freund meines Vaters wende ich mich, da ich durch dringende militärische Pflichten hier zurückgehalten werde. Sie müssen jetzt über die verwirrte Lage unserer Verhältnisse unterrichtet sein, und ich weiß. Sie werden es mit großer Freude vernehmen, daß ich glücklicherweise und unerwartet in die Lage gekommen bin, zur Regelung dieser Verhältnisse wirksamen Beistand zu leisten. Wie ich höre, haben Leute, die früher Sir Arthurs Geschäftsführer gewesen sind, ihm jetzt mit energischen Maßregeln gedroht. Auf den Rat eines achtbaren Geschäftsmannes hier habe ich mir das beigefügte Schreiben verschafft, das meines Erachtens das Verfahren dieser Leute so lange aufhebt, bis ihre Ansprüche gerichtlich festgesetzt und auf den rechtmäßigen Betrag herabgesetzt worden sind. Ich schließe Noten in Höhe von eintausend Pfund bei, damit andre dringende Forderungen bezahlt werden können, und ersuche Sie als Freund den Gebrauch davon zu machen, den Sie bei Ihrer Umsicht für den vorteilhaftesten halten. Sie werden erstaunt sein, daß ich Ihnen so viel Mühe mache, da es natürlicher erschiene, mich in Sachen meines Vaters an diesen selber zu wenden. Aber ich habe noch nicht die Gewißheit, daß ihm die Augen geöffnet sind und daß er einen Mann durchschaut, vor dem Sie, wie ich weiß, ihn oft gewarnt haben und dessen unheilvoller Einfluß in erster Linie zu diesem Unglück geführt hat. Mein Freund, der, wie er sagt, einen Stein bei Ihnen im Brett hat, wird in dem eingeschlossenen Briefe Ihnen einiges Persönliche schreiben. Ich muß diesen Brief nach Tannonburgh schicken, da die Zustände auf dem Postamt in Fairport berüchtigt sind, aber der alte Mann Ochiltree, den besondre Umstände als vertrauenswürdig empfohlen haben, ist unterrichtet, zu welcher Zeit wahrscheinlich die Sendung dort ankommen wird und wird sie abholen und Ihnen zustellen. Ich denke binnen kurzem Gelegenheit zu haben, mich wegen der Ihnen verursachten Umstände persönlich zu entschuldigen, und habe die Ehre zu sein Ihr sehr ergebner Reginald Gamelyn Wardour. Edinburgh, 6. August 179–.« Der Altertümler brach rasch das Siegel des eingelegten Umschlags auf, und der Inhalt bereitete ihm Erstaunen und Freude zugleich. Nachdem er sich nach so unerwarteten Nachrichten wieder einigermaßen gefaßt hatte, besichtigte er die andern Papiere sorgfältig, die sich alle auf Geschäfte bezogen – steckte die Noten in sein Notizbuch und schrieb eine kurze Bestätigung, die mit der nächsten Post abgehen sollte, denn er war in Geldsachen sehr gewissenhaft. Dann begab er sich, übervoll von Neuigkeiten, in den Salon hinunter. »Kehraus,« sagte er, als er eintrat, »Sie müssen machen, daß Sie hier herauskommen mit Ihrer ganzen Sippschaft. Sehen Sie dieses Dokument, Mann?« »Ein Suspensationsbefehl,« sagte der Gerichtsvollzieher enttäuscht. »Hab mir's ja gleich gedacht, daß es eine sonderbare Sache wäre, einen so hohen Herrn wie Sir Arthur auszupfänden – na ja, dann muß ich schon gehn mit meinen Leuten – und wer bezahlt mir meine Kosten?« »Die Leute, in deren Auftrag Sie gekommen sind,« versetzte Oldbuck, »das wissen Sie ja auch sehr gut. – Aber da kommt ein andrer Eilbote – dies ist ein Tag der Neuigkeiten.« Diesmal war es Herr Briefbeutel auf seiner Mähre, und er brachte einen Brief an Sir Arthur und einen an den Gerichtsvollzieher, die beide sofort bestellbare Eilsendungen waren. Der Gerichtsvollzieher öffnete den seinen und bemerkte, Grünhorn und Grinderson wären ja gut genug für die Kosten und der Brief hier enthalte die Weisung, die Pfändung einzustellen. Er verließ daher ohne weitern Aufenthalt das Zimmer. Sir Arthurs Brief war von Grünhorn und in seiner Art eine Kuriosität. Wir geben ihn mit den Randglossen des würdigen Barons wieder: »Mein Herr (o, ich bin also nicht mehr sein werter Herr, die Leute sind den Herren Grünhorn & Grinderson nur so lange wert, wie sie im Unglück sitzen) mein Herr, bei meiner Rückkehr vom Lande, wo ich dringende Geschäfte zu erledigen hatte (eine Wette beim Rennen, vermute ich) – vernehme ich zu meiner größten Bestürzung, daß mein Teilhaber in meiner Abwesenheit die Taktlosigkeit hatte, die Angelegenheiten der Herren Goldvogel den Ihren vorgehen zu lassen und Ihnen in ungeziemender Weise zu schreiben. Ich bitte untertänigst um Entschuldigung, auch im Namen Grindersons – (sieh da, er versteht es auch, in seinem und seines Teilhabers Namen zu schreiben!) – und erachte es für unmöglich, daß Sie meinen könnten, ich würde je die beständige Huld und Gönnerschaft, die meine Familie (seine Familie? hol' ihn der Kuckuck, den Hanswurst!) allzeit von der Familie von Knockwinnock erfahren hat, je vergessen können oder mich undankbar zeigen. Aus einer Unterredung, die ich heute mit Herrn Wardour gehabt habe, ersehe ich, daß er sehr erbittert ist, und wie ich zugeben muß, mit vollem Recht. Um nun, soweit in meinen Kräften steht, den Irrtum, über den er sich beschwert, (ein schöner Irrtum, seinen Gönner ins Gefängnis zu bringen), gut zu machen, habe ich diesen Eilbrief abgesandt, um jedes Verfahren gegen Sie oder Ihr Besitztum einzustellen und zu gleicher Zeit meine untertänigste Bitte um Entschuldigung zu übermitteln. Ich habe nur hinzuzusetzen, daß es mit Ihrem Konto bei uns durchaus keine Eile hat und somit zeichne ich, in meinem und Herrn Grindersons Namen, werter Herr (oho, er hat sich ordentlich in einen familiären Ton hineingeschrieben) Ihr sehr ergebner und untertäniger Diener Gilbert Grünhorn.« »Schön gesagt, Herr Grünhorn,« sagte Monkbarns. Ich sehe jetzt, es ist ganz vorteilhaft, wenn zwei Anwälte eine Firma haben. Ihr Verhalten gleicht dann dem des Männchens und des Weibchens in einem deutschen Wetterhäuschen. Wenn der Klient schönes Wetter hat, kommt der Herr heraus und wedelt mit dem Schweif wie ein Wachtelhündchen; wenn es schlechtes Wetter ist, kommt der andre Partner heraus und bellt wie ein Bullenbeißer. »Na, da dank' ich doch Gott, daß mein Geschäftsführer noch immer seinen Dreispitz trägt, ein Haus in der Altstadt hat, sich vor einem Pferde ebenso grault wie ich, Sonnabends mal Golf spielt, Sonntags mal in die Kirche geht und, weil er keinen Partner hat, nur für sich um Entschuldigung zu bitten hat, wenn er mal 'ne Dummheit macht.« Rasch war ein Tisch gedeckt, und die Gesellschaft nahm zu fröhlichem Mahle Platz, selbst Ochiltree bekam einen Seitenplatz in einem großen ledernen Armstuhl. »Was liest du so eifrig in der Zeitung, Hektor?« fragte im Laufe der Mahlzeit der Altertümler seinen Neffen. »Steht was Wichtiges drin?« »Nichts Besonderes.« erwiderte dieser. »Aber mein Arm ist nun wieder so gut wie heil, und ich werde dich nun bald von meiner Gesellschaft befreien und in wenigen Tagen nach Edinburgh gehen. Ich lese, daß Major Neville dort angelangt ist. Ich möchte ihn gern sehen.« »Was für ein Major?« fragte sein Oheim. »Major Neville, Onkel,« antwortete der junge Soldat. »Und wer ist dieser Major Neville?« fragte der Altertümler. »O, Herr Oldbuck,« sagte Sir Arthur, »Sie müssen doch oft in der Zeitung von ihm gelesen haben – ein ausgezeichneter junger Offizier. Aber ich sehe zu meiner Freude, daß Kapitän M'Intyre nicht von Monkbarns weg muß, um ihn zu sehen, denn wie mir mein Sohn schreibt, kommt er mit dem Major nach Knockwinnock, und ich brauche nicht zu sagen, wie glücklich ich mich schätzen werde, die jungen Herren miteinander bekannt zu machen – sofern sie allerdings nicht schon miteinander bekannt sind.« »Nein, nicht persönlich,« antwortete Hektor, »aber ich habe schon viel von ihm gehört.« »Haben Sie denn,« warf Edie ein, »noch nicht gehört, daß die Franzosen kommen sollen?« »Die Franzosen, du Schafskopf?« versetzte Oldbuck. »Bah!« Dies gab dem Gespräch eine neue Wendung und brachte sie auf die Vaterlandsverteidigung und auf die Pflicht, für das Land, in dem man lebt, zu kämpfen. Dann aber war es Zeit, auseinanderzugehen. Der Altertümler und sein Neffe schieden von Knockwinnock mit den wärmsten Ausdrücken gegenseitiger Wertschätzung und traten den Heimweg an. Dreiundzwanzigstes Kapitel Am folgenden Morgen stand der Altertümler zeitig auf, und da der alte Caxon sich noch nicht eingestellt hatte, seit er anläßlich der befürchteten französischen Invasion als Leuchtturmwärter in Fairport bestellt worden war, so begann er, das Geschwätz und die kleinen Klatschereien, die der Friseur ihm sonst immer hinterbrachte, allmählich zu vermissen. Indessen machte das Erscheinen Edie Ochiltrees ihm diese Entbehrung weniger schmerzlich. Mit dem Gebaren eines Mannes, der sich ganz zu Hause fühlt, kam der Bettler an den zugestutzten Taxushecken herangeschlendert. Er war in der letzten Zeit so oft gekommen, und alles hatte sich so sehr daran gewöhnt, ihn fast wie zur Familie gehörig anzusehen, daß selbst Juno ihn nicht anbellte, sondern sich damit begnügte, ihn mit scharfen, wachsamen Blicken zu verfolgen. Der Altertümler trat im Schlafrock hinaus und empfing und erwiderte den Gruß des Alten. »Nun kommen sie aber in allem Ernst, Monkbarns. Eben komm' ich von Fairport, um Ihnen die Nachricht zu überbringen. Gleich will ich wieder weg. Die ›Suche‹ ist in die Bai gekommen – und wie es heißt, ist sie von einer französischen Flotte verfolgt worden.« »Die ›Suche‹?« sagte Oldbuck und sann einen Augenblick nach. »Oho!« »Ja doch, die ›Suche‹ – Kapitän Taffrils Brigg.« »Was! Eine Verwandte wohl mit ›Suche No. I‹ – wohl gar ›Suche No. II‹, was?« fragte Oldbuck, und der Name des Schiffes schien in den geheimnisvollen Schatzfund Licht zu bringen. Der Bettler hielt, wie einer, der über einem launigen Streich ertappt wird, den Hut vors Gesicht und lachte aus vollem Halse. »Der Teufel steckt in Ihnen, Monkbarns. – Sie kommen doch auch hinter alle Schliche. Wer hätte auch meinen mögen, daß nun dieser Name Sie auf die Spur brächte? – Na ja, nun bin ich entdeckt und entlarvt.« »Jetzt ist mir alles klar,« sagte Oldbuck, »so klar, wie die Inschrift auf einer gut erhaltenen Münze. Die Kiste, in der das Metall gefunden wurde, gehörte zu dem Kanonenboot, und der Schatz gehörte meinem Phoenix.« (Edie nickte zustimmend.) – »Und ist dort vergraben worden, damit Sir Arthur in seiner bedrängten Lage Hilfe finden sollte?« »Von mir und zweien von der Mannschaft der Brigg ist sie vergraben worden. Aber die Leute haben nicht gewußt, was drin war,« sagte Edie, »und dachten, es wäre so ein bißchen was Gepaschtes von ihrem Kapitän. Ich habe Tag und Nacht aufgepaßt, bis ich sie in den richtigen Händen sah; und als dieser deutsche Satan den Deckel der Kiste so anstarrte, da hat mir's, glaub ich, ein schottischer Teufel eingegeben, ihm diesen Streich zu spielen. – Na nun sehen Sie, daß ich dem Amtmann Kleinhans nicht mehr habe sagen können, denn Herr Lovel wäre sehr böse gewesen, wenn ich sein Geheimnis ans Licht gebracht hätte. – Da dachte ich denn, lieber läßt du das Schlimmste über dich ergehen!« »Ich muß sagen, er hat sich seinen Vertrauensmann gut zu wählen gewußt,« sagte Oldbuck. »Wenn es sich darum handelt, Monkbarns,« antwortete der Bettler, »jemand Silber anzuvertrauen, so bin ich freilich, das kann ich wohl selber sagen, der geeignetste Mann im ganzen Lande. Denn ich kann Silber nicht brauchen, trage kein Verlangen danach und wüßte auch nichts damit anzufangen, wenn ich's hätte. Aber dem guten Jungen blieb auch keine große Wahl übrig, denn er dachte damals, er müßte für immer aus dem Lande. Darin hat er sich ja nun allerdings geirrt. Es war bereits Nacht geworden, als wir durch einen seltsamen Zufall von Sir Arthurs schwerer Notlage Kenntnis erhielten, und Lovel mußte bei Tagesgrauen an Bord der Brigg gehen. Aber fünf Nächte später ging die Brigg wieder in der Bucht vor Anker, und es war verabredet worden, daß ich dort auf das Boot warten sollte. Und da haben wir dann den Schatz dort vergraben, wo er gefunden worden ist.« »Das war ein recht romantisches, fast törichtes Unternehmen,« sagte Oldbuck. »Warum habt Ihr Euch nicht mir oder einem andern Freunde anvertraut?« »Das Blut vom Sohne Ihrer Schwester,« versetzte Edie, »war an seinen Händen, vielleicht konnte Ihr Neffe gar tödlich getroffen sein – wie hätte er da Zeit haben sollen, jemand um Rat zu fragen? – und wie hätte er sich gar an Sie wenden sollen?« »Da habt Ihr allerdings recht. – Wenn aber Dusterschieler euch beiden zuvorgekommen wäre?« »Wir brauchten wohl kaum zu befürchten, daß er ohne Sir Arthur dorthin gekommen wäre. Er wußte recht gut, daß er den ersten Fund selber dort angelegt hatte. Wie hätte er da auf einen zweiten rechnen sollen? Er machte nur so viel Geseires davon, damit er Sir Arthur nur desto besser rupfen konnte.« »Wie hätte aber Sir Arthur dorthin kommen sollen,« sagte Oldbuck, »wenn der Deutsche ihn nicht hingeführt hätte?« »Hm!« machte Edie trocken. »Ich hatte mir schon so eine Geschichte von Schwarzrock zurecht gelegt, da wären sie beide sofort drauf reingefallen. Außerdem war bestimmt anzunehmen, daß er nochmal dorthin gehen würde, wo er das erste Silber gefunden hatte – das Geheimnis kannte er ja nicht. Kurz, das Silber war gefunden wurden – Sir Arthur befand sich in größter Bedrängnis, und Lovel war entschlossen, ihn nie wissen zu lassen, wer ihm geholfen habe. – Das war seine allergrößte Sorge – und obwohl wir lange hin und her überlegten, konnten wir kein besseres Mittel finden, ihm den Schatz in die Hände zu spielen. Wenn durch einen queren Zufall Dusterwühler seine Klauen draufgelegt hätte – dann hätte ich sofort Sie oder den Sheriff in die ganze Geschichte eingeweiht.« »Trotz all dieser weisen Vorsichtsmaßregeln habt ihr mit euerm Komplott doch mehr Glück gehabt, als es in seiner Plumpheit verdient hätte, Edie. Aber wie zum Kuckuck ist Lovel zu einer solchen Masse von Silberbarren gekommen?« »Das kann ich Ihnen nun allerdings nicht sagen, aber das Metall ist mit seinen Sachen aus Fairport an Bord gebracht worden, und wir haben es in einer der Munitionskisten von der Brigg verstaut, damit es versteckt sein und sich besser transportieren lassen sollte.« »Liebe Güte!« sagte Oldbuck und dachte zurück an den Anfang seiner Bekanntschaft mit Lovel; »und für diesen jungen Mann, der Hunderte bei einem so schnurrigen Versteckspiel riskiert, habe ich die Fähre bezahlt! – Es soll aber auch das erste und letztemal gewesen sein, daß ich für irgendwen die Fähre bezahle. – Und so habt Ihr wohl in ständigem Verkehr mit Lovel gestanden?« »Ein paar Zeilen bekam ich von ihm mit der Mitteilung, daß – als wie gestern – ein Paket in Tannonburgh sein würde mit Briefen, die für die Leute von Knockwinnock von größter Wichtigkeit wären. Denn über Fairport wollten sie die Sendung nicht gehen lassen, weil sie fürchteten, der Brief könnte dort auf dem Postamt aufgemacht werden. Und das ist wahr, denn es steht fest, daß der Frau Briefbeutel die Postagentur weggenommen wird, weil sie sich um andrer Leute Sachen gekümmert hat und nicht um ihre eignen. Aber froh war ich doch, wie ich aus dem Gefängnis herauskam. Denn ich dachte, wenn nun der Brief ankommt, und ich sitze nun hier eingeschlossen wie eine Auster, und alles sollte deswegen schief gehen? Und schon dachte ich, ich sollte alles bekennen und Ihnen alles verraten – aber auch das konnt' ich nicht gut, weil ich da doch Herrn Lovels direkten Weisungen zuwider gehandelt hätte. Ich vermute, er hat in Edinburgh erst noch mit irgendwem zusammentreffen müssen, ehe er für Sir Arthur hat tun können, was er sich vorgenommen hatte.« »Na, und Eure Neuigkeiten aus der großen Welt? Also kommen sie wirklich, Edie?« »So sagen die Leute, Herr, und es sind auch. Befehle angekommen, daß die Bürgerwehr sich bereit halten soll – ein kluger junger Mann käme, um unsere Verteidigungsmittel zu besichtigen. – Aber wie wird's denn nun mit meiner Gerichtssache werden?« »Ich habe heute früh einen Brief bekommen, aus dem hervorgeht, daß der Schuft die gegen Euch erhobenen Beschuldigungen zurücknimmt, und er erklärt sich bereit, Enthüllungen zu machen, auf Grund deren sich die Angelegenheiten Sir Arthurs leichter glatt machen ließen, als wir fürchteten – so schreibt der Sheriff. Er hat, setzt er hinzu, der Regierung wichtige Eröffnungen gemacht, auf welche hin der Schurke in seine Heimat geschickt werden soll, um dort abgeurteilt zu werden.« »Und die guten Maschinen alle und die Räder und Gruben und Schachten unten in Glen-Withershin – was soll, daraus werden?« fragte Edie. »Ich hoffe, die Arbeiter werden, ehe sie auseinandergehen, ein ordentliches Freudenfeuer anstecken, wie eine Armee ihre Artillerie vernichtet, wenn sie eine Belagerung aufzugeben gezwungen ist. Und die Gruben, Edie, die können als Rattenlöcher dienen, denn sobald wird wohl niemand wieder auf solchen Humbug hereinfallen.« »Du liebe Güte, Herr, die Maschinen verbrennen! Das ist doch jammerschade und heißt doch das Geld mit Fäusten wegwerfen. Wär's nicht besser, wenn Sie versuchten, die Dinger zu versteigern und Ihre hundert Pfund auf diese Weise wieder herauszuholen?« fuhr er fort im Tone geheuchelten Beileids. »Nicht einen Heller!« sagte der Altertümler verdrossen, wandte sich von ihm und tat ein paar Schritte. »Geht ins Haus, Edie, und beherzigt, was ich Euch rate: sprecht mir nie wieder von Bergwerken.« »Ich muß nach Fairport zurück,« sagte der Landstreicher. »Ich muß hören, was die Leute über die Invasion sagen. Aber ich will dran denken, was Eure Ehren mir gesagt haben. Hätte doch nicht gedacht,« setzte er mit erkünsteltem Erstaunen hinzu, »daß Sie so empfindlich wären – meinte immer, Sie hätten bloß zwei schwache Stellen: das Praetorium da drüben und den alten Dreier, den Sie sich für 'ne antike Münze haben andrehen lassen.« »Ach was! Ach was!« machte der Altertümler, wandte sich rasch von ihm ab und ging ins Haus. Vierundzwanzigstes Kapitel Der Leuchtturmwärter – niemand anders als der alte Caxon – hatte sich den Gedanken an die nahe bevorstehende Hochzeit seiner Tochter hingegeben und freute sich schon auf seine Würde als Schwiegervater des Leutnant Taffril. Dabei lugte er ab und zu nach dem Signalposten aus, mit dem er Verbindung halten sollte. Er rieb sich die Augen, sah wieder hin und sah nun ein Licht, das näher und näher kam. – »Der Herr behüte uns!« rief Caxon. »Was ist nun zu tun? Aber die Frage mögen weisere Leute entscheiden – ich will nur das Feuer anstecken.« Und er tat es, und die lange, flackernde Lohe stieg zum Himmel, schreckte die Seevögel aus ihren Nestern und warf einen Glutschein weithin über die wogende See. Die Kameraden Caxons waren ebenso wachsam auf ihren Posten, sahen das Signal und gaben es weiter. Auf Vorgebirgen, Klippen und Hügeln flammten die Feuer auf, und der ganze Distrikt wurde alarmiert und mobil gemacht. Wer je eine solche Szene mitangesehen hat, kann allein sich vorstellen, was für ein Leben und Treiben in Fairport herrschte. Die Fenster erstrahlten von hundert Lichtern, die rasch erschienen und verschwanden und die Verwirrung im Innern der Häuser erkennen ließen. Die Weiber der geringern Klasse versammelten sich lärmend auf dem Marktplatz. Die Yeomen kamen aus ihren verschiedenen Tälern und galoppierten durch die Straßen, einige einzeln, andere truppweis zu fünfen bis sechsen, wie sie sich unterwegs zusammengefunden hatten. Die Trommeln und Pfeifen der Freiwilligen riefen zu den Waffen, übertönt von den Stimmen der Offiziere, dem Schall der Hörner und dem Läuten der Glocken, die im ganzen Sprengel erklangen. Die Schiffe im Hafen waren erleuchtet, und von den Schiffen stießen Boote ab, die Mannschaften und Kanonen an Land brachten zur Unterstützung und Verteidigung der Stadt. Das Gewirr und Getöse wurde größer und größer. Diesen Teil der Rüstungen leitete Leutnant Taffril mit großer Umsicht und Emsigkeit. Zwei bis drei leichte Schiffe hatten bereits die Anker gelichtet und gingen in See, um den erwarteten Feind zu suchen und zu signalisieren. So allgemein war die Verwirrung, als Sir Arthur Wardour, Oldbuck und Hektor unter mancherlei Schwierigkeiten in dasjenige Viertel der Stadt den Weg sich bahnten, in welchem das Gemeindeamt lag. Es war ganz erleuchtet, und die Obrigkeit mit vielen Adelsherren der Umgegend war bereits versammelt. Kapitän M'Intyre betätigte sich als militärischer Ratgeber und als Adjutant der obersten Magistratsperson und zeigte hierbei eine Geistesgegenwart und Fachkenntnis, die sein Oheim ihm nicht im geringsten zugetraut hätte. Wenn Oldbuck an seine sonstige Unbedachtheit und sein Ungestüm dachte, war er förmlich verblüfft, ihn jetzt in so ruhiger, zielbewußter Weise seine Anordnungen treffen zu sehen, wie die Erfahrung sie ihm eingab. Er fand die verschiedenen Korps in bester Ordnung, obwohl sie aus so bunt zusammengewürfelten Material bestanden; sie waren alle voller Zuversicht und hohen Mutes. Zweierlei wurde noch mit Begier erwartet: die Ankunft der Freiwilligen Glenallans, die gemäß der Bedeutung dieses Hauses ein Korps für sich gebildet hatten, und die Ankunft des bereits genannten Offiziers, dem die Verteidigung dieses Küstenstrichs vom Oberkommandierenden übertragen worden war und der befugt war, über die militärischen Kräfte freie Verfügung zu treffen. Endlich ließen sich die Hörner der Yeomenschaft von Glenallan vernehmen, und der Graf selber erschien an der Spitze der Mannschaft in voller Uniform, zur großen Überraschung aller, die seine Lebensweise und seinen Gesundheitszustand kannten. Die saubere und zweckmäßige Ausrüstung dieser stattlichen Schwadron, die vollständig in Hochlandstracht gekleidet war, erregte die Bewunderung Kapitän M'Intyres; sein Oheim aber war noch mehr darüber erstaunt, daß bei diesem Anlaß der alte militärische Geist dieses Hauses die gebrochene Gestalt des Grafen, ihres Führers, neu zu beleben und mit neuen Kräften zu erfüllen schien. Endlich verkündete ein Geschrei unter dem Volke: »Da kommt endlich der brave Major Neville mit einem andern Offizier,« und ihre vierspännige Postkutsche fuhr unter dem Hussah der Freiwilligen und Einwohner herein. Die Stadtverordneten und Personen der Obrigkeit eilten an die Tür des Gemeindehauses, um ihn zu empfangen. Aber wie erstaunt waren alle Anwesenden, vor allen aber der Altertümler, als sie gewahr wurden, daß in der hübschen Uniform und der Soldatenmütze die Gestalt und das Antlitz des friedlichen Lovel steckte! Mit einer warmen Umarmung und einem herzlichen Händedruck mußte sich Oldbuck erst davon überzeugen lassen, daß seine Augen ihn nicht betrogen. Sir Arthur war nicht minder überrascht, daß er seinen Sohn, Kapitän Wardour, in Lovels oder richtiger Major Nevilles Gesellschaft fand. Die ersten Worte der jungen Offiziere gaben allen Anwesenden die Versicherung, daß der Mut und der Eifer, den die Bevölkerung gezeigt hatte, ganz vergebens gewesen wäre und nur insofern einen Zweck gehabt hätte, daß sie einen trefflichen Beweis ihres Mutes und ihrer Schlagfertigkeit damit geliefert hätten. »Der Wärter auf der Halketspitze,« sagte Major Neville, »ist, wie wir auf unserm Herweg ausgekundschaftet haben, in sehr natürlicher Weise durch ein Freudenfeuer irregeleitet worden, das müßiges Volk in Glen-Withershins in der Richtung des Leuchtturms, der dem seinen gegenüberlag, auf dem Hügel angesteckt hatte.« Oldbuck warf dem Baron einen verständnisinnigen Blick zu, den dieser mit einem ebenso schafigen und einem Achselzucken erwiderte. »Das muß die Maschinerie gewesen sein,« sagte er, »die wir in unserer Wut zum Feuertode verurteilt haben. Hol' der Teufel den Dusterschieler!« Lord Glenallan zupfte ihn jetzt am Ärmel und zog ihn in ein besondres Gemach. »Um Gottes willen, wer ist der junge Herr, der so große Ähnlichkeit hat mit –« »Mit der unglücklichen Eveline,« unterbrach ihn Oldbuck. »Mir war gleich das Herz warm, wie ich ihn sah, und Euer Lordschaft bringen mich nun selber erst darauf, woher das eigentlich kam.« »Aber wer – wer ist er?« fuhr Lord Glenallan fort, den Altertümler krampfhaft festhaltend. »Früher hätte ich ihn Lovel genannt, nun stellt es sich aber heraus, daß er Major Neville heißt.« »Den mein Bruder als seinen natürlichen Sohn aufgezogen hat – den er zu seinem Erben ernannt hat – gütiger Himmel! Das Kind meiner Eveline!« »Sachte – Mylord – sachte!« mahnte Oldbuck. »Geben Sie sich nicht zu voreilig solcher Vermutung hin! Was für eine Wahrscheinlichkeit liegt dafür vor?« »Wahrscheinlichkeit? Keine! Aber Gewißheit! Absolute Gewißheit. Der Agent, von dem ich zu Ihnen sprach, hat mir die ganze Geschichte geschrieben. Gestern erhielt ich den Bericht – früher nicht. Bringen Sie ihn mir her, um Gottes willen, daß ihn eines Vaters Augen segnen können, ehe er scheidet!« »Das will ich; aber um Ihrer und um seinetwillen lassen Sie ihm ein Weilchen Zeit sich darauf vorzubereiten.« Entschlossen, noch eingehendere Erhebungen anzustellen, ehe er an eine so seltsame Geschichte glaubte, suchte er Major Neville auf und fand ihn beschäftigt, die nötigen Maßregeln zu treffen und die versammelten Streitkräfte wieder nach Hause zu schicken. »Bitte, Major Neville, überlassen Sie dieses Geschäft auf ein Weilchen dem Kapitän Wardour und Hektor, mit dem Sie sich hoffentlich völlig ausgesöhnt haben« (Neville lachte und schüttelte Hektor über den Tisch hinüber die Hand), »und gönnen Sie mir einen Augenblick Gehör.« »Sie haben Anspruch auf mich, Herr Oldbuck, und wenn mein Geschäft noch so dringend wäre,« sagte Neville, »denn ich habe mich Ihnen unter falschem Namen aufgedrängt und Ihre Gastfreundschaft belohnt, indem ich Ihren Neffen verwundete.« »Sie haben ihm heimgeleuchtet, wie er's verdient hatte,« sagte Oldbuck, – »heute allerdings hat er Verstand und Mut gezeigt» daß es eine Freude war.« »Sehr nett, daß Sie mein Verhalten so gütig entschuldigen, Sie werden das um so bereitwilliger tun, wenn Sie hören, daß ich auf den Namen Neville, unter dem ich in der großen Welt Auszeichnung errang, kein besseres Anrecht habe als auf den Namen Lovel, unter dem Sie mich kennen lernten.« »Wirklich! Dann glaube ich bestimmt, wir werden einen finden, auf den Sie ein festes, gesetzmäßiges Anrecht besitzen.« »Mein Herr! Sie meinen doch nicht etwa, daß das Mißgeschick meiner Geburt –« »Keine Rede davon, junger Mann!« unterbrach ihn der Antiquar, »ich glaube, von Ihrer Geburt weiß ich mehr, als Sie selber. Damit Sie sich davon überzeugen, sage ich Ihnen, Sie sind erzogen worden und bekannt gewesen als natürlicher Sohn Geraldin Nevilles von Nevilles-Burg in Yorkshire und, wie ich vermute, von diesem von vornherein zum Erben bestimmt worden.« »Verzeihen Sie – solche Aussichten sind mir nicht gemacht worden. Ich bin sehr freigebig erzogen und zum Offizier herangebildet worden, es hat mir an Geld nie gefehlt, aber ich glaube, mein mutmaßlicher Vater hat lange Zeit die Absicht gehabt, sich zu verheiraten, wenn er sie auch nie ausgeführt hat.« »Sie sagen Ihr mutmaßlicher Vater? – Was führt Sie zu der Annahme, daß Lord Geraldin Neville nicht Ihr wirklicher Vater gewesen sei?« »Ich weiß, Herr Oldbuck, Sie würden diese Fragen nach einem so heikeln Gegenstande nicht zur Befriedigung bloßer Neugierde stellen. Ich will Ihnen daher offen sagen, daß ich im vergangenen Jahr in Französisch – Flandern, in einer kleinen Stadt, die wir besetzten, in meinem Quartier – einem Kloster – eine Frau fand, die auffallend gut Englisch sprach. Sie war eine Spanierin und hieß Theresa d' Acunha. Wir wurden näher miteinander bekannt, und sie entdeckte mir nun, wer ich wäre, und gab sich mir als die Person zu erkennen, die mich als kleines Kind gepflegt hatte. Sie machte allerlei Andeutungen, auf welchen Rang ich Anspruch hätte und was für Ungerechtigkeit mir angetan worden sei, und versprach, die ganze Wahrheit zu enthüllen, sobald eine gewisse Lady in Schottland, zu deren Lebzeiten sie das Geheimnis zu bewahren entschlossen sei, gestorben wäre. Sie deutete auch an, daß Herr Geraldin Neville nicht mein Vater sei. Wir wurden vom Feinde angegriffen und aus der Stadt geworfen, die dann von den Republikanern grausam geplündert wurde. Die religiösen Orden waren besondere Zielpunkte ihres Hasses und ihrer Roheit. Das Kloster wurde niedergebrannt, und mehrere Nonnen kamen um, unter ihnen Theresa – und mit ihr ging alle Hoffnung dahin, hie Geschichte meiner Geburt kennen zu lernen – nach allem, was ich davon gehört habe, muß sie wohl recht tragisch gewesen sein.« » Raro antecedentem scelestum, oder, wie ich hier sagen kann, scelestam,« sagte Oldbuck, » deseruit poena – selbst Epikuräer gaben das zu – und was haben Sie darauf hin getan?« »Ich wandte mich an Herrn Neville brieflich, aber ohne Erfolg. – Dann erhielt ich Urlaub, warf mich ihm zu Füßen und beschwor ihn, mir die Enthüllung zu vollenden, die Theresa begonnen hatte. Er weigerte sich und warf mir entrüstet die Wohltaten vor, die er mir erwiesen hätte. Ich war der Meinung, er mißbrauche die Befugnis eines Wohltäters, und wir gingen in gegenseitiger Verstimmung auseinander. Ich gab den Namen Neville auf und nahm den an, unter dem Sie mich kennen lernten. Zu jener Zeit lernte ich im Norden Fräulein Wardour kennen und war so romantisch, ihr nach Schottland zu folgen. Verschiedene Lebenspläne hatte ich mir unschlüssig entworfen, und ich beschloß, mich noch einmal an Herrn Neville wegen einer Erklärung meiner Geburt zu wenden. Es währte lange, ehe ich eine Antwort erhielt. Sie waren zugegen, als mir das Schreiben ausgehändigt wurde. Er schrieb mir, wie schlecht es um seine Gesundheit stünde, und beschwor mich, um meiner selbst willen nicht weiter nach der Natur seiner Beziehungen zu mir zu forschen, sondern mich mit seiner Erklärung zufriedenzugeben, ich stünde ihm so nahe und in solchem Verwandtschaftsgrade zu ihm, daß er mich zu seinem Erben eingesetzt hätte. Als ich mich fertig machte, Fairport zu verlassen und zu ihm zu gehen, brachte mir ein zweiter Eilbrief die Nachricht, daß er gestorben sei. Der Besitz großen Reichtums vermochte nicht die Gewissensbisse und Reue zu unterdrücken, mit denen ich nun an mein Verhalten meinem Wohltäter gegenüber dachte. Einige Worte in seinem Briefe schienen darauf zu deuten, daß auf meiner Geburt ein noch tieferer Fleck laste als der der Illegitimität.« »Und über diese trübseligen Gedanken grübelten Sie nach, bis Sie krank wurden, statt zu mir zu kommen und mich um Rat zu fragen und mir die ganze Geschichte zu erzählen?« fragte Oldbuck. »Gewiß; und dann kam mein Zwist mit Kapitän M'Intyre, und ich mußte von Fairport und Umgegend weg.« »Und von Liebe und Poesie – von Fräulein Wardour und der Kaledoniade?« »Freilich, freilich.« »Und seit dieser Zeit haben Sie Pläne geschmiedet, wie Sie Sir Arthur helfen wollten?« »Ja, Herr Oldbuck, mit Hilfe Kapitän Wardours in Edinburgh.« »Und mit Hilfe Edie Ochiltrees hier – Sie sehen, ich kenne die ganze Geschichte. Aber wie sind Sie zu diesem Schatze gekommen?« »Es war eine Unzahl silberner Geräte, die meinem Oheim gehörten und in Fairport bei einem Bekannten in Verwahrung waren. Kurze Zeit vor seinem Tode hatte er Weisung dorthin geschrieben, das Silberzeug einzuschmelzen. Er wünschte vielleicht nicht, daß ich das Wappen der Glenallans darauf sehen sollte.« »Nun, Herr Neville – oder lassen Sie mich lieber sagen, Lovel – denn das ist mir der liebste Name – ich glaube, Sie müssen Ihre beiden alias fallen lassen und Namen und Titel eines Lord Geraldin annehmen.« Wer Altertümler erzählte ihm nun den seltsamen und traurigen Verlauf vom Tode seiner Mutter. »Ohne Zweifel,« sagte er, »hegte Ihr Oheim den Wunsch, daß das Gerücht vom Tode des dieser unglücklichen Ehe entsprungenen Kindes sich bewahrheiten möchte – vielleicht hoffte er selber einmal seinen Bruder zu beerben; denn damals war er noch ein flotter wilder Jüngling. Aber von allen Plänen gegen Ihre Person – wie viele ihrer auch die alte Elsbeth in ihrem bösen Gewissen ihm unterschoben haben mochte – hat Theresas und Ihre eigene Aussage ihn völlig freigesprochen. Und nun, mein lieber Herr, gönnen Sie mir das Vergnügen, einen Sohn einem Vater vorzustellen.« Wir wollen nicht versuchen, ein solches Zusammentreffen zu beschreiben. Die Beweise nach allen Seiten hin wurden vollständig vorgefunden, denn Herr Neville hatte einen ausführlichen Bericht aller Begebenheiten in einem versiegelten Paket hinterlassen, das erst nach dem Tode der alten Gräfin geöffnet werden sollte. Sein Beweggrund so lange das Geheimnis zu bewahren, lag offenbar in der Furcht vor der Wirkung, die die mit so vieler Schande beladene Entdeckung auf ihr heftiges Gemüt hätte ausüben müssen. Am Abend dieses Tages tranken die Yeomenschaft und die Freiwilligen von Glenallan auf das Wohl ihres jungen Herrn. Einen Monat später wurde Lord Geraldin mit Fräulein Wardour getraut. Der Altertümler schenkte der Dame einen Trauring, einen schweren massiven Ring von antiker Ziselierung, der den Wahlspruch Aldobrand Oldbucks trug: » Kunst macht Gunst«. Der alte Edie, die bedeutendste Person, die je einen blauen Kittel getragen hat, wandert noch immer rüstig vom Hause eine Freundes zum andern und rühmt sich mit Stolz, daß er nur bei sonnigem Wetter auf der Wanderschaft ist. In der letzten Zeit hat er die Absicht durchblicken lassen, sich einen ständigen Wohnsitz zu wählen; denn man hat ihn oft in der Ecke einer behaglichen Hütte zwischen Monkbarns und Knockwinnock gefunden – in welche Hütte nach der Hochzeit seiner Tochter mit Leutnant Taffril der alte Caxon sich zurückgezogen hatte, um stets in der Nähe der drei letzten Perücken des Sprengels zu sein, die er noch immer in bester Pflege hält, wenn auch nur zu seinem eignen Vergnügen und Zeitvertreib. Hektor avanciert rasch im Heere und steigt im selben Maßstab auch in der Gunst seines Oheims. Die Leute reden von einer Heirat zwischen Fräulein M'Intyre und Kapitän Wardour, doch entbehrt dieses Gerücht noch der Bestätigung. Der Altertümler ist oft zu Gast in Knockwinnock und in Glenallan-Haus, er verfolgt dabei den Zweck, zwei Abhandlungen zu vollenden: eine über den Panzer des großen Grafen und eine über den linken Handschuh des »geharnischten Teufels«. Er fragt regelmäßig, ob Lord Geraldin die »Kaledoniade« angefangen habe, und schüttelt den Kopf über die Antworten, die er erhält. Einstweilen hat er aber die Noten fertig gestellt, die, wie wir glauben, jedem frei zur Verfügung stehen, der sie der Öffentlichkeit übergeben will – selbstverständlich aber ohne Risiko und ohne Unkosten für den Altertümler. Ende Der schwarze Zwerg Übersetzt von Erich Walter Tales of My Landlord. Bd. I: The Black Dwarf. Edinburgh 1816 Erstes Kapitel An einem prächtigen Aprilmorgen ritten zwei Reiter auf das Gasthaus zu, dessen Schild die Aufschrift »Zum Wallace« führte. Es hatte in der Nacht vorher tüchtig geschneit. Das Erdreich war mit einem glitzernden Mantel bedeckt, der sicher seine sechs Fuß dick war. Der erste der beiden Reiter war ein großer, schlanker und kräftiger Mann. Er trug einen grauen Reitrock, als Kopfbedeckung einen mit Wachstuch überzogenen Hut; in der Hand hielt er eine lange dicke Peitsche mit silbernem Griff; die Beine steckten in dicken, wollenen Überzieh-Hosen. Er ritt eine kräftige, braune, stichelhaarige, gutgepflegte Stute, die einen Sattel, wie ihn die Landmiliz führte, und einen Zaum mit doppeltem Gebiß trug. Der Mann, der neben ihm ritt, war allem Anscheine nach sein Diener. Er ritt einen kleinen, braunen Klepper von ziemlich schäbigem Aussehen. Auf dem Kopf trug er eine blaue Mütze, um den Hals geschlungen ein großes gewürfeltes Tuch, statt der Stiefel lange blaue, unten zusammengeschnürte Hosen. Über den Händen trug er Handschuhe, die über und über mit Teer besudelt waren. Seinem Gefährten gegenüber zeigte er eine respektvolle Haltung, die aber nichts von jener Servilität verriet, die man sonst bei Bedientenvolk der Dienstherrschaft gegenüber beobachten kann. Im Gegenteil! Die beiden Reiter ritten selbander in den Hof, und das Gespräch, das sie zusammen geführt hatten, wurde aus beider Kehlen mit dem gemeinsamen Rufe beendigt: »Behüt uns Gott! Was soll bloß, wenn solch' Wetter anhält, aus den Lämmern werden!« Der Gastwirt trat, als er die Worte vernahm, aus der Tür und nahm das Pferd des vornehmen Reiters am Zügel. Dem andern Reiter wurde der gleiche Dienst vom Stallknecht erwiesen. Mit den Worten »Willkommen in Gandercleugh!« wurden die Fremden begrüßt. Dem Gruße folgte die Frage: »Was gibt es in den südlichen Hochlanden Neues?« »Neues?« fragte der Fremde zurück; »genug meiner Meinung nach. Alles was wir tun können, ist, daß wir suchen, die Mutterschafe durchzubringen; die Lämmer müssen wir wohl oder übel unter Obhut des schwarzen Zwerges lassen.« »Hm, hm,« setzte der alte Schäfer, denn das war er, kopfschüttelnd hinzu; »der Zwerg wird um die Zeit herum mit den Fellen krepierter Lämmer wohl alle Hände voll zu tun haben!« »Der Zwerg, der schwarze?« fragte Herr Zedekias Cleishbothan, der gelahrte Freund und Beschützer des Verfassers ... »wer mag denn das sein?« »Pst! pst!« machte der Pächter; »Ihr habt doch gewiß schon von dem klugen Elshie, dem schwarzen Zwerge, vernommen, oder ich müßte mich stark irren. Es redet ja alle Welt von ihm; aber was da geredet wird, ist doch nur heller Blödsinn! ich wenigstens glaube kein Wort davon, vom ersten bis zum letzten!« »Aber Euer Vater hat doch fest daran geglaubt!« sagte der alte Mann, der an seines Herrn Zweifeln sichtlich seinen Gefallen fand. »Freilich, freilich! aber das war auch zur Heidschnucken-Zeit; damals glaubte man allerlei schnurriges Zeug, um das sich kein Geier mehr schert, seitdem die langhaarigen Schafe bei uns heimisch wurden!« »Um so schlimmer!« versetzte der Alte; »ich habe es ja schon oft gesagt, Herr! Euer Vater würde sich die Seele aus dem Leibe geärgert haben, wenn er es hätte mitansehen müssen, wie der alte Stall zur Schafschur niedergerissen wurde, um steineres Gemäuer um den Park herum zu führen; und um unsern hübschen Ginsterhügel, auf dem er so gern am Abend in seinem Mantel saß und den Kühen zusah, wie sie den Abhang hinunter trabten, würde er sich wohl auch nicht mehr viel scheren, seit das sonnige Fleckchen nach der heutigen Mode mit dem Pfluge umgeackert worden.« »Still, Bauldie, still!« rief ihm sein Herr zu; »laß dir den Schnaps schmecken, den dir der Wirt bringt, und mach dir den Kopf nicht dick mit dem Wandel der Zeiten, so lange es dir gut geht, und so lange du dich pflegen kannst.« »Auf euer Wohl, ihr Herren!« sprach der Schäfer, hob das Glas auf und überzeugte sich, daß es reiner Korn sei, den ihm der Wirt vorgesetzt hatte. Dann setzte er hinzu: »Fürwahr! für unsereins schickt es sich nicht, ein Urteil zu fassen; aber der Ginsterhügel war ein hübsches Fleckchen und bot den Lämmern, wenn es solch kalte Morgen setzte wie heute, recht guten Schutz.« »Freilich,« pflichtete sein Herr ihm bei, »aber du weißt doch, Alter, statt Langhaare zu halten, heißt es jetzt, Rüben pflanzen und tüchtig schuften, wenn's welche geben soll! mit dem Pflug wie mit der Hacke! und gar schlecht möchte es aussehen um Haushalt und Wirtschaft, wollten wir uns auf den Ginsterhügel setzen und uns von schwarzen Zwergen erzählen und solcher Kurzweil mehr treiben, allwie es Sitte war vor Zeiten, als noch die Heidschnucken bei uns heimisch waren.« »Freilich, freilich, Herr,« meinte der Diener, »die kurzhaarigen Heidschnucken ergaben knappe Zinsen.« Hier mischte sich der würdige gelahrte Herr in die Unterhaltung mit der Äußerung: was die Länge betreffe, so ließe sich seinerseits zwischen Schafen ein wesentlicher Unterschied nicht finden. Die Bemerkung erregte helles Gelächter von seiten des Pächters. Der Schäfer aber sah sich starr um vor Staunen und Verwunderung. »Wenn wir von lang oder kurz sprechen, Mann, so meinen wir nicht das Schaf selber, sondern die Wolle. Wolltet ihr die Schafe nach dem Rücken messen, so würden die, die wir kurz nennen, den längeren Leib von beiden haben. Was heutzutage den Pachtzins aufbringen muß, ist die Wolle, und dabei hat man schon seine Not!« »Es stimmt schon, Bauldie hat ganz richtig gesagt, ein kurzhaariges Schaf bringt knappen Zins! Mein Vater zahlte bloß 60 Pfund Pachtzins, und bei mir macht's jetzt, auf Heller und Pfennig berechnet, 300 Pfund.« »Stimmt, stimmt! Aber zu solchem Geschwätz habe ich keine Zeit. Bringt uns das Frühstück Und guckt Euch nach unfern Rappen um! Ich will auf Christye Wilsons Pachthof hinüber und mal zusehen, ob wir einig werden können über den Kaufschilling, den ich ihm für seine einjährigen Schafe zahlen will. Auf dem Bosweller Jahrmarkt haben wir den Handel mit sechs Krügen begossen, konnten aber, soviel wir uns auch Zeit nahmen, nicht ins reine kommen über die einzelnen Punkte. Ich weiß auch nicht, ob wir jetzt ins reine kommen werden; wenn Ihr aber« – diese Worte galten meinem würdigen, gelahrten Freunde [Es ist häufig bei Walter Scott der Fall, daß er sich, um eine Erzählung einzuführen, mit einer nur in der Phantasie vorhandenen Figur, »dem gelahrten Freunde« in Unterhaltung setzt über die Art, wie er zu erzählen vorhat.(A. d. Ü.)] – »über lange Schafe und kurze Schafe mehr hören wollt, so merkt Euch, Nachbar, daß ich um eins zum Essen wieder da bin ... Liegt Euch anderseits daran, über den schwarzen Zwerg oder andern solchen Kram alte Mär zu hören, so kann Euch Bauldie gut und reichlich dienen. Ihr braucht ihm bloß einen halben Krug vorzusetzen, dann geht ihm das Mundwerk wie eine Mühlenklapper – und wenn es mir glückt, mit dem Christye Wilson zum Klappen zu kommen, so setz' ich Euch selber einen ganzen Krug vor!« Zur festgesetzten Zeit kam der Pächter wieder in Begleitung von Christye Wilson; denn beide waren ohne Beihilfe gelahrter Männer des Rechts handelseinig geworden. Des Verfassers würdiger und gelehrter Freund blieb nicht aus, war ihm doch Labsal versprochen worden für Geist und Leib, und wenn er auch in letzterer Hinsicht ein mäßiger Herr war, so hielt er doch viel auf geselliges Beisammensein, und die Gesellschaft, die heut' beisammen saß und der sich auch der wackere Wirt anschloß, hielt aus bis in den späten Abend hinein und würzte Trank und Speise mit allerhand trefflicher Mär und munterm Sange. Wessen ich mich als letzten Vorfalls erinnere, war ein Fall: der meinen würdigen gelahrten Freund aus seinem Stuhle beförderte, und zwar gerade in dem Moment, als er eine lange Abhandlung über Mäßigkeit zum Abschlusse brachte. Der schwarze Zwerg wurde den Abend über auch nicht vergessen; der alte Bauldie erzählte vielmehr Geschichten über Geschichten von ihm, eine immer interessanter als die andere. Dabei kam es denn auch, freilich erst, als die dritte Punschbowle geleert war, zutage, daß des Pächters Zweifelsucht zum großen Teil auf Phantasie beruhte, daß er – was einem Manne, der 300 Pfund Pachtzins im Jahre zahlte, auch besser stand – freisinnigen Anschauungen nicht abhold und frei von alten Vorurteilen war, daß aber in Wirklichkeit im Grunde seines Herzens der Glaube an die Traditionen seiner Ahnen ziemlich fest saß. Wie es auch sonst Brauch und Sitte bei mir ist, zog ich bei andern Leuten, die zu dem wilden Hirtenland, dem Schauplatz der nun folgenden Erzählung, Beziehungen hatten, Erkundigungen ein und war so glücklich, manches Glied der Geschichte aufzufinden, das nicht allgemein bekannt ist und wenigstens einigermaßen die seltsamen Beigaben zu erklären vermag, mit denen der Aberglaube sie m den Überlieferungen gewöhnlicher Art auszuschmücken geliebt hat. Zweites Kapitel Im Süden von Schottland, in einem der abgelegensten Bezirke, dort, wo eine Kette hoher kahler, Berggipfel die Grenze zwischen Schottland und seinem Schwesterkönigreiche zieht, kehrte ein Jüngling namens Halbert oder Hobbie Elliot von der Hochwildjagd zurück, der sich rühmte, von Martin Elliot, dem in Sage und Lied des Grenzgebietes berühmten Herrn des Preakin Tower, herzustammen. Es hat Zeiten gegeben in diesen Einöden, da es von Rotwild wimmelte. Jetzt aber war es zusammengeschrumpft auf wenige Rudel, die Zuflucht suchten in den unzugänglichsten fernsten Schluchten, so daß die Jagd gar mühselig und unsicher geworden war. Immerhin fand sich junges Volk, das ihr trotz aller Mühen und Gefahren mit Eifer nachging, noch genug im Lande. Ruhte doch zufolge der friedlichen Vereinigung beider Kronen unter Jakob dem Ersten, König von Großbritannien, das Schwert schon über hundert Jahre in der Scheide! Aber das Land zeigte noch überall Spuren von seiner früheren Beschaffenheit. Die Bewohner, im friedlichen Betrieb ihrer Gewerbe durch die Bürgerkriege des verwichnen Jahrhunderts gestört, hatten sich kaum wieder in regelmäßige Arbeit hineingewöhnt; die Schafzucht hatte ihre alte Höhe bei weitem nicht erreicht; auf den Höhen und in den Tälern sah man vorwiegend Rindviehherden. Der Pächter baute in der Nähe seines Hauses nur soviel Hafer und Gerste, als er zu Mehl für seinen Hausstand brauchte. Die freie Zeit, welche dem jungen Volke infolge dieses eingeschränkten Ackerbaues übrig blieb, wurde zumeist verwandt auf Jagd und Fischfang; in dem Eifer, mit welchem man der Jagd oblag, kam der abenteuerliche Geist zum Ausdruck, der sich früher bei Raubzügen und feindlichen Einfällen betätigte. In der Zeit, in welcher unsere Erzählung anhebt, sahen die kühneren Jünglinge weit mehr voller Hoffnung als voller Furcht auf Gelegenheiten, in Wetteifer mit den kriegerischen Taten ihrer Väter zu treten, deren Schilderung ihr schönstes Vergnügen am häuslichen Herde bildete. Als das Parlament von Schottland die sogenannte Sicherheitsakte annahm, herrschte in England allenthalben Beunruhigung, weil dort die Meinung obwaltete, daß dieselbe auf Scheidung der beiden Königreiche nach dem Tode der damals regierenden Königin Anna hinauslaufe. An der Spitze der Regierung von England stand damals Godophin, der mit weitsichtigem Blick erkannte, daß sich die wahrscheinliche Gefahr eines Bürgerkriegs nur durch die Verschmelzung beider Königreiche zu einem einzigen Staatskörper beschwören lassen würde. Wie sich aus der Geschichte dieser Zeit ersehen läßt, versprachen die diesbezüglichen Verhandlungen längere Zeit bei weitem nicht die günstigen Resultate, die sich seitdem in so hohem Maße eingestellt haben. Hier sei nur bemerkt, daß in ganz Schottland Erbitterung herrschte über die Bedingungen, unter welchen in Edinburgh das Parlament die Unabhängigkeit der Nation preisgegeben hatte. Zufolge dieser Erbitterung entstanden die absonderlichsten Parteiungen, schmiedete die Bevölkerung die tollsten Pläne. Die Cameronier trugen sich mit der Absicht, die Waffen zu erheben für die Restitution des Hauses Stuart, trotzdem sie dasselbe mit Recht als ein Geschlecht von Tyrannen ansahen; Katholiken intrigierten mit Jüngern der anglikanischen Kirche, und diese wieder mit Presbyterianern, gegen die englische Regierung, weil überall die Empfindung herrschte, gegen das Vaterland sei Unrecht verübt worden, überall in Schottland gärte es, und da die schottische Bevölkerung zur Zeit der Sicherheitsakte wohlgeübt im Waffenhandwerk war, hielt sie sich für zum Kriege gerüstet und wartete nur, daß sich Männer aus dem noch besser gerüsteten Adel des Landes fänden, die Feindseligkeiten zu beginnen. In dieser Zeit offenkundiger Wirrnis setzt unsere Erzählung ein. Hobbie Elliot, der Jüngling, den wir auf der Heimkehr von der Jagd auf Hochwild im südlichen Schottland trafen, war schon ziemlich weit von der Bergschlucht entfernt, in der er gejagt hatte, und auf dem Heimweg begriffen, als ihn die Nacht überfiel. Hobbie Elliot war ein tüchtiger Weidmann, der jeden Zoll seiner heimatlichen Heide so genau kannte, daß er den Weg drüberhin mit verbundenen Augen gefunden hätte. Der Einbruch der Nacht hätte ihn also in keiner Weise gestört, wenn er sich nicht gerade an einer Stelle der Heide befunden hätte, von der es in der ganzen Gegend hieß, daß böse Geister dort ihr Wesen trieben. Hobbie Elliot hatte solcher Mär von Kindesbeinen an gespannten Ohrs gelauscht, und gleichwie kein anderer Teil von Schottland solchen Reichtum an Mären und Sagen bot, so war auch niemand in solchen gruseligen Dingen bewanderter als Hobbie vom Heugh-Foot. Diesen Namen führte nämlich unser Held zum Unterschied von einem ganzen Dutzend Elliots, die den gleichen Taufnamen hatten wie er. Und darum brauchte er sich das Gedächtnis nicht sonderlich anzustrengen, um sich all der grausigen Ereignisse zu erinnern, deren Schauplatz die weite Einöde gewesen war, auf die er den Fuß zu setzen in Bereitschaft stand. So schnell und lebhaft traten sie ihm auch in das Gedächtnis, daß er sich einer gewissen Beängstigung nicht zu erwehren vermochte. Das Mucklestane Moor hieß die schreckliche Einöde, nach einer unbehauenen Granitsäule von beträchtlicher Höhe, die in der Mitte der Heide auf einer Anhöhe emporragte, vielleicht als Kunde von den gewaltigen Toten, die unter ihr ruhten, vielleicht auch zum Gedenken an den blutigen Kampf, der an dieser Stätte ausgefochten worden war. Weshalb die Säule errichtet worden, war in Vergessenheit geraten. Mündliche Überlieferung, gar oft im gleichen Maße Mutter der Dichtung wie Hüterin der Wahrheit, hatte den Sagenschatz Schottlands um eine Nummer bereichert, deren Hobbie sich in diesem Moment erinnerte. Der Boden rings um die Säule war mit großen Blöcken vom gleichen Gestein wie die Säule übersät. Im Volksmunde hießen sie zufolge einer gewissen, wenn auch wohl weit hergeholten Ähnlichkeit, die Graugänse des Mucklestane-Moors. Die Sage gab dem Bild und dem Namen eine andere Auslegung: eine schreckliche, im ganzen Lande bekannte Hexe, die früher in diesen Höhlen hauste und allerhand Unheil stiftete, Mutterschafe zu unzeitigem Lammen und Kühe zu unzeitigem Kalben brachte, die mit ihren Schwestern hier ihre nächtlichen Orgien hielt, wofür sich als Merkmale noch zahlreiche Kreise im Erdreiche vorfanden, in deren Bereich weder Gras noch Heidekraut wachsen konnte, weil die Teufel mit ihrem sengenden Klumpfuß den Rasen beim Hexentanz bis auf die Wurzel ausgebrannt hatten – diese schreckliche Hexe sollte in grauer Vorzeit eine Gänseherde über das Moor getrieben haben, um sie auf einem Markte in der Nähe zu verkaufen; aber die Gänse waren bald, statt auf dem gangbaren Wege zu bleiben, in die Sümpfe und Teiche, mit denen die Gegend hier übersät war, geflohen. Wütend hierüber sollte die Hexe den Teufel zu Hilfe gerufen haben, daß er die Gänse an die Stelle banne. Satanas hatte sich nicht nötigen lassen, sondern Hexe und Gänse zu Stein verwandelt. Aller Einzelheiten dieser Sage gedachte Hobbie während seines Ganges über das Moor. Es fiel ihm ein, daß nächtlicherweile sich niemand an diese Stätte wage, wo noch immer Böcke und Ziegen und Kobolde, die Genossen der schrecklichen Hexe, ihren Teufelsspuk trieben. Aber Hobbie bekämpfte mannhaft all diese Regungen von Furcht; er rief das Paar mächtiger Hühnerhunde, die ihn auf seinen Jagdzügen begleiteten und sich, wie er selbst sagte, weder vor Hund noch vor dem Teufel fürchteten, an seine Seite. Er untersuchte das Zündkorn auf seiner Büchse und trällerte, wie der Narr von Halloween, das kriegerische Lied vom Jock, ähnlich jenem General, der die Trommeln rühren läßt, um den Mut seiner Soldaten, in den er Zweifel setzt, zu stärken. In solchem Gemütszustand vernahm er hinter sich, zu seiner nicht geringen Freude, die Stimme eines Freundes, der ihm zurief, ob es ihm recht sei, wenn er sich ihm anschlösse, Hobbie verlangsamte seine Schritte und sah sich bald von einem andern Jüngling eingeholt, den er gut kannte, und der in der ganzen Gegend als reicher »Herr« galt. Genau wie Hobbie Elliot, hatte auch er der Jagd gefrönt. Earnscliff hieß der Jüngling, »ein Mann vom gleichen Schlage« wie Hobbie Elliot: vor kurzem mündig geworden, war er in den Besitz der bescheidenen Überreste eines Vermögens gelangt, das zum größten Teil durch die Bürgerkriege, in denen seine Familie eine Rolle gespielt hatte, verschlungen worden war. Nichtsdestoweniger stand die Sippe Earnscliff im ganzen Lande in Achtung, und auch der junge Herr, der jetzt zu Hobbie Elliot trat, schien alle Eigenschaften zu besitzen, die diesen guten Leumund wahren konnten. »Na, Earnscliff,« hub Hobbie an, »daß ich Euer Gnaden begegne, ist mir wahrhaftig sakrisch lieb! Auf solchem öden Moor, wo sich Kobolde Stelldichein geben, ist es ein Glück, auf Gesellschaft zu stoßen. Wo habt Ihr gejagt?« »Auf dem Carla-Cleugh, Hobbie,« versetzte Earnscliff, den Gruß des Bekannten erwidernd; »aber meint Ihr, daß Eure Hunde Ruhe halten werden?« »O doch,« entgegnete Hobbie, »können sie doch kaum noch auf den Beinen stehen! Fürwahr, ich glaube, die Hirsche und Rehe sind aus dem Lande geflohen: bis Ingar-fall-food bin ich gekommen, ohne auf ein Geweih zu treffen: zwei vertrackte Hirschkühe ausgenommen, die mich nie zum Schuß kommen ließen, trotzdem ich eine Meile Umweg machte, um ihnen den Wind abzufangen. Ich bin ja nicht weiter erpicht auf Wild, bloß hätte ich gern für unsere alte Urahn einen Braten gehabt. Das alte, mürrische Weib sitzt daheim im Winkel und schmäht über die faulen Jäger von heute, die denen früherer Zeit das Wasser nicht reichen! Es mag wohl sein, daß die alles Wild im Lande zur Strecke gebracht haben!« »Na, tröstet Euch, Hobbie! Ich hab' einen feisten Bock geschossen und heut früh nach Gainscliff geschickt: die Hälfte sollt Ihr haben für Eure Urahn!« »Dank, Dank, Herr Patrik! Euer gutes Herz ist ja bekannt im ganzen Land! Die Alte wird sich freuen, um so mehr, wenn sie vernimmt, daß der Braten von Euch gekommen! noch mehr aber, wenn Ihr selber Euch einstellen wollet zum Mahle: denn sicherlich lebt Ihr jetzt einsam im alten Turm, während Eure Sippe im garstigen Edinburgh weilt. Daß Menschen, die auf herrlichen, grünen Hügeln hausen können, sich heimisch fühlen können zwischen steinernen Häusern mit Schieferdächern, das wundert mich!« »Die Rücksicht auf meine und meiner Schwester Erziehung war für meine Mutter der Grund, mehrere Jahre in Edinburg zu wohnen, aber Ihr könnt Euch drauf verlassen, daß die verlorene Zeit von mir eingebracht werden wird.« »Ihr müßt halt Euren alten Turm ein bißchen herrichten lassen,« versetzte Hobbie, »und Euch den alten Freunden der Sippe nachbarlich anschließen, wie es sich für den Gutsherrn von Earnscliff schickt. Meine Mutter oder vielmehr Großmutter – wir nennen sie bloß Mutter, seit wir die rechte Mutter durch den Tod verloren haben – bildet sich, glaubt mir, zum Beispiel ein, sie stände mit Euch in keinen allzuweiten Verwandtschaftsgrade.« »Ganz richtig, Hobbie! Ihr dürft mich morgen in Heugh-foot erwarten. Zum Essen.« »So, das laß ich mir gefallen, Earnscliff! Das ist ein höflicher Bescheid. Wir sind alte Nachbarn, wenn auch schließlich nicht mitsammen verwandt. Meine liebe Großmutter will Euch gern bei sich sehen. Sie spricht oft von Eurem Vater, der vor langer Zeit sein Leben lassen mußte.« »Pst, pst, Hobbie! Davon kein Wort mehr! Diese Sache ruht besser in Vergessenheit!« »Ich weiß nicht, wäre uns solches zugestoßen, so würden wir den Tag nicht eher vergessen haben, als bis wir gewisse Genugtuung bekommen hätten. Aber Ihr Herren von Stand kennt ja eure Wege am besten. Ellieslaws Freund hat, wie mir gesagt worden, Euren Vater erstochen, nachdem ihm der Gutsherr selber den Degen entwunden hatte.« »Ach, laßt doch, Hobbie! Die Männer saßen beim Wein und diskutierten. Da gab es Rauferei wegen politischer Meinungsverschiedenheit. Es wurden viele Degen gezogen. Wer den Stoß gegen meinen Vater geführt hat, läßt sich unmöglich sagen.« »Geholfen dabei hat der alte Ellieshaw jedenfalls und aufgehetzt dazu ganz entschieden. Eines Unrechts könnte Euch niemand zeihen, wenn Ihr Rachegelüste wider ihn hättet; denn Eures Vaters Blut klebt an seinen Nägeln. Zudem ist er Jakobit und Bischöflicher. Im Lande rechnet man darauf, daß es zwischen Euch was setzen werde. Das kann ich Euch sagen.« »Ach, schämt Euch doch!« versetzte der junge Gutsherr; »Ihr wollt fromm sein und stachelt Euren Freund auf zu Gesetzesbruch und eigenmächtiger Rache? Obendrein an einem Orte, wo Geister ihren Spuk treiben und kein Mensch wissen kann, von was für Wesen er belauscht wird!« »Pst! Pst!« machte Hobbie, seinem Kameraden näher rückend; »an solche Dinge habe ich nicht gedacht. Aber was Eure Hand zurückhält, Herr Patrik, läßt sich leicht erraten. Daß es nicht Mangel an Mut ist, wissen wir alle recht gut, aber ebenso gut wissen wir, daß es zwei graue Augen einer schönen Jungfrau sind, die Euren Zorn in Banden halten – Miß Isabella Veres graue Augen!« »Glaubt mir, Hobbie,« versetzte ziemlich ärgerlich sein Reisekamerad, »hierin irrt Ihr! Solche Gedanken hegt Ihr zu Unrecht, und besser tätet Ihr, ihnen solchen Ausdruck nicht zu geben! Denn nun und nimmer werde ich jemand gestatten, sei es wer es sei, daß er sich erkühnt, meinen Namen in Beziehung zu bringen mit eines jungen Mädchens Namen.« »Seht an! Seht an!« versetzte Elliot; »habe ich nicht eben gesagt, Mangel an Feuer sei es nicht, durch das Ihr so zahm geworden? Schon gut! Schon gut! Kränken hab' ich Euch nicht wollen. Aber etwas gibt es, das Ihr Euch Wohl merken könnt, wenn es ein Freund Euch sagt. Dem alten Laird von Ellieslaw fließt das alte Raubritterblut weit heißer im Herzen als Euch. Von den neumodischen Anschauungen über Ruhe und Frieden geht ihm wahrlich nichts in den Kopf. Bei ihm heißt's, wie vordem, Überfall und Wegelagerei sind ehrliches Edelmannshandwerk; und die Schar strammer Kerle, die zu ihm schwören, hält er wie junge Füllen so frisch und munter. Wo er sein Geld hernimmt, weiß niemand und kann niemand sagen. Aber üppig lebt er, schier wie der Herrgott in Frankreich, und mehr, weit mehr gibt er aus als ihm sein bißchen Haus und Hof einbringt. Freilich! er bezahlt ganz nach Lust und Laune. Aber bricht im Land ein Aufstand aus, so ist er sicher der Mann bei der Spritze! Auch des alten Haders mit Euch vergißt er wohl nie. Mir ist's immer so zumute, als ob es ihm in den Fingern kribble, am alten Turm von Earnscliff sich das Mütchen zu kühlen.« »Gut, Hobbie,« erwiderte der junge Gutsherr; »sollte er wirklich so schlecht beraten sein, dann will ich zusehen, den alten Turm gegen ihn zu halten, wie es in früherer Zeit andere, die besser waren als ich, wider andre getan, die besser waren als er.« »Recht so, Earnscliff! Recht so!« stimmte der kräftige Rittersmann von der Landmiliz bei; »jetzt sprecht Ihr wie ein Mann! Blast Ihr aus solchem Horn, dann braucht Euer Diener bloß die große Glocke im Turm zu schwingen, so bin ich mit meinen zwei Brüdern und David von Stenhouse und allen Reisigen, die wir aufbringen können, schneller zur Stelle, als ein Flintenschloß zuklappt.« »Ich danke Euch, Hobbie,« versetzte Earnscliff; »hoffentlich erleben wir keinen so unnatürlichen und unchristlichen Krieg im Lande!« »Hm, Herr Patrik,« versetzte Hobbie, »was wäre es wohl weiter als ein kleiner Zwist zwischen Nachbarsvolk? Auf solch' schlechtem Ackerboden möchten Himmel und Erde wohl Nachsicht üben. So etwas liegt nun einmal in der Natur von Land und Volk. So verschlafen und ruhig wie Londoner Bürger können wir unser Leben nicht hinbringen, denn wir haben nicht soviel Arbeit. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit!« »Nun, Hobbie,« versetzte der Laird, »für jemand, der so fest an übernatürliche Dinge glaubt wie Ihr, stellt Ihr auf solchem Moorboden wie dem hier den Himmel gar keck auf die Probe!« »Was schert mich das Mucklestane-Moor mehr denn Euch!« versetzte barsch Hobbie Elliot; »freilich, es soll ja, wie die heute reden, so etwas wie ein Kobold sein Wesen hier treiben, einträchtiglich mit langgeschwänzten Dingen! Aber was geht das mich an? Mein Gewissen ist rein und zu verantworten hab' ich wenig, höchstens einen Zwist mit jungen Burschen oder eine Rauferei auf dem Jahrmarkt, und das sind Dinge, des Redens nicht wert. Wenn ich es auch selber sage, so bleibt es doch, wahr: ich bin ein ruhiger Mensch und keiner, der Händel sucht ...« »Ei! und Dick Turnbull, dem Ihr den Schädel eingeschlagen, und Willie von Winton, auf den Ihr geschossen habt?« fiel ihm sein Kamerad ins Wort. »Haltet ein, Earnscliff! Ihr führt ja, scheint's, Register über Tun und Lassen der Mitwelt? Dem Dick Turnbull ist der Schädel wieder geheilt worden und der alte Streit zwischen uns soll in Jeddard am Kreuzsteg ausgefochten werden, so daß es also in Frieden abgehen wird. Mit Willie von Winton stehe ich aber wieder auf gutem Fuß; der arme Schlingel hat ja bloß ein paar Schrotkörner ins Kreuz bekommen. Das könnt mir jeder antun, der eine Pinte Schnaps vorfahren läßt; aber Willie von Winton ist in den Niederlanden aufgewachsen und hat zu große Angst um sein Leben. Und was nun noch die Kobolde und Langschwänzer anbetrifft, die hier spuken sollen, so meine ich, sollten wir etwa auf dergleichen stoßen –« »So unwahrscheinlich ist das nicht, Hobbie!« versetzte der junge Earnscliff, ... »Jesus! Seht doch, Hobbie! Dort steht ja Eure alte Hexe!« »Wie gesagt, Earnscliff,« rief Elliot, in dem unterbrochenen Satze fortfahrend, wie wenn er sich über die Anspielung ärgere, »sollten wir auf so etwas treffen und sollte die alte Hexe just hier aus dem Boden aufsteigen, so sollte mich das nicht mehr scheren, als wenn – aber, Gott behüte uns, Earnscliff! Was kann das ... das sein?« Drittes Kapitel Was den jungen Pächter mitten in seiner Rede schreckte, versetzte auf einen Augenblick auch seinen in Vorurteilen weniger befangenen Kameraden in Unruhe. Während ihrer Unterhaltung war der Mond aufgegangen, gleichsam im Kampf mit dem Gewölk, und nur von Zeit zu Zeit ein zerrissenes Licht über das Moor werfend. Ein Strahl desselben traf die hohe, granitne Säule, in deren Nähe sie gerade standen, und nun erblickten sie eine Gestalt, scheinbar ein Mensch, aber von kleinerer Gestalt als bei Menschen die Regel. Langsam bewegte sie sich unter dem grauen Gestein: nicht wie jemand, der einem bestimmten Ziele zustrebt, sondern bedächtig, unsicher, unschlüssig, gleich einem Wesen, das um einen Ort schwebt, an welchem traurige Erinnerung haftet. Hin und wieder drangen von der Gestalt Laute herüber, die sich anhörten wie leises, klapperndes Geflüster. Und was er sah und was er hörte, das glich der Vorstellung, die sich Hobbie Elliot über Geisterspuk und Geister machte, so ganz aufs Haar, daß er stehen blieb, dieweil ihm die Haare zu Berge stiegen. »Die alte Aillie ist's! Die alte Aillie leibhaftig!« flüsterte er dem Gefährten zu – »soll ich auf sie schießen im Namen Gottes?« »Nein! Um des Himmels willen nein!« rief sein Gefährte, rasch das Gewehr niederreißend, das schon an des andern Backe lag – »nein! nein! es ist ein armes, wahnwitziges Wesen!« »Ihr seid selber wahnwitzig, daß Ihr's Euch einfallen laßt, Euch so dicht an das Wesen heran zu wagen!« erwiderte Elliot, den Kameraden am Ärmel festhaltend, als er weiter gehen wollte; »Zeit zu einem kurzen Stoßgebet wird uns hoffentlich bleiben, ehe sie bis zu uns heran ist! Wenn mir nur ein Stoßgebet einfallen wollte!« »Sicher, Elliot! Sicher!« versetzte Earnscliff; »sie hat ja keine Eile!« »Nein, das stimmt, lahm wie eine Henne läuft sie, die eine heiße Hühnersteige hinauf will!« meinte Hobbie, den die Ruhe seines Kameraden und die Weise der Erscheinung, die sich um die beiden Jünglinge wenig zu kümmern schien, beherzter machte. Nichtsdestoweniger fuhr er, nach einer Weile umschwenkend, in leisem Flüstertone fort: »Ich möchte doch raten, Earnscliff, wir machen einen Umweg, als suchten wir einem Hirsch den Wind abzugewinnen! Der Sumpf ist nur knietief, und besser ist schließlich ein schlechter Weg noch immer als eine schlechte Gesellschaft!« Indessen ging Earnscliff, aller Einreden und alles Sträubens von seiten seines Kameraden ungeachtet, auf dem Wege, den er eingeschlagen hatte, weiter und stand dem Wesen, das er zu erforschen trachtete, bald gegenüber. Die Erscheinung, deren Höhe sich noch zu verringern schien, je näher die Jünglinge kamen, mochte knapp vier Fuß messen. So weit sich ihre Gestalt bei dem unsichern Licht erkennen ließ, war sie fast ebenso breit wie lang oder glich vielmehr einer Kugel, die bloß durch seltsame leibliche Entstellung entstanden sein konnte. Der junge Jäger begrüßte die absonderliche Figur zweimal, ohne Antwort zu erhalten, bekümmerte sich aber nicht im geringsten um seinen Kameraden, der ihm eindringlich zu verstehen geben wollte, am besten sei es weiter zu gehen, ohne sich um ein Wesen von so seltsamem und übernatürlichem Äußern länger zu bekümmern. Auf die dritte Frage, die Earnscliff stellte: »Wer seid Ihr? Und was treibt Ihr hier zu solcher nächtlichen Stunde?« gab eine Stimme Antwort, deren geller, widerwärtiger Klang Hobbie Elliot so in Furcht jagte, daß er um ein paar Schritte zurückwich: »Geht Eures Wegs und fragt Leute nicht aus, die nichts von Euch zu wissen begehren!« »Was treibt Ihr hier, so fern von allem Obdach? Habt Ihr Euch verspätet auf der Wanderung? Wollt Ihr uns heimbegleiten, sollt Ihr gern ein Obdach haben!« »Behüte Gott!« rief Hobbie Elliot unwillkürlich, »da möcht' ich mich schon lieber tief unten im Tarrasflusse verkriechen!« »Geht Eures Wegs!« rief die Gestalt wieder, deren Stimmklang durch den Zorn, die sie erfüllte, noch geller und häßlicher klang als vordem, »Eurer Wohnung bedarf ich nicht! Fünf Jahre ist es her, seit mein Haupt in einer menschlichen Behausung geruht hat, und hoffentlich war dies das letzte Mal!« »Er ist von Sinnen,« sprach Earnscliff. »Er sieht ganz so aus, wie der alte Klempner Humphrey Ettercap, der vor etwa fünf Jahren hier im Moor umkam,« meinte sein abergläubischer Gefährte, »bloß war Humphrey Ettercaps Leib nicht so dick.« »Geht Eures Wegs!« rief die Gestalt abermals, »Atem aus Menschenleib verpestet die Luft, die mich umgibt, und menschlicher Stimmenschwall sticht mir gleich scharfen Nadeln in die Ohren.« »Gott nehme uns in seinen Schutz!« flüsterte Hobbie, »wie kommt es, daß ein Toter solch' schreckliche Bosheit hegt gegen Lebende! Seine Seele muß sich in gar kläglichem Stande befinden!« »Kommt, Freund,« sprach Earnscliff, »es scheint, Euch quält gar herber Kummer! Daß wir Euch hier allein zurücklassen, verbietet uns menschliches Gefühl.« »Menschliches Gefühl!« rief mit höhnischem Lachen das Wesen, »woher habt Ihr das Wort, andre zu locken? diese Schlinge für Schnepfen? diese blöde Menschenfalle? diesen Köder, den der unglückliche Tor hinunterschluckt, um dann zu spüren, daß er an einer Angel hängt, mit zehnmal spitzigerem Widerhaken im Halse? daß es ihm geht gleich wie dem Tiere, das der Mensch mordet, um seiner Üppigkeit zu frönen?« »Freund, Freund! Ich sage Euch, Ihr ermangelt der Fähigkeit, Eure Lage zu fassen! Ihr werdet umkommen in der Wildnis, und Mitleid gebietet uns, Euch mit uns zu nehmen!« »Damit mag ich nichts zu schaffen haben,« sprach Hobbie. »um Gotteswillen, laßt dem Gespenst Weg und Willen!« »Mein Blut komme über mein Haupt, wenn ich hier umkomme,« schrie die Gestalt; und als sie merkte, daß Earnscliff mit sich zu Rate ging, ob er Hand an sie legen solle, setzte sie hinzu: »Und über Euer Haupt komme Euer Blut, wenn Ihr den Saum meiner Kleider antastet und mich mit dem Schmutz der Sterblichkeit besudelt!« Als die Gestalt diese Worte sprach, warf der Mond helleren Schein und Earnscliff sah, daß sie in der hochgehaltenen Rechten eine Waffe hielt, glitzernd gleich der Klinge eines langen Messers oder dem Lauf eines Terzerols. Sich um einen Menschen zu bekümmern, der Waffen und solch' grobe Sprache führte, wäre wahnsinnigem Bemühen gleichgekommen. Zudem wurde Earnscliff inne, daß er von seiten seines Gefährten auf Hilfe nicht zu rechnen habe; denn er war, der Erscheinung den Rücken gewandt, nach der Heimat unterwegs. So drehte auch Earnscliff um, nachdem er dem seltsamen Wesen noch einen Blick zugeworfen, und ging Hobbie hinterher. Das seltsame Wesen aber jagte um die granitne Säule herum, wie wenn das kurze Gespräch seine Raserei auf den Gipfel getrieben hätte, und schrie sich heiser in wilden Verwünschungen, die schrecklich in der öden Heide klangen. Eine Zeitlang schritten die beiden Jäger schweigend nebeneinander her, bis sie die gellen Töne nicht mehr hörten. Aber nicht eher war dies der Fall, als bis sie ein beträchtliches Stück von der granitnen Säule weg waren, von welcher das Moor seinen Namen entlehnt hatte. Jeder zog über den Auftritt, dessen Zeugen sie gewesen waren, still für sich seine Schlüsse, bis plötzlich Hobbie Elliot ausrief: »Wißt, Earnscliff! Ich möchte behaupten, wenn es ein Geist ist, was wir sahen, so muß es der Geist eines Menschen sein, der Böses getan und Böses gelitten hat und den dieses zwiefache Böse nach seinem leiblichen Tode auf solch' schlimme Weise zu rasen zwingt!« »Mir scheint es, als sei dies unglückliche Wesen vom Wahnsinn des Menschenhasses befallen!« meinte Earnscliff, der Richtung folgend, in welcher seine Gedanken sich bewegten. »Also seid Ihr der Meinung nicht, daß es ein Gespenst war, was wir sahen?« fragte Hobbie den Kameraden. »Nein! Ganz sicher nicht!« »Nun ja, ich bin wohl selber auch der Meinung, daß es ein lebendiges Ding sein kann, meines Wissens aber kann einem Kobold kein lebendig Ding ähnlicher sehen als dieses!« »Auf alle Fälle will ich morgen zurückreiten und nachsehen, was aus dem armen, unglücklichen Wesen geworden ist,« sagte Earnscliff. »Bei hellem Tage?« fragte der Reitersmann, »dann will ich Euch begleiten mit Gottes gnädigem Schutz. Jetzt aber sind wir meinem Pachtgut zwei volle Meilen näher als Eurem Hause! Ihr tut also besser, mit mir zu gehen. Ich kann ja meinen Burschen auf dem Klepper hinüberschicken, daß er Euren Leuten melde, wo Ihr seid. Außer dem Bedientenvolke und Eurem Kater erwartet Euch, wie ich mir denke, ja doch niemand!« »Gut, Freund Hobbie, ich gehe mit!« erwiderte der junge Jäger, »und da ich nicht Ursache sein möchte, daß meine Bedienten sich über mein Ausbleiben ängstigen oder mein Kater sein Futter nicht bekommt, so soll es mir lieb sein, wenn Ihr, wie Ihr gesagt, Euren Burschen hinüber schicken wollt.« »Ein freundlicher Bescheid! Das lasse ich gelten! Also heim nach Heugh-foot! Die Meinigen werden sich freuen, Euch zu sehen.« Schnellen Schrittes gingen sie weiter. Auf den Rücken eines ziemlich steilen Hügels gelangt, rief Hobbie Elliot: »Wißt, Earnscliff, mich freut's immer, wenn ich auf diesen Fleck hier komme! Seht Ihr dort unten das Licht? Das kommt vom Fenster der großen Stube herüber, in der die alte, geschwätzige Urahn das Spinnrad schnurren läßt. Und das andere Licht dort, das an den Fenstern rück- und vorwärts tanzt? Seht Ihr's! Das ist meine Base, die Grace Armstrong, doppelt so geschickt in der Hauswirtschaft wie meine Schwestern. Das lassen die auch selber gelten, denn es sind so gutmütige Dinger, wie nur je eins den Fuß auf die Heide gesetzt hat! Und die Urahn, die sagt's auch, daß die Base weit flinker und rühriger ist als die andern und am besten in der Stadt auf dem Markte einkauft, nachdem die Urahn das Haus nicht mehr verlassen darf. Von meinen Brüdern ist der eine unterwegs, dem Lord Kammerherrn die Aufwartung zu machen, ein andrer ist in Moßphadraig, dem andern Pachthofe von uns, den wir weiter verpachtet haben. Er versteht mit dem Rindvieh genau so umzugehen wie ich.« »Mein Lieber! Ihr seid gut daran, soviel tüchtige Verwandte zu besitzen!« »Fürwahr! Das ist auch der Fall! Grace macht mich zum dankbaren Menschen: ich werde es nie leugnen! Aber, Earnscliff, Ihr seid ja auf hohen Schulen, in Edinburg auf der Universität, gewesen und habt überall dort gelernt, wo sich's am besten lernen läßt – sagt mir doch – nicht daß die Frage mich besonders anginge – aber ich hörte einen Diskurs über die Frage zwischen dem Prediger von Saint-John und unserm eignen Pfarrer auf dem Wintermarkte darüber, und sie redeten beide sehr gut – der Priester meinte, es sei wider das Gesetz, seine Base zu ehelichen; ich kann aber nicht sagen, daß mir seine Bibelsprüche auch nur halb so gut gefallen hätten wie die von unserm Pfarrer, der ja für den besten Gottesmann und Prediger zwischen hier und Edinburgh gehalten wird ... unser Pfarrer bewies ihm das Gegenteil ... glaubt Ihr, Earnscliff, daß der unsrige im Recht war?« »Alle Christen protestantischen Glaubens, Hobbie, halten die Ehe ganz so frei, wie sie Gott der Herr durch das mosaische Gesetz eingesetzt hat. Darum, Hobbie, kann zwischen Euch und Miß Armstrong keine Rede sein von einem Hindernis, weder einem gesetzlichen noch einem religiösen.« »Laßt doch den Scherz beiseite, Earnscliff!« antwortete sein Kamerad; »trifft Euch jemand an wundem Fleck, so fehlt's ja bei Euch am Zorn auch nicht. Wenn ich die Frage stellte, so geschah es ganz ohne Bezug auf Grace; denn Ihr müßt wissen, daß sie bloß die Tochter ist von meines Oheims Frau aus erster Ehe, also gar nicht leiblich mit mir verwandt, sondern nur in weitem Grade verschwägert... Ei! Jetzt sind wir aber am Shellnig-Hill. Ich will die Büchse abfeuern, den Leuten im Hause zum Zeichen meiner Ankunft. Das ist stets Brauch bei mir! Habe ich ein Stück Rotwild geschossen, dann gibts einen Doppelknall: einen für das Wildpret, den andern für mich!« Alsbald knallte der Schuß und alsbald fingen die Lichter im Hause an zu wandern, sogar bis vor das Tor hinaus. Hobbie machte seinen Gefährten aufmerksam auf eines der Lichter, das aus dem Hause nach einem Wirtschaftsgebäude zu schweifen schien. »Das ist Grace selber,« meinte Hobbie, »die kommt mir nicht an der Tür entgegen, darauf wette ich. Aber hinausgegangen sein wird sie, um zu sehen, ob das Futter fertig ist für meine Hunde, die armen Tiere.« »Liebst du mich, dann lieb' auch meinen Hund! Nicht wahr, Hobbie?« meinte Earnscliff; »Ihr seid ein glücklicher Jungmann, Hobbie!« Ein Seufzer oder doch ein ihm ähnlicher Ton begleitete diese Äußerung und dem Ohr des Kameraden entging das nicht. »Hm! Es können doch andre ganz ebenso glücklich sein wie ich! Hab' doch auch beim Wettrennen in Carlisle gesehen, wie Miß Isabel Vere den Kopf nach jemand hin drehte! Wer weiß, was für Dinge in dieser Welt vorgehen können!« Earnscliff murmelte etwas wie eine Antwort, ob er damit aber den Worten des Kameraden beipflichten oder sich gegen dergleichen Anspielungen verwahren wollte, ließ sich nicht heraushören. Wahrscheinlich war sein Wunsch, seine Stellung zu dieser Frage möglichst zweifelhaft und dunkel zu lassen. Die beiden Jünglinge waren nun den breiten Pfad hinunter geschritten, der sich am Fuß einer steilen Höhe entlang zog und nach der Vorderseite des mit Stroh gedeckten, behaglichen Pachtgebäudes führte, in welchem Hobbie mit seiner Sippe wohnte. Vergnügte Gesichter drängten sich an der Tür. Aber als man sah, daß Hobbie nicht allein kam, sondern einen fremden Mann mitbrachte, unterblieb manche spöttische Bemerkung, die Hobbie wegen seines magern Jagderfolges zu hören bekommen sollte. Unter den drei hübschen jungen Mädchen kam es zu manchem Hin und Her, weil jede von ihnen der andern das Amt zuschieben wollte, den fremden Jüngling in die Gast- oder Fremdenstube zu führen; wahrscheinlich aber drehte es sich darum, daß sich keine im Hauskleide hübsch genug vorkam, um einem andern Jüngling, als dem eigenen Bruder, sich zu zeigen. Unterdes kanzelte Hobbie sie alle zusammen – bloß Grace nicht, denn die war nicht dabei – auf herzliche, aber ziemlich resolute Weise ab, nahm der einen von diesen Dorfschönen das Licht aus der Hand, mit dem sie nicht ungeschickt spielte, und führte seinen Gast zuvörderst in die Familienstube oder »Halle«. Das Pachthaus war nämlich in früherer Zeit eine Art Bollwerk gewesen, eingerichtet zur Verteidigung gegen Grenzer und Wegelagerer, deshalb war die große oder Familienstube gewölbt und gepflastert, zufolgedessen freilich auch feucht und im Vergleich mit den Bauernhäusern unserer Tage nichts weniger als heimlich oder gemütlich. Immerhin meinte Earnscliff, gegen die Dunkelheit und den rauhen Wind draußen mit dem durch ein helles, mächtiges Feuer von Torfstücken und Erlenscheiten gut durchwärmten Raume keinen schlechten Tausch gemacht zu haben. Die alte würdige Dame in dem engen, saubern Rock aus hausgesponnener Wolle, mit der großen, goldenen Halskette und den schweren goldnen Ohrbommeln und dem Käppchen mit Flügelhaube auf dem greisen Haupte, die Herrin über Haus und Sippe und einer Edeldame nicht minder gleich als der Frau eines Pächters, zumal sich in ihr ja beides verkörperte, hieß den Jüngling wiederholt mit freundlichem Worte willkommen; sie saß an der Ecke des großen Kamins in einem geflochtenen Lehnstuhl und überwachte von hier aus die abendlichen Arbeiten der Mädchen und der Hausmägde, die hinter ihren jungen Herrinnen saßen, emsig die Spindel drehend. Als man sich der Pflichten gegen Earnscliff durch freundlichen Willkommen entledigt und Weisung gegeben hatte zur Herrichtung des Abendtischs, kam Hobbie an die Reihe, gegen den von der Urahn sowohl wie von den Schwestern ein spöttisches Kleingewehrfeuer wegen seines mäßigen Jagdglückes eröffnet wurde. »Für das bißchen Wildpret, das Hobbie mit heim gebracht hat, brauchte Jenny wahrlich das Küchenfeuer nicht in Glut zu halten!« sagte die eine der Schwestern. »Die glimmende Torfasche hätte, ein bißchen derb angeblasen, wohl ausgereicht, um Hobbies Wildpret gar zu rösten,« meinte eine andre. »Ein Lichtstumpf, in den der Wind sich gesetzt hatte, möchte es wohl auch getan haben!« bemerkte eine dritte; »ich an seiner Stelle hätte mich doch noch mit einer Krähe oder Dohle dick getan, statt mich dreimal ohne Hirschgeweih nach Hause zu trollen!« Hobbie blickte von der einen zur andern, die Stirne runzelnd und schelmisch dabei lächelnd. Er suchte sogar dadurch, daß er des Geschenks Erwähnung tat, das ihm sein Kamerad machen wollte, bei den Frauen eine günstigere Meinung von sich zu wecken. »Als ich jung war,« mischte die alte Dame sich in das Gespräch, »hätte sich jeder Mann geschämt, der nicht, einem Krämer gleich, der mit Kalbfellen handelt, mit einem Rehbock auf jeder Pferdseite nach Haus gekommen wäre.« »Wenn uns die Jäger früherer Jahre bloß noch Wild übrig gelassen hätten,« versetzte Hobbie; »aber Eure Altersgenossen haben, wie mir scheint, ratzekahl damit aufgeräumt!« »Du siehst aber doch, Hobbie,« meinte die älteste Schwester mit einem Seitenblick auf Earnscliff, »daß andre Leute Wild finden! So unmöglich, wie Ihr es darstellen wollt, ist's doch wohl nicht!« »Schon gut, Mädel! Schon gut!« rief Hobbie lachend, »hat denn nicht jeder Hund seinen guten Tag? ... Mag mir Earnscliff nicht übel nehmen, daß ich das alte Sprichwort zitiere! ... Kann ich nicht ein andermal sein Glück und er mein Pech haben? Den ganzen Tag auf den Beinen und auf dem Heimwege von Kobolden heimgesucht zu werden, ist kein Spaß, auch für einen Mann nicht; über sich dann abends noch von Weibsvolk aufziehen und ausschelten zu lassen, das den ganzen Tag nichts weiter zu tun hat als die Spindel zu drehen oder ein paar Lumpen zu flicken, das kann einem erst recht nicht passen!« »Von Kobolden heimgesucht!« riefen wie aus einem Munde Urahn, Mädchen und Mägde; denn damals spielten in Schottlands Tälern und Schluchten Gespenster eine gar wichtige Rolle, wie schließlich wohl auch heute noch! »Nun, ein Kobold war es wohl nicht grade, was uns an der granitnen Säule in den Weg kam! Ihr habt's ja auch gesehen, Earnscliff, so gut wie ich!« Und nun erzählte er, ohne zu übertreiben, wie er zu erzählen gewohnt war, die Begegnung mit dem geheimnisvollen Wesen im Mucklestane-Moor, und als er auserzählt hatte, da setzte er noch bei, was es hätte sein können, das er gesehen, wisse er nicht zu sagen, außer daß er vermute, wenn es der böse Feind nicht selbst gewesen, so könne es wohl bloß einer von den alten Pikten gewesen sein, die vor langer, langer Zeit des Landes Herren waren. »Einer von den alten Pikten!« widerholte die Urahn; »nicht doch, nicht doch! Gott halte seine Hand über dich, mein Kind! Ein Pikte war das nicht, das war das braune Moormännchen! Daß Unglück komme über die böse Zeit! Wie kann es geschehen, daß böse Wesen erscheinen zur Qual unsers armen Landes, wo sich ja jetzt alles in Ruhe und Frieden befindet und in Liebe lebt unter dem Schutze des Rechts? O daß Unglück über ihn komme! Nimmer brachte er Gutes dem Land und seinen Bewohnern. Mein Vater hat mir oft erzählt, daß das Moorgespenst gesehen wurde im Jahre der blutigen Schlacht von Marston-Moor, und dann wieder bei den Unruhen des Marquis von Montrose, und vor der schweren Niederlage von Dunbar, und meiner Lebtage, als die Schlacht an der Bothwellbrücke geschlagen wurde. Auch sagt man, daß der Laird von Benarbuck mit der Prophetengabe, kurz vor der Landung des Herzogs von Argyle, eine Zeitlang mit ihm Unterredungen gepflogen hätte. Allein darüber kann ich nichts Genaues sagen; denn es ist geschehen im fernen Westen. Ach, Kinder, das graue Moormännchen darf nie erscheinen außer in schlimmer Zeit. Drum bete ein jedes von euch zu Ihm, dem Allmächtigen, der allein helfen kann zur Zeit der Wirrsal und Bedrängnis!« Jetzt mischte Earnscliff sich ein, um seiner festen Überzeugung Ausdruck zu geben, daß die Person, die er gesehen habe, ein armer, mit Wahnsinn geschlagener Mensch gewesen sei, der keinen Auftrag aus der unsichtbaren Welt besessen habe, Krieg oder Unheil zu künden. Aber seine Meinung fand keine willigen Ohren; es vereinigten sich vielmehr alle in der inständigen Bitte, er möge seine Absicht, am folgenden Tage zu dem Platze zurückzukehren, fallen lassen. »O, mein liebes Kind,« nahm die Urahn wieder das Wort, die in ihrer Herzensgüte das Elternwort für alle brauchte, zu denen sie Liebe fühlte, »Ihr solltet Euch mehr schonen als andere! Denn Euer Haus hat schwerer Verlust betroffen durch Eures Vaters vergossenes Blut und durch Prozesse, auch sonst mancherlei Schaden gelitten! Ihr seid die Blume der Herde, das junge Reis, das den alten Stamm wieder aufrichten soll, und eine Feste für alle die Euren! Ihr vor allem habt Ursache, Euch zu hüten vor Abenteuern; war doch Euer Geschlecht immer verwegen und kühn und ist doch deshalb viel Unglück über Euch gekommen!« »Aber, meine liebe Urahn und Freundin! Daß ich mich fürchten soll am hellen Tage ins offene Moor zu gehen, das wollt doch auch Ihr nicht!« »Ich weiß nicht,« lautete die Antwort der wackern alten Frau, »ich würde nimmer einem Sohn von mir oder einem Freunde von mir raten, die Hand von einer guten Sache zu ziehen, gleichviel ob es die eigene sei oder die eines Freundes. Zu dergleichen würde ich niemals auffordern, so wenig wie sonst wer aus edlem Geschlecht! Aber ein graues Haupt wie das meine kann sich des Gedankens nicht erwehren, daß es wider das Gesetz sei und wider die Heilige Schrift, wenn jemand ausgeht, Böses zu suchen, mit dem er nichts zu schaffen hat!« Earnscliff sah, daß ihm keine Hoffnung winke, der Ansicht, die er von dem Vorfall hatte, andere teilhaftig zu machen. Drum verzichtete er auf weitere Erörterung hierüber. Zudem machte das Herrichten des Abendtisches der Unterhaltung ein Ende. Inzwischen war auch Grace in die Stube getreten. Hobbie führte sie zum Tische hin und setzte sich neben sie, nicht ohne einen bezeichnenden Blick auf seinen Kameraden zu werfen. Auf die Wangen der jungen Dirnen führte die Lustigkeit, die wieder einkehrte, und die muntere Unterhaltung, an der die Urahn mit jenem Frohsinn sich beteiligte, der dem Greisenalter so wohl ansteht, die Rosen wieder, die des Bruders Spukgeschichte verscheucht hatte; und eine ganze Stunde lang nach dem Essen wurde von dem jungen Volk in der großen Hausstube getanzt und gesungen, als ob es Kobolde in der ganzen großen Welt nicht gebe. Viertes Kapitel Am andern Morgen nach dem Frühstück verabschiedete sich Earnscliff von seinen gastfreundlichen Bekannten, mit dem Versprechen, sich zu dem Wildpretschmause, zu dem er seine Jagdbeute gespendet, pünktlich einzufinden. Hobbie tat so, als ob er sich an der Tür von ihm verabschiede, schlich ihm aber nach und gesellte sich auf dem Kamm des Hügels zu ihm. »Ihr wollt hin, Herr Patrik? Meine Urahn mag sagen was sie will, so mag ich doch Euch nicht im Stich lassen. Es erschien mir als das einfachste, mich still zu entfernen, damit sie von unserm Vorhaben nicht erst was merke. Ärgern durch Ungehorsam dürfen wir Kinder sie nicht. Dieses Versprechen hat uns der Vater noch auf dem Sterbelager abgenommen.« »Auf keinen Fall dürfen wir das, Hobbie,« erwiderte Earnscliff »Eure Urahn verdient Achtung und Liebe.« »Das muß man sagen: in solcher Angelegenheit würde sie sich um Euch genau soviel sorgen wie um mich. Aber eine Frage, Earnscliff: seid Ihr wirklich der Meinung, daß wir keines Übermuts uns schuldig machen, wenn wir uns wieder aufs Moor hinaus wagen? Eine zwingende Verpflichtung dazu haben wir ja, wie Ihr wißt, nicht!« »Dächte ich so wie Ihr, Hobbie,« meinte der junge Gutsherr, »so würde ich mich um die Sache schließlich nicht weiter bemühen. Da ich aber der Ansicht bin, daß von übernatürlichen Erscheinungen entweder niemals was auf der Welt vorhanden gewesen oder zum wenigsten zu unserer Zeit nicht mehr die Rede sein kann, will ich einen Fall nicht unerforscht lassen, in welchem mir ein armes wahnsinniges Wesen eine Rolle zu spielen scheint.« »Meinetwegen, wenn das nun einmal Eure Ansicht ist,« versetzte Hobbie mit zweifelnder Miene – »sicher wohl ist ja, daß sich grade die Feen, die sich einstmals auf allen grünen Hügeln gegen Abend zeigten, in unsern Tagen nicht halb so oft sehen lassen. Daß ich selber jemals auch nur eine Fee gesehen, könnte ich nicht beschwören; aber gepfiffen hat es mal hinter mir im Moor, so wie ein Strandpfeifer pfeift, genau so! Mein Vater dagegen hatte manche Fee gesehen, wenn er spät abends, mit benebeltem Kopfe vom Jahrmarkt heim kam, der gute Mann!« Earnscliff konnte sich ein Lächeln über diese letzte Äußerung nicht verhalten, die als ungefähres Kennzeichen für den langsamen Rückgang des Aberglaubens von einer Generation zur andern gelten konnte. Die jungen Männer blieben bei dem gleichen Thema, bis sich die granitne Säule wieder vor ihren Blicken erhob. »Ihr könnt mir glauben,« rief Hobbie, »das Geschöpf schleicht noch dort herum; aber es ist jetzt Tageslicht; Ihr habt Euer Gewehr, ich meinen Dolch mitgebracht; wir dürfen uns also, meine ich, heranwagen.« »Sicher,« versetzte Earnscliff, »aber um Jesu Christi willen, was treibt das Wesen dort?« »Es baut aus den Graugänsen, wie man die großen über die Heide verstreuten Steinblöcke nennt, einen Damm! Wahrlich! So etwas hat man noch nicht erlebt!« Als sie näher kamen, mußte Earnscliff, der sich des Staunens nicht erwehren konnte, seinem Kameraden Recht geben. Das seltsame Wesen, das sie am Abend zuvor erblickt hatten, schichtete langsam und mühsam Stein auf Stein, scheinbar zu einer Mauer. An Material dazu war Überfluß; die Arbeit war aber schwer, weil die meisten Steine von mächtiger Größe waren. Daß solch ein Wesen sie von der Stelle schaffen konnte, schien staunenswert; von manchen, die den Grund zu seinem rohen Bauwerk bildeten, schien man es kaum für möglich halten zu können. Als die beiden Jünglinge herantraten, war er eben unter schweren Anstrengungen bemüht, einen mächtigen Block vom Flecke zu rühren, und die Arbeit nahm ihn dermaßen in Anspruch, daß er die Jünglinge nicht eher sah, als bis sie dicht vor ihm standen. Er entwickelte dabei ein solches Riesenmaß von Kraft, daß sich die beiden Jünglinge voll Staunen fragten, in welch übernatürlichem Verhältnis dasselbe zu dem Größenmaße seiner ganz ohne Frage verwachsenen Gestalt stände. Seine Körperstärke mußte, nach den bereits vollbrachten Leistungen zu schließen, mit der des Herkules wetteifern können, denn manche der von ihm bewältigten Blöcke nahmen ganz ohne Frage doppelte Manneskraft in Anspruch. Als Hobbie Zeuge solch übernatürlicher Körperkräfte wurde, fing sich sein Argwohn wieder an zu regen. »Mir scheint es fast wie sicher, daß in diesem Wesen der Geist eines Maurers steckt,« flüsterte er, »seht doch nur, Earnscliff, was für eine Grundmauer er aufgeführt hat! Sollte es hingegen doch ein menschliches Wesen sein, so muß man sich wohl wundern, was er mit solchem Damme im Moore bezweckt! Zwischen Cringlehope und den Wäldern ist solches Ding eher zu brauchen ... Wackerer Mann!« rief er, die Stimme verstärkend, »Ihr baut hier ein recht standfestes Werk!« Gespensterhaft starrten die Augen des seltsamen Geschöpfs, an das sich diese Worte richteten, das sich jetzt aus seiner gebückten Haltung aufrichtete und mit aller ihm angeborenen, widerwärtigen Häßlichkeit dastand. Der Kopf von ungewöhnlicher Größe war bewachsen mit dichtem, schon stark ergrautem Borstenhaar; über einem Paar kleiner, dunkler Augen von durchdringender Schärfe, die wahnsinnsprühend wild und wüst in tiefen Höhlen rollten, starrten ziemlich kerzengrade struppige Brauen vor. Die Züge seines Gesichts zeigten ein rauhes, grobes, wie aus Stein gemeißeltes Gepräge; ihr Ausdruck war wild, unregelmäßig, fremdartig, wie man ihn häufig sieht auf Gesichtern von Menschen mit mißgestaltetem Körper. Sein Rumpf, dick und vierschrötig, im Umfange dem eines Mannes von mittlerer Größe gleichend, ruhte auf zwei mächtigen Füßen, aber Beine und Schenkel schien die Natur vergessen zu haben, oder sie waren so kurz, daß sie durch die Schöße des Kamisols, das über den Rumpf reichte, verdeckt wurden. Seine langen, fleischigen Arme, mit zottigem, schwarzem Haar bedeckt, setzten sich in einem Paar großer kräftiger Hände fort mit langen, durch starke Knochen und Gelenke ausgezeichneten Fingern. Das ganze Bild, welches dieses seltsame Wesen bot, dessen gedrängter Wuchs mit den langen Armen und Füßen in gar keinem Verhältnis stand zu der riesenhaften Körperstärke, weckte den Eindruck, als habe die Natur die einzelnen Teile dieses Körpers geschaffen, um einen Riesen zu formen, sie aber dann, einer wunderlichen Grille folgend, einem Zwerge zugewiesen. Sein Anzug bestand aus einer Art von Kamisol mit langem Schoße von grobem Gewebe brauner Farbe, das durch einen Riemen aus Seehundsfell um den Leib gehalten wurde. Auf dem Kopf, die mürrischen Züge mit dem boshaften Ausdruck halb überschattend, saß eine Kappe aus Dachsfell oder einer andern, nicht genau kenntlichen Pelzart, von so wunderlicher Form, daß sie die Wirkung der ganzen Erscheinung um ein beträchtliches steigerte. Dieser wunderliche Zwerg heftete auf die beiden still vor ihm stehenden Jünglinge einen grimmigen Blick, bis Earnscliff versuchte, ihn durch die Worte: »Freundchen! Bei so harter Arbeit erlaubt Ihr Wohl zu helfen?« milder zu stimmen. Zusammen mit Hobbie Elliot hob er den schweren Block auf die bereits geschaffene Grundmauer. Der Zwerg stand daneben, ganz in der Haltung eines seine Arbeiter überwachenden Aufsehers. Durch Zeichen des Verdrusses gab er seiner Ungeduld Ausdruck über die hierbei von ihnen gebrauchte Zeit. Dann zeigte er auf einen zweiten Stein. Auch diesen hoben sie auf die Grundmauer, auch einen dritten und vierten noch, gefügig den Launen des Zwerges, aber nicht frei von Verdruß, denn er mutete ihnen, offenbar aus böswilliger Absicht, die schwersten Blöcke zu, die in der Nähe herumlagen. »Hm, Freundchen,« meinte nun aber Elliot, als der Zwerg einen Stein bezeichnete, der um vieles größer war als alle bislang von ihnen bewältigten, »mag Earnscliff tun was ihm gefällt, mir aber soll, möget Ihr ein Mensch sein oder was Schlimmeres, der Teufel die Finger krumm ziehen, wenn ich mir den Rücken noch länger krumm ziehe wie ein Lastvieh mit diesen Steinblöcken, ohne auch nur ein »Schön Dank« für solche Plackerei zu bekommen!« »Schön Dank!« rief da der Zwerg mit einer Gebärde höchster Verachtung; »da habt Ihr, was Ihr wollt und mästet Euch dran! Nehmt ihn, meinen »Schön Dank«, daß er Euch gedeihe, wie er mir gediehen ist! wie er jedem sterblichen Wurm gedieh und gedeiht, der ihn jemals vernahm aus dem Mund eines kriechenden Mitwurms! Schert Euch! Wer nicht arbeiten will, hat hier nichts verloren! Schert Euch!« »Ein schöner »Schön Dank«, Earnscliff, den wir dafür erhalten, daß wir dem Teufel ein Tabernakel aufrichten halfen und unsre eignen Seelen dadurch in Gefahr setzten! Denn wissen wir, was hier im Schwange ist?« »Unsere Gegenwart steigert, scheint mir, seine Raserei,« versetzte Earnsliff; »es wird richtiger sein, wir lassen ihn allein und schicken jemand her mit Speise und Trank und was ihm sonst vonnöten!« So taten sie. Der Dienstbursch, den sie sandten, fand wohl den Zwerg, der noch immer an seinem Steindamm arbeitete, aber es gelang ihm nicht, dem seltsamen Wesen das geringste Wort zu entwinden. Im Aberglauben des Landes befangen, gab sich der Bursch keine Mühe weiter, dem Zwerg Rat oder Hilfe aufzudrängen, sondern legte, was er hergetragen, in einiger Entfernung auf einen Stein nieder, dem Menschenhasser zur Verfügung. Tag für Tag setzte der Zwerg sein Werk fort mit einer Emsigkeit, die fast übermenschlich erschien. An einem Tage vollbrachte er oft die Arbeit von zwei Männern. Bald gewann sein Bau die Umrisse einer Steinhütte, von zwar kleinem Umfange, aber zufolge des verwandten Materials ungewöhnlicher Festigkeit, trotzdem die Fugen, statt mit Mörtel, bloß mit Rasen verstopft waren. Earnscliff, der das Treiben des Zwerges aufmerksam verfolgte, hatte den Zweck, den derselbe verfolgte, kaum erkannt, als er ihm Balken, zum Dache geeignet, ins Moor hinaussandte. Aber seiner Absicht, ihm an andern Tage Zimmerleute zu senden, die ihm helfen sollten, das Dach aufzurichten, kam der Zwerg zuvor, indem er die ganze Nacht hindurch bis zum frühen Morgen mit solcher Anspannung aller Kräfte und so raffinierter Ausnützung aller verfügbaren Mittel arbeitete, daß die Dachsparren fast sämtlich gelegt waren, als Earnscliff am Morgen sich einfand. Nun schnitt er Binsen im Moor als Füllmaterial für die Zwischenräume zwischen den Sparren, eine Aufgabe, die er mit großer Gewandtheit vollbrachte. Da er von fremder Hilfe nichts wissen mochte, den gelegentlichen Beistand von Leuten, die der Weg vorbeiführte, ausgenommen, beschränkte sich Earnscliff darauf, ihm geeignetes Material zu besorgen, das er im Moore nicht finden konnte, und Werkzeug, in dessen Gebrauch er sich äußerst geschickt zeigte. So zimmerte er sich Tür und Fenster und eine Bettstatt, auch Gesimse an den Wänden. Mit der Mehrung seiner Bequemlichkeit schien seine Bitternis zu schwinden. Nun zog er einen Zaun um die Steinhütte, trug Dammerde herbei und fing an das eingezäunte Stück Land zu bebauen. Selbstverständlich muß bei dem allen die Voraussetzung gelten, daß, wie schon bemerkt wurde, dieser einsiedlerische Zwerg gelegentlich Beistand erhielt von Leuten, die ihr Weg über das Moor führte oder Neugierde herbeilockte. Wer eine menschliche Gestalt, beim ersten Anblick so wenig geeignet für solch schwere Arbeit, mit solch unverdrossenem Eifer bei solch seltsamem, aber tüchtigem Werke sah, konnte nicht anders als stehen bleiben und zusehen und Beihilfe anbieten oder versuchen. Da aber anderseits niemand von solcher Beihilfe anderer etwas sah oder hörte, ging dem schnell fortschreitenden Werke an Wunderbarkeit nichts verloren. Aber nicht bloß das Werk selber, sondern auch die überlegene Geschicklichkeit, die der Zwerg in allen mechanischen Fertigkeiten an den Tag legte, weckte bei den anwohnenden Nachbarn Argwohn, daß es bei all diesem Treiben nicht mit rechten Dingen zugehe. Allgemein hieß es, wenn der Zwerg kein Kobold sei – denn seit man wußte, daß er ein Wesen von Fleisch und Bein sei, fiel solche Meinung von selber – so könne es doch nicht anders sein, als daß er in enger Beziehung zur unsichtbaren Welt stände und sich solch abgelegenen Platz ausgesucht habe, um den Verkehr mit Geistern ungestört pflegen zu können. Weiter hieß es, wenn auch in anderm Sinne als Philosophen den Satz anwenden: daß der Zwerg niemals weniger allein sei als wenn er allein sei; denn von den Höhen um das Moor herum hätten Vorübergehende zuweilen mit diesem Bewohner der Einöde eine Gestalt arbeiten sehen, die stets verschwinde, sobald sich jemand der Hütte nähere. Man hätte die Gestalt auch mit ihm zusammen an der Tür sitzen, im Moore wandern, auch ihm beim Quell Wasser tragen helfen sehen. Earnscliff war der Meinung, was solche Leute gesehen haben wollten, sei bloß der Schatten des Zwerges gewesen. Aber Hobbie Elliot war der Meinung nicht. »Den Teufel von Schatten hat er,« meinte dieser ungläubige Thomas, der ganz auf seiten der allgemein herrschenden Spukansicht stand, »viel zu tief hat er sich eingelassen mit dem Gottseibeiuns, daß er noch einen Schatten haben könnte. Hat denn übrigens,« folgerte er zutreffend, »jemals jemand von einem Schatten gehört, der zwischen Körper und Sonne tritt? Mag es sein was es will: soviel steht fest, daß es dünner war und länger als der Körper selber und daß es mehr denn einmal zwischen dem Körper und der Sonne gesehen worden ist.« Solcher Argwohn, der zu damaliger Zeit in anderm Landesteile Ursache zu Verfolgung und Prozeß von bedenklichem Ausgang hätte werden können, weckte hier bloß ehrfürchtige Scheu. Zeichen hierfür bei Leuten, die ihr Weg zufällig vorbeiführte, ängstliche Blicke, auf seine Person und Hütte geheftet, eilige Schritte, um rasch aus der Nähe solcher Örtlichkeit zu gelangen, schienen dem zwerghaften Wesen nicht unangenehm zu sein. Nur wer Mut im Leibe hatte, wagte es, seine Neugier durch einen hastigen Blick über den Gartenzaun zu stillen, und wenn er merkte, daß ihn der Zwerg gesehen, einen bescheidenen Gruß zu sprechen, den dieser dann, wenn er nicht grade zu knurrig war, durch ein Nicken oder ein Wort erwiderte. Aber in ein Gespräch mit ihm zu kommen, erwies sich als unmöglich, über seine Verhältnisse sowohl wie über irgendwelchen Gegenstand sonst, trotzdem sein Menschenhaß an Wildheit nachgelassen zu haben schien, auch die Wahnsinnsanfälle, aus seinem Menschenhaß entspringend, minder häufig aufzutreten pflegten. Nie konnte ihn Earnscliff, der selten über das Moor ging, ohne sich nach dem einsamen Bewohner desselben zu erkundigen, überreden zur Annahme anderer als solcher Dinge, die für die einfachsten Bedürfnisse reichten. Und nicht bloß von Earnscliff, sondern auch anderen Nachbarn – von Earnscliff aus Barmherzigkeit und Mitleid, von den andern aus abergläubischer Furcht – wurden ihm Gaben weit über seine Bedürfnisse geboten. Für die Gaben der Nachbarn dankte er durch ärztlichen Rat, wenn solcher, für Mensch und Vieh, bei ihm eingeholt wurde: und den Zwerg als nützlichen Arzt in Anspruch zu nehmen, bürgerte sich mit der Zeit in der ganzen Gegend ein. Zumeist half er den Leuten selber durch Arzneien aus, er schien nicht allein Arzneien zu haben, aus Kräutern des Landes destilliert, sondern auch solche fremdländischen Ursprungs. Leuten, die zu solchem Zweck in seiner Hütte vorsprachen, bedeutete er, daß er Elshender der Klausner heiße; im Volksmunde aber hieß er der kluge Elshie oder der Weise vom Mucklestane-Moor. Manche baten ihn auch um Auskunft in andern als ärztlichen Dingen und auch hierin bewies er sich als scharfsinniger Berater, eine Eigenschaft, die die Meinung von seinen übernatürlichen Fähigkeiten verstärken mußte. Als Lohn für solchen Rat wurde gemeinhin auf einen Stein ein Stück weit von der Hütte eine Gabe niedergelegt. Bestand sie in Geld oder Dingen, die er nicht mochte, so warf er sie weg oder ließ sie, ohne sie zu benützen, einfach liegen. Er war und blieb der grobe, ungesellige Patron, wie er Earnscliff und Hobbie das erste Mal gegenüber getreten war. Kein Wort weiter nahm den Weg über seine Lippen, als notwendig war, seine Meinung auszudrücken. Jede Silbe zuviel war ihm ein Greuel. War der Winter vorbei, so beschränkte er sich auf die Kräuter und Gemüse als Nahrung, die ihm sein Garten brachte. Ein paar Ziegen, die er auf dem Moore weiden ließ und die ihn mit Milch versorgten, nahm er aber von Earnscliff an. Daraufhin stattete ihm Earnscliff wieder seinen Besuch ab. Der alte Graubär saß am Gartentür auf einem breiten, flachen Steine, seinem gewöhnlichen Platze, wenn er Kranke oder Ratsuchende bei sich vorzulassen gewillt war. In seine Hütte oder seinen Garten hinein ließ er niemand; diese Orte sollte offenbar kein Tritt eines menschlichen Wesens stören. Hatte er sich in seine Hütte eingeschlossen, so konnten ihn keine Bitten bewegen, sich sehen zu lassen oder jemand Gehör zu geben. Earnscliff hatte in einem kleinen, fernen Bache geangelt. In der Hand trug er die Angelrute, auf der Schulter einen mit Forellen gefüllten Korb. Er setzte sich auf einen Stein gegenüber von dem Zwerge, dem seine Gegenwart schon nicht mehr ungewohnt war und der sich infolgedessen durch ihn kaum noch stören ließ, sondern bloß den großen, ungefügen Kopf erhob, um ihn anzustarren, gleich darauf aber, als wenn er in tiefer Denkarbeit sich befände, wieder auf die Brust sinken ließ. Earnscliff sah sich um. Er bemerkte, daß der Zwerg seinen Hausbestand durch einen Schuppen für die beiden Ziegen erweitert hatte. »Elshie,« redete er das seltsame Wesen an, von dem Wunsche erfüllt, in ein Gespräch mit ihm zu treten, »Ihr vollbringt schwere Arbeit!« »Arbeit,« versetzte der Zwerg, »ist das geringste Übel in einem so kläglichen wie dem Menschenlose! Es ist besser zu arbeiten gleich mir, statt zu jagen gleich Euch.« »Ich kann vom Standpunkte der Menschlichkeit unserm gewöhnlichen Zeitvertreibe das Wort nicht reden, Elshie – und dennoch ...« »Und dennoch,« fiel ihm der Zwerg ins Wort, »ist dieser Zeitvertreib noch immer besser als Euer sonstiges Tun und Lassen; besser, Ihr übt aus Eitelkeit und Übermut Grausamkeit an Fischen als Euren Mitmenschen. Warum aber sage ich das? Warum soll sich das Menschengeschlecht nicht zertrampeln, zerfleischen, verschlingen, bis es ausgerottet ist bis auf den letzten Strunk eines feisten Behemoth-Ungetüms? Hat sich der vollgefressen an seinen Mitmenschen und deren Gebein abgeknaupelt bis auf die letzte Fleischfaser, so mag er dann, wenn ihm Beute mangelt, tagelang brüllen nach Nahrung, um schließlich zu verhungern und Zoll um Zoll von unten abzusterben! Das wäre ein Ende mit Schrecken, ein Untergang würdig dieser Großsippe von Scheusalen und zweibeinigen Krokodilen!« »Euer Tun, Elshie, ist besser denn Euer Reden,« entgegnete Earnscliff. »Denn Ihr gebt Euch Mühe, das Geschlecht zu erhalten, das Euer Menschenhaß schmäht.« »Freilich Wohl! Aber hört mir zu, weshalb! Ihr seid einer von denen, auf die ich mit weniger Widerwillen blicke. Es kommt mir Eurer törichten Blindheit gegenüber nicht darauf an, meiner Gewohnheit zuwider Worte zu verschwenden. Kann ich denn nicht, wenn sich Krankheit bei den Menschen und Pest unter Herden nicht finden lassen, zum gleichen Ziele gelangen, indem ich das Leben solcher, die dem Zerstörungswerk gleich wirksam dienen, verlängere? Wenn Alice von Bower im Winter gestorben wäre, hätte dann der junge Ruthven vergangnes Frühjahr erschlagen werden können um der Liebe willen zu ihr? oder: wem kam, als Westburnflat, der rote Räuber, auf seinem Todesschragen liegen sollte, der Einfall, seine Herde unter dem Turm in die Hürden zu treiben? Meine Geschicklichkeit hat ihn geheilt, meine Arznei ihn gerettet! Wer traut sich jetzt, seine Herde ohne Hüter auf dem Felde zu lassen oder sich schlafen zu legen, bevor er den Schweißhund losgelassen?« »Ich kann nicht sagen,« antwortete Earnscliff, »daß Ihr der Menschheit durch diese letzte Eurer Kuren einen großen Dienst erwiesen hättet; zum Ausgleich des Übels hat aber Eure Geschicklichkeit meinen Freund Elliot, den ehrlichen Hobbie von Heughfoot, letzten Winter von einem Fieber gerettet, an dem er Wohl hätte sterben können.« »So glauben in ihrem Unwissen die Kinder aus Ton!« versetzte mit boshaftem Lächeln der Zwerg, »und so reden sie in ihrer Torheit! Habt Ihr das Junge einer gezähmten Wildkatze beobachtet: wie munter, wie spielerisch, wie niedlich und zierlich es ist? Jagt Ihr es aber auf Euer Wild, auf Eure Lämmer, auf Euer Geflügel, flugs bricht die im Blute steckende Wildheit hervor! Flugs packt es die Beute, schlägt sie, zerreißt sie, verschlingt sie!« »Das ist des Tiers Instinkt,« versetzte Earnscliff, »was aber hat hiermit Hobbie zu tun?« »Es ist des Hobbie Bild!« entgegnete der Klausner, «jetzt ist er zahm, ruhig, gewöhnt an friedliche Sitte, weil es ihm an Gelegenheit fehlt, die angeborene Neigung auszuüben. Laßt aber die Kriegstrompete tönen, laßt den jungen Bluthund Blut riechen, und er wird blutgierig sein gleich dem wildesten seiner Vorfahren unter den Grenzern, der jemals eines hilflosen Kossäten Hütte in Brand steckte. Vermögt Ihr in Abrede zu stellen, daß er Euch oftmals drängt, Blutrache zu nehmen um einer Missetat willen, die an Eurer Sippe verübt wurde, als Ihr noch Kind, waret?« Earnscliff stutzte. Der Klausner schien seine Überraschung, nicht zu bemerken, sondern fuhr fort: »Und tönen wird die Trompete! Und Blut wird lecken der junge Hund, und lachen wird Elshie und sagen: aus keinem als diesem Grund habe ich dich gerettet!« Er schwieg. Erst nach einer Pause sprach er weiter: »Solcher Art sind meine Kuren! Fortpflanzen sollen sie die Masse Elend, und selbst in dieser Einöde spiele ich die Rolle, die mir gefällt und beschieden ist in der großen Tragödie dieser Welt. Und wenn auch Ihr läget auf Eurem Krankenbette, so könnte ich Euch einen Becher voll Gift senden aus Barmherzigkeit oder Mitleid.« »Vielen Dank, Elshie, vielen Dank!« rief Earnscliff, »und bei solch froher Zuversicht auf Rat und Beistand werde ich sicherlich nicht unterlassen, Euch darum anzugehen.« »Schmeichelt Euch aber nicht zu stark mit der Hoffnung,« versetzte der einsiedlerische Zwerg, »daß ich unter allen Umständen der Schwäche des Mitleids weichen werde. Weshalb sollte ich einen törichten Menschen wie Euch, der so recht geschaffen ist, die Jämmerlichkeiten des menschlichen Lebens zu ertragen, retten von dem Elend, das eigne Träumerei und irdische Erbärmlichkeit ihm bereiten? Weshalb sollte ich zur Rolle des barmherzigen Hindu greifen, der dem Gefangnen das Gehirn mit dem Schlachtbeil einschlägt? Weshalb sollte ich die Verästelung meiner Sippe in dem Augenblick zerstören, da die Fackel in Brand gesteckt wird, die Zangen glühen, der Kessel wallt und die geschärften Messer bereit liegen? da alles in Bereitschaft gesetzt ist zum Zerreißen, Sengen, Sieden, Zerstückeln des Schlachtopfers?« »Ihr zeichnet mir ein schreckliches Bild vom Leben, Elshie; allein es schreckt mich nicht,« antwortete hierauf Earnscliff, »zwar sind wir in die Welt gesetzt, um zu ertragen und zu dulden, aber hierzu nicht allein, sondern auch um zu wirken und zu genießen. Jeder Tag hat seine Abendruhe und auch einem Leiden in Gedulde wird Linderung durch das tröstliche Bewußtsein erfüllter Pflicht.« »Diese sklavische Lehre tierischen Ursprungs verachte ich,« rief der Zwerg und in seinen Augen blitzte die Wut des Wahnsinns, »sie ist des Viehes würdig, das krepiert! Aber ich mag nicht weitere Worte an Euch verschwenden.« Hastig stand er auf. Ehe er aber in seine Hütte trat, ergänzte er mit Heftigkeit seine Worte durch die folgenden: »Damit Ihr indes nicht meinet, als entsprängen die Wohltaten, die ich der Menschheit scheinbar erweise, aus jener einfältigen sklavischen Quelle, die man Liebe unsrer Mitmenschen nennt, so wisset: wenn es einen Menschen gäbe, der meiner Seele liebste Hoffnung zerstörte, der mir das Herz in Stücke risse, das Hirn zu Atomen von Asche versengte und dessen Vermögen und Leben so ganz in meine Gewalt gegeben wäre wie hier dieses Stück Ton «–er ergriff einen in der Nähe stehenden irdenen Napf – » so würde ich ihn nicht so in Scherben zerschmeißen wie das« – er schleuderte wütend den Napf an die Wand – »nein, nicht also würde ich tun an ihm!« sprach er mit höchster Bitterkeit, aber gefaßter, ruhiger – »nein, nicht also, sondern pflegen und hätscheln würde ich ihn, mit Reichtum und Macht überschütten würde ich ihn, auf daß seine wilden Leidenschaften sich entflammen, sein böses Schicksal sich erfülle! Kein Mittel, Laster zu befriedigen und Schurkerei zu frönen, sollte ihm fehlen! In einem Wirbel ewig siedenden Feuers sollte er sich drehen, dessen Bereich sich kein Boot, kein Schiff nähern könnte, ohne hineingerissen zu werden und zu zerschellen! Zum Vulkan sollte er werden, der die Stätte, wo er steht, erschüttert und überschüttet mit alles vernichtender Lava, der alle Menschen, die ihm nahe stehen und nahe kommen, freundlos und freudlos, verstoßen und elend macht, wie mich!« Das unglückliche Geschöpf rannte in seine steinerne Hütte, warf die Tür hinter sich ins Schloß und verriegelte sie, wie wenn er dem ganzen ihm verhaßten Geschlechte der Menschen, das seine Seele in solchen Wahnsinn gejagt hatte, den Zutritt sperren wollte. Mit einer Empfindung halb Mitleid halb Schauder verließ Earnscliff das Moor. Welch seltsame, traurige Ursache mußte es sein, die diesen Menschen, dessen Sprache einen Rang und Bildung verriet, weit überlegen dem niederen Volk, in solch unglücklichen Gemütszustand versetzt hatte! Und nicht minder erstaunlich war es, daß ein Mensch nach so kurzem Aufenthalt in der Gegend und bei solch abgeschlossenem Leben solch genaue Kenntnis besaß von dem Leben und von den Gewohnheiten seiner Mitmenschen. »Kein Wunder schloß er seine Gedankenfolge, »daß solcher Krüppel mit solchem Gemüt bei solchem Wissen und solchem Leben beim Volk für ein Wesen gilt, das mit dem Urfeind des menschlichen Geschlechts in Verbindung steht und Verkehr pflegt!« Fünftes Kapitel Als der Frühling vorrückte und wärmeres Wetter einkehrte, wurde der Klausner häufiger vor seinem Hause auf dem breiten, flachen Steine gesehen. Eines Tages saß er auch wieder dort. Da sprengte gegen Mittag eine Gesellschaft von Herren und Damen mit zahlreicher Begleitung über die Heide, in kurzem Abstand von seiner Steinhütte, vorbei. Hunde, Falken, Handpferde mehrten das Gefolge. Lustig schallte durch die Luft Jägerruf und Hörnerklang. Grade wollte der Klausner sich dem Anblick des fröhlichen Zuges durch die Flucht in seine Hütte entziehen, als drei junge Damen mit ihren Dienern vom Moore herüber geritten kamen. Neugierde trieb sie zu dem weisen Manne vom Mucklestane-Moor, und um sie zu stillen, hatten sie sich von der Jagdgesellschaft getrennt und einen Umweg nicht gescheut. Die erste kreischte und hielt sich die Hand vor die Augen, als sie solch seltsamen Geschöpfes ansichtig wurde. Die zweite suchte den Schreck, den sie bekam, durch hysterisches Lachen und durch die Frage, ob ihr der Zwerg ihr Schicksal künden könne, zu verstecken. Die dritte, die am besten beritten und am vornehmsten gekleidet war, unzweifelhaft auch die Schönste von allen war, trat, wie wenn sie die Unart der andern gut machen wollte, zu dem Zwerge heran. »Wir sind vom rechten Wege abgekommen, der durch die Sümpfe hier führt,« sprach die junge Dame, »und unsre Gesellschaft ist ohne uns weiter geritten. Da wir Euch nun vor der Hütte sitzen sahen, Vater, sind wir hergekommen, um –« »Still!« fiel ihr der Zwerg ins Wort, »so jung noch und doch schon so listig! Ihr seid hergekommen, und wißt, daß Ihr hergekommen seid, um Euch angesichts von Alter, Armut und Häßlichkeit Eurer Jugend, Eures Reichtums und Eurer Schönheit zu freuen! Ein Tun würdig der Tochter Eures Vaters und doch ungleich dem Kind Eurer Mutter!« »Waren denn meine Eltern Euch bekannt und kanntet Ihr mich?« »Ja! Vor meinen wachen Augen zeigt Ihr Euch zum erstenmal, aber in meinen Träumen habe ich Euch oft schon gesehen.« »In Euren Träumen?« »Ja, Isabel Vere! Denn was hast du mit meinen wachen Gedanken, was haben die deinigen mit ihnen zu schaffen?« »Eure wachen Gedanken, Alterchen,« sprach die zweite mit einem Anflug von spöttischem Ernst, »suchen zweifelsohne die Weisheit, und Torheit kann den Weg zu Euch nur finden, wenn Ihr schlaft.« »über deine Gedanken,« versetzte der Zwerg mit größerem Verdruß, als sich für einen Klausner und Philosophen schickte, »herrscht Torheit immer, sowohl im Wachen als im Schlafen.« »Steh' uns Gott bei!« rief die Dame, »der Mann ist sicher ein Prophet!« »Gewiß,« versetzte der Klausner, »gleichwie du ein Weib bist! Ein Weib? Besser sagte ich wohl Dame und noch besser seine Dame! Ihr habt die Frage an mich gerichtet, ob ich Euch das Schicksal künden wolle. Ihr wandelt bloß eine Bahn im Leben, die Bahn der Torheit! Ihr jagt eingebildetem Gut nach, das der Jagd nicht wert ist und, kaum erhascht, beiseite geworfen wird! Aber seit den Tagen der Kindheit, da Ihr noch nicht fest wart auf den Beinen, bis hinauf ins Greisenalter, wo Ihr an Krücken wandeln werdet, treibt Ihr solch Jagen ohne Unterlaß! Nach Spielzeug und Zeitvertreib als Kind, nach Liebesgetändel mit all seiner Torheit als Dirne, nach Kartenspiel als Greisin: all das wird nacheinander Eures Jagens Ziel und Zweck sein! Blumen und Schmetterlinge im Frühling, Schmetterlinge und Distelvögel im Sommer, welkes Laub im Herbst und Winter: nach all dem jagt Ihr und all dies wird, habt Ihr's erjagt, von Euch beiseite geworfen! Geht! Euer Schicksal ist gekündet!« »Aber erjagt wird's!« rief lachend die Schöne, eine Base von Miß Isabel, »und das ist doch wenigstens etwas! – Nancy,« wandte sie sich an die furchtsame Schöne, die den Zwerg zuerst gesehen hatte, »Nancy, willst du den Zwerg auch um dein Schicksal fragen?« »Um keinen Preis der Welt,« versetzte die Gefragte und wandte sich ab, »ich habe sattsam genug von dem deinigen!« »Nun, so will ich Euch für Eure Wahrsagerei,« rief Miß Ilderton und bot dem Zwerge Geld, »zahlen, als wenn einer Prinzessin das Orakel verkündet worden wäre.« »Die Wahrheit,« rief der Zwerg, »kann weder gekauft werden noch verkauft werden!« und stieß die angebotene Gabe mürrisch und mit Verachtung von sich. »Je nun, Herr Elshender,« lachte die Dame, »wer nicht will, der hat schon! So will ich denn mein Geld behalten und es verbrauchen auf der Jagd, die ich jetzt vorhabe.« »Behaltet's, denn Ihr werdet's brauchen!« versetzte der grobe Zwerg, »ohne Geld jagen nur wenige und weniger noch werden gejagt! Halt!« wandte er sich zu Miß Vere, als deren Begleiterinnen sich entfernten, »mit Euch habe ich mehr zu sprechen! Denn Ihr besitzet alles, wonach die anderen dort trachten, wessen sie sich heuchlerisch rühmen: Schönheit, Reichtum, hohen Stand und die Gaben einer vornehmen Erziehung.« »Verzeiht mir, Vater, wenn ich jetzt meinen Kameradinnen folge. Gegen Schmeichelworte bin ich nicht minder unempfindlich als gegen prophetische Worte.« »Bleibt,« rief der Zwerg und faßte ihr Pferd am Zügel, »ich bin weder Prophet im gemeinen Sinne des Worts noch Schmeichler. Zu jeglichem Vorteil, dessen ich Euch Erwähnung tat, gehört sein Nachteil: unglückliche Liebe, bekämpfte Neigung, verhaßte Ehe, Düsterheit des Klosters! Ich wünsche allen Menschen Böses, doch Euch kann ich nichts Böses mehr wünschen, so viel durchkreuzt von Bösem ist Eures Lebens Lauf!« »Nun, Vater! Wenn dem so ist, dann gönnt mir, was mir jetzt geboten wird: Unglück zu trösten, solange ich noch in Wohlstand bin. Ihr seid alt, seid arm! Eure Hütte liegt weit ab von menschlicher Hilfe, wenn Ihr krank seid oder Mangel leidet. Die Seltsamkeit Eurer Lage gibt Euch dem Argwohn des Pöbels preis, der allzeit geneigt ist zu rohem Tun. Gönnet mir den Trost, zur Besserung eines Menschenloses mein Scherflein beigesteuert zu haben! Nehmt an, was ich Euch als Beistand zu bieten vermag. Tut's, wenn nicht um Euret-, so um meinetwillen, damit ich mich, falls sich die Übel, die Euer Prophetengesicht vielleicht allzu richtig erschaut, wirklich einstellen sollten, des Gedankens zu erfreuen vermöge, daß die gücklichere Zeit meines Lebens nicht völlig umsonst verflossen sei.« Der alte Mann antwortete, fast ohne sich zu der jungen Dame zu wenden, mit einer Stimme, die fast gebrochen klang: »Ja, Isabel! So solltest du denken und sprechen, sofern Menschenwort und Menschensinn jemals was zusammen gemein haben! Das ist der Fall nicht... ach! das ist nicht möglich, und doch ... wart' einen Moment, Mädchen, ... und rege dich nicht, bis ich wieder da bin!« Er begab sich in sein Gärtchen und kehrte bald wieder mit einer aufgeblühten Rose in der Hand. »Du bist Ursach' gewesen, daß ich eine Träne vergoß, die erste, die mein Augenlid seit Jahren genetzt hat. Um dieser guten Tat willen nimm dies hier zum Zeichen meines Dankes! Es ist bloß eine Rose, aber hüte sie und trenne dich nicht von ihr! Nahet dir Unglück, so komm zu mir! Zeige mir die Rose oder auch nur ein Blatt von ihr, und wäre es gleich verwelkt wie mein Herz! Blatt oder Rose wird mich zu sanftem Sinne bringen, auch wenn ich von wildestem Zorn gegen die mir verhaßte Welt geschüttelt werde, und dir vielleicht glücklichere Aussicht! Aber –« schrie er mit seiner gewöhnlichen, feindlich klingenden Stimme, »keinen Boten, keinen Zwischenträger! Komm selber, denn dir und deinem Kummer werden sich Herz und Tor öffnen, die sich verschlossen halten gegen jegliches andre irdische Wesen ... Und nun, Mädchen, geh deines Wegs weiter!« Er gab dem Pferde den Zaum frei; das junge Fräulein dankte dem seltsamen Menschen, soweit sie durch ihr Staunen über die absonderliche Art seiner Anrede nicht daran gehindert wurde, und ritt weiter. Wiederholt wandte sie sich um, auf den Zwerg zu blicken, der an der Tür seiner Hütte stehen blieb und ihre Rückkehr nach dem väterlichen Schlosse Ellieslaw beobachtete, bis die Jagdgesellschaft hinter dem Rücken des Hügels verschwunden war. Unterwegs trieben die Damen untereinander Scherz über das seltsame Zwiegespräch, das sie mit dem weitberühmten Weisen des Moors geführt hatten, und neckten vor allem Miß Vere. »Isabel hat immer Glück, zu Haus und draußen! Ihr Falke fängt das Birkhuhn, ihre Augen verwunden die jungen Herren, uns andern bleibt nichts übrig! Sogar der Zwerg im Moore kann der Kraft ihrer Reize nicht widerstehen. Aus Mitleid, Isabel, solltet Ihr aufhören, alles für Euch in Beschlag zu nehmen oder solltet doch wenigstens einen Laden aufmachen, um an andre zu verkaufen, was Ihr für den eignen Gebrauch nicht aufstapeln möget!« »Nun, Ihr könnt meine Waren haben zu gar billigem Preise und den Zwerg als Zugabe!« versetzte Miß Isabel. »Nancy soll den Zauberer haben,« meinte Miß Ilderton, »zum Ausgleich ihrer Mängel! Sie selber ist, wie Ihr wißt, noch nicht ganz Hexe!« »Jesus, Schwester!« rief die jüngere, »was könnte ich anfangen mit solch furchtbarem Ungetüm? Als mein erster Blick auf ihn gefallen, schloß ich die Augen – und fürwahr! mir ist es noch immer gewesen, als sähe ich ihn, trotzdem ich die Lider so fest schloß wie möglich!« »Schade, schade!« versetzte die Schwester, »wähle dir nur immer einen Verehrer, dessen Fehler, wenn du ein Auge zudrückst, verborgen bleiben können. Nun denn, ich sehe schon, ich muß ihn selber nehmen, um ihn in Mamas Kabinett unter dem Porzellan aufzuheben zum Zeichen, daß Schottland ein Stück aus Menschenton zu erzeugen vermag, zehntausendmal häßlicher als die unsterblichen Künstler von Canton und Peking, so fruchtbar dieselben auch an solchen Ungetümen sein mögen.« »Die Lage dieses ärmsten unter den Menschen,« versetzte Miß Vere, »bietet des Trübseligen soviel, daß es mir nicht möglich ist, Lucy, auf deine Scherze so bereitwillig einzugehen wie sonst. Wie kann es sein, daß er in so ödem Striche so fern von allen Menschen leben kann? Und wenn er über Mittel gebietet, sich im Falle von Not oder Bedarf Beistand zu schaffen, steht dann nicht zu befürchten, daß ihn solcher Umstand, wenn er ruchbar wird, in Gefahr setzt, von unruhigem Nachbarsvolk beraubt und ermordet zu werden?« »Du vergißt ja aber ganz, daß er ein Zauberer ist!« meinte Nancy Ilderton. »Und falls ihm seine Zauberkunst nicht reichen sollte,« setzte Nancys Schwester hinzu, »dann kann er sich doch mit aller Ruhe auf den natürlichen Zauber verlassen, den er selber übt, braucht bloß mit dem Ungetümen Kopf und dem greulichen Gesicht aus Tür oder Fenster zu gucken, und der verwegenste Räuber, der je auf einem Pferde gesessen, würde es kaum riskieren, sich ihn zum andern Male anzusehen, wenn er ihn das erste Mal richtig gesehen hat. Fürwahr! Ich wünschte bloß, dieses Gorgonenhaupt stände mir eine halbe Stunde zu freier Verfügung!« »Zu welchem Zwecke, Lucy?« fragte Miß Isabel. »Den finstern, steifen, stolzen Sir Frederick aus dem Schloß zu verscheuchen, der wohl ein Günstling deines Vaters ist, sich aber deiner Gunst nicht im geringsten erfreut. Mein Leben lang, glaube mir, will ich dem Zauberer dankbar sein für die halbe Stunde, die er uns bei sich festhielt und von der Gesellschaft dieses abscheulichen Menschen befreite!« »Was würdest du sagen, Lucy,« fragte Miß Vere in so leisem Tone, daß die jüngere Schwester sie nicht hören konnte, die ihnen ein kurzes Stück voraus war, weil der enge Pfad nicht Raum genug bot, daß drei Personen nebeneinander ritten, »was würdest du sagen, Lucy, zu dem Ansinnen, seine Gesellschaft dein Leben lang zu ertragen?« »Dreimal nein würde ich schreien und jedesmal lauter als vorher, bis man mein Geschrei in Carlisle hörte.« »Dann würde Sir Frederick sagen: neun Körbe sind einem halben Jawort gleich!« »Das hängt ganz ab von der Weise, wie ein Korb gegeben wird! Aus einem Korbe von mir sollte er kein Quentchen eines Jaworts herausdrücken können!« »Wenn aber nun dein Vater sagen würde.« wandte Miß Vere ein, »tu das, oder –« »Dann würde ich seinem Oder und all den Folgen, die es bringen könnte, trotzen und wäre er der grausamste aller Väter, von denen jemals in Romanen die Rede gewesen!« »Und wenn er dir drohte mit einer Tante katholischen Glaubens, mit Äbtissin und Kloster?« »Dann würde ich ihm drohen,« versetzte Miß Ilderton, »mit einem Schwiegersohn protestantischen Glaubens und jede Gelegenheit zum Ungehorsam wegen solcher Gewissenssache gern wahrnehmen. Da uns Nancy nicht hören kann, laß mich jetzt dir sagen, daß du meiner Ansicht nach recht handelst vor Gott und den Menschen, wenn du dieser unheilvollen Heirat auf alle Weise und mit allen Mitteln widerstrebst! Sir Frederick Langley ist ein finsterer, stolzer, ehrgeiziger Mann, ehrlos aus Habsucht und Strenge, ein Verschwörer gegen Gesetz und Staat, ein schlechter Bruder, bösartig gegen alle Verwandten und aller edeln Gesinnung bar – ich ginge lieber in den Tod, Isabel, als daß ich mit ihm in das Ehebett stiege!« »Laß meinen Vater nicht merken, daß du mir solchen Rat gibst, Lucy,« antwortete Miß Vere, »sonst müßtest du dem Schlosse Ellieslaw Lebewohl sagen!« »Von Herzen gern sage ich dem Schlosse Lebewohl,« versetzte die Freundin, »wenn ich dich nicht frei und unter dem Schutze eines liebevollern Mannes sehen kann, als die Natur dir gab. Ach, besäße bloß mein armer Vater noch seine einstige Gesundheit und Stärke! Wie gern hätte er dich bei sich aufgenommen und dich beschützt, bis von diesem häßlichen, grausamen Ansinnen kein Wort mehr verlautete!« »Wollte Gott, Lucy, dem wäre so!« antwortete Isabel, »ich befürchte aber, Euer Vater bei seiner schwachen Gesundheit vermöchte mich nicht wider all die Maßnahmen zu schützen, zu denen sofort geschritten werden würde, die arme, flüchtige Dirne zurückzuholen!« »Das fürchte ich freilich auch,« gab Miß Ilderton zur Antwort, »aber laß uns überlegen, Isabel, ob sich ein Ausweg für dich bietet! Der Zeitpunkt ist günstig! Dein Vater mit seinen Gästen hat sich, wie sich aus dem Hin und Her von Boten und aus den seltsamen Gesichtern der Menschen schließen läßt, die kommen und verschwinden, ohne daß man hört, wer sie seien, nicht zum wenigsten auch aus dem Aufspeichern von Waffen und aus der ängstlichen Gespanntheit und der Ruhelosigkeit schließen läßt, die jetzt im Schlosse herrschen, in böse Dinge eingelassen, in ein Komplott, meine ich, gegen König und Staat. Ich meine, es möchte uns gerade jetzt wohl möglich sein, ein kleines Komplott einzufädeln als Pendant zu dem andern und größeren, das ganz sicher im Werke ist! Hoffentlich haben die Männer nicht alle Klugheit und Schlauheit für sich gepachtet; einen von ihnen als Mitverschworenen möchte ich gern zulassen in unserm Rat!« »Doch nicht Nancy?« »O nein,« versetzte Miß Ilderton, »Nancy mag ja ein ganz treffliches Mädchen sein, dir auch sehr zugetan und anhänglich sein, bei einem Komplott möchte sie aber eine gar einfältige Rolle spielen, wie etwa Renault und die Verschwörer untergeordneter Rolle im »Geretteten Venedig« [Ein im Jahre 1681 von Thomas Otway gedichtetes, in der englischen Literatur berühmtes Trauerspiel, dessen Tendenz sich gegen die damals in England überhand nehmenden konventionellen Begriffe von Liebe, Ehre und Heldentum richtet. A. d. Ü.] – nein, einen Mann meine ich, einen Dschaffir oder Pierre, wenn dir der letztere Charakter besser gefällt! Aber wenn ich auch weiß, daß er dir nicht mißfällig ist, so möchte ich doch, um dich nicht zu ärgern, seinen Namen nicht nennen. Kannst du nicht raten? Der Name hebt an mit dem Worte, das wir Schotten für den König der Lüfte lieben und endet mit dem bei Schotten und Engländern gebräuchlichen Worte für Klippe und Fels!« »Doch nicht der junge Earnscliff, Lucy?« fragte Miß Isabel, tief errötend. »Wen anders sollte ich meinen?« fragte Lucy, »Dschaffirs und Pierres wachsen bei uns im Lande nicht wie Pilze, scheint mir, dagegen gibt's Renaults und Bedamars in Hülle und Fülle!« »Lucy! Wie kannst du solch tolles Zeug schwatzen? Theaterstücke und Romane haben dir den Kopf verdreht! Du weißt recht gut, daß ich niemand heiraten will und werde, dem mein Vater die Einwilligung weigert; und daß sie solchenfalls nie gegeben würde, weißt du auch! Dagegen weißt du vom jungen Earnscliff nichts, gar nichts! Was du dir denkst, beruht bloß auf Mutmaßungen oder Einfällen, und an den verhängnisvollen Zwist, an dieses unselige Hindernis denkst du gar nicht!« »Du meinst den Zwist, in welchem sein Vater um das Leben kam?« fragte Lucy; »ach, das ist schon lange her! Und hoffentlich haben wir beide die Zeiten der Blutrache hinter uns, in denen ein Streit zwischen zwei Sippen sich gleich einem spanischen Schachbrett vom Vater auf den Sohn vererbte und bei jeder Generation ein Doppelmord vorkam, um solch Unheil nicht aussterben zu lassen. Heute machen wir's mit einem Zwist wie mit einem Kleide: jeder hat seinen besonderen Schnitt und trägt seinen besonderen Rock; einen Zwist aus unsrer Väterzeit zu rächen, daran denken wir so wenig wie ihre geschlitzten Wämser und Pluderhosen zu tragen.« »Lucy, du behandelst die Sache zu leichtfertig,« antwortete Miß Vere. »Keineswegs, liebe Isabel!« sagte Lucy, »bedenke doch, dein Vater war freilich anwesend bei der unseligen Rauferei, aber niemand hat die Vermutung geschöpft, daß er es gewesen, der den tödlichen Stoß führte! Zudem waren in früherer Zeit nach blutigem Kampfe zwischen Clans spätere Familienbündnisse so wenig ausgeschlossen, daß vielmehr die Hand einer Tochter oder Schwester als das häufigste Pfand für die Wiederaussöhnung galt. Du spottest über meine Belesenheit und über meine Kenntnis von Romanen, allein ich versichere dich, wenn deine Geschichte als Vorwurf genommen würde zu einem Romane, wie es geschehen ist mit mancher Heldin geringern Verdiensts und größern Unglücks, so würde jeder verständige Leser dich zu Earnscliffs Herzensdame gerade um des Hindernisses willen bestimmen, das du für unübersteigbar hältst.« »Wir leben aber in keiner Zeit der Romantik mehr, sondern in einer Zeit der traurigen Wirklichkeit, denn dorten steht Schloß Ellieslaw!« »Und dort steht Sir Frederick Langley am Tor und wartet auf die Damen, um ihnen beim Absteigen zu helfen ... ich faßte schon lieber eine Kröte an, als daß ich ihm die Hand dazu reichte! An mir soll seine Hoffnung irre werden. Ich nehme mir den alten Horsington, den Stallknecht, zum Stallmeister!« Bei diesen Worten trieb die lebhafte junge Dame ihren Zelter durch kräftige Hiebe mit der Peitsche an und sprengte mit luftigem Nicken bei Sir Langley vorbei, grade als er sich anschickte, ihrem Zelter in den Zügel zu fallen, und schwang sich dem alten Stallknecht in den Arm. Miß Isabel hätte gar zu gern ihr nachgeahmt, getraute es sich aber nicht, weil ihr Vater dabei stand und Groll bereits sein Gesicht zu verdunkeln anfing, das zum Ausdruck böser Leidenschaft besondere Eignung hatte. Sie hielt es für geratener, des verabscheuten Bewerbers Höflichkeiten, so unwillkommen sie ihr waren, über sich ergehen zu lassen. Sechstes Kapitel Der einsiedlerische Klausner hatte den Rest des Tages, der ihn mit den jungen Damen zusammenführte, in seinem Garten verbracht. Abends saß er wieder auf seinem Lieblingssteine. Düsteres Licht warf die hinter wogendem Gewölk niedergehende Sonne über das Moor und färbte die breiten Umrisse der kahlen Höhen, die diese einsame Stätte umschlossen, mit tiefem Purpur. Der Zwerg betrachtete das Gewölk. Als es sich zu Dunstmassen häufte und ein heller Strahl der sinkenden Flammenkugel durch diese hindurch auf seine absonderliche Gestalt fiel, da konnte er für den Dämon des drohenden Gewittersturms oder für einen Kobold gelten, der aus seiner unterirdischen Wohnstatt durch unterirdische Anzeichen nahenden Sturmes zur Oberfläche gejagt worden war. Und wie er so dasaß, das finstere Auge auf den zürnenden, in Schwarz getauchten Himmel gewandt, da kam ein Reitersmann herangesprengt, hielt an, als wolle er sein Roß zu Atem kommen lassen und schnitt dem Zwerge ein Kompliment mit einem Ausdruck, der die Mitte hielt zwischen Frechheit und Unsicherheit. Der Reiter war von Gestalt dünn und schlank, aber groß. Die breiten Knochen und kräftigen Sehnen seines Körpers verrieten merkwürdige Stärke. Der ganze Habitus des Mannes ließ schließen, daß er zeitlebens jene Leibesübungen getrieben, die den Leibesumfang nicht mehren, wohl aber die Muskelkraft stärken und stählen. Sein sonnverbranntes, sommersprossiges Antlitz mit den energischen Zügen kündete einen unheimlichen Ausdruck von Gewalttätigkeit, Frechheit und List: Eigenschaften, die reihum über einander zu herrschen schienen. Das rote Haar und die rötlichen Brauen, hinter denen ein scharfes graues Augenpaar blitzte, ergänzten den unheilkündenden Umriß seines Gesichts. Er trug Pistolen in den Satteltaschen und unter seinem Gurt wurde, trotzdem er sich Mühe gab, es unter dem zugeknöpften Wams zu verstecken, ein zweites Paar sichtbar. Sein Anzug bestand aus einem Büffelwams von altertümlichem Schnitt, einer verrosteten Sturmhaube und Handschuhen, von denen derjenige der rechten Hand gleich einem alten Fechthandschuh mit kleinen Eisenschuppen bedeckt war; ein mächtiger Pallasch vervollständigte seine Ausrüstung. »Recht so,« sprach der Zwerg, »Raub und Mord sitzen wieder hoch zu Roß.« »Richtig, Elshie!« pflichtete der Bandit bei, »Eure Wissenschaft hat mich wieder auf die Beine gebracht!« »Und all' Eure auf dem Krankenlager gegebenen Gelübde, ein besserer Mensch zu werden, sind vergessen?« fragte Elshender weiter. »Alle sind heidi,« rief der Bandit ohne Scheu und Scham, »heidi mit dem Wasserkrug und der Brotsuppe, Ihr wißt doch, Elshie – man sagt ja, Ihr seiet bekannt mit dem Herrn: Herr Satan kriegte das Zipperlein, juchhe! Da wollt' er gern ein Mönchlein sein, auweh! Dann ward's ihm wieder besser, juchhe! Da schliff er sich das Messer, auweh! Und schnitt die Kutte kurz und klein, Zog länger nicht die Klauen ein! Juchje, juchhe! Ließ Herz und Nieren kräftig Luft, Auweh, auweh! Das gab gar bitterbösen Duft! Der Satan ist ein Schwein – Das wird nie anders sein! Tra-rah, tra-rah! Drum bin ich wieder da!« »Daran erkennt man dich so recht, wie du bist!« nahm der Zwerg wieder das Wort, »ein Wolf läßt so wenig von seinem Blutdurst und ein Rabe so wenig von seiner Aasgier, wie ein Bandit wie du von seinen verruchten Neigungen!« »Was Henker soll ich machen? Es liegt mir im Blut und in den Knochen! Ist mir angeboren! Höre, Alter! Die Burschen von Westburnlat waren durch zehn Geschlechter Wegelagerer und Viehdiebe, haben gefressen und gesoffen und sich nichts abgehn lassen, haben blutig Rache genommen für lappige Kränkungen und niemals der Waffen dazu ermangelt.« »Recht so! Bist ein Rassewolf,« sprach der Zwerg »wie je einer nachts über eine Hürde gesetzt ist! Mit welchem Auftrag der Hölle bist du jetzt unterwegs?« »Kann Eure Weisheit das nicht raten?« »Soviel weiß ich,« sprach der Zwerg, »daß deine Absicht schlimm ist, dein Tun noch schlimmer und der Ausgang das schlimmste sein wird von allem!« »Je nun, Elshie,« meinte Westburnflat, »eben darum stehe ich doch in Gunst bei Euch! Wenigstens habt Ihr das immer gesagt!« »Ich habe Grund und Ursache zu lieben, wer eine Geißel seiner Mitmenschen ist,« versetzte der Zwerg, »und du bist blutige Geißel!« »Nein! Dessen bekenne ich mich nicht schuldig! Blut vergieße ich nie, außer wenn Widerstand geleistet wird! Widerstand das wißt Ihr doch, treibt einem die Borsten zu Berge. Viel gelegen ist nicht weiter dran; ich stutze bloß einem jungen Hahne, der gar zu laut gekräht hat, den Kamm.« »Doch nicht dem jungen Earnscliff?« fragte nicht ohne Aufregung der Zwerg. »Nein, dem noch nicht! Aber vielleicht kommt auch an ihn die Reihe, sofern er sich gutem Rate verschließt. Er mag in die Karnickelstadt zurückkehren, dorthin paßt er; hier aber braucht er sich nicht herumzutreiben und dem bißchen Rotwild nachzusetzen, das noch im Lande ist, oder gar den Friedensapostel herauszubeißen und den Herrschaften drüben im alten Rauchnest Bericht zu erstatten über die Unruhe im Lande! In acht nehmen soll er sich!« »Dann muß es doch Hobbie von Heugh-foot sein,« meinte Elshie ... »was aber hat der dir zu leid getan?« »Nichts Besonderes; aber gesagt soll er haben, ich sei am Fastelabend aus Furcht vor ihm vom Kugelspiel weggeblieben. Ich bin aber bloß weggeblieben, um keinem Häscher in den Arm zu rennen, denn es war ein Haftbefehl gegen mich erlassen worden. Wenn's darauf ankommt, so halte ich Hobbie und seinem ganzen Clan stand. Es dreht sich um nichts weiter, als daß ich ihm eine Lektion geben will, daß er seiner Zunge nicht allzufreien Lauf läßt gegen Leute, die besser sind als er. Ehe morgen der Tag graut, wird er, des bin ich überzeugt, die beste Schwungfeder aus seinem Fittich verloren haben. Adieu, Elshie! Drunten im Walde warten ein paar handfeste Bursche auf mich. Auf der Rückkehr will ich vorsprechen bei Euch und Euch was Hübsches bringen für Eure Heilkunde.« Bevor noch der Zwerg Zeit zur Antwort fand, setzte der Räuber von Westburnflat seinem Rosse die Sporen in die Flanken. Es rannte gegen einen der verstreut liegenden Blöcke und sprang vom Wege ab. Der Reiter bearbeitete es rücksichtslos mit den Sporen weiter, es wurde wild, bäumte sich, schlug nach hinten und vorne aus, sprang wie ein Hirsch mit allen Vieren vom Boden auf. Umsonst, der Reiter saß fest, wie verwachsen mit seinem Tiere und nach kurzem, aber wildem Kampfe zwang er es nieder. In einem Tempo, das ihn bald aus dem Sehbereich des Zwerges brachte, raste das Pferd von dannen. »Dieser Bösewicht,« rief der Zwerg, »dieser kaltblütige, hartgesottene, gefühllose Raufbold – dieser Schuft, dessen Seele von verbrecherischen Gedanken strotzt, besitzt Gliedmaßen, Muskeln und Sehnen genug, ist kräftig und behend genug, ein edleres Geschöpf als er selber ist, zu zwingen, daß es ihn dorthin trägt, wo er Schandtaten verüben kann, wahrend es mir, besäße ich die Schwäche, sein unglückliches Schlachtopfer warnen, dessen hilflose Sippe retten zu wollen, zufolge der Altersschwäche, die mich an diesen Fleck bannt, unmöglich sein würde, solch gute Absicht zu vollbringen. Doch weshalb sollte ich wünschen, daß es anders sei? Was hat meine krächzende Eulenstimme, meine greuliche Gestalt, der scheußliche Ausdruck meiner Gesichtszüge mit den schöneren Geschöpfen der Natur zu schaffen? Empfangen Menschen nicht sogar Wohltaten von mir mit Schaudern, Abscheu, Widerwillen? Weshalb sollte ich mich um ein Geschlecht bekümmern, das mich als Mißgeburt, als Ausgestoßenen betrachtet Und behandelt? Nein! Bei allem Undank, den ich erfuhr, bei allem Unrecht, das ich ertrug, bei meinem Kerker, meinen Ketten, meinen Geißelungen! ich will es niederkämpfen, dies Gefühl der sich auflehnenden Menschlichkeit! Ich mag nicht mehr Tor sein wie früher, der von seinen Grundsätzen abwich, wenn sich jemand an sein Gefühl wandte. Als wenn ich, dem niemand Mitgefühl erzeigt, mit irgendwem Mitgefühl hegen sollte! Mag das Schicksal seinen Sichelwagen durch die erdrückte, zitternde Masse der Menschheit treiben! Soll ich der Tor sein, diese Satire auf die Menschheit, diesen entstellten Klumpen von Sterblichkeit unter die Räder dieses Sichelwagens zu werfen, damit der Zwerg, der Zauberer, der Krüppel eine schöne Gestalt oder einen behenden Leib vor Vernichtung rette und die Welt ob solches Wechsels in die Hände klatsche? Nie, nie! Und dennoch, dieser Elliot – so jung, so tapfer, so freimütig, so ... nein! Ich will nicht länger dran denken! Ich kann ihm nicht helfen und mag ihm nicht helfen! Ich bin entschlossen, fest entschlossen, ihm nicht zu helfen, selbst wenn ich könnte und wenn der bloße Wunsch ihm Bürgschaft bieten könnte für seine Sicherheit!« Nach diesem Selbstgespräch begab er sich in seine Hütte, Schutz suchend vor dem Wetter, das jetzt heraufkam. Große, schwere Tropfen schlugen nieder. Die letzten Strahlen der Sonne verschwanden. In kurzen Zwischenräumen folgte Donnerschlag auf Donnerschlag, an den kahlen Höhen sich fortpflanzend gleich dem Echo einer fernen Schlacht. Siebentes Kapitel Die Nacht hindurch blieb es stürmisch; der Morgen aber stieg auf, gleichwie erfrischt durch den Regen. Selbst das Mucklestane-Moor mit seinen breiten, kahlen Aufhöhungen unfruchtbaren Bodens zwischen sumpfigen Strecken schien unter dem heitern Einflusse des Himmels ein freundliches Gesicht zeigen zu wollen, einem häßlichen Menschengesicht ähnlich, über das muntere Laune ihren unaussprechlichen Reiz ergießt. Die Heide stand in ihrer dichtesten Blüte. Die Bienen, die der Klausner zu seiner Steinhütte gesellt hatte, waren ausgeflogen, die Luft erfüllend mit fleißigem Summen. Und als der alte Mann jetzt aus seiner kleinen Hütte heraustrat, kamen ihm seine beiden Ziegen entgegengesprungen und leckten ihm dankbar die Hand für das Gras, das er im Gärtchen für sie gerupft hatte und ihnen hinhielt. »Ihr wenigstens,« sprach er zu ihnen, »seht in der Gestalt keinen Unterschied, der euch bestimmen könnte, anders gegen euren Wohltäter zu fühlen; euch ließe die schönste Form gleichgültig, die je ein Künstler schuf, wenn sie sich auch zeigte an Stelle des mißgestalteten Rumpfes, an den Ihr gewöhnt seid. Habe ich je in der Welt, so lange ich dort lebte, solche Äußerung der Dankbarkeit getroffen? Nein! Der Lakei, der mich von Kindheit aufgezogen, schnitt hinter meinem Stuhle Fratzen; der Freund, dem ich mit meinem Vermögen half, um dessen willen ich gar zum Sünder wurde« – er hielt inne mit krampfhaftem Zucken – »auch er hielt dafür, ich gehörte mehr unter die Wahnsinnigen als unter die gesunden Menschen, die Zwangsjacke, das Hungerloch seien für mich besser geeignet als menschliche Freiheit, als menschliche Stätten. Bloß Hubert – bloß er! – aber auch er wird mich eines Tages verlassen! Sie sind alle aus einem Stück, alle aus ein und derselben Masse von Gottlosigkeit, Selbstsucht und Undankbarkeit – sie sind alle Schurken, die sogar sündigen, während sie Andacht üben, von solcher Herzenshärte, daß sie nicht einmal der Gottheit für die warme Sonne und die reine Luft danken, ohne zu heucheln.« In diesem düstern Selbstgespräch schlug von der andern Seite des Zaunes herüber, der sein Gärtchen umschloß, der Schall von Hufen an sein Ohr, dann eine kräftige Männerstimme, die mit der Munterkeit eines leichten Herzens trällerte: »Hobbie, Hobbie, schmuck und schecht. Sprich, ob dir Begleitung recht!« Im selben Augenblick setzte ein mächtiger Windhund über den Zaun, riß eine Ziege des Klausners nieder und würgte sie. Hobbie Elliot war im Nu aus dem Sattel, konnte das schwache Tier den Zähnen des Hundes indessen erst entwinden, als es verendet war. Der Zwerg, der den Todeskampf seines Lieblings mit angesehen, riß, von Wut übermannt, unter seiner Kutte einen Dolch hervor und stürzte sich auf den Hund. Aber Hobbie fiel ihm in den Arm und hielt ihn. »Weg von dem Hund, Mann!« schrie er, »weg von dem Hund! Auf solche Weise wird Killbucks keiner Herr!« Des Zwerges Wut richtete sich nun gegen den Jüngling. Mit einem Ruck, kräftiger noch als der Jüngling ihn von solchem Wesen erwarten konnte, machte er seinen Arm frei von dessen Griff und zückte den Dolch gegen sein Herz. Alles geschah in einem Nu ... und wäre nicht im nämlichen Nu dem zornigen Klausner ein andrer Gedanke durch den Sinn geschossen, der ihn bestimmte, den Dolch wegzustecken, so hätte ein jäher Stoß in Elliots Brust das Werk seiner Rache vollendet. »Nein!« rief er dem durch die Luft sausenden Dolche nach, »nicht wieder, nicht noch einmal!« Erschreckt, durch ein dem Anschein nach so verächtliches Geschöpf in solche Gefahr geraten zu sein, mißmutig darüber und von Verachtung gegen sich selber erfüllt, trat Hobbie ein paar Schritte zurück. »Kraft und Bosheit jagen ihm den Teufel in den Leib!« waren die ersten Worte, die ihm entfuhren. Dann aber entschuldigte er sich um des unglücklichen Zufalls willen, für den er als Jäger Erklärung fand in dem der Ziege eigentümlichen, dem Jagdwild ähnlichen Geruch und Aussehen. »Ich will nicht das mindeste sagen dem Hunde zur Entschuldigung,« hub er an, »auch mir ist der Fall so unangenehm wie Euch; aber ich will Euch als Ausgleich für den Schaden ein paar Ziegen schicken und ein paar Mutterschafe. Seid dem dummen Vieh von Hund nicht gram, Elshie! Seid Ihr doch verständig genug, um einzusehen, daß das Tier nur seiner Natur gefolgt ist, ist doch die Ziege so halb und halb Geschwisterkind mit dem Reh! Wäre es ein Lamm gewesen, über das er herfiel, hätte man anders reden können. Besser hieltet Ihr Euch ja auch Schafe, Elshie, statt Ziegen, der vielen Jagdhunde halber, die hierherum gehalten werden. Aber ich schicke Euch beides herüber, Elshie, Ziegen und Schafe.« »Ihr böser Mensch!« zürnte der Einsiedler, »durch Euren grausamen Hang ist eins von den Geschöpfen vernichtet worden, die noch freundlich auf mich blicken.« »Allerdings, Elshie, aber nicht vorsätzlich,« entgegnete Hobbie, »freilich hätte ich an Eure Ziegen denken und den Hund an die Leine nehmen sollen. Glaubt mir, Elshie, mir wäre es lieber, der Hund hätte mir den schönsten Widder aus meiner Herde erwürgt. Laßt Euch zureden, Elshie, vergeßt und verzeiht! Mich ärgert der Fall nicht minder als Euch, aber ich bin Bräutigam und da denkt man an so mancherlei Dinge nicht, weil einem andre im Kopfe stecken. Meine Gedanken waren bei Hochzeit und Hochzeitsschmaus, wenigstens bei dem Wildpret dazu! Meine beiden Brüder bringen über den Rider's Stack drei feiste Rehböcke auf dem Karren, so drall und jung, wie ihrer jemals, wie's im Liede heißt, »da drüben liefen im Dallomlna« – des Morasts wegen konnten sie bloß nicht grade herüber ... ich möchte Euch ja auch ein Stück Wildpret schicken, aber Ihr würdet es schließlich nicht nehmen wollen, weil Killbuk die Böcke geschlagen hat.« Der gutmütige Grenzer sprach soviel und mit solchem Eifer, weil er meinte, der erzürnte Zwerg werde sich besänftigen lassen. Der aber hielt, wie in Sinnen vertieft, den Blick auf den Boden geheftet. Endlich brach er in die Worte aus: »Natur? Instinkt! Der Hund hat ja bloß seiner Natur gefolgt! Freilich, freilich, bequeme Rede, billige Ausflucht mit diesem Schlendrian Natur! Der Starke packt und würgt den Schwachen, der Reiche preßt und plündert den Armen, der Glückliche, wenn er Tor genug ist sich für glücklich zu halten, beschimpft das Elend und verringert den Trost des Elenden. Hebe dich von hinnen! Es ist dir geglückt, dem ärmsten und unglücklichsten unter den Menschenkindern einen neuen Schmerz zu bereiten, du hast mich dessen beraubt, was ich als eine Quelle des Trostes betrachtete. Hebe dich weg und freu dich des Glücks, das dir an deinem Herde winkt!« »Glaubt mir, Elshie,« versetzte Hobbie, »ich würde Euch gern mitnehmen, wenn Ihr bereit sein wolltet, am Montag mein Hochzeitsgast zu sein. Es werden der Elliots Wohl an die hundert über die Flur galoppieren. Seit den Tagen des alten Martin von Preaking Tower ist gleiches nicht mehr gesehen worden. Wenn Ihr Ja sagtet, würde ich Euch gern den Karren mit einem strammen Klepper herüberschicken.« »Ihr mutet mir zu, mich noch einmal in die gemeine Herde zu mischen?« fragte der Einsiedler mit dem Ausdruck tiefsten Widerwillens. »Gemeine Herde, Elshie?« fragte Elliot ... »gemein, Elshie, ist die Sippe der Elliots nicht! Das Geschlecht der Elliots ist bekannt seit alters als edel!« »Hebe dich weg!« wiederholte der Zwerg, »und möge das ganze Unglück, das du bei mir stiftetest, sich dir an die Schöße hängen! Wenn ich auch nicht mit dir gehe, so suche doch du demjenigen zu entgehen, was meine Begleiter, Zorn und Elend, vor deiner Ankunft über deine Schwelle brachten!« »Daß Ihr also sprecht, Elshie, ist mein Wunsch nicht,« versetzte Hobbie, »Ihr kennt Euch selbst, Elshie, klug seid Ihr und jedermann hält Euch dafür, aber niemand für überklug! Nun will ich Euch ein für allemal sagen: es haben der Worte, die mir und den meinigen Böses künden, soviel den Weg über Eure Lippen genommen; sollte nun, was Gott verhüten möge, Unglück kommen über meine Base Grace oder über mich selbst oder über die Meinigen oder auch nur über die armen, der Vernunft entbehrenden Hunde, oder sollte mich Schaden treffen an Leib und Gut, dann will ich nimmer vergessen, Elshie, daß ich es Euch zu danken habe!« »Scher dich, du Bauer!« rief der Zwerg, »geh nach deinem Haus und gedenke meiner, wenn du finden wirst, was dort vorgegangen ist!« »Schon gut,« sagte Hobbie, sich aufs Pferd schwingend, »was nützt es, mit Krüppeln zu streiten? Sie sind allesamt ungesellig und unflätig. Aber, Nachbar, eins laßt Euch sagen: stehen die Sachen mit Grace Armstrong anders als gut, so will ich, so lange noch in den fünf Kirchspielen ein Teerfaß zu haben ist, Euch rösten, daß es Euch heißer sein soll als in der Hölle!« Mit diesen Worten ritt er fort. Der Zwerg lachte höhnisch hinter ihm her. Dann griff er nach Spaten und Hacke und grub seinem toten Liebling ein Grab. Ein leiser Pfiff, dann der Ruf: »Pßt, Elshie!« störten ihn bei seinem trüben Werke. Er blickte auf. Der rote Bandit stand vor ihm. Blut klebte ihm im Gesicht, wie dem Mörder Banquos; Blut klebte an Sporen und Sporenrädern, von Blut trieften die Flanken seines Rosses. »Was gibt's, Bandit?« fragte der Zwerg, »ist der Streich verübt?« »Gewiß, Elshie, oder zweifelt Ihr?« versetzte der Strolch, »wenn ich reite, so mögen die Feinde winseln. Heut morgen hat's in Heughfoot mehr Licht gegeben als Behaglichkeit. Ein leerer Kuhstall steht jetzt dort, und geheult und gejammert wird nach einer schönen Braut!« »Was soll das heißen?« »Der Foster Karl von Tinning Back, Karlchen der Galgenschneller, wie er bei uns heißt, hat gelobt, in Cumberland sie hinter Schloß und Riegel zu halten, bis das Unwetter vorübergezogen! Sie hat mich gesehen und erkannt, denn als der Rummel im schönsten Gange war, fiel mir einen Moment die Larve von der Fratze. Drum meine ich, wenn sie wiederkehrt, steht's faul um meine Ruhe. Denn der Elliots sind viele und sie halten zusammen in Freud und Leid seit alters. Ich bin hergekommen, Rat von Euch zu hören, wie ich mich am besten sichre.« »Also willst du sie morden?« »Nicht, wenn es sich anders machen läßt! Es geht aber die Rede, daß sich mit List Leute aus Seehäfen nach den Kolonieen schaffen lassen und daß sich ein hübsches Stück Geld machen läßt für jemand, der es versteht, ein hübsches Mädel hinüber zu schmuggeln. Weibliches Vieh ist drüben rar und hier wächst's wie Unkraut. Vielleicht läßt sich die Dirne aber noch besser unterbringen. Es soll eine vornehme Dame ins Ausland spediert werden, wenn sie nicht parieren will; der möchte ich die Dirne als Magd aufhängen, hübsch ist sie ja und zu benehmen weiß sie sich auch! Ei, Hobbie Elliot wird seine Freude heut morgen haben, wenn er heimkommt und weder Braut noch Hof mehr findet!« »Und Ihr habt kein Mitleid mit ihm?« fragte der Zwerg. »Mitleid? Würde er es haben mit mir, wenn er mich unterm Galgen sähe? Der hübschen Dirne wegen reut's mich aber doch halb und halb. Na, er kriegt schon eine andre, der Schaden wird so groß nicht für ihn sein. Ist doch eine so gut wie die andre! Ihr hört's ja so gern, Elshie, wenn's Unheil setzt; habt Ihr je Vernommen von schlimmerem Streich, als ich ihn heut morgen Verübte?« »Luft und Meer und Feuer,« sprach der Zwerg in sich hinein. »Erdbeben, Sturm und Vulkan sind mäßige Gewalten im Vergleich zu menschlichem Grimm und Zorn! Und was ist dieser Kerl anders als ein Schurke, geschickter als andre, des Daseins Zweck zu vollführen? Höre, Bandit, was ich dir sage: Geh dorthin zurück, wohin ich dich früher sandte!« »Zu dem Verwalter?« »Ja, und sag' ihm: Elshender der Klausner wolle, daß er dir Geld gebe! Aber höre: laß die Dirne frei, laß sie unverletzt! Bring' sie zurück zu ihren Verwandten! Laß sie schwören, daß sie reinen Mund halte über dich und dein schurkisches Tun!« »Wenn sie nun aber den Eid nicht hält?« fragte Westburnflat, »Weibsvolk ist bekannt dafür, daß es nicht Wort hält. Das sollte solch weiser Mann wie Ihr wissen! Und unverletzt soll ich sie ziehen lassen? Wer weiß, was vorfällt, wenn sie länger in Tinning-Back weilt. Karlchen Galgenschneller ist ein rauher Wicht! Für 20 Stück Gold in bar läßt sich aber, denk ich, bürgen, daß sie binnen heut und 24 Stunden wieder bei ihrer Sippe ist.« Der Zwerg nahm ein Blatt Papier und schrieb ein paar Worte drauf. »Hier hast du, was du willst,« sprach er und gab dem Räuber das Blatt, »aber merk' dir: du weißt, daß du mich durch Verräterei nicht betrügen kannst! Verhältst du dich ungehorsam gegen meine Befehle, so steht dein elendes Leben dafür ein. Rechne drauf!« »Daß Ihr Gewalt auf Erden besitzet, gleichviel wie Ihr in ihren Besitz gelangt sein möget, weiß ich,« versetzte der Bandit mit zu Boden gewandtem Blick. »Ich weiß ebenso, daß Ihr Dinge vermögt, wie kein anderer Mensch, durch Arzneien sowie durch prophetische Gabe. Auf Euren Befehl regnet's und auf Euren Befehl sah ich an frostigem Oktobertag die Käppchen von den Eschblüten fallen. Ich werde Eurem Befehl gehorsam sein.« »Dann pack dich und mach mich deiner verhaßten Nähe ledig!« Der Bandit spornte sein Pferd und ritt hinweg ohne Antwort. Hobbie Elliot hatte unterdes die Heimkehr beschleunigt. Ihn quälte eine seltsame Angst vor Unheil, eine Empfindung, die der Mensch durch die Worte Ahnung oder Vorgefühl bezeichnet. Noch war er nicht auf dem Kamm des Hügels, von wo aus man sein Haus und Hof liegen sah, als ihm seine Amme oder »Kindsmagd« entgegengerannt kam. Zur damaligen Zeit, wo das Verhältnis zwischen Pflegekind und Amme noch für unlöslich galt, wo die Kindsmagd zur Familie zählte und vom Haupte derselben alle Aufmerksamkeit und Rücksicht genoß, noch eine wichtige Person! Annaple hieß Hobbies Amme, und kaum wurde er ihrer in dem roten Rock und in der schwarzen Haube ansichtig, als ihm herbe Gedanken in die Seele schlichen, die er in folgendes Selbstgespräch übersetzte: »Welches Unglück kann es sein, das meine alte Amme, die sich doch sonst keinen Büchsenschuß weit entfernt, so weit hinweg führt von unserm Hause? Ob sie Schwarz- oder Moosbeeren im Moore sammeln will, um die Hochzeitstorte zu backen? Aber die bösen Reden des alten Grobians von Krüppel, des boshaften Narren draußen im Moor, kann ich nicht loswerden! Der geringste Umstand setzt mich in Unruhe, verursacht mir schlimme Ahnung! O, Killbuk, du tolles Vieh, es gibt doch der Ziegen noch genug im Lande, mußtest du dir gerade seine Ziege statt eines Rehs heraussuchen, um sie zu packen und würgen!« Mittlerweile war Annaple herangehumpelt. Tiefe Trauer lagerte auf ihrer Stirn und Verzweiflung leuchtete so hell aus ihrem Blick, daß er sich nicht traute, nach der Ursache zu fragen. »Ach, mein Kind, mein liebes Kind!« rief sie und hielt sein Pferd am Zügel, »dreh um und geh nicht weiter! Es harrt deiner ein Bild, grausig genug jedem Fremden, grausam genug, dich selber auf dem Fleck zu töten!« »Im Namen des allmächtigen Gottes, Annaple, was ist geschehen?« rief der junge Weidmann entsetzt und suchte den Zügel den Händen der Greisin zu entwinden, »laß mich, ums Himmels willen, laß mich! Ich muß sehen, was geschehen!« »Weh mir, mein Hobbie, daß ich solchen Tag erleben mußte! Der Stall steht in Lohe und der Feim liegt in roter Glut und alles Vieh ist weggetrieben! Dreh um, du mein Liebling, und geh' nicht weiter! Was heute morgen meine alten Augen gesehen, wird dir das junge Herz brechen!« »Wer hat solches gewagt, Kindsmagd? Laß die Finger vom Zügel, Annaple! Wo ist die Urahn? Wo find die Schwestern und wo ist Grace? Herr Gott, des Zauberes Worte summen mir in den Ohren!« Im Nu war er vom Pferde und hatte sich frei gemacht von den Armen der Kindsmagd und rannte den Hügel hinauf. Hier sah er das Schauspiel, das die Alte gekommen war ihm zu künden. Grausig! Herzzerreißend! Zu Wahnsinn stimmend! Sein Haus und Hof, am Gebirgsbach in ländlicher Stille gebaut diese trauliche Stätte behäbigen Daseins, diese sichere Unterkunft für sich und die Seinen, die er verlassen hatte mit allen Zeichen des Glücks und des Friedens, lag jetzt vor seinen Blicken als wüste, rauchgeschwärzte Ruine! Aus dem in Trümmern liegenden Gemäuer stieg noch der Rauch empor in züngelnden Schlangen; Torfschuppen, Getreidescheuer, Stallung und Vieh, aller Reichtum eines Landmanns im Gebirge zu damaliger Zeit, und bei Hobbie Elliot in nicht ungewöhnlicher Menge vorhanden, war in einer einzigen Nacht ein Raub der Flammen geworden. Einen Moment lang war er sprachlos, regungslos. Endlich löste sich ihm die Zunge und er rief: »Zu Grunde gerichtet! Arm wie eine Kirchenmaus! Alles, alles weg bis auf den letzten Heller! Aber verflucht sei alles irdische Gut, stände ich bloß nicht eine Woche vor der Hochzeit! Aber,« rief er und ballte die Fäuste, »ich bin kein Knabe, daß ich mich hinsetze und flenne ... Wenn ich bloß Grace bei Wohlsein finde und die Urahn mit den Schwestern, so kann ich, gleich dem Großvater unter des alten Buccleuch schrillem Banner, in den Krieg nach Flandern ziehen. Also Mut, Hobbie! Mut, sonst büßt das Weibsvolk allen Mut ein, den es vielleicht noch hat!« Hobbie schritt tapfer hügelabwärts, entschlossen, die eigne Verzweiflung zu bekämpfen und Trost zu spenden, den er selbst nicht fühlte. Um die Brandstätte herum standen die Nachbarn, vornehmlich solche seines Namens, die jüngeren in Waffen, nach Rache schreiend, wenngleich sie nicht wußten, wen Rache treffen sollte; die älteren beflissen, den vom Feuer Heimgesuchten Hilfe zu leisten. Die Hütte der Kindesmagd, unfern der Brandstätte am Bache gelegen, war im Handumdrehen hergerichtet zum Aufenthalt für die Urahn und für die Mädchen. Was dazu vonnöten war, denn aus dem Feuer war nur wenig gerettet worden, trugen die Nachbarn herbei. »Ihr Männer, sollen wir den ganzen Tag hier stehen und gaffen auf die rauchigen Mauern der Wohnstätte unsers Verwandten? Jegliche Rauchsäule, die aufsteigt, ist für uns ein Qualm der Schmach! Zu Pferde, zu Pferde! Auf die Jagd nach den Brandstiftern! Wo am nächsten finden wir Schweißhunde?« So rief es durcheinander. »Bei Earnscliff!« versetzten andre, »er ist schon unterwegs mit sechs Reisigen, die Schandbuben aufzuspüren!« »Ihm nach, ihm nach,« riefen andre, »die Lärmglocken sollen im Lande dröhnen! Laßt uns Beistand unterwegs sammeln! Wer uns zunächst liegt, soll unsre Faust zuerst fühlen!« »Maul gehalten, ihr Grünschnäbel!« warnte ein Greis, »keiner von euch weiß, was er schwatzt! He! Sollen wir Krieg entzünden zwischen zwei friedlichen Ländern?« »Was summt man uns die Ohren voll mit Ahnen und ihrer Mär, wenn wir hier stehen und sehen sollen, wie dem Hobbie das Haus überm Kopfe angesteckt wird? Wenn wir nicht Hand anlegen dürfen, ihn zu rächen? Das war nicht Weise unsrer Ahnen: die Überzeugung habe ich!« »Ich sage kein Wort dagegen, daß man Rache nimmt für die Unbill, die heute Hobbie, dem Armen, widerfahren ist. Aber heute müssen wir das Gesetz für uns haben, Simon!« bemerkte der klügere Greis. »Zudem glaube ich nicht,« meinte ein andrer Greis, »daß jetzt noch jemand lebt, der das für einen Raubzug über die Grenze vorhandene gesetzliche Verfahren kennt. Tam von Whittram war damit bekannt, der ist aber im harten Winter vorigen Jahrs gestorben!« »Freilich,» meinte ein dritter, »der war bei dem großen Schwarm, als bis Thirlmall gejagt wurde; im Jahre der Schlacht von Philiphaugh war's.« »O,« rief noch ein anderer in diesem Durcheinander von Ratgebern, »viel Geschick ist dazu nicht vonnöten! Es wird ein brennendes Torfstück oder Heubüschel oder dergleichen auf eine Speerspitze gesteckt, in ein Horn geblasen und das Merkwort für das Aufgebot gerufen, dann darf man das gestohlene Gut nach England verfolgen und mit starker Hand wieder an sich nehmen oder man darf Gut von einem Engländer fortnehmen: vorausgesetzt freilich, daß man nicht mehr raubt als einem geraubt worden ist. So lautet das alte Grenzgesetz, gegeben zu Dundrennan in den Tagen des schwarzen Douglas. Hieran darf niemand zweifeln. Das ist so klar wie die Sonne!« »Dann kommt, Burschen,« rief Simon, »zu euren Rappen und Braunen! Laßt uns Caddy, den alten Taglöhner, mitnehmen, der kennt den Wert des geraubten Viehs und Hausgeräts! Hobbies Ställe und Scheunen sollen heut abend wieder gefüllt sein; und läßt sich das alte Haus nicht so schnell wieder aufbauen, so läßt sich eines in England ebenso schnell niederbrennen wie Heugh-foot! Das gilt als ehrlich Spiel hienieden!« Dieser Aufruf zu Brand und Plünderung wurde vom jüngeren Volk höchst beifällig aufgenommen. Da ging ein Geflüster durch die Reihen: »Dort kommt Hobbie selber, der Arme!« und weiter hieß es nun: »Warten wir, was er sagt! Folgen wir seinen Reden!« Der, den das Unglück am härtesten getroffen, war nun von dem Hügel herabgestiegen und eilte durch den Haufen Volks. Außer daß er den freundlichen Druck einer Nachbars- oder Verwandtenhand erwiderte, ließ ihm sein erregter Gemütszustand im ersten Augenblick weder Zeit noch Ruhe zu einem Gedanken oder einer Überlegung. Erst als er die Hand Simons, des Kätners von Hackburn, drückte, fand er Worte in seiner Herzensqual. »Ich danke dir, Simon,« sprach er, »Nachbarn, ich danke euch! Was ihr mir sagen wollt, weiß ich – aber wo sind sie? – wo sind – wo ist –« stotterte er, gleich als fürchte er sich, die Namen derjenigen zu nennen, nach denen er sich erkundigen wollte. Von ähnlicher Empfindung beherrscht, deuteten die Verwandten, ohne Antwort zu geben, auf die Hütte der Kindsmagd. Hobbie stürzte hinein mit dem verzweifelten Ausdruck eines Menschen, der gefaßt, aber auch Willens ist, alles Schlimme auf einmal zu hören. »Armer Hobbie! Armer Elliot vom Heugh-foot!« rief es von allen Seiten mit dem herzzerreißendsten Ausdruck des Mitleids. ... »Jetzt wird er das Schlimmste erfahren!« »Hoffentlich gelingt es dem jungen Earnscliff, der armen Dirne Spur zu finden!« Das Wiedersehen zwischen Hobbie und seiner Sippe war ergreifend. Die Schwestern warfen sich ihm an den Hals und überhäuften ihn mit Liebkosungen, wie wenn sie ihn hindern wollten, sich umzusehen, wie wenn sie hofften, daß es ihnen gelingen würde, ihm die Abwesenheit der Braut zu verbergen. »Helf dir Gott, mein Sohn! Er kann helfen, wenn Vertrauen hienieden an zerbrochnem Halme hängt!« Das waren die Grußworte der Urahn für den unglücklichen Enkel. Wild schaute er um sich, zwei Schwestern an der Hand haltend, dieweil die dritte ihm am Halse hing, »ich sehe euch,« sprach er, »ich zähle euch: die Urahn, Lili, Jenny, Annot! Aber wo, wo ist –« (wieder hielt er inne, als müsse er sich zum Reden zwingen) – »wo, wo ist Grace?« schrie er jetzt wie rasend, »Grace, wo ist Grace? Daß sie sich jetzt vor mir verstecke, dazu ist jetzt die Zeit nicht! – zu Scherz und Tändelei wäre sie schlimm gewählt!« »Ach, Bruder!« und »die arme, arme Grace!« lauteten die einzigen Worte, die er auf seine Fragen erlangen konnte, bis endlich die Urahn aufstand, ihn sanft aus den Händen der weinenden Mädchen löste und mit jener milden Zuversicht ihn anredete, die aus wahrer Frömmigkeit entspringt und, wie Öl die Wogen, den Seelenschmerz zu lindern vermag. ... »Kind, mein Kind! Als dein Großvater gefallen war im Kriege und mich zurückließ mit sechs vaterlosen Waisen, fast ohne Brot zur Nahrung, fast ohne Dach über dem Haupte, da fand ich Kraft, nicht aus mir selbst, aber durch Den da droben, der seine Hand hält über Gerechten und Ungerechten, die Kraft zu sprechen: »Herr Gott! Dein Wille geschehe!« Mein Kind, mein Sohn! Sohn meines Sohnes! Unser friedliches Haus ist gestern durch bewaffnete, maskierte Reiter überfallen, erbrochen worden! Alles, alles haben sie geraubt und zerstört und deine süße Grace haben sie hinweggeführt! Bete, mein Sohn, bete, auf daß du Kraft findest zu sprechen gleich mir: Herrgott! Dein Wille geschehe!« »Mutter – Mutter – nicht jetzt bestürme mich – ich kann nicht – nicht jetzt! – ich bin ein sündhafter Mann aus grimmem Geschlecht, von hartem Sinn! Berittne mit Waffen in der Hand – mit Masken verdeckt – haben Grace geraubt! Aus meinem Hof und Haus! Gebt mir mein Schwert! Rucksack und Schwert! Ich will Rache nehmen und keine Ruhe suchen, bis ich sie gefunden, und sollte ich in die tiefsten Gründe der Finsternis dringen! Mein Schwert her! Rucksack und Schwert her!« »Mein Kind! Mein Sohn! Sohn meines Sohnes!« flehte die Urahn, »fasse dich in Geduld unter der Zuchtrute des Herrn! Wer kann sagen, wann Er die Hand von uns zieht? Earnscliff, Gott segne den jungen Herrn aus edlem Geschlecht, ist schon unterwegs zur Verfolgung der Räuberschar, mit Danie von Stenhouse und den ersten, die sich hier einfanden, Haus und Hausgerät, rief ich ihnen zu, sollten sie stehen und liegen lassen, um Grace wiederzubringen. Drei Stunden nach dem Überfall sprengten sie schon über die Heide, Earnscliff mit seinen Mannen. Gottes Segen über sein Haupt! Er ist ein echter Earnscliff, der wahrhafte Sohn seines Vaters! Ein wackerer Mensch und ein treuer Freund!« »Wahr redet die Urahn!« pflichtete Hobbie bei, »Gottes Segen über sein Haupt! Ein wackrer Mensch, ein treuer Freund!« »O Kind Sohn meines Sohnes! Ehe du dich in Gefahr begibst, laß mich nur einmal hören aus deinem Munde: Der Wille des Herrn geschehe!« »Bestürme mich nicht, Mutter, nicht jetzt! Jetzt nicht!« rief Hobbie und stürzte zur Hütte hinaus. Als er aber sich umdrehte und die Trauer sah, die sich über das Gesicht der geliebten Urahn senkte, da eilte er zurück, flog in ihre Arme und sprach: »Ja, Urahn, ich kann es! Recht habt Ihr, Mutter, weil Ihr Trost darin findet. Der Wille des Herrn geschehe!« »In Ewigkeit, Amen!« sprach mit gefalteten Händen die Urahn ... »und nun geh! Sohn meines Sohnes! Möge Er dich geleiten und führen, auf daß du bei deiner Heimkehr ausrufen könnest: Gepriesen sei sein Name in Ewigkeit!« »Lebt wohl, Mutter und Schwestern!« Und der Jüngling sprengte über Moor und Heide. Achtes Kapitel »Zu Roß! Zu Hauf!« Mit diesem Rufe an seine Sippe war er bald weit voraus und das Tal erdröhnte vom Schlachtrufe der jüngeren Freunde. »Ha, ha!« rief Simon von Hackburn, »so ist's recht, Hobbie! Das ist die rechte Art! Das Weibsvolk laß daheim und sich grämen, die Männer müssen tun, wie ihnen geschehen. So steht es schon im Heiligen Buche!« »Ruhig Mann,« rief einer von den älteren Leuten in strengem Tone; »lästert nicht Gottes Wort: Ihr wißt nicht, was Ihr redet!« »Habt Ihr Nachricht, Hobbie? Kennt Ihr Spuren?« rief der alte Dick von Dingle ... »bloß nicht zu wild. Junge!« »Was soll uns jetzt Eure Predigt?« rief Simon dazwischen, »wißt Ihr Euch selber nicht zu helfen, so haltet andre nicht ab, die sich selber helfen können!« »Still, Mann! Würdet Ihr Rache suchen, ohne zu wissen, wer Euch heimgesucht?« »Glaubt Ihr, den Weg nach England kennten wir nicht genau so gut wie unsre Ahnen?« »Von dort her kommt uns alles Übel: das ist ein altes und wahres Wort, auf nach Süden, und so geschwind, als ob der Teufel uns in den Rücken bliese!« »Laßt uns der Spur von Earnscliffs Rossen im Moore folgen!« rief Elliot. »Ich würde sie ausfindig machen in allen Mooren und wären sie noch so schwer zu erkennen,« sprach Heugh, der Grobschmied von Ringleburn; »denn ich beschlage seine Rosse immer mit eigner Hand.« »Die Schweißhunde los!« rief ein andrer, »wo sind sie?« »Halt, Mann! Lange schon ist die Sonne herauf und der Tau vom Erdreich verschwunden. Wie sollen sie die Spur noch finden?« Sogleich pfiff Hobbie den Hunden, die um die Trümmer der einstigen Wohnstatt kreisten, die Luft mit lautem Wehgeheul erfüllend. »Nun, Killbuck,« rief Hobbie dem Leithunde zu, »nun zeige mal, was du kannst« – dann hielt er inne, wie von jähem Lichtschein geblendet – »der häßliche Zwerg ließ ein paar Worte fallen: vielleicht weiß er mehr, sei's von Schurken auf Erden oder von Teufeln in der Hölle. Herausbringen will ich es aus ihm und sollte ich es ihm mit meinem Dolch aus seinem mißgestalteten Buckel schneiden!« Darauf gab er den Kameraden schnelle Weisung: »Vier von euch reiten nach der Grämes-Kluft. Sind's Engländer, können wir sie in dieser Richtung abfangen! Die übrigen zerstreuen sich zu zweit über die Heide und treffen mich am Trysting-Teich. Meinen Brüdern, wenn ihr sie trefft, sagt, sie sollen uns folgen und dort aufsuchen oder erwarten. Die armen Jungen werden bekümmert sein, wie ich: auch sie wissen nicht, in welches Unglückshaus sie ihr Wildpret bringen. Ich selbst will über das Mucklestane-Moor!« »Wär' ich an Eurer Statt,« meinte Dick von Dingle, »dann redete ich mit dem Zauberer: will er, so kann er Euch alles sagen, was im Lande vor ist!« »Er soll's mir sagen!« versetzte Hobbie, seine Waffen instand setzend, »was er von der Schreckenstat dieser Nacht weiß, oder ich werde hören von ihm, warum er's nicht sagen will.« »Doch sprich gesetzt und ruhig mit ihm, wackrer Hobbie! Denn Leute wie er vertragen den Widerspruch nicht! Zu häufig verkehren sie ja mit mürrischem Gespenster- und Teufelsvolk, daß ihr Gemüt nicht gallig werden sollte.« »Überlaßt es mir, mit ihm fertig zu werden. Mir steckt heut was unter dem Koller, das allen Kobolden auf Erden und allen Teufeln in der Hölle den Garaus zu machen vermöchte!« Er spornte den steilen Hang hinauf und die andere Seite hinunter, dann quer durch den Wald und ein langes Tal, bevor er wieder am Mucklestane-Moor war. Um das Pferd frisch zu halten für Anstrengungen, die vielleicht noch winkten, hatte er seinen Galopp in Trab verwandelt. So fand er Muße zur Überlegung, wie er dem Zwerge nahen solle, um von ihm zu erfahren, was ihm, seiner Meinung nach, über die Räuber seines Glücks bekannt sein müsse. Wenn auch derb in seiner Rede und hitzig in seinem Wesen, so ermangelte doch Hobbie, gleich den meisten seiner Landsleute, der Schlauheit nicht, die gleichfalls einen Charakterzug des Schotten bildet neben Hitzigkeit und Derbheit. Wenn er das Benehmen des Zwergs von jenem merkwürdigen Tage an, da er ihn zum erstenmal gesehen, verfolgte bis zu dem Abend vor der Unglücksnacht, an welchem er im Zorn von ihm schied, mußte er sich sagen, daß Drohung und heftiges Wesen denselben in seinem Starrsinn bloß bestärken würden. Drum dachte er bei sich: »Ich will ihn artig ansprechen, wie mir der alte Dick geraten hat. Mögen auch die Leute reden, er habe einen Bund mit dem Satan geschlossen: ein solch eingefleischter Teufel kann er nicht sein, daß er nicht Mitleid fühlen sollte mit einem Fall wie dem meinigen! Auch reden die Leute ja, daß er manchmal Gutes tue und Barmherzigkeit übe. Ich will, so gut ich es vermag, Grimm und Zorn niederkämpfen, will ihm mit Milde nahen – und kommt es zum Ärgsten, nun, so brauche ich ihm höchstens den Kopf umzudrehen!« In solcher versöhnlichen Stimmung nahte Hobbie der Hütte. Der Zwerg saß nicht auf seinem Steine. Auch im Garten und hinter dem Zaune konnte ihn Hobbie nicht sehen. »Er steckt in seinem Schlupfloch,« dachte Hobbie, »vielleicht will er mir ausweichen! Ich will ihm aber seine Höhle über seinem Haupte niederreißen, wenn ich nicht anders zu ihm kommen kann.« Nach diesem kurzen Selbstgespräch erhob er die Stimme, in so bittendem Tone, wie ihm bei der Aufregung, die ihn noch immer schüttelte, nur irgend möglich war ... »Elshie! Guter Freund! Elshie, kluger Vater!« Keine Antwort! Der Zwerg blieb stumm ... »Fahr dir die Pest in deinen krummen Leib!« brummte Hobbie zwischen den Zähnen. Dann suchte er wieder seinen milden Ton zu finden ... »Guter Vater Elshie! Ein armes, elendes Wesen sucht Rat bei Eurer Weisheit!« »Recht so, recht so, um so besser!« kreischte es durch eine schmale, einer engen Schießscharte ähnelnde Öffnung von Fenster, die der Zwerg über dem Eingang zu seiner Hütte angebracht hatte Und durch die er jeden sehen konnte, der sich ihm näherte, ohne daß es solchen möglich war, ihn selber zu sehen. »Um so besser?« fragte Hobbie mit Ungeduld, »was soll die Rede? Hört Ihr denn nicht, daß ich der elendeste Mensch bin unter der Sonne?« »Und habt Ihr nicht gehört, daß ich Euch sagte, dies sei um so besser? Habe ich Euch nicht heut morgen, als Ihr Euch glücklich prieset, gesagt, welches Abends Ihr Euch gewärtig halten solltet?« »Gesagt habt Ihr mir das,« versetzte Hobbie, »und eben das hat mich bestimmt, jetzt Euren Rat einzuholen. Wer ein Unglück voraussah, kann wohl auch die Arznei kennen, die solches zu heilen vermag!« »Arznei für irdisches Unglück kenne ich nicht!« entgegnete der Zwerg, »und wäre es der Fall, wieso käme ich dazu, andern zu helfen, da mir doch niemand geholfen hat? Bin ich nicht um Reichtum gekommen, der all deine öden, kahlen Hügel hundertmal aufwog? Hab ich nicht meinen Rang eingebüßt, mit dem in Vergleich gestellt der deinige knapp der eines Kossäten, ist? Bin ich nicht gesellschaftlichen Kreisen entrückt, in denen alle Liebenswürdigkeit und alle Intelligenz wahrhaft gebildeter Menschheit herrschte? Bin ich nicht all dessen verlustig gegangen? Hause ich nicht hier in dieser häßlichsten, einsamsten aller Einöden als Ausgestoßener der Natur? als das häßlichste von allen Dingen, die mich umgeben? Weshalb soll ich das Wimmern anderer Würmer, die zertreten werden, hören, da ich doch selber unter den Rädern eines Sichelwagens seufze, der seinen Opfern die Glieder stückweis vom Leibe trennt?« »All dies könnt Ihr verloren oder eingebüßt haben, wie Ihr es nennen wollt,« antwortete Hobbie in der Bitterkeit seines Wehs: »Land und Leute, Stellung und Rang, Hab und Gut: aber nimmer kann Euer Herz so voll Trauer sein wie das meine; denn Ihr habt niemals Grace Armstrong verloren. Meine letzte Hoffnung ist nun geschwunden: ich werde sie nie mehr, nie mehr wiedersehen!« Unsäglicher Schmerz sprach aus diesen Worten. Eine lange Pause folgte. Der Grimm, die wilde Erregtheit des armen Menschen waren mit dem Klange des Namens der Braut geschwunden und hatten schlimmstem Herzweh das Feld geräumt. Aber bevor er die Kraft wiederfand, von neuem das Wort an den Klausner zu richten, zeigte sich dessen knochige Hand mit den ungetümen Fingern in dem kleinen Fensterloch, und ein großer, lederner Beutel fiel mit hellem Klange vor Hobbies Füßen auf die Erde. Dann erklang des Klausners rauhe Stimme und Elliot vernahm die Worte: »Zu Euren Füßen, Hobbie Elliot, liegt die Universalpanakeia, das Allerweltsheilmittel für alles Allerweltsübel, für allen Allerweltsjammer. Zum wenigsten ist dies der Allerweltsglaube, der Glaube der Jammernaturen hienieden! Scher dich heim: du bist doppelt so reich jetzt als vorgestern! Aber peinige mich nicht mehr mit Fragen, mit Dank oder Klagen: sie sind mir alle gleich verhaßt!« »Beim Himmel, das ist Gold!« rief Elliot nach einem Blick in den Beutel. Dann sprach er weiter zu dem Klausner: «Gern erkenne ich Euren guten Willen an, Elshie, und gern stellte ich Euch einen Schuldschein aus über einiges Silbergeld oder einen Pfandbrief über den Grund und Boden von Wide-Open! Aber, Elshie, ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll! Soll ich Euch die Wahrheit sagen, Elshie, so mag ich sein Silber nehmen, ohne zuvor zu wissen, daß es ehrbarer Herkunft ist. Wer weiß, ob sich Euer Silber nicht zu Kieselstein wandelt und einem armen Menschen zu gleisnerischem Trug wird!« »Unwissender Tor!« versetzte der Zwerg, »der Plunder zu Euren Füßen ist ganz ebensolch echtes Gift wie anderes, das den Eingeweiden der Erde jemals entrissen worden. Nimm es und brauch es! Und mag es dir gedeihen wir mir!« »Aber, Elshie, ich sagte Euch ja,« hub Elliot wieder an, »nicht um Geldes und Gutes willen kam ich zu Euch! Meine Scheuer war schön und die Zahl meines Viehs überstieg die dreißig und es waren durchweg Stücke, wie sie edler sich auf dieser Seite des Hat-Rail nicht wiederfinden! Aber Geld und Gut mag mir genommen sein! Was ich von Euch zu hören kam, um was ich Euch flehentlich bitte, Elshie, ist eines, nur eines: könnt Ihr mir die Spur weisen von meiner Grace? Könnt Ihr mir sagen, wo ich sie zu suchen habe, die arme Dirne? Wäre solches der Fall, Elshie, so wäre ich auf Lebenszeit gern Euer Sklave in allem, was das Heil meiner Seele nicht in Gefahr setzt! Ach, Elshie, könnt Ihr's, so sagt mir ein paar Worte! Ich bitte Euch flehentlich!« »Wohlan!« erwiderte der Zwerg, scheinbar überdrüssig der dringlichen Reden des Jünglings, »da du noch nicht genug zu haben scheinst am eignen Elend, sondern dich noch zu beladen suchst mit Weiberkummer, so laß dir sagen: suche, die dir abhanden gekommen, im Westen!« »Im Westen? Ein Wort von weitem Sinne!« »Das letzte Wort, das ich zu äußern Willens bin!« Mit diesem Bescheid, schlug der Zwerg das Fenster zu, es Hobbie anheimgebend, den Wink, der in dem Worte lag, nach vorhandenem Vermögen zu nützen. »Im Westen?« sprach Elliot bei sich, »das Land ist doch im Durchschnitt ruhig! Sollte es der Jock vom Fuchsbau sein? Aber der ist für solchen Streich doch zu alt! – Im Westen?« und wieder sann er. Da schlug er sich vor die Stirn ... »Ha!« rief er, »bei meinem Leben! Westburnflat! Der Westburnflat muß es sein! Elshie!« wandte er sich bittend wieder an den Zwerg, »nur ein Wort, ein einziges, noch! Hab ich Recht? Ist Westburnflat der Brandstifter und Räuber? Oder vielmehr, Elshie, sag's mir, wenn ich Unrecht habe! Denn ich möchte keinen unschuldigen Nachbarn durch Gewalt verletzen. Keine Antwort, Elshie? Ha! Also ist's der rote Bandit?... Daß er sich an mich und meine zahlreiche Sippe getrauen würde, habe ich nicht geglaubt – ich glaube, er hat einen bessern Hinterhalt als seine Freunde aus Cumberland! Lebt wohl, Elshie, und vielen Dank! Mit dem Silber kann ich mich jetzt nicht befassen, denn ich muß meine Sippe auf dem Sammelplatz treffen. Hier, nehmt's herein! – Nun, wollt Ihr das Fenster nicht öffnen, so könnt Ihr's ja wieder hereinnehmen, wenn ich weg bin! – Noch immer keine Antwort, Elshie? Er ist taub oder toll – vielleicht beides! Aber zu weiterem Schwatzen hab ich jetzt nicht Zeit!« Hobbie Elliot ritt zum bezeichneten Trefforte hin. Vier bis fünf Reiter befanden sich bereits dort. Während ihre Rosse unter den Birken weideten, deren Laub über einen breiten, stillen Teich herniederhing, standen sie in einer Gruppe und hielten Rat. Eine zahlreichere Schar ritt vom Süden heran. Es war Earnscliff mit seinen Mannen, der die Spur des geraubten Viehs bis zur englischen Grenze verfolgt, aber dort kehrt gemacht hatte zufolge der Kunde, es seien beträchtliche Streitkräfte unter jakobitischen Edelleuten zusammengezogen und Nachrichten über Aufstände in verschiedenen Teilen Schottlands eingelaufen. Hierdurch verlor der räuberische Überfall den Anschein privater Feindschaft oder räuberischer Absicht und lenkte hinüber in das Kapitel des Bürgerkrieges: eine Ansicht, der Earnscliff auch selber zuneigte. Der junge Edelmann begrüßte Hobbie mit herzlicher Teilnahme und gab ihm Kenntnis von der Kunde. »Dann will ich mich nicht vom Fleck rühren,« rief Elliot, »wenn bei der schurkischen Tat nicht der alte Ellieslaw die Hauptrolle spielt! Daß er mit den Katholiken in Cumberland Beziehungen hat, ist Euch bekannt. Es stimmt auch völlig zu dem Winke, den mir Elshender gegeben hat, denn Ellieslaw hat Westburnflat immer Schutz und Unterstand geliehen, und daß die Gegend um seine Güter herum geplündert und von waffentragende Mannen entblößt wird, bevor er losschlägt, wird ihm sicher ganz gut in den Kram passen!« Jetzt erinnerten sich manche gehört zu haben, daß sich Scharen im Lande sammeln sollten, für Jakob den Achten zu kämpfen, denen Auftrag geworden wäre, allen Rebellen die Waffen zu nehmen. Anderen war zu Ohren gekommen, Westburnflat habe bei Gelagen damit geprahlt, daß Ellieslaw bald für die Sache der Jakobiten die Waffen erheben und daß ihm selber unter Ellieslaws Oberbefehl eine hervorragende Stelle zufallen werde; dann würden sie schon dem jungen Earnscliff und anderen, die zur Regierung hielten, die Hölle heiß machen. Zufolge solcher Nachrichten neigten alle der Ansicht zu, daß Westburnflat auf Ellieslaws Geheiß Räuber geworben und gegen Hobbies Heim geführt habe. Ohne Säumen wurde Beschluß gefaßt, nach Westburnflats Burg aufzubrechen und sich der Person des Räubers zu versichern. Inzwischen war durch weiteren Zuzug die Zahl der Reiter bis auf zwanzig angewachsen, die zwar mannigfache Ausrüstung trugen, aber im Durchschnitt als gutbewaffnet gelten konnten. Zwischen Höhen bricht bei Westburnflat aus engem Tal ein Bach, um sich in eine große sumpfige Fläche von reichlich einer Meile im Umkreis zu verlaufen. Der Bach ändert hier seinen Charakter: aus einem Bergstrom mit reißendem Lauf wandelt er sich zu einem fast stehenden Wasser, das sich einer blauen, geschwollenen Schlange ähnlich in allerhand Windungen durch die Sümpfe arbeitet. An dem Ufer dieser Schlange, fast in der Mitte der sumpfigen Fläche, erhob sich die Burg oder richtiger der Turm von Westburnflat: eine der wenigen Grenzfesten zwischen England und Schottland, die von der großen Sperrkette früherer Jahrzehnte noch vorhanden waren. Der Boden, auf welchem er stand, ragte an etwa hundert Ellen über den Sumpf und bildete, sanft ansteigend, um den Turm herum ein trockenes Rasengebiet. Darüberhinaus war alles gefährlicher, unzugänglicher Sumpf, wo man nur auf gewundenem Pfade, außer den Turmbewohnern kaum jemand bekannt, festen Weg zu finden vermochte. Unter Earnscliffs Mannen befanden sich einige, tauglich zu Führern in diesem schlimmsten aller Moore. War auch der Turmherr seinem Charakter und seiner Lebensweise nach bekannt genug im Lande, so waren doch die Begriffe über Eigentum noch immer locker genug, daß man ihn nicht mit dem Abscheu betrachtete, der ihn in anderen besser zivilisierten Ländern unfehlbar hätte treffen müssen. Im allgemeinen gemieden von den ruhiger gesinnten Nachbarn, galt er doch nicht als einer, der das Brandmal der Schande als Bandit oder Räuber trägt, sondern wurde mehr im Lichte eines gewerbsmäßigen Spielers, der es mit der Ehrlichkeit nicht genau nimmt, oder eines »Buchmachers« bei Rennen, dem die höchste Wette nicht als gefährlich scheint, betrachtet; und der Grimm der Leute im vorliegenden Falle hatte seinen Ursprung nicht sowohl in der Tat selber, die sich von einem Straßenräuber kaum anders erwarten ließ, als vielmehr in ihrer rohen Gewalt einem Nachbarn gegenüber, der zu Unfrieden nicht Ursache gegeben, und nicht zum wenigsten mit in dem Umstande, daß der Geschädigte zu dem zahlreichen und angesehenen Clan der Elliots gehörte. Diejenigen aus der Schar, die Bescheid mit dem Pfad über das Moor wußten, eröffneten nun den Marsch hinüber, und nicht lange währte es mehr, so standen die Schwerbewaffneten auf dem festen Erdreich, das den Turm von Westburnflat trug. Neuntes Kapitel Der Turm von Westburnflat war ein kleiner, viereckiger Bau von düsterm Aussehen, mit dicken Mauern und Fensterlöchern darin, die mehr darauf berechnet zu sein schienen, daß sie den Verteidigern des Turms Wege für ihre Wurfgeschosse nach außen, als dem Licht und der Luft nach innen zu schufen. An jeder Mauerseite ragten kleine, durch ein Einzeltürmchen gekrönte Zinnen empor; eine Vertiefung in der Mauer unterhalb der Brüstung, überragt durch ein steiles, mit grauen Steinen gedecktes Dach, bot der Verteidigung weitere Stütze. Den Zugang wehrte ein mit Nägeln beschlagenes Tor; vom inneren Gebäude aus führte eine Wendeltreppe zum Dach empor. Es schien Hobbie Elliot, als ob die Bewegungen der Seinen von einem der Einzeltürmchen aus überwacht würden. Seine Mutmaßung bestätigte sich alsbald. Durch eine der engen Schießscharten wurde eine Frauenhand gesteckt, die mit einem Tuche wehte. Hobbie geriet außer sich vor Freude und Eifer. »Es war Graces Hand und Arm,« rief er, »ich kenne sie unter Tausenden. Nichts gleicht auf dieser Seite der Grenzberge Graces Arm und Hand. Wir holen sie heraus, Bursche, und müßten wir den Turm von Westburnflat steinweis abtragen!« Es wurde beschlossen, die Besatzung zur Übergabe aufzufordern. Endlich gelang es den Belagerern, durch ihr Geschrei und durch den Schall zweier Jagdhörner ein altes Weib zu bewegen, daß es sein hageres Gesicht an der über dem Eingangstor liegenden Schießscharte zeigte. »Des Räubers Mutter,« rief einer der Elliots, »ein Weib, zehnmal schlimmer als er selber! Ihr fällt das meiste von allem Übel zur Last, das er im Lande anrichtet.« »Wer seid ihr? Was wollt ihr?« fragte das Weib. »Wir suchen den William Gräme von Westburnflat«, lautete Earnscliffs Antwort. »William Gräme ist nicht zu Hause«, erwiderte die Alte. »Wann hat er seinen Turm verlassen?« fragte Earnscliff weiter. »Das weiß ich nicht«, lautete die Antwort. »Wann will er zurück sein?« fragte Hobbie. »Das weiß ich nicht«, lautete wiederum die Antwort. »Ist jemand bei Euch im Turm?« »Mein Kater,« rief das Weib, »sonst kein lebend Wesen!« »So öffnet das Tor und laßt uns herein!« rief Earnscliff. »Ich bin Friedensrichter und verfolge die Spur eines Raubzuges« »Der Teufel knicke dem die Finger, der für euch einen Riegel löst!« keifte die Wächterin der Feste, »von meinen Fingern tut's keiner! Schämt euch, in solchem Hauf daherzukommen, mit Schwert, Speer und Sturmhaube, eine einsame Witwe zu schrecken!« »Wir sind hier, weil des Verbrechens Spur hierher führt! Wir suchen Hab und Gut, das in Menge gewaltsam entwendet worden!« »Dazu eine junge Frauensperson, die grausamerweise in Gefangenschaft geführt wurde und die zweimal soviel wert ist wie all die Habe!« sagte Hobbie. »Laßt Euch warnen, Weib!« rief Earnscliff, »wollt Ihr die Unschuld Eures Sohns erweisen, so könnt Ihr das nicht anders, als daß Ihr uns Zugang zu Eurem Hause und dessen Durchsuchung gestattet.« »Und wenn ich mich weigere, solchem Gesindel, wie Ihr seid, die Schlüssel auszufolgen und Riegel und Gitter zu lösen?« fragte voll Hohn die Alte. »Dann werden wir mit Königsschlüssel das Tor öffnen und allen Lebenden im Haus die Hälse brechen, sofern Ihr uns nicht auf der Stelle einlaßt!« rief Hobbie drohend. »Menschen, denen gedroht wird, leben lange!« sprach die alte Hexe im nämlichen höhnischen Tone, »versucht doch eure Geschicklichkeit, Bursche, an dem Eisengitter, das schon manchen fernhielt, der euch an Stärke und Klugheit nichts nachgab!« Hohnlachend entfernte sie sich nach diesen Worten von dem Fensterloch, von wo aus sie dieses Gespräch geführt hatte. Jetzt traten die Belagerer zusammen zu ernstlichem Kriegsrat. Die dicken Mauern waren für Büchsenkugeln unverletzlich. Der geringe Umfang der Fensterlöcher wehrte jeglichem Versuch hindurchzudringen. Das Tor war durch ein schmiedeeisernes Gitter von solcher Stärke geschützt, daß der kräftigste Mann sich umsonst daran versucht haben würde. Zähneknirschend umschritt Hobbie die Feste, die sich als uneinnehmbar erwies. Die Zinnen auf Leitern zu ersteigen ließ sich nicht hoffen, denn dazu lagen die Fensteröffnungen zu hoch, von ihrer Enge und Kleinheit ganz abgesehen. Brandminen zu legen war ausgeschlossen, denn es fehlte an Material dazu; und wer hätte es auf sich genommen, es auf dem schmalen Pfade durch den Sumpf zu schaffen? Zudem fehlte es den Belagerern an Nahrungsmitteln, an Zelten für die Nacht, an allen anderen Erfordernissen, um eine wirksame Blockade zu eröffnen. Auch glaubte niemand von ihnen den Worten der Alten, daß sie allein in der Feste weile, hatte man doch Tritte von Hufen auf dem Moorpfade bemerkt, zahlreich genug, um die Meinung zu gewinnen, daß vor kurzem mehrere Personen den gleichen Weg gezogen waren wie sie! Plötzlich schlug sich Hobbie wieder vor die Stirn und rief: »Ei! Warum nicht vorgehen wie vormals unsere Ahnen? Häufen wir Reisig vor das Tor und stecken es in Brand! Räuchern wir die alte Hexe innen zu Schinken und Speckseite!« Alle pflichteten dem Vorschlag bei; manche eilten mit Dolch und Messer an das Bachufer, zu den Erlen und Hagedornbüschen, dürres Geäst abzuhauen; andre türmten dasselbe nahe dem Gitter zu hohen Haufen. Feuerschwamm war schnell in Brand gesetzt und Hobbie schritt schon auf den Reisighaufen zu, als sich an der Schießscharte über dem Eingang das finstere Gesicht des Banditen neben dem Rohr eines Stutzens zeigte. »Schönen Dank!« rief er höhnisch, »schönen Dank, daß Ihr so emsig für Feuerung sorgt! Wagt Euch aber keinen Schritt näher mit Eurer Lunte heran, wenn Euch das Leben lieb ist!« »Das läßt sich abwarten«, versetzte Hobbie und schritt furchtlos zu dem Haufen. Der Räuber drückte den Stutzen ab. Zum Glück für unsern Freund versagte der Schuß: Eine andre Kugel aber streifte des Räubers Kopf; Earnscliff hatte ziemlich scharf auf das Ziel gehalten, das der Kopf hinter der schmalen Fensteröffnung bot. Sobald der Räuber, der sich von seinem gedeckten Posten sicher bessern Schutz versprochen hatte, die übrigens nicht erhebliche Blessur fühlte, rief er hinaus, daß er zu parlamentieren gewillt sei, und fragte, weshalb man einem friedlichen, ehrlichen Menschen in solcher Weise auf den Leib rücke. »Wir fordern,« rief Earnscliff, »daß Ihr uns das Mädchen, das Ihr gefangen haltet, unversehrt und wohlbehalten überantwortet!« »Was habt ihr mit ihr vor?« versetzte der Räuber. »Das zu fragen steht Euch kein Recht zu!« fiel ihm Garnscliff ins Wort, »denn Ihr haltet sie zurück mit Gewalt!« »Hm, mir scheint, als könnten wir uns vergleichen,« rief der Räuber – »in Blutrache mit euch, ihr Herren, zu treten sei mir ferne; ich mag keines Elliot Blut verspritzen, wenngleich sich Earnscliff nicht bedachte mit dem meinigen ... und doch hatte er bloß ein Ziel nicht größer denn ein Groschenstück! Es sei, da ihr mit anderm nicht zufrieden sein wollt, will ich nicht Ursach sein zu weiterem Unheil, sondern die gefangene Dirne euch ausfolgen.« »Und Hobbies Hab und Gut?« rief Simon von Hackburn, »meint Ihr, eines Elliots Haus und Hof plündern und sengen zu dürfen, als sei es nichts anderes als eines alten Weibes Hühnerstall?« »So wahr ich von Brot lebe!« versetzte Willie von Westburnflat, »kein Huf von seinem Vieh ist in meinem Besitz! Sein Vieh ist längst schon über den Sumpf getrieben. Aber zusehen will ich, was sich zurückholen läßt. Heut über drei Tage wollen wir uns in Castleton treffen, Hobbie und ich, ein jeder mit zwei Begleitern, und wollen zusehen, daß sich ein Abkommen finden lasse in betreff des Schadens, den er durch mich erlitten zu haben vorgibt.« »Recht so,« rief Elliot, »ich denke, das wird sich machen!« Dann drehte er sich zu seinem Verwandten und sprach leiser: »Die Pest über mein Vieh, wenn es nicht anders sein soll! Redet kein Wort mehr drüber. Mann! sondern erlösen wir Grace, das arme Ding, aus dieser Hölle!« »Wollt Ihr mir das Wort verpfänden, Earnscliff,« fragte der Räuber, der seinen Platz hinter der Schießscharte noch inne hatte, »wollt Ihr mir Treue verbürgen mit Hand und Handschuh, daß ich frei kommen und gehen darf, das Tor zu öffnen und wieder zu schließen? Fünf Minuten für das eine und fünf für das andre? Geringere Frist reicht nicht aus, denn Schloß und Riegel wollen geschmiert sein. Wollt Ihr solches laut und feierlich erklären?« »Es soll Euch reichlich Zeit bleiben, Willie Westburnflat,« antwortete Earnscliff, »ich verpfände Wort und Treue und verbürge mich mit Hand und Handschuh! Meine Mannen sind mir und Euch Zeugen!« »So wartet einen Augenblick!« versetzte Westburnflat, »oder vielmehr: entfernt Euch auf Pistolenschußweite vom Tor! Nicht weil ich Eurem Worte mißtraue, Earnscliff, stelle ich die Forderung; aber so ziemt es sich bei solchem Abkommen.« »Hätt' ich dich bloß auf der Turnierwiese mit weiter niemand als zwei ehrlichen Burschen, um auf ehrlich Spiel zu schauen,« dachte Hobbie bei sich, als er die begehrte Strecke rückwärts schritt, »so wollt' ich es dir schon beibringen, daß es gescheiter für dich wär', eher das Bein zu brechen, als ein Stück von meinem Vieh anzurühren!« »Der Spitzbube wird niemals seinem Vater gleichen,« brummte ärgerlich Simon von Hackburn, »er hat eine weiße Feder im Flügel!« Unterdes war die Innentür des Turmes geöffnet worden, und in dem Raum zwischen ihr und dem Eisengitter kam die Mutter des Räubers zum Vorschein. Hinter ihr, mit einem Frauenzimmer an der Hand, Willie von Westburnflat selber. Die Alte verriegelte hinter beiden das Gitter und blieb als Schildwache auf dem Posten. »Es müssen ein paar von euch vortreten,« rief der Räuber, »das Mädchen heil und gesund aus meiner Hand zu nehmen.« Hobbie trat schnellen Schrittes vor, die Braut in Empfang zu nehmen. Earnscliff, vor Verrat auf der Hut, folgte langsamer. Plötzlich verlangsamte Hobbie seinen Schritt und tiefe Niedergeschlagenheit prägte sich aus auf seinen Zügen, Earnscliffs Schritt hingegen beflügelte Ungeduld und Staunen. Nicht Grace Armstrong war es, der durch die Sippe der Elliots Befreiung aus dem Turm von Westburnflat wurde, sondern Miß Isabel Vere. Von Zorn und Unwillen erfüllt, rief Hobbie grimmig: »Wo ist Grace Armstrong?« »In meinen Händen nicht!« versetzte Westburnflat, »sofern Ihr Zweifel setzt in meine Worte, mögt Ihr den Turm durchsuchen.« »Falscher Schurke!« rief Elliot, das Gewehr an die Wange reißend, »Rechenschaft sollst du über sie geben, oder auf der Stelle sterben!« Aber seine Gefährten entwanden ihm im Nu die Waffe. »Hand und Handschuh! Wort und Treue!« riefen alle wie aus einem Munde. »Hüte dich, Hobbie! Dem Westburnflat halten wir Wort und wäre er der größte Schuft, der je auf einem Roß gesessen, denn wir gaben ihm unser Wort!« Zufolge solches Schutzes gewann der Bandit die durch Elliots Drohung stark erschütterte Kühnheit wieder. »Ich hielt euch Wort, ihr Herren,« sprach er, »also habt ihr mir kein Unrecht vorzuwerfen! Ist dieses die Gefangene nicht, die Ihr suchet,« – diese Worten waren an Earnscliff gerichtet – »dann gebt sie mir zurück. Ich bin ihren Angehörigen für sie verantwortlich.« »Um unsers Heilands willen, Herr Earnscliff,« sagte Miß Vere, sich an ihren Befreier klammernd, »gewähren Sie mir Schutz! Verlassen nicht auch Sie ein Mädchen, das verlassen zu sein scheint von aller Welt.« »Seien Sie ohne Furcht, Miß Vere!« flüsterte Earnscliff, »ich will Euch beschützen mit meinem Leben!« Dann drehte er sich zu Westburnflat herum: »Wie konntest du wagen, Schurke, Hand an diese Dame zu legen?« »Darüber, Earnscliff,« versetzte der Räuber, »werde Rechenschaft abgelegt denen, die zu der Frage besseres Recht besitzen als Ihr! Wie aber gedenkt Ihr Euch zu verantworten dafür, daß Ihr herkommt mit bewaffneter Macht und sie dem Manne nehmt, dem ihre Verwandten sie anvertrauten? Indessen das ist Eure Sache! Kein einzelner Mann vermag gegen zwanzig einen Turm zu halten, und kein Mann kann mehr tun als er kann!« »Er lügt,« rief Isabel, »denn er riß mich mit Gewalt von meinem Vater.« »Weißt du, Mädchen, ob es ihm am Ende nicht darum zu tun war, diese Meinung bei dir zu wecken?« fragte der Räuber, »aber auch das ist meine Angelegenheit; mir soll es gleich sein, wie es sich darum verhält! Earnscliff, wollt Ihr mir die Dirne wiedergeben?« »Dir Miß Vere wiedergeben, Kerl? Um keinen Preis!« versetzte Earnscliff, »beschützen will ich sie und sicheres Geleit will ich ihr geben an jeden Ort, wohin sie gelangen will.« »So? Hm! Habt's mit ihr wohl schon abgesprochen?« fragte höhnisch Willie von Westburnflat. »Und Grace?« unterbrach ihn Hobbie, sich von den Freunden losreißend, die ihm Vorhaltung machten wegen des unverletzlichen Geleits aus und nach dem Turme, das dem Räuber gelobt worden – »wo ist Grace?« und mit dem Schwert in der Faust stürmte er auf den Räuber ein. Dieser wandte zufolge solcher Bedrängnis den Rücken und floh mit dem Rufe: »Hobbie! Um all dessen willen, was Euch heilig ist, höret mich an!« Des Räubers Mutter stand in Bereitschaft, das Gitter zu öffnen und wieder zu schließen. Aber Hobbie Elliot führte nach dem Räuber, als er das Gitter gewonnen hatte, einen so wuchtigen Streich, daß sein Schwert in die Schwelle des Tors einen mächtigen Spalt hieb: der noch heute am Turme von Westburnflat gezeigt wird als Kennmal der stärkern Kraft früherer Geschlechter. Ehe Hobbie zu neuem Streich ausholen konnte, war das Tor gesperrt und verriegelt, so daß er sich gezwungen sah, zu seinen Kameraden zurückzutreten, die sich jetzt anschickten die Belagerung aufzuheben, und auf seiner Mitkehr nach Hause beharrten. »Den Waffenstillstand, Hobbie, habt Ihr bereits gebrochen,« sprach der alte Dick vom Dingle, »und mehr törichte Streiche spielt Ihr uns schließlich noch, macht Euch womöglich gar zum Gespött des Landes, sofern wir Euch nicht bessere Fürsorge widmen. Wartet bis zur Zusammenkunft in Castleton, die Ihr dem Westburnflat zugestanden habt. Wenn er Euch dort nicht befriedigt, dann schreien wir nach seinem Herzblut. Aber mit Vernunft laßt uns zu Werke gehen und das Wort halten, das wir gegeben haben. Dann stehe ich dafür ein, daß Ihr Grace wieder bekommt und mit ihr die Kühe und was Euch weiter geraubt worden!« Dieser kaltblütige Vorhalt wurde von dem unglücklichen Hobbie Elliot übel aufgenommen. Da er aber des Beistands der Nachbarn und Anverwandten nicht entbehren, ihn aber bloß auf die Bedingungen hin erlangen konnte, die von ihnen selbst gestellt worden waren, blieb ihm nichts andres übrig als sich zu fügen, den geschlossenen Vertrag zu halten und ein regelmäßiges Verfahren zu beobachten. Earnscliff bat nun einige Mannen um Beistand, ihn mit Miß Vere zum Schloß ihres Vaters zu begleiten, da sie die feste Absicht ausgesprochen hatte, dorthin zurückzukehren. Ihrem Begehr wurde ohne Einspruch gewillfahrt, und ein halbes Dutzend junger Burschen erklärte sich zu dem Geleit bereit. Hobbie Elliot war nicht darunter. Wenig fehlte, so wäre ihm ob der traurigen Ereignisse, die ihm fast alle Hoffnung raubten, das Herz gebrochen. Tiefbetrübt schlug er den Heimweg ein, um zum Schutz und Unterhalt seiner Angehörigen nach Möglichkeit Maßregeln zu ergreifen, und weitere Schritte zur Wiedererlangung von Grace Armstrong mit Nachbarn und Verwandten zu beraten. Die übrigen Mannen zerstreuten sich, sobald sie das Moor hinter sich hatten, nach verschiedenen Richtungen. Der Räuber und seine Mutter blickten ihnen vom Turm aus nach, bis sie ihren Blicken entschwunden waren. Zehntes Kapitel Verdrossen über die Kälte, mit der, seiner Ansicht nach, eine ihn so nahe angehende Sache von seiner Sippe behandelt wurde, hatte Hobbie Elliot sich von ihr getrennt und war jetzt auf einsamem Heimritt begriffen. »Fahr' der Satan dir ins Gebein!« brummte er, indem er sein müdes Tier, das kaum noch weiter konnte, mit den Sporen traktierte, »du bist wie alle andern Geschöpfe! Gehegt und gepflegt hab' ich dich und aufgefüttert mit eigener Hand, und jetzt willst du stolpern, da ich dich gerade am meisten brauche, und mir den Hals brechen? Aber lauf! Du bist wie die andern! Alle sind sie mir verwandt, durchweg Vettern, wenn auch zuweilen erst zehnten Grades: aber ich würde ihnen dienen Tag und Nacht und mit meinem besten Blute. Sie aber erweisen dem Räuber von Westburnflat mehr Rücksicht als ihrem eignen Fleisch und Blut! ... Weh mir!« fuhr er fort, überwältigt von den ihm zuflutenden Erinnerungen: »jetzt sollte ich sie sehen, die Lichter in Heugh-foot! Wär' nicht die Urahn und wären die Schwestern nicht ... und wär nicht« (nur ein wildes Schluchzen entrang sich der mannhaften Kehle) ... »wär nicht die arme Grace, dann könnt' mich die Lust befallen, das Tier zu spornen und den Abhang hinunter ins Wasser zu springen, daß alles, alles ende!« In solch untröstlicher Stimmung wandte er den Zügel seines Rosses der Hütte zu, in welcher die Urahn mit seinen Schwestern Zuflucht gefunden hatte. Der Tür nahe, drang ihm Flüstern und Lachen der Schwestern entgegen. »Der Satan ist unter dem Weibsvolk!« sprach der arme Hobbie, »wiehern würden sie, auch wenn ihr liebster Freund als Leiche daläge! Und doch wieder freut es mich, daß sie die Herzensfreudigkeit behielten, die armen, lieben, dummen Dinger! Sicher, sicher! Das Böse kommt ja über mich, nicht über sie!« Also mit sich im Gespräch, unterzog er sich der Arbeit, sein Pferd im Schuppen anzubinden... »Kannst dich heut mal ohne Gurt und Decke behelfen, Schlingel,« sprach er zu dem Tiere, »wir sind beide gleich herunter, armes Vieh! Du und ich! Es wär' uns beiden besser, wir lägen im tiefsten Teiche von Tarras!« Da kam die jüngste der Schwestern gesprungen und störte ihn aus seinem sich selbst feindlichen Grübeln. Mit gezwungener Stimme, gleichsam beflissen, eine Erregung, die in ihr stürmte, niederzukämpfen, rief sie ihm zu: »Hobbie, Hobbie! Was treibst du Kurzweil mit deinem Gaul? Schon eine Stunde lang harrt jemand aus Cumberland deiner! O, seit länger schon denn einer Stunde! Schnell, schnell ins Haus, Mann! Ich will dem Tier den Sattel abgürtenl« »Jemand aus Cumberland?« schrie Elliot, der Schwester den Zaum zuwerfend und mit einem Sprung in der Hütte ... wo ist er? Wo?« rief er, schnell blickend nach allen Seiten und, als er bloß Frauen sah, fragend: »Hat er Kunde gebracht von Grace?« »Keinen Augenblick mehr möchte er warten, der Ungeduldige!« meinte mit unterdrücktem Lachen die älteste Schwester. »Still, ihr Mädchen!« erwiderte die Urahn, sie zurechtweisend, aber mit so sichtlicher Frohlaune, daß der Verweis eher sich wie ein Sporn anhörte so fortzufahren … »so solltet ihr euren Bruder, den armen Hobbie, nicht peinigen! Sieh dich um, Hobbie, sieh dich um nach jemand, der heut morgen nicht hier war, als du von uns schiedest.« Mit Eifer blickte Hobbie sich um. »Ihr seid da, Urahn,« sprach er, »und meine drei Schwestern!« »Ei! hast du zählen verlernt?« rief da lachend die jüngste, die jetzt hereintrat … »ich zähl' unser vier!« Im andern Augenblick hielt Hobbie Grace im Arm, die, in einen Mantel der Schwestern gehüllt, im ersten Moment nicht von ihm bemerkt worden war. »Wie konntest du mir solches tun?« fragte mit schmerzlichem Vorwurfe Hobbie. »Nicht mich trifft die Schuld, Hobbie, nicht mich!« erwiderte Grace, bemüht, mit den Händen sich das Gesicht zu verdecken und ihr Erröten zu verbergen, zugleich sich dem Sturm von herzlichen Küssen zu entziehen, durch die ihr Bräutigam ihre einfache List strafte – »nicht mich, Hobbie! Jenny solltest du küssen und die andern, denn sie haben es so eingerichtet!« »Das kann ich auch und tu ich gern!« rief Hobbie überglücklich lachend und küßte die Schwestern und die Urahn wohl an die hundertmal, während alle im Übermaß ihrer Freude abwechselnd lachten und weinten. »Ich bin der glücklichste Mensch unter der Sonne!« rief Hobbie und sank erschöpft in einen Stuhl, »der glücklichste unter der Sonne!« »Dann, mein Kind! Sohn meines Sohnes!« sprach die fromme Urahn, die keine Gelegenheit vorbeigehen ließ, die das menschliche Herz zur Aufnahme der Lehren der Religion bereitete, zu Mahnung an Gott und sein Walten, »dann singe und preise Ihn, der Weinen in Lachen und Gram in Freude wandelt, gleichwie er Licht schuf aus Finsternis und die Welt erstehen machte aus Nichts! Waren es nicht Worte aus meinem Munde, daß, wenn du sprechen wolltest, dein Wille geschehe, Herr! dir auch Ursach' werden würde zu rufen: »Gepriesen, o Herr! sei dein Name!« »So war es! Und also habt Ihr gesprochen, Urahn! Herrgott, dich preise ich,« rief Hobbie, übermannt von Glückseligkeit, »für deine Gnade! Dich, preise ich, daß du mir eine Mutter ließest, als du mir die leibliche nahmst!« und mit innigem Druck zog er die Hand der Greisin an sein Herz. Dann hob er die Hand auf: »Deiner, o Herr, will ich hinfort gedenken in Unglück und Glück!« Eine feierliche Pause trat ein, geweiht der Übung frommer Andacht, dem Dankgebet eines in christlicher Demut lebenden Hauses zu Gott, daß Er ihm ein Glied wieder zugeführt hatte, das schon für verloren gehalten war. Die ersten Fragen, die Hobbie nun stellte, richteten sich auf die Zeit, die Grace fern von ihnen gelebt, auf die Schicksale, die die sie währenddes betroffen hatten. Sie wurden umständlich erzählt, waren aber in Kürze die folgenden: Durch den Lärm, den die einbrechenden Räuber verursachten, war sie geweckt worden, hatte sich flugs in die Kleider geworfen und war die Treppe hinunter geeilt. Hier sah sie Leute vom Gesinde im Kampf mit maskierten Männern, die des Gesindes schnell Herr wurden. Aber dem einen von ihnen wurde im Getümmel die Maske vom Gesicht gerissen; sie hatte Westburnflat erkannt; hatte ihn angerufen und um Gnade gefleht; er aber hatte ihr im Nu einen Knebel in den Mund geschoben hatte sie aus dem Haus geschleppt und zu einem seiner Helfershelfer aufs Pferd geworfen. »Den Hals hätt' er brechen müssen!« rief Hobbie. Von den Räubern, die das Vieh vor sich her trieben, erzählte Grace weiter, sei sie südwärts der Grenze zu geschleppt worden. Da sei ein Vetter Westburnflats zu ihnen herangesprengt und habe dem Räuber, der über den Trupp das Kommando geführt, die Meldung gebracht, sein Vetter habe aus sicherer Quelle gehört, der Raub werde üblen Ausgang für ihn nehmen, wenn er das Mädchen nicht ihren Verwandten wiederbringe. Es sei eine Zeitlang hin und her verhandelt worden. Dann habe der Truppführer sich einverstanden erklärt. Man habe sie auf ein andres Pferd gesetzt, ihr einen andern Begleiter gegeben. Dann sei es still und in höchster Hast nach Heugh-foot zurückgegangen auf einem der schwächstbesuchten Pfade, und ehe der Abend herniedergekommen, habe der Mann sie absteigen lassen und, erschreckt und abgespannt, sei sie nun inne geworden, daß sie sich kaum eine Viertelstunde von Heugh-foot befände. Aufrichtige Glückwünsche kamen ihr nun von allen Seiten. Aber als die erste Freude sich gelegt hatte, fingen minder frohe Gedanken an sich einzustellen. »Eine elende Unterkunft ist euch die Hütte«, sprach Hobbie, sich umsehend; »für mich selber ist ja schließlich wohl, wie schon manche Nacht auf den Bergen, Platz genug neben meinem Gaule. Aber wie ihr hier allesamt Unterkunft sollt finden können, ist mir unverständlich. Und, was für mich noch das Schlimmere ist, ich vermag es nicht zu ändern! Ja, es kann morgen und übermorgen kommen, bevor es sich ändern, bevor sich Besseres für euch schaffen läßt!« »Feige war es und grausam,« rief eine der Schwestern, »eine ganze Familie solcher Weise zu plündern, daß ihr nichts bleibt als die kahlen Wände solch ärmlicher Hütte!« »Und ihr weder Kalb noch Kuh, weder Lamm noch Mutterschaf zu lassen«, sprach der jüngste der Brüder, der jetzt hereinkam. »Noch irgend was, das Gras frißt oder Körner«, stimmte der andere ein. »Hätten sie im Zwist gelegen mit uns,« fuhr er fort, »so wären wir doch bereit gewesen, vor allen andern, ihn auszufechten! Bei Gott! Wären wir daheim gewesen, so hätte es Willie Gräme an einer Morgensuppe nicht fehlen sollen. Aber sie wird ihm doch noch eingebrockt, Hobbie! Nicht wahr!« »Die Nachbarn haben einen Tag in Castleton anberaumt, sich mit ihm im Angesicht der Menschen zu vergleichen«, sprach Hobbie mit finsterer Miene; »sie bestanden drauf, daß verfahren werde auf solche Weise, sofern ich ihres Beistands versichert bleiben wolle.« »Wir uns vergleichen mit ihm?« riefen die Brüder wie aus einem Munde ... «und nach solchem Überfall und Raub, wie er im Lande seinesgleichen nicht gehabt seit den alten Kriegszeiten?« »Recht habt ihr, Brüder, und auch mir kochte das Blut ... aber – daß ich Grace wieder vor Augen habe, das gibt mir Ruhe!« »Doch unsre Herden, Hobbie?« hielt ihm John Elliot vor, »wir sind völlig zugrunde gerichtet! Ich bin mit Harry ausgeritten, zu sammeln, was in der Nähe noch vorhanden sei: kaum eine Klaue mehr zu finden! Was wir anfangen sollen, das weiß Gott! Es wird uns allen nichts anderes bleiben, als in den Krieg zu ziehen, hat doch Westburnflat, wenn er selbst wollte, gar nicht die Mittel zum Ausgleich unsers Verlustes! Was für anderer Entschädigung sollen wir uns von ihm versehen als seine Knochen uns bieten? Außer dem elenden Klepper, den er reitet, und der durch das nächtliche Handwerk, dem sein Herr obliegt, an Kräften wahrlich nicht zunimmt, besitzt er doch an Vierfüßlern nichts! – Nein, Hobbie, wir sind völlig zugrunde gerichtet! Bis auf Stumpf und Stiel!« Betrübten Auges blickte Hobbie auf Grace, die mit schwachem Seufzer antwortete. »Seid nicht mutlos, Kinder!« sprach die Urahn; »noch haben wir Freunde, die sich von uns nicht abwenden werden im Unglück! Sir Thomas Kittleloof, ein Vetter von mir mütterlicherseits im dritten Grade, hat des Silbers viel erworben und ist zum Ritter und Baronet erhoben worden, weil er bei der Union der beiden Königreiche gute Dienste getan als Kommissär.« »Der rettet uns mit keinem Heller vom Hungertod!« meinte Hobbie, »und sollte er es wollen, Urahn, so bliebe mir jeder Bissen Brot von seinem Gelde in der Kehle stecken bei dem Gedanken, daß es seinen Ursprung hat in dem Judasgroschen, um welchen Schottlands Krone und Unabhängigkeit an England verkauft worden!« »Dann der Gutsherr von Dundee aus einem der ältesten Geschlechter in Tiviotdale?« »Der sitzt im Schuldturm, Mutter, in Edinburg, um tausend Mark willen, die er von Saunders Vyliecoat, dem Ratsschreiber, geliehen hat!« »Der Ärmste!« rief die Urahn, »können nicht wir ihm was schicken, Hobbie?« »Ihr vergeßt, Mutter, daß wir vorerst uns selber helfen müssen!« versetzte Hobbie nicht ohne Verdruß. »Fürwahr! Das vergaß ich!« rief die wackre Greisin, »aber es ist doch nur natürlich, daß man früher als an sich an seine Blutsverwandtschaft denkt! ... Der junge Earnscliff?« »Der hat von seinem Eigentum nur wenig noch übrig! Wollten wir ihm in unserm Elend zur Last fallen, so wär's eine Schande für uns, für uns alle! Glaubt mir, Mutter! Daß Ihr dasitzt und von Bekannten, Verwandten, Vettern sinnt, als läge in ihrem Namen ein Zauber geborgen, uns aus dem Elend zu helfen, ist nutzloses Beginnen! Die Vornehmen haben unser vergessen, und die uns gleich gestellt sind, haben selber kaum soviel, daß sie durchkommen. Auf Verwandte bauen, daß sie uns die Herden wieder ins Pachtgut schaffen, heißt schwächer denn auf Sand bauen!« »Dann müssen wir bauen auf Ihn, Hobbie, der bewirken kann, daß Freunde und Vermögen, wie es im Worte heißt, aufsteigen aus nacktem Moore!« Hobbie sprang auf. »Fürwahr. Mutter!« rief er, »ich kenne jemand auf nacktem Moore, der uns helfen will und helfen kann. Des heutigen Tages Wechselfälle haben mir den Kopf verdreht. Auf dem Mucklestane-Moor ließ ich heut soviel Geld unangetastet, daß Haus und Hof in Heugh-foot doppelt gefüllt werden können, und Elshie, des bin ich überzeugt, wird uns nicht gram sein, wenn wir uns dieses Geldes bedienen, uns wieder aufzuhelfen.« »Elshie?« fragte die Urahn verwundert – »was meint Ihr für einen Elshie?« »Wen anders als Elshie, den Weisen vom Mucklestane-Moor!« »Da sei Gott vor, Sohn meines Sohnes!« rief die Greisin feierlich und faltete die Hände, »daß du Wasser schöpfest aus zertrümmerten Cisternen oder Hilfe wirbst bei solchen, die mit dem Bösen Verkehren! Niemals war Glück in ihren Gaben oder Gnade auf ihren Pfaden, und das ganze Land weiß, daß Elshie ein Mensch ist, des Leben nicht auf Erden wandelt! Herrschte jenes Gesetz bei uns im Lande, durch welches Königreiche blühen, läge unseres Landes Verwaltung in solch gerechter Hand, wie sie Bedingung ist für gleiches Maß von Recht und Unrecht: dann würde seinesgleichen nicht leben dürfen! Zauberer und Hexen sind der Abscheu im Lande und das Unheil für das Land!« »Fürwahr, Mutter!« entgegnete Hobbie, «Ihr mögt sprechen was Ihr wollt: meine Meinung ist und bleibt, daß Hexen und Kobolde nicht die Hälfte der Gewalt mehr haben als ehedem; zum wenigsten bin ich überzeugt, daß, wer böse Pläne schmiedet gleich dem alten Ellieslaw, oder Böses verübt gleich dem verdammten Schuft von Westburnflat, ein weit größeres Unheil für ein Land ist und weit größern Abscheu verdient als ein ganzes Heer der tollsten Hexen, die je auf Besenstielen saßen oder den Zauber am Pfingstdienstag bewirkten! Bis mir Elshie Haus und Scheuer überm Kopf angesteckt hätte, hätten wir lange mit Ruhe warten können! Jetzt aber bin ich des festen Willens zuzusehn, ob er was tun will, mir Haus und Scheuer wieder aufbauen zu helfen!« »Verzieh mit der Ausführung des Entschlusses, mein Sohn!« bat die Urahn, »und besinne dich, daß Wohltaten aus seiner Hand noch niemand Gedeihen brachten. Joch Howden starb, als das Laub fiel, an der nämlichen Krankheit, von welcher ihn Elshie zu heilen vorgab, und Lambsides Kühe kurierte er wohl, doch herrschte dann unter Lambsides Schafen die Klauenseuche ärger als je. Auch ist mir zu Ohren gekommen, daß er die menschliche Natur mit Worten schmähe, die eine Lästerung der göttlichen Vorsehung seien. Besinne dich deiner eignen Worte, als du ihn zum erstenmal sahest: er gleiche, sagtest du, einem Kobolde eher als einem Wesen voll menschlichen Lebens!« »Haltet ein, Mutter!« erwiderte Hobbie, »solch schlechter Wicht ist Elshie nicht! Freilich sieht er greulich genug aus für einen Krüppel und hat eine grobe Zunge; aber ein Wort, das wir von unsern Hunden im Lande sagen, ließe sich auch von ihm sagen: solche, die viel bellen, die beißen nicht! Hätte ich bloß was zu essen, denn noch hat heute kein Bissen den Weg über meine Kehle gefunden, dann streckte ich mich ein paar Stunden neben mein Roß und ritte mit dem ersten Frühlicht zum Mucklestane-Moor herüber!« »Warum nicht heut nacht, Hobbie?« fragte Harry Elliot, »ich ritte mit!« »Mein Pferd ist müde,« antwortete Hobbie. »Dann nimm meins!« sagte John. »Ich bin auch selber müde!« »Du und müde?« rief Harry wieder, »schäme dich! Ich hab dich doch vierundzwanzig Stunden hintereinander im Sattel gesehen, Hobbie, ohne daß dir die geringste Spur von Ermattung anzusehen war!« »Die Nacht ist pechfinster,« versetzte Hobbie nach einem Blick durch das Fensterloch der Hütte; »und soll ich die Wahrheit reden, so möchte ich, dem Satan zu schaden, doch lieber das Tageslicht um mich haben, wenn ich zu Elshie reite, trotzdem er wirklich ein ehrlicher Kerl ist.« Dies freimütige Bekenntnis machte den Auseinandersetzungen ein Ende. Hobbie stärkte sich, nach diesem Ausgleich zwischen des Bruders Hast und der Urahn fürsichtiger Weisheit, an solcher Speise, wie die Hütte sie bot, verabschiedete sich bei Urahn und Braut und Schwestern aufs herzlichste und legte sich im Schuppen neben seinem treuen Roß aufs Stroh. Die Brüder suchten Unterschlupf für die Nacht in dem Stalle, der sonst der Kuh der alten Kindsmagd zum Aufenthalt gedient hatte. Die Frauen begaben sich in der Hütte zur Ruhe. Mit dem ersten Frühlicht war Hobbie auf den Beinen, putzte und sattelte hurtig sein Pferd und galoppierte zum Mucklestane-Moor hinüber. Einen der Brüder mitzunehmen unterließ er, weil er der Ansicht war, daß, wer allein zu dem Zwerge komme, ihn am leichtesten versöhnlich stimmen könne. »Ob er Wohl aus seinem Felsenloch herausgeguckt hat, zu sehen, was aus dem Beutel voll Silber geworden? Ob er ihn aufgenommen hat?« dachte er während des Rittes – »nun, falls er's nicht getan, so ist das ein seiner Fund gewesen für den, den der Weg im rechten Augenblick vorbeiführte – Und ich hätte dann den Kürzeren gezogen! ... Hopp, hopp, Tarras!« rief er dem Pferde zu und drückte ihm die Sporen in die Flanken – «hopp, hopp! Wir wollen, wenn irgend möglich, die ersten auf dem Felde sein!« Er ritt jetzt auf der Heide, die mählich von den Strahlen der aufgehenden Sonne erhellt wurde. Die sanft abfallende Böschung, die nach dem Moore hinunterführte, ließ ihn die steinerne Hütte des Klausnerzwergs schon aus beträchtlicher Ferne erkennen. Das Tor der Hütte tat sich auf, und Hobbie erblickte nun mit eignen Augen eine Erscheinung, von der er schon oft im Lande gehört hatte: nicht eine, sondern eine Doppelgestalt trat aus der Hütte, die sich außerhalb derselben von einander löste, so daß der Klausnerzwerg dastand und neben ihm eine schlankere Gestalt, die sich, wie wenn sie was aufhöbe, zur Erde bückte. Dann traten beide ein paar Schritte vorwärts. Dann blieben sie, wie im Gespräch begriffen, stehen. Als Hobbie dies Bild sah, wurde aller Aberglauben von neuem in ihm wach. Daß der Zwerg seine Hütte einem menschlichen Gaste öffnen sollte, war ganz ebenso unwahrscheinlich, wie daß ihm ein Mensch freiwillig dort nächtlichen Besuch abstatten werde. Fest überzeugt, gesehen zu haben, wie der Zauberer mit seinem Famulus gesprochen habe, riß Hobbie sein Roß zurück und hielt den Atem an; er mochte weder beim einen noch beim andern dadurch Unwillen wecken, daß er sich vorschnell in ihre Unterredung mischte. Aber offenbar war seine Annäherung bemerkt worden, denn kaum hatte er gehalten, als auch der Zwerg in seine Hütte zurücktrat, während die schlankere Gestalt, die mit ihm herausgetreten war, um den Gartenzaun eilte und den Blicken des staunenden Hobbie zu entschwinden schien. »Sah jemals solches ein Sterblicher?« dachte Elliot bei sich, »aber ich befinde mich in einem Falle verzweifelter Art, und wäre der Zwerg Beelzebub selber, so will ich mich doch die Böschung hinunter wagen!« Aber alles Mutes ungeachtet, den er sich einsprach, ritt er doch nur langsam näher ... Auf einmal sah er, fast auf demselben Fleck, wo er die schlanke Figur bemerkt hatte, einen Gegenstand von geringem Umfang, rauh von außen, etwa einem Dachse gleichend, unter dem langen Heidekraute. »Daß der Zwerg einen Hund habe, davon hab ich doch nie was gehört!« dachte Hobbie bei sich, »Wohl aber, daß er manchen Teufel bei der Hand habe! ... Verzeih mir Gott, daß ich solches denke! ... Das Ding, gleichviel was es sei, halt fest an seinem Patze; ich glaube: es ist ein Dachs, ... Aber wer weiß, was für Gestalten alles die Kobolde annehmen, jemand zu erschrecken? Wer weiß, am Ende springt's auf wie ein Leu oder schnappt wie ein Krokodil, wenn ich herankomme? Ich will doch lieber erst mit einem Steine danach werfen, denn nimmt's andre Gestalt an, wenn ich mich nähere, dann hält schließlich Tarras nicht stand und sollt ich mit dem und dem Teufel zugleich zu schaffen bekommen, dann wäre es doch am Ende zuviel für mich!« Vorsichtig warf er einen Stein nach dem Dinge. »Etwas Lebendiges ist es nicht,« dachte er weiter bei sich, je näher er kam, »aber der große Geldbeutel, den der wunderliche Zwerg gestern aus dem Fenster warf, und den das andre seltsame Wesen mir noch ein Stück entgegengebracht hat.« Mit diesen Worten hob er eine schwere, ganz mit Gold gefüllte Geldkatze von der Erde auf. »Gott steh mir bei!« rief er, zwischen Freude und Argwohn wankend – »so etwas anzufassen, das noch eben in jemands Klauen gesteckt hat, mit dem es nicht ganz geheuer ist, ist keine Kleinigkeit! Ich kann den Glauben nicht loswerden, daß hierbei, Satansblendwerk im Schwange ist! Aber mich als ehrlicher Mann und guter Christ zu benehmen, komme was wolle, in diesem Entschlüsse will ich mich nicht wankend machen lassen!« Er trat zum Tore, klopfte wiederholt, ohne indes Antwort zu erhalten, und rief zuletzt durch den Spalt: »Elshie! Vater Elshie! Ihr seid zu Haus und wach! Ich weiß es, denn ich sah Euch vor der Tür, als ich die Höhe hinunter kam. Kommt doch heraus und vergönnt jemand, der Euch viel zu danken hat, ein paar Worte!« Als sich nichts in der Hütte rührte, richtete er sich auf, daß seine Stimme das Fenster erreichen mußte, und rief weiter: »Elshie, alles ist wahr, was Ihr mir gesagt habt vom Westen: aber Westburnflat hat Grace sicher und unversehrt zurückgegeben: drum ist das Unglück schließlich nicht größer als sich ertragen läßt! ... Wollt Ihr denn nicht vor die Tür treten, Elshie, oder mir wenigstens ein Zeichen geben, daß Ihr mir zuhört?« Er wartete eine Weile. »Nun denn,« fuhr er fort, »da Ihr mir nicht Antwort geben mögt, will ich mit meiner Erzählung fortfahren. Seht, Elshie, ich dachte: für zwei junge Leute, wie Grace und mich, sei's doch eine schlimme Sache, jahrelang mit der Heirat zu warten, wenn ich außer Landes ginge, um, was zur Gründung eines Hausstands vonnöten, zu erringen. Im Kriege darf ja, wie es heißt, soviel Beute nicht mehr gemacht werden wie ehedem, und sonderlich hoch ist der Königliche Sold auch nicht! Viel sparen läßt sich davon schwerlich – dann kommt auch das Alter von meiner Urahn in Betracht, und meine Schwestern würden auch weinend um den Kamin herumhocken, wenn ich ihnen fehlen sollte – und dann könnte doch Earnscliff oder einer von den Nachbarn mal eine kräftige Hand gebrauchen können – vielleicht auch Ihr selber gar, Elshie – und schade wäre es auch, wenn in Heugh-foot die alte Heimstatt so ganz in Trümmern bleiben sollte – drum, Elshie, hab ich gemeint – aber der Teufel soll mich holen,« rief er plötzlich, sich Einhalt gebietend, »wenn ich weiter rede und jemand um etwas angehe, der mir mit keinem Worte Bescheid tut, der mir nicht einmal sagen will, daß er mich hört oder anhört!« »Redet was Ihr wollt und macht was Ihr wollt,« rief der Zwerg, aus dem Innern seiner Steinhause heraus, »aber schert Euch und laßt mich in Ruhe!« »Schon gut, Vater Elshie!« begann Elliot aufs neue, »ich will, da ich weiß, daß Ihr mich hört, die Sache so kurz machen wie möglich! – Ich bin's zufrieden, daß Ihr mir soviel Geld leihen wollt, wie ich brauche, mir in Heugh-foot wieder aufzuhelfen, denn ich darf sagen, daß das Geld in andern Händen kaum so sicher ruhen wird, wie in meinen. Denn wenn Ihr es so ins Moor werfen wollt, daß es sich jeder Schelm aufheben kann, setzt Ihr ja nicht bloß Euer Eigentum in Gefahr, sondern auch Euch selber! An bösen Nachbarn wird's schließlich auch Euch nicht fehlen, die durch Türen dringen und hinter Türen plündern. Nehmt doch bloß mich zum Exempel! – Da Ihr so freundlich seid, Euch unser anzunehmen, werden wir Euch einen Schuldschein ausstellen: die Urahn soll ihn unterschreiben mit meinen Brüdern außer mir, in Form eines erblichen Pfandbriefs und den Zins werden wir halbjährlich an Euch zahlen; Saunders Wyliecoat mag den Schein ausfertigen, und die Gebühren bezahlen wir.« »Laßt Euer Geschwätz und laßt mich ungeschoren!« sagte der Zwerg, »die vielen Worte über Eure Ehrlichkeit sind mir Ohrenplage! Schert Euch, sage ich! Auch Ihr gehört zu den zahmen Sklaven, deren Wort so gut ist wie die Unterschrift. Behaltet Geld und Zins so lange, bis ich es wieder fordere,« »Aber, Vater Elshie,« beharrte der Grenzer in seiner Ehrlichkeit, »es ist ja bloß wegen Leben und Sterben! Darum ist's besser, solch Abkommen wird schwarz auf weiß gemacht. Aber ich sehe, daß mein Reden Euch müde macht, und auch ich bin des Redens müde, das ohne Antwort bleibt. Drum will ich gehen. Aber ein Stück vom Hochzeitskuchen bring ich Euch herüber, vielleicht auch Grace, daß sie Euch sehe und danke. So hart Ihr auch sein mögt, Vater Elshie! Grace Armstrong zu sehen möchte auch Euch eine Freude sein – Gott!« unterbrach er sich, »war das ein klägliches Stöhnen! Elshie, Vater Elshie! Ihr fühlt Euch doch wohl! Jesus, was mag ihm angekommen sein! Von Grace Armstrong, Klausner, sprach ich; ob er den zweiten Namen überhört hat und gemeint hat, ich spräche von der göttlichen Gnade? [Das Wortspiel zwischen dem englischen Namen Grace und dem englischen Wort Grace für »Gnade« läßt sich im Deutschen nicht wiedergeben. E. W.] Aber sei es wie es sei! Gegen mich ist er ein gütiger Herr gewesen, so gütig, als wäre ich sein Sohn – aber einen Vater hätte ich, war dies der Fall, von absonderlichem Aussehen!« Hobbie befreite nun seinen Wohltäter von seinen Reden und seiner Gegenwart und ritt fröhlich nach Hause, um seinen Schatz zu zeigen und um mit den Seinigen Rat zu halten, wie sich der Schaden am besten und schnellsten auswetzen ließe, den sein Vermögen durch den Überfall des rohen Banditen erlitten hatte. Elftes Kapitel Es ist notwendig, in dem Verlauf unserer Erzählung um einige Tage zurückzugreifen, damit die Umstände dem Leser verständlich werden, durch welche Miß Isabel Vere in die Gefangenschaft im Turm von Westburnflat geriet, aus der sie durch Earnscliff und Elliot, ohne daß dieselben irgendwelche Kenntnis von ihrer Gegenwart und den Gründen derselben hatten, so unvermutet befreit wurde. Am Morgen vor jener Nacht, in welcher Hobbie von Westburnflats Räuberschar heimgesucht wurde, ließ Ellieslaw, der alte Laird, seine Tochter Miß Isabel Vere zu einem Spaziergang in die Umgegend entbieten. Schweigend gehorchte das Mädchen; schweigend begleitete sie den Vater auf den rauhen Pfaden, die dicht am Flußufer, oft über Klippen und Blöcke hinweg, führten. Ein einziger Diener bildete ihre Begleitung. Isabel erschien es kaum zweifelhaft, daß ihr Vater die einsame Gegend gewählt habe zu dem Zweck, sich mit ihr über Sir Frederick ins reine zu setzen, dessen Huldigungen sie nach wie vor ihre Ohren verschlossen hielt; sie hielt es im Gegenteil für so gut wie ausgemacht, daß er mit sich zu Rate ginge über die einfachsten Mittel und Wege, sie seinem Willen gefügig zu machen. Aber eine Zeitlang schien es, als seien ihre Befürchtungen unbegründet. Alle Worte ihres Vaters beschränkten sich auf die Schönheiten der Landschaft, die ihr Aussehen bei jedem Schritte änderte und sich fortwährend in anderem Lichte zeigte. Unter solchem Gespräch gleichgültiger Art gelangten sie in einen Wald hinein, dessen Baumbestand sich aus hohen Eichen, Birken, Eschen, Haselgesträuch und Stechpalmen nebst allerhand anderm Unterholz zusammensetzte. Die Zweige der Bäume schlossen sich zu einem Dache über dem engen Pfade, den sie durch dichtes Gestrüpp hindurch verfolgten. Auf einem freieren Platze blieb Ellieslaw stehen. »Isabel,« nahm er das eine Zeitlang ausgesetzte Gespräch wieder auf, »weißt du, was mich hierher führt? Einen Altar der Freundschaft möchte ich hier errichten.« »Der Freundschaft einen Altar?« wiederholte das Mädchen, »warum lieber an solch finsterem, entlegenem Orte als anderswo?« »Die Örtlichkeitsfrage ist leicht klar gestellt,« versetzte mit spöttischem Lächeln der Vater. »Soviel ich weiß, Isabel, bist du in alter Geschichte wohlbewandert. Mithin weißt du, daß die Römer sich nicht daran genügen ließen, jede Tugend, die sich benennen ließ, zu verkörpern, sondern sie noch in allerhand Nuancen zu verehren; so z. B. die Freundschaft, der ich, wie gesagt, hier einen Tempel errichten möchte: nicht jener Freundschaft unter Männern, welche Zweideutigkeit, List und Verstellung verachtet, sondern jener Freundschaft unter Weibsvolk, die in kaum etwas anderm als finsterm Betrug und kleinlicher Intrige und gegenseitigem Aufwiegeln besteht.« »Ihr seid streng, Vater,« bemerkte Miß Vere. »Streng weniger als gerecht,« versetzte der Vater, »ein Naturmaler dritter, vierter Güte, bloß mit dem Vorteil an der Hand, daß ich ein paar geschickte Modelle zu meinen Studien habe, dich und Lucy Ilderton.« »War ich so unglücklich, Euch zu kränken, Vater, so kann ich doch mit gutem Gewissen Miß Ilderton als frei von jeglicher Schuld erklären.« »So? Was du sagst!« spottete Herr Vere, »und wie kam es, daß du Sir Frederick letzthin durch deine spitze Zunge solche Kränkung antatest und mir so großen Anlaß zu Verdruß gabst?« »War ich so unglücklich, durch meine Aufführung Euer Mißfallen zu ernten, so kann ich niemals tief genug bereuen, kann ich mich niemals ernst genug entschuldigen; Euch gegenüber, Vater, wohlverstanden; nicht aber kann und will ich das Gleiche gelten lassen Sir Frederick Langley gegenüber, weil ich ihm höhnischen Bescheid erteilte, als er mich auf rohe Weise bestürmte. Wenn er vergaß, daß er sich einer Dame gegenüber befand, so war es an der Zeit ihm wenigstens zu verstehen zu geben, daß ich ein Weib bin und kein Stallknecht!« »Behalte deine Spitzfindigkeiten für solche, Isabel, die denselben ihr Ohr leihen!« beschied sie ihr Vater mit Kälte. »Was mich anbetrifft, so bin ich solcher Sache müde und mag Worte darüber nicht länger mehr aus deinem Munde hören.« »Das lohne Euch Gott, Vater!« sprach Isabel, indem sie seine widerstrebende Hand ergriff; »den Befehl ausgenommen, mich diesem Menschen zu fügen, wird mich kein Wort aus Eurem Munde als Härte oder als unerfüllbar bedünken!« »Sehr gütig, meine Tochter, daß es dir endlich belieben will, gehorsam zu sein!« sprach Laird Ellieslaw stolz und entwand sich dem liebevollen Druck ihrer Hand; »indessen will ich hinfort jeglicher Mühe enthoben sein, dir in irgendwelchem Falle unliebsamen Rat zu erteilen. Ich wünsche vielmehr, daß du hinfort für dich selber sorgest!« In diesem Augenblick brachen vier maskierte Männer durch das Unterholz. Laird Ellieslaw und sein Knappe zogen die Hirschfänger, die sie damaligem Brauche gemäß trugen, und suchten sich und Miß Isabel zu schützen. Aber während auf jeden von ihnen einer der Feinde kam, blieben zwei andern derselben die Hände frei, und im Nu war die Dame im Gestrüpp verschwunden, auf ein Pferd gehoben und über Tal und Hügel, durch Heide und Moor unterwegs nach Westburnflat zum Turme. Dort wurde sie unter Obhut der Greisin gestellt, deren Sohn über diesen einsamen Wohnsitz gebot. Weder durch Bitten noch durch Drohungen hatte die junge Dame Bescheid über den Zweck ihrer Entführung und Einsperrung erlangen können. Aber Earnscliffs Erscheinen mit seinen Mannen setzte den Räuber in Schrecken. Da er schon Sorge dafür getragen, Grace Armstrong ihren Verwandten wieder auszufolgen, war er nicht auf den Gedanken gekommen, daß Earnscliffs unwillkommener Besuch ihr gelte, umsoweniger als ihm nicht unbekannt war, daß dieser für Miß Vere schwärmte. Als die mit dem Laird und seinem Knappen im Kampf befindlichen maskierten Männer das Stampfen der fliehenden Rosse hörten, brachen sie auf der Stelle den Kampf ab und wandten sich zur Flucht. Der Laird lag am Boden, am Fuß einer Birke. Dort fand ihn seine Knappe, nicht allein am Leben, sondern auch unverwundet. Ein heftiger Streich seines Gegners hatte ihn dorthin gestreckt. Seine Verzweiflung über das Verschwinden seines Kindes kannte keine Grenzen. Er selber jedoch war durch den Kampf so erschöpft, daß er geraume Zeit brauchte, bis er seinen Wohnsitz erreicht hatte und seine Mannen auf Verfolgung ausschicken konnte. »Kein Wort, Sir Frederick,« sprach er zu dem Freunde, den er als Schwiegersohn in Aussicht genommen, »kein Wort – Ihr wißt nicht, was es heißt, Vater zu sein! Sie war mein Kind, mein einziges, wenn auch, wie ich mit Schmerzen besorge, undankbares Kind! Wo ist Miß Ilderton? Sie muß um den Überfall wissen! Es deckt sich mit dem, was ich von ihren Plänen weiß. Geh, Dickson, und rufe mir Ratcliffe! Er soll ohne Zögern kommen!« Der Genannte war eben in das Zimmer getreten. Flugs schlug Herr Vere einen andern Ton an. »Ich lasse Herrn Ratcliffe, hörst du, Dickson, ersuchen, sich auf der Stelle zu mir zu bemühen: es handle sich um eine Angelegenheit von unaufschieblicher Natur ... ach! Sir Ratcliffe! Lieber, teurer Herr!« rief er, als bemerke er ihn erst jetzt. »Euren Rat kann ich in diesem schrecklichen Augenblicke nicht missen!« »Was hat Sie so außer Fassung gebracht, Sir Vere?« fragte mit ernster Miene Sir Ratcliffe; und während der Laird von Ellieslaw ihn unter Gebärden des Grams und Unwillens von dem Überfall im Walde unterrichtete, wollen wir den Leser in Kürze über das Verhältnis unterrichten, in welchem die beiden Männer zu einander standen. Der Laird Vere von Ellieslaw war in seiner Jugend durch verschwenderisches Leben in üblem Rufe gewesen. Im vorgerückten Alter hatte er dasselbe mit finsterm Ehrgeiz vertauscht. Beiden Leidenschaften hatte er gefrönt ohne irgendwelche Rücksicht auf seinen Vermögensstand, während er sonst für einen höchst geizigen Herrn galt. Zufolge solcher ständigen Ausgaben für unproduktive Dinge war es kein Wunder, daß er in Vermögensverfall geriet. Die Folge hiervon war, daß er Schottland mit England vertauschte. Jahrelang blieb er von seinem Familiensitz abwesend. Wie es hieß, hatte er in England eine Geldheirat geschlossen. Völlig unerwartet kehrte er nach Schottland zurück, als Witwer, mit einer Tochter im Alter von etwa zehn Jahren. Von dieser Zeit an war sein Leben, nach Ansicht der schlichten Gebirgsbewohner seiner Heimat, im höchsten Maße verschwenderisch. Niemand glaubte anders, als daß er tief in Schulden stecken müsse. Nichtsdestoweniger setzte er sein Leben in gleich verschwenderischer Weise fort, bis durch das Auftreten Sir Ratcliffes und seinen Aufenthalt im Schlosse Ellieslaw kurz vor dem Beginn unserer Erzählung die Gerüchte über den schlechten Vermögensstand des alten Laird greifbare Gestalt gewannen. Vom ersten Tage an nahm es den Anschein, als übe Sir Ratcliffe, freilich nicht zur besonderen Freude des alten Schloßherrn, auf die Vermögensverhältnisse wie auch auf alle Privatangelegenheiten einen stillen, aber nachhaltigen Einfluß. Sir Ratcliffe war ein ernster, gesetzter Mann in vorgerücktem Alter. Wer sich über Geschäftssachen mit ihm unterhielt, gewann den Eindruck, als habe er es mit einem äußerst gewandten Manne zu tun. Mit andern als Geschäftsleuten pflegte er geringen Verkehr. Kam aber die Rede zufällig auf andre Dinge, so zeigte er sich nicht minder als ein Mann von Umgang und Bildung. Längere Zeit schon vor seiner Übersiedlung ins Schloß hatte er in bald längeren bald kürzeren Pausen Besuche bei dem alten Laird abgestattet und war von demselben immer, im Gegensatz zu den sonstigen Gepflogenheiten des Schloßherrn Leuten geringeren Ranges gegenüber, nie anders als mit Aufmerksamkeit und Achtung begrüßt und behandelt worden. Bloß schien es, als wenn ihn der Schloßherr trotz allem lieber gehen als kommen sähe. Nichts schien denselben auch mehr zu verdrießen als Anspielungen auf sein scheinbar abhängiges Verhältnis von diesem Mitbewohner seines Schlosses, der seit seiner Übersiedlung in dasselbe in allen Angelegenheiten nicht bloß zu Rate gezogen wurde, sondern das entscheidende Wort sprechen durfte. Dies war der Mann, der in dem Augenblicke in das Zimmer trat, als ihn der alte Laird durch Dickson, seinen Knappen, zu sich entbieten lassen wollte und dem jetzt das seltsame Abenteuer von Isabellas Entführung erzählt wurde, mit einer Hast, die ihm dasselbe bloß um so seltsamer erscheinen lassen mußte. Kein Wunder, daß er mit auffälligen Zeichen von Unglauben zuhörte. Der alte Laird schloß seinen Bericht mit einer Aufforderung, ihm in solcher Notlage mit allem Beistand und Rat als Standesgenossen und Landsmann zu helfen. »Satteln wir unsre Rosse! Bieten wir unsere Knappen und Reisigen auf und veranstalten wir Streifen durch das Land nach den Schurken,« rief Sir Frederick. »Habt Ihr auf niemand Verdacht,« fragte Ratcliffe, »Beweggründe zu solch verbrecherischem Tun zu haben? In der Zeit der Romantik leben wir nicht mehr. Bloß ihrer Schönheit wegen werden junge Damen heut nicht mehr geraubt.« »Leset hier dieses Schreiben,« sprach Sir Vere, »das mir, wie ich besorge, die Untat zu erklären scheint. Es stammt von Miß Lucy Ilderton und ist an den jungen Earnscliff gerichtet, den ich laut ererbtem Recht als Freund und Kameraden betrachten darf und betrachte. Sie schreibt ihm, wie Ihr seht, vom Standpunkt als Freundin und Vertraute meiner Tochter, erklärt ihm, daß sie seiner Sache sich sehr annehme, weist aber auf einen guten Freund in einer Garnison hin, der ihm noch wirksamer dienen könne. Hauptsächlich, lieber Ratcliffe, möchte ich hinweisen auf die mit Bleistift eingefügten Stellen, in denen durch diese Intrigantin mit richtiger Unverfrorenheit auf kühne Maßregeln hingewiesen wird, die über den Grenzen der Baronie Ellieslaw unzweifelhaft von Erfolg gekrönt sein dürften.« »Und aus diesem Briefe stark romantischen Anstrichs, verfaßt von einer ohne Frage stark romantisch angehauchten jungen Dame, Herr Vere, wollen Sie den Schluß ziehen,« fragte Sir Ratcliffe, »daß Earnscliff Ihre Tochter entführt habe? daß Earnscliff ohne jedweden anderen Rückhalt und Rat als solchen von Miß Lucy Ilderton, sich solcher verbrecherischen Gewalttat schuldig gemacht habe?« »Was kann ich mir sonst für Gründe denken?« versetzte Ellieslaw. »Was könnt Ihr Euch sonst für Gründe denken?« fragte Sir Frederick Langley Sir Ratcliffe. »Wäre dieses der einfachste Weg, jemand die Schuld zuzuschieben,« erwiderte mit Ruhe Sir Ratcliffe, »so ließen sich wohl leicht noch andere Leute finden, deren Charakter auf solche Gewalttat weit eher noch schließen ließe, und denen es an ausreichenden Beweggründen dazu wohl auch nicht fehlen dürfte. Angenommen, es würde für ratsam erachtet, Miß Vere an einen Ort zu bringen, wo man besser in der Lage sei, bis zu einem gewissen Grade die Richtung ihrer Neigungen zu beeinflussen, auf sie ungezwungener als hier im Schloß Ellieslaw einen gewissen Druck auszuüben? ... Was möchte Sir Frederick Langley zu solcher Auffassung der Situation meinen?« »Meine Meinung zu solcher Auffassung der Lage wünschen Sie zu hören?« fragte spitz Sir Frederick, »nun, sie lautet, Sir Ratcliffe: wenn es auch Sir Vere für geraten ansehen mag, sich durch Sie mancherlei bieten zu lassen, was mit seinem Rang und seiner Stellung im Leben nicht völlig im Einklang stehen dürfte, so werde ich mir doch Gleiches weder in Winken oder Blicken, noch auch nur in Andeutungen unter keinen Umständen bieten lassen!« »Und wenn Ihr meine Meinung hören wollt,« mischte sich der junge Mareschal auf Mareschal-Wells, auch ein Gast im Schlosse, in die Unterhaltung, »so laßt Euch sagen, daß Ihr alle miteinander von der Tarantel gestochen sein müßt, um hier zu hadern, statt hinter den Strolchen herzusetzen.« »Ich habe bereits Befehl erteilt,« nahm Sir Vere das Wort, »daß meine Diener sich auf die Verfolgung begeben und zwar in der Richtung, in welcher die Räuber wahrscheinlich geflohen sind ... wollt Ihr uns begleiten und helfen, Mareschal?« Alle Anwesenden schlossen sich dem Laird an, dessen Bemühungen aber ergebnislos verliefen, da sie in der Richtung nach Earnscliff-Tower zu, in dessen Eigentümer Sir Vere den Entführer vermutete, unternommen wurden, statt in der entgegengesetzten, wo derselbe zu suchen gewesen wäre. Abends kehrte die Gesellschaft mutlos und müde zurück. Unterdes waren andere Gäste im Schloß eingetroffen, und Diskussionen über die politische Lage, in welcher stündlich umwälzende Änderungen zu erwarten waren, drängten die Angelegenheit, die nur den Vater und nicht den Patrioten anging, in den Hintergrund. Manche der Herren, die an der nun stattfindenden Beratung teilnahmen, waren Katholiken, durch die Bank aber waren es Männer streng jakobitischer Richtung, deren Hoffnungen zur Zeit an Zuversicht gewannen, seit zugunsten des Prätendenten täglich von Frankreich aus ein feindlicher Einfall erwartet wurde, für den die Chancen insofern nicht ungünstig standen, als Schottland von Garnisonen ziemlich entblößt war, so gut wie keine festen Plätze hatte und in seiner Bevölkerung sehr viel Elemente barg, die solchem Einfall weit mehr freundlich als feindlich gesinnt waren. Ratcliffe suchte zu diesen Verhandlungen weder Anschluß, noch erhielt er Aufforderung zur Teilnahme daran, und hatte sich auf sein Zimmer zurückgezogen. Während Miß Lucy Ilderton tags darauf auf ihre väterliche Besitzung zurückgebracht wurde, gewann im Schlosse Ellieslaw die Verwunderung darüber, daß man sich mit der Abwesenheit der Tochter vom Hause so leicht und schnell abzufinden wußte, immer weiteren Boden. Zwölftes Kapitel »Auffallend ist und bleibt es,« meinte am andern Tage, nachdem eine abermalige Streife, aber mit der gleichen Ergebnislosigkeit, unternommen worden, Sir Mareschal zu Sir Ratcliffe, »daß vier Reitersleute mit einer Dame durch das Land gejagt sein sollten, ohne irgendwelche Spur hinter sich zu lassen. Fast möchte man meinen, sie hätten ihren Weg durch die Lüfte oder unter der Erde genommen.« »Es läßt sich zuweilen Kenntnis von einer Sache gewinnen,« meinte Ratcliffe, »indem man sich um Dinge kümmert, die abseits vom großen Wege liegen. Mich bedünkt in unserm Falle, als hätten wir wohl alle Landstraßen, Reit- und Fußwege, die zum Schlosse führen, nach allen Windrichtungen abgesucht, bloß nicht den unzugänglichen, schwierigen Paß, der in südlicher Richtung nach Westburnflat durch das Moor führt.« »Und warum nicht?« »Diese Frage müssen Sie an Sir Vere richten,« versetzte trocken Sir Ratcliffe. »Das soll auf der Stelle geschehen!« versetzte Mareschal und wandte sich zu Sir Vere mit den Worten: »Laird Ellieslaw! Einen Pfad sollen wir noch nicht abgesucht haben, wird mir eben gesagt: den der in südlicher Richtung nach Westburnflat hinüberführt!« »O, den Turmherrn von Westburnflat,« rief Sir Frederick, »kennen wir gut: einen wilden Patron, der zwischen Nachbarsgut und eignem Gut nur wenig Unterschied kennt, sonst aber verläßlicher Art ist und sich an nichts vergreifen wird, was dem Laird Ellieslaw gehört.« »Zudem hatte er,« deutete Ellieslaw mit verstecktem Lächeln an, »in letztverwichener Nacht andern Flachs auf seinem Spinnrocken. Habt Ihr nicht vernommen, daß dem Hobbie Elliot der Hahn aufs Dach gesetzt und alles Vieh aus dem Stall getrieben worden, weil er sich geweigert hat, ein paar ehrlichen Mannen, die für den König in Aufstand treten wollten, die Waffen auszuliefern?« Die Herren zeigten eine Miene, als hörten sie von einer eignen Absichten günstigen Unternehmung. »Darum grade meine ich,« begann Mareschal aufs neue, »daß wir nach dieser Richtung hin nicht müßig bleiben dürfen, wollen wir nicht Gefahr laufen, einer Nachlässigkeit wegen Tadel zu ernten.« Gegen solchen Vorschlag ließ sich nichts einwenden, und die Herren wandten ihre Rosse nach der Richtung, in welcher der Turm von Westburnflat lag. Noch waren sie nicht weit geritten, als der Schall von Hufen an ihre Ohren drang und ein Reitertrupp in Sicht kam. »Dort kommt Earnscliff geritten,« rief Mareschal, »ich erkenne sein Roß an dem Stern auf der Stirn.« »Und meine Tochter ist bei ihm!« rief Ellieslaw ergrimmt, »wer wird mich jetzt noch falschen oder kränkenden Verdachts zeihen wollen? Ihr Herren! Freunde! Leiht mir Eures Degens Beistand, auf daß ich mein Kind wiedererlange!« Er zog den Degen. Sir Frederick und andre folgten dem Beispiel und trafen Anstalt zum Angriff auf die heranreitende Schar; der größere Teil aber zeigte Bedenken. »Die Herren kommen heran in Vertrauen und Frieden,« sprach Mareschal Wells. »Hören wir also zuvörderst, was sie von dem seltsamen Vorfall zu berichten haben. Sofern Miß Vere bekundet, daß sie durch Earnscliff irgendwelche Kränkung, sei es auch nur mit Worten, erleiden mußte, so bin ich der erste, der seinen Degen zieht, solchen Frevel zu ahnden. Hören wir aber erst, was sie melden.« »Ihr tut mir unrecht, in meinen Verdacht Zweifel zu setzen, Sir Mareschal!« rief Laird Ellieslaw, »von Euch hätte ich solches zuletzt erwartet!« »Durch Eure Heftigkeit, Ellieslaw,« versetzte Mareschal, »schadet Ihr Euch selber, wenn man auch Entschuldigung dafür bei solchem Falle gern gelten lassen kann.« Dann ritt er den übrigen vorauf und rief mit lauter Stimme: »Gebietet Euren Mannen Halt, Earnscliff, und kommt allein mit Miß Vere zu uns heran! Man zeiht Euch des Verbrechens, die Dame aus ihres Vaters Haus entfernt zu haben! Wir stehen hier in Waffen und in Bereitschaft, unser Blut zu vergießen, erfüllt von der Absicht, sie dem Vater zurückzuführen und jeden, der sich solchen Verbrechens schuldig gemacht, der Gerechtigkeit in die Hände zu liefern.« »Und wen könntet Ihr williger hierzu finden, Herr Mareschal, als mich?« erwiderte mit stolzem Selbstbewußtsein Earnscliff; »ward mir doch heut morgen die Ehre und Freude, sie aus dem Gefängnis, in welchem ich sie eingesperrt fand, zu befreien, und seht Ihr mich doch auf dem Ritt nach Schloß Ellieslaw begriffen, der Dame ritterliches Geleit dorthin zu geben?« »Verhält es sich also, Miß Vere?« fragte Mareschal. »So verhält es sich, und nicht anders!« rief Miß Vere lebhaft. »Ihr Herren, ich schwöre bei allem, was heilig ist, daß rohe Gesellen, mir unbekannt von Person, mich geraubt und entführt haben und daß ich meine Befreiung allein der Dazwischenkunft dieses edlen Herrn hier zu danken habe.« »Wer können diese Gesellen sein? Und welche Absicht kann sie geleitet haben?« fragte Mareschal ... »hattet Ihr keine Kenntnis von dem Orte, wohin Ihr gebracht wurdet? Earnscliff! Wo fandet Ihr die Dame?« Bevor jedoch durch Earnscliff oder Miß Vere Auskunft hierauf gegeben wurde, sprengte Ellieslaw heran und schnitt das Gespräch ab, indem er den Degen in die Scheide schob. »Sobald ich die Höhe der Schuld kenne,« sprach er, »in der ich bei Earnscliff stehe, werde ich mit dem Ausgleich nicht säumen. Einstweilen Dank für seinen Dienst!« Mit diesen Worten griff er nach dem Zaum von Miß Veres Roß und schlug den Rückweg mit ihr nach seinem Schlosse ein, alsbald vertieft in so ernstes Zwiegespräch, daß die übrigen es für ungeziemend erachteten, sich störend einzumischen. Seinem finstern Blick begegnete Earnscliff mit Stolz und unterließ es nicht, bevor er sich verabschiedete, mit lauter Stimme die folgenden Worte an die Begleiter des Lairds zu richten: »Wenn ich mir auch keinerlei Umstands in meinem Verhalten bewußt bin, der zu irgendwelchem Verdacht einen Schimmer von Recht geben könnte, so meine ich doch hier sagen zu sollen, daß Sir Vere sich in dem Glauben zu befinden scheint, auf mich fiele ein gewisser Anteil an der gegen seine Tochter verübten gemeinen Gewalttat. Ich bitte Euch, Ihr Herren, meine feste und bestimmte Zurückweisung solcher unehrenvollen Beschuldigung gelten zu lassen. Dem erregten Gefühl eines Vaters läßt sich in solchem Fall wohl verzeihen. Sollte aber irgendwer anders« (mit scharfem Seitenblick auf Sir Frederick Langley) »das von mir gegebene und von Miß Vere bestätigte Wort, dem auch das Zeugnis aller mich begleitenden Freunde zur Seite steht, als nicht ausreichend zu meiner Rechtfertigung betrachten, dann werde ich nicht säumen, solche Bemängelung so zurückzuweisen, wie es einem Mann, der seine Ehre höher einschätzt als sein Leben, zukommt.« »Und ich will ihm zur Seite stehen,« rief Simon von Hackburn, »und es paarweis mit Euch aufnehmen, gleichviel ob Edelmann oder Bauer, Gutsherr oder Pächter – auf solche Unterschiede pfeife ich!« »Wer ist der grobe Flegel?« fragte Sir Frederick Langley, »und was hat er sich in edelmännischen Zwist zu mischen?« »Ich bin ein Bursch vom obern Teviot,« beschied ihn Simon, »der mit jedermann Händel suchen darf nach freiem Belieben, bloß nicht mit seinem König und seinem Gutsherrn!« »Still,« rief Mareschal, »keinen Zank und Streit! Herr Earnscliff, wenn wir auch nicht in allen Dingen gleicher Anschauung sind, so hoffe ich doch, daß wir, falls es das Schicksal fügen sollte, auch als Feinde einander gegenüber stehen können, ohne daß wir die Achtung vor Geburt und Person und ehrlichem Tun außer Augen setzen. Ich halte Euch in dem vorliegenden Falle für ganz ebenso schuldlos wie mich selber, und ich verbürge mein Wort, daß mein Vetter Ellieslaw, sobald die Verstörtheit ob dieser jähen Ereignisse von seinem Geiste gewichen ist und er wieder freier Herr seines Urteils ist, dem wichtigen Dienste, den Ihr ihm heute geleistet, die gebührliche Anerkennung nicht versagen wird.« »Der Dienst, den ich Eurer Base erwies, trägt seinen Lohn in sich selber!« erwiderte Earnscliff, »gute Nacht, Ihr Herren! Ich sehe, die meisten von Eurer Gesellschaft sind schon nach Ellieslaw unterwegs!« Nach artigem Gruße für Mareschal und gleichgültigem für die übrigen wandte Earnscliff sein Pferd und ritt nach Heughfoot, um dort mit Hobbie Elliot sich über Maßnahmen zu verständigen, die ihm die gestohlene Braut wiederzuschaffen vermöchten, wußte er doch nicht, daß dieselbe ihren Verwandten bereits zurückerstattet worden war. »Da reitet er hin!« sagte Mareschal, »fürwahr, ein schöner, tapferer Jüngling und dennoch stünd ich ihm gern auf grünem Rasen mit blanker Waffe gegenüber! Auf der Schule galt ich ihm ebenbürtig im Fechtrappier. Aber gern versuchte ich mich an ihm mit scharfer Klinge!« »Meinem Dafürhalten nach,« äußerte Sir Frederick Langley, »taten wir unklug, ihn mit seinen Leuten ziehen zu lassen, ohne sie zu entwaffnen. Die Whigpartei wird sich ganz gewiß unter solch mutigem Jungbursch sammeln!« »Pfui doch, Sir Frederick!« rief Mareschal; »meint Ihr, es hätte sich mit Landesehre vertragen, wenn Ellieslaw Einwilligung zu Gewalttat gegen Earnscliff, der sein Gebiet bloß betrat, um ihm die Tochter wiederzubringen, hätte geben wollen? Und meint Ihr, ich mit den übrigen Herren hätte, falls er gleicher Meinung gewesen wäre wie Ihr, Ja zu solch schimpflichem Tun gesagt? Nein! Ehrlich Spiel und Alt-Schottland allzeit! Ist das Schwert aus der Scheide, dann will ich es führen, wie Recht und Ehre es fordern; solange es aber noch in der Scheide steckt, wollen wir gelten und uns benehmen als Männer von Schliff und als gute Nachbarn!« Bald nach dieser Zwiesprach befanden sie sich im Schlosse, Dort begegnete ihnen Ellieslaw, der um einige Minuten früher angelangt war. »Wie geht es Miß Vere? Und habt Ihr erfahren, wie es um ihre Entführung sich verhält?« rief ihm Mareschal mit Hast entgegen. »Isabel hat sich zurückgezogen. Sie ist zu sehr angegriffen. Ich kann kaum früher Aufklärung von ihr erhoffen, als bis sie sich erholt haben wird,« antwortete der Vater. »Euch jedoch, Mareschal, und auch den andern Freunden bin sowohl ich als mein Kind für die eifrige Teilnahme zu Dank eng verbünden. Indessen muß ich jetzt mein Vatergefühl auf einige Zeit in den Hintergrund drangen, weil die Pflicht als Patriot mich ruft. Ihr wißt, daß der heutige Tag zur endlichen Beschlußfassung festgesetzt wurde. Die Zeit drängt; unsre Freunde nahen sich, und mein Haus steht zur Zeit nicht bloß uns Herren von Stand, sondern auch dem geringeren Spornleder offen, dessen wir unmöglich entraten können. Zu Empfangszurüstungen ist deshalb kaum Zeit. Seht diese Listen hier flink durch, Mareschal! Und Ihr, Sir Frederick, überfliegt mal dies Schreiben aus Lothian und dem Westen. Es ist alles reif für die Sichel, und bloß die Schnitter find noch aufzubieten.« »Bravo!« rief Mareschal. »Je mehr Unheil, um desto besser der Krieg!« Sir Fredericks Züge zeigten einen ernsten, verstörten Ausdruck. »Tretet mit mir beiseite, Freund!« sagte Ellieslaw zu dem finstern Baronet, »ich habe geheime Kunde für Euch, mit der Ihr gewiß zufrieden sein werdet.« Sie traten zusammen ins Schloß hinein, Ratcliffe mit Mareschal im Hofe zurücklassend. »Die Herren, die Eure politische Meinung teilen, halten also den Sturz der bestehenden Regierung als so fest und bestimmt, daß sie für ihre Intrigen alle manierliche Hülle verschmähen?« fragte Sir Ratcliffe. »Der Verhüllung, Sir Ratcliffe,« erwiderte Mareschal, »bedürfen vielleicht Eurer Freunde Gedanken und Handlungen; mir aber gefällt es besser, wenn sich die unsrigen mit offnem Antlitz zeigen.« »Ist es denn möglich,« nahm Ratcliffe wieder das Wort, »daß ein Mann wie Ihr, dem doch neben Charakterschwächen, wie Unbedacht und Heißblütigkeit – verzeiht mir, bitte, Sir Mareschal, ich bin ein schlichter Mann – gesunder Menschenverstand und Bildung nicht abzusprechen sind, sich betören läßt zum Beitritt zu solch verzweifelter Unternehmung? Was fühlt wohl, wenn Ihr an solch gefährlicher Zusammenkunft teilnehmt, Euer Kopf?« »So sicher auf den Schultern, als spräche ich von Jagd und Falken, fühlt er sich freilich nicht!« versetzte Mareschal. »Solch gleichgültigen Sinnes wie Ellieslaw, mein Vetter, der von Hochverrat spricht wie von einem Wiegenliede für Säuglinge, und der das süße Mädchen, seine Tochter, leichter verliert und wiederfindet, als mir es gehen möchte mit einem Jagdhund, bin ich nun freilich nicht; mein Temperament ist nicht eisern und mein Haß gegen die Regierung nicht so eingewurzelt, daß mir für die Gefahren, die solches Beginnen birgt, der Blick verloren ginge.« »Weshalb laßt Ihr Euch denn in solch Beginnen ein?« fragte Ratcliffe. »Nun, mir liegt der arme verbannte König am Herzen! Mein Vater war Royalist vom Scheitel bis zur Sohle, und ich gönne dem speichelleckerischen Höflingsgesindel, das uns die Union über den Hals gebracht und unser armes Schottland verraten und verkauft und um Krone und Unabhängigkeit gebracht hat, von Herzen gern eine derbe Lektion!« »Euer, Vaterland wollt Ihr also um solcher Schemen willen, in kriegerische, Euch selbst in seelische Bedrängnis bringen?« fragte mahnend Sir Ratcliffe. »Bedrängnis für Bedrängnis! Zahn um Zahn!« rief Mareschal, »und lieber wäre es mir, der Krawall bräche morgen aus statt erst in vier Wochen. Denn kommen wird er! Und je früher, um desto jünger und besser bei Kräften sind alle, die dabei sind! Was aber den Strick anbetrifft, Ratcliffe, nun! so kann ich, um mit Falstaff zu reden, dem Galgen ganz ebensoviel Ehre machen, wie jeder andre!« »Herr Mareschal! Ihr tut mir leid!« sprach sein bedächtiger Ratgeber. »Herr Ratcliffe,« erwiderte der andere, »ich bin Euch gewiß dankbar, bloß möchte ich nicht, daß Ihr Euer Urteil über dies Beginnen nach meinem Versuch, es zu rechtfertigen, bildet; denn es sind klügere Köpfe dabei am Werke gewesen als der meinige.« »Es können auch Köpfe fallen, die klüger sind als der Eurige,« sprach Ratcliffe im warnenden Ton. »Vielleicht aber kein Herz gebeugt werden, das leichter wäre als meines! Indessen, Sir Ratcliffe, damit es durch Eure Worte nicht schwerer werde, Adieu für jetzt bis zum Essen! Dann sollt Ihr sehen, daß Eure Besorgnis meinen Appetit nicht beeinträchtigt hat!« Dreizehntes Kapitel Auf Schloß Ellieslaw waren große Vorbereitungen für die Beherbergung und Bewirtung der zahlreichen Gäste getroffen worden, die zu diesem großen Tage dort erwartet wurden. Nicht bloß die in diesem Landesteil durchweg zur jakobitischen Partei gehörigen Standesherren, sondern auch allerhand Leute minder hohen Ranges, die aus allerhand Ursache, ungünstige wirtschaftliche Lage, Lust am Neuen, Haß gegen England, in das regierungsfeindliche Lager und zur Teilnahme an solch gefährlicher Unternehmung getrieben wurden, Männer von wirklich hohem Rang und Vermögen befanden sich jedoch im Grunde nicht viele darunter. Die großen Grundbesitzer blieben fern, und der niedere Adel, wie auch die Bauern, welche die Landmiliz stellten, waren zur sogenannten presbyterianischen oder reformierten Kirche gehörig, also schon aus diesem Grunde, so unzufrieden sie mit der Union an sich waren, zur Beteiligung an einer jakobitischen Verschwörung nicht geneigt. Ausnahme hiervon bildeten ein paar Landedelleute, die sich teils aus traditionellem Parteihange wie Mareschal auf Wells, teils aus persönlichem Ehrgeiz wie Laird Ellieslaw, zu den Grundsätzen, welche die Verschwörung verfolgte, bekannten. Was sonst von der Bevölkerung in den Bahnen derselben wandelte, waren Personen niederen Ranges und schlechter Vermögenslage, schon damals zum Aufstande bereit, der später, Anno 1715, unter den Führern Forster und Derventwater zum Ausbruch gelangte, als ein Grenzedelmann des Namens Douglas für das Haus Stuart in Waffen trat. Eine lange Tafel war in der weiten Halle des Schlosses aufgeschlagen, das noch ganz die baulichen Einrichtungen früherer Jahrhunderte aufwies. Die »Halle« war also noch, wie zu jener frühen Zeit, ein langer, finsterer Raum mit Schwibbogen aus Bruchstein über weit ausgekragten Figuren, die solch wunderlich-groteske Formen aufwiesen, wie der Phantasie eines gotischen Baukünstlers nur jemals entsprungen sein mögen, und füllte die ganze eine Schloßseite aus. Der Bankettsaal erhielt sein Licht durch lange schmale Fenster, die, zu beiden Seiten befindlich, mit bunten, den Schein abdämpfenden Scheiben durchsetzt waren, über dem Sessel, in welchem Laird Ellieslaw als Leiter der Verhandlungen seinen Sitz hatte, wehte ein Banner, der bestehenden Überlieferung nach den Engländern in der Schlacht bei Sark entwunden, gleichsam berechnet darauf, den Mut der versammelten Schloßgäste durch die Erinnerung an früher errungene Siege über ihre reisigen Nachbarn zu entzünden. Der Laird selbst, eine stattliche Gestalt mit stolzen, trotz ihres finstern Ausdrucks schönen Zügen, zum vorhandenen Anlaß in standesgemäßer Tracht, spielte die Rolle des Baronets aus der alten Feudalzeit ganz vorzüglich. Ihm zur Rechten hatte Sir Frederick Langley, ihm zur Linken Sir Mareschal auf Wells seinen Platz. Am oberen Ende der Tafel saßen mit ihren Brüdern und Vettern mehrere Herren von Rang und Ansehen, unter ihnen auch Sir Ratcliffe. Unterhalb des Salzfasses aus massivem Silber, das in der Mitte der Tafel stand, saß »der Schwarm«, Leute mit geringem und auch ohne Namen, die eine Befriedigung ihrer Eitelkeit auch in dem untergeordneten Platze fanden, der ihnen hier angewiesen wurde, Repräsentanten eines »Unterhauses«, bei dessen Zusammensetzung keine »strenge Hand gewaltet« hatte: denn zu ihnen gehörte sogar »kein geringerer« mit als Willie von Westburnflat. Für dieses Menschen Unverfrorenheit, sich in dem Hause eines Edelmanns zu zeigen, dem er eben erst einen solch eklatanten Schimpf angetan, ließ sich bloß eine Erklärung finden: daß derselbe nämlich nicht im geringsten sich darüber im unklaren war, daß seine Rolle bei des Mädchens Entführung ein Geheimnis sei, das bei ihm selbst, wie auch ihrem Vater sicher ruhe. Dieser zahlreichen, an sich recht gemischten Gesellschaft war ein reiches Essen aufgetragen worden, ein Essen so reich an soliden, aus Erzeugnissen von Schottlands Erde bereiteten Speisen, daß, wie man sich gern auszudrücken pflegt, »der Tisch krachte«. Aber die Fröhlichkeit stand zu der großartigen Bewirtung nicht im richtigen Verhältnis: am unteren Teile der Tafel fühlten sich die Gäste bedrückt durch den Zwang, den sie sich als Gäste solches Hauses, als Tafelgenossen solcher illustren Gesellschaft Wohl oder übel auferlegen mußten. Ähnlich erging es dem, »Herrn Küster«, der, wie er sich ausdrückte, »in Ehrfurcht erstarb«, als er den Psalm in Anwesenheit so hochgestellter Herrschaften, wie z. B. des »allweisen Herrn Lokal- und Friedensrichters Freeman«, der »lieben, gnädigen Frau Johnes« und des »vielvermögenden Herrn Sir Thomas Truby« anstimmen mußte. Erst als die Becher zu kreisen anfingen, wich in diesen »untern Regionen« die zeremoniöse Kälte der Fröhlichkeit; erst dann fing es an, dort in allmählicher Steigerung erst gesprächig, dann laut, zuletzt geräuschvoll zu werden. Anders an den oberen Plätzen, wo die kältende Erregung, die häufig beim Menschen eintritt, wenn er sich, in Umstände versetzt, die ein Vorwärts ebenso erschweren wie ein Rückwärts, gezwungen sieht, verzweifelte Entschlüsse zu fassen. Je näher sie dem Rande des Abgrundes rückten, desto tiefer und gefährlicher erschien ihnen sein Schlund, und alle warteten voll Scheu, wer zuerst von ihnen den Sturz hinunter wagen würde. Diese Empfindung von Furcht, gepaart mit Widerstreben, wirkte je nach den Gewohnheiten und dem Charakter der anwesenden Gäste verschieden: der eine schnitt ein ernstes, der andre ein einfältiges Gesicht; ein dritter blickte mit ängstlicher Besorgnis auf die leeren Sitze am oberen Ende der Tafel, wo solche fehlten, welchen politischer Eifer noch nicht alle Klugheit, sich im letzten Augenblick fern zu halten, geraubt hatte. Noch andre schienen sich die Chancen derjenigen, welche fehlten, im Vergleich zu den Chancen derjenigen, welche anwesend waren, zu überschlagen. Sir Frederick Langley zeigte eine finstere, friedlose Miene und ein zurückhaltendes Wesen; Laird Ellieslaw gab sich, aber mit viel Gezwungenheit, allerhand Mühe, den Mut der Versammelten anzuspornen, war aber nicht imstande, den Eindruck, als fehle es ihm selber am meisten an Mut, zu verwischen. Ratcliffe überschaute das Bild, das sich ihm bot, mit wachsamem Auge, aber mit der Miene eines völlig unbeteiligten Gastes, Mareschal allein wahrte seine ungebundene Fröhlichkeit und durch nichts zu beirrende Zuversichtlichkeit, aß und trank, scherzte und lachte und schien sogar an der Beklommenheit, die sich der Versammlung bemächtigte, an der Schwüle, die im ganzen Räume herrschte, »sein Gaudium zu haben«. »Was hat euern heut morgen noch so blendenden Mut so dämpfen können?« rief er aus. »Es nimmt ja den Anschein, als seien wir hier zu einem Begräbnis versammelt, bei welchem die Leidtragenden kaum atmen dürfen, während« – dabei blickte er auf die untere Tafel – »die gedungenen Weh- und Klageleute lärmen wie beim wüsten Gelage. Wann wollt Ihr mit der Debatte beginnen, Ellieslaw? Was hat die hochtrabenden Hoffnungen des Ritters von Langley-Dale so verkümmert?« »Ihr sprecht gleich einem Narren,« versetzte Ellieslaw barsch, »seht Ihr denn nicht, wieviele fern geblieben sind?« »Was will das sagen?« erwiderte Mareschal, »war es Euch denn nicht vorher klar, daß die Hälfte der Menschheit mit dem Maule flinker ist als mit der Hand? Was mich persönlich angeht, so fühle ich mich eher ermutigt als entmutigt insofern, als ich doch wenigstens zwei Drittel unsrer Freunde in unsrer Halle anwesend sehe. Freilich scheint mir zu dem Argwohn, daß die Hälfte von allen bloß gekommen sei, schlimmstenfalls ein Mittagessen zu schnorren, mancherlei Ursache vorhanden zu sein.« »Es ist keinerlei Kunde von der Küste herübergekommen, die uns über die Landung des Königs Verläßliches meldet«, bemerkte ein anderer in jenem Halbton beklommenen Geflüsters, der auf Mangel an Klarheit und Entschlossenheit deutet. »Kein einziges Wort vom Grafen D–! Kein einziger Mann von der südlichen Grenze!« bemerkte ein Dritter. »Wer hat Begehr nach Mannen noch mehr von englischem Boden und Grund?« rief Mareschal im affektierten Heldenton.– »Laird Ellieslaw, Ihr Vetter mein! Dann zeigt ihn mir flink, den Hund – und sollte der Tod uns beschieden sein –« »Um Gottes und Schottlands willen, Vetter,« unterbrach ihn Ellieslaw, »bloß jetzt keine Torheiten, Mareschal!« »Wohlan denn!« versetzte der Vetter, »so will ich statt ihrer Euch von meiner Weisheit zum besten geben was ich besitze. Sind wir vorwärts gegangen wie Narren, so wollen wir nicht rückwärts gehen wie Memmen! Genug, den Verdacht der Regierung uns auf den Hals zu laden, haben wir getan. Ein Zurück gibt es für uns nicht mehr, solange wir nicht was getan haben, das einen Grund und ein Recht dazu gibt! Was? Will keiner das Maul auftun? Nun, so will ich als erster den Sprung über den Graben wagen!« Er sprang auf, goß einen Humpen voll Rotwein, erhob denselben und gebot allen, seinem Beispiel zu folgen und sich von den Sitzen zu erheben. Alle gehorchten: die Gäste höhern Standes gewissermaßen in passivem Gehorsam, die andern voll Begeisterung. »Freunde! Kameraden!« rief Mareschal wieder, »vernehmt die Parole des Tages: Schottlands Unverletzlichkeit und unsers rechtmäßigen Königs Jakobs des Achten Gesundheit! Gelandet ist Seine Majestät soeben in Lothian und zurzeit schon, wie ich traue und glaube, wieder im unbeschränkten Besitz seiner Hauptstadt!« Er trank den Humpen leer bis auf die Neige und schleuderte ihn über sein Haupt mit dem Rufe: »Nimmer soll er entweiht werden durch geringeren Spruch.« Alle folgten seinem Beispiel und verbürgten ihr Wort beim Krachen der Gläser, und unter den Zurufen der Gesellschaft, mit den Grundsätzen ihrer Partei, wie ihr Trinkspruch sie gekündet hatte, zu stehen und zu fallen. »Den Sprung über den Graben habt Ihr getan unter Zeugenschaft!« sprach Ellieslaw beiseite zu Mareschal, »indessen glaube ich, daß es auch so zum besten führen werde. Jedenfalls habt Ihr recht mit der Rede, daß es kein Zurück mehr für uns gibt. Ein Mann« – er blickte auf Ratcliffe – »hat die Teilnahme am Spruch verweigert. Aber dies nur beiläufig!« Hierauf erhob er sich und sprach zur Versammlung Worte bitterer Schmähung gegen die Regierung und ihre Anordnungen, vornehmlich aber gegen die Union: die er ein Abkommen hinterhältigster Art nannte, durch das Schottland um seine politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit betrogen und als gefesselter Sklave seinem Nebenbuhler England zu Füßen geworfen worden sei, gegen dessen Usurpation schottischer Macht und schottischen Rechts es sich jahrhundertelang mit Blut und Ehren in so mancher Gefahr gewehrt habe. Hiermit war ein Ton angeschlagen, der in der Brust aller Anwesenden eine mächtig klingende Saite anschlug. »Unser Handel ist vernichtet!« schrie der alte John Newcastle, ein Schleichhändler aus Jadburgh, am untern Ende der Tafel. »Unser Ackerbau ist zugrunde gerichtet!« rief der Gutsherr von Broken-Girth-flow und Eigentümer von Land, das seit Adams Zeiten nichts als Heidekraut und Schwarzbeeren getragen hatte. »Unsre Religion ist mit Stumpf und Stiel ausgerottet!« jammerte der rotnasige Pastor von Kirkwhistle. »Ohne Gutschein vom Kirchenältesten und Sprengel-Rendanten werden wir bald kein Reh mehr schießen und keine Dirne mehr küssen dürfen«, rief Mareschal auf Wells. »Und ohne Gutschein vom Steueramtsschreiber bald keinen Krug Bier mehr an kalten Wintertagen mehr brauen dürfen«, rief der Schleichhändler. »Und in keiner finstern Nacht mehr über Moor und Heide reiten,« ergänzte Westburnflat, »ohne Gutschein vom englisch gesinnten Friedensrichter à la Earnscliff! Ha! Waren das schöne Zeiten an der Grenze, als von Frieden und Friedensrichtern noch keine Rede war!« »Gedenken wir des bittern Unrechts von Darieu und Glencoe!« hub Laird Ellieslaw wieder an, »und ergreifen wir die Waffen zum Schutz unsrer Rechte, unserer Habe, unseres Lehns und unsrer Sippe!« »Gedenket der rechten bischöflichen Weise, ohne die es keine recht- und gesetzmäßige Priesterschaft geben kann!« sprach der Pfarrer. »Gedenket des Seeraubes, der von Green und den englischen Dieben an eurem ostindischen Handel begangen wurde!« rief William Willieson, Eigentümer zur Hälfte und alleiniger Kapitän einer Brigg, die zwischen Cockpool und Whitehaven jährlich vier Fahrten machte. »Gedenket eurer Freiheiten!« hub Mareschal wieder an, einem Schelm von Jungen gleich, der die Schleusen eines Mühldammes geöffnet und nun am Geklapper der Räder sich weidet, von boshafter Freude erfüllt über all diese Äußerungen einer von ihm künstlich geweckten Begeisterung – »hole der Teufel die Steuern samt allen Steuerbeamten und allem Andenken an den alten Simpel von Willie [gemeint ist König Wilhelm III. aus dem Geschlechte der Oranier], der solchen Fluch unserm Lande gebracht hat!« »Verdammt sei dieser Aichmeister der Union!« schrie der alte John Newcastle – «mit eigener Hand will ich ihn spalten!« »Verdammt seien Friedensrichter und Gerichtsbüttel!« schrie Westburnflat – »noch vor Tagesgrauen will ich ihnen gefeite Kugeln auf den Pelz brennen!« »Wir alle, die wir hier versammelt sind,« sprach Ellieslaw, als der Lärm nachgelassen hatte, »sind also des einmütigen Willens, solchen Zustand der Dinge nicht länger mehr zu dulden!« »Sämtlich stehen wir ein, daß es anders werden müsse im Lande!« riefen die Versammelten wie aus einem Munde. »Nicht ganz!« verwahrte sich Sir Ratcliffe; »wenn ich auch nicht hoffen darf, die heftige Aufregung zu dämpfen, die sich der Versammlung so plötzlich bemächtigt zu haben scheint, so bitte ich doch, soweit die Meinung eines einzelnen Mitgliedes der Versammlung Geltung finden kann, gelten zu lassen: daß ich nicht in völliger Übereinstimmung stehe mit der Reihe von Beschwerden, die soeben ausgesprochen worden sind! sowie daß ich gegen die wahnwitzige Maßregel zur Abstellung der vermeintlichen Mißstände Protest erhebe, zu deren Annahme die Versammlung geneigt zu sein scheint. Freilich kann ich verstehen und will ich gelten lassen, daß vieles von dem hier Verlautbarten seine Begründung finden mag in der Erregtheit der Zeit, vielleicht auch nur im Scherz so gemeint worden ist! Indessen gibt es Scherze auf solchem Gebiete, die Wohl leicht laut, aber nicht leicht verdaut werden, Und die Herren dürften gut tun, nicht unvergessen zu lassen, daß schon häufig auch steinerne Mauern Ohren gehabt haben!« »Es mögen freilich, auch steinerne Mauern ihre Ohren haben!« versetzte mit einem Blicke sieghafter Bosheit Laird Ellieslaw, »aber Spione im Innern der Häuser, Sir Ratcliffe, haben bequemere Wege, vornehmlich solche, die ihren Aufenthalt in Familien nehmen, ohne daß sie gerufen wurden, und ohne Erlaubnis verlängern! die es aber, wenn sie solchen Wink nicht verstehen und nützen, erleben können, daß sie das Haus, in das sie sich eingeschlichen haben, verlassen in der Rolle des an der Nase geführten Schurken!« »Sir Vere!« versetzte Ratcliffe mit Ruhe, aber um so größerer Verachtung, »ich bin mir recht wohl bewußt, daß meine Gegenwart hier im selben Verhältnis, wie sie Ihnen immer verhaßt war, für mich unsicher wird im selben Moment als sie Ihnen nicht mehr von Nutzen ist. Einen Schutz und zwar einen recht starken, habe ich; denn es wird Ihnen nicht eben genehm sein, wenn ich vor diesen Herren und Männern von Ehre die absonderlichen Umstände offenbare, unter welchen unsre Beziehungen ihren Ursprung fanden. Im übrigen freue ich mich über die Beendigung unseres Verhältnisses, und wenn mir, was ich wohl annehmen darf, Herr Mareschal im Verein mit einigen anderen Herren für die Dauer der Nacht Sicherheit verbürgt für Ohren und Hals (für den ich besonderen Grund zu Besorgnissen haben zu sollen meine), so werde ich vor morgen früh, Laird Ellieslaw, Ihr Schloß nicht verlassen.« »Sei es so!« versetzte dieser, »Eure Inferiorität, die gesellschaftliche sowohl als andere, schützt Euch vor meiner Rache, nicht aber die Scheu vor Offenbarung meiner Privatverhältnisse, nichtsdestoweniger gebe ich Euch in Eurem Interesse den Rat, Euch davor zu hüten. Einem Mann, der alles gewinnen oder alles verlieren muß, je nachdem in dem nunmehr bevorstehenden Kampfe Recht und Gesetz oder rechtswidriger Raub von Krone und Thron den Sieg erringen, kann Eure Geschäftsführung und Vermittlung nur von geringem Wert sein. Drum lebt Wohl, Herr!« Ratcliffe stand auf und warf dem Laird einen Blick zu, dem derselbe nur mühsam standzuhalten schien. Dann verbeugte er sich vor der übrigen Gesellschaft und schritt aus der Halle. Den peinlichen Eindruck, welchen dieses Zwiegespräch bei vielen Anwesenden hervorrief, suchte Ellieslaw durch die Eröffnung der Debatte über die Tagesordnung zu verwischen. Dieselbe wurde in beschleunigtem Tempo geführt. Sie bezog sich in der Hauptsache auf die sofortige Organisation des Aufstands. Ellieslaw, Mareschal und Frederick Langley wurden zu Anführern ernannt und mit der Vollmacht, alle notwendigen Maßregeln anzuordnen, ausgestattet. Es wurde ein Treffort vereinbart, wo sich am andern Morgen jeder Anwesende mit soviel Begleitern einzufinden gelobte, als sich in seiner Umgebung für die Verfechtung der hier zu Recht erklärten Forderungen finden lassen würden. Einige von den Gästen begaben sich, um die erforderlichen Vorbereitungen zu treffen, zu sich nach Hause. Laird Ellieslaw entschuldigte sich bei den andern, die mit Westburnflat, dem Wegelagerer, und John Newcastle dem Schleichhändler, noch beim guten Trunke verweilten, daß er die Tafel, so früh verlasse aus Rücksicht auf die Verhandlungen, die er mit den ihm zur Seite gegebenen Führern noch pflegen müsse. Solche Entschuldigung wurde für um so willkommener erachtet, als mit ihr die Aufforderung verbunden wurde, sich an den Erfrischungen, welche die Keller des Schlosses boten, noch weiterhin gütlich zu tun. In dem Gemache, wohin sich die drei Rädelsführer zurückgezogen, blickte zunächst einer den andern nicht ohne einen gewissen Grad von Beklommenheit an. Während sich dieser Ausdruck auf Sir Fredericks finsterm Antlitz zu mürrischer Verdrossenheit wandelte, brach Mareschal zuerst das Schweigen durch helles Lachen. »Wohlan!« rief er, »jetzt haben wir die Schiffe hinter uns verbrannt! Jetzt heißt's: Schwimmen!« »Für diesen jähen Tauchersprung müssen wir Ihnen Dank sagen,« meinte Ellieslaw. »Hm! Ob mir euer Dank aber noch sicher ist, wenn ich euch das Schreiben hier zeige, das mir zur Zeit behändigt wurde, als wir uns zur Tafel setzten, weiß ich nicht recht. Mein Knappe brachte mir das Schreiben mit dem Bescheide, es sei ihm von einem Manne zur Weitergabe an mich überantwortet worden, den er nie vorher im Leben gesehen habe und der, sobald er sich des Auftrags entledigt habe, weitergaloppiert sei und ihm bloß noch ans Herz gelegt habe, das Schreiben ohne Säumen an mich zu bestellen.« Voller Ungeduld entfaltete Laird Ellieslaw das Schreiben und las: Edinburg – Werter Herr! Da mich gegen Eure Sippe Verpflichtungen fesseln, die hier nicht erörtert zu werden brauchen, und mir eben bekannt wird, daß Ihr in enger Verbindung mit den Spekulanten steht, die für das Haus Jakob u. Co., früher in London, jetzt in Dünkirchen seßhaft, arbeiten, halte ich es für geboten. Euch die noch wenig bekannten Mitteilungen zu machen, daß die von denselben erwarteten Schiffe von der Küste abgetrieben wurden, bevor sie ihre Ladung oder auch nur einen Teil derselben löschen konnten; und daß sich die Geschäftsfreunde im Westen dahin verständigt haben, ihre Namen aus der Firma zu scheiden, weil hinfort alle Geschäfte bloß noch mit Verlusten entriert werden könnten. In der lebhaften Hoffnung, daß Euch diese Nachricht rechtzeitig zu Händen kommen und nützen und Euch instandsetzen, auch dazu bereit finden möge, alle Maßregeln zu treffen, die Euch vor Schaden schützen können, verbleibe ich Euer untertäniger Diener Nihil Anonymus. An Herrn Ralf Mareschal auf und zu Mareschal-Wells. Sofort zu bestellen. Sir Frederick ließ das Kinn bis zu den Knieen hängen, als der Brief zu Ende war, und sein Gesicht legte sich in die finstersten Falten, als Wieslaw nun rief: »Das betrifft die eigentliche Sprungfeder unserer Unternehmung. Ist die französische Flotte mit König Jakob an Bord durch die englische Flotte verjagt worden, wie aus diesem vermaledeiten Gekritzel, wie es scheint, geraten werden soll, so frage ich: wie und wo stehen wir nun?« »Genau so und genau dort, meiner Ansicht nach, wie heute morgen!« entgegnete Mareschal, nach wie vor lachend. »Verzeiht, Mareschal, aber Eure Lustigkeit erscheint übel angebracht und bleibt besser beiseite: Heute morgen hatten wir uns öffentlich noch nicht bloßgestellt, wie jetzt zufolge Eures tollkühnen Benehmens, um so tollkühner, man darf sagen verrückter, als Ihr doch das Schreiben in der Hand hattet, das uns von der Aussichtslosigkeit unseres Beginnens in Kenntnis setzt!« »Freilich! Daß Ihr solches sagen würdet, darauf bin ich und war ich gefaßt. Fürs erste aber kann Freund Nihil Anonymus mitsamt seinem Schreiben eine Farce sein; sodann wollte ich Euch den wirksamsten Beweis dafür liefern, daß ich einer Partei überdrüssig bin, die abends kühne Pläne schmiedet und sie über Nacht verschläft! Heute ist die Regierung noch unversorgt mit Munition und Truppen; binnen wenigen Wochen wird sie an beidem mehr denn Überfluß haben. Heute steht das Land gegen sie in Feuer und Flammen; morgen wird Eigennutz, Furcht und Lauheit die Gemüter kälter gestimmt haben wie das Wetter um Weihnachten. Ich meinesteils aber bin entschlossen, alles auf einen Trumpf zu setzen. Deshalb habe ich dafür Sorge getragen, daß Ihr ganz ebenso hoch spielt wie ich. Gleichgültig hierbei ist, ob ich Euch zu offener Erklärung gezwungen habe oder nicht: Ihr steht jetzt mitten drin im Moore und müßt durch, wenn Ihr nicht drin versinken wollt!« »Ihr irrt Euch, Herr Mareschal, betreffs eines von uns!« sprach Sir Frederick Langley, zog die Klingel und befahl dem eintretenden Diener, seinen Leuten zu melden, daß sie sich zu sofortigem Aufbruch zu rüsten hätten. »Auf solche Weise verlassen dürft Ihr uns nicht, Sir,« verwahrte sich Ellieslaw, »wir müssen doch zuvörderst unsere Musterrollen durchsehen!« »Ich will noch heut nacht fort, Sir Vere,« entgegnete Sir Frederick, »und euch meine Absichten in dieser Angelegenheit, sobald ich zu Hause bin, schriftlich bekannt geben.« »So, so!« spottete Mareschal, »und wollt uns das Schreiben mit einem berittenen Trupp aus Carlisle übermitteln und uns gefangen nehmen lassen? Hütet Euch, Sir Frederick! Ich wenigstens mag mich weder aufs Trockne setzen noch hinters Licht führen noch verraten lassen! Wollt Ihr heut nacht noch aus Ellieslaw weg, so findet Ihr den Weg bloß über meine Leiche!« »Schämt Euch, Mareschal!« rief Sir Vere, »wie könnt Ihr unserm Freunde im Handumdrehen solch schlimme Absicht unterschieben? Ich bin fest überzeugt, daß Sir Frederick nur im Scherze spricht. Wären wir nicht zu ehrenhaft, um je an einen Verzicht auf unsere Pläne denken zu können, so müßte er doch bedenken, daß wir den vollen Beweis für seinen Beitritt zu der Verschwörung und seine eifrige Förderung derselben in Händen haben. Zudem muß er sich dessen bewußt halten, daß die Regierung die erste Anzeige gern registrieren und dankbar erkennen wird und daß wir ihm doch, wenn die Sache darauf hinauslaufen soll, leicht ein paar Stunden abgewinnen können, um die Vorhand zu spielen!« »Ihr solltet hier von Euch nur sprechen, nicht von uns, wenn Ihr von Vorhand bei solch verräterischem Rennen sprecht!« sagte Mareschal, »denn was mich angeht, so ist mir mein Roß zu schade, um es zum Zweck solcher Schurkerei zu besteigen!« Zwischen den Zähnen flüsternd, setzte er hinzu: »Ein famoses Schurkenpaar, um in seiner Gesellschaft den Hals zu riskieren!« »Ich brauche niemand, mir zu soufflieren, was zweckmäßig für mich sei, was nicht!« erwiderte Langley, »mein erster Schritt soll sein hinaus aus Schloß Ellieslaw und weg von Laird Ellieslaw, dem mein Wort zu halten schon um deswillen kein Grund für mich vorliegt, weil er mir das seinige nicht gehalten hat.« »Und worin hätte ich Euch, Sir Frederick, mein Wort nicht gehalten?« fragte Ellieslaw, dem Vetter durch eine Gebärde sein Ungestüm verweisend. »In meinem empfindlichsten und im zartesten Punkte des Herzens – Ihr habt mir was von einer Heirat vorgeschwatzt, die, wie Euch recht gut bekannt ist, als Pfand für unsere politische Unternehmung gesetzt war! Den Raub und die Rückkehr Eurer Tochter und all Eure entschuldigenden Worte für die mir von Eurer Tochter bereitete kalte Aufnahme halte ich für leere Ausflüchte, zu dem Zweck erhoben, die ihr von Rechts wegen gehörigen Güter in Eurem Besitz zu behalten, mich hingegen unterdessen als Werkzeug bei Eurem verzweifelten Unternehmen zu benützen und dafür mit Hoffnungen abzuspeisen, die sich durch Euch niemals verwirklichen lassen, zu deren Verwirklichung Ihr überhaupt nicht gesonnen seid!« »Sir Frederick! Bei allem, was heilig ist, versichere ich Euch –« »Ich mag nichts mehr von Beteuerungen und Versicherungen hören! Man hat mich schon zu lange getäuscht –« »Wenn Ihr uns im Stiche laßt, Sir Frederick,« sagte Ellieslaw, »dann müßt Ihr damit rechnen, daß Euer Untergang gleich dem unsrigen außer Zweifel steht! Jetzt hängt alles nur vom Zusammenhalten unsrer Kräfte ab.« »Laßt mich für mich allein sorgen!« versetzte der Ritter. »Sprächet Ihr aber die Wahrheit, dann würde ich lieber umkommen als mich länger zum Narren halten lassen!« »Kann Euch nichts von meinem aufrichtigen Willen überzeugen?« fragte nicht ohne Beunruhigung Laird Ellieslaw. »Heute morgen hätte ich Euren ungerechten Verdacht als Schimpf zurückgewiesen; aber in unserer gegenwärtigen Lage –« »In der gegenwärtigen Lage«, fiel ihm Sir Frederick ins Wort, »fühlt Ihr Euch zur Aufrichtigkeit gezwungen? Wollt Ihr, daß auch ich dies glaube, dann könnt Ihr nur auf einem einzigen Wege mich davon überzeugen, indem Ihr Eure Tochter bestimmt, mir noch heute abend ihre Hand zu reichen!« »So schnell?« versetzte Sir Vere, »das geht unmöglich! Bedenkt den Schrecken des Mädchens und unser gegenwärtiges Unternehmen!« »Mir gilt nichts anderes mehr für gewiß als ihr Jawort am Altar! Ihr habt im Schloß eine Kapelle. Der Pfarrer weilt bei der Tafelgemeinschaft. Gebt mir noch heute abend diesen Beweis Eures ehrlichen Willens, und wir sind wieder durch Herz und Hand verbunden. Weigert Ihr mir aber mein Gesuch in einem Augenblicke, wo seine Gewährung Eurem Nutzen und Vorteil so angemessen ist, wie soll ich Euch dann am andern Tage vertrauen, nachdem ich mich bloßgestellt habe und wenn jedes Zurück für mich ausgeschlossen ist?« »Kann ich darauf bauen, daß unsre Freundschaft die alte bleibt, wenn Ihr heut abend mein Schwiegersohn seid?« fragte Laird Ellieslaw. »Unfehlbar!« versetzte Sir Frederick, »und unabänderlich!« »Dann meine Hand darauf,« rief Sir Vere, »daß meine Tochter, so vorschnell und so unzart und ungerecht gegen meinen Charakter Euer Vorgehen auch ist, heut abend Euer Weib sein soll.« »Heute abend – nicht anders!« betonte Sir Frederick. »Heute abend, nicht anders!« beteuerte Ellieslaw, »noch ehe die Glocke zwölf Uhr geschlagen, sollt Ihr ins Ehebett steigen.« »Mit Verlaub und Willen jedoch der edlen Dame!« nahm jetzt Mareschal das Wort – »nicht anders! Denn das mögen die beiden Herren sich gesagt sein lassen, daß ich nicht zugeben werde – unter keinen Umständen und keiner Bedingung, – daß meiner hübschen Base hierbei auch nur der leiseste Zwang auferlegt werde!« »Die Pest über den Hitzkopf!« brummte der Laird zwischen den Zähnen, um dann laut fortzufahren: »Wofür seht Ihr mich an, Mareschal, daß Ihr solche Einmischung für nötig erachtet, als Schützer meines Kindes gegen mich, ihren leiblichen Vater? – Verlaßt Euch darauf, Sir Frederick Langley ist ihr nicht unsympathisch!« »Oder vielmehr wohl«, wandte Mareschal ein, »der Titel Lady Langley? Das letztere bedünkt mich wahrscheinlicher: und dieser Meinung möchten schließlich auch andre hübsche Damen sein! Ich bitte um Verzeihung. Aber solch plötzliche Forderung, gefolgt von solch plötzlichem Zugeständnis, hat mich um meiner hübschen Base willen in gewisse Unruhe versetzt.« »Mich versetzt einzig und allein die plötzliche Erledigung der Angelegenheit in Unruhe,« nahm Ellieslaw wieder das Wort, »und falls es mir unmöglich sein sollte, die Einwilligung meiner Tochter in solcher Kürze zu erhalten, so wird Sir Frederick zu bedenken haben ...« »Keine Rede hiervon, Sir Vere! Ich wiederhole: entweder bis heute Mitternacht die Hand Ihrer Tochter – oder ich reise ab, und wäre es um Mitternacht! Dies betrachtet als mein Ultimatum!« »Angenommen,« sprach Ellieslaw; »ich verlasse Euch jetzt, um meine Tochter auf diese jähe Handlung vorzubereiten; Euch hingegen ersuche ich, alle Vorsorge für kriegerische Eventualitäten zu treffen.« Mit diesen Worten verließ er die beiden Gefährten. Vierzehntes Kapitel Sir Vere, durch lange Übung in der Kunst sich zu verstellen recht wohl imstande, Gangart und Tritt nach Bedarf und Gefallen zu regeln, ging durch die steinerne Flur und die Treppe zu Isabels Zimmer hinauf mit dem kräftigen Tritt eines Mannes, der wohl weiß, daß er eine wichtige Angelegenheit zu erledigen hat, aber nicht im Zweifel darüber ist, daß dieselbe ihre befriedigende Lösung finden werde. Als er aber weit weg genug war, daß ihn die Herren, die er verlassen hatte, nicht mehr hören konnten, verlangsamte sich sein Schritt so, wie es seinem Zweifel und seiner Furcht besser entsprach. Um seine Gedanken zu sammeln und sich über die Unterredung mit seiner Tochter, bevor er in das Zimmer derselben trat, einen bestimmten Plan zurecht zu legen, blieb Sir Vere im Vorzimmer stehen. »Hat sich ein vom Unglück verfolgter Mensch wohl je in einen verzweifelteren Zustand verrannt?« dachte er bei sich; »verfallen wir in Zwist und Hader, so steht es wohl außer Zweifel, daß es mir als dem Haupträdelsführer an den Kragen gehen wird. Selbst angenommen, durch schnelle Unterwerfung sei Rettung noch möglich: bin ich dann nicht erst recht in der Patsche? Mit Ratcliffe habe ich vollständig gebrochen und kann von ihm auf das Schlimmste rechnen. Was bleibt mir übrig als in die weite Welt zu laufen, arm und entehrt? Ohne Mittel zum Lebensunterhalt? Daran, die Schande politischen Renegatentums auszuwetzen, die sich an meinen Namen hängen wird, kann ich gar nicht denken! Dazu wäre Geld notwendig und das besitze ich nicht. Und doch: bleibt mir eine andre Wahl als zwischen solchem Lose und schmachvollem Schafott? Was mich allein zu retten vermag, ist Ruhe und Frieden mit diesen Menschen: um deswillen habe ich Langley versprochen, daß Isabella vor Mitternacht sein Weib werden solle, habe ich Mareschal versprochen, keinerlei Zwang auf das Mädchen auszuüben. Nur ein einziges Mittel kann mich vor dem Untergange schützen: ihre Einwilligung, einem Manne die Hand zu reichen, der ihr zuwider ist, sie diesem Manne in solch kurzer Frist zu reichen, daß es sie aufbringen müßte, wenn es ihr Bräutigam wäre, der ihr dies Ansinnen stellte. Mir bleibt nur übrig, auf die romantische Seite ihres Wesens zu bauen. Und wenn ich es ihr noch so dringend vorstelle, wie notwendig es ist, daß sie mir gehorche, so werde ich doch nie imstande sein, der Wirklichkeit auch nur im entferntesten nahe zu kommen.« Er trat in das Zimmer seiner Tochter. Trotz des Ehrgeizes, der ihn erfüllte, trotz seiner Gewandtheit in allen Lebenslagen, wohnte doch noch Vaterliebe genug in seinem Herzen, um über die Rolle zu erschrecken, die er jetzt spielen wollte; aber der Gedanke einerseits, daß seine Tochter durch die Verbindung mit Sir Frederick doch eine standesgemäße Partie schlösse, und anderseits die Gewißheit für ihn, im Fall des Mißlingens ein völlig ruinierter Mann zu sein, waren ausreichend, die Stimme seines Gewissens zu ertöten. Isabel saß am Fenster, den Kopf in die Hand gestützt, in Schlummer oder Nachsinnen so tief versunken, daß sie das Geräusch seiner Tritte nicht hörte. Mit dem Ausdruck tiefen Kummers im ganzen Wesen näherte er sich ihr, setzte sich neben sie und nahm, tief aufseufzend, ihre Hand. »Vater!« rief das Mädchen und fuhr empor. Aus ihrem Gesicht sprach Besorgnis in nicht geringerem Grade als Freude und Zuneigung. »Isabel!« sprach Sir Vere, »dein Vater, von allem Glück verlassen, kommt als Bittender: um Verzeihung bittet er dich für die Kränkung, die er dir im Übermaß von Liebe zufügte – um dann auf immer von dir Abschied zu nehmen!« »Vater! Verzeihung für eine Kränkung? und Abschied auf immer? Was sollen solche Worte heißen?« fragte Isabel. »Isabel, aus meinem Munde spricht bitterer Ernst. Zuvörderst möchte ich die Frage an dich stellen, ob du mich irgendwelches Anteils an dem seltsamen Vorfalle beargwöhnst, der sich gestern morgen ereignet hat?« »Ich? – Vater!« stammelte Isabel, in dem Bewußtsein sowohl, daß er ihre Gedanken richtig erraten habe, wie von Scham und Furcht befallen, sich der Möglichkeit solcher Frage ausgesetzt zu haben. »Ja,« fuhr er fort, »deine Unsicherheit sagt mir, daß du von solchem Argwohn nicht frei bist; und mir fällt jetzt die peinliche Aufgabe zu, dir die Wahrheit zu sagen: daß du mir nämlich durch solchen Argwohn kein Unrecht getan hast. Aber leih meinen Gründen dein Ohr! In schlimmer Stunde ermutigte ich Sir Frederick Langley, um deine Hand anzufragen, weil ich es nicht für möglich hielt, daß deine Abneigung gegen eine Verbindung mit ihm Bestand haben könne, weil doch in fast allen Hinsichten der Vorteil auf deiner Seite lag. In noch schlimmerer Stunde ließ ich mich mit ihm in ein Komplott ein, dessen Zweck sein sollte, die Unabhängigkeit unsers Vaterlandes wiederherzustellen und unsern aus dem Lande verbannten König zurückzuführen. Sir Frederick Langley hat mein Vertrauen benützt, und jetzt liegt mein Leben in seiner Hand!« »Euer Leben, Vater?« fragte mit matter Stimme Isabel. »Jawohl, mein Kind!« fuhr ihr Vater fort, »das Leben desjenigen, der dir das Leben gab, liegt in Sir Fredericks Hand. Sobald ich das Unheil übersah, das seine zuchtlose Leidenschaft, die mir, wie ich nicht ungesagt lassen will, aus übergroßer Neigung zu dir zu entspringen scheint, über ihn bringen mußte, suchte ich mich aus der verdrießlichen Lage, in welche ich mich gebracht hatte, auf Zeit von einigen Wochen dadurch zu befreien, daß ich dich unter plausiblem Vorwand auf einige Wochen aus meinem Schloß entfernte. Ich gedachte dich, falls sich deine Abneigung gegen diese Heirat nicht verlieren sollte, heimlich nach Paris, in das Kloster deiner Tante mütterlicherseits zu bringen. Durch eine Kette von Irrungen und Wirrungen wurdest du aus dem Platze, wo du dich zunächst kurze Zeit aufhalten solltest, hinweggebracht. Ein widriges Geschick hat mir diese letzte Möglichkeit zur Rettung genommen. Mir bleibt jetzt bloß übrig, dich mit Herrn Ratcliffe aus dem Schlosse ziehen zu lassen. Es wird dir bekannt sein, daß Herr Ratcliffe das Schloß verläßt. Mein eignes Schicksal ist besiegelt und wird sich bald erfüllt haben.« »Gerechter Himmel! Ist solches möglich?« rief Isabel. »Ach! warum bin ich aus dem Turm befreit worden, in den Ihr mich hattet bringen lassen? und warum habt Ihr mir nicht Kenntnis von, Eurem Willen gegeben?« »Ziehe nicht weitere Schlüsse, Isabel! Wäre es dir recht gewesen, wenn ich den Freund, dem ich zu dienen wünschte, in deiner Meinung dadurch heruntersetzte, daß ich dich die Energie fühlen ließ, mit der er seinen Zweck verfolgte? Konnte ich als ehrenhafter Mann so verfahren, nachdem er mein Versprechen besaß, seiner Bewerbung nicht hinderlich sein zu wollen? Indessen darüber braucht jetzt kein Wort mehr zu fallen. Das ist vorüber! Mareschal und ich, wir sind entschlossen als Männer zu sterben. Mir liegt jetzt bloß noch ob, dich unter sicherm Geleit von Schloß Ellieslaw zu entfernen.« »Ach Himmel! Gibt es keine Rettung?« rief erschreckt Miß Vere. »Keine Rettung, mein Kind!« versetzte Vere mit sanfter Stimme, »außer einer, einer einzigen, die ich aber verschmähe und als Ehrenmann verschmähen muß –« »Sprecht, Vater!« »Ich müßte der erste sein, der die Freunde anzeigt und verrät!« »Nein, Vater, nein!« erwiderte sie mit Abscheu, »das nicht! das unter keiner Bedingung! Aber gibt es kein andres Mittel? Flucht? Intervention? Ich will das Knie beugen vor Sir Frederick!« »Das würde fruchtlose Entwürdigung sein! Sir Frederick weiß, was er zu tun und zu lassen hat, und ich nicht minder. Nur unter einer Bedingung will er sein Tun dem meinigen anpassen, aber solche Bedingung soll mein Kind nimmer von meinen Lippen vernehmen.« »Nennt sie mir, Vater!« rief Isabel. »Wozu sollte ich nicht bereit sein, da es doch gilt, dem schrecklichen Schicksal vorzubeugen, das Euch bedroht?« »Erst wenn deines Vaters Haupt über das blutige Schafott rollt,« sprach Sir Vere in feierlichem Tone, »soll mein Kind erfahren, daß es ein Opfer gab, durch das er zu retten gewesen wäre!« »Warum wollt Ihr es mir nicht nennen?« fragte Isabel, »fühlt Ihr Sorge, ich würde mich scheuen, mein Vermögen zu Eurer Rettung hinzugeben? oder würdet Ihr mir lebenslange Gewissenspein, daß ich mich einem Weg verschlossen hätte, der Euch noch Rettung schaffen konnte, als Euer Vermächtnis hinterlassen wollen?« »Nun gut, mein Kind!« sprach Sir Vere, »da du mich drängst, das zu nennen, was ich tausendmal lieber verschwiegen hätte, muß ich dir sagen, daß er von keinem andern Lösegeld wissen will außer du reichst ihm deine Hand und zwar noch heute, bis Mitternacht!« »Noch heute?« rief das junge Mädchen, von Schauder geschüttelt, – »solchem Menschen, solchem Ungeheuer, das die Tochter zu werben sucht, indem es den Vater am Leben bedroht – nein, Vater! das geht über meine Kraft!« »Du redest wahr, meine Tochter!« pflichtete der Vater bei, »dergleichen ist unmöglich! Ich besitze weder das Recht, solches Opfer zu fordern, noch wünsche ich, daß meine Tochter solches Opfer bringe! Es ist ja Naturgesetz, daß das Alter stirbt und der Vergessenheit anheimfällt, und daß der Jugend Glück und Leben winken!« »Mein Vater sollte sterben, wenn sein Kind ihn retten kann? Nein, Vater, das ist undenkbar! Daß kann nicht sein! Ihr wollt mich bloß Euren Wünschen gefügig machen. Freilich weiß ich, daß Ihr dabei nichts anderes im Auge haltet, als was Euch mein Glück zu sein bedünkt. All dies Entsetzliche berichtet Ihr mir nur, um mein Benehmen und Verhalten zu beeinflussen, um meine Bedenklichkeiten zu beseitigen.« »Meine Tochter,« versetzte hierauf Laird Ellieslaw, in einem Tone, aus dem der Kampf zwischen gekränktem Stolz und väterlicher Liebe scharf herausklang, »du hegst Argwohn, daß ich auf falschen Bericht sänne, um auf dein Herz zu wirken! Auch das also muß ich noch hören! Sogar solche Unterstellung muß ich widerlegen! Du kennst die makellose Ehre unsers Vetters Mareschal, Isabel! Hier lies, was ich ihm schreibe, und urteile nach seiner Antwort, ob die Gefahr, von welcher ich sprach, über unsern Häuptern schwebt oder nicht, und ob ich alle Mittel, sie abzuwenden, versucht habe oder nicht!« Er brachte hastig ein paar Zeilen zu Papier und reichte sie seiner Tochter, die erst nach wiederholten Anstrengungen imstande war, das Schreiben zu lesen und seinen Inhalt zu begreifen. »Lieber Vetter,« hieß es darin, »wie ich erwartet habe, finde ich meine Tochter über Sir Langleys unzeitiges und voreiliges Drängen in Verzweiflung. Sie ist sogar nicht imstande, die Gefahr zu fassen, in welcher wir schweben, oder zu ermessen, bis zu welchem Grade wir uns in seiner Gewalt befinden. Ich bitte Euch inständig, gebraucht allen Einfluß, den Ihr über ihn habt, daß er sich bereit finden lasse zur Abänderung von Anträgen, zu deren Annahme ich mein Kind nicht drängen kann – aus Rücksicht nicht minder auf ihr persönliches Empfinden als auf die allgemeinen Rücksichten auf Anstand und Sitte. Ihr verpflichtet hierdurch zu großem Danke Euren Vetter R. V.« Daß Miß Bere in dem Schreiben übersah, daß der Nachdruck ihrer Ablehnung mehr auf die Form und die Frist als auf ihre Abneigung gelegt wurde, ist bei der Aufregung, in der sie sich befand, und die sie im Vollbrauch ihrer Sinne in gewissem Maße beeinträchtigte, recht wohl erklärlich. Sir Vere klingelte, nach dem eintretenden Diener das Schreiben zur sofortigen Weitergabe an Herrn Mareschal und ging, die Antwort darauf erwartend, in großer Erregtheit mit weiten Schritten im Zimmer auf und ab. Es währte nicht lange, so kam die Antwort. Er überflog sie und säumte nicht, sie der Tochter zu geben. »Lieber Vetter! Ich habe den Ritter in der von Euch mir aufgetragenen Sache bereits interpelliert, finde ihn aber so starr und unzugänglich wie die Cheviot-Berge. Es schmerzt mich lebhaft, daß meine schöne Base dermaßen gequält wird, auf das ihr zustehende Recht als Jungfrau zu verzichten. Aber Sir Frederik ist damit einverstanden, das Schloß gleich nach der Trauungsfeier zu verlassen, damit wir in keiner Weise behindert seien, unsre Anhänger zu sammeln und in den Kampf zu treten. Auf diese Weise ist wenigstens Hoffnung vorhanden, daß es dem Bräutigam früher, als er sich mit der Braut wiedersieht, an den Kragen geht und daß Isabel die beste Aussicht hat, auf höchst bequeme und billige Weise Lady Langley zu werden. Im übrigen beschränke ich mich auf den Hinweis, daß meine schöne Base, wenn sie die Verbindung überhaupt eingehen will, sich dazu mit Eile entschließen muß. Sonst wird uns allen zur Reue Muße genug oder vielleicht auch, je nachdem, in sehr bescheidenem Maße bleiben. Das sind die Mitteilungen, die ich Euch auf Eure diesbezügliche Anregung zu geben habe. Euer Vetter R. M. Nachschrift: Meiner Base dürft Ihr noch sagen, daß ich den Ritter lieber um einen Kopf kürzer mache, als sie dem Zwange ausgesetzt weiß, sich gegen ihren Willen zu verheiraten.« Isabel drohte vom Stuhl zu sinken, als sie diesen Brief des Ritters Mareschal gelesen hatte. Ihr Vater stützte sie. »Gott! Mein Kind wird sterben!« rief Sir Vere, hinter dessen väterlichem Empfinden politische Rücksicht auf einen Moment in den Hintergrund trat. »Sieh mich an, Isabel! Senke den Blick nicht so! Nein, nein! Du sollst, komme was wolle, das Opfer nicht sein! Soll ich fallen, so will ich mit dem Bewußtsein fallen, dich glücklich zu hinterlassen. Mein Kind mag weinend, nicht aber mit Grimm im Herzen an mein Grab treten!« Er trat auf die Schwelle und rief eine Dienerin. »Ich lasse Herrn Ratcliffe bitten, sich zu mir zu bemühen.« Totenbleich, die Hände auf das Herz gepreßt, mit geschlossenen Augen und zusammengepreßten Lippen, stand Miß Vere da. Sie kämpfte einen schweren Kampf. Aber siegreich ging sie aus ihm hervor. Gehobenen Hauptes, den Atem haltend, sprach sie mit Festigkeit: »Vater, ich willige ein!« »Nein, Kind! Du sollst nicht! Ich nehme das Opfer nicht an! Ich will nicht Unglück über dich bringen, um Gefahr von mir zu wälzen,« rief Ellieslaw. »Vater, ich willige ein,« wiederholte Isabel. »Nicht doch, Kind! Zum wenigsten nicht jetzt!« wehrte Ellieslaw; »wir wollen uns demütigen, um Aufschub von ihm zu erhalten. Indessen, Isabel, wenn du den Widerwillen, der in Wirklichkeit auf schwachen Füßen steht, zu überwinden vermagst, dann bedenke nach der andern Seite den Glanz solcher Heirat – Reichtum, Rang, vornehme Kreise –« »Vater, ich willige ein!« sprach Isabel zum dritten Male, scheinbar außer stande, anderes als diesen Satz zu sprechen. »Des Himmels Segen über dich, meine Tochter!« rief Sir Vere, »er wird dich mit Reichtum, mit Freude und Macht überschütten!« Mit schwacher Stimme bat Miß Vere, den Rest des Abends allein gelassen zu werden. »Auch Sir Frederick soll nicht kommen?« fragte der Vater unruhig. »Ich werde ihn sehen, wann und wo ich muß,« antwortete sie, »aber jetzt bitte ich um Rücksicht!« »Sei es, mein Kind! Keinen Zwang, den ich dir sparen kann, sollst du von mir leiden. Urteile nicht hart über Sir Frederick! Seine Handlung wird diktiert von überheftiger Leidenschaft. Isabel bewegte mit Ungeduld ihre Hand. »Vergib mir, Kind – ich gehe – des Himmels Segen über dich! – falls du mich nicht früher rufst, werde ich um 11 Uhr hier sein und dich holen!« Isabel sank in die Knie, als er das Gemach verlassen hatte. »O Himmel, hilf mir, daß ich in dem gefaßten Entschlusse nicht wanke! Nur du, o Himmel, vermagst es! – Armer Earnscliff! wer wird ihm Trost bringen? Mit welcher Verachtung wird er meinen Namen sprechen, da ich erst heute ihn erhörte und noch in selbiger Nacht mit einem andern vor den Altar trete! Nun, mag er mich verachten! Tröstlich soll mir der Verlust seiner Achtung sein, wenn sein Gram hierdurch Linderung erfahrt!« Bittere Tränen rannen über ihre Wangen. Immer und immer versuchte sie, sich im Gebete zu sammeln, war aber außer stande, ihr Gemüt zu andächtiger Ruhe zu stimmen. Da tat sich langsam die Tür auf. Fünfzehntes Kapitel Sir Ratcliffe stand auf der Schwelle. »Ihr ließet mich rufen, Sir Vere,« Hub er an. Dann eist sah er sich um, und bewegt setzte er hinzu: »Miß Vere allein! und auf den Knien? in Tränen?« »Verlaßt mich, Sir Ratcliffe!« sprach die unglückliche Dame. »Wohl ließ mein Vater Euch rufen. Aber Eure Gegenwart ist nicht mehr vonnöten,« »Ich kann Euch jetzt nicht verlassen, Miß Vere,« versetzte Ratcliffe; »wiederholt suchte ich Zutritt bei Euch, um mich zu verabschieden, wurde aber hinweggewiesen, bis Euer Vater mich selbst rufen ließ. Zeiht mich nicht der Zudringlichkeit! wenn ich bitte, meine Gegenwart zu dulden, so geschieht es, weil es mir obliegt, eine Pflicht zu vollbringen.« »Euch jetzt anzuhören, Sir Ratcliffe, bin ich ebenso außer stande, wie zu sprechen. Ich bitte, laßt mich allein!« »Nur eins sagt mir, Miß Vere!« bat Sir Ratcliffe; »findet, die Euch verhaßte Heirat wirklich statt? und heute abend? Das Bedientenvolk sprach auf der Treppe davon, es hieß, die Kapelle sei zu heut abend herzurichten.« »Schonet meiner!« sprach die unglückliche Braut, »und urteilt über die Grausamkeit Eurer Fragen nach dem Zustand, in welchem Ihr mich findet!« »Ihr sollt Euch also noch heute abend mit Sir Langley vermählen? Das kann nicht sein, das darf nicht sein, soll nicht sein!« »Es muß sein, Sir Ratcliffe! Denn sonst ist mein Vater zugrunde gerichtet!« »Ha, ich verstehe!« erwiderte Ratcliffe; »um ihn zu retten, opfert Ihr Euch? Des Kindes Tugend soll des Vaters Fehltritte – sie herzuzählen gebricht es an Zeit – sühnen? Was kann geschehen? Die Zeit drängt. Ich sehe bloß ein Mittel, Miß Vere: Ihr müßt den Schutz des einzigen menschlichen Wesens anrufen, welches die Gewalt hat den Lauf der Ereignisse, die Euch fortzureißen drohen, zu hemmen!« »Und welches Wesen besäße solche Gewalt?« fragte Miß Vere. »Erschreckt nicht, wenn ich den Namen nenne, Miß Vere!« versetzte Ratcliffe, näher tretend, und fuhr in leiser, doch deutlicher Stimme fort, »der Mann ist es, den man Elshender, den Klausnerzwerg vom Mucklestane-Moor, nennt!« »Ihr seid von Sinnen, Sir Ratcliffe; oder wollt Ihr meines Jammers durch unzeitigen Scherz spotten?« »Miß Vere,« antwortete er mit strengem Anflug im Tone, »ich bin nicht minder von Sinnen als Ihr! Scherz zu treiben ist nicht Gewohnheit bei mir, am wenigsten dem Unglück gegenüber, am allerwenigsten aber, um Eurer zu spotten! ich versichre Euch, er, der ein ganz andrer Mensch zu sein scheint, als er ist, besitzt in der Tat ein Mittel, Euch von dieser verhaßten Verbindung zu erlösen.« »Auch meines Vaters Sicherheit zu verbürgen?« »Auch dieses,« antwortete Ratcliffe, »sofern Ihr seine Sache bei ihm vertretet! Wie aber könnt Ihr Zutritt zu dem Klausner bekommen?« »Darum keine Besorgnis!« sagte Isabel, der jetzt der seltsame Vorfall mit der Rose einfiel; »der Klausner hat mir einst selbst den Wunsch ausgesprochen, ich solle, falls ich einmal in äußerste Not geriete, seine Hilfe suchen; zum Zeichen gab er mir diese Rose hier mit den Worten: solcher Hilfe würde ich bedürftig sein, bevor die Blume verwelkt sei. Aber sollten seine Worte wirklich aus anderer Quelle entsprungen sein als Wahnsinn?« »Zweifelt nicht, Miß Vere, und fürchtet nicht!« sagte Sir Ratcliffe; »vor allem aber verlieret keine Zeit! Seid Ihr Herrin Eures Tuns und unbewacht?« »Ich glaube,« antwortete Isabel – »was aber soll ich tun?« »Verlaßt auf der Stelle das Schloß,« sagte Ratcliffe, »und eilt zu dem Manne, der auf Euer Schicksal, wenn er auch in äußerster Armut zu leben scheint, einen fast grenzenlosen Einfluß zu üben vermag. Noch sitzt alles beim Gelage oder ist in geheimer Beratung der verräterischen Plane begriffen, die gegen Recht und Staat hier geschmiedet werden – mein Pferd steht im Stalle bereit – eins für Euch will ich satteln und Euch am kleinen Gartentor erwarten. Laßt Euch durch keinerlei Zweifel an meiner Treue und ehrlichem Eifer bestimmen, den einzigen, in Eurem Bereich möglichen Schritt zu unterlassen, der Euch vor dem schlimmen Schicksale, Sir Frederick Langleys Gemahlin zu werden, bewahren kann.« »Sir Ratcliffe,« erwiderte Miß Vere, »Ihr seid immer als Mann von Rechtlichkeit und Ehre gehalten worden, und der Ertrinkende klammert sich ja an einen Halm: ich will Euch also vertrauen und Eurem Rate folgen. Erwartet mich, bitte, am Gartentor!« Sie riegelte, sobald Sir Ratcliffe das Zimmer verlassen hatte, die Tür ab, warf sich rasch Hut und Mantel über, bekämpfte Gedanken, die ihr kamen, die schnell gegebene Einwilligung zurückzunehmen, und eilte in den Garten. Dort standen Pferde bereit, Sir Ratcliffe war in voller Bereitschaft zur Stelle, und nach wenigen Augenblicken waren sie unterwegs nach der Hütte des Einsiedlers. So lange ihr Ritt über günstiges Terrain ging, wehrte ihnen das schnelle Tempo alle Unterhaltung. Als aber ein steiler Abhang dasselbe zu mäßigen zwang, gab Miß Vere der Besorgnis, die sie von neuem befiel, durch die folgenden Worte Ausdruck: »Sir Ratcliffe,« sprach sie, den Zügel ihres Pferdes anziehend, »reiten wir nicht weiter! Läßt sich doch solcher Schritt von meiner Seite nur durch hochgradige seelische Erregung rechtfertigen! Es ist mir freilich bekannt, daß dieser Klausner beim großen Volk als Wesen gilt, ausgestattet mit übernatürlicher Kraft und im Verkehr befindlich mit der andern Welt; ich möchte aber über mich die Meinung nicht aufkommen lassen, daß mich dergleichen Gerede irre führen oder irgendwie bestimmen könne, im Unglück bei solchem Wesen um Hilfe anzuklopfen.« »Mein Charakter und meine Denkweise, Miß Vere, sollten doch wohl bekannt genug sein,« versetzte Ratcliffe, »mich gegen jede Vormeinung zu sichern, als hätte mir je daran liegen können, den Glauben an solches Gerede, wie Sie es nennen, irgendwie zu fördern.« »Wie aber soll ich mir anders die Kraft erküren, die solch elendem Wesen innewohnen soll, mir Beistand und Hilfe zu leisten?« »Miß Vere,« erklärte nach kurzer Pause Sir Ratcliffe, »mich bindet ein feierlicher Eid zur Geheimhaltung; Ihr müßt Euch also an meinem Wort und meiner Versicherung genügen lassen, daß dem Klausner solche Kraft innewohnt, und daß er sie ausüben wird, sofern Ihr den Willen bei ihm zu erwecken vermögt! Daß dies der Fall sein wird, darein setze ich keinen Zweifel.« »Allein des Mannes wunderliche Lebensweise, seine Absonderung, seine Gestalt, sein tiefeingewurzelter Menschenhaß, der in jedem Wort seiner Rede zum Ausdruck kommen soll, –wie soll ich mir das alles deuten, Sir Ratcliffe? und was soll ich von ihm denken, wenn er tatsächlich die Gewalt besitzt, die Ihr ihm zumeßt?« »Im katholischen Glauben erzogen, hat ihn Abscheu vor der Welt bewogen, aus ihr zu fliehen,« berichtete Ratcliffe. »Soweit darf ich in meiner Mitteilung gehen. Der Mann war Erbe eines bedeutenden Vermögens, dessen Mehrung die Eltern durch seine Vermählung mit einer weiblichen Verwandten, die zu diesem Zweck bei ihnen erzogen wurde, im Auge hatten. Ihr habt seine Gestalt gesehen und werdet Euch über die Empfindungen, welche das Mädchen erfüllen mußten, nicht im unklaren sein; ihre Verwandten aber meinten, die Stärke seiner Zuneigung und seine umfassende Geistesbildung würden, im Verein mit seinen vielen liebenswürdigen Eigenschaften, über seine Mißgestalt bei ihr den Sieg davontragen. Er aber war sich dieser Mißgestalt nur zu scharf bewußt. Zu mir besaß er Vertrauen und besitzt Vertrauen und zu mir sprach er hierüber: All dessen ungeachtet, was Ihr mir sagen mögt, bin und bleibe ich ein armer, elender Krüppel, ein von der Natur verfehmter Wurm, dem es besser wäre, man hätte ihn in der Wiege erstickt, statt ihn aufzuziehen zu einer Vogelscheuche für die Menschheit!« »Ihr wiederholt, was ein Wahnsinniger gesprochen!« sagte Miß Vere. »Nein,« antwortete Ratcliffe; »es sei denn, daß man, krankhafte Empfindlichkeit für Wahnsinn gelten läßt. Freilich will ich nicht in Abrede stellen, daß sich seine Phantasie durch Überreizung seiner Vorstellungen bis auf eine krankhafte Höhe gesteigert hat. Was ihm die Natur verfügt hat, hat er nun, wie es scheint, durch übertriebene Freigebigkeit gegen seine Mitmenschen wettmachen wollen. Die Täuschungen, die er hierbei erlitt, durch Mißbrauch und Undank, wie es mehr oder weniger wohl allen ergeht, die keinen gerechten Maßstab an Wohltaten zu legen wissen, sind die erste Nährquelle seines Menschenhasses geworden, und nach und nach ist er zum ausgeklügeltsten Selbstquäler geworden, den die Erde jemals getragen haben mag, erfüllt von Mißtrauen gegen seine ganze Umgebung, gegen alles Wasser sah und hörte. Zuletzt schien er bloß zwei Personen noch der Treue und Aufrichtigkeit für fähig zu halten: die ihm verlobte Braut und einen an äußeren Gaben überreichen Freund, der ihm ernstlich zugetan schien. Ursache dazu hätte er reichlich gehabt, denn er wurde mit Wohltaten geradezu überschüttet von dem unglücklichen Menschenhasser, den Ihr jetzt zu besuchen denkt. Es traf sich, daß ihm kurz nacheinander die Eltern starben. Die Hochzeit, für die der Tag schon bestimmt war, erlitt infolgedessen Aufschub, was die Dame nicht sehr zu beklagen schien. Indessen wurde nach Ablauf des Trauerjahrs ein neuer Tag für die Hochzeit festgesetzt. Da kam es, daß der, Krüppel mit dem Freunde, der mit in seinem Schlosse wohnte, in einen Klub traten, dessen Mitglieder sich aus den verschiedensten Parteien rekrutierten. Der Freund geriet eines Abends mit einem stärkeren Mitglieds in Streit, wurde in dem Duell geworfen und entwaffnet. Der Krüppel griff nach einem Schwert, durchbohrte den Feind des Freundes, wurde in Haft genommen und vor Gericht gestellt, über die Kerkerstrafe tröstete er sich hinweg mit der Hoffnung, reichlich Dank zu ernten von Braut und Freund, wenn ihm die Freiheit wieder winken würde. Er wurde schwer getäuscht; denn bevor die Haft zu Ende ging, war aus Braut und Freund ein Paar geworden.« »Der Arme!« rief Miß Vere. »Die Wirkung dieses furchtbaren Schlages auf sein heißes Temperament kann ich Euch nicht beschreiben. Seine Verbitterung wuchs ins Maßlose. Es schien, als ob das letzte Tau, an welchem ein Schiff hängt, jäh risse: aller Wut des wilden Sturmes fiel er anheim. Man brachte ihn unter ärztliche Aufsicht. Sein Freunde durch das ihm in den Schoß gefallene Glück verhärtet, durch die geschlossene Ehe in nahen Verwandtschaftsgrad zu ihm getreten, tat nicht bloß nichts, ihn aus dem Irrengefängnis zu befreien, sondern schürte, um den Genuß aus den ungeheuren Einkünften länger allein für sich zu haben, die Meinung, daß der Krüppel tatsächlich verrückt sei. Nur ein Mensch war noch da, der dem Krüppel alles verdankte und ihm in Dankbarkeit und Liebe zugetan war. Ihm gelang es, durch unaufhörliche Agitation dem Krüppel die Freiheit und den Wiederbesitz seiner Güter und seines Vermögens zu erringen. Das Gleichgewicht seiner Seele ließ sich indessen nicht wiederherstellen. Abwechselnd lebte er jetzt als Einsiedler oder als Pilger, von Abscheu erfüllt gegen alles, was Mensch heißt.« »Alles, was Sie mir von dem Manne erzählen, Sir Ratcliffe,« bemerkte Miß Vere, »rechtfertigt noch immer nicht in meinen Augen die Kühnheit, ihm zu solch später Stunde in seiner Steinhütte einen Besuch zu machen.« »Ich darf Euch,« antwortete Ratcliffe, »wiederholt auf das feierlichste versichern, daß Ihr nicht die geringste Gefahr, weder an Leib noch an Seele, lauft. Was ich Euch aber bisher nicht sagen mochte, aus Furcht, Euch zu schrecken, darf ich Euch jetzt, da wir seinen Zufluchtsort sehen können, nicht länger verbergen: Ihr müßt jetzt allein vorwärts gehen!« »Allein? Das getraue ich mir nicht!« »Es muß sein,« fuhr Ratcliffe fort; »ich will hier bleiben und auf Euch warten.« »Nicht weiter gehen wollt Ihr mit mir?« fragte Miß Vere; »aber die Entfernung ist doch noch so groß, daß Ihr mich nicht hören könnt, wenn ich um Hilfe rufen sollte.« »Seid ohne Furcht,« sagte ihr Führer; »aber achtet, jeden Ausdruck von Furchtsamkeit zu vermeiden! Bedenkt, daß sein Übermaß von Scheu und Willigkeit aus dem Bewußtsein seiner Häßlichkeit entspringt. Ein Pfad führt in gerader Linie dort an der halbgestürzten Weide vorbei. Haltet Euch links von ihr! rechts liegt der Sumpf. Lebt jetzt wohl auf einige Zeit und seid des Unglücks eingedenk, das Euch droht und das, sollte ich meinen, Eure Furcht und Eure Bedenken beseitigen muß.« »Sir Ratcliffe! Adieu!« sprach Isabel; »und solltet Ihr eine so unglückliche Dame wie mich getäuscht haben, dann wird mein Glauben an Rechtlichkeit und Ehrenhaftigkeit auf immer dahin sein.« »Bei meinem Leben und meiner Seele,« rief ihr mit lauter Stimme Ratcliffe nach, »Ihr seid in Sicherheit!« Sechzehntes Kapitel Der Schall seiner Stimme erreichte ihr Ohr nicht mehr. Um so ermutigender war es für sie, wenn sie sich umsah, im Dämmerlicht seine Gestalt zu erblicken. Bald aber geriet dieselbe im Bereich der sich tiefer senkenden abendlichen Schatten aus ihrer Sehweite. Im letzten Schimmer des Dämmerlichts erreichte sie die Hütte des Klausners. Zweimal griff sie nach der Tür, und zweimal ließ sie die Hand sinken; und als sie endlich klopfte, kam der Laut dem der Schläge im eignen Busen nicht gleich. Indessen wiederholte sie das Klopfen und jedesmal lauter, denn die Furcht, des Beistands, von welchem Ratcliffe so viel erhofft hatte, nicht teilhaftig zu werden, begann die Bange vor der Gegenwart des Mannes, der ihr denselben leisten sollte, zu beseitigen. Als sie noch immer ohne Antwort blieb, rief sie den Klausner wiederholt bei dem von ihm angenommenen Namen und bat ihn zu antworten und das Tor seiner Hütte zu öffnen. »Welches Wesen in Not,« fragte da die unheimliche Stimme des Einsiedlers,. »bettelt hier um Zuflucht und Unterstand? Weiche von hinnen! Das Auerhuhn, das Unterschlupf braucht, sucht ihn nicht im Rabennest!« »Vater, ich komme zu Euch in meiner Stunde des Unglücks,« sprach Isabel, »wie Ihr mir selber befählet. Allein ich fürchte? –« »Ha!« rief der Einsiedler, »dann bist du Isabel Vere? Gib mir ein Zeichen, daß du es bist!« »Zum Zeichen bring ich die Rose zurück, die Ihr mir gabt. Wie Ihr mir kündetet: es ist ihr nicht Zeit geblieben zum Welken, so ist auch das harte Geschick, das Ihr voraussähet, über mich gekommen,« »Und da du dein Wort so gelöst Haft,« rief der Zwerg, »will ich das meinige nicht verwirken! Herz und Tor, sonst jedem Menschwesen verschlossen, soll dir und deinem Kummer geöffnet sein.« Sie hörte ihn in seiner Hütte hantieren: er schlug Feuer an und schob einen Riegel zurück. Isabel klopfte das Herz hörbar. Dann tat sich das Tor auf,, und der Klausner stand vor ihr, in der Hand eine eiserne Lampe, die die seltsame Gestalt mit den abstoßenden Zügen erhellte. »Tritt herein, Tochter der Trübsal!« lautete seine Rede; »tritt herein in die Stätte der Trübsal!« Isabel trat ein, vorsichtig und behutsam, von Angst beschlichen, als sie wahrnahm, daß der Klausner, sobald er die Lampe aus der Hand gesetzt hatte, das Tor seiner Hütte wieder durch Riegel sicherte. Aber sie blieb der Warnung Ratcliffes eingedenk und mühte sich, jeden Schein von Furcht zu unterdrücken. Die Lampe warf ein mattes, unsicheres Licht; der Klausner, seine Aufmerksamkeit gegen Isabel auf die Aufforderung, sich auf einen Schemel am Kamin zu setzen, beschränkend, steckte trocknen Stechginster in Brand, dessen Flackerlicht sogleich hellen Schein durch die Hütte warf. Neben dem Kamin stand ein hölzernes Gesims mit einigen Büchern und Bündeln getrockneter Kräuter, auch ein paar Trinkgeschirren und Tellern und Schüsseln; auf der andern Seite stand einiges Ackergerät und Werkzeug. Statt eines Bettes stand ein mit verwittertem Moos und trocknen Binsen bestreuter Holzrahmen an der einen Wand. Der gesamte Raum der Hütte innerhalb der Mauern maß bloß zehn Fuß in der Länge und sechs Fuß in der Breite, Das einzige Mobiliar der Hütte bestand in einem Tisch und zwei Stühlen aus groben Brettern. Innerhalb dieses engen Raumes befand sich jetzt Isabel einem Wesen gegenüber, das nach dem, was sie von ihm wußte, nicht dazu angetan war, sie zu beruhigen, dessen unheimliche Gestalt mit dem abschreckenden Gesicht ihr einen fast abergläubischen Schreck bereitete. Er setzte sich ihr gegenüber, ließ die großen, langen und dichten Brauen über die scharfen schwarzen Augen fallen und blickte sie, wie durch eine Kette von widerstreitenden Empfindungen bewegt, lange Zeit hindurch an. Bleich wie der Tod saß Isabel auf der andern Seite der rohgezimmerten. Tischplatte; ihr durch den feuchten Nebel in Strähnen gezogenes Haar fiel ihr über Brust und Schulter, gleich nassen Wimpeln, die nach dem Sturme am Maste klatschen. Der Zwerg brach zuerst das Schweigen durch die jähe, abgerissene, einschüchternde Frage: »Weib! welch' böses Geschick lenkte deine Schritte hierher?« Mit fester Stimme gab sie die Antwort: »Meines Vaters Fährlichkeit und Euer Befehl!« »Und Ihr erhofft von mir oder durch mich Hilfe?« fragte der Zwerg mit der gleichen Stimme. »Sofern Ihr mir Hilfe zu leisten vermögt, ja,« lautete, abermals fest und bestimmt, des Mädchens Antwort. »Und wie sollte ich die Kraft hierzu besitzen?« fragte der Zwerg weiter mit bitterm Hohne. »Ist meine Gestalt denn die eines dem Recht zum Recht, dem Unrecht zu unrecht helfenden Ritters? Ist denn meine Hütte ein Schloß, in welchem ein Mächtiger thront, imstande, einem bittenden Weib, das sich ihm naht, Hilfe zu leisten? Mädchen! als ich sagte, ich würde dir helfen, da habe ich – deiner gespottet.« »Dann muß ich die Füße von hinnen heben und meinem Schicksal, soweit ich vermag, trotzen.« »Nein,« sprach hierauf der Zwerg, zwischen Mädchen und Tür tretend und mit finstrer Gebärde sie auf ihren Sitz zurückdrängend, »nein! mit solchen Worten sollt Ihr nicht von mir gehen! laßt uns weiter zusammen sprechen! Weshalb sollte ein Wesen eines andern Wesens Hilfe heischen? warum sollte nicht jeder sich selber genug sein? Blick um dich! ich bin verachtet von allen und habe von niemand Mitleid oder Hilfe begehrt. Mit eignen Händen habe ich diese Steine aufeinander geschichtet, mit eigner Hand dies Gerät geformt, und mit dem da« – er legte mit trotzigem Blick die Hand auf den langen Dolch, den er stets unter dem Kleide trug und jetzt so weit aus der Scheide zog, daß die Klinge im Flackerlichte des Ginsterfeuers glitzerte – »mit dem da kann ich, wenn Not am Manne ist, das Lebenslicht in solch armseligem Rumpfe wie dem meinigen gegen den schönsten und stärksten Mann verteidigen, der mir mit Gewalt droht!« Nur mit höchster Anstrengung hielt Isabel einen Angstruf zurück; indes gelang es ihr noch, ihrer Furcht Herrin zu werden.... »So ist das Leben in der Natur!« fuhr der Klausner fort, »sich selbst genügend, auf sich selbst gewiesen, von niemand abhängig. Der Wolf ruft, seine Höhle zu bauen, nicht seinesgleichen zum Beistand, und der Geier, will er auf Beute niederfahren, nicht seinesgleichen zur Mitfahrt.« »Und wenn sie sich selber nicht ausreichen und sich Hilfe nicht schaffen können?« fragte Isabel, scharfsinnig erwägend, daß er am ehesten Gründen zugänglich sein werde, die ihm in seinem bilderreichen Stil vorgeführt würden – »welcher Art ist dann ihr Schicksal?« »Laßt sie sterben gehn, wenn sie hungrig sind – und in Vergessenheit fallen, wenn sie tot sind!« »Das Los der wilden Naturgeschlechter,« sagte Isabel, »und vornehmlich solcher, die vom Raube zu leben bestimmt wurden, der einen Teilnehmer nicht verträgt; aber nicht allgemeines Naturgesetz! denn selbst niedere Tiere schließen Bündnis zu wechselseitiger Wehr. Das Menschengeschlecht aber würde dem Untergange geweiht sein, wollte der eine Mensch dem andern den Beistand versagen. Von dem ersten Augenblicke an, da die Mutter dem neugeborenen Kinde den Nabel abbindet, bis hin zu jenem andern Augenblicke, da ein lieber Freund dem Sterbenden den Todesschweiß von der Stirn wischt, können wir ohne wechselseitige Hilfe nicht leben. Und deshalb besitzen alle, die der Hilfe bedürfen, ein Recht darauf, Hilfe zu heischen, und kein Nebenmensch, der die Macht hat, Hilfe zu leisten, darf, ohne sich schuldig zu machen, erbetene Hilfe weigern.« »Und mit solch einfältiger Hoffnung, Mädchen,« fragte der Einsiedler, »bist du, mich aufzusuchen, in diese Ödenei gekommen? mich? einen Krüppel von Menschen, der keinen andern Wunsch mehr kennt, als daß alle Verbindung zwischen Mensch und Mensch aufhören, daß das ganze Geschlecht umkommen möge im wahren Sinne des Wortes? Hast du dich nicht gefürchtet, den Fuß hierher zu setzen?« »Das Elend ist der Mörder der Furcht,« versetzte fest und bestimmt das Mädchen. »Hast du in deiner sterblichen Welt nie davon gehört, daß ich im Bunde sei mit andern Mächten? dem Menschengeschlecht so feindlich gesinnt wie ich? Kam solche Rede nie zu deinen Ohren? Und du suchst meine Zelle auf zu mitternächtlicher Stunde?« »Das Wesen, das ich verehre und anbete, schützt und hütet mich vor eitler Furcht!« sprach Isabel. Aber das Wallen ihres Busens strafte den erzwungenen Mut, von dem ihre Lippen sprachen, schmählich Lügen. »Haha!« lachte der Zwerg, »du prahlst mit Philosophie? Hast du denn aber die Gefahr nicht bedacht, daß du dich, jung und schön, der Gewalt eines Wesens anvertrauest, das die Menschheit so tief, so unsäglich tief haßt, daß es sein einziges Vergnügen findet in Entstellung und Entweihung ihrer schönsten Werke?« Isabel, wenngleich erschrocken, gab mit der Festigkeit früherer Einrede zur Antwort: »Welch Unrecht Ihr auch in der Welt erlitten haben mögt, so könnt Ihr es doch nicht rächen wollen an mir, denn ich habe weder Euch noch andern jemals mit Absicht ein Unrecht angetan.« »Mädchen,« sagte hierauf der Zwerg, und aus seinen Augen leuchtete helle Bosheit, die sich auf seine wilden, häßlichen Züge übertrug, »Rache ist die hungrige Wölfin, die nur darauf sinnt, Fleisch zu zerreißen und Blut zu lecken. Meinst du, die Wölfin kehre sich dran, wenn das Lamm sich auf seine Unschuld beruft?« »Mann!« rief Isabel, aufstehend, mit edler Würde, »mich schrecken die grausen Bilder nicht, die Ihr mir entrollt, um Eindruck bei mir zu wecken; ich weise sie zurück voll Verachtung. Wenn Ihr sterblich seid so wenig, wie wenn Ihr ein böser Geist seid, würdet Ihr je einem unglücklichen Weibe schaden, das als Bittende Euch naht in seiner äußersten Not? Das werdet Ihr nicht, und das wagt Ihr Euch nicht!« »Du redest die Wahrheit, Weib!« antwortete der Klausner, »das wage ich nicht! und das tue ich nicht! Kehr um und heim! fürchte nicht, womit man dir droht! Du hast Schutz bei mir gesucht – und Schutz soll dir werden durch mich!« »Aber, Vater! ich habe drein gewilligt, noch heute nacht dem Manne mich zu vermählen, den ich verabscheue – wofern nicht mein Vater zugrunde gehen soll.« »Noch heute nacht? zu welcher Stunde?« »Vor Mitternacht.« »Zwielicht ist schon vorüber,« sprach der Zwerg; »indessen sei unbesorgt! die Zeit genügt zu deinem Schutze.« »Und mein Vater?« fragte in bittendem Tone Isabel. »Dein Vater,« antwortete der Zwerg, »war mein bitterster Feind und ist es noch heut. Aber sei unbesorgt! Deine Tugend soll ihn retten. Nun aber geh! wollte ich dich länger bei mir behalten, so könnte ich zurückfallen in die törichten Träume von Menschengüte und Menschenhochsinn, aus denen ich ehedem so schrecklich gerissen wurde. Du aber fürchte nichts! und stündest du am Altare, so würde ich dich von ihm reißen! Leb wohl, Mädchen! die Zeit drängt, und ich muß handeln.« Er führte sie zum Tor seiner Hütte und öffnete es, sie herauszulassen. Sie bestieg ihr Roß, das innerhalb des Zaunes geweidet hatte, und trieb es im matten Schein des aufsteigenden Mondes an den Platz, wo Ratcliffe noch weilte. »Habt Ihr Erfolg gehabt?« war seine erste hastige Frage. »Versprechungen erhielt ich von dem Manne, zu dem Ihr mich sandtet. Wie aber wird und kann er sie erfüllen?« »Gedankt sei Gott!« rief Ratcliffe; »und nun zweifelt nicht an seiner Fähigkeit zu erfüllen, was er versprochen.« Da ertönte ein schriller Pfiff über die Heide. »Er ruft mich – horch!« rief Ratcliffe – »Miß Vere! reitet nach Haus zurück! laßt die Hinterpforte zum Garten offen! zu der Tür, die zur Hintertreppe führt, habe ich den Schlüssel.« Ein zweiter Pfiff, noch schriller als der erste! »Ich komme – ich komme!« sprach Ratcliffe, gab seinem Roß die Sporen und ritt über die Heide in der Richtung, wo des Klausners Hütte lag. Miß Vere schlug den Rückweg nach dem Schlosse ein. Die Angst, die ihr das Herz schnürte, und das Feuer ihres Rosses gaben ihrem Ritte Flügel. Sie gehorchte, ohne Ahnung von ihrem Zweck, Ratcliffes Weisungen, ließ ihr Pferd auf einem eingehegten Platz im Garten äsen und eilte in ihr Gemach hinauf, das sie unbemerkt erreichte. Nun klingelte sie und befahl Kerzen zu bringen. Zugleich mit dem Diener, der ihren Befehl ausführte, erschien ihr Vater. »Zweimal während der verwichnen zwei Stunden,« sagte er, »habe ich an deiner Tür gehorcht, Tochter. Da ich nichts vernahm, besorgte ich, Du seiest krank.« »Erlaubt mir, Vater, mich auf das Versprechen zu berufen, das Ihr mir gabt,« erwiderte Miß Vere; »laßt mir die letzten freien Augenblicke zu unbehelligtem Genusse! laßt mir die gewährte Frist bis zum letzten Augenblicke!« »Es sei,« antwortete der Vater; »du sollst nicht gestört werden. Aber diese geringe Kleidung, dies wirre Haar – wenn ich dich rufe, Kind, so darfst du in solchem Zustande nicht kommen. Freiwillig muß das Opfer gebracht werden, soll es heilsam sein.« »Wohlan, Vater! muß es so sein, dann seid ohne Sorge! Das Opfer wird sich schmücken!« Siebzehntes Kapitel Die Kapelle im Schlosse Ellieslaw, in welcher die unselige Vermählung zur Vollziehung gelangen sollte, war ein Bauwerk von noch höherem Alter als das Schloß selbst, das doch bereits in die grauen Jahrhunderte schottischer Kultur hinaufreichte. Vor Ausbruch der fortdauernden, langwierigen Grenzkriege zwischen den in England seit Hengist und Horsa sässigen Angelsachsen und den in Schottland ursässigen Kelten, in deren Folge alle Grenzhäuser zu Vesten sich wandelten, hatten in Ellieslaw Mönche, zur reichen Abtei von Jedburgh gehörig, ihre Niederlassung gehabt; durch die Wandlungen, die der ewige Grenzkrieg mit sich brachte, war aber das Kloster verwüstet und an Stelle desselben ein Feudalschloß aufgeführt worden; bloß die Kapelle war erhalten und als Zubehör des Schlosses von einem Mauerringe umschlossen worden. Der Bau der Kapelle zeigte in seiner Ureinfachheit, in den massigen Pfeilern und Schwibbogen den angelsächsischen Baustil in seiner ersten Periode. Eine düstere Stätte, um so düsterer, als sie, gleichwie vordem von den Mönchen, auch später von den Schloßherren als Begräbnisstätte benützt wurde. Zurzeit wurde die Düsternis der Kapelle durch den Kontrast von Fackelschein zu verstärktem Ausdruck gebracht. Zum Vollzug der kirchlichen Feier war die Kapelle mit Hast geschmückt worden. Alte Gobelins, Szenen aus der düstern Ahnengeschichte der Lairds von Ellieslaw vorstellend, waren aus den Schloßgemächern entfernt und hier aufgehängt worden bald neben, bald über und unter den Wappenschildern und Emblemen der in ihren Särgen in der Kapellengruft schlummernden Toten. Zu beiden Seiten des steinernen Altars standen Denkmäler, in sonderbarem Gegensatze zueinander gehalten. Auf dem einen erhob sich die Gestalt eines finstern Mönchs oder Klausners, mit Kapuze und Skapulier, das Antlitz im Gebet aufwärts gewandt, und die Hände, von denen Rosenkränze niederhingen, über die Brust gefaltet. Ihm gegenüber stand ein Grabmal im italienischen Stile, ein schönes Werk der Plastik und ein Muster der neueren Kunst, zum Andenken errichtet an Isabels Mutter, die verstorbne Frau Vere von Ellieslaw, die durch dasselbe mit dem Tode ringend dargestellt wurde, während ein weinender Cherub mit abgewendeten Augen eine schwach brennende Lampe, als sinnbildliche Darstellung ihres schnellen Hintritts in das ewige Leben, verlöschte. Das ganze Bild, das die Kapelle bot, wurde durch ein paar qualmige Fackeln erhellt, die den Raum in ihrem Bereich mit hellem, gelbem Schein erfüllten, um dessen äußeren Ring sich ein Rand von tiefpurpurner Färbung schloß. Jenseits davon zog sich, die Weite der Kapelle, da dem Auge die Grenzen nicht erreichbar waren, scheinbar vergrößernd, rings tiefe Finsternis. Vor den beiden Standbildern hatten sich die Hochzeitsgäste versammelt, der Zahl nach wenig, denn viele hatten das Schloß verlassen, um Zurüstungen zu der geplanten Erhebung zu treffen; anderseits war bei den obwaltenden Umständen die Kürze der Frist ein unbedingtes Hindernis gegen die Ladung all jener nahen Verwandtschaft, deren Anwesenheit sonst, der Sitte von Land und Geschlecht gemäß, ein ebenso unbedingtes Gebot gewesen wäre. Dem Altar zunächst stand Sir Frederick Langley, finstrer, mürrischer, tiefer in Gedanken versunken als sonst. Neben ihm stand Mareschal, in der Rolle eines Brautführers, dessen unbeirrte Lebensfreudigkeit und kräftige Zuversicht die über der Stirn des Bräutigams lagernde Wolke noch verdüsterten. »Die Braut hat ihr Gemach noch nicht verlassen,« flüsterte er dem Bräutigam zu, »hoffentlich brauchen wir nicht zu den gewaltsamen Mitteln der Römer greifen, dem Weibermangel abzuhelfen, von denen man in der Schule liest. Für meine hübsche Base wäre es eine harte Sache, wenn mit ihr zweimal in zwei Tagen durchgegangen werden müßte, wenn ich auch sonst kaum ein Weib kenne, das würdiger solch gewaltsamer Werbung wäre als sie!« Sir Frederick bemühte sich, sein Ohr solchen Worten zu verschließen dadurch, daß er hinwegsah und eine Melodie summte. Aber Mareschal setzte seine Nadelstiche fort. »Dem Pfaffen fällt es scheinbar auch recht sauer, sich von seiner dritten Flasche zu trennen. Wie kann man auch einem solchen Epikuräer zumuten, jemand zu kopulieren, wenn er beim Pokulieren sitzt?! Ihr werdet ihn doch wenigstens vor einem Rüffel seiner Obern schützen, Sir Frederick? denn meines Wissens ist er zu solcher Zeit und Stunde nicht mehr verpflichtet, seines geistlichen Amtes zu walten. Doch da kommt ja der Laird mit meinem hübschen Bäschen – schöner als sonst, meine ich, wenn auch recht schwach und totenbleich – das laßt Euch gesagt sein, Herr Ritter: erklingt ihr Ja nicht froh und ungezwungen, dann wird nichts aus der Hochzeit, ganz gleichgültig was bisher vorgegangen!« »Nichts aus der Hochzeit, Herr?« zischelte Sir Frederick, aber so grimmig, daß dem andern kein Zweifel blieb, wie schwer es dem Bräutigam wurde, seinen Zorn zu meistern. »Nein – nichts aus der Hochzeit und nichts aus dem Brautbett!« versetzte, zischelnd, gleich ihm, Sir Mareschal – »hierauf verpfände ich Hand und Handschuh!« Sir Frederick faßte die Hand und zischelte leiser, doch um so grimmiger: »Dafür sollt Ihr mir Rede stehen, Mareschal!« »Gern und willig,« versetzte der andre; »niemals nahm ein Wort den Weg über meine Lippen, für das meine Hand nicht einstand! Drum sprecht, meine hübsche Base,« rief er mit lauter Stimme, »ist es Euer freier Wille und unbefangener Entschluß, diesen tapfern Ritter als Herrn und Gemahl zu nehmen? Denn hegt Ihr hierüber auch nur die geringste Bedenklichkeit, dann tretet zurück! ohne Zaudern! dann hat er nicht Anspruch auf Euch und soll Euch als Weib nicht besitzen!« »Seid Ihr von Sinnen, Mareschal?« rief Ellieslaw, der als einstiger Vormund des jungen Ritters sich noch oft ein überlegenes Wort gegen ihn herausnahm – »meint Ihr, ich möchte mein Kind vor den Altar schleppen, sofern sie den Weg nicht freiwillig machte?« »Still, Ellieslaw,« versetzte der junge Ritter; »redet mir nicht vom Gegenteil! Meiner Base Augen sind mit Tränen gefüllt und die Farbe ihrer Wangen weißer denn ihr weißes Kleid. Ich muß darauf bestehen um der schlichtesten Rücksicht auf Menschlichkeit willen, daß die Feier um einen Tag verschoben werde.« »Sie wird es dir selber sagen, unverbesserlicher Grünschnabel,« rief der Laird, dessen Zorn jetzt überschäumte, »was sie will und was sie nicht will. Misch dich nicht in Dinge, die dich nichts angehen! Meine Tochter wird dir selber sagen, daß es ihr Wunsch ist, daß die Feier in Vollzug trete. Sprich, Isabel, ist dies dein Wille?« »Ja! es ist mein Wille,« antwortete sie halb ohnmächtig – »da sich Hilfe ja doch nicht, weder von Gott noch von Menschen, erhoffen läßt.« Bloß die erste Hälfte dieses Satzes war hörbar. Achselzuckend trat Mareschal zurück. Ellieslaw reichte der Tochter den Arm zum Weg zu den Stufen des Altars; Sir Frederick trat vor und ihr zur Seite; der Geistliche schlug sein Gebetbuch auf und blickte auf Sir Vere, um von dessen Lippen das Zeichen zum Beginn der Handlung zu hören. »So fanget an!« sprach dieser feierlich. Aber eine Stimme, dem Schein nach dem Grabe seiner verstorbnen Gemahlin entsteigend, mit schrillem Klange und widerhallend aus jedem Winkel der gewölbten Kapelle, rief: »Haltet inne!« Alles stand stumm und regungslos. Da ließ sich von den entfernter liegenden Gemächern herüber Geräusch vernehmen wie Degengeklirr, das aber fast ebenso schnell wieder verstummte. »Was geht da von neuem vor?« rief trotzigen Tones Sir Frederick, indem er den Laird und Mareschal mit Blicken voll Bosheit und Argwohn maß. »Das kann nur Scherz von Trunkenbolden sein!« antwortete, obgleich er selber weit über den Durst getrunken hatte, der Laird; »bei solchem Übermaß von Tafelfreuden, wie sie der heutige Abend mit sich gebracht hat, müssen wir Nachsicht walten lassen ... Vollzieht die feierliche Handlung!« wandte er sich nun an den Pfarrer. Aber ehe der Geistliche gehorchen konnte, dröhnte vom gleichen Orte herüber das gleiche Verbot: »Haltet inne!« Die weiblichen Gäste flohen kreischend aus der Kapelle. Die Männer legten die Hand an den Degen. Noch ehe der Schrecken sich gelegt hatte, trat hinter dem Grabdenkmal hervor der Klausnerzwerg und stellte sich vor Sir Vere. Solch seltsame, grausige Erscheinung unter solchen Umständen an solchem Orte übte auf alle Anwesenden ein furchtbares Entsetzen, den Gutsherrn von Ellieslaw aber schien sie zu vernichten: er ließ seinem Kinde den Arm frei und wankte zum nächsten Pfeiler hinüber, den er als Halt und Stütze mit den Armen umschlang, an dessen Steine er die Stirn legte. »Was ist das für eine Scheuche?« rief wild Sir Frederick – »und was hat seine zudringliche Gegenwart hier zu sagen?« »Jemand ist es, der dir zu sagen kommt,« versetzte der Zwerg mit aller ihm eigentümlichen Herbigkeit, »daß du, falls du dich dieser Dame hier vermählst, dich weder vermählst mit der Erbin von Ellieslaw, noch mit der Erbin von Mauleyhall und Polverton, noch daß du durch solche Heirat eine Furche Landes gewinnen wirst, sofern die Vermählung nicht stattfindet mit meiner Einwilligung: und meine Einwilligung wirst du nimmer erhalten, unter keinen Umständen erhalten, gleichviel wie sich dieselben auch jemals fügen sollten! Nieder auf die Kniee! Und sei dem Himmel dankbar dafür, daß du verhindert wurdest, dich einem Wesen zu vermählen, mit dessen edlem Wesen, mit dessen Tugend und Unschuld du nichts zu schaffen hast! ... Und du, elendes, undankbares Subjekt!« wandte der Zwerg sich nun an den Laird, »was bringst du nun als Ausflucht vor? Die Tochter wolltest du verschachern, weil du dir eine Gefahr vom Halse schaffen mußt? verschachern wolltest du sie, wie du sie umgebracht hättest, verschlungen hättest aus Hunger, um dir das eigne Jammerleben zu erhalten! – Ha! verbirg dein Gesicht hinter deinen Händen! Freilich, freilich! Grund zum Erröten hast du, in reichem Maße, wenn du demjenigen in die Augen siehst, dessen Leib du einst in Ketten schlugst, dessen Hand du der Blutschuld, dessen Seele du der Hölle überliefertest! Noch einmal ist dir Rettung geworden durch die Tugend jenes einzigen Wesens, das dich Vater ruft. Heb dich hinweg! und mögen dir die Wohltaten, die du durch mich geerntet, die Verzeihung, die ich dir spendete, zu feurigen Kohlen werden, bis dein Gehirn versengt ist gleich dem meinigen!« Von Verzweiflung übermannt, wankte Laird Ellieslaw lautlos aus der Kapelle. »Geht ihm nach, Hubert Ratcliffe!« sprach der Zwerg, »und gebt ihm bekannt, was ihm das Schicksal hinfort bestimmt! Zu seiner Freude, denn ihm gilt es als Glück, die Luft zu atmen und Gold zwischen den Fingern zu fühlen.« »Mir ist das Ganze ein Buch mit sieben Siegeln,« rief Sir Frederick Langley; »wir stehen hier, eine Schar von Edelleuten, in Waffen für König Jakob und dessen Gewalt! Seid Ihr in der Tat jener Sir Edward Mauley, der so lange schon als verstorben im Irrenhause galt? Oder seid Ihr ein Betrüger, der Sir Edward Mauleys Namen und Titel sich aneignet? Um das festzustellen, nehme ich Euch in Haft, und in meiner Haft sollt Ihr bleiben, bis Ihr über Eure Erscheinung an solchem Ort und zu solcher Stunde bessere Rechenschaft gegeben habt! Wir wollen keinen Spion in unsrer Mitte. Ergreift ihn, Diener!« Diese aber fuhren, von Zweifel und Bange ergriffen, zurück. Da schritt Sir Frederick selbst auf den Klausnerzwerg zu, um Hand auf ihn zu legen ... wurde aber durch die blitzende Spitze einer Partisane zum Halt genötigt, die durch die derbe Faust Hobbie Elliots gegen seine Brust geführt wurde, »Das Tageslicht soll Euch durch die Knochen scheinen, sofern Ihr einen Schritt weiter gegen ihn tut!« rief der kräftige Grenzer; »niemand soll einen Finger heben gegen Elshie, der ein kluger Mann und ein getreuer Nachbar ist und stets bereit, einem Freunde zu helfen. Und seht Ihr ihn auch an für einen Krüppel, so verlaßt Euch doch drauf, daß er Euch das Blut aus den Nägeln kratzt: einen Widder setze ich für mein Wort zum Pfande! Elshie preßt schärfer als Schrauben!« »Wer hat Euch hergerufen, Elliot, daß Ihr Euch mischt in die Händel von Edelleuten?« fragte jetzt Mareschal den Grenzer. »Fürwahr, Mareschal Wells!« antwortete hierauf Hobbie, »das zu sagen fällt leicht! mit zwanzig bis dreißig Leuten weile ich hier, und mehr im Namen der Herrscherin über englisches und schottisches Land und über Schotten und Engländer als aus eignem Willen, als um selbst erlittenes Unrecht zu sühnen, aber mit Wissen und Willen des klugen Elshie, der dem Lande den Frieden erhalten will. Ihr braucht die Hand nicht an den Degen zu legen, ihr Herren: denn das Schloß ist bereits unser ohne viel Lärm, zumal Tor und Türen offen und eure Mannen des Punsches voll waren und wir ihnen Degen und Pistolen nehmen konnten so leicht als gelte es Erbsen zu zählen.« Mareschal stürzte aus der Kapelle hinaus, kam aber im Nu wieder zurück. »Beim Himmel, Sir Frederick! was der Mann spricht, ist wahr! Das Haus wimmelt von Bewaffneten, und unser trunkenes Gesinde ist entwaffnet. Den Degen gezogen! Wir schlagen uns durch!« »Nicht zu flink!« rief Hobbie Elliot; »höret erst, was ich sagen will! Es liegt uns ferne, Euch ein Leid anzutun. Aber da Ihr für König Jakob, wie Ihr den Prätendenten nennt, und für die Bischöflichen in Waffen steht, hielten wir es für recht und geboten, die alte Fehde wachzurufen und für das andre Königshaus und unsre Kirche aufzustehen. Kein Haar soll Euch gekrümmt werden, sofern Ihr Euch ruhig nach Hause verfügt: was für Euch das beste ist was Ihr tun könnt, denn es ist sichere Kunde aus London da, daß Bang oder Byng, wie Ihr den Admiral nennt, die Schiffe Frankreichs mit dem neuen König von der Küste vertrieben hat. Also ist es schon, da Ihr einen andern Herrscher zur Stunde nicht haben könnt, am besten und klügsten, Ihr bescheidet Euch, gleich uns, mit unsrer alten Anna!« Ratcliffe trat ein und bestätigte diese für die Jakobiten so ungünstige Meldung. Sir Frederick verließ mit seinen Begleitern auf der Stelle das Schloß, ohne sich bei irgendwem zu verabschieden. »Und Ihr, Mareschal,« fragte Ratcliffe – »was gedenkt Ihr zu tun?« »Hm,« machte der junge Ritter mit lächelnder Miene, »dem Beispiel dieses edlen Bräutigams zu folgen, dazu ist mein Mut zu groß und mein Vermögen zu klein! Dergleichen ist nicht nach meiner Natur und lohnt nicht der Mühe.« »Wohlan! Dann zerstreut Eure Leute und verhaltet Euch ruhig! Man wird aus der Sache kein Aufhebens machen, da es ja zu offenem Aufruhr nicht gekommen ist.« »Alles Vergangene,« fügte Hobbie Elliot den Worten Ratcliffes bei, »soll vergessen sein! Seien wir die alten Freunde wieder! Ich hege gegen niemand Groll als gegen Westburnflat, der mir jüngst solch böse Morgensuppe, mit Vorwissen Ellieslaws, wie ich hier feststelle, einbrockte; dem ich aber das Fell schon heiß und kalt dafür gegerbt habe. Kaum drei Schläge hatte mein Pallasch mit dem seinigen gewechselt, als er durch das Fenster in den Schloßgraben sprang und sich hindurcharbeitete wie eine wilde Ente. Ein geschickter Patron, das muß man sagen! brennt durch am Morgen mit einem hübschen Mädchen und in der Nacht drauf mit einem andern! Brennt er aber nicht noch selber durch und schüttelt Englands Staub von den Füßen, so lasse ich ihn noch am Stricke tanzen: denn mit der Zusammenkunft in Castleton, die er mit solcher Schlauheit in Vorschlag brachte, ist es aus, da seine Freunde ihm nicht mehr Beistand hierzu leihen wollen.« Während der Verwirrung, die durch Hobbie Elliots Erscheinen entstand, hatte sich Isabel dem Klausnerzwerg, den wir hinfort mit dem ihm gebührenden Namen Sir Edward Mauley nennen müssen, zu Füßen geworfen, um ihm ihren Dank zu stammeln und Vergebung für ihren Vater zu erflehen. Als es ruhiger in der Kapelle wurde, begannen aller Augen sich auf sie zu richten, die am Grabe der Mutter kniete und mit der bildlichen Darstellung von Gestalt und Gesichtszügen der Mutter so außerordentliche Ähnlichkeit aufwies und dem Klausnerzwerg, Sir Mauley, die Hand mit Küssen und Tränen bedeckte. Starr und mit Tränen unter den dichten Wimpern, die er vergeblich durch die vorgehaltne Hand zu verbergen suchte, stand Sir Mauley vor ihr, die Blicke bald auf sie, bald auf die marmorne Figur auf dem Denkstein gerichtet. »Tränen, meinte ich, hätten seit langem nichts mehr gemein mit mir,« sprach er, »aber wir vergießen sie bei unsrer Geburt, und ihre Quelle versiegt erst, wenn wir im Grabe liegen. Kein Schmerz aber soll mich wankend in meinem Entschlusse machen! hier trenne ich mich zugleich und auf immer von allem, dessen Erinnerung« – er kniete auf das Grabmal – »mir wert und teuer war, und dessen Nähe« – er umschloß Isabels Hand – »mir lieb und wert ist und lieb und wert bleibt! Sprecht nicht mit mir und laßt alle Versuche sein, mich umzustimmen: sie würden zu nichts helfen, denn Ihr sollt nicht länger mehr etwas hören oder sehen von diesem häßlichen Monstrum! Tot will ich sein für Euch alle, bevor ich in das Grab steige, aber als eines Freundes, der befreit ist von allem Verbrechen und allem Leiden des irdischen Daseins, sollt Ihr meiner gedenken!« Er küßte Isabel auf die Stirn, kniete neben der steinernen Figur nieder und drückte ihr einen andern Kuß auf die Stirn. Dann verließ er, von Ratcliffe begleitet, die Kapelle. Achtzehntes Kapitel Am andern Morgen wurde es in dem Schlosse, in welchem nachts über der wackre Grenzer Elliot mit seinen Mannen die Wacht gehalten hatte, beizeiten lebendig; Westburnflat, der mit dem Schleichhändler von Newcastle aus dem Schlosse gewichen war, sobald Elshie sich gezeigt hatte, trotze, so hieß es, in seinem Turme der ganzen Sippe, die den Namen Elliot führe, und lasse sie fordern zum Kampfe. Nach Heugh-foot, wo sich schon eine beträchtliche Schar von Verwandten und Freunden Hobbies zusammengefunden, brach dieser jetzt auf. Aber der Turm war leer, als sie kamen, und Westburnflat selber schon unterwegs nach Frankreich, wo er vor Hobbies Grimm sicherer war, sich bei Marlboroughs Heer anwerben ließ und um seiner Verdienste willen für geschickte und rasche Verproviantierung der Söldner durch allerhand Raubzüge zum Leutnant befördert wurde, auf diesen Raubzügen auch Geld und Gut für sich zusammenbrachte, nach England zurückkam, den alten Turm von Westburnflat niederreißen ließ und an seiner Stelle ein drei Stock hohes schmales Wohnhaus errichtete, in welchem er, wie noch heute auf seinem Grabstein in Kirkwhistle zu lesen steht, nach mancherlei Fehde mit seinen Nachbarn und reichlichem Bier- und Schnapsgenuß im Besitz der Eigenschaften eines tüchtigen Soldaten und ehrlichen Christen eines natürlichen Todes gestorben ist. Miß Isabel Vere empfing am Morgen nach der schreckensvollen Nacht den Besuch Sir Ratcliffes, der ihr ein Schreiben ihres Vaters brachte, in welchem derselbe ihr mitteilte, daß er es, um des eignen und auch ihres Friedens willen, für geraten erachtet habe, England mit Frankreich zu vertauschen, daß er sich von ihrer Seite des besten Einsehens und aller Nachsicht betreffs seines Verhaltens in den letzten Wochen ihres Zusammenlebens versichert halte, daß er ihr Schloß und Gut Ellieslaw als unveräußerliches Besitztum verschreibe mit der Verpflichtung, sich über alle Hypotheken, die Sir Hubert Ratcliffe auf Schloß und Gut geliehen habe, im gütlichen Wege zu verständigen, schließlich daß er, da sie auf solche Weise in den Genuß bedeutender Einkünfte noch zu seinen Lebzeiten gelange, von ihr dasjenige ausgesetzt zu erhalten hoffe, was ihm selber im Alter zur Lebensführung vonnöten sei, und deshalb auf ein Angebot Sir Edward Mauleys, ihm einen beträchtlichen Jahresgehalt für die Dauer seines Aufenthalts im Auslande auszusetzen, mit dem Stolz verzichtet habe, der ihm einem Manne gegenüber, zu dem ihn das Schicksal in viele trübe Verhältnisse gesetzt habe, ohne daß aber andere als ihn selber irgendwelche Schuld dabei träfe, als Selbstpflicht erscheine. »Und Sir Mauley?« fragte Isabel, als sie den Brief des Vaters gelesen und von Sir Ratcliffe vernommen hatte, daß dieser schon auf dem Wege nach dem Hafen sei, um sich nach Frankreich einzuschiffen. Den Klausnerzwerg hatte niemand mehr im Schlosse gesehen. »Ich glaube, wir haben den weisen Elshie auf ewig verloren,« sprach Hobbie, als er am Spätnachmittag von seiner Streife zurückkehrte, die ihn bei der Steinhütte vorbeigeführt hatte – »die Tür seiner Hütte stand offen, das Feuer war erloschen, die Ziege kam mir blökend entgegen, denn die Zeit, da er sie zu melken pflegt, war lange vorbei. Von ihm selber keine Spur! nicht die geringste!« »Es ist, wie Ihr vermutet, Hobbie Elliot,« sagte Ratcliffe, ihm eine Urkunde überreichend; »Sir Mauley weilt nicht mehr dort. Leset das Schriftstück: Ihr werdet aus dem Inhalt sehen, daß Ihr durch Eure Bekanntschaft mit ihm nichts eingebüßt habt.« Das Schriftstück war eine Schenkungsurkunde, in welcher Sir Edward Mauley, früher bekannt unter dem Namen Elshender der Klausner, Halbert oder Hobbie Elliot und seiner Frau Grace, gebornen Armstrong, die volle Summe als Geschenk überwies, die er ihm zum Wiederaufbau von Haus und Hof als Darlehn ausgefolgt hatte. In Hobbies Freude mischten sich Tränen, die ihm in dicken Tropfen über die rauhen Wangen rollten. »Seltsam,« sprach er, »so recht aus Herzensgrund kann ich mich nicht freuen, so lange ich den edlen Mann, der mich so reich machte, nicht gleichfalls glücklich weiß.« »Das Bewußtsein, andre glücklich gemacht zu haben,« versetzte Ratcliffe, »kommt eignem Glück am nächsten. Wer Wohltaten spendet ohne rechtes Urteil, übt niemals Gutes und wird niemals Dank finden, denn er säet Wind, um Sturm zu ernten.« »Das wäre schlimme Ernte,« erwiderte Hobbie, »aber mit Veres gütigem Verlaub möchte ich gern Elshies Bienenstöcke mitnehmen und in dem Blumengarten meiner Frau aufstellen. Eingeräuchert sollen sie dort nie von uns werden. Auch die arme Ziege würde verkommen, wenn sie allein in der Hütte bliebe. Bei uns soll sie ihr Futter haben, und Grace mag sie täglich melken. Um Elshies willen stelle ich diese Bitte, denn er hatte die stummen Geschöpfe, wenn er auch mürrisch war, ja immer gern.« Was der wackre Grenzer bat, wurde ihm gern gewährt, nicht ohne Verwunderung über die Feinfühligkeit seines Temperaments, die sich auf solche Weise an ihm offenbarte. Hobbie Elliot lebte hinfort so glücklich in Heugh-foot, wie er's durch seine Ehrlichkeit und Zärtlichkeit und auch durch seine Tapferkeit verdiente. Zwischen Isabel und Earnscliff waren nun alle Hindernisse beseitigt, und die Höhe der Einkünfte, die dem jungen Paar im Auftrag Sir Edward Mauleys durch Ratcliffe überwiesen wurden, hätte sogar die Habgier des alten Laird Ellieslaw zu stillen vermocht. Seine Gattin aber ebenso wie Sir Ratcliffe erachteten es für unangebracht, Earnscliff darüber aufzuklären, daß ein wichtiger Beweggrund bei der Verfügung über sein Vermögen zugunsten von ihm und seiner Frau die Rücksicht auf die blutige Tat war, durch die Earnscliffs Vater vor Jahren sein Leben eingebüßt hatte. Jahre zogen hin über dem jungen Paare, aber eines derselben war immer glücklicher als das andere, und eine fröhliche Schar von Nachkommen freute ihr Alter. Mareschal jagte so lange und führte Zweikämpfe so lange, bis er des einen wie des andern überdrüssig war und Miß Lucy Ilderton heimführte, die ihm gar bald Zügel anlegte. Sir Frederick Langley verwickelte sich in den unglücklichen Aufstand von 1715 und fand in dem Treffen bei Preston ein unrühmliches Ende, während Sir Ratcliffe ein hohes Alter erreichte und auf dem Schlosse von Ellieslaw, wo er seinen Wohnsitz behalten hatte, starb. Jahrelang war er, ohne je zu verraten wo, im Frühjahr regelmäßig vier Wochen abwesend gewesen. Aber jedermann wußte, daß er diese Zeit bei seinem Freunde und Schützer verbrachte, dem unglücklichen Sir Edward. Dann war ein Tag gekommen, an welchem er in Trauerkleidern und mit Trauer im Herzen heimkehrte: Er hatte den edlen Menschenfeind zur Ruhe gebettet, der heute noch in der Gegend des Mucklestane-Moors weiter in freundlicher Erinnerung lebt als der schwarze Zwerg. Robin der Rote   –  der Bandenführer der Hochlande Aus dem Tagebuche eines Kaufherrnsohns. Roman in zwei Bänden Übersetzt von Erich Walter Rob Roy Edinburgh 1817 Erster Band Erstes Kapitel Meines Vaters kannst Du Dich gewiß noch gut erinnern; denn da der Deine Mitinhaber des Handelshauses war, so kanntest Du ihn von Jugend auf. Allein in seinen besten Tagen, ehe Alter und Gebrechlichkeit seinen feurigen Unternehmungsgeist gedämpft hatten, hast Du ihn wohl nicht gesehen. Gewiß würde er ein ärmerer Mann, aber vielleicht ebenso glücklich gewesen sein, wenn er jene kräftige Wirksamkeit und scharfe Beobachtungsgabe, die er in Handelsunternehmungen betätigte, der Wissenschaft gewidmet hätte. Ganz abgesehen aber von der Aussicht auf Gewinn, liegt in dem Unbestand kaufmännischer Spekulation etwas Fesselndes, ja Bezauberndes für den, der das Risiko hat. Wer sich auf diesem schwankenden Meere einschifft, muß die Geschicklichkeit des Steuermanns und den Mut des Schiffers besitzen, und kann dennoch scheitern und untergehen, wenn die Winde des Glücks ihm nicht günstig wehen. Diese Mischung notwendiger Aufmerksamkeit und unvermeidlicher Gefahr, die häufige und furchtbare Ungewißheit, ob die Klugheit über das Glück siegen, oder das Glück die Entwürfe der Klugheit zerstören werde, gibt dem Verstand und dem Gefühle volle Betätigung, und der Handel hat allen Zauber des Spiels, ohne dessen sittliche Verderbnis. Früh im achtzehnten Jahrhundert, als ich einige zwanzig Jahre alt war, erhielt ich plötzlich den Befehl, Bourdeaux zu verlassen und wegen eines wichtigen Geschäfts zu meinem Vater zurückzukehren. Nie werde ich unsre erste Zusammenkunft vergessen. Du erinnerst Dich der kurzen abgebrochnen, etwas strengen Weise, womit er seinen Willen denen, die ihn umgaben, kundzugeben pflegte. Mir ist es, als sähe ich ihn noch jetzt vor mir: die kräftige, aufgerichtete Gestalt, der Schritt schnell und bestimmt, das Auge scharf, durchdringend, die Züge schon von Sorgen gefurcht, – mir ist, als hörte ich ihn noch sprechen; nie sagte er ein überflüssiges Wort, und manchmal klang seine Stimme hart, ohne daß ers wollte. Sobald ich vom Pferde gestiegen war, eilte ich in meines Vaters Zimmer. Er ging auf und ab mit dem Ausdruck gefaßter und ruhiger Erwägung, aus der ihn selbst meine Ankunft, obwohl ich der einzige Sohn war und vier Jahre in fernem Lande geweilt hatte, nicht herausbrachte. Ich warf mich ihm in die Arme. Er war ein guter Vater, doch war ihm jede äußere Zärtlichkeit fremd, und nur für einen Augenblick glänzte eine Träne in seinem dunklen Auge. »Dubourg schreibt mir, er sei mit Dir zufrieden, Franz.« »Das ist mir lieb, Vater.« »Aber ich habe weniger Ursache, es zu sein,« fügte er hinzu, und setzte sich an seinen Schreibtisch. »Das tut mir leid, Vater.« »Lieb und leid, Franz, sind Worte, die in den meisten Fällen wenig oder nichts besagen. Hier ist Dein letzter Brief.« Er nahm ihn aus einem Pack heraus, das mit einem roten Zwirnband zusammen gebunden und genau bezeichnet war. Da lag mein armer Brief, den ich über einen mir sehr am Herzen liegenden Gegenstand und in Worten geschrieben hatte, die nach meiner Meinung Teilnahme, wenn nicht Ueberzeugung erwecken mußten; da lag er, sage ich, zwischen die Briefe über vermischte Geschäfte der täglichen Angelegenheiten meines Vaters gezwängt. Ich muß noch innerlich lächeln, wenn ich mich erinnere, mit welcher Mischung von gekränkter Eitelkeit und verletztem Gefühl ich mein Schreiben, das ich nicht ohne einige Mühe verfaßt hatte, aus jenen Berichterstattungen, Kreditbriefen und allen dem gewöhnlichen Plunder, wofür ich es damals hielt, eines kaufmännischen Briefwechsels hervorziehen sah. Gewiß, dachte ich, ein so wichtiger – ich wagte nicht, auch gegen mich selbst hinzuzusetzen: ein so gut geschriebner – Brief verdiente einen besondern Platz und eine genaue Erwägung, als diese gewöhnlichen Geschäftsberichte. Mein Vater bemerkte jedoch mein Mißvergnügen nicht, und würde nicht darauf geachtet haben, wenn er es bemerkt hätte. Den Brief in der Hand, fuhr er fort: »Da ist Dein Brief vom 22. verflossnen Monats, Franz, worin Du mir schreibst (und nun las er aus dem Briefe): daß bei dem wichtigsten Geschäft, einen Lebensberuf zu ergreifen, Du die Hoffnung hegst, meine väterliche Güte werde Dir wenigstens eine verneinende Stimme verstatten, daß Du unüberwindliche – ja, unüberwindliche ist das Wort – ich wünsche nebenbei, Du möchtest Dich einer klareren, flottern, leichtern Hand befleißigen – mache beim t oben immer einen Strich durch und beim l laß die Schleife hübsch offen – also unüberwindliche Einwendung gegen die Anordnungen hast, die ich Dir vorgeschlagen habe. Und so geht es fort in der gleichen Tonart über vier Seiten hin, und wenn Du Dich nur ein wenig klarerer und bestimmterer Ausdrucksweise befleißigt hättest, so hättest Du mit ebenso viel Zeilen fertig werden können. Denn alles, Franz, läuft darauf hinaus, daß Du nicht tun willst, was ich haben will.« »Daß ichs nicht kann; nicht, daß ichs nicht will.« »Worte gelten wenig bei mir, junger Mann,« sprach mein Vater, dessen Unbiegsamkeit immer den Ausdruck der größten Ruhe und Selbstbetrachtung besah. »Kann nicht, mag höflicher klingen als will nicht, aber die Ausdrücke sind gleichbedeutend, wo keine moralische Unmöglichkeit vorliegt. Doch ich liebe es nicht, Geschäfte übereilt abzumachen; wir wollen nach Tische über die Sache sprechen. Owen!« Owen erschien. Nicht mit den Silberlocken, die Du zu verehren gewohnt warst, denn er war damals wenig über Fünfzig; aber er trug denselben, oder einen genau ähnlichen hellbraunen Rock, eben die perlgrauen seidnen Strümpfe, dieselbe Halsbinde mit der silbernen Schnalle, dieselben seinen, gefütterten Manschetten, die im Besuchszimmer über seine Hände gezogen, doch in der Schreibstube sorgsam unter den Aermel zurückgeschlagen waren, damit keine Tintenkleckse darauf kämen; – mit einem Worte, es waren dieselben ernsten, förmlichen, aber wohlwollenden Züge, welche den ersten Buchhalter des großen Handelshauses Osbaldistone und Tresham bis an sein Ende bezeichneten. »Owen,« sprach mein Vater, als der gütige Alte herzlich meine Hand schüttelte. »Ihr müßt heute mit uns essen und die Neuigkeiten hören, die uns Franz von unsern Freunden in Bourdeaux mitgebracht hat.« Lange werde ich mich dieser Mittagsmahlzeit erinnern. Tief bewegt von Gefühlen der Besorgnis, nicht ohne Beimischung von Unmut, war ich unfähig, jenen lebhaften Anteil an der Unterhaltung zu nehmen, den mein Vater von mir zu erwarten schien, und gab oft auf die Fragen, die er an mich richtete, unbefriedigende Antworten. Zwischen der Ehrerbietung gegen seinen Handelsherrn und der Liebe zu dem Jüngling schwankend, den er auf seinem Knie geschaukelt, bemühte sich Owen, gleich dem furchtsamen, aber besorgten Bundesgenossen eines angegriffenen Volkes, bei jedem Versehen, das ich machte, zu erklären, wie ich es meinte, und meinen Rückzug zu decken, ein Verfahren, das meines Vaters Mißvergnügen vermehrte und mir nicht viel half. Während meines Aufenthalts in Dubourgs Hause hatte ich mich nur soviel im Kontor beschäftigt, als ich es für notwendig hielt, um den Franzosen, einen alten Freund unsers Hauses, der mich in die Geheimnisse des Handels einweihen sollte, zu einem vorteilhaften Bericht zu bewegen. In der Tat war meine Aufmerksamkeit vorzüglich auf Kenntnis der Literatur und körperliche Fertigkeiten gerichtet gewesen. Mein Vater mißbilligte nicht gänzlich dergleichen Bestrebungen. Allein sein vorzüglicher Ehrgeiz war, mir nicht bloß sein Vermögen, sondern auch die Absichten und Entwürfe zu hinterlassen, wodurch das reiche Erbteil, welches er mir bestimmte, vermehrt und für die Zukunft erhalten werden konnte. Neigung zu feiner Lebensart war der Beweggrund, den er vornehmlich geltend zu machen suchte, als er in mich drang, denselben Weg einzuschlagen; allein er hatte noch andre Gründe, die ich erst später kennen lernte. Ebenso ungestüm in seinen Entwürfen, als geschickt und unternehmend, fand er im glücklichen Erfolg jedes neuen Vorhabens zugleich den Anreiz und die Mittel zu ferneren Anschlägen. Gewohnt, sein ganzes Vermögen in der Schale des Zufalls schwanken zu sehen, und erfahren in Mitteln, die Wage zu seinem Vorteile zu lenken, schien sich mit den Gefahren, denen er sein Vermögen aussetzte, Gesundheit, Mut und Tätigkeit bei ihm zu vermehren, und er glich dem Seemann, der den Wogen und dem Feinde zu trotzen gewohnt ist, und dessen Zuversicht bei Annäherung des Sturmes oder der Schlacht sich erhöht. Dennoch war er nicht uneingedenk der Veränderungen, welche zunehmendes Alter oder Krankheit in seinem Wesen hervorbringen konnten, und er sorgte daher, sich beizeiten einen Gehilfen zu sichern, der das Steuerruder seiner ermüdenden Hand abnehmen und des Schiffes Lauf nach seinem Rat und seiner Vorschrift leiten könnte. Väterliche Zuneigung sowohl als die Förderung seiner Pläne, führten ihn zu demselben Entschlüsse. Wenn mein Vater plötzlich starb, was sollte aus der Welt von Entwürfen werden, die er gemacht hatte, wenn sein Sohn nicht zu einem kaufmännischen Herkules gebildet wurde, der die Last, welche der sinkende Atlas fallen ließ, aufnehmen konnte? Und was sollte aus diesem Sohne selbst werden, wenn er sich, fremd den Geschäften, auf einmal in das Labyrinth kaufmännischer Angelegenheiten verwickelt fand, ohne den Faden nötiger Kenntnis zu dessen Entwirrung? Aus allen diesen geheimen und anerkannten Gründen hatte mein Vater beschlossen, daß ich seinen Stand ergreifen sollte, und wenn er bestimmt war, konnte niemand unbeweglicher sein als er. Ich mußte indes auch gefragt werden, und mit einer Hartnäckigkeit, die seiner eignen wenig nachgab, hatte ich gerade einen entgegengesetzten Entschluß gefaßt. Ich hielt mich eines großen Vermögens für die Zukunft, und bis dahin eines reichlichen Auskommens versichert, und es fiel mir nie ein, daß es zur Sicherung dieses Glückes nötig sein könnte, mich Arbeiten und Beschäftigungen zu unterwerfen, die meinem Geschmack und meiner Neigung nicht entsprachen. Ich sah in meines Vaters Vorschlag, ins Geschäft zu treten, nur den Wunsch, daß ich die Reichtümer noch vermehren möchte, die er selbst erwarb, und da ich über den Weg zu meinem Glück am besten urteilen zu können glaubte, so begriff ich nicht, wie ich dasselbe zur Vermehrung eines Reichtums erhöhen könne, den ich bereits für hinreichend und mehr als hinreichend hielt, mir ein angenehmes Leben zu verschaffen. Diesem gemäß, ich muß es wiederholen, war meine Zeit in Bourdeaux nicht so angewendet worden, wie es meines Vaters Wille war. Dubourg, der mit unserm Hause in vorteilhaften Verbindungen stand, war ein zu schlauer Mann, als daß er dem Vornehmsten der Firma von dessen einzigem Sohne hätte Nachrichten geben sollen, die beiden mißfällig gewesen sein würden. Mein Betragen war anständig und gleichmäßig, und insofern hätte er keine schlimmen Nachrichten erteilen können, wenn er dazu geneigt gewesen wäre; allein der schlaue Franzose würde vielleicht ebenso nachsichtig gewesen sein, wenn ich mir Aergeres hätte zu schulden kommen lassen, als Trägheit und Abneigung gegen kaufmännische Geschäfte. Da ich einen geziemenden Teil meiner Zeit den Handelsstudien widmete, die er empfahl, mißgönnte er mir keineswegs die Stunden, die ich mit andern und klassischern Beschäftigungen zubrachte. Da nun Herr Osbaldistone sehr wohl wußte, was ich nach seinem Wunsche sein sollte, so glaubte er nach Dubourgs Berichten mit Bestimmtheit annehmen zu können, ich sei, wie er mich wünsche, bis er in einer bösen Stunde meinen Brief erhielt, worin ich mit beredten und weitläufigen Entschuldigungen einen Platz in der Firma, und Pult und Stuhl in der düstern Schreibstube in Cranne-Alley, ablehnte. Von diesem Augenblick an war alles nicht recht. Dubourgs Nachrichten erschienen ihm verdächtig, und ich wurde schnell nach Hause gerufen und in der schon geschilderten Weise empfangen. Zweites Kapitel Mein Vater verfügte über eine große Selbstbeherrschung, und sein Unmut zeigte sich selten in Worten, außer in einer gewissen trocknen, mürrischen Weise gegen die, welche ihm mißfallen hatten. Nie gebrauchte er Drohungen oder Ausdrücke lauter Empfindlichkeit. Alles ging bei ihm nach Regeln, und es war seine Gewohnheit, bei jeder Gelegenheit das Nötige zu tun, ohne Worte deshalb zu verschwenden. Mit bitterm Lächeln hörte er daher meine mangelhaften Antworten über den Zustand des französischen Handels an und ließ mich unbarmherzig immer tiefer in die Geheimnisse des Agio, des Tarifs, der Tara und des Diskonts mich verwickeln; auch ist mir nicht erinnerlich, daß er je seinen Unwillen offen an den Tag gelegt hätte, als bis er entdeckte, daß ich nicht im stande war, genau den Einfluß zu erklären, den die Herabsetzung des französischen Geldes auf den Wechselkurs gehabt hatte. »Das merkwürdigste Nationalereignis der Zeit,« sprach mein Vater, der doch die Revolution [Durch die Wilhelm III., Erbstatthalter von Holland, den englischen Thron erhielt (1689).] erlebt hatte, »und er weiß nicht mehr davon wie ein Standwächter!« »Herr Franz,« wandte Owen, schüchtern und vermittelnd, ein, »kann nicht vergessen haben, daß nach einem Befehle des Königs von Frankreich, vom 1. Mai 1700, der Inhaber eines Wechsels diesen binnen zehn Tagen muß –« »Herr Franz,« unterbrach ihn mein Vater, »wird sich für den Augenblick alles erinnern, was Ihr so gut seid, ihm anzudeuten. Wie konnte Dubourg es ihm gestatten! Hört, Owen, was für ein Jüngling ist Clemens Dubourg, sein Neffe, in der Schreibstube, der schwarzhaarige Bursche?« »Einer der geschicktesten Kontoristen; ein für seine Jahre sehr tüchtiger junger Mann,« antwortete Owen, dessen Herz der junge Franzose durch seinen Frohsinn und seine Höflichkeit gewonnen hatte. »Ja, ja, der wird vermutlich etwas von der Wechselbank wissen. Dubourg wollte, daß ich wenigstens einen jüngern bei der Hand hätte, der das Geschäft versteht; allein ich sehe seine Absicht. Owen, laßt dem Clemens am nächsten Zahltag seinen Gehalt auszahlen und laßt ihn zurück nach Bordeaux reisen in seines Vaters Schiffe, das eben ausladet.« »Clemens Dubourg entlassen, Herr?« fragte Owen mit zitternder Stimme. »Ja, Herr, ihn sogleich entlassen; es ist genug, einen ungeschickten Engländer in der Schreibstube zu haben, der Schnitzer machen kann; es bedarf keines schlauen Franzosen, um Vorteil daraus zu ziehen.« Ich hatte lange genug im Gebiete des Großen Monarchen [Ludwig des Vierzehnten] gelebt, um einen herzlichen Abscheu gegen alle willkürliche Gewalt zu empfinden, auch wenn er mir nicht von Jugend auf wäre eingeflößt worden. »Um Vergebung, mein Vater,« sprach ich, als er ausgeredet hatte, »aber ich halte es nur für gerecht, die Strafe selbst zu leiden, wenn ich nachlässig im Lernen gewesen bin. Ich kann Herrn Dubourg nicht beschuldigen, mir keine Gelegenheit zur Vermehrung meiner Kenntnisse gegeben zu haben, wie wenig ich sie auch benutzt haben mag. Was Clemens Dubourg betrifft –« »Was ihn und was Dich betrifft, so werde ich die Maßregeln ergreifen, die ich für nötig halte,« erwiderte mein Vater. »Aber es ist wacker von Dir, Franz, daß Du Deinen Fehler auf Deine eignen Schultern nimmst – sehr wacker, das ist nicht zu leugnen. Ich muß es dem alten Dubourg zur Last legen,« fuhr er gegen Owen fort, »meinem Sohne bloß die Mittel zu nützlichen Kenntnissen verschafft zu haben, ohne darauf zu sehen, daß er Vorteil davon zog, ohne es mir zu berichten, wenn es nicht geschah. Ihr seht, Owen, er hat die natürlichen Begriffe von Gerechtigkeit, die einem englischen Kaufmann geziemen. Aber alles dies will nichts sagen, Franz. Du hast Deine Zeit weggeworfen wie ein Knabe, und mußt in Zukunft leben lernen wie ein Mann. Ich werde Dich einige Monate unter Owens Aufsicht stellen, damit Du das Versäumte wieder einholen kannst.« Ich war im Begriff, zu antworten, allein Owen sah mich mit einer so flehenden und warnenden Gebärde an, daß ich unwillkürlich schwieg. »Wir wollen also,« fuhr mein Vater fort, »den Inhalt meines Briefes vom 1. verflossenen Monats wieder vornehmen, worauf Du mir eine unüberlegte und unbefriedigende Antwort gesendet hast. Doch jetzt schenke Dir ein und gib Owen die Flasche.« Mangel an Mut, an Kühnheit, wenn Du willst, war nie mein Fehler. Ich antwortete unverzagt, daß es mir leid sei, wenn mein Brief unbefriedigend war, unüberlegt sei er nicht gewesen; denn ich habe seinen gütigen Vorschlag mit sorgfältiger Aufmerksamkeit erwogen, und es mache mir nicht wenig Kummer, ihn ablehnen zu müssen. Mein Vater sah mich einen Augenblick scharf an und wandte den Blick sogleich wieder ab. Da er nicht antwortete, so glaubte ich, obwohl mit einiger Bangigkeit, fortfahren zu müssen, und er unterbrach mich nur durch einzelne Worte. »Unmöglich, mein Vater, kann ich gegen irgend einen Stand mehr Achtung hegen als gegen den Handelsstand, auch wenn es der Deine wäre.« – »Seh einer an!« – »Er verbindet ein Volk mit dem andern, befriedigt die Bedürfnisse, und trägt zum Wohlstand aller bei; er ist für das Ganze der gesitteten Welt das, was der tägliche Verkehr für das häusliche Leben, oder vielmehr was Luft und Nahrung für unsern Körper ist.« – »Wahrhaftig?« – »Und dennoch, Vater, bin ich seiner genötigt, mich zu weigern, einen Stand anzunehmen, für welchen ich so wenig geeignet bin.« – »Ich werde sorgen, Dir die nötigen Eigenschaften zu verschaffen. Du bist nicht länger Dubourgs Gast und Zögling.« – »Aber, lieber Vater, es ist nicht Mangel an Unterricht, was ich anführe, sondern meine Unfähigkeit, aus den Lehren Vorteil zu ziehen.« – »Unsinn! Hast Du ein Tagebuch gehalten, wie ichs verlangt habe?« – »Ja, mein Vater.« – »Sei so gut und hol es her.« Der verlangte Band war eine Art Notizbuch, worin ich nach meines Vaters Empfehlung allerlei Umstände, die in meiner Lehre vorgekommen waren, eingetragen hatte. Da ich voraus sah, daß er eine Durchsicht dieser Berichte vornehmen würde, war ich bedacht gewesen, solche Nachrichten aufzunehmen, die ihm wahrscheinlich gefallen mußten; aber nur zu oft hatte die Feder die Arbeit verrichtet, ohne den Kopf sehr zu Rate zu ziehen. Ich übergab es jetzt meinem Vater mit der frommen Hoffnung, er werde nichts darin finden, was sein Mißfallen an mir vermehren könnte. Owens Gesicht, das bei der Frage danach etwas bleich geworden war, erheiterte sich bei meiner bereitwilligen Antwort, und er lächelte wirklich aus Freude, als er meinen Vater einen Teil des Inhalts überlaufen und seine Bemerkungen dazwischen murmeln hörte. »Branntwein-Fäßchen und Eimer, auch Tonnen. Zu Nantes 29. Cognac und Rochelle 27. Bourdeaux 32. Ganz recht, Franz. Abgaben sind Zölle, sieh Saxbys Tabellen. Das ist nicht gut; Du hättest die Stelle abschreiben sollen, wodurch sichs dem Gedächtnis einprägt. Inländische und ausländische Berichte. – Kornverordnungen. – Leinwand. – Stockfisch. – Mittelfisch. – Klippfisch. Du hättest bemerken sollen, daß sie dennoch alle als Stockfisch in den Handel kommen. – Doch was haben wir hier? Bourdeaux gegründet im Jahre – Chateau Trompette – Palast des Galienus. Gut, gut, auch richtig! – Owen, dies ist eine Art von Allerleibuch, worin alle täglichen Vorfälle, Einkäufe, Ordres, Zahlungen, Quittungen, Aufträge, Anschläge und sonstige Nachrichten unter einander aufgenommen sind.« »Um regelmäßig in das Tagebuch und Schuldbuch eingetragen zu werden,« antwortete Owen. »Es freut mich, daß Herr Franz so methodisch ist.« Ich sah mich so schnell in Gunst kommen, daß ich anfing zu fürchten, mein Vater werde demzufolge hartnäckiger darauf bestehen, mich zum Kaufmann zu machen, und da ich zum Gegenteil entschlossen war, wünschte ich schon, nach Freund Owens Ausdruck, nicht so methodisch gewesen zu sein. Allein meine Besorgnis hierüber war ganz ohne Grund; denn ein beschriebnes Blatt fiel aus dem Buche, und mein Vater hob es auf und rief: »Dem Andenken Eduards, des schwarzen Prinzen! Was ist das? Verse? Beim Himmel, Franz, Du bist ein größerer Dummkopf, als ich geglaubt habe!« Mein Vater sah, als Geschäftsmann, mit Verachtung auf Dichterarbeiten herab und hielt sie nach seinen religiösen Grundsätzen und als Presbyterianer für nichtswürdig und ruchlos. Doch ehe Du ihn verdammst, mußt Du Dich erinnern, welchen Lebenswandel nur zu viele Dichter am Ende des siebzehnten Jahrhunderts geführt, und wie sie ihre Talente angewendet hatten. Auch die Sekte, zu der sich mein Vater bekannte, empfand oder äußerte vielleicht nur eine puritanische Abneigung gegen die leichtern Erzeugnisse der Literatur. So trug manches bei, die unangenehme Ueberraschung zu verstärken, welche die unzeitige Entdeckung jener unglücklichen Verse hervorbrachte. Ein Einbruch in die Kasse, eine ausgekratzte Stelle im Schuldbuch, oder ein Fehler im Zusammenziehen einer geschlossnen Rechnung, würde ihn kaum unangenehmer überrascht haben. Mein Vater las die Zeilen zuweilen mit einem angenommenen Ausdruck, als ob er den Sinn nicht verstehen könne, zuweilen mit spöttischem Heldenton, immer mit dem Nachdruck der bittersten Ironie, die den Verfasser aufs empfindlichste berührte. Er warf endlich das Papier mit einer Miene der höchsten Verachtung von sich und rief: »Auf mein Wort, Franz, Du bist ein größerer Dummkopf, als ich geglaubt hätte.« Was konnt ich sagen? Da stand ich, erfüllt mit Aerger und Unwillen, während mich mein Vater mit einem ruhigen, aber ernsten Blicke voll Verachtung und Mitleid ansah, und der arme Owen, mit emporgehobnen Händen und Augen, ein Bild des Entsetzens darbot. Endlich faßte ich Mut zu sprechen, und suchte, so wenig als möglich, durch den Ton meiner Stimme zu verraten, wie mir ums Herz war. »Ich weiß recht gut, mein Vater, daß ich nicht befähigt bin, die ansehnliche Rolle zu spielen, die Du mir im bürgerlichen Leben zuerteilt hast, und glücklicherweise trachte ich nicht nach dem Reichtum, den ich erwerben könnte. Herr Owen würde ein bessrer Beistand sein.« Ich sagte dies mit einiger Bosheit, weil ich glaubte, Owen habe meine Sache zu schnell aufgegeben. »Owen?« sprach mein Vater. »Der Junge ist verrückt, direkt von Sinnen. Und bitte, wenn ich mirs herausnehmen darf zu fragen, da Du mich so gelassen an Owen verwiesen hast, was sind denn nun Deine eignen weisen Pläne?« »Ich wünschte,« erwiderte ich, meinen Mut zusammennehmend, »einige Jahre zu reisen, wenn es Dir recht wäre; andernfalls würde ich gern auch die Zeit über in Oxford oder Cambridge studieren, wenn ich dafür auch schon ein wenig in den Jahren bin.« »Im Namen des gesunden Menschenverstandes, hat man je dergleichen gehört? Dich in die Schule zu versetzen unter Pedanten und Jakobiten, wenn Du Dein Glück in der Welt machen könntest? Warum nicht lieber nach Westminster oder Eton gehen und die Grammatik vornehmen?« »Wenn Du meinst, daß es zum Studium zu spät sei, so möchte ich Offizier werden, lieber als alles andre.« »Der Teufel auch!« erwiderte mein Vater schnell, und dann sich zurückhaltend, fuhr er fort: »Höre, Franz, ich will die Sache sehr kurz abmachen. Ich war in Deinem Alter, als mich mein Vater aus dem Hause wies und mein gesetzmäßiges Erbteil meinem jüngeren Bruder gab. Auf einem abgenutzten Jagdklepper, mit zehn Guineen in der Tasche, verließ ich das Schloß Osbaldistone. Seitdem kam ich nie wieder über dessen Schwelle, und ich werde sie nie mehr betreten. Ich weiß nicht und kümmere mich nicht darum, ob mein Bruder, der Fuchsjäger, noch lebt oder den Hals gebrochen hat; aber er hat Kinder, Franz, und eins von ihnen soll mein Sohn werden, wenn Du mir ferner in dieser Sache entgegen bist.« Wohl mehr im Tone verdroßner Gleichgültigkeit als schuldiger Achtung, antwortete ich: »Mit dem, was Dein ist, wirst Du freilich nach Belieben Verfahren können.« »Ja, Franz, was ich habe, ist das meinige, wenn Mühe im Erwerben und Sorgfalt im Vermehren ein Eigentumsrecht geben können, und keine Drohne soll sich von meinem Honigseim nähren. Bedenke es Wohl; was ich gesagt habe, ist nicht unerwogen, und was ich darauf beschließe, werd' ich ausführen.« »Verehrter Herr! – teurer Herr!« rief Owen, und die Tränen kamen ihm in die Augen. »Ihr seid nicht gewohnt, wichtige Geschäfte so eilig abzumachen. Laßt Herrn Franz die Bilanz ziehen, eh' Ihr die Rechnung schließt; gewiß liebt er Euch, und wenn er seinen kindlichen Gehorsam ins Haben schreibt, so werden gewiß seine Einwendungen verschwinden.« »Meint Ihr,« sprach mein Vater ernst, »ich werde ihn zweimal fragen, ob er mein Freund, mein Beistand und mein Vertrauter sein will? Ob er meine Sorgen und mein Vermögen mit mir teilen will? Owen, ich glaubte, Ihr hättet mich besser gekannt!« Er blickte mich an, als ob er noch etwas hinzusetzen wollte, wendete sich aber plötzlich ab und verließ schnell das Zimmer. Ich bekenne, diese Ansicht des Falles, die mir neu war, ging mir nahe, und wenn mein Vater die Verhandlung auf dieser Basis eröffnet hätte, so würde er wahrscheinlich wenig Ursache gehabt haben, sich über mich zu beklagen. Allein es war zu spät. Ich besaß zu viel von seiner eignen hartnäckigen Entschlossenheit, und der Himmel hatte bestimmt, daß ich in meiner Sünde meine Strafe finden sollte, obwohl nicht in dem Umfange, als mein Vergehen es verdient hatte. Als wir allein waren, richtete Owen die Augen auf mich, die von Zeit zu Zeit eine Träne beleuchtete, als ob er, ehe er das Amt eines Vermittlers übernahm, hätte entdecken wollen, an welcher Stelle meine Hartnäckigkeit anzugreifen sei. Endlich sprach er mit abgebrochnen, schwankenden Tönen: »O Gott, Herr Franz! – lieber Himmel! daß ich je diesen Tag erleben mußte! – Und ein so junger Herr! Ums Himmels willen, seht auf beide Seiten der Rechnung. Bedenkt, was Ihr aufs Spiel setzt – ein stattliches Vermögen – eines der besten Häuser in der Altstadt, Mitinhaber der alten Firma Tresham und Trent, jetzt Osbaldistone und Tresham. Ihr könnt Euch in Gold wälzen, Herr Franz! – Und, lieber, junger Herr Franz, ist irgend etwas in dem Geschäft des Hauses, was Euch nicht gefällt, ich will es (mit leiserer Stimme fortfahrend) für Euch in Ordnung bringen, vierteljährig, wöchentlich, täglich, wenn Ihr wollt. Bester Herr Franz, ehret Euern Vater, damit Ihr lange lebet im Lande!« »Ich bin Euch sehr verbunden, Herr Owen,« sprach ich – »gewiß recht sehr verbunden; allein mein Vater weiß am besten, wie er sein Geld anzuwenden hat. Er spricht von einem meiner Vettern – laßt ihm mit seinem Vermögen machen, was ihm gefällt, ich werde nie meine Freiheit für Gold verkaufen.« »Gold, Herr! Ich wollte, Ihr hättet die Bilanz des Gewinns beim letzten Abschlusse gesehen. Es waren fünf Ziffern, – fünf Ziffern für jedes Teilnehmers Hauptsumme. Und dies alles sollte an einen Papisten kommen, einen Tölpel aus einer nördlichen Provinz? Es wird mir das Herz brechen, Herr Franz, und ich habe mehr gearbeitet wie ein Hund als wie ein Mensch, und alles aus Liebe zur Firma.« In diesem Augenblick trat mein Vater wieder ins Zimmer. »Ihr hattet recht, Owen,« sprach er, »und ich, hatte unrecht. Wir wollen uns mehr Zeit nehmen, über die Sache nachzudenken. Junger Mann, Du magst Dich vorbereiten, mir über diesen wichtigen Gegenstand heut in vier Wochen eine Antwort zu geben.« Ich verbeugte mich schweigend, genugsam erfreut über einen Aufschub, der mir einige Milderung der väterlichen Entschließung anzudeuten schien. Die Zeit der Prüfung ging langsam, unbezeichnet durch irgend einen Vorfall, vorüber. Ich ging und kam und wendete meine Zeit an, wie mirs gefiel, ohne Frage oder Tadel von seiten meines Vaters. Wirklich sah ich ihn selten außer bei Tische, wo er sorgfältig eine Erörterung vermied, die ich, wie sich denken läßt, nicht herbeizuführen suchte. Wir sprachen über Tagesneuigkeiten oder andre allgemeine Gegenstände, wie Fremde sich unter einander besprechen, und niemand hätte daraus schließen können, daß eine Streitsache von solcher Wichtigkeit noch unentschieden zwischen uns sei. Dennoch verfolgte es mich wie ein Nachtgespenst. Sollte er wirklich sein Wort halten, und seinen einzigen Sohn zum Vorteil eines Neffen enterben wollen, von dessen Dasein er nicht einmal völlige Gewißheit hatte? Ich suchte mir einzureden, daß ich nur eine vorübergehende Erkaltung seiner Zuneigung zu befürchten hätte, vielleicht eine Verbannung aufs Land von wenigen Wochen, was ich sogar angenehm finden konnte, weil es mir Gelegenheit geben würde, eine unvollendete Übersetzung des Rasenden Roland wieder vorzunehmen, den ich in englischen Versen nachbilden wollte. Ich war schließlich auch von dieser Meinung so erfüllt, daß ich meine beschriebnen Blätter wieder zur Hand genommen und mich abermals in die Reimschwierigkeiten der Spenser-Stanze vertieft hatte, als ich ein leises, behutsames Klopfen an der Tür meines Zimmers vernahm. Herein! rief ich, und Owen trat ins Gemach. Die Bewegungen und Gewohnheiten dieses würdigen Mannes waren so geregelt, daß es aller Wahrscheinlichkeit nach das erste Mal war, wo er in den zweiten Stock des Hauses kam, so bekannt er auch im ersten war, und ich kann noch immer nicht begreifen, wie er mein Zimmer entdeckt haben mag. »Herr Franz,« sprach er, den Ausdruck meiner Freude und Überraschung unterbrechend, »ich weiß nicht, ob es wohlgetan ist, was ich sagen will – es ist nicht recht von dem zu sprechen, was in der Schreibstube vorgeht. Aber der junge Twineall ist über vierzehn Tage weg gewesen und erst seit zwei Tagen wieder hier.« – »Recht gut, lieber Herr Owen! und was bekümmert das uns?« – »Gemach, Herr Franz! Euer Vater gab ihm einen geheimen Auftrag. Geschäftssache kanns nicht gewesen sein, denn das hätte durch meine Bücher gehen müssen; kurz, ich glaube bestimmt, Twineall ist in Nord-England gewesen.« – »Meint Ihr das wirklich?« fragte ich etwas besorgt. – »Er sprach, seitdem er zurück ist, von nichts, als von seinen neuen Stiefeln, seinen Ripponer Sporen und einem Hahnengefechte in York – es ist so gewiß, wie das Einmaleins. Der Himmel segne Euch, lieber Sohn! ändert Eure Gesinnung und trachtet danach, Eurem Vater zu gefallen! seid ein Mann und ein Kaufmann zugleich.« Ich fühlte in diesem Augenblick mich stark versucht nachzugeben und Owen durch den Auftrag an meinen Vater zu beglücken, daß ich bereit sei, mich seiner Verfügung zu unterwerfen. Allein Stolz – Stolz, die Quelle von so manchem Guten und Bösen in unserm Lebenslauf, hielt mich ab. Das beipflichtende Wort saß mir in der Kehle fest, und indem ich hustete, es herauszubringen, rief meines Vaters Stimme: Owen! Schnell verließ er das Zimmer, und die Gelegenheit war verloren. Mein Vater verfuhr in allen Dingen methodisch. Um dieselbe Tageszeit, in demselben Zimmer, und mit derselben Art und Weise, als vier Wochen früher, wiederholte er den Vorschlag, mich ins Geschäft aufzunehmen und mir einen Platz in der Schreibstube anzuweisen, und verlangte meinen endlichen Entschluß. Ich fand zu jener Zeit etwas Unfreundliches hierin, und halte noch immer meines Vaters Betragen für unrecht. Nach aller Wahrscheinlichkeit würde eine vermittelnde Behandlung seinen Zweck erreicht haben. Unter diesen Umständen blieb ich fest und lehnte, so ehrerbietig wie möglich, seinen Vorschlag ab. Vielleicht – denn wer kann über sein eignes Herz urteilen – hielt ich es für unmännlich, dem ersten Aufrufe nachzugeben, und erwartete, daß, mein Vater mir gut zureden oder mir wenigstens einen Vorwand zu einer Aenderung meines Entschlusses geben würde. Mein Vater aber wendete sich kalt gegen Owen und sagte bloß: »Ihr seht, es ist, wie ich gesagt habe. – Gut, Franz, Du bist beinah mündig und im stande, zu urteilen, was Dein Glück machen kann. Daher kein Wort mehr davon. Weil ich aber ebenso wenig verbunden bin, in Deine Plane einzugehen, als Du genötigt bist, Dich den meinigen zu unterwerfen, so kann ich fragen, ob Du irgend etwas beschlossen hast, wobei Du auf meinen Beistand rechnest?« Nicht wenig beschämt antwortete ich: Da ich zu keinem Gewerbe erzogen sei und kein eignes Vermögen besäße, wäre es mir freilich unmöglich, ohne einige Unterstützung von meinem Vater zu bestehen; allein meine Wünsche wären sehr mäßig, und ich hoffte, meine Abneigung gegen den Stand, dem er mich bestimmt habe, werde ihn nicht veranlassen, mir gänzlich seinen väterlichen Schutz und Beistand zu entziehen. »Das heißt, Du möchtest Dich gern auf meinen Arm lehnen, und doch Deinen eignen Weg gehen? Dies kann schwerlich geschehen, Franz. Dennoch meine ich, Du wirst meinen Vorschriften gehorchen wollen, insofern sie nicht Deinen eignen Launen entgegen sind.« Ich wollte sprechen. »Schweig, bitte!« fuhr mein Vater fort. »Vorausgesetzt, daß dies der Fall ist, wirst Du sogleich nach Nord-England reisen, um Deinen Oheim zu besuchen und dessen Familie zu sehen. Ich habe unter seinen Söhnen – er hat deren sieben, glaub ich – einen erwählt, der, wie ich vernehme, am würdigsten ist, den Platz auszufüllen, den ich Dir in der Schreibstube zugedacht hatte. Aber es sind vielleicht noch einige Anordnungen erforderlich, und dazu ist Deine Anwesenheit vonnöten. Weitere Vorschriften wirst Du im Schloß Osbaldistone erhalten, wo Dirs gefallen wird, zu bleiben, bis Du von mir hörst. Morgen früh findest Du alles zu Deiner Abreise bereit.« Mit diesen Worten verließ mein Vater das Zimmer. »Was soll dies alles bedeuten, Herr Owen?« fragte ich meinen teilnehmenden Freund, dessen Gesicht die tiefste Niedergeschlagenheit ausdrückte. »Ihr habt Euch selbst zu grunde gerichtet, Herr Franz, das ist alles. Wenn Euer Vater so ruhig und bestimmt spricht, ist so wenig bei ihm zu ändern, wie in einer abgeschlossenen Rechnung.« Und so erwies es sich. Am nächsten Morgen um fünf Uhr befand ich mich auf einem ziemlich guten Pferde, mit fünfzig Guineen in der Tasche, auf der Straße nach York, um, wie es schien, einem andern den Weg zu ebnen in meines Vaters Haus und Gunst, und am Ende Wohl auch zu seinem Vermögen. Drittes Kapitel In Goy's Fabeln wird erzählt von einem unglücklichen Schiffer, der verwegen die Anker eines Fahrzeugs lichtete, das er nicht zu regieren weiß und es der vollen Flut eines schiffbaren Stromes überläßt. Kein Schulknabe, der zwischen Fröhlichkeit und Uebermut ein ähnliches Unternehmen versucht, kann sich verlegner fühlen als ich, da ich mich, ohne Kompaß auf dem Ozean des Lebens treibend erblickte. Die unerwartete Leichtigkeit, mit der mein Vater ein Band auflöste, das gewöhnlich als das stärkste der geselligen Verhältnisse gilt, und mich gleichsam als Verbannter aus seinem Hause gehen ließ, dämpfte merkwürdigerweise das Vertrauen in meine persönlichen Vorzüge, das mich bis dahin beseelt hatte. Als das Geräusch der Hauptstadt an meinem Ohr verhallte, rief mir der ferne Ton ihrer Glocken mehr als einmal ein warnendes: Kehre wieder! zu, und als ich von der Höhe auf ihre umnebelte Herrlichkeit hinab blickte, war es mir, als ob ich Freude und Ueberfluß, die Reize der Gesellschaft und alle Vergnügungen des gesitteten Lebens zurückließ. Allein der Würfel war gefallen. Es ließ sich nicht erwarten, daß eine späte und ungünstige Nachgiebigkeit gegen meines Vaters Wünsche mich wieder in die Lage setzen würde, die ich verloren hatte. Bestimmt und fest in Vorsätzen, wie mein Vater war, würde ihm im Gegenteil meine langsame und erzwungne Beipflichtung zu dem, was er wünschte, eher Mißfallen erregt als ihn versöhnt haben. Meine eigentümliche Hartnäckigkeit kam mir dabei zu Hilfe, und mein Stolz flüsterte mir zu, was für eine armselige Gestalt ich machen würde, wenn die frische Luft vier Meilen weit von London die Entschließungen verweht hätte, welche aus einer ernsten Erwägung von vier Wochen hervorgegangen waren. Einstweilen war ich nun aber mein eigner Herr, und empfand jenes Gefühl der Unabhängigkeit, welches die jugendliche Brust mit einem Gemisch von Freude und Befürchtung empfängt. Obgleich nicht reichlich versehen, konnte meine Börse doch alle Bedürfnisse und Wünsche eines Reisenden befriedigen. In Bourdeaux hatte ich mich daran gewöhnt, mich selbst zu bedienen. bald wies ich die traurigen Betrachtungen von mir, die im Anfang der Reise mich bedrängt hatten. Unter all denen, die mir während dieser Reise begegneten, machte mir eine armer Mensch, mit dem ich anderthalb Tage reiste, den meisten Spaß. Er hatte auf seinem Sattel ein sehr kleines, aber dem Anschein nach sehr schweres, Felleisen, für dessen Sicherheit er absonderlich besorgt zu sein schien, das er nie aus seiner unmittelbaren Aufsicht ließ, weshalb er auch stets den dienstfertigen Eifer der Kellner und Stallknechte, die es ins Haus tragen wollten, zurückwies. Mit gleicher Vorsicht suchte er nicht allein den Zweck seiner Reise und seinen endlichen Bestimmungsort, sondern selbst die Richtung jeder Tagesreise zu verbergen. Seinen Ruheplatz für die Nacht untersuchte er mit ängstlicher Sorgfalt und vermied es sowohl ganz allein als auch zusammen mit Leuten zu bleiben, die er für verdächtige Gesellen hielt, und in Grantham, glaube ich, blieb er die ganze Nacht auf, weil im nächsten Zimmer ein untersetzter, schielender Bursche, mit einer schwarzen Perücke und einer verschossenen, goldbesetzten Weste, schlief. Bei all diesen Gemütssorgen war mein Reisegefährte, seiner Leibesbeschaffenheit nach, ein Mann, der so gut, wie die meisten Männer, der Gefahr hätte Trotz bieten können. Er war stark und wohlgebaut, und nach seinem Tressenhut und der Kokarde zu urteilen, schien er in der Armee gedient zu haben, oder wenigstens in irgend einer Verbindung mit dem Soldatenstande zu stehen. Seine Unterhaltung, obgleich ziemlich gemein, war die eines verständigen Mannes, sobald die furchtbaren Schreckbilder, die seine Einbildungskraft beunruhigten, ihn auf einen Augenblick verließen. Allein jede auffällige Gedankenverbindung rief sie zurück. Eine offene Heide, eine umschlossene Anpflanzung, waren gleiche Gegenstände seiner Furcht, und das Pfeifen eines Hirtenjungen ward sogleich in das Zeichen eines Mörders umgewandelt. Selbst der Anblick eines Galgens bezeugte ihm zwar, daß die Gerechtigkeit einen Räuber sicher aufgehoben hatte, erinnerte ihn aber auch stets daran, wie viele noch immer ungehängt blieben. Die Gesellschaft dieses Menschen würde mir bald beschwerlich gewesen sein, wenn meine eignen Gedanken mir nicht noch lästiger gewesen wären. Einige seiner wunderbaren Geschichten hatten indes ein eigentümliches Interesse, und ein andrer, seltsamer Zug seiner Sonderbarkeiten gab mir Gelegenheit, mich auf seine Kosten lustig zu machen. Mehrere der unglücklichen Reisenden, die nach seinen Erzählungen unter Räuber gefallen waren, zogen sich ihr Mißgeschick dadurch zu, daß sie sich auf der Straße zu wohlgekleideten, gesprächigen Fremden gesellten, in deren Gesellschaft sie Schutz und Vergnügen zu finden hofften, die ihre Reise mit Sage und Gesang erheiterten, und sie gegen Ueberteuerungen und falsche Rechnungen schützten, bis sie endlich, unter dem Vorwande, einen nähern Weg über öde Heiden zu zeigen, das arglose Opfer in eine furchtbare Schlucht lockten. Auf den Ton einer Pfeife brachen hier plötzlich die Mitgenossen aus ihren Schlupfwinkeln hervor, und der Begleiter zeigte sich in seiner wahren, Gestalt als der Anführer einer Räuberbande, durch welche die unvorsichtigen Reisegefährten ihre Börsen und vielleicht das Leben verloren. Gegen das Ende einer solchen Geschichte, und wenn sich mein Begleiter durch seine Mitteilungen in eine fieberhafte Angst versetzt hatte, sah er mich gewöhnlich mit einem Blick voll Zweifel und Argwohn an, als wenn er sich die Möglichkeit denke, daß er sich gerade in der Gesellschaft eines ebenso gefährlichen Mannes befinden könne, als seine Erzählung geschildert hatte. So oft solche Vorstellungen in der Seele dieses sinnreichen Selbstquälers erwachten, ritt er an die entgegengesetzte Seite der Straße, blickte vor sich, hinter sich und um sich, untersuchte seine Waffen und schien sich zur Flucht oder Verteidigung, wie es die Umstände erfordern möchten, vorzubereiten. Der bei solchen Gelegenheiten gezeigte Argwohn schien nur augenblicklich und kam mir zu lächerlich vor, als daß er hätte beleidigend sein können. In jenen Zeiten konnte jemand das ganze äußere Ansehen eines rechtlichen Mannes haben, und am Ende dennoch ein Straßenräuber sein. Die Sitten hatten einen Anstrich von Rauhigkeit und Härte, der sich seitdem in hohem Grabe gemildert und verringert hat. Die ausgebreitetste Heiden in der Nähe der Hauptstadt und die weniger besuchten Straßen der entfernten Gegenden wurden oft von berittnen Straßenräubern heimgesucht. Ein junger Mann in meinen Verhältnissen brauchte daher nicht sehr über einen Irrtum entrüstet zu sein, der ihn mit dieser verehrlichen Klasse von Räubern vermengte. Auch war ich nicht beleidigt. Dagegen fand ich es sehr belustigend, den Argwohn meines furchtsamen Gefährten bald zu erwecken, bald einzuschläfern. Wenn meine freimütige Unterhaltung ihn vollkommen sicher gemacht hatte, so bedurfte es nur einer beiläufigen Frage nach der Richtung seines Weges oder der Natur seines Geschäftes, um seinen Argwohn sogleich wieder zu erregen. Ich erwähne dieses Mannes Gemütsstimmung und meine Art, darauf zu wirken, so genau, weil diese Vorfälle, so geringfügig sie an sich selbst waren, einen wichtigen Einfluß auf künftige Ereignisse in dieser Geschichte hatten. Damals flößte mir ein solches Betragen nur Verachtung ein und bestätigte die Meinung, daß unter allem, womit der Mensch sich selbst peinigen kann, eine grundlose Furcht das störendste, geschäftigste, quälendste und bedauernswürdigste ist. Viertes Kapitel In jenen Tagen bestand auf der englischen Landstraße eine altertümliche Sitte, die jetzt, glaub ich, abgeschafft oder nur bei dem gemeinen Volk gebräuchlich ist. Da man längere Reisen zu Pferd, und folglich in kurzen Stationen, machte, wurde gewöhnlich am Sonntag in einer Stadt angehalten, wo der Reisende den Gottesdienst besuchte und seinem Pferde einen Ruhetag gab. Ein Seitenstück zu dieser wohlanständigen Gewohnheit und ein Ueberrest der alten englischen Gastfreundschaft war es, daß der Besitzer eines ansehnlichen Wirtshauses am siebenten Tage seinen Vorteil beiseite setzte, und die Gäste, die sich zufällig in seinem Hause befanden, einlud, teilzunehmen an dem Rindfleisch und dem Pudding seines Familientisches. Diese Einladung ward gewöhnlich von allen angenommen, die nicht, hohen Ranges, in der Willfährigkeit eine Erniedrigung zu finden glaubten, und der Vorschlag, nach Tische eine Flasche Wein auf des Wirtes Gesundheit zu trinken, war die einzige Vergütung, welche je angeboten und angenommen ward. Ich war zum Weltbürger geboren, und meine Neigung führte mich an alle Orte, wo ich meine Menschenkenntnis erweitern konnte. Ich unterließ es daher selten, die sonntägliche Gastfreundschaft des Wirtes zum Hosenband, Löwen oder Bären anzunehmen. Der ehrliche Wirt, an der Spitze seiner Gäste, die er sonst zu bedienen pflegte, durch das Gefühl seiner Wichtigkeit zu größerm Ansehen erhoben, war an sich selbst ein erfreulicher Anblick, und um seinen belebenden Kreis vollzogen niedere Planeten ihren Lauf. Die Witzlinge und Spaßmacher, die ausgezeichneten Leute der Stadt oder des Dorfes, der Apotheker, der Anwalt, selbst der Prediger, verschmähten, nicht die Teilnahme an diesem wöchentlichen Feste. Die Gäste, aus verschiednen Gegenden und von verschiednem Gewerbe, boten in Sprache, Sitten und Gesinnung seltsame Gegensätze dar, nicht unbedeutend für die, welche sich mancherlei Menschenkenntnis zu verschaffen wünschten. An einem solchen Tage und bei einer solchen Gelegenheit war es, wo mein furchtsamer Gefährte und ich die Tafel des rotnasigen Wirtes zum schwarzen Bären zu Darlington, im Bistum von Durham, zu beehren gedachten, als unser Hausherr mit einem Tone, der wie Entschuldigung klang, uns meldete, daß ein schottischer Herr mit uns speisen werde. »Ein Herr? – Was für ein Herr?« fragte etwas hastig mein Gefährte, der vermutlich an die Herren von der Landstraße, wie man sie damals nannte, dachte. »Ei nun, ein schottischer Herr, wie ich schon gesagt habe,« entgegnete der Wirt. »Sie sind alle stattlich, müßt Ihr wissen, wenn sie auch nur ein enges Hemd auf dem Leibe haben; doch dieser ist wohlanständig – ein so kluger Nordbrite, als je einer über die Brücke von Berwick schritt. Ich glaub, es ist ein Viehhändler.« »Laßt ihn auf alle Fälle uns Gesellschaft leisten,« antwortete mein Gefährte, und dann sich zu mir wendend, machte er dem Inhalt seiner Gedanken Luft: »Ich achte die Schottländer, Herr; ich liebe und ehre dies Volk wegen seiner rechtlichen Gesinnung. Man spricht von ihrer Unreinlichkeit und Armut, aber ich lobe mir die Ehrlichkeit, wenn sie auch in Lumpen gehüllt ist, wie der Dichter sagt. Glaubwürdige Männer haben mir versichert, daß man nie etwas von Straßenraub daselbst gehört habe.« »Weil sie nichts zu verlieren haben,« sagte der Wirt mit lautem Gelächter über seinen Witz. »Nein, nein, Gastwirt,« sprach eine starke Stimme hinter ihm: »weil Eure englischen Banden und Aufseher, die Ihr nordwärts sendet, das Diebesgewerbe den Leuten im Lande abgenommen haben.« »Gut gesagt, Herr Campbell,« antwortete der Wirt. »Ich dachte nicht, daß Du uns so nahe wärest. Doch Du weißt, ich spreche gerade heraus. Und wie gehen die Märkte im Lande?« »Eben wie gewöhnlich,« erwiderte Campbell. »Kluge Leute kaufen und verkaufen, und Narren werden gekauft und verkauft.« »Aber kluge Leute und Narren essen beide ihre Mittagsmahlzeit,« antwortete unser lustiger Wirt. »Und hier kommt ein so auserlesenes Stück Rindfleisch, als je ein Hungriger mit der Gabel anspießte.« Mit diesen Worten wetzte er eifrig sein Messer, nahm seinen Herrschersitz oben an der Tafel und belud die Teller seiner Gäste mit guter Kost. Es war das erste Mal, daß ich die schottische Aussprache hörte oder überhaupt mit einem Schottländer näher zusammenkam. Dennoch hatten sie von früher Jugend an meine Einbildungskraft angezogen und beschäftigt. Mein Vater stammte aus einem alten Geschlecht in Northumberland, von dessen Stammhause ich nur wenig Meilen entfernt war. Die Uneinigkeit zwischen ihm und seinen Verwandten war von der Art, daß er das Geschlecht, aus dem er entsprang, fast nie erwähnte, und er hielt die Schwachheit, Ahnenstolz genannt, für die verächtlichste Art von Eitelkeit. Ohne Zweifel wünschte er, mich in Unwissenheit über meine Verwandten und Herkunft zu lassen; doch seine Absichten wurden, wie es gelegentlich den Klügsten begegnet, wenigstens zum Teil, durch sein Wesen, vereitelt, dem er in seinem Stolze wohl zu allerletzt irgend welchen Einfluß zugetraut hätte. Seine Amme, eine betagte Frau aus Northumberland, ihm von Kindheit an ergeben, war die einzige Person aus seiner Heimat, gegen welche er einige Achtung hegte, und als das Glück ihm aufging, gehörte es zu seinen ersten Handlungen, der Mabella Rickets eine Wohnung, in seinem Hause zu geben. Nach dem Tode meiner Mutter fiel die Sorge, mich in Kinderkrankheiten zu pflegen und mir alle jene zarte Aufmerksamkeit zu erweisen, welche die Kindheit von weiblicher Zuneigung fordert, der alten Mabel zu. Da es ihr von ihrem Herrn untersagt war, mit ihm von den Heiden, Wäldern und Tälern ihres geliebten Northumberlandes zu sprechen, so erging sie sich gegen mich in Beschreibungen des Schauplatzes ihrer Jugend und langen Erzählungen der Begebenheiten, die, der Sage nach, dort vorgefallen sein sollten. Diesen hörte ich weit aufmerksamer zu, als ernsthaftern, aber weniger lebensvollern Lehren. Noch immer glaub ich die alte Mabel vor mir zu sehen; ihr Haupt leicht zitternd vor Altersschwäche und von der dicht anliegenden schneeweißen Haube beschattet, das Gesicht voll Runzeln, aber doch mit der gesunden Farbe, die die Arbeit auf dem Lande ihm verliehen hatte. In Mabels Sagen wurde die schottische Nation mit aller Erbitterung, deren die Erzählerin fähig war, immer von neuem erwähnt. Die Bewohner jenseits der Grenze füllten den Platz aus, welche Ogern und Riesen mit Siebenmeilenstiefeln in den gewöhnlichen Ammenmärchen einnehmen. Und wie konnte es anders sein? Wars nicht der schwarze Douglas, welcher den Erben des Hauses Osbaldistone am Tage, nachdem er Besitz von seinem Gute genommen hatte, mit eigner Hand erschlug, ihn und seine Vasallen überfallend beim festlichen Mahle? War es nicht Walter der Teufel, der in den neuern Zeiten meines Urgroßvaters alle jungen Schweine von Lanthorn-side wegtrieb? Entführte nicht Herr Heinrich Osbaldistone, der fünfte Freiherr dieses Namens, die schöne Maid von Fairnington, wie Achilles vor Alters seine Chryseis und Briseis? Hielt er sie nicht in seiner Burg zurück gegen die ganze Macht ihrer Freunde, welchen die mächtigsten schottischen Häuptlinge beistanden? Und hatten unsre Schwerter nicht vorangeblitzt auf den meisten Schlachtfeldern, wo England über seinen Mitwerber siegte? Der ganze Ruhm unsers Geschlechts ward erworben – alles Mißgeschick unsers Hauses ward verursacht durch die Kriege des Hochlands. Durch solche Erzählungen erwärmt, betrachtete ich während meiner Kindheit die Schottländer als geborne Feinde der südlichern Bewohner dieses Reiches, und diese Ansicht der Dinge ward durch dasjenige, was mein Vater zuweilen in bezug auf sie sprach, noch bestärkt. Wenn Mabel über die schottischen Waffen der Vorzeit klagte, eiferte Herr Osbaldistone nicht weniger gegen die Kunstgriffe der neuern Schottländer, und ohne einen bestimmten Vorsatz, es zu tun, prägten sie so meinem jugendlichen Gemüt einen aufrichtigen Widerwillen gegen die nördlichen Bewohner Britanniens ein, als eines Volkes, blutdürstig im Kriege, verräterisch während des Waffenstillstandes, eigennützig, geizig und verschlagen im friedlichen Verkehr, mit wenig guten Eigenschaften begabt, wenn man nicht eine Wildheit, die dem Mute glich, im Kriege, und eine Arglist, welche die Stelle der Klugheit in gewöhnlichen Lebensverhältnissen vertrat, dafür wollte gelten lassen. Zur Rechtfertigung oder Entschuldigung derjenigen, welche solche Vorteile unterhielten, muß ich bemerken, daß die Schottländer jener Zeit sich ähnlicher Ungerechtigkeit gegen die Engländer schuldig machten, die sie allein mit dem Namen geldstolzer, übermütiger Schwelger brandmarkten. Solche Keime des Volkshasses waren zwischen den beiden Ländern zurückgeblieben, die natürlichen Folgen ihres frühern Zustandes, als getrennte und wetteifernde Staaten. Mit einer Art Mißfallen betrachtete ich daher den ersten Schottländer, mit dem ich in Gesellschaft zusammenkam. Vieles stimmte an ihm mit meiner Vorstellung überein. Er hatte die harten Züge und den kräftigen Wuchs, die seinen Landsleuten eigen sein sollen, nebst jener volkstümlichen Betonung, jener langsamen, steifen Weise des Ausdrucks, welche aus dem Verlangen entstehen, Eigenheiten der Mundart oder der Sprache zu vermeiden. Auch konnte ich in mehreren seiner Bemerkungen und den Antworten, die er gab, die Vorsicht und Schlauheit seiner Landsleute wahrnehmen. Allein ich war unvorbereitet auf die Miene ruhiger Selbstbeherrschung und Ueberlegenheit, mit der er in einer Gesellschaft, in die er, wie durch Zufall, gekommen war, die erste Rolle zu spielen schien. Sein Anzug war so grob wie möglich, obwohl anständig, und zu einer Zeit, wo selbst die Geringsten, welche auf den Rang eines Herrn Anspruch machten, viel an Kleider wendeten, mußte dies auf beschränkte Verhältnisse, wo nicht Armut schließen lassen. Aus seinem Gespräch ergab sich, daß er den Viehhandel trieb, eben kein ehrenvolles Gewerbe. Und dennoch schien er unter diesen wenig vorteilhaften Umständen, als ob sichs von selbst verstehe, die übrige Gesellschaft mit der kalten, herablassenden Höflichkeit zu behandeln, deren Gebrauch eine wahre oder vermeinte Ueberlegenheit zu erkennen gibt. Mein Wirt und seine Sonntagsgäste unterwarfen sich nach einigen Versuchen, ihre Wichtigkeit durch Lärm und verwegne Behauptung zu unterstützen, allmählich Campbells Ansehen, der also das Wort führte. Weit besser als ich war er mit dem damaligen Zustande von Frankreich, dem Charakter des Herzogs von Orleans, der eben die Regentschaft des Reiches angetreten hatte, und den ihn umgebenden Staatsmännern bekannt, und seine schlauen, scharfen und zuweilen satirischen Bemerkungen bezeichneten einen genauen Beobachter der Angelegenheiten dieses Landes. Ueber den Gegenstand der Politik beobachtete Campbell ein Stillschweigen und eine Mäßigung, die aus Vorsicht entstehen mochte. Die Zwietracht der Whigs und Torys erschütterte damals England bis ins Innerste, und eine mächtige Partei, für die Jakobiten sich erklärend, bedrohte das Haus Hannover, das eben auf den Thron gelangt war (1714). Jedes Bierhaus hallte von dem Schrei streitender Parteien wider, und da die Gesinnung unsers Wirts von jener verträglichen Art war, die mit keinen guten Kunden streitet, so waren oft seine Sonntagsgäste so unversöhnlich in ihren Meinungen geteilt, als wenn er das Unterhaus bewirtet hätte. Der Pfarrer und der Apotheker, nebst einem kleinen Manne, der sich seines Berufs nicht rühmte, den ich aber, wegen der Beweglichkeit seiner Finger für den Bartscherer hielt, ergriffen mächtig die Sache der römischen Kirche und des Hauses Stuart. Der Zolleinnehmer, wie es sich gebührt, und der Anwalt, der einem kleinen Amt unter der Krone entgegensah, und mein Reisegefährte, der scharf in den Streit einzugehen schien, verteidigten tapfer die Sache König Georgs und der protestantischen Erbfolge. Arg war das Geschrei – gewaltig waren die Schwüre. Beide Teile beriefen sich auf Campbell, begierig, wie es schien, seine Zustimmung zu erhalten. »Ihr seid ein Schottländer, Herr; und ein Mann aus Eurem Lande muß auftreten für das erbliche Recht!« rief eine Partei. »Ihr seid ein Presbyterianer,« entgegnete die andre; »Ihr könnt kein Freund von willkürlicher Gewalt sein.« »Ihr Herren!« sprach unser schottisches Orakel. »Ich zweifle nicht, daß König Georg die Vorliebe seiner Freunde verdient, und wenn er sich halten kann, so wird er unfehlbar den Zolleinnehmer hier zum Oberaufseher machen und unserm Freund Quintam die Stelle eines Oberfiskals verleihen. Auch diesem ehrsamen Herrn, der lieber auf seinem Felleisen als dem Stuhle sitzt, wird er eine Belohnung gewähren. König Jakob ist gewißlich auch ein dankbarer Herr, und wenn er die Hand ins Spiel bekommt, kann er, wenn es ihm sonst gefällt, diesen ehrwürdigen Herrn zum Erzbischof von Canterbury, und Doktor Mixit zu seinem Leibarzt machen, und seinen königlichen Bart der Sorgfalt meines Freundes Latherum anvertrauen. Da ich aber sehr zweifle, ob einer der streitenden Könige dem Robin Campbell ein Glas Branntwein geben würde, wenns ihm danach gelüstete, so geb ich meine Stimme Jonathan Braun unserm Wirte, König und Fürsten, und ernenne ihn zum Mundschenken, unter der Bedingung, daß er uns eine andre Flasche holt, so gut als die letzte.« Dieser Einfall wurde mit allgemeinem Beifall aufgenommen, in welchen der Wirt herzlich einstimmte, und als er Befehle gegeben hatte, die Bedingung zu erfüllen, von der seine Erhöhung abhing, äußerte er, daß Herr Campbell, bei aller friedfertigen Gesinnung, doch kühn wie ein Löwe sei, und mit eigner Hand sieben Straßenräuber, die ihn auf dem Wege angefallen, überwunden habe. »Du bist im Irrtum, Freund Jonathan,« unterbrach ihn Campbell; »es waren nur zwei, und zwei so feige Wichte, als man nur zu treffen wünschen kann.« »Und habt Ihr wirklich,« sprach mein Reisegefährte und rückte seinen Stuhl – sein Felleisen sollt ich sagen – näher zu Campbell, »wirklich und in der Tat zwei Straßenränder allein überwunden?« »Fürwahr, ich tat es, und halt es für nichts Großes, um Redens davon zu machen,« erwiderte Campbell. »Auf mein Wort, Herr,« entgegnete mein Bekannter, »ich würde mich glücklich schätzen, wenn ich das Vergnügen Eurer Gesellschaft auf meiner Reise haben könnte – ich reise nach Norden.« Diese freiwillige Nachricht über die Richtung seines Weges, die erste, die mein Gefährte gegen irgend wen verlauten lieh, erweckte bei dem Schotten nicht das entsprechende Vertrauen. »Wir können schwerlich mit einander reisen,« erwiderte er trocken. »Ihr seid ohne Zweifel gut beritten, und ich reise jetzt zu Fuß oder auf einem hochländischen Klepper, der mich nicht viel schneller vorwärts bringt.« Mit diesen Worten forderte er die Rechnung für den Wein, warf den Preis für die selbst verlangte Flasche hin und stand auf, als ob er Abschied nehmen wollte. Hierauf kam er auf mich zu und bemerkte: »Euer Freund, Herr, ist sehr mitteilsam, wenn man bedenkt, was er für einen Auftrag hat.« »Dieser Herr,« erwiderte ich, mit einem Blick auf den Reisenden, »ist kein Freund von mir, sondern eine Bekanntschaft, die ich unterwegs gemacht habe. Ich kenne weder seinen Namen, noch sein Geschäft, und Ihr scheint sein Vertrauen mehr zu besitzen als ich.« »Ich meinte bloß,« erwiderte er schnell, »daß er etwas unbesonnen scheint, die Ehre seiner Gesellschaft denen anzutragen, die nicht danach verlangen.« »Er kann am besten über seine eignen Angelegenheiten urteilen,« erwiderte ich, »und ich würde mich ungern in irgend einer Hinsicht zum Richter derselben aufwerfen.« Campbell machte weiter keine Bemerkung, sondern wünschte mir bloß glückliche Reise, und die Gesellschaft ging auseinander. Am folgenden Tage trennte ich mich von meinem furchtsamen Gefährten, da ich die große nördliche Straße verließ und mich mehr westlich wandte, dem Landsitze meines Oheims zu. Seine Furchtsamkeit machte mir ihn schon langweilig, und ich war herzlich froh, ihn los zu sein. Fünftes Kapitel Ich näherte mich meinem nördlichen Heimatslande, wofür ich es hielt, mit jener Begeisterung, welche wilde, romantische Gegenden den Freunden der Natur einflößen. Nicht länger durch das Geschwätz meines Gefährten unterbrochen, konnte ich nun bemerken, wie verschieden dieser Landstrich von dem war, den ich bisher durchreist hatte. Die Ströme verdienten nunmehr diesen Namen; denn anstatt unter Schilf und Weiden bewegungslos zu schlummern, lauschten sie längs des Schattens wilder Gesträuche, bald von Abhängen hinabstürzend, bald gemächlicher, doch immer in reger Bewegung, durch kleine, einsame Täler murmelnd, die zuweilen am Wege sich öffneten und den Reisenden in ihre Schatten einzuladen schienen. Die Cheviotberge stiegen in ernster Pracht vor mir empor; zwar nicht mit jener erhabenen Mannigfaltigkeit von Felsen und Klippen, welche die Gebirge der ersten Klasse auszeichnen, aber in ungeheuren Massen die runden Häupter erhebend. Die Heimstätte meiner Väter, der ich mich jetzt näherte, lag in einer Schlucht oder einem engen Tale, das zwischen jenen Bergen hinauf lief. Ausgebreitete Ländereien, die einst unsrer Familie gehörten, waren längst durch Mißgeschick oder Mißverhalten meiner Ahnherren verloren gegangen; allein es gehörte noch immer Land genug zu dem alten Schlosse, daß mein Oheim noch immer für ein Mann von großem Vermögen galt. Dies verbrauchte er, wie ich unterwegs erfahren hatte, in verschwenderischer Gastfreiheit, die er für wesentlich zur Behauptung seiner Familienwürde hielt. Von einer Anhöhe hatte ich bereits das Schloß Osbaldistone erblickt, ein großes, altertümliches Gebäude, das aus einem Wäldchen alter Eichen hervorsah. Mein Pferd, so ermüdet es war, spitzte die Ohren bei den hellen Tönen eines Hundegebells und den gelegentlichen Klängen des Waldhorns, welches damals immer die Jagd begleitete. Ich zweifle nicht, daß die Hunde meinem Oheim gehörten, und zog mein Pferd an, mit dem Vorsatz, die Jäger unbemerkt vorüber zu lassen, eingedenk, daß der Jagdplatz kein schicklicher Ort sei, mich einem eifrigen Jäger vorzustellen. Wenn die Jagd vorüber, wollt ich gemächlich nach dem Schlosse reiten und dort die Rückkehr des Besitzers erwarten. Ich machte daher auf einer Anhöhe Halt und erwartete mit einiger Ungeduld die Erscheinung der Jäger. Der Fuchs, in vollem Lauf und beinah erschöpft, kam zuerst aus dem Gebüsch, das die rechte Seite des Tales bedeckte. Sein verstörtes Aussehen verkündete das ihm drohende Geschick, und die Raben, welche über ihm schwebten, betrachteten schon den armen Reineke als ihren baldigen Raub. Er durchkreuzte den Strom, der das kleine Tal trennt, und schleppte sich an der andern Seite des rauhen Ufers empor, als die Hunde mit lautem Bellen aus dem Gebüsch hervorbrachen. Der Jäger und drei oder vier Reiter kamen nach. Die Hunde folgten des Fuchses Spur mit unbeirrtem Instinkt, und die Jäger, ohne auf den rauhen, zerrissenen Boden zu achten, sprengten in sorgloser Eile ihnen nach. Alle waren schlanke, rüstige junge Leute, wohl beritten und in Grün und Rot gekleidet. Meine Vettern! dacht ich, als sie an mir vorüber flogen. Die nächste Erwägung war: wie werden diese würdigen Nachfolger Nimrods mich empfangen? Und wie unwahrscheinlich ist es, daß ich, wenig oder gar nicht mit ländlichen Ergötzlichkeiten bekannt, mich in meines Oheims Familie zufrieden oder glücklich fühlen werde? Eine Erscheinung, die an mir vorüberkam, unterbrach diese Gedanken. Es war eine junge Dame, mit lieblichen, sehr auffallenden Zügen, denen die Erregung der Jagd und das Glühen heftiger Bewegung erhöhten Reiz erteilte. Sie ritt einen schönen Rappen, mit Flecken schneeweißen Schaumes bedeckt, der sein Gebiß umgab. Ihr damals etwas ungewöhnlicher Anzug bestand aus Rock, Weste und Hut. Ihr langes, dunkles Haar, beim Ungestüm der Jagd dem fesselnden Bande entschlüpft, flatterte im Winde. Ein sehr zerrissener Boden, über welchen sie ihr Pferd mit der bewundernswürdigsten Geschicklichkeit und Geistesgegenwart leitete, hemmte ihren Lauf, und brachte sie mir näher, als einen der andern Reiter. Als sie an mir vorüberkam, machte das Pferd in seinem Ungestüm eine unregelmäßige Bewegung, da sie es eben auf besserm Boden zu größerer Eile antrieb. Dies gab mir den Vorwand, wie zu ihrem Beistand ihr näher zu reiten. Es war jedoch nichts zu befürchten; das Pferd hatte weder gestrauchelt, noch einen Fehltritt getan. Sie dankte meiner guten Absicht indes durch ein Lächeln, und ich fühlte mich aufgemuntert, mein Pferd in gleichen Schritt zu bringen und an ihrer Seite zu reiten. Das Geschrei: heh! tot, tot! und die einstimmenden Töne des Waldhorns verkündeten uns bald, daß kein Grund mehr zur Eile und die Jagd zu Ende war. Einer der jungen Männer, der sich uns näherte, schwenkte triumphierend den Schwanz des Fuchses, als ob er meiner schönen Begleiterin Vorwürfe hätte machen wollen. »Ich seh's, ich seh's!« erwiderte sie. »Aber macht nur keinen Lärm davon; »wenn Phöbe,« sprach sie, den Hals ihres schönen Pferdes klopfend, »nicht unter die Felsen gekommen wäre, so solltet Ihr wenig Ursache zu prahlen haben.« Sie waren bei diesen Worten zusammengekommen, und ich bemerkte, daß beide mich ansahen und einen Augenblick leise miteinander redeten, wobei offenbar die junge Dame in den Jäger drang, etwas zu tun, was er schüchtern und mit einer gewissen schafsmäßigen Halsstarrigkeit verweigerte. Sie wendete sogleich ihr Pferd gegen mich um, mit den Worten: »Gut, gut, Thornie, wenn Ihr es nicht wollt, so muß ich es tun. Mein Herr,« sprach sie hierauf zu mir, »ich suchte diesen gebildeten jungen Herrn zu bewegen, bei Euch nachzufragen, ob Ihr auf Eurer Reise etwas von einem unsrer Freunde, einem Herrn Franz Osbaldistone, gehört habt, der seit einigen Tagen im Schlosse erwartet wird?« Freudig stellte ich mich als die Person dar, nach der sie fragte, und äußerte meinen Dank für die verbindlichen Erkundigungen. »In diesem Falle, mein Herr,« entgegnete sie, »da meines Vetters Höflichkeit noch immer zu schlummern scheint, werdet Ihr mir erlauben, obwohl es vermutlich sehr unpassend ist, die Zeremonienmeisterin zu machen, und Euch dem jungen Herrn Thorncliff Osbaldistone, Eurem Vetter, und Diana Vernon vorzustellen, welche gleichfalls die Ehre hat, Eures auserlesenen Vetters arme Verwandte zu sein.« Die Art und Weise, womit sie diese Worte aussprach, enthielt eine Mischung von Kühnheit, Spott und Einfalt. Ich besaß genug Kenntnis der Welt, um einen ähnlichen Ton anzunehmen, indem ich meinen Dank für ihre Herablassung und meine ausnehmende Freude über dies Zusammentreffen zu erkennen gab. Thorncliff schien ein Erztölpel, linkisch, schüchtern und zugleich etwas mürrisch zu sein. Er reichte mir jedoch die Hand und sagte, er müsse wieder fort, um den Jägern und seinen Brüdern beim Koppeln der Hunde zu helfen. »Da geht er hin,« sprach seine Verwandte, ihm mit den Augen nachblickend, worin sich Verachtung wunderbar ausdrückte – »der Fürst der Stallknechte, Hahnenkämpfer und Pferderennen. Aber sie sind alle einer so viel wert wie der andre. – Habt Ihr Markham gelesen?« fragte sie. »Wen gelesen, mein Fräulein? Ich kenne nicht einmal den Namen des Schriftstellers.« »O weh! An welchem Strande habt Ihr Schiffbruch gelitten! – Ein armer, verlorner, unwissender Fremder, unbekannt mit dem wahren Charon dieses wilden Stammes, unter welchem Ihr wohnen sollt. Nie von Markham gehört zu haben, dem berühmtesten Schriftsteller über die Roßarzneikunde? Dann seid Ihr wohl ebenso unbekannt mit den neuern Namen eines Gibson und Bartlett?« »Allerdings.« »Und Ihr errötet nicht, es zu gestehen? Nun, wir müssen die Verwandtschaft mit Euch abschwören. Dann könnt Ihr wohl ebensowenig dem Pferd eine Pille eingeben oder ein Futter mischen?« »Ich muß gestehen, all diese Dinge einem Stalljungen oder meinem Reitknecht zu überlassen.« »Unglaubliche Sorglosigkeit! Und Ihr versteht nicht ein Pferd zu beschlagen oder ihm Mähne und Schweif zu verkürzen, einem Hunde den Wurm zu nehmen, ihm die Ohren abzustutzen und die Klauen zu beschneiden, oder einen Falken zurück zu locken, oder ihm das Geschüh anzulegen, oder –« »Um meine Unbedeutenheit mit einem Wort auszudrücken: ich besitze durchaus keine von allen diesen ländlichen Vollkommenheiten.« »Dann, ums Himmels willen, Herr Franz Osbaldistone, was könnt Ihr denn eigentlich?« »Sehr wenig für diesen Zweck; dennoch kann ich einiges. – Wenn mein Reitknecht mein Pferd gesattelt hat, so kann ich darauf reiten, und wenn mein Falke im Felde ist, kann ich ihn aufs Wild werfen.« »Könnt Ihr das?« sprach das Fräulein und setzte ihr Pferd in Galopp. Unsern Weg durchkreuzte ein überwachsener Zaun mit einem Tor von rohen Baumstämmen. Ich wollte mich nähern, um es zu öffnen, als Fräulein Vernon im Flug hinübersetzte. Ehrenhalber mußte ich ihr folgen und war sogleich wieder an ihrer Seite. »Es läßt sich noch hoffen bei Euch,« sprach sie. »Ich fürchtete schon, Ihr wäret ein ganz ausgearteter Osbaldistone. Aber was in aller Welt bringt Euch nach Fuchsschloß, wie die Nachbarn unsre Jagdhalle getauft haben? Ihr hättet, glaub ich, wegbleiben können, wenn es Euer Wille gewesen wäre?« Ich fühlte, daß ich schon auf einem sehr vertrauten Fuße mit meiner reizenden Erscheinung stand und erwiderte mit leisem, zuversichtlichem Tone: »In der Tat, mein liebes Fräulein, ich würde es als ein Opfer betrachtet haben, mich einige Zeit im Schlosse Osbaldistone aufzuhalten, da die Bewohner so sind, wie Ihr sie beschreibt; allein ich bin überzeugt, es gibt eine Ausnahme, die alle andern Mängel gut machen wird.« »O, Ihr meint Rashleigh?« fragte sie. »Fürwahr nicht; ich dachte – verzeiht mir – an eine mir weit nähere Person.« »Ich glaube, es würde sich schicken, Eure Höflichkeit nicht zu verstehen? Aber das ist nicht meine Art – ich mache keine Verbeugung dafür, weil ich zu Pferd sitze. Aber im Ernst, ich verdiene Eure Ausnahme, denn ich bin das einzige umgängliche Wesen im Schlosse, ausgenommen der alte Geistliche und Rashleigh.« »Und wer ist dieser Rashleigh ums Himmels willen?« »Rashleigh ist einer, der um seiner selbst willen gern haben möchte, daß jedermann wie er wäre. Er ist Herrn Hildebrands jüngster Sohn, ungefähr von Eurem Alter, aber nicht so – kurz, nicht gut aussehend. Allein die Natur gab ihm einen Mundvoll gesunden Menschenverstands, und der Geistliche einen Scheffel voll Gelehrsamkeit. Er ist, was wir alle einen sehr geschickten Mann in diesem Lande heißen, wo geschickte Leute selten sind. Er ist für die Kirche bestimmt, hat es aber nicht sehr eilig mit der Priesterweihe.« »Für die katholische Kirche?« – »Die katholische Kirche! Was für eine Kirche sonst? Doch ich vergaß, man hat mir gesagt, daß Ihr ein Ketzer seid. Ist das wahr, Herr Osbaldistone?« – »Ich darfs nicht leugnen.« – »Und dennoch waret Ihr auswärts und in katholischen Ländern?« – »Beinah vier Jahre.« – »Habt Ihr Klöster gesehen?« – »Oft; aber ich habe nicht viel darin gesehen, was den katholischen Glauben empfehlen könnte.« »Was wird aus denen, die durch den Willen anderer zum Kloster verurteilt sind?« fragte Diana. »Wem gleichen sie? Besonders, wem gleichen sie, wenn sie dazu geboren sind, das Leben zu genießen und seine Freuden zu empfinden?« »Sie gleichen eingesperrten Singvögeln, verurteilt, ihr Leben in der Gefangenschaft zuzubringen.« »Ich werde,« entgegnete Diana – und sich selbst verbessernd, sprach sie: »das heißt, ich würde vielmehr dem wilden Falken gleichen, der am freien Fluge durch die Lüfte verhindert, sich an den Stangen seines Käfigs zerschmettert. Doch, wieder auf Rashleigh zurückzukommen,« fuhr sie lebhafter fort, »Ihr werdet ihn für den unterhaltendsten Mann halten, den Ihr je gesehen habt, auf eine Woche wenigstens. Wenn er eine blinde Geliebte finden könnte, so würde niemand einer Eroberung so sicher sein; allein das Auge vernichtet den Zauber, der das Ohr gefesselt hat. – Doch hier sind wir im Hofe des alten Schlosses, das so wild und altmodisch aussieht, wie irgend einer seiner Bewohner. Auf Putz wird hier nicht viel gehalten, müßt Ihr wissen; dennoch muß ich diese Dinge ablegen, sie sind unangenehm warm, und der Hut reibt mir auch die Stirn.« – Mit diesen Worten nahm das muntre Mädchen ihn ab und schüttelte eine Fülle dunkler Locken herab, die sie halb lächelnd, halb errötend, mit ihren weißen, schlanken Fingern teilte, um ihr anmutiges Gesicht und die durchdringenden braunen Augen zu enthüllen. Wenn einige Gefallsucht in dieser Handlung lag, so wurde sie recht gut durch die sorglose Unbefangenheit ihres Betragens abgeschwächt. »Die alte Tischglocke,« sagte sie, »wird in einigen Minuten tönen, oder vielmehr dröhnen – sie zersprang von selbst an demselben Tage, wo König Wilhelm landete, und mein Oheim hat sie aus Achtung für ihre Weissagungsgabe nie wieder wollen ausbessern lassen. So haltet mir nun, wie es einem pflichtergebnen Ritter zukommt, meinen Zelter, bis ich einen demütigen Knappen sende, der Euch die Bürde abnimmt.« Sie warf mir die Zügel zu, als ob wir von Kindheit an bekannt wären, sprang vom Sattel, trippelte über den Hof und ging in eine Seitentür, während sie mich in Bewunderung ihrer Schönheit, und erstaunt über die ungemeine Offenherzigkeit ihres Betragens, zurückließ. Seltsam genug kam ich mir selber vor, wie ich so im Hofe des alten Schlosses auf einem Pferde saß und ein andres am Zügel hielt. Das Gebäude hatte für einen Fremden wenig Anziehendes, auch wenn ich geneigt gewesen wäre, es genau zu betrachten. Die Seiten des Vierecks waren von verschiedner Bauart und glichen mit ihren steinernen, vergitterten Fenstern, hervorspringenden Türmchen und mächtigen Trägern der innern Seite eines Klosters, oder einem der ältern und weniger prächtigen Universitätsgebäude von Oxford. Ich rief nach einem Diener, aber niemand hörte auf mich, was mich um so mehr verdroß, als ich wohl merkte, daß mich mehrere männliche und weibliche Bedienstete aus verschiednen Teilen des Gebäudes heraus mit großer Neugierde musterten. Aber ehe ich mich an irgend eine bestimmte Person wenden konnte, hatten sie alle, wie Kaninchen im Gehege, die Köpfe wieder zurückgezogen und waren verschwunden. Die Rückkehr der Jäger und Hunde befreite mich aus der Verlegenheit, und mit einiger Mühe bewog ich einen Bauer, mir die Pferde abzunehmen, und einen andern dummen Tölpel, mich zu Herrn Hildebrand Osbaldistone zu führen. Wir erreichten endlich ein langes, gewölbtes Gemach, mit steinernem Fußboden, wo eine Reihe eichner Tische, so groß und schwer, daß sie nicht beiseite gerückt werden konnten, bereits gedeckt standen. Dieses ehrwürdige Gemach, durch mehrere Geschlechter ein Zeuge der Festlichkeiten des Hauses Osbaldistone, trug auch Beweise von dessen Jagdglück. Große Geweihe von Rotwild waren rings an den Mauern umher befestigt, und dazwischen ausgestopfte Bälge von Dachsen, Ottern, Mardern und andern Jagdtieren. Unter einigen Ueberresten alter Rüstungen, die vielleicht im Kriege gegen die Schottländer getragen worden waren, sah man die beliebten Waffen des Waldkrieges, Armbrust, Gewehre mannigfacher Art und Gestalt, Netze, Angelruten, Otterspieße, Jagdstangen, und viele andre seltsame Werkzeuge zum Fangen und Töten des Wildes. Einige alte Gemälde, von Rauch verdunkelt und mit Märzbier befleckt, hingen an den Wänden, Ritter und Frauen darstellend, die jedenfalls zu ihrer Zeit geehrt und berühmt gewesen waren. Ich hatte gerade Zeit gehabt, einen Blick auf diese Dinge zu werfen, als gegen zwölf blauröckige Diener mit gewaltigem Lärm und Geschwätz hereinstürzten, jeder mehr seine Gefährten zurechtweisend, statt selber seine Pflicht zu tun. Einige brachten Blöcke und Scheite für das Feuer, welches brausend und lodernd, halb in Flammen, halb in Rauch, einen ungeheuren Kamin hinaufstieg, dessen Oeffnung so groß war, daß ein steinerner Sitz darin Platz hatte. Andre dieser altfränkischen Diener trugen große, dampfende Schüsseln, voll kräftiger Speisen; andre brachten Becher, Kannen, Flaschen, ja Fäßchen mit starkem Getränke. Alle stampften, schlugen aus und stießen sich und brachten bei all ihrem Lärm doch herzlich wenig fertig. Nachdem endlich nach mannigfacher Bemühung das Mahl bereit stand, kündete sich durch ein arges Geschrei von Menschen und Hunden, Knallen von Peitschen, laute, grelle Stimmen und Schritte, die in den schweren Stiefeln jener Zeiten rasselten, wie die des steinernen Gastes im Don Juan, die Ankunft derer an, für welche diese Vorbereitungen gemacht worden waren. Endlich öffnete sich die Tür, und herein stürmten Hunde und Menschen – acht Hunde, der Hauskaplan, der Dorfarzt, meine sechs Vettern und mein Oheim. Sechstes Kapitel Wenn Herr Hildebrand Osbaldistone es nicht eilig gehabt hatte, seinen Neffen zu begrüßen, von dessen Ankunft er seit einiger Zeit unterrichtet sein mußte, so hatte er sich mit wichtigen Abhaltungen zu entschuldigen. »Hätte Dich eher gesehen, Junge!« rief er nach einem derben Händedruck und einem herzlichen Willkommen, »aber ich mußte dafür sorgen, daß die Hunde unter Dach kamen. Sei willkommen im Schlosse, Bursche! Hier ist Dein Vetter Percival, Dein Vetter Thorncliff, Dein Vetter Hans, Dein Vetter Richard, Dein Vetter Wilfred, und – halt wo ist Rashleigh? – Ah, hier ist Rashleigh. Geh mit Deinem langen Leibe beiseite, Thornie, und laß uns ein bißchen von Deinem Bruder sehen – und Dein Vetter Rashleigh! So hat Dein Vater endlich an das alte Schloß und den alten Hildebrand gedacht? Besser spät, als gar nicht. Du bist willkommen, Junge, und das ist genug. Wo ist meine kleine Die? – Ei, da kommt sie. Dies ist meine Nichte Diana, die Tochter vom Bruder meiner Frau – das hübscheste Mädchen in unsern Tälern; mögen die andern sein, wer sie wollen. – Und nun laßt uns essen!« Um Dir eine Vorstellung von der Person zu machen, welche diese Worte sprach, mußt Du Dir einen Mann von etwa sechzig Jahren denken, in einem Jagdkleide, das einst reich mit Tressen besetzt, deren Glanz aber durch manchen Wintersturm verblichen war. Trotz der Schroffheit seiner jetzigen Weise hatte Herr Hildebrand doch in frühern Zeiten Höfe und Lager gekannt. Kurz vor der Revolution diente er in der Armee des unglücklichen, übel beratenen Jakob II., und wurde, vielleicht durch seine Religion empfohlen, von ihm zum Ritter geschlagen. Allein wenn er gehofft hatte, noch höher zu steigen, so wurden all seine Träume durch die Absetzung seines Gönners vereitelt, und seitdem hatte er einsam auf seinen angestammten Besitzungen gelebt. Bei allem bäuerischen Wesen hatte Herr Hildebrand dennoch viel vom äußern Anstand eines vornehmen Mannes an sich und unter seinen Söhnen erschien er, wie die Ueberreste einer Korinthischen Säule, entstellt und mit Moos und Unkraut überwachsen, sich neben den unbehauenen Massen der aufgerichteten Steine eines Druidentempels ausgenommen haben würden. Die Söhne waren in der Tat mit schwerfälligen, unzierlichen Blöcken zu vergleichen. Den fünf ältesten, groß, stark und stattlich, schien ebenso der Prometheus-Funken des Verstandes, als die äußere Anmut und Sitte, die in der Welt zuweilen geistige Mängel ersetzt, zu fehlen. Ihre schätzbarste sittliche Eigenschaft schien die gute Laune und Zufriedenheit zu sein, die in ihren schwerfälligen Zügen ausgedrückt lag, und sie machten auf keinen andern Vorzug Anspruch, als Geschicklichkeit im Weidmannswerke, das allein ihr Leben ausmachte. Als ob sich aber die Natur für eine so ungewöhnliche Einförmigkeit in ihren Erzeugnissen schadlos halten wollte, hatte sie Rashleigh Osbaldistone in Gestalt und Betragen, und wie ich später erfuhr, in Gemütsart und Anlagen, nicht allein von seinen Brüdern, sondern von allen Männern, die ich bis dahin gekannt hatte, auffallend verschieden gestaltet. Nachdem Percival, Thorncliff und Compagnie, genickt, die Zähne gefletscht, und mehr ihre Schulter als ihre Hand darboten, wie ihr Vater sie dem neuen Vetter bekannt machte, schritt Rashleigh vorwärts und bewillkommte mich mit der Art und Weise eines Mannes von Welt. Sein Aeußeres war an sich selbst nicht einnehmend. Während alle seine Brüder von einem Riesengeschlecht abzustammen schienen und eine hübsche Gestalt hatten, war Rashleigh, obwohl stark gebaut, von kleinem Wuchse, dicknackig und breithüftig, und ein Unfall in früherer Kindheit bewirkte eine Unvollkommenheit in seinem Gange, welche einem wirklichen Hinken so ähnlich war, daß manche Leute behaupteten, dies sei der Grund, weshalb er die Priesterweihe nicht empfange, da bekanntlich die römische Kirche keinen zum geistlichen Stande zuläßt, der eine körperliche Verunstaltung hat. Rashleighs Züge waren von der Art, die man vergebens aus dem Gedächtnisse zu verbannen sucht, wo sie als Gegenstände peinlicher Neugier zurückkehren, ob wir sie gleich mit Mißfallen und selbst mit Widerwillen betrachten. Nicht die wirkliche Reizlosigkeit seines Gesichts, vom Ausdruck ganz abgesehen, war es, was so nachhaltigen Eindruck machte. Seine Züge waren in der Tat unregelmäßig, aber keineswegs gemein, und seine scharfen dunkeln Augen und buschigen Augenbrauen gaben dem Gesicht ein Gepräge, das sich nicht als alltägliche Häßlichkeit bezeichnen läßt. Allein in diesen Augen lag ein Ausdruck von Schlauheit und Absicht, und, wenn er gereizt ward, eine vorsichtig gemilderte Wildheit, die die Natur auch dem gewöhnlichsten Beobachter verständlich gemacht hatte, vielleicht in derselben Absicht, aus welcher sie der giftigen Schlange eine Klapper gab. Wie zur Entschädigung für diese äußern Nachteile, besaß Rashleigh Osbaldistone die sanfteste, weichste, tonreichste Stimme, die ich je gehört habe, und er war nie verlegen um Worte aller Art, die zu einer so feinen Sprache paßten. Kaum hatte er das erste Willkommen ausgesprochen, so stimmte ich innerlich Dianas Bemerkung bei, daß mein Vetter sogleich eine Geliebte erobern würde, die allein vom Gehör in ihrem Urteil sich lenken ließe. Er wollte sich bei Tische neben mich setzen, aber Fräulein Vernon, die, als das einzige Frauenzimmer in der Familie, alle dergleichen Angelegenheiten nach ihrem Gefallen ordnete, wollte, daß ich zwischen Thorncliff und ihr zu sitzen kam, und es läßt sich nicht zweifeln, daß uns diese angenehmere Anordnung nur lieb war. »Ich habe mit Euch zu sprechen,« sagte sie, »darum setzt' ich den ehrlichen Thorncliff mit Vorsatz zwischen Rashleigh und Euch. Als Eure älteste Bekanntschaft in dieser geistreichen Familie frage ich Euch, wie wir Euch alle gefallen?« »Eine sehr umfassende Frage, Fräulein Vernon, wenn man bedenkt, wie kurze Zeit ich erst hier bin.« »O, die Weisheit unsrer Familie liegt am Tage – es gibt kleine Schattierungen unter den einzelnen, welche den Blick eines genauern Beobachters erfordern; allein die Gattung, wie es, glaube ich, die Naturforscher nennen, läßt sich, auf einen Blick erkennen und bestimmen.« »Meine fünf ältesten Vettern sind daher vermutlich ziemlich von einem Schlage.« »Ja, sie sind eine glückliche Zusammensetzung von Tölpel, Jagdhüter, Eisenfresser, Pferdejungen und Narren; aber wie es nicht auf einem Baume zwei ganz gleiche Blätter geben soll, so sind diese vortrefflichen Bestandteile in etwas verschiedenen Verhältnissen bei jedem einzelnen gemischt und gewähren eine angenehme Mannigfaltigkeit für diejenigen, welche gern das menschliche Gemüt erforschen.« »Gebt mir eine Skizze, wenn es Euch gefällt, Fräulein.« »Ihr sollt sie alle in einem Familienstück in Lebensgröße haben – es ist zu leicht gewährt, als daß ich es verweigern sollte. Percival, der älteste Sohn und Erbe, hat mehr von einem Tölpel als vom Jagdhüter, Eisenfresser, Pferdejungen und Narren. Mein köstlicher Thorncliff ist mehr Eisenfresser als Tölpel, Jagdhüter, Pferdejunge und Narr. Hans, der ganze Wochen im Gebirge zubringt, hat das meiste vom Jagdhüter. In Richard ist der Pferdejunge vorherrschend; er reitet Tag und Nacht zweihundert Meilen weit, um ein Pferderennen mitzumachen. Und in Wilfred hat der Narr so sehr das Uebergewicht, daß man ihn einen ausgezeichneten Narren nennen kann.« »Eine treffliche Sammlung, mein Fräulein, und die einzelnen Verschiedenheiten gehören zu den anziehendsten Gattungen; aber ist kein Raum auf der Leinwand für Herrn Hildebrand?« »Ich liebe meinen Oheim,« antwortete sie. »Ich habe ihm einiges Gute zu verdanken, das wenigstens gut gemeint war, und ich will es Euch überlassen, sein Bild selbst zu zeichnen, wenn Ihr ihn genauer kennt.« Wohlan, dacht ich bei mir selbst, es freut mich, doch hier einige Schonung zu finden; wer hätte bei einem so jungen und ausgezeichnet schönen Wesen solch bittern Spott erwarten sollen? »Ihr denkt an mich?« sprach sie, ihr dunkles Auge auf mich heftend, als wenn sie meine Seele hätte durchblicken wollen. »Das tu ich allerdings,« erwiderte ich, mit einiger Verlegenheit über die plötzliche Frage, und setzte dann, meinem offnen Geständnis eine verbindliche Wendung gebend, hinzu: »Wie wäre es möglich, an etwas anderes zu denken, da ich so glücklich bin, diesen Platz einzunehmen?« Sie lächelte mit einem Ausdruck von Stolz, den nur sie in ihr Gesicht legen konnte. »Ich muß Euch ein für allemal sagen, Herr Osbaldistone, daß Schmeicheleien gänzlich bei mir verloren find. Werft daher Eure artigen Redensarten nicht weg. Ihr werdet in Northumberland Leute finden, bei welchen Ihr Euch mit diesen hübschen Sachen empfehlen könnt; bei mir aber sind sie gänzlich weggeworfen, denn ich kenne ihren wahren Wert.« Ich schwieg und war verlegen. »Ihr erinnert mich in diesem Augenblick,« sprach Diana wieder in ihrem muntern, unbefangnen Tone, »an das Feenmärchen, wo der Mann alles Geld, was er mit zu Markte gebracht hat, plötzlich in Schiefersteine verwandelt findet. Ich habe durch eine einzige unglückliche Bemerkung Euern ganzen Vorrat von Schmeicheleien niedergeschrien und zerstört. Aber laßt es gut sein! Ihr irrt Euch, wenn Ihr glaubt, nichts Besseres sagen zu können als diese Abgeschmacktheiten, die jeder feine Herr mit frisiertem Haar sich für verbunden hält, einem armen Mädchen wiederholen zu müssen, bloß weil sie Seide und Flor und er die feinsten gestickten Kleider trägt. Euer natürlicher Schritt, wie einer meiner fünf Vettern sagen würde, ist dem Paßgang Eurer Schmeicheleien weit vorzuziehen. Sucht mein unglückliches Geschlecht zu vergessen, nennt mich Tom Vernon, wenn Ihr wollt, nur sprecht mit mir, wie Ihr mit einem Freund und Gefährten sprechen würdet; Ihr könnt Euch nicht denken, wie gut ich Euch sein werde.« »Das würde mich in der Tat bestechen,« erwiderte ich. »Schon wieder!« sprach Diana mit erhobnem Finger, »Ich sage Euch, ich will nichts von Schmeichelei wissen. Und nun, wenn Ihr meinem Oheim Bescheid getan habt, der Euch mit einem vollen Humpen, wie er es nennt, droht, will ich Euch sagen, was Ihr von mir denkt.« Nachdem ich den Humpen als gehorsamer Neffe geleert, und etwas allgemeiner Verkehr an der Tafel stattgefunden hatte, erneuerte sich der Klang geschäftiger Messer und Gabeln, und Vetter Thorncliff zu meiner Rechten, Vetter Richard zu Dianas Linken, widmeten sich so eifrig den gewaltigen Massen von Speisen, die sie auf ihre Teller häuften, daß sie als Scheidewand dienten und uns von der übrigen Gesellschaft trennten, so daß wir unter vier Augen waren. »Jetzt erlaubt mir,« sagte ich, »Euch offenherzig zu fragen: was glaubt Ihr, daß ich von Euch denke? Ich könnt es Euch sagen, allein Ihr habt Lobeserhebungen verboten.« »Ich bedarf Eures Beistandes nicht. Ihr haltet mich für ein seltsames, dreistes Mädchen, halb gefallsüchtig, halb Wildfang, das gern durch sein freies Betragen und lautes Gespräch Eure Aufmerksamkeit erregen möchte, und vielleicht meint Ihr, ich hätte auch einen besondern Grund, um Eure Aufmerksamkeit zu werben. Es sollte mir leid tun, Euer Selbstgefühl zu verletzen, aber Ihr habt Euch nie mehr geirrt. Alles Vertrauen, das ich Euch bewies, würde ich Eurem Vater gegeben haben, wenn ich geglaubt hätte, daß er mich verstehen könnte. Ich bin in dieser glücklichen Familie so sehr von verständigen Zuhörern ausgeschlossen, wie Sancho in der Sierra Morena, und wenn sich eine Gelegenheit darbietet, muß ich sprechen oder sterben. Glaubt mir, ich würde nicht ein Wort von allen diesen auserlesenen Dingen gesagt haben, wenn mir das Geringste daran läge, wer es weiß oder nicht weiß.« »Es ist sehr grausam von Euch, Fräulein Vernon, Euern Mitteilungen alle Zeichen einer besondern Gunst zu nehmen; allein ich muß sie unter Euern eignen Bedingungen empfangen, – Ihr habt Rashleigh Osbaldistone nicht in Euer Familiengemälde eingeschlossen.« Sie erbebte, wie es mir vorkam, bei dieser Bemerkung, und erwiderte schnell in viel leiserm Tone: »Nicht ein Wort von Rashleigh! Seine Ohre« sind so fein. Wenn seine Eigenliebe dabei im Spiel ist, daß die Töne, ihn erreichen würden, selbst durch die Masse von Thorncliffs Körper, so vollgestopft von Rindfleisch, Wildbret und Pudding er auch sein mag.« »Ja,« erwiderte ich, »ich habe aber um den lebendigen Schirm, der uns trennte, herumgeblickt, ehe ich die Frage stellte, und habe bemerkt, daß Rashleighs Stuhl leer ist; er hat die Tafel verlassen.« »Ich möchte nicht, daß Ihr dessen zu gewiß wäret,« antwortete Fräulein Vernon. »Hört meinen Rat, und wenn Ihr von Rashleigh sprecht, so begebt Euch auf den Gipfel von Otterscopehill, wo Ihr zwanzig Meilen in der Runde sehen könnt, steht auf der äußersten Spitze und sprecht leise, und trotz allem seid Ihr doch nicht sicher, ob nicht ein Vogel in der Luft es weiter trägt. Rashleigh ist vier Jahre lang mein Lehrer gewesen; wir sind einander überdrüssig, und werden herzlich froh sein, wenn wir auseinander kommen.« »Rashleigh verläßt also das Schloß?« »Ja, in einigen Tagen. Wißt Ihr das nicht? Euer Vater muß seine Entschließungen geheimer halten als Herr Hildebrand. Als mein Oheim die Nachricht empfing, daß Ihr auf einige Zeit sein Gast sein solltet, und daß Euer Vater einen seiner hoffnungsvollen Söhne verlangte, um einen einträglichen Platz in seinem Kontor auszufüllen, der durch Eure Hartnäckigkeit leer geworden war, hielt der gute Ritter eine große Versammlung der ganzen Familie, den Kellermeister, Hausvater und Wildhüter mit eingeschlossen. Diese ehrwürdige Versammlung der Pairs und Hausbeamten des Schlosses Osbaldistone war nicht, wie Ihr glauben könnt, zusammenberufen, um Euern Nachfolger zu erwählen, denn Rashleigh allein konnte für diesen Posten bei Euerm Vater in Betracht kommen. Aber es bedurfte einer feierlichen Bestätigung, daß Rashleigh nun nicht mehr als katholischer Priester verhungern, sondern als reicher Bankier gedeihen sollte, und nicht ohne einiges Widerstreben bewilligte die Versammlung diese Art von Herabwürdigung.« »Ich kann die Bedenklichkeiten einsehen – aber wodurch wurden sie gehoben?« »Durch den allgemeinen Wunsch, glaub ich, Rashleigh los zu werden. Er ist zwar der jüngste in der Familie, hat aber auf eine oder die andre Weise über alle andern eine völlige Herrschaft erlangt, und jeder fühlt das Joch, ohne es abschütteln zu können. Wer sich ihm widersetzt, der bereut es gewiß, eh' ein Jahr verflossen ist, und wenn Ihr ihm einen wichtigen Dienst erweiset, so werdet Ihrs noch mehr bereuen.« »Wenn es so steht,« erwiderte ich lächelnd, »so muß ich mich vorsehen; denn ich bin, obwohl ohne meine Absicht, die Veranlassung zu seiner Veränderung.« »Ja! und er mag es als Vorteil oder Nachteil betrachten, so wird ers Euch mit Groll vergelten. – Aber da kommt Käse, Radieschen und ein Humpen für König und Kirche, das bedeutet, daß Geistliche und Frauen sich zu entfernen haben, und ich, die einzige Stellvertreterin des Frauenstandes im Schloß Osbaldistone, entferne mich, wie sichs gebührt.« Sie verschwand mit diesen Worten und ließ mich voll Erstaunen zurück über die Mischung von Schlauheit, Kühnheit und Freimütigkeit, die aus ihrem Gespräch hervorgetreten war. Ihr Betragen vereinte kunstlose Einfachheit mit natürlicher Schlauheit und stolzer Vermessenheit, welches alles durch das Spiel der schönsten Züge, die ich je gesehen, gemildert und empfohlen wurde. Als Fräulein Vernon das Zimmer verlassen hatte, ging oder vielmehr flog die Flasche rastlos um die Tafel herum. Meine Erziehung im Auslande hatte mir einen Widerwillen gegen die Unmäßigkeit eingeflößt, die damals und noch jetzt ein zu gewöhnliches Laster meiner Landsleute war. Die Unterhaltung, welche solche Gelage würzte, war ebensowenig nach meinem Geschmack, und wenn sie irgend etwas noch widriger machen konnte, so war es die Verwandtschaft der Anwesenden. Ich ergriff daher eine günstige Gelegenheit und entfloh lieber durch eine Seitentür, ohne zu wissen, wohin sie führte, als daß ich länger den Anblick von Vater und Söhnen ertragen hätte, die sich einer gleichen herabwürdigenden Unmäßigkeit überließen und dieselben rohen und widrigen Gespräche führten. Man verfolgte mich, wie ich erwartet hatte, um den Ausreißer mit Gewalt zurück zu holen. Als ich das Geschrei und das Poltern der schweren Stiefel meiner Verfolger hinter mir auf der Wendeltreppe hörte, die ich hinabstieg, sah ich vorher, daß man mich einholen würde, wenn ich nicht ins Freie entkommen könnte. Ich öffnete daher ein Fenster auf der Treppe, das in einen altmodischen Garten ging, und da es nicht über sechs Fuß hoch war, sprang ich ohne Bedenken hinab. Bald hörte ich weit hinter mir das: Hei! ho! entwischt! entwischt! meiner getäuschten Verfolger. Ich lief einen Gang hinab, ging schnell einen andern hinauf, und als ich mich dann vor der Verfolgung sicher glaubte, hemmte ich meinen Schritt und ging langsam. Erhitzt von dem Wein, den ich trinken mußte, und von meiner schnellen Flucht, war mir der Genuß der kühlen Luft doppelt annehmlich. Als ich weiter schlenderte, fand ich den Gärtner, fleißig sein Abendwerk verrichtend, und ich grüßte ihn, indem ich stillstand und seine Arbeit betrachtete: »Guten Abend, mein Freund!« »Guten Abend, guten Abend!« antwortete der Mann, ohne aufzublicken, und mit einem Tone, der sogleich seinen nördlichen Ursprung anzeigte. »Schönes Wetter zu Eurer Arbeit, mein Freund!« »Darüber hat man sich eben nicht zu beklagen,« antwortete er, wie Gärtner und Landleute gewöhnlich auch das beste Wetter nur sparsam zu loben pflegen. Er richtete alsdann den Kopf empor, um zu sehen, wer mit ihm spreche, und griff mit ehrerbietiger Miene an seine schottische Mütze, indem er sprach: »Ei, Gott behüt' uns! Das ist ein seltner Anblick, eine mit Gold besetzte Weste so spät hier im Garten zu sehen. – Die Herren haben doch jetzt andre Dinge zu tun, da müssen Sie sich aufknöpfen, daß Raum wird für Rindfleisch und Pudding und roten Wein. – Das ist das gewöhnliche Abendgebet an dieser Seite der Grenze – selbst die Fastenzeit – sie nennens Fasten, wenn sie die besten Fische von Hartpool und Sunderland auf der Achse herbeigeschafft haben, und Forellen, Lachse, Welse obendrein, und so machen sie selbst die Fasten zu einer Art von Ueppigkeit und Greuel. Und dann die Messen und Metten der armen betrognen Seelen – doch ich sollte nicht davon sprechen, denn Euer Gnaden wird ein Römischer sein, glaub ich, wie die andern!« »Nein, mein Freund, ich bin ein englischer Presbyterianer.« »Die rechte Hand der Brüderschaft dann, Euer Gnaden!« rief der Gärtner mit so viel Fröhlichkeit, als seine rauhen Züge auszudrücken vermochten; und als ob er zeigen wollte, daß sein guter Wille nicht bloß in Worten bestehe, zog er eine ungeheure hörnerne Dose hervor und bot mir mit dem brüderlichsten Grinsen eine Prise an. Nach Annahme seiner Höflichkeit fragte ich ihn, ob er lange im Schlosse diene? »Ich habe mit den wilden Tieren von Ephesus gekämpft,« sprach er, auf das Gebäude blickend, »beinahe vierundzwanzig Jahre, so gewiß ich Andreas Gutdienst heiße.« »Aber mein vortrefflicher Freund, Andreas Gutdienst, wenn Eure Religion und Eure Mäßigkeit so großes Aergernis an den katholischen Gebräuchen und der südlichen Gastfreiheit nehmen, so scheint Ihr Euch in dieser ganzen Zeit eine unnötige Buße auferlegt zu haben, und Ihr hättet gewiß einen Dienst gefunden, wo man weniger ißt und richtiger glaubt. Mangel an Geschicklichkeit kann nicht der Grund sein, weshalb Ihr Euch nicht eine Stellung verschafft habt, die mehr nach Eurem Gefallen ist.« »Es kommt mir nicht zu, von meiner Geschicklichkeit zu sprechen,« sagte Andreas und blickte mit großer Selbstgefälligkeit umher; »aber ohne Zweifel versteh ich mein Gewerbe der Gärtnerei. Und die Wahrheit zu sagen, ich habe in diesen vierundzwanzig Jahren mit jedem Termin abgehen wollen; aber wenn die Zeit kommt, dann gibts immer etwas zu säen, was ich gern säen möchte, oder etwas zu machen, was ich gern mähen möchte, und so bin ich bei der Familie geblieben, von einem Jahr zum andern, und so befinde ich mich noch immer hier und grabe nach Maulwürfen. Aber wenn Ihr einen Dienst für mich wüßtet, wo ich die reine Lehre hören könnte, und Gras für eine Kuh hätte und eine Hütte und einen Hof, und mehr als zehn Pfund jährlich, und wo keine Frau wäre, die mir die Aepfel zählte, so würd' ich Euch sehr verbunden sein.« »Wie ich merke, seid Ihr auf Frauen nicht gut zu sprechen.« »Nein, meiner Treu nicht! Es ist ein schlimmer Handel mit ihnen. – Sie schreien nach Aprikosen, Birnen, Pflaumen und Aepfeln, Sommer und Winter, ohne Unterschied der Jahreszeit. Doch wir haben hier kein Stückchen von Adams Rippe, Gott sei Dank!« »Ihr vergeßt Eure junge Herrin.« »Was für eine Herrin vergeß ich?« »Eure junge Herrin, Fräulein Vernon.« »Wie! Das Mägdlein Vernon? – Das ist nicht meine Herrin. Ich wollte, die Dirne wäre ihre eigne Herrin, und ich wünsche, sie mag keines andern Herrin sein. – Das ist eine wilde Hummel!« »In der Tat!« sprach ich mit mehr Anteil, als ich mir selbst gestehen oder diesem Menschen verraten wollte. – »Nun, Andreas, Ihr kennt alle Geheimnisse der Familie?« »Wenn ich sie kenne, weiß ich sie zu bewahren,« versetzte der Gärtner; »sie werden nicht unruhig in mir, wie Hefen im Fasse. Fräulein Diana ist – doch was gehts mich an!« – Und er begann wieder mit großer Emsigkeit zu graben. »Was ist Fräulein Vernon? Ich bin ein Freund der Familie und wünsche es zu wissen.« »Etwas anderes als gut, fürcht' ich,« sprach Andreas, indem er das eine Auge fest zudrückte und mit ernstem, geheimnisvollen Aussehen den Kopf schüttelte – »so ein wenig – Euer Gnaden verstehen mich schon.« »Das kann ich nicht sagen; aber es würde mir lieb sein, wenn Ihr deutlicher sprächt.« Mit diesen Worten ließ ich ein Kronenstück in des Gärtners harte Hand gleiten. Die Berührung des Silbers erregte ein grinsendes Lächeln auf seinem Gesichte, indem er langsam nickte und das Geld in die Tasche steckte. Er legte hierauf die Arme auf das Grabscheit und nahm die feierlichste Miene an, wie zu einer ernsten Mitteilung. »Ihr müßt also wissen, junger Herr, da Euch daran liegt, es zu erfahren, Fräulein Vernon ist –« Hier brach er ab, zog beide Wangen ein, daß seine dürren Kinnbacken und sein langes Kinn wie ein Nußknacker aussahen; winkte noch einmal, zog die Stirn, schüttelte den Kopf und schien zu glauben, daß, sein Gesicht vollkommen die Mitteilung ausgedrückt habe, welche seine Zunge nicht ausgesprochen hatte. »Guter Gott! rief ich;, »so jung, so schön und so früh verloren!« »Meiner Treu! Ihr habt recht – sie ist gewissermaßen verloren mit Leib und Seele; überdem ist sie eine Papistin, und ich halte sie für –« Seine schottische Behutsamkeit erhielt die Oberhand, und er schwieg von neuem. »Für was, Herr?« fragte ich ernst. »Ich will durchaus Wissen, wie dies alles zu verstehen ist.« »Nun, für die ärgste Jakobitin [Anhänger des schottischen Königshauses der Stuarts] in der Grafschaft.« »Pah! Eine Jakobitin? Ist das alles?« Andreas sah mich etwas erstaunt an, als er hörte, daß seine Mitteilung so gering geachtet ward. »Es ist dennoch das Schlimmste, was ich von dem Mädchen zu sagen weiß,« murmelte er und griff wieder nach seinem Spaten. Siebentes Kapitel Mit einiger Schwierigkeit fand ich das mir bestimmte Zimmer und schloß mich für den Rest des Abends ein. Warum hatte mein Vater mich in diese seltsame Familie gesandt? war meine erste und natürlichste Frage. Offenbar empfing mich mein Oheim, als wenn ich einige Zeit bei ihm verweilen sollte. Aber es war klar, daß ihm gar nichts daran gelegen war, ob ich da war oder nicht da war. Meine Vettern waren bloß ungeleckte Bären, in deren Umgang ich alles hätte verlernen können, was ich an anständiger Sitte und feiner Bildung erworben hatte, ohne dafür etwas andres zu lernen, als wie man Hunde pflegen, Pferde behandeln und Füchse jagen müsse. Nur einen Grund konnte ich mir denken, und das war vermutlich der wahre. Mein Vater betrachtete die Lebensweise im Schlosse Osbaldistone als diejenige, welche natürlich und unvermeidlich alle Gutsbesitzer pflegten, und wollte mir Gelegenheit geben, sie zu beobachten, da er wußte, wie sehr sie mir mißfallen werde, um, wo möglich, mich geneigter zu machen, einen tätigen Anteil an seinem Geschäfte zu nehmen. Unterdessen sollte Rashleigh Osbaldistone ins Kontor eintreten. Er hatte aber hundert Mittel, ihn vorteilhaft zu versorgen, wenn er ihn los sein wollte. Und ich beruhigte mich bei dem Gedanken, daß mein Vater völlig Herr seiner Angelegenheiten und ein Mann war, der sich nicht hintergehen oder durch irgend jemand bestimmen ließ. Auch hatte ich ja alles, was ich zum Nachteil des jungen Mannes wußte, von einem seltsamen, unbesonnenen Mädchen erfahren, dessen unkluge Offenherzigkeit mir Zweifel gegen die Richtigkeit und Genauigkeit des Angegebenen einflößen konnte. Meine Gedanken lenkten sich nun natürlich auf Fräulein Vernon. Ich gedachte ihrer ausnehmenden Schönheit, ihrer so besondern Lage, wo sie allein von ihrer eignen Ueberlegung und ihrem eignen Geiste beschützt und geleitet werden konnte. Ich hatte Verstand genug, um einzusehen, daß die Nähe dieses sonderbaren jungen Mädchens und unser häufiger und vertraulicher Umgang meinen Aufenthalt im Schloß erheitern, aber auch dessen Gefahr erhöhen würde; allein ich konnte, so sehr ich meine Vernunft anstrengte, es nicht über mich gewinnen, ausnehmendes Leid über diese neue, besondre Gefahr zu empfinden, der ich mich ausgesetzt sehen sollte. Unter diesen Betrachtungen schlief ich ein, und Diana war natürlich mein letzter Gedanke. Ob ich von ihr geträumt habe, weiß ich nicht, denn ich war müde und schlief fest. Aber an sie dachte ich zuerst, als bei Tagesanbruch die muntern Töne des Waldhorns mich erweckten. Ich sprang auf, ließ mein Pferd satteln und war in wenigen Minuten im Schloßhofe, wo ich Menschen, Hunde und Pferde in voller Vorbereitung fand. Mein Oheim, der vielleicht nicht berechtigt war, in seinem im Ausland erzognen Vetter einen sehr behenden Jäger zu erwarten, schien bei meinem Anblick überrascht, und sein Morgengruß kam mir nicht so herzlich und gastfreundlich vor als seine erste Bewillkommnung. Dann begrüßte ich Fräulein Vernon, die sich mir herzlich näherte. Auch zwischen meinen Vettern und mir fand eine flüchtige Begrüßung statt; als ich aber bemerkte, daß sie meine Kleidung und Ausrüstung, vom Hut bis zum Steigbügel, boshaft musterten und alles höhnisch belächelten, was ihnen neu oder fremd vorkam, so überhob ich mich der Mühe, ihnen viel Aufmerksamkeit zu erweisen, vergalt ihr Grinsen und Flüstern, mit einem Ausdruck der größten Gleichgültigkeit und Verachtung, und gesellte mich zu Fräulein Vernon, als der einzigen Person in der Gesellschaft, deren Umgang mir angemessen schien. An ihrer Seite ritt ich daher zu dem bestimmten Gehege, welches ein Wald am Rande einer ausgedehnten Trift war. Indem wir ritten, sagte ich zu Diana, daß ich meinen Vetter Rashleigh nicht bei der Jagd sehe, woraus sie erwiderte: »O nein – er ist ein gewaltiger Jäger, nach Nimrods Weise, und sein Wild ist der Mensch.« Die Hunde brachen nun in das Gehölz, ermuntert von dem Zuruf der Jäger – allenthalben Beschäftigung, Lärm und Tätigkeit. Meine Vettern nahmen bald so viel Anteil an der Morgenarbeit, daß sie sich nicht weiter um mich bekümmerten; nur hörte ich Richard, den Pferdejungen, leise Wilfred, dem Narren, zuflüstern: »Gib acht, ob unser französischer Vetter nicht beim ersten Satz herunterfällt.« »Leicht möglich,« antwortete Wilfred; »er bindet den Hut so seltsam und ausländisch auf.« Thorncliff jedoch, der auf seine rohe Weise nicht ganz unempfindlich gegen die Schönheit seiner Muhme sein mochte, schien entschlossen, sich in unsrer Nähe zu halten, vielleicht um zu beobachten, was zwischen uns vorginge, vielleicht aber auch, um sich an dem Jagdunfall zu ergötzen, den sie von mir erwartet hatten. Darin sah er sich nun freilich getäuscht. Ein Fuchs ward aufgejagt, und trotz der übeln Vorbedeutung, auf französische Art meinen Hut aufzubinden, behauptete ich mich als Reiter, zur Bewunderung meines Oheims und des Fräuleins, und zum geheimen Verdrusse derjenigen, die es anders erwartet hatten. Nachdem jedoch der Fuchs eine Strecke Weges heftig gejagt worden war, erwies er sich für seine Verfolger zu schlau, und die Hunde verloren die Fährte. Ich bemerkte zu dieser Zeit in Dianas Benehmen Zeichen der Ungeduld über Thorncliffs unablässige Begleitung, und da das lebhafte Mädchen nie sich bedachte, den lebhaften Wunsch des Augenblicks durch die geschwindesten Mittel zu befriedigen, so sprach sie zu ihm im Tone des Vorwurfs: »Ich wundre mich, Thorncliff, warum Ihr den ganzen Morgen hinter meinem Pferde her bummelt, da Ihr wißt, daß der Fuchsbau über der Mühle nicht verstopft ist.« »Kein Gedanke dran, Diana; der Müller hat mir versichert, er habe ihn heute nacht um zwölf Uhr verstopft.« »O, pfui über Euch, Thornie! Wollt Ihr Euch auf das Wort eines Müllers verlassen? Und gerade dieser Bau, wo wir den Fuchs dreimal dies Jahr verloren! und Ihr könnt auf Eurem Schimmel in zehn Minuten hin und zurück galoppieren.« »Gut, ich will hinreiten, und wenn der Bau nicht verstopft ist, so werde ich dem Müller dafür das Fell über die Ohren ziehen.« »Tut das, lieber Thorncliff; peitscht den Schurken, wie sichs gebührt – schnell davon und daran« – Thorncliff sprengte fort – »oder laßt Euch selber peitschen, was ebensogut meinem Zweck entspräche. Ich muß sie alle in der Zucht halten und meinem Befehle gehorchen lehren. Ich errichte ein Regiment, müßt Ihr wissen. Thorncliff wird mein erster Wachtmeister, Richard mein Stallmeister und Wilfred mein Paukenschläger.« »Und Rashleigh?« »Rashleigh wird mein Kundschafter.« »Und werdet Ihr keine Stelle für mich finden, mein liebenswürdigster Obrist?« »Ihr sollt die Wahl haben, entweder Zahlmeister oder Beutemeister des Korps. Doch seht, wie die Hunde umherirren. Kommt, die Fährte ist kalt; sie werden sie nicht sogleich wieder finden. Folgt mir, ich hab eine Aussicht zu zeigen.« Und sie sprengte eine sanfte Anhöhe hinan, auf deren Gipfel man eine weite Gegend überblickte. Nachdem sie umhergeschaut, ob niemand in unsrer Nähe war, zog sie ihr Pferd unter einige Birken, die uns vor dem übrigen Jagdbezirk verbargen. »Seht Ihr jenen spitzigen, braunen, heidigen Hügel, mit einem weißlichen Flecken auf der Seite?« fragte sie. »Am Ende des langen Strichs sumpfigen Hochlands? Ich seh ihn genau.« »Dieser weiße Fleck ist ein Felsen, die Hawkesmore-Klippe, und die liegt in Schottland.« »Wirklich? Ich glaubte nicht, Schottland so nahe zu sein.« »Es ist so, in zwei Stunden kann Euer Pferd Euch hinbringen.« »Ich werde ihm schwerlich diese Mühe machen; die Entfernung muß doch achtzehn Meilen betragen.« »Ihr sollt mein Pferd haben, wenn Ihrs für leichter haltet. Ich sag Euch, in zwei Stunden seid Ihr in Schottland.« »Und ich sage, es liegt mir nichts dran, da zu sein. Was soll ich in Schottland?« »Für Eure Sicherheit sorgen, wenn ich deutlich reden soll. Versteht Ihr mich nun, Herr Franz?« »Nicht im geringsten; Ihr werdet immer rätselhafter.« »Dann habt Ihr entweder ein ungerechtes Mißtrauen gegen mich und könnt Euch besser verstellen, als Rashleigh Osbaldistone, oder Ihr wißt nicht, wessen man Euch beschuldigt, und dann ist es kein Wunder, daß Ihr mich auf diese ernste Weise anstarrt, die ich kaum ohne Lachen sehen kann.« »Auf mein Ehrenwort, Fräulein Vernon,« sprach ich mit einiger Ungeduld über ihre kindische Lachlust, »ich habe nicht die geringste Vorstellung von dem, was Ihr meint. Es freut mich, Euch einen Gegenstand zur Belustigung darzubieten; aber ich weiß durchaus nicht, worin er besteht.« »Nein, es ist dennoch kein Scherz,« sprach Diana, sich sammelnd; »man sieht nur so lächerlich aus, wenn man wirklich verblüfft ist; aber die Sache ist ernsthaft genug. Kennt Ihr einen gewissen Morris, oder wie er sonst heißt?« »Nicht daß ich mich erinnern könnte.« »Denkt ein wenig nach. Seid Ihr nicht kürzlich mit jemand gereist, der so hieß?« »Der einzige Mann, mit dem ich eine Zeitlang reiste, war ein Mensch, dessen Seele in seinem Felleisen zu liegen schien.« »Dieser Mann ist beraubt worden und hat Euch als Mitschuldigen des Raubes angeklagt.« »Ihr scherzt, Fräulein Vernon!« »Gewiß nicht – es ist Tatsache. Ihr seid angeklagt, diesen Mann beraubt zu haben, und mein Oheim glaubts so gut, wie ich es tat.« »Auf Ehre, ich bin meinen Freunden sehr für ihre gute Meinung verbunden!« »Nun, schnaubt und starrt nur nicht so! Es ist keine solche Beleidigung, wie Ihr glaubt – Ihr seid keineswegs eines schlechten oder gemeinen Raubes beschuldigt. Dieser Mensch führte Geld von der Regierung bei sich, in Barschaft und Wechseln, zur Bezahlung der Truppen im Norden, und es heißt, man habe ihm auch sehr wichtige Briefschaften abgenommen.« »Also des Hochverrats, und nicht eines gewöhnlichen Raubes, werde ich beschuldigt?« »Gewiß; und der, wißt Ihr, hat zu allen Zeiten für das Verbrechen vornehmer Herren gegolten. Ihr werdet in dieser Grafschaft viele Leute, und jemand nicht weit von Eurem Ellbogen finden, die es für verdienstlich halten, dem Hause Hannover auf alle mögliche Weise zu schaden.« »Weder meine Politik noch meine Moral, Fräulein Vernon, ist von so geschmeidiger Art.« »Ich fange wirklich an, Euch für einen Presbyterianer und Hannoveraner in vollem Ernste zu halten. Aber was gedenkt Ihr zu tun?« »Diese abscheuliche Verleumdung sogleich zu widerlegen! Bei wem ist die seltsame Beleidigung vorgebracht worden?« fragte ich. »Bei dem alten Herrn Inglewood, der sie ungern genug annahm. Er hat, vermute ich, meinem Oheim angeraten, Euch nach Schottland hinüber zu schaffen, damit der Verhaftsbefehl Euch nicht erreichen könne. Mein Oheim aber weiß, daß seine Religion und alte Vorliebe ihn der Regierung gehässig machen, und daß, wenn man ihn auf solchen Wegen ertappte, er als Jakobit, Papist und verdächtiger Mensch entwaffnet und wahrscheinlich, was ihm das Aergste wäre, unberitten gemacht werden würde.« »Ich begreife das; eh' er seine Jagdpferde verlieren wollte, würd' er lieber seinen Neffen aufgeben.« »Neffen, Nichten, Söhne, Töchter, wenn er sie hätte, und sein ganzes Geschlecht,« sprach Diana. »Darum traut ihm nicht einen Augenblick, sondern macht Euch auf den Weg, ehe der Haftbefehl vollzogen wird.« »Auf den Weg werde ich mich gewiß machen, aber nach dem Hause dieses Inglewood. Wo liegt es?« »Ungefähr fünf Meilen weit, im Grunde hinter jenem Gehölz; Ihr könnt den Turm des Glockenhauses sehen.« »In wenigen Minuten will ich da sein,« sprach ich und setzte mein Pferd in Bewegung. »Und ich will Euch begleiten und Euch den Weg zeigen,« erwiderte Diana und setzte ihren Zelter gleichfalls in Trab. »Denkt nicht daran, mein Fräulein, es ist nicht schicklich – Fräulein Vernon, Ihr handelt aus wahrem Wohlwollen, das am besten in der Stunde der Not sich erweist. Aber ich darf um Eurer selbst willen, wegen einer möglichen Mißdeutung, nicht zugeben, daß Ihr dem Antriebe Eurer Großmut folgt. Dies ist eine so öffentliche Gelegenheit; es ist beinah, als sich in einen offnen Gerichtshof wagen.« »Und wenn es nicht beinahe, sondern wirklich so wäre, glaubt Ihr, ich würde nicht hingehen, sobald ich es für recht hielte und einen Freund zu beschützen wünschte? Ihr habt niemand, der Euch beisteht; Ihr seid ein Fremder, und hier an der Grenze erlauben sich die Landrichter seltsame Dinge. Mein Oheim hat nicht Lust, sich in Eure Sache zu mischen; Rashleigh ist abwesend, und wenn er hier wäre, wer weiß, welche Partei er ergreifen würde; von den übrigen ist immer einer dümmer und roher als der andre. Ich begleite Euch, und es macht mir keine Furcht, daß ich Euch nützlich sein kann. Ich bin keine feine Dame, die vor Rechtsbüchern, rauhen Worten und dicken Perücken bis auf den Tod erschrickt.« »Aber, mein teures Fräulein« – »Aber, mein teurer Herr Franz, seid ruhig und geduldig, und laßt mich meinen eignen Weg gehen; denn wenn ich das Gebiß zwischen die Zähne nehme, so kann kein Zügel mich aufhalten.« Geschmeichelt durch den Anteil, den ein so liebenswürdiges Wesen an meinem Schicksale zu nehmen schien, jedoch verlegen über den lächerlichen Anstrich, wenn ich ein achtzehnjähriges Mädchen als Sachwalterin mit mir führte, und endlich besorgt wegen der Mißdeutungen ihrer Beweggründe, suchte ich sie von dem Entschlusse, mich zu Inglewood zu begleiten, abzubringen. Das eigenwillige Mädchen sagte mir rund heraus, daß meine Vorstellungen durchaus umsonst wären, daß sie eine echte Vernon sei, und keine Rücksicht sie bewegen könne, einen Freund in der Not zu verlassen, selbst wenn sie ihm nur wenig Beistand zu leisten vermöge. Sie sei gewohnt, nur ihre Meinung gelten zu lassen. Während Diana also sprach, näherten wir uns Inglewoods Hause, einem stattlichen, obwohl altfränkischen Gebäude, dem man es ansah, daß angesehene Leute drin wohnten. Achtes Kapitel Ein Diener stand im Hofe, der die Livree meines Oheims trug, er nahm uns die Pferde ab, und wir traten ins Haus. In der Vorhalle war ich, und noch mehr meine schöne Gefährtin, überrascht, als wir Rashleigh antrafen, der bei unserm Anblick nicht weniger Verwunderung zeigte. »Rashleigh,« sagte Fräulein Vernon, ohne ihm Zeit zu einer Frage zu lassen. »Ihr habt von Eures Vetters Sache gehört und deshalb mit dem Richter gesprochen?« »Gewiß,« antwortete Rashleigh gefaßt; »weiter hatte ich hier nichts zu tun. Ich habe mich bemüht,« sprach er, mit einer Verbeugung gegen mich, »meinem Vetter nach besten Kräften zu dienen. Aber es tut mir leid, ihn hier zu treffen.« »Als meinem Freunde und Verwandten, Herr Osbaldistone, hätte es vielmehr Euch leid sein sollen, wenn Ihr mich zu einer Zeit, wo eine ehrenrührige Anklage es von mir erheischt, mich so schnell wie möglich hier einzustellen, irgend wo anders statt hier getroffen hättet.« »Richtig; aber nach meines Vaters Aeußerungen zu urteilen, hätte ich geglaubt, ein kurzer Aufenthalt in Schottland – so lange nur, bis die Sache in der Stille beigelegt –« Ich antwortete mit Wärme, daß ich keine Vorsichtsmaßregeln zu beobachten habe und nichts beigelegt verlange, sondern gekommen sei, einer schändlichen Verleumdung nachzuforschen, die ich völlig zu widerlegen gedenke. »Herr Franz Osbaldistone ist unschuldig, Rashleigh,« sprach Diana, »und verlangt eine Untersuchung der Beschuldigung, worin ich ihm beistehen will.« »Ihr, meine schöne Base? Ich sollte meinen, Herr Franz Osbaldistone möchte ebenso wirksam und weit anständiger durch meine Verwendung als durch die Eurige unterstützt werden.« »O gewiß; aber Ihr wißt, zwei Köpfe sind besser als einer.« »Besonders ein Kopf wie der Eurige, meine artige Diana,« sprach er, sich nähernd, und ergriff ihre Hand mit einer vertraulichen Zärtlichkeit, wodurch er mir fünfzigmal hübscher vorkam, als die Natur ihn gemacht hatte. Sie führte ihn jedoch einige Schritte auf die Seite; sie sprachen leise miteinander, und sie schien auf etwas zu bestehen, das er nicht bewilligen konnte oder wollte. Nie sah ich einen so auffallenden Gegensatz in dem Ausdruck zweier Gesichter. Dianas Ernst verwandelte sich in Entrüstung. Ihre Augen wurden lebhafter, ihre Wangen röter; sie ballte die kleine Hand, und den Boden stampfend, schien sie mit Verachtung und Unwillen die Einwendungen anzuhören, die er, wie ich aus seiner höflichen Haltung, seinem ruhigen, ehrerbietigen Lächeln, und andern Zeichen in Blick und Gebärde schloß, ihr zu Füßen legte. Endlich eilte sie von ihm weg mit einem: »Ich will es so!« »Es steht nicht in meiner Gewalt – es ist keine Möglichkeit. Denkt Euch, Vetter –« sprach Rashleigh, sich zu mir wendend. »Seid Ihr toll?« fiel Diana ein. »Denkt Euch,« fuhr er fort, ohne auf ihren Wink zu achten, »Fräulein Vernon behauptet steif und fest, ich wüßte nicht allein darum, daß Ihr unschuldig seid – davon kann in der Tat niemand fester überzeugt sein, – sondern ich müßte auch wissen, wer das Verbrechen an dem Mann in Wahrheit begangen hat, – wenn überhaupt ein solches Verbrechen begangen worden ist. Hat das Sinn und Verstand, Herr Osbaldistone?« »Sie sollen sich nicht auf Herrn Osbaldistone berufen, Rashleigh,« sprach das junge Fräulein; »er ist nicht so gut wie ich darüber unterrichtet, wie unglaublich eingehend und umfassend Ihr über alle möglichen Dinge Bescheid wißt.« »Ihr erzeigt mir mehr Ehre, als ich verdiene.« »Nur Gerechtigkeit, Rashleigh, nur Gerechtigkeit – und nur Gerechtigkeit erwart' ich von Euch.« »Ihr seid eine Tyrannin, Diana,« antwortete er mit einer Art von Seufzer – »eine launenhafte Tyrannin, und beherrscht Eure Freunde mit einer eisernen Rute. Dennoch soll geschehen, was Ihr verlangt. Aber Ihr solltet nicht hier sein. Ihr wißt es – Ihr solltets nicht – Ihr müßt mit mir zurückkehren. « – Darauf wendete er sich von ihr ab, die unentschlossen zu stehen schien, und trat auf die freundlichste Weise zu mir. »Zweifelt nicht,« sprach er, »an dem Anteile, den ich an allem nehme, was Euch betrifft. Ich verlaß Euch in diesem Augenblicke nur, um zu Eurem Besten zu handeln. Aber Ihr müßt Euren Einfluß auf unsre Base anwenden, sie zur Rückkehr zu bewegen; ihre Gegenwart kann Euch nichts helfen und muß ihr selbst nachteilig sein.« »Seid versichert,« erwiderte ich, »Ihr könnt davon nicht mehr überzeugt sein, als ich es bin. Ich habe das Fräulein so dringend, als sie es mir erlauben wollte, gebeten, umzukehren.« »Ich hab es überlegt,« sprach Diana nach einer Pause, »und ich will mich nicht entfernen, bis ich Euch aus den Händen der Philister gerettet sehe. Vetter Rashleigh meint es wohl gut mit Euch, aber er und ich, wir kennen einander. Rashleigh, ich gehe nicht. – Ich weiß,« setzte sie sanfter hinzu, »mein Hiersein wird Euch desto schneller und tätiger machen.« »So bleibt denn, unbesonnenes, hartnäckiges Mädchen!« sprach Rashleigh; »Ihr wißt nur zu gut, wem Ihr vertraut.« – Er eilte aus der Halle, und wir hörten eine Minute darauf den schnellen Hufschlag seines Pferdes. »Dem Himmel sei Dank, er ist fort!« rief Diana. »Und nun laßt uns den Richter aufsuchen.« »Wollen wir nicht lieber einen Bedienten rufen?« »O keineswegs! Ich weiß den Weg zu seiner Höhle. Wir müssen ihn plötzlich überfallen. Folgt mir.« Ich folgte ihr demnach, und sie trippelte einige dunkle Stufen hinauf, ging durch einen düstern Gang und trat in eine Art Vorzimmer, das rings mit alten Landkarten, Stammbäumen ec. behangen war. Eine Flügeltür führte in des Richters Wohnzimmer, worin eben eine Stimme, die zu ihrer Zeit gut zu einem muntern Trinklied gepaßt haben mochte, den letzten Vers eines alten Liedes sang. »Ei, der lustige Richter muß bereits gegessen haben!« sprach Diana; »ich hätte nicht gedacht, daß es schon so spät wäre.« So war es. Herr Inglewood, dem die Amtsgeschäfte die Eßlust belebt hatten, hatte sein Mittagessen heute früher angesetzt, und um zwölf, anstatt um ein Uhr, der damals gewöhnlichen Eßstunde in England, seine Mahlzeit gehalten. Wir kamen einige Zeit nach dieser Stunde, für den Richter die wichtigste des Tages, und er hatte den Zwischenraum nicht unbenutzt gelassen. »Wartet hier,« sprach Diana; »ich bin im Hause bekannt und will einen Diener rufen. Eure plötzliche Erscheinung möchte den alten Herrn zu gewaltsam überraschen.« Sie entfernte sich und ließ mich zurück im Zweifel, ob ich vorwärts- oder zurückgehen sollte. Notwendig mußte ich etwas von dem, was im Speisezimmer vorging, hören, wo eine niedergeschlagne, krächzende Stimme, die mir bekannt vorkam, sich entschuldigte, daß sie nicht singen könne. »Nicht singen, Herr? Bei unsrer Frauen! aber Ihr müßt! wie, Ihr habt meine mit Silber beschlagne Kokosnußschale voll Sekt ausgetrunken, und wollt nicht singen? Herr, der Sekt kann eine alte Katze zum Singen bringen, und zum Sprechen dazu; daher heraus mit einem lustigen Liede, oder trollt Euch aus meiner Türe. Meint Ihr, Ihr könnt mir meine ganze kostbare Zeit mit Euren verdammten Erklärungen wegstehlen und dann mir sagen, Ihr könnt nicht singen?« »Euer Gestrengen hat vollkommen recht,« sprach eine andre Stimme, die ich wegen der schnellen, gezwungnen Töne für die des Schreibers hielt, »und der Herr muß dazu geschickt sein; auf seiner Stirn steht mit großen Buchstaben geschrieben: canet, das heißt: er wird singen.« Auf diese Weise ermahnt und bedroht, begann mein ehemaliger Reisegefährte, denn ich konnte nicht länger daran zweifeln, daß er es war, mit der Stimme eines Verbrechers, der auf dem Schafott seinen letzten Psalm singt, ein höchst klägliches Lied zu singen. Des Wartens müde, und da meine Lage als Horcher unangenehm war, trat ich vor die Gesellschaft, als eben Morris den vierten Vers einer kläglichen Ballade anfangen wollte. Der hohe Ton, womit die Melodie anhub, erstarb in einem ängstlichen Triller, als er den Mann in seiner Nähe erblickte, der ihm so verdächtig erschien, und er schwieg mit offnem Munde, als ob ich das Medusenhaupt in meiner Hand gehabt hätte. Der Richter, dessen Augen sich unter dem Einfluß des einschläfernden Gesanges geschlossen hatten, fuhr bei dem plötzlichen Stillstand desselben in seinem Lehnstuhl empor, und starrte mit umdüsterten Augen verwundert den unerwarteten Gast an. Auch der Schreiber, der Morris gegenüber saß, geriet in Bewegung; denn das Entsetzen dieses wackern Mannes teilte sich ihm mit, er wußte nicht, wie. Ich brach das Schweigen der Bestürzung, die mein plötzlicher Eintritt verursacht hatte: »Herr Inglewood, mein Name ist Franz Osbaldistone. Ich höre, daß irgend ein Nichtswürdiger eine Klage vor Euch gebracht hat, die mich beschuldigt, an einem Diebstahl an seinem Hab und Gut beteiligt zu sein.« »Herr,« sprach der Richter etwas mürrisch, »dies sind Sachen, womit ich mich nach Tische nie befasse. Jedes Ding hat seine Zeit, und ein Friedensrichter muß so gut essen, wie andre Leute.« »Verzeiht, wenn ich ungelegen komme, Herr; aber da es meinen Ruf betrifft und die Mahlzeit zu Ende zu sein scheint –« »Sie ist nicht zu Ende,« erwiderte der Richter. »Der Mensch muß ebensogut verdauen können, wie er essen muß, und ich habe keinen Gewinn von meinem Essen, wenn mir nicht zwei Stunden Ruhe vergönnt sind, bei harmloser Fröhlichkeit und mäßigem Gebrauch der Flasche.« »Mit Eurer Gestrengen Erlaubnis,« sprach Jobson, der während unsers kurzen Gesprächs seine Schreibgeräte herbei und in Ordnung gebracht hatte, »da von einem Raube die Rede ist, und dieser Herr so ungeduldig scheint, die Anklage lautet: contra pacem domini regis.« »Zum Teufel mit dem domini regis!« rief der ungeduldige Richter. – »Es wird ja nicht gleich ein Hochverrat sein, so zu schimpfen. – Aber man möchte toll werden, wenn einem so zugesetzt wird. Hab ich einen Augenblick Ruhe in meinem Leben vor lauter Vollmachten, Befehlen, Anweisungen, Beschlüssen, Bürgschaften, Handschriften und Bekenntnissen? Ich sag's Euch, Jobson, daß ich Euch und die Richterschaft nächster Tage zum Teufel schicken werde. Doch laßt uns das Zeug vornehmen – wir wollen so schnell wie möglich damit fertig werden. Hier, Herr Morris, Ihr Ritter von der traurigen Gestalt – ist dieser Herr Franz Osbaldistone, derjenige, welchen Ihr des Raubes beschuldigt?« »Ich, Herr?« erwiderte Morris, der sich kaum wieder gesammelt hatte. »Ich beschuldige niemand – ich sagte nichts gegen diesen Herrn.« »Dann weisen wir Eure Klage ab, und damit ists gut, und wir sinds los. – Laßt die Flasche herumgehen. Herr Osbaldistone, bedient Euch selbst.« Jobson wollte indessen Morris nicht so leichten Kaufes loslassen. »Was fällt Euch ein, Herr Morris? Hier ist Eure eigne Erklärung – die Tinte ist kaum trocken – und Ihr wollt sie so schmählich widerrufen?« »Was weiß ich,« flüsterte der andre zitternd, »wie viele Schelme hier im Hause sind, um ihm beizustehen. – Ich habe von solchen Fällen in Johnsons Lebensbeschreibungen von Straßenräubern gelesen. – Wahrhaftig, die Türe geht auf.« – Ja, sie ging auf, und Diana Vernon trat herein. »Ihr haltet schöne Ordnung hier, Richter – kein Diener zu sehen oder zu hören.« »Ah!« rief der Richter. »Ha! Diana Vernon! Das Heideglöckchen der Cheviot-Hügel und die Blüte der Grenze kommt, um zu sehen, wie der alte Junggesell haushält. Bist willkommen, Mädchen, wie die Blumen im Mai.« »Ein feines, offnes, gastfreies Haus haltet Ihr, Richter, das muß man zugeben – keine Seele, um einen Besuch zu empfangen.« »O, die Schurken! Sie halten sich auf ein paar Stunden für sicher. Aber warum kommt Ihr nicht früher? Euer Vetter Rashleigh war zu Tisch bei mir und ist weggerannt wie eine Memme, als die erste Flasche leer war. Aber Ihr habt noch nicht zu Mittag gegessen. Wir werden etwas Zartes bereiten lassen, ganz Ihr selbst – gleich ists fertig.« »Ich kann mich nicht aufhalten, Richter. – Ich bin mit meinem Vetter, Franz Osbaldistone, hierher gekommen und muß ihm wieder den Rückzug zeigen, sonst wird er sich in der Ebene verirren.« »So! Kommt der Wind aus der Ecke?« erwiderte der Richter. – »Also kein Glück für alte Gesellen, mein süßes Knöspchen der Wildnis?« »Ganz und gar keines, Junker Inglewood; wenn Ihr aber ein guter, freundlicher Richter sein wollt, und des jungen Franz Sache schnell abfertigt, und uns wieder heimreiten laßt, so bring ich nächste Woche meinen Oheim zu Tische zu Euch, und wir versprechen uns viel Vergnügen.« »Und sollt es finden, meine Perle des Tyne! Meiner fixen, Mädchen! Aber ich darf Euch wohl jetzt nicht aufhalten? Ich bin völlig zufrieden mit der Erklärung des Herrn Franz Osbaldistone – es ist hier ein Mißverständnis gewesen, das bei gelegner Zeit aufgeklärt werden kann.« »Um Vergebung, Herr,« sprach ich, »aber ich weiß noch nicht, wessen ich beschuldigt bin.« Auf diese Weise gedrängt, gab mir der Richter endlich einige Worte zur Erläuterung. Wie es schien, hatten die Scherze, die ich mir mit diesem Morris gemacht hatte, einen starken Eindruck auf seine Einbildungskraft gemacht; denn es stellte sich heraus, daß er sie, mit aller Uebertreibung einer geängstigten und erhitzten Phantasie, als Beweise gegen mich angeführt hatte. Auch zeigte sich, daß er an dem Tage, wo wir uns trennten, auf einer einsamen Straße von zwei wohlberittnen und bewaffneten Männern, die Masken getragen, angefallen und seines geliebten Reisegefährten, des Felleisens, beraubt worden war. Einer der Männer hatte, wie es ihm vorkam, viel von meiner Gestalt, und in einem Gespräch zwischen Straßenräubern hörte er, wie der eine Osbaldistone genannt wurde. Als er sich nach den Grundsätzen benannter Familie, wie die Erklärung weiter lautete, erkundigt hatte, war ihm von einem protestantischen Geistlichen, in dessen Hause er nach jenem Unfall sich aufgehalten hatte, die Mitteilung gemacht worden, diese Familie sei ein ganzes Nest von schlimmsten Bösewichtern, und alle Mitglieder derselben, seit den Tagen Wilhelm des Eroberers, seien Papisten und Jakobiten gewesen.« Aus allen diesen wichtigen Gründen klagte mich Morris als Mitschuldigen des an ihm verübten Raubes an; er reiste damals im besondern Auftrag der Regierung und hatte gewisse wichtige Papiere nebst einer bedeutenden Summe bei sich, die er an gewisse angesehene Personen in Schottland liefern sollte. Nachdem ich diese seltsame Anklage vernommen hatte, erwiderte ich darauf: daß die Umstände, worauf sie gegründet, von einer Art wären, die keine Obrigkeit berechtigen könne, meine persönliche Freiheit anzugreifen. Ich gab zu, ein wenig auf Morris Furchtsamkeit hingewirkt zu haben, allein in solchen unbedeutenden Neckereien, die nur einem so furchtsamen und mißtrauischen Mann, wie er, hätten Argwohn einflößen können. Seit unsrer Trennung, fügte ich hinzu, habe ich ihn nicht wieder gesehen, und wenn ich ihm wirklich begegnete, was er gefürchtet, so sei ich keineswegs bei einer, meiner Gesinnung und meines Standes so unwürdigen Tat behilflich gewesen. Daß einer der Mörder Osbaldistone genannt worden sei, oder daß dieser Name in diesem Gespräch vorgekommen sei, sei ein unbedeutender Umstand, der nichts zu sagen habe. Der Richter bewegte sich hin und her, nahm Tabak und schien ziemlich verlegen, während Schreiber Jobson mit aller Geläufigkeit seines Standes die Parlamentsakte Eduards III. durchlas, nach welcher Friedensrichter ermächtigt sind, alle diejenigen, welche angeklagt oder verdächtig gefunden werden, zu verhaften und gefangen zu setzen. Ich bemerkte, ich würde nötigenfalls die Bürgschaft meiner Verwandten beibringen, die man nicht verwerfen könne. »Um Vergebung, mein Herr, um Vergebung,« sagte der Schreiber, »dies ist ein Fall, wo keine Bürgschaft angenommen werden kann. Der Dieb, gegen den wegen Verdachts eines Verbrechens ein Haftbefehl vorliegt, kann nach dem dritten Statut König Eduards nicht auf Bürgschaft freigelassen werden, da sich in dieser Verordnung eine besondere Ausnahme derjenigen findet, welche angeklagt sind, an einem vorgefallenen Raube beteiligt gewesen zu sein.« Hier wurde die Unterhaltung durch den Eintritt eines Dieners unterbrochen, der Jobson einen Brief überreichte. Sobald er ihn schnell durchgelesen hatte, rief er mit dem Ausdruck eines Mannes, der sehr ärgerlich über die Unterbrechung zu scheinen wünscht und seine Wichtigkeit wegen mannigfacher Geschäfte fühlt: »Guter Gott! auf diese Art hab ich weder Zeit für die öffentlichen Geschäfte, noch für meine eignen. – Keine Ruhe, keine Rast! Wollte der Himmel, ein andrer Mann unseres Standes machte das Geschäft hier ab!« »Gott bewahre!« sprach der Friedensrichter halb laut; »man hat genug an einem von der Zunft.« »Dies ist eine Sache, die Leben und Tod betrifft, Euer Gestrengen.« »In Gottes Namen! hoffentlich kein richterliches Geschäft?« fragte der beunruhigte Richter. »Nein, nein,« erwiderte der Schreiber sehr wichtig. »Der alte Gaffer Rutledge von Grime'shill erhielt eine Vorladung in die andre Welt; er sandte einen Boten an Doktor Garaus, um Bürgschaft zu leisten – einen andern an mich, um seine zeitlichen Angelegenheiten zu ordnen.« »Also fort mit Euch!« rief der Richter schnell; »der Herr Richter Tod nimmt am Ende die Bürgschaft des Doktors nicht an.« »Und dennoch,« sprach Jobson zögernd, indem er nach der Türe ging, »sollte meine Gegenwart hier nötig sein – ich kann den Verhaftsbefehl im Augenblick ausfertigen, und der Gerichtsdiener ist unten. Auch habt Ihr gehört, was Herr Rashleigh meinte« – das übrige verlor sich im Geflüster. »Nein, sag ich Dir, Mann, nein!« erwiderte der Richter laut. »Es soll nichts geschehen, bis Du zurückgekehrt bist; es ist nur ein Ritt von wenigen Meilen. – Kommt, schenkt ein, Herr Morris! Seid nicht niedergeschlagen, Herr Osbaldistone! – Und Du, meine wilde Rose, – ein Glas Rotwein, um die Blume Deiner Wangen aufzufrischen.« Diana fuhr gleichsam aus einer Träumerei empor, worin sie während unsrer Verhandlung, wie es schien, versunken war. »Nein, Richter! ich fürchte die Blume auf einen Teil meines Gesichts zu verpflanzen, wo sie sich nicht sonderlich gut ausnehmen würde. Aber ich will Euch in einem kühleren Tranke Bescheid tun,« erwiderte sie und füllte ein Glas mit Wasser, das sie schnell trank, wahrend ihre unruhige Hast die angenommene Fröhlichkeit Lügen strafte. Ich war jedoch nicht in der Stimmung, ihr Betragen zu beobachten, da die neue Störung, welche die augenblickliche Untersuchung der schimpflichen und ungereimten Anklage hinderte, mich mit Unmut erfüllte. Aber der Richter ließ, sich nicht bewegen, die Sache in der Abwesenheit seines Schreibers wieder vorzunehmen, worüber er sichtlich so viel Freude hatte, wie ein Schulknabe über einen Feiertag. Er beharrte in seinen Bemühungen, Fröhlichkeit in eine Gesellschaft zu bringen, deren Mitglieder bei ihren gegenseitigen Beziehungen und in ihrer gegenwärtigen Lage nicht zur Fröhlichkeit aufgelegt waren. »Frisch, Herr Morris! Ihr seid nicht der erste Mann, der beraubt worden ist, mein' ich – Gram brachte das Verlorene nie zurück. – Und Ihr, Herr Osbaldistone, seid nicht der erste junge Wildfang, der einem ehrlichen Manne sein: Halt! zugerufen hätte. Da war in meiner Jugend Hans Winterfeld, er hielt sich zur besten Gesellschaft im Lande, zu Pferderennen und Hahnenkämpfen – wir waren ein Herz und eine Seele. Schenkt ein, Herr Morris, es schwatzt sich trocken nicht gut! – Manchen Humpen hab' ich mit dem armen Hans geleert. Von guter Familie – ein guter Kopf – ein schneller Blick – auch sonst ein ehrlicher Bursche, bis auf die Tat, die ihm das Leben kostete. Wir wollen auf sein Andenken trinken, Ihr Herren! Der arme Hans Winterfeld! – Und da wir von ihm sprechen und von dergleichen Dingen, und da mein verwünschter Schreiber mit seinem Kauderwelsch anderswo ist, und da wir so hübsch unter uns selbst sind, Herr Osbaldistone, wenn ich Euch meinen besten Rat geben soll, so macht die Sache ab. – – Das Gesetz ist hart – sehr strenge – der arme Hans Winterfeld ward zu York gehängt, trotz Familienverbindungen und großem Ansehen, – bloß weil er einen fetten Viehhändler um das für einige Rinder erhaltene Geld leichter gemacht hatte. – Nun, man hat den ehrlichen Morris erschrecken wollen, und so weiter. – Verdammt, Herr! Gebt dem armen Menschen sein Felleisen zurück, und macht dem Spaß auf einmal ein Ende.« Morris' Augen erheiterten sich bei diesem Vorschlage, und er fing an, eine Versicherung zu stammeln, daß er nach keines Menschen Blut dürste, als ich den vorgeschlagenen Vergleich kurz abbrach, indem ich des Richters Antrag für eine Beleidigung erklärte, die dahin gerichtet wäre, mich des Verbrechens für schuldig zu halten, das ich bestimmt von mir ablehnen wollte. So standen die Sachen, als der Diener einen fremden Herrn anmeldete, und die also bezeichnete Person trat ohne weitere Umstände ins Zimmer. Neuntes Kapitel »Ein Fremder!« wiederholte der Richter – »hoffentlich nicht in Geschäften, denn ich will –« Seine Einwendung wurde durch die Antwort des Mannes selbst unterbrochen: »Mein Geschäft ist von etwas beschwerlicher und seltsamer Art,« sagte mein Bekannter Campbell – denn er war es, derselbe Schottländer, den ich in Northallerton gesehen hatte, – »und ich muß Euer Gestrengen bitten, sich ohne Aufschub damit zu befassen. Ich glaube, Herr Morris,« setzte er hinzu, einen besonders strengen, fast wilden Blick auf denselben richtend: »ich glaube, Ihr wißt recht gut, wer ich bin – ich glaube, Ihr habt nicht vergessen, was vorging, als wir uns zuletzt auf der Straße begegneten.« – Morris ward leichenblaß, seine Zähne klapperten, und er zeigte die äußerste Bestürzung. »Faßt ein Herz,« sprach Campbell weiter, »und laßt die Zähne nicht klappern, wie ein Paar Castagnetten. Ich denke, es kann Euch nicht schwer werden, dem Herrn Richter zu sagen, daß Ihr mich vormals gesehen habt, und mich als einen Kavalier von Vermögen und einen Mann von Ehre kennt. Ihr wißt recht wohl, daß Ihr eine Zeitlang in meiner Nähe wohnen werdet, wo es in meiner Macht liegt, Euch, sobald ich will, auch einen guten Dienst zu erweisen.« »Herr – Herr – ich glaube, Ihr seid ein Mann von Ehre, und, wie Ihr sagt, ein reicher Mann. Ja, Herr Inglewood,« setzte Morris, sich räuspernd, hinzu: »ich halte wirklich diesen Herrn dafür.« »Und was steht zu dieses Herrn Diensten?« fragte der Richter etwas verdrießlich. »Einer führt den andern ein, und ich erhalte Gesellschaft ohne Ruhe und Unterhaltung.« »Ihr sollt in kurzer Zeit beides haben,« antwortete Campbell. »Ich komme, Euch von einer lästigen Pflicht zu befreien, nicht dieselbe zu erschweren.« »Meiner Treu! Dann seid Ihr so willkommen, als je ein Schottländer in England war. Aber macht fort, Herr, laßt hören, was Ihr auf einmal zu sagen habt.« »Ohne Zweifel,« fuhr der Nordbrite fort, »hat Euch dieser Herr berichtet, daß ein gewisser Campbell bei ihm war, als er das Unglück hatte, sein Felleisen zu verlieren?« »Er hat vom Anfang bis zum Ende der Sache keines solchen Namens erwähnt,« antwortete der Richter. »O, ich verstehe, ich verstehe,« sprach Campbell. »Ihr waret gütig besorgt, einen Fremden nicht in gerichtliche Händel zu verwickeln. Da ich aber höre, mein Zeugnis ist notwendig, um diesen achtbaren Herrn Franz Osbaldistone von einem sehr ungerechten Verdacht zu befreien, so will ich die Vorsicht aufgeben. Ihr werdet also gefälligst dem Herrn Richter Inglewood sagen, ob wir nicht mehrere Meilen weit zusammen reisten, zufolge Eures eifrigen Verlangens und Begehrens an dem Abend, wo wir in Northallerton waren, – ich hatte es erst abgelehnt, nachher aber Euch doch den Gefallen getan, als ich Euch auf der Straße einholte und mich von Euch bewegen ließ, meinen Vorsatz, nach Rotbury zu reisen, aufzugeben und zu meinem Unglück Euch zu begleiten?« »Es ist eine traurige Wahrheit,« antwortete Morris und senkte das Haupt, als er mit jämmerlicher Folgsamkeit, Campbells lange Frage beantwortete. »Und vermutlich könnt Ihr auch versichern, daß niemand besser imstande ist, als ich, in dieser Sache Zeugnis abzulegen, da ich während des ganzen Vorfalls bei Euch und neben Euch war?« »Niemand besser, gewiß,« sprach Morris, mit einem tiefen, verlegnen Seufzer. »Und warum, zum Teufel, habt Ihr ihm nicht beigestanden?« fragte der Richter. »Wie Herr Morris sagt, kamen nur zwei Räuber; also waret Ihr zwei gegen zwei, und Ihr seid beides rüstige Männer.« »Laßt Euch sagen, Herr Richter,« sprach Campbell; »ich bin mein Leben lang ein friedsamer, ruhiger Mann gewesen, keineswegs zu Streit oder Schlägereien geneigt. Herr Morris, der, wie ich vernehme, zu des Königs Armee gehört oder gehört hat, hätte nach Belieben Widerstand leisten können, da er mit vielem anvertrautem Gelde gereist sein soll; allein ich hatte nur mein geringes Eigentum zu verteidigen, und als ein Mann von friedlicher Beschäftigung war ich nicht geneigt, mich bei der Sache in Gefahr zu setzen.« Ich blickte Campbell an, als er diese Worte sprach, und erinnere mich nie, einen auffallendern Gegensatz gesehen zu haben, als zwischen der ernsten, kräftigen Kühnheit, die seine rauhen Züge ausdrückten, und der ruhigen Milde und Einfalt, die seine Worte aussprechen sollten. Ein leichtes spöttisches Lächeln lauerte sogar in den Mundwinkeln und schien unwillkürlich anzudeuten, wie verächtlich ihm die ruhige und friedliche Gesinnung war, die er anzunehmen für gut fand, und ich fühlte in mir den Verdacht entstehen, daß er bei der Gewalttätigkeit, die Morris erlitten, etwas ganz andres, als Leidensgefährte oder bloßer Zuschauer gewesen sein möge. Vielleicht durchkreuzte in diesem Augenblick ein ähnlicher Verdacht die Seele des Richters; denn er rief plötzlich aus: »Meiner Treu! Das ist eine seltsame Geschichte!« Der Schottländer schien zu erraten, was in seinem Gemüt vorging, indem er Ton und Benehmen änderte, und aus seinen Gesichtszügen einen Teil des heuchlerischen Ausdrucks von Demut entfernte, der Verdacht erweckt hatte. Mit mehr Freimütigkeit und Unbefangenheit fuhr er fort: »Die Wahrheit zu sagen, ich bin einer von jenen schlauen Leuten, die sich nichts aus dem Streite machen, wenn sie nicht etwas haben, wofür sie streiten, und das war bei mir nicht der Fall, als ich mit diesen Taugenichtsen zusammen kam. Damit Euer Gestrengen aber wissen mögen, daß ich ein Mann von gutem Rufe und guter Gesinnung bin, so werft Eure Augen auf dieses Blatt.« Herr Inglewood nahm das Papier und las halblaut: »Dies bezeugt, daß Inhaber dieses, Robert Campbell, aus – aus einem Ort, den ich nicht aussprechen kann,« redete der Richter dazwischen – »ein Mann von guter Herkunft und friedlichem Betragen ist, der in seinen eignen Angelegenheiten nach England reist etc. Gegeben von unsrer Hand in unserm Schloß Inver–Invera–rara.– Argyle.« »Ich kenne den Herzog von Argyle,« sprach der Richter, »als einen ausgezeichneten Edelmann und einen echten Freund seines Vaterlandes. Ich wünschte, wir hätten mehr solche Edelleute. Sein Zeugnis ist völlig ausreichend, Herr Campbell – und nun berichtet, was Ihr über diese Raubgeschichte zu sagen habt.« »Mit wenig Worten dies: Herr Morris könnte ebensogut ein Kind, das noch geboren werden soll, oder sogar mich selbst beschuldigen, als den Herrn Osbaldistone; denn ich kann nicht allein bezeugen, daß jener Mann, für den er ihn hielt, kleiner und dicker war, sondern auch, denn als sich die Larve verschob, habe ich etwas von seinem Gesicht gesehen – daß er andre Züge und andre Farbe hatte wie Herr Osbaldistone. Und ich glaube,« fügte er hinzu und wendete sich in einer ungezwungenen, aber etwas strengen Weise gegen Morris, »dieser Herr wird zugeben, daß er bessere Gelegenheit hatte, zu beobachten, wer dabei war, als er, da ich vermutlich der Kaltblütigere von uns beiden war.« »Ich geb es zu, Herr – ich geb es völlig zu,« sagte Morris und bebte zurück, als Campbell mit seinem Stuhl ihm näher rückte. »Und ich bin geneigt,« fuhr er, zu dem Richter gewandt, fort, »meine Anzeige gegen Herrn Osbaldistone zurückzunehmen, und ich bitte Euch, Herr, ihm zu erlauben, seinen Geschäften nachzugehen, und mir dasselbe zu gestatten. Euer Gestrengen kann Geschäfte mit Herrn Campbell abzumachen haben, und ich habe es eilig.« »Fort also mit den Anzeigen!« sprach der Richter und warf die Schrift ins Feuer. »Ihr seid nun gänzlich frei, Herr Osbaldistone – und Ihr, Herr Morris, könnt ruhig Eures Weges gehen.« »Ja,« sprach Campbell mit einem Blick auf Morris, der mit jammervollem Gesicht des Richters Bemerkung beistimmte: »ja, so ruhig, wie eine Kröte, wenn sie unter der Egge liegt. – Aber fürchtet nichts, Herr Morris, wir müssen das Haus zusammen verlassen. Ich will Euch sicheres Geleit geben, – hoffentlich zweifelt Ihr nicht an meiner Ehre, wenn ich es sage – bis zur nächsten Landstraße, wo wir uns trennen; und wenn wir uns in Schottland nicht als Freunde wiedersehen, wird es Eure eigne Schuld sein.« Mit einem Blick voll Entsetzen, wie ein verurteilter Verbrecher bei der Nachricht, daß der Karren ihn erwartet, stand Morris auf; aber dann schien er zu zögern. »Ich sage Dir, fürchte nichts,« wiederholte Campbell. »Ich werde mein Wort halten. Wie, Du Hasenherz, wie weißt Du denn, ob wir nicht etwas von Eurem Felleisen wiederfinden können, wenn Ihr guten Rat annehmen wollt? Unsere Pferde stehen bereit, sagt dem Richter Lebewohl, und zeigt Eure südliche, gute Lebensart.« Auf diese Weise ermahnt und aufgemuntert, nahm Morris unter Campbells Geleite Abschied, aber gewiß waren neue Besorgnisse in ihm erwacht, ehe sie das Haus verließen, denn ich hörte, wie Campbell die Versicherung seines Schutzes wiederholte, als sie aus dem Vorzimmer gingen. »Meiner Treu, Mann! Du bist so sicher, wie in Deines Vaters Hofe. Daß ein Mensch mit einem so schwarzen Barte nicht mehr Herz hat wie ein Rebhuhn! Kommt!« Die Stimme verhallte, und das darauf folgende Trappeln der Pferde verkündete uns, daß sie das Haus verlassen hatten. Die Freude dieses würdigen Richters über die leichte Beendigung einer Sache, die ihm etwas Mühe zu machen drohte, wurde durch die Betrachtung gedämpft, was sein Schreiber bei der Rückkehr zu dieser Verhandlung sagen würde. »Nun werd ich den Jobson auf dem Halse haben wegen dieser verdammten Papiere. – Ich hätte sie dennoch wohl nicht verbrennen sollen. – Aber, der Henker hol's, man darf ihm nur seine Gebühren bezahlen, und das wird alles gleich machen. Und nun, Fräulein Diana Vernon, obwohl ich alle andern freigelassen habe, möchte ich doch gegen Euch einen Verhaftsbefehl ausfertigen, und Euch für den Abend dem Gewahrsam der Mutter Blakes, meiner alten Haushälterin, übergeben. Wir wollen meine Nachbarin, Frau Musgrave, und die Fräulein Dawkins und Eure Vettern holen lassen, und den alten Geiger Cobs rufen, und uns lustig machen. Herr Franz Osbaldistone soll eins mit mir trinken, und in einer halben Stunde werden wir zu Eurer Gesellschaft geschickt sein.« »Schuldigsten Dank!« erwiderte Diana; »aber wie die Sachen stehen, müssen wir sogleich nach dem Schlosse zurück, wo man nicht weiß, was aus uns geworden ist, und meinen Oheim wegen seines Neffen beruhigen, so gut, als wenn es einen seiner eignen Söhne betreffe.« »Ich glaub es treulich,« sprach der Richter. »Eilt heim, und beruhigt seine väterliche Bekümmernis, da Ihr einmal gehen müßt. – Doch höre, Heideblümchen,« sprach er im gutlaunigen Tone der Vermahnung und zog sie bei der Hand nach sich hin. »Ein andermal laß dem Gesetz seinen Lauf, und stecke Deine niedlichen Finger nicht in die alte schimmelige Pastete voll Brocken von Gesetzlatein, Französisch und Hundelatein. Und, schönes Dianchen, laß die jungen Männer sich einander selbst den Weg zeigen durchs Marschland, Ihr könntet einmal Euren Weg verlieren, wenn Ihr ihnen den ihrigen zeigt, mein schmuckes Irrlicht.« Mit dieser Vermahnung küßte und entließ er Fräulein Vernon und nahm einen ebenso freundlichen Abschied von mir. »Du scheinst ein guter, netter Junge zu sein, Franz, und ich erinnere mich auch Deines Vaters – wir waren Schulkameraden. Höre, Bursche, reite nicht so spät in der Nacht, und tue nicht groß gegen unbekannte Reisende aus der Landstraße. Und hier ist die arme Diana Vernon – gewissermaßen allein und verlassen auf der weiten Erde, und kann reiten und laufen und sich trollen, nach ihrem eignen närrischen Gefallen. Du mußt Sorge tragen für Diana, oder, meiner Treu! ich werde wieder jung, und schlage mich mit Dir, so beschwerlich mir es auch sein würde. Und nun begebt Euch beide heim, und überlaßt mich meiner Tabakspfeife und meinen Betrachtungen.« Ich freute mich sehr über die Strahlen von Verstand und Gefühl, welche der Richter aus dem Nebel von Trägheit und Weichlichkeit hervorbrechen ließ, dankte ihm für seine Ermahnungen und nahm freundlichen Abschied von dem wackern Mann und seiner gastfreundlichen Wohnung. Wir fanden denselben Diener meines Oheims, der uns bei der Ankunft die Pferde abgenommen hatte, und der, wie er Fräulein Vernon berichtete, von Rashleigh beauftragt worden war, zu warten und uns nach Hause zu begleiten. Wir ritten eine Weile fort, ohne zu sprechen, denn mein Gemüt war zu sehr mit den Ereignissen des Morgens beschäftigt, als daß ich das Schweigen hätte brechen sollen. Endlich rief Diana, gleichsam ihren innern Bewegungen Luft machend: »Ja, Rasleigh ist zu fürchten, zu bewundern, und alles, nur nicht zu lieben! Er tut, was ihm gefällt, und macht alle andern zu seinen Puppen, hat einen Schauspieler bereit für jede Rolle, die er sich vorsetzt, und weiß für jeden unvorhergesehenen Fall bequeme Mittel zu finden.« »Ihr glaubt also,« sprach ich, mehr den Sinn als den bestimmten Ausdruck ihrer Worte erwägend, »daß dieser Campbell, der so glücklicherweise erschien und meinen Ankläger ergriff und heimführte, wie der Falke das Rebhuhn, ein Gehilfe Rashleighs gewesen sei?« »Ich vermute es,« erwiderte Diana, »und glaube ferner, daß er schwerlich so zu rechter Zeit erschienen wäre, wenn ich Rashleigh nicht im Eingang des Hauses getroffen hätte.« »In diesem Fall bin ich vorzüglich Euch Dank schuldig, meine schöne Retterin.« »Allerdings,« erwiderte Diana, »und ich bitte, denkt, er sei entrichtet und mit gnädigem Lächeln aufgenommen, denn ich mag nicht die Mühe haben, ihn im Ernst anzuhören, und dürfte wohl eher dabei gähnen, als mich gebührend betragen. Kurz, Herr Franz, ich wünschte Euch einen Dienst zu leisten; glücklicherweise war ich es imstande, und das einzige, was ich dagegen verlange, ist, daß Ihr nicht weiter davon sprecht. – Doch, wer kommt uns hier entgegengesprengt, glühend rot vor Eile? Es ist, glaub' ich, niemand weniger, als der Schreiber Jobson.« Und dieser war es wirklich, sehr eilfertig, und, wie es sich bald zeigte, in höchst übler Laune. Er ritt auf uns zu und hielt sein Pferd an, als wir mit leichter Begrüßung vorüber wollten. »So, Herr – so, Fräulein Vernon – ei, ich sehe wohl, wie's steht, wahrscheinlich Bürgschaft gestellt während meiner Abwesenheit? – Ich möchte wissen, wer die Ausfertigung gemacht hat. Wenn der Herr Friedensrichter oft auf diese Art verfährt, so rat' ich ihm, sich einen andern Schreiber zu suchen, denn ich werde sicher abgehen.« »Was macht der Pächter Rutledge?« erwiderte Diana. »Ich hoffe, er konnte noch unterzeichnen, siegeln und übergeben?« Diese Frage schien den Schreiber in noch größern Zorn zu versetzen. »Pächter Rutledge, Fräulein?« sagte der Schreiber, sobald sein Unwille ihm zu sprechen erlaubte. »Er ist so gesund und auf dem Posten, wie Ihr selber. Lauter Blendwerk, Betrug und Arglist, diese Geschichte von seiner Krankheit, und wenn Ihrs nicht vorher gewußt habt, Fräulein, so wißt Ihrs nun.« »Seht einmal an!« erwiderte Diana mit erkünsteltem Erstaunen. »Was Ihr nicht sagt, Herr Jobson!« »Aber ich sage so, Fräulein,« entgegnete der aufgebrachte Schreiber, »und ich sage überdies, der alte elende Wicht hat mich Zungendrescher genannt, – Zungendrescher, Fräulein, – und er hat gesagt, ich wollte nur nach einem Erwerb jagen. Ich, ein Friedensschreiber!« »Ich fürchte, Rutledge hat seine Unhöflichkeit nicht auf Worte beschränkt,« antwortete Diana, der es Vergnügen zu machen schien, ihn noch mehr zu reizen. »Seid Ihr gewiß, daß er Euch nicht geschlagen hat?« »Geschlagen, Fräulein? Kein lebendiger Mensch soll mich schlagen, das versprech ich Euch, Fräulein.« »Das kommt darauf an, wie Ihrs verdient, Herr,« sprach ich; »denn Eure Art, mit diesem jungen Fräulein zu reden, ist so unschicklich, daß ich, wenn Ihr nicht den Ton ändert, es selbst der Mühe wert achten werde, Euch zu züchtigen.« »Züchtigen, Herr? – Und – mich, Herr? Wißt Ihr, mit wem Ihr sprecht, Herr?« »Ja, Herr,« erwiderte ich. »Ihr selbst nennt Euch Friedensschreiber, und Gaffer Rutledge nannte Euch Zungendrescher, und in keiner der beiden Eigenschaften seid Ihr berechtigt, gegen ein Frauenzimmer von Stande unartig zu sein.« Diana legte die Hand auf meinen Arm. »Kommt, Herr Osbaldistone!« rief sie. »Herr Jobson soll nicht angefallen und geschlagen werden. Ich bin nicht mildtätig genug gegen ihn, um ihn ein einzigmal von Eurer Peitsche berühren zu lassen – er würde davon eine Zeitlang leben können. Ueberdies habt Ihr sein Gefühl schon hinlänglich gekränkt, – Ihr habt ihn unartig genannt.« »Ich achte seine Worte nicht, Fräulein,« sprach der Schreiber etwas kleinlaut. »Unartig ist auch keine Injurie; aber Zungendrescher ist eine Schimpfrede der ärgsten Art, und der Pächter soll es auf seine Kosten erfahren, und so ein jeder, der es boshaft wiederholt, um den öffentlichen Frieden zu brechen und mir meinen besondern guten Namen zu entwenden.« »Laßts gut sein, Herr Jobson,« sprach Diana. »Ihr wißt, wo nichts ist, hat nach Eurem Gesetz selbst der König sein Recht verloren, und was das Entwenden Eures guten Namens betrifft, so bedaure ich den armen Schelm, der ihn erhält, und wünsch' Euch von Herzen Glück zu dem Verluste.« »Sehr wohl, Fräulein – guten Abend, Fräulein. – Ich habe nichts mehr zu sagen, als daß es Gesetze gegen die Papisten gibt, die man zum Wohl des Landes besser vollziehen sollte. Sie können zum Eid gezogen werden, und es gibt Strafen für die, welche die Messe hören nach Königin Elisabeth und Jakob I. – Also und vor allem – denn ich spreche zu Eurer Warnung – Ihr, Diana Vernon, unverheiratet und ohne gesetzlichen Beschützer, eine überwiesene Papistin, seid verbunden, Euch in Eure Wohnung zu begeben, und das auf dem nächsten Wege, bei Strafe des Ungehorsams gegen den König. Gute Nacht, Fräulein, und denkt daran, das Gesetz versteht keinen Spaß!« Und wir ritten auseinander. »Es gibt drei Dinge,« sagte Fräulein Vernon nach kurzer Pause, »um derentwillen ich sehr zu bedauern bin, wenn's jemand der Mühe wert hält, seine Teilnahme an mir zu verschwenden.« »Und worin bestehen diese drei Dinge, Fräulein Vernon?« »Wollt Ihr mir Euer innigstes Mitgefühl versprechen, wenn ichs Euch sage?« »Gewiß! Könnt Ihr daran zweifeln?« erwiderte ich, indem ich näher an ihre Seite ritt, mit dem Ausdruck eines Anteils, den ich nicht zu verbergen suchte. »Gut, es ist auf alle Fälle sehr verführerisch, bedauert zu werden. Erstlich bin ich ein Mädchen und nicht ein Jüngling, und würde ins Tollhaus gesperrt werden, wenn ich die Hälfte von dem täte, wozu ich Lust habe.« »Ich kann Euch in diesem Punkte nicht ganz die Teilnahme gewähren, die Ihr erwartet,« erwiderte ich. »Das Unglück ist so allgemein, daß es die eine Hälfte der Menschen trifft, und die andre Hälfte –« »Ist um so vieles besser bedacht, daß sie eifersüchtig auf ihre Vorrechte ist,« fiel Diana ein; »ich vergaß, daß Ihr dazu gehört. Doch wir wollen sehen, ob wir bei der zweiten Klage gegen das Schicksal besser übereinstimmen. Ich gehöre zu einer unterdrückten Sekte, zu einem veralteten Glauben. Anstatt durch meine Andacht Beifall zu erwerben, wie es allen guten Mädchen sonst gebührt, kann mich mein gütiger Freund, der Richter Inglewood, in ein Besserungshaus schicken, bloß weil ich Gott nach der Weise meiner Väter verehre, und kann sagen, wie der alte Pembroke zur Aebtissin von Wilton sagte, als er sich ihres Klosters bemächtigte: »Geh und spinne, Du Weibsbild – geh und spinne.« »Das ist kein unheilbares Uebel,« sprach ich ernst. »Fragt einige unsrer gelehrten Geistlichen, fragt Euren eignen, vortrefflichen Verstand, und gewiß, die Abweichungen unsers religiösen Glaubens von dem, worin Ihr erzogen wurdet –« »Still!« sagte Diana, den Finger auf den Mund legend, »still, nichts mehr davon! Den Glauben meiner tapfern Väter verlassen! Ebenso gut wollt ich, wenn ich ein Mann wäre, ihr Banner verlassen, wo der Sturm der Schlacht am härtesten es bedrängte, und wie ein feiger Mietling zu dem siegreichen Feinde übergehen.« »Ich ehre Euren Mut, Fräulein, und in bezug der Unannehmlichkeiten, denen er Euch aussetzt, kann ich nur sagen, daß die Wunden, welche man für die Sache des Gewissens erleidet, ihren eignen Balsam mit sich führen.« »Ja, aber sie sind bei alledem schmerzlich und ergreifend. Doch ich sehe, hart von Herzen, wie Ihr seid, rührt es Euch so wenig, daß ich Hanf klopfen, oder Flachs in groben Fäden ziehen soll, als wenn ich, statt Filzhut und Kokarde, die Haube zu tragen verurteilt wäre: ich will mir daher die fruchtlose Mühe ersparen, Euch die dritte Ursache meines Kummers zu sagen.« »Nein, teures Fräulein, entzieht mir Euer Vertrauen nicht, und ich verspreche Euch die Teilnahme, die Euer so seltsames Mißgeschick verdient.« »Es ist in der Tat ein Unglück,« sprach Diana, mit sehr verändertem Ausdruck und ernster, als sie bisher ausgesehen hatte, »das wohl Mitleid verdient. Ich bin von Natur, wie Ihr leicht bemerken könnt, freimütig und unbefangen – ein richtiges, ehrliches Mädchen, das gern offen und redlich gegen die ganze Welt handeln möchte; aber das Schicksal hat mich in so viele Netze und Schlingen verwickelt, daß ich kaum ein Wort zu sprechen wage, aus Furcht vor bösen Folgen – nicht für mich, sondern für andre.« »Das ist in Wahrheit ein Unglück, das ich aufrichtig bedaure, aber ich hätte mir dergleichen freilich nicht träumen lassen.« »O, Herr Osbaldistone, wenn Ihr nur wüßtet – wenn irgend jemand wüßte, wie schwer es mir zuweilen wird, ein leidendes Herz unter einer heitern Stirne zu verbergen, Ihr würdet mich gewiß bedauern. Es ist vielleicht unrecht, Euch nur so viel von meiner Lage zu berichten. Aber Ihr seid ein Mann, der Verstand und Scharfsinn besitzt – Ihr müßt unfehlbar das Verlangen haben, hundert Fragen zu stellen über die Ereignisse dieses Tages, über Rashleighs Anteil an Eurer Befreiung aus dieser Schlinge, über so viele andre Dinge, die Eure Aufmerksamkeit erregen müssen. – Ich kann mich nicht dahin bringen, Euch mit der nötigen Verstellung und Verschlagenheit zu antworten, ich würd' es ungeschickt machen, und Eure gute Meinung, wenn ich etwas davon besitze, sowie meine eigne verlieren. Am besten ist es, Euch auf einmal zu sagen: Fragt mich nach nichts; es steht nicht in meiner Macht, Euch zu antworten.« Diana sprach diese Worte in einem Tone der Innigkeit, der nicht ohne Eindruck auf mich bleiben konnte. Ich versicherte ihr, sie habe weder zudringliche Fragen, noch Mißdeutungen zu befürchten, wenn sie diejenigen Fragen zu beantworten ablehne, die an sich verständig oder wenigstens natürlich wären. Ich bitte und hoffe nur, daß sie meine Dienste, wenn sie ihr irgend einmal nützlich sein könnten, ohne Bedenken verlangen möge. »Dank Euch, Dank Euch!« erwiderte sie. »Eure Stimme hat nicht den Kuckucksruf der Schmeichelei, sondern sie tönt wie die eines Mannes, der weiß, wozu er sich anbietet. Wenn – aber es ist unmöglich – und dennoch, wenn sich eine Gelegenheit darbieten sollte, so will ich Euch fragen, ob Ihr dieses Versprechens gedenkt, und ich werde gewiß nicht böse sein, wenn ich finde, daß Ihr es vergessen habt. Es ist genug, Ihr meint es jetzt aufrichtig mit Euren Vorsätzen – es kann sich viel zutragen, was dieselben ändert, eh' ich Euch auffordere, wenn dieser Augenblick je erscheinen sollte, Diana beizustehen, als ob Ihr Dianas Bruder wäret.« »Und wenn ich Dianas Bruder wäre,« sprach ich, »würde die Möglichkeit, daß ich Euch meinen Beistand versagte, nicht geringer sein können. – Und nun fürcht ich, nicht fragen zu dürfen, ob Rashleigh aus freien Stücken sich um meine Befreiung beworben habe.« »Mich nicht, aber Ihr könnt ihn selbst fragen, und verlaßt Euch darauf, er wird ja sagen.« »Und darf ich nicht fragen, ob dieser Campbell es selbst war, der Morris sein Felleisen abnahm? Oder ob der Brief, welchen unser Freund, der Schreiber, erhielt, listig erfunden worden war, um ihn vom Schauplatze zu entfernen, damit er meine Befreiung nicht verhindern sollte? Und ich darf nicht fragen –« »Ihr dürft mich gar nichts fragen,« fiel Diana ein; »daher ist es ganz umsonst, Fälle anzunehmen. Ihr müßt eben denken, ich hätte Euch auf diese Fragen und auf zwanzig andre ebenso gut zungenfertig Bescheid gegeben, wie Rashleigh es getan hätte. Merkt Euch, wenn ich den Finger so an mein Kinn lege, ist es ein Zeichen, daß ich über einen Gegenstand, der eben Eure Aufmerksamkeit beschäftigt, nicht sprechen kann. Ich muß mit Euch Zeichen des Einverständnisses festsetzen, weil Ihr mein Vertrauter und Ratgeber sein sollt, ohne jedoch das Geringste von meinen Angelegenheiten zu wissen.« »Nichts kann vernünftiger sein,« erwiderte ich lachend; »und verlaßt Euch darauf, so ausgedehnt Euer Vertrauen ist, so scharfsinnig werden meine Ratschläge sein.« Unter dieser Art von Unterhaltung, die uns sehr heiter gegen einander stimmte, erreichten wir das Schloß. »Bringt etwas zu essen für den Herrn Osbaldistone und mich in den Büchersaal,« sprach Diana zu einem Diener. – »Dieser Büchersaal,« setzte sie hinzu, »ist meine Höhle – der einzige Winkel im Schlosse, wo ich vor den Urang-Utangen, meinen Vettern, sicher bin. Sie wagen sich nie dahin, vermutlich aus Furcht, die Folianten möchten herabfallen und ihnen den Schädel einschlagen; denn auf andre Art werden sie nie mit ihren Köpfen in Berührung kommen. – Also folgt mir.« Und ich folgte ihr durch Halle und gewölbten Gang und auf der Wendeltreppe, bis wir das Zimmer erreichten, wohin sie die Erfrischungen zu bringen befohlen hatte. Zehntes Kapitel Die Bibliothek im Schlosse Osbaldistone war ein düsteres Gemach, dessen veraltete Eichenbretter unter der Last schwerer Folianten sich beugten. Die Sammlung bestand größtenteils aus Klassikern, ausländischer und einheimischer Geschichte, und hauptsächlich Gottesgelehrtheit. Alles war in ziemlicher Unordnung. Die Priester, welche nach einander als Kapläne im Schlosse gewaltet hatten, waren viele Jahre lang die einzigen, welche dies Gebiet betraten, bis Rashleigh, von seinem Durste nach Kenntnissen getrieben, die ehrwürdigen Spinngewebe zerstörte, welche die Außenseite der Bücher umhüllt hatten. Da er für die Kirche bestimmt war, so erschien sein Betragen in seines Vaters Augen weniger abgeschmackt, als wenn einer von den andern Abkömmlingen eine so seltsame Neigung verraten hätte. Noch immer behielt aber das Gemach ein verödetes Ansehen, das ebenso auffallend als unerfreulich war und die Vernachlässigung andeutete, von der es die Gelehrsamkeit, die seine Wände enthielten, nicht hatte befreien können. Zerrissene Tapeten, wurmstichige Bücherbretter, ungeheure und schwerfällige, aber wackelnde Tische, Pulte und Stühle, und der verrostete Kaminrost, der selten vom Kohlen- oder Reisigfeuer erglühte, zeigten die Verachtung, welche die Herren des Schlosses gegen die Schätze der Gelehrsamkeit hegten. »Es kommt Euch hier etwas trostlos vor?« sprach Diana, als ich in dem einsamen Zimmer umherblickte; »aber mir scheint das Gemach ein kleines Paradies, denn ich nenn es mein eigen und fürchte hier keine Störung. Rashleigh war Mitbesitzer, als wir noch Freunde waren.« »Und Ihr seid es nicht mehr?« fragte ich natürlich. Sogleich legte sie den Zeigefinger an das Grübchen ihres Kinns und warf einen schlauen, verweisenden Blick auf mich. »Wir sind noch immer Verbündete,« fuhr sie fort, »wie andre verbündete Mächte, die die Rücksicht auf gegenseitigen Vorteil vereint; aber ich fürchte, es geht auch hier, wie bei andern Gelegenheiten, der Bundesvertrag hat die freundschaftlichen Gesinnungen überlebt, aus denen er entstand. Auf jeden Fall leben wir weniger zusammen, und wenn er durch jene Tür hereinkommt, geh ich durch diese hinaus, und so haben wir die Entdeckung gemacht, daß wir beide nicht Raum in diesem Zimmer haben, so groß es scheint. Rashleigh, den seine Angelegenheiten oft anderswohin rufen, hat mir seine Rechte großmütig abgetreten, und ich setzte nun allein die Beschäftigung fort, wobei er einst mein Führer war.« »Und was sind dies für Beschäftigungen, wenn ich fragen darf?« »Wissenschaft und Geschichte sind meine vorzüglichen Lieblinge, aber ich beschäftige mich auch mit der Dichtkunst und mit den Alten.« »Und den Alten. Lest Ihr sie in der Ursprache?« »Unstreitig. Rashleigh, der als Gelehrter nicht zu verachten ist, hat mir Unterricht im Griechischen und Lateinischen, und in den meisten Sprachen des neuern Europa erteilt. Ich kann Euch versichern, es ist nicht geringe Mühe auf meine Erziehung gewendet worden, obgleich ich weder einen Saum machen, noch Kreuzstich nähen, noch einen Pudding kochen, oder, wie des Pfarrers fette Frau eben so wahr als höflich und gutmütig zu sagen beliebte, irgend etwas Nützliches in der ganzen Welt verrichten kann.« »Und ist dieser Unterrichtsgang von Rashleigh ausgesucht worden, oder habt Ihr selber ihn Euch erwählt?« »Hm!« sprach sie, als trage sie Bedenken, meine Frage zu beantworten – »es ist am Ende nicht der Mühe wert, den Finger zu erheben – nun, teils er, teils ich. Außer dem Hause lernte ich reiten, im Notfall ein Pferd satteln und zäumen, über einen Schlagbaum setzen, ein Gewehr ohne zu blinzeln losschießen, und alle jene männlichen Fertigkeiten, deren sich meine rohen Vettern bis zur Tollheit befleißigen; aber nun mußte ich auch im Hause, wie mein vernünftiger Vetter, Griechisch und Lateinisch lernen, und mich dem Baume der Erkenntnis nähern.« »Und Rashleigh kam Eurer Neigung zur Gelehrsamkeit bereitwillig entgegen?« »Nun, er wollte mich zur Schülerin haben und konnte mich nur unterrichten in Dingen, die er selbst kannte; – in dem Geheimnis, eine Spitzenmanschette zu waschen oder ein feines Schnupftuch zu säumen, freilich nicht.« »Ich gebe zu, die Versuchung, eine solche Schülerin zu erhalten, mag sehr viel Einfluß auf den Lehrer gehabt haben.« »O, wenn Ihr Rashleighs Beweggründe zu untersuchen anfangt, so berührt mein Finger wieder das Kinn. Ich kann nur offenherzig sein, wenn von mir die Rede ist. Doch wieder zur Sache. – Er hat mir das Bücherzimmer überlassen und kommt nie herein, ohne um Erlaubnis zu fragen, und so hab' ich mir die Freiheit genommen, einige meiner Habseligkeiten dort in Verwahrsam zu bringen, wie Ihr sehen könnt, wenn Ihr Euch umseht.« »Um Vergebung, Fräulein Vernon, aber ich seh in der Tat nichts in diesen vier Wanden, was Euch besonders anzugehören schiene.« »Weil Ihr vermutlich weder einen Schäfer noch eine Schäferin, in Wolle gearbeitet, mit schönem schwarzem Rahmen von Ebenholz, erblickt – oder einen ausgestopften Papagei – oder eine Hecke Kanarienvögel – oder ein Nähkästchen mit mattem Silber bestickt – oder einen Putztisch mit einer Menge japanischer Büchsen – oder ein zerbrochenes Spinett – oder eine Laute mit drei Saiten – oder Muschelwerk – oder ein Schoßhündchen mit blinden Jungen – Nichts von allen diesen Schätzen besitz' ich,« fuhr sie nach einer Pause fort. »Aber hier steht das Schwert meines Ahnherrn, Richard Vernon, der bei Shrewsbury fiel, und arg verleumdet ward von einem losen Gesellen, namens William Shakespeare, [Heinrich IV, erster Teil. A. d. Ü.] der in seiner Parteilichkeit für das Haus Lancaster der Geschichte einen falschen Zusammenhang gegeben hat. Neben dieser furchtbaren Waffe hängt der Panzer eines noch ältern Vernon, der Schildträger des schwarzen Prinzen war. Hier ist das Modell eines neuen Sprungriemens, den ich selbst erfunden habe, und hier die Kappe und die Schelle meines Falken Cheviot, der sich an eines Reihers Schnabel spießte – armer Cheviot! mit dir verglichen, sind die andern Falken nur Geier und Raubvögel. Da steht meine Jagdflinte mit einem verbesserten Schlosse, nebst zwanzig andern Schätzen, immer einer kostbarer wie der andre. Und das spricht für sich selbst.« Sie zeigte auf den geschnitzten eichnen Rahmen eines Bildnisses in Lebensgröße, von Van Dyck gemalt, worauf mit gotischen Buchstaben geschrieben stand: Vernon semper viret. Ich sah sie an, um Erklärung zu fordern. »Kennt Ihr nicht den Wahlspruch unseres Geschlechts mit dem Doppelsinn?« fragte sie etwas überrascht. »Und kennt Ihr nicht unser Wappenbild, die Pfeifen?« wobei sie auf das in den eichnen Rahmen geschnitzte Wappen zeigte, um welches diese Worte standen. »Pfeifen! – sie sehen aus wie Pfennigpfeifen. – Aber seid nicht böse über meine Unkenntnis,« fuhr ich fort, als ich ihre Wangen sich röten sah; »ich kann nicht die Absicht haben, Euer Wappenbild zu schmähen, denn ich kenne nicht einmal mein eignes.« »Ihr, ein Osbaldistone, und gesteht das ein!« rief sie aus, »Percival, Thorncliff, Hans, Richard – selbst Wilfred könnte Euer Lehrer sein.« »Mit Beschämung gesteh ich, mein teures Fräulein, die Geheimnisse, welche unter den grimmen Hieroglyphen der Wappenkunde verborgen liegen, sind für mich, so unverständlich wie die ägyptischen Pyramiden.« »Wie ists möglich? – Selbst mein Oheim liest zuweilen an Winterabenden im Wappenbuche. Nicht die Figuren der Heraldik zu kennen! Woran hat Euer Vater gedacht?« »An die Figuren der Arithmetik,« antwortete ich, »deren unbedeutendste Erfindung er höher achtet, als den ganzen Wappenschmuck des Rittertums. Aber so unaussprechlich unwissend ich in diesem Falle bin, hab ich doch Kenntnisse und Geschmack genug, um dies herrliche Bild zu bewundern, worin ich Familienähnlichkeit mit Euch zu entdecken glaube. Welche Ruhe und Würde in der Haltung – welcher Reichtum der Farben – welche Tiefe des Schattens!« »Ist es wirklich ein schönes Bild?« fragte sie. »Ich habe viele Gemälde dieses berühmten Künstlers gesehen,« erwiderte ich, »aber keines hat mir so gefallen.« »Wohl, ich verstehe so wenig von Gemälden, wie Ihr von der Wappenkunde,« antwortete Diana; »dennoch habe ich es immer bewundert.« »Wen stellt es dar?« »Meinen Großvater – er war ebenso unglücklich wie Karl I. und – leider muß ich hinzufügen – ebenso ausschweifend wie sein Sohn. Das Erbteil unsers Geschlechts ist durch seine Verschwendung sehr verringert worden und ging gänzlich verloren unter seinem Nachfolger, meinem unglücklichen Vater. Er verlor alles. Darum ist sein Kind eine Waise. Aber ich bin stolzer darauf, einen solchen Vater gehabt zu haben, als wenn er durch ein vorsichtigeres, aber weniger aufrichtiges Betragen mich in den Besitz aller der schönen Herrlichkeiten gelassen hätte, die einst seiner Familie gehörten.« Indem sie diese Worte sprach, traten die Diener mit dem Essen herein, und unser Gespräch beschränkte sich bloß auf allgemeine Gegenstände. Als wir schnell unsre Mahlzeit beendet hatten, und der Wein auf den Tisch gesetzt war, berichtete uns der Diener, daß Herr Rashleigh ersucht habe, ihn wissen zu lassen, wann die Herrschaften mit Speisen fertig wären. »Sagt ihm,« erwiderte Diana, »wir würden uns freuen, ihn zu sehen, wenn er hierher kommen wollte – setzt noch ein Weinglas und einen Stuhl her, und verlaßt das Zimmer. – Ihr müßt mit ihm fortgehen, wenn er sich entfernt,« sprach sie hierauf zu mir: »bei aller meiner Freigebigkeit kann ich doch nicht mehr als acht Stunden von den vierundzwanzig an einen Herrn verwenden, und ich glaube, wir sind wenigstens solange zusammen gewesen.« »Der alte Sensenmann hat sich so schnell bewegt,« antwortete ich, »daß ich seine Schritte nicht zählen konnte.« »Still! Da kommt Rashleigh,« sprach Diana und rückte ihren Stuhl, dem ich den meinen ziemlich nahe gerückt hatte, weiter weg. Ein bescheidnes Klopfen an der Tür, die sacht geöffnet wurde, als Diana »Herein!« gerufen hatte, eine einstudierte Milde und Demut in Gang und Haltung zeigte, daß Rashleighs Erziehung in der Lehranstalt zu St. Omer [eine von Jesuiten geleitete Anstalt für englische Katholiken. A. d. Ü.] sich völlig mit den Begriffen deckte, die ich von dem Betragen eines gebildeten Jesuiten hegte. Ich brauche nicht hinzuzusetzen, daß bei mir als einem entschiednen Protestanten, diese Vorstellungen nicht die günstigsten waren. »Warum klopft Ihr erst so zeremoniell an, da Ihr doch wißt, daß ich nicht allein bin?« fragte Diana. Sie sprach dies mit unverhohlenem Verdruß, als ob sie fühle, daß Rashleighs Vorsicht und Zurückhaltung einen beleidigenden Argwohn verberge. »Ihr habt mich so vollkommen unterrichtet, wie ich an diese Tür klopfen muß, schöne Base,« antwortete Rashleigh, ohne Stimme oder Benehmen zu ändern, »daß die Gewohnheit zur andern Natur geworden ist.« »Ich schätze Aufrichtigkeit höher als Höflichkeit, und Ihr wißt es,« war Dianas Antwort. »Höflichkeit ist fein und zierlich, nach Namen und Gewerbe ein Höfling, und paßt daher am besten für ein Frauengemach.« »Aber Aufrichtigkeit ist die echte Rittertugend, und daher weit willkommner,« entgegnete Diana. »Doch, um unsern Streit zu enden, der für Euern fremden Vetter nicht eben ergötzlich sein kann; setzt Euch, Rashleigh, und tut dem Herrn Osbaldistone Bescheid bei seiner Flasche.« Rashleigh setzte sich nieder und füllte sein Glas, während er sein Auge von dem Fräulein auf mich mit einer Verlegenheit wandte, die er mit aller Anstrengung nicht verbergen konnte. Es schien mir, als ob er ungewiß sei, in wie weit Diana Vertrauen in mich gesetzt habe, und ich eilte, dem Gespräch eine Richtung zu geben, die den Argwohn entfernen sollte, daß Diana mir irgend etwas von den Geheimnissen vertraut, die sie miteinander hatten. »Fräulein Vernon,« sprach ich, »hat mir empfohlen, Euch meinen Dank für die schnelle Befreiung von jener lächerlichen Anklage darzubringen. Mit Unrecht fürchtete ich, meine Dankbarkeit werde nicht warm genug sein, mich an diese Pflicht zu erinnern, sie erregte auch daher meine Neugierde, indem sie mich wegen einer Erklärung der Ereignisse dieses Tages, an Euch verwies.« »In der Tat?« erwiderte Rashleigh, und setzte mit einem scharfen Blick auf Fräulein Vernon hinzu: »ich hätte geglaubt, das Fräulein würde selbst den Dolmetscher machen.« – Und sein Auge wandte sich von ihr ab und suchte das meine, als wollte er im Ausdruck meiner Züge erforschen, ob Dianas Mitteilungen so beschränkt gewesen wären, als meine Worte angedeutet hatten. Diana erwiderte seinen forschenden Blick mit einem Blicke der Verachtung, während ich, unentschlossen, ob ich seinen offenbaren Argwohn entschuldigen oder rügen sollte, antwortete: »Wenn es Euch gefällt, Herr Rashleigh, mich wie Fräulein Vernon in Ungewißheit zu lassen, so muß ich mich notwendig darein ergeben, aber ich bitte, mir Eure Mitteilung nicht vorzuenthalten, weil Ihr glaubt, daß ich bereits etwas über diesen Gegenstand erfahren habe. Ich versichre Euch, als ein Mann von Ehre, ich weiß so wenig als jenes Bild von den Ereignissen dieses Tages, außer daß ich von Fräulein Vernon Eure gütige Verwendung für mich erfuhr.« »Fräulein Vernon hat meine demütigen Bemühungen überschätzt,« sprach Rashleigh, »obwohl ich es an redlichem Eifer freilich nicht habe fehlen lassen. Der wahre Verlauf der Sache ist dieser. Ich sprengte zurück, um jemand von meinen Verwandten zu treffen, der mit mir die Bürgschaft für Euch übernehmen könnte, das gewöhnlichste, oder ich kann sagen, das einzige Mittel, Euch zu dienen, das sich darbot, da begegnete ich dem Cawmil – Colville – Campbell, oder wie sie ihn nennen. Wie ich von Morris gehört habe, war er bei der Beraubung zugegen gewesen, und es gelang mir – mit einiger Mühe muß ich bekennen – ihn zu bewegen, sein Zeugnis zu Eurer Entschuldigung abzulegen, wodurch Ihr vermutlich aus Eurer unangenehmen Lage befreit worden seid.« »Wirklich? – Ich bin Euch sehr verbunden, daß Ihr mir einen so gelegenen Zeugen verschafft habt. Aber da er ein Unglücksgefährte dieses Morris war, so seh' ich nicht ein, warum es so viele Mühe gekostet haben sollte, ihn zur Ablegung seines Zeugnisses zu bewegen, sei es, den wahren Täter zu überweisen, oder einen Unschuldigen zu befreien.« »Ihr kennt nicht den Geist des Volkes, zu dem dieser Mann gehört,« antwortete Rashleigh. »Verschwiegenheit, Klugheit und Vorsicht sind seine Haupteigenschaften. Hinter diesen erst liegt verschanzt die Liebe für seine Landschaft, sein Dorf, oder auch für seinen Clan; erstürmt dieses zweite Hindernis und Ihr habt ein drittes – die Anhänglichkeit an seine Familie, Vater, Mutter, Söhne, Töchter, Oheime, Tanten und Vettern, bis zum neunten Grad. Innerhalb dieser Grenzen bieten die geselligen Neigungen eines Schottländers sich aus, und erreichen nie, was außer denselben liegt, bis alle Mittel, sie in den innern Kreisen zu befriedigen, erschöpft sind. In diesen Kreisen schlägt sein Herz, immer schwächer und schwächer wird jeder Pulsschlag, bis er an der äußersten Grenze fast unfühlbar wird. Aber was das Schlimmste ist, wenn Ihr alle diese Außenwerke überwinden könntet, so findet Ihr eine innere Feste, höher und stärker als die andern – die Liebe eines Schottländers gegen sich selbst.« »Dies ist alles recht beredsam und bilderreich ausgedrückt, Rashleigh,« sprach Diana, die mit unverhehlter Ungeduld zugehört hatte; »es lassen sich nur zwei Einwendungen dagegen machen: erstens ist es nicht wahr, und zweitens, wenn es wahr wäre, so gehört es nicht zur Sache.« »Es ist wahr, meine schönste Diana,« entgegnete Rashleigh; »und überdies gehört es gerade zur Sache. Es ist wahr, da Ihr nicht leugnen könnt, daß ich Land und Volk genau kenne, und daß meine Schilderung die Folge einer genauen und scharfen Beobachtung ist; und es gehört zur Sache, denn es ist die Antwort auf meines Vetters Frage, und zeigt, warum dieser vorsichtige Schottländer, da unser Verwandter weder sein Landsmann noch ein Campbell ist, noch zu einer der unauflöslichen Verknüpfungen gehört, zu der sie ihr Geschlechtsregister ausdehnen, und da er, vor allem, keinen persönlichen Vorteil dabei sah, sondern im Gegenteil viel Verlust an Zeit und Verhinderung in seinen Geschäften zu befürchten hatte – »Nebst andern Unannehmlichkeiten, vielleicht von noch furchtbarerer Art,« unterbrach ihn Diana. »Deren es ohne Zweifel viele geben kann,« fuhr Rashleigh in demselben Tone fort. – »Kurz, meine Aufgabe zeigt, warum dieser Mann, da er keine Vorteile zu hoffen und einige Unannehmlichkeiten zu befürchten hatte, nur erst durch Ueberredungen bestimmt werden konnte, sein Zeugnis für unsern Vetter abzulegen.« »Nach einem Blick, den ich auf Morris' Aussage warf,« bemerkte ich, »erscheint es mir auffallend, an keiner Stelle darin erwähnt zu finden, daß Campbell bei ihm gewesen ist, als er von den Räubern angefallen wurde.« »Wie ich von Campbell hörte, hatte er sich feierlich von Morris versprechen lassen, dieses Umstandes nicht zu erwähnen,« erwiderte Rashleigh. »Den Grund, warum er ein solches Versprechen begehrte, könnt Ihr aus meinen Andeutungen entnehmen. Er wünschte in seine Heimat zurückzukehren, ohne aufgehalten und beunruhigt zu werden durch gerichtliche Untersuchungen, welchen er ausgesetzt gewesen sein würde, wenn die Tatsache, daß er bei der Beraubung gegenwärtig gewesen ist, bekannt geworden wäre. Aber laßt ihn nur erst am Forth sein, so wird Morris gewiß alles bekannt machen, was er von ihm weiß, und es kann noch viel mehr betreffen. Ueberdies treibt Campbell einen bedeutenden Viehhandel und schickt oft große Herden nach Northumberland, wo er bei einem solchen Verkehr ein tüchtiger Tor sein würde, wenn er es mit den Dieben dieses Landes verderben wollte, die zu den rachsüchtigsten Menschen gehören.« »Das will ich beschwören,« sprach Diana mit einem Tone, der etwas mehr als bloße, Beistimmung ausdrückte. »Aber dennoch,« hob ich wieder an, »wenn ich auch zugebe, daß Campbell wichtige Gründe gehabt habe, von Morris Stillschweigen betreffs seiner Person zu verlangen, kann ich doch nicht einsehen, wie er so viel Einfluß auf den Mann erhalten konnte, um ihn zur Verheimlichung eines so wichtigen Zeugnisses zu bewegen.« Rashleigh stimmte mir bei, daß es sehr seltsam sei, und schien zu bedauern, den Schottländer nicht genauer über diesen Umstand gefragt zu haben, den er selbst geheimnisvoll fand. »Aber,« setzte er sogleich nach dieser Beistimmung zu, »seid Ihr denn auch völlig gewiß, daß Morris in seiner Aussage nichts von Campbells Beisein erwähnt hat?« »Ich überlas das Papier nur schnell,« erwiderte ich; »aber es blieb mir der lebhafte Eindruck, daß keines solchen Umstandes gedacht wurde, oder wenigstens müßte er so leicht berührt worden sein, daß er meiner Aufmerksamkeit entgangen wäre.« »Richtig, richtig,« antwortete Rashleigh; »ich bin geneigt, mit Euch zu glauben, dieser Umstand müsse wirklich erwähnt worden sein, aber so leicht, daß er Eurer Aufmerksamkeit entging. Und dann, was Campbells Einfluß auf Morris betrifft, so möcht ich vermuten, er gründe sich auf dessen Furchtsamkeit. Dieser hasenherzige Mensch, dieser Morris, reist, wie ich höre, nach Schottland, um irgend ein kleines Amt bei der Regierung zu erhalten, und da er den Mut einer zornigen Taube oder tapfern Maus besitzt, so mag er sich gefürchtet haben, dem Unwillen eines solchen Eisenfressers wie Campbell zu begegnen, dessen bloßer Anblick genügen würde, ihm vor Furcht um sein bißchen Verstand zu bringen. Ihr werdet bemerkt haben, Campbell hat zuweilen ein heftiges, aufgeregtes Wesen – etwas Kriegerisches im Ton und Betragen.« »Ich gestehe,« erwiderte ich, »daß mir gelegentlich sein Ausdruck wild und rauh vorkam und wenig passend zu seinen friedlichen Aeußerungen. Hat er in der Armee gedient?« »Ja – nein – nicht eigentlich gedient; aber ich glaube, er ist, wie die meisten seiner Landsleute, zum Waffenhandwerk erzogen worden. In den Gebirgen führen sie die Waffen wirklich von der Wiege bis zum Grabe. Wenn Ihr daher Euren Reisegefährten nur etwas kennt, so werdet Ihr leicht einsehen, daß er bei einer Reise in ein solches Land allen Streit mit einem der Eingeborenen womöglich zu vermeiden suchen wird. – Aber ich sehe, Ihr trinkt nicht, und ich bin kein richtiger Osbaldistone, was das Leeren der Flasche betrifft. Wenn Ihr mit auf mein Zimmer gehen wollt, so können wir Pikett spielen.« Wir standen auf, um Diana zu verlassen, die von Zeit zu Zeit mit sichtlicher Mühe der Versuchung widerstanden hatte, Rasleigh zu unterbrechen. Als wir uns entfernten, brach das verhaltene Feuer hervor. »Eure eigne Beobachtung, Herr Osbaldistone,« sprach sie zu mir, »wird Euch in den Stand setzen, zu beurteilen, ob dasjenige, was Rashleigh über Campbell und Morris geäußert hat, gerecht oder ungerecht ist. Wenn er aber Schottland lästert, so hat er falsches Zeugnis gegen ein gutes Land abgelegt, und ich bitt Euch, in seine Aussagen keinen Wert zu legen. Laßt die Tochter einer Schottländerin Euch bitten, das Vaterland Eurer Mutter zu achten, bis eigne Beobachtung Euch gezeigt hat, daß es Eure gute Meinung nicht verdient. Sparet Euren Haß und Eure Verachtung der Verstellung, Falschheit und Bosheit auf, wo Ihr sie findet. Ihr werdet genug davon antreffen, ohne England zu verlassen. – Lebt wohl. Ihr Herren, ich wünsch' Euch einen vergnügten Abend.« Und sie zeigte auf die Tür, wie eine Fürstin, die ihr Gefolge entläßt. Wir gingen in Rashleighs Gemach, wo ein Diener uns Kaffee und Karten brachte. Ich hatte beschlossen, wegen der Vorfälle dieses Tages nicht weiter in Rashleigh zu dringen. Ein Geheimnis, und wie ich glaubte, von keiner vorteilhaften Art, schien sein Betragen zu enthüllen; doch um zu erfahren, ob mein Argwohn begründete sei, war es nötig, ihn sicher zu machen. Wir gaben die Karten und waren bald eifrig mit unserm Spiel beschäftigt. Selbst in diesem geringen Zeitvertreibe – denn der von Rashleigh vorgeschlagene Satz war nur eine Kleinigkeit – glaubte ich Züge eines heftigen, ehrgeizigen Wesens zu erkennen. Er schien vollkommen das angenehme Spiel zu verstehen, aber gleichsam aus Grundsatz zog er kühne und gewagte Schläge den gewöhnlichen Regeln des Spieles vor, und die geringern und besser erwogenen Zufälle vernachlässigend, wagte er alles, um einen Sechziger und Neunziger zu erhalten oder seinen Gegner »beet« zu machen. Aber schon nach einigen Spielen schien Rashleigh dieses Zeitvertreibes müde zu sein, die Karten wurden weggelegt und ein Gespräch hub an, worin er das Wort führte. Mehr gelehrt als wahrhaft weise – besser bekannt mit dem menschlichen Gemüte als mit den sittlichen Grundsätzen, durch die es geregelt werden solle, besaß er dennoch eine Gabe der Unterhaltung, die ich selten erreicht, nie übertroffen sah. Sein Betragen verriet, daß er sich dessen bewußt war; wenigstens schien es mir, als ob er sich viele Mühe gegeben hätte, die natürlichen Vorteile einer wohltönenden Stimme, eines fließenden, glücklichen Ausdrucks und einer feurigen Einbildungskraft zu erhöhen. Er war nie laut, nie anmaßend, nie so sehr mit seinen eignen Gedanken beschäftigt, daß er die Geduld oder die Fassungskraft dessen, mit dem er sprach, ermüdet hätte. Seine Gedanken folgten aufeinander, gleich dem sanften, aber ununterbrochnen Fließen einer reichen, ergiebigen Quelle. Erst spät in der Nacht konnte ich mich von einem so bezaubernden Gesellschafter trennen, und als ich auf mein Zimmer kam, kostete es mir Mühe, mich wieder an die Schilderung zu erinnern, die ich vorher von Rashleighs Gemütsart erhalten hatte. Elftes Kapitel Der nächste Tag war ein Sonntag, ein Tag, mit dem man im Schlosse nicht recht etwas anzufangen wußte; denn nach dem feierlichen Morgengottesdienste, welchem die ganze Familie regelmäßig beiwohnte, ließ es sich schwer sagen, auf wen, Rashleigh und Diana ausgenommen, der Dämon der Langeweile am reichlichsten seinen Geist ergoß. »Vor einiger Zeit,« sagte Rashleigh im Verlaufe unsers begonnenen Gespräches, »war ein Abgeordneter von Eurem Vater hier, ein junger Stutzer, ein gewisser Twineall, der mir erzählte, daß Ihr den Musen heimlich opfertet, und daß die schärfsten Kritiker Eure Verse bewundert hätten.« Eitelkeit ist die allgemeine Schwäche aller Lehrlinge, Gesellen und Meister in Apollos Tempel, und ich besaß auch meinen Teil davon. Ich verschlang daher den Köder, den mir Rashleigh bot, und als dieser die gute Wirkung seiner Worte sah, fuhr er fort: »Ihr sollt mir einen Abend auf meiner Stube schenken, denn bald muß ich die Reize des gelehrten Umgangs mit den Plackereien der Handelsgeschäfte und dem großen Berufe des täglichen Verkehrs vertauschen. Ich wiederhole es, daß meine Willfährigkeit, zum Vorteil unsrer Familie meines Vaters Wünsche zu erfüllen, in der Tat ein, Opfer ist, zumal in Betracht des ruhigen und friedlichen Standes, wozu meine Erziehung mich bestimmt hat.« Ich war eitel, aber kein Tor, und diese Heuchelei war mir zu arg: »Ihr wollt mich doch nicht überreden,« erwiderte ich, »daß Ihr es wirklich bedauert, die Lage eines unbekannten, katholischen Predigers, mit allen ihren Entbehrungen, gegen den Reichtum, die geselligen Freuden und die Vergnügungen der Welt zu vertauschen?« Rashleigh sah, daß er seine erkünstelte Mäßigung mit zu starken Farben aufgetragen hatte. Nach einer Pause, worin er vermutlich den nötigen Grad der Aufrichtigkeit gegen mich berechnet hatte, eine Eigenschaft, womit er nie unnötig freigebig war, antwortete er lächelnd: »In meinem Alter, zu Reichtum und der Welt verurteilt zu sein, wie Ihr sagt, klingt in der Tat nicht so beruhigend, als es vielleicht sollte. Aber verzeiht, Ihr habt meine Bestimmung mißverstanden – ein katholischer Priester, wenn Ihr wollt, aber kein unbekannter– nein! Rashleigh Osbaldistone wird selbst als der reichste Bürger in London unbekannter sein, als er unter den Mitgliedern einer Kirche gewesen sein würde, deren Diener, wie jemand sagte, ihre Pantoffeln auf Fürsten setzten. Meine Familie steht in großem Ansehen an einem gewissen verbannten Hofe, und der Einfluß, den dieser Hof in Rom hat, ist noch weit größer. Meine natürlichen Gaben sind der Erziehung, die ich erhielt, nicht ganz unwert. – Warum hätte nicht,« fügte er lachend hinzu, denn er pflegte oft den Ton seines Gesprächs zwischen Scherz und Ernst zu halten, »ein Kardinal Osbaldistone, mit guter Herkunft und guten Verbindungen, ebenso wohl wie der niedrig geborne Mazarin oder Alberoni, der Sohn eines italienischen Gärtners, das Schicksal der Staaten leiten können?« »Ich kann Euch keinen Grund für das Gegenteil angeben; aber an Eurer Stelle würd ich den Verlust der Möglichkeit einer so ungewissen Erhebung, der obendrein der Haß der Menschheit winkt, nicht bedauern.« »Auch ich nicht,« erwiderte er, »wenn ich wüßte, daß meine gegenwärtige Stellung sichrer wäre, doch das beruht auf Verhältnissen, womit mich bloß die Erfahrung bekannt machen kann. – Die Gemütsart Eures Vaters zum Beispiel –« »Gesteht nur die Wahrheit ohne Umschweife, Rashleigh: Ihr möchtet gern von mir etwas über ihn hören?« »Dieweil Ihr Euch bestrebt, wie Diana Vernon, der Fahne der guten Dame Aufrichtigkeit zu folgen, so antworte ich denn: Allerdings.« »Nun gut! Ihr werdet in meinem Vater einen Mann finden, welcher die Bahn des Erwerbes mehr wegen der Uebung verfolgte, die sie seinen Talenten gewährt, als aus Liebe zu dem Golde, womit sie bestreut ist. Sein tätiger Geist würde sich glücklich gefühlt haben in jeder Lage, die ihm Gelegenheit zur Wirksamkeit gegeben hätte, wenn auch diese Wirksamkeit der einzige Lohn gewesen wäre. Allein sein Reichtum hat sich vermehrt, weil er, mäßig und einfach in seinen Gewohnheiten, keine neuen Veranlassungen zu Ausgaben mit seinem zunehmenden Vermögen erhielt. Er haßt Verstellung bei andern, hat nie selber Verstellung angewendet und versteht es ausgezeichnet, unter beschönigenden Worten die Beweggründe zu entdecken. Wortkarg aus Gewohnheit, werden ihm große Schwätzer bald zuwider, um so mehr, als die Gegenstände, welche für ihn am erziehendsten sind, nicht viel Anlaß zur Unterhaltung darbieten. Er ist sehr streng in Beobachtung der Vorschriften seines Glaubens; aber Ihr habt nicht zu fürchten, daß er Euren Glauben angreifen wird, denn er betrachtet die Duldung als einen heiligen Grundsatz der Staatsverwaltung. Wenn Ihr aber, wie es sich vermuten läßt, dem vertriebnen Königshaus anhängt, so werdet Ihr wohltun, dasselbe in seiner Gegenwart zu verbergen; denn das ist ihm verhaßt. Im übrigen bindet ihn sein Wort und sein Wort muß Gesetz für alle sein, die unter ihm stehen. Er wird gegen niemand seine Pflicht verletzen und nicht dulden, daß jemand gegen ihn sich vergeht; um seine Gunst zu erhalten, müht Ihr seine Befehle vollziehen, anstatt seine Meinungen zu wiederholen. Seine größten Fehler entspringen aus den Vorurteilen, die mit seinem Beruf verbunden sind, oder vielmehr aus seiner ausschließlichen Verehrung desselben, und ihm erscheint wenig für rühmlich oder der Aufmerksamkeit wert, was nicht in irgend einer Verbindung mit dem Handel steht.« »Ein seltnes Gemälde!« rief Rashleigh, als ich schwieg. – »Vandyk war ein Sudler gegen Euch, Franz! Ich seh' Euren Vater vor mir in all seiner Stärke und Schwachheit; wie er den König liebt und ehrt als eine Art Oberbürgermeister des Reiches oder Vorsteher der Handelskammer; wie er das Unterhaus hochschätzt wegen der Verordnungen für den Ausfuhrhandel, und das Oberhaus achtet, weil der Lord-Kanzler auf einem Wollsacke sitzt.« »Mein Bild hatte Aehnlichkeit, Rashleigh; das Eurige ist ein Zerrbild. Aber da ich Euch ein so genaues Bild entworfen habe, so könnt Ihr dafür nun auch mich ein wenig aufklären über die Beschaffenheit des unbekannten Landes. –« »Wo Ihr Schiffbruch gelitten habt?« fiel Rashleigh ein. »Es ist nicht der Mühe wert; es ist keine Insel der Kalypso, voll schattiger Bäume und waldiger Irrgänge – nur ein nacktes, ödes Moor, das so wenig Reiz für die Neugier als Augenweide darbietet. – Ihr könnt es in seiner ganzen Nacktheit, nach einem halbstündigen Ueberblick so gut beschreiben, als wenn ich es Euch durch Schnur und Zirkel dargelegt hätte.« »Aber es ist doch etwas da, das einer sorgfältigen Untersuchung wert ist. – Was sagt Ihr zu Diana Vernon? Bildet sie nicht einen anziehenden Gegenstand in der Landschaft, und wenn alles umher so rauh wäre wie Islands Küste?« Ich bemerkte deutlich, daß Rashleigh ungern hierüber sprechen wollte; allein ich hatte mir durch meine freimütige Mitteilung ein Recht erworben, auch von meiner Seite Fragen vorzulegen. Rashleigh fühlte dies und sah sich genötigt, meiner Aufforderung zu folgen, so schwer er es auch finden mochte, seine Karten gut zu mischen. »Ich bin seit einiger Zeit weniger mit Fräulein Vernon bekannt, als es vormals der Fall war,« sprach er. »In ihrer frühern Jugend war ich ihr Lehrer; als sie sich aber dem jungfräulichen Alter näherte, machten meine verschieden Geschäfte, – die Würde des Berufs, wozu ich bestimmt war – ihre ganz besondre Verpflichtung, – kurz, unsre beiderseitige Lage, eine enge und fortgesetzte Vertraulichkeit gefährlich und unschicklich. Ich glaube, Diana hielt meine Zurückhaltung für Unfreundlichkeit, allein es war meine Pflicht; ich empfand so viel, als sie zu empfinden schien, da ich mich genötigt sah, der Klugheit nachzugeben. Aber was konnte mich schützen, wenn ich den vertrauten Umgang mit einem schönen und reizbaren Mädchen fortsetzen wollte, dessen Herz entweder dem Kloster oder einem bestimmten Bräutigam sich weihen muß?« »Dem Kloster oder einem bestimmten Bräutigam?« wiederholte ich. »Muß Fräulein Vernon unter diesen beiden wählen.?« »Allerdings,« erwiderte Rashleigh mit einem Seufzer. »Ich brauche Euch vermutlich nicht gegen die Gefahr zu warnen, die Freundschaft mit Fräulein Vernon zu vertraulich werden zu lassen. Ihr seid ein Mann von Welt und wißt, wie weit Ihr in dem Umgange mit ihr gehen könnt, ohne Eure Schuldigkeit zu gefährden und ungerecht gegen sie zu sein. Aber vergeßt nicht, daß bei dem Feuer ihres Wesens Eure Erfahrung sowohl über sie, als über Euch selbst wachen muß, denn der gestrige Vorfall kann als Beweis dienen, wie groß ihre Gedankenlosigkeit und Vernachlässigung des Anstandes ist.« Ich fühlte, daß etwas Wahres und Verständiges in diesen Aeußerungen lag; sie schienen als freundschaftliche Warnungen gegeben, und ich hatte kein Recht, es übel zu nehmen; dennoch fühlte ich auch, daß ich Rashleigh, während er sprach, mit Vergnügen hatte durchbohren können. Der Henker hole seine Unverschämtheit! dachte ich bei mir. Wünscht er, mir zu verstehen zu geben, Diana habe sich in sein zerhacktes Gesicht verliebt und sei so tief gesunken, daß seine Zurückhaltung nötig war, um sie von einer unbedachten Leidenschaft zu heilen? Ich will seine Meinung, wissen, war mein Entschluß, und wenn ich sie ihm mit Gewalt entreißen müßte. In dieser Absicht nahm ich so viel Fassung wie möglich an und äußerte: man müsse bedauern, daß ein Fräulein von Dianas Verstand und erworbnen Kenntnissen in ihrem Betragen etwas roh und unzart sei. »Wenigstens höchst frei und rücksichtslos,« erwiderte Rashleigh; »aber glaubt mir, sie hat ein vortreffliches Herz. Die Wahrheit zu sagen, sollte sie in ihrer Abneigung gegen das Kloster und den ihr bestimmten Bräutigam beharren, und sollten meine Arbeiten in Plutos Goldgruben mir eine anständige Unabhängigkeit sichern, so werde ich daran denken, unsre Bekanntschaft zu erneuern, und mein Glück mit Fräulein Vernon teilen.« Trotz seiner feinen Stimme und seinen wohlgewendeten Reden, dachte ich, ist dieser Rashleigh doch der häßlichste und eingebildetste Laffe, den ich je gesehen habe. »Allein,« fuhr Rashleigh fort, gleichsam mit sich selbst sprechend, »ungern möchte ich Thorncliff verdrängen.« »Thorncliff verdrängen! – Ist Euer Bruder Thorncliff,« fragte ich sehr überrascht, »Dianas bestimmter Bräutigam?« »Nun ja; nach ihres Vaters Bestimmungen und einer gewissen Familienübereinkunft ist sie für einen von Herrn Hildebrands Söhnen bestimmt. In der Erlaubnis, die man deshalb zu Rom ausgewirkt hat, braucht man nur noch den Namen des Glücklichen hinzuzufügen, für den ein leerer Platz gelassen ist. Da nun Percival selten nüchtern wird, so hat mein Vater Thorncliff erwählt, den zweiten Sprößling der Familie, der ihm am passendsten erscheint, das Geschlecht Osbaldistone fortzupflanzen.« »Das junge Fräulein,« sprach ich und zwang mich, eine scherzhafte Miene anzunehmen, die mir, glaub ich, sehr schlecht stehen mochte, »hätte vielleicht etwas tiefer am Familienbaume hinab sehen mögen, um den Zweig zu suchen, an welchem sie sich festzuhalten wünschte.« »Das kann ich nicht sagen,« erwiderte er. »In unsrer Familie ist die Wahl beschränkt. Richard ist ein Spieler, Hans ein Bauer und Wilfred ein Esel. Ich glaube, mein Vater hat wirklich die beste Wahl für die arme Diana getroffen.« »Die Anwesenden sind immer ausgenommen,« sprach ich. »O, von mir konnte, bei meiner Bestimmung für den geistlichen Stand, nicht die Rede sein; andernfalls will ich mir nicht anmaßen zu sagen, daß, da ich durch meine Erziehung geeignet war, Fräulein Vernon zu unterrichten und zu leiten, ich eine bessere Wahl als einer meiner ältern Brüder gewesen sein würde.« »Ohne Zweifel war das Fräulein dieser Meinung?« »Das braucht Ihr nicht zu vermuten,« antwortete Rashleigh mit einem so erzwungenen Leugnen, daß dadurch die stärkste Bejahung ausgedrückt ward – »Freundschaft, nur Freundschaft knüpfte das Band zwischen uns, und die zarte Neigung eines sich aufschließenden Gemüts gegen den einzigen Lehrer – Liebe kam uns nicht nahe. Ich hab Euch gesagt, ich war beizeiten weise.« Ich fühlte wenig Verlangen, die Unterhaltung länger fortzusetzen, und eilte, mich von Rashleigh losmachend, auf mein Zimmer. In großer Unruhe ging ich hier auf und nieder und wiederholte laut die Ausdrücke, die mich am meisten verletzt hatten. Reizbar – feurig – zarte Neigung – Liebe! – Diana Vernon, das schönste Wesen, das ich je gesehen, verliebt in ihn, den krummbeinigen, dickhalsigen, hinkenden Burschen! Der völlige Richard der Dritte, bis auf den Buckel! – Und dennoch, die Gelegenheiten, die er in seinen verwünschten Unterrichtsstunden gehabt haben mußte, und des Menschen leichte und fließende Darstellung, und ihre ausnehmende Abgeschiedenheit von allen Wesen, die mit gesundem Menschenverstand sprechen und handeln konnten ... ja, und ihr sichtbarer Groll gegen ihn, mit Bewunderung seiner Talente vermischt, was so sehr wie die Wirkung einer vernachlässigten Zärtlichkeit aussieht, als irgend etwas, das gab wohl zu denken! – »Aber was geht das mich an, daß ich darüber wüte und tobe? Ist Diana Vernon das erste hübsche Mädchen, das einen häßlichen Mann geliebt und geheiratet hat? Und wenn sie auch an keinen Osbaldistone gebunden wäre, was kümmert es mich? Katholisch – eine Jakobitin – eine Amazone – es wäre gänzliche Raserei, daran zu denken!« und mit diesen Gedanken kam mir die Ruhe wieder. Zwölftes Kapitel Mein Hauptfehler bestand, wie ich Dir bereits gesagt habe, lieber Tresham, was Dir wahrscheinlich nichts Neues war, in einem unbezwinglichen Stolz, der mich öftern Unannehmlichkeiten aussetzte. Nicht einmal leise hatt' ich mir gestanden, daß ich Diana Vernon liebte; aber kaum sprach Rashleigh von ihr, wie von einem Preise, den er davon tragen oder nach Gefallen vernachlässigen konnte, so erschien jeder Schritt, den das arme Mädchen in der Unschuld und Offenheit ihres Herzens getan hatte, um eine Art von Freundschaft, mit mir zu errichten, in meinen Augen als beleidigendste Koketterie. »So! Sie wollte mich vermutlich zum Nothelfer machen, wenn Herr Osbaldistone kein Mitleid mit ihr haben sollte! Aber ich will ihr zeigen, daß ich nicht der Mann bin, der sich auf diese Art betrügen läßt – sie soll finden, daß ich ihre Künste durchschaue und sie verachte.« Nicht einen Augenblick bedachte ich, daß dieser ganze Unwille, den ich ohne die geringste Berechtigung gefaßt hatte, nur bewies, wie ich nichts weiter als gleichgültig gegen Dianas Reize war, und in höchst übler Laune gegen sie und alle Töchter Evens setzte ich mich zur Tafel. Mit Ueberraschung hörte Diana auf einige neckische Ausfälle, die sie mit ihrer gewöhnlichen Freimütigkeit äußerte, unfreundliche Antworten von mir; doch ohne den Argwohn, daß es böse gemeint sei, erwiderte sie meine rauhen Worte nur mit etwas ähnlichen Scherzen, gemildert durch ihre heitere Stimmung, obwohl geschärft durch ihren Witz. Endlich bemerkte sie, daß ich wirklich übler Laune war, und antwortete auf eine meiner unhöflichen Reden: »Man sagt, Herr Franz, auch von Toren lasse sich etwas Verständiges lernen. Gestern wollte Vetter Thorncliff spielen, weil Vetter Thorncliff ärgerlich wurde und stärker zuschlug, als es die Regeln eines freundschaftlichen Kampfes erlaubten. Wollt' ich Dir in allem Ernst den Kopf einschlagen, sprach der ehrliche Wilfred, so kümmert es mich nicht, wie böse Du wärest; denn ich würd' es nur um so leichter tun können. Aber es war hart, wenn ich Streiche übern Kopf kriegte und Dir nur Scheinhiebe dagegen versetzen sollte. – Versteht Ihr die Nutzanwendung, Franz?« »Ich habe nie die Notwendigkeit gefühlt, gnädiges Fräulein, den wenigen Verstand, womit man in dieser Familie die Unterhaltung würzt, genau zu erforschen.« »Notwendigkeit! Und gnädiges Fräulein! – Ihr setzt mich in Erstaunen, Herr Osbaldistone.« »Das bedaure ich recht sehr.« »Soll ich diesen Ton für Ernst halten? oder ist er nur angenommen, um Eure gute Laune desto schätzbarer zu machen?« »Ihr habt ein Recht auf die Aufmerksamkeit so vieler Herren in diesem Hause, Fräulein Vernon, daß Ihr es nicht der Mühe wert halten könnt, nach der Ursache meiner Verstimmung zu fragen.« »Wie! Muß ich also glauben, Ihr habt meine Partei verlassen, und seid zu dem Feinde übergegangen?« Sie blickte hierauf über die Tafel, und als sie bemerkte, daß Rashleigh, der ihr gegenüber saß, mit einem besondern Ausdruck von Anteil in seinen rauhen Zügen uns beobachtete, fuhr sie fort: »Entsetzlicher Gedanke! – Es ist wahr; Denn lächelnd blickt der Grimmige mich an, Und zeiget auf Dich, für sein – Doch gedankt sei's dem Himmel, der mich zum Dulden gewöhnt hat, ich werde nicht so leicht empfindlich. Und damit ich mich nicht zum Streit gezwungen sehe, habe ich die Ehre, früher als gewöhnlich Euch eine gute Verdauung Eurer Mahlzeit und üblen Laune zu wünschen.« Mit diesen Worten verließ sie die Tafel. Nachdem Diana hinausgegangen war, war ich selber mit meinem Betragen recht unzufrieden. Mein Betragen kam mir roh vor. Um diese schmerzlichen Erwägungen zu bekämpfen oder zu ertränken, sprach ich der Flasche, die um den Tisch kreiste, mehr als gewöhnlich zu. An Mäßigkeit gewöhnt und in einem aufgeregten Gemütszustande, empfand ich schnell die Wirkung des Weines. Eingewurzelte Trinker erhalten, glaub ich, die Fähigkeit, eine große Menge starker Getränke zu sich zu nehmen, ohne wenig mehr, als jene Verstandeskräfte zu trüben, die in ihrem nüchternen Zustande nicht zu den hellsten gehören; aber Männer, welche dem Laster der Trunkenheit fremd sind, werden gewaltsamer durch berauschende Säfte ergriffen. Einmal erregt, ward meine Gemütsstimmung bald ausgelassen. Ich sprach viel, stritt über Sachen, wovon ich nichts wußte, erzählte Geschichten, deren Ende ich vergaß, und lachte unmäßig über meine Vergeßlichkeit; ich ging mehrere Wetten ein, ohne das geringste Urteil, und forderte den Riesen Hans zum Ringen heraus, obwohl er schon Ringpreise erworben und ich durchaus keine Uebung in dieser Fertigkeit hatte. Mein Oheim war so gütig, dies Uebermaß trunkner Torheit zu verhindern, wo sonst wahrscheinlich mein Hals in Gefahr gewesen sein würde. Zwar hatte ich nicht meine Besinnung verloren, aber ich verlor bald alle Selbstbeherrschung, und meine ungestümen Leidenschaften rissen mich nach Gefallen mit sich fort. Ich hatte mich mürrisch, unzufrieden, und zum Schweigen geneigt, niedergesetzt – der Wein machte mich geschwätzig, streitsüchtig und zänkisch. Ich widersprach allem, was behauptet wurde, und griff, ohne Rücksicht auf meinen Oheim, dessen politische Grundsätze und Glaubensmeinung an; Rashleighs erkünstelte Mäßigung, die er sehr wohl mit Anreizungen zu vereinigen wußte, empörte mich mehr, als die lärmenden und polternden Reden seiner Brüder. Mein Oheim, um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, suchte die Ordnung unter uns herzustellen, allein sein Ansehen verlor sich im Taumel des Rausches und der Leidenschaft. Wütend über eine wirkliche oder eingebildete beleidigende Aeußerung, gab ich endlich Rashleigh einen Schlag mit der Faust. Kein Stoiker, über eigne und fremde Leidenschaften erhaben, hätte eine Beleidigung mit einem höhern Grade von Verachtung aufnehmen können. Was er anscheinend nicht der Mühe wert achtete zu fahnden, empfand Thorncliff für ihn. Degen wurden gezogen, und wir wechselten einige Stöße, als uns die übrigen Brüder mit Gewalt trennten, und ich werde nie das teuflische Hohnlächeln vergessen, das Rashleighs widrige Züge entstellte, als ich durch die vereinte Kraft von zwei dieser jungen Riesen aus dem Zimmer gebracht wurde. Sie verschlossen die Tür meines Gemachs, und zu meiner unaussprechlichen Wut hörte ich sie herzlich lachen, indem sie die Treppe hinabgingen. Ich versuchte in meiner Raserei durchzubrechen; allein die Fenstergitter und die Stärke der mit Eisen versehenen Tür widerstanden meinen Anstrengungen. Endlich warf ich mich aufs Bett und entschlief unter Gelübden, mich am folgenden Morgen grausam zu rächen. Allein mit dem Morgen kam die kühle Besonnenheit. Ich fühlte aufs schmerzlichste das Gewaltsame und Abgeschmackte meines Betragens und mußte erkennen, daß Wein und Leidenschaft mich selbst unter Wilfred Osbaldistone herabgewürdigt hatten, den ich so gering achtete. Meine unangenehmen Betrachtungen milderten sich keineswegs, als ich die Notwendigkeit einer Entschuldigung meines Betragens erwog, und mich erinnerte, daß Diana Zeugin meiner Demütigung sein mußte. Mein unschickliches und unfreundliches Benehmen gegen sie selbst vermehrte die Bitterkeit meiner Erwägungen nicht wenig, und dafür konnte ich nicht einmal die elende Entschuldigung eines Rausches anführen. Unter diesen erdrückenden Gefühlen von Scham und Erniedrigung ging ich zum Frühstück hinab, wie ein Verbrecher, der sein Urteil erwartet. Es traf sich, daß ein heftiger Frost es unmöglich gemacht hatte, die Hunde herauszulassen, und ich hatte nun noch die Demütigung, die ganze Familie, Rashleigh und Diana ausgenommen, im vollsten Eifer bei einer kalten Wildbretpastete und einem Stück Rindfleisch zu finden. Alle waren höchst vergnügt, als ich hereintrat, und ich konnte mir leicht denken, daß sie sich auf meine Kosten lustig machten. Was mich so schmerzlich berührte, betrachtete mein Oheim und die Mehrzahl meiner Vettern als einen recht vortrefflichen Spaß. Herr Hildebrand neckte mich über die Vorfälle des gestrigen Abends und beteuerte, daß er es für besser halte, wenn sich ein junger Bursche dreimal des Tages betrinke, als wenn er sich nüchtern zu Bett schleiche, wie ein Presbyterianer, und einen Kreis ehrlicher Kerle bei der Weinflasche verlasse. Und zur Unterstützung dieser tröstlichen Rede füllte er einen großen Humpen mit Branntwein und mahnte mich, »von dem Hundebiest, das mich gebissen hätte, ein paar Haare zu verputzen.« »Laß die Jungen hier nur lachen, Neffe,« fuhr er fort. »Sie würden eben solche Milchsuppen sein wie Du, wenn ich sie nicht sozusagen mit Trinksprüchen und beim Humpen aufgezogen hätte.« Bösartigkeit war im allgemeinen nicht der Fehler meiner Vettern. Als sie sahen, daß die Erinnerungen an den vorigen Abend mich verletzten und verlegen machten, suchten sie mit plumper Freundlichkeit den unangenehmen Eindruck zu vernichten, den sie auf mich gemacht hatten. Thorncliff allein sah mürrisch und unversöhnt aus. Dieser junge Mann hatte mich vom Anfang an nicht leiden können, und an den Beweisen von Aufmerksamkeit, welche ich gelegentlich von seinen Brüdern erhielt, so linkisch sie auch sein mochten, hatte er allein nie Anteil genommen. Wenn er wirklich, was ich jedoch zu bezweifeln anfing, von der Familie als der Dianen bestimmte Gemahl betrachtet wurde oder sich selbst dafür ansah, so konnte ein Gefühl von Eifersucht in ihm erwacht sein, als er den Vorzug bemerkte, welchen das Fräulein einem Manne zu geben beliebte, in welchem er vielleicht einen gefährlichen Nebenbuhler zu erhalten fürchtete. Rashleigh trat endlich herein, sein Gesicht finster wie ein Trauergewand, brütend, wie ich nicht zweifeln konnte, über die unverantwortliche Beleidigung, die ich ihm zugefügt hatte. Ich war bereits mit mir einig, wie ich mich bei dieser Gelegenheit verhalten wollte, und hatte mich bemüht, mich in den Glauben zu finden, daß wahre Ehre darin bestehe, eine Kränkung, die mit irgend einem Anreiz dazu, den ich anführen konnte, nicht im Verhältnis stand, zu entschuldigen, aber nicht zu verteidigen. Ich eilte ihm daher entgegen und äußerte mein höchstes Leidwesen über die Heftigkeit, mit der ich am vorigen Abend gehandelt hatte. Kein Umstand, sagte ich, würde mir ein einziges Wort der Entschuldigung abgenötigt haben, als nur mein eignes Bewußtsein von der Unschicklichkeit meines Betragens. Ich hoffte, mein Vetter werde meine aufrichtige Reue annehmen, und bedenken, wie sehr das Uebermaß der Gastfreundlichkeit seines Herrn Vaters an meinem Mißverhalten schuld sei. »Er soll Freund mit Dir sein, Junge!« rief der wackre Ritter in der Aufwallung seines Herzens, »oder Gott straf mich – ich nenn ihn nicht mehr Sohn. Warum stehst Du denn da, Rashleigh, wie ein Stock? Es ist mir leid, ist alles, was ein Ehrenmann sagen kann, wenn er etwas Unrechtes getan hat, besonders beim Wein. – Ich war auch Soldat, und weiß, denk ich, etwas von Ehrensachen. Laßt mich nichts mehr davon hören, und wir wollen alle zusammen gehen und den Dachs im Birkenwalde aufstören.« Rashleighs Gesicht war, wie ich schon erwähnte, ganz anders, als die Gesichter, die ich je gesehen habe. Allein diese Sonderbarkeit lag nicht bloß in den Zügen, sondern in der Art ihres wechselnden Ausdrucks. Wenn in andern Gesichtern Kummer in Freude oder Unwille in Zufriedenheit übergeht, so gibt es eine kurze Zwischenzeit, ehe der Ausdruck der herrschenden Leidenschaft die frühere ganz verdrängt. Es ist eine Art Zwielicht, wie zwischen dem Erhellen der Dunkelheit und dem Aufgange der Sonne, während die aufgeschwollnen Muskeln nachgeben, das dunkle Auge sich aufklärt, die Stirn sich glättet, und das ganze Angesicht seine ernstern Schatten verliert und heiter und ruhig wird. Rashleighs Gesicht zeigte von solchen Uebergängen keine Spur, sondern veränderte fast plötzlich einen Ausdruck der Leidenschaft in den entgegengesetzten. Auf diese Eigenschaft ward meine Aufmerksamkeit hierbei besonders gerichtet. Finster wie die Nacht trat Rashleigh ins Zimmer. Mit demselben unbeweglichen Gesicht hörte er meine Entschuldigung und seines Vaters Ermahnungen, und nun erst, als dieser nichts mehr sagte, verschwand auf einmal die Wolke, und er erklärte auf die freundlichste, verbindlichste Weise, daß ihm meine artige Entschuldigung vollkommen genug tue. »Wirklich,« sagte er, »ich habe selbst einen so schwachen Kopf, daß ich, wenn ich ihm mehr als meine gewöhnlichen drei Gläser aufbürde, nur eine unbestimmte Vorstellung von der Verwirrung der letzten Nacht habe – ich erinnere mich einer Masse von Dingen, aber an nichts Bestimmtes, wohl eines Streites, aber nicht der Veranlassung. – Ihr könnt also denken, lieber Vetter,« fuhr er fort, mir freundlich die Hand schüttelnd, »wie sehr ich mich erleichtert fühle, da ich inne werde, daß nicht ich mich zu entschuldigen habe, sondern daß man sich bei mir zu entschuldigen hat. – Ich will kein Wort weiter davon hören; es würde töricht sein, eine Rechnung näher zu prüfen, deren anfangs ungünstige Bilanz sich so unerwartet und angenehm zu meinem Vorteil gewendet hat. Ihr seht, ich bediene mich der Sprache von Lombard-Street, und mache mich geschickt zu meinem neuen Berufe.« Eben wollte ich antworten und erhob mein Auge, als ich Diana erblickte, die während des Gesprächs unbemerkt hereingetreten und aufmerksame Zuhörerin gewesen war. Verwirrt und beschämt blickte ich zur Erde und eilte zu der Frühstückstafel, an der ich mich zwischen meinen geschäftigen, Vettern niedersetzte. Damit die Ereignisse des verflossenen Tages nicht ohne eine praktische Lehre der Moral aus unserm Gedächtnisse verschwinden möchten, gab mein Oheim Rashleigh und mir bei dieser Gelegenheit den ernstlichen Rat, unsre milchbärtigen Manieren, wie er es nannte, zu verbessern, und uns nach und nach an starke Getränke zu gewöhnen, und zwar in solchen Mengen, wie es einem adligen Herrn gezieme, ohne uns dabei zu zanken und zu prügeln. Damit wir nicht gleich den Mut sinken ließen, versicherte er, viele Männer gekannt zu haben, die in unserm Alter nicht eine Flasche auf einen Sitz geleert hätten, die aber in wackrer Gesellschaft und bei herzhaftem Zuspruch nachher ruhig und allmählich sechsmal so viel hatten trinken können, ohne dabei in Streit auszuarten oder am andern Morgen einen Katzenjammer zu haben. So weise dieser Rat und so tröstlich die Aussicht war, die er darbot, gewann ich nur wenig durch die Ermahnung; zum Teil vielleicht, weil ich immer, so oft ich die Augen von der Tafel erhob, Dianas Blicken begegnete, worin ich ernstes Mitleiden, mit Bedauern und Mißfallen vermischt, zu entdecken glaubte. Ich überlegte, wie ich eine Gelegenheit, mich auch gegen sie zu erklären und zu entschuldigen, herbeiführen könne, als sie mir zu verstehen gab, daß sie mir die Mühe, um eine Unterredung zu bitten, ersparen wolle. »Vetter Franz,« sagte sie, »ich habe diesen Morgen eine schwere Stelle in Dantes göttlicher Komödie gefunden; wollt Ihr die Güte haben, in das Bücherzimmer zu kommen und mir Euren Beistand zu leihen? Wenn wir den Sinn des dunklen Florentiners aufgespürt haben, wollen wir den Herren in den Birkenwald nachfolgen und sehen, ob sie so glücklich sind, den Dachs aufzujagen.« Ich erklärte mich natürlich sofort bereit, ihr zu folgen, Rashleigh erbot sich, uns zu begleiten. »Ich verstehe mich etwas besser darauf« sprach er, »Dantes Sinn durch die Bilder und Auslassungen der wilden und düstern Dichtung zu verfolgen, als den armen, harmlosen Einsiedler dort aus seiner Höhle aufzujagen.« »Verzeiht, Rashleigh,« erwiderte Diana; »da Ihr aber Eures Vetters Platz im Kontor einnehmen sollt, so müßt Ihr es nun ihm überlassen. Eure Schülerin hier zu erziehen. Wir werden Euch jedoch rufen, wenn es nötig ist. Ueberdies gereicht es Euch zur Schande, daß Ihr so wenig von der Jagd versteht. – Was wollt Ihr machen, wenn der Oheim in London Euch fragen sollte, an welchen Zeichen Ihr die Fährte eines Dachses erkennt?« »Ja wohl, Dianchen – ja wohl!« sprach Herr Hildebrand seufzend. »Ich glaube, Rashleigh wird schlecht bestehen, wenn man ihn auf die Probe setzt. Komm mit uns, Rashleigh, und trag meinen Jagdstock. Deine Base braucht jetzt Deine Gesellschaft nicht, und ich wünsche nicht, daß meiner Diana widersprochen wird. – Es soll nicht heißen, in Schloß Osbaldistone war nur eine Frau, und sie starb, weil sie nicht ihren Willen hatte.« Rashleigh folgte seinem Vater, wie er befahl, und Diana ging mit mir voran nach dem Büchersaal, und ich folgte ihr mit einem Gefühl von Verlegenheit und Unbehagen, das ich gern um jeden Preis hätte los sein mögen. Ich hielt es für eine unwürdige und erniedrigende Empfindung bei einer solchen Gelegenheit, da ich die Luft des festen Landes lange genug eingeatmet hatte, um die Meinung anzunehmen, daß Leichtigkeit, Galanterie und ein gewisses anständiges Selbstvertrauen den Mann auszeichnen müsse, den eine schöne Frau unter vier Augen zu sprechen wünscht. Meine englischen Gefühle siegten indes über meine französische Erziehung, und ich machte wahrscheinlich eine sehr klägliche Figur, als Fräulein Vernon, einem Richter gleich, der einen wichtigen Fall anhören will, sich majestätisch in einen großen Armstuhl setzte, mir ein Zeichen gab, ihr gegenüber Platz zu nehmen, und die Unterhaltung im Tone bitterer Ironie anfing. Dreizehntes Kapitel »Auf mein Wort, Herr Franz Osbaldistone,« sprach Fräulein Vernon, mit dem Ansehen, als halte sie sich völlig für berechtigt, mir auf ironische Weise Vorwürfe zu machen. »In unserm Kreise nehmt Ihr an Bildung zu – ich hatte mirs nicht träumen lassen, daß soviel Talent in Euch schlummre.« »Ich bin mir vollständig meiner Unart bewußt, Fräulein Vernon, und zu meiner Entschuldigung kann ich nur anführen, daß ich durch einige kürzlich erhaltne Mitteilungen in ungewöhnlich hohem Grade erregt gewesen bin. Ich weiß wohl, daß mein Benehmen ungehörig und albern war.« »Ihr tut Euch sehr unrecht,« entgegnete die unbarmherzige Ermahnerin. »Nach allem, was ich sah und seitdem gehört habe, gelang es Euch, im Laufe eines Abends alle die meisterhaften Eigenschaften zu enthüllen, wodurch Eure verschiednen Vettern sich auszeichnen: das milde und gutmütige Wesen des wohlwollenden Rashleigh – Percivals Mäßigkeit – Thorncliffs kalten Mut – Johanns Einsicht im Hundeabrichten – Richards Fertigkeit im Wetten – alles dies zeigte der einzige Herr Franz, und das mit einer Wahl der Zeit, des Ortes und der Umstände, die dem Geschmack und dem Scharfsinn des weisen Wilfred Ehre gemacht haben würde. – Aber ich möchte Euch doch nicht verhehlen, daß wenigstens eine Person mit Bekümmernis sieht, wie ein Jüngling von Talenten und Erwartungen in den Sumpf versinkt, worin die Bewohner dieses Hauses jeden Abend sich wälzen.« »Ich versichre Euch, Fräulein, ich habe nur meine Schuhe naß gemacht, und die Unsauberkeit der Pfütze ist mir zu sehr zuwider, als daß ich weiter hinein gehen sollte.« »Wenn Ihr das beschlossen habt, so ist es weise,« erwiderte sie. »Doch was ich gehört habe, betrübte mich so sehr, daß ich über Euern Gefahren ganz die eignen vergaß. – Ihr betrugt Euch gestern bei Tische gegen mich, als ob man Euch etwas gesagt hätte, wodurch ich in Eurer Meinung gesunken wäre. – Darf ich fragen, was es war?« Ich war betroffen. Die unumwundne Gradheit dieser Frage war ganz in dem Tone gehalten, den ein Herr dem andern gegenüber anschlägt, wenn er in gutmütiger und doch entschiedner Weise eine Erklärung seines Benehmens fordert, und es waren dabei all jene Umschreibungen, Bemäntelungen, Milderungen und Verblümtheiten, von denen sonst in den höhern Gesellschaftskreisen Erklärungen zwischen Personen verschiednen Geschlechts begleitet zu sein pflegen, völlig außer acht gelassen worden. Ich war in größter Verlegenheit; denn es kam mir in den Sinn, daß Rashleighs Mitteilungen, wenn sie begründet waren, Fräulein Vernon eher zu einem Gegenstande meines Mitleidens als meiner Empfindlichkeit machen mußten, und wenn in diesen Mitteilungen auch die beste Entschuldigung für mein eignes Benehmen gelegen hätte, so brachte mich das doch nicht über die größte Schwierigkeit hinweg – Fräulein Vernon etwas klar zu legen, worin für ihr Empfinden so viel Kränkendes liegen mußte. Sie erkannte meine Unbeholfenheit, und sprach in etwas bestimmterm, aber immer noch gemäßigtem und höflichem Tone: »Ihr werdet mir hoffentlich nicht das Recht streitig machen, diese Erklärung zu verlangen. Ich habe keinen Verwandten, der mich beschützen kann; es ist daher nur recht und billig, mir zu erlauben, daß ich mich selber beschütze.« »Ich suchte zögernd die Schuld meines unfreundlichen Betragens auf Unpäßlichkeit – auf unangenehme Briefe aus London zu schieben, aber sie hörte mir mit ungläubigem Lächeln zu. »Und nun, Herr Franz,« sprach sie, »da Ihr Euren Entschuldigungsprolog mit der übeln Weise vollzogen habt, womit gewöhnlich Prologe, gehalten werden, seid gebeten, den Vorhang aufzuziehen, und zeigt mir, was ich zu sehen wünsche. Mit einem Worte laßt mich hören, was Rashleigh von mir gesagt hat; denn er ist es, der hier alle Maschinen in Bewegung setzt und in Bewegung hält.« »Aber gesetzt, es wäre etwas zu sagen, was verdient derjenige, welcher die Geheimnisse eines Verbündeten dem andern verrät? Nach Eurem eignen Bericht war Rashleigh noch Euer Verbündeter, obwohl nicht länger Euer Freund.« »Ich habe weder Geduld, Ausflüchte anzuhören, noch Neigung, über diesen Gegenstand zu scherzen. Rashleigh kann, soll und darf nichts von mir, Diana Vernon, sagen, was ich nicht verlangen kann, wiederzuhören. Daß wir Geheimnisse vor einander haben, ist sehr gewiß; aber das kann mit dem, was er Euch mitgeteilt hat, nichts zu tun haben.« Ich hatte mich nun völlig wieder gefaßt, und beschloß schnell, von allem, was mir Rashleigh wie im Vertrauen gesagt hatte, nichts wiederzusagen. Ein Gespräch unter vier Augen auszuplaudern, erschien mir unwürdig; es konnte auch zu nichts führen und Fräulein Vernon selber nur unangenehm sein. Ich erwiderte daher ernst, daß Rashleigh sich mit mir nur über nebensächliche Familienangelegenheiten besprochen hätte und versicherte, nichts gehört zu haben, was einen für sie nachteiligen Eindruck zurückgelassen habe. Als rechtlicher Mann, setzte ich hinzu, könnte ich von dem Inhalt einer vertraulichen Unterredung nichts mehr sagen. Sie erhob sich fast ein wenig ungestüm. »Das soll Euch nichts helfen – ich muß eine andre Antwort von Euch haben!« rief sie. Ihre Stirn glühte und ihr Auge leuchtete, indem sie fortfuhr: »Ich verlange eine Erklärung, wie sie ein böslich verleumdetes Weib von jedem Manne fordern darf, der sich Ehrenmann nennt, wie sie ein mutterloses, unbefreundetes Wesen, das allein in der Welt steht und sich selbst leiten und beschützen muß, mit Recht verlangen kann. Ihr sollt es mir nicht verweigern – oder,« setzte sie mit feierlich emporgehobnem Blick hinzu, »Ihr werdet Eure Weigerung bereuen, wenn es auf Erden oder im Himmel noch Gerechtigkeit gibt.« Ich war aufs höchste erstaunt, daß sie so heftig sein konnte, fühlte aber, daß es nach einer solchen Aufforderung meine Pflicht sei, jedes Bedenken aus zarter Rücksicht beiseite zu setzen, und teilte ihr kurz, aber bestimmt, das Hauptsächlichste von dem, was Rashleigh mir gesagt hatte, mit. Ich stotterte alles herunter, was Rashleigh mir davon gesagt hatte, daß es ihr schon von früh auf bestimmt sei, einen Osbaldistone zu heiraten, und wie schwierig es sei, eine Wahl zu treffen. Hier hätte ich gern geschwiegen, allein bei ihrem Scharfsinn entdeckte sie, daß ich noch etwas zurückhalte, und sie ahnte, was es betraf. »Es war bösartig von Rashleigh, dies von mir zu erzählen. Aber Rashleigh hat gewiß auch etwas von sich selbst in Beziehung auf mich gesagt. – Nicht wahr?« »Er deutete allerdings an – es sei nur das Mißliche, daß er seinen Bruder verdrängen müsse, sonst würde er jetzt, da er ja nicht mehr Pfaffe zu werden brauchte, die freie Stelle in der Verfügungsschrift ausfüllen und seinen Namen an Thorncliffs Stelle hineinschreiben.« »So? wirklich?« erwiderte sie; »war er so herablassend? – Zu viel Ehre für seine demütige Magd Diana Vernon. Und sie hätte selbstverständlich vor Freude außer sich zu sein, wenn eine solche Veränderung stattfinden könnte?« »Die Wahrheit zu sagen, er deutete ja etwas an, und gab ferner zu verstehen –« »Was? – laßt mich alles hören!« rief sie hastig. »Er habe den vertraulichen Umgang abgebrochen, um nicht erst eine Neigung entstehen zu lassen, die er bei seiner Bestimmung zum geistlichen Stande sich doch aus dem Sinne hätte schlagen müssen.« »Ich bin ihm sehr für seine Rücksicht verbunden,« erwiderte Diana, und aus jedem Zuge ihres schönen Gesichts sprachen Hohn und Verachtung. Sie schwieg einen Augenblick und sagte dann mit ihrer gewöhnlichen Fassung: »Ich habe nur wenig von Euch gehört, was ich nicht zu hören erwartete; denn einen einzigen Umstand ausgenommen, ist alles sehr wahr. Wie man aber so wirksame Gifte hat, daß wenig Tropfen davon hinreichen sollen, eine ganze Quelle zu vergiften, so enthält auch Rashleighs Mitteilung eine Lüge, welche die Wahrheit selbst verunstalten könnte. Es ist eine abscheuliche Unwahrheit, daß ich, die ich alle Ursache habe, Rashleigh nur zu gut zu kennen, mich durch irgend einen Umstand auf der Welt bewegen lassen könnte, sein Geschick zu teilen. Nein,« fuhr sie mit einer Art von Schauder fort, der ein unwillkürliches Entsetzen auszudrücken schien; »lieber jedes Los, als dies – der Trunkenbold, der Spieler, der Eisenfresser, der Pferdejunge, der Narr wären tausendmal Rashleigh vorzuziehen; – das Kloster, der Kerker, das Grab wird willkommner sein als sie alle.« Der Ton ihrer Stimme war traurig und wehmütig, übereinstimmend mit der seltsamen und anziehenden Verwickelung ihres Lebens. So jung, so schön, so unerfahren, so sehr sich selbst überlassen, alles Beistandes beraubt! Aber in der Kühnheit, mit der sie jede Zeremonie verachtete, lag so viel Würde – in dem Mute, mit dem sie jede Falschheit verschmähte, lag so viel Gradsinnigkeit und Stolz – in der Gelassenheit, mit der sie die Gefahren um sich her ins Auge faßte, lag so viel Entschlossenheit – daß sich zu meinem Mitleid die wärmste Bewunderung gesellte. Ich wollte den Gefühlen der Teilnahme und Bewunderung, mit denen ihre unglückliche Lage und ihr hoher Mut mich erfüllten, Ausdruck verleihen, aber sie legte mir mit einem Male Schweigen auf! »Ich sagte Euch im Scherz,« sprach sie, »daß ich Schmeicheleien nicht leiden kann – und jetzt sag ich Euch im Ernste, daß ich kein Mitleid begehre und den Trost verachte. Was ich erduldet habe, das hab ich erduldet. Was ich erdulden werde, will ich tragen, wie ich kann; kein mitleidiges Wort vermag die Last des Sklaven, der sie schleppen muß, um eine Feder leichter zu machen. Es gibt nur ein menschliches Wesen, das mir hätte beistehen können, und das statt dessen meinen Kummer nur vergrößert hat: Rashleigh Osbaldistone. Ja, es gab eine Zeit, wo ich diesen Mann hätte lieben lernen können. Aber, großer Gott, die Absicht, warum er sich das Vertrauen eines Wesens erwarb, das bereits so verlassen war, der unverdrossene Eifer, womit er diese Absicht von Jahr zu Jahr verfolgte, ohne einen Augenblick Gewissensbisse oder Reue zu fühlen, die Absicht, in welcher er die Nahrung, die er meinem Geiste darbot, in Gift würde verwandelt haben – gütige Vorsehung! was würde in dieser und in der andern Welt an Leib und Seele aus mir geworden sein, wenn ich den Kunstgriffen dieses vollendeten Bösewichts erlegen wäre!« Ich war so ergriffen von der treulosen Verräterei, die diese Worte mich durchschauen ließen, daß ich mich von meinem Sitze erhob, kaum wissend, was ich tat, die Hand ans Schwert legte und das Zimmer verlassen wollte, um meinen gerechten Zorn ihn fühlen zu lassen. Fast atemlos und mit Blicken, worin Zorn und Verachtung der lebhaftesten Unruhe gewichen waren, vertrat mir Diana den Weg zur Tür. »Bleibt,« sprach sie – »bleibt! So gerecht Euer Unwille ist, wißt Ihr doch nicht zur Hälfte die Geheimnisse dieses furchtbaren Gefängnisses.« – Sie blickte hierauf ängstlich umher, und ihre Stimme ward fast ein leises Flüstern: »Er hat ein verzaubertes Leben; er ist gefeit, und Ihr könnt ihn nicht angreifen, ohne andrer Leben in Gefahr zu setzen und Zerstörung zu verbreiten. Wär es anders gewesen, so würde er in einer Stunde gerechter Vergeltung selbst kaum vor dieser schwachen Hand sicher gewesen sein. Ich sagte Euch,« fuhr sie fort, mir wieder meinen Platz anweisend, »daß ich keines Trösters bedürfe – jetzt sag ich Euch, ich bedarf keines Rächers.« Ich nahm wieder Platz, mechanisch ihre Worte erwägend, und gedachte auch, was mir im ersten Erglühen des Unwillens entgangen war, daß ich durchaus kein Recht hatte, als Dianas Kämpfer aufzutreten. Sie schwieg, bis wir beide uns ein wenig beruhigt hatten und sprach dann gefaßter: »Ich hab Euch bereits gesagt, Rashleigh steht in Verbindung mit einem gefährlichen und verhängnisvollen Geheimnis. So verworfen er ist, und so sehr er weiß, daß er als überführter Bösewicht vor mir steht, kann ich, darf ich doch nicht offen mit ihm brechen oder ihm Trotz bieten. Auch Ihr, Herr Osbaldistone, müßt ihn mit Geduld ertragen, seinen Kunstgriffen Klugheit, nicht Gewalt, entgegensetzen, und vor allem solche Auftritte vermeiden, wie gestern abend, die ihm nur gefährliche Vorteile über Euch geben können. Diese Warnung wollt' ich Euch erteilen, und es war die Absicht, warum ich diese Unterredung wünschte; aber ich habe mein Vertrauen weiter ausgedehnt, als ich willens war.« Ich versicherte ihr, daß es nicht verschwendet sei. »Das glaub ich auch nicht,« erwiderte sie. »Ihr habt etwas in Euren Zügen und Eurem Betragen, das Vertrauen erweckt. Laßt uns Freunde bleiben. Und nun, bitt ich Euch, geht und seht, was aus den Dachsjägern geworden ist. Mein Kopf tut mir so weh, daß ich nicht dabei sein kann.« Ich verließ die Bibliothek, aber nicht um den Jägern zu folgen. Ich fühlte, daß ich mich ein Weilchen in aller Einsamkeit ergehen müsse, um mich zu beruhigen, ehe ich es wagen durfte, Rashleigh wiederzusehen, dessen berechnete Schlechtigkeit mir so ergreifend geschildert worden war. Der ausgeklügelte Plan, die Erziehung eines verwaisten Mädchens von edler Geburt, das obendrein noch eine so nahe Verwandte war, in die Hand zu nehmen und dabei von vornherein nur den schädlichen Zweck der Verführung im Auge zu haben, wie das auserlesene Opfer mir mit aller Wärme eines tugendhaften Unwillens berichtet hatte, das erschien mir als höchst verwerflich, und ich fühlte, wie schwer es mir sein würde, Rashleigh zu sehen, und dennoch den Abscheu zu unterdrücken, den er mir einflößte. Dies war indessen durchaus notwendig, nicht allein wegen des geheimnisvollen Befehls, den Diana mir gegeben hatte, sondern auch, weil ich in der Tat keinen scheinbaren Grund zum Streit mit ihm hatte. Ich beschloß daher, Rashleighs Verstellung mit gleicher Vorsicht zu begegnen, so lange wir in derselben Familie lebten, und wenn er nach London reiste, wollte ich wenigstens Owen einen Wink geben, was für einen gefährlichen Burschen er in Rashleigh vor sich habe, damit er ihm gegenüber im Interesse meines Vaters auf der Hut sein sollte. Die Aufgabe war etwas schwierig, besonders in meinen Verhältnissen, da man der Warnung, die ich gab, Eifersucht gegen meinen Nebenbuhler, oder vielmehr meinen Nachfolger in meines Vaters Gunst zu grunde legen konnte. Dennoch, hielt ich es für durchaus notwendig, einen solchen Brief zu schreiben; ich mußte es eben Owen überlassen, die Kenntnis von dem wahren Charakter Rashleighs in der erforderlichen Weise zu verwerten, ich kannte ja Owen als vorsichtig, klug und umsichtig. Der Brief ward also geschrieben und mit der ersten Gelegenheit auf die Post geschickt. Als ich mit Rashleigh zusammentraf, schien auch er sich entfernt halten und allen Anlaß zu Reibungen vermeiden zu wollen. Er mochte wohl ahnen, daß Fräulein Vernon nichts Vorteilhaftes über ihn gesagt hätte, wenn er auch nicht wissen konnte, daß sie sogar soweit gegangen, all seine ihr gegenüber betätigte Schändlichkeit zu enthüllen. Unser Verkehr war daher von beiden Seiten zurückhaltend und betraf nur Nebensächliches. Sein Aufenthalt im Schlosse dauerte nur noch wenige Tage, während welcher Zeit mir zweierlei an ihm auffiel. Das erste war die Leichtigkeit und Klarheit, womit sein kräftiger und reger Geist die zu seinem neuen Berufe nötigen Grundkenntnisse auffaßte und bearbeitete, so daß er gelegentlich mit seinen Fortschritten groß tat, als wenn er mir hätte zeigen wollen, wie leicht es ihm sei, eine Last zu heben, die ich aus Ermüdung und Unfähigkeit, sie zu tragen, von mir geworfen hatte. Zweitens erschien es mir sehr absonderlich, daß Diana mit Rashleigh, ungeachtet der Beleidigungen, deren sie ihn bezichtigte, mehrere ziemlich lange, geheime Unterredungen hatte, obwohl sich beide öffentlich nicht herzlicher als gewöhnlich gegen einander zu betragen schienen. Als der Tag von Rashleighs Abreise herangekommen war, sagte sein Vater ihm gleichgültig Lebewohl; seine Brüder schieden mit der schlecht verhehlten Freude von Schulknaben, die ihren Lehrmeister auf einige Zeit abreisen sehen und ein Vergnügen empfinden, das sie nicht auszudrücken wagen; ich selbst nahm mit kalter Höflichkeit von ihm Abschied. Als er Diana nahte und sie umarmen wollte, wich sie mit einem Blicke stolzer Verachtung zurück, sagte aber, ihm die Hand reichend: »Lebt wohl, Rashleigh! Gott vergelte Euch das Gute, das Ihr mir erwiesen habt, und vergebe Euch das Böse, das Ihr im Schilde geführt habt.« »Amen, schöne Base!« erwiderte er mit einem Ausdruck von Frömmigkeit, der meines Bedünkens der Bildungsanstalt von St. Omer angehörte: »Selig ist der, dessen gute Absichten die Frucht der Taten tragen, und dessen böse Gedanken in der Blüte verdarben.« Dies waren seine Abschiedsworte. »Vollendeter Heuchler!« sprach Diana zu mir, als er die Tür hinter sich zumachte. »Wie sehr kann doch, was wir am tiefsten hassen und verachten, dem, was wir am höchsten ehren, dem äußern Wesen nach gleichkommen.« Ich hatte Rashleigh einen Brief an meinen Vater und auch einige Zeilen an Owen mitgegeben, außer dem bereits erwähnten vertrauten Briefe, den ich auf andre Weise zu bestellen für klüglich hielt. Es wäre sehr natürlich gewesen, wenn ich meinem Vater all die Unannehmlichkeiten und Widerwärtigkeiten dargestellt hätte, die ein längerer Aufenthalt in Osbaldistones Haus für einen Mann von meinem Alter, meiner Bildung und meinen Neigungen mit sich bringen mußte. Daß ich aber darüber Schweigen bewahrte, war nicht schwer zu erklären. Dianas ausgezeichnete Schönheit, deren sie sich selbst so wenig bewußt schien, ihre romantische und geheimnisvolle Lage, die Leiden, welchen sie ausgesetzt war, der Mut, womit sie ihnen entgegen zu blicken schien, ihr, mehr als es ihrem Geschlecht geziemte, freies Betragen und die schmeichelhafte Auszeichnung, die sie mir vor jedem andern gab, mußte zugleich meine edelsten Gefühle ansprechen, meine Neugierde erregen, meine Einbildungskraft beschäftigen und meine Eitelkeit befriedigen. Ich wagte es fürwahr nicht, mir selbst zu gestehen, welche lebhafte Teilnahme mir Diana einflößte, oder wie sehr sie meine Gedanken erfüllte. Wir lasen zusammen, gingen, ritten und aßen zusammen. Die Geistesbeschäftigungen, die sie bei ihrem Zwiste mit Rashleigh abgebrochen hatte, erneuerte sie jetzt, unter der Leitung eines Lehrers, der redlichere Absichten, obwohl weit beschränktere Fähigkeiten hatte. Wie gefährlich es für einen Jüngling von meinem Alter und meinen lebhaften Gefühlen sein mußte, mit einem so liebenswürdigen und so besonders anziehenden Wesen in so vertraulicher Nähe zu leben, wird jeglicher leicht denken können, der sich seiner eignen Gefühle in meinem Alter erinnert. Vierzehntes Kapitel, Unsre Lebensweise im Schlosse war sehr einförmig. Diana Vernon und ich brachten viele Stunden mit gemeinschaftlichen geistigen Beschäftigungen zu; die andern Mitglieder der Familie töteten ihre Zeit mit Vergnügungen und Ergötzlichkeiten, wie sie die Jahreszeit darbot, woran auch wir gelegentlich Anteil nahmen. Mein Oheim wurde allmählich mit meiner Gegenwart und Lebensweise so vertraut, daß er mir im ganzen mehr zu- als abgeneigt war. Wahrscheinlich würde ich noch höher in seiner Gunst gestiegen sein, wenn ich mich derselben Kunstbegriffe zu bedienen bemüht hätte, die Rashleigh anwendete, der, seines Vaters Abneigung gegen Geschäfte benutzend, sich nach und nach die Verwaltung seines Vermögens angemaßt hatte. Zwar stand ich meinem Oheim bereitwillig mit meiner Feder und Rechenkunst bei, so oft er an einen Nachbar schreiben oder mit einem Pächter sich berechnen wollte, und war ihm insofern nützlicher als einer seiner Söhne; allein ich hatte keine Lust, ihn gänzlich der Führung seiner Angelegenheiten zu entheben, so daß der gute Ritter, während er angab, der Vetter Franz sei ein wackrer, behender Bursche, gewöhnlich in demselben Atem zu bemerken pflegte: er habe nicht geglaubt, daß ihm Rashleigh so sehr an allen Ecken und Enden fehlen werde. Ich habe bereits erwähnt, wie wenig Thorncliff, während die andern Vettern sich halbwegs freundlich gegen mich zeigten, mich leiden konnte. Er hatte zwar etwas mehr Verstand, aber auch eine weit schlimmere Gemütsart als seine Brüder. Mürrisch, tückisch und zänkisch, hielt er meinen Aufenthalt im Schlosse für etwas Aufgedrungenes und sah mit neidischen, eifersüchtigen Blicken meine Freundschaft mit Diana Vernon, die nach einer gewissen Familienübereinkunft zu seiner Braut bestimmt war. Daß er sie liebte, läßt sich kaum sagen, allein er betrachtete sie sozusagen als sein Eigentum und ärgerte sich innerlich, daß man ihm in den Weg trat, und wußte dabei doch auch kein Mittel, es zu verhüten oder zu verhindern. Ich versuchte bei mehreren Gelegenheiten einen versöhnlichen Ton gegen ihn, doch er erwiderte mein Entgegenkommen ungefähr so freundlich wie ein knurriger Schäferhund, den ein Fremder liebkosen will. Ich überließ ihn daher seiner übeln Laune und gab mir weiter keine Mühe. Auf diesem Fuße stand ich mit der Familie im Schlosse; doch muß ich noch eines andern Bewohners erwähnen, mit welchem ich mich gelegentlich unterhielt. Dies war Andreas Gutdienst, der Gärtner, welcher, seit er wußte, daß ich Protestant war, mich selten vorübergehen ließ, ohne mir seine schottische Dose darzubieten. »Ich war,« sprach er eines Abends mit bedeutsamer Miene zu mir, »heute unten im Dorfe, mein Herr.« »Gut, Andreas; und Ihr habt vermutlich etwas Neues gehört?« »Den Hausierer Macready habe ich getroffen, und er hat mir erzählt, in London sei der Teufel los, und einen großen Krakehl wegen dem Felleisen, das jenem Kerl, dem Morris, abhanden gekommen sein soll, hätte es im Parlament gesetzt.« »Im Parlament! Wie sollte denn der Fall vors Parlament gekommen sein?« »Ja, das sagt ich auch. – Patrick, sagt ich, was haben die Lords und die Herren in London mit dem Kerl und seinem Felleisen zu schaffen? Wenn wir ein schottisches Parlament hätten, machte es Gesetze für Stadt und Land und bekümmerte sich nicht um Dinge, die vor einen gewöhnlichen Richter gehören; aber ich glaube, wenn hier ein altes Weib ihrer Nachbarin einen Topf wegnähme, so würden sie im Parlament von London davon sprechen. Es ist ebenso toll, sagt ich, wie hier mit unserm alten Herrn und seinen Söhnen, Jägern und Hunden, die tagelang einer ärmlichen Bestie nachjagen, die nicht sechs Pfund schwer ist, wenn sie sie fangen.« »Vortrefflich geschlossen, Andreas,« sprach ich, um ihn zu genauem Bericht aufzumuntern; »und was sagte Macready?« »O, er sagte, was man Besseres von dem engländischen Pudding-Volke erwarten könne? Doch auf den Raub zu kommen. – Nachdem sich vermutlich die Whigs und die Torys gestritten und geschimpft hatten wie die ungehängten Diebe, stand einer unter ihnen auf und sagte, daß in Nord-England lauter Erz-Jakobiten wären – worin er auch wohl nicht unrecht hat – und sie hätten einen offnen Krieg angefangen und einen königlichen Boten auf der Landstraße angehalten und beraubt, und die vornehmsten Edelleute in Northumberland wären dabei gewesen, und man hab' ihm vieles Geld und mehrere wichtige Schriften abgenommen. Der beraubte Mann hätte kein Recht erhalten können; denn bei dem ersten Friedensrichter, zu dem er gegangen, hab er die beiden Burschen, welche die Tat verübt, schmausend angetroffen, und der Richter habe ihnen das Wort geredet, so daß der ehrliche Mann, der um sein Geld gekommen sei, das Land schleunigst verlassen habe, damit es ihm nicht noch schlimmer erginge.« »Kann dies wirklich wahr sein?« fragte ich. »Patrick schwört darauf. Und als dieser Mann das Schlimmste gesagt hatte, war ein gewaltiges Geschrei von Namen, und man nannte diesen Mann Morris und Euren Oheim und Junker, Inglewood und noch andre Leute« – setzte Andreas mit einem schlauen Blick auf mich hinzu. – »Und dann erhob sich jemand von der andern Seite und sagte, man solle nicht die besten Edelleute im Lande auf den Eid einer feigen Memme anklagen, denn dieser Morris sei vom Heer in Flandern davon gelaufen, und die Geschichte sei wahrscheinlich zwischen ihm und dem Minister ausgemacht gewesen, ehe er London verlassen, und wenn man Haussuchung tun wollte, würde man das Geld nicht weit vom königlichen Schlosse finden. Währenddessen brachten sie Morris vor die Schranken, um zu hören, was er zu der Sache sagen könnte; aber die Leute, die gegen ihn waren, machten ein so arges Gerede von seinem Davonlaufen, und von allem Bösen, was er bisher in seinem Leben getan oder gesagt hatte, daß er, wie Patrick erzählt, mehr tot als lebendig aussah, und sie konnten kein vernünftiges Wort aus ihm herausbringen, so große Angst hatte er vor ihnen, weil sie so furchtbaren Krakehl machten.« »Und was war das Ende von allem? Hat es Euer Freund erfahren?« »Ei ja; denn Patrick schob seine Reise hierher etwa eine Woche lang auf, weil es seinen Kunden angenehm sein würde, die Neuigkeit zu hören. Der Mensch, der zuerst gesprochen hatte, zog die Hörner ein und sagte, er glaube wohl, daß der Mann beraubt worden sei, aber er könne sich in den einzelnen Umständen geirrt haben. Und dann trat der andre auf und äußerte, es sei ihm einerlei, ob man Morris beraubt habe oder nicht, wenn nur keines braven Mannes Ehre und Ruf dadurch befleckt werde, besonders in Nord-England; denn er komme selbst daher, und wisse wohl, wie's da aussehe. Nachdem nun im Unterhause über Morris und seine Beraubung gesprochen und gestritten worden, bis man es überdrüssig war, kams zu den Lords, und die ergriffen die Sache so eifrig, als wenn sie ganz nagelneu gewesen wäre. Nebenbei sprach man auch von einem gewissen Campbell, der mehr oder weniger beim Raub im Spiel gewesen sein sollte und der ein gutes Zeugnis vom Herzog von Argyle gehabt hatte. Morris' Geschichte wurde für eine bösliche Verleumdung erklärt, und wenn er nicht Bürgschaft geleistet hätte, wär er vielleicht deshalb an den Pranger gekommen.« Mit diesen Worten nahm der wackre Andreas seine Hacken, Spaten und Rechen zusammen und warf sie in den Schubkarren, jedoch gemächlich genug, um mir Zeit zu lassen, weitre Fragen zu tun, ehe er sie fortschaffte. »Ich hätte gern den Hausierer gesprochen und von ihm selbst seine Neuigkeiten erfahren. Ihr habt wahrscheinlich gehört, daß die abgeschmackte Torheit dieses Morris mir Unannnehmlichkeiten verursacht hat,« – Andreas verzog sein Gesicht zu bedeutungsvollem Lächeln – »und ich möchte daher den Hausierer genau wegen des Vorgangs in London befragen, wenn es keine Umstände weiter macht.« »Nichts ist leichter,« bemerkte der Gärtner; »ich darf meinem Vetter nur einen Wink geben, daß Ihr ein Paar Strümpfe braucht, so wird er aufs schnellste herbeieilen.« »O ja; versichert ihm, daß er ein Geschäft mit mir machen kann, und da die Nacht schön und heiter ist, will ich im Garten auf und ab gehen, bis er kommt; der Mond wird bald aufgehen. Ihr könnt ihn durch die kleine Hinterpforte führen, und ich werde indessen die Sträuche und Immergrün-Hecken im Glanze des herbstlichen Mondlichts betrachten.« Ich ging in dem alten Schloßgarten auf den weichen, kurzverschnittnen Rasengängen, die mit hohen Hecken von Taxus und Stechpalmen eingefaßt waren, auf und ab. Ich erhob meine Augen zu den Fenstern des Büchersaales, die, klein aber zahlreich, sich längs des zweiten Stockwerks an der Seite des Hauses reihten, die mir jetzt entgegen stand. Sie waren erleuchtet. Es überraschte mich nicht, denn ich wußte, daß Diana oft des Abends darin verweilte, obwohl ich aus Gründen des Zartgefühls mir es streng auferlegt hatte, sie nie zu einer Zeit dort aufzusuchen, wo ich wußte, daß die übrigen Mitglieder der Familie bei einander saßen und uns niemand stören konnte. In den Morgenstunden lasen wir in diesem Zimmer gewöhnlich zusammen; doch es traf sich dann oft, daß einer oder der andre unsrer Vettern hereinkam, um ein Pergamentbändchen zu suchen, das, trotz seiner Vergoldungen und Ausmalungen, zu einem Angelhaken benutzt werden konnte, oder uns von einer geplanten Jagd zu erzählen, oder auch bloß aus Mangel an anderm Zeitvertreibe. Kurz, während des Morgens war der Büchersaal eine Art gemeinschaftlichen Treffpunktes. In den Abendstunden war es anders, und ich machte selbst in aller zarten Rücksicht Diana darauf aufmerksam, daß, so oft wir des Abends lesen wollten, die Gegenwart eines Dritten schicklich sei. Hierzu wurde dann in der Regel Martha, die alte Haushälterin, ersehen; die andern Dienstboten vermieden es, bei Nacht in dieses Zimmer zu kommen, weil es auf der Seite des Hauses lag, wo es nach ihrer törichten Meinung nicht geheuer war. Die Furchtsamsten wollten dort Gesichter gesehen und Töne gehört haben, wenn alle Hausgenossen zur Ruhe waren, und selbst meine jungen Vettern hatten keine Lust, nach angebrochner Dunkelheit in jenen furchtbaren Bezirk einzutreten, sofern sie nicht etwas Wichtiges dort zu tun hatten. Daß der Büchersaal einige Zeit Rashleighs Lieblingsaufenthalt gewesen war, und eine besondre Tür aus demselben in das abgelegene Gemach führte, welches er für sich gewählt hatte, gereichte eher zur Erhöhung als zur Verminderung des Grauens der Dienerschaft vor diesem furchtbaren Saale. Rashleighs ausgebreitete Kunde von allem, was in der Welt vorging, seine tiefen Kenntnisse in jeder Wissenschaft, einige physikalische Experimente, die er gelegentlich vorgemacht hatte, waren für die unwissenden und abergläubischen Bewohner das Schlosses hinreichende Gründe, ihm Gewalt über die Geisterwelt zuzuschreiben. Er verstand Griechisch, Lateinisch und Hebräisch, und brauchte daher, wie sein Bruder Wilfred sagte, weder vor Geistern noch Gespenstern, Teufeln oder Kobolden sich zu fürchten. Ja, die Diener behaupteten, sie hätten im Büchersaale Gespräche halten hören, wenn jeder sterbliche Mensch im Schlosse zur Ruhe gewesen wäre, und er habe die ganze Nacht über auf Gespenster gewartet und dann erst am Vormittag geschlafen, anstatt, wie ein echter Osbaldistone, die Hunde herauszuführen. Ich war daher nicht verwundert, die Fenster des Büchersaales erhellt zu sehen, fühlte mich aber ein wenig betroffen, als ich deutlich den Schatten von zwei Gestalten bemerkte, der vor dem Fenster sich bewegte und es einen Augenblick verdunkelte. Es muß die alte Martha sein, welche diesen Abend mit dort zubringen soll, dachte ich, oder ich muß mich geirrt haben und Dianas Schatten für eine zweite Gestalt gehalten haben. Nein, beim Himmel, es erscheint am zweiten Fenster. Ganz deutlich zwei Gestalten! Nun verlieren sie sich – jetzt sind sie am dritten – am vierten Fenster. Wen kann Diana bei sich haben? – Die Bewegung der Schatten zwischen dem Lichte und den Fenstern wiederholte sich zweimal, als ob ich mich hätte überzeugen sollen, daß meine Beobachtung richtig sei, worauf die Lichter ausgelöscht wurden und die Schatten verschwanden. So unbedeutend dieser Umstand war, beschäftigte er doch meine Seele eine geraume Zeit. Ich gestattete mir nicht vorauszusetzen, daß meine Freundschaft für Fräulein Vernon irgend eine selbstsüchtige Absicht habe; aber ich empfand einen unbeschreiblichen Unmut bei dem Gedanken, daß sie einem andern Zusammenkünfte gestattete, zu einer Zeit und an einem Orte, wo ich es für unschicklich hielt, sie zu besuchen, wie ich um ihrer selbst willen ihr zu zeigen bemüht gewesen war. »Törichtes, leichtsinniges, unachtsames Mädchen!« sprach ich zu mir selbst, »bei welchem aller gute Rat, alles Zartgefühl weggeworfen ist. Ich habe mich hintergehen lassen durch die Einfalt ihres Betragens, die sie wohl ebenso leicht annehmen kann, als einen Strohhut von der neusten Mode.« Ich hatte mich nicht lange mit diesem unangenehmen Gegenstande beschäftigt, als die Hintertür des Gartens aufging, und Andreas und sein Landsmann, mit seinem Warenbündel beladen, im Mondschein herbeikamen. Ich fand in Macready, wie ich erwartet hatte, einen rauhen, verschmitzten Schottlander, einen echten und rechten Neuigkeitstkrämer. Er konnte mir eine bestimmte Nachricht von allem geben, was im Ober- und Unterhause in der Morris'schen Angelegenheit vorging, die, wie es schien, von beiden Seiten als Prüfstein gebraucht ward, um die Stimmung des Parlaments zu erforschen. Das Ministerium war schwach genug gewesen, eine Geschichte zu behaupten, worin angesehene und wichtige Männer verwickelt waren, und die auf der Aussage eines Menschen von so unbedeutendem Ruf wie Morris beruhte, der überdies verworren und widersprechend in seiner Angabe war. Macready konnte mir sogar eine gedruckte Nachricht der Verhandlungen, die man selten außer der Hauptstadt fand, und die ebenfalls gedruckte Rede des Herzogs von Argyle mitteilen. Ob etwas Ehrenrühriges wider mich selber vorgebracht worden sei, konnte ich nicht mit Bestimmtheit erfahren; aber es ließ sich vermuten, daß die Ehre der Familie meines Oheims angetastet worden war; und Morris hatte angegeben, daß von den beiden, die ihn überfallen hätten, allein gerade der Mann namens Campbell der eigentlich tätige Räuber gewesen sei, und daß gerade eben dieser Campbell vorm Richter erschienen sei und ein Wort zu gunsten eines Herrn Osbaldistone eingelegt hätte, der daraufhin von dem Richter auch bereitwilligst freigegeben worden sei. Bestürzt und voll Unmut über die seltsame Geschichte, entließ ich die beiden Schottländer, nachdem ich Macready etwas abgekauft hatte, und eilte in mein Zimmer, um zu erwägen, was bei diesem öffentlichen Angriff auf meinen Charakter meinerseits am besten und schicklichsten zu tun sei. Fünfzehntes Kapitel Nach einer schlaflosen Nacht, die ich im Nachdenken über die empfangenen Nachrichten zugebracht hatte, war ich erst der Meinung, ich müsse schleunigst nach London zurückkehren und mich persönlich mit der wider mich vorgebrachten Verleumdung befassen. Ich mochte mich aber zu diesem Schritte doch nicht recht entschließen, denn ich bedachte, daß mein Vater mir wohl, am besten raten könnte, wie ich mich zu verhalten hätte. Da er ferner die vornehmsten Herren von der Whigpartei, die damals das Ruder führte, persönlich kannte, war er sicher in der Lage, sich in meiner Angelegenheit Gehör zu verschaffen. Ich hielt es daher für das Sicherste, ihm meine ganze Geschichte schriftlich mitzuteilen, und da nur selten zwischen dem Schlosse und der Post Verkehr stattfand, so beschloß ich, selbst zur nächsten Station zu reiten und meinen Brief aufzugeben. In der Tat fing es an mich zu befremden, daß ich nach einer Abwesenheit von mehreren Wochen weder von meinem Vater noch von Owen einen Brief erhalten hatte, obgleich Rashleigh seine glückliche Ankunft in London mit dem freundlichen Empfang im Hause seines Oheims gemeldet hatte. Am Schlusse meines Briefes führte ich daher an, daß ich ernstlich auf ein paar Zeilen von seiner Hand hoffte, um mir seinen Rat und seine Vorschriften in einer etwas schwierigen Sache zu erteilen, in der meine Lebenserfahrung mir nicht hinreichend erschiene. Ich konnte es unmöglich über mich gewinnen, jedoch bat ich um Erlaubnis, wenigstens auf kurze Zeit nach London kommen zu dürfen, um die schändlichen Lästerungen zu widerlegen, die so öffentlich gegen mich verbreitet waren. Nachdem ich meinen Brief vollendet hatte, ritt ich zur Post-Stadt, ihn abzugeben, wo ich folgendes Schreiben von meinem Freund Owen vorfand: »Werter Herr Franz! Habe Dero Zuschrift durch Güte des Herrn R. Osbaldistone erhalten und den Inhalt bemerkt. Werde dem Herrn R. O. alle Höflichkeiten erweisen, und habe ihm die Bank und das Zollhaus gezeigt. Er scheint ein verständiger, wackrer junger Mann und ergreift das Geschäft; wird daher der Firma von Nutzen sein. Würde gewünscht haben, eine andre Person hätte ihr Gemüt auf diesen Weg gelenkt, aber des Herrn Wille geschehe! Da in dortiger Gegend Kassa selten sein möchte, so verhoffe, Ihr werdet entschuldigen, daß ich einen Wechsel, zahlbar sechs Tage nach Sicht, auf die Herren Hooper und Girder in Newcastle für hundert Pfund einschließe, der ohne Zweifel gebührend honoriert werden wird. – Verbleibe pflichtgemäß, teurer Herr Franz, Euer ehrerbietiger und gehorsamer Diener Joseph Owen.« »Postskriptum. Verhoffe, Ihr wolltet richtigen Empfang des Obigen melden. Bedaure, daß wir so wenig von Euch haben. Euer Vater sagt: Es gehe ihm, wie sonst; sieht aber kummervoll dabei aus.« Mit Befremden fand ich in diesem Schreiben nicht des vertraulichen Briefes erwähnt, den ich an Owen mit der Absicht geschrieben hatte, ihn mit Rashleighs Sinnesart bekannt zu machen, und doch mußte er denselben, dem Postlaufe nach, empfangen haben. Dennoch hatte ich ihn mit der gewöhnlichen Gelegenheit vom Schlosse abgeschickt, und keinen Grund, zu fürchten, daß er unterwegs verloren gehen könne. Da dessen Inhalt sowohl für meinen Vater als für mich von großer Wichtigkeit war, so schrieb ich sogleich im Posthause von neuem an Owen, wiederholte die Hauptsachen des frühern Briefes, und bat, mit nächstem mir zu melden, ob er ihn erhalten habe. Ich bescheinigte auch den Empfang des Wechsels und hielt es in der Tat für seltsam, daß mein Vater es seinem Buchhalter überließ, für meine Bedürfnisse zu sorgen; allein ich schloß, es wäre unter ihnen ausgemacht worden. Owen war unverheiratet, verfügte über ein verhältnismäßig stattliches Vermögen und war mir herzlich ergeben, so daß ich kein Bedenken trug, ihm für eine kleine Summe verbunden zu sein, die ich als ein Darlehen betrachtete, und, sobald es mir möglich, zurückgeben wollte, wenn es nicht früher durch meinen Vater geschehen würde. In diesem Sinne schrieb ich an Owen. Ein Krämer in der kleinen Stadt, an den mich der Postmeister wies, zahlte mir willig den Betrag des Wechsels in Gold, und ich kehrte weit reicher nach dem Schlosse zurück, als ich es verlassen hatte. Als ich im Schlosse eintraf, war Herr Hildebrand mit allen seinen Söhnen in ein nahes Dorf gegangen, wie mir der Gärtner erzählte, um einen Hahnenkampf zu sehen. »'s liegt auch nicht viel daran,« setzte er hinzu, »was die Leute mit dem Hahnenvieh machen, denn sie kratzen und scharren in den Gärten, daß man keine Bohne oder Erbse vor ihnen erhalten kann. – Aber ich möchte wissen, wer die Turmtüre offen gelassen hat; jetzt, da Rashleigh fort ist, kann er's doch nicht gewesen sein.« Die Turmtüre, worauf er deutete, ging in den Garten am Fuß einer Wendeltreppe, die zu Rashleighs abgelegnem Zimmer führte, das, wie ich bereits erwähnte, durch eine geheime Tür mit der Bibliothek, und durch einen dunkeln, gewölbten Gang mit dem übrigen Hause zusammenhing. Ein langer, schmaler Rasenweg führte zwischen zwei hohen Stechpalmenhecken von der Turmtür zu einer kleinen Hinterpforte in der Gartenmauer. Auf diese Weise konnte Rashleigh, der stets seine eignen Wege gegangen war, die Halle verlassen und sie wieder betreten, ohne daß sein Verschwinden oder Erscheinen aufgefallen wäre. In seiner Abwesenheit wurden aber Treppe und Turmtür gar nicht gebraucht, und so war die Verwunderung des Gärtners in der Tat begründet. »Habt Ihr diese Tür öfters offen gesehen?« fragte ich. »Just nicht oft; aber doch einmal oder zweimal. Ich denk, es muß der Priester gewesen sein, Pater Vaughan, wie sie ihn nennen. Keiner der Diener wird Euch diese Treppe hinauf gehen, aus Furcht vor Gespenstern und Kobolden. Aber Pater Vaughan glaubt ein Vorrecht zu haben. Ich stehe dafür, der geringste Seelenhirt, der je eine Predigt in Schottland hervorbrachte, würde einen Geist zweimal so schnell bannen, als der Priester mit seinem Weihwasser und seinem abgöttischen Tand. Er mag wohl auch nicht gut Latein sprechen; wenigstens versteht er mich kaum, wenn ich ihm die gelehrten Namen der Pflanzen sage.« Von Pater Vaughan, der seine Zeit und geistliche Sorgfalt zwischen dem Schlosse und den Häusern eines halben Dutzends katholischer Edelleute in der Umgegend teilte, hab ich noch nichts gesagt, weil ich ihn nur wenig gesehen hatte. Er war ungefähr sechzig Jahre alt und, wie man mir zu verstehen gab, aus einem guten Hause in Schottland, von imposanter, Ehrfurcht gebietender Erscheinung und unter den Katholiken in Northumberland sehr geschätzt als ein würdiger und redlicher Mann. Dennoch fehlten ihm nicht gänzlich jene Eigenheiten, die seinem Stande eigen sind. Es haftete seiner Person eine gewisse mysteriöse Manier an, die in den Augen eines Protestanten wie Priesterbetrug erschien. Die Bewohner des Schlosses betrachteten ihn weit mehr mit Furcht, oder wenigstens Ehrfurcht, als Zuneigung. Er verdammte offenbar ihre Gelage, die einigermaßen eingeschränkt waren, wenn der Priester im Schlosse sich aufhielt. Pater Vaughan stand auf gutem Fuße mit Rashleigh, sonst wäre wohl im Schlosse nicht seines Bleibens gewesen. Aus diesem Grunde fand ich kein Verlangen, seine Freundschaft zu suchen, und da ihm ebensowenig an der meinigen gelegen zu sein schien, so beschränkte sich unser gelegentlicher Verkehr nur auf gegenseitige Höflichkeiten. Ich hielt es für höchst wahrscheinlich, daß der Pater bei seinem Aufenthalt im Schlosse Rashleighs Zimmer bewohnte, und nach seinem Stande ließ sich vermuten, daß er auch wohl die Bibliothek besuchte. Nichts war daher wahrscheinlicher, als daß sein Licht am vorhergehenden Abend meine Aufmerksamkeit erregt hatte. Ich erinnerte mich dabei unwillkürlich, daß Diana mit dem Priester in einem gewissermaßen ebenso geheimnisvollen Verkehr wie mit Rashleigh stand. Nie hatte sie mir Vaughans Namen genannt oder nur auf ihn hingedeutet, außer bei unserm ersten Zusammentreffen, wo sie den alten Priester und Rashleigh als die einzigen umgänglichen Wesen im Schlosse, außer sich selbst, bezeichnete. Wenn sie aber auch über den Pater nichts sprach, so war sie doch jedesmal, wenn er im Schlosse erschien, in angstvoller, zaghafter Stimmung, die erst dann von ihr wich, wenn sie ein paar bedeutsame Blicke miteinander gewechselt hatten. Ich erinnere mich, einige Male gesehen zu haben, daß sie einander Zeichen machten, die ich damals für Winke über die Beobachtung irgend einer religiösen Zeremonie gehalten hatte, weil ich wußte, wie schlau die katholischen Priester überall und zu allen Zeiten ihren Einfluß auf die Gemüter ihrer Anhänger behaupten. Jetzt aber war ich geneigt, diesen Mitteilungen eine tiefere, und geheimnisvollere Bedeutung beizulegen. Hatte er geheime Zusammenkünfte mit Fräulein Vernon in der Bibliothek? und, wenn das der Fall war, in welcher Absicht? Und warum sollte sie mit dem Vertrauten des treulosen Rashleigh in so vertraulichem Verkehr stehen? Sechzehntes Kapitel Die Gefühle von Teilnahme und Eifersucht, welche Dianas sonderbare Lage in mir erregte, machten mich zu einem so scharfen Beobachter ihrer Blicke und Handlungen, daß es ihrem Scharfsinn nicht entging, so viel ich mir auch Mühe gab, es zu verbergen. Das Bewußtsein, von meinen Blicken beobachtet oder vielmehr bewacht zu werden, schien ihr Verlegenheit, Pein und Unmut zu verursachen. Zuweilen war es, als suche sie eine Gelegenheit, ihre Empfindlichkeit über ein Betragen zu äußern, das ihr beleidigend sein mußte, wenn man in Betracht zog, wie offen sie von den Schwierigkeiten gesprochen hatte, die sie umringten. Manchmal schien sie sich fest vorgenommen zu haben, darüber zu sprechen, aber entweder verließ sie der Mut, oder irgend ein andres Gefühl hielt sie ab, Aufklärung zu verlangen. Ihr Unmut verflog in einer witzigen Antwort, und ihre Klagen erstarben auf ihren Lippen. Wir standen in einem sonderbaren Verhältnisse zu einander. Einen großen Teil unsrer Zeit, nach beiderseitiger Wahl, mit einander zubringend, verhehlten wir doch unsre gegenseitigen Gefühle, und des einen Tun reizte den andern zur Eifersucht oder Empfindlichkeit. Es war Vertraulichkeit zwischen uns ohne Vertrauen; auf der einen Seite Liebe ohne Hoffnung oder Zweck und Neugier ohne einen vernünftigen und angemessenen Beweggrund; auf der andern Seite Verlegenheit und Zweifel, wozu sich gelegentlich Unmut gesellte. Dennoch glaub ich, daß diese Erregung der Leidenschaften, die fortdauernd durch tausend anreizende und anziehende, wenn auch unbedeutende Umstände, immerwährend uns einander näher führte, dazu beitrug, die Neigung zu erhöhen, die uns gegenseitig anzog. Aber Diana besaß einen zu ausgebildeten und bestimmten Charakter, als daß sie über ihrer Liebe zu mir hätte vergessen sollen, was ihr die Pflicht, und was ihr die Klugheit gebot, und sie bewies mir dies in einer Unterredung, die wir um diese Zeit hatten. Wir saßen zusammen in der Bibliothek. Diana blätterte in einer Ausgabe des »Rasenden Roland«, die mir gehörte, als ein beschriebnes Blatt herausfiel. Ich wollte es schnell aufheben, allein sie kam mir zuvor. »Es sind Verse,« sprach sie, auf das Papier blickend, und indem sie es zögernd entfaltete, als ob sie meine Antwort erwarten wollte, fuhr sie fort: »Darf ich so frei sein? – O wenn Ihr errötet und stammelt, muß ich Eurer Bescheidenheit Gewalt antun, und die Erlaubnis voraussetzen.« »Es ist nicht wert, daß Ihr es lest – ein Brocken von einer Uebersetzung. – Mein teures Fräulein, es würde ein zu strenger Ausspruch erfolgen, wenn Ihr, die Ihr mit der Urschrift so wohl bekannt seid, im Gerichte sitzen solltet.« »Mein ehrlicher Freund,« erwiderte Diana, »wenn Ihr guten Rat von mir annehmen wollt, so ködert Eure Angel nicht mit zu viel Bescheidenheit; denn es gilt zehn gegen eins, Ihr fangt nicht eine einzige Schmeichelei damit. Ihr wißt, ich gehöre zu dem unbeliebten Geschlechte der Wahrheitssager, und Apollo selbst würde keine Schmeichelei über seine Leier erhalten.« Nach diesen Worten las sie die erste Stanze, aber schon nach wenigen Zeilen brach sie mit den Worten ab: »Das geht ja endlos fort. Ist mir viel zu lang!« »Auch wohl kaum Eurer Aufmerksamkeit wert, Fräulein,« sprach ich etwas empfindlich, und nahm ihr das Blatt weg, das sie mir ohne Widerstreben überließ. »Und dennoch,« fuhr ich fort, »dürfte ich mir zuweilen hier in meiner abgesonderten Lage wohl kaum in bessrer Weise die Zeit vertreiben können, als wenn ich, versteht sich nur zu meinem eignen Vergnügen, die Übersetzung dieses bezaubernden Dichters wieder vornähme, die ich vor einigen Monaten am Ufer der Garonne begann.« »Es fragt sich nur,« sprach Diana, »ob Ihr Eure Zeit nicht doch zu etwas Besserm verwenden könntet.« »Ihr meint, zu eignen Arbeiten?« sagte ich höchst geschmeichelt; »doch aufrichtig gesprochen, mein Geist versteht sich mehr darauf; Worte und Reime zu finden, als Gedanken; daher fühl ich mich glücklich, die zu brauchen, welche mir Ariosto in die Hände liefert. Aber die Aufmunterung, die Ihr mir gebt, Fräulein – »Verzeiht, Franz; ich gebe keine Aufmunterung, sondern Ihr nehmt sie. Ich meinte, weder eigne Arbeiten noch Uebersetzung, als, ich glaubte, Ihr könntet Eure Zeit weit besser anwenden, als zu beiden. Ihr seid empfindlich,« fuhr sie fort, »und es tut mir leid, Euch gekränkt zu haben. Aber seid mir nicht böse, wenn ich Eure Empfindungen noch höher auf die Probe stelle; was ich zu sagen habe, wird Euch vielleicht noch mehr verletzen.« »Ich fühlte, wie kindisch mein Betragen und wie sehr Diana mir überlegen war, und gab ihr die Versicherung, daß sie nicht zu fürchten brauche, mich durch ihren Tadel, dessen freundliche Absicht ich kenne, unwillig zu machen.« »Das war aufrichtig gemeint und gesprochen,« erwiderte sie. »Ich wußte wohl, daß der Dämon der Dichterempfindlichkeit mit dem kleinen, der Erklärung vorhergehenden Husten, entfliehen würde. Und nun muß ich ernsthaft sein. – Habt Ihr kürzlich etwas von Eurem Vater gehört?« »Nicht ein Wort,« erwiderte ich. »Seit meinem hiesigen Aufenthalte von mehreren Monaten hat er mich nicht mit einer einzigen Zeile beehrt.« »Das ist seltsam! Ihr seid ein sonderbares Geschlecht, Ihr kühnen Osbaldistones. – Also wißt Ihr nicht, daß er nach Holland gegangen ist, um dringliche Angelegenheiten zu ordnen, die seine Gegenwart erheischten?« »Das ist das erste, was ich höre.« »Dann ist es jedenfalls auch eine Neuigkeit für Euch – und gewiß keine sehr unangenehme – daß er Rashleigh bis zu seiner Rückkehr fast die gänzliche Leitung seiner Angelegenheiten überlassen hat.« Erschrocken konnte ich meine Überraschung und Besorgnis nicht unterdrücken. »Ihr habt Grund, beunruhigt zu sein,« sprach Diana sehr ernst. »Wäre ich an Eurer Stelle, so würde ich die Gefahren zu verhüten suchen, die aus einer so unerwünschten Anordnung entstehen.« »Und wie ist dies mir möglich?« »Alles ist dem möglich, der Mut und Tatkraft hat,« sprach sie mit einem Blicke, der an die Heldinnen der Ritterzeit erinnerte, deren Aufmunterung den Kämpfern doppelten Mut in der Stunde der Gefahr erteilte, »aber dem Furchtsamen und Zögernden ist alles unmöglich, weil es so scheint.« »Und welchen Rat, Fräulein Vernon, gebt Ihr mir?« fragte ich, ihre Antwort wünschend und fürchtend. Sie schwieg einen Augenblick, dann antwortete sie mit festem Tone: »Daß Ihr sogleich das Schloß verlaßt und nach London zurückkehrt. Ihr seid vielleicht,« fuhr sie sanfter fort, »schon zu lange hier gewesen; doch das war nicht Eure Schuld. Jeder nun folgende Augenblick, den Ihr hier verschwendet, wird ein Verbrechen sein. Ja, ein Verbrechen, denn ich sage Euch geradezu, wenn Euer Vater seine Angelegenheiten lange in Rashleighs Händen läßt, so könnt Ihr seinen Untergang für ausgemacht halten.« »Wie wäre das möglich?« »Keine Fragen,« sprach sie; »aber glaubt mir, Rashleighs Absichten erstrecken sich weit hinaus über den Besitz oder die Vermehrung des Handelsreichtums. Er wird Eures Vaters Einkünfte und Güter nur zum Mittel machen, seine eigennützigen und weit ausgedehnten Pläne auf die Beine zu bringen. So lange Euer Vater in England blieb, war dies unmöglich; während seiner Abwesenheit wird Rashleigh viele Gelegenheiten haben, und er wird nicht versäumen, sie zu benutzen.« »Aber wie kann ich, der ich in Unfrieden mit meinem Vater lebe und von aller Aufsicht über seine Angelegenheiten ausgeschlossen bin, durch meine bloße Gegenwart in London die Gefahr abwenden?« »Diese Gegenwart allein wird viel tun. Euer Anspruch auf Mitwissenschaft ist ein Teil Eures Geburtsrechtes, und unveräußerlich. Auf den Beistand des ersten Buchhalters Eures Vaters und seiner vertrauten Freunde und Handelskollegen könnt Ihr ohne Zweifel rechnen. Und vor allem, Rashleighs Entwürfe sind von einer Art, die –« sie hielt plötzlich inne, als fürchte sie zu viel zu sagen – »Kurz,« fuhr sie fort, »sie sind von der Art aller eigennützigen und gewissenlosen Pläne, welche schnell aufgegeben werden, sobald diejenigen die sie hegen, gewahr werden, daß sie entdeckt und bewacht sind. Daher mit den Worten Eures Lieblingsdichters: »Zu Roß! Zu Roß! laßt Zweifel den Verzagten!« Ein unwiderstehliches Gefühl bewog mich zu der Antwort: »O, Diana! könnt Ihr mir raten, das Schloß zu verlassen? – Dann habe ich fürwahr schon zu lange hier verweilt.« Sie errötete, fuhr aber mit großer Festigkeit fort: »Ich gebe Euch allerdings den Rat – nicht das Schloß zu verlassen, sondern auch, nie dahin zurückzukehren. Ihr habt nur eine Freundin daselbst zu beklagen,« sprach sie weiter, und zwang sich zu lachen, »und diese ist längst gewohnt, ihre Freundschaft und was ihr Trost gibt, der Wohlfahrt andrer aufzuopfern. In der Welt werdet Ihr Hunderte finden, deren Freundschaft ebenso uneigennützig sein wird, und weit vorteilhafter, weniger gehemmt durch widrige Verhältnisse, weniger beeinflußt durch böse Zungen und böse Zeiten.« »Nie!« rief ich aus, »nie! Die Welt kann mir nicht ersetzen, was ich hier zurücklassen muß.« – Ich faßte ihre Hand und drückte sie an meine Lippen. »Das ist Torheit!« rief sie – »das ist Wahnsinn!« und sie versuchte, mir ihre Hand zu entziehen, aber sie tat es nur zögernd, so daß ich sie fast eine Minute hielt. »Hört mich, Herr Osbaldistone,« sprach sie, »und bezähmt diesen unmännlichen Ausbruch der Leidenschaft. Ich bin durch feierlichen Vertrag eine Braut des Himmels, wenn ich mich nicht lieber der Schlechtigkeit in Rashleigh Osbaldistone oder der Roheit in seinem Bruder vermählen will. Daher bin ich als Braut des Himmels dem Kloster geweiht seit meiner Wiege. Bei mir sind sentimentale Ausbrüche unrecht angebracht, sie dienen nur noch mehr als Beweise dafür, wie notwendig Eure Abreise ist, und das ohne Aufschub.« Bei diesen Worten brach sie plötzlich ab und sprach dann mit gepreßter Stimme: »Verlaßt mich sogleich. – Wir sehen uns hier noch einmal, aber dann nie wieder.« Meine Augen folgten der Richtung der ihrigen, indem sie dies sprach, und es kam mir vor, als bewege sich die Tapete, welche die Tür des geheimen Ganges zu Rashleighs Zimmer bedeckte. Ich glaubte, wir würden beobachtet, und warf einen fragenden Blick auf Diana. »Es ist nichts,« sprach sie mit schwacher Stimme; »eine Ratte hinter der Tapete.« »Tot für einen Dukaten« [Stelle aus Hamlet], würde ich geantwortet haben, wenn ich mich meinem Gefühle überlassen hätte, das sich bei dem Gedanken, jetzt behorcht zu werden, unwillig empörte. Klugheit, die Notwendigkeit, meine Leidenschaft zu verbergen, und Dianas wiederholtes Gebot: »Verlaßt mich! verlaßt mich!« hemmten zu rechter Zeit eine unbesonnene Handlung. Ich eilte hinaus in wilder Aufregung des Gemüts, die ich vergebens bei der Rückkehr in mein Zimmer zu beruhigen suchte. Ein Chaos von Gedanken erfüllte mich auf einmal, zog schnell durch meine Seele und verdunkelte sich unter einander, gleich den Nebeln, die in Gebirgsgegenden in düstern Wolken sich niedersenken, und die Merkzeichen verhüllen, nach denen der Wanderer seinen Pfad durch die Wildnis lenkt. Die dunkle, unbestimmte Vorstellung der Gefahr, die aus den Ränken eines Mannes, wie Rashleigh Osbaldistone entstehen konnte – die halbe Liebeserklärung, die ich Diana Vernon dargeboten hatte – ihre anerkannte mißliche Lage, gebunden durch einen frühern Vergleich, sich dem Kloster oder einer unpassenden Verbindung zu opfern – alles dies drängte sich auf einmal vor meine Seele, und mein Verstand war unfähig, irgend etwas davon in gehörigem Lichte zu betrachten. Vor allem wurde ich nicht recht klug daraus, wie Diana das Geständnis meiner Zuneigung aufgenommen hatte, zumal ihr zwischen Teilnahme und Festigkeit schwankendes Benehmen mir ein Interesse an meiner Person zu verraten schien, das freilich noch nicht stark genug war, um ihr über die Hindernisse hinwegzuhelfen, die es ihr verwehrten, mir Gegenliebe zu gestehen. Der Blick, mit dem sie die Bewegung der Tapete vor der heimlichen Tür beobachtet hatte, drückte mehr Furcht als Ueberraschung aus und verriet die Besorgnis einer Gefahr, die ich für unbegründet halten mußte; denn Diana hatte nicht die reizbaren Nerven ihres Geschlechts und war gänzlich unfähig, ohne eine wirkliche und begründete Ursache sich zu fürchten. Von welcher Art konnten diese Geheimnisse sein, welche sie wie ein Zauberkreis umringten, und auf ihre Gedanken und Handlungen fortwährend einen lebhaften Einfluß zu haben schienen, obgleich deren Vollstrecker nie sichtbar waren? Bei diesem zweifelhaften Gegenstande verweilte zuletzt meine Seele, als sei sie froh, der Frage über die Schicklichkeit oder Klugheit meines eignen Betragens auszuweichen, indem sie die Nachforschung auf Dianas Verhalten übertrug. Ich will, beschloß ich, ehe ich das Schloß verlasse, mir klar darüber sein, in welchem Lichte ich in Zukunft dieses bezaubernde Wesen betrachten soll, über dessen Leben Offenheit und Geheimnis die Herrschaft geteilt zu haben scheinen, indem Offenheit all ihre Worte und Gefühle beseelt, während all ihre Handlungen geheimnisvoll beeinträchtigt werden. Siebzehntes Kapitel In der letzten Zeit, wo in unsern Verhältnissen immer mehr Störungen eintraten, waren Diana und ich nie in den Abendstunden zusammengekommen. Der Büchersaal stand mir, wie jedem andern Mitgliede der Familie, zu allen Stunden bei Tag und Nacht offen, und man konnte mich nicht der Zudringlichkeit beschuldigen, so plötzlich und unerwartet ich auch erschien. Ich glaubte fest, daß Diana in diesem Zimmer Vaughan oder sonst jemand, nach dessen Meinung sie ihr Verhalten zu regeln gewohnt war, gelegentlich sah, und zwar zu einer Zeit, wo sie am wenigsten eine Störung befürchten konnte. Das Licht, welches die Fenster des Saales in ungewöhnlichen Stunden erhellte, die vorüberwandelnden Schatten, die ich selber bemerkt hatte, die Fußtritte im Morgentau, die man von der Turmtür bis an die Hinterpforte des Gartens entdecken konnte, die Töne und Gestalten, welche einige Diener, und vornehmlich Andreas, beobachtet und nach ihrer Weise ausgelegt hatten, alles dies verriet, daß der Ort von jemand besucht werde, der nicht zu den gewöhnlichen Hausgenossen gehörte. Da dieser Freund wahrscheinlich in Dianas Schicksal verwickelt sein mußte, so entwarf ich alsbald einen Plan, zu entdecken, wer oder was er war, und inwiefern sein Einfluß gute und böse Folgen für sie haben konnte; vor allem aber wünschte ich zu wissen, durch welche Mittel dieser Unbekannte seinen Einfluß auf Diana erworben hatte und behauptete, und ob er sie durch Furcht oder durch Zuneigung leitete. Mit dem glühenden Verlangen, einen Nebenbuhler zu entdecken, oder vielmehr zu ertappen, ging ich daher in den Garten, um den Augenblick abzuwarten, wo die Fenster des Büchersaals erleuchtet sein würden. Meine Ungeduld war indes so groß, daß ich an einem Juliabend, eine Stunde vor Anbruch der Dunkelheit, ehe das Licht erscheinen konnte, meine Wache antrat. Es war Sonntag, und die Gänge waren still und einsam. Ich wandelte ein Weilchen auf und nieder, die erfrischende Kühlung des Sommerabends genießend, und sann darüber nach, was für Folgen mein Beginnen unter Umständen haben könnte. Die frische balsamische Luft wirkte beruhigend auf mein heiß wallendes, fieberhaftes Blut, und als der Aufruhr in meinem Gemüt sich etwas legte, begann ich mich zu fragen, was ich für ein Recht hätte, in die Geheimnisse des Fräuleins oder meines Oheims einzudringen. Was ging es mich an, wen mein Oheim in seinem Hause verbergen wollte, wo ich selbst nur als Gast geduldet ward? Und welches Recht hatte ich, Dianas Angelegenheiten nachzuforschen, welche, wie sie selbst gestand, mit einem Geheimnis umhüllt waren, das sie nicht erforscht wissen wollte? Leidenschaft und Eigenwille hielten ihre Antworten auf diese Fragen bereit. Wenn ich diesen geheimen Gast entdeckte, erzeigte ich aller Wahrscheinlichkeit nach meinem Oheim einen Dienst, da er vermutlich nichts von den Ränken wußte, die in seiner Familie verübt wurden, und einen noch wichtigern Dienst konnte ich Diana Vernon leisten, welche sich, bei der arglosen Einfalt ihres Charakters, in dem geheimen Umgange mit einem Manne von vielleicht zweideutiger und gefährlicher Sinnesart, so vielen Gefahren aussetzte. Wenn ich mich in ihr Vertrauen einzudrängen schien, so geschah es mit der edelmütigen und uneigennützigen Absicht, – ja ich wagte sogar, es Uneigennützigkeit zu nennen – sie zu leiten, zu verteidigen, zu beschützen gegen List, gegen Bosheit – und vor allem gegen den geheimen Ratgeber, den sie zu ihrem Vertrauten gewählt hatte. Das waren die Gründe, die mein Wille dreist meinem Gewissen als gültige Münze darbot, und die das Gewissen trotz aller Zweifel an ihrer Echtheit, gleich einem murrenden Krämer, lieber ruhig hinnahm, als es zum offnen Bruche mit einem guten Kunden kommen zu lassen. Während ich, diese Dinge für und wider erwägend, durch die grünen Gänge wandelte, traf ich plötzlich den Gärtner, der wie ein Standbild vor einer Reihe von Bienenstöcken in andächtiger Betrachtung versunken stand. Mit einem Auge beobachtete er die Bewegungen des kleinen regen Völkchens, das in seinem Strohhaus sich für den Abend niederließ, und das andere heftete er auf ein Andachtsbuch, das durch langen Gebrauch seine Ecken verloren, und so abgenutzt war, daß es schon eine länglich runde Form erhalten hatte. »Ich las da eben ein Sprüchlein in des verdienstvollen Quacklebens Werke: »Die Blume süßen Wohlgeruchs, gesäet auf dem Misthaufen dieser Welt,« sprach Andreas, als er mich sah, und machte das Buch zu, seine Hornbrille als Lesezeichen hinlegend. »Und die Bienen,« bemerkte ich, »lenkten Euch ab von Eurer Lektüre?« »Sie sind ein widerspenstiges Volk,« erwiderte der Gärtner. »Sechs Tage in der Woche haben sie Zeit zu ihrem Tun, und dennoch, wie man weiß, schwärmen sie immer am Sabbath, und halten die Leute ab, Gottes Wort zu hören. – Doch hier wird des Abends nicht in der Kapelle gepredigt –« »Wäret Ihr in der Pfarrkirche gewesen, Andreas, wie ich, so hättet Ihr eine vortreffliche Predigt gehört.« »Ei ja!« erwiderte Andreas mit trotzigem Lachen, »ich hätt' ohne Zweifel gehört, wie dort der Pfarrer in seinem weißen Hemd seine Litanei herunter plapperte und die Musikanten aufspielten, mehr wie zu einer Hochzeit, als zu einer Predigt. Da wäre ich lieber zur Vater Docharty in die Messe gegangen.« »Docharty?« wiederholte ich, – es war der Name eines alten Priesters, eines Irländers, denk ich, der zuweilen im Schlosse das Amt verrichtete – »ich glaube, Vater Vaughan sei gegenwärtig. Er war gestern hier.« »Ja,« erwiderte Andreas, »aber er ist gestern nach Greystock oder wer weiß sonst wohin gereist. Es ist jetzt eine rechte Unruhe unter ihnen. Sie sind so geschäftig, wie meine Bienen hier. Gott behüte sie, daß ich die armen Dinger mit den Papisten vergleiche! – Das ist der zweite Schwarm, der erste ist am Morgen geschwärmt. Doch ich denke, sie werden sich über Nacht ruhig verhalten. So wünsch ich Euer Gnaden eine gute Nacht.« Mit diesen Worten entfernte sich der Gärtner; doch warf er noch einen Abschiedsblick auf die Bienenkörbe zurück. Ich verdankte ihm die wichtige Nachricht, daß Vater Vaughan nicht mehr im Schlosse war. Wenn also an diesem Abend. Licht im Bücherzimmer erschien, so konnte es entweder nicht das seinige sein, oder er beobachtete ein sehr geheimnisvolles und verdächtiges Betragen. Mit Ungeduld erwartete ich den Untergang der Sonne. Kaum war es Dämmerung, als ein schwacher Schein im Büchersaale sichtbar ward, kaum zu unterscheiden bei dem noch fortdauernden Abendschimmer. Ich entdeckte jedoch den ersten Strahl so schnell, wie der Schiffer, den die Nacht auf hoher See überfällt, das ferne Blinken des Leuchtturms entdeckt, der ihm den Kurs zeigt. Wenn ich bisher bei aller Eifersucht und Neugierde Bedenken gehegt hatte, ob es auch schicklich sei, mich einzumischen, so war jetzt, als sich die erste Gelegenheit bot, Eifersucht und Neugierde zu befriedigen, jedes Bedenken verschwunden. Ich ging in das Haus zurück, und die besuchten Gemächer vermeidend, gleich einem, der seine Absicht zu verheimlichen wünscht, erreichte ich die Tür des Büchersaales. Ich zögerte einen Augenblick, als meine Hand die Klinke berührte – hörte leise Fußtritte drinnen – öffnete die Tür und fand – Diana allein. Sie schien überrascht, ob über meinen plötzlichen Eintritt oder über sonst etwas konnte ich nicht erraten; allein ihr Wesen zeigte eine so hohe Unruhe, wie ich nie an ihr bemerkt hatte. Nach einem Augenblick war sie jedoch ruhig; und so mächtig ist das Gewissen, daß ich, der sie überraschen wollte, selbst überrascht schien und gewiß der Verlegenste war. »Ist etwas vorgefallen?« sagte Fräulein Vernon. »Ist jemand im Schlosse angekommen?« »Niemand, daß ich wüßte,« antwortete ich mit einiger Verwirrung; »ich suchte nur nach Orlando.« »Da liegt er,« sprach Diana, auf den Tisch zeigend. Indem ich nach dem Buche suchte und einige andre beiseite legte, sah ich den Handschuh eines Mannes auf dem Tische liegen. Dianas Blicke begegneten den meinigen, und sie errötete tief. »Es ist eine meiner Reliquien,« sprach sie mit unsichrer Stimme, nicht meine Worte, sondern meine Blicke beantwortend; »es ist einer von den Handschuhen des Großvaters, das Urbild des trefflichen Vandyke, den Ihr bewundert.« Als wenn sie glaubte, daß die bloße Versicherung nicht genügte, ihre Behauptung glaubhaft erscheinen zu lassen, öffnete sie einen Schiebkasten des großen eichnen Tisches, nahm einen Handschuh heraus und warf ihn mir zu. Wenn ein von Natur aufrichtiges Gemüt sich zu Zweideutigkeit und Verstellung herabläßt, erregt oft die ängstliche Unruhe, womit die ungewohnte Sache verrichtet wird, bei dem Zuhörer einen Zweifel an der Wahrheit. Ich warf einen schnellen Blick auf beide Handschuhe und erwiderte dann ernst: »Die Handschuhe sind sich allerdings in Gestalt und Stickerei ähnlich; allein sie machen kein Paar, da sie beide an die rechte Hand gehören.« Sie biß sich ärgerlich in die Lippen und errötete von neuem. »Ihr habt recht, mich nicht zu schonen,« sprach sie mit Bitterkeit. »Andre Freunde würden aus dem, was ich sagte, bloß geschlossen haben, daß ich keine besondre Erkärung über einen Umstand geben wollte, der keine bedarf – wenigstens für einen Fremden. Ihr habt besser geurteilt, und mich nicht allein fühlen lassen, wie gemein Doppelzüngigkeit ist, sondern auch wie unfähig ich bin, mich zu verstellen. Ich sage Euch nun deutlich, daß dieser Handschuh nicht zu jenem gehört, wie Ihr scharfsinnig bemerkt habt. Er gehört einem Freunde, der mir noch teurer ist, als das Urbild von Vandykes Gemälde – einem Freunde, dessen Rat mich geleitet hat und leiten wird, den ich verehre, den ich –« Sie schwieg. Ich war gereizt durch ihr Benehmen und ergänzte die abgebrochne Rede auf meine Weise: »Den sie liebt, wollte Fräulein Vernon sagen.« »Und wenn ich so sagte,« erwiderte sie stolz, »wer will mich wegen meiner Zuneigung zur Rede stellen?« »Ich nicht, Fräulein Vernon, gewiß nicht. Ich bitte Euch, mich nicht einer solchen Anmaßung zu zeihen. Aber,« fuhr ich etwas nachdrücklich fort, da ich auch empfindlich war, »Fräulein Vernon wird hoffentlich einem Freunde verzeihen, dem sie diesen Namen zu entziehen geneigt scheint, wenn er bemerkt –« »Bemerkt nichts, mein Herr,« fiel sie mit einiger Heftigkeit ein, »außer daß ich mir weder Zweifel an meiner Person noch zudringliche Fragen gefallen lassen will. Von keinem Menschen auf Erden will ich mich verhören und beurteilen lassen, und wenn Ihr diese ungewöhnliche Zeit, Euch sehen zu lassen, gewählt habt, um meine Heimlichkeiten zu erspähen, so ist die Freundschaft oder Teilnahme, die Ihr für mich empfinden wollt, nur eine armselige Entschuldigung unhöflicher Neugier.« »Ich befreie Euch von meiner Gegenwart,« sprach ich, ebenso stolz wie sie; denn meiner Gemütsart war es von jeher fremd, nachzugeben, selbst wo meine Gefühle am tiefsten ergriffen waren. »Ich erwache aus einem lieblichen, aber täuschenden Traume, und – doch, wir verstehen uns nun.« Ich hatte die Tür des Zimmers erreicht, als Diana, wie es oft geschah, von einer plötzlichen Regung durchdrungen, mich einholte, meinen Arm ergriff und mit jenem Ausdruck von Hoheit, den sie so wunderbar annehmen konnte, und der, bei der Unbefangenheit und Einfalt ihres Betragens, so besonders anziehend war, mich zurückhielt. »Halt, Herr Franz!« sprach sie. »Auf diese Weise sollt Ihr mich nicht verlassen. Ich bin nicht so reichlich mit Freunden versehen, daß Ich selbst die undankbaren und selbstsüchtigen wegstoßen könnte. Merkt, was ich sage, Herr Osbaldistone; Ihr sollt nichts von diesem geheimnisvollen Handschuh erfahren –« und, sie hielt ihn bei diesen Worten empor, – »nichts, nein, nicht ein Jota mehr, als Ihr bereits wißt, und dennoch soll er nicht zu einem Fehdehandschuh zwischen uns beiden werden. Mein Aufenthalt hier,« fuhr sie fort, in einen sanftern Ton fallend, »muß notwendig sehr kurz sein, der Eurige noch kürzer. Wir werden uns bald trennen und nie uns wiedersehen. Wir wollen uns nicht streiten und wollen uns die wenigen Stunden, die wir noch beisammen sein werden, diesseits der Ewigkeit nicht durch mein geheimnisvolles Unglück verbittern.« Ich weiß, nicht, durch welche Zauberkraft dies einnehmende Wesen eine so völlige Herrschaft über ein Gemüt erhielt, das ich manchmal selber nicht beherrschen kann. Beim Eintritt in den Büchersaal war ich entschlossen, eine Erklärung zu suchen. Diana hatte mir dieselbe mit unwilligem Trotz verweigert und mir ins Gesicht gestanden, daß sie einen Nebenbuhler vorziehe; denn wie konnte ich anders den eingestandnen Vorzug des geheimnisvollen Vertrauten auslegen? Und dennoch, als ich das Zimmer verlassen und für immer mit ihr brechen wollte, brauchte sie nur Blick und Ton zu ändern, und von jener wahren und stolzen Empfindlichkeit zu freundlicher, scherzender, mit Wehmut und Ernst gepaarter Gewalt überzugehen, und sie hatte mich zur Annahme ihrer harten Bedingungen gezwungen und auf meinen ursprünglichen Platz zurückverwiesen. »Was hilft das?« sprach ich, als ich mich niedersetzte. »Was kann es helfen, Fräulein Vernon? Warum soll ich Zeuge von Verlegenheiten sein, die ich nicht erleichtern kann, und von Geheimnissen, die ich nicht einmal versuchen darf zu enthüllen, ohne Euch zu beleidigen? So unerfahren Ihr in der Welt seid, kann es Euch doch nicht entgehen, daß eine junge, schöne Frau nur einen männlichen Freund haben kann. Selbst bei meinem Freunde würde ich eifersüchtig sein auf einen dritten, unbekannten und verheimlichten Vertrauten; aber bei Euch, Fräulein –« »Natürlich seid Ihr eifersüchtig, und zwar nach allen Graden und Launen dieser liebenswürdigen Leidenschaft. Aber, mein lieber Freund, Ihr habt die ganze Zeit über nichts gesprochen, als armseliges Gewäsch, welches Schwachköpfe so lange aus Schauspielen und Romanen nachsprechen, bis sie solchem Kauderwelsch einen wichtigen und mächtigen Einfluß auf ihr Gemüt gestatten. Knaben und Mädchen schwatzen sich in die Liebe hinein, und wenn ihre Liebe schläfrig wird, schwatzen und necken sie sich in die Eifersucht. Aber Ihr und ich, Franz, wir sind vernünftige Wesen, und weder einfältig noch müßig genug, um uns in irgend ein andres Verhältnis, als offne, redliche, uneigennützige Freundschaft, hinein zu sprechen. Jede andre Verbindung zwischen uns ist unmöglich. – Die Wahrheit zu sagen,« fügte sie nach augenblicklicher Pause hinzu, »wenn ich auch so nachgiebig gegen den weiblichen Anstand bin, ein wenig zu erröten über meine Aufrichtigkeit, wir können uns nicht heiraten, wenn wir auch wollten, und wir dürften es nicht, wenn wirs könnten.« Und gewiß, sie errötete auf das lieblichste, als sie diese grausame Erklärung aussprach. Ich wollte eben ihre beiden Behauptungen angreifen, gänzlich uneingedenk des Verdachtes, der sich mir an diesem Abend bestätigt hatte, aber sie fuhr mit einer kalten Festigkeit, die an Strenge grenzte, fort: »Was ich sage, ist einfache, unbestreitbare Wahrheit, worüber ich weder Fragen noch Erklärungen haben will. Wir sind also Freunde, Herr Osbaldistone? – Nicht wahr?« Sie hielt die Hand dar, aber die meinige fassend, setzte sie hinzu: »Und nichts andres, jetzt oder künftig, als Freunde.« Sie ließ meine Hand los. Ich senkte sogleich mit derselben das Haupt, überwältigt von der Güte und Entschiedenheit ihres Wesens. Sie gab schnell dem Gespräch eine andre Wendung. »Hier ist ein Brief,« sprach sie, »richtig und deutlich an Euch überschrieben, der aber, bei aller Vorsicht der Person, die ihn schrieb und beförderte, vielleicht nie in Eure Hände gekommen wäre, hätte nicht ein gewisser Pacolet, ein bezauberter Zwerg, Besitz davon erhalten, den ich, wie alle unglücklichen Mädchen in Romanen, in meinen geheimen Diensten habe.« Ich öffnete den Brief, überlief den Inhalt, – und das Blatt fiel aus meiner Hand: »Gütiger Himmel!« rief ich unwillkürlich aus, »meine Torheit und mein Ungehorsam haben meinen Vater zu grunde gerichtet!« Diana erhob sich mit Blicken wahrer und zärtlicher Unruhe. »Ihr erblaßt – Ihr seid krank – soll ich Euch ein Glas Wasser bringen? Ermannt Euch, Herr Osbaldistone, seid stark! Ist Euer Vater – ist er nicht mehr?« »Er lebt, Gott sei Dank!« sprach ich; »aber in welcher Not und Beschwerde –« »Wenn das alles ist, so verzweifelt nicht. Darf ich den Brief lesen?« fragte sie und hob ihn auf. Ich bejahte es, kaum wissend, was ich tat. Sie las ihn mit großer Aufmerksamkeit. »Was ist dieser Tresham, der den Brief unterschrieben hat?« »Meines Vaters Geschäftsteilhaber, aber er nimmt nur wenig tätigen Anteil an den Geschäften des Hauses.« »Er spricht hier von mehreren Briefen, die früher an Euch abgegangen sind,« sprach Diana. »Ich habe keinen davon erhalten,« erwiderte ich. »Und wie es scheint,« fuhr sie fort, »ist Rashleigh, der seit Eures Vaters Reise nach Holland die ganze Führung der Geschäfte übernommen hat, vor einiger Zeit mit Waren und Geldsummen, zur Bezahlung ansehnlicher Wechsel, die Euer Vater einigen Personen in London ausgestellt hatte, von London nach Schottland gereist, und man hat seitdem nichts von ihm gehört.« »Es ist nur zu wahr.« »Und dann hat man,« fuhr sie, in den Brief blickend, fort, »einen Buchhalter oder dergleichen – Owenson – Owen nach Glasgow geschickt, um Rashleigh, wo möglich, aufzufinden, und man ersucht Euch, gleichfalls dahin zu reisen und ihm in seinen Nachforschungen beizustehen.« »So ist es, und ich muß sogleich abreisen.« »Bleibt noch einen Augenblick,« sprach Diana. »Das Schlimmste, was aus dieser Sache erfolgen kann, scheint mir der Verlust einer gewissen Geldsumme zu sein, und kann dies Tränen in Eure Augen bringen? Schämt Euch, Herr Osbaldistone!« »Ihr tut mir unrecht,« Fräulein Vernon,« antwortete ich. »Nicht der Verlust ists, was mich bekümmert, sondern die Wirkung, die er unfehlbar auf meines Vaters Gemüt und Gesundheit haben wird. Sollte seine Zahlungsunfähigkeit erklärt werden, so würde er ins Grab sinken, niedergedrückt von Kummer, Vorwürfen und Verzweiflung, gleich einem Krieger, den man der Feigheit beschuldigt, oder wie ein Mann von Ehre, der Rang und Ansehen in der Welt verloren hat. Alles dies hätte ich vermeiden können durch das geringe Opfer eines törichten Stolzes und einer Arbeitsscheu, die mich zurückhielten, die Geschäfte seines ehrenwerten und nützlichen Berufs zu teilen! Guter Himmel! wie werde ich die Folgen meiner Verirrung wieder gut machen!« »Ihr müßt sogleich nach Glasgow reisen, wie Euer Freund in diesem Briefe Euch bittet.« »Aber wenn Rashleigh wirklich den schändlichen und gewissenlosen Plan geschmiedet hat, seinen Wohltäter zu plündern, wie kann ich da Mittel zu finden hoffen, einen so tief angelegten Entwurf zu vereiteln?« »Die Hoffnung ist freilich ungewiß; allein auf der andern Seite ist es unmöglich, Eurem Vater etwas zu nützen, wenn Ihr hier bleibt. Bedenkt, wenn Ihr den Euch zugedachten Platz eingenommen hättet, so hätte dies Unglück nicht geschehen können; eilt jetzt dorthin, wohin man Euch ruft, und es läßt sich vielleicht wieder gut machen. – Aber wartet, bleibt hier, bis ich wiederkomme.« Sie ließ mich allein. Nach wenigen Minuten kam sie zurück und hielt ein Papier in der Hand, das wie ein Brief gefaltet und versiegelt, aber ohne Ueberschrift war. »Ich will Euch,« sprach sie, »diese Probe meiner Freundschaft anvertrauen, weil ich die vollkommenste Zuversicht in Eure Ehre setze. Wenn ich die Natur Eures Unfalls recht verstehe, so müssen die Geldsummen, welche in Rashleighs Händen sind, an einem gewissen Tage – ich glaube, der zwölfte September ist genannt – wieder erlangt werden, damit sie zur Zahlung jener Wechsel gebraucht werden können. Lassen sich daher hinreichende Summen vor jener Zeit finden, so ist Eures Vaters Kredit gesichert.« »Gewiß, so verstehe ich Treshams Brief« – ich blickte noch einmal hinein und setzte hinzu: »Es ist ohne Zweifel so.« »Gut in diesem Falle,« sprach Diana, »wird Euch mein kleiner Pacolet nützlich sein. – Dieser Brief enthält einen Zauber. Nehmt ihn hin, und öffnet ihn nicht eher, bis andre gewöhnliche Mittel fehlgeschlagen haben. Wenn Ihr durch eigne Anstrengungen das Ziel erreicht, so habe ich das Vertrauen auf Eure Ehre, daß Ihr ihn vernichtet, ohne ihn zu öffnen oder öffnen zu lassen. Aber wo nicht, so könnt Ihr das Siegel brechen zehn Tage vor der verhängnisvollen Zeit, und Ihr werdet Nachweisungen finden, die Euch wahrscheinlich von Nutzen sind. – Lebt wohl, Franz, wir sehen uns nie wieder –, aber denkt zuweilen an Eure Freundin Diana Vernon.« Sie reichte mir die Hand, aber ich drückte sie an meine Brust. Sie seufzte, als sie sich aus der Umarmung wand, gegen die sie sich nicht wehrte, eilte durch die Tür, welche zu ihrem Wohnzimmer führte, und ich sah sie nicht wieder. Achtzehntes Kapitel Die Trennung von Fräulein Vernon schmerzte mich tief, allein nicht so sehr, daß nicht auch das Mißgeschick, welches meinem Vater drohte, meine Aufmerksamkeit beschäftigt hätte, und andrerseits bedrückten mich die erhaltenen Nachrichten weniger, weil sie nicht allein meine Seele erfüllten. Ich war weder ein treuloser Liebhaber noch ein gefühlloser Sohn, aber der Schmerz kann unsre Empfindung nur bis zu einem gewissen Grade erregen, und wenn zwei Veranlassungen denselben zugleich in Anspruch nehmen, wird der Anteil unter ihnen geteilt, wie die Summen bei dem Bankerott. Sorgfältig dachte ich über den Inhalt des Briefes nach. Er war recht unklar gehalten, und ich wurde in mehreren Punkten an Owen verwiesen, den ich sobald als möglich in Glasgow aufsuchen sollte, wo ich ihn bei den Herren Macvittie, Macfin und Compagnie, Kaufleuten in dieser Stadt, erfragen könne. Es war Bezug genommen auf mehrere Briefe, die verloren oder unterschlagen sein mußten, und wurde über mein hartnäckiges Schweigen Klage geführt, was doch höchst ungerecht gewesen wäre, wenn meine Briefe ihr Ziel erreicht hätten. Ich war äußerst bestürzt. Nicht einen Augenblick konnte ich zweifeln, daß Rashleighs Geist mich umspukte und die Zweifel und Gefahren beschwor, die mich umringten; dennoch erwog ich mit Entsetzen, wieviel Büberei und Macht er zur Ausführung seiner Entwürfe aufgewendet haben müsse. In einer Hinsicht kann ich mir Gerechtigkeit widerfahren lassen; die Trennung von Fräulein Vernon, so sehr sie mich in andrer Beziehung und zu einer andern Zeit bekümmert hätte, trat in den Hintergrund, wenn ich der Gefahren dachte, die meinem Vater drohten. Der Erfolg meiner Erwägungen war ein fester Entschluß, am nächsten Tage das Schloß zu verlassen und ohne Verzug Owen in Glasgow aufzusuchen. Ich hielt es nicht für ratsam, meinem Oheim diesen Vorsatz anders mitzuteilen, als durch einen Brief, worin ich ihm für seine Gastfreundschaft dankte, und ihm versicherte, daß eine dringende und wichtige Angelegenheit mich abhalte, persönlich meine Erkenntlichkeit zu bezeugen. Ich wußte, der schlichte alte Ritter werde mich leicht entschuldigen, und ich glaubte so fest an Rashleighs weit verbreitete, entschiedene Ränke, daß ich besorgte, wenn ich meine Abreise öffentlich bekannt machte, werde er Mittel finden, ein Unternehmen zu verhindern, das auf die Störung seiner Anschläge berechnet war. Ich beschloß deshalb, mit Tagesanbruch mich zu entfernen, um das nahe Königreich Schottland zu erreichen, ehe ich im Schlosse vermißt wurde. Aber ein Umstand hätte mir leicht einen Strich durch die Rechnung machen können: ich kannte nämlich gar nicht den Weg nach Glasgow, und da in meinem Falle Beschleunigung von höchster Wichtigkeit war, so beschloß ich den Gärtner zu befragen, der mir die nächste und sicherste Auskunft geben konnte. So spät es war, machte ich mich wegen des wichtigen Punktes auf den Weg, und erreichte nach wenigen Minuten des Gärtners Wohnung. Andreas' Behausung, nicht weit von der äußern Mauer des Gartens gelegen, war eine gemächliche northumbrische Hütte, von rauhen Steinen erbaut, und an Fenstern und Türen mit schweren steinernen Einfassungen geziert. Ein Birnbaum an der einen Seite, ein Bächlein an der andern, das Blumenbeet und der Küchengarten, der umzäunte Platz für eine Kuh, und das kleine Feld für den Hausbedarf, bezeichneten die Annehmlichkeiten, welche Alt-England, selbst an der nördlichsten Grenze, seinen geringsten Bewohnern zu teil werden ließ. Ich fragte den alten Andreas, ob er mir den nächsten Weg nach der Stadt Glasgow in Schottland angeben könnte. »Glasgow!« wiederholte er. »Den Weg nach Glasgow wollt Ihr wissen? Warum sollt' ich ihn nicht kennen? – 's ist nicht weit von meinem eignen Kirchspiel Dreepdaily, das liegt ein bißchen mehr nach Abend. Aber was wollt Ihr in Glasgow?« »Besondre Geschäfte.« »Das heißt so viel, als: Fragt nicht, und ich lüg Euch nichts vor. – Nach Glasgow?« er schwieg ein wenig – »Ich dächte, Ihr nähmet lieber einen Führer.« »Freilich, wenn ich nur jemand dazu finden könnte.« »Und Ihr gebt ohne Zweifel etwas für Versäumnis und Mühe?« »Unstreitig. – Mein Geschäft ist dringend, und wenn Ihr einen Burschen schaffen könnt, der mich begleitet, so will ich ihn gut bezahlen.« »Heut ist kein Tag, von weltlichen Sachen zu sprechen,« sagte der Gärtner, die Augen zum Himmel hebend; »aber wenn es nicht Sonntagabend wär, möcht' ich Euch fragen, was Ihr der Person geben wollt, die Euch angenehme Gesellschaft leistet auf der Straße, und Euch die Namen der Schlösser und die Sitze der Herren und Edelleute nennt, und ihre Sippschaft Euch herrechnet?« »Ich sag Euch, ich brauche nichts als den Weg zu wissen. Ich will den Menschen zu seiner Zufriedenheit bezahlen – ich geb' ihm alles, was billig ist.« »Alles ist nichts,« entgegnete er; »und dieser Bursche, von dem ich spreche, kennet die kürzesten Pfade und Nebenwege durch die Gebirge –« »Ich habe keine Zeit, deshalb zu sprechen; macht den Handel für mich, wie Ihr wollt.« »Aha! Das ist ein Wort zur Sache,« versetzte Andreas. »Ich denke, da es so ist, will ich selbst der Bursche sein, der Euch den Weg zeigen soll.« »Ihr, Andreas? Wie könnt Ihr Euren Dienst verlassen?« »Ich hab' Euch schon gesagt, Herr, daß ich lange habe abgehen wollen, wohl seit dem ersten Jahre, da ich hier bin, und nun soll's Ernst werden.« »Ihr verlaßt also Euern Dienst? – werdet Ihr da nicht Euern Lohn verlieren?« »Etwas wird freilich verloren gehen; aber da ich das Geld für die Aepfel im alten Baumgarten und dann das Geld für die Sämereien in Händen habe, so wird der Lohn wohl geziemend ausgeglichen sein – und wann wollt Ihr fort?« »Mit Tagesanbruch.« »Das ist etwas plötzlich – wo werd ich ein Pferd finden? – Halt, ich weiß gerade ein Tier, wie ichs brauche.« »Also um fünf Uhr morgens treffen wir uns vor dem Hause.« »Wenn ich raten sollte,« erwiderte der Gärtner, »so brächen wir zwei Stunden früher auf. Ich kenne den Weg bei Tag und Nacht, so gut wie der blinde Ralph Ronaldson, der über jeden Sumpf im Lande wandert.« Ich war mit seiner Abänderung sehr zufrieden, und wir wollten uns um drei Uhr an dem bestimmten Orte treffen. Auf einmal durchkreuzte ein Gedanke den Kopf meines künftigen Reisegefährten. »Was Gespenst! das Gespenst!« rief er; »wenn das über uns käme? Ich mag nicht zweimal in vierundzwanzig Stunden mit solchen Dingen zusammenkommen.« »Pah! Pah!« rief ich und machte mich von ihm los; »fürchtet nichts von Wesen der nächsten Welt, – die Erde besitzt lebende Feinde genug, die ohne Beistand besser fertig werden können, als wenn Lucifer und all seine gefallenen Engel ihnen zu Hilfe kämen.« Mit diesen Worten, die meine eigne Lage mir eingegeben hatte, verließ ich des Gärtners Wohnung und kehrte nach dem Schlosse zurück. Ich traf die wenigen nötigen Vorbereitungen zur Reise, untersuchte und lud meine Pistolen und warf mich dann aufs Bett, um womöglich vor einer langen und unruhigen Reise eines kurzen Schlummers zu genießen. Erschöpft von den heftigen Bewegungen des Tages war die Natur gütiger gegen mich, als ich erwartete, und ich sank in einen tiefen Schlaf, aus welchem ich indes emporfuhr, als die Glocke auf dem Turme, nahe an meinem Zimmer, zwei schlug. Ich stand sogleich auf, schlug Licht an, schrieb den Brief, den ich meinem Oheim zurücklassen wollte, packte die nötigsten Sachen in meinen Mantelsack, ging die Treppen hinab und erreichte ohne Hindernis den Stall. Ohne im geringsten in Stallknechtsarbeiten so bewandert zu sein wie meine Vettern, hatte ich doch im Schlosse gelernt, mein eignes Pferd zu satteln und zu zäumen, und in wenig Minuten war ich zur Abreise bereit. Als ich den alten Eingang, worauf das Licht des abnehmenden Mondes einen bleichen Schimmer warf, hinabritt, blickte ich mit einem tiefen Seufzer nach den Mauern zurück, wo Diana wohnte, und empfand aufs schmerzlichste, daß wir uns wahrscheinlich für immer getrennt hatten. Unter den langen und unregelmäßigen Reihen der gotischen Fenster, die jetzt geisterbleich im Mondschein blinkten, war es unmöglich, die des Zimmers zu entdecken, das sie bewohnte. Sie ist bereits für mich verloren, ehe ich den Ort ihres Aufenthalts verlassen habe. Wie könnte ich hoffen, eine Verbindung mit ihr zu unterhalten, wenn Meilen zwischen uns liegen? Während ich in einer Träumerei von nicht sehr angenehmer Art verweilte, kündete die eiserne Zunge der Zeit dem trägen Ohre der Nacht an, daß es drei Uhr war, und erinnerte mich an die Notwendigkeit, mein Versprechen einem weniger anziehenden Wesen zu halten – dem Gärtner. Beim Tore des Eingangs fand ich im Schatten der Mauer einen Reiter aufgestellt, aber erst nachdem ich zweimal gehustet, und dann »Andreas!« gerufen hatte, erwiderte der Gartenbauer: »Ja, es ist Andreas!« »Voran denn!« sprach ich, »und schweigt, wenn Ihr könnt, bis wir durch das Dorf im Tale sind.« Der Gärtner ritt demgemäß voran, und weit schneller, als ich es empfohlen hätte, und gehorchte auch meinem Gebot, zu schweigen, so genau, daß er auf die wiederholten Fragen nach dem Grunde dieser unnötigen Eile keine Antwort gab. Nachdem wir uns durch kürzere Pfade, die Andreas wußte, aus den vielen steinigen Wegen in der Nähe des Schlosses herausgefunden hatten, ritten wir rasch über eine offne Heide und kamen zu den nackten Hügeln, welche Schottland von England teilen und »die Mittelgrenzen« genannt werden. Andreas verminderte nicht seine Eile, sondern trabte mannhaft fort. Ich war erstaunt und entrüstet über des Menschen Halsstarrigkeit; denn wir ritten hinab und hinauf über einen Boden von sehr halsbrechender Natur und kamen an Abgründen vorbei, wo ein Ausgleiten des Pferdes dem Reiter unfehlbar den Tod gebracht hätte. Der Mond gewährte nur ein flaches und unsichres Licht, und an einigen Stellen befanden wir uns unter dem Schatten der Gebirge in so gänzlicher Finsternis, daß nur der Hufschlag des Pferdes und die Funken, die es aus dem Felsen schlug, mir die Spur meines Begleiters verriet. Diese rasche Bewegung und die Aufmerksamkeit, welche ich, meiner eignen Sicherheit wegen, der Lenkung meines Pferdes zuwenden mußte, dienten anfangs, meine Seele gewaltsam von so vielen schmerzlichen Erwägungen abzulenken, die mich sonst erfüllt haben möchten. Endlich aber, nachdem ich dem Gärtner wiederholt zugerufen hatte, langsamer zu reiten, ward ich ernstlich aufgebracht über seine unverschämte Beharrlichkeit, mir weder zu gehorchen, noch zu antworten. Mein Zorn war indes ganz ohnmächtig. Ich versuchte es einige Male, ihn einzuholen, um ihn mit meiner Peitsche vom Pferde zu schlagen, allein er war besser beritten als ich, und entweder der Geist seines Rosses oder, wahrscheinlicher, einige Ahnung von meiner gütigen Absicht trieb ihn an, noch schneller zu reiten, so oft ich ihn einzuholen versuchte. Auf der andern Seite war ich genötigt, meine Sporen anzuwenden, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren; denn ohne seine Leitung konnte ich, wie ich nur zu gut einsah, nie den Weg durch die Wildnis finden, die wir jetzt in so ungewöhnlichem Trabe durchstrichen. Endlich war ich so aufgebracht, daß ich drohte, nach meinen Pistolen zu greifen, um diesem Heißsporn eine Kugel nachzuschicken. Diese Drohung machte sichtlich einigen Eindruck auf das Trommelfell seines Ohres, so taub er bei allen meinen mildern Vorstellungen gewesen war; denn er ritt langsamer und bemerkte, als ich ihm nahe war: »Man ist nicht recht klug, auf einem solchen verdammten Wege zu reiten.« »Und warum bist Du so schnell geritten, Du Schurke?« erwiderte ich in heftiger Aufregung. »Was wollt Ihr, mein Herr?« fragte Andreas mit unerschütterter Ernsthaftigkeit. »Was ich will, Du Schelm? – Ich habe seit einer Stünde Dir zugerufen, langsamer zu reiten, und Du hast mir nicht einmal geantwortet. Bist Du trunken oder wahnsinnig?« »Ich höre etwas schwer und will nicht leugnen, daß ich einen Schluck getan habe, ehe ich die alte Hütte verließ, wo ich so lange wohnte; und da ich niemand hatte, der mir zutrank, mußt' ich mir selber Bescheid tun oder den Rest des Branntweins den Papisten zurücklassen.« Dies konnte wahr sein, aber da ich bei meiner Lage darauf angewiesen war, mich mit meinem Wegweiser auf gutem Fuße zu halten, so begnügte ich mich, ihm anzudeuten, künftig nach meinen Vorschriften die Art und Weise der Reise einzurichten. Dreister gemacht durch meinen milden Ton, stimmte er den seinigen hinauf, pedantisch und eingebildet, wie er sich meistens zeigte. »Niemand wird mich überreden, daß es gesund und klug ist, in der Nachtluft über ein Moor zu gehen, ohne eine Herzstärkung von Nelkenwasser oder dergleichen vorher zu nehmen. Ich bin hundertmal über Otterscope-Rigg, bei Tag und bei Nacht, gewandert, und habe meinen Weg immer am besten gefunden, wenn ich meinen Morgenschluck im Magen und außerdem noch zwei Fäßchen Branntwein an jeder Seite hatte.« – »Mit andern Worten, Andreas, Ihr waret ein Schleichhändler.« Daß ich mit dieser Vermutung recht hatte, stellte sich bei näherer Nachfrage heraus. Mir war dies deshalb wichtig, weil es mir seine Brauchbarkeit als Führer bewies. Selbst jetzt, obwohl gemäßigter trabend, schien doch der Frühtrank, oder was sonst auf des Gärtners Bewegungen wirkte, nicht ganz seinen Einfluß verloren zu haben. Er warf oft einen starren, ängstlichen Blick hinter sich, und so oft der Weg ebener schien, zeigte er Spuren des Verlangens, schneller zu reiten, als wenn er Verfolgung befürchte. Dieser Anschein von Besorgnis verminderte sich allmählich, als wir auf den Rücken einer Hügelreihe kamen, welche östlich und westlich weit fortlief, und auf beiden Seiten sich steil hinabsenkte. Die bleichen Strahlen des Mondes erleuchteten jetzt den Rand des Himmels, und als Andreas, rückwärts blickend, keine Gestalt eines menschlichen Wesens auf dem Moore sah, das wir hinter uns zurückgelassen hatten, erheiterten sich nach und nach seine rauhen Züge, er fing an zu pfeifen, klopfte den Hals des Pferdes, das ihn so wacker getragen, und als ich dadurch auf das Tier aufmerksam wurde, erkannte ich sogleich Thorncliffs Lieblingsroß. »Was ist das?« sprach ich streng; »diese Stute gehört Junker Thorncliff!« »Ich will nicht leugnen, daß sie dem Junker zu ihrer Zeit gehört hat, aber jetzt ist sie mein.« »Du hast sie gestohlen, Schurke!« »Nein, nein, Herr! Niemand kann mich des Diebstahls beschuldigen. Die Sache steht so, seht Ihr – Junker Thorncliff borgte mir zehn Pfund ab, als er zum Pferderennen nach York ging, und da ich mein Eigentum wieder verlangte, wollt' er mir nichts geben und sagte bloß, er wollte mir alle Knochen im Leibe zerschlagen. Nun habe ich mich an seinem Pferde schadlos gehalten. Wenn er mich nicht auf Heller und Pfennig bezahlt, kriegt er nie wieder ein Haar von seinem Schwanze zu sehen. Ich kenne einen Schreiber in Lochmaben, der mir zu einem Vergleich mit ihm helfen wird.« Ich war höchst entrüstet über Andreas' Tat, beschloß indes, ihm das, Pferd, sobald wir das Ende unsrer Reise erreicht hätten, abzukaufen und es Thorncliff zurückzuschicken, was ich vorläufig meinem Oheim vom nächsten Postorte bekannt machen wollte. Mit Andreas unterdessen länger zu zanken, hielt ich für überflüssig. Neunzehntes Kapitel In der ersten schottischen Stadt, die wir erreichten, suchte mein Begleiter seinen Freund und Ratgeber auf, um mit ihm zu überlegen, wie auf fügliche und gesetzliche Weise das Pferd zu seinem rechtmäßigen Eigentum gemacht werden könne, das gegenwärtig nur durch jene eigenmächtigen Mittel ihm gehörte, die noch immer zuweilen in dieser einst gesetzlosen Gegend vorkommen. Es freute mich, ihn mit betrübter Miene zurückkehren zu sehen. Er war, scheint es, eher zu offenherzig gegen seinen vertrauten Freund, den Anwalt, gewesen, und erfuhr zu seinem großen Leidwesen auf seine rückhaltlose Freimütigkeit, daß Touthope indessen Friedensschreiber geworden und genötigt war, alle dergleichen Fälle dem Gericht anzuzeigen. Nach der Versicherung dieses behenden Polizeimitgliedes mußte das Pferd mit Beschlag belegt und gegen Hinterlegung von zwölf schottischen Schillingen per diem in Verwahrung genommen werden, bis die Frage über das Eigentumsrecht gehörig geprüft und entschieden worden sei. Er sprach sogar davon, daß seine Pflicht ihm auferlege, den ehrlichen Andreas selbst festzuhalten; doch auf die dringenden Bitten meines Führers stand er nicht allein von diesem Vorhaben ab, sondern schenkte ihm sogar einen kurzatmigen Klepper zur Fortsetzung seiner Reise. Für diese Handlung der Großmut mußte ihm der arme Andreas freilich seine Rechte und Ansprüche auf Thorncliffs stattliches Roß übertragen. Andreas tat, als ich ihn hierüber befragte, sehr niedergedrückt; daß er so um etwas geprellt worden sei, was er sich mit Gefahr seines Halses angeeignet hatte, hätte ihn nicht halb so sehr gekränkt, meinte er, wenn es unter den Engländern geschehen wäre; aber es sei eine schlimme Sache mit anzusehen, wie eine Krähe der andern die Augen aushacke oder ein guter Schottländer einen andern betrüge. Doch ohne Zweifel habe sich alles in seinem Vaterlande sehr verändert seit der bösen und trübseligen Vereinigung beider Königreiche. Nach diesem Ausgange der Sache glaubte ich, von aller Sorge um das Pferd befreit zu sein, und schrieb meinem Oheim, wie es nach Schottland gekommen sei, und daß es sich in den Händen der Gerechtigkeit und ihrer würdigen Stellvertreter befinde, an die ich ihn wegen des Nähern verwies. Wir setzten nun die Reise in nordwestlicher Richtung fort, und weit langsamer, als wir zur Nachtzeit England verlassen hatten. Eine Reihe kahler, reizloser Hügel folgte der andern, bis sich das fruchtbare Tal des Clyde vor uns öffnete, und bald erreichten wir die Stadt Glasgow. Ein ausgedehnter stetig wachsender Handel mit Westindien und Amerika hat, soviel ich weiß, den Grund zu ihrem Reichtum und Wohlstand gelegt. Zu jener Zeit war die Morgenröte dieses Glanzes noch nicht angebrochen. Die Vereinigung mit England hatte zwar Schottland den Handel mit den englischen Kolonien eröffnet, aber Mangel an Kapital und die Nationaleifersucht der Engländer schlossen die schottischen Kaufleute noch großenteils von dem Gebrauche des Vorrechts aus, welches dieser denkwürdige Vertrag ihnen verliehen hatte. Glasgow galt schon damals für den wichtigsten Ort im westlichen Schottland. Der breite, nahe an den Mauern strömende Clyde gewährte die Mittel zu einem nicht unerheblichen inländischen Handel. Nicht allein, die fruchtbaren Ebenen der umliegenden Gegend, sondern auch die Bezirke von Ayr und Dumfries betrachten Glasgow als ihre Hauptstadt, in die sie ihre Erzeugnisse bringen, und dagegen feinere Handelsartikel und andre Gebrauchsartikel empfangen. Die dunklen Gebirge des westlichen Hochlands schickten oft ihre wilden Stämme auf die Märkte von St. Mungos Lieblingsstadt. Herden von wilden, zottigen, zwerghaften Rindern und Pferden, von Hochländern geführt, die ebenso wild und zottig, und zuweilen auch so zwerghaft waren, wie ihre Tiere, sah man häufig in den Straßen. Fremdlinge blickten mit Ueberraschung auf die altertümliche, seltsame Tracht und lauschten auf die unbekannten, mißfälligen Töne ihrer Sprache, während die Gebirgsbewohner, selbst bei diesem friedlichen Verkehr mit Flinte und Pistole, Schwert und Dolch bewaffnet, voll Erstaunen auf Gegenstände der Ueppigkeit schauten, deren Gebrauch sie nicht kannten, und mit etwas beunruhigender Habsucht auf solche Dinge blickten, die sie kannten und schätzten. Der Hochländer verläßt immer ungern seine Wirrnisse, und in jenen frühen Zeiten war es, als ob man eine Fichte aus ihrem Felsen riß, wenn man sie wo andershin verpflanzen wollte. Allein schon damals waren die Täler des Hochlandes so reichlich bevölkert, daß viele ihrer Bewohner nach Glasgow wanderten, sich da niederließen, und Beschäftigung suchten und fanden, so verschieden sie auch von dem Leben war, das sie in ihrer Heimat geführt hatten. Dieser Zuwachs an starken und nützlichen Einwohnern hatte Einfluß auf den Wohlstand des Ortes, verschaffte die Mittel zur Fortsetzung einiger Industrien, die bereits der Stadt einen rühmlichen Namen gemacht hatten, und legten den Grund zu ihrem künftigen Reichtum. Das Aeußere des Ortes paßte zu diesen verheißungsvollen Auspizien. Die vornehmste Straße war breit und ansehnlich, mit öffentlichen Gebäuden geschmückt, von mehr auffallender als geschmackvoller Bauart, und die hohen steinernen Häuser an den Seiten, deren Vorderseite gelegentlich reich mit Mauerwerk verziert war, gaben der Straße einen Ausdruck von Würde und Pracht. Es war ein Sonntagmorgen, als ich mit meinem Begleiter in der westlichen Hauptstadt von Schottland ankam. Geläute schallte vom Turme, und das Gedränge der vielen Menschen, die zu der Kirche wollten, verkündete die Ehrfurcht für diesen heiligen Tag. Wir stiegen vor der Tür einer muntern Wirtsfrau ab, von der wir höflich empfangen wurden. Mein erster Gedanke war natürlich, Owen aufzusuchen, aber auf meine Nachfrage erfuhr ich, daß, bevor die Kirche aus sei, jede Bemühung vergebens sein würde. Die Wirtin und mein Führer versicherten einstimmig, im Hause Mac Vittie und Compagnie, an das ich mich zu wenden hatte, werde keine lebendige Seele, geschweige denn einer der Inhaber zu finden sein. Sie seien gesetzte Männer und würden sich da befinden, wo gute Christen zu dieser Zeit sein sollten, nämlich in der Kirche. Ich beschloß denn, auch in die Kirche zu gehen, mehr mit dem Vorsatze, womöglich etwas von Owens Ankunft zu erfahren, als mich zu erbauen. Meine Hoffnung, wurde durch die Versicherung erhöht, daß Herr Ephraim Mac Vittie, wenn er am Leben sei, gewiß heute die Kirche besuchen und, wenn er einen Fremden beherberge, ihn ohne allen Zweifel mitnehmen werde. Diese Mutmaßung bestimmte mich in meinem Vorsatze und unter dem Geleit meines Reisebegleiters machte ich mich auf den Weg nach der Kirche. Bei dieser Gelegenheit hatte ich indes seine Führung entbehren können, denn die Menschenmenge, welche den steilen, rauhen Steinweg hinanzog, um den beliebtesten Prediger von West-Schottland zu hören, hätte mir schon den Weg gewiesen. Als wir den Gipfel des Hügels erstiegen hatten, traten wir linker Hand durch eine große Flügeltür auf den weiten Kirchhof, der das Münster umgibt. Die Kirche ist ein wuchtiges, düsteres Gebäude in gotischer Bauart; allein ihr eigentümlicher Charakter hat sich so wohl erhalten und paßt so gut zu der Umgebung, daß der Eindruck, den sie auf den ersten Blick macht, im höchsten Grade ernst und feierlich ist. In einer volkreichen und angesehenen Stadt gelegen, liegt über diesem ehrwürdigen, Gebäude doch die tiefste Einsamkeit. Hohe Mauern trennen es auf der einen Seite von der Stadt; auf der andern ist es von einer Schlucht begrenzt, durch deren Tiefe, unsichtbar dem Auge, ein Bach murmelt, dessen Geräusch die Feierlichkeit des Schlosses erhöht. Jenseits der Schlucht ragt eine steile Höhe empor, dicht mit Föhren bedeckt, deren dunkle Schatten sich düster über den Kirchhof verbreiten. Der Kirchhof selbst gewährt einen eignen Anblick; denn so geräumig er auch ist, bietet er doch nicht Raum genug für die, die hier beerdigt werden. Daher kann nirgends das lange, wuchernde Gras emporschießen, das gewöhnlich jene Stätten überzieht, wo die Bösen keinen Schaden mehr stiften und die Müden ruhen. Die breiten, flachen Denksteine sind so dicht an einander gerückt, daß der Kirchhof ganz damit überzogen scheint, und obwohl nur von dem Himmel überwölbt, gleichen sie dem Fußboden in einer unsrer alten englischen Kirchen, der mit Grabschriften bedeckt ist. Der Anblick dieser traurigen Denkmale der Sterblichkeit, der vergebliche Kummer, den sie berichten, die ernste Lehre, welche sie über die Nichtigkeit menschlicher Dinge erteilen, die weite Fläche, die sie decken, und ihr einförmiger trauriger Inhalt erinnerten mich an jene Rolle des Propheten, die da war »beschrieben inwendig und auswendig, und es waren darin geschrieben Klagen und Trauer und Wehe.« Der Dom harmoniert in seiner ernsten Hoheit mit dieser Umgebung. Sein Bau ist schwerfällig, doch wäre die Wirkung des Ganzen zerstört, wenn er leichter gebaut oder mehr verziert wäre. Zwanzigstes Kapitel So ungeduldig mein Führer auch war, mußte ich doch einige Minuten noch verweilen, um das Aeußere des Gebäudes zu betrachten, das nun in der Einsamkeit, die es umgab, noch ehrwürdiger erschien. Die bis jetzt offen stehenden Türen waren verschlossen, nachdem sie gleichsam die Menschenmenge verschlungen hatten, die erst auf dem Friedhof sich drängte, doch nun, im Innern des Gebäudes, wie die Stimmen des schwellenden Chorgesanges uns verkündeten, zu feierlicher Andacht beisammen war. Der Ton so vieler Stimmen, durch die Entfernung in eine Harmonie vereint, und frei von jenen rauhen Mißklängen, die das Ohr in der Nähe beleidigen, verschmolz mit dem Murmeln des Baches und dem Winde, der durch die alten Föhren rauschte, und erregte in mir das Gefühl der Erhabenheit. Als ich noch auf die feierlichen Klänge lauschen wollte, ergriff mich Andreas beim Aermel; »Kommt, Herr, kommt!« sprach er., »Wir dürfen nicht zu spät hineingehen und den Gottesdienst stören; wenn wir hier bleiben, werden die Aufseher kommen und uns auf die Wache bringen, als Müßiggänger zur Kirchzeit.« Auf diese Mahnung folgte ich meinem Führer, aber nicht, wie ich vermutet hatte, zur Haupttüre. »Hierher! hierher!« rief er, mich davon wegziehend. »Dort ist nur frostige Wahrheit! – fleischliche Moral, so kraft- und saftlos wie Rauke im Juli. Hier ist der wahre Wohlgeruch der reinen Lehre!« Mit diesen Worten trat er in eine niedrig gewölbte Pforte, die ein ernst aussehender Mann eben verschließen zu wollen schien, und wir stiegen mehrere Stufen hinab, wie zu einem Grabgewölbe unter der Kirche. So war es auch; denn in diesen unterirdischen Kreisen war, aus mir unbekannten Gründen, ein höchst sonderbarer Ort zum Kirchendienst errichtet. Man denke sich eine lange Reihe niedrig gewölbter, finstrer Hallen, wie sie anderswo zu Begräbnissen gebraucht werden, und auch hier dazu gedient hatten. Ein Teil davon war mit Sitzen versehen und wurde als Kirche gebraucht. Die so hergerichteten Gewölbe konnten zwar eine Versammlung von mehreren Hunderten fassen, waren aber weit kleiner als die dunklern und ausgebreitetern Höhlen, welche rings umher gähnten. In diesen öden Höhlen der Vergessenheit bezeichneten düstre Banner und zerrissene Wappenschilder die Gräber derjenigen, welche einst ohne Zweifel »Fürsten in Israel« waren. Inschriften in veralteter Sprache, nur dem Altertumsforscher lesbar, luden den Wanderer ein, für die Seelen derjenigen zu beten, deren Gebeine hier ruhten. Umringt von diesen letzten Ueberresten der Sterblichkeit, fand ich eine zahlreiche Versammlung eben im Gebete begriffen. So standen mehrere Hunderte beiderlei Geschlechts und von jedem Alter, die Männer mit unbedecktem Haupte, und hörten ehrerbietig und aufmerksam dem Gebete zu, das ein alter, sehr beliebter Geistlicher aus dem Stegreif sprach. In diesem Glauben erzogen, neigte sich mein Gemüt zu ernster Teilnahme an dieser Andachtsübung, und erst als die Versammlung wieder die Sitze einnahm, richtete sich meine Aufmerksamkeit auf alles, was mich umgab. Nach geendetem Gebete setzten die meisten Männer ihre Hüte oder Mützen auf, und wer so glücklich war, einen Sitz zu haben, ließ sich nieder. Andreas und ich gehörten nicht zu dieser Zahl, da wir zu spät gekommen waren. Wir standen unter mehreren andern, die einen Kreis um die Sitzenden schlossen. Hinter uns und rings umher waren die bereits erwähnten Gewölbe; vor uns die andächtige Versammlung, in matter Beleuchtung des Lichts, welches durch einige kleine gotische Fenster fiel, wie man sie in Beinhäusern findet. Man konnte dabei die Mannigfaltigkeit der Gesichter erkennen, die, wie gewöhnlich beim schottischen Gottesdienste, sich dem Prediger zuwendeten. Hier saß ein eifriger, verständiger Calvinist, dessen gesenkte Augenbrauen tiefe Aufmerksamkeit andeuteten. Seine Lippen waren leicht geschlossen und die Augen auf den Prediger geheftet, mit dem Ausdrucke geziemenden Stolzes, als ob er über die wohlbegründeten Lehren innerlich triumphierte. Ein andrer, der wilder und ernster aussah, verriet zu gleicher Zeit seine Verachtung gegen alle, die an den Lehren seines Seelsorgers zweifelten, und seine Freude über die ihnen angedrohten Strafen. Ein dritter, der vielleicht zu einer andern Gemeinde gehörte und nur durch Zufall oder aus Neugierde hierher gekommen war, verriet durch ein leichtes Kopfschütteln deutlich seinen Zweifel an den dargelegten Glaubenssätzen. Die meisten lauschten mit ruhigem, zufriedenem Gesicht, dessen Ausdruck andeutete, daß sie es sich als Verdienst anrechneten, einer so scharfsinnigen Rede zuzuhören, obwohl sie dieselbe vielleicht nicht ganz verstanden. Zu diesen letztern gehörten größtenteils die Weiber; die Alten schienen jedoch ernster auf die Darlegung der abstrakten Lehren zu achten, während die Jüngern gelegentlich ihre Blicke bescheiden in der Versammlung umherwandeln ließen. Das waren die Gruppen, die ich bei den Sonnenstrahlen unterschied, welche durch die schmalen Fenster fielen, die aufmerksame Gemeinde beleuchteten und sich dann im leeren Raum der hintern Gewölbe verloren. Bei dieser Beleuchtung lag der vordere Teil des Raumes in matter Dämmerung, während der tiefere Hintergrund in gänzliche Dunkelheit gehüllt war. Ich stand mit dem Rücken gegen diese Hallen und hatte den Blick auf den Prediger gerichtet. Von meinem Platze aus konnte mir nicht das geringste Geräusch entgehen, das in jenen einsamen Gewölben tausendfach widerhallte. Mehr als einmal blickte ich mich ringsum, wenn Regentropfen durch eine Spalte des verfallnen Daches auf die Steine herabfielen, und hatten meine Augen einmal jene Richtung genommen, so fand ich es schwer, sie abzuwenden; ein solches Vergnügen gewährt es unsrer Einbildungskraft, soweit als möglich in ein dunkles Labyrinth einzudringen, das nur matt erleuchtet ist und Gegenstände darbietet, die unsre Neugierde nur erregen, weil sie unbestimmt und unerkenntlich sind. Meine Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit des Raumes, auf den ich sie gerichtet hielt, und es hatte nun mehr Interesse für mich, diese Finsternis zu ergründen, als den theologischen Auseinandersetzungen des Predigers zu folgen. Ich bat Andreas leise, sich zu erkundigen, ob jemand aus dem Hause Mac Vittie da wäre. In tiefer Aufmerksamkeit auf die Predigt, antwortete mir Andreas nur mit derben Ellbogenstößen, womit er mir zu verstehen gab, daß ich mich still verhalten sollte. Mit ebenso schlechtem Erfolge strengte ich meine Augen an, ob ich unter der Menge erhobner Gesichter, die sich nach der Kanzel richteten, Owens ehrbare, bedächtige Züge erblicken könnte. Allein weder unter den breiten Filzhüten der Bürger von Glasgow, noch unter den noch breitrandigern Mützen der Bauern von Lanarkshire, konnte ich etwas entdecken, was der anständigen Perücke, den steifen Manschetten und dem ganzen hellbraunen Anzug des Buchhalters der Firma Osbaldistone und Tresham ähnlich gewesen wäre. Nun kehrten meine Befürchtungen plötzlich mit solchem Ungestüm zurück, daß ich ganz vergaß, wo ich mich befand. Ich zog den Gärtner derb am Aermel und sagte ihm, ich wolle hinaus, um meine Nachforschungen fortzusetzen. Er erwiderte aber, daß wir vor Ende des Gottesdienstes nicht hinausgehen könnten, weil die Türen, sobald das Gebet anfange, verschlossen würden. Nachdem er mir dies kurz und mürrisch zugeflüstert hatte, richtete er seine Aufmerksamkeit, mit dem Ausdruck von Verständnis und Urteil, wieder auf den Vortrag des Predigers. Indem ich mich bemühte, aus der Not eine Tugend zu machen und wieder auf die Predigt zu achten, ward ich durch eine neue seltsame Störung unterbrochen. Eine Stimme hinter mir flüsterte vernehmlich in mein Ohr: »Euch droht Gefahr in dieser Stadt.« – Unwillkürlich drehte ich mich um. Ein Paar steife, schlichte Handwerker standen neben und hinter mir, die ebenso wie wir zu spät gekommen waren. Mit einem Blick auf ihre Gesichter war es mir klar, obwohl ich kaum sagen konnte warum, daß keiner von ihnen zu mir gesprochen hatte. Mit ruhiger Aufmerksamkeit hörten sie der Predigt zu, und keiner erwiderte meinen forschenden Blick. Hinter einem starken, runden Pfeiler, der dicht hinter uns stand, hätte die Person, sogleich nachdem sie die geheimnisvolle Warnung ausgesprochen hatte, sich verstecken können; aber warum ich an solch einem Ort gewarnt wurde und vor welcher Gefahr, und wer die Warnung gegeben hätte, das waren Fragen, die ich mit allen Mitteln meiner aufgeregten Phantasie zu beantworten suchte. Ich erwartete, daß die Warnung wiederholt würde, und richtete von neuem den Blick auf den Prediger, damit der Warnende glauben sollte, seine ersten Worte seien nicht gehört worden. Mein Plan gelang. Kaum hatte ich fünf Minuten meine Augen dem Redner zugewendet, als dieselbe Stimme flüsterte: »Hört mich, aber seht Euch nicht um.« – Ich drehte den Kopf nicht um einen Zoll. – »Euch droht Gefahr in dieser Stadt,« fuhr die Stimme fort, »und ich bin es auch. Sucht mich auf der Brücke heute nacht mit dem Schlage zwölf. Bleibt zu Hause, bis es dunkel wird, und laßt Euch nicht sehen.« Die Stimme schwieg hier, und ich wandte mich sogleich um; doch der Sprecher hatte sich noch schneller hinter den Pfeiler versteckt, so daß ich ihn nicht sehen konnte. Aber ich wollte sehen, wer es sei, und so drängte ich mich aus dem Kreise der Zuhörer und trat hinter den Pfeiler. Alles war leer, und ich sah nur eine Gestalt in einen Mantel gehüllt, die, einem Schatten gleich, den grausen Raum des Gewölbes durchschritt. Unwillkürlich wollte ich der geheimnisvollen Erscheinung folgen, die in den Grabgewölben dahin glitt und verschwand, wie der Geist eines hier ruhenden Toten. Es war wenig Hoffnung, die Erscheinung einzuholen, da sie allem Anschein nach eine Begegnung vermeiden wollte; aber selbst dieses bißchen Hoffnung wurde noch vereitelt; denn ich hatte kaum drei Schritte getan, so strauchelte ich und fiel. Glücklicherweise schützte mich die Dunkelheit, denn schon hatte der Prediger mit jener Strenge, mit der die schottischen Geistlichen Ordnung in ihren Versammlungen aufrecht erhalten, seine Rede unterbrochen und den Aufseher aufgefordert, den Störer der Andacht in Gewahrsam zu nehmen. Da jedoch das Geräusch sich nicht wiederholte, wurde keine nähere Untersuchung vorgenommen, und ich konnte, ohne weitere Aufmerksamkeit zu erregen, meinen Platz an des Gärtners Seite wieder einnehmen. Als der Gottesdienst zu Ende war und die Versammlung auseinander ging, zeigte mir mein Freund Andreas den Herrn Mac Vittie und dessen ganze Familie. Ich erblickte in ihm einen langen, magern, ältlichen Mann mit harten Gesichtszügen, dicken, grauen Augenbrauen, lichten Augen und, wie mir vorkam, einem hämischen Ausdruck, vor welchem mein Herz zurückbebte. Ich dachte gleich an die erhaltene Warnung und zögerte, den Mann anzureden, wiewohl ich mir selbst keinen vernünftigen Grund für Abneigung und Argwohn angeben konnte. Noch war ich unentschlossen, als Andreas, der meine Zögerung für Schüchternheit hielt, mir zuredete: »Sprecht mit ihm – sprecht mit ihm, Herr Franz! Er wird Euch gewiß ausführlichen Bescheid geben, wenn Ihr kein Geld von ihm verlangt; denn die Leute sagen, so reich er auch ist, zieht er doch nicht gern den Beutel.« Mir war es sofort klar, daß, falls dieser Kaufmann in der Tat so geizig wäre, ich mich nicht so ohne weiteres zu erkennen geben dürfte, da ich ja über den Stand seiner Geschäfte mit seinem Vater nicht genau unterrichtet war. Diese Erwägung verstärkte den Eindruck, den die geheimnisvolle Warnung auf mich gemacht hatte, und die unangenehme Meinung, die ich beim ersten Blick von diesem Manne gewonnen hatte. Anstatt mich also direkt an ihn zu wenden, sprach ich nur den Wunsch aus, Andreas möchte sich erkundigen, ob Herr Owen sich im Hause Mac Vitties aufhalte. Er sollte dabei meiner Person nicht Erwähnung tun und mir nach dem kleinen Gasthaus, in welchem wir abgestiegen waren, Bescheid bringen. Das versprach Andreas zu tun. Ende des ersten Bandes. Zweiter Band Erstes Kapitel Von trüben Ahnungen erfüllt, wofür ich mir selbst keinen befriedigenden Grund angeben konnte, verschloß ich mich in mein Zimmer im Wirtshause und fing ernstlich zu überlegen an, was am besten zu tun sei. Ich war nie eigentlich abergläubisch; allein es war etwas so seltsam Zurückstoßendes in den Zügen des schottischen Kaufmanns, daß ich nicht beschließen konnte, mich ohne Vorsicht in seine Hände zu geben. Auf der andern Seite hatte die warnende Stimme, die ich hinter mir hörte, die Gestalt, welche einem Schatten gleich durch jene Grabhallen schwebte, etwas Anziehendes für die Phantasie eines jungen Mannes, der noch überdies ein junger Dichter war. Wenn mich Gefahr umringte, wie die geheimnisvolle Nachricht andeutete, wie hatte ich anders sie kennen lernen oder Mittel finden sollen, ihr auszuweichen, als wenn ich den unbekannten Ratgeber aufsuchte, dem ich nur freundliche Absichten beilegen zu können glaubte. Rashleigh und seine Ränke kamen mir mehr als einmal in den Sinn; allein ich war in so großer Eile gereist, daß ich nicht vermuten konnte, er sei von meiner Ankunft in Glasgow benachrichtigt, viel weniger vorbereitet, einen bösen Streich gegen mich auszuführen. Ueberdies fehlte es mir nicht an Mut und Zuversicht, ich war stark und rüstig und verstand mich auf die Handhabung von Waffen, worin alle jungen Franzosen damals geübt waren. Einen einzelnen Feind fürchtete ich nicht, und ich beschloß, meinen geheimnisvollen Ratgeber, seinem Winke gemäß, auf der Brücke zu treffen und nachher meinen Entschluß den Umständen entsprechend zu fassen. Ich darf nicht verhehlen, was ich mir damals selbst zu verhehlen suchte, – die unterdrückte, doch heimlich genährte Hoffnung, daß von Diana Vernon auf unbekannte Weise diese seltsame Warnung ausgehe. Sie allein, – flüsterte diese verführerische Hoffnung – sie allein wußte von meiner Reise; nach ihrer eignen Angabe besaß sie Freunde und Einfluß in Schottland; sie hatte mir einen Talisman erteilt, dessen Macht ich erproben sollte, wenn alle andern Mittel fehlschlugen. Wer, als Diana Vernon, besaß Mittel, Geschicklichkeit und Neigung, die Gefahren abzuwenden, welche, wie es schien, meine Schritte umringten? Diese schmeichelhafte Erklärung meiner bedenklichen Lage stellte sich mir immer von neuem dar. Ich eilte ins Freie, und ohne es zu wollen, schlug ich den Weg nach jener Brücke ein. Bis zu der angegebenen Zeit mußten jedoch noch ein paar Stunden vergehen. Diese Zwischenzeit war, wie sich leicht denken läßt, langweilig genug, und ich kann kaum sagen, wie sie vergangen ist. Mannigfache Gruppen von Menschen, jung und alt, wandelten längs der großen Wiese am östlichen Ufer des Flusses, die zu einem Spaziergange der Einwohner dient, oder gingen mit langsamen Schritten über die lange Brücke, welche zum westlichen Teil der Grafschaft führt. Allmählich war mir, als wenn es den Leuten auffiele, daß ich so unentwegt hier auf und ab ging, und ich verließ diesen vielbegangnen Weg und begab mich auf die einsamere Allee, die quer über die Wiese führte. Zu meiner Ueberraschung hörte ich plötzlich Andreas' Stimme. Ich brauchte nur hinter einen Baum zu treten, um unbemerkt zu bleiben und seiner abgeschmackten Zudringlichkeit zu entgehen. Mit einem ernst aussehenden Manne, der einen schwarzen Rock, herabhängenden Hut und langen Mantel trug, ging er langsam vorüber, und ich hörte, wie er eine Schilderung erteilte, die meine Selbstliebe zwar als Zerrbild verpönen, aber dennoch ähnlich finden mußte. »Ja, ja, wie ich Euch sage, Herr Hammorgaw,« sprach er. – »Es fehlt ihm keineswegs an Verstand, er sieht recht gut ein, was vernünftig ist – aber er ist toll und töricht mit seinem poetischen Unsinn. Ein nackter Felsen, über welchen ein Bach herabfällt, ist ihm so lieb, wie ein Garten mit blühenden Pflanzen und Küchenkräutern. Und hernach schwatzt er lieber mit einer albernen Dirne, man nennt sie Diana Vernon – als daß er hörte, was ihm gut tun würde sein Leben lang, von Euch oder mir oder andern verständigen und ehrbaren Leuten. Vernunft, Herr, kann er nicht ertragen – Gott helf' ihm!« Sein Freund verriet bloß seine Meinung durch ein: »Ei, ei,« und: »Ist's so?« und dergleichen Ausdrücke des Anteils, bis er endlich eine längere Bemerkung machte, die ich nur aus meines getreuen Wegweisers Worten abnahm: »Meine Meinung soll ich ihm sagen, verlangt Ihr? Da wär Andreas wohl ein Narr! Er hat den Teufel im Leibe, Herr! – Aber der Bursche ist bei alledem nicht bös; er braucht nur jemand, der auf ihn acht gibt. Das Gold läuft ihm durch die Hand wie Wasser, und 's ist kein übel Ding, ihm nah zu sein, wenn er den Beutel in der Hand hat, und er legt ihn selten weg. Und dann ist er von guter Herkunft.« – Das letztere seiner Mitteilung sprach er leiser, und entfernte sich mit seinem Begleiter bald aus meiner Nähe. Die Nacht war nun angebrochen. Die zunehmende Dunkelheit gab der breiten, stillen Oberfläche des tiefen und angeschwollenen Stromes zuerst eine gleichförmig dunkle Farbe, dann ein trübes, unruhiges Aussehen, hier und da matt vom abnehmenden Monde beleuchtet. Die starke, alte Brücke, die sich über den Fluß streckte, war kaum noch sichtbar. Je tiefer die Nacht herniedersank, desto stiller wurde die Gegend; doch sah man zuweilen ein Licht längs dem Ufer blinken, hörte zuweilen auch den Hufschlag eines Pferdes, das einen Landbewohner, der den Sonntag in Glasgow zugebracht hatte, nach Hause trug. Aber diese Erscheinungen wurden nach und nach seltener und hörten endlich ganz auf, bis ich einsam an den Ufern des Clyde in feierlicher Stille wandelte, die nur durch den Stundenschlag, der von den Kirchtürmen ertönte, unterbrochen ward. Je tiefer die Nacht herniedersank, desto größer wurde aber auch meine Ungeduld über die Ungewißheit, in der ich mich befand. Sie wurde bald unausstehlich, und mich überkamen Zweifel, ob, was mich getäuscht, der Streich eines Toren, der Aberwitz eines Verrückten oder der überlegte Anschlag eines Schurken sei, und mit unglaublicher Unruhe und Verlegenheit ging ich auf dem kleinen Strandwege hin, der zum Eingang der Brücke führt. Endlich erklang von der Hauptkirche St. Mungo die zwölfte Stunde, und nach einander folgten die übrigen Türme. Kaum war der Widerhall des letzten Tones verklungen, als eine Menschengestalt, die erste, die ich seit zwei Stunden gesehen, vom westlichen Ufer her über die Brücke kam. Ich ging ihr entgegen mit einer Empfindung, als ob mein Schicksal von dem Erfolge der Zusammenkunft abgehangen hätte: in solch lebhafte Besorgnis hatte mich das lange Warten gesetzt. Ich kam dem Wanderer näher und sah nun, daß er mehr unter, als über Mittelgröße, doch anscheinend stark, untersetzt und kräftig war und daß ein Reitermantel ihn umhüllte. In der Erwartung, daß er mich anreden werde, blieb ich stehen und ließ ihn näher kommen; aber ich sah mich unangenehm getäuscht, als er schweigend vorüber ging. Ich blieb stehen und blickte ihm nach, ungewiß, ob ich ihm folgen sollte. Der Unbekannte ging bis beinahe an das östliche Ende der Brücke, blieb dann stehen, sah sich um und kam wieder auf mich zu. Ich nahm mir vor, ihn diesmal nicht vorbei zu lassen, ohne ihn anzusprechen, sondern sprach ihn, als er mir gegenüber ging, mit den Worten an: »Ihr seid recht spät unterwegs, Herr!« »Ich halte die Probe,« antwortete er, »und denke, Ihr auch, Herr Osbaldistone!« »Ihr seid also derjenige, der mich aufforderte, Euch hier zu dieser ungewöhnlichen Stunde zu treffen?« »Jawohl,« erwiderte er. »Folgt mir, und Ihr werdet erfahren, warum.« »Ehe ich Euch folge, muß ich Euren Namen und Eure Absicht wissen.« »Ich bin ein Mann,« war die Antwort, »und meine Absicht ist freundlich.« »Ein Mann?« wiederholte ich. »Die Auskunft ist recht kurz.« »Sie reicht für einen, der keine andre geben kann,« sprach der Fremde. »Wer ohne Namen, Freunde, Geld und Vaterland ist, ist immer wenigstens ein Mann, und wer das alles hat, ist nicht mehr als ein Mann.« »Immerhin ist dies, gelinde gesagt, keine Nachricht über Euch, daß ein Fremder Euch trauen sollte.« »Es ist die einzige, die ich Euch zu geben denke; was Ihr weiter wissen wollt, müßt Ihr durch Eure Augen erfahren, nicht durch meine Zunge – Ihr müßt mir also folgen oder über Weiteres in Unwissenheit bleiben.« Es lag etwas Trocknes, selbst Rauhes im Wesen dieses Mannes, das nicht geeignet war, Zutrauen zu erwecken. »Was fürchtet Ihr?« fragte er ungeduldig. »Wem, glaubt Ihr, sei Euer Leben so wichtig, daß man suchen sollte, Euch seiner zu berauben?« »Ich fürchte nichts,« antwortete ich fest, obwohl etwas hastig. »Voran – ich begleite Euch.« Wir gingen, gegen meine Erwartung, in die Stadt zurück und schlichen, stummen Gespenstern gleich, neben einander durch ihre leeren, geräuschlosen Straßen, deren hohe, finstere Häuser mit den mannigfachen Zieraten und Fenstereinfassungen im bleichen Mondlicht noch höher und dunkler erschienen. Eine Weile lang gingen wir, ohne zu sprechen. Endlich sagte mein Führer: »Fürchtet Ihr Euch?« »Ich gebe Eure eignen Worte zurück,« erwiderte ich. »Warum sollt' ich mich fürchten?« »Weil Ihr bei einem Fremden seid, – vielleicht bei einem Feinde, in einem Orte, wo Ihr keinen Freund und viele Feinde habt.« »Ich fürchte weder Euch noch sie; ich bin jung, rüstig und bewaffnet.« »Ich bin nicht bewaffnet,« erwiderte mein Führer; »doch darauf kommts nicht an, denn einer willigen Hand fehlt es nie an Wehr. Ihr fürchtet nichts, sagt Ihr, aber wenn Euch bekannt wäre, wer an Eurer Seite geht, möchtet Ihr vielleicht doch erschrecken.« »Und warum sollt ich?« war meine Antwort. »Noch einmal, ich fürchte nichts, das Ihr tun könnt.« »Nichts, das ich tun kann? – Mag sein! Aber fürchtet Ihr nicht die Folgen, wenn man Euch bei einem Mann fände, dessen Namen man nur in diesen einsamen Straßen zu nennen brauchte, um zu erleben, daß selbst die Steine aufständen, ihn zu ergreifen – dessen Kopf die Hälfte der Einwohner von Glasgow würde zu reichen Leuten machen, wenn es ihnen gelänge, ihn beim Kragen zu fassen?« »Und wer seid Ihr, dessen Name solche Wirkungen äußern sollte?« »Keiner von Euren Feinden, da ich Euch an einen Ort führe, wo mir ein Eisen am Bein und ein Strick um den Hals sicher wären, wenn ich erkannt werden sollte.« Ich blieb stehen und ging so weit zurück, daß ich meinen Begleiter genau beobachten konnte, so weit es das herrschende Licht gestattete. »Ihr habt entweder zu viel oder zu wenig gesagt,« antwortete ich. – »Zu viel, da Ihr Euch selbst einen Mann nennt, der den Gesetzen dieses Landes verfallen ist – und zu wenig, wenn Ihr mir nicht zeigen könnt, daß die Strenge der Gesetze Euch mit Unrecht verfolgt.« Als ich schwieg, trat er einen Schritt auf mich zu. Unwillkürlich wich ich zurück und fuhr mit der Hand an den Degen. »Wie?« sprach er, »gegen einen wehrlosen Mann und gegen einen Mann, der Euer Freund ist?« »Ich weiß noch nicht, ob Ihr das eine oder das andre seid, und, aufrichtig gesprochen, Euer Reden und Euer Betragen berechtigen mich, an beidem zu zweifeln.« »Mannhaft geredet,« antwortete mein Führer, »und ich achte den Mann, dessen Kopf und Hand sich auf einander verlassen können; ich will frank und frei mit Euch sprechen: ich führ Euch ins Gefängnis.« »Ins Gefängnis?« rief ich. »Kraft welches Befehls, oder um welches Vergehens willen? Mein Leben eher als meine Freiheit! Ich biete Euch Trotz, und folge Euch keinen Schritt weiter.« »Nicht als Gefangnen führ ich Euch dahin. Ich bin,« setzte er, stolz sich reckend, hinzu, »weder ein Büttel noch ein Häscher; ich führ Euch zu einem Gefangenen, von dessen Lippen Ihr hören sollt, was Ihr gegenwärtig zu fürchten habt. Eure Freiheit ist bei dem Besuche wenig gefährdet; die meinige ist in Gefahr; allein ich gehe ihr bereitwillig entgegen, um Euretwillen; ich scheue kein Wagnis und liebe solch freies, junges Blut, das keinen Beschützer kennt, als seinen Degen.« Während er dies sprach, hatten wir die Hauptstraße erreicht und standen vor einem großen, steinernen Gebäude, dessen Fenster aussahen, als seien sie mit Eisen vergittert.« »Viel würden die Gerichtsherren von Glasgow darum geben,« sprach der Fremde, dessen breite Aussprache immer mehr die Heimat verriet und dessen Stimme auch immer mehr den Ton vertraulicher Unterredung annahm, »wenn sie den Mann, der jetzt außen so frei auf den Beinen steht, wie ein Hirsch, da drinnen hatte mit Eisen an den Beinen; aber es sollte ihnen wenig helfen; denn ehe der Morgen käme, sollten sie eine leere Kammer und den Insassen entflohen finden. – Doch kommt! Was zögert Ihr?« Mit diesen Worten klopfte er an eine niedrige Pforte. Gleich darauf antwortete jemand verschlafen, wie wenn er aus einem Traum erwachte, mit schreckhafter Stimme: »Was ists? – Wer ist da? – Was wollt Ihr mitten in der Nacht?– ganz gegen Brauch und Regel?« Die letzten Worte wurden so langsam, so gedehnt gesprochen, daß es sich anhörte, als hätte sich der Sprecher wieder zum Schlafen niedergelegt. Aber mein Führer sprach mit vernehmlichem Flüstern: »Dougal, Mann! habt Ihr vergessen – Gregaragh?« »Wartet, wartet!« erklang es schnell und bereitwillig als Antwort, und ich hörte, wie der Wächter sich regte. Mein Führer wechselte noch einige Worte in einer Sprache mit ihm, die mir gänzlich fremd war. Dann wurden die Riegel weggeschoben, aber mit ängstlicher Vorsicht, und wir standen in einer kleinen, aber sicher verwahrten Wachstube, dem Vorhofe des Gefängnisses. Zweites Kapitel Beim Eintritt warf ich einen scharfen Blick auf meinen Führer; allein die Lampe im Vorhofe brannte so düster, daß ich meine Neugierde nicht befriedigen konnte. Da der Schließer das Licht in der Hand hielt, fielen die Strahlen heller auf seine eigne Gestalt, die aber wenig Anziehendes hatte. Es war ein wilder Patron, dessen krauses, rotes Haar das Gesicht bedeckte und verfinsterte, das sich im übrigen einzig und allein durch die unbändige Freude auszeichnete, die er beim Anblick meines Führers empfand. Er fletschte die Zähne, zitterte und lachte, und war nahe am Weinen, wenn er nicht wirklich weinte. Die Freude schien seine Stimme zu ersticken, und er konnte sich nur durch: »O! o! – Ei! ei! – 's ist lange, seit ich Euch sah!« und andre, gleich kurze Ausrufungen in einer mir unbekannten Sprache ausdrücken. Mein Führer reichte dem Schließer gnädig die Hand und fragte freundlich: »Wie gehts Euch, Dougal?« »Ah! ah!« rief Dougal, die lauten Ausrufungen seines Staunens abschwächend und mit verstärkter Wachsamkeit umherblickend ... »Nein! Euch hier zu sehen! Euch hier! Was würde aus Euch werden, wenn die Gerichtsdiener Wind davon kriegten – die schmutzigen Halunken!« Mein Führer legte den Finger auf den Mund und sagte: »Fürchtet nichts, Dougal; Eure Hand soll mich nie einriegeln.« »Das soll sie nicht,« sprach Dougal; »sie sollte – sie würde – das heißt, sie möchte sich eher bis zum Ellbogen abhauen lassen. – Aber wann geht Ihr wieder hinunter? Und Ihr laßt michs doch wissen? Ich bin ja Euer armer Vetter, Gott weiß, nur im siebenten Grade.« »Ich wills Euch wissen lassen, Dougal, sobald meine Pläne in Richtigkeit sind.« »Und meiner Treu! Wenn Ihr's tut, und wenn's Sonnabend nacht wäre, schmeiß' ich dem Aufseher die Schlüssel an den Kopf oder brauche sie zu sonst was – und das, eh's Sabbath morgen wird – so wirds geschehen.« Der geheimnisvolle Fremde unterbrach die Ausrufe seines Bekannten von neuem und redete ihn in der Sprache an, die, wie ich nachher erfuhr, Gälisch oder Ersisch war, vermutlich, um ihm zu sagen, was er von ihm verlangte. »Von Herzen gern! Von ganzer Seele!« war die Antwort, womit der Schließer seine Bereitwilligkeit zu erkennen gab. Dann putzte er die Lampe, die dem Verlöschen nahe war, und gab mir ein Zeichen zu folgen. »Geht Ihr nicht mit?« fragte ich den Fremden. »Es ist unnötig,« erwiderte er; »meine Gesellschaft könnte Euch ungelegen sein, und besser ists, ich bleibe und decke den Rückzug.« »Ihr werdet mich doch nicht in Gefahr locken?« fragte ich. »In keine Gefahr, die ich nicht selber im doppelten Maße teilte,« antwortete der Fremde mit einem so zuversichtlichen Tone, daß kein Mißtrauen aufkommen konnte. Ich folgte dem Schließer. Er ließ die innere Pforte hinter sich offen, fühlte mich eine Wendeltreppe hinauf, dann durch einen schmalen Gang und trat, nachdem er eine Tür geöffnet hatte, in ein enges Gemach, setzte die Lampe auf den kleinen hölzernen Tisch, sah auf das Strohlager in einer Ecke und sagte dann mit leiser Stimme: »Sie schläft.« »Sie! – Wer? – Kann es Diana Bernon sein, in dieser Wohnung des Elends!« rief ich. Ich wendete meine Blicke auf das Lager, und mit einem Gefühle, worin getäuschte Erwartung sich seltsam mit Freude mischte, sah ich, daß ich mich in meiner ersten Vermutung geirrt hatte. Ich erblickte einen Kopf, der weder jung noch hübsch war, mit dichtem, grauen Barte, in einer roten Nachtmütze. Der Schlummernde erwachte aus einem tiefen Schlafe, gähnte und rieb sich die Augen, ... und ich erkannte keine andern Züge, als die meines Freundes Owen. Um ihm Zeit zur Erholung zu lassen, zog ich mich ein wenig zurück. Da fiel mir zum Glück ein, daß ich nur ein Fremder in diesem Aufenthalte des Herzeleids war, und daß jedes Geräusch üble Folgen haben könnte. Der unglückliche Formalist hatte sich indessen von dem Strohlager aufgerichtet, und sich auf die eine Hand stützend und mit der andern seine Nachtmütze rückend, sprach er mit einem Tone, worin so viel Unmut, als er empfinden konnte, mit Schläfrigkeit stritt: »Laßt Euch sagen, Herr Dugwell oder wie Ihr sonst heißen möget, die Totalsumme von der Sache ist, daß ich mich bei dem Lordmajor beklagen muß, wenn Ihr mich solchergestalt in meiner nächtlichen Ruhe stört.« »Ein Herr will mit Ihnen sprechen,« erwiderte Dougal in dem echten mürrischen Tone eines Schließers, der grell abstach von dem hellen Klange hochländischer Begrüßung, womit er meinen geheimnisvollen Führer empfangen hatte, und entfernte sich. Es verging einige Zeit, ehe ich den unglücklichen Schläfer so weit brachte, daß er wußte, wer da sei; aber der Schmerz des würdigen Mannes, der natürlicherweise voraussetzte, daß ich seine Gefangenschaft teilen sollte, war grenzenlos. »O, Herr Franz! Wohin habt Ihr Euch und unser Haus gebracht! An mich selber denk ich nicht, ich bin gleichsam nur eine Ziffer; aber Ihr wäret Eures Vaters Hauptsumme – Ihr hättet der erste Mann im ersten Hause der ersten Stadt sein können, und nun eingeschlossen in einen schmutzigen schottischen Kerker, wo man nicht einmal den Staub von den Kleidern bürsten kann – o! das ist fürchterlich!« Er rieb mit grämlicher Empfindlichkeit den braunen Rock, der ehedem nicht einen Fleck zeigte und jetzt allen Unrat des Fußbodens an sich hatte. »O, der Himmel sei uns gnädig!« fuhr er fort. »Was für eine Neuigkeit wird das sein auf der Börse! Dergleichen hat man nicht gehört seit der Schlacht von Almanza, wo das Ganze des britischen Verlustes auf 5000 Tote und Verwundete und eine unbestimmte Anzahl von Vermißten angegeben ward – aber was ist das gegen die Nachricht, daß Osbaldistone und Tresham aufgehört haben zu zahlen?« Ich unterbrach ihn, um ihm zu sagen, daß ich nicht Gefangener sei, obwohl ich kaum zu erklären vermochte, wie ich zu solcher Zeit an diesen Ort gekommen war. Ich konnte seine Fragen nur dadurch zum Schweigen bringen, daß ich ihn fortwährend über seine eigne Lage fragte, und er sagte mir alles, was er wußte. Unter den zwei Handelsfreunden meines Vaters in Glasgow, wo er wegen seines Verkehrs mit Schottland bedeutende Geschäfte machte, hatte sich das Haus Mac Vittie und Compagnie am gefälligsten und willfährigsten gezeigt und bei jeder Gelegenheit dem großen englischen Hause nachgegeben. Was mein Vater vorschrieb, war für Mac Vittie und Comp. Gesetz, und die Spitzfindigkeiten, deren sich Owen im Geschäftsverkehr befleißigte, waren ihnen kaum weniger heilig. Bei Owen galt dieser Ton tiefer Ehrerbietung für bare Münze, aber mein Vater, der das menschliche Herz genauer kannte, und entweder gegen solches Uebermaß von Unterwürfigkeit Argwohn faßte, oder als ein Freund der Kürze und Einfachheit im Geschäfte der weitschweifigen Beteuerungen dieser Herren müde war, hatte sich ihrem Verlangen, die einzigen Geschäftsträger im Hochlande zu werden, beständig widersetzt. Er ließ im Gegenteil vieles durch einen Handelsfreund von ganz entgegengesetzter Sinnesart besorgen, einen Mann, dessen gute Meinung von sich selber bis zum Dünkel stieg, den Engländern im allgemeinen ebenso abgeneigt, wie mein Vater den Schottländern, nur auf dem Fuße völliger Gleichheit verkehren wollend, überdies eifersüchtig, gelegentlich streitsüchtig war, und ebenso hartnäckig wie Owen an seinen Meinungen in bezug auf Form hing. Diese Eigenheiten der Gemütsart machten es schwierig, mit Nikolaus Jarvie zu verhandeln, und gaben gelegentlich Anlaß zu Differenzen zwischen ihm und dem englischen Handelshause, die nur deshalb nicht zum offnen Bruche führten, weil man auf beiden Seiten Vorteile für sich hatte. Ueberdies wurde Owens persönliche Eitelkeit bei den Erörterungen, die sie veranlaßten, zuweilen ein wenig gekränkt, und man kann sich daher nicht wundern, daß unser alter Freund immer seinen Einfluß zu gunsten der höflichen, bescheidenen, willfährigen Herren Mac Vittie und Mac Fin anwendete, und Jarvie als einen trotzigen, eingebildeten schottischen Krämer bezeichnete, mit dem sich kein Geschäft machen ließe. Unter diesen Umständen, die ich erst späterhin genauer erfuhr, konnte es nicht überraschen, daß Owen in der verdrießlichen Lage, in welche das Haus durch meines Vaters Abwesenheit und Rashleighs Verschwinden geraten war, bei seiner Ankunft in Schottland, wo er zwei Tage vor mir eintraf, sich an die Freundschaft jener Handelsherren wendete, die sich immer gefällig und dankbar gezeigt hatten und seinem Herrn von Herzen zugetan waren. Man empfing ihn im Kontor von Mac Vittie und Mac Fin beinahe wie einen Schutzheiligen. Aber die Saiten erklangen auf einmal ganz anders, als er den Handelsfreunden die Bedrängnisse des Hauses eröffnete und sie um Rat und Beistand bat. Mac Vittie wäre fast in die Erde gesunken, als er solche Kunde vernahm, auf die er ganz und gar nicht gerechnet hatte, und Mac Fin stellte sofort im Hauptbuche fest, auf welcher Seite zwischen den beiden Häusern der Vorteil sei. Leider neigte sich die Schale bedeutend gegen die englische Firma, und die Gesichter der Handelsfreunde, die bisher nur bleich und zweifelnd ausgesehen hatten, wurden nun unheilverkündend, mürrisch und finster. Sie beantworteten Owens Ansuchen um Beistand mit dem Gegenverlangen schnellster Sicherstellung wegen des drohenden Verlustes, und forderten endlich unverhohlen, daß zu diesem Zweck gewisse Zahlungsmittel, über die in andrer Weise verfügt werden sollte, in ihre Hände gegeben würden. Owen verweigerte diese Forderung mit großem Unwillen als entehrend für sein Handelshaus, ungerecht gegen die andern Gläubiger, und sehr undankbar von seiten derjenigen, welche sie stellten. Owen hatte, wie es wohl immer sein mag, einen kleinen Anteil an dem Geschäfte des Hauses, dessen erster Buchhalter er war, und mußte daher für die Verbindlichkeiten desselben persönlich haften. Die schottischen Handelsherren wußten dies, und um ihn ihre Macht fühlen zu lassen, oder vielmehr, um ihn dadurch zu den für sie vorteilhaften Maßregeln zu drängen, ließen sie ihn einstweilen verhaften, ein Vorgehen, zu welchem die Gesetze Schottlands, wie es den Anschein hat, den Gläubiger berechtigen, der beschwört, daß der Schuldner sich mit der Absicht der Landesflucht trage. Auf solche beschworne Aussage hin war der arme Owen einen Tag früher, als ich auf so wunderbare Weise in sein Gefängnis geführt wurde, in Verhaft genommen worden. Mir standen die Gefahren, von denen wir umringt waren, deutlich vor Augen, aber desto schwerer war, es, Hilfsmittel zu finden. Die Warnung, die ich bereits erhalten hatte, schien anzudeuten, daß meine persönliche Freiheit gefährdet werden könnte, wenn ich offen für Owen eintreten wollte. Owen hegte dieselbe Besorgnis und versicherte mir in übertriebner Angst, daß ein Schotte, ehe man ihn in Gefahr setzte, einen Pfennig durch einen Engländer zu verlieren, mit allen Vollmachten ausgestattet würde, dessen Weib, Kinder, Knechte, Mägde und Fremde von Haus und Hof weg zu verhaften. In Sorge, vielleicht selbst solchem Schicksal zu verfallen, richtete ich die Frage an Owen, ob er sich nicht auch an den andern Handelsfreund meines Vaters, Nikolaus Jarvie, gewandt habe? Er antwortete, daß er ihm heute morgen geschrieben habe; aber wenn das glattzüngige, höfliche Haus in Gallowgate ihn so behandelt habe, was ließe sich dann von dem mürrischen Grobian auf dem Salzmarkte erwarten? »Ihr könntet ebenso leicht,« sprach Owen, »von einem Mäkler verlangen, daß er seine Prozente aufgebe, als von ihm eine Gefälligkeit erwarten, ohne eine dagegen. Nicht einmal geantwortet hat er auf den Brief, der ihm doch auf dem Frühgange zur Kirche übergeben wurde.« – Hier warf sich der trostlose Mann auf das Strohlager und rief: »Mein armer, lieber Herr!« – »O, Franz, Franz! das kommt alles von Eurer Hartnäckigkeit! Gott verzeih mir, daß ich Euch das sage in Eurer Bedrängnis! Es ist Gottes Schickung, und der Mensch muß sich unterwerfen.« Meine Philosophie konnte nicht verhindern, daß ich den Kummer des armen Mannes teilte. In der Mitte unsers vereinten Kummers wurden wir plötzlich durch lautes Pochen am äußern Gefängnistore gestört. Ich lief hinaus an die Treppe, um zu lauschen, konnte aber nichts als die Stimme des Schließers vernehmen, der abwechselnd laute Töne zu jemand draußen, und leise mit dem Manne sprach, der mich hergeführt hatte. »Er kommt! er kommt!« sagte er laut; dann mit gedämpfter Stimme: »O, du meine Güte, was wollt Ihr nun machen? – Geht die Treppe hinauf und verbergt Euch hinter des Gefangenen Bett!« – laut: »Er kommt so schnell als möglich!« – leise: »Ach! es ist der Profos mit den Gerichtsdienern und der Wache – und der Aufseher kommt auch! die Treppe herab. – Gott steh Euch bei! geht hinauf, oder er sieht Euch!« – laut: »Er kommt! er kommt! – die Schlösser sind so verrostet!« Während Dougal unwillig und so langsam wie irgend möglich Schlösser und Riegel öffnete, da die draußen Stehenden sich nicht länger zurückhalten ließen, kam mein Führer die Wendeltreppe hinauf und sprang in Owens Gemach, wohin ich ihm folgte. Er blickte schnell umher, als ob er einen Ort suchte, wo er sich verbergen könnte, dann sprach er zu mir: »Leihet mir Eure Pistolen! – Doch es liegt nichts dran, ich kanns ohne sie vollbringen. Was Ihr auch sehen möget, bekümmert Euch nicht darum und mengt Euch nicht in andrer Leute Händel. Die Sache hier geht nur mich an, und ich muß fertig zu werden suchen, so gut es geht; ich bin schon oft ebenso arg in der Klemme gewesen, und wohl noch schlimmer als jetzt.« Bei diesen Worten warf der Fremde seinen Mantel ab, stellte sich der Tür gegenüber, auf die er einen scharfen, entschlossenen Blick warf, und zog sich ein wenig zurück, seine Kraft zu sammeln, einem guten Rosse gleich, das über eine Schranke setzen will. Ich zweifelte keinen Augenblick, daß er die Absicht habe, um sich aus seiner Verlegenheit zu ziehen, bei Oeffnung der Türe auf den Eintretenden loszuspringen und sich durch tollen Widerstand den Weg auf die Straße zu erzwingen. Nach einem Augenblick banger Erwartung öffnete sich die Tür, und es erschien – nicht eine Wache mit Bajonetten oder Wächter mit Keulen, Säbeln und Hellebarden – sondern ein freundliches Mädchen mit hochgeschürztem Kleide und einer Laterne in der Hand. Diesem Mädchen folgte ein starker, kleiner, ziemlich wohlbeleibter Mann, der Würde nach, wie sich bald zeigte, eine Magistratsperson mit Stutzperücke, lärmend und atemlos vor mürrischer Ungeduld. Mein Führer wich bei dem Eintritt desselben zurück, als ob er sich der Beobachtung hätte entziehen wollen; allein er konnte dem durchdringenden Blick nicht entgehen, womit dieser Beamte das Gemach übersah. »Eine schöne Sache, Stanchells,« sprach er zu dem Oberaufseher, der sich jetzt mit Ehrerbietung an der Tür zeigte, »mich eine halbe Stunde vor dem Tor stehen zu lassen. Was soll das heißen? – Fremde im Kerker nach der Schließzeit? Das soll untersucht werden, Stanchells, darauf verlaßt Euch. Haltet die Tür verschlossen, ich will mit diesen Herren ein Wörtchen reden. – Aber erst muß ich mit dem alten Bekannten hier schwatzen. – Herr Owen! Herr Owen! wie stehts mit Euch?« »Körperlich wohl, ich dank Euch, Herr Jarvie,« erwiderte langsam der arme Owen; »aber sehr bekümmert im Geiste.« »Ohne Zweifel, ohne Zweifel. – Ja, ja, eine böse Sache – obendrein für einen, der den Kopf so hoch trug! Herr Osbaldistone ist ja ein guter, ehrlicher Mann, aber ich habs immer gesagt, er gehört zu den Leuten, die Türen mit Hörnern einrennen, wie mein Vater, der ehrwürdige Vorsteher, zu sagen pflegte. Ich habs dem Herrn Osbaldistone auch gesagt, und er schien's nicht ganz so freundlich aufzunehmen, wie ich's meinte, aber es war gut gemeint, gut gemeint.« Diese Anrede, die mit wundersamer Geläufigkeit und sichtlicher Selbstgefälligkeit vorgetragen wurde, machte uns Hoffnung, von Jarvies Händen Beistand zu erhalten; aber es zeigte sich bald, daß wir uns geirrt haben sollten, denn als Owen sich etwas verletzt darüber äußerte, daß man ihn in seiner jetzigen Lage an solche Dinge erinnere, nahm ihn Jarvie bei der Hand und rief ihm zu: »Habt guten Mut! Meint Ihr, ich wäre um Mitternacht hergekommen und hätte fast den Sabbath verletzt, nur um einem gefallenen Manne von seinen Fehltritte zu erzählen? Nein, nein, das tut Niklas Jarvie nicht, und so machte es auch vor ihm sein würdiger Vater nicht, der Vorsteher. Hört, Mann! Es ist meine Regel, am Sabbath nie an weltliche Geschäfte zu denken, und ob ich mir gleich alle Mühe gab, mir Euren Brief, den ich heut morgen erhielt, aus dem Sinne zu schlagen, so hab ich doch den ganzen Tag mehr, daran gedacht als an die Predigt. – Und es ist meine Regel, mit dem Schlag zehn Uhr in mein Bett mit den gelben Vorhängen zu gehen, wenn ich nicht einen Kabeljau mit einem Nachbarn esse oder ein Nachbar mit mir. – Fragt nur das Mädchen hier, ob das nicht Grundregel in meinem Hause ist. Und heute hab ich gesessen und in guten Büchern gelesen und gegähnt, als ob ich die St. Enox-Kirche verschlingen wollte, bis es zwölf schlug. Da war's erlaubte Zeit, in mein Hauptbuch zu blicken und zu sehen, wie die Sachen zwischen uns stehen, und da Zeit und Flut auf niemand warten, mußte das Mädchen die Laterne anbrennen, und ich ging hierher, um zu überlegen, was in Eurer Sache getan werden kann. Stadtvogt Jarvie kann zu jeder Stunde ins Gefängnis kommen, bei Tag und bei Nacht, und so konnte es auch mein Vater, der Vorsteher, zu seiner Zeit – der redliche Mann; geehrt sei sein Andenken!« Obwohl der tiefe Seufzer, den Owen bei Erwähnung des Hauptbuchs ausstieß, die Befürchtung in mir weckte, daß auch hier die Rechnung nicht günstig für uns stehe, und obwohl in den Worten des würdigen Beamten viel Selbstgefälligkeit und Stolz auf sein überlegnes Urteil lagen, so ließ sich doch auch, eine gewisse offne und derbe Gutmütigkeit nicht darin verkennen, die mir wieder Hoffnung machte. Er bat um einige Papiere, nahm sie hastig aus Owens Hand, setzte sich auf das Strohlager, ließ sich von dem Mädchen leuchten, und überflog sie, während er bald über das schlechte Licht klagte, bald über den Inhalt der Papiere brummte oder schalt. Diesen Umstand schien mein Führer benutzen zu wollen, um sich davon zu machen. Er gab mir ein Zeichen, nichts zu sagen, und hob den Fuß, nach der Tür zu schleichen. Allein der wachsame Beamte, sehr verschieden von meinem alten Bekannten, Richter Inglewood, merkte alsbald den Braten und rief: »Aufpassen, Stanchells! – Verschließt die Tür und haltet Wache draußen!« Des Fremden Stirn verfinsterte sich, und er schien einen Augenblick darauf zu sinnen, gewaltsamerweise sich zu entfernen; doch ehe er entschieden hatte, war die Tür verschlossen und der schwere Riegel vorgeschoben. Er murmelte einige heftige Worte in seiner Landessprache, schritt durch das Gemach, und mit einer Miene mürrischer Entschlossenheit, als wenn er nun das Ende der Sache abwarten wolle, setzte er sich auf den eichenen Tisch und pfiff ein Liedchen. Jarvie, in Geschäftssachen offenbar höchst gewandt, wandte sich zu Owen: »Gut, Herr Owen, gut – Euer Haus ist an Mac Vittie und Comp. gewisse Summen schuldig. – Schämen sollten sich die Honigmäuler; sie haben das reichlich gewonnen bei dem Handel mit dem Eichenholz von Glen-Cailziechat, den sie mir aus den Zähnen rissen, zufolge Eurer freundlichen Fürsprache, wie ich wohl sagen darf, Herr Owen – aber das hat jetzt nichts zu sagen. Ihr seids nun einmal schuldig, und deshalb hat man Euch hinter Schloß und Riegel bringen lassen; Ihr mögt auch bei andern Leuten noch in der Kreide stehen – vielleicht bei mir auch.« »Ich kanns nicht in Abrede stellen, Herr Jarvie,« sprach Owen, »die Bilanz dürfte gegen uns sein; aber Ihr wollt bedenken –« »Ich habe jetzt keine Zeit zu bedenken. – So nahe am Sabbath, und außer dem warmen Bette zu solcher Nachtzeit, – da ist keine Zeit zu bedenken. Aber was ich sagen wollte, Ihr steht in meiner Schuld, das läßt sich nicht leugnen, und wie hoch, das wird sich zeigen. Aber dann seh' ich nicht ein, Herr Owen, wie Ihr, als Mann, der die Geschäfte versteht, die Sachen abmachen wollt, weshalb Ihr noch hier seid und wie Ihr uns alle befriedigen wollt, wie ich Euch zutraue, wenn Ihr hier im Gefängnis liegen müßt. Nun, Herr, wenn Ihr eine Bürgschaft findet könntet, daß Ihr nicht aus dem Lande gehen, sondern vor unsern Gerichten erscheinen und Euren Bürgen erledigen wollt, das ist judicio sisti, so könnt Ihr noch heut morgen in Freiheit gesetzt werden.« »Wenn ein Freund solche Sicherheit für mich leisten wollte, Herr Jarvie, so könnt' ich ohne Zweifel meine Freiheit nützlich für die Firma anwenden und für alle, die mit ihr in Verbindung stehen.« »Nun, Herr Owen,« entgegnete der Bürger von Glasgow, »ich habe kein Mißtrauen gegen Euch, und wills beweisen – wills beweisen. Ich bin ein bedächtiger Mann, das ist bekannt, und arbeitsam, wie die ganze Stadt bezeugen kann, und ich weiß mein Geld zu gewinnen und zu bewahren, und auch zu zählen, wie irgend jemand in Glasgow. Und ich bin ein verständiger Mann, wie mein Vater, der Vorsteher, es auch war; aber eh' ein wackrer, höflicher Mann, der das Geschäft versteht, und allen gerecht werden will, hier im Gefängnisse liegen soll, außer stände sich selbst oder sonst jemand zu helfen – Nein! Ich will selber Euer Bürge sein. – Aber merkts Euch, es ist Bürgschaft judicio sisti, wie unser Stadtschreiber sagt, nicht judicatum solvi, für Eure Schuld zu stehen, denn das ist ein großer Unterschied.« Owen versicherte, daß er unter den obwaltenden Umständen nicht erwarten könne, eine Bürgschaft für die wirkliche Zahlung zu finden, daß aber nicht im mindesten zu besorgen sei, er werde auf gehörige Ladung nicht erscheinen. Drittes Kapitel Der Beamte nahm seiner Dienstmagd die Leuchte ab, und begann seine Untersuchung, wie Diogenes in den Straßen von Athen, mit der Laterne in der Hand, und vermutlich mit ebenso wenig Erwartung, als der Cyniker, irgend einen besondern Schatz bei seiner Nachforschung zu finden. Der erste, dem er sich näherte, war mein geheimnisvoller Führer, der noch auf dem Tische saß, die Augen starr auf die Wand heftend, wobei er seinen Zügen den unbeugsamsten Ausdruck gab, mit einem Ansehen zwischen Sorglosigkeit und Trotz die Hände auf der Brust faltete und mit den Absätzen an das Tischbein schlug, um zu der Weise, die er noch immer pfiff, den Takt anzugeben. Er unterwarf sich Jarvies Untersuchung mit einer so entschiedenen Zuversicht und Kühnheit, daß des besorgten Forschers Gedächtnis und Scharfsinn auf einen Augenblick irre wurden. »Ah! – Ei! – O!« rief er, »wahrlich! 's ist unmöglich! – und doch – nein! – Wahrhaftig, es kann nicht sein! – Und doch – Ihr Räuber, Ihr eingefleischter Teufel, der Ihr seid, zu allen bösen Dingen geschickt und zu nichts gutem – seid Ihr's wirklich?« »Wie Ihr seht, Herr Jarvie,« war die trockne Antwort. »Wahrhaftig! wenn ich nicht ganz verdutzt bin. – Ihr Erzschelm! Ihr wagt Euch ins Gefängnis von Glasgow? Was meint Ihr wohl, daß Euer Kopf wert ist?« »Hm! Gut gewogen und nach holländischem Gewicht mag er wohl die Köpfe von vier Stadtvögten, einem Profos und Stadtschreiber und sechs Vorstehern aufwiegen.« – »O, Ihr Hauptschurke!« sprach Jarvie. »Aber beichtet Eure Sünden und bereitet Euch vor; denn wenn ich ein Wort sage –« »Das ist wahr,« sprach der andre und legte die Hände nachlässig auf den Rücken; »aber Ihr werdet dieses Wort nie sagen.« »Und warum sollt ich nicht?« rief Jarvie. »Warum sollt ich nicht? Antwortet mir – warum nicht?« »Aus drei hinreichenden Ursachen, Herr Jarvie. Erstlich wegen alter Geschichten, zweitens um des alten Weibes willen in Stuckavrallachan, durch das wir etwas verwandt sind, zu meiner Schande sei es gesagt – und letztens, Vogt, weil ich, wenn ich nur das geringste Zeichen sähe, daß Ihr mich verraten wolltet, diese Wand mit Eurem Hirn bedecken würde, eh' eine Menschenhand Euch retten könnte.« »Ihr seid ein kühner, verzweifelter Schurke!« erwiderte Jarvie unerschrocken, »und Ihr wißt, daß ich Euch als solchen kenne und nicht einen Augenblick auf meine eigene Gefahr so dastehen würde.« »Ich weiß wohl,« sprach der andre, »es fließt gutes Blut in Euren Adern, und es sollte mir leid tun, meinen eignen Vetter zu verletzen, aber ich will so frei von hier weggehen, als ich gekommen bin, oder die Mauern dieses Gefängnisses sollen zehn Jahre davon zu sagen wissen.« »Gut, gut,« sprach Jarvie; »Blut ist dicker als Wasser, und Freunde und Verwandte brauchen sich nicht den Staub im Auge zu sehen, wenn andrer Augen ihn nicht sehen. Es würde der alten Frau in Stuckavrallachan eine traurige Nachricht sein, wenn sie hörte, daß Ihr, Ihr hochländischer Bastard, mir das Gehirn ausgeschlagen hättet, oder daß ich Euch zu einem Strick verhalf. Aber Ihr müßt gestehen, daß, wenn Ihr nicht selbst wäret, Robin, ich keinen bessern Mann aus dem Hochlande hätte fangen können. Aber wo sind meine tausend Pfund Schottisch, die ich Euch geliehen habe – und wann werde ich sie wiedersehen?« »Wo die sind?« antwortete mein Führer, nachdem er sich gestellt hatte, als sinne er einen Augenblick nach, »das kann ich so genau nicht sagen; vermutlich, wo der letzte Schnee ist.« »Und der liegt auf dem Gipfel des Schehallion, Du Hund,« sprach Jarvie; »aber ich verlange Bezahlung auf der Stelle.« »Ei, ich trage weder Schnee noch Geld bei mir,« erwiderte der Hochländer. – »Und wann Ihrs wiedersehen wollt? – I nun, gerade wenn der König sein Eigentum wieder hat, wie's im alten Liede heißt.« »Das Schlimmste von allem, Robin,« entgegnete Jarvie; »ja, Ihr treuloser Verräter, das Schlimmste von allem! Wollt Ihr das Papsttum wiederbringen und die willkürliche Gewalt? Bleibt lieber bei Eurem alten Diebs- und Hehlerhandwerk – besser stehlen, als Völker zu grunde richten.« »Laßts gut sein mit Euren Whigs-Grundsätzen,« antwortete Robin. »Wir kennen uns ja schon lange. Ich werde Sorge tragen, daß Euer Kontor nicht ausgeleert wird, wenns einmal über das Ausräumen der andern Buden in Glasgow hergehen sollte. Und wenn's nicht gerade Eurer Pflicht ganz nahe liegt, so müßt Ihr mich nicht öfter sehen, Niklas, als ich gesehen sein will.« »Ihr seid ein verwegner Schelm, Rob,« antwortete Jarvie, »und Ihr werdet an den Galgen kommen, das wird man sehen und hören; aber ich will nicht der Unglücksvogel sein und mein Nest verunreinigen, außer im Fall der Not und beim Ruf der Pflicht, den niemand hören sollte, ohne zu gehorchen! – Und wer zum Henker ist dies?« fuhr er, sich zu mir wendend, fort. »Vermutlich einer, den Ihr angeworben habt? Er sieht aus, als wenn er einen kühnen Mut für die Landstraße und einen langen Hals für den Galgen hätte.« »Das guter Herr Jarvie,« sprach Owen, der, wie ich selbst, bei dieser seltsamen Unterhaltung der beiden seltsamen Vettern, die sich auf so seltsame Weise fanden, verstummt war, »das ist der junge Herr Franz Osbaldistone, das einzige Kind meines Prinzipals, der in unser Kontor kommen sollte, als sein Vetter Rashleigh Osbaldistone so glücklich war, darin aufgenommen zu werden« – Owen konnte hier einen Seufzer nicht unterdrücken – »aber dennoch –« »O, ich habe von dem Burschen gehört,« fiel der schottische Kaufmann ein. »Euer Prinzipal wollte durchaus einen Kaufmann aus ihm machen, und der Junge ward ein herumziehender Komödiant. Nun, Herr, was meint Ihr denn zu Eurem Handwerk? Wird Hamlet der Däne oder Hamlets Geist Bürgschaft für Herrn Owen leisten?« »Ich verdiene Euren Spott nicht,« gab ich zur Antwort, »aber ich achte Euren Beweggrund und bin zu dankbar für den Beistand, den Ihr Herrn Owen geleistet habt, als daß ich unwillig darüber sein sollte. Mein einziges Geschäft hier war, ihm in der Sorge für meines Vaters Angelegenheiten Beistand zu leisten, so wenig ich vielleicht auch vermag. Meine Abneigung gegen den Handelsstand aber ist ein Gefühl, worüber ich am besten und allein urteilen kann.« »Wahrhaftig,« sprach der Hochländer, »ich schätzte diesen jungen Mann, eh' ich wußte, was an ihm war; aber ich verehre ihn, weil er die Weber und Spinner und dergleichen Tun und Treiben verachtet.« »Ihr seid toll, Robin!« rief sein Vetter. »Und dieser junge Mann hier, den Ihr auf dem kürzesten Wege zum Galgen und zur Hölle führt, wird er sich mit seinen Theaterstücken und Versen eher befreien können, als mit Euren Flüchen und blanken Dolchen? Oder kann ihm Macbeth mit all seinen Mannen und Hexen und mit Euren Mannen dazu, Robin, die fünftausend Pfund verschaffen, um die Wechsel zu bezahlen, die in zehn Tagen verfallen sind?« »In zehn Tagen?« fragte ich und zog unwillkürlich Dianas Paket hervor. Die Zeit war verflossen, während der ich das Siegel heilig halten sollte, und ich erbrach es schnell. Ein versiegelter Brief fiel aus dem unbeschriebenen Umschlage, da ich ihn mit zitternder Hand öffnete. Ein Windzug, der durch ein zerbrochnes Fenster drang, wehte den Brief zu Jarvies Füßen, der ihn aufhob, mit rücksichtsloser Neugierde die Aufschrift las und ihn zu meinem Erstaunen seinem hochländischen Vetter übergab. »Der Wind hat hier einen Brief seinem rechten Eigentümer zugeweht,« sprach er, »obgleich zehntausend Zufälle dagegen waren, daß er in Eure Hände kam.« Der Hochländer las die Aufschrift und erbrach den Brief ohne alle Umstände. Ich suchte ihn abzuhalten. »Ihr müßt mich erst überzeugen, Herr,« sprach ich, »daß dieser Brief an Euch gerichtet ist, eh' ich's Euch gestatten kann, ihn zu lesen.« »Beruhigt Euch, Herr Osbaldistone,« erwiderte der Hochländer mit großer Fassung. »Denkt an den Richter Inglewood, an den Schreiber Jobson, an Morris – und vor allem an Euren gehorsamen Diener Robert Campbell, und an die schöne Diana Vernon. Erinnert Euch an dies alles, und zweifelt nicht länger, ob der Brief an mich sei.« Ich erstaunte über meine eigne Einfalt. Die Stimme, selbst die Züge dieses Mannes, so unvollkommen ich sie auch sah, hatten während der ganzen Nacht dunkle Erinnerungen in mir erregt, denen ich keine besondern örtlichen oder persönlichen Beziehungen geben konnte. Jetzt aber wards mir auf einmal klar – dieser Mann war Campbell selbst. Seine ganze Eigentümlichkeit stellte sich mir dar, die tiefe, starke Stimme, die unbeugsamen, strengen, obwohl gescheiten Züge, die schottische Aussprache mit ihren Mundarten und Bildern, die er zwar zuweilen verleugnen konnte, die aber in jedem Augenblicke heftiger Erregung zurückkehrte und seinem Spotte Kraft oder seinen Vorstellungen Lebhaftigkeit gab. Sein Wuchs war mehr unter als über Mittelgröße, und sein Gliederbau so kräftig, als es sein konnte, ohne der Behendigkeit Abbruch zu tun, die er, nach der besondern Leichtigkeit und Freiheit seiner Bewegungen zu urteilen, im hohen Grade besaß. Durch zweierlei ward das Ebenmaß seiner Gestalt gestört – seine Schultern waren, im Verhältnis zu seiner Größe, zu breit, und seine Arme, obwohl rund, nervig und stark, waren so lang, daß sie eher entstellten. Ohne diesen Mangel an Ebenmaß hätte er für einen sehr schönen Mann gelten können, aber er erhielt dadurch etwas Wildes, Unregelmäßiges und gleichsam Unirdisches und erinnerte mich unwillkürlich an die Märchen meiner Wärterin von den alten Pikten, welche in der Vorzeit Northumberland verwüsteten, ihren Sagen nach halb Poltergeist, halb menschliche Wesen waren und sich, wie dieser Hochländer, durch Mut, List, Wildheit, lange Arme und breite Schultern auszeichneten. »Eine schwierige Sache gibt sie mir auf,« sprach der Hochländer; »aber 's ist ein ehrlich Spiel, und ich wills für sie tun. Herr Osbaldistone, ich wohne nicht weit von hier, mein Vetter kann Euch den Weg zeigen. Herr Owen mag in Glasgow sein bestes tun. Ihr aber besucht mich in den Klüften, und ich kann wahrscheinlich Euch zu Gefallen sein und Eurem Vater helfen in seinen Nöten. Ich bin nur ein armer Mann, aber Geist ist besser als Gold – und, Vetter,« fuhr er, zu Jarvie gewendet, fort, »wenn Ihr soviel wagt, eine Schüssel schottische Fleischschnitten oder eine Wildbretkeule mit mir zu essen, so begleitet diesen jungen Herren bis Drymen oder Bucklivie oder am besten bis nach Aberfoil, da will ich jemand auf Euch warten lassen, der Euch den Weg zu dem Orte zeigen soll, wo ich dann sein werde. – Was meint Ihr? Hier ist meine Hand, ich werde Euch nie hintergehen.« »Nein, nein, Robin,« sprach der vorsichtige Bürger; »ich wage mich selten weit hinaus; es steht mir nicht frei, in Eure wilden Gebirge zu gehen, das verträgt sich mit meinem Amte nicht!« »Der Henker hol' Euer Amt und Euch!« entgegnete Campbell. »Der einzige, gute Blutstropfen, den Ihr im Leibe habt, ist von unserm Urgroßoheim, der zu Dumbarton hingerichtet ward, und Ihr könnt sagen, es entwürdige Euer Amt, mich zu besuchen? Hört, Vetter – ich will Euch Eure tausend Pfund Schottisch bezahlen bei Heller und Pfennig, wenn Ihr ein wackrer Mensch seid und diesen Herrn begleitet.« »Nichts mehr, Robin, nichts mehr! Wollen sehen, was sich tun läßt. Aber erwartet nicht, daß ich über die Grenze des Hochlandes gehe. Auf keinen Fall tu' ich das. Ihr müßt mich in Bucklivie oder im Wirtshause zu Aberfoil treffen, und dürft das nötige nicht vergessen.« »Sorgt nicht, sorgt nicht,« sprach Campbell. »Ich will so treu sein, wie die Stahlklinge, die nie ihrem Herrn versagte. – Aber ich muß fort, Vetter; denn die Kerkerluft von Glasgow ist nicht die heilsamste für einen Hochländer.« »Meiner Treu!« erwiderte der Kaufmann; »und wollt ich meine Schuldigkeit tun, so würdet Ihr keine andre Luft mehr atmen. O, daß ich einem helfen und beistehen muß, der Gerechtigkeit zu entrinnen! Es wird Schimpf und Schande sein für mich und die meinigen und meines Vaters Andenken auf immer.« »Still! still!« erwiderte sein Vetter; »laßt diese Fliege nur an der Wand sitzen; wenn der Schmutz trocken ist, läßt er sich abreiben. Euer Vater, wackrer Mann, konnte eines Freundes Fehler ebensowohl übersehen, als ein andrer.« »Ihr könnt recht haben, Robin,« antwortete Jarvie nach augenblicklichem Nachdenken. »Er war ein mächtiger Mann, der Vorsteher; er wußte, daß wir unsre Schwächen haben, und liebte seine Freunde. – Ihr habt ihn nicht vergessen. Robin?« »Ihn vergessen?« erwiderte sein Vetter, »Was könnte es mir helfen, ihn zu vergessen? Er war ein tüchtiger Weber und wirkte mir die ersten Strümpfe. Doch laßt uns gehen, Vetter, Kommt, füllt mir den Becher; kommt, füllt mir den Krug; Kommt, sattelt die Pferde und ruft meinen Zug; Kommt, öffnet die Tore und frei laßt mich fort, Darf länger nicht weilen im stattlichen Ort.« »Still, Herr,« sprach der Beamte gebieterisch. »Jubeln und Singen so nahe am Ende des Sabbaths? Das Haus könnte Euch noch in einem andern Tone singen hören. – I nun, wir haben ja wohl alle Fehltritte zu verantworten – Stanchells, macht die Tür auf!« Der Kerkermeister gehorchte, und wir gingen alle hinaus. Mit einiger Ueberraschung sah er auf die beiden Fremden, ohne Zweifel verwundert, wie sie ohne sein Vorwissen hierher gekommen waren. Aber Jarvie's: »Freunde von mir, Stanchells, Freunde von mir!« legte allen Nachfragen Schweigen auf. Wir stiegen nun in das Vorhaus hinab und riefen mehrmals Dougals Namen, worauf aber keine Antwort erfolgte, und Campbell bemerkte mit höhnischem Lächeln, wenn er Dougal recht kenne, so werde er schwerlich gewartet haben, den Dank für seinen Anteil an dem Werke dieser Nacht zu empfangen, sondern wahrscheinlich mit starkem Schritt der Grenze zueilen. »Und ließ uns, vor allem mich selbst, im Gefängnis eingeschlossen!« rief Jarvie zornig und bestürzt. »Schafft Hämmer, Brecheisen und Zangen! Schickt nach dem Schlosser und laßt ihn wissen, daß Stadtvogt Jarvie im Gefängnis eingeschlossen sei, von einem hochländischen Spitzbuben, den er hängen lassen will, so hoch als Haman –« »Wenn Ihr ihn fangt,« sprach Campbell ernst. »Aber wartet, die Tür ist gewiß nicht verschlossen.« In der Tat fanden wir bei der Untersuchung nicht allein die Tür offen, sondern auch, daß Dougal die Schlüssel mitgenommen hatte, damit ihm nicht sogleich jemand im Schließeramt folgen könne. »Er hat jetzt einen Schimmer von gesundem Menschenverstand, dieser Dougal,« sprach Campbell. »Er wußte, daß eine offne Tür mir in der Klemme nützlich werden konnte.« Wir waren indes auf der Straße. »Ich sag Euch, Robin,« sprach Jarvie, »wenn Ihr das Leben so fortführt, solltet Ihr, nach meinen Gedanken, in jedem Gefängnis in Schottland einen von Euren Anhängern als Türhüter haben für den schlimmsten Fall.« »Einer von meinen Verwandten als Stadtvogt in jedem Orte wird ebenso gut sein, Vetter Niklas. – Und damit gute Nacht oder guten Morgen! Und vergeßt nicht das Wirtshaus von Aberfoil.« Ohne die Antwort abzuwarten, sprang Campbell auf die andre Seite der Straße und verlor sich in der Dunkelheit. Gleich darauf hörten wir leise auf eine besondre Art pfeifen. »Da hört Ihr die holländischen Teufel,« sprach Jarvie. »Sie meinen, sie wären bereits am Fuße des Ben Lomond, wo sie singen und pfeifen können, ohne sich um den Sonntag oder Samstag zu bekümmern.« – Indem er dies sprach, fiel etwas mit großem Gerassel vor uns auf die Straße nieder. – »Gott steh uns bei! Was ist das? Mathilde, leuchte hierher. – Wahrhaftig! Wenns nicht die Schlüssel sind. Nun, das ist ebenso gut, sie kosten der Stadt Geld, und es würde einiges Gerede über ihren Verlust gewesen sein. – O, wenn mancher etwas von dem Streiche dieser Nacht erführe, so könnt ich mir wohl ein graues Haar darüber wachsen lassen!« Da wir nur wenige Schritte noch von dem Gefängnis entfernt waren, trugen wir die Schlüssel zurück und übergaben sie dem Oberaufseher, der im Vorhause Wache hielt, bis der Beistand ankam, den er verlangt hatte, um den entflohenen Dougal herbeizuschaffen. Nach Erledigung dieser Pflicht gegen die Stadt, und da ich in derselben Richtung mit dem ehrlichen Beamten zu gehen hatte, so benutzte ich seine Leuchte und er meinen Arm, um uns durch die Straßen zu finden, die, wenigstens damals, dunkel, uneben und schlecht gepflastert waren. Das Alter ist leicht durch die Aufmerksamkeit der Jugend versöhnt. Jarvie äußerte Teilnahme an mir und setzte hinzu: da ich nicht zu dem Schauspielervolk gehöre, das seine Seele hasse, werde es ihn freuen, wenn ich gerösteten Kabeljau oder frischen Hering mit ihm zum Frühstück essen wollte; in Gesellschaft meines Freundes Owen, den er um jene Zeit in Freiheit setzen werde. Mittlerweile waren wir vor seiner Tür angekommen. Er blieb indes auf der Schwelle stehen und fuhr im feierlichen Tone tiefer Zerknirschung fort: »Erstlich hab ich am Sabbath meinen eignen Gedanken nachgehangen, zweitens hab ich mich für einen Engländer verbürgt, und drittens und letztens hab ich, leider! einen Uebeltäter aus dem Gefängnis entkommen lassen. – Allein es gibt noch Balsam, Herr Osbaldistone! – Mathilde, ich finde den Weg, leuchte dem Herrn zum Wirtshaus an der Ecke. – Herr Osbaldistone,« flüsterte er mir zu, »seid nicht ungebührlich gegen die Mathilde, sie ist ehrbarer Leute Kind und eine nahe Verwandte des Lords von Limmerfields.« Viertes Kapitel Ich gedachte der Mahnung, die mir der ehrliche Beamte beim Auseinandergehen gegeben hatte, erachtete es indessen nicht für ungebührlich, der halben Krone, womit ich Mathildens Begleitung belohnte, einen Kuß beizufügen, zumal ihr: »Pfui schämt Euch, Herr!« keinen sonderlich heftigen Verdruß über die Beleidigung ausdrückte. Ich pochte wiederholt an der Tür. Ein paar Hunde, die sich verlaufen hatten, bellten, was die Lungen herhielten; ein paar Nachtmützen fuhren aus den benachbarten Fenstern und schimpften und wetterten über solche Störung der nächtlichen Ruhe. Darüber wachte auch die Wirtin auf und fing auf der Stelle an, verschiedenen Leuten in der Küche die Leviten zu lesen darüber, daß sie noch nicht an der Tür waren, mich an weiterem Skandalieren zu verhindern. Diese Helden waren keine anderen, als der getreue Andreas, sein Freund der Vorsänger, und ein dritter, wie ich nachher erfuhr, der öffentliche Ausrufer. Sie saßen bei einem Kruge Doppelbier, auf meine Kosten, wie die Rechnung auswies, um die Art und Weise der Bekanntmachung zu überlegen, die am nächsten Tage in den Straßen erfolgen sollte, damit der unglückliche junge Mann, wie sie mich nannten, seinen Freunden ohne fernern Aufschub wieder zugeführt werde. Daß ich mein Mißvergnügen über diese unbescheidene Einmischung in meine Angelegenheiten nicht unterdrückte, wird sich jeder vernünftige Mensch allein sagen; Andreas überließ sich aber bei meiner Ankunft einem solchen Ausbruch der Freude, daß ich meinem Aerger tatsächlich gar nicht Luft machen konnte. Ich begnügte mich, ihm die Tür meines Schlafzimmers vor der Nase zuzuschlagen, als er hinter mir herlief, dem Himmel für meine Rückkehr dankend, und mir dringlich ans Herz legend, künftighin vorsichtiger zu sein, wenn ich allein ausginge, mit dem Vorsatz, mich dieses lästigen, pedantischen und eingebildeten Toren, der sich mehr als Aufseher, statt Diener betätigen zu wollen schien, am andern Morgen, bevor ich anderes vornähme, zu verabschieden. Mit diesem Entschlusse rief ich ihn am Morgen auf mein Zimmer und fragte, was ich ihm für seine Begleitung bis Glasgow schuldig sei. Bei dieser Frage, die er mit Grund für die Einleitung zur Entlassung hielt, wurde er weiß wie Kalk an der Wand. »Euer Gnaden werden doch nicht –« hub er zögernd an. »Sprich, Schurke! oder ich geb Dir eins auf den Schädel!« rief ich, während Andreas, zwischen der doppelten Gefahr, alles zu verlieren, wenn er zuviel verlangte, oder einen Teil einzubüßen, wenn er weniger begehrte, als ich wahrscheinlich zu bewilligen Lust hatte, unschlüssig dastand. Bei meinen Drohungen platzte er jedoch heraus, wie zuweilen ein gutgemeinter Schlag auf den Rücken die Luftröhre von einem eingedrungenen Brocken befreit: »Achtzehn Stüber für den Tag, werdet Ihr wohl nicht als unbillig finden.« »Es ist zweimal so viel als gewöhnlich, und dreimal mehr, als Ihr verdient, Andreas; doch hier ist eine Guinee, und nun geht Eurer Wege.« »Gott verzeih mir! Seid Ihr von Sinnen, Herr?« rief Andreas. »Nein; aber ich glaube, Ihr wollt mich von Sinnen bringen. Ich geb Euch ein Drittel mehr, als Ihr fordert, und Ihr steht und gafft mich an und beschwert Euch, als ob ich Euch zu wenig gegeben hatte. Nehmt Euer Geld und geht Eurer Wege.« »Herr, behüt uns!« fuhr Andreas fort. »Womit hab ich Euer Gnaden beleidigt? Gewiß, alles Fleisch ist gleich den Blumen auf dem Felde; aber wenn ein Kamillenbeet Wert hat für den Arzt, so kann Euch Andreas Gutdienst nicht weniger nützlich sein – die Trennung von mir ist so viel wert wie Euer Leben.« »Auf Ehre,« erwiderte ich; »es ist schwer zu sagen, ob Ihr mehr ein Schelm seid oder ein Narr. – So wollt Ihr also durchaus bei mir bleiben?« »Mein' Treu', das eben war mein Gedanke,« entgegnete er entschieden. »Wenn Ihr nicht wißt, daß Ihr einen guten Diener habt, so weiß ich, daß ich einen guten Herrn habe. Der Teufel müßte in mir stecken, wenn ich von Euch ginge – zudem hab ich ja gar keine gehörige Aufkündigung meines Dienstes erhalten.« »Eures Dienstes!« sprach ich. »Ich hab Euch nicht als Diener gemietet, sondern nur als Führer oder Wegweiser, dessen Landeskenntnis ich auf der Reise benutzt habe.« »Freilich bin ich kein gewöhnlicher Diener, das geb ich zu, Herr,« bemerkte der Gärtner; »aber Ihr wißt, ich hab eine gute Stelle aufgegeben, was ich nur eine Stunde vorher wußte, um Euer Gnaden Verlangen zu erfüllen. Ehrlich und mit gutem Gewissen kann man es als Gärtner in Schloß Osbaldistone jährlich auf richtige zwanzig Pfund bringen, und die bin ich nicht willens, für eine Guinee aufzugeben. Ich habe wenigstens gerechnet, bis zur Mietzeit bei Euch zu bleiben, und auch so lange Lohn, Kostgeld und Trinkgeld erwartet.« »Diese unverschämten Forderungen sollen Euch nichts helfen, « erwiderte ich, »und wenn ich noch etwas davon höre, so will ich Euch zeigen, daß Junker Thorncliff nicht der einzige seines Namens ist, der seine Hände zu brauchen weiß.« Die ganze Sache kam mir bei diesen Worten so lächerlich vor, daß ich, so ungehalten ich wirklich war, kaum mich zusammennehmen konnte, um über die Ernsthaftigkeit, womit Andreas die übertriebene Forderung behauptete, nicht in Lachen auszubrechen. Der Schelm merkte den Eindruck, den er auf meine Lachmuskeln gemacht hatte, und war um so beharrlicher. Er hielt es indes für ratsamer, seine Ansprüche etwas herabzustimmen, um nicht meine Geduld und seine Sache zugleich zu erschöpfen. Wenn es auch in meiner Gewalt stehe, äußerte er, mich von einem treuen Diener, der mir und den meinigen zwanzig Jahre lang bei Tag und Nacht gedient habe, plötzlich und an einem fremden Orte zu trennen, so sei er doch versichert, daß es mir so wenig als irgend einem wackern Manne in den Sinn komme, einen armen Burschen, wie ihn, der vierzig, fünfzig, sogar hundert Meilen, aus seinem Wege gegangen sei, bloß um mir Gesellschaft zu leisten, und der nichts habe, als seinen Lohn, auf diese Art in Not zu versetzen. Noch unschlüssig, fragte ich ihn, ob er die Wege und Städte im nördlichen Schottland kenne, da meines Vaters Verkehr mit den hochländischen Waldbewohnern mich wahrscheinlich dahin führen würde. Ich glaube, wenn ich ihn nach dem Wege zum Paradies gefragt hätte, so hätte er es in diesem Augenblick auf sich genommen, mich hinzuführen, und ich konnte mich nachher glücklich schätzen, als ich fand, daß seine wirkliche Kenntnis der Gegend nicht gar weit unter dem war, dessen er sich rühmte. Ich bestimmte ihm seinen Lohn und behielt mir das Recht vor, ihn nach Belieben zu verabschieden. Zuletzt gab ich ihm einen strengen Verweis über sein Betragen am vorigen Tage, und er entfernte sich mit frohem Herzen, obwohl etwas kleinlaut, um seinem Freunde, dem Vorsänger, zu erzählen, wie er den jungen englischen Junker zurechtgewiesen habe. Der Uebereinkunft gemäß begab ich mich darauf zu dem Herrn Niklas Jarvie, wo ein behagliches Frühstück im Sprechzimmer, das der wackre Mann so ziemlich auf allerhand Weise benutzte, bereitet war. Der geschäftige, wohlwollende Beamte hatte redlich Wort gehalten. Ich fand meinen Freund Owen in Freiheit, und daß er sich jetzt wieder als ein andrer Mann zeigte, wie im Gefängnis, versteht sich wohl von selbst. Dennoch hatte das Bewußtsein, der drückenden Geldverlegenheiten nicht Herr werden zu können, seinen Mut niedergebeugt. Nachdem wir uns jetzt gesetzt hatten, verriet die Schwermut in seinem Blick und Benehmen, so verschieden von seiner gewöhnlichen ruhigen und gelassenen Zufriedenheit, daß er in Gedanken die Tage, Stunden und Minuten berechnete, nach deren Verlauf, wenn er die notwendigen Summen nicht auftrieb, das große Haus Osbaldistone und Tresham fallen mußte. Es blieb daher mir überlassen, unsers Wirtes gastfreundlichem Mahle, seinem Tee, der gerade aus China kam, seinem Kaffee, der auf seiner eignen kleinen Pflanzung in Jamaika gewachsen war, seinem englischen Röstbrot und Doppelbier, seinem getrockneten Lachs, seinen Heringen, und selbst seinem doppelt damastnen Tischtuch, das niemand anders, als sein Vater, der würdige Vorsteher, gewebt hatte, das gebührende Lob zu zollen. »Aber sagt mir, Herr Jarvie,« fragte ich, als wir bei Tisch saßen, »wer mag dieser Robert Campbell sein, den wir in letzter Nacht trafen?« Die Frage schien den wackern Mann in Verlegenheit zu setzen, und statt zu antworten, wiederholte er: »Was? wer Robert Campbell ist?« »Ja,« sprach ich; »ich meine, wer und was er ist?« »Ei, hm! – er ist – na, er ist – Aber wo traft Ihr ihn denn, den Robert Campbell, wie Ihr ihn nennt?« »Zufällig vor einigen Monaten in Nord-England,« erwiderte ich. »Nun, Herr Osbaldistone,« sprach Jarvie mürrisch, »dann wißt Ihr so viel von ihm als ich.« »Das sollt ich nicht meinen, Herr Jarvie,« erwiderte ich. »Ihr seid ja, wie es scheint, sein Freund und Verwandter.« »Es ist allerdings etwas Vetterschaft zwischen uns,« sprach Jarvie zögernd, »aber wir haben uns wenig gesehen, seit Robin den Viehhandel aufgab. Der arme Mensch! Man hat ihn hart behandelt, wo er's besser verdient hätte. – Es ist mancher, der ihn lieber wieder hinter dreihundert Ochsen sehen möchte, als an der Spitze von dreißig schlimmem Bestien.« »Alles dies, Herr Jarvie, sagt mir nichts von seinem Stande, von seiner Art, sich durchs Leben zu schlagen, von seinem Einkommen,« erwiderte ich. »Stand?« sprach Jarvie. »Er ist ein hochländischer Herr – einen bessern Stand brauchts nicht. Wie er sich durchs Leben schlägt? na, im Gebirge als Hochländer, im Unterland als Unterländer – und sein Einkommen? –hm, was brauchen wir uns darum zu bekümmern, so lang er uns nicht in Anspruch nimmt? Aber ich habe keine Zeit, jetzt von ihm zu schwatzen, da wir uns schleunigst mit Eures Vaters Angelegenheiten beschäftigen müssen.« Mit diesen Worten setzte er seine Brille auf und nahm Platz, um die Angaben zu untersuchen, die Owen ihm, wie er es fürs klügste hielt, ohne allen Rückhalt bekannt gab. Ich war mit Geschäftssachen vertraut genug, um wahrnehmen zu können, wie genau und scharfsinnig Jarvie die Gegenstände beurteilte, die seiner Prüfung unterworfen wurden, und, um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, wieviel Ehrlichkeit und sogar Edelmut er dabei zeigte. Er kratzte freilich mehrmals sich hinter den Ohren, als er bemerkte, wie das Soll von Osbaldistone und Tresham in seiner eignen Rechnung stand. »Es kann ein verlorner Posten sein,« bemerkte er; »und, auf Gewissen! was Eure Geldleute in London auch davon sagen mögen, bei uns in Glasgow ists keine Kleinigkeit. Es wird eine große Lücke reißen. Aber was ists denn? Ich hoffe, Euer Haus wird darum nicht fallen, was auch gekommen und gegangen sein mag, und wenns auch geschieht, so will ich nie so schlimm sein, wie die Raben hier in Gallowgate. Soll ich durch Euch verlieren, so werd ich doch nie leugnen, daß ich manches schöne Pfund Sterling durch Euch gewonnen habe.« Er zeigte sichtlich freundschaftliche Teilnahme an den Angelegenheiten meines Vaters, schlug mehrere Hilfsmittel vor, billigte verschiedne Einrichtungen, die Owen angab, und zerstreute durch seinen Rat und Beistand nicht wenig den Trübsinn, der auf der Stirn dieses bekümmerten Mannes ruhte. Da ich ein müßiger Zuschauer bei dieser Gelegenheit war, und vielleicht auch mehr als einmal einige Neigung verriet, die Unterhaltung wieder auf Cambell zu lenken, entließ mich Jarvie ohne viele Umstände mit dem Rate, ins Kollegium zu gehen, wo ich ein paar Personen finden würde, die Griechisch und Latein sprächen, wenigstens Geld genug dafür erhielten, es zu tun, und wo ich etwas von Body's Übersetzung der heiligen Schrift lesen könne, – bessere Poesie als irgend eine, wie er wenigstens von Leuten gehört habe, die dergleichen Dinge verstehen oder verstehen sollten. Er versüßte jedoch diese Abschiedspille durch eine Einladung, mittags bei ihm zu essen, aber pünktlich um ein Uhr, seiner wie auch schon seines Vaters Tischzeit, zu kommen. Fünftes Kapitel Ich begab mich, wie der würdige Beamte mir empfohlen hatte, nach dem Schulgebäude, um über mein künftiges Verhalten nachzudenken. Ich wanderte von einem Viereck der altmodischen Gebäude zum andern und dann in den Kollegiengarten, wo ich, angezogen durch Einsamkeit des Ortes, und über die Seltsamkeit des Schicksals sinnend, mehrmals auf- und abging. Den Umständen gemäß, die mein erstes Zusammentreffen mit Campbell begleitet hatten, konnte ich nicht zweifeln, daß dieser Mensch sich mit irgend einem kühnen Unternehmen befaßte. Der Widerwille Jarvies, von ihm und seinen Verhältnissen, sowie von den Vorfällen der verwichnen Nacht zu sprechen, konnte meinen Argwohn nur verstärken. Dennoch hatte sich Diana Vernon, wie es schien, unbedenklich an ihn in bezug auf mich gewendet, und das Betragen des Stadtbeamten selbst gegen ihn zeigte eine seltsame Mischung von Güte und sogar Hochachtung mit Bedauern und Tadel. Es mußte etwas Ungewöhnliches in Campbells Lage und Denkungsart sein, und was mir noch seltsamer vorkam, sein Schicksal schien Einfluß auf das meinige üben zu sollen. Ich nahm mir vor, bei der ersten schicklichen Gelegenheit zu versuchen, ob sich von Jarvie Genaues über den geheimnisvollen Mann erforschen ließe; denn mir mußte daran liegen, festzustellen, ob ich, ohne Nachteil für meinen Ruf, fernere Gemeinschaft mit ihm unterhalten dürfe. Damit beschäftigt, sah ich plötzlich meine Aufmerksamkeit auf drei Männer gelenkt, die am obern Ende des Ganges, wo ich schlenderte, in ernstlichem Gespräch begriffen zu sein schienen. Eine innere Stimme sagte mir, daß der mittlere jener drei Männer Rashleigh Osbaldistone war. Ihn anzureden war meine erste Regung; die zweite war, ihn zu beobachten, bis er allein sein würde, oder wenigstens seine Begleiter erst ins Auge zu fassen, ehe ich ihn selbst zur Rede stellte. Sie waren noch immer so weit entfernt, und so in ihr Gespräch vertieft, daß ich Zeit hatte, unbemerkt hinter eine Hecke zu treten. Es war zu jener Zeit unter muntern Jünglingen Sitte, auf ihren Morgenspaziergängen einen Scharlachmantel überzuwerfen, den Stutzer zuweilen so trugen, daß er einen Teil des Gesichts verhüllte. Was tat jetzt ich und konnte nun, von der Hecke beschirmt, an meinem Vater vorübergehen, unbemerkt von ihm und den andern. Ich erschrak nicht wenig, in Rashleighs Begleitern denselben Morris, der mich angeklagt hatte, und den Kaufmann Mac Vittie zu erkennen, dessen trotziges, strenges Ansehen am vorigen Tage mir so abstoßend gewesen war. Ein Zusammentreffen schlimmerer Vorbedeutung hätte sich Wohl schwerlich für meine und meines Vaters Angelegenheiten denken lassen. Als die drei Männer ein paar Schritte vorüber waren, kehrte ich um und folgte ihnen unbemerkt nach. Am Ende des Ganges trennten sie sich; Morris und Mac Vittie verließen den Garten, und Rashleigh kam allein den Gang zurück. Ich war entschlossen, ihm entgegen zu treten und Ersatz für die Kränkungen zu fordern, die er meinem Vater zugefügt hatte, wenngleich ich noch nicht wußte, auf welche Weise sich Ersatz schaffen ließe. Ich meinte jedoch, dies dem Zufall überlassen zu sollen, und trat, den Mantel zurückschlagend, durch eine Oeffnung der niedrigen Hecke Rashleigh entgegen. Rashleigh war nicht der Mann, sich überraschen oder aus der Fassung bringen zu lassen. Als er jedoch mich so nahe vor sich sah, und wohl auch auf meinem Gesicht den Ausdruck des Unwillens las, der in meiner Brust glühte, war er sichtlich bestürzt. »Gut, daß ich Euch treffe, Herr,« hub ich an; »ich wollte eben zu dem Zweck, Euch aufzusuchen, eine lange, unsichre Reise antreten.« »Ihr kennt also den, den Ihr sucht, wenig,« erwiderte Rashleigh mit seiner unerschütterlichen Fassung. »Meinen Freunden wird es leicht, mich zu finden, leichter noch meinen Feinden. Euer Betragen nötigt mich zu der Frage, unter welche Klasse ich Franz Osbaldistone zu setzen habe.« »Unter Eure Feinde,« antwortete ich, »unter Eure Todfeinde, wenn Ihr nicht sogleich gerecht werdet gegen Euren Wohltäter, meinen Vater, und Rechenschaft gebt von seinem Eigentum.« »Und wem, Herr Osbaldistone, bin ich als Mitglied von Eures Vaters Handelshause über mein Verhalten in Dingen, die in jeder Hinsicht zu meinen eignen geworden sind, Rechenschaft abzulegen, gezwungen? Gewiß, nicht einem jungen Menschen, der so feinen, Geschmack an Literatur besitzt, daß solche Erörterungen ihm widrig und unverständlich sein würden!« »Euer Spott, Herr ist keine Verantwortung; ich will nicht von Euch gehen, als bis ich volle Auskunft über den Betrug habe, auf den Ihr sinnt. – Ihr sollt mit mir vor Gericht.« »Meinetwegen,« sprach Rashleigh und machte einige Schritte, als ob er mich begleiten wollte; dann blieb er stehen und fuhr fort: »Wäre ich geneigt, Eurem Ansinnen zu folgen, so würdet Ihr bald merken, wer von uns beiden am meisten Ursache hat, einen Richter zu scheuen. Aber ich hege keinen Wunsch, Euer Schicksal zu beschleunigen. Geht, junger Mann! Amüsiert Euch in Eurer Phantasiewelt und überlaßt die praktischen Geschäfte des Lebens denen, die sie zu führen wissen und führen können.« Seine Absicht war, wie ich vermutete, mich zu reizen, und es gelang ihm. »Herr Osbaldistone,« sprach ich, »dieser Ton, so frech er bei aller Ruhe ist, soll Euch nichts helfen. Ihr solltet erwägen, daß der Name, den wir beide führen, nie einen Schimpf gelitten hat und in meiner Person keinem Schimpfe ausgesetzt sein darf.« »Ihr erinnert mich,« sprach Rashleigh mit einem seiner finstersten Blicke, »daß dieser Name in mir entehrt worden ist! – Ihr erinnert mich auch, durch wen! Glaubt Ihr, ich hätte den Abend im Schlosse vergessen, wo Ihr wohlfeil und ungestraft den Eisenfresser auf meine Kosten spieltet? Für diesen Schimpf, der nur durch Blut abgewaschen werden kann, – wie auch dafür, daß Ihr mir zu verschiedenen Zeiten in den Weg getreten seid, und immer zu meinem Nachteil – dafür, daß Ihr mit törichter Hartnäckigkeit Entwürfe zu durchkreuzen sucht, deren Wichtigkeit Ihr weder kennt, noch fähig zu würdigen seid – für alles dies seid Ihr mir Rechenschaft von langer Hand schuldig, für die früh ein Tag der Rechnung kommen soll.« »Er komme, wann er wolle,« erwiderte ich, »und wird mich willig und bereit finden. Indessen scheint Ihr den schwersten Punkt vergessen zu haben – daß ich das Vergnügen hatte, dem Verstände und den tugendhaften Gefühlen des Fräuleins Vernon jenen Beistand zu leisten, der es ihr ermöglichte, sich aus Euren schändlichen Netzen zu befreien.« Seine dunklen Augen schienen Flammen zu sprühen bei diesem scharfen Wort, aber seine Stimme behielt denselben ruhigen Ton, mit dem er bisher die Unterhaltung geführt hatte. »Ich hatte andre Absichten mit Euch, junger Mann,« war seine Antwort, »die weniger gefährlich für Euch waren und sich für meinen jetzigen Stand und meine frühere Erziehung besser geschickt hätten. Allein ich sehe, es verlangt Euch nach der persönlichen Züchtigung, die Eure knabenhafte Unverschämtheit in so hohem Maße verdient. Folgt mir an einen entlegenen Ort, wo wir nicht so leicht gestört werden können.« Ich folgte ihm, aber mit wachsamem Auge, denn ich traute ihm das Aergste zu, auf einem offnen Platz mit geschornen Hecken und Bildsäulen; und es war zu meinem Glücke, daß ich auf meiner Hut war, denn Rashleighs Degen war gezogen und bedrohte meine Brust, ehe ich meinen Mantel abgeworfen hatte, so daß ich mein Leben nur dadurch rettete, daß ich mehrere Schritte zurücksprang. Er hatte einige Vorteile durch die Verschiedenheit unsrer Waffen, denn sein Degen war länger und dreieckig, während der meinige eine flache, zweischneidige Klinge hatte, und sich kaum so gut wie der seinige regieren ließ. Im übrigen waren wir ziemlich gleich; aber seine offenbar boshafte Absicht machte ihn keinen Augenblick unvorsichtig, und er erschöpfte alle List und alle Künste der Verteidigung, während er zu gleicher Zeit auf den ärgsten Ausgang unsers Kampfes bedacht war. Auf meiner Seite war der Kampf anfangs mit Mäßigkeit geführt worden, und während eines Ganges von ein paar Minuten fand ich Zeit zu der Erwägung, daß Rashleigh meines Vaters Neffe und der Sohn eines Oheims war, der mir allerdings in seiner Art, Freundschaft erwiesen hatte, und daß sein Tod von meiner Hand großes Leidwesen in der Familie verursachen müßte. Ich hatte mir deshalb vorgenommen, ihn zu entwaffnen, und hatte gemeint, daß mir das bei meiner vermeintlichen Ueberlegenheit nicht schwer fallen könnte. Ich sah aber bald, daß ich meinen Mann gefunden hatte, und einige Stöße, die ich erhielt, nötigten mich zu besserer Vorsicht. Nach und nach wurde ich, durch die Feindseligkeit, mit der mir Rashleigh nach dem Leben trachtete, erbittert und erwiderte die Stöße ebenso ergrimmt, wie er sie führte, und so schien sich annehmen zu lassen, daß der Kampf einen traurigen Ausgang haben werde, es hätte wenig gefehlt, auf meine Kosten; denn mein Fuß glitt aus, und ich konnte mich nicht schnell genug erheben, um den Gegenstoß abzuwenden. Rashleigh stieß so heftig zu, daß sein Degen mir durch die Rippen fuhr, bis der Griff meine Brust traf, so daß ich großen Schmerz empfand, und auf einen Augenblick hielt ich mich für tödlich verwundet. Begierig, mich zu rächen, rang ich mit meinem Gegner, faßte mit der linken Hand den Griff seines Degens und nahm den meinigen kürzer, um ihn zu durchbohren. Da wurde unser Kampf auf Tod und Leben durch einen Mann unterbrochen, der sich gewaltsam zwischen uns warf und uns voneinander riß. Dann rief er mit lauter, gebieterischer Stimme: »Wie! die Söhne derjenigen, die an einer Brust gesogen haben, wollen ihr Blut vergießen, als obs fremdes wäre? – Bei der Hand meines Vaters, den ersten, der noch einen Streich tut, spalt ich bis auf die Brust!« Verblüfft blickte ich empor. Der Sprecher war kein anderer, als Campbell. Er hielt in der Hand ein breites, gezognes Schwert, das er über seinem Haupte schwang, wie um seiner Vermittelung, den schärfsten Nachdruck zu geben; Rashleigh und ich starrten beide den Mann schweigend an, der uns abwechselnd zu ermahnen fortfuhr: »Meint Ihr, Herr Franz, daß Ihr Enres Vaters Kredit wieder herstellen könnt, wenn Ihr Euren Verwandten erstecht oder Euch von ihm erstechen laßt? Oder denkt Ihr, Herr Rashleigh, daß die Menschen ihr Leben und Vermögen jemand anvertrauen wollen, der im Augenblick, wo es ein großes politisches Interesse gilt, wie ein Trunkenbold herumrennt und Händel sucht? Nun, seht mich nicht so grimmig an; wenn Ihr zornig seid, so wißt Ihr, an wen Ihr Euch zu wenden habt.« »Meine gegenwärtige Lage macht Euch so vermessen,« erwiderte Rashleigh, »sonst würdet Ihrs schwerlich gewagt haben. Euch einzumischen, wo meine Ehre im Spiel ist.« »Ei, sehe doch einer! Vermessen? Und warum? Ihr mögt reicher sein als ich, Herr Osbaldistone, und gelehrter, was ich gar nicht bestreiten will; aber ich meine, Ihr seid weder stattlicher, noch von besserm Stande als ich, und wenn ich höre, daß Ihr so gut seid wie ich, wird es eine Neuigkeit für mich sein. Von wagen sprecht Ihr? Na wäre viel zu wagen! – Ich habe wohl mehr als Ihr beide zusammen, mich in manchem heißen Kampfe herumgeschlagen und nicht viel an mein Morgenwerk gedacht, wenn's vorbei war.« Rashleigh hatte unterdessen seine Fassung wieder erlangt. »Mein Vetter,« sagte er, »wird zugeben, daß er mich zu diesem Kampfe gezwungen hat. Ich habe ihn nicht gesucht, und es ist mir sehr lieb, daß wir gestört wurden, ehe ich seine Voreiligkeit strenger gezüchtigt hatte.« »Seid Ihr verwundet?« fragte mich Campbell mit Teilnahme. »Eine leichte Schmarre,« antwortete ich, »deren sich mein gütiger Vetter nicht lange hätte rühmen sollen, wenn Ihr nicht zwischen uns gekommen wäret.« »Meiner Treu! das ist wahr, Herr Rashleigh,« sprach Campbell; »denn der kalte Stahl und Euer bestes Blut konnten bald miteinander bekannt werden, als ich Euern Vetter am rechten Arm packte. Aber seht deshalb nicht so mürrisch drein! Kommt mit mir mit, ich habe Euch etwas zu erzählen, und dabei werdet Ihr Euch schön abkühlen und eines Bessern besinnen.« »Bitte um Entschuldigung, mein Herr,« sprach ich; »mir ist schon bei mehr als einer Gelegenheit vorgekommen, als ob Ihr freundliche Absichten gegen mich hegtet; allein ich darf und will diesen Mann nicht verlassen, bis er mir zurückgibt, was er meinem Vater verräterischerweise geraubt hat und was ich unbedingt haben muß, um die Verbindlichkeiten meines Vaters zu lösen.« »Gebt Euch für heute zufrieden,« erwiderte Campbell; »denn wolltet Ihr uns auch folgen, so würde es Euch doch nichts nützen und Euch nichts helfen. Ihr habt gerade genug an einem Gegner, wollt Ihr Euch zwei über den Kopf bringen?« »Zwanzig, wenns sein muß,« antwortete ich. Ich faßte Rashleigh beim Kragen. Er leistete keinen Widerstand, sprach aber mit höhnischem Lächeln: »Ihr hört ihn selbst, Mac Gregor! er rennt in sein Verderben – ists meine Schuld, wenn er hineinstürzt? Die Verhaftsbefehle sind nun ausgefertigt und alles ist bereit.« Der Schottländer war in sichtbarer Verlegenheit. Er blickte rund umher, vor sich und hinter sich, und sprach sodann: »Nie werde ich zugeben, daß ihm etwas Uebles geschieht, weil er aufgestanden ist für den Vater, dem er das Leben dankt. Verflucht seien sie alle die Obrigkeiten, Richter, Vögte, Gerichtsdiener und Häscher und dergleichen schwarzes Hornvieh, das unser armes altes Schottland seit hundert Jahren quält. Es war ein lustiges Leben, als jedermann seine Habe mit seiner eignen Faust bewahrte, und als das Land nicht geplagt war mit Verhaftsbefehlen, Klagen und Gegenklagen und solcherlei Trug und List. Ich sag es noch einmal, mein Gewissen leidet es nicht, daß dieser wackre, harmlose Jüngling übel behandelt werde, und besonders auf solche Art. Da wär es mir schon lieber, Ihr zöget wieder blank und machtet den Streit aus wie wackre Männer.« »Euer Gewissen, Mac Gregor!« sprach Rashleigh; »Ihr vergeßt, wie lange wir uns beide kennen.« »Ja, mein Gewissen!« wiederholte Campbell, oder Mac Gregor, ober wie er heißen mochte. »Ich habe so ein Ding in meiner Brust, Herr Osbaldistone; mag ja sein, daß ich Euch hierin was voraus habe. Was unsre Bekanntschaft miteinander betrifft, so werdet Ihr wissen, wenn Ihr mich kennt, wodurch ich geworden bin, was ich bin; Ihr mögt ja davon denken, was Ihr wollt; aber ich tausche nicht mit dem stolzesten jener Unterdrücker, die mich genötigt haben, den Heidebusch zum Aufenthalt zu wählen. Was Ihr seid, Herr Rashleigh, und wie Ihr rechtfertigt oder entschuldigt, was Ihr seid, ist eine Sache, die Ihr mit Eurem Herzen abzumachen habt, und wohl auch mal werdet abmachen müssen, wenn nicht früher, so doch am Tage des ewigen Gerichts! ... Und nun, Herr Franz, laßt ihn los! Er sagt mit Wahrheit, daß Ihr eine Gerichtsperson mehr zu fürchten habt, als er, und wenn Eure Sache so gerade wäre wie ein Pfeil, er würde Mittel finden, sie krumm zu machen. –So! laßt ihn los, sage ich.« Er lieh seinen Worten Unterstützung durch eine so plötzliche und unvermutete Anstrengung, daß er Rashleigh mit der einen Faust und mit der andern mich, trotz meines Sträubens, mit herkulischer Kraft festhielt. »Sucht das Weite, Herr Rashleigh!« rief er. »Lauft, als könntet Ihr Hände und Beine dazu brauchen; getan habt Ihr es ja oft genug!« »Dankt's diesem Herrn, Vetter!« sprach Rashleigh. »Wenn ich Euch meine Schuld heute nicht voll tilge, sondern gehe, so geschieht es in der Hoffnung, daß wir uns bald wieder treffen und dann keine Unterbrechung zu befürchten haben werden.« Er steckte seinen Degen ein und verlor sich im Gebüsch. Der Schottländer hielt mich teils durch Gewalt, teils durch Vorstellungen ab, Rashleigh zu folgen, und ich gewann langsam die Meinung, daß es mir wenig helfen möchte. »So wahr ich lebe!« sagte Campbell, als er sah, daß ich auf Widerstand verzichtete, denn daß er mich aufs schonendste behandelte, konnte mir wohl oder übel nicht verborgen bleiben. »Ihr seid ein Wagehals, wie ich ihn noch nie gesehen! Was hattet Ihr im Sinne? Wolltet Ihr dem Wolf in seine Höhle folgen? – Ich sage Euch, er hat die alte Falle wieder aufgestellt. Er hat die Einnehmerseele, den Morris, bewogen, die alte Geschichte wieder aufzutischen, und Ihr könnt jetzt von mir keine Hilfe erwarten, wie vor dem Richter Inglewood. Es sagt meiner Gesundheit nicht zu, diesen Whigs, diesem Beamtenvolke, hier nahe zu kommen. Ihr aber geht nun heim, gleich einem guten Sohn. – Vermeidet Rashleigh und Morris und diesen viehischen Mac Vittie! – Denkt an das Wirtshaus von Aberfoil, wie ich gesagt habe, und bei dem Wort eines Ehrenmannes, es soll Euch kein Leid geschehen. Aber haltet Euch ruhig, bis wir uns wiedersehen. Ich muß fort, damit ich Rashleigh aus der Stadt bringe, ehe etwas Schlimmeres daraus entsteht; denn wo er die Nase hinsteckt, ist immer Unheil. Denkt an Aberfoil!« Er wandte sich ab, um mich dem Sinnen über die sonderbaren Ereignisse zu überlassen, die mir begegnet waren. Meine erste Sorge war, meine Kleidung zu ordnen und den Mantel so umzuschlagen, daß er das Blut verbarg, das mir aus der Seite drang. Ich hatte das kaum getan, so füllte sich der Garten mit den Schülern, deren Unterricht zu Ende war, und ich eilte hinaus. Auf dem Wege nach Jarvie's Wohnung, dessen Essenszeit nun kam, blieb ich vor einem kleinen Laden stehen, dessen Schild anzeigte, daß er dem Chirurgen und Apotheker Christoph Neilson gehörte. In der Hinterstube fand ich einen ältlichen muntern Herrn, der ungläubig mit dem Kopfe schüttelte, als ich ihm sagte, ich sei zufällig durch ein Rappier verwundet worden. Aber er legte mir Scharpie auf die Wunde und meinte: »Von einem Rappiere rührt Eure Blessur nicht her, junger Herr! Ja, das böse Jugendblut! das böse Jugendblut! Aber wir Wundärzte sind verschwiegen. Und wenn es nicht heißes Blut gäbe, und böses Blut, was wollte aus den gelehrten zwei Fakultäten werden?« Sechstes Kapitel »Warum kommt Ihr so spät?« fragte Jarvie, als ich in die Eßstube trat; »es hat vor fünf Minuten schon eins geschlagen. Die Mathilde ist zweimal mit dem Essen an der Tür gewesen.« Ich entschuldigte mich, so gut es ging, wegen dieser Unpünktlichkeit, und saß bald an der Tafel. Jarvie war ein höchst angenehmer Wirt und übte die ungezwungenste Gastfreundschaft, nötigte Owen und mich bloß allzu viel zu den schottischen Leckerbissen, von denen sein Tisch strotzte, die aber mit unserm Geschmack doch nicht so recht harmonierten. Ich fand mich einigermaßen damit zurecht, aber Owen, dessen Begriffe von Höflichkeit weit strenger und förmlicher waren, und der bei dem Freunde der Firma nicht gegen den Respekt verstoßen wollte, zwang sich mit kläglicher Gefälligkeit einen Bissen nach dem andern hinunter, und pries alles in einem Tone, aus dem der Widerwille, trotz aller Höflichkeit, deren er sich befleißigte, ziemlich scharf hervorklang. Als wir abgegessen hatten, bereitete Jarvic mit eignen Händen einen kleinen Napf voll Branntweinpunsch, den ersten, den ich im Leben erblickt hatte. Wir fanden das Getränk sehr schmackhaft. Es führte zu einem langen Gespräch zwischen Owen und unserm Wirt über den Handelsverkehr, der sich seit der Vereinigung Schottlands mit England zwischen Glasgow und den britischen Ansiedelungen in Amerika und Westindien angeknüpft hatte, und über die vorzügliche Lage dieser Stadt für die Aus- und Einfuhr. Einige Bemerkungen Owens über die Schwierigkeit für Schottland, zu exportieren, ohne von England zu kaufen, veranlaßten Jarvie zu heftiger Entgegnung. »Nein, nein, Herr,« sagte er, »wir stehen auf eignen Füßen – wir haben unsre Wolle, haben Leinwand aller Art, besser und wohlfeiler, als Ihr in London – und wir kaufen Eure nordenglischen Waren doch so wohlfeil in Liverpool wie Ihr, und machen gute Geschäft mit Kattun und Musselin. Nein, nein! Ihr werdet bald finden, wir Glasgower sind nicht so weit zurück, daß wir nicht folgen könnten. – Aber für Euch, Herr Osbaldistone, ist das eine schlechte Unterhaltung,« wandte er sich zu mit, da er bemerkte, daß ich einige Zeit geschwiegen hatte; indessen Ihr wißt wohl, es spricht nun mal jeder gern von seinem Handwerk.« Zur Entschuldigung für meine Zerstreutheit und Nachdenklichkeit fühlte ich die bedauerlichen Umstände meiner Lage und die seltsamen Abenteuer dieses Morgens an. Auf diese Art erhielt ich, was ich suchte, nämlich die Gelegenheit, meine Geschichte ausführlich und ohne Unterbrechung zu erzählen. Einzig und allein der erhaltenen Wunde erwähnte ich nicht, als zu unbedeutend. Jarvie hörte mit großer Aufmerksamkeit und anscheinender Teilnahme zu, zwinkerte mit den kleinen grauen Augen, nahm ein paar Prisen und unterbrach mich nur zuweilen durch kurze Ausrufungen. Als ich zu der Nachricht von dem Zweikampf kam, faltete Owen die Hände, hob die Augen gen Himmel und zeigte das Bild kläglichsten Schreckens, während Jarvie hastig einfiel: »Unrecht – schweres Unrecht, den Degen zu ziehen gegen Euren Verwandten! das verbieten göttliche und menschliche Gesetze! Aber erzählt weiter – was geschah dann?« Als ich nun von Campbell erzählte, stand Jarvie ganz verdutzt auf und schritt durchs Zimmer. »Robin schon wieder? Der Mensch ist toll! schier toll und töricht!« rief er. »An den Galgen wird er sich noch bringen und seine ganze Verwandtschaft in Schimpf und Schande stürzen! das wird man noch erleben! – Mein Vater, der Vorsteher, hat ihm die ersten, Strümpfe gewirkt – sonderbar, ich glaube, Threeplie, der Seiler, der jetzige Vorsteher, wird ihm die letzte Halsbinde drehen! – Doch sprecht weiter! wie ward's weiter?« Ich erzählte die ganze Geschichte, so genau ich konnte, aber Jarvie fand immer noch an dem und jenem herumzureden, nach diesem und anderm zu fragen, bis ich, obgleich mit Widerwillen, auf die Begebenheit mit Morris und auf mein Zusammentreffen mit Campbell in Inglewoods Hause zurück gelangte. Jarvie hörte allem aufmerksam zu und schwieg eine Weile, nachdem ich ausgeredet hatte. »Ueber alles dies bitt ich Euch nun um Euren Rat, Herr Jarvie; denn er wird mir ohne Zweifel den besten Weg zeigen, für meines Vaters Vorteil und meine eigne Ehre zu handeln.« »Ihr habt recht, junger Mann, ganz recht,« sprach Jarvie. »Nehmt den Rat von Männern an, die älter und weiser sind als Ihr, und machts nicht, wie der gottlose Rehabeam, der mit jungen, unbärtigen Burschen Rat hielt und die Greise, die zu seines Vaters Salomo Füßen gesessen hatten, für nichts ansah. – Aber, junger Mann, ich mag nichts von Ehre hören; wir haben es hier einzig und allein mit der Kreditfrage zu tun. Ehre ist eine böse Madam, die umherspukt in allen Winkeln, die auf den Gassen Streit vom Zaune bricht; Kredit ist ein anständiger, ehrsamer Herr, der hübsch daheim bleibt und gut Spiel hat.« »Ein wahres Wort, Herr Jarvie,« sprach unser Freund Owen, »Kredit ist die Hauptsumma, und wenn wir diese nur retten können, mit welchem Verlust es auch sei –« »Recht so, Herr Owen, recht so,« erwiderte Jarvie; »Ihr sprecht verständig, und ich hoffe, die Sache wird sich noch wenden. Aber was Robin betrifft, so meine ich, er wird diesem jungen Manne gefällig sein, wenn es in seiner Macht steht. Er hat ein gutes Herz, der arme Robin, und ob ich gleich bei seinen frühern Geschäften zweihundert Pfund verlor, und nicht viel Hoffnung habe, je meine tausend Pfund Schottisch zurück zu sehen, die er mir jetzt verspricht, so sag ich dennoch, Robin meint's gut.« »Ich darf ihn also für einen ehrlichen Mann halten?« fragte ich. »I nun!« erwiderte Jarvie nach einigem Räuspern. – »Ja, er hat so eine hochländische Ehrlichkeit, – er ist ehrlich mit Vorbehalt, wie man zu sagen pflegt.« »Aber glaubt Ihr,« fragte ich, »daß dieser Mann mir dienen kann, oder will, meinetwegen mit Vorbehalt – wie Ihr sagt – oder weiter, darf ich mich an den Ort wagen, wo ich ihn treffen sollte?« »Ehrlich und aufrichtig gesagt, des Versuchs ist es wert. Ihr seht selbst, hier könnt Ihr ohne Gefahr nicht bleiben. Dieser Morris hat nicht weit von hier eine Zolleinnehmerstelle am Hafen bekommen. Alle Welt hält ihn bloß für einen Gänsekopf und ein Hasenherz, für einen Bummler und Leuteschinder; aber wenn er eine Anzeige macht, dann muß die Obrigkeit natürlicherweise sie annehmen und gelten lassen, wenn sie nicht widerlegt wird. Man könnte Euch also leicht einsperren, und das möchte für Eures Vaters Angelegenheiten doch sehr nachteilig sein.« »Allerdings,« erwiderte ich; »dennoch sehe ich nicht ein, wie ich meinem Vater einen Dienst leisten könnte, wenn ich Glasgow verließe, wo wahrscheinlich der Hauptschauplatz von Rashleighs Ränken sein wird, und wenn ich, mich der zweifelhaften Treue dieses Mannes hingeben wollte, von dem ich wenig mehr weiß, als daß er die Gerechtigkeit fürchtet, wozu er schließlich seinen guten Grund haben mag; ganz abgesehen davon, daß er in enger Verbindung mit jenem Manne steht, der wahrscheinlich der Urheber unsers Verderbens sein wird.« »Ei, Ihr beurteilt Robin recht streng,« sprach Jarvie – »den armen Schelm; aber Ihr wißt nicht, wie es in unserm Gebirge steht oder, wie wir es nennen, im Hochlande. Dort wohnt ein ganz andrer Menschenschlag, wie bei uns. Da gibt es keine Gerichtshöfe, keine Obrigkeiten, die das Schwert nicht umsonst tragen, gleich mir und andern Beamten in dieser Stadt. – Sondern der Laird befiehlt, und die Taugenichtse müssen bereit sein, und sie kennen kein anderes Gesetz, als die Länge ihrer Dolche. Das Schwert ist der Ankläger, die Tartsche ist der Verteidiger, der ärgste Trotzkopf hält's am längsten aus – da habt Ihr einen hochländischen Prozeß.« Owen seufzte tief, und mir machte diese Beschreibung keine große Lust, mich in ein Land zu wagen, das von Recht und Gesetz so wenig kannte und hielt. »Wir sprechen nicht viel von diesen Dingen,« fuhr Jarvie fort, »weil sie uns bekannt sind; und was nützt es, sein Vaterland und seine Verwandten zu schmähen vor Fremden? Es ist ein schlechter Vogel, der sein eignes Nest besudelt.« »Gut, Herr; da aber nicht zudringliche Neugierde, sondern wirkliche Notwendigkeit mich antreibt, Erkundigungen einzuziehen, werdet Ihr's hoffentlich nicht übel nehmen, wenn ich Euch um einige weitere Nachricht bitte. Ich habe für meines Vaters Rechnung mit verschiedenen Herren in jenen wilden Gegenden zu tun, und ich muß von Eurer Einsicht und Erfahrung die nötige Aufklärung hierüber erwarten.« »Erfahrung,« antwortete Jarvie, dem meine letzten Worte sicherlich geschmeichelt hatten,«hab' ich am Ende wohl, und da Ihr willens seid, Euch von dem Rat eines Glasgower Webers leiten zu lassen, bin ich nicht der Mann, der dem Sohne eines alten Handelsfreundes seinen Rat verweigert. Nun, ich will also nichts reden von Hochverrat und dergleichen, oder was am Ende daran streifte; aber diese Hochländer haben lange Arme, und da ich hin und wieder mal mich in unsre Berge begebe, um alte Verwandte zu besuchen, so wollt' ich mir nicht gern böses Blut mit irgend einem ihres Clans machen. Um also fortzufahren – Ihr müßt wissen, unsre Hochlande sind eine wilde Art von Welt, voll Höhen, Wälder, Höhlen, Seen, Flüssen und Bergen, die selbst des Teufels Flügel ermüden würden, wenn er bis zu ihrem Gipfel fliegen sollte. In diesem Lande und auf seinen Inseln, die wenig besser oder wohl noch schlimmer sind, gibt es an die zweihundertdreißig Kirchspiele. Ob sie da alle Gälisch sprechen, weiß ich nicht, aber sie sind alle ein rohes Volk. Rechne ich nun mäßig jedes Kirchspiel zu achthundert Menschen, nach Abzug der Kinder unter neun Jahren, und addiere dann ein Fünftel für Kinder von neun Jahren und darüber hinzu, so wird die ganze Volksmenge –« »Gerade 220800 betragen,« sprach Owen, der erfreut in diese Berechnungen einging. »Richtig, Herr Owen, vollkommen richtig. Und da im Hochlande jeder Mann zwischen achtzehn und sechsundfünfzig Jahren die Waffen trägt, kommt eine Zahl von annähernd 57500 Männern heraus. Nun ist's aber eine traurige Wahrheit, daß es weder Arbeit, noch den Anschein von Arbeit für die Hälfte dieser armen Menschen gibt; das will sagen, daß Ackerbau, Viehzucht, Fischerei und andre ehrliche Gewerbe nicht der halben Volksmenge Beschäftigung geben, und mögen sie noch so faul sein! Unter diesen annähernd 60000 Männern nun mag es an 28–29000 rüstige Jünglinge geben, die waffenfähig sind und Waffen tragen, und verteufelt wenig Lust haben, sich nach ehrlichen Mitteln für ihren Lebensunterhalt umzusehen, wenn sie's auch könnten, was aber leider nicht der Fall ist.« »Ist's möglich? soll dies eine treue Schilderung eines so ansehnlichen Teils unsrer britischen Insel sein?« fragte ich. »Ich will's Euch ganz klar machen, Herr,« sprach Jarvie. »Wir wollen annehmen, daß jedes Kirchspiel, gleich verteilt, fünfzig Pflüge beschäftigt, was in einem so armseligen Lande viel ist und Weide genug hat für Pferde, Ochsen und Kühe; nun setzen wir zur Besorgung des Feldes und Viehes fünfundsechzig Familien, jede zu sechs Köpfen, oder in runder Summe fünfhundert Menschen, die Hälfte der Bevölkerung, welche arbeiten und sich von saurer Milch und Haferbrei nähren mag; aber ich möchte wohl wissen, was die andern fünfhundert tun?« »Mein Gott!« rief ich, »was sagt Ihr, Herr Jarvie? Es schaudert mich, wenn ich an ihre Lage denke!« »Herr,« sprach Jarvie, »Ihr würdet noch mehr schaudern, wenn Ihr in ihrer Nähe lebtet. Ich will zugeben, daß die Hälfte von ihnen sich ehrlich durchschlägt in Nieder-Schottland durch Erntearbeit, Viehtreiben, Heuen und Feldarbeit; aber es gibt noch immer manches Hundert oder Tausend langbeiniger hochländischer Burschen, die nicht arbeiten und bei ihren Verwandten umher liegen müssen, oder davon leben, daß sie tun, was der Laird befiehlt, mag's recht oder unrecht sein. Und vornehmlich kommen viele hundert an die Grenze des Niederlandes, wo es was zu nehmen gibt, und leben vom Viehdiebstahl und von anderen Räubereien. Das ist bejammernswert in einem christlichen Lande, um so mehr, als sie stolz darauf sind und Herdendiebstahl für eine wackre Tat halten, die sich besser für seine Leute zieme, als durch ehrliche Arbeit einen Tagelohn zu verdienen. Die Lairds sind genau so schlimm wie die Burschen; denn wenn sie Raub und Diebstahl auch nicht anbefehlen, so verbieten sie's ihnen doch auch nicht, und geben ihnen Schutz und Zuflucht in ihren Wäldern und Gebirgen und festen Schlössern, wenn der Diebstahl verübt worden ist. Das ist eine Plage unsrer Hochlande, die seit vielen hundert Jahren all den gesetzlosen, unchristlichen Landstreichern, die unser ruhiges, gottesfürchtiges West-Schottland beunruhigt haben, Aufenthalt und Unterstand gegeben hat.« »Und ist dieser Verwandte von Euch und Freund von mir auch ein solcher Laird?« fragte ich. »Nein,« erwiderte Jarvie; »er ist keiner von den Häuptlingen, wie man sie nennt, Er ist aber von guter Herkunft. Ich kenne sein Geschlecht; er ist allerdings mein naher Verwandter, und, wie gesagt, von edlem, hochländischem Blute, obwohl Ihr leicht denken könnt, daß ich mir wenig aus solchem unsinnigen Begriff mache, denn das ist schlecht und flockig Garn, wie unsereins sagt.« »Wenn er aber auch keiner von den Häuptlingen ist, von denen ich meinen Vater erzählen hörte, so hat doch Euer Vetter in den Hochlanden vermutlich viel zu sagen?« fuhr ich fort. »Das dürft Ihr wohl glauben, – kein Name ist besser bekannt als der seinige. Robin war einst ein so wackrer, tätiger Viehhändler, als man unter zehntausend nur finden kann. Es war eine Freude, ihn zu sehen in seinem umgeschlagnen Plaid und seinen Riemenschuhen, mit der Tartsche auf dem Rücken und Tasche und Dolch am Gürtel, wie er Hunderten hochländischer Ochsen folgte, mit einem Dutzend rüstiger Gesellen, so rauh und wild, wie die Tiere, die sie treiben. Er war ein höflicher Mann und im Handel ein rechtlicher Mann. Ich hab's selbst mit angesehen, daß er fünf Schillinge auf ein Pfund Sterling herausgegeben hat.« »Fünfundzwanzig Prozent,« sprach Owen – »ein schweres Diskonto.« »Und er hat's gegeben, Herr, sag ich Euch; zumal wenn er glaubte, der Käufer sei arm und könne einen Verlust nicht verschmerzen. Aber es kamen schwere Zeiten, und Robin wagte viel. Es war nicht meine Schuld; er kann's mir nicht zuschreiben. Ich hab's ihm gesagt. Seine Gläubiger, besonders einige mächtige Nachbarn, griffen nach seinem Eigentum, und man erzählt, sie hätten sein Weib aus dem Hause geworfen und noch dazu mißhandelt. Schändlich! Schändlich! Ich bin ein friedlicher Mann und eine obrigkeitliche Person, aber hätte jemand meine Dienstmagd Mathilde so schlecht behandelt, wie sie Robins Weib behandelt haben mögen, ich glaube, ich hätte das Schwert wieder in Bewegung gesetzt, daß mein Vater, der Vorsteher, bei der Bothwellbrücke brauchte. – Gut, Robin kam heim und fand Verwüstung, Gott erbarm's! wo er Ueberfluß verlassen hatte. Er sah nach Westen, Osten, Süden und Norden, und sah weder Halt noch Hoffnung, weder Schutz noch Zuflucht. Da drückte er die Mütze in die Augen, gürtete das Schwert an seine Seite, ging ins Gebirge und war ein geschlagner Mann.« Die Stimme des wackern Bürgers wurde durch widerstreitende Empfindungen unterdrückt. Offenbar bildete er sich heimlich etwas ein auf die Verwandtschaft mit dem Hochländer, während er seinen Stammbaum zu verachten schien. »In seiner Verzweiflung,« sprach ich, als Jarvie in seiner Erzählung nicht fortfuhr,«ist Euer Vetter wohl einer von den Räubern geworden, die Ihr uns geschildert habt?« »Ganz so schlimm ja nicht,« erwiderte Jarvie – »aber er erhob Schutzgeld, und in weit größerm Umfange, als in unsern Tagen je geschehen ist; bis an die Tore von Stirling-Schloß hat ers erhoben!« »Schutzgeld? – Was soll ich darunter verstehen?« fragte ich verwundert. »Nun seht, Robin scharte einen Haufen Blaumützen um sich, was ihm bei seinem alten angesehenen Namen, mag er auch noch so tief heruntergedrückt worden sein, wahrlich nicht schwer fiel, und da es ihm leid tat, wie er sagte, daß solche Räübereien an der südlichen Grenze des Hochlands verübt werden könnten, schlug er vor, wenn ein Erbherr oder Pächter ihm vier Pfund Schottisch für jedes hundert Pfund Einkünfte bezahlte, was gewiß ein mäßiger Anschlag sei, so wollte er sie schadlos halten. Da mochten sie nun zu ihm schicken, wenn ihnen auch nur eine Klaue gestohlen worden, und Robin verpflichtete sich, sie wieder zu schaffen oder nach ihrem Vollwerte zu ersetzen – und er hielt immer Wort – ich muß bekennen, er hält sein Wort. Und diese Meinung herrscht im ganzen Lande.« »Ein sonderbarer Versicherungsvertrag,« bemerkte Owen. »Er steht im krassen Widerspruch zu unsern Gesetzen, das muß man eingestehen,« sprach Jarvie. »Schutzgeld zu erheben und Schutzgeld zu bezahlen ist straffällig; wenn mir aber das Gesetz Scheune und Stall nicht beschützen kann, warum sollt' ich mich nicht mit einem Hochländer einlassen, der's kann? – Darauf gebt mir Bescheid!« »Aber wird dieser Schutzgeldvertrag, wie Ihr's nennt,« fragte ich, »seitens der Landbesitzer und Pächter freiwillig geschlossen? wenn nicht, was geschieht? und was ist die Folge, wenn jemand sich weigert, solchen Tribut zu bezahlen?« »Nun, ich will jedem Freunde raten, sich mit Robin zu einigen, denn wer noch so sehr auf seiner Hut ist, ist und bleibt doch, mögen sie wachen, wie sie wollen, und tun, was sie wollen, wenn bei uns die langen Nächte herbeikommen, noch immer Schrecken genug ausgesetzt. Gewiß! es haben sich ja hin und wieder Lairds geweigert, den Tribut zu entrichten; aber was hatten sie davon? schon im ersten Winter ging ihnen die halbe Herde verloren; und seitdem halten's die meisten für das beste, mit Robin sich gütlich zu einigen. Er meint's ehrlich mit jedem, der's mit ihm ehrlich meint; aber wer ihn aufbringt, der kann ebenso gut mit dem Teufel anbinden.« »Und auf diese Weise,« fuhr ich fort, »hat er sich zu den Gesetzen des Landes in Konflikt gesetzt?« »In Konflikt? – Nun, Ihr könnt's ja so nennen! sein Genick würde seine Last wohl spüren, wenn sie ihn fingen. Aber er hat gute Freunde unter den Großen, und ich könnte Euch eine gar vornehme Familie nennen, die ihm, soweit sie es mit Anstand kann, die Stange hält, um ihn als Dorn für andre zu brauchen. Zudem ist er ein so verschlagner Schelm, wie nie einer in unsern Tagen dies Handwerk getrieben hat oder treiben könnte. Manch tollen Streich hat er gespielt, – mehr als in ein Buch ginge, und ein wunderliches Buch würde es sein – so gut, als Robin Hood oder Wilhelm Wallace, voll kühner Taten und Erinnerungen, wie sie die Leute gern erzählen an Winterabenden.« Ich verfolgte nun meine Nachforschungen durch die Frage, welchen Einfluß dieser Robert Campbell auf meine oder meines Vaters Angelegenheiten haben könne? »Was Eures Vaters Sache anbetrifft,« erklärte Jarvie, »nun, so müßt Ihr wissen, daß in den letzten zwanzig Jahren einige Lairds und Häuptlinge im Hochlande ihren eignen Vorteil besser eingesehen haben. Euer Vater und noch andre kauften mehrere Waldungen, und Eures Vaters Haus gab dafür bedeutende Wechsel. Osbaldistone und Tresham hatten guten Kredit – und ich sag's Herrn Owen ins Gesicht, wie hinter seinem Rücken, bis auf das Unglück, das Gott geschickt hat, war niemand redlicher im Handel, und die hochländischen Herren, Inhaber dieser Wechsel, fanden für die Wechsel von Eurem Vater oder doch für den weitaus größten Teil der Wechsel in Glasgow und Edinburg willige Nehmer – so daß – aha! versteht Ihr mich nun?« Ich bekannte, daß ich seine Meinung nicht ganz verfolgen könne. »I nun,« sprach er, »wenn die Wechsel nicht bezahlt werden, so halten sich die Kaufleute in Glasgow an die hochländischen Lairds, die aber kein Geld haben und nicht wiedergeben können, was längst durchgebracht ist. – Sie werden in Verzweiflung geraten – fünfhundert Menschen werden aufstehen, die sonst daheim gesessen hätten – und die eingestellte Zahlung von Eures Vaters Hause wird den Ausbruch der Revolte im Hochlande beschleunigen, wo ja schon lange alles gärt und rumort, seitdem König Georg – Gott segne ihn! – die Tausende von Pfunden nicht mehr an die Clans und Häuptlinge zahlen läßt, die ihnen von König Wilhelm und Königin Anna bezahlt wurden, um sie in Ruhe zu halten.« »Ihr glaubt also,« sprach ich, überrascht von dieser sonderbaren Ansicht der Sache, »daß Rashleigh meinem Vater so viel Schlimmes bloß zugefügt hat, in der Absicht, einen Aufstand der Hochländer zu beeilen?« »Ohne Zweifel ist dies die Hauptursache gewesen. Eine andre ist das bare Geld, das er mitgenommen hat. Für Euren Vater ist dies nur ein geringer Verlust, obwohl es für Rashleigh der Hauptgewinn sein mag. Die mitgenommenen Papiere haben gar keinen Nutzen für ihn; damit kann er sich die Pfeife anzünden. Er hats bei Mac Vittie und Comp., wie ich durch einen guten Freund erfuhr, versucht, sie umzusetzen; aber sie haben ihn mit schönen Redensarten abgespeist. Man kennt Rashleigh in Glasgow besser, als man ihm traut, denn er war hier, anno 1707, in ein Jakobiten- und Papisten-Abenteuer verwickelt und hinterließ Schulden über Schulden. ... Nein, nein, hier wird er kein Papier los, denn man traut ihm nicht, wie er dazu kam. Er wird diese Ware im Hochlande in Sicherheit bringen, und mein Vetter Robin könnte wohl dazu gelangen, wenn er wollte.« »Würde er aber geneigt sein, uns darin zu dienen?« sprach ich. »Wenn er die Sache der Jakobiten unterstützt und in ihre Anschläge verwickelt ist, wird er um meinetwillen oder, wenn Ihr wollt, um der Gerechtigkeit willen, dann etwas tun wollen, was Eurer Ansicht nach ihren Plänen von solchem Nachteil wäre?« »Darüber kann ich nichts Bestimmtes sagen. Die Großen unter ihnen trauen Robin nicht, und er mag ihnen nicht trauen – er hat sich gut eigentlich nur mit den Argyles gestanden. Wäre er nicht in Bedrängnis, so würde er lieber auf Argyle's Seite treten, als auf Breadalbane's, denn es besteht eine alte Feindschaft zwischen der gräflichen Familie Breadalbane und seinem Stamm und Namen. Eigentlich steht Robin für sich allein. Er wird sich auf die Seite schlagen, die ihm am besten zusagt. Wenn der Teufel Laird wäre, so würde Robin sein Lehnsmann sein, und Ihr könnt's ihm nicht verargen, dem armen Schelm, in seinen Umständen. Aber eins ist sehr gegen Euch – Robin hat eine graue Mähre in seinem Stalle.« »Was meint Ihr damit?« »Robins Weib – ein furchtbares Weib. Sie kann den Anblick eines freundlichen Schottländers nicht ertragen, wenn er aus Nieder-Schottland kommt, viel weniger den eines Engländers, und sie wird eifrig für alles sein, was den König Jakob emporbringen und den König Georg stürzen kann.« »Es ist doch seltsam,« erwiderte ich, »daß die Handelsunternehmungen Londoner Bürger mit Staatsumwälzungen und Revolten verwickelt werden sollten.« »Durchaus nicht seltsam,« entgegnete Jarvie, »das sind nur Eure törichten Vorurteile. Ich habe erst letzt in Backer's Chronik gelesen, daß Londoner Kaufleute die Bank in Genua zwingen konnten, dem König von Spanien eine ansehnliche Summe, die sie ihm versprochen hatten, nicht vorzuschießen, wodurch die große spanische Armada ein halbes Jahr aufgehalten wurde. Was sagt Ihr dazu?« »Daß die Kaufleute ihrem Vaterlande einen goldenen Dienst erwiesen, dessen unsere Geschichtsbücher ehrenvoll erwähnen sollten.« »Das ist meine Meinung auch, und wer die drei bis vier ehrlichen hochländischen Häuptlinge davon abhielte, Hals über Kopf sich und ihre armen Leute ins Verderben zu stürzen, und Eures Vaters Kredit und mein eignes gutes Geld, das ich von Osbaldistone und Tresham zu fordern habe, rettete, der würde sich um Staat und Menschheit verdient machen – wer das bewirken könnte, den sollte man, und wenn er nur ein armer Weber wäre, behandeln und rühmen, wie irgend einen, den der König ehren will.« »Wie weit die öffentliche Dankbarkeit sich erstrecken würde, maße ich mir nicht an zu entscheiden,« sprach ich; »aber wir würden es an Dankbarkeit sicher nicht fehlen lassen, Herr Jarvie.« »Daran zweifle ich nicht! Könnte man nur die Papiere den Händen der Philister entwinden, es sind gute Papiere, und wenn sie in den rechten Händen wären, und das sind ja die Eurigen, Herr Owen, wären sie auch die rechte Ware! Drei Männer in Glasgow, so gering Ihr auch über uns denken möget – Sandie Steenson, John Pirie und ein dritter, den ich jetzt nicht nennen will, würden das nötige Geld vorschießen, um den Kredit Eures Hauses zu erhalten, und keine bessere Sicherheit verlangen.« Owens Augen glänzten bei dieser Aussicht, aber sein Gesicht trübte sich sogleich wieder, als er erwog, wie unwahrscheinlich es sei, die Papiere wieder zu erlangen. »Verzweifelt nicht, Herr!« sprach Jarvie. »Ich bin gerade wie mein Vater, der Vorsteher, der sich auch nicht in die Geschäfte eines Freundes mischen konnte, ohne sie schließlich zu seinen eignen zu machen. – Morgen will ich mir die Stiefel anziehen und mit Herrn Franz ins Hochland reiten. Wenn ich den Robin nicht zur Vernunft bringe und sein Weib dazu, so weiß ich nicht, wer's kann. Sonst war ich ein guter Freund von ihnen, gar nicht davon zu reden, daß ich in der vergangenen Nacht so getan, als sei mir Robin nicht bekannt, während es ihm doch an den Kragen gegangen wäre, wenn ich ihn namhaft gemacht hätte. Auf mancherlei Vorhalt in der Ratssitzung werde ich mich freilich gefaßt machen müssen, denn es scheint bereits ruchbar zu sein, daß Robin in der Stadt war und daß man ihn mit mir gesehen hat. ... Meine Verwandtschaft mit ihm wird mir ja ohnehin oft genug vorgehalten. ... Aber warum sollt ich auf solch Geschwätz achten? Steht Robin in Acht, so sag's man ihm selbst. Ich habe eine schottische Zunge, und wenn sie fragen, so werde ich schon antworten.« Mit großer Freude sah ich, daß Jarvie nach und nach die Schranken der Vorsicht überschritt, indem er seinem vaterländischen Geist und dem natürlichen Wunsche, seinen Schaden wieder auszuwetzen, Rechnung trug, und freudig nahm ich seinen Vorschlag an, am nächsten Morgen die Reise mit ihm zu unternehmen. Wir beschlossen, früh um fünf Uhr abzureisen. Owen, dessen Begleitung keinen Nutzen für uns haben konnte, sollte unsre Rückkehr in Glasgow erwarten. Ich verschaffte ihm in meinem Wirtshause ein Zimmer neben dem meinigen, befahl Andreas, zur bestimmten Stunde einzutreffen, und legte mich mit besseren Hoffnungen zur Ruhe, als es in der letzten Zeit mein Los gewesen war. Siebentes Kapitel Es war ein frischer Herbstmorgen, als ich Andreas, der Anweisung gemäß, mit den Pferden vor Jarvie's Hause traf. Ich bemerkte sogleich, daß er jenes schlechte Pferd, das ihm großmütig sein rechtskundiger Freund gegen Thorncliffs Mähre überlieferte, mit einem Tiere vertauscht hatte, das nur auf drei Beinen zu gehen schien, während das vierte zur Begleitung in der Luft schwebte. »Was wollt Ihr mit diesem Tiere, und wo ist das Pferd, das Euch nach Glasgow brachte!« fragte ich natürlich voll Ungeduld. »Verkauft, Herr. Es fraß unsinnig und hätte mich im Wirtshause aufgefressen. Den Gaul da hab ich für Eure Rechnung gekauft. Es ist ein guter Handel gewesen, denn jedes Bein kostet ein Pfund Sterling – das macht zusammen vier. Wenn's eine Meile gelaufen ist, wirds die Lahmheit schon verlieren.« »Ihr werdet wohl nicht eher ruhen, als bis Eure Schultern mit meiner Peitsche Bekanntschaft machen. Schafft Ihr nicht auf der Stelle das andre Pferd wieder, so sollt Ihr dafür büßen.« Ungeachtet meiner Drohungen blieb Andreas dabei, er habe den Gaul für meine Rechnung gekauft und billig gekauft und müsse dem Manne, der mein Pferd gekauft habe, eine Guinee Rückkauf geben, ehe er's wiederbringen könne. Obwohl ich einsah, daß mich der Schelm betrog, war ich doch, als echter Engländer, willens, ihm die Guinee zu geben, um keine Zeit zu verlieren, als Jarvie erschien. Er war eingemummt, wie zu einer Fahrt quer durch Sibirien, und unter Mathildens Aufsicht führten zwei Lehrjungen den strammen Paßgänger herbei, der bei solchen Gelegenheiten die Ehre hatte, Glasgows obrigkeitliche Person zu tragen. Nachdem er die Ursache des Streites zwischen mir und meinem Diener erfahren hatte, machte er sogleich allem Zwist ein Ende durch den Ausspruch, daß, wenn Andreas nicht alsbald das dreibeinige Pferd zurückgebe und das brauchbare vierfüßige Tier zur Stelle schaffe, so würde er ihn ins Gefängnis schicken und um die Hälfte seines Lohnes strafen. »Es wär' müßig, mir eine Geldstrafe aufzulegen,« sagte Andreas keck, »da ich nicht einen roten Heller bezahlen kann.« »Wenn Ihr nicht zahlen könnt, so läßt sichs Euch am Leibe abstrafen. Ich werde schon sorgen, daß Ihr auf diese oder jene andre Weise nicht zu kurz kommt.« Es blieb Andreas nichts andres übrig, als sich Jarvie's Befehl zu unterwerfen, und ein paar Worte zwischen den Zähnen murmelnd, ging er. Augenscheinlich machte es keine Mühe, die beiden Pferde wieder umzutauschen, denn er war in wenigen Minuten wieder da, und von der Guinee Rückkaufsgeld ließ er kein Wort mehr verlauten. Während wir gemächlich in nordöstlicher Richtung entlang ritten, hatte ich Gelegenheit, die guten Eigenschaften meines neuen Freundes zu würdigen und zu bewundern. Zwar betrachtete er, wie mein Vater, den Handel als den wichtigsten Gegenstand im Leben; dennoch war er unbefangen genug, um auch den Wert allgemeinerer Kenntnisse zu schätzen. Die Unterhaltung erwies ihn als einen scharfsinnigen Beobachter, als einen freisinnigen Denker und als einen, seinen Lebensverhältnissen angemessen, gebildeten Menschen. Er war gut mit den Altertümern des Landes bekannt und unterhielt mich mit der Erzählung merkwürdiger Ereignisse, die vormals in den Gegenden, durch die wir reisten, stattgefunden hatten. Auch bemerkte ich mit Vergnügen, daß er, obwohl ein eifriger Schottländer, und sehr besorgt für die Ehre seines Vaterlandes, doch auch dem Nachbarlande alle Gerechtigkeit erwies. Als wir Glasgow hinter uns hatten, kamen wir in eine wilde und offene Gegend, die immer rauher ward, je weiter wir reisten. Ueberaus große, öde Heiden breiteten sich rund umher aus, bald eben verlaufend und von Sümpfen unterbrochen, die ein verräterisches Grün bedeckte oder dunkles Torf umgab, bald zu gewaltigen Anhöhen emporsteigend, denen die Würde und Form der Gebirge fehlte, während sie dem Wanderer noch beschwerlicher waren. Weder Baum noch Busch boten dem Auge Ersatz für die einförmige braune Decke eines unfruchtbaren Bodens. Das Heidekraut selbst war von jener unvollkommenen Art, die wenig oder keine Blüte gewährt, und die, so weit meine Beobachtungen reichen, das armseligste und rauhste Gewand darbietet, womit je die Natur die Erde bekleidete. Wir sahen kein lebendiges Geschöpf, als zuweilen einige umherirrende Schafe von seltsam verschiedener Farbe, als schwarz, bläulich und orange. Selbst die Vögel schienen diese Wüste zu meiden, wenigstens hörte ich nur den eintönigen, klagenden Ton des Kiebitzes. Bei unserm Mittagsmahl, das wir in der armseligsten Schenke genossen, fanden wir jedoch glücklicherweise, daß jene lästigen Schreier nicht die einzigen Bewohner der Moore waren. Die Wirtin setzte uns einiges Moorwild vor, wozu noch Schafkäse, geräucherter Lachs und Haferbrot kam. Ein sehr mittelmäßiges Bier und ein Glas vortrefflichen Branntweins würzte unser Mahl, und da während der Zeit unsre Pferde ihr Korn verzehrt hatten, setzten wir unsre Reise mit erneuter Kraft fort. Ich bedurfte aller Stärkung einer guten Mahlzeit, um eine Mutlosigkeit zu bekämpfen, die meinen Geist beschlich, als ich die seltsame Ungewißheit meines Unternehmens mit dem trostlosen Anblick der Gegend in Vergleich stellte, durch die es mich führte. Unser Weg wurde immer wilder und öder. Die wenigen elenden Hütten, die noch einige Spuren menschlicher Bewohnung zeigten, wurden jetzt immer seltener und verschwanden endlich, als wir eine ungeheure Anhöhe von Moorland hinaufritten, gänzlich. Ich richtete verschiedene Fragen an Freund Jarvie über die Namen und Lage dieser merkwürdigen Gebirge; aber er wußte nichts oder hatte nicht Lust, etwas mitzuteilen. »Es sind Hochlandsberge,« sagte er. »Ihr werdet genug davon sehen und hören, eh' Ihr wieder nach Glasgow kommt. Ich kann sie nicht ansehen – ich erblicke sie nie ohne Grauen. Es ist nicht Furcht, nein, aber mich dauern die armen, verblendeten, halb verhungerten Menschen, die dort wohnen. Allein sprecht nicht mehr davon, es ist nicht gut reden von Hochländern, so nah' an der Grenze. Ich habe manchen ehrlichen Mann gekannt, der sich nicht so weit gewagt hätte, ohne vorher sein Testament zu machen.« Ich suchte hierauf wieder das Gespräch auf den Mann zu leiten, den wir besuchen wollten; in diesem Punkte war Jarvie ganz unzugänglich, zum Teil wohl, weil Andreas bei uns war und so nahe hinter uns ritt, daß sein Ohr jedes Wort, das wir sprachen, auffassen konnte, während seine Zunge sich bei jeder Gelegenheit in unser Gespräch mischte. Als er näher heran ritt, um die Antwort auf meine Frage über Campbell zu hören, gab ihm Jarvie einen derben Rüffel, und hieß ihn, sich in geziemender Entfernung zu halten. »Was Eure Frage betrifft, Herr Osbaldistone,« sprach Jarvie zu mir, »so sollt Ihr, da uns nun dieser Bursche nicht mehr hören kann, wissen, daß Euch das Fragen und mir das Antworten freisteht. Gutes kann ich nicht viel von Robin sagen, und Böses will ich nicht von ihm sagen, denn außer, daß er mein Vetter ist, so kommen wir seinem Lande nahe, und hinter jedem Busche könnte einer von seinen Leuten lauern. – Laßt Euch von mir raten, je weniger Ihr von ihm sprecht, oder von dem, was wir tun und wohin wir gehen, desto schneller werden wir unsre Sache abmachen können. Wir fallen vielleicht auch unter Feinde von ihm, – er hat deren viele, und doch sitzt seine Mütze noch fest auf seinem Kopfe; aber ich glaube, sie werden am Ende doch die Oberhand über ihn erhalten – denn früh oder spät kommt das Messer über den Fuchsbalg.« »Es muß sich wohl von selbst verstehen, daß ich nichts in der Sache tue, ohne mich von Eurer Erfahrung leiten zu lassen,« sprach ich. »Ganz recht, Herr Osbaldistone – aber ich muß auch mit diesem Schwätzer deshalb reden, denn Kinder und Narren sprechen, was sie hören. – Andreas! Hört Ihr!« Andreas, der seit dem letzten Verweise ziemlich weit zurückgeblieben war, gab keine Antwort. »Andreas, Schurke!« wiederholte Jarvie. »Hierher! hierher!« »Hierher? So ruft man Hunde,« sprach Andreas, mürrisch sich nähernd. »Hundelohn sollt Ihr auch haben, wenn Ihr nicht merkt, was ich Euch sage, Ihr Schelm, Ihr! – Wir nähern uns nun dem Hochlande –« »So siehts mir ganz aus,« erwiderte Andreas. »Ruhig! und hört zu, was ich Euch sage. – Wir kommen jetzt ans Hochland heran –« »Das hab ich schon einmal vernommen,« fiel der unverbesserliche Andreas ein. Jarvie geriet in Wut; und ich mußte mich ins Mittel legen und Andreas Schweigen anbefehlen. »Ich schweige,« antwortete er. »Was Ihr mir zu Recht befehlt, tu' ich immer ohne Nein; wie schon meine Mutter zu sagen pflegte: sei es besser, sei es schlimmer, hat er's Geld, so folg' ihm immer.« »Nun,« sprach Jarvie, »wenn Euch an Eurem Sündenleben was liegt, dann merkt, was ich Euch sage. In dem Wirtshaus, wo wir wahrscheinlich übernachten werden, verkehren Leute aus allen Clans und Geschlechtern, aus dem Hoch- und Niederlande, und gar häufig gibts dort mehr blanke Dolche als offne Bibeln zu sehen, wenn der landesübliche Trunk, den die Schotten Usquebaugh nennen, ihnen in die Köpfe steigt. Laßt Euch in nichts ein, beleidigt niemand, sondern haltet Eure böse Zunge im Zügel! und laßt jeden Hahn seinen Kampf allein ausfechten.« »Als ob ich noch nie Hochländer gesehen hätte und nicht wüßte, wie man sie behandeln muß,« erwiderte Andreas geringschätzig. »Das wird wohl kaum einer besser verstehen als ich. Ich habe von ihnen gekauft und an sie verkauft, und, habe mit ihnen manch liebes Mal am gleichen Tische gesessen.« »Habt Ihr auch schon gekämpft mit ihnen?« fragte Jarvie. »Nein, nein,« erwiderte Andreas, »davor hab' ich mich gehütet. Es hätte sich auch nicht geziemt für mich als Künstler und halber Gelehrter in meinem Fache, mit Leuten mich in Kampf und Streit eingelassen, die keine Pflanze oder Blume auf schottisch zu nennen wissen, geschweige auf lateinisch.« »Ihr verhaltet Euch also still, hört Ihr? und redet kein Wort, weder im Guten noch im Bösen zu irgend jemand, den Ihr im Wirtshaus trefft. Vor allen Dingen laßt Euch gesagt sein, daß Ihr nicht mit Eures Herrn Namen oder dem meinigen großtut, oder gar etwa ausposaunt, das ist der Stadtvogt Niklas Jarvie, Sohn des würdigen Vorstehers Niklas Jarvie, und das da Herr Franz Osbaldistone, Sohn des Hauptkonsorten des großen Handelshauses Osbaldistone und Tresham in der City.« »Schon gut, schon gut!« erwiderte Andreas. »Warum sollt ich Eure Namen in den Mund nehmen? da gibts wichtigere Dinge.« »Gerade die wichtigen Dinge fürchte ich, Ihr schnatternder Gänserich! Versteht Ihr denn nicht? Ihr sollt überhaupt nicht schnattern!« »Wenn Ihr meint,« erwiderte Andreas trotzig, »ich sei zu dumm, mit Leuten zu reden, oder wie andre Leute zu reden, so gebt mir meinen Lohn und mein Kostgeld, und ich gehe nach Glasgow zurück. Viel schaden wirds mir nicht, wenn wir uns trennen, wie das alte Pferd zum zerbrochnen Karren sagt.« Darauf sagte ich dem Grobian kurz und bündig, er könne, wenns ihm als besser erscheine, heimkehren, jeden Augenblick; aber es würde mir nicht einfallen, ihm in diesem Falle einen Kreuzer für seine bisherige Dienstleistung zu bezahlen; und diese Rede machte ihn mürbe; er zog die Hörner ein, um mich eines Jarvie'schen Ausdrucks zu bedienen, und erklärte mir, gehorchen zu wollen. Der Weg fing nun an, bergab zu gehen, und wir kamen in eine Gegend, die weder fruchtbarer noch romantischer als die bisher durchzogene war, und nur zuweilen durch den Ausblick auf einen aufsteigenden Gipfel der hochländischen Gebirge Abwechslung erhielt. Wir ritten ununterbrochen fort, und als die anbrechende Nacht diese öden Wildnisse überschattete, waren wir, nach Jarvie's Angabe, noch über drei Meilen von dem Ort entfernt, wo wir die Nacht zubringen wollten. Achtes Kapitel Es war eine schöne Nacht, und der Mond leuchtete hell und klar. Unter seiner Beleuchtung kam mir die Gegend um vieles lieblicher vor, als im Tageslicht. Der noch immer bergab führende Pfad drehte und wendete sich, verließ die offne Heide und gelangte in steilere Schluchten, die uns das nahe Bett eines Baches oder Flusses andeuteten. Endlich kamen wir an das Ufer eines Stromes, der größere Aehnlichkeit mit den Strömen meiner Heimat als die bisher gesehenen hatte; er war schmal, tief und still, obgleich das matte Licht, das auf seinem ruhigen Gewässer glänzte, auch zeigte, daß wir jetzt unter den hohen Gebirgen waren, die seine Wege bildeten. »Das ist der Forth,« sprach Jarvie mit einem Ausdrucke von Ehrerbietung, die die Schottländer gewöhnlich ihren Flüssen zollen. Ich war recht froh, nach einer so langen und ermüdenden Tagereise mich einer Gegend zu nähern, die versprechender aussah als alles bisher durchzogene Land; und der Forth schien wirklich, so viel mir das unvollkommene Licht zu urteilen gestattete, die Bewunderung zu verdienen, die man ihm darbrachte. Eine schöne Anhöhe von regelmäßig runder Form, mit Unterholz und Haselstauden, Eschen und Zwergeichen bekleidet, worunter einige mächtige alte Bäume, über die andern hervorragend, ihre Zacken und nackten Zweige im Silberschimmer des Mondes zeigten, schienen die Quelle des Stromes zu beschützen. Wie mein Gefährte erzählte, der zwar kein Wort davon zu glauben vorgab, aber doch mit gedämpfter Stimme und einem Ausdruck von Furchtsamkeit sprach, enthielt nach der Sage der umwohnenden Landleute dieser Hügel, so regelmäßig geformt, so reizend und in anmutiger Abwechslung mit alten Bäumen und Buschholz bewachsen, in seinen unsichtbaren Höhlen die Paläste der »Fairies«, einer Art geistiger Wesen, die eine Mittelklasse zwischen den Menschen und Dämonen bildeten und wegen ihrer launischen, rachsüchtigen und reizbaren Stimmung gegen die Menschheit vermieden und gefürchtet würden. Doch sogleich setzte er hinzu, als er vor uns einige Lichter blinken sah: »Es ist am Ende auch alles nur Teufelstrug, und ich freue mich nicht, es zu sagen – denn wir sind nun dem Hause nah, und dort schimmern die Lichter im Wirtshaus zu Aberfoil.« Eine hohe und schmale steinerne Brücke führte uns über den Forth. Mein Begleiter sagte indes, der gewöhnliche Weg aus dem Hochlande nach der südlicheren Gegend gehe durch die Furt von Frew, wo der Strom stets tief und schwer passierbar, zuweilen ganz ungangbar sei. Von dieser Furt bis östlich zur Brücke von Stirling gibt es keinen weitern Uebergang, und so bildet der Forth von seiner Quelle bis beinah zu dem Frith, oder dem Eingang ins Meer, das ihn aufnimmt, eine ziemlich sichere Grenze zwischen dem Hochland und Niederland Schottlands; der Forth durfte also, wie Jarvie sagte, als »Zaum« des wilden Hochländers gelten. Ein kurzer Ritt jenseits der Brücke brachte uns vor die Tür des Wirtshauses, wo wir übernachten wollten. Es war eine elende Hütte, beinahe schlimmer als die, wo wir zu Mittag gegessen hatten. Aber die kleinen Fenster waren erhellt, Stimmen erklangen von innen, und alles verhieß Aussicht auf Obdach und Erfrischung. Andreas bemerkte zuerst, daß ein abgeschälter Weidenstab quer über die halb offene Tür gelegt war. Er hielt an und riet uns, nicht einzutreten. »Denn,« sagte er, »es zechen ein paar Häuptlinge und große Männer drin und wollen nicht gestört sein. Das wenigste, was wir davon kriegen, und wenn wir mir nichts dir nichts hineingehen, wird ein zerschlagener Kopf sein, um uns bessere Sitte zu lehren, wenn uns nicht ein kalter Dolch in die Gedärme fährt, was ebenso leicht möglich ist.« Ich sah den Stadtvogt an, der flüsternd zugestand, »daß der Kuckuck Grund habe, einmal im Jahr zu singen.« Mittlerweile kamen ein paar halb bekleidete Dirnen aus dem Wirtshause und den umliegenden Hütten, die den Hufschlag unserer Pferde gehört hatten. Niemand begrüßte uns oder hielt die Pferde, nachdem wir abgestiegen waren, und auf alle unsre Fragen erhielten wir die trostlose Antwort: »Kann nicht Sächsisch.« Jarvie fand indes Mittel, sie Englisch zu lehren. »Wenn ich Dir einen Kreuzer gebe,« sprach er zu einem zehnjährigen Buben mit einem zerrissenen Plaid, »willst Du dann Sächsisch verstehen?« »O ja, dann versteh ichs,« antwortete der Knabe in geziemendem Englisch. »Dann geh und sag Deiner Mutter, Bube, daß zwei sächsische Herren mit ihr sprechen wollen.« Die Wirtin erschien sogleich mit einem brennenden Kienspan in der Hand, den die Hochländer oft statt eines Lichtes brauchen. Ein solche Fackel beleuchtete jetzt die wilden, ängstlichen Züge einer bleichen, magern Frau von ungewöhnlicher Größe, deren unreinlicher, zerlumpter Anzug kaum eine anständige Bedeckung gewährte. Ihr schwarzes Haar, das in ungekämmten Locken unter ihrer Haube hervorhing, und der fremde, verlegene Blick, womit sie uns betrachtete, gaben ihr das Bild einer Zauberin, die bei ihren verbotenen Gebräuchen aufgestört wird. Sie weigerte sich entschieden, uns Unterstand zu geben. Wir machten Vorstellungen, wir erwähnten unsre starke Tagereise, die Müdigkeit unsrer Pferde, und daß wir dann bis Callander reisen müßten, das nach Jarvies Angaben noch sieben schottische Meilen entfernt sei. »Liebe Frau,« wandte ich mich an die Wirtin, »seit sechs Stunden haben wir keinen Bissen gegessen. Ich bin halb verhungert und habe wirklich nicht Lust, ohne Abendbrot meine Wohnung in Euern Gebirgen aufzuschlagen. Ich muß unter allen Umständen in Eure Stube hinein, und so gut sichs eben machen läßt, müßt Ihr Euren Gästen auseinandersetzen, daß noch ein paar Fremde kommen. – Andreas, Ihr sorgt für die Pferde.« Die Frau sah mich verwundert an und rief dann: »Wer auf seinen Kopf besteht, den muß man gehen lassen! – Man sehe diese englischen Fresser! Er hat sich heut schon einmal gestopft wie 'n Gänserich und wagt eher Leben und Freiheit, als daß er ein Abendessen entbehrt. – Aber ich wasche meine Hände in Unschuld. – Folgt mir,« sagte sie zu Andreas, »ich will Euch zeigen, wo Ihr die Pferde unterbringt.« Ich war einigermaßen bestürzt über die Aeußerungen der Wirtin, die eine nahe Gefahr anzudeuten schienen. Trotzdem wollte ich nun nicht zurücktreten, da ich meinen Entschluß erklärt hatte, und trat kühn ins Haus. Nachdem ich in dem schmalen Eingange kaum der Gefahr entronnen war, mir an ein paar Torfhaufen oder einem Pökelfaß, das in der Nähe stand, die Beine einzurennen, stieß ich eine halb verfallne Tür auf, die nicht aus Brettern, sondern aus Weidenstäben gemacht war, und trat mit Jarvie in das Hauptgemach dieses schottischen Karawanserais. Das Innere bot einen Anblick dar, der mir seltsam genug vorkam. Das Feuer, mit Torf und dürren Reisern genährt, flammte lustig in der Mitte, aber der Rauch, der keinen andern Ausgang hatte, als ein Loch im Dache, umkreiste in dunkeln Wolken, etwa fünf Fuß hoch vom Boden, die Decke des Gemaches. Der untere Raum war ziemlich hell, weil unzählige Luftströme durch die Spalten der Tür, zwei viereckige Löcher, die man Fenster nannte, wovon das eine mit einem Plaid, das andere mit einem zerrissenen Mantel verstopft war, und durch eine Menge weniger sichtbarer Oeffnungen in den aus Steinen und Torf erbauten Wänden, nach dem Feuer zu drangen. Nahe an demselben saßen an einem alten eichnen Tische drei Männer, Gäste, wie es schien, die man unmöglich mit Gleichgültigkeit betrachten konnte. Zwei von ihnen waren in hochländischer, Kleidung, der eine, ein kleiner, schwärzlicher Mann von lebhaften, muntern, beweglichen Gesichtszügen, trug enge, lange Beinkleider von gewürfeltem Zeuge. Jarvie flüsterte mir zu, daß es ein Mann von Bedeutung sein müsse, denn nur die Vornehmen trügen solche Beinkleider, die genau nach dem Geschmacke der Hochländer sehr schwer zu weben wären. Der zweite Bergländer war ein großer, starker Mann, mit reichlichem roten Haar, einem sommerfleckigen Gesicht, hohen Backenknochen und langem Kinn – eine Art von Zerrbild der eigentümlichen schottischen Züge. Sein Tartan hatte viel Scharlach, während Schatten von Schwarz und Dunkelgrün in den Würfeln des andern vorherrschend waren. Der dritte Gast, in niederschottischer Tracht, war ein kühner Mann von trotzigem Aussehen, dessen Blick und Benehmen etwas kriegerisches andeutete; sein Reitrock war reich besetzt, und sein aufgestülpter Hut von ungeheurem Umfange. Sein Seitengewehr und ein Paar Pistolen lagen vor ihm auf dem Tische. Jeder der beiden Hochländer hatte seinen blanken Dolch neben sich in den Tisch gesteckt, ein Zeichen, wie ich nachher erfuhr, daß ihr Gelage nicht durch Streit gestört werden sollte. Vor diesen Herren stand eine große zinnerne Kanne mit dem Nationalgetränk, das wir schon unter dem Namen »Usquebaugh« kennen gelernt haben, einem beinahe so starken Getränk wie Schnaps, das die Hochländer von Malz bereiten und verdünnt in großer Menge genießen. Ein zerbrochenes Glas mit einem hölzernen Fuße diente als gemeinschaftliches Trinkgeschirr und machte sehr schnell unter ihnen die Runde. Sie sprachen laut, und eifrig, bald Gälisch, bald Englisch. Ein andrer Hochländer, in seinen Plaid gehüllt, lag auf dem Boden, mit dem Kopf auf einem Strohbündel, das auf einem Stein lag, und schlief, oder schien zu schlafen, ohne zu beachten, was um ihn her vorging. Er schien gleichfalls ein Fremder zu sein, denn er war völlig angezogen und mit Schwert und Tartsche gerüstet, den gewöhnlichen Waffen der Hochländer, wenn sie auf der Reise sind. Wir traten so still herein, und die Zecher waren so eifrig in ihr Gespräch vertieft, daß wir einige Minuten ihrer Aufmerksamkeit entgingen. Ich bemerkte jedoch, daß der Hochländer, welcher unweit des Feuers lag, sich bei unserm Eintritte auf den Ellbogen stützte, mit seinem Plaid den untern Teil seines Gesichts verhüllte und uns einige Augenblicke ansah, worauf er wieder seine liegende Stellung annahm und zu schlafen schien. Wir näherten uns dem Feuer, das uns, nach dem späten Ritte in einer kalten Herbstnacht, wohlig anmutete, und erregten zuerst die Aufmerksamkeit der anwesenden Gäste, indem wir die Wirtin riefen. Sie näherte sich, blickte zweifelnd und furchtsam bald auf uns, bald auf die andern, und gab unbestimmte Antwort auf unser Verlangen nach einer Mahlzeit. Sie wisse nicht, sprach sie, ob etwas im Hause sei – wenigstens etwas für unsern Geschmack. Ich versicherte, daß wir mit allem zufrieden seien, was da sei, und nachdem ich mich, aber vergeblich, umgesehen hatte, ob sich nicht irgendwo was zum Hinsetzen fände, machte ich eine alte Hühnerstiege für Jarvie zurecht und kehrte einen zerbrochenen Zuber für mich selbst um. Andreas trat gleich nachher herein, und stellte sich schweigend hinter uns. Die Eingeborenen, wie ich sie nennen kann, starrten uns fortwährend an, als wenn unsre Zuversicht sie verlegen machte, und wir, wenigstens ich, suchten, so gut wir konnten, unter dem Anschein von Gleichgültigkeit unsre heimliche Besorgnis zu verbergen. Endlich wandte sich der kleinere Hochländer zu mir und sprach in stolzem Tone und in gutem Englisch: »Ihr tut ja ganz, als wenn Ihr hier zu Hause wäret, Herr.« »Das ist so meine Art, wenn ich in ein öffentliches Wirtshaus komme,« lautete meine Antwort. »Habt Ihr nicht an dem weißen Stabe vor der Tür gesehen, daß andre Leute das Haus schon für sich in Beschlag genommen hatten?« fragte der lange Hochländer. »Ich maße mir nicht an, die Sitten dieses Landes zu kennen,« erwiderte ich; »aber ich möchte wissen, wie drei Menschen berechtigt sein könnten, alle andern Reisenden von dem einzigen Orte zu Obdach und Erfrischung auszuschließen, den es meilenweit in der Runde gibt.« »Es ist kein Grund dafür da, Ihr Herren,« sprach Jarvie. »Wir wollen niemand beleidigen – aber es ist weder ein Gesetz noch ein Grund dafür. Aber wenn eine Kanne guter Branntwein den Streit ausmachen könnte, wir sind friedliche Leute und wollten gern –« »Verdammt wär Euer Branntwein, Herr!« sprach der Niederländer und setzte seinen großen Hut grimmig aufs Haupt. »Wir sehnen uns weder nach Eurer Gesellschaft, noch nach Eurem Branntwein.« – Er stand von seinem Sitze auf; seine Gefährten erhoben sich gleichfalls, murmelten gegen einander, zogen ihre Plaids herauf und schnaubten, wie es ihrer Landsleute Sitte ist, wenn sie sich in Leidenschaft hineinarbeiten. »Ich hab Euch gesagt, was kommen wird,« sprach die Wirtin, »und Ihr wolltet nicht hören. Fort mit Euch aus meinem Hause, und macht keine Störung hier! – Müßige Engländer wollen hier bei Nacht und Nebel herumziehen, und ehrbare, friedsame Leute stören, die ihr Gläschen beim Feuer trinken!« Ein Kampf schien unvermeidlich. Empört über die Ungastlichkeit, wie man mich behandelte, sprang ich auf, da ich die andern aufstehen sah, und schlug meinen Mantel zurück, um zur Verteidigung bereit zu sein. »Wir sind drei gegen drei,« sprach der kleinere Hochländer, seine Blicke auf uns werfend »Wenn Ihr wackre Männer seid, so zieht.« – Er entblößte sein Schwert und trat auf mich zu. Ich stellte mich zur Verteidigung, und auf die Ueberlegenheit meiner Waffe vertrauend, fürchtete ich wenig den Ausgang des Kampfes. Jarvie betrug sich mit unerwarteter Herzhaftigkeit. Als er den riesenhaften Hochländer vor sich sah, zog er einige Male an seiner Klinge; da er aber fand, daß sie, verrostet und lange ungebraucht, nicht aus der Scheide ging, ergriff er das glühende Pflugmesser, das man statt eines Schüreisens beim Feuer gebraucht hatte, und schwang es mit solchem Erfolge, daß er sogleich des Hochländers Plaid in Flammen setzte und ihn nötigte, sich zurückzuziehen, bis sie gelöscht waren. Dagegen war Andreas, der es mit dem Niederländer hätte ausnehmen sollen, gleich beim Anfange des Streits verschwunden. »Ehrlich Spiel! Ehrlich Spiel!« rief sein Gegner und schien willens, keinen Teil an dem entbrannten Streite zu nehmen. Wir waren also, was die Zahl betraf, gleich. Meine Absicht war, meinen Gegner womöglich zu entwaffnen, aber ich konnte ihm nicht nahe kommen, aus Furcht vor seinem Dolche, den er in der Linken hielt, um die Stöße meines Degens abzuwehren. Indessen war Jarvie, ungeachtet seines Erfolges im ersten Gange, hart bedrängt. Das Gewicht seiner Wehr, die Wohlbeleibtheit seiner Person und die Aufwallung seiner Leidenschaft raubten ihm bald Kraft und Atem, und er war nahe daran, seinem Gegner zu erliegen, als der Schläfer von der Erde aufsprang und, das entblößte Schwert und die Tartsche in der Hand, sich zwischen die Kämpfenden warf: »Hab mein Brot in Glasgow gegessen,« rief er, »und meiner Treu', ich fechte für Stadtvogt Jarvie, – das will ich!« Seine Worte mit der Tat unterstützend, ließ dieser unerwartete Helfer sein Schwert um die Ohren seines großen Landsmanns pfeifen, der unverzagt seine Streiche mit Zinsen zurückgab. Da aber beide runde hölzerne Schilde hatten, mit Leder überzogen und Erz beschlagen, womit sie behend die gegenseitigen Streiche auffingen, war ihr Gefecht mit weit mehr Lärm als wirklicher Gefahr verbunden. Es schien in der Tat mehr auf Prahlerei abgesehen, als auf einen Versuch, jemand zu verletzen, denn der Niederländer, der aus Mangel eines Gegners untätig gestanden hatte, übernahm es jetzt, den Friedensstifter zu machen. »Halt ein! Halt ein!« rief er. »Genug getan! Genug! 's ist kein Kampf auf Leben und Tod. Die fremden Herren haben sich als Ehrenmänner gezeigt und geziemende Genugtuung gegeben. Ich halte auf Ehre so viel, wie jeder andre, aber ich hasse unnützes Blutvergießen.« Ich wünschte natürlich nicht, den Streit fortzusetzen; mein Gegner schien gleichfalls geneigt, das Schwert einzustecken; Jarvie, nach Atem schnappend, war als überwunden zu betrachten, und unsre beiden Schwert- und Schildmänner gaben ihr Gefecht so gleichgültig auf, als sie es angefangen hatten. »Und nun,« sprach der würdige Mann, der den Friedensstifter gemacht hatte, »laßt uns trinken und uns vertragen als ehrliche Kerle. Das Haus ist groß genug für alle. Ich schlage vor, daß dieser gute kleine Herr, der sehr mitgenommen scheint, einen Becher voll Branntwein holen läßt, und ich bezahle einen andern, und dann vertrinken wir unsre Kreuzer als Brüder.« »Und wer bezahlt mir meinen neuen, schönen Plaid?« sprach der lange Hochländer. »Es ist ein Loch 'nein gebrannt, so groß, daß man eine Hand durchstecken kann. Hat man noch je einen anständigen Mann mit einem Feuerbrande fechten sehen?« »Laßt Euch das nicht bekümmern,« sprach Jarvie, der jetzt wieder zu Atem gekommen war. »Hab ich die Wunde gemacht, werd' ich auch das Pflaster dafür finden. Ihr sollt einen neuen Plaid haben, und zwar den besten von den Farben Eures Clans. Sagt mir, wohin ichs Euch schicken soll von Glasgow.« »Ich brauche meinen Clan nicht zu nennen – ich bin vom Königs-Clan, der wohl bekannt ist,« antwortete der Hochländer. »Aber Ihr könnt ein Stück vom Plaid nehmen und das Muster davon sehen. Ein Vetter von mir soll zum Martinsfest danach fragen, wenn Ihr sagt, wo Ihr wohnt. Aber, wackrer Herr, wenn Ihr zunächst wieder fechtet und Euren Gegner nur etwas achtet, so nehmt Euer Schwert, weil Ihr eins traget, und nicht Pflugeisen und Feuerbrände wie ein wilder Indianer.« »Wahrhaftig!« erwiderte Jarvie, »ein jeder muß tun, was er kann. Mein Schwert ist nicht wieder ans Tageslicht gekommen seit dem Gefecht an der Bothwell-Brücke, wo mein Vater es führte, und ich weiß nicht einmal gewiß, obs auch da herauskam, denn die Schlacht war eine der kürzesten. Auf jeden Fall ists jetzt so in die Scheide gerostet, daß ichs nicht davon trennen kann, und als ich das merkte, ergriff ich das erste beste, was mir zur Verteidigung helfen konnte. Aus dem Alter, in welchem man fechtet und fechten kann, bin ich heraus, immerhin laß ich mich nicht gern schimpfen. – Doch wo ist der wackre Bursche, der so tapfer meinen Streit übernahm?« Der Held, nachdem er sich umsah, war indes nicht mehr zu sehen. Er hatte sich gleich nach dem Ende des Gefechtes entfernt, und doch hatte ich an seinen wilden Zügen und den struppigen roten Haaren unsern Bekannten Dougal, den Gefängnisschließer, wiedererkannt. Ich teilte diese Bemerkung leise dem Stadtvogt mit, der in demselben Tone antwortete: »Gut, gut, ich sehe, der bewußte Mann hat recht. Dieser Dougal hat einen Schimmer von gesundem Menschenverstand. Ich muß darauf denken, wie ich ihm etwas Gutes erzeigen kann.« Mit diesen Worten setzte er sich nieder, holte einigemal tief Atem und sprach zu der herbeigerufenen Wirtin: »Da ich finde, daß mein Leib kein Loch gekriegt hat, was in Eurem Hause wohl zu fürchten war, halt ichs fürs beste, etwas hinein zu füllen.« Die Wirtin, die sich, sobald der Sturm vorüber war, dienstfertig zeigte, unternahm es sogleich, uns ein schmackhaftes Abendbrot von Wildbretschnitten herzurichten; sie ließ Branntwein auf den Tisch setzen, den auch die Hochländer, trotz ihrer Vorliebe für ihre starken, einheimischen Getränke, nicht verschmähten, und nachdem der erste Becher herumgegangen war, fragte der niederländische Herr nach unserm Stand und dem Zweck unsrer Reise. »Wir sind Leute aus Glasgow, Euch aufzuwarten,« sprach Jarvie mit dem Anschein großer Demut, »und reisen nach Stirling, um etwas Geld einzufordern, das man uns schuldig ist.« Der Sprecher von der andern Partei versetzte höhnisch: »Ihr Handelsleute aus Glasgow habt nichts anders zu tun, als daß Ihr West-Schottland von einem Ende zum andern durchzieht und ehrliche Leute plagt, die zufällig nichts in den Händen haben, wie ich.« »Wenn unsre Schuldner so ehrliche Männer wären, als zu denen ich Euch rechne, Herr Garschattachin,« entgegnete Jarvie, »wahrhaftig! so könnten wir uns die Müh' ersparen, denn sie würden kommen und uns aufsuchen.« »Ei! Was! Wie!« rief die Person, an die diese Worte gerichtet. »So wahr ich lebe, es ist mein alter Freund Niklas Jarvie, der beste Mann, der je einem bedrängten Menschen Geld geliehen. Kommt Ihr vielleicht zur mir?« »Meiner Treu', nein, Herr Galbraith,« versetzte Jarvie. »Ich hatt' etwas andres auf dem Rohre – ich dachte wohl, Ihr würdet sagen, ich käme wegen des verfallenen Jahreszinses der kleinen erblichen Verschreibung zwischen uns?« »Verdammt die jährlichen Zinsen!« rief der Laird, so recht vom Herzen. – »Nicht ein Wort von Geschäften zwischen uns, da Ihr so nah an seiner Heimat seid. – Wie ein Reitkleid einen Mann doch entstellen kann – daß ich meinen alten teuren Freund, den Vorsteher, nicht wiedererkannte!« »Stadtvogt, wenn's Euch beliebt,« entgegnete mein Gefährte. »Aber ich sehe, woher der Irrtum kommt; die Verschreibung ward bei meines seligen Vaters Lebzeiten gegeben, und der war Vorsteher; aber er hieß Niklas wie ich. So viel ich mich besinne, ward zu meiner Zeit keine Zahlung gemacht, und daher entstand ohne Zweifel das Mißverständnis.« »Hol der Teufel das Mißverständnis, und was es veranlaßte!« versetzte Galbraith. »Aber ich bin erfreut, daß Ihr Stadtvogt seid. Füllt das Glas, Ihr Herren! – Aufs Wohl meines vortrefflichen Freundes, des Stadtvogts Niklas Jarvie! – Ich kannte ihn und seinen Vater seit zwanzig Jahren. – Füllt noch eins! – Dem baldigen Lord Provost Niklas Jarvie! – Und wer sagt, daß jemand in Glasgow besser dazu tauge, der hats mit mir zu tun!« Mit diesen Worten rückte Duncan Galbraith trotzig den Hut auf die eine Seite. Der Branntwein war vermutlich bei den Hochländern die beste Empfehlung, denn sie fingen mit Galbraith Gälisch zu reden an, das er sehr geläufig sprach, da er, wie ich nachher erfuhr, in der Nähe vom Hochlande seinen Wohnsitz hatte. »Ich hab den Burschen von Anfang an recht gut gekannt,« flüsterte Jarvie mir zu; »aber wer weiß, wie's ihm eingefallen wäre, seine Schulden zu bezahlen, als wir die Schwerter zogen. Ehe er, was er bei heißem Blut schnell getan hätte, im gewöhnlichen Wege tun wird, mag geraume Zeit vergehen; er kommt nicht oft nach Glasgow, aber manches Reh und Birkhuhn schickt er uns aus dem Gebirge. Mein Vater hegte für die Familie Garschattachin große Achtung.« Da das Abendessen nun ziemlich fertig war, sah ich mich nach Andreas um; aber dieser getreue Diener war, seit der Zwist begonnen hatte, von niemand gesehen worden. Die Wirtin meinte indes, unser Diener sei in den Stall gegangen, und erbot sich, mir dorthin zu leuchten; aber zu dieser Stunde selbst in den Stall zu gehen, dazu könne sie niemand bringen, denn es hause ein Kobold darin, und darum könne sie auch keinen Stallknecht halten. Als sie mir jedoch zu dem armseligen Schuppen leuchtete, wo unsre Pferde grobes Heu schmausten, kam es zu Tage, daß sie mich aus andrer Absicht von der Gesellschaft entfernt hatte. »Da, lest!« sprach sie, als wir vor dem Stall standen, und schob mir ein Blatt Papier in die Hand. »Gott sei Dank, daß ichs los bin! Zwischen Soldaten, Sachsen und Viehdieben ist jede ehrliche Frau besser daran, wenn sie in der Hölle lebt, als an der hochländischen Grenze.« Mit diesen Worten gab sie mir die Kienfackel in die Hand und ging ins Haus zurück. Neuntes Kapitel Ich verweilte am Eingange des Stalles und entzifferte beim Schein meiner Fackel folgenden Brief, der auf ein feuchtes, zerknittertes, schmutziges Blatt geschrieben war: Mein Herr! Es sind Nachteulen draußen, darum kann ich Euch und meinen geehrten Vetter N. J. nicht im Wirtshause von Aberfoil treffen, wie meine Absicht war. Ich bitte Euch, unnötige Gemeinschaft mit den Leuten zu vermeiden, die Ihr dort antreffen werdet, weil für die Zukunft Verdruß daraus entstehen könnte. Die Person, die Euch dies zustellt, ist treu und zuverlässig und wird Euch an einen Ort führen, wo ich Euch, so Gott will, sicher treffen kann, wenn Ihr und mein Vetter mein armes Haus besuchen wollt, allwo ich, meinen Feinden zum Trotz, noch immer die Bewirtung versprechen kann, die ein Hochländer seinen Freunden zu geben pflegt, und wo wir feierlich die Gesundheit einer gewissen D. V. trinken und über gewisse Sachen reden wollen, worin ich Euch beistehen zu können hoffe. Uebrigens verbleibe Euer ergebner Diener R. M. C. Ich war ziemlich verdrießlich über den Inhalt dieses Briefes, der den Dienst, den ich von diesem Campbell erwartet hatte, in ungewisse Ferne zu rücken schien. Dennoch war es mir einiger Trost, zu wissen, daß er fortwährend Anteil an mir nahm, da ich ohne ihn nicht hoffen konnte, meines Vaters Papiere wieder zu erhalten. Ich beschloß daher, seinen Vorschriften zu folgen, gegen die Hochländer höchst vorsichtig zu sein, und bei erster günstiger Gelegenheit die Wirtin zu fragen, wo ich diesen geheimnisvollen Mann finden könnte. Mein nächstes Geschäft war nun, Andreas aufzusuchen. Ich rief ihn mehrmals bei Namen, ohne eine Antwort zu erhalten. Endlich vernahm ich, nachdem ich den ganzen Stall, nicht ohne Feuersgefahr, abgeleuchtet hatte, ein klägliches »Hier!« in einem so ächzenden Tone, als ob es der von der Wirtin gefürchtete Kobold selbst ausspräche. Dem Rufe folgend, ging ich der Ecke des Schuppens zu, wo ich im Winkel der Mauer den mannhaften Andreas hinter einem Fasse fand, das mit Federn gefüllt zu sein schien, und halb durch Gewalt, halb durch Befehle und Ermahnungen, nötigte ich ihn, hervorzukommen. Seine ersten Worte waren: »Ich bin ein ehrlicher Bursche, Herr!« »Wer zweifelt daran?« versetzte ich; »aber wie gehört das jetzt hierher? Ihr sollt uns beim Abendessen aufwarten.« »Ja,« erwiderte er, ohne anscheinend zu verstehen, was ich zu ihm sagte. »Ich bin ein ehrlicher Bursche, was auch der Stadtvogt dagegen vorbringen mag. Ich gebe zu, meine Seele hängt an der Welt und ihren Gütern, wie bei vielen andern auch; aber ich bin ein ehrlicher Kerl, und wenn ich auch das und jenes geschwatzt haben mag, liegt es mir gar nicht im Sinne, Euch bald zu verlassen.« »Was zum Henker treibt Ihr denn?« erwiderte ich. »Sind wir denn nicht über alles jetzt einig? Warum schwatzt Ihr nun ohne Sinn und Verstand in einem fort vom Fortgehen?« »Wenn Ihr Euch raten lassen wollt, Herr,« sagte Andreas, »brecht lieber Euer Wort, als daß Ihr weiter geht. Ich bin ja gewiß, Ihr werdet Euren Freunden Ehre machen, wenn Ihr etwas mehr Klugheit und Festigkeit erhalten habt; aber ich kann Euch nicht länger folgen, wenn Ihr auch versinken und umkommen solltet auf dem Wege, aus Mangel eines Führers und Ratgebers – wer dorthin den Fuß setzt, wo Robin der Rote haust, der setzt die Vorsehung in Versuchung.« »Robin der Rote!« sprach ich etwas befremdet; »ich kenne niemand dieses Namens. Was sind das für neue Possen, Andreas?« »Es ist hart,« versetzte Andreas, »sehr hart, daß man einem Manne nicht glauben will, wenn er die reine Wahrheit spricht, bloß weil er zuweilen ein wenig lügt, wo's nötig ist. Ihr braucht nicht zu fragen, wer Robin der Rote ist, der Erzräuber, der! – Gott verzeih mir's! – Ich hoffe, es hört uns niemand – da Ihr einen Brief von ihm in der Tasche habt. Ich hörte, wie einer seiner Gehilfen das alte Reibeisen von Wirtin bat, ihn Euch zu geben. Sie dachten, ich verstände ihr Kauderwelsch nicht, aber wenn ichs gleich nicht viel sprechen kann, erriet ich doch recht gut, um was es sich drehte! O, Herr Franz, alle Torheiten Eures Oheims und alle Streiche Eurer Vettern sind nichts gegen diesen Räuber der Räuber! Fangt meinetwegen dem Papst und dem Teufel Seelen ein, wie Euer Vetter Rashleigh, lärmt und tobt und entheiligt den Sabbat, wie alle Eure Vettern zusammengenommen, aber beim barmherzigen Himmel! kommt Robin dem Roten nicht zu nahe.« Die Besorgnis des Gärtners war zu aufrichtig, als daß ich sie für Verstellung hätte halten können. Ich sagte ihm aber nichts weiter, als daß ich im Wirtshause zu übernachten gedächte, und empfahl ihm, gut für die Pferde zu sorgen. Uebrigens legte ich ihm das strengste Stillschweigen auf und gab ihm die Versicherung, daß ich mich nicht unvorsichtig in Gefahr begeben würde. Er folgte mir mit kläglicher Miene in das Haus und murmelte zwischen den Zähnen, Menschen sollten doch eher versorgt werden, als das liebe Vieh, er habe den ganzen Tag noch keinen Bissen zu sich genommen. Die Eintracht der Gesellschaft schien während meiner Abwesenheit eine Störung erlitten zu haben, denn ich fand Galbraith und meinen Freund Jarvie in lebhaftem Streite. »Ich will solche Reden nicht hören gegen den Herzog von Argyle und den Namen Campbell,« rief Jarvie bei meinem Eintritt. »Er ist ein wackrer, volkstümlich gesinnter Mann, ein Ruhm fürs Land und ein Freund und Beschützer des Handels von Glasgow.« »Ich sage nichts gegen Mac Callummore,« [Herzog von Argyle mit seinem Stammnamen im Hochlande.] sprach der kleinere Hochländer lachend. »Aber nie gabs eine Verräterei in Schottland, worunter nicht ein Campbell stak, und jetzt, da das Schlimme die Oberhand gewinnt, sinds nicht wieder die Campbells, die das Recht darnieder halten? Aber das Wesen wird nicht lange dauern, und es wird Zeit sein, das Schwert zu schärfen. Die alte rostige Klinge hält hoffentlich wieder blutige Ernte.« »Schämt Euch, Garschattachin!« rief der Stadtvogt; »pfui, schämt Euch, so etwas zu sagen vor einer obrigkeitlichen Person, und Euch selber in Ungelegenheit zu bringen. – Wie denkt Ihr die Eurigen zu erhalten und Eure Gläubiger zu befriedigen, – mich und andre – wenn Ihr auf diesem wilden Wege fortgeht, der Euch, zum Schaden aller, die mit Euch in Verbindung stehen, dem Gesetz verantwortlich machen wird?« »Verdammt meine Gläubiger und Ihr dazu, wenn Ihr einer davon seid!« entgegnete der tapfre Galbraith. – »Ich sag', es wird bald eine andre Welt sein, und dann wird kein Campbell die Nase mehr hoch tragen und seine Hunde dahin hetzen, wohin er selbst nicht kommen darf, und nicht mehr Diebe, Mörder und Unterdrücker beschützen, die bessre Leute als sie selber sind, plündern und berauben.« Jarvie hatte große Lust, den Streit fortzusetzen, als der wohlriechende Duft des gebratnen Wildbrets, den uns die Wirtin jetzt vorsetzte, eine so kräftige Wirkung auf ihn übte, daß er sich eifrig über seinen Teller machte und die Fremden den Streit unter sich fortsetzen ließ. »Wahr ist's,« sagte der lange Hochländer, der, wie ich hörte, Stuart hieß, »wir würden nicht geplagt und geschoren, uns hier zu versammeln, um Robin den Roten zu fangen, wenn die Campbells ihm nicht Zuflucht gäben. Es waren unser dreißig meines Namens. Wir jagten den Mac Gregor, wie man ein Reh jagt, bis in die Gegend von Glenfalloch, wo die Campbells aufstanden und uns in den Arm fielen, daß wir um allen Lohn kamen. Aber ich gäb etwas drum, wenn ich dem Robin wieder so nahe wäre, als an jenem Tage.« Unglücklicherweise schien mein Freund Jarvie an allem, was diese Hochländer sprachen, ein Aergernis zu nehmen. »Verzeiht mir, wenn ich gerade heraus rede, Herr,« rief er; »aber Ihr hättet wohl viel drum gegeben, so weit von Robin weg zu sein wie jetzt. – Traun! mein glühendes Pflugmesser wäre nichts gewesen gegen sein Schwert.« »Ihr tätet besser, wenn Ihr nicht mehr von Eurem Pflugmesser sprächet, oder, bei Gott! Ihr sollt mir Eure Worte hinunterschlucken, und zwei Hände voll kalten Stahls sollen nachhelfen.« Und mit einem drohenden Blick griff der Hochländer zu dem Dolche. »Keinen Streit, Allan,« sprach sein kleinerer Gefährte. »Wenn der Herr aus Glasgow etwas auf Robin hält, so kann er ihn vielleicht noch diese Nacht in Ketten sehen, und morgen am Stricke; denn lange genug hat er das Land geplagt, und sein Lauf ist nahe am Ende. – Aber es wird Zeit, Allan, daß wir zu unsern Leuten gehen.« »Warum, zum Henker, eilt Ihr denn so?« sprach Galbraith. »Mess' und Mahl hindert nie am Werk. Und nach meiner Vorschrift hätte man Euch nie aus Euren Schluchten gerufen, uns zu helfen. Die Besatzung und unsre Reiter hätten Robin leicht fangen können. Hier ist die Hand,« sprach er, seine eigne emporhebend, »die ihn auf den Rasen werfen soll, und die nimmer einen von Euch Hochländern zur Hilfe bedarf.« »Dann hättet Ihr uns lassen sollen, wo wir waren,« sprach der andre; »ich laufe nicht sechzig Meilen weit, wenn ich nicht gerufen werde. Aber wenn ich Euch meine Meinung sagen soll, so rat ich Euch, Eure Zunge besser im Zaum zu halten. Wenn man einen Vogel fangen will, wirft man nicht mit der Mütze nach ihm; und wer eine Stütze hat wie die unsrige, der hält sich lange; das aber kann der auch, den Ihr kennt! Auch diese Herren haben manches gehört, was sie nicht gehört hätten, wenn der Branntwein nicht zu stark für Euer Hirn gewesen wäre, Major Galbraith. – Ihr braucht Euren Hut gar nicht so trotzig aufzusetzen und den Eisenfresser gegen mich zu spielen, denn das sind Faxen, die ich nicht leiden mag.« »Ich habs gesagt,« erwiderte der berauschte Galbraith feierlich, »daß ich diese Nacht weder mit Kleid noch Tartan streiten will. Wenn ich außer Dienst bin, streit ich mit Euch und mit jedermann aus dem Hochlande oder dem Niederlande, aber nicht im Dienste – nein, nein! – Ich wollte, wir hörten von diesen Rotröcken. Wenns etwas gegen König Jakob zu tun gäbe, hätten wir sie schon lange gesehen; wenn aber die Ruhe im Lande erhalten werden soll, können sie so gut lügen, wie ihre Nachbarn.« Wahrend er so sprach, hörten wir den Taktschritt eines Haufens Fußvolk, und ein Offizier mit einer Anzahl Soldaten trat herein. Er sprach Englisch, und das war mir Musik in den Ohren, denn ich war der Mundart der Schottländer nun herzlich satt. »Ihr seid vermutlich Major Galbraith von der Reiterei aus Lennox, und die Herren sind die beiden Hochländer, die ich hier treffen sollte?« Die Fremden bejahten es und boten dem Offizier Erfrischungen an, die er ablehnte. »Ich habe mich verspätet, Ihr Herren, und wünsche nun die Zeit wieder einzubringen. Ich habe Befehl, zwei Personen aufzusuchen und zu verhaften, die verräterischer Anschläge beschuldigt werden. Gehören diese Herren dort zu Eurer Gesellschaft?« fragte er, auf Jarvie und mich blickend. Wir hatten beide, mit unserm Abendessen beschäftigt, wenig auf ihn geachtet. »Es sind Reisende,« versetzte Galbraith; »ehrbare Reisende.« »Mein Befehl lautet,« sprach der Hauptmann, uns mit einem Licht genauer beleuchtend, »einen ältern und einen jungen Mann zu verhaften, und ich glaube, diese Herren entsprechen genau der Beschreibung.« »Bedenkt, was Ihr sagt, Herr,« sprach Jarvie; »weder Euer roter Rock noch Euer Tressenhut soll Euch schützen, wenn Ihr mir einen Schimpf antut. Ich bin ein freier Bürger und eine obrigkeitliche Person aus Glasgow; Niklas Jarvie ist mein Name, wie auch mein Vater hieß – ich bin Stadtvogt, und mein Vater war Vorsteher.« »Es war ein Spitzkopf«, [»Spitzköpfe« und »Rundköpfe« waren die Spitznamen der Parteien gegen und für das Haus Stuart.] sagte Major Galbraith, »und focht gegen den König an der Bothwellbrücke.« »Er bezahlte, was er schuldig war und was er kaufte, Major Galbraith,« erwiderte Jarvie, »und war ein redlicherer Mann, als je einer auf seinen Schenkeln stand.« »Ich habe nicht Zeit, mir alles das anzuhören,« erklärte der Offizier. »Ich muß Euch aufhalten, meine Herren, wenn Ihr nicht auskömmliche Sicherheit beibringen könnt dafür, daß Ihr treue Untertanen seid.« »Ich verlange vor eine bürgerliche Obrigkeit gebracht zu weiden,« rief Jarvie. »Ich bin nicht gehalten, jedem Rotrock zu antworten, der mir Fragen stellt.« »Gut, Herr! sofern Ihr nicht sprechen wollt, werde ich ja wissen, wie ich mich zu verhalten habe.... Und Ihr,« (zu mir sich wendend) »wie ist Euer Name?« »Franz Osbaldistone, Herr.« »Wie? Ein Sohn von Sir Hildebrand Osbaldistone in Northumberland?« »Nein,« fiel Jarvie ein; »ein Sohn von William Osbaldistone, dem Inhaber des großen Handelshauses Osbaldistone und Tresham in London.« »Ich fürchte, Euer Name vermehrt nur den Verdacht gegen Euch, und ich sehe mich gezwungen, Euch all Eure Papiere abzufordern.« Ich sah, daß die Hochländer sich mit ängstlichen Blicken maßen. »Ich führe keine Papiere bei mir,« erwiderte ich. Der Offizier befahl, mich zu entwaffnen und zu untersuchen. Widerstand wäre Tollheit gewesen. Ich gab also meine Waffen ab und unterwarf mich einer Untersuchung. Es wurde nichts gefunden als der Zettel, den ich durch die Wirtin erhalten hatte. »Ich hab etwas anderes erwartet,« sprach der Offizier; »allein der Zettel gewährt uns ausreichenden Grund, Euch festzuhalten. Ihr steht im Briefwechsel mit dem geächteten Räuber Robert Mac Gregor Campbell, der so lange eine Plage dieser Gegend gewesen ist. – Was könnt Ihr dawider vorbringen?« »Kundschafter von Robin!« riefen die Hochländer – »an den nächsten Baum mit ihm!« »Wir sind auf Reisen, nach einigem Gut von uns zu sehen, das zufällig in seine Hände gefallen ist, Ihr Herren,« sagte Jarvie; – »es gibt hoffentlich kein Gesetz in England, das einen Mann straffällig macht, der nach seinem Eigentum sieht?« »Wie seid Ihr zu dem Briefe gekommen?« fragte der Offizier. Die arme Witwe zu verraten, war mir nicht möglich, und ich schwieg. »Wißt Ihr etwas davon, Gesell?« fragte der Offizier den Gärtner, dessen Kinnbacken wie Castagnetten klapperten, als er die Drohungen der Hochländer vernahm. »O – ja, ich weiß alles. – Ein hochländischer Taugenichts gab den Brief der Wirtin hier. Daß mein Herr davon nichts weiß, beeide ich. Aber er will ins Gebirge gehen, um mit Robin zu sprechen. Es wäre ein Werk der Barmherzigkeit, Herr, ihn durch ein Paar von Euren Rotröcken sicher nach Glasgow zurückbringen zu lassen, ob willig oder nicht. Den Herrn Jarvie dagegen könnt ihr behalten, so lang es Euch gefällt, denn der ist reich genug, um jede Buße zu zahlen, die Ihr ihm auferlegt. Mein Herr ist auch mit Glücksgütern gesegnet, um sich auszulösen. Was aber mich angeht, so bin ich ein armer Gärtnerbursch, und nicht wert, daß Ihr Euch bemüht.« »Es wird am besten sein, diese drei Leute unter Bedeckung nach der Garnison zu schicken,« sagte der Offizier, »denn sie scheinen im unmittelbaren Verkehr mit dem Feinde zu stehen. Ihr habt Euch als meine Gefangenen zu betrachten und werdet mit Tagesanbruch an einen sichern Ort gebracht. Ich kann keine Einwendungen anhören,« fuhr er fort, sich von Jarvie abwendend, dessen Mund sich zur Gegenrede geöffnet hatte, »mein Dienst verstattet mir zu unnützen Erörterungen keine Zeit.« »Gut – gut, Herr,« sprach Jarvie; »mags denn nach Eurer Pfeife gehen; aber seht zu, daß ich Euch nicht zum Tanze zwinge, ehe aller Tage Abend ist.« Zwischen dem Offizier und den Hochländern wurde nun eifrig beraten, aber so leise, daß, sich unmöglich etwas verstehen ließ. Als sie fertig waren, verließen alle das Haus. »Diese Hochländer,« sagte hierauf Jarvie zu mir, »sind von den westlichen Clans und ebensolche Langfinger, wie ihre Nachbarn, und dennoch seht Ihr, wie sie gekommen sind, gegen den armen Robin zu fechten, weil sie einen alten Groll gegen ihn und seinen Stamm haben. Er wird alle Hände voll zu tun haben, der arme Robin, wenn die Sonne über die Berge kommt. Es ist wohl nicht recht, wenn eine obrigkeitliche Person etwas gegen den Lauf der Gerechtigkeit wünscht, aber der Teufel soll mich holen, wenn die Kunde, daß Robin es allen tüchtig heimgezahlt hätte, mir das Herz bräche!« Zehntes Kapitel Wir durften den übrigen Teil der Nacht schlafen, so gut es die elende Einrichtung der Schenke zuließ. Aber ermüdet durch die Reise und die nachfolgenden Auftritte, und nicht sonderlich bekümmert wegen unserer Verhaftung, die nur eine vorübergehende Unannehmlichkeit sein konnte, kamen wir bald zur Ruhe, und ich hörte den Stadtvogt, der mit den seltsamen Verhältnissen, in denen wir uns befanden, vielleicht besser zurechtkam als ich, bald auf seinem harten Lager tüchtig schnarchen. Mir blieb nichts weiter übrig, als den Kopf auf den Tisch zu legen, und während des unruhigen Halbschlummers, der mich von Zeit zu Zeit befiel, bekam ich Gelegenheit zu der Wahrnehmung, daß sich in den Bewegungen der Soldaten Zweifel und Unentschlossenheit kundtaten. Es wurden Männer ausgesandt wie auf Kundschaft, die aber, wie ich recht gut merkte, ihrem Anführer keine erfreuliche Kunde meldeten; denn er war sichtlich unruhig und ängstlich und schickte wieder kleine Haufen von zwei bis drei Mann ab, von denen aber einige, wie ich aus dem Geflüster der übrigen vernahm, nicht zurückgekehrt waren. Der Morgen war angebrochen, als ein Korporal und zwei Gemeine in die Hütte stürmten und mit einer Art von Triumph einen Hochländer herbeischleppten, in welchem ich sogleich meinen Bekannten, den gewesenen Gefängnisschließer, erkannte. Der Stadtvogt, der bei dem Lärm, den sie beim Eintritt machten, in die Höhe fuhr, rief sogleich: »Gott erbarms! Sie haben die arme Kreatur Dougal gekriegt – Hauptmann, ich will Bürgschaft für ihn leisten, hinlängliche Bürgschaft für diesen Dougal.« Auf dieses Anerbieten, das ohne Zweifel von einer dankbaren Erinnerung an die letzten Dienstleistungen des Hochländers eingegeben wurde, antwortete der Hauptmann, Jarvie möge doch lieber an seine eignen Angelegenheiten denken, statt zu vergessen, daß er gegenwärtig selbst Gefangener sei. »Ich nehm Euch zum Zeugen, Herr Osbaldistone,« sprach Jarvie, der mit dem bürgerlichen Recht besser bekannt war als mit dem Kriegsrecht, »daß mir der Herr verweigert hat, Bürgschaft zu stellen. Meiner Meinung nach kann Dougal sich wegen unrechtmäßiger Verhaftung beklagen, und ich will ihm zu seinem Rechte verhelfen.« Der Offizier, Thornton mit Namen, ließ sich durch Jarvies Beschwerden nicht stören, sondern nahm Dougal scharf ins Verhör und nötigte ihm nach und nach die Aussage ab, daß er Robert Mac Gregor kenne und daß er ihn im letzten Jahr, im letzten Halbjahr, im letzten Vierteljahr, im letzten Monat – in letzter Woche, gesehen habe, ja daß er vor knapp einer Stunde mit ihm auseinandergegangen sei. Alle diese Angaben kamen wie Blutstropfen von dem Gefangenen und wurden augenscheinlich nur durch des Hauptmanns Drohung ausgepreßt, ihn an den nächsten Baum hängen zu lassen, wenn er nicht bestimmte und genaue Nachrichten gäbe. »Und nun, Freundchen,« sprach der Offizier, »wirst Du mir noch sagen, wieviel Leute Dein Herr gegenwärtig bei sich hat.« Dougal blickte überall hin, bloß nicht auf den Fragesteller, und antwortete, das wisse er selbst nicht und könne es also auch nicht sagen. »Sieh mich an, Du Hochlandshund,« rief der Offizier, »und bedenke, daß Dein Leben von der Antwort abhängt. ... Wieviel Schelme hatte dieser vogelfreie Schurke bei sich, als Du ihn verließest?« »Nicht mehr als ein halbes Dutzend, als ich ging.« »Und wo waren die übrigen Schelme?« »Mit dem Leutnant gegen die Kerle im Westen gezogen.« »Gegen die westlichen Clans?« sprach der Hauptmann. »Hm – wahrscheinlich genug, und zu welcher bübischen Tat bist Du hier gewesen?« »Um zu sehen, was Ihr Und Eure Rotröcke im Dorfe wolltet.« »Die Kreatur bricht am Ende doch die Treue,« sprach Jarvie; »ich setze mich seinetwegen besser nicht in Unkosten.« »Und nun, Freundchen,« fuhr der Hauptmann fort, »wollen wir uns miteinander verständigen. Du solltest als Spion am nächsten Baume hängen; aber wenn Du mir einen Dienst erzeigst, erzeig ich Dir einen andern. Du sollst mich mit einigen meiner Leute zu dem Orte führen, wo Du Deinen Herrn verlassen hast, da ich wegen wichtiger Geschäfte mit ihm zu sprechen habe, und ich lasse Dich Deiner Wege ziehen und gebe Dir noch fünf Guineen dazu.« »Oh! oh!« rief Dougal in äußerster Bekümmernis; »kanns nicht tun,– kanns nicht tun! Läßt sich lieber hängen.« »Dann sollst Du hängen, und Dein Blut komm' über Dein eigen Haupt. – Korporal Cramp, macht den General-Profos – fort mit ihm!« Der Korporal hatte dem armen Dougal einige Zeit gegenübergestanden und einen Strick, den er im Hause fand, zusammengedreht. Jetzt warf er denselben um des Angeklagten Nacken und schleifte ihn mit Hilfe zweier Soldaten bis zur Tür, wo aber Dougal, von Todesangst übermannt, ausrief: »Halt! halt! Ihr Herren! – Will tun was der Herr Hauptmann verlangt – halt!« »Fort mit dem Buben,« sprach Jarvie, »er verdient jetzt mehr als je, gehangen zu werden. – Fort mit ihm, Korporal! Warum bringt Ihr ihn nicht weg?« »Ich glaube, Herr,« versetzte der Korporal, »wenn Ihr gehangen werden solltet, dann hättet Ihr schwerlich solche Eile.« Dieses Nebengespräch verhinderte mich, zu hören, was zwischen dem Gefangenen und dem Hauptmann vorging; doch ächzte ersterer mit sehr niedergeschlagnem Tone: »Und wollt Ihr nicht verlangen, daß ich weiter mitgehe, als Euch zu zeigen, wo Mac Gregor ist? Oh! oh!« »Still mit Deinem Geheul, Du Schelm! Ich gebe Dir mein Wort, daß Du zu weiterm nicht gehalten sein sollst. Laßt die Mannschaft vor dem Hause antreten, Korporal! Führt die Pferde der Herren heraus; wir müssen sie mitnehmen. Ich kann keine Leute entbehren, um sie als Wache hier zu lassen. Vorwärts – marsch!« Wir wurden mit Dougal als Gefangene hinausgeführt. Als wir die Hütte verließen, hörte ich, wie Dougal den Hauptmann an die fünf Guineen erinnerte. »Da hast Du sie,« sprach der Offizier und gab ihm Gold in die Hand; »aber laß Dir gesagt sein, wenn Du Dir etwa einfallen lassen solltest, mich irre zu leiten, jag ich Dir eine Kugel durch den Kopf.« »Die Kreatur ist schlechter, als ich geglaubt habe,« sprach Jarvie – »ein erbärmlicher Wicht! Mein Vater, der Vorsteher, hatte gar recht mit seiner Rede: geprägtes Silber hat mehr Seelen erschlagen, als das nackte Schwert je Leiber erschlug.« Die Wirtin trat nun vor und verlangte Bezahlung der Zeche, mit Einschluß alles dessen, was Galbraith und die Hochländer verzehrt hatten. Der englische Offizier machte Einwendungen, allein die Frau erklärte, wenn sie nicht dem Namen des edlen Herrn vertraut, auf den sich die Gesellschaft berufen hätte, so würde sie nie einen Tropfen Branntwein hergegeben haben; denn sie möge den Herrn Galbreith wiedersehen oder nicht, ihr Geld werde sie schwerlich bekommen – und sie sei eine arme Witwe, die nichts habe als ihre Kundschaft. Der Hauptmann machte ihren Reden ein Ende, indem er die Zeche bezahlte, die sich nur auf einige Schillinge belief, obwohl sie nach schottischer Rechnung sich wie eine ganz schreckliche Summe anhörte. Es war eine Wohltat für mich, die dunkle, rauchige, stickige Atmosphäre der hochländischen Hütte gegen die duftige Frische der Morgenluft zu vertauschen, als die Strahlen der aufgehenden Sonne, aus einem Zelt goldner und purpurner Wolken hervorbrechend, eine Gegend beleuchteten, schöner und romantischer, als ich je eine erblickt hatte. Links lag das Tal, das der Forth in östlicher Richtung durchströmte. Zur Rechten breitete sich mitten unter Wäldern, Hügeln und Felsen das Bett eines großen Bergsees aus, auf dessen Fläche der Morgenwind leichte Wellen kräuselte, die, glänzend im Sonnenschein, weiter flossen. Hohe Hügel, Felsen und Dämme, von Birken- und Eichenwäldern umwogt, begrenzten diese bezaubernde Wasserfläche, und das Laub, wie es im Winde rauschte und in der Sonne schimmerte, erteilte der tiefen Einsamkeit eine Art von Leben und Bewegung. Nur der Mensch erschien in einem geringern Zustande in einer Gegend, wo die ganze Natur große erhabne Züge trug. Die armseligen Hütten, deren das Dorf ungefähr ein Dutzend besaß, bestanden aus rohen Steinen, mit Lehm verbunden, und waren mit Rasen bedeckt, die auf unbehauene Baumstämme gelegt waren. Die Dächer reichten so tief herab, daß Andreas meinte, wir hätten letzte Nacht über das Dorf wegreiten können, ohne von seiner Nähe etwas gewahr zu werden, bis die Pferde mit den Beinen durch die Dächer gerutscht wären. Aus allem konnten wir sehen, daß das Wirtshaus, so elend der Aufenthalt darin war, noch immer bei weitem das beste im Dorfe war. Die Bewohner der ärmlichen Hütten wurden durch das Geräusch unsrer Abreise aufgestört, und während die Soldaten, zwanzig an der Zahl, sich in Reih und Glied stellten, guckten ein paar alte Weiber, mit grauen Flanellhauben auf dem Kopfe, deren Gesichter an Macbeths Hexen erinnerten, durch die halb geöffneten Türen. Auch kleine Kinder kamen langsam zum Vorschein, teils ganz nackt, teils mit Lumpen von gestricktem Zeuge bedeckt, klatschten in die kleinen Hände und wiesen den englischen Soldaten die Zähne, mit einem Ausdruck von Nationalhaß und Bosheit, der sich mit ihrem Alter nicht recht zu vertragen schien. Was mir vor allem auffiel, war der Umstand, daß keine Männer, nicht einmal Knaben von zehn oder zwölf Jahren, unter den Bewohnern des Dorfes zu sehen waren. Sobald wir unsern Marsch wieder angetreten hatten, machte sich die Feindseligkeit der Bewohner in Worten Luft. Das letzte Glied hatte gerade das Dorf verlassen, da mischte sich ein gellender Ausruf der Weiber mit Kindergeschrei und Händeklatschen, womit die Weiber im Hochlande ihr Klagegeheul und Wutgeschrei zu verstärken pflegen. Ich fragte Andreas, der bleich wie der Tod aussah, was der Lärm zu bedeuten habe? »Ich glaube, wir werdens bald genug erfahren,« antwortete er. »Vorläufig heißts für uns, daß die Weiber die Rotröcke und jeden, der Sächsisch spricht, verfluchen und ihnen alles Böse wünschen. Das Schlimmste ist, sie schreien uns nach, wir sollten nur am See hinauf gehen, da würden wir schon sehen, wohin wir kämen.« Der Weg, den wir zogen, schien einen Angriff auf uns sehr zu begünstigen. Anfangs wand er sich abwärts vom See durch sumpfiges Wiesenland, mit Unterholz bewachsen, dann führte er durch dunkle, dichte Gebüsche, wo wenige Schritte vor uns ein Hinterhalt verborgen sein konnte, und oft ging er über rauhe Bergströme, in denen die Soldaten bis an die Kniee wateten,, und die mit solcher Gewalt strömten, daß immer zwei Mann sich an den Armen fassen mußten, um hindurchzugelangen. Jarvie, dessen gesunder Verstand die Situation ihn besser noch erfassen ließ als mich, ritt kurz entschlossen zu dem Hauptmann heran. »Als Anhänger des Königs Georg und als Freund seiner Arme nehme ich mir die Freiheit zu der Frage: Meint Ihr keine bessre Zeit wählen zu können, um in dieser Schlucht hinauf zu ziehen? Wenn Ihr Robin den Roten aufsucht, so weiß man, daß er immer über fünfzig Mann stark ist, und wenn ihm gar seine Freunde beistehen, so kann es Euch schlecht ergehen. Mein aufrichtiger Rat ist, lieber wieder in das Dorf zurückzugehen; denn die Hochlandsweiber sind wie die Seemöwen; wenn sie schreien, kommt immer schlecht Wetter.« »Seid ohne Sorge, Herr,« erwiderte Hauptmann Thornton. »Als Anhänger des Königs Georg werdet Ihr mit Vergnügen hören, daß die Reiter von der Landmiliz, von Major Galbraith befehligt, sich schon mit zwei andern Reiterhaufen vereinigt haben, um alle niedern Pässe dieser wilden Gegend zu besetzen. Dreihundert Hochländer, unter den beiden Herren, die Ihr im Wirtshause gesehen habt, halten die obern Pässe. Die letzten Nachrichten über Robin stimmen mit den Aussagen des eingefangenen Burschen überein, daß er sich von allen Seiten umringt sieht und, entweder um sich leichter verborgen zu halten, oder um sich durchs Gebirge zu schlagen, den größern Teil seiner Mannschaft entlassen haben wird.« »Wenn bloß nicht Galbraith heute morgen mehr Branntwein als Gehirn im Kopfe hat,« meinte Jarvie. »Ich an Eurer Stelle, Herr Hauptmann, würde nicht meine Zuversicht auf die Hochländer setzen, denn eine Krähe hackt der andern die Augen nicht aus.« Der Hauptmann ordnete seine Marschlinie anders, befahl den Soldaten, die Gewehre zu laden und die Bajonette aufzustecken, und bildete aus je einem Unteroffizier und zwei Mann eine Vor- und eine Nachhut. Dougal ward von neuem verhört, behauptete aber die Wahrheit seiner frühern Aussagen standhaft, und als man ihm über die verdächtige Beschaffenheit des Weges, den er führte, Vorhaltungen machte, antwortete er hartnäckig, er habe den Weg nicht selbst gemacht, und wenn die Herren lieber auf breiten Landstraßen marschierten, so hätten sie in Glasgow bleiben sollen. Plötzlich verließ der Weg den Waldgrund und zog sich dicht am Ufer des Sees hin, so daß er die volle Aussicht auf dessen ausgebreiteten Spiegel bot, der nun, da sich der Wind gänzlich gelegt, in stiller Pracht die hohen dunklen Heideberge, die grauen, gewaltigen Felsen und rauhen Ufer widerspiegelte, die ihn umringten. Die Hügel senkten sich jetzt so nah an seine Ufer herab, und waren so zerrissen und steil, daß kein Weg übrig blieb, als der schmale Pfad, den wir zogen, und der von Felsen überhangen war, von denen aus wir leicht und fast ohne Möglichkeit, Widerstand zu leisten, durch herabgerollte Steine hätten vernichtet werden können. Ueberdies konnten wir auf einem Pfade, der sich um jedes Vorgebirge und jede Bucht wand, die das Ufer einschnitt, selten weiter als hundert Schritte vor uns sehen. Unser Anführer schien unruhig zu werden. Das verriet sich durch die wiederholten Befehle an seine Soldaten, scharfen Ausguck zu halten, und durch wiederholte Warnungen gegen Dougal, ihn auf der Stelle niederzuknallen. »Wenn die Herren den roten Gregarach suchen wollten,« antwortete Dougal hierauf mit unerschütterlicher Ruhe, »so müßten sie sich eben gefaßt darauf machen, daß es ohne Gefahr nicht dabei abgehen würde.« Da machte der Unteroffizier, der die Vorhut anführte, Halt und sandte einen Mann mit der Meldung zurück, daß der Pfad vor ihm von Hochländern besetzt sei. Fast im nämlichen Augenblicke kam von der Nachhut die Meldung, in den Wäldern, die wir eben durchzogen hätten, erklänge der Dudelsack. Hauptmann Thornton, ebenso kriegskundig wie mutig, beschloß ohne weiteres, den Paß vor ihm zu stürmen, ehe der Angriff im Rücken zur Ausführung kommen könne. Dougal wurde zwischen zwei Mann genommen, und auch wir mußten mitten zwischen die Soldaten treten. Dann rückten die Soldaten vor mit der Standhaftigkeit englischer Krieger; nicht so Andreas, der vor Angst sich nicht zu halten wußte. Wir näherten uns bis auf zwanzig Schritte der Stelle, wo man den Feind gesehen hatte. Es war eines jener Vorgebirge, die in den See hinaus laufen, an dessen Fuße der Weg sich bisher wand. Der rauhe Pfad verließ das Ufer und stieg in steilem Zickzack am Abhang eines grauen Schieferfelsens hinauf, der anders nicht zu ersteigen gewesen wäre. Auf dem Gipfel des Felsens, wohin der schmale, zerrissene Weg führte, meinte der Korporal die Mützen und langen Flinten von Hochländern gesehen zu haben, die anscheinend unter Heidekraut und Buschholz versteckt lagen. Thornton hieß ihn in drei Gliedern vorgehen, während er selbst langsamer zur Unterstützung mit der übrigen Mannschaft nachrücken wollte. Aber der geplante Angriff wurde durch die unvermutete Erscheinung einer Frau auf dem Gipfel gestört, die den Engländern gebieterisch »Halt« entgegenschrie und Auskunft verlangte, was die Rotröcke in Mac Gregors Lande suchten. Selten hab ich eine so auffallende, so erhabne Gestalt gesehen, wie diese Frau, die zwischen dem vierzigsten und fünfzigsten Lebensjahre stehen mochte. Ihr Gesicht mußte sich vormals durch Formen männlicher Schönheit ausgezeichnet haben, obwohl ihre Züge durch die Einwirkung rauher Witterung, und vielleicht durch den zerstörenden Einfluß des Kummers und der Leidenschaften tief gefurcht, jetzt nur stark, scharf und ausdrucksvoll waren. Sie trug ihren Plaid nicht um den Kopf und die Schultern gelegt, wie es Sitte der schottischen Frauen ist, sondern nach Art der hochländischen Krieger um den Leib geschlagen. Eine Mannsmütze mit einer Feder bedeckte ihr Haupt, in der Hand hielt sie ein entblößtes Schwert und ein Paar Pistolen im Gürtel. »Das ist Robins Weib, Helene Campbell,« flüsterte Jarvie angsterfüllt mir zu, »da wird es bald genug blutige Köpfe unter uns geben.« »Was sucht Ihr hier?« wiederholte sie, als Hauptmann Thornton selbst sich genähert hatte, um zu rekognoszieren. »Wir suchen Robin Mac Gregor Campbell, über den die Acht verhängt ist,« versetzte der Offizier, »führen aber nicht Krieg gegen Weiber; drum leistet nicht vergeblichen Widerstand gegen des Königs Soldaten, sondern versichert Euch einer gnädigen Behandlung.« »Ja, ich kenne Eure Gnade,« erwiderte die Amazone. »Ihr habt mir weder Namen noch Ruf gelassen – meiner Mutter Gebeine werden in ihrem Grabe schaudern, wenn man die meinigen an ihre Seite legt. Ihr habt mir und meinen Angehörigen weder Haus noch Heimat gelassen, weder Bett noch Lager, kein Vieh, uns zu nähren, keine Herde, uns zu kleiden. Ihr habt uns alles genommen, alles, selbst den Namen unsrer Väter, und nun wollt Ihr unser Leben holen?« »Ich trachte nach keines Menschen Leben,« sagte der Hauptmann; »ich vollführe bloß die mir erteilten Befehle. Wenn Ihr allein seid, Frau, so habt Ihr nichts zu fürchten, – sind aber tollkühne Männer bei Euch, die vergeblichen Widerstand leisten wollen, dann komme ihr Blut über ihr eigenes Haupt. – Vorwärts, Korporal!« »Vorwärts, marsch!« rief der Unteroffizier, »Hurra, Kinder! Robins Kopf oder einen Beutel mit Gold!« Im Sturmschritt ging er voran, und seine sechs Krieger folgten; aber sie waren kaum um die erste Wendung des steilen Pfades herum, so krachte ein Dutzend Feuergewehre von verschiedenen Seiten des Passes her schnell hinter einander. Durch den Leib geschossen, suchte der Korporal noch immer die Höhe zu erklimmen, und hob sich mit den Händen an den Felsen empor, bis er nach einer verzweiflungsvollen Anstrengung losließ und vom Rande der Klippe in den tiefen See hinabstürzte, wo er ertrank. Von den Soldaten fielen drei; die übrigen retirierten, zum größten Teil blessiert, zur Hauptmacht zurück. »Grenadiere an die Spitze!« rief Hauptmann Thornton, stellte sich ins vorderste Glied, und mit Hurra! ging es wieder vorwärts. Die Grenadiere rüsteten sich, ihre Granaten in die Gebüsche zu werfen, wo der Hinterhalt lag, und die andern machten sich zur Unterstützung fertig. Dougal, im Handgemenge vergessen, schlug sich in das Dickicht, das über dem Teile des Weges hing, wo wir zuerst Halt machten, und stieg mit der Gewandtheit einer wilden Katze empor. Ich folgte unwillkürlich seinem Beispiel und kletterte, bis ich außer Atem war. Das ununterbrochene Geknatter, denn jeder Schuß fand tausendfältigen Widerhall in den Bergen, das Gezische und Knallen der brennenden Granatenzünder, das Hurra der Soldaten und das mark- und beinerschütternde Geschrei ihrer hochländischen Gegner beflügelte, – wie ich mich nicht zu gestehen schäme, – mein Verlangen, einen sichern Ort zu erreichen. Aber der Aufstieg wurde bald so steil, daß ich alle Hoffnung aufgab, Dougal einzuholen, der sich von Felsen zu Felsen, von Stamm zu Stamm mit der Leichtigkeit eines Eichhörnchens aufschwang; und ich blickte zurück, um zu sehen, was aus meinen andern Gefährten geworden war. Der Stadtvogt, durch die Furcht getrieben, war ungefähr zwanzig Fuß hoch gestiegen, als er beim Sprunge von einem Felsstück zum andern ausglitt; und wäre er nicht an einem starken Dornstrauch mit den Rockschößen hängen geblieben, der ihn nun schwebend in der Luft hielt, so wäre er ohne Zweifel heim zu seinem Vater, dem Vorsteher, gegangen. Andreas war glücklicher gewesen, bis er zum Gipfel eines kahlen Felsens gelangte, der, über den Wald hervorragend, so steil und unzugänglich war, daß er weder vorwärts noch rückwärts zu gehen wagte. Auf der schmalen Felsenfläche hin und wieder tretend, schrie er abwechselnd in gälischer und englischer Sprache um Erbarmen, je nachdem der Sieg auf diese oder jene Seite sich zu neigen schien. Aber seine Rufe fanden nur Widerhall im Stöhnen des Stadtvogts, dem es in seiner schwebenden Situation, – die viel von einer Luftschaukel an sich hatte, – mit jeder Sekunde schrecklicher zu Mute wurde. Bald aber sollte dem Vogt wie dem Gärtner Erlösung winken, denn die Ursache seines Schreckens schwand, das Feuer, anfangs so rege unterhalten, hörte plötzlich auf, was als sicheres Zeichen dafür gelten konnte, daß der Kampf zu Ende war. Ich suchte nun eine Stelle, von wo aus ich die Aufmerksamkeit der Sieger auf Jarvie lenken könnte, und fand nach mühsamer Kletterarbeit, was ich suchte. Ich übersah nun das Schlachtfeld; der Kampf war wirklich vorüber und hatte, wie ich mir von vornherein gedacht hatte, mit einer Niederlage der Engländer geendigt. Die Hochländer waren beschäftigt, den Offizier und den geringen Ueberrest der Schar, zwölf Mann, von denen die meisten verwundet waren, zu entwaffnen. Der Sieg war von ihren Gegnern wohlfeil erkauft, denn sie hatten nur einen Toten und zwei Verwundete. Aber all meine Aufmerksamkeit wurde jetzt von dem englischen Hauptmann in Anspruch genommen, von dessen Gesicht das Blut floß und der mit seiner Mannschaft nun all jene harten Maßregeln erlitt, die der Sieger dem Ueberwundenen auferlegt. Elftes Kapitel Es schien mir so gut wie ausgemacht, daß Dougal seine Rolle mit Absicht gespielt hatte, um die Engländer in das Defilee zu locken, und ich konnte nicht umhin, die Geschicklichkeit zu bewundern, wie der unwissende, halb rohe Wilde seine Absicht zu verbergen wußte, und den erkünstelten Widerwillen, mit dem er sich die falsche Nachricht hatte abnötigen lassen. Ich sah, daß wir uns den Siegern nur mit Vorsicht nähern durften, denn sie rasten in ihrem Taumel über den Sieg förmlich vor Wut. Ein Paar Soldaten, die schwer verwundet waren und nicht aufstehen konnten, wurden von zerlumpten holländischen Buben, die sich unter die Männer gemischt hatten, niedergestochen. Ich hielt es deshalb nicht für geraten, uns ohne jede Fürsprache zu zeigen, und da ich Campbell, den ich mit dem berüchtigten Freibeuter Robin für eins halten mußte, nirgends erblickte, meinte ich, es möchte gut sein, den Schutz seines Kundschafters Dougal in Anspruch zu nehmen. Aber all mein Suchen war vergeblich, und ich kehrte endlich zurück, um zu versuchen, ob ich dem unglücklichen Freunde allein Beistand leisten könnte. Aber zu meiner Freude sah ich ihn aus seiner Schwebe bereits erlöst und heil und gesund, wenn auch pechschwarz im Gesicht und äußerst mitgenommen an Leib und Sachen, unter dem Felsen sitzen, an welchem er in der Luft geschwebt hatte. Ich eilte auf ihn zu. Ein heftiger Hustenanfall benahm ihm allen Atem, und es verging einige Zeit, bis er imstande war, den Zweifeln Ausdruck zu geben, die er jetzt, in meine Bereitwilligkeit, ihm beizuspringen, setzen zu müssen meinte. Ich bemühte mich nach Möglichkeit, ihm klar zu machen, wie unmöglich es mir gewesen war, ihm zu helfen, da ich doch der Hilfe selbst dringend bedurft hätte, und so wandte mir der Stadtvogt, der ebenso versöhnlich als aufbrausend war, seine Gunst wieder zu. Ich fragte ihn alsdann, wie es ihm gelungen sei, sich loszumachen. »Na, wenn ich mir selbst hätte helfen sollen, wie ich da hing, mit dem Kopf auf der einen Seite und mit den Beinen auf der andern, wie 'ne Garnwage, da hält ich wohl hängen können bis zum jüngsten Tage! Die Kreatur Dougal hat mir wieder beigestanden, wie gestern, hat mir die Schöße vom Rocke mit dem Dolch abgesäbelt und mir dann mit einem andern Burschen so geschickt wieder auf die Beine geholfen, als wenn ich immer darauf gestanden hätte. Aber da kann man sehen, was gutes, festes Tuch ist. Hätt' ich morschen Kamelot aus französischem Gespinst getragen, wie Ihr, der wäre doch gerissen wie ein alter Fetzen, bei solchem Gewicht, wie ichs habe.« Ich fragte, was aus seinem Retter geworden sei. »Die Kreatur,« wie Jarvie den Hochländer gewöhnlich nannte, »machte mir begreiflich, daß ich klüger täte, hier zu warten, statt vor ihm zu der Dame hinzugehen. Ich glaube, er sucht Euch,« fuhr er fort – »es ist eine gar bedächtige Kreatur, und meiner Treu, ich wollte schwören, er hat recht mit der Lady, wie er sie nennt. Helene Campbell war nicht gerade das sanfteste Mädel und ist auch nicht die holdseligste Frau, und die Leute sagen, Robin hätte selbst gehörigen Dampf vor ihr. Daß sie mich kennen wird, bezweifle ich, denn wir haben uns seit vielen Jahren nicht gesehen. Warten wir also, bis Dougal kommt, ehe wir hingehen.« Ich stimmte seiner Meinung bei, aber das Schicksal wollte nicht, daß Jarvies Vorsicht ihm oder sonst jemand an diesem Tage nützen sollte. Andreas hatte zwar aufgehört, auf der Felsenspitze Luftsprünge zu machen, sobald es zu knallen aufhörte; er blieb in solcher Höhe doch eine zu seltsame Figur, als daß er den scharfen Blicken der Hochländer hätte entgehen können, sobald sie Zeit gewannen, sich umzusehen. Ein wildes, lautes Geschrei unter den Siegern verriet, daß man ihn entdeckt hatte, und sogleich eilten mehrere von ihnen ins Gebüsch und erstiegen die felsige Seite des Hügels in verschiedenen Richtungen nach dem Orte zu, wo sie die seltsame Erscheinung wahrgenommen hatten. Denjenigen, welche sich dem armen Kerl zuerst auf Schußweite näherten, fiel es gar nicht ein, ihm in seiner mißlichen Lage Beistand anzubieten, sondern sie legten ihre langen Gewehre an und gaben ihm durch unzweideutige Winke zu verstehen, daß er herabkommen und sich ihnen auf Gnade und Ungnade ergeben müsse, wenn sie ihn nicht herunterschießen sollten. Da konnte nun Andreas nicht länger anstehen, das Wagstück zu unternehmen, denn die größere Gefahr machte ihn unempfindlich gegen jene andre, die wenigstens nicht unbedingt tödlich zu sein brauchte, und er begann den Abstieg, indem er sich bald an Efeu, bald an einen Eichenstumpf oder ein vorragendes Felsstück klammerte, und dabei, so oft er eine Hand frei hatte, sie ausstreckte, wie wenn er bitten wollte, ja kein Gewehr loszudrücken. Seine Ungeschicklichkeit ergötzte die Hochländer höchlich, und sie konnten sich die Würze nicht schenken, ein paarmal in die Luft zu knallen, sobald sie merkten, daß er dann aus Angst um so schneller herunterzusteigen suchte. Endlich gewann er festern Boden, und mit einemmale schlug er der Länge nach auf die Erde, wo ihm die Hochländer, ehe er wieder auf die Beine kam, nicht nur den gesamten Inhalt seiner Taschen raubten, sondern ihm auch mit nicht minder bewundernswerter Schnelligkeit Perücke, Hut, Rock, Weste, Strümpfe und Schuhe abnahmen, daß der arme Schelm, der als wohlbeleibter und anständig bürgerlicher Diener auf den Rücken gefallen war, ausgeschält, kahlköpfig, einer Vogelscheuche gleich, wieder aufstand. Ohne Rücksicht auf seine nackten Füße zu nehmen, die sich an den scharfen Felsenstücken stießen, schleppten sie ihn durch alle Hindernisse dem Wege zu. Die Luchsaugen der herabsteigenden Hochländer hatten mich und Jarvie entdeckt, und sogleich umringte uns ein halbes Dutzend derselben, drohte mit Dolch und Schwert und richtete die Pistolen auf uns. Widerstand wäre Wahnsinn gewesen, und wir ergaben uns in unser Schicksal. Es hätte wenig gefehlt, so hätten wir das Schicksal des armen Andreas geteilt und ein Vogelscheuchen-Trio mit ihm gebildet; aber zu unserm Glück erschien Dougal, und mit seinem Auftreten veränderte sich die Bühne. Mit strengem Tone zwang er die Plünderer, von fernerem Raube abzulassen. Aber Andreas strengte seine Lunge umsonst an, um durch Douglas' Vermittelung wieder zu seinen Kleidern, wenigstens doch Schuhen, zu gelangen. »Nein, nein,« antwortete Dougal darauf; »der ist sicher nichts Vornehmes; seine Vorfahren sind auch barfuß gegangen, oder ich müßte mich sehr irren.« Schnell führte er uns den Pfad hinab, wo das Gefecht stattgefunden hatte, ließ Andreas zusehen, ob er folgen konnte oder folgen wollte, und eilte, uns vor die Anführerin seiner Schar zu bringen. Nun standen wir vor der Heldin des Tages, deren äußere Erscheinung, um die Wahrheit zu gestehen, keine geringere Besorgnis in mir weckte, als die rauhen und kriegerischen Gestalten, die uns umringten. Ich weiß nicht, ob Helene Mac Gregor tätigen Anteil am Streite genommen hatte; aber die Blutflecken an ihrer Stirn, ihren Händen und nackten Armen, das blutige Schwert, das sie in der Hand hielt – die Röte ihres Angesichts und die verwirrten Rabenlocken, die unter ihrer roten Mütze hervorwallten, alles schien anzudeuten, daß sie wirklich im Kampfe gewesen war. Ich wußte nicht, wie ich eine so ungewöhnliche Frau anreden sollte; Jarvie riß mich indessen aus dieser Verlegenheit, indem er nach mancherlei Geräusper und Gehüstel sich mit den Worten an sie wandte: »Ich schätze mich glücklich, daß ich die frohe Gelegenheit habe –« (ein Zittern seiner Stimme widersprach dem Nachdruck, den er geflissentlich auf das Wort »froh« legte), »meines Vetters Frau einen guten Morgen zu wünschen. Wie gehts Euch, wenn ich fragen darf?« fuhr er fort und schwatzte sich immer mehr in seine gewöhnliche Weise hinein, die ein Gemisch von Vertraulichkeit und Eigenliebe darbot. – »Wie ists Euch die lange Zeit her gegangen? – Ihr habt mich wohl vergessen, Frau Mac Gregor Campbell, – aber meines Vaters, des Vorstehers auf dem Salzmarkte in Glasgow, entsinnt Ihr Euch doch noch? Er war ein ehrlicher Mann und zuverlässig, und hat immer auf Euch und die Eurigen gehalten. – Wie gesagt, es freut mich recht, Euch zu sehen, Frau Mac Gregor Campbell, als meines Vetters Weib.« »Wer seid Ihr,« antwortete sie streng, »daß Ihrs wagt, auf die Verwandtschaft mit Mac Gregor Anspruch zu machen, und weder seine Kleidung traget, noch seine Sprache redet? Ihr habt die Zunge und Gewohnheit des Hundes, und wollt Euch niederlegen zu dem Reh?« »Ich weiß nicht,« antwortete der unverzagte Jarvie, »ob man Euch die Verwandtschaft je gehörig erklärt hat, aber sie ist richtig und kann bewiesen werden. Meine Mutter, Elsbeth Macfarlane, ward die Frau meines Vaters, Vorstehers Nikolas Jarvie – Friede sei mit beiden! – Und Elsbeth war die Tochter des Parlane Macfarlane. Dieser Macfarlane nun stand, wie dessen überlebende Tochter, Maggy Macfarlane, die Duncan Mac Nab in Stuckavrallachan heiratete, bezeugen kann, mit Eurem Manne, Robin Mac Gregor, im vierten Grade der Verwandtschaft, denn –« Die Heldin tat seinen Auseinandersetzungen durch die stolze Frage Einhalt, ob ein rauschender Strom Verwandtschaft mit dem Wasser anerkenne, das die Anwohner zu ihrem geringen Hausgebrauch davon ableiten? »Sehr wahr, Frau Base,« sprach Jarvie; »dennoch würde der Fluß recht froh sein, wenn er den Mühlgraben wieder hätte im Sommer, wo seine Kieselsteine weiß sind von der Sonne. Ich weiß wohl, Ihr Hochländer achtet uns Leute in Glasgow gering wegen unserer Sprache und unserer Tracht; aber jeder spricht, wie ers als Kind gelernt hat, und es müßte sich närrisch ausnehmen, wenn ich meinen fetten Bauch in einen kurzen, hochländischen Rock stecken, und meine kurzen Beine unter dem Knie gürten sollte, wie Eure langbeinigen Burschen. – Doch nebenbei, Frau Base,« fuhr er fort, ungeachtet ihm Douglas Winke Stillschweigen anzuraten schienen, und die Amazone Zeichen von Ungeduld zu erkennen gab, »ich wollt Euch zu erwägen geben, daß des Königs Botschaft zuweilen in des Krämers Haus kommt, und daß, so hoch Ihr Euren Mann halten möget, wie 's recht ist, daß jede Frau ihren Mann hält – was auch die heilige Schrift befiehlt – so bin ich wohl schon eher dienstfertig gegen Robin gewesen. Ich hab Euch auch, als Ihr Euch verheiraten wolltet, eine Schnur Perlen geschickt, und als Robin noch ein ehrlicher Viehhändler war ... den Landfrieden noch nicht störte durch seine Streitereien und Kriegszüge ...« Hier berührte er offenbar einen Punkt, den die Frau Base nicht leiden mochte; denn sie richtete sich hoch auf und verriet ihre Heftigkeit durch ein Lachen, in welchem Hohn und Erbitterung zum Ausdruck kamen. »Ja,« rief sie, »Ihr und Euresgleichen konntet Euch einer Verwandtschaft mit uns anmaßen, so lange wir uns herabließen, wie Vieh unter Eurem Joche zu leben. Aber nun sind wir frei, denn wir üben an Euch Rache, blutige Rache. Das Werk, das dieser Tag so gut begonnen hat, will ich weiterführen, und jedes Band soll zerrissen werden zwischen Mac Gregor und den Schuften im Niederlande. Herbei, Allan! Dougal! Bindet diese Sachsen zusammen und werft sie in den hochländischen See, dort mögen sie sich ihre Hochlandssippe suchen.« Erschrocken über diesen Befehl, erhob Jarvie eine Beschwerde, die wahrscheinlich die heftige Leidenschaft der Person, an die sie gerichtet, nur noch mehr entflammt hätte, als Dougal sich zwischen beide warf und in seiner Muttersprache, die er mit einer Schnelligkeit und Geläufigkeit redete, die sehr gegen die langsame, unvollkommne Weise abstach, wie er sich im Englischen ausdrückte, unsre Verteidigung übernahm. Seine Herrin unterbrach ihn in englischer Sprache, als wenn sie uns die Bitterkeit des Todes im voraus hätte wollen fühlen lassen: »Elender Hund und Abkömmling eines Hundes, Du lehnst Dich gegen meinen Befehl auf? Sollt ich Dir gebieten, ihnen die Zungen auszuschneiden und sie in andere Hälse zu setzen, damit wir sehen, wer am besten Sächsisch spräche, oder ihnen die Herzen auszureißen und sie in andere Leiber zu setzen, damit wir sehen, wer die besten Anschläge gegen Mac Gregor ersinnen könne? – und dergleichen geschah vor alters in den Tagen der Rache, wenn unsre Väter Unrecht zu vergelten hatten! Wie kannst Du Dich erkühnen, zu säumen, wenn ich befehle?« »Gewiß, gewiß, Euer Wille sollte geschehen,« erwiderte er, »und das wäre nur recht. – Aber man sollte meinen, wenn Ihr einen Hauptmann von den Rotröcken und einen Korporal und noch ein paar Rotröcke in den See werfen ließet, so dürfte das für Euren Grimm eine bessere Genugtuung sein, als wenn Ihr zwei wackern, höflichen Herren Leid antun wollt. Es sind Freunde von Gregarach, sie sind auf des Häuptlings Zusage hier und nicht, um Verrat auszuführen, wie Ihr selbst bezeugen könnt.« Die Frau wollte antworten, als einige wilde Töne einer Sackpfeife von der Straße nach Aberfoil herauf schallten, wahrscheinlich dieselben, welche Thorntons Nachhut gehört hatte. Das Gefecht war von so kurzer Dauer gewesen, daß die bewaffneten Männer, welche diesen kriegerischen Tönen folgten, nicht zeitig genug eintrafen, um an dem Kampfe teilzunehmen, und sie kamen jetzt nur, den Triumph ihrer Landsleute zu teilen. Die neuen Ankömmlinge unterschieden sich auffallend von denjenigen, die unsre Bedeckung überwunden hatten. Unter den Hochländern, welche die Gebieterin umringten, befanden sich Greise, Knaben, selbst Weiber, kurz Menschen, die nur die dringendste Not bewaffnet hatte; die dreißig bis vierzig Hochländer, die jetzt zu den andern stießen, waren aber lauter rüstige, kampfgewohnte Leute, in der Blüte der Jugend oder des männlichen Alters, deren kurze Strümpfe und gegürtete Plaids ihre nervigen Glieder prächtig hervorhoben. Auch in ihrer Bewaffnung waren sie dem ersten Haufen ebenso überlegen, wie in Kleidung und Ansehen; die Begleiter der Frau trugen Aexte, Sicheln und andre alte Waffen neben ihren Gewehren, und einige bloß Keulen, Dolche und lange Messer, die andern aber führten meistens Pistolen im Gürtel. Jeder hatte ein gutes Gewehr in der Hand und ein Schwert an der Seite, außer einer starken, runden Tartsche von leichtem Holz, die mit Leder überzogen und mit kupfernen Buckeln, nebst einer eingeschraubten stählernen Spitze in der Mitte, versehen war. Aber ihre Haltung und die klagenden Töne, die ihr Dudelsack zuweilen anstimmte, verrieten, daß dieser Trupp von keinem Siegeszuge kam. Mit traurigen, gesenkten Blicken traten sie vor die Frau ihres Häuptlings, die auf sie zuschritt. Ihr Gesicht drückte Unwillen und Besorgnis aus, sie fragte den Spielmann: »Was bedeutet das, Allaster? Warum eine Klage im Augenblicke des Sieges? – Robert! Hamish! Wo ist Mac Gregor? Wo ist Euer Vater?« Ihre Söhne, die den Trupp anführten, näherten sich ihr langsamen, unsichern Schrittes und murmelten einige gälische Worte, worauf sie ein Geschrei ausstieß, daß die Felsen ertönten. Alle Weiber und Knaben stimmten ein, schlugen in die Hände und heulten, als ob ihr Leben in dem Tone hätte verlöschen sollen. Der Widerhall des Berges, der seit dem Ende des Kampfes geschwiegen hatte, antwortete auf dieses Jammergeschrei, das selbst die Nachtvögel aus ihren Höhlen trieb. »Gefangen!« wiederholte Helene, als das Geschrei nachgelassen hatte. »Gefangen! – und Ihr lebt? Feigherzige Hunde! Hab ich Euch darum die Brust gereicht, daß Ihr Euer Blut schonen sollt gegen Eures Vaters Feinde? Daß Ihr ihn einfangen laßt von den Häschern und herkommt, es mir zu künden?« Mac Gregors Söhne, an die dieser grimmige Verweis sich richtete, waren Jünglinge, von denen der ältere kaum sein zwanzigstes Jahr erreicht hatte. Er hieß Robert, und um ihn vom Vater zu unterscheiden, setzten die Hochländer: Og, »der Kleine«, hinzu. Dunkles Haar und düstre Züge, mit der Glut frischer Gesundheit und Lebenslust, und eine Gestalt, die über seine Jahre kräftig und untersetzt war, gaben ihm das echte Aussehen eines jungen Sohnes der Berge. Hamish, »Jakob«, war um einen Kopf länger und weit hübscher als sein Bruder; seine hellblauen Augen und das üppige schöne Haar, das unter der hochblauen Mütze hervorwallte, ließen ihn als idealen Typus des jugendlichen Hochschotten erscheinen. Beide standen jetzt, tief bekümmert und tief beschämt, vor der Mütter und hörten ehrerbietig und unterwürfig die schweren Vorwürfe an. Als endlich ihr Unwille sich milderte, machte der ältere in englischer Sprache, wahrscheinlich um nicht von ihren Begleitern verstanden zu werden, einen Versuch zur Rechtfertigung. Ich stand ihm so nahe, daß ich ihn verstehen konnte, und da es mir wichtig war, über den seltsamen Vorgang Aufklärung zu erhalten, lauschte ich aufmerksam. Mac Gregor war, wie der Sohn erzählte, zu einer Zusammenkunft mit einem Schotten aus dem Unterlande, der ein Zeichen brachte von – der Name wurde sehr leise gemurmelt, aber ich glaubte den meinigen zu hören – bestellt worden und war der Aufforderung gefolgt, hatte aber befohlen, den Sachsen, der die Botschaft gebracht hatte, als Geisel festzuhalten, um sich redlichen Verfahrens zu versichern. Bloß in Begleitung von Angus Breck und Rory und mit der ausdrücklichen Weisung, daß niemand ihm folgen sollte, war er an den Ort aufgebrochen, wo er erwartet wurde. Nach einer halben Stunde schon sei Angus Breck zurückgekommen mit der Nachricht, Mac Gregor sei von einer Abteilung Miliz unter Galbraith Garschattachin überfallen und gefangen genommen worden. Als er Galbraith gedroht hatte, daß an dem Bürgen Vergeltung geübt werden würde, hätte dieser verächtlich erwidert: »Wir hängen den Dieb und Eure Leute den Söldner, und das Land wird so zwei unerwünschte Dinge auf einmal los.« »Und das erfuhrst Du, falscher Verräter,« sprach Mac Gregors Gattin, »und eiltest nicht, ohne Rücksicht auf Dein Leben, Deinem Vater zu Hilfe?« Der Jüngling wies bescheiden auf die überlegene Macht des Feindes hin, der, wie er vernommen habe, in einem alten Schlosse am See liegen bleiben wolle, das zwar fest sei, aber mit ausreichender Mannschaft überrumpelt werden könne. Es wurden nun Boten ausgesandt, alles, was von Kriegern erreichbar sei, aufzubieten zum Angriff auf die verräterischen Niederschotten; und die Traurigkeit und Verzweiflung, die sich anfangs auf allen Gesichtern zeigten, wichen jetzt der Hoffnung, ihren Anführer zu befreien, und dem Durst nach Rache. Mac Gregors Frau ließ den Mann vor sich bringen, der als Geisel zurückbehalten worden war; und in dem armen Tropfe, der, schon halb tot vor Schrecken, herbeigeschleppt wurde, erkannte ich zu meinem Erstaunen und Entsetzen meinen alten Bekannten Morris. Er fiel vor der Häuptlingsfrau nieder, um ihre Kniee zu umfassen; allein sie wich zurück, wie vor einem räudigen Tiere, und er konnte nur, als Zeichen der tiefsten Erniedrigung, den Saum ihres Plaids küssen. Totenbleich und krampfhaft die Hände ringend, jammerte er, er sei nur das Werkzeug andrer, und murmelte Rashleighs Namen. – Nur um sein Leben bat er – für sein Leben wollt er alles geben, was er in der Welt besaß – nur sein Leben verlangte er, wenn es auch unter Qualen und Entbehrungen verlängert werden sollte; nur den Atem begehrte er, und sollte er ihn in den Dünsten der tiefsten Berghöhle schöpfen müssen. Den Hohn und Widerwillen und die Verachtung zu beschreiben, womit die Häuptlingsfrau auf den Menschen, der um sein Leben so kläglich winselte, niedersah, ist unmöglich. »Elender!« schrie sie, »Du könntest durch die Welt kriechen, ungerührt von ihrer Schande, von ihrem unaussprechlichen Elend, von ihren Lastern, von ihrer Trübsal? – Du Schuft könntest leben, während der Edle verraten wird? während Schurken auf den Nacken des Tapfern den Fuß setzen? Nein! Krepieren sollst Du, wie ein Hund! krepieren, ehe die Wolke dort vor der Sonne vorüberzieht!« Sie gab den Männern, die sie umstanden, einen kurzen Befehl in gälischer Sprache. Morris wurde ergriffen und an den Rand der Klippe, die über dem See hing, geschleift. Er stieß ein Geschrei aus, so furchtbar, so mark- und beinerschütternd, daß es noch jahrelang nachher meinen Schlummer gestört hat. Einige hielten ihn, daß er sich nicht rühren konnte; andre banden einen schweren Stein in einen Plaid und schlangen den Plaid um seinen Nacken; noch andre rissen ihm die Kleider vom Leibe. Dann stürzten sie ihn in den See, der hier zwölf Fuß tief war, und übertäubten sein letztes Angstgeschrei mit ihrem Freudengebrüll der befriedigten Rache. Die schwere Last sank in die Fluten des Sees, und die Wellen, die sein Fall gestört hatte, flossen ruhig darüber hin, und das Leben eines Elenden war für immer aus den Reihen des Daseins verschwunden. Ich hatte an jenem Tage verschiedne Landsleute fallen sehen, aber bei aller Teilnahme, die meine Brust durchdrang, empfand ich doch nicht jenes qualvolle Entsetzen, das mich, befiel, als ich mit ansehen mußte, wie der unglückliche Morris in den Tod gejagt wurde. Ich sah Jarvie an. Sein Gesicht drückte dieselben Gefühle aus, wie das meinige. Er konnte sich nicht bezwingen, sondern murmelte, aber laut genug, um gehört und verstanden zu werden: »Ich zeuge gegen diese Tat, es ist ein blutiger, grausamer Mord – eine verfluchte Tat, und Gott wird sie seinerzeit rächen.« »Ihr fürchtet Euch also nicht davor, ihm nachzufolgen?« fragte die Häuptlingsfrau, indem sie einen Blick auf ihn schoß, wie der Falke auf seinen Raub, ehe er ihn ergreift. »Base,« versetzte Jarvie, »niemand wird mit Willen seinen Lebensfaden abschneiden, ehe man das Ende des Knäuels gehörig auf die Garnwinde abgewunden hat. – Und ich habe noch viel zu verrichten in dieser Welt, Geschäfte kommunaler und persönlicher Art –« »Ruhig!« herrschte das Weib ihn an – »ruhig von albernem Zeug, das nicht hergehört – antwortet kurz und bündig, wie würdet Ihr unser Verfahren gegen den sächsischen Hund nennen?« Der Stadtvogt räusperte sich. »Wenn Ihr gefragt würdet vor einem Gerichtshofe, wie Ihrs nennt, was würdet Ihr antworten?« fragte das Weib wieder mit verschärftem Tone. Jarvie blickte dahin und dorthin, als ob er auf eine Ausflucht sinne, und antwortete sodann wie einer, der kein Mittel sieht, einen Rückzug zu bewirken, und sich entschließt, den Kampf zu bestehen: »Ich sehe, wohin Ihr mich treiben wollt. Ihr wollt mich zwingen, zu sprechen, wie es mein Gewissen verlangt. Zwar könnte Euer eigner Mann, den ich hierher gewünscht hätte, sowohl um seinet- als meinetwillen, und auch die arme hochländische Kreatur Dougal Euch sagen, daß Niklas Jarvie bei den Fehlern eines Freundes auch ein Auge zudrücken kann, so gut, wie irgend jemand sonst; aber dennoch sag ich Euch, Base, meine Zunge spricht nie, wovon mein Herz nichts weiß. Eh' ich sagte, der arme Tropf dort sei gesetzmäßig ums Leben gebracht, wollt ich mich lieber an seine Seite legen lassen. – Aber ich glaube, Ihr wäret die erste Hochländerin, die dergleichen gegen den Verwandten ihres Mannes täte.« Wahrscheinlich war sein entschlossener Ton besser geeignet, auf das harte Herz des Weibes Eindruck zu machen. Sie ließ uns jetzt beide vor sich treten. »Euer Name,« sprach sie zu mir, »ist Osbaldistone? – Der tote Hund, den Ihr sterben sahet, nannte Euch so.« »So ist Rashleigh wohl Euer Vorname?« fuhr sie fort. »Nein. Ich heiße Franz.« »Aber Ihr kennt Rashleigh Osbaldistone? – Er ist Euer Bruder, wenn ich nicht irre, oder wenigstens Euer Verwandter und genauer Freund.« »Mein Verwandter ist er, aber nicht mein Freund,« versetzte ich. »Vor kurzem standen wir uns im Zweikampf gegenüber. Soviel ich weiß, war es Euer Mann, der uns auseinander brachte. Mein Blut ist kaum noch trocken an seinem Schwerte, und die Wunde in meiner Seite noch nicht vernarbt. Ich habe wenig Ursache, den, welchen Ihr nennt, als Freund anzuerkennen.« »Wenn Ihr nichts mit seinen Anschlägen zu tun habt,« erwiderte sie, »so könnt Ihr sicher und ohne für Eure Freiheit zu fürchten, zu Galbraith und seinen Leuten gehen und eine Botschaft von Mac Gregors Frau überbringen?« Ich antwortete, daß mir kein Grund bekannt sei, warum die Mannschaft mich zurückhalten sollte, und daß ich für mich nichts zu befürchten haben dürfte. Könne es meinem Freunde und meinem Diener, als ihren Gefangenen, zum Schutz gereichen, wenn ich die Botschaft übernehme, so sei ich bereit, sogleich aufzubrechen. Ich sei in das Land gekommen, setzte ich hinzu, auf ihres Mannes Einladung und seine Versicherung, daß er mir in einer wichtigen Angelegenheit beistehen wolle, und mein Reisegefährte, Herr Jarvie, habe mich aus eben dieser Absicht begleitet. »Ich wollte,« fiel der Stadtvogt ein, »in meinen Stiefeln wäre siedendes Wasser gewesen, als ich sie in dieser Absicht anzog.« »In den Worten dieses jungen Menschen erkennt Ihr Euren Vater,« sagte Helene Mac Gregor zu ihren Söhnen. »Er ist nur klug, wenn er die Mütze auf dem Kopfe und das Schwert in der Hand hat; aber sobald er den Tartan mit dem Tuchkleide vertauscht, mischt er sich in die elenden Ränke der Niederländer und wird nach allem, was er schon gelitten hat, von neuem ihr Werkzeug, ihr Sklave.« »Und ihr Wohltäter, setzet hinzu,« rief ich. »Mag sein,« antwortete sie. »Doch genug davon! – Ich werde Euch zu den feindlichen Vorposten bringen lassen, fragt nach ihrem Anführer und bringt ihm diese Botschaft von mir, Helene Mac Gregor: Wenn sie ein Haar krümmen auf Mac Gregors Haupt, und ihn nicht binnen zwölf Stunden in Freiheit setzen, so soll, ehe Weihnachten kommt, keine Frau in Lennox sein, die nicht Totenklage anstimmt, – kein Pächter, der nicht ach und weh schreit über eine abgebrannte Scheune und einen leeren Stall – kein Laird, kein Erbe soll sein Haupt abends niederlegen auf sein Kissen mit der Zuversicht, daß er lebe am Morgen – und zum Anfange dessen will ich, sobald die Frist vorüber ist, ihnen diesen Stadtvogt von Glasgow, diesen sächsischen Hauptmann und alle übrigen Gefangenen, jeden in einen Plaid gebunden und in so viel Stücke zerhackt, als Würfel im Tartan sind, herüberschicken!« Hamish, Mac Gregors jüngster Sohn, nebst zwei Gefährten begleiteten mich, sowohl um mir den Weg zu zeigen, als auch die Stärke und Stellung des Feindes zu erforschen. Um mir die Flucht unmöglich zu machen, vielleicht auch, um ein Unterpfand in Händen zu haben, zwang man mich, zu Fuße zu gehen. Dougal hatte mitgehen sollen, er wußte aber auszuweichen, und zwar, wie wir nachher erfuhren, um über Jarvie zu wachen, dem er, nach seinen rohen Begriffen von Treue, Dankbarkeit schuldig zu sein glaubte, weil er in gewisser Hinsicht einst sein Gönner oder Herr gewesen war. Nachdem wir ungefähr eine Stunde sehr schnell marschiert waren, erreichten wir eine mit Buschholz bedeckte Anhöhe, wo wir eine umfassende Aussicht über das Tal hatten und die Stellung der Soldaten genau beobachten konnten. Da es meistens Reiterei war, hatte man sich weislich gehütet, gegen den Engpaß vorzudringen, wo Hauptmann Thornton den kürzeren zog. Die Stellung war ziemlich geschickt auf einer Anhöhe in der Mitte des kleinen Tales von Aberfoil genommen, durch welches sich der Forth schlängelt, das von zwei Hügelreihen eingeschlossen und in der Ferne von höheren Gebirgen begrenzt wird. Das Tal ist indes breit genug, um die Reiter gegen einen plötzlichen Angriff der Hochländer zu sichern, und sie hatten in gehöriger Entfernung von der Hauptschar nach allen Richtungen Schildwachen und Vorposten aufgestellt, um bei dem geringsten Alarm aufzusitzen und unter Waffen zu sein. Die weidenden Pferde im Tale, die mannigfachen Kriegergruppen an dem schönen kleinen Flusse, die kahlen, romantischen Felsen, die sie einschlossen, während fern nach dem Morgen zu der Menteith-See hervorblinkte, und das Schloß Stirling, in dämmernder Ferne, längs der blauen Ochill-Gebirge sich zeigend, den Hintergrund schloß, das alles bot ein so seltsames, lebensvolles und schönes Bild, daß es sich mir so fest in Erinnerung geprägt hat, daß ich noch jetzt meine, es vor mir zu haben. Hamish Mac Gregor riß mich aus meiner Versunkenheit, indem er mir zurief, ich solle zu den Kriegern hinabsteigen und meine Botschaft bei ihrem Anführer ausrichten, schärfte mir aber ein, weder zu sagen, wer mich zu diesem Orte geleitet, noch wo mich meine Begleitung verlassen habe. Ich machte mich auf den Weg und Andreas folgte mir. Von seiner englischen Tracht besaß er nur noch die Beinkleider und Strümpfe und trug Riemenschuhe, die ihm Dougal aus Mitleid gegeben hatte. Ein zerrissener Plaid mußte den Mangel der andern Kleidungsstücke ersetzen. Wir waren noch nicht weit gegangen, als eine Reiterwache auf uns zuritt und mir mit vorgehaltenem Gewehr Halt! zurief. Ich verlangte, vor den Kommandanten gebracht zu werden und wurde sogleich in einen Kreis von Offizieren geführt, die um einen Mann von höherem Range herum im Grase saßen. Mein Bekannter Galbraith und viele andre, teils in Uniform, teils in gewöhnlicher Kleidung, aber alle bewaffnet, schienen Befehle von ihm entgegenzunehmen. Zum Sprechen aufgefordert, erzählte ich, wie ich unwillkürlich Zeuge der Niederlage geworden sei, die des Königs Soldaten von den Hochländern beim Passe vom Ard-See, wie man den Ort nannte, erlitten hätten, und wie die Sieger ihren Gefangenen und dem ganzen Niederlande alle Art von Unheil drohten, wenn nicht ihr Anführer ungekränkt ihnen zurückgegeben werde. Der Herzog, denn das war die Person, der ich rapportierte, hörte mich gelassen an und erklärte sodann, daß es ihm leid tue, die unglücklichen Gefangenen preiszugeben, allein es sei eine törichte Voraussetzung, daß er den wahren Urheber all dieser Gewalttaten freigeben werde. »Ihr könnt zurückkehren,« schloß er, »zu denen, die Euch sandten, und ihnen sagen, daß ich Robin Campbell, den Sie Mac Gregor nennen, mit Tagesanbruch unwiderruflich hinrichten lasse, als einen Geächteten, der mit den Waffen in der Hand ergriffen wurde und der den Tod für tausend Uebeltaten verdient. Sagt denen, die Euch sandten, ferner, daß man mich mit Recht meines Postens für unwürdig halten würde, wenn ich anders handeln wollte; daß ich das Land gegen ihre frechen Drohungen schützen werde, und daß, wenn sie den unglücklichen Männern, die ein böser Zufall in ihre Macht gegeben hat, ein Haar auf ihrem Haupte krümmen, ich eine Rache nehmen will, über die selbst die Steine in den Tälern hundert Jahre Weh schreien sollen!« Ich erlaubte mir hinsichtlich des ehrenvollen Auftrags, den man mir auftrug, geltend zu machen, daß ich mich, wenn ich ihn ausführte, zunächst selbst in schwere Gefahr brächte, worauf der Herzog antwortete, daß ich in diesem Falle meinen Diener schicken möge. »Der Teufel müßte mir in den Beinen stecken,« rief Andreas, ohne Rücksicht auf die Anwesenden und ohne zu warten, bis ich geantwortet hatte – »wenn ich nur einen Fuß dazu höbe. Denken die Leute, ich hätt' eine andre Kehle in der Tasche, wenn die Hochländer mir die hier abgeschnitten haben? Oder ich könnte untertauchen an der einen Seite des Sees und an der andern wieder raus kommen, wie ein wilder Enterich? Nicht doch! jeder für sich und Gott für uns alle. Mögen sich die Leute doch selbst bedienen und ihre eignen Boten sein, bis ihre Jungen groß sind. Robin der Rote hat nie ins Kirchspiel von Dreepdaily den Fuß gesetzt, um Aepfel oder Birnen zu stehlen.« Mühsam gelang es mir, Andreas zum Schweigen zu bringen. Dann stellte ich dem Herzoge vor, welcher großen Gefahr Hauptmann Thornton und Jarvie gewiß ausgesetzt sein würden, und bat ihn, mich zum Ueberbringer von Bedingungen zu machen, durch die ihr Leben geschützt werden könnte. Ich versicherte ihm, daß ich keine Gefahr scheuen würde, wenn ich nützlich sein könnte, doch nach allem, was ich gehört und gesehen habe, dürfe ich kaum zweifeln, daß man die Gefangenen sogleich ermorden werde, wenn der Geächtete den Tod erleiden sollte. Der Herzog war sichtlich sehr bewegt. Es sei ein harter Fall, sprach er, und er fühle es, allein er habe eine höhere Pflicht gegen das Vaterland zu erfüllen – Robin müsse sterben! Ich gestehe, daß ich dieses Todesurteil gegen meinen Bekannten Campbell, der sich wiederholt gegen mich willfährig und dienstfertig gezeigt hatte, nicht ohne tiefe Bewegung hörte. Mehrere Männer im Gefolge des Herzogs wagten, dem Gefangenen das Wort zu reden. Es wäre doch rätlicher, meinten sie, ihn nach Schloß Stirling zu schicken und dort in engem Gewahrsam zu halten, als Unterpfand für die Unterwerfung und Zerstreuung seiner Rotte. Major Galbraith ging noch weiter, auf des Herzogs Ehre vertrauend, obwohl er wußte, daß dieser aus besondern Gründen dem Gefangenen abgeneigt war. Robin, sprach er, sei zwar ein bedenklicher Nachbar, aber sonst ein gescheiter Kerl, der schon noch zur Vernunft zu bringen sei; sein Weib und seine Söhne hingegen wären ohne Furcht und Erbarmen und würden an der Spitze seiner Spießgesellen eine ärgere Landplage sein, als er es je gewesen. »Oho! oho!« erwiderte der Herzog, »Klugheit und List haben lediglich die Herrschaft dieses Banditen so lang erhalten. Ein gewöhnlicher, hochländischer Räuber wäre in so vielen Wochen unterdrückt worden, als er nicht in Jahren. Ohne ihn ist seine Bande sicher nicht mehr zu fürchten, als eine Wespe ohne Kopf, die vielleicht noch einmal sticht, aber dann zerquetscht wird.« Galbraith ließ sich nicht so leicht zum Schweigen bringen. »Mylord,« erwiderte er, »ich habe gewiß keine Freundschaft gegen Robin und er ebensowenig gegen mich, denn mir sind zweimal meine Ställe von ihm ausgeleert worden, den Schaden unter meinen Pächtern gar nicht zu nennen – aber dennoch –« »Dennoch,« sprach der Herzog mit einem bedeutsamen Lächeln, »meint Ihr, eine solche Freiheit könne man dem Freund eines Freundes verzeihen, und man hält Robin für keinen Feind der Freunde Major Galbraiths über dem Wasser.« »Wenns so wäre, Mylord,« versetzte Garschattachin in demselben scherzenden Tone, »so ist's nicht das Schlimmste; was ich von ihm höre. Aber ich wollte, wir hätten Nachricht von den Clans, worauf wir so lange warten. Ich möchte wetten, sie halten ihr Wort, wie es Hochländer zu halten pflegen – ich kannte sie nie anders.« »Ich glaube das nicht,« sprach der Herzog. »Diese Herren sind als Männer von Ehre bekannt, und ich muß notwendig erwarten, daß sie ihr Versprechen einlösen werden. Es mögen noch ein paar Reiter nach unsern Freunden ausgesandt werden. Vor ihrer Ankunft können wir's nicht wagen, den Paß anzugreifen, wo Hauptmann Thornton sich überfallen ließ, und wo, wie ich weiß, zehn Mann Fußvolk gegen das beste Reiterregiment standhalten können. – Unterdessen laßt der Mannschaft Erfrischungen reichen.« Auch ich zog Vorteil von diesem Befehle, denn ich hatte seit unserm eiligen Mahl am Abend vorher in Aberfoil nichts mehr genossen. Die ausgesendeten Reiter kehrten ohne Nachricht von den erwarteten Hilfsvölkern zurück, und die Sonne näherte sich dem Untergang, als ein Hochländer, der zu den Clans gehörte, mit einem Brief erschien, den er dem Herzog überreichte. »Um einen Oxhoft Wein will ich wetten,« sprach Galbraith, »es ist die Botschaft, daß die verwünschten Hochländer, die wir hier unter so vielen Plagen und Beschwerden erwartet haben, sich zurückziehen und es uns überlassen, unsre Sache auszuführen, wenn wir können.« »So ist es, Ihr Herren,« sprach der Herzog empört, als er den Brief gelesen hatte, der auf ein schmutziges Stück Papier geschrieben, aber mit sehr genauer Aufschrift versehen war. »Unsre Verbündeten haben uns verlassen und Frieden mit dem Feinde geschlossen.« Nach einer Pause, die von keiner Seite unterbrochen wurde, denn alle standen zu sehr unter der Wucht dieser Nachricht, fuhr er fort: »Unter diesen Umständen möchte es nicht klug sein, sich hier einem nächtlichen Ueberfall auszusetzen. Ich schlage deshalb vor, wir ziehen uns nach Duchray und Gartartan zurück; aber bevor wir uns trennen, will ich Robin in Eurer Gegenwart verhören, damit Ihr mit eignen Augen und Ohren Euch überzeugt, wie höchst unpassend es wäre, ihm Raum zu ferneren Gewalttätigkeiten zu lassen. Der Gefangene wurde vorgeführt. Seine Arme waren über den Ellbogen befestigt und mit einem Sattelgurt scharf an den Leib geschnallt. Zwei Korporale führten ihn, und zwei Glieder Soldaten mit Karabinern und aufgepflanzten Bajonetts folgten. Ich hatte diesen Mann noch nie in seiner Landestracht gesehen, die die Eigentümlichkeit seiner Gestalt in ein auffallendes Licht setzte. Ein Krauskopf von rotem Haar, das der Hut und die Perücke der niederländischen Tracht großenteils verborgen hatten, zeigte sich jetzt unter der hochländischen Mütze und rechtfertigte den Beinamen »der Rote«, unter dem er im Niederlande bekannt war und, wie ich glaube, noch immer in Erinnerung steht. Auch war der Beiname noch weiterhin berechtigt insofern, als seine Beine, vom Saume des Schurzes bis zum Rande der kurzen Strümpfe hinab, nach hochländischer Sitte unbedeckt, vorzüglich um die Kniee mit einem dichten, rothaarigen Felle überzogen waren, das ihnen den Anschein von Schenkeln des im Hochlande heimischen roten Bullen gab. Sein Betragen war kühn und ungezwungen und, so weit ihn seine Bande nicht hinderten, stolz und sogar würdevoll. Er verbeugte sich vor dem Herzoge, nickte verschiednen andern zu und zeigte sich verwundert, auch mich hier zu finden. »Wir haben uns lange nicht gesehen, Campbell,« sagte der Herzog. »So ist es, Mylord! Ich wünschte, wir hätten uns wiedergesehen, wenn ich besser imstande gewesen wäre, Euch die schuldige Höflichkeit zu bezeigen,« versetzte Robin und blickte auf seine gefesselten Arme. – »Aber es wird schon wieder gute Zeit kommen.« »Keine Zeit, wie jetzt, Campbell,« erwiderte der Herzog; »denn die Stunden entfliehen schnell, wo Ihr Eure letzte Rechnung mit den irdischen Dingen abzuschließen habt. Ihr wißt selbst, daß Ihr den Tod verdient, und müßt Euch dazu bereiten.« »Mylord,« antwortete Robin, »obwohl ich mein Unglück Euer Gnaden vor die Tür legen könnte, werde ich dennoch niemals sagen, daß Ihr mit Wissen und Willen sein Urheber gewesen seid. Hätt' ich das geglaubt, Mylord, so hieltet Ihr heute nicht über mich Gericht; denn Ihr waret dreimal in schußgerechter Ferne von mir, wo Ihr nur ans rote Wild dachtet, und wenig Leute haben es erlebt, daß ich mein Ziel verfehlte. Aber man hat mich bei Euch verleumdet und Euch aufgebracht gegen einen Mann, der so friedlich war, wie irgend einer im Lande, und in Eurem Namen ward ich aufs Aeußerste getrieben. Ich habe ja einige Vergeltung genommen, und ich hoffe es zu erleben, auch das zu vergelten, was Ihr jetzt sagt.« »Ich weiß,« sprach der Herzog mit steigendem Unwillen, »daß Ihr ein entschlossener, vermessener Schurke seid, der sein Wort hält, wenn er Unheil zu stiften schwört; aber ich werde sorgen, Euch daran zu verhindern. Ihr habt keine Feinde, als Eure bösen Taten. Sorgt nun wenigstens, daß die Unglücklichen, die in die Hände der Eurigen geraten sind, vor dem schlimmsten Lose bewahrt bleiben, und verbietet den Eurigen, Hand an sie zu legen!« »Mylord,« gab Rubin zur Antwort, »keiner von meinen Feinden kann sagen, daß ich ein blutdürstiger Mann gewesen bin, und wär ich jetzt unter meinen Leuten, ich könnte vier oder fünfhundert wilde Hochländer so leicht regieren, als Eure Gnaden diese acht oder zehn Lakaien. Aber wenn Ihr einem Hause sein Haupt nehmen wollt, so könnt Ihr darauf rechnen, daß es Unordnung unter den Gliedern gibt. – Indessen komme, was da will, ein wackrer Mann ist drüben im Lager der meinigen, ein Vetter von mir, und ihm darf kein Leid geschehen! Ist jemand hier, der für Mac Gregor einen Gang tun will? – er kanns vergelten, obgleich seine Hände jetzt gefesselt sind.« Der Hochländer, der dem Herzoge den Brief überbracht hatte, erwiderte: »Ich will für Euch handeln, Mac Gregor, und zurück ins Tal gehen.« Er trat hinzu, und der Gefangene gab ihm einen Auftrag an seine Frau, der mir, da er gälisch sprach, zwar unverständlich blieb, sich aber, wie ich nicht zweifelte, auf Jarvies Sicherheit bezog. »Hört Ihr den Unverschämten?« sprach der Herzog. »Er beträgt sich, wie seine Herren, die uns einluden, gemeine Sache gegen diese Freibeuter zu machen, und uns verlassen haben, sobald diese die Ländereien überliefern wollten, worüber sie im Streite lagen. Es ist weder Treu noch Glauben unter den Leuten, die Plaid und Tartan tragen.« »Euer Ahnherr sprach nicht so, Mylord,« antwortete Galbraith, »und mit Erlaubnis, auch Ihr würdet nicht Ursache haben, so zu reden, wenn Ihr nur gerecht gegen den Anführer werden wolltet.« »Still, Garschattachin!« sprach der Herzog; »Ihr führt gefährliche Reden; aber ich glaube, Ihr meint ein Vorrecht zu besitzen. Seid so gefällig, mit Euren Leuten nach Gartartan aufzubrechen; ich selbst will den Gefangenen nach Duchray begleiten und werde Euch morgen weitere Befehle schicken. Es bekommt keiner von Euren Reitern Urlaub. Verstanden?« »Befehl und Gegenbefehl,« murmelte Galbraith zwischen den Zähnen. »Aber Geduld! Wir werden bald Stuhlwechsel spielen, wenn der König kommt.« Die beiden Reiterhaufen rüsteten sich zum Aufbruche, um noch bei Tageslicht ihr Nachtquartier zu erreichen. Ich erhielt weniger die Einladung als die Weisung, die Truppen zu begleiten, und sah, daß ich zwar nicht mehr als Gefangener, aber doch als verdächtig angesehen wurde. Ich fügte mich, so gut ich konnte, in mein Schicksal, und tröstete mich mit der Hoffnung, von dem gefangenen Freibeuter einige Nachrichten über Rashleigh und seine Anschläge zu erhalten. Dreizehntes Kapitel Die Felsen und Schluchten an jeder Seite des Tales hallten jetzt von den Tönen der Trompeten wider, als die Reiter, in zwei Haufen geteilt, langsam abzogen. Galbraiths Schar wandte sich bald rechts und ging über den Forth, um ein altes Schloß in der Nähe zum Aufenthalt für die Nacht einzunehmen. Wir hingegen setzten unsern Zug in ziemlich guter Ordnung fort. Der Herzog hatte den Gefangenen hinter einem Reiter seines Gefolges aufsitzen lassen, namens Ewan Brigglands, der der längste und stärkste Mann von der ganzen Schar war. Ein Sattelgurt war beiden um den Leib gelegt und vorn auf des Reiters Brust geschnallt, so daß es Robin unmöglich war, sich in Freiheit zu setzen. Ich erhielt eines der Handpferde und bekam Weisung, mich dicht neben dem Paare zu halten. Wir hatten immer wenigstens einen, wenn nicht zwei Mann mit Pistolen in der Hand an der Seite. Andreas, den man auf einen erbeuteten hochländischen Klepper gesetzt hatte, durfte unter dem Troß reiten, der dem Zuge folgte. So kamen wir bis an den Forth, der als Ausfluß eines Sees selbst an seinen schmalen Teilen noch immer von beträchtlicher Tiefe ist. Der Weg zur Furt senkte sich durch eine steile, zerrissene Schlucht, in der nur ein Reiter auf einmal passieren konnte. Wählend die vordern Glieder nach und nach hinunter ritten, mußten die andern am Ufer halten. Da hörte ich, wie Robin dem Manne, hinter dem er ritt, die Worte zuflüsterte: »Euer Vater, Ewan, hätte, und wenns alle Herzöge in der Christenheit gewollt hätten, einen alten Freund nicht wie ein Kalb zur Schlachtbank geführt.« Ewan antwortete nicht, zuckte aber die Achseln, um zu verstehen zu geben, daß ers doch nicht ändern könne. »'s ist ein gar traurig Ding,« sprach Robin weiter, flüsterte aber seine Worte so leise in Ewans Ohr, daß niemand sie hören konnte, außer mir, der sich gewiß nicht veranlaßt fühlte, ihn in seinen Bemühungen zur Flucht zu stören; – »'s ist ein traurig Ding, daß Ewan Brigglands, dem Robin Mac Gregor mit Hand, Schwert und Beutel geholfen hat, eines vornehmen Herrn Unmut höher achten will, als eines Freundes Leben.« Ewan schien schmerzlich bewegt, aber schwieg. Da hörten wir den Herzog vom jenseitigen Ufer her rufen: »Schafft den Gefangenen herüber!« Ewan setzte sein Pferd in Bewegung, und eben, als ich Robin sagen hörte: »Ist nicht das Blut eines Mac Gregor mehr wert als ein zerrissener Ledergurt? es wird wohl einst schärfere Rechenschaft abzulegen sein,« ritten sie schnell an mir vorüber ins Wasser. Auf der andern Seite sah ich, wahrend die Dämmerung schnell sank, den Herzog beschäftigt, die gelandete Mannschaft wieder ins Glied treten zu lassen. Da verriet mir heftiges Geplätscher im Wasser, daß Mac Gregors Beredsamkeit über Ewan gesiegt hatte. Auch der Herzog hörte den Schall und erriet im Nu, was derselbe zu bedeuten hatte. »Hund! Wo ist Dein Gefangener?« rief er Ewan zu, als derselbe ans Land heraufstieg; und ohne die Entschuldigung abzuwarten, die der erschrockene Vasall zu stottern begann, feuerte er seine Pistole auf ihn ab. »Teilt Euch und verfolgt den Schurken!« rief er. »Hundert Guineen dem, der Robin den Roten fangt!« Die Ufer des Stromes wurden nun ein Schauplatz ärgster Verwirrung. Robin, den Ewan ohne Zweifel durch Lösung des Sattelgurts freigemacht hatte, war herabgeglitten, untergetaucht und unter dem Bauch des Pferdes hinweggeschwommen. Als er aber auf einen Augenblick an die Oberfläche kommen mußte, um Atem zu schöpfen, verriet ihn der Schimmer seines bunten Plaids. Einige Reiter stürzten in den Strom, ohne Rücksicht auf die eigne Sicherheit; andre sprengten an den Ufern auf und nieder, um den Flüchtling, wenn er ans Land steigen sollte, zu stellen. Das Geschrei an beiden Ufern und im Strome, das Echo der Schüsse, der Anblick der vielen Reiter, die an den Ufern auf und ab sprengten, dazu die wilde Gegend und das unsichere Zwielicht des Herbstabends: es war ein Bild, das an den tollsten Hexensabbat hätte erinnern können. Einem so geschickten Schwimmer wie Robin konnte, nachdem er die ersten Hindernisse überwunden hatte, die Flucht nicht schwer fallen. Einmal sah ich ihn hart bedrängt, und mehrere Hiebe fielen rings um ihn her ins Wasser, was mich an die Ottern-Jagden erinnerte, die ich in Osbaldistone-Hall gesehen hatte. Mac Gregor war indes listiger als die Otter; denn als man ihn am ärgsten verfolgte, löste er unbemerkt seinen Plaid auf und ließ ihn von dem Strome forttreiben, wo er schnell die allgemeine Aufmerksamkeit erregte. Viele Reiter wurden dadurch auf eine falsche Spur geleitet, und mancher Schuß oder Hieb von der Person abgelenkt, der er hatte gelten sollen. Sobald es ihm erst einmal gelungen war, sich aus dem Sehbereich zu bringen, schwand allmählich die Möglichkeit, seiner habhaft zu werden, denn die steilen Ufer machten den Fluß an vielen Stellen unzugänglich, und Erlen-, Pappeln- und Birkendickichte wehrten den Zutritt zum Wasser. Die anbrechende Nacht nahm dem Unternehmen mit jedem Augenblicke mehr die Aussicht auf Gelingen. Einige der Verfolger gerieten in Stromwirbel und schrien um Beistand; andre, die in der Verwirrung einen Schuß, Hieb oder Stich abbekommen hatten, drohten Rache, und zu wiederholten Malen kam es bei solchen Vorfällen zu blutigen Händeln. Die Trompeten bliesen zum Sammeln. Der Kommandant hatte, so ungern es auch geschehen mochte, die Hoffnung aufgegeben, der ihm so unerwartet entrissenen Beute wieder habhaft zu werden. Die Reiter standen in düstern Gruppen am südlichen Ufer des Stromes, dessen Gemurmel, lange übertäubt von dem lauten Geschrei rachgieriger Verfolgung, sich nun dumpf vermischte mit mißmutigen, schmähenden Stimmen. Bis jetzt war ich nur Zuschauer, wenn auch nicht gleichgültig, bei dem seltsamen Schauspiel gewesen. Allein nun hörte ich plötzlich schreien: »Wo ist der Engländer? Er ists gewesen, der Robin das Messer gab, um den Gurt loszuschneiden.« Und nun riefen mehrere Stimmen nacheinander: »Haut ihn in Stücke!« »Jagt ihm ein paar Kugeln durch den Kopf!« »Stoßt ihm das Schwert in die Kaldaunen!« – Und ich hörte, wie verschiedne Reiter hin und her sprengten, ohne Zweifel in der Absicht, diese Drohungen auszuführen. Ich durchschaute im Nu meine Lage, sprang vom Pferde, das ich laufen ließ, und retirierte in ein Erlengebüsch, hinter dem ich bei der wachsenden Dunkelheit nicht leicht entdeckt werden konnte. Als der Lärm nachzulassen anfing, und der Hufschlag der Pferde sich seltner in der Nähe meines Zufluchtsortes hören ließ, war mein erster Gedanke, den Herzog aufzusuchen, wenn alles ruhig sein würde, und mich ihm zu überliefern als ein treuer Untertan, der nicht die Gerechtigkeit zu fürchten, und als ein Fremder, der allen Anspruch auf Schutz und Gastfreundschaft zu machen hatte. Mit diesem Vorsatze kroch ich aus meinem Aufenthalte hervor und blickte umher. Die Dämmerung war nun beinahe in Dunkelheit übergegangen, kaum noch einige Reiter waren auf dem linken Ufer des Flusses, und von denen auf der andern Seite hörte ich nur den Hufschlag der Pferde und die gezogenen Töne der Trompeten, die durch die Wälder schallten, um Nachzügler herbeizurufen. Ich befand mich daher in einer ziemlich schwierigen Lage. Ohne Pferd ließ sich nicht daran denken, den Strom zu passieren; blieb ich aber auf dem linken Ufer, so hatte ich keine andre Aussicht, als nach allen erduldeten Mühseligkeiten und Strapazen der Nacht an der Seite eines Berges zuzubringen. Nach kurzem Bedenken beschloß ich deshalb, nach dem kleinen Wirtshause in Aberfoil zurückzukehren, in welchem ich die vorige Nacht zugebracht hatte. Vor Robin brauchte ich mich nicht zu fürchten, und für ihn auch nichts mehr. Er war nun frei, und falls ich unter seine Leute fiel, so verschaffte mir sicher die Botschaft von seiner Rettung ihren Schutz. Ein scharfer Frostwind teilte die Nebelwolken und jagte sie in verworrene, wechselnde Massen zusammen, die bald um die Häupter der Berge schwebten, bald mit dichten, gewaltigen Nebelmassen die tiefen Küsten füllten. Der Mond goß sein Licht auf die Windungen des Flusses, die Felsenspitzen und jähen Abhänge. Unter dem belebenden Einfluß der kalten Atmosphäre stählten sich meine Nerven. Unwillkürlich pfiff ich vor mir hin, und stolzer und höher schlugen meine Lebenspulse, je mehr mein Vertrauen auf die Stärke, den Mut und die Hilfsmittel in mir selbst zunahm. Ich war so verloren in meine Gedanken und in die Empfindungen, die sie weckten, daß mich ein Reiterpaar einholte, dessen Annäherung ich erst gewahr wurde, als es mir zur Seite war. »Heda! Freund, wohin so spät?« sprach mich der eine auf englisch an. »Zum Nachtlager nach Aberfoil,« versetzte ich. »Sind die Wege offen?« fragte er mit derselben gebieterischen Stimme. »Ich weiß es nicht,« war meine Antwort. »Aber wenn Ihr Engländer seid, so rate ich Euch, bis es Tag wird, zurückzukehren. Ich möchte nicht behaupten, daß es für Fremde sonderlich sicher hier sei.« »Die Soldaten haben eine Schlappe bekommen – nicht wahr?« fragte der Reiter. »Jawohl! ein Offizier ist mit seinen Leuten teils aufgerieben, teils gefangen genommen worden.« »Wißt Ihr das gewiß?« war die Antwort. »So gewiß, als ich Euch sprechen höre. Ich war wider Willen Zeuge des Kampfes.« »Wider Willen? Ihr waret also nicht dabei?« »Gewiß nicht,« gab ich zur Antwort. »Ich wurde von dem Offizier gefangen gehalten.« »So? – Wer seid Ihr? – Wie heißt Ihr? –« »Fürwahr, Herr,« antwortete ich, »ich sehe nicht ein, warum ich einem Fremden solche Menge Fragen beantworten sollte. Ich hab Euch gesagt, daß Ihr in gefährlicher und unruhiger Gegend reist. Wollt Ihr weiter gehen, so ist es Eure Sache. Aber da ich Euch nicht nach Eurem Namen und Geschäfte frage, werdet Ihr besser tun, mich mit solchen Fragen zu verschonen.« »Herr Franz Osbaldistone,« sagte der andre Reiter mit einer Stimme, die durch alle meine Nerven bebte, »sollte doch nicht seine Lieblingsmelodien pfeifen, wenn er unerkannt zu bleiben wünscht.« Und Diana Vernon – denn sie war es, in einen Reitermantel gehüllt, die jetzt sprach – pfiff lustig den andern Teil der Melodie, die ich gepfiffen hatte, als sie herbeikamen. »Gott im Himmel!« rief ich, wie vom Donner gerührt, »solltet Ihr es sein, Fräulein Vernon, an solchem Orte, – zu solcher Stunde, in solchem wilden Lande – in solcher –« »In solcher männlichen Tracht, wollt Ihr sagen. Aber was ist zu tun! – Am Ende bleibt die Philosophie des vortrefflichen Korporal Nym doch die beste – es geht, wie's gehen kann – pauca verba.« Während sie dies sprach, nützte ich begierig den hellern Mondschein aus, um den Begleiter Dianas zu betrachten. Daß es mich lebhaft wundern, ja in heftige Erregung setzen mußte, das Mädchen an solch einsamem Orte, auf solch gefahrvollem Ritte, unter dem Schutz eines einzigen Mannes so unvermuteterweise zu treffen, werde ich Dir nicht erst zu sagen brauchen. Der Reiter sprach nicht mit Rashleighs tiefer, melodischer Stimme, sondern höher und gebieterischer; überdies war er größer von Figur, als dieser mir in so hohem Maße verhaßte Mensch. Ebensowenig glich der Fremde in seiner Rede einem andern von meinen Vettern; denn an jedem Worte, das der Fremde sprach, erkannte man den Mann von Verstand und Bildung. Er schien meinen forschenden Blicken ausweichen zu wollen. »Diana,« sprach er mit einem Tone, der Güte und Befehl ausdrückte, »gib Deinem Vetter sein Eigentum, und laß uns hier keine Zeit verlieren.« Diana hatte unterdessen ein Päckchen vorgezogen, beugte sich vom Pferde zu mir nieder und sagte mit einer Stimme, die das Bestreben, ihre gewöhnliche feine Leichtigkeit des Ausdrucks anzunehmen, verriet, und mit einem tiefern, ernstern Tone der Empfindung kämpfte: »Ihr seht, lieber Vetter, ich bin zu Eurem Schutzengel geboren. Rashleigh ist genötigt worden, seine Beute herzugeben, und hätten wir vorige Nacht, wie es unsre Absicht war, das Dorf Aberfoil erreicht, so hätte ich sicher einen hochländischen Sylphen gefunden, der Euch diese Dokumente des Handelsreichtums zugeweht hätte. Aber Riesen und Reiter hatten den Weg versperrt, und irrende Ritter und Fräuleins unserer Tage, so kühn sie auch sein mögen, dürfen nicht, wie vor alters, sich in unnütze Gefahren stürzen. – Tut Ihr das lieber auch nicht, lieber Vetter!« »Diana,« sprach ihr Begleiter, »ich muß noch einmal erinnern, daß die Nacht vorrückt, und wir sind noch weit vom Hause.« »Ich komme, ich komme – erwäget,« fügte sie mit einem Seufzer hinzu, »wie spät ich an Beschränkung gewöhnt worden bin; überdies hab ich meinem Vetter das Päckchen noch nicht gegeben und ihm Lebewohl gesagt – für immer! – Ja, Franz,« fuhr sie fort, »für immer! Es liegt ein Abgrund zwischen uns – ein Abgrund gewissen Verderbens. – Ihr dürft uns nicht folgen, wohin wir gehen – an dem, was wir tun, dürft Ihr keinen Anteil nehmen. – Lebt wohl! – Seid glücklich!« Indem sie sich von ihrem hochländischen Klepper herabbeugte, berührte ihr Gesicht, vielleicht nicht ganz wider Willen, das meinige. – Sie drückte meine Hand, während die Träne, die in ihrem Auge zitterte, auf meine Wange fiel. Es war ein unvergeßlicher Augenblick – unaussprechlich bitter, und dennoch vermischt mit einem so tief ergreifenden, süßen Wonnegefühl, daß auf einmal alle Empfindungen meines Herzens sich ergossen. Es war nur ein Augenblick, gleich darauf rief sie ihrem Gefährten zu, daß sie bereit sei, ihm zu folgen; und ihre Pferde in scharfen Trab setzend, waren sie bald weit von der Stelle entfernt, wo ich stand. Der Himmel weiß, es war nicht Unempfindlichkeit, was auf mir lag und meine Zunge so sehr fesselte, daß ich Dianas halbe Umarmung nicht erwidern, noch ihr Lebewohl beantworten konnte. Das Wort erstarb auf meinen Lippen – Ueberraschung und Schmerz betäubten mich fast. Mit dem Paket in der Hand, blickte ich unbeweglich ihnen nach, als ob ich die Funken hätte zählen wollen, die unter den Hufen ihrer Pferde sprühten. Ich blickte ihnen noch nach, selbst als die Funken nicht mehr zu sehen waren, und lauschte noch auf die Töne des Hufschlags, als schon der letzte entfernte Laut in meinen Ohren verhallt war. Endlich quollen Tränen aus meinen Augen, die ich mechanisch zu trocknen suchte, fast ohne zu wissen, daß ich sie vergoß, aber sie flossen stärker und stärker; am Wege mich niedersetzend, weinte ich die ersten und bittersten Tränen, die seit der Kindheit mein Auge getrübt hatten. Vierzehntes Kapitel Kaum hatte ich meinen Gefühlen in dieser Stimmung nachgegeben, als ich meiner Schwäche mich schämte. Ich erinnerte mich, daß ich seit einiger Zeit bemüht gewesen war, Diana Vernon, wenn ihr Bild in mir aufstieg, als eine Freundin zu betrachten, an deren Wohl ich zwar immer lebhaften Anteil nehmen würde, mit der ich aber ferner wenig Verbindung unterhalten könnte. Aber die kaum unterdrückte Zärtlichkeit ihres Benehmens, das Romanhafte unsres plötzlichen Zusammentreffens an einem Orte, wo es sich doch gar nicht vermuten oder erwarten ließ, waren Umstände, die mich gänzlich aus der Fassung brachten. Ich erholte mich indessen eher, als ich es für möglich gehalten hätte, und ohne mir Zeit zur Erwägung der Gründe hierfür zu lassen, verfolgte ich wieder meinen Weg. Wenn ich nun auch meines Vaters Eigentum wieder erlangt hatte, so lag es mir doch noch immer ob, meinen Freund Jarvie aus einer Lage zu befreien, in die er um meinetwillen sich verwickelt hatte, und wo anders könnte ich überdies, dachte ich bei mir, ein Nachtlager finden, als in dem kleinen Wirtshause von Aberfoil? Und weiter dachte ich, die beiden müssen doch auch da verweilen, denn wie könnten sie zu Pferde weiter kommen? – »Wir werden uns also wiedersehen –«, sprach ich bei mir, »vielleicht zum letztenmal – allein ich werde erfahren, wer der Glückliche ist, der das Ansehen eines Gemahls über sie behauptet; ich werde erfahren, ob ich in der bedenklichen Lage, in die sie verwickelt zu sein scheint, etwas tun kann, meine Dankbarkeit auszudrücken für ihre Großmut – für ihre uneigennützige Freundschaft.« Während ich so mit mir selber sprach, fühlte ich plötzlich einen Schlag auf die Schulter und vernahm die tiefe Stimme eines Hochländers, der noch schneller ging als ich, einen so guten Schritt ich auch zu halten glaubte. »Eine feine Nacht, Herr Osbaldistone! – Haben uns schon eine Stunde vorher getroffen!« rief die Stimme, und sie war nicht zu verkennen! Er war seinen Verfolgern entkommen und in voller Flucht zu seiner Wildnis und seinen Anhängern begriffen. Auch hatte er sich wieder bewaffnet, wahrscheinlich in dem Hause eines heimlichen Freundes; denn er trug ein Gewehr auf der Schulter und die ständige Dolchwaffe der Hochländer an der Seite. Unter gewöhnlichen Umständen wäre es mir nicht angenehm gewesen, mich mit solchem Manne, in solcher Lage und zu so später Stunde allein zu sehen; denn wenn ich mich auch gewöhnt hatte, Robin in gewissem Grade als Freund zu betrachten, so bekenne ich doch offen, daß ich ihn nie reden hörte, ohne ein gewisses Gruseln zu fühlen. Die Aussprache der Hochländer gibt ihren Worten gewöhnlich einen tiefen, hohlen Ton, sowohl wegen der häufigen Kehllaute ihrer Sprache, als weil sie insgemein mit besonderm Nachdrucke sprechen. Zu diesen Volkseigenheiten gesellte sich bei Robin eine rauhe Gleichgültigkeit gegen Betonung und Sitte; denn sein Gemüt war weder zu entmutigen, noch zu ergreifen, oder gar zu überraschen, ganz gleich, was ihm das Schicksal brachte. Gewohnheit der Gefahr und unbegrenztes Vertrauen auf eigne Kraft und die Klugheit hatten jene Empfindung, die wir Furcht nennen, vollständig in ihm ertötet, und das gesetzlose, unsichre Leben, das er führte, hatte ihn gegen seine Mitmenschen abgestumpft, wenn auch nicht gänzlich rücksichtslos gemacht. Obendrein war ich eben erst Zeuge der grausamen Ermordung eines Wehrlosen durch seine Frau und seine Parteigänger gewesen. ... In meiner jetzigen Stimmung aber, und in der seltsamen Lage, in der ich mich zurzeit befand, mußte mir die Gesellschaft des Geächteten als eine Linderung meiner eignen quälenden Gedanken eher willkommen sein als nicht, und ich nährte die Hoffnung, daß ich mit seiner Hilfe einen Faden durch das Labyrinth erhalten könnte, in welches mein Schicksal mich verwickelt hatte. Herzlich erwiderte ich daher seine Begrüßung und wünschte ihm Glück zu seiner Rettung unter Verhältnissen, wo Flucht unmöglich geschienen hatte. »Ei nun,« erwiderte er, »die Spanne zwischen Hals und Galgen ist wohl eben so weit oder kurz, wie zwischen Becher und Mund. Meine Gefahr war jedoch geringer, als Ihr denken mögt, da Ihr fremd hier im Lande seid. Unter den Männern, die mich fangen und festhalten und wieder fangen sollten, war ein Teil, der gar nicht wollte, daß man mich fangen und festhalten oder wiederfangen sollte, und von dem andern Teile war wieder die Hälfte, die sich fürchtete, mich zu reizen, und so hatt' ichs nur mit einem verhältnismäßig sehr geringen Teil eigentlicher Widersacher zu tun.« Er erkundigte sich darauf nach meinen Abenteuern seit unsrer Ankunft im Hochland und lachte herzlich über meine Erzählung von dem Gefecht im Wirtshause und Jarvies Heldentaten mit dem glühenden Eisen. »Glasgow soll leben!« rief er aus. »Meiner Treu! keinen bessern Spaß hätte ich sehen können, als wie Vetter Niklas dem Iverach das Plaid versengte. Aber mein Vetter,« setzte er ernster hinzu, »hat ein bißchen edles Blut in den Adern, wenn er auch dummerweise zu einem gemeinen Gewerbe erzogen worden ist, das eines wackern Mannes Geist nur abstumpfen kann. – Ihr werdet nun einsehen, warum ich Euch in Aberfoil nicht treffen konnte, denn die Brüder in Glasgow hatten mir eine feine Schlinge gedreht, als ich ein paar Tage in Königs Angelegenheiten mich dort herumtrieb – aber ich denke, ich hab einen Riß in den Bund gemacht, und sie werden so leicht nicht wieder einen Clan gegen den andern hetzen können, wie sie es getan haben. Hoffentlich erlebe ich den Tag noch, wo alle Hochländer für einen Mann stehen. – Aber was gabs weiter?« Ich erzählte nun, wie nach Hauptmann Thorntons Ankunft der Stadtvogt und ich als verdächtige Subjekte festgenommen wurden, und daß Thornton geäußert habe, beauftragt zu sein mit der Festnahme eines ältern und eines jüngern Mannes, deren Beschreibung auf uns paßte. Das weckte von neuem Robins Lachlust. »So wahr ich lebe,« sprach er, »sie haben meinen Freund Jarvie für die Exzellenz und Euch für Diana Vernon genommen. – O diese Nachteulen!« »Fräulein Vernon?« fragte ich zögernd und erwartete zitternd die Antwort. – »Führt sie noch diesen Namen? Sie ritt eben hier vorüber mit einem Manne, der eine Art von Gewalt über sie zu haben schien.« »Ja, ja!« antwortete Robin; »sie steht jetzt unter rechtmäßiger Gewalt, und es war hohe Zeit für einen solchen Wildfang. Aber ein herzhaftes Mädel ists! Schade, daß die Exzellenz ein bißchen ängstlich ist. So einer wie Ihr oder Robert oder Hamish hätte besser in den Jahren gepaßt.« Hiermit fielen also die Kartenhäuser gänzlich zusammen, die meine Phantasie, meiner Vernunft zum Trotz, so oft und so gern gebaut hatte. Obwohl ich kaum anders erwarten konnte, als daß Diana, in einem solchen Lande und zu einer solchen Stunde nur mit einem Manne reisen konnte, der rechtmäßigen Anspruch besaß, als ihr Beschützer aufzutreten, fühlte ich doch den Streich, als er mich traf, nicht weniger schmerzlich, und Robins Worte, die mich aufforderten, weiter zu erzählen, klangen in mein Ohr, ohne daß ich ihren Inhalt genau gefaßt hätte. »Ihr seid krank,« sprach er endlich, nachdem er sich zweimal an mich gewendet, ohne Antwort zu erhalten. »Das Tagwerk ist zu schwer für einen Jüngling gewesen, der an dergleichen Dinge nicht gewöhnt ward.« Der leutselige Ton dieser Worte brachte mich wieder zu mir und erinnerte mich an das, was meine Lage verlangte. Ich fuhr in meiner Erzählung fort, so gut ich konnte, und Robin äußerte große Freude über das glückliche Gefecht im Engpasse. »Es heißt,« bemerkte er, »des Königs Spreu sei besser, als andrer Leute Korn; aber von des Königs Soldaten läßt sich das nicht sagen, wenn sie die Waffen strecken vor ein paar alten Kerlen, die nicht mehr fechten können, vor Buben, die es erst lernen müssen, und vor Weibern mit Rocken und Spindel. – Aber wer hätte bei unserm Dougal so viel Verstand gesucht, dessen Kopf doch nie anders bedeckt ist, als mit dem eignen zottigen Haar? – Erzählt weiter, bitte – wenngleich ich fürchte, was nun kommen wird. – Meine Helene ist ein eingefleischter Teufel, wenn ihr das Blut warm wird. Das arme Ding! Ursache dazu hat sie freilich übergenug!« So schonend wie möglich suchte ich ihm zu erzählen, wie wir empfangen worden waren, allein ich sah deutlich, daß ihm die Erzählung großen Schmerz verursachte. »Tausend Mark gäbe ich darum, wenn ich daheim gewesen wäre,« sprach, er. »Fremde zu mißhandeln, und dazu meinen eignen Vetter, der mir so viel Freundschaft erzeigt hat! – Ich wollte lieber, sie hätten das halbe Lennox in ihrer Torheit verbrannt! Aber das kommt davon, wenn man Weibern und Jungen traut, die kennen weder Maß noch Vernunft in ihrem Tun. An allem jedoch ist der Schurke von Zöllner schuld, der mich betrog, indem er vorgab, er bringe Botschaft von Eurem Vetter Rashleigh, den ich in des Königs Angelegenheiten treffen sollte. Ich glaubte schon, Galbraith und ein Teil von Lennox wolle eintreten für König Jakob. – Meiner Treu, aber ich wußte, daß man mich betrogen hatte, als ich hörte, der Herzog sei da, und als sie mir den Sattelgurt um die Arme legten, da erriet ich, was meiner wartete, denn Euern Vetter, mit Verlaub, kenn ich als aalglatten Wicht schon zur Genüge. Wenn er nur nicht selbst dabei zu grunde gehen möchte! Morris machte ein gar wunderliches Gesicht, als ich mir ausbedang, er solle bis zu meiner Rückkehr als Geisel bleiben. Aber ich bin zurückgekommen, ohne es ihm, oder denen, die ihn brauchten, Dank zu wissen, und die Frage ist nun, wie dieser Einnehmer selbst zurückkommen wird. Ohne Lösegeld nicht, das versprech ich ihm.« »Morris,« sprach ich, »hat bereits das letzte Lösegeld bezahlt, das ein Mensch entrichten kann.« »Was,« rief mein Gefährte hastig, »aber doch im Gefecht getötet?« »Er ward mit kaltem Blut ermordet, als der Kampf vorüber war, Herr Campbell.« »Mit kaltem Blute? – Verdammt!« murmelte er zwischen den Zähnen. – »Wie kam das, Herr? Redet, und bleibt mir mit dem Herrn und dem Campbell weg. Ich stehe wieder auf meinem Heimatsland, und mein Name ist Mac Gregor.« Er war sichtlich in leidenschaftlicher Erregung; allein ohne auf seinen rauhen Ton zu achten, erzählte ich ihm kurz und deutlich, wie Morris starb. Er stieß den Kolben seines Gewehrs auf den Boden und brach in die Worte aus: »Bei Gott! nach solcher Tat möchte man Verwandten, Clan, Vaterland, Weib und Kind abschwören! – Und dennoch hats der Schurke lange verdient. Was ist übrigens für ein Unterschied, ob man mit einem Stein um den Hals unter dem Wasser kämpft oder mit einem Strick um denselben in der Luft zappelt? Am Ende ists doch nur Ersticken, und er hat den Tod erlitten, den er mir zudachte. Dennoch wünschte ich, sie hätten ihn lieber mit einer Kugel oder einem Dolche umgebracht, denn die Art seines Todes wird viel unnützes Gerede machen. – Nun, jeden Menschen trifft sein Los, und, wir müssen alle sterben, wenn unser Tag kommt. – In Abrede stellen kann niemand, daß Helene Mac Gregor schweres Unrecht zu rächen hat.« Mit diesen Worten schien er sich den Gegenstand aus dem Sinne zu schlagen und fragte weiter, wie ich von den Soldaten losgekommen sei, in deren Gewalt er mich gesehen hatte. Meine Erzählung war bald zu Ende, und ich fügte hinzu, wie ich die Papiere meines Vaters wieder erhalten habe, wagte es aber nicht, Dianas Namen über die Lippen zu bringen. »Daß Ihr sie wieder kriegen würdet, wußte ich,« versetzte Mac Gregor. »Der Brief, den Ihr mir brachtet, enthielt die diesbezüglichen Wünsche und Weisungen der Exzellenz, und ich wäre gewiß auch dazu behilflich gewesen. War doch dies der Grund für mich, Euch ins Gebirge einzuladen. Vermutlich hat die Exzellenz mit Rashleigh früher verhandelt, als ich rechnete.« Der erste Teil dieser Antwort fiel mir besonders auf. »War denn der Brief, den ich Euch brachte, von dem Manne, den Ihr Exzellenz nennt? Wer ist er? Was ist sein Stand und eigentlicher Name?« »Meiner Meinung nach,« versetzte Mac Gregor, »kann Euch dies ziemlich unwichtig sein, da Ihr bis heute noch nichts davon wißt; und ich werde darum nichts von diesen Dingen sagen. Aber wohl wußte ich, daß der Brief von seiner eignen Hand war, denn da ich, wie Ihr seht, gerade genug für mich selbst zu tun habe, hätte ich mir sonst wohl nicht so viel Müh' um die Sache gegeben.« Ich erinnerte mich nun des Lichts, das ich im Büchersaal gesehen hatte, der verschiednen Umstände, wodurch meine Eifersucht erregt worden war, des Handschuhs, der Bewegung der Tapete, die den geheimen Gang zu Rashleighs Zimmer verdeckte, und vor allem, daß Diana sich entfernte, um, wie ich damals dachte, den Brief zu schreiben, der im äußersten Notfalle meine Zuflucht sein sollte. Ihre Stunden wurden also nicht in Einsamkeit zugebracht, sondern sie hörte auf die Anträge irgend eines verwegnen Agenten der Jakobiten-Verräterei, der heimlich in ihres Oheims Wohnung lebte. Andre junge Mädchen ließen sich durch Gold gewinnen oder durch Eitelkeit von ihrer ersten Liebe ableiten; aber Diana hatte meine und ihre Neigung geopfert, um das Schicksal eines vermessenen, Abenteurers zu teilen, um durch mitternächtliche Wildnisse die Schlupfwinkel der Freibeuter auszunehmen, ohne Hoffnung, etwas zu gewinnen, als die Nachäffung von Rang und Glück, die der Scheinhof des Prätendenten in Saint-Germain gewähren konnte. »Ich will sie, wenn möglich, noch einmal sehen,« dachte ich. »Ich will als Freund, als Verwandter mit ihr reden über die Gefahr, der sie sich aussetzt, und will ihr die Flucht nach Frankreich zu erleichtern suchen, wo sie bequemer, anständiger und sicherer den Erfolg der Unruhen abwarten kann, die der politische Betrüger, mit dem sie ihr Schicksal vereint hat, ohne Zweifel zu erregen vorhat.« Nachdem wir beide einige Minuten geschwiegen hatten, wandte ich mich an meinen Begleiter ... »Ich muß also glauben,« sagte ich, »daß Seine Exzellenz, wie ich diesen Mann in Ermanglung eines andern Namens nennen muß, zu gleicher Zeit mit mir in Schloß Osbaldistone wohnte?« »Gewiß, gewiß – und in des Fräuleins Zimmer, wie es doch auch am schicklichsten war.« – Diese Mitteilung freiwilliger Natur fügte Galle zu Bitterkeit. »Aber wenige,« fuhr Mac Gregor fort, »wußten, daß er dort war, mit Ausnahme von Rashleigh und Herrn Hildebrand; denn von Euch konnte die Rede nicht sein, und die jungen Burschen haben nicht Verstand genug, eine Katze von der Milch zu jagen. – Aber 's ist ein prächtiges altes Gebäude, und vornehmlich bewundre ich die vielen Höhlen und Löcher und Zufluchtsörter. Ihr könnt da zwanzig bis dreißig Mann in einen Winkel stecken, und eine ganze Woche mag wohl hingehen, ehe die Bewohner sie entdecken – was bei Gelegenheit von großem Nutzen werden kann. Ich wollte, wir hätten ein solches Schloß hier bei uns, – aber wir armen Hochländer müssen uns statt solcher Bequemlichkeit der Wälder und Höhlen bedienen.« »Vermutlich wußte Seine Exzellenz,« sprach ich, »um den ersten Anfall von –« »Morris, wollt Ihr sagen,« sprach Robin kalt, als ich innehielt; denn er war zu sehr an gewaltsame Tat gewöhnt, als daß die Bewegung, die er anfangs verriet, von langer Dauer hätte sein sollen. »Ich pflegte herzlich über den Tropf zu lachen, hätte aber schwerlich das Herz gehabt, es noch einmal zu tun, seit der unglücklichen Begebenheit am See. – Nein, nein, die Exzellenz wußte nichts von diesem Streich – es ward alles zwischen mir und Rashleigh abgemacht. Aber was nachher kam, wie Rashleigh den Verdacht von sich auf Euch zu lenken wußte, da er Euch von Anfang an nicht besonders leiden mochte – wie Fräulein Diana haben wollte, daß wir unsre Spinnwebe wieder wegfegen und Euch der Gerechtigkeit aus den Klauen reißen sollten – und der feige Mensch, der Morris, aus Furcht vor seinen fünf Sinnen nichts wußte, als er eben den rechten Mann sah, wo er einen unschuldigen anklagte. – O! darüber hab ich noch oft lachen müssen. – Und nun kann ich für den armen Teufel nichts weiter tun, als daß ich ein paar Messen für seine Seele lesen lasse.« »Darf ich fragen, wodurch Fräulein Diana so viel Einfluß auf Rashleigh und seine Teilnehmer erlangt hat, daß sie Eure Pläne zerstören konnte?« »Meine Pläne? Ich hatte keinen Teil daran. Von mir kann niemand sagen, daß ich je meine Last auf andrer Leute Schultern legte – es war einzig und allein Rashleighs Angelegenheit. Aber freilich hat sie großen Einfluß auf uns beide, wegen der Zuneigung Seiner Exzellenz, und weil sie auch viele Geheimnisse weiß, die uns angehen. – Der Henker hol den!« rief er als Schluß, »der Weibern ein Geheimnis zu bewahren oder die Macht, es zu mißbrauchen, gibt! – Toren soll man keine Stöcke in die Hände geben.« Wir waren jetzt dem Dorfe sehr nahe, als drei bewaffnete Hochländer auf uns zusprangen und mit vorgehaltenem Gewehr uns befahlen, zu stehen und unser Gewerbe anzugeben. Das einzige Wort Gregarach, das mein Begleiter mit der tiefen, gebieterischen Stimme aussprach, wurde mit einem Ruf, oder vielmehr Geschrei freudigen Erkennens beantwortet. Der eine warf sein Gewehr hin, umfaßte die Kniee seines Häuptlings und ergoß sich in einen Strom gälischer Glückwünsche, die sich zuweilen zu einem Freudengeschrei erhoben. Die beiden andern eilten, nachdem der erste Rausch vorüber war, buchstäblich flink wie Rehe voran, weil jeder der erste sein wollte, der dem Dorfe die Nachricht von Robins Flucht und Rückkehr brächte. Die Kunde erregte so lauten Jubel, daß die Gebirge widerhallten; und jung und alt, Weiber und Kinder, ohne Unterschied des Geschlechts und Alters, eilten das Tal hinab uns entgegen, schnell und tosend wie ein Bergstrom. Als ich das ungestüme Geräusch und Geschrei der freudigen Menge vernahm, hielt ich es für angemessen, den Häuptling zu erinnern, daß ich ein Fremder und unter seinem Schutze sei. Er hielt mich demzufolge fest bei der Hand, während die Versammlung unter wahrhaft rührenden Aeußerungen inniger Ergebenheit und Freude über seine Rückkehr uns umgab, und nicht eher reichte er seinen Anhängern die Hand, bis er ihnen zu verstehen gegeben hatte, daß ich freundlich und aufmerksam behandelt werden sollte. Das Gebot eines Sultans von Delhi hätte nicht schneller vollzogen werden können, und mir ward jetzt ihre wohlgemeinte Aufmerksamkeit fast ebenso lästig, wie früher ihre rauhe Behandlung. Sie wollten dem Freunde ihres Anführers kaum erlauben, auf eignen Füßen zu gehen, so eifrig waren sie, mir auf dem Wege Hilfe und Beistand zu leisten, und als ich über einen Stein stolperte, den ich im Gedränge übersah, hoben sie mich auf und schleppten mich auf ihren Armen triumphierend ins Dorf. Bei der Ankunft vor dem Wirtshause fand ich, daß Ansehen und Volksgunst in den Hochlanden ihre Beschwerlichkeiten haben, wie überall. Ehe Mac Gregor in das Haus gelangen konnte, wo er Ruhe und Erfrischung genießen wollte, mußte er die Geschichte seiner Flucht wenigstens zwölfmal erzählen. Endlich entfernte sich eine Gruppe nach der andern, um auf der Heide oder in einer benachbarten Hütte das Nachtlager zu suchen. Manche verwünschten den Herzog und Garschattachin, andre beklagten das Mißgeschick Ewans; aber alle stimmten darin überein, daß Robins Flucht sich mit jeder Tat ihrer Häuptlinge vergleichen könne, seit den Tagen des Dougal-Ciar, des Gründers seines Stammes. Der Geächtete faßte nun meinen Arm und führte mich in das Innere der Hütte. Ich blickte umher in den rauchigen Winkeln, um Diana und ihren Begleiter zu suchen, aber sie waren nirgends zu sehen, und ich fühlte, daß ich durch weitere Erkundigung geheime Beweggründe verraten möchte, die besser verborgen blieben. Ich fand kein bekanntes Gesicht, als den Stadtvogt Jarvie, der auf einem Stuhl am Feuer saß, und eine gewisse stolze Zurückhaltung annahm, als Robin ihn bewillkommnete, Entschuldigungen wegen der geringen Bequemlichkeiten machte und nach seinem Befinden fragte. »Ich bin ziemlich wohl, Vetter,« sprach der Stadtvogt, »ganz leidlich, ich dank Euch. Und was die Bequemlichkeit betrifft, so kann man ja den Salzmarkt nicht mit sich schleppen, wie die Schnecke ihr Haus – aber es freut mich, daß Ihr den Händen der Leute, die wahrlich nicht Eure Freunde sind, entkommen seid.« »Gut also,« erwiderte Robin. »Was fehlt Euch? – Ende gut, alles gut. – Kommt, nehmt einen Becher Branntwein. Euer Vater, der Vorsteher, schlugs nie aus.« »Außer wenn er müde war, Robin, und das bin ich heute auf mehr als eine Art geworden. Aber,« fuhr er fort und füllte langsam einen kleinen hölzernen Becher, der drei Gläser halten konnte, »er war ein mäßiger Mann, und das bin ich auch! Auf Eure Gesundheit, Robin, und auf Euer Wohlsein hier und dort! Auch meine Base Helene soll leben, und Eure beiden hoffnungsvollen Söhne. Aber davon bald mehr!« Als der Stadtvogt den Becher niedersetzte, erkannte er auch mich und begrüßte mich herzlich, lehnte aber weitre Mitteilungen für den Augenblick ab. »Ich will Eure Sache nachher besprechen,« sagte er; »jetzt muß ich, wie billig, mit den Angelegenheiten meines Vetters anfangen. – Ich hoffe, Robin, es ist niemand hier, der das, was ich sagen will, weitertragen könnte, zu dem Stadtrat, oder sonst wohin, zu meinem und Eurem Nachteile?« »Seid deshalb unbesorgt, Vetter Niklas,« antwortete Mac Gregor. »Die Hälfte von ihnen versteht nicht, was Ihr sagt, und die andern bekümmern sich nicht darum. – Ueberdies risse ich allen die Zunge aus, die sichs herausnehmen wollten, von dem zu schwatzen, was man in ihrer Gegenwart zu mir redet.« »Gut, Vetter, in diesem Fall, und da Herr Osbaldistone hier ein verständiger Jüngling und treuer Freund ist, will ich Euch gerade heraussagen, Ihr erzieht Eure Familie für böse Wege.« – Nachdem er sich hierauf geräuspert hatte, verwandelte er sein vertrauliches Lächeln in einen ernsten tadelnden Blick und fuhr fort: »Ihr wißt selbst, wie es mit Euch und der Gerechtigkeit steht – und meine Base Helene – ich will nichts von ihrem heutigen Empfange sagen, der gewiß nicht freundlich war, denn ich halt es ihrer Gemütsbewegung zu gute; aber diesen persönlichen Grund der Klage beiseite setzend, hab ich von Eurer Frau zu sagen –« »Sagt nichts von ihr,« fiel Robert in strengem und ernstem Tone ein, »als was sich für einen Freund zu sagen und für einen Mann zu hören geziemt. Von mir hingegen könnt Ihr alles sprechen, was Euch beliebt.« »Gut, gut,« versetzte Jarvie, nicht ohne Verlegenheit, »wir wollen das übergehen. Aber ich erachte es nicht für recht, in Familien Unheil zu stiften. Was hingegen Eure beiden Söhne betrifft, so liegen die Dinge doch eigentlich recht schwer, denn Robin und Hamish besitzen nicht die gewöhnlichen Anfangsgründe einer guten Erziehung. Nicht einmal das Einmaleins, die Wurzel aller nützlichen Kenntnisse, kennen sie, und sie lachten und spotteten mich nur aus, als ich ihnen über ihre Unwissenheit meine Meinung sagte. Ich glaube, sie können weder lesen, schreiben, noch rechnen, wenn man so etwas von seinen eigenen Verwandten in einem christlichen Lande noch glauben darf. »Wenn sie es könnten, Vetter,« sprach Mac Gregor sehr gleichgültig, so müßten sie's von selbst gelernt haben, denn wie zum Henker hätt' ich einen Lehrer für sie beschaffen sollen? Sollt ich etwa ans Tor Eurer Schule in Glasgow anschlagen lassen: Robin der Rote braucht einen Lehrmeister für seine Knaben?« »Nein, Vetter,« versetzte Jarvie, »aber Ihr hättet die Jungen dahin schicken sollen, wo sie Gottesfurcht und die Gebräuche gesitteter Leute hätten lernen können. Sie sind ja so unwissend wie das Vieh, das Ihr sonst zu Markte treibt, oder wie die englischen Bauern, die es Euch abkaufen.« »Hm!« antwortete Robin; »Hamish kann einen Birkhahn im Fluge mit einer einzigen Kugel herabschießen, und Rob stößt einen Dolch durch ein Brett, das zwei Zoll dick ist.« »Desto schlimmer für sie, Vetter!« rief der Kaufmann von Glasgow mit großer Entschiedenheit. ... »Wenn sie nichts Besseres können, als das, so möchten sie lieber gar nichts verstehen. Sagt mir selbst, Robin, was Ihr mit all diesem Hauen und Stoßen und Schießen gewonnen habt? Waret Ihr glücklicher, als Ihr hinter Eurem Vieh herzöget, in ehrlichem Gewerbe, oder seid Ihrs jetzt, an der Spitze Eurer hochländischen Landstreicher und Gaudiebe?« Ich bemerkte, daß Mac Gregor, während sein wohlmeinender Vetter auf diese Weise mit ihm sprach, sich drehte und krümmte, wie einer, der Schmerz erduldet, aber den Entschluß gefaßt hat, keinen Seufzer seinen Lippen entfliehen zu lassen, und ich wartete auf eine Gelegenheit, den wohlgemeinten, aber offenbar verfehlten Ton, worin Jarvie mit diesem ungewöhnlichen Manne sprach, zu unterbrechen. Das Gespräch kam indes zu Ende ohne meine Einmischung. »Und seht,« sprach der Stadtvogt, »nun hab ich gedacht, Robin, da Ihr zu sehr im schwarzen Buche steht, als daß Ihr auf Pardon rechnen dürftet, und zu alt seid, Euch zu ändern, wär es doch ein Jammer, wenn so ein Paar hoffnungsvolle Jungen zu dergleichen gottlosem Gewerbe auferzogen würden, wie das Eurige, und ich wollte sie gern als Lehrlinge an den Webstuhl setzen, wie ich selbst angefangen habe, und mein Vater, der Vorsteher, vor mir, obwohl ich jetzt, dem Geber sei Dank, im großen handle – und –« Er sah, wie sich ein Wettersturm auf Robins Stirn zusammenzog, und das bestimmte ihn wahrscheinlich, seinem Vorschlage, der so geringen Beifall zu finden schien, einen bessern Anstrich dadurch zu geben, daß er ihm durch Großmut gewissermaßen die Krone aufsetzte. »Robin,« sagte er, »Ihr braucht nicht so finster dreinzuschauen; denn ich verzichte aufs Lehrgeld und will Euch auch nie wegen der tausend Mark plagen.« »Hunderttausend Teufel!« rief Robin und schritt durch die Hütte. »Meine Söhne Weber! Tausend noch einmal! Eher wollt ich alle Weberstühle in Glasgow, Weberbaum und Weberschiffe im Höllenfeuer brennen sehen!« Nicht ohne Mühe machte ich dem Stadtvogt, der antworten wollte, begreiflich, wie ungeziemend und bedenklich es sei, unserm Wirt über diesen Punkt zuzusetzen; aber nach wenigen Augenblicken hatte Robin seine heitre Stimmung wiedererlangt. »Na, Ihr meints gut – Ihr meints gut,« sprach er, »gebt mir die Hand, Niklas, und wenn ich je meine Söhn' in die Lehre gebe, so sollt Ihr die Wahl haben. – Und was die tausend Mark anbetrifft, die noch zwischen uns offen stehen – Heda! Eachin Analeister, gib mir meine Tasche.« Ein langer, rüstiger Hochländer, der Robins Leutnant zu sein schien, brachte aus irgend einem verborgnen Ort eine große Tasche aus Seeotterfell, reich mit silbernen Verzierungen und Buckeln besetzt, wie sie vornehme Hochländer im vollen Staate vor sich zu tragen pflegen. »Ich will niemand raten, diese Tasche zu öffnen, der nicht das Geheimnis kennt,« sprach Robin der Rote, während er einen Knopf in dieser, den andern in jener Richtung drehte, eine Buckel aufhob, die andre niederdrückte, bis die Oeffnung des Säckels, die mit einer Silberplatte verschlossen war, aufsprang. Er machte mir eine kleine verborgne Pistole bemerkbar, deren Drücker mit der Oeffnung zusammenhing und einen Teil des Kunstwerks ausmachte, so daß sie gewiß losgehen und wahrscheinlich den Unkundigen treffen mußte, der sich das Schloß zu öffnen bemühte. »Dies,« sprach er, »die Pistole berührend, »ist mein Schatzmeister.« Der Stadtvogt setzte seine Brille auf, um die Einrichtung zu untersuchen, und nachdem ers getan hatte, gab er die Tasche lächelnd und mit einem Seufzer zurück. »Ach, Robin!« sagte er dann, »hielten alle Leute ihre Beutel so wohl verwahrt wie Ihr, dann möchte wohl Eure Tasche nicht so gefüllt sein, wie sie es, dem Gewichte nach zu schließen, heute wohl sein dürfte.« »Sorgt nicht, Vetter!« antwortete Robin lachend, »sie ist immer offen für eines Freundes Not, oder um eine gerechte Schuld zu bezahlen. – Hier sind Eure tausend Mark,« fuhr er fort und langte eine Geldrolle heraus. »Zählt sie und seht, daß die Summe stimmt!« Jarvie nahm schweigend das Geld, und nachdem er es einen Augenblick in der Hand gewogen hatte, legte er es auf den Tisch und erwiderte: »Ich kanns nicht nehmen, Robin, mag nichts damit zu tun haben, es kann kein Segen dabei sein. – Ich habe heute zur Genüge gesehen, auf welchem Wege Ihr zu Eurem Geld kommt. Unrecht Gut gedeihet nicht. Gerade heraus gesagt, ich will nichts damit zu tun haben – es sieht aus, als ob Blut daran wäre.« »Meiner Treu!« sprach der Geächtete mit einer Gleichgültigkeit, die er vielleicht nicht ganz so empfand, »es ist gutes französisches Gold, und war vorher nie in eines Schottländers Beutel. – Seht es an – es sind lauter Louisdor, schön und glänzend, wie aus der Münze.« »Desto schlimmer, desto schlimmer – eben darum viel schlimmer, Robin,« versetzte Jarvie, seine Augen von dem Gelde abwendend, obgleich ihm die Finger danach zu jucken schienen, wie Cäsar nach der Krone. – »Empörung ist schlimmer, als Hexerei oder Räuberei; das steht in der Bibel.« »Kümmert Euch nicht darum, Vetter,« sprach der Freibeuter; »Ihr kommt ehrlich zu dem Gelde. Kommt's von dem einen König, so könnt Ihrs dem andern geben, wenn Ihr Lust habt. Es wird grade dienen, einen Feind zu schwächen, und in dem Punkte, wo der arme König Jakob schon der Schwächere ist; denn Gott weiß es, Hände und Herzen hat er genug, aber am Gelde mags ihm wohl fehlen.« »Dann wird er wohl nicht viele Hochländer auf seine Seite bekommen,« sprach Jarvie, indem er seine Brille wieder aufsetzte und den Inhalt der geöffneten Rolle zu zählen anfing. »Und Unterländer wohl nicht mehr,« erwiderte Mac Gregor, die Augenbrauen emporziehend. Er sah mich an und blinzelte nach dem Stadtvogt, der, ohne den Spott zu bemerken, mit gewohnter Vorsicht jedes Goldstück wog. Nachdem er die Summe zweimal überzählt hatte, Kapital und Interessen, gab er drei Goldstücke zurück zu einem Kleide für seine Base, wie er sagte, und noch ein paar für die beiden Buben, wofür sie sich nach Gefallen kaufen könnten, nur kein Schießpulver. Der Hochländer erstaunte über seines Vetters unerwartete Großmut, nahm aber freundlich die Gabe an, die er in seine wohlverwahrte Tasche steckte. Jarvie zog darauf den Schuldschein hervor, auf dessen Rückseite er eine Quittung geschrieben hatte, die er, nach Beifügung seines eignen Namens, vor mir als Zeugen unterschreiben ließ. Er sah sich ängstlich nach einem andern um, da die schottischen Gesetze in dergleichen Fällen zwei Zeugen verlangen. »Ihr werdet hier drei Meilen in der Runde schwerlich jemand finden, der schreiben kann, uns drei ausgenommen,« sprach Robin; »aber ich will die Sache leicht abmachen.« Er nahm die Schrift und warf sie ins Feuer, worüber der Stadtvogt nun seinerseits erstaunte. Allein sein Vetter fuhr fort: »Dies ist unsre Art im Hochlande, Rechnungen zu tilgen. –Es könnte die Zeit kommen, Vetter, wo derlei Verschreibungen und Quittungen, wenn ich sie aufbewahren wollte, Freunde in Ungelegenheit bringen könnten, weil sie mit mir zu tun haben.« Jarvie erhob keinen Einwurf gegen diesen Grund, und unser Abendessen wurde aufgetragen, reichlicher, auch besser und feiner, als man an diesem Ort erwarten konnte. Die meisten Speisen waren kalt, woraus wir sehen konnten, daß sie weit von hier zubereitet sein mochten; ein paar Flaschen guter Franzwein würzten die mancherlei Wildbretpasteten und andern Gerichte aufs angenehmste. Mac Gregor machte gastfreundlich den Wirt und bat um Entschuldigung, daß eine besondre Pastete, die man uns vorsetzte, schon angebrochen sei. »Ihr müßt nämlich wissen,« sagte er zu Jarvie, ohne mich anzublicken, »daß Ihr in dieser Nacht nicht die einzigen Gäste in Mac Gregors Lande seid; sonst wäre meine Frau mit den beiden Jungen auch hier zu Eurem Empfange, wie es sich gebührt.« Der Stadtvogt schien recht froh darüber zu sein, und ich wäre sicher auch seiner Meinung gewesen, wenn Robins Worte nicht die Vermutung in mir wachgerufen hätten, daß jetzt Diana und ihr Gefährte, den ich mir als ihren Gemahl nun einmal nicht zu denken vermochte, von Robins Familie bewirtet werde. Aber meine Gedanken wurden durch Robin abgelenkt, der sich jetzt Mühe gab, uns ein besseres Nachtlager zu verschaffen, als wir in der vorigen Nacht gehabt hatten. Zwei leidlich erhaltene Bettstellen, die sich an den Wänden der Hütte befanden, waren mit Heidekraut, das eben in voller Blüte stand, angefüllt, das, mit den Blüten nach oben gekehrt, eine elastische und duftige Matratze abgab. Mäntel und was man an Betten auftreiben konnte, wurden darüber gebreitet und machten es weich und warm. Jarvie schien todmüde zu sein. Ich beschloß darum, meine Mitteilungen bis auf den nächsten Morgen zu sparen, und ließ ihn zu Bett gehen, sobald er reichlich zu Abendbrot gegessen hatte. Obwohl müde und erschöpft, fand ich doch keinen rechten Schlaf, sondern wurde von einer seltenen Unruhe und Angst geplagt, die zu weiterer Unterhaltung zwischen mir und Mac Gregor führte. Fünfzehntes Kapitel »Ich weiß nicht, was ich mit Euch machen soll, Herr Osbaldistone,« sagte Robin, als er mir die Flasche zuschob. »Ihr eßt nicht, scheint keine Lust zum Schlaf zu haben, und trinkt auch nicht, obwohl dieser Bordeauxwein aus Sir Hildebrands eignem Keller stammen dürfte. Wäret Ihr immer so enthaltsam gewesen, so hättet Ihr den tödlichen Haß Eures Vetters Rashleigh sicher vermieden.« »Wäre ich immer so vorsichtig gewesen,« erwiderte ich, errötend über den Auftritt, an den er mich erinnerte, »so hätt' ich wohl noch schlimmeres Uebel vermieden – den Vorwurf meines Gewissens.« Mac Gregor warf einen scharfen und grimmigen Blick auf mich, als hätte er erforschen wollen, ob der Verwurf, den er offenbar fühlte, mit Absicht erteilt worden sei. Aber er sah, daß ich an mich selbst, nicht an ihn dachte, und wendete das Gesicht tief seufzend nach dem Feuer. Ich folgte seinem Beispiel, und wir blieben ein paar Minuten lang, in peinliche Gedanken vertieft, liegen. Alles in der Hütte schlief jetzt oder war doch still, uns beide ausgenommen. Mac Gregor brach zuerst das Schweigen in einem Tone, als sei er willens, über einen Gegenstand zu sprechen, über den er lieber schwiege. »Mein Vetter Niklas meints gut,« sagte er; »aber er setzt einem Manne von meiner Gemütsart viel zu hart zu, wenn er davon spricht, was ich war, was ich habe werden müssen, und vor allem, was mich gezwungen hat, das zu werden, was ich jetzt bin.« Er schwieg, und obwohl ich fühlte, wie heikel die Unterhaltung werden konnte, so konnte ich doch nicht umhin, zu antworten, daß ohne Zweifel seine gegenwärtige Lage vieles enthalten dürfte, was ihm zuwider sei. »Mich würde es gewiß freuen,« setzte ich hinzu, »wenn Ihr Euch auf ehrenvolle Weise herausreißen könntet.« »Ihr redet wie ein Knabe,« erwiderte Robin in einem Tone, der wie seiner Donner klang, »wie ein Knabe, der sich denkt, eine alte knorrige Eiche lasse sich so leicht biegen wie ein junger Zweig. Kann ich wohl vergessen, daß ich gebrandmarkt bin als vogelfreier Wicht, – entehrt als Verräter – daß man einen Preis auf meinen Kopf setzte, wie auf einen Wolf, und meine Familie behandelt hat, wie die Füchsin und ihre Jungen, die jedermann quälen, verachten und beschimpfen kann? Selbst mein Name, den ich von einer langen und edlen Reihe tapferer Ahnherren erhielt, ist verrufen, gleich einem Zauber, den Teufel zu beschwören!« Ich sah deutlich, daß er sich durch solche Aufzählung der ihm widerfahrenen Kränkungen selbst zur Wut aufregte, um für die Verirrungen, in die er sich hatte hetzen lassen, in den eignen Augen eine Rechtfertigung zu finden. Und das gelang ihm; denn seine hellen grauen Augen schienen Flammen zu sprühen, während er den Fuß vorwärts stieß und zurückzog, den Griff seines Dolches faßte, den Arm ausstreckte, die Faust ballte und endlich aufsprang. »Und erfahren sollen sie,« rief er in demselben tiefen Tone erstickter Leidenschaft, »daß der Name Mac Gregor, den sie zu ächten wagten, ein Zauber ist, der den wilden Teufel bannt. Von meiner Rache sollen sie hören! Der elende Viehhändler, dem sie alles genommen, den sie entehrt und niedergehetzt haben, weil Habsucht mehr verlangte, als er bezahlen konnte, er wird in furchtbarer Gestalt über sie herstürzen. Doch warum spreche ich hiervon?« fuhr er in ruhigerm Tone fort, indem er sich wieder setzte. »Ihr könnt mir glauben, Herr Osbaldistone, es reizt mich zur Ungeduld, wenn ich gejagt werde wie ein Otter oder wie ein Lachs in Untiefen, und das von meinen Freunden und Nachbarn! Ein Heiliger würde die Geduld verlieren, wenn man ihn mit so vielen Schwertstreichen und Pistolenschüssen bedroht hätte, als heute mich im Strom; wieviel mehr ein Hochländer, der um seiner Geduld willen wahrlich nicht berühmt ist, wie Ihr wohl wißt. – Aber eins liegt mir im Sinne von dem, was Vetter Niklas sagte. – Meine Jungen machen mir Kummer, wenn ich daran denke, daß sie vielleicht einmal leben sollen, wie ihr Vater hat leben müssen.« – Und trauernd stützte er das Haupt auf die Hand. Ich war tief ergriffen, und der Wunsch, ihm zu helfen, erfüllte mein Gemüt. »Wir haben gute Verbindungen im Auslande,« sagte ich; »könnten nicht Eure Söhne mit einiger Unterstützung, die sie von meines Vaters Hause doch erwarten dürfen, Anstellung in fremden Diensten finden?« Mein Gesicht, glaube ich, verriet aufrichtige Rührung; allein mein Gefährte, ohne mich weiter reden zu lassen, nahm meine Hand und erwiderte: »Ich dank Euch – dank Euch! Aber laßt uns nichts mehr davon sprechen! Ich hätte nicht geglaubt, daß jemand noch eine Träne in Mac Gregors Augenwimpern sehen werde.« – Er trocknete das feuchte Auge unter den dichten roten Brauen mit dem Handrücken. »Morgen früh,« sagte er, »wollen wir darüber sprechen, und auch von Euren Angelegenheiten – denn wir brechen früh auf: Wollt Ihr mir nicht in einem Becher Bescheid tun?« Ich lehnte ab. »Dann muß ich mir selbst Bescheid tun!« rief er und stürzte wenigstens ein halbes Maß Wein hinunter. Ich legte mich nieder, entschlossen, mit den Fragen, die ich an ihn stellen wollte, zu warten, bis er sich in ruhigerer Gemütsstimmung befände. Wirklich erfüllte dieser sonderbare Mann meine Einbildungskraft in solchem Maße, daß ich nicht umhin konnte, ihn noch ein paar Augenblicke zu beobachten, ehe ich mich auf meinem Heidekrautlager auf die andre Seite drehte. Er ging auf und nieder, bekreuzte sich von Zeit zu Zeit und murmelte ein lateinisches Gebet; dann hüllte er sich in seinen Plaid, sein nacktes Schwert an der einen Seite, die Pistole an der andern, und die Falten seines Mantels so geordnet, daß er bei jedem Alarm gleich aufspringen konnte. In wenigen Minuten verriet sein tiefes Atmen, daß er fest eingeschlafen war. Von Müdigkeit erschöpft und betäubt von den ungewöhnlichen Ereignissen des Tages, erlag auch ich bald der Gewalt eines tiefen Schlummers und erwachte, trotz aller Gründe zur Wachsamkeit, nicht eher als bis am andern Morgen. Als ich die Augen aufschlug und mich besinnen konnte, wo ich war, sah ich, daß Mac Gregor die Hütte bereits verlassen hatte. Ich weckte den Stadtvogt, der nach schweren Klagen über Gliederschmerz endlich im stande war, die frohe Nachricht zu erfassen, daß die von Rashleigh mitgenommenen Papiere und Dokumente glücklich wieder in meinem Besitze seien. Sogleich stand er geschäftig auf und verglich den Inhalt meines Pakets mit Owens Verzeichnis, wobei er murmelte: »Recht, recht – die wahre Sache – Baillie und Whittington – wo ist Baillie und Whittington – siebenhundert, sechs und acht. – Genau bis auf den Bruch. – Pollack und Peelmann – achtundzwanzig – sieben – genau. – Dem Himmel sei Dank! – Grub und Grinder, – bessre Männer kanns nicht geben – dreihundertundsiebenzig. – Gliblad – zwanzig, hier zweifle ich an Zahlung. – Slipprytongue – Slipprytongue hat aufgehört – aber das sind Bagatellen – und alles andre stimmt – Gott sei Dank! Nun können wir dies traurige Land verlassen. An den Hard-See aber werde ich nie ohne Grausen denken!« »Es tut mir leid, Vetter,« sagte Mac Gregor, der in die Stube hereintrat, als Jarvie diese letzten Worte sprach, »daß die Umstände mir nicht erlaubt haben, Euch zu bewillkommnen, wie ich es gewünscht hatte. Wenn Ihr aber meine bescheidne Wohnung besuchen wollt –« »Sehr verbunden, sehr verbunden,« erwiderte Jarvie schnell. »Aber wir müssen aufbrechen – wir müssen fort, Herr Osbaldistone und ich – Geschäfte können nicht warten.« »Gut, Vetter,« versetzte der Hochländer, »Ihr kennt unsre Sitte: speise den Gast, der kommt; und sei ihm behilflich, wenn er gehen muß. Aber Ihr könnt nicht über Drymen heimkehren; ich muß Euch über den See fetzen zur Fähre von Balloch und Eure Pferde dahin vorausschicken. Ein kluger Mann kehrt nie auf der gleichen Straße zurück, wenn er eine andre frei hat« »Ja, ja, Rob, das ist eine von den Regeln, die Ihr gelernt habt, als Ihr den Viehhandel triebt. Ihr hattet keine Lust die Pächter wiederzusehen, denen Euer Vieh das Gras abgeweidet hatte – und ich glaube, jetzt hinterlaßt Ihr noch schlimmere Spuren wie damals.« »Desto notwendiger ists jetzt, Vetter, mit dem Wege zu wechseln,« antwortete Robin; »aber Dougal soll die Pferde hinführen; er wird jetzt als Bedienter des Stadtvogts erscheinen, doch nicht von Aberfoil oder aus Robins Land, sondern vom Schlosse Stirling. – Aber seht, da ist er ja.« »Ich hätte die Kreatur nicht gekannt,« meinte Jarvie, und es war in der Tat nicht leicht, den wilden Hochländer wiederzuerkennen, als er vor der Tür der Hütte erschien, in Hut, Perücke und Reitrock, die einst Andreas gehört hatten, auf des Stadtvogts Pferde, mit dem meinigen am Zaume. Er bekam von seinem Herrn Weisung, gewisse Orte zu vermeiden, wo er Verdacht erwecken konnte, unterwegs alle mögliche Kundschaft einzuziehen und uns an einem bestimmten Ort, unweit der Fähre von Balloch, zu erwarten. Mac Gregor lud uns nun ein, mit ihm uns auf den Weg zu machen, und da wir nach seiner Versicherung noch vor dem Frühstück ein paar Meilen wandern müßten, meinte er, wir sollten doch lieber nicht unterlassen, uns für diesen Marsch mit einem Schlucke Schnaps zu stärken. Der Stadtvogt tat ihm Bescheid, meinte aber, er tue es nur, um den Magen, der bei ihm nicht allzu gut bestellt sei, gegen den Morgennebel zu schützen, und in solchem Falle hätte auch sein Vater, der Vorsteher, durch Lehre und Beispiel einen Schluck gutgeheißen. »Sehr richtig, Vetter,« versetzte Robin; »aus diesem Grund haben auch wir, die Kinder des Nebels, ein Recht, von früh bis Abend Branntwein zu trinken.« Jarvie bestieg nach dieser Labung einen kleinen hochländischen Klepper, mir ward ein andrer angeboten, den ich aber ausschlug, und unter solch andrer Begleitung und Aussicht zogen wir zum andern Male den Weg, den wir tags vorher gezogen waren. Unser Geleit bestand aus Mac Gregor und etwa einem Halbdutzend der stattlichsten, bestbewaffneten und rüstigsten Hochländer seiner Schar. Als wir uns dem Engpasse näherten, der mir als Schauplatz des Gefechts vom verwichnen Tage noch in trüber Erinnerung war, beeilte sich Mac Gregor, das Wort zu nehmen, wohl mehr, um meinem Gemüt gerecht zu werden, als daß er einer Aeußerung von mir hätte zuvorkommen wollen. »Ihr müßt Arges von uns denken, Herr Osbaldistone, und es kann natürlich nicht anders sein. Aber erwägt wenigstens, man hat uns herausgefordert. Wir sind ein rohes, unwissendes, auch wohl ein heftiges, leidenschaftliches, aber kein grausames Volk. Frieden und Gesetze würden im Lande nicht durch uns gestört werden, wenn man uns den Segen eines friedlichen Rechts wollte genießen lassen. – Aber wir sind schändlich verfolgt und gehetzt worden.« »Und das macht kluge Leute toll,« meinte Jarvie. »Und wohin mußten wir auf solche Weise gelangen, da wir doch noch leben, wie unsre Väter vor tausend Jahren lebten, und kaum mehr Wissen und Einsicht haben als sie? Können wir bessre Behandlung gewähren, als Feinde von Feinden erhalten? Ich bin in zwanzig Gefechten gewesen und habe nie einen Menschen verletzt, außer wenn mein Blut erhitzt war; und dennoch wollte man mich verraten und aufhängen, wie einen herrenlosen Hund, an das Tor des ersten besten vornehmen Herrn, der einen Groll gegen mich hat.« Ich erwiderte, daß auch mir als Engländer die Aechtung seines Namens und Geschlechts als sehr grausam und willkürlich erscheine, und erneuerte meinen Vorschlag, ihm selbst, wenn er es wollte, und seinen Söhnen Anstellung in fremden Kriegsdiensten zu verschaffen. Mac Gregor drückte mir herzlich die Hand und hielt mich zurück, als wenn er beabsichtige, Jarvie auf dem schmalen Pfade vorausreiten zu lassen. »Ihr seid ein gutherziger, wackrer Jüngling,« sprach er, »der recht gut weiß, was man den Gefühlen eines Mannes von Ehre schuldig ist. – Aber die Heide, die mein Fuß betreten hat, als ich lebte, muß über mir blühen, wenn ich tot bin. Mein Mut würde sinken und mein Arm würde zusammenschrumpfen und verwelken wie Farnkraut im Froste, wenn ich die Berge meiner Heimat nicht mehr sehen sollte; und die Welt hat keine Gegend, mich für den Verlust dieser Felsen und Klippen, die Ihr hier seht, so wild sie sind, zu trösten. – – Und Helene – was sollte aus ihr werden, wenn ich sie neuen Beleidigungen, neuen Grausamkeiten aussetzte? oder wie könnte sie diese Gegenden verlassen, wo die Erinnerung an ihre Kränkungen versüßt wird durch die Erinnerung an ihre Rache? Ich bin einst so hart von meinem großen Feinde, wie ich wohl sagen kann, bedrängt worden, daß ich dem Sturme nachgeben mußte, und mit den meinigen unsre Heimat verlassen habe und auf einige Zeit in Mac Callummore's Land gezogen bin. Da hat Helene ein Klagelied auf unsern Wegzug aus der Heimat gedichtet, wie es besser kein Mac Rimmon hätte dichten können, so rührend und wehmütig, daß uns das Herz fast brach, als sie es sang! »Aber Eure Söhne,« sagte ich, »sind jetzt in dem Alter, in welchem Eure Landsleute doch wohl gern die Welt sehen?« »Ich wär's freilich zufrieden,« erwiderte er, »wenn sie ihr Glück in französischen oder spanischen Diensten versuchten, wie schottische Edelleute zu tun pflegen, und gestern abend kam mir Euer Plan auch ganz ausführbar vor. – Aber ich habe Seine Exzellenz heute morgen gesehen, ehe Ihr aufgestanden waret.« »Hat er denn so nahe bei uns die Nacht zugebracht?« fragte ich mit ängstlich klopfendem Herzen. »Näher als Ihr glaubt,« war die Antwort. »Aber er schien eifersüchtig zu sein auf die Unterhaltung, die Ihr mit der jungen Dame geführt habt, und da seht Ihr –« »Gelegenheit zur Eifersucht habe ich ihm nicht gegeben,« erwiderte ich, nicht ohne Stolz; »ich hätte seine Einsamkeit gewißlich nicht gestört.« »Aber Ihr müßt doch nicht gleich unter Euren Locken hervorblicken wie eine Wildkatze aus einem Efeubusch; denn Ihr müßt doch nicht verkennen, daß er Euch aufrichtig wohl will, und das doch auch bewiesen hat. Gerade das ists ja immer, was die Heide in Feuer setzt, und ists auch jetzt wieder!« »Die Heide in Feuer?« fragte ich. »Ich verstehe Euch nicht.« »Nun,« versetzte Robin, »Ihr wißt doch, daß Weiber und Geld an allem Unheil in der Welt schuld sind. Ich habe Eurem Vetter Rashleigh nicht mehr getraut, seit er merkte, daß Diana Vernon nicht seine Liebste werden sollte; und ich glaube auch, er hat vorzüglich deshalb einen Widerwillen gegen die Exzellenz gefaßt. Nun kam die Herausgabe Eurer Papiere dazu – und jetzt ist es denn auch bewiesen, daß er, sobald er sie fahren lassen mußte, flugs nach Stirling geritten ist, und der Regierung alles offenbart hat, was in der Stille in unsern Gebirgen vorging, und manches noch dazu. Das ist ohne Zweifel Grund und Ursach gewesen, daß man das Land besetzte, um die Exzellenz und die Lady zu fangen, und gleichzeitig einen Angriff gegen mich zu machen. Der arme Teufel Morris, dem er alles weis machen konnte, hat sich gewiß von ihm und einigen niederländischen Edelleuten bestimmen lassen, mich in die Falle zu locken. – Aber war auch Rashleigh Osbaldistone der letzte und beste seines Geschlechts, sollten wir je wieder zusammentreffen, will ich des Todes sein, wenn nicht, ehe wir scheiden, mein Dolch und sein Herzblut bekannt miteinander werden.« Er sprach diese Drohung mit schrecklich finsterm Blick aus und legte die Hand an den Dolch. »Ich könnte mich fast freuen über das Geschehene,« sagte ich, »wenn sich hoffen ließe, daß, durch Rashleighs Verräterei, die tollkühnen Anschläge verhindert würden, deren Hauptanstifter er, wie ich längst argwöhnte, gewesen ist.« »Glaubt das nicht,« sprach Robin der Rote. »Eines Verräters Wort hat noch nie eine gute Sache verdorben. Er wußte freilich viel von unsern Geheimnissen, und wäre das nicht gewesen, so wären die Schlösser in Stirling und Edinburg jetzt in unsrer Gewalt, oder würden bald an uns fallen, was jetzt kaum noch zu hoffen ist. Aber unsre Sache ist zu gut, als daß sie um eines Verräters willen aufgegeben werden sollte, wie man in kurzem sehen und hören wird. Und darum nehmt, was ich Euch vor allem sagen wollte, meinen besten Dank für Euer Anerbieten wegen meiner Söhne entgegen, das ich gestern für sie anzunehmen gedachte. Aber ich sehe, durch dieses Elenden Verräterei werden unsre Großen die Ueberzeugung gewinnen, daß sie nicht länger säumen dürfen, wenn sie nicht in ihren Häusern festgenommen, wie Hunde gekoppelt und nach London getrieben werden wollen, gleich den wackern Herren und Edelleuten anno 1707. Bürgerkrieg ist ein Basilisk; wir haben auf dem Ei, das ihn barg, zehn Jahre lang sitzen können, aber da kommt Rashleigh, der die Schale entzwei schlägt, und heraus kommt das Wundertier und ruft zu Feuer und Schwert. Bei dermaßen bestellten Sachen brauche ich alle Hände, die ich erlangen kann, und ohne Geringschätzung der Könige von Frankreich und Spanien, denen ich alles Gute wünsche, muß ich doch meinen, König Jakob sei ebensogut wie sie und besitze das nächste Anrecht auf meine Söhne, seine gebornen Untertanen.« Ich begriff leicht, daß diese Worte einen allgemeinen Volksaufstand andeuteten; da es aber so nutzlos als gefährlich gewesen sein würde, die politische Meinung meines Führers an solchem Ort und in solchem Augenblicke zu bestreiten, begnügte ich mich, die Verwirrung und das Unglück zu beklagen, die aus solchem Werke hervorgehen mußten. »Laßt's nur kommen, Herr,« versetzte Mac Gregor. »Ich habe nie gesehen, daß schlechtes Wetter sich ohne Regenschauer aufklärt; und wenn in der Welt das Unterste zu oberst gekehrt ist, haben ehrliche Leute die beste Gelegenheit, sich ein Stück Brot zu schneiden.« Ich suchte wieder das Gespräch auf Diana zu bringen, aber so frei er sich über die meisten Dinge äußerte, die für mich nichts Erfreuliches hatten, beobachtete er doch über diesen Gegenstand allein, der für mich am anziehendsten war, eine gewisse Zurückhaltung, und begnügte sich, anzudeuten, daß die Lady, wenn ihn seine Hoffnung nicht trüge, bald in einem ruhigeren Lande leben werde, als Schottland für absehbare Zeit sein dürfte. Mit dieser Antwort mußte ich mich zufrieden geben, und mit der Hoffnung, daß der Zufall mich wieder, wie früher, begünstigen und mir wenigstens das traurige Vergnügen gestatten werde, einem Wesen Lebewohl zu sagen, das meine Neigung in einem höhern Grade besaß, als ich geglaubt hatte, ließ ich das Gespräch fallen. Wir gingen ungefähr sechs englische Meilen weit am Rande des Sees auf einem wilden und reizvoll abwechselnden Pfade, bis wir einen hochländischen Meierhof erreichten, der an dem klaren Wasserspiegel lag und, wie ich glaube, Lediart hieß. Hier fanden wir auch einen ansehnlichen Haufen von Mac Gregors Leuten. Wir stiegen am Ufer des Sees aufwärts, am Ufer eines rauschenden Baches entlang. Rechts blieben einige hochländische Hütten liegen, umgeben von Stücken urbaren Landes, das gleichsam aus den anliegenden Gebüschen ausgehauen war, und Gerste und Hafer trug. Von da ab ward der Hügel steiler, und auf seinem schroffen Lande trafen wir wieder auf ungefähr fünfzig Männer von Mac Gregors Gefolge. Sie standen auf einer Stelle, deren ich mich immer noch mit Bewunderung erinnere. Der Bach fand hier in seinem Lauf eine Felsenwand, über die er sich in zwei Fällen hinabstürzte. Der erste Fall, über den sich eine prächtige alte Eiche, aus dem jenseitigen Ufer hervorsprossend, wölbte, als ob sie die herniederschießenden dunklen Gewässer beschirmen wollte, mochte zwölf Fuß hoch sein. Der gebrochene Strom fiel in ein schönes Felsenbecken, fast so regelmäßig, wie mit dem Meißel gehauen, und stürzte, nachdem er sich auf dem steinigen Rande herumgedreht hatte, steil, wenigstens fünfzig Fuß tief, durch eine dunkle enge Schlucht, und eilte dann in ruhigerem Laufe dem See zu. Hier hatten Robins Frau und Anhänger unser Frühstück bereitet, in der wohl berechneten Absicht, bei ihrem Gaste durch das erhabene Naturbild, das er ihrem Gaste bot, ein Gefühl von Ehrfurcht zu wecken. Die Hochländer sind von Natur ernst und stolz, und wie roh sie uns auch erscheinen mögen, so gehen sie doch in ihren Begriffen von Form und Höflichkeit so weit, daß man es für übertrieben hielte, wäre nicht der Ausdruck überlegener Kraft damit verbunden, und ihre gemessene Ehrerbietung und strenge Förmlichkeit, die bei einem gewöhnlichen Landmanne lächerlich erscheinen, gibt dem kriegerisch gerüsteten Hochländer eine stolze Würde. Daher war auch unser Empfang nicht ohne Feierlichkeit. Die Hochländer, die auf der Höhe zerstreut gewesen waren, zogen sich bei unserer Annäherung zusammen, und standen bewegungslos in geschlossenen Gliedern hinter drei Gestalten, in denen ich bald Helene Mac Gregor und ihre beiden Söhne erkannte. Robin ordnete seine Begleiter, und wo die Anhöhe steil ward, bat er Jarvie abzusteigen, und führte uns langsam an der Spitze des Trupps hinauf. Als wir uns näherten, hörten wir die wilden Töne des Dudelsacks, die, mit dem Rauschen des Wasserfalls vermischt, ihren natürlichen Mißklang verloren. Mac Gregors Frau kam uns einige Schritte entgegen. Ihr Anzug war sorgfältig in weiblicherm Geschmack als am vorigen Tage geordnet, allein ihre Züge trugen denselben stolzen, unbeugsamen, entschlossenen Charakter, und als sie meinen Freund Jarvie mit einer unvermuteten, ihm sichtlich nicht eben willkommenen Umarmung begrüßte, verriet mir die Bewegung seiner Perücke, seines Rückens und seiner Beine, daß ihm ungefähr zu Mute war, wie einem, der sich plötzlich von einer Bärin ergriffen fühlt, ohne unterscheiden zu können, ob das Tier freundlich oder grimmig ist. »Vetter,« sprach sie, »Ihn seid willkommen – und auch Ihr, Fremdling,« fügte sie, zu mir gewandt, hinzu und ließ meinen erschrockenen Gefährten los, der unwillkürlich zurücktrat und sich die Perücke zurecht setzte. – »Ihr seid auch willkommen. – Ihr kamt in unser unglückliches Land, als unser Blut heiß und unsre Hand locker war. Entschuldigt den rauhen Empfang und schreibt ihn der bösen Zeit zu, nicht uns.« Alles dies sprach sie mit dem Benehmen einer Fürstin und mit Anmut, Geläufigkeit und Nachdruck. Sie lud uns zu einer Erfrischung ein, die auf dem Rasen zubereitet wurde, und das Beste bot, was ihre Berge liefern konnten; allein der Genuß wurde gestört und getrübt durch den finstern, unwandelbaren Ernst, der auf ihrer Stirn ruhte, und durch unsre bangen Erinnerungen an die Ereignisse des verwichenen Tages. Vergebens suchte der Häuptling uns fröhlicher zu stimmen. Ein Schauder erfüllte unsre Gemüter, als ob wir bei einem Leichenmahle gewesen wären, und jede Brust fühlte sich erleichtert, als es zu Ende war. »Lebt wohl, Vetter!« sprach sie zu Jarvie, indem wir aufstanden. »Der beste Wunsch, den Helene Mac Gregor einem Freunde geben kann, ist, daß er sie nie wiedersehen möge.« Der Stadtvogt suchte eine Antwort hervorzubringen, vermutlich mit irgend einem moralischen Gemeinspruch verbrämt; allein der ruhige, traurige Ernst ihres Gesichts brachte den Beamten mit seiner förmlichen Wichtigkeit ganz aus der Fassung. Er hustete, räusperte, bückte sich und – schwieg. »Für Euch, Fremdling,« sprach sie zu mir, »hab ich ein Andenken von einer Person, die Ihr –« »Helene!« fiel Mac Gregor mit lauter und ernster Stimme ein, »was soll das heißen? Hast Du den Befehl vergessen?« »Mac Gregor,« erwiderte sie, »ich habe nichts vergessen. Hände wie diese,« fuhr sie fort, und streckte ihre langen, nervigen, nackten Arme aus, »passen nicht zur Uebermittelung von Liebeszeichen, sie müßten denn mit Jammer verbunden sein. – Jüngling,« sprach sie, mir einen Ring reichend, den ich als einen der wenigen Zieraten erkannte, die Diana zuweilen trug, »dies kommt von einer Person, die Ihr nie wiedersehen werdet. Ist es ein freudloses Andenken, so paßt es gut dazu, durch die Hände einer Frau zu gehen, die Freude nie mehr kennen wird. Ihre letzten Worte waren: Er mag mich für immer vergessen.« »Und kann sie dies für möglich halten?« sprach ich, kaum meiner Worte mir bewußt. »Alles kann vergessen werden,« versetzte die seltsame Frau, »alles – bloß nicht Schande und Rache.« »Aufgespielt!« rief Mac Gregor, stampfend vor Ungeduld. Die Sackpfeifen ertönten, und ihre trillernden, schnarrenden Klänge machten der Unterhaltung ein Ende. Wir nahmen mit stummen Gebärden von unserer Wirtin Abschied, und ich entfernte mich mit einem neuen Beweise, daß Diana mich liebte, und auf immer von mir getrennt war. Sechzehntes Kapitel Unser Weg führte durch eine wüste, aber trotz allem romantische Gegend, die ich aber in dem Kummer meiner Seele nicht genauer betrachten konnte. Der hohe Gipfel des Ben Lomond, hier der hervorragende Herrscher der Gebirge, lag uns zur Rechten und diente zum auffallenden Grenzzeichen. Ich ward nicht eher aus meiner Unempfindlichkeit gegen alles Aeußere erweckt, bis wir nach einer langen, beschwerlichen Wanderung aus einer Bergschlucht traten und der Loch Lomond vor uns lag. Ich will nicht zu beschreiben versuchen, was sich kaum vorstellen läßt, ohne es gesehen zu haben. In der Tat bildet dieser herrliche See mit seinen zahllosen lieblichen Eilanden eine der überraschendsten, schönsten und erhabensten Szenerien. Das östliche, besonders rauhe und wilde Uferland war zu jener Zeit Hauptsitz des Clans Mac Gregor, und zwischen Loch Lomond und einem andern See lag eine kleine Garnison, deren Aufgabe es war, den kühnen Häuptling in Schach zu halten. Das Land war aber von Natur so befestigt, hatte so zahlreiche Engpässe, Moräste, Höhlen und andre Unterschlupfe und Bollwerke, daß das kleine Fort, in welchem die Garnison lag, kaum als Ort gelten konnte, der vor Gefahren schützt. Bei mehr als einer Gelegenheit hatte auch die Besatzung den verwegenen Mut Robins des Roten und seiner Anhänger empfunden. Unter einem hohen Felsen in einer Bucht erwartete uns ein Boot, das mit vier muntern hochländischen Ruderern bemannt war, und unser Wirt nahm mit Herzlichkeit von uns Abschied. Wir stießen vom Ufer ab und steuerten nach der südwestlichen Ecke des Sees, wo der Fluß Leven austritt. Robin blieb noch einige Zeit am Ufer stehen, kenntlich noch in weiter Ferne an seinem langen Gewehr, an dem wehenden bunten Gewand und an der einzelnen Feder auf der Mütze, wodurch in jenen Zeiten der hochländische Krieger sich auszeichnete. Endlich sahen wir ihn langsam den Berg hinanschreiten, begleitet von den Männern, die seine Leibwache bildeten. Wir setzten unsre Fahrt lange fort unter Schweigen, das nur durch das gälische Lied unterbrochen wurde, das einer von den Ruderern in leisen, unregelmäßigen Rhythmen sang und dann in einen wilden Chor überging, in den die andern einfielen. So traurig ich gestimmt war, so gewährte mir der Anblick der prächtigen Landschaft, die uns umgab, doch einige Linderung, und in der Schwärmerei des Augenblicks kam mir der Einfall, daß es sich für einen Katholiken auf einem der anmutigen Eilande, zwischen denen unser Boot dahinglitt, als Einsiedler herrlich leben und sterben ließe. Der Stadtvogt hing auch seinen Betrachtungen nach, die aber von den meinigen recht verschieden waren, denn nach einem langen Stillschweigen, das er benützt hatte, um allerhand Berechnungen anzustellen, versuchte er den Beweis zu liefern, daß es möglich sei, den See auszutrocknen, und für Pflug und Egge viele hundert, ja viele tausend Morgen Landes zu gewinnen. Endlich näherten wir uns dem Landungsplatze, nicht weit von den Trümmern einer alten Feste, wo der See in den Leven abfließt. Hier trafen wir Dougal mit den Pferden. Ich drückte dem wackern Bergschotten ein paar Goldfüchse in die Hand, die ihn zu wahren Bockssprüngen der Freude bestimmten; und während er sich hierauf wieder in die Berge schlug, bestiegen wir unsre Pferde und ritten die Straße nach Glasgow. Als wir den See mit seinem prächtigen Amphitheater von Bergen aus dem Gesichte verloren, konnte ich nicht unterlassen, mit Begeisterung von dessen Naturschönheiten zu sprechen, obwohl ich wußte, bei Jarvie keinerlei Verständnis dafür zu finden. »Ihr seid ein junger Mann und ein Engländer,« erwiderte er; »und damit erklären sich wohl solche Anschauungen; aber ich bin ein schlichter Mann, der bloß für den Nutzwert der Ländereien Verständnis hat, und gebe gern die schönste Aussicht, die wir im Hochlande gesehen haben, für den ersten Blick der Dächer von Glasgow. Bin ich erst einmal wieder dort, dann will ich nicht um jedes Narren willen – nichts für ungut, Herr Franz – der Stadt wieder den Rücken drehen.« Der wackre Mann sah diesen Wunsch rasch erfüllt, denn ein Dauerritt, den Tag und die Nacht hindurch, brachte uns am andern Morgen vor sein Haus. Nachdem ich meinen wackern Reisegefährten der Obhut seiner bedachtsamen und dienstfertigen Mathilde überliefert hatte, begab ich mich nach meinem Wirtshaus, wo ich zu dieser ungewöhnlichen Stunde noch Licht antraf. Die Tür ging auf, und kein andrer als Andreas, der Gärtner, war es, der beim ersten Klang meiner Stimme vor Freude schrie und, ohne ein Wort zu sagen, die Treppe hinauf nach dem Zimmer im zweiten Stock lief, aus dessen Fenstern das Licht schimmerte. In der Erwartung, daß er meine Ankunft dem bekümmerten Owen melden wollte, folgte ich ihm auf dem Fuße. Owen war nicht allein – es war noch ein andrer im Zimmer – mein Vater. In der ersten Minute versuchte er, seine gewöhnliche Würde zu behaupten. »Franz, es freut mich, Dich zu sehen.« – In der nächsten Minute aber lag er in meinen Armen und rief: »Mein lieber, lieber Sohn!« Owen umfaßte meine Hände, die er mit Tränen benetzte, während er mir zu meiner Rückkehr Glück wünschte. Nachdem die erste Aufwallung der Freude vorüber war, erfuhr ich, daß mein Vater kurz nachher, als sich Owen auf den Weg nach Schottland gemacht hatte, aus Holland zurückgekehrt war. Entschlossen und rasch in allen seinen Bewegungen, verweilte er nur, die Mittel zur Erfüllung aller Verbindlichkeiten herbeizuschaffen, die sein Kaufhaus zu erfüllen hatte. Mit seinen reichen Hilfsmitteln und, da es ihm gelungen war, in den Niederlanden alle Geschäfte gut abzuwickeln, gestärkt an Kapital und Kredit, gelang es ihm leicht, Verhältnisse, die vielleicht nur seine Abwesenheit geschaffen oder erschwert hatte, zu ordnen, und sobald ihm dies gelungen war, reiste er auf der Stelle nach Schottland, um Rashleigh zur Rechenschaft zu ziehen und zugleich seine Angelegenheiten auch dort wieder in Ordnung zu bringen. Seine Ankunft unter solchen Umständen war ein Donnerschlag für Mac Vittie und Compagnie, die geglaubt hatten, sein Stern sei für immer untergegangen. Aufs äußerste aufgebracht über die Behandlung, die sein Geschäftsführer Owen erfahren hatte, wies mein Vater alle Entschuldigungen und gütlichen Vergleiche zurück, berichtigte die laufende Rechnung und erklärte dann dem schottischen Handelshause, daß hiermit zwischen ihnen und ihm aller geschäftlicher Verkehr als aufgehoben anzusehen sei. Unterdes war er meinetwegen nicht wenig in Sorgen. Owen hatte es nicht für möglich gehalten, daß eine Reise von fünfzig bis sechzig Meilen, von London aus in jeder Richtung schon damals ein Kinderspiel, mit solchen Gefahren verbunden sein könnte. Aber mein Vater kannte das Land und die gesetzlosen Bewohner besser, und so stiegen die Besorgnisse der beiden wackern Männer zur Angst, als wenige Stunden vor meiner Ankunft Andreas erschien, und eine übertriebene Schilderung der bedenklichen Lage gab, in der er mich zurückgelassen hatte. Owen wäre, wenn er allein gewesen und von niemand beraten worden wäre, ganz ohne Frage in die hellste Verzweiflung geraten über all das Schlimme, das er über mein Schicksal aus dem Munde des Gärtners vernahm; aber mein Vater, bei seiner Menschenkenntnis, war besser im stande, die Sinnesart des Erzählers zu durchschauen und den wahren Verlauf seiner Nachrichten zu würdigen. Immerhin waren sie beunruhigend genug, auch wenn ein gewisses Maß von Uebertreibung dabei obwaltete. Und so faßte mein Vater ohne weiteres den Entschluß, sich selbst auf den Weg zu machen, um meine Freilassung durch ein Lösegeld oder im Wege der Unterhandlung zu bewirken, und war mit Owen noch in später Nachtstunde mit der Durchsicht von Briefen und Erledigung andrer Geschäfte beschäftigt, die während seiner Abwesenheit vollendet werden sollten. So traf es sich, daß ich sie noch munter fand. Es war spät, als wir auseinandergingen. Viel zu ungeduldig, mich langer Ruhe hinzugeben, stand ich beizeiten wieder auf. Andreas meldete sich pflichtgemäß zu seinem Dienst, und an Stelle der Vogelscheuche, zu der die Hochländer ihn gemacht hatten, zeigte er sich jetzt in tiefer Trauerkleidung. Nach verschiedenen Fragen, die der Schelm erst gar nicht verstehen wollte, brachte er endlich heraus, daß er gemeint habe, um meinetwillen Trauer anlegen zu sollen, und da der Trödler, in dessen Bude er sich ausgestattet, den Anzug nicht habe wiedernehmen wollen, und er doch in meinen Diensten um seine Kleider gekommen sei, so rechne er darauf, daß sowohl ich als mein Vater, zumal ihm ja Gottes Segen in so reichem Maße zuteil geworden sei, nicht leiden würden, daß ein so armer Bursche wie er, besonders ein alter und treuer Diener des Hauses, solchen Verlust aus eigner Tasche trüge. Da seine Beschwerde insoweit begründet war, als ihn sein Verlust tatsächlich in meinen Diensten getroffen hatte, so gelang ihm seine List, und er kam zu einem guten Anzug. Sobald mein Vater aufgestanden, besuchte er den Stadtvogt. Mit wenigen, aber männlichen und kräftigen Worten dankte er ihm, tief ergriffen über alle Güte, die er ihm und mir erwiesen hatte, und bot ihm, nachdem er ihn über die Ordnung seiner Angelegenheiten genügend Aufklärung gegeben, unter sehr vorteilhaften Bedingungen den Anteil an seiner Firma an, den bisher Mac Vittie besessen hatte. Jarvie gratulierte meinem Vater und Owen herzlich zu dem Umschwung der Verhältnisse, meinte, wenn er auch nicht leugnen wolle, sein Bestes getan zu haben, doch schließlich über seine Pflicht nicht hinausgegangen zu sein, und erklärte, sich zu der Erweiterung der geschäftlichen Beziehungen gern zu verstehen; hätten Mac Vitties sich als wackre Leute erwiesen, so wäre er ihnen nicht gern ins Gehege gekommen; so aber müßten sie den Schaden hinnehmen, den sie sich selbst gestiftet hätten. Jarvie zog mich darauf in eine Ecke, und nach nochmaligem herzlichen Glückwunsche fügte er, nicht ohne Verlegenheit, hinzu: »Ich möchte gern, Herr Franz, daß von den seltsamen Dingen, die wir im Hochlande erlebten, so wenig als möglich gesprochen werde. Und wird man nicht gerichtlich zu einer Aussage über den schrecklichen Vorfall mit Morris genötigt, möchte es kaum gut sein, darüber viel verlauten zu lassen; und daß es im Ratskollegium nicht gerade als rühmlich gelten möchte, daß einer aus ihrer Mitte mit Hochländern gefochten und ihnen ein Plaid angesengt hat, brauche ich wohl auch nicht erst zu sagen; noch weniger, daß einer von ihnen ohne Hut und Perücke am Strauche gehangen hat.« Ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Der gutmütige Mann wurde verlegen, lächelte aber gleichfalls, indem er mit Kopfschütteln sagte: »Ich sehe, wie's steht – ich sehe, wie's steht. Aber redet nicht davon, und sagts auch Eurem geschwätzigen und eingebildeten Diener, daß er den Mund zu halten habe. Ich möchte nicht einmal, daß die Mathilde was davon erführe. Das Gerede darüber nähme sicher kein Ende.« Wir verlebten noch einen Tag im gastfreien Hause des Glasgower Stadtvogts. Dann nahmen wir von ihm Abschied. Da er in dieser Erzählung nicht mehr auftreten wird, sei noch kurz bemerkt, daß er in Wohlstand und Ehre sein Leben weiterführte und noch zu den höchsten Würden in seiner Vaterstadt aufgestiegen ist. Nach ungefähr zwei Jahren wurde er des Junggesellenlebens überdrüssig und erhob die sorgsame Mathilde von ihrem Platz am Küchenfeuer auf den ersten Rang an seiner Tafel, als ehrsame Frau Jarvie. Siebzehntes Kapitel An dem Morgen, an welchem wir Glasgow verlassen wollten, stürzte Andreas wie ein Wahnsinniger in meine Stube, tanzte herum, hüpfte hin und her und sang und schrie, daß mir die Ohren gellten. Endlich gelang es mir, ihn zum Schweigen zu bringen und zu sagen, was vorgefallen sei. Die Hochländer hätten losgeschlagen, und Robin der Rote würde mit seiner hosenlosen Bande in 24 Stunden in Glasgow sein. »Schweigt!« rief ich, »Ihr Tropf! Ihr müßt betrunken oder toll sein.« »Betrunken oder toll?« versetzte Andreas keck. »Wenn man mal was sagt, was vornehme Leute nicht hören mögen, dann heißts gleich, man sei toll oder habe was im Kopfe!« Ich stand schnell auf und fand meinen Vater und Owen gleichfalls auf den Füßen und in großer Unruhe. Die Kunde meines Dieners erwies sich nur allzu wahr. Der große Aufstand, der Großbritannien im Jahre 1715 erschütterte, war bereits ausgebrochen. Der unglückliche Graf von Mar hatte in einer schlimmen Stunde die Fahne der Stuarts erhoben, um über viele angesehene Geschlechter in Schottland und England Jammer und Elend zu bringen. Verrat war im Werke gewesen, ihm hatte mein Vetter Rashleigh nicht fern gestanden, und so hatten Georgs des Ersten Räte rechtzeitig Wink von den Dingen bekommen, die im Werke waren, und ihre Gegenmaßregeln treffen können. Dadurch waren die Empörer genötigt worden, früher loszuschlagen, als sie willens waren, früher als alle Vorbereitungen getroffen waren. Wir berieten uns über die Maßregeln, die uns diese bedenkliche Lage aufnötigte, und stimmten meinem Vater bei, uns sogleich Pässe zu verschaffen und gerades Weges nach London zu reisen. Ich äußerte den Wunsch, in einem der freiwilligen Heerhaufen, die bereits gebildet wurden, dem Staate meine Dienste anzubieten. Mein Vater sagte ohne weiteres Ja hierzu; denn wenn er auch den Krieg als ein Gewerbe mißbilligte, so wäre doch niemand schneller bereit gewesen, sein Leben zur Verteidigung der bürgerlichen und religiösen Freiheit in die Schanze zu schlagen, als er. Wir reisten schnell durch Dumfriesshire und die angrenzenden Grafschaften von England. In der ganzen Gegend waren die Torys bereits in Bewegung, Soldaten und Pferde musternd, wahrend die Whigs sich in den Hauptstädten versammelten, die Einwohner bewaffneten und sich zum Bürgerkriege vorbereiteten. Oft waren wir in Gefahr, angehalten zu werden, und genötigt, Umwege zu machen, um den zusammengezogenen Truppen auszuweichen. Nach unsrer Ankunft in London schlossen wir sogleich mit Privatbanken und angesehenen Kaufleuten ein Abkommen, die Regierung zu unterstützen und dem Andrang auf die königl. Bank ein Paroli zu bieten, worauf die Verschworenen es hauptsächlich angelegt hatten, in der Hoffnung, einen Staatsbankerott herbeizuführen. Es gelang schnell, Käufer für eine Anzahl von Staatspapieren zu finden, die beim Ausbruche des Aufstandes einen jähen Sturz erlitten hatten. Ich war auch nicht müßig, sondern warb auf meines Vaters Kosten gegen zweihundert Mann, mit denen ich zu General Charpenters Armee stieß. Unterdessen hatte sich der Aufstand in England verbreitet. Der unglückliche Graf von Darwentwater ergriff die Waffen, mit dem General Foster. Mein armer Oheim, dessen Vermögen durch seine eigne Sorglosigkeit und die Verschwendung seiner Söhne und seines Haushalts fast bis auf nichts herabgekommen war, ließ sich leicht bewegen, der unglücklichen Fahne zu folgen. Ehe er aber diesen Schritt tat, traf er eine Vorsichtsmaßregel, die man ihm nicht zugetraut haben würde – er machte sein Testament! Nach dessen Wortlaut sollten seine Besitzungen auf seine Söhne, von einem zum andern, und auf ihre männlichen Nachkommen forterben, bis auf Rashleigh, gegen den er zufolge seiner Abtrünnigkeit einen maßlosen Haß hegte: er fertigte ihn mit einem Schilling ab und setzte mich zum nächsten Erben nach seinen Söhnen ein. Gerne hatte mich der alte Herr ja immer gehabt, immerhin ist es nicht unwahrscheinlich, daß er, im Vertrauen auf die Zahl und Körperkraft seiner jugendlichen Söhne, die mit ihm unter die Waffen traten, diese letzte Verfügung für ein totes Wort gehalten hat, vorzüglich darum hinzugefügt, um sowohl öffentlich als privatim seinen Unwillen über Rashleighs Verräterei auszudrücken. Auch vermachte er der Nichte seiner verstorbenen Gemahlin, Diana Vernon, jetzt Lady Diana Vernon Beauchamp, einige Diamanten, die ihrer Tante gehört hatten, und ein großes silbernes Becken, worauf die verschränkten Wappen der Familien Vernon und Osbaldistone eingegraben waren. Dem Ratschlusse des Himmels gemäß sollte aber sein zahlreicher und rüstiger Stamm schneller untergehen, als er höchstwahrscheinlich vermuten konnte. Bei der ersten Musterung der Verschworenen zu Green Rigg geriet Thorncliff mit einem Edelmann aus Northumberland, der eben so heftig und starrsinnig war als er, über den Vorrang in Streit. Ungeachtet aller Vorstellungen gaben sie ihrem Kommandanten eine Probe, inwieweit er sich auf ihre Manneszucht verlassen konnte; sie fochten ihren Streit mit dem Schwert aus, und mein Vetter blieb auf dem Platze. Sein Tod war ein empfindlicher Verlust für Ritter Hildebrand, da Thorncliff, trotz seiner rohen Gemütsart, ein Paar Gran Verstand mehr hatte, als die übrigen Brüder zusammen, ausgenommen natürlich Rashleigh. Percival, der Trunkenbold, starb gleichfalls in seinem Beruf. Er ging, als Jakob der Dritte von den Insurgenten zum König ausgerufen wurde, mit einem andern Edelmann eine Wette ein, wer den größten Becher voll starken Branntweins austrinken könnte. Die Aufgabe ging ins Ungeheure. Ich habe das eigentliche Maß, um welches es sich dabei gehandelt hat, vergessen; allein Percival fiel infolge dieser sinnlosen Wette in ein starkes Fieber, und unter dem fortwährenden Rufe: »Wasser! Wasser!« starb er nach drei Tagen. Richard brach an der Warrington-Brücke den Hals als er mit einem abgerittenen Pferde, das er einem zu den Insurgenten übergetretenen Kaufmann aus Manchester aufschwatzen wollte, über einen Zaun zu setzen versuchte. Das Tier stürzte, und der unglückliche Jockey kam dabei um. Wilfred, der Narr, hatte, wie es sich zuweilen bei seinesgleichen zuträgt, das meiste Glück in der Familie. Er fiel in der Schlacht bei Preston, in der er mit großer Tapferkeit focht, obwohl er nie recht begriffen haben soll, weshalb gekämpft wurde, und sich nicht immer besinnen konnte, auf welches Königs Seite er die Waffen führte. Auch Johann hielt sich in derselben Schlacht tapfer, war aber nicht so glücklich, auf dem Walplatz zu sterben, sondern wurde nur schwer verwundet. Der alte Hildebrand, dem diese so schnell aufeinander folgenden Unglücksfälle das Herz gebrochen hatten, geriet, als seine Partei sich nach dem Verluste der Schlacht ergeben mußte, in Gefangenschaft und wurde mit seinem Sohne Johann nach Newgate gebracht. Meines Vaters Einfluß und die allgemeine Teilnahme, die ein Vater erregte, der in so kurzer Zeit so viele Söhne verlor, hätte wohl meinem Oheim und meinem Vetter die Anklage des Hochverrats erspart oder zum wenigsten stark gemildert; aber ihr Urteil wurde von einem höhern Richterstuhle gefällt. Johann starb im Gefängnisse an seinen Wunden. Mein armer Oheim war tief gebeugt durch das Unglück, das ihn betroffen hatte, konnte sich unmöglich darin finden, daß alles um ihn her zusammenstürzte und daß, er, statt auf seinem schönen Herrensitze, in einer elenden Gefängniszelle hausen mußte. Er starb nach einigen Wochen im eigentlichen Sinne des Wortes am gebrochenen Herzen. Merkwürdig war mir nun, daß mein Vater, nachdem er seinem Bruder die letzten Pflichten erwiesen, plötzlich den lebhaften Wunsch hegte, daß ich dem Testament gemäß handeln und das Erbe meines Oheims antreten solle. Es kam mir so vor, als sei in dem Kaufherrn der alte Stolz auf sein edles Geschlecht nicht völlig ausgerodet gewesen, als hätte er bisher nur, gleich dem Fuchs in der Fabel, verachtet, was er nicht erreichen konnte. Uebrigens sprach hierbei wesentlich wohl seine heftige Abneigung gegen Rashleigh mit, der laut drohte, seines Vaters Verfügung angreifen zu wollen; denn er sei von seinem Vater ungerechterweise enterbt worden, aber das Testament seines Bruders habe die Kränkung, wenn auch nicht das Unrecht vergütet, und den Ueberrest des Stammguts dem rechtmäßigen Erben hinterlassen. Dieses brüderliche Vermächtnis gedenke er auch zu behaupten. Rashleigh war indes als Gegner nicht gering zu schätzen, denn was er der englischen Regierung über den im Werke befindlichen Aufstand verraten hatte, war so rechtzeitig und schnell gekommen und so listig und ausführlich gewesen, daß es ihm bei den Ministern viele Gönner erworben hatte. Deshalb befolgte mein Vater den Rat seines Rechtsbeistandes, eine Anzahl von Hypotheken, die auf dem Schlosse Osbaldistone lasteten, aufzukaufen, und auf mich überschreiben zu lassen. Mit den Urkunden ausgestattet, beauftragte er mich, nach dem Schlosse Osbaldistone zu reisen und es als Erbe und Vertreter der Familie in Besitz zu nehmen. Von dem Richter Inglewood sollte ich die Urschrift des Testaments erhalten, das mein Oheim gemacht hatte, und zur Sicherung meiner Rechte alle die Maßregeln ergreifen, die mir den Vorteil des »beatug possidens« sicherten. In jeder andern Zeit hätte eine solche Veränderung meiner Lage mir aufrichtige Freude bereitet; jetzt aber konnte Schloß Osbaldistone mir nur schmerzliche Erinnerungen wecken. Indes glaubte ich, nur in dieser Gegend Nachrichten von Dianas Schicksal erhalten zu können. Ich hatte allen Grund zu fürchten, daß es ganz anders sich gestaltet haben möge, als es meinen Wünschen nach hätte sein sollen. Ich konnte nichts über sie erfahren. Vergebens bemühte ich mich, das Vertrauen einiger entfernten Verwandten zu gewinnen, die sich unter den Gefangenen in Newgate befanden. Ein Stolz, den ich nicht verdammen konnte, und ein natürlicher Argwohn gegen den Whig, Franz Osbaldistone, den Vetter des zweifachen Verräters Rashleigh, verschlossen jedes Herz und jeden Mund, und ich erhielt nur kalten, erzwungenen Dank für die Wohltaten, die ich ihnen erweisen konnte. Nach und nach minderte sich auch ihre Zahl; gruppenweis wurden sie nacheinander zum Tode geführt, und die, denen das Gesetz noch Frist gönnte, verloren alles Interesse an der Menschheit und am Leben, weil sie wußten, daß auch sie an die Reihe kämen. Ich war daher froh, London und Newgate den Rücken wenden und die freie Luft von Northumberland atmen zu können. Andreas war in meinem Dienste geblieben; vorderhand konnte mir seine Ortskenntnis von Schloß und Gegend nützen. Wir legten die Reise ohne Abenteuer zurück und fanden das Land, in welchem vor kurzem wilder Aufruhr getobt hatte, jetzt in Frieden und Ordnung. Je näher wir dem Schlosse Osbaldistone kamen, desto enger schnürte sich mir das Herz zusammen bei dem Gedanken, den Fuß in diese verödete Wohnung setzen zu sollen; und um den gefürchteten Augenblick hinauszuschieben, beschloß ich, zuerst den Richter Inglewood aufzusuchen. Das erste, was mir der wackre Mann mitteilte, war, daß er seinen Schreiber Jobson los sei, der als Gehilfe eines Friedensrichters jetzt seinen Eifer für König Georg und die protestantische Erbfolge betätigte. Richter Inglewood empfing mich sehr freundlich und händigte mir bereitwillig meines Oheims Testament aus, an dem kein Fehler zu bemerken war. Anfangs in sichtlicher Verlegenheit mir gegenüber, taute er langsam auf, und so hatten wir bereits einige Humpen geleert, als er mich plötzlich aufforderte, einen vollen Becher einzuschenken auf das Wohl der guten, lieben Diana Vernon, der »Rose in der Wildnis«, der »Glockenblume von den Sheviot-Burgen«, die in ein verwünschtes Kloster verpflanzt werde. »Ist denn Fräulein Vernon nicht verheiratet?« rief ich im höchsten Erstaunen. »Ich glaubte, Seine Exzellenz –« »Pah! Pah! Seine Exzellenz und Seine Herrlichkeit ist alles Schnickschnack jetzt, wißt Ihr – leere Titel von St. Germain. Graf von Beauchamp! Botschafter von Frankreich! – weiß doch der Herzog-Regent von Orleans kaum, daß solch ein Monsieur lebt. Aber Ihr müßt doch den alten Sir Friedrich Vernon im Schlosse gesehen haben, wo er die Rolle des Pater Vaughan spielte!« »Gerechter Himmel! Also war Vaughan ihr Vater?« »Ja freilich,« erwiderte der Richter gleichgültig. »Es ist jetzt ohne Nutzen, das Geheimnis zu bewahren, denn er muß nun aus dem Lande sein, – sonst wärs freilich meine Pflicht, ihn gefangen zu nehmen. – Kommt, leert Euer Glas aufs Wohl meiner lieben, verlorenen Diana!« »Ich war, wie sich denken läßt, nicht aufgelegt, in des Richters Fröhlichkeit einzustimmen. Der Kopf schwindelte mir. »Ich habe nie gehört, daß ihr Vater noch lebe,« sagte ich. »An unsrer Regierung hats nicht gelegen, daß er noch lebt,« erwiderte Inglewood; »denn es hätte wohl nicht so leicht ein andrer Kopf so viel eingebracht, wie der seinige. Zu König Wilhelms Zeit wegen seiner Teilnahme an einer Verschwörung zum Tode verurteilt, hatte er sich in Schottland mit einer aus dem Hause Breadalbane verheiratet und besaß daher großen Einfluß bei allen Häuptlingen. Wie es heißt, hat er bei dem Frieden zu Ryswick ausgeliefert werden sollen, allein er rettete sich durch List, und sein jäher Tod wurde in den französischen Blättern öffentlich bekannt gemacht. Als er hierher zurückkam, kannten wir alten Leute ihn recht gut, – das will sagen, ich kannte ihn wohl; da aber keine Anzeige gegen ihn einkam, und mein Gedächtnis durch öftere Gichtanfälle litt, hätte ich doch nicht darauf schwören mögen.« Im Schlosse kannte ihn nur seine Tochter, der alte Ritter und Raghleigh, der hinter das Geheimnis gekommen war, wie er hinter alles kam, und es der armen Diana wie eine Schnur um den Nacken hielt. Ich habe ihr hundertmal angesehen, daß sie ihm ins Gesicht gespieen hätte, wäre es ihr nicht um den Vater gegangen, dessen Leben an einem Faden hing.« Sir Friedrich Vernon, oder wie er unter den Jakobiten hieß, Seine Exzellenz Viscount Beauchamp, war mit seiner Tochter nicht ohne Schwierigkeit den Folgen von Rashleighs Verrat entgangen. Da man aber nicht vernommen hatte, daß Vernon in der Gewalt der Regierung sei, zweifelte er nicht daran, daß ihm die Flucht ins Ausland geglückt sei, wo seine Tochter, nach der bittern Uebereinkunft mit seinem Schwager, da sie keinen Osbaldistone heiraten wollte, ins Kloster werde gehen müssen. Ich kann nicht sagen, – so groß ist der Eigensinn des menschlichen Herzens, – ob diese Nachricht mir Freude oder Kummer gewährte. Es schien mir, als ob mein Schmerz über Dianas Verlust stärker als schwächer wäre, seitdem ich wußte, daß sie nicht durch Verheiratung mit einem andern, sondern durch die Mauern eines Klosters auf ewig von mir getrennt war. Ich wurde trübsinnig, niedergeschlagen, zerstreut und unfähig, das Gespräch mit dem Richter fortzusetzen, der auf seiner Seite zu gähnen anfing und vorschlug, bald zur Ruhe zu gehen. Ich nahm von ihm Abschied, mit dem Entschlusse, am folgenden Morgen nach dem Schlosse hinüberzureiten. Inglewood billigte meinen Vorsatz. Es werde gut sein, meinte er, wenn ich mich dort zeigte, bevor meine Ankunft in der Gegend bekannt geworden sei, umsomehr, da Rashleigh, wie er vernehme, in Jobsons Hause sich aufhalte, ohne Zweifel, um Unheil zu stiften. »Sie passen gut zu einander,« fügte er hinzu, »da Herr Rashleigh alles Recht verloren hat, sich unter ehrenwerte Männer zu mischen; aber unmöglich können zwei solche verdammte Schelme freundlich zusammentun, wenn nicht zum Schaden ehrlicher Leute.« Achtzehntes Kapitel Auf meinem Wege nach dem Schlosse traf ich dieselben Gegenstände, die ich an Dianas Seite auf ihrem mir unvergeßlichen Ritte von Inglewoods Wohnung gesehen hatte. Ihr Geist schien mich zu begleiten, und als ich an die Stelle kam, wo ich sie zum ersten Male erblickte, war es mir, als hörte ich Hundegebell und Jagdhornklänge, und ich starrte in den leeren Raum hin, als hätte es mich verlangt, die schöne Jägerin, gleich einer überirdischen Erscheinung, wieder vom Hügel herab kommen zu sehen. Aber alles war still und einsam. Als ich ins Schloß trat, frappierte mich der Gegensatz zwischen den geschlossenen Toren und Fenstern, den mit Gras überwachsenen Steinen, den öden Höfen und zwischen dem fröhlichen Leben und Treiben, das ich ehedem hier so oft mit angesehen hatte, wenn die muntern Jäger des Morgens auszogen oder abends heimkehrten, auf das lebhafteste, und der Gedanke, daß ich als Herr und Eigentümer hierher zurückkehrte, an diese Stätte, die ich als Flüchtling verlassen hatte, gewährte mir nur geringen Trost. Während ich meinen Gedanken nachhing, bemühte sich mein Begleiter, Andreas, den ganz andre Gefühle beherrschten, an alle Pforten zu donnern, und begehrte als Leibknappe des neuen Burgherrn Einlaß in einem Tone, der keinen Zweifel über die wichtige Meinung ließ, die er von sich hatte. Endlich zeigte sich Anton Syddall, meines Oheims alter Kellner und Haushofmeister, furchtsam und ungern an einem wohlvergitterten Fenster, und fragte, was wir begehrten. »Wir kommen, Euch Euer Amt abzunehmen, alter Freund!« sprach Andreas. »Ihr könnt sogleich die Schlüssel herausgeben. Ihr habt nun ausgedient, Herr Syddall; aber jedes Ding hält eben auf Erden seine Zeit, und Ihr könnt ganz gut nun auch mal unten am Tische sitzen, wie seitdem Andreas.« Ich setzte nun Syddall die neuen Verhältnisse auseinander, aber der alte Mann tat sehr bekümmert und war offenbar nicht willens, mich ins Schloß zu lassen, obwohl er sich demütig und unterwürfig verhielt. Ich hatte Nachsicht mit ihm, bestand aber auf meinem Verlangen. »Wir kommen vom Richter Inglewood,« sprach Andreas, in der Absicht, meinem Verlangen mehr Nachdruck zu geben. »Wir haben jetzt Recht und Gesetz im Lande, Herr Syddall, und Eure Rebellen und Papisten können jetzt nicht mehr bloß tun und lassen, was ihnen beliebt.« Diese Drohung erschreckte den Greis, der wohl wußte, daß er wegen seines Glaubens und wegen seiner Anhänglichkeit an den Ritter Hildebrand und seine Söhne nicht gut angeschrieben stand. Zitternd vor Furcht, öffnete er eine Nebenpforte, die mit vielen Riegeln und Stangen versehen war. »Wo soll ich heizen, gnädiger Herr?« fragte er, mir demütig durch den Gang folgend. »Ich fürchte, es wird Euch recht traurig und öde im Schlosse vorkommen. Aber Ihr reitet vielleicht zum Mittagessen wieder zu dem Richter?« »Macht Feuer im Büchersaal,« erwiderte ich. »Im Büchersaal?« antwortete der alte Mann. »Dort hat die ganze Zeit niemand gesessen, und es raucht drin, denn die Dohlen haben im Frühjahr ihre Nester im Kamine gebaut, und junge Burschen, die sie hätten herabstoßen können, hatten wir nicht im Schlosse.« Wie es schien, führte uns der Kellermeister ungern nach dem Büchersaal, und wider alle Erwartung sah es hier wohnlicher aus als sonst. Auf dem Rost brannte helles Feuer, das sich zu den Worten des Alten von Rauch und Dohlen im Kamine gar nicht recht vertrug. Er griff nach der Ofengabel, scheinbar in der Absicht zu schüren, wohl aber mehr, um seine Verlegenheit zu verbergen, und sagte, es wundre ihn, daß es jetzt so gut brenne, da es doch am Morgen tüchtig geraucht habe. Ich wollte allein sein, um mich von den ersten schmerzlichen Gefühlen zu erholen, die alles, was mich umgab, in mir hervorrief, und bat Syddall, den Renteneinnehmer, der in einiger Entfernung vom Schlosse wohnte, zu sagen, daß es mir lieb sei, wenn er im Laufe des Tages einmal vorspräche. Er entfernte sich sichtlich ungern. Dann hieß ich Andreas, sich nach ein paar starken Gesellen umzusehen, auf die er sich verlassen könne, denn weit und breit in der Gegend wohnten nur Katholiken, und Rashleigh, dem man eine verwegene Handlung wohl zutrauen konnte, hielt sich auch in der Nähe auf. Andreas übernahm den Auftrag mit großer Freude und versicherte, ein paar echte Presbyterianer zu bringen, die es mit dem Papste, dem Teufel und dem Prätendenten aufnehmen würden. – »Und gern will ich selbst ihnen Gesellschaft leisten,« sagte er; »denn noch in der letzten Nacht, die ich im Schlosse zubrachte, sah ich das Bild dort (auf das Bildnis in Lebensgröße von Dianas Großvater zeigend), im Mondschein durch den Garten wandeln! Ich sagte Euer Gnaden, daß ein Gespenst mich erschreckt habe; Ihr wolltet jedoch nicht darauf hören. Ich hab es ja immer gesagt, daß es unter den Papisten Hexerei und Teufelei gäbe, aber ich hab es mit leiblichen Augen erst gesehen in jener furchtbaren Nacht.« »Trollt Euch!« gab ich ihm, zur Antwort, »und bringt mir die Leute; seht aber zu, daß es nicht Kerle sind wie Ihr, die vor ihrem eignen Schatten erschrecken.« Er ging, ohne mir zu antworten, denn Wardlow, der Rentmeister, trat herein. Wardlaw war ein verständiger, redlicher Mann, dessen Pünktlichkeit und Klugheit meinem Oheim zur Aufrechterhaltung seines Hauses nicht wenig geholfen hatte. Er prüfte meine Ansprüche genau und erklärte sie für durchaus in Ordnung. Es war im Grunde genommen eine recht mühselige Erbschaft, denn das Gut war mit Schulden und Hypotheken überlastet, und wer nicht, wie mein Vater, in der Lage war, die Schulden zu tilgen und eine Hypothek nach der andern abzulösen, hätte vor einer Sorgenlast gestanden, die ihm alle Freude an dem Besitze verleidet hätte. Der Rentmeister blieb bei mir zum Essen. Da wir viel schriftliche Arbeiten mit zu besorgen hatten, wollte ich lieber gleich im Büchersaal essen, obwohl mir Syddall nachdrücklich die Steinhalle empfahl, die er dazu hatte herrichten lassen. Währenddessen kam Andreas mit seinen Angeworbenen zurück, die er als nüchtern, anständig, rechtgläubig und vor allem als löwenkühn pries. Ich wies Andreas an, für ihren Unterhalt zu sorgen, und sie verließen das Zimmer. Syddall sah ihnen mit Kopfschütteln nach. Ich begehrte die Ursache zu wissen. »Je nun,« sagte er, »wenn Ihr mir glauben wollt, wirds wohl Euer Schade nicht sein, denn was ich Euch sage, ist die nackte Wahrheit. Was den alten Ambrosius Wingfield angeht, so ist er ein ehrlicher Mann; aber wenns einen falschen Kerl in der Welt gibt, so ists sein Bruder. – Das ganze Land weiß, daß er für Schreiber Jobson den Kundschafter gemacht hat, um die Edelleute in Ungelegenheit zu bringen. Aber er ist ein Presbyterianer, und weiter braucht man ja, wie es scheint, heutzutage nichts zu sein, um als was in der Welt zu gelten.« Nachdem der alte Mann seinem Herzen auf diese Weise Luft gemacht und Wein auf die Tafel gesetzt hatte, entfernte er sich. Gegen Abend packte der Rentmeister seine Papiere zusammen und begab sich nach Hause. Ich blieb in jenem verworrenen Gemütszustände mit mir allein, in welchem wir kaum sagen können, ob uns Gesellschaft oder Einsamkeit lieber ist. Ich hatte aber nicht die Wahl zwischen beidem; denn, ich befand mich allein in dem Zimmer, das vor allem andern geeignet war, mich mit traurigen Gedanken zu erfüllen. Bei der Dämmerung steckte Andreas den Kopf zur Tür herein, um zu fragen, ob ich Licht haben wolle; es sei doch schon aus Rücksicht auf Gespenster nicht gut, im Finstern zu sitzen. Ich hieß ihn mürrisch seines Weges gehen, schürte das Feuer an, setzte mich in einen der großen ledernen Armstühle, die an dem gotischen Kamine standen, und blickte träumend in die lodernde Flamme, die ich genährt hatte. »Und so,« sprach ich vor mich hin, »entstehen, wachsen und enden die Wünsche der Sterblichen! Lappalien wecken sie, die Phantasie entzündet sie, die Hoffnung nährt sie, bis sie verzehren, was sie entflammen, und der Mensch mitsamt seinen Hoffnungen, Leidenschaften und Wünschen in einem Aschenhaufen versinkt.« Ein tiefer Seufzer aus dem andern Ende des Zimmers schien mir zu antworten. Erschrocken fuhr ich auf, und vor mir stand – Diana Vernon, auf den Arm eines Mannes gestützt, der dem oft erwähnten Großvaterbildnis so ähnlich war, daß ich schnell nach dem Rahmen blickte, in der Meinung, die Gestalt sei daraus herniedergestiegen. Dann beschlich mich der Gedanke, ich müsse wohl plötzlich wahnsinnig geworden sein, oder die Geister der Toten wären aus ihren Gräbern gestiegen. Ein Blick auf meine Gestalt überzeugte mich aber, daß ich bei Sinnen sei, und ein andrer Blick, es seien nicht Schemen, sondern lebendige Wesen, die vor mir ständen. Ja, es war Diana selbst, aber bleicher und magerer als sonst, und kein Bewohner des Grabes stand neben ihr, sondern Vaughan, oder vielmehr Sir Vernon, in einem Anzuge, der dem seines Ahnherrn glich, mit dessen Bild sein Gesicht Familienähnlichkeit hatte. Er sprach zuerst, denn Diana heftete ihre Augen fest auf den Boden, und mir fesselte Erstaunen die Zunge. »Wir erscheinen als Bittsteller, Herr Osbaldistone,« sagte er, »und suchen Zuflucht und Schutz unter Eurem Dache, bis wir eine Reise fortsetzen können, wo Kerker und Tod auf jedem Schritt uns drohen.« »Gewiß,« antwortete ich mit Anstrengung – »Fräulein Vernon kann nicht vermuten – Ihr, mein Herr, könnt nicht glauben, daß ich vergessen habe, welchen Anteil Ihr mir in meinen Bedrängnissen gezeigt habt, oder daß ich fähig wäre, jemand zu verraten, am wenigsten Euch.« »Ich weiß es,« sprach Vernon; »dennoch setze ich mit unaussprechlichem Widerstreben ein Vertrauen in Euch, das vielleicht mißfällig, gewiß gefährlich ist, und das ich lieber jedem andern erteilen möchte. Aber mein Schicksal, das mich durch ein gefahrvolles Leben verfolgte, bedrängt mich jetzt hart, und es bleibt mir keine Wahl.« In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und die Stimme meines geschäftigen Dieners ließ sich hören: »Ich bringe die Lichter. Ihr könnt sie anstecken, wenn's Euch recht ist.« Ich eilte zur Tür, um ihn am Eintritt zu verhindern. Hastig schob ich ihn hinaus, schloß die Tür hinter ihm zu und verriegelte sie – dann fielen mir plötzlich die beiden Gefährten ein, die er unten hatte; mit fiel ein, was Syddall über sie geäußert hatte, und daß man den einen für einen Spion halte, und schnell ging ich Andreas in die Dienstbotenstube nach, wo sie saßen. Andreas sprach laut, als ich die Tür öffnete, verstummte aber gleich, als er mich eintreten sah, »Was ist Euch?« fragte ich, »Ihr seht ja aus, als ob Ihr einen Geist gesehen hättet.« »M – mir ist g – gar nichts,« antwortete Andreas; »aber Ihr – Ihr hattets g – gar so eilig –« »Eilig? – Ihr müßt nicht recht klug sein,« gab ich zur Antwort – »ich dächte doch, Ihr hättets sehen müssen, daß Ihr mich aus dem Schlafe wecktet – unmanierlich genug, das muß ich sagen, und möcht mirs verbitten fürs nächste Mal – aber Syddall sagt mir, er könne keine Betten für die Leute schaffen, und Herr Wardlaw hälts für unnötig, daß sie hier bleiben. Da ist eine Krone für Euch, Leutchen; ich danke für Euren guten Willen; aber Ihr könnt sogleich wieder gehen.« Die Männer nahmen das Geld und gingen, zufrieden und, wie es schien, ohne Argwohn. Ich wartete, bis sie sich entfernt hatten und bis ich sicher war, daß sie für diesen Abend nicht mehr mit Andreas sprechen konnten. Dann begab ich mich, halbwegs beruhigt und in der Ueberzeugung, zunächst besser für die Sicherheit meiner Gäste nicht handeln zu können, in den Büchersaal zurück, um ihnen meine Maßregeln mitzuteilen. Sobald ich dies getan, unterrichtete ich sie noch, daß ich Syddall beauftragt hätte, niemand in den Büchersaal hinauf zu lassen, sondern was dort zu besorgen sei, selbst zu besorgen, weil ich annehmen müsse, daß sie die Zuflucht hier doch nur durch ihn gefunden hätten. Diana dankte mir durch einen freundlichen Blick für meine Vorsicht. »Ihr versteht jetzt mein Geheimnis, Herr Franz,« sprach sie. »Ihr wißt, wie nah und teuer mir der Verwandte ist, der so oft hier Zuflucht gefunden hat, und werdet Euch nicht länger wundern, daß Rashleigh, der unser Mitwisser war, mich mit eiserner Rute beherrschte.« Ihr Vater fügte hinzu, es sei ihre Absicht, mich nicht lange durch ihre Gegenwart zu beunruhigen. Ich bat die Flüchtlinge, nur auf ihre Sicherheit Rücksicht zu nehmen und sich andernfalls versichert zu halten, daß meinerseits alles geschehen sollte, was ihre Flucht erleichtern könne. »Rashleigh war mir immer verdächtig,« nahm Sir Vernon wieder das Wort, »aber die Art und Weise, wie er sich gegen meine Tochter betrug, und seine Treulosigkeit gegen Euren Vater haben ihn mir verhaßt und verächtlich gemacht. Bei unsrer letzten Zusammenkunft vergaß ich die Klugheit und sagte ihm rundheraus meine Meinung, und die Folge war, daß er Glauben und Vaterland verriet. Damals hegte ich noch die Hoffnung, seine Abtrünnigkeit würde von geringer Bedeutung sein. Der Graf von Mar unterhielt ein tapferes Heer in Schottland; Lord Derwentwater, Foster, Kenmore, Winton und andre Edelleute sammelten Truppen an der Grenze. Meine ausgebreiteten Verbindungen mit den englischen Edelleuten in dieser Gegend ließen es für angemessen erscheinen, daß ich mich einer Abteilung anschloß, die über den Frith und Forth durch Niederschottland ging, um sich an der Grenze mit den englischen Insurgenten zu vereinigen. Meine Tochter begleitete mich auf diesem langen, gefahr- und mühevollen Zuge.« »Und sie wird nie ihren treuen Vater verlassen!« rief Diana, sich zärtlich an seinen Arm schmiegend. »Kaum waren wir mit unsern englischen Freunden vereinigt, so sah ich, daß unsre Sache verloren war. Die Zahl der Streiter verminderte sich, anstatt zuzunehmen, und es verband sich niemand mit uns, als Anhänger unseres Glaubens. Die Torys der herrschenden Kirche verhielten sich unschlüssig, und endlich wurden wir von einer überlegenen Macht bei der kleinen Stadt Preston eingeschlossen. Wir verteidigten uns einen Tag lang tapfer. Am folgenden Tage aber sank unsern Führern der Mut, und sie beschlossen, sich auf Gnade und Ungnade zu ergeben. Das hieß aber nichts anderes, als freiwillig das Haupt auf den Block legen. Ungefähr dreißig Edelleute dachten wie ich. Wir stiegen zu Pferde und nahmen meine Tochter, die durchaus mein Schicksal teilen wollte, in die Mitte. Betroffen durch ihren Mut und ihre kindliche Liebe, erklärten ihre Gefährten, lieber zu sterben, als sie zurückzulassen. Wir ritten über einen sumpfigen Wiesengrund, der sich bis zum Fluß Ribble ausdehnte, durch den uns einer von der Partei eine gute Furt zu zeigen versprach. Dieser Sumpf war von dem Feinde nicht stark besetzt worden, so daß wir nur einige Reiter fanden, die wir zerstreuten und niederhieben. Wir setzten über den Fluß, erreichten die Straße nach Liverpool und trennten uns, um an verschiedenen Orten Zuflucht zu suchen. Mein Schicksal führte mich nach Wales, wo ich noch manchen Anhänger habe. Dennoch fand sich keine sichere Gelegenheit, zur See zu entkommen, und ich mußte mich wieder nordwärts wenden. Ein erprobter Freund will mich hier treffen und mich zu dem Hafen von Solway geleiten, wo ein Schiff bereitliegt, das mich für immer aus meinem Vaterlande entfernt. Da das Schloß Osbaldistone leer und unbewohnt war und unter Syddalls Aufsicht stand, der schon früher unser Vertrauen besessen hätte, wählten wir es zum Zufluchtsort. Wir erwarteten von Tag zu Tag die Ankunft unseres freundlichen Führers. Da zwang uns Eure unerwartete Rückkunft, uns an Euch zu wenden und um Eure Hilfe zu bitten.« Hiermit endigte Vernons Erzählung. Ich konnte mir kaum einreden, daß ich seine Tochter wirklich vor mir sah. Ihr Vater bemerkte es und fügte hinzu: »Ja, ja, es ist mein Kind, meine teure Diana; aber sie hat Prüfungen erduldet, die einer Märtyrerin Ehre machen würden; sie hat Gefahren und Tod in allerhand Gestalten gesehen; sie hat Beschwerden und Entbehrungen getragen, vor denen Männer zurückbeben würden; sie hat den Tag in Finsternis, die Nacht mit Wachen zugebracht, und nie einen Laut der Schwäche oder Klage hören lassen. Mit einem Wort, Herr Osbaldistone, sie ist ein würdiges Opfer, das ich Gott darbringen will, als das Köstlichste, was mir geblieben ist.« Nach diesen Worten folgte eine Pause. Ich verstand ihren traurigen Sinn allzu gut. Dianas Vater sorgte auch jetzt noch, meine Hoffnungen auf eine Vereinigung mit ihr zu zerstören. »Wir wollen Herrn Osbaldistone nicht länger stören,« sagte er zu seiner Tochter, »nachdem wir ihm die Verhältnisse der unglücklichen Gäste geschildert, die seinen Schutz ansprechen.« Ich erbot mich, das Zimmer zu verlassen, damit sie ungestört verweilen könnten; Sir Vernon meinte aber, das würde nur Verdacht bei den Dienern erregen, ihr Zufluchtsort sei durch Syddalls Sorgfalt mit allem versehen, was ihnen not täte. »Ihr erlaubt wohl aber,« schloß er, »daß wir uns jetzt zurückziehen. Wir müssen der Ruhe genießen, da wir ja nicht wissen, wann wir unsre gefahrvolle Reise antreten müssen.« Er nahm den Arm seiner Tochter und verschwand mit einer tiefen Verbeugung hinter der Tapete. Neunzehntes Kapitel Ich kam mir wie betäubt und erstarrt vor. Wenn die Einbildungskraft bei einem geliebten Gegenstand verweilt, zeigt sie denselben nicht allein in dem schönsten Lichte, sondern auch in demjenigen, worin wir ihn am liebsten erblicken. Dianas Bild schwebte mir vor, wie sie war, als ihre Abschiedsträne auf meine Wange fiel, als ihr Andenken, von Mac Gregors Frau überreicht, ihren Wunsch andeutete, die Erinnerung an meine Zuneigung in Verbannung und Einsamkeit mitzunehmen. Ich sah sie wieder, und ihr kaltes, hingebendes Wesen, das so viel stille Schwermut ausdrückte, täuschte meine Erwartung und verletzte mich beinah. In meinem selbstsüchtigen Gefühle beschuldigte ich sie der Gleichgültigkeit – der Unempfindlichkeit. Ich legte ihrem Vater Stolz, Grausamkeit, Fanatismus bei und vergaß, daß Vater und Tochter alles dem Götzen opferten. Vernon war ein eifriger Katholik, der es für eine Lästerung ansah, sich mit einem Ketzer persönlich einzulassen; und Diana, für die ihres Vaters Sicherheit seit Jahren die erste Triebfeder ihrer Gedanken, Hoffnungen und Handlungen war, erachtete es für Kindespflicht, nicht allein ihren weltlichen Besitz, sondern auch ihre Herzensneigung seinem Willen zu opfern. »Also verschmäht,« sprach ich zu mir selbst, als ich den Inhalt von Vernons Mitteilungen erwog, »verschmäht und abgewiesen, ja für unwürdig erachtet, mit ihr zu reden. Mag es sein! Das soll mich aber nicht abhalten, für ihre Sicherheit zu sorgen. Ich will hier Wache halten, und so lange sie unter meinem Dache ist, soll keine Gefahr ihr drohen, die der Arm eines, entschlossenen Mannes abzuwenden vermag.« Ich rief Syddall herbei. Er kam, aber in Begleitung meines zudringlichen Dieners, der, seit ich das Haus in Besitz genommen, sich überall unentbehrlich zu machen suchte und, wie es bei Leuten seines Schlages oft der Fall ist, über das Ziel hinausschoß und sich, statt unentbehrlich, eher unangenehm machte. Seine Anwesenheit hinderte mich, offen mit Syddall zu sprechen; anderseits traute ich mir nicht, ihn wegzuschicken, aus Furcht, seinen Argwohn zu vermehren. Nach einer Weile sagte ich indessen, kurz entschlossen: »Ich werde hier schlafen; ich habe noch viel zu tun, und werde mich erst spät niederlegen.« Syddall schien meinen Blick zu verstehen und erbot sich, mir Matratzen und Betten zu besorgen, ich entließ Andreas mit dem Bescheide, mich am Morgen vor sieben Uhr nicht zu stören, und sie entfernten sich. Ich suchte mein Gemüt zu beruhigen und von der sonderbaren Lage abzuziehen, in der ich mich befand. Aber ich kämpfte vergebens, denn die Nähe derjenigen, von welcher ich bald auf immer getrennt werden sollte, gönnte mir keine Ruhe; ihr Name stand in jedem Buche, das ich zu lesen versuchte, ihr Bild drängte sich in meine Gedanken, ich mochte mich befassen, womit ich wollte. Ruhelos ging ich auf und nieder; ich warf mich auf das Lager und versuchte zu schlafen, allein vergebens; mein Mut wallte fieberhaft und schlug mir in den Adern gleich Strömen flüssigen Feuers. Endlich stand ich auf, machte das Fenster auf und starrte in das helle Mondlicht; die stille schöne Nacht brachte mir wenigstens einige Erfrischung, und als ich dann meinen Platz auf dem Ruhebett wieder einnahm, da war, der Himmel ist mein Zeuge! mein Herz freilich nicht leichter, aber doch ruhiger. Und nun fand endlich der Schlummer den Weg zu meinen Lidern. Aber schreckliche Träume beunruhigten mich noch immer, und mit einemmal war mirs, als wenn es mir in den Ohren zu donnern anfinge ... aber es vergingen einige Minuten, ehe ich mich sammeln und unterscheiden konnte. Und nun hörte ich, daß der Lärm von heftigen Schlägen gegen das Tor herrührte. Zu Tode erschrocken sprang ich von meinem Lager auf, nahm den Degen unter den Arm und eilte hinaus, den Eintritt zu wehren. Als ich die Treppe erreichte, aus deren Fenstern man in den Eingangshof sah, hörte ich Syddall im Wortwechsel mit rauhen Stimmen, die auf grund königlicher Vollmacht Eintritt forderten für den Land- und Friedensrichter Standish, und dem alten Diener, wenn er nicht Gehorsam leistete, mit den schwersten Strafen drohten. Während sie noch sprachen, hörte ich zu meinem unsäglichen Verdruß, wie Andreas den Kellermeister auf die Seite schob, um selbst das Tor zu öffnen. »Wenn sie in des Königs Namen kommen,« rief er, »so haben wir doch nichts zu fürchten – wir haben Gut und Blut für den König gelassen und brauchen uns nicht zu verstecken, wie manche Leute, Herr Syddall – denn wir sind weder Papisten noch Jakobiten.« Umsonst flog ich die Treppe hinunter. Ich hörte, wie ein Riegel nach dem andern weggeschoben wurde; ich hörte, wie der Schwätzer Andreas fort und fort von Anhänglichkeit an König Georg faselte, und ich durfte nicht mehr zweifeln, daß die Häscher Zutritt erlangt hätten, ehe ich bis zur Tür kommen könnte. Ich lief zum Büchersaal zurück, verrammelte die Tür so gut ich konnte, und rief Diana. Sie öffnete sogleich. Sie war bereits angekleidet und verriet weder Unruhe noch Furcht. »Mein Vater ist schon munter,« sagte sie; »er ist in Rashleighs Zimmer. Wir wollen in den Garten fliehen und dann in den Wald durch die Hintertür, zu der mir Syddall den Schlüssel gab für den Notfall – niemand kennt die Waldgründe besser als ich. haltet sie nur noch einige Minuten auf! – Lieber, lieber Franz, noch einmal, lebt Wohl!« Sie war verschwunden, wie ein Luftgebilde – auf dem Wege zum Vater. Die Häscher versuchten die Tür zum Büchersaal zu sprengen, als ich wieder hineintrat. »Räuber!« rief ich, mit Vorbedacht die Absicht ihres Lärms mißverstehend. »Räuber!... Syddall, Andreas! hierher! Weicht von der Tür, Gesindel – oder ich schieße!« »Herr Gerichtsschreiber Jobson,« rief Andreas von draußen herein, »verlangt Zutritt auf grund gesetzlicher Vollmacht –« »Zu suchen, zu greifen und zu verhaften,« fiel die Stimme des Zungendreschers ein, »die Leiber gewisser Personen, in meiner Vollmacht benannt, als des Hochverrats schuldig.« Neuer Lärm an der Tür! »Ich stehe auf, Ihr Herren!« rief ich, um so viel Zeit wie möglich zu gewinnen. »Braucht nicht Gewalt! Zeigt mir Eure Vollmacht, und ist sie in Ordnung, so werde ich mich nicht widersetzen!« »Gott segne den König!« rief Andreas. »Ich habs Euch ja gesagt, daß Ihr hier keine Jakobiten findet.« Ich konnte sie nun aber nicht länger warten lassen, denn sie hätten sonst die Tür gesprengt. Wie ein Pfeil schoß Jobson herein, von mehreren Gehilfen begleitet, unter denen ich den jüngern Wingfield entdeckte, dem er ohne Zweifel seine Nachricht zu danken hatte. Er zeigte mir die Vollmacht, die nicht allein auf Friedrich Vernon, einen prozessierten und landflüchtigen Verbrecher, sondern auch gegen Diana Vernon und Franz Osbaldistone, wegen Mitwisserschaft des Verrats, lautete. Widerstand wäre hier Tollheit gewesen; ich bedang mir nur einige Minuten Aufschub, dann übergab ich mich als Gefangenen. Jobson schritt in Dianas Kammer; ich hörte, wie er sich von dort in das Zimmer begab, in welchem Vernon geschlafen hatte. »Der Hase ist entwischt,« sprach er roh, »aber das Lager ist noch warm, und die Hunde werden ihn wohl schon beim Felle haben. –« Wenig fehlte, so hätte ich den Wicht niedergeschlagen. Da erscholl vom Garten herauf ein angstvoller Schrei. Er sagte mir, daß der Wicht von Schreiber recht hatte, und nach fünf Minuten trat Rasleigh mit Vernon und Diana ins Zimmer. »Der Fuchs,« sprach er, »kennt seinen alten Bau, aber er hat vergessen, daß ein achtsamer Jäger ihn verstopfen konnte. – Ich halte die Gartenpforte nicht vergessen, Sir Friedrich – oder, wenn Euch dieser Titel besser gefällt, Lord Beauchamp.« »Rashleigh,« sprach Vernon, »Du bist ein elender Schurke!« »Der Namen stand mir besser, Herr Ritter, oder Mylord, als ich unter der Leitung eines geschickten Lehrers den Bürgerkrieg in ein friedliches Land z« bringen suchte. Aber,« sprach er mit emporgewandtem Blick, »ich habe mein Bestes getan, meine Verirrungen wieder gut zu machen.« Ich konnte mich nicht länger halten. Ich hatte mir vorgenommen, dem Vorgänge schweigend zuzusehen, aber ich fühlte, daß ich reden oder sterben müßte. »Wenn die Hölle eine Gestalt hat, die scheußlicher ist als die andre,« rief ich, »so muß es Niederträchtigkeit unter der Larve der Heuchelei sein.« »Ei, ei, mein sanftes Vetterlein,« sprach Rashleigh, indem er ein Licht nach mir hinhielt und mich vom Kopfe bis zum Fuße musterte. »Recht willkommen im Schlosse! Euer Groll stört mich nicht! es ist recht hart, ein Gut und eine Braut in einer Nacht zu verlieren; denn sofern Ihr nichts dawider habt, werden wir Besitz nehmen von diesem armen Herrschaftshaus, im Namen des gesetzmäßigen Erben, Rashleigh Osbaldistone.« Rashleigh suchte vergebens den Zorn zu verbergen, der aus seinem Gesichte mit Scham um die Herrschaft rang. Noch schärfer verriet sich dieser Kampf, als Diana jetzt das Wort an ihn richtete. »Rashleigh,« sagte sie verächtlich, »Ihr tut mir leid, denn so groß das Unheil ist, das Ihr mir habt zufügen wollen, so groß auch das Böse ist, das Ihr wirklich verübt habt, so kann ich Euch doch nicht in dem Maße hassen, wie ich Euch verachte. Was Ihr jetzt getan habt, mag das Werk einer Stunde sein; aber es wird Euch Stoff zum Nachdenken geben für Euer ganzes Leben – und was für Stoff, das überlasse, ich Eurem eigenen Gewissen, das wohl kaum immer schlummern wird.« Rashleigh ging ein paarmal durch das Zimmer, dann trat er zu dem Tische, auf dem noch Wein stand, und schenkte mit zitternder Hand ein volles Glas ein. Als er aber sah, daß wir seine Bewegung merkten, unterdrückte er sie mit starker Anstrengung, sah uns fest und trotzig an und führte den Becher zum Munde, ohne einen Tropfen zu vergießen. »Es ist meines Vaters alter Burgunder,« sagte er, auf Jobson blickend. »Es freut mich, daß noch etwas davon da ist. – Ihr werdet für Leute sorgen, die in meinem Namen für das Haus und mein Eigentum Sorge tragen, und diesen blöden Kellermeister zusammen mit dem noch blöderen Narren Andreas zum Tempel hinauswerfen. Unterdessen wollen wir diese andern Personen an schicklichem Ort in Verwahrsam bringen. Ich habe den alten Familienwagen in Bereitschaft setzen lassen,« fuhr er fort, »obwohl ich weiß, daß selbst das Fräulein zu Fuß oder zu Pferde der Nachtluft trotzen könnte, wenn ihr die Reise besser zu Sinne stände.« Andreas rang die Hände. »Ich habe doch bloß erzählt, daß mein Herr mit einem Geist im Büchersaale sich zu unterhalten scheine – und dieser Schelm von Wingfield konnte einen alten Freund verraten, der zwanzig Jahre lang jeden Sonntag mit ihm aus demselben Psalmbuch gesungen hat!« Ohne auf seine Wehklagen zu achten, wurde er zusammen mit dem alten Kellermeister, beide wie sie gingen und standen, aus dem Hause gejagt. Diese unfreundliche Handlung sollte jedoch merkwürdige Folgen zeitigen. Andreas war, in der Absicht, sich ein Nachtlager zu suchen, durch die Allee in den »alten Wald« gegangen, wie man das Stück Land nannte, obwohl es jetzt mehr als Weide gebraucht wurde, als er plötzlich auf eine schottische Viehherde stieß, die während der Nacht hier ruhen sollte. Da er die Gewohnheit seiner Landsleute kannte, ihre Herden auf den besten Grasplatz, den sie finden können, nachts über zu treiben und sich durch Aufbruch vor Tage der Zahlung für das Nachtquartier zu entziehen, so wunderte er sich nicht weiter über dieses Begegnis, geriet aber auf der Stelle in heftige Bestürzung, als ein Hochländer aufsprang und ihn mit der Anschuldigung, sein Vieh gestört zu haben, nicht eher ziehen lassen wollte, als bis er mit seinem Herrn gesprochen hätte. Der Hochländer führte ihn nun in ein Dickicht, wo sich noch andre Hochländer befanden. Hier merkte Andreas bald, daß es der Treiber zu viel für eine Herde waren, – und merkte an ihren Fragen, daß sie wohl andern Werg auf ihrem Rocken haben möchten. Sie fragten ihn nun genau nach allem, was im Schlosse vorgegangen war und schienen sehr verwundert, über seine Nachrichten. Dann sprachen sie leise miteinander und trieben endlich ihr Vieh an den Eingang der Allee, in einiger Entfernung vom Hause. Hier schleppten sie gefällte Bäume zusammen, die in der Nähe lagen, und errichteten ein leichtes Verhau quer über den Weg. Der Tag fing jetzt an zu grauen, und ein matter Schein im Osten verschmolz mit dem verblassenden Mondlicht, so daß man die Gegenstände ziemlich genau unterscheiden konnte. Eine Kutsche, von vier Pferden gezogen und von sechs Mann zu Pferd begleitet, kam die Allee entlang gerasselt. Die Hochländer lauschten. In dem Wagen saß Jobson mit seinen unglücklichen Gefangenen. Das Gefolge bestand aus Rashleigh, mehreren Reitern und Gerichtsdienern. Kaum war die Kutsche zum Tore hinaus, so wurde es durch einen Hochländer, der zu diesem Zwecke dort postiert war, hinter den Reitern gesperrt. Im selben Augenblick geriet der Wagen in die Herde hinein und sah sich durch das Verhau aufgehalten. Zwei Reiter stiegen ab, die Baumstämme wegzuschaffen, die andern trieben das Vieh mit ihren Peitschen aus dem Wege. »Wer nimmt sich heraus, unser Vieh zu mißhandeln?« rief da eine rauhe Stimme. – »Schieß, Angus!« Darauf Rashleigh: »Verrat, Jobson, Verrat!« und feuerte seine Pistole auf den Mann ab, der zu schießen befohlen hatte. »Zum Schwert!« rief der Anführer der Hochländer, und im Nu war man handgemein. Durch den plötzlichen Angriff in Schrecken gesetzt, zudem an sich nicht eben tapfer, suchten die Schergen den Weg zum Schlosse zurückzugewinnen. Als aber ein Schuß von dem Tore her dröhnte, glaubten sie sich umringt und rissen nach verschiedenen Richtungen aus. Inzwischen war Rashleigh abgestiegen und focht zu Fuß mit dem Anführer der Bande. Aber so verzweifelt er kämpfte, so unterlag er doch bald. »Wollt Ihr um Pardon bitten, um Gottes, Königs Jakob und alter Freundschaft willen?« rief eine Stimme, die ich recht gut kannte. – »Nein!« antwortete Rashleigh entschlossen. »Dann stirb, Verräter, in Deinem Laster,« versetzte Mac Gregor und durchbohrte den unter ihm liegenden Gegner mit dem Schwerte. Im nächsten Augenblick war er am Kutscherschlage, hob Fräulein Vernon heraus, half ihrem Vater und mir aussteigen, packte den Schreiber beim Schopf und warf ihn unter die Räder. »Herr Osbaldistone,« sprach er leise, »Ihr habt nichts zu fürchten. – Eure Freunde werden bald in Sicherheit sein. – Lebt wohl, und gedenkt an Mac Gregor!« Er pfiff – seine Leute versammelten sich um ihn, nahmen Vernon und Diana in die Mitte und verschwanden im Walde. Der Kutscher hatte die Pferde im Stiche gelassen und war beim ersten Schuß geflohen; allein die Tiere, von dem Verhau aufgehalten, blieben ruhig stehen, zum Glücke für Jobson; denn bei der geringsten Bewegung wären ihm die Räder über den Leib gegangen. Ich leistete ihm Beistand, denn er war vor Schreck so außer sich, daß er sich nicht selbst aufhelfen konnte. Ich machte ihm hierauf bemerklich, daß ich mich weder um die Gefangenen bekümmert, noch ihnen zur Flucht verholfen, noch selbst zu entfliehen versucht hätte, und fordere ihn auf, nach dem Schlosse zurückzugehen, und Leute zum Beistand für die Verwundeten zu rufen. Aber die Furcht hatte sich seiner in solchem Maße bemeistert, daß er sich nicht zu bewegen vermochte. Ich wollte den Gang deshalb selbst verrichten, stolperte aber über den Körper eines Menschen, den ich für tot hielt. Es war indessen niemand weiter als Andreas, der sich zu Boden bloß darum geworfen hatte, weil ihm so die durch die Luft schwirrenden Kugeln nichts antun konnten. Ich war so froh, ihn zu finden, daß ich nicht fragte, wie er dahin gekommen sei, sondern ihn sogleich mit dem Gange betraute, den ich selbst hatte verrichten wollen. Ich wandte mich nun vor allem an Rashleigh. Er stöhnte tief, als er mich kommen sah, und zwar ebenso sehr aus Haß wie vor Schmerzen. – Dann blickte er zur Seite, willens, kein Wort mehr zu sprechen. Wir hoben ihn in den Wagen. Mit Mühe machte ich nun Jobson begreiflich, daß er mit einsteigen müsse, um Rashleigh beizustehen. Er gehorchte. Wir lenkten hierauf die Pferde um, öffneten das Tor der Allee und fuhren langsam nach dem Schlosse zurück. Einige Flüchtlinge waren schon auf Umwegen dorthin gelangt und hatten die dort zurückgebliebenen Gerichtsschergen durch die Meldung in Angst gejagt, Rashleigh, Jobson und alle übrigen seien am Eingänge der Allee von einem Regiment wilder Hochländer in Stücke gehauen worden. Als wir an das Schloß herankamen, klang uns ein Summen entgegen, wie wenn Bienen in ihren Körben schwirrten. Alles war in wildem Aufruhr. Aber Jobson hatte sich inzwischen erholt und war um so ungeduldiger, aus dem Wagen erlöst zu werden, als einer von seinen Begleitern, der Gerichtsdiener, eben an seiner Seite verschieden war. Rashleigh lebte noch, war aber so schwer verwundet, daß sein Blut den Boden des Wagens bedeckte und lange Spuren zurückließ vom Eingange bis in die Steinhalle, wo man ihn in einen Lehnstuhl setzte. Einige versuchten, das Blut zu stillen; andre schrien nach einem Wundarzt, aber niemand schien Lust zu haben, einen Schritt zu tun. »Quält mich nicht,« lallte der Verwundete nach einer Weile. »Ich weiß, mir kann kein Beistand helfen. Ich sterbe.« Er richtete sich im Lehnstuhl empor, obwohl der Todesschweiß schon auf seiner Stirn stand, und sprach mit einer Festigkeit, die seine Kräfte zu übersteigen schien: »Vetter Franz, tretet zu mir.« – Ich näherte mich. – »Ich will Euch bloß sagen, daß keine Todesqual in meinen Gesinnungen gegen Euch etwas ändern kann. Ich hasse Euch!« rief er, und der Ausdruck von Wut gab seinen Augen, die bald auf immer sich schließen sollten, einen grausigen Glanz.... »Ich hasse Euch, jetzt, da ich blutend vor Euch liege, so grimmig, als wenn mein Fuß auf Eurem Nacken stünde.« »Ich habe Euch keine Ursache dazu gegeben,« versetzte ich; »um Euretwillen wünschte ich, Ihr wäret jetzt mildern Sinnes.« »Ihr habt mir Ursache gegeben,« entgegnete er, »denn Ihr habt mich gehemmt in meinem Ehrgeize, seid mir hinderlich gewesen bei allem Gewinne, und habt mir die Geliebte abspenstig gemacht. ... Ich war berufen, die Ehre meines Hauses zu werden – ich bin ihm zur Schande geworden – alles durch Eure Schuld. Selbst mein Erbe mußte an Euch fallen. Nehmt es! möge der Fluch eines Sterbenden darauf ruhen!« Nachdem er diesen furchtbaren Wunsch ausgestoßen hatte, sank er in den Lehnstuhl zurück. Sein Auge wurde starr, seine Glieder wurden steif, aber das Grinsen des Hasses entstellte sein Gesicht noch im Tode. Ich will nicht länger bei diesem grausen Bilde verweilen, und nur noch mitteilen, daß mein Erbteil mir nicht weiter bestritten wurde, sondern daß Jobson zugestehen mußte, die Anklage gegen mich sei nur zu Rashleighs Vorteil erhoben worden, um mich aus dem Schlosse zu entfernen. Jobsons Name wurde aus der Reihe der Sachwalter gestrichen, und er sank in Armut und Verachtung. Sobald ich meine Angelegenheiten im Schlosse in Ordnung gebracht hatte, kehrte ich nach London zurück, glücklich, einen Ort zu verlassen, der so viel schmerzliche Erinnerungen weckte. Ich wartete nun mit Angst und Unruhe auf Nachrichten von Dianas und ihres Vaters Schicksal. Ein Kaufmann aus Frankreich, der Handelsgeschäfte in London hatte, brachte mir einen Brief von ihr, der mich über ihre Sicherheit beruhigte, aber mir auch mitteilte, daß ihr Vater infolge seiner letzten Strapazen und Entbehrungen einer verzehrenden Krankheit verfallen sei und dem Tode entgegengehe; seinem Willen gemäß sei sie willens, den Schleier zu nehmen. Da hielt es mich nicht länger; ich machte meinen Vater offenherzig mit dem Zustande meines Herzens bekannt, und war er auch nicht wenig bestürzt über meine Absicht, eine Katholikin zu heiraten, so wünschte er doch, wie er sagte, daß ich im Leben »gefestigt« würde; und da ich, wie er jetzt recht gut einsähe, durch meine treuliche Teilnahme an seinen kaufmännischen Geschäften ihm von so großem Nutzen gewesen sei, wolle er mir in meiner Herzenssache auch nicht zuwider sein.... »Aber,« schloß er, »ich hätte mir nun und nimmer gedacht, daß mein Sohn Herr des Erbguts Osbaldistone werden, und noch weniger, daß er sich seine Braut aus einem französischen Kloster holen werde. Indessen muß eine so liebe Tochter auch eine liebe Gattin werden.« Daß ich meine Verbindung nach besten Kräften beschleunigte, brauche ich Dir nicht zu sagen, Freund Tresham; Du weißt auch, wie lange und wie glücklich ich an Dianas Seite lebte, und wie tief ich um sie trauerte. Aber Du weißt nicht, – und kannst es nicht wissen, in welch hohem Maße sie den Schmerz ihres Gatten verdiente. Romantische Abenteuer habe ich nicht mehr zu erzählen. Die weitern Ereignisse meines Lebens sind Dir ja bekannt. In Schottland war ich noch oft; den kühnen Hochländer, der auf die frühern Ereignisse meines Lebens so viel Einfluß hatte, habe ich aber nie wiedergesehen, indessen hin und wieder erfahren, daß er seinen mächtigen Feinden zum Trotze in den Gebirgen von Loch Lomond, sogar auf gewisse Weise von der Regierung beschützt, im hohen Alter, gegen das Jahr 1736, eines friedlichen Todes gestorben ist, was gewiß zu den höchsten Unwahrscheinlichkeiten des menschlichen Daseins gehören dürfte, aber mir so sicher verbürgt worden ist, daß sich nicht daran zweifeln läßt. Er ist noch heute in der Gegend von Lennox als der Robin Hood von Schottland, »die Furcht der Reichen, der Freund der Armen«, bekannt. Der alte Andreas, dessen Du Dich ja gewiß noch erinnern wirst, pflegte zu sagen: es gäbe mancherlei Dinge, die zu bös seien, daß man sie segnen, und zu gut, daß man sie verdammen könne, und solch ein Ding sei Robin der Rote gewesen. Ende Das Herz von Midlothian  oder  Der Kerker von Edinburg Roman in zwei Bänden Übersetzt von Erich Walter Tales of My Landlord II The Heart of Midlothian Edinburgh 1818 Erster Band Erstes Kapitel In der guten alten Zeit hatte Britannien seinen Tyburn. Dorthin wurden in feierlicher Prozession die der Gerechtigkeit verfallenen armen Teufel geführt, und zwar die jetzt unter dem Namen der Oxford-Road bekannte Straße entlang. In Edinburgh war es der »Graßmarket«, eine breite, offene Straße, oder vielmehr eine Art länglichen, von vielen Häusern gebildeten Platzes, der zu dem gleichen traurigen Zwecke diente. Er war recht gut gewählt, denn er war groß und konnte viel Zuschauer fassen, an denen es bei einem solchen Schauspiele ja niemals fehlt; auch waren schon damals die wenigsten der an dem Platze befindlichen Häuser von besseren Leuten bewohnt, so daß kaum jemand da war, der durch solch widriges Schauspiel in seinen Empfindungen gekränkt oder in seiner Ruhe gestört wurde. Diese Graßmarket-Häuser sind zwar im großen und ganzen nicht besonders stattlich; immerhin macht der Platz selbst keinen üblen Eindruck, weil an seiner Südseite der gewaltige Felsblock überhängt, auf dem sich das Schloß oder die Burg mit ihren bemoosten Zinnen und turmgekrönten Wällen erhebt. Noch bis zum Anfange des verwichenen Jahrhunderts war es Brauch, auf diesem Platze die Verbrecher vom Leben zum Tode zu bringen. Zum Zeichen, daß wieder solch verhängnisvoller Tag sich nahte, wurde am östlichen Ende des Platzes ein großer, schwarzer Galgen aufgeschlagen. Rings um diesen grausigen Apparat herum lief das Schafott, zu dem eine Doppelleiter emporführte, bestimmt für Delinquenten und Henker. Errichtet wurde der Galgen immer vor Tagesanbruch, und so konnte man recht wohl meinen, er sei im Laufe der Nacht aus der Erde herausgewachsen, als Werk irgend eines bösen Geistes. Kann ich mich doch aus meiner Kinderzeit noch recht gut des Grausens erinnern, mit welchem wir Jungen den schrecklichen Vorbereitungen zu solch schrecklichem Tode zuschauten. In der auf die Hinrichtung folgenden Nacht verschwand der Galgen ebenso spurlos wieder in einem düsteren Gewölbe im Erdgeschoß des Parlamentsgebäudes. Um 7. September des Jahres 1786 tauchte auf eben beschriebenem Platze das unheimliche Gerüst wieder auf, und von aller Frühe an drängten sich Menschengruppen an seinem Fuße, begierig auf das Schauspiel, das ihnen winkte. In der Regel vergißt das Volk in seiner Gutmütigkeit die Missetaten, die den Delinquenten zu solcher Richtstatt führen, und gedenkt nur noch seines Jammers und Elends. An jenem Tage aber sah man nur finstere, rachsüchtige Mienen; denn der Delinquent, der heute die steile Leiter hinaufsteigen sollte, um gehenkt zu werden, war eines Verbrechens überführt worden, das jegliche Milde und Schonung ausschloß. Die Geschichte ist, zwar recht bekannt, immerhin wird es gut sein, ihre Hauptmomente hier zu rekapitulieren, selbst auf die Gefahr hin, daß sie ein bißchen viel Zeit in Anspruch nehmen wird; aber ich darf wohl annehmen, daß sie selbst für diejenigen die ihren Ausgang kennen, nicht ohne Interesse sein wird. Jedenfalls läßt sich einige Ausführlichkeit in diesem Falle nicht umgehen, wenn die Ereignisse der hier folgenden Erzählung verständlich sein sollen. Schleichhandel wird, obgleich er Recht und Gesetz untergräbt, indem er die Einkünfte der Regierung schmälert, den rechtschaffenen Kaufmann in seinem Rechte verkürzt und auch die Gemüter derjenigen verdirbt, die ihn treiben, doch nicht für sonderlich strafbar angesehen, weder von den vornehmen Leuten noch vom eigentlichen Volke. Dort, wo er im Schwunge ist, sind nicht bloß gemeinhin die klügsten und, kühnsten Leute damit beschäftigt, sondern sogar nicht selten unter dem versteckten Schutze von Pächtern und niederem Adel. In Schottland zumal war unter der Regierung der ersten beiden George der Schleichhandel allgemeine Regel, denn der Schotte war nicht gewohnt, Zölle zu entrichten, und erblickte in ihnen einen Eingriff in seine alten Freiheiten und Rechte, trug also keinerlei Bedenken, alles, was Zoll hieß, zu umgehen, wenn und wo er es irgend konnte. Eine berüchtigte Schleichhandelsstätte war lange Zeit hindurch die Grafschaft Fife, die im Norden und im Süden von Meerbusen umschlossen ist, im Osten aber an offenes Meer grenzt und eine von zahllosen Häfen zerrissene Küste hat. Dort wohnte viel Seevolk, das in der Jugend dem Seeräuberhandwerk obgelegen hatte; mithin fehlte es nicht an verwegenen Subjekten, den Schleichhandel zu treiben. Unter ihnen war einer, der es besonders verstand, den Zöllnern eine Nase zu drehen: das war Andrew Wilson, ein kräftiger, listiger, mutiger Bursche, von Haus aus Bäcker und in dem Dorfe Pathhead gebürtig, der mit der Küste aufs engste bekannt und so recht der Mensch danach war, das keckste Unternehmen zu wagen. Schon oft hatte er den Zöllnern wertvolle Kontrebande aus den Zähnen gerückt, aber man hatte ihn so scharf aufs Korn genommen, daß er wiederholt abgefaßt und prozessiert wurde. So kam er um all seine Habe und an den Bettelstab. Darob geriet er in Verzweiflung, meinte, es sei ihm schreiendes Unrecht getan worden, er sei vom Staate bestohlen und ausgeplündert worden, und setzte sich in den Kopf, er sei in seinem Rechte, wenn er das Wiedervergeltungsrecht übte, so oft sich ihm irgend eine Gelegenheit dazu böte. Wenn einem Herzen nach Bösem gelüstet, braucht es in der Regel nicht lange zu warten, daß sich eine Gelegenheit dazu bietet. Andrew Wilson kam es eines Tages zu Ohren, der Zöllner von Kirkaldy sei mit einer großen Geldsumme nach Pittenween gekommen. Da dieselbe nun bei weitem nicht deckte, was ihm an Geld und Gut vom Staate genommen worden war, hielt er sich für vollauf berechtigt, sie an sich zu bringen, tat sich mit drei anderen jungen Burschen zusammen, die ebenfalls Schleichhandel trieben und deshalb leicht zu überreden waren, ihm Helfershelferdienste zu leisten. Sie brachen bei hellem Tage in die Wohnung des Zöllners ein; einer von ihnen, ein gewisser Robertson, stand draußen Schmiere und sagte jedem, der sich einfallen ließ, sich nach dem Lärm im Zöllnerhause zu erkundigen, der Zöllner sei mit ein paar Leuten in Streit geraten. Da die Bewohner von Pittenween dem Zöllner ohnedem nicht grün waren, denn er gehörte zu den rücksichtslosesten Steuereintreibern, die es je gegeben haben mag, kümmerten sie sich nicht weiter um die Sache, sondern gingen ihrer Wege. Zuletzt konnte es aber nicht ausbleiben, daß die Zollwache herbeirückte und den Räubern nachsetzte. Es gelang ihr nach einiger Zeit auch, sie zu fassen; Wilson und Robertson wurden zum Tode verurteilt, und zwar auf Grund der Aussagen des dritten Mitschuldigen, der als Kronzeuge wider sie auftrat, um sich der Strafe zu entziehen. Die Meinung, die Strafe für dieses Verbrechen sei mit dem Tode der beiden Schleichhändler zu schwer gesühnt, fand im Lande viel Anhänger, anderseits war freilich die Frechheit, mit der der Einbruch und Raub verübt worden, zu kraß, als daß sich ein strenges Exempel hätte umgehen lassen. Als kein Zweifel mehr bestand, daß die beiden Todesurteile vollstreckt werden würden, gelang es ein paar guten Freunden, den Delinquenten Feilen und Brechstangen zuzuschanzen. Aber ihr Versuch, durch das Fenster ihrer Zelle zu entkommen, schlug fehl; Andrew Wilson, der darauf bestanden hatte, zuerst hindurchzukriechen, blieb im Fenster stecken und konnte weder vorwärts noch rückwärts, sondern mußte es über sich ergehen lassen, daß ihn die Frone am andern Morgen unter Spott und Hohn aus dem Loche wieder herauszogen. Andrew Wilson machte sich nun Vorwürfe, daß er aus diese Weise die Flucht vereitelt hätte, die, wenn er seinen dünneren Kameraden hätte zuerst durch das Fenster kriechen lassen, wenigstens doch diesem gelungen wäre, und richtete nun sein ganzes Sinnen darauf, ihn aus der Patsche zu retten, ohne alle Rücksicht auf sich selbst. Dergleichen energische Geister, wie Andrew Wilson, bewahren sich, auch wenn sie auf Abwegen wandeln, doch oft die Fähigkeit zu großmütigem Denken und Handeln; jedenfalls war der Entschluß, den er faßte, und die Art und Weise, wie er ihn ausführte, auffallend und ungewöhnlich. Unfern dem Edinburger Stockhause stand eine von den drei Kirchen, in welche sich die Kathedrale von Saint-Giles jetzt scheidet. Sie führte nach dem Spottnamen, den das Stockhaus, führte, den Namen »Talbooth«-Kirche. Dorthin wurden, nach altem Brauche, am Sonntage vor ihrer Hinrichtung unter ausreichender Bedeckung die Delinquenten geführt, um ihrem letzten öffentlichen Gottesdienste beizuwohnen. Seit dem Vorfalle, über den wir nun berichten, ist dieser Brauch abgeschafft worden. Der Pfarrer hatte gerade seine Predigt geendigt, die zum nicht geringen Teile auf die beiden Delinquenten gemünzt war, die, jeder zwischen zwei Soldaten der Stadtwache, in dem sogenannten Armensünderstuhle saßen; seine ergreifenden Worte hatten das versammelte Publikum zu Tränen gerührt, und aller Herzen machten sich in einem mitleidigen Geflüster Luft, als plötzlich. Andrew Wilson, der ein außerordentlich kräftiger Mann war, zwei von den Stadtsoldaten, die ihre Bedeckung bildeten, bei den Händen packte, dem dritten die Zähne in den Arm schlug und seinem Kameraden durch Zeichen verständlich machte, er solle auf und davon laufen. Im ersten Moment war dieser so perplex, daß er kein Glied rühren konnte; als aber auch aus den Reihen des Publikums der Ruf, er solle sich retten, ertönte, stieß er plötzlich den vierten Stadtsoldaten mit einem Ruck von sich, schwang sich über die nächsten Kirchenstühle und gewann, da ihn keiner vom Publikum aufhielt, das Portal und die Freiheit. Es gelang auch tatsächlich nicht, sich seiner wieder zu bemächtigen. Wilsons kühner Handstreich steigerte das Mitleid, das man mit seinem Schicksale fühlte, außerordentlich. Darüber, daß wenigstens der eine der beiden Delinquenten dem Galgen entronnen war, herrschte helle Freude, und es entstand das Gerücht, von der Bewohnerschaft der Stadt sei der Plan gefaßt, nun auch Wilson zu befreien. Die Obrigkeit erachtete es zur Wahrung ihres Ansehens für ihre Pflicht, die Stadtmiliz unter dem Kommando ihres Hauptmannes den Richtplatz besetzen zu lassen, um jeder Störung der Hinrichtung beizeiten vorzubeugen. Dieser Hauptmann hieß Porteous, und sein Name ist durch den weiteren Verlauf dieser Handlung so volkstümlich geworden, daß es sicher am Platze ist, ihm an dieser Stelle, ein paar eingehende Worte zu widmen. Zweites Kapitel John Porteous, der Hauptmann der Stadtgarde, war in Edinburg, wie in den Gerichtsannalen dieser Stadt eine bekannte Persönlichkeit; als Sohn eines Edinburger Bürgers zur Welt gekommen, und vom Vater zum Nachfolger in seinem Handwerk, der Schneiderei, ausersehen und erzogen. Den jungen Menschen hielt es aber nicht zu Hause; sein Hang zu Abenteuern trieb ihn in die Welt hinaus, und so ließ er sich zu dem Kriegskorps werben, das von den Niederlanden lange Zeit unter der Bezeichnung »schottische Hochländer« unterhalten wurde. Hier diente er mehrere Jahre in den Kolonien und wurde ein strammer Soldat. Mit der Zeit aber bekam er dieses Leben satt und kehrte in die Heimat zurück. Da kam das unruhige Jahr 1715, und die Edinburger Stadtobrigkeit mußte sich nach jemand umsehen, den sie über die Bürgergarde als Hauptmann setzte. Die Wahl fiel auf John Porteous, und bald verstand es derselbe, sich bei allen, die die Ruhe seiner Vaterstadt gefährdeten, in Respekt zu setzen. Sonderlich stark war die Stadtgarde ja nicht, denn sie bestand bloß aus hundertundzwanzig Mann, die in drei Kompagnien eingeteilt und uniformiert waren, auch regelmäßige Uebungen abhalten mußten, zum größten Teile aber aus Leuten bestanden, die, sobald sie ihr Dienst nicht in Anspruch nahm, ihrem Handwerk oder Beruf nachgingen. Es gehörte nun in Edinburg für viele Leute zu einer Art Sport, sich mit dieser Bürgergarde zu necken und in Zwist zu setzen, und hierzu wurden in der Regel die Sonn- und Feiertage ausgesucht, eine Sitte, die sich im Grunde genommen bis auf den heutigen Tag erhalten hat, dem schottischen Volke also im Blute zu liegen scheint. Hauptmann Porteous scheint es mit der Ehre seines Korps sehr ängstlich genommen zu haben, denn er faßte gegen Andrew Wilson einen starken Grimm wegen des demselben durch die Befreiung seines Kameraden angetanen Schimpfes und sparte nicht mit Drohungen und Verwünschungen gegen ihn: eine Sache, deren man sich später sehr zu seinem Nachteil erinnern sollte. Feinde hatte er ohnehin genug, weil er sich von seinem hitzigen Temperament oft einmal verleiten ließ, über das ihm gezogene Maß hinauszugehen und zu Gewaltmaßregeln zu greifen. Er war aber von der ganzen Stadtgarde noch immer der verläßlichste und rührigste, und so wurde er mit dem Kommando bei Andrew Wilsons Hinrichtung betraut und bekam Befehl, den Galgen mit aller an dem Tage entbehrlichen Mannschaft, und die betrug etwa achtzig Köpfe – zu bewachen. Die Obrigkeit ließ es aber nicht hierbei bewenden, sondern ließ auch noch Militär auf den Platz rücken, und das verdroß den Hauptmann Porteous, weil er sich hierdurch in seinem Ansehen beinträchtigt fühlte. Bei der Obrigkeit durfte er aber seinen Groll nicht merken lassen, und so ließ er ihn an dem armen Delinquenten aus, unter dem Vorwande, daß er von der Obrigkeit besondere Weisung bekommen hätte, nichts zu verabsäumen, was Fluchtversuche zu hindern vermöchte. Er ließ nun Wilson, als er ihm vom Fron übergeben wurde, um auf den Richtplatz geführt zu werden, Handschellen anlegen, die aber für den kräftigen Mann zu klein waren. Statt nun nach anderen zu schicken, zwängte er selbst die Arme des Unglücklichen mit aller Kraft zusammen, bis die Schrauben ineinander faßten, und kümmerte sich nicht um die furchtbaren Schmerzen, die dem armen Menschen dadurch verursacht wurden. Die Beschwerden desselben über solche unmenschliche Folter wies er mit dem frivolen Worte zurück, seine Qual werde ja ohnehin bald zu Ende sein.»Ihr seid grausam, Porteous,« sagte Andrew Wilson da zu ihm; »wißt Ihr aber auch, ob Ihr nicht am Ende selbst einmal in die Lage kommt, um Gnade zu winseln, die Ihr jetzt einem Mitmenschen weigert? Gott verzeih' Euch, was Ihr an mir sündigt!« Es waren die einzigen Worte, die zwischen dem Delinquenten und dem Hauptmanne gewechselt wurden, aber sie fanden ihren Weg ins Volk und steigerten den Grimm desselben gegen den ohnehin wegen seiner Anmaßung und Strenge verhaßten Hauptmann. Auf dem ganzen Wege zum Richtplatze machte das Volk nicht den geringsten Versuch zu einem Aufstande; nur so viel ließ sich erkennen, daß weit größeres Mitgefühl für den Delinquenten herrschte als sonst bei Hinrichtungen; Wilson schien selbst an schneller Vollstreckung des Urteils zu liegen, denn er kürzte das letzte Gebet mit dem Pfarrer, der ihn begleitete, tunlichst ab. Er hatte schon lange genug am Galgen gebaumelt, um keinen Funken von Leben mehr in sich zu haben, als sich plötzlich unter dem am Fuße des Galgens versammelten Volke ein Tumult erhob. Die Bürgergarde wurde mit Steinen bombardiert, und ein junger Mensch, der eine Fischerkappe aufhatte, schwang sich auf das Schafott und schnitt den Delinquenten los. Rasch sprangen andere hinzu, die Leiche fortzuschleppen, sei es, um ihr zu einem ehrlichen Begräbnisse zu verhelfen, sei es, um Belebungsversuche mit ihr anzustellen. Hauptmann Porteous geriet hierdurch aber in solche Wut, daß er, seinen Instruktionen zuwider, die ihm einschärften, sich nach Vollzug der Hinrichtung nicht in Händel mit dem Volke einzulassen, sondern still abzuziehen, auf das Volk feuern ließ, ja sogar einem Soldaten die Flinte aus der Hand riß und selbst feuerte. Etwa ein halbes Dutzend Menschen wurde dabei erschossen und ein reichliches Dutzend verwundet. Selbstverständlich ließ nun das Volk die Bürgergarde nicht ruhig abziehen, sondern es kam zu einem neuen Handgemenge, wobei es der Toten und Verwundeten noch weit mehr gab und auch verschiedene von der Stadtgarde auf dem Platze blieben. Von dem Bürgermeisteramte zur Verantwortung gezogen, leugnete der Hauptmann, selbst geschossen zu haben, wie auch, Befehl zum Schießen gegeben zu haben; er wurde aber des Gegenteils überführt und nun selbst zum Tode durch den Galgen verurteilt. Alle seine bewegliche Habe verfiel nach schottischem Gesetz dem Staate. Das Urteil sollte am 8. September 1736 auf demselben Richtplatze, wo er Andrew Wilson vom Leben Zum Tode gebracht hatte, an ihm vollstreckt werden. Auf dem Richtplatze standen die Menschen Kopf an Kopf, und alle Fenster, am Platze sowohl als in der steilen, krummen Gasse, »Bow« genannt, durch die sich der traurige Zug von der Highstreet aus bewegte, waren von Zuschauern belagert. In der Mitte des Platzes erhob sich, schwarz und unheimlich, der schreckliche Galgen, von welchem der Strick herniederhing, an welchem der arme Porteous baumeln sollte. Kein Wort verlautete in der Menge, kaum, daß man ein leises Geflüster wagte. Still und ruhig, aber finster und unversöhnlich, harrte sie des Vollzuges der schrecklichen Handlung, die das an so vielen der Ihrigen verübte Unrecht rächen sollte. Die Stunde, da der Delinquent herbeigeführt werden sollte, war bereits vorüber, und noch immer zeigte sich die Spitze des Zuges nicht. Minute auf Minute verstrich, und noch immer stand die Menge und harrte. »Sollte es die Stadt wagen, den Missetäter zu begnadigen?« so ging die Rede nun unter der Menge. – »Nicht doch! das wagt selbst der Bürgermeister nicht!« ward von mehreren Seiten erwidert. Je länger es aber dauerte, ohne daß der Zug mit dem Delinquenten sichtbar wurde, desto höher schwoll die Flutwelle des Zornes: man sagte sich, der Hauptmann sei bei der Stadtbehörde beliebt, und man wolle ihm seinen Amtseifer zugute rechnen; deshalb sei an die Regierung nach London berichtet worden, und dort sei man ja immer der Meinung, um ein paar aufrührerische Schotten sei es ganz gewiß nicht schade. Nun ist aber der Edinburger Pöbel, wenn er gereizt wird, seit jeher einer der wildesten von allen Städten Europas gewesen, und als nun wirklich nach Verlauf einer ganzen Viertelstunde, die Nachricht kam, daß aus der geheimen Staatskanzlei ein Schreiben beim Edinburger Magistrate eingelaufen sei, mit der Weisung, die Vollstreckung des Urteils zu verschieben, und zwar auf die Zeit von sechs Wochen gerechnet von dem für die Hinrichtung festgesetzten Tage, da ging ein dumpfes Brausen über den Platz, und aller Blicke richteten sich grimmig nach dem Galgen. »Der arme Wilson wurde ohne Gnade und Barmherzigkeit hingeschlachtet, bloß weil er einen Beutel voll Gold gemaust hat, und ein Mensch, der so viel Mitmenschen hingemordet hat, darf ruhig weiter leben!« so murrten die Leute. Die Frone begannen das Schafott abzuschlagen, die Fenster wurden leer, die Menge räumte den Platz, aber es blieb nicht unbemerkt, daß sich unterwegs neue Gruppen bildeten, daß gewisse Leute bald von der einen Seite zur andern liefen, bald stehen blieben und lebhaft diskutierten; an ihren Reden merkte man, daß es Freunde und Kameraden Andrew Wilsons waren, und daß sie die Bürgerschaft zur Rache an Porteous aufstachelten. Aber für den Augenblick schien ihre Absicht keinen Erfolg zu haben, denn die Menge verlief sich ruhig; wer aber einen schärferen Blick auf ihre Mienen heftete oder gar von ihren Reden, die sie leise führten, einiges aufschnappte, der mußte sich sagen, daß das Trauerspiel mit dem heutigen Tage noch nicht zu Ende sei. Gesellen wir uns, um dem Leser zu einem richtigen Urteil über die Situation zu verhelfen, zu einer der Gruppen, die sich, auf dem Wege nach ihren am Lawn-Markt gelegenen Wohnungen, den steilen Abhang hinauf bewegen, der nach diesem Teile der Stadt führt. »Man sollte es wirklich nicht für möglich halten, liebe Frau Howden,« sagte der alte Herr Plumdamas zu seiner Nachbarin, die einen Trödel betrieb, und reichte ihr artig den Arm, um sie bei dem beschwerlichen Aufstiege zu stützen, »daß es unter unsern vornehmen Leuten welche geben kann, die einem solchen Kerl wie diesem Porteous erlauben, gegen eine friedliebende Stadtbürgerschaft die Waffen zu erheben. Das heißt doch, sich wider Gesetz und Evangelium in der frivolsten Weise auflehnen!« »Ja, da muß man sich umsonst solchen mühsamen Weg machen,« versetzte Frau Howden, ächzend und stöhnend, »und das Geld für eines der bestgelegenen Fenster hinauswerfen, knapp einen Steinwurf vom Galgen! O, ich hätte jedes Wort hören können, das ihm der Pfarrer gesagt hätte, und nun bin ich mein Geld los, statt was gesehen zu haben!« »Mir scheint,« antwortete Herr Plumdamas, »wenn unser altschottisches Gesetz noch Geltung hätte, wenn wir unser autonomes Königreich noch hätten, dann wäre es mit solchem Königs-Gnadenbriefe nicht weit her gewesen!« »Hm, ich weiß in Gesetzbüchern nicht viel Bescheid,« sagte Frau Howden hierauf, »aber das weiß ich, daß wir, als es noch König, Kanzler und Parlament in Schottland gab, mit Steinen nach ihnen werfen konnten, wenn sie sich nicht manierlich benahmen.« »Soll die Pest über London kommen!« rief die alte Jungfrau Grizell Damahoy, die sich mit Weißnäherei durchs Leben schlug, »und über das ganze Londoner Pack, das uns Parlament und Handel genommen hat! Mit unserm Adel ist's, weiß Gott! schon so weit, daß sie sich in Schottland keine Krause mehr an ein Hemd setzen lassen wollen!« »Das stimmt, Jungfer Damahoy, das stimmt!« erwiderte Herr Plumdamas, »ich kenne Leute, die sich die Rosinen scheffelweise von London kommen lassen! Und nun muß uns gar noch ein Rudel von Zöllnern auf den Hals gehetzt werden? Es kann sich, weiß Gott! kein Mensch mehr sein Fäßchen Branntwein ins Haus legen, ohne Gefahr, daß sie ihm sein bißchen Gut, für das er sein schönes Geld hingegeben hat, mir nichts, Dir nichts wieder abholen! Na, ich will ja schließlich dem Wilson nicht die Stange halten, denn er hat sich auch an fremdem Geld vergriffen; zwischen ihm und diesem Herrgottssackermenter von Porteous ist aber noch immer ein himmelweiter Unterschied, denn er hat ja noch gar nicht einmal so viel genommen, wie er zu fordern hat!« »Ei, wenn wir uns über das unterhalten wollen, was Recht und Gesetz bei uns zu Lande bedeutet,« rief Frau Howden, »da wollen wir doch den Herrn Saddletree heranrufen. Der weiß in unsern Gesetzen besser Bescheid als der beste Advokat.« Es war ein alter Herr, auf den sich diese Worte bezogen, der sehr reputierlich aussah, eine hohe Perücke trug und ganz schwarz angezogen ging, was ohne Frage ein gutes Zeichen für seine behäbigen Verhältnisse war. Er war auch ein artiger Herr, der wußte, was sich schickte, denn er bot der Jungfrau Damahoy sogleich den Arm. Erwähnen wir weiter noch, daß er einen gut eingerichteten Sattlerladen hatte, »zum goldenen Hengst« firmierend, in welchem alles, was Kutscher und Fuhrherren brauchten, zu reellem Preise zu haben war, wie: Peitschen, Zaumzeug, Sättel und Sattelzeug, Kumte und so weiter. Aber Herr Bartel Saddletree – Bartel war sein Vorname – hatte noch eine besondere Passion, das ihm von der Natur verliehene Genie zu betätigen: er war versessen auf die edle Rechtswissenschaft und fehlte bei keiner Gerichtsverhandlung. Das vertrug sich freilich mit seiner Eigenschaft als Ladeninhaber schlecht, und wenn er nicht eine so außerordentlich tüchtige Frau gehabt hätte, die mit seinem Geschäft besseren Bescheid wußte, und mit Gesellen und Lehrjungen zum mindesten ebensogut umzugehen wußte wie er selbst, so hätte er sich wohl anders im Leben umsehen sollen! Frau Saddletree hatte sich mit der Zeit daran gewöhnt, ihren Mann seiner Wege gehen zu lassen und ihm seine Passion für die Rechtswissenschaft nicht zu verkümmern; dagegen bestand sie darauf, daß er ihr in der Hauswirtschaft wie auch im Laden freie Hand ließ. So war denn mit der Zeit ein Witzwort in Umlauf gekommen über besagten Herrn Bartel Saddletree: daß er über seinem Laden einen goldenen Hengst, in seinem Laden aber eine gar störrige Stute habe; und dadurch war wieder im Gemüte des Herrn Saddletree die Neigung geweckt worden, gegen seine brave Frau einen recht stolzen Ton anzuschlagen, der aber keineswegs tragisch von ihr genommen wurde und sie zu offener Widersetzlichkeit nur immer dann reizte, wenn Herr Saddletree wirklich einmal probierte, in seinem Hause das Regiment zu führen. Das kam jedoch nur höchst selten vor. Herr Bartel Saddletree hatte in dieser Hinsicht eine gewisse Aehnlichkeit mit dem biederen König Jakob, der auch lieber von seiner Macht als Landesherrscher viel schöne Worte machte, statt sie energisch zu üben. Mit dieser Denk- und Handlungsweise zog nun Herr Bartel Saddletree durchaus nicht den kürzeren, denn er konnte von sich sagen, daß sich seine Habe, einerseits ohne alles persönliche Zutun, anderseits, ohne daß er sich in seiner Passion für die Rechtswissenschaft Zwang aufzuerlegen brauchte, ständig vermehrte. Während wir dem Leser diese Schilderung des Herrn Bartel Saddletree geben, hatte er seinem Auditorium eine peinliche Vorlesung über den Fall des Hauptmannes Porteous gehalten, und war dabei zu dem Spruche gelangt, daß Porteous, wenn er fünf Minuten früher, als der Delinquent vom Galgen geschnitten worden, gefeuert hätte, »versans in licito« auf dem Boden des Gesetzes gestanden, und nur »propter excessum«, also wegen Ueberschreitens der Amtsgewalt, in gewöhnliche Strafe (Poeva ordinaria) hätte genommen werden können. »Ueberschreitung?« wiederholte Frau Howden, »wann hätte wohl John Porteous jemals den Hals voll bekommen? Ich weiß doch schon von seinem Vater.« »Aber, Frau Howden!« fiel Saddletree ihr ins Wort. »Ja, und ich weiß auch recht gut, wie seine Mutter,« wollte Jungfer Damahoy anfangen, wurde aber von Herrn Saddletree ebenfalls mit einem »Aber, meine Dame!« zur Ruhe verwiesen. »O,« kam nun auch Herr Plumdamas noch, »wenn ich mich darauf besinne, wie seine Frau.« »Aber, meine Herrschaften,« nahm nun Saddletree energisch das Wort, »lassen Sie sich doch, bitte, nur so viel sagen: bei der Sache ist, wie Ratsanwalt Croßmyloof immer zu sagen pflegt, ein Unterschied: Die Exekution war vorbei, mithin Porteous nicht länger in Funktion, denn sowie der Delinquent am Galgen hing, hatte er eben nichts mehr zu überwachen, sondern war, wie jeder andere auf dem Platze, cuivis ex Populo.« »Quivis, quivis, wenn Sie nichts dawider haben, Herr Saddletree, nicht cuivis,« bemerkte, mit starker Betonung der ersten Silbe, Herr Butler, Unterlehrer an einer Dorfschule, unweit von Edinburg, der gerade zu der Gruppe trat, als Saddletree das lateinische Wort falsch aussprach. »Deshalb brauchen Sie mir doch nicht in die Rede zu fallen, Herr Butler,« verwies nun auch ihm Saddletree das Wort, »immerhin freut es mich recht, Sie zu sehen. Wenn ich cuivis sagte, so berufe ich mich auf den Kriminalrichter Bluefeather, der das Wort nie anders spricht.« »Sollte Bluefeather sich einfallen lassen, vor mir einmal den Dativ statt des Nominativs zu brauchen,« versetzte der Schulmeister, »so würde ich seinem Namen Ehre antun und ihm das Fell verbläuen, mein lieber Saddletree, wie jedem Jungen in meiner Schule, der sich solchen Schnitzer zuschulden kommen ließe.« »Ich spreche Latein nicht wie ein pedantischer Schulmann, Herr Butler, sondern wie es in unsern Gerichtssälen gesprochen wird,« versetzte Saddletree. »Nicht wie ein Schulmann?« sagte Butler, »sagen Sie lieber: nicht einmal wie ein Schuljunge!« »Darauf kommt es ja jetzt gar nicht an,« verwies ihm Bartel wieder das Wort, »ich wollte doch eben nur sagen, daß Porteous niemals die poena extra ordinem, also die Todesstrafe, hätte treffen können, wenn er hätte schießen lassen oder selbst geschossen hätte, solange er in amtlicher Funktion war, statt es erst zu tun oder tun zu lassen, als das Urteil vollzogen, seine Funktion also erloschen war.« »Ihre Meinung geht also dahin, lieber Nachbar,« richtete jetzt Plumdamas das Wort an ihn, »daß es um John Porteous besser stünde, wenn er mit Schießen nicht so lange gewartet hätte, bis mit Steinen nach ihm geworfen wurde?« »Ganz entschieden meine ich das, Nachbar,« versetzte Bartel Saddletree, die schon einmal angeführten Gründe noch einmal erörternd und zu ihrer Verstärkung sich auf die Autorität verschiedener Lords berufend, der von ihm beliebten Gewohnheit gemäß, sich der Bekanntschaft mit hohen Herren zu rühmen. Nun fing die um ihn versammelte Clique wieder an, allerhand Klagelieder über den Verfall von Schottlands Größe und guten Sitten zu singen und allerlei Beschwerden über erlittene Unbill zu erheben. »Nicht bloß vergossenes Blut schreit zu uns,« sagte Frau Howden, »sondern auch Blut, das hätte vergossen werden können! Nehmen Sie zum Beispiel mein Enkelkind, die kleine Eppie Daidle – Sie kennen sie ja, Jungfer Damahoy? – die hatte die Schule geschwänzt, was bei Kindern wohl einmal vorkommt – nicht wahr, Herr Butler?« »Dafür müssen sie aber auch,« erwiderte der pedantische Schulmeister, »von jedem, der ihr Bestes im Auge hat, derb gezüchtigt werden!« »Sie war, neugierig, wie nun Kinder einmal sind, um sich den Galgen anzusehen, dicht unter die Balken gekrochen und hätte, wie die andern Menschen ja auch, ganz leicht erschossen werden können – Jesus! was hätten wir dann bloß alle gemacht? Was würde wohl die Königin Karoline gesagt haben, wenn sie eins von ihren Kindern in solcher Gefahr gewußt hätte?« »Es gibt Leute,« versetzte Butler, »die wissen wollen, daß sich Majestät solchen Fall nicht besonders schwer zu Herzen genommen haben würde!« »Um wieder auf unsern Hammel zu kommen,« nahm jetzt Frau Howden wieder das Wort, »so sollte mir John Porteous, wenn ich ein Mann wäre, dran glauben müssen, und wenn alle Karle und Karolinen zehnmal auf das Gegenteil geschworen hätten!« »Ich müßte ihn auch unter meine Finger bekommen,« rief Jungfer Damahoy, »und wenn ich die Tür zu seinem Kerker mit den Fingernägeln aufkratzen müßte!« – »Meine Damen, Sie mögen ja recht haben und meinetwegen noch drüber,« erwiderte Butler, »aber ich möchte Ihnen doch raten, leiser zu sprechen.« »Was? nicht einmal mehr laut reden sollen wir?« riefen die beiden Damen wie aus einem Munde. »Kein anderes Wort wird fallen vom Hafen bis zum andern Stadtende, bis die Geschichte entweder ihr Ende gefunden oder das Blatt sich gewendet hat!« – Die Weiber verfügten sich nun heim, Herr Plumdamas meinte, im Einklange mit den andern beiden Herren, in einer Butike auf dem Lawn-Markte sich noch ein kleines Stampferl genehmigen zu sollen. Als sie das getan, verfügte Herr Plumadams sich schleunig in seinen Laden, während Herr Butler, der gerade Bedarf, nach einem Ochsenziemer hatte – weshalb, darauf wären seine Jungen sicher nicht um die Antwort verlegen gewesen – mit Herrn Saddletree über den gleichen Markt ging, den die beiden Damen vor ihnen passierten, und während beide fleißig schwatzten: Saddletree über schottisches Recht, Butler über lateinische Aussprache, ohne daß aber einer für des andern Ausführungen ein aufmerksames Ohr hatte. Drittes Kapitel »John Driver, der Fuhrmann, war da und hat nach seinem Zaume gefragt,« rief Frau Saddletree ihrem Manne entgegen, als er den Fuß über die Schwelle setzte, nicht um ihn in einer Sache, die mehr ihn als sie anging, merken zu lassen, daß sie sich auch darum kümmere, sondern bloß, um damit groß zu tun, was alles in seiner Abwesenheit hätte besorgt werden müssen. »Schön,« antwortete Bartel, ohne weiter etwas zu sagen. »Der Laird von Girdingburst hat auch hergeschickt und fragen lassen, wann er die gestickte Satteldecke für seinen Rotfuchs haben könnte, er ist dann auch selbst dagewesen – ein sehr netter und artiger junger Herr – und hat gesagt, daß er sie zum nächsten Pferderennen in Kelso haben müsse.« »Schön, schön,« sagte Bartel wieder, ebenso lakonisch wie vorher. »Seine Erlaucht Graf von Blazonbury, der ja immer gleich aus der Jacke fährt, hat geschimpft und gewettert, daß die Geschirre für seine sechs flandrischen Stuten noch immer nicht abgeliefert seien; er will sie mit den Federbüschen und Kronen, Satteldecken und Steigbügeln noch heute haben.« »Schön, schön, schön, Frau,« antwortete Saddletree, noch immer die Ruhe wahrend; »wenn er's zu toll macht, so lassen wir ihn ins Tollhaus bringen, alles ganz schön, Frau, alles ganz schön!« »Nur schön, daß Du so denkst, Saddletree,« sagte seine Frau darauf, durch seine Gleichgiltigkeit langsam in Hitze geratend, »mancher sähe es doch für eine Schande an, wenn so viel Kunden in den Laden kämen und immer von einem Frauenzimmer abgefertigt werden müßten. Du verstehst nun einmal nicht, Deine Leute in Zucht und Ordnung zu halten; denn kaum warst Du zum Hause hinaus, so liefen auch alle Gesellen und Jungen zum Galgen hin, den Porteous baumeln zu sehen, und da Du eben nicht zu Hause bleiben konntest.« »Schwatze keinen Unsinn, Weib,« versetzte er mit einer an den Jupiter erinnernden Miene, »Du weißt ja, daß ich anderswo zu tun hatte, non onmia, – wie Ratsanwalt Croßmyloof sagte, wenn zwei Klienten seinen Rat zu gleicher Zeit haben wollten – non omnia possimus – pessimus – possimis – – Unser Rechtslatein würde freilich die Ohren des Herrn Butler wieder unangenehm berühren, was es heißt, wissen wir aber, es kann kein Mensch, und wäre er der Herr Oberrichter in Person – zweierlei auf einmal tun.« »Gescheiter wär's schon, Saddletree,« antwortete seine bessere Hälfte, »Du versuchtest, wenn Du doch einmal von Rechtssachen soviel verstehen willst, für die arme Effie Deans was zu tun, die im Stockhause friert und hungert und alles Trostes ermangelt. Sie hat nämlich bei uns gedient, Herr Butler, und ich hab nie anders von ihr gedacht, als daß sie ein gar unschuldiges Mädelchen sei, und was hat sie mir nicht alles genützt, in der Wirtschaft sowohl als im Laden, sie hat die Kunden immer so höflich bedient und dabei immer die schönste Ordnung im Laden gehalten. Weiß der Herr! es gab in ganz Schottland kein Mädchen, das ihr hätte gleich kommen können, sie konnte mit jedem gut fertig werden, und wenn er sich noch so unwirsch gebärdete; besser als ich, Herr Butler, denn ich bin mit den Jahren hartmäulig geworden und kann nicht mehr so gut mit den Leuten umgehen wie früher, man kriegt's eben auch satt, ewig sich mit soviel Volks auf einmal herumscheren zu müssen. Sie können's mir glauben, die Effie fehlt mir an allen Ecken und Enden.« »Mir ist so,« sagte nach einigem Zögern Herr Butler, »als hätt ich das Mädchen schon einmal in Eurem Laden gesehen, blond, nicht wahr? und von bescheidenem Wesen?« »Ja, ja, blond war sie, die Arme, und bescheiden auch,« antwortete Frau Saddletree; »ob ihr guter Geist von ihr gewichen, oder ob sie die sündige Tat in einem Moment geistiger Umnachtung vollbracht hat, mag unser lieber Herrgott im Himmel wissen, wenn sie aber schuldig ist, dann muß die Versuchung wohl gar schwer gewesen sein, und ich möchte den heiligsten Eid darauf leisten, daß sie in diesem Augenblick nicht bei vollem Bewußtsein gewesen ist.« »Ist's nicht die Tochter vom David Deans, dem Pächter vom Leonarder Park, und hat sie nicht eine Schwester?« fragte jetzt Butler, nachdem er eine Weile im Laden herumgerannt war, so geschwind und erregt, wie es ein so ernster und gesetzter Herr nur irgend sein kann. »Ganz recht, Herr Butler, um zehn Jahre älter ist sie, die arme Jeanie! ist erst vor kurzem noch bei mir im Laden gewesen, um wegen ihrer armen Schwester mit mir zu reden, und konnte ich ihr denn was anders sagen, als daß sie wiederkommen möchte, wenn mein Mann da sei? Es geschah ja nicht in der Meinung, mein Mann könne ihr was nützen oder schaden, denn das wird wohl niemand können – sondern bloß, um sie ein bißchen noch hinzuhalten, denn Kummer läßt ja doch nie lange auf sich warten.« »Da bist Du aber im Irrtum, Frau,« antwortete Saddletree, »denn ich hätte ihr schon Auskunft geben können, die ihr, genützt hätte, ich hätte ihr den Paragraphen 1669 zu lesen gegeben, wonach sich ihre Schwester dadurch, daß sie die Schwangerschaft verheimlicht und es unterlassen hat, das Kind polizeilich anzumelden, des versuchten Kindesmordes.« »Ich hoffe zu dem barmherzigen Gott,« sagte Butler, »daß sich das Mädchen von dieser Schuld losmachen werde!« »Ich auch, Herr Butler, ich auch,« sagte Frau Saddletree, »hätte ich doch für sie gut gesagt, wie für mein eigen Fleisch und Blut, aber Du lieber Gott, Herr Butler, ich bin im vergangenen Sommer ein ganzes Vierteljahr bettlägerig gewesen und kaum ein einziges Mal aus meiner Stube gekommen. Mein Mann aber könnte dreist in einer Entbindungsanstalt sein und wüßte doch nicht, weshalb die vielen armen Weiber dorthin gebracht werden. Daher ist's gekommen, daß ich die arme Effie wenig oder gar nicht zu Gesicht bekommen habe, andernfalls hätte ich schon die Wahrheit aus ihr herausgeholt! Wir denken aber immer, daß ihre Schwester sie wird entlasten können.« »Im Parlament,« sagte Saddletree, »ist so lange von nichts anderm als ihrem Schicksal gesprochen worden, bis der Fall Porteous aufs Tapet kam, und ein brillanter Fall ist's ja auch, so interessant versuchter Kindesmord an sich schon ist, seit dem Falle mit der Hebamme Luckie Smith, die anno 1697 vom Leben zum Tode gebracht wurde, noch nicht wieder dagewesen!« »Aber, Herr Butler,« fragte die wackere Frau, »was ist denn Ihnen? Sie sehen ja käseweiß auf einmal aus, darf ich Ihnen eine Herzstärkung anbieten?« »Danke, danke!« antwortete Butler, dem es aber sichtlich schwer wurde, zu sprechen. »ich bin gestern zu Fuß von Dumfries herübergekommen, und heute haben wir's übermäßig warm.« »Setzen Sie sich doch ein bißchen,« sagte Frau Saddletree, ihm mit der Hand herzlich auf die Schulter klopfend, »wie können Sie sich nur immer soviel zumuten! Sie holen sich noch einmal den Tod, passen Sie auf! Aber werden Sie denn die Anstellung bekommen? Darf man etwa schon gratulieren?« »Ja und nein!« versetzte der junge Mann, nicht ohne Verlegenheit; aber Frau Saddletree ließ nicht locker, halb aus Neugierde, halb aus Anteilnahme. »Was? Sie wissen noch nicht, ob Sie die Schule in Dumfries bekommen werden?« fragte sie weiter; »und haben sich doch den ganzen Sommer schon drum geplackt?« »Nein, Frau Saddletree,« sagte er, doch mit weit mehr Ruhe und Fassung als vordem, »ich bekomme die Stelle nicht! Der Laird von Blackbane hat einen natürlichen Sohn, und den hat er Geistlicher werden lassen. Nun weigert sich aber die Klerisei, ihn zu ordinieren – und deshalb –« »Genug, genug!« sagte die Frau; »wenn so ein Laird einen verarmten Vetter hat oder gar einen unehelichen Jungen, dann wird allemal Rat geschafft für eine anständige Versorgung. Und nun sind Sie wieder in Libberton und warten auf den Tod des Herrn Whackbairn? aber der kann so alt werden wie Sie!« »Das kann wohl sein,« versetzte Butler, seufzend; »und wie käme ich dazu, es anders zu wünschen?« »Freilich, freilich,« sagte Frau Saddletree, »es ist eine garstige Sache, solche abhängige Lage! und Sie verdienten es doch wahrlich besser! Ich kann es gar nicht fassen, wie Sie das alles so ertragen können!« »Quos diligat, castigat« [Wen Gott lieb hat, den züchtigt er], erwiderte Butler, »in widrigen Zufällen erblickte schon der Heide Seneca ein Heil. Die Heiden hatten ihre Philosophie, die Juden ihre Offenbarung, meine liebe Frau Saddletree, um sich in den Tagen der Trauer aufzurichten; uns Christen aber ist ein besserer Trost zu teil geworden als allen andern – und trotzdem ...« Er schwieg und seufzte. »Ich weiß schon, was Sie sagen wollen,« versetzte Frau Saddletree, ihren Mann anblickend, »und trotzdem wir Bibel und Gebetbuch haben, fehlt es uns doch zuweilen an Geduld. Aber Sie dürfen mir jetzt nicht fort. Sie sehen ja gar zu angegriffen aus, nein, nein! bleiben Sie nur hübsch bei uns und essen Sie einen Teller Suppe mit!« Herr Saddletree legte sein Lieblingsbuch, Balfours Werk »Ueber Rechtsfragen«, beiseite, um der Einladung seiner Frau Nachdruck zu geben; aber der Lehrer lehnte die Einladung ab und ging auf der Stelle. »Es muß doch seine besondere Bewandtnis mit dem Herrn Butler haben,« meinte Frau Saddletree, indem sie ihm die Straße hinauf nachblickte, »er ist doch gar so betrübt über das Unglück, das Effie Deans betroffen hat, und ich wüßte wirklich nicht, daß sie Bekanntschaft gehabt hätten. Nachbarskinder waren sie ja, als David Deans noch Pächter vom Laird von Dumbiedike war, und daß Herr Butler mit dem Vater oder sonst einem von der Verwandtschaft näher bekannt gewesen, mag ja sein. Aber so steh doch nur auf, Saddletree, Du sitzest ja auf der Halfter, die geflickt werden soll. Da kommt endlich der Willie, unser Lehrbursch, heim. Schlingel, was mußt Du den ganzen Tag hinter Leuten her sein, die gehenkt werden sollen? Wie möchte Dir's zu Mute sein, wenn Du 'mal an die Reihe kämest? und wenn Du Dich nicht gewaltig besserst, kann's Dir eher passieren als nicht. He! was stehst Du noch da und flennst, als ob Dir's gleich ans Leben ginge? Marsch, hinein; und betrage Dich nächstes Mal besser! die Peggy soll Dir einen Teller Suppe geben, wirst wohl tüchtigen Hunger mit heimgebracht haben? Na, das kann man sich denken!« Sich zu ihrem Manne wendend, setzte sie noch hinzu: »Aber rede nicht erst, Saddletree, der Junge hat ja weder Vater mehr noch Mutter, es ist bloß Christenpflicht, daß man sich seiner recht annimmt!« »Freilich, freilich,« sagte Saddletree, »wir befinden uns ihm gegenüber, so lange er nicht minderjährig ist, in loco parentis [an Vaterstelle] Habe ja schon im Sinne! gehabt, mich vom Waisenamt, da kein Vormund ernannt worden, loco tutoris [an Vormundstelle] stellen zu lassen, fürchte bloß, die Kosten des Verfahrens möchten sich nicht rem versam [der Sache zu gunsten] verhalten, denn ob der Junge was hat, was die Verwaltung lohnen möchte, ist mir nicht bekannt,« Er schloß den Satz mit einem wichtigtuerischen Gehüstel, wie jemand, der eine Rechtsfrage mit apodiktischer Sicherheit gelöst zu haben meint. »Was soll denn der arme Junge im Vermögen haben?« erwiderte Frau Saddletree; »Lumpen hat er gehabt, als ihm die Mutter starb, und die blaue Kutte, die ihm Effie aus einem alten Mantel von mir zurechtgeschneidert hat, war das erste ordentliche Stück, das er auf dem Leibe gehabt hat! Die arme Effie! Mit all Deiner Rechtsweisheit kannst Du mir also nicht reinen Wein darüber schenken, ob Gefahr für ihr Leben vorhanden, sofern ihr der Beweis geliefert wird, daß ein Kind dagewesen ist?« »Nun,« versetzte Saddletree, herzensfroh, daß seine Frau sich endlich einmal mit einer Rechtsfrage an ihn wandte, »es gibt zweierlei Fälle von murdrum oder murdragium oder, wie ihr es vulgariter oder populariter nennt, Mord. Das heißt, ich meine, es gibt davon verschiedene Arten, beispielsweise einen murthrum Frauensmißbrauch.« »Das ist wohl diejenige Weise, die von den Adligen uns Handelsleuten gegenüber verbrochen wird,« meinte die Frau, »das heißt, wenn sie uns indirekt zwingen, unsere Läden zu schließen, aber das ist doch nicht Effies Fall, und ich frage Dich doch danach.« »Bei Effie oder Euphemia Deans,« nahm Saddletree wieder das Wort, »liegt mutmaßlicher Mord vor, das heißt ein solcher, den das Gericht auf gewisse Indizien oder Verdachtsgründe stützt.« »So müßte Effie, wenn sie ihren Zustand nicht jemand mitgeteilt hätte, an den Galgen, auch wenn das Kind tot auf die Welt gekommen wäre oder nur im Augenblick der Geburt gelebt hätte?« fragte die Frau voller Angst. »Entschieden,« erklärte Saddletree, »denn dies Gesetz ist von Ihren königlichen Majestäten erlassen worden, in der Absicht, das abscheuliche Verbrechen der heimlichen Geburt aus der Welt zu schaffen. Mit diesem Mordkapitel befaßt sich das Gericht mit Vorliebe, weil es sich seine Existenz besonders auf den Leib zugeschnitten hat.« »Wenn das der Fall ist,« erwiderte Frau Saddletree, »dann verdienten ja die Gerichte selbst gehängt zu werden, und wenn mal ein Advokat dafür an die Reihe käme, würde auch niemand eine Träne vergießen.« Peggy rief zum Essen, und so hatte die Unterhaltung ein Ende, was vielleicht recht gut war, denn sie hätte sonst wohl einen Abschluß gefunden, der für Recht und Gesetz weniger schmeichelhaft gewesen wäre, als sich Herr Saddletree, beider erklärter Bewunderer, beim Beginne hätte träumen lassen. Viertes Kapitel Butler lenkte seine Schritte vom »goldnen Hengst« zu einem mit Gerichts- und Rechtssachen bewanderten Bekannten, von dem er über die Lage des armen Mädchens, deren Schicksal ihm, wie der Leser wohl bereits erraten haben mag, aus tieferer Ursache als bloßer Menschlichkeit am Herzen lag, Aufklärung fordern wollte. Aber er traf den Mann nicht zu Hause, und auch bei anderen Leuten, die er für Effie zu interessieren hoffte, war seine Vorfrage umsonst, denn durch den Fall Porteous waren alle Gemüter in solcher Erregung, daß niemand für etwas anderes Sinn hatte als darüber zu diskutieren, ob die Regierung im Recht sei, den Hauptmann der Edinburger Bürgergarde zu begnadigen oder nicht. ... Solche Diskussion macht Durst, und daher kam es, daß die meisten Edinburger Advokaten mitsamt ihren Schreibern – und unter ihnen befanden sich gerade die Bekannten, bei denen sich Butler Rat holen wollte – in Schenken und Kneipen herumsaßen, wo sie bessere Muße hatten zu diskutieren als in ihren Kanzleien. Nach einer höchst mäßigen Schätzung soll an diesem Tage in Edinburg soviel Bier konsumiert worden sein, daß man ein Kriegsschiff damit hätte flott machen können. Butler lief den ganzen Tag umher, bis es Abend wurde; denn er hatte sich vorgenommen, die unglückliche Gefangene, ohne bemerkt zu werden, im Stockhause aufzusuchen. Um nicht an Sadlletrees Laden vorbei zu müssen, der in der Nähe des Stockhauses lag – denn er mochte aus dem Munde seines Inhabers nichts weiter mehr hören – schlug er einen Weg ein, der ihn von anderer Richtung zu dem altersgrauen Baue führte, der aus heute nicht mehr verständlichen Gründen mitten in die eigentliche Hauptstraße von Edinburg eingezwängt worden ist, einen Haufen zusammengedrängter Häuser und Buden bildend, die zusammen die Bezeichnung »Luckenbooths« führen. Dazwischen ist nur nach Norden hin ein schmales Gäßchen offen gelassen worden, das sich zwischen den hohen, dunklen Mauern des Stockhauses hindurchschlängelt, nach Süden hin aber zu einem bloßen krummen Gange wird. Zwischen den gotischen Pfeilern und Vorsprüngen hatten sich allerhand Krämer und Trödler eingenistet, deren Auslagen das düstere Bild, das diese Stätte zeigt, einigermaßen aufheiterten. Als Butler unter das gotische Portal trat, war der Schließer, ein langer, hagerer Greis, gerade damit beschäftigt, die mächtigen Riegel vorzuschieben. Butler sprach ihn an und verlangte, zu der des Kindesmordes angeklagten Effie Deans geführt zu werden. Der silberhaarige Greis griff aus Respekt vor der schwarzen Tracht Butlers und seinem an einen Geistlichen erinnernden Aussehen höflich an den Hut, erklärte aber, es sei heut nicht mehr an der Zeit, jemand in das Gefängnis zu führen. »Ihr schließt heute früher als sonst,« erwiderte Butler, »wohl wegen des Hauptmanns Porteous?« Der Schließer nickte ein paarmal geheimnisvoll, langte einen fast zwei Fuß langen Schlüssel von dem Bunde, das er in der Hand hielt, und schob eine starke Stahlplatte, die mittels einer Stahlfeder und eines Springschlosses in die Falzen einsprang, über das Schlüsselloch. Butler blieb instinktiv stehen, bis der Schließer kein Geräusch mehr machte, warf dann einen Blick auf die Uhr und ging schnellen Schrittes die Straße hinauf, unwillkürlich die Vergil-Verse vor sich her murmelnd: Porta adversa, ingens, solidoque adamente columnas; Vis ut nulla virum, no ipsi excindere ferro Colicolae valeant – stat ferrea turris ad auras. Vorn das gewaltige Tor, aus festem Demant die Säulen, Das nicht Männergewalt, selbst nicht der Unsterblichen Angriff Zu durchbrechen vermag. Hoch strebt ein eiserner Turm auf.                                                       Aeneis, VI. 552. Er versuchte es zum andern Male, den Bekannten aufzusuchen, von dem er sich Rat holen wollte, aber wiederum ohne Erfolg, und so hielt er es endlich an der Zeit, der Stadt den Rücken zu wenden und sich nach dem eine reichliche Stunde entfernten Dörfchen zu begeben, wo er seine bescheidene Wohnung hatte. Edinburg war damals von einer hohen Mauer umzogen, deren, Tore allabendlich geschlossen wurden. Wer später noch herausgelassen werden wollte, mußte dem Pächter einen Obolus entrichten; das vertrug sich aber mit den kargen Verhältnissen, in denen Butler lebte, nicht, so geringfügig der Betrag auch war, den er dafür hätte opfern müssen, und so suchte er das am Marktende gelegene westliche Tor zu gewinnen, wo er noch ohne Obolus durchzuschlüpfen hoffen durfte. Es glückte ihm auch, bis zu der kleinen Vorstadt Portsbourgh auf diesem Wege zu gelangen, die vorzugsweise von Kleinbürgern und Handwerkern bewohnt wird. Hier aber stieß er auf ein unerwartetes Hindernis. Es war schon vor ein paar Minuten der Schall von Trommelwirbeln zu seinen Ohren gelangt, und nun sah er plötzlich einen Zug Menschen sich entgegenkommen, der die ganze Breite der Straße einnahm, und an den sich noch ein langer Schweif von Mitläufern fügte. An der Spitze marschierte ein Tambour, der eine Art Generalmarsch schlug. Während er noch mit sich zu Rate ging, wie er dem Haufen, der sicher nichts Gutes vorhatte, am besten aus dem Wege ginge, hatten ihn die vordersten bereits erreicht und hielten ihn fest. »Ihr seid doch Geistlicher?« fragte der eine, offenbar der Rädelsführer. Butler antwortete, er gehöre wohl dem geistlichen Stand an, sei jedoch kein ordinierter Prediger »Der Butler aus Libberton ist's,« rief eine Stimme aus dem Haufen, »ich kenne ihn gut, der kann die Sache ebenso gut verrichten wie jeder andere Schwarzkittel!« »Ihr müßt mit uns umkehren,« sagte der erste wieder in gebieterischer, aber nicht unhöflicher Weise. »Und weshalb, wenn ich fragen darf?« versetzte Butler; »ich wohne eine reichliche Meile von Edinburg. Die Wege find zur Nachtzeit unsicher. Wenn Ihr mich zu solchem Aufenthalte nötigt, setzt Ihr mich in großen Verdruß.« »Ihr werdet sicher nach Eurem Dorfe hinaus gebracht werden, Herr Butler. Ich stehe dafür ein, daß Euch heute nacht kein Haar gekrümmt werden soll. Aber Ihr müßt jetzt mitkommen, das geht nicht anders.« »Und zu welchem Zwecke, meine Herren?« fragte Butler; »darüber werdet ihr mich hoffentlich nicht im unklaren lassen?« »Wenn es so weit ist, werdet Ihr es auch erfahren,« lautete die Antwort. »Jetzt macht Kehrt und zwingt uns nicht erst, Gewalt zu brauchen. Merkt Euch, daß Ihr weder nach rechts noch nach links ausschaut, auch keinem Menschen ins Gesicht seht, sondern alles hinnehmt, wie es an Euch hertritt und so, als sei es Euch im Traume passiert!« »O, wenn es ein Traum auch wäre!« sagte Butler bekümmert zu sich selbst und wandte sich, da er einsah, daß ihm eine Weigerung nichts helfen könnte, dem Haufen zu. Von zwei der vordersten gehalten, marschierte er nun dem Tore wieder zu, das er gerade erst hinter sich gebracht hatte. Den dort postierten Wächtern wurden die Schlüssel entwunden. Dann ging es zu dem kleinen Tore, das Butler, um den Obolus nicht zu entrichten, gemieden hatte. Dem vor Angst und Schreck halb ohnmächtigen Wächter wurde befohlen, die Pforte zu verrammeln; da er aber mit seinen zitternden Händen zu lange Zeit dazu brauchte, griffen welche von der Schar zu und verrichteten die Arbeit beim Schein ihrer Fackeln selbst. Butler sah nun unwillkürlich, in welche Hände er geraten war. Unter denen, die den Zug anzuführen schienen, fielen ihm einige auf, die nach Schifferart gekleidet waren; dann sah er Leute in langen Kaftanen und Schlapphüten; wieder andere waren wie Weiber gekleidet, doch stand hiermit weder ihre tiefe, rauhe Stimme noch ihre herkulische Gestalt im Einklange. Die Menge handelte augenscheinlich nach einem vorgefaßten festen Plane. Sie hatte bestimmte Zeichen und Signale vereinbart, man rief einander mit Namen, die sicher nicht den in den bürgerlichen Verhältnissen üblichen entsprachen, sondern nur für die vorstehende Gelegenheit geschaffen waren. Am meisten hörte Butler den Namen: Wildfire, [Wildfeuer (Die englische Form muß, späterer Wortspiele halber, beibehalten werden.)] und merkte bald, daß er einem der wie Weiber gekleideten Männer gehörte. Als Posten am westlichen Tore war ein kleiner Trupp zurückgelassen worden. Den Torwächtern wurde streng anbefohlen, keinen Fuß aus dem Schilderhause zu setzen und, sofern ihnen ihr Leben lieb sei, jeden Versuch zur Wiedernahme des Tores zu unterlassen. Dann ging es unter Trommelschlag durch die Straßen der Stadt dem Markte zu. Die Menge, die erst nur ein paar hundert Köpfe gezählt hatte, schwoll nun zu Tausenden an. Quer vor dem Ausgange der High-Street liegt das untere Bow-Tor, Edinburgs »Temple-Bar«, wie man es füglich nennen könnte, das die Stadt von Canongate, wie Temple-Bar London von Westminster, scheidet. Diesen Zugang in ihren Besitz zu bringen, war für die aufrührerische Menge von der größten Wichtigkeit, denn in Canongate lag zurzeit unter dem Kommando des Obristen Moyle ein Regiment Infanterie im Quartier, das die Stadt leicht hätte besetzen, mithin die Absicht der Ruhestörer vereiteln können, wenn es auf diesem Wege Zugang zur Stadt gefunden hätte. Es gelang jedoch, sich auch dieses Tores zu bemächtigen, und zwar mit ebensowenig Mühe, wie alle übrigen Tore. Auch hier wurde ein Trupp zurückgelassen, der Wichtigkeit des Platzes angemessen von größerer Stärke als an den übrigen. Nun galt es, das Wachtlokal der Bürgergarde einzunehmen und sich in Besitz der dort befindlichen Waffen zu setzen. Da niemand in der Stadt solchen Aufruhr vermutet hatte, war es ziemlich schwach besetzt. Die davor befindliche Schildwache legte zwar ihre Muskete an und schrie der Menge ein drohendes Halt zu; aber das von Butler bereits mehrmals beobachtete Mannweib war mit einem Sprunge neben dem Soldaten, riß ihm die Muskete aus der Hand und warf ihn zu Boden. Wer sich von der Bürgergarde weiter zur Wehr setzte, erlitt dasselbe Schicksal, und verhältnismäßig leicht hatte der Pöbel die Wache in seinen Besitz gebracht. Die Gardisten wurden entwaffnet und heimgeschickt, und trotzdem sie bei Andrew Wilsons Hinrichtung auf das Volk geschossen hatten, wurde doch keinem einzigen von ihnen ein ernstliches Leid zugefügt; es hatte ganz den Anschein, als wolle das Volk sich an niemand vergreifen als allein an demjenigen, dem es alle ihm angetane Unbill beimessen zu sollen meinte. Was man im Wachtlokale an Waffen vorfand, wurde nun unter die kühnsten der Schar verteilt. Bislang war von seiten der Anführer noch kein Wort gefallen über den eigentlichen Zweck, den die Meuterei verfolgte. Als aber nun alle Vorkehrungen getroffen waren, die ein Gelingen des gefaßten Planes zu verbürgen schienen, erscholl plötzlich der Donnerruf: »Nach dem Kerker! Zu Porteous! Zu Porteous!« Noch immer erachtete es jedoch der eigentliche Anführer für geboten, keine Vorsicht außer acht zu lassen. Er stellte eine starke Abteilung den Buden gegenüber rechts und links der Straße auf, um den weiter vorn geschilderten Durchgang zu sperren, und ließ das ganze Stockhaus umzingeln, damit von keiner Seite etwas gegen die Menge unternommen werden könne. Mittlerweile war aber Kunde von dem Aufruhr zu der Stadtobrigkeit gedrungen, und die Mitglieder derselben hatten sich in einem Gasthof zusammengefunden, um über die zum Schutze der Stadt und des Stockhauses zu ergreifenden Maßregeln zu beraten. Zunächst wandte man sich an die Zunftältesten, die jedoch rundweg erklärten, zur Rettung eines so allgemein verhaßten Menschen wie des Hauptmanns der Bürgergarde nichts tun zu können. Nun wurde auf einem Umwege der Kommandant der in Canongate quartierten Infanterie durch Boten in Kenntnis gesetzt; er weigerte sich aber, ohne eine schriftliche Order den ihm angesonnenen Sturm auf das untere Bowtor zu unternehmen; zu einer solchen wollte sich aber, erschreckt durch das Porteous drohende Schicksal, der Bürgermeister nicht bequemen. Ein weiterer Versuch, Hilfe von der Burg zu requirieren, scheiterte daran, daß die davor postierten Aufrührer niemand den Zugang gestatteten. Wer von den Stadtbewohnern sich auf die Straße hinaus wagte, wurde entweder festgehalten oder gezwungen, wieder in seine Wohnung zurückzukehren. Auf diese Weise geschah es, daß zu manchem »Spielchen« die nötigen Teilnehmer nicht zusammenkamen; denn auch keine Sänfte, damals in Edinburg das Verkehrsgerät der vornehmen Welt, durfte passieren, ungeachtet der glitzernden Lakaien mit leuchtenden Fackeln, von denen jede Sänfte umgeben war. Nunmehr rückte ein auserlesener Trupp gegen das Stockhaus selbst vor und donnerte, Einlaß begehrend, gegen die Tore. Da sich der Schließer aber, sobald der Tumult anhob, mit seinen Schlüsseln aus dem Staube gemacht hatte, rückte und rührte sich nichts an den Toren. Alle Versuche, sie einzuschlagen, blieben fruchtlos, denn gegen die starken Eisenbeschläge der eichenen Flügel richtete kein Schmiedehammer, keine Brechstange etwas aus. Butler, der mit hergeschleppt worden war, verlor von den dröhnenden Schlägen der schweren Hämmer fast das Gehör. Er hoffte aber, die Wut des Volkes werde sich an diesem Hindernisse kühlen, wenn nicht mittlerweile von irgendwelcher Seite Hilfe herannahte. Zeitweilig gewann die Aussicht auf solche an Wahrscheinlichkeit. Die Ratsherren hatten nämlich ihre Dienstmannen und solche der Bürgerschaft zu sich herangezogen, die noch nicht allen Mut verloren hatten, sich gegen das drohende Ungewitter aufzulehnen, und rückten nun von dem Wirtshause, wo sie ihre Beratung gepflogen, gegen das Stockhaus vor. Dienstmannen mit Fackeln in der Hand geleiteten einen Herold vor die aufrührerische Menge, um ihr das Aufruhrgesetz zu Gemüte führen zu lassen. Als sie aber den um den Durchgang herum befindlichen Buden sich näherten, wurden sie mit Steinwürfen zurückgetrieben. Ein Ratsdiener war so mutig, einen aus dem Haufen zu packen und ihm die Muskete aus der Hand zu reißen. Da ihn seine Kameraden jedoch im Stiche ließen, wurde er auf der Stelle zu Boden gerissen und entwaffnet; aber auch gegen ihn unternahm die Menge nichts weiter, sondern ließ ihn laufen. Die Ratsherren machten zwar noch verschiedene Versuche, sich Gehör zu verschaffen, mußten zuletzt aber einsehen, daß hier alles umsonst sei, und daß ihnen, wenn sie ihr Leben nicht gefährden wollten, nichts anderes übrig bliebe, als den Aufrührern das Feld zu lassen. Besser hielt sich noch immer das Stockhaus selbst, denn seine Tore widerstanden allen Versuchen einer gewaltsamen Oeffnung. Das Getöse der schweren Hämmer, die nach wie vor gegen das Portal schmetterten, mußte bis zur Burg hinauf dringen und die Besatzung derselben alarmieren, und nicht lange, so ging unter der Menge das Gerede, es wären Soldaten von dorther im Anmarsche, ja sogar Geschütze würden aufgefahren, sie auseinander zu treiben. Was zunächst durch solches Gerücht bewirkt wurde, war, daß die Menge ihre Angriffe auf die Kerkertore mit verstärktem Eifer ausführte. Aber sie leisteten nach wie vor Widerstand. Da ertönte der Ruf aus der Menge: »Feuer! Feuer!« und nun wurde Teer in Tonnen zur Stelle geschafft. Nicht lange, so schlug die Lohe an dem Tore empor, das Feuer wurde mit allen nur irgend erreichbaren Brennstoffen gespeist, und bald verkündete wildes Geschrei, daß das Tor zu brennen anfange und bald keinen Widerstand mehr leisten werde. Der Flammenschein traf die wilden Gesichter der den Platz füllenden Menge und die bleichen, von Angst verzerrten Gesichter der in den Häuserfenstern liegenden Bürger. Da kam ein anderer Ruf: »Die Tür kracht!« Das Feuer wurde gedämpft, der Brand gelöscht, aber die Rasenden sprangen über die Glut hinweg in das Stockhaus hinein, daß die Funken hochstoben, und nun ward es Butler zur grausen Gewißheit, daß der unglückliche Hauptmann Porteous der Wut des Edinburger Pöbels verfallen sei, und daß keine Macht ihn mehr werde retten können. Fünftes Kapitel Hauptmann Porteous hatte die verschiedensten Stimmungen an diesem Tage durchlebt: erst hatte er es nicht für möglich gehalten, daß, nachdem das Schwurgericht das Todesurteil über ihn verhängt, die Staatsregierung zu seinen Gunsten intervenieren werde, und weidlich Trübsal geblasen; als ihm aber die Nachricht gebracht wurde, daß dieser Fall doch eingetreten sei, hatte sich wilde Freude seines Herzens bemächtigt und er wiegte sich in der Hoffnung, seiner Begnadigung überhaupt sicher zu sein. Manche aber, die es wirklich gut mit ihm meinten, hatten aus dem eigentümlichen Verhalten des Volkes bei Verkündigung des Urteilsaufschubs auf ganz andere Dinge geschlossen und dem Freunde geraten, ohne Säumen die vorgesetzte Behörde um Ueberführung nach der Burg zu ersuchen. Porteous aber, der niemals eine hohe Meinung von dem Mut und der Energie eines städtischen Pöbels gehabt hatte, hielt jeden Versuch, gegen das feste Stockhaus einen Angriff zu unternehmen, für ein Unding und erklärte, da bleiben zu wollen, wohin man ihn wider Recht und Gesetz gesteckt habe. Er verlebte den für ihn so glücklichen Tag in dulci jubilo, gab seinen guten Bekannten zur Feier desselben einen fulminanten Schmaus und hatte nicht ermangelt, sich hierbei einen tüchtigen Rausch anzutrinken. In diese Fidelitas hinein, an der sich auch der Gefängnisinspektor, ein alter guter Freund des ehemaligen Hauptmanns der Bürgergarde, beteiligte, schallte plötzlich von der Straße herauf das wilde Geschrei der aufrührerischen Menge. Gleich darauf erschien der Schließer mit der Kunde, daß sich der Pöbel aller Stadttore, wie auch des Wachtlokals der Bürgergarde bemächtigt habe und nun das Stockhaustor einzuschlagen versuche. Vielleicht wäre es auch jetzt noch dem unglücklichen Hauptmanne möglich gewesen, sich zu retten, wenn er sich hätte entschließen können, mit seinen Zechkumpanen in einer geschickten Verkleidung zu entfliehen. Aber er konnte sich zu keinem Entschlusse aufraffen, und seine Bekannten und Freunde suchten so schnell wie möglich die eigene Haut in Sicherheit zu bringen. Da war draußen wieder plötzlich Ruhe eingetreten, und Porteous hatte sich ein paar Augenblicke in der Zuversicht gewiegt, daß von irgend einer Seite her Militär gegen den Pöbel im Anrücken befindlich sei und ihn befreien werde. Bald aber belehrte ihn der Feuerschein eines andern, freilich nicht Besseren. Jetzt blieb ihm bloß ein Weg noch zur Flucht, der durch den Kamin. Er zauderte nicht, wurde aber bald inne, daß ihm die eisernen Gitter, die in den Schornsteinen von Gefängnissen eingesetzt werden, den Häftlingen den Ausbruch zu erschweren, das Emporklimmen unmöglich machten. Da aber der Lärm von Schritten auf den Gängen verriet, daß die Menge bereits in das Stockhaus eingedrungen sei, suchte er sich wenigstens an den Gittern festzuhalten und so zu verbergen. Es war der Strohhalm, an den sich der Ertrinkende klammert! Bald erhellte Fackelschein seine Zelle, die durch ein paar Sträflinge den Aufrührern verraten worden war, und nicht lange währte es, so hatten ihn seine Verfolger aus seinem Schlupfwinkel gezerrt und schleppten ihn unter dem Johlen der Menge die Treppe hinunter auf die Straße. Hier richtete sich mehr denn eine Muskete auf ihn; aber der als Mannweib kostümierte Verschworene, der schon mehrfach Butlers Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hatte, rief: »Musketen weg! Seid ihr verrückt, Kerle? An dem Orte soll der Wicht vom Leben zum Tode gebracht werden, wo er das Blut sovieler Kameraden von uns freventlich vergossen hat!« Wildes Beifallsgeschrei lohnte dem Redner, und von allen Seiten her erscholl jetzt der Ruf: »Zum Galgen! Zum Galgen! Auf den Grasmarkt mit dem Mörder!« »Daß ihm keiner was antue!« fuhr der Anführer fort; »wenn er kann, soll er seine Rechnung mit dem Himmel machen. Durch uns soll seine Seele nicht mit dem Leibe verderben.« »Hat er besseren Menschen Zeit dazu gelassen?« rief ein anderer aus der Menge; »wozu sollen wir ihm was Besonderes vergönnen?« Aber die Meinung des ersten gewann die Oberhand; dem Hauptmann wurde anbefohlen, seinen letzten Willen aufzusetzen, und ein schuldenhalber im Stockhaus sitzender Kaufmann übernahm das Schriftstück zur Besorgung an die Behörde. Den übrigen Arrestanten wurde erlaubt zu fliehen, und natürlich ließ sich keiner dazu nötigen: manche schlossen sich mit Jubel dem Haufen der Aufrührer an, andere suchten auf Nebenwegen bekannte Schlupfwinkel und Diebshöhlen zu erreichen, wo sie sich besser aufgehoben dünkten; im Stockhause blieben nur zwei zurück: ein Mann von etwa fünfzig und ein Mädchen von etwa achtzehn Jahren. Beide wurden wiederholt aufgefordert, mitzufliehen; der Mann aber sagte, er habe es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, das alte Handwerk an den Nagel zu hängen und ein ehrlicher Mensch zu werden. Es half auch nichts, daß ihm einer, der zu seinen engeren Bekannten gehören mochte, sagte: »Bist ein Esel, Willie; wenn Du bleibst, so mußt Du baumeln!« Er blieb bei seinem Vorsatze und ging in die Zelle zurück. Der Herkules in Weiberkleidern gab sich alle erdenkliche Mühe, das Mädchen zur Flucht zu bestimmen. »Komm mit, Effie, komm mit!« rief er ihr zu. Aber sie sah ihn verwundert an; Furcht, Liebe, Tadel, Schmerz sprachen zugleich aus ihrem Blicke. »Komm mit, Effie!« sagte er noch einmal, »bei allem, was Dir lieb und teuer ist, beschwöre ich Dich, komm mit!« Aber sie konnte kein Wort der Erwiderung finden, nur ihr Auge starrte auf den Mann, so lange er vor ihr stand und in sie drang, zu fliehen. Da scholl wilder Lärm von unten herauf, dann der Name: »Madge Wildfire! Madge Wildfire!« – Mit fliegender Hast raunte der, dem der Ruf galt, dem Mädchen nochmals zu: »Effie, komm mit! bei allem, was Dir lieb und teuer ist! um Deinet-, um meinetwillen, komm mit!« Sie schüttelte den Kopf. »Effie!« rief er noch einmal, »sie hängen Dich! sie hängen Dich!« Verwundert, verstört, blickte sie ihm nach. »Besser so,« sprach sie leise vor sich hin, den Kopf auf die Hand stützend, »der gute Name ist doch einmal hin!« Ohne des Lärms zu achten, der noch immer um sie her tobte, blieb sie, bewegungslos wie eine Bildsäule, sitzen. Die Menge zog zum Grasmarkte, mit ihrem unglücklichen Opfer in der Mitte. »Fünfhundert Pfund sollt Ihr haben,« raunte Porteous dem an seiner Seite befindlichen Wildfire zu, »wenn Ihr mich aus der Patsche rettet.« Den krampfhaften Händedruck des Unglücklichen zurückgebend, versetzte Wildfire: »Nicht Zentner geprägten Goldes können Euch lösen, Porteous. Gedenket Andrew Wilsons!« Ein paar Minuten lang war es still zwischen den beiden. Dann setzte Wildfire hinzu: »Macht Eure Rechnung mit dem Himmel, Hauptmann!. Wo ist der Pfaffe?« Butler, bislang unfern dem Kerkertore zwischen Furcht und Entsetzen festgehalten, wurde herbeigeführt. Wildfire gebot ihm, an die Seite des Gefangenen zu treten. Butler richtete die Bitte an die Aufrührer, ihr schlimmes Tun zu bedenken. »Ihr seid nicht Richter dieses Mannes,« sprach er, »nicht bei Euch ist es, über Leben und Tod eines Eurer Mitmenschen zu entscheiden, und mag er den Tod auch zehnmal verdient haben. Im Namen Dessen, der die Gnade in Person ist, tauchet nicht Eure Hände in das Blut dieses Unglücklichen, sondern laßt ihm Gnade widerfahren! Vergeßt nicht, daß Ihr im Begriffe steht, das gleiche Verbrechen zu begehen, das Ihr Euch zu rächen anschickt.« Einer aus dem Haufen schrie: »Macht, daß Ihr mit Euren Wischiwaschi zu Ende kommt! Das könnt Ihr Euch auf der Kanzel leisten, aber nicht hier unter freiem Himmel. Oder wollt Ihr, daß wir Euch zusammen mit dem Hauptmanne aufknüpfen?« »Ruhig!« rief Wildfire; »laßt den Mann reden! was tut er anders, als was sein Gewissen ihm vorschreibt! Mir ist er nicht minder lieb darum.« Darauf wandte er sich an Butler: »Wir haben Euch ruhig angehört, aber das merket Euch: eher könnt Ihr die Steinwände des Stockhauses zum Wanken bringen als uns in unserm Entschlusse. Blut fordert Blut. Und daß Porteous den Tod erleide, haben wir uns mit tausend Eiden geschworen. Verdient hat er ihn reichlich. Darum sparet Eure Worte und bereitet ihn auf das Ende vor! Wir haben nicht viel Zeit mehr.« Der Hauptmann hatte sich, um leichter durch den Schornstein zu entkommen, Rock und Schuhe ausgezogen. Man hatte ihm erlaubt, in den Schlafrock zu fahren, und so wurde er auf die kreuzweis übereinander gelegten Hände zweier Aufrührer gesetzt – »das Kissen des Königs«, wie es in Schottland heißt – Butler wurde von neuem aufgefordert, dem Todeskandidaten den letzten Trost zu spenden: eine durch die seltsamen Umstände, die ihn hierher geführt hatten, für ihn doppelt traurige Obliegenheit. Porteous machte nun selbst einen Versuch, die Gemüter seiner Henker zur Gnade zu stimmen. Als er aber erkannte, daß solches Mühen vergeblich sei, gewann er rasch seine Fassung, denn sein militärischer Sinn sträubte sich gegen jede Schwäche. »Seid Ihr vorbereitet auf solch schreckliches Ende?« fragte ihn Butler mit zitternder Stimme. »O, wendet Euch zu Ihm, der Zeit und Raum nicht kennt, vor Dem eine Minute als Leben, und ein Leben als Minute gilt.« »Was Ihr sagen wollt, weiß ich,« versetzte Porteous, »aber ich bin Soldat und habe als solcher ein Leben hinter mir. Mögen meine Sünden und mein Blut über diejenigen kommen, die mich vor der Zeit vom Leben zum Tode bringen!« »Und wer war es,« fragte mit ernster Stimme Wildfire, »der hier an diesem selben Orte dem unglücklichen Wilson, als er durch die marternden Fesseln am Beten verhindert war, die höhnischen Worte zurief, es lohne sich nicht mehr, denn es würde ja doch bald mit ihm vorüber sein?. Ist es Euch nicht möglich, aus den ermahnenden Worten dieses Herrn Nutzen für Eure Seele zu ziehen, so schleudert wenigstens nicht Vorwürfe wider die, so milder mit Euch verfahren als Ihr mit andern verfuhret!« Man hatte den Richtplatz erreicht. Langsam und ernst, unter dem Geleit von Fackelträgern, bewegte der Zug sich, noch immer mit dem über die Menge ragenden unglücklichen Opfer in der Mitte, der Stelle zu, wo der Galgen zu stehen pflegte. Ihn selbst aus dem Schuppen des Stadthauses zu holen, war nicht rätlich, denn es wäre darüber zuviel Zeit verstrichen. So brach man die Bude eines Seilers auf und raubte ein Tau daraus, ließ aber eine Guinee dafür auf dem Ladentische zurück. Hierauf grub man ein Loch, in das ein Pfahl gerammt wurde. Noch einmal versuchte Butler, uneingedenk der eigenen Sicherheit, das Volk zur Milde zu stimmen und von seinem schrecklichen Beginnen zurückzuhalten. Auch der Hauptmann richtete ein paar Worte an die Menge: »Ich bin kein Mörder,« rief er, »ich handelte nur in dem mir zuerteilten Amte.« – »An den Galgen! an den Galgen!« schrie die rasende Menge. Butler wurde beiseite gestoßen, und ohne sich um die Richtung zu kümmern, die ihm der Zufall wies, floh er wie besessen von dieser Stätte des Grauens. Bald vernahm er ein wildes Johlen, und als er nun voll Entsetzen hinter sich blickte, sah er im grellen Fackelschein, hoch über der Menge, eine menschliche Gestalt baumeln. Wie von Furien gejagt, rannte er die Straße hinunter, in der er sich befand, dem Tore zu. Es war noch verschlossen, denn es gehörte zu denjenigen, die die Aufrührer in ihren Besitz gebracht hatten. Eine Stunde lang rannte er davor hin und her, ehe er sich getraute, die Wächter zu rufen. Wohl waren sie wieder in Freiheit gesetzt, aber es traute sich keiner, seinen Wunsch, das Tor zu öffnen, zu erfüllen. Erst als er sagte, er sei Geistlicher, entschlossen sie sich dazu. »Jawohl, ich kenne ihn,« sagte einer von ihnen: »ich hab ihn in Haddeshole predigen hören und kann mir denken, welch grause Predigt er heut nacht gehalten haben mag. Gott verzeih es ihm!« Zuerst wollte er in sein Dorf zurückkehren. Dann aber kamen ihm allerhand Gedanken anderer Art, die ihn bestimmten, noch in der Nähe der Stadt, in der er heute soviel Schreckliches erlebt, zu bleiben. Er sah viele Menschen an sich vorüberstreichen, während er die letzten Nachtstunden hier zubrachte, und aus ihrer Hast wie ihrem leisen Flüstern ließ sich merken, daß sie bei dem grausen Ereignis beteiligt gewesen waren. Bezeichnend für dasselbe war das schnelle Verlaufen der Menge, als sie ihre Rache gestillt hatte. Bei gewöhnlichen Aufständen pflegt es sich in dieser Hinsicht anders zu verhalten, so lange der Pöbel den Erfolg für sich hat. Hier aber warfen die Leute, als sie sich überzeugt hatten, daß keine Spur von Leben mehr in ihrem Schlachtopfer vorhanden sei, die Waffen auf die Straße und am andern Morgen war außer diesen und dem baumelnden Leichnam von der schrecklichen Szene dieser schrecklichen Nacht nichts mehr zu gewahren. Jetzt trat die Obrigkeit wieder in Funktion, rief Truppen in die Stadt und verhängte eine strenge Untersuchung, trotzdem es ihr noch schwül zu Mute war, wenn sie ihrer Ohnmacht gegen den aufsässigen Pöbel gedachte. Es erwies sich jedoch als unmöglich, auch nur den geringsten Anhalt über den Ursprung des verwegenen Anschlags und die wirklichen Rädelsführer zu finden, so lange und eifrig die Untersuchung auch betrieben wurde. Sechstes Kapitel Es wird nicht leicht einen zweiten Ort in der Welt geben, wo man ein so herrliches Bild vom Sonnenauf- und untergange hat wie die Salisbury-Felsen bei Edinburg, beziehungsweise der wilde Pfad, der sich an ihnen hinaufwindet. Eine großartige Szenerie, die man von dem Rande des steilen Abhanges aus sieht, der sich zur südwestlichen Seite der Hauptstadt Schottlands niedersenkt! Erst die dicht zusammengedrängte, vieltürmige Stadt, an das Bild eines ruhenden Drachens erinnernd; dann ein weit gedehnter, großartiger Meeresarm mit unzähligen Klippen und Inseln und berggekrönten Ufern, zuletzt ein üppiger Landstrich, reich geschmückt durch Täler und Hügel und gesäumt von der malerischen Kette der Pentland-Berge; und in dem Verhältnis, wie sich der Pfad langsam weiter windet, gewinnt das Bild an Schönheit und Pracht, denn sie wechselt in einem fort, und die erhabenen, reizvollen Partien, die sich bald einen, bald scheiden, ergötzen das Auge des Beschauers auf die mannigfachste Weise; diese auch in den verworrensten Massen herrliche Landschaft macht in der Morgen- und Abendbeleuchtung, wenn sich die glänzenden Lichtstellen von den tiefen Schatten magisch abheben, einen fast zauberartigen Eindruck. Von diesem feenhaften Gipfel aus sah Butler am Morgen nach der Ermordung des Hauptmannes die Sonne aufgehen. Das Haus, wohin er unterwegs war, hätte er auf kürzerem, und auch bequemerem Wege erreichen können. Aber es war ihm darum zu tun, sich zu sammeln und bis zu einer schicklichen Stunde zu warten, um bei der Familie, der er einen Besuch zugedacht hatte, nicht Verwunderung oder gar Unruhe zu wecken. Darum blieb er auch jetzt stehen und starrte in die aufsteigende Sonne, in ernstes Sinnen versunken: in Sinnen über die grausen Ereignisse der Nacht, bei der ihm selbst eine traurige Rolle zugefallen war; in Sinnen über die tieftraurige Kunde, die er aus dem Munde der Frau Saddletree vernommen hatte und die ihm noch tiefer zu Herzen ging. Reuben Butler stammte von englischen Eltern, war aber in Schottland geboren. Sein Großvater, Stephan mit Vornamen, – seiner Belesenheit in der Heiligen Schrift wegen »der Bibel-Butler« genannt – hatte in den Bürgerkriegen um Mitte des siebzehnten Jahrhunderts in den Reihen der Independenten, schwärmerischer Begeisterung voll, gefochten und sich, als wieder Ruhe ins Land gekommen war, von einigen Spargroschen das Gütchen Beersheba beim Dorfe Dalkeith in Schottland, wo er unter General Monks im Quartier gelegen hatte, gekauft und eine Bauerndirne zur Frau genommen, war aber bald darauf gestorben und hatte seiner Witwe außer der Sorge für einen dreijährigen Knaben als einziges Erbteil die feindliche Gesinnung eines Nachbarn vom Hochadel hinterlassen. Damals tobte in Schottland allerhand religiöser und politischer Zwiespalt. Der Laird von Dumbiedike fand bald nach dem Tode von Stephan Butler Ursache zu Klagen wider dessen Witwe. Er war ein enragierter Royalist und Katholik und hatte als solcher immer die gute Meinung für sich, im Gegensatze zu der Witwe, die den Glaubensgrundsätzen ihres seligen Mannes treu blieb. Sie wurde demzufolge häufig zu schweren Bußen verurteilt und mit der Zeit so weit gebracht, daß sie ihr Gütchen nicht mehr halten konnte, und als es zur gerichtlichen Versteigerung kam, erstand der Laird von Dumbiedike – und darauf hatte er es natürlich nur abgesehen – das ihm zur Arrondierung seines Grundbesitzes höchst genehme Besitztum. Sobald ihm dieser Plan gelungen war, änderte er plötzlich seine Gesinnung und zog mildere Saiten auf, ja er erklärte sich bereit, der Witwe gegen mäßigen Zins ihr kleines Häuschen mit einem angrenzenden Stück Land zur weiteren Bewirtschaftung zu überlassen. Die Witwe war darauf eingegangen; aber nun wuchs langsam ihr Junge heran und nahm sich, als er das heiratsfähige Alter erreicht hatte, auch ein Weib, mehrte aber dadurch nur das ohnehin schon große Elend in Beersheba. Dessen Sohn nun war Reuben, mit dem wir den Leser in den letzten Kapiteln unserer Erzählung bekannt gemacht haben. Seine Geburt fiel in das Jahr 1703 oder 1704. War der Laird bis jetzt der Witwe ein ziemlich gnädiger Pachtherr gewesen, so steigerte er seine Ansprüche erheblich, als er sah, daß das Gütchen nicht bloß die Witwe, sondern auch deren Sohn mit Frau und Kind ernährte. Es war überhaupt seine Mode, das Pachtgeld nach der Breite zu bemessen, die die Schultern seiner Kätner aufwiesen. Reubens Vater Benjamin war nun zwar ein wortkarger, ziemlich beschränkter, aber sehr kräftiger Mann, der mit allen Fasern an der väterlichen Scholle hing und gegen die Zumutungen des Lairds weder Einwendungen erhob, noch Versuche machte, seinen Stab anderswohin zu setzen. Um den höheren Zins aufzubringen, arbeitete er, ohne Rücksicht auf die Gesundheit, wie ein Pferd und zwang auch sein Weib, zu arbeiten wie ein Pferd. So lange die Ernte gut ausfiel, ging es noch immer, als aber ein paar schlechte Jahre kamen und zu der schweren Arbeit sich der Hunger gesellte, da erkrankte erst der Mann, dann die Frau an typhösem Fieber, und kurz hintereinander starben beide. Nun hatte die alte Großmutter, wie ehedem für den eigenen Sohn, die Sorge für einen unmündigen Enkel, war aber natürlich nicht imstande, das kleine Bauerngütchen so weiter zu bewirtschaften, wie ihr Sohn mit seiner Frau, und so mußte denn die hochbejahrte Witwe des alten Monkschen Reitersmannes von Tag zu Tag erwarten, mit ihrem unmündigen Enkel von dem harten Laird vor die Tür gesetzt zu werden. Die gleiche Not war über eine andere Pächters-Familie des Lairds hereingebrochen, über einen von den sogenannten »Stillen« im Lande, den zähen, unbeugsamen Presbyterianer David Deans, der dem Laird wegen seiner politischen und kirchlichen Gesinnung ganz ebenso verhaßt war, wie es der alte Butler gewesen war, den er aber immer darum noch gelitten hatte, weil er seine Pacht pünktlich bezahlte. Ein paar dürre Jahre machten aber auch ihn mürbe, und so kräftig er sich gegen das ihn bestürmende Ungemach wehrte, so kam es doch auch bei ihm bald zu Pfändungen, so daß er sich zu ungefähr der gleichen Zeit dem gleichen Schicksale ausgesetzt sah, das der Witwe Butlers drohte. Da sollte ein unvermutetes Ereignis die vielen Leute Lügen strafen, die den beiden Pächterfamilien den Bettelstab prophezeit hatten. An dem ihnen von dem harten Laird gesetzten äußersten Zahlungstermine, als ihre Nachbarsleute sich schon bereiteten, ihnen ein paar Tränen des Mitleids zu weihen, keiner von ihnen aber auch nur ein wenig Lust zeigte, die Hand für sie zu rühren, wurde der Pfarrer des Kirchspiels, wie auch ein Edinburger Arzt, durch einen expressen Boten auf das Schloß des Lairds gerufen. Darob waren die beiden Herren höchlich erstaunt, denn der Laird hatte nie ein Hehl aus seiner Geringschätzung der beiden Fakultäten gemacht, denen die Männer angehörten, die er jetzt, obendrein noch zu gleicher Zeit, zu sich auf sein Schloß lud. Sie fanden sich auch dort zu ziemlich gleicher Zeit ein und merkten bald, daß ein gewichtiger Grund vorlag, sie zu zitieren: denn kaum waren sie in das Vorzimmer der Wohnung des Lairds getreten, als sich noch ein dritter Herr zu ihnen gesellte, ein Rechtsanwalt und Notar, Herr Nichil Novit, der übrigens, obwohl zuletzt gekommen, zuerst zum Laird hineingerufen wurde und erst nach einer Weile die beiden andern. Der Laird ruhte in seinem Staatsbett im vornehmsten seiner Gemächer, das nur bei Hochzeits- oder Todesfällen geöffnet wurde, aber auf dem Schlosse, da es der Todesfälle bekanntlich immer mehr gibt als der Hochzeitsfeste, bekannt war unter dem Namen »Sterbezimmer.« Hier fanden die beiden Jünger der genannten Fakultäten noch zwei Personen: den Sohn und Erben des Lairds, einen arg in die Länge geschossenen, exemplarisch blöde aussehenden Jungen von 14–15 und eine robuste Wirtschafterin zwischen 40 und 50 Jahren, die seit dem Tode der Lady das Regiment im Lairdschen Haushalte geführt hatte. An diese zurzeit im Sterbezimmer anwesenden Personen richtete der Laird, in dessen ohnehin ziemlich beschränktem Kopfe jetzt allerhand Gedanken, auf diese und jene Welt bezüglich, einander jagten, die folgende, hieraus erwachsende Ansprache: »Das gibt eine harte Nuß für mich, ihr Herren! Weit härter, als die ich anno 89 knacken mußte, als man mir deshalb aufs Fell rückte, weil ich Papist sein sollte. Und dabei habe ich doch – das dürfen Sie mir, weiß Gott! glauben, Pastor – von papistischer Gesinnung mein Lebtag kein Körnchen im Schädel gehabt! Nimm's Dir zum Exempel, John! Solche Schuld, wie ich jetzt müssen wir mal alle berappen; aber für einen, der nie gern im Leben was berappt hat – daß das nicht erlogen ist, kann dir Nichil Novit bestätigen, der Dir dicht vor der Nase sitzt – ist's ein gar schlimmes Ding! – Novit, vergeßt nicht, vom Meier die fällige Pacht zu kassieren! Wer Schulden bezahlen soll, muß auch kassieren, was ihm andre schuldig sind. – Hast Du 'mal nichts zu tun, John, dann pflanze Bäume, denn Bäume wachsen, dieweil Du schläfst, John: das hat mir schon mein Vater ans Herz gelegt, und zwar vor wenigstens vierzig Jahren; es hat mir bloß immer an der Zeit gefehlt, den Rat zu befolgen. Und trink auch keinen Schnaps in der Frühe, John, denn Schnaps ist dem Magen nicht zuträglich, er versäuert; nimm dafür lieber einen Schluck aqua mirabilis, das Zeug versteht Jenny gut zu brauen. Hol's der Teufel, Doktor, mir wird die Luft so knapp wie einem Pfeifer, der einen Tag lang zur Hochzeit aufgespielt hat. Jenny, rück mir das vertrackte Kissen zurecht! Ach, geh! nutzen wird's auch nichts – Pfaff, Ihr könnt mir doch gewiß ein kurzes Stoßgebet vorleiern? Wer weiß, ob's mir nicht gut täte? Wenigstens könnt's mir ein paar Flausen aus dem Kopfe jagen. Also los, Pfaffe, los!« »Ein Gebet herleiern wie ein Wiegenlied, Laird,« versetzte der würdige Pfarrer, »das kann ich nicht, und wenn Ihr Eure Seele freimachen wollt von Bösem, dann müßt Ihr mir zuvor Euern Sinn offenbaren!« »Ich dächte, meinen Sinn müßtet Ihr kennen,« versetzte der Kranke, »hat mich doch Pfarrer und Vikar seit 89 Geld über Geld gekostet! Da soll ich das einzige Mal in meinem Leben, wo es mich danach gelüstet, nicht mal ein Stoßgebet dafür haben können? Schert Euch, wenn es mit Eurer Weisheit so erbärmlich bestellt ist. Kommt Ihr mal her, Doktor! vielleicht könnt Ihr mir aus der Patsche helfen?« Der Doktor hatte sich inzwischen bei der Wirtschafterin nach dem bisherigen Krankheitsverlaufe erkundigt und erwiderte nun dem Laird, daß er mit all seiner Kunst ihm das Leben nicht erhalten könne. »Dann hol euch beide der Teufel!« schrie der Kranke fuchswild; »was wollt ihr denn hier? Von euch nichts weiter zu hören, als daß ihr mir nicht helfen könnt, darauf pfeife ich, versteht ihr?. Jenny, schaff mir die Kerle aus den Augen! Und Du, John, laß Dir's gesagt sein, gibst Du einem von ihnen auch nur sechs Dreier für den Gang, so sollst Du verflucht sein!« Doktor und Pfarrer zogen sich schnell aus dem Zimmer zurück, während der im Sterben liegende Laird sein Gewissen durch Lästerreden zu betäuben suchte. »Jenny, die Schnapsflasche!« schrie er mit einer seinen Grimm wie seine Qual zugleich verratenden Stimme; »was brauche ich die beiden, da ich doch sterben kann, wie ich gelebt habe?. Aber,« setzte er leiser hinzu, »eins drückt mich schwer, recht schwer, und das spült mir kein Schnaps vom Herzen! die Deans und die alte Butlern. Ich hab sie hart geschunden in den dürren Jahren, und wenn sie jetzt aus dem Hause sollen, müssen sie umkommen, ohne Frage, John, wie steht's heut ums Wetter?« »Es schneit, Vater,« antwortete, nach einem Blick zum Fenster hinaus, der langgeschossene Junge mit Seelenruhe. »Erfrieren werden sie,« sagte der Laird, »und ich – ich werde, wenn's zutrifft, was man mir gesagt hat – bald schmoren!« Diese Worte rangen sich so dumpf und hohl aus der geängstigten Brust des Sterbenden herauf, daß es sogar den Advokaten schauderte, und zum ersten Male in seinem Leben versuchte er es, durch einen frommen Rat einem Sterbenden die letzte Stunde zu erleichtern: er legte dem Laird ans Herz, den beiden vom Unglück so schwer heimgesuchten Familien das ihnen auf hinterhältige Weise genommene Gut wieder zurückzugeben. Aber der Geiz, der so lange in diesem Herzen gewohnt hatte, ließ auch jetzt die Reue nicht aufkommen. »Das geht nicht an, Novit, nein, nein!« rief der Laird in verzweifeltem Tone, »Ihr wißt, wie nötig ich Geld brauche, und Beersheba gehört ja schon von Natur zu Dumbiedike, nein, nein! ich müßte sterben, wenn ich das täte!« »Aber sterben müßt Ihr ja doch!« sagte darauf der Advokat, »und tut Ihr,, was ich Euch sage, dann habt Ihr doch vielleicht einen leichteren Tod! Probiert's doch!« »Kein Wort mehr, Novit, kein Wort mehr davon, sonst schmeiß ich Euch die Schnapspulle an den Kopf! John, Du siehst's, wie mich das auf meinem Sterbebette quält! Höre, sei nicht hart gegen die Leute, ich meine die Butlern und die Deans, John, klammre Dich nicht zu fest an irdischen Kram! Du siehst, wie es mir zusetzt! Aber halt Hab und Gut zusammen, hörst Du? und aus den Händen gibst Du Beersheba nicht, denn unser Land soll nicht wieder zerrissen werden, aber laß die Leute billig in der Pacht, damit sie ihr bißchen Brot haben, vielleicht verhilft's Deinem Vater zu einem leichten Tode, John!« Nachdem er durch diese widerspruchsvollen Sätze sich so weit beruhigt hatte, daß er drei große Gläser Schnaps hintereinander hinuntergießen konnte, lallte er: »Der Teufel schickt den Pfaffen aus, er soll den Doktor holen!« aber er kam nicht weiter in dem Liede, sondern schnappte, wie die dicke Haushälterin sagte, zum letzten Male nach Luft. Der Laird war tot, und sein Ableben brachte in der Lage der beiden unglücklichen Familien eine große Veränderung zu stande. John Dumbiedike war zwar auch engherzig und selbstsüchtig, aber doch nicht so unersättlich wie sein Vater, und sein Vormund stimmte mit dem Anwalt Novit darin überein, daß man den letzten mündlichen Willen des Verstorbenen achten und ausführen müsse. Zufolgedessen wurden Deans und Butlers nicht in die kalte Winternacht hinausgetrieben, sondern man vergönnte ihnen, sich nach wie vor Buttermilch und Erbsenbrei im Schweiße ihres Angesichts zu verdienen. Woodend, David Deans' Pachthof, lag nicht weit von dem Butlerschen Beersheba, und doch hatten beide Familien sich früher kaum einmal im Jahre gesehen. Deans war ein starrsinniger Schotte und mochte von England, sei es, was es wolle, nichts wissen. Zudem war er ein ebenso starrer Presbyterianer, der um keines Haares Breite von dem einzig wahren Wege abwich, der seiner Rede nach »gerade zwischen den leidenschaftlichen Uebertreibungen der rechten und den Irrtümern der linken Hand hindurch führte«. Nichtsdestoweniger führte die Lage der beiden Familien mit der Zeit eine Annäherung herbei: sie hatten die gleiche Gefahr durch einen unvorhergesehenen Zufall überstanden und waren, um sich ihr karges Heim zu erhalten, auf die gleichen Mittel und Wege angewiesen, ähnlich wie Menschen, die zusammen durch ein Wasser schwimmen müssen, das für einen zu reißend ist, darauf angewiesen sind, einander unter die Arme zu greifen und sich gegenseitig zu halten, um nicht einzeln von der Flut fortgespült zu werden. Je enger sie bekannt wurden, desto mehr schwanden auch die Vorurteile, die Deans noch immer in Glaubenssachen hatte, denn er erfuhr jetzt erst, daß die alte Butlern keine Englische sei und, wenn auch nicht so recht an dem wahren, die Irrtümer der Zeit bekämpfenden Nonkonformisten-Glauben hing, sich doch auch nicht viel um die sogenannte unabhängige Richtung der Kirche scherte. Es ließ sich also doch vielleicht hoffen, daß ihr Enkel, trotzdem er von einem Dragoner Oliver Cromwells stammte, weder zu dieser noch zu der papistischen Lehre sich zu bekennen, sondern die Glaubensgrundsätze des alten Deans, der ein starrer Nonkonformist war, zu den seinigen machen würde. Es kam noch eins hinzu, das die beiden Pächtersleute einander näher führte: der alte Deans hatte eine schwache Seite, und die bestand darin, daß er es gern hatte, wenn jemand auf seinen Rat etwas gab; das war nun bei der alten Frau Butler in fast allen hauswirtschaftlichen oder ihren Acker betreffenden Fragen der Fall, trotzdem es Deans selten unterließ, bei den Ansichten, die er hierüber verfocht, ein paar respektwidrige Worte gegen die Art, wie es ihr seliger Mann gehalten, dazwischen zu flechten. »Es kann ja sein, daß es die Englischen nicht so machen, aber dafür sind wir doch eben in Schottland und nicht in England; wer auf unsre Kirchenreformen nichts gibt, sondern den Bau Zions niederreißen möchte, den wir so mühsam aufgeführt haben, der wird vielleicht auch dazu raten, Hafer ins Gehege zu säen; aber ich sage: da kommen bloß Erbsen fort, Erbsen und nichts andres!« Die alte Frau Butlern ließ sich, wie gesagt, gern raten und gewöhnte sich mit der Zeit daran, ihren Nachbar als eine Art Orakel zu betrachten, und das schmeichelte ihm nicht wenig. So hatte er auch mit der Zeit nichts dawider, daß sich zwischen Jeanie, der einzigen Tochter aus seiner ersten Ehe, und Reuben, dem Enkel eines Cromwellschen Reitersmannes, ein freundliches Verhältnis zu bilden begann. Damit der Leser hierüber klar sehe, ist es notwendig, sich mit dem Charakter der beiden Kinder ein wenig zu befassen. Siebentes Kapitel Es war auch nur verständig von der alten Frau Butler, auf den guten Rat ihres alten Nachbarn zu hören, denn wenn sie auch durch den plötzlichen Tod des Lairds Dumbiedike davor bewahrt blieb, den Fuß von ihrem kleinen Gütchen zu setzen, so fiel es ihr doch nach wie vor recht schwer, allen Pflichten, die ihr aus dem kleinen Besitztum erwuchsen, ohne männliche Hilfe gerecht zu werden, ja es hatte lange Zeit den Anschein, als wenn es ihr kaum gelingen würde, den schweren Kampf zu bestehen, während Deans in verhältnismäßig kurzer Zeit wieder über den Berg war. Er war eben doch ein Mann und noch immer, wenn auch nicht in seinen besten, in guten Jahren, die alte Frau Butler hingegen schon eine betagte Greisin. Freilich wuchs zu ihrer Stütze ihr Enkel heran, während Deans, je älter seine Tochter wurde, mit der Sorge für ihre Aussteuer rechnen mußte. Aber Deans war ein Mann, dem die Verhältnisse so leicht nicht über den Kopf wuchsen, sondern der beizeiten vorsorgte. Drum hielt er seine Tochter von Jugend auf zu einer ihrem Alter angemessenen Arbeit an und sparte den Verdienst, der ihr dafür zukam. Hierdurch gewöhnte sich das Mädchen einen ernsten und festen Sinn an, und da sie kerngesund und frei von nervösen Leiden und anderen Schwächen des weiblichen Organismus war, gewöhnte man sich in der Umgegend daran, sie für eine Art weiblichen Musterwesens anzusehen. Der Enkelsohn der Frau Butler dagegen war ein schwächlicher und wenn auch nicht furchtsamer, so doch schüchterner, zaghafter, unsicherer Junge, er hatte etwas von der Mutter an sich, die im Grunde genommen immer gekränkelt hatte; infolge eines Falles in frühester Jugend lahmte er ein bißchen, und die stetige Fürsorge der Großmutter hatte ihn langsam des Vertrauens in die eigene Kraft entwöhnt, ihm aber anderseits die Neigung eingeimpft, sich für besser zu halten, als er war. Trotz dieser Verschiedenheit im Wesen waren die beiden Kinder einander zugetan, nicht bloß aus Gewohnheit, sondern aus wirklicher Zuneigung. Sie trieben zusammen die wenigen Schafe und die paar Kühe, die ihren Eltern gehörten, auf die karge Weide; dort saßen sie dann, nebeneinander unter einer blühenden Dornenhecke, guckten einander in die muntern Augen oder krochen, wenn es zu regnen drohte, unter das gleiche grobe Plaid. Auf dem Wege zur Dorfschule mußte das Mädchen, wenn ein Bach zu durchwaten war oder ein Hund oder Ochse ihnen in den Weg lief, oder sonst eine Gefahr drohte, dem Jungen immer erst durch ihr Beispiel Mut machen. Auf der Schulbank aber suchte Reuben seinen Mann und fand sattsam Gelegenheit, dem Mädchen die kleinen Dienste, die sie ihm in physischer Hinsicht leistete, wett zu machen, indem er ihr bei den Schularbeiten half. Reuben Butler war der beste Schüler im Dorfe und der erklärte Liebling nicht nur des Lehrers, sondern auch, und zwar wegen seiner milden Gemütsart, seiner Mitschüler und Mitschülerinnen, aber zufolge seines schüchternen Wesens schloß er sich an niemand weiter als an die Nachbarstochter, dagegen wuchs mit den Jahren seine Neigung zu den Büchern, und wenn er draußen auf dem Felde über Euklids »Eselsbrücke« grübelte, statt die Augen auf seine Schafe zu richten, die sich dann selten lange besannen, auf die bessere Weide des Lairds hinüber zu laufen, dann war es immer die resolute Jeanie, die ihm mit ihrem kleinen Hunde aus solcher Patsche half, die ihn leicht in Verdruß und seine Großmutter in Schaden hätte setzen können. Je weiter Reuben in der Kenntnis der alten Klassiker fortschritt, desto häufiger stellten sich dergleichen Fälle von Achtlosigkeit bei ihm ein, und während er Vergils berühmte Bücher über Landbau studierte, bis er zuletzt Hafer nicht mehr von Gerste unterschied, wäre es ihm fast passiert, daß er auf dem Felde seiner Großmutter das größte Unheil anrichtete, denn es wandelte ihn mehr denn einmal die Lust an, sie nach den Rezepten Columellas und Catos des Zensors zu bebauen. Das bereitete der alten Großmutter manche trübe Stunde und beeinträchtigte auch den alten Deans lebhaft in der guten Meinung, die er von Reuben gefaßt hatte. »Was wird Euch schließlich übrig bleiben, Butlern,« sagte er zu seiner Nachbarin, »als aus dem unpraktisch veranlagten Jungen einen Pfaffen zu machen? Den einen Trost dabei habt Ihr ja schließlich, daß in unserer schlimmen Zeit, die das menschliche Herz gegen Gottes Wort immer mehr verhärtet, an guten Pfaffen größerer Mangel herrscht als je, und daß es Euer Reuben, wenn er auch grade kein Gesandter des Herrn wird, doch zu einem würdigen Diener unserer Kirche bringen soll, darüber will ich ja die Augen mit offen halten. Wenn er seine Sache macht, wie es sich gehört, dann versprech ich Euch, daß ich bemüht sein will, ihm die Lizenz zu verschaffen.« Reuben wurde nun auf das Kolleg von Saint-Andrew gebracht, wo er mit Eifer seinen Studien oblag, und Jeanie Deans büßte ihren langjährigen treuen Kameraden auf Feld und Wiese ein. Leicht wurde die Trennung beiden nicht, aber sie waren ja jung und mithin reich an Hoffnung, und so schieden sie in der Zuversicht auf ein Wiedersehen unter besseren und glücklicheren Umständen. Die Großmutter sah sich, der Unterstützung ihres Enkels auf diese Weise beraubt, bald außer stände, Beersheba weiter zu bewirtschaften; der junge Laird aber bewies auch jetzt, daß ihm die Worte, die sein Vater auf seinem Sterbebett an ihn gerichtet, heilig seien, und räumte der Witwe das Recht ein, ihre Wohnung in dem Häuschen zu behalten, während er ihr die Arbeiten auf Feld und Wiese abnahm; bloß – und hierin war er wieder der echte Sohn seines Vaters – bedang er sich aus, daß sie ihm niemals mit Ausgaben für die Instandhaltung des Häuschens kommen dürfe. David Deans brachte es dagegen, weil er alle Vorteile wahrnahm, in der gleichen Zeit zu einigem Wohlstande, und die Verbesserungen, die er im Landbau einführte, verliehen ihm im ganzen Lande ein gewisses Ansehen, ja sie trugen, ihm das besondere Wohlwollen des jungen Lairds ein, der sich sogar daran gewöhnte, den täglichen Rundgang durch sein Besitztum mit einem kurzen Besuche beim alten Deans in Woodend zu beschließen. Der Laird war wohl reich an Geld und Gut, aber nicht reich an Geist, konnte auch mit der Sprache nicht recht fort, brauchte deshalb immer geraume Zeit, bis er sich eine Meinung schuf und äußerte. Er liebte große Einfachheit und war nie anders zu sehen als in seines Vaters altem Tressenhute und mit einer leeren Pfeife im Munde. Während er mit dem alten Deans über Viehzucht und Ackergerät sich unterhielt, oder, richtiger gesagt, den Ansichten, die letzterer auskramte, bereitwillig zuhörte, pflegten seine Augen an der fleißigen Tochter des Pächters, Jeanie, zu hängen, die er nur immer »die Dirne« zu nennen liebte. War Deans mit der Landwirtschaft fertig, schwenkte er immer auf religiöse Dinge über, und auch auf diesem Boden blieb ihm der Laird ein williger Hörer, wenngleich schlimme Zungen behaupteten, Deans hätte gerade so gut von Sonne, Mond und Sternen faseln können, denn verstanden hatte der Laird weder dies noch jenes. Das ließ aber Deans, wenn es ihm zu Ohren kam, unter keinen Umständen gelten, hätte es ihm doch im eignen Ansehen zuviel geschadet; der Laird, sagte er immer, sei eben keiner von den adeligen Laffen, die mit Tressenrock und Schleppdegen mal hoch zu Roß in die Hölle fahren, statt barfuß in den Himmel einzugehen, sondern anders wie sein Vater, ginge nicht mit schlechten Subjekten um, fluche und wettere nicht, trinke auch nicht und drücke sich auch nicht in schlechten Kneipen herum, sondern halte strengen Sabbath und lasse seinen Leuten eine anständige Freiheit, und wenn er auch, wie sein Vater, noch immer zu viel am Irdischen hänge, so lasse sich doch nicht verkennen, daß ein leiser Hauch des Geistes auch über ihn gekommen sei. Als kluger Vater konnte sich Deans über die eigentümliche Gepflogenheit des Lairds, während seiner Vorträge keinen Blick von seiner Tochter zu lassen, nicht lange im unklaren sein. Mehr aber noch als ihn, beschäftigte die Sache ein anderes Mitglied seiner Familie, die zweite Frau nämlich, die er sich zehn Jahre nach dem Tode seiner ersten genommen hatte. Sie hieß Rebekka, und vielfach herrschte im Lande die Meinung, Deans habe sich mit seiner zweiten Heirat, trotzdem er zehn Jahre damit gewartet, doch übereilt, und diese Meinung stützte sich zumeist darauf, daß Deans im allgemeinen zu fromm sei, um der Ehe hold sein zu können, sondern sie doch nur als ein der Menschheit in ihrem unfertigen Zustande notwendiges Uebel ansehen könne. Rebekka aber war, wenn solche Meinung über ihren Mann vielleicht zutraf, dem Ehestande nichts weniger als abhold, ja sie neigte sogar dazu, sich mit ein bißchen Kuppelei zu befassen, und gleichwie sie schon manches Mädchen in der Gegend unter die Haube gebracht hatte, wäre ihr solche Absicht hinsichtlich des Lairds und ihrer Stieftochter wohl zuzutrauen gewesen, wenigstens ließ sie es hin und wieder an einer Anspielung darauf nicht fehlen. Der alte Deans zog dann aber immer die Stirn in Falten, und das einzige, was er dazu sagte, war ein geringschätziges »Pah!« – wollte aber die Frau gar einmal davon zu reden anfangen, so nahm er still die Mütze und schritt aus dem Hause, den dämmernden Strahl selbstgefälligen Lächelns zu verbergen, der ihm unwillkürlich über das strenge Antlitz huschte. Der jüngere Leser wird hier sicher fragen, durch welche Vorzüge Jeanie diese Aufmerksamkeit des jungen Lairds erregte? und da muß ich als Erzähler, der es mit der Wahrheit genau nimmt, sagen, daß Jeanie eine hervorragende Schönheit nicht war, denn sie war klein und ihre Figur fast zu stark; ihr Gesicht war zwar von angenehmer Rundung, jedoch durch den ständigen Aufenthalt im Freien stark gebräunt; sie hatte zudem hellbraunes Haar, aber stark ins Graue spielende Augen. Sympathisch aber war ihr Wesen als Abglanz einer unbeschreiblichen Lauterkeit des Gemütes und jener milden Fröhlichkeit, die nur aus einem guten Gewissen und einem zufriedenen Sinne erwächst. Der Leser wird daraufhin zugeben, daß Jeanie Deans, wenn auch eine ganz passable Dirne, so doch keine Schönheit war; nichtsdestoweniger fand sich Laird Dumbiedike, sei es nun aus Gewohnheit, oder aus Unkenntnis seines Gemütszustandes, oder aus Mangel an Willenskraft, einen Tag wie alle Tage, einen Monat nach dem andern und ein Jahr nach dem andern, in Woodend ein, um sich an dem Blick »der Dirne«, wie er sie nannte, zu weiden, kam aber niemals zu einer noch so schwachen Andeutung, daß es seine Absicht sei, die Anspielungen von Jeanies Stiefmutter wahr zu machen. Da nun die liebe Frau Rebekka Deans nach einigen Jahren unfruchtbarer Ehe ihren David ebenfalls mit einem Töchterchen beschenkte, dem in der Taufe der Name Euphemia, abgekürzt Effie, gegeben wurde, läßt es sich erklären, daß ihr über diesem ewigen Zaudern des hochadeligen Werbers die Geduld zu reißen drohte. Rebekka sagte sich nämlich, und wohl mit Recht, daß die ältere Tochter, wenn sie zur Lady Dumbiedike erhoben würde, keine Aussteuer mitzubekommen brauche, sondern daß dann das ganze väterliche und mütterliche Erbteil ihrer eigenen Tochter zufallen müsse; darum wandte sie alle mögliche List an, den Laird zu einer Erklärung zu veranlassen, mußte es aber über sich ergehen lassen, daß sie bei all diesen Versuchen Niederlagen erlitt, bis sie sich zuletzt vorkam wie ein täppischer Angler, der die Forelle, statt fängt, scheucht. Einmal vornehmlich, als sie mit dem Laird über die Notwendigkeit scherzte, dem Schlosse Dumbiedike endlich eine Herrin zu schenken, kam dieser in solche Begriffswirrnis, daß er sich volle vierzehn Tage lang in Woodend mit seinem Tressenhut und seiner leeren Pfeife nicht wieder sehen ließ. Rebekka zog hieraus die Lehre, daß es klüger sei, den Laird bei seinem Schneckentempo zu lassen, gemäß der alten Totengräber-Rede, daß kein Esel, man möge ihm noch so derbe Prügel geben, schneller zu Grabe komme, als er es sich in den Kopf gesetzt habe. Mittlerweile studierte Reuben in Saint-Andrews weiter und verschaffte sich die Mittel zu seinem Unterhalt durch Unterrichtsstunden, die er solchen erteilte, die das erst lernen wollten, was er schon gelernt hatte. Ja, es gelang ihm aus dieser Tätigkeit soviel zu lösen, daß er der alten Großmutter nicht unerhebliche Unterstützungen zuwenden konnte: eine heilige Pflicht, deren Verletzung er sich, wie jeder Schotte, zum Verbrechen angerechnet hätte. Er erwarb sich tüchtige Kenntnisse in allen Wissensfächern, vornehmlich in demjenigen, welches er zu seinem Beruf erwählt hatte, der Theologie; aber sein überbescheidenes Wesen hinderte ihn, sie richtig Zur Geltung zu bringen, und so hätte er, wenn er über Mißgeschick, Ungerechtigkeit und Zurücksetzung hätte klagen wollen, ebensoviel Ursache gehabt wie manch anderer, der vielleicht nicht in so trüben Lebensverhältnissen war wie er. Die Lizenz als Geistlicher bekam er »summa cum laude« ausgestellt, aber kein Amt, in welchem er sie hätte ausüben können, und so blieb ihm nichts weiter übrig, als nach Beendigung seines Studiums sich wieder nach Beersheba in die Hütte der Großmutter zu flüchten; einige Privatstunden in benachbarten Gutshöfen verschafften ihm dort ein kärgliches, zudem unsicheres Einkommen. Einer seiner ersten Besuche galt dem Pachthofe in Woodend. Jeanie hieß ihn mit warmer Freundschaft willkommen, Frau Rebekka bewies ihm wohlwollende Gastfreundschaft und David Deans begrüßte ihn auf seine Weise: das heißt: er rückte ihm sogleich mit allen Möglichen Zeit- und Streitfragen auf den Leib, um zu ermitteln, ob er es verstanden habe, sich von den Irrungen und Wirkungen der Zeit das Herz frei zu halten. Reuben war nun seiner Gesinnung nach strenger Presbyterianer, aber jederzeit bereit, Dinge aus der Diskussion zu lassen, die seinen alten Freund und Gönner hätten kränken können, und so durfte er füglich erwarten, rein wie geläutertes Gold aus diesem Deansschen »Schmelztiegel von Prüfungsfragen« hervorzugehen. Aber vor solch strengem Examinator wie dem Vater Deans war es nicht so leicht, mit Erfolg zu bestehen. Die alte Großmutter hatte es sich nicht nehmen lassen, den Enkel nach Woodend zu begleiten, mußte ihr doch daran liegen, mit anzuhören, wie sich »ihr Reuben« dem Nachbar als Gelehrter offenbaren würde. Da war es ihr nun recht schmerzlich, wahrnehmen zu müssen, daß Nachbar Deans sich ganz anders zeigte, als sie sich gedacht hatte, weder etwas sagte, noch nach etwas fragte, sondern erst, nachdem ihm Frau Buttler wiederholt das Wort vergönnt hatte, sich mürrisch zu einem Gespräche herbeiließ. »Ich hab doch aber gedacht, Nachbar,« sagte die Greisin, »Ihr würdet Euch ein bißchen freuen, den Reuben, meinen lieben Jungen, wieder bei uns zu sehen?« »Na, ich freue mich ja,« versetzte der Nachbar kurz angebunden. »Der arme Junge hat doch, seit er den Großvater und den Vater verlor, keinen Menschen mehr in der Welt gehabt, der sich seiner so brav und ehrlich angenommen hätte, wie Ihr, Nachbar!« »Der einzige wahrhafte Vater der Waisen ist Gott im Himmel,« erwiderte, den Blick aufwärts richtend, Vater Deans. »Gebt also die Ehre auch Ihm, nicht einem seiner unwürdigen Werkzeuge!« »Ja doch, Nachbar, so beliebt Ihr immer die Dinge zu drehen, und am besten wißt Ihr ja auch sicher, was recht und in Ordnung ist, aber ich vergesse es Euch trotzdem nicht, wie Ihr, obgleich in Eurer Mühle selbst kein Stein mehr auf dem andern war, nach Beersheba einen Scheffel Mehl schicktet.« »Frau Butlern, laßt das,« fiel Deans ihr ins Wort, »dergleichen Aufhebens um solche Kleinigkeit dient bloß dazu, unsern innern Menschen eitel und hoffärtig zu machen.« »Nachbar, was wahr ist, muß auch wahr bleiben!« antwortete die Greisin, »Ihr wißt es doch selber, daß Ihr noch mehr getan habt! Und daß Ihr Euch über meinen Jungen freut, des bin ich sicher, auch wenn Ihr's nicht frei heraus sagt. Na, seht, mit seinem Fuße geht's auch besser; er kann meilenweit laufen, ohne müde zu werden, und besser im Gesicht sieht er auch aus, er hat ja richtig schon rote Backen, und das, Nachbar, tut meinen alten Augen wohl. Auch einen ordentlichen Rock hat er auf dem Leibe, Nachbar sieht er nicht ganz aus wie ein Geistlicher?« »Freilich, Butlern, freilich, und daß er so gesund und ordentlich daher kommt, na, das ist mir lieb, sehr lieb, das muß ich sagen,« erwiderte David Deans, aber mit solch gemessenem Tone, daß jeder, bloß nicht eine alte Frau, die sich einmal was vorgenommen hat, gemerkt hätte, daß er die Unterhaltung abbrechen möchte. »Und auf jede Kanzel kann er treten, Nachbar,« fuhr die alte Frau fort, »und wenn ich ihn mir vorstelle, wie er predigt und wie alles mit offnem Munde dasitzt und seinen Reden lauscht, als wäre er der Papst in Person.« »Was sind das für Reden, Frau?« rief Deans in strengem Tone. »Ach, lieber Himmel!« rief die Frau, »da ist mir ja ganz aus den Gedanken gekommen, wie ungehalten Ihr grade über den Papst seid, wie ja mein seliger Mann auch, der Stephan, der von früh bis abends am Tische saß und ein Zeugnis aufsetzte wider die römische Herrschaft und wider die Wiedertaufe, und was nicht alles noch.« »Frau, redet, was Ihr verantworten könnt, sonst haltet lieber den Mund!« rief Deans; »ich sage Euch, was sich bei uns zu Lande als unabhängige Richtung ausgibt, ist lauter Ketzerei, und das Widertaufen gar erst ein verderblicher, betrügerischer Irrtum, der mit allem Feuer des Geistes aus den Herzen und mit dem Schwert des Gesetzes aus dem Lande gerissen werden sollte!« »Ja doch, ja doch, Nachbar,« erwiderte die Frau, »Ihr habt ja ganz gewiß recht, denn wer so klug in allen Wirtschaftsdingen ist, der muß ja auch in kirchlichen Fragen beschlagen sein, aber was meinen Reuben angeht, so ...« »Liebe Butlern,« antwortete Deans, »der Reuben ist ein junger Mensch, dem ich von Herzen wohl will, wie meinem eignen Sohne, aber ich befürchte, sein Geist wird sich übernehmen, wird bis rechte Gnade nicht finden; denn er hat der weltlichen Gelehrsamkeit zuviel und sinnt zu sehr, wie er den streitigen Satz darstellen soll in blumenreicher Rede, als daß er den Grund des Heils in seiner Seele fände, er ist zu stolz darauf, daß er die Gabe hat, was er gelernt im Flitterstaate schöner Worte wiederzugeben; indessen,« lenkte er ein, als er sah, welche Kümmernis sich auf dem Gesichte der Greisin malte, »Trübsal kann ihn ja von diesen Schlacken läutern, Trübsal wird ihn demütiger machen, und dann, dann werdet Ihr noch Eure helle Freude an dem Jungen haben, denn er wird ein Licht der Kirche werden!« Wenn auch die alte Frau nicht alles richtig verstand, was Deans vorbrachte, so beunruhigte sie doch manches Wort aus dem Munde des alten Freundes, so daß die Freude, die sie erst über die Wiederkunft ihres Enkels empfunden, einen starken Dämpfer erhielt. So ganz unrecht hatte Deans zudem nicht, denn Reuben litt halb und halb an der Schwäche, mehr Wissen auszukramen, als sich bei mancher Gelegenheit für nötig erwiesen hätte; und daß es den alten Mann, der sich in geistlichen Streitfragen für ein Orakel dünkte, unangenehm berührte, hin und wieder bei dem jungen Menschen auf begründeten Widerspruch zu stoßen, ist auch begreiflich. Dagegen fand Jeanie Deans weniger Ursache, Reuben wegen dieser ihrem Vater anstößigen Schwäche zu grollen, im Gegenteil freute sie sich darüber, vielleicht aus dem gleichen Grunde, wie sich Weiber über Mut bei Männern freuen: weil ihnen selbst nämlich diese Eigenschaft abgeht. Da die Verhältnisse sich auf beiden Pachtgütern während Reubens Abwesenheit wenig verändert hatten, die Beziehungen also dieselben waren wie früher, kamen die beiden jungen Leute auch wie früher oft zusammen, und das alte Verhältnis zwischen ihnen lebte wieder auf; jedoch in einer ihrem fortgeschrittnen Alter gemäßen Weise; sie gewannen nicht bloß wieder Zuneigung zueinander, sondern versprachen sich sogar, ein Paar zu werden, sobald es Reuben geglückt sei, ein sicheres, wenn auch nur mäßiges Einkommen zu erlangen. Das war indessen keine so leichte und einfache Sache, wenn auch mancher Plan dazu geschmiedet wurde. Jeanies Wangen verloren ihre erste Frische, und auf Reubens Stirn zeigten sich die ersten Falten, aber noch immer schien die Möglichkeit zu einem Bunde ausgeschlossen. Zum Glück waren beide nüchterne Naturen, denen ihr Pflichtgefühl vorschrieb, die Zeit mit Geduld abzuwarten, bis ihre Hoffnungen sich erfüllen würden. Aber, wie immer, führte nun auch in ihren Verhältnissen die Zeit Veränderungen herbei. Stephan Butlers Witwe wurde von hinnen gerufen, und ihr bald hinterher auch Rebekka, David Deans' fürsorgliche Hausfrau. Am Morgen nach Rebekkas Ableben begab sich Reuben zu dem alten Freunde und Wohltäter, um ihm ein paar Worte des Trostes zu sagen. Da sollte er nun Zeuge eines wunderlichen Kampfes werden zwischen menschlichen Regungen und religiösem Starrsinn, alles Irdische dem Ausblick auf Gott und Ewigkeit unterzuordnen. Kaum war er in das kleine Pachthäuschen getreten, so wies ihn Jeanie in den Gemüsegarten, »wo Vater,« wie sie mit gebrochener Stimme sagte, »sich seit dem schrecklichen Unglücke aufhielte, das über ihn hereingebrochen sei.« Reuben ging erschreckt in den Garten. Sein alter Freund saß in einer Laube, in tiefen Schmerz versunken. Als er des jungen Mannes ansichtig wurde, verfinsterte sich sein Gesicht, wie wenn ihm die Störung zuwider sei; als aber Reuben unschlüssig wurde, ob er weiter auf Deans zugehen oder sich wieder entfernen solle, erhob sich Deans und trat ihm mit Selbstbeherrschung und Würde entgegen. »Junger Mann, wir sollen es uns nicht zu Herzen gehen lassen, wenn Gerechte von hinnen gerufen werden. Besser, zu sagen: Siehe! sie sind den Mühsalen dieses Lebens enthoben. Wehe über mich, wenn ich eine Träne über meines Herzens Weib vergösse, da ich Ströme weinen sollte über den Verfall der Kirche, die immer tiefer in den Pfuhl der Sünde sinkt.« »Es ist mir eine Freude, lieber Herr Deans, zu hören,« erwiderte Butler, »daß die Sorge für das Wohl der Kirche Euch den eignen Kummer vergessen läßt.« »Vergessen, Reuben?« wiederholte der Arme, sich die Augen wischend, »o, vergessen kann ich sie nimmer; Er aber, der die Wunden schlägt, kann auch den Balsam spenden, sie zu heilen, und so bekenne ich, daß ich während der Nacht in so tiefe Betrachtungen versunken war, daß ich meines schweren Verlustes nicht mehr gedachte. An den Ufern des Ulai habe ich in meinen Gedanken geweilt, die köstlichsten Früchte pflückend.« Und doch ging ihm der Tod seines geliebten Weibes so tief zu Herzen, daß ihm Woodend ganz verhaßt wurde und er sich vornahm, anderswohin zu ziehen. So tat er auch und mietete sich bei den Sankt Leonard-Felsen, zwischen Edinburg und dem als »Sitz Arturs« bekannten Berge, ein einsames Häuschen mit weiten. Wiesengründen, knapp eine Meile von der Stadt, um dort Viehzucht zu treiben. Reuben Butler kam infolgedessen weniger oft mit seiner Jeanie zusammen, die dem Vater wacker an die Hand ging. Er hatte nach mancherlei Enttäuschungen in einem von Edinburg etwas ferner gelegenen Dorfe eine Stelle als Hilfslehrer angenommen, hatte dort eine segensreiche Wirksamkeit entfaltet und die Schule bald in einen so guten Ruf gebracht, daß verschiedene Bürger sich entschlossen hatten, ihre Söhne dorthin in Erziehung zu geben. Seine Lebensaussichten schienen sich auf diese Weise günstiger gestalten zu wollen, und jedesmal, wenn er nach Sankt-Leonard kam, ließ er es sich nicht nehmen, seiner Jeanie ein paar hoffnungsreiche Worte zuzuraunen. Aber da ihn sein Beruf jetzt mehr in Anspruch nahm, wurden seine Besuche dort immer seltener; zumal er sich nicht entschließen konnte, alle freie Zeit, die ihm blieb, dort zu verbringen, denn so freundlich ihn auch Deans immer willkommen hieß, so war es ihm doch zumute, als ob derselbe das Geheimnis seines Herzens ahnte, und sprechen darüber wollte er noch nicht, aus Furcht, eine Abweisung zu erhalten. Darum schien es ihm klüger, nur so oft dort vorzusprechen, wie es ihm alte Bekanntschaft und ehemalige Nachbarschaft erlaubte. Dagegen stellte sich in Sankt-Leonard ein anderer Gast weit öfter ein, und das war kein anderer als der junge Laird Dumbiedike. Als David Deans dem Laird von seiner Absicht, Woodend aufzugeben, Kenntnis gab, hatte dieser ihn wortlos angegafft, war aber, ohne des Falles mit einem Worte zu erwähnen, wie immer zur gewohnten Zeit und Stunde gekommen. Als aber der Tag da war, den Deans für den Auszug bestimmt hatte, und als der große Heuwagen aus dem Schuppen geschafft wurde, um das Hausgerät aufzunehmen, da hatte der Laird, ärger als bisher gegafft und schließlich sogar den Mund aufgemacht und die Worte: »Ei, Leute, ei! ei!« hervorgestoßen. Und als Deans den Pachthof geräumt hatte, da war der Laird noch immer zur gewohnten Zeit und Stunde wieder dort erschienen und war verdutzt vor der versperrten Tür stehen geblieben, als wisse er nicht im geringsten, was das zu bedeuten habe. »Ach, Gott!« hatte er dann gerufen, und darüber hatte sich alles gewundert, denn jedermann wußte, daß er diesen Ausruf nur tat, wenn er sich in ganz besonders starker Gemütserregung befand. Seitdem hatte sich sein Wesen vollständig verändert, er war aus seiner gewohnten Regelmäßigkeit herausgekommen, etwa wie ein Uhrwerk, dessen Gang plötzlich gehemmt worden. In alle Hütten lief er, und alle Dirnen gaffte er an. Aber ob es auch bessere Pachthöfe gab als Woodend, und niedlichere Dirnen als Jeanie Deans, war es doch, als wenn sich für die Lücke, die in dem Tageslaufe des Lebens seiner Lairdschaft entstanden war, kein Ersatz, als wenn sich kein Plätzchen finden wolle, wo es sich so nett und bequem und behaglich hätte sitzen lassen wie auf der Fensterbank in Woodend, als wenn es kein Mädchengesicht gäbe, das sich so wohlig angaffen ließe wie das der Jeanie Deans. Endlich, nachdem er eine ganze Woche lang sich gleichsam um sein eigen Werk gedreht und dann eine ganze Weile, als wäre sein eigen Werk abgelaufen, noch stillgestanden hatte, war ihm der Gedanke gekommen, daß er es doch nicht nötig habe, sich ständig auf der gleichen Angel zu drehen wie der Zeiger einer Uhr, sondern seine Kreisbahn auch einmal verändern und erweitern könne. Um von diesem, wie er endlich begriff, ihm gehörigen Rechte den rechten Gebrauch zu machen, erstand er von einem Viehtreiber aus dem Hochlande einen Klepper, und auf ihm ritt oder vielmehr stolperte er nach Sankt-Leonard hinauf. Jeanie Deans hatte sich an das Gaffen des Lords freilich schon so gewöhnt, daß sie kaum noch wußte, ob er da sei oder nicht, und doch befiel sie zuweilen Unruhe, daß sich seine Blicke einmal in Worte übersetzen könnten, denn in solchem Falle hätte es geheißen, ade Hoffen und Sehnen nach Reuben! denn so kernfest auch ihr Vater in religiösen und bürgerlichen Dingen war, so wohnte ihm doch, wie damals allen schottischen Pächtern, ein gewisses Untertänigkeitsgefühl gegen seinen Laird im Herzen, während er Reuben noch immer seinen weltlichen Wissenskram, wie er sich ausdrückte, nicht ganz vergessen hatte. Ein bißchen Eitelkeit auf solche Standeserhebung seines Kindes kam auch mit in Betracht bei diesem Eiferer, der sich so oft so bitter beklagte, daß er sich trotz allem manchmal von irdischem Tand angezogen fühle. Aus alledem ergab sich, daß dem Mädchen die täglichen Besuche des Lairds recht unangenehm geworden waren, und daß sie sich verhältnismäßig leicht darüber hinweghob, den Fuß von der Stätte setzen zu müssen, wo sie ihre ganze Jugendzeit verlebt hatte; nahm sie doch den Trost mit hinweg, den Laird mit seinem Tressenhut und seiner Pfeife zum letzten Male vor Augen gehabt zu haben, denn eher hätte sie geglaubt, die Obstbäume und Kohlstrünke aus dem Woodender Gärtchen würden ihr hinterher ziehen, als den Laird solches Entschlusses für fähig zu halten. Daß sie sich also vorkam, als müsse sie in die Erde sinken, wie sie nach vierzehn Tagen den Laird mit Tressenhut und Pfeife wieder, wie ehedem in Woodend, jetzt in Sankt-Leonard einziehen, sich mit dem gleichen Gruße und der gleichen Frage: »Na, Dirne, wie geht's? wo ist denn Vater Deans?« wie dort jetzt hier auf die Fensterbank pflanzen und seine regelmäßige Zeit absitzen sah, das wird der Leser dem wahrhaften Erzähler dieser wahrhaften Geschichte gewiß ohne weitere Beteuerung glauben. Aber am zweiten Tage hatte der Laird sich kaum auf die Fensterbank niedergelassen, als er eine ganz ungewohnte Redseligkeit entfaltete. »Jeanie; Du, Jeanie! Dirne Du!« sagte er, mit einer Richtung auf ihre Schulter hin die Finger spreizend, wie wenn er sie dorthin legen wollte, aber die Hand wie eine Vogelklaue steif in der Luft haltend, als Jeanie vor den Fingern schnell zurückwich. »Jeanie,« sagte er wieder, schwärmerisch angehaucht wie ein verliebter Schäfer, »heut ist's gar schön draußen, und auch mit den Wegen geht's, wenn man Stiefel anhat.« »In den langweiligen Tobies muß der Böse gefahren sein!« sagte Jeanie in sich hinein, »wer hätte glauben mögen, daß er sich so weit von seinem Dorfe wagen würde?« Ja, sie tat heute recht brummig und ärgerlich, denn Vater Deans war gerade nicht da, und der Laird kam ihr heute so unternehmend vor, daß sie Angst hatte, er möchte es heute mit einer Erklärung versuchen. Ihre Brummigkeit wirkte auch niederschlagend, wie sie gerechnet hatte. Der Laird verfiel gleich wieder in seine gewohnte Ebenmäßigkeit, kam drei-, viermal in der Woche nach Sankt-Leonard, wie es die Witterung erlaubte, setzte sich wieder, wie ehedem, auf die Fensterbank, gaffte wieder, wie ehedem, Jeanie an und ließ sich wieder, wie ehedem, von Vater Deans Vortrag über die religiösen Streitfragen vom Tage halten. Achtes Kapitel Mittlerweile war Effie Deans unter der zärtlichen Fürsorge ihrer Schwester Jeanie zu einem schönen blühenden Mädchen herangewachsen. Hellbraune Locken, von einem blauseidnen Netze mühsam gehalten, wallten von dem schönen Haupte, das an griechische Formen erinnerte, auf ein jugendlich lachendes Antlitz, das Bild der Gesundheit und Freude, nieder, und ihre ländliche, eng anschließende Kleidung von dunklem Braun zeichnete die Konturen der lieblichen Gestalt, die mit der Zeit wohl versprach, in den gewöhnlichen Fehler schottischer Schönheiten, die Fülle, zu verfallen, jetzt aber noch das herrlichste Ebenmaß der Formen zeigte. Den Laird Dumbiedike ausgenommen, den ihr Jugendglanz nicht bewog, seine Blicke von Jeanie zu heben, gehörte ihr die allgemeine Bewunderung: kein Auge konnte das frische, blühende Mädchen betrachten, ohne die innigste Freude im Herzen zu fühlen; wen der Weg an Sankt-Leonard vorbeiführte, hielt in seiner Wanderung inne, wenn er ihr begegnete, und schaute ihr nach; die Jünglinge, die abends aus der Stadt ins Freie hinaus kamen, um sich mit frohem Spiel zu erlustigen, neideten einander jeden Blick von ihr; sie hieß die Lilie von Sankt-Leonard, und nicht bloß um ihrer Schönheit und Lieblichkeit, sondern auch der Unschuld willen, die über ihrer ganzen Erscheinung lag. In ihrem Charakter lag aber doch manches, was bei dem greisen Vater, mit seinen starren Anschauungen über Leben und Glauben, Besorgnis, bei der nachsichtigen ältern Schwester Unruhe weckte. Effie war nämlich als die spätgeborene Tochter Vaters Nesthäkchen und infolgedessen ein wenig verzogen. Sie galt immer noch als »Effiechen« im Hause, als sie schon das mannbare Alter erreicht hatte, durfte, abgesehen an Sonntagen und zu den Betstunden, ausgehen, wann und wohin sie wollte, und brauchte über ihr Tun und Lassen so gut wie keine Rechenschaft abzulegen. Die ältere Schwester hatte bei aller Liebe und Sorgfalt, die sie ihr widmete, doch keine mütterliche Gewalt über sie, ja, je älter Effie wurde, desto mehr Recht meinte sie zu haben, nach ihrem eignen Köpfchen zu handeln, war sie doch, bei aller Unschuld und Gutherzigkeit, nicht frei von Dünkel und Eigensinn; auch konnte sie leicht aufbrausen, besaß sie doch von Natur ein hitziges Temperament, zu dessen Milderung die Freiheit, die ihr in der Kindheit gelassen worden, nichts beigetragen hatte. Wir werden sie dem Leser am besten kenntlich machen, wenn wir sie ihm in einer Szene vorführen, die sich eines Abends in der kleinen Heimstätte zutrug, die sie mit Vater und Schwester bewohnte. Der Vater war draußen bei den Kühen, von deren Ertrag er das Leben fristete. Der sommerliche Abend war schon weit vorgerückt, und Effie war noch nicht wieder daheim. Sie war schon mehrere Abende zur selben Stunde verschwunden, erst kurze, dann immer längere Zeit ausgeblieben und schien heute gar nicht mehr ans Vaterhaus zu denken. Jeanie ängstigte sich, daß der Vater vor ihr zur abendlichen Hausandacht kommen und dann über ihr Ausbleiben schelten möchte. Sie trat vor die Tür hinaus und suchte, die Augen durch die erhobene Hand vor den Sonnenstrahlen schützend, mit ihrem besorgten Blicke die zur Hütte emporführenden Wege ab, doch lange umsonst. Ein Stück zum Tale hinunter lag eine Hecke, von der Landstraße durch einen Bretterzaun getrennt. Wiederholt hatte sie die Augen dorthin gerichtet; da sah sie auf einmal zu dem Gattertore des Zaunes zwei Menschen hinaustreten, einen Mann und ein Weib. Der Mann verschwand schnell wieder hinter dem Zaune, wo sie beide, um nicht bemerkt zu werden, gestanden haben mochten; die weibliche Gestalt aber ging am Zaune hin in der Richtung auf Sankt-Leonard zu. Sie kam bald näher, und Jeanie erkannte in ihr die Schwester Lustig kam sie auf sie zugesprungen, nach der Art von Frauen, denen darum zu tun ist, eine Verwirrung oder Verlegenheit zu verbergen, und trällerte ein damals beliebtes Lied: Hast Du am Hügel den Elf geschaut Im Heidekraut? Als fröhliches Kind zogst Du hinaus, Doch als Dirndl meide, Lieb Kind, die Heide Und bleib hübsch artig bei Muttern zu Haus! »Pst, Effie,« rief ihr die Schwester leise zu, »Vater wird gleich da sein. Aber wo bist Du so spät gewesen, Effie?« »Spät?« fragte Effie wieder, »es ist doch noch nicht spät, Schwesterchen!« »An allen Uhren hat's schon acht geschlagen, und die Sonne ist auch schon hinter den Bergen. Wo magst Du so spät gewesen sein?« »Nirgends,« antwortete Effie. ^ »Und wer war der Mann, der mit Dir am Zaune stand?« »Niemand!« antwortete Effie. »Nirgends, Effie? Niemand, Effie? O, daß Du auf rechtem Wege und daß es ein rechtlicher Mann gewesen sein möchte, mit dem Du dort standest, Effie!« »Mußt Du mir denn immer nachspüren, Jeanie?« fragte Effie; »tue ich es denn bei Dir? Kannst ja fragen! Daß ich Dich nicht belüge, weißt Du ja. Aber ich frag Dich doch auch nicht, warum Laird Dumbiedike täglich herkommt, um wie eine Wildkatze zu glotzen, daß man sich vor langer Weile totgähnen möchte?« »Weil Du recht gut weißt,« antwortete Jeanie, »daß er zum Vater kommt, und nicht zu uns!« »Und Butler, der Schulmeister? kommt der auch bloß zum Vater, der sich um seine lateinischen Floskeln so wenig reißt?« fragte Effie, herzensfroh, daß es ihr gelungen war, den Krieg ins feindliche Lager zu verlegen, und nun maß sie die ältere Schwester mit einem ironischen Blicke und trällerte wieder: »Wen traf ich dort An der Friedhofspfort'? Den Lord! Doch geschwind war er fort Und tat mir nichts – doch, ach! Bald kam sein Schreiberlein nach...« Aber sie hörte jäh zu trällern auf, denn sie hatte in den Augen der Schwester Tränen gesehen, sprang hin zu ihr, schlang die Arme um ihren Hals und küßte ihr die Tränen von den Wimpern; Jeanie aber, so gekränkt sie sich fühlte, wehrte dem herzigen Naturkinde nicht, wußte sie ja, daß solche Launen bei Effie nur die Folge von augenblicklichen Regungen waren und nicht aus schlechter Veranlagung entsprangen. Sie erwiderte die Küsse der Schwester, konnte ihr aber den sanften Vorwurf nicht ersparen: »Effie, Effie! woher hast Du die losen Lieder? Kennst Du sie, solltest Du sie doch für andere Gelegenheit aufsparen!« »Ja doch, Schwesterchen,« antwortete Effie, den Arm um Jeanies Hals legend, »mir wäre schon lieber, ich hätt' sie nie gelernt, und lieber hätt' ich mir die Zunge verbrannt, statt Dich damit geärgert!« »Lassen's wir gut sein, Effie,« sagte Jeanie, »mich kränken die Reden ja nicht; aber dem Vater tue nicht weh damit!« »Nein, nein, Schwester,« rief Effie, »ich will den Vater nicht kränken! und sollte es morgen dort soviel Tänze geben, wie sich Sterne zur Mitternacht am Himmel drehen, so will ich doch keinen Fuß wieder dorthin setzen.« »Zu Tanze gehen, Effie?« rief Jeanie erstaunt; »o, wie kannst Du von so etwas sprechen?« Effie war ganz in der Stimmung, der Schwester ihr Herz zu offenbaren, und hätte es gewiß getan und mir den Kummer, diese traurige Mär zu erzählen, erspart, aber in diesem Augenblicke war Vater Deans hinter dem Hause vorgetreten und hatte das Wort Tanz aufgefangen. »Was sprecht ihr da?« rief er finster, »Tanz? und das sagt ihr auf meiner Schwelle? Laßt solchen unheiligen Zeitvertreib! Ich rat's euch im guten: wer hat je getanzt als die in Götzendienst versunkenen Israeliten vor dem güldenen Kalbe, und jene schreckliche Herodias, die dem Täufer den Kopf vom Rumpfe tanzte? Höre ich noch einmal solches Wort aus eurem Munde, oder laßt ihr's euch gar beikommen, euch wie jene Königstochter nach den Klängen der Fidel zu drehen, so seid ihr meine Kinder nicht mehr, so gewiß die Seele meines Vaters bei den Gerechten wohnt. So, und nun geht hinein, Kinder,« setzte er in milderem Tone hinzu, denn beide Mädchen, und Effie nicht am wenigsten, weinten bitterlich – »und lasset uns Gott bitten, uns vor aller Torheit zu bewahren, die uns zur Sünde führt, die Hölle bereichert und wider das Reich des Lichtes streitet!« Die Mahnungen waren recht gut gemeint, aber recht zur Unzeit erteilt; denn in Effies Brust erregten sie einen Zwiespalt der Gefühle und hielten sie ab, der Schwester das Herz zu erschließen. »Was möchte sie von mir denken,« sprach Effie bei sich, »wenn ich's ihr sagte, daß ich auf der Wiese viermal, und bei Maggie Macqueen einmal mit ihm getanzt hab? Verabscheuen möchte sie mich, und drohen würde sie mir, es dem Vater zu sagen, und mich ganz unter ihr Regiment ziehen. Nein, nein! ich will kein Wort reden; aber hingehen will ich erst recht nicht mehr, gewiß nicht mehr: in meine Bibel will ich ein Blatt legen, was mir ebensoviel gilt wie ein Eid!« Eine volle, Woche lang hielt sie das Gelübde, war aber die ganze Zeit über mürrisch und unwirsch, was man sonst nie, oder doch nur, wenn ihr was nicht recht war, an ihr bemerkt hatte. Für die Schwester waren all diese Dinge Grund genug, sich zu beunruhigen, und zwar um so mehr, als sie es Effie nicht antun wollte, mit dem Vater über den Verdacht, der sich in ihr regte, der aber vielleicht noch unbegründet war, zu sprechen. Die Ehrfurcht, die sie vor dem Vater im Herzen trug, ließ sie doch nicht verkennen, daß er die Abneigung gegen Jugendfreunde in seinem Starrsinn zu weit treibe, weiter als es sich mit Vernunft vereinbaren ließe und als es Frömmigkeit geböte. Ebenso sagte sie sich, daß es nicht gut bei Effie tun würde, wenn ihr die bisherige Freiheit auf einmal verkürzt würde, ja daß ihr vielleicht gerade dadurch die Möglichkeit gegeben würde, die starre Strenge des Vaters als Entschuldigung dafür anzusehen, daß sie sich zu anderen Lebensanschauungen bekenne. In den höheren Ständen sind junge Mädchen, wenn sie zum Leichtsinn neigen, noch immer mehr unter der elterlichen Kontrolle als auf dem Lande, wo sich zu Hause kaum eine Gelegenheit zur Zerstreuung für sie bietet, sondern nur an Orten, die der Gefahren übergenug für sie bergen. Das alles beschäftigte Jeanies Gemüt, und sie überdachte ängstlich die Folgen, die sich daraus ergeben könnten, als ein Umstand eintrat, der angetan zu sein schien, sie all dieser Sorgen zu entheben. Frau Saddletree, die dem Leser bereits vorgestellt worden ist, war mit David Deans weitläufig verwandt, und da sie immer auf guten Ruf gehalten, es auch zu einigem Vermögen gebracht hatte, war zwischen den beiden Familien immer ein gewisser Verkehr aufrecht erhalten worden. Nun traf es sich, daß die Frau etwa anderthalb Jahre vor dem Beginn dieser Erzählung Ursache hatte, sich nach einer Hilfe in ihrem Laden umzusehen, und da war sie auf den Gedanken gekommen, mit David Deans dieserhalb zu sprechen, weil sie der Meinung war, daß sich ihre Muhme Effie für solche Stellung doch ganz gut eigne. Deans hatte gegen solchen Gedanken nichts einzuwenden, da Frau Saddletree einen guten Lohn bei freier Beköstigung in Aussicht stellte, auch versprach, immer ein wachsames Auge auf das Mädchen zu haben, sie auch zu fleißigem Kirchgang anzuhalten, was um so leichter für sie war, als sich ihr Laden in unmittelbarer Nähe der sogenannten Zöllnerkirche am Zollhaustore befand, wo noch solche Prediger ihres frommen Amtes walteten, die, wie Deans sich ausdrückte, »ihr Knie noch nicht vor Baal zu beugen gelernt hatten.« Das einzige, worin er sich nicht so leicht finden wollte, war der Umstand, daß seine Tochter unter einem Dache mit einem so weltklugen Manne hausen sollte, wie es seiner Meinung nach Herr Saddletree war, dessen juristische Brocken er nämlich für bare Münze nahm in der Meinung, der Mann sei wirklich ein rechtsgelehrter Herr und nicht das, wofür ihn andere hielten, ein eingebildeter Dummkopf. Da aber alle rechtsgelehrten Herren in seinen Augen Rechtsverdreher waren, so mußte ihm Frau Saddletree versprechen, sich seiner Tochter auch nach dieser Richtung hin fleißig anzunehmen, und die letztere verwarnte er, sich nicht zu den Grundsätzen dieses weltlich gesinnten Mannes zu bekennen. Jeanie sah die Schwester mit sehr geteilten Empfindungen aus dem väterlichen Hause ziehen: sie hatte zu Effies Einsicht nicht die gleiche Zuversicht wie ihr Vater, denn sie hatte sie genauer beobachtet und konnte die Gefahren, denen sie in der großen Stadt ausgesetzt sein mußte, auch besser würdigen als er; anderseits erschien ihr Frau Saddletree als eine achtbare und kluge Frau, die es vielleicht recht gut verstehen würde, Effie mit Ernst und Liehe in Zucht zu halten. Auch daß Effie durch diesen Aufenthaltswechsel von gewissen Bekanntschaften abgezogen wurde, mit denen sie sie im Verdacht hatte, betrachtete sie für günstig, und so gewann sie schließlich die Ansicht, daß bei der Sache die Vorteile doch die Nachteile überwögen, und fand sich darein, die Schwester ziehen zu sehen. Als aber der Augenblick der Trennung da war, schlug ihr doch das Herz wieder in recht banger Schwestersorge, und während sie einander umarmten und küßten, unterließ sie es nicht, Effie in allen Dingen die größte Achtsamkeit und Vorsicht ans Herz zu legen. Effie hörte ihr still und andächtig zu, ohne ein einziges Mal die langen dunklen Wimpern aufzuschlagen, von denen die Tropfen wie aus einem Springquell herniederrannen. Tief aufseufzend, gelobte sie der Schwester, sich treu an ihren Rat zu halten, dann noch eine Umarmung, noch ein Paar innige Küsse, und dann schieden sie von einander. In den ersten Wochen erfüllte Effie alle Hoffnungen, die von Frau Saddletree in sie gesetzt worden waren, ja sie übertraf dieselben zuweilen; es kam aber bald anders, und Effie ließ in ihrem Eifer merklich nach; Frau Saddletree bekam immer öfter Anlaß, nicht bloß zu Verdruß, sondern zu offnem Tadel; wenn sie mal wohin geschickt wurde, blieb sie allemal über Gebühr lange weg, und wenn sich Frau Saddletree darüber beschwerte, wurde das Mädchen trotzig und unwillig; immerhin meinte die brave Frau, solches Betragen entschuldigen zu müssen, da dem Mädchen noch alles neu in der Stadt sei, und sich Aufmerksamkeit und Gehorsam nicht im Nu lernen ließen; »Holyrood,« sagte sie, »sei auch nicht in einem Tage gebaut, worden, und ohne Zeit und Weile gäb's nun einmal keine Vollkommenheit.« Es schien, als ob Frau Saddletree mit diesen Ansichten recht behalten solle, denn nach ein paar Monaten zeigte Effie wieder ihren früheren Eifer, nur verrichtete sie ihre Arbeiten nicht mehr mit der frohen Miene und dem leichten Wesen wie früher; sie weinte oft, wenn aber Frau Saddletree fragte, weshalb, dann war nichts aus ihr herauszubringen; indessen würde die Veränderung, die mit ihr vorging, daß ihr Schritt schwerer, ihr Gesicht bleicher wurde, dem Auge der klugen Frau nicht verborgen geblieben sein, hätte sie um diese Zeit herum nicht selbst eine schwere Krankheit befallen, die sie monatelang ans Bett fesselte. Das waren bange Tage für Effie, und oft drohte Verzweiflung sie zu übermannen, denn so sehr sie sich anstrengte, die Schmerzen und Zufälle zu verbergen, denen sie sich jetzt unterworfen sah, so ließ sie sich doch soviel Versehen im Dienste zu schulden kommen, daß Bartel Saddletree, der sich infolge der Krankheit seiner Frau mehr um den Laden kümmern mußte als früher und sich deshalb in seiner Liebhaberei für den edlen Rechtsberuf arg verkümmert sah, oft recht unwillig wurde. Die Nachbarn und anderen Dienstboten merkten aber recht gut, wie es um das Mädchen stand, maßen sie mit halb neugierigen, bald mitleidigen Blicken, verfolgten mit Schadenfreude die Wandlung, die sich mit ihrer Gestalt vollzog, die Veränderung ihrer Gesichtszüge, das Zu-enge-Werden ihrer Kleider, und so weiter. Aber sie würdigte niemand ihres Vertrauens, erwiderte spöttische mit verbitterten Bemerkungen und setzte allen ernstlichen Fragen hartnäckiges Leugnen entgegen oder lief weg, um bitterlich zu weinen. Inzwischen hatte sich Frau Saddletree wieder erholt; es ließ sich voraussehen, daß sie bald wieder ihrem Hauswesen vorstehen werde, da fing Effie an, noch unruhiger und aufgeregter zu werden als sie bisher gewesen war, und eines Tages, als wieder davon gesprochen worden war, daß sie nun bald nicht mehr allein im Laden sein würde, bat Effie Herrn Saddletree um die Erlaubnis, ein paar Wochen zu den Ihrigen zurückzukehren, da ihr ein bißchen Erholung auf, dem Lande not täte. Saddletree, in den alltäglichen Dingen des Lebens der unwissendste Mensch, der sich denken ließ, hatte nichts dawider, daß Effie sein Haus verließ, schöpfte aber nicht den geringsten Verdacht, daß etwas nicht in Ordnung mit ihr sei. Später freilich stellte sich heraus, daß zwischen dem Tage, an welchem sie Saddletrees Haus verlassen hatte, und dem Tage, an welchem sie zu den Ihrigen nach Sankt-Leonard zurückgekehrt war eine Zeit von vollen acht Tagen lang In Sankt-Leonard war man über ihr Aussehen förmlich erschrocken. Als blühendes Mädchen war sie von dort nach der Stadt gegangen, und mehr einem Gespenst als einem lebendigen Wesen ähnlich kehrte sie nun von dort wieder. Die Schwestern hatten einander in den letzten Wochen nicht gesehen: Wie hatte die Krankheit ihrer Herrin zum Vorwande genommen, nicht nach Sankt-Leonard hinaus zu kommen, Jeanie dagegen war mit häuslichen Arbeiten derart überhäuft, daß sie an einen Weg in die Stadt nicht hatte denken können. Bis nach Sankt-Leonard hinaus war aber das Gerede, in welches Effie sich gebracht hatte, noch nicht gedrungen. Jeanie, auf den Tod erschrocken über das Aussehen ihrer Schwester, bestürmte sie mit Fragen; Effie aber gab erst wilde, zusammenhanglose Antworten, saß dann eine Weile, wie in sich gekehrt, um zuletzt in eine schwere Ohnmacht zu sinken. Nun wußte Jeanie, wie es um die Schwester stand, und sah sich vor die grausame Wahl gestellt, ihrem alten Vater entweder alles zu offenbaren oder kein Mittel unversucht zu lassen, ihm alles zu verheimlichen. Als Effie wieder zu sich gekommen war, versuchte Jeanie von neuem, sie zu fragen, aber Effie blieb stumm; sie gab der Schwester weder Auskunft über den Mann, der sie verführt hatte, noch darüber, was aus dem Kinde geworden, dem sie das Leben gegeben, sie blieb stumm, stumm wie ein Grab, das sich ihr öffnete. Jeanie, in Angst und Verzweiflung, daß Effie, als sie nochmals eindringlich nach dem Kinde fragte, schier von Wahnsinn befallen zu werden schien, wollte schon nach der Stadt rennen, um sich bei Frau Saddletree Rat oder Auskunft zu holen, als ein neuer Schicksalsschlag, ihr Unglück auf die höchste Stufe jagend, sie dieser Mühe überhob. ... Es war ihr gelungen, den Vater, der über das Aussehen seines jüngsten Kindes nicht minder erschrocken war als sie, von allen eindringlicheren Fragen zurückzuhalten. Nun traf es den Greis wie ein Donnerschlag, als zu der Stunde, die wie immer den Laird von Dumbiedike zu ihm ins Haus führte, noch andere Gäste, schreckliche und unvermutete Gäste, bei ihm erschienen, Diener der Gerechtigkeit mit einem Haftbefehl, lautend auf Euphemia Deans, wegen Kindesmords. Der Schlag schmetterte den Greis zu Boden, er kam zu plötzlich, zu betäubend, neben dem Herde schlug er in voller Länge auf die Dielen, der Greis, der in seinen Mannsjahren starr an seinen Grundsätzen festgehalten hatte, ob ihm auch Schwert und Kugel, Marter und Galgen drohten, und die Schergen, froh seines Zustandes, der ihnen ihr Amt um vieles erleichterte, und besorgt darum, schon fern von dem Hause zu sein, ehe er das Bewußtsein wieder fände, rissen das Mädchen rauh von ihrem Lager und schoben sie in den Verbrecherwagen, den sie zu dem Zwecke mit nach Sankt-Leonard gebracht hatten. Kaum war es Jeanie gelungen, den Vater wieder halbwegs zu sich zu bringen, als ihre Aufmerksamkeit durch Wagengerassel abgelenkt wurde, sie brachten sie fort, ihr armes, unglückliches Schwesterchen! Mit wildem Schrei rannte sie dem Wagen nach, aber ein paar freundliche Nachbarinnen, herbeigeführt durch den ungewohnten Anblick eines Polizeiwagens an dem einsamen Orte, zogen sie, fast mit Gewalt, ins Haus zurück. Die kleine Familie stand in der ganzen Gegend in gutem Ansehen, und alles fühlte aufrichtige Teilnahme mit ihr; die Nachbarinnen erfüllten die kleinen Räume mit ihrem Wehgeschrei; selbst Laird Dumbiedike wurde aus seiner Lethargie gerissen und trat zu Jeanie, griff in die Tasche, nach seiner Börse suchend, und sagte: »Jeanie, Jeanie, weine nicht! es ist ein gar schweres Ding, Dirne, aber, Geld kann helfen, Geld wird helfen.« Inzwischen hatte der Greis sich aufgerichtet und blickte sich um, wie wenn er jemand suche, den er vermisse; nur langsam schien er sich seines Elends und Jammers bewußt zu werden, und als er es geworden, da schrie er mit einer Stimme, daß die Wände dröhnten: »Wo ist sie, die Buhlerin, die das Blut eines rechtlichen Mannes geschändet? wo ist sie, die keinen Platz unter uns mehr hat, aber uns noch befleckt mit ihrer Sünde wie die Brut Satans die Kinder Gottes? Jeanie, wo ist sie? Jeanie, bring sie mir, daß ich sie töte mit Blick und Wort!« Alle scharten sich um ihn, und jeder suchte ihm Trost zu bringen auf seine Weise: der Laird hielt ihm die goldgefüllte Börse hin, Jeanie nahte ihm mit stärkendem Wasser, und die Nachbarinnen mit beschwichtigenden Worten. »David,« sagte der Laird, noch immer die grüne volle Börse ihm vor die Augen haltend, »soll Gold nicht helfen?« »Dumbiedikes,« versetzte Deans, »meine ganze Habe hätt ich geopfert, sie vor diesem Fallstrick der Hölle zu bewahren. Nackt und bloß hätte ich hinausziehen wollen und mich doch glücklich gepriesen. Aber nicht den zehnten Teil eines Hellers könnte ich opfern, um sie von der öffentlichen Strafe ihres öffentlichen Fehltritts zu lösen. Nein! Auge um Auge, Zahn um Zahn, Blut um Blut, wie es geschrieben stehet im Gesetze des Herrn! Laßt mich allein, ihr lieben Leute, daß ich auf meinen Knien nach Kraft ringe, die schwere Prüfung zu tragen.« Jeanie vereinigte ihre Bitten mit denen des Vaters zu dem gleichen Zwecke, und der andere Tag fand Vater und Tochter noch in tiefer Zerknirschtheit; aber der Vater ertrug das Unglück als wahrer Christ und mit finstrer Ruhe, die Tochter bannte den eignen Schmerz, um nicht den seinen rege zu machen. So stand es um die unglückliche Familie, am Morgen nach der Ermordung, des Hauptmanns Porteous, dem Zeitpunkte, zu welchem wir in unsrer Erzählung nun wieder zurückkehren. Neuntes Kapitel Es hat geraume Zeit gekostet, bis wir den Hilfslehrer Butler vor die Tür von Sankt-Leonard führten; aber es kostete ihn selbst kaum geringere Zeit, bis er den Entschluß, bei der Familie vorzusprechen, gefaßt hatte. Bis zur achten Stunde, zur Frühstückszeit, wollte er auf alle Fälle warten und hatte dazu triftige Gründe persönlicher Art. Er brauchte Zeit, die schlimme Kunde von Effies Lage zu überdenken; er brauchte auch Zeit, sich von der Aufregung zu erholen, in die ihn das grause Ereignis der Nacht, die Ermordung des Hauptmanns Porteous, versetzt hatte; das eigentümliche Verhältnis, in welchem er zu Jeanie stand, nötigte ihm eine gewisse Sammlung oder Vorbereitung seines Gemüts auf. Aber nie waren ihm die Stunden so langsam hingeschlichen. Er blieb nicht auf der gleichen Stelle, sondern schritt in ziemlich weitem Kreise hin und her und zählte einen Stundenschlag nach dem andern mit ängstlicher Spannung. Endlich verkündete die große Glocke vom Giles-Turme die siebente Stunde. Bis Sankt-Leonard war es noch immer eine knappe Stunde Wegs, und so meinte er, sich nun der Hütte langsam nähern zu dürfen. Er stieg von der Höhe des Salisbury-Felsens in den Talgrund hinunter, der mit Felsblöcken und Gestein, das hin und wieder von den steilen Klippen im Osten niedergeht, übersäet ist. Dieser abgeschiedene Ort wurde in jenen Tagen gern von Edelleuten aufgesucht, wenn es galt, Ehrenhändel mit dem Schwert auszufechten, die unter dem damals rauhen und stolzen Adel von Schottland an der Tagesordnung waren; ohne Degen an der Seite war deshalb kein Edelmann damals zu denken. Als jetzt Butler nun in kurzem Abstande von sich einen jungen Menschen bemerkte, der sich, wie in der Absicht, ungesehen zu bleiben, vom Fußpfade weg nach den Felsen zu schlich, glaubte er nicht anders, als daß derselbe, um eines Duells halber, die Salisbury-Felsen aufgesucht habe, und hielt es, vielleicht der eigenen trüben Stimmung uneingedenk oder gerade durch sie dazu bestimmt, für Pflicht, das Wort an den Unbekannten zu richten. »Ein guter Rat zur rechten Zeit,« dachte er bei sich, »schafft manchmal schlimmes Unheil aus der Welt, und Kummer, durch Pflichterfüllung abgelenkt, wird leichter getragen, als wenn man ihn in sich verschließt.« Von diesen Gedanken bestimmt, verließ Reuben den Fußpfad in der Richtung, in welcher der junge Mensch zwischen den Felsen zu verschwinden suchte. Zuerst schien es von demselben darauf abgesehen, das Weite zu suchen, denn er schlug den zu den Bergen führenden Weg ein; als er indessen sah, daß ihm Reuben auch dorthin nachging, drückte er trotzig den Hut in die Stirn, machte kehrt und stellte sich, als sei er willens, jedem weitern Versuch, ihm zu folgen, Widerstand entgegenzusetzen. Sie näherten sich nun einander, und bald konnte Reuben die Züge des Fremden unterscheiden. Er schien ein mittlerer Zwanziger zu sein. Die Tracht, die er trug, war nicht unsauber, aber auch nicht besonders vornehm, und ließ auf den Stand schließen, dem er angehörte; es kam aber Reuben so vor, als sei sie minder gewählt, als es dem Aussehen ihres Trägers entsprochen hätte. Er zeigte ein keckes, ja etwas befehlshaberisches Wesen, war wohlgebaut, von mehr als Mittelgröße und hatte ein auffallend schönes Gesicht, doch mit jenem, Wüstlingen eigenen Zuge von Ungezwungenheit, der gemeinhin so abstoßend wirkt, daß er die Schönheit aufhebt. Sie traten einander jetzt gegenüber und sahen einander in die Augen; der Unbekannte wollte, leicht an den Hut fassend, vorbeigehen, Butler aber vertrat ihm, den Gruß erwidernd, den Weg. »Ein herrlicher Morgen, Herr,« sagte er, »Sie sind recht früh in den Bergen?« »Ich habe was vor,« antwortete der junge Mann barsch, und sein Ton verriet, daß er weitere Fragen abschneiden wollte. »Daran zweifle ich nicht, Herr,« sagte Butler, »ich will nur hoffen, daß es sich auch mit Recht und Gesetz verträgt, was Sie vorhaben.« »Mit welchem Recht, Herr,« rief der andere verdutzt, »kümmern Sie sich um Dinge, die Sie nichts angehen? Ich gehöre nicht zu denen, die sich Ungezogenheiten bieten lassen.« »Ich bin ein Kriegsmann, Herr,« versetzte Reuben ernst, »und als solcher verpflichtet, Leute, die ich auf unrechten Wegen finde, im Auftrage meines Herrn und Meisters anzuhalten,« »Kriegsmann?« wiederholte der andere, einen Schritt zurückweichend, um im andern Augenblicke die Hand an den Degen zu legen, »Kriegsmann, und mich anhalten? Haben Sie, als Sie den Auftrag übernahmen, auch bedacht, was Ihr Leben gilt?« »Sie mißdeuten meine Rede,« sagte Butler mit dem gleichen Ernste wie vorhin, »mein Dienst und meine Sendung sind nicht von dieser Welt; ich bin ein Verkündiger des Evangeliums, dem die Pflicht obliegt, auf Erden Frieden zu gebieten nach dem Worte der Schrift: »Liebet Euch untereinander!« »Also Pfaffe?« versetzte geringschätzig der andere; »in Schottland scheint's Euresgleichen freilich erlaubt, sich in fremder Leute Angelegenheiten zu mischen; aber ich habe auch in anderen Ländern gelebt und weiß, wie man Pfaffen die Wege weisen muß.« »Mischt sich ein Mann meines Standes in anderer Leute Dinge aus Neugierde oder Gründen, die noch tadelnswerter sind,« erwiderte Reuben, »so war's gut für Sie, Herr, im Auslande zu lernen, wie man sich dessen erwehrt. Zum Werke des Herrn muß ich aber immer bereit sein, und da ich mir bewußt bin, in durchaus reiner Absicht zu Ihnen zu sprechen, so will ich lieber Ihren Hohn hinnehmen, als mein Gewissen dadurch beschweren, daß ich schweige.« »So sprecht, ins Teufels Namen,« rief der junge Mann ungeduldig, »was Ihr von mir wollt, denn daß ich's Euch an der Nase absehen soll, könnt Ihr nicht verlangen.« »Sie tragen sich mit der Absicht,« erwiderte Butler, »eins der weisesten Gesetze Ihres Vaterlandes zu übertreten, ja was noch schwerer wider Sie spricht, ein Gesetz, das die Gottheit selbst uns einpflanzte so tief, daß es in jedem unserer Nerven erzittert.« »Und was für ein Gesetz soll das sein?« fragte der Fremde dumpf und unsicher. »Du sollst nicht töten!« antwortete Butler mit tiefer, feierlicher Stimme. Der junge Mann zuckte sichtlich zusammen und wurde blaß. Butler erkannte, daß seine Worte nicht ohne Eindruck geblieben waren, und wollte diese Stimmung nicht ungenützt vorbeigehen lassen; drum fuhr er fort, ihm freundlich die Hand auf die Schultern legend: »Bedenket, junger Mann, vor welche Alternative Ihr Euch stellen wollt: Einem andern wollt Ihr das Leben nehmen oder Euer Leben einem andern geben? Bedenket, was es heißt, ungerufen vor das Angesicht Eures beleidigten Gottes zu treten, mit einem Herzen, noch glühend von Leidenschaft, mit einer Hand, noch zuckend vom Stoße des Degens, den Ihr wider die Brust des Gegners zücktet! Vergeßt auch des Elenden nicht, den Ihr als andern Kain zurücklasset, mit einem Brandmal im Herzen und einem Brandmal auf der Stirn! Bedenket.« Der Fremde hatte sich langsam der Hand des Mahners entwunden und fiel ihm jetzt, während er den Hut noch tiefer in die Stirn drückte, ungestüm ins Wort: »Ihr meint's ja sicher recht gut, Herr, seid aber mit Eurem Rat im Irrtum, ich bin nicht hier, jemand zu schaden, weiß waschen will ich mich nicht, – Ihr Pfaffen meint ja ohnedem, alle Menschen seien sündig – aber ich bin hier, bloß um jemand das Leben zu retten! Beliebt's Euch, Eure Zeit zu etwas Gutem zu verwenden, statt über Dinge zu reden, die Ihr nicht beurteilen könnt, dann kann ich Euch Gelegenheit dazu geben. Blickt dorthin rechts, zu der Höhe hinauf, hinter der das Dach eines einsamen Hauses hervorschaut! Fragt dort nach der Pächterstochter Jeanie. Jeanie Deans! Sagt ihr, daß derjenige, von dem sie wisse, was er wolle, seit Tagesanbruch bis jetzt hier auf sie gewartet habe, aber länger nicht mehr hier bleiben könne. Sagt ihr, sie müsse nun heut nacht, bei Mondesaufgang, ins Jägermoor hinterm Sankt-Antonshügel kommen, wenn sie mich nicht in Raserei und Verzweiflung stürzen wolle.« Butler, aufs unangenehmste berührt durch Worte und Wesen des Fremden, erwiderte: »Aber wer sind Sie, mir solche Botschaft aufzutragen?« »Der Teufel bin ich!« versetzte rauh und hastig der junge Mann. Butler prallte unwillkürlich zurück, sich im stillen dem Schutze des Himmels empfehlend, denn, obwohl ein verständiger, strenggläubiger Mann, hielt er doch, seiner Zeit und seiner Lage gemäß, Zweifel an Zauberei und Gespenstern fast gleichbedeutend mit Gotteslästerung. Der Fremde schien jedoch seine Betroffenheit nicht zu bemerken, sondern fuhr fort: »Ja, der Teufel! oder Apollyon, Abaddon, oder wie Ihr sonst wollt. Einen Namen zu finden, der dem, der ihn führt, so schauderhaft wäre, wie mir der meine, ist's Euch doch nicht möglich, und wenn Ihr zehnmal Pfaffe seid und als solcher die niedern und höhern Kreise der Geister namhaft zu machen wißt.« Er hatte das gesagt mit aller Bitterkeit der Selbstverachtung, und sein Gesicht hatte sich dabei satanisch verzogen; Butler aber, so festen Sinnes er auch war, fühlte sich tief erschüttert; denn alles Uebermaß seelischer Schmerzen wirkt bannend auf die Menschheit, vor allem auf teilnahmsvolle, ernste Gemüter. Der Fremde, der sich nach diesen Worten jäh von Reuben abgewandt hatte, trat ebenso jäh wieder auf ihn zu und rief derb und stolz: »Ich habe Ihnen gesagt, wer und was ich bin... Wer sind Sie?... was sind Sie?« »Butler, Pfarrer Butler,« antwortete dieser, durch die Kürze und Grobheit der Fragen sich außerstand gesetzt fühlend, anders als kurz zu antworten. Der Fremde aber, den Hut, den er vorhin trotzig höher gerückt, jetzt wieder über die Stirn ziehend, wiederholte: »Butler?« und setzte hinzu: »Der Hilfslehrer von Libberton?« »Ja, derselbe,« erwiderte Reuben mit Ruhe. Der Fremde hielt sich, wie wenn ihm etwas auffiele, die Hand vors Gesicht, wandte sich jedoch gleich darauf ab und ging, blieb nach einigen Schritten, als er sah, daß Butler ihm nachblickte, stehen und rief in scharfem, aber so streng bemessenem Tone, daß es Butler den Eindruck machte, als sollten die Worte nicht weiter dringen als bis zu der Stelle, wo er stand: »Gehen Sie und bestellen Sie, was ich gesagt, dem Mädchen; aber sehen Sie mir nicht nach! Ich versinke weder in den Felsenpfuhl, noch verschwinde ich in einem Flammenmeer, und doch, wehe dem Auge, das mein Tun zu erspähen, trachtet! Dem Mädchen sagen Sie noch, daß ich sie hinter der Sankt-Antons-Kapelle, bei dem Muschat-Felsen, erwarte und zwar gleich nach Mondaufgang!« Darauf machte er kehrt und verschwand zwischen den Felsen. Reuben eilte, halb verstört, dem Häuschen zu: es drängte ihn, zu erfahren, mit welchem Rechte dieser fremde Mann von Jeanie Deans, der ihm halbverlobten Braut, etwas fordere, was wohl kein sittsames Mädchen ihm bewilligen würde. War er von Natur auch nicht eifersüchtig oder abergläubisch, so schlummerten doch in seinem Gemüte, als Anteil an dem gemeinsamen Erbe der Menschheit, Empfindungen, die zu diesen seelischen Krankheiten führen. Der Gedanke, ein Wüstling, wie es der fremde Mensch, seinem ganzen Aussehen und Wesen nach, unstreitig war, besitze die Macht über seine Jeanie, sie zu so unziemlicher Zeit an einen so unpassenden Ort zu bestellen, und mit einem Tone, der keine Widerrede litt, drohte ihn um den Verstand zu bringen. Und doch hatte der Fremde nicht im Tone eines Verliebten gesprochen: das konnte er sich nicht verhehlen; nein! sein Ton war ungestüm, drohend gewesen. Regungen anderer Art stiegen nun in Butlers wilderregtem Herzen auf: eine unwillkürliche Scheu befiel ihn, wenn er sich die seltsame Begegnung vor Augen führte. Wäre er es, fragte er sich, vom dem geschrieben stehet: er gehet umher wie ein brüllender Löwe und suchet, den er verschlinge? Der trotzige Blick, das ruhelose Wesen, der rauhe, zuweilen absichtlich gemilderte Ton, das schöne, vom Stolz wild entflammte Gesicht mit den rollenden Augen, die bald trübe Schwermut, bald finstern Hohn, bald Verachtung, bald Wut gezeigt hatten; waren es Leidenschaften eines sterblichen Menschen oder Merkmale des Bösen, der es versucht, wenn auch vergeblich, teuflische Absicht unter der geliehenen Maske männlicher Schönheit zu bergen? Gewiß! Die Erscheinung hatte in allem an den gefallenen Erzengel erinnert, und so mangelhaft die Schilderung sein mag, die wir hier von ihr gegeben haben, so dürfen wir doch nicht verhehlen, daß ihr Eindruck auf Butler infolge seines durch die schrecklichen Ereignisse erschütterten Nervenapparats stärker war als es Verstand und Mannesstolz zugeben mochten. Doch auch der Ort, wo er dem seltsamen Wesen begegnet war, war auffällig, war eine verrufene, gewissermaßen entweihte Stätte, denn es waren schon viele hier, sowohl im Duell als durch Selbstmord, umgekommen. Auch die andere einsame Statte, die er für die nächtliche Zusammenkunft mit seiner Jeanie bestimmte, galt als entweiht; und zwar durch einen dort verübten schrecklichen Mord, der sogar nach dem, der ihn verübt hatte, benannt war! Sein eigenes Eheweib hatte der Mörder hier erschlagen! Und zu einer Zeit, wo die Gesetze gegen Zauberei noch in voller Kraft standen, maß man gerade solchen Stätten die Macht bei, böse Geister den Menschen sichtbar zu machen. So zwischen Eifersucht und Aberglauben kämpfend, schleppte sich Reuben Butler, von Müdigkeit erschöpft, von finsteren Erinnerungen verfolgt und von Sorge gebeugt, den steilen Pfad zu dem Sankt-Leonard-Felsen hinauf und gelangte vor die Tür des Pachthauses mit Empfindungen, die an bitterm Weh denjenigen seiner unglücklichen Bewohner kaum nachstanden. Zehntes Kapitel »Kommt herein!« rief auf sein Klopfen die sanfte Stimme, die sein Ohr so gern hörte. Er klinkte, und stand im Hause der Trauer. Jeanie konnte dem Geliebten, den sie jetzt wiedersah unter Umständen, wie sie demütigender für ihren Mädchenstolz nicht denkbar waren, kaum einen Blick weihen. Viele Vorzüge, aber auch viele Mängel des schottischen Nationalcharakters entspringen, wie bekannt, aus dem engen Familienzusammenhange. Gleichwie der Adel sich mit Stolz rühmt, aus einem alten Geschlechte zu stammen, so legt der Schotte niedern Standes den höchsten Wert darauf, ehrlicher Leute Kind zu sein, an deren Rufe kein Makel haftet. Zeichnet sich ein einzelnes Mitglied in einer Familie aus, so gilt das in den Augen der übrigen Angehörigen als eine Bürgschaft für gemeinsames Wohlverhalten, während andererseits eine schlechte Handlung auf alle Mitglieder zurückfällt. So glaubte sich auch Jeanie durch die Schande, die ihre Schwester betroffen, nicht bloß in den eigenen Augen erniedrigt, sondern auch in denen des Freundes; vergeblich suchte sie dieses Gefühl zu unterdrücken, vergeblich sagte sie sich, daß sie solcherweise nur in Versuchung käme, das eigne Unglück über das größere der Schwester zu stellen: es half nichts, die Natur behauptete ihr Recht, und während sie herbe Tränen vergoß über das Schicksal der Schwester, mischten sich Tropfen, die dem eignen Jammer galten, darunter. Als Reuben den Fuß über die Schwelle setzte, hockte der Greis neben dem Herde, die zerlesene Taschenbibel in der Hand, die ihm anno 1686 von einem, der für seinen Glauben das Schafott bestiegen hatte, geschenkt worden und seitdem nicht von seiner Seite gewichen war. Die Sonne warf einen hellen Schein zu dem kleinen Fenster herein, der die grauen Locken des Greises und die heiligen Worte traf, die er eben las. Ueber seinen starren Zügen lag trotz dem finstern Ernste, der sie erfüllte, ein gewisser Ausdruck stoischer Ruhe. Fest im Kampfe und zähe im Dulden, war sein Spruch gewesen im Leben, und ihm blieb er auch in dieser schwersten Prüfung seines Lebens treu. Er blickte auf, als Reuben eintrat, aber, wie wenn ihm die Begegnung unvermutet und schmerzlich käme, gleich wieder auf seine Bibel. Dann hob er sie mit der Linken hoch, verdeckte das Gesicht damit und streckte die Rechte weit aus gegen Reuben, wie wenn er ihm den Schmerz, der sein Gesicht zerriß, verbergen wollte. Es mußte ja auch seinem Unglück gleichsam die Krone aufsetzen, sich in solcher Erniedrigung dem Manne zu zeigen, gegen den er sich bislang immer mit Stolz auf solch sittlicher Höhe zu halten gewußt hatte. Aber Butler ergriff die Hand des wackern Greises, der ihm in seiner Kindheit eine so treue Stütze gewesen, bedeckte sie mit Tränen und sprach, doch tief erschüttert und mit bebender Stimme, nichts als die Worte: »Daß Gott Euch tröste, Vater Deans! daß Gott Euch tröste!« »Er wird's, Freund,« antwortete, sich ermannend, Vater Deans, durch die tiefe Bewegung, die der junge Mann zeigte, ergriffen, »und er tut's, Freund! O, und er wird mehr tun zu seiner Zeit! Reuben, ich war zu stolz auf das wenige, was ich für die gute Sache gelitten, und darum werde ich geprüft mit einer, die meinen Stolz in Spott, meinen Ruhm in Schmach wandelt. O Reuben, wie stolz war ich, Engeln und Menschen ein Zeugnis zu sein und schon in meinem fünfzehnten Jahre für die gute Sache am Pranger zu stehen, und nun, Reuben, nun ...« Er konnte nicht weiter sprechen. Butler war zwar mit den Ansichten des wackeren Greises nicht in allen Punkten einverstanden, achtete ihn aber zu hoch, um ihn jetzt, da er mit so stolzem Selbstbewußtsein seinen Schmerz zu bekämpfen suchte, durch Einwendungen zu kränken, und nahm im Gegenteil den Augenblick wahr, ihn durch erhebende Worte zu trösten: »O Vater Deans, Ihr waret freilich immer ein wahrer und treuer Anhänger des Kreuzes, einer der, nach Hieronymus, per infamiam et famam grassari ad immortalitatem, das heißt, trotz bösem oder gutem Leumund das ewige Leben gewinnen muß, waret einer der Starken, zu denen die furchtsamen und bangen Seelen in den Schauern der Mitternacht rufen: Treuer Wächter, wie tief ist die Nacht? Und gewiß! diese schwere Prüfung, da sie Euch nicht treffen konnte ohne Gottes Zulassung, muß ihren besonderen Zweck und heiligen Nutzen haben.« »So empfange ich sie in Demut,« erwiderte Deans, den Händedruck des jungen Freundes erwidernd, »und wenn ich auch die Heilige Schrift nur auf schottisch zu lesen verstehe« – denn selbst im Schmerz ließ er Butlers lateinische Zitate nicht still an sich vorübergehen – »so habe ich doch aus ihr gelernt, diesen harten Schlag mit Ergebung zu tragen. Aber, Reuben Butler, was soll der Erleuchtete wie der weltlich Gesinnte denken von einem Führer, der die eigene Familie nicht bewahren konnte vorm Straucheln? wie werden sie Lehren hinnehmen, wenn der Lehrer seine Kinder so tief wie Belials Abkömmlinge sinken ließ? Aber ich will es mir immer ins Herz schreiben, daß alles, was ich bei mir oder den Meinen gut nannte, nur ein Licht gewesen ist, ähnlich demjenigen kriechender Insekten, die nur leuchten, wenn alles umher in finstrer Nacht ruht, und die, wenn der Morgen über den Bergen dämmert, arme elende Würmer sind ... und so soll Demut mir mein Kreuz tragen helfen.« Kaum hatte er ausgesprochen, so ging die Tür zum andern Male auf, und Herr Bartel Saddletree zeigte sich auf der Schwelle, mit dem Dreispitz auf dem Hinterkopfe und dem seidnen Schnupftuch darunter, das ihn kühl halten sollte; und mit dem Stock mit goldner Spitze in der Hand, ganz in der Haltung eines wohlhabenden Bürgers, der sich mit dem Gedanken trägt, ein Amt beim Magistrat, wenn nicht gar Sitz und Stimme darin, zu erhalten. Ein französischer Philosoph, Larochefoucauld, der in manche Tiefe des menschlichen Herzens hinein geleuchtet hat, sagt irgendwo: »In Unglücksfällen, auch unsrer besten Freunde, liegt immer etwas, das uns nicht ganz zuwider ist.« Das traf auf Herrn Saddletree zu, der es freilich sehr krumm genommen hätte, wenn ihm jemand gesagt hätte, die jetzige Trübsal der Familie Deans freue ihn; und doch hätte es sich sehr gefragt, ob es ihm nicht bitter angekommen wäre, die heimliche Befriedigung zu missen, die es ihm bereitete, mit seinen Rechtsfloskeln in einem so ernsten Falle, wie er hier vorlag, um sich zu werfen und den gelehrten Juristen zu spielen. Das war doch einmal ein Fall wirklicher Not, wo er nicht, wie sonst, seinen Rat unnützerweise aufdrang, sondern wo Rat gebraucht wurde und gern gehört werden mußte – und er fühlte sich glücklich darüber, wie ein Knabe, der die erste wirklich gehende Uhr, mit richtigen Zeigern und richtigem Zifferblatt, erhält. Zudem kribbelte ihm noch der Fall Porteous im Kopfe, mit dem gewaltsamen Tode des Hauptmanns und allen Folgen, die daraus für Stadt und Bürgerschaft erwachsen konnten: so daß er also sozusagen »in Materie schwamm«. Kein Wunder, daß er, getragen von dem Bewußtsein seiner Würde, mit der Absicht in die Stube trat, das Füllhorn seiner juristischen Weisheit über die unglückliche Familie auszuschütten. »Wünsche guten Morgen, Herr Deans! Ei, guten Morgen, Herr Butler! Hab keine Ahnung davon gehabt, daß Sie hier im Hause bekannt sind.« Reuben gab nur flüchtige Antwort, denn es konnte ihm begreiflicherweise nicht beikommen, einem ihm so gleichgültigen Menschen wie Saddletree in seine ihm heiligen Beziehungen zu Deans und seiner Tochter Einblick zu geben. Der ehrsame Bürger und Sattlermeister ließ sich würdevoll auf einen Stuhl nieder, wischte sich den Schweiß von der Stirn, schöpfte tief Atem und hub mit einem schweren Seufzer an: »Eine schreckliche Zeit, in der wir leben, Nachbar, wirklich eine schreckliche Zeit!« »Eine sündhafte, schmachvolle, gottlose Zeit!« versetzte leise der tiefgebeugte Pächter.« Saddletree, die Backen aufblasend, nahm auf der Stelle wieder, das Wort: »Mit mir ist's jetzt wirklich zu arg, ich weiß kaum noch, um was ich mich zuerst und zuletzt kümmern soll, ob um die Not meiner Freunde oder, um die Not meines Vaterlandes. Aller Witz, den die Leute sonst an mir rühmten, geht mir noch verloren, so daß ich mir nachgerade vorkomme, als lebte ich nicht unter gebildeten Menschen, sondern inter rusticos et asinos [unter Bauern und Eseln]. Stehe ich da heute in aller Herrgottsfrühe auf, mit den klarsten Ideen darüber, was sich zur Verteidigung der armen Effie unternehmen ließe; und kommt mir nicht, wie vom Himmel geschneit, die Geschichte mit dem Porteous-Krawall dazwischen, daß mir alle guten Gedanken wie Splint in Rauch aufgingen?« Trotz des schweren Leides, das auf seinem Herzen lastete, erregte die Mitteilung, den Hauptmann betreffend, die Aufmerksamkeit des greisen Pächters. Saddletree war sogleich bei der Hand, eine ausführliche Schilderung des Vorfalles und der wahrscheinlich mit ihm verknüpften Folgen zu geben. Butler hielt die Gelegenheit für günstig zu einer Rücksprache mit Jeanie, und das Mädchen schien einen ähnlichen Gedanken zu haben, denn sie verließ, als habe sie draußen zu tun, die Stube. Butler folgte ihr, und Deans wurde durch Saddletree so in Anspruch genommen, daß er seine, wie auch Jeanies Abwesenheit nicht merkte. Butler fand sie in der Milchkammer, still, niedergeschlagen, mit Mühe die Tränen zurückhaltend. Sonst ließ sie, auch während der Unterhaltung, die Hände nie ruhen; heute aber war sie von ihren Gedanken so niedergedrückt, daß sie wie blöde in einem Winkel hockte. Aber als Butler sich zeigte, wischte sie sich die Tränen aus den Augen und richtete mit der ihr eigentümlichen Schlichtheit das Wort an ihn. »Es ist mir recht lieb, daß Sie kommen, Herr Butler,« sagte sie, »weil ... weil ich Ihnen doch sagen muß, daß nun alles zwischen uns aus ist, aus sein muß, und Reuben, es ist so am besten für uns beide.« »Aus?« fragte Butler erstaunt, »und warum, Jeanie? Es ist wohl eine schwere Prüfung über uns gekommen, aber nicht Sie, Jeanie, haben Sie verschuldet. Unglück, das uns Gott sendet, müssen wir tragen, aber gelobte Treue braucht deshalb nicht gebrochen zu werden, kann deshalb nicht gebrochen werden, solange sie beiden Teilen heilig ist.« Jeanie richtete einen zärtlichen Blick auf ihn. »Ich weiß schon, Reuben,« sagte sie, »daß Sie mehr für mich sorgen als für sich! und eben darum kann ich Ihnen meinen Dank jetzt dadurch erstatten, daß ich Ihr Glück ins Auge fasse gleich meinem eignen. Sie sind unbescholten, Reuben, gehören dem geistlichen Stande an und werden es, wenn auch Armut Sie zurzeit niederdrückt, dereinst sicher zu Ansehen in der Kirche bringen. Armut ist freilich ein schlimmer Freund, Reuben, das wissen Sie recht gut; aber übler Ruf ist ein schlimmerer Feind, und durch mich sollen Sie diese Wahrheit nie kennen lernen, Reuben!« »Was meinen Sie mit diesen Worten?« fragte Butler mit Ungeduld; »in welchem Zusammenhange steht die Schuld Ihrer Schwester, wenn sie in der Tat schuldig ist, mit unserm Verlöbnis? Wie kann sie uns, wie Ihnen oder mir, von Schaden sein?« »Wie können Sie so fragen, Butler? Wird die Schmach, so lange wir diesseits des Grabes weilen, jemals vergessen werden? Wird sie nicht uns und unsern Kindern und Kindeskindern anhängen? Die Tochter eines rechtlichen Mannes zu sein, konnte mir zur Ehre gereichen, aber die Schwester einer... o Gott! o Gott!« Die mühsam aufrecht gehaltene Fassung verließ sie, und Tränen schossen aus ihren Augen. Reuben gab sich alle Mühe, ihren Schmerz zu stillen, und es gelang ihm auch; aber sie gewann die Fassung nur wieder, um die eben geäußerte Meinung auf das bestimmteste zu wiederholen. »Nein, Reuben, ich mag keinem Manne Schande ins Haus bringen. Das eigne Elend kann ich tragen, muß ich tragen; aber es einem andern aufbürden, nein, Reuben, nein! das kann ich nicht, das werde ich nicht, nun und nimmer!« Wer liebt, neigt immer zu Argwohn, und Jeanies Wille, mit ihm zu brechen, unter dem Vorwande der Rücksicht auf sein Wohl und seinen Frieden, schien ihm in schrecklichem Zusammenhange mit dem Auftrage zu stehen, den ihm jener Unbekannte draußen bei den Salisbury-Felsen gegeben hatte. Zitternd, mit stockender Stimme, fragte er sie, ob wirklich nichts anderes als das Unglück der Schwester sie zu solchen Worten bewege? – »Was sonst?« fragte sie schlicht, »was sonst als dies? Sind wir uns nicht seit zehn Jahren schon im Worte?« »Zehn Jahre?« wiederholte Butler; »eine lange Zeit, Jeanie, eine, so lange Zeit, daß es ein Mädchen wohl satt bekommen kann!« »Satt bekommen, Reuben?« wiederholte sie, »ja, ein Kleid wohl, wenn sie Lust am Putze hat; aber nicht einen Freund, Reuben. Nach Abwechslung mag sich das Auge sehnen, das Herz kann es nie!« »Nie, Jeanie?« wiederholte Butler, und setzte nach kurzer Pause hinzu: »Ein kühnes Versprechen, Jeanie, ein sehr kühnes Versprechen!« »Nicht kühner, Reuben, als wahr,« antwortete sie mit jener Ruhe und Ehrlichkeit, die nie von ihr wich, weder in bösen noch in guten Stunden, weder in Augenblicken der Erregung noch in dem Einerlei des Lebens. Butler gab keine Antwort, richtete aber den Blick fest auf sie, und nach einer Weile sagte er:»Jeanie, ich habe was an Sie auszurichten.« »Was an mich auszurichten? und von wem?« fragte sie; »was kann mir jemand mitzuteilen haben?« »Ein Fremder hat's mir aufgetragen,« versetzte Butler, bemüht, ruhig zu sprechen; aber das Zittern in seiner Stimme strafte ihn Lügen: »ein junger Mensch, den ich heute morgen zwischen den Salisbury-Felsen getroffen habe.« »O Himmel!« rief Jeanie eifrig, »und was sagte er? Reuben! was sagte er?« »Daß er dort, wo er gedacht, nicht länger auf Sie warten könne, daß er aber verlange, von Ihnen verlange, Jeanie, daß Sie ihn heute nacht, nach Mondesaufgang, bei den Muschatfelsen erwarten.« »O, sagen Sie ihm,« antwortete Jeanie nicht minder eifrig, »daß ich dort sein werde, gewiß dort sein werde!« Reubens Argwohn mehrte sich zufolge des Eifers, mit dem Jeanie ihm antwortete, und er erwiderte mit auffälliger Kälte: »Ich darf wohl fragen, wer der Mann ist, dem Sie zu so ungewohnter Zeit und an solchem Orte eine Zusammenkunft gewähren?« »Man muß manches tun,« antwortete sie, »was man nicht gern tut.« »Zugegeben,« antwortete ihr Geliebter, »aber was zwingt Sie jetzt zu solchem Schritte? Und wer ist der Mann? Was ich von ihm gesehen, sprach nicht zu seinen Gunsten, wer ist der Mann, Jeanie, und was ist der Mann?« »Ich weiß es nicht« antwortete sie. »Sie wissen es nicht?« fragte Butler, ungeduldig in der Kammer hin und her gehend; »und doch wollen Sie ihm, einem jungen Menschen, nächtlicherweile an diesen einsamen Ort folgen? folgen auf seinen Befehl? Wie kann jemand, den Sie nicht kennen, solche Gewalt über Sie haben? Jeanie, was soll ich davon denken?« »Nichts Reuben, als daß ich Wahrheit rede, als stünde ich vor dem jüngsten Gericht! Ich kenne den Mann nicht – weiß nicht, ob ich ihn je gesehen, und doch muß ich ihm die Zusammenkunft, die er fordert, gewähren, ich muß, Reuben, denn es gilt Leben und Tod!« »Wollen Sie es dem Vater nicht sagen?« fragte Reuben, »oder ihn mitnehmen?« »Ich kann nicht,« versetzte Jeanie, »mir fehlt die Erlaubnis dazu.« »Darf ich mitgehen? Ich will mich bis zur Nacht bei den Felsen aufhalten und Euch dort treffen.« »Es kann nicht sein,« erwiderte sie, »denn es darf niemand hören, was der Mann mit mir spricht.« »Haben Sie auch bedacht, was Sie tun wollen, Jeanie? Ort und Zeit, und den verdächtigen Eindruck, den der Mensch macht? Sie hätten's ihm, wenn er's hier, in Rufnähe des Vaters, von Ihnen verlangt hätte, weigern müssen, mit ihm allein zu sein!« »Reuben, ich muß mein Wort halten«, antwortete sie. »Mein Leben steht in Gottes Hand und meine Sicherheit nicht minder; aber beides zu wagen bei dieser Zusammenkunft, darf ich mich nicht besinnen.« »Dann müssen wir,« sagte er fest, »miteinander brechen, Jeanie, kurz und bündig, und Abschied voneinander nehmen für immer, denn kann zwischen einem Mann und der ihm verlobten Braut in einem so wichtigen Punkte kein Vertrauen bestehen, so muß er dies als Beweis dafür ansehen, daß sie ihm nicht mehr jene Achtung entgegenbringt, die für ein dauerndes Verhältnis schicklich und notwendig ist.« Jeanie sah ihn an, ein schwerer Seufzer entrang sich ihrer Brust, und sie sagte: »Ich hatte gemeint, die Trennung überwinden zu können, bin aber nicht darauf gefaßt gewesen, daß es im Unfrieden sein werde. Nun, ich bin Weib, und Sie sind Mann: bei Ihnen mag das anders sein. Gewährt es Ihrem Gemüt Erleichterung, Schlimmes von mir zu denken, so mag ich Ihnen nicht zumuten, Ihre Meinung zu ändern,« »Sie sind, wie immer, Jeanie, besser und weiser als ich,« sagte Butler, »aus angeborenem Gefühle, und darum auch weniger egoistisch, als ich, trotz aller Hilfe, die ein Christ aus der Philosophie zu schöpfen vermag. Aber trotzdem frage ich: warum – warum wollen Sie auf einem so verzweifelten Unternehmen beharren? warum soll ich Ihnen nicht als Begleiter oder Beschützer oder doch wenigstens Berater dienen dürfen?« »Aus keiner andern Ursache, als weil ich nicht die Erlaubnis habe, jemand mitzubringen,« antwortete schlicht und ehrlich das Mädchen, fuhr aber, plötzlich erschreckt auf. »Still! Was war das? Vater wird doch nicht krank geworden sein?« In dem Raume nebenan wurden Stimmen laut. Als Jeanie und Butler die Stube verlassen hatten, war Saddletree von dem Thema Porteous rasch auf das andere übergegangen, das dem unglücklichen Greise näher lag. Deans hatte, niedergedrückt durch das Unglück, das auf ihm lastete, ohne Widerspruch angehört, was ihm Saddletree vorgeschwatzt hatte über die Gefahr, die über seiner Tochter schwebte, über die Gattung des Verbrechens, unter dessen Anklage sie stand, und über die Schritte, die zu ihrer Verteidigung eingeleitet werden müßten. Bei jeder Pause, die Saddletree in seinem Vortrage machte, hatte Deans gesagt, er bezweifle nicht, daß es Saddletree gut mit ihm meine, sei doch seine Frau weitläufig mit ihnen verwandt. Erst als Saddletree den Wortlaut der Anklageschrift gegen seine Tochter, von der er sich eine Kopie zu verschaffen gewußt hatte, rekapitulierte, war Deans aufgesprungen und hatte ihn gebeten, einzuhalten. »Nicht weiter, nicht weiter!« hatte er gerufen, »lieber stoßt mir ein Schwert in die Brust, als daß Ihr noch eine Silbe hinzufügt.« »Es möchte Euch aber zum Troste gereichen, Deans,« sagte Saddletree, der sich so leicht nicht werfen ließ, »wenn Ihr alles gut übersähet. Aber, wie Ihr wollt. Wir kämen also zu der Frage, was in solchem Falle am besten zu tun bleibt.« »Nichts, nichts, Nachbar,« versetzte Deans heftig, »als zu dulden, was der Herr über uns ergehen läßt. O, wenn Er es doch gefügt hatte, daß dieses graue Haupt vor dieser schrecklichen Heimsuchung in die Grube gefahren wäre! Aber Sein Wille geschehe! Sein Wille geschehe!« Als ihm Saddletree darauf riet, für seine Tochter einen Anwalt zu nehmen, war er über dem Für und Wider in den heftigsten Zorn geraten. »Bleibt mir vom Leibe damit!« hatte er gerufen; »ich tue es nicht, und wenn Ihr noch soviel redet. Ich stehe auf den heiligen Worten der Bibelschrift: Auge um Auge, Zahn um Zahn, Blut um Blut! und wenn das Leben meines unglücklichen Kindes, wenn Jeanies Leben und mein eignes davon abhinge, daß ich solchen Sklaven Satans aufforderte, sich mit einer Silbe für uns zu verwenden, so mögen wir alle lieber untergehen!« Die leidenschaftliche Art, wie er diese Worte geschrien, war es gewesen, die Jeanie so erschreckte, daß sie das Gespräch mit Butler abbrach und, von ihm gefolgt, in die Stube stürzte. Hier fanden sie den Greis in der stärksten Erregung, schier außer sich vor Gram und Aerger; sein Gesicht glühte, seine Stimme war heiser, er hielt die Faust geballt, und Tränen standen ihm in den Augen: Butler, von solcher heftigen Erschütterung die schlimmsten Folgen für den hochbejahrten Mann fürchtend, trat zu ihm, nahm seine Hand und wagte es, ihn zu Geduld und Ruhe zu mahnen. »Ich bin geduldig – ich bin ruhig,« versetzte der Greis bitter, »ruhiger als irgend einer, der den schmerzlichen Verfall dieser Zeiten mit durchlebt, es sein sollte! und brauche wahrlich niemand, am wenigsten aber Söhne von Cromwellschen Reitern, mein graues Haupt zu lehren, wie es sein Kreuz tragen soll.« Butler nahm den herben Ausfall gegen seinen längst im Grabe ruhenden Großvater mit Ruhe hin, ihn der Erregtheit des unglücklichen Greises zu gute haltend, und bemühte sich, ihn milder zu stimmen. Aber es war alles vergeblich. Deans erhob sich mühsam von dem Stuhle, auf den er wieder niedergesunken war, richtete sich zu voller Höhe auf, streckte, wie wenn er der Reden und Anwesenheit der beiden Männer müde sei, abwehrend die Hand aus, schüttelte den Kopf und verließ die Stube, um sich in seine Schlafkammer zu flüchten. »Das heißt doch, das Leben eines Kindes geradezu wegwerfen,« rief Saddletree, als er mit Butler und Jeanie allein in der Stube stand; »wer hätte je, etwas davon gehört, daß man in solchem schweren Falle keinen Anwalt nimmt?« Da trat ein neuer Gast ein: Lord Dumbiedike, der den Zaum seines Kleppers um den gewohnten Haken schlang und sich auf seinen gewohnten Platz, begab. Seine Augen aber hatten einen ungewohnten Glanz und wanderten unruhig vom einen zum andern, bis ihm durch Saddletrees letzte Worte der traurige Sinn der schon draußen gehörten Worte des alten Pächters klar wurde. Er blieb auf dem Wege zu seinem gewohnten Platze stehen, trat langsam auf Saddletree zu, näherte die Lippen dem Ohre desselben und fragte mit unsichrer ängstlicher Stimme: »Kann ... kann Geld nicht helfen?« Saddletree legte das Gesicht in ernste Falten. »Hm,« sagte er mit Wichtigkeit, »Geld kann freilich helfen, kann mehr im Parlamentshause helfen als irgend sonst etwas. Aber woher soll Geld kommen? Sie haben ja doch gehört, daß Herr Deans von nichts wissen will. Meine Frau ist freilich weitläufig mit der Familie verwandt; aber allein wird sie ein so großes Opfer auch nicht bringen. Ja, wenn sich jeder Freund der Familie zu etwas verstehen wollte, dann ließe sich schon reden. Ich möchte gewiß am allerwenigsten, daß die Sache zum Schlimmsten käme, ohne verfochten zu werden. Es wäre ja auch gar nicht mit der Ehre verträglich, mag der eigensinnige Mann reden, soviel er will.« »Ich, ich, will«, sagte Dumbiedike, all seinen Mut aufbietend, »ich will gutsagen für zwanzig Pfund,« Doch kaum waren, die Worte aus seinem Munde, so stand er wie starr vor Staunen über die von ihm bekundete Entschlossenheit zu einer großmütigen Handlung. »Gott möge es Ihnen lohnen, Laird!« rief Jeanie dankerfüllten Herzens. Laird Dumbiedike, schüchtern von ihr weg auf Saddletree blickend, sagte noch einmal: »Ja, zwanzig Pfund, wenn's nicht anders geht, meinetwegen auch dreißig.« »O, da wird es gehen, gut gehen!« rief Saddletree, sich die Hände reibend, »und an mir soll es nicht liegen, wenn es nicht geht, ich will mein bestes Wissen und Können dran setzen, dem Gelde volles Gewicht zu geben. Lassen Sie mich nur machen! Nenn jemand versteht mit diesen Habichten umzugehen, so bin ich es. Knapp halten muß man sie, knapp halten, und immer vorreden, daß man sie zu noch anderen und besseren Prozessen im Auge habe. Dann legen sie sich ins Zeug! Dann machen sie es gnädig mit der Berechnung, weil sie sich für die Zukunft mehr versprechen.« »Und ich?« fragte Butler, »kann ich gar nichts tun? Freilich besitze ich kaum mehr als den Rock, den ich auf dem Leibe trage: aber ich bin jung und rüstig, bin der Familie vielen Dank schuldig, kann ich wirklich nichts tun?« »Sie können freilich was tun, Herr,« erwiderte Saddletree, »indem Sie Zeugen herbeischaffen; und wenn wir bloß einen auftreiben, der unter seinem Eide aussagt, sie habe ihm einen Wink über ihren Zustand gegeben, so ist ihr durchgeholfen. Herr Croßmyloof hat's mir gesagt, daß die Anklage durch den Beweis des Verteidigers widerlegt werden müsse, aber anders ginge es nicht, und Herr Croßmyloof versteht's, darauf können Sie sich, verlassen!« »Aber die Tatsache, mein Herr,« wandte Butler ein, »daß das Mädchen einem Kinde das Leben gegeben hat, müssen die Ankläger doch erst beweisen?« Während Lord Dumbiedikes Gesicht, das sich die ganze Zeit über wie auf einer Angel von einem zum andern gedreht, sich aufzuklären anfing, erwiderte Saddletree nach einigem Besinnen: »Das wohl, das wohl! bloß wird's in diesem Falle insofern nicht vonnöten sein, als das Mädchen die Schuld ja doch gestanden hat.« »Den Mord gestanden?« rief mit erschütterndem Aufschrei die Schwester. »Das habe ich nicht gesagt,« versetzte Saddletree, »aber daß sie einem Kinde das Leben gegeben, hat sie gestanden.« »Und was ist aus dem Kinde geworden?« fragte Jeanie weiter voll Angst, »sie hat mir nichts gesagt, bloß geweint und geseufzt.« »Sie sagt, das Weib, bei dem sie das Kind geboren und die ihr Beistand in ihrer schwerer Stunde geleistet, habe es ihr genommen.« »Und was für ein Weib war das?« fragte Butler, »durch sie kann die Wahrheit doch ans Tageslicht gebracht werden. Wer ist's? Und wo wohnt sie? Ich will auf der Stelle zu ihr.« »Schade, daß ich nicht so jung bin wie Sie und mich nicht so schnell bewegen kann wie Sie, und die Worte nicht so gut setzen kann wie Sie,« sagte Dumbiedike. »Wo finde ich dieses Weib?« fragte Butler ungeduldig, »was ist es für ein Weib?« »Ja, wer kann das wissen,« sagte Saddletree, »als Effie selbst? aber sie hat sich geweigert, im Verhör auf dergleichen Fragen Antwort zu geben.« »So will ich auf der Stelle selbst zu ihr gehen,« sagte Butler; »leben Sie Wohl, Jeanie, aber,«– und dabei trat er zu ihr heran – »keinen übereilten Schritt, bis Sie von mir hören! – Adieu!« »Ich ginge ja auch gern,« sagte Laird Dumbiedike, und aus seiner Stimme klang es wie Verdruß, wenn nicht Eifersucht, »aber ich brächte meinen Klepper auf keinen andern Weg als von Dumbiedike hierher und wieder zurück, um alles in der Welt nicht!« »Besser wird's ihr nützen,« meinte Saddletree, mit ihm das Haus verlassend, »wenn Sie mir die dreißig Pfund für sie schicken.« »Dreißig Pfund?« stammelte der Laird, jetzt außer dem Bereiche der Augen, die ihn zu solcher Großmut begeistert hatten, »ich ... habe doch nur ... von zwanzig gesprochen?« »Zuerst ja,« erwiderte Saddletree, »aber nachher haben Sie dreißig Pfund genannt.« »Wirklich? Wirklich? Mir ist's nicht mehr in Gedanken,« antwortete Dumbiedike, »aber was ich gesagt, werde ich halten. Haben Sie wohl gesehen, Herr Saddletree, wie ihre Augen glänzten? ganz wie Karfunkelsteine!« »Auf Weiberaugen, Laird,« erwiderte Saddletree, der nicht zu den empfindsamen Herren gehörtes »verstehe ich mich nicht besonders, mache mir auch nicht viel draus, und wünschte nur, ich wäre vor ihren Zungen ebenso gefeit; obwohl ich sagen darf,« setzte er rasch hinzu, indem ihm auf einmal klar zu werden schien, daß es Pflicht für ihn sei, sein Ansehen als Hausherr zu wahren, »daß schwerlich ein Frauenzimmer in schärferer Räson gehalten wird als meines, denn bei mir gibt's nichts von Rebellion oder laesae majestatis wider meine Ober-Eheherrlichkeit.« Der Laird erblickte in dieser Antwort Herrn Saddletrees nichts, was Antwort erheischt hätte; und so gingen sie, nach einem stummen Gruße, auseinander, jeder seines Weges. Elftes Kapitel Butler hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan, und doch empfand er weder Müdigkeit noch das Bedürfnis nach einer Erfrischung. Ueber dem Eifer, zu Jeanies Schwester zu gelangen, vergaß er beides. Er eilte schnellen Schrittes den Pfad entlang, der zur Stadt hin führte, als er mit einem Male zu seiner nicht geringen Verwunderung hinter sich schnaufen und husten und den schweren Tritt eines hochländischen Kleppers hörte. Jetzt wurde auch sein Name gerufen, und als er sich umsah, erblickte er den Laird von Dumbiedike, der hinter ihm her kam, so schnell sein Klepper trotten wollte. Zum Glück hatte er eine Strecke lang den gleichen Weg nach Dumbiedike, wie Butler nach der Stadt, denn sonst hätte er wohl darauf verzichten müssen, diesen noch einmal zu sehen. Im Herzen den Klepper mitsamt seinem Reiter verwünschend, blieb Butler stehen. »Uf! Uf! Uf!« ächzte Dumbiedike, während er sich alle Mühe gab, sein störrisches Tier neben Butler zum Stehen zu bringen; »uf! uf! das Biest, ist wahrhaftig ein dickköpfiges Biest!« In der Tat hatte er Butler knapp vor der Stelle eingeholt, wo sich die Straße nach Dumbiedike von der nach Edinburg schied, und darüber hinaus hätte kein Mittel und keine Macht Rory Beans – so hieß nämlich der Klepper – bewegen können, auch nur eine Elle über den Pfad hinaus zu trotten, der ihn seinem Stalle zuführte. Sobald der Laird das Quantum Atem wiedergefunden hatte, um das er durch den raschen Ritt gebracht worden war, – denn an ein solches Tempo war weder er noch sein Klepper gewöhnt – versuchte er den Grund seiner Umkehr zu sagen, konnte aber noch immer kein Wort zur Kehle herauf bringen, so daß drei ganze Minuten verstrichen, ehe Butler ein zweites »Uf! Uf!« hörte; und erst nach weiteren drei Minuten und mehrmaligem Ansatze fing der Laird an zu stammeln: »Ich ... ich ... es ist ... Herr Butler heute wirklich ein Herbsttag, der sich sehen lassen kann.« »Ja, Sir,« antwortete Butler verdrießlich, »ein schöner Tag! ich wünsche guten Morgen, Sir!«, und wollte gehen. »Aber so bleiben Sie doch noch,« antwortete Dumbiedike, der nun schneller sprechen konnte, »ich möchte Ihnen noch was andres sagen,« »Dann machen Sie es, bitte, kurz ab und nehmen Sie Rücksicht drauf, daß ich es eilig habe. Sie kennen doch das Sprichwort: tempus nemini« [Die Zeit wartet auf niemand]. Dumbiedike kannte weder das lateinische Wort, noch suchte er, wie vielleicht andere an seiner Stelle getan hätten, sich den Schein davon zu geben; er hatte all seine Fähigkeiten zu einer einzigen Hauptfrage gesammelt und konnte kein einziges Wort davon früher aussprechen, als bis er alles dazu in sich verarbeitet hatte. »Ich wollte bloß fragen, Herr Butler,« stieß er nun hervor, »ob Sie wissen, ob Herr Saddletree wirklich ein großer Rechtsgelehrter ist?« »Ich weiß darüber nichts, als was er selbst spricht,« versetzte Butler trocken, »bin indessen der Meinung, daß er doch am besten wissen muß, was er wert ist.« »Ich verstehe, Herr Butler,« antwortete der wortkarge Laird, »und meine daraufhin, daß es wohl besser sein wird, meinen eignen Anwalt, Nichil Novit, den Sohn vom alten Nichil, der seinem Vater wohl kaum viel nachsteht, mit der Sache zu betrauen.« Darauf legte er die Hand höflich an den goldverbrämten Tressenhut und gab seinem Klepper einen Hieb mit der Peitsche, den dieser, da er seinem Drange nach dem Stalle entgegenkam, sofort richtig auffaßte und befolgte, indem er Kehrt machte. Auch Butler, der von dem gesunden Verstande des Lairds mit einem Male eine recht gute Meinung gewann, setzte nun rüstig seinen Weg fort. Hatte sich auch der schon längere Zeit genährte Argwohn gegen den ehrlichen Laird, daß seine Anhänglichkeit an die Familie Deans nicht bloß auf Freundschaft mit dem greisen Vater beruhen möchte, nach den Erfahrungen des heutigen Tages nicht verringert, sondern im Gegenteil verstärkt, so war er doch viel zu rechtlichen Sinnes, selbstsüchtige Gedanken aufkommen zu lassen. »Der Laird hat Ueberfluß an dem, was mir fehlt,« sagte er bei sich, »und unbillig wäre es von mir, darüber zu schmähen, daß er ein paar Pfund von seinem Reichtum zum Wohle der armen Leute opfern will, zumal ich mich doch nur auf den guten Willen, ihnen zu helfen, beschränken muß. Tue jeder, was in seinen Kräften steht, sie wieder glücklich zu machen und vor dem Jammer, vor der Schande zu bewahren, die ihr drohen. Wenn mir der Herr nur dazu verhälfe, Jeanie vor dem Schrecklichen zu behüten, das sie vorhat! Ich will ja, und wenn mir auch das Herz darüber bricht, auf alle Hoffnung fassungsvoll verzichten.« Er beschleunigte seine Schritte und hatte bald das Edinburger Gefängnis erreicht. Seine nächtliche Begegnung mit dem seltsamen Fremden, dessen Auftrag an Jeanie, die darauf folgende, ihm so schmerzliche Unterredung mit ihr und dann die Szene zwischen dem Vater und Saddletree hatten seine Sinne so vollständig eingenommen, daß ihm die tragische Begebenheit der Nacht, deren Teilnahme ihm aufgezwungen worden, ganz aus der Erinnerung gekommen war; ja weder die vielen Gruppen, die flüsternd in den Straßen herumstanden, noch die überall herumspionierenden Schergen und Häscher, noch das im Bewußtsein der Schuld scheu und ängstlich herumschleichende gemeine Volk und die verstärkten Stadt- und Torwachen konnten seine Gedanken darauf zurückführen. Erst als er vor dem Portale stand, vor dem eine Doppelreihe von Grenadieren aufmarschiert war, die ihm ein wiederholtes »Halt!« zuschrieen, und die Spuren von Feuer und Rauch an den Steinmauern und Torflügeln sah, traten ihm die grausen Vorgänge nacheinander wieder ins Gedächtnis. Der gleiche lange, hagere Schließer mit dem Silberhaar, den er am verwichenen Abend gesehen, trat ihm, als er nach Effie Deans fragte, entgegen. »Ihr seid wohl derselbe,« fragte der Schließer, Butlers Wunsch, zu der Gefangenen geführt zu werden, auf echte Schottenmanier mit einer Gegenfrage umgehend, »der schon gestern nach der Dirne gefragt hat?« Butler räumte ein, daß er dieselbe Person sei. »Sie haben wohl auch gefragt,« examinierte ihn der Schließer weiter, »wann wir schlössen, oder ob wir des Porteous-Krawalls wegen früher schlössen als sonst?« »Kann sein,« antwortete Butler; »ich frage doch aber jetzt, ob ich Effie Deans sprechen kann?« »Darüber steht mir kein Entscheid zu,« antwortete der Schließer, »gehen Sie hier die Treppe hinauf, und dann in die erste Tür links, dort fragen Sie wieder!« Butler stieg die Treppe hinauf, gefolgt von dem Schließer, in dessen Hand das Schlüsselbund unheimlich rasselte. Kaum war Butler in den ihm bezeichneten Raum getreten, als der Schließer, mit geübter Hand den richtigen Schlüssel fassend, die Tür von außen zuschloß. Im ersten Augenblick meinte Butler, hierin nur eine übliche Vorsichtsmaßregel erblicken zu sollen; als der Schließer jetzt aber nach der Wache rief und gleich darauf Waffenklirren an sein Ohr schlug, rief Butler: »Aber, mein Lieber, ich muß auf der Stelle mit Effie Deans reden; bringen Sie mich also bald in ihre Zelle!« Keine Antwort. »Geht es wider Ihre Instruktion, mich zu der Gefangenen zu führen,« rief Butler wieder, »so sagen Sie es, bitte, und lassen Sie mich meinen Geschäften wieder nachgehen.« – In sich hinein aber murmelte er den lateinischen Vers: »Fugit irreparible tempus [Es flieht die unwiederbringliche Zeit] «. »Wenn Sie in der Stadt noch was zu besorgen hatten,« antwortete von draußen der Schließer, »so wär's gescheiter gewesen, Sie hätten das vorher abgemacht; denn es wird Ihnen wohl gehen wie manchem andern, der auch schneller hinein als heraus war.« »Was sollen solche Reden?« fragte Butler; »Sie scheinen mich für einen andern zu halten? Ich bin Geistlicher, Reuben Butler aus Libberton.« »Ich weiß, ich weiß,« versetzte der Schließer, ohne aus seiner Ruhe zu kommen. »Nun, wenn Sie wissen, wer ich bin,« rief Butler, »so verlange ich zu wissen, auf Grund welcher Vollmacht Sie mich zurückhalten, als Recht, das jedem britischen Untertan zusteht.« »Vollmacht?« wiederholte der Schließer; »es sind zwei Frone nach Libberton unterwegs, Sie zu holen. Hätten Sie, nach ehrlicher Leute Art, die Nacht zu Hause verlebt, so wäre Ihnen solcher Besuch wohl erspart geblieben; wenn Sie sich nun aber gar selbst herbemühen, sich einsperren zu lassen, so kann ich Ihnen am allerwenigsten dabei helfen, mein Lieber!« »Also kann ich Effie Deans nicht sprechen?« rief Butler; »und frei lassen wollen Sie mich auch nicht?« »Allerdings nicht,« erwiderte der grämliche Alte; »statt um Effie Deans, bekümmern Sie sich wohl besser um Ihre eigenen Sachen? Und hinausgelassen werden Sie kaum früher werden, als das Gericht es anordnet. Einstweilen machen Sie es sich also hier bequem! Ich muß den Zimmerleuten auf die Finger sehen, die uns die Türen wieder einsetzen sollen, die Ihre feinen Kameraden uns gestern nacht zertrümmert haben.« Butler war es im ersten Augenblick, als sei er nicht recht bei Verstand. Sich hinter Schloß und Riegel zu wissen, wenn auch zufolge falscher Anklage, hat immer, selbst für starke Menschen, etwas Schreckliches; nun war aber heute Butlers Nervenapparat in der größten Aufregung, und wenn ihm auch die Festigkeit nicht fehlte, die uns Pflichtgefühl und guter Wille verleihen, so fehlte ihm bei seiner schwachen Konstitution und lebendigen Einbildungskraft doch jener Gleichmut gegen Gefahren, die das glückliche Erbteil von Menschen mit starker Gesundheit und schwachem Empfindungsvermögen sind. Wie ein Nebel schwamm ihm die unklare Vorstellung dessen, was ihm drohte, vor den Augen; und in der Hoffnung, daß sich ihm Mittel und Wege zeigen würden, seine Anwesenheit unter dem Pöbelhaufen zu rechtfertigen oder wenigstens zu erklären, – denn nur darin, sagte er sich, war der Grund zu seiner Verhaftung zu suchen – rief er sich die Vorgänge der Nacht wieder in das Gedächtnis. Daß ihm kein Zeuge zur Seite stand, auszusagen, wie sehr er sich umsonst bemüht habe, der aufrührerischen Menge den Rücken oder doch ihren Sinn zum Bessern zu kehren, milderte die bange Stimmung, die ihn jetzt beschlich, so wenig, wie der Gedanke an die Not der Familie Deans und an die gefährliche Zusammenkunft Jeanies mit dem seltsamen Fremden, die er nun nicht mehr verhindern konnte. Eine Stünde mochte so verronnen sein, als ein Fron in seine Zelle trat, um ihn vor den Magistrat zu führen. So sehr es ihn verlangte, Klarheit über seine Verhaftung zu erlangen, ergriff ihn doch, als er die starke Bedeckung sah, unter der er nach dem Verhandlungszimmer geführt wurde, ein Beben, das ihm nichts Gutes zu bedeuten schien. An einem langen, grünen Tische saßen die Ratsherren versammelt. Am untern Ende desselben stand ein Mann, den sie verhörten. Als Butler vom Frone herbeigeführt wurde, fragte einer der Räte, ob das der Geistliche aus Libberton sei. Als der Fron mit Ja antwortete, sagte der Ratsherr, es werde nicht mehr lange dauern, das Verhör vielmehr bald zu Ende sein, Butler solle sich setzen. Einer der Beisitzer fragte, ob Butler nicht besser so lange wieder abgeführt werde? Der Ratsherr verneinte. Butler mußte sich, während ein Soldat von der Wache neben ihm Posten faßte, am entgegengesetzten Ende des Zimmers auf eine Bank setzen. Es war ein sehr großer Raum, aber eigentümlich beleuchtet. Alles Licht von dem einzigen Fenster, das er hatte, fiel, ob nun zufällig oder vom Baumeister so eingerichtet, auf den untern Teil der Tafel, wo sich die angeklagten Personen aufstellen mußten, während der obere Teil, wo die Richter ihre Plätze hatten, in tiefem Schatten lag. In der Erwartung, in dem Gefangenen, mit dessen Verhöre sich die Ratsherren befaßten, einen der Aufrührer der gestrigen Nacht zu erkennen, richtete Butler die Blicke auf ihn. Aber so auffallend auch das Gesicht des Mannes war, so konnte Butler sich doch nicht entsinnen, ihn je vorher im Leben gesehen zu haben. Er war von dunkler Farbe und schon im vorgerückten Alter. Das tiefschwarze, doch schon grau gesprenkelte Haar trug er kurz geschoren und glatt über die Stirn gekämmt. Sein Gesichtsausdruck war eher verschmitzt als gewalttätig, und die grellen schwarzen Augen, die scharfen Züge, das hämische, gemeine Lächeln mit dem frechen Zug um seine Lippen gaben ihm ganz das Aussehen eines verschlagenen Halunken, den man, wenn man ihm auf einem Jahrmarkte begegnet wäre, aus den ersten Blick für einen Pferdehändler gehalten hätte. Auch die Kleidung, die er trug, die lange bis an den Hals zugeknöpfte Reitjacke, die spitzen Metallknöpfe daran, die groben blauen Drillichhosen mit den daran festgemachten Wadenstrümpfen und der heruntergeklappte Hut, ließ auf diesen Stand schließen. Nur eins fehlte, den Eindruck vollständig zu machen: die Peitsche unterm Arme und die Sporen am Fuße. »Euer Name ist Ratcliffe, James Ratcliffe?« fragte der Ratsherr. »Mit Verlaub, Euer Gnaden, ja.« »Das heißt: falls mir der Name nicht genehm wäre, würdet Ihr Ja auch zu einem andern Namen sagen?« »Mit Verlaub, Euer Gnaden, bei etwa zwei Dutzend Namen könnte das zutreffen, Euer Gnaden,« erwiderte der Mann. »Aber Euer gegenwärtiger Name ist Ratcliffe?« Der Mann nickte. »Und welches Gewerbe betreibt Ihr?« fragte der Ratsherr weiter. »Gewerbe wäre wohl kaum der richtige Name für das, was ich treibe, Euer Gnaden,« sagte der Mann. »Nun, dann wollen wir die Frage so stellen: wovon lebt Ihr?« fragte der Ratsherr. »Je nun, Euer Gnaden, ich meine, das wissen Eure Gnaden doch gerade so gut wie ich.« »Mag sein. Aber Ihr müßt Euch darüber hier deutlich aussprechen.« »Ich, Euer Gnaden? Hier, Euer Gnaden? Solches sei ferne von James Ratcliffe!« »Keine solchen Ausflüchte, Mann! Ihr habt hier klare und bestimmte Antwort auf jede Frage zu geben.« »Richtig, Euer Gnaden,« antwortete der Mann, wem's drum zu tun ist, pardonniert zu werden, der soll von der Leber weg reden. Euer Gnaden verlangen, daß ich aussage, was ich treibe? wovon ich lebe? Ein nicht sonderlich günstiger Ort, auf solche Fragen klippklar zu antworten, Euer Gnaden, wenigstens für mich nicht. Aber, Euer Gnaden, wie heißt das siebente Gebot?« »Du sollst nicht stehlen,« antwortete der Richter. »Wirklich? heißt's so?« fragte der Mann; »dann steht meine Arbeit freilich im krassen Widerspruche zu dem Gebot, denn ich hab den Text immer gelesen: Du sollst stehlen! Wenn's auch bloß ein kleines Wörtchen ist, das fehlt, so macht's doch einen argen Unterschied aus.« »Kurz also, Ratcliffe, Ihr seid ein berüchtigter Dieb?« fragte der Ratsherr. »Hoch- und Unterland können's bezeugen, und England und Holland dazu, Euer Gnaden,« versetzte der Angeklagte mit maßloser Frechheit. »Auf welches Ende habt Ihr mithin zu rechnen?« fragte der Ratsherr. »Gestern hätte ich's aufs Haar prophezeit, aber heute bin ich meiner Sachen nicht mehr sicher.« »Und welches Ende hättet Ihr Euch gestern prophezeit, Ratcliffe?« »Den Galgen, Euer Gnaden,« erwiderte Ratcliffe mit Seelenruhe. »Ihr seid ein gar frecher Kujon, Ratcliffe! Und wie kommt Ihr dazu, für Euch etwas Besseres zu erhoffen?« »Ich meine, Euer Gnaden, es sei doch ein himmelweiter Unterschied, ob einer im Loche sitzt, weil er muß, oder weil er gutwillig drin bleibt. Was hätte mich gestern, als die Menge mit Kapitän Porteous abzog, am Verduften gehindert? Und daß ich expreß geblieben sei, um Hanf zu riechen, das werden doch Euer Gnaden nicht glauben?« »Weshalb Ihr da geblieben seid, weiß ich nicht; weshalb Euch das Gericht aber eingesteckt hat, weiß ich, Ratcliffe! um Euch nächsten Mittwoch über acht Tage hängen zu lassen!« »Nicht doch, Euer Gnaden,« erwiderte Ratcliffe zuversichtlich, »mit Verlaub, Euer Gnaden; aber das glaube ich erst, wenn ich unterm Galgen stehe. Mit den Gerichten bin ich doch jahrelang auf Verkehrsfuß, habe auch schon manchen Tanz mit ihnen gedreht; aber so schlimm wie ihr Ruf, sind sie nicht, bei weitem nicht. Ich hab im Gegenteil immer gefunden, daß sie mehr bellen als beißen.« »Ratcliffe, meines Wissens seid Ihr schon zum vierten Male zum Galgen verurteilt,« sagte der Ratsherr, »wenn Ihr nun nicht darauf rechnet, gehängt zu werden, als Ihr vorzogt dazubleiben, statt wie die andern auszubrechen, worauf habt Ihr dann gerechnet?« »Auf ein Pöstchen in dem alten Kasten, an dem ich nun mal Geschmack gefunden habe,« sagte Ratcliffe. »Auf ein Pöstchen am Pranger, meint Ihr?« rief der Richter. »Nicht doch, Euer Gnaden, an den Pranger hab ich nicht gedacht, denn wer viermal zum Galgen verurteilt worden, der ist über Pranger und Stockhiebe doch längst hinaus.« »Dann sagt mir aber, auf was für einen Posten könnt Ihr zu rechnen meinen?« »Auf den eines Beifrons, Euer Gnaden,« erwiderte Ratcliffe mit maßloser Ruhe; »ich habe gehört, es sei einer vakant. Um den des Scharfrichters will ich mich nicht bewerben, denn der paßte nicht so gut für mich wie für andere, ich wenigstens hab in meinem ganzen Leben kein Tier umbringen können, geschweige einen Menschen.« »Das spricht wenigstens nicht zu Euren Ungunsten,« sagte der Richter, den Ratcliffe, so schlau er seine Absicht zu bemänteln wußte, wirklich zur Milde gegen sich stimmte. »Aber,« fragte der Richter, »wie könnt Ihr Euch auf einen Posten als Beifron spitzen, nachdem Ihr doch aus nahezu allen Gefängnissen Schottlands ausgebrochen seid?« »Mit Verlaub, Euer Gnaden,« versetzte Ratcliffe, »wenn ich es gut verstanden habe, zu entwischen, so werde ich es wohl besser noch verstehen, Leute am Entwischen zu verhindern. Wer mich halten will, wenn ich fort will, muß früh aufstehen, Euer Gnaden; aber noch früher müßte der aufstehen, der fort will, wenn ich mir vorsetze, ihn zu halten.« – Dem Richter schien das einzuleuchten; er gab Ratcliffe keinen Bescheid, sondern ließ ihn abführen, beugte sich aber, sobald der verwegene Wicht verschwunden war, zu dem Stadtschreiber und fragte ihn, was er zu solcher Frechheit sage. »Es steht mir nicht zu, ein Urteil zu fällen,« antwortete dieser, »soviel aber meine ich, sagen zu dürfen, daß es, falls es Ratcliffe wirklich darum geht, gut zu tun, keinen zweiten in der Stadt gibt, der ihr im Diebesfache soviel nützen könnte wie er.« Nun wurde Butler zum untern Ende der Tafel geführt. Der Ratsherr begann das Verhör, höflich, aber doch in einem Tone, der nicht verkennen ließ, daß er starken Verdacht gegen Butler habe. Dieser räumte mit der seinem Stand und Charakter angemessenen Ehrlichkeit seine ihm aufgezwungene Gegenwart bei der Ermordung des Hauptmanns Porteous ein, legte auch, auf Verlangen des Ratsherrn, einen ausführlichen Bericht der schrecklichen Begebenheit ab, der vom Schreiber zu Protokoll genommen wurde. Sobald er geendigt hatte, nahm ihn der Richter ins Kreuzverhör, dem auch der Unschuldigste leicht erliegt, auch wenn sich ein Fall nicht so schwierig gestaltet wie gerade der Butlers nach einer mit so ergreifenden Umständen verknüpften Schilderung, die unmöglich so klar vorgetragen werden konnte, daß nicht Zweifel und Widersprüche hätten wachgerufen werden sollen. Der Ratsherr begann mit der Bemerkung, Butler habe sich nach Libberton begeben wollen und wolle doch am Westtor vom Pöbel gestellt worden sein. »Ist das Ihr gewöhnlicher Weg nach Libberton?« fragte er, nicht ohne Ironie; »durch das Westtor?« Von Eifer erfüllt, seine Unschuld darzutun, versetzte Butler schnell: »Nein, freilich nicht, aber ich befand mich zufällig dem Westtore am nächsten, und der Torschluß stand unmittelbar bevor.« »Allerdings ein recht unglücklicher Zufall!« bemerkte der Ratsherr trocken; »aber als Diener der Kirche, zumal Sie zur Teilnahme an dem gesetzlosen Tun gezwungen wurden, haben Sie doch Widerstand und Flucht versucht?« Die große Zahl der Meuterer, erwiderte Butler, habe seine Widerstands- und Fluchtversuche unmöglich gemacht, »Abermals ein recht verdrießlicher Zufall!« sagte ebenso trocken wie vorhin der Ratsherr, worauf er noch eine Reihe von Fragen über das Verhalten des Pöbels und die Kleidung, die die Rädelsführer getragen hätten, stellte und dann unvermittelt zu andern Punkten des von Butler gegebenen Berichts übersprang, immer bemüht, durch hinterlistige Fragen ihm Fallen zu legen. Indessen ertappte er Butler auf keinem Widerspruche, der auch nur einigen Halt gegeben hätte, den gegen ihn bestehenden Argwohn tiefer zu begründen. Endlich fiel in dem Verhöre der Name Madge Wildfire, und hierbei wechselten Ratsherr und Stadtschreiber einen vielsagenden Blick. Es folgte nun eine peinliche Befragung Butlers über Gesicht und Kleidung dieser Person, aber über das erstere viel zu sagen, war Butlern insofern nicht möglich, als es durch Schminke und Ruß völlig unkenntlich gemacht und obendrein durch eine über die Stirn gezogene Weiberhaube verdunkelt worden war. Auf Befragung erklärte er sich außer stande, besagte Madge Wildfire, wenn sie ihm in andrer Kleidung vorgeführt würde, anders als an ihrer Stimme wiederzuerkennen. Der Ratsherr stellte ihm nun die Frage, zu welchem Tore er am Morgen nach der Begebenheit zur Stadt hinausgegangen sei. Butler nannte das Cowgate-Tor. »Und war dieses der nächste Weg nach Libberton?« fragte der Richter. Butler erwiderte, abermals nicht ohne Verlegenheit: »Das freilich nicht; aber es wäre mir keiner näher gewesen, mich aus der Nähe des Pöbels zu entfernen.« Ratsherr und Stadtschreiber sahen einander wieder an. »Ist es vom Grasmarkt nach Libberton näher als durch das Cowgater oder Bristoler Tor?« fragte der Ratsherr. »Das nicht,« entgegnete Butler; »aber ich wollte zu einem Freunde mit herangehen.« »So?« fragte der Ratsherr, »es war Ihnen also wohl darum zu tun, die Kunde von dem Vorfalle unter die Leute zu bringen?« »Nein, gewiß, nicht. Ich habe mit keiner Silbe von den Ereignissen der Nacht gesprochen, so lange ich in Sankt-Leonard war.« »Auf welchem Wege begaben Sie sich nach Sankt-Leonard?« »Ueber die Salisbury-Felsen,« erwiderte Butler. »So? über die Salisbury-Felsen? Nun, nehmen Sie mir das nicht übel, aber Sie scheinen ein recht großer Freund von Umwegen zu sein, und wen haben Sie gesehen, seit Sie der Stadt den Rücken wandten?« Butler schilderte all die verschiedenen Gruppen und Haufen, an denen er im Laufe des Morgens vorbeigekommen war, ihre Anzahl, ihr Aussehen, ihr Verhalten. Endlich tat er des geheimnisvollen Fremden Erwähnung, den er zwischen den Felsen getroffen hatte, und über den er gern rasch hinweggegangen wäre. Aber kaum hatte er ein Wort über ihn geäußert, als ihm vom Ratsherrn die eingehendsten Fragen gestellt wurden, mit der Ermahnung, sich aufs strengste an die Wahrheit zu halten und nichts unerwähnt zu lassen, so geringfügig es ihm auch erscheine. »Sie stehen ja in gutem Rufe,« fügte der Ratsherr, »wie ich durchaus nicht verhehlen will; aber es ist uns recht gut bekannt, daß sich Männer aus Ihrem Stande, sonst von untadelhaftem Charakter, von Unternehmungen nicht fern gehalten haben, die sich wider Ruhe und Wohlfahrt des Staats richteten. Ich will ganz offen gegen Sie sein. Daß Sie hier sagen, Sie hätten sich auf zwei verschiedenen und recht großen Umwegen nach Ihrem Heimatsdorfe begeben wollen, gefällt mir ganz und gar nicht, zumal kein bis jetzt von uns vernommener Zeuge ausgesagt hat, es sei ihm so vorgekommen, als hätten Sie sich irgendwie gezwungen bei der Affäre gefühlt. Die Wächter am Cowgate-Tor wollen im Gegenteil bemerkt haben, Ihr Benehmen hätte einen ängstlichen Eindruck gemacht, wie wenn Sie sich von Schuld bedrückt gefühlt hätten, ja einer von ihnen hat ausgesagt, Sie hätten ganz so befohlen das Tor zu öffnen, als hätten Sie gemeint, noch an der Spitze der Aufrührer zu stehen.« »Gott verzeih es den Leuten!« erwiderte Butler, »ich habe nichts weiter begehrt, als frei durch das Tor zu passieren. Wollen mir die Leute nicht wissentlich zu Schaden sein, so müssen sie zugeben, sich in solcher Meinung geirrt zu haben.« »Ich will gern das Beste annehmen, Herr Butler,« versetzte der Ratsherr, »aber wenn Sie Ihre Situation nicht verschlimmern wollen, dann müssen Sie offen gegen mich sein. Sie haben bekannt, mit einem fremden Manne zwischen den Sankt-Leonard-Felsen zusammengekommen zu sein; ich muß darauf bestehen, daß Sie mir über die Unterredung, die Sie mit dem Fremden geführt haben, genauen Aufschluß geben.« Butler hatte die Unterredung nur verschweigen wollen, weil er befürchtete, Jeanie Deans durch sie bloßzustellen; zufolge der eindringlichen Aufforderung des Richters hielt er es aber für besser, nichts darüber zu verschweigen. »Sie glauben also,« fragte der Ratsherr, als Butler zu Ende war, »daß die Person sich zu dem Orte begeben werde, so geheimnisvoll die Aufforderung dazu ist?« »Ich fürchte, daß das Mädchen es tun werde,« antwortete Butler. »Warum fürchten Sie es?« »Weil mir um ihre Sicherheit bangt, wenn sie zu solcher Zeit und an solchem Orte, auf solche Botschaft hin, sich mit einem Menschen trifft, der mir den Eindruck zu machen schien, als sei er mehr als desperat.« »Für die Sicherheit ihrer Person soll Sorge getragen werden,« erklärte der Ratsherr; »und was Sie selbst betrifft, Herr Butler,« setzte er hinzu, »so muß ich Ihnen leider sagen, daß es nicht angeht, Sie schon jetzt in Freiheit zu setzen. Ich denke aber, es wird nicht notwendig sein, Sie lange in Ihrer Freiheit zu beschränken. Fron, führen Sie den Gefangenen wieder in seine Zelle, tragen Sie aber Sorge, daß es ihm an nichts fehlt, und daß er über nichts zu Beschwerde oder Klage Veranlassung findet.« Butler wurde wieder ins Gefängnis abgeführt. Die vom Ratsherrn gegebenen Weisungen betreffs seiner Haltung wurden streng beobachtet. Zwölftes Kapitel Wir lassen jetzt Butler allein in seiner Zelle, allein mit seinen trüben Gedanken, die bei der mißlichen Lage, in die er geraten ist, nicht ausbleiben können, und die vor allem auf den Schmerz fußen, daß ihm alle Möglichkeit genommen worden, der unglücklichen Familie in Sankt-Leonard in ihrer schwersten Not beizustehen. Wir kehren zurück zu der armen Jeanie Deans, die den Freund scheiden sah, ohne daß ihr Gelegenheit zu weiterer Befragung blieb, und nun auf all die zarten Wünsche und Hoffnungen Verzicht leisten sollte, die sie so lange in ihrem Busen gehegt. Sich von zarten, zwischen Lust und Schmerz die Wage haltenden Empfindungen zu trennen, fällt starken Herzen – und Jeanie trug das Herz einer Heldin unter ihrem dörflichen Mieder – wohl am schwersten! Eine Weile lang konnte sie auch den Tränen nicht Einhalt tun, die ihr in die Augen drangen; aber bald verdrängte die Erinnerung an den tiefen Gram des Vaters, an den namenlosen Schmerz der Schwester alles persönliche Herzeleid, sie besann sich auf den Brief, der ihr heut in aller Frühe zum Fenster hineingeworfen worden, nahm ihn aus der Tasche und las ihn. Er war von seltsamer Fassung, heftig, ergreifend, fast auf Wahnsinn deutend: »Wenn Jeanie ein menschliches Geschöpf von der allerschwersten Schuld und ihren gräßlichen Folgen erretten, wenn Jeanie Leben und Ehre der Schwester aus den Fängen des ungerechtesten Gesetzes, das je erlassen worden, befreien, wenn Jeanie nicht ihr eigenes zeitliches und ewiges Glück gefährden wolle,« – so lautete die wilde Beschwörung, – »so solle sie sich bereit finden lassen, dem Schreiber dieser Zeilen eine sichre, geheime Zusammenkunft zu bewilligen; denn sie allein könne ihn, und er allein die Schwester retten.« Auf dem Zettel stand weiter, die Lage des Schreibers dieser Zeilen legte ihm die Bedingung auf, ihr dringend ans Herz zu legen, daß sie sich unter keinen Umständen beikommen lasse, einen Zeugen zu der Zusammenkunft mitzubringen, weder ihren Vater noch sonst jemand, auch niemand, sei es, wer es sei, diesen Zettel zu zeigen oder von diesem Anliegen irgend welche Andeutung zu geben, denn sie würde dann nicht bloß die Unterredung in Frage stellen, sondern Unglück über ihn und die Schwester bringen; der Zettel schloß mit eindringlichen Beteuerungen, daß sie für ihre Person nichts zu fürchten habe. Was ihr von Butler mitgeteilt worden war, stimmte mit dem Inhalt des Zettels überein bis auf den Ort und die Zeit, die sich verändert hatten. Dem Anschein nach war der Fremde durch irgendwelche Notwendigkeit zu dem Entschlusse gedrängt worden, sich Butlern gegenüber einigermaßen zu offenbaren; und deshalb war auch Jeanie wiederholt willens gewesen, dem Freunde den Zettel zu zeigen, wenn auch nur, um den von ihm wider sie gefaßten Verdacht zu beseitigen; aber gekränkter Unschuld wird es gar oft schwer, sich zu rechtfertigen; zudem ängstigte sie die Warnung vor den schweren Folgen irgendwelcher Andeutung, daß sie solchen Zettel bekommen habe, und doch hätte sie sich, wäre sie länger mit Butler zusammen gewesen, dazu entschlossen, ihn ins Vertrauen zu Ziehen; nun aber die Gelegenheit dazu verloren war, schmerzte es sie bitter, denn ihr Herz sagte ihr, daß sie gegen einen Freund, dessen Rat ihr von so großem Nutzen hätte sein können, und dessen treue Anhänglichkeit ihr unbedingtes Vertrauen verdiene, höchst ungerecht gehandelt habe. Dem Vater von der befremdlichen Zumutung etwas zu sagen, erschien ihr bedenklich, denn in welchem Lichte er den Fall betrachten würde, ließ sich gar nicht beurteilen, traten doch bei so außerordentlichen Vorfällen seine starren Grundsätze immer in einen sehr bedenklichen Vordergrund. Am schicklichsten wäre es freilich gewesen, eine Freundin um Begleitung zu bitten; aber sie hatte unter den Nachbarsleuten nur oberflächliche Bekanntschaft, was bei der zurückgezogenen Lebensweise, die sie führte, und ihrer Gemütstiefe nur zu erklärlich sein dürfte. Alles irdischen Rates ermangelnd, nahm ihre Seele nun den Weg zu jenem Führer, dessen Ohr sich dem Rufe des Bedrängten nimmer verschlossen hält. Niederknieend, flehte sie inbrünstig zu Gott, ihr den rechten Weg in dieser schweren Lage zu zeigen, und Gott zeigte ihr den Weg, den sie zu gehen habe. »Ich will den Unglücklichen sprechen,« sagte sie zu sich, als sie sich mit gestärkten Herzen erhob, »denn unglücklich muß er ja sein, wenn er, wie ich nicht zweifle, der Urheber all des Unglücks ist, das meine arme Effie trifft. Mag werden daraus, was wolle, sprechen muß ich ihn, denn ich will mir später nicht den Vorwurf machen, ich hätte aus Rücksicht auf das eigne Wohl oder aus persönlicher Furcht irgend etwas nicht getan, was ihr doch vielleicht noch hätte Rechnung bringen können.« Als sich der Tag neigte, traf sie die Vorbereitungen zu ihrem nächtlichen Gange. Von dem Vater, nachdem sie das Abendgebet mit ihm verrichtet hatte, vermißt zu werden, durfte sie nicht fürchten. Er schlief in einem andern Teile des kleinen Hauses, und bei seiner Regelmäßigkeit in allen Lebensdingen kam es nie vor, daß er die Schlafkammer wieder verließ, wenn er sie erst einmal aufgesucht hatte. Es war mithin leicht für Jeanie, zu der bezeichneten Zeit sich ans dem Hause zu schleichen, und doch fiel es ihr zentnerschwer, als der Augenblick da war. Ihr Leben war in der stillen Einförmigkeit friedlichen Familienlebens verstrichen; sie hatte ihrem Vater nie etwas zu verbergen brauchen und nie etwas verborgen: sie hatte niemals Zeit für sich zu irgend welcher Zerstreuung, Zu einem Gang ins Freie oder einem abendlichen Vergnügen beansprucht, außer in Begleitung des strengen Vaters; und nun allein so weit, obendrein bei Nacht gehen zu wollen, kam ihr so abenteuerlich, so gewagt vor, daß sie mehr denn einmal in dem gefaßten Entschlusse wankend wurde. Als sie ihr schönes Haar unter das Band schlang, das den einzigen Kopfschmuck der Mädchen im Hochlande bildet, zitterten ihr die Hände; als sie das karierte schottische Tuch umnahm, das bei den schottischen Frauen Mantel und Schleier vertritt, wäre sie fast umgesunken; so bange war ihr vor der Gefahr, die mit dem, was sie vorhatte, schließlich doch verbunden sein konnte, und vor der Unschicklichkeit solches Schrittes. Als sie die Tür des väterlichen Hauses aufklinkte, um den Fuß zur Nachtzeit über seine Schwelle zu setzen, überkam sie neue Besorgnis, und als sie sich auf freiem Felde sah, fehlte wenig, so wäre sie umgekehrt. Auf dem Wege mehrten sich die Schrecknisse. Manch schauerliche Sage knüpfte sich an die dunklen Klüfte und an die grünen, von Felsblöcken bedeckten Schluchten, die oft der Schlupfwinkel von Räubern und Missetätern gewesen waren, wo auch Hexen und böse Geister gehaust hatten. Mit jedem Schritt weiter auf dem öden, stellenweis wild überwucherten Pfade wuchs das Grauen und wich die Aussicht auf menschlichen Beistand; schreckensvolle Bilder von allerhand Greueln, die ihr von dieser Einöde zu Ohren gekommen, stiegen vor ihren Augen auf, als sie den Fuß zwischen die kahlen Felsen setzte; der Mond warf sein zitterndes Licht über die Gegend, und eine unbeschreibliche Angst ergriff das einsame Mädchen, das mit bebendem Fuße über Dorn und Stein bald im Schatten, bald im Mondlicht, entlang schritt, aber der Gedanke an die Schwester hielt sie aufrecht, und wieder empfahl sie sich dem Schutze dessen, der sie schon so oft gestützt und getröstet, der ihr den Weg bis hierher gezeigt hatte. Dreizehntes Kapitel In der Tiefe des für die geheimnisvolle Zusammenkunft bestimmten Tales, dem sich Jeanie endlich nahte, hinter den Felsen von Salisbury mit dem als »Arturs Sitz« bekannten Berge im Vordergrunde, befinden sich noch heutzutage die Ruinen einer Einsiedelei oder Kapelle, die dem heiligen Antonius geweiht war. Eine bessere Lage hätte sich für sie kaum finden lassen, denn zwischen ranken, pfadlosen Klüften erbaut, stand sie in einer richtigen Oedenei und doch in unmittelbarer Nähe einer volkreichen, unruhigen Stadt, deren Lärm aber nur dumpf, wie seines Wogenbrausen eines Meeres, in die Gebete des Einsiedlers drang. Unfern der Kapelle, ziemlich am Fuße der Höhe, zeigt man wohl noch heute die grause Stätte, wo ein aufgeschichteter Steinhaufen das Gedächtnis an einen Mord, verübt nach schändlichen Grausamkeiten von einem Mann an seinem Weibe, erhielt. Der alte britische Fluch: »Sei ein Steinhaufen dein Grab!« schien hier tatsächlich verwirklicht, denn jeder Passant hatte zum Zeichen seines Abscheus gegen den Elenden einen Stein dorthin geschleudert, bis zuletzt ein richtiger Haufen entstanden war, der nach ihm – Nichil Muschat hieß der Mörder – »die Muschatsteine« genannt wurde. Jeanie blieb an dem unheimlichen Orte stehen, den Blick zum Monde hinauf richtend, der jetzt am nordwestlichen Himmel aufstieg; mit Zittern und Zagen wandte sie langsam den Kopf zu dem Steinhaufen hin, der sich, grauweiß im Mondlicht schimmernd, vor ihr erhob. Zuerst sah sie nichts von einem Menschen dahinter, und schon fingen Zweifel sich in ihrer Brust zu regen an. War sie getäuscht worden? Brach der Schreiber, des Zettels sein Worte? Hatte er den Zeitpunkt verpaßt, oder hielt ihn ein unvermuteter Zwischenfall zurück? Oder sollte er gar, wie eine geheime Stimme ihr zuflüsterte, ein überirdisches Wesen sein, daß sie durch falsche Hoffnungen in unnütze Schrecken und Qualen stürzen wollte? Oft genug hatte sie von dergleichen irrenden Geistern vernommen! Und doch hielten diese angstvollen Gedanken sie nicht ab, sich langsamen, aber festen Schrittes dem Steinhügel zu nähern. Da richtete sich plötzlich, als sie ihn beinahe erreicht hatte, eine düstere Gestalt dahinter auf, und Jeanie, die schlimmste ihrer Ahnungen erfüllt sehend, konnte kaum einen Aufschrei unterdrücken. Mit verhaltenem Atem wartete sie, daß der Mann sie anreden solle. Nach einem kurzen Schweigen geschah es. Mit tiefer, von innerer Bewegung kündender Stimme fragte die Gestalt: »Sind Sie die Schwester jenes tiefunglücklichen jungen Geschöpfes?« »Ich bin« – erwiderte Jeanie, – »die Schwester von Effie – Effie Deans; und wenn Sie je in Ihrer letzten Stunde auf die göttliche Gnade rechnen, dann sagen Sie mir, was im stande ist, sie zu retten, ob Sie im stande sind, sie zu retten.« »Nein,« lautete seine unheimliche Antwort, »ich rechne nicht auf seine Gnade in meiner letzten Stunde; denn ich verdiene sie nicht!« Aber der Ton seiner Stimme war, so verzweifelt auch seine Worte waren, ruhiger geworden, vielleicht weil er die Scheu der ersten Anrede überwunden hatte. Jeanie, starr vor Entsetzen, fand kein Wort mehr, denn was sie gehört hatte, war so ganz allem zuwider, was bisher zu ihren Ohren aus dem Munde des Vaters und Reuben Butlers gedrungen war, daß sie wirklich zu meinen anfing, keinem menschlichen, sondern einem Wesen der Hölle gegenüber zu stehen. Ohne aber ihres Grausens zu achten, fuhr die Gestalt fort: »Mädchen, Du siehst einen Elenden vor Dir, zu zeitlicher und ewiger Not verdammt!« »Um des Ewigen willen, der uns hört,« schrie Jeanie bang, »führt nicht solche verzweifelten Reden! Der Wohltat des Evangeliums hat auch der Sündhafteste, der Elendste, teil!« »Dann wäre ich freilich nicht davon ausgeschlossen!« erwiderte der Unbekannte; »wenn Du es sündhaft nennst, Mädchen, daß ich die Mutter, die mich gebar, den Freund, der mich liebte, das Weib, das mir vertraute, das unschuldige Kindlein, das dieses Weib mir gebar, in Verderben und Elend riß, dann bin ich fürwahr der sündhafteste, aber auch elendste Mensch unter der Sonne!« »Also habt Ihr das Unglück meiner Schwester auf dem Gewissen?« fragte Jeanie, und aus ihrer Stimme klang es wie rächender Zorn. »Ja, Mädchen, fluche mir, wenn es Dein Wille! verdient an Dir Hab ich's hundertfältig!« »Besser ziemt es mir, Gott um Vergebung für Euch zu bitten,« antwortete Jeanie. »Tue, wie Du willst, und was Du für gut hältst!« rief er heftig, »nur schwöre mir, Dich nach meinen Worten zu richten und Deiner Schwester das Leben zu retten!« »Ich werde, was einer Christin erlaubt ist zu tun, um der Schwester das Leben zu retten, auch ohne Schwur tun,« erklärte Jeanie. »Nichts von Vorbehalt!« rief der Fremde mit mächtig lauter Stimme, »nichts von erlaubt oder nicht erlaubt, nichts von Christin oder Heidin! Schwöre, mein Gebot zu erfüllen, oder, Du weißt nicht, Mädchen, wessen Grimm Du Dich aussetzest!« Erschreckt durch seine Heftigkeit, und im Zweifel, ob sie es Mit einem Rasenden oder einem Geiste der Hölle zu tun habe, erwiderte Jeanie: »Ich will mit mir zu Rate gehen und Euch morgen die Antwort bringen.« »Morgen?« rief er, hohnlachend; »ha! wo werde ich morgen sein? oder, wo wirst Du heute nacht sein, falls Du nicht schwören willst, mir zu gehorchen? Eine verfluchte Tat ward schon an dieser Stätte verübt, und eine andere soll an ihr verübt werden, wenn Du nicht mit Seele und Leib Dich mir überantwortest!« Er riß ein Pistol unter dem Mantel hervor und hielt es der Unglücklichen vor die Stirn, sie versuchte nicht zu fliehen – sie erlag nicht dem Schrecken – aber auf die Kniee stürzte sie und flehte um ihr Leben. »Weiter hast Du mir nichts zu sagen, Weib?« fragte der Bösewicht, ohne eine Spur von Rührung. »Taucht Eure Hände nicht in das Blut einer Wehrlosen, die Euch vertraute!« flehte Jeanie, noch immer auf den Knieen liegend. »Weißt Du sonst nichts zu sagen, das Leben Dir zu erhalten? Willst Du mir das Versprechen geben oder nicht? Willst Du wirklich die Schwester verderben und mich zwingen, mehr Blut zu vergießen?« »Ich kann nichts versprechen, was wider das Christentum geht!« Er spannte den Hahn seinem Waffe und richtete ihren Lauf auf sie. »Verzeih es Euch Gott!« rief sie, angstvoll die Hände vor die Augen schlagend. »Verflucht!« murmelte der Fremde; dann wandte er sich ab von ihr, setzte den Hahn in Ruhe und steckte die Pistole wieder unter den Mantel. Dann sprach er: »Ich bin ein ruchloser Bösewicht, belastet mit Schuld und Schimpf, aber nicht so in Sünde versunken, daß ich auch Dir Böses antun möchte. Ich habe Dich bloß schrecken wollen. Hab Dich bloß durch Schreck zwingen wollen. Ha! sie hört mich nicht! sie ist tot! Großer Gott! zu welch einem Schurken bin ich geworden!« Während dieser heftig hervorgestoßenen Sätze kam sie langsam wieder Zum Bewußtsein zurück aus einem Zustande, der mit wirklichem Todeskampfe verzweifelte Aehnlichkeit hatte, aber noch lange währte es, bis sie begriff, daß er ihr nicht nach dem Leben trachtete. »Nein,« rief er wieder, »ich will nicht noch Deinen Mord dem Morde Deiner Schwester und ihres Kindes hinzugesellen! Wenn ich auch rase vor Wut, und Furcht und Mitleid verschlossen bin, wenn ich auch dem Bösen zur Beute anheimgefallen und verlassen von allem Guten bin, so könnte ich Dir doch kein Leid antun, Mädchen, und böte man mir eine Welt zum Lohne! Aber, bei allem, was Dir lieb und wert ist, Mädchen, schwöre mir, zu tun, wie ich Dich heiße! Nimm diese Mordwaffe, jage mir die Kugel durch die Stirn und räche mit eigner Hand das herbe Leid, das ich ihr angetan, oder schwöre, daß Du den einzigen Weg ergreifen willst, der sie zu retten vermag!« »Beim Ewigen, Mann! ist sie unschuldig oder nicht?« »Unschuldig, bis auf die Schwäche, daß sie einem Bösewicht Vertrauen schenkte, aber wenn es nicht noch ärgere Bösewichte gäbe, – ja, ärgere als ich, wenn ich auch Bösewicht genug bin – dann wäre es soweit doch nicht gekommen.« »Und das Kind meiner Schwester? Lebt es?« fragte Jeanie. »Nein! es ist tot, ist umgebracht worden, grausam umgebracht, das neugeborne Wesen,« antwortete er dumpf, »aber ohne ihr Wissen, ohne daß sie es gewollt hat,« setzte er hastig hinzu. »Und warum kann der Mörder nicht zur Strafe gezogen, die unschuldige Effie nicht freigesprochen werden?« fragte Effie mit fliegender Hast. »Quäle mich nicht mit müßigen Fragen, Mädchen!« rief er finster. »Die die Tat verübten, sind weit genug, um vor Entdeckung sicher zu sein! Nur Du, Mädchen, kannst Deine Schwester retten!« »Weh mir! Wie soll ich es können?« rief Jeanie hoffnungslos. »Höre, was ich Dir sage. Du bist vernünftig, kannst mich nicht mißverstehen. Deine Schwester, sage ich, ist unschuldig an dem Verbrechen, dessen man sie anklagt.« »Gott sei gepriesen!« »Höre weiter und unterbrich mich nicht! Das Weib, das ihr in ihrer schweren Stunde beistand, hat das Kind umgebracht; aber die Mutter hat nichts davon gewußt, die Mutter ist unschuldig, sage ich Dir, so unschuldig wie das neugeborene Wesen, das nur wenige Augenblicke in dieser schlimmen Welt geatmet hat. Wohl ihm, daß es so schnell dem irdischen Jammer entrückt worden! Deine Schwester ist unschuldig, hörst Du? und doch muß sie sterben, denn es ist nicht möglich, sie dem Gesetz zu entziehen.« »Aber Ihr sagtet doch, ein Mittel dazu gäbe es?« rief Jeanie in Herzensangst. »Eins gibt's,« erwiderte er dumpf, »und das ruht in Deiner Hand! Der Kraft des Gesetzes läßt sich entrinnen, aber ihr widerstehen läßt sich nicht. Du hast Deine Schwester in der Zeit vor der Geburt des Kindes gesehen; mithin läßt sich annehmen, daß sie ihres Zustandes Dir gegenüber Erwähnung tat. Solche Aussage kann Deine Schwester retten, muß Deine Schwester retten, denn sie hebt die Anklage der Verheimlichung auf, und nur hierauf stützt sich das Gesetz im vorliegenden Falle. Effie hat sicher mit Dir über ihren Zustand gesprochen, besinn Dich, Mädchen, denke nach, Mädchen! ich bin fest überzeugt, daß sie Dir davon gesagt hat!« »Weh' mir,« rief Jeanie; »kein Laut darüber ist über ihre Lippen gekommen; nur Tränen, bittere Tränen hat sie vergossen, als ich sie über ihre Traurigkeit, über ihr verändertes Aussehen fragte.« »Darüber hast Du sie gefragt?« rief er eindringlich, »so mußt Du Dich auch besinnen, daß sie Dir gesagt hat, ein schlechter Mensch habe sie verführt, ja, sage nur so! sage, ein verworfener Bösewicht! und nimm kein Blatt vor den Mund! und nun trage sie die Folgen seiner Schlechtigkeit und ihrer Schwäche unterm Herzen, aber er habe versprochen, während der ihr bevorstehenden schweren Zeit für ihre Unterkunft zu sorgen. O, er hat Wort gehalten! vortrefflich Wort gehalten!« Wild, gegen sich selbst gerichtet, stieß er die letzten Worte hervor; gleich darauf aber sprach er wieder ruhiger: »Du besinnst Dich doch auf dies alles? O, Du mußt Dich darauf besinnen, so und nicht anders hat es sich verhalten, und so, und nicht anders brauchst Du nur auszusagen!« »Wie soll ich mich,« versetzte Jeanie mit natürlicher Offenheit, »auf Worte besinnen, die Effie niemals zu mir gesprochen hat?« »Begreifst Du so schwer, Mädchen, oder blendet Dich Furcht?« rief er und schüttelte sie am Arme. »Ich sage Dir doch,« fuhr er, die Zähne aufeinander pressend, mit gedämpfter, und doch harter, eindringlicher Stimme fort, »ich sage Dir doch, daß Du Dich hierauf besinnen mußt, daß Du so aussagen mußt, auch wenn sie kein Sterbenswort davon zu Dir gesprochen. Du sprichst keine Unwahrheit, außer daß sie mit Dir gesprochen habe, und ersparst ihren blutgierigen Richtern ein Verbrechen, einen Mord, rettest das Leben Deiner Schwester, ersparst ihr den Tod durch Henkershand! Zaudere nicht, Mädchen! ich verpfände Leben und Seligkeit, daß Du die lautere Wahrheit redest, wenn Du redest, wie ich Dich heiße.« »Ich muß doch aussagen unter meinem Eide,« erwiderte Jeanie, ohne sich durch die Spitzfindigkeit des Mannes beirren zu lassen, »denn die arme Effie steht doch eben unter Anklage der Verheimlichung ihres Zustandes. Wie können Sie mich verleiten zu einem Meineid?« »Ich sehe, daß ich recht hatte, Dir zu mißtrauen,« rief er; »und daß Du lieber Deine junge, unschuldige Schwester, die keine andere Schuld trifft, als daß sie einem unwürdigen Subjekt vertraute, den Tot durch Henkershand leiden lassen, als daß Du die Lippen öffnen willst, sie zu retten, trotzdem es Dich nur ein Wort, ein einziges, kostet.« »Mein Blut will ich für sie lassen,« rief Jeanie, während ihr die Tränen über die Wangen flossen, »aber Recht in Unrecht wandeln oder Falsches wahr machen, kann ich nicht.« »Albernes, dickköpfiges Ding!« fuhr er sie hart an, »fürchtest Du etwa Schlimmes für Dich daraus? Verlaß Dich drauf, Du tust den Richtern, so gierig sie auch sind nach Menschenblut, selbst einen Gefallen, wenn Du ihnen die Möglichkeit schaffst, ein so junges liebes Geschöpf wie Deine Schwester vor dem Schlimmsten zu bewahren, nicht bloß verzeihlich werden sie es finden, wenn Du so aussagst, wie ich Dich heiße, sondern löblich!« »Nicht Menschen fürchte ich,« versetzte Jeanie, die Augen zum Himmel emporrichtend, »sondern Gott! und Seinen Namen muß ich anrufen zur Bekräftigung meiner Worte. Ihm wird die Unwahrheit offenbar sein, deren ich mich schuldig mache!« »Und der Grund, der Dich dazu treibt, sollte nichts gelten bei ihm? auch nicht, daß Dich nicht Eigennutz bestimmt? daß Du die Richter an einem Verbrechen zu hindern trachtest, das ärger wäre als dasjenige, daß sie mit ihrem Spruche strafen wollen?« »Gott hat uns ein Gesetz gegeben, daß es uns eine Leuchte sei auf unserm Wege,« antwortete Jeanie, »und wir irren wissentlich, wenn wir davon abweichen. Ich mag nichts Böses tun, auch wenn Gutes daraus hervorgehen kann. Aber Ihr, Ihr kennt die Wahrheit dessen, was doch mir bloß Ihr Wort verbürgt, und Ihr, Ihr verhießet, wenn ich Euch recht verstanden habe, der armen Effie Hilfe und Beistand in ihrer Not, warum tretet nicht Ihr hervor und legt das erforderliche Zeugnis für sie ab, wie Ihr es mit reinem Gewissen könnt?« Da erwachte der wilde Trotz wieder in ihm, der Jeanie schon einmal so tief erschreckt hatte. »Zu wem sprichst Du von reinem Gewissen, Mädchen?« rief er, »zu mir? Ich weiß seit Jahren nicht, was solches Wort bedeutet; und ich soll Zeugnis für sie ablegen? Ha! ein schöner Zeuge, der, um mit einem harmlosen Geschöpfe wie Du bist, ein paar Worte zu reden, solchen Ort und solche Zeit wählen muß. Doch halt! was war das?« Eine jener wilden, eintönigen Weisen, nach denen der Schotte seine alten Balladen singt, klang aus der Ferne herüber; bald verschwammen die Töne, bald klangen sie heller. Der Fremde horchte gespannt und packte Jeanie, die heftig erschrocken war, wieder am Arme, wie wenn er sie hindern wollte, den Gesang durch eine Bewegung oder durch Worte zu stören. Jetzt schallten die Worte ganz deutlich herüber: Steigt der Falke in die Höh', Duckt die Lerche sich ins Korn, – Scheu im Busch duckt sich das Reh, Stößt der Jäger in das Horn. Die Stimme klang hell und laut. Fast schien es, als sei es drauf abgesehen, daß sie in recht weite Ferne dränge. Sobald sie verstummte, ließ sich dumpfes Geräusch, wie von nahenden Tritten und leisem Geflüster, hören. Von neuem hub der Gesang an, doch nach einer andern Melodie: Herr Ritter, rief sie, hurtig auf! Gefahr ist im Verzuge Spornt Euer Roß zu wildem Lauf! Der Feind rückt an im Fluge. »Ich muß weg!« rief der Fremde wild, und doch leise. »Lauf heim, oder warte, bis sie da sind: »Zu fürchten hast Du nichts; aber sage nicht, daß Du mich gesehen! Und vergiß nicht: der Schwester Schicksal liegt in Deiner Hand!« Während er sich schnell und doch behutsam in einer Richtung entfernte, entgegengesetzt derjenigen, aus welcher das Lied erklang, und im andern Augenblick schon im Dunkel der Nacht verschwunden war, blieb Jeanie, schier ohnmächtig vor Schreck, bei dem Steinhaufen zurück. Sollte sie fliehen? oder auf die Menschen, die herkamen, warten? Sie blieb nicht lange darüber im Zweifel, denn nach wenigen Sekunden erblickte sie Männer um sich herum, und sie mußte erkennen, daß jetzt ein Fluchtversuch ebenso nutzlos wie töricht sein würde. Vierzehntes Kapitel Gleich dem an Episoden reichen Ariost, muß ich hier, um die verschiedenen Zweige zu dem Stamme zu fügen, den meine Erzählung bildet, die Erlebnisse einiger andern darin handelnden Personen bis zu eben dem Punkte führen, wo wir Jeanie Deans verließen. »Wetten möchte ich,« sagte der Stadtschreiber zu seinem Freunde, dem Ratsherrn, »daß dieser Galgenstrick von Ratcliffe, wenn man ihm das Leben ließe, uns mehr als ein Dutzend Polizisten und Frone nützen würde, aus dieser Porteous-Affäre herauszukommen. Er heißt doch nicht umsonst bei allen Gaunern im Lande seit zwanzig Jahren Vater Kliff!« »Ein gerissener Patron, das muß man sagen,« erwiderte der Ratsherr, »sich auf ein städtisches Amt zu spitzen!« »Pardon, Euer Gnaden,« bemerkte der Polizeimeister, ich glaube, der Herr Stadtschreiber sind nicht im Unrecht. So einen Menschen wie Ratcliffe kann die Stadt gut brauchen, und wenn er sich drauf einlassen will, der Unsrige zu werden, so können wir uns ebensogut drauf einlassen, ihn zu nehmen, denn einen besseren Kandidaten für das Beifronsamt werden wir schwerlich auftreiben. Wenn wir warten wollen, bis sich einer aus der Heiligen Gilde dazu findet, so wird's wohl ein Weilchen dauern. Denken wir doch an den Porteous! der war auch sein Dutzend Kollegen wert und weder vor Hölle noch Teufel bange, wenn es galt, Order zu parieren.« »Freilich, der Stadt hat er genützt,« erwiderte der Ratsherr, »wenngleich er kein Muster in sittlicher Hinsicht war. Könnte Ratcliffe uns zur Entdeckung seiner Mörder helfen, so möchte ich wohl dafür sein, daß wir ihm das Leben schenken und ein Stück Geld obendrein. In London wird man uns die Geschichte sehr übel vermerken, denn Königin Karoline. Sie sind zwar nicht verheiratet, lieber Stadtschreiber, wissen wohl aber auch von dem Weibsvolk ihr Liedchen zu singen? ist eine von jenen Damen, die selber eigensinnig genug sind, um bei andern keinen Eigensinn zu dulden. Ich möchte nicht bei ihr in London zu tun haben, wenn sie durch unsern Kurier wieder hören muß, daß noch immer niemand wegen diesem – weiß Gott! hundsföttischen Falle hat festgenommen werden können!« »Na, wenn's darauf ankommt, Herr Syndikus, dann ließe sich ja ein bißchen Gesindel leicht aufgreifen; einige Herrschaften habe ich auf meiner Liste, denen ein paar Wochen hinter Schloß und Riegel ganz gut täten; und sollten sie diesmal wirklich ohne Schuld ins Kittchen wandern, so könnt man's ihnen ja gutschreiben fürs nächste Mal, wenn sie uns Anlaß geben, ihrer wieder mit christlicher Liebe zu gedenken.« »Nun,« sagte der Ratsherr, »ich will Ratcliffes wegen mit dem Präsidenten Rücksprache nehmen. Kommen Sie mit, Herr Polizeimeister! Vielleicht läßt sich auch aus der Geschichte mit diesem Butler und seinem Unbekannten von den Salisbury-Felsen etwas machen? Jedenfalls ist es mir nicht geheuer, wie sich ein Mensch dort herumtreiben und als Teufel ausgeben kann, bloß um harmlose Leute zu schrecken, die genug vom Teufel schon Sonntags von der Kanzel hören. Daß der Geistliche den Pöbel selbst angeführt hat, mag ich nicht glauben, wenn er freilich auch der erste seines Standes nicht wäre, der sich dazu hergegeben.« »Das wird aber schon ein Weilchen her sein,« meinte der Polizeimeister, »jetzt wird's kaum noch vorkommen. Um aber bei Ratcliffe zu bleiben, Herr Syndikus, so will ich, falls der Herr Oberrichter sich mit unserer Ansicht einverstanden erklären sollte, selbst mit ihm reden – mit Vater Kliff meine ich – denn ich denke, mehr aus ihm herauszubringen, als Sie, Herr Syndikus.« Noch am selben Tage bekam Sharpitlaw – so hieß der Polizeimeister von Edinburg – Instruktion, sich ins Gefängnis zu begeben und zu versuchen, ob er aus dem Arrestanten Ratcliffe etwas herausbekomme, was der Stadt in ihrer gegenwärtigen Verlegenheit zum Nutzen gereichen könne. Die Art, wie sich ein Polizist mit einem Spitzbuben abfindet, den er in seine besondere Behandlung nehmen soll, ist immer von den Umständen abhängig. Er kann nicht in allen Fällen Habicht sein, der aus der Höhe auf seine Beute herabschießt; oft muß er Katze sein, die mit der Maus spielt, ehe sie zubeißt; oft aber auch Klapperschlange, die das vor ihren Augen flatternde Opfer so lange fasziniert, bis es ihr aus Furcht oder Verwirrung von selbst in den Rachen gerät. Die Begegnung Ratcliffs und Sharpitlaws gestaltete sich noch anders. Fünf Minuten lang saßen sie einander gegenüber wie zwei Hunde, die miteinander spielen, listig spähend, wer zuerst sich eine Schwäche beikommen läßt, die dem andern das Zubeißen erleichtert. Endlich fand es der Polizeimeister am Platze, das Wort zu nehmen. »Na, Ratcliffe, ist's denn wirklich an dem, was ich höre? Ihr wollt ein anderer Mensch werden?« »Jawohl, Herr,« versetzte Ratcliffe, »ich hab's satt bekommen, recht satt. Zudem meine ich, daß ich so manchem dadurch Arbeit erspare.« »Hm, daß man Euch wieder mal zum Galgen verurteilt hat, Ratcliffe,« fragte Sharpitlaw, »wißt Ihr doch?« »Gegen den Tod ist nun mal kein Kraut gewachsen, wie der ehrwürdige Pfaff in der Zöllnerkirche sagte, als Robertson auskniff. Sie wissen doch, ohne daß einer von uns merkte, wohin? Meiner Treu! der Pfaff hatte triftigeren Grund zu solcher Rede, als ich mir dachte, die böse Geschichte in der Nacht drauf hat's erwiesen.« »Na, Kliff,« sagte Sharpitlaw in leisem, gleichsam vertraulichem Tone, »was den Robertson angeht, könntet Ihr da nicht mal zusehen, ob Ihr wißt, wo er sich auffinden oder wo sich wenigstens was über ihn erfahren ließe?« »Ja, Herr Polizeimeister, mit dem ist's ein eigen Ding. Er ist im Grunde genommen von anderm Schlage als unsereins. Ein Satanskerl war er ja immer, und ausgefressen hat er allerhand. Aber die Affäre mit dem Zöllner, zu der ihn Wilson angestiftet hat, und ein paar Grenzbalgereien ausgenommen, hat er uns eigentlich niemals ins Handwerk gepfuscht.« »Sonderbar, die Gesellschaft in Betracht gezogen, mit der er sich abgibt.« »Und doch ist's wahr, was ich sage,« versetzte Ratcliffe; »von unsern Affären hat er sich immer fern gehalten, was sich vom Wilson nicht eben sagen ließ; denn mit dem hab ich doch manchen Tanz ausgefochten. Aber auch der Robertson wird noch dahin kommen, wo wir sind, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche, es kann niemand ein Leben führen wie er, ohne diesen Schlußakkord.« »Ihr wißt, wer er ist und was er ist?« »Meiner Meinung nach ist er von besserem Herkommen, als er bekennen will. Soldat ist er gewesen und dann Komödiant, wohl auch noch was anderes, ich kann nicht sagen was alles, denn so jung er ist, hat er's an Tollheiten doch nicht fehlen lassen.« »Ja, er mag manches auf dem Kerbholz haben, worüber am besten nicht geredet wird, nicht wahr, Ratcliffe?« »Meine Meinung auch,« sagte Ratcliffe, listig den Finger an die Nase haltend; »und keine Dirne war vor ihm sicher.« »Mag wohl sein,« erwiderte Sharpitlaw; »aber, Ratcliffe, wir wollen nicht soviel Worte machen, auch nicht soviel Umstände. Was Ihr zu tun habt, um pardonniert zu werden, wißt Ihr ... Ihr müßt Euch der Stadt nützlich machen.« »Gewiß, gewiß, soviel in meinen Kräften steht, Herr Sharpitlaw. für nichts ist nichts, das weiß ich recht gut.« »Was die Stadt jetzt am meisten tangiert, ist dieser vermaledeite Porteous-Fall, und wenn Ihr da einiges Licht schaffen konntet, wäre Euch der Beifron als Anfang sicher, während Euch der Aufseher für später winkte. Ihr versteht, was ich meine?« »Selbstverständlich, Herr Sharpitlaw! aber ich hab ja doch während des ganzen Rummels im Loche gesteckt. wie soll ich da was wissen? Gelacht hab ich freilich, als der Hauptmann um Gnade bettelte, wie ihn die Kerle beim Schlafittchen nahmen; na, Junge, dachte ich da bei mir, nun schmeckst Du selber mal, wie's Hängen tut.« »Das hilft Euch aber weder aus der Patsche noch zum Beifron, Ratcliffe, denn daß wir den berüchtigten Papa Kliff pardonnieren sollten, ohne daß er es verdiente. auf Grund gewisser Aussagen verdiente. das werdet Ihr wohl selbst nicht denken!« »Na, denn meinetwegen,« platzte Ratcliffe heraus, »wenn's mal nicht anders geht, so mögt Ihr eben wissen, daß der Robertson mit unter den Schlingeln war, die das Stockhaus stürmten. Das wird Euch nützlich sein, nicht wahr?« »Weiter im Texte,« sagte Sharpitlaw; »wenn wir nicht wissen, wo wir ihn erwischen, nützt uns das noch verdammt wenig.« »Ja, Sharpitlaw,« sagte Ratcliffe, »das mag der Teufel wissen! denn in eins seiner Eulennester wird er sich jetzt schwerlich verkriechen. Ich denke, er wird längst aus dem Lande sein; denn ein so tolles Leben er auch führt, so steht doch eben fest, daß er hohe Anverwandte hat, bei denen ihn niemand vermutet und deshalb auch niemand sucht, und dorthin begibt er sich wohl jedesmal, wenn ihm irgendwo der Boden zu heiß unter den Füßen wird.« »Desto besser wird er sich am Galgen ausnehmen,« versetzte Sharpitlaw; »ist das ein Kerl, einen Diener der Obrigkeit abzuschlachten, weil er seine Schuldigkeit getan hat! So was ist ja noch nie dagewesen! Wenn das ungestraft hinginge, könnte sich ja kein Teufel mehr sicher glauben. Ihr seid doch Eurer Sache gewiß, ihn gesehen zu haben?« »So gewiß, wie ich jetzt Euch sehe!« »Was für Kleidung trug er?« »Ich kann's nicht genau sagen, denn ich konnte es nicht genau erkennen, wie ein Frauenzimmer sah er aus, und doch wieder wie ein Mann! Auf dem Kopfe trug er eine Weiberhaube. O, solch ein Gewühl habt Ihr im ganzen Leben noch nicht gesehen, wie an dem Tage hier. Nicht Augen genug konnte man haben.« »Hat er mit niemand gesprochen?« »Das hat alles durcheinander geschrieen, daß man keinen vom andern heraushören konnte,« erwiderte Ratcliffe, der nicht zuviel sagen mochte. »Damit kommt Ihr nicht durch, Ratcliffe! Ihr müßt von der Leber weg reden, von der Leber weg!« und bei jedem der vier Worte, die er wiederholte, schlug er mit der Faust auf den Tisch. »Es ist eine harte Nuß, die Ihr mir zu knacken gebt, und ginge es nicht um das Beifronsamt.« »Und um die Aussicht, zum Aufseher aufzurücken, Ratcliffe, gute Führung natürlich vorausgesetzt.« sagte Sharpitlaw. »Ja, da liegt der Hase im Pfeffer. gute Führung vorausgesetzt. Nebenbei heißt's,« sagte Ratcliffe, »hübsch abwarten, bis andre ins Gras gebissen haben!« »Aber, Papa Kliff! Robertsons Kopf wird auch was wiegen! Die Stadt muß sich schon erkenntlich zeigen. Das ist doch nur recht und billig.« »Hm, hm,« machte Ratcliffe. »Und solchen Erwerb, Mann, könnt Ihr doch mal in Ruhe verzehren!« »Hol's der Teufel, Polizeimeister,« fuhr Ratcliffe auf, »eine absonderliche Art, wieder ehrlich zu werden, ist's und bleibt's, wenn's nun aber nicht anders geht, dann, hol's der Teufel!« rief er wieder, »mit dem Mädchen, der Effie Deans, hab ich ihn sprechen sehen, mit dem Mädchen, das wegen Kindesmordes eingesperrt ist.« »Wirklich, Ratcliffe? Na, seht mal an! Das bringt uns gleich auf die Spur, dort der Mann, der bei den Salisbury-Felsen mit dem Geistlichen Butler spricht, der Jeanie Deans an die Muschat-Steine bestellt, und hier der Mann, der mit der Kindsmörderin Effie Deans spricht, ich wette drauf, Ratcliffe, Robertson ist der Vater zu dem Kinde!« »Ein Schluß, der sich hören läßt,« meinte Ratcliffe schmunzelnd, während er das Stück Kautabak, das er im Munde hatte, langsam zerbiß und ausspie; »die Rede davon war einmal, daß er sich mit einer hübschen Dirne herumtriebe und daß Wilson seine Not gehabt hätte, ihn vom Heiraten abzuhalten.« Ein Diener kam mit der Meldung, das Frauenzimmer sei eingebracht worden, das Sharpitlaw vorzuführen befohlen habe. »Es liegt nicht mehr viel daran,« erwiderte dieser; »die Sache nimmt eine andere Wendung; immerhin könnt Ihr sie herbringen.« Der Diener ging ab, und ein großes, starkes Mädchen im Alter von achtzehn bis zwanzig Jahren, in höchst phantastischer Kleidung, trat herein: sie hatte eine blaue, mit blinden Tressen besetzte Reitjacke an, trug das Haar nach Männerart, unter einer holländischen Mütze, von der ein großer Busch geknickter Federn herunterhing. Ein Reitrock aus scharlachrotem Kamelott, mit verblichenen Blumen gestickt, der ihr bis auf die Knöchel reichte, und eine Reitgerte vervollständigten ihren Anzug. Sie hatte starke, männliche Züge, tiefschwarze, feurige Augen, eine Adlernase und ein scharf geschnittenes Profil. In einiger Entfernung gesehen, konnte sie für hübsch gelten; in der Nähe machte sie einen mehr abstoßenden Eindruck. Sie schwang die Reitgerte, machte einen tiefen Knicks und nahm das Wort, ohne abzuwarten, daß man sie zum Sprechen auffordere. »Schenk Euer Gnaden der Himmel einen fröhlichen Abend, nicht bloß heute, sondern an noch vielen kommenden Tagen, Herr Sharpitlaw! Ei, Ihr seid auch da, Papa Kliff? Und dabei hieß es schon draußen, Ihr hättet Hanf geleckt? Na, auf welche Weise habt Ihr denn Henker Dalgliesh ein Schnippchen geschlagen, wie die Maggie Dickson, als sie schon halb baumelte?« »Halt's Maul, tolle Suse!« rief Ratcliffe, »bis Du gefragt wirst.« »Von Herzen gern, Kliffchen. Ist das aber eine Ehre, die heute der armen Madge widerfährt, in einem gestickten Kleide von so feschen Herren durch die Straße geführt und von der ganzen Stadt angegafft zu werden und von früh bis spät mit Richtern und Staatsanwälten, Stadtschreibern, Polizeimeistern und Bütteln sprechen zu dürfen. Wirklich! hätt's mir nicht träumen lassen!« »Ei, Mädel,« sagte Sharpitlaw in schmeichelndem Tone, »Du bist ja heut so im Staate! Das sind doch Deine Alltagssachen nicht!« »Hat sich was mit Alltagssachen!« rief Madge, und da eben Butler hereintrat, rief sie: »O, auch ein Gottesmann im Stockhause? Wer wird's da noch eine Mörderhöhle nennen. Vielleicht sitzt er aber, weil er am alten Glauben hängt? Aber was geht's mich an?« Und nun fing sie an zu tanzen und zu trällern: Heisa, heisa, trallala! Ihr Herrchen, Belzebub ist da! Macht gar feine Chosen, Pflückt gar viele Rosen, Heisa, heisa, trallala! Belzebub ist wieder da! »Haben Sie diese tolle Person schon einmal gesehen?« fragte Sharpitlaw den Geistlichen. »Soviel ich weiß, nie in meinem Leben,« antwortete Butler. »Hab's mir gedacht!« sagte Sharpitlaw, einen bedeutsamen Blick mit Ratcliffe wechselnd, um sich dann wieder an Butler zu wenden: »Aber das ist ja, wenigstens wie sie sich selbst nennt, die Madge Wildfire!« »Freilich bin ich's,« rief sie, »freilich, und bin's gewesen seit der Zeit, da ich was Besseres war, aber das ist schon lange her, besinne mich nicht mehr! Doch soll's mich nicht scheren. Wer kann's mir wehren? Heisa, heisa, trallala! Herrchen! Belzebub ist da! Macht gar feine Chosen,« »Still, Du Racker!« fuhr der Büttel sie an, »oder ich will Dich, statt singen, heulen lehren!« »Laß sie in Ruh!« sagte Sharpitlaw, »ich will sie noch Verschiedenes fragen. Doch erst soll sie Herr Butler sich noch mal ordentlich ansehen.« »Freilich, Pfaffe, schaut mich an!« rief die Madge, »ist doch gar viel an mir dran, mehr als an all Euren Schwarten, darauf könnt Ihr Euch verlassen. Ich kann auch die zehn Gebote auswendig, und das Vaterunser, auch die, das heißt, ich konnte sie auswendig,« setzte sie leiser hinzu, »ich konnte sie, aber das ist schon lange her, besinne mich nicht mehr,« und ein tiefer Seufzer hob sich aus ihrer Brust. »Na, was sagen Sie jetzt, Herr?« fragte Sharpitlaw den Geistlichen zum andern Male. »Was ich schon vordem sagte,« antwortete Butler, »daß ich das arme, blödsinnige Wesen zum ersten Mal in meinem Leben sehe.« »Also ist es nicht die Person, die in der verwichenen Nacht von der aufrührerischen Menge Madge Wildfire genannt wurde?« »Ganz bestimmt nicht!« antwortete Butler, »gleich groß sind sie wohl, aber sonst einander nicht ähnlich.« »Auch die Kleidung ist nicht die gleiche?« fragte Sharpitlaw. »Ganz und gar nicht,« sagte Butler. »Aber, Madge, mein Kind,« sagte Sharpitlaw wieder in dem schmeichlerischen Tone wie vordem, »sage mir bloß, was Du gestern mit Deinen Kleidern gemacht hast?« »Hab's vergessen, Herr,« antwortete sie. »Sag mir bloß, wo Du gestern abend gewesen bist!« »Gestern ist nicht heut,« antwortete sie, »was weiß ich von gestern? Ein jeder Tag hat seine Plag', drum weiß ich nichts von gestern.« »Vielleicht besinnst Du Dich auf gestern, wenn ich Dir eine Krone geb?« Dabei hielt er ihr ein Geldstück hin. »Besinnen drauf nicht,« sagte sie, »aber lachen drüber!« »Und wenn ich Dich ins Arbeitshaus schicke und Dir die Rute geben lasse?« fragte Sharpitlaw streng. »Besinnen drauf nicht,« sagte sie schluchzend, »aber weinen drüber!« »Herr,« mischte Ratcliffe sich dazwischen, »auf Madge Wildfire bleiben Gründe ohne Einfluß, die bei vernünftigen Leuten gelten, weder Geld noch Galgen noch Rute, aber ich brächte schließlich doch was aus ihr heraus.« »Dann probiert's,« erwiderte Sharpitlaw, »ich hab das blöde Gewäsch der Person ohnehin satt.« »Madge,« redete Ratcliffe sie an, »sag mir doch, wer ist denn jetzt Dein Schatz?« »Fragt Dich wer, dann sprich, Ratcliffe, Du wüßtest's nicht. Ei, schau mir einer den Papa Kliff! läßt's sich einfallen, von meinem Schatz zu sprechen!« »Aber ich sollte doch meinen, Du seiest nie ohne Schatz?« fragte Ratcliffe. »Bin ich auch nicht,« rief sie, »sollt mir einfallen!« rief sie, den Kopf als gekränkte Schöne stolz zurückwerfend, »ein Leben ohne Schatz, das wär 'ne schöne Hatz! Na, Ratcliffe! besinnst Du Dich noch auf Robin den Wilden? und wer kam dann? der Willi aus Flandern, nicht wahr? und dann der Robertson, der Georg Robertson! Heisa, heisa, trallala! Robertson ist wieder da.« Ratcliffe lachte, winkte dem Polizisten zu und fuhr in seiner Weise fort, sie auszufragen. »Aber, Madge, ich weiß doch, die feinen Jungen machen sich bloß was aus Dir, wenn Du in Deiner Sonntagskluft steckst. In Deinen Alltagslumpen gefällst Du keinem. Da möchten sie Dich kaum mit der Ofengabel anfassen.« Wieder warf sie stolz den Kopf zurück. »Du alter, elender Lügenstrick!« rief sie, »hat nicht erst gestern der feine Georg Robertson sich meine Alltagslumpen angezogen? Ist er nicht durch die ganze Stadt drin spaziert? und hat er nicht drin ausgesehen wie eine Königin?« Wieder winkte Ratcliffe dem Polizisten und wieder fuhr er fort: »Madge, davon glaub ich Dir kein Wort! Die Lumpen hatten wohl Mondscheinfarbe? He? und der Rock sah himmelblau aus?« »Was Ihr nicht wißt, Vater Kliff!« rief Madge, im Eifer des Widerspruchs alles ausplaudernd, was sie bei besserer Ueberlegung schwerlich gesagt hätte, »weder rot noch blau ist er gewesen, der Rock, sondern meinen kurzen braunen hat er angehabt, mit dem roten Ueberwurf, und dazu die alte Haube von Muttern aufgesetzt, eine Krone hat er mir dafür gegeben, daß ich ihm die Lumpen lieh, und der Mutter eine halbe, mir auch noch einen Kuß, ja, und dafür mag ihn der Himmel unter seinen Schutz nehmen, wenn er mir auch teuer, gar teuer zu stehen gekommen.« »Und wo hat er sich wieder umgezogen, Kind?« fragte Sharpitlaw mit aller Freundlichkeit, die er seiner Stimme geben konnte. »Der Polizeimeister verdirbt uns die ganze Pastete,« brummte Ratcliffe, und er hatte recht, denn diese so direkt gestellte Frage erweckte in der Brust des Mädchens, das Ratcliffe auf so kluge Weise zum Plaudern gebracht hatte, sogleich Argwohn. »Warum paßt Ihr denn so auf, Herr?« fragte sie, indem sie sich wieder blöde stellte, was erkennen ließ, daß ihr geistiger Defekt zum Teil nichts weiter als List und Verstellung war. »Ich wollte ja nur wissen, wann und wohin Robertson Deine Sachen wieder gebracht hat?« fragte Sharpitlaw. »Robertson?« wiederholte sie; »Jesus! was denn für ein Robertson?« »Na, der, von dem Du uns erzählt hast,« sagte Sharpitlaw, »der schöne Georg, wie Du ihn nanntest.« »Der schöne Georg?« rief sie, helle Verwunderung heuchelnd; »kenn ich denn jemand, der so heißt?« »Höre, Kind,« sagte Sharpitlaw, die Stimme verschärfend; »damit kommst Du bei mir nicht durch! Du mußt mir sagen, was Du mit Deinen Kleidern gemacht hast.« Madge gab Antwort, doch nur mit einem Liederverse: Was hast Du mit Deinem Ringlein gemacht? Dem Ringlein, Ringlein, Ringlein klein? Sag, wo hast Du's hingebracht, Dein Ringlein, Ringlein, Ringlein klein? Ich hab's dem Jäger gegeben, Dem Liebsten, Liebsten im Leben, Mein Ringelein, mein Ringelein, Dazu das bunteste Kränzelein, Dem Liebsten, Allerliebsten mein, Nun rat, wer mag es sein? Der Polizeimeister war außer sich. »Ich will dem verrückten Balge die Hölle so heiß machen, daß sie sich wieder besinnen lernt!« »Mit Verlaub, Euer Gnaden,« bemerkte Ratcliffe, »es wäre schon besser, man ließe sie erst wieder ruhig werden. Einiges habt Ihr ja schon von ihr gehört.« »Freilich,« erwiderte, sich aufblähend, Sharpitlaw, »den braunen Rock, die Haube, den roten Ueberwurf. Sagen Sie, Herr Butler, war die Madge Wildfire, die Sie gesehen, so angezogen?« »Jawohl,« versetzte Butler. »Bei diesem hundsföttischen Ueberfall hatte er allerdings Anlaß genug, sich hinter Tracht und Namen dieses verrückten Weibsbilds zu stecken!« rief Sharpitlaw. »Und ich erkläre nun meinerseits,« wollte Ratcliffe beginnen; aber Sharpitlaw ließ ihn nicht ausreden, sondern rief: »Richtig, weil Ihr seht, daß es auch ohne Euch zu Tage kommt!« »Ja doch, Euer Gnaden,« sagte Ratcliffe, ruhig wie immer, »ich wollte meinerseits bloß feststellen, »daß ich Robertson gestern nacht in solcher Tracht an der Spitze der Aufrührer gesehen habe.« »Das ist eine bestimmte Aussage,« erwiderte Sharpitlaw, »auf die wir zurückkommen werden; merkt sie Euch also, Ratcliffe! Ich werde dem Herrn Präsidenten Bericht über Euch erstatten; günstigen Bericht, denn ich habe für Euch heute noch weitere Arbeit. Vorderhand muß ich nach Hause; es ist spät geworden, und ich möchte ein paar Bissen essen, werde aber nicht lange wegbleiben. Behaltet das Weibsbild bei Euch, Ratcliffe, und versucht, sie wieder zur Ruhe zu bringen, und, wenn's geht, bei guter Laune zu erhalten.« Mit diesen Worten verließ er das Gefängnis. Fünfzehntes Kapitel Dorthin zurückgekehrt, setzte er die Unterredung mit Ratcliffe, dessen Beistandes er sich nun versichert hielt, fort. »Was sich jetzt als das notwendigste erweist, Kliff,« sagte er, »ist ein Besuch bei der Dirne, die wegen Kindsmords sitzt, bei der Effie Deans, die müßt Ihr unbedingt einmal ins Gebet nehmen! Die kennt doch bestimmt Robertsons Schlupfwinkel! Säumt nicht, Ratcliffe, sondern befragt sie auf der Stelle!« »Nichts für ungut, Herr Sharpitlaw,« sagte der Beifronskandidat, »aber das kann ich nicht, das geht nicht, Euer Gnaden.« »Das geht nicht, Kliff? und warum nicht? Was hält Euch davon ab? Ich dachte, wir seien hierüber im reinen?« »Pardon, Euer Gnaden,« antwortete Ratcliffe, »der Dirne ist hier alles fremd, Aufenthalt, Ort und Behandlung. Sie flennt den ganzen Tag und grämt sich um den wilden Buben, und wenn sie ihn ins Unglück brächte, dann bräch' ihr das Herz! Damit muß man rechnen.« »So geschwind bricht kein Weiberherz,« versetzte Sharpitlaw, »und viel Zeit dazu wird ihr ohnehin nicht bleiben, denn sie muß ja so wie so auch bald an die Kreide!« »Sei dem, wie ihm wolle,« entgegnete Ratcliffe, »ich kann's nicht machen, es geht mir wider das Gewissen.« Mit Hohnlachen fragte Sharpitlaw: »Wider das Gewissen? Euch?« »Ja, wieder das Gewissen,« versetzte Ratcliffe, ruhig wie bisher, »jedermann hat ein Gewissen, wenn es auch zuweilen schwer wird, den Weg zu ihm zu finden. Meines liegt, wie ich gern glaube, ein starkes Stück seitab, weiter seitab als bei den meisten Menschen, und doch geht's mir wie ihnen, manchmal gibt's einen Knacks, wie wenn man sich den Ellbogen wo stößt, und dann tut's einem eine Weile infam weh.« »Na, Kliff, wenn Ihr so weichherzig seid, werde ich selber mit dem Weibsbild reden müssen,« sagte Sharpitlaw und ließ sich in die Zelle der unglücklichen Effie führen. Sie saß, in tiefes Sinnen verloren, auf dem kleinen Strohlager, das ihr als Bett diente; auf dem Tische daneben stand ein bißchen Essen, von besserer Art, als es Gefangenen sonst zuteil wird. Aber der Fron, in dessen Ressort sie gehörte, sagte, sie nähme oft in vierundzwanzig Stunden nichts als einen Trunk Wasser zu sich. Sharpitlaw setzte sich auf den Schemel, der die Stelle eines Stuhles vertrat, und hieß den Schließer gehen. Dann nahm er das Wort, bemüht, in seine Stimme und Miene alles Mitleid zu legen, dessen er fähig war; aber seine Stimme verlor nicht all die Härte und Rauheit, die ihr eigen war, und aus seiner Miene verschwand nicht alle List, Strenge und. Selbstsucht, die sie abstoßend machten. »Nun, Effie, wie geht's denn? Wie geht's, Kind?« fragte er. Ein schwerer Seufzer war die Antwort. »Geht man artig mit Dir um? Es ist meine Pflicht, mich danach zu erkundigen.« »O, recht artig,« antwortete sie, aber es fiel ihr schwer, Worte zu finden; es schien, als wisse sie kaum, was sie sprach. »Und über das Essen hast Du nicht zu klagen? Bekommst Du, was Du Dir wünschest, oder hast Du Verlangen nach was Besonderm? Mit der Gesundheit scheint's nicht zum Besten?« »Ich danke, Herr. Es ist alles gut – viel zu gut für mich!« erwiderte die arme Gefangene – ach! wie so ganz anders klang ihre Sprache als ehedem in Sankt-Leonard! alle Frische, alle Munterkeit waren daraus geschwunden. Sie war die Lilie von Sankt-Leonard nicht mehr! »Es muß doch ein recht schlechter Kerl gewesen sein, der Dich so ins Elend gebracht hat, Effie!« Die Aeußerung hatte ihren Ursprung zum Teil in einem natürlichen Gefühl, von dem er sich trotz aller Härte seines Wesens nicht völlig frei machen konnte; zum größern Teil aber in der Absicht, die Unterhaltung auf den Gegenstand hinzuleiten, der ihn herführte. »Ja, ein miserabler Kerl,« sagte er wieder, »hätt' ich ihn bloß unter den Fingern, die Peitsche wäre ihm sicher!« »Mich trifft mehr Schuld als ihn,« sagte Effie, »ich mußte weiter sehen, aber er, der Aermste!« sie hielt inne. »Den Du so nennst,« fiel der Polizeimeister ihr ins Wort, »war ein Taugenichts, einer aus nichtschottischem Lande, Effie, und ein Kumpan des nichtsnutzigen Kerls, des Andrew Wilson.« »O, ihm wär's besser, hätte er den Wilson nie gesehen!« »Magst recht haben, Effie. Aber wo trafst Du Dich gewöhnlich mit ihm, Kind? Beim Calton-Grunde, nicht wahr?« Bis hierher war das arme, niedergebeugte Mädchen dem Wege gefolgt, den Sharpitlaw sie führte; denn was er listig vorbrachte, war so auf ihren augenblicklichen Seelenzustand berechnet, daß ihre Antworten gleichsam nur die laute Wiedergabe ihrer Gedanken waren: eine Beobachtung, die man oft bei Menschen findet, die durch Krankheit oder schweres Herzeleid zu Geistesabwesenheit neigen. Die letzte Frage war aber zu schroff gestellt, als daß sie die Absicht nicht hätte merken sollen, aus der sie gestellt wurde; und indem sie sich aus ihrer gebeugten Stellung aufrichtete und sich das Haar aus dem bleichen, noch immer schönen Gesicht strich, richtete sie das Auge durchdringend auf den ihr gegenüber sitzenden Mann und rief: »Was habe ich gesagt? Was habe ich gesagt? O, Herr, Sie sind zu brav und gut, als daß Sie auf die Worte, die ein armes Geschöpf spricht, das kaum noch seine Sinne beisammen hat, sonderlich achten sollten. Gott steh mir bei! Gott steh mir bei!« »Ja, Gott helfe uns, und Zwar zu Deinem Besten!« knüpfte Sharpitlaw an ihre Worte an; »Dir könnte eins nützen, Kind, wenn's uns nämlich glückte, den Schurken hinter Schloß und Riegel zu bringen.« »O, schmähen Sie ihn nicht, Herr,« flehte Effie, denn er hat auch Sie nie geschmäht, Robertson? O, ich habe gegen keinen Mann etwas zu sagen, der diesen Namen führt, und will und werde nichts sagen.« »Aber, Effie, wenn Du auch Dein eignes Leid nicht achtest, so solltest Du doch jenes andern Leids nicht vergessen, das er über die Deinigen gebracht hat!« »O, helf mir Gott!« rief die Unglückliche, »mein armer Vater! meine liebe Jeanie! Ach, Herr, das ist das Schrecklichste! O, wenn Sie ein Herz im Leibe, nur einen Funken von Mitleid haben – denn hier ist jeder Mensch so hart wie Stein – dann geben Sie Weisung, daß man die Schwester zu mir lasse, wenn sie herkommt und mit mir sprechen will. Ach, wenn ich höre, wie sie weggewiesen wird, wenn ich umsonst versuche, zu dem Fenster hinaufzusteigen, wenn ich nichts von ihr sehe als einen Zipfel ihres Kleides, dann muß ich, muß ich ja von Sinnen kommen!« Sie sah ihn so flehentlich, so demütig an, und ihr Blick ging ihm so unmittelbar zu Herzen, daß er in seinem Vorsatze wankend wurde, daß er stockend antwortete: »Nun, Effie, Du sollst sie sehen, die Schwester, und wenn Du mir sagst ...« Aber er brach schnell ab, sprang auf und sah sie einen Augenblick lang an. »Nein, nein!« rief er dann, »Du sollst sie sehen, die Schwester, ob Du mir etwas sagst oder nicht!« Er stand auf und ging aus der Zelle. »Ratcliffe,« sagte er, als er in seine Stube zurückkehrte, »Ihr habt recht, mit dem Frauenzimmer ist nichts anzufangen. Bloß eins weiß ich jetzt bestimmt, daß Robertson der Vater ihres Kindes ist. Also wird's wohl auch Robertson sein, der heute nacht bei den Muschat-Steinen die Schwester treffen will, und dort, Kliff, dort wollen wir ihn fassen, oder ich müßte nicht Gideon Sharpitlaw sein!« »Aber, wenn es an dem wäre,« meinte Ratcliffe, dem an Robertsons Verhaftung nicht viel zu liegen schien, »so müßte ihn doch Butler, als er ihn bei den Salisbury-Felsen traf, für die Person erkannt haben, die in der Maske der Madge Wildfire den Pöbel anführte.« »Das kann man nicht ohne weiteres sagen, Ratcliffe,« versetzte Sharpitlaw, »bedenkt doch den Tumult, das unsichre Licht, die Verkleidung, die Schminke! Und hab ich nicht Euch selbst schon so vermummt gesehen, daß Euch der Gottseibeiuns, so gut er Euch doch kennt, so wenig gewittert hätte wie ich?« »Da habt Ihr freilich 'mal recht,« sagte Ratcliffe. »Zudem, Ratcliffe,« fuhr Sharpitlaw fort, »hat der Geistliche denn nicht gesagt, es sei ihm vorgekommen, als habe er die Züge des Burschen, den er bei den Felsen traf, schon früher 'mal gesehen, bloß wisse er nicht, wo?« »Mir leuchtet ein, daß Euer Gnaden recht haben,« antwortete Ratcliffe. »Drum wollen wir uns zusammen heute nacht auf den Fang hinaus begeben, Kliff, aber beizeiten, daß er uns nicht entwischen kann!« »Ich werde Euer Gnaden dabei wenig nützen, Herr,« sagte Ratcliffe, sichtlich zögernd. »Aber Ihr seid doch mit der Lokalität bekannt, Ratcliffe! Wie sollt Ihr da nicht nützen können? Nein, nein! Ihr müßt mit, Freund! und verlaßt Euch drauf, ich lasse Euch nicht aus den Augen, bis uns der Bursche sicher ist!« »Nun, wenn Ihr drauf besteht, Herr,« sagte Ratcliffe, »dann meinetwegen! Aber vergeßt nicht, daß wir's mit einem Menschen zu tun haben, der zu allem fähig ist!« »Wir wollen schon für Mittel sorgen, seiner Herr zu werden!« »Aber Euch bei Nacht nach den Muschat-Steinen zu führen, Herr, das kann ich wirklich nicht auf mich nehmen. Bei Tage finde ich den Platz so gut wie jeder andere, aber im Mondschein sieht dort ein Stein aus wie der andere, da finde ich mich unmöglich zurecht.« »Kommt mir nicht dumm, Ratcliffe,« rief Sharpitlaw zornig; »Ihr wißt doch wohl, daß das über Euch verhängte Urteil noch nicht aufgehoben worden ist?« »Freilich weiß ich das, Euer Gnaden,« antwortete Ratcliffe, »denn so was vergißt sich nicht, und wenn Euer Gnaden meine Gegenwart nicht missen wollen, nun, so muß ich eben mit, aber ich hätte doch gedacht, die Madge Wildfire müßte Euch eine bessere Führerin sein als ich, kennt sie doch den Weg und Steg dort ganz genau.« »Teufel auch! Bildet Ihr Euch ein, ich hätte Lust, mich solch verrücktem Weibsbild in die Hände zu geben?« »Nun, wie Ihr meint, Herr! So was versteht Ihr schließlich besser als ich, aber wenn man sie bei guter Laune hielte – und dafür würde ich gern sorgen – ließe sich schon was erreichen, treibt sich das tolle Weibsbild doch im Sommer ganze Nächte in den Felsenklüften herum!« »Wenn Ihr meint, Ratcliffe, daß sie uns richtig führen kann,« erwiderte Sharpitlaw, »so hätt' ich ja nichts dawider, sie mitzunehmen. Aber seht Euch vor! denn von Eurem Verhalten in diesem Falle hängt Euer Leben ab.« »Schlimm, sehr schlimm,« dachte Ratcliffe bei sich, »aber sitzt einer mal so tief drin wie ich, dann kann er, weiß Gott! nicht mehr ehrlich sein, mag er's gleich anfangen, wie er will.« Sharpitlaw überließ ihn, um die Vorbereitungen zu der nächtlichen Expedition zu treffen, ein paar Minuten sich selbst und seinen Betrachtungen. Als aber der Mond sich am Himmel zeigte, hatte der kleine Trupp schon die Stadtmauern hinter sich. Bald lagen die Salisbury-Felsen, gleich einem mächtigen granitnen Gürtel, mit dem an das Bild eines ruhenden Löwen erinnernden Artursberge im Nebel vor ihnen. Sie schlugen den Pfad ein, der auf der Südseite von Canongate zu der Abtei von Holyrood führt. Zuerst waren es ihrer vier, aus denen sich der Trupp Zusammensetzte: Sharpitlaw, ein Fron, beide mit Pistolen und Hirschfänger bewaffnet, Ratcliffe, der keine Waffen hatte, weil man ihm noch immer nicht traute, und die Madge Wildfire. Am Fuße der Berge stießen noch zwei Frone zu ihnen, die Sharpitlaw, um kein Aufsehen zu machen, vorausgeschickt hatte. Ratcliffe schien diese Verstärkung ungern zu sehen, da er bisher geglaubt haben mochte, daß es Robertson durch Mut und Schnelligkeit gelingen werde, sich Sharpitlaw und dem Frone durch Flucht zu entziehen. Jetzt war aber die Uebermacht zu bedeutend, und wenn er noch versuchen wollte, Robertson zu retten, – ein Plan, der in Ratcliffes grauem Sünderhaupte keimte, seitdem ihn Sharpitlaw zur Teilnahme an der Expedition gezwungen – so blieb kein anderes Mittel mehr als ihn durch ein Signal zu warnen. Dieser Gedanke mochte ihn wohl schon geleitet haben, als er vorgeschlagen hatte, die Madge Wildfire mitzunehmen; denn zu ihrer Lunge hatte er Vertrauen, und in ihre List, draußen im Freien zu singen, setzte er keinen Zweifel, Sie täuschte ihn auch in beiden Annahmen nicht; denn sobald sie die Berge sah, fing sie an, so redselig zu werden, daß Sharpitlaw nicht übel Lust hatte, sie mit einem der Frone wieder in die Stadt zurückzuschicken. »Weiß denn wirklich keiner von Euch den Weg zu der vertrackten Stelle?« fragte er ärgerlich; »soll ich allein auf das verrückte Weibsbild angewiesen sein?« Da sich keiner bereit finden wollte, die Verantwortlichkeit auf sich zu nehmen, wandte sich Sharpitlaw mit der Frage, was er für das klügste halte, an Ratcliffe, der dabei blieb, daß es ohne die Madge kaum gehen werde. »Und was soll's schließlich schaden können, wenn sie ein bißchen lärmt und singt? Selbst wenn er's hört, so braucht er doch nicht gleich zu wittern, daß sie in solcher Gesellschaft kommt!« »Ihr habt vielleicht nicht unrecht,« sagte Sharpitlaw, »ja vielleicht kommt er sogar in der Meinung, sie streife allein herum, aus seinem Versteck heraus, statt sich vor ihr zu verstecken? Jedenfalls haben wir schon zuviel Zeit verloren, als daß wir uns noch lange besinnen dürften. Seht wenigstens zu, daß sie uns nicht vom rechten Wege abbringt.« Ratcliffe ließ sie, um keinen Argwohn in ihr zu wecken, ruhig ein Stück vorausgehen, hielt sich aber ziemlich dicht auf ihren Fersen. Plötzlich blieb sie auf der Spitze eines niedrigen Hügels stehen, sah sich um, dann in die Höhe, stand noch eine Weile wie in Gedanken versunken und stieß plötzlich einen schweren Seufzer aus. »Was ist denn mit ihr?« rief Sharpitlaw, »sagt ihr doch, Ratcliffe, daß wir weiter wollen.« »Da kann bloß Geduld helfen, Euer Gnaden,« versetzte Ratcliffe, »wenn sie nicht will, dann setzt sie keinen Fuß vom Flecke.« Sie fing wieder zu lachen an, hob wieder die Augen zum Himmel und die Arme zum Monde, dann fing sie auf einmal laut zu singen an: Guter Mond, ich grüße dich, Guter Mond, ich bitte dich, Laß mich meinen Liebsten sehn, Guter Mond, ich bitte schön. Aber schrill brach sie ihren Gesang ab. »Wozu brauch ich den Mond zu bitten? Ich kann doch den Liebsten sehen, wann es mir paßt, es soll aber niemand hinter mir herreden, ich hätte was geschwatzt oder ihn gar verpetzt. Nein, niemand! niemand! Aber das Kleine, wollt ich, wär noch am Leben! Du lieber Gott! Der Himmel wölbt sich über uns allen,« – sie seufzte wieder schwer – »und der Mond scheint auch über uns allen und die Steine funkeln auch über uns allen,« und jetzt lachte sie wieder. Sharptitlaw wurde ungeduldig. »Sie läßt uns womöglich die ganze Nacht hier stehen. Ratcliffe, zieht sie doch hinter Euch her!« »Ganz gut und schön, Euer Gnaden,« antwortete Ratcliffe, »aber wir wissen bloß nicht, wohin wir sie ziehen sollen. Madge, komm, wir treffen, wenn wir uns unterwegs so lang aufhalten, zuletzt den Nikol Muschat gar nicht mehr. Führ uns doch weiter zu den Steinen!« »Ja doch, Kliffchen! ja doch,« antwortete sie, nahm ihn beim Arme und schritt tüchtig wieder aus. »O, Kliffchen, wie sich der Nichil freuen wird, daß wir kommen, und die Frau auch. Als sie noch auf dem Posten war, Kliff – als ihr der Nichil den Hals noch nicht umgedreht hatte, Ihr wißt doch – ach! die Blutflecke! sie wollen gar nicht aus der Leinwand heraus, auch nicht, wenn man sie im Sankt-Antons-Brunnen wäscht – auch nicht mit dem neuen Bleichwasser das Meister Sanders verkauft – ich sage, Kliff, als sie noch laufen konnte – nein, nein! Blut geht nicht aus Leinwand: ich hab selbst zu Haus probiert mit einem Lumpen, drin Blutflecke von einem kleinen Schreibalge waren – der irgendwie zu Schaden gekommen – nein, nein! die sind waschecht, Kliff – wie gesagt, Kliff, als sie noch gesund war, dem Nichil seine Frau, da hat sie immer gesagt, geht mir bloß mit dem Kliff! das ist ein Höllenhund, wie es keinen zweiten mehr in der Welt gibt, aber ich gäb was drum, wenn ich 'mal mit ihm reden könnt! Ihr wißt schon, Kliff, gleich und gleich, das Sprichwort bleibt immer wahr, und ihr beide seid ein Paar Teufelsrangen, wer von euch beiden den wärmsten Platz an Teufels Herde verdient, wer könnte wagen, es zu sagen?« Ratcliffe fing am ganzen Leibe zu zittern an. »Madge! schwatzt keinen Unsinn! ich hab nie Blut vergossen!« »Aber verhandelt hast Du's, Kliff, oft genug. Mit der Zunge läßt sich's ebenso morden wie mit der Hand, mit Worten manchmal leichter als mit dem Messer. Sieh, da kommt der Metzger her! Mit der Mulde groß und schwer – Was er Freitags niedersticht, Hält er Samstags feil, der Wicht!« »Und mach ich's wohl anders?« dachte Ratcliffe, »aber, hol's der Teufel! ich mag nicht schuld sein an Robertsons Elend, so lang ich's ändern kann.« – Er trat näher, zu der Irren heran und fragte leise, ob sie denn keines von ihren alten lustigen Liedern mehr wisse? »O, viele, Kliffchen, gar viele! und lustig singen kann ich sie immer noch wie ehedem!« und plötzlich fing sie an zu schmettern, daß es weit in den Wald hinein schallte: Steigt der Falke in die Höh', Duckt die Lerche sich ins Korn, Scheu im Busch duckt sich das Reh, Stößt der Jäger in das Horn. »Stopf ihr den Schnabel, Kliff, und wenn Du ihr den Hals umdrehen mußt!« rief Sharpitlaw; »dort regt sich jemand; heran, Jungens! zu mir heran! schleicht die Höhe hinauf! George, Ihr bleibt bei Ratcliff und dem Weibsbild. Ihr andern, im Schatten voran!« »Mit Robertson ist's vorbei,« dachte Ratcliffe, als er die drei Häscher, verschlagen wie Indianer, möglichst das Mondlicht meidend, entlang kriechen sah. »Das junge Volk ist aber auch zu unbedacht! Muß er sich mit dieser Jeanie Deans hier treffen! Ich dächte, er könnt an der einen genug haben. Nein! da muß er seinen Hals in solche Gefahr bringen. Und dieses dumme Weibsstück hier? Die ganze Nacht hat sie gekräht wie ein Hahn, der den Koller hat, und jetzt, wo's drauf ankommt, kann sie den Schnabel nicht rühren? Aber so ist's immer mit dem vertrackten Weibsvolk. Ich muß sie aufs Tapet zu bringen suchen, ohne daß es der sakrische Spürhund merkt.« Nun begann er leise die Melodie einer Ballade zu trällern, die immer die Lieblingsnummer der närrischen Person gewesen war und die in entfernter Beziehung zu Robertsons Lage stand: Der Köter späht durch Zinnwalds Grün Von fern dringt Waffenstrahl. Die Dirne sitzt im Zinnwald drin, Ihr Lied schallt durch das Tal. Kaum hatte Madge die Worte vernommen, als sie Ratcliffes Hoffnung erfüllte und mit schmetternder Stimme einfiel: Herr Ritter, rief sie, hurtig auf! Gefahr ist im Verzuge! Spornt Euer Roß zu wildem Lauf! Der Feind rückt an im Fluge Ratcliffe befand sich noch in beträchtlichem Abstande von den Muschatsteinen, und doch hatte er mit seinen Falkenaugen erkannt, daß die Warnung gefruchtet hatte. Der Fron, der neben ihm stand und kein so scharfes Auge hatte, wie er, hatte Robertsons Flucht so wenig bemerkt, wie Sharpitlaw und seine Kameraden. Aber nach etwa einem halben Dutzend Minuten entdeckten sie, daß er ihnen entwischt war, und während Sharpitlaw kreischte, außer sich vor Wut: »Auf! Ihm nach, Jungen! Den Hügel hinauf! Dort oben an der Ecke sehe ich ihn!« eilten seine Schergen in der bezeichneten Richtung hinweg. Sharpitlaw drehte sich im andern Augenblicke nach Ratcliffe herum. »He, Kliff! hierher, und dies Frauenzimmer festgehalten! George, lauf zum Gatter hin und schließ es! Ratcliffe, hierher! auf der Stelle! Zuvor aber schlag dem tollen Weibsbilde den Schädel ein!« »Madge, Du reißt am besten aus!« flüsterte Ratcliffe der Verrückten zu. »Denn mit einem Zornigen ist's nicht gut arbeiten.« So von Sinnen war nun Madge Wildfire nicht, daß sie den gutgemeinten Rat nicht hätte verstehen und nützen sollen. Während Ratcliffe zu Sharpitlaw eilte, um Jeanie Deans von ihm in Empfang zu nehmen, entfloh sie in der entgegengesetzten Richtung. Aber es half ihr nichts, denn am andern Morgen wurde sie aufgegriffen und wieder ins Stockhaus gebracht. So war der kleine Trupp völlig auseinander geraten, nur Ratcliffe war noch mit Jeanie Deans, die keinen Fluchtversuch wagte, bei den Muschatsteinen zurückgeblieben. Sechzehntes Kapitel Außer sich vor Schreck, sah Jeanie Deans die Männer, die im nächtlichen Dunkel aufgetaucht waren, hinter dem Unbekannten herrennen, für den sie mit einem Mal, ohne sich den Grund erklären zu können, eine gewisse Sympathie fühlte. Einer von den Männern, Sharpitlaw, trat dicht vor sie hin und fuhr sie an: »Du bist Jeanie Deans und meine Gefangene. Ich laß Dich aber laufen, wenn Du mir sagst, wohin sich der Patron gewandt hat, der bei Dir war.« »Das weiß ich ja nicht, Herr,« antwortete das geängstigte Mädchen. »Aber mit wem Du Dich mitternachts auf den Bergen unterhältst, weißt Du? He?« »Nein, Herr, ich weiß es nicht,« sagte Jeanie wieder, in ihrer Verwirrung zum Glück außer stande, den versteckten Sinn der Frage zu verstehen. »Na, Dein Gedächtnis wird sich schon schärfen lassen,« rief Sharpitlaw, Ratcliffe auf sie zuschiebend, während er sich selbst hinter Robertson her machte, noch immer in der Hoffnung, sich seiner bemächtigen zu können, und mit einer Gewandtheit und Schnelligkeit, die man ihm bei seinem Alter und seiner körperlichen Beschaffenheit kaum zugetraut hätte, über die Felsen kletterte. Binnen wenigen Minuten waren die Häscher verschwunden, und nur Halloh-Rufe, von den Bergen herüberschallend, kündeten noch von ihrer Gegenwart. Allein mit einem Menschen, dessen Aeußeres nicht eben zu seinen gunsten sprach, stand Jeanie in der finstern, nur matt von dem Monde erhellten Nacht. »Recht schön heute, mein feines Kind,« sagte Ratcliffe, als es in der Ferne still geworden war, in dem kalten ironischen Tone, den sich lasterhafte Menschen immer aneignen, wenn ihnen die Sünde zur Gewohnheit wird, »muß sich nett scharmieren lassen?« Er versuchte, den Arm um den Hals des Mädchens zu legen, sie entwand sich ihm aber. »Na, nicht so spröde!« fuhr er fort, »zum Nüsseknacken treffen sich doch Bursche mit Dirnen um Mitternacht nicht bei den Muschatsteinen?« »Ach, Mann,« flehte Jeanie, »wer Ihr auch seid, habt Erbarmen mit einem armen Geschöpfe, das vor Entsetzen fast von Sinnen ist.« »Kind, Du bist ja allerliebst, bloß darfst Du nicht so eigensinnig sein! Sieh mal, ich hatte mir vorgenommen, wieder ein ehrlicher Kerl zu werden, und da fällt's dem Teufel ein, mir erst einen Rechtsverdreher und nachher ein Frauenzimmer in die Quere zu schieben. Ich will Dir was sagen, Jeanie: die Spitzel sind jetzt von dieser Felsenseite weg, komm mit mir mit! ich will Dich in einen Winkel führen, wo Dich alle Polizisten von Schottland nicht finden sollen. Von dort wollen wir Robertson sagen lassen, daß er mit uns nach Yorkshire hinüber zieht. Dort gibt's ein altes Stämmchen von Kameraden, mit denen sich's gut arbeiten läßt. Der Esel von Sharpitlaw mag uns dann hinterher pfeifen!« Glücklicherweise fand Jeanie, als sie den eisten Schrecken überwunden hatte, Mut und Geistesgegenwart wieder: sie erkannte, in welcher Gefahr sie sich diesem Menschen gegenüber befand, der nicht nur Schurke von Haus aus war, sondern sich aus Aerger darüber, daß ihn Sharpitlaw trotz alles Widerstrebens doch zu dieser Expedition nötigte, einen derben Rausch angetrunken hatte. Um ihn sich vom Halse zu schaffen, flüsterte sie: »Sprecht bloß nicht so laut! Er ist dort oben.« »Wer? doch nicht Robertson?« rief Ratcliffe gespannt. »Ja, dort oben!« antwortete sie, auf die Ruinen der Kapelle zeigend. »Soll mich der –« rief Ratcliffe; »das laß ich mir nicht aus der Nase gehen. Warte hier!« Wie besessen rannte er die Höhe hinauf, während Jeanie in entgegengesetzter Richtung floh, den nächsten Pfad entlang, der sie nach Hause führte. Sie hatte nicht umsonst in ihren Kinderjahren die Herde gehütet, sondern dabei laufen und springen gelernt, über Stock und Stein, hinter ihren oft flüchtigen Ziegen her; und nicht leicht tat es ihr jemand an Behendigkeit gleich. Gleichsam im Fluge hatte sie den Weg zwischen ihres Vaters Häuschen und den Muschatsteinen zurückgelegt, das Tor aufklinken und wieder zuschlagen, ein schweres Hausgerät zur besseren Sicherung davor schieben, behutsam bis zur Tür der Schlafkammer schleichen, um zu horchen, ob der Vater durch ihre Heimkehr geweckt worden, war das Werk eines Augenblicks. Er hatte nichts gemerkt, und doch schlief er nicht, mochte wohl auch kaum viel geschlafen haben, sondern lag auf den Knieen und betete. Deutlich vernahm sie die Worte: »Und das andere Kind, das Du mir gegeben zum Trost und zum Stecken und Stab für mein Alter, möge es lange leben auf Erden, wie Du verheißen hast denen, die Vater und Mutter ehren. Möge der Segen der Verheißung und Vergeltung vielfältig auf ihr ruhen! Bewahre sie in dem Schatten der Nacht und beim Anbruch des neuen Lichts, daß alle Lande umher erkennen, daß Du Dein Angesicht nicht gänzlich denen verbirgst, die Dich mit Wahrheit und Aufrichtigkeit suchen.« Jeanie zog sich, gestärkt durch den Gedanken, daß, während Gefahr ihrem Haupte drohte, das Gebet des Gerechten »ein Helm des Heils gewesen sei ihrem Haupte«, mit der Zuversicht, den Schutz des Himmels zu besitzen, so lange sie seiner würdig bleibe, in ihr Kämmerchen zurück. In dieser erhöhten Seelenstimmung durchzuckte ein unklarer Gedanke, ihren Geist, daß ihre Schwester, da sie gereinigt dastehe von dem ihr zur Last gelegten unnatürlichen Verbrechen, noch zu retten sein müsse. Dieser jähe Gedanke wirkte, wie sie später oft sagte, wenn sie dieser Zeit gedacht, wie ein Lichtstrahl auf stürmischer See, und, wenngleich er ebenso schnell verschwand, wie er sich zeigte, so gab er ihr doch ein Gefühl von Ruhe, wie sie es schon tagelang nicht mehr gekannt hatte, und die Ueberzeugung, sie sei zum Werkzeug ausersehen, die Schwester zu retten, zog ein in ihre Seele. Gott für den gewährten Schutz inbrünstig dankend, suchte sie ihr Lager auf und schlief, trotz der schweren Erschütterungen, die sie erlitten, ruhig und fest. Ratcliffe war wie ein vom Jäger gehetztes Wild zu den Ruinen hinausgestürzt, wo Robertson, nach Jeanies Rede, noch weilen sollte. Ob er ihm zur Flucht verhelfen oder ihn den Häschern ausliefern wollte, damit brauchen wir uns hier nicht zu befassen. Vielleicht war er sich hierüber selbst noch nicht klar, sondern dachte, die Umstände entscheiden zu lassen. Es blieb ihm aber keine lange Wahl, denn kaum hatte er den Fuß zwischen die Ruinen gesetzt, als ihm ein Pistol entgegengehalten wurde und eine rauhe Stimme ihn im Namen des Königs aufforderte, sich zu ergeben. Verdutzt rief Ratcliffe: »Was? Ihr seid hier, Herr Sharpitlaw?« – »Was, Ihr? Ratcliffe?« rief der andere, über den Fehlschlag seines Unternehmens vor Aerger außer sich. »Weshalb habt Ihr die Dirne im Stiche gelassen?« »Sie sagte, Robertson sei hier oben, und weil ich Euer Gnaden in den Bergen vermutete, bin ich selbst heraufgerannt, ihn zu fassen.« »So hätten wir uns umsonst bemüht?« rief Sharpitlaw; »denn daß wir ihn heute noch fassen, ist ausgeschlossen. Aber in eine Bohnenhülse müßte er sich verkriechen, wenn ich ihn nicht auf schottischem Grund und Boden erwischen sollte. Ruft die andern her!« Ratcliffe holte sie herbei, was ihm nicht sonderlich schwer fiel, denn keiner davon verspürte Lust, einem so verwegenen Menschen wie Robertson Auge in Auge gegenüber zu treten. »Und die beiden Frauenzimmer?« fragte Sharpitlaw, »wo sind die hingeraten?« »Die werden sich wohl mitsammen auf die Socken gemacht haben,« antwortete Ratcliffe und brummte vor sich hin: »Wo ist mein Bräutchen geblieben? Fort – und entfloh'n!« »Will man was der Quere gehen sehen, braucht bloß ein Weibsbild dabei zu sein,« sagte Sharpitlaw, der, wie alle seines Zeichens, gegen das schöne Geschlecht ein Aber hatte; »wie konnte ich bloß so dumm sein, mir einzubilden, daß ich was ausrichten würde, wenn ihrer zwei im Spiele sind? Gut wenigstens, daß wir wissen, wo wir die lieben Kinderchen zu suchen haben!« Es blieb ihm nichts übrig, als seinen kleinen Trupp nach der Hauptstadt zurückzuführen, und das tat er, wenn auch mit der Miene eines geschlagenen Feldherrn. Am Morgen mußte er dem diensttuenden Ratsherrn Bericht erstatten, und zufällig traf es sich, daß es noch derselbe war, der tags vorher Reuben Butler vernommen hatte: ein bei der Bürgerschaft sehr angesehener Mann, von gesundem Sinne, mit einem tüchtigen Schatze von Kenntnissen und im Rufe, sein Amt ehrlich und gewissenhaft zu führen. Er war kaum in das Amtszimmer eingetreten, als ihm ein Brief überreicht wurde. »Für den Ratsherrn Middleburgh. – Eiligst!« Er brach ihn auf und las: »Herr Rat! Sie sind mir bekannt als Mann von Verstand und Gefühl, auch als Mann, der, und sei es auf Teufels Begehren, Gott dem Herrn gern dient. Darum hoffe und erwarte ich, daß Sie mein Zeugnis gelten lassen werden, wenn ich auch durch die Unterzeichnung dieses Schreibens mich des Anteils an einer Handlung für schuldig bekenne, die ich, zu andrer Zeit und an anderm Orte, mich weder scheuen würde, zu gestehen, noch zu beschönigen. Der Geistliche Butler ist unschuldig. Er ist zur Anwesenheit bei der betreffenden Handlung gezwungen worden. Sie gutzuheißen, hat es ihm an dem nötigen Schwunge gefehlt. Er hat es sich vielmehr angelegen sein lassen, sie uns auszureden. Indessen wende ich mich nicht an Sie, um diesen Mann weiß zu waschen. Mich interessiert vielmehr ein Mädchen, das in Ihren Kerkern schmachtet, dem Schwert eines grausamen Gesetzes verfallen, das jahrzehntelang im Aktenschranke gemodert hat und nun hervorgesucht wird, das schönste, lieblichste Geschöpf zu treffen, das je in einem Kerker schmachtete – ihre Schwester, Herr, kennt ihre Schuld, denn ihr hat sie es gesagt, daß sie von einem Schurken hintergangen und betrogen wurde. O, daß der Himmel Zuchtruten legen möcht in jede Manneshand, Den Bösewicht zu peitschen durch das Land, Herr, ich bin außer mir, ich bin von Sinnen! Aber diese Schwester, diese Jeanie Deans, ist eine verstockte Puritanerin, in Aberglauben versunken und in allem, was sie denkt und tut, mit Bibel und Katechismus bei der Hand wie ihre ganze Sekte, und deshalb beschwöre ich Sie, Herr, ihr recht eindringlich vorzuhalten, daß das Leben ihrer Schwester von ihrem Zeugnisse abhängt, auch, die Angeklagte nicht ohne weiteres für schuldig zu halten, wenn ihre Schwester sich weigern sollte, Zeugnis abzulegen; noch weniger lassen Sie sich beikommen, Herr, sie dem Schafott zu überantworten. Denken Sie daran, wie grimmig Wilsons Hinrichtung gerächt wurde, und seine Rächer sind noch am Leben, sie können und werden auch das Mädchen nicht ungerochen lassen, wenn sie zu Unrecht vom Leben zum Tode gebracht werden sollte. Ich wiederhole, vergessen Sie den Hauptmann Porteous nicht, und verschließe niemand sich dem gutgemeinten Rate, den hiermit gibt einer von den Porteous-Mördern.« Der Ratsherr las den Brief ein paarmal. Zuerst erschien er ihm als das Werk eines Irrsinnigen, wozu ihn vor allem die zwei eingestreuten Verszeilen bewogen. Nachher aber kam es ihm vor, als sei der Brief mehr ein Erguß, wenn auch seltsamer Art, eines Uebermaßes gereizter Leidenschaft. »Das Gesetz ist wirklich streng und grausam,« sagte er, »und wenn es nach mir ginge, sollte es auf das Mädchen buchstäbliche Anwendung nicht finden; kann ja doch das Kind, während die Mutter bewußtlos lag, weggeschafft worden sein; kann es doch aus Mangel an Nahrung eingegangen sein, die ihm die Mutter in ihrem qualvollen, verzweifelten Gemütszustände hat nicht reichen können! Und doch wird sich die Hinrichtung nicht abwenden lassen, sofern die Aermste nicht dem Gesetzeslaute entrückt werden kann. Das Verbrechen ist zu oft verübt worden, und ein warnendes Exempel unumgänglich.« »Wenn aber die andre, die Schwester,« meinte der Stadtschreiber, »aussagt, sie sei von der Angeklagten über ihren Zustand unterrichtet worden« »Dann wäre sie gerettet,« antwortete der Ratsherr; »nun, ich will nächster Tage mal zu dem alten Deans hinaus gehen und mit ihm und seiner andern Tochter reden; ihn kenne ich freilich als einen so zähen Presbyterianer, daß er eher Kind und Kindeskind zu Grunde gehen ließe, als sich in neue, seiner Meinung nach sündhafte Bräuche fügte, und dazu rechnet er sicher auch die Eidespflicht. Vielleicht mildert das Schicksal des eignen Kindes die starre Denkweise. Wie gesagt, wenn mir der Porteous-Prozeß ein wenig Luft macht, will ich nach Sankt-Leonard hinaus, Vater und Tochter werden dann zugänglicher und einsichtsvoller sein, als wenn sie unvorbereitet eine Vorladung bekommen.« »Butler soll noch im Gefängnisse bleiben?« fragte der Stadtschreiber. »Vorläufig. Ich hoffe aber, ihn bald auf Bürgschaft entlassen zu können.« »Halten Sie etwas von dem verrückten Schreiben?« »Wenigstens und doch muß ich sagen, es macht Eindruck, mir scheint es von einem Menschen geschrieben, der durch maßlose Leidenschaft oder das Bewußtsein einer schweren Schuld alle Herrschaft über sich verloren hat.« »Mir kommt es vor, als sei es von einem wandernden Komödianten verfaßt, der mit seiner ganzen Bande gehängt zu werden verdiente, echtes Bühnen-Strohfeuer!« »Hm, so barbarisch, eine ganze Bande hängen zu lassen, bin. ich doch nicht, lieber Stadtschreiber. Um aber auf unsern Geistlichen zurückzukommen, so haben die Erkundigungen, ergeben, daß er sich eines vorzüglichen Rufes erfreut und erst vorgestern in die Stadt gekommen ist, also in die Pläne der Aufrührer kaum verwickelt gewesen sein kann; daß er ihnen aber sollte so plötzlich beigetreten sein, ist doch unwahrscheinlich.« »Dagegen läßt sich immerhin geltend machen, daß Feuer auch durch Funken entsteht. Habe ich doch selbst einen Prediger gekannt, rechtlich und ruhig, wie nur einer im Kirchspiel, den die bloßen Worte Abschwörungsformel und Toleranz so in Grimm brachten, daß er Haus und Hof verließ und sich der ärgsten Pöbelrotte anschloß, die...« »Nun, für so entzündlichen Gemüts halte ich Butlern nicht!« unterbrach ihn der Ratsherr, »ich glaube, wir brauchen uns in dieser Hinsicht nicht zu sorgen. Befassen wir uns mit den anderen Ressortsachen!« Aber sie kamen nicht dazu, denn im nämlichen Augenblick erzwang sich eine alte Frau aus den niederen Ständen, laut keifend den Weg zum Verhandlungszimmer. »Was ich hier will?« schrie sie trotzig; »mein Kind will ich, weiter nichts von Euch, und wenn Ihr Euch noch so vornehm habt!« In sich hinein murmelte sie ingrimmig: »Gnädiger Lord und Euer Gnaden, und wer weiß mit was noch soll man ihnen aufwarten, dem Pack! aber was Rechtes ist doch nicht drunter!« Zu dem Ratsherrn sich wendend, rief sie: »Euer Gnaden, mein Kind, mein armes, blödes Kind!« und wieder murmelte sie sich in sich hinein: »Schöner Kerl, dieser Herr Rat und Euer Gnaden, kann mich noch gut auf die Zeit besinnen, wo er mit ein bißchen weniger auch zufrieden gewesen wäre, der Schiffersjunge!« »Sagt uns, was Euch herführt, Frau,« sagte der Ratsherr, »aber stört die Verhandlungen nicht!« »Das heißt soviel, als: schert Euch zum Geier! Aber,« rief sie mit kreischender Stimme, »ich sage Euch, mein Kind will ich heraushaben! Ich dächte, das wäre deutlich genug!« »Wer seid Ihr, Frau, und wer ist Euer Kind?« »Wer ich bin? Ei, die Grete Murdockson, wer sonst? und wer soll mein Kind anders sein als die Magdalene Murdockson? Eure Schergen kennen uns, haben sie uns doch oft genug die paar Lumpen vom Leibe und das bißchen Kleingeld aus den Taschen gerissen, wenn sie uns in den Käfig schleppten, um uns wieder mal auf Wasser und Brot zu setzen!« »Wer, ist die Frau?« wandte Rat Middelburgh sich an einen der in der Stube befindlichen Frone. »Na, eine von der sittsamen Sorte nicht gerade,« antwortete der Fron, indem er unter Lachen die Achsel zuckte. »So? Du erfrechst Dich, über unsereinen herzuziehen?« erwiderte die keifige Alte, deren Augen wie wildes Feuer sprühten. »Wenn ich Dich draußen hätte, solltest Du meine zehn Finger flugs in Deiner Schelmenfratze dafür sehen!« Dabei streckte sie die Fäuste dem Fron entgegen und zischte wie eine Schlange. Dem Ratsherrn riß endlich die Geduld. »Was hat Sie hier zu suchen?« rief er barsch, »Sie mag ihr Anliegen sagen und dann gehen!« »Mein Anliegen?« schrie die Alte, »Ihr wollt sagen, was ich zu fordern habe? He? Nun, habt Ihr Watte in den Ohren? Wievielmal soll ich's Euch denn sagen? Mein Kind will ich haben, die Maggie Murdockson, und wenn Ihr nicht hören mögt, was man Euch zuschreit, dann braucht Ihr Euch nicht so breitspurig auf Euern Sessel zu pflanzen und andere anzufahren!« »Sie will ihre Tochter wiederhaben, Herr Rat,« mischte der Fron sich ein, der eben von ihr angeschrieen worden, »die Madge Wildfire ist's, die gestern eingebracht worden ist.« »Madge Wildfire [Wildfeuer], sagst Du Schuft, warum denn nicht gar Madge Hellfire [Höllenfeuer]? schrie die Alte, »brauchst Du denn ehrlicher Weiber Kindern Schimpfnamen anzuhängen?« »Ehrlicher Weiber Kindern?« wiederholte der Fron, laut lachend, worüber die Alte ganz außer sich geriet; »Ihr habt Ursache zu solcher Rede – das muß man Euch lassen.« »Wenn ich ein ehrlich Weib nicht mehr bin, so war ich es doch, Du Scheusal!« keifte sie, »und das kannst Du geborener Dieb von Dir nicht sagen, der sein Leben lang nicht anderer Leute Gut vom seinigen hat unterscheiden können. Du, und ehrlich? Hast Deiner Mutter schon das Geld aus der Tasche gestohlen, als Du noch kaum Hosen anhattest. Kannst Dich nicht mehr besinnen, wie sie Dich an dem Tage braun und blau peitschten, als sie Deinen Vater vom Galgen schnitten?« »Na, die hat's Euch gegeben,« riefen die Kameraden des von der Alten also gehudelten Dieners der Gerechtigkeit, und das Lachen, mit dem sie ihre Worte begleiteten, konnte einigermaßen als Beweis gelten, daß ihm damit nicht so ganz unrecht geschehen war. Der Alten mochte dieser Beifall schmeich ein, denn ihr häßliches Gesicht verzog sich zu einem widerlichen Grinsen, und als der Ratsherr sie jetzt noch einmal aufforderte, ihr Begehren deutlich vorzubringen, entschloß sie sich, auf vernünftige Weise Rede und Antwort zu stehen. »Ihr Kind, sagte sie, sei doch ihr Kind und sie wolle es nicht im Gefängnis lassen, weil es nichts verbrochen habe und dort bloß schlecht würde, und wenn ihr Kind nicht soviel Verstand hätte wie andrer Leute Kinder, so hätte es auch mehr Herzeleid überstanden; durch ein Schock Zeugen könne sie beweisen, daß ihr Kind den Porteous kein einziges Mal, weder tot noch lebendig, gesehen habe, als einmal am Geburtstage des Herrn Kurfürsten von Hannover von Gottes Gnaden, als sie dem Lordmayor eine tote Katze an die Perücke geworfen und ihr der Lümmel von Porteous eine Tracht Prügel deshalb aufgezogen.« So widerwärtig dem Ratsherrn die Alte auch war, so verschloß er sich der Meinung doch nicht, daß auch ihr ein Recht zustehe, ihr Kind zu lieben wie jeder andern Mutter auch, und er ließ sich sofort Bericht darüber erstatten, weshalb das Mädchen hinter Schloß und Riegel gehalten werde. Als sich dabei herausstellte, daß sie ihr Alibi schon nachgewiesen habe, ließ er sie aus der Zelle holen, wohin sie erst am Morgen, durch Sharpitlaw aufgegriffen, eingeliefert worden war. Der Ratsherr versuchte inzwischen von der Alten zu erfahren, ob ihr bekannt sei, wann und wo Robertson sich wieder umgekleidet und wo er die Kleider ihrer Tochter gelassen habe. Aber die Alte ging nicht von ihrer Behauptung ab sie habe Robertson, seit er aus der Zöllnerkirche entwichen, kein einziges Mal mehr gesehen, wisse auch gar nicht, daß ihre Tochter ihm Sachen geliehen habe. Da sie Beweise dafür anführen konnte, daß sie die Nacht, in welcher sich der Porteous-Krawall abgespielt, in einem Dorfe anderthalb Meilen von der Stadt zugebracht hatte, blieb dem Ratsherrn nichts übrig, als das Verhör mit ihr einzustellen. Der Alten schien das wieder zu schmeicheln, denn sie beugte sich zu dem Rate hinüber und sagte: »Aber etwas über den Lümmel von Porteous könnt ich euch am Ende sagen, was ihr alle in eurem hohen Rate, und wenn ihr euch noch so anstrengtet, nicht herausbrächtet.« »So redet!« befahl ihr der Ratsherr, während sich aller Blicke auf sie richteten. »Es kann Euch bloß von Nutzen sein, wenn Ihr damit nicht hinterm Berge haltet,« sagte der Stadtschreiber. Ein paar Minuten lang verhielt sie sich in tückischem Schweigen, sah sich aber im Kreise um, wie wenn sie sich an der Spannung weiden wollte, mit der ihre Antwort erwartet würde. Dann rief sie plötzlich: »Hm, ich weiß doch nichts weiter von ihm, als daß er auch bloß ein Spitzbube und Taugenichts war, wie die meisten von euch. Aber bis man so etwas herauskriegt, meine ehrsamen Herren, kann man schon ein paar Jahre mit in eurem hohen Rate sitzen, nicht?« Während keiner in dem Verhandlungszimmer im ersten Augenblick wußte, was er zu solcher Frechheit sagen sollte, wurde Maggie Wildfire hereingeführt. Kaum hatte sie die Alte erblickt, als sie auch rief: »Na, dacht ich's mir doch! Da ist ja unser altes Reibeisen von Mutter auch da! Uns beide auf einmal im Stockhaus zu haben, muß ja eine große Freude für die Herren sein, aber es hat auch einmal bessere Tage für uns gegeben nicht wahr, Mütterchen?« Als die Alte ihr Kind wiedersah, huschte im ersten Augenblick ein freudiger Zug über ihr Gesicht; aber ob sie nun, nach Tigerweise, ihre Liebe nicht anders zeigen konnte als unter Ausbrüchen von Wildheit, oder ob durch die Worte ihrer Tochter Erinnerungen geweckt worden waren, die ihren Haß wieder wachriefen, kurz, sie packte die Tochter am Arme und riß sie hinter sich her zur Tür. »Was geht's Dich an, Du Landflüchtige, daß wir bessere Tage gesehen? Kümmre Dich drum, was jetzt mit Dir los ist. Hast's wieder so getrieben, Du Faulenzerin, daß Dir vierzehn Tage bei Brot und Wasser winken zur Strafe dafür, daß Du mir wieder solche Schererei machst!« Maggie entwischte aber der Alten an der Tür, rannte wieder zu dem Tische hin, machte dem Ratsherrn einen komischen Knicks, kicherte und sagte: »Sie hat sich gewiß wieder mit ihrem Gevatter, dem Satan, überworfen, ihr Herren; dann verfällt sie nämlich immer in Mucken und Grillen, und ich muß der Sündenbock sein. Nur gut, daß mein Buckel an Prügel gewöhnt ist! Aber wenn sie keine Manieren hat, meine Herren, so ist doch damit nicht gesagt, daß sie auch anderen fehlen müßten!« Wieder machte sie einen ihrer komische Knickse; aber von draußen schallte die Stimme der Mutter herein: »Maggie! Teufelsbalg! Kommst Du nicht auf der Stelle, so hole ich Dich!« »Da hört nur, wie sie wieder wettert!« schwatzte Maggie weiter, ohne sich durch ihre Reden stören zu lassen; nach einer Weile aber, als sich die Mutter mit den Fronen zankte, die sie nicht wieder in die Stube lassen wollten, besann sie sich eines andern und hub, die Hand zum Himmel ausstreckend, mit schmetternder Stimme zu singen an: Zur Lust auf, der blauen, Auf der Stute, der grauen, Noch sehe, noch sehe ich sie! Und mit einem Satze war sie zur Tür hinaus. Bis Ratsherr Middleburgh dazu kam, nach Sankt-Leonard hinauszugehen, verliefen reichlich vierzehn Tage. Das Gericht hatte mit dem Falle Porteous noch immer soviel Schererei, daß niemand zu Atem kam. Von London aus lief eine Beschwerde nach der andern ein, daß von den Mördern noch kein einziger verhaftet worden sei, und selbst der König hatte persönlich interveniert: ein Fall, der sich nicht häufig zu ereignen pflegte. Immerhin mußte Butler von aller Schuld freigesprochen werden, war aber nur gegen Bürgschaft aus der Haft gelassen worden, weil auf seine Zeugenaussage Gewicht gelegt wurde, eben der Beschwerden halber, die aus London nach Edinburg kamen. Aus dem gleichen Grunde wurde es jetzt unangenehm empfunden, daß die alte Murdockson mit ihrer Tochter sich am selben Tage, als sie aus der Haft entlassen worden, aus Edinburg entfernt hatte und spurlos verschwunden war. Von London aus kam Befehl, eine öffentliche Belohnung auszuschreiben für jeden, der einen Teilnehmer an dem Krawall zur Anzeige brächte, anderseits jeden, dem nachgewiesen würde, daß er solchem Teilnehmer Unterstand oder Gelegenheit zur Flucht gegeben, mit sofortiger Todesstrafe zu drohen: eine Maßregel von unerhörter Strenge, die noch dadurch für schottische Sinnesart erheblich verschärft wurde, daß sie an jedem ersten Sonntag eines Monats vor dem Beginn des Gottesdienstes von der Kanzel verlesen und jeder Geistliche, der sich dieser Verordnung nicht fügte, seines Amtes entsetzt werden sollte. Hierüber entstand in Edinburg allgemeine Unzufriedenheit, denn das Volk meinte, der Fall würde von England aus nur dazu ausgenützt, Schottlands Rechte und Freiheiten zu verkürzen; dem presbyterianischen Glauben gilt es als Sünde, die Kanzel zu irgend etwas anderm als zur Verkündigung von Gottes Worte zu benutzen: zudem war Schottland das Reservatrecht zugestanden worden, daß für den öffentlichen Gottesdienst lediglich die Generalsynode als unsichtbares Oberhaupt der Kirche Bestimmungen erlassen dürfe. Während es zufolgedessen in Edinburg bedenklich zu gären anfing, machte sich Ratsherr Middleburgh, als der Verhandlungstermin gegen Effie Deans vom Lord-Oberrichter festgesetzt worden, auf den Weg nach Sankt-Leonard, zur damaligen Zeit eine nicht so einfache Sache wie jetzt, denn wenn die Entfernung auch nur annähernd eine Stunde betrug, so waren doch die Straßen nicht bloß unsicher, sondern auch bei weitem nicht so bequem, wie es die Menschen in der Gegenwart gewöhnt sind. Der alte Deans saß vor seinem Häuschen auf einer Rasenbank, mit Ausbesserung seines Geschirrs befaßt: eine Arbeit, die zur damaligen Zeit jeder Besitzer eines Fuhrwerks selbst verrichten mußte. Statt, wie der Ratsherr erwarten durfte, die Arbeit aus der Hand zu legen, hielt Deans es kaum für notwendig, den Kopf aufzuheben, sondern bastelte mürrisch weiter. Es blieb dem Ratsherrn nichts übrig, als den alten Mann anzureden. »Mein Name ist Middleburgh, James Middleburgh. Ich bin Ratsherr von Edinburg,« sagte er. »Hab nichts dawider,« versetzte Deans, kurz angebunden, ohne sich stören zu lassen. »Richter haben manchmal recht schwere Pflichten,« sagte Middleburgh wieder. »Mag sein,« brummte Deans, »andre Leute auch.« »Es treten hin und wieder Pflichten und Meinungen in schweren Widerspruch,« sagte Middleburgh. »Kann's nicht ändern,« brummte Deans. »Sie haben zwei Töchter, Deans? nicht wahr?« Der Greis fuhr schmerzlich zusammen, wie jemand, der sich an einer empfindlichen Wunde gestoßen, bückte sich aber im andern Augenblick noch tiefer über seine Arbeit und erwiderte finster: »Eine Tochter, Herr – bloß eine – bloß eine!« »Ich verstehe, Deans, Sie meinen, bloß eine zu Hause, aber das unglückliche Ding im Gefängnis, ist doch Ihre jüngste Tochter?« Der Presbyterianer schlug ernst die Augen zu dem vor ihm stehenden Ratsherrn auf. »Dem Fleisch nach ist die andere mein Kind; ja – aber seit sie ein Belialskind geworden, dem Geiste nach nicht mehr.« Der Ratsherr setzte sich neben den starren Greis und suchte die Hand zu fassen, die die seine floh. »Deans,« sagte er, »wir sind allzumal Sünder und sollten an den Irrungen unserer Kinder schon darum kein zu großes Aergernis nehmen, weil ihnen ja irdische Schwäche als Erbteil von uns Eltern überkommt.« Ungeduldig rief der Greis: »Herr, das weiß ich so gut wie, ich meine, es kann ja alles, was Sie sagen, recht und in Ordnung sein; aber mit fremden Leuten über meine Angelegenheiten zu sprechen, ist meine Sache nicht, obendrein jetzt, nachdem von London diese strengen Dekrete erlassen worden sind, zum empfindlichen Nachteil für unser armes Land und seine gequälte Kirche.« »Aber, lieber Deans,« fiel ihm der Ratsherr ins Wort, »das eigne Haus muß der Mensch doch vor allem bedenken, man wäre ja sonst schlimmer als ein Ketzer!« »Ich sage Ihnen, Ratsherr,« fuhr Deans auf, »wenn Sie Ratsherr sind, was heutzutage freilich nicht weither ist, mein Haus bleibt mein Haus, und für eine Verworfene – für eine – ich scheue mich, daran zu denken, was sie ist – für eine solche hab ich kein Haus mehr.« »Aber, Deans, bedenken Sie, wenn das Leben Ihres Kindes noch zu retten wäre.« »Ihr Leben!« rief der Greis, »kein Haar von diesem grauen Haupte möchte ich hingeben für ihr Leben, nachdem sie ihren Ruf geschändet hat, und doch,« setzte er, mit einem schwachen Versuche, den harten Spruch zu mildern – »würde ich es hingeben, dies graue Haupt, das sie mit Pein beladen, könnte sie dadurch Zeit zur Buße, zur Läuterung gewinnen: den was bleibt dem Bösen, wenn ihm der Odem entwichen? Aber sie sehen, noch einmal sehen? Nein! nie, nie! in diesem Leben nie mehr!« Wie wenn er dies Gelübde innerlich wiederholte, bewegten sich seine Lippen noch eine Weile stumm hin und her. »Deans,« nahm Middleburgh wieder das Wort, »ich spreche zu Ihnen als einem klugen, verständigen Manne, und wenn Sie Ihrem Kinde das irdische Leben retten wollen, so müssen Sie sich auch irdischer Mittel dazu bedienen.« »Ich verstehe den Sinn Ihrer Worte,« erwiderte Deans, »und was irdische Klugheit für die Verlorene zu tun vermag, wird Herr Novit besorgen, der Sachwalter von Dumbiedike. Mir selbst erlaubt mein Gewissen nicht, mich mit Gerichtshöfen der neueren Art in Disput einzulassen.« »Sie wollen damit sagen, Deans, daß Sie die Zuständigkeit unserer Gerichte nicht anerkennen?« erwiderte Middleburgh; »aber hierüber mit Ihnen zu diskutieren, sei späterer Gelegenheit aufbewahrt. Was mich heute herführt, ist lediglich folgendes: Ich habe Weisung gegeben zur Vorladung Ihrer ältesten Tochter als Zeugin in dem Prozesse wider Ihre jüngere, Effie. Erfüllt nun Ihre ältere Tochter dem Staate gegenüber ihre Pflicht und legt das Zeugnis ab, so ist die Schwester, so weit ich zurzeit beurteilen kann, gerettet. Falls aber Sie aus starren Glaubensrücksichten ihr verbieten sollten, vor Gericht zu erscheinen, dann sind Sie, der Vater des unseligen Mädchens, als derjenige anzusehen, den die Schuld an ihrem frühen und schimpflichen Tode trifft.« Nach diesen Worten wandte der Ratsherr dem Pächter den Rücken und schickte sich zum Gehen an. »Bleiben Sie noch, Herr Middleburgh,« rief Deans, »Herr Ratsherr, noch ein Wort!« Dieser mochte aber befürchten, durch Wiederaufnahme der Unterhaltung den Eindruck seiner Gründe abzuschwächen; deshalb entfernte er sich schnellen Schrittes, den Pächter mit den widersprechendsten Empfindungen im Herzen zurücklassend. Den Presbyterianern war es immer zweifelhaft, bis wie weit sie gehalten seien, sich den Gesetzen einer Regierung zu unterwerfen, die es umgangen habe, ihren feierlichen Religionsbund anzuerkennen als sie die heimische Gewalt vernichtete. Die verschiedenen kleinen Sekten, die sich im Laufe der Jahre von dem Hauptstamm abgezweigt hatten, wichen gerade in diesem Punkte wesentlich voneinander ab. David Deans gehörte zu den starren Presbyterianern, denen es als unvereinbar mit der göttlichen Lehre galt, vor Gericht Zeugnis wider einen Mitmenschen abzulegen, und jetzt sah er sich den mächtigsten Beweggründen gegenüber, seine ältere Tochter zu einem solchen zu bestimmen! In der Tiefe seines Herzens erhob sich die Stimme der Natur gegen die Vorschriften fanatischer Starrgläubigkeit, und um ihn vor dieser Scylla, die ihm mit dem Sturze seiner Grundsätze drohte, und jener Charybdis, die ihm sein Kind auf dem Schafotte zeigte, zu retten, zeigte ihm seine in Lösung polemischer Schwierigkeiten wohlgeübte Phantasie einen rettenden Ausweg. Ohne sich daran zu kehren, daß es im Grunde nur künstlicher Selbstbetrug war, was ihm über das Dilemma hinweghalf, schlug er den Ausweg ein. »Ich habe meinem Bekenntnis,« philosophierte er, »allzeit treu und redlich angehangen; aber wer möchte mir nachreden, ich hätte meinen Nachbar zu streng gerichtet, weil er sich zu freierer Handlung für berechtigt wähnte als ich mich? Meiner Tochter Jeanie kann eine Erleuchtung geworden sein, für die meine Augen schon zu schwach waren, sie wahrzunehmen. Darum sei die Entscheidung ihrem, nicht meinem Gewissen anheimgegeben. Hält sie es für vereinbar mit ihren Grundsätzen, sich dem Gerichte zu stellen und für die Arme, die im Gefängnisse schmachtet, die Hand zum Zeugnis zu erheben, so will ich es ihr nicht wehren und ihr nicht nachreden, sie wandle auf unrechtem Wege. Meint sie aber,« – hier hielt er in seinem Räsonnement inne – und ein heftiges Zittern erschütterte seinen Körper – »meint sie aber, sie könne es nicht, sie dürfe es nicht, dann sei Gott davor, es sie zu heißen und in geistige Verdammnis zu stürzen. Nein! es sei ferne von mir, meines ältern Kindes zartes Gewissen zu verletzen, um auf solche Weise meines jüngern Kindes Leben zu retten!« Siebzehntes Kapitel Mit diesem Entschlusse nahte sich David Deans festen Schrittes der Kammer, die ehedem beiden Schwestern als Schlafstätte gedient hatte. Effies Bett stand noch darin, und seine Augen fielen, als er den Fuß über die Schwelle setzte, unwillkürlich darauf. Die schmerzvollen Erinnerungen, die jetzt auf ihn einstürmten, beraubten ihn fast der Sprache. Indessen sollte die Beschäftigung, über der er seine ältere Tochter traf, ihm sein Vorhaben erleichtern: er fand sie nämlich mit einem Papier in der Hand, in dessen Lesung sie vertieft und das nichts anderes war als die gerichtliche Vorladung, von welcher Middleburgh ihm gesagt hatte, und die dieser, während er mit dem Vater gesprochen, der Tochter durch einen Fron hatte behändigen lassen. Dieser Umstand kam ihm jetzt zu statten, denn er sparte ihm jede peinliche Auseinandersetzung. »Ich sehe,« beschränkte er sich deshalb zu sagen, »daß Du schon weißt, um was es sich handelt.« Aber er sprach die wenigen Worte mit dumpfer, zitternder Stimme. »Vater,« wehklagte Jeanie, »zwischen welch grausame Gesetze menschlicher und göttlicher Herkunft sind wir gestellt! Wie sollen, wie dürfen wir uns verhalten?« Ihre Unruhe rührte aber nicht, wie beim Vater, aus dem Zweifel, ob ihr Gewissen es zulasse, vor Gericht zu erscheinen, so oft auch diese Frage von Glaubensgenossen ihres Vaters in ihrer Gegenwart erörtert worden war, sondern weil sie, der Unterredung gedenkend, die sie bei den Muschatsteinen mit dem Unbekannten gehabt, vor der grausamen Entscheidung stand, ob sie ihre Schwester durch einen Meineid retten solle oder nicht. Und dieser Zweifel erfüllte sie so ganz, daß sie des Vaters Worte: »Ich sehe, Du weißt schon, um was es sich handelt,« auf den ihr so heimlich und doch so eindringlich gegebenen Rat bezog. Mit erschrecktem Blicke sah sie zu ihm auf, und was der Vater weiter sagte, war, so weit sie sie es wenigstens deuten konnte, nicht danach beschaffen, sie zu beruhigen. »Jeanie, ich habe immer die Meinung vertreten,« sagte er, »daß in zweifelhaften, einander widerstrebenden Fragen jeder Christ sein eigenes Gewissen zum Wegweiser nehmen solle. Geh also mit Dir selbst zu Rate, prüfe Dein Gemüt, und wenn Du das Rechte gefunden zu haben meinst, so handle.« »Vater,« antwortete Jeanie, vor dem Sinn erschreckend, den im Augenblick diese Worte für sie hatten, »kann es hierbei einen Zweifel geben? Wie lautet das achte Gebot? Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider Deinen Nächsten!« David Deans schwieg. Aber auch er paßte ihre Worte seinen Gedanken an, und da wollte es ihm scheinen, als sei sie als Weib, als Schwester, zu so strengen Bedenklichkeiten nicht befugt, nachdem doch er, als in diesen schweren Prüfungen einer so verhängnisvollen Zeit wohlerfahrener Mann, ihr den Wink gegeben hatte, den natürlichen Gefühlen ihres Herzens zu folgen. Indessen hielt er fest an dem Entschlüsse, die Entscheidung allein ihr zu überlassen, aber als seine Augen wieder das Bett trafen, worin sein jüngstes Kind so oft im süßen Schlummer gelegen, da trat ihm die holde Gestalt, die er von klein auf heranwachsen gesehen, so lebendig vor die Seele, daß ihm fast unbewußt Worte entschlüpften, deren Sinn nur erklärlich wurde, wenn man sie auf Vaterliebe zurückführte. »Jeanie,« sagte er, »daß Dein Pfad immer frei bleiben wird von jeder Gefahr, zu straucheln, läßt sich nicht annehmen. In solchem Falle stehen wir jetzt. Freilich gilt es ja vielen als Sünde an sich, Zeugnis abzulegen, und ich selbst habe diesen Standpunkt immer eifrig vertreten. Aber ich meine, wie es überall im Leben Ausnahmen gibt, so auch hierbei, und zwar in Fällen der Blutsverwandtschaft. Indessen sei es durchaus ferne von mir, in Dich hineinzureden, Kind, denn ich spüre recht wohl, daß mir die irdischen Gelüste noch immer sehr anhaften und mich zu beirren drohen. Aber, Jeanie...« und hier nahm seine Stimme, ihren harten Klang verlierend, eine fast wehmütige Färbung an, »Wenn es Dir möglich ist, mit Gott und Deinem Gewissen zu sprechen... für dies arme, unglückliche Geschöpf, das von Deinem Blute ist, das die Tochter einer Heiligen ist, die schon im Himmel weilt, aber, so lange sie hienieden weilte, auch an Dir Mutterstelle vertrat. Jeanie, wenn es Dein Gewissen erlaubt, für sie vor Gericht zu zeugen, dann tue es, aus schwesterlicher Liebe, aber wenn es nicht an dem ist, es Dein Gewissen Dir nicht erlaubt, dann laß Dich nicht beirren, Jeanie, auch durch mich nicht, dann ... dann ... laß Gottes Willen geschehen!« Schnell verließ er die Kammer und ließ die Tochter in tiefstem Kummer und heftigster Bestürzung zurück. »Waren das wirklich Worte aus Vaters Munde?« rief sie, als die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte, »oder hat der böse Feind sich in seine Gestalt gesteckt und seine Stimme angenommen, um mir verderblichen Rat, der die Seele tötet, zu geben? Meiner Schwester Leben in der einen, des Vaters Weisung, wie es zu retten, in der andern Schale der Wage. Gott im Himmel, leih mir Deinen Beistand in dieser furchtbaren Versuchung, und erleuchte mich!« Achtzehntes Kapitel Das doppelte Spiel, das Ratcliffe bei dem Versuche, Robertson zu fangen, gespielt hatte, sollte ihm kein Hindernis werden für seine Anstellung als Beifron und Schließer, so wenig sich das auch mit seinem früheren Leben vertrug, denn er war jahrelang der schlimmste Dieb und Straßenräuber von ganz Schottland gewesen; aber Sharpitlaw war sein Fürsprecher bei dem Edinburger Magistrate, und der Umstand, daß er das Gefängnis nicht verlassen, als es der Pöbel gesprengt hatte, sprach erheblich zu seinen Gunsten. Ratcliffe wurde, kaum im Besitze seines neuen Postens, von Saddletree und anderen bestürmt, eine Zusammenkunft der beiden Schwestern zu vermitteln. Der Magistrat hatte aber, in der Hoffnung, über Robertson schließlich doch noch etwas zu erfahren, wenn die Schwestern nicht zueinander gelassen würden, gegenteilige Weisung erteilt; Jeanie konnte indessen weiter nichts über Robertson aussagen, als sie bisher getan, und Effie hüllte sich in Schweigen, selbst als man ihr eine beträchtliche Strafmilderung zusagte, wenn sie aussagen wollte, was ihr über Robertson bekannt sein; als man ihr ernstlich deshalb zusetzte, ließ sie es nicht bei Tränen bewenden, sondern gab oft, um weitere Fragen abzuschneiden, heftige, unwirsche Antworten. Die Verhandlung war von einer Woche zur andern verschoben worden, immer in der Erwartung, Effie werde sich noch verstehen zu Aussagen, die Robertson in die Hände der Obrigkeit lieferten; als man aber sah, daß sie bei ihrem Eigensinn verharrte, riß dem Magistrat die Geduld, und der Verhandlungstag wurde festgesetzt. Jetzt erst erinnerte sich Sharpitlaw des Versprechens, das er Effie gegeben, die Schwester zu ihr zu führen; vielleicht tat er es auch nur, weil er sich vor Frau Saddletree nicht mehr sehen lassen durfte, die ihm jedesmal die heidnische Grausamkeit vorwarf, zwei gebrochene Herzen in so schweren Kummer zu setzen dadurch, daß man ihnen beharrlich jede Zusammenkunft und Aussprache verweigere; kurz: Jeanie bekam endlich die Nachricht, daß sie die Schwester besuchen dürfe, aber erst am Tage vor dem für die Hauptverhandlung festgesetzten Termine. Um zwölf Uhr mittags machte sie sich auf den Weg zur Stadt, um die bezeichnete Stunde nicht zu versäumen. O, mit welch schwerem Herzen! und doch war dies nur ein Teil des bitteren Kelches, den sie leeren sollte um anderer Torheit und Vergehens halber. Ratcliffe führte sie in die Zelle. Als er die dreifach versicherte Tür aufschloß, scheute der Schamlose sich nicht, sie mit grinsendem Gesicht zu fragen, ob sie sich seiner noch entsänne? Jeanies Antwort war ein schüchternes, zaghaftes Nein. »Was? die Mondnacht an den Muschatsteinen sollten Sie vergessen haben, in der Sie Kliff nach Rob fragte?« rief er, noch immer grinsend; »da muß ich doch wohl Ihr Gedächtnis ein bißchen auffrischen?« Wenn Jeanies Schmerz um das Schicksal der Schwester noch nicht den höchsten Punkt erreicht hatte, so mußte der Schreck darüber, sie der Gewalt dieses Schurken überantwortet zu sehen, ihn dahin führen. Und doch war Ratcliffe der Schlimmste noch nicht, dem die Arme in die Hände hätte fallen können! Zu denjenigen, die von Natur grausam sind und vor Blutvergießen nicht zurückschrecken, hatte Ratcliffe niemals gehört, und in dem Amte, das ihm ein günstiges Schicksal zugewiesen, ließ er es den Gefangenen gegenüber an Mitgefühl nicht fehlen, ja, wo es anging, erleichterte er, wenn er auch eine rauhe Außenseite behielt, ihre Lage nach besten Kräften, sorgte auch für gute und reichliche Ernährung. Aber Jeanie konnte natürlich den Mann nur nach dem Auftritt bei den Muschatsteinen beurteilen, und die Erinnerung daran ließ sie, und nicht mit Unrecht, das Schlimmste für die Schwester befürchten. Sie fand kaum den Mut, ihm zu sagen, daß sie vom Ratsherrn Middleburgh Bescheid bekommen habe, es sei ihr eine Zusammenkunft mit ihrer Schwester bewilligt worden. »Ich weiß das schon, Kind,« antwortete Ratcliffe, »und habe auch Befehl bekommen, dabei anwesend zu bleiben.« »Muß das sein?« erwiderte flehentlich Jeanie. »Was kann's denn schaden?« erwiderte Ratcliffe, »ich höre ein paar Mädel immer gern zusammen plaudern, wenn sich auch die Meinung, die ich von dem Weibsvolk habe, dadurch nicht ändern wird. Und wenn ihr nicht grade von dem Sturme auf den alten Kasten hier redet, so könnt ihr sagen, was ihr wollt; mich soll's nicht weiter anfechten, und euch zum Schaden will ich's auch nicht nützen.« Darauf führte er sie in die Zelle, in welcher Effie untergebracht war. »Jeanie, liebe gute Jeanie,« rief ihr Effie, die den ganzen Tag zwischen Furcht, Scham und Schmerz geschwankt hatte, entgegen; die Freude aber, als die Tür sich öffnete, ließ sich nicht zurückhalten. »Jeanie, liebe gute Jeanie! wie lange habe ich Dich nicht mehr gesehen!« Jeanie umarmte die Schwester mit einer Innigkeit, die fast an Jubel grenzte, aber es war doch nur eine flüchtige Erscheinung, gleich dem Sonnenstrahl, der durch Gewitterwolken bricht, um gleich wieder in Nacht zu versinken. Sie setzten sich nebeneinander auf das Strohlager, das Effie als Bett diente, hielten sich umschlungen und sahen sich lange, stumm und weinend, an. Selbst Ratcliffe konnte sich der Rührung nicht verschließen; sein Mitgefühl verriet sich durch eine an sich geringfügige Handlung, durch die er aber einen größeren Zartsinn bekundete, als sein Charakter hätte erwarten lassen. Das durch ein dichtes Gitter verschlossene Fenster stand offen, so daß das Licht die beiden Schwestern traf, und leise, fast ehrerbietig, ging er hin und klappte den Laden zu, wie wenn er die schmerzliche Szene durch einen Schleier verdecken wollte. »Effie, Du bist krank,« waren die ersten Worte, die Jeanie über die Lippen zu bringen vermochte, »sehr krank!« »Ach, was gäbe ich drum,« antwortete Effie, »wenn ich noch zehnmal kränker wäre, wenn ich tot und kalt daläge, ehe es wieder Morgen würde! Und der Vater? Aber ich bin ja sein Kind nicht mehr. Jeanie, Jeanie! Ich habe keinen Freund auf der Welt! Ach, läge ich doch draußen auf dem Friedhofe neben meiner Mutter!« »Reden Sie doch nicht so, Fräulein!« sagte Ratcliffe, »es hat schon manches Wild schußrecht gestanden, ohne getroffen zu werden, und mancher Advokat hat manchen durchgebracht, der weit Böseres auf dem Kerbholz hatte, und den Sie haben, Fräulein, der Nichil Novit, der versteht's auch, den schlimmsten Fall zu wenden. Wer mit solchem Verteidiger versorgt ist, kann schon halb am Stricke baumeln und kommt doch davon. So ein feines Ding wie Sie, braucht sich ja nur ein bißchen herauszuputzen, und welchem Richter möchte es dann beikommen, ihr nur ein Härchen zu krümmen? Mit solchem alten Kerl wie mir, ist's freilich was anders, der muß dran glauben, wenn er auch nur einen Floh geknickt hat!« Diese seltsamen Trostesworte blieben ohne Antwort, denn die Schwestern waren so vertieft in ihren Schmerz, daß sie sich der Anwesenheit Ratcliffes kaum bewußt waren. »Ach, Effie, Effie! Warum mußtest Du mir Deinen Zustand verheimlichen? Hab ich das um Dich verdient? Wenn Du mir bloß ein einziges Wort gesagt hättest, dann wäre all dieser Jammer nicht über uns gekommen!« »Was hätte dadurch wieder gut werden können, Jeanie?« versetzte die Gefangene; »nein, Jeanie, nein! es war alles aus und vorbei, als ich meines Versprechens vergaß und des Blattes, das ich zum Zeichen dafür in die Bibel legte. Da, sieh!« fuhr sie fort, nach dem heiligen Buch greifend, »die Stelle schlägt sich von selbst auf, mir mein schreckliches Urteil zu künden. O, Jeanie, ein schrecklicher Spruch!« Jeanie nahm das Buch auf und fand die Stelle im Buche Hiob: »Er hat meine Ehre mir ausgezogen und die Krone von meinem Haupte genommen. Er hat mich zerbrochen um und um und läßt mich gehen und hat ausgerissen meine Hoffnung wie einen Baum. Sein Zorn ist über mich ergrimmet, und er achtet mich für seinen Feind.« »Und ist der Spruch nicht wahr? Trifft er mich nicht zu recht?« klagte Effie. »Ist mir die Krone nicht vom Haupte genommen? Ist mir nicht meine Ehre geraubt? Und was bin ich anders denn ein armer, vertrockneter Baum, an der Wurzel verdorben und achtlos hinausgeworfen auf die Landstraße, daß Menschen und Tiere ihn mit Füßen treten? Ach, als der Vater den kleinen Dornbusch aus unserm Garten riß und auf den Hof hinauswarf, wo er zertreten wurde, das hübsche grüne Ding mit allen seinen Blüten, da hab ich nicht gedacht, daß es mit mir einmal auch so kommen würde!« »O, hättest Du mir doch nur ein einziges Wort gesagt, Effie,« klagte Jeanie, »daß ich für Dich zeugen könnte, dann könnte Dir niemand ans Leben!« »Und Du kannst es nicht?« fragte Effie, und in ihrer Stimme klang es wie ein stiller Vorwurf denn das Leben bleibt dem Menschen auch dann lieb und wert, wenn es ihm als Bürde erscheint. »Jeanie, wer hat Dir das gesagt?« »Einer, der recht gut gewußt hat, was er sprach,« antwortete Jeanie, ausweichend. »Wer? Sage es mir, Jeanie!« rief Effie aufspringend, »ich beschwöre Dich, Jeanie! Wer konnte solchen Anteil nehmen an mir, die doch verstoßen und verlassen ist? War es ... o, war es...« »Ei,« sagte Ratcliffe, »wozu quälen Sie die Arme so? Ich wette, es ist kein anderer gewesen als Robertson, und damals bei den Muschatsteinen hat er's Ihnen gesagt!« »War er's?« rief Effie, noch dringlicher als zuvor, »Jeanie, war er's? war er's wirklich? Ja, er war's! er war's! Der Arme! Und wie schwer mag es ihm dabei um sein Herz gewesen sein! und dabei selbst in so schlimmer Gefahr, der arme Georg!« »Effie,« rief Jeanie, fast unwillig: »Wie kannst Du von solchem Menschen so reden?« »Sollen wir denn unsern Feinden nicht vergeben?« sagte Effie, doch mit scheuem Blick und gedämpfter Stimme, denn ihr Gewissen flüsterte ihr zu, daß es doch andere Gefühle als christlicher Liebe seien, mit denen sie ihres Verführers gedachte, und daß es sündhaft von ihr sei, sie mit solchem Mantel zu decken. »Und trotz allem, was Du seinetwegen gelitten, hängst Du ihm noch mit Liebe an?« fragte Jeanie. »Ihm anhängen, mit Liebe?« wiederholte Effie; »hätte ich ihn nicht geliebt, wie selten ein Weib liebt, so säße ich nicht jetzt hier, hinter Schloß und Riegel, und solche Liebe, wähnst Du, lasse sich vergessen? Nein, Jeanie, ein Baum läßt sich umhauen, aber nicht biegen. Willst Du mir was zu liebe tun, Jeanie, dann sage mir, was er Dir sagte, und ob ihm die arme Effie leid tut oder nicht?« »Was kann es helfen, darüber zu sprechen, Effie?« erwiderte Jeanie, »er hatte doch wahrlich genug mit sich zu tun, als daß er sich viel um andere hätte kümmern sollen.« »Das ist nicht wahr, Jeanie, und wenn es eine Heilige redete,« rief Effie, und ihr altes heftiges Temperament kam zum Durchbruch; »Du kannst ja auch nicht wissen, wie ich, welcher Gefahr er sein Leben aussetzte, bloß um das meinige zu retten.« Da fiel ihr Blick auf Ratcliffe, und sie brach jäh ab. »Das Mädel scheint sich, weiß, Gott! einzubilden,« rief Ratcliffe, wie vorhin grinsend, »es habe kein anderer Mensch Augen im Kopfe als sie! Hab ich den seinen Jungen nicht gesehen, wie er dabei war, ganz andre Leute als den Porteous aus dem Kasten zu holen? Brauchst mich gar so verwundert nicht anzustieren, Mädel,« rief er, »ich weiß noch ganz andre Dinge!« »Gott, mein Gott!« schrie Effie und warf sich ihm zu Füßen, »so wißt Ihr auch, wo sie mein Kind haben, die Ruchlosen? Mein Kind, o Gott! mein Kind! das arme, unschuldige, hilflose Wesen! Fleisch von meinem Fleische, Blut von meinem Blute! O, wenn Ihr noch Anspruch erhebt auf himmlische Gnade, wenn Ihr den Segen eines unglücklichen Wesens nicht mißachtet, dann sagt mir, Mann, was aus meinem Kinde geworden! wohin sie das Zeichen meiner Schande, das Wesen, das teilnahm an meinem Schmerz, an meinen Wehen, gebracht haben? Sagt es mir, wer es mir genommen hat, und was aus ihm geworden ist!« »Nicht so stürmisch, Mädel,« rief der Schließer, indem er sich von den Händen freizumachen suchte, die ihn umklammert hielten, »nach so was mußt Du mich nicht fragen, sondern die Grete Murdockson, wenn Du es nicht schon selber weißt!« Die Unglückliche, so jäh wieder aus ihrem wilden Hoffen gerissen, ließ die Hände von ihm und schlug, von Krämpfen geschüttelt, auf den Boden. Jeanie, die auch beim schwersten Herzeleid ihre klare Einsicht nicht verlor, die sich, so schwere Schläge sie auch trafen, nie übermannen ließ, widmete der Schwester auf der Stelle die liebevollste Pflege, während Ratcliffe rücksichtsvoll genug war, sich in den entlegensten Winkel zurückzuziehen. Effie erholte sich aber verhältnismäßig schnell und beschwor, sobald sie die Fähigkeit zur Sprache wiedergewonnen, Jeanie so ungestüm, ihr alles von der Zusammenkunft mit Robertson zu erzählen, daß Jeanie ihr nicht länger widerstehen konnte. »Besinnst Du Dich noch, Effie,« sagte sie, »wie böse damals Deine Mutter war, als Du krank zu Bett lagst und ich Dir Milch gab, weil Du Durst hattest und weinend danach verlangtest? Damals warst Du noch Kind; jetzt aber, als erwachsenes Mädchen, solltest Du doch nicht nach Dingen begehren, die Dir schaden . Aber mag nun Gutes oder Böses daraus kommen, ich kann Dir auch heute noch nicht abschlagen, um was Du mich mit Tränen in den Augen bittest.« Effie umschlang sie, küßte sie und flüsterte: »Ach, wüßtest Du, wie lange ich seinen Namen nicht mehr hörte, und wie wohl es mir tun wird, etwas von ihm zu hören, was mir von seiner Liebe und Güte erzählt. Ach, Jeanie, Du kannst es nicht fassen, wie sehr ich mich danach sehne.« Tief aufzeufzend berichtete nun Jeanie, sich so kurz fassend, wie möglich, von dem Auftritte, der sich zwischen Robertson und ihr abgespielt hatte. Die Schwester lauschte ihr mit verhaltenem Atem, keinen Blick von ihr wendend, ihr die Worte förmlich vom Munde lesend. »Armer Mensch! Armer Georg!« waren die einzigen Ausrufe, mit denen sie, an besonders zum Herzen gehenden Stellen, die Erzählung unterbrach. »So? Und dazu hat er geraten?« fragte sie, als Jeanie zu Ende war. Jeanie nickte. »Und er hat Dich aufgefordert, dort etwas auszusagen, was mein junges Leben retten, könnte?« »Ich solle einen Meineid schwören, verlangte er von mir.« »Und Du hast ihm drauf geantwortet, daß Du nichts davon wissen möchtest, Dich zwischen mich und den Tod zu stellen, den ich leiden müsse, und bin noch keine achtzehn Jahr?« »Ich habe ihm gesagt, was ich ihm sagen mußte,« erwiderte Jeanie, geängstigt durch diese bittre Entgegnung Effies, »daß ich nicht wahr machen könne, was unwahr sei.« »Was nennst Du unwahr?« rief Effie, wiederum in einer Anwandlung ihres früheren Temperaments, »Du kannst doch nicht glauben, Mädchen, daß eine Mutter ihr eignes Kind morden könne? Jeanie, ich und morden? mein Kind morden? Das Leben hätte ich dran gesetzt, ein Blinken seines Auges zu sehen!« »Daß Du an solcher Tat so unschuldig bist wie das neugeborne Wesen selbst,« sagte Jeanie, »glaube ich, auch ohne daß Du es versicherst.« »Daß Du mir soviel Gerechtigkeit antust, Jeanie,« versetzte Effie stolz, »erfüllt mich mit Freude, Menschen von Deiner exemplarischen Frömmigkeit verfallen gern in den Fehler, ihre Mitmenschen aller Sünde für fähig zu halten.« »Schwester, solche Worte habe ich nicht von Dir verdient und nicht erwartet,« erwiderte Jeanie, schluchzend vor Schmerz, obwohl sie Effies Gemütszustande mitleidsvoll viel von der Ungerechtigkeit des Vorwurfs zu gute rechnete. »Mag sein, Schwester,« erwiderte Effie; »aber Du bist mir böse, weil ich Robertson liebe, und doch, Jeanie! wie sollte ich ihn nicht lieben, dem ich doch mehr bin als Leben und Seligkeit? Hat er nicht eben erst, um mich zu befreien, sein Leben gewagt, indem er den Sturm auf das Gefängnis unternahm? Ach, wäre er an Deiner Stelle, dann weiß ich.« Aber sie brach ab und blickte stumm vor sich hin. »Effie, müßte ich bloß mein Leben wagen, Dich zu retten!« erwiderte Jeanie. »Leicht gesagt, Jeanie,« rief Effie, »aber wer soll's Dir glauben, da Dir schon ein Wort für mich zuviel ist? Und mag das Wort wirklich unrechter Art sein, das Leben währt doch lange genug, um zu bereuen.« »Solch unrechtes Wort, Effie, ist aber eine schwere Sünde, und um so schwerer, als sie mit Bedacht verübt wurde!« »Es ist gut, Jeanie,« sagte Effie, »reden wir nicht weiter davon. Ich dachte nur, allzu stolzes Vorurteil sei auch eine Sünde? Aber spare Dir den Atem für den Katechismus; ich werde ja bald keinen mehr zu verschwenden haben, Schwester!« »Mir will's aber auch nicht gefallen, das muß ich sagen,« bemerkte Ratcliffe, »daß ein Mädel soviel Lärm macht um lumpiger drei Worte willen, wenn ihrer Schwester damit geholfen weiden kann. Da hab ich's nicht so genau genommen, und wenn man mein Wort gelten ließe, mir sollt's nicht drauf ankommen, Zeugnis für das arme Ding abzulegen. Hab ich doch in England um einer Pulle Schnaps willen zu fünf verschiedenen Malen an der Bibel geleckt.« »Seid ruhig, Schließer,« rief Effie, »kein Wort mehr! Es ist gut so, wie es ist. Leb Wohl, Schwester! Wir halten den Mann zu lange auf. Du siehst ja, daß er wartet. Einmal sehe ich Dich wohl noch, bevor.« Sie stockte, und Todesblässe färbte ihr Gesicht. »Effie, und so sollen wir scheiden? Du, angesichts Deiner letzten Stunden, und, Effie, sieh mich an und sprich, was Du von mir begehrst. Ach, mir ist, als müßte ich versuchen, alles zu tun, selbst was mir als schwere Sünde erscheint.« »Nein, Jeanie! Nein!« antwortete Effie, doch hörte man, wie schwer es ihr fiel – »ich bin jetzt ruhiger und gefaßter, und bei besserer Einsicht, ich war ja nie auch nur halb so gut wie Du, Schwester; warum solltest Du sündigen um meinetwillen? Nein, nein! Du sollst es nicht, niemand soll es, um mich zu retten! Ich hätte in jener schlimmen Nacht aus dem Gefängnisse fliehen können mit jemand, der mit mir durch die ganze Welt gegangen wäre, der mich geliebt und beschirmt hätte als sein zweites Ich! Aber ich sagte ihm, als er mich zur Flucht aufforderte: Besser, auch das Leben geht dahin, nachdem Ruf und Ehre hin sind! Die lange Gefangenschaft hat mir allen Mut, alles Vertrauen genommen; es kommen Augenblicke über mich, in denen ich verzweifeln könnte. O, Schwester, dann wird mir zu Mute, wie damals, als ich zu Hause im Fieber lag, aber nicht mehr feurige Augen von Wölfen sind es, die mich umschwirren, auch keine von den Bullenbeißern der alten Butlern, sondern ein hohes, schwarzes Gerüst steigt vor mich auf, und greuliche Kerle führen mich hinauf, und tausend Augen stieren mich an, und tausend Stimmen fragen dumpf, ob es auch wirklich die Effie sei vom alten Deans, die Georg Robertson seine Lilie von Sankt-Leonard genannt habe? Und dann grinsen sie mich an, und aus allen Ecken und Winkeln stiert mich ihr Gesicht an, der alten Zigeunerin Gesicht, der Murdockson ihr Gesicht, und ganz so, wie es aussah in jenem schrecklichen Augenblick, als sie mir sagte, ich hätte mein Kind zum letzten Male gesehen. Jeanie, Jeanie! jage sie weg; sie hat ein zu gräßliches Gesicht!« und als könne sie den Anblick nicht länger ertragen, schlug sie die Hände vor die Augen. Noch ein paar Stunden verweilte Jeanie bei der Schwester, eifrig auf ihre Reden achtend, noch immer hoffend, etwas daraus entnehmen zu können, was sie entsühnen würde. Aber Effie hatte nichts weiter zu sagen, als was sie schon bei den Verhören gesagt hatte, »man will mir nicht glauben,« schloß sie, »aber ich weiß weiter nichts!« Ratcliffe hatte lange gezögert, den Schwestern zu sagen, daß die Trennungsstunde für sie geschlagen habe; daß die beiden Anwälte, Novit und Langtale, mit der Gefangenen noch einmal reden müßten, und daß besonders Langtale drauf brenne, in die Zelle gefühlt zu werden, denn er wäre immer schnell bei der Hand, wenn es »was Hübsches« zu sehen gäbe, ob im Stockhause oder wo anders. Noch manche Träne floß, und die Umarmungen wollten kein Ende nehmen; aber endlich mußte Jeanie den Fuß wieder über die Schwelle der unheimlichen Stätte zurücksetzen; und gleich darauf hörte sie die Riegel knarren, die sie von der teuren Schwester schieden. Die Art, wie Ratcliffe sich jetzt benommen, hatte sie halb und halb mit ihm ausgesöhnt; aber sie erstaunte trotzdem nicht wenig, als er das Trinkgeld, das sie ihm reichen wollte, ausschlug; auch als sie sagte, daß er es, wenn er es nicht für sich nehmen wolle, zur Erleichterung von Effies Lage verwenden solle; er wäre, sagte er, kein Unmensch gewesen, als er noch auf bösen Wegen wandelte, und seit er hier sei, tue er gern, was recht und vernünftig sei. »Behalten Sie nur Ihr Geld,« sagte er, »was in meiner Macht steht, tue ich schon für die Arme, aber ich denke, auch Sie werden sich noch einmal überlegen, ob Sie tun wollen, was sie von Ihnen erbat, und wenn ich meine Meinung sagen darf, so dürften Sie, wenn Sie dem Gericht eine Nase drehten, weder vor der Welt noch vor sich selbst an Ansehen einbüßen. Aber, gleichviel, machen Sie das, wie es Ihnen selbst am richtigsten erscheint. Ich werde zusehen, ihr nach Tisch ein bißchen Schlaf zu besorgen; denn in der Nacht, das kenne ich, schließt sie kein Auge. In der Nacht vorm Urteilsspruch tut niemand ein Auge zu; aber in der letzten Nacht, bevor's zum Galgen geht, schläft jeder wie 'ne Ratte, und das erklärt sich auch, denn das Schlimmste nimmt ein anderes Gesicht an, wenn man weiß, wie es damit wird. Und ich hab's immer gesagt: Lieber herunter mit dem Finger, als ihn an der Hand behalten, wenn er wackelig wird.« Neunzehntes Kapitel David Deans hatte fast den ganzen Morgen des Verhandlungstages in Andacht und Gebet verbracht, denn seine freundlichen Nachbarn hatten ihm heute die Feldarbeit abgenommen, und er trat, wunderbar gestärkt, zur Frühstücksstunde in seine Stube, getraute sich aber nicht, seine Tochter anzusehen, weil er ungewiß war, ob auch sie mit ihrem Gewissen ins reine gekommen sei. Unwillkürlich schlug er die Augen nieder; aber es hielt ihn nicht lange; eine heimliche Macht zog seinen Blick auf das Kleid, das sie angezogen hatte, aber auch daran konnte er nicht sehen, ob sie gewillt sei, den Gang aufs Gericht zu machen oder nicht, denn sie hatte wohl ein anderes, aber nicht ihr eigentliches Sonntagskleid an; ihr gesunder Sinn sagte ihr, es zieme sich wohl, bei solcher Gelegenheit anständig und sauber zu erscheinen, aber ebenso auch, allen Putz und Staat zu vermeiden, den sie zum Kirchgang oder zu Festtagen anzulegen gewohnt war. Das bescheidene Essen, das sie herrichtete, wanderte wieder vom Tische, wie es aufgetragen worden war. Vater und Tochter stellten sich wohl so, als nähmen sie ein paar Bissen zu sich, wenn ihre Blicke einander trafen, konnten aber vor Aufregung weder Speise noch Trank genießen. Endlich gingen auch diese Augenblicke gegenseitigen Zwanges vorüber. Vom Giles-Turme herüber dröhnte dumpf der Schlag der letzten Stunde vor dem Beginn der Hauptverhandlung. Jeanie nahm ihr Plaid um und traf die für längere Abwesenheit von Hause notwendigen Maßregeln. Ihre Ruhe und Sicherheit standen in auffälligem Gegensatze zu der nervösen Unruhe des sonst so pedantischen Vaters. Wer beide nicht kannte, hätte in Jeanie kaum ein schlichtes, gutmütiges, fügsames Landkind, noch weniger aber in Deans einen starren, strengen, unduldsamen Presbyterianer der alten Richtung vermutet. Das Mädchen aber war mit ihrem Gewissen im reinen; sie wußte, was ihr oblag; ihr schlichter, gläubiger Sinn hatte das Rechte gefunden und alle Folgen ihres Tuns ermessen. Der Vater dagegen, in Unkenntnis vieler näheren Umstände, stand unter dem Eindruck quälender Zweifel, was Jeanie tun und von welchen Folgen ihr Verhalten vor Gericht für sein anderes Kind sein, werde. Aengstlich beobachtete er die Tochter, jeden Griff, den sie tat, jeden Schritt, den sie machte, bis sie zuletzt mit einem Blicke bittersten Schmerzes an ihm vorbei und auf die Tür zu schritt. Da rief er ihr nach: »Jeanie, Mädel, Mädel! ich will.« und aus seinem unwirschen Suchen nach den wollnen Handschuhen und dem Stocke konnte sie den unvollendet gebliebenen Satz ergänzen. »Vater,« sagte sie, abwehrend, »es wäre besser, Du tätest es nicht!« »Ich will den Weg machen,« sprach er, scheinbar fester, »mit Gottes Hilfe und Beistand.« So schnell zog er den Arm der Tochter unter den seinigen und so schnell ging er einher, daß es ihr schwer wurde, mit ihm Schritt zu halten. Ein Umstand aber, so geringfügig er war, sprach so recht für die Aufregung, die nach wie vor in seinem Gemüt herrschte. »Vater,« sagte Jeanie, »Deine Mütze?« Auch sie hatte im ersten Augenblick nicht bemerkt, daß der Greis barhäuptig war. Ein jähes Rot huschte über sein Gesicht, wie wenn er sich dieser Vergeßlichkeit schämte, und er drehte um, holte die blaue Schottenmütze aus der Stube, nahm wieder den Arm der Tochter, ging aber jetzt ruhiger, langsamer die Straße nach Edinburg entlang. Zur damaligen Zeit war daß Ständehaus auf dem Parlamentsplatze, damals »Zwinger« genannt, zugleich das Gerichtshaus. Die Verhandlungen wurden, wie auch heute noch, in dem kleinen Viereck der Hauptkirche geführt. Die Stadtwache war bereits aufmarschiert und drängte mit ihren Musketen den Pöbel zurück, der sich hier staute, um die Unglückliche zu sehen, wenn sie aus dem anstoßenden Gefängnis zum Gerichtsgebäude geführt würde, wo das Urteil über sie gefällt werden sollte. Als Deans mit seiner Tochter in Sicht kam, scharten sich sogleich Leute um ihn, die ihn zur Zielscheibe ihres Hohnes machten. Mit erstaunlichem Spürsinn erkennt der gemeine Haufe rasch die Eigentümlichkeit eines Menschen aus seinem äußern Habitus. Es wurden Spottlieder auf die Sekte, der Deans angehörte, angestimmt. Ein Tagelöhner, den Deans, um sich Platz zu schaffen, beiseite schob, fing an zu schimpfen. »Der Teufel! was fällt dem puritanischen Simpel ein, sich an ordentlichen Leuten zu vergreifen?« Ein anderer rief: »Platz für den alten Knaster! Er will's mit ansehen, wie eine barmherzige Schwester zum Himmel fährt!« Plötzlich aber rief jemand laut und weithin vernehmlich: »Leute, nehmt Vernunft an!« und leiser, aber noch immer deutlich genug, setzte er hinzu: »Es ist der Vater mit der Schwester!« Im Nu war die Bahn für die Unglücklichen frei; selbst der Roheste wurde still und schämte sich. In dem frei gewordenen Räume stand der Greis, den Blick auf die Menge gerichtet, und mit Gebärden, die die heftige Erregung seines Gemüts deutlich genug berieten, sprach er zu der Tochter, die er an der Hand hielt: »Da siehst und hörst Du, Kind, wem die Gebrechen und Schwächen der Gläubigen beigemessen werden, nicht ihnen allein, sondern der Kirche, deren Glieder auch sie sind, ja, selbst ihrem gesegneten, unsichtbaren Haupte. Laß uns darum mit Ergebung unser Teil an diesem Hohne tragen!« Kein anderer hatte das Volk zur Ruhe verwiesen, als unser alter Freund Laird Dumbiedike, dem, gleich dem Esel des Propheten, die Dringlichkeit des Falles den Mund geöffnet hatte, und der sich jetzt dem Paare nahte, um es mit der ihm gewohnten Schweigsamkeit in den Gerichtssaal zu führen. Kein Hindernis stellte sich ihnen mehr entgegen, weder seitens der Wache noch seitens der Türsteher; ja es wird erzählt, es sei sogar von einem der letzteren eine Silbermünze, die der Laird, seiner Meinung getreu, daß Geld willig mache, ihm geboten habe, unwirsch zurückgewiesen worden; indessen darf nicht verschwiegen werden, daß es an Bürgschaft für dies Gerücht fehlt. Der Gerichtssaal zeigte das gewöhnliche Kolorit: die ständige Beamtenschar und die übliche Menge eitler, müßiger Zuschauer. Bürger gafften und gähnten, junge Rechtsbeflissene drückten sich, lachend und kichernd, wie im Theater, in den Gängen und Ecken herum, ältere schwatzten wichtig über den zur Verhandlung stehenden Fall und die für ihn in Betracht kommenden Gesetzesparagraphen. Die Richterbank, um einiges höher als die übrigen Sitze, war schon hergerichtet, die Geschworenen bereits zur Stelle. Die Vertreter der Krone, an einem langen Tische in unmittelbarer Nähe der Richterbank, blätterten unter fortwährendem Geflüster in ihren Akten. Ihnen gegenüber sahen die Verteidiger der Angeklagten. Eine besonders rege Tätigkeit entfaltete der Anwalt des Laird Dumbiedike, Herr Nichil Novit. Ihn fragte David Deans, als er mit Jeanie in den Saal trat, wo »sie« sitzen werde. Novit flüsterte eine Weile mit dem Laird, dann zeigte er auf eine leere Bank vor den Schranken, den Richtern gegenüber, und der Laird stand auf, um Deans dorthin zu führen. »Nein,« wehrte der Greis, »bei ihr sitzen kann ich nicht, als mein erkennen will ich sie nicht, wenigstens jetzt noch nicht. Sie soll mich nicht sehen, denn ich will meine Augen von ihr abwenden, es ist besser so für uns beide.« Saddletree, von den Sachwaltern schon mehrere Male mit dem Bedeuten, sich nicht in fremde Dinge zu mischen, zurechtgewiesen, wollte sich die schöne Gelegenheit, einmal den bewanderten Juristen zu spielen, nicht entgehen lassen; wichtigtuerisch trat er auf den Greis zu und besorgte ihm, seine Bekanntschaft mit einem der Frone nützend, einen Stuhl hinter einem vorspringenden Pfeiler, der ihn vor den Blicken der im Saale anwesenden Leute sicherte, auch von der Anklagebank aus nicht gesehen werden konnte, während er Deans den Blick dorthin gestattete. »Es kann einem immer von Nutzen sein, Bekannte bei Gericht zu haben«, sagte Saddletree, »wer weiß, ob Ihnen jemand anders zu solchem Platze verholfen hätte. Nun, die Richter werden gleich kommen, die Verhandlung wird gleich beginnen. Aber, um Himmels willen, was soll denn das bedeuten? Fräulein Jeanie ist doch als Zeugin vorgeladen, Fron, sie muß doch aus dem Verhandlungssaale. Herr Novit, Jeanie Deans muß doch in das Zeugenzimmer verwiesen werden!« Novit nickte. »Muß es wirklich sein?« fragte Jeanie, des Vaters Hand ängstlich in der seinen haltend, den Anwalt. »Gewiß muß es sein,« mischte Saddletree sich ein; »es ist sogar unumgänglich notwendig.« – »Ja,« sagte jetzt auch Novit, »das Gesetz fordert es.« Während Jeanie dem Fron ins Zeugenzimmer folgte, suchte Saddletree Zweck und Wichtigkeit der Maßregel mit vielen Worten auseinanderzusetzen, wurde aber durch den Eintritt des Lord-Oberrichters mit den vier Beisitzern, die in ihren langen weißverbrämten Scharlachmänteln von dem Pedell auf ihre Plätze geführt werden, darin gestört. Alles hatte sich ehrerbietig erhoben; aber kaum war die hierdurch entstandene Unruhe vorüber, als eine neue, heftigere Bewegung am Portale, wie auf den Galerien, die Vorführung der Angeklagten kündete. Gleich darauf wurden die beiden Portal-Flügel, die nach dem Eintritt der Richter wieder geschlossen worden, weit geöffnet, um dem Volke freien Eintritt zu gestatten, und in wilder Hast, einander stoßend und drängend, so daß die Wache kaum einen schmalen Weg für die Angeklagte frei halten konnte, flutete der rohe Haufe in den Saal. Nur mit Aufwendung der größten Mühe gelang es der Wache und den Fronen, der Unglücklichen, der das Urteil über Leben oder Tod gesprochen werden sollte, den Weg zur Anklagebank freizumachen. Zwanzigstes Kapitel »Euphemia Deans,« sprach der Oberrichter mit einer Stimme, in der sich Würde und Milde vereinigten, »stehe auf und vernimm die Anklage, die gegen Dich von dem königlichen Gericht geführt wird.« Die Unglückliche, von dem wilden Lärme um sie her noch ganz betäubt, blickte verstört auf die Menge von Gesichtern, die von der Galerie bis zum Parterre des Saales eine Art lebendigen Teppichs bildeten, und leistete, halb bewußtlos, einem Befehle Folge, der ihr wie die Posaune des jüngsten Gerichts in die Ohren dröhnte. »Macht Euch das Haar aus dem Gesicht!« raunte ihr einer der Frone zu, denn die langen, dichten Locken, die sie mit dem Netz oder Bande, dem Haarschmuck der Jungfrau in Schottland, nicht mehr zu bergen wagte und doch wieder mit der Haube einer verheirateten Frau nicht bedecken durfte, fluteten ihr lose über das Antlitz, die Züge desselben fast verhüllend. Mit hastiger, zitternder Gebärde strich Effie die Locken zurück, der im Saale versammelten Menge, einen einzigen ausgenommen, ein Antlitz zeigend, das, trotz seiner Blässe, trotz all dem Schmerze, so wunderbar lieblich war, daß es einen allgemeinen Schrei des Mitleids und der Teilnahme hervorrief. Von der Unglücklichen schien durch diese Kundgabe von Mitgefühl die starre Furcht genommen zu werden, die bisher dumpf auf ihr gelastet hatte, anderseits aber wurde ihr hierdurch alles Schreckliche ihrer Lage in verstärktem Maße zum Bewußtsein geführt. Niedergedrückt von Scham und Verzweiflung, schlug sie die Augen, die eben noch wild umherrollten, zu Boden; über ihre aschfahlen Wangen flog, sich allmählich verstärkend, zuletzt Hals und Schläfe mit tiefem Purpur bedeckend, eine wilde Röte, die auch nicht schwand, als sie mit den zierlichen und langen, feinen Fingern das Gesicht verdeckte. Alle sahen tief ergriffen diesen Wechsel der Empfindungen auf ihrem schönen Antlitz, bloß einer nicht, bloß der Vater nicht! Von dem Pfeiler verdeckt, keinem sichtbar, und trotzdem die Augen fest auf den Boden heftend, wie wenn es ihn dränge, sich alle Möglichkeit zu rauben, der Schande seines Hauses Augenzeuge zu werden, saß er da, starr und stumm. »Icabod!« klagte seine Seele, »meine Herrlichkeit ist dahin!« Während diese Gedanken das Gemüt des Vaters erfüllten, wurde der Tochter die Anklage vorgelesen und die Frage gestellt auf Schuldig oder Nichtschuldig? »Nichtschuldig am Tode meines armen Kindes,« antwortete Effie in so schmerzzerrissenem Tone, daß ein Beben durch den Gerichtssaal glitt. Der Lord-Oberrichter richtete nun an die beiden Anwälte die Aufforderung, ihre Beweise für und wider die Anklage vorzutragen. Zuerst nahm der Kronanwalt das Wort und führte aus, daß er sowohl durch Zeugen wie durch das Bekenntnis der Angeklagten beweisen werde, daß dieselbe dem Gesetze verfallen sei: denn erstlich sei die Verheimlichung der Schwangerschaft von der Angeklagten nicht bestritten worden, und zweitens habe sie bekannt, einem Knaben das Leben gegeben zu haben; die dabei von ihr selbst angegeben Umstände ließen es aber als nur allzu glaublich erscheinen, daß das Kind von ihren Händen, oder doch wenigstens mit ihrem Wissen und Willen vom Leben zum Tode gebracht worden sei: es sei zudem nach dem Wortlaute des Gesetzes gar nicht nötig, von dem Morde oder darüber, daß die Angeklagte Kenntnis von einem solchen besessen habe, Beweise zu erbringen; es reiche schon der Umstand, daß das Kind nicht bei ihr gefunden worden sei, vollauf hin, sie der drakonischen, aber unumgänglich notwendigen Strenge des Gesetzes zu unterwerfen, nach welchem die Verheimlichung der Schwangerschaft und die Versäumnis, in der Stunde der Not angemessenen Beistand zu beschaffen, als Bedingungen für vorsätzlichen Mord aufzufassen und als. solcher zu bestrafen seien. Falls mithin die Angeklagte nicht den Beweis erbringen könne, daß ihr Kind noch am Leben oder eines natürlichen Todes gestorben sei, so sei sie dem Gesetz verfallen und müsse den Tod als Mörderin erleiden. Hierauf nahm der gerichtliche Anwalt der Angeklagten das Wort. Er wolle, führte er aus, seinem Kollegen nicht widersprechen in der Berechtigung, die Zuständigkeit des Gesetzes für den zur Verhandlung stehenden Fall zu fordern, aber er hoffe, durch seine Beweisführung mehrere Umstände aufzudecken, die, den wider seine Klientin erhobenen Anklagen den Boden zu entziehen geeignet seien. Seine Klientin sei in den strengsten Grundsätzen der Religion erzogen worden als Tochter eines würdigen, gewissenhaften Mannes, der in schlimmen Zeiten für seine religiöse Ueberzeugung schwer, aber standhaft gelitten habe. David Deans zuckte, als er sich derart in die Verhandlung einbezogen sah, krampfhaft zusammen, versank aber gleich wieder, in seine bisherige Starrheit und verhüllte das Gesicht mit den Händen, lauschte aber gespannt jedem weiteren Worte. Der Anwalt, bemüht, die gute Meinung des Gerichts für sich zu gewinnen, fuhr er fort: »Unsre Ansichten über die Puritaner und ihre Grundsätze mögen noch so ungünstig sein« – hier seufzte Deans schwer – »so wird ihnen doch niemand absprechen wollen, daß sie sich einer gesunden, ja strengen Moral befleißigen, auch das weitere Verdienst wird ihnen jeder lassen müssen, daß sie ihre Kinder in der rechten Gottesfurcht erziehen. Und doch ist es gerade die Tochter eines solchen Mannes, die man, auf Vermutungen hin, ohne sichre Beweise, eines Verbrechens anklagt, das sich wohl von einer Heidin, nicht aber einer gläubigen Christin erwarten läßt. Freilich muß zugegeben werden,« fuhr er nach einer kurzen Pause, mit verstärkter Ueberzeugungsgewalt, fort: »daß alle Strenge der Erziehung die Angeklagte nicht vor Fallstricken und Irrwegen hat bewahren können; aber sie ist doch nur einer unbedachtsamen Neigung zum Opfer gefallen, der Neigung zu einem jungen Menschen, der, wie ich ermittelt habe, zwar einen sehr häßlichen, ja gefährlichen Charakter besitzt, aber – was zur Entschuldigung der Angeklagten nicht ungesagt bleiben darf, – ein Mann von seltener Schönheit, dabei höchst einnehmendem Wesen ist. Dieser Mann hat meine Klientin durch ein Heiratsversprechen getäuscht, vielleicht nicht absichtlich; denn wäre er nicht zur selben Zeit um eines Verbrechens willen, auf dem hohe Strafe steht, in Haft genommen worden, so dürfte kaum ein Grund zu der Annahme berechtigen, daß er sich mit der Absicht getragen habe, sein Versprechen nicht zu halten; aber er hat sich eines weitern schweren Verbrechens schuldig gemacht, eines durch Anstiftung von Aufruhr erschwerten Kapitalverbrechens, und ich kann mir jede weitere Auseinandersetzung hierüber ersparen, wenn ich dem Gericht und dem hier versammelten Auditorium offenbare, daß kein anderer der Verführer dieses armen Mädchens ist als eben jener berüchtigte Georg Robertson, der aus dem Edinburger Kerker den ehemaligen Hauptmann der städtischen Bürgergarde, John Porteous, gewaltsam entführt und durch Volksgewalt vom Leben zum Tode gebracht hat.« Hier unterbrach der Lord-Oberrichter den Anwalt mit dem Bemerken, daß er von dem eigentlichen Thema, das den Gerichtshof zu befassen habe, zu weit abweiche, um auf die Aufmerksamkeit desselben Anspruch erheben zu dürfen. Der Anwalt fuhr nach einer tiefen Verbeugung fort, er habe es bloß darum für notwendig erachtet, Namen und Verhältnisse dieses Robertson zu erwähnen, weil hierdurch begreiflich würde, weshalb sich seine Klientin über ihren Zustand nicht habe aussprechen wollen. Eben weil sie immer und immer gehofft habe, ihr Verführer werde ihren Ruf wiederherstellen durch die versprochene Heirat, – wozu es ihm, ihrer Meinung nach, weder an der nötigen Macht noch am guten Willen fehle – habe sie sich nicht entschließen können, ihren Angehörigen reinen Wein einzuschenken. »Aber noch immer wird mir« rief er, »so hoffe ich, der Beweis gelingen, daß sie einer durchaus berufenen und angemessenen Person die schwere Lage, in der sie sich befand, rechtzeitig offenbart hat.« »Wenn es dem Herrn Verteidiger gelingt,« unterbrach ihn zum andern Male der Lord-Oberrichter, »Klarheit über diesen Punkt zu schaffen.« »Ich hoffe, Eure Herrlichkeit, daß mir dies gelingen werde, daß ich nicht bloß meiner Klientin zu nützen, sondern ein hohes Gericht der schwersten Pflicht seines Amtes zu überheben vermag. Ich bin in der Lage, durch einen vorhandenen Brief zu erweisen, daß der Verführer des Mädchens, Georg Robertson, aus seinem Kerker, wahrscheinlich schon mit Fluchtgedanken befaßt, die durch den Beistand seines Kameraden, auch verwirklicht wurden, bemüht gewesen ist, sich die Gewalt über das Gemüt des unglücklichen Mädchens zu sichern und dessen weitere Schritte im Leben zu lenken. Durch eben diesen Brief ist das Mädchen bestimmt worden, den bessern Weg, den sie einschlagen wollte, wieder aufzugeben und sich durch den schlimmen Menschen zu einer jener verworfenen Kreaturen führen zu lassen, die sich, zur Schande unserer Polizei sei es gesagt, noch immer in unheimlichen Schlupfwinkeln unsrer Vorstädte herumtreiben. In einem solchen Schlupfwinkel hat die Angeklagte, auf sein Geheiß, ihre Niederkunft abgewartet; dort hat sie einem Knaben das Leben gegeben; dort ist sie vom Wochenbettfieber befallen wurden, und während sie bewußtlos darniederlag, hat jene schändliche Kreatur ihr das Kind genommen; ob sie es nur geraubt oder ob sie es umgebracht hat, wer vermag es zu sagen?« Ein gellender Schrei unterbrach die Rede des Anwalts. Effie hatte ihn ausgestoßen, und nur mit Mühe vermochten die neben ihr stehenden Frone, sie zu beruhigen. Der Anwalt aber benutzte den Zwischenfall zu einem ergreifenden Abschluß seiner Rede. »Meine Herren Richter und Geschworenen! Aus diesem herzzerreißenden Aufschrei spricht die Beredsamkeit eines Mutterherzens schärfer und eindringlicher, als nüchterne Anwaltsworte es vermögen. Rahel weint um ihre Kinder! Die Natur selbst gibt Zeugnis für die Tiefe der mütterlichen Empfindungen der Angeschuldigten, und meine Lippen sollen solch hehre Verteidigung durch kein Wort, durch keine Silbe entweihen!« »Hat man je so was gehört, Mylord?« fragte Saddletree den Laird Dumbiedike, als der Anwalt geschlossen hatte. »Was für ein Faden läßt sich aus einem kleinen Knäuel spinnen! Schwerenot! er weiß ja kein Tüttelchen mehr als in der protokollierten Aussage steht. Und die Vermutung, Jeanie werde über die Situation ihrer Schwester viel aussagen können, steht doch auf gar schwachen Füßen! Es ist wirklich ein schreiendes Unrecht von meinem Vater, daß er mich nicht hat studieren lassen. Aber, still! das Gericht will sich über die Zulänglichkeit der Verteidigung aussprechen.« Und so geschah es. Nach kurzer Beratung verkündete der Lord-Oberrichter, daß, wenn der Verteidigung der Beweis gelänge, daß die Angeklagte ihre Schwester rechtzeitig über ihren Zustand unterrichtet habe, von weiterer Verfolgung derselben Abstand genommen werden müsse, da kein Schuld-Delikt im Sinne des hier zuständigen Gesetzesparagraphen mehr vorläge, daß sodann Klage und Verteidigung lediglich den Geschworenen zur Kenntnis und letzten Entscheidung vorzulegen seien, die aber nicht anders als auf »unschuldig« lauten werde. Einundzwanzigstes Kapitel Die Geschworenen wurden nun zu Protokoll gekommen und vereidigt, dann wurde Effie noch einmal die Frage vorgelegt, ob sie sich des Verbrechens, dessen sie angeklagt sei, für schuldig bekenne, und noch einmal klang ihr »Unschuldig« in demselben herzzerreißenden Tone wie das erste Mal durch den Verhandlungssaal. Hierauf führte der Kronanwalt eine Reihe von Zeuginnen vor, die unter ihrem Eide aussagten, Effie Deans habe, als man es ihr ins Gesicht sagte, sie sei in anderen Umständen, solchen Verdacht ärgerlich und schnippisch in Abrede gestellt. Mehr aber noch verstärkte Effie den Schuldbeweis durch ihr eigenes Zeugnis. Sie stellte den Umgang mit einem Manne, dessen Namen sie geheim zu halten wünsche, nicht in Abrede. Als Grund für diesen Vorbehalt führte sie an, sie sei wohl im Rechte, ihre eigene Lebensführung zu kritisieren, aber nicht befugt, einen Abwesenden zu beschuldigen. Auf die Frage, warum sie sich niemand offenbart habe, gab sie Scham als Grund an, wie auch, daß sie ans ihren Geliebten vertraut habe, der ihr versprochen habe, für sie und ihr Kind zu sorgen. Auf die weitere Frage, warum er sein Versprechen nicht gehalten habe, erklärte sie, er hätte lieber das Leben geopfert, als sie und ihr Kind ins Unglück gestürzt, aber es seien Umstände eingetreten, die es ihm unmöglich gemacht hätten, über die sie weitere Aussagen verweigere. Das weitere Verhör gestaltete sich in Frage und Antwort wie folgt: »Wo sie die Zeit von ihrem Weggang aus Saddletrees Haus bis zu ihrer Heimkehr nach Sankt-Leonard gewesen sei?« – Sie könne sich darauf nicht mehr besinnen. – Die Frage wurde wiederholt. Sie könne sich darum nicht darauf besinnen, weil sie schwer krank gewesen sei. – Als die Frage immer wieder, unter anderer Form, gestellt wurde, erklärte sie endlich, sie wolle in allen Punkten gern die Wahrheit sagen, wenn sie auch dadurch leiden müßte; nur solle man sie nicht über andre Leute ausfragen. Endlich bequemte sie sich im Kreuzverhör zu dem Geständnis, diese Zeit über in der Wohnung einer Frau gewesen zu sein, wo ihr Geliebter öfter sich aufgehalten und sie untergebracht habe, damit sie ihre Niederkunft dort abwarte, wo sie auch einen Knaben geboren habe; aber wo die Wohnung gelegen sei, darüber wüßte sie keinen Aufschluß Zu geben, weil sie bei Nacht hingebracht worden sei. »Ob diese Wohnung in der Stadt selbst oder in einer Vorstadt gelegen sei?« – »Wie die Person, bei der sie niedergekommen sei, geheißen habe?« – »Ob sie die Person früher schon gesehen habe und ob es eine Bekannte von ihr gewesen sei?« – Auf alle drei Fragen verweigerte sie die Antwort. »Ob das Kind lebend zur Welt gekommen sei?« – Gott möge ihm und ihr helfen: es habe gewiß und wahrhaftig bei der Geburt gelebt! »Ob es nach der Geburt oder später eines natürlichen Todes gestorben sei?« – Ihres Wissens nicht. »Wo sich das Kind jetzt befände?« – Ihre rechte Hand opferte sie gern wenn sie dadurch erfahren könnte, wo sie ihr Kind finden könne. Aber, ach! sie fürchte, mehr als seine Gebeine von ihm nicht wiederzusehen. »Aus welchem Grunde sie ihr Kind für tot halte?« – Sie schwamm in Tränen, weigerte aber hierauf die Antwort. »Ob die Frau, die ihr bei der Niederkunft Beistand geleistet, den Eindruck einer sachkundigen Person auf sie gemacht habe?« – Mehr den eines bösherzigen Weibes. »Ob noch jemand in der Wohnung gewesen sei?« – Ja, soweit sie sich besinnen könne; aber genau könne sie nichts darüber sagen, da ihr Wahrnehmungsvermögen infolge des Fiebers, in dem sie gelegen habe, stark geschwächt gewesen sei. »Wann ihr das Kind genommen worden sei?« – Sie wisse es nicht; als sie wieder zu sich gekommen, habe ihr das Weib gesagt, ihr Kind sei tot; darauf habe sie dem Weibe ins Gesicht gesagt, daß es umgebracht worden sei; darauf habe das Weib sie so grob und schlecht behandelt, daß sie, außer sich vor Entsetzen, den ersten Anlaß zur Flucht wahrgenommen und ihr Vaterheim aufgesucht habe. »Warum sie den Ihrigen nichts gesagt und nicht versucht habe, sich über die Wohnung des Weibes Gewißheit zu verschaffen?« – Sie habe es gewollt, es sei ihr aber keine Zeit mehr dazu geblieben. »Warum sie Namen und Wohnung der Frau noch immer verschweige?« – Weil, sagte sie nach kurzem Besinnen, nichts mehr dadurch ungeschehen gemacht werden, wohl aber viel neues Unheil entstehen könne. »Ob sie selbst jemals auf den Gedanken gekommen sei, das Kind gewaltsam beiseite zu schaffen?« – Niemals, so wahr sie auf Gottes Barmherzigkeit rechne! Freilich habe das böse Weib in seinem Zorne ausgestoßen, sie habe im Fieber ihrem Kinde selbst Schaden zugefügt, aber sie sei überzeugt, daß dies bloß gesagt worden sei, um sie zu schrecken und zum Schweigen zu bringen. »Ob das Fieber, an dem sie erkrankt sei, infolge natürlichen Verlaufs entstanden oder durch äußere Eindrücke hervorgerufen worden sei?« – Man habe ihr eines Morgens sehr schlimme Nachrichten mitgeteilt, worauf das Fieber zum Ausbruch gekommen sei. »Was für Nachrichten das gewesen seien?« – Sie wolle nichts aussagen; sie wisse, ihr Kind sei tot; sollte sie aber hierin irren, so würde ein anderer die Sorge für sein Leben übernehmen; ihr eigenes Leben stünde in Gottes Hand, der es wisse, daß mit ihrem Willen oder Beistand ihrem Kinde kein Leid geschehen sei. Den Entschluß, den Ihrigen alles zu sagen, den sie gefaßt habe, als sie aus dem Hause des bösen Weibes geflohen sei, habe sie später aus Gründen, die sie nicht nennen wolle, wieder fallen lassen. Sie sei jetzt so erschöpft, daß sie bitten müsse, das Verhör abzubrechen. Nunmehr erhielt der zweite Anwalt für die Beklagte, Nichil Novit, das Wort. Er zitierte zuerst die Zeugen, die über den Charakter des Mädchens aussagen sollten. Alle stimmten überein in ihrem Lobe, vor allem die brave Frau Saddletree, die unter Tränen erklärte, sie hätte ihr eigenes Kind nicht höher achten und inniger lieben können als die arme Effie. Alles wurde durch ihre herzliche Schilderung erwärmt, nur ihr Mann nicht, der dem neben ihm sitzenden Dumbiedike zuflüsterte: »Ihr Nichil Novit ist wirklich noch ein novus, nehmen Sie mir das nicht übel! Solch ein schnatterndes, flennendes Weibsbild zu zitieren, das den Richtern den Kopf dick macht! Da hätte er mich lieber zitieren sollen! Ich hätte ein Zeugnis abgelegt, daß ihr von niemand hätte ein Haar gekrümmt werden können!« »Geht es denn nicht noch?« fragte der Laird; »ich will dem Novit einen Wink geben.« »Nein, nein! lassen Sie es jetzt lieber,« erwiderte, mit dem Kopfe schüttelnd, Saddletree, »das hätte bloß Nutzen gehabt, wenn ich debito tempore [zur pflichtschuldigen Zeit (rechtzeitig zum Termine)] geladen worden wäre. Ein freiwilliges Zeugnis gilt nie viel.« Darauf wischte er sich mit seinem seidenen Taschentuche wichtigtuerisch den Mund und setzte sich wieder in die Positur eines aufmerksamen Zuhörers, der über alles genauen Bescheid weiß. Nun nahm der erste Anwalt der Angeklagten wieder das Wort. »Durch die letzten Zeugen ist zwar bewiesen worden, wie würdig meine Klientin der allgemeinen Teilnahme ist; um ihre Unschuld noch klarer an den Tag zu legen, ist es aber notwendig, noch eine Zeugin zu vernehmen, und zwar die wichtigste von allen, denn durch ihren Mund werden wir vernehmen, daß die Angeklagte ihren Zustand nicht verheimlicht, sondern offenbart hat, und zwar ihrer natürlichen Beraterin, ihrer Schwester. Fron! führen Sie die ältere Tochter des Pächters David Deans, Jeanie Deans, in den Saal!« Als Effie diese Worte vernahm, fuhr sie erschreckt in die Höhe und beugte sich weit über die Schranke, nach der Seite, hin, von wo ihre Schwester in den Saal treten mußte. Schon erschien auch Jeanie, langsamen Schrittes, hinter dem Fron und trat an das untere Ende der Gerichtstafel. Aus Effies Zügen verschwand die Scham und Niedergeschlagenheit und machte dem Ausdruck innigsten Flehens Platz: sie streckte der Schwester die Hände entgegen und rief plötzlich mit herzzerreißender Stimme, die allen Anwesenden durch Mark und Bein ging: »O Jeanie, rette, rette mich!« Von Empfindungen übermannt, die sich mit seinem unduldsamen Starrsinn gar nicht vertrugen, duckte der greise Deans sich noch tiefer in die dunkle Pfeiler-Ecke, so daß auch Jeanie sich vergebens nach seiner ehrwürdigen Gestalt umsah. Aber die Hände ringend, flüsterte er dem vor ihm sitzenden Laird Dumbiedike zu: »Das ist das Bitterste von allem, Laird, wenn ich nur das erst noch überstanden habe! Mir schwindelt der Kopf. Aber, Laird, der Herr ist stark im Schwachen!« Jeanie war inzwischen bis zum Zeugenplatze getreten. Außerstande dem Impuls ihrer Liebe zu widerstehen, streckte sie der Schwester die Hand hin. Effie befand sich nahe genug, sie mit beiden Händen zu fassen und an den Mund zu pressen, während Jeanie, bitterlich weinend, mit der andern Hand sich das Gesicht verdeckte. Es war ein Augenblick so voll der höchsten Tragik, daß fast kein Auge tränenleer blieb, und selbst der Lord-Oberrichter einiger Zeit bedurfte, bis seine Stimme die nötige Festigkeit gewonnen hatte, die Zeugin zur Ruhe zu mahnen. Zeit und Ort seien nicht angemessen, solchen Empfindungen, so natürlich und begreiflich sie seien, Ausdruck zu geben. Er forderte die Zeugin auf ihm die Eidesformel nachzusprechen. »Im Namen Gottes schwöre ich, die reine Wahrheit zu sagen, nichts zu verschweigen, nichts zu beschönigen, so wahr mir Gott in Ewigkeit helfe!« – ein furchtbares Gelübde, das auch auf den verstocktesten Menschen nicht ohne Eindruck bleibt und selbst den frömmsten tief erschüttert. In Demut und Ehrfurcht vor Gott und seinem Namen erzogen, wurde auch Jeanie durch diese feierliche Anrufung im innersten Herzen ergriffen, zugleich aber über alle irdischen Rücksichten hinweg zu jener heiligen Pflicht empor geführt, der lauteren Wahrheit die Ehre zu geben. Mit leiser, aber deutlicher Stimme wiederholte sie die ihr vorgesprochenen Eidesworte. Dann folgte noch eine kurze Ermahnung des Oberrichters, ausklingend in dem Satze, daß sie für ihre Aussage hier und jenseits verantwortlich sei; dann legte er ihr die üblichen Fragen vor: ob ihr von irgendwem das Zeugnis, das sie ablegen wolle, in den Mund gelegt worden sei? ob ihr von irgendwem eine Belohnung dafür zugesagt worden sei? ob sie gegen den Kronanwalt, dem sie gegenüber stehe, einen Groll im Herzen trage? Sie antwortete auf all diese Fragen mit ruhigem Nein; ihrem Vater aber, der nicht wußte, daß diese Fragen jedem, der schwören soll, vorgelegt werden, bereiteten sie so großes Aergernis, daß er, laut genug, um im Saale gehört zu werden, rief: »Nein, nein! Mein Kind ist doch nicht wie die Witwe von Tokoah! Es hat ihr kein Mensch gesagt, wie sie aussagen soll!« Einer vom Richterkollegium schien im schottischen Gesetzbuche besser bewandert zu sein als in den Büchern Samuelis, denn er wollte auf der Stelle diese Witwe aus Tokoah zitieren lassen in der Annahme, sie stände zu dem Prozesse in gewisser Beziehung; der Lord-Oberrichter aber, besser in der Schrift zu Hause als sein Amtskollege, flüsterte ihm eilig zu, wie es sich um die Witwe verhalte; die kleine Pause indes, die durch dieses Intermezzo entstanden war, hatte wenigstens den einen Nutzen, daß sie Jeanie Deans Zeit verschaffte, sich für die ihr bevorstehende Aufgabe zu sammeln. Der gerichtliche Anwalt der Angeklagten, ein beschlagener Jurist, von dem Argwohn beherrscht, Jeanie erscheine vor Gericht, falsches Zeugnis in der Sache ihrer Schwester abzulegen, begann, um ihr weitere Zeit zur Sammlung zu lassen, mit einigen geringfügigen Fragen über Namen, Stand, Alter, und ging zu dem eigentlichen Zweck des Zeugen-Verhörs erst über, als Jeanie ruhiger geworden war. »Hat die Zeugin,« fragte er, »während der Zeit, die ihre Schwester im Hause der Frau Saddletree gelebt hat, eine Veränderung im Gesundheitszustände derselben wahrgenommen?« – Jeanie antwortete mit Ja. »Die Angeklagte hat der Zeugin vermutlich auch die Ursache davon mitgeteilt?« fragte er weiter. »Ich bedaure,« fiel hier der Kronanwalt, ein, indem er sich von seinem Stuhle erhob, »ich erblicke in dieser Frage das Moment der Irreführung oder Beeinflussung, stelle aber dem Lord-Oberrichter die Entscheidung anheim.« »Wenn hierüber verhandelt werden soll,« erklärte dieser, »so wird es notwendig sein, die Zeugin so lange abtreten zu lassen.« »Ich meine, daß hiervon Umgang genommen werden könne,« sagte der Verteidiger der Angeklagten, »denn ich kann die Frage ja anders an die Zeugin stellen. Haben Sie an Ihre Schwester,« wandte sich der Verteidiger wieder an Jeanie, »als Sie ihr krankhaftes Aussehen wahrnahmen, irgendwelche Frage deshalb gestellt? Fassen Sie sich doch, Zeugin; und geben Sie ruhige Antwort!« »Ich habe sie gefragt, was ihr fehle,« antwortete Jeanie. »Gut. Besinnen Sie sich genau! Was antwortete sie Ihnen?« Jeanie schwieg, Leichenblässe trat auf ihr Gesicht. Nicht, als habe sie auch nur einen Augenblick geschwankt, ob sie der Eidespflicht genügen müsse, oder ob ihr, da es sich um Leben und Sterben der Schwester handelte, eine Ausflucht gestattet sei; aber sie bebte vor dem Gedanken zurück, durch die einzige Antwort, die sie geben durfte, die letzte Hoffnung aus dem Herzen der Schwester reißen zu müssen. »Fassen Sie sich,« wiederholte der Anwalt, »ich frage, was Ihnen Ihre Schwester antwortete, als Sie sich bei ihr über ihr krankhaftes Aussehen erkundigten?« Mit fast erlöschender Stimme gab Jeanie die Antwort. »Nichts!« und doch wurde das Wort gehört bis in der fernsten Ecke des Gerichtssaales, denn ein ehrfürchtiges Schweigen lag über ihm. Dem Anwalt sank der Mut; aber er faßte sich und fragte: »Nichts? Zeugin, Sie meinen im ersten Augenblicke, nicht wahr? Aber als Sie dann in die Schwester drangen, Ihnen zu sagen, wie es sich mit ihr verhalte, da hat sie es Ihnen gesagt? Nicht wahr ?« Er stellte die Frage in einem Tone, der Jeanie die Wichtigkeit ihrer Aussage zu Herzen führen mußte, falls sie sich derselben nicht schon bewußt war. Aber fester und ruhiger als zuvor, und mit geringerem Zögern antwortete Jeanie: »Weh mir! Sie sprach darüber niemals eine Silbe!« Selbst aus der Brust der Richter drang ein schwerer Seufzer; aber schwerer, schmerzlicher noch drang er herauf aus der Brust des bejammernswerten Vaters, in dessen Herzen die geheime Hoffnung nun zerstört war, an die er sich noch immer geklammert hatte, und besinnungslos schlug er auf die Dielen, der entsetzten Tochter vor die Füße. Außer sich, vor Schmerz, rang die Angeklagte mit den beiden Fronen, die ihr als Wache gesetzt waren. »Laßt mich zu meinem Vater! Ich will zu meinem Vater!« schrie sie in ohnmächtiger Wildheit: »ich will zu ihm! ich muß zu ihm! Er ist gestorben durch mich!« Selbst in diesem Augenblicke höchster Seelenangst verlor Jeanie die Herrschaft nicht über sich: »Es ist mein Vater! Es ist unser Vater!« sprach sie sanft zu den Fronen, als sie neben dem bewußtlosen Greise niederkniete und ihm liebevoll die Schläfe rieb. Umflorten Auges gab der Lord-Oberrichter Weisung, Vater und Tochter in ein anstoßendes Zimmer zu führen und ihnen dort alle Fürsorge angedeihen zu lassen. Effie blickte, als der Vater aus dem Saale getragen wurde und die Schwester langsam hinter den beiden Männern herschritt, mit so starren Augen hinter ihnen her, als wollten sie aus ihren Höhlen dringen. Dann aber fand sie in ihrer verzweifelten Situation einen Mut, wie sie ihn noch in keinem Augenblicke der Verhandlung gezeigt hatte. »Jetzt liegt das Schwerste hinter mir,« sagte sie; ihr Busen hob sich, wie von einem Alp befreit; und kühn wandte sie sich zu ihren Richtern mit dem Rufe: »Mylords! Beliebt es Ihnen, die Verhandlung zu Ende zu führen? Der traurigste Tag meines jungen Lebens muß ja endlich auch zu Ende gehen!« Der Lord-Oberrichter, nicht wenig verwundert, sich durch die Angeklagte selbst an die ihm obliegende Pflicht erinnert zu sehen, sammelte sich und stellte dem Anwalt der Angeklagten anheim, weitere Zeugen zu laden, sofern dies in seiner Absicht läge. Der Anwalt erwiderte jedoch, er betrachte seine Aufgabe für erfüllt. Darauf wandte, sich der Kronanwalt an die Geschwornen. Niemand, sagte er, könne von dem schmerzlichen Auftritte, den sie alle erlebt hätten, tiefer erschüttert sein als er; aber es sei eben die unausbleibliche Folge von schweren Verbrechen, daß sie Jammer und Not über alle Angehörigen des daran Schuldigen brächten. Mit kurzen Worten setzte er nochmals auseinander, weshalb die Angeklagte dem Gesetze verfallen sei, und forderte die Geschwornen auf, Anklage und Beweise gewissenhaft und vorurteilsfrei zu prüfen und ihren Spruch dem Wortlaute des Gesetzes gemäß zu sprechen. Hieran schlossen sich mahnende Worte des Lord-Oberrichters, dessen eingedenk zu sein, daß das Gesetz, gegen das die Angeklagte gefehlt habe, von ihren Voreltern erlassen worden sei, um dem beängstigenden Umsichgreifen eines furchtbaren Verbrechens Einhalt zu tun, und daß die Geschworenen verpflichtet seien, aus Rücksicht gegen Regierung und Vaterland sich von Nebenumständen nicht beeinflussen zu lassen. Darauf zogen die Geschworenen sich, unter Vortritt eines Ratsdieners, in das Beratungszimmer zurück. Eine Stunde verstrich. Dann traten sie, langsamen, feierlichen Schrittes, von tiefem Schweigen empfangen, wieder ein, um zu verkünden, daß ihr Spruch gegen Euphemia Deans auf Schuldig laute, daß sie jedoch in Berücksichtigung ihrer Jugend und besonders tragischen Umstände, unter denen sie sich des Verbrechens schuldig gemacht habe, das Richterkollegium ersuchten, sie der königlichen Gnade anzuempfehlen. Der Lord-Oberrichter forderte nunmehr die Angeklagte auf, zur Gerichtstafel heranzutreten und das über sie gefällte Urteil ergeben und demütig zu vernehmen. Sie ertrug den Schluß dieses erschütternden Auftritts mit größerer Fassung, als ihr Verhalten in verschiedenen Phasen desselben hätte erwarten lassen. Der Henker, dem nach schottischen Rechtsbrauche die Verkündigung eines Todesurteils zusteht, wurde von einem Fron hereingeführt und stellte sich der Angeklagten gegenüber auf. Es war ein großer, hagerer Mann, in einer absonderlichen Tracht, halb schwarz, halb grau, mit einer roten Kappe auf dem Kopfe. Alles wich mit instinktmäßiger Scheu vor ihm zurück, denn der Henker gilt in Schottland noch heute als unrein, und zur damaligen Zeit betrachtete sich jeder für entehrt, den auch nur ein Hauch aus seinem Munde getroffen. Gefühllos plärrte er die Worte des Gerichtsschreibers nach, der ihm das Urteil ins Ohr vorsagte: »daß Euphemia Deans in den Kerker zurückzuführen sei, um am Mittwoch über sechs Wochen, zwischen zwei und vier Uhr nachmittags, auf den Richtplatz geführt und an den Galgen gehängt zu werden. Und dies,« so schloß der grause Urteilskünder mit rauher Stimme, »verkündige ich hiermit als Urteil!« Geheimnisvoll wie er gekommen, verschwand der Henker wieder. Unbeweglich stand die Angeklagte vor den Schranken, während er gesprochen hatte; nur als er vor sie hingetreten war, wollten einige gesehen haben, daß sie die Augen schloß. Aber als die schreckliche Gestalt von ihr gewichen war, zeigte sie wieder, wie vorher, als Vater und Tochter aus dem Saale verschwanden, festen Mut. Sie war die erste, die das Schweigen brach, indem sie sich gefaßt an ihre Richter wandte: »Mylords! Möge Gott Ihnen vergeben! Sie handeln nach Ihrer Einsicht, und ich darf nicht murren; denn wenn ich auch mein Kind nicht umgebracht habe, und wenn mich auch keinerlei Schuld an seinem Verschwinden trifft, so trifft mich doch die Schuld am Tode meines armen, armen Vaters! und darum allein verdiene ich das Schlimmste von Gott und den Menschen – Gott aber ist barmherziger gegen uns, als wir es gegen unsre Brüder sind!« Die Verhandlung wurde geschlossen. Die Menge strömte ins Freie, und der ergreifende Auftritt, der sich vor ihr abgespielt, hatte, war bald aus ihrer Erinnerung verwischt. Die Rechtskundigen aus dem Auditorium gingen zu zweit oder dritt und diskutierten, gleichgültig gegen solche Vorgänge, wie Aerzte bei Krankheitsfällen, über die einzelnen Phasen der Verhandlung und über den einschlägigen Gesetzesparagraphen, wie auch über die von den Richtern und Anwälten gehaltenen Reden. Von dem weiblichen Teile des Publikums waren es auch nicht wenige, die sich erbittert gegen den Lord-Oberrichter aussprachen; unter ihnen befanden sich ein paar, mit denen wir schon in einem der ersten Kapitel Bekanntschaft gemacht haben. »Schändlich, mit einem armen Frauenzimmer, das vielleicht gar keine Schuld hat, so umzuspringen und ihm alle Aussicht auf die himmlische Gnade zu rauben!« rief Frau Howden. »Aber, Nachbarin,« erwiderte Jungfer Damahoy, indem sie ihre magere Gestalt zu voller Höhe jungfräulicher Würde reckte, »ich dächte, einmal wär's doch an der Zeit, diesem naturwidrigen Treiben mit den unehelichen Kindern ein Ende zu machen. Man kann ja gar kein Frauenzimmer unter dreißig Jahren mehr ins Haus nehmen, ohne daß einem gleich alle möglichen Kommis und Schreiber die Tür einrennen und Schimpf und Schande auf den Hals hetzen. Mir ist die Geschichte schon lange zu bunt!« »Ei, ich sage immer, Nachbarin, leben und leben lassen! Wir sind auch einmal jung gewesen und müssen, wenn junges Volk zusammenkriecht, nicht immer gleich das Schlimmste denken.« »Jung gewesen?« rief Jungfer Damahoy: »na, ich dächte, aus dem Schneider wäre ich auch noch nicht, Frau Howden, und was das Schlimmste anbetrifft, von dem Sie reden, nun, so kann ich's dem Himmel nicht genug danken, daß er mich vor Gutem wie vor Bösem bewahrt hat.« »Ich dächte, da wären Sie gerade nicht für was Besonderes dankbar,« antwortete, den Kopf zurückwerfend, Frau Howden, »und gar so jung sind Sie doch wohl auch nicht mehr, denn Anno 7, bei der letzten Parlamentssitzung, waren Sie doch schon selbstständige Geschäftsinhaberin.« Herr Plumdamas, der Ritter der beiden kampflustigen Damen, witterte Gefahr und suchte die Gemüter dadurch zu besänftigen, daß er die Unterhaltung auf ihren Ausgangspunkt zurückführte. »Der Lord-Oberrichter,« meinte er, »hat über das Gnadengesuch bei weitem nicht alles gesagt, was er hätte sagen können. Aber die Rechtsleute lieben es nun einmal, mit versteckten Karten zu spielen. Es ist ein gewisses Geheimnis dabei.« »Geheimnis, Nachbar? Was denn für eins?« riefen die beiden Frauenzimmer wie aus einem Munde, denn das Wort Geheimnis wirkte elektrisierend auf ihre Nerven. »Ei, das wird Ihnen der Herr Saddletree am besten auseinandersetzen können! Da kommt er gerade.« Höchst geringschätzig bemerkte Saddletree: »Da wird geschwatzt von häufigem Kindermord. Glauben Sie denn, unsre alten Erbfeinde drüben in England scheren sich was drum, ob wir uns alle zusammen totaliter totschlagen? Daran liegt's nicht, daß das arme Ding nicht pardonniert wird. Die Geschichte hat einen ganz andern Haken, und darüber will ich Euch reinen Wein einschenken. Der König und die Königin haben sich über den Porteous-Krawall so gefuchst, daß sie sich im Leben nicht wieder einfallen, lassen werden, einem Kinde Schottlands Pardon zu geben, und wenn ganz Edinburg am Galgen baumelte.« »König Georg soll seine Perücke aus Wut ins Feuer geschmissen haben,« meinte Jungfer Damahoy. »Das soll er schon bei geringeren Anlässen getan haben,« versetzte Saddletree. »Meinetwegen,« sagte Jungfer Damahoy, »je öfter, desto besser – wenigstens für seinen Perückenmacher.« »Die Königin, heißt's,« bemerkte Plumdamas, »soll aus Wut ihre Haube zerfleddert haben? Ja, Sir Robert Walpole soll mit Fußtritten regaliert worden sein, aus Aerger darüber, daß er den Edinburger Pöbel nicht besser im Zaume hält; aber ich glaube doch nicht, daß sich unser verehrter König so weit vergangen haben sollte!« »Den Herzog von Argyle mißhandeln,« riefen verschiedene in höchster Entrüstung. »Ja, aber Mac Cullamores Blut wird so etwas nicht auf sich sitzen lassen!« riefen andere; »da hätte Andrea Ferrera [vergl. den Roman »Der Abt« von Walter Scott.] leicht den dritten Mann abgeben können.« »Der Herzog ist ein echter Schotte,« riefen die ersten wieder, »der auf Schottland hält und auf Schottland nichts sitzen läßt!« »Freilich, das trifft zu!« sagte Saddletree, »und wenn Ihr auf ein paar Augenblicke in meinen Laden kommen wollt, will ich's Euch sagen, wie alles zugegangen ist. Ueber so etwas schwatzt man am besten inter parites.« Er schickte den Lehrbuben fort, schloß sein Pult auf und nahm mit selbstgefälliger Miene ein zerknülltes Papier heraus. »Ganz nagelneu,« sagte er, »das könnt' Euch kein Mensch sonst zeigen. Des Herzogs Rede über den Porteous-Rummel wird seit ein paar Tagen in den Straßen von London verkauft. Ein Bekannter von mir hat's im Schloßhofe gefunden, dicht vor der Nase des Königs. Ich hab's mit einem Wechsel, den der Mann prolongiert haben will, in einem Briefe bekommen. Du, Frau, sieh doch einmal nach, wie es damit steht!« Die brave Frau Saddletree war aber dermaßen mit der armen Effie und ihrem Schicksale befaßt gewesen, daß sie sich in den letzten Tagen um die Geschäfte wenig gekümmert hatte. Erst die Worte Wechsel und prolongieren weckten ihre Aufmerksamkeit. Sie nahm den Brief, den Saddletree ihr hinhielt, wischte sich die Augen, setzte sich die Brille auf und suchte sich über den Fall zu informieren, so gut es ihr mit ihren noch von Tränen umflorten Augen möglich war. Nach einer Weile riß sie Saddletree auf die Seite, ihn jäh in dem Vortrage der herzoglichen Rede unterbrechend. »Aber was fällt Dir ein, Mann? Hier stehst Du und schwatzest vom Herzog von Argyle, und dabei will uns der Hasenfuß in London um bare 60 Pfund bringen? Welcher Herzog wird sie uns ersetzen? Mir wär's schon lieber, der Herzog bezahlte, was er selbst schuldig ist. Er steht auch noch mit tausend Pfund Schottisch in der Kreide. Er mag ein ganz gerechter Herr sein, auch einer, mit dem es sich umgehen läßt, aber wie kann ein Mensch von Herzögen, Wechseln undsoweiter faseln, wenn man in der Nebenstube solch arme Leute hat, wie Jeanie Deans mit ihrem Vater? Aber, Nachbarn, verzeiht doch, bitte! Ich will euch ja gar nicht stören. Bloß meinem Manne macht das Gericht noch ganz den Kopf verdreht, das werden wir alle noch erleben!« Sie eilte in die andere Stube, wo Deans mit seiner Tochter einstweilen Unterkunft gefunden hatte, und sah mit Freude, wie sich die Nachbarn langsam aus ihrem Hause entfernten. Ende des ersten Bandes Zweiter Band Erstes Kapitel David Deans war, wie im letzten Kapitel des ersten Bandes schon gesagt worden, von Frau Saddletree aufgenommen und in ihrer guten Stube gebettet worden. Auf die Ohnmacht, die ihn im Gerichtssaale beim Schlusse der Verhandlung befallen, war eine tiefe Schwäche gefolgt, und es hatte geraume Zeit bedurft, bis er das Bewußtsein wiedererlangte. Seine ältere Tochter saß stumm und starr an seinem Bett. Die Vorhänge waren zugezogen, die Fensterläden geschlossen, als Frau Saddletree, nachdem sie sich ihrer andern Gäste entledigt, bei ihnen eintrat. Sie war eine gutmütige Frau, aber keine Frau, die zarte Rücksichten kannte; so zog sie ohne weiteres die Läden in die Höhe, schob den Bettvorhang zurück und trat zu dem alten Manne, hieß ihn sich aufrichten und sich ermannen. Leid, das über den Menschen komme, müsse er eben tragen, sagte sie; da könne nichts helfen. Aber er konnte sich nicht aufrecht halten, seine Hand sank, als die Frau sie losließ, kraftlos auf das Bett, und die Stimme versagte ihm. »Ist's zu Ende?« fragte Jeanie die Frau, bleich wie der Tod, »besteht keine Hoffnung mehr?« – »So gut wie keine,« versetzte Frau Saddletree, »ich hab das Urteil noch mit angehört. Viel gehört wahrlich nicht dazu für diese Sippe in ihren schwarzen Kaftanen, einem armen, harmlosen Dinge das Leben abzusprechen. Viel hab ich nie auf sie gehalten, auf dieses Gevattervolk von meinem Manne, wie ich sie nenne; aber jetzt sind sie mir in den Tod zuwider. Das einzige, was noch einigermaßen Hand und Fuß hatte, war die Rede vom Herrn Kirk, dem ersten Geschworenen, der dem Gericht anempfahl, die königliche Gnade für das arme Ding nachzusuchen. Aber er hätte sich den Atem sparen können, denn er sprach doch zu tauben Ohren.« »Der König kann sie aber begnadigen?« fragte Jeanie lebhaft; »ich hörte, in Fällen wie dem ihrigen stünde ihm kein Begnadigungsrecht zu?« »Selbstverständlich kann er sie begnadigen, wenn er es will. Solcher Fälle, wo er's getan, könnte ich Dir manchen nennen, Jeanie. War's denn nicht eben erst der Fall mit dem Hauptmann, dem Porteous? Bloß darum handelt es sich, den Weg zu ihm zu finden!« »Porteous?« wiederholte Jeanie: »ach, es ist ja wahr! Woran ich am ehesten denken sollte, vergesse ich gerade. Liebe Frau Saddletree, ich muß Ihnen Adieu sagen. Muhme, möge es Ihnen in Not und Kummer niemals an einem Freunde fehlen!« »Kind, Du wirst doch Deinen armen Vater nicht verlassen wollen?« rief Frau Saddletree: »laß Dir doch so etwas nicht beikommen!« Jeanie wies nach dem Stockhause. »Ich werde drüben wohl mehr von nöten sein,« sagte sie, »und gehe ich nicht jetzt, später brächte ich es wohl kaum über das Herz. Um sein Leben ist mir nicht bange, Muhme, ich weiß ja, wie stark sein Herz ist, weiß es,« setzte sie hinzu, die Hand auf die Brust legend, »von meinem eigenen.« »Nun, Jeanie, wenn Du meinst, es sei besser so, dann tue es nur. Er mag ruhig hier bleiben, bis er sich erholt hat.« »Ja, Muhme! es wäre besser, er käme nicht nach Sankt-Leonard zurück. Lassen Sie ihn nicht fort, bis Sie von mir hören, Muhme, und nun, Adieu! Gott segne Sie! Gott segne Sie!« »Aber, Jeanie, Du kommst doch wieder? Drüben werden sie Dich ja nicht behalten?« »Ich muß gleich nach Sankt-Leonard hinaus und nach dem Rechten sehen, muß auch noch mit Freunden sprechen. Viel Zeit bleibt mir nicht. Gott segne Sie, Muhme! und sorgen Sie für den Vater! Bitte, bitte!« Sie war schon an der Tür, drehte aber noch einmal um und kniete vor dem Bette nieder. »Vater, gib mir Deinen Segen!« bat sie; »ohne Deinen Segen darf ich, kann ich nicht gehen. Sprich wenigstens: Gott segne Dich, Jeanie!« Mehr instinktiv, als mit Bewußtsein, lallte der Greis die Worte, »daß aller Segen der Verheißung und Vergeltung auf ihrem Haupte ruhen möge!« Jeanie stand auf. »Er hat meinen Weg gesegnet,« sagte sie; »und jetzt ist mir's ums Herz, als müßte mein Vorhaben gelingen.« Frau Saddletree blickte ihr kopfschüttelnd nach. »Wenn sie bloß nicht irre redet, das arme Ding! Die ganze Deanssche Familie hat was Wunderliches an sich; ich kann die Leute nicht recht leiden, die immer was Besseres sein wollen als andere, viel Gescheites kommt niemals dabei heraus. Aber freilich, wenn sie nach Sankt-Leonard hinüber will, um nach den Kühen zu sehen, dann hat sie recht; die Tiere kann man nicht verkommen lassen Griggie,« rief sie zur Tür hinaus, »komm her und sieh nach dem alten Manne, laß es ihm an nichts fehlen. Dummes Ding Du,« sagte sie, als das Mädchen sich auf der Schwelle zeigte, »wie hast Du Dich denn heut herausgeputzt? Ich dächte, was ihr Dirnen heut mit angesehen und angehört habt, müsse euch eine Warnung sein?« Lassen wir die gute Frau weiter gegen irdische Eitelkeit schelten und sehen wir uns nach der unglücklichen Effie um, die jetzt in schärferer Haft gehalten wird. Eine Stunde mochte sie in der Armensünder-Zelle geschmachtet haben, als sie durch Klirren von Schlössern und Knarren von Riegeln aus ihrer dumpfen Betäubung gerissen wurde und Ratcliffe hereintrat. »Ihre Schwester, Effie,« sagte er, »ist da und will mit Ihnen reden.« Mit der ihr eigenen Reizbarkeit, die durch das Unglück, das über sie gekommen war, noch verstärkt wurde, rief sie: »Ich kann, ich mag niemand sehen, sie am allerwenigsten!. Sagt ihr, sie möge für den alten Mann sorgen. Ich bin ihnen nichts mehr, so wenig wie sie mir sind.« »Sie sagt aber, sie müsse Sie sehen,« erwiderte Ratcliffe. Aber Jeanie war schon in der Zelle und schlang die Arme um die Schwester, ohne sich daran zu kehren, daß Effie sich ihr zu entwinden suchte. »Was nützt es, jetzt zu weinen, nachdem Du mich in den Tod gejagt hast? und doch konnte ein einziges Wort aus Deinem Munde mich retten! Du weißt es doch, daß ich nicht schuldig bin, wenigstens nicht an dem schrecklichen Verbrechen. Du weißt, daß ich lieber Leib und Seele hingegeben hätte, als Dir das kleinste Leid geschehen zu lassen.« »Du sollst den Tod nicht leiden,« rief Jeanie mit dem Feuer der Begeisterung, »sprich von mir, was Du willst, denk von mir, was Du willst, aber versprich mir, daß Du Dir kein Leid antun willst – versprich es mir, Effie, – denn ich zittere vor Deinem Temperament – versprich es mir, und Du sollst den schmachvollen Tod nicht leiden!« »Ich will solchen Tod nicht sterben, Jeanie; schwach mag mein Herz gewesen sein, aber Schande erträgt es nicht. Geh zum Vater, Schwester, und sorge für ihn! Meiner aber denke nicht weiter, denn ich habe die letzte irdische Speise zu mir genommen.« »Das eben ist es, Effie, was ich fürchte!« rief Jeanie. »Ach, reden Sie doch nicht so törichtes Zeug!« sagte Ratcliffe, »von solchen Sachen wissen die meisten nichts, wissen auch Sie nichts! So lange einem das Urteil noch in den Ohren klingt, will man immer lieber gleich sterben, statt die sechs Wochen ruhig noch auszuhalten. Aber die Hand legt doch keiner an sich! Ich hab dem grauen Männchen schon dreimal gegenüber gestanden und bin doch immer noch auf den Beinen. Hätte ich mir, als es mir zum ersten Male passierte, auch gleich das Tuch um den Hals gewürgt – die Lust dazu ist mir ja angekommen – wo wäre ich jetzt?« »Und wie sind Sie davongekommen?« fragte Jeanie, der die Schicksale dieses Menschen jetzt, weil die Schwester in gleicher Lage war, mit einem Male nahe gingen, so unausstehlich er ihr bisher gewesen war. »Wie ich davon gekommen?« wiederholte er lachend; »so lange ich diese Schlüssel in meinen Händen halte, soll keiner so aus dem Gefängnisse herauskommen wie ich!« »Meine Schwester soll bei hellem Tage den Fuß von hier setzen,« rief Jeanie; »ich will nach London, den König und die Königin um Gnade für sie bitten; sie haben Porteous begnadigt und können auch sie begnadigen. O, und wenn eine Schwester vor sie hin kniet und um der Schwester Leben bittet, dann werden sie ihr auch Gnade gewähren!« Effie lauschte mit verstörtem Blicke; Jeanie sprach mit solcher Zuversicht, so schwärmerisch, so hinreißend, daß ein Hoffnungsstrahl in ihrem Herzen zu dämmern anfing. Ebenso schnell aber schwand er wieder, und ihr Herz sank wieder in seine frühere Trostlosigkeit zurück .. »Ach, Jeanie!« rief sie, »London ist an tausend Meilen weit, liegt weit überm Meere, und ehe Du es erreicht hast, werde ich längst hinüber sein.« »Das trifft nicht zu, Schwester,« erwiderte Jeanie, »so weit ist London nicht, und man kann zu Lande hingelangen. Mir hat's Reuben Butler gesagt.« »Jeanie, Jeanie!« rief Effie klagend, »Du hast von Deinen Freunden immer was Ordentliches gelernt, aber ich ... ich ...« »Denke nicht an so etwas, Effie,« versetzte Jeanie, »laß das, bis wir die schwere Zeit hinter uns haben. Versprich mir, Schwester, auf meine Rückkehr zu warten. Sterbe ich nicht unterwegs, dann werde ich des Königs Antlitz sehen, und der König kann Gnade spenden. Und Sie, Herr,« wandte sie sich zu Ratcliffe, »seien Sie freundlich gegen sie! Sie hat im Leben noch nie empfunden, was es heißt, auf fremde Güte angewiesen zu sein.. Adieu, Effie! Adieu, Herr!. Kein Wort mehr, Schwester! Ich darf jetzt nicht weinen. Mir ist das Herz ohnehin voll zum Zerspringen.« Sie riß sich aus Effies Armen und verließ die Zelle. Ratcliffe ging hinter ihr her und winkte ihr in einen abgelegenen Raum. Bebend am ganzen Leibe, folgte sie ihm. »Ich meine es gut mit ihr und mit Ihnen,« sagte er; »denn das muß ich sagen, man muß wirklich Respekt vor Ihnen haben. So resolut und klar im Kopfe hab ich noch kein Weibsbild gefunden. Und ich glaube, weiß Gott! was Sie vorhaben, wird Ihnen gelingen. Aber so ohne weiteres können Sie nicht vor den König gelangen, Mädel, das denken Sie sich nicht! Probieren Sie es erst mit dem Herzog, mit Mac Callumore, der ist Schottland wohlgesinnt, und wenn sich die großen Herren in London, wie jeder in Schottland weiß, nicht viel aus ihm machen, sind sie doch auf der Hut vor ihm und nehmen sich in acht, es mit ihm zu verderben. Das gerade kann Ihnen zum Heile sein, Mädel! Wissen Sie niemand, der Ihnen an den Herzog ein paar Zeilen mitgeben könnte?« Jeanie fiel plötzlich etwas ein. »Sprechen Sie vom Herzog von Argyle?« – »Wer anders wäre Mac Callumore?« – »Derselbe, der, als mein Vater noch ein Jüngling war, unter so schweren Verfolgungen litt?« »Ich glaube, der jetzige Herzog ist der Sohn oder Enkel,« erwiderte Ratcliffe; »aber wohinaus wollen Sie damit?« »O, dem Himmel sei Dank für Ihre Worte!« rief Jeanie und faltete andächtig die Hände. »Ihr Leute habt immer den lieben Gott beim Wickel,« sagte Ratcliffe. »Aber noch eins, Mädel! Der Weg bis London ist weit und führt durch Strecken, wo es nicht geheuer ist, wo sich allerhand Volks herumtreibt. Aber einem, der einen Zettel vom Vater Kliff hat, wird keiner von ihnen zwischen hier und London etwas zu leide tun; denn alle wissen recht gut, daß ich ihnen noch immer zu Gutem oder Bösem helfen kann, wenn ich auch meinem Gewerbe Valet gesagt habe. Meinen Paß kennt zwischen hier und London jeder, der auf der Landstraße vagiert.« Er gab ihr ein beschmutztes Stück Papier, auf das er schnell ein paar Schriftzeichen gesetzt hatte, und rief, als sie scheu davor zurückwich: »Nehmen Sie nur, Kind! Beißen wird es Sie nicht! Hilft's vielleicht nicht, schaden kann's auf keinen Fall! Und kommen Sie mit irgend einem unterwegs in Händel, oder werden Sie aufgehalten in schlimmer Absicht, so zeigen Sie das Ding vor! Verstehen wird's jeder, denn es ist Diebslatein, und respektieren wird's auch jeder!« Noch einen Blick voller Seelenangst warf sie auf das schwarze, düstere Gebäude und einen Blick voll unsäglichen Schmerzes auf das gastliche Haus der guten Frau Saddletree, und dann ließ sie die Stadt hinter sich. Ohne Bekannten zu begegnen, – was ihr als wahre Wohltat erschien – gelangte sie zu den Leonards-Felsen. »Ich will alles vermeiden,« dachte sie, »was mich irre machen könnte; ist mir's doch ohnehin schwach genug zu Mute für das schwere Vorhaben; drum will ich auch so wenig sprechen wie möglich, und alles verrichten, was ich noch zu verrichten habe, so standhaft und resolut wie möglich.« Seit vielen Jahren war eine alte Taglöhnerin in Dienst bei ihrem Vater, und auf sie durfte Jeanie sich in allem verlassen; sie hauste in einer kleinen Hütte unfern vom Pachthof und kam sogleich, als Jeanie nach ihr schickte. Ihr sagte sie, sie müsse um der Schwester willen eine weite Reise machen, und übertrug ihr für die Zeit ihrer Abwesenheit die Sorge für Haus und Vieh, und, wenn er zurückgekehrt sein werde, auch für den Vater. »Es kann sein«, sagte sie der May Hettly – so hieß die greise Tagelöhnerin – »daß er schon morgen wieder da ist; er kann aber auch eine Zeitlang wegbleiben; ich weiß es nicht; aber halte nur alles in bester Ordnung, damit er keine Ursache habe, sich über etwas zu ärgern; Gram wird er ohnehin genug mit heimbringen, wenn er kommt.« Mitternacht wurde es, bis sie der Alten alles genau übergeben und alle Vorbereitungen getroffen hatte, die eine solche weite Reise notwendig machten. Die Alte legte ihrer jungen Herrin ans Herz, sich ein bißchen Schlaf zu gönnen. »Sie haben einen schweren Tag hinter sich, Jungfer Jeanie, und Ihr Vater pflegt immer zu sagen, Furcht und Sorge seien schlimme Kameraden in schlaflosen Nächten.« »Ja, ja, May Hettly, gar schlimme Kameraden,« antwortete Jeanie, »es will aber gelernt sein, sich mit ihnen abzufinden, und besser schon, man macht daheim damit den Anfang als draußen in der Fremde.« Ihr großes schottisches Umschlagetuch diente ihr als Mantel, wie auch als Kopftuch; ein Bündel enthielt alles notwendige Linnen; auch ihre Sonntagsschuhe und weißen Zwirnstrümpfe packte sie ein, um sie für etwaige bessere Gelegenheiten zur Hand zu haben; denn sie war willens, den Weg bis London barfuß zu machen, nach schottischer Frauensitte, wußte sie doch nicht, daß man in England Barfußgehen für das Zeichen der höchsten Armut ansieht .. Aus einem alten eichenen Behälter, in dem ihr Vater seine frommen Bücher, ein Paar Schriftstücke und die beglichenen Rechnungen verwahrte, suchte sie ein paar alte Briefe hervor, von denen sie sich für ihr Vorhaben einigen Nutzen versprach. Aber der wichtigste Punkt war noch zu erledigen: die Geldfrage. Hieran dachte sie erst, als sie mit allem andern fertig war. Ohne Geld die Reise anzutreten, war natürlich ausgeschlossen. Ihr Vater hatte von dem kleinen Gute Wohl sein Auskommen; aber zu Ersparnissen war er noch immer nicht gekommen, sondern seine Habe bestand, gleich den Erzvätern in der Bibel, in seinen Herden und ein Paar geringfügigen Beträgen, die er an Nachbarn oder Verwandte geliehen hatte, von denen aber jeder schon das mögliche getan, wenn er ihm die bescheidenen Zinsen am Jahresschlusse überbrachte. Bei ihnen vorzusprechen, selbst wenn sie des Vaters Einwilligung dazu hatte, wäre nur Zeitvergeudung gewesen. Aber mit dem Vater über ihr Vorhaben zu sprechen, erschien ihr schon insofern nicht geraten, als sie fürchten mußte, er würde ihrem ganzen Vorhaben widersprechen und sie nicht fortlassen wollen; auf solches Verbot durfte sie es aber unter keinen Umständen ankommen lassen, sofern sie nicht das Schicksal der Schwester besiegeln wollte. Wohl dachte sie an Frau Saddletree und machte sich Vorwürfe, daß sie nicht schon am Morgen diesen Punkt mit ihr ins reine gebracht hätte; aber auch von ihr versah sie sich, wenn auch keiner Ablehnung, so doch allerhand Widerreden und Gegenvorstellungen, die zum wenigsten wieder Zeitverlust brachten, wenn nicht die Gefahr, daß der Vater auf diese Weise ihr Vorhaben erführe. Sie dachte an Butler, aber er war ja noch ärmer als sie, und was hätte ihre seine Bereitwilligkeit helfen können, wenn es ihm an den Mitteln fehlte, sie in die Tat umzusetzen? Da faßte sie einen wunderlichen Entschluß, all diese Hindernisse aus der Welt zu schaffen. Zweites Kapitel Ein paar Stunden seitwärts von Sankt-Leonard lag das Rittergut Dumbiedike mit seinem einst in der Gegend weit und breit gefürchteten Schlosse; denn der verstorbene Laird, von dessen Schnurren und Streichen im ersten Band die Rede gewesen, führte in seinen Mannsjahren eine gar derbe Klinge, trank und fluchte, fehlte bei keinem Hahnenkampfe und keiner Edeljagd und war ohne sein strammes Roß und seine Koppel bissiger Hunde nicht wohl zu denken. Aber sein Sohn war ein anderer, und durch ihn hatte das alte ritterliche Ansehen des Geschlechts nicht profitiert, denn er war ein ebenso sparsamer, bedächtiger und weltscheuer Mann, wie der Vater gierig und geizig, roh und aufdringlich gewesen war. Schluß Dumbiedike war kein architektonisches Meisterwerk, sondern konnte kaum für mehr als einen schlichten Landedelsitz gelten. In jedem seiner drei Stockwerke lag bloß ein einziges großes Gemach, das durch ein halbes Dutzend Fenster sein Licht erhielt, die aber alle zusammen mit ihrer spitzen Form und ihrem wuchtigen Rahmen nicht soviel Licht gaben wie heute ein einziges, richtig angelegtes Fenster. Durch einen halbrunden Turm gelangte man zu den oberen Stockwerken; das Dach war nicht mit Schiefer, sondern mit rohen, grauen Steinen gedeckt. Ein paar niedrige, verfallene Nebengebäude, durch eine verfallene Mauer mit ihnen verbunden, lagen um den Hof her, der ehedem gepflastert gewesen; jetzt sproßten Gras und Disteln munter aus den Ritzen zwischen den Fliesen. Ueber dem niedern Torwege, der in den Hof hinein führte, war etwas wie ein Wappen in den Stein gehauen, und über dem innern Eingange hing schon seit mehreren Jahren das moderne Wappenschild Lawrencs Dumbies von Dumbiedike, zum Zeichen, daß er bei seinen Vätern auf dem Kirchhofe von Newbattle in Frieden ruhe. Zu dieser Stätte, nicht der Armut, aber des langsamen Verfalls infolge von Trägheit und Stumpfsinn ihres dermaligen Besitzers lenkte Jeanie nachts die Schritte und trat schüchtern, fast beschämt, am frühen Morgen in den Innenhof. Einem schlichten Landkinde wie ihr, das außer der bescheidenen Hütte ihres Vaters kaum ein anderes Heim gesehen, mußte Schloß Dumbiedike als stattlicher Wohnsitz und der damit verbundene Land- und Feldbesitz, der sich um dasselbe herum erstreckte, als Zeichen großen Reichtums erscheinen; aber in ihr redliches, ehrliches, schlichtes Gemüt fand jetzt, als sie das Heim ihres alten, getreuen Verehrers mit eigenen Augen erblickte, kein Gedanke den Weg, der zu den Empfindungen im Widerspruch gestanden hätte, die dort bisher gewohnt hatten, und nicht einen Augenblick fühlte sie sich in Gefahr, dem Laird, Butler oder sich selbst auch nur das leiseste Unrecht anzutun. Da sie den Laird selbst zu sprechen wünschte, sah sie sich in den Wirtschaftsgebäuden nach jemand von der Dienerschaft um, der sie bei ihm melden könne. Aber alles war noch still auf dem Hofe. Sie klinkte eine Tür auf, die zu einem leeren Raume führte: dem einstigen Hundezwinger des alten Laird, der dem Anscheine nach jetzt als Waschküche benutzt wurde. Eine andere Tür, mit der sie es versuchte, zeigte den Raum ohne Dach, in welchem, nach ein paar vermoderten Stangen und an den Wänden herumhängenden Riemen und Federspielen zu schließen, die Falken des verstorbenen Lairds gehaust hatten. – Eine dritte Tür führte zum Steinkohlenschuppen, dessen reichliche Vorräte auf die Vorliebe des jetzigen Lairds für eine warme Stube schließen ließen. Nun kam sie an die Tür, die zu dem Stalle führte; ihren alten Bekannten, den eigensinnigen Klepper vom Hochlande, hatte sie draußen grasen gesehen, aber daß er hier seine Unterkunft hatte, bekundeten Sattel und Zaum, ihr ebensogut bekannt, die halb an der Mauer, halb auf die Streu hernieder hingen. In der andern Stallhälfte, durch einen Querbaum geschieden, stand eine Kuh, die, als sie Jeanies ansichtig wurde, ein lautes Gebrüll ausstieß. Jeanie, die ja daheim beim Vater die Kühe wartete, verstand sogleich, was das Tier wollte, trat zu seiner Krippe und schüttete ihm Futter auf. Wie alles in dem verlotterten Herrensitze, war auch der Kuhstall schlecht versorgt; in dem Augenblick aber, als sie dem Tiere Futter streute, kam die Magd hereingetrottet, die sich noch verschlafen die Augen rieb und, als sie eine fremde Person verrichten sah, was sie längst hätte verrichtet haben sollen, mit wildem Geheul, als sei ihr der Gottseibeiuns erschienen, auf den Hof hinaus rannte. »Der Kobold! Der Kobold!« schrie sie, wie besessen .. Nun ging in dem Schlosse seit alters die Sage, es gehe darin ein Hausgeist herum, das träge Gesinde zu schrecken. Aber um so geringere Lust die Magd haben mochte, von ihrer Trägheit zu lassen, um so lauter zeterte sie jetzt auf dem Hofe, daß ein anderes Wesen sich der Kuh erbarmt hatte, die sie bis in den Morgen hinein hatte hungern lassen, und ihr Geschrei verfehlte natürlich nicht, die andern faulen Schläfer des Herrensitzes munter zu machen. Jeanie, bemüht, keinerlei Unruhe zu stiften, war hinter dem Schreihalse her auf den Hof getreten und versuchte, ihm gut zuzureden; aber schon hatte sich die alte – wie böse Zungen sagten – Busenfreundin des verblichenen und die Hausverwalterin des dermaligen Lairds aus den Federn gemacht und gleichfalls auf den Hof hinunter begeben, eine ansehnliche, korpulente Person, die zwischen vierzig und fünfzig Jahren gewesen sein mochte, als der alte Laird das Zeitliche segnete, und nun an die siebzig heranreichte. Eifersüchtig über ihr Amt und Ansehen im Hause wachend, keineswegs jedoch in Unkenntnis darüber, daß ihre Macht nicht mehr auf so festen Füßen stand wie ehedem, hatte sie ihre Nichte zu sich genommen, eben die Magd, die jetzt mit ihrem Geschrei den Hof erfüllte. So eifrig aber Jeanet Balchristie – so hieß die wackre Dame – es auch darauf angelegt hatte, den jungen Laird in ihre Netze zu ziehen, so war der Laird doch nicht zu der Erkenntnis zu bringen gewesen, daß neben Jeanie Deans auch noch eine Jeanet Balchristie auf der Welt und obendrein in größerer Nähe von ihm existiere, hatte es aber auch nicht hindern können, daß sich Jeanet Balchristie über seine täglichen Ritte nach Sankt-Leonard hinüber ihre eigenen Gedanken machte und auf Jeanie Deans einen besonderen Groll hatte. Da sie nun heute zwei Stunden früher aus dem Schlafe gerissen wurde, als sonst, war sie begreiflicherweise auch in noch schlechterer Laune als sonst, und nicht bloß erbost auf die Nichte, die sie durch ihr Geschrei geweckt, sondern noch weit erboster auf Jeanie, die der Nichte Ursache zu dem Geschrei gegeben hatte. Aber da sie die Augen noch nicht recht aufmachen konnte, erkannte sie Jeanie nicht gleich, sondern fuhr sie grob an, wer sie sei und was sie so früh hier zu suchen habe? Jeanie antwortete: »Ich habe eine Bitte an den Laird, liebe Frau Balchristie,« aber sie sprach es sehr schüchtern, denn wie immer, wenn der Vater sie einmal zu ihr geschickt hatte, etwas zu bestellen, fürchtete sie sich vor ihrem zänkischen Wesen. »Liebe Frau Balchristie,« wiederholte die Alte fuchswild, »wer seid Ihr denn? Da könnte jede kommen!« – »Aber kennen Sie mich denn nicht, Frau Balchristie? Ich bin ja Jeanie Deans!« »Was? die Jeanie Deans?« rief die Alte, sich verwundert stellend, »wirklich? Jeanie Dämon müßtet Ihr eher heißen!« und sie trat dicht vor sie hin und maß sie mit boshafter Neugierde. »Habt ja mit Euerm Vater ein feines Stückchen verübt, solch armes, unschuldiges Würmchen umzubringen! Ein wahrer Segen, daß wir in Schottland noch Gesetze haben! Sonst käme Euer liederliches Stück von Schwester womöglich noch gar nicht mal an den Galgen, was doch jammerschade wäre! Und solch erbärmliches Gesindel rennt ehrlichen Leuten in aller Herrgottsfrühe das Haus ein? verlangt in aller Herrgottsfrühe zu anständigen Junggesellen geführt zu werden? Schert Euch! Hinaus! Vom Hofe!« Jeanie, entsetzt über diese gemeine Deutung ihres Besuchs, hatte schon den Rücken gewandt, um den Hof zu verlassen, während die grobe Frau noch lauter schrie, da ging ein Fenster auf, und der Kopf des Lairds, mit dem Tressenhute des Vaters, lugte heraus, um zu sehen, was seine sonst so verschlafene Hausverwalterin so früh in solche Wut versetzte. Zu seiner nicht geringen Verwunderung sah er Jeanies wohlbekannte Figur auf dem Rückzuge aus seinem Gute begriffen, verfolgt von der Haushälterin, die ihr, den Arm in die Hüfte gestemmt, zitternd vor Wut und die Faust ballend, die gröbsten Verwünschungen zuschrie. Er geriet außer sich vor Wut. »Satansweib!« schrie er zum Fenster hinunter, »wer gibt Dir das Recht, die Tochter eines redlichen Mannes auf meinem Grund und Boden so zu behandeln?« Frau Balchristie merkte sofort, daß mit dem Laird nicht zu spaßen sei, denn aus seiner Trägheit kam er nur in den ernstesten Fällen, und suchte sich, so gut sie konnte, zu entschuldigen, es wäre ihr ja bloß um seine Ruhe gegangen, und die Mamsell könnte doch wiederkommen, statt ihn so früh zu stören, u. s. w. Aber der Laird schrie: »Maul gehalten, alte Hexe! und der Teufel soll Dir ins Genick fahren, wenn ich recht gehört habe. Jeanie, Dirne, komm ins Wohnzimmer herein! Ich bin gleich unten. Kehr Dich nicht an den alten Satan!« »Na, so schlimm war's ja nicht gemeint,« sagte Jeanet darauf zu ihr, »ich konnt's doch nicht wissen, daß Sie sich mit dem Laird besprochen hatten. Warum sagen Sie mir das nicht gleich? Ich weiß doch, wie es im Leben zugeht. Na, so treten Sie, bitte, näher!« Jeanie wich vor ihr zurück. »Ich habe mich mit dem Laird nicht besprochen,« sagte sie, »ich habe nur weniges mit ihm zu reden, und es kann gerade so gut auf dem Hofe geschehen, wie in der Stube.« ' »Draußen auf dem Hofe?« versetzte die Alte; »aber so unhöflich werden wir doch nicht sein! Was macht denn der wackre Vater?« , Das Erscheinen des Lairds enthob Jeanie der Mühe, auf die heuchlerische Frage zu antworten. »Scher Dich und sieh nach dem Frühstück,« fuhr er die Alte an; »mach auch ein tüchtiges Feuer an! Komm, Jeanie, Dirne! Setz Dich ein bißchen!« »Nein, Laird, ich kann nicht in die Stube treten, ich habe noch einen weiten Weg heute vor, noch viele Meilen, wenn meine Füße mich tragen wollen.« »Noch viele Meilen zu Fuß? Da sei der Himmel vor!« rief der Laird, »Jeanie, Dirne, das geht nicht! Ich sage Dir, komm herein und setz Dich!« »Was ich zu sagen habe, kann auch hier geschehen, Laird, und die Frau Balchristie.« »Der Teufel soll sie holen, zu schleppen hat er schon an ihr!« erwiderte Dumbiedike, »Jeanie, Dirne, viel Worte sind meine Sache nicht; aber Herr in meinem Hause bin ich und in Zucht halte ich alles, wenn mir auch mein Klepper manchmal nicht pariert. Bloß ist's mir manchmal zuwider, bis mir schließlich 'mal die Galle überläuft.« »Ich komme, Laird,« sagte Jeanie, die Notwendigkeit, ihr Anliegen sogleich vorzubringen, erkennend, »um Ihnen zu sagen, daß ich eine Reise vorhabe, ohne Vorwissen des Vaters.« »Ohne Vaters Wissen, Jeanie?« fragte er; »ist das recht? Das mußt Du noch einmal überlegen, Jeanie! Es ist nicht recht,« sagte er nach einer Weile, und sein Gesicht zeigte eine sehr besorgte Miene. »Wenn ich nur erst da wäre, in London,« sagte Jeanie, in der Absicht, sich zu rechtfertigen, »da fände ich dann schon Mittel und Wege, die Königin um meiner Schwester Leben zu bitten.« »London?« rief der Laird, außer sich, »zur Königin? Der Schwester Leben? Die Dirne ist von Sinnen!« »Nein, Laird, von Sinnen bin ich nicht,« versetzte Jeanie; »aber nach London zu gehen, ist mein fester Entschluß, und sollte ich mich von einer Tür zur andern betteln. Was anderes aber wird mir nicht übrig bleiben, sofern Sie mir nicht etwas Geld für die Reise leihen. Es soll nicht viel sein; aber Sie wissen, mein Vater ist wohlhabend und wird nicht leiden, daß jemand, am wenigsten Sie, Laird, durch mich zu Schaden kommen.« Der Laird traute kaum seinen Ohren, als er diese Worte hörte. Er sah starr auf den Boden und fand kein Wort der Erwiderung. »Ich sehe, Laird, Sie wollen nicht,« sagte Jeanie, »nun, dann Adieu! Aber sehen Sie recht oft nach dem Vater! Er wird jetzt recht allein sein.« »Wo will sie hin, die alberne Dirne?« rief Dumbiedike, indem er sie bei der Hand nahm; »ich hab's ja schon immer sagen wollen; es ist mir aber immer in der Kehle stecken geblieben,« sagte er halb zu sich selber; dann führte er sie in das Haus und in ein altertümliches Zimmer, dessen Tür er hinter ihnen abschloß und verriegelte. Jeanie, blieb, verwundert über sein Verhalten, an der Tür stehen; der Laird ließ ihre Hand los und drückte auf eine Feder in dem Wandgetäfel, wodurch sich ein geheimer Schrank öffnete. Tief in die Wand eingelassen, stand hier ein großer eiserner Kasten, den der Laird aufschloß. Darin lagen verschiedene lederne Beutel, mit Gold und Silber bis zum Rande gefüllt. Bald Jeanie, bald seinen Schatz wohlgefällig betrachtend, sagte er: »Sieh, Jeanie, Dirne, das ist meine Bank; mit Wechseln und Papiergeld, wie andere Leute, habe ich nicht gern was zu tun. Das bringt den Menschen bloß ins Malheur!« Dann schlug er einen anderen Ton an und sprach bestimmt und fest: »Jeanie, Dirne, noch ehe die Sonne untergeht, will ich Dich zur Lady Dumbiedike machen, und dann kannst Du, wenn Du Lust hast, in meiner Karosse nach England fahren.« ' »Laird! Meines Vaters Herzeleid! Meiner Schwester Schande!« rief Jeanie; »nein! Es kann nicht sein! Es wäre zu herbe Kränkung für Sie!« »Das geht mich an, Jeanie, Dirne! Und wären Sie keine dumme Person, so würden Sie das mit keinem Worte berühren. Aber gerade um deswillen mag ich Sie nur noch lieber! Gescheit braucht bei Eheleuten bloß einer zu sein. Das reicht! Aber Ihnen ist heute das Herz schwer, Jeanie, Dirne. Drum wollen wir's heute lassen, bis Sie zurück sind. Nehmen Sie soviel Geld, wie Sie wollen. Mir kommt es ja auf den Tag nicht an.« Jeanie hatte die Empfindung, daß es einem so wunderlichen Liebhaber gegenüber notwendig sei, sich deutlich zu erklären; drum sagte sie: »Aber, Laird, ich habe einen andern Mann lieber als Sie und kann Sie deshalb nicht zum Manne nehmen.« »Einen andern Mann lieber als mich?« wiederholte der Laird, »wie kann das sein, Jeanie, Dirne? Du kennst mich doch schon so lange! Jeanie, Dirne! Das kann nicht sein.« »Laird,« versetzte das schlichte Mädchen, »den andern kenne ich länger.« »Länger? Jeanie, Dirne, das kann nicht sein! Du bist ja auf meinem Gute geboren! Aber, Jeanie, Du hast noch lange nicht alles gesehen, was ich besitze.« – Er zog ein paar Kästen in dem Wandschranke auf. »Da, sieh! Alles Gold, und hier blankes Silber. Da hast Du mein Kontobuch! Bare dreihundert Pfund Sterling! Und meiner Mutter Garderobe, und meiner Großmutter Garderobe, schwere Seidenkleider mit Spitzen wie Spinngewebe, und Ringe und Ohrbommeln dran. Es liegt alles im Sterbezimmer. Jeanie, Dirne! Geh mal hinauf und sieh Dir alles an!« Aber Jeanie blieb fest und unerschütterlich. »Laird! Es kann nun einmal nicht sein, ich hab dem andern das Wort gegeben, und das kann ich nicht brechen.« »Ihm das Wort gegeben?« wiederholte der Laird verdrießlich, »und wer ist's denn, Jeanie? Geh, Du hast mich bloß zum besten. Daß es so einen gibt, glaube ich einfach nicht. Du zierst Dich bloß! Sage es mir, wer es ist, und was er ist!« »Reuben Butler ist's, der Lehrer von Libberton,« antwortete Jeanie. »Butler? Reuben Butler?« wiederholte der Laird, außer sich in der Stube auf und ab schreitend; »der Hilfslehrer? der Sohn meines Instmanns? Na, wie Sie wollen, Jeanie! Dirnen sollen ihren Willen haben. Aber der Mensch hat ja keinen roten Heller im Sack und nichts auf dem Leibe als einen alten, abgetragenen Rock. Aber Dirnen wollen 'mal ihren Willen haben. Schön! Es hat weiter nichts auf sich!« Mit diesen Worten stieß er heftig einen Kasten nach dem andern wieder zu. »Guter Wille findet oft keinen Dank, Jeanie, Dirne! Und wohl kann einer ein Pferd zur Tränke führen; aber keine zwanzig können's zum Saufen zwingen, wenn's nicht saufen will. Aber mein Geld verschleudern, damit sich andre einen guten Tag machen, nein! nein! Das tue ich nicht.« Jeanies Stolz empörte sich ob dieser letzten Worte. »Ich habe Euer Gnaden um nichts gebeten, das solche Auslegung verdiente. Lebt wohl, Laird! Dem Vater haben Sie viel Freundschaft erwiesen, und ich will Ihrer immer in Freundschaft gedenken.« Sie stand auf und verließ das Gemach. Wohl rief er ihr nach: »Aber, Jeanie, Dirne! So bleib doch!« Jeanie aber, der Worte nicht achtend, ging raschen Schrittes über den Hof und begann ihre Wanderung, das Herz voll Scham und Verdruß darüber, daß ihr die kleine, voll Vertrauen erbetene Gunst wider Erwarten versagt wurde. Als sie sich auf der freien Landstraße sah, verlangsamten sich ihre Schritte. Bange Sorge, durch diese unvorhergesehene Täuschung wachgerufen, kam über sie. Sollte sie sich wirklich bis London betteln? Oder sollte sie umkehren und den Vater einweihen? Wieviel Zeit ging wieder verloren, wenn sie sich noch einmal nach Edinburg begab! Aber sie schritt langsam in der Richtung weiter, die sie eingeschlagen hattet und die die Richtung nach London war. Da klang plötzlich Hufschlag an ihr Ohr, und dann wurde ihr Name gerufen. Sich umsehend, erkannte sie, auf ungesatteltem Klepper, im Schlafrock, Pantoffeln und Tressenhut, wie er sie empfangen, den Laird von Dumbiedike! In dem Eifer, hinter ihr herzusetzen, hatte er sogar Rory Bean, den störrischen Klepper, auf den Weg gezwungen, den heute er reiten wollte! Und alles Bocken hatte dem Biest nichts geholfen, heute hatte es seinem Herrn parieren müssen. Jetzt hatte er Jeanie erreicht, und seine ersten Worte waren: »Jeanie, es heißt doch bei den Leuten, man müsse die Dirne nicht gleich beim Worte nehmen!« Jeanie blickte nicht auf und blieb nicht stehen, aber sie sagte: »Meinem Worte, Laird, können Sie trauen, denn ich kann niemandem was anders als die lautere Wahrheit sagen.« »Nun, dann sollten doch Sie wenigstens nicht gleich einen Mann beim Worte nehmen!« rief der Laird, »ohne Geld können Sie die Reise nicht machen, daran ist nicht zu denken. Hier haben Sie Geld,« und er gab ihr eine kleine Börse in die Hand, »gern gäb ich den Rory Bean noch drein, aber er ist ein so störrischer Racker, daß er bloß seinen Weg gehen will, ganz wie Sie, Jeanie, Dirne, ganz wie Sie!« »Aber, Laird, wenn Ihnen der Vater das Geld auch zurückerstatten wird auf Heller und Pfennig, so möchte ich doch nicht borgen von jemand, der vielleicht was anders dafür erwartet hat.« Dumbiedike seufzte tief. »Jeanie, Dirne, es sind fünfundzwanzig Guineen. Ihr Vater mag sie mir wiedergeben oder nicht: Sie selbst enthebe ich jeglicher Verbindlichkeit. Gehen Sie, wohin Sie wollen, tun Sie, was Sie wollen, heiraten Sie soviel Butlers Sie wollen! Und nun Adieu, Jeanie, Dirne! Adieu!« »Laird, der liebe Gott segne Sie mit vielen, vielen frohen Tagen!« sagte Jeanie, und ihr Herz war durch die seltsame Großmut dieses seltsamen Menschen tiefer ergriffen, als es dem armen Lehrer von Libberton vielleicht recht gewesen wäre. Er machte Kehrt, nachdem er noch einmal mit der Hand gewinkt hatte, und gab seinem Klepper die Sporen und nun muß ich freilich ihm hinterher sagen, daß ein Liebhaber, der im Schlafrock, Tressenhut und in Pantoffeln von einem störrischen Klepper im Galopp hinweggeführt wird, eine so possierliche Erscheinung abgibt, daß man sich nicht zu wundern braucht, wenn selbst ein Mädchen wie Jeanie, trotz alles heißen Dankes in der Brust, die schwache Regung zu seinen gunsten erstickt und zu seiner alten Liebe zurückkehrt. »Ein guter, guter Mensch,« sagte sie, ihm nachblickend, »bloß schade, daß er solch störrischen Gaul reitet!« Drittes Kapitel Nicht lange, nachdem sie Dumbiedike verlassen, kam sie auf eine kleine Höhe, die ihr den Blick auf Woodend und Beersheba eröffnete, mit all den Plätzen und Stätten, wo sie als Kind und Mädchen so manche frohe Stunde verlebt hatte, mit Butler und mit der unglücklichen Schwester, ihrer so innig geliebten Effie, und soviel Bitternis mischte sich jetzt in diese Erinnerungen, daß sie sich am liebsten auf den Rain gesetzt und ihren Tränen freien Lauf gelassen hätte. »Aber was möchten Tränen helfen,« sprach sie bei sich, »hab ich nicht viel mehr Ursache, dem lieben Gott herzinnig zu danken für die Gnade, die er mir dadurch erweist, daß er einem Manne, den alles für einen Geizhals hält, das Herz erweichte? Nein! Keinen Blick mehr auf Woodend, das arme liebe Nest, wo alles, alles, selbst der Rauch, der aus den Essen steigt, mich an den trüben Wechsel der Zeit gemahnt.« So setzte sie, ohne zu wanken, die einsame Wanderung in christlicher Ergebung fort, bis sie in die Nähe des kleinen Dorfes gelangte, in welchem der Mann ihres Herzens seines bescheidenen Amtes waltete. Es liegt am Abhang eines Hügels, ein Stück seitab von Edinburg, und zwischen blühenden Bäumen ragt die altertümliche kleine Kirche mit ihren spitzen Türmchen empor. Sie hatte sich vorgenommen, dort Einkehr zu halten, ehe sie ihre Wanderung fortsetzte, weil sie Butler für am besten geeignet hielt, dem Vater von ihrem Entschluß und von den Hoffnungen, die sie auf ihr Vorhaben setzte, Kunde zu geben. Vielleicht regte sich auch ein anderes Verlangen noch in ihrem Herzen: den Mann, ehe sie den Fuß aus Schottland setzte, noch einmal zu sehen, dem sie von Herzen zugetan war, und den sie vergeblich im Gerichtssaale gesucht hatte. Sie hatte halb und halb darauf gerechnet, daß er ihren Vater, seinen alten Freund und Wohltäter, an dem schweren Tage nicht ohne Trost und Beistand lassen werde, und wenn sie auch wußte, daß er noch immer nicht im Vollbesitz seiner Freiheit war, so hatte sie doch gemeint, es werde ihm nicht schwer fallen, sich für jenen Tag Erlaubnis zum Eintritt in den Gerichtssaal zu verschaffen. Sie war zu der quälenden Meinung gelangt, daß nur ernstliche Erkrankung den Freund von der Erfüllung dieser Pflicht habe zurückhalten können, und zitternd vor banger Sorge, erkundigte sie sich bei einer Frau, die mit dem Wassereimer auf dem Kopfe zum Bache schritt, nach der Wohnung des Lehrers. Ihre Sorge war nicht unbegründet gewesen: Butler, von Natur schwächlich, hatte die körperlichen Anstrengungen und seelischen Erschütterungen der letzten Tage nicht überstehen können, sondern lag an schwerem Fieber krank zu Bett. Das Bewußtsein, noch immer unter Verdacht der Teilnahme an dem Porteous-Krawall zu stehen, lastete sehr schwer auf ihm, am schmerzlichsten aber bedrückte ihn. das Verbot jeglichen Verkehrs mit David Deans und dessen Angehörigen. Das schreckliche Urteil hatte er noch am Abend des Verhandlungstages vernommen, und seitdem hatte er keinen Schlaf mehr gefunden. Die quälendsten Gedanken zermarterten ihm das Hirn; er fühlte, daß er denen, die ihm die liebsten auf Erden waren, im Lichte eines undankbaren und abtrünnigen Menschen erscheinen mußte; und wenn er auch nicht hatte hoffen dürfen, Effies Lage zu mildern, so hatte er doch vielleicht den greisen Vater vor der schweren Krankheit, in die derselbe nach der Verhandlung verfallen war, behüten können. Als er endlich gegen Morgen ein wenig Schlaf zu finden gehofft hatte, war ihm auch dieser Trost geraubt worden durch einen widerwärtigen Gast, der ihn besuchte, und der kein anderer war als Saddletree, der eingebildete Rechtsnarr. Nachdem er sich mit Plumdamas und anderen Getreuen und Nachbarn in der bekannten kleinen Butike über die vom Herzog in London gehaltene Rede, über das gegen Effie gefällte Urteil und die für ihre Begnadigung vorhandene geringe Wahrscheinlichkeit bis in die späte Nacht hinein unterhalten und zumeist herumgestritten hatte, wobei natürlich auch mancher Tropfen den Weg in die Kehle hinunter gefunden, war er am andern Morgen mit so wüstem Kopfe aufgewacht, daß er es für geraten erachtet hatte, auf dem kleinen Klepper, den er mit ein paar nähern Bekannten zusammen hielt, einen kleinen Ritt in die Umgebung von Edinburg zu machen, um seinem Geiste die nötige Spannkraft wiederzugeben. Wie immer das Praktische mit dem Nützlichen verbindend, hatte er die Nase des Kleppers nach Libberton zu gerichtet, wo er zwei Kinder eingeschult hatte und einen Besuch bei Butler machen konnte, mit dem er sich gern einmal unterhielt. Konnte noch etwas dem Wermut in Butlers Herzen Galle beimischen, so war es das Thema, das Saddletree für seine weitschweifige Diskussion wählte, nämlich die Wahrscheinlichkeit von Effies Hinrichtung. Jedes Wort aus dem Munde dieses Menschen drang ihm wie das Läuten der Armensünderglocke oder wie ein Eulenschrei in die Ohren. Jeanie blieb, als sie die laute Stimme des Schwadroneurs hörte, vor der Tür stehen, und so peinlich ihr die Verzögerung war, die hierdurch für sie entstand, wollte sie doch nicht früher in die Stube treten, als bis dieser überlästige Mensch gegangen sei. Da kam die Frau mit dem Wassereimer wieder, die sie um den Weg zum Schulhause gefragt, und machte, als Butlers Wirtin, Jeanies Zögern ein Ende durch die Frage: »Wollen Sie zum Herrn, Kind, oder zu mir?« »Ich möchte mit Herrn Butler reden, wenn er ein wenig Zeit hat,« antwortete Jeanie. »Dann kommen Sie doch herein!« sagte die Frau und machte die Tür auf, zu der sie herein rief: »Herr Butler, ein Mädchen ist da und möchte Sie sprechen.« Butler war nicht wenig erstaunt, Jeanie vor sich zu sehen, die sich nie weiter als eine halbe Stunde von Sankt-Leonard zu entfernen pflegte. Mit dem Rufe: »Himmel! Es ist wohl neues Unglück geschehen!« sprang er aus dem Lehnstuhle auf, den er heute zum ersten Male mit dem Bett hatte vertauschen dürfen. Jähe Röte der Ueberraschung verdrängte die bleiche Farbe, die infolge der Krankheit sein Gesicht bedeckte. »Nein, Herr Butler,« antwortete sie; »weiteres Unglück ist nicht über uns gekommen, außer dem, wovon Sie Kenntnis haben. Aber Sie selbst sehen recht schlecht aus!« »Nein, nein,« rief Butler eifrig, »mir ist wohl, ganz wohl, wenn ich für Sie oder den Vater was tun kann.« »Ganz richtig, Herr Butler, ganz richtig,« bemerkte Saddletree, »die Familie darf man jetzt nur noch nach dem Mädchen hier und dem alten Manne bemessen, denn Effie, das arme Ding, kann nicht mehr mitgerechnet werden. Aber, Jeanie, was führt Sie denn so früh nach Libberton hinaus? Sie wissen doch, daß Ihr Vater noch krank in Edinburg liegt?« »Ich habe was vom Vater an Herrn Butler auszurichten,« antwortete Jeanie verlegen, fühlte aber auf der Stelle das Beschämende ihrer Unwahrheit und verbesserte sich: »Das heißt, ich wollte mit Herrn Butler über etwas reden, das meinen Vater und die arme Effie angeht.« »Etwa eine Rechtssache?« fragte Saddletree; »da könnte ich Ihnen am Ende besser dienen.« »Nein, kaum eine Rechtssache,« erwiderte Jeanie, »ich wollte Herrn Butler bloß bitten, mir einen Brief aufzusetzen.« »Schön, schön,« sagte Saddletree, »und wenn Sie mir sagen wollen, wovon der Brief handeln soll, will ich ihn Herrn Butler in die Feder diktieren, wie es Croßmyloof mit seinem Schreiber Macht. Feder und Tinte, Herr Butler, in initialibus.« Jeanie sah den Freund flehentlich an, vor Verdruß und Ungeduld die Hände ringend. »Meinen Sie nicht, Herr Saddletree,« fragte Butler, »daß es Herrn Whackbairn kränken muß, wenn Sie dem Knabenunterrichte nicht beiwohnen?« »Freilich, freilich, Herr Butler, Sie haben recht!« rief Saddletree und sprang auf; »ich habe den Jungen doch versprochen, ihnen beim Herrn Whackbairn einen halben Feiertag auszuwirken, damit sie sich die Hinrichtung mitansehen. Dergleichen Schauspiel ist für Kinder von gewaltigem Nutzen, denn wer kann wissen, wohin sie einmal im Leben kommen? Ach, Jungfer Deanie, ich habe mit keinem Atem daran gedacht, daß Sie da seien. Aber Sie müssen sich ja doch einmal daran gewöhnen, von der Sache reden zu hören. Herr Butler, behalten Sie die Jungfer nur so lange hier, bis ich wieder da bin. Ich bleibe keine zehn Minuten.« Jeanie säumte nicht, die von dem widerwärtigen Menschen gegebene Frist auszunützen. »Reuben,« hub sie sogleich an, »ich will nach London wandern, um beim König und der Königin um Effies Leben zu bitten.« »Jeanie!« rief Butler, der vor Staunen in die Erde sinken wollte, »Sie sind wohl nicht bei Troste? Sie, und nach London wandern? Sie, und mit König und Königin sprechen?« »Warum nicht?« erwiderte sie mit der ihr eigenen schlichten Ruhe. »sind sie denn nicht Menschen wie wir? Und haben sie nicht auch Fleisch und Blut wie wir? Und wenn ihre Herzen von Stein wären, das Schicksal meiner armen Effie müßte sie erweichen!« »Aber die Pracht bei Hofe? Die vielen Menschen! Das Zeremoniell. Wie denken Sie, sich da Zutritt zu verschaffen?« »Das habe ich freilich auch schon gedacht, Reuben, aber es soll mir den Mut nicht rauben; trage ich doch das in mir, was mein Herz hoch halten wird, und ich bin fast sicher, daß ich stark genug sein werde, meiner Schwester das Leben zu retten.« »O, Jeanie,« sagte Butler, »das ist ein eitler Wahn. Es wird Ihnen nimmer gelingen, über all die Diener und Schranken hinweg den Weg zu den Majestäten zu finden, es sei denn, Sie fänden die Fürsprache irgend eines vornehmen Herrn, und selbst dann wird es noch große, sehr große Schwierigkeiten haben!« »Vielleicht könnte ich solchen Fürsprecher durch Sie gewinnen, Reuben?« »Durch mich, Jeanie? ach, Jeanie, Sie träumen!« »Durchaus nicht, Reuben! Haben Sie mir nicht einst gesagt, Ihr Großvater habe vorzeiten einem Vorfahren des berühmten Mac Callumore einen wichtigen Dienst geleistet?« »Das wohl,« sagte Butler, »und die Beweise vermöchte ich beizubringen. Ich will an den Herzog von Argyle schreiben. Er wird als guter, freundlicher Herr gepriesen und ist bekannt als ein tapfrer Soldat und aufrichtiger Freund Schottlands. Viel Hoffnung habe ich freilich auf das Gelingen meines Planes nicht, aber ich will doch kein Mittel unversucht lassen.« »Es muß jedes Mittel versucht werden, Reuben,« antwortete Jeanie, »aber mit dem Schreiben ist's nicht abgetan. Ein Brief kann nicht bitten, nicht zu Herzen sprechen. Ein Brief ist wie die Noten, die die vornehmen Damen auf ihr Spinett stecken, leblose, schwarze Punkte, denen erst Töne Leben und Seele leihen. Uns aber, Reuben, kann nur die lebendige Sprache des Mundes helfen, andernfalls gibt es für die arme Effie keine Hilfe!« »Jeanie, Sie haben recht,« sagte Butler, sich ermannend; »ich will festhalten an der Hoffnung, daß der Himmel treuen Herzen den rechten Weg gewiesen habe, das Leben dieses unglücklichen Mädchens zu retten. Aber, Jeanie, allein dürfen Sie diese weite, schwere Reise nicht unternehmen. Habe ich nicht heiligen Anteil an Ihnen? Darf ich dulden, daß meine Jeanie sich aufopfere? Unter so ernsten Verhältnissen müssen Sie mir das Recht des Gatten einräumen, Sie zu beschützen, Sie zu begleiten. Ja, Jeanie, dieses Recht fordere ich von Ihnen. Ich will die Reise mit Ihnen machen, will Ihnen beistehen in der Erfüllung Ihrer Pflicht gegen Ihre Angehörigen.« »Nein, Reuben, das kann nicht sein! Denn auch eine Begnadigung stellt Ruf und Ehre meiner Schwester nicht wieder her, kann mich nicht würdig machen, die Gattin eines ehrsamen, lieb und wert gehaltenen Predigers zu werden. Was würde seine Gemeinde von seinen Predigten halten, wenn von der Schwester seiner Frau bekannt wäre, daß sie solch schrecklichen Verbrechens angeklagt gewesen sei?« , »Aber, Jeanie, ich kann's nicht glauben und glaube es nicht, daß Effie solche Tat verübt hätte.« »O, Reuben, Gott segne Sie für diesen Glauben! aber die Schande wird sie nimmer los!« »Aber nicht auf Sie, Jeanie, fällt die Schande, selbst wenn sie gerechterweise auf ihr ruhte!« »Reuben, dergleichen trifft Kind und Kindeskind! O, wie sagte mein Vater: Der Glanz unseres Hauses ist erloschen; denn auch die Hütte des Armen hat ihren Glanz, wenn Gottesfurcht und Biedersinn darin wohnen, wenn er den guten Ruf sich erhalten hat. Doch ach! der Ruf ist von uns gewichen!« »Aber, Jeanie! Sie haben mir doch Ihr Wort gegeben! und Sie können doch nicht daran denken, solche Wanderung ohne den Schutz eines Mannes zu unternehmen!« »Reuben, Sie sind ein treuer, braver Mensch, und Sie würden mich, wie ich keinen Augenblick zweifle, zur Frau nehmen, trotz aller auf mir ruhenden Schmach! Aber Sie müssen doch selbst sagen, daß es jetzt nicht an der Zeit ist, von solchen Dingen zu reden. Nein! nur wenn uns fröhlichere Tage winken, könnte von so etwas die Rede sein. Sie sprechen davon, Reuben,« fuhr sie nach kurzer Zeit fort, »mir ein Beschützer zu sein? wer aber wird Sie schützen? Wer wird für Sie sorgen? Kaum einen Augenblick stehen Sie, und zittern doch schon an allen Gliedern! Wie könnten Sie die Beschwernisse solch weiter Reise auf sich nehmen?« »O, ich bin nicht krank, Jeanie!« erklärte Butler; die Erschöpftheit aber, die ihn zwang, sich wieder in seinen Stuhl zu setzen, strafte ihn Lügen. »Sie sehen doch, mein teurer Freund, daß ich recht habe, und daß die Natur Sie zwingt, mich allein reisen zu lassen. Es ist ein neuer Kummer, der mich unterwegs bedrücken wird,« sagte sie, nahm die Hand, die er ihr matt reichte, und blickte ihm freundlich ins Angesicht, »aber Sie müssen Ihr Leben schonen um meinetwillen, denn kann ich Ihnen nicht als Frau gehören, so keinem andern Manne. Und nun, Reuben, geben Sie mir die Papiere für Mac Callumore und bitten Sie zu Gott, daß er mich schütze!« Er sah, daß ihr Entschluß felsenfest stand, und mußte seine Unfähigkeit, sie zu unterstützen, einräumen; so gab er ihr die Papiere, das einzige Andenken, das an seinen Großvater noch vorhanden war, an den mannhaften, schwärmerischen Bibel-Butler. Jeanie hatte inzwischen seine Taschenbibel genommen und gab sie ihm jetzt wieder. »Ich habe mit Ihrem Bleistift einen Spruch bezeichnet, der uns beiden zum Heile sein kann. Teilen Sie dem Vater alles, was ich Ihnen gesagt habe, mit; denn Ihrer Fürsorge vertraue ich ihn, und hoffentlich bekommen Sie bald Erlaubnis, ihn zu besuchen. Und, Reuben, wenn Sie mit ihm diskutieren, so lassen Sie seine Meinung gelten, um Jeanies willen! Vor allem brauchen Sie keine lateinischen Worte und Sätze, denn er mag sie nicht, er ist eben noch einer vom alten Schlage. Lassen Sie ihn nur reden, damit er sich das Herz frei mache, denn das wird ihm am ehesten Trost bringen. Und dann noch ein anderes, Reuben! Dem armen Kinde im Kerker sagen Sie – ach! ich brauche Ihr liebes Herz ja nicht erst dazu aufzufordern – ihm sagen Sie, doch nein! Von ihr darf ich nicht sprechen, denn nicht mit Tränen will ich von Ihnen Abschied nehmen. Das wäre ein schlimmes Vorzeichen, Reuben. Doch nun leben Sie wohl, Sie teurer Freund! Gott segne Sie! Adieu, adieu!« Fast schien es, als sei die Kraft, zu reden, zu denken, zu handeln, von ihm gewichen, als sie das Zimmer verlassen; in solchem hohen Maße hatte ihre jähe Erscheinung auf den erschöpften Mann gewirkt. Als unmittelbar darauf Saddletree eintrat und ihn mit Fragen überschüttete, gab er wohl Antwort, wußte aber kaum, was er gefragt worden. Endlich erinnerte sich der rechtsgewandte Herr, daß irgendwo eine Gerichtsverhandlung angesetzt sei, bei der er nicht fehlen dürfe. Butler, froh, ihn los zu sein, griff nach der Taschenbibel, das letzte Buch aufschlagend, worin Jeanie geblättert hatte. Zu seiner maßlosen Verwunderung fiel ein Papier heraus, das einige Goldstücke enthielt. Die mit Bleistift von ihr angestrichne Stelle war Vers 16 und 25 im 37. Psalm. »Das wenige, das ein Gerechter hat, ist besser denn das große Gut vieler Gottlosen.« »Ich bin jung gewesen und alt geworden, und habe noch nie den Gerechten verlassen gesehen oder seinen Samen nach Brot gehen.« Tief ergriffen von der liebevollen Zartheit, die eigne Großmut in das Gewand göttlicher Hilfe zu kleiden, drückte er die Lippen auf das Gold, mit größerer Inbrunst als je ein Geizhals. Ihr nachzueifern in gottergebenem Vertrauen, war jetzt das höchste Ziel seines Strebens, und für seine erste Aufgabe sah er es an, David Deans von dem Entschlusse seiner Tochter in Kenntnis zu setzen, und, um dem alten Manne die Aussöhnung damit zu erleichtern, wog er jedes Wort, jeden Gedanken sorgfältig ab. Durch einen Bauern aus dem Dorfe, der hin und wieder mit Deans zu tun hatte, ließ er den Brief nach Edinburg tragen und persönlich bei Deans abgeben. Welchen Eindruck er machte, werden wir in einem spätern Kapitel sehen. Viertes Kapitel Heutzutage ist eine Reise von Edinburg nach London ein Kinderspiel. Zu der Zeit, anno 1737, da unsre Erzählung spielt, bestand nicht einmal ein geordneter Postwagendienst. [denn der Verkehr zwischen den beiden Hauptstädten war so schwach, daß es vorgekommen ist, daß im wöchentlichen Post-Felleisen nur ein einziger Brief vorhanden war.] Es gab für den Personenverkehr nur Postpferde; doch konnten nur reiche Leute sich diese teure und dabei doch strapaziöse Bequemlichkeit leisten; allein zu reisen, durfte man wegen der großen Unsicherheit gewisser Strecken nicht riskieren, sondern mußte wenigstens ein zweites Pferd und einen Begleiter oder Führer nehmen. Der Arme war auf das ihm von der Natur verliehene Bewegungsmittel angewiesen. Jeanie Deans war an körperliche Anstrengung von Kind auf gewöhnt und abgehärtet; mutigen Herzens wanderte sie unermüdlich vorwärts, zehn bis zwölf Marschstunden täglich, bis sie in Durham die südliche Grenze von Schottland erreichte. Bis hierher war sie unter Landsleuten gewesen, die an das schottische Umschlagetuch gewöhnt waren, und denen es nicht auffiel, daß sie barfuß ging. Je weiter sie aber nach England hinunter kam, desto öfter mußte sie spöttische Rufe und anzügliche Reden hören. Freilich fand sie es in ihrem schlichten Herzen unfreundlich und nicht löblich, eine auf der Wanderung begriffene Person aus fremdem Lande ihrer Tracht wegen zu höhnen; sie war aber klug und einsichtig genug, dasjenige, was dazu in ihrem Anzuge Ursache gab, zu ändern; sie legte ihr Plaid, das nach Schottensitte auch zugleich das Kopftuch vertrat, zusammen und in ihr Bündel und trug hinfort, wie englische Landdirnen bei der Feldarbeit, einen Strohhut, kam sich aber, wie sie späterhin oft erzählt hat, in den ersten Tagen darunter vor, als müsse sie sich zu Tode schämen, daß sie als ledige Person den in Schottland nur der verheirateten Frau zukommenden Hut trage. Auch unterwarf sie sich dem Brauche, von jetzt ab Schuhe und Strümpfe zu tragen, aber auch darüber hat sie oft erzählt, daß es lange gedauert habe, bis sie darin so gut habe gehen können wie barfuß und immer froh gewesen sei, wenn sie an der Seite der Landstraße einen Rain getroffen habe, auf dem sie sich die Füße ein wenig habe ausruhen können. Um durch ihre Sprache nicht aufzufallen, denn auch sie war häufig schon bewitzelt worden, gewöhnte sie sich, nur wenig zu sprechen, dankte für den Gruß eines Vorbeigehenden nur durch ein Kopfnicken und suchte sich fürsorglich Herbergen aus, die einen anständigen Eindruck machten und doch nicht viel besucht waren. Sie hatte bald herausgefunden, daß der gemeine Mann in England, wenn auch nicht so zuvorkommend und freundlich gegen einen Fremden wie in Schottland, doch nicht offenkundig gegen die Pflichten der Gastfreundschaft verstieß; für ein geringes erhielt sie immer willig Speise und Trank und ein Obdach, und mancher Wirt lehnte auch dieses ab mit den herzlichen Worten: »Ihr habt noch einen langen Weg vor Euch, Jungfer, und etwas aus dem Beutel einer einzelnen Frau zu nehmen, ist meine Sache nicht. Worauf wollt Ihr Euch unterwegs, wenn Ihr allein seid, anders verlassen als auf ihn?« Es kam hie und da auch vor, daß eine Wirtsfrau, von dem bescheidenen Wesen »der netten schottischen Dirne« freundlich berührt, ihr auf eine Strecke jemand zur Begleitung gab oder ihr einen Sitz in einem Gefährt besorgte, das den gleichen Weg fuhr; und ohne daß man ihr Winke für das nächste Nachtquartier gab, wurde sie nirgends weggelassen. In York, wo sie das Glück hatte, in der Gasthofswirtin eine Landsmännin anzutreffen, beschloß sie endlich, einen halben Tag zu rasten, sowohl um neue Kräfte zu sammeln, als um an ihren Vater und an Butler zu schreiben: eine Aufgabe, die für ihre des Schreibens wenig kundige Hand nicht leicht war und ihre Zeit brauchte. Der Brief an den Vater lautete: »Mein teuerster Vater! – Meine Wanderung, von der Ihnen wohl Herr Butler, seinem Versprechen gemäß, Kunde gegeben, wird mir durch den Gedanken um vieles schwerer und drückender, daß ich sie ohne Ihr Vorwissen unternahm. Ich weiß, daß es der Heiligen Schrift widerstreitet, die da sagt: Das Gelübde der Tochter soll sie nicht binden ohne Bewilligung des Vaters«, aber mein Herz war von dem Gedanken ergriffen, daß ich berufen und auserwählt sei, die Schwester aus ihrer höchsten Not zu erretten; sonst würde ich, was ich getan, nicht für die größten Reichtümer der Welt ohne Ihr Wissen und Ihren Willen getan haben. Teuerster Vater! Wenn Sie den Segen des Himmels auf meine Wanderung und Ihr Haus herabrufen wollen, so sagen Sie oder schreiben Sie unserer armen Gefangenen ein Wort des Trostes. Hat sie gesündigt, so hat sie auch schwer gebüßt und gelitten, und Sie wissen besser als ich, Vater, daß, wie uns vergeben werden soll, auch wir vergeben sollen. Nicht böse dürfen Sie mir sein darum, weil ich, was sich nicht ziemt für die Jugend, ein graues Haupt bestimmen will, nach meinen Worten zu tun; aber ich bin so weit entfernt von Ihnen, und mein Herz bangt sich so sehr nach allen daheim, und es geht mir so sehr zu Herzen, daß ich wohl leicht mehr gesagt haben kann, als sich ziemt. Möge des Himmels Segen auf Ihrem Haupte ruhen, teuerster Vater! wenn Sie Ihr Lager aufsuchen oder verlassen, dann gedenken Sie in Ihrem Gebete auch Ihrer ergebenen und Sie aufrichtig liebenden Tochter Jeanie.« In einer Nachschrift meldete sie noch, sie habe von einer braven Frau, der Witwe eines Viehmästers, von einem Mittel gegen Viehkrankheit gehört: »ein Nösel Bier, mit Seife und Hirschhorn gekocht,« das man dem Tier zu schlucken geben müsse, und das gut sei, bei der einjährigen Färse mit dem weißen Kopfe zu versuchen; »wenn es nichts hülfe, schaden könne es nichts.« Dann schrieb sie noch, in London gleich bei der Muhme, der Frau Glaß, einzukehren, deren Laden Zu finden ihr ja nicht schwer fallen werde .. An Reuben Butler schrieb sie so: »Geehrter Herr Butler! – In der Zuversicht, daß dies Blatt Sie bei besserer Gesundheit treffen werde, als ich Sie verließ, schreibe ich Ihnen, daß ich die große Stadt York glücklich erreicht habe und nicht müde vom Gehen, sondern im Gegenteil dadurch frisch und gestärkt bin. Ich habe gar vieles gesehen, wovon ich Ihnen noch zu erzählen hoffe, wie auch von der großen Kirche hier. Rund herum um die Stadt stehen Mühlen, die weder Räder noch Schleusen haben, sondern vom Winde in Gang gesetzt werden, was recht wunderlich anzuschauen ist. Ein Müller hat mich aufgefordert, mir seine Mühle anzusehen, aber ich bin nicht hinein gegangen, bin ich doch nicht dorthin gewandert, mit fremden Leuten Bekanntschaft anzuknüpfen. Ich halte mich auf der Heerstraße, antworte auf Grüße nur durch ein Nicken und spreche nur mit Frauen, die meines Glaubens sind, so viel mir auch daran liegt, ein Mittel ausfindig zu machen, das für Sie gut und heilsam wäre, denn man hört hier von mehr Heilmitteln sprechen, als man in ganz Schottland braucht, sich zu kurieren, und einige davon würden Ihnen sicher helfen. Lieber Herr Butler! Seien Sie fröhlichen Herzens, denn wir befinden uns alle in Dessen Händen, der besser ist als wir und besser weiß, was uns not tut, als wir. Daran, daß mir mein Unternehmen gelingen werde, zweifle ich nicht; ich will an Zweifel gar nicht denken; denn hätte ich nicht die volle Zuversicht in mein Beginnen, wie sollte ich dann das Herz dazu finden, mich in die Nähe so großer Herren mit meinem Flehen zu wenden? Wer aber sein Herz mit Mut wappnet und überzeugt ist, daß er nichts Unrechtes begeht, der findet auch durch den finstersten Tag endlich das Licht. An meine Bitten, den alten Vater und die arme Schwester zu trösten, erinnere ich nicht; denn ich weiß, schon christliche Barmherzigkeit allein wird Sie zu Beistand und Hilfe vermögen, und sie ist mehr wert als alle Bitten Ihrer ergebenen Dienerin Jeanie Deans. Auch dieser Brief hatte eine Nachschrift: »Wenn Sie meinen, mein teurer Reuben, es hätte sich für mich geziemt, Ihnen zärtlichere, liebevollere Worte zu schreiben, so denken Sie immerhin, sie seien geschrieben worden, weil ich Ihnen alles Gute und Liebe so recht von Herzen wünsche. Sie werden denken, daß ich recht verschwenderisch geworden sein müsse, denn ich trage jetzt Strümpfe und Schuhe. Aber hier ist es Brauch so, und barfuß gehen gilt für unanständig oder für ein Zeichen von höchster Armut: es hat eben jedes Land seine Sitten. Aber über nichts werden Sie wohl soviel lachen wie über meinen Strohhut, sieht mein rundes Gesicht darunter doch gerade so aus wie der Mittelchor in unserer Libberton-Kirche. Aber vor der Sonne schützt er vortrefflich und wehrt unanständigen Leuten, einen anzugaffen, wie wenn man eine wirrige Kuh wäre. Von London aus werde ich Ihnen wieder schreiben, wie es mir mit dem Herzog von Argyle geht. Senden Sie mir dorthin ein paar Zeilen, unter der Adresse von Frau Margarethe Glaß, Tabakshändlerin, Laden »zur Distel«, in London. Es wird mir das Herz um vieles erleichtern und meinen Mut um vieles heben, wenn ich höre, daß Sie sich wohl befinden. Meine vielen Fehler in der Schrift und auch meine schlechte Schrift entschuldigen Sie wohl gütigst, denn die Feder taugt nicht viel.« Sie siegelte beide Briefe sorgfältig und brachte sie selbst zur Post, wo sie sich eingehend erkundigte, wann sie nach Edinburg abgingen und dort einträfen. Hierauf folgte sie gern einer Einladung der freundlichen Wirtin zum Essen und erklärte sich auch bereit, ihren Aufenthalt bis zum andern Morgen auszudehnen. Die wackre Frau war, trotzdem sie schon jahrelang den Gasthof zu den sieben Sternen in York führte, noch immer von all den vielen wunderlichen Vorurteilen ihrer Heimat erfüllt und bewies Jeanie darum auch so große Herzlichkeit, weil sie, wie Jeanie, aus Midlothian stammte; sie hatte soviel Teilnahme an der weiten Wanderung, die das Mädchen vorhatte, und erwies ihr soviel Gutes und Liebes, daß Jeanie, bei aller Vorsicht ihres Naturells, sich das Herz faßte, ihr alles zu offenbaren, was sie zu diesem Wagnis, zu Fuß von Edinburg bis London zu gehen, bestimmt hatte. Frau Bickerton – so hieß die brave Frau – schlug über all diesen schrecklichen Dingen die Hände über dem Kopfe zusammen; als sie sich aber wieder gesammelt hatte, gab sie Jeanie noch vielen guten Rat, fragte auch, wie es um ihre Geldmittel bestellt sei, die freilich zufolge der Spende, die sie ihrem Freunde Butler in die Heilige Schrift gelegt, und der Ausgaben für den Strohhut bereits bis auf fünfzehn Guineen zusammengeschmolzen waren. Die Wirtin meinte, »wenn sie es sicher bis London brächte, möchte es wohl reichen,« und als Jeanie darauf sagte: »Sicher bis London?. O, außer dem Notwendigsten unterwegs will ich keinen Heller davon verausgaben, und es gewiß auch sicher aufbewahren.« »Das glaube ich schon, mein Kind,« erwiderte die Frau, »aber die Straßenräuber und Wegelagerer zwischen hier und London! Bis jetzt hat Sie der Weg durch Land geführt, das von Zivilisation und größeren Ansprüchen ans Leben wenig oder gar nichts weiß, das wird aber hier anders, denn wir haben der Leute leider gar viel, die das viele, was sie zur Lebensführung brauchen, durch ihrer Hände Arbeit nicht zu verdienen imstande sind. Da versuchen sie es nun auf unredliche Weise, und ich weiß wirklich nicht, wie Sie sich weiterhin durchschlagen werden. Ja, könnten Sie acht Tage warten, da fahren unsre Wagen herauf, und ich könnte Sie dem John Bradwell anvertrauen, der Sie bestimmt in den Schwan mit doppeltem Halse nach London bringen würde. Aber nehmen Sie meinen Rat wahr, liebes Kind, und nähen Sie sich ihr Gold in ihr Leibchen ein und behalten sie in der Tasche bloß ein paar Guineen und das bißchen Silbergeld; denn an der Grenze von Pertshire, wenige Tagereisen von hier, treibt sich eine wilde Bande umher, der nichts Gutes zuzutrauen ist. Und wenn Sie in London sind, dann dürfen Sie auch nicht herumstehen und gaffen und fragen, ob jemand den Laden zur Distel wisse. Das machen Sie ja nicht, denn da würden Sie schön ausgelacht werden, und man würde gleich merken, daß Sie eben erst aus der Provinz kommen, und alles versuchen, Sie irre zu führen und zu bestehlen. Hier haben Sie die Adresse von einem ehrlichen Manne, der wohl alle ehrsamen Schotten kennt, die sich in London aufhalten; der wird Ihnen sicher sagen, wo Sie Ihre Verwandte antreffen.« Jeanie bedankte sich bei der Frau aufs herzlichste; aber durch ihre Rede von Straßenräubern und Wegelagerern war sie so erschrocken und beunruhigt, daß sie nahe daran war zu weinen. Da aber fiel ihr ein, daß sie schon Ratcliffe vor ihnen gewarnt hatte, und sie zeigte der Wirtin den wunderlichen Paß, den ihr dieser gegeben. Frau Bickerton klingelte nicht – denn Klingeln kannte man damals noch nicht, sondern setzte eine kleine silberne Pfeife an den Mund, worauf eine Magd in die Stube trat. »Ruf mal den Aufwärter!« sagte Frau Bickerton. – Ein häßlicher Wicht mit verschmitzten Schielaugen und einem lahmen Beine zeigte sich auf der Schwelle. »Dick,« sagte die Wirtin zu ihm, »Du weißt ja auf der Landstraße Bescheid?« »Kennst Du vielleicht so ein Ding wie das hier?« fragte Frau Bickerton und zeigte ihm das von Ratcliffe bekritzelte schmutzige Papier. Der Aufwärter blinzelte, zog den Mund von einem Ohre bis zum andern, kratzte sich den Kopf und sagte: »Kennen? Hm, freilich, sofern es ihm keinen Schaden bringt.« »Ihm Schaden?« fragte die Wirtin, »keineswegs, Dick; aber Dir soll's ein Glas Branntwein bringen, wenn Du uns sagst, wie es sich darum verhält.« – »Nun, dann darf ich schon sagen, daß diesseits von Stafford jeder ordentliche Kerl auf der Heerstraße James Ratcliffes Paß kennt und ihn auch gelten lassen wird.« »Aber was ist das für ein Mensch, James Ratcliffe?« fragte die Wirtin, »ich höre den Namen doch zum ersten Male.« »Ja, was weiß ich?« antwortete der Aufwärter, »gemeinhin heißt er Väterchen Kliff und war in den letzten zwölf Monaten im Norden Hahn im Korbe, zusammen mit einem, den sie den schottischen Wilson nannten oder Andie Dandie; aber seit einiger Zeit ist er außer Landes, soviel ich weiß; sein Paß gilt aber trotzdem bei allen!« Frau Bickerton gab ihm das versprochene Glas Branntwein, das er mit einem Zuge leerte, und ließ ihn gehen. »Ich rate Ihnen, liebes Kind,« sagte sie zu Jeanie, »jedem groben Gesellen, den Sie treffen, das Stück Papier zu zeigen und es nicht aus den Händen zu lassen; es wird Ihnen sicher von Nutzen sein.« Ein bescheidenes, aber kräftiges Abendbrot beschloß den Tag. Frau Bickerton aß tüchtig und trank ein Paar Krüge kräftigen Bieres dazu, setzte ein gutes Glas Negus darauf und klagte vorm Zubettgehen Jeanie ihr Leid, daß sie seit Jahren schon von schwerer Gicht geplagt sei, ohne zu wissen, woher sie solche Krankheit habe, von der sie doch, so lange sie oben im Schottischen gewesen sei, nie etwas gespürt habe, und von der in ihrer ganzen Familie, bis zu ihren Urvätern hinauf, nie ein Wort geredet worden sei. Jeanie hielt sich nicht für berechtigt, gegen die freundliche Frau über die Gründe, die ihrer Meinung nach die Krankheit habe, sich auszusprechen, beschränkte sich aber, trotz allem Zureden, auf ein wenig Gemüse und ein Glas frischen klaren Quellwassers. Von Bezahlung wollte Frau Bickerton nichts hören, legte ihr nochmals ans Herz, mit dem Gelde recht vorsichtig zu sein, und sagte ihr, da sie so früh, wie Jeanie aufbrechen wollte, nicht auf den Beinen sein werde, aufs herzlichste Lebewohl. Fünftes Kapitel Als unsre Wandrerin am andern Morgen in aller Frühe aus dem Gasthof trat, fand sie Dick schon vor der Tür, der also entweder gar nicht zu Bett gegangen sein konnte oder mit dem ersten Hahnenschrei aufgestanden sein mußte. »He, guten Morgen, Mamsellchen!« rief er ihr nach, »nimm Dich in acht vor den Gunersbury-Felsen; wenn auch Robin Hood schon ins Gras gebissen hat, so fehlt's doch im Bewer-Tale noch lange nicht an Raubvögeln aller Art!« Jeanie sah ihm, wie wenn sie auf nähere Aufklärung warte, ängstlich ins Gesicht, aber Dick wandte sich mit listigem Seitenblicke zu seinen dürren Pferden und trällerte, während er sie mit der Striegel bearbeitete: Der Robin war ein tapferer Schütz, Sein Pfeil schoß wie ein Feuerblitz, Und hieß Dich der Robin Rede stehn, Warum soll's Dir von uns aus besser geschehn? In dem Wesen des Burschen lag nichts, was sie zur Fortsetzung der Unterhaltung hätte reizen können, und so setzte sie ihren Weg munter fort. Ein mühseliger Marsch brachte sie bis Ferrybridge, dem besten Gasthofe, damals wie jetzt, auf der Straße nach London von Norden her. Der Brief der Frau Bickerton, im Verein mit ihrem freundlichen schlichten Wesen, gewann Jeanie das Herz auch dieser Wirtin, die ihr günstige Gelegenheit verschaffte, mit einem Rückpostpferde bis Tuxton zu reiten, so daß sie am zweiten Tage von ihrem Aufbruch von York die größte Strecke bezwang, die sie bisher hatte hinter sich bringen können. Aber diese ungewohnte Art zu reisen, hatte sie so angegriffen, daß sie erst weit später als sonst am andern Morgen imstande war, ihre Wanderung wieder aufzunehmen. Um 9 Uhr hatte sie die Ruinen des Newarker Schlosses hinter sich. Daß Jeanie kein Verlangen fühlte, sich in dem altertümlichen Bauwerk umzusehen, wird mir der Leser gern glauben, der meiner Charakterschilderung dieses eigentümlichen Mädchens gefolgt ist. Sie begab sich vielmehr nach dem ihr in Ferrybridge empfohlenen Gasthause, und während sie sich hier an einem Glase Milch erfrischte, trat die Magd, die sie bediente und mit aufmerksamen Blicken gemustert hatte, zu ihr und fragte sie, ob sie nicht aus Schottland sei und Deans heiße und unterwegs nach London in Gerichtsangelegenheiten sei? Bei aller Schlichtheit ihres Charakters gebrach es ihr doch nicht an der den Schotten auszeichnenden Eigenschaft, vorsichtig im Umgange mit Menschen zu sein, die er zum ersten Male sieht, und sie begehrte von dem Mädchen, ehe sie ihm Antwort gab, zu wissen, wie sie zu diesen Fragen komme? Darauf sagte das Mädchen, es seien am Morgen ein paar Weiber hier gewesen, auch auf Wanderung begriffen, die sich nach einem Mädchen mit Namen Jeanie Deans bei ihr erkundigt und sie ihr genau beschrieben hätten. Was sich der Mensch nicht erklären kann, hat immer etwas Beängstigendes für ihn, und so erging es auch Jeanie. Sie befragte sich umständlich nach den beiden Weibern, konnte aber von dem Mädchen nichts weiter in Erfahrung bringen, als daß die eine davon eine sehr alte, die andere noch eine junge Person gewesen sei, und daß beide Schottisch gesprochen hätten. Dadurch wurde Jeanie um nichts klüger; und von einem unerklärlichen Angstgefühl befallen, entschloß sie sich, bis zur nächsten Ortschaft Postpferde zu nehmen; da aber im Augenblick keine zur Stelle waren und der Knecht, der sie bringen sollte, lange auf sich warten ließ, besann sie sich eines andern, schämte sich ihrer Furchtsamkeit und setzte ihre Wanderung fort, zumal man ihr sagte, es sei bis kurz vor Grantham, dem nächsten Nachtquartier, das sie machen müsse, gerader Weg; dort aber käme sie an einem großen Berge, dem Gunersbury, vorbei. Darüber war Jeanie fast froh, denn Berge, sagte sie, hätte sie schon tagelang nicht mehr gesehen, und als sie den letzten blauen Gipfel aus dem Gesicht verloren, wäre es ihr zu mute gewesen, als ob der letzte Freund von ihr gewichen sei. »Na, Jungfer,« sagte der Wirt, der gerade hinzutrat, »wenn Sie auf Berge so versessen sind, dann nehmen Sie sich nur den Gunersbury in Ihrem Bündel mit; wir würden froh sein, wenn wir ihn los wären, denn er ist der Ruin für all unsre Postpferde. Viel Glück zur Weiterreise! Sie scheinen ja ein mutiges Ding zu sein, aber ein bißchen Mut werden Sie schon brauchen können.« »Hoffentlich treffe ich keine bösen Menschen dort?« fragte Jeanie. »Na, Gott geb's,« erwiderte der Wirt, »aber Mangel hat's dort nicht daran, das dürfen Sie mir schon glauben. Wie Vater Kliff noch da war, haben sie bessere Zucht gehalten, jetzt marodiert jeder auf eigne Rechnung, und seitdem ist's gar schlecht geworden hierzulande. Nun, Kind, nehmen Sie einen guten Schluck mit auf den Weg. Vor Mitternacht werden Sie kaum was anderes als einen Trunk Wasser finden.« Jeanie lehnte dankend ab und fragte, was sie schuldig sei? »Schuldig?« rief der Wirt und wollte sich ausschütten vor Lachen, »na, das wär noch schöner! Sie haben ja kaum was verzehrt, und wenn man im Sarazenenkopfe für eine schmucke Jungfer, die nicht 'mal eine christliche Sprache redet, nicht ein Stück Brot und einen Schluck Bier mehr übrig hätte, dann täte er gescheiter, auf der Stelle einzupacken! Also noch einmal und ein andres Mal, denn aller guten Dinge sind drei, auf Ihr Wohl, liebe Jungfer, und dann Gottes Segen auf den Weg!« Jeanie nahm von dem treuherzigen Gastwirte Abschied und setzte ihren einsamen Weg fort, hatte aber die öde Ebene, die sich am Fuße des Gunersbury dehnt und die, von Sumpf und Morast, dazwischen Gestrüpp und Buschwerk bedeckt, dort eine Art Bruch bildet, noch immer nicht hinter sich gebracht, als sich die Dämmerung einstellte. Von unsäglicher Angst vor Räubern und anderm schlimmen Gesindel befallen, beflügelte sie ihre Schritte, als sie Pferdetrab hinter sich vernahm. Unwillkürlich trat sie so weit auf die Seite, als der Sumpf neben der Straße ihr erlaubte; sie hoffte, ungesehen zu bleiben, aber als das Pferd näher kam, erkannte sie, daß ein paar Weiber drauf saßen, die eine auf einem Quersattel, die andere auf einem Reitkissen. »Ei, guten Abend, Jeanie Deans,« rief ihr die vorderste zu, indem sie das Pferd ein wenig anhielt; »was sagst Du denn zu dem stattlichen Berge, der mit der Spitze zum Monde reicht? Meinst wohl, das sei das Himmelstor? Hinauf willst Du ja, nicht wahr? Na, vielleicht kommen wir heute nacht noch hin! Wenn bloß die Mutter nicht so faul wäre!« Während die, die so gesprochen, sich mit halbem Leibe nach ihr herumdrehte, trieb die andere und, wie Jeanie jetzt sah, die ältere, sie zur Eile an. »Still doch,« rief sie ihr zu, »mondsüchtiger Balg! Was scherst Du Dich um Himmel oder Hölle?« »Freilich, Muttchen, was schert man sich drum! was um den Himmel, wenn man Dich hinter sich hat; was um die Holle, wohin man immer kommt zur rechten Zeit, fürs Feuer bereit, und zum ewigen Streit! Na, Hengstchen, trab, trab, trab! Renne, als seist du der Besenstiel, auf dem zwei Hexen galoppieren! Mit der Mütze am Fuß und dem Schuh auf der Hand, juchhe! Jag ich als Flamme durch Busch und Land, juchhe!« Der Pferdetrab und die zunehmende Distanz erstickten den weiteren Gesang, aber noch eine ganze Zeitlang schallten die wilden, abgerissenen Töne über die Einöde her zu ihren Ohren. Von tausend bangen Besorgnissen gequält, blieb sie wie betäubt zurück. Sich in fremdem Lande auf so seltsame Weise, von so seltsamem Wesen ohne weitere Erklärung bei ihrem Namen gerufen zu hören, kam ihr schier übernatürlich vor. Sie setzte aber ihren Weg fort, und ihr gutes Gewissen, wie ihr Vertrauen auf die gute Sache, der sie diente, hatten ihr bald die Ruhe wieder gegeben, als sie gleich nachher wieder in Schreck und Angst gesetzt werden sollte. Aus einem Gebüsch neben der Straße sprangen zwei Männer hervor und traten ihr drohend in den Weg. Der eine, ein gedrungener, kräftiger Mensch, in einem schmutzigen Mantel, wie ihn Fuhrleute tragen, schrie sie an: »Steht und ergebt Euch!« Der andere, eine große, hagere Figur, sagte: »Was weiß das Weib von unserm Komment? Sprich deutlich: Geld her, Dirne, oder das Leben!« »Ich habe wenig Geld, meine Herren,« antwortete die arme Jeanie, ihnen das wenige reichend, das sie von ihrer eigentlichen Barschaft geschieden und für solchen besonderen Fall bereit hielt! »doch wenn Sie es mir armen Frauensperson nehmen wollen, dann muß ich es schon geben.« »Das langt nicht, Dirne,« rief der andere wieder, »oder meinst Du, wir trügen unsre Haut zu Markte um solcher Lappalie willen? Jeden Silberling wollen wir haben von Dir, und wenn Du nicht alles, was Du bei Dir führst, gutwillig herausrückst, dann ziehen wir Dich aus bis aufs Hemde!« Sein Kamerad schien mit der Todesangst, die sich in Jeanies Gesicht malte, Mitleid zu haben. »Nein, Tom,« sagte er, »das ist eine von den frommen Puritaner-Dirnen, der man aufs Wort glauben darf. Ich will Dir was sagen, Du,« rief er, dicht an sie herantretend, »guck mal zum Himmel 'nauf und sag, Du hättest keinen Heller weiter, und wir lassen Dich frei laufen.« »Alles, was ich bei mir habe,« antwortete Jeanie, »kann ich Ihnen nicht geben, denn von meiner Wanderung hängt Tod und Leben eines Menschen ab. Wenn Sie mir aber soviel lassen wollen, um bei Brot und Wasser mich weiter zu schleppen, so will ich mich drein finden und Ihnen danken und für Sie beten.« »Dein Gebet soll der Teufel holen,« rief der erste wieder, »auf solche Münze pfeifen wir hier!« und er machte eine Bewegung, wie wenn er Jeanie packen wollte. In dieser äußersten Not fiel ihr Ratcliffes Zettel ein. »Haltet!« rief sie; »kennt ihr das?« »Von Vater Kliff,« sagte der Große, nachdem er den Paß angeguckt hatte, »wir müssen sie frei passieren lassen.« »Das wäre!« rief der andere, »Ratcliffe ist ein Abtrünniger geworden, ein Bluthund.« »Aber nützen kann er uns allemal noch,« sagte der andere. »Und was sollen wir machen?« fragte der andere; »haben wir nicht versprochen, die Dirne bis aufs Hemd auszuplündern und in ihr Bettelland zurück zu spedieren? Jetzt kommst Du damit, sie laufen Zu lassen?« »Das nicht,« erwiderte der andere, seinem Kameraden etwas ins Ohr flüsternd, worauf der sagte: »Na, dann tummle Dich und schwatz nicht länger, sonst werden wir gar noch hier erwischt.« »Du mußt mitkommen,« fuhr der erste jetzt Jeanie an. »Gott im Himmel!« rief das Mädchen, »wenn Ihr vom Weibe geboren seid, dann seid menschlich! Haltet mich nicht auf, sondern nehmt lieber alles, was ich habe.« »Wovor hat das Frauenzimmer Dampf?« fragte der andere wieder; »es soll ihr ja nichts passieren? wenn sie aber nicht parieren will, so schlage ich ihr den Schädel ein!« »Tom, Du bist ein rauher Grobian. Ich sage Dir, wenn Du sie anrührst, so schüttle ich Dich, daß Dir die Knochen knacken.. Schere Dich nicht weiter um ihn, Kind,« wandte er sich an Jeanie; »ich leide nicht, daß er Dich mit einem Finger anrührt, sobald Du ruhig mit uns mitkommst. Willst Du uns aber noch länger aufhalten, dann mag er sehen, wie er mit Dir zurecht kommt.« Jeanie, entsetzt durch diese Drohungen, erblickte in dem Anerbieten desjenigen von beiden, der ihr als der mildere erschien, ihren einzigen Schutz gegen die roheste Behandlung, der sich ein Weib ausgesetzt sehen kann. Sie folgte ihm nicht bloß, sondern hielt ihn fest am Arm, damit er sie nicht im Stiche lasse; jener aber, ein so verhärteter Bösewicht er sein mochte, schien durch solchen Beweis von Zutrauen gerührt zu werden und versicherte wiederholt, daß er nicht litte, daß ihr irgendwelches Leid geschehe. Eine halbe Stunde lang marschierten sie nun zu dritt, die Straße verlassend, auch das Gebüsch meidend, auf einem Seitenwege bis zu einer alten, einsam gelegenen Scheune, die aber, wie man an dem herausschimmernden Lichtstrahle sah, bewohnt war. Einer der beiden Räuber klopfte an das Tor. Ein Weib öffnete, und sie traten mit der unglücklichen Gefangenen ein. Ueber einem Steinkohlenfeuer bereitete eine andere Frau eine Mahlzeit. Sie sah auf, und Jeanie sah, daß es die Alte war, die am Abend an ihr vorbeigeritten war. »Warum bringt ihr den Balg hierher?« keifte sie; »warum habt ihr sie nicht ausgeplündert und die Straße zurückgejagt?« »Ruhig, Blutmutter!« sagte der Lange, »wir tun Euch gern zu Gefallen, was angeht; aber nicht mehr schlecht sind wir zwar, aber so schlecht doch nicht, wie Ihr uns gern macht. Eingefleischte Teufel sind wir doch eben noch nicht!« »Sie hat einen Paß vom Ratcliffe,« sagte der andere, »und Frank will's nicht leiden, daß man sie mißhandelt.« »Nein, ich leide es auch nicht,« antwortete Frank, »wenn aber die alte Blutmutter sie hier eine Zeitlang festhält und dann wieder nach Schottland schafft, so sehe ich weiter nichts Schlimmes dabei.« »Ich will Dir was sagen, Frank Lewitt,« keifte die Alte, »nennst Du mich noch einmal Blutmutter, dann tauch ich das Messer da« – und sie hielt drohend das Messer hoch, mit dem sie an dem Feuer hantiert hatte – »in Dein bestes Leibesblut!« »Hoho!« rief Frank lachend, »es muß im Norden jetzt faul stehen, daß unsre Blutmutter bei so schlechter Laune ist!« Kaum war das Wort aus seinem Munde, so flog, von dem wilden Weibe geschleudert, das Messer auf ihn zu. Sie hatte gut gezielt, das Messer flog dicht an seinem Ohr vorbei und blieb hinter ihm in der Lehmwand stecken; nur durch eine schnelle Bewegung des Kopfes war er dem tödlichen Wurfe ausgewichen. »Heda, Mutter!« schrie er, sie bei beiden Armgelenken packend, »es wird gut sein, Dir wieder zu zeigen, wer hier Herr ist.« Er stieß die Alte mit solcher Gewalt rückwärts, daß sie auf ein Strohbund sank. Jetzt gab er ihr zwar die Hände frei, hielt ihr aber den Finger drohend entgegen, in der Weise etwa, wie ein Wärter eine Irrsinnige in Respekt hält. Der Eindruck, den er beabsichtigte, blieb nicht aus, denn sie getraute sich nicht, aufzustehen, sondern rang nur ihre magern, runzligen Hände in ohnmächtiger Wut und schrie und heulte wie eine Besessene. »Mein Wort will ich halten, alter Teufel!« rief der Mann, den sie Frank Lewitt genannt hatte, »die Dirne soll nicht weiter nach London hin wandern; aber Ihr krümmt ihr kein Haar, das sage ich Euch.« Durch dieses Versprechen aus seinem Munde schien die Alte ruhiger zu werden, und während sich ihr Geheul zu einem schwachen Gebrumm wandelte, bekam die seltsame Gesellschaft Zuwachs durch eine neue Person, eine jüngere Frau, die mit einem Satz vom Scheunentore bis zwischen die um das Kohlenfeuer gescharte Gruppe sprang. »Oho, Frank Lewitt!« rief sie, »Du willst doch nicht unsre Mutter erschlagen? Oder der Sau, die Tom heut früh gebracht hat, die Ohren absäbeln? oder hast Du Dein Abendgebet rückwärts gelesen, um meinen alten guten Freund, den Papa Satan, herzurufen?« Gleichwie Jeanie schon vordem die Alte erkannt hatte, so erkannte sie jetzt an der seltsamen Rede der Hinzugekommenen die andere der beiden Frauen, die auf der Straße an ihr vorbeigeritten waren und die närrischen Verse gesungen hatte; und der Leser wird nicht ermangelt haben, in ihr die Zigeunerin zu erkennen, deren Bekanntschaft er im ersten Bande gelegentlich des Porteous-Krawalls gemacht hat. »Heda! Und wen habt Ihr denn da?« schrie sie, Tom beiseite schiebend, der aus einem zerbrochenen Geschirr Branntwein trank und auf die Alte schimpfte und die andere zu allen Teufeln wünschte – »ich glaub gar, die Tochter vom frommen David Deans aus Sankt-Leonard? Was will denn die bei nachtschlafender Zeit in unsrem Zigeunerstalle? Ist das ein Anblick für so heilige Augen? Wie tief sind doch die, so da selig in Gott sind, gesunken, meine Herren! Und die andere Schwester, die im Kerker von Edinburg? Mir tut sie ja leid, das muß ich sagen; und ich hab ihr nicht übelgewollt, sondern die Mutter, wenngleich ich auch Ursache genug dazu hätte.« Als sie fertig war, tanzte sie zu Jeanie hin, um sie sich genau zu begucken; Jeanie aber, so entsetzt sie über all das Ungeheuerliche war, das ihre Augen hier sahen, beobachtete doch alles aufs schärfste, fest gewillt, sich keine Gelegenheit zur Flucht und auch nichts, was sie über ihre Lage und die ihr drohenden Gefahren aufklären könnte, entgehen zu lassen. »Madge,« sagte der Lange, sich an die Tanzende wendend, »soviel Satansblut wie die Mutter, die Deine Großmutter sein könnte, hast Du nicht im Leibe; nimm das Mädel mit in Deine Kammer und laß selbst den Satan nicht hinein, und sollt er's gleich im Namen Gottes verlangen.« »Ja, Frank,« antwortete Madge, Jeanie am Arme fassend und hinter sich herziehend, »das tu ich, denn für ein paar anständige Dinger, wie uns beide, ziemt es sich nicht, mit Tom und andern von Deinem Kaliber in solcher nächtlichen Stunde Gemeinschaft zu halten. Also schönste gute Nacht, meine Herren, und noch mehr schöne gute Tage! Schlaft, bis euch der Henker weckt, bis Satan euch am Ohre neckt, da bleibt das Land doch ohne Plage.« Dem Impuls folgend, den ihre gestörte Phantasie ihr eingab, tanzte sie ehrbarlich zu ihrer Mutter hin, die, vom Schein des Kohlenfeuers getroffen, mit ihren greisen, von wilden Leidenschaften zerrissenen Zügen ganz so aussah wie Hekate am Höllenfeuer, ließ sich plötzlich auf ein Knie vor ihr nieder und flehte, Ton und Art eines kleinen Kindes annehmend: »Lieb Mütterchen, will Babeichen machen, will beten; komm, Mütterchen, segne mich und sprich, wie Du es früher getan – aber das ist schon lange her – Gott behüte Dein hübsches Gesichtlein!« »Soll Dir Satan die Haut davon ziehen und sich die Schuhe damit besohlen, Du Luder!« schrie die Alte und wollte der vor ihr Knieenden mit der Faust ins Gesicht einen Denkzettel zeichnen; aber diese, wahrscheinlich durch Erfahrung klug gemacht, wich dem Schlage klug und geschickt aus. Nun sprang die Hexe auf und griff nach einer Feuerzange, und wäre nicht Frank Lewitt neuerdings ihr in den Arm gefallen, so hätte sie ihre Absicht, der Tochter oder Jeanie das Gehirn einzuschlagen, sicher ausgeführt. »Madge!« rief er, »scher Dich Und nimm sie mit, die Muckerdirne! Verkriech Dich in Deine Höhle, sonst setzt's hier noch einen Teufelsspuk. Und Du, verdammtes Rabenaas!« herrschte er die Alte an; »nur einmal noch muckse Dich in meiner Gegenwart! und ich zerbreche Dir ein Paar von Deinen Satanskrallen!« Madge befolgte den Rat und schlüpfte, Jeanie hinter sich her zerrend, in einen im Hintergrunde der Scheune angebrachten Verschlag, worin ein paar Schütten Stroh lagen. Durch einen weiten Spalt in der Decke drang der Mond und beleuchtete einen Packsattel, ein Reitpolster und ein paar Felleisen, die Reisegerätschaften von ihr und ihrer Mutter. »Hast Du schon 'mal in Deinem Leben solch feines Schlafzimmerchen gesehen? Sieh nur, wie der Mond auf das frische Stroh blinkt. Ist sein süßer Strahl nicht kühl und labend? Im ganzen Narrenspital gibt's kein so schmuckes Kämmerchen, so stattlich auch das Haus von außen aussieht. Hast Du schon mal im Narrenhause gesteckt, Jeanie Deans?« Jeanie fühlte bei der Frage, wie ihr ein Schauer durch die Glieder rann. Mühsam stieß sie ein mattes Nein! hervor, um die kranke Person nicht zu reizen, denn in ihrer schrecklichen Lage gewährte ihr die Anwesenheit selbst solcher Wahnsinnigen einen gewissen Schutz. »Was Du sagst! Noch niemals im Tollhause? Na, es scheint fast, als schickten die dummen Michel vom hohen Rate von Edinburg bloß mich, und sonst niemand, hinein! Sie müssen's doch recht auf mich abgesehen haben! Aber weißt Du, Jeanie, verloren hast Du nichts dabei,« rief sie vertraulicher, »der Wärter ist ein bissiger Hund und macht einem den Ort zur Hölle, wenn man ihm nicht aufs Wort pariert. Ich hab ihm zwar oft genug ins Gesicht geschrieen, er sei der schlimmste Narr im ganzen Narren-Hause. Heidi! Was machen denn die da drin für Spektakel? Laß keiner sich's beikommen, den Fuß hier über die Schwelle zu setzen! So was schickt sich nicht, meine Herren! Ich setz mich mit dem Rücken vor die Tür, und mich da wegzubringen, soll keinem glücken!« »Madge! Madge! Madge Wildfire!« schrieen die Männer draußen, »wo hast Du den Gaul gelassen?« »Er ist beim Fressen, das arme Biest!« antwortete Madge. »Beim Fressen?« fragte der wildere der beiden, »was soll das heißen, Kanaille? sag, wo Du den Gaul hast, oder es ist um Dich geschehen!« »Er steckt in Gaffer Gabblenwoods Weizenfeld, und das ihr Kerle, kennt ihr doch, gelt?« versetzte sie, lachend. »Im Weizenfeld, verrücktes Balg?« schrie Tom im wildesten Grimm. – »Ja doch, mein feiner Galgenstrick! Lauf nur zum Dick! Was kann der Weizen dem Gaule schaden?« »Schwatz keinen Unsinn, Madge,« rief jetzt Frank, »dem Gaule ja nicht, aber uns kann's schaden, wenn morgen das Biest auf fremder Leute Grund und Boden angetroffen wird. Geh, Tom, und schaff's her! Aber laß keine Spuren hinter Dir! Hörst Du?« »Na, da haben wir's! Ich muß zuletzt immer den Packesel machen,« brummte Tom. »Marsch, Du Faultier! Hast nun lange genug die Glieder geruht!« rief der andre, worauf Tom ohne weitere Einwände aus der Scheune ging. Mittlerweile hatte sich Madge eine Stelle auf der Strohschütte zum Schlafen hergerichtet, saß aber noch immer, mit dem Rücken gegen die Tür gelehnt, so daß sie, da die Tür nach innen zu aufging, den Eingang durch das Gewicht ihrer Person versperrte. »List hilft durchs Leben, Jeanie, und Mausen auch,« schwatzte sie, »wenn's auch die Mutter nicht glauben mag. Wer käme wohl auf den Einfall, den Rücken als Riegel zu brauchen? Stärker sind ja die Riegel im Kerker von Edinburg freilich! Einen so tüchtigen Schmied wie in Edinburg scheint's wirklich nirgendswo mehr zu geben. Was für Stangen und Schlösser und Angeln und Riegel der schmieden kann! O, und die Zwangsjacken, die er macht, sind auch nicht schlecht! Teufel! schneiden einem die in die Knochen! Die Mutter hat 'mal einen prächtigen Zwangsgurt gehabt. Ach, wie gern hätt ich Kuchen drauf gebacken für meinen kleinen Balg! Die wären doch sicher schön knusprig geworden! Aber, Jeanie! sterben müssen wir ja doch alle 'mal! da hilft alles nichts.. Ihr Puritaner seid doch rechte Schafsköpfe! stellt euch den Himmel vor wie eine Hölle; bloß damit ihr die Erde nicht gar so ungern verlaßt! Aber das Narrenhaus, wovon ich eben gesprochen, Jeanie, das rat ich keinem, keinem, Jeanie! und ich will weder Gutes davon reden noch Böses! Aber Du kennst doch das feine Lied: Ich saß in dunkler Narrenzelle, Ums Handgelenk klirrte die Schelle, Ich war noch keine zwanzig alt, Da hat mir die Peitsche ums Ohr schon geknallt! Da mußt ich fein fasten und beten, Fein zupfen und stampfen und kneten, Da mußt ich sein beten und fasten, Fein sputen, fein schuften, fein hasten. rallala! Trallala! Jup heidi, jup heida! Jeanie, schade, daß ich heut ein bißchen heiser bin und nicht, wie sonst, fein singen kann! Aber komm, wir wollen jetzt schlafen!« Sie ließ den Kopf auf die Brust sinken, und Jeanie, die sich auch nach einem Augenblick Ruhe sehnte, um über Flucht und Mittel dazu zu sinnen, vermied ängstlich jede Störung. Aber Madge hatte kaum einige Minuten genickt, so kam der unstete Geist wieder über sie. Den Kopf emporrichtend, schwatzte sie, aber leiser, bis zuletzt die Ermüdung der ungewohnten Reise zu Pferde sie übermannte und ihre Stimme zu einem bloßen Lallen machte. »Weiß gar nicht, was mich heut so müde macht! Schlaf doch auch sonst erst, wenn Mond vom Himmel lacht. Und nun tritt er gar voll ans Firmament mit seinem großen silbernen Wagen, ach! wie oft ich da lustig getanzt, das ist nicht zu sagen! Aber es kamen auch Tote gesprungen, haben gar wohl mitgesungen, zum Beispiel John Porteous und noch einer, den ich gar gut gekannt hab, ein kleiner, lieber Kerl ist's gewesen, aber die hab ich bloß, als ich lebte, gekannt, war nämlich 'mal tot schon, Du dummer Fant!« Und nun sang die Irre mit leiser Stimme, und doch gar wildem Klange: Fern überm Meer auf dem Kirchhofe ruht Mein bleichendes Gebein, Und was sich mit Dir jetzt unterhält, Ist bloß der Geist allein! »Aber, Jeanie!« faselte sie weiter, »es weiß eigentlich niemand, was tot ist und was lebt, wer im Feenland oder hienieden wandelt. Dann und wann glaub ich, mein Kind sei tot, sie haben's begraben, mit Wangen so rot, ach! wie oft hab ich's geschaukelt auf meinen Knien, seit sie es haben begraben! und hätt ich's je wieder können anziehn, wenn's gewesen wär tot mit Wangen so rot? Nein, Jeanie, nein! So was kann ja nicht sein!« Da war es plötzlich, als träte etwas aus ihren Tränen deutlicher hin vor sie; denn sie schrie auf einmal auf: »Ach! weh mir! weh!« Dann aber versank sie endlich, unter Flüstern und Schluchzen, in festen Schlaf, wie ihr tiefes Atemholen verriet, und Jeanie sah sich mit ihren trüben Betrachtungen allein. Sechstes Kapitel Jeanie erkannte bald, so trübe auch das Licht war, das durch den Spalt in ihren Verschlag fiel, daß es von hier kein Entrinnen gab. Freilich war oben in der Wand eine Luke, aber sie war so schmal, daß es unmöglich war, sich hindurchzuzwängen, selbst wenn es ihr hätte gelingen können, bis dort hinauf zu klettern. Mißglückte die Flucht, so mußte sie sich schlechterer Behandlung gewärtigen, als sie schon hatte, und ehe sie also solches Wagnis unternahm, hielt sie es für klüger, eine günstigere Gelegenheit zu erspähen. In dieser Absicht näherte sie sich der Lehmwand, die den Verschlag von der großen Scheune schied; einen Spalt in derselben, den ihr Auge zufällig fand, suchte sie nun mit den Fingernägeln behutsam zu erweitern, um einen Blick auf die Alte und auf die Räuber zu gewinnen. Bei der halberloschenen Glut saßen sie in eifriger Unterhaltung, die schreckliche Alte und der wilde Mann. Der Anblick machte ihr das Blut gerinnen, denn ein Gesicht übertrumpfte das andere in seinem Ausdrucke verhärteter Bosheit und Tücke. Aber ihr Gottvertrauen hielt Jeanie aufrecht und bei klarem Verstande. Sie gedachte der Worte des heiligen Sängers: »Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken, daß er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.« Und so gewann sie, trotz der Qual ihrer Lage, Fassung genug, den größten Teil des für sie bedeutungsvollen Gesprächs der beiden grausen Menschen zu belauschen, so leise dasselbe geführt wurde und so sehr es durchsetzt war mit Rotwelschworten. »Du siehst, Weib,« sagte Frank, »daß ich Dein wahrhafter Freund bin. Daß Du mir damals die Feile zustecktest, die mir den Weg aus dem Loche in York zur Freiheit bahnte, vergeß ich Dir nicht; und Deinen Auftrag hab ich ausgeführt, ohne nach den Gründen zu fragen. Eine Liebe ist der andern wert. Madge, die immer wie ein Satan spektakelt, ist jetzt still, und Tom ist auf der Suche draußen nach dem Klepper. Den Augenblick, wo wir allein sind sollst Du wahrnehmen, mir reinen Wein darüber einzuschenken, wie es sich mit der Muckerdirne verhält, denn der Satan soll mir in den Brägen fahren, wenn ich leide, daß ihr was Uebles angetan werde, zumal sie vom Vater Kliff den Reisepaß bekommen hat.« »Frank,« versetzte die Alte, »Du bist ein braver Kerl, aber für ein Handwerk, wie wir es treiben, zu weichen Gemüts. Das wird Dich noch ins Verderben stürzen. Paß auf! Ich seh Dich noch rücklings vom Hollbourn-Berge purzeln, weil Dich irgend ein Wicht verpetzt hat, dem Du das Messer nicht rechtzeitig in die Gurgel stießest.« »Damit beschwatzt Du mich nicht, Alte!« versetzte er, »denn manchen netten Jungen, den ich gut kannte, haben sie schon beim Kragen genommen im ersten Sommer, den ich auf der Landstraße zubrachte, und bloß deshalb, weil er zu flink mit seinem Messer hantierte. Zudem könnte man ja, wenn man soviel auf dem Gewissen herumschleppte, sich keine zwei Jahre mehr in der Welt herumschleppen! Drum sage mir, wie das zusammenhängt, kurz und bündig, und was geschehen muß, um Dir auf anständige Manier zur Hand zu gehen!« »Na, Frank, sollst's wissen,« antwortete die Alte: »aber vorerst nimm einen Schluck von dem Kümmel da, es ist eine gute Holländer Sorte.« Mit diesen Worten langte sie aus ihrer Tasche eine bauchige Flasche und goß dem Räuber einen tüchtigen Schluck in die Kehle, der ihm trefflich mundete. »Frank, auf einem Bein steht keiner, und doppelte Schnur hält besser als einfache! Also trink noch einmal!« »Nein, nein!« wehrte er. »Will Dich ein Weib zu Schlimmem verleiten, dann ist's das erste, daß sie den Mann zum Trinken beschwatzt. Hol aber der Teufel allen Branntweinsmut! Was ich tue, will ich nüchtern tun. Dann wird's bloß um so besser.« Ohne weitere Versuche, ihn zu beruhigen, sagte nun die Alte: »Nun, das Mädchen, weißt Du, ist auf dem Wege nach London.« Von dem Ende des Satzes konnte Jeanie weiter nichts als das Wort Schwester hören. »Nun, das ist doch aller Ehren wert von dem Mädel,« meinte der Wegelagerer, so daß es Jeanie verstehen konnte, »ich möchte bloß wissen, was die Sache Dich angeht.« »Gerade genug, sollt ich meinen. Entgeht das Balg in Edinburg dem Galgen, dann heiratet sie doch der Robertson.« »Und was kann Dir dran liegen?« »Was mir dran liegt, Du Tropf?« versetzte die Alte, »viel, sage ich Dir, viel; und ehe ich das zugebe, eher erwürge ich sie mit meinen beiden Händen; Madges Recht soll Madges Recht bleiben!« »Madges Recht? .Tragen Dich Deine alten Augen nicht weiter? Meinst Du denn, der nähm ein albernes Stück, wie die Madge, zum Weibe? wenn es zutrifft, was Du von ihm gesagt, glaub ich's in aller Welt nicht, daß er es täte! Donner und Doria! Ein glorioser Einfall, ein Kalb wie die Madge, zur Frau zu nehmen!« »Was redst Du, Du Beutelschneider, Du ausgefeimter Spitzbub, Du Galgenvogel, Du Lumpenmatz! Und wenn er sie nicht nehmen sollte, muß dann der andern der gebratene Täuberich ins Maul fliegen? Um keines andern als seinetwillen bin ich zur Bettlerin, und Madge, mein Kind, reif fürs Narrenhaus geworden! Aber ich weiß was von ihm, das ihn an den Galgen bringt, und wenn er tausend Leben hätte! An den Galgen! Ja, an den Galgen!« – Bei den letzten Worten fletschte sie grimmig die Zähne und rollte wild die Augen. »Und warum bringst Du ihn nicht an den Galgen, ja, an den Galgen,« äffte Frank ihr höhnisch nach. »Darin läge doch Verstand, mehr Verstand, als Dein Mütchen zu kühlen an ein paar harmlosen Weibsbildern, die weder Dir noch Deiner Tochter was zuleide getan haben!« »Weder mir noch ihr was zuleide?« wiederholte wild die Alte; »so, und die Rache, die kaufst Du für nichts?« »Mag ihn der Teufel sich selber holen, wenn er Appetit nach ihm hat,« rief Frank, »aber hängen lasse ich mich, wenn mir die Brühe passen sollte, worin er ihn schmort.« »Rache!« zischte die Alte, »Rache ist der schönste Lohn, der leckerste Bissen, mit dem uns Satan traktiert! Ha, wie hart hab ich dafür gekämpft, gelitten und gesündigt, und die Rache muß ich kosten, sonst gäb's keine Gerechtigkeit, mehr auf der Erde, und weder im Himmel noch in der Hölle!« Frank hatte sich mittlerweile seine Pfeife angesteckt und hörte die Wutausbrüche der alten Hexe mit Seelenruhe an. Um Aergernis daran zu nehmen, dazu war er zu abgehärtet im Bösen, und die leidenschaftliche Kraft zu fassen, die sich darin zum Ausdrucke brachte, dazu war er zu gleichgültigen Charakters, wenn es ihm nicht vielleicht auch an Verstand dafür fehlte. »Aber, Mutter,« sagte er nach einer Weile, »dabei bleibe ich trotz alledem: wenn Du Dich durchaus rächen willst, dann läg doch der Kerl näher als die beiden Dirnen!« Mit der Gier eines dem Verdursten nahen Wesens sog sie den Atem hinter: dann rief sie: »Ich wollt, ich könnt's! Ich wollt, ich könnt's! Aber ich kann's nicht, nein! Ich kann's nicht!« Und warum kannst Du's nicht? He?« fragte Frank; »eine Lappalie war's, ihm wegen der Porteous-Geschichte zum Stricke zu helfen! Gott verdamm mich! Mehr Aufhebens könnten die in London auch nicht machen, wenn er die ganze englische Bank ausgeraubt hätte!« »Ich kann's nicht,« wiederholte die Alte; »an dieser welken Brust hab ich ihn genährt,« – und sie kreuzte die Hände über der Brust, wie wenn sie ein Kind dran hielte – »und wenngleich er sich als eine Natter erwiesen hat, als ein böses Subjekt, mir und den Meinigen zum Unglück, wenn er auch mich zur Gesellin des Satans gemacht hat, wenn's einen Satan gibt, so kann ich ihm doch nicht ans Leben, nein! ich kann's nicht! Ich kann's nicht! Gedacht dran hab ich,« sagte sie, wie von einem Schauder geschüttelt, »auch versucht hab ich's; aber es war das erste Kind, das ich an der Brust hatte, und was ein Weib fühlt für ein solches Wesen, davon hat kein Mann einen Begriff.« »Aber, Mutter, es heißt doch, gegen andre Kinder, die Dir in den Weg gerieten, hättst Du kein Mitleid gekannt? Ruhig, ruhig,« rief er hart, »hier bin ich Herr, und Auflehnung leide ich nicht!« Die grimme Hexe hatte wieder nach dem Messer gegriffen, das an ihrer Hüfte steckte, ließ es aber, die Hand öffnend, fallen und rief mit teuflischem Grinsen: »Machst wohl Witze, Junge? Wer wird Kinderchen anrühren? Madge, das arme Ding, hat Unglück gehabt mit dem einen, und das andre.« Was nun folgte, sprach sie so leise, daß Jeanie, so angstvoll sie auch lauschte, kein Wort verstehen konnte, als am Schlusse: »und so hat's, meines Wissens, Madge in ihrem Wahnsinn in den See geschmissen!« Madge, die, wie gemeinhin Geisteskranke, einen lückenhaften Schlummer hatte, fuhr auf und rief: »Das lügst Du, Mutter! In den See geschmissen hab ich's nicht.« »Still, Du Satansbalg!« keifte die Alte, »wirst die andre Dirne noch munter schreien! Wenn sie nicht gar schon gehorcht hat!« »Das wäre schlecht!« rief Frank Lewitt und stand auf, um der Alten zur Tür zu folgen, die nach dem Verschlage führte. »Steh auf, Balg,« schrie sie der Tochter zu, »oder ich renn' Dir das Messer durch die Türfüllung in Deinen Narrenbuckel!« Es schien, als wenn sie ihre Drohung wahr machen wollte, denn sie fuhr mit dem Messer in einen Spalt hinein, und im andern Augenblicke schrie Madge auf, wich von ihrem Platze, und die Tür ging auf. Die Alte hielt ein Talglicht in der einen, ein Messer in der andern Hand; der Räuber schritt ihr hinterher, ob in der Absicht, eine Gewalttätigkeit zu verhindern oder mit auszuführen, war zweifelhaft. Jeanies Retterin in diesem Augenblicke höchster Gefahr wurde ihre Geistesgegenwart; sie besaß Willensstärke genug, sich wie eine Schlafende zu stellen und, trotz ihres Schrecks, auch beim Atemholen den Anschein tiefster Ruhe zu wahren. Die grimme Alte fuhr ihr mit dem Licht vor den Augen hin und her, und die Furcht, die Jeanies Herz erfüllte, war so stark, daß sie meinte, die Gestalten der beiden feindlichen Personen durch die festgeschlossenen Lider zu erkennen; und doch wich die Kraft, sich nicht zu verraten, nicht von ihr. Der Räuber betrachtete sie eine ganze Weile mit scharfem Blicke. Dann stieß er die Alte zurück und ging ihr hinterher. In der Scheune sagte er, zu Jeanies nicht geringer Beruhigung: »Die Muckerdirne schläft ganz fest, als ob sie bei sich zu Hause im Bett läge, und nicht in solcher Höhle auf Stroh. Der Satan soll mich bei lebendigem Leibe holen, wenn ich begreife, was Dir's nützen soll. Immerhin will ich nach wie vor zu meinen Freunden halten und ihnen zu Gefallen sein, wo und wie ich kann; ich sehe ja, es ist ein schlechter Streich, aber es wird sich vielleicht machen lassen, daß ich sie bis zum Strande bringe und in Toms Boote drei bis vier Wochen halte, wenn Dir das recht ist? Aber daß ihr jemand was antut, Alte, das leide ich nicht, sei es wer es sei. Schlecht ist's ja, was Du vorhast, und grausam erst recht; und mir wär's schon lieber, Du und er, und Madge, wären mitsammen da, wo der Pfeffer wächst.« »Aber schwatz doch keinen Unsinn, Junge,« erwiderte die Alte, »Du bist ein Gauner und bleibst einer, und recht willst und mußt Du eben behalten, das weiß ich ja. Mir liegt nichts dran, ob sie eine Stunde früher oder später in den Himmel hinauf kutschiert, ich pfeife drauf, ob sie krepiert oder länger noch in Psalmen flötet. Bloß die Schwester! Die Schwester!« »Gut, Alte, und kein Wort mehr drüber! Tom kommt. Legen wir uns aufs Ohr und schlafen wir eine Stunde. Es wird uns gut tun.« Sie warfen sich auf die Streu, und von jetzt ab herrschte Ruhe in der Scheune. Jeanies Augen fand der Schlaf noch lange nicht. Als der Tag graute, hörte sie, wie die beiden Räuber ihr Lager verließen, nachdem sie noch eine Zeitlang mit dem alten Weibe getuschelt hatten. Das Bewußtsein, jetzt nur mit Personen des eignen Geschlechts zusammen zu sein, gab ihr eine gewisse Beruhigung, und sie widerstand dem Bedürfnis, zu schlafen, nicht länger. Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als sie wieder erwachte. Noch immer war Madge Wildfire in dem Verschlage, sagte ihr aber gleich mit der ihr eigenen irren Lebhaftigkeit guten Morgen. »Du, weißt Du, Mädel, während Du im Lande der Träume wärest, sind hier schnurrige Dinge vorgegangen. Die Frone waren da; mein Muttchen haben sie weggeholt, wegen dem Weizenfelde, worin der Gaul gefressen hat. Sieh doch bloß, was für Hunde diese englischen Kerle sind, was für ein Wesen sie machen um ein paar Körner und ein paar Halme! gerade als ging's um Rebhühner und Hasen. Nein, Mädel, komm, wir wollen ihnen einen Streich spielen, wenn Du Lust dazu hast; wollen uns ein bißchen draußen im Freien umsehen. Hei! werden die einen Lärm anheben, wenn sie uns beide nicht mehr finden, aber um die Mittagszeit können wir wieder daheim sein, jedenfalls doch vor Einbruch der Nacht und einen Heidenspaß wird's setzen; komm, Mädel, komm! Oder willst Du erst frühstücken und Dich dann noch ein Weilchen aufs Stroh hauen, ist's mir auch recht! Brauchst Dich aber nicht vor mir zu fürchten, kannst ruhig mitgehn; ich tue Dir nichts an.« Jeanie beteuerte, keinen Appetit zu haben, weder auf Speise noch auf Trank; und sie hätte gegen den Vorschlag, die Scheune zu verlassen, auch dann noch keinen Einspruch erhoben, wenn Madge Wildfire nicht bloß eine gutmütige Irre gewesen wäre, sondern wirklich gerast hätte. In der Hoffnung, sich durch solche Verstellung keiner Sünde schuldig zu machen, redete sie ihr sogar zu, sich gar nicht lange in dem Verschlage mehr aufzuhalten, sondern hinaus in den grünen Wald zu schweifen. »Ich denke mir, Mädel,« sagte Madge, »daß es Dir nichts schaden wird, wenn Du der Sippe hier ein bißchen aus dem Gesichte kommst. Ich will ja nicht sagen, daß es böse Menschen seien, aber sie sind doch wunderlich, und seit wir in solcher Umgebung sind, Mutter und ich, kommt's mir immer vor, als seien wir gar nicht mehr gut daran.« Hastig griff Jeanie nach ihrem Bündel und lief hinter ihrer Kameradin her, in den Wald hinaus; aber so sorglich ihre Augen spähten, wenn sie freien Blick auf das Bruch gewann, von Menschen oder einer menschlichen Behausung war nichts zu sehen; hin und wieder war wohl der Boden bebaut, aber zumeist sah sie bloß Gestrüpp oder Sumpf. Schmeichlerisch, wie eine Wärterin zum Kinde spricht, das sie ihrem Willen gefügig machen will, fragte sie Madge, als sie erkannte, daß sie in dieser Wildnis keine Aussicht habe, ihren Weg wieder zu finden, ob es nicht besser sei, auf die Straße zu gehen? auf einem hübschen, breiten Wege lasse es sich doch besser ausschreiten als hier zwischen Dornen und Disteln. Madge aber blieb, als sie diese Frage hörte, jäh stehen und heftete auf Jeanie einen argwöhnischen Blick, als errate sie, was diese in Wirklichkeit wolle. »Aha, Mädel!« rief sie, »hast wohl Lust, mich aus meinen Wäldern zu locken? Willst wohl Deinen Kopf durch Deine Füße in Sicherheit bringen?« Einen Augenblick war Jeanie unschlüssig, ob sie der Andeutung nicht auf der Stelle folgen und ihr Heil in der Flucht suchen solle; aber sie wußte nicht, nach welcher Richtung sie sich wenden müßte, und war ihrer Sache auch insofern nicht sicher, als ihr die Wahnsinnige an Körperkraft doch vielleicht überlegen war. Darum leistete sie vorderhand noch Verzicht auf die Ausführung des Gedankens, der sie, je weiter der Tag vorrückte, desto hartnäckiger beschäftigte. Madge lief sehr schnell; und ihre Gedanken liefen ebenso schnell von einem Gegenstande zum andern, so daß sie bald wieder anfing, allerhand durcheinander zu schwatzen. »An so schönem Morgen ist's doch gar zu schön im Walde, ach! und viel schöner als in einer Stadt. Hier schreit kein Rudel zerlumpter Rangen hinter einem her, als ob man ein Wundertier war, bloß weil man anders angezogen ist als sonst alles in der Stadt und keine so bleiche, häßliche Fratze hat. Freilich, Jeanie! auf Kleid und Fratze soll man sich nie was zu gute tun, das sind bloß Fallstricke, sonst hab ich viel drauf gehalten, Jeanie, gar viel! Aber was ist dabei herausgekommen für die arme Madge?« »Weißt Du denn auch den Weg, Madge?« fragte Jeanie aus Furcht, sie werde sich noch tiefer in den Wald hinein und schließlich gar von der Heerstraße so weit verirren, daß es ihr nicht mehr möglich sein möchte, sie wieder aufzufinden. »Ich, und den Weg nicht kennen?« rief Madge, hell auflachend; »hab doch lange genug im Walde gehaust, daß ich Weg und Steg drin kennen muß! Freilich ist's gewesen vor dem Unglück, das über mich kam, und da könnt ich wohl manches vergessen haben; aber es gibt Dinge, die vergißt ein Mensch nie, und Madge vergißt ihren Wald im Leben nicht, das kann ich Dir sagen, Mädel!« Sie gerieten immer tiefer in das Dickicht hinein und kamen an eine Stelle, wo um einen kleinen Rasenhügel herum die Bäume eine Art Rundell bildeten. Da geriet Madge plötzlich ganz außer sich, schlug die Hände vor das Gesicht und fing an, mörderlich zu schreien; dann sank sie wie ein Klotz über den Hügel hin und blieb darauf liegen. Jeanies erster Gedanke war, den günstigen Moment für die Flucht wahrzunehmen; im andern Augenblick aber siegte ihre Menschenliebe über diesen selbstsüchtigen Drang; es erschien ihr gewissenlos, die arme Wahnsinnige ohne Beistand hier umkommen zu lassen, und mit einer, in ihrer Lage bewunderungswürdigen Aufopferung blieb sie und bemühte sich um das arme, verlorene Geschöpf, suchte es zu trösten und geistig und leiblich aufzurichten. Nach Aufwendung vieler Mühe gelang es ihr endlich, und da nahm sie mit Erstaunen wahr, daß sich die sonst so blühende Farbe von Madges Gesicht in Leichenblässe verwandelt hatte, und daß ihr Gesicht in Tränen schwamm. Jeanie fühlte sich tief durch diesen Anblick ergriffen, um so mehr als sie in dem wild umherschweifenden Gemüte der armen Irren eine gewisse Zuneigung durchschimmern sah, die von ihr Dankbarkeit forderte. »Laß mich allein! Laß mich allein!« rief Madge, als ihr Schmerz zu schwinden begann; »mir ist's wohl, wenn ich weinen kann. Tränen sind eine Seltenheit bei mir, sie kommen nur ein paarmal im Jahre; dann gehe ich zu diesem Rasenhügel, ihn damit zu netzen, weil vom Tränennaß die Blumen am schönsten gedeihen und das Gras das lieblichste Grün annimmt.« »Aber, Madge, was ist Dir nur?« sagte Jeanie; »warum weinst Du denn so bitterlich?« »Ach, Mädel,« klagte die Irre: »dazu hab ich wohl Grund, gar tiefen Grund! Mehr, mehr als mein armer Sinn tragen und aushalten kann. Warte bloß ein Weilchen noch, Mädel, dann will ich Dir alles, alles sagen, wie es gewesen. Denn, Jeanie, weißt Du, ich bin Dir gut, glaub's mir, Du hast so was Sanftes, und doch so was Festes an Dir, und alle Leute in Edinburg haben bloß Gutes von Dir gesprochen, und ich denke immer noch an den Trunk Milch, den Du mir damals gabst, als ich vierundzwanzig Stunden lang auf Arturs Sitz herumgestiegen war, um nach einem Schiffe zu sehen, das jemand von der Küste hinweg trug.« Jetzt erst besann sich Jeanie darauf, daß ihr einmal früh am Morgen ein irres, halbverhungertes Mädchen in den Weg gekommen war, dicht vor ihres Vaters Hütte, über das sie sich erst erschrocken, das sie aber dann, aus Mitleid, mit Speise und Trank gestärkt hatte; und dieser Zug von Barmherzigkeit sollte ihr jetzt zum Segen gereichen .. »Ja,« sagte Madge wieder, »ich will Dir alles sagen, alles, wie es zugegangen ist, denn Du bist eines frommen Mannes Tochter und kannst mir vielleicht den Weg zeigen, den ich wandeln muß; denn lange genug bin ich in den sengenden Wüsten des Aegypterlandes herumgeirrt und in den Wildnissen des Berges Sinai, und es hat mir nicht zur Freude gereicht, auch nicht zum Troste. Aber, Mädel, wenn meine Gedanken darauf geraten, dann überkommt mich die Scham und ich möchte die Lippen schließen für immer ..« Sie blickte in die Höhe und lächelte. »Sonderbar! Ich habe mit Dir in den paar Minuten mehr Gutes gesprochen, als ich's mit der Mutter in ebensoviel Jahren nicht zu Wege brächte! Manchmal möcht ich's, manchmal drängt's mich dazu; aber dann fährt der Satan über mich und fegt mir mit seinen schwarzen Fittichen über die Lippen, daß all meine guten Vorsätze zum Teufel gehen, und dann kommen mir wieder die sündigen Lieder ins Gedächtnis, und mein Sinn neigt sich zu Leere und Eitelkeit.« »Such Dich doch zusammenzunehmen, Madge,« mahnte Jeanie die Arme, »und klaren Sinnes zu werden, dann wird's Dir auch leichter ums Herz sein. Widerstehe nur dem Teufel tapfer, und er weicht von Dir! Mein frommer Vater sagt immer, es sei kein Teufel so arg wie unsre eignen unstäten bösen Gedanken.« »Mädel,« rief Madge, in die Höhe fahrend, »das ist wahr, nur allzu wahr, und drum will ich gleich einen Weg gehen, wohin mir kein Teufel folgen kann. Aber Du wirst ihn gern mit mir gehen, bloß muß ich mich an Deinem Arme festhalten, denn sonst könnte Apollyon mir über den Weg kommen und mich hindern, wie er's dem Pilger auf seiner Wallfahrt angetan hat.« Sie hing sich fest an Jeanies Arm, und bald kamen sie, zu Jeanies nicht geringer Freude, an einen gangbaren Pfad, mit dessen Krümmungen Madge wohlvertraut zu sein schien, denn sie schritt fest und zuversichtlich weiter. Jeanie versuchte, die Unglückliche bei ihren guten Regungen festzuhalten, aber ihr irrer Geist war schon wieder davon gewichen; glich er doch so ganz einem Haufen dürrer Blätter, die wohl eine Weile lang still auf einem Flecke liegen, aber vom leisesten Windhauche bewegt und verjagt werden. Jetzt war ihr Sinn ausschließlich bei der Pilgerfahrt, und mit großer Zungenfertigkeit schwatzte sie: »Hast Du sie schon gelesen, die Pilgerfahrt von Bunyan?. O, ein schönes Buch, Kind! ein schönes Buch! Du könntest die Maria draus sein, die Frau, und ich das Mädchen, die Magdalena. Du weißt ja, die Magdalena war schöner als die andere, und hätt ich meinen kleinen dürren Hund noch, so wäre auch Goodheart vertreten, denn der war grade so frech wie mein kleiner Kläffer. Die Frechheit hat ihm den Tod gebracht, denn eines Morgens fiel ihm ein, Max Alpin, den Korporal, in die Waden zu beißen, und dafür schleppten sie mich auf die Wache und dort erschlug mir der Korporal den Hund mit seinem Beile. Hol den alten Hochländer dafür der Teufel!« »Ach pfui, Madge! Du solltest solch böses Wort nicht über Deine Lippen bringen!« sagte Jeanie. »Aber so ist's doch hergegangen, Mädel!« sagte Madge, »der arme nette Shnog! Es tat mir so weh, als ich ihn krepiert im Rinnstein liegen sah. Aber vielleicht war's ganz gut für ihn, daß er so schnell krepierte, denn er hat sein Lebtag kaum was anders als Hunger und Durst gekannt und hätte vielleicht 'mal verhungern müssen, das arme niedliche Vieh! Im Grabe findet alles seine Ruhe, ob Hund, ob Kind!« »Dein Kind?« fragte Jeanie weich. »Ja doch, meins,« erwiderte sie verdrießlich; »warum sollt' ich nicht auch ein Kind haben wie andre? und warum nicht auch eines verlieren,« setzte sie heftig hinzu, »wie Dein niedliches Schwesterchen, die Lilie von Sankt-Leonard?« Diese Antwort erschreckte Jeanie, und sie gab sich alle Mühe, den Mißmut zu beseitigen, den sie durch ihre Frage, ohne es zu wollen, geweckt hatte. »Es tut mir recht leid um Dich, Madge.« »Leid tun?« wiederholte Madge, »was denn? Das Kind war zum Segen gewesen wär nicht die Mutter gewesen; aber die Mutter, die Mutter ist ein schlimmes Weib! Laß Dir sagen, da war ein alter Kerl im Lande, mit einem kleinen Hut auf dem Kopfe, und einem dicken Beutel voll Gold. O, ich hätt was drum gegeben, wenn Du den mal hättest watscheln sehen, ein Bein hierhin, ein Bein dorthin, als wenn sie nicht einem allein gehörten. Ich hab mich immer ausschütten wollen, wenn der schmucke Georg ihm nachäffte. Ach, Mädel, mir ist's, als hätt ich damals viel froher, wenn auch nicht soviel gelacht, als jetzt!« »Und wer war der schmucke Georg?« fragte Jeanie, ängstlich gespannt, denn daß im Leben dieser armen Irren Dinge vorgegangen, die mit dem Leben ihrer Schwester in so seltsamem Zusammenhange standen, hätte sie nun und nimmer vermutet. »O, das war ja Georg Robertson! der Edinburger Robertson! Aber sein rechter Name ist das auch nicht. Mädel! Was geht das Dich an?« rief sie, sich plötzlich besinnend; »warum fragst Du mich aus nach anderer Leute Namen? Oder soll ich Dir, wie Mutter immer sagt, das Messer schleifen zwischen Deinen Rippen?« – In ihrer Sprache und ihrer Gebärde kam ein solches Maß von Wildheit zum Ausdruck, daß Jeanie es für geraten hielt, ihr zu beteuern, sie habe bei der Frage nicht die geringste Absicht verfolgt, wodurch sich Madge beruhigen ließ. »Jeanie, merk Dir, nach anderer Leute Namen mußt Du mich nicht fragen! Dabei kommt nichts heraus, und das ist auch nicht artig. Bei der Mutter sind manchmal über ein Dutzend Menschen gewesen, und es hat doch keiner den andern nach seinem Namen gefragt. Das war auch immer Papa Kliffs Rede, so was zu tun sei die größte Unhöflichkeit auf der Welt, das täten die Herren vom Rat und Gericht schon genug, die kämen immer mit dergleichen blöden Fragen, ob man den oder jenen kenne, ob man wisse, wie er heiße, ob er überall so, heiße, und so weiter. Wenn man aber Namen nicht weiß, dann hört alles Gerede ganz von selbst auf.« »Wie verworfen muß die Schule sein,« dachte Jeanie bei sich, »in der dies arme Wesen erzogen worden! wo man sich durch solche Maßregeln vor der Verfolgung der Gerechtigkeit zu schützen suchen muß! Was möchte wohl der Vater oder Reuben Butler dazu sagen, wenn sie von mir hörten, daß es dergleichen Menschen unter Gottes Sonne gibt? O, wie verworfen, die Einfalt dieses armen unglücklichen Wesens derart zu mißbrauchen! Ach, wie glücklich werde ich sein, wenn ich erst wieder in meiner schlichten Heimat, bei meinen redlichen Landsleuten bin! Wie will ich den Herrn dafür loben und preisen, daß er mir meinen Platz angewiesen unter denen, die unter dem Schatten seiner Fittiche in der Furcht vor Ihm leben!« Ein wildes Gelächter riß sie aus diesem Sinnen. Es rührte von Madge her, der es eine über den Weg hüpfende Elster entlockte. »Sieh doch nur! Gerade so hüpfte mein alter Schatz, bloß fehlten ihm die Flügel, um den dürren Beinen nachzuhelfen. Geheiratet hätte ich ihn aber doch, weil mich die Mutter sonst totgeschlagen hätte. Da kam aber die Geschichte mit meinem armen Kinde, und die Mutter bekam es mit der Angst, sein Geschrei könnte den alten Kerl taub machen, und da hat sie es fortgeschleppt, damit es aus dem Wege sei, und unter den kleinen Hügel dort gebettet. Aber mir ist seitdem immer, als hätt sie auch mein bißchen Verstand mit drunter gebettet, denn ich bin von der Zeit an gar nicht mehr die gleiche. Und nun denke Dir, Jeanie, nachdem sich die Mutter mit dem alten lendenlahmen Kerl so am Leibe gerissen, schwenkt er ab und läßt mich sitzen; ich aber hab deshalb den Kopf nicht hängen lassen, Mädel, sondern ein fideles Leben seitdem geführt, und es gibt wohl kaum einen schmucken Herrn, der nicht, wenn er mich sieht, gleich vom Pferde spränge, weil ich ihm in der Nase stecke! Es hat auch manch einer gleich in die Tasche gegriffen und mir ein Paar Silberlinge zugeworfen bloß wegen meiner niedlichen Fratze.« Die Erzählung hatte Jeanie einen trüben Blick in das Leben der armen Irren eröffnet. Ein reicher Freier hatte das Auge auf sie geworfen und war von der Mutter, ungeachtet seines Alters und seiner Gebrechlichkeit, der Tochter zugeführt worden, die sich aber von einem Wüstling hatte verführen lassen und ihm ein Kind gebar. Um die Schande zu verbergen und die Heirat nicht zu gefährden, die der Mutter im Sinne lag, hatte diese das Kind, den unschuldigen Zeugen der Schwäche ihrer Tochter, auf die Seite geschafft. Der Alte aber hatte doch davon erfahren und sich von der Tochter abgewandt, deren von Natur eitler, schwacher Sinn dadurch dermaßen gestört worden war, daß er in richtigen Wahnsinn ausartete. Siebentes Kapitel Als sie den von Madge eingeschlagenen Pfad ein Stück weit gegangen waren, gewahrte Jeanie zu ihrer großen Freude Spuren, daß sie sich einer wirtlicheren Gegend nahten, und bald erblickte sie, zwischen Buschicht verborgen, Hütten, mit Strohdächern gedeckt, von denen blauer Rauch in kleinen Säulen aufstieg. Dorthin führte der Pfad, und um ihre Führerin nicht zu erzürnen oder ihren Sinn abzulenken, nahm sich Jeanie vor, so lange Schweigen zu wahren, als sie keine Neigung bezeigte, den Pfad zu verlassen. Madge schwatzte nun in einem fort, wie es ihre wirren Ideen ihr eingaben; und erzählte auf diese Weise von sich und anderen weit mehr, als wenn Jeanie versucht hätte, sie auszufragen. »Seltsam,« hob sie wieder an, »es kommen Augenblicke über mich, in denen ich von meinem Kinde ganz so reden kann, als ginge es mich nichts an, sondern eine andere, und dann wieder ist's mir zumute, als müßte mir das Herz darüber brechen. Hast Du schon ein Kind gehabt, Jeanie?« Jeanie schüttelte mit dem Kopfe. »Aber Deine Schwester hat eins gehabt, und was aus dem geworden, Mädel, das weiß ich, weiß ich genau.« »Im Namen der göttlichen Barmherzigkeit,« rief Jeanie, ganz aus der Rolle fallend, die sie bisher festgehalten, »Madge, sage mir, was aus dem armen Wesen geworden ist, und ..« Madge blieb stehen, blickte sie starr an und schlug dann eine helle Lache auf. »Heidi, Mädchen, hasche mich! und fang mich, wenn Du mich kriegst. Hahaha! Du läßt Dir auch alles vorschwatzen. Wie sollte ich was wissen von Deiner Schwester Kinde? Mädel sollen mit Kindern erst was zu tun haben, wenn sie die Haube tragen. Dann kommt die Gevatter- und Nachbarssippe zusammen und hält großen Fest- und Feiertag, als ob es was Wichtigeres in der Welt gar nicht gäbe. Bei den Leuten heißt's wohl immer, Jungfernkinder Glückskinder; aber das ist weder bei meinem Kinde wahr geworden noch beim Kinde Deiner Schwester. O, sind das traurige Geschichten! Ich muß mich wieder lustig singen, Mädel, mit den Liedern, die mir der schmucke Georg auf den Leib gesungen hat, wenn ich mit ihm nach Lockington zur Kirchweih fuhr, wo er in gar prächtigem Staate mit vielen andern Komödie spielte. Damals hätte er mich heiraten sollen, wie es auch sein Wille war; jetzt kann er lange herumsuchen, ehe er's wieder so gut trifft! Aber das hat mit meinem Liede nichts zu schaffen, also weg damit! Ich bin die Madge vom Dorfe, die Madge von der Stadt, Die den schmucksten der Buben zum Herzliebsten hat. Und prangt auch die Herrin in gülden Geschmeid, So bleibt doch die Madge Königin heut, Die Königin der Kirchweih, Die Königin vom Mai! Mit 'nem Herzen im Leibe, klar und hell, Und Augen wie Feuer so wild und grell! Das ist immer mein liebstes Lied, denn er hat's gedichtet und hat's gesungen, und ich hab's mit ihm gesungen, ach! wie oft! wie oft! und es mag wohl darum sein, daß mir die Leute den Namen Wildfire gegeben haben. Ja, Madge Wildfire! Madge Wildfire! Und warum sollte ich nicht hören drauf und antworten drauf? Verdanke ich ihn doch dem schmucken Georg!« »Aber am heiligen Sabbath, Madge, solltest Du doch nicht singen!« sagte Jeanie, denn bei aller Angst und Not nahm sie Aergernis an dem wüsten Betragen des Mädchens, und um so mehr, je näher sie dem kleinen Dorfe kamen. »Ach!, ist heut Sabbath?« rief Madge; »die Mutter führt ein Leben, daß man nicht weiß, was Tag ist, was Nacht, geschweige ob Sonn-, ob Wochentag! Zudem ist das auch bloß bei Euch oben in Schottland so, bei euch Muckern und Heiligen! Wir im lustigen England haben alle Tage Sonntag und singen und trällern, wenn uns der Schnabel danach steht.« Inzwischen waren sie dicht an das Dörfchen gekommen, dessen kleine, schmucke Häuser in Gruppen zwischen hohen Eichen und Ulmen, von Obstbäumen umfriedigt, standen, und nicht, wie es Jeanie von Schottland gewöhnt war, in Reih und Glied zu beiden Seiten der Straße. Die Obstbäume standen gerade in der Blüte und erhöhten die Schönheit des Bildes durch ihre herrliche Pracht. Mitten im Dörfchen erhob sich die kleine Kirche mit ihrem gotischen Türmchen, von dem eben die Glocke zum Gottesdienste rief. »Warten wir, bis alles Volk in der Kirche ist,« sagte Madge, »denn laß ich mich vorher sehen, dann rennen sie mir hinterher, und schreien und johlen, und dann kommt der Büttel und nimmt mich fest, als ob ich dran schuld wäre, und Dich ließe er auch nicht aus seinen Krallen! Besser wird's erst wieder werden für mich, wenn erst 'mal Herr Staunton heraustreten wird vor die Menschen und mich aufheben, die Arme, Verlorene, und bei der Hand nehmen und mir einen Granatapfel reichen wird mit einem Stück Honigkuchen und einem Fläschen Weingeist, meine Ohnmacht zu verjagen, ja, wenn er erst mal erscheinen wird, der wackre Herr Staunton, dann werden auch für die arme Madge die Zeiten wiederkommen, wo sie glücklich sein darf mit den Glücklichen!« Jeanie schickte sich gern in dieses Verlangen der Irren, denn ihr Kleid hatte durch die Nacht in der Scheune viel von seiner Sauberkeit verloren, und der höchst auffällige Anzug ihrer Kameradin ließ erwarten, daß die Leute, die heut ihren Sonntagsstaat hervorgesucht, Anstoß daran nehmen würden. Sie schickte sich um so lieber darein, als Wadge ihr noch gesagt hatte, daß es nicht das Dorf sei, wohin die Mutter gebracht worden, und daß auch die Räuber und Wegelagerer sich anderswohin begeben hätten. Jeanie konnte es nicht über sich gewinnen, ihre Kleidung in dem unordentlichen Stande zu lassen, den sie seit dem gestrigen Abend aufwies. Sich am Sonntag vor jemand so zu zeigen, war ihr ganz und gar nicht möglich, und sie trug sich doch mit dem Gedanken, in dem Dörfchen nach Hilfe und Beistand zu suchen. Sie setzte sich also an einer Eiche nieder, die an einem hier vorbeifließenden Bächlein stand, und begann, die glatte Fläche desselben als Spiegel benutzend, sich zu säubern und, zu putzen, so gut es die Umstände erlaubten; doch bald sollte sie erkennen, daß sie, so notwendig ihr die Arbeit erschien, sie besser ungetan gelassen hätte; denn ihre Gefährtin, in ihren irren Begriffen auf ihre körperlichen Vorzüge über die Maßen eitel, – zum Teil Wohl entschuldbar insofern, als dieselben ja die eigentliche Quelle ihres Unglücks waren – hatte kaum gesehen, daß Jeanie sich das Haar glatt strich, Rock und Schuhe vom Staube säuberte und Halstuch und Aermel in Ordnung brachte, als auch sie den Gedanken faßte, sich zu putzen, und aus einem Bündelchen, das sie, auch da schon Jeanie nachäffend, aus der Scheune mitgenommen, allerhand Lumpen und Flitterstaat hervorzog, um an den Männerhut, den sie trug, eine geknickte Pfauenfeder zu stecken, an den Saum ihres alten Reitkittels einen Kranz verblichener und zerdrückter Blumen zu heften, den ehedem eine vornehme Dame getragen haben mochte, die ihn aber ihrer Zofe geschenkt, nachdem sie ihn satt hatte, und der von der Zofe in irgend eine Trödlerbude gewandert sein mochte, aus der er, auf ehrliche oder andere Weise, zu Madge Wildfire gelangt war. Eine gelbseidene Schürze, ohne Zweifel gleichen oder ähnlichen Ursprungs, mit allerhand Flittern bestickt, hing sie sich wie ein Wehrgehenk, über die Schulter, und ein Paar schäbige Atlasschuhe mit Stöckelabsätzen mußten die groben Lederstiefel ersetzen, die sie bisher getragen. Von einer Weidengerte, die sie schon unterwegs abgeschnitten und mitgebracht, schälte sie fein säuberlich die Rinde ab und sagte zu ihrer Gefährtin, jetzt könnten sie sich beide vor allen Leuten sehen lassen und gingen angezogen, wie es sich für junge, anständige Dirnen an einem Sonntagmorgen schicke; und da nun, sagte sie, das Läuten aufgehört hätte, wollten sie nicht länger säumen, sondern sich ins Dorf begeben. Jeanie seufzte innerlich darüber, daß sie sich am Tage des Herrn mit solcher Gefährtin öffentlich zeigen sollte; aber Not kennt nun einmal kein Gebot, und Jeanie sah ein, daß sie sich ohne heftigen Streit von der Irren nicht werde losmachen können; da sich aber ihre Lage dann nur noch ärger gestalten muhte, als sie an sich schon war, meinte sie, es sei am klügsten, sich in die Umstände zu schicken, wie sie nun einmal lagen. Die arme Irre hingegen, im siebenten Himmel der Freude über ihren Putz und ihr strahlendes Aussehen, blähte sich förmlich vor Eitelkeit. Sie gelangten in das Dörfchen, ohne von jemand gesehen zu werden, ein altes Mütterchen ausgenommen, das sich, geblendet von Madges Flitterstaat, bis tief auf die Erde vor ihnen verneigte. Dadurch stieg Madges Stolz bis auf die höchste Stufe; sie drehte sich, zierte sich, wandte sich, tänzelte, trippelte, hüpfte und winkte Jeanie, sich wenigstens als Herzogin dünkend, mit huldreicher Handbewegung, ihr zu folgen. Um Madges lächerliches Getue nicht zu sehen, schlug Jeanie die Augen zu Boden und folgte ihr geduldig. Aber als sie sich jetzt vor der Kirche und Madge willens sah, den Fuß über die Schwelle derselben zu setzen, machte sie einen Schritt zur Seite, denn in solcher Gemeinschaft das Gotteshaus zu betreten, hielt sie für eine große Sünde. Mit festem Tone sprach sie: »Madge, laß uns hier warten, bis die Kirche aus ist. Willst Du hineingehen, so hindert Dich ja nichts; ich aber bleibe draußen.« Sie wollte sich auf einen Grabstein setzen, denn um die Kirche herum, wie auf Dörfern üblich, lag der Friedhof, da machte Madge, die ihr einige Schritte voraus war, plötzlich Kehrt, sprang auf sie zu, packte sie am Arme und rief: »Was? Du undankbares Geschöpf, willst Dich auf Vaters Grab setzen? Der Teufel soll Dich herunterbringen, wenn Du nicht gleich aufstehst und mit mir ins Mittler-Haus trittst, wie wir das Gotteshaus nennen. Marsch! steh auf, oder ich reiße Dir all Deine Lumpen vom Leibe!« Wort und Handlung waren eins, denn schon hatte sie mit einem einzigen Griffe dem erschreckten Mädchen den Strohhut vom Kopfe gerissen mit einer Handvoll Haar und auf einen Eibenbaum geschleudert, an dessen Zweigen er hängen blieb. Jeanie wollte um Hilfe schreien, aber sie faßte sich schnell, denn sie sagte sich, die Rasende könne ihr, ob auch die Kirche nahe war, früher ein Leid angetan haben, als Leute zu ihrer Hilfe herbeikämen, und so meinte sie, es sei minder gefährlich, ihr in die Kirche, wo sie schnellen Schutz finden werden, zu folgen, als draußen mit dem Unhold allein zu bleiben. In Madges unstetem Sinne hatten aber schon wieder andere Vorstellungen die Oberhand gewonnen, als sie Jeanies milde Versicherung, ihr folgen zu wollen, hörte. Sie nahm Jeanie wieder bei der einen und zeigte mit der andern Hand auf die Inschrift des Grabsteins, auf den sich Jeanie gesetzt hatte. »Da, lies,« sagte sie, und Jeanie, gehorchend, las: Dem Gedächtnis des Donald Murdockson, vom 26ten Königl. oder kameronischen Regiment, eines wahren Christen, tapfern Soldaten und treuen Dieners, errichtete diesen Denkstein in tiefer Trauer sein dankbarer Herr Robert Staunton. »Hast richtig gelesen, Jeanie, es sind Worte, die auf dem Steine stehen,« sagte Madge, deren Zorn verraucht und einer tiefen Schwermut gewichen war, und ruhigen, ja ernsten Schrittes, den man an ihr nicht gewöhnt war, der aber Jeanie von Herzen freute, begab sie sich, Jeanie noch immer an der Hand haltend, zur Kirchtür. Kaum hatten sie aber den Fuß in das altertümliche gotische Gotteshaus hinein gesetzt, als sich auch aller Augen auf sie lenkten, und stolz hierauf, verfiel Madge sogleich wieder in ihre eitlen Torheiten und schritt, Jeanie hinter sich her ziehend, in gezierter Haltung den Mittelgang hinauf, um sich allen Gliedern der kleinen Gemeinde zu zeigen. Jeanie hätte sich gern in einen Stuhl geflüchtet und Madge allein weiter gehen lassen; aber ohne sich gewaltsam zu widersetzen, wäre das nicht möglich gewesen; so mußte sie sich von dieser seltsamen Person durch das Gotteshaus weiter schleppen und von allen Kirchgängern angaffen oder mit strafenden Blicken verfolgen lassen. Endlich traf die Betörte ein verweisender Blick des Predigers und machte ihrer Unrast ein Ende. Schnell öffnete sie einen Kirchstuhl und trat hinein, Jeanie auch dorthin ziehend. Durch einen Puff in die Seite suchte sie ihr begreiflich zu machen, daß sie sich nach ihrem Tun richten solle. Aber die Sitte, den Kopf ein paar Minuten in die Hand zu stützen, zum äußern Zeichen des Gebetes, das man nach dem Eintritt in das Gotteshaus verrichtet, war Jeanie fremd; statt es zu tun, blickte sie angstvoll umher, was natürlich ihre Nachbarn, nach der Gesellschaft schließend, in her sie sich befand, als offenkundiges Zeichen von Irrsinn deuteten. Alles retirierte vor dem befremdlichen Paare; einem Greise gelang das nicht so schnell, wie den übrigen, und Madge stürzte sich wild auf ihn und riß ihm die Bibel aus der Hand, um mit wichtigem Getue die Stelle aufzuschlagen, der die heutige Predigt gewidmet war. Dem Prediger, einem ältlichen Herrn von würdigem Aussehen, war Jeanies Ruhe von Anfang nicht entgangen, und oft während des Gottesdienstes hatte er die Blicke nach dem Stuhle gerichtet, wo sie mit Madge sah, von der er Störung zu befürchten schien; und wenn auch Jeanies aufgelöstes Haar und die Angst, die sich auf ihrem Gesicht malte, ihr Aussehen sehr zu ihrem Nachteil beeinträchtigten, hatte er doch schnell erkannt, wie verschieden die Gemütsart der beiden Mädchen, die sicher, wie er meinte, irgend ein unglücklicher Zufall zusammengeführt, voneinander sei. Als er nun sah, wie Jeanie nach dem Schlusse der Predigt sich voll Bangen umsah und verschiedenen Leuten zu nähern suchte, um das Wort an sie zu richten, sich aber schüchtern, als diese ihr aus dem Wege gingen, wieder zurückzog, beschloß er als redlicher, wohlwollender, wahrhaft christlicher Seelsorger, genaue Erkundigung über den Fall, der ihm etwas Außergewöhnliches zu verraten schien, einzuziehen. Achtes Kapitel Während Reverend Staunton – das war der Name des würdigen Dieners Gottes, – sich in der Sakristei seines Amtskleides entledigte, waren Jeanie und Madge neuerdings in Zwiespalt geraten. Madge hatte, als sie die Kirche verlassen mußten, zu Jeanie gesagt: »Nun müssen wir aber wieder nach der Scheune zurück, die Mutter wird schon ungeduldig sein und uns gewiß einen feinen Empfang bereiten.« Jeanie aber nahm eine Guinee aus der Tasche, gab sie ihr und antwortete: »Da nimm, Madge; ich bin Dir von Herzen dankbar; aber zurück mit Dir gehe ich nicht.« »Hab ich Dir zu Gefallen, Du undankbarer Balg, solch weiten Weg gemacht, um mich, wenn ich ohne Dich zurückkomme, von der Mutter totschlagen zu lassen? Ha! Ich will Dich doch gleich.« »Um Gottes willen, Mann!« rief Jeanie ängstlich einem Bauern zu, der dicht in ihrer Nähe stand, »helft mir! Sie ist von Sinnen,« »Na,« erwiderte der Bauer, »gehört hab ich wohl so was, daß es mit ihr nicht richtig sei, aber bei Dir scheint's nicht viel anders.« Immerhin drohte er Madge mit der Faust und sagte: »Du, laß die Finger von ihr, wenn Du es nicht mit mir zu tun kriegen willst.« Andre Kirchgänger sammelten sich um die Mädchen, und Jungen schrieen, es würde gleich zwischen zwei tollen Weibern eine Prügelei setzen, von denen eine die Madge Murdockson sei. Da zeigte sich aber auch schon der Tressenhut des Büttels, und seiner obrigkeitlichen Gewalt wich alles ehrfürchtiglich. Sein erstes Wort galt der Irren: »Was bringt Dich wieder hierher in unser Kirchspiel, Du garstiges Mensch? Bringst Wohl einen neuen Bastard mit? Oder hast Du Absicht, uns die Landläuferin da auf den Hals zu hängen, mit der es wohl nicht viel besser stehen mag als mit Dir? Als wenn wir nicht schon der Lasten genug zu tragen hätten! Marsch, lauf zu Deiner Mutter, der spitzbübischen Satansliese! Sie sitzt schon wieder im Loche drin in Barkstone. Scher Dich hinweg aus unserm Dorfe, oder ich geb Dir die Peitsche zu kosten,« Madge schwieg eine Weile. Aber sie hatte mit dem Büttel schon zu oft üble Erfahrung gemacht, um Lust zu Widersetzlichkeit zu spüren, und bequemte sich schließlich zu der Antwort: »Was sagt Ihr? Meine Mutter im Stockhause? Drüben in Barkstone? Ha, Du Balg! Daran bist bloß Du schuld! Aber ich will's Dir eintränken, Jungfer Jeanie Deans, so gewiß ich die Madge Wildfire bin, Madge Murdockson, wollte ich sagen.. Steh mir Gott bei! In diesem Gewirr und Gelärm vergesse ich sogar meinen Namen.« Mit diesen Worten raste sie weg, verfolgt von dem Geschrei der Buben, die ihr die Kleider zu zerreißen suchten und alles aufboten, die Unglückliche in die höchste Wut zu versetzen. So herzlich Jeanie wünschte, Magde den wichtigen Dienst zu vergelten, den sie ihr geleistet, so war sie doch auch von Herzen froh darüber, daß sie fort war. Sie wandte sich an den Büttel mit der Frage, ob es im Dorfe ein Haus gebe, wo sie für Geld ein rechtschaffenes Unterkommen finden könnte, und ob es ihr wohl verstattet sei, mit dem Herrn Prediger ein paar Worte zu sprechen. »Freilich, Hochwürden will mit Dir sprechen, Kind,« versetzte der Vertreter der Ortspolizei, »und ich will Dir bloß sagen, daß Du besser Dein Geld sparst, wenn Du dem Herrn Pfarrer nicht offen und ehrlich Rede und Antwort stehst; denn sonst dürftest Du auf Kosten des Kirchspiels Quartier bekommen.« »Wohin soll ich denn gehen?« fragte Jeanie, bestürzt. »Zuerst zu Hochwürden, damit Du über Dein Tun und Lassen Rechenschaft gibst und Ausweis, daß Du dem Kirchspiele nicht zur Last fällst.« ' »Zur Last fallen will ich niemand,« rief Jeanie, »ich habe, was zur Befriedigung meiner Bedürfnisse notwendig ist, und will weiter nichts als meine Reise mit Ruhe fortsetzen.« »Nun, das ist was anders, und wenn es wahr ist – Du siehst nur eben auch so verdreht aus wie die verrückte Person, die grade von hier weggelaufen – aber komm nur mit, unser Prediger ist ein sehr guter Mann.« »O, ich gehe sicher gern zu ihm, denn ich muß mit ihm sprechen,« sagte Jeanie, »nach der Art, wie er das Wort des Herrn verkündete, muß ich wohl glauben, daß er ein würdiger, gottesfürchtiger Mann ist.« Die Menge, in ihrer Hoffnung, einer Prügelei beizuwohnen getäuscht, hatte sich mittlerweile verlaufen, und Jeanie folgte mit der ihr eigenen Geduld dem langsamen, breitspurigen Büttel in die Pfarrei. Es war ein bequemes, großes Wohnhaus, denn die Pfründe war groß, wenn auch das Dörfchen klein war, worin sie lag, und die reiche Familie, die das Patronat besaß, hatte es seit Jahren so gehalten, daß sie in der Regel einen Sohn oder Neffen dem Dienste der Kirche weihte, um ihn in das einträgliche Amt zu setzen. Auf diese Weise war die Pfarrei von Willingham immer als eine Art Familienlehen von Willingham-Hall betrachtet worden, und da zwischen dem reichen Baronet, der dort residierte, und dem Pfarrer verwandtschaftlicher Verkehr gepflegt wurde, hatte die Familie Sorge getragen, das Pfarrhaus nicht nur bequem und wohnlich, sondern auch würdig und vornehm einzurichten. Hinter ihm hatte ein kleiner Fluß sein Bett, der durch seine mit Weiden und Pappeln gesäumten Ufer die Landschaft erheblich verschönte. Der Büttel war, seitdem ihm Jeanie gesagt, daß sie dem Kirchspiel nicht zur Last fallen wolle, mitteilsamer geworden und erzählte, daß das Flüßchen die meisten und schönsten Forellen in ganz Lincolnshire berge. Er geleitete Jeanie zu einer Seitentür, die zu dem ältern Teil des Gebäudes führte, worin zumeist die Dienerschaft wohnte. Ein Bedienter in scharlachner Livree, wie sie den Leuten eines vornehmen Geistlichen in England geziemt, erschien auf der Schwelle. Ihn fragte der Büttel, wie sich der junge Herr Staunton befinde? »Je nun, so, so!« lautete die Antwort; »aber Sie wollen zu Seiner Hochwürden, Herr Stubs?« »Allerdings, Tom;, und bitte, bestellen Sie Seiner Hochwürden, ich hätte die junge Person mitgebracht, die mit der tollen Madge Murdockson in der Kirche war. Mir käme es so vor, sagen Sie noch, bitte, als sei es ein recht bescheidenes, anständiges Ding, aber ausgefragt hätte ich sie noch nicht. Bloß soviel wüßte ich, daß sie eine Schottin sei und, meiner Meinung nach, besonders klug und weise nicht eben zu sein scheine.« Tom maß Jeanie mit einem jener Blicke von oben herab, zu denen sich Bediente großer Herren für berechtigt halten, und hieß dann den Büttel mit seiner Begleiterin warten, bis er seinem Herrn von ihrer Anwesenheit Kenntnis gegeben habe. Das Gemach, wohin er sie führte, war eine Art Vorzimmer, worin ein paar Landkarten und auch mehrere Kupferstiche von Männern hingen, die sich in der Grafschaft ausgezeichnet hatten. Tom lud den Büttel ein, sich von einem Schinkenrest, der auf dem Tische stand, zu nehmen, und goß ihm auch einen Krug Ale ein. Jeanie, aufgefordert, auch eine kleine Stärkung zu sich zu nehmen, lehnte freundlich dankend ab; sie hatte zwar den ganzen Tag noch nichts gegessen, und eine Erquickung hätte ihr recht not getan, aber die Unruhe, die sie über die Unsicherheit ihrer Situation noch immer erfüllte, und ihre Schüchternheit fremden Leuten gegenüber machten es ihr unmöglich, etwas zu sich zu nehmen. So blieb sie seitab von den beiden Männern sitzen, die es sich munden ließen, denn auch Tom, der mit der Meldung zurückkam, daß der Herr Prediger in etwa einer halben Stunde klingeln werde, hieb gar tüchtig mit ein, wußte er doch, daß es erst Mittagessen nach dem Nachmittagsgottesdienst gäbe. Als die Klingel nach der bezeichneten Frist ertönte, stand Tom auf und hieß den Büttel und Jeanie ihm nach der Bibliothek folgen. Der Büttel schob flink noch ein tüchtiges Stück Schinken in den Mund und spülte es mit einem kräftigen Schluck hinunter. In einem kleinen Vorstübchen, an dessen Tür sich Tom verabschiedete, herrschte er, sich im Vollgefühl seiner Würde blähend, das Mädchen an, so lange zu warten, bis er Hochwürden gemeldet habe, daß sie da sei. Es war Jeanies Weise nicht, auf Gespräche zu lauschen. Hier aber konnte sie nicht umhin, mitanzuhören, was zwischen den beiden Männern gesprochen wurde, denn der Büttel war an der Tür stehen geblieben und Seine Hochwürden stand in unmittelbarer Nähe derselben; mithin mußte jedes Wort zu ihren Worten dringen. »So? Ihr habt also die Person mitgebracht, Stubs?« fragte der Prediger. »Ich hab Euch schon früher erwartet. Ihr wißt doch, daß ich kein Freund davon bin, über Leute lange in Ungewißheit zu bleiben.« »Freilich, freilich, Euer Ehrwürden. Aber das Mädchen hatte heute noch keinen Bissen genossen, und da hat Herr Tom ihr ein bißchen was vorgesetzt.« – »Recht so von ihm. Und was ist aus dem andern unglücklichen Wesen geworden?« – »Weil ich fürchtete, sie würde Euer Ehrwürden doch nur zum Aergernis dienen, habe ich sie laufen lassen. Sie wird wohl schon bei der Mutter sein,, die im Nachbar-Kirchspiel schlimm dran ist.« »Schlimm dran?« fragte der Pfarrer, »Ihr meint, im Stockhause?« – »Jawohl, Hochwürden, so ungefähr.« – »Armes Geschöpf, aller Besserung verschlossen,« rief der Prediger; »und welche Meinung habt Ihr von ihrer Gefährtin?« – »Hochwürden, dem Anschein nach eine reputierliche Person, sagt auch, sie habe Geld und werde dem Kirchspiel nicht zur Last fallen.« – »Nun, ja immer Eure erste Sorge! Aber hat sie den Verstand richtig beisammen? Kann sie für sich selbst sorgen?« »Darüber kann ich Gewisses nicht sagen, Hochwürden, die Klügste ist sie Wohl kaum, zum wenigsten hat Gaffer Gibs, der in ihrer Nähe in der Kirche gesessen, mitangesehen, daß die Madge zu allem, was der Gottesdienst von einem Christen fordert, sie hat erst nötigen und sogar zu Knuffen und Püffen hat greifen müssen, um sie aus ihrer Trägheit aufzurütteln. Ich hab gehört, daß sie Schottin sei, und von denen heißt's doch, sie wüßten sich bei aller Dummheit immer auszureden und durchzuhelfen. Sie ist auch anständig angezogen und hat nicht solchen Flitterkram an sich wie die andre.« »Nun, so sagt ihr, sie solle hereinkommen. Wartet aber unten!« Diese Unterhaltung hatte Jeanies Aufmerksamkeit so ganz in Anspruch genommen, daß sie erst, als sie zu Ende war, die Wahrnehmung machte, daß ein junger, bleich und krank aussehender Mensch von zwei Männern zur Glastür hereingetragen und auf ein Ruhebett gelegt worden war, um sich dort von der für ihn augenscheinlich zu großen Strapaze dieses Transports zu erholen. Unterdes war der Büttel aus dem Bibliothekszimmer gekommen und hatte Jeanie vor den Prediger geführt. Zitternd und zagend gehorchte sie, war es ihr doch zu Mute, als hinge von dem Eindrucke, den sie auf diesen Herrn Staunton machen würde, das Gelingen ihres ganzen Vorhabens ab. Herr Staunton aber sprach sie mildreich an, sagte, ihre Erscheinung in der Kirche sei freilich aufgefallen, zumal durch das höchst respektwidrige Verhalten ihrer Gefährtin, so daß die versammelte Gemeinde mit Recht Anstoß daran genommen habe, er möchte aber, ehe er sie zur Verantwortung zöge, denn er sei zugleich Friedensrichter im Kirchspiel, erst aus ihrem Munde hören, was sie zur Aufklärung des Vorfalls vorzubringen habe. »Euer Gnaden,« sagte sie – denn den Titel Hochwürden über die Lippen zu bringen, war ihr bei, ihrer strengen Richtung nicht möglich – »sind sehr gut und höflich.« »Wer sind Sie?« fragte der Geistliche strenger, »und was führt Sie in unsre Gegend, und in solche Gesellschaft? Landstreicher und Vagabunden dulden wir hier nicht.« »Ich bin keine Landstreicherin, Herr,« versetzte Jeanie, verletzt durch diese Voraussetzung, »sondern ein ehrliches schottisches Mädchen, auf der Wanderschaft nicht aus Zufall oder aus Neigung, sondern aus einem bestimmten Grunde; daß ich durch schlechte Gesellschaft eine ganze Nacht Aufenthalt gehabt habe, ist ein unglücklicher Zufall, an dem mich keine Schuld trifft. Das arme Geschöpf, das etwas verwirrt im Kopfe ist, hat mich am Morgen hierhergebracht.« »Schlechte Gesellschaft?« sagte der Prediger, »Sie sind ihr vielleicht nicht genug aus dem Wege gegangen?« »Ich bin streng genug erzogen worden, Herr,« antwortete Jeanie, »um böse Gesellschaft zu fliehen. Aber ich bin unter Diebe und Wegelagerer geraten, die mich mit Gewalt festgehalten haben.« »Also klagen Sie jemand an, Sie beraubt zu haben?« »Nein, Herr! Es ist mir nichts geraubt, auch kein ernstliches Leid zugefügt worden; aber die Menschen haben mich eingesperrt und nicht weggelassen, trotz allem Bitten.« »Eine merkwürdige Geschichte! und nicht sonderlich wahrscheinlich, Kind!« sagte der Prediger; »nach unsern Landesgesetzen müßten Sie, wenn die Klage anhängig würde, für ihre Durchführung einstehen.« Jeanie verstand den Sinn der Worte nicht, und nun setzte ihr der Prediger auseinander, daß das englische Gesetz demjenigen, welcher einen Verlust an seinem Eigentum oder seiner Ehre erlitten, noch die Sorge und die Kosten für die gerichtliche Verfolgung der Täter aufnötigt. Jeanie wiederholte, sie habe ein dringliches Geschäft in London, und wie die Dinge sich jetzt für sie gestaltet hätten, sei sie auf die Unterstützung irgend eines gütigen Herrn angewiesen, der ihr aus christlicher Barmherzigkeit bis zu einer Stadt weiter hälfe, wo sie Führer und Pferde erhalten könnte; aber um in einem englischen Gerichtshofe als Klägerin oder Zeugin aufzutreten, dazu müsse sie erst die väterliche Genehmigung einholen. Der Prediger blickte sie verwundert an. »Ist Ihr Vater ein Quäker?« fragte er. »Behüte Gott, Herr,« antwortete sie; »er ist weder Quäker, noch gehört er sonst einer Sekte an, hat sich vielmehr im ganzen Leben noch nicht mit solch argem Treiben befaßt.« »Wie heißt denn Ihr Vater?« fragte Herr Staunton verwundert. »David Deans, Herr. Er wohnt bei Edinburg am Sankt-Leonards-Felsen und ist Kuhpächter.« Aus dem Vorgemach klang ein tiefes Stöhnen herüber. Der Prediger fuhr zusammen. Dann stürzte er mit dem Rufe: »O Gott! Der unglückliche Jüngling!« hinaus, und wohl eine Stunde verging, ohne daß sich jemand im Bibliothekzimmer sehen ließ. Neuntes Kapitel Allein mit sich, überlegte Jeanie, welchen Weg sie am klügsten einschlüge. Einerseits verzehrte sie die Ungeduld, ihre Wanderung fortzusetzen, anderseits hatte sie aus den wirren Reden der unglücklichen Madge, wie aus der in der Scheune erlauschten Unterredung zwischen Madges Mutter und dem Wegelagerer, den diese Frank Lewitt genannt, sattsam ersehen, daß ein rachsüchtiger Plan im Werk sei, sie an der Fortsetzung ihrer Wanderung zu hindern; wenn sie aber nicht auf den Beistand des Predigers rechnen durfte, an wen sollte sie sich wenden? Endlich ging die Tür auf und zu ihrer nicht geringen Freude sah sie eine Person ihres eignen Geschlechts eintreten, eine Frau in vorgerückten Jahren von mütterlichem Aussehen, in der sie die Hausverwalterin vermutete. Jeanie erklärte ihr mit wenig Worten ihre Situation und bat sie um Hilfe und Beistand. Aber mit einer Person sich ohne weiteres zu befassen, die auf die Pfarrei gebracht wurden, um amtlich vernommen zu werden, wollte sich mit der Würde der alten Dame nicht vereinbaren, und so antwortete sie höflich, aber zurückhaltend: Der junge Herr sei mit dem Pferde gestürzt, leide überhaupt an häufigen Ohnmachtsanfällen, und darum sei es leicht möglich, daß Hochwürden das Mädchen warten lassen müßten; aber Jeanie möchte sich deshalb nicht beunruhigen, denn was recht und in Ordnung sei, und was in seinen Kräften stünde, würde der Herr gern tun, sobald er irgend Zeit dazu gewönne. Zum Schlusse bot sie Jeanie ein Stübchen an, wo sie sich so lange aufhalten könne, bis Hochwürden sie rufen lasse. Jeanie nahm das Anerbieten dankbar an und bat die würdige Frau um einige Dinge, die ihr zur Säuberung und Ordnung ihres Anzuges von nöten waren. Die Hausverwalterin gab sie ihr gern, denn Reinlichkeit und Ordnungsliebe rechnete sie zu den ersten menschlichen Tugenden. Die Veränderung, die auf diese Weise mit Jeanie vorging, gewann ihr das Herz der alten Frau, denn aus der unsaubern, fast liederlich aussehenden Person, die im Geruch der Landstreicherei stand, war eine schmucke, adrette, bescheidene kleine Schottin geworden, die die ehrsame Frau Dalton – so stellte sich ihr die Hausverwalterin jetzt vor – gern bat, ihr Mittagbrot zu teilen; und durch das artige, zurückhaltende Wesen, das Jeanie bei Tische zeigte, wurde sie noch um vieles mehr zu ihren gunsten eingenommen. »Da, Kind, kannst Du ein bißchen lesen,« sagte Frau Dalton, als sie abgeräumt hatte, und legte die Hand auf eine große Bibel; »Du kannst's doch?« Verwundert über solche Frage, antwortete Jeanie: »O, der Vater hätte lieber alles entbehrt, als mich solches Unterrichts ermangeln zu lassen.« »Brau, recht brav von Deinem Vater! Nun, so nimm das Buch und lies mir draus vor, denn meine Augen sind trübe. Schlage nur auf, was Du willst. Die Bibel ist ja das einzige Buch, worin Du auf nichts Unrechtes stoßen kannst.« Zuerst wollte Jeanie die Parabel vom barmherzigen Samariter lesen, aber ihr Gewissen hielt ihr vor, es möchte so aussehen, als ob sie die heilige Schrift nicht zur Erbauung allein, sondern in der Absicht, anderer Gemüter für sich einzunehmen, lesen wolle; mit strenger Rücksicht auf reine Pflichterfüllung wählte sie darum einen Abschnitt aus dem Propheten Jesaias, las mit so andächtiger Frömmigkeit, daß Frau Dalton sich höchst erbaut fand, und sagte, wenn alle schottischen Mädchen so wären wie sie, statt barfuß in die Stadt hinein zu kommen und sich auf allen Jahrmärkten herumzutreiben, dann möchte sich freilich für manche mehr als jetzt ein guter Dienst in England finden. Toms Eintritt unterbrach sie. »Der Herr wolle das Mädchen aus Schottland sehen,« meldete er. »Nun, so geh schnell, meine Liebe,« sagte Frau Dalton, »und erzähle ihm nur alles so wie mir. Ich habe ein Zeichen in das Buch gelegt und will in der Zeit eine Tasse Tee mit etwas Brot zurechtmachen, wie Du es in Deinem Schottland wohl noch nicht gegessen haben dürftest.« »Der Herr wartet,« mahnte Tom ungeduldig. »Schön, Sie Naseweis,« sagte Frau Dalton; »müssen Sie sich in alles mischen? Uebrigens habe ich Ihnen doch schon oft genug gesagt, Sie sollen von Herrn Staunton nicht anders als von Hochwürden reden! Es schickt sich nicht, ihn bloß als Herr zu titulieren.« Jeanie stand schon an der Tür, und der Diener schritt ihr voraus, vor sich hin brummend, es gäbe nun einmal mehr denn einen Herrn hier, und ließe man Frau Dalton allen Willen, noch eine Herrin dazu den Gang entlang bis zu einem Zimmer, das von außen so gut wie abgesperrt war dadurch, daß alle Läden geschlossen waren. Ein Bett stand darin, dessen Gardinen ebenfalls zugezogen waren. »So! Da ist das Mädchen,« sagte Tom. »Recht,« fügte eine Stimme vom Bette her, die aber nicht die des geistlichen Herrn war »und nun geh, Tom, und warte draußen, bis ich klingle.« Verwundert darüber, sich in einer Krankenstube zu sehen, sagte Jeanie: »Hier muß ein Irrtum vorwalten; der Diener sagte mir, der Herr Prediger.« »Seien Sie unbesorgt,« sagte die gleiche Stimme wieder, »von Irrtum ist keine Rede. Ich weiß von Ihren Angelegenheiten mehr als mein Vater und kann mit besserm Rate dienen als er, Tom, laß uns allem!« rief der Kranke, und Tom verschwand aus der Stube. »Zur Sache!« fuhr er fort, »es ist schon zuviel Zeit verloren gegangen. Oeffnen Sie den Laden ein wenig!« Sie gehorchte, und da er nun auch die Bettgardine zurückstreifte, fiel helles Licht auf sein bleiches, durch Kopfbinden halbverhülltes, erschöpftes Gesicht. »Sehen Sie mich an, Jeanie Deans,« sagte er; »besinnen Sie sich auf mich?« – »Nein,« erwiderte sie verwundert; »war ich doch nie zuvor in diesem Lande!« – »Aber ich könnte drüben in Schottland gewesen sein,« sagte er; »besinnen Sie sich! Ich möchte einen Namen nicht nennen, der Ihnen bitter verhaßt sein muß.« Eine schreckliche Erinnerung stieg blitzesgleich in Jeanies Geiste auf, die zusammen mit dem Klange seiner Stimme und mit den Worten, die er nun sprach, zur Gewißheit wurde. »Hören Sie mich ruhig an, Jeanie! und gedenken Sie der Muschatsteine!« Die Hände über der Brust faltend, von Todesangst geschüttelt, sank Jeanie auf einen Stuhl. »Ja,« rief er, »hier liege ich wie ein zertretener Wurm, und krümme mich vor Unrast und Ungeduld. Da liege ich, während ich in Edinburg sein und alles versuchen sollte, ein Leben, mir teurer als mein eigenes, aus Not und Pein zu retten! Wie steht's um Ihre Schwester? Zum Tode verurteilt! Ich hab's vernommen. Ha! Daß mein Pferd, das mich zu so vielen Sünden sicher führte, mit mir stürzen mußte auf dem einzigen gerechten Wege, den ich seit Jahren gegangen. Sagen Sie mir – o! ich darf nicht so wild sein, mein Körper hält's nicht mehr aus, und ich habe noch gar viel zu reden – geben Sie mir ein paar Tropfen aus dem Glas hier, zur Stärkung – Jeanie, sagen Sie mir, was Sie hierher führt, kurz und bündig – es ist schon zuviel Zeit vertrödelt worden – Sie zittern? Lassen Sie Tropfen Tropfen sein! Ich fühle mich wieder besser.. Was hat Sie hierher gefühlt, Jeanie? Sprechen Sie! sprechen Sie! Ich will Ihnen beistehen, und niemand kann es wie ich, sprechen Sie also! Und ohne Furcht! Wenn ich auch Ihrer Schwester schlimmster Feind gewesen, so will ich doch jederzeit mein Herzblut für sie vergießen.« »Ich fühle mich frei von Furcht, Herr,« antwortete Jeanie mit Ruhe, »denn ich baue auf Gott. Möge es Ihm gefallen, der Schwester die Freiheit zu geben, sei das Werkzeug auch, welches es wolle! Aber Ihren Rat, Herr, wenn er nicht mit der Lehre übereinstimmt, der ich anhänge, darf ich nicht annehmen.« »Hol der Teufel die Muckerei!« rief Georg Staunton, wie wir ihn jetzt nennen müssen; »Jeanie, mir hat die Natur ein wildes Temperament gegeben, und Ihre Worte machen mich rasend! Wie kann es Ihnen zum Nachteil sein, mir Kunde zu geben von der Lage Ihrer Schwester, und von den Hoffnungen, die sich ihr vielleicht noch bieten? Meinen Rat abzuweisen, haben Sie allemal noch Zeit, wenn er Ihnen verwerflich erscheint. Jetzt spreche ich ruhig mit Ihnen, obgleich das sonst meine Art nicht ist. Aber, Jeanie, Sie dürfen mich nicht zur Ungeduld treiben! Es würde mich außer stand setzen, für Effie etwas zu tun.« Nach einem kurzen Bedenken kam Jeanie zu der Einsicht, daß es ihr nicht gezieme, ihm die traurigen Folgen seines Verbrechens zu verheimlichen, auch nicht, seinen Rat zu verwerfen, der doch vielleicht einen Wink zur Hilfe enthielt. So gedrängt wie möglich erzählte sie ihm deshalb den Verlauf der Gerichtsverhandlung, das über Effie gefällte Urteil und die Gründe, die sie zu ihrer Wanderung bestimmt hatten. Er lauschte ihr mit äußerster Anstrengung, vermied alles, was Jeanie hätte stören können, aber das tiefe Leid, das ihm das Herz zerriß, verriet sich durch das Beben seiner Glieder, das krampfhafte Aufeinanderschlagen seiner Zähne. Als sie zu den Ereignissen kam, die ihre Wanderung hier unterbrochen, schienen diese Anzeichen von Reue zu verschwinden und einem maßlosen Staunen das Feld zu räumen. Er erkundigte sich genau über das Aussehen der beiden Wegelagerer, ließ sich das Gespräch wiederholen, das sie zwischen dem einen von ihnen und der alten Frau belauscht, und rief, als sie von dem Säugling sprach, dessen Amme sie gewesen: »Es ist leider wahr, die Quelle, die mir die ersts Lebensnahrung reichte, muß mir den verderblichen Hang zum Bösen eingeflößt haben, der meiner Familie bis dahin fremd war.« Jeanie berührte ihr Zusammensein mit Madge Wildfire nur flüchtig, weil es ihr nicht behagte, das zu wiederholen, was Madge vielleicht nur im Wahnsinn gesprochen, und war somit bald am Schlusse. Staunton saß ein paar Augenblicke in tiefem Sinnen. Dann sagte er, mit größerer Fassung als bisher: »Jeanie, Sie sind ein Mädchen, gefühlvoll und gut, und ich will Ihnen von meinem Leben erzählen, was ich bisher noch keinem Menschen erzählte. Es ist eine trübe Geschichte, ein Gewebe von Torheit, Schuld und Elend. Aber ich tue es, weil ich hoffe, mir dadurch Ihr Vertrauen zu gewinnen, weil ich von Ihnen erwarte, daß Sie in dieser schrecklichen Sache nach meinem Rat und Winke handeln werden.« »Alles will und werde ich gern tun, Herr,« antwortete sie, »was einer Schwester, Tochter und Christin geziemt. Aber von Ihren Geheimnissen sagen Sie mir nichts! denn auf Ihren Rat zu hören, geziemt mir so wenig, wie auf die Lehre, die zum Irrtum verleitet.« »Törin!« rief der Jüngling unwillig, »sehen Sie mich doch an! Habe ich etwa Pferdefuß oder Hörner und Klauen? Und wenn ich der Teufel nicht bin, was könnt ich damit bezwecken, die Einbildungen zu zerstören, mit denen Sie sich trösten oder betrügen? Hören Sie mich ruhig an, und Sie werden erkennen, daß mein Rat Ihnen kein Hindernis ist, bis zum siebenten Himmel zu gelangen, denn er wird Ihren Flug um kein hundertstel Quentchen erschweren.« Was er nun erzählte, las er zum Teil aus einem Hefte vor, vielleicht bestimmt, nach seinem Tode seinen Verwandten Aufschluß über sein Geschick zu geben. »Um mich kurz zu fassen,« begann er, »jenes greuliche Weib, die Grete Murdockson, war mit einem Diener meines Vaters verheiratet und meine Amme. Ihr Mann war tot, und sie wohnte in einer unserm Wohnhause nahe gelegenen Hütte. Sie hatte eine Tochter, die zu einem hübschen Mädchen heranwuchs, aber eitel und hoffärtig war. Die Mutter wollte sie zu einer Heirat mit einem alten, reichen Geizhals in der Nähe drängen; das Mädchen ließ sich mit mir ein und ich mit ihr. So abscheulich wie gegen Ihre Schwester gehandelt war's ja nicht, aber doch immer unrecht genug, denn schon ihre Torheit hätte ihr ein Schutz sein sollen. Bald darauf mußte ich außer Landes gehen, mein Vater bestand darauf; ich muß ihm die Gerechtigkeit lassen, daß ihn die Schuld nicht trifft, wenn ich zum Bösewicht wurde, daß er im Gegenteil alles getan, was mich zum Besten führen konnte. Als ich wiederkam, waren Mutter und Tochter aus dem Orte gejagt; meine Schuld war offenbar geworden, mein Vater stellte mich zur Rede, wir gerieten aneinander, und ich verließ das Vaterhaus, um mich einem wilden Abenteuerleben zu ergeben, entschlossen, nicht mehr wiederzukehren. Mein Hang war, glaube ich, besonderer Art, und hätten frühe Ausschweifungen ihn nicht entarten lassen, so wäre ich vielleicht zum Bessern zu lenken gewesen. Das tolle Treiben und die unbeschränkte Freiheit stand mir nicht so sehr zu Sinne, als der abenteuerliche Schwung, die Geistesgegenwart in Momenten der Gefahr und der Scharfsinn, der bei allen Unternehmungen aufgeboten werden mußte, in die ich mich mit meinen Kameraden einließ. Jeanie, haben Sie die Pfarrei sich angesehen? Ist's nicht eine freundliche, angenehme Stätte?« Jeanie, wenn auch von dem jähen Wechsel der Rede überrascht, antwortete bejahend. »Nun, Jeanie! Ich wünschte, sie wäre zehntausend Klafter unter der Erde, mit all ihren Aeckern und Zehnten und was sonst zu ihr gehört. Wäre sie nicht gewesen, und der Profit, den sie abwirft, und den meine Familie nie hat missen wollen, obwohl sie es recht gut gekonnt hätte, dann wäre ich Soldat geworden, hätte bloß die Hälfte von all dem Mut und der Gewandtheit aufzubieten brauchen, den ich unter Wilddieben und Schmugglern aufbieten mußte, und mir noch immer einen ehrenvollen Platz in der Welt gesichert. Mein abenteuerliches Leben führte mich nach Schottland, und hier schloß ich Bekanntschaft mit Wilson, einem merkwürdigen Menschen, der in jeder Lebenslage einen ruhigen, festen Sinn zeigte und mit ungewöhnlicher Leibeskraft und einer natürlichen Beredsamkeit begabt war, die ihm ein Uebergewicht über all seine Gefährten gab. Zu seinem und meinem Unglück wollte es das Schicksal, daß er, trotz der Verschiedenheit unserer Herkunft und Erziehung, einen faszinierenden Einfluß auf mich gewann, den ich nur der Ueberlegenheit seines ruhigen Charakters über meine maßlose Heftigkeit zuschreiben kann. Wohin er ging, mußte ich ihm folgen; sein Mut und seine List hielten mich in seinem Banne. Verstrickt unter seiner erstaunlichen Leitung in die verwegensten Abenteuer, machte ich die Bekanntschaft Ihrer Schwester auf einem Ball in der Vorstadt, den sie heimlich besuchte, und ihre Verführung bildete nur einen Akt in dem Drama von Schändlichkeiten, das ich nun, tiefer und tiefer sinkend, aufführte. Aber es war nicht das Werk eines abgefeimten Planes, der mir ihre Schwester zu Willen machte, nein! das dürfen Sie mir glauben, und der Entschluß, ihr allen Ersatz durch Heirat zu leisten, sobald ich mich aus meinen Sünden gerissen, stand bei mir fest. Ich hatte tolle Träume, malte mir aus, wie ich sie nach einer armseligen Hütte führen und von da plötzlich zu Rang und Reichtum führen wollte; und in diese Zeit fallen die Bemühungen eines Freundes, mich mit meinem Vater auszusöhnen. Der Augenblick war nahe, da erfuhr, Gott weiß wie, mein Vater, wie tief ich gesunken sei, schrieb mir, er hätte keinen Sohn mehr, sandte mir eine nicht unbedeutende Summe und riet mir, damit aus England zu verschwinden. Ich geriet in Verzweiflung, und um mich zu betäuben, ließ ich mich mit Wilson in ein Schmuggelgeschäft ein, das aber fehlschlug. »Beute lockte mich nicht; ich überließ sie willig den Gefährten und bestand nur darauf, daß man mich auf den gefährlichsten Posten stellte. Ich besinne mich noch recht gut, als sie mich mit gezücktem Säbel Wache stehen ließen, daß ich mit keinem Atem an die eigene Sicherheit dachte, sondern nur in dem Gefühle schwelgte, wie angenehm es in den Ohren der hochmütigen Familie Willingham klingen werde, wenn sie hörten, daß einer ihres Geschlechts, der wahrscheinliche Erbe all ihrer Ehren und Würden, unter den Händen des Henkers sterben solle deshalb, weil er ein Zollhaus an der schottischen Grenze ausgeraubt hätte! »Wir wurden, wie ich nicht anders erwartet, ergriffen, prozessiert und verurteilt. Aber je näher der Tod rückte, desto gräßlicher erschien er mir, und das Bewußtsein, Ihre Schwester hilflos zurückzulassen, rüttelte mich Zu dem Entschlusse auf, meine Rettung zu versuchen. In Edinburg hatte ich, wie ich zu erwähnen vergessen, die Grete Murduckson mit ihrer Tochter wiedergefunden. Sie war in ihrer Jugend Marketenderin gewesen und stand, unter dem Deckmantel eines kleinen Handels, mit allerhand Gaunervolk in Verbindung. Die erste Auseinandersetzung verlief höchst stürmisch, aber ich gab, was ich hatte, und so schien sie vergessen zu wollen, was ich ihrer Tochter angetan, deren Verstand, wie sie sagte, durch eine schwere Niederkunft gelitten habe. Daß dem so war, erkannte ich bald selbst, denn als ich ihr gegenüber trat, wußte sie nichts mehr von mir und von dem, was ich ihr angetan. Aber jeder Blick des unglücklichen Wesens, jedes Wort aus ihrem Munde, die unklaren Andeutungen auf Vorgänge, die so scharf in meinem Gedächtnis standen, waren ebensoviel Dolchstiche für mich, ich mußte es ertragen und habe es ertragen. Doch nun zu den Qualen, die mich im Gefängnisse folterten. »Nicht die geringste darunter war die nahende Niederkunft Ihrer Schwester; wie sehr sie fürchtete, daß ihre Schande Ihnen und dem Vater zu Ohren käme, wußte ich; oft sagte sie, lieber wolle sie tausendmal sterben, ehe sie das erlebte und doch mußte für ihr Wochenbett Fürsorge getroffen werden. »Daß die Grete Murdockson ein Teufel sei, wußte ich; ich glaubte aber, sie sei mir zugetan und würde mir um des Geldes willen, mit dem ich ihr gegenüber nicht geizte, treu bleiben. Sie übernahm es, für Effie zu sorgen, nachdem sie mir und Wilson Feilen ins Gefängnis zugeschanzt hatte. Effie sollte, bis ich entwichen und wieder im stande sei, Bestimmungen zu treffen, in ihrer Obhut bleiben. Ich setzte Effie hiervon in Kenntnis. Unser Fluchtversuch mißlang, durch Wilsons Eigensinn; aber die unerschrockene und selbstlose Art, wie er denselben wieder gut machte, hat in Schottland lange genug den Gesprächsstoff gebildet. Es war ein kühnes Unterfangen von ihm und er führte es mit der größten Bravour aus. Ich mag viele Fehler haben; aber Undankbarkeit und Feigheit gehören nicht dazu. Ich nahm mir vor, ihm seine Großmut zu lohnen, und hinter dieser Aufgabe mußte die Sorge um Ihre Schwester momentan zurücktreten. Doch vergaß ich über der Befreiung des Freundes die Geliebte nicht; die Spürhunde der Polizei waren scharf hinter mir her, so daß ich mich nicht in die Stadt hinein wagen durfte; es gelang mir, die Murdockson in einer Vorstadt zu sprechen, und nun erfuhr ich von ihr, daß Effie einem Knaben das Leben geschenkt habe. Ich gab ihr Geld über Geld mit der Bitte, es ihr an nichts mangeln zu lassen, und verwendete den ganzen Rest der mir vom Vater gesandten Summe dazu. Dann suchte ich Wilsons Kameraden in ihren Schlupfwinkeln auf und erklärte mich bereit, den zu seiner Befreiung geplanten Ueberfall der Stadtwache zu leiten. Er wäre uns auch gelungen, hätte nicht die Stadt-Obrigkeit, auf Anraten des schurkischen Hauptmanns Porteous, die Hinrichtung um eine halbe Stunde früher angesetzt, so daß wir zu spät kamen, denn wir hatten ausgemacht, uns erst zu sammeln, wenn Wilson zum Schafott geführt würde; wir hatten vermeiden wollen, Aufsehen zu wecken, was leicht möglich gewesen wäre, wenn wir den Markt früher besetzten. Aber noch immer gab ich nicht alles auf, sondern erstürmte das Schafott und schnitt Wilsons Leiche los, mit eigner Hand! Es war zu spät! Der beherzte Schmuggler hatte ausgelitten, und wir konnten ihm bloß ein ehrliches Begräbnis schaffen. Nun blieb uns nur die Rache.« »O Herr!« rief Jeanie ein, erschüttert von dem Gehörten, »und Sie gedachten des Bibelwortes nicht: Mein ist die Rache; ich will vergelten, spricht der Herr?« – »Bibel?« fragte Georg Staunton höhnisch, »was soll sie mir? »Ich habe sie seit fünf Jahren nicht aufgeschlagen!« – »Heiliger Gott! Weh mir!« rief Jeanie, »und solche Rede aus dem Mund eines Predigersohnes?« »Daß Sie so reden, ist begreiflich« nahm er wieder das Wort; »aber lassen Sie mich meine Erzählung, so fluchwürdig sie ist, zu Ende bringen. Porteous, der Stadtgarden-Hauptmann, wurde durch die übertriebene Pflichterfüllung sowohl mir als der ganzen Edinburger Bevölkerung verhaßt, besonders dadurch, daß er auf den Pöbel schießen ließ und selbst schoß, als gar keine Notwendigkeit mehr dazu vorlag. Alles schwor ihm Rache, aber Vorsicht war von nöten; denn mir war es so vorgekommen, als ob mich einer von den Fronen erkannt hätte. Ich verhielt mich also in der Nähe der Stadt, setzte aber keinen Fuß hinein, bis es mich zuletzt nicht länger hielt, mich nach Effie und ihrem und meinem Knaben umzusehen. Die Wohnung fand ich, aber weder Effie noch das Kind – beide waren verschwunden, und die Murdockson sagte mir, sobald Effie gehört habe, Wilsons Befreiung sei fehlgeschlagen, und die Polizei sei scharf hinter mir her, sei sie in ein hitziges Fieber verfallen und, kaum genesen, bei der ersten Gelegenheit, die sich ihr bot, entflohen. Ich überschüttete sie mit Vorwürfen, drohte mit der Polizei; aber sie blieb kalt, meinte, ich hätte mehr auf dem Kerbholze als sie, und Rache, mit der ich nun drohte, hätte ich nach allem, was zwischen ihr und mir vorgefallen, mehr zu fürchten als sie. Ich raste hinweg und betraute einen Kameraden, sich nach Effie in Sankt-Leonard zu erkundigen. Nach einem fernen Schlupfwinkel – denn die Polizei verfolgte mich unablässig – brachte er mir die Nachricht, daß Porteous zum Tode verurteilt und Effie in den Kerker abgeführt worden sei. Noch einmal wagte ich mich in die Wohnung der Murdockson und sagte ihr ins Gesicht, sie hätte Effie tückisch in Elend und Jammer gebracht, bloß um sich auch noch des Geldes, das ich Effie dagelassen, zu bemächtigen. Jetzt aber hat mir Ihre Erzählung von der Verfolgung, der Sie ausgesetzt gewesen, das rechte Licht gebracht; jetzt weiß ich, daß Rachedurst das Motiv ist, das sie leitet. Herrgott! Warum hat sie nicht mich dem Schafott überliefert!« »Aber was sagte sie von Effie und ihrem Kinde, die Elende?« fragte Jeanie, trotz aller Schrecknisse der Erzählung noch immer gefaßt und besonnen genug, um diejenigen Punkte zu erfassen, die Licht in die unglückliche Lage der Schwester zu bringen vermöchten. »Sie weigerte alle Auskunft, meinte, ihres Wissens sei Effie mit ihrem Kind auf dem Arm bei Mondschein entwichen und habe das arme Ding vielleicht in die See geworfen.« – »Aber Sie halten es für nicht wahr?« rief Jeanie zitternd; »und warum nicht?« – »Weil ich diesmal die Tochter traf und von ihr herausbrachte, das Kind sei während Effies Krankheit weggeschafft oder ermordet worden. Aber all diese Auskünfte waren zu unsicher, als daß sich Weiteres hätte in Erfahrung bringen lassen. Bloß läßt mich der teuflische Charakter dieser alten Furie alles befürchten.« »Die letzte Kunde stimmt mit der Aussage meiner armen Schwester überein,« sagte Jeanie; »aber, Herr, ich bitte Sie, Ihre eigene Erzählung fortzusetzen,« »Daß Effie, so lange sie bei Verstand gewesen, keinem sterblichen Wesen ein Leid hat zufügen können, davon bin ich überzeugt,« erklärte Staunton, »was aber konnte ich tun, sie zu rechtfertigen? Nichts – und das brachte mich außer mir! Ich versuchte alles, sie zu retten, kroch demütig vor der alten Hexe, in deren Hand ja auch mein Leben lag, tat als ob ich ihr vertraute, aber ob sie mir auch Proben ihrer Treue gab, gelangte ich doch durch sie zu nichts Bestimmtem für Effies Rettung. Da brachte mich die Wut, die in ganz Edinburg über die dem Schufte Porteous bewilligte Galgenfrist herrschte, die ja immer nur das Vorspiel gänzlicher Begnadigung ist, auf den Einfall, mit dem Pöbel den Kerker von Edinburg zu stürmen, und so nicht bloß den Schuft der verdienten Strafe zu überantworten, sondern Ihre Schwester, Jeanie, den Klauen der Justiz zu entwinden. Als die Gärung den Höhepunkt erreicht, stürzte ich unter die rasende Menge, die mich zum Anführer wählte, und führte den Plan aus. Einem Vertrauten gab ich Auftrag, Effie, sobald die Meuterei das Gefängnis verließen, an einen sichern Ort zu geleiten, von wo ich mit ihr über See fliehen wollte. Aber alle Überredungskunst, die ich in der Eile des Augenblicks aufwandte, scheiterte an ihrem Starrsinn. Die Ehre sei verloren, sagte sie, und so habe auch das Leben für sie keinen Wert mehr.« »Es war recht von ihr gehandelt,« sagte Jeanie, »zu bleiben, und ich liebe sie darum nur mehr.« – »Was soll das heißen?« rief er. – »Es wäre müßig, Ihnen Gründe darzulegen, für die Sie doch nicht Verständnis finden würden, denn wer nach dem Blute seines Feindes dürstet, hat keinen Sinn für den innersten, heiligsten Bronnen des Lebens.« »So wurden meine Hoffnungen,« fuhr Staunton fort, »zum zweiten Male getäuscht. Mein nächster Versuch war, durch Ihre Hilfe dem wider Effie angehängten Prozesse einen günstigen Ausgang zu geben. Aber darüber brauche ich Ihnen nichts zu sagen, denn diese Vorgänge sind Ihnen ja so bekannt wie mir. Meinen Sie meinetwegen, es auch in mir mit einem Wahnsinnigen zu tun zu haben! Ich wußte nicht, wohin mich wenden, da alle meine Anstrengungen umsonst waren; und so floh ich aus Schottland, erreichte das Vaterhaus, mein elendes Aussehen erwärmte das Herz des Vaters, und er gewährte mir Verzeihung. Hier habe ich nun in Seelenangst, wie sie schlimmer kein dem Tode geweihter Verbrecher fühlen kann, den Verlauf des Prozesses gegen Effie abgewartet.« – »Ohne Schritte zu ihrem Heile zu tun?« fragte Jeanie. – »Ich hatte noch immer Hoffnung, es werde einen glücklichen Ausgang für sie nehmen,« antwortete er, »und erst vorgestern erreichte mich die Unglückskunde. Ich wußte, was mir allein noch zu tun blieb, und saß im Nu auf meinem besten Rosse, nach London zu jagen und von dem Staatssekretär der Justiz, Robert Walpole, Effies Leben zu erkaufen durch Auslieferung des berüchtigten Georg Robertson, des Spießgesellen von Andrew Wilson und Anführers des Edinburger Pöbels im Porteous-Aufruhr.« »Und Sie meinen, das hätte meiner Schwester das Leben gerettet?« fragte Jeanie. »So, wie ich die Sache eingefädelt hätte, ja!« antwortete er mit Festigkeit; »Rache ist ein Gift, das den Gaumen des Fürsten kitzelt wie den des Bauern. Was kann dem Staate liegen am Leben eines schlichten Landmädchens? Aber für das Haupt solch frecher Verschwörung gegen die Landesgesetze hätte man mir die Kronjuwelen nicht geweigert. Doch auch dieser Plan, der nicht mißlungen wäre, mußte scheitern, denn keine zehn Stunden von hier stürzte mein sonst so sichres Roß in eine Schlucht, wie von einer Kanonensalve niedergestreckt. Der Himmel ist gerecht und wollte mir den Mut nicht gönnen, freiwilligen Ersatz für Ihre Schwester zu stellen. Ich litt schweren Schaden an meinem Leibe und wurde in dem Zustande aufgefunden und zurückgebracht, in welchem Sie mich hier sehen.« Kaum hatte Georg Staunton geendigt, als die Tür aufging und Toms ängstliches Gesicht sich in ihrem Rahmen zeigte. »Seine Hochwürden sind auf dem Wege die Treppe herauf, um Ihnen einen Besuch zu machen, gnädiger Herr!« »Ums Himmels willen, Jeanie, verstecken Sie sich!« rief der junge Staunton, »dort im Ankleidezimmer!« – »Nein, Herr,« versetzte Jeanie, »ich bin nicht in böser Absicht hier und kann die Schande nicht auf mich laden, mich vor dem Herrn des Hauses zu verstecken.« – »Aber, Gott im Himmel, so bedenken Sie doch!« Doch ehe er ausgesprochen hatte, ging die Tür auf, und sein Vater trat herein. Zehntes Kapitel Jeanie stand sogleich auf, um dem Prediger, dessen Verwunderung, sie in Gesellschaft seines Sohnes zu finden, schier keine Grenzen fand, einen artigen Knicks zu machen. »Ich sehe, daß ich Sie doch nicht recht beurteilt habe,« sagte er, sich an sie wendend, »und hätte es wohl dem jungen Manne überlassen sollen, Sie zu examinieren und Ihnen die erlittene Unbill weit zu machen, denn es scheint, die beiden Personen sind alte Bekannte.« »Daß ich hier bin,« antwortete Jeanie, »ist ganz wider meinen Willen; der Diener sagte, der Herr wollte mich sprechen, und hat mich hierher geführt.« »Na,« murmelte Tom vor sich hin, »auf die Weise muß ich's wieder ausbaden! Die Schwerenot über das Frauenzimmer! Muß sie auch gerade die Wahrheit reden! Jeder andere Bescheid hätte es doch auch getan!« »Georg!« wandte sich Herr Staunton an seinen Sohn, »wenn Du auch von Deinen Gewohnheiten noch immer nicht gelassen hast, so hättest Du doch Deinem Vater und Deinem Hause solch unangenehmen Auftritt ersparen können!« »Bei meinem Leben, meiner Ehre, Vater,« rief der Jüngling. »Wenn Sie in allen Hinsichten auch recht haben, mich zu tadeln, in dieser haben Sie unrecht! Bei meiner Ehre, unrecht!« »Bei Deiner Ehre!« wiederholte der Vater, sich geringschätzig von ihm weg und, zu Jeanie wendend. »Von Ihnen, junge Person, begehre und erwarte ich keine Erklärung; aber als Vater dieses jungen Menschen und Herr dieses Hauses befehle ich Ihnen, sich aus diesem Hause zu entfernen.« »Nein, Vater,« rief Georg, trotz aller Schmerzen, die ihn plagten, aufspringend, »Sie sind von Herzen gut und human, und meinetwegen sollen Sie nicht grausam und inhuman werden! Heißen Sie den Aufpasser dort gehen!«»sagte er, auf Tom zeigend, »und geben Sie mir ein paar von den stärkenden Tropfen; dann will ich Ihnen die Geschichte meiner Bekanntschaft mit dem Mädchen erzählen, die um meinetwillen ebenfalls nicht in schlimmen Verdacht geraten soll! Dazu habe ich ihrer Familie schon zu schweres Leid angetan, und hab's nur zu gut empfunden, wie tief der Verlust eines guten Namens schmerzt.« »Gehen Sie,« sagte der Prediger, zu Tom und schloß hinter ihm die Tür ab. Dann wandte er sich zu seinem Sohne: »Ich bin bereit, die neue Ehrlosigkeit von Dir zu hören.« Der junge Staunton wollte eben zu sprechen anfangen, als ihm Jeanie, in einem jener Momente besonnenen Mutes, der starke Seelen auszeichnet, das Wort vom Munde abschnitt, indem sie sich an Staunton den Vater wandte: »Mein Herr! Sie haben wohl das Recht, Ihren Sohn über sein Betragen zur Rede zu stellen; aber ich bin hier bloß Passantin und als solche Ihnen in keiner Weise verpflichtet, es sei denn für die Mahlzeit, die Sie mir freundlich reichen ließen; die wir in Schottland aber für jeden übrig haben, ob reich oder arm, und die ich gern bezahlt hätte, wenn ich nicht hätte fürchten müssen, mit solcher Zumutung zu beleidigen.« »Alles ganz gut und schön,« antwortete, nicht wenig erstaunt, der Geistliche, »aber wir wollen bei der Sache bleiben; es gefällt mir wenig, daß Sie sich herausnehmen, dem jungen Manne den Mund zu verbieten, als er willens war, sich seinem Vater zu offenbaren über ein Verhältnis, das nicht eben erfreulich zu sein scheint.« »Von seinen eignen Angelegenheiten mag er sprechen, was und soviel er will,« antwortete Jeanie; »aber von den Meinigen soll nichts bekannt werden ohne ihr Wissen und ihren Willen, und ich muß mir ausbitten, daß Sie Herrn Georg Ro – oder Staunton – wie sein Name nun heißen mag – nicht über die Meinigen ausfragen; denn sofern er auf den Namen eines Christen oder Edelmannes Anspruch erhebt, darf er solcher Aufforderung nicht nachkommen.« »Ich fühle, Vater,« sagte der Jüngling, »mit meinem Worte zu rasch gewesen zu sein, denn es steht mir wirklich kein Recht zu, über ihre Angehörigen etwas auszusagen, sofern sie mir die Erlaubnis dazu verweigert.« Wieder ließ der Prediger seinen Blick erstaunt vom einen zur andern gleiten. »Ich fürchte, was hier spielen mag, ist schlimmer als alles, was meine Ohren bis jetzt über Dich hörten, Georg! Ich bestehe aber gerade darum darauf, dies Geheimnis zu erfahren.« »Ich habe schon erklärt, daß ich ohne Erlaubnis des Mädchens nicht sprechen darf,« sagte der Sohn. »Und ich verfüge über keine Geheimnisse,« sagte Jeanie, »sondern habe Sie nur noch zu bitten, Herr, als Prediger des Evangeliums und rechtschaffener Mann, mich nach dem nächsten Gasthause auf der Londoner Straße führen zu lassen.« »Für Ihre Sicherheit werde ich sorgen,« rief der Jüngling; »Sie sollen nicht notwendig haben, von anderen, was meine Pflicht ist, als Gunst zu erbitten.« »Wagst Du so in meiner Gegenwart zu sprechen?« rief der jetzt mit Recht erzürnte Vater. »Willst Du durch eine Mißheirat das Maß Deiner Vergehen füllen? Aber nimm Dich in acht, ich rate es Dir.« »Wenn Sie das im Hinblick auf mich befürchten, Herr,« sagte Jeanie, »so kann ich Ihnen nur sagen, daß ich für alles Land von einem Ende des Regenbogens zum andern Ihren Sohn nicht zum Manne nähme.« »In all diesen Dingen steckt etwas, was ich mir nicht erklären kann,« sagte der Prediger; »komm mit mir in das andere Zimmer, Mädchen!« »Höre mich erst an, Jeanie Deans,« rief der Sohn ihr zu; »nur ein Wort, ich baue auf Deinen Verstand. Entdecke meinem Vater soviel Du willst von diesen Dingen, durch mich soll er nicht mehr erfahren.« Sein Vater warf ihm einen unwilligen Blick zu, der sich aber zu gramvoller Sorge milderte, als er ihn, erschöpft von dem Vorgange, auf sein Lager zurücksinken sah. Er ging aus der Stube und Jeanie folgte ihm. Als sie über die Schwelle ging, erhob sich Georg Staunton und rief ihr mit feierlich ermahnendem Tone nach: »Bleib eingedenk!« »In Deiner Miene und Deinem Wesen,« sagte der Prediger, als er mit Jeanie allein war, »liegt etwas, das auf Verstand und Unbefangenheit und auch Unschuld schließen läßt, sofern ich nicht irre – Du müßtest denn auch die größte Heuchlerin sein, die mir je vor Augen gekommen. Ich will Dich nach keinem Geheimnis fragen, am wenigsten nach solchem, die meinen Sohn betreffen. Seine Aufführung hat mir schon zu viel Kummer bereitet, als daß ich je Trost oder Freude von ihm erwarten dürfte. Glaube mir aber, Deine Verbindungen mit ihm seien, wie sie wollen, je eher Du ihnen entsagst, desto besser.« »Ich verstehe Sie, Herr,« versetzte Jeanie! »da Sie selbst aber so freimütig über Ihren Sohn sprechen, muß ich Ihnen sagen, daß ich ihn heute erst zum zweitenmal in meinem Leben gesprochen; und was ich hier aus seinem Munde hörte, legt mir den Wunsch nahe, nie wieder Aehnliches zu hören.« »So ist es also Deine ernstliche Absicht, diese Gegend auf der Stelle zu verlassen und nach London zu gehen?« »Allerdings, Herr; denn ich kann in gewissem Sinne sagen, daß mir der Bluträcher nachjage; und wäre ich nur gegen Unheil auf dem Wege geschützt – –« »Ich habe über jene verdächtigen Menschen, die Du mir beschrieben, Erkundigungen einziehen lassen; sie sind nicht mehr in ihrem Schlupfwinkel angetroffen wurden; doch könnten sie in der Nachbarschaft lauern, und da Du persönliche Gründe hast, vor ihnen auf der Hut zu sein, will ich Dich der Fürsorge eines sichern Begleiters überantworten, der Dich nach Stamford bringen und Dir dort Gelegenheit verschaffen soll, mit der Landkutsche weiter zu kommen.« »Eine Kutsche schickt sich nicht für Leute meines Standes,« sagte Jeanie, denn sie wußte nichts von Postwagen, die damals nur in der unmittelbaren Nähe Londons gebräuchlich waren. Herr Staunton gab ihr einige Auskunft über diese bequemere, wohlfeilere und sichrere Art zu reisen; und sie gab ihrer Dankbarkeit hierfür so aufrichtigen und unbefangenen Ausdruck, daß er sich zu der Frage veranlaßt fühlte, ob es ihr auch nicht an Geld fehle? Sie sagte indes, sie habe noch so viel, als sie brauche, um bis London zu kommen; und wirklich war sie auch mit ihrer kleinen Barschaft sehr sparsam umgegangen. Herr Staunton befragte sie dann, nach welchem Stadtviertel von London sie zu gehen wünsche. »Zu meiner Muhme, der Frau Glas, die einen Rauch- und Schnupftabak-Laden »zum Dornbusch« in London hat,« antwortete Jeanie, nicht ohne einen Anflug von Selbstgefühl, denn sie meinte nicht anders, als daß dieser Bescheid dem Geistlichen imponieren müsse. »Und ist das Deine einzige Bekannte dort, mein armes Kind?« fragte dieser mitleidig. »Weißt Du wirklich keine bessere Adresse, als Du hier angibst?« »Ich will auch zum Herzog von Argyle,« sagte Jeanie; »wenn Sie indessen meinen, es sei besser, erst zu diesem zu gehen, so könnte ich ja einen von dessen Leuten bitten, mir meiner Muhme Laden zu zeigen.« »Hast Du Bekannte unter der Dienerschaft des Herzogs?« »Nein, Herr.« »Es scheint doch nicht ganz richtig mit ihr,« dachte der Geistliche, »sonst könnte sie sich wohl nicht einbilden, bei solchem Herrn ohne alle Fürsprache vorgelassen zu werden«. »Aber,« wandte er sich zu ihr, »wenn ich den Grund Deiner Reise nicht wissen darf, dann kann ich Dir doch auch nicht raten. Merke Dir aber, daß die Gasthofswirtin, bei der Du einkehren wirst, eine brave, anständige Frau ist; ich kenne sie, denn ich steige, hin und wieder bei ihr ab und will Dir ein Paar Worte an sie mitgeben.« Jeanie dankte ihm für diese Güte. »Mit dem Brief von Euer Gnaden,« fügte sie, »und dem von der braven Frau Bickerton von den sieben Sternen zu Durk kann's mir ja kaum in London fehlen.« »Und nun willst Du wohl so bald wie möglich fort?« »Wäre ich in einem Gasthof oder sonst einer schicklichen Raststelle abgestiegen, würde ich am Tage des Herrn meine Wanderung nicht fortsetzen. Da ich aber einen Weg der Barmherzigkeit vorhabe, wird es mir hoffentlich nicht als Sünde angerechnet werden, daß ich es tue.« »Wenn es Dir recht ist, kannst Du den Abend bei Frau Dalton bleiben; ich möchte bloß nicht haben, daß Du mit meinem Sohn noch einmal sprächest, der keinesfalls ein Mensch ist, auf dessen Rat Du etwas geben solltest, möge Deine Situation noch so schlimm sein.« »Euer Gnaden haben recht, und durch mich ist auch die Unterhaltung, in der Sie mich mit ihm trafen, nicht herbeigeführt worden. Ich wünsche dem jungen Herrn alles Gute, doch es wäre mir lieber, ich sähe ihn in meinem Leben nicht wieder.« Der Geistliche ließ Frau Dalton rufen und bat sie, für Jeanie aufs beste zu sorgen. Dann verabschiedete er sich ernst und würdevoll von ihr, indem er ihr nochmals Geleit für den anderen Morgen nach Stamford zusicherte. Die Hausverwalterin führte sie wieder zu ihrem Stübchen, der Abend sollte indes nicht vorübergehen, ohne daß sie nochmals von Georg Staunton belästigt wurde. Thomas drückte ihr nämlich einen Zettel in die Hand, der ihr den Wunsch oder vielmehr das dringende Verlangen des jungen Mannes meldete, ihm auf der Stelle eine nochmalige Unterredung zu gewähren; er habe dafür Sorge getragen, daß keine Störung zu erwarten sei. »Sage Deinem jungen Herrn,« erwiderte Jeanie laut, ohne sich durch die Winke und Zeichen das Lakaien irre machen zu lassen, »daß ich seinem ehrenwerten Vater fest versprochen habe, mich nicht mehr mit ihm zu befassen.« Thomas zog sich darauf kleinlaut zurück, zumal auch Frau Dalton die günstige Gelegenheit nicht vorüber gehen ließ, ihm einen derben Denkzettel zu erteilen. Nach einer ruhigen Nacht verließ Jeanie früh am andern Morgen die gastliche Pfarrei; auf einem Reitkissen saß sie hinter einem rüstigen, wohlbewaffneten Landmann auf einem tüchtig ausschreitenden Pferde. Eine Zeitlang ging es einen Feldweg entlang, der aber bald auf die Landstraße führte; bis dorthin war kein Wort zwischen ihnen gefallen. Nachher aber fragte sie der Bauer, ob sie nicht die Jeanie Deans sei, die Pächterstochter von Sanct Leonard. Verwundert bejahte sie die Frage. »So hab' ich hier was für Euch,« sagte der Mann und reichte ihr ein Zettelchen über die linke Schulter; »es kommt, glaub ich, von unserem jungen Herrn, dem ja bei uns in Willingham jeder gern zu Gefallen tut, aus Liebe oder aus Furcht, was er ihm von den Augen absehen kann – wird er ja doch einmal unser Herr, mögen auch die Leute von ihm reden, was sie wollen.« Jeanie erbrach das Siegel und las: »Sie wollen mich nicht sehen, wahrscheinlich weil Sie sich bangen; ich hätte Ihnen doch vielleicht manches nicht sagen sollen; aber meine Aufrichtigkeit zeigt Ihnen, daß ich, mag ich noch so schlecht sein, zum wenigsten kein Heuchler bin, Sie haben gesehen, daß ich meine eigene Ehre, die Ehre der Meinigen, ja mein Leben für Ihre Schwester zu opfern bereit bin, und Sie weigern sich doch zu kommen? Sie achten mich zu gering, halten mich nicht für wert, etwas für Sie zu tun. Nun, wollen Sie auch von mir nichts wissen, so ist doch das Opfer, das ich bringen will, einiger Beachtung wert; wer weiß, ob nicht die vergeltende Gerechtigkeit des Himmels mir den traurigen Ruhm versagt, das Opfer aus eigenem freien Willen zu bringen? Da Sie nun von mir nichts wissen wollen, müssen Sie eben selbst zusehen, wie Sie bei der Sache, die mich soviel beschäftigt, wie Sie zurecht kommen. So gehen Sie denn zum Herzog von Argyle, und sollten alle Ueberredungskünste nichts helfen, so sagen Sie ihm, es stünde in Ihrer Macht, den Mann der Obrigkeit zu überliefern, der den Edinburger Pöbel im Porteus-Aufstande angeführt hat. Wenn Sie ihm das sagen, so predigen Sie keinen tauben Ohren: das kann ich Ihnen versichern. Stellen Sie die Bedingungen, wie Sie wollen: Wo ich zu finden bin, wissen Sie; daß ich nicht fliehen werde, wie einst bei den Muschat-Steinen, um der Gefahr zu entrinnen, wissen Sie auch. Im Vaterhause werde ich bleiben – will mich gleich von dem Hasen zerreißen lassen, wo man mich aufjagt. Daß Sie als Lohn für die Auslieferung dieses Verbrechers das Leben Ihrer Schwester fordern können, fordern müssen, brauche ich Ihnen nicht zu sagen, aber daß Sie auch Amt und Einkommen für Butler fordern dürfen, will ich Ihnen noch sagen, denn man wird Ihnen alles gewähren, wenn Sie dem Henker einen Menschen überliefern, der zwar jung an Jahren, aber alt an Sünden ist und der kein anderes. Verlangen mehr hat, als nach den Stürmen eines wilden Lebens sein Haupt niederzulegen und zu schlafen,« Dieser wunderliche Brief war mit den Anfangsbuchstaben G. S. unterschrieben. Jeanie las ihn zweimal mit größter Aufmerksamkeit durch; dann aber zerriß sie ihn in lauter kleine Schnippelchen, die sie dem Winde als Beute ließ, um zu verhindern, daß ein so gefährliches Geheimnis in fremde Hände gerate. Dann ging sie mit sich zu Rate, ob sie im äußersten Falle das Recht habe, den Mann, von dem ihr das Schreiben zugegangen, für die Schwester zu opfern. Einerseits wollte es ihr als gerechte Wiedervergeltung bedünken, daß derjenige, der ihre Schwester ins Unglück gebracht, auch die Strafe dafür leide. Anderseits aber widerstrebte es ihrem strengen Sittlichkeitsgefühl, daß Effie als die Mitschuldige nicht bloß straffrei ausgehen, sondern ihr Leben behalten, weil Staunton es verlieren sollte. Zudem betrachtete sie die am Hauptmann Porteous verübte Rache als Schottin, mithin durchaus nicht als ungehörig oder gar als straffälligen Verstoß gegen Recht und Gesetz, sondern zitterte vielmehr bei dem Gedanken, durch eine Denunziation des Rädelsführers als Verräterin an ihrem Volke angesehen zu werden. Und doch wieder war es eine schreckliche Marter für ihr liebendes Herz, das Mittel zu Effies Rettung in der Hand zu haben und nicht brauchen zu dürfen. »O, daß Gott mich leiten und mir helfen möge!« rief Jeanie, »sofern es Sein Wille ist, mich solchen Prüfungen auszusetzen, unter denen meine Kraft schier zu erliegen droht.« Während Jeanie sich in diesen Betrachtungen erging, schien ihr Führer, ein braver, rechtlicher Mensch, dessen Empfindungsvermögen aber nicht über den Stand hinausging, dem er angehörte, des Schweigens müde und mitteilsamer zu werden; sein Horizont reichte nicht über Willingham hinaus, und so beschränkte er seine Unterhaltung auf die Familie, der Willingham gehörte. Auf diese Weise erfuhr indes Jeanie mancherlei Umstände, von denen sie bisher keine Kenntnis hatte, und deren Kenntnis auch für unsere Leser vorteilhaft sein wird, indem sie ihnen den bisherigen und auch den künftigen Verlauf unserer Erzählung leichter verständlich machen werden. Georg Stauntons Vater hatte in seinen jüngeren Jahren in dem britischen Heere gedient, war nach Westindien versetzt worden und hatte sich dort mit der Erbin eines reichen Pflanzers verheiratet. Aus dieser Ehe war ein einziges Kind hervorgegangen, eben der unglückliche junge Mann, der im Verlaufe unserer Erzählung schon allzu oft eine Rolle gespielt hat. Georg Staunton verlebte seine Kindheit im Elternhause, abgöttisch geliebt von seiner schwärmerischen Mutter und verhätschelt von der Dienerschaft, die ihm alles an den Augen abzusehen beflissen war. Sein Vater war ein würdiger und kluger Mann, der aber von seinem Dienste so stark in Anspruch genommen wurde, daß ihm wenig Zeit blieb, sich um seine Häuslichkeit und die Erziehung seines Sohnes zu kümmern. Wohl entging ihm nicht, daß seine Frau dem Knaben allen Willen ließ; es fiel ihm aber sehr schwer, sie darüber zur Rede zu stellen, weil sie einen krankhaften Eigensinn besaß und, auf ihre Schönheit pochend, vor häuslichen Szenen nicht zurückscheute, wenn es ihr darauf ankam, ihren Willen durchzusetzen; ihm ging nun für die wenigen Stunden, die er in seiner Häuslichkeit verbringen konnte, die Ruhe über alles, und so neigte er mehr dazu, fünf gerade sein zu lassen, als daß er sich energisch aufgerafft und seinen Willen zur Geltung gebracht hätte. Das hinderte ihn freilich nicht, dann und wann es doch mit einem Versuche zu wagen, Wandlung in die verkehrte Erziehung seines Kindes zu bringen; aber diese Versuche schadeten mehr, als sie besserten; denn er war dann in der Regel heftig und ungeduldig, und die Mutter, wenn sie sich dadurch gekränkt oder verletzt fühlte, besaß nicht Taktgefühl genug, dem Knaben gegenüber darüber zu schweigen, sondern ließ sich zuweilen vom Zorne verleiten, vor dem Kinde über den Vater zu schelten, so daß dieses sich früh daran gewöhnte, in dem Vater keinen liebenden Berater und Führer, sondern einen nörgelsüchtigen Pedanten zu erblicken, dessen Nähe er verabscheute, weil er sich bedrückt und behindert in derselben fühlte. Als er zehn Jahre alt war, starb die Mutter, und sein Vater kehrte mit gebrochenem Herzen nach England zurück. Um das Maß ihrer verkehrten Erziehung voll zu machen, hatte die Mutter dem verzogenen Knaben eine erhebliche Summe zur selbständigen Verwendung testamentarisch sicher gestellt, und dieser, kaum in England warm geworden, hatte es nicht fehlen lassen, die ihm dadurch geschaffene Unabhängigkeit nach Kräften auszunützen. Der Vater hatte ihn, um ihn auf bessere Wege zu führen, in ein Seminar gebracht; dort hatte jedoch, während seine Fähigkeiten alle Lehrer befriedigten, seine Zügellosigkeit in kurzer Zeit soviel Unheil angerichtet, daß dem Anstaltsdirektor nichts anderes übrig blieb, als ihn zu relegieren. Der Vater, seit dem Tode seiner Frau ohnehin zu Trübsinn geneigt, nahm sich die schlimmen Erfahrungen mit seinem Sohne so zu Herzen, daß er sich entschloß, in den geistlichen Stand überzutreten. Sein Bruder William setzte ihn in den Genuß der Pfründe Willingham, was für ihn auch insofern noch von nicht unerheblicher Wichtigkeit war, als er selbst von dem Vermögen seiner Frau wenig geerbt und als jüngerer Sohn der Familie keinerlei Anrecht auf ein väterliches Erbe hatte. Er nahm den Sohn zu sich nach Willingham, sah jedoch bald ein, daß dessen Ausschweifungen bereits ein Zusammenleben mit ihm unmöglich machten, und so entschloß er sich, den Sohn ins Ausland zu schicken. Von dort kam derselbe aber nicht gebessert, sondern noch schlechter zurück, und bald war er nun Stammgast in allen Spielhöllen und Lasterhöhlen; kaum einundzwanzig Jahre alt, hatte er das von der Mutter ererbte Vermögen verpraßt und noch Schulden über Schulden obendrein gemacht .. »Schade um den jungen Herrn! wirklich recht schade!« sagte der ehrliche Bauer, »denn eine offne Hand hat er immer, und wenn er was hat, dann darf es keinem Armen fehlen; er ist auch ein gar gescheiter Kopf, der aus allen Verlegenheiten sich herauszuhelfen weiß; aber es kann eben auch zu nichts Gutem führen, wenn Kinder in ihrer Jugend zuviel freien Willen haben. Das Fohlen schlägt nun einmal gern über die Stränge.« In Stamford schied der redselige Führer von unserer Heldin, der er einen Platz in der Landkutsche besorgte; aber obgleich dieselbe den vielsagenden Namen Eilpost führte und sechsspännig fuhr, so verging doch der ganze und der nächste halbe Tag, bis Jeanie in London eintraf. In dem Gasthofe, wo die Postkutsche hielt, fand Jeanie freundliche Aufnahme, denn Reverend Staunton schien dort sehr angesehen zu sein, und die Wirtin half ihr auch, die Adresse ihrer Muhme, der Frau Glas, aufzufinden, bei der sie den herzlichsten Willkomm fand. Elftes Kapitel Wenige Namen verdienen eine so rühmliche Erwähnung in der Geschichte des damaligen Schottland, wie der des Herzogs von Argyle, der die seltensten Fähigkeiten als Staatsmann und Krieger in sich vereinigte, dabei aber völlig frei von jenen Gebrechen, wie Falschheit und Heuchelei oder Großmannssucht, war, die so leicht den Charakter derjenigen Menschen verdunkeln, die das Geschick auf eine hohe Stufe der Gesellschaft stellt. Sein Heimatland befand sich zu der Zeit, da unsere Erzählung spielt, in einer sehr unsicheren Lage; seine Einverleibung in das englische Königreich war noch nicht vollständig vollzogen, und der Groll, den frühere Jahre mit ihren steten Kriegen und Händeln in die Herzen der beiden Völker geimpft hatten, war noch lange nicht verraucht; dazu kam der bittere Haß, der die Gemüter zerriß und die Rassen trennte, und nur auf den geringsten Anlaß zum Ausbruch lauerte. Unter solchen Umständen hätte manch anderer Mann im Besitze des Ansehens und der Fähigkeiten des Herzogs von Argyle, statt seinen Sinn zu mäßigen, wie er, den Wirbelsturm, der im Lande tobte, dazu zu benutzen versucht, selbst zur höchsten Macht in seinem Vaterlande zu gelangen. Er aber schlug eine Bahn ein, die, wenn auch weniger glanzvoll, doch sicherer und ehrenvoller war. Durch seine kriegerischen Gaben hatte er dem Hause Hannover bei der Empörung im Jahre 1715 wesentliche Dienste geleistet, und den Einfluß, den er dadurch gewonnen, verwandte er dazu, die schweren Folgen der jahrhundertelangen Kämpfe und Unruhen zu lindern. Darum gehörte ihm auch die Liebe und Achtung aller Schotten in hohem Grade. Diese Gunst eines unzufriedenen, kriegslustigen Volks im Verein mit der dem Herzog eignen freien und oft stolzen Weise war wenig geeignet, ihn am Hofe beliebt zu machen; er genoß wohl Achtung, wurde, wo man ihn brauchte, berufen, galt aber nicht als Günstling. Sein Verhalten bei der Porteous-Affäre, sein lebhafter Widerstand gegen alle gewaltsamen Maßregeln, durch die man Edinburg demütigen wollte, hatte ihm sogar den besonderen Unwillen der Königin Karoline zugezogen, während ihm alle Edinburger dafür, daß es seinen Bemühungen schließlich doch gelungen war, die Strafe auf eine Geldbuße zu beschränken, die die Stadt an die Witwe des gemordeten Hauptmanns entrichten mußte, sich tief zu Dank verpflichtet fühlten. Der Herzog saß allein in seinem Bücherzimmer, als ihm gemeldet wurde, daß ihn ein Landmädchen aus Schottland zu sprechen verlange. »Ein Landmädchen? Aus Schottland?« rief er; »was mag denn das dumme Ding hierher geführt haben? Sicher doch, weil man ihr den Liebsten genommen und zum Matrosen gepreßt hat, oder weil ihre Angehörigen Geld in Südsee-Papieren verloren haben, oder sonst eine wichtige Angelegenheit dieser Art. Da muß dann immer der Mac Callumore herhalten! Volksgunst hat nämlich auch Unannehmlichkeit im Gefolge! Aber laß sie nur heraufkommen, unsere kleine Landsmännin, Archibald. Sie länger noch warten zu lassen, wäre ja unhöflich.« Ein Mädchen, über die erste Jugend hinaus, von nicht großer Figur, mit einem Gesicht, zwar nicht schön und sonnenverbrannt, doch mit einem wohltuenden Ausdrucke sittsamer Bescheidenheit, gekleidet in echt schottische Tracht, mit dem großen Umschlagetuch, das ihr halb den Kopf bedeckte, halb über die Schultern zurückfiel, wurde in das glänzende Zimmer des Herzogs geführt. Eine Fülle von schönem Haar, einfach und anmutig geordnet, zierte ihr rundes, freundliches Gesicht, dem das wichtige Anliegen, das sie zu einem so hohen Herrn führte, und die tiefe Ehrfurcht vor demselben, fern jedoch von sklavischer Unterwürfigkeit oder blöder Schüchternheit, einen eigentümlichen Ausdruck von Hoheit verliehen. Sie blieb auf der Schwelle stehen, machte einen tiefen Knicks und legte, wie bittend, ohne aber eine Silbe zu sprechen, die Hände über der Brust zusammen. Der Herzog trat auf sie zu, und während sein edler Anstand, sein reiches, mit Orden geschmücktes Gewand, sein scharfer, von hoher Intelligenz kündender Blick die Verwunderung des schlichten Naturkindes erregten, fühlte er selbst sich nicht minder von dessen bescheidenem Wesen angezogen. »Du willst mit mir sprechen, Kind?« fragte, durch den Gebrauch des »Du« bemüht, ihre beiderseitige Landsmannschaft hervorzuheben, der Herzog; »oder vielleicht mit der Herzogin?« »Euer Gnaden, Mylord, – Eure Herrlichkeit wollte ich sagen,« verbesserte sie sich. »Und welches Anliegen führt Dich zu mir?« fragte er in demselben milden Tone wie zuvor. Jeanie sah sich nach dem Lakaien um, der noch im Zimmer stand. Der Herzog bemerkte den Blick. »Verlaß uns, Archibald, und warte im Vorzimmer,« sagte er, worauf der Diener ging. »Und nun setze Dich nieder, Kind, komm zu Atem, und dann sage mir, was Dein Herz bedrückt. Aus Deiner Kleidung sehe ich, daß Du geradeswegs aus unserm lieben alten Schottland kommst. – Bist Du mit Deinem Umschlagetuch durch die Straßen gegangen?« »Nein, Herr,« sagte Jeanie, »eine gute Freundin hat mich in einer der Mietskutschen hergefahren, wie sie hier Mode sind. – Eine brave, anständige Frau,« fügte sie hinzu, denn je länger sie ihre Stimme hier hörte, desto größer wurde ihr Mut solchem vornehmen Herrn gegenüber; »Eure Herrlichkeit kennen Sie, Frau Glas, die den Laden zum Dornbusch hält!« »Ach, die liebe Frau Glas!« rief der Herzog, »wenn ich meinen schottischen Schnupftabak bei ihr hole, schwatzen wir immer ein Weilchen. Aber, Mädchen, was führt Dich denn zu mir? Zeit, Ebbe und Flut warten, wie Du weißt, auf niemand.« »Eure Herrlichkeit, bitte um Verzeihung, Mylord – Euer Gnaden wollte ich sagen,« – denn Frau Glas hatte ihr eingeschärft, den Herzog ja nicht anders anzureden – Jeanie hatte aber bislang, außer mit dem Laird Dumbiedike, noch mit keinem vornehmen Herrn gesprochen, – und so war es nicht eben verwunderlich, daß sie die »Herrlichkeit« mit der »Gnaden« durcheinander brachte. Der Herzog bemerkte ihre Verlegenheit und sagte in der ihm eigenen leutseligen Weise: »Es tut nichts, Kind; sprich nur gerade zu, und tu Deiner schottischen Zunge keinerlei Zwang an.« »Ach, vielen Dank, Herr; ich bin die Schwester einer armen, unglücklichen Gefangenen, Herr, die Schwester von Effie Deans, die in Edinburg zum Tode verurteilt worden ist.« »Ah!« sagte der Herzog, »davon habe ich, dächte ich, schon gehört. Das Mädchen ist des Kindesmordes angeklagt und auf Grund eines Parlamentsbeschlusses verurteilt. Ja, ja, es wurde kürzlich bei Tische davon gesprochen.« »Und ich bin vom Norden heruntergekommen, Herr, um ihr Begnadigung auszuwirken.« »O, Du armes Ding, da hast Du eine lange mühsame Reise umsonst gemacht. – Deiner Schwester ist das Urteil gesprochen, und da gibt's keine Hilfe mehr.« »Aber es ist mir gesagt worden, es gäbe ein Gesetz, nach welchem sie, wenn der König es will, begnadigt werden könne.« »Gewiß gibt es ein solches Gesetz, allein nirgendswo geschrieben als in des Königs Brust. Das Verbrechen, das Deiner Schwester zur Last gelegt wird, ist in Schottland häufig vorgekommen, und so hält man ein warnendes Beispiel für nötig. Zudem ist wegen der jüngsten Unruhen in unserer Hauptstadt die Regierung gegen unser ganzes Volk sehr eingenommen, und glaubt blutige Strenge anwenden zu müssen. Welchen anderen Grund, mein armes Kind, als schwesterliche Liebe kannst Du ins Feld dagegen führen?« »Nein, außer Gott und Eurer Durchlaucht niemand,« sagte Jeanie beherzt. »Ach,« sprach der Herzog, »da möchte ich fast sagen, daß es kaum noch andere gäbe, deren Einfluß bei Königin und Staatsministern geringer wäre. Es gehört zu den Annehmlichkeiten unseres Standes, mein Kind, ich meine zu denen der Leute in meiner Lage, daß man ihnen eine Gewalt zuschreibt, die sie nicht besitzen. Aber ich will Dich nicht mit Hoffnungen täuschen, die Du auf meinen Einfluß zu setzen scheinst. Ich kann Deiner Schwester Schicksal nicht ändern. Sie ist zum Tode verurteilt und muß den Tod erleiden.« »Wir müssen alle sterben, Herr, das ist unser allgemeines Los, um der Sünde unserer Väter willen. Allein es soll keiner des anderen Tod beschleunigen, und das wissen Euer Gnaden besser als ich.« »Mein Kind,« sagte der Herzog mild, »wir Menschen sind alle geneigt, das Gesetz zu tadeln, unter dem wir gerade leiden. Du scheinst mir aber für Deinen Stand recht wohl erzogen, wirst also wissen, daß es göttliches und menschliches Gesetz ist, daß, wer einen Mitmenschen ums Leben gebracht hat, zur Strafe dafür vom Leben zum Tode gebracht wird,« »Aber, Herr, Effie, – meine arme Schwester, Herr, – hat nicht gemordet, und wenn sie keine Mörderin ist, und das Gesetz sie dennoch vom Leben zum Tode bringt, wer ist dann Mörder?« »Ich bin kein Jurist,« sagte der Herzog, »lasse aber gern gelten, daß dem Gesetzesparagraphen, unter dem Deine Schwester leidet, ein sehr strenger Charakter innewohnt.« »Aber Sie sind mit Gesetzgeber, Mylord, haben also Macht über das Gesetz.« »Nicht als einzelner,« sagte der Herzog, »sondern nur, als Mitglied des gesetzgebenden Körpers dieses Landes, eine Stimme zusammen mit vielen. Das kann Dir jedoch nicht helfen, Kind; auch ist zur Zeit, wie ja nicht unbekannt, in London und bei Hofe mein Einfluß auf den Landesherrn nicht gerade weither, und auch nur eine geringfügige Gunst von ihm zu fordern, möchte ich mir ohne ganz besonderen Anlaß nicht beikommen lassen. Was und wer hat Dich veranlaßt, mit solchem Anliegen grade mir zu nahen?« . »Sie selbst, Mylord.« »Ich selbst?« sagte er; – »ich könnte mich nicht, besinnen, Kind, Dich jemals zuvor gesehen zu haben.« »Nein, Mylord! Allein jedermann im Lande weiß, daß der Herzog von Argyle Schottlands Freund ist, für Recht und Gesetz kämpft, und für Recht und Gesetz eintritt. Drum suchen alle, die sich im Unrecht wähnen, Zuflucht bei Ihnen, Mylord, und wenn Sie es ablehnen, für das Leben einer unschuldigen Landsmännin sich zu verwenden, was dürfen wir dann erhoffen von Fremden und Ausländern? Uebrigens hat mich wohl noch ein weiterer Grund darauf gebracht, Euer Gnaden mit solchem Anliegen zu nahen.« »Und was für ein Grund ist das?« »Mein Vater hat oft davon gesprochen, daß Euer Gnaden Vorfahren in den Zeiten, da unser Vaterland unter schwerer Verfolgung litt, ihr Leben auf dem Hochgericht gelassen haben. So Ihr Großvater, Mylord, und auch Ihr Urgroßvater. Auch mein Vater hat schwer gelitten für die gute Sache, wie in Peter Walkers des Krämers Buche zu lesen steht, was Euer Gnaden, die in Schottland so gut bekannt sind, recht wohl wissen werden. Und einer von den wenigen, die Anteil an mir nehmen, hat mir gesagt, ich solle zu Euer Gnaden gehen, denn sein Großvater habe Euer Gnaden gnädigem Großvater einen erheblichen Dienst geleistet, wie aus den Papieren, die er mir mitgegeben, zu ersehen sei.« Bei diesen Worten überreichte sie dem Großherzog das kleine Schriftenbündel, das Reuben Butler ihr gegeben hatte. Der Herzog löste die Schnur davon und las nicht ohne Staunen auf dem Umschlag: Musterrolle der Mannschaften, die unter dem Hauptmann Salathiel Bangtext gedient haben: Obadiah Muggleton, sündiger Rottenführer; Gips, Getreuer im Glauben; Thwack, gewandt in allem, was recht ist; fürwahr, alles Namen aus Cromwells bibelfesten Rotten! Was aber soll mir das bedeuten, Kind?« »Das andre Papier, Mylord, ist das richtige,« sagte Jeanie, leicht beschämt über den Irrtum. »O, sicher, das ist die Handschrift meines unglücklichen Großvaters! Und was schreibt er? – Allen, die dem Hause Argyle Wohlwollen,« las jetzt der Herzog, »bezeuge dies, daß Benjamin Butler von den Monkschen Dragonern mit Gottes gnädiger Hülfe mich aus den Händen von vier englischen Reitern errettet hat, die nahe daran waren, mir das Lebenslicht auszublasen. Da ich jetzt nicht im stande bin, ihm meine Dankbarkeit zu beweisen, gebe ich ihm das Zeugnis hier in der Hoffnung, daß es ihm in diesen unruhigen Zeiten noch einmal nützlich sein möchte, und beschwöre meine Freunde, Pächter, Verwandte und alle, die mir wohlwollen und imstande sind, etwas für mich zu tun, besagtem Benjamin Butler und seinen Nachkommen und Angehörigen in allen vor Gott gerechten Dingen beizustehen, und ihm allen mit Recht und Gesetz vereinbarlichen Schutz zu gewähren, zur Vergeltung dessen, was er an mir getan. Urkunddessen setze ich meine Namensschrift als Zeugnis hierher. Lorne. »Dies ist freilich ein Zeugnis, dem ich mich beuge, Kind! – Benjamin Butler war wohl Dein Großvater? Um seine Tochter zu sein, scheinst Du doch zu jung, Kind!« »Es war kein Verwandter von mir, Mylord, sondern der Großvater eines jungen Mannes aus der Nachbarschaft, der es gut, recht gut mit mir meint, Mylord.« Sie machte einen sittsamen Knicks, als sie dies sagte. »O, ich merke, ich merke, eine Herzenssache! Benjamin Butler war der Großvater eines Mannes, mit dem Du versprochen bist?« »Versprochen war, Mylord,« sagte Jeanie mit schmerzlichem Seufzer; »aber der unglückliche Fall mit meiner Schwester –« »Was?« fiel der Herzog ihr hastig ins Wort, »er hat Dich doch deshalb nicht sitzen lassen? Das will ich nicht hoffen, um seinetwillen nicht hoffen!« »Nein, Mylord: Er wäre sicher der letzte, der den Freund in Not verließe. Aber an mir war es, auf sein und nicht bloß mein Bestes zu denken. Er ist Geistlicher, Mylord, und mich zu heiraten, nachdem solche Schmach über mich und die Meinigen gekommen, hatte sich für einen Mann seines Standes wohl kaum geschickt.« »Du scheinst mir ein wunderliches Mädchen,« sagte der Herzog: denn Du denkst, wie mir vorkommt, an alle andern eher als an Dich selbst. Und Du bist wirklich zu Fuß von Edinburg hierher gewandert, um es mit diesem hoffnungslosen Anliegen für Deine Schwester zu versuchen?« »Nicht ganz, Mylord, zuweilen habe ich einen Platz auf einem Frachtwagen gefunden, von Ferrybridge ab hatte ich ein Pferd, und von dort bin ich in der Landkutsche –« »Laß gut sein,« fiel ihr der Herzog ins Wort. »Welche Umstände bestimmen Dich, Deine Schwester für unschuldig zu halten?« »Daß sie der Schuld nicht überführt worden, wie aus diesen Schriftstücken hervorgeht.« Jeanie übergab dem Herzog die protokollierten Zeugen-Aussagen, nebst der von ihrer Schwester gemachten Aussage, die sich Butler gleich nach ihrer Abreise durch Saddletree verschafft und nach London an Frau Glas geschickt hatte, wo Jeanie sie bei ihrem Eintreffen vorfand. »Setze Dich solange, bis ich diese Schriftstücke durchgesehen, auf den Stuhl, mein Kind,« sagte der Herzog. Jeanie gehorchte, mit höchster Angst nach jedem Wechsel seiner Miene spähend, solange er die Papiere durchging; hie und da unterstrich er eine Stelle, las manche Stelle ein paarmal, dann blickte er auf, im Begriff, etwas zu sagen, änderte jedoch seinen Vorsatz, als befürchte er, seine Meinung allzurasch zu äußern, las ein paar Stellen noch einmal, und zwar, wie Jeanie sah, diejenigen, die er als besonders wichtig unterstrichen hatte. Nachdem er noch einige Minuten in tiefem Sinnen gesessen, erhob er sich und sagte: »Mein Kind, es ist wirklich ein hartes, recht hartes Urteil, das über Deine Schwester gefällt worden ist.« »Gott segne Sie, Mylord, für dieses Wort!« sagte Jeanie. »Es scheint dem Geiste britischen Gesetzes zuwider,« fuhr er fort, »als wahr anzunehmen, was nicht erwiesen ist, oder ein Verbrechen mit dem Tode zu strafen, das trotz allem, was vom Staatsanwalt vorgebracht worden, vielleicht doch nicht begangen worden ist.« »Gott segne Sie für solche Worte, Mylord,« rief Jeanie abermals; sie war aufgestanden, mit verschlungenen Händen, bebenden Lippen und nassen Augen, gierig nach jedem Worte aus dem Munde des Herzogs haschend. »Aber, aber mein gutes Mädchen,« fuhr er fort, »was hilft Dir meine Ansicht, wenn sie nicht von denjenigen geteilt wird, in deren Händen Deiner Schwester Leben liegt? Indem bin ich, wie schon gesagt, kein Jurist und muß deshalb erst mit einigen unserer schottischen Rechtsgelehrten über den Fall sprechen.« »O, Mylord, was Euer Gnaden recht und billig erscheint, wird es auch ihnen sein.« »Wer weiß! Jeder knüpft sich den Gurt nach seiner Art, wie unser schottisches Sprichwort sagt, das Du ja kennen wirst. Aber Du sollst mir nicht vergebens Zutrauen geschenkt haben. Laß mir diese Schriftstücke da, Du wirst morgen oder übermorgen von mir hören. Halte Dich bereit, auf der Stelle zu mir zu kommen, wenn ich schicke. Daß Frau Glas Dich begleite, ist unnütz. Aber es wäre mir lieb, hörst Du, wenn Du in der gleichen Tracht kämest wie heute.« »Ich hätte einen Hut aufgesetzt, Mylord,« sagte Jeanie, »aber Euer Gnaden wissen ja, daß ihn ledige Frauen in Schottland nicht tragen, und ich dachte,« sie sah nach dem Zipfel ihres Tuches, »soviele Meilen weit von der schottischen Heimat möchte der schottische Schleier vielleicht Euer Gnaden Herz erwärmen.« »Darin hast Du nicht geirrt, Kind,« erwiderte der Herzog; »ich kenne den vollen Wert des jungfräulichen Haarschmucks; und Mac Callumores Herz muß erst im Tode erkaltet sein, wenn es der Anblick des schottischen Schleiers nicht mehr erwärmt. – Geh nun, Kind, und sorge, daß man Dich zu Hause finde, wenn ich schicke.« »O gewiß, Mylord,« antwortete sie; »es drängt mich ganz und gar nicht, in der Wildnis schwarzer Mauern umherzulaufen. – Sollten aber Euer Gnaden so gütig sein, meinetwegen mit einem Vornehmern als Sie selbst zu sprechen, – es ist vielleicht ungezogen von mir, das zu sagen, – dann bitte ich Euer Gnaden zu bedenken, daß doch wahrlich kein so großer Abstand herrschen kann, wie zwischen der armen Jeanie Deans aus St. Leonard und dem Herzog von Argyle, – ich meine, daß Sie also sich nicht gleich durch die erste harte Abweisung abschrecken lassen sollten.« »Nun, Kind, mir viel aus harten Antworten zu machen, ist nicht gerade meine Gewohnheit,« sagte der Herzog lachend; »immerhin gib Dich nicht allzugroßen Hoffnungen hin! Ich will ja mein Bestes tun, aber die Herzen der Könige sind in Gottes Hand.« Jeanie knickste noch einmal, dann ging sie und wurde vom Diener des Herzogs zu der Mietskutsche zurückgeführt, so artig und höflich, daß man annehmen darf, daß weniger ihre demütige Erscheinung als die lange Unterredung, die sein Herr dem Mädchen gewährte, den Grund dazu abgegeben. Zwölftes Kapitel Von ihrer leut-, aber recht redseligen Freundin, der Frau Glas, wurde Jeanie nach jenem Teil der Vorstadt zurückgeleitet, wo der Dornbusch mit seiner goldnen Umschrift: Nemo me impune [Niemand berührt mich ungestraft] über einem Laden prangte, der damals bei allen Schotten hohen und niedern Ranges in recht hohem Ansehen stand. »Du hast ihn doch auch immer Eure Herrlichkeit tituliert?« fragte die wackre Matrone; »denn ich habe Dir ja gesagt, daß er nicht zu den geringeren Lords im Lande gehört, denen ich nicht für ein paar Heller Rapé auf Borg geben möchte, – sondern zu unserm höchsten Reichsadel – was müßte er von Deinen Londoner Freunden, was von mir denken, wenn Du von mir zu ihm kommst und ihn bloß Herr und Euer Gnaden tituliert hättest, da er doch ein Herzog ist.« »Es kam mir aber vor, als ob er sich nicht sonderlich viel daraus gemacht hätte,« erwiderte Jeanie; »er hat eben gleich gesehen, daß ich vom Lande bin.« ^ »Nun, Seine Herrlichkeit kennt mich sehr gut,« sagte die Frau, »drum mache ich mir darum keine große Sorge. Er wird kein einzigmal aus dem Laden gehen, wenn ich ihm seine Dose gefüllt habe, ohne daß er zu mir spricht: »Nun, wie geht's denn, meine liebe Frau Glas? – Was machen denn die Eurigen im Norden?« – oder auch – »Habt Ihr wieder was gehört aus unserem lieben alten Schottland?« – Und dann mache ich meinen verbindlichsten Knicks und antwortete: »Gnädigster Herr Herzog, so Gott will, befinden sich Eure Herrlichkeit gnädigste Frau Herzogin und Euer Durchlaucht gnädiges Fräulein Tochter bei gutem Wohlsein: und ich will hoffen, daß Eure Herrlichkeit noch immer mit dem Tabak zufrieden sind.« Und dann solltest Du mal sehen, Kind, wie die Leute im Laden die Augen verdrehen; und wenn Leute von uns dabei sind, Schotten meine ich, dann fliegen die Hüte vom Kopfe, und dann geht die Rede von Mund zu Mund: »Da seht den Prinzen von Schottland, Gottes Segen über ihn!« – Aber, Kind, Du hast mir ja noch gar nicht erzählt, wie er sich mit Dir unterhalten, und was er Dir alles gesagt hat.« Der Frau dies alles so ausführlich mitzuteilen, lag aber gar nicht in Jeanies Absicht, denn, wie der Leser wohl bemerkt hat, war sie durch und durch Schottin und nicht bloß schlicht wie eine solche, sondern auch klug und vorsichtig wie eine solche. Sie antwortete also nur, der Herzog habe sie recht freundlich angehört und ihr seinen Beistand und seine Hilfe zugesagt, so daß sie wohl in den nächsten Tagen von ihm hören werde. Davon, daß sie sich bereit halten sollte, augenblicklich zu ihm zu kommen, wenn er es ihr sagen lasse, erwähnte sie kein Wort, auch nicht davon, daß er gesagt hatte, ihre Wirtin sei zu dem Gange nicht nötig. Es blieb also der braven Frau Glas nichts weiter übrig, als sich mit diesem allgemeinen Bericht abzufinden, nachdem all ihre Mühe, mehr aus Jeanie herauszubringen, vergeblich geblieben war. Am folgenden Tage lehnte Jeanie jede Aufforderung ab, aus dem Hause zu gehen, und wartete in dem engen kleinen Wohnstübchen hinter dem muffigen Laden, ob Nachricht kommen werde. Der starke Dunst, der dort herrschte, kam aus einem Schrank, worin unter allerhand Habseligkeiten ein paar Körbchen echten Havanna-Tabaks ständen. Aus Respekt vor der teuren Ware, vielleicht auch aus Furcht vor den Zollbeamten, vermied es Frau Glas, den Tabak offen im Laden stehen zu lassen, und ihr Stübchen erhielt dadurch einen Geruch, der vielleicht den Nasen der Kenner angenehm, Jeanie Deans aber nichts weniger als recht und zuträglich war. Nicht wenig wunderte sich Frau Glas über die Gleichgültigkeit Jeanies den Sehenswürdigkeiten Londons gegenüber, »Es ist doch ein ganz angenehmer Zeitvertreib, wenn man sich was Neues ansehen kann,« sagte sie zu ihr, »und nichts andres vertreibt einem doch trübe Gedanken so schnell!« Aber auch in dieser Hinsicht blieb Jeanie auf ihrem nüchternen, ruhigen Standpunkte. Der erste Tag nach der Unterredung mit dem Herzog verstrich in banger Erwartung. Minuten auf Minuten, Stunden auf Stunden verrannen. Der Abend kam, und die Wahrscheinlichkeit, noch heut von dem Herzog zu hören, entschwand; aber die Hoffnung, daß derselbe sein Versprechen halten werde, wich nicht von ihr, und bei jedem Geräusch im Laden schreckte sie zusammen, und ihr Herz fing laut zu pochen an. Aber sie wartete vergeblich. Der nächste Morgen begann auf die nämliche Weise. Aber kurz vor der Mittagszeit erschien ein wohlgekleideter Mann in dem Laben, der sich nach einem Mädchen aus Schottland erkundigte. »Habt Ihr eine Botschaft von Sr. Herrlichkeit dem Herzog an sie, Herr Archibald?« fragte Frau Glas, »ich bestelle es ihr im Augenblick.« »Ihre Muhme wird selbst herunterkommen müssen, Frau Glas,« sagte der Mann. »Jeanie, – Jeanie Deans!« schrie Frau Glas laut genug, daß alle, die zufällig in der Nähe waren, die wichtige Botschaft hören mußten, die kleine Stiege hinauf, die vom Laden aus in den oberen Stock führte, »Jeanie, Jeanie, hörst Du nicht, komm geschwind herunter! Hier ist der Kammerdiener Seiner Herrlichkeit, der Dich auf der Stelle sprechen will.« Jeanie flog die Treppe hinunter – und doch war ihr zu Mute, als ob ihr die Füße alle Augenblicke den Dienst versagen wollten. »Ich muß Sie um die Freundlichkeit bitten, mitzufahren,« sagte Archibald höflich. »Auf der Stelle, Herr, ich bin bereit,« erwiderte Jeanie. »Meine Muhme soll mitfahren, Herr Archibald?« Aber ich kann sie doch nicht allein fahren lassen! He, Jakob Raspler!« wandte sie sich an ihr Faktotum, »gib auf den Laden acht!« »Herr Archibald,« wandte sie sich darauf eifrig an den Gast und schob ihm einen Steintopf hin, »Sie nehmen doch gern ein Prischen von herzoglicher Sorte – nicht? Füllen Sie sich doch Ihre Dose damit; wir sind ja alte Bekannte; ich will mich nur schnell ein bißchen in Ordnung bringen.« Der Kammerdiener griff bescheiden zu, erklärte aber, daß er auf das Vergnügen einer Begleitung durch Frau Glas zu seinem Bedauern verzichten müsse, denn sein Auftrag bezöge sich bloß auf das junge Mädchen, »Sie wollen bloß das Mädchen mitnehmen, Herr Archibald? Aber das möchte sich doch kaum schicken; freilich, Seine Herrlichkeit verstehen so etwas besser, und Sie sind auch ein verläßlicher Mann, Herr Archibald. Einem jeden würde ich ja meine Muhme nicht anvertrauen. – Aber, Jeanie, mit Deinem Schleiertuch über dem Kopfe kannst Du doch nicht durch die Straßen gehen? Es sieht ja aus, als wolltest Du eine Herde vor Dir her treiben? – So warte doch, bis ich Dir meinen seidenen Mantel geholt habe. Die Jungen rennen Dir ja in den Straßen nach!« »Ich bin ja in der Kutsche hergekommen,« fiel Herr Archibald der diensteifrigen Matrone ins Wort, der Jeanie allein kaum entronnen wäre, »und darf dem Mädchen nicht soviel Zeit lassen, sich umzuziehen.« Mit diesen Worten führte er Jeanie, die ihm von Herzen dankbar war für die rücksichtslose Art, wie er alle Fragen und Angebote der Frau Glas ablehnte, rasch vor die Tür. In der Kutsche setzte sich Herr Archibald auf die Rückseite, Jeanie gegenüber. Eine halbe Stunde fuhren sie nun, ohne ein Wort zu wechseln. Es kam Jeanie vor, als habe sie schon eine weitere Strecke durchfahren, als auf dem ersten Wege zum Palais des Herzogs, und endlich konnte sie doch dem Drange, ihren schweigsamen Gefährten zu fragen, wohin ihre Fahrt gehe, nicht mehr widerstehen. »Mein Herr, der Herr Herzog, wird es Ihnen selbst sagen,« antwortete Herr Archibald mit all der feierlichen Höflichkeit, die von seinem ganzen Benehmen untrennbar zu sein schien. Fast in demselben Augenblick hielt der Wagen, der Kutscher stieg ab und öffnete den Schlag. Archibald stieg aus und half Jeanie beim Aussteigen. Sie sah, daß sie sich außerhalb der Stadt an einer Straßenkreuzung befand, und daß auf der andern Seite ein elegantes, aber doch einfaches Gefährt mit vier Pferden bespannt, ohne Wappen am Schlage hielt, und daß die Diener, die es führten, keine Livree trugen. »Du bist pünktlich gewesen, Jeanie, sehe ich,« redete der Herzog sie an, als Archibald die Wagentür öffnete. »Den übrigen Teil des Weges leiste ich Dir Gesellschaft. Archibald wird mit der Kutsche hier warten, bis wir zurückkommen.« Ehe Jeanie Antwort geben konnte, saß sie zu ihrer nicht geringen Verwunderung, neben dem Herzog in einer leicht und sanft entlang rollenden Equipage, die von dem rüttelnden, schleichenden Fuhrwerk, das sie eben verlassen hatte, merklich verschieden war. »Mein liebes Kind,« nahm der Herzog das Wort, »ich habe mich inzwischen mit der Angelegenheit Deiner Schwester befaßt und bin zu der Meinung gekommen, daß das Urteil zu unrecht über sie verhängt worden ist. Diese Meinung teilen juristisch gebildete Leute, englischer, sowohl als schottischer Nationalität, mit denen ich über den Fall gesprochen habe. – Nein, mein Kind! Keinen Dank: Sondern höre erst weiter. – Ich habe Dir ja schon gesagt, daß meine eigene Ueberzeugung, wenn sie nicht andere teilen, von geringem Belang ist; deshalb habe ich für Dich Schritte getan, die ich, um etwas für mich selbst zu erlangen, gewiß nicht getan hätte, – nämlich um Audienz bei einer Dame nachgesucht, die auf den König einen bedeutenden Einfluß hat. Die Audienz ist mir bewilligt worden; ich wünsche jetzt nur, daß Du Deine Sache selbst führest – zu ängstigen brauchst Du Dich nicht, erzähle nur Deine Angelegenheit ganz ebenso einfach, wie Du sie mir erzählt hast.« »Ich bin Euer Herrlichkeit,« sagte Jeanie, die Weisung ihrer Muhme eingedenk, »von tiefstem Herzen dankbar, und wenn ich den Mut fand, über die arme Effie mit Eurer Herrlichkeit zu sprechen, so werde ich auch wohl den Mut finden, mit einer Frau darüber zu reden. Aber, Mylord, ich möchte doch wissen, wie ich sie titulieren soll, Ihre Durchlaucht oder Ihre Gnaden oder wie sonst, und ich will mir gewiß alle Mühe geben, es nicht zu vergessen; weiß ich doch, daß Frauen weit mehr auf Titel halten als Männer.« »Du brauchst nur gnädige Frau zu sagen. Rede nur das, was Deiner Meinung nach den besten Eindruck machen wird. – Richte von Zeit zu Zeit den Blick auf mich, und wenn ich die Hand so an meine Krawatte lege,« – er griff mit der Hand hin, »dann halte inne; denn ich tue es nur, wenn Du etwas sagst, das Mißfallen wecken könnte.« »Indessen, Mylord, wenn ich Ihnen nicht allzu lästig werden sollte, möchte es nicht besser sein, Sie sagten, was ich sprechen soll, und ich lernte es auswendig?« »Nein, Jeanie, das würde kaum von günstiger Wirkung sein; denn es möchte sich anhören wie eine abgelesene Predigt, von der wir Presbyterianer, wie Du ja weißt, nicht viel halten. Wir halten es mit dem freien Worte, und wollen es auch in Deinem Falle damit halten. Sage nur der gnädigen Frau alles ganz ebenso, wie Du es vorgestern mir sagtest; und gelingt es Dir, sie für Dich zu gewinnen, so stehe ich dafür ein, daß der König Dir Begnadigung für die Schwester gewährt.« Bei diesen Worten langte er ein gedrucktes Blatt aus der Tasche und fing an zu lesen. Jeanie nahm dies mit dem ihr innewohnenden feinen Gefühl als einen Wink, daß der Herzog nicht weiter gefragt sein wolle, und verhielt sich still. Schnell rollte der Wagen über üppige Wiesen, mit prächtigen alten Eichen geziert. Hier und da ward der glänzende Spiegel eines breiten, ruhigen Stromes sichtbar. Nachdem sie durch ein anmutiges Dorf gekommen, hielt der Wagen auf einer Anhöhe still. Hier stieg der Herzog aus und forderte Jeanie auf, ihm zu folgen. Eine Weile betrachteten sie von der Spitze des Hügels aus die Landschaft, die sich in wunderbarer Schönheit vor ihren Augen ausbreitete, mit dem Meere von grünen Wiesen, die von dichten Streifen Gebüschs durchschnitten wurden, von zahlreichen Herden bevölkert waren, und über die hinweg die Themse mit ihren von Buschicht bestandenen, von Landhäusern eingefaßten Ufern, einer herrlichen Königin gleich, ihr silbernes Band zog, Hunderte von Barken und Booten an ihrem Busen tragend, deren weiße Segel und lustig wehende Wimpel dem schönen Bilde frohes Leben verliehen. Dem Herzog von Argyle war dieser Anblick nichts Neues; einem Manne von Geist und Herz konnte er aber nie alt werden. Mit innigem Wohlgefallen weilte sein Blick auf der herrlichen Szenerie, und sein Sinn wanderte zurück zu den reichen Gütern, die er im Hochlande besaß, wo die Natur sich zu weit größerer Schönheit entfaltet. »Ein wundervoller Anblick!« rief er aus, vielleicht nicht ohne Neugier, wie seine Begleiterin sich darüber äußern werde, »was könnte ihm wohl in Schottland an üppiger Fruchtbarkeit an die Seite gestellt werden!« »Für Kühe,« antwortete Jeanie, »ist's eine herrliche Weide, und es lebt ja auch herrliches Zuchtvieh hier, aber ich muß doch sagen, daß ich ebenso gern die Felsen rings um Arturs Sitz sehe, mit der weiten See dahinter, wie hier die vielen grünen Bäume.« Lächelnd über diese dem Denkbereiche eines Naturkindes so ganz entsprechende Antwort, winkte der Herzog seinem Kutscher zu halten und führte nun seine junge Begleiterin auf einem wenig betretenen Pfade durch zahlreiche Irrgänge vor einen hohen, aus Steinen errichteten Wall, in dessen Mitte sich eine vergitterte kleine Pforte befand. Sie war verschlossen, wurde, als der Herzog pochte, geöffnet und hinter ihnen gleich wieder geschlossen; aber wer ihnen die Pforte öffnete, hatte Jeanie nicht sehen können, denn die Person war auf der Stelle wieder verschwunden, und alles war mit merkwürdiger Schnelligkeit verrichtet worden. Vor ihnen zog sich ein langer, schmaler Gang zwischen Baumreihen entlang, der aber mit dichtem Rasen bedeckt war, so daß sie wie auf einem Teppich wandelten; über ihnen schlossen sich die Wipfel hoher Ulmen zu einem schattigen Dache, und das Halbdunkel, das sie hier umgab, die Säulenreihe der kräftigen Stämme und die grüne Wölbung hoch über ihnen weckten den Eindruck eines jener engen und lauschigen Bogengänge, wie wir sie in den alten, gotischen Kirchen finden. Dreizehntes Kapitel Jeanie war es doch beklommen ums Herz, als sie sich an diesem ihr so ganz unbekannten Orte so ganz allein sah mit einem Herrn von so hohem Range. Es hatte alles einen gar so wunderbar geheimnisvollen Anstrich, Wo befand sie sich eigentlich, und vor wen sollte sie jetzt treten? Es entging ihr nicht, daß der Herzog einfachere Kleidung trug, als sie ihn das erste Mal gesehen, und daß er keinerlei Ehrenzeichen angelegt hatte. Der Gedanke, daß sie vielleicht ihr Gesuch selbst an königlicher Stelle vortragen solle, war ihr schon einmal gekommen, und was sie jetzt sah, schien die Möglichkeit nicht auszuschließen. »Aber,« dachte sie bei sich, »wenn der Herzog sich vor seinem Könige zeigen wollte, so hätte, er doch sicher seinen glänzenden Ordensstern angesteckt. Und so, wie in einem königlichen Palast, sieht es hier doch auch nicht aus!« Jeanies Folgerungen waren so ungereimt nicht; aber sie wußte doch von den Sitten bei Hofe zu wenig, und noch weniger, daß es der Herzog liebte, sich in einen gewissen Gegensatz dazu zu setzen. Auch davon konnte sie ja nichts wissen, daß der Herzog bei dem königlichen Hofe seit einiger Zeit nicht mehr in Gunst stand. Die Königin Karoline hatte es sich jedoch nach und nach zum Grundsatze gemacht, ihre Anhänger äußerst vorsichtig zu behandeln, aus Furcht, sie könnten sich dereinst als Feinde entpuppen, und ihre dermaligen Gegner mit solcher Feinheit, als sei es nicht ausgeschlossen, daß sie sich ihrer Partei anschlössen. In Regierungsangelegenheiten war ihr Gewicht sehr bedeutend, denn der König, mehr Soldat als Staatsmann, ließ sich ganz von seiner klugen Gemahlin leiten, so sehr er sich auch der Öffentlichkeit gegenüber in das Licht zu setzen suchte, als handelte er nur nach eignem Willen, Die Königin besaß bei aller Liebenswürdigkeit einer nach den damaligen Begriffen vollkommenen Dame einen starken, männlichen Geist und einen scharf ausgeprägten Stolz; es war ihr nicht möglich, Ausdrücke ihres Unwillens zurückzuhalten, aber, wenn nachher die Klugheit über ihre Leidenschaft siegte, war sie ebenso schnell bereit, jede Uebereilung zurückzunehmen und wieder gut zu machen. Sie liebte den tatsächlichen Besitz der Macht mehr als den Schein einer solchen, und bei allem, was sie unternahm und vollführte, war sie stets besorgt, daß der König den Ruhm und Vorteil davon erntete, denn sie wußte recht gut, daß sie sich die eigene Würde erhielt, wenn sie die seinige hob. Ein hervorstechender Zug ihres Charakters war es, einen geheimen Briefwechsel mit denjenigen zu unterhalten, denen sie vor der Oeffentlichkeit scheinbar ihre Gunst entzog oder die aus irgend einer Ursache nicht auf gutem Fuße mit dem Hofe standen. Hierdurch hielt sie den Faden manches politischen Gewebes in ihrer Hand, und, und ohne selbst in irgend einer Sache tätig einzugreifen, konnte sie auf diese Weise oft verhüten, daß Unzufriedenheit in Haß, Widerstand in Empörung ausartete. Drohte solchem Briefwechsel irgend welche Gefahr, so wurde er als bloße gesellschaftliche Verpflichtung hingestellt, die mit Politik nicht das geringste zu schaffen hatte. Von diesem Standpunkte aus wird man es recht wohl begreiflich finden, daß sie, trotzdem dem Herzoge von Argyle wohl niemals ihre Gunst gehörte, doch niemals völlig mit ihm brechen mochte, sicherten ihm doch seine hohe Geburt, seine hervorragenden Talente, die Ehrfurcht, die er in seinem Vaterlande genoß, wie nicht zu allerletzt die bedeutenden Dienste, die er dem Hause Braunschweig im Jahre 1715 geleistet, eine gewisse Ausnahmestellung, die es nicht rätlich erscheinen ließ, ihn ganz beiseite zu lassen. Gleichwie er durch ein bloßes Wort vermocht hatte, den Aufruhr der hochländischen Häuptlinge zu unterdrücken, so litt es keinen Zweifel, daß er sie ebenso durch ein bloßes Wort zu alarmieren im stande sei. Nicht minder war es recht gut bekannt, daß ihm vom Hofe zu Saint-Germain wiederholt die schmeichelhaftesten Angebote gemacht worden waren; für den Charakter der Schottländer herrschte bei Hofe wie in ganz England, nur geringes Verständnis, aber die Königin hielt den Herzog von Argyle für einen Vulkan, der wohl eine Zeitlang ruht, aber wenn man es am wenigsten vermutet, wieder in Tätigkeit tritt und dann die wildeste Zerstörung anrichtet. Auf solchen Mann Einfluß zu behalten, erschien der Königin nicht bloß aus politischem, sondern aus allgemein menschlichem Interesse für notwendig, und sie bediente sich hierzu der Vermittlung einer Dame, mit der sie, als Gemahlin Georgs des Zweiten, eigentlich geringe Ursache gehabt hätte, Beziehungen zu pflegen. Es war ein Zug besonderer Charakterstärke, daß sie sich mit Lady Suffolk, der Maitresse ihres Gemahls, nicht entzweite, sondern ihr vielmehr in ihrem Hofstaate einen der ersten Plätze einräumte und sich auf diese Weise eine demütige, allezeit dienstbereite Vertraute schuf, die ihr niemals, wie eine gehaßte Nebenbuhlerin, wirklich gefährlich werden konnte. Obendrein blieb ihr die Gelegenheit in vollem Maße, ihrer »kleinen Howard,« wie sie sie nannte, mancherlei kleinliche Kränkungen zuzufügen, wenn sie einmal das Verlangen verspürte, sich an ihr zu rächen; anderseits war zwischen ihr und ihrem Gemahl schon manche Differenz durch diese Maitresse geschlichtet worden, und so war es gekommen, daß ihr bei Hofe, nicht bloß vom Könige, mit großem Wohlwollen begegnet wurde. Erachtete es die Königin für klug, mit dem Herzoge von Argyle nicht völlig zu brechen, so meinte dieser, es unter der Hand mit Lady Suffolk halten zu sollen, eben ihres Einflusses auf den König und die Königin halber; aber hin und wieder waren die Beziehungen zwischen diesen beiden »Hofgängern«, wenn auch nicht gelöst, so doch gespannt geworden, wie zuletzt wieder durch den Porteous-Krawall, von dessen Verteidigung die Lady, im Gegensatze zu dem Herzoge, nicht das geringste hören mochte. Sie wußte, daß sie hierin auf den Beifall der Königin durchaus rechnen durfte, denn diese erblickte in dem Krawall weniger einen Wutausbruch des Edinburger Pöbels als eine schmähliche Widersetzlichkeit allgemeiner Natur wider die von ihr speziell befürworteten Maßnahmen. Um das Folgende verständlicher zu machen, erschien es dem Verfasser für angezeigt, diese kurze Erörterung der am Hofe Georgs des Zweiten herrschenden Strömungen und wirksamen Personen hier einzuflechten. Der Herzog lenkte aus dem schmalen Buchenwege in einen ähnlichen ein, der jedoch breiter und länger war, und hier sah Jeanie zum ersten Male, seit sie den Garten betreten, menschliche Wesen. Es waren zwei Damen, von denen die eine ein paar Schritte hinter der andern einherschritt, doch nicht in so großem Abstande, daß Aeußerungen, die von der vorderen getan wurden, von der hinteren etwa nicht hätten gehört werden können. Während die Damen langsamen Schrittes näher kamen, fand Jeanie Muße, ihre Gesichtszüge zu studieren. Die vordere Dame war entschieden diejenige, der der Vorrang gebührte; sie hatte auffallend freundliche, oder vielmehr huldvolle Züge; doch zeigte ihr Gesicht leichte Pockennarben, die die allgemeine Schönheit desselben beeinträchtigen. Aber ihre Augen hatten einen so faszinierenden Blick, daß man leicht über diese Narben hinweg sah. Sie neigte wohl ein wenig zur Fülle, hatte aber dadurch den Liebreiz der Formen noch nicht verloren; und ihre Art, fest und sicher aufzutreten, ließ nicht aufkommen, daß sie zuweilen an einer jede Fußbewegung hemmenden Krankheit litt. Ihre Kleidung war mehr reich als jugendlich, und ihre Haltung ermangelte bei aller edlen Art nicht eines befehlshaberischen Zuges. Ihre Begleiterin war kleiner, hatte hellbraunes Haar und blaue Augen; ohne schön im eigentlichen Sinne zu sein, ermangelten ihre Züge, wenngleich eine gewisse Schwermut über ihnen lag, – bei dem Lose, das sie getroffen, begreiflich – nicht einer gewissen Anmut. Als sie etwa fünfzehn Schritte von den Damen entfernt waren, winkte der Herzog, Jeanie stehen zu bleiben, trat aber selbst näher und machte mit der ihm eigenen Anmut eine tiefe Verbeugung. Die Königin dankte mit feierlicher Würde. »Hoffentlich,« sagte sie mit huldvollem Lächeln, »fühlt sich der Herzog von Argyle, der sich zu unserem Bedauern jetzt so selten bei Hofe macht, recht wohl, den Wünschen gemäß, die seine Freunde diesseits und jenseits des Tweed für ihn fühlen?« Der Herzog erwiderte, er habe sich recht wohl befunden und sei nur durch wichtige Geschäfte und eine Reise nach Schottland abgehalten worden, bei Hofe zu erscheinen. Wenn Seine Herrlichkeit Zeit zu so geringfügigen Dingen fände, versetzte die Königin, würde sie stets willkommen sein; ihre Bereitwilligkeit, ihm den gestern gegen Lady Suffolk geäußerten Wunsch zu erfüllen, müsse ihm ja zeigen, daß mindestens ein Mitglied des königlichen Hauses seine früheren wichtigen Dienste um der jetzigen Vernachlässigung halber nicht vergessen habe. Die Königin sprach dies alles in einem Tone, der sich schelmisch anhörte, aber ziemlich deutlich verriet, daß sie eine völlige Aussöhnung erstrebte. Der Herzog antwortete, er würde sich für den unglücklichsten der Menschen halten, wenn die Königin ihn irgend welcher Pflichtvergessenheit für fähig halten könnte; zumal dann, wenn bei Hofe auf ihn irgendwie gerechnet würde. Er fühle sich durch die Huld seiner Königin unendlich beglückt und hoffe, ihr recht bald beweisen zu können, daß er sie durch Lady Suffolk um diese Gunst nur gebeten habe, weil er überzeugt sei, daß ihre Gewährung für Seine Majestät selbst von Belang sein werde. »Sie können sich Ihrer Königin gar nicht dienstwilliger zeigen, lieber Herr Herzog,« versetzte Karoline, »als wenn Sie mir Ihre Einsicht und Erfahrung in allen den Dienst beim Könige betreffenden Punkten zu nutze kommen lassen. Ihre Herrlichkeit wissen ja recht gut, daß ich in dem fraglichen Falle nur Vermittlerin sein kann Seiner königlichen Majestät gegenüber; nichtsdestoweniger will ich gern Sorge tragen, daß, wenn das Anliegen Eure Herrlichkeit persönlich angeht, es an Wirksamkeit durch meine Befürwortung nicht einbüßen soll.« »Es betrifft meine Person nicht, gnädigste Fürstin,« versetzte der Herzog, »sondern eine Angelegenheit, die Ihrer Majestät, als einem Freunde von Gnade und Gerechtigkeit, willkommen sein wird insofern, als sie beitragen wird, die leidigen Mißverständnisse, die zurzeit zwischen dem Hofe und seinen getreuen schottischen Untertanen herrschen, aus der Welt zu schaffen.« In dieser Antwort des Herzogs berührte zweierlei die Ohren der Königin nicht angenehm: zuerst wurde durch dieselbe der Wahn zerstört, der Herzog suche in der Absicht ihre persönliche Vermittlung, um seinen Frieden mit der Regierung zu machen; in zweiter Reihe war sie ärgerlich, daß der Herzog von den Schotten in dem Sinne sprach, daß es Pflicht sei für England, sie versöhnlich zu stimmen, statt sie zu bestrafen. Von diesem Eindrucke beherrscht, versetzte sie heftig: »Seine Majestät verdankt es Gott und dem Gesetze, daß er gutgesinnte Untertanen in England hat; seine Untertanen in Schottland hingegen verdankt er, meinem Dafürhalten nach, Gott und seinem Schwerte.« Aber sie sah den Irrtum, den sie damit begangen, sogleich ein, als sie die Röte bemerkte, die das Gesicht des Herzogs färbte, und die dieser, trotz aller hofmännischen Gewandtheit, nicht zu verbergen vermochte; sie setzte darum, ohne die geringste Wandlung im Wesen oder im Klang ihrer Stimme zu zeigen, ganz, wie wenn ihre Bemerkung noch nicht zu Ende sei, hinzu: »Und den Schwertern solcher tapferen und ehrlichen Schotten, die dem Hause Braunschweig freundliche Gesinnung entgegenbringen, und zu ihnen gehört ja in erster Reihe unser getreuer Herzog von Argyle.« »Mein Schwert, gnädigste Fürstin,« antwortete dieser, »ist, wie das meiner Väter und Vorväter, immer auf Befehl meines rechtmäßigen Königs und im Interesse meines Vaterlandes gezogen worden. Daß es nicht möglich sei, die wahren Interessen und Gerechtsame beider zu trennen, ist meine feste Ueberzeugung, Die Angelegenheit aber, in welcher ich im gegenwärtigen Augenblick Ihre Majestät behellige, ist mehr privaten Charakters und betrifft nur eine einzelne, nicht weiter bekannte Persönlichkeit.« »So bringen Sie die Sache endlich zum Vortrag, Herr Herzog!« rief die Königin; »wovon ist die Rede? Ich möchte nicht, daß sich am Ende noch Mißverhältnisse zwischen uns drängten.« »Allergnädigste Königin,« erklärte der Herzog, »ich habe mich zum Anwalt eines unglücklichen jungen Mädchens aus Schottland gemacht, das wegen eines Verbrechens, an dem sie aller Wahrscheinlichkeit keine Schuld trifft, den Tod erleiden soll, und nahe mich Ihrer königlichen Majestät mit der untertänigen Bitte, Gnade für das arme Geschöpf bei Seiner königlichen Majestät auszuwirken.« Jetzt war es an der Königin, die Farbe zu wechseln; ihre Stirn, ihre Wangen, ihr Nacken und Busen wurden mit tiefer Glut überzogen. Im ersten Moment schien sie ihrer Stimme nicht recht zu trauen; darum schwieg sie, wie um sich nicht vom Zorne hinreißen zu lassen; dann aber versetzte sie mit Hoheit und Strenge: »Mylord! Es sei ferne von mir, Sie nach den Gründen zu befragen, die Sie zu solchem Ansuchen bestimmen, das die Umstände zu einem wirklich äußerst ungewöhnlichen stempeln. Der Weg zum Kabinett des Königs steht Ihrer Herrlichkeit frei; Sie können als Pair und Geheimer Rat eine Audienz von Seiner Majestät begehren, mir also diese Mühe wie die ganze Erörterung des Falles ersparen. Sie dürfen mir glauben, daß ich von jeglicher Begnadigung, soweit sie Leute aus Schottland angeht, endgültig Abstand nehmen will, denn die letzten Vorkommnisse haben mich schmerzlich berührt.« Der Herzog, auf diesen Ausbruch des Unwillens gefaßt, ließ sich dadurch nicht abschrecken, machte zwar keinen Versuch zu einer Gegenrede, blieb aber in der festen, ehrerbietigen Stellung, die er die ganze Zeit über bewahrt hatte. Um ihm keinen Vorteil über sich zu geben, bezwang die Königin ihren Zorn; und in demselben milden Tone, mit dem sie die Unterredung begonnen, fügte sie hinzu: »Sie müssen mir schon gewisse Vorrechte meines Geschlechtes lassen, Mylord, und nicht zu hart von mir denken, wenn mich die Erinnerung an den Schimpf, den Schottlands Hauptstadt unserer königlichen Gewalt angetan, ein wenig unwillig macht.« »Es ist freilich eine Sache, die sich nicht so leicht vergessen läßt,« erwiderte der Herzog. »Wie ich selbst hierüber denke, ist Ihrer Majestät längst unterbreitet worden, und ich muß mich recht undeutlich ausgedrückt haben, wenn aus meinen Worten nicht der höchste Abscheu vor diesem seltsamen Morde hervorging. Ich war vielleicht so unglücklich, anderer Meinung zu sein als die Ratgeber Seiner Majestät, darüber: inwieweit Gerechtigkeit oder Staatsklugheit es gestatte, den Unschuldigen für den Schuldigen zu strafen. Doch Ihre Majestät werden mir hoffentlich erlauben, da zu schweigen, wo meine Ansichten nicht den Vorzug genießen, mit den Meinungen derer, die weitsehender sind als ich, übereinzustimmen.« »Wir wollen ein Thema nicht verfolgen, über das unsere Meinungen auseinandergehen müssen,« versetzte die Königin; »ein Wort kann ich jedoch im Vertrauen sagen,« fügte sie etwas leiser hinzu: – »Sie wissen, unsere gute Suffolk ist ein wenig taub, – wenn der Herzog von Argyle die Beziehungen zu seinem König und seiner Königin erneuern will, so wird er Wohl nicht viele Themata finden, über die ihre Meinungen auseinandergehen.« Der Herzog verneigte sich tief ob dieser schmeichelhaften Aeußerung: »Lassen Sie mir die Hoffnung, allergnädigste Frau,« sagte er, »daß mich nicht das Unglück getroffen, jetzt ein solches Thema gefunden zu haben.« »Ich muß Euer Herrlichkeit erst, bevor ich Ablaß gewähre, die Pflicht, zu beichten, auferlegen. Woher rührt der besondere Anteil, den Sie an diesem Mädchen nehmen? Es scheint nicht,« – (und sie musterte Jeanie mit dem forschenden Auge der Kennerin.) – »als sei sie sonderlich geeignet, im Herzen meiner Freundin, der Herzogin, Eifersucht zu wecken.« »Ihre Majestät,« erwiderte der Herzog, gleichfalls lächelnd, »werden hier hoffentlich meinen Geschmack für mich als Bürgen gelten lassen.« »Dann ist sie wohl,« rief die Königin, »eine Muhme im dreißigsten Gliede aus den endlosen schottischen Geschlechtsregistern?« »Nein, allergnädigste Frau,« sagte der Herzog, »doch würde es manchem meiner näheren Verwandten nichts schaden, wenn er die Hälfte ihres Wertes, ihrer Redlichkeit und Liebe besäße.« »So ist sie wohl aus Inverary oder Argyleshire hierher gekommen?« »Sie ist in nördlicher Richtung nie weiter gekommen, als bis Edinburg, meine allergnädigste Königin.« »Nun, so bin ich mit meinen Vermutungen zu Ende, und Eure Herrlichkeit müssen sich schon mit der Sache ihrer Beschützerin selbst befassen.« In jener kurzen, klaren und bestimmten Weise, die nur das gesellschaftliche Leben der höheren Stände verleiht, setzte nun der Herzog jenes seltsame Gesetz auseinander, auf Grund dessen Effie Deans verurteilt worden war, und entwickelte ein ergreifendes Bild von Jeanies Schwesterliebe, die zu jedem Opfer willig sei, sofern es nicht Wahrheit und Gewissen verletze. Königin Karoline hörte seinen Worten aufmerksam zu; sie liebte es, zu diskutieren, und hatte bald in der Darstellung des Herzogs den Punkt herausgefunden, den sie mit Aussicht auf Erfolg gegen das von ihm vorgebrachte Gesuch geltend machen konnte, »Dies Gesetz erscheint auch mir übermäßig streng, Mylord,« sagte sie. »Doch muß ich bemerken, daß sehr triftige Gründe Veranlassung gegeben haben, es als Landesgesetz zu erlassen. Das Mädchen ist auf Grund desselben verurteilt worden, – weil die Voraussetzungen für den tatsächlichen Schuldbeweis in ihrem Falle sämtlich zutreffen. Was Sie, Mylord, geltend machen, um den Beweis ihrer Unschuld zu erbringen, reicht vielleicht hin, das Gesetz aufzuheben, kann aber nicht, solange das Gesetz besteht, zu gunsten von bereits Verurteilten in Anwendung gebracht werden.« Der Herzog merkte die Gefahr; er durfte durch Fortsetzung dieser Erörterung die Königin nicht auf den Standpunkt drängen, der sie schließlich, um sich nicht in das Licht der Inkonsequenz zu setzen, zur Preisgabe der Verurteilten nötigte. »Wenn Ihre Majestät,« sagte er, »die Gnade haben wollten, meine arme Landsmännin selbst zu hören, so fände sie vielleicht in Dero eignem Herzen einen Fürsprech, der die Einwände Ihres Verstandes wirksamer zu bekämpfen vermöchte als ich.« Es hatte den Anschein, als ob die Königin sich damit einverstanden erklärte; worauf der Herzog Jeanie winkte, von dem Platze vorzutreten, wo sie bis jetzt in Aengsten gestanden, bemüht, auf Gesichtern zu lesen, die sich doch durch lange Gewöhnung viel zu scharf in der Gewalt hatten, um sich auch nur die leiseste innere Bewegung anmerken zu lassen. Die Herrscherin lächelte über die respektvolle Scheu, mit der das stille, kleine Schottenmädchen sich näherte, lächelte mehr noch, als der erste Laut ihrer nordischen Mundart über Jeanies Lippen kam. Jeanies Stimme hatte einen weichen süßen Klang, und ihre Bitte, »die allergnädigste Frau wolle ihr Herz doch zum Mitleid wenden gegen ein unglückliches, irre geführtes Mädchen,« wurde so ergreifend vorgebracht, daß das Fremde, Ungewohnte, das zuerst auf die Königin einen unangenehmen, wunderlichen Eindruck machte, bald mit tiefem Ernst auf sie wirkte. »Steh auf,« sprach sie, nicht ohne Huld, »und erkläre mir die rohen Sitten Deines Volkes, bei welchem Kindesmord ein so häufiges Vorkommnis ist, daß die Regierung sich zum Erlaß so strenger Gesetze genötigt sieht?« »Mit Verlaub, gnädige Frau« gab Jeanie zur Antwort, »auch in andern Ländern als Schottland leben wohl Mütter, die hart sind gegen ihr eigen Fleisch und Blut.« Für den Zwist zwischen dem König Georg und seinem Sohne, dem Thronfolger, der um diese Zeit gerade den Höhepunkt erreichte, wurde im ganzen Lande die Königin verantwortlich gemacht. Tiefe Röte stieg, als sie die Worte aus dem Munde des Landmädchens vernahm, auf ihr Gesicht, und ein scharfer Blick aus ihren Augen traf zuerst Jeanie, dann den Herzog. Er wie sie hielten ihn ruhig aus; Jeanie, weil sie sich einer irgendwie verletzenden Rede nicht bewußt war, der Herzog, weil er seine Empfindungen scharf im Zügel zu halten gewohnt war. In seinem Herzen aber dachte er: »Durch diese unglückselige Antwort hat sich mein armer Schützling, ohne es zu ahnen, um die letzte Hoffnung gebracht!« In diesem entscheidenden Augenblicke aber trat, von einer guten Regung geleitet, Lady Suffolk ein... »Du solltest der gnädigen Frau doch die Ursachen sagen, Kind,« redete sie Jeanie an, »die dieses schwere Verbrechen in Deinem Volke so häufig machen.« »Manche sagen, es käme vom Kirchensitzen, sie meinen damit den – den Sündenschemel, mit Euer Gnaden Verlaub,« sagte Jeanie, die Augen zu Boden schlagend, und die Stimme senkend, mit tiefem Knickse. »Was sagst Du da,« fragte Lady Suffolk, die diesen kirchlichen Brauch vielleicht nicht kannte, und die Antwort des Mädchens vielleicht nicht richtig verstanden hatte. »Wir nennen's auch Büßerstuhl, gnädige Frau, worin diejenigen in der Kirche sitzen müssen, die sich einen leichtfertigen Wandel zuschulden kommen lassen oder das sechste Gebot nicht achten.« Sie wandte hier die Augen auf den Herzog und sah ihn mit der Hand nach dem Kinn greifen; ohne zu wissen, was sie Unrechtes vorgebracht, erhöhte sie nun die Wirkung ihrer Worte dadurch, daß sie plötzlich stockte. Gleich einem Hilfskorps, das sich zwischen den Feind und den geschlagenen Freund geworfen, und unvermutet von dem letztern selbst unter Feuer genommen wird, retirierte die Lady. »In dem Mädchen steckt wahrhaftig der Teufel,« dachte der Herzog, »sie gibt die tödlichen Salven schier nach beiden Seiten!« Auf den Herzog fiel kein geringer Anteil an der schiefen Lage, in die beide Damen durch das Mädchen vom Lande gesetzt worden, das von dem, was es angerichtet, keine Ahnung hatte; denn er hatte sie doch hierher geführt; er mochte sich ungefähr vorkommen wie jener Junker, der seinen Wachtelhund in ein vornehmes Gesellschaftszimmer mitbringt und nun mit ansehen muß, welchen Schaden die unzeitigen Sprünge desselben anrichten. Jeanies letzter, unfreiwilliger Ausfall hob jedoch die Schlappe, die sie durch den ersten erlitten, auf; denn Ihre Majestät war doch noch Weib genug, um einen Seitenhieb gegen »Ihre gute Suffolk« nicht ungern in Kauf zu nehmen. Mit einem Lächeln, das ihrer Freude über diesen Triumph ohne jegliches Zutun von ihrer Seite nicht undeutlichen Ausdruck gab, sagte die Königin: »Die Schotten sind ja recht strenge Sittenrichter.« Dann brach sie das Thema jäh ab und fragte Jeanie, wie sie die Reise von Schottland nach England gemacht habe. »Meistens zu Fuß,« war die Antwort. »Was? die ganze Riesenstrecke zu Fuß? – wie weit kannst Du denn in einem Tag gehen?« »Fünfundzwanzig Meilen ungefähr.« [Natürlich sind »englische« darunter zu verstehen, die nur knapp zu dreiviertel Stunden gerechnet werden.] »Ich hielt mich für eine tüchtige Fußgängerin,« sagte die Königin zu dem Herzog von Argyle, »aber gegen dies Mädchen komme ich nicht auf.« »Möge Euer Gnaden Trauer im Herzen niemals gegen körperliche Müdigkeit unempfindlich machen,« sagte Jeanie. »Das war 'mal eine bessere Rede,« dachte der Herzog. »Ich habe die Strecke nicht ganz zu Fuß gemacht, sondern bin ein Stück in einem Frachtwagen gefahren, von Ferrybridge aus sogar geritten,« sagte Jeanie, ihre Erzählung kurz abbrechend, denn sie sah wieder die Hand des Herzogs am Kinne. »Trotzdem muß Dich die Reise doch sehr angegriffen haben,« sagte die Königin, »und obendrein wirst Du Dir, wie ich stark fürchte, all diese Beschwerden umsonst gemacht haben; denn wollte auch der König Deine Schwester begnadigen, so würden Deine Edinburger Landsleute sie doch wahrscheinlich wider ihm zum Trotze hängen.« »Nun wird sie sicher den letzten Trumpf gegen sich ausspielen,« dachte der Herzog; allein er irrte. Die Klippen, auf die Jeanie in dieser gefährlichen Unterredung geraten war, lagen ihr unbekannt in der Tiefe, die Sandbank aber, wohin sie jetzt geriet, ragte über das Wasser hervor, und an ihr steuerte sie vorbei. Stadt und Land, sagte sie, würden sich freuen, wollten sich Majestät eines armen verlassenen Geschöpfes in Gnaden erbarmen. »Seine Majestät hat in dieser Hinsicht jüngst andere Erfahrungen gemacht,« antwortete die Königin; – »Mylord möchte wohl eher raten, den Edinburger Pöbel darüber abstimmen zu lassen, wer gehängt, und wer pardonniert werden soll?« »Nein, gnädigste Frau; aber raten möchte ich Seiner Majestät, sich von Seinem und dem Gefühl Seiner königlichen Gemahlin in solchem Falle leiten zu lassen. Dann wird die Strafe nur die wirkliche Schuld treffen.« »Ihre kluge Rede, Mylord, gibt mir nicht die Ueberzeugung, daß es geraten und angemessen sei, Ihrer – ich darf wohl nicht sagen aufrührerischen? – doch mindestens unlenksamen Hauptstadt so schnell eine solche Gunst zu erzeigen. Hat sich nicht das ganze Volk verschworen, die wilden Mörder des unglücklichen Stadthauptmannes zu schirmen? Wie ließe es sich sonst erklären, daß auch kein einziger von den vielen Schuldigen festgenommen werden konnte? Es haben doch sicher auch Freunde von Dir an dem schändlichen Verbrechen Anteil gehabt?« »Nein, gnädige Frau,« erwiderte Jeanie hocherfreut, daß die Frage ihr so gestellt wurde, daß sie mit gutem Gewissen mit Nein darauf antworten konnte. »Du würdest Dir aber wohl ein Gewissen daraus machen, es auszuplaudern, wenn Du über ein solches Geheimnis verfügtest.« »Ich würde Gott bitten, mir den Weg zur Pflicht zu zeigen,« erwiderte Jeanie. »Und doch den einschlagen, den Deine Neigungen Dich führen,« sagte die Königin. »Gnädigste Frau, ich wäre, dem Hauptmann Porteous oder einem andern Unglücklichen das Leben zu retten, bis ans Ende der Welt gegangen, allein mit Recht darf ich wohl bezweifeln, inwiefern mir die Rolle zufiel, seine Bluträcherin zu sein, was den weltlichen Gerichten, wenn er gerächt werden soll, mehr zustände. Er ist tot, und die ihn töteten, müssen für ihr Tun die Verantwortung tragen. Aber meine Schwester, – meine arme Schwester Effie – lebt noch, obgleich ihre Tage und Stunden gezählt sind! Sie lebt noch, und ein Wort aus dem Munde des Königs könnte sie einem alten Manne wiedergeben, dessen Herz des Kummers übervoll ist, der nie in seinem Morgen- und Abendgebet unterlassen hat, Segen auf den Thron Seiner Majestät herabzuflehen. – O, gnädige Frau, wenn Sie jemals erfahren haben, was es heißt, Kummer im Herzen für ein armes sündiges Geschöpf zu tragen, dessen Gemüt auf den Tod erschüttert ist, dann erbarmen Sie sich unseres Jammers! Bewahren Sie ein ehrliches Haus vor Schmach und ein unglückliches, kaum achtzehnjähriges Mädchen vor einem frühzeitigen schrecklichen Tode. Ach, nicht wenn wir nach süßem Schlummer fröhlich erwachen, sind wir fremden Leides eingedenk. Naht uns aber seelische Trübsal oder leibliches Weh, –was Euer Gnaden nicht an sich erfahren möge, – naht uns die Todesstunde, die den Hohen so wenig verschont als den Niedern, und die Ihnen, Euer Gnaden, spät nahen möge, – dann, o dann, gnädige Frau, denken wir nicht an das, was wir für uns selbst, sondern an das, was wir für andere getan, mit der rechten Freude. Und auch Ihnen, gnädigste Frau, wird der Gedanke, sich für das Leben einer armen Unglücklichen verwendet zu haben, in jener Stunde, sie komme, wann sie wolle, süßer sein, als ein Wort aus Ihrem Munde, das die ganze Porteous-Rotte an den Galgen gebracht hätte.« Eine Tränenflut rann über Jeanies Wange, ihr Antlitz glühte, und ihre Lippe bebte vor Erregung, als sie mit diesem gleich schlichten wie ergreifenden Pathos für die unglückliche Schwester das Wort führte. Zum Herzog von Argyle gewandt, sagte die Königin: »Das ist doch 'mal echte Beredsamkeit!« Jeanie gewandt, aber sagte sie: »Kind, ich selbst kann Deiner Schwester den Pardon nicht gewähren, – verlaß Dich aber auf meine eifrige Verwendung bei Seiner Majestät.« Dann reichte sie ihr ein kleines gesticktes Etui. »Da nimm!« sagte sie, »aber öffne es jetzt nicht. In einem anderen Augenblicke, wenn Du mehr Herrin Deiner Zeit und Deiner Gedanken bist, wirst Du etwas darin finden, das Dich erinnern soll an diese Zwiesprach mit Deiner Königin,« Diese Worte brachten Jeanie endlich die bestimmte Kunde, daß sie die Königin vor sich hatte; sich auf die Kniee niederwerfend, wollte sie ihrer Dankbarkeit gebührenden Ausdruck geben; der Herzog aber, der wie auf Kohlen stand, aus Furcht, Jeanie möchte, was sie erreicht, wieder gefährden, griff sich mit der Hand ans Kinn. »Wir haben einander wohl nichts mehr zu sagen, Mylord,« sagte die Königin, »der Zweck Ihres Hierseins dürfte, wie ich meine, zu Ihrer Zufriedenheit erfüllt sein. Ich hoffe, Eure Herrlichkeit öfter wiederzusehen, sei es hier oder in Saint-James. Bitte, Lady Suffolk – wir müssen Seine Herrlichkeit nun verabschieden.« Nach gegenseitiger Verbeugung schieden sie. Die beiden Damen verschwanden hinter einem Laubdickicht. Der Herzog half Jeanie von der Erde auf. Dann geleitete er sie auf demselben Wege zurück, den er sie hergeführt. Gleich einer Schlafwandlerin schritt sie neben ihm einher. Vierzehntes Kapitel Der Herzog gelangte mit Jeanie zu der kleinen Pforte, durch die sie in den Richmonder Park Einlaß gefunden hatten; der nämliche Pförtner öffnete, und bald befanden sie sich wieder außerhalb des königlichen Parkes. Gesprochen worden war zwischen ihnen kein Wort, seit sie von der Königin sich verabschiedet hatten. Den Wagen fanden sie an derselben Stelle, wo sie ihn verlassen hatten, und rasch rollte er mit ihnen wieder zur Stadt zurück. »Ich glaube, Jeanie,« fing der Herzog die Unterhaltung an, als sie auf offener Landstraße fuhren, »man darf Dir zu dem Erfolge Deiner Audienz gratulieren.« – »Und war das wirklich die Königin?« fragte Jeanie; »ich dachte es mir, weil Euer Gnaden den Hut in der Hand hielten.« – »Nun, freilich war's die Königin Karoline,« versetzte der Herzog; »möchtest Du nicht nachsehen, was in dem Täschchen steckt?« – »Vielleicht der Gnadenbrief?« fragte Jeanie, von froher Hoffnung erfüllt. – »Nein, das wohl nicht,« antwortete der Herzog; »dergleichen Papiere pflegen die hohen Herrschaften nicht bei sich zu tragen. Auch hat Dir die Königin ja gesagt, daß nicht ihr, sondern dem Könige das Begnadigungsrecht zustehe.« – »Ach ja, mir ist der Kopf schon ganz wirr. Aber Euer Gnaden meinen, es sei mit Sicherheit auf Effies Begnadigung zu rechnen?« – »Nun, Könige und störrische Pferde lassen sich schwer taxieren,« versetzte der Herzog; »aber seine Gemahlin weiß mit ihm umzugehen, und so möchte ich Zweifel in Deine Angelegenheit nicht mehr setzen.« – »O, Gott sei Dank!« rief Jeanie; »möge es der Königin nie an Zufriedenheit mangeln, die sie jetzt so reich in mein Herz gesät. Und auch über Sie, Mylord, Gottes Segen! denn ohne Ihre gnädige Hilfe wäre es mir doch nie beschert gewesen, vor das Antlitz der Königin zu gelangen.« Der Herzog, der vielleicht sehen wollte, wie lange die dankbare Regung bei Jeanie über die Neugierde siegen würde, ließ sie geraume Zeit bei diesem Gedanken; aber wenn er sie nicht selbst noch einmal an das Geschenk der Königin erinnert hätte, so wäre es vielleicht gar nicht nachgesehen worden, denn Jeanie besaß von dem Erbteil ihres Geschlechts einen sehr bescheidenen Anteil. Als sie es endlich auf des Herzogs Mahnen öffnete, stellte sich heraus, daß es die zierlichsten Nähwerkzeuge enthielt und in einem Seitentäschchen eine Banknote von fünfzig Pfund. Als der Herzog Jeanie über den Wert dieser Note aufklärte, denn sie hatte eine solche in ihrem Leben noch nicht gesehen, meinte sie, die Königin wieder in den Besitz derselben setzen zu müssen, und übergab sie zu diesem Zwecke dem Herzoge. Dieser aber erwiderte, daß die Königin recht wohl wisse, daß die Note in dem Täschchen gesteckt habe; aber auch, daß sie viel Ausgaben auf einer solchen weiten Reise gehabt haben müsse; und zur Deckung derselben solle sie das Geld nur benutzen.« – »Ach, Euer Gnaden, es wäre doch aber schon an dem Täschchen mit dem schönen Inhalt und dem aufgestickten Namenszug Ihrer Majestät mehr denn genug gewesen, immerhin,« überlegte sie, »kann ich auf diese Weise dem Laird sein Geld zurückerstatten, ohne daß es dem Vater zur Last fällt. Und Laird Dumbiedike wird sicher nicht ungehalten darüber sein.« »Was sagst Du da, mein Kind? Lord Dumbiedike? Doch nicht der, der in der Nähe von Dalkeith ein Gut besitzt? Der immer in schwarzer Perücke mit Tressenhut geht?« – »Jawohl, Euer Gnaden! Der ist's,« versetzte Jeanie kurz, denn sie sah keinen Grund, bei dem Laird länger zu verweilen. – »Jesus! Mein alter Freund Dumbiedike! Lustig und guter Dinge hab ich ihn wohl dreimal im Leben gesehen, aber eine Wandlung seiner Stimme bloß ein einziges Mal erlebt. Ist er verwandt mit Dir, Jeanie?« – »Nein, Euer Gnaden.« – »Also wohl Dein Verehrer?« – Jeanie stotterte mühsam, daß es so sei. – »Na, wenn der Laird kommt, dann ist doch dem armen Butler das letzte Brot gebacken?« – »O nein, Mylord!« versetzte Jeanie viel schneller als vordem, jedoch mit weit tieferem Erröten. »Nun, Mädchen, mir scheint, man darf Dir die Besorgung Deiner Angelegenheiten getrost allein überlassen,« sagte der Herzog, »und ich will mich nicht weiter danach erkundigen. Was den Gnadenbrief anbelangt, so will ich ihn Dir, sobald er in meinen Händen ist, durch einen expressen Boten nach Schottland nachsenden. Inzwischen darfst Du Deine Freunde getrost von dem glücklichen Resultat Deiner Reise mit einem Brief unterrichten.« »Meinen Euer Gnaden,« fragte Jeanie, »daß das besser sei, als wenn ich mit meinem Bündel unterm Arme wieder heimginge?« – »Ganz gewiß, Kind, für ein Mädchen ist es entschieden besser, denn die Unsicherheit auf unsern Straßen ist seit Deinem Hiersein noch nicht geschwunden; übrigens kannst Du mit meinem Kammerdiener und einem Mädchen meiner Frau die Reise machen; sie sollen in der Kalesche nach Inverary hinunter fahren, also über Glasgow hinaus; in der Kalesche wird für Dich Platz genug sein, und von Glasgow mag Dich Archibald nach Edinburg hinüber bringen. Unterwegs kannst Du vielleicht unser Mädchen, dem die Milchkammer übergeben werden soll, in der Käsemacherei unterrichten. Ich meine überzeugt sein zu dürfen, daß Du mit den Milcheimern ebenso reinlich bist wie mit Deinen Kleidern.« »Sind Euer Gnaden ein Freund von Käse?« fragte Jeanie, über deren Gesicht ein Strahl freudigen Selbstbewußtseins glitt. – »Ob ich ein Freund von Käse bin?« widerholte der Herzog, der in seiner Leutseligkeit ahnte, was folgen werde; »ist nicht Haferkuchen und Käse ein Kaisermahl? Wie sollte es keines sein für einen Hochländer?« – »Ich frage bloß,« meinte Jeanie bescheiden, aber voll Zuversicht und heller Freude, »weil man unsern Käse für ebensogut hält wie den Dunloper, und wenn wir uns erlauben dürften, Euer Gnaden einen Laib davon, vielleicht von zehn bis zwanzig Pfund, zu schicken, so möchte mich das nicht wenig stolz machen. Sollten Sie aber, als Hochländer, lieber Ziegenkäse essen, so müßte ich freilich sagen, daß ich mich auf dessen Bereitung weniger gut verstehe. Ich würde aber mit meiner Muhme aus Lammermoor reden.« »Nicht doch, nicht doch,« antwortete der Herzog, »Dunloper ist ja gerade meine Lieblingsspeise; also schick mir nur von der Sorte, die diesem gleichkommt. Bereite ihn aber auch selbst, Jeanie; ich kann mir schon denken, daß Du damit wirst Ehre einlegen wollen, bin ich doch Kenner und Liebhaber von Käse.« »O, er soll Euer Gnaden schon schmecken!« antwortete Jeanie mit stolzer Zuversicht, »und an Mühe will ich es auch nicht fehlen lassen. Aber wenn er Ihnen nicht munden sollte, dürfen Sie auch mit dem Tadel nicht hinterm Berge halten, Euer Gnaden. Das mache ich mir aus.« Der Herzog versprach es ihr und ermahnte nun Jeanie noch, ihrerseits mit Archibald gut auszukommen, von dem sie gewiß alle Rücksicht zu gewärtigen hätte, vorausgesetzt, daß sie ihn nicht mit allzu viel Fragen behelligte; worauf Jeanie meinte, sie kenne ihn ja nun schon ein paar Tage und wisse ganz gut, wie man sich ihm gegenüber verhalten müsse. Der Herzog sagte ihr noch, sie möge sich mit allem, was sie zur Reise nötig erachte, für Mitte der neuen Woche bereit halten; dann forderte er sie zum Einsteigen auf und befahl dem Kutscher, vor dem Laden zum Dornbusch zu halten. Hier wartete Frau Glas schon wie auf Kohlen und bestürmte Jeanie mit hunderterlei Fragen: ob sie Seine Herrlichkeit gesehen und Seiner Herrlichkeit hohe Gemahlin, Seiner Herrlichkeit Kinder, die kleinen Prinzen? Ob sie den König oder die Königin, oder den Prinzen von Wales gesehen habe? oder sonst jemand aus dem königlichen Hause? Ob sie den Pardon für die Schwester ausgewirkt habe? Oder nur eine Strafmilderung? Wie weit sie habe fahren müssen? Wo sie abgestiegen sei? In welchem Schlosse oder welchem Landsitze? Was man sie gefragt, was man mit ihr gesprochen, was sie geantwortet habe, usw. usw. Ware nicht Herr Archibald ihr wieder zu Hilfe gekommen, so hätte sie sich kaum vor dieser Sturmflut von Fragen zu retten gewußt. Er sagte ihr, Seine Durchlaucht habe ihm ganz besonders aufgetragen, sie möge das Mädchen mit Fragen nicht behelligen, da er selbst in Kürze bei ihr vorzusprechen und sich mit ihr über den Fall im allgemeinen und im besonderen zu unterhalten gedenke. Vielleicht brauche er auch in mancherlei Punkten, über die sich das Mädchen nicht so auslassen könne, ihren guten Rat. Bis dahin lasse er geneigtest um Diskretion ersuchen. »Seine Herrlichkeit sind außerordentlich gnädig,« antwortete Frau Glas, die überzuckerte Pille, so gut es anging, schluckend; »Dero Gnaden wissen ja auch, daß ich bis zu einem gewissen Grade für die Aufführung meiner Nichte die Verantwortung trage. Zweifellos sind Dero Gnaden aber der beste Richter, in welchen Dingen Sie sich mehr auf meine Muhme als auf mich zu verlassen haben.« »Seine Herrlichkeit,« antwortete Herr Archibald mit echt schottischer Würde, »sind hierüber allerdings nicht im Zweifel, und Sie dürfen dies wohl am besten mit daraus entnehmen, daß mich Dieselben noch beauftragt haben, Ihnen die Versicherung zu geben, daß alles so ginge, wie es Ihr gutes Herz nur eben wünschen könne.« »Seine Herrlichkeit sind außerordentlich gütig,« erwiderte Frau Glas, »und ich halte mich durchaus zu Dero Befehl. Aber, Herr Archibald, Sie sind doch schon ein tüchtiges Stück heut unterwegs; zu einem Gläschen echten Rosa Solis sagen Sie wohl nicht Nein?« – »Ich muß Ihnen leider danken, meine liebe Frau Glas,« erwiderte Herr Archibald, »aber Seine Herrlichkeit haben mir ausdrücklich befohlen, sogleich zurückzukommen.« Mit diesen Worten verließ er, nach einer kurzen, höflichen Verbeugung, den Laden. Frau Glas wandte sich gleich an ihre Muhme. »Ei, Jeanie,« sagte sie, »daß Deine Sache so gut steht, ist ja eine wahre Freude, wenn es schließlich bei der Vielvermögendheit des Herrn Herzogs auch kaum anders zu erwarten stand. Seine Herrlichkeit hat geruht, mir sagen zu lassen, daß Sie sich selbst zu mir bemühen würden, um über alles mit mir zu sprechen; darum will ich es unterlassen, Dich weiter auszufragen, denn Seine Herrlichkeit pflegen in allem, was Sie tun und sagen, sehr bedächtig und überlegt zu sein. Aber wenn ich auch Dich nicht frage, so könntest Du mir doch sagen, was Dein Herz jetzt noch bedrückt.« Jeanie, die ihrer Tante einerseits nicht zu nahe treten mochte, anderseits recht wohl erkannte, daß es nicht geraten sei, eine so redselige Frau über solche, doch immer in gewissem Sinne private Unterredung mit der Königin aufzuklären, erwiderte, der Herzog habe sich im wesentlichen darauf beschränkt, sich über die schlimme Situation der Schwester zu erkundigen, und dann seine Meinung dahin geäußert, daß er Mittel und Wege, sie in erheblichem Grade zu bessern, gefunden zu haben denke; er habe aber auch ihr gesagt, daß er mit Frau Glas, da er sie ja zu seinen intimeren Bekannten rechne, sich persönlich darüber unterhalten und aussprechen wolle. Wenn das der Ladeninhaberin zum Dornbusch nun auch schmeichelte, so konnte sie sich doch nur schwer dabei beruhigen, und trotzdem sie Jeanie die Versicherung gegeben, sie nicht weiter zu behelligen, versuchte sie es doch immer und immer wieder, sie auszufragen, bald über den Herzog, bald über König und Königin, bald über den Ort, wo sie mit dem Herzog eigentlich gewesen sei, ob in Windsor, oder in Richmond, oder wo anders; aber gerade die letzte Frage gab Jeanie die schicklichste Gelegenheit, sie abzufertigen, indem sie betonte, daß sie das ja doch gar nicht wissen könnte, da sie kaum eine einzige Straße Londons, außer der, wo sich der Laden der Tante befände, dem Namen nach kennte. Sie habe auch bloß eine einzige Dame gesehen und auch nur aus dem Munde des Herzogs erfahren, daß dieselbe Karoline heiße. »O,« rief da Frau Glas, »das wird niemand anders gewesen sein als die älteste Tochter Seiner Herrlichkeit, Mrs. Karoline Campbell. Nun, der Herzog wird's mir ja sagen, sobald er kommt. Jetzt laß uns aber hinaufgehen und essen. Der Tisch ist schon lange gedeckt, und Du wirst hungrig sein. Ich habe schon ein paar Bissen gegessen. Drum paßt im Augenblick unser schottisches Sprichwort auf uns: Zwischen einem, der satt, und einem, der hungrig ist, wird's nie was Rechtes mit einer Zwiesprach.« Fünfzehntes Kapitel Jeanie brachte am nämlichen Tage noch drei Briefe zur Post, einen an Georg Staunton, Hochwohlgeboren auf Willingham bei Grantham, Pfarrhof – wie ihr der Bauer gesagt, der sie zu Pferde bis nach Stamford gebracht – der zweite Brief war an ihren Vater, der dritte an Reuben Butler gerichtet. Es war ein schweres Stück Arbeit für sie gewesen, denn sie war im Schreiben wenig bewandert, und weit lieber hätte sie dreimal so viel Dunloper Käse gemacht. Der erste Brief enthält nur die kurze Nachricht von der Begnadigung der Schwester, die Aufforderung, allen weiteren Umgang mit ihr zu unterlassen, wie auch aller frühere besser unterblieben wäre, und die Bitte an die Vorsehung, ihn vom Pfade der Sünde zu führen. Unterzeichnet war er mit »Sie wissen wer.« . Der zweite Brief, an den Vater, war sehr lang. Er lautete: Teuerster, wahrhaft verehrter Herr Vater! – Es ist meine Kindespflicht, Ihnen mitzuteilen, daß es dem gnädigen Gotte gefallen hat, die arme Schwester aus ihrer Gefangenschaft zu erlösen durch die gnädige Verwendung Ihrer Majestät der Königin bei Ihrem königlichen Gemahl, dem Landesherrn. Ich habe der Königin Auge in Auge gegenüber gestanden. Aber es ist alles recht gut gegangen. Sie ist auch nicht anders wie wir andern Frauen; bloß daß sie ein sehr fürnehmes Wesen hat und einen mit ihren blauen Falkenaugen wie mit einem Messer durchbohrt. Nächst Gott aber verdanken wir dies alles dem Herrn Herzog von Argyle, der ein echter Schotte ist und gar nicht so stolz wie andere, mit denen Sie hin und wieder zu tun gehabt. Er will uns ein paar Devonshire-Kühe schenken, denn er ist in allem, was Viehzucht angeht, sehr beschlagen, und ich habe ihm einen Laib von unserm Dunloper Käse versprochen. Den will er haben, aber Ziegenkäse nicht... Er ist wirklich gar nicht hochmütig, sondern würde den Käse von uns geringen Leuten ganz gern entgegennehmen, weil er sagt, daß uns das Herz dann um einiges erleichtert sein werde von der großen Schuld der Dankbarkeit, in der wir ihm gegenüber stehen. »Da es nun dem lieben Gott gefallen hat, unsrer armen Effie die königliche Gnade auszuwirken, so laßt es ihr auch an Eurer väterlichen nicht mangeln, auf daß sie wieder ein Gefäß der Gnade werden und Eurem grauen Haare zum Troste gereichen könne. Sagt auch dem Laird, daß ihm das Geld, das er mir freundlich geliehen, pünktlich zurückerstattet werden wird, da wir unvermutet gute Freunde gefunden hätten. Was mir das Herz des Herrn Herzogs zugeführt hat, teuerster Vater, ist ein Dienst, den ein Vorfahre von Reuben Butler in den alten unruhigen Zeiten einem Vorfahren des Herzogs erwiesen hat. Herr Butler wird Ihnen darüber erzählen können. Und die Frau Glas, die ist zu mir gewesen wie eine zweite Mutter. Sie hat hier ein hübsches Haus und ihr Laden geht sehr gut, denn sie hält ein Dienstmädchen, einen Verkäufer und einen Austräger. Sie wird Ihnen zwei Pfund feinen Schnupftabak hinaussenden, und weil sie mir gar viel Gutes getan, müssen auch wir daran denken, ihr ein Geschenk zu machen. Den Gnadenbrief will der Herr Herzog durch einen expressen Boten an Sie senden. Ich selbst reise mit einigen seiner Leute bis Glasgow, und von dort werde ich bald wieder in der lieben Heimat sein. Gott beschütze Sie, teuerster Vater. Dies ist das innige Gebet Ihrer gehorsamen Tochter Jeanie Deans. Der Brief an Butler lautete: Es wird Ihnen wohl nicht unlieb sein, geehrter Herr Butler, zu erfahren, daß der Zweck meiner Reise glücklich erreicht worden ist, und daß der Herzog von Argyle, nachdem er den Brief seines Großvaters an den Ihrigen gelesen, Ihren Namen in ein dickes ledernes Buch eingeschrieben hat, so daß es wohl so aussieht, als sei er willens, Sie mit einer Pfarrei zu bedenken. Fehlen wird's ihm an solchen wohl nicht. Und die gnädige Königin, die ich gesprochen, hat mir eigenhändig eine Näh-Schatulle zum Präsent gemacht. Sie trug keine Krone, hatte auch kein Szepter in der Hand, denn das beides gehört nur zum Feststaate, wie bei uns die Kinder ihren Sonntagsstaat haben. Aber sie war gütig, die Königin, und hat mir auch ein Wertpapier übergeben, das ganze fünfzig Pfund Sterling wert ist und mit dem ich mir meine Reisekosten bezahlt machen soll. So werden mithin Sie, geehrter Herr Butler, da wir nun einmal Nachbarskinder sind, wohl nichts dawider haben, wenn ich Ihnen schreibe, daß Sie sich nichts versagen sollen, was zur Erhaltung Ihrer Gesundheit von Nöten ist, denn es hat zwischen uns nichts zu sagen, wer das Geld hat, sofern es der andere benötigt. Denken Sie aber nicht, daß ich das schreibe, um Sie dadurch an etwas zu erinnern, was Sie lieber aus Ihrem Gedächtnis streichen sollten, falls Ihnen eine Kirche oder Schule übertragen würde. Mir wäre eine Schule freilich lieber, insofern als dabei Eid und Patronat in Wegfall kämen, woran mein Vater immer Anstoß nimmt. Anders wäre es mit der Pfarre zu Skreegme, auf die Sie sich ehedem Hoffnung machten; die wäre Vatern wohl eher recht, wenigstens habe ich immer von ihm gehört, daß in diesem rauhen Kirchspiel der Weg zum Heile leichter und schneller zu finden sei als im Edinburger Canongate. Wenn ich bloß wüßte, was Sie für Bücher haben möchten, Herr Butler, ich kaufte Ihnen gar zu gern welche; denn hier haben die Leute ganze Häuser damit vollgestopft; viele werden auch in den Straßen feil gehalten und billig verschleißt, wahrscheinlich, weil sie bei schlechter Witterung im Freien doch leicht Schaden leiden. Dieses London ist eine gar zu große Stadt, und ich habe soviel davon gesehen, daß mir förmlich der Kopf schwindlig wird. Es ist nun schon beinahe elf Uhr in der Nacht, und Sie wissen ja, Herr Butler, daß ich mit der Feder nicht recht Bescheid weiß. Aber ich werde in bester Gesellschaft die Rückfahrt machen, und mit Bekannten zu reisen, ist mir wirklich recht lieb, denn auf der Herreise habe ich doch mancherlei Verdruß auszustehen gehabt. Was meine Muhme hier ist, die Frau Glas, so geht es ihr wohl recht gut, aber in ihrer ganzen Wohnung riecht es nach Tabak, und so stark, daß ich manchmal meine, ich müßte ersticken. Aber das ist gewiß leicht zu ertragen, wenn ich bedenke, welches große Glück meinem Vater und uns zu teil geworden dadurch, daß Effie von dem schrecklichen Tode befreit ist, und das wird auch Sie gewiß recht erfreuen, sind Sie uns doch so lange schon ein alter lieber Freund und Gönner. Und so verbleibe ich denn, werter Herr Butler, Ihre aufrichtige Freundin und wünsche Ihnen zeitlich und ewig alles, was Ihr Herz begehrt.. Jeanie Deans.« Nach solch ungewohnter Arbeit legte Jeanie sich recht müde zu Bette, konnte aber doch keinen ruhigen Schlaf finden, denn die Freude über die glückliche Wendung in dem Schicksale ihrer Schwester schwellte ihr das Herz so, daß sie gar häufig aufwachte, um dem gütigen Schöpfer immer und immer wieder für seine große Gnade zu danken. Zwei Tage lang mußte Frau Glas warten, bis der angekündigte hohe Besuch sich bei ihr einfand, und wenig fehlte, so wäre sie vor Unruhe schier vergangen; aber als endlich der ersehnte Staatswagen mit vier Lakaien in Dunkelbraun und Gelb vor ihrem Laden vorfuhr und der Herzog in seinem mit Stern und Ordensband verzierten Staatskleide ausstieg, da konnte es in ganz London keinen Menschen gehen, der stolzer gewesen wäre als Frau Glas. Der Herzog erkundigte sich nach seiner kleinen Landsmännin, mochte sie aber nicht noch einmal sehen, wohl, um nicht das Gerede von einem Verhältnis oder dergleichen aufkommen zu lassen. Er sagte der Frau, daß der König, zufolge der Fürsprache seiner Gemahlin, dem unglücklichen Mädchen Gnade bewilligt habe, und daß der Gnadenbrief bereits nach Edinburg unterwegs sei; daß aber der Kronanwalt sich gegen eine unbedingte Straflosigkeit erklärt habe, weil in dem kurzen Zeiträume von sieben Jahren das Verbrechen des Kindesmordes siebenmal vorgekommen sei, und daß deshalb die Bedingung an die Begnadigung geknüpft worden sei, daß Effie Deans auf vierzehn Jahre den Boden Schottlands zu meiden habe. »Was soll denn das arme Ding in der Fremde anfangen?« rief die Frau Glas; »da legt es ja der Kronanwalt direkt drauf an, daß sie in ihre alten Sünden zurückverfällt. Er sollte doch gerade befürworten, daß sie unter die Aufsicht der Ihrigen gestellt werde.« – »Das sind Fragen, liebe Frau,« erwiderte der Herzog, »die uns erst später zu befassen brauchen. Warum sollte sie nicht in London ihr Brot finden? Warum sollte sich ihr nicht Gelegenheit bieten, eine Heirat in Amerika zu machen? Dort braucht von dem, was hier vorgefallen, ja niemand was zu erfahren.« – »Ja, Eure Herrlichkeit,« erwiderte Frau Glas, »es ginge freilich an mit einer Heirat, und da fällt mir ein, daß mein alter Geschäftsfreund in Virginien, von dem ich nun schon vierzig Jahre meinen Laden equipieren lasse, mir schon seit zehn und mehr Jahren mit der Bitte in den Ohren liegt, ihm eine tüchtige Frau zu beschaffen. Er ist ein angehender Sechziger und in sehr guten Verhältnissen. Das wäre eine gar gute Partie, und von Not wäre da für Ihre Schutzbefohlene nicht im geringsten die Rede. Da wäre alles Unglück und aller Jammer der armen Person auf einmal wieder gut gemacht.« Der Herzog äußerte auf diesen Vorschlag nichts, sondern erzählte nur noch, welche Anordnungen er für Jeanie Deans' Heimreise getroffen habe; dann ließ er sich seine Dose füllen, bestellte Grüße an seine kleine Landsmännin und verließ Frau Glas als die glücklichste aller Ladeninhaberinnen von London. Der huldvolle Besuch des Herzogs war für Jeanie insofern indirekt von Vorteil, als ihre Tante, stolz auf die ihr widerfahrene Ehre, alles aufbot, ihr den Aufenthalt in London während der drei Wochen, die sie noch bei ihr zubrachte, so abwechselungsreich wie möglich zu machen. Hätte aber dieser vornehmste Edelmann Schottlands nicht so großen Anteil an Jeanie genommen, so wäre Frau Glas, die mit den Jahren doch zuviel vom großstädtischen Wesen angenommen hatte, um mit der heimischen Tracht, der heimischen Sprache und dem doch immerhin ein wenig ungeleckten Wesen ihrer Muhme sich durchaus einwandsfrei abfinden zu können, wohl kaum so freundlich gegen sie gewesen. Mitnehmen wollte sie sie freilich überallhin; aber außer einer Frau Dabby, die ein sehr gut gehendes Kolunialwarengeschäft hatte, und mit der später Jeanie oftmals die Königin in Parallele stellte, doch zum Nachteil der letzteren, denn Frau Dabby, sagte sie, sei nicht allein viel nobler einhergegangen, sondern gut und gern noch einmal so dick und stark, machte sie keine Besuche bei Bekannten ihrer Tante. Sie hätte sich vielleicht nicht in solchem Maße von allen Leuten ferngehalten, sich auch manches mehr noch in der großen Stadt angesehen, hätte nicht die der Begnadigung angehängte Bedingung der vierzehnjährigen Landesverweisung ihr Herz in arge Bekümmernis gesetzt. Ein Glück, daß in dieser Hinsicht die Antwort von ihrem Vater, die ziemlich mit wendender Post eintraf, sie beruhigte. Er sprach zu allen Schritten, die sie unternommen, seinen vollen Beifall aus, pries ihr Verhalten als Werk einer unmittelbaren göttlichen Eingebung, sie selbst aber als ein vom Himmel erkorenes Werkzeug, um eine Familie vor drohendem Untergange zu bewahren. Die Landesverweisung Effies betrachtete er als eine Aufforderung an ihn, »Haran zu verlassen, wie einst Abraham der Erzvater auch das Geschlecht seines Vaters und das Haus seiner Mutter, und Asche und Staub aller verlassen mußte, die vor ihm eingegangen zur ewigen Ruhe, wie aller, die noch ihm dorthin folgen sollten.. aber mein Herz wird mir leichter werden,« so schrieb er zum Schlusse, »wenn ich dies tue, da ich mir den Verfall der ernsten und wahren Religion in diesem Lande ins Gedächtnis rufe, und wenn ich die Höhe und Tiefe, die Länge und Breite der nationalen Irrtümer überschaue; und so werde ich bestärkt in meiner Absicht, diesen Wohnort zu verlassen, da ich höre, daß in Northumberland Pachtungen zu niedrigem Preise zu haben sind, wo da viele kostbare Seelen wohnen, die zu unserm reinen, wenn auch duldenden Bekenntnisse gehören... Auch läßt sich dasjenige Vieh, was mir mitzunehmen als ratsam erscheint, leicht dorthin treiben, während wir das andere, so gut es eben gehen wird, hier verkaufen wollen. Vom Land kann ich nicht anders sagen, als daß er sich in diesen Tagen schweren Herzeleids als ein braver Freund erwiesen hat. Das Geld, das er für Effies Sache ausgelegt hat, habe ich ihm wiedererstattet; denn der Herr Novit hat, wie der Laird es nicht anders erwartet hat, nichts davon wieder herausgegeben; es hat sich eben auch wieder bewahrheitet, was der gemeine Mann zu sagen pflegt, daß die Gerichte nun einmal am liebsten alles schlucken. Die Gnade, die Dir die Königin erwiesen, kann ich nicht anders als durch Gebet wettzumachen suchen, und beten will ich für ihr zeitliches und ewiges Wohl, wie auch für den Bestand der Herrschaft ihres Hauses auf dem Throne dieser beiden Reiche. Ueber den Herzog von Argyle mehr oder anderes zu sagen, als was Du selbst schreibst, geht nicht wohl an; er ist ein echter und wahrhafter Edelmann, dem dafür, daß er die Sache des Armen und Verlassenen so bereitwillig führt, der himmlische und irdische Lohn nicht vorenthalten bleiben wird. »Ich habe auch unser armes, mißleitetes Kind gesehen. Morgen wird sie, nachdem sie sich verbürgt hat, Schottland auf die Zeit von vierzehn Jahren zu meiden, aus der Haft entlassen werden. Aber noch liegt ihr Sinn in den Banden des Argen. Noch hat sie Sehnsucht, statt zerknirscht das bessere Wasser der Wüste zu trinken, die Fleischtöpfe Aegyptens wieder zu schauen. Ich werde Deine Heimkehr mit wahrer Freude begrüßen, denn Du bist, nächst dem ewigen Gotte, in diesen schweren Drangsalen meine einzige Stütze, mein einziger Trost.« Zum Schlusse meinte er noch, daß er die Art, wie sie ihre Heimkehr bewirken wolle, nur billigen könne, und fügte noch allerhand Bemerkungen bei, mit deren Erörterung wir uns hier nicht zu befassen brauchen, da sie für den Verlauf unserer Erzählung belanglos sind. Als Nachschrift hatte er aber eine Zeile geschrieben, die von Jeanie wieder und wieder gelesen wurde: »Reuben Butler war mir in diesen schweren Wochen ein getreuer und lieber Sohn.« Diese Worte galten Jeanie als gutes Vorzeichen, da sie jeglicher Bemerkung über Butlers weltliches Wissen oder die ketzerische Gesinnung seines Großvaters entbehrten, die der Vater sonst immer anzubringen liebte. Hoffnung von Liebesvolk gleicht nun einmal der Bohne im Ammenmärchen: hat sie erst einmal Wurzel geschlagen, so wächst sie schnell und baut schon in wenigen Stunden ein Schloß auf hohem Gipfel, bis zu guter Letzt die Erfahrung mit ihrem Richtschwert sowohl die Pflanze als das luftige Gebäude hinwegmäht. Jeanies Phantasie entschwebte alsbald in die Gefilde Northumberlands, in eine Meierei mit reichem Viehbestand, neben der ein Kirchlein sich erhob, das rechtgläubigen Christen als Sammelstätte diente, wo Reuben Butler goldene Worte des Evangeliums predigte. Und diese Bilder wurden ihr bald so lieb und wert, daß sie sich von ganzem Herzen freute, als der Herzog von Argyle ihr sagen ließ, sie möchte sich binnen zwei Tagen bereit halten, da er Herrn Archibald schicken werde, sie abzuholen. Sechzehntes Kapitel Gerade drei Wochen war Jeanie in London, als Herr Archibald, der Kammerdiener des Herzogs, in einer Equipage vor dem Laden der Frau Glas vorfuhr. Nach herzlicher Verabschiedung von der Tante stieg sie ein, und alsbald trieb der Kutscher die Pferde an, nachdem Herr Archibald den Platz ihr gegenüber eingenommen hatte. Jeanie war nicht wenig überrascht, als sie, vor dem herzoglichen Palais angelangt, vernahm, daß der Herzog sie noch einmal zu sehen wünsche; aber weit größer noch wurde ihre Ueberraschung, als sie den Fuß in ein herrlich eingerichtetes Prunkzimmer setzte, in welchem der Herzog mit seiner Gemahlin und seinen Kindern versammelt war. »Da, meine Liebe,« sagte der Herzog, Jeanie an der Hand nehmend und zu seiner Gemahlin führend, »ist meine kleine Landsmännin.« Die Herzogin reichte ihr huldvoll die Hand und sagte ihr mit wenigen, aber herzlichen Worten, daß sie einen Charakter, der so fest und zäh an der für recht erkannten Sache halte, anderseits soviel aufopfernde Liebe berge, aus vollem Herzen hochschätze, und schloß ihre Anrede mit der Versicherung, »daß sie wohl noch von ihr hören werde, wenn sie den Fuß in die Heimat setzen werde«, worauf die kleinen Prinzessinnen eine nach der andern hinzusetzten: »Und von mir auch! von mir auch!« – Die älteste von ihnen aber trat auf Jeanie zu und reichte ihr die Hand. »Ja, Jeanie, Du wirst noch von uns allen dort hören, denn Du gereichst der lieben, lieben Heimat zu großer Ehre!« Jeanie, von so vielem Lobe höchlich überrascht, – wußte sie doch nicht, daß der Herzog sich Nachricht über den Verlauf des gegen ihre Schwester geführten Prozesses verschafft und auf diese Weise auch Auskunft über ihr Verhalten während desselben bekommen hatte, – errötete tief und stammelte: »Vielen, vielen Dank!« – »Aber, meine liebe Landsmännin,« nahm nun der Herzog das Wort, »ohne einen Abschiedstrunk darfst Du doch nicht reisen!« Mit diesen Worten nahm er von dem Tische, auf dem Wein und Kuchen standen, ein Glas und brachte den Spruch aus: »Auf aller treuen Herzen Wohl, die unser Schottland lieben!« Aber Jeanie lehnte es ab, ihr Glas zu leeren, indem sie sagte, sie habe noch nie in ihrem Leben einen Schluck Wein genossen.« »Warum denn nicht, Jeanie?« fragte der Herzog; »der Wein erfreut ja doch des Menschen Herz!« »Mein Vater, gnädiger Herr,« antwortete Jeanie, »ist wie Jonadab, der Sohn Rehabs, der seinen Kindern gebot, keinen Wein über die Lippen zu bringen.« »Ich hätte Deinen Vater für verständiger gehalten,« antwortete der Herzog, »es müßte denn sein, daß er dem Branntwein hold ist. Aber, Jeanie, essen mußt Du doch wenigstens, denn einen Teil seines heiligen Rechts mußt Du meinem Hause schon lassen.« Mit diesen Worten nötigte er sie, ein Stück Kuchen zu nehmen; und litt nicht, daß sie einen Bissen davon weglegte. »Was Du jetzt nicht essen kannst oder magst,« sagte er, »das tu in Deine Reisetasche. Ehe Du die Turmspitze von Saint-Giles zu Gesicht bekommst, wirst Du längst damit aufgeräumt haben. Ich wünschte von ganzem Herzen, ich könnte sie auch so bald sehen wie Du. Nun, zum wenigsten grüße mir alle meine lieben Freunde droben in Schottland, und Dir selbst, Kind, wünsche ich eine recht, recht glückliche Reise dorthin!« Darauf überantwortete er sie Archibalds Fürsorge, und in kurzen Tagereisen, um die Fohlen nicht zu übernehmen, die der Herzog bei dieser Gelegenheit mit nach dem Norden sandte, gelangten sie bis in die Gegend von Carlisle. Unfern der alten Stadt erblickte sie auf einem kleinen Hügel, in geringem Abstande von der Heerstraße, einen Haufen Volks und hörte von Leuten, die auf dem Wege dorthin an ihnen vorbeieilten, daß eine schlimme Hexe aus Schottland gehenkt werden solle, die die Gegend schon lange durch ihre Diebereien unsicher gemacht habe, und die mit dem Strick noch viel zu gnädig wegkäme, da sie mit ebensolchem Rechte den Scheiterhaufen verdient habe. ›Die Magd, der die Milchkammer in Inverary übergeben werden sollte, rief, als sie die Kunde vernommen: »Ach, liebster Herr Archibald, ich habe so etwas noch nie in meinem Leben gesehen; lassen Sie uns doch hinüberfahren!« Herr Archibald aber, der sich als Schotte keinen Genuß von der Hinrichtung einer Landsmännin, wenn sie auch Hexe und Diebin war, versprach, zudem auch Einsicht und Zartgefühl genug besaß, um Jeanie nicht einen Anblick zu bieten, der ihr das schreckliche Los, dem die Schwester um Haaresbreite verfallen wäre, vor Augen führte, – Herr Archibald antwortete, daß er unmöglich halten lassen dürfe, da er zu ganz bestimmter Zeit, gewisser Aufträge des Herrn Herzogs halber, in Carlisle sein müsse. Er hieß deshalb die Postillone weiter fahren. Die Augen der neugierigen Jungfer, Dolly Dutton mit Namen, wichen aber nicht von der kleinen Höhe, die den Schauplatz des grausen Ereignisses bildete. Trotz der Entfernung ließen sich die Hauptgestalten ziemlich genau unterscheiden, und mit einem Male kündete ein lauter Schrei aus ihrem Munde den Vollzug der schrecklichen Prozedur an. Jeanies Blicke nahmen unwillkürlich die gleiche Richtung. Aber als sie den Leib der Verbrecherin an dem Galgen in die Höhe schnellen sah, als sie sich vorstellte, welchem schrecklichen Schicksale ihre arme Schwester hatte verfallen sollen, da mußte sie sich abwenden, denn sie fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Ihre Gefährtin bestürmte sie mit Fragen und Versicherungen ihrer Teilnahme, mit Angeboten von Beistand und Hilfe, rief, der Wagen solle halten, ein Arzt solle geholt, Tropfen oder Hirschhornsalz sollte herbeigeschafft werden; Archibald aber, der die Ruhe auch jetzt nicht verlor, befahl den Postillonen, flotter zu fahren, damit man bald aus dem Sehbereiche der Hinrichtungsstätte gelange. Dann erst ließ er, durch die Leichenblässe, die Jeanies Gesicht verfärbte, bestimmt, halten und stieg aus, um eine Arzenei zu holen, leichter erhältlich und wirksamer als alle von Dolly Dutton vorgeschlagenen Mittel, einen Trunk frischen Wassers nämlich. Inzwischen trollten all die Menschen, die der grausen Prozedur beigewohnt hatten, an dem Wagen vorbei ihren Heimstätten zu, und aus ihren Reden entnahm Jeanie, daß die Verbrecherin als verstockte Sünderin, ohne alle Spur von Gottesfurcht, in den Tod gegangen sei. Als eben ein Troß von Buben und Dirnen sich vom Richtplatze heranwälzte, schreiend und johlend, kam Archibald mit dem endlich gefundenen Quellwasser zurück. Da sah Jeanie, daß in der Mitte der Schar eine lange, wunderlich herausstaffierte Person weiblichen Geschlechts, bald hüpfend, bald tanzend, sich vorwärts bewegte. Eine schreckliche Erinnerung trat vor ihre Seele, als sie das unglückliche Wesen erblickte. Aber auch dieses erkannte sie, und mit jäher Gewalt die Menge auseinander schiebend, rannte sie zu der Kutsche, klammerte sich an den Wagenschlag und schrie, zwischen Weinen und Lachen: »Jeanie, Jeanie Deans, weißt Du auch, eben haben sie die Mutter gehängt!« Dann begann sie auf einmal zu jammern und zu schreien: »O, sag's ihnen, daß mir erlaubt wird, sie loszuschneiden! Sag's ihnen, bitte! sag's ihnen! Sie ist doch meine Mutter, wenn sie gleich schlimmer war als der leibhaftige Teufel. Ansehen wird's ihr so wenig jemand, daß sie schon am Galgen gehangen wie der Maggie Dickson, die auch rechtzeitig abgeschnitten wurde und dann noch lange mit Salz gehandelt hat, der man's auch, bloß an der etwas heisern Stimme und an dem etwas schiefen Hals anmerkte, daß was nicht ganz in Ordnung mehr bei ihr war, die aber sonst niemand von den andern Salzweibern unterscheiden konnte.« Herr Archibald, außer stande, die Wahnsinnige von dem Wagenschlage zu entfernen, und belästigt durch die sie umdrängende Menge, sah sich vergeblich nach einem Fron oder Büttel um; da sich keiner sehen ließ, wollte er versuchen, den Wagen schnell in Gang zu setzen, wurde aber durch einige Schreier in der Menge, die die Pferde auszuspannen drohten, daran verhindert. Unterdes schrie Madge Wildfire wieder: »So laßt mich doch die Mutter losschneiden! Bitte, bitte! Es kostet ja bloß einen armseligen Strick, und was ist ein Strick gegenüber einem Menschenleben!« Da wurde aber Herrn Archibald unvermutete Hilfe durch einen neuen Menschentrupp, der sich in der Hauptsache aus Viehhändlern zusammenzusetzen schien, denen vor kurzem durch eine Seuche viel Vieh krepiert war: ein unglücklicher Zufall, den sie den Künsten der eben gerichteten Hexe zuschrieben. Mit Gewalt rissen sie die Madge Wildfire vom Kutschenschlage los und schrieen sie an: »Was kommt Dir denn bei, Du Hexe, die Leute auf königlicher Heerstraße zu überfallen? Hast Du nicht schon Unheil genug angerichtet mit Deinen Hexen- und Zauberkünsten?« »O Jeanie, Jeanie, Jeanie Deans!« schrie die Wahnsinnige aus dem Menschentroß heraus, »rette meine Mutter, und ich will Dich wieder ins Mittlerhaus führen, und will Dich alle Lieder lehren, die ich kenne, und will Dir sagen, was die Mutter gemacht hat mit dem ...« Aber das wilde Gejohle der Menge verschlang die Schlußworte ihrer Bitte oder ihrer Verheißung. »Herr Archibald,« rief Jeanie, »um der himmlischen Barmherzigkeit willen, retten Sie die Arme aus den Händen dieser Rasenden!« Archibald, der inzwischen wieder seinen Platz Jeanie gegenüber im Wagen eingenommen hatte, beugte sich zum Fenster hinaus und rief den Leuten zu: »Sie ist närrisch, aber unschuldig an dem Schaden, der Euch Leute betroffen hat, tut ihr nichts zu leide, sondern bringt sie aufs Amt!« »Was kümmert Dich einer Hexe Tochter?« rief einer aus der Menge; »scher Dich, steck Deine Nase nicht in fremde Sachen!« – Ein andrer schrie: »Der Kerl ist ein Schotte! Hört ihr's nicht an der Sprache? Er soll sich bloß mucksen oder gar aus seinem Rumpelkasten herauskommen, so kann's ihm passieren, daß er seine Knochen und Rippen in seinem Plaid nach Hause schleppen muß!« Daß sich unter solchen Umständen für die Arme nichts tun ließ, war einleuchtend, und Herr Archibald suchte wenigstens so schnell wie möglich nach Carlisle zu gelangen, um dort polizeiliche Hilfe zu requirieren. Rohes Geschrei, der Vorbote grausamer Handlungen von wilden Volkshaufen, klang, untermischt mit schrillen Angstrufen des beklagenswerten Opfers, den Personen im Wagen noch lange nach. In Carlisle wurde auf Archibalds dringendes Ersuchen sogleich ein Büttel mit ein paar Fronen vor die Stadt hinaus geschickt; nach etwa anderthalb Stunden kehrten sie mit der Meldung zurück, daß sie den Pöbel in heller Wut gefunden hätten, daß er die Irre, nach der Sitte jener Gegend, Hexen zu strafen, in einen Schlammtümpel getaucht und daß es unsägliche Mühe gemacht hätte, ihnen sein Opfer zu entreißen, das sich aber schon in einem Zustande gänzlicher Bewußtlosigkeit befunden hätte. Im Krankenhause sei es aber mit dem armen Geschöpfe schnell wieder besser geworden, so daß man wohl bald auf völlige Genesung rechnen dürfe. Das letztere war jedoch eine starke Beschönigung, denn daß Madge Wildfire in ihrem ohnehin sehr angegriffenen Zustande die ihr zugefügte grausame Behandlung überstehen werde, glaubte wohl niemand, aber Archibald wollte Jeanies Zustand durch die unverblümte Wahrheit nicht noch mehr verschlechtern. Archibald entschied sich dafür, den Rest des Tages und die Nacht in Carlisle zu verbringen; Jeanie war dies um so lieber, als sie sich schon mit dem Gedanken befreundet hatte, sich nach dem Befinden von Madge Wildfire zu erkundigen. Sie wurde hierzu durch zweierlei Gründe bewogen, erstens durch die Sorge um die Unglückliche, zweitens weil sie versuchen wollte, etwas über das kleine Wesen zu erfahren, das ihrer Schwester solch namenloses Herzeleid bereitete. Und Madge Wildfire war doch jetzt die einzige, durch die einiges Licht über diesen dunklen Punkt vielleicht noch gewonnen werden konnte. Archibald gegenüber äußerte sie nichts über den letzteren Grund, sondern nur, daß sie sich als Christin verpflichtet fühle, einen Mitmenschen im Elend nicht allein zu lassen, und so ließ sich Archibald bestimmen, sich zunächst nach dem Befinden der Unglücklichen zu erkundigen; er kam jedoch mit dem Bescheide aus dem Krankenhause zurück, daß der Arzt streng verboten hätte, jemand zu der Kranken zu lassen. Am nächsten Morgen jedoch, als Jeanie selbst hinging, wurde sie vorgelassen. Der Arzt sagte ihr, Madge sei gegen Abend ruhiger geworden, worauf der Geistliche versucht habe, ihren Sinn dem Glauben zuzuwenden. Es habe auch so ausgesehen, als wenn sie mit ihm gebetet habe; kaum aber sei er fort gewesen, so habe sich der böse Geist wieder über sie gesenkt. Seiner Meinung nach habe sich ihr Zustand im Laufe der Nacht so verschlimmert, daß er ihr schwerlich mehr als zwei Stunden Leben noch versprechen zu dürfen meine. Sie lag in einem großen Krankenraume, worin zehn Betten standen, die aber, bis auf das ihrige, unbesetzt waren. Sie sang, als Jeanie mit dem Arzt und der Pflegerin eintrat. Aber ihre Stimme klang nicht mehr so überlaut wie ehedem im Walde, sondern war durch die Erschöpfung, die sie noch immer nicht verlassen hatte, und durch die ausgestandenen Schrecknisse sehr geschwächt. Ihr Sinn war noch immer verstört; die Lieder, die sie sang, hörten sich an wie Wiegenlieder, mit denen Mütter ihre Kleinen in Schlaf lullen. Wann der Glaubenskampf vollendet, Wann das Hochzeitskleid gewebt, Wann der Glaub' die Zweifel endet, Hoffnung sehnend aufwärts strebt... Wann die Liebe, hier gefangen, Nach dem Höhern fühlt ein Bangen, Dann wirf ab die Sündenhülle! Auf, o Christ, zur Segensfülle! Jeanie trat, als das Lied verklungen war, an ihr Bett heran; aber selbst als sie sie bei ihrem Namen rief, regte sich kein Zeichen von Erinnerung bei der Kranken; es sah vielmehr ganz so aus, als sei sie über die Störung unwillig, die ihr der Besuch bereitete, denn sie rief verdrießlich: »Schwester, ich will nach der Wand zu liegen: mir ist alles zuwider, was ich auf dieser jammervollen Welt noch sehe.« Die Wärterin legte sie, wie sie es haben wollte, aber kaum hatte sie die Wand vor Augen, so stimmte sie ein anderes Lied an, das sie wohl zur Erntezeit gesungen oder gehört haben mochte... Das Werk ist aus – die Müh' getragen, Der muntre Schnitter atmet neu. Es schwankt dahin der volle Wagen, Zur Lust und Freude sind wir frei. Die Nacht bricht an... es sinkt die Sonne, Wenn mit dem Tag die Mühe weicht, Vorm Winter flieht des Herbstes Wonne, Wenn sich der erste Frühreif zeigt. Der nahende Tod verlieh der von Natur schönen Stimme ein süßes, schmachtendes Weh, so daß selbst Archibald sich einem tiefen Mitgefühl nicht verschließen konnte, trotzdem sein Sinn, wie bei einem Lakeien wohl begreiflich, fast nur auf das Weltliche gerichtet war. Ueber Jeanies Wangen rannen heiße Tränen, und auch Jungfer Dutton, der es im Gasthofe keine Ruhe gelassen hatte, schluchzte laut; die Kranke wurde schwächer und schwächer, ihr Atem kurz und schwer; zuweilen schien ihr die Stimme versagen zu wollen; allein der Sinn für Melodie, der dem armen Wesen angeboren zu sein schien, gewann über die leibliche Schwäche immer wieder den Sieg, so daß sie, sobald die Schmerzen eine Weile aussetzten, gleich wieder zu singen anfing; und aus den Liedern, die sie dann sang, klang immer etwas heraus, das auf ihre augenblickliche Lage Beziehungen zu haben schien. Was sie zum Beispiel jetzt sang, ein Bruchstück aus einem alten Volksliede, nannte sogar den Namen des herzoglichen Lakaien... Kalt ist mein Bett, Lord Archibald, Mein schwerer Schlaf so trüb', Doch morgen ist auch trüb und kalt Dein Lager, falsches Lieb! Ihr Dirnen, die ihr mich geliebt, Beweint mein Schicksal nicht! Er, der den Tod mir heute gibt, Tritt morgen vors Gericht. Darauf änderte sie abermals die Weise; die Melodie wurde wilder, regelloser; der Klang der Stimme wieder lebhafter. Aber die Umstehenden konnten nur Bruchstücke von dem ergreifenden Texte verstehen: In den düstern Hain, Als der Morgen graut, Tritt sie ein. Und im Hain wird's laut... Sag mir, Vögelein, Wann wird Hochzeit sein? Wann geben Edelleut' Dir das Geleit? Wer macht das Brautbett sein, Sag' es mir, Vögelein, Dorten der Greis am Stab Gräbt Dir das frühe Grab. Glühwurm auf Gruft und Stein Soll Dir die Leuchte sein; Grüß Dich, Du stolze Braut, Krächzet das Käuzchen laut. Mit dem letzten Verse schwand ihre Stimme; sie sank in einen Schlummer, aus dem sie, wie die Schwester sagte, entweder gar nicht wieder oder zum letzten Todeskampfe erwachen würde... Diese Vorhersage erfüllte sich; die Arme verschied, ohne noch einmal zu einem Liede anzusetzen; aber die Reisenden warteten den letzten Augenblick nicht ab; denn Jeanie hatte eingesehen, daß sie von Madge Wildfire irgend welche Aufklärung über ihrer Schwester Unglück nicht erlangen konnte. Siebzehntes Kapitel Im Laufe des andern Vormittags fuhren sie durch die Grafschaften Dumfries und Lennark und erreichten die kleine Stadt Rutherglen, die etwa vier Meilen vor Glasgow lag; hier fanden sie einen Brief vom Herzog von Argyle, den dessen Edinburger Geschäftsträger für Herrn Archibald im Gasthofe hatte hinterlegen lassen. Dieser aber erwähnte seiner erst, als sie wieder unterwegs waren; der Herzog wünschte, sagte er, daß Jeanie noch ein paar Stationen über Glasgow hinaus in Archibalds Gesellschaft bliebe, zumal sie eine kurze Strecke weiter nördlich einen seiner Beamten treffen würde, der mit seiner Frau aus den Hochlanden nach Edinburg reise, und dem sie sich dann bis in die Heimat anschließen könnte. In Glasgow, setzte er hinzu, herrschten jetzt Unruhen, die sich bis in die Umgegend hinaus erstreckten und es für ein einzelnes Mädchen nicht rätlich erscheinen ließen, zu reisen, Jeanie wollte im ersten Augenblick von solcher Aenderung der getroffenen Dispositionen nichts hören, da die Ihrigen nun schon so lange auf sie warteten und gewiß große Sehnsucht nach ihr hätten; lieber, sagte sie, wolle sie in Glasgow einen Wagen nehmen, der sie bis an den Sankt-Leonards-Felsen brächte, den wiederzusehen sie wirklich kaum noch erwarten könnte. Darauf wechselte Herr Archibald mit Jungfer Dutton, der erkorenen Verwalterin der herzoglichen Milchkammer, einen so eigentümlichen Blick, daß Jeanie erschreckt rief: »Herr Archibald... Jungfer Dutton! Hat sich etwa in Sankt-Leonard etwas zugetragen, das mir verheimlicht werden soll? Um Gottes Barmherzigkeit willen sagen Sie es mir! Lassen Sie mich nicht in solcher tödlichen Ungewißheit!« – »Daß ich nicht wüßte, Fräulein Deans,« erwiderte Herr Archibald, – »Und ich,« bemerkte Jungfer Dutton, »ich weiß erst recht nichts,« aber es schien doch, wie wenn sie etwas wüßte, denn Herr Archibald mußte, um ihr den Mund zu schließen, einen recht strengen Blick auf sie richten. So konnte sich Jeanie nicht verhehlen, daß ihr tatsächlich irgend etwas verheimlicht würde, und um ihre Unruhe zu bekämpfen, blieb Herrn Archibald nichts weiter übrig, als er den letzten Trumpf, den er noch in petto hielt, auszuspielen, und der in einem Billett bestand, das er jetzt Jeanie überreichte... Er zeigte die Schrift des Herzogs und enthielt die Worte: »Liebes Fräulein Deans... Du wirst mir einen recht großen Gefallen tun, wenn Du Dich auf eine Tagereise hinter Glasgow noch in Archibalds Gesellschaft hältst, ohne weiter nach dem Grunde zu fragen... Du verpflichtest mich hierdurch zu einigem Danke... Dein Dir wohlgeneigter Argyle.« Gegen eine solche Weisung eines so hohen Herrn, dem sie so außerordentlich viel zu verdanken hatte, durfte Jeanie weitere Einwände nicht erheben; sie fügte sich also darein, in Archibalds Gesellschaft über Glasgow hinaus, am linken Clyde-Ufer entlang, weiter zu fahren. Der Weg führte durch allerhand reizende Landschaft, bis der Fluß sich zum schiffbaren Strome und zuletzt zu dem breiten Seearme dehnte, »von dessen Klippen sich der Wasserrabe, das schwarze, triefende Gefieder vom Hauch des Windes leicht entfaltet, schwebend zu den Fluten neigt.« »Nach welcher Seite zu liegt Inverary?« fragte Jeanie, den Blick auf das dämmrige Nebelmeer der Hochlandsberge richtend. »Das dort ist wohl das herzogliche Schloß?« – »Das dort? Aber, Fräulein! Sehen Sie denn schlecht? Das ist doch unsere alte Burg Dumbarton, Europens gewaltigste Festung, mögen sie alle Burgen zusammennehmen! Hier war, zu den Zeiten, da Schottland mit England im Kriege lag, Sir Wallace Gouverneur, und jetzt, ist's Seine Herrlichkeit unser Herzog. Wird es ja doch nie einem andern als dem ersten Manne im Reiche anvertraut!« – »Und wohnt Seine Herrlichkeit jetzt auf dem kühnen Horste?« fragte Jeanie, den Blick zu der jähen Höhe hinauf richtend. – »O nein, sein Verweser gebietet dort; er wohnt aber auch nicht oben auf der Höhe, sondern in dem weißen Hause dort am Fuße des Felsens.. Seine Herrlichkeit haben Ihre Wohnung überhaupt nicht in Dumbarton.« »Nu, das läßt sich wohl denken,« rief Jungfer Dutton, die über das, was sie seit Dumfries von Schottland gesehen, nicht weniger als erbaut war, »denn wenn er dort hinauf eine Sennerin stecken wollte, so könnte er wohl lange suchen! Ich wenigstens möchte Bekannte und Freunde nicht verlassen haben, um auf solch kahlem Felsen meine Kühe eingehen zu sehen oder wie ein Eichkätzchen im Käfig dort oben herumzuzappeln.« Herr Archibald, innerlich lächelnd, daß der Unmut der Jungfer erst zu Tage trat, als sie ihm ganz in die Hände geliefert war, antwortete gelassen, er habe die Felsen nicht gemacht und wisse auch kein Mittel, sie fortzuschaffen; was indessen ihre Wohnung anbetreffe, so würde sie solche bald in einem herzoglichen Schlosse angewiesen bekommen, und zwar auf Roseneath, einer prächtigen Insel, wo ein Schiff ihrer warten werde, sie hinüber nach Inverary zu bringen, und wo Fräulein Jeanie die Gesellschaft treffen werde, mit der sie die Reise bis Edinburg machen solle. »Eine Insel?« fragte Jeanie, die zwar eine weite wunderliche Reise gemacht hatte, aber dabei doch nie den Fuß vom festen Lande gesetzt hatte, »so werden wir wohl in eins von den schmalen Booten steigen müssen, wie ich sie manchmal vom Leonardsfelsen aus im Meere gesehen habe?« »Dagegen protestiere ich, Herr Archibald,« rief Jungfer Dutton, »ich bin nicht verpflichtet worden, den Fuß vom Lande zu setzen. Sagen Sie also dem Kutscher, daß er mich auf dem Landwege bis zum Hause des Herzogs bringt.« – »Sie brauchen sich nicht im geringsten zu ängstigen,« versetzte Archibald; »ich bringe Sie schon in der festen Jolle des Herzogs sicher und wohlbehalten hinüber,« – »Ich fürchte mich aber,« rief die Jungfer, »und gehe nicht davon ab, daß ich zu Lande hingebracht werde, und sollte es gleich ein Umweg von zehn Meilen sein, den Sie machen müßten.« »Lieb Jüngferchen,« versetzte Archibald neckisch, »da wird wohl alles nichts helfen können, denn wenn Roseneath eine Insel ist, so bleibt's eben eine, und zu Lande hinüber führt da kein Weg.« – »Dann sehe ich noch immer nicht ein,« rief die Jungfer, vor Zorn schier außer sich, »wie ich dazu komme, auf einer Wasserfahrt mein junges Leben aufs Spiel zu setzen.« – »Na, Jüngferchen,« versetzte Archibald, dem langsam die Geduld zu reißen drohte, »das kann ich auch nicht einsehen; aber daß Sie zu Lande nicht auf die Insel kommen können, darein werden Sie sich schon finden müssen.« Darauf gab er den Postillonen einen Wink. Die Kutsche bog in einen schmalen Weg ein, der zu einem seitwärts der großen Straße liegenden kleinen Fischerdorfe führte; dort lag eine Schaluppe vor Anker, die einen erheblich freundlicheren Anblick gewährte als die düstern Schiffe, die rechts und links von ihr das Wasser bedeckten. Sie war mit einer Fahne geschmückt, die über einem Eberkopfe die herzogliche Krone zeigte, und mit Matrosen und Hochländern bemannt. Der Wagen hielt. Die Postillone spannten die Pferde aus. Herr Archibald überwachte mit gewichtiger Miene den Transport des Reisegepäcks an Bord der Schaluppe hinüber. »Liegt die Karoline schon lange hier?« fragte er einen der Matrosen. – »Wir sind vor fünf Tagen von Liverpool in See gegangen und liegen unten in Greenock.« – »Dann werden Pferde und Wagen nach Greenock gebracht,« befahl Archibald, »und warten dort, bis Befehl kommt, sie nach Inverary einzuschiffen.« Dann wandte er sich an die beiden Fräulein, die er hierher gefahren hatte. »Wir dürfen die Flut nicht vorbeilassen, Fräulein Deans und Jungfer Dutton,« sagte er, »drum bitt' ich, einzusteigen.« »Fräulein Deans,« erklärte Jungfer Dutton, »meinetwegen steigen Sie ein oder nicht; ich bleibe jedenfalls lieber die ganze Nacht hier sitzen, statt mich in solche Eierkiste zu wagen. Sie da, Mann!« rief sie einem Hochländer zu, der eben einen Koffer auf die Schulter nahm, »das ist mein Koffer, ebenso die Schachtel, der Mantelsack und die sieben Pakete mit dem Pappkasten, das bleibt alles hier, lassen Sie sich nicht beikommen, das in die Eierkiste zu schaffen!« Der Hochländer gaffte erst die Jungfer, dann Herrn Archibald an, und als er auf dessen Gesicht nichts erblickte, was sich als Verbot, in der Absicht fortzufahren, deuten ließ, brachte er alles, was die Jungfer für sich reklamiert hatte, im Handumdrehen an Bord der Schaluppe, ohne sich an deren Geschrei und Versuche, ihn daran zu hindern, im geringsten zu kehren. Sobald das Gepäck untergebracht war, brachte Archibald Jeanie an Bord hinüber, die zwar nicht frei von Furcht war, sich aber willig den Anordnungen des erfahrenen Dieners fügte. Anders Jungfer Dutton, die außer sich vor Wut in einem fort nach ihrem Gepäck schrie, das sie wieder ans Land forderte, weil sie unter keinen Umständen sich zu der Wasserfahrt bereit erklären würde. Herr Archibald gab sich nicht lange Mühe, sie eines Bessern zu belehren, sondern rief den Hochländern ein paar Worte auf gälisch zu, worauf diese die Jungfer so plötzlich und so geschickt ergriffen, daß sie, der Länge nach auf ihren Schultern gelagert, pfeilschnell zur Bucht hinunter und an Bord der Schaluppe kam, ohne alles weitere Leid, als daß ihre Kleider ein paar Falten mehr zeigten, als sie vom Sitzen im Wagen bekommen hatten. Die Jungfer war dermaßen entsetzt über die ihr angetane Behandlung, daß sie erst wieder zu sich kam durch den Ruck, den es gab, als die Schaluppe vom Lande abgestoßen wurde. Dann aber fing sie an zu keifen: »Sie abscheulicher schottischer Grobian!« – womit sie niemand anders als Herrn Archibald meinte – »wie können Sie sich erfrechen, eine anständige Person auf so schimpfliche Weise zu behandeln?« – »Meine sehr werte Jungfer,« antwortete Herr Archibald mit seiner unerschütterlichen Ruhe, »Zeit und Flut warten auf niemand, und damit Sie wissen, wie Sie sich hinfort zu verhalten haben, so lassen Sie sich hiermit gesagt sein, daß Sie sich jetzt auf dem Grund und Boden des Herzogs von Argyle befinden, daß die Hochländer, die Sie hier sehen, seine Untertanen sind, und daß keiner von ihnen sich auch nur eine Sekunde besinnen würde, Sie kopfüber ins Meer zu stürzen, sobald es Seiner Herrlichkeit gefallen sollte, ihnen solchen Befehl zu erteilen.« »Um Jesu Christi willen,« rief die Jungfer, »wie hab' ich so rücksichtslos gegen mich selbst sein können, mich mit solchem Bären einzulassen!« – »Das hätten Sie freilich sich ein bißchen früher überlegen sollen,« erwiderte Archibald, kurz angebunden. »Sie werden es wohl aber, denke ich mir, bald herausfühlen, daß man sich auch im Hochlande ganz gut zurechtfinden kann. Sollen doch an ein Dutzend Dirnen zu Inverary unter Ihr Regiment kommen, und wenn Ihnen eine nicht parieren will, so können auch Sie sie dreist ins Meer schmeißen lassen, denn des Herzogs Beamten und Leute haben fast ebensoviel Gewalt über die ihnen Untergebenen wie der Herzog selbst.« »Sie bringen mich aber,« erwiderte die Jungfer, hierdurch einigermaßen besänftigt, »in eine recht prekäre Lage, und wenn ich sehe, daß ich mich drein schicken muß, so möchte ich doch wenigstens fragen, ob das Boot auch ganz gewiß nicht untergehen wird?« – »Darüber können Sie sich völlig beruhigen, meine liebe Jungfer,« erwiderte Herr Archibald, indem er sich eine Prise genehmigte, »der Clyde kennt uns, wie wir ihn, und daß auf dem Clyde 'mal was einem von unsern Leuten passiert sei, dafür läßt sich wohl, so lange wir einander kennen – und das soll geraume Zeit her sein – kein Beispiel anführen... Wären die Unruhen nicht in Glasgow gerade jetzt ausgebrochen, so wären wir vom andern Ufer hinübergefahren; aber unter solchen Umständen durch die Stadt den Weg zu nehmen, wäre für die Leute des Herzogs nicht schicklich gewesen.« »Haben Sie denn gar keine Furcht, Fräulein Deans?« fragte die künftige Meierei-Verweserin unsere Heldin, die sich dicht neben den am Steuer sitzenden Kammerdiener des Herzogs gesetzt hatte und auch nicht ganz ruhigen Gemüts war, »fürchten Sie sich wirklich nicht vor diesen rohen Gesellen, die gar nicht 'mal Strümpfe an den Beinen tragen? auch nicht vor dieser Eierkiste, die immer auf und nieder geht wie ein Schaumlöffel in einer Milchsatte?« – »O, Furcht wohl nicht gerade, Fräulein,« versetzte Jeanie, »Hochländer habe ich schon gesehen, wenn auch nie in so dichter Nähe wie heute... Und was das tiefe Wasser anbetrifft, so wissen wir Menschen doch, daß die Vorsehung über uns nicht bloß auf dem festen Lande wacht, sondern auch auf dem Wasser,« – »Es ist eben gar schön,« sagte darauf die Jungfer, »wenn man lesen und schreiben gelernt hat, denn man hat dann immer die schönsten Worte bei der Hand, um sich in schlimmen Situationen zu trösten.« Archibald war von Herzen froh, daß sein rücksichtsloses Vorgehen keine ungünstigere Wirkung auf die Jungfer hervorgebracht hatte, und bemühte sich nun, auch weiterhin Herr der Situation zu bleiben, indem er der Jungfer klar zu machen suchte, daß es ein Ding der Unmöglichkeit gewesen sei, sie ihrem Willen gemäß drüben am Strande allein zurückzulassen; und es gelang ihm auch, eine vollständige »entente cordiale« während der Ueberfahrt herzustellen, die auch nicht gestört wurde, als man endlich zu Roseneath ans Land stieg. Achtzehntes Kapitel Die Inseln in dem vom Clyde gebildeten Meerbusen sind von hoher, aber sehr verschiedenartiger Schönheit. Das felsige Arran, eigentlich ein Eiland, ist reich an romantischen Ausblicken; Bute ist ein liebliches Wald-Idyll, und die Cumerays gleichen grünen Wiesenflächen, zwischen denen das Meer sich Bahnen bricht, seinen Busen zu runden. Weiter aufwärts im Bereiche desselben, seinem westlichen Ufer nahe, liegt Roseneath, größer als Arran, und doch fast auch nur ein Eiland, umspült vom Lochgare, der sich hier zusammen mit anderen Wasserläufen des Hochlands in den Clydebusen ergießt. Die Lage der Inseln schützt sie fast sämtlich sowohl vor den eisigen Frühlingswinden Schottlands als vor den gewaltigen Stürmen des Atlantischen Ozeans. Drum gedeihen die Hängebirke und Trauerweide, wie manch andere früh knospenden Bäume auf dieser stillen, einsamen Inselflur zu einer den östlichen Gegenden Schottlands unbekannten Fülle und Schöne. Die Grafen und Herzöge von Argyle hegten seit Jahrhunderten für die malerisch-schöne Insel eine besondere Vorliebe und hatten sich ein Schloß dort bauen lassen, das durch viele Zubauten mit der Zeit wesentlich vergrößert und verschönert worden war. Diesem lieblichen Eiland näherte sich jetzt die kleine Reisegesellschaft. Auf dem mit niedrigen, aber dicht belaubten Eichen und Haselstrauchen bestandenen Landungsplatze sahen sie schon von weitem eine Menschengruppe, die dem Anschein nach auf sie wartete. Jeanie aber gab wenig acht auf sie, und es wirkte darum ähnlich einem schweren Blitzschlage auf sie, als die Hochländer, die sie ans Land trugen, sie aus den Armen ließen, um sie den Armen ihres Vaters zu überantworten. Es schien ihr so wunderbar, einem seligen Traume so ganz ähnlich, daß sie es im ersten Augenblick nicht für wirklich wahr zu halten vermochte. Sie entwand sich den sie fest umschlingenden Armen des Vaters, hielt, um sich zu überzeugen, daß es wirklich keine Täuschung sei, den Vater auf Armeslänge von sich, betrachtete ihn von Kopf zu Füßen, – und doch, es war nicht anders – es war wirklich David Deans, wirklich er selbst, ihr leiblicher Vater in seinem besten hellblauen Sonntagsüberrock mit großen Metallknöpfen, und eben demgleichen Gehrock – wirklich David Deans in seinen Gamaschen von grauem Tuch und seiner breiten blauen Mütze, – die sich jetzt, als er die Augen in stummer Dankbarkeit gen Himmel hob, zurückschob und die silbergrauen Locken, die offne tiefgefurchte Stirn, die hellen blauen Augen zeigte, die, noch ungetrübt von den Jahren, noch klar und licht unter den buschigen, grauen Wimpern blitzten, – ja, es waren wirklich die Züge von David Deans, deren gewohnte Strenge jetzt in einen Ausdruck hehrer Freude, hehrer Liebe, hehrer Dankbarkeit verschmolzen. »Jeanie, Jeanie, mein bestes, liebstes, herzigstes Kind, der Gott Israels sei Dein Vater, denn ich – ich bin Deiner nicht würdig! Du hast uns die Ehre unseres Hauses wiedergegeben. Aller Segen der Verheißung und Vergeltung sei mit Dir, mein Kind! Allein Gott hat Dich bereits gesegnet durch das Gute, zu dessen Werkzeug er Dich erkoren!« So wenig David Deans zur Weichmütigkeit neigte, so konnte er doch den Tränen nicht wehren, ihm die Augen zu füllen. Mit großem Feingefühl hatte Archibald alle fremden Leute vom Platze entfernt, so daß Vater und Tochter allein mit sich waren und nur den Wald und die untergehende Sonne zu Zeugen der tiefen Empfindungen hatten, die jetzt in ihren Herzen rangen. »Und Effie? – Und Effie, teuerster Vater?« war die Frage, mit welcher Jeanie wiederholt die Ausbrüche ihrer Freude und ihres Dankes unterbrach. – »Du sollst es hören,« sagte David Deans hastig, von neuem den Himmel preisend, daß er Jeanie gnädiglich behütet und sie heil und gesund aus dem Lande der ihm verhaßten ketzerischen Lehre zurückgeführt hatte. – »Und Effie?« fragte die liebende Schwester wieder und wieder. »Und – und« (gern hätte sie Butler genannt, aber sie hielt noch mit der Frage zurück) »und Saddletrees, – und der Laird, – und alle andern lieben Bekannte und Freunde?« – »Alle gesund, gottlob, alle gesund!« – »Und – und Herr Butler,« fragte sie stockend, »er war nicht recht auf dem Posten, als ich fortging.« – »Er ist wieder hergestellt und ganz wohl.« – »Gott sei Dank! – aber ach, teurer Vater, Effie? – Effie?« – »Effie,« wiederholte er, – »Du wirst sie nie wiedersehen, mein Kind,« antwortete Deans mit feierlichem Ton; »Du bist das einzige Blatt, das dem alten Baume geblieben, – Heil und Segen Dir!« – »Sie ist tot! – Sie haben sie umgebracht! – Der Brief ist zu spät gekommen!« rief Jeanie, bange die Hände ringend. – »Nein, Jeanie,« antwortete Deans mit demselben feierlichen Ernst wie zuvor. »Effie lebt, im Fleisch und frei von irdischem Zwange. O, daß sie ebenso lebendig wäre im Glauben und ebenso ledig der Stricke des Satans.« »Der Herr sei uns gnädig!« rief Jeanie; »das unglückliche Kind kann doch nicht Euch Vater, verlassen haben, um jenes Bösewichtes willen.« »Und doch redest Du die Wahrheit, die lautere Wahrheit,« sagte Deans; »Effie hat ihren Vater verlassen, der um sie weinte und für sie betete. Effie hat ihre Schwester verlassen, die für sie litt, die wie eine Mutter an ihr handelte. Effie hat die Gebeine Ihrer Mutter, hat Heimat und Vaterland verlassen, um jenem Belialssohne zu folgen. Bei Nacht und Nebel,« rief er, traurig und doch mit wildem Zorn, »ist sie davongegangen.« Dann schwieg er. – »Und mit diesem Manne? – Mit diesem schrecklichen Manne?« rief Jeanie, noch immer die Hände ringend. »Uns alle, Vater, Schwester, Freunde, hat sie verlassen, um mit ihm zu gehen? O, Effie, Effie, wer hätte das geglaubt, nach solcher Errettung!« – »Sie ist von uns gegangen, Kind, weil sie nicht zu uns gehörte,« sagte der Vater. »Sie ist eine verdorrte Rebe, die keine Frucht der Gnaden bringen kann, ein Sühnopfer, hinausgestoßen in die Wüstenei der Welt, unsere Missetat zu sühnen. Der Friede der Welt möge ihr zuteil werden, und, wenn ihr wieder die Gnade wird, danach zu verlangen, auch der bessere Friede. Gehört sie zu den Erwählten, so wird auch ihre Stunde kommen. Der Herr kennt seine Zeit. – Sie war das Kind meines Gebets. Möge sie nicht ganz zum Auswurf werden! Aber niemals, Jeanie, niemals werde ihr Name wieder unter uns genannt! Sie ist, um mit dem geduldigen Hiob zu sprechen, an uns vorbei geglitten, wie ein versiegender Bach, der aus seinem Bette schwindet, wenn der heiße Sommer kommt. Sie gehe dahin und sei vergessen!« Grabesstille folgte auf diese traurigen Worte. Gern hätte Jeanie den Vater nach den näheren Umständen von Effies Flucht gefragt, aber der Vater hatte seinen Willen zu fest, zu entschieden ausgesprochen, und so wagte sie nicht, des Zusammentreffens mit George Staunton mit auch nur einem Worte zu erwähnen; denn was sie im Pfarrhause zu Willingham über das unglückselige Geschick der Schwester vernommen, war nicht danach beschaffen, den Kummer des Vaters zu mildern. Sie nahm sich vor, zu warten, bis sie mit Reuben Butler darüber gesprochen. Aber wann würde sie ihn wiedersehen? Der Zweifel, der in ihrem Gemüte herrschte, verdichtete sich um so mehr, als ihr Vater, wie wenn er jedem weitern Gespräch über sein jüngeres Kind aus dem Wege gehen wollte, nach dem gegenüberliegenden Ufer wies und die Frage stellte: ob Dumbartonshire nicht ein ganz angenehmer Wohnplatz sei? und gleich darauf hinzusetzte, daß er gesonnen sei, seine Tage hier zu beschließen, da Seine Durchlaucht, der Herzog von Argyle, ihn als einen in der Landwirtschaft wohlerfahrenen Mann zum Aufseher einer großen Meierei berufen hätte. Jeanie war über diese Mitteilung bestürzt; wohl gab sie zu, daß Land und Weide nichts zu wünschen übrig ließen, daß das Gras, obgleich so lange Trockenheit geherrscht, frisch und saftig aussehe; allein es sei gar so weit von der Heimat, und sie würde gewiß recht oft an die schönen Weiden voll Maßlieb und gelber Kuhblümchen zwischen den St. Leonards-Felsen denken. »Sprich nicht von dort, Jeanie,« sagte ihr Vater, »ich will den Namen nie mehr hören. Aber Deine Lieblingskühe habe ich alle mit hergenommen. Die scheckige und die braune, auch die weißgefleckte, der Du den Namen – welchen, brauche ich Dir nicht zu sagen und will ich nicht sagen – gabst; die hätte ich gern verkauft, aber – aber es ließ sich nicht machen – und so hab' ich sie auch mitgenommen, wenn es mir auch oft das Herz schwer machen wird, sie zu sehen.« Je mehr aber Jeanie über Dumbartonshire vom Vater hörte, desto mehr fand sie Ursache, die Fürsorge des Herzogs zu bewundern. Die an Effies Begnadigung geknüpfte Bedingung langjähriger Landesverweisung hatte ihm die Vermutung nahe gelegt, daß auch David Deans, um sich nicht von seiner Tochter zu trennen, daran denken werde, seinen Wohnort zu verändern. Durch Jeanies Erzählung hatte er eine günstige Meinung von ihrem Vater bekommen und ihm unter günstigen Bedingungen die Aufseherstelle seiner Meierei zu Dumbarton angetragen, wo er in Ruhe und Verborgenheit unter herzoglichem Schutze die Tochter bei sich behalten konnte. Effies Flucht hatte in dem Greise den Wunsch, die ihm so verhaßt gewordenen St.-Leonards-Berge zu verlassen, noch mehr gefestigt; gern hatte er das Anerbieten angenommen, gern war er auch auf den weiteren Vorschlag des Herzogs eingegangen, Jeanie damit eine Ueberraschung zu bereiten. Daraufhin hätte der Herzog, wie Deans meinte, seinen Sekretär Archibald von Edinburg aus schreiben lassen, mit Jeanie Deans nach Roseneath zu fahren. Unter Mitteilungen dieser und anderer Art schritten Vater und Tochter dem Hause zu, das zwischen hohen Bäumen hervorlugte. Als sie nur ein paar Schritte davon entfernt waren, sagte der Vater, indem er seinem ernsten Gesicht mit jenem starren Lächeln, das den einzigen Grad von Frohsinn kennzeichnete, zu dem er sich aufzuschwingen vermochte, einen noch ernsteren Ausdruck gab: es wären zwei fremde Herren dort: der Laird von Knocktarlitie, ein Edelmann der Hochlande, ein Herr, rasch zum Zorn bereit, wie alle in den Bergen, habgierig und darum wenig besorgt um sein Seelenheil, sonst aber umgänglich und gastfrei, mit dem man eben, da ihm die Jurisdiktion über Argyle zustehe, in gutem Vernehmen bleiben müsse. Der andere sei ein Pfarrer, dem durch herzogliche Gnade dieses Kirchspiel als Pfründe erteilt worden sei. Ueber ihn, setzte er hinzu, brauche er wohl nicht viel zu sagen, zumal sie ihn wohl schon gesehen haben dürfte, – und wieder trat das seltsam starre Lächeln auf sein Gesichts, jenes einzige Zeichen von Frohsinn, dessen seine Miene fähig war. – O ja, ihn hatte sie schon gesehen, denn es war niemand sonst als Reuben Butler – Reuben Butler, wie er leibte und lebte! – Neunzehntes Kapitel Im Herzen von David Deans hatte sich aber auch andres geändert, so das Vorurteil gegen den armen Hilfslehrer Butler, das ehedem wohl nicht zum wenigsten auf dessen Neigung für seine Tochter beruhte. Butlers innige Teilnahme aber an dem Unglücke, das seine Familie betroffen, die Liebe und Aufmerksamkeit, die er ihm während Jeanies Abwesenheit erzeigte, die Anhänglichkeit an ihn selbst, die er hieraus folgern zu müssen meinte, dies alles hatte ihn bereits milder gestimmt; aber noch ein anderes Ereignis, das sich um dieselbe Zeit zutrug, sollte diese feierliche Stimmung noch erhöhen. Sobald sich der greise Vater über die Flucht seines jüngsten Kindes einigermaßen beruhigt hatte, ließ er es seine erste Sorge sein, dem Laird von Dumbiedike das Geld zurückzugeben, das ihm dieser zu den Gerichtskosten und zu Jeanies Reise vorgestreckt hatte. Land, Klepper, Tressenhut und Tabakspfeife hatten sich lange, lange nicht mehr in St. Leonard sehen lassen; Deans mußte sich also selbst nach dem Schlosse Dumbiedike begeben. Dort fand er alles in seltsamem Aufruhr. Arbeiter über Arbeiter tummelten sich in den Räumen des alten Schlosses, rissen Tapeten ab und klebten Tapeten auf, hämmerten, weißten, malten, lackierten, scheuerten, wuschen, kurz, diese langjährige Stätte träger Verschlafenheit war gar nicht wiederzuerkennen. Der Laird selbst schien einigermaßen betroffen, oder beklommen, und wenn auch die Art, wie er den greisen Deans begrüßte, nicht unfreundlich war, so fehlte ihr doch jene Herzlichkeit, mit der er sonst David Deans zu begrüßen pflegte. Auch im Aeußern des Lairds hatte sich manches verändert: der alte Hut war gewendet, die Tressen waren aufgefrischt worden, auch tanzte er nicht wie ehedem, auf dem Haupte des Lairds nach vorn und hinten, sondern saß fest, nämlich quer über das eine Auge gedrückt, was dem Aussehen des Lairds insofern nicht unvorteilhaft war, als es ihm einen gewissen Anstrich von Pfiffigkeit lieh. David Deans nannte dem Laird den Zweck seines Besuches und zählte das Geld auf den Tisch. Dumbiedike zählte es gewissenhaft nach und unterbrach Deans, der von Judas Rettung aus der Gefangenschaft sprach, mehrmals mit der Bemerkung, das eine oder andere Goldstück käme ihm zu leicht vor. Als er sich aber hierüber beruhigt, das Geld eingestrichen und die Quittung ausgestellt hatte, fragte er Deans – aber hin und wieder stärker stockend, als man sonst an ihm gewohnt war, ob Jeanie nicht geschrieben habe? – »Wegen des Geldes, meinen Sie?« sagte David; »natürlich hat sie geschrieben.« – »Und von mir nichts geschrieben?« fragte der Laird zum andern Male. – »Nur ein paar fromme, christliche Wünsche, – was hätte sie auch sonst schreiben sollen?« sagte Deans, der nun darauf rechnete, daß der Laird sich endlich ihm gegenüber aussprechen werde, was er mit seinen langjährigen Besuchen bezweckt, was ihn an Jeanie so gefesselt habe, daß er stundenlang hatte dasitzen und keinen Blick von ihr wenden können. Es kam auch wirklich zu einer Aussprache, aber einer ganz andern, als Deans gewünscht oder erwartet hätte. – »Nun, auch gut! muß sie doch selbst am besten wissen, was für sie gut und von Nutzen ist. Die Madame Blachristie samt ihrer Muhme habe ich vor die Tür gesetzt. Diese beiden Kreaturen haben mich bestohlen wie Raben. Morgen früh werde ich getraut und am Sonntag halte ich Kirchgang.« David Deans mochte es, als er solche Worte aus dem Munde des Lairds vernahm, freilich wohl ein bißchen seltsam zu Mute sein; aber um es in Miene und Verhalten auch nur durchblicken zu lassen, dazu war er zu stolzen, eisernen Sinnes.. »Soll Ihnen alles nach Wunsch gehen, Laird!« sagte er; »der Herr, dessen Hand es spendet, verleihe es Ihnen in reichem Maße, Laird! Die Ehe ist ein Stand in Ehren.« – »Ich heirate auch in eine ehrsame Familie, Deans! Des Lairds von Lickgelf jüngste Tochter wird meine Frau; sie haben ihren Kirchstuhl dicht neben dem meinen, und das hat mich auf den Gedanken gebracht, um sie zu werben.« In wunderlichen Betrachtungen über die Vergänglichkeit menschlicher Dinge und Gesinnungen schlug Deans den Heimweg nach St. Leonards ein. Seine Hoffnung, Jeanie werde doch noch als Herrin in Dumbledike einziehen, hatte wohl tiefer in seinem Herzen gesessen, als ihm selbst bewußt gewesen war. Seiner Meinung nach hatte es Jeanie wenigstens in der Hand gehabt, es zu werden; nun aber war es auf immer aus mit dieser Hoffnung. Deans kehrte nicht gerade in bester Laune heim. Es verdroß ihn, daß Jeanie dem Laird keine Aufmunterung gegeben; es verdroß ihn, daß der Laird sich so lange besonnen hatte;, es verdroß ihn, daß er sich jetzt darüber ärgerte. Zu Hause fand er eine Aufforderung des Herzogs, sich nach Edinburg zu seinem Bevollmächtigten zu begeben, der Auftrag habe, sich mit ihm über Vorschläge, seinen Domizilwechsel betreffend, zu besprechen. Er hörte dort, nachdem alles, was ihn selbst anging, erledigt worden, daß es Seiner Herrlichkeit gefallen habe, die Pfarrstelle des dortigen Kirchspiels einem jungen Geistlichen, namens Reuben Butler, zu übergeben.– »Doch nicht dem Libbertoner Hilfslehrer?« rief Deans, – »Demselben. Seine Herrlichkeit haben viel Gutes über ihn gehört, haben auch einige Verpflichtungen gegen ihn. Seine Herrlichkeit sind gesonnen, den Pfarrer sehr gut zu stellen.« »Verpflichtungen! Seine Herrlichkeit gegen Reuben Butler?« rief Deans in höchster Verwunderung, denn er hatte sich längst daran gewöhnt, den armen Hilfslehrer von Libberton, dem alles im Leben fehlschlug, als einen jener Stiefsöhne des Glücks zu betrachten, die es bis ins hohe Alter hinauf zu nichts bringen. – Nun ist der Mensch aber dann immer am leichtesten geneigt, gut von Bekannten zu denken, wenn andere ihre Meinung über sie zum Bessern kehren. David Deans fühlte sich von der Wandlung in Butlers Schicksal höchst angenehm überrascht; er fand jetzt des Lobes über ihn nicht genug, und das um so mehr, als er sich selbst einen nicht geringen Teil davon zu gute rechnete; hatte ja niemand als er der Großmutter des jungen Menschen, die doch nur eine schlichte Frau war, den Rat, ihn für den geistlichen Stand zu bestimmen, gegeben – hatte doch er schon, als der junge Mensch die Schule mit gutem Zeugnis verließ, prophezeit, daß er ein reiner Pfeiler im Tempel des Herrn sein werde. David Deans setzte sich gern in Ansehen; er ließ also Butler zu sich bitten, um ihm als erster die wichtige Botschaft zu künden; er begleitete sie mit allerhand guter Lehre und ließ es auch an Warnungen nicht fehlen. Reuben aber wußte bereits, was Deans ihm mitteilen wollte; allein in der übergroßen Freude seines Herzens kam er auf den Gedanken, dem Greise die Freude zu lassen, daß er der erste habe sein können, der ihm die Nachricht brachte. Deans trat ihm mit all der Gravität entgegen, die ihm seine Berufung zu einem Aufseher der herzoglichen Domänen von Dumbartonshire verlieh, und gab ihm eine ausführliche Schilderung der ihm dadurch erwachsenden Vorteile und Benefizien. Reuben gab seinem Bedauern Ausdruck, daß er auf solche Weise sich von seinem alten treuen Freunde trennen müsse, der ihm sonst mit Rat und Tat zur Seite gestanden... »Das wird sich nun aber kaum ändern lassen, mein lieber Sohn,« meinte Deans, auf dessen Gesicht wieder das starre Lächeln trat, das den höchsten Gipfel seines Frohsinns kennzeichnete – »Sie wissen es doch ganz gewiß nicht, was? Sie werden es wohl andern überlassen mögen, wie zum Beispiel dem Herzog und mir, hier Rat zu schaffen. O, Freunde auf der Welt, mein lieber Butler, wiegen gar oft mehr als Geld!« – Während Deans, dessen Frömmigkeit sich nicht immer mit der Vernunft in dem richtigen Einklange hielt, der es aber liebte, sie bei jeglichem Anlasse ebenso aufrichtig wie eifrig an den Tag zu legen, den Blick gen Himmel wandte, malte Reuben sich im Herzen die Freude aus, die der alte Mann darüber fühlen mußte, seinem Schützlinge eine so bedeutungsvolle Mitteilung zu machen – und da er dem Greise mit keinem Worte erwiderte, fuhr dieser fort: »Ei, Reuben, was möchtet Ihr wohl sagen zu einer Pfarre, einer wirklichen, einträglichen Pfarre? würde Euch eine solche geboten, dann nähmet Ihr sie doch? Aber unter welchen Bedingungen? – Das heißt, ich frage nur so!« Butler antwortete, daß ihm das freilich ein sehr großes Glück bedeuten werde, daß er es aber in allererster Reihe für notwendig erachte, mit sich zu Rate zu gehen, ob er sich auch für das Amt, und ob das Amt sich für ihn eignen werde. – »Ganz recht, mein Sohn, ganz recht!« versetzte Deans, »Euer Gewissen muß eins mit Eurem Sinne sein! Wer kann andere unterrichten wollen, der die heilige Schrift nicht im Herzen trägt? Wer darf die Hand nach irdischem Gute heben, der nicht zuvor sich die geistige Speise erworben?« – Butler antwortete, daß er sich auch jetzt, wie im früheren Leben, gern nach dem Rate des erfahreneren Freundes richten werde, – worauf Deans hocherfreut antwortete: »Recht gut gesprochen, mein lieber Reuben! recht gut! und angenommen, Ihr wäret nun in solchem Falle, so würde ich meinerseits es für meine heilige Pflicht erachten, Euch alle Uebel der Zeit, in der wir leben, klar zu legen« – und nun war er in seinem Elemente, und Reuben mußte sich darein schicken, vieles anzuhören über die Geschichte der englischen Kirche, über Männer, die für sie gewirkt, über Lehren, die von ihnen stammten, – wenn er auch oft die Meinung des Greises nicht völlig teilte. Aber auch hier kam die Zeit, da Deans mit seinen religiösen Betrachtungen ein Ende fand und hinüber lenkte zu weltlicheren Dingen, zumal ihn Reuben durch seine Bescheidenheit und sein liebevolles Eingehen auf all seine Gedanken und Meinungen so für sich eingenommen hatte, daß er sich – was vielleicht seit seiner zweiten Hochzeit nicht wieder vorgekommen war, – dazu entschloß, zwei Flaschen alten kräftigen Doppelbieres aus dem Keller heraufzuholen und seinem jungen Freunde vorzusetzen. Bei dem Abendbrote, das sich daran fügte, brachte er die Rede auf seine Tochter Jeanie, auf die Tugenden derselben, auf ihre Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit, Biederkeit, auf ihre praktische Gesinnung – und nun konnte es nicht fehlen, daß auch Reuben sich in den lobendsten Worten über dieses Muster von einer Tochter und Schwester, wie er sie nannte, erging. – Und da er nun durch den Vater selbst die Kunde bekam, daß ihm durch die herzogliche Pfarre alle Sorge für sein zukünftiges Leben genommen sei, so konnte es weiter nicht fehlen, daß zwischen den beiden Männern ein Wort das andere gab, und daß sie schließlich auseinandergingen in der Zuversicht, daß Vater Deans nichts dawider haben werde, wenn der neue Pfarrer um die Hand von Jeanie anhalte. Hieran schloß sich nun das weitere Abkommen, Jeanie bis Roseneath, dem herzoglichen Jagdschlosse, entgegenzufahren. So hatten sie sich endlich gefunden, Jeanie und Reuben, die in so schlichter, treuer, verständiger Weise die vielen Jahre hindurch aneinander festgehalten; und in der gleichen schlichten, verständigen Weise spielte sich auch jetzt die Szene des Wiedersehens ab. Vater Deans ließ es sich nicht nehmen, als er sie nun freudigen Herzens zusammengab, eine lange Betrachtung seines Lebens und seines Glaubens vorauszuschicken; und es währte geraume Zeit, bis er soweit war, ihnen auseinanderzusetzen, daß der Ehestand nicht bloß ein Wehestand, sondern ein Ehrenstand sei, und daß es an beiden Ehegatten sei, denselben so zu führen, daß ein jeglicher daran seine Lust und seine Freude habe. – Mit den Worten, sie möchten nun allein miteinander besprechen, was sie noch zu sprechen hätten, verließ er sie hierauf. Nachdem sie nun in einsamer Zwiesprache den tiefen Empfindungen, die ihr Herz erfüllten, Ausdruck gegeben, von ihren Hoffnungen und Aussichten gesprochen hatten, und sich gelobt hatten, wie im bisherigen auch im neuen Leben treu miteinander zu halten, führte Jeanie das Gespräch auf das minder frohe Thema der Flucht ihrer Schwester. Sie vernahm von Reuben, daß Effie nach ihrer Freilassung aus dem Gefängnis noch drei Tage in St.-Leonard bei dem Vater geblieben, dann aber nächtlicherweile verschwunden sei. Nach vieler Mühe sei es ihm gelungen, ihre Spur bis zu einer kleinen, zwischen Dalkeith und Edinburg versteckten Seebucht aufzufinden, wo nur Fischerboote und Schmugglerschiffe zu landen pflegten, und wo in letzter Zeit ein solches Fahrzeug öfter gesehen worden und einmal spät in der Nacht an das Ufer herangekommen sei, um eine weibliche Gestalt zu einem größeren Schiffe hinüberzuführen, das unmittelbar nachher in See gegangen sei, ohne das mindeste von Fracht ans Land zu schaffen. Daß diese Schleichhändler Genossen des berüchtigten Robertson seien, und daß das Schiff nur zu dem Zwecke die Bucht aufgesucht habe, seine Geliebte zu entführen, darüber hegte Butler nicht den mindesten Zweifel. – Butler hatte bald darauf einen Brief, E. D. unterzeichnet, dem aber jede Bezeichnung von Ort und Zeit fehlten, erhalten. Wahrscheinlich war er von Effie an Bord geschrieben worden, während sie seekrank war, denn es war kein Muster von einem korrekten Briefe, sondern enthielt allerhand Schreib- und Stilfehler und war stellenweise recht verworren und unklar. Es war aber, wie in allem, was dieses unglückselige Mädchen sprach oder tat, auch in diesem Briefe zu loben so wohl als zu tadeln. Sie könne es, schrieb sie, nicht ertragen, daß ihr Vater und ihre Schwester um ihretwillen die Heimat verließen und ihre Schmach mit auf sich nähmen, denn da sie allein die Schuld trüge, so träfe auch sie allein die Strafe. Sodann wäre es doch hinfort nicht mehr möglich, einander in Zukunft ein Trost zu sein, denn jedes Wort, jeder Blick des Vaters erinnere sie an ihre Sünde und zerreiße ihr das Herz; in den drei Tagen, die sie in dem väterlichen Heim verlebte, sei sie fast um den Verstand gekommen. Der Vater meine es ja gut mit ihr, wie mit allen Menschen, allein er wisse nicht, welche Marter es für sie sei, wenn er ihr ihre Sünde vorhalte. Wäre die Schwester zu Hause gewesen, hätte sich alles vielleicht besser gestaltet; denn Jeanie gleiche den Engeln im Himmel, die wohl um Sünden weinen, die Sünden aber um der Sünde willen nicht verdammen. Indes stünde es auch Jeanie gegenüber bei ihr fest, daß sie einander nicht mehr wiedersehen könnten, wenngleich ihr dieser Gedanke schmerzlicher sei, als alles, was bereits über sie gekommen. Auf ihren Knieen wolle sie für Jeanie beten, Tag und Nacht, nicht bloß dafür, was sie an ihr getan, sondern mehr noch dafür, was sie um ihretwillen zu tun sich geweigert habe; denn wie furchtbar müßte es ihr jetzt sein, wenn dieses lautere Gemüt, um sie zu retten, die Schuld eines Meineides auf sich genommen. Sie bäte den Vater, Jeanie alles zu geben, auch was von ihrem mütterlichen Erbe auf sie komme. Sie hätte sich aller Rechte daran schriftlich begeben und das betreffende Schriftstück befinde sich in Herrn Novits Händen. An irdischem Gut werde sie wohl, soweit sich vorläufig ermessen lasse, keinen Mangel mehr leiden. Dagegen hoffe sie, daß sie dadurch beitrüge, für die Schwester eine gute Aussteuer zu schaffen. In einer Nachschrift wünschte sie Herrn Butler alles Gute, und dankte ihm für alle ihr bewiesene Freundschaft. Was sie selbst anging, so wisse sie recht gut, daß sie einem traurigen Schicksal entgegengehe, aber sie habe es sich selbst zugezogen und verlange darum nicht, bedauert oder beklagt zu werden; aber zu ihrer Lieben Beruhigung wolle sie noch erwähnen, daß sie nicht auf schlimmen Wegen wandle, daß die, so schuld an ihrem Unglück seien, auch beflissen seien, es nach Kräften wieder gut zu machen, und daß es ihr in gewisser Hinsicht über Verdienst gut gehe. Indessen richte sie an die Ihrigen die Bitte, sich mit dieser Versicherung zu begnügen und nicht nach ihr zu forschen. David Deans sowohl als Reuben Butler hatten aus diesem Briefe wenig Tröstliches entnommen. Was ließ sich von Effies Verhältnis zu einem Menschen wie Robertson anders erwarten, als daß sie Genossin an seinen künftigen Verbrechen sein und schließlich ihnen zum Opfer fallen werde? Jeanie dagegen, die über Georg Stauntons gesellschaftliche Stellung und Vermögensverhältnisse auf ihrer Wanderung durch den Zufall Aufklärung gewonnen, sah ihrer Schwester Lage in einem weniger herben Lichte an. Seine innige Teilnahme an ihr, und die Eile, mit der sie sich ihrer angenommen, sobald sie der Haft ledig war, gaben ihr die Zuversicht, daß Staunton und Effie bereits getraut seien. Auch war es kaum wahrscheinlich, daß Staunton seinen früheren ruchlosen Lebenswandel fortsetzte, denn das schwer auf ihm lastende Geheimnis, die Hauptschuld an dem Morde des Edinburger Stadthauptmannes zu tragen, sowie, daß der reiche Erbe von Willingham ein und derselbe sei mit dem zum Tode verurteilten Georg Robertson, konnte er nur zu bergen hoffen, wenn er ein durchaus anderer Mensch wurde. Jeanie glaubte, er würde mit Effie England auf Jahre verlassen und nicht eher wiederkehren, bis Gras über den Porteous-Krawall gewachsen sei. Nichtsdestoweniger hielt sie es nicht für geraten, ihren Vater und ihren Bräutigam des Trostes teilhaftig zu machen, der ihr Herz belebte; denn es bedünkte sie, daß es unbedingt notwendig sei, darüber, daß Georg Staunton und Georg Robertson ein und dieselbe Person seien, das strengste Geheimnis zu wahren. Jeanie las den Brief der Schwester wieder und wieder; all die Gedanken, die in ihrem Herzen über das Schicksal derselben schlummerten, erwachten von neuem, und der tiefe Schmerz, den sie um die Schwester fühlte, löste sich langsam in einer bittern Tränenflut; Butler suchte sie zu trösten und ihren Tränen Einhalt zu tun. Aber erst der Eintritt ihres Vaters in Begleitung von Duncan Knockdunder vermochte sie ruhiger zu stimmen. Dieser war für Roseneath und Umgebung ein Mann von großer Wichtigkeit. Auf hohem, über den See hängenden Felsen gebaut, stand die stolze Knockdunder-Burg, von der man noch heute Ruinen sieht, und Duncan schwur Stein und Bein, daß dieselbe vorzeiten eine Königsburg gewesen sei, trotzdem sie zu den kleinsten Burgen im Lande gehörte, denn ihr innerer Raum bildete ungefähr ein Viereck von sechzehn Fuß, das in gar keinem Verhältnis zu den zehn Fuß dicken Außenmauern stand. Immerhin bot sie den Vorfahren Duncans den Vorteil, daß mit ihrem Besitze der Titel eines Landeshauptmannes verbunden war, und daß sie allein der Oberherrschaft des Hauses Argyle unterstanden und eine erbliche Gerichtsbarkeit, wenn auch nur in einem beschränkten Gebiete besaßen. Der damalige Vertreter des alten Geschlechtes war ein untersetzter Mann von etwa fünfzig Jahren, der es sich zum besonderen Gaudium machte, die hochländische mit der im Süden gebräuchlichen Tracht zu vermischen und zu der schwarzen Knotenperücke mit kühn aufgestutztem Tressenhut mit Vorliebe den Schottenmantel mit rundem, kurzem Unterkleide trug. Sein Benehmen war derb und geradezu, seine aufgestülpte Kupfernase verriet seine Neigung zu Zorn und Branntwein. Dieser vornehme Burgherr trat jetzt auf Reuben und Jeanie zu und redete sie an, wie folgt: »Ich nehme mir die Freiheit, Herr Deans, Ihre Tochter zu begrüßen, und mein Amt verleiht mir das Recht, jedes Mädchen, das nach Roseneath kommt, mit einem Kusse zu bewillkommen.« – Den sinnigen Worten die minnige Tat folgen lassend, nahm er den Tabakpriem aus dem Munde, begrüßte Jeanie mit einem derben Schmatz und hieß sie im herzoglichen Gebiet von Argyle willkommen. Hierauf setzte er Reuben Butler in Kenntnis, daß seine feierliche Amtseinführung schon an dem nächsten Tage vollzogen und daß der Branntwein nicht dabei gespart werden solle, denn hierzulande Pflege man bei dergleichen Gelegenheiten nicht trocken zu sitzen.. »Der Laird« – wollte Deans anfangen. Aber dieser unterbrach ihn: »Bitte, der Hauptmann; die Leute wissen ja sonst nicht, wen Ihr meint, Wenn Ihr Herrschaften den ihnen zustehenden Titel verweigert.« – »Der Hauptmann also,« fuhr David fort, »versichert, daß das ganze Kirchspiel einmütig für Euch gestimmt habe. Reuben – Ihr seid also wirklich berufen, hier Eures Amtes zu walten.« Duncan meinte aber, da die Hälfte Sächsisch, die Hälfte Gälisch rede, und keiner gewußt habe, was der andere geredet, so sei das beste von allem der Ruf: »Lang lebe Mac Callumore und Knockdunder!« gewesen; indes brauche sich Herr Butler darum nicht weiter zu kümmern, da nur er und der Herzog hier zu befehlen hätten, und diese Rede bekräftigte er mit einem derben Fluche gegen alle, die sich dagegen widerspenstig verhalten sollten. Zwanzigstes Kapitel Am andern Tage, der für die Einführung Butlers in sein Seelsorgeramt festgesetzt war, befand sich die Bewohnerschaft früh auf den Beinen. Duncan, ein ebenso wackerer Esser als Streiter vorm Herrn, hatte für ein stattliches Frühstück gesorgt. Es gab allerhand Speisen aus Milch, dazu kaltes Fleisch in Mengen, geschmorte Quabben, geröstete Eier, ein mächtiges Faß Butter, Heringe in Unmenge, gebraten, gesotten, frisch und gesalzen, dazu Tee und Kaffee, wer solches Getränk liebte. Der Wirt betonte, indem er auf einen kleinen Kutter, der der Windseite gegenüber an der Insel herumkreuzte, mit den Fingern zeigte, beides koste kaum mehr als den Lohn für das Ausladen – womit er eine entschuldbare Anspielung auf den hierzulande betriebenen Schleichhandel machte. »Ist der Schmuggel hier frei?« fragte Butler. – »Ich meinesteils halte ihn für die Volkssitten schädlich.« – »Der Herzog hat keine Befehle dagegen gegeben,« erwiderte dieser Hüter des Rechts,»der seine von Selbstsucht diktierte Milde hierdurch für völlig begründet ansah. Butler wußte als Mann von Verstand, daß Ermahnungen Gutes nur dann bewirken, wenn sie zu rechter Zeit gegeben werden, und ließ den Gegenstand deshalb fallen, – Als das Frühstück eingenommen war, machte Knockdunder Deans und Butler den Vorschlag, im Boote zu ihren zukünftigen Wohnsitzen hinüberzufahren, – Es war ein wunderschöner Tag und die gewaltigen Berge warfen auf den Spiegel des Meerbusens, der ruhig wie ein Binnensee sich vor ihnen dehnte, ihre tiefen Schatten. Sogar Jungfer Dutton fühlte jetzt keinerlei Bange mehr; zumal ihr Herr Archibald gesagt hatte, daß es nach dem Gottesdienst noch einen solennen Schmaus geben werde, wovon sie eine besondere Liebhaberin war. In einem geräumigen Boote, das Duncan als seine »sechsspännige Equipage« bezeichnete, wurde es doch von sechs handfesten Ruderern bedient, daß es wie ein Pfeil durch die Fluten schoß, fuhren sie in der Richtung auf das Türmchen der alten Kirche von Knocktarlitie zu. Die Bewohnerschaft strömte dem Hauptmanne entgegen, ihm ihre Ehrfurcht zu bezeigen; manche davon waren Männer nach David Deans' Herzen, eifrige Bekenner des reinen Glaubens, denen der Vater des jetzt regierenden Herzogs hier eine Zuflucht gewährt hatte, weil sie durch die Teilnahme an der mißlungenen Unternehmung seines unglücklichen Vaters Anno 1686 um ihr Hab und Gut gekommen waren. Aber auch Pfarrkinder wilderen Gemütes kamen: Leute aus dem Gebirge, die Gälisch sprachen, Waffen und die echte Hochlandstracht trugen. Der Herzog wußte aber so gute Ordnung in seinem Gebiete zu halten, daß Gälen und Sachsen in bestem Einvernehmen lebten. Zuerst wurde das Pfarrhaus besucht; es war alt, aber in gutem Stande; im Hintergrunde stand ein kleiner Erlenwald, vorn dehnte sich ein hübscher Garten, begrenzt von dem Flüßchen, das, von den Fenstern aus sichtbar, zwischen Bäumen und Gesträuchen sich hinwand. Innen war die Wohnung mit neuem sauberen Hausgerät ausgestattet, das der Herzog auf seinem eigenen Schiff hierher hatte bringen lassen. Mit einer Empfindung ruhiger, heiterer Freude betrachtete Butler dies abgeschiedene Tal, wo er seine künftigen Tage in Amt und Würden verleben sollte, und mancher Blick innigen Einverständnisses wurde zwischen ihm und Jeanie gewechselt, deren gütiges Antlitz heute wie verklärt erschien, als sie mit sittsam-bescheidener Freude das neue Heim betrachtete, in welchem sie bald als Gebieterin herrschen sollte. Vom Pfarrhause lenkte die Gesellschaft die Schritte nach dem Orte, wo künftighin ihr Vater sein Domizil haben sollte. Zur gemeinsamen Zufriedenheit wurde bemerkt, daß die Meierei kaum einen Büchsenschuß weit vom Pfarrhause entfernt lag. Ein gemächliches Wohnhaus, gut eingerichtete Wirtschaftsgebäude, und ein großer Obst- und Gemüsegarten liehen ihm vor der Hütte zu Woodend oder dem Häuschen zu St.-Leonard erhebliche Vorzüge. Die Aussicht war malerisch; zu Füßen erstreckte sich das Tal mit dem niederen Pfarrhause, dahinter der Meerbusen mit seiner idyllischen Inselflur; noch weiter hinten türmten sich die majestätischen Bergriesen. Aber mehr noch als von all diesen Naturschönheiten wurde Jeanie ergriffen, als sie die treue alte Mary Hettly in der weißen Haube, dem braunen Sonntagsrock und der blauen Schürze auf der Schwelle, zu ihrem Empfange bereit stehen sah. Die gute treue Seele war nicht minder selig über das glückliche Wiedersehen und hielt mit der Versicherung, sie habe für den Vater und das Vieh nach Kräften gesorgt, nicht hinter dem Berge. Nachdem Jeanie Stall und Milchgebäude besichtigt, und der guten Alten ihre Zufriedenheit mit all den Einrichtungen, die sie getroffen, ausgesprochen, wurde das Hausinnere besichtigt. In Jeanies Schlafzimmer stand ein Koffer, dessen Aufschrift ihn als ihr Eigentum auswies und der Jungfer Duttons Neugierde rege machte, weil sie in der Schrift diejenige der ersten Kammerfrau der Herzogin erkannte. May Hettly übergab Jeanie in einem versiegelten Kuvert, das gleichfalls an sie adressiert war, den Schlüssel dazu. Auf dem Kuvert standen obendrein die Worte: »Andenken für Jeanie Deans von den ihr wohlgesinnten Freundinnen Herzogin von Argyle und ihren Töchtern.« In dem Koffer, der nun hastig geöffnet wurde, lagen schöne, Jeanies neuem Stande angemessene Kleidungsstücke. Stück für Stück wurde herausgenommen, ausgebreitet, gelobt und bewundert; die alte May meinte, keine Königin könne besser ausstaffiert sein. Andere Empfindungen hielten angesichts dieses Reichtums Einzug in das Herz der Jungfer, die über die Milchkammer gesetzt worden war. Anfangs äußerte sich ihr Neid nur durch ein paar inhaltlose Tadelsworte; als aber auf dem Boden des Koffers ein weißes Seidenkleid erschien, mit dem Wunsch, Jeanie solle es am Tage ihres Namenwechsels tragen, da konnte Jungfer Dutton nicht länger an sich halten, sondern raunte Archibald ins Ohr, daß es doch gar nicht so übel sei, als Schottin auf die Welt zu kommen; denn von dem halben Dutzend Schwestern, die sie hätte, hätten wohl alle ein Kind kriegen und gehängt werden können, ohne daß es einem Menschen auch nur eingefallen wäre, ein Nastüchlein zu schenken. »Oder, ohne daß es Euch eingefallen wäre, Jungfer, einen Finger für sie zu rühren,« entgegnete Archibald trocken. »Aber,« setzte er sogleich hinzu, »wie kommt es denn, daß wir noch kein Geläut hören!« »Der Tausend, Herr Archibald,« versetzte Hauptmann Duncan von Knockdunder, »Sie wollen doch nicht läuten lassen, bevor ich zum Kirchgange fertig bin? Den Glöckner möchte ich sehen, der sich solches herausnähme! Den Glockenstrang ließe ich ihn schlucken! Könnt Ihr's aber nicht erwarten, ihr Gebimmel zu hören, so brauche ich mich bloß auf der Höhe sehen zu lassen, dann, geht's auf der Stelle damit los!« Und richtig! Kaum tauchte, gleich Hesperus, der Hut mit den goldenen Tressen über dem tauigen Hügel empor, so fing »das Gebimmel«, wie der Hauptmann gesagt – und eine andere Bezeichnung verdiente es wahrlich nicht – an und hörte nicht eher auf, als bis die kleine Gesellschaft im Gotteshause verschwunden war. Hier gab manches dem alten Deans Ursache zum Verdruß, zum Beispiel die Predigt, die ihm viel zu kurz war, trotzdem sie fünf Viertelstunden gedauert hatte. Es half dem Prediger ihm gegenüber auch nicht, daß er sich damit entschuldigte, der Herr Hauptmann habe zu gähnen angefangen. Das schlimmste aber war, als der Herr Hauptmann, sobald sich die Gemeinde niedergesetzt hatte, in dem Lederbeutel, der ihm vorn am Schurze hing, nach seinem Tabaksbeutel zu suchen anfing und, als er ihn nicht fand, einem seiner Leute ungezwungen zuschrie, ins Dorf zu rennen und ihm eine Rolle Pastorknaster zu holen – was aber dem Mann dadurch erspart wurde, daß sich ein halbes Dutzend Hände dem Hauptmann zureckten, jede mit einem Tabaksbeutel, von dem er sich den besten aussuchte, um sich die Pfeife zu stopfen, die er alsbald in Brand setzte und vergnüglich rauchte. David Deans, den solches gottlose Benehmen schrecklich in Harnisch brachte, murrte, stöhnte, seufzte erst eine Weile; dann wandte er sich an einen der Kirchenältesten, dessen große Perücke ihm das meiste Vertrauen erweckte, und raunte ihm zu: »Sind wir denn unter Wilden und Heiden: für die möchte sich's nicht einmal schicken, im Gotteshaus« Pfeife zu rauchen, geschweige für einen Edelmann, der doch damit den Eindruck weckt, als sei ihm Kirche und Schenke eins,« Isaak Meiklehose – so hieß der Aelteste – aber schüttelte den Kopf und erwiderte: »Wozu noch lange reden? Der Herr Hauptmann sind nun 'mal wunderlich – er hat die Gewalt im Lande, und ohne seinen Schutz kämen uns die Räuber vom Hochlande stündlich auf den Hals. Wenn ihm was zu Kopfe schießt, muß man ihm halt den Willen lassen – denn wer die Macht hat, hat's Recht, das wißt Ihr doch?« – »Mag sein, Nachbar,« versetzte Deans, aber Reuben Butler wird ihm schon beibringen, daß er die Pfeife anderswo rauchen muß als im Gotteshause!« – »Darf ein Tor dem Weisen raten,« versetzte Meiklehose, »dann soll er sich's zweimal überlegen, ehe er sich mit Duncan Knockdunder in einen Streit einläßt; denn bis jetzt hat jeder mit ihm den kürzern gezogen.« Auf diese Weise wurde Reuben Butler zum Seelsorger von Knocktarlitie eingesetzt. Einundzwanzigstes Kapitel An dem reichen Mahl, das der Herzog von Argyle hatte herrichten lassen, nahmen außer den ehrwürdigen Herren von der Geistlichkeit, die der feierlichen Einweisung Butlers in sein Amt beigewohnt hatten, viel andere angesehene Leute des Kirchspiels teil, und es wurde gar wacker gezecht und auf des Herzogs Gesundheit getrunken, in die zum erstenmal in seinem Leben auch David Deans laut mit einstimmte, wie auch auf des ehrwürdigen Pfarrers von Knocktarlitie und seiner künftigen Gattin Gesundheit; bei welchem Anlaß aber David Deans sich zum ersten Scherz verstieg, den die Welt je von ihm gehört, der ihm aber recht schwer und sauer wurde, denn er verzog das Gesicht gewaltig, und stotterte gewaltig, bis es ihm gelang, den Scherz in Worte zu kleiden: »Da Reuben kaum noch mit seiner geistlichen Braut vermählt worden, sei es hart, ihm noch am gleichen Tage mit einer weltlichen zu drohen,« so rief er unter einem unbändigen Lachen, das er aber, als schäme er sich der maßlosen Lebhaftigkeit, sogleich verstummen ließ. – Jeanie, Jungfer Dolly Dutton und die anderen Frauen zogen sich in die Meierei zurück, wo sich später auch Reuben Butler und Herr Archibald einfanden. Deans und Butler sollten noch in derselben Nacht in ihre neuen Wohnungen einziehen, Jeanie mit Jungfer Dutton aber noch auf einige Tage nach Roseneath zurückkehren. Das Boot lag bereit, aber Knockdunder ließ noch auf sich warten, trotzdem es schon zu dämmern begann. Da kam Herr Archibald mit dem Bescheide, der Hauptmann habe sich so fest getrunken, daß er in dieser Nacht wohl nicht von der Insel wegkommen werde und, wenn es noch der Fall sein sollte, für Damen kaum einen schicklichen Begleiter abgeben dürfe; er schlüge deshalb vor, in der Barke ohne ihn die Ueberfahrt zu machen; womit sich Jeanie im Vertrauen auf seine bewährte Eigenschaft als Führer gleich einverstanden erklärte, während Jungfer Dutton wieder Einwände machte, daß es doch besser sei, zu warten, bis sie das große Boot benutzen könnten. Aber schließlich gelang es ihm, auch die Bedenken der Jungfer zu zerstreuen, und so machten sie sich unter dem Geleit von Butler auf den Weg zum Strande. Es verging aber noch einige Zeit, bis die Schiffer, sich von dem Dienerschafts-Gelage trennen konnten und bis die beiden Frauen sich eingeschifft hatten. So stand der Mond schon über den Bergen und beleuchtete mit seinem bleichen zitternden Scheine die herrliche Szenerie. Aber die Nacht war so sanft und ruhig, daß Butler, als er seiner Braut am Ufer Lebewohl sagte, nichts für ihre Sicherheit, und, was noch seltsamer war, daß auch Jungfer Dutton nichts für die eigene zu fürchten fand. Die Luft war mild und ruhig und streifte mit leisem Hauche die kühle Flut, Berge, Felsen, Buchten zogen in lieblichem Wechsel an ihnen vorüber und entsprühten den Wellen bei jedem Ruderschlag glitzernde Funken, ein Schauspiel, so neu und bezaubernd, daß Jeanie wie auch Jungfer Dutton die Blicke nicht davon wenden konnten. – Der Landungsplatz lag im Hintergrunde einer kleinen Bucht, in nicht erheblichem Abstande vom Hause; aber das Boot konnte infolge der Ebbe nicht bis zu den Steinen gelangen, die die Landungsbrücke ersetzten; Jeanie, rasch und beherzt, sprang behend vom Bootsrande zu den Steinen hinüber; Jungfer Dutton aber wollte von solch einem Wagestück nichts wissen, so daß Archibald ihr diesmal den Gefallen tat, das Boot zu einem andern Landungsplatze zu steuern, wo es sich bequemer aussteigen ließ. Jeanie blieb nun allein am Ufer zurück, denn sie hatte Archibald gutmütig gebeten, sich der ängstlichen Jungfer zu widmen, das Haus sei ja nahe, und da das Mondlicht ihr die weißen, hinter dem Wäldchen hervorragenden Schornsteine zeige, könne sie den Weg ja unmöglich verfehlen. Es war eine so wunderschöne Nacht, daß Jeanie, statt gleich zum Jagdschlosse zu eilen, am Ufer stehen blieb, und dem Boote nachblickte, wie es, wieder in die silberne Flut tauchend, zu der kleinen Bucht hinaussteuerte, während die dunklen Gestalten ihrer Gefährten allmählich im Nebel verschwanden und der schwermütige Sang herüberklang, bis das Boot endlich um das Vorgebirge bog und ihren Blicken gänzlich entschwand, – Auch jetzt noch verharrte Jeanie an der Stelle und in derselben Stellung, den Blick auf die See hinausgerichtet. Der wunderbare Wechsel, der binnen wenigen Wochen sich in ihrer Lage vollzogen – Verzweiflung zu Ehre, Freude und froher Aussicht in die Zukunft wandelnd – glitt an ihrem geistigen Auge vorüber und führte helle Tränen in ihr leibliches Auge. Doch nicht der Freude allein flossen sie in diesen einsamen Augenblicken, sie hatten noch eine andere Quelle! Irdisches Glück ist nie vollkommen, und edle Gemüter fühlen das Leid ihrer Lieben immer dann am tiefsten, wenn sie selbst sich in glücklicher Lage wissen. So gedachte auch Jeanie jetzt mit herbem Schmerze des Schicksals der unglücklichen Schwester, an die sich so viel teure Hoffnungen geknüpft hatten, die, soviele Jahre hindurch des Vaters verzärteltes Schoßkind, jetzt landflüchtig und, was noch schlimmer war, dem Willen eines leidenschaftlichen, ruchlosen Menschen Untertan sein mußte, – Während sie diesen trüben Gedanken nachhing, war es ihr, als husche aus dem dichten Buschwerk zu ihrer Rechten eine dunkle schattenhafte Gestalt hervor. Jeanie fuhr erschreckt zusammen und alles, was ihr von Geistern und Gespenstern, die zu solcher Zeit und Stunde an solch stillem abgelegenen Ort gesehen worden, bekannt war, drängte sich in ihrer Phantasie zusammen. Die Gestalt kam ihr näher – sie zeigte weibliche Konturen – und plötzlich erklang eine sanfte, süße Stimme: »Jeanie, Jeanie!« O, was war das? Konnte es die Stimme der Schwester sein? Weilte sie noch unter den Lebenden, oder waren des Grabes Siegel gesprengt? – Aber es blieb ihr nicht Zeit, sich diese Fragen zu stellen, geschweige zu beantworten, denn schon hing Effie an ihrem Halse, hielt sie in ihren Armen, drückte sie an ihre Brust und bedeckte sie mit Küssen. »Wie ein Geist, Jeanie, bin ich hier umhergewandelt, Dich zu sehen,« sagte sie, »und, daß Du mich für einen Geist hältst, Jeanie, wundert mich nicht – nein, Jeanie, nicht! Wollte ich ja nur einmal noch Dich vorübergehen sehen, nur einmal noch den Ton Deiner Stimme hören, aber Dich noch einmal zu sprechen im Leben, Jeanie, das war mehr, als ich verdiente, war mehr als ich hoffen durfte, durch Beten zu erlangen.« – »O, Effie! Wie kommst Du hierher? Allein? zu solcher Stunde? hierher an das wilde Seeufer? Bist Du es auch wirklich Effie, wirklich und leibhaftig?« – Da brach wieder Effies alter Mutwille hervor, denn statt der Schwester Antwort auf die Frage zu geben, kniff sie sie, gleich einer neckenden Fee so leicht, leise in den Arm. Und wieder umarmten sich die Schwestern und lachten bald, bald weinten sie. »Aber Du mußt doch mit ins Haus kommen, Effie,« sagte Jeanie, »mußt mir dort alles, alles beichten. Es sind brave Menschen dort, Menschen, die Dich um meinetwillen freundlich willkommen heißen,« – »Nein, nein, Jeanie,« antwortete Effie traurig, »Du vergißt, was ich bin, – vergißt, daß ich verbannt, daß ich landflüchtig bin – daß ich schmählichem Tode nur entgangen bin, weil Du die beste, mutigste, tapferste Schwester bist, die jemals unter Gottes Sonne gelebt hat. Nein, nein, Jeanie! mich einem Deiner vornehmen Freunde zu nähern, das kannst Du nicht von mir erwarten, auch nicht, wenn keine Gefahr für mich damit verknüpft wäre.« – »Es ist keine Gefahr, – es soll keine Gefahr sein,« sagte Jeanie eifrig. »O, Effie, sei nicht eigensinnig, laß Dich nur diesmal leiten! Wir können ja so glücklich sein! Komm zu uns, Effie, komme zu denen zurück, die es am besten mit Dir meinen! Eine alte Hecke gibt immer besseren Schutz als ein neugepflanzter Wald.« – »Ich habe alles Glück, dessen ich wert bin, gefunden; jetzt, da ich Dich gesehen!« antwortete Effie, – »und ob Gefahr für mich dabei sein mag oder nicht, nachsagen soll mir niemand, daß ich hierhergekommen sei, fast, unmittelbar vom Galgen weg, – wie es Vaters Rede war –, um meiner Schwester Schande und ihren vornehmen Bekannten Verdruß zu machen.« »Ich habe keine vornehmen Bekannten hier,« versetzte Jeanie – »keine anderen Bekannten, die nicht auch Deine wären – Reuben Butler und unsern Vater. – Ach, unglückseliges Mädchen! sei nicht so hartnäckig! Kehre zurück zu Deinem Glücke! Komm wieder zu uns, die es am besten auf der Welt mit Dir meinen!« »Du sprichst vergebliche Worte, Jeanie, – was geschehen ist, läßt sich nicht ungeschehen machen! Ich bin verheiratet und muß meinem Manne folgen in Glück und Unglück.« – »Effie, verheiratet!« rief Jeanie. »Unglückliches Mädchen! Verheiratet an jenen Furchtbaren!« – »Still, still,« sagte Effie, ihr die Hand auf den Mund legend, indem sie mit der andern nach dem Dickicht hindeutete: »Er ist dort!« Sie sagte dies in einem Tone, der deutlich erkennen ließ, ihr Mann habe ihr Furcht und Liebe in gleichem Maße eingeflößt. Da trat ein Mann aus dem Gehölz, es war der junge Staunton! Selbst bei dem undeutlichen Lichte des Mondes konnte Jeanie sehen, daß er vornehm gekleidet war und ganz so aussah, wie ein Mann von Rang und Stand. »Effie,« sagte er, »unsere Zeit ist fast vorüber, – das Boot wird wieder in der Bucht sein, und wir dürfen nicht länger verweilen, – Deine Schwester, hoffe ich, wird mir erlauben, ihr guten Tag zu sagen?« Jeanie aber wich zurück, als er sie brüderlich umarmen wollte. »Nun, wie sie will,« sagte er, »viel gelegen ist nicht daran; verharren Sie auch in Abneigung gegen mich, so lassen Sie es mich wenigstens nicht fühlen, und dafür, daß Sie mein Geheimnis bewahren, wo ein Wort – das ich an Ihrer Stelle längst gesprochen hätte – mir das Leben kosten würde: dafür lassen Sie mich Ihnen danken – von Herzen danken. Es heißt immer: ein Geheimnis, das Dich den Hals kosten kann, hüte selbst vor dem Weibe Deines Herzens – mein Weib und ihre Schwester wissen beide um das Geheimnis, das auf mir lastet, und mein Schlaf wird darum nicht gestört.« – »Sind Sie wirklich mit meiner Schwester verheiratet?« fragte Jeanie, voll Angst und Zweifel; denn der nachlässig stolze Ton seiner Rede ließ sie das Schlimmste befürchten. – »Ich bin mit ihr verheiratet, recht- und gesetzmäßig; und unter meinem wahren Namen,« antwortete Staunton mit tiefem Ernst. – »Und Ihr Vater? Ihre Verwandten?« – »Mein Vater und meine Verwandten müssen sich aussöhnen mit dem Geschehnis, als mit einer Tatsache, die sich nicht mehr rückgängig machen läßt,« erwiderte Staunton. »Indessen beabsichtige ich, um einerseits gefahrvolle Beziehungen zu lösen, anderseits meinen Verwandten Zeit zur Beruhigung zu lassen, mit der Bekanntgabe meiner Heirat noch zu warten und ein paar Jahre außer Landes zu gehen. Sie werden in dieser Zeit nichts von uns hören, wenn Sie überhaupt je wieder von uns hören. Daß es für mich gefahrvoll ist, schriftlichen Verkehr zu unterhalten, müssen Sie einsehen; denn jeder würde ja doch in Effies Gatten den – den, nun, wie soll ich sagen? – nun, den Mörder des Edinburger Stadthauptmanns vermuten.« »O, über den verhärteten, leichtsinnigen Wicht!« dachte Jeanie; »und einem solchen Manne hat sie ihr Glück vertraut? – Effie, Effie, Du hast in den Wind gesät und mußt nun Sturm ernten.« – »Denke nicht schlecht von ihm,« sagte Effie leise, indem sie von ihrem Manne hinweg zu der Schwester trat und sie ein Stück zur Seite führte; »nicht allzu schlecht! Er handelt gut an mir, Jeanie, so gut, wie ich es verdiene. Und er will die argen Wege nicht mehr wandeln. – Drum gräme Dich nicht um Deine Effie; denn es geht ihr besser, weit besser, als sie es verdient. – Aber Du, Du! kannst Du je so glücklich werden, wie Du es verdienst? – Niemals, niemals, Jeanie, denn bis Du in den Himmel eingehst, wo alle, alle so lieb, und gut und brav sind, wie Du. – Jeanie, wenn ich lebend bleibe, wenn es mir wohlgeht, dann sollst Du von mir hören; wo nicht, dann vergiß, daß je ein Geschöpf gelebt hat, Dich zu kränken! – Lebe wohl! – O, lebe wohl!« – Sie entriß sich den Armen ihrer Schwester und eilte zu ihrem Gatten, und augenblicklich waren beide im Gehölz verschwunden. Jeanie war es zu Mute, als erwache sie aus einem Traum. Aber der Ruderschlag, den sie jetzt vernahm, und das kleine Boot, das sie zu jenem Schmugglerschiffe steuern sah, dessen weiter vorn gedacht wurde, und das am Eingang zur Bucht lag, lösten ihre Zweifel und bezeugten ihr, daß sie den Vorgang wirklich erlebt. – Ob er ihr mehr zur Freude war oder mehr zum Schmerz, wer vermöchte es zu sagen? Aber eins war ihr lieb: sie wußte, daß Effie recht- und gesetzmäßig verheiratet war, und daß ihr Mann den Pfad des Lasters nicht mehr wandle, – und das gewährte ihr Trost! Archibald, beunruhigt durch ihr langes Ausbleiben, kam ihr auf halben Wege zu dem Jagdhause entgegen – die Aufregung des Tages war Entschuldigung genug für sie, sich sogleich zur Ruhe zu begeben, und um ihre Gemütsbewegung verborgen zu halten, mußte sie zu dieser Entschuldigung greifen. Ein unangenehmer Auftritt anderer Art, der sich bald nachher ereignete, blieb ihr auf diese Weise erspart. Knockdunders Boot rannte nämlich gegen ein anderes und kippte, was freilich insofern nicht eben verwunderlich war, als alle Insassen, vom Hauptmann bis zum Floßknecht, sternhagelbetrunken waren. Zum Glück kamen alle mit einem nassen Bade davon, denn die Schiffer des Bootes, mit dem sie zusammenstießen, boten alles zu ihrer Rettung auf. Hauptmann Knockdunder fluchte am andern Morgen wie ein Rohrspatz; da aber das Boot, wie auch das Schmugglerschiff die Bucht bereits verlassen hatten, blieb ihm nichts weiter übrig, als den Verdruß in sich hineinzuschlucken; er wollte es sich indes nicht ausreden lassen, daß es die Schmuggler darauf abgesehen gehabt hätten, ihm damit eins auszuwischen, und verschwor sich, »es diesem Mondscheingesindel tüchtig heimzuzahlen, falls sie es sich noch einmal einfallen ließen, sich in sein Gehege zu verlaufen.« Zweiundzwanzigstes Kapitel Es kam der Tag, da Reuben Butler seine häusliche Einrichtung im Pfarrhause vollendete, und der Tag, an welchem das Aufgebot zwischen ihm und Jeanie Deans verkündet wurde; dann jener andere Tag, an welchem Reuben Butler seine Braut vor den Altar führte. Und wieder gab es einen schönen, frohen Tag, das war der Hochzeitstag im neuen Heim des greisen Vater Deans, aber die Freude an ihm war mehr innerlicher als äußerer Art, denn von entweihendem Pfeifer- und Spielvolk oder sündigem Tanze wollte Deans unter keinen Umständen etwas wissen, so sehr auch Hauptmann Knockdunder darüber wetterte. »Hätte er eine Ahnung davon gehabt, daß es bei solcher Hochzeit so quäkerhaft simpel und albern zuginge,« rief er, als er wieder heimging, »da hätten mich zehn Pferde nicht nach Auchingower« – so hieß der Wohnort des Brautvaters – »gebracht«. Seitdem gab es zwischen den beiden alten Herren allerhand »Gestichel«, wie Deans sagte, dem erst ein Ende gemacht wurde durch einen Besuch, den der Herzog von Argyle dem jungen Ehepaare in seiner Pfarrei machte. Hierbei erwies er sowohl diesem, wie Deans, soviel Huld und Gnade, daß es Knockdunder für geraten erachtete, freundlichere Saiten gegen Deans aufzuziehen und zuzugeben, »daß die neuen Pfarrersleute biedere Leute, wenn auch vielleicht ein bißchen zu schroff in ihren Anschauungen seien, und daß man dem neuen Meierei-Aufseher manches von seinen verzopften Grundsätzen seinem Alter zu gut rechnen müsse und nicht darüber vergessen dürfe, daß er mit dem Rindvieh und den Schafen besser als jeder andere umzugehen wüßte.« Frau Butler bewahrte sich im Ehestande die gleichen tüchtigen Eigenschaften – Gemütsruhe, klaren Blick und gesunden Verstand, häuslichen Fleiß und Wirtschaftlichkeit – die sie schon als ledige Person ausgezeichnet hatten; und wenn sie auch nicht Anspruch darauf erhob, es ihrem Manne an theologischer Gelehrtheit gleichzutun, so konnte sich doch kaum ein zweiter Pfarrer in Schottland eines so traulichen, sauberen Heims, einer so gemütlichen Pfarrstube, eines so schmackhaften Essens und solcher Ordnung in Wäsche und Kleidung rühmen wie Reuben Butler. Verfiel Butler in seine schulmeisterliche Schwäche, Bücherweisheit auszukramen, so hörte sie ihm geduldig zu, zeigte aber gemeinhin ein richtigeres und schärferes Urteil, wenn sich die Unterhaltung um praktische Dinge drehte; in der sogenannten feinen Gesellschaft fehlte es ihr wohl hin und wieder, wenn auch nicht am rechten Takte, so doch an sogenannter »Bildung«; solchen »Mangel« ersetzte sie jedoch reichlich durch jene echte Herzensbildung, die auf gesundem Verstand und richtigem Empfinden basiert, und die, vereint mit einer wahrhaft fröhlichen Lebhaftigkeit und einem Zuge von Schalkhaftigkeit, sie jedem, der in Beziehungen zu ihr gelangte, zu einer lieben und werten Gesellschafterin machte. An sich war sie immer die Sauberkeit selbst; wie nirgendswo in ihrem Haushalt, war auch an ihr selbst nie ein Stäubchen oder Fältchen zu sehen, so daß der derbe Hauptmann Knockdunder einmal sich Stein und Bein verschwor, er könne sich nicht anders denken, als daß Nixen und Feen mit ihr im Bunde sein müßten, daß Haus und alles um sie her und an ihr selber so schmuck und rein zu halten, ohne daß mal zu sehen wäre, wie und wann das alles gemacht würde!« – Worauf sie aber dann schlicht und treuherzig meinte, »es ließe sich gar viel am Tage tun, wenn man nur, alles zur rechten Zeit, und ohne Aufschub, täte.« Drei Kinder, zwei Knaben und ein Mädchen, schenkte sie ihrem Reuben in den ersten fünf Jahren: es waren kräftige, gesunde Kinderchen mit schönem blonden Haar und muntern blauen Augen. Die beiden Jungen bekamen, zur großen Freude des frommen Großvaters, die Namen David und Reuben; das Mädchen, auf ausdrückliches Begehren der Mutter, den Namen Euphemia, doch wurde sie nicht – das mußte Jeanie ihrem Vater und ihrem Manne einräumen, die sich mit dem Namen nicht recht hatten einverstanden erklären wollen, – Effie – wie die gewöhnliche Abkürzungsform des Namens in Schottland lautet – sondern Femie gerufen. In diesem friedlichen, genügsamen Lebensgenusse wurde das Gemüt der wackern Hausfrau nur durch zwei Dinge getrübt, »ohne welche,« wie sie sagte, »ihr Leben allzu froh und glücklich verlaufen wäre«.. das waren einerseits die häufigen Dispute zwischen ihrem Vater und ihrem Manne über kirchliche Dinge, bei denen sie oft als Vermittlerin eingreifen mußte , . Dem Vater sagte sie dann in der Regel: »Ich will ja nicht bestreiten, Vater, daß Du recht hast; aber Du mußt heut mit uns zu Mittag essen; die Kinder haben gar zu große Sehnsucht nach dem Großpapa, und wenn Ihr nicht wieder einmal disputiert habt, Du und Reuben, meine ich, dann können wir gar nicht recht schlafen, Reuben und ich.« – »Disputieren, Jeanie?« erwiderte Deans, »da sei Gott vor! Wie kannst Du meinen, daß ich Disput suchen sollte mit Dir oder jemand, den Du lieb hast?« Damit fuhr er in seinen Sonntagsrock und kam zur Essenszeit ins Pfarrhaus hinüber. Ihrem Manne gegenüber führte sie das hohe Alter des Vaters, die geringe wissenschaftliche Bildung, die starken Vorurteile, in denen er aufgewachsen, und den schweren Kummer, den er erlitten, als Gründe an, die ihn zur Nachgiebigkeit bestimmen müßten, aber es bedurfte ihrer bei ihm kaum, denn er hatte vor den Grundsätzen des Greises, so starr sie auch waren, eine zu große Achtung, und hielt sich demselben für die ihm, wie der im Grabe ruhenden Mutter und Großmutter erwiesenen Freundschaftsdienste zu viel zu großem Danke verpflichtet, als daß er nicht schon selbst sich nachgiebig hatte zeigen sollen. Schwerer aber als dieser erste, bedrückte sie der zweite Punkt: daß in den ganzen fünf Jahren, die nun seit jener letzten rätselhaften Begegnung auf der Insel Noseneath verflossen waren, von ihrer Schwester Effie nicht die geringste Nachricht an sie gelangt war. Der Gedanke, Effie möchte wohl nicht mehr am Leben oder in Jammer und Elend versunken sein, da sie ihr Wort, von sich hören zu lassen, wenn sie am Leben bleiben und wenn es ihr gut gehen sollte, nicht eingelöst hatte, ließ sich kaum abweisen, und Jeanie, die die vielen Jahre schwesterlichen Zusammenlebens nicht vergessen hatte und nicht vergessen konnte, verbrachte manche, manche kummervolle Stunde um ihrer Effie Schicksal, Aber der Schleier, der dasselbe deckte, sollte im sechsten Jahre ihres Ehelebens gelüftet werden, denn eines Tages kam Hauptmann Knockdunder auf die Pfarre mit einem Briefe, der eben mit dem Postboote angekommen und ihm zur Besorgung gegeben worden sei. Er zeigte den Stempel York; aber in ihrer ersten Meinung, er komme von der guten Frau Bickerton vom Gasthof zu den sieben Steinen, mit der sie, wie auch mit der Frau Glas in London, aus Dankbarkeit gegen das ihr erwiesene Gute, im Schriftwechsel geblieben war, wurde sie bald irre, denn die zierlichen Schriftzüge wichen gar zu sehr ab von den ungelenken der beiden alten Frauen. Da aber Jeanie gerade mit dem Essen zu tun hatte, schob sie den Brief einstweilen hinter ihr Busentuch und deckte für die beiden Männer, die sich zu einer Brettspielpartie setzten, den Abendbrottisch. Als sie indessen ihren Hausfraupflichten genügt hatte, erinnerte sie sich des Briefes wieder und brach ihn auf; doch hatte sie kaum einen Blick hineingeworfen, als sie die Stube verließ,, um sich in ihre Schlafkammer zurückzuziehen, wo sie sich ungestört wußte und ausschließlich mit dem für sie bedeutungsvollen Inhalte befassen konnte. Dreiundzwanzigstes Kapitel Der Brief war mit einem bloßen E unterzeichnet, und die Schrift wies eine solche Eleganz, Stil und Ausdruck eine solche Gewähltheit auf, daß Jeanie wohl im Zweifel hätte sein können, von wem er käme; aber sie wußte es auf den ersten Blick, daß er von Effie kam. »Herzliebe Schwester!« schrieb sie. »Es mag gefährlich für mich sein, Dir zu schreiben, aber ich schreibe Dir, auf alle Gefahr hin, um Dir endlich ein Lebenszeichen zu geben, um Dir endlich zu sagen, daß ich mich auch in weltlicher Lage eines weit besseren Geschicks erfreuen darf, als ich verdiene, als ich je habe erwarten dürfen. Sind Reichtum, Rang und Ehren Faktoren, das Glück einer Frau Zu begründen, so bin ich glücklich, denn ich besitze dies alles; Du aber, Jeanie, die den Anschauungen der Welt nach in einer soviel tieferen Klasse lebt als ich, Du bist doch weit, weit glücklicher als ich. Wäre ich nicht imstande gewesen, hin und wieder Nachrichten über Dein Befinden zu bekommen, hätte ich nicht gewußt, daß es Dir gut geht, so wäre, glaube mir, mir das Herz schon lange gebrochen. O, wie innig hat es mich gefreut, daß drei Kinderchen Dein Glück vermehren; wir, Jeanie, wir sind solches Segens nicht würdig! Zwei Kinder sind uns schnell hintereinander entrissen worden, und nun sind wir kinderlos! Doch, wie Gott will! Aber hätten wir ein Kind, so möchte es ihn wohl von den finsteren Gedanken ableiten, die ihn sich selbst ein Schrecken sein lassen. Aber, Jeanie, sorge Dich nicht um mich deshalb; denn gegen mich ist er nach wie vor der beste Mann, und mein Schicksal hat sich wirklich weit, weit besser für mich gestaltet, als ich verdient hätte. Du wunderst Dich gewiß über meine bessere Schrift und Ausdrucksweise? Nun, als wir im Auslande lebten, hat mir mein Mann die besten Lehrer gehalten, und ich, bin eine fleißigere Schülerin gewesen, als Du mir wohl zutraust; aber weil ihn meine Fortschritte im Lernen erfreuten, habe ich mir keine Mühe verdrießen lassen. O, glaube mir, Jeanie, er ist gut, sehr gut, wenn ihn auch viel, vieles, besonders aus der Vergangenheit, bedrückt und bekümmert. Wenn, ich mich in die Vergangenheit versenke, dann blinkt mir immer ein heller Strahl entgegen, die Großmut meiner Schwester, die mich nicht vergaß, als mich jedermann vergessen hatte, die mir Hilfe und Beistand leistete, als mich alles verließ. Gott segne Dich nach wie vor dafür, Schwester! »Als mein Mann in sein väterliches Erbe trat, führte er mich in seine Familie als«die Tochter eines vornehmen schottischen Edelmannes ein, der zur Zeit der Unabhängigkeitskämpfe aus dem Lande verwiesen worden sei und mich in einem Kloster habe erziehen lassen. Lange genug, um solche Rolle wahrscheinlich zu machen, habe ich ja in solcher Klausur verlebt. Treffe ich aber einmal mit einem Schotten zusammen und werde ich über die Familien gefragt, die an jenen Unruhen mitbeteiligt waren, dann beschleicht mich immer ein schreckliches Gefühl von Angst, daß ich mich verraten könnte, besonders wenn ich sehe, wie sein Auge sich dann auf mich richtet. Bis jetzt haben ja Courtoisie und Bonhommie mich vor allzu dringlichen Fragen bewahrt; aber sollte ich hierdurch Schmach über ihn bringen, so sagt mir mein Gefühl, daß er mich hassen würde, daß er mich, so innig er mich auch liebt, verstoßen, wenn nicht töten würde, denn er ist auf die Ehre seines Hauses jetzt ebenso eifersüchtig, wie sie ihm einst gleichgültig war. »Ich bin schon vier Monate lang m England und habe Dir schon oft schreiben wollen; fürchtete mich aber vor der Gefahr, daß ein Brief aufgefangen werden könnte, und unterließ es noch immer. Jetzt aber muß ich es auf diese Gefahr ankommen lassen. Vorige Woche lernte ich nämlich den Herzog v. A. kennen; er wurde mir vorgestellt und machte mir in meiner Loge seine Aufwartung. Eine Szene in dem Theaterstücke brachte ihm Dich in Erinnerung. Und denke Dir! er erzählte nun allen, die mit in der Loge waren, das Heldenstück Deiner schwesterlichen Aufopferung! Hätte er geahnt, daß er in mir jene Elende vor sich hatte, über die er nicht mit den zartesten Reden herzog, wer weiß, was dann noch gekommen wäre! Welche Qualen ich dabei litt, kann ich Dir nicht beschreiben. Eine Zeitlang habe ich sie ertragen; dann aber überstieg es meine Kräfte, und eine Ohnmacht umfing mich. Sie wurde der in dem Räume herrschenden Hitze beigemessen,, von manchen auch meiner großen Teilnahme an dem Schicksale des unglücklichen Mädchens. Und ich, ich vollendete Heuchlerin ließ beides gelten . , O! ein Glück, daß »Er« nicht dabei war! Aber die Begebenheit blieb nicht ohne Folgen. Ich sehe Deinen Freund jetzt öfter, und niemals unterläßt er es, von E. D., J. D., von R. B. und D. D. zu reden, die so glücklich gewesen seien, mein Interesse in so hohem Maße zu fesseln. Und das alles wird mir gesagt in jenem gräßlichen Tone zeremonieller Seichtheit, in dem sich die »Hautvolée«, über die tragischsten Vorkommnisse zu unterhalten pflegt. In der ersten Unterhaltung mit dem Herzoge kamen die Dinge Schlag auf Schlag, und jetzt, jetzt martern mich Nadelstiche langsam zu Tode. »Der H. v. A. gedenkt im nächsten Monat Schottland zu besuchen, weil er dort jagen will. Wie er sagt, nimmt er im Pfarrhause von R. B. regelmäßig die Mahlzeiten ein. Sei also auf Deiner Hut, Jeanie, falls er die Rede auf mich bringen sollte, und laß Dir nicht etwa was merken! Wiederum ruht E.'s Leben in Deiner Hand, Du getreue Schwester! Wieder sollst Du sie beschützen, damit ihr das fremde Gefieder nicht ausgerupft werde! damit sie nicht entlarvt, nicht gebrandmarkt werde von eben dem, der sie auf die erste Stufe zu dem glitzernden Gipfel hinaufführte, auf dem sie jetzt steht... Was ich Dir beifüge, Jeanie, lehne nicht ab; ich nehme es von meinem Nadelgelde, und ich will es Dir hinfort zweimal im Jahre senden... Ist's Dir recht, so kann ich es, ohne mir wehe zu tun, verdoppeln. Bei Dir kann das Geld wohl nützliche Zinsen bringen... bei mir nie! Schreib mir recht bald, Jeanie! Sonst schwebe ich in der schrecklichsten Angst, daß diese Zeilen in unrechte Hände gefallen sein könnten... Adressiere die Antwort nur an L. S. und lege sie ohne eine begleitende Zeile in einen Umschlag, den Du an Seine Hochwürden George Whiterose, Pfarrer zu York, richtest. Er befindet sich in der Meinung, ich stände mit einem jakobitischen Verwandten vom Hochadel in Schriftwechsel. Wüßte er, daß er den Brief nicht für Euphemia Seton aus dem hohen Hause von Winton besorgt, sondern für E. D., eines presbyterianischen Viehpächters jüngste Tochter: wie würde das dem geistlichen Herrn in die Glieder fahren! Ich glaube, die Röte der Entrüstung wiche wochenlang nicht von seiner echt jakobitischen Wange! O, Schwester! Du siehst, ich kann noch immer einmal lustig sein; aber, Kind! Gott schütze Dich vor solcher Lustigkeit! – Der Vater – Dein Vater, Jeanie, wollte ich schreiben, – möchte es vergleichen mit dem Prasseln dürren Dorngestrüpps, aber die Dornen verbrennen dabei nicht mit, sondern bewahren ihre Spitzen. Lebe wohl, Jeanie! Zeige den Brief niemand, auch Deinem Manne nicht! Ich achte ihn gewiß hoch; aber er ist ein Mann von strengen Grundsätzen, und meine Situation verträgt keine Strenge... Mit treuer schwesterliche Liebe Deine E.« Es war gar manches, was in dem langen Briefe Frau Butlers Staunen sowohl als Schmerz wachrufen konnte. Was ihr aber tatsächlich in dem Briefe mißfiel, war die Selbstsucht, die aus manchen Sätzen sprach, und die sie zu dem Schlusse brachte, daß Effie vielleicht auch jetzt nichts von sich hätte hören lassen, wenn es ihr nicht darum zu tun wäre, dem Herzog von Argyle ihre niedrige Herkunft zu verheimlichen. »An sich,« sagte Jeanie traurig, »hat ja doch Effie immer mehr als an andere gedacht!« Dann war es die Geldsumme, die Effie beigelegt hatte. »Fünfzig Pfund! Sieht es nicht aus, als wollte sie mich damit beschwichtigen oder gar bestechen? Wir haben doch, was wir brauchen, und daß ich ihr für alle Schätze Londons kein Leid antun möchte, dessen kann sie sich doch versichert halten. Aber mit meinem Manne muß ich darüber reden. Was sie von diesem redlichen Herzen zu befürchten hätte, wüßte ich nicht; bloß den lärmigen Hauptmann will ich zuvor aus dem Hause lassen«. Sie ging zur Tür, blieb aber auf der Schwelle stehen und drehte sich um.. »Ich weiß wahrhaftig nicht, wie mir zu Mute ist,« sagte sie, »so töricht, mich darüber zu ärgern, daß Effie eine vornehme Dame, ich aber bloß eine Pfarrersfrau geworden, bin ich doch wahrlich nicht, und doch verdrießt es mich, während ich doch vielmehr dem lieben Gott dankbar sein sollte, daß er sie aus Not und Schande erlöst hat!« Es gelang ihr aber, die Empfindung von Unmut zu bekämpfen, die in ihr aufgestiegen war, und sie begab sich in das kleine Wohnzimmer zurück, wo ihr Mann und Knockdunder eben ihr Spiel beendigten. Der letztere bestätigte, was der Brief ihr gemeldet hatte, daß die Ankunft Seiner Herrlichkeit in den nächsten Tagen zu erwarten sei. »Es wird eine gute Jagd setzen, denn an Wildbret mangelt es, Gott sei Dank! in Auchingower noch immer nicht, und soweit ich unterrichtet bin, gedenkt der Herr, wie es immer seine Gewohnheit war, im Pfarrhause zu speisen.« – »Ich denke, das Recht dazu möchte ihm wohl niemand bestreiten wollen,« versetzte Frau Butler. – »Freilich, freilich, Frau Pfarrerin! Aber ich meine, Ihrem Vater sagten Sie doch vielleicht lieber, daß er sein Vieh in Ordnung hielte und auf ein paar Tage seinen presbyterianischen Kram an den Nagel hinge; denn kein Wort darf man gegen die Biester fallen lassen, ohne daß er einem mit einem Worte aus der Bibel Antwort gibt und unter Männern, wenn nicht gerade einer davon ein Pfaffe ist, schmeckt einem so etwas doch ein bißchen herb und sauer.« ' In der andern Woche traf, wie Effie geschrieben, der Herzog auf Roseneath ein und meldete sich in der Pfarrei als Gast an; schon bei dem ersten Mittagessen, das er dort einnahm, brachte er gleich die Rede auf Lady Staunton von Willingham in Lincolnshire und erzählte von dem Aufsehen, das ihr Witz und ihre Schönheit in London wachriefen. Jeanie hatte sich doch anders besonnen, als Hauptmann Knockdunder in seiner »sechsspännigen Equipage« wieder abgefahren war. Sie hatte sich gesagt, daß es ein gar zu schreckliches Geheimnis sei, das sie ihrem Manne offenbaren müsse, wenn sie ihn von dem durch den Hauptmann ihr überbrachten Briefe Kenntnis geben wolle. Wie konnte sie wissen, ob er es mit seinem geistlichen Berufe für vereinbar halte, dasselbe in seinem Heizen zu verschließen? Daß Effie mit jenem schrecklichen Robertson entflohen sei, mußte er ja ohnehin annehmen, aber davon, daß dieser Robertson identisch sei mit Georg Staunton, der eine solche Stellung jetzt in der englischen Gesellschaft einnahm, davon wußte er nichts, und das ahnte er auch gewiß nicht! Darum hielt sie es für richtiger, dem Manne gegenüber reinen Mund zu halten: das Geld wollte sie erst zurückschicken, entschied sich aber später ebenfalls anders, indem sie sich vornahm, es auf die Erziehung der Kinder zu verwenden. Die Worte des Herzogs trafen sie also in mancher Hinsicht nicht unvorbereitet; in anderer Hinsicht aber überraschten sie dieselben. Nie hätte sie für möglich gehalten, daß Effie in ihrer Bildung es so weit bringen werde, daß sie die Aufmerksamkeit der Londoner Gesellschaft, wie der Herzog sagte, damit wachrief; war es ihr doch nicht bekannt, daß man in den höheren Ständen über die Menschen ebenso gern herzieht, wie in den unteren Klassen. Der Herzog bemerkte vielleicht einen Zug von Ungläubigkeit in dem Gesichte der Frau Pfarrerin, denn er setzte jetzt hinzu: »O, wie ich Ihnen sage; sie war im vergangenen Winter die gefeiertste Schönheit, der leuchtende Stern! Keine Dame, die beim Geburtsfeste Seiner Majestät zur Cour erschien, konnte mit ihr wetteifern!« »Wie zur Cour? Wie bei Hofe?« und Jeanie dachte der Audienz, die sie selbst bei der Königin gehabt, und all die seltsamen Umstände, unter denen sie sich vollzogen hatte, zogen noch einmal an ihrem Geiste vorüber. »Ich spreche nur darum Ihnen gegenüber von dieser Dame,« bemerkte der Herzog, »weil mich der Klang ihrer Stimme und der Schnitt ihres Gesichts in so eigentümlicher Weise an Sie erinnerte, Frau Butler; aber wenn Sie so bleich aussehen wie heute, dann verliert sich dieser Zug von Ähnlichkeit. Sie haben sich gewiß zu sehr angestrengt um meinetwillen, Frau Butler. Ich muß Sie deshalb schon bitten, mir mit einem Gläschen Wein Bescheid zu tun.« – Während sie der Aufforderung des Herzogs nachkam, meinte Reuben, es sei für eine schlichte Predigersfrau doch eine gar nicht so unverfängliche Schmeichelei, durch herzogliche Durchlaucht mit einer Schönheit bei Hofe verglichen zu werden. – »Ei, ei! Herr Pfarrer, Sie werden doch nicht etwa eifersüchtig? Damit kämen Sie aber ein bißchen zu spät; denn ich gehöre ja schon geraume Zeit zu den Verehrern Ihrer lieben Frau. Aber im Ernste, zwischen den beiden Damen besteht Aehnlichkeit, und zwar eine jener unerklärlichen Ähnlichkeiten, die man in Gesichtern findet, die, sich doch eigentlich nicht ähnlich sehen.« – Jeanie mochte fühlen, daß es einen ungünstigen Eindruck auf den Herzog machen müßte, wenn sie sich aller Aeußerung zu der Frage enthielte, und meinte, die Aehnlichkeit könne vielleicht mehr in dem Anklange des hochländischen Idioms liegen als im Aussehen oder doch den Eindruck desselben wesentlich beeinflussen. – »Sie dürften mit dieser Meinung den eigentlichen Kernpunkt getroffen haben,« erwiderte der Herzog, »die Dame, ist tatsächlich Schottin und spricht auch das Englische mit schottischem Accent, ja hin und wieder passiert es ihr, daß ihr eine echt provinzielle Wendung entschlüpft, was sich aber immer wie lauter Poesie anhört. – »Ich hätte gemeint,« warf Reuben Butler dazwischen, »daß die vornehme Welt eine Redeweise, die sich nicht frei von provinziellen Wendungen zu halten weiß, für vulgär ansieht?« – »Nicht im geringsten, lieber Herr Pfarrer, nicht im geringsten,« antwortete der Herzog, »denn Sie dürfen nicht etwa meinen, die Dame spräche jenes grobe schottische Platt, das man in den Edinburger Vorstädten hört... Meines Wissens hat die Dame überhaupt nur wenig in Schottland gelebt, sondern ist in einem ausländischen Kloster erzogen worden. Sie spricht das reine, vornehme Schottisch, das zu meiner Jugendzeit am Hofe gesprochen wurde, aber jetzt leider so außer Gebrauch gekommen ist, daß es einen wie fremdartig anmutet, wenn man es noch einmal hört.« So große Beklommenheit Jeanie fühlte, konnte sie sich doch nicht genug wundern, wie sich auch ein so feiner Kenner der gesellschaftlichen Verhältnisse wie der Herzog von Argyle von einer vorgefaßten Meinung so vollständig beherrschen lassen konnte. Der Herzog aber fuhr fort: »Die Dame entstammt dem vom Unglück schwerverfolgten Geschlechte der Wintons. Infolge ihrer im Auslande vollendeten Erziehung ist sie jedoch mit ihrem Stammbaume nicht recht vertraut, und begrüßte es recht dankbar, als ich ihr sagte, daß sie ein Seton von Windygout sei. [Vergleiche hierüber den Roman »Der Abt« von Walter Scott.] Ich hätte Ihnen gewünscht, die Röte zu sehen, die infolge dieser Belehrung ihre Wangen färbte. Ich wurde an die Rose erinnert, die verborgen und ungepflückt im keuschen Schatten eines Klostergartens blüht.« »Ut flos in septis secretus nascitur hortis« [Wie das Blümchen erblüht, versteckt im umfriedeten Garten], konnte der an klassischen Sentenzen reiche Pfarrer sich nicht erwehren, aus Catull zu zitieren, während die Frau Pfarrerin es kaum für möglich halten konnte, daß sich alle die Reden und Worte auf ihre einst so unglückliche Schwester beziehen sollten. Sie meinte jedoch, die Gelegenheit, die sich ihr so unerwartet bot, über Effies Verhältnisse einiges Nähere zu erfahren, wahrnehmen zu sollen, wenn auch nur, um sich über die bangen Sorgen hinwegzutäuschen, in die sie durch die Aeußerungen des Herzogs versetzt wurde; darum wagte sie einige Fragen nach dem Gemahl der Dame, die Seine Herrlichkeit in so hohem Maße interessierte. »Es ist ein sehr vermögender Herr, und ein Herr aus sehr altem vornehmen Geschlecht,« erklärte der Herzog, »auch ein Herr natürlich, der über ein sehr feines und vornehmes Benehmen gebietet. Es läßt sich indessen von ihm nicht sagen, daß er in der Gesellschaft die gleiche Beliebtheit besäße wie seine Gemahlin. Manche meinen wohl, daß er ein sehr angenehmer Gesellschafter sei; ich habe ihn als solchen jedoch noch nie kennen gelernt; auf mich hat er immer nur den Eindruck eines finstern, verschlossenen Mannes gemacht. Er soll eine stürmische Jugend hinter sich haben, ist auch nicht im Besitz einer sonderlich festen Gesundheit; immerhin gilt er noch immer als ein stattlicher und auch schöner Herr, der übrigens,« sagte er, zu dem Pfarrer sich wendend, »mit Ihrem Oberkirchenrat in sehr freundlichen Beziehungen steht.« – »Dann hätte er sich ja des Umganges eines unserer würdigsten Herren vom schottischen Adel zu erfreuen,« bemerkte Reuben Butler. »Verehrt er seine Gattin auch, wie es die Gesellschaft, Ihren Worten nach, Durchlaucht, tut?« fragte Jeanie schüchtern. – »Sir George? Nun, man sagt, er liebe sie abgöttisch,« erwiderte der Herzog. »Indessen habe ich wohl schon, wenn er das Auge auf sie richtet, ein leichtes Erbeben ihrer Züge bemerkt, und das erachte ich für kein sonderlich gutes Zeichen. Ich kann mich aber wirklich gar nicht beruhigen über die eigentümliche Aehnlichkeit, die zwischen Ihnen, Frau Pfarrerin, und Lady Staunton vorwaltet, im Blick sowohl als in der Stimme. Man könnte wirklich schwören darauf, sie müßten Schwestern sein.« Jetzt war es Jeanie nicht mehr möglich, die Unruhe, die sie quälte, in sich zu verschließen. Der Herzog, bestürzt über die Wirkung seiner Worte, war gutmütig genug, dies auf Rechnung der Erregung zu setzen, in die sie durch seine Unvorsichtigkeit, sie an ihre unglückliche Schwester zu erinnern, geraten war, und wechselte, durch ein Taktgefühl verhindert, sich zu entschuldigen, was das Uebel nicht gebessert, sondern nur verschlimmert hätte, das Thema, indem er einige Differenzen zwischen dem Geistlichen und Hauptmann von Knockdunder erörterte, dem er seinerseits nicht abstreiten wollte, daß er sich nach bestem Wissen und Können befleißige, ihn schicklich zu vertreten, während er ihn anderseits von einer gehörigen Portion Eigensinn und Heftigkeit nicht freizusprechen vermochte. Reuben Butler erwiderte, daß sich weder gegen das eine, noch gegen das andere etwas sagen ließe, nur sei es zu wünschen, daß sich der Hauptmann im Weingenuß Mäßigung auferlegen, wenigstens in solcher Stimmung nicht allzu derb über die Stränge schlagen möchte; und nun lenkte die Unterhaltung der beiden Herren auf Kirchspielangelegenheiten hinüber, mit denen wir den freundlichen Leser nicht zu behelligen brauchen. Vierundzwanzigstes Kapitel Die Schwestern blieben nun, unter Beobachtung der äußersten Vorsicht, in schriftlichem Verkehr, wie es Effie in ihrem Schreiben gesagt hatte. Lady Staunton klagte jedesmal, daß ihr Gemahl mehr und mehr in Hypochondrie verfalle, und daß sie vor allem sich über ihre Kinderlosigkeit nicht hinwegsetzen könne. Ihr Mann könne sich mit seinem nächsten Leibeserben gar nicht gut stehen, da er denselben im Verdacht habe, unter der übrigen Verwandtschaft gegen ihn zu agitieren, und hätte sich wiederholt verschworen, lieber ganz Willingham einer wohltätigen Stiftung zu vermachen, als ihm einen Stein davon zukommen zu lassen. »Hätte mein Mann Kinder,« schrieb sie, »oder wäre nur jenes arme Wesen am Leben geblieben, um dessentwillen ich soviel und schwer gelitten, dann hätte er doch etwas, was ihn ans Leben fesselte, was ihm das Dasein lieb und wert machte. Aber der Himmel versagt uns solchen Segen, und es muß wohl sein, daß es uns seiner nicht für wert befindet.« Aus den hohen, weiten Hallen des Willinghamer Schlosses drangen die fruchtlosen Klagen hinüber in das stille, gemütvolle Pfarrhaus zu Knocktarlitie, und Jahre um Jahre flossen darüber hin. Von allen tief, am tiefsten aber von Reuben Butler und seiner Frau bedauert, starb anno 1743 John, Herzog von Argyle und Greenwich. Standen sie auch seinem Bruder und Erben, dem Herzog Archibald, nicht so nahe wie ihm, so trat doch in ihr Verhältnis keinerlei Aenderung, sondern der Schutz, den ihnen Sir John gewährt, blieb auch unter Sir Archibald bestehen. Er tat ihnen aber auch nötiger denn je, da nach dem unglücklich verlaufenen Putsche des Prätendenten Charles Stuart und seiner Niederlage bei Culloden in den beiden Jahren nach dem Tode Sir Johns Ruhe und Frieden in den an die Hochlande grenzenden Distrikten noch geraume Zeit gestört blieben. In den Felsenklüften von Perth, Stirling und Dumbarton rottete sich allerhand Gesindel zusammen, das die romantischen Bergtäler und das Unterland zum Schauplatze seiner Räubereien und Plünderungen machte. Die Hauptgeißel von Knocktarlitie war der unter dem Namen Donacha Dhuna Dunaigh oder schwarzer Duncan bekannte Räuber, dessen bereits flüchtig in dieser Erzählung gedacht worden. Von Haus aus Kesselflicker, gab er während des in Schottland wütenden Bürgerkrieges sein wenig lohnendes Gewerbe auf und wurde Hauptmann einer Räuberbande. Er war ein kräftiger Mann, kühn und verschlagen und im Hochlande mit jedem Passe, jeder Kluft und Schlucht vertraut. Daß Duncan von Knockdunder seinem Namensvetter, sobald er es ernstlich gewollt hätte, das Handwerk hätte legen können, davon war jedermann überzeugt, gab es doch im Kirchspiel junger, kräftiger Burschen genug, die dem Herzog in den Krieg gefolgt waren und sich ausgezeichnet geschlagen hatten. Man meinte aber, es müsse Donacha irgendwie geglückt sein, sich der Gunst Knockdunders zu versichern, und besonders bestärkt wurde man in dieser Meinung durch den Umstand, daß David Deans' Viehherden von seiten des Räubers verschont blieben, wahrend dem Pfarrer alle Kühe weggetrieben wurden. Bei einem neuerlichen Ueberfall entschloß sich Reuben, sein friedliches Amt zu verleugnen und an der Spitze einiger Nachbarn den Räubern ihre Beute wieder abzujagen. Natürlich ließ es sich der greise David Deans nicht nehmen, trotz seines hohen Alters seinen Schwiegersohn auf diesem Zuge zu begleiten, und auf seinem hochländischen Klepper, mit dem breiten Schwert an der Seite, glich er ganz David, dem Sohne Jesses, als er wider die Amalekiter zog. Donacha Dhuna Dunaigh wurde durch Reuben und David Deans, wenn auch nicht festgenommen, so doch dermaßen eingeschüchtert, daß er sich geraume Zeit nicht mehr ins Kirchspiel wagte, sondern seine Raubzüge nach entfernteren Distrikten verlegte. Aber vor seinem Namen herrschte noch Furcht und Schrecken bis über das Jahr 1751 hinaus; in diesem Jahre aber wurde, wenn ihn die Scheu vor dem zweiten David zurückgehalten hatte, dieser Zwang durch das Schicksal von ihm genommen, indem in diesem Jahre der ehrwürdige Patriarch zu seinen Vätern versammelt wurde. Reich an Jahren und Ehren, ging David Deans zum Himmel ein. Sein Geburtsjahr kannte niemand; da er sich aber mancher Vorgänge erinnerte, die mit der Zeit nach der Schlacht an der Brücke von Bothwell zusammenfallen, ist der Schluß erlaubt, daß er über neunzig Jahre alt geworden. Dankbar für den ihm durch die Vorsehung während seines Wandels durch dieses Tränen- und Sündental gespendeten Segen, entschlief er in den Armen seiner geliebten Tochter Jeanie, für deren ferneres Wohl er ergreifende Gebete zum Himmel sandte. Lange hörte man ihn dann noch murren über den Verfall der Zeiten und ähnliche Dinge; aber wie die greise May Hettly meinte, schien er nicht mehr recht bei sich und führte solche Reden nur, weil sie ihm zur Gewohnheit geworden waren; sein Ende war ganz das eines frommen Christen, der im Frieden mit seinem Gott, seinem Gewissen und seinen Brüdern selig im Herrn entschläft. Für Jeanie war es, wenn auch kein unerwarteter, so doch ein recht schwerer Schlag, hatte sie doch seiner Pflege einen großen Teil ihrer Zeit gewidmet und war es ihr doch, als der Greis nicht mehr unter den Lebenden weilte, ganz zu mute, als sei ihre Aufgabe hienieden zu einem nicht unwesentlichen Teile erfüllt. Er hinterließ ein bares Vermögen von 1500 Pfund Sterling, das nicht wenig zur Erhöhung des Wohlstandes der kleinen Pfarrersfamilie beitrug; über die vorteilhafteste Art, dieses Vermögen anzulegen, stellte Reuben die verschiedensten Erwägungen an, fand aber nichts Besseres, als das kleine, knapp zwei Stunden vom Pfarrhause gelegene Gut Craigsture zu kaufen; nur sagte er, daß sein jetziger Eigentümer zweitausend Pfund dafür verlange und schwerlich darein willigen werde, tausend Pfund als Hypothek darauf stehen zu lassen. »Das Geld von anderer Seite zu leihen,« schloß er, »will mir nicht gefallen, denn jedem Gläubiger kann es einfallen, es plötzlich zurückzufordern, oder es könnte Dich, liebe Frau, wenn mich ein schneller Tod ereilen sollte, in ernstliche Verlegenheit setzen.« »Wir könnten aber, wenn wir mehr Geld hätten,« fragte Jeanie, »das schöne Weideland, auf dem das Gras schon so früh ergrünt, kaufen?« – »Freilich könnten wir das,« erwiderte Reuben, »und Hauptmann Knockdunder, dessen Neffe freilich Verkäufer ist, rät auch dazu; aber ...« – »Nun, Reuben,« antwortete Jeanie, »wie Du einst nach einem Spruch in der Bibel schautest und das Geld, das Dir not tat, fandest, so schlage auch heute wieder jenen Spruch auf.« – Er drückte ihr lächelnd die Hand und sagte: »Ach, Jeanie, Wunder können auch die besten Menschen in dieser Zeit nur einmal verrichten.« »Nun, so laß uns doch 'mal sehen,« lautete Jeanies schlichte Antwort, worauf sie in das Kämmerlein trat, worin sie den Honig, das Eingemachte, den Zucker und die kleine Hausapotheke aufbewahrte. Dort zog sie hinter einem dreifachen Bollwerk von Töpfen, Krügen und Flaschen einen zerbrochenen irdenen Topf vor, der mit einem Stück Leder zugebunden war und allerhand beschriebenes Papier, achtlos übereinander geschoben, enthielt. Dazwischen lag die alte Bibel ihres Vaters, die er ihr in früheren Jahren, als ihn die zunehmende Augenschwäche zum Kauf einer mit größeren Typen gedruckten nötigte, geschenkt hatte. Die Bibel brachte sie ihrem Manne. Reuben sah sie betroffen an, da er sich nicht erklären konnte, in welchem Zusammenhange das heilige Buch mit der Geldfrage, die sie beschäftigte, stehen sollte. Jeanie aber sagte ihm, er möchte es doch aufschlagen, und als Reuben ihrer Aufforderung folgte, sah er mit Erstaunen, daß aus den Blättern, die er wandte, verschiedene Fünfzigpfund-Noten auf die Erde flatterten. »Ich hatte mir vorgenommen, lieber Mann,« sagte Jeanie, lächelnd über das verdutzte Gesicht ihres Mannes, »Dich erst auf meinem Sterbelager oder in einem Falle der äußersten Not von der Existenz dieses kleinen Schatzes zu unterrichten; wozu soll er aber hier in solchem Scherben nutzlos modern, wenn er uns zum Erwerb solch nutzbringenden Grundbesitzes dienen kann?« »Aber, Jeanie, wie kommst Du zu solchem Vermögen?« rief er, die Scheine zählend, »es sind wahrhaftig mehr als zweitausend Pfund!«–»Und wären es zehntausend, Reuben,« antwortete Jeanie, »so laß Dir mit dem Bescheide genügen, daß es redliches Eigentum ist. Frage mich nicht, wie es in meinen Besitz gekommen ist, Reuben; das Geheimnis seiner Herkunft gehört nicht mir allein, sonst wüßtest Du schon lange darum.«–»Aber darauf gib mir Antwort, Jeanie: Ist es wirklich Dein rechtliches und unbestrittenes Eigentum? Eigentum, über das Dir volles Verfügungsrecht zusteht, auf dessen Besitz niemand außer Dir ein Anspruch zusteht?« »Es war mein Eigentum, gehört aber, nachdem ich meinem Rechte gemäß darüber verfügt habe, von jetzt ab Dir, Reuben; Du bist nun auch ein Bibel-Butler, wie Dein Großvater, den mein Vater, Gott hab ihn selig! nie im Leben hat leiden mögen. Bloß einen Wunsch möchte ich äußern, daß nämlich, nach unserm Heimgange, unsre Femie mehr davon bekäme als die beiden Jungen.«–»So soll es auch gehalten werden, liebe Frau,« versetzte Reuben; »aber nun sage mir bloß, wie kommst Du darauf, Deinen Schatz gerade in der Bibel zu verstecken?«–»Hm, das mag einer von meinen, wie Du sie immer nennst, altmodischen Angewohnheiten sein,« antwortete Jeanie; »aber so ganz unrecht mag ich doch wohl nicht gehabt haben, wenn ich der Meinung war, Donacha Dhu hätte, wenn er 'mal bei uns eingebrochen wäre, wohl zu allerletzt in der Heiligen Schrift nach Geld gesucht!« – Reuben sah sie lächelnd an; sie aber fuhr fort: »Von jetzt ab werde ich aber, falls Dir wieder Geld zufließen sollte, es immer gleich Dir in die Hände geben; bewahre Du es dann auf, wo es Dir am sichersten zu sein scheint.« – »Und ich soll nicht fragen, woher das Geld rührt?« – »Nein, Reuben, das versprich mir! Denn würdest Du mich aufs Gewissen fragen, so würde ich es Dir sagen, Du würdest mich aber zu einer Handlung bestimmen, die ich für ein Unrecht an dem Geber halten müßte.« – »Und das Geld verpflichtet Dich zu nichts?« – »Nein, Reuben, zu nichts; es braucht nicht zurückerstattet zu werden.« Er überzählte das Geld noch einmal, und als er sich nochmals überzeugt hatte, daß ihn weder Traum noch Täuschung äffe, rief er: »Nun, das muß ich sagen, noch nie hat Gott einem Manne ein Weib beschert wie mir! Denn ihr folgt in allem der himmlische Segen!« Schnell verbreitete sich in der Gegend die Nachricht, daß Pfarrer Butler das Gut Craigsture gekauft habe. Manche gratulierten ihm dazu; andere beklagten, daß das Gut nicht länger in dem Besitze der Familie bliebe, die es jahrhundertelang bewirtschaftete. Die Pfarrer des Kirchspiels aber benutzten den Umstand, daß Reuben Butler, wegen der Ueberschreibung des Besitztitels, nach Edinburg reisen mußte, ihn zu der alljährlich im Mai stattfindenden Synodal-Versammlung als ihren Vertreter zu entsenden. Fünfundzwanzigstes Kapitel Kurze Zeit nach der für Reuben Butler so großen Ueberraschung durch Jeanies Reichtum sollte die launische Göttin Fortuna sich auch gegen Jeanie selbst hold erweisen. Reuben hatte in der Voraussicht, daß sich seine Geldgeschäfte nicht so schnell erledigen würden, daß er bis Ende Mai wieder zurück sein könnte, schon zu Ende Februar Knocktarlitie verlassen. Als Jeanie nun ein paar Tage darauf im Oberstock ihres Hauses nach dem Rechten sah, hörte sie unten zwischen den Kindern Streit, der bald so laut wurde, daß sie sich hinunter begab, ihn zu schlichten. Femie, die nun bald zehn Jahre alt war, klagte die beiden Brüderchen an, daß sie ihr ein Buch hätten fortnehmen wollen, wogegen David der ältere geltend machte, das Buch passe sich für Femie noch nicht, und Reuben der jüngere altklug beifügte: »es stünde was darin von einem bösen Weibe.« »Und wo hast Du das Buch her, Femie?« fragte die Mutter; »an Vaters Büchern darfst Du Dich doch nicht vergreifen, wenn er nicht da ist?« –Aber Femie ihrerseits beteuerte, einen Bogen Papier in den Händen zerknüllend, es sei ja gar keins von Vaters Büchern, sondern nur Papier, das May Hettly von dem großen Käse abgenommen habe, der von Inveravy herübergeschickt worden; zwischen Jungfer Dolly Dutton, die inzwischen zu einer Frau Mac Corkindale aufgerückt war, und ihrer einstigen Reisegefährtin Jeanie hatte sich nämlich ein freundschaftliches Verkehrs-Verhältnis herausgebildet, das durch Austausch kleiner Aufmerksamkeiten warm gehalten wurde. Jeanie nahm ihrem Töchterchen den zerknüllten Bogen aus der Hand, um sich über seinen Inhalt zu vergewissern, schreckte aber förmlich zusammen, als sie beim ersten Blicke las: »Die merkwürdige Beichte der Margarethe Max Craw oder Murdockson, die sie am Tage ihrer Hinrichtung Anno 1737 auf dem Harabeeberge bei Carlisle vor allem Volke hielt.« Es war eines von den Zeitungsblättern, die Archibald, wie seinerzeit erwähnt, bei einem Krämer aufgekauft, und die Dolly Dutton aus Sparsamkeit zur Ausfütterung ihres Reisekoffers verwendet, jetzt aber zufälligerweise zum Einpacken des Käselaibes benutzt hatte. Schon dieser Titel reichte hin, Jeanies Aufmerksamkeit zu fesseln; der Inhalt selbst aber erschien ihr so wichtig, daß sie die Kinder sich selbst überließ und die Treppe hinauf in ihr Schlafzimmer eilte, um dort ohne Störung lesen zu können. – In der Druckschrift stand, Margarethe Murdockson sei wegen Raubes und Mordes vor zwei Jahren, begangen in Gemeinschaft mit dem berüchtigten Frank Levit und Thomas Tuck, gewöhnlich Tyburn Thoms genannt, zum Tode durch den Strang verurteilt und hingerichtet worden. Dann folgte eine kurze Beschreibung ihres sündigen Lebenslaufes, auf Grund der von ihr vor Gericht gemachten Aussagen, aus welchen Jeanie vor allem interessierte, daß sie ein Jahr vor ihrem Tode in der Vorstadt von Edinburg gewohnt habe, daß ihr dort ein Mädchen zur Pflege übergeben worden sei, das einem Kinde männlichen Geschlechts das Leben gegeben habe. Dieses Kind sei von ihrer Tochter, die seit dem Verlust ihres eigenen Kindes nicht mehr recht bei Verstande gewesen, gleich nach der Geburt fortgetragen worden, in dem Wahne, es sei ihr Kind, dessen frühen Tod sie sich nie habe einreden lassen wollend – Eine Zeitlang habe sie nun geglaubt, ihre Tochter habe das fremde Kind in einer Anwandlung von Wahnsinn umgebracht; sie, habe diese Vermutung auch dem Vater des Knaben gegenüber geäußert. Später aber habe sie in Erfahrung gebracht, daß eine Zigeunerin ihrer Tochter das Kind abgenommen habe. Endlich also hielt Jeanie den unbestreitbaren Beweis für ihrer Schwester Unschuld an dem Morde ihres Kindes in der Hand! Hatten auch weder sie noch ihr Mann und ihr Vater Effie solcher Grausamkeit jemals für fähig gehalten, so hatte doch ein dunkler Schleier über dem Falle gelegen; und wer konnte wissen, ob nicht doch in einem Augenblick von geistiger Umnachtung das Schreckliche geschehen sei? – Es bedünkte sie nach einiger Ueberlegung für das richtigste, die Beichte dieses Weibes auf der Stelle ihrer Schwester zuzustellen, damit sich diese mit ihrem Manne über die Schritte, die hiernach zu unternehmen seien, beriete. Ungeduldig sah sie nun einer Antwort auf diese Benachrichtigung entgegen. Es verging aber längere Zeit, ohne daß eine solche eintraf, und sie begann schon zu befürchten, daß dies wichtige Zeugnis für Effies Unschuld in unrechte Hände gefallen sei. Da sah sie sich, als sie sich schon mit dem Gedanken trug, ihrem Manne über den Fall nach Edinburg zu schreiben, durch einen neuen Vorfall hiervon zurückgehalten. Sie ging am Morgen mit den Kindern am Ufer des Meerbusens spazieren, als der kleine David des Hauptmanns »Kutsche mit Sechsen« in der Ferne erspähte, die, wie er sagte, gerade auf sie zukäme, mit Frauen darin. Bald erkannte auch sie zwei weibliche Gestalten neben dem am Steuer befindlichen Hauptmanne. Um der Höflichkeit zu genügen, begab sie sich nach dem Landungsplatze, wo der Hauptmann inzwischen schon angelegt hatte und sich eben anschickte, den beiden fremden Damen beim Aussteigen zu helfen, von denen sich die größere, ältere auf die Schulter der andern lehnte, die augenscheinlich ihre Kammerfrau war. – »Frau Butler,« begann der Hauptmann wichtigtuerisch, »ich habe die Ehre, Ihnen hier Lady – Lady – ei, ich hab' Ihrer Gnaden Namen vergessen.« »Es hat nichts auf sich,« sagte die fremde Dame, »Frau Butler wird wohl nicht in Ungewißheit sein? Sie haben Ihr doch den Brief Seiner Herrlichkeit gestern abend übergeben, Herr?« fragte sie, nicht frei von Verdruß, als sie Jeanies Verlegenheit bemerkte. – »Nein, Euer Gnaden, ich bitte um Entschuldigung; aber es war gerade kein Boot zur Hand, und so dachte ich, es würde Zeit haben bis heute, weil ja Frau Butler immer zu Hause ist. Hier ist der Brief von Seiner Herrlichkeit.« »Geben Sie ihn her,« sagte die fremde Dame, »da Sie es gestern nicht für notwendig hielten, ihn zu besorgen, will ich es selbst tun.« Aufmerksam und mit ganz eigenartigen Gesinnungen betrachtete Jeanie diese Dame, die so streng und stolz mit einem Manne wie Knockdunder sprach, der dieser sonst so störrische, ja grobe Vertreter herzoglicher Jurisdiktion jetzt förmlich demütig den Brief überreichte. Sie war von etwas über Mittelgröße, neigte ein wenig zur Fülle, wies aber trotzdem ein schönes Ebenmaß auf; ihr Wesen war frei und vornehm und schien auf edle Abkunft und ständigen Umgang mit den besten Kreisen der Gesellschaft zu deuten. Sie trug ein Reisekleid, einen Biberhut und einen Schleier von Brüsseler Spitzen. Zwei Lakaien in reicher Livree stiegen mit ihr aus der Barke, blieben aber in einigem Abstande hinter ihr, Reisekoffer und Mantelsack in den Händen haltend. »Da Sie den Brief nicht erhalten haben, der mir als Einführung bei Ihnen dienen sollte, Frau Pfarrerin – Sie sind doch Frau Butler, nicht wahr? – so will ich ihn nun erst abgeben, nachdem ich gesehen, daß Sie mir auch ohne ihn den Willkomm nicht versagen.« – »Ihnen den Willkomm zu verweigern, wird sich Frau Butler, gnädigste Frau, wohl nicht einfallen lassen,« sagte Hauptmann Knockdunder; »Frau Butler,« setzte er hinzu, »dies ist Lady – Lady – diese vermaledeiten südlichen Namen wollen mir nicht in den Kopf; aber die gnädige Frau ist eine geborene Schottin, ich glaube aus dem Hause.« »Der Herzog von Argyle ist mit meiner Familie gut bekannt, Herr,« fiel ihm die Dame, mit einem Tone, der ihm Schweigen gebot, ins Wort. Jeanie kam sich vor, als durchlebte sie einen jener seltsamen Träume, die uns durch ihre täuschende Aehnlichkeit mit der Wirklichkeit schlimme Qual bereiten. Im Ton und im Wesen der fremden Dame lag etwas, das sie an ihre Schwester Effie erinnerte; und als dieselbe jetzt den Schleier lüftete, kamen Züge zum Vorschein, an die sich unsägliche Erinnerungen knüpften. Die Dame war wenigstens dreißig Jahre alt, konnte aber in der vornehmen Toilette gut und gern für einundzwanzig gehalten werden. Ihr Auftreten aber war so sicher und fest, und sie hielt sich so voll in der Gewalt, daß Jeanie, so oft sie eine neue Aehnlichkeit mit ihrer unglücklichen Schwester herausfühlte, eben so oft an ihren Mutmaßungen irre wurde. In maßloser Verwirrung, und ohne ein Wort zu sprechen, geleitete sie die Dame zum Pfarrhause, die der schönen Gegend, wie jemand, der mit Natur und Kunst gleich vertraut ist, volle Bewunderung schenkte. Endlich lenkten die Kinder ihre Aufmerksamkeit ab. »Zwei hübsche Knaben, wohl die Ihrigen, Frau Pfarrerin?« sagte sie. – Jeanie bejahte. Die Fremde seufzte, und seufzte wieder, als ihr die Namen der Knaben genannt wurden. – »Komm doch her, Femie,« sagte Jeanie, jetzt auch die Tochter vorstellend. – »Wie heißt sie eigentlich, Frau Pfarrerin?« – »Euphemia, gnädige Frau.« – »Ich dachte, die gewöhnliche Abkürzung sei Effie?« sagte die Dame in einem Tone, der Jeanie das Herz zerriß; denn in diesem einzigen Worte lag mehr von ihrer Schwester, mehr von alten, längstvergangenen Zeiten als in allen Erinnerungen, die Wesen und Züge der Dame bereits in ihr geweckt hatten. Im Pfarrhause angekommen, drückte die Dame ihr den Brief in die Hand und bat um etwas Milch. Frau Butler hieß die alte May Milch besorgen und eilte mit dem Briefe auf ihr Zimmer. Es waren zwei Schreiben in dem Umschlage. Das eine war vom Herzog von Argyle, der Frau Butler ersuchte, einer Freundin seines verstorbenen Bruders, Lady Staunton von Willingham, die eine Zeitlang in Roseneath zur Molkenkur verweilen wolle, während ihr Gemahl eine kleine Geschäftsreise in Schottland mache, freundliche Aufnahme zu gewähren. Das andere war von Lady Staunton selbst, die der Schwester schrieb, ihr Mann habe sich infolge ihrer Mitteilung vorgenommen, selbst nach Carlisle zu gehen und dort weitere Erkundigungen über die Murduckson einzuziehen. Seine Bemühungen seien nicht ganz erfolglos gewesen, sie habe ihn aber erst durch viele Bitten und das Gelöbnis strenger Verschwiegenheit zu der Erlaubnis, ein paar Wochen bei ihrer Schwester zuzubringen, bestimmen können. Jeanie eilte, als sie den Brief gelesen, die Treppe hinunter, halb von Furcht befangen, sich zu verraten, halb von dem heißen Verlangen erfüllt, der Schwester um den Hals zu fallen. Effie stand auf, als Jeanie eintrat, und sah sie liebevoll und doch warnend an – nahm auch, um aller Gefahr vorzubeugen, gleich das Wort, auf den Hauptmann zeigend, der sich inzwischen eingefunden hatte. – »Liebe Frau Butler, ich habe dem Herrn Hauptmann Knockdunder eben gesagt, daß ich lieber hier bleiben möchte als in Roseneath; da, wo die Ziegen weiden, sollen ja die Molken am kräftigsten wirken.« – »Ich habe der gnädigen Frau aber gesagt,« bemerkte Duncan, »daß sie drüben besser wohnen werde, und daß die Tiere herübergeholt werden könnten; es sei doch schicklicher, die Ziegen warten der gnädigen Frau auf, als umgekehrt.« – »Meinetwegen bemühen Sie die Ziegen nicht,« sagte Lady Staunton; »zumal ich überzeugt bin, hier bessere Milch zu bekommen.« Sie ersuchte ihn kurz und bündig, ihr Gepäck von Roseneath herüberschaffen zu lassen, und das mußte ihm, wenn es auch ihm nicht zu gefallen schien, daß er wie ein Lakai behandelt wurde, als Zeichen gelten, daß man seine Entfernung wünsche. Ein paar Worte über englische Arroganz brummend und mit dem Bescheide an die Pfarrersfrau, daß er ihr das Wildbret mitschicken werde, das er selbst für die hohen Gäste geschossen habe, empfahl er sich. – Die Schwestern überließen sich nun ganz der Wonne des Wiedersehens; jede bekundete ihre Freude auf die ihrem Wesen eigentümliche Weise: Jeanie, von Erstaunen und Verwunderung überwältigt, still und in sich gekehrt; Effie bald weinend, bald lachend, bald schluchzend, bald schreiend, bald in die Hände schlagend, der ihr angeborenen Munterkeit, die sie sonst in zeremoniellen Schranken halten mußte, freien Lauf lassend. – Jeanie konnte, je länger sie die Schwester betrachtete, desto weniger ihrer Verwunderung Herrin werden über den Unterschied zwischen jenem hilflosen, in Not und Verzweiflung versunkenen Mädchen, das auf dem Strohlager im Kerker einem schimpflichen Tode entgegensah, und dieser schönen vornehmen Dame, die alle gesellschaftlichen Formen beherrschte und über eine so hohe Bildung verfügte. Als sie den Schleier abgelegt hatte, kamen Jeanie die Züge ihres Gesichtes viel vertrauter vor als ihr Wesen, Blick und Benehmen. Sie gab ihrem Staunen darüber, daß Effie als Lady Staunton sich so zu beherrschen, daß sie in allen Situationen ihre Rolle zu behaupten wisse, unverhohlenen Ausdruck. »Ich begreife, daß Du Dich darüber wunderst, liebe Jeanie,« sagte sie; »bist Du doch, von der Wiege an, die Wahrheit selbst gewesen! Mir gegenüber darfst Du jedoch nicht vergessen, daß ich schon fünfzehn Jahre lang Verstellung und Lüge kultivieren, in meiner Rolle also nachgerade zu Hause sein muß.« Jeanie wurde, als sich der erste Tumult ihrer Empfindungen einigermaßen gelegt hatte, bald inne, daß das Verhalten ihrer Schwester im vollen Widerspruch zu der Niedergeschlagenheit stand, die aus ihren Briefen sprach. Der Anblick von ihres Vaters Grabe, der schlichte Grabstein, der von seiner Gottesfurcht und Rechtschaffenheit sprach, ergriff sie freilich tief und drängte ihr Tränen in die Augen; aber anderen Eindrücken gab sie sich eben so leicht hin, amüsierte sich köstlich in der Milcherei, die in früherer Zeit so lange ihr Bereich gewesen, und hätte sich um Haaresbreite der alten May gegenüber verraten als sie sich hinreißen ließ, über das wichtige Geheimnis der Bereitung von Dunlop-Käse in ausführlicher Weise zu sprechen. Alles dies gewann ihr aber nur solange Interesse ab, als es neu war, und nur zu bald merkte Jeanie, daß die glänzende Außenseite, hinter der sie ihr Herzeleid verbarg, ihr so wenig wahren Trost gewährte, wie dem Krieger die bunte Uniform, die seine Todeswunde verdeckt. – Nur aus einer Quelle schöpfte Lady Staunton wahre Freude: aus der herrlichen Gottesnatur; wenn sie den Fuß ins Freie setzte, hörte sie auf, die Rolle der feinen Dame zu spielen; und mit ihren beiden Neffen als Führern unternahm sie lange, ermüdende Wanderungen durch das nahe Gebirge, zu den Seen und Wasserfällen, durch Täler und Schluchten, so daß es bald keinen irgend wie hervorragenden Punkt mehr gab, den sie nicht in Augenschein genommen hätte. Auf einer dieser Wanderungen führte David Butler sie zu einem Wasserfalle, höher und gewaltiger als alle, die sie bis jetzt gesehen. Ein beschwerlicher Weg von etwa dreiviertel Stunden Länge, auf dem sich die herrlichsten Durchblicke boten, bald auf den Meerbusen und seine Eilande, bald auf ferne Seen oder drohende Felsen und Abgründe, führte dorthin. In einem einzigen Strahle von mächtiger Höhe an einem schwarzen Bergrücken hernieder, dessen dunkle Farbe wunderbar gegen den weißen Schaum des Gischtes abstach, schoß die Wasserflut; in zwanzig Fuß Tiefe sprang ein zweiter Felsen vor, den Blick des Beschauers hindernd, bis zum Boden des Falles zu dringen; rund um den Vorsprung herum wälzte sich und goß sich das Wasser in weißem Gischt die Kluft hinunter. Lady Staunton fragte den kleinen David, ob man nicht den Abgrund sehen könnte, in den sich das Wasser ergösse. David sagte, es gäbe wohl einen Fleck, einen Vorsprung am äußersten Ende des unteren Felsens, wo der ganze Wassersturz sichtbar sei, aber der Weg dahin sei steil und gefährlich und man könne leicht ausgleiten. Lady Staunton wollte aber ihre Neugierde durchaus befriedigen, und so führte sie der Knabe über Stock und Stein; bald mußten sie mehr klettern als gehen, und endlich gelangten sie, wie Seevögel sich an die Felsen klammernd, zur anderen Seite hinüber, von wo sie den vollen Anblick des grandiosen Falles hatten, der heulend und donnernd aus einer Hohe von annähernd hundert Fuß in einen schwarzen, dem Schlund eines Vulkans ähnlichen Kessel stürzte. Das Getöse, das Sprühen des Gischtes, das allen Gegenständen rings ein schwankes Ansehen gab, so daß der mächtige Fels, auf dessen Kuppe sie standen, gleichsam zu zittern schien, alles dies zusammengenommen übte auf Lady Stauntons Phantasie eine so gewaltige Wirkung, daß es ihr war, als müsse sie fallen; und hätte David sie nicht gehalten, so wäre sie tatsächlich in die Tiefe gestürzt. David besaß zwar Kraft und Mut, war aber doch erst ein Junge von vierzehn Jahren, dessen Hilfe ihr wenig Vertrauen einflößte, und in richtiger Erkenntnis der großen Gefahr ihrer Lage schrie sie laut auf vor Angst, wenn sie auch kaum Hoffnung hatte, Hilfe dadurch zu gewinnen. Zu ihrem Erstaunen antwortete aber ein scharfer, heller Pfiff aus der Höhe, und aus einer Felsenkluft über ihnen blickte ein dunkles Menschengesicht, mit schwärzlich-grauem struppigen Haar, das über Stirn und Wange hing und sich mit Kinn- und Backenbart von gleicher Farbe mischte, auf sie herab. »Der Teufel ist's!« rief David, kaum noch im stände, die Dame zu stützen, »Nein, nein,« sagte sie, vor übernatürlichen Dingen weniger in Furcht als vor natürlichen, »es ist ein Mensch wie wir. Um Gottes willen, Freund, steht, uns bei!« Das Gesicht starrte sie an, der Mund gab aber keine Antwort. Im andern Augenblick erschien ein anderes Gesicht daneben: das eines jungen Burschen, ebenfalls schwarzbraun und rußig, mit schwarzem, borstigen Haar, das in dichten, wirren Locken um den Kopf wallte, ihm ein wildes, grimmiges Ansehen gebend. Lady Staunton, sich fester an den Felsen klammernd, wiederholte ihre Bitten, die aber von der brausenden Wasserflut dem Anschein nach verschlungen wurden, denn auch sie sah wohl, daß die Lippen des Jünglings sich bewegten, aber kein Laut gelangte bis an ihr Ohr; ihre Gebärden hatten jedoch den Sinn ihrer Worte verdolmetscht; der Bursche verschwand, ließ aber gleich darauf eine Leiter aus Weidengeflecht zu ihnen hinunter, dem Knaben winkend, sie festzuhalten. Verzweiflung macht Mut; die Lady zögerte nicht, das schwanke Werkzeug zur Rettung zu benutzen; der wilde Bursche, der ihr auf so seltsame Weise zu Hilfe gekommen, stand ihr auch weiter bei, so daß sie glücklich den Gipfel wieder erreichte. Doch wagte sie erst wieder zu atmen, als sie auch ihren Neffen oben sah, der ihr gewandt und behend folgte, obgleich jetzt niemand mehr die Leiter unten hielt. Schaudernd betrachtete sie nun den Ort, wo sie sich befanden, und die Menschen, die dort hausten. Sie standen auf einer Art von Felsaltan, der, von allen Seiten mit schroffen Klüften und Schluchten umschlossen, keinen Weg weder hinauf noch hinunter zeigte. Ein mächtiger Felsblock, der zwischen zwei Kuppeln eingeklemmt lag, daß er ein schräges Dach über der hinteren Felsplatte bildete, auf der sie standen, hinderte jeden Blick, von außen hierher, und von hier nach außen. Ein paar Haufen dürren Laubes boten unter diesem rauhen Obdach den Bewohnern dieses Geierhorstes – denn einen anderen Namen verdiente die Stätte nicht – ein karges Lager. Zwei von ihnen sah Lady Staunton jetzt hier. Der eine, eben der, der ihr zu so rechter Zeit zu Hilfe gekommen, ein langer junger Bursche, aussehend wie ein Wilder, stand vor ihr, in einem zerrissenen Schottenmantel, mit kurzem Unterkleid, barfuß, barhäuptig – aber mit einem Haarbusch so dicht, daß er wohl einen künstlichen Helm ersetzen und einen Schwerthieb abhalten konnte, – darunter wölbte sich eine stolze Stirn und blitzte ein kühnes Augenpaar – und die Haltung, in der er dastand, war frei und edel. Er schenkte David Butler kaum einen Blick, stierte aber mit maßloser Verwunderung auf die Dame, die wohl das schönste Wesen sein mochte, das er bis jetzt gesehen. Der Alte, dessen wildes Gesicht zuerst über den Felsen geguckt hatte, lag noch immer auf den Boden der Felsplatte gestreckt, mit träger Gleichgültigkeit, die im schroffen Widerspruch zu dem wilden Ausdruck seines rauhen Gesichtes stand, das er ihnen zukehrte. Es schien ein Mann von ungewöhnlicher Größe zu sein, und sein Anzug, nur wenig besser als der seines jungen Gefährten, bestand aus einem weiten Oberrock, wie er im Unterlande, und Unterkleidern, wie sie im Hochlande getragen wurden. Die ganze Umgebung zeigte ein Bild seltsamer, unheimlicher Rauheit: unter dem Schirmdach des überhängenden Felsblockes brannte ein Steinkohlenfeuer, auf dem ein Brennkolben dampfte, dessen Glut den Gischt des Wasserfalles rötlich überhauchte; Blasebalg, Hämmer und Zangen, ein beweglicher Amboß und anderes Schmiedewerkzeug lagen oder standen daneben; an der Felsmauer lehnten drei Flinten, ein paar Säcke und Tonnen, auch ein Dolch, zwei Schwerter und eine Streitaxt. Nachdem der junge Wilde die Dame lange genug angestiert hatte, schleppte er einen irdenen Krug und einen großen Hornbecher heraus. Von dem Getränk, das eben erst aus dem Brennkolben gekommen schien, goß er aus dem Kruge in den Becher und bot den letztern erst der Dame, dann dem Knaben. Aber beide dankten, worauf er den Becher selbst in einem Zuge leerte. Dann verschwand er in einen Winkel der Höhle, kam mit einer andern Leiter wieder, die er an den quer überhängenden Felsblock lehnte, und winkte, während er die Leiter hielt, der Dame, hinaufzusteigen. Sie gelangte auf diesem schwanken Werkzeuge zu einer breiten Felskuppe, nahe dem Rande des Schlundes, in den sich der gewaltige Wasserstrom mit Schaumstreifen, die an die Mähnen eines wilden Renners erinnerten, hinunter ergoß. Allein die niedriger liegende Felsenfläche, die sie eben getragen hatte, lag ihren Blicken vollständig verborgen. David wurde der Aufstieg nicht so leicht gemacht der wilde Bursche mit dem wilden Haarbusch schüttelte, sei es aus Schadenfreude oder aus Schabernack, die Leiter, an der Angst sich weidend, die den Knaben und die Dame erfüllten, kräftig hin und her – was erklärlicherweise zur Folge hatte, daß sie einander mit nichts weniger als freundlichen Blicken maßen, als beide endlich oben waren. Der junge Zigeuner, oder was er sein mochte, half der Dame fürsorglich zu einer zweiten gefährlichen Höhe hinauf, wohin auch David folgte, bis sie endlich, den Klüften und Abgründen entronnen, auf dem Gipfel eines nicht übermäßig steilen Berges standen, dessen Hänge dicht mit Heidekraut bedeckt waren. Der Kamin aber, den sie eben überwunden hatten, war so schmal und eng, daß nur am äußersten Bergrande eine Spur davon sichtbar war; auch der Wasserfall war nicht mehr sichtbar, aber sein dumpfes Brausen traf noch immer das Ohr. Eben den dräuenden Felsen und Bergströmen entronnen, fand Lady Staunton hier neuen Grund zu Angst und Bangen. Die beiden Knaben, die ihr als Führer gedient, standen sich zornsprühend gegenüber. David, wenn auch jünger und kleiner als der wilde Bursche, war kühn und mutig und scheute vor niemand zurück. »Du bist der Pfarrersjunge von Knocktarlitie,« sagte der Zigeuner; »kommst Du mir hier oben noch einmal ins Gehege, so schmeiße ich Dich in den Schlund wie einen Ball.« – »Oho, Bursche, Du bist tatsächlich so kurz wie Du lang bist,« versetzte David unerschrocken und maß des Gegners Höhe mit zornigen Blicken; »gehörst doch sicher zur Bande des schwarzen Donacha? Kommt ihr uns unten noch einmal ins Gehege, so schießen wir euch nieder wie wilde Böcke.« – »Sag nur Deinem Vater,« sagte der andere wieder, »daß er die Bäume zum letztenmal hat grün werden sehen. Uns verlangt's nach Rache für den Schaden, den er uns angetan hat.« – »Hoffentlich geht noch mancher Sommer drüber ins Land,« sagte David, »daß wir euch noch öfter 'mal was zu Schaden tun können!« ' , Um dem Zwist ein Ende zu machen, trat Lady Staunton mit der Börse in der Hand dazwischen, nahm eine Guinee heraus und bot sie dem Zigeunerjungen. »Das weiße Geld, das weiße Geld,« rief der junge Wilde, der vermutlich mit dem Werte des Goldes unbekannt war, als er das Silbergeld durch das Netz der Börse schimmern sah. – Lady Staunton schüttete ihm alles Silbergeld, das in der Börse war, in die Hand; gierig langte er danach und machte etwas wie eine Verneigung zum Zeichen des Dankes und Abschieds. »Lassen Sie uns eilen, Lady,« sagte David, »denn seit der Kerl Ihre Börse gesehen, wird uns die Bande, zu der er gehört, nicht lange Ruhe lassen.« So schnell sie konnten, rannten sie den Abhang hinunter, aber schon nach wenigen Schritten hörten sie lautes Geschrei hinter sich. Ein Blick rückwärts zeigte ihnen die beiden Zigeuner im wilden Rennen hinter ihnen her, den älteren mit einer Flinte auf der Schulter. Zum Glücke zeigte sich im selben Augenblick ein herzoglicher Jäger auf der Berghöhe. Als die Räuber ihn sahen, machten sie Halt, und Lady Staunton winkte ihn heran und bat ihn um sein Geleit nach dem Pfarrhause, das sie aber erst in später Stunde erreichten. Sechsundzwanzigstes Kapitel In Edinburg, wohin uns der Verlauf unserer Erzählung nunmehr zurückführt, wurde die große Synode abgehalten, deren wir bereits erwähnten. Es ist Landesbrauch im alten Königreich Schottland, einen Vertreter des Königs aus dem alten Hochadel des Landes hierzu zu wählen, der bei den Verhandlungen den Vorsitz führt. Alle in der Hauptstadt anwesenden Personen von Rang und Würden pflegen diesen Vertreter des Königs zu den Sitzungen zu begleiten und ihm auch sonst durch ihre Gegenwart zu erhöhtem Glanze zu verhelfen. Der Edelmann, dem diesmal dieses Stellvertreter-Amt zufiel, gehörte zu Georg Stauntons intimeren Bekannten. Zum erstenmale seit der unglücklichen Nacht, wo der Stadthauptmann am Galgen verblutete, nahm Georg Staunton den Weg wieder durch die High-Street von Edinburg, und zwar an der Seite des Vertreters königlich britischer Majestät, in prächtiger Staatstracht, mit Orden und allen äußerlichen Zeichen von Rang und Reichtum. Er war noch immer ein Mann von hervorragender Schönheit, wenn auch Kränklichkeit ihre Spuren auf seinem Gesicht hinterlassen hatte. Aber wer erkannte wohl in diesem vornehmen Manne den Anführer jenes groben Pöbelhaufens wieder, der in Madge Wildfires Lumpen den Genossen seiner Laster auf so furchtbare Weise rächte? Und selbst wenn einer, der ihn damals kannte, die knappe Spanne Zeit überlebt hätte, die Uebeltätern vom Schicksal zugemessen zu werden pflegt, so hätte er ihn ganz sicher in dem hohen Herrn nicht wiedererkannt, der jetzt ganz Edinburg durch seine Vornehmheit blendete. Ueberdies war die Affaire jetzt so gut wie vergessen, so daß Georg Staunton keine Entdeckung mehr zu fürchten hatte. Und doch – mit welchen Gefühlen betrat er den Schauplatz jener verwegenen Tat, wenngleich es nur ein Fall von höchster Bedeutung war, der ihn bewogen hatte, sich an dieser Stätte so schmerzvoller Erinnerungen wieder zu zeigen. Auf Jeanies an die Schwester gerichteten Brief hin hatte Staunton sich nach Carlisle verfügt, um dort den Geistlichen Archidiakonus Fleming aufzusuchen, der der alten Murdockson vor ihrem gewaltsamen Tode die Beichte abgenommen. Er hatte den würdigen Greis noch am Leben getroffen und demselben offenbart, daß er der Vater des Kindes sei, das einst von der wahnsinnigen Madge geraubt worden. Der Geistliche, sich in die wilde Zeit zurückversetzend, die ihn auch mit anderen Missetätern in so betrübsame Gemeinschaft geführt, rief sich allmählich ins Gedächtnis, daß die Murdockson vor ihrem Tode an Georg Staunton nach Willingham einen Brief gerichtet, den er von dem dortigen Pfarrer Ehrwürden Staunton aber zurückerhalten habe, mit dem Bescheide, dort sei kein solcher Staunton bekannt. – Der Brief, der ihm nun von dem Archidiakonus ausgehändigt wurde, gab von der Zigeunerin Annaple Bailzou, die das Kind an sich genommen, ein genaues Signalement und allerhand weitere Auskunft: unter anderm, daß die alte Sünderin dieses Geständnis weniger aus Reue ablegte, als in der Hoffnung, von Georg Staunton oder seinem Vater Schutz für ihre Tochter Madge zu erlangen, die sie völlig hilflos zurücklassen mußte. Der Archidiakonus berichtete weiter,»daß die alte Murdockson bis an ihr Ende in Verstocktheit verharrte, ihre Tochter aber während der Mutter Hinrichtung entsprungen, von dem Pöbel ergriffen und zu Tode mißhandelt worden, und am andern Tage im Arbeitshaus gestorben sei, am Vormittag aber noch Besuch von mehreren weiblichen Personen bekommen habe, die dem Anscheine nach mit ihr bekannt gewesen seien, wenn sie auch gesagt hätten, sie nur unterwegs auf einer Reise getroffen zu haben. Was nun auch Staunton fühlen mochte, als er diese traurige Mitteilung, besonders von dem schrecklichen Tode jenes unglücklichen Mädchens, vernahm, das er ins Verderben gestürzt, so blieb ihm doch noch Willensfestigkeit genug, den Blick ausschließlich auf den Zweck seiner Herkunft, die Wiederauffindung seines Sohnes, zu richten. Da es die Klugheit verbot, über seine Geburt und die Schicksale seiner Eltern die Wahrheit zu sagen, stand freilich zu erwarten, daß es mancherlei Schwierigkeit bereiten werde, seine Legitimität durchzusetzen. Aber Lord Staunton hoffte hierzu Mittel und Wege zu finden; und gewöhnt, seinen Willen in allem, was er vornahm, durchzusetzen, verschob er alles Weitere, bis es ihm gelungen, den Sohn wiederzufinden; aber von diesem Vorhaben sollte ihn nichts abbringen, auch nicht die Gefahr, eine neue Kette von Unglück durchleben zu müssen, gleich denen oder größer als die, die ihm den Sohn geraubt hatten. – Allein wo war der Jüngling, dem Gut und Habe dieses alten Geschlechtes anheim fallen sollte? Welche niedrige Hütte war ihm Herberge? Verdiente er sich sein häusliches Brot im Tagelohn, oder trieb er sich vagabondierend im Lande herum? oder führte er etwa gar ein Diebs- oder Räuberleben? Alles Fragen und Forschen Stauntons blieb fruchtlos; es sollte ihm keinerlei Licht über den Verschollenen werden. Von anderer Seite erfuhr er, daß Annaple Bailzou sich mit Betteln und Wahrsagen das Leben gefristet habe, aber seit mehr denn zehn Jahren in der Gegend nicht mehr gesehen worden und wahrscheinlich wohl nach einem fernen Distrikt Schottlands gezogen sei, wohin sie zuständig sei. Staunton nahm sich vor, ihr dorthin zu folgen; da aber sein Aufenthalt in Edinburg mit der Synode zusammenfiel, und der Königsstellvertreter, wie erwähnt, zudem ein intimer Bekannter von ihm war, ließ sich seine Beteiligung an den mit der Synode zusammenhängenden Feierlichkeiten, so gern er dieselbe auch vermieden hätte, nicht umgehen. Bei Tafel lernte nun Lord Staunton einen würdigen Geistlichen kennen, der ihm als Reuben Butler vorgestellt wurde. Seinen Schwager in sein Geheimnis einzuweihen, dazu hätte sich Staunton nie entschlossen, und mit Befriedigung hatte er von seiner Frau gehört, daß ihre Schwester, die Redlichkeit und Zuverlässigkeit selbst, sogar ihrem Manne gegenüber kein Wort habe verlauten lassen. Infolgedessen war es ihm nicht unangenehm, daß sich jetzt eine Gelegenheit bot, einen so nahen Verwandten kennen zu lernen, ohne von ihm gekannt zu sein, zudem ihm, was er sah und hörte, die günstigste Meinung von Butler gab; dem die allgemeine Achtung gehörte, sowohl von seiten der Geistlichkeit als auch der weltlichen Mitglieder der Synode; hatte er sich doch in den bisherigen Sitzungen durch Verstand, Kenntnis und Freimut ausgezeichnet, und war er doch auch als einsichtiger und wohlbeschlagener Kanzelredner geschätzt. So war es wohl erklärlich, daß Georg Staunton, der anfangs nichts davon hatte wissen wollen, daß sich die Schwester seiner Frau mit einem Manne von so geringer Stellung verheiratete, jetzt um vieles besser darüber dachte, ja sogar fand, daß im Falle der Auffindung seines Sohnes es mit der bescheidenen Finanzlage der Familie seiner Frau doch recht verträglich sei, daß Lady Stauntons Schwester die Ehe mit einem Geistlichen eingegangen sei, dessen hohes Ansehen seine verhältnismäßig kleine Pfründe reichlich wett mache. Nach Aufhebung der Tafel ersuchte der Lord den Pfarrer, ihm nach seiner Wohnung am Grasmarkt das Geleit zu geben und den Kaffee bei ihm zu trinken. Butler dankte für die große Ehre und bat nur, im Vorübergehen bei Bekannten, wo er abgestiegen sei, vorsprechen zu dürfen, um dort zu sagen, daß man nicht mit dem Tee auf ihn warten solle. Sie gingen durch die High-Street, traten unter die Buden am Rathause und kamen zu dem Gefängnis, wo die Almosenbüchse für die im Kerker schmachtenden Gefangenen aufgestellt war. Staunton trat hinzu, und am andern Tage wurde in der Büchse eine Banknote von zwanzig Pfund gefunden. Butler stand unterdes in tiefen Gedanken, die Augen auf die Kerkerpforte gerichtet. »Es scheint ein recht festes Tor zu sein,« bemerkte Staunton, als er wieder zu dem Pfarrer trat, bloß um etwas zu sagen. – »Freilich,« erwiderte Butler, sich zum Weitergehen anschickend, »vor Jahren war es einmal zu meinem Unglücke, daß sie nicht fest genug war.« – Sein Blick streifte zufällig seinen Begleiter, der ihm auffallend bleich aussah, aber auf die Frage, ob ihm etwas zugestoßen sei, antwortete, er habe sich verleiten lassen, etwas Eis zu nehmen, trotzdem er wisse, daß er es nicht vertragen könne. Diensteifrig führte Butler den Lord in das Haus seines Bekannten, bei dem er abgestiegen, der aber kein anderer war, als Herr Bartel Saddletree; ehe Staunton sich noch recht klar wurde, wohin ihn Butler führe, befand er sich in jenem Hause, wo seine Gemahlin einst als Ladenmamssell gedient hatte. Da wich die Blässe, die aus Furcht vor Entdeckung sein Antlitz entfärbte, jäher Schamröte. Die brave Frau Saddletree eilte geschäftig herbei, den reichen, mit Herrn Butler bekannten Baronet in ihrem bescheidenen Hause willkommen zu heißen, nachdem sie eine ältliche Dame, die tiefschwarz ging, gebeten hatte, sich nicht stören zu lassen. Diese hatte aufstehen wollen, um den vornehmeren Gästen den Platz nicht zu rauben. Als aber Frau Saddletree vom Pfarrer hörte, dem Lord sei nicht recht wohl, eilte sie, ohne sich um die Dame in Schwarz weiter zu kümmern, nach der Küche, eine kleine Erfrischung zu holen; und ihre Abwesenheit hatte die Dame benutzen wollen, sich zu entfernen, war aber im Eifer über die Schwelle gestolpert; der Lord, der gerade in der Nähe stand, hatte sich beeilt, ihr aufzuhelfen, und geleitete sie jetzt bis zur Haustür. »Die alte Frau Porteous,« sagte Frau Saddletree, als sie mit einem Fläschchen in der Hand zurückkam, »ist schon gar nicht mehr recht bei sich; dabei ist sie doch noch gar nicht so alt; aber das gräßliche Schicksal ihres Mannes ist ihr gar tief zu Herzen gegangen. – Ja, Herr Butler, Ihnen hat die Affäre ja auch gerade genug Kummer bereitet. Aber, Mylord, Sie sollten, doch noch ein Paar Tropfen nehmen,« – sie reichte Staunton nochmals von der stärkenden Arznei, »ist's mir doch fast, als hätte sich Ihr Aussehen gegen vorhin noch verschlimmert.« – Der Gedanke, daß ihn der Zufall dazu geführt, die Frau zu stützen, die durch seine Schuld zur Witwe geworden, hatte ihm tatsächlich alle Farbe aus dem Gesicht getrieben. »Die Porteous-Affäre,« nahm da der alte Saddletree das Wort, den jetzt Gicht an seinen Lehnstuhl fesselte, »ist ja verjährt und verschollen.« – »Ich dächte doch noch nicht, Nachbar,« meinte Plumdamas, »Mord verjährt nach unserem Recht, meines Wissens, in zwanzig Jahren; wir stehen jetzt Anno einundfünfzig, und Porteous wurde Anno siebenunddreißig durch den Pöbel vom Leben zum Tode gebracht.« – »Sie werden doch mir nicht Recht und Gesetz eintrichtern wollen, Nachbar? Ich sage Ihnen, und wenn jetzt die ganze Porteous-Rotte dastünde, wo jetzt der fremde Herr steht, so könnte ihr kein königlicher Anwalt mehr an den Kragen.« – »Aber so laß doch bloß einmal Deine Rechthaberei,« fiel ihm seine Frau ins Wort, »Mylord kann nicht einmal in Ruhe seine Tasse Tee trinken.« – Staunton aber hatte genug von der Unterhaltung; er winkte Butler, daß er gehen wolle, und Butler sagte Frau Saddletree ein paar entschuldigende Worte, um sich mit dem Lord nach dessen Wohnung zu verfügen. Hier fanden sie einen neuen Gast, der auf die Rückkehr des Lords wartete. Es war kein anderer als Ratcliffe, der es mittlerweile bis zum Posten eines Oberaufsehers gebracht, und den man Staunton als einen Mann genannt hatte, von dem er vielleicht die beste Auskunft über die Zigeunerin Bailzou bekommen könnte. Das war für Staunton eine neue, nur noch bösere Unterhaltung! Stand er doch jetzt seinem alten Bekannten, James Ratcliffe, gegenüber, dessen Züge ihm sogleich in die Erinnerung traten. Der gewaltige Abstand aber, der zwischen Georg Robertson und Sir Georg Staunton lag, täuschte auch Ratcliffes Scharfblick, so daß er sich tief vor dem Lord und dem Pfarrer verneigte, welch letzteren er demütig um Entschuldigung bat, daß er sich ihm als Bekannter aus früherer Zeit vorzustellen erlaubte. »Ich weiß, Sie haben einst meiner Frau einen nicht geringen Dienst geleistet,« sagte Butler, »und meine Frau sandte Ihnen eine kleine Erkenntlichkeit. Hoffentlich ist's Ihnen richtig zugegangen und auch zurecht gekommen.« – »Ei, das wollt ich meinen, Hochwürden,« versetzte Ratcliffe, indem er pfiffig dabei nickte; »aber Sie haben sich recht zu Ihrem Vorteil verändert, Hochwürden, in den vielen Jahren, seit ich Sie nicht mehr gesehen habe.« – »Ja, ja, so sehr, muß ich sagen, daß ich mich wundere, von Ihnen noch erkannt zu werden.« – »Oho, Hochwürden. Ich vergesse kein Gesicht, das ich einmal im Leben gesehen habe.« – Lord Staunton stand wie auf der Folter, alle Gedächtnisschärfe aus tiefstem Herzen verwünschend. »Und doch,« fuhr Ratcliffe fort, »irrt sich auch das schärfste Gedächtnis dann und wann; und wenn ich's mir herausnehmen darf, von der Leber weg zu sprechen, so sehe ich hier in der Stube noch ein anderes Gesicht, das mir vorkommt, als hätt ich's schon einmal im Leben gesehen – bei einem guten, recht guten, aber längst verschollenen Bekannten; und wüßte ich nicht, wen ich in dem hohen Herrn vor mir habe, so könnt ich mich fast versucht fühlen.« – »Es würde für mich nicht eben schmeichelhaft sein,« versetzte der Baronet, erregt durch die Gefahr, in der er sich sah, mit strenger Stimme, »wenn sich Ihre seltsamen Komplimente auf mich beziehen sollten.« – »Durchaus nicht, Mylord,« versetzte Ratcliffe, sich tief verbeugend, »ich komme lediglich, um Euer Gnaden Befehle zu vernehmen, nicht aber um Euer Gnaden Ohr durch ein paar demütige Bemerkungen zu verletzen.« – »Man hat mir gesagt, Sie seien in Polizeisachen nicht unbewandert. Ich bin auch ein wenig darin zu Hause – und um Ihnen klingenden Beweis dafür zu geben, so zahle ich Ihnen zehn Guineen als Aufgeld, die ich aber um das fünffache erhöhe, wenn ich durch Sie über ein gewisses Frauenzimmer Aufschluß erhalte, dessen Signalement Sie hier in diesem Papier finden. Schriftliche Antwort lassen Sie mir durch meinen Edinburger Geschäftsträger zugehen. Hier sein Name und seine Wohnung!« Damit wandte er Ratcliffe den Rücken, der sich abermals tief verbeugte und dann ging. – »Es hat den hochnäsigen Wicht verdrossen,« meinte Ratcliffe bei sich, »daß ich die Aehnlichkeit herausgefunden habe. Aber wenn Georg Robertsons Vater nicht weit von seiner Mutter gelebt hätte – der Teufel sollte mich holen, wenn ich dann wüßte, was ich denken sollte, und möchte er sich noch sehr aufs hohe Roß mir gegenüber setzen!« Lord Staunton, jetzt mit Butler allein, ließ Tee und Kaffee bringen und erkundigte sich nach einigem Zögern, ob er kürzlich Nachricht von den Seinigen bekommen habe. Butler, über die Frage einigermaßen erstaunt, sagte, »es sei einige Zeit her, seit er Nachricht bekommen, seine Frau schreibe nicht gern.« – »So bin ich denn leider derjenige, aus dessen Munde Sie zuerst hören, daß die Ruhe Ihres Hauses während Ihres Fernseins getrübt worden ist. Meine Frau, die der Herzog von Argyle eingeladen hat, in Roseneath die Molkenkur durchzumachen, hat es vorgezogen, sich in Ihrem Hause einzuquartieren; sie schreibt zwar, um gleich bei den Ziegen zu sein, ich vermute aber, weil ihr die Gesellschaft Ihrer Frau lieber sein wird als die des alten Knasterbarts Knockdunder,« – Butler sagte, daß ihn dies doch nur freuen könne. Der Lord dankte ihm für diese Gastfreiheit und fragte, wann er nach Hause zu reisen gedenke. – »In ein paar Tagen,« sagte Butler; denn nachdem er seine Geschäfte sämtlich erledigt habe, treibe es ihn wieder nach seinen Penaten; da er aber eine beträchtliche Geldsumme mitnehme, wolle er, um nicht allein zu reisen, mit ein paar Amtsbrüdern zusammen reisen. – »Mein Geleit dürfte Ihnen bessere Sicherheit sein,« antwortete Staunton; »ich denke morgen abzureisen, und wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich mir anschlössen; auf alle Fälle übernehme ich es, Sie ungefährdet in Ihre Heimat zu geleiten.« – Butler nahm das Anerbieten dankbar an; Staunton schickte einen Bedienten nach dem Pfarrhause voraus, ihre Ankunft dort zu melden, und bald verbreitete sich die Nachricht durch das ganze Kirchspiel, der Herr Pfarrer komme mit einem vornehmen Herrn aus England und bringe auch den Kaufschilling für Craigsture mit. Lord Staunton hatte sich zu diesem schnellen Entschluß, so schnell nach Knocktarlitie zu reisen, durch die letzten Begebenheiten bestimmen lassen; er sah jetzt ein, wie verwegen es von ihm gewesen, sich auf den Schauplatz seines früheren Sündenlebens zu begeben, und Ratcliffes Klugheit war ihm viel zu sehr bekannt, als daß er sich zum zweitenmale in seine Nähe hätte wagen mögen. Unter dem Vorwand einer Unpäßlichkeit hielt er sich am zweiten Synodaltage zu Hause und verabschiedete sich am dritten schriftlich von seinem Freunde, dem königlichen Abgeordneten. Seinem Agenten gab er Auftrag, alle über die Annaple Bailzou einlaufenden Nachrichten durch einen Eilboten nach Knocktarlitie nachzuschicken. . Die Reise dorthin gestaltete sich für Lord Staunton über Erwarten angenehm. Als ihm Edinburg aus dem Gesicht kam, wurde es ihm leichter ums Herz; und Butlers ruhige und schlichte Unterhaltung war so recht dazu angetan, ihm die trüben Betrachtungen aus dem Sinne zu bringen. Ja sie führte ihn, um ihn immer um sich zu haben, auf den Gedanken, ihm die reiche Pfründe von Willingham zuzuwenden; durfte er doch auch rechnen, daß sich seine Frau dann mehr als bisher mit dem Leben auf dem Lande befreunden werde. Er fragte Butler, ob ihm eine Pfarre mit zwölfhundert Pfund jährlicher Einkünfte genehm läge, wenn die Bedingung daran geknüpft würde, zur englischen Kirche überzutreten. Butler erwiderte, »in den Lehren der Kirche, von deren Wahrheit er überzeugt, und in denen er erzogen sei, zu seinem Gott eingehen zu wollen.« Staunton fragte ihn nun, was ihm seine gegenwärtige Pfarre einbringe? – »Im Durchschnitte hundert Pfund jährlich, den Ertrag von den Aeckern und Wiesen nicht gerechnet.« – »Und dagegen schlagen Sie eine Pfründe aus, die Ihnen das zwölffache sichert?« – »Meine kleine Pfarre hat mir bislang das Leben gedeckt – durch die mir vom Schwiegervater zugefallene Erbschaft und einige Ersparnisse meiner Frau mehren sich die Einkünfte um reichlich das doppelte, und ich weiß wirklich noch nicht, wie wir das Hinzugekommene verwerten sollen. Nun sollte ich, da ich weder den Wunsch noch Anlaß habe, dreihundert Pfund jährlich mehr aufzuwenden, den Besitz einer vierfachen Summe erstreben, wenn ich höhere Rücksichten dagegen opfern soll?« – »Das ist echte Lebensweisheit,« erwiderte Staunton. »Ich habe wohl gehört, daß sie bei Menschen noch zu finden sei, bislang aber umsonst danach gesucht.« – Staunton fühlte sich von der Reise angegriffen und entschloß sich deshalb zu einem Rasttag in einer kleinen Ortschaft zwischen Edinburg und Glasgow. In Dumbarton wurde ein Boot gemietet, das sie den Loch Care hinauf nach dem Pfarrhause bringen sollte. Zwei Lakaien sollten die Wasserfahrt mitmachen, die übrigen bei dem Wagen bleiben. Kurz vor der Abfahrt trat der Eilbote aus Edinburg von Lord Stauntons Geschäftsführer ein, mit verschiedenen Schriftstücken, deren Inhalt Lord Staunton lebhaft zu erregen schien. Staunton schrieb sogleich nach Edinburg zurück und gab dem Boten ein reichliches Trinkgeld, legte ihm aber die Verpflichtung auf, die Rückreise ohne allen Aufenthalt zu bewirken. Da die Fahrt stromabwärts ging, hatten die Ruderer schwere Arbeit. Unterwegs erkundigte sich Lord Staunton mit auffälligem Eifer nach den im Hochlande noch aufhältlichen Räubern; Butler gab ihm, soweit er konnte, Auskunft, und ließ dabei den Namen Donacha fallen. Sogleich erkundigte sich Staunton nach diesem Banditen wie den zu ihm haltenden Kameraden. Butler wußte auch nur, daß Donacha selten mehr als drei bis vier Leute um sich habe und nicht die Ambition besitze, als Haupt einer eigentlichen Räuberbande zu gelten; er persönlich spüre kein Verlangen, die flüchtige Bekanntschaft, die er mit ihm gemacht, irgendwie zu erneuern...« »Und doch möchte ich den Mann einmal sehen,« erklärte Staunton. – »Solche Begegnung, Sir Georg, ist eine sehr gefährliche Sache; Sie müßten ihn denn gerade dann sehen, wenn ihn die Strafe trifft; das sind aber traurige Augenblicke, nach denen es einen besser nicht verlangt.« – »Wen träfe, wenn jedem nach Verdienst gemessen würde, keine Strafe, Herr Pfarrer? Nun ich spreche in Rätseln – will mich aber deutlicher erklären, sobald ich mit meiner Frau über den Fall gesprochen... Setzt die Ruder ein, Bursche,« rief er, »am Himmel droht Sturm.« Schwere Wolkenmassen hingen am westlichen Himmel, von der untergehenden Sonne mit tiefem Rot gefärbt, die Luft war schwer wie Blei, und bange Stille herrschte in der ganzen Natur, den Ausbruch eines Ungewitters verkündend. Bald fielen große, schwere Tropfen, aber es kam zu keinem richtigen Regen, trotzdem eine drückende Hitze, in Schottland ganz ungewöhnlich um Ende Mai herum, herrschte. Die Fahrt wurde immer beschwerlicher. Wilde Böen jagten über die Wasserfläche und machten alle Arbeit der Ruder vergeblich. Noch ein schmales Vorgebirge galt es zu umschiffen, um zu einem Landungsplatz, der Mündung eines kleinen Flusses, zu gelangen. Aber der schwere Sturm machte es ihnen außerordentlich schwer, vorwärts zu kommen. »Könnten wir nicht diesseits vom Gebirge landen und Schutz finden?« fragte Staunton. – Butler kannte keinen Landungsplatz in der Nähe, von wo aus man an den steilen Felsen, die das Ufer umgaben, empor gelangen konnte. – »Wir müssen eine Zuflucht finden,« rief Staunton, »der Sturm wird immer stärker.« – »Je nun,« sagte einer von den Bootsleuten, »so bleibt uns bloß die Zigeunerbucht; aber dem Herrn Pfarrer darf man nichts davon sagen wegen des Schmuggels; auch weiß ich nicht, ob ich das Boot dorthin steuern kann; die Bucht wimmelt von Untiefen und versunkenen Felsblöcken.« »Versuch's,« befahl Staunton, »eine halbe Guinee, wenn wir die Bucht gewinnen.« Der alte Fährmann griff nach dem Steuer; »sind wir erst mal drin,« sagte er, »werden wir bald den steilen Pfad finden zu den Bergen hinauf – und das Pfarrhaus erreicht haben.« – »Vor fünfzehn Jahren, als Andrew Wilson mit seinem Kutter die Buchten befuhr,« sagte der Mann, »wußte ich freilich hier bessern Bescheid. Er hatte damals einen jungen Engländer bei sich, einen gar wilden Patron mit Namen.« – »Wenn Du soviel plapperst,« fiel ihm Lord Staunton ärgerlich ins Wort, »rennt der Kutter auf den Wetzstein! Halt das Segel scharf auf die weiße Kuppe dort!« »Mord und Brand,« rief der Alte und starrte ihn an wie den leibhaftigen Gottseibeiuns. »Euer Gnaden wissen in der Bucht so gut Bescheid wie ich. Euer Gnaden müssen die Nase schon früher am Wetzstein gehabt haben.« , Sie kamen der kleinen, durch Klippen geschützten, hinter Felsen verborgenen Bucht langsam näher, die nur von Leuten benutzt werden konnte, die genau mit der Schiffahrt in diesen Gewässern vertraut waren. Ein altes gebrechliches Boot lag dort, hinter Gebüsch und vorspringenden Felsen versteckt. Butler sagte, als er dasselbe erblickte, zu dem Lord, wie schwer es ihm würde, die Leute in der Gegend von der Gesetzwidrigkeit des Schleichhandels zu überzeugen, obgleich sie seine schädlichen Folgen täglich vor Augen hätten. Staunton meinte, der Schmuggel übe auf jugendliche Gemüter eine gewisse Romantik, und im reiferen Alter käme wohl auch hier die Besserung? . »Dies trifft nicht immer zu,« versetzte Butler, »besonders bei denen nicht, die sich zu Blutvergießen haben hinreißen lassen; freilich kommt jeder dabei früher oder später zu einem schlimmen Ende. Lehrt uns doch schon die heilige Schrift, daß die Hand der Vergeltung den Gewalttätigen ereilt, und daß wer nach Blut dürstet, nicht die Hälfte seiner Tage erlebt. Aber wollen Sie sich nicht meines Armes bedienen, auf das Ufer zu steigen?« Lord Staunton tat wirklich Beistand not, denn die Worte des schlichten Pfarrers, die seine früheren Gesinnungen so herbe straften, gingen ihm so nahe, daß er sich einem Schwindel nahe fühlte. Nur dumpfer Donner dröhnte noch, als sie den Fuß ans Land setzten. – »Das ist ein böses Omen, Herr Butler,« sagte Staunton. – »Intonuit laevum [Es donnert links]. Und das bedeutet Gutes,« versetzte Butler lächelnd. – Den Bootsleuten wurde befohlen, das Boot mit dem Gepäck um das Vorgebirge herum nach dem gewöhnlichen Landungsplatze zu steuern; die beiden Herren hingegen von einem Lakaien begleitet, suchten sich auf wild verworrenem Pfade durch dichtes Gebüsch den Weg zum Pfarrhaus zu bahnen, wo man in banger Sorge auf sie seit dem verflossenen Tage wartete. Auch der Abend des dritten Tages nahte, und noch immer kamen sie nicht, die beiden Gatten! Lady Staunton fürchtete, Unmut halte den ihrigen fern, da er sich vor der Begegnung mit ihrer Schwester, der seine unglückliche und schmachvolle Lebensgeschichte bekannt war, scheue; wußte sie doch nur zu gut, welchen Zwang er sich in Gegenwart anderer auferlegen mußte, um seine Ruhe zu wahren! Sie bat Jeanie wiederholt, sich zu stellen, als ob sie ihn nicht wiedererkenne, ihn ganz wie einen Fremden zu behandeln; und Jeanie versprach es ihr neuerdings, sich ganz nach ihrem Willen zu richten. Auch Jeanie wurde unruhig, wenn sie sich die Verlegenheit ausmalte, in die eine solche Zusammenkunft beide Teile setzen mußte; aber ihr Gewissen war rein, und so sah sie trotz allem der Heimkunft ihres geliebten Mannes nach so langer Abwesenheit mit inniger Sehnsucht entgegen. In dieser Stimmung traf Hauptmann Knockdunder an der Spitze seines halben Dutzends rüstiger Bursche in Hochlandstracht die beiden Damen. – Er verneigte sich vor ihnen und bat Jeanie um Branntwein und andern Proviant, da er schon seit frühem Morgen über Heide und Moor getrabt sei, doch ohne jemand zu treffen. Er bekräftigte seine Worte mit einem derben Fluch, um dann mit ritterlicher Miene, zu Lady Staunton gewendet, fortzufahren: »Es ist mir wenigstens ein Trost, nachdem ich die schwere Arbeit hinter mir habe, daß sie geschehen ist, einer schönen Frau, oder dem Manne einer schönen Frau, zu dienen, was ja auf eins herauskommt; denn wer dem Manne dient, dienet seinem Weibe, wie Frau Butler gar wohl weiß.« – »Ich weiß nicht, Hauptmann,« sagte Lady Staunton, »da diese Schmeichelei mir zu gelten scheint, was Sir Georg oder ich mit Ihren heutigen Wanderungen zu schaffen haben.« – »Gott verdamm mich! das ist hart, meine Gnädige! Als ob es nicht auf besonderen Auftrag des Herrn Agenten Seiner Gnaden zu Edinburg und beigefügten gerichtlichen Verhaftsbefehl geschehen wäre, daß ich Donacha aufsuche, um ihn vor mich und Sir Georg zu stellen, damit er seine gerechte Strafe erleide; den Tod am Galgen nämlich, sowohl weil er Ihre Gnaden so in Angst gejagt hat, als auch wegen anderer Dinge von geringerer Wichtigkeit.« – »Weil er mich in Angst gejagt? Ich habe doch meinem Gemahl keine Silbe von dem Zusammentreffen mit Donacha am Wasserfall geschrieben.« – »Dann muß er es auf andere Weise erfahren haben, denn wie käme er sonst dazu, diesen Schuft sehen zu wollen? mich über Stock und Bein zu hetzen, als könnte mir ein besonderer Gewinn draus erwachsen, wenn ich ihn treffe? Wenn nur mich nicht vorher ein Schuß durchs Gehirn trifft!« – »Verfolgen Sie den Räuber wirklich auf Wunsch meines Gemahls?« fragte die Lady. – »Nun, Gottes Donner! mir war's allein mein Leben nicht eingefallen, ihm das bißchen Ruhe, das ihm von den Englischen noch gelassen wird, zu rauben, so lange er herzogliches Eigentum in gebührlicher Achtung hält. Beliebt's aber, einem Freunde des Herzogs, ihn unter Schloß und Riegel zu wissen, dann muß ich ihn eben hinter Schloß und Riegel bringen. Darum bin ich nun seit Tagesanbruch auf den Beinen mit dem halben Dutzend junger, kräftiger Burschen in Hochlandstracht.« – »Es wundert mich, Herr Hauptmann,« bemerkte Jeanie, »daß Sie den Parlamentsbefehl gegen Hochlandstracht außer acht lassen.– »Gottes Donner!« rief der Hauptmann »wir haben das Gesetz erst ein paar Jahre, und bis es uns in Fleisch und Blut gedrungen, vergeht wenigstens die zehnfache Zahl. Wie sollen denn meine Bursche mit den vermaledeiten Hosen über den Beinen die Berge hinaufkommen? Na, ich weiß doch, wo Donacha seinen Schlupfwinkel hat, bin auch dagewesen, wo er noch gestern gehaust hat, hab das dürre Laub gesehen, auf dem er mit seinen Kameraden gelegen, hab die Asche gerochen, die von ihrem Feuer übrig ist. Aber er muß Unrat wittern, der Donacha, denn ob ich auch alle Schluchten und Höhlen im Gebirg visiert habe, so ist mir doch kein Zipfel seines Rockes zu Gesicht gekommen.« – »Er wird den Loch hinunter bis Cowal gefahren sein,« sagten David und Reuben, die früh am Morgen nach Nüssen im Walde gewesen waren und ein Boot nach der Zigeunerbucht hin hatten steuern sehen, einem ihnen wohbekannten Orte, wenn auch ihrem Vater, der von Abenteuern nichts wissen mochte, nichts davon bekannt war. – »Nun wahrhaftig,« rief Duncan, »dann will ich schnell austrinken und wieder weiter. Vielleicht sind sie gar im Gehölz? Euer Gnaden wollen meinen schnellen Abschied entschuldigen! ich bin gleich wieder zurück, entweder mit dem lebendigen Donacha oder mit seinem Kopfe, was ebensogut ist.« Unter vielen Verbeugungen verließ Duncan das Pfarrhaus, um mit seinen Mannen das Gehölz zwischen dem kleinen Gebirgstal und der Zigeunerbucht abzusuchen. David, den der Hauptmann wegen seines Mutes gut leiden mochte, ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, ihn auf diesem Zuge zu begleiten. Siebenundzwanzigstes Kapitel Duncan war mit seinen Gefährten noch nicht weit in die Zigeuner-Bucht vorgedrungen, als sie schnell hintereinander Schüsse fallen hörten. »Da hör einer, wie die Schufte wieder unter den Rehen aufräumen!« rief er, »nun, Bursche, drauf und dran!« Schwertergeklirr drang zu ihren Ohren und beflügelte ihre Schritte, und nicht lange mehr, so hatten sie die Stelle erreicht, wo Reuben Butler und Stauntons Diener im Handgemenge mit vier Räubern waren. Am Boden hingestreckt, das Schwert noch in der Rechten, lag Georg Staunton da. Kühn wie ein Löwe, riß Duncan das Pistol aus dem Gürtel und feuerte es auf den Anführer der Räuberschar ab. Dann schwang er das Schwert, und mit dem Ruf an seine Mannen: »Claymore! Claymore!« rannte er es dem schon verwundeten Anführer, der kein anderer als Donacha Dunean selbst war, durch den Leib. Schnell waren nun auch die anderen Räuber überwältigt, einen jungen Burschen ausgenommen, der für seine Jahre einen unerhörten Widerstand leistete, aber endlich mit Aufwand großer Mühe bezwungen wurde. Sobald Butler freie Hand hatte, eilte er zu dem am Boden liegenden Sir Staunton, aus dessen Körper jedoch schon alles Leben gewichen war. »Ein schweres Unglück,« sagte Duncan Knockdunder; »es wird wohl am klügsten sein, wenn ich mich auf den Weg mache und es der edlen Dame selbst melde.« David, es war heute das erste Pulver, das Du gerochen; aber, Junge, Prachtjunge!« rief er, »Du hast Dich trefflich gehalten. Da, nimm mein Schwert und schlage zum Lohne dafür dem Donacha den Kopf vom Rumpfe! Der gnädigen Dame wird es auch wohl lieber sein, wenn sie die Leiche unversehrt sieht. Hoffentlich verweigert sie mir die Anerkennung nicht, daß ich edelmännisches Blut schnell, und wie es sich gehört, zu rächen weiß.« So sprach ein Mann, der in den Sitten und Bräuchen des Hochlandes ergraut und nicht gewöhnt war, in dem Ausgange solches Scharmützels eine Merkwürdigkeit oder einen erschütternden Vorgang zu erblicken. Die wesentlich andere Wirkung zu schildern, die das gräßliche Unglück auf Lady Staunton hervorbrachte, als sie den Gemahl, den sie frisch und gesund wiederzusehen gehofft, als blutüberströmte Leiche in das Pfarrhaus tragen sah, wollen wir nicht versuchen. Sie vergaß alles Herzeleid, das er ihr zugefügt, und sah in ihm nur den Geliebten der Jugend; möchte er sich an der Welt auch noch so schwer versündigt haben, in ihren Augen besaß er nur die kleinen Fehler und Gebrechen, die reizbaren, übernervösen Gemütern leicht zu eigen werden, wenn Erziehung versäumt, sie rechtzeitig zu ernsten Grundsätzen zu führen. In ihrem maßlosen Schmerze überließ sie sich ganz der wilden Heftigkeit ihres Temperaments, und Jeanie mußte ihre ganze Liebe aufbieten, um ihr den Mund zu verschließen, denn wenig fehlte, so hätte sie das Geheimnis verraten, auf dessen Geheimhaltung jetzt doch soviel ankam. Erst als sich ihr Schmerz einigermaßen ausgetobt hatte, ließ Jeanie die Schwester allein und begab sich zu ihrem Manne, um mit ihm über das weitere Verhalten zu beraten; sie meinte, die Verhältnisse erheischten es, daß Reuben der Amtswaltung des Hauptmanns zuvorkomme und im Namen der Lady Staunton auf alle Schriftstücke und Papiere ihres verstorbenen Gemahls Beschlag lege. Reuben Butler war wie vom Donner gerührt, als er jetzt aus Jeanies Munde den eigentlichen Zusammenhang erfuhr, daß Lady Staunton Effie, daß Effies verstorbener Gemahl identisch sei mit Georg Robertson. Aber in dieser Krisis trat Jeanies Seelenstärke, ihr klarer Blick, und ihre unermüdliche Tätigkeit in das glänzendste Licht; während Knockdunder sich nicht eine Sekunde an der zur Erfrischung notwendigen Zeit kürzen mochte, dann eine umständliche Zeugenvernehmung vornahm und zwar in der gälischen sowohl als in der englischen Sprache, sorgte sie dafür, daß der Leichnam ihres verewigten Schwagers gewaschen, umgekleidet und aufgebahrt wurde. Das Kruzifix und der Rosenkranz, die sich über dem härenen Büßerhemde an seinem Leibe befanden, lieferten Zeugnis dafür, daß er sich, im drückenden Bewußtsein der auf ihm lastenden Schuld, zu jener Religion bekannt hatte, welche lehrt, daß durch leibliche Kasteiung die Sünden des Geistes zu sühnen seien. In dem Bündel von Briefen und Schriftstücken, das ein Eilbote für Sir Staunton gebracht hatte, fand Reuben Butler weitere höchst befremdliche Nachrichten, so daß er Gott innig dankte, ihn von dem Schritte, zu dem ihm seine Frau geraten, nicht abgehalten zu haben. Ratcliffe nämlich, der Fühlung mit allen Verbrechern im Lande besaß, hatte, angespornt durch die ihm verheißene Belohnung, schnell eine Spur von dem abhanden gekommenen Kinde des unglücklichen Elternpaares gefunden: jenes Weib, dem die am Galgen gestorbene Megg Murdockson das Kind überantwortet hatte, hatte es bis zu seinem achten Lebensjahre mit sich im Lande herumgeschleppt und, wenn nicht zu Schlimmerem, sicher zum Betteln angehalten. Als sie darauf wieder in das Edinburger Zuchthaus wandern mußte, hatte sie das Kind an Donacha Dhuna Dunaigh verkauft, der damals noch als Kesselflicker im Lande umherzog. Ein hartgesottener Bösewicht wie er, stand natürlich jenem schrecklichen Handel nicht fremd, der damals zwischen England und Amerika getrieben wurde. Um Leute zur Arbeit auf den Pflanzungen zu bekommen, schreckte man damals nicht zurück, auch Weiße, und zwar vornehmlich Kinder beiderlei Geschlechts, dorthin zu verschachern. Bis hierher führte Ratcliffes Spur; er war nicht im Zweifel, daß Sir Staunton weitere Nachricht durch Donacha-Dhuna erlangen könne. Aus diesem Grunde hatte der schon öfter im Verlaufe dieser Erzählung genannte Rechtsanwalt ein Schreiben an Sir Staunton und gleichzeitig an den Hauptmann Knockdunder einen Haftbefehl gegen Donacha-Dunca durch Eilboten gesandt. Was nun Reuben Butler weiter erfuhr, als er sich zu Knockdunder begab, um an der noch im Gange befindlichen Zeugenvernehmung teil, wie von dem bereits aufgenommenen Protokoll Kenntnis zu nehmen, war folgendes: Donacha hatte tatsächlich den unglücklichen Knaben, dem Effie bei der Megg Murdockson das Leben geschenkt, gekauft, in der Absicht, ihn mit erklecklichem Profit an eines jener amerikanischen Scheusale von Menschenhändlern zu verkaufen. Es hatte sich aber nicht sogleich eine hierzu günstige Gelegenheit geboten, und da er inzwischen an dem Knaben gewisse Charakterzüge merkte, die nach seinem Sinne waren, kam er auf den Einfall, ihn bei sich zu behalten. Er wurde, wie Donacha mit besonderer Freude feststellte, das richtige Satanskind: prügelte er ihn, so jammerte er nicht wie andere Kinder und bettelte auch nicht wie andere Kinder, sondern fluchte und drohte, sich dafür bitter zu rächen; in allen Schlichen und Ränken war er früh zu Hause, und die nichtsnutzigsten Lieder und Zoten waren ihm geläufig. Vom elften Jahre gehörte er der Bande Donachas unter dem Spitznamen »Pfeiferhans« als regelrechtes Mitglied an und nahm regen Teil an ihren Beutezügen. Den letzten derselben hatten die von seinem wirklichen Vater angestellten Nachforschungen nach seinem Verbleib veranlaßt. Donacha war schon eine Zeitlang durch die strengen Maßregeln, die gegen alles rechtlose Gesindel in den Grenzdistrikten verhängt worden, zu äußerster Vorsicht gemahnt worden, und hatte sich, da sich die Verhältnisse nach dieser Richtung immer mehr verschärften, vorgenommen, überhaupt aus dem Lande zu flüchten und die alten Freunde und Bekannten unter den Schleich- und Sklavenhändlern Amerikas aufzusuchen. Aber einen letzten Streich wollte er zuvor noch ausführen. Er hatte Kenntnis davon bekommen, daß im Pfarrhause zu Knocktarlitie ein reicher Engländer eintreffen sollte; was ihm sein Zögling von dem Golde erzählt, das er in der Börse der Lady gesehen, war ihm auch nicht aus dem Sinne gekommen, und was der Pfarrer auf dem Kerbholze bei ihm hatte, auch nicht; obendrein ging die Rede, daß derselbe aus Edinburg viel Geld mitbringe, und aus all diesen Gründen war Donacha bestimmt worden, in dem Walde bei der Zigeunerbucht, wo man ihn, der Nähe halber, am wenigsten vermuten dürfte, die Nacht abzuwarten und von dort in die Pfarrei einzubrechen, nach verübter Untat sogleich in See zu stechen und die Beute mit nach Amerika hinüberzunehmen. Dieser verwegene Plan wäre ihm wahrscheinlich gelungen, wäre sein Versteck nicht zufällig durch Sir Georg und Reuben Butler auf ihrem Wege nach dem Pfarrhause entdeckt worden. Donacha, der die Reisenden als sichere Opfer betrachtete, war ohne Bedenken über sie hergefallen, aber in dem Kampfe infolge des tapfern Widerstandes, den Sir Georg leistete, schnell unterlegen; leider aber war Sir Georg, und allem Vermuten nach durch die Hand des eignen Sohnes, den er so lange gesucht, und den er auf solch unglückselige Weise wiederfinden sollte, dabei um sein noch verhältnismäßig junges Leben gekommen. Während Butler, von dem schrecklichen Ereignisse wie zu Eis erstarrt, dastand, wetterte Knockdunder, sein Entsetzen noch verstärkend, wie ein Rasender gegen die gefangenen Räuber. »Die Glockenstränge laß ich aus dem Turme holen,« schrie er, »und knüpfe das Diebespack an Ort und Stelle auf, damit im Lande wieder Respekt vor Recht und Gesetz einzieht.« – Butler hielt ihm vor, daß die Gefangenen, da in Schottland alle erbliche Jurisdiktion abgeschafft sei, nach Glasgow oder Inverary transportiert werden müßten, da sie nur dort gerichtet werden könnten. Aber Duncan wollte hiervon nichts hören; Rebellen gegenüber seien Ausnahmegesetze am Platze und im Brauche, und vor allem in Argyle gelte nach wie vor herzogliches Recht; er lasse sich unter keinen Umstanden davon abbringen, die drei Kerle vor dem Fenster von Lady Stauntons Schlafzimmer aufzuknüpfen, damit die hohe Dame sähe, daß er, Duncan von Knockdunder, noch nicht verlernt habe, wie in Schottland Blutrache geübt werde. Endlich aber gelang es Reuben Butler doch, ihm solchen Verstoß gegen das jetzt im Lande herrschende Gesetz soweit auszureden, daß er sich einverstanden erklärte, die beiden Männer nach Glasgow bringen zu lassen; den Pfeiferhans aber wollte er »am Galgen pfeifen lassen«, damit es im Lande nicht heiße, ein Freund des Herzogs sei im Distrikte des Herzogs ungerächt ermordet worden. Die Nacht hatte sich niedergesenkt, und alles im Hause war still und ruhig, als Jeanie, um das ihrem Neffen drohende Schicksal, wenn sie ihn der Besserung fähig erkennen sollte, abzuwenden oder wenigstens zu verzögern, die Kammer, in die ihn Knockdunder gesperrt hatte, mit einem Hauptschlüssel öffnete und vor den auf dem Estrich liegenden Zigeunerburschen trat. In seinem sonnverbrannten, durch Schmutz und Ruß verunstalteten, von rauhem schwarzen Haar halb verdeckten Gesicht suchte sie vergeblich nach einer Spur von Aehnlichkeit mit seinen durch Schönheit ausgezeichneten Eltern. Und doch, wie konnte sie einem so jungen, elenden Wesen ihr Mitleid versagen: war sein Elend ja viel größer, als er selbst es ahnte oder ahnen konnte, da der Mord, den er, wenn nicht aller Wahrscheinlichkeit selbst begangen, doch mit verschuldet hatte, ein Vatermord war! Sie setzte Speise und Trank neben ihn, richtete ihn auf, lockerte die Bande, die ihm die Hände fesselten, damit er essen könne. Er streckte die Hände nach der Speise aus, – Hände, an denen Vaterblut noch klebte, – und verschlang gierig und schweigend Speise und Trank. »Wie lautete Dein erster Name?« fragte sie, um das Gespräch mit ihm zu beginnen. – »Pfeiferhans!« – »Und Dein Taufname?« – »Ich habe, so viel ich weiß, kein Taufbecken gesehen. Ich heiße Pfeiferhans und nicht anders.« – »Armer unglücklicher Mensch,« rief Jeanie; »was tätest Du, wenn Du von hier flüchten, wenn Du dem Tode, der Dir morgen droht, entrinnen könntest?« – »Zu Rob Roy oder More Cameron schlüge ich mich durch, und rächte Donachas Tod an all und jedem!« – »Unglückseliger,« rief Jeanie, »weißt Du auch, was aus Dir wird, wenn Du stirbst?« – »Dann friert's mich nicht mehr!« versetzte der Jüngling verstockt. »Ihn in solcher Beschaffenheit hinrichten zu lassen,« sprach Jeanie bei sich, »bedeutet Leib und Seele zugleich vernichten – aber entfliehen lassen darf ich ihn auch nicht. Gott! was soll ich beginnen? und doch ist er meiner Schwester Sohn, mein Neffe, von unserm Fleisch und Blut! und Hände und Füße sind ihm so fest geschnürt, daß sie ihm schier ins Fleisch schneiden.« »Pfeifer, schmerzen Dich die Stricke?« fragte sie. – »Sehr,« klagte er. – »Wenn ich sie Dir löse, tätest Du mir was zuleide?« – »Nein, hast Du doch mir und den Meinen auch nichts zuleide getan.« – »Vielleicht ist doch noch ein Funke von Gutem in seinem Gemüte,« dachte Jeanie, »ich will versuchen, was Milde über ihn vermag.« Sie löste seine Bande, und er sprang auf, blickte mit wilder Miene um sich und klatschte in die Hände, wie außer sich vor Freude, daß er frei war. Er sah so wild aus, daß Jeanie vor dem, was sie getan, zitterte. – »Laß mich hinaus,« rief der junge Wilde. – »Nicht eher, als bis Du mir versprichst.« – »So sollst Du schnell froh sein, wenn wir beide draußen sind!« rief er, nahm das brennende Licht und warf es in den Flachs, daß im Nu die Flammen hoch schlugen. Jeanie schrie und rannte aus der Kammer. Der Zigeunerbursch sprang an ihr vorbei, riß ein Fenster auf, war mit einem Satze unten, im Garten, mit einem zweiten über den Zaun hinüber, durch den Wald und hatte im Nu das Seeufer erreicht. Es gelang, den Brand zu löschen; aber da Jeanie über ihr Geheimnis nichts verlauten ließ, ahnte auch niemand, daß sie es gewesen, die dem Zigeuner zur Flucht verholfen hatte. Was aus ihm geworden, erfuhren sie erst Wochen nachher; sein Leben verlief so wild, wie er es begonnen hatte. Das Schiff, auf dem sich Donacha einschiffen wollte, nahm den Pfeiferhans mit; sein habsüchtiger Kapitän aber, ergrimmt über den Verlust der reichen Beute, die Donacha an Bord zu bringen versprochen hatte, hielt sich am Pfeiferhans schadlos, indem er ihn an einen virginischen Pflanzer als Sklaven verkaufte. Reuben Butler schickte, als ihn diese Kunde erreichte, eine Geldsumme nach Westindien, die ihn loskaufen sollte; allein die Hilfe kam zu spät; Pfeiferhans war ausgebrochen und, nachdem er seinen grausamen Herrn ums Leben gebracht, zu einem Indianerstamm geflohen. Dort ist er umgekommen, wahrscheinlich gewaltsam – gehört hat niemand mehr etwas von ihm. Reuben und Jeanie hielten es nicht für geraten, Effie von dem schrecklichen Schicksal ihres Sohnes Kenntnis zu geben. Ueber ein Jahr nach dem Tode ihres Mannes war sie im Pfarrhause geblieben. Zuerst hatte sie wahren Kummer gefühlt; in den letzten Monaten hatte sich mehr Verdruß und üble Laune über die Einförmigkeit ihres friedlichen Landlebens ihrer bemächtigt. Effie neigte nun einmal von frühester Jugend, im Unterschied von ihrer Schwester, zu Unterhaltung und Zerstreuung. Als sie Knocktarlitie den Rücken wandte, fand sie sich auf das freigebige bei ihrer Schwester für alles, was sie an ihr getan, ab; aber als der erste Trennungsschmerz vorüber war, erschien Effies Abreise nicht bloß ihr, sondern auch Jeanie und deren Manne als eine Wohltat. In die stille Glückseligkeit von Knocktarlitie drang mit der Zeit die Nachricht, daß die reiche, schöne Lady Staunton ihren Rang in der vornehmen Welt wieder eingenommen habe; aber sie vergaß der treuen Schwester nicht, denn durch sie erhielt David eine Offiziersstelle im britischen Heere, und da der soldatische Geist Bibel-Butlers in ihm wieder aufgelebt zu sein schien, machte er rasch Karriere. Sein Bruder Reuben widmete sich der Rechtswissenschaft, ebenfalls mit großem Erfolge. Euphemia Butler, ihrer Tante an Schönheit gleich und durch dieselbe aufs reichste ausgestattet, vermählte sich mit einem hochländischen Laird und wurde mit Hochzeitsgeschenken so reich bedacht, daß man sie weit und breit in Dumbarton und Argyleshire um ihr Glück neidete. Noch etwa zehn Jahre glänzte Lady Staunton in der vornehmen Welt als ein bewunderter Stern; aber wie so viele dort unter einer glänzenden Außenseite ein blutendes Herz verbergen, so fand auch Effie nie das wahre Glück. Höchst ehrenvolle Heiratsanträge schlug sie aus und zog sich endlich, nicht mehr im stande, ihre Herzenswunde zu verbergen, auf den Kontinent und in das Kloster zurück, in welchem sie ihre Bildung erhalten. Den Schleier nahm sie nicht, lebte aber hinfort abgeschieden von der Welt und in strenger Ausübung des katholischen Glaubens, zu welchem sie, zu Jeanies und Reubens tiefem Leidwesen, übergetreten war. Glücklich in ihrer Liebe, geehrt von allen, die sie kannten, am glücklichsten aber über das Glück ihrer Kinder, lebten die ehrsamen Pfarrersleute von Knocktarlitie viele Jahre noch nach Effies Heimgange, und als auch sie dem Leben ihren Tribut zahlten, blieb ihnen die Liebe aller, die sie kannten, auch über das Grab hinaus treu. Ende Ivanhoe Übersetzt und bearbeitet von Richard Zoozmann Ivanhoe. A Romance. Edinburgh 1819 Erstes Kapitel In der anmutigen Provinz des glücklichen England, die der Don durchströmt, dehnte sich in alter Zeit ein großer Wald aus, der die lieblichen Hügel und Täler zwischen Sheffield und der freundlichen Stadt Doncuster bedeckt. Überreste dieses mächtigen Forstes findet man noch in der Umgegend der Rittersitze Wentworth, Warncliffe-Park und bei Rotherham. Hier hauste einst der sagenhafte Drache von Wantley, hier wurde manche blutige Schlacht im Bürgerkrieg der weißen und roten Rose ausgefochten, hier trieben vor alten Zeiten die tollkühnen Räuberhorden ihr Wesen, deren Taten durch die englischen Volkslieder überall bekannt geworden sind. Und hier liegt auch der eigentliche Schauplatz dieser Erzählung und die Zeit, zu der sie spielt, reicht bis zum Ende der Regierung Richards des Ersten, als seine Untertanen, die während seiner langen Gefangenschaft auf jede mögliche Weise bedrückt und geknechtet waren, seine Rückkehr wohl von Herzen wünschten, doch nicht zu erhoffen wagten. Der Adel, der während Stephans Regierung zu unbegrenzter Macht gelangt war, und den Heinrich der Zweite durch kluge Politik der Krone etwas von neuem untertänig gemacht hatte, schlug jetzt wieder völlig über die Stränge, kümmerte sich nicht um den ohnmächtigen Protest des englischen Staatsrates, befestigte seine Schlösser, verstärkte die Zahl seiner Hörigen und Reisigen, machte sich alles in seiner Umgebung zu Vasallen und bot alle Kraft auf, um, jeder in seinem Kreise, zu Macht und Gewalt zu gelangen und in den aller Voraussicht nach nahe bevorstehenden staatlichen Katastrophen eine hervorragende Rolle spielen zu können. Die Angehörigen des niederen Adels oder die Franklins, wie man sie nannte, die von Gesetzes wegen und durch den Geist der englischen Verfassung berechtigt waren, von der Feudaltyrannei unabhängig zu bleiben, wurden durch diese Zustände mehr als je in ihrer Existenz gefährdet. Wenn sie sich, was meist der Fall war, dem Schutze eines der kleinen Könige aus ihrer Umgebung unterstellten, an seinem Hofe Lehnsdienste taten, oder sich in einem gegenseitigen Schutz- und Trutzbündnis verpflichteten, ihm in seinen Unternehmungen Beistand zu leisten, so hatten sie sich allerdings wohl eine vorübergehende Sicherheit erkauft, aber eben dafür die Unabhängigkeit hingegeben, die jedem englischen Herzen lieb und teuer ist, und sie konnten mit Bestimmtheit darauf rechnen, in ein unbesonnenes Unternehmen hineingezogen zu werden, zu dem sich ihr Schutzherr aus Ehrgeiz hinreißen lassen würde. Auf der anderen Seite standen den mächtigen Baronen soviele Mittel zu Gebote, die kleinen Adligen zu knechten und zu schurigeln, daß sie nie um einen Vorwand verlegen waren und nur in seltenen Fällen darauf verzichteten, mit ihren Feindseligkeiten alle die unter ihren weniger mächtigen Nachbarn zu verfolgen, die es wagten, sich ihrer Oberherrschaft zu entziehen und in diesen gefahrvollen Zeiten ihren einzigen Schutz in ihrer makellosen Führung und in den Gesetzen des Landes zu suchen. Ein Umstand, dem es zum großen Teile zuzuschreiben war, daß der hohe Adel ein so tyrannisches Wesen treiben durfte und daß seine niederen Klassen in so arge Bedrängnis geraten waren, lag in den Folgen, die die Eroberung des Herzogs von der Normandie mit sich brachte. In vier Geschlechtern hatte sich weder das feindliche Blut der Normannen und der Angelsachsen vermischen, noch hatten sich durch gleiche Sprache, gleiche Ziele und Interessen zwei feindliche Stämme miteinander verschmelzen können, denn auf der einen Seite machte sich stets der Stolz und der Dünkel des Siegers geltend, und auf der anderen hatten die Folgen der Niederlage denn doch zu tiefe Wunden geschlagen. Nach der Schlacht von Hastings hatte der normännische Adel die Gewalt völlig in Händen, und er machte nicht eben milden Gebrauch davon. Das Geschlecht der sächsischen Fürsten und Edelherren war entweder völlig vernichtet oder seines Erbteils beraubt worden, bis auf wenige aus der zweiten oder noch niedrigeren Klasse, die im Lande ihrer Väter noch als Herren auf eigenem Grund und Boden saßen. Lange hatte der König seine Gewalt dahin zu nutzen versucht, jenen Teil der Bevölkerung, der erwiesenermaßen stets einen tief eingewurzelten Haß gegen den Sieger und Unterdrücker hegt, in seiner Macht zu schmälern. Alle Herrscher normännischen Geblüts bekundeten unstreitig stets die offenste Vorliebe für ihre normännischen Untertanen. Jagdgesetze und andere Paragraphen, von denen der freie duldsame Geist der sächsischen Verfassung nichts wußte, waren dem Nacken der unterjochten Bewohner aufgebürdet worden, um die Fesseln der Feudalherrschaft noch schwerer zu gestalten. Am Hofe selbst und in den Schlössern der hohen Herren, wo man dem Luxus und der Pracht des Hofes gleichzukommen strebte, war nur die normännisch-französische Sprache im Gebrauch und in der gleichen Sprache wurden auf den Gerichten die Klagen und die Urteile abgefaßt. Mit einem Wort: französisch war die Sprache der vornehmen Welt, der Ritterschaft und der Herren vom Gericht, während das ausdrucksvolle und mannhaftere Angelsächsisch nur noch bei den Bauern und Knechten in Gebrauch war, die einer anderen Sprache nicht mächtig waren. Und da nun die Grundbesitzer mit den Bauersleuten Gemeinschaft unterhalten mußten, so bildete sich allmählich aus diesem Verkehr eine besondere Mundart, eine Mischung aus Französisch und Angelsächsisch, in der sie sich untereinander verständigten. Dieser aus Zwang entstandene Dialekt hat dann die englische Sprache gezeitigt, in der sich die Sprache der Sieger mit der der Besiegten aufs glücklichste verquickt hat und die dann im Laufe der Zeit aus Übertragungen aus den Sprachen des klassischen Altertums und aus der Literatur der südlichen Völker Europas in hohem Maße bereichert worden ist. – Der Verfasser glaubte den Leser über diesen Zustand der Dinge unterrichten zu müssen, damit er stets dessen eingedenk sein soll, daß eine Nationalverschiedenheit zwischen den Sachsen und den Siegern und die nie geschwundene Erinnerung an das, was sie gewesen und was jene aus ihnen gemacht hatten, bis in die Regierung Eduards des Dritten stets wach geblieben ist. Die Wunden, die der Gegner geschlagen hatte und die er, sobald sie im Vernarben waren, stets wieder aufriß, ließen eine scharfe Scheidung zwischen den Abkömmlingen der siegreichen Normannen und den Nachkommen der unterdrückten Sachsen immer merklich erkennen. Auf einer der satten Wiesen des anfangs erwähnten Waldes lag heller Sonnenschein. Hunderte von breiten, kurzstämmigen Eichen, die vielleicht schon die römischen Legionen in prachtvollem Aufzug vorüberziehen sahen, beschatteten mit ihren weitausladenden knorrigen Zweigen den dichten grünen Teppich des lieblichen Rasens. An manchen Stellen standen Buchen, Pappeln und andere Baumarten in so dichtem Gemisch dazwischen, daß die Strahlen der sinkenden Sonne kaum hindurchdringen konnten. An anderen Stellen bot sich ein weiter, herrlicher Durchblick, in die das Auge so gern hineinspäht, während die Phantasie in ihren Gründen noch Bilder der Waldeinsamkeit erwartet. Die Purpurstrahlen der untergehenden Sonne verbreiteten hier einen milden fahlen Schein, der da und dort auf den Zweigen und Stämmen lag, und auch auf dem Rasen malten sich stellenweise Flächen von Licht, die den Weg der Sonne bezeichneten. Ein weiter Kreis in der Mitte des Grasplatzes schien vor Zeiten dem Götzendienst der Druiden geweiht gewesen zu sein; denn oben auf einem Hügel, der so regelmäßig erschien, als ob er von Menschenhänden errichtet worden sei, waren die Überreste eines großen Kreises aus roten, unbehauenen Steinen zu sehen. Sieben von ihnen waren hochgestellt, die anderen lagen flach umher und waren durcheinandergeworfen, vielleicht von einem zum Christentum bekehrten Eiferer. Andere wieder lagen dicht an ihrem alten Fleck, andere auf dem Abhang des Hügels. Nur ein großer, umfänglicher Block war ganz heruntergeglitten und hatte den Lauf eines kleinen Baches versperrt, der sich sanft um den Fuß des Hügels herumschlängelte und nun in leisem Murmeln über dieses Hemmnis hinwegrann. Zwei menschliche Gestalten waren in dieser Landschaft zu sehen und Tracht und Erscheinung kennzeichnete sie in ihrer Wildheit und Rauheit als Waldbewohner des Westens von Yorkshire. Der Ältere von beiden sah ernst, wild und düster aus. Seine mehr als einfache Kleidung bestand aus einer knappen Ärmeljacke aus gegerbtem Tierfell, an der sich das ursprünglich nicht abgeschorene Haar mit der Zeit so sehr abgeschabt hatte, daß sich aus dem, was noch daran war, schwer hätte sagen lassen, von welchem Tiere der Pelz stammte. Dieser Überkittel ging vom Hals bis zum Knie und bedeckte also den ganzen Leib, und das einzige Loch, das er hatte, war gerade groß genug, daß der Kopf hindurchgesteckt werden konnte. Er mußte mithin wie ein Hemd beim Anziehen über Kopf und Schultern gestreift werden. Sandalen mit schweinsledernen Riemen schützten die Füße, eine Rolle von dünnem Leder war als Gamasche um die Beine geschlungen worden und ließ, wie es bei den schottischen Hochländern Brauch war, das Knie nackt. Damit die Jacke praller sitzen sollte, war sie in der Mitte durch einen breiten Ledergürtel mit metallener Schnalle zusammengehalten. An diesem Gurt hing an der einen Seite eine Art Tasche, an der anderen ein zum Blasen gerichtetes Widderhorn mit Mundstück. Ferner steckte darin ein langes, breites Messer mit scharf zugespitzter zweischneidiger Klinge und einem Griff aus Hirschhorn. Derartige Messer wurden in dieser Gegend hergestellt und hießen schon damals Sheffieldmesser. Der Mann hatte zur Kopfbedeckung nichts weiter als sein starkes zusammengerafftes und geflochtenes Haar, das im Scheine der Sonne wie dunkelrot erschien und stark gegen den die Wangen bedeckenden Bart abstach, der die Farbe des Bernsteins hatte. Ein sehr seltsames Stück seines Anzuges muß noch genannt werden, nämlich ein metallener Ring, der wie ein Hundehalsband aussah, aber keine Öffnung hatte und sich fest um den Hals schloß, ohne daß der Mann dadurch am Atmen behindert worden wäre. Auf diesem merkwürdigen Halsschmuck, der nur mit der Feile zu lösen gewesen wäre, stand in angelsächsischen Buchstaben die folgende Inschrift: Gurth, Beowulfs Sohn, ist durch Geburt Leibeigener Cedrics von Rotherwood. Neben diesem Schweinehirten, denn dies war Gurths Amt, saß auf einem Trümmerstein der Druidenstätte ein Mann, der zehn Jahre jünger zu sein schien und dessen Tracht im Schnitt der seines Gefährten ähnlich, jedoch aus besserem Stoff gefertigt war und phantastischer aussah. Sein Wams war früher von hellem Purpur gewesen und unbeholfene Verzierungen in verschiedenen Farben waren grotesk darauf gemalt worden. Der Mantel, der ihm nur bis zur Hälfte des Leibes reichte und aus karmoisinrotem Tuch mit hellgelber Einfassung bestand, war schon stark abgetragen, und da er um beide Schultern geworfen und um den Leib geschlungen werden konnte, so war er im Vergleich zu seiner Kürze unverhältnismäßig weit und gab daher ein recht seltsames Kleidungsstück ab. Der Mann trug schmale, silberne Armbänder und um den Hals ein Band von dem gleichen Metall mit der Inschrift: Wamba, Sohn des Ohnewitz, ist Leibeigener Cedrics von Rotherwood. Er trug Sandalen wie sein Gefährte, aber statt der Lederrollen hatte er richtige Gamaschen, von denen die eine rot, die andere gelb war. Seine Mütze war mit einer Menge Schellen besetzt wie man sie den Falken anhängt. Die klingelten, wenn er den Kopf bewegte, und da er nicht einen Augenblick still saß, so klirrte und klimperte es unaufhörlich. Um die Spitze der Mütze lief ein breites Band von steifem Leder, das oben ausgezackt war und wie eine kleine Krone aussah. Aus ihr hing eine Art Beutel hervor, der auf die Schulter herabbaumelte und sich fast wie eine alte Nachtmütze oder wie ein Husarenkäppi ausnahm. Auch daran hingen Glöckchen. Dieser ganze Aufputz und der halbpfiffige, halbirre Ausdruck seines Gesichts kennzeichneten ihn hinlänglich als einen jener Hausnarren, die sich die Reichen zum Zeitvertreib halten, um besser über die langweiligen Stunden hinwegzukommen, die ihnen in ihren vier Pfählen nicht erspart bleiben. Wie sein Gefährte trug auch er eine Art Tasche am Gurt, aber er hatte weder Horn noch Messer, wahrscheinlich weil es für gefährlich erachtet wurde, dem Menschenschlag, zu dem er gehörte, scharfe Instrumente in die Hand zu geben. Dagegen führte er ein hölzernes Schwert wie Kasperle auf dem Theater. Wie das Äußere der beiden Männer einen scharfausgeprägten Gegensatz erkennen ließ, so auch ihr Blick und ihr Wesen. Der Hirt und Leibeigene hatte ein trübes und düsteres Gebaren. Das Auge war mit dem Ausdruck tiefer Verzweiflung zu Boden gesenkt und schien gänzliche Apathie zu bekunden, nur ab und zu flammte es in seinem roten Auge auf und deutete darauf hin, daß sich unter seinem dumpfen Kleinmut die Empfindung, geknechtet zu sein, und das Verlangen, sich dagegen aufzubäumen, schlummernd regten. Wambas Miene dagegen verriet die bei Menschen seines Schlages in der Regel vorhandene Neugier, eine quecksilberne Hast und die größte Zufriedenheit mit seiner Lage und seiner Kleidung. Beide unterhielten sich angelsächsisch, eine Sprache, die, wie schon erwähnt, ausschließlich bei den niederen Klassen in Gebrauch war. »Hol der heilige Withold die verflixten Schweine!« brummte der Hirt, nachdem er aus Leibeskräften ins Horn geblasen hatte, um die verstreute Herde zusammenzubringen, die seinem Rufe zwar in ebenso melodischer Weise antwortete, aber doch von seinem leckeren und reichen Mahle aus Eicheln und Bucheckern nicht wegzubringen war. Auch hatten sie nicht die geringste Lust, das schlammige Ufer des Flusses zu verlassen, wo sich mehrere recht gemächlich im Moraste wälzten und das Horn blasen ließen, was es blasen mochte. »Hol sie der heilige Withold und mich selbst!«, sagte Gurth. »Wenn der Wolf mit zwei Beinen nicht noch 'n paar vor der Nacht wegmaust, will ich keine ehrliche Kreatur sein. – Hierher! Packan! Hierher!« schrie er seinem zottigen Hunde zu, einem wolfsähnlichen Tiere, halb Bullenbeißer, halb Windspiel, der eifrig hin und her hetzte, um die widerspenstigen Grunzer seinem Herrn sammeln zu helfen. Entweder aber verstand er die Hornsignale seines Herrn nicht und wußte auch noch nicht, was ihm zu tun oblag, oder er handelte aus vorsätzlicher Böswilligkeit so, denn er trieb die Schweine nur noch mehr auseinander und machte daher das Übel nur noch ärger. »Mag der Deibel dem Viech die Zähne ausreißen!« schimpfte Gurth. »Wamba, wenn du 'n braver Kerl bist, so komm und hilf mir! Lauf um den Hügel rum, daß du ihnen in 'n Rücken kommst. Wenn du ihnen die Witterung abkriegst, kannst du sie wie harmlose Lämmerkens vor dir hertreiben.« »Weiß der Kuckuck!« sagte Wamba, ohne sich vom Flecke zu rühren, »ich habe meine Beine gefragt, wie sie drüber denken, und die meinen nu mal, daß ich meine Kleider nicht durch diese Pfützen treiben dürfe, wenn ich mich nicht geradezu versündigen will an meiner hohen Person und meiner fürstlichen Garderobe. Derowegen rat ich dir, Gurth, ruf den Packan weg und überlasse die Herde ihrem Schicksal. Ob sie nu rumziehenden Soldaten oder Räubern oder langweiligen Pilgern in die Hände fällt, es kommt doch alles auf eins raus. Eh nämlich der Tag anbricht, werden die Schweine zu deiner Freude in Normannen verwandelt sein.« »Die Schweine in Normannen?« fragte Gurth. »Erklär mir das, Wamba, denn mein Schädel ist zu blöde und mein Gemüt zu bedrückt, als daß ich lustig genug wär, um Rätsel zu knacken.« »Wie nennst du das grunzende Viechzeug, das sich auf vier Beinen rumtreibt?« fragte Wamba. »Schweine, Narr, Schweine,« sagte der Hirt, »das weiß jeder Narr.« »Und Schwein ist 'n gut sächsisch Wort,« sagte der Hausnarr. »Aber wie nennst du die Sau, wenn sie ausgeweidet, abgesengt und aufgehängt ist wie 'n Hochverräter?« »Porc!« versetzte der Hirt. »Freut mich, daß auch das jeder Narr weiß,« antwortete Wamba. »Und Porc ist gut normännisch-französisch. Wenn das Viech lebt und von nem sächsischen Leibeignen gehütet wird, dann hats seinen sächsischen Namen, aber es wird 'n Normanne und heißt Porc, wenn es in 'n stattliches Schloß gebracht und den edlen Herren zum Mahle aufgetischt wird. Was sagst du dazu, Freund Gurth?« »Das hat Hand und Fuß, Freund Wamba, wenns auch der Schädel eines Narren ausgeheckt hat.« »Noch mehr kann ich dir sagen,« fuhr Wamba im gleichen Tone fort. »Da ist der ehrliche Aldermann Ochs, der behält auch seinen sächsischen Namen, solang er von Knechten und Leibeigenen bewacht wird, aber sobald er vor die hochgeehrten Kinnladen kommt, die allein auf Erden dazu da sind, ihn aufzuessen, dann wird er sogleich 'n stolzer, eleganter Franzose und nennt sich Boeuf. Und das gute Bürschchen Kalb wird auf diese Weise Monsieur de vaux. Solang es unter Aufsicht ist, bleibts ein Sachse, und sobalds eine Sache des Genusses wird, ist 'n Normanne draus geworden.« »Beim heiligen Dunstan!« entgegnete Gurth. »Was du da sagst, ist leider alles wahr. Nicht viel mehr ist uns gelassen, als die Luft, die wir atmen, und auch die scheinen sie uns nur ungern zu gönnen und nur deshalb zu lassen, damit wir die Lasten tragen können, die sie unserm Buckel aufgebürdet haben. Das Leckerste und das Fetteste ist für ihre Tafel, und das Hübscheste für ihr Bett, die Tüchtigsten müssen als Soldaten unter die fremde Herrschaft, in fernen Landen bleichen ihre Knochen und nur wenig bleiben übrig, die die Macht hätten und willens wären, die unglücklichen Sachsen zu beschützen. Gott segne unsern Herrn Cedric! der hat gehandelt wie 'n Mann, der in die Bresche springen will; aber Reginald Front-de-Boeuf durchzieht selbst das Land, und wir werden ja sehen, wie wenig alle Sorge und Mühe Cedrics helfen wird. – Hierher, hierher!« rief er, wieder die Stimme erhebend. »Halloh, halloh! wacker, Packan! Nu hast du sie alle beisammen und treibst sie weiter vor dir her!« »Gurth,« sagte der Narr, »du hältst mich für 'n ganz dummen Kerl, sonst tätest du nicht so leichthin deinen Kopf zwischen meine Zähne stecken. Ich brauchte Reginald Front- de-Boeuf oder Philipp von Malvoisin nur ein Wort zu sagen, daß du verräterische Pläne gegen die Normannen geäußert hättest, und du bist deiner Würde als Schweinehirt entsetzt und wirst bald an einem dieser Bäume hängen zum abschreckenden Exempel für alle, die über hohe Herren übles Gerede führen.« »Du Hund du!« knurrte Gurth. »Du wirst mich doch nicht verraten, nachdem du mich erst dazu verleitet hast, so zu reden?« »Dich verraten!« antwortete der Narr. »Gott bewahre! Das wär nur was für einen gescheiten Menschen, ein Narr weiß nicht, wie er das anzufangen hätte. Doch still! wer ist das?« setzte er hinzu, indem er auf die Hufschläge von Pferden hörte, die deutlich zu vernehmen waren. »Mir einerlei,« erwiderte Gurth, der jetzt seine Herde, von seinem Hunde unterstützt, durch einen Baumgang vor sich hertrieb, in dem es schon dunkel geworden war. »Ich will aber die Reiter sehen,« sagte Wamba, »am Ende sind sie aus dem Feenlande und bringen Botschaft von Oberon.« »Hol dich der Henker!« rief der Schweinehirt. »Wie kannst du nur solch Unsinn schwatzen, wo wenig Meilen von hier 'n fürchterliches Unwetter mit Blitz und Donner niederprasselt. Hör nur, wie der Donner rollt! Nie sah ich bei nem Sommerregen so dicke Tropfen schnurgerade runterfallen. Hier ist zwar noch alles still, aber schon rauschen die alten Eichen vorm Sturm, und in ihren Ästen stöhnts und knackts. Beiß du den Furchtlosen raus, wenn du Lust hast, aber hör diesmal auf mich und laß uns heimgehen, ehs Gewitter losbricht. Das wird ne entsetzliche Nacht!« Wamba entzog sich dieser Mahnung nicht und folgte seinem Gefährten, der einen Stock vom Rasen aufgehoben hatte, nun wacker durch die Lichtung fürbaß schritt und die ganze Herde, die einen höchst unmelodischen Lärm machte, mit Hilfe seines Hundes vor sich hertrieb. Zweites Kapitel Allen Aufforderungen und Scheltworten seines Gefährten zum Trotz, konnte Wamba nicht umhin, alle Augenblicke auf der Straße stehen zu bleiben, weil das Pferdegetrappel immer näher kam. Bald riß er von einem Haselstrauch ein paar halbreife Haselnüsse ab, bald sah er einem Bauernmädchen nach, das seinen Weg kreuzte. Die beiden wurden daher bald von den Pferden und Reitern eingeholt. Es waren zehn an der Zahl. Die zwei, die vorweg ritten, schienen hervorragende Personen zu sein, während die anderen wohl das Gefolge bildeten. Es war nicht schwierig, Charakter und Beruf des einen von diesen beiden Männern zu erkennen. Er war ohne Zweifel ein Geistlicher von hohem Range. Er trug die Gewandung eines Cisterziensermönches, nur aus feinerem Stoff, als es die Ordensregel erlaubt. Kutte und Kappe waren aus bestem Flamänder Tuch und fielen in weiten geschmackvollen Falten um seine hübsche, obwohl etwas beleibte Gestalt. Wie in dieser seiner Art, sich zu kleiden, keinerlei Verschmähung weltlichen Glanzes lag, so zeigte auch sein Gesicht keinen Zug der Selbstverleugnung. Seine Physiognomie hätte man anheimelnd nennen können, wenn nicht ein epikuräisches Blinzeln, das unter dem gesenkten Lide schlummerte, den versteckten Wollüstling verraten hätte. Außerdem hatte er sich in seinem Amt und dank seinen Verhältnissen eine strenge Herrschaft über seine Züge zu eigen gemacht, und er konnte nach Belieben zu jeder Zeit eine feierliche Miene aufsetzen, obgleich der natürliche Ausdruck seines Gesichtes gutgelaunte, gemütliche Gleichgültigkeit und Duldsamkeit war. Den Ordensbestimmungen und den Edikten der Päpste und Konzilien entgegen, waren die Ärmel seines Talars mit kostbarem Pelz besetzt und gefüttert, den Mantel hielt am Halse ein prachtvolles Schloß fest, und seine ganze Ordenstracht war verfeinert und ausgeschmückt. Dieser würdige Diener der Kirche ritt auf einem wohlgenährten Maultier, dessen Zaumzeug schön und reich verziert war; der Zaum selber war nach damaligem Brauch mit silbernen Glöckchen besetzt. Er saß nicht mit der Unbeholfenheit eines Klosterbruders, sondern mit der Haltung eines geübten Reiters im Sattel. Allerdings schien er den gutmütigen und gutzugerittenen Maulesel auch nur auf der Landstraße zu benutzen. Ein Laienbruder seines Gefolges führte für andere Gelegenheiten einen schönen spanischen Hengst bei sich, wie sie damals nur mit großen Schwierigkeiten und Gefahren für Personen von Rang und Reichtum von Händlern nach England gebracht wurden. Sattel und Schabracke dieses prächtigen Zelters waren mit einem langen Teppich bedeckt, der bis auf die Erde herabhing und mit Bischofskronen, Kreuzen und anderen kirchlichen Zeichen reich bestickt war. Ein anderer Laienbruder führte ein Saumtier, das wahrscheinlich das Gepäck trug, und zwei Mönche von demselben Orden, doch von niedrigerer Klasse, ritten hinter ihm drein, miteinander scherzend und lachend, und bekümmerten sich nicht im mindesten um die anderen Mitglieder des Reiterzuges. Der Gefährte des Prälaten war ein Mann von mehr als vierzig Jahren, schlank und hager, aber dabei stark und muskulös und von athletischem Wuchs. Langjährige Strapazen und unausgesetzte Bewegung hatten ihm alle Zartheit genommen, und er schien nur noch aus Knochen, Adern und Sehnen zu bestehen. Auf dem Kopfe trug er eine scharlachene, mit Pelz verbrämte Mütze, die sein Gesicht ganz frei ließ. Der Ausdruck dieses Gesichts war dazu angetan, zwar nicht Furcht, doch Achtung einzuflößen. Erhabene, von Natur stolze und gewaltige Züge waren von der Sonne der Tropen fast bis zur Farbe eines Negers gebräunt worden und schienen nach dem vorübergebrausten Sturm wilder Leidenschaften im Zustande der Ruhe zu schlummern. Doch die stark hervortretenden Stirnadern und das heftige und ungestüme Zucken der Oberlippe mit ihrem starken, dunkeln Stutzbart, das sich bei der geringsten Erregung bemerkbar machte, ließen vermuten, daß ein Sturm nur zu leicht zu erwecken war. Die kühnen, durchdringenden Augen des Mannes verrieten bei jedem Blick die Geschichte überstandener Mühseligkeiten und Gefahren und schienen zum Widerstand herauszufordern, ganz als hätte der Mann sein Vergnügen daran, den Mut zu üben und was er wollte, mit eisernem Willen durchzusetzen. Eine tiefe Narbe an der Stirn erhöhte noch das ernste Gepräge seines Antlitzes, wozu auch der ein wenig beeinträchtigte Ausdruck des einen Auges beitrug, das bei Entstehung jener Narbe gleichfalls ein wenig beschädigt worden war, nun zwar völlig gesund, aber einen schiefen Blick behalten hatte. Das obere Gewand dieses Mannes war dem seines Gefährten ähnlich: es war ein langer Klostermantel, aber an der scharlachroten Farbe war zu erkennen, daß der Träger zu keinem der vier rechtmäßigen Mönchsorden gehörte. Die rechte Achselseite des Mantels trug ein aufgeheftetes Kreuz von ungewöhnlicher Gestalt. Das Oberkleid verhüllte etwas, was auf den ersten Anblick nicht zu ihm zu passen schien: ein Panzerhemd mit Ärmeln und Handschuhen, das auf sinnreiche Weise so gearbeitet und gewebt war, daß es den Bewegungen des Körpers so schmiegsam folgte, wie jene auf dem Webstuhl aus weicherem Stoff gefertigten Hemden. Auch die obere Seite seiner Schenkel, soweit sie der Mantel sehen ließ, war mit Metallplatten bedeckt. Dünne künstlich zusammengefügte Stahlschienen schützten Knie und Füße. Ein Strumpf aus Metallschuppen reichte vom Knöchel bis zum Knie und vervollkommnete die Rüstung des Reiters. Die einzige Verteidigungswaffe, die er hatte, war ein langer, zweischneidiger Dolch, den er im Gürtel trug. Er ritt kein Maultier wie sein Gefährte, sondern einen handfesten Klepper, um sein edles Streitroß zu schonen, das ihm ein bis an die Zähne bewaffneter Knappe nachführte. Dieser trug vor dem Kopfe eine Schutzplatte, an der ein kleiner Stachel saß. An der einen Seite seines Sattels hing eine kurze, reich damaszierte Streitaxt, an der anderen Seite des Reiters Helm mit Sturmhaube und ein langes Schwert mit zwei Griffen, wie es die Ritter zur damaligen Zeit zu tragen pflegten. Ein zweiter Knappe trug die emporgerichtete Lanze seines Herrn, an deren Spitze ein schmaler Wimpel flatterte, auf den ein ebensolches Kreuz wie auf dem Mantel gestickt war. Dieser Knappe trug auch seines Herrn kleinen, dreieckigen Schild, der oben so breit war, daß er die ganze Brust schützte und nach unten spitz zulief. Hinter diesen Waffenträgern kamen zwei Diener, die an der dunkeln Gesichtsfarbe, an den weißen Turbanen und an ihren Gewändern als Söhne des fernen Morgenlandes kenntlich waren. Der ganze Aufzug dieses Kriegers machte einen wilden, fremdländischen Eindruck. Seine Knappen waren prunkend gekleidet, und seine orientalischen Diener trugen silberne Halsbänder und silberne Spangen an den schwarzbraunen Armen und Beinen, die vom Ellbogen ab und vom Schenkel bis zum Knöchel nackt waren. In Seide und Stickerei prangte ihre Tracht und legte beredtes Zeugnis ab für ihres Herrn Reichtum und Ansehen, gleichzeitig in auffallendem Gegensatz stehend zu der kriegerischen Einfachheit seines eigenen Anzuges. Die Orientalen waren mit krummen Säbeln bewaffnet, deren Griffe und Scheiden mit funkelndem Golde ausgelegt waren, und hatten türkische Dolche von noch prachtvollerer Ausführung. Am Sattelknauf hatte jeder ein Bündel Pfeile oder Wurfspieße, die etwa vier Fuß lang waren und scharfe Stahlspitzen hatten. Ebenso exotisch wie die Reiter sahen die Pferde dieser Diener aus: es waren sarazenische Rosse von arabischer Abstammung. Die zarten, schlanken Glieder, die dünnen Mähnen und schmalen Hufe und der leicht tänzelnde Gang standen in starkem Gegensatze zu den starkknochigen, schweren Pferden, deren Rasse in Flandern und der Normandie gezüchtet wurde, um die Ritter der damaligen Zeit in ihrer vollen Panzerausrüstung tragen zu können. Diese seltsame Kavalkade zog nicht allein Wambas Aufmerksamkeit auf sich, sondern auch die seines schwerfälligeren Genossen. In dem Mönche erkannte er sogleich den Prior der Abtei Jorlvaux, der in der ganzen Gegend wohlbekannt war als ein Liebhaber der Jagd, der Tafelfreuden und – sofern das Gerede ihm nicht unrecht tat – noch anderer weltlicher Vergnügungen, die mit den Ordensgelübden noch weniger im Einklang standen. Über das Tun und Treiben der Geistlichkeit dachte aber die damalige Zeit so frei und locker, daß Prior Aymer trotz allem sich in der Umgegend seiner Abtei eines guten Rufes erfreute. Dank seiner Jovialität und weil er niemals irgendwelche Schwierigkeiten oder Umstände machte, wenn es galt, für alle möglichen Sünden Absolution zu erteilen, war er beim hohen Adel und vornehmen Bürgertum sehr beliebt. Da er aus vornehmem Normannenhause stammte, so war er mit manchem unter ihnen verwandt. Die Damen vor allem fällten kein allzustrenges Urteil über das Betragen eines Mannes, der ein offenkundiger Bewunderer ihres Geschlechts war und über manches Mittelchen verfügte, die Langeweile zu verscheuchen, die sich so leicht in den Hallen der alten Adelsschlösser einnistete. An den Freuden einer Jagd nahm der Prior mit wahrhaftem Eifer teil, und er stand im Rufe, die besten dressierten Falken und die flinksten Windhunde in den Provinzen des ganzen Nordens zu haben. Mit den alten Herren gab er sich anderen Lustbarkeiten hin, die er, wenn es darauf ankam, mit großer Feierlichkeit zu begleiten verstand. Er tat viele barmherzige Werke, die eine Menge Sünden auch in anderem Sinne, als es die Schrift meint, zudeckten. Bei dieser Freigebigkeit kam es ihm zu statten, daß die Einkünfte seines Klosters zum größten Teil zu seiner freien Verfügung standen; so ließ er vieles den Bauern zukommen und half den Unterdrückten. Wenn der Prior Aymer zur Jagd ritt, wenn er lange zechte und schmauste, wenn er im morgendlichen Zwielicht von einem Schäferstündchen im Dunkeln zurückkam und durch das geheime Pförtchen der Abtei schlich, so zuckten die Leute die Achseln und dachten: manche seiner Brüder trieben es ja nicht anders und machten dabei nicht einmal ihre Fehltritte durch Wohltaten wieder gut. Prior Aymer war auch den sächsischen Leibeigenen bekannt, sie grüßten ihn ehrfurchtsvoll und erhielten zum Gegengruß sein Benedicite mes fils! Verwundert über den absonderlichen Reiterzug, vermochten sie kaum Antwort zu geben auf die Frage des Priors von Jorlvaux, ob in der Nähe eine Herberge zu finden sei, so groß war ihr Erstaunen über die halb mönchische, halb kriegerische Erscheinung des bräunlichen Fremdlings und die seltsame Tracht seines orientalischen Gefolges. »Ich frage euch, meine Kinder,« wiederholte der Prior seine Frage, diesmal in der Lingua Franca, jenem Mischdialekt, in dem sich die Normannen und Sachsen untereinander verständigten, »ist hier in der Nähe irgendein wackerer Mann, der um Gotteswillen und aus Ergebenheit zu der Kirche, unserer Alma Mater, zweien ihrer demütigsten Diener mitsamt ihrem Gefolge für eine Nacht Obdach und Speise gewähren könnte?« »Zwei der demütigsten Diener der Allmutter Kirche!« brummte Wamba vor sich hin, aber obwohl er nur ein Narr war, hütete er sich doch, es laut zu sagen. »Da möchte ich doch gar erst mal ihre höheren Diener zu sehen bekommen!« Nachdem er bei sich selbst die Betrachtung über die Worte des Priors angestellt hatte, sah er auf und beantwortete die an ihn gerichtete Frage: »Sofern die verehrten Väter eine reiche Tafel und ein weiches Bett lieben, so liegt ein paar Meilen von hier das Priorat Brinxworth, wo die ehrwürdigen Herren ihrem Stande entsprechend die ehrenvollste Aufnahme finden werden. Sofern es ihnen aber nicht darauf ankommt, einen Abend auch mal in geringerer Üppigkeit hinzubringen, so brauchen sie nur dort die Lichtung hinabzureiten. Da geht es nach der Einsiedelei Copmanhurst, wo ein gottesfürchtiger Anachoret haust, der gern sein Dach und seine Andacht in dieser Nacht mit ihnen teilen wird.« Auf beide Vorschläge hatte der Prior nur ein Kopfschütteln. »Guter Freund,« sagte er, »das Schellengeklingel hat dir den Verstand verwirrt, sonst müßtest du wissen: Clericus clericum non decimat, das heißt, wir Geistliche nehmen nicht gern unter uns die Gastfreundschaft in Anspruch, sondern wir lassen uns lieber von Laien bewirten und geben ihnen dadurch zugleich eine Gelegenheit, Gott zu dienen, indem sie seine treuen Diener ehren und laben.« »Wahrhaftig,« entgegnete Wamba, »obwohl ich nur ein Esel bin, so hab ich doch wie Euer Hochwürden Maultier die Ehre, Schellen zu tragen. Aber doch ist es mir nicht ganz begreiflich, weshalb die Wohltätigkeit gegen die Kirche und ihre Diener nicht wie andere Wohltätigkeiten bei sich selbst den Anfang machen sollte.« »Halts Maul, dreister Lümmel,« unterbrach der bewaffnete Reiter mit rauher, mächtiger Stimme Wambas Geschwätz, »sag uns den Weg zu – wie heißt doch gleich Euer Franklin, Prior Aymer?« »Cedric,« antwortete der Prior, »Cedric, der Sachse. Sag mir, guter Freund, sind wir nicht mehr weit von seinem Hause und wo führt der Weg dahin?« »Der Weg ist schwer zu finden,« sagte Gurth, jetzt zum erstenmal den Mund öffnend, »auch geht Cedrics Hausstand früh zur Ruhe.« »Verschone mich mit solchem Gerede, Kerl,« sagte der berittene Kriegsmann, »sie sind leicht wieder auf die Beine zu bringen, daß sie Reisende wie wir aufnehmen, denn wir haben keine Lust, um Gastfreundschaft zu betteln, wo wir befehlen können.« »Ich weiß nicht,« sagte Gurth finster, »ob ich den Weg zum Hause meines Herrn solchen Leuten zeigen darf, die das Obdach, um das sonst jedermann als eine Gunst bittet, als ihr Recht betrachten.« »Keinen Widerspruch, Sklave!« rief der Krieger, gab seinem Pferde die Sporen und ließ es eine halbe Wendung über den Pfad hinüber machen. Gleichzeitig schwang er die Reitgerte, um den Bauern für seine Frechheit zu züchtigen. Gurth schleuderte ihm einen wilden rachsüchtigen Blick zu und legte mit stolzer, doch zaudernder Geberde die Faust an den Griff seines Messers. Prior Aymer aber lenkte rasch sein Maultier zwischen seinen Gefährten und den Schweinehirten und beugte so der drohenden Gefahr vor, daß es zu Gewalttätigkeiten käme. »Bei der heiligen Maria, Bruder Brian,« rief er, »Ihr müßt nicht denken, Ihr wäret hier in Palästina und gebötet über Heiden, Türken oder ungläubige Sarazenen! Wir Inselbewohner nehmen nicht gern Schläge hin, außer denen, die die heilige Kirche erteilt, die die züchtiget, die sie liebt. – Sage mir, guter Freund,« wandte er sich an Wamba, indem er ihm eine kleine Silbermünze in die Hand drückte, »wo geht der Weg zu Cedric, dem Sachsen? Gewiß weißt du's, und es wäre deine Pflicht, Wanderern den Weg zu weisen, selbst wenn sie nicht von so heiligem Stande wären wie wir.« »Wahrhaftig, ehrwürdiger Vater,« antwortete Wamba, »Euer hochwürdiger Gefährte hat mir mit seinem Sarazenengrimm einen solchen Schreck eingejagt, daß ich selber gar nicht mehr weiß, wo es nach Hause geht.« »Schweig,« sagte der Abt, »wenn du willst, kannst du uns den Weg zeigen. Dieser hochwürdige Bruder hat sein Lebelang mit den Sarazenen um das heilige Grab gekämpft, er ist vom Orden der Tempelherren, von dem du gewiß schon gehört hast, er ist halb Mönch, halb Soldat.« »Na denn,« beschied ihn Wamba, »Euer Hochwürden muß auf diesem Pfad weiterreiten. Dann kommt Ihr an ein verfallenes Kreuz, das kaum einen Fuß hoch über den Boden wegsieht. Dann biegt Ihr nach links ein, denn an dem verfallenen Kreuz treffen vier Wege zusammen. Und dann glaub ich bestimmt, daß Euer Hochwürden unter Dach und Fach sein wird, eh's Wetter losbricht.« Der Abt dankte für den guten Bescheid, und die Kavalkade ritt, die Pferde anspornend, ihres Weges. Man merkte es ihnen an, daß sie es eilig hatten, in die Herberge zu kommen. Und als die Hufschläge ihrer Pferde verklungen waren, sagte Gurth zu seinem Gefährten: »Wenn sie sich nach deiner klugen Weisung richten, werden sie schwerlich vor Einbruch der Nacht nach Rotherwood kommen.« »Freilich,« schmunzelte der Narr, »aber wenn sie Glück haben, kommen sie vielleicht nach Sheffield, und da passen sie ja hin. Ich bin kein solcher Pfuscher im edeln Weidwerk, daß ich dem Hunde zeige, wo das Wild liegt, wenn ich nicht will, daß er es jagen soll.« »Da hast du recht,« meinte Gurth, »es wär nicht gut, wenn Aymer die Lady Rowena zu sehen bekäme, und noch schlimmer wär's, wenn Cedric mit diesem kriegerischen Mönch in Streit geriete, und das könnte doch sehr leicht geschehen, aber wir wollen, wie es guten Dienern ziemt, Augen und Ohren auf und das Maul zu haben.« Die Reiter, die bald die Leibeigenen weit hinter sich gelassen hatten, unterhielten sich jetzt wieder in der normännisch- französischen Sprache. »Jedes Land hat seine eigenen Sitten,« sagte Prior Aymer, »und wenn ich Euch jetzt den Burschen hätte prügeln lassen, so hätten wir erstens keinen Bescheid bekommen, wo es nach Cedrics Hause geht, und zweitens hätte dann Cedric Rechenschaft von Euch verlangt. Denkt daran, ich habe Euch gleich gesagt, dieser reiche Franklin ist stolz, wild, reizbar und mißtrauisch. Er behauptet die Vorrechte seines Stammes mit solcher Kühnheit und ist so stolz darauf, unmittelbar von Hereward, einem berühmten Kämpfer der Heptarchie abzustammen, daß er allgemein Cedric der Sachse heißt. Für ihn ist es eine Freude, ein Mann dieses Volkes zu sein, während andere ihre Abkunft gern verleugnen, weil sie befürchten, einen Teil des Vae Victis oder die Lasten der Besiegten tragen zu müssen.« »Prior Aymer,« sagte der Templer, »Ihr seid ein galanter Herr und im Studium weiblicher Schönheit wohl erfahren, aber diese vielgerühmte Rowena muß ich mir sehr schön vorstellen, wenn mich ihr Anblick für die Selbstverleugnung und Geduld entschädigen soll, die ich aufwenden muß, um einen so rebellischen Flegel, wie Ihr mir ihren Vater Cedric beschreibt, um den Bart zu gehen.« »Ihr Vater ist Cedric nicht,« erwiderte der Prior, »er ist nur ein entfernter Verwandter von ihr, sie ist von noch höherer Herkunft als er selbst. Er hat sie in Pflege genommen und hat sie lieb wie sein eigen Kind. Über ihre Schönheit werdet Ihr bald selbst urteilen, und wenn Euch ihre zarte weiße Haut und der majestätisch sanfte Ausdruck ihrer blauen Augen nicht alle schwarzhaarigen Mädchen Palästinas und alle Huris aus dem Paradiese Mahommets vergessen machen, so will ich ein Heide sein und kein echter Priester.« »Wenn Eure berühmte Schönheit,« versetzte der Templer, »auf der Wage gewogen und zu leicht befunden wird, so wißt Ihr ja, worum wir gewettet haben.« »Meine goldene Halskette gegen zehn Flaschen Chioswein,« war des Priors Antwort. »Gewinnt nur die Wette und tragt meine Kette! Doch hört auf meinen Rat, Bruder, und gewöhnt Eure Zunge mehr an Höflichkeit als es bisher im Herrschen über gefangene Ungläubige und morgenländische Leibeigene Eure Gepflogenheit war. Wenn sich Cedric der Sachse beleidigt fühlt, und dazu gehört nicht viel, so wird er sich wenig um Eure Ritterschaft oder um mein hohes Amt oder um die Heiligkeit von beiden scheren und kriegt es wohl fertig, uns beide an die Luft zu setzen und bei den Lerchen zur Herberge zu schicken, und wäre es auch schon Mitternacht. Auch seid vorsichtig, wenn Ihr nach Lady Rowena schaut, denn er hat mit mißtrauischer Sorge Acht auf sie. Wenn er den mindesten Verdacht schöpft, so sind wir verloren. Es geht das Gerücht, er habe seinen eigenen Sohn aus seiner Familie verbannt, weil er die Augen mit Liebesglut zu ihrer Schönheit erhoben habe. – Doch hier ist das verfallene Kreuz, von dem der Narr sprach. Die Nacht ist so finster, daß man nicht sehen kann, welcher Weg einzuschlagen ist. Ich glaube, er sagte, wir müssen uns links halten.« »Nein, rechts, wenn ich mich recht erinnere,« sagte Brian. 20 Jeder verteidigte nun hartnäckig seine Meinung. Die Diener wurden gerufen, aber sie waren nicht nahe genug gewesen, als daß sie Wambas Bescheid hätten hören können. Endlich erkannte Brian etwas, das ihm in der Dunkelheit bisher entgangen war. »Hugo!« rief er, »am Fuße des Kreuzes liegt einer und schläft, oder es ist vielleicht ein Toter. Gib ihm einen Stoß mit der Lanze!« Als dies geschehen war, erhob sich die Gestalt und rief auf gut französisch: »Wer du auch sein magst, es ist unhöflich, mich in meinen Gedanken zu stören.« »Wir wollen von dir nur wissen, wo es nach Rotherwood geht, zu Cedric dem Sachsen.« »Da will ich selber hin,« antwortete der Fremde, »und wenn ich ein Pferd hätte, so wollte ich Euch schon führen, der Weg ist schwer zu finden, aber ich kenne ihn genau.« »Lohn und Dank harren dein, mein Freund, wenn du uns sicher zu Cedric bringst,« sagte der Prior. Er rief seinen Diener und bestieg sein eigenes Roß, das bisher geführt worden war, während er seinen Maulesel dem Fremden überließ. Ihr Führer schlug einen anderen Weg ein als Wamba ihnen genannt hatte, der sie ja nur hatte irre führen wollen. Der Pfad führte tiefer in den Wald hinein und über manchen Bach, der, von Sumpf umgeben, schwer zu passieren war, aber der Fremde fand stets die sichersten Stellen und hatte die anderen binnen kurzem auf eine breite Allee gebracht. Auf ein großes niedriges und unregelmäßiges Gebäude zeigend, rief er: »Dies ist Rotherwood, das Haus Cedrics des Sachsen!« Der Prior Aymer, den dieser Ruf aus Angst und Unruhe befreite, wandte sich jetzt zum erstenmal an den Wegweiser mit der Frage, wer und woher er sei. »Ein Pilgrim, der eben aus dem heiligen Lande zurückgekehrt ist,« war die Antwort. »Ihr hättet dort bleiben sollen und um das heilige Grab kämpfen,« sagte der Templer. »Freilich, hochwürdiger Herr,« entgegnete der Pilger, dem der Anblick eines Tempelherrn nichts Neues zu sein schien, »wenn aber Männer, die durch Eid verpflichtet sind, die heilige Stadt zu erobern, so fern vom Schauplatz ihrer Pflichten herumreisen, wie kann es Euch da Wunder nehmen, daß ein so friedlicher Landmann wie ich nicht seinem Vorsatz treu geblieben ist?« Der Templer wollte eine zornige Antwort geben, der Prior aber unterbrach ihn, indem er sein Erstaunen äußerte, daß sich der Führer nach so langer Abwesenheit noch so gut im Walde zurecht fände. »Ich bin in dieser Gegend geboren,« antwortete der Pilger. Jetzt standen sie vor Cedrics Hause, einem niedrigen, unregelmäßigen Bau, der, mehrere Umzäunungen und Abteilungen eingerechnet, einen ziemlich großen Raum bedeckte. Obwohl man an der Form erkennen konnte, daß es einem reichen Manne gehörte, so war es doch grundverschieden von jenen hohen, vieltürmigen, schloßartigen Gebäuden, deren Stil in ganz England der herrschende geworden ist. Rotherwood war nicht ohne Befestigung, die in dieser unruhigen Zeit kein Gebäude entbehren konnte, wenn es nicht Gefahr laufen wollte, über Nacht in Brand gesetzt oder geplündert zu werden. Das ganze Haus umschloß ein tiefer Graben, der sein Wasser aus dem nächsten Strome erhielt. Er war durch doppelte Pallisaden verstärkt, deren Pfahlwerk der angrenzende Wald geliefert hatte. Vom Westen her führte eine Zugbrücke herein, deren Zugang noch besonders durch vorspringende Wälle gesichert war. Vor diesem Eingang stieß jetzt der Templer laut ins Horn, denn der Regen, der längst loszubrechen gedroht hatte, fiel nun endlich in Strömen. Drittes Kapitel In einer Halle, deren geringe Höhe mit ihrer Länge und Breite gar kein rechtes Verhältnis hatte, stand ein langer, eichener Tisch, der aus roh behauenen Planken des nahen Waldes gefertigt und kaum ein wenig abgehobelt worden war. Auf dieser Tafel wurde bei Cedric dem Sachsen das Abendessen aufgetragen. Das Dach der Halle bestand aus Bohlen und Strohbelag. An jedem Ende war eine große 22 Feuerstätte, da die Kamine aber sehr primitiv waren, so ging fast ebensoviel Rauch in das Gemach wie zum Schornstein hinaus. Von dem fortwährenden Qualm waren die Balken der Decke mit einem schwarzen Firniß von Ruß bedeckt. Die Wände waren mit Waffen und Jagdgerät behängt, und an jeder Ecke führten Flügeltüren in andere Teile dieses umfangreichen Gebäudes. Was sonst im Hause zu sehen war, entsprach gleichfalls der rohen Einfachheit der Sachsenzeit, an der Cedric festzuhalten entschlossen war. Der Vorsaal war aus Erde und Lehm, die miteinander vermengt und festgestampft waren nach Art von Scheunentennen. Etwa ein Viertel des Gemaches lag um eine Stufe höher, und dieser Teil, der sogenannte Baldachin, war für die Mitglieder der Familie und für vornehme Gäste bestimmt. Quer über diesen Raum hinweg stand ein Tisch mit einer scharlachenen Decke; von seiner Mitte ging der längere und niedrigere Tisch aus, an dem in der Tiefe der Halle die Dienerschaft und die anderen geringeren Leute speisten. Auf der erhöhten Fläche standen massige Stühle von geschnitztem Eichenholz, und über Stühle und Tafel hin war ein Thronhimmel von Linnen gespannt, der die Plätze der Vornehmen ein wenig vor Wetter und Regen schützte, die oft durch das schadhafte Dach drangen. Und soweit der Thronhimmel reichte, waren die Wände dieses höher gelegenen Teiles der Halle mit Tapeten und Vorhängen bekleidet, und die Diele bedeckte ein Teppich. Plumpe Versuche der Web- und Stickkunst, in grellen, fast schreienden Farben ausgeführt, bildeten ihren Zierat. Über der niederen Tafel lag die kahle Decke, die mit Gips beworfenen Wände waren nackt, und der rauhe Boden hatte keinen Teppich. Auch war keine Decke über den Tisch gebreitet, und an Stelle der Stühle standen lange Bänke. Die beiden Mittelsitze der oberen Tafel waren ein wenig höher als die übrigen. Das waren die Plätze des Herrn und der Frau vom Hause, und neben beiden Sesseln stand auch zum äußeren Zeichen ihrer höheren Würde eine Fußbank von seltsamer, mit Elfenbein ausgelegter Schnitzerei. Auf dem einen dieser Sessel saß jetzt Cedric der Sachse. Aus seinen Zügen sprach große Biederkeit, aber auch eine 23 heftige, zornige Gemütsart. Er war nicht über Mittelgröße, aber breit in den Schultern und langarmig und stark gebaut, und man sah es ihm an, daß er an die Strapazen von Krieg und Jagd gewöhnt war. Er hatte ein breites Gesicht, große, blaue Augen, einen offenen, geradsinnigen Ausdruck, prächtige Zähne und einen hübsch geformten Schädel und war von jener Art froher Laune, die man oft im Verein mit einem vorschnellen, jähzornigen Gemüt antrifft. Sein Auge blitzte Stolz und Eifersucht, denn bisher war seines ganzen Lebens Arbeit darauf gerichtet gewesen, seine Rechte gegen beständige Angriffe zu verteidigen. Sein langes, gelbes Haar war in der Mitte gescheitelt und von jeder Seite auf die Schulter herabgekämmt; es war noch kaum merklich mit Grau vermischt, obgleich Cedric der Sachse schon nahe den Sechzigern war. Er trug einen grasgrünen Leibrock, der an Hals und Ärmelaufschlägen mit Pelzwerk besetzt war. Dieser Kittel hing offen über einem engeren Rock von scharlachener Farbe, der den Leib fest umschloß. Beinkleider von derselben Farbe reichten nur bis an die Knie herab, die sie ganz frei ließen. An den Füßen trug er Sandalen, die vorn goldene Hefteln hatten. Seinen Leib umschlang ein mit Knöpfen reich besetzter Gürtel, in dem ein kurzes, nicht gebogenes, zweischneidiges Schwert fast senkrecht steckte. An Schmucksachen trug er ein goldenes Halsband und goldene Armbänder. Ein scharlachroter Mantel mit Pelzbesatz hing hinter seinem Sessel, und wenn er ausging, vervollständigte eine reich gestickte Mütze aus dem gleichen Stoff den Anzug des reichen Grundbesitzers. An der Lehne seines Stuhles stand ein Wurfspieß mit scharfer stählerner Spitze, den er je nach Bedarf als Spazierstock oder als Waffe gebrauchte. Mehrere Diener, in deren Tracht manche Abstufung von der reichen Kleidung ihres Herrn bis zur einfachen Gewandung Gurths des Schweinehirten zu erkennen war, standen seiner Befehle gewärtig. Ferner waren ein paar große, gefleckte Windspiele da, wie man sie zur Hatz auf Hirsch und Wolf braucht, dann ein paar Hunde von plumper, knochiger Art mit dickem Nacken und langen Ohren, und endlich noch ein paar kleine Dachshunde. Cedric war eben nicht in gemütlicher Stimmung. Lady Rowena, die grade von einer Abendmesse zurückkam, wechselte ihre durchnäßten Kleider. Noch war keine Nachricht gebracht worden, ob Gurth und seine Herde gut heimgekommen seien, und doch hätten sie schon längst da sein müssen. So wenig sicher war alle Habe, daß ihr Ausbleiben auf den Überfall einer Räuberbande, von denen es im Walde wimmelte, oder auf eine Gewalttat eines benachbarten Barons zurückgeführt werden konnte, der im Bewußtsein seiner Übermacht fremdes Eigentum nicht achtete. Hierin lag Grund genug zu ernster Besorgnis, außerdem aber verlangte es den sächsischen Thane nach seinem Liebling Wamba, dessen Späße ihm, wie sie auch ausfallen mochten, das Abendmahl und die darauf folgenden tüchtigen Becherzüge tagtäglich würzten. »Warum weilt Gurth solange im Felde?« fragte er. »Ich fürchte, wir werden Schlimmes von der Herde hören. Mir ahnt schon – sie haben mir mein Eigentum weggetrieben und meinen treuen Sklaven ermordet. Und Wamba – wo ist Wamba? Sagte man mir nicht, er sei mit Gurth gegangen?« Der Mundschenk Oswald, der ihm ab und zu einen silbernen Becher voll Wein reichte, bejahte die Frage. »Immer besser! So haben sie ihn auch mit weggeschleppt, und der sächsische Narr soll nun den normannischen Herren dienen. Wir sind ja freilich allesamt nichts weiter als Narren, daß wir ihnen dienen, und sie könnten nicht mit mehr Recht unser spotten, wenn wir mit der Hälfte unseres Verstandes zur Welt gekommen wären. Aber ich will Rache nehmen,« rief er, indem er zornig von seinem Sitze aufsprang und seinen Speer ergriff. »Ich will Rache nehmen! Vor den hohen Rat will ich mit meiner Klage treten – ich habe Freunde und Anhang. Ich will den Normann zum Zweikampf in die Schranken rufen, Mann gegen Mann! Mag er nur kommen in Stahlpanzer und Schuppenketten und allem, was dem Feigen Mut verleiht. – Wohl mögen sie mich für alt halten, aber sie sollen sehen! Ob ich auch alt und kinderlos bin, noch fließt das Blut Herewards in den Adern Cedrics. – O, Wilfried, Wilfried!« fügte er in sanfterem Tone hinzu. »Hättest du deine unkluge Leidenschaft zügeln können, so stände jetzt dein Vater in seinem Alter nicht da wie die einsame Eiche, die ihre zerzausten Zweige schutzlos dem vollen Sturme preisgeben muß.« Diese Betrachtung schien ihn aus seiner Aufregung in Schwermütigkeit zu versenken, er stellte den Speer hin, setzte sich, schlug den Blick zur Erde und schien ganz in trübsinnige Gedanken vertieft. Aber aus dieser Grübelei schreckte ihn der Klang eines Zornes auf, den alle Hunde in der Halle und noch einige dreißig in den anderen Teilen des Geweses mit lautem Gebell erwiderten. »Ans Tor, ihr Burschen!« rief der Sachse, als der Lärm soweit gestillt war, daß man wieder seine eigene Stimme verstehen konnte. – »Seht zu, was für Kunde uns dieses Horn bringt. Ich denke, Überfall und Räuberei auf meinem Grund und Boden!« Nach einer kleinen Weile kam ein Aufseher zurück und meldete, der Prior Aymer von Jorlvaux und der Komtur des tapferen und ehrwürdigen Ordens der Tempelherren, der edle Ritter Brian de Bois-Guilbert nebst einem kleinen Gefolge bäten für diese Nacht um gastliche Herberge. Sie seien unterwegs zu einem Turnier, das in zwei Tagen unweit Ashby de la Zouche stattfinden soll. »Aymer, Prior Aymer?« murmelte Cedric. »Brian de Bois-Guilbert? beides Normannen! Doch einerlei! Die Gastfreundschaft von Rotherwood muß hochgehalten werden – da sie es einmal vorgezogen haben hier Rast zu machen, so sind sie willkommen, willkommener freilich wäre es mir, sie zögen vorüber. Geh, Hundebert!« sagte er zu dem Hausverwalter, »nimm sechs von den Dienern mit und geleite die Fremden herein. Sieh nach den Pferden und Maultieren und sorge dafür, daß es dem Gefolge an nichts fehlt. Gib frische Kleider, wenn sie danach verlangen, und Feuer, Waschwasser, Wein und Bier! Sag auch den Köchen Bescheid, daß sie mehr Essen machen! Und den Fremden selber bestelle, Cedric würde sie gern selbst willkommen heißen, aber er habe ein Gelübde getan, sich keine drei Schritte von seinem Thronhimmel zu entfernen, sofern nicht ein Gast kommt, der aus sächsischem Königsblute stammt. Der Prior Aymer?« wiederholte er, sich zu seinem Mundschenk wendend, »man sagt, dieser Priester sei ein lustiger und freisinniger Mann, dem Becher und Hifthorn lieber seien als Betglöcklein und Meßbuch. Den lern ich gern kennen. Wie aber hieß der Templer?« »Brian de Bois-Guilbert.« »Bois-Guilbert,« sagte Cedric vor sich hin wie einer, der viel mit Untergebenen zusammen ist und daher mehr mit sich selbst als mit anderen spricht. »Bois-Guilbert. – Der Name hat guten und schlimmen Klang weit und breit. Er soll an Tapferkeit keinem seines Ordens nachstehen, soll aber auch die gewöhnlichen Fehler seinesgleichen haben: Stolz und Hochmut, Grausamkeit und Wollust. Er soll weder Furcht vor der Welt noch Ehrfurcht vorm Himmel haben, wie die wenigen Krieger sagen, die aus Palästina wiedergekommen sind. Oswald, zapf ab vom ältesten Weine und gib vom besten Met, vom schäumendsten Cyder und füll die größten Trinkhörner! Templer und Äbte sind Freunde von gutem Tropfen und vollem Maß. Und du, Elgitha, sage deiner Herrin, wir erwarten sie heute Abend nicht in der Halle, wenn sie selbst nicht den besonderen Wunsch hat zu kommen.« »Den Wunsch wird sie freilich wohl haben, denn sie hört gar zu gern etwas Neues aus Palästina,« beeilte sich Elgitha zu antworten. Cedric warf der vorlauten Zofe einen grimmigen Blick zu, aber Rowena und alles, was ihr angehörte, war vor seinem Zorne sicher. »Palästina!« wiederholte der Sachse, als das Mädchen gegangen war. »Palästina! Wie manches Ohr lauscht den Berichten, die übertreibende Kreuzfahrer oder lügnerische Pilger aus diesem unglücklichen Lande mit heimbringen. – Auch ich möchte forschen, fragen, klopfenden Herzens den Märchen lauschen, mit denen uns pfiffige Wanderer die Gastfreundschaft abschwatzen. Doch nein! Der Sohn, der mir den Gehorsam verweigert hat, ist fürder nicht mein Sohn, und ich will mich ebensowenig um sein Schicksal bekümmern wie um das des Verworfensten unter all den Millionen, die das Kreuz auf der Schulter trugen und sich in Ausschweifung und Blutschuld stürzten unter dem Deckmantel, den Willen Gottes zu tun.« Er kniff die Brauen finster zusammen und sah ein Weilchen zu Boden, und als er die Augen wieder aufschlug, waren die Flügeltüren in der Tiefe der Halle geöffnet, der Hausverwalter mit seinem weissen Stabe trat herein, vier Diener mit Fackeln folgten ihm, und hinterdrein schritten die Gäste dieses Abends. Viertes Kapitel Prior Aymer hatte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, sein Reitkostüm abzulegen und in einem Anzug aus feinerem Stoffe zu erscheinen, über dem er einen Chorrock mit prachtvoller Stickerei trug. Außer dem großen Siegelring, an dem sein Rang als Geistlicher zu erkennen war, hatte er, im Widerspruch zu den Ordensregeln, noch viele kostbare Ringe an den Fingern. Seine Sandalen waren aus feinstem Leder, und den Bart hatte er so zierlich gestutzt, als es sich nur irgend mit den Vorschriften vertrug. Die Tonsur wurde von einer scharlachroten Mütze verdeckt. Auch der Tempelherr erschien in anderem Kleide. Seine Erscheinung, weniger mit Schmuck überladen als sein Gefährte, machte einen gebieterischen Eindruck. Statt seines Panzerkleides trug er ein Untergewand aus purpurner Seide mit Pelz verbrämt, über den ein langes Oberkleid von fleckenloser Weiße in weiten Falten herabfiel. Das achteckige, aus schwarzem Samt geschnittene Kreuz seines Ordens war auf die Mantelachsel genäht. Er trug nicht mehr die hohe Scharlachmütze, seine Stirn war nur noch beschattet von seinem vollen, krausen, rabenschwarzen Haar, das ihn bei seinem ungewöhnlich dunkeln Teint gut kleidete. Sein Gang und seine Haltung wirkten majestätisch, nur ein auffallender Ausdruck des Hochmutes, wie er einem Manne von unbeschränktem Ansehen leicht zur zweiten Natur wird, beeinträchtigte ein wenig die imposante Wirkung. Hinter diesen beiden hohen Herren kamen die Diener, und in bescheidener Entfernung der Wegweiser, an dem nur das eine auffiel, daß seine Tracht von dem gebräuchlichen Habit der Pilger abwich. Ein grober Mantel umschloß den ganzen Körper. Derbe Sandalen waren mit Riemen an seine nackten Füße gebunden. Ein breiter Hut, der an der Krempe mit Muscheln besetzt war, und ein langer, eisenbeschlagener Stab vervollständigten die Ausstattung des Pilgers. Bescheiden schritt er hinter den anderen drein, und als er sah, daß an der niedrigen Tafel kaum Platz für Cedrics Dienerschaft war, zog er sich auf einen Sitz neben einem der breiten Kamine zurück und schien hier seine Kleider trocknen und so lange warten zu wollen, bis am Tisch ein Platz frei oder ihm der Haushofmeister Speise und Trank an seinen Platz bringen würde. Cedric erhob sich und empfing seine Gäste mit aller Würde der Gastlichkeit. Er kam von seiner Thronerhöhung herab und ging ihnen drei Schritte entgegen, ihrer Ankunft harrend. »Hochwürdiger Prior,« sagte er, »es tut mir leid, daß mich ein Gelübde bindet, auf der Diele meiner Väter irgendwem weiter entgegen zu gehen, seien es auch so hohe Gäste wie Ihr und der tapfere Ritter des heiligen Tempels. Aber mein Haushofmeister hat Euch den Grund mitgeteilt, warum ich so unhöflich erscheinen muss. Ich muss Euch gleichfalls ersuchen, es mir nicht zu verübeln, wenn ich mich meiner Muttersprache bediene und Euch bitte, mir auch in ihr zu antworten. Doch wenn Ihr ihrer nicht mächtig seid, so verstehe ich vom Normannischen genug, dass ich Euern Worten folgen kann.« »Gelübde,« sagte der Abt, »müssen gehalten werden, würdiger Franklin, oder lasst mich lieber sagen würdiger Thane, obschon dieser Titel jetzt veraltet ist. Gelübde sind Bande, die uns an den Himmel knüpfen. Was die Sprache betrifft, so will ich mich gern in der unterhalten, die meine Großmutter gesprochen hat.« Nach diesen versöhnlich gemeinten Worten des Priors sagte sein Gefährte in kurzem nachdrücklichen Tone: »Ich spreche stets Französisch, die Sprache Richards und seiner Edeln, doch verstehe ich auch Englisch genug, um mich mit den Eingeborenen unterhalten zu können.« Cedric warf ihm einen raschen unruhigen Blick zu, aber er gedachte seiner Pflichten als Wirt und unterdrückte jede weitere Äußerung seines Unwillens. Er winkte seinen Gästen, zwei Sitze neben ihm einzunehmen, die nur ein wenig niedriger waren als der seine. Dann gab er das Zeichen, das Abendessen aufzutragen. Während die Befehle des Herrn ausgeführt wurden, gewahrte Cedric den Schweinehirten Gurth, der eben mit Wamba hereintrat. »Warum habt Ihr so lange draußen herumgebummelt?« rief ihnen der Sachse zu. »Ist deine Herde in Sicherheit oder ist sie Räubern zur Beute gefallen?« »Sie ist in Sicherheit,« antwortete Gurth. »In Sicherheit, Spitzbube!« schalt Cedric. »Hab ich nicht hier zwei Stunden lang in Angst geschwebt und auf Rache gegen meine Nachbarn gesonnen wegen eines Unrechtes, das sie mir nun gar nicht zugefügt haben? Prügel und Kerker sind dir sicher, wenn du mirs noch einmal so treibst.« Gurth, der seines Herrn Jähzorn kannte, wagte nicht, sich zu entschuldigen. Das Abendessen, das jetzt aufgetragen wurde, machte dem Wirt alle Ehre. Mannigfaltig zubereitetes Schweinefleisch stand am unteren Ende der Tafel, Geflügel-, Hasen-, Bock- und Hirschbraten, verschiedene Fische, große Kuchen und eingemachte Früchte. Die Herrschaft hatte silberne Becher, auf der Gesindetafel standen große Trinkhörner. Als eben die Mahlzeit beginnen sollte, hob der Haushofmeister den Stab und rief laut: »Platz für Lady Rowena!« Am oberen Ende der Halle ging eine Seitentür auf und Rowena trat, von vier Zofen begleitet, herein. Cedric war nicht angenehm überrascht, daß sein Mündel an diesem Abend doch kam, er erhob sich aber sofort und ging ihr rasch entgegen, um sie ehrfurchtsvoll zu dem für die Herrin des Hauses bestimmten erhöhten Platz zu seiner Rechten zu geleiten. Nun standen alle auf, sie zu begrüßen, die Lady erwiderte diese Höflichkeit mit einer stummen Verbeugung und schritt voller Anmut zu ihrem Platz am Tische, aber noch ehe sie ihn erreicht hatte, flüsterte der Templer dem Prior zu: »Ich werde beim Turnier kein goldenes Halsband von Euch tragen, Ihr habt den Chioswein gewonnen.« »Hab' ichs Euch nicht gleich gesagt?« versetzte der Abt, »doch mäßigt Euch in Euerm Entzücken, der Franklin hat Euch im Auge.« Rowena war von hoher Gestalt. Sie hatte eine außerordentlich feine und zarte Haut, aber bei ihrer edeln Haltung und dem erhabenen Ausdruck ihres Angesichts fehlte der inhaltlose Zug, der oft vollendeten Schönheiten eigen ist. Ihre Augen waren blau und klar und schienen ebensogut flammen wie schmachten, befehlen wie bitten zu können. Ihr reiches Haar spielte zwischen braun und blond und war in phantastischer und zugleich geschmackvoller Art in zahllose Locken gekräuselt, wobei die Natur durch Kunst unterstützt worden zu sein schien. Diese Locken waren mit Edelsteinen geschmückt, eine goldene Kette mit einer Reliquie von gleichem Metall zierte ihren Nacken, an den bloßen Armen trug sie Armbänder. Ihr Anzug bestand aus Unterkleid und Mieder von blasser, seegrüner Seide, darüber trug sie ein langes, weites Gewand, das fast bis auf den Boden reichte. Das Kleid war aus reinster Wolle und von karmoisinroter Farbe. Ein seidener golddurchwirkter Schleier konnte entweder über Busen und Gesicht gezogen oder um die Schultern geschlungen werden. Als Rowena sah, daß die Augen des Templers voll Feuer auf sie geheftet waren, zog sie würdevoll den Schleier über ihr Gesicht, wie um anzudeuten, daß ihr ein so kecker Blick unangenehm sei. »Herr Templer,« sagte Cedric, der diese Gebärde sah und ihre Ursache erkannte, »die Wangen unserer Jungfrauen im Sachsenland sind zu wenig an die Sonne gewöhnt, als daß sie den dreisten Blick eines Kreuzfahrers ertragen könnten.« »War ich beleidigend, so bitte ich um Verzeihung, das heißt, ich bitte Lady Rowena um Verzeihung,« erwiderte der Templer, »denn weiter geh ich in der Demut nicht.« »Spart Euch die Artigkeiten, Herr Ritter,« sagte Rowena, ohne den Schleier wieder zu lüften, »oder erlaubt mir vielmehr, sie so hoch anzurechnen, daß ich Euch um Nachrichten aus Palästina ersuche, die englischen Ohren lieber sind als alle Komplimente, die Euch französische Galanterie gelehrt haben mag.« »Da habe ich wenig Nennenswertes zu erzählen, Mylady,« antwortete Sir Brian de Bois-Guilbert, »außer daß sich die Nachricht von dem Waffenstillstand mit Saladin bestätigt hat.« In diesem Augenblick wurde das Gespräch unterbrochen, denn der Türhüter trat herein und meldete, es sei ein Fremder vorm Tor, der um Unterkunft bitte. »Wer es auch sein mag,« sagte Cedric, »laß ihn herein. Solch eine Nacht, wo das Wetter fessellos wütet, treibt selbst wilde Tiere dazu, bei den zahmen Schutz zu suchen und zu ihrem Todfeinde, dem Menschen, zu flüchten, ehe sie im Sturme zugrunde gehen. Sieh danach, Oswald, daß es ihm an nichts fehle.« Der Haushofmeister ging hinaus, um dafür Sorge zu tragen, daß seines Herrn Weisungen befolgt würden. Oswald kam wieder und flüsterte seinem Herrn ins Ohr: »Es ist ein Jude, der sich Isaak von York nennt. Darf ich ihn hereinführen?« »Gib dein Amt an Gurth ab,« sagte Wamba mit seiner gewohnten Keckheit. »Der Schweinehirt paßt besser zum Zeremonienmeister für Juden.« »Heilige Maria!« rief der Abt. »Soll ein ungläubiger Jude in unsere Gemeinschaft?« »Ein Hund von einem Juden soll einem Verteidiger des heiligen Grabes nahe kommen?« setzte der Templer hinzu. »Meiner Treu!« meinte Wamba, »mir scheint, die Templer lieben mehr das Gold der Juden als ihren Umgang.« »Gemach, meine werten Gäste!« rief Cedric. »Euer Unwille kann meine Gastfreiheit nicht beeinträchtigen. Der Himmel hat das ganze Volk der Ungläubigen schon viele Jahre lang geduldet, also werden wir wohl die Gegenwart eines Juden auf ein paar Stunden ertragen können. Es soll auch niemand gezwungen sein, mit ihm zu essen oder zu reden. Er soll seinen Tisch und seine Schüssel für sich allein haben. Er kann bei Wamba sitzen,« fügte er launig hinzu, »der Narr und der Gauner passen gut zusammen.« »Der Narr,« antwortete Wamba, indem er einen Schinkenrest emporhielt, »wird sich ein Bollwerk gegen den Gauner errichten.« »Still!« sagte Cedric, »der Jude kommt.« Ohne irgendwelche Umstände hereingelassen, trat ein langer, hagerer Greis ein, furchtsam und zaghaft und mit mancherlei Bückling – vom gewohnheitsmäßigen Verneigen des Oberkörpers hatte er viel von seiner natürlichen Größe verloren – und schritt auf die niedrige Tafel zu. Seine scharfgeschnittenen Züge, seine Adlernase, die stechenden, schwarzen Augen, die hohe, gefurchte Stirn und das lange, graue Haupt- und Barthaar hätten schön genannt werden können, hätte nicht sein Gesicht all jene charakteristischen Kennzeichen eines Geschlechtes getragen, das in diesem unaufgeklärten Zeitalter vom vorurteilsvollen Pöbel verachtet und vom räuberischen Adel ausgebeutet wurde, und das zufolge der beständigen Unbilden, denen es ausgesetzt war, einen Nationalcharakter angenommen hatte, der, gelinde gesagt, erbärmlich und verabscheuungswürdig war. Der Anzug des Juden, den das Unwetter sehr mitgenommen hatte, bestand aus einem weiten faltigen Bauernrock, unter dem er ein dunkelrotes Untergewand trug. Er ging in hohen Pelzstiefeln und hatte einen Gürtel um den Leib, in dem ein kleines Messer und ein Schreibzeug steckte. Ein hoher, viereckiger Hut von gelber Farbe und ganz besonderer Form – wie ihn die Juden zum Unterschied von den Christen kraft Gesetzes tragen mußten – wurde von ihm in aller Demut an der Tür abgenommen. Diesem Mann wurde in der Halle Cedrics des Sachsen ein Empfang bereitet, mit dem selbst der vorurteilsvollste Feind der Israeliten hätte zufrieden sein müssen. Cedric selbst hatte auf seine wiederholten Verneigungen nur ein flüchtiges Kopfnicken. Er winkte ihm, am unteren Tische Platz zu nehmen, dort fiel es aber niemand ein, ihm Platz zu machen, und als er mit schüchtern flehendem Blick die Reihe hinunterging, zuckten die sächsischen Diener die Achseln und aßen ruhig weiter, die Diener des Abtes bekreuzten sich und sahen mit einem Ausdruck frommen Abscheus nach ihm hin, die Sarazenen gar wühlten grimmig in ihren Knebelbärten und griffen nach den Dolchen, als seien sie entschlossen, sich vor der Verunreinigung durch seine Person bis zum äußersten zu schützen. Während Isaak hier von der Gesellschaft ebenso ausgeschlossen wurde wie sein Volk von der Nation, erbarmte sich seiner der Pilger am Kamin, bot ihm seinen Platz an und sagte zu ihm: »Alter, meine Kleider sind trocken, mein Hunger gestillt, du aber bist durchnäßt und hungrig.« Damit schürte er die zerstreuten Brände zusammen, blies das Feuer an, holte Suppe und Gemüse, stellte sie ihm auf den Tisch, an dem er selber gegessen hatte, und ging dann, ohne auf den Dank des Juden zu hören, nach dem oberen Ende der Halle. Ob er mit dem Manne weiter keine Gemeinschaft wünschte, oder ob er nur einen Vorwand suchte, in die Nähe der oberen Tafel zu kommen, sei dahingestellt. Inzwischen unterhielten sich der Abt und Cedric weiter über die Jagd, und Rowena besprach sich mit einer ihrer Zofen, und der Templer, dessen Blicke von dem Juden zu der sächsischen Schönheit wanderten, schien in tiefes Sinnen versunken. »Ich denke, würdiger Cedric,« sagte der Abt, »bei aller Vorliebe für Eure männliche Sprache werdet Ihr doch auch ein wenig übrig haben für das Normännisch-Französisch, wenigstens was das edle Weidwerk anbetrifft.« »Guter Vater Aymer,« versetzte der Sachse, »daß Ihrs nur wißt, ich frage nichts nach diesen überseeischen Verfeinerungen, ich komme ohne sie aus.« Der Templer fiel ihm in hochfahrendem Ton ins Wort. »Französisch,« sagte er, »ist nicht allein die natürliche Sprache der Jagd, es ist auch die Sprache der Liebe und des Krieges. Damen müssen erobert werden in ihr und Feinde geschlagen werden in ihr.« »Herr Templer,« versetzte Cedric, »tut mir Bescheid auf diesen Becher Weins und schenkt auch den des Herrn Abtes voll! Dann will ich um dreißig Jahre zurückgehen und Euch ein ander Stück erzählen. Als damals Cedric der Sachse in echtem Englisch seiner Schönsten anvertraute, wie ihm ums Herz war, da brauchte es keines französischen Troubadours, und das Schlachtfeld von Northallerton kann Zeugnis dafür ablegen, daß das sächsische Kriegsgeschrei ebenso vernichtend in die Reihen des schottischen Heeres gedrungen ist, wie des kühnsten normannischen Barons cri de guerre. Tut mir Bescheid, werte Gäste, die Manen derer, die dort gefallen sind, zu ehren!« Er trank und fuhr in steigender Wärme fort: »Das war ein Tag, das war ein Schildespalten! Hundert Banner flatterten zu Häupten der Tapferen, in Strömen floß das Blut, und der Tod war willkommener als schmachvolle Flucht. Ein sächsischer Barde nannte diesen Tag das Fest der Schwerter, er pries das Klirren der Schilde und Helme höher als das Jauchzen auf einer Hochzeit. Aber diese Barden sind nicht mehr, unsere Taten versinken in einem fremden Strome, unsere Sprache, unser Name selber verschwinden, und niemand trauert darum als ein einsamer alter Mann. Mundschenk gieß ein! Herr Templer, aufs Wohl der Tapferen – welches auch ihr Stamm und ihre Sprache sei – die jetzt am eifrigsten in Palästina für das heilige Kreuz streiten!« »Für einen Ritter,« antwortete Brian de Bois-Guilbert, »der das Zeichen des Ordens trägt, geziemt es nicht, hierauf zu erwidern. Doch sagt mir, welche haltet Ihr neben den Streitern des heiligen Grabes für die besten Kämpfer dort unten?« »Die Hospitalritter,« sagte der Abt, »ich habe unter ihnen einen Bruder.« »Ihren Ruhm will ich nicht schmälern,« antwortete der Templer. »Indessen...« »Waren in der englischen Armee,« unterbrach ihn Lady Rowena, »keine, deren Name neben denen der Templer und Johanniter genannt zu werden verdient?« »Verzeiht, Mylady,« erwiderte Brian, »der englische Fürst hat in der Tat eine Schar von Helden nach Palästina gebracht, und sie haben nur denen nachgestanden, deren Brust von jeher ein Bollwerk des heiligen Landes war.« »Keinem standen sie nach,« fiel ihm hier der Pilger ins Wort, der nahe genug stand, daß er dieses Gespräch hatte mit anhören können. Alle wandten sich nach der Seite, von wo diese unerwarteten Worte fielen. »Ich sage es nochmals,« wiederholte der Pilger festen Tones, »die englische Ritterschaft hat keinem nachgestanden, der je mit dem Schwert das heilige Land verteidigte. Ich sage ferner – denn ich habe es selber mitangesehen – König Richard und sechs seiner Ritter haben nach der Einnahme von St. Jean d'Acre ein Turnier abgehalten und sich mit jedem, der da wollte, gemessen. An diesem Tage hat jeder Ritter drei Gänge gemacht und in jedem einen Ritter zu Boden geworfen. Und sieben von diesen waren Tempelritter, und Sir Brian de Bois-Guilbert weiß recht gut, daß ich die Wahrheit rede.« Mit Worten läßt sich nicht die Wut schildern, die jetzt das dunkle Gesicht des Templers noch mehr verdunkelte. Mit bebender Hand griff er nach dem Schwert, aber er bezwang sich in dem Bewußtsein, daß er sich hier nicht zu Gewalttätigkeiten hinreißen lassen dürfe. Cedric merkte in seiner Freude über den Ruhm seiner Landsleute nicht den Zorn seines Gastes. »Pilger,« rief er, »dieses goldene Armband ist dein, so du mir die Namen der Ritter nennst, die so tapfer den Ruhm des glücklichen Englands vertreten haben.« »Das tu ich gern,« war die Antwort, »doch ohne Lohn, denn Gold zu tragen, verbietet mir mein Gelübde.« »Dann nehme ich an deiner Statt das Armband,« sagte Wamba, »sofern dirs recht ist, Freund Pilger.« »Der erste,« begann der Pilger, »an Ehre und Waffenruhm war der tapfere Richard, König von England. An zweiter Stelle steht Graf von Leicester, an dritter Thomas Multon von Gilsland.« »Der wenigstens ist von sächsischem Blut,« rief Cedric erfreut. »Sir Foulk Doilly der vierte.« »Auch Sachse mütterlicherseits,« sagte Cedric abermals, mit großer Spannung dem Berichte folgend. »Und wer war der fünfte?« »Der fünfte war Sir Edwin Turneham.« »Ein Sachse vom reinsten Blut beim Geiste Hengists!« rief Cedric. »Und der sechste? Nenne mir den sechsten!« Der Pilger schien sich eine Weile zu besinnen. »Der sechste,« sagte er dann zaudernd, »war ein junger Ritter, geringer an Rang und Ruhm als die anderen. Sein Name ist meinem Gedächtnis entfallen.« »Herr Pilger,« sagte Brian de Bois-Guilbert, »Eure erheuchelte Gedächtnisschwäche – wo Ihr Euch doch alles anderen so gut zu entsinnen vermochtet, hilft Euch nichts. Ich will Euch selber den Ritter nennen, dessen Lanze mich niederwarf, weil unglücklicherweise mein Pferd strauchelte. Es war der Ritter von Ivanhoe. Unter den Sachsen war keiner, der sich bei seiner Jugend gleichen Waffenruhmes erfreut hätte. Doch ich verkünde es laut, wäre er in England und wiederholte er auf dem Turnier, das in dieser Woche stattfindet, die Herausforderung von St. Jean d'Acre, so sollte mir um den Ausgang nicht bange sein.« »Wenn Euer Gegner hier wäre, so wäre Eure Herausforderung angenommen,« versetzte der Pilgrim. »So aber braucht Ihr die Ruhe dieser Halle nicht zu erschüttern, indem Ihr prahlerisch von dem Ausgange eines Zweikampfes redet, der ja doch, wie Ihr wißt, nie stattfinden kann. Wenn Ivanhoe je zurückkehrt, so will ich Bürge für ihn sein, daß er sich Euch zum Kampfe stellen wird.« »Ein Bürge, der sich sehen läßt,« sagte der Tempelritter höhnisch. »Und was gebt Ihr zum Pfande?« »Diese Reliquie,« antwortete der Pilger, indem er ein kleines elfenbeinernes Kästchen aus der Brust zog und sich bekreuzte. »Es ist ein Stück vom wahren Kreuze aus dem Kloster Karmel.« Der Prior bekreuzte sich und betete ein Vaterunser. Der Tempelherr nahm, ohne den Hut zu ziehen oder der Reliquie die geringste Ehrfurcht zu bezeigen, eine goldene Kette vom Halse, die er auf den Tisch warf mit den Worten: »Prior Aymer, nehmt dies als Pfand von mir und nehmt auch das Pfand dieses fahrenden Mannes ohne Namen zum Zeichen, daß der Ritter von Ivanhoe, wenn er innerhalb der vier Seen Britanniens weilt, die Herausforderung Brian de Bois-Guilberts annehmen muß. Wo nicht, so will ich ihn in jedem Tempelhofe Europas einen Feigling nennen.« »Wenn keine andere Stimme,« brach endlich Lady Rowena ihr langes Schweigen, »in dieser Halle das Wort ergreift für den abwesenden Ritter Ivanhoe, so soll doch meine Stimme gehört werden. Ich versichere, er wird sich ritterlich auf jede ehrenvolle Herausforderung hin stellen. Namen und Ehre verpfände ich darauf, daß Ivanhoe diesem stolzen Ritter entgegentreten wird, wie er es verlangt.« Ein Zwiestreit von Gefühlen schien während dieses Gesprächs in Cedrics Brust zu wogen. Befriedigter Stolz, Rachsucht und Verlegenheit jagten über seine offene Stirn wie Wolkenschatten über ein Herbstfeld. Seine Diener, auf die der Name des sechsten Ritters wie elektrisierend zu wirken schien, hingen an ihres Herrn Zügen. Bei Lady Rowenas Worten fuhr er auf aus seinem Schweigen. »Das ziemt sich nicht, Lady,« sagte er, »wenn noch ein Pfand erforderlich wäre, so wollte ich selber, obwohl schwer beleidigt, meine Ehre verpfänden für Ivanhoes Ehre. Aber die Bürgschaft ist ausreichend.« Der Abschiedstrunk wurde herumgereicht, die Gäste verneigten sich tief vor ihrem Wirt und Lady Rowena und gingen hinaus. Als der Templer an dem Juden vorüberschritt, sagte er: »Hund von einem Heiden, gehst du auch zum Turnier?« »Ich denke ja,« versetzte Isaak, »mit Verlaub Eurer Ritterschaft.« »Mag dein Wucher nagen an den Eingeweiden unseres Adels,« sagte der Ritter, »magst du Weiber und Kinder betrügen mit Tand und Spielzeug – ich verspreche dir guten Gewinn in deine Judentasche.« »Ach, nicht einen Scheckel, nicht einen Silberling, nicht einen Heller, so wahr mir helfe der Gott meiner Väter!« rief der Jude, die Hände faltend. »Nur ein paar Brüder meines Stammes will ich bitten, mir zu helfen bezahlen die Geldbuße, die unser Schatzmeister mir hat auferlegt. Soll mir beistehn der Vater Jakobs, ich bin ein armer Jüd, selbst die Tasche, die ich trage, hab' ich geborgt von Ruben von Tadcaster.« »Verwünschter falscher Lügner!« sagte der Templer mit sauerm Lächeln. Und er ging weiter, wie um dem Gespräch ein Ende zu machen und sagte dabei etwas zu seinen türkischen Sklaven, was die anderen nicht verstanden. Der Jude schien über die Ansprache des kriegerischen Mönches so entsetzt, daß er das demütig gesenkte Haupt nicht eher wieder erhob, als bis der Templer aus der Halle hinaus war. Wie einer, zu dessen Füßen der Blitz eingeschlagen hat und dem noch der Donnerschlag in den Ohren braust, starrte er um sich her. Fünftes Kapitel Der Pilger löschte die Fackel aus und warf sich angekleidet auf das harte Lager, das ihm in einer engen Kammer angewiesen worden war. Er schlief oder verharrte vielmehr in liegender Stellung, bis der erste Sonnenstrahl durch das vergitterte Fenster fiel, dann sprang er auf, verrichtete seine Frühandacht und ging darauf in die Kammer Isaaks des Juden, die, wie er sich vorher erkundigt hatte, neben der seinen belegen war. Der Jude lag in unruhigem Schlummer. Die Kleider, die er am Abend ausgezogen hatte, waren sorgfältig zusammengelegt, als wollte er verhüten, daß sie ihm über Nacht gestohlen würden. Sein Gesicht war von Angst verzerrt, Hände und Füße zuckten krampfhaft, als wollten sie den drückenden Alp von ihm abwehren. Außer einigen Rufen auf hebräisch ließen sich auf normännisch-englisch – der damaligen Landessprache – deutlich die folgenden Worte vernehmen: »Um des Gottes Abrahams willen! schonet eines elenden armen Mannes! Ich bin arm, ich habe nicht einen Pfennig, und wenn Ihr mir auch mit dem Eisen die Glieder streckt, geben kann ich Euch doch nichts!« Der Pilger wartete nicht, bis das Traumbild des Juden vorüber war, sondern er stieß ihn mit seinem Pilgerstabe leicht an; aber dieser Stoß wurde, wie es sich in der Regel so fügt, zu einem Teile seines erträumten Grausens, der Alte fuhr auf, riß ein paar seiner Kleider an sich und raffte die übrigen mit dem Griffe eines Raubvogels zusammen. Die schwarzen stechenden Augen heftete er mit dem Ausdruck wildesten Entsetzens und gräßlicher Angst auf den Pilger. »Fürchte dich nicht vor mir, Isaak,« sagte der Pilger. »Ich komme zu dir als Freund.« »Der Gott Israels lohn's Euch,« sagte der Jude. »Mir träumte – doch gepriesen sei der Vater Abrahams: es war nur ein Traum.« Dann faßte er sich und setzte in ruhigem Tone hinzu: »Und was begehret Ihr zu so früher Stunde von dem armen Juden?« »Ich will dir nur sagen, wenn du nicht sogleich dieses Haus verlässest und eilig deines Weges gehst, so droht dir ernste Gefahr.« »Heiliger Mann,« erwiderte der Jude, »wem könnte denn daran liegen, einem armen Tiere wie mir nachzustellen?« »Du wirst am besten wissen, aus welchem Grunde,« sagte der Pilger. »Das aber steht fest, als der Templer gestern abend die Halle verließ, sprach er mit seinen osmanischen Sklaven sarazenisch – ich verstehe diese Sprache leidlich – und er hat ihnen den Auftrag gegeben, dem Juden aufzulauern, ihn gefangen zu nehmen und auf das Schloß des Philipp von Malvoisin oder des Reginald Front-de-Boeuf zu schleppen.« Das Entsetzen, das den Juden bei dieser Nachricht überkam und seine Geisteskräfte zu vernichten drohte, läßt sich nicht beschreiben. Die Arme fielen herab, das Haupt sank auf die Brust, die Knie schlotterten, jeder Nerv und jeder Muskel seines Leibes schien zusammenzuschrumpfen und er sank zu den Füßen des Pilgers hin, nicht wie jemand, der niederkniet, um seine Demut zu bezeigen oder Mitleid zu erlangen, sondern wie zu Boden gestreckt von einer unsichtbaren Gewalt, gegen die es keinen Widerstand gab. »Gott meiner Väter!« rief er aus und hob die gefalteten Hände, während er das graue Haupt am Boden liegen ließ. »Träume sind nicht ohne Vorbedeutung. O, heiliger Moses, o gesegneter Aron, nicht vergebens hast du mich das schauen lassen! Schon fühle ich ihre Eisen zerfetzen meine Sehnen, schon fühle ich ihre Martern schauern über meinen Leib, wie die Sägen und eisernen Eggen über die Männer von Rabbah und über die Städte der Kinder Ammons!« »Steh auf, Isaak, und höre mich an,« sagte der Pilger, den die Verzweiflung des Juden mit Verachtung erfüllte. »Ich sage dir, ich will dir zur Flucht verhelfen. Verlaß auf der Stelle dieses Haus, solange noch die Leute vom Feste des gestrigen Abends ausschlafen. Ich geleite dich auf geheimen Pfaden durch den Wald, die ich hier besser kenne als ein Förster. Und ich werde dich nicht eher verlassen, als bis ich dich der Obhut eines Ritters oder Barons, der zum Turnier zieht, anvertraut habe. Du bist wahrscheinlich in der Lage, dir seine Bereitwilligkeit zu erkaufen.« Als Isaak vernahm, daß Hoffnung auf Flucht vorhanden war, raffte er sich zollweise vom Boden empor, als er aber die letzten Worte des Pilgers hörte, schien ihn das alte Entsetzen von neuem zu lähmen, er fiel abermals auf sein Angesicht und jammerte: »Ich die Mittel haben, die Bereitwilligkeit irgendwessen zu erkaufen? Es gibt ja nur ein Mittel, sich bei einem Christen in Gunst zu setzen, und wie soll ich armer Jüd davon können Gebrauch machen? Sie haben mich schon geschunden und ausgebeutet, daß ich arm bin wie Lazarus! Junger Mann! Um des großen Vaters willen, der uns alle geschaffen hat, den Juden wie den Heiden, hintergeh mich nicht! Verrate mich nicht! Ich habe gar keine Mittel, die Bereitwilligkeit eines Christenbettlers zu erkaufen, und wäre sie um einen Scheckel feil!« »Und wärest du beladen mit dem ganzen Reichtum deines Volkes,« versetzte der Pilger, indem er seinen Mantel von dem flehentlichen Griffe des Juden losriß, als fürchte er, daß ihn seine Berührung unrein machen könnte, »was hülfe es mir, dich auszurauben? – In diesem Kleide habe ich gelobt, arm zu bleiben, und dieses Kleid vertausche ich nur gegen ein Roß und einen Harnisch! Du mußt nicht denken, daß mir etwas daran gelegen sei, mit dir zusammen zu sein, oder daß ich einen Vorteil von dir zu ziehen beabsichtigte – wenn du willst, so bleib hier: vielleicht nimmt dich Cedric der Sachse in seinen Schutz.« »Weh!« rief der Jude. »Der läßt mich nicht in seinem Gefolge ziehen, denn der stolze Sachse schämt sich des armen Juden. Allein aber getrau ich mich nicht durch das Gebiet des Malvoisin und des Front-de-Boeuf. Junger Mann, ich will mit dir gehen! Laß uns eilen, laß uns gürten die Lenden, laß uns flüchten! Hier ist mein Stab – was zauderst du?« »Ich zaudre nicht,« war des Wallfahrers Antwort, »ich muß nur erst dafür sorgen, daß wir überhaupt auch von hier wegkommen.« Und er führte ihn in die anstoßende Kammer, wo Gurth, der Schweinehirt, schlief. »Steh auf, Gurth!« rief ihm der Pilger zu. »Mach das Hintertor auf, du sollst den Juden hinauslassen.« Gurth, der zwar ein niedriges, aber immerhin wichtiges Amt bekleidete, fühlte sich durch den vertraulichen und zugleich befehlenden Ton gekränkt. »Den Juden hinauslassen?« sagte er, indem er sich auf die Ellenbogen stützte und ihn argwöhnisch ansah. »Will er mit dem Pilger zusammen zu Fuß weg? Der Jüd und der Pilger müssen beide warten, bis das Haupttor aufgemacht wird.« »Ich denke, du wirst mir diese Gunst nicht abschlagen,« versetzte der Wallfahrer in befehlendem Tone. Mit diesen Worten neigte er sich über den Hirten, der liegen geblieben war, und lispelte ihm etwas ins Ohr, und wie vom Schlage getroffen, fuhr Gurth auf. Der Wallfahrer gab ihm mit dem Finger einen warnenden Wink und setzte dann hinzu: »Hüte dich, Gurth, du warst sonst immer klug! Ich sage dir, mach die Hintertür auf, bald hörst du mehr.« Gurth gehorchte ihm in Eile. »Mein Maultier, mein Maultier!« rief der Jude, als sie die Pforte durchschritten hatten. »Hol ihm seinen Maulesel, und hörst du, Gurth,« sagte der Pilger, »gib mir auch einen, damit ich neben ihm reiten kann, bis wir aus den Grenzen sind. Ich schicke dir das Tier bestimmt wieder zurück. Und höre –« Und er flüsterte Gurth abermals etwas ins Ohr. »Gern solls geschehen,« sagte der Hirt, ging sogleich den Auftrag auszuführen und war auch mit den Eseln gleich wieder da, und die Reisenden schritten auf einer Zugbrücke, die nur zwei Bohlen breit war, über den Graben hinüber. Kaum waren sie bei den Maultieren angekommen, so band der Jude hastig und mit zitternden Händen ein kleines, in blaues Tuch gewickeltes Päckchen am Sattel fest. »Wäsche zum Wechseln, weiter nichts,« murmelte er und schwang sich mit einer Gewandtheit, die man seinem Alter nicht mehr zugetraut hätte, auf seinen Esel und legte sorgfältig Kleider und Reisemantel so zurecht, daß das Päckchen von ihnen verdeckt wurde. Langsamer saß der Wallfahrer auf, er reichte Gurth zum Abschied die Hand, die dieser voll Ehrfurcht küßte. Dann starrte der Hirt den Reisenden nach, bis sie im Walde den Blicken entschwunden waren. Diese aber ritten, getrieben von der Angst des Juden, mit einer Eile, von der sonst alte Leute keine Freunde sind. Der Pilgrim, dem jeder Weg und Steg in diesem Walde vertraut zu sein schien, führte ihn auf unbekannten Pfaden, und mehr als einmal ergriff den Juden der Verdacht, in einen Hinterhalt gelockt zu werden. Seine Furcht war allerdings begreiflich. Denn den fliegenden Fisch ausgenommen, gab es damals auf der Erde, in der Luft und im Wasser kein Lebewesen, das so unausgesetzter und allseitiger Verfolgung preisgegeben gewesen wäre wie ein Jude. Unter völlig inhalt- und grundlosem Vorwande, und auf die unhaltbarsten und lächerlichsten Beschuldigungen hin waren sie jedem Ansturme der öffentlichen Wut überantwortet. Normanne, Däne, Sachse und Brite – so uneinig sie auch sonst waren – in der Verachtung, mit der sie auf das Volk der Juden blickten, stimmten sie alle überein, und es war geradezu ein Gebot der Religion, die Juden auf jede nur mögliche Weise zu hassen, zu peinigen, auszubeuten und zu vernichten. Die Reisenden waren eine Zeitlang auf verschlungenen Pfaden dahingeeilt, als endlich der Wallfahrer das Schweigen unterbrach. »Die große, morsche Eiche hier,« sagte er, »bezeichnet die Grenze des Gebietes, das Reginald Front-de-Boeuf sein eigen nennt. Vom Besitztum Malvoisins sind wir noch weit entfernt. Nun brauchen wir keine Furcht mehr vor Nachstellung zu haben.« »Die Räder mögen fallen von ihren Wagen,« sagte der Jude, »wie bei dem Heere Pharaos, daß sie nur langsam vorwärts kommen. Du aber, guter Pilger, geh nicht von mir! Denk an den stolzen Templer mit seinen Sarazenen, sie kümmern sich nicht darum, wem das Land gehört und was die Obrigkeit vorschreibt.« »Unsere Wege,« erwiderte der Pilger, »müssen sich hier trennen, denn es ziemt sich nicht für einen heiligen Mann länger als nötig in der Gesellschaft eines Juden zu reisen. Was für Beistand könntest du auch von mir erhoffen, was vermöchte ein friedliebender Pilger gegen zwei bewaffnete Heiden? Du bist hier überdies nicht mehr weit von der Stadt Sheffield, wo du leicht einen Mann deines Stammes finden wirst, der dir Aufnahme gewähren wird.« Sie machten Halt auf dem Gipfel eines schönen grünen Hügels, der Wallfahrer deutete auf die unter ihnen liegende Stadt und wiederholte: »Hier trennen sich unsere Wege!« »So nimm denn den Dank des armen Juden,« sagte Isaak. »Freilich wirst du wohl nicht damit einverstanden sein, mit mir zu einem meiner Verwandten zu gehen, der mir etwas geben würde, daß ich dir deinen Dienst vergelten könnte.« »Ich habe dir ja schon gesagt, daß ich keinen Lohn verlange. Wenn du auf der langen Liste deiner Schuldner einen armen Christen hast, dem du um meinetwillen Kerker und Fesseln ersparen kannst, so bin ich für den Dienst, den ich dir heute morgen erwiesen habe, reichlich belohnt.« »Halt, halt,« unterbrach ihn Isaak, indem er sein Gewand ergriff, »mehr noch muß ich tun – ich muß noch etwas für dich selber tun. Gott weiß es, ich bin ein armer Teufel von einem Juden – ein Bettler seines Stammes ist der Isaak – doch verzeihe mirs, wenn ich erraten habe, was dir jetzt am innigsten am Herzen liegt.« »Wenn du das Rechte ratest,« antwortete der Wallfahrer, »so weißt du auch, daß du mir das nicht verschaffen kannst, und wärest du auch so reich, wie du dich für arm ausgibst.« »Mich ausgeben für arm!« rief der Jude, »o, glaube mir, ich spreche die Wahrheit, ich bin eine arme, ausgeraubte, verschuldete Kreatur – alles, alles haben sie mir genommen – Geld, Gut und Schiffe. Aber ich kann dir sagen, was du jetzt gern haben möchtest, ich kann dirs vielleicht auch verschaffen. Du wünschest dir jetzt ein Roß und eine Rüstung. Erstaunt sah ihn der Pilger an. »Hat dir das der böse Feind eingegeben?« fragte er hastig. »Woher ich es weiß, kann dir ja einerlei sein,« versetzte der Jude lächelnd. »Ich weiß es, und ich kann dir behilflich sein.« »Doch bedenkt – mein Stand und mein Gelübde.« »Euch Christen kenne ich,« unterbrach ihn der Jude. »Die Edelsten unter Euch greifen aus abergläubischer Buße zu Stab und Sandalen und wandern zu Fuß nach den Grabstätten toter Leute.« »Lästere nicht, Jude!« fiel ihm der Pilger ernst ins Wort. »Verzeiht!« entschuldigte sich Isaak. »Unbesonnen hab ich da gesprochen. Aber gestern abend und heute morgen sind Euch Worte entschlüpft, wie aus dem Kieselsteine Funken stieben, und sie haben mir das innere Metall verraten. In Euerm Busen ist die Kette eines Ritters versteckt und ein Sporn von Gold. Als Ihr Euch heute früh über mein Lager neigtet, hab ich sie schimmern sehen.« Der Wallfahrer lächelte und sagte: »Wenn man deine Kleider, Isaak, mit ebenso scharfem Blick durchsuchte, was würde man da wohl alles finden?« »Still davon!« entgegnete der Jude erbleichend und zog, wie um der Unterredung ein Ende zu machen, aus seinem Gürtel das Schreibzeug, breitete ein Stück Papier auf seinem gelben Hute aus und begann zu schreiben, ohne von seinem Maultier herabzusteigen. Als er fertig war, übergab er den Zettel, der hebräische Schriftzüge trug, dem Pilger und sagte: »In der Stadt Leicester kennt alle Welt den reichen Juden Kirgath Jairam aus der Lombardei, an den gebt diesen Zettel ab. Er hat zu verkaufen sechs mailändische Rüstungen, die schlechteste darunter ist gut genug für einen König – und er hat auch zehn prächtige Rosse, das schlechteste darunter könnte besteigen ein König, wenn er ausreitet, um zu kämpfen für seinen Thron. Er wird Euch wählen lassen unter ihnen, er wird Euch versehen mit allem, was Ihr haben müßt zum Turnier. – Wenn es vorüber ist, werdet Ihr ihm alles unversehrt wieder zustellen, sofern Ihr nicht Geld genug habt, den Wert dem Eigentümer zu bezahlen.« »Ei, Isaak,« sagte der Pilger lächelnd. »In solchem Waffenspiele fallen Waffen, Roß und Rüstung des Besiegten dem Sieger anheim – und wenn ich nun Unglück habe und verliere, was ich weder bezahlen noch irgendwie ersetzen kann?« Der Jude schien ein wenig zu erschrecken über diese Möglichkeit, aber er nahm all seinen Mut zusammen und erwiderte: »Nein – nein – nein! Der Gott meiner Väter wird mit dir sein und deine Lanze wird haben Kraft wie der Stab Mosis.« Der Jude wandte sein Maultier, aber der Pilger hielt ihn noch zurück. »Du weißt nicht, was du alles wagst, Isaak,« sagte er. »Das Pferd kann stürzen, die Rüstung kann beschädigt werden; denn bei mir gibts für Roß und Mann keine Schonung. Und dann machen deine Stammesbrüder doch auch nichts umsonst, es muß etwas für den Gebrauch bezahlt werden.« »Macht nichts, macht nichts!« versetzte der Jude, bei dem die besseren Gefühle diesmal die Oberhand behielten. »Laßt nur gut sein! Wird was beschädigt, so soll es Euch nichts kosten. Wenn üblich ist Leihgebühr, Kirgath Jairam wird es Euch erlassen, ist doch der Isaak sein Vetter. – Nun lebt wohl und hört, junger Mann,« setzte er hinzu, sich noch einmal umwendend, »wagt Euch nicht zu weit ins Gewühl – nicht etwa weil Ihr die Rüstung und das Pferd nicht beschädigen sollt – sondern aus Rücksicht auf Euer eigen Leben und auf Eure gesunden Glieder.« »Dank der Fürsorge!« sagte lächelnd der Wallfahrer. »Ich nehme Eure Freundlichkeit an.« Damit trennten sie sich und schlugen verschiedene Wege nach Sheffield ein. Sechstes Kapitel Das englische Volk befand sich damals in recht jammervoller Lage. König Richard war fern und in Gefangenschaft des grausamen und treulosen Herzogs von Österreich. Prinz Johann machte im Bunde mit Philipp von Frankreich all seinen Einfluß auf den Österreicher geltend, um seines Bruders Gefangenschaft zu verlängern und die Thronfolge, indem er seine Partei im Königreiche in der Zwischenzeit nach Kräften verstärke, dem rechtmäßigen Erben, seinem älteren Bruder, dem Herzog Arthur von Britannien, zu entreißen – was ihm dann ja auch gelungen ist. Johann war ein treuloser, lasterhafter Charakter und wußte leicht all die um sich zu scharen, die ihrer Taten wegen die Rückkehr Richards aus dem Morgenlande zu fürchten hatten, und all jene, die von den Kreuzzügen heimgekommen waren, behaftet mit den Lastern des Orients und in ihrer Armut und Hoffnungslosigkeit beseelt von dem Triebe, im Bürgerkriege neue Schätze zu ernten. Hierzu kam noch, daß es infolge der Bedrückungen des Lehnsadels von Geächteten im Lande wimmelte, die sich zu Banden zusammengetan hatten und in den Wäldern und Wildnissen ihr Wesen trieben, allen Gesetzen und der Obrigkeit Hohn sprechend. Die Adligen selbst machten sich auf ihren Schlössern zu Häuptern von Banden, die es nicht besser trieben als die erklärten Banditen. Unter all diesen Beschwerden litt das Volk in der Gegenwart und fürchtete mehr noch für die Zukunft. Aber bei all dem Elend nahm der Arme wie der Reiche, der Vornehme wie der Geringe an einem Schauspiel teil, das damals die größte Sehenswürdigkeit war. Das Turnier, wie man diese kriegerischen Veranstaltungen nannte, fand zu Ashby statt, in der Grafschaft Leicester. Streiter von hohem Namen sollten sich vor dem Prinzen Johann in eigener Person messen, der selber in die Schranken zu treten beabsichtigte. Der Platz war herrlich gelegen. Mitten in einem Walde, der bis auf eine Meile an die Stadt Ashby herantrat, lag eine Wiese, die mit ihrem glatten Boden wie geschaffen für das kriegerische Spiel erschien. Der Raum maß etwa eine englische Meile in der Länge und eine halbe in der Breite und hatte die Form eines Vierecks, dessen Ecken zur besseren Bequemlichkeit der Zuschauer abgerundet waren. Am Süd- und Nordende lagen die Zugänge für die Kämpfer, starke, hölzerne Tore, die so breit waren, daß zwei Reiter nebeneinander hindurchkonnten. An jedem Tore stand ein Herold mit sechs Trompetern und einer kleinen Abteilung bewaffneter Mannschaft. Außerhalb des Kampfplatzes waren vorm Südende auf einer kleinen Erhöhung fünf prachtvolle Zelte aufgeschlagen, die schwarz und golden geschmückt waren, Das waren die Farben der fünf Ritter, die die Herausforderungen zum Turnier erlassen hatten. Vor jedem Zelte hing der Schild des Ritters, und ein Knappe in zierlicher Tracht, je nach dem Geschmacke seines Herrn als Wilder, als Waldbewohner oder in sonst einem phantastischen Kostüm gekleidet, stand davor. Den Ehrenplatz unter den Zelten hatte Brian de Bois-Guilbert inne, dessen Herausforderung dank seinem Ruhm in allen ritterlichen Übungen von den ruhmreichsten Streitern angenommen worden war. Neben seinem stand das Zelt des Reginald Front-de-Boeuf und Philipps von Malvoisin. An der andern Seite lag der edle Baron Hug von Grant-Mesnil, und das fünfte Zelt gehörte einem Ritter vom Johanniter-Orden, Ralph de Vipont. Der Zugang vom Norden her war ein ebensolcher Einlaß, an dessen äußerem Ende sich ein breiter umfriedeter Raum für die zum Turnier gemeldeten Gegner öffnete. Tribünen, die mit Teppichen und Polstern belegt waren, bildeten die Plätze für die Damen; die Freisassen und alle, die nicht zum gemeinen Volk gehörten, hatten einen Raum zwischen den Tribünen und den Schranken inne, ähnlich dem Parkett eines modernen Theaters. Die große Masse fand auf Rasenbänken Platz. Auch auf den Bäumen ringsum hockten eine Menge Zuschauer. An der Ostseite der Tribünen, gerade gegenüber dem Punkte, wo die Streiter aufeinander treffen mußten, war eine Art Baldachin mit den königlichen Insignien angebracht. Um diesen für den Prinzen bestimmten Platz stand eine Schar reichgekleideter Edelherren, Pagen und Freisassen. Diesem Ehrenplatz gegenüber, also an der Westseite, fiel ein ähnlicher Sondersitz ins Auge, der nur nicht ganz so prächtig geschmückt war. Um diesen grün und rot ausgelegten Platz stand eine Schar von grün und rot gekleideten Pagen und Mädchen, und zwischen Wimpeln und Bannern, die mit Köchern, Bogen und Pfeilen und blutenden Herzen und allen möglichen Sinnbildern der Triumphe Amors bemalt waren, prangte eine Inschrift, aus der hervorging, daß dieser Platz für die Königin der Liebe und der Schönheit bestimmt sei. Wer aber diese Auserkorene sein würde, war jetzt noch nicht zu sagen. Die Plätze der Zuschauer füllten sich indessen allmählich und auf den Tribünen wurde die Zahl der Edeldamen und Herren immer stattlicher, und der Raum unter ihnen war gleichfalls schon dicht gefüllt von Bürgern und handfestem Landvolk, zwischen denen es öfter zu Streitigkeiten kam. Reich gekleidet und in einen mit Spitzen besetzten und mit Pelz gefütterten Mantel gehüllt, suchte Isaak von York für sich und seine Tochter Rebekka einen guten Platz zu finden. Sie war in Ashby mit ihm zusammengetroffen. Und während sich beide noch durch die Menge wanden, erregte die Ankunft des Prinzen Johann die allgemeine Aufmerksamkeit. Er ritt mit einem zahlreichen Gefolge herein, in dem sich auch der Prior von Jorlvaux in so prächtiger Kleidung befand, wie es seine kirchliche Würde nur irgend zuließ. Herrlich zu Roß und prunkend gekleidet, einen Falken auf der Hand, auf dem Kopfe ein Pelzbarett und einen Kranz von Edelsteinen, das lange Haar in Locken um die Schultern, so sprengte Prinz Johann in die Schranken. Er unterhielt sich laut und lachend mit seinem Gefolge und musterte mit der Kühnheit eines königlichen Beurteilers die Schönheiten auf den Tribünen. Wohl trugen die Züge des Prinzen das Gepräge der Ausschweifung, der rücksichtslosen Selbstsucht und des Hochmutes, aber doch fehlte es ihnen nicht an einer gewissen Anmut, wie sie eine offene, wohlgeformte und künstliche zu äußerlicher Höflichkeit gewöhnte Miene immer aufweist. Leicht wird wohl ein solches Wesen als Edelsinn, Offenheit und männlicher Freimut angesprechen, und doch steckt nichts weiter dahinter als selbstsüchtige Gleichgültigkeit, Lust zu Ausschweifungen und Dünkel auf Rang und Reichtum. Für die, die nicht in die Tiefe schürften, und ihre Zahl verhielt sich wie eins zu hundert, waren die prunkende Erscheinung des Prinzen, sein Zobelmantel, seine Maroquinstiefel und seine goldenen Sporen Grund genug, ihn mit lautem Beifallsjubel zu empfangen. Das Auge des Prinzen fiel bei seinem Umritt sogleich auf den Juden und seine Tochter, die vergebens Platz zu finden suchten und mit harten Worten allerorten zurückgewiesen wurden. Und selbst dem scharfen Kennerblick des Prinzen Johann erschien die Gestalt der Rebekka den stolzesten Schönheiten Englands ebenbürtig. Ihr regelmäßiger Wuchs kam durch ihre orientalische Kleidung noch mehr zur Geltung. Zu ihren dunkeln Augen stand der gelbseidene Anzug wundervoll. Herrliche Brauen wölbten sich unter der weißen Stirn, die Zähne waren wie Perlen, und das reiche schwarze Haar fiel zu einzelnen Locken gewunden auf den schneeweißen Hals und Busen hinab, die von einem persischen Seidenschal zum Teil bedeckt waren. Um den Hals trug sie ein Brillantenkollier, das von unschätzbarem Wert sein mußte. »Bei dem kahlen Schädel Abrahams,« sagte Prinz Johann, »die Jüdin ist ein Prachtexemplar. Was sagt Ihr, Prior Aymer? Fürwahr, sie ist die Braut des Hohen Liedes selber.« »Eine Rose Sarons und eine Lilie im Tal!« antwortete der Geistliche in singendem Tone. »Aber Euer Hoheit müssen bedenken, es ist nur eine Jüdin.« »Sieh! da ist ja auch ihr Vater,« sagte der Prinz, ohne auf seine Worte zu hören, »der Baron von Byzanz, der Marquis von Mammon. Beim heiligen Markus, der Wucherfürst soll mit seiner Tochter einen Platz auf der Tribüne bekommen. He, Isaak! wer ist die morgenländische Houri, die du am Arme führst, dein Weib oder deine Tochter?« »Meine Tochter Rebekka, zu Euer Hoheit Befehl,« antwortete Isaak mit einem tiefen Bückling. Die Ansprache des Prinzen setzte ihn nicht in Verlegenheit, denn zur Zeit gerade stand der Prinz mit den Juden von York in Unterhandlung wegen einer Anleihe, und bei diesem Geschäft war Isaak in hervorragender Weise beteiligt. »Ob Tochter oder Weib,« erwiderte der Prinz, »sie soll einen Platz haben, wie er ihrer Schönheit und deinen Verdiensten gebührt. Wer sitzt dort oben?« rief er, nach der Tribüne hinaufschauend. »Sächsische Bauern? Herunter mit ihnen! Sie sollen Platz machen für meinen Wucherfürsten und seine liebliche Tochter!« Die, denen diese beleidigenden Worte galten, waren Cedric der Sachse und Athelstane von Conningsburgh mit ihren Familien. Der letztere war als Abkömmling des letzten Königs von England unter allen eingeborenen Sachsen im nördlichen England sehr geachtet. Mit dem uralten Blute dieses königlichen Geschlechts war aber auch manche seiner Schwächen auf Athelstane übergegangen. Sein Gesicht war nicht häßlich, seine Gestalt war kraftvoll, und er stand in der Blüte der Jahre. Aber in seinen Bewegungen lag Schwerfälligkeit und Trägheit, seine Augen waren ohne Ausdruck, und wegen seiner Unentschlossenheit hatte er den Beinamen eines seiner Ahnen erhalten und hieß Athelstane der Unentschlossene. An diesen Mann richtete der Prinz seinen Befehl, dem Juden Platz zu machen. Bestürzt über dieses Verlangen, das nach den Sitten und Ansichten der damaligen Zeit eine schwere Beleidigung enthielt, wollte Athelstane nicht gehorchen und wußte doch auch nicht, wie er Widerstand leisten sollte. Er setzte daher dem Prinzen lediglich passiven Widerstand entgegen, und ohne sich zu erheben oder eine Bewegung zu machen, die seine Bereitwilligkeit bekundet hätte, stierte er den Prinzen mit seinen großen grauen Glotzaugen an – das machte sich ungemein komisch, aber der ungeduldige Prinz Johann faßte die Sache anders auf. »Das sächsische Schwein schläft wohl oder versteht es mich nicht?« rief er. »Rüttle den Kerl mit der Lanze auf, Bracy!« So hieß der Ritter, der neben dem Prinzen ritt. Er streckte seine lange Lanze über den Raum, der zwischen der Tribüne und den Schranken lag, und hätte wohl den Befehl des Prinzen ausgeführt, noch ehe Athelstane der Unentschlossene die Besonnenheit gefunden hätte, auch nur dem Stoße auszuweichen. Aber Cedric, der ebenso schnell wie sein Gefährte langsam war, hatte blitzschnell sein Schwert gezogen und mit einem Schlag die Lanzenspitze von dem Speere getrennt. Prinz Johann wurde rot vor Wut. Er stieß einen gräßlichen Fluch aus und war im Begriffe, in seinem Jähzorn eine Gewalttätigkeit zu begehen, aber sein eigenes Gefolge umringte ihn und sprach auf ihn ein, sich doch zu beruhigen, auch erscholl ringsum rauschender Beifall zu Cedrics mutiger Tat. Der Prinz sah verächtlich um sich her, da begegnete sein Auge einem Bogenschützen, der ein grünes Wams anhatte, ein silbernes Wehrgehänge um den Leib, einen Köcher mit zwölf Pfeilen und einen sechs Fuß langen Bogen trug. Der Mann schrie laut Beifall, und Prinz Johann fragte ihn, weshalb er so lärme. »Ich rufe stets mein Bravo,« antwortete der Bogenschütze, »wenn ich einen guten Schuß oder einen derben Hieb sehe.« »So?« versetzte der Prinz, »und du triffst wohl auch immer das Ziel?« »Jawohl, das bei Weidmännern übliche Ziel auf die übliche Entfernung treffe ich wohl.« »Bei Sankt Grizzel,« sagte der Prinz, »wir wollen eine Probe deiner Geschicklichkeit sehen.« »Ich werde mich der Aufgabe nicht entziehen,« war die beherzte Antwort. »Inzwischen steht auf da, Ihr sächsischen Grobiane!« rief der stolze Prinz. »Denn beim Lichte des Himmels, da ich es einmal gesagt habe, so soll der Jude auch zwischen Euch sitzen.« »Mit nichten, Euer Hoheit,« sagte der Jude, »es geziemt sich nicht für unsereinen, bei den Oberhäuptern des Landes zu sitzen.« »Hinauf mit dir, ungläubiger Hund, wenn ich es dir befehle!« rief der Prinz, »sonst laß ich dir dein zähes Fell abziehen und eine Satteldecke draus gerben.« Der Jude begann die hohen engen Stufen hinanzusteigen. »Ich will mal sehen, wer ihn aufhalten wird,« sagte der Prinz, den Blick fest auf Cedric geheftet, der entschlossen schien, den Juden hinunterzuwerfen. Der Narr Wamba kam aber dieser vielleicht verhängnisvollen Handlung zuvor, indem er zwischen seinen Herrn und Isaak sprang und auf des Prinzen Worte mit dem Rufe antwortete: »Meiner Treu, ich halt ihn auf!« Er hielt dem Juden ein Stück geräuchertes Schweinefleisch unter die Nase, das er unter seinem Kittel hervorzog. Er hatte sich wahrscheinlich damit versehen, für den Fall, daß er während des Turniers Appetit bekommen sollte. Als der Jude ein von seinem Volke so verabscheutes Stück gerade vor seiner Nase und das hölzerne Schwert des Narren über seinem Haupte sah, geriet er ins Wanken, trat fehl und kollerte zur hellen Belustigung der Zuschauer die Stufen hinunter. Prinz Johann stimmte herzhaft in das allgemeine Gelächter ein. »Mir gebührt der Preis!« rief Wamba. »In ehrlichem Kampfe hab ich meinen Feind mit Schild und Schwert bezwungen!« »Wer bist du, edler Kämpe?« fragte lachend der Prinz. »Ich bin ein Narr und heiße Wamba.« »Nun denn, so macht hier unten Platz für den Juden,« sagte jetzt der Prinz, zufrieden, daß er mit Anstand von seinem Vorhaben ablassen konnte. »Der Besiegte darf nicht neben dem Sieger sitzen, das wäre gegen die Vorschrift.« Dann wandte er sich noch einmal an den Juden. »Isaak! Leih mir eine Handvoll Byzantiner!« Der Jude erschrak über die Forderung und kam ihr nur ungern nach; dennoch hatte er nicht den Mut, sie abzuschlagen und kramte zaudernd in der Tasche herum, die er am Gürtel hatte und probierte, wie viel oder wie wenig Münzen wohl eine Handvoll sein möchten. Aber Prinz Johann sprang ungeduldig vom Pferde und machte Isaaks Bedenken ein Ende, indem er ihm die ganze Tasche vom Gürtel riß. Dann warf er dem Narren ein paar Goldstücke zu und galoppierte weiter um die Schranken, den Juden dem Spott der Umstehenden überlassend, während ihm selber so lauter Beifall wurde, als hätte er eine edle, ehrenvolle Tat vollbracht. Als Prinz Johann auf seinem Throne Platz genommen hatte, gab er den Herolden ein Zeichen, die Turniervorschriften zu verlesen, die in Kürze folgende Bestimmungen enthielten: Erstens: Die fünf Streiter nehmen es mit allen, die sie fordern, auf. Zweitens: Jeder, der herausfordert, kann sich unter den Streitern seinen Gegner wählen, indem er seinen Schild mit der Lanze berührt. Geschieht dies mit umgekehrter Lanze, so gilt es nur einen Zweikampf der Courtoisie, das heißt, an den Lanzen ist dann ein Lederball befestigt. Wird aber der Schild mit scharfer Spitze berührt, so gilt es einen Zweikämpf mit tödlichen Waffen, der sich von einem Zusammentreffen in der Schlacht in nichts unterscheidet. Drittens: Wenn die anwesenden Ritter ihr Gelübde erfüllt und jeder fünf Gänge ausgefochten hat, so erklärt der Prinz, wer der Sieger des ersten Tages ist, der dann ein prachtvolles Streitroß als Preis erhält und obendrein das Vorrecht, die Königin der Liebe und der Schönheit zu ernennen, die dann den Sieger des zweiten Tages krönen wird. Viertens: Es wird kund und zu wissen getan, daß am zweiten Tage ein allgemeines Turnier stattfinden soll, an dem jeder anwesende Ritter teilnehmen darf. In zwei Parteien sollen sie so lange kämpfen, bis der Prinz selber den Strauß für beendet erklärt. Dann soll die erwähnte Königin der Liebe und der Schönheit den Ritter krönen, den Prinz Johann als den tapfersten bezeichnet. Er erhält eine goldene Lorbeerkrone. Mit diesem zweiten Tage enden die ritterlichen Spiele und es folgen Bogenschießen, Stiergefechte und andere Volksbelustigungen. Den Schluß bildete der gewöhnliche Heroldsruf: »Largesse! Largesse!« Dann verließen die Herolde die Schranken und es blieb niemand darin als die beiden Marschälle des Turniers, William de Wywil und Stephan de Martival, die von Kopf bis zu Fuß in Harnisch wie aus Erz gegossen an den beiden Enden der Schranken standen. Der Naum vor dem Nordende der Schranken hatte sich inzwischen ganz mit Rittern gefüllt. Von den Tribünen gesehen, erschienen sie wie ein Meer von wogenden Federbüschen, blitzenden Helmen und ragenden Lanzen, und endlich taten sich die Barrieren auf, und die fünf Ritter, die durch das Los bestimmt waren, ritten langsam auf den Kampfplatz. Einer ritt an der Spitze, die anderen folgten zu zweien und zweien, die feurigen Rosse zügelnd, um ihre Gewandtheit im Reiten zu zeigen. Gleichzeitig erklang hinter den Zelten der Herausforderer hervor, wo die Musikanten verborgen waren, eine wilde Musik. Unter den Augen der vielköpfigen Menge ritten die Kämpfer nun nach dem kleinen Plateau, wo sich die Zelte der Herausforderer befanden, und jeder berührte mit umgedrehter Lanze den Schild dessen, mit dem er sich messen wollte. Dann zogen sie sich wieder nach dem äußersten Ende der Schranken zurück und stellten sich hier in einer Linie auf, während die Herausforderer aus ihren Zelten traten, ihre Pferde bestiegen und, von der Anhöhe herabreitend, gegenüber den einzelnen Rittern, die ihren Schild berührt hatten, Aufstellung nahmen. Unter Hörner- und Trompetenklang rannten sie nun in vollem Galopp aufeinander los, und so überwiegend war die Gewandtheit der herausfordernden Partei, daß die Gegner Malvoisins, Bois-Guilberts und Front-de-Boeufs zu Boden stürzten. Grand-Mesnils Gegner verfehlte den Anlauf und anstatt seine Lanze am Helm oder Schild seines Gegners zu zerbrechen, brach er sie quer über seinem Leibe entzwei. Das war noch schmachvoller, als wenn er niedergeworfen worden wäre, weil es an Ungeschicklichteit in der Führung der Waffe lag, während ein Sturz auch manchmal durch einen Zufall erfolgen kann. Der fünfte Ritter allein rettete die Ehre seiner Partei, indem er ritterlich mit dem Johanniter die Lanze brach, ohne daß einer vor dem anderen einen Vorteil errungen hätte. Das laute Geschrei der Menge, das Beifallsgebrüll der Herolde und das Trompetengeschmetter verkündete den Triumph der Sieger und die Niederlage der Besiegten. Die ersteren kehrten nach ihren Zelten zurück, die letzteren rafften sich auf, so gut es ging und verließen unter allseitigem Spott die Schranken, um dann mit den Siegern über den Preis zu verhandeln, um den sie Pferd und Waffen, die nach den Bestimmungen den Siegern verfallen waren, behalten könnten. Der fünfte Ritter allein blieb ein wenig länger, sich an dem Beifall der Menge weidend. Eine zweite und dritte Gruppe zog ins Feld, und obgleich der Erfolg wechselte, blieb doch in der Hauptsache der Sieg auf der Seite der Herausforderer. Von ihnen wurde nicht einer aus dem Sattel gehoben oder machte einen Fehlstoß, was doch bei ihren Gegnern des öfteren zutraf. Auch schien der Mut der Gegner nachzulassen angesichts des dauernden Glückes der anderen, denn beim vierten Gange erschienen nur noch drei Gegner, die sich weder mit Front-de-Boeuf, noch mit Bois-Guilbert maßen, sondern mit den drei anderen, die weit weniger Kraft und Gewandtheit gezeigt hatten. Aber auch diese Vorsicht änderte am Ausgange des Kampfes nichts. Die Herausforderer blieben Sieger. Einer der Gegner wurde geworfen, die beiden anderen verfehlten den Anstoß. Nach diesem vierten Gange trat eine lange Pause ein, und es schien niemand zur Fortsetzung des Kampfes Lust zu haben. Bald aber erklangen von neuem die Stimmen der Herolde: »Liebe den Damen! Brecht Eure Lanzen! Kämpft tapfer, Ihr Ritter! Schöne Augen sehen hernieder auf Eure Taten!« Dazwischen klang in wilden Tönen die Musik der Herausforderer, Sieg und Trotz in ihren Klängen. Das Volk begann sich zu ärgern, daß der Festtag hinzugehen drohte, ohne daß man was Ordentliches zu sehen bekam, und alte Ritter und Edelherren beklagten sich leise, daß der kriegerische Geist im Schwinden sei. Sie schwatzten von den Siegen ihrer jungen Jahre. Prinz Johann gab schon seinem Gefolge Weisung, das Festessen herzurichten und meinte, daß er wohl den Preis Bois-de-Guilbert geben müsse, der zwei Ritter geworfen und einen dritten noch schmählicher heimgeschickt habe. Die Musik der Herausforderer hatte eben eine lange und kühne Fanfare zu Ende geblasen, da gab vom Nordende her eine einzelne Trompete eine herausfordernde Antwort. Aller Augen wandten sich mit einemmal dorthin, um den neuen Kämpfer zu sehen, den dieser Trompetenstoß ankündigte. Siebentes Kapitel Kaum waren die Barrieren geöffnet, so ritt er in die Schranken. Soweit man seine Gestalt nach der Rüstung beurteilen konnte, schien er nicht viel über Mittelgröße, eher schlank als stark. Seine Rüstung war von Stahl mit reichen Goldeinlagen, sein Wappenschild zeigte einen jungen, mit der Wurzel ausgerissenen Eichbaum, als Inschrift stand das spanische Wort Desdichado darauf, das zu deutsch der Enterbte heißt. Er ritt einen stattlichen Rappen und grüßte im Hereintänzeln höflich den Prinzen und die Damen, indem er die Lanze senkte. Die Gewandtheit, mit der er sein Pferd lenkte, und eine unverkennbare Anmut und jugendfrische Forschheit in seinem Gebaren eroberten ihm im Sturme die Herzen der Menge, und aus dem Zuschauerraum der niederen Klassen schallten ihm Rufe entgegen wie: »Berührt den Schild von Ralph de Vipont, oder den des Ritters vom Orden der Hospitaliter, der sitzt am wenigsten fest, mit dem werdet Ihr am leichtesten fertig.« Unter solchen wohlgemeinten Ratschlägen ritt der Kämpfer nach dem Plateau und hielt zum Erstaunen aller Anwesenden gerade vor dem mittelsten Zelte und berührte mit der Spitze seiner Lanze den Schild Brians de Bois-Guilbert, daß das Eisen laut erklang. Alles Volk erstaunte ob dieser Kühnheit, am meisten aber der gefürchtete Ritter, der zum Kampf auf Leben und Tod gefordert war. »Habt Ihr gebeichtet, Bruder, und die Messe heute morgen gehört,« fragte der Templer, »daß Ihr so keck Euer Leben aufs Spiel setzt?« »Ich bin zum Tode mehr gerüstet als Ihr,« versetzte der enterbte Ritter, denn mit diesem Namen hatte er sich ins Turnierbuch einschreiben lassen. »So geh auf deinen Platz in den Schranken,« sagte Bois-Guilbert. »Sieh noch einmal die Sonne an, denn diese Nacht wirst du im Paradiese schlafen.« »Dank der großen Höflichkeit,« sagte der Enterbte. »Ich will sie nicht unerwidert lassen, und so rate ich dir, nimm ein frisches Pferd und eine neue Lanze, denn bei meiner Ehre, du wirst beides brauchen.« Sein Selbstvertrauen in dieser Weise aussprechend, lenkte er sein Pferd in die Schranken zurück und ließ es die ganze Strecke rückwärts gehen. Diese Probe seiner Reiterkunst trug ihm von neuem den Beifall der Menge ein. Obwohl entrüstet über die ihm von seinem Gegner erteilten Ratschläge, machte Bois-Guilbert doch davon Gebrauch, denn seine Ehre stand auf dem Spiel, und es durfte kein Mittel außer acht gelassen werden, das dazu beitragen konnte, ihm den Sieg über seinen Gegner zu verschaffen. Er bestieg also ein frisches, kraftvolles Pferd und nahm auch eine neue Lanze, da seine alte bei den bisher ausgefochtenen Gängen leicht schadhaft geworden sein mochte. Auch den Schild, der beschädigt worden war, legte er beiseite und nahm den seines Knappen. Dieser neue Schild zeigte als Sinnbild einen fliegenden Raben, der einen Schädel in den Klauen hielt und die Umschrift trug: Gare le Corbeau. Als die beiden Streiter an den beiden Enden der Schranken einander gegenüber hielten, war die Spannung der schaulustigen Menge aufs höchste gesteigert. Wenige hielten es für möglich, daß die Sache für den Enterbten gut ablaufen würde. Aber sein Mut und sein Benehmen ließen alle Zuschauer die besten Wünsche für ihn hegen. Kaum war das Trompetensignal erklungen, so rasten die beiden Reiter blitzschnell aufeinander ein. Mit donnerähnlichem Krachen prallten sie gegeneinander an. Bis zum Griffe zersplitterten die Lanzen, und im ersten Moment sah es so aus, als seien beide Reiter gestürzt, so jäh taumelten von dem Ansturm beide Rosse zurück. Aber die Reiter waren so behende, daß sie die Pferde mit Zaum und Sporn rasch wieder zur Ruhe gebracht hatten. Sie warfen sich in Eile Blicke zu, die durch das Visier hindurch Flammen zu sprühen schienen, dann drehten sie um und kehrten ans Ende der Schranken zurück, wo ein jeder eine frische Lanze erhielt. Lauter Beifallssturm der Menge, die Schürzen und Tücher schwenkte, begrüßte diesen neuen Strauß. Was sie eben gesehen hatten, war bisher der beste und gleichmäßigste Zweikampf des Tages gewesen. Kaum aber standen die Ritter wieder an ihrem Platze, so folgte dem Jubelgeschrei die tiefste Stille. Die Menge, so schien es, wagte kaum zu atmen. Ein paar Minuten wurden den Kämpen und den Rossen gegönnt, daß sie sich verschnaufen konnten, dann gab der Prinz Johann von neuem mit seinem Stabe das Zeichen zum Angriff. Abermals sprengten die Reiter von ihrem Platz weg und prallten in der Mitte der Arena aufeinander – ebenso blitzschnell, ebenso gewandt und gewaltig, aber nicht mit dem gleichen Erfolg. Der Templer traf seines Gegners Schild so sicher und wuchtig, daß seine Lanze zerbrach und der Enterbte im Sattel wankte. Aber auch sein Feind hatte die Lanze auf den Schild gerichtet, im Moment des Anpralls aber stieß er nach dem Helm – eine sehr schwere Finte, die aber, wenn sie gelingt, den Getroffenen unwiderstehlich darniederstreckt. Aber selbst dieses erfolgreiche Manöver hätte vielleicht den Templer nicht um den Ruhm des Sieges zu bringen vermocht, wäre nicht sein Sattelgurt geplatzt. Dies brachte ihn zu Fall, und Mann und Roß wälzten sich am Boden, eine Staubwolke aufwirbelnd. Im nächsten Augenblick aber war der Templer auch schon aus dem Wirrwarr heraus und schwang sein Schwert, den Gegner zum Kampfe fordernd. Der Enterbte sprang vom Roß und schwang das Schwert. Die Marschälle aber traten zwischen sie und erinnerten daran, daß ein solcher Kampf gegen die Bestimmungen des Turniers wäre. »Wir treffen einander noch einmal!« rief der Templer und warf seinem Gegner einen furchtbaren Blick zu, »dann soll uns niemand trennen.« »An mir solls nicht liegen, wenn es nicht geschieht,« antwortete der Enterbte. »Zu Fuß, zu Roß, mit Lanze, Streitaxt oder Schwert bin ich jederzeit bereit, dir gegenüber zu treten.« Der Wortwechsel wäre vielleicht ausgeartet, wenn nicht die Marschälle mit gekreuzten Lanzen dazwischen getreten wären und die Streitenden gezwungen hätten, auseinander zu gehen. Der Enterbte kehrte auf seinen Platz zurück, und der Templer begab sich in sein Zelt, um den Rest des Tages in wilder Wut zu vergrollen. Der Sieger stieg nicht erst vom Pferd, sondern ließ ohne weiteres, nachdem er einen Becher Weines auf das Wohl aller englischen Herzen und den Untergang aller fremden Tyrannen getrunken hatte, durch seinen Trompeter alle Streiter zum Kampfe rufen, indem er ihnen gleichzeitig durch einen Herold sagen ließ, daß er sie erwarte, in welcher Reihenfolge es ihnen zu kommen beliebte. Der riesenhafte Front-de-Boeuf war der erste, und in seiner schwarzen Rüstung sprengte er heran. Sein Schild trug einen schwarzen Ochsenkopf, halb verwischt schon durch manchen Kampf und die prahlerische Devise: Cave, adsum (hüte dich, ich bin da)! Der Enterbte errang über ihn einen mühelosen Sieg. Beide Kämpen brachen zierlich die Lanze, aber Front-de-Boeuf hatte einen Steigbügel im Kampfe verloren und wurde deshalb für besiegt erklärt. Im Gange gegen Philipp de Malvoisin traf er den Baron so wuchtig gegen den Helm, daß die Schuppenketten platzten und der Helm herunterflog – nur diesem Umstande hatte es Malvoisin zu verdanken, daß er selbst nicht vom Pferde stürzte. Wie sein Vorgänger wurde auch er für überwunden erklärt. Im dritten Gange gegen Grant-Mesnil bewies der Enterbte ebensoviel Galanterie wie bisher Mut und Gewandtheit. Grant-Mesnils Pferd war jung und wild und ging mit seinem Reiter durch, der Fremde aber verschmähte den Vorteil, den ihm dieses Mißgeschick seines Gegners bot, und ritt an ihm vorbei, die Lanze senkend, ohne ihn zu berühren. Dann drehte er um und Kehrte auf seinen Platz zurück. Er ließ Grant-Mesnil einen zweiten Kampf anbieten, der aber abgelehnt wurde, denn der Ritter betrachtete sich selber für überwunden, ebensowohl durch die Galanterie wie durch die Tüchtigkeit seines Gegners. Der Gang mit Ralph de Vipont vervollständigte den Triumph des Enterbten. Vipont wurde mit solcher Wucht zu Boden geworfen, daß ihm das Blut aus Mund und Nase floß und er bewußtlos aus den Schranken getragen wurde. Als der Prinz und die Marschälle einstimmig erklärten, daß dem Enterbten die Palme des Tages gebühre, brach allseitiger, vielstimmiger Jubel aus. William de Wywil und Stephan de Martival waren die ersten, die dem Sieger ihre Glückwünsche darbrachten. Gleichzeitig ersuchten sie ihn, den Helm zu lösen oder doch wenigstens das Visier hochzuschlagen, um aus den Händen des Prinzen Johann den Preis des Turniers zu empfangen. Mit ritterlichem Anstand schlug der Enterbte dieses Ansuchen ab, er könne jetzt sein Gesicht noch nicht zeigen, aus welchen Gründen, habe er bei seinem Eintritt in die Schranken den Herolden mitgeteilt. Die Marschälle erkannten ohne weiteres seine Weigerung an, denn es war damals ein sehr häufiges Vorkommnis, daß ein Ritter sich selbst wunderliche Gelübde leistete, und in der Regel lautete ein solches Gelübde dahin, eine Zeitlang unbekannt zu bleiben. Die Marschälle drangen daher nicht weiter in den fremden Ritter, sein Geheimnis preiszugeben, sondern zeigten dem Prinzen Johann an, daß sich der Sieger nicht zu erkennen geben wolle und baten seine Hoheit, ihn vortreten zu lassen und ihm den Lohn seiner Tapferkeit zu erteilen. Der enterbte Ritter trat also an die Treppe heran, die zu dem Throne des Prinzen hinaufführte, und Johann spendete ihm das übliche Lob für seinen Sieg, und der Ritter, ohne ein Wort zu erwidern, verneigte sich tief. Dann wurde das Pferd, das ihm als Preis zufiel, in die Schranken geführt. Es war mit dem kostbarsten Zaumzeug bedeckt, aber der Kenner hätte auch ohnedies den Wert des Tieres richtig geschätzt. Der Enterbte legte die Hand auf den Sattelknauf und schwang sich ohne Bügel auf den Rücken des Arabers. Die Lanze schwingend, führte er es dann zweimal durch die Schranken, alle Vorzüge seines Pferdes und alle seine eigenen Künste als Meister der Reitkunst zeigend. Eine solche Parade mochte als Eitelkeit erscheinen, dies wurde aber dadurch wieder ausgeglichen, daß der Ritter den vollen Wert des Geschenkes zeigte, das ihm vom Prinzen zuteil geworden war, und so lohnte lauter Beifall seinen zierlichen Rundritt. Inzwischen hatte der Prior von Jorlvaux den Prinzen leise daran erinnert, daß der Sieger nun auch seinen guten Gefchmack zu beweisen habe und unter den versammelten Schönheiten die Königin des Liebreizes und der Minne erwählen müsse, die im Turnier des folgenden Tages den Preis austeilen solle. Als der Ritter zum zweitenmal um die Schranken herumgeritten war, winkte ihm daher der Prinz mit dem Stabe, und sofort drehte der Ritter sein Pferd dem Throne zu, die Lanze zur Erde senkend, bis sie nur einen Fuß hoch vom Boden abstand. So hielt er regungslos, der Befehle des Prinzen harrend. Aller Augen staunten über die Gewandtheit, mit der er das Pferd, das eben noch im vollen Galopp begriffen war, mit einem Ruck zur Bewegungslosigkeit einer Statue brachte. »Herr Enterbter!« sagte Prinz Johann, »denn das ist der einzige Titel, den wir Euch geben können, Ihr habt nun die Pflicht, die schöne Lady zu ernennen, die dem Feste des kommenden Tages als Königin des Liebreizes und der Minne präsidieren soll. Wenn Ihr ein Fremder in unserem Lande seid und des Urteils eines anderen bedürft, so können wir Euch nur sagen, daß Lady Alicia, die Tochter des tapferen Ritters Waldemar Fitzurse, an unserem Hofe seit langem als die erste dem Range und der Schönheit nach gilt. Freilich ist es Euer unbestrittenes Recht, die Krone nach eigenem Belieben auszuteilen. Die Lady, der Ihr sie überreicht, ist nach Form und Recht die Königin des morgenden Tages. Hebt Eure Lanze hoch!« Der Ritter geborchte und der Prinz heftete an die Spitze der Lanze eine Krone von grünem Atlas mit einem Goldreifen, dessen oberer Rand von Pfeilspitzen und Herzen besetzt war, die miteinander wechselten wie die Stachelbeerblätter und Kugeln an einer Herzogskrone. Waldemar Fitzurse war der erste und einflußreichste unter den Ratgebern des Prinzen, sozusagen sein Premierminister, obwohl er noch nicht Monarch war. Sein Wink auf die die Tochter dieses Mannes entsprang dem Wunsche, ihn, den er fürchtete, sich zu Dank zu verpflichten. Außerdem hatte er es selber auf die Gunst der Lady abgesehen, denn Prinz Johann, der kein verworfenes Mittel scheute, seine Ehrsucht zu befriedigen, scheute ebenso kein Mittel, seiner Wollust Genüge zu tun. Im stillen hegte er auch den Zweck, dem enterbten Ritter, dessen geheimnisvolle Person ihm verdächtig erschien und der ihm mehr und mehr zu mißfallen begann, in Waldemar Fitzurse einen mächtigen Feind zu erwecken, denn er war der Meinung, daß dieser Edelmann nie die Kränkung verzeihen würde, wenn der Sieger in der Wahl der Königin des Turniers seine Tochter überginge. Und in der Tat traf der Enterbte eine andere Wahl. An der Tribüne neben dem königlichen Sitz, wo Lady Alicia im vollen Bewußtsein ihrer obsiegenden Schönheit saß, ritt er ohne Zaudern vorüber. Er ließ sein Pferd jetzt ebenso langsam durch die Schranken reiten, wie er es vorher rasch herumgetrieben hatte und schien sein Recht, die vielen schönen Gesichter, die den bunten Glanz des Kreises erhöhten, eingehend zu mustern, mit voller Muße ausüben zu wollen. Recht spaßhaft war es zu schauen, mit wie verschiedenem Benehmen die Mädchen diese Prüfung über sich ergehen ließen. Die einen erröteten, die andern setzten eine stolze Miene auf, einige sahen still vor sich hin, als wüßten sie nicht, was eigentlich vor sich ginge, andere wieder verhielten sich mühsam das Lachen, und ein paar platzten gar laut lachend heraus. Andere auch hüllten sich in ihre Schleier, aber das waren solche, die schon zehn Jahre lang verschmäht waren und nun von den Eitelkeiten genug gekostet hatten, um den Jüngeren den Vorrang zu gönnen. Endlich hielt der Held des Tages an dem Balkone, auf dem Lady Rowena saß, und die Spannung aller Anwesenden stieg aufs höchste. Wenn sich der Enterbte bei seinem Urteil davon beeinflussen ließ, welche Zuschauer eine lebhaftere Teilnahme an seinem Glücke bekundeten, so verdiente allerdings der jetzt vor ihm liegende Teil der Tribünen den Vorzug. Cedric der Sachse lehnte vor Freude über den Fall des Templers und über die Niederlage seiner boshaften Nachbarn Front-de-Boeuf und Malvoisin mit halbem Leibe über der Brüstung und war dem Sieger nicht nur mit den Augen, sondern auch mit dem Herzen und der ganzen Seele gefolgt. Lady Rowena hatte dem Erfolge des Tages wohl mit gleicher Aufmerksamkeit, doch nicht mit gleich herzlichem Anteil zugeschaut. Selbst der apathische Athelstane bekundete den besten Willen, sich aus seiner Gleichgültigkeit aufzuraffen, indem er sich einen großen Humpen Wein bringen ließ, den er auf das Wohl des Enterbten leerte. Nicht weniger Anteil an dem Verlauf des Turniers bekundete eine andere Gruppe von Zuschauern, die unter den Plätzen der Sachsen saßen. »Vater Abraham!« rief Isaak von York, als der erste Gang zwischen dem Ritter und dem Templer ausgefochten war. »Wie reitet der Heide so kühn! Das wackere Pferd hat den weiten Weg von der Berberei her gemacht, und er geht mit ihm um, als wäre es das Füllen eines wilden Esels! Die edle Rüstung ist manche Zechine wert – siebzig Prozent sind bei dem mailändischen Waffenschmied Joseph Pareira noch heruntergeschunden worden – und er sieht sich so wenig damit vor, als wäre sie auf der Landstraße aufgelesen worden!« »Setzt er doch Leben und Glieder aufs Spiel, Vater!« sagte Rebekka. »Wie sollte er in so furchtbarem Kampfe noch des Pferdes und der Waffen schonen!« »Kind!« versetzte Isaak ein wenig ungestüm. »Du weißt nicht, was du schwätzest! Wohl, der Hals und die Glieder sind sein eigen, aber Pferd und Rüstung – heiliger Jakob! was sage ich da – nun, trotz allem bleibt er ein braver junger Mann! – Doch schau, Rebekka! schon wieder fängt er einen Kampf mit dem Philister an. Bete, mein Kind, bete, daß der gute junge Mann nicht Schaden leide an seiner Gesundheit! Und auch, daß das Pferd und die seine Rüstung ja nicht ruiniert werden! – Gott meiner Väter!« rief er wieder. »Sein ist der Sieg! Vor seiner Lanze ist gefallen der unbeschnittene Philister wie der König der Ammoniter vor dem Schwerte unserer Väter – gewiß werden ihm zufallen ihr Gold und ihr Silber und ihre Streitrosse und ihre Rüstungen von Erz und Stahl – als Beute und als Preis!« Mit der gleichen ängstlichen Teilnahme verfolgte der würdige Jude jeden Gang, und immer berechnete er flüchtig, was wohl das erbeutete Pferd samt der Rüstung wert sein mochten. Der Sieger des Tages blieb – ob aus Unentschiedenheit oder einem anderen Grunde eine Weile regungslos an derselben Stelle, dann endlich senkte er langsam und voller Grazie die Lanze und legte die Atlaskrone der schönen Rowena vor die Füße. Sogleich schmetterten die Trompeten, und die Herolde riefen Lady Rowena zur Königin der Minne und des Liebreizes aus. Wer sich ihrer Autorität widersetzen würde, dem stünde Bestrafung bevor. Lange Hälse machten die normannischen Damen, höchlichst verwundert, daß eine Sächsin gekrönt worden war. Aber sie hatten auch schon lange Hälse gemacht, als ihre Edelherren einer nach dem andern besiegt worden waren. Aber wenn einzelne auch ihrer Unzufriedenheit Luft machten, diese Rufe gingen unter in dem allgemeinen Jubelgeschrei: »Lang lebe Lady Rowena, die auserkorene Königin des Liebreizes und der Minne!« Hin und wieder war auch der Zusatz zu hören: »Lang lebe die sächsische Fürstin! Lang lebe das Geschlecht des unsterblichen Alfred!« Der enterbte Ritter war in seinem Zelt allein mit seinem Knappen, einem Burschen, der wie ein Bauer aussah und über Kopf und Gesicht eine normannische Pelzmütze gezogen hatte, als wünschte er ebenso unerkannt zu bleiben wie sein Herr. Er nahm ihm die schwere Rüstung ab und setzte ihm Speise und Wein vor, die ihm nach den Anstrengungen des Tages sehr erwünscht waren. Kaum hatte der Ritter in Eile seine Mahlzeit eingenommen, als ihm der Knappe die Ankunft von fünf Männern meldete, die jeder ein Berberroß am Zügel führten. Der Enterbte hatte an Stelle seiner Rüstung ein langes Kleid angelegt, wie es bei den Leuten seines Standes zu jener Zeit allgemein in Gebrauch war, die Kapuze, die er trug, ließ sich über das ganze Gesicht ziehen, aber es war schon finster, so daß er einer Hülle nicht mehr bedurfte. So trat er denn vor sein Zelt und fand dort die Knappen der Herausforderer, die er an ihrer dunkeln oder ganz schwarzen Tracht leicht erkannte, jeder hielt das Pferd, das sein Herr an diesem Tage geritten hatte, und war mit der Rüstung beladen. »Den Bestimmungen der Ritterschaft gemäß,« sagte der erste dieser Männer, »biete ich, der Knappe des gefürchteten Ritters Brian de Bois-Guilbert, Euch, der Ihr Euch den Enterbten nennt, das Roß und die Rüstung an, mit denen mein Herr den Waffengang gegen Euch ausgefochten hat. Es ist Euch überlassen sie zu behalten oder Lösegeld dafür zu bestimmen.« Die anderen sagten fast das gleiche und warteten auf den Bescheid, den ihnen der enterbte Ritter geben würde. »Euch, Ihr vier Knappen,« antwortete der Ritter, indem er sich an die wandte, die zuletzt gesprochen hatten, »und Euern ehrenfesten und tapferen Herren habe ich nur das eine zu erwidern: Empfehlt mich Euern Gebietern und sagt ihnen, es wäre unrecht von mir, wollte ich von ihnen Pferde und Rüstungen nehmen, die nie von besseren Rittern gehandhabt werden können. Ich wollte, das wäre das einzige, was ich durch Euch den tapferen Rittern zu bestellen hätte. Aber ich bin nicht nur dem Namen nach, sondern in vollem Ernste der Enterbte, und so muß ich insofern das Anerbieten Eurer Herren annehmen, als ich sie ersuchen muß, ihre Rüstungen auszulösen, da die, die ich trage, gar nicht einmal meine eigene ist.« »Wir haben den Auftrag,« sagte der Knappe des Front-de-Voeuf, »für Pferd und Rüstung hundert Zechinen zu bieten.« »Das ist ausreichend,« sagte der Enterbte. »Ich bin durch meine derzeitige Lage gezwungen, die Hälfte dieser Summe anzunehmen, die andere Hälfte mögt Ihr unter Euch, den Herolden und sonstigem Dienstvolk des Turniers verteilen.« Mit tiefen Verbeugungen sprachen die Knappen ihren Dank für eine so seltene Freigebigkeit aus, und der Enterbte wandte sich nun an den Knappen des Bois-Guilbert. »Von Euerm Herrn,« sagte er, »nehm ich weder die Waffen noch ein Lösegeld an. Bestellt Euerm Herrn, unser Zweikampf sei noch nicht beendet, und wir müßten erst noch mit Schwert und mit Lanze, zu Roß und zu Fuß miteinander fechten. Zum Kampfe auf Leben und Tod hat er mich herausgefordert, und des werde ich eingedenk sein. Einstweilen sagt ihm, ich behandelte ihn nicht wie seine Gefährten, mit denen ich Höflichkeiten tauschte, sondern ich stünde mit ihm auf dem Fuße tödlicher Herausforderung.« »Mein Herr,« antwortete der Knappe, »weiß nicht nur Höflichkeit mit Höflichkeit zu erwidern, sondern auch Haß mit Haß und Stoß mit Stoß. Ihr verschmäht es, ein Lösegeld von ihm zu nehmen, ich muß aber gleichwohl Pferd und Rüstung hierlassen, denn an beide wird er die Hand nicht mehr legen.« »Gut und kühn gesprochen, wackerer Knappe,« erwiderte der enterbte Ritter. »So geziemt es sich, für den abwesenden Herrn zu reden. Doch laß nur Pferd und Rüstung nicht hier, sondern gib sie deinem Herrn wieder, und wenn er sie nicht haben will, so nimm du sie selber, mein braver Freund, soweit sie mir gehören, sind sie dir geschenkt.« Balduin verneigte sich tief und ging mit seinen Gefährten ab, der Enterbte trat in sein Zelt zurück. »Gurth,« sagte er zu seinem Diener, »bis hierher habe ich der englischen Ritterschaft keine Schande gemacht.« »Und ich für mein Teil,« antwortete Gurth, »hab ich nicht als sächsischer Schweinehirt meine Rolle als normännischer Schildknappe fein gespielt?« »Jawohl,« versetzte der Ritter. »Ich habe nur fortwährend Angst gehabt, daß du dich durch dein bäuerisches Wesen verraten könntest.« »Ich hatte gar keine Angst, daß mich jemand erkennen könnte,« sagte Gurth. »Nur vor meinem Kameraden Wamba ist mir bange gewesen. Mir ist überhaupt noch nie so recht klar geworden, was der mehr ist, Schelm oder Narr. Als mein alter Herr an mir vorüberging und all die Zeit in der Gewißheit war, daß Gurth in den Sümpfen und Wäldern von Rotherwood seine Schweine hüte, da hab ich kaum das Lachen verbeißen können.« »Du weißt, was ich dir versprochen habe,« sagte der Ritter. »Das ist das wenigste,« antwortete Gurth. »Aus Furcht vor Schlägen werd ich nie meinen gütigen Herrn verlassen. Ich hab'n dickes Fell. Das hält so gut die Peitsche aus, wie nur irgend'n Eber in meiner Herde.« »Verlaß dich darauf, ich vergelte dir alles, was du aus Liebe zu mir wagst,« sagte der Ritter. »Inzwischen nimm hier diese zehn Goldstücke an.« »Nu bin ich reicher als irgend'n Schweinehirt oder Leibeigener,« rief Gurth, das Geld in seinen Beutel steckend. »Und hier diesen Beutel voll Gold,« sagte der Ritter weiter, »nimm mit nach Ashby, suche Isaak den Juden von York auf und sag ihm, er solle dies als Leihgeld für sein Pferd und seine Rüstung annehmen. Er hat mir durch seinen Kredit beides verschafft.« Gurth steckte den Beutel zu sich und ging hinaus. »Es wird freilich schwer halten,« sagte er vor sich hin. »Aber ich will doch versuchen, ob er sich mit'm Viertel seiner Forderung begnügt.« Achtes Kapitel Im Landhause eines reichen Juden in Ashby wohnten Isaak und seine Tochter mit ihrer Dienerschaft, denn die Juden sind bekanntlich untereinander ebenso gastfreundlich und freigebig, wie gegen andere widerspenstig und ungefällig. In einem kleinen aber nach orientalischem Geschmack reich ausgestatteten Gemach saß Rebekka auf einer gestickten Polsterbank, die an Stelle von Sesseln und Stühlen an den Wänden entlanglief. Sie sah ihrem Vater nach, der niedergeschlagen und unruhig hin und wieder ging und ab und zu die Augen zur Decke emporschlug wie einer, der unter großer Trübsal leidet. »O Jakob!« jammerte er, »o alle Ihr heiligen zwölf Väter unseres Stammes! Was für ein Schlag für einen Mann, der erfüllt hat die Gebote Mosis bis aufs Jota, bis aufs Titelchen! Fünfzig Zechinen mir geraubt mit einem Griffe von der Hand des Tyrannen!« »Ihr scheint aber doch dem Prinzen das Geld gutwillig zu geben, Vater,« sagte Rebekka. »Gutwillig! Der Fluch Ägyptens über ihn! – Gutwillig sagst du? Genau so gutwillig, wie ich im Golf von Lyon meine Waren aus dem Schiffe warf, daß es leichter würde im Sturme. Da hab ich die brandenden Wellen gekleidet in meine köstlichen Seidenstoffe, das Salzwasser habe ich gesättigt mit Myrrhe und Aloe, und angefüllt mit Gold und Silberbrokat die schlammigen Untiefen! Ach! was war das für eine Stunde unsäglichen Elends, wenn es auch meine eigenen Hände waren, die das Opfer brachten!« »Geschah es doch, Vater, um unser Leben zu retten,« erwiderte Rebekka. »Der Gott unserer Väter hat seitdem seinen Segen über deinen Handel und deine Warenlager gebreitet.« »Wenn aber der Tyrann Beschlag darauf legt, wie heute auf mein Geld!« stöhnte Isaak. »Wenn er mich zwingt zu lächeln, wenn er meine Habe raubt? O meine Tochter! Enterbt ist unser Volk und verdammt, heimatlos herumzuirren, aber das größte Unglück ist es, daß alle Welt noch dazu lacht, wenn wir geknechtet und beraubt werden. Statt daß wir uns rächen dürfen, müssen wir all unseren Groll hinunterschlucken und süß lächeln zu allen Unbilden.« »So mußt du nicht denken, Vater, auch Vorteile haben wir,« sagte Rebekka. »So grausame Tyrannei auch diese Heiden üben, so sind sie doch gewissermaßen abhängig von den Kindern Zions, die sie verachten und verfolgen. Ohne unseren Reichtum könnten sie weder ihre Heere im Kriege bezahlen, noch im Frieden ihre Triumphe bestreiten. Das Gold, das wir ihnen borgen, kehrt mit Wucher zurück in unsere Schatullen. Wir sind wie das Gras, am besten grünt es, wenn Füße es treten. Selbst das heutige Fest hätte nicht stattfinden können, hätten nicht die verhaßten Juden das Geld dazu hergegeben.« »Da erinnerst du mich an einen anderen Gegenstand meines Kummers,« sagte der Jude. »Das schöne Pferd und die schmucke Rüstung, mein ganzer Profit aus dem Geschäftchen mit unserm Kirgath Jairam von Leicester: wär das ein schwerer Verlust! Dahin wäre der ganze Gewinn einer Woche, der ganze Schweiß von einem Sabbath zum andern! Doch vielleicht läuft es besser ab als ich denke, denn er ist ein guter Junge.« »Gewiß, mein Vater,« antwortete Rebekka, »es wird dich nicht gereuen, eine gute Tat an dem fremden Ritter getan zu haben.« »Das hoffe ich, meine Tochter!« sagte Isaak. »Ich hoffe fest, daß wieder aufgebaut werden wird der Tempel Zions, aber wollte ich hoffen, daß ich noch mit eigenen Augen werde schauen können die Mauern und Türme des neuen Tempels, so wäre das ebenso eitel, als wenn ich darauf rechnen wollte, daß ein Christ – und wär es der beste der Christen – einem Juden bezahlen würde, was er ihm schuldig ist, es sei denn, daß man ihm drohte mit Richter und Kerkermeister.« – Es wurde nun finster, und ein jüdischer Diener trat ein und setzte zwei silberne, mit duftendem Öl gefüllte Lampen auf den Tisch. Ein anderer Diener trug reiche Erfrischungen und kostbare Weine herein, denn in ihrem Heim versagten sich die Juden keinerlei Behaglichkeit. Gleichzeitig meldete der eine der Diener, daß ein Nazarener mit Isaak zu sprechen wünsche. Ein Handelsmann muß jederzeit für jeden, der mit ihm Geschäfte zu machen wünscht, Zeit übrig haben. Der Jude setzte also den Becher voll griechischen Weines hin, sagte zu seiner Tochter: »Verschleiere dich, Rebekka!« und befahl dem Diener, den Fremden hereinzuführen. Kaum hatte Rebekka einen Schleier von Silberflor über ihr Angesicht geworfen, da trat Gurth herein, in seinen weiten normännischen Mantel gehüllt. Er sah nicht gerade sehr vertrauenerweckend aus, denn er hatte seine Kapuze nicht abgenommen, sondern noch tiefer in die verbrannte Stirn gezogen. »Bist du der Jude Isaak von York?« fragte Gurth auf sächsisch. »Der bin ich,« entgegnete der Jude, der dank seinem Gewerbe mit jeder britischen Mundart vertraut war. »Und wer bist du?« »Das geht dich nichts an,« antwortete Gurth. »Genau so viel, wie es dich angeht, wer ich bin,« versetzte Isaak. »Wenn ich nicht weiß, wer du bist, wie kann ich mit dir machen Geschäfte?« »Das macht nichts,« erwiderte Gurth. »Ich bringe Geld, und da muß ich wissen, wer der ist, dem ich's übergebe. Du aber kriegst das Geld, und da kann dir's gleich sein, von wem's kommt.« »Ah, du bringst mir Geld!« rief der Jude. »Das ändert die Sache. Von wem bringst du mir denn Geld?« »Von dem enterbten Ritter,« sagte Gurth, »dem Sieger des heutigen Turniers. Es ist der Preis für die Rüstung, die ihm auf dein Fürwort hin von Kirgath Jairam leihweise überlassen worden ist. Ich will nu bloß wissen, wieviel ich für die Rüstung bezahlen soll.« »Sagt ich es nicht, ein guter junger Mann ist es!« rief Isaak vergnügt. »Ein Becher Wein wird dir wohl nichts schaden,« setzte er hinzu und goß dem Schweinehirten einen Tropfen ein, wie ihn dieser noch nie so köstlich getrunken hatte. – »Und wieviel Geld,« fuhr er dann fort, »hat dir denn dein Herr mitgegeben?« Gurth setzte den Becher hin. »Heilige Jungfrau!« rief er. »Was für'n Göttertrank schlürfen diese ungläubigen Hunde, und echte Christen können sich kaum so dickes, trübes Bier leisten wie das Spülicht, das wir den Schweinen geben. – Wieviel Geld ich mitgekriegt habe?« fuhr er nach diesen unzarten Worten fort. – »Na, viel ist's gerade nicht, aber's wird wohl langen müssen.« «Ja, ja, aber ..« antwortete der Jude, »dein Herr hat gewonnen wertvolle Rüstungen und edle Rosse mit der Kraft seines Armes und der Wucht seiner Lanze – ein guter, junger Mann! Der Jude will sie annehmen als Zahlung und herauszahlen den Überschuß.« »Die hat mein Herr schon weggegeben,« erwiderte Gurth. »Das ist nicht recht,« antwortete der Jude, »und töricht obendrein. Soviel Rüstungen und Pferde hat kein Christ kaufen können, und kein Jüd hätt bezahlt dafür den halben Preis, keiner als ich. Na, du hast gewiß hundert Zechinen im Beutel,« und er griff unter Gurths Mantel, »er ist schwer, dein Beutel.« »Bolzenköpfe von meiner Armbrust hab ich drin,« versetzte Gurth rasch. »Nu, wenn ich dir sage, daß ich fordere achtzig Zechinen für das seine Pferd und die seine Rüstung, und daß ich daran nicht einen einzigen Gulden Profit habe – reicht dann das Geld, das du mit hast?« »Ausgerechnet,« versetzte Gurth, »aber mein Herr behält dann keinen Heller mehr. Da dies aber wohl dein letztes Gebot ist, so muß ich mich ja wohl drein geben.« »Schenk dir noch einen Becher ein,« sagte der Jude, »aber fürwahr, achtzig Zechinen sind zu wenig. Nicht mal zu meinen Zinsen komm ich dabei – und am Ende hat das gute Pferd auch Schaden gelitten, denn es war ja ein gewaltiger Zweikampf. Sind die Menschen und die Pferde nicht aufeinander losgerannt wie die Stiere von Basan? Es kann gar nicht anders sein, das Pferd muß gelitten haben.« »Und ich sage dir, es steht schon wieder in seinem Stall, gesund und mit heiler Haut, du kannst gehen und dirs anschauen. Siebzig Zechinen sind sattsam genug. Wenn du nicht mit siebzig zufrieden bist, dann trag ich den Beutel hier wieder zu meinem Herrn.« Mit diesen Worten ließ er das Geld darin klimpern. »Nicht doch, nicht doch,« antwortete der Jude, »leg nur her die Summe, die achtzig Zechinen, und du sollst sehen, du sollst nicht leer ausgehen.« Gurth gab nach, er zählte die achtzig Zechinen auf und bekam von Isaak die Quittung. Als der Jude die ersten siebzig Goldstücke einstrich, zitterte seine Hand vor Freude. Die letzten zehn zählte er langsam, nachdenklich, oft innehaltend und vor sich hinmurmelnd. Anscheinend lag eine bessere Regung im Zwiespalt mit seinem Geiz, er wollte gar zu gern Zechine auf Zechine in seinen Beutel tun, und doch hätte er auch gern seine Großmut gezeigt und dem Überbringer etwas gegeben. Als der Jude bei der letzten Zechine angelangt war, hielt er inne und sah die Münze an. Er wog sie auf dem Finger und ließ sie auf den Tisch fallen, daß sie klang. Wenn der Klang nicht rein gewesen wäre, so hätte vielleicht die Großmut über den Geiz gesiegt, aber zum Unglück für Gurth war der Klang voll und rein, die Münze war von neuer Prägung und hatte sogar ein Gran Übergewicht. Isaak konnte es nicht übers Herz bringen, sich von ihr zu trennen und warf sie wie aus Gedankenlosigkeit in seinen Beutel. »Achtzig ist eine runde Summe,« sagte er dabei, »ich denke, dein Herr wird dich schon belohnen und dir geben, was dir zukommt. Du hast,« setzte er hinzu, nach dem Beutel schielend, »sicher noch mehr Goldstücke da drinnen.« Gurth grinste ihn breit an. »Nochmal soviel, wie du eben so behutsam gezählt hast, Itzig.« Dann faltete er den Empfangsschein zusammen, legte ihn in seine Kapuze und sagte: »Wehe deinem Barte, Mauschel, wenn das hier nicht stimmt.« Ohne auf eine Einladung zu warten, goß er sich noch einen dritten Becher Wein ein und verließ dann ohne Umstände das Zimmer. »Rebekka,« sagte Isaak, »dieser Ismaelit hat mir einen argen Streich gespielt...« Aber er ward inne, daß seine Tochter hinausgegangen war. Als Gurth sich draußen durch das Dunkel tastend den Weg suchte, erschien eine weiße Gestalt, die in der Hand eine silberne Lampe trug und winkte ihm, in ein Seitengemach zu treten. Gurth hatte aber wenig Lust, sich auf so etwas einzulassen. Wenn er auch, sobald es irdische Kräfte galt, rauh und wild wie ein Eber war, so hatte er doch die schwachen Seiten, die allen Sachsen charakteristisch waren. Vor weißen Frauen, Waldschratten, Wehrwölfen und all jenen Gespenstern, die sie aus ihren deutschen Wildnissen mitgebracht hatten, hegte er ein heiliges Grauen. Außerdem dachte er daran, daß er sich in einem jüdischen Hause befände, und diesem Volk wurden neben manchen unangenehmen Eigenschaften auch Zauberei und Hexenkünste zugeschrieben. Aber nach kurzer Pause faßte er sich doch ein Herz und trat in das Gemach. Hier stand der Schweinehirt vor Rebekka. »Mein Vater hat nur seinen Spaß gemacht mit Euch, guter Mann,« sagte sie. »Er verdankt Euerm Herrn mehr, als diese Rüstung mitsamt dem Pferde wert ist, wäre ihr Wert auch zehnmal so hoch. Wieviel habt Ihr meinem Vater gegeben?« »Achtzig Zechinen,« sagte Gurth, der nicht wußte, wie ihm geschah. »Hier in diesem Beutel sind hundert,« sagte Rebekka. »Gebt Euerm Herrn sein Geld wieder und behaltet das übrige für Euch. Gebt acht, daß Ihr nicht durch die belebte Stadt geht. Leicht könntet Ihr dort Leben und Geld einbüßen.« Als Gurth durch den finsteren Flur hinausstolperte, sagte er bei sich selber: »Nein, beim heiligen Dunstan! das ist keine Jüdin, das ist ein Engel des Himmels. Zehn Zechinen von meinem braven Herrn, zwanzig von dieser Perle Zions – ein Glückstag meiner Treu! Noch so ein Tag, und du kannst dich loskaufen von der Knechtschaft und frei werden wie der beste. Dann aber sag ich dem Schweinehirten Ade und lege Horn und Stab nieder und nehme das Schwert eines Freien und folge meinem jungen Herrn in den Tod. Da will ich aber meinen Namen und mein Gesicht' nicht verbergen.« Neuntes Kapitel Gurths nächtliche Abenteuer waren aber noch nicht zu Ende, und er kam selbst auf diesen Gedanken, nachdem er an ein oder zwei einsam stehenden Häusern, die an der Grenze des Dorfs lagen, vorübergegangen war und sich nun in einem tiefen Hohlwege befand, der mit Haselsträuchen und Hollunder überwachsen war. Gurth beschleunigte seine Schritte, um in die offene Gegend zu gelangen. Aber als er am oberen Ende des Hohlweges angelangt war, wo das dichteste Gestrüpp stand, sprangen vier Männer auf ihn los und hielten ihn so fest, daß aller Widerstand umsonst gewesen wäre. – »Gib her, was du bei dir hast,« schrie einer, »wir sind die Empfänger des allgemeinen Reichtums, ein jeder muß uns seine Bürden geben.« »Meine solltet ihr nicht so leicht kriegen,« murmelte Gurth, »könnt ich euch nur'n paar Püffe geben, um sie zu retten.« »Das wollen wir gleich sehen,« sagte der Räuber, und zu seinen Gefährten redend, sprach er: »bringt den Schurken her, ich sehe, er will seinen Schädel eingeschlagen und seinen Beutel aufgeschnitten haben.« Gurth wurde nach des Räubers Befehl fortgeschleppt und mußte seinen unfreundlichen Führern bis in die Tiefe des Gehölzes folgen; auf einmal machten sie in einem offenen Räume, der, nur in einiger Entfernung von Bäumen umkränzt, das volle Mondlicht in sich aufnahm, halt. Hier kamen noch zwei Männer zu den Räubern, die wahrscheinlich zur Bande gehörten. Sie hatten kurze Schwerter an der Seite und große Stöcke in den Händen, und Gurth bemerkte erst jetzt, daß alle sechs Larven trugen. »Wie viel Geld hast du, Kerl?« fragte ihn einer von den Dieben. »Dreißig Dukaten gehören mir,« erwiderte Gurth mürrisch. »Verfallen, verfallen!« riefen die Räuber. »Ein Sachse hat dreißig Dukaten und kommt nüchtern aus einer Ortschaft? Sie sind uns unwiderruflich verfallen mit allem, was er sonst noch bei sich hat.« »Ich sammelte sie mir, meine Freiheit damit zu erkaufen,« sagte Gurth. »Du bist'n Esel,« erwiderte einer der Diebe, »drei Flaschen Doppelbier hätten dich ebenso frei gemacht wie deinen Herrn, und freier noch, wenn er ein Sachse ist wie du.« »Leider wahr,« versetzte Gurth, »aber wenn mich dreißig Dukaten von euch loskaufen können, so gebt mir die Hände frei, und ich will sie euch bezahlen.« »Halt,« sagte der eine, der bei den andern in Ansehn zu stehen schien, »dieser Beutel enthält, wie ich durch den Rock fühlen kann, mehr Gold, als du gesagt hast.« »Das gehört dem guten Ritter, meinem Herrn,« antwortete Gurth; »gewiß hätt ich nicht ein Wort davon gesprochen, hättet ihr euern Willen an meinem Eigentum ausgeübt.« »Du bist 'ne ehrliche Haut,« erwiderte der Räuber; »wir verehren den heiligen Nikolaus nicht so genau, und ich versichere dich, deine dreißig Dukaten werden dir bleiben, wenn du aufrichtig gegen uns bist. Einstweilen aber gib uns dein anvertrautes Gut in Verwahrsam.« Dies sagend, nahm er von Gurths Brust die breite lederne Tasche, darin der Beutel von Rebekka mit den übrigen Dukaten eingeschlossen war; dann fuhr er fort zu fragen: »Wer ist dein Herr?« »Der enterbte Ritter,« sagte Gurth. »Dessen gute Lanze den Preis im letzten Turnier gewann? Wie ist sein Name und sein Stammbaum?« »Das soll verborgen bleiben,« antwortete Gurth, »und von mir soll es wahrlich niemand erfahren.« »Was ist dein eigener Name und deine Herkunft?« »Wenn ich Euch das sagte,« erwiderte Gurth, »so würdet Ihr das Geheimnis meines Herrn erraten.« »Du bist ein frecher Bursche,« sagte der Räuber; »doch davon nachher. Wie kommt dein Herr zu dem Gelde, hat er es ererbt oder sonst wo erworben?« »Durch seine gute Lanze,« erwiderte Gurth. »Diese Beutel enthalten das Lösegeld für vier gute Pferde und vier gute Rüstungen.« »Wieviel ist drin?« fragte der Räuber. »Zweihundert Dukaten.« »Nur zweihundert Dukaten?« fragte der Bandit. »Euer Herr ist freigebig mit Überwundenen umgegangen und hat ihnen ein geringes Lösegeld auferlegt. Wer hat das Geld bezahlt?« Gurth nannte die Namen der besiegten Ritter. »Was galten die Rüstung und die Pferde des Templers Brian de Vois-Guilbert an Lösegeld? Du siehst, betrügen kannst du mich nicht!« »Mein Herr will vom Templer nichts haben als sein Herzblut,« erwiderte Gurth. »Sie haben sich auf den Tod herausgefordert und können in Güte kein Geschäft zusammen machen.« »Wahrhaftig!« sagte der Räuber und schwieg eine Weile. »Und was tatest du zu Ashby mit einer solchen Summe?« »Ich bezahlte den Isaak,« sagte der Sachse, »achtzig Dukaten – und er gab mir hundert dafür wieder.« »Wie? Was?« riefen alle Räuber auf einmal, »darfst du uns zum besten haben, daß du solche unverschämte Lügen hervorbringst?« »Was ich euch sage,« erwiderte Gurth, »ist so wahr, wie der Mond am Himmel steht. Ihr werdet die richtige Summe in einem seidenen Beutel finden, von dem übrigen Gold geschieden.« »Besinne dich, Mann!« sagte der Kapitän, »du sprichst von einem Juden, von einem Israeliten, der so wenig Geld wiedergeben kann, als der trockene Sand der Wüste einen Becher Wasser, den der Wanderer drauf ausgießt.« »In ihnen ist nicht mehr Barmherzigkeit,« sagte ein anderer Bandit, »als in einem unbestochenen Sheriff.« »Es ist demungeachtet, wie ich euch sage,« erwiderte Gurth. »Wacht gleich Licht an,« sagte der Hauptmann. »Ich will den Beutel untersuchen, und wenn es so ist, wie der Bursche behauptet, so ist dieses Juden Milde nicht viel weniger wunderbar als der Strom, der seine Väter in der Wüste tränkte.« Es wurde Licht gebracht, und der Räuber fuhr fort, den Beutel zu untersuchen. Die andern drängten sich um ihn her, und zwei, die erst Gurth festhielten, ließen ihn los, weil sie ihre Hälse ausstreckten, um den Ausgang der Untersuchung mit anzusehen. Gurth machte sich durch schnelle Kraftanstrengung völlig von ihnen los und hätte sich davon machen können, wenn er seines Herrn Eigentum im Stich lassen wollte. Doch dies war keineswegs sein Wille. Er riß einem der Burschen seinen Knüttel weg, schlug den Hauptmann nieder, der sich dessen nicht versah, und hätte sich beinahe des Beutels und des Schatzes wieder bemächtigt, aber die Diebe waren auch sehr flink und wurden bald wieder Meister des Beutels und des treuen Gurth. »Schelm,« sagte der Hauptmann aufstehend, »du hast mir den Kopf zerbeult, und mit andern Männern unsers Schlags würde deine Unverschämtheit schlecht ankommen. Allein du sollst gleich dein Schicksal wissen. – Erst laß uns von deinem Herrn reden, des Ritters Sache geht vor der des Knappen her, so will es die Ritterlichkeit. Steh still – wenn du dich regst, so machen wir dich für dein Lebelang ruhig. – Kameraden!« sagte er dann, zu seiner Bande gewandt, »dieser Beutel ist mit hebräischen Buchstaben gestickt, und wohl glaube ich, daß der Yeoman nicht lügt! Der irrende Ritter, sein Herr, muß bei uns ungeplündert frei ausgehen. Er ist uns zu ähnlich, um Beute von ihm zu nehmen, weil Hunde nicht Hunde beißen sollen, solange noch Wölfe und Füchse im Überfluß vorhanden sind.« »Gleich uns?« sagte einer von der Bande. »Ich möchte wissen, wie das zugehen sollte!« »Warum, du Narr?« antwortete der Hauptmann; »ist er denn nicht arm und enterbt wie wir? – Gewinnt er nicht sein Brot wie wir, mit der Schärfe des Schwertes? – Hat er nicht Front-de-Boeuf und Malvoisin geschlagen, wie wir ihn schlagen würden, wenn wir könnten? Ist er nicht auf Leben und Tod der Feind von Brian de Bois-Guilbert, den wir fürchten müssen? Und wenn dies alles nicht wäre, sollten wir denn ein schlechteres Gewissen zeigen als der ungläubige Jude?« »Nein! das wäre eine Schande,« murmelte der andere Kerl; »und doch, als ich unter der Bande des tapfern alten Gaudelyn diente, hatten wir keine solchen Gewissenszweifel. Und dieser grobe Bauer – ihr sollt es sehen, der geht prügelfrei aus.« »Nicht, wenn du ihn prügeln kannst,« rief der Hauptmann. »Hier, Kerl!« sagte er zu Gurth, »kannst du den Stock gebrauchen, daß du so darauf hinstarrst?« »Ich denke,« sagte Gurth; »denn auf diese Frage könntest du wohl am besten Antwort geben.« »Nu wahrlich! du gabst mir'n tüchtigen Schlag,« erwiderte der Hauptmann; »tue diesem Kerl ebensoviel, und du sollst ganz frei ausgehen. Kannst du's nicht, nu wahrlich, da du ein so handfester Kerl bist, so muß ich wohl selbst dein Lösegeld bezahlen. Nimm deinen Stock, Müller,« fügte er hinzu, »und wahre deinen Kopf, und ihr andern, laßt den Burschen gehen und gebt ihm einen Stock; hier ist Licht genug, um aufeinander los zu schlagen.« Beide Kämpfer, mit Stöcken bewaffnet, traten hierauf in den Mittelpunkt des offenen Raumes, um das volle Mondlicht zu benutzen. Die Diebe lachten und schrieen zugleich ihrem Kameraden zu: »Müller, nimm deinen Zollstock in acht!« Der Müller auf der andern Seite hielt seinen Knüttel in der Mitte fest und schwang ihn rund um den Kopf, auf die Art, die die Franzosen Moulinet nennen, dazu rief er trotzig: »Komm ran, Schurke, wenn du's wagst; du sollst die Stärke von Müllers Daumen fühlen.« »Wenn du'n Müller bist,« antwortete Gurth, »so bist du auch gewiß 'n Schurke,« und schwang mit derselben Geschwindigkeit seine Waffe um sein Haupt. »Du bist ein doppelter Dieb, und ich als ehrlicher Mann biete dir Trotz.« Mit diesen Worten rannten die beiden Kämpfer gegen einander, und einige Minuten lang zeigten sie gleiche Stärke, Mut und Gewandtheit, die Streiche ihres Gegners mit der größten Geschwindigkeit auffangend und zurückgebend, während sich das beständige Zusammenschlagen ihrer Waffen so anhörte, als ob wenigstens sechs Männer miteinander im Streite wären. Sie fochten lange mit gleichem Glück, aber Müller kam aus der Fassung, weil er einen so starken Gegner fand, und auch durch das Gelächter seiner Gefährten, die sich über seine Verlegenheit belustigten, während Gurth, dessen Gemüt ruhig, obgleich unfreundlich war, dadurch bald ein entschiedenes Übergewicht erhielt. Müller drang wütend auf ihn ein, mit beiden Enden seines Stockes Schläge austeilend; er strebte danach, in halben Stockes Weite zu kommen, während Gurth sich selbst gegen den Angriff verteidigte. Eine Elle weit hielt ihn Gurth von sich entfernt und schützte mit seiner Waffe sehr geschickt Kopf und Körper; so behielt er die Defensive und hielt Auge, Fuß und Hand im richtigen Takt, bis er gewahrte, daß sein Gegner außer Atem sei, und nun zielte er mit aller Stärke, den Stab in der linken Hand, nach dessen Gesicht. Müller wollte dem Schlage begegnen, da ließ Gurth die rechte Hand auf die linke fallen, und mit der ganzen Gewalt seiner Waffe traf er ihn dergestalt an die linke Seite des Kopfes, daß er der Länge nach auf den grünen Nasen niederfiel. »Brav! ein echter Yeomansschlag!« schrieen die Räuber. »Hoch lebe guter Streit und Altengland! Der Sachse hat sowohl seinen Beutel, als seine Haut gerettet, und der Müller hat seinen Mann gefunden.« »Du kannst nu deiner Wege gehen, mein Freund,« sagte der Hauptmann zu Gurth, um die allgemeine Stimme zu bestätigen. »Zwei von meinen Kameraden sollen dich auf dem besten Wege zu deines Herrn Zelt geleiten, um dich vor Nachtwandlern zu bewahren, die ein weniger zartes Gewissen haben könnten als wir; es gibt deren viele auf dem Weg in einer solchen Nacht. Bedenke,« fügte er ernst hinzu, »daß du uns versagt hast, deinen Namen zu nennen, darum frage nicht nach den unsrigen, noch bemühe dich zu entdecken, wer wir sind. Wenn du einen solchen Versuch machst, so wird dich ärgeres Unglück treffen als je zuvor.« Gurth dankte dem Hauptmann für seine Höflichkeit und versprach, seinem Rate zu folgen. Zwei der Räuber nahmen ihre Stöcke und sagten, Gurth soll ihnen auf dem Fuße folgen; sie gingen auf einem Fußsteig durch das Dickicht fort und durch das angrenzende Tal. Am Ausgang des Pfades trafen zwei Männer auf Gurths Führer, diese sagten ihnen einige Worte und gingen vorüber. Dieser Umstand veranlaßte Gurth zu glauben, die Bande sei sehr zahlreich und halte regelmäßig aufgestellte Wachen rings um ihre Versammlungsplätze. Als sie in die offene Heide kamen, wo Gurth Mühe gehabt haben würde, seinen Weg zu finden, geleiteten ihn die Diebe zu der Höhe eines kleinen Hügels, von wo aus er im Mondlicht die Pfähle der Schranken mit den glänzenden Zelten an ihrem Ende schimmern sah; ihre Wimpel und Flaggen flatterten im Mondlicht und die Gesänge, womit die Schildwachen ihre Nacht kürzten, schlugen an sein Ohr. Hier machten die Diebe Halt. »Wir gehen nicht weiter mit,« sagten sie; »es würde gefährlich für uns sein. – Gedenke der Warnung, die du erhalten hast; halte geheim, was dir diese Nacht begegnet ist und du wirst keine Ursache haben, es zu bereuen. Vernachlässige nicht, was dir gesagt worden ist, sonst könnte dich selbst der Tower zu London nicht vor unserer Rache schützen.« »Gute Nacht, gütige Herren,« sagte Gurth. »Ich werde an eure Befehle denken und tue nichts Böses, wenn ich euch ein ehrenvolles und sicheres Gewerbe wünsche.« So schieden sie. Die Räuber gingen den Weg zurück, den sie gekommen waren und Gurth schritt nach dem Zelt seines Herrn zu, dem er, trotz dem erhaltenen Verbote, die Begebenheiten dieser Nacht mitteilte. Der enterbte Ritter war erstaunt, sowohl über Rebekkas Großmut, als auch über die der Räuber, da solches ihrem Gewerbe ganz fremd war. Seine Betrachtungen über diese sonderbaren Umstände wurden indessen durch die Notwendigkeit unterbrochen, sich Ruhe zu gönnen, die die Anstrengung des vergangenen Tages und die für morgen nötige Kraft erheischte. Der Ritter streckte sich also auf ein weiches Lager nieder, das im Zelt war; der treue Gurth legte seine abgehärteten Glieder auf eine Bärenhaut, die eine Art Teppich des Zeltes ausmachte. – Er wählte seine Lagerstelle quer vor der Türe, damit niemand hereintreten konnte, ohne ihn aufzuwecken. Zehntes Kapitel In wolkenloser Klarheit brach der neue Morgen an. Die Sonne stand noch nicht weit über dem Horizont, da war auch schon der faulste wie der lebendigste Zuschauer unterwegs, um sich einen guten Platz zu sichern. Die Marschälle und die Herolde waren die ersten auf dem Platze, um die Namen der Ritter, die sich zum Turnier meldeten, aufzuschreiben und zu vermerken, bei welcher Partei die einzelnen zu fechten wünschten. Den Vorschriften gemäß war der enterbte Ritter der Führer der einen und Bois-Guilbert, als zweiter Sieger des vorigen Tages, der Führer der andern Partei. Die Herausforderer waren alle aus seiner Partei, bis auf Ralph de Vipont, der infolge seines Sturzes unfähig war, Waffen zu tragen. Obgleich die Waffengänge zu Parteien eigentlich gefährlicher waren als die einzelnen Zweikämpfe, so wurden sie doch zahlreicher besucht und waren bei der damaligen Ritterschaft weit beliebter. An diesem Tage waren wohl fünfzig Ritter für jede Partei eingeschrieben, und die Marschälle erklärten, daß niemand mehr zugelassen werden könne – zum größten Unwillen derer, die zu spät kamen. Gegen zehn Uhr war die Ebene rings von Reitern, Reiterinnen und Fußgängern bedeckt, die alle zum Turnier eilten. Kurz darauf kündete ein Trompetenstoß die Ankunft des Prinzen Johann und seines Gefolges an. Um diese Zeit kam auch Cedric der Sachse mit Lady Rowena, aber Athelstane war nicht bei ihnen. Dieser Baron hatte seine lange und starke Person in eine Rüstung gezwängt, denn er wollte mitkämpfen, und zwar zur größten Verwunderung Cedrics auf der Seite Brians de Bois-Guilbert. Er hatte ihm freilich nachdrücklich vorgehalten, wie unpassend diese Wahl sei, aber Athelstane hatte mit Ausflüchten geantwortet und seinen eigentlichen und einzigen Grund wohlweislich für sich behalten. Obgleich er bei seiner apathischen Natur nicht der Mann dazu war, auf Lady Rowena einen angenehmen Eindruck zu machen, so war er doch nichts weniger als unempfindlich für ihre Reize, und es war für ihn schon ganz außer Zweifel, daß sie seine Gattin würde, da er die Einwilligung Cedrics und ihrer anderen Anverwandten hatte. Es hatte ihn daher mit schwer verhohlenem Unwillen erfüllt, daß der Sieger des vorigen Tages seiner Braut eine Auszeichnung erwies, die zu verleihen seiner Meinung nach nur er berechtigt war. Um nun den fremden Ritter für einen solchen Eingriff in seine Gerechtsame zu strafen, wollte Athelstane voller Zuversicht auf seine Körperkraft und Waffentüchtigkeit, von denen seine Schmeichler viel Rühmens machten, nicht nur der Partei des enterbten Ritters seine schätzenswerte Hilfe entziehen, sondern auch ihren Führer die Wucht seiner Streitaxt fühlen lassen. Mehrere Ritter aus dem Gefolge des Prinzen Johann hatten sich auf einen Wink von ihm zur Partei der Herausforderer gemeldet, und der Prinz wünschte dieser Partei zum Siege zu verhelfen. Andererseits hatten aber auch viele normannische wie englische Ritter die Partei des Enterbten ergriffen. Als Prinz Johann die ernannte Königin des Tages am Platze anlangen sah, zeigte er jene Galanterie, die ihm so gut stand. Er ritt ihr entgegen, nahm sein Barett ab, stieg vom Pferde und half der Lady aus dem Sattel. Sein Gefolge entblößte gleichzeitig das Haupt, und der oberste darunter stieg vom Pferde und hielt den Zelter der Dame. »So,« sagte der Prinz, »erweisen wir der Königin der Minne und des Liebreizes die schuldige Ehrerbietung und führen sie in eigener Person zum Throne, der für sie bereitet ist. – Ladies,« setzte er hinzu, »folgt Eurer Königin, wenn ihr selber einmal gleicher Ehre teilhaftig werden wollt.« Mit diesen Worten führte der Prinz Lady Rowena feierlich zu dem Ehrenplatze, während sich die schönsten und vornehmsten Damen herzudrängten, um möglichst nah bei ihrer jetzigen Königin zu sitzen. Kaum hatte Rowena Platz genommen, so ertönte laute Musik ihr zum Gruße, und die Sonne schien hell und funkelnd auf die blanken Waffen der Ritter beider Parteien. Nun geboten die Herolde Ruhe, denn die Bestimmungen des Turniers wurden verlesen. Diese waren in der Hauptsache auf die Verringerung der Gefahren des Kampfes berechnet, denn dieses Turnier wurde mit scharfen Waffen ausgefochten. Es war den Streitern untersagt, Schwertstöße zu tun, nur der Hieb war gestattet. Kolben und Streitaxt waren zulässig, dagegen Dolche verboten. Wer vom Pferde geworfen worden war, konnte zu Fuß weiter kämpfen, doch auch nur gegen einen Gegner zu Fuß, berittene Gegner durften ihn nicht mehr angreifen. Wurde ein Ritter bis ans äußerste Ende der Schranken gedrängt, so daß er mit dem Pferd oder den Waffen das Holzwerk berührte, so galt er für besiegt, und sein Pferd und seine Rüstung waren dem Sieger verfallen. Wer auf diese Weise überwunden worden war, blieb von weiterer Teilnahme am Turnier ausgeschlossen. War ein Ritter zu Boden gefallen, so durfte ihn sein Knappe aus den Schranken tragen, er galt dann aber für geschlagen, und Rüstung und Pferd waren verfallen. Sobald Prinz Johann den Stab senken würde, sollte der Kampf ein Ende nehmen. Dies war eine wohlangebrachte Vorsichtsmaßregel, um bei der langen Dauer des so gefährlichen Spieles das unnütze Blutvergießen zu vermeiden. Wer gegen die Gesetze des Turniers oder der Ritterlichkeit verstieß, sollte der Rüstung beraubt und mit verkehrtem Schild auf den Rand der Pallisaden gesetzt werden, zum öffentlichen Gespött wegen seines unritterlichen Benehmens. Den Schluß dieser Bekanntmachung bildete die Ermahnung, jeder edle Ritter solle seine Schuldigkeit tun, um sich die Gunst der Königin des Liebreizes und der Minne zu erwerben. Dann zogen sich die Herolde auf ihre Plätze zurück, und die Ritter kamen in langen Zügen in die Schranken und stellten sich in Doppelreihen einander gegenüber auf, der Führer jeder Partei hatte den Mittelplatz der vorderen Reihe inne. Es war ein schöner und doch etwas beklemmender Anblick, so manchen tapferen, wohlgerüsteten Streiter ein so gefahrvolles Spiel beginnen zu sehen. Sie saßen in ihren Sätteln wie aus Eisen und warteten auf das Signal zum Beginn ebenso ungeduldig wie die feurigen Rosse, die den Boden mit den Hufen zerwühlten. Die Ritter hielten die Lanzen senkrecht, deren Spitzen im Sonnenlichte gleißten, das Gefieder der Helme und die zierlichen Fähnlein wehten im Winde. Die Marschälle musterten die Reihen, ob nicht eine von ihnen mehr oder weniger als die festgesetzte Anzahl hätte. Als alles für richtig befunden worden war, verließen die Marschälle die Schranken, und William de Wywil rief mit Donnerstimme die Worte für das Signal: Laisser aller! Und mit einem Schlage senkten sich die Lanzen der Ritter, sie drückten die Sporen in die Weichen ihrer Rosse, und die beiden vorderen Reihen der Parteien stürzten in vollem Galopp aufeinander los und prasselten in der Mitte des Platzes aufeinander mit einem Krach, daß man es sehr weit vernehmen konnte. Es ließ sich nicht sofort übersehen, wie dieser Zusammenstoß abgelaufen war. Die Pferde hatten eine Staubwolke aufgewirbelt, die die Luft verfinsterte, es verging wohl eine Minute, ehe die hochgespannten Zuschauer erkennen konnten, welchen Ausgang der Zweikampf hatte. Auf jeder Partei war etwa die Hälfte der Kämpen vom Pferde gestürzt, einige lagen am Boden, als hätten sie für immer das Aufstehen vergessen, einige hatten sich bereits wieder aufgerafft und standen ihren Gegnern Brust gegen Brust gegenüber. Zwei oder drei waren verletzt und suchten das strömende Blut mit den Schärpen zu stillen und aus dem Wirrwarr zu entrinnen. Die Streiter, die sich zu Roß gehalten hatten, und deren Lanzen in der Wucht des ersten Anpralls allesamt zersplittert waren, fochten nun hitzigen Schwerterkampf miteinander, ließen ihr Kriegsgeschrei erschallen und schlugen aufeinander los, als hinge Ehre und Leben vom Ausgange des Straußes ab. Der Tumult steigerte sich nun noch, denn von jeder Partei nahm die zweite Reihe jetzt an dem Gefechte teil, den Bedrängten zu Hilfe kommend. Die Genossen Brians de Bois-Guilbert riefen: »Für den Tempel! für den Tempel!« Die Gegenpartei hatte die Devise auf dem Schilde ihres Führers zu ihrem Schlachtgeschrei gemacht und rief: »Desdichado! Desdichado!« Mit größtem Ingrimm und wechselndem Glücke rannten die Kämpfer aufeinander los, das Feld schien sich bald nach dem nördlichen, bald nach dem südlichen Ende der Schranken hinzuziehen, je nachdem ob die eine oder die andere Partei im Vorteil war. In das Geschmetter der Trompeten mischte sich jetzt in furchtbarem Getöse das Krachen der Hiebe und das Geschrei der Streiter und übertönte das Ächzen derer, die stürzten, und derer, die hilflos unter den Pferden lagen. Mit Blut und Staub waren jetzt die glänzenden Rüstungen bedeckt, die Axt- und Schwertstreiche spalteten die Fugen, und das prunkende Gefieder der Helmbüsche flog zerpflückt und zerzaust wie Schneeflocken umher. Alle Schönheit und Anmut des kriegerischen Anblickes war geschwunden, und nichts mehr war zu schauen als Roheit und Grausen, die das Herz vor Entsetzen und Erbarmen erschaudern machen mußten. Aber die Macht der Gewohnheit ist groß, und nicht nur die Zuschauer der geringeren Klassen, die ja gewöhnlich aufregende Schauspiele lieben, verfolgten den Gang des Kampfes mit Interesse, sondern auch die Damen auf den Tribünen wandten den Blick nicht von dem erschütternden Bilde ab. Hin und wieder wurde wohl eine zarte Wange bleich oder ein Schrei ertönte, dann war ein Geliebter oder ein Bruder oder ein Ehegatte hingestreckt worden. Im allgemeinen aber spornten die Damen die Streiter sogar noch an, durch Händeklatschen oder den Zuruf: »Tapfere Lanze! Gutes Schwert!« Noch energischer äußerte sich der Anteil der Männer, denn bei jedem Wechsel des Kampfes erscholl lauter Beifall, und die Augen waren an die Schranken festgebannt. In jeder Pause, die für kurze Augenblicke entstand, hörte man die Herolde rufen: »Kämpft, wackere Ritter! Es stirbt der Mensch, es lebt der Ruhm! – Auf und streitet weiter! – Lieber gestorben, als unterlegen! Streitet mit Mut und Kraft! – Schöne Augen blicken auf Eure Taten!« Elftes Kapitel Erst als sich das Feld auf beiden Seiten zu lichten begann, trafen der Templer und der Enterbte aufeinander. Bisher hatte jeder einzelne wohl große Taten der Tapferkeit verrichtet, aber sie waren immer wieder voneinander getrennt worden, indem andere auf sie eindrängten, denn jeder suchte eine Ehre darin, sich mit dem Führer der feindlichen Partei zu messen, auch war es bekannt, daß der Fall des Führers gleichbedeutend mit der Niederlage der ganzen Partei war; indessen hatten die beiden noch keinen Gegner gefunden, der ihnen gewachsen gewesen wäre. Die Wut tödlichen Hasses, das brennende Verlangen, mit Ehren aus dem Zweikampf hervorzugehen, gestaltete ihren Kampf zum Höhepunkt des nervenerregenden Schauspiels, und das Volk, das über so große Kraft und Gewandtheit zugleich erstaunt und entzückt war, jubelte in einem Beifall, der nicht enden zu wollen schien. Die Partei des Enterbten war im Nachteil. Der Riesenarm Front-de-Boeufs und die wuchtige Stärke Athelstanes warfen alles um sich her zu Boden. Als sie ihre Gegner bezwungen hatten, schien es ihnen beiden gleichzeitig einzufallen, daß sie den Sieg für ihre Partei entscheiden könnten, wenn sie dem Templer, der mit seinem Rivalen im Zweikampf lag, zu Hilfe eilten. Zu gleicher Zeit warfen sie ihre Pferde herum. Der Normann sprengte von der einen, der Sachse von der anderen Seite herzu. Unmöglich hätte der von solcher Übermacht Angegriffene Widerstand leisten können, wenn ihn nicht ein allgemeiner Aufschrei des Publikums gewarnt hätte, das seine Entrüstung über so ungleichen Kampf nicht verbergen konnte. Der drohenden Gefahr inne werdend, versetzte der Ritter dem Templer einen gewaltigen Stoß, riß sein Roß zurück und wich so dem Anprall der beiden neuen Gegner aus. Indessen war damit nur für einen Augenblick Hilfe geschaffen, und wenn der Enterbte nicht ein so schnelles und kraftvolles Pferd gehabt hätte, so wäre er schon jetzt verloren gewesen. Die Vorzüge dieses Tieres kamen ihm umsomehr zu statten, als das Pferd Bois-Guilberts verwundet war und die Rosse Athelstanes und Front-de-Boeufs unter der Last ihrer gigantischen Reiter, die beide in voller Rüstung waren, zu versagen drohten. So entsprachen einander die bewundernswerte Reitkunst des Enterbten und die edle Kraft des Pferdes, und der Ritter vermochte eine Zeitlang seine drei Gegner von sich abzuhalten. Flink wie ein Falke wandte er sich bald gegen den einen, bald gegen den anderen. Unausgesetzt hallte die Luft vom Beifall wider, aber es war doch unausbleiblich, daß der Enterbte der Übermacht schließlich erliegen mußte, und die Herren um den Prinzen verlangten einstimmig, daß Johann den Stab senken solle, dem so tapferen Ritter die Schmach einer unverdienten Niederlage zu ersparen. »Fällt mir nicht ein, beim Lichte des Himmels!« versetzte der Prinz, »dieser hergelaufene Ritter, der seinen Namen verhehlt, hat schon einen Preis gewonnen, nun mögen die anderen an die Reihe kommen.« Kaum hatte er dies gesagt, so änderte ein unvorhergesehener Vorfall den Ausgang des Tages. Unter den Reihen der Enterbten war ein Ritter in schwarzer Rüstung, mit schwarzem Pferde, breitschultrig, hochgewachsen, und allem Anschein nach kraftvoll und stark. Dieser Ritter, der auf seinem Schilde keine Devise trug, hatte bisher geringe Teilnahme an dem Ausgange des Kampfes bekundet. Die Ritter, die ihm entgegengetreten waren, hatte er mit Leichtigkeit niedergeworfen, aber er hatte seinen Vorteil nie ausgenutzt und keinen Gegner selber angegriffen. Er schien sich selber mehr als einen Zuschauer zu betrachten, daher hatte ihm auch das Publikum sofort den Beinamen gegeben: Le Noir-Fainéant, der schwarze Faulpelz. Aber mit einem Male schien diesen Ritter die Teilnahmlosigkeit zu verlassen; als er den Anführer seiner Partei so hart bedrängt sah, gab er seinem fast noch völlig frischen Pferde die Sporen. Wie ein Donnerkeil flog er heran. Aus seinem Munde klang hell wie Trompetenstoß der Ruf: »Desdichado, ich bringe Hilfe!« Es war die höchste Zeit, denn während der Enterbte den Templer angriff, kam Front-de-Boeuf mit erhobenem Schwerte auf ihn los. Ehe aber der Hieb herniedersauste, traf ihn der schwarze Ritter, und Front-de-Boeuf mitsamt seinem Pferde stürzte zu Boden. Der Noir-Fainéant warf sofort sein Roß herum und griff Athelstane von Conningsburgh an. Da er im Kampf mit Front-de-Boeuf sein Schwert zerbrochen hatte, entriß er dem Sachsen die Streitaxt und versetzte dem ungeschlachten Riesen einen solchen Schlag, daß er bewußtlos zu Boden stürzte. Als der schwarze Faulpelz diese Tat vollbracht hatte, verfiel er wieder in seine alte Trägheit, und langsam nach dem nördlichen Ende der Schranken zurückreitend, überließ er es dem Führer seiner Partei, allein mit Bois-Guilbert fertig zu werden. Das war nun nicht mehr schwer. Das Pferd des Templers hatte viel Blut verloren und sank unter dem nächsten Stoße des Enterbten zu Boden. Im Steigbügel verwickelt, vermochte der Templer nicht, sich unter seinem Pferd hervorzuarbeiten. Sein Gegner sprang ab und befahl dem Templer, sich zu ergeben – da senkte Prinz Johann den Stab, rascher bereit, dem Templer die Kränkung, sich für überwunden zu erklären, zu ersparen als früher dem Enterbten – und somit war das Zeichen zur Beendigung des Turniers gegeben. Die Knappen, die nur mit Mühe und Gefahr während des Kampfes ihren Herren hatten beistehen können, eilten jetzt in die Schranken und brachten den Verwundeten Hilfe, die nun behutsam und mit Sorge in die nahen Zelte getragen wurden oder in die Wohnungen der nächsten Ortschaft. Und so war denn das berühmte Turnier von Ashby de la Zouche vorüber – eines der größten Waffenfeste jener Zeit, denn wenn auch nur vier Ritter tot auf dem Platze geblieben waren, von denen einer durch das Gewicht seiner Rüstung erdrückt worden war, so waren doch etwa dreißig schwer verletzt, von denen etwa fünf nie wieder genasen. Einige blieben Krüppel zeit ihres Lebens, einige wurden zwar wieder gesund, behielten aber bis zum Tode die Male dieses Kampfes an ihrem Leibe. Nun war es die Pflicht des Prinzen, den Ritter zu ernennen, der an diesem zweiten Tage am tapfersten gekämpft hatte. Er sprach den Preis dem Ritter zu, den das Publikum den schwarzen Faulpelz genannt hatte. Es wurde dagegen eingewendet, daß eigentlich der Enterbte der Sieger sei, denn er habe mit eigener Hand fünf Kämpfer niedergeworfen und zuletzt noch den Führer der Gegenpartei besiegt, aber Prinz Johann blieb bei seiner Entscheidung. Er meinte, der Enterbte und seine Partei hätten verloren, wenn ihm nicht der Ritter in der schwarzen Rüstung zu Hilfe gekommen wäre, daher gebühre ihm der Preis. Zur allgemeinen Verwunderung aber stellte es sich heraus, daß der Noir-Fainéant verschwunden war. Gleich nach dem Schlusse des Turniers hatte er die Schranken verlassen, und einige aus dem Publikum hatten ihn in eine der Lichtungen im Walde hinabreiten sehen mit eben jener Nachlässigkeit und Gemächlichkeit, die ihm den Beinamen schwarzer Faulpelz eingetragen hatte. Zweimal wurde er durch Trompetenstoß und Heroldsruf aufgefordert, zurückzukehren, da er dennoch nicht erschien, mußte ein anderer ernannt werden, und es blieb nun dem Prinzen Johann nichts weiter übrig, er mußte dem enterbten Ritter den Preis zusprechen. Der Boden, über den die Marschälle den Sieger zu den Füßen des Prinzen führten, war von Blut getränkt und bedeckt von toten Rittern und Pferdekadavern und übersät mit zerbrochenen Waffen und Lanzensplittern. »Enterbter Ritter,« sprach Prinz Johann ihn an, »denn dies ist der einzige Name, bei dem wir Euch nennen können, Ihr selber wollt es ja nicht anders, zum zweitenmal sprechen wir Euch die Ehre des Turniers und das Recht zu, den so wohlverdienten Ehrenkranz aus den Händen der Königin der Minne und des Liebreizes zu empfangen.« Der Ritter verneigte sich tief, gab aber keine Antwort. Laut schmetterten die Trompeten, die Herolde riefen: »Ehre dem Tapferen! Ruhm dem Sieger!«, die Damen winkten mit Tüchern und Schleiern, während die Marschälle den Enterbten zum Ehrenthrone geleiteten, auf dem Lady Rowena saß, und auf den untersten Stufen mußte der Sieger niederknien. Voll Anmut und Majestät stieg Rowena von ihrem Throne hernieder und wollte eben den Kranz, den sie in der Hand hatte, auf den Helm des Knienden setzen, als die Marschälle riefen: »Nicht so! Sein Haupt muß unbedeckt sein!« Der Ritter murmelte ein paar Worte, die unverstanden in der Wölbung seines Helmes verklangen. Er hatte wohl den Wunsch äußern wollen, daß man ihm nicht das Haupt entblößen möge. Aber ob es die Vorschrift erheischte, oder ob es die Marschälle aus Neugierde taten, sie achteten nicht seines Sträubens und nahmen dem Ritter den Helm ab, und da zeigte sich das sonnverbrannte, doch hübsche Gesicht eines etwa fünfundzwanzigjährigen Mannes mit kurzem, vollem Haar. Er war bleich wie der Tod, sein Antlitz war an mehreren Stellen von Blut bedeckt. Kaum sah Rowena sein Gesicht, so stieß sie einen Schrei aus, aber sie faßte sich sogleich wieder, und obwohl sie unter der jähen Erschütterung am ganzen Leibe bebte, drückte sie doch dem Sieger auf das zur Erde gesenkte Haupt den Kranz und sprach mit klarer, deutlicher Stimme die Worte: »Herr Ritter, ich kröne Euch mit diesem Kranze, dem Preise der Tapferkeit, der dem Sieger dieses Tages zukommt, und« – setzte sie fest und bestimmt hinzu – »noch nie ward eine dessen würdigere Stirn mit einem Ritterkranz geziert.« Der Ritter küßte der Königin der Minne und des Liebreizes die Hand, die ihm eben den Lohn seiner Tapferkeit gegeben hatte, und plötzlich sank er in sich zusammen und lag zu ihren Füßen. Es war der Ritter Ivanhoe! Die Bestürzung war allgemein. Cedric, der bei dem unvermuteten Anblick seines verbannten Sohnes verstummte, eilte herbei, um ihn von Rowena wegzubringen. Das hatten aber bereits die Marschälle getan, die die Ursache der plötzlichen Ohnmacht Ivanhoes errieten und ihn in aller Eile von seiner Rüstung befreiten. Als dies geschehen war, fanden sie, daß ihm eine Lanze den Brustharnisch durchbohrt hatte. Ivanhoe hatte eine tiefe Wunde in der Seite. Der Name Ivanhoe war kaum ausgesprochen worden, so flog er von Munde zu Mund. Er drang auch in den Kreis des Prinzen, dessen Stirn sich bei dieser Kunde verdüsterte. Er aber sah höhnisch um sich und jagte: »Mylords, und besonders Ihr, Herr Prior, was denkt Ihr über die Ansichten der Gelehrten von angeborener Sympathie und Antipathie? – Mir ist, als hätte mirs eine innere Stimme gesagt, daß es der Liebling meines Bruders wäre, noch ehe ich ahnen konnte, daß er in dieser Rüstung steckte.« »Front-de-Boeuf wird nun wohl das Lehen an Ivanhoe zurückgeben müssen,« sagte Ritter Bracy. »Jawohl,« setzte Waldemar Fitzurse hinzu, »dieser Tapfere wird nun das Schloß und Lehensgut, das er von Richard hat und das Eure Hoheit Front-de-Boeuf übertragen hat, wieder für sich beanspruchen.« »Front-de-Boeuf wird die Lehensherrschaft Ivanhoe nicht wieder abtreten,« antwortete Prinz Johann, »und außerdem hoffe ich, ist unter Euch, Sirs, nicht einer, der mir das Recht streitig macht, die Lehnsgüter der Krone an meine treuen Diener zu verteilen.« Waldemar Fitzurse war inzwischen dorthin geeilt, wo Ivanhoe gefallen war. »Der Tapfere,« sagte er, als er wiederkam, »wird voraussichtlich die Ruhe Eurer Hoheit nicht stören und Front-de-Boeuf wird im Besitze seines Lehens bleiben können, denn Ivanhoe ist sehr schwer verwundet.« »Wie es auch um ihn stehen mag,« sagte Prinz Johann, »er ist der Sieger des Tages, und wäre er zehnmal unser Feind oder der ergebenste Freund meines Bruders – was auf eins herauskommt – seine Wunden sollen verbunden werden, unser eigener Leibarzt soll ihn pflegen.« Bei diesen Worten umspielte ein herbes Lächeln die Lippen des Prinzen. Waldemar Fitzurse antwortete schnell, Ivanhoe sei bereits aus den Schranken hinausgebracht worden und in der Obhut seiner Freunde. »Der Schmerz der Lady Rowena hat mich gerührt,« setzte er hinzu. »Sie hat ihren Gram so wacker unterdrückt, daß man nur an ihren tränenlosen Augen, die starr an dem Ohnmächtigen zu ihren Füßen hingen, ablesen konnte, was sie litt.« »Wer ist diese Rowena?« fragte Johann. »Eine sächsische Erbin von großem Reichtum,« beeilte sich Prior Aymer zu erwidern, »eine Rose des Liebreizes und ein Juwel des Reichtums, die schönste unter Tausenden.« »Ihr Herzeleid soll gelindert werden,« sagte Prinz Johann, »und ihr Blut soll verbessert werden, indem wir sie mit einem Normannen verheiraten. Sagt unserem Seneschall, er soll die Lady Rowena und ihre ganze Sippe mitsamt ihrem Bewacher, dem groben sächsischen Bauern, den der schwarze Ritter heute im Turnier niedergeworfen hat, zum Festessen auf diesen Abend einladen.« Prinz Johann wollte nach diesen Worten eben das Zeichen geben, daß der Platz von allem Volk geräumt werden solle, da wurde ihm ein kleiner Zettel in die Hand gesteckt. »Woher?« fragte der Prinz, die Person musternd, die ihn überbracht hatte. »Weither, Hoheit,« war die Antwort, »aber woher, weiß ich nicht. Ein Franke hat es gebracht, der sagte, er sei Tag und Nacht gereist, um diesen Zettel in die Hände Eurer Hoheit zu legen.« Prinz Johann nahm den Zettel, sah nach der Unterschrift und dann nach dem Siegel, auf dem er drei Lilien erblickte. Mit sichtlicher Erregung brach er es auf und las nun nichts als die Worte: »Seid auf der Hut, der Teufel ist los!« Der Prinz wurde totenblaß, er sah zur Erde, dann gen Himmel, wie einer, dem eben das Todesurteil gesprochen wird. Als sich der erste Schreck gelegt hatte, nahm er Waldemar Fitzurse und den Ritter Bracy zur Seite und ließ beide die geheimnisvolle Botschaft lesen. »Das ist blinder Alarm oder eine Mystifikation,« sagte Bracy. »Es ist Frankreichs Siegel,« antwortete der Prinz. »So ist es denn auch an der Zeit,« sprach Fitzurse, »unsere Partei zusammenzuziehen, bei York oder sonst welchem Stelldichein. In ein paar Tagen schon ist es vielleicht zu spät. Eure Hoheit muß das Possenspiel hier aufs schleunigste abbrechen.« »Das Landvolk darf nicht unbefriedigt nach Hause geschickt werden,« wandte Johann ein, »es hat bis jetzt von den Festlichkeiten noch wenig gehabt.« »Der Tag ist noch nicht vorüber,« sagte Fitzurse. »Laßt die Bogenschützen ein paarmal nach der Scheibe schießen und verteilt einen Preis dabei, damit ist das prinzliche Versprechen gegenüber einer Herde sächsischer Leibeigener sattsam erfüllt.« »Habt Dank, Waldemar,« versetzte der Prinz. »Ihr erinnert uns an den dreisten Prahlhans von Yeoman, der sich gestern so unverschämt gegen uns benahm. – Unser Festessen soll heute abend stattfinden, wie wir es festgesetzt haben. Und sollte dies der letzte Tag unserer Herrschaft sein, so soll er der Nache und der Freude geweiht sein. Die neuen Sorgen gehören dem neuen Morgen!« Trompetenstöße riefen das Publikum zurück, das sich schon zu zerstreuen anfing. Im Namen des Prinzen wurde verkündet, daß seine Hoheit durch wichtige und unaufschiebbare Staatsgeschäfte abgerufen werde und die Festlichkeiten daher schon mit dem heutigen Tage geschlossen werden müßten. Damit aber nicht so mancher gute Yeoman wieder gehen müßte, ohne eine Probe seiner Kunst gezeigt zu haben, so sollte das für den folgenden Tag angesetzte Bogenschießen schon jetzt stattfinden. Der beste Schütze solle als Preis ein in Silber gefaßtes Jagdhorn und eine seidene, reich verzierte Jagdtasche erhalten. Über dreißig Yeomen meldeten sich zum Wettbewerb, darunter mehrere Waldhüter und Förster aus den königlichen Forsten bei Needwood und Charnwood. Als aber die Schützen sahen, mit wem sie es aufnehmen sollten, traten sie wieder zurück, weil sie einer von vornherein gewissen Niederlage entgehen wollten. Zur damaligen Zeit war die Kunst eines berühmten Bogenschützen meilenweit bekannt. Es waren dann nur noch acht Bogenschützen übrig, von denen immer noch einige die königliche Livree trugen. Der Prinz sah sich nach jenem Yeoman um, an dem er Vergeltung üben wollte, und er fand ihn noch mit der gleichen gelassenen Miene, die er am vergangenen Tage gezeigt hatte. »Kerl,« sagte Johann zu ihm, »es fehlt dir wohl der Mut, deine Künste mit denen der wackeren Männer hier zu messen?« »Mit Verlaub, Herr,« versetzte der Yeoman, »wenn ich den Schutz ablehne, so geschieht es nicht deshalb, weil ich mich fürchte, ich könnte fehl schießen.« »Und weshalb denn sonst?« fragte der Prinz, der, ohne daß er sich den Grund erklären konnte, eine bange Neugier diesem Manne gegenüber verspürte. »Weil ich nicht weiß,« erwiderte der Weidmann, »ob diese Männer nach ebensolchem Ziele schießen werden wie ich, und weil es am Ende Euer Hoheit nicht gefallen möchte, wenn auch den dritten Preis, den Ihr aussetzt, jemand gewinnt, der Euch mißfällt.« »Wie heißest du, Yeoman?« fragte der Prinz, unwillkürlich errötend. »Locksley,« war die Antwort. »Nun denn, Locksley,« sagte Prinz Johann, »wenn diese Yeomen ihre Kunst gezeigt haben, so sollst du auch schießen. Gewinnst du den Preis, so lege ich noch zwanzig Nobles dazu, verlierst du aber, so wird dir dein grünes Wams ausgezogen und du wirst mit Bogensehnen durch die Schranken gepeitscht, als geschwätziger, frecher Prahlhans.« »Und wenn ich unter solchen Bedingungen nicht schießen will?« sagte der Schütze. »Wohl kann mich Eure Hoheit peitschen lassen, denn die Macht ist ja in Eurer Hand, aber zum Schusse kann mich niemand zwingen.« »Wenn du mein Anerbieten ausschlägst,« antwortete der Prinz, »so soll dir der Profoß des Platzes den Bogenstrang zerschneiden und dir Bogen und Pfeile zerbrechen, dich selber aber als eine Memme von hinnen jagen.« »So tut Ihr unrecht, stolzer Prinz,« rief der Grünrock. »Ihr zwingt mich, gegen die besten Schützen von Leicester und Staffordshire aufzutreten, und droht mir Entehrung an, wenn ich unterliege. Doch mag es drum sein.« Am oberen Ende der Schranken wurde ein Ziel aufgestellt. Die Bogenschützen traten im südlichen Zugange an. Zwischen diesem Standpunkt und dem Ziel war nun Raum genug zu einem regelrechten Schuß. Durch das Los wurde bestimmt, in welcher Reihenfolge die Schützen zum Schusse vortreten sollten. Jeder sollte drei Schüsse tun, und bald schossen die Schützen, einer nach dem andern, brav und kühn. Von vierundzwanzig Pfeilen trafen zehn die Scheibe, die übrigen saßen ihr so nahe, daß sie immer noch gut zu nennen waren. Von den zehn im Ziele hatte Hubert, ein Förster im Dienste bei Malvoisin, zwei ins Zentrum geschossen. Er wurde deshalb für den Sieger erklärt. »Nun, Locksley,« sagte Prinz Johann mit seinem herben Lächeln, »willst du dich mit Hubert messen oder Bogen und Pfeile an den Profoß abgeben?« »Wenns denn sein muß,« antwortete Locksley, »so will ich mein Glück versuchen, nur stelle ich die Bedingung, wenn ich um zwei Schüsse besser als Hubert abschneide, dann muß auch er nach einem Ziel schießen, das ich aufstellen werde.« »Das mag gelten,« sagte der Prinz. »Das wollen wir dir nicht abschlagen. – Hubert! wenn du dieses Großmaul besiegst, will ich dir das Jagdhorn mit Silberlingen füllen!« »Ein Mann tut, was er kann,« war Huberts Antwort. »Mein Großvater hat einen guten Bogen geführt bei Hastings, und ich werde seinem Andenken Ehre machen.« Ein frisches Ziel wurde aufgesteckt. Hubert hatte als Sieger des ersten Wettbewerbes den ersten Schuß. Bedachtsam nahm er seinen Stand, maß lange mit den Augen die Strecke, den gespannten Bogen in der Hand, den Pfeil auf der Sehne. Endlich trat er vor, hob den Bogen mit der linken, bis der Griff nahe an seinem Gesicht war und zog den Strang bis zum Ohre. Schwirrend sauste der Pfeil durch die Luft. Der Spiegel war getroffen, aber nicht das Zentrum. »Ihr habt nicht mit dem Winde gerechnet, Hubert,« sagte sein Gegner, den Bogen spannend, »sonst hättet Ihr einen besseren Schuß getan.« Und ohne die geringste Unruhe trat er vor, er suchte und prüfte nicht lange, sondern schoß seinen Pfeil so achtlos ab, als wenn er gar nicht gezielt hätte. Er hatte noch nicht einmal ausgesprochen, da schnellte schon der Pfeil vom Bogen und saß zwei Zoll dichter am Zentrum als Huberts. »Beim Lichte des Himmels!« rief Johann, »kannst du's mit ansehen, daß dir's dieser hergelaufene Bursche zuvortut? An den Galgen müßtest du!« Hubert hatte bei allen Anlässen nur die eine Antwort: »Und wenn Eure Hoheit mich hängen ließe, ein Mann tut, was er kann – aber mein Großvater hat einen guten Bogen geführt.« Er nahm seinen Platz wieder ein und schoß diesmal so glücklich, daß sein Pfeil mitten im Zentrum saß. Das Volk jubelte laut, und Prinz Johann sagte mit seinem herben Lächeln: »Besser kannst du's nicht, Locksley.« »So will ich seinen Pfeil zeichnen,« war die Antwort. Und der Yeoman schoß mit größerem Bedacht als das erstemal und traf den Pfeil seines Rivalen auf die Spitze, daß er zersplitterte. Das Volk, erstaunt über eine so fabelhafte Geschicklichkeit, ließ keinen lauten Beifall hören, wohl aber vernahm man leise Worte wie: »Das muß der Teufel sein, aber kein Mensch von Fleisch und Blut! Solch Bogenschießen ward in ganz Britannien noch nicht gesehen, seit je ein Bogen gespannt worden ist.« »Nun bitte ich Euer Hoheit um Erlaubnis,« sagte Locksley, »daß ich ein Ziel aufstecken kann, wie wir danach im Norden zu schießen pflegen. Willkommen ist mir jeder wackere Yeoman, der einen guten Schuß danach tut und sich dadurch ein holdes Lächeln von seinem Mädchen verdient.« Er wandte sich um und ging ein Stück aus den Schranken hinaus. Gleich darauf kam er wieder und hatte eine Weidenrute in der Hand, die sechs Fuß lang und so dick wie der Daumen eines Mannes war. Mit großer Ruhe schälte er sie ab. Für einen guten Schützen, sagte er dabei, sei es ja eine wahre Schande, nach einem so breiten Ziel zu schießen, wie sie es vorhin aufgestellt hätten. Bei ihnen zu Lande würde man da ebensogut die Tafel König Arthurs, an der sechzig Ritter Platz hätten, zum Ziele wählen. Solch ein Ziel träfe ja ein Kind von sieben Jahren. »Aber,« fuhr er fort und schritt nach dem anderen Ende der Schranken und steckte die Rute in den Boden, »wer diese Gerte auf hundert Ellen trifft, den nenne ich einen Schützen, der mit seinem Bogen und Köcher selbst vor Königen bestehen kann, sogar vor unserem tapferen König Richard.« »Mein Großvater hat in der Schlacht bei Hastings einen guten Bogen geführt,« sagte Hubert, »aber nach einem solchen Ziel hat er nie geschossen, und ich will es auch nicht tun. Wenn der Yeoman diese Gerte trifft, so mag er gewonnen haben, oder vielmehr der Teufel, der ihm im Kittel steckt, denn dies geht über Menschenkunst. Ein Mann tut, was er kann, und wo ich von vornherein weiß, daß ich fehl schieße, da schieße ich überhaupt gar nicht erst. Gerade so gut könnte ich nach dem Rasiermesser unseres Pastors schießen oder nach einem Sonnenstrahl wie nach dem dünnen Streifen dort, der kaum zu erkennen ist.« »Du feiger Hund!« rief Prinz Johann. »Locksley, Kerl, schieß zu, und wenn du dieses Ziel triffst, so will ich dich für den besten Schützen erklären, der je gelebt hat.« »Ach will mein Bestes tun,« antwortete der Yeoman. »Wie Hubert sagt, ein Mann tut, was er irgend kann.« Abermals spannte er den Bogen, diesmal mit großer Sorgfalt und zog eine andere Sehne ein, weil ihm die alte nicht straff genug erschien. Dann zielte er. Mit atemloser Spannung harrte die Menge. Der Schütze aber erfüllte die kühnsten Erwartungen und spaltete die Gerte mitten entzwei. Lauter Jubel erscholl, und selbst Prinz Johann fühlte seinen Widerwillen gegen den Mann schwinden. »Diese zwanzig Nobles sind dein,« sagte er, »aber ich will dir fünfzig geben, wenn du unsere Livree anziehen und in unsere Leibgarde eintreten willst, denn noch nie hat eine stärkere Hand den Bogen gespannt und noch nie ein sichereres Auge den Pfeil geleitet.« »Verzeiht, edler Prinz,« antwortete Locksley. »Ich habe mir selber gelobt, niemals Dienste zu tun, es sei denn bei Euerm königlichen Bruder Richard Löwenherz. Die zwanzig Nobles hier lasse ich Hubert, der heute einen ebenso guten Bogen geführt hat, wie sein Großvater bei Hastings. Wenn er nicht aus Bescheidenheit den Versuch unterlassen hätte, so hätte er die Gerte gerade so gut getroffen wie ich.« Hubert schüttelte den Kopf und nahm das Anerbieten des Fremden nur mit Widerstreben an, Locksley aber verschwand im Gedränge und wurde nicht mehr gesehen. Vielleicht hätte ihn Johann nicht so ohne weiteres gehen lassen, aber wichtigere Dinge erforderten jetzt seine Aufmerksamkeit, er gab einem Kammerherrn den Auftrag, sofort das Signal zur Räumung der Schranken geben zu lassen und ohne Säumen nach Ashby zu reiten, den Juden Isaak aufzusuchen. »Sagt dem Hunde,« befahl er, »er soll mir, noch ehe die Sonne versinkt, zweitausend Kronen schicken. Er weiß, was dagegen verpfändet wird, und als Ausweis zeigt ihm den Ring hier. Sagt ihm, wenn er es nicht pünktlich besorgt, laß ich ihm den Kopf abschlagen.« Mit diesen Worten stieg der Prinz zu Pferde, um selber nach Ashby zurückzukehren. Auf verschiedenen Wegen heimwärts eilend, verlief sich die Menge. Zwölftes Kapitel Das Festessen des Prinzen Johann fand im Schlosse zu Ashby statt. Es war dies nicht dasselbe Gebäude, das noch heute dort das Auge des Reisenden auf sich zieht. Schloß und Stadt Ashby gehörten damals Roger Quincy, Grafen von Winchester, der zu jener Zeit im heiligen Lande weilte, aber inzwischen hatte Prinz Johann das Schloß mit Beschlag belegt und über den Grundbesitz ohne Bedenken verfügt. Jetzt kam es ihm darauf an, die Augen der großen Welt durch Luxus und Pracht zu blenden, und deshalb waren umfassende Vorkehrungen zur Veranstaltung eines überaus prunkvollen Gastmahles getroffen worden. Die Hofkuriere des Prinzen, die bei derartigen Gelegenheiten die königliche Vollmacht besaßen, hatten alles im Lande aufgeboten, was nur irgend zu der Tafel ihres Herrn zulässig war. Eine große Anzahl von Gästen war geladen worden, und da Prinz Johann darauf angewiesen war, die Stimme der Öffentlichkeit für sich zu gewinnen, so waren neben dem normännischen Adel auch mehrere weniger hervorragende dänische und sächsische Familien zu Gaste gebeten worden. Wenn man auch die Angelsachsen verachtete und knechtete, so konnten sie doch bei dem nunmehr mit Sicherheit bevorstehenden Bürgerkriege durch ihre große Zahl gefährlich werden, und die Klugheit gebot, sich wenigstens mit ihren Oberhäuptern auf guten Fuß zu stellen. Es war daher die feste Absicht des Prinzen, diese an seinem Tische seltenen Gäste aufs höflichste zu bewirten, und er behandelte mit der größten Zuvorkommenheit Cedric und Athelstane. Er äußerte liebenswürdig sein Bedauern über die Unpäßlichkeit der Lady Rowena. Cedric hatte dies als Grund angegeben, weshalb sie seiner gnädigen Einladung nicht Folge leisten könne. Cedric und Athelstane trugen beide die altsächsische Tracht, die zwar an sich nicht geschmacklos war und bei dieser festlichen Gelegenheit aus kostbaren Stoffen bestand, aber sie gab einen so hellen Kontrast zu dem Aufputz der anderen Gäste, daß sich Johann Fitzurses wegen Gewalt antun mußte, um nicht laut aufzulachen. Allen aber, die noch ein vernünftiges Urteil hatten, erschien der lange Mantel und die kurze Tunika, wie sie die Sachsen trugen, praktischer und kleidsamer als das weite Unterkleid der Normannen, das wie ein Fuhrmannskittel aussah; das enge Oberkleid darüber schien nur deshalb vorhanden zu sein, daß der Schneider allerlei Stickerei, Pelzwerk und Juwelenzierat darauf anbrachte, soviel man nur hatte, um damit zu prahlen. Die Gäste saßen um die Tafel, die unter der Last der Leckerbissen fast zu brechen drohte. Die zahlreichen Köche des Prinzen hatten alle ihre Künste aufgeboten, um möglichst abwechslungsreiche Gerichte zu schaffen. Außer den Schüsseln, die mit einheimischen Erzeugnissen gefüllt waren, gab es fremdländische Delikatessen und Pasteten, Rosinenkuchen und Weißbrot, das damals nur auf den Tisch des höchsten Adels kam. Desgleichen waren die besten einheimischen und ausländischen Weine aufgetragen. Die Normannen liebten die Pracht, aber man konnte sie doch keineswegs ausschweifend nennen. Sie schwärmten wohl für ein üppiges Mahl, aber es wurde dabei weniger darauf gesehen, daß alles im Übermaß vorhanden war, vielmehr war die Hauptsache, daß alles vortrefflich zubereitet war, und der erste Vorzug war der Wohlgeschmack. Dagegen machten sie den von ihnen überwundenen Sachsen den Vorwurf der Völlerei und Gefräßigkeit – zwei Laster, die ihrer Meinung nach der niedrigen Natur des Sachsen eigen waren. Prinz Johann jedoch und das Heer seiner Schmeichler und Parasiten liebten auch in der Wonne des Zechens und Essens das Übermaß, und es ist eine allbekannte Tatsache, daß Prinz Johann an übermäßigem Genuß von Pfirsichen und jungem Biere gestorben ist. Dies war aber nur eine Ausnahme von der Regel. Mit einer Unverwandtheit, die schließlich peinlich werden mußte, wobei sie sich obendrein noch heimliche Zeichen untereinander gaben, beobachteten die normännischen Ritter und Adeligen das ungeschlachte Wesen Athelstanes und Cedrics bei der Tafel – einen ihnen ganz fremder Anblick. Während die Sachsen also mit geheimem Spott betrachtet wurden, ließen sie unwissentlich manche der Vorschriften außer acht, die für das Benehmen in Gesellschaften allgemein galten. Indessen ging das lange Mahl zu Ende, und während fleißig der Becher kreiste, war das Gesprächsthema das Turnier, der unbekannte Sieger im Bogenschießen, der schwarze Ritter und der tapfere Ivanhoe, der die Ehre des Tages so teuer bezahlt hatte. Dabei herrschten Scherz und Lachen. Nur die Stirn des Prinzen Johann war umwölkt, eine schwere Sorge schien auf seiner Seele zu lasten, und hätten ihn nicht seine Schranzen auf alles aufmerksam gemacht, so hätte er wohl nichts von dem gesehen, was um ihn her vorging. Wenn er in solcher Weise aufgerüttelt worden war, dann starrte er empor, stürzte einen Becher Wein hinunter und beteiligte sich mit einer abgerissenen, zusammenhanglos hingeworfenen Bemerkung an der Unterhaltung. »Wir trinken diesen Becher,« rief er so einmal, »auf das Wohl Wilfrieds von Ivanhoe, des Siegers in diesem Turnier, und wir bedauern, daß er seiner Wunde wegen fern bleiben mußte. Jeder einzelne soll seinen Becher füllen und mir zu diesem Spruche Bescheid tun, vor allem Cedric von Rotherwood, der würdige Vater eines so hoffnungsvollen Sohnes.« »Nein, Mylord,« versetzte Cedric, indem er seinen Becher unberührt ließ, »der ungehorsame Bursch, der meiner Befehle nicht achtet und den Sitten und Geflogenheiten meiner Väter abtrünnig wird, ist mein Sohn nicht mehr.« »Es ist nicht möglich,« sagte Prinz Johann mit gut geheucheltem Erstaunen, »daß ein so tapferer Ritter ein ungehorsamer Sohn sei.« »Und doch ist es mit Wilfried, wie ich sagte,« erwiderte Cedric. »Er hat sein väterliches Haus verlassen und ist unter den lustigen Adel an Euers Bruders Hof gegangen, dort hat er die Reiterkünste erlernt, von denen Ihr soviel Rühmens macht. Gegen meinen Willen und mein ausdrückliches Verbot ist er von mir gegangen.« »Mein Bruder,« fuhr der Prinz fort, »hatte die Absicht, ihm die reiche Baronie Ivanhoe zu verleihen.« »Er hat sie ihm verliehen, und es ist nicht mein geringster Groll, daß sich mein Sohn lehenspflichtigen Vasallen der Ländereien nennen ließ, auf denen seine Väter frei und unabhängig saßen.« »Ihr werdet also, guter Cedric,« sagte der Prinz, »uns Eure Einwilligung geben, daß wir dieses Lehen an einen anderen übertragen. Sir Reginald Front-de-Boeuf,« er wendete sich an diesen Ritter, »wir denken, Ihr werdet Euch die reiche Baronie Ivanhoe so zu erhalten wissen, daß Sir Wilfried nicht wieder bei seinem Vater in Ungnade fällt, indem er das Lehen zurückbekommt.« »Beim heiligen Anton,« rief der Riese, die Brauen finster runzelnd, »Eure Hoheit mögen mich für einen Sachsen halten, wenn mir Cedric, Wilfried oder der Beste, der je aus englischem Blute entsproß, diesen Besitz entreißen könnte, den ich Eurer Hoheit verdanke.« »Wer Euch einen Sachsen nennt, Baron,« versetzte Cedric, »der erweist Euch eine ebenso große wie unverdiente Ehre.« Front-de-Boeuf wollte antworten, aber bei Prinz Johann brach jetzt der Mutwille durch. »Gewiß, Mylords,« spottete er, »Cedric hat recht. Seine Landsleute haben zweierlei vor uns voraus: sie haben längere Stammbäume und längere Mäntel.« »Sie sind uns auch im Felde voraus,« setzte Malvoisin hinzu, »wie das Wild den Hunden.« »Ihres edeln Anstandes und ihrer feinen Sitten nicht zu vergessen,« ergänzte Prior Aymer. »Und ihrer Enthaltsamkeit und Mäßigkeit,« meinte Bracy, indem er ganz vergaß, daß ihm eine sächsische Braut in Aussicht gestellt worden war. »Und des Mutes, den sie bei Hastings gezeigt haben,« sagte Brian de Bois-Guilbert. Während also die Höflinge des Prinzen seinem Beispiel folgten und jeder einzelne einen Pfeil des Spottes wider Cedric schoß, erglühte das Antlitz dieses Sachsen in Zorn und Grimm. Er warf wilde Blicke von einem zum andern, als ob es ihm bei den rasch aufeinanderfolgenden Beleidigungen nicht möglich sei, jedem einzelnen zu antworten. Er glich einem gereizten Stier, der, von seinen Peinigern umringt, nicht gleich aus ihrer Schar den herausfinden kann, an dem er sich rächen will. »Wie groß auch die Fehler meines Volkes sein mögen,« erwiderte er dann, »für einen Nichtswürdigen hätten sie den erklärt, der in seiner eigenen Halle beim kreisenden Becher einen friedlichen Gast – und das bin ich doch heute für Eure Hoheit – in solcher Weise behandelt hätte. Und was auch meine Väter bei Hastings für Unglück gehabt haben mögen,« setzte er hinzu, mit einem Blick auf Front-de-Boeuf und den Templer, »wer vor wenigen Stunden noch von der Lanze eines Sachsen aus dem Sattel geworfen wurde, sollte darüber lieber schweigen.« »Meiner Treu, ein beißender Witz!« rief Prinz Johann. »Wie gefällt er Euch, Mylords? – Unsere sächsischen Untertanen nehmen zu an Geist und Kühnheit. Ich glaube, wir tun am besten daran, unsere Schiffe zu besteigen und nach der Normandie zurückzukehren.« »Aus Furcht vor ihnen!« setzte Bracy lachend hinzu. »Brauchen wir doch nur zu unseren Speeren zu greifen, um diese Eber zu Paaren zu treiben.« »Laßt ab von Euerm Gespött, ihr Herren Ritter,« sagte Fitzurse. »Es wäre wohlgetan, wenn Euer Hoheit dem edeln Cedric die Versicherung geben wollte, daß diese Scherzworte nicht darauf angelegt sind, ihn zu beleidigen. Sie mögen freilich im Ohre eines Fremden unsanft klingen.« »Beleidigen!« rief Prinz Johann, indem er sogleich seine frühere Höflichkeit wieder annahm. »Wer wird mir zutrauen, daß ich es duldete, einen, der bei mir zu Gast ist, in meiner Gegenwart zu beleidigen? Hier fülle ich mein Glas und trinke auf das Wohl des edeln Cedric selber, da er auf die Gesundheit seines Sohnes nicht mittun will.« Unter dem erheuchelten Beifall der Höflinge machte der Becher die Runde, aber der Sachse ließ sich keinen Sand in die Augen streuen. Wenn es ihm auch an Scharfsinn gebrach, so irrten sich doch alle, die des Glaubens waren, daß ihn diese leere Schmeichelei die Schmähungen vergessen lassen könnte. Er antwortete nicht, und als der Becher wieder beim Prinzen ankam, füllte ihn Johann abermals und rief: »Auf das Wohl des edeln Athelstane von Conningsburgh!« Der dankte, und zum Beweis, daß er solche Ehre zu schätzen wisse, leerte er seinen gewaltigen Humpen mit einem Zuge. »Und nun, Ihr Herren,« sagte der Prinz, den der Wein zu erhitzen begann, »haben wir unseren sächsischen Gästen Gerechtigkeit angedeihen lassen und erwarten nun, daß sie unsere Höflichkeit erwidern. – Würdiger Thane,« wandte er sich an Cedric, »nennt uns einen Normannen, dessen Name Euern Mund am wenigsten beflecken mag, und spült mit einem Becher Wein alle Bitternis hinunter, die noch auf Euern Lippen haften möchte.« Bei diesen Worten des Prinzen war Fitzurse aufgestanden und hinter den Stuhl des Sachsen getreten. Er flüsterte ihm zu, er möge die Gelegenheit, die Mißstimmung zwischen beiden Stämmen beizulegen, nicht ungenützt vorüberlassen und jetzt den Namen des Prinzen nennen. Aber der Sachse achtete nicht auf diesen politischen Wink. Er füllte den Becher bis zum Rande und rief dem Prinzen zu: »Eure Hoheit verlangt, ich soll einen Normannen nennen, der hier verdient, genannt zu werden. Das ist fürwahr nicht leicht. – Der Bedrückte soll ein Lob singen auf seinen Überwinder, während ihm doch alle Lasten der Knechtschaft schwer aufliegen. Doch will ich einen Normannen nennen, den ersten an Rang und Waffenruhm, den besten und edelsten seines Stammes. Falsch und ehrlos nenne ich die Lippen, die seinem wohlerworbenen Ruhme nicht Bescheid tun, und das will ich mit meinem Leben bekräftigen. – Und somit: es lebe Richard Löwenherz!« Prinz Johann, der seinen eigenen Namen zu hören erwartet hatte, erstarrte, als er so plötzlich den Namen seines Bruders vernahm, dem er so schweres Unrecht zugefügt hatte. Mechanisch führte er den Becher zum Munde und setzte ihn schnell wieder ab, um zu beobachten, wie sich die Gesellschaft bei diesem Trinkspruche, auf den Bescheid zu tun ebenso heikel war, als ihm nicht zu entsprechen, benehmen würde. Mehrere alte und gewandte Höflinge machten es ebenso wie der Prinz, hoben den Becher und stellten ihn wieder hin. Einige, die edleren Sinnes waren, riefen: »Lang lebe König Richard, und möge er bald wiederkehren!« Nur wenige – darunter Front-de-Boeuf und der Templer – starrten in finsterem Unmut ihre Becher an, ohne sie zu berühren. Cedric weidete sich eine Weile an seinem Siege. Dann wandte er sich an seinen Gefährten. »Auf, edler Athelstane!« sagte er. »Wir haben nun dem Prinzen Johann alle Höflichkeit vergolten, wer mehr von unseren rauhen, sächsischen Sitten wissen will, der möge uns aufsuchen im Hause unserer Väter. Wir haben nun genug gesehen von königlichem Schmause und normannischer Höflichkeit.« Mit diesen Worten stand er auf und ging hinaus, und Athelstane und mehrere Gäste, die mit den Sachsen verwandt waren, folgten ihm. »Bei den Gebeinen des heiligen Thomas!« sagte Prinz Johann. »Die sächsischen Bauernlümmel nehmen uns die besten Gäste mit weg und ziehen im Triumph ab.« »Conclamatum est, poculatum est,« sagte Prior Aymer, »wir haben gelärmt und gezecht. – Nun ist es Zeit zum Aufbruch.« »Der Mönch hat in dieser Nacht eine süße Beichte vor, darum hat er es so eilig,« sagte Bracy. »Das ist nicht der Fall, Herr Ritter,« erwiderte der Abt. »Ich muß aber zusehen, daß ich heute noch ein paar Meilen von meiner Rückreise hinter mich bringen kann.« »Sie brechen auf,« flüsterte der Prinz seinem Ratgeber Fitzurse zu, »ihre Angst greift den Ereignissen vor, und dieser feige Prior ist der erste, der von mir abfällt.« »Seid ohne Sorge, Mylord,« versetzte Waldemar Fitzurse, »ich will ihm klar machen, daß wir ihn in York noch einmal sprechen müssen. – Herr Prior,« wandte er sich an Aymer, »ich habe zuvor noch ein paar Worte unter vier Augen mit Euch zu reden.« Die übrigen Gäste waren nun fast alle gegangen, bis auf die, die zum Gefolge des Prinzen gehörten oder erklärte Anhänger seiner Partei waren. »Dies ist also der Erfolg Eurer Ratschläge,« sagte der Prinz, den Blick voll Zorn auf Fitzurse heftend. »An meinem eigenen Tische bietet mir ein besoffener Sachse Trotz, und beim bloßen Namen meines Bruders fliehen die Leute vor mir, wie vor einem Aussätzigen.« »Geduld, Sir,« entgegnete Fitzurse. »Ich könnte diese Bezichtigung Euch zurückgeben und Euern grenzenlosen Leichtsinn tadeln, der meine Pläne vereitelt hat. Doch jetzt ist keine Zeit zu Vorwürfen. Bracy und ich werden ohne Säumen zu diesen Memmen gehen und sie davon überzeugen, daß sie schon zu weit gegangen sind, um jetzt noch zurücktreten zu können.« »Das wird vergebens sein,« sagte der Prinz, indem er mit großen Schritten heftig auf und nieder ging und mehr zu sich selber sprach. »Das wird nichts fruchten. Sie haben ie schreibende Hand an der Wand gesehen, sie haben die Fußstapfen des Löwen im Sande gesehen, sie haben sein Brüllen durch den Wald schallen hören – nichts kann ihnen wieder Mut verleihen.« »Wollte nur Gott,« sagte Fitzurse zu Bracy, »daß ihm selbst neuer Mut zu verleihen wäre! – Beim bloßen Namen seines Bruders kriegt er das Fieber. Wie unglücklich sind doch die Räte eines Prinzen, dem es zum Guten wie zum Bösen an Kraft und Energie gebricht.« Dreizehntes Kapitel Eine Spinne kann nicht mit größerer Sorgfalt ihr zerrissenes Netz ausbessern, als Waldemar Fitzurse jetzt all seine Geschicklichkeit aufbot, um die zerschlissenen Maschen des Staatsstreiches Johanns wieder zusammenzubringen. Nur wenige waren aus Laune auf seiner Seite, aus Anhänglichkeit an ihn selbst niemand. Fitzurse hatte daher nur das eine Mittel, den Wankenden zu zeigen, was für Vorteile ihnen in Zukunft erwachsen würden, und sie an die bereits genossenen Vorteile zu erinnern. Den jungen, lebenslustigen Edelleuten stellte er uneingeschränkte Freiheit und zügellose Lustbarkeiten in Aussicht; den Ehrgeizigen versprach er Macht und Würden, den Habgierigen Reichtum und weite Besitzungen. Die Anführer der Söldner erhielten Geldgeschenke – in ihren Augen ein zugkräftiges Mittel, dem kein anderes an Wirkung gleichkam. Der emsige Werber war aber im allgemeinen weit freigebiger mit Versprechungen als mit Geschenken, wenn er auch nichts unterließ, wodurch ein Unentschiedener zu bestimmen und ein Zaghafter zu ermutigen war. Eine Rückkehr des Königs Richard stellte er als ganz ausgeschlossen hin. Aber als er die unbestimmten Antworten und die mißtrauischen Blicke seiner Mitverschworenen bemerkte und daran erkannte, daß sie gerade eine solche Rückkehr am meisten befürchteten, tat er diese Möglichkeit mit gelassener Kühnheit ab und versicherte, die Politik ihrer Partei würde sich dadurch nicht im geringsten beirren lassen. »Wenn Richard wiederkommt,« sagte Fitzurse, »so wird er seinen verarmten und hungrigen Kreuzfahrern auf Kosten derer zu Reichtum verhelfen, die ihm nicht ins heilige Land gefolgt sind. Er wird furchtbares Gericht halten über alle die, die sich während seiner Abwesenheit irgend einen Verstoß gegen die Gesetze oder das Recht der Krone haben zuschulden kommen lassen. Vor allem wird er jeden, der zur Partei seines Bruders Johann gehört hat, wie einen Rebellen bestrafen. – Ist Euch bange vor seiner Macht?« »Ich erkenne an,« fuhr der arglistige Vertrauensmann des verräterischen Prinzen fort, »daß er ein tapferer und mannhafter Ritter ist, aber wir leben nicht mehr in den Zeiten König Arthurs, da es noch ein einzelner Kämpfer mit einem ganzen Heere aufnehmen konnte. – Wenn Richard wirklich wiederkommt, so kommt er allein, ohne Gefolge, ohne Freunde. – Die Gebeine seines tapferen Heeres bleichen auf dem Sande von Palästina. Die wenigen von seinen Anhängern, die zurückgekehrt sind, sind arm und vereinzelt eingetroffen, wie eben jener Wilfried von Ivanhoe. Und was denkt Ihr denn von Richards Erbrecht?« wandte er gegen die Zweifel ein, die ihm so oft vorgestellt wurden. »Ist denn Richards Anspruch auf die Erstgeburt unbestrittener als der Anspruch des Herzogs Robert von der Normandie, des ältesten Sohnes des Eroberers? – Sind ihm doch Wilhelm der Rote und Heinrich, sein zweiter und sein dritter Bruder, nacheinander durch den Spruch des Volkes vorgezogen worden. – Robert hat ebenfalls alle die Vorzüge, die man an Richard rühmt. Er war ein tapferer Ritter, ein tüchtiger Heerführer, edelsinnig und großmütig gegen seine Freunde und gegen die Kirche, und was ihn allein schon der Krone würdig macht, so war auch er Kreuzfahrer und ist nach dem heiligen Grabe gepilgert.« Und doch ist er als blinder, elender Gefangener im Schlosse Cardiffe hingesiecht, weil er sich dem Willen des Volkes widersetzte, das nicht von ihm regiert sein wollte. Es ist eben unser gutes Recht,« setzte er hinzu, »uns aus dem königlichen Hause den Prinzen auszusuchen, der am meisten dazu berufen ist, die höchste Macht auszuüben, das heißt,« fügte er, sich selber verbessernd hinzu, »den, der den Vorrechten des Adels am kräftigsten die Stange hält. An persönlichen Eigenschaften steht vielleicht Prinz Johann seinem Bruder Richard nach, allein wenn man in Betracht zieht, daß dieser mit dem Racheschwert in der Hand wiederkommen wird, und daß jener Belohnungen, Privilegien, Reichtum und Ehren austeilen wird, so kann darüber länger kein Zweifel bestehen, welcher von beiden der König ist, den der Adel aus allen Gründen der Vernunft und Politik halten muß.« Eine solche Beweisführung, die sich stets den verschiedenen Verhältnissen der Zuhörer geschmeidig anpaßte, hatte den gewünschten Erfolg für Johanns Partei. Die Mehrzahl sagte zu, bei der geplanten Versammlung in York zugegen zu sein, um dort alle erforderlichen Vorbereitungen zur Krönung des Prinzen Johann zu treffen. Erschöpft von all diesen Anstrengungen, aber sehr zufrieden mit dem Erfolg, kam Waldemar Fitzurse noch spät in der Nacht nach Schloß Ashby. Dort traf er de Bracy, der das Festkleid mit einem kurzen grünen Wams vertauscht hatte, eine lederne Kappe trug, ein kurzes Schwert am Gurt, ein Horn über die Schulter, einen langen Bogen in der Hand und ein Bündel Pfeile im Köcher. Wenn Fitzurse diesem Mann im Vorraum begegnet wäre, so hätte er ihn nicht weiter beachtet, sondern ihn für einen Mann von der Garde gehalten, da er ihn aber im Innern der Halle sah, so fühlte er sich veranlaßt, genauer zuzuschauen, und erkannte nun den normännischen Ritter in der Tracht eines englischen Weidmannes. »Was soll der Mummenschanz, de Bracy?« fragte Fitzurse, ein wenig verdrossen. »Ist jetzt die Zeit zu Fastnachtsscherzen? Die Entscheidung über das Schicksal des Prinzen, Euers Herrn, steht bevor. Warum seid Ihr nicht auch unter die blutlosen Memmen getreten, die beim bloßen Namen des Königs Richard das Herz verloren haben?« »Ich habe mich um meine eigenen Angelegenheiten bekümmert, so gut wie Ihr Euch um die Euern, Fitzurse,« antwortete de Bracy ruhig. »Ich mich um meine? Für den Prinzen Johann bin ich tätig gewesen, für unseren beiderseitigen Gönner.« »Als wenn Ihr dabei etwas anders als die Förderung Euers eigenen Vorteils im Auge hättet!« sagte der andere. »Geht doch, Fitzurse, wir kennen einander. – Ihr trachtet nach Ehre, ich gehe nur der Lust nach. So entspricht es auch unserm verschiedenen Alter. Vom Prinzen Johann denkt Ihr eben nicht besser als ich. Er ist zu schwach, um einen energischen Herrscher abzugeben, und zu tyrannisch, um ein erträglicher Herrscher zu werden, und zu unverschämt und anmaßend, um ein populärer Herrscher zu sein, und zu feige und wankelmütig, um überhaupt lange Herrscher sein zu können. – Allein er ist der Herrscher, durch den Fitzurse und Bracy in die Höhe kommen können, und deshalb stehen wir beide ihm bei – Ihr mit Eurer Klugheit und ich mit meiner Freiwilligenschar.« »Ihr seid mir ein netter Helfershelfer!« rief Fitzurse ungeduldig. »Wenn die Not am größten ist, da spielt Ihr den Narren. Was zum Teufel bezweckt Ihr zu einem so kritischen Zeitpunkt mit solcher Verkleidung?« »Ich will auf die Freite gehen,« sagte de Bracy kalt. »In dieser Verkleidung will ich über die Herde sächsischer Ochsen herfallen, die in dieser Nacht das Schloß verläßt, und will ihnen die liebenswürdige Rowena rauben.« »Seid Ihr toll?« rief Fitzurse. »Wenn diese Männer auch Sachsen sind, so bleiben sie doch deshalb reiche und mächtige Personen, die bei ihren Landsleuten um so mehr in Ehren stehen, als Reichtum und Macht bei den Sachsen jetzt sehr selten sind.« »Und von Rechts wegen auch gar nicht mehr vorkommen sollten,« setzte de Bracy hinzu, »damit die Eroberung vollständig würde.« »Das ist jetzt noch nicht an der Zeit,« antwortete Fitzurse. »Bei der bevorstehenden Krise ist uns die Gunst des großen Haufens unentbehrlich, und Prinz Johann muss allen denen, die von seinen Günstlingen Unbilden erfahren, zu ihrem Rechte verhelfen.« »Mag er's, wenn er den Mut hat!« versetzte Bracy, »er wird bald spüren, was es für ein Unterschied ist, ob man von einer Schar tapferer Speere oder von einem blutlosen Sachsenpöbel unterstützt wird. Auch habe ich mich dagegen gesichert, dass mein Anschlag so frühzeitig entdeckt wird. Sehe ich in dieser Tracht nicht so kühn aus wie je ein Förster, der ins Horn stieß? – Die Schuld an dieser Gewalttat fällt auf die Geächteten in den Wäldern von Yorkshire. Welches Weges die Sachsen ziehen, habe ich sicher ausgekundschaftet. In dieser Nacht sind sie im Kloster Sankt Withold zu Obdach. Tags darauf kommen wir hinter ihnen her und schießen wie die Falken in sie hinein. Kurz darauf erscheine ich in meiner wahren Gestalt, befreie die trostlose Schöne aus rohen Räuberhänden und führe sie als artiger Ritter auf Front-de-Boeufs Schloß oder, wenns nötig ist, nach der Normandie. Ihre Sippschaft bekommt sie nicht eher wieder zu sehen, als bis sie die Braut oder Gemahlin von Moritz de Bracy ist.« »Ein erstaunlich pfiffiger Plan,« sagte Fitzurse, »scheint auch nicht ganz Euers eigenen Geistes Erzeugnis. – Wohlan, Bracy, seid aufrichtig! Wer hat Euch dieses Komplott schmieden helfen und wer will es Euch ausführen helfen, denn mir scheint, Eure Bande liegt nicht weit von York?« »Wenn Ihrs denn durchaus wissen müßt,« antwortete de Bracy, »der Templer Brian de Bois-Guilbert hat den Plan ausgeheckt, und er will mir bei der Ausführung behilflich sein, er und sein Gefolge stellen die Räuber dar, aus deren Gewalt mein tapferer Arm die Dame befreien soll.« »Meiner Treu, der Plan macht Eurer beiderseitigen Weisheit Ehre, und Ihr selber, Bracy, gebt den besten Beweis für Eure Schlauheit damit, daß Ihr die Schöne in den Händen Eures Helferhelfers lassen wollt. Ihren sächsischen Freunden könnt Ihr sie leicht wegschnappen, wie aber wollt Ihr sie nachher den Klauen Bois-Guilberts wieder entreißen? Das scheint mir doch bedeutend schwieriger. – Er ist ein Falke, der es heraus hat, auf ein Rebhuhn zu stoßen und seine Beute festzuhalten.« »Er ist ein Templer,« versetzte de Bracy, »und deshalb kann er nicht mit mir um die Hand dieser Erbin streiten, noch überhaupt etwas Schändliches gegen die zukünftige Braut Bracys vornehmen. Beim Himmel! Und wäre er der ganze Orden in einer Person, eine solche Beleidigung dürfte er nicht wagen.« »Weil Euch denn doch nichts,« erwiderte Fitzurse, »diesen Blödsinn aus dem Kopfe treiben kann, was ich auch sagen mag – denn ich weiß, was für einen harten Schädel Ihr habt – so haltet Euch wenigstens nach Möglichkeit dazu, damit Eure Torheit nicht ebenso störend wirkt, wie sie zur Unzeit kommt.« »Ich sage Euch doch,« antwortete Bracy, »in ein paar Stunden ist es getan. Dann bin ich in York an der Spitze meiner kühnen und tapferen Schar bereit, mich an jedem Vorgehen zu beteiligen, soweit es mit meiner Klugheit vereinbar ist. – Doch ich höre, daß sich meine Genossen im Hofe sammeln. Schon stampfen und wiehern die Pferde. Lebt wohl! Ich ziehe aus wie ein echter Ritter, meiner Schönen ein Lächeln abzugewinnen!« Waldemar Fitzurse sah ihm nach. »Wie ein echter Ritter?« wiederholte er. »Wie ein echter und rechter Narr, oder wie ein Kind, das vom notwendigsten und ernstesten Tun abläßt, um einer Distel nachzuhaschen, die der Wind an ihm vorübertreibt. Und mit solchen Werkzeugen muß ich arbeiten, und für wen? Für einen ebenso unklugen wie ausschweifenden Prinzen, der leicht ein so undankbarer Herr sein kann, wie er ein rebellischer Sohn und unnatürlicher Bruder war. – Doch er, er selber ist ja nur eines von meinen Werkzeugen, und wenn er noch so stolz ist, sollte es ihm jemals einfallen, seinen Vorteil zu suchen und meinen dabei außer acht zu lassen, so will ich ihm die Augen öffnen.« Der Staatsmann wurde in seinen Betrachtungen unterbrochen durch die Stimme des Prinzen, der ihn aus einem an den Saal anstoßenden kleineren Gemach zu sich rief. Die Mütze in der Hand ging der künftige Kanzler (denn nach diesem Amte trachtete der listige Normanne) zu seinem künftigen Souverän, neue Befehle zu empfangen. Vierzehntes Kapitel Der Leser wird sich erinnern, daß das Turnier hauptsächlich durch die Kühnheit eines unbekannten Ritters entschieden worden war, den das Publikum wegen seines gleichgültigen und gelassenen Wesens Le Noir-Fainéant genannt hatte. Als der Sieg entschieden war, hatte dieser Ritter plötzlich den Kampfplatz verlassen, und als er durch Trompetenstoß gerufen wurde, um den Lohn seiner Tapferkeit zu empfangen, war er nirgends zu finden. Der Ritter hatte sich nordwärts gewendet und alle betretenen Pfade vermeidend, den kürzesten Weg durch den dichten Forst eingeschlagen. In einer kleinen Herberge übernachtete er. Sie lag abseits von der Heerstraße, er erhielt aber Kunde von dem Ausgange des Turniers durch einen fahrenden Sänger. Früh am kommenden Morgen brach der Ritter auf, denn er gedachte eine weite Reise zu tun. Er hatte sein Pferd geschont, so daß es dazu gut imstande war und nicht oft der Ruhe bedurfte. Allein sein Plan scheiterte an den verschlungenen Pfaden, die er einschlug, und als der Abend hereinbrach, befand er sich noch immer im Westen von Yorkshire. Mann und Pferde bedurften der Erquickung, und es war Zeit, sich nach einem Nachtlager umzusehen, denn es dämmerte schon. Die Stätte, wo sich der Reiter grade befand, bot ihm wenig Aussicht auf Obdach und Erfrischung, und es schien ihm nichts anderes übrigzubleiben, als es wie die fahrenden Ritter zu machen, die ihr Pferd im Walde grasen lassen, sich selbst aber auf einen Baumstamm hinstrecken, um süßen Gedanken an die Dame ihres Herzens nachzuhängen. Allein entweder hatte der schwarze Ritter kein Liebchen oder er war in Sachen der Minne ebenso kaltblütig wie im Kampfe und konnte deshalb keine Betrachtungen über der Allerliebsten Schönheit und Grausamkeit anstellen, die ihn vielleicht dermaßen in Anspruch hätten nehmen mögen, daß er Hunger und Ermattung und den Mangel eines Bettes und Nachtmahles darüber vergessen hätte. Sein Mißbehagen wuchs noch, als er sich rings von Wäldern umschlossen sah, die zwar von Gestellen und Pfaden durchquert waren, doch nur für die zahlreichen Viehherden, die hier zur Weide gingen, und für das Wild und seine Jäger gebahnt zu sein schienen. Die Sonne, die der einzige Wegweiser des Reiters gewesen war, ging jetzt hinter den Hügeln von Derbyshire zur Küste, und bei jedem Versuch, seine Reise fortzusetzen, konnte er sich ebensogut verirren wie vorwärts kommen. Nachdem er vergebens versucht hatte, den am meisten ausgetretenen Pfad zu verfolgen, in der Hoffnung, auf ihm zur Hütte eines Bauern oder eines einsamen Waldhüters zu gelangen, und nachdem er sich klar darüber geworden war, daß er auch nicht aufs Geratewohl weiterreiten konnte, entschloß er sich, der Klugheit seines Pferdes zu vertrauen, denn die Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß diese Tiere einen wunderbaren Instinkt besitzen, sich und ihren Reitern aus derartigen mißlichen Lagen herauszuhelfen. Und kaum merkte das gute Pferd, das von der langen Reise unter einem Ritter in voller Rüstung erschöpft war, an den lockeren Zügeln, daß es sich selber überlassen war, so wachten Kraft und Mut frisch in ihm auf. Vorher hatte es jeden Druck der Sporen mit einem Ächzen beantwortet, jetzt aber, stolz über das ihm erwiesene Vertrauen, spitzte es die Ohren und fiel in eine flottere Gangart. Dabei schlug es einen Pfad ein, der von dem bisher vom Ritter verfolgten Weg abbog, er ließ es aber traben. Es zeigte sich, daß er recht daran tat, denn kurz darauf erweiterte sich der Fußpfad zu einem anscheinend mehr begangenen Wege – und der Klang eines Glöckchens ließ den Ritter vermuten, daß eine Kapelle oder Einsiedelei in der Nähe wäre. Er langte denn auch bald an einer Lichtung an, die von einem jäh aus heiterer Ebene aufsteigenden Felsen begrenzt wurde, der dem Reisenden die graue verwitterte Stirn wies. An manchen Stellen bekleidete Efeu die Wände, an anderen standen Eichen und Gestrüpp, deren Wurzeln in den Felsspalten Nahrung fanden. Wie ein Federbusch über dem Helme eines Kriegers, also die Anmut dem Schrecken anschmiegend, wehte das Grün über dem Abgrunde. Am Fuße des Felsens und an ihn gelehnt, lag eine rauhe, aus Baumstämmen des Forstes gezimmerte Hütte, deren Fugen, zum Schutze gegen das Wetter, mit Moos und Lehm verstopft waren. Davor stellte der Stamm einer jungen Fichte, des Astwerkes beraubt, ein rohes Sinnbild des heiligen Kreuzes dar. Ein Stück seitab nach rechts floß ein Quell des reinsten Wassers aus dem Felsen, das in einem zu einem Becken geformten Steine aufgefangen wurde und dann in einem ausgehöhlten Kanal rauschend sich im Walde verlierend zu Tal floß. Neben dieser Quelle standen die Ruinen einer kleinen Kapelle, deren Dach schon halb verfallen war. Als das Häuslein noch völlig erhalten war, hatte es sechzehn Fuß in der Höhe und zwölf in der Breite gehabt. Das im Verhältnis niedrige Dach war von vier ineinanderlaufenden Bogen gestützt, die an den vier Ecken des Gebäudes aufstiegen und deren jeder auf einem kurzen starken Pfeiler ruhte. Von zweien dieser Bogen waren die Rippen stehengeblieben, obgleich das Dach zwischen ihnen eingesunken war, das über den anderen noch unversehrt war. Der Zugang zu dieser viele Jahre alten Stätte der Andacht lag unter einem niedrigen, runden Bogen, der mit einer Reihe jener gezackten Spitzen verziert war, die den Haifischzähnen gleichen und sich oft an alten sächsischen Kirchen vorfinden. Über dem Vorhofe ragte ein auf vier schmalen Pfeilern errichteter Glockenstuhl empor. Darin hing ein mit Grünspan überzogenes, verwittertes Glöcklein, dessen schwache Klänge der schwarze Ritter soeben vernommen hatte. Das ganze ruhig-friedliche Bild lag im Zwielicht schimmernd vor den Augen des fahrenden Ritters und verhieß ihm ein Obdach für die Nacht, denn eine der ersten Pflichten solcher im Walde hausender Einsiedler war die Gastlichkeit gegen verirrte und verspätete Wanderer. Der Ritter vergeudete daher nicht die Zeit mit der Betrachtung all dieser Einzelheiten, sondern dankte dem heiligen Julian, dem Schutzpatron der Reisenden, für die ihm so gewiesene Herberge, dann sprang er vom Pferde und klopfte mit dem Ende seiner Lanze an die Pforte der Einsiedelei, um Einlaß zu begehren. Aber es dauerte ein ganzes Weilchen, bis eine Antwort kam, und die dann kam, lautete auch noch abweisend. »Zieh vorüber, wer du auch seiest,« rief eine tiefe, rauhe Stimme aus der Hütte. »Störe nicht den Diener Gottes und des heiligen Dunstan in seiner Abendandacht.« »Würdiger Vater,« entgegnete der Ritter, »ein armer Wanderer, der sich in den Wäldern verirrt hat, gibt dir Gelegenheit, deine Barmherzigkeit und Gastfreundschaft zu betätigen.« »Guter Bruder,« erwiderte der Insasse der Einsiedelei, »es hat unserer lieben Frauen und dem heiligen Dunstan gefallen, mich eher selber solcher Barmherzigkeit bedürftig zu machen, als daß ich sie irgendwem erweisen könnte. Ich habe keine Speise hier, die auch nur ein Hund mit mir teilen möchte, und selbst ein Pferd, das gute Behandlung gewöhnt ist, würde meine Lagerstatt verschmähen. Zieh denn deines Weges weiter und Gott geleite dich.« »Wie soll es aber möglich sein,« wandte der Ritter ein, »daß ich mich durch einen so dichten und dunkeln Wald zurechtfinden soll? Ich bitte Euch, ehrwürdiger Vater, wenn Ihr ein Christ seid, so macht auf und bringt mich wenigstens auf den richtigen Weg.« »Und ich, guter Bruder in Christo,« war die Antwort des Anachoreten, »bitte Euch, störet mich nicht länger. Schon habt Ihr ein Paternoster, zwei Aves und ein Credo unterbrochen, die ich armer Sünder meinem Gelübde nach schon vor Mondaufgang hätte beten müssen.« »Den Weg, den Weg!« rief der Ritter nun etwas ungestüm, »wenn ich mich von dir keines weiteren Entgegenkommens zu versehen habe.« »Der Weg,« versetzte der Eremit, »ist leicht zu finden. Dieser Pfad führt aus dem Walde heraus zu einem Morast und weiterhin zu einer Furt, Ihr werdet sie jetzt begehen können, denn der Regen hat nachgelassen. Wenn Ihr durch die Furt hindurch seid, so haltet Euch am linken Ufer und seht Euch vor, denn es ist da steil, und der am Abgrund über dem Flusse hinführende Steg ist, wie ich neulich gehört habe, an mehreren Stellen eingestürzt. Von da ab braucht Ihr nur geradeaus zu reiten.« »Ein eingestürzter Steg – ein Abgrund – eine Furt und ein Morast!« unterbrach ihn der Ritter. »Nein, Herr Einsiedler! Und wäret Ihr der Heiligste, der je einen Bart getragen oder Gebete gesprochen hat, Ihr sollt mich nicht beschwatzen, daß ich in dieser Nacht noch solch einen Weg reite. Ich sage dir, der du von der Barmherzigkeit in dieser Gegend lebst, die du mir schlecht zu verdienen scheinst, – ich sage dir, du hast kein Recht, dem Wanderer in der Not eine Zuflucht zu versagen. Mach auf der Stelle auf, sonst, bei dem heiligen Kreuz, schlag ich dir die Tür ein und erzwinge mir den Eingang.« »Guter Wanderer,« entgegnete der Eremit, »sei nicht unverschämt. Wenn du mich zwingst, zu meiner Verteidigung weltliche Waffen zu benutzen, so wirst du schlecht dabei fahren!« Und während er so sprach, ließ sich ein Heulen und Knurren vernehmen, aus dem der Ritter schloß, daß der Einsiedler, über die Drohung des Ritters erschrocken, seine Hunde herbeigerufen hatte. Aufgebracht über ein so ungastliches Benehmen des Eremiten, hob der Ritter den Fuß und stieß so ungestüm gegen die Tür, daß sie in ihren Pfosten bebte. Der Anachoret, der seine Tür nicht einem zweiten so wuchtigen Stoß aussetzen wollte, rief jetzt laut: »Geduld, Geduld! Spare deine Kraft, guter Wanderer. Ich mache schon auf, obgleich du wenig Freude daran haben wirst.« Nun wurde die Tür geöffnet, und der Eremit, ein stattlicher, kraftvoll gebauter Mann, in einer Kutte mit Kapuze, einen Strick von Binsen um den Leib, stand vor dem Ritter. In der einen Hand hielt er eine brennende Fackel, in der anderen einen Knüttel vom wilden Apfelbaum, der so dick und wuchtig war, daß man ihn wohl eine Keule hätte nennen können. Zwei große, zottige Hunde, halb Windhund, halb Bullenbeißer, standen neben ihm, bereit, über den Wanderer herzufallen, sobald die Tür geöffnet wurde. Als aber das Licht der Fackel auf die Rüstung des draußen stehenden Ritters fiel, änderte der Eremit seine Absicht, hielt seine Verbündeten zurück, redete den Ritter im Tone bäuerischer Höflichkeit an und bat ihn, einzutreten, entschuldigte seine Angefälligkeit damit, daß soviel Räuber und Geächtete in der Gegend ihr Wesen trieben und daß dieses Gesindel weder den heiligen Dunstan noch die heilige Jungfrau und noch weniger die heiligen Männer, die ihr Dasein dem heiligen Dienste widmeten, zu respektieren pflegte. Der Ritter sah sich um. Er entdeckte nichts als ein Lager von Laub, ein hölzernes Kruzifix, das aus Eichenholz grob geschnitzt war, und einiges ebenso grobes Gerät. »Die Armut Eurer Zelle, guter Vater,« sagte er, »sollte Euch hinlängliche Gewähr sein gegen die Angriffe von Dieben, ganz zu schweigen von den beiden gewaltigen Hunden, die groß und stark genug sind, einen Hirsch niederzuwerfen, und es mit mehreren Männern zugleich aufnehmen können.« »Der Waldhüter,« antwortete der Eremit, »hat mir diese Hunde zum Schutze für meine Einsamkeit überlassen, bis die Zeiten besser werden.« Nach diesen Worten steckte er die Fackel in ein Stück gedrehtes Eisen, das ihm als Leuchter diente, setzte den eichenen Tisch an den Herd, legte etwas trockenes Holz an, schob einen Stuhl an den Tisch und forderte den Ritter auf, ein gleiches zu tun. Sie setzten sich und betrachteten einander eingehend, und ein jeder mochte wohl bei sich denken, daß er selten eine kräftigere Athletengestalt gesehen hatte, als ihm jetzt gegenübersaß. »Ehrwürdiger Einsiedler,« begann der Ritter, nachdem er ihn lange und unverwandt angeschaut hatte, »wenn ich Euch in Eurer Andacht nicht störe, so hätte ich gern dreierlei von Euch erfahren. Erstens: wo soll ich mein Pferd hinstellen? Zweitens: was kann ich zum Abend zu essen bekommen? Drittens: wo kann ich diese Nacht schlafen?« »Darauf werden meine Finger Euch die Antwort geben,« versetzte der Einsiedler, »denn meine Ordensgesetze verbieten mir zu sprechen, wo ich mit Zeichen auskommen kann.« Und mit diesen Worten deutete er nacheinander auf die beiden Winkel der Hütte. »Dort Euer Stall, dort Euer Bett,« besagte diese Gebärde. Dann nahm er eine Schüssel getrockneter Erbsen vom nahen Simse herab und stellte sie auf den Tisch. »Und hier Euer Abendessen,« bedeutete das. Der Ritter zuckte die Achseln und ging hinaus, um sein Pferd hereinzuholen, das er mittlerweile an einen Baum gebunden hatte. Er sattelte es sorgsam ab und breitete seinen eigenen Mantel über den Rücken des müden Tieres. Der Einsiedler schien angenehm berührt von der Fürsorge und Geschicklichkeit des Fremdlings. Er murmelte etwas von Futter, das für den Klepper des Waldhüters noch da wäre, holte eine Schütte Stroh herbei und breitete einen Haufen Farrenkraut in der Ecke aus, wo sich der Ritter zur Nacht hinstrecken sollte. Der Ritter dankte ihm für die Höflichkeit, und nachdem so jeder seine Schuldigkeit getan hatte, setzten sie sich wieder an den Tisch. Zwischen ihnen stand die Schüssel Erbsen, und der Eremit sprach ein langes Gebet in verderbtem Latein. Dann ging er seinem Gaste mit gutem Beispiel voran und schob bescheiden ein paar Erbsen in seinen ziemlich großen Mund mit prächtigen Zähnen, die es an Weiße und Schärfe mit denen eines Ebers aufnehmen konnten. Die Erbsen waren freilich ein schlechtes Korn für solche Mühle. Der Ritter folgte dem so löblichen Beispiel, nachdem er den Helm und den Küraß und den größten Teil seiner Rüstung abgelegt hatte. Er zeigte dem Eremiten sein Haupt, das von vollem blonden Haar umlockt war. Er hatte Züge, die man wohl erhaben nennen konnte, blaue, klare und leuchtende Augen, einen edelgeschnittenen Mund, dessen Oberlippe von einem kleinen Bart von dunklerer Farbe als das Haupthaar geziert war. Sein ganzes Äußere ließ erkennen, daß man in ihm einen kühnen, mächtigen und unternehmenden Mann vor sich hatte, zu dessen Geist die gigantische Gestalt trefflich paßte. Wie um das Vertrauen seines Gastes zu erwidern, zog der Einsiedler die Kutte ab und zeigte das kugelrunde Gesicht eines Mannes in der Blüte der Jahre. Sein geschorener Kopf, den ein Kranz dicken, schwarzen Haares umschloß, sah aus wie eine von hohen Hecken umgebene Wiese. Seine Züge hatten keine mönchische Strenge, noch weniger lag in ihnen asketische Entsagung. Es war vielmehr ein kühnes, trotziges Gesicht mit breiten schwarzen Augenbrauen, einer wohlgeformten Stirn und den roten runden Backen eines Posaunenengels. Er hatte einen langen, krausen schwarzen Bart. Ein solches Gesicht und solcher Körperbau sahen eher danach aus, als seien sie bei Braten und anderer kräftiger Kost herangediehen, nicht aber bei Erbsen und trockenem Gemüse. Dieser Kontrast entging dem Gaste nicht, der eben mit ziemlicher Anstrengung einen Mund voll getrockneter Erbsen zerkaut hatte und nun seinen frommen Wirt um einen Trunk bat. Der erfüllte die Bitte alsobald, indem er einen Krug voll des reinsten Quellwassers vor ihn hinstellte. »Es ist aus der Quelle des heiligen Dunstan,« sagte der Eremit. »In ihr hat er von einem Sonnenaufgang zum andern fünfhundert Dänen und Briten getauft. Gepriesen sei sein Name!« »Mir scheint, ehrwürdiger Vater,« sagte der Ritter, »die schmale Kost, die Ihr genießt, und dieses heilige, wenn auch etwas dünne Getränk wirken an Euch Wunder. Ihr kommt mir vor wie ein Mann, dessen Sache es eher wäre, in einem Ringspiele oder Stockkampfe den Preis zu gewinnen, als in dieser einsamen Ödenei die Zeit mit Gebeten zu vergeuden und von getrockneten Erbsen und kaltem Wasser zu leben.« »Herr Ritter,« erwiderte der Einsiedler, »Eure Gedanken gehen wie die eines unwissenden Laien aufs fleischliche. Es hat unserer lieben Frau und meinem Schutzheiligen gefallen, meine karge Nahrung zu segnen, wie den Kindern Sadrach, Meschheg und Abednego Hülsenfrüchte und Wasser gesegnet wurden, als sie sie den köstlichen Gerichten vorzogen, die ihnen die Könige der Sarazenen anboten.« »Heiliger Vater, an dessen Leibe der Himmel solch Wunder tut,« sagte der Ritter, »erlaubt einem sündhaften Laien nach Euerm Namen zu fragen.« »Ihr mögt mich,« war die Antwort, »den Mönch von Copmanhurst nennen, denn so heißen sie mich hierherum. Manche fügen das Beiwort heilig hinzu, aber ich lege keinen großen Wert darauf, weil ich fühle, daß ich dessen nicht würdig bin. Und nun, tapferer Ritter, nennt mir auch den Namen meines ehrenwerten Gastes.« »Die Leute nennen mich hierherum,« erwiderte der Ritter, »den schwarzen Ritter, manche fügen hinzu: der Faulpelz, aber ich lege darauf auch keinen Wert.« Der Eremit vermochte sich bei dieser Antwort seines Gastes nicht des Lachens zu enthalten. »Ich sehe, Herr Faulpelz,« erwiderte er, »Ihr seid ein kluger, verständiger Mann, und ich sehe ferner, meine karge Mönchskost behagt Euch nicht. Ihr seid wahrscheinlich von den Höfen und Feldlagern etwas Besseres gewöhnt, und nun fällt mir auch ein: als mir der liebe Waldhüter die Hunde hier zu meinem Schutze überließ, hat er mir auch ein wenig Speise dagelassen, da ich ihrer bei meinen wichtigen Betrachtungen nicht bedarf, hatte ich ihrer ganz vergessen.« »Heiliger Mönch,« antwortete der Ritter, »als Ihr Eure Kapuze abnahmt, hätte ich darauf schwören können, daß bessere Kost in Eurer Hütte sei. – Euer Waldhüter ist doch ein guter Kerl. Aber wer Euer Gebiß sieht und zugucken muß, wie es sich mit solchen Erbsen quält, und wer sich Eure volle Kehle mit so ungeistigem Getränke benetzen sieht, fürwahr, dem muß es unerträglich sein, Euch zu solcher Speise und Trank für Gäule« – bei diesen Worten deutete er noch auf den auf dem Tische stehenden Vorrat – »verurteilt zu sehen, und er wird nicht anders können, als Eure Kost zu verbessern. Wir wollen doch mal gleich sehen, was hierin die Güte des Waldhüters geleistet hat.« Der Mönch warf dem Ritter einen ernsten Blick zu. Sein Zaudern, als wisse er noch nicht recht, ob er seinem Gaste trauen sollte, machte einen komischen Eindruck. Aber in den Zügen des Ritters lag der offenste Freimut, den je ein Gesicht ausgedrückt hat. Sein Lächeln war so unwiderstehlich launig und bekundete so große Redlichkeit und Rechtlichkeit, daß sein Wirt sich auf der Stelle eines Herzens mit ihm fühlte. Der Mönch ging daher nach dem entlegenen Teile der Hütte und machte hier eine Türe auf, die ganz versteckt angebracht und kunstvoll maskiert war. Aus einer dunkeln Kammer brachte er eine große Pastete auf einer unförmig breiten Schüssel herbei. Diese mächtige Speise setzte er seinem Gaste vor, der ohne Zögern den Dolch zog und dem Fleischklumpen energisch zu Leibe ging. »Wie lange ist es her, daß der gute Waldhüter hier war?« fragte er, nachdem er in aller Eile ein paar Bissen verschlungen hatte. »Zwei Monate etwa,« erwiderte der Einsiedler hastig. »Beim Himmel!« rief der Ritter, »in Eurer Einsiedelei ist alles eitel Wunder! Ich hätte wetten mögen, daß der feiste Rehbock, der den Inhalt dieser Pastete hergegeben hat, in dieser Woche noch auf seinen vier Beinen herumgelaufen ist.« Der Eremit geriet über diese Worte ein wenig in Verwirrung, auch schnitt er eine sehr trübselige Miene, als er seinen Gast so gewaltig in seine Pastete einhauen sah – eine gar verlockende Tätigkeit, an der er sich doch nicht beteiligen konnte wegen der soeben noch vorgeschützten Enthaltsamkeit. »Herr Mönch,« sagte der Ritter, indem er plötzlich mit Essen innehielt, »ich bin in Palästina gewesen, und da fällt mir ein, es besteht dort die Sitte, daß jeder, der einen Gast bewirtet, die Speise mit ihm teilt, um ihn davon zu überzeugen, daß die Speise unschädlich ist. Es sei nun zwar ferne von mir, einem heiligen Manne mit solchem Verdacht nahezutreten, aber ich wäre Euch doch sehr dankbar, wenn Ihr diesen morgenländischen Brauch mitmachen wolltet.« »Um Eure unangebrachten Bedenklichkeiten zu beseitigen,« versetzte der Eremit, »will ich diesmal von meiner Regel abweichen.« Und da es zu jener Zeit noch keine Gabeln gab, griff er ohne weitere Umstände mit beiden Fäusten in die Pastete hinein. – Das Eis war nun gebrochen, und Wirt und Gast schienen miteinander zu wetteifern, wer den besseren Appetit zeigen würde. Obwohl der letztere wohl die längere Zeit gefastet hatte, tat es ihm der erstere doch zuvor. »Heiliger Mönch,« sagte der Ritter, als er seinen Hunger gestillt hatte, »ich wette mein gutes Pferd gegen eine Zechine, daß eben der biedere Waldhüter, dem wir das Wildbret verdanken, Euch auch einen Schluck Wein oder einen Rest Sekt dagelassen hat, die zu dieser Pastete passen. Das sind nun freilich Dinge, die es ganz und gar nicht verdienen, daß sich das Gedächtnis eines strengen Anachoreten mit ihnen befasse. Aber denkt doch mal ein wenig nach, und ich bin überzeugt, Ihr werdet finden, daß ich recht habe.« Der Eremit lächelte nur. Er ging noch einmal nach der geheimen Zelle und brachte eine lederne Flasche hervor, die wohl vier Quart fassen mochte, und zwei Trinkschalen aus dem Horn des Auerochsen mit Silbereinfassung. Als er diese Anstalten, das Nachtmahl hinunterzuspülen, getroffen hatte, meinte er, allen Zwang nunmehr ablegen zu dürfen, füllte beide Becher und rief auf sächsisch: »Euer Wohl, Herr Faulpelz!« und leerte seinen Becher auf einen Zug. – »Euer Wohl, heiliger Mönch von Copmanhurst!« antwortete der Kriegsmann und tat seinem Wirt auf dieselbe Weise Bescheid. »Heiliger Mann,« sagte der Ritter, nachdem der erste Becher getrunken war, »es wundert mich in hohem Maße, daß sich ein Mann von so gewaltigen Sehnen und Knochen, wie Ihr, in eine solche Wildnis vergraben kann. Meiner Meinung nach habt Ihr mehr Geschick, ein Schloß oder eine Festung zu verteidigen, gut zu essen und tüchtig zu trinken, als hier von Hülsenfrüchten und Wasser und der Mildtätigkeit des Waldhüters Euer Dasein zu fristen. Wenigstens wüßte ich mich an Eurer Stelle mit dem herrschaftlichen Wild schon zu versorgen, es läuft ja herdenweis herum, und wenn sich der Kaplan des heiligen Dunstan einmal einen Rehbock fängt, so wird das nichts weiter ausmachen.« »Herr Faulpelz,« entgegnete der Einsiedler, »dies sind gefährliche Worte, und ich bitte Euch, seid davon still, ich bin ein Eremit, der dem König und seinen Gesetzen treu ist, und wenn ich meines Lehnsherrn Wild stehlen wollte, so käme ich sicherlich ins Gefängnis, und selbst meine Kutte würde mich nicht vor dem Henker schützen.« »Davon abgesehen,« antwortete der Ritter. »Wenn ich in Eurer Lage wäre, so ginge ich beim Mondschein umher, wenn der Förster und die Hüter in ihren warmen Betten liegen, und dann und wann so zwischen einem Gebete durch ließ ich meinen Pfeil auf die Herden von Wild los, die auf den Lichtungen im Walde äsen. – Sagt mir, heiliger Mann, habt Ihr nicht dann und wann solchen Zeitvertreib geübt?« »Freund Faulpelz,« versetzte der Mönch. »Ihr habt in meinem Haushalt alles gesehen, was Euch angeht, und mehr noch, als einer verdient, der sich mit Gewalt Quartier verschafft. Aber glaubt mir, es ist besser, Ihr genießet, was Euch Gott bietet, und forscht lieber nicht neugierig nach, von wannen es kommt. Gießt Euern Becher voll, und seid mir willkommen, aber nötigt mich nicht durch fernere Zudringlichkeiten, daß ich Euch zeigen muß, daß Ihr nie in meine Behausung hineingekommen wäret, wenn ich Euch ernstlich Widerstand geboten hätte.« »Meiner Treu,« entgegnete der Ritter, »Ihr macht mich neugieriger als je. Ihr seid der schnurrigste Eremit, der mir je begegnet ist, und ich will Euch noch genauer kennen lernen, ehe ich wieder gehe. Was aber Eure Drohung anbetrifft, so wisset, Ihr sprecht zu einem, dessen Amt es ist, Gefahren aufzusuchen, wo sie sich auch immer finden lassen.« »Ich trinke Euch zu, Herr Faulpelz!« sagte der Mönch, »und achte Eure Tapferkeit, doch von Eurer Verschwiegenheit halte ich nicht viel. Wenn Ihr Euch aber mit gleicher Waffe mit mir messen wollt, so will ich Euch in aller Freundschaft so zulängliche Absolution zukommen lassen, daß Ihr für das nächste Jahr die Sünde übermäßiger Neugierde nicht wieder begehen sollt. – Was sagt Ihr zu diesem Spielzeug?« Mit diesen Worten öffnete er eine andere Nische im Felsen und holte ein paar breite Schwerter und Schilde hervor, wie sie damals bei den Yeomen gebräuchlich waren. Der Ritter, der seinen Bewegungen folgte, sah, daß in diesem geheimen Winkel noch ein paar lange Bogen, eine Armbrust Pfeile und Bolzen verborgen waren. Eine Harfe und noch andere Dinge von recht unheiligem Charakter waren desgleichen darin enthalten. »Ich verspreche Euch, Bruder Mönch,« sagte der Ritter, »ich will keine weiteren verfänglichen Fragen an Euch richten – dieser Wandschrank gibt mir auf alle meine Fragen ausgiebige Antwort, und ich sehe hier eine Waffe« – er trat herzu und nahm die Harfe heraus – »auf der ich lieber meine Kunst gegen Euch messe, als mit Schwert und Schild.« »Herr Faulpelz,« sagte der Eremit, »Ihr führt den Namen des Faulpelzes sehr mit Unrecht, ich kann Euch nur sagen, Ihr kommt mir gar nicht geheuer vor. Doch Ihr seid einmal mein Gast, so setzt Euch, laßt uns trinken und singen und lustig sein. – Doch vorerst füllt die Schale an. Es wird ein Weilchen dauern, bis die Harfe gestimmt ist, und nichts macht die Stimme geschmeidiger und das Ohr empfindlicher für die Töne, als eine Schale Weins. – Ich für meinen Teil fühle wenigstens gern die Trauben in den Fingerspitzen, ehe ich in die Saiten greife.« Und nun wurde manches frohe Lied gesungen, und die beiden wurden immer vergnügter, bis plötzlich ihre muntere Unterhaltung gestört wurde – es pochte laut und dringlich an die Tür. Die Ursache dieser Störung läßt sich nur erklären, wenn wir zu den anderen Personen unserer Erzählung zurückkehren. Fünfzehntes Kapitel Als Cedric der Sachse seinen Sohn in den Schranken zu Ashby niederfallen sah, wollte er in seinem ersten Aufwallen befehlen, daß sich seine eigenen Diener seiner annehmen sollten, aber er brachte die Worte nicht über die Lippen. Er vermochte es nicht über sich zu gewinnen, den Sohn, den er enterbt und verstoßen hatte, vor einer solchen Versammlung anzuerkennen. Er befahl aber doch seinem Haushofmeister Oswald, ein Auge auf ihn zu haben und, wenn sich erst die Menge zerstreut hätte, Ivanhoe mit zweien von seinen Leibeigenen nach Ashby bringen zu lassen. Aber zu diesem Dienste kam Oswald zu spät. Als sich die Menge zerstreut hatte, war auch der Ritter verschwunden. Vergebens hielt Cedric's Mundschenk nach seinem jungen Herrn Umschau. Wohl sah er den blutigen Fleck, wo er niedergefallen war, aber ihn selber nicht mehr, es war, als hätten ihn Feen entführt. Vielleicht hätte auch Oswald das geglaubt, denn abergläubisch sind die Sachsen alle, hätte er nicht einen Mann in der Tracht eines Knappen erblickt, in dem er auf der Stelle den Schweinehirten Gurth erkannte. Ratlos, was aus seinem Herrn geworden sei, und verzweifelt, daß er so plötzlich verschwunden war, irrte der Hirt umher, seinen Herrn überall suchend und seiner eigenen Sicherheit vergessend. Oswald hielt es für seine Pflicht, Gurth als einen Ausreißer festzunehmen und die Entscheidung über den Fall seinem Herrn zu überlassen. Als sich der Haushofmeister von neuem nach dem Schicksals Ivanhoes erkundigte, erfuhr er von den Umstehenden nur, daß der Ritter von zwei feingekleideten Dienern in eine einer Dame gehörigen Sänfte gehoben und weggetragen worden sei. Oswald entschloß sich, mit dieser Nachricht zu Cedric zurückzukehren, Gurth mit sich nehmend. In Cedric rang der Stoizismus des Patrioten vergebens um die Oberhand, die Natur behauptete ihre Rechte, und der Vater war in großer Angst um seines Sohnes Schicksal. Aber kaum hatte er erfahren, daß Ivanhoe in guter Hut, wahrscheinlich in befreundeten Häusern sei, so wich die durch die Ungewißheit erzeugte Angst dem beleidigten Stolze und der Rachsucht und dem Groll über Wilfrieds Ungehorsam. »Laßt ihn seiner Wege gehen!« rief er. »Mögen die seine Wunden pflegen, um derentwillen er sie empfangen hat. Er taugt besser dazu, an den Gaukelspielen der normännischen Ritterschaft teilzunehmen, als die Ehre und den Ruhm seiner Ahnen mit dem Messer und der Keule, den Waffen der guten alten Zeit, aufrechtzuerhalten.« »Wenn es zur Aufrechterhaltung der Ahnenehre genügt,« sagte Lady Rowena, »weise im Rat und tapfer in Taten zu sein, so herrscht, abgesehen allein von seinem Vater, nur eine Stimme...« »Schweigt, Lady Rowena,« unterbrach sie Cedric, »über diesen einen Punkt will ich nichts von Euch hören. Macht Euch fertig, zum Festessen des Prinzen zu gehen, mit ungewöhnlicher Höflichkeit und Ehrerbietung sind wir eingeladen worden – so sind die hochmütigen Normannen seit dem Unglückstage von Hastings nicht wieder zu uns gewesen. Ich gehe hin, sei es auch nur, um den stolzen Normannen zu zeigen, daß selbst der Verlust eines Sohnes, der sie eben noch tapfer besiegt hat, einen Sachsen nicht niederzudrücken vermag.« »Ich aber gehe nicht mit,« antwortete Rowena, »und ich bitte Euch, bedenkt doch, daß, was Ihr für Mut und Standhaftigkeit haltet, auch leicht Hartherzigkeit genannt werden kann.« »So bleibt daheim, undankbare Lady,« versetzte Cedric, »Ihr seid die Hartherzige in diesem Falle, denn Ihr opfert das Wohl Euers unterdrückten Volkes einer eiteln, unüberlegten Neigung auf! Ich suche den edeln Athelstane auf und gehe mit ihm zu dem Festessen des Prinzen Johann von Anjou.« Und er ging in der Tat zum Bankett, dessen Verlauf dem Leser bereits bekannt ist. Die sächsischen Edelherren begaben sich gleich nach ihrer Rückkehr mit ihrem Gefolge zu Pferde, und inmitten des hierbei entstehenden Wirrwarrs erblickte Cedric zum erstenmal den entlaufenen Gurth. Wie wir wissen, war der Sachse in nicht eben friedlicher Stimmung. Es fehlte nur ein Anlaß, daß er seinen Grimm gegen irgendwen austoben konnte. »Die Ketten!« rief er. »In Ketten mit ihm! Oswald, Hunibert! Ihr Hunde, Ihr Schurken! was laßt Ihr den Buben ungefesselt!« Gurths Gefährten wagten nichts dagegen einzuwenden und banden den armen Burschen mit einem Halfter, dem einzigen Strick, der jetzt zur Verfügung war. Der Schweinehirt ließ es ohne Widerstand geschehen. Er warf nur einen Blick des Vorwurfs auf seinen Herrn und sagte: »Das ist mein Lohn, daß ich Euer Fleisch und Blut mehr liebe als mein eigenes.« »Zu Pferd und vorwärts!« rief Cedric. »Es ist hohe Zeit,« sagte der edle Athelstane. Die Reisenden beeilten sich und trafen noch rechtzeitig im Kloster St. Withold ein. Der Abt, selber aus altem Sachsengeschlecht stammend, empfing die Edelleute mit all der verschwenderischen Gastlichkeit seines Volkes und hielt sie bis zu später oder vielmehr früher Stunde wach. Am andern Morgen entließ sie der freigebige Wirt erst, nachdem er ihnen noch ein reiches Frühstück vorgesetzt hatte. Als die berittene Gesellschaft aus dem Klosterhofe ritt, ereignete sich etwas, das die Sachsen, die am meisten von allen Völkern auf Vorbedeutungen gaben, mit Unruhe erfüllte: Ein großer schwarzer Hund saß nämlich jämmerlich heulend am Tor, als die Kavalkade hindurchritt, und wollte nachher, wild bellend hin und her rennend, sich ihr anschließen. »Die Musik lieb ich nicht, Vater Cedric,« sagte Athelstane, denn bei diesem ehrfurchtsvollen Namen pflegte er ihn zu nennen. – »Meiner Meinung nach tun wir besser,« denn das gute Bier des Abtes schmeckte ihm noch, »wir kehren wieder um und bleiben bei dem Abte bis zum Nachmittag. Es ist nicht gut, daß man reist, wenn einem ein Mönch, ein Hase oder ein Hund über den Weg läuft. Wenigstens soll man dann immer erst noch eine Mahlzeit vorüberlassen.« »Vorwärts!« rief Cedric ungeduldig. »Der Tag ist so wie so schon zu kurz für unsere Reise. Den Köter da erkenne ich wohl! Es ist der Hund meines entlaufenen Sklaven Gurth, ein ebenso unnützer Vagabund wie sein Herr!« Mit diesen Worten hob er sich im Steigbügel, erzürnt über diese Unterbrechung seiner Reise, und schleuderte den Wurfspeer nach dem armen Packan – denn Packan war es wirklich, der seinen Herrn auf seiner heimlichen Fahrt endlich aufgespürt hatte und nun seine helle Freude, daß er ihn wiedergefunden hatte, in so lärmender Weise zu erkennen gab. Der Wurfspieß verwundete das Tier in der Schulter und hätte es fast am Boden festgenagelt. Heulend flüchtete Packan aus den Augen des ergrimmten Thanes. Aber dem armen Gurth stieg das Herz in die Kehle; daß sein treuer Hund also mit Willen hingemordet wurde, das schmerzte ihn weit tiefer als die harte Behandlung, die er selber erlitten hatte. Nachdem er vergebens versucht hatte, mit der Hand an seine Augen zu kommen, sagte er zu Wamba, der sich vor der schlechten Laune seines Herrn zurückgezogen hatte: »Freund Wamba, sei so gut und wisch mir mit dem Zipfel deines Mantels die Augen aus, das Wasser ist mir lästig, und ich bin gefesselt und kann selbst nicht hinlangen.« Wamba erzeigte ihm den erbetenen Dienst, dann ritten beide eine Zeitlang schweigend nebeneinander her. Endlich aber vermochte Gurth nicht länger seine Gefühle zu unterdrücken. »Freund Wamba,« sagte er, »von allen, die so verrückt sind und dem Cedric dienen, bist du der einzige, der ihm seine Verrücktheit angenehm zu machen weiß. Geh daher zu ihm und sag ihm, daß ihm Gurth weder aus Furcht noch aus Liebe länger dienen will. Er kann mir den Kopf abschlagen lassen, mich geißeln lassen, mich mit Ketten beladen lassen, aber fernerhin soll er mich nicht mehr zu Liebe oder Gehorsam zwingen können. Geh also zu ihm, daß sich Gurth, der Sohn Beowulfs, von seinem Dienste lossagt.« »Freilich bin ich nur 'n Narr,« sagte Wamba, »aber ich will mich doch nicht von dir zum Narren halten lassen. Cedric hat noch 'nen Wurfspeer im Gürtel, und du weißt, er verfehlt selten sein Ziel.« »Ich frage nichts danach, ob er mir den Garaus macht,« erwiderte Gurth. »Gestern hat er Wilfried, meinen jungen Herrn, in seinem Blute liegen lassen, und heute hat er vor meinen eigenen Augen das einzige Wesen umgebracht, das mich lieb hat. Das kann ich ihm nimmer vergessen.« »Ich meine,« sagte Wamba, der oft den Friedensstifter im Haushalt machte, »der Herr hat den Packan bloß erschrecken, nicht verwunden wollen. Hast du nicht gesehen, er hob sich im Bügel, als wollte er über das Ziel hinausschießen, und so wärs auch gekommen, wenn Packan nicht in diesem Augenblick in die Höhe gesprungen und so gerade in'n Speer hineingeraten wär. Aber für einen Pfennig Teer macht die Wunde wieder heil.« »Wenn das wahr wäre!« erwiderte Gurth. »Wenn ich das glauben könnte! Aber nein! ich hab's ja gesehen, der Wurfspeer saß gut. Ich sah ihn durch die Luft schwirren mit all der Bosheit dessen, der ihn schleuderte. Als er in der Erde steckte, zitterte er noch aus Wut, daß er sein Ziel nicht ganz getroffen hatte. Beim heiligen Anton, in diesem Dienste bleibe ich nicht.« Und der Schweinehirt versank in sein voriges Schweigen, aus dem ihn der Narr nicht wieder aufzurütteln vermochte. Inzwischen hatten Cedric und Athelstane ein eifriges Gespräch über die Zustände des Landes geführt, über die Zwistigkeiten in der königlichen Familie, über die Fehden und Uneinigkeiten unter den normannischen Adeligen und über die Möglichkeit, daß sich die geknechteten Sachsen von dem Joche der Normannen wieder freimachen könnten. Wenn die Rede hierauf kam, wurde Cedric immer Feuer und Flamme. Es war die größte Sehnsucht seines Herzens, die Unabhängigkeit seines Volkes wieder herzustellen. Mit Freuden hätte er dafür das Glück seines Hauses und selbst seinen einzigen Sohn hingeopfert. Allein wenn sich eine so große Umwälzung zugunsten des eingeborenen Volkes sollte durchführen lassen, so mußten vor allem die Sachsen untereinander einig sein und ein Oberhaupt wählen. Selbstverständlich mußte dieses Oberhaupt aus dem sächsischen Königshause sein, das verlangten auch die, denen Cedric seine geheimen Wünsche und Pläne im Vertrauen mitgeteilt hatte. Athelstane war aus dem sächsischen Königsgeschlechte, und wenn er auch geistig nicht sehr begabt war und weiter keine Talente hatte, die ihn zum Anführer geeignet erscheinen ließen, so war er doch nicht feige und geübt im kriegerischen Handwerk und schien willens, sich von den Ratschlägen weiserer Männer leiten zu lassen. Außerdem war er als gastfrei und großmütig bekannt. Aber wie groß auch die Ansprüche sein mochten, die Athelstane auf die Würde des Oberhauptes der sächsischen Bundesgenossenschaft erheben konnte, so hätte doch ein großer Teil der Nation lieber Lady Rowena dazu erwählt, denn sie stammte direkt von Alfred ab, und ihr Vater war ein berühmtes Oberhaupt gewesen, seiner Weisheit, seines Mutes, seiner Großherzigkeit wegen von seinen unterdrückten Landsleuten hoch in Ehren gehalten. Für Cedric wäre es ein leichtes gewesen, selber als dritter Kandidat aufzutreten, wenn er das gewollt hätte, und seine Partei hätte ebenso gewaltig wie die beiden anderen werden können. Wenn er sich auch nicht königlicher Abkunft rühmen konnte, so besaß er dafür hohen Mut, unermüdliche Emsigkeit, gewaltige Tatkraft und vor allem die unerschütterliche Anhänglichkeit an die allgemeine Sache, der er schon den Beinamen der Sachse verdankte. An der Herkunft stand er außer seinem Mündel und Athelstane keinem anderen nach. Aber bei all diesen Eigenschaften hatte er nicht den geringsten Anflug von Eigennutz, und anstatt seine schwache Nation noch mehr zu zersplittern, indem er auch für sich selber eine Partei bildete, suchte er im Gegenteil die schon bestehende Spaltung durch eine eheliche Vereinigung Athelstanes und der Rowena zu beseitigen. Aber ein Hindernis bot sich in der beiderseitigen treuen Liebe seines Sohnes und der Lady, und dies war auch die Ursache, weshalb Wilfried aus dem Vaterhause verbannt worden war. Und zu dieser strengen Maßregel hatte Cedric gegriffen, weil er hoffte, daß Lady Rowena während der Abwesenheit Wilfrieds von ihrer Liebe lassen würde. Aber diese Erwartung blieb unerfüllt. Der Grund hierzu lag vor allem in der Art, wie Rowena erzogen worden war. Cedric, der den Namen Alfreds wie den einer Gottheit ehrte, behandelte den letzten Nachkommen dieses großen Monarchen mit einer Achtung, wie sie damals kaum einer anerkannten Prinzessin erwiesen wurde. Fast in allen Fällen war Rowenas Wille Gesetz für das Haus, und Cedric selber, als wolle er durch sein Beispiel dahin wirken, daß ihre Oberherrschaft wenigstens in diesem kleinen Kreise anerkannt bliebe, suchte seinen Stolz darin, sich als ihren ersten Untertan zu betrachten. Also an freien Willen, ja an fast despotisches Herrschen gewöhnt, war es nur natürlich, daß sich Rowena jedem Versuche widersetzte, auf ihr Herz mit Gewalt einzuwirken oder ihre Hand gegen ihren Willen zu vergeben, und ihre Unabhängigkeit in einer Frage behauptete, in der sich selbst Frauen, die sonst an Unterwürfigkeit und Gehorsam gewöhnt sind, oft gegen die Autorität der Vormünder oder Eltern auflehnen. Sie sagte es frei heraus, wie ihr ums Herz war, und Cedric, der sich schon gar nicht mehr von der Gewohnheit freimachen konnte, seine Ansichten den ihren unterzuordnen, vermochte seinen Einfluß als Vormund nicht mehr geltend zu machen. Vergebens versuchte Cedric durch die Aussicht auf den Thron Rowena zu blenden. Sie war viel zu scharfsinnig, um einen solchen Plan für ausführbar zu halten, oder wenigstens war ihr für ihre Person nichts an der Verwirklichung gelegen. Auch machte sie kein Hehl aus ihrer Liebe zu Wilfried von Ivanhoe und erklärte, daß sie in ein Kloster gehen wolle, wenn ihr dieser teure Ritter für immer genommen wäre, ehe sie einen Thron mit Athelstane teilen würde, denn sie habe ihn stets verachtet und sie begänne jetzt ihn von ganzem Herzen zu hassen, da er ihr soviel Kummer und Verdruß bereite. Dessenungeachtet arbeitete Cedric an seinem Plane weiter, die beiden zu verheiraten, und ließ kein Mittel außer acht, seinen Zweck zu erreichen, weil er darin eine bedeutende Förderung der Sache der Sachsen erblickte. Die plötzliche Erscheinung seines Sohnes Ivanhoe zu Ashby erschien ihm wie der Todesstreich seiner Hoffnungen. Allerdings gewann seine Vaterliebe vorübergehend die Oberhand über seinen Stolz und seinen Patriotismus, aber beide kehrten bald in vollem Nachdruck wieder, und er war jetzt fest entschlossen, einen energischen Versuch zu machen, um Rowena und Athelstane zusammenzubringen und gleichzeitig die sächsische Unabhängigkeit wiederherzustellen. Dieser Plan war jetzt der Gegenstand ihres Gespräches. Athelstane war eitel und hörte es gern, wenn von seiner hohen Abkunft die Rede war oder von seinem erblichen Anrecht auf einen Königsthron; aber seine kleinliche Eitelkeit war völlig befriedigt, wenn ihm solche Huldigung von seiner Umgebung, von seinen Dienern oder den Sachsen seiner Bekanntschaft dargebracht wurde. Wenn ihm auch nicht der Mut mangelte, Gefahren zu trotzen, so war er doch ein Feind jeder Unbequemlichkeit, und war der letzte, sich selber in Sorge und Unruhe zu stürzen. Wenn er daher in der Hauptsache mit Cedric dahin übereinstimmte, daß die Sachsen wieder unabhängig sein müßten und daß er ihr Herrscher werden müßte, so war er doch, sobald die Mittel und Wege erörtert wurden, wie das Ziel zu erringen sei, immer wieder Athelstane der Unentschlossene, langsam, keines Entschlusses fähig, schwerfällig und gedankenarm. Cedric's leidenschaftliche Ermahnungen wirkten auf sein träges Gemüt wie glühende Kugeln, wenn sie ins Wasser fallen. Es zischt und qualmt wohl, aber sie löschen gleich aus. Wenn Cedric dessen dann müde war und sich an sein Mündel Rowena wendete, so fand er noch weniger Ermunterung. Und so wurde dem starrsinnigen Sachsen die Reise auf jede nur mögliche Art vergällt, und er verwünschte mehr als einmal das Turnier, den, der es veranstaltet hatte, und sich selber wegen der Torheit, daß er hingegangen sei. Nachmittags machten die Reisenden auf Athelstanes Vorschlag an einer Quelle im Waldesschatten halt, um den Pferden Rast zu gönnen und selber einige Erfrischungen zu sich zu nehmen, die ihnen der gastfreie Abt als Wegzehrung mitgegeben hatte. Sie hielten langen Imbiß, und infolge all dieser Verzögerungen war es nicht anders möglich, als daß sie Rotherwood erst spät in der Nacht erreichen würden. Und in dieser Gewißheit setzten sie nun ihre Reise in schnellerer Gangart als bisher fort. Sechzehntes Kapitel Die Reisenden waren am Saume eines Waldes angelangt und wollten nun den dichten Forst durchqueren, der damals sehr unsicher war, weil sich eine große Zahl Geächteter, durch Knechtung und Armut zur Verzweiflung getrieben, in so zahlreichen Horden in den Waldungen herumtrieb, daß die zu jener Zeit noch wenig ausgeübte Polizei nichts gegen sie ausrichten konnte. Cedric und Athelstane hielten sich aber, trotzdem es schon sehr spät war, für völlig sicher, da sie außer Gurth und Wamba zehn Diener bei sich hatten. Auf die beiden ersteren glaubten sie nicht rechnen zu können, weil der letztere ein Narr und der erstere ein Gefangener war. Außerdem rechneten Cedric und Athelstane ebensosehr auf ihren Namen und ihre Abkunft wie auf ihren Mut. Die Geächteten, die durch die Strenge der Forstgesetze zu solcher Not und ihrem Räuberleben verurteilt waren, bestanden in der Mehrzahl aus sächsischen Bauern und Yeomen, die Eigentum und Person ihrer Landsleute respektierten. Als die Reisenden ein Stück weitergeritten waren, wurden sie durch mehrfache Hilferufe erschreckt. Sie eilten nach der Stelle, von wo es herkam, und fanden zu ihrer Verwunderung neben einer am Boden stehenden Sänfte ein junges Mädchen in reicher jüdischer Tracht. Ein alter Mann, der an seinem gelben Hute auch als Jude zu erkennen war, ging mit Gebärden tiefster Verzweiflung auf und ab. Er rang die Hände, als wenn ihm ein großes Unglück zugestoßen wäre. Cedric und Athelstane fragten, was ihm geschehen sei. Der Jude wußte weiter nichts zu erwidern, als daß er alle Erzväter des alten Testaments zum Schutze gegen die Kinder Israels aufrief, die dahergekommen wären, ihn mit der Schärfe des Schwertes zu erschlagen. Als sich endlich der erste Schreck gelegt hatte, begann Isaak von York (denn er war es) zu erzählen, daß er in Ashby eine Wache von sechs Mann gedungen habe, um einen kranken Freund wegzuschaffen. Bis Doncaster hätten sie ihn bringen sollen. Nun seien sie glücklich bis hierher gekommen, da hätten sie gehört, daß eine Bande Geächteter im Walde streife, und da wären die Gedungenen ohne weiteres ausgerissen und hätten auch die Pferde mitgenommen. Nun wäre der Jude nicht nur jedes Schutzes beraubt, sondern es sei ihm auch die Möglichkeit zu fliehen genommen worden, und er und seine Tochter säßen nun hier, jeden Augenblick gewärtig, von den Strolchen überfallen, ausgeraubt und am Ende gar ermordet zu werden. »Wenn Eure Ritterschaft erlauben,« sagte Isaak im Tone tiefster Demut, »daß die armen Juden unter Euerm Schutze weiterreisten, so schwöre ich bei unseren Gesetzestafeln, nie seit unserem Exil hat ein Sohn Israels Wohltaten empfangen, die so tief im Herzen dankbar gefühlt worden seien.« »Du Hund von einem Juden!« sagte Athelstane, dessen kleinliches Gemüt geringfügige Dinge, besonders Beleidigungen, nicht vergessen konnte, »weißt du noch, wie du uns auf der Tribüne zu Ashby frech gegenübergetreten bist? Ficht oder flieh! Oder tu dich mit den Räubern zusammen, wie du willst. Nur verlange von uns keinen Schutz, noch daß wir dich mitnehmen. Wenn die Geächteten nur solche ausplündern, die wie du alle Welt ausplündern, dann nenn ich sie die ehrlichsten Leute von der Welt.« Cedric stimmte dem harten Urteil seines Gefährten nicht bei. »Wir tun besser,« sagte er, wir lassen dem Juden zwei Diener und zwei Pferde, die sie zum nächsten Dorfe bringen. Das macht für uns nichts aus. Mit denen, die uns bleiben, und mit Euerm guten Schwerte, edler Athelstane, wird es uns ein leichtes sein, über zwanzig solcher Landstreicher Herr zu werden.« Erschrocken über die Nachricht, daß soviel Geächtete in der Nähe seien, bekräftigte Rowena nachdrücklich den Vorschlag ihres Vormundes. Rebekka erhob sich plötzlich, als Rowena so für sie sprach, ging durch die Reihen der Diener bis zu dem Zelter der sächsischen Lady und küßte den Saum ihres Kleides – wie es im Orient Sitte ist, wenn man sich an Vornehmere wendet. Dann warf sie den Schleier zurück und bat die Lady, im Namen Gottes, den sie beide fürchteten, und im Namen des verkündeten Gesetzes, an das sie beide glaubten, sie möge Mitleid mit ihnen haben und sie unter ihrem Schutze reisen lassen. »Nicht für mich allein flehe ich,« sagte sie, »auch nicht für diesen armen alten Mann. Ich weiß, es ist in den Augen der Christen ein geringes Vergehen, ja fast ein Verdienst, unser Volk zu berauben und zu mißhandeln, und es gilt ihnen gleich, ob mitten in der Stadt oder auf weitem Feld oder in der Wildnis. Aber um eines Menschen willen, der vielen, ja Euch selber teuer ist, ersuche ich Euch, laßt den armen Kranken, der der sorgsamsten Pflege bedarf, unter Euerm Schutze reisen. Wenn ihm ein Unglück widerführe, den letzten Augenblick Euers Lebens würde es Euch verbittern, daß Ihr mir versagtet, worum ich Euch bat.« Die edle, feierliche Weise, in der Rebekka diese Bitte vortrug, verlieh ihren Worten im Ohr der schönen Sächsin besonderen Nachdruck. »Der Mann ist alt und schwach,« sagte sie zu ihrem Vormund, »das Mädchen jung und schön, ihr Freund krank und in Lebensgefahr, wir dürfen sie, obwohl sie Juden sind, nicht in dieser Not im Stiche lassen, wenn wir Christen sein wollen. Wir wollen zweien unserer Saumtiere das Gepäck abnehmen, das können die Leibeigenen tragen, dann kommen die Maultiere vor die Sänfte, und dem alten Mann und seiner Tochter können wir zwei Handpferde geben.« Cedric erklärte sich gern damit einverstanden, und Athelstane stellte nur die Bedingung, daß sie im Nachtrab reiten sollten. »Dort mag sie Wamba mit seinem Schilde von Schinken beschützen,« setzte er hinzu. »Ich habe meinen Schild auf dem Kampfplatze gelassen, wie es auch manchem besseren Ritter ergangen ist,« erwiderte der Narr. Athelstane wurde puterrot, denn er selber hatte ja dieses Mißgeschick am letzten Tage des Turniers gehabt. Rowena, der dieser Witz gefiel, rief, um die Grobheit ihres gefühllosen Verehrers wieder gutzumachen, der Jüdin zu, sie solle neben ihr reiten. »Das würde sich für mich nicht schicken,« antwortete Rebekka bescheiden. »Eine solche Gesellschaft würde meiner Beschützerin nicht zur Ehre gereichen.« Inzwischen war das Gepäck schnell umgeladen worden, das bloße Wort Geächtete machte jeden noch einmal so flink und behende, zumal die Dämmerung schon hereinbrach. In diesem Wirrwarr wurde Gurth vom Pferde gehoben, er bat den Narren, ihm die Bande ein wenig zu lockern, und Wamba lockerte sie ihm vielleicht mit Absicht so sehr, daß es Gurth ein leichtes war, die Arme ganz von den Fesseln freizumachen und in das Gebüsch zu gleiten, wo er unbemerkt verschwand. Die Packerei verursachte viele Umstände, daher dauerte es eine geraume Weile, bis die Flucht Gurths entdeckt wurde. Es war überdies bestimmt worden, daß er für den Rest der Reise hinter einem der Diener hergehen sollte, und daher war man der Meinung, daß ihn noch einer seiner Gefährten im Gewahrsam habe. Als sich dann die Diener zuflüsterten, Gurth sei verschwunden, da waren alle eines plötzlichen Angriffes von Geächteten so unmittelbar gewärtig, daß man sich nicht weiter darum bekümmerte, ob Gurth noch da wäre oder wohin er entronnen sei. Der Pfad, auf dem jetzt die Gesellschaft ruhig weiterritt, war so schmal, daß immer nur zwei nebeneinander reiten konnten. Es ging durch ein schmales, von einem Bach durchströmtes Tal; die Ufer des Wässerchens waren sumpfig und mit Zwergweiden bewachsen. Cedric und Athelstane verhehlten sich nicht, wie gefährlich ein Angriff an dieser Stelle sein müsse, während sie an der Spitze ihres Gefolges dahinritten. Aber keiner von ihnen war in militärischen Dingen so erfahren, daß er der Gefahr noch in anderer Weise als in großer Eile vorzubeugen verstanden hätte. Ohne Ordnung in ihrer Truppe drangen sie daher vor, und kaum war ein Teil des Zuges über den Bach hinüber, so wurden sie in der Front, in den Flanken und im Rücken mit einer Wucht und Gewalt überfallen, der sie in ihrer mangelhaften Verfassung unmöglich wirksamen Widerstand leisten konnten. Der Schrei: »Ein weißer Drache! – Sankt Georg für lustig England!« war ihr Schlachtruf und er kennzeichnete sie als sächsische Geächtete. Von allen Seiten drangen Feinde herbei, der Angriff war so wild und stürmisch, daß ihre Anzahl weit größer erschien, als sie in der Tat war. Die sächsischen Häuptlinge wurden beide gefangengenommen, ein jeder unter verschiedenen für seinen Charakter bezeichnenden Umständen. Cedric warf seinen Speer nach dem Feinde, der ihm zuerst zu Gesicht kam. Er nagelte ihn an den Eichenstamm, an dem er gerade stand. Dann gab er dem Pferde die Sporen und sprengte gegen den zweiten an. Er riß das Schwert heraus und schlug mit so unbedachtem Ungestüm um sich, daß die Klinge in einem starken herabhängenden Aste steckenblieb und er sich so durch die Heftigkeit seiner Hiebe selber entwaffnete. Nun war er gefangen, und zwei oder drei der ihn umringenden Banditen rissen ihn vom Pferde. Athelstane war bereits in Gefangenschaft. Er war vom Pferde gehoben worden, ehe er noch sein Schwert hatte ziehen und sich zur Wehr setzen können. Das mit Gepäck beladene Gefolge, das ganz und gar den Kopf verlor, als es die Herren gefesselt sah, fiel ohne Schwierigkeiten den Räubern zur Beute, und das gleiche Schicksal erlitten Rowena, die sich in der Mitte des Zuges befunden hatte, und der Jude mit seiner Tochter, die im Nachtrab gewesen waren. Vom ganzen Zuge entkam niemand als Wamba, der bei dieser Gelegenheit weit mehr Mut bewies als mancher, der sich für viel klüger hielt. Er riß einem Diener das Schwert weg, der es eben mit zaudernder Unentschlossenheit ziehen wollte, und verteidigte sich wie ein Löwe. Er machte einen tollkühnen, allerdings vergeblichen Versuch, seinen Herrn zu retten. Als er endlich einsehen mußte, daß jeder weitere Widerstand umsonst sein würde, sprang er vom Pferde, schlüpfte ins Dickicht und entkam im allgemeinen Wirrwar. Aber der wackere Narr fühlte sich in seiner Freiheit nicht wohl und verspürte große Lust, zu seinem Herrn zurückzukehren und seine Gefangenschaft zu teilen, so sehr hing er mit aufrichtiger Treue an ihm. »Ich habe soviel schwatzen hören, wie glücklich die Freiheit mache,« sagte er bei sich selber, »und jetzt gäb ich was drum, wenn mir 'n Weiser klarmachte, was ich damit anfangen soll.« Da rief neben ihm eine leise Stimme: »Wamba!« und im selben Augenblicke kam ein Hund herangesprungen, den er sogleich als Packan erkannte. Ebenso leise erwiderte Wamba: »Gurth!« – und der Schweinehirt stand vor ihm. »Was ist denn los?« fragte er voller Angst. »Was bedeutet das Geschrei und Schwertergeklirr?« »Ein Ereignis, wie es heute auf der Tagesordnung steht – sie sind alle gefangen!« antwortete Wamba. »Wer ist gefangen?« »Mein Herr und meine Gebieterin, Athelstane und Hundibert und Oswald.« »Um Gottes Willen! Wie ist das gekommen, und wer hat sie gefangengenommen?« fragte Gurth. »Unser Herr war zu vorschnell mit seiner Waffe,« erwiderte Wamba, »und Athelstane war zu schlafmützig, und die anderen waren gar nicht zur Verteidigung gerüstet. Grünrocke mit schwarzen Masken sind über sie hergefallen, und nu liegen sie alle auf 'm Rasen wie Holzäpfel, die du für die Schweine abgeschüttelt hast. Ich könnte d'rüber lachen,« setzte der biedere Narr hinzu, »wenn ich nicht weinen müßte.« Und Tränen aufrichtigen Schmerzes rannen ihm die Wangen hinab. Aber Gurths Gesicht erglühte. »Wamba!« drang er in ihn, »du hast 'n Schwert, dein Herz war immer besser auf 'm Posten als dein Verstand – wir sind allerdings bloß unser zwei – aber ein plötzlicher Überfall von entschlossenen Männern kann viel tun. Komm mit mir!« »Wohin? und wozu?« »Cedric befreien!« »Du hast ja seinen Dienst quittiert.« »Das hat nur solange gegolten, wie er nicht in Not war,« versetzte Gurth. »Komm mit mir.« Eben wollte der Narr seiner Aufforderung folgen, da erschien eine dritte Person auf dem Platze, die die beiden bleiben hieß. Der Kleidung und den Waffen nach, die er trug, mußte Wamba glauben, es sei einer von den Räubern, die seinen Herrn überfallen hätten. Aber er hatte erstens keine Maske, und zweitens war er an dem prachtvollen Gehänge, das er um die Schulter trug und an dem ein kostbares Jagdhorn hing, trotz der herrschenden Dunkelheit mit Sicherheit zu erkennen, es war niemand anders als Locksley, der Yeoman, der im Bogenschießen zu Ashby den Preis davongetragen hatte. »Was hat das zu bedeuten?« fragte er. »Was redet ihr hier von Plündern, Berauben und Gefangennehmen? »An ihren Kitteln kannst du sie erkennen, hier ganz in der Nähe,« antwortete Wamba, »sieh zu, ob's nicht die Kittel von deinen Kindern sind, denn sie ähneln deinem eigenen Wams wie eine Schote der anderen.« »Darüber werde ich mir sogleich Gewißheit verschaffen,« erwiderte Locksley. »Und ich befehle euch, geht nicht von der Stelle, bis ich wieder da bin. Richtet euch nach mir, es soll nicht zu euerm und euers Herrn Schaden sein. – Aber wartet, ich muß diesen Kerlen so ähnlich wie nur möglich sein.« Mit diesen Worten nahm er das Gehänge mit dem Jagdhorn ab, löste die Feder vom Hute, gab alles dem Narren, zog eine Maske aus der Tasche und ging dann auf Kundschaft indem er ihnen noch einmal ans Herz legte, daß sie warten sollten, bis er zurückgekehrt sei. »Sollen wir bleiben, Gurth, oder sollen wir uns aus dem Staube machen?« flüsterte Wamba. »Nach meinem Narrenverstande hat der Kerl alles Diebsgerät so flink bei der Hand, daß er unmöglich eine ehrliche Haut sein kann.« »Und mags der Teufel selber sein,« versetzte Gurth, »wir können die Sache nicht schlimmer machen, wenn wir warten. Ist's einer von den anderen, dann hat er jetzt schon längst Alarm gemacht und 's hilft uns sowieso nichts mehr; ob wir fechten oder ausreißen, kommt auf eins raus.« Nach wenigen Minuten kehrte der Yeoman zurück. »Freund Gurth,« sagte er, »ich bin mitten unter den Kerlen gewesen und habe herausbekommen, zu wem sie gehören und wohin sie ziehen. Meiner Meinung nach werden sie gegen das Leben der Gefangenen nichts unternehmen. Es wäre der reine Wahnwitz, wenn wir drei sie angreifen wollten, denn es sind geübte Kriegsmannen, und sie haben Wachen ausgestellt, die Lärm schlagen, sobald sich irgend etwas nähert. Aber ich nehme es auf mich, binnen kurzem eine Schar zusammen zu haben, die ihnen heimleuchten soll, und wenn sie noch so sehr auf der Hut sind. Ihr seid beide Diener, und zwar treue Diener Cedrics des Sachsen, der stets die Rechte der Engländer vertritt. Nun sollen ihm englische Arme in der Not zu Hilfe kommen. Vorwärts denn! und kommt mit mir.« Mit langen Schritten ging er durch den Wald, und Gurth und Wamba eilten hinterdrein. Wamba vermochte nicht lange zu schweigen. Er betrachtete die Jagdtasche und das Horn, die der Fremde wieder an sich genommen hatte, und sagte: »Den Pfeil, der diesen schönen Preis gewonnen hat, hab ich fliegen sehen, sollt ich meinen, und es ist noch gar nicht mal so lange her.« »Meine ehrlichen Freunde,« sagte der Yeoman, »wer oder was ich bin, tut nichts zur Sache; wenn ich euern Herrn befreie, so habt ihr Ursache, mich für euern besten Freund zu halten. Ob man mich nun unter dem oder jenem Namen erkannt und ob ich meinen Bogen besser spanne als ein Viehhändler, oder ob ich lieber im Mondlicht umherstreife als im Sonnenlicht – das sind alles Dinge, die euch gar nichts angehen, also kümmert euch auch nicht darum.« »Wir haben schon die Köpfe im Rachen des Löwen,« flüsterte Wamba dem Schweinehirten leise zu, »wir wollen sie wieder rausziehen, sobald es geht.« »Still!« sagte Gurth, »kränk ihn nicht durch deine Mätzchen, ich weiß schon, es wird alles gut gehen.« Siebzehntes Kapitel Cedrics Diener mochten etwa drei Stunden lang mit ihrem geheimnisvollen Führer gegangen sein, als sie auf eine kleine Lichtung kamen, in deren Mitte eine riesengroße Eiche ihre vielverschlungenen Äste nach allen Seiten ausbreitete. Unter diesem Baume lagen vier bis fünf Yeomen im Grase, und einer ging als Schildwache im Mondlicht hin und her. Als der Posten Schritte hörte, gab er sofort Alarm. Die Schlafenden fuhren empor und spannten blitzschnell die Bogen. Sechs Pfeile lagen auf der Sehne und waren nach dem Fleck gerichtet, von wo die drei Wanderer kamen. Aber sogleich erkannten die Schützen ihren Anführer und empfingen ihn in Ehrfurcht und voller Freude. »Wo ist Miller?« war Locksleys erste Frage. »Auf der Straße nach Rotherham.« »Wieviel hat er mit?« »Ihrer sechs, und er hat Aussicht auf gute Beute, wenn es dem heiligen Nikolaus so gefällt.« »Fromm gesprochen,« sagte Locksley. »Und wo ist Allan-a-Dale?« »Nach Watling-Street zu, er lauert dem Prior von Jorlvaux auf.« »Das ist brav, und wo ist der Mönch?« »In seiner Zelle.« »So will ich dorthin,« sagte Locksley. »Ihr aber geht auseinander und sucht eure Gefährten. Schart euch zusammen, soweit es geht. Wir sind einem Wilde auf der Spur, das eine derbe Hatz verlangt. Bei Tagesanbruch will ich wieder da sein. Wartet,« setzte er hinzu, »bald hätte ich das Wichtigste vergessen. Zwei von euch müssen sogleich nach Torquilstone, Front-de-Boeufs Schloß. Eine Schar von Bravos, die sich wie unsereins in Masken getan hat, bringt eben eine Menge Gefangener dorthin. Habt genau acht auf sie. Wenn sie das Schloß erreichen, ehe wir unsere Truppen versammelt haben, so ist es Ehrensache für uns, ein Gericht an ihnen zu vollziehen, und wir werden schon dazu Mittel und Wege finden. – Habt deshalb scharf acht auf sie und schickt den flinkfüßigsten von euch aus, den Yeomen ringsherum die Kunde zu überbringen.« Sie versicherten ihn ihres unbedingten Gehorsams und machten sich geschwind auf ihre verschiedenen Wege. Inzwischen begab sich der Anführer mit seinen zwei Gefährten, die nun mit großer Achtung, obwohl nicht ohne Furcht, den Grünrock betrachteten, nach der Kapelle von Copmanhurst. Als sie die freie, vom Monde beleuchtete Lichtung erreichten und die in ihrem Verfall noch ehrwürdige Kapelle und die rauhe, zu asketischer Frommheit wie geschaffene Einsiedelei vor sich sahen, flüsterte Wamba seinem Gefährten zu: »Wenn das die Behausung eines Spitzbuben ist, so bewahrheitet sich wieder mal das alte Sprichwort: Je näher bei der Kirche, desto weiter von Gott, und bei meiner Schellenkappe!« setzte er hinzu, »ich glaube wahrlich, es ist so, hör bloß, was sie in der Einsiedelei da drin für'n tollen Choral singen.« In der Tat sangen der Anachoret und der schwarze Ritter mit aller Stärke ihrer gewaltigen Lungen ein altes Trinklied mit dem Refrain: Komm! reich mir den braunen Krug her – Dummes Mädel! Dummes Mädel! »Hm!« schmunzelte Wamba, in den Kehrreim einstimmend, »das ist gar kein übler Singsang. Aber im Namen aller Heiligen, wer hätte sich's träumen lassen, um Mitternacht ein solches Lied aus einer Einsiedlerzelle zu vernehmen?« »Ei, das ist gar nicht so verwunderlich,« versetzte Gurth. »Der fidele Mönch von Copmanhurst ist weit bekannt, die Hälfte von all dem Wild, das in diesem Forste gemaust wird, rechnet man auf ihn. Der Waldhüter soll auch schon Beschwerde gegen ihn geführt haben, und der Eremit wird Kutte und Kapuze ablegen müssen, wenn er die Ordensregeln nicht besser innehält.« »Bei meinem Rosenkranze,« sagte drinnen der Einsiedler, als er endlich das laute und wiederholte Klopfen Locksleys gehört hatte, »hier kommen mehrere verspätete Gäste auf einmal, und ich sähe es bei meiner Kapuze nicht gern, wenn sie uns über dieser Fidelität anträfen. Alle Menschen, Herr Faulpelz, haben ihre Feinde, und es gibt ihrer, die boshaft und niederträchtig genug wären, mir's als Völlerei und Sauferei auszulegen, daß ich einen müden Reisenden drei Stunden lang gastfrei bewirtet habe.« »Niedrige Verleumder, ich wollte, ich könnte es ihnen heimzahlen!« erwiderte der Ritter. »Aber Ihr habt recht, heiliger Mann, jeder hat seine Feinde, und es gibt hierzulande manche, mit denen ich lieber durch das Gitter meines Helmes als von Angesicht zu Angesicht reden möchte.« »Dann setzt nur Euern eisernen Kochtopf wieder auf, Freund Faulpelz,« sagte der Eremit, »ich räume derweil die Flaschen hier weg, deren Inhalt mir gar toll im Schädel spukt, und damit die draußen das Geräusch nicht hören, – ich fühle mich nämlich ein bißchen wacklig auf den Beinen – so stimmt mit ein in das Verschen, das ich anschlagen werde, auf die Worte kommts nicht an, die weiß ich selber kaum.« Und sogleich stimmte er mit Stentorstimme ein De profundis an, während er die Überbleibsel ihres Festmahles hinwegtrug. Der Ritter, der seinen Spaß daran hatte, legte derweil Helm und Rüstung an und stimmte ab und zu mit ein, wenn er vor lauter Lachen einmal dazu kam. »Was für Satansmessen werden hier noch zu so später Stunde gesungen?« fragte eine Stimme von draußen. »Der Himmel verzeihe dir, Wandersmann,« sagte der Eremit, der schon so viel getrunken hatte, daß er die ihm sonst wohlvertraute Stimme nicht erkannte. »Zieh deines Weges, wer du auch seiest, und störe mich nicht und meinen heiligen Bruder in unserer Andacht.« »Toller Priester, mach auf!« rief wieder die Stimme von draußen. »Locksley ist's.« »Dann ist alles gut und keine Gefahr zu fürchten,« sagte der Mönch zu seinem Gefährten. »Aber wer ist das?« fragte der Ritter. »Mir liegt daran, das zu wissen.« »Wer es ist?« entgegnete der Einsiedler. »Gut, Freund, sage ich Euch.« »Aber wie heißt der Freund? Eure Freunde brauchen nicht auch die meinen zu sein.« »Wie der Freund heißt?« erwiderte der Eremit. »Die Frage ist leichter gestellt als beantwortet. Ei, jetzt besinne ich mich, es ist derselbe Waldhüter, von dem ich Euch erzählt habe.« »Ei, es mag wohl ein ebenso ehrlicher Waldhüter sein, wie du ein frommer Eremit bist. Aber mach nur auf, sonst stößt der Kerl die Tür aus den Angeln.« Die Hunde, die entsetzlich gebellt hatten, schienen nun auch den Mann draußen an seiner Stimme zu erkennen, sie kratzten und winselten jetzt, als könnten sie es nicht erwarten, daß der Fremde hereinkäme. Der Eremit machte schnell auf, und Locksley mit seinen zwei Gefährten trat ein. »Wer leistet dir hier so tolle Gesellschaft?« war die erste Frage des Yeoman. »Ein Bruder meines Ordens,« erwiderte der Mönch. »Die ganze Nacht über haben wir in Andacht gebetet.« »Er ist ein Mönch von der streitbaren Kirche, nicht wahr?« fragte Locksley. »Deren sind jetzt mehrere auf den Beinen. Ich sage dir, Bruder, du mußt zum Kampfstock greifen, wir brauchen jetzt jeden unserer lustigen Kumpane, ob geistlich oder weltlich.« Während der Mönch seiner Aufforderung gemäß die Kutte ablegte und die Weidmannstracht anzog, hatte Locksley den Ritter beiseite genommen. »Leugnet es nicht, Herr Ritter,« sagte er zu ihm, »Ihr seid derselbe, der in Ashby den Engländern zum Siege verholfen hat.« »Und wenn Ihr recht habt, was folgt daraus?« versetzte der Ritter. »Dann halte ich Euch für einen Freund der schwächeren Partei.« »Das zu sein, ist Pflicht jedes tapferen Ritters,« antwortete der schwarze Streiter. »Ich möchte nicht, daß Ihr mich für etwas anderes hieltet.« »Wenn Ihr mir für meinen Zweck zu statten kommen wollt,« sagte der Yeoman, »so müßt Ihr nicht nur ein tapferer Ritter, sondern auch ein guter Engländer sein. Denn das, wovon ich jetzt mit Euch reden will, betrifft die Schuldigkeit jedes Ehrenmannes, vor allem jedes echten eingeborenen Engländers.« »Ihr könnt zu keinem reden,« entgegnete der Ritter, »dem England und das Leben eines jeden Engländers mehr am Herzen lägen als mir.« »Glaub's gern,« sagte der Weidmann. »Denn nie ist ein Land der Unterstützung aller derer, die es gut mit ihm meinen, bedürftiger gewesen. – Hört mich an. Ich will Euch ein Vorhaben mitteilen, woran Ihr Euch mit Ehren beteiligen könnt, wenn Ihr wirklich seid, was Ihr scheint. Eine Schar schändlicher Kerle, die sich die Masken ehrlicher Leute vorgebunden haben, haben einen englischen Edelherrn mit Namen Cedric der Sachse mitsamt seiner Tochter und seinem Freunde Athelstane von Conningsburgh gefangengenommen und nach dem festen Schlosse Torquilstone geschleppt. Ich frage Euch als guten Ritter und guten Engländer, wollt Ihr daran teilnehmen, sie zu befreien?« »Schon mein Gelübde allein erheischt das,« antwortete der Ritter. »Nur möchte ich wissen, wer Ihr seid, der Ihr mich zum Beistand auffordert.« »Ich bin,« erwiderte der Grünrock, »ein namenloser Mann, der ein Herz hat für sein Vaterland und seine Freunde. Mit diesem Bescheid müßt Ihr Euch fürs erste begnügen, zumal Ihr ja selber auch unerkannt bleiben wollt. Aber Ihr könnt glauben, wenn ich mein Wort gegeben habe, dann halte ich es ebenso, als ob ich goldene Sporen trüge.« »Das glaube ich gern,« entgegnete der Ritter. »Es ist meine Gewohnheit, den Menschen nach seinem Gesicht zu beurteilen, und das Eure bekundet Entschlossenheit und Biedersinn, ich will daher nicht weiterfragen, sondern Euch Beistand leisten. Wenn das geschehen ist, so hoffe ich, werden wir einander besser kennen lernen und damit beide recht zufrieden sein.« Inzwischen hatte sich der Mönch völlig als Yeoman umgekleidet, trug Schwert und Schild, Bogen und Pfeile und ein starkes Wehrgehänge über der Schulter. Er schritt mit den anderen zur Hütte hinaus, verschloß die Tür und legte den Schlüssel unter die Türschwelle. Achtzehntes Kapitel Während in dieser Weise schon an der Befreiung Cedrics und seiner Angehörigen gearbeitet wurde, schleppte die bewaffnete Schar ihre Gefangenen nach dem festen Platze, wo sie in Gewahrsam gebracht werden sollten. Aber die Finsternis brach zu schnell herein und die Pfade durch den Wald waren den verkappten Räubern nur wenig bekannt. Sie mußten daher oftmals haltmachen und auch mehrmals umkehren, um den richtigen Weg wiederzufinden. Erst als der sommerliche Morgen anbrach, kamen sie schneller von der Stelle, dann kehrte auch das Selbstvertrauen wieder. Zwischen den beiden Anführern der Räuberbande entspann sich nun folgendes Zwiegespräch: »Es ist nun Zeit, daß Ihr uns verlaßt, Sir Moritz,« sagte der Templer zu Bracy. »Ihr müßt nun den zweiten Akt Eurer Mysterie spielen. Ihr wißt, Ihr sollt jetzt als befreiender Ritter auftreten.« »Ich habe mirs anders überlegt,« antwortete de Bracy, »ich will Euch nicht eher verlassen, als bis ich meine Beute in Front-de-Boeufs Schlosse untergebracht und wohlgeborgen habe. Dort will ich in meiner wahren Gestalt vor Lady Rowena erscheinen, und sicher wird sie der Inbrunst meiner Liebe die Gewalttat, die ich mir habe zu schulden kommen lassen, zugute halten.« »Und weshalb habt Ihr Euern Plan geändert?« fragte der Templer. »Das geht Euch nichts an,« war die trockene Antwort. »Ich hoffe, Herr Ritter,« erwiderte der Templer, »es hat Euch zu dieser Maßregel nicht das Mißtrauen bewogen, das Euch Fitzurse gegen mich eingeflößt hat?« »Was ich denke, ist meine Sache,« sagte de Bracy, »das Sprichwort heißt, wenn ein Dieb den andern bemaust, hat der Teufel sein Gaudium. Was Sitte und Recht im Templerorden gelten, ist mir wohlbekannt, und ich will mich nicht um die schöne Beute betrügen lassen, um die ich soviel gewagt habe.« »Bah!« machte der Templer. »Ihr kennt doch die Gesetze unseres Ordens.« »Sehr genau sogar,« versetzte de Bracy, »und ich weiß auch, wie sie gehalten werden. In dieser Angelegenheit kann ich mich nicht auf Euer reines Gewissen verlassen.« »Hört denn die Wahrheit!« sagte der Templer. »Ich frage nichts nach Eurer blauäugigen Schönheit, in ihrem Zuge ist eine, die mir weit besser gefällt.« »Ihr meint doch nicht etwa die schöne Jüdin?« »Und wenn ich sie meinte, wer sollte mir entgegentreten oder was mich hindern?« »Ich wüßte nicht, was, es sei denn Euer Gelübde,« antwortete Bracy, »oder Euer Gewissen, das sich vielleicht dagegen sträubt, einen Liebeshandel mit einer Jüdin zu begehen.« »Meines Gelübdes wegen,« entgegnete der Templer, »hat mir mein Großmeister Ablaß erteilt, und was das Gewissen betrifft, so macht sich einer, der an die zweihundert Sarazenen erschlagen hat, keine Kopfschmerzen wegen eines kleinen Fehltrittes wie eine Dorfschöne bei der Beichte am Heiligabend. Seid Ihr nun beruhigt, und wollt Ihr nun bei Euerm ersten Vorhaben bleiben? – Ihr habt, wie Ihr seht, nicht zu befürchten, daß ich Euch ins Gehege komme.« »Nein, nein!« versetzte Bracy. »Ich ändere nichts mehr an meinem Plane. Was Ihr da sagt, mag schon Euer Ernst sein. Aber ich bin kein Freund von solchen Vorrechten, die Euch der Ablaß Euers Großmeisters erteilt hat, auch nicht von solchen Vergünstigungen, die Euch zukommen, weil Ihr ein paar hundert Sarazenen totgeschlagen habt. Ihr habt viel zu viel Anrecht auf Generalpardon, als daß Ihr Euch an Kleinigkeiten stoßen würdet.« Inzwischen bemühte sich Cedric vergebens, von den Knappen, die ihn bewachten, zu erfahren, wem sie angehörten und was sie mit ihnen vorhätten. Die Kerle hatten zu triftigen Grund, Stillschweigen zu bewahren, und ließen sich weder durch Zorn noch durch Bitten zum Reden bewegen. Sie verfolgten in großer Eile ihren Weg, bis endlich durch eine Allee von gewaltigen Bäumen Torquilstone, das alte verwitterte Schloß Reginald Front-de-Boeufs in Sicht kam. Als Cedric die wohlbekannten Türme und die grauen, moosbewachsenen Zinnen erblickte, die in der Morgensonne durch den Wald leuchteten, da ward es ihm ein wenig klarer, wem er sein Unglück zuzuschreiben habe. »Ich habe den Dieben und Räubern dieser Wälder unrecht getan,« sagte er, »als ich des Glaubens war, daß diese Banditen zu ihnen gehörten. Geradesogut hätte ich die Füchse dieser Forsten mit den reißenden Wölfen Frankreichs verwechseln können. – Sagt mir, ihr Hunde, trachtet Euer Herr nach meinem Leben oder hat er es auf meinen Reichtum abgesehen? – Ist es ihm ein Dorn im Auge, daß zwei edle Sachsen, Athelstane und ich, in einem Landstrich Grund und Boden besitzen, der früher ihren Ahnen ganz gehört hat? – Macht mich kalt und vollendet eure Niedertracht, indem ihr mir das Leben nehmt, wie ihr mir die Freiheit genommen habt. Wenn Cedric der Sachse England nicht befreien kann, so will er doch sein Leben für England lassen. – Sagt euerm tyrannischen Herrn, er solle nur Lady Rowena in Ehren wieder ziehen lassen. Sie ist ein Weib, und vor ihr braucht er keine Angst zu haben, denn mit uns sterben alle, die für sie ein Schwert ziehen würden.« Mittlerweilen waren sie vor dem Tore des Schlosses angelangt. Bracy stieß dreimal ins Horn, und die Bogen- und Armbrustschützen, die ihrer auf dem Walle harrten, ließen schnell die Zugbrücke herunter, um sie hereinzulassen. Die Gefangenen wurden in ein Gemach geführt, wo ihnen ein Frühstück vorgesetzt wurde, von dem niemand als Athelstane etwas genoß. Aber viel Zeit wurde dem edeln Sachsen hierzu nicht vergönnt, denn die Wachen gaben ihnen zu verstehen, daß sie in ein anderes Gelaß, von Rowena getrennt, untergebracht werden sollten. Widerstand war unmöglich, und sie mußten daher ihren Führern folgen. Das Gelaß, in das die sächsischen Edelherren gebracht worden waren, war eine Art Wachtstube. Ehedem war es die große Halle des Schlosses gewesen, jetzt aber diente es zu geringeren Zwecken, da der gegenwärtige Besitzer außer anderen Verbesserungen, die die Sicherheit, Schönheit und Bequemlichkeit seines freiherrlichen Sitzes erhöht hatten, auch eine neue große Halle hatte bauen lassen. Cedric durchmaß das Gemach. Zorn und Unwille über die ihm widerfahrene Schmach erfüllten ihn, während sein Gefährte in seiner Apathie, die ihm Geduld und Philosophie trefflich ersetzte, nur für die Unbehaglichkeit seiner Lage Sinn hatte. Er antwortete nur ab und zu ein paar Worte auf Cedrics leidenschaftliche Äußerungen. Cedric sprach halb zu sich selber, halb zu Athelstane. »In dieser selben Halle,« sagte er, »saß einst mein Ahn bei festlichem Mahle, als Torquil Wolfganger den edeln und unglücklichen Harold bewirtete, der damals gegen die Norweger zog, die im Bunde mit dem Rebellen Tosti waren. – In dieser Halle gab Harold dem Gesandten des aufrührerischen Bruders seine stolze und großherzige Antwort. Als dieses weite Gemach kaum die Menge der edeln Sachsenhäuptlinge fassen konnte, die mit ihrem Fürsten sich an blutrotem Weine labten, wurde der Gesandte Tostis empfangen.« »Ich hoffe auch,« warf Athelstane ein, den dieser letzte Teil der Erzählung ein wenig angeregt hatte, »sie werden es nicht vergessen, uns Wein und etwas zu Mittag zu schicken. Wir haben ja kaum ein bißchen Zeit zum Frühstück gehabt, und mir bekommt das Essen nie gleich auf einen Ritt, obwohl das von den Ärzten empfohlen wird.« Ohne auf die Worte seines Freundes zu achten, fuhr Cedric fort: »Tostis' Gesandter schritt durch die Halle. Er kümmerte sich nicht um die frostigen Gesichter um ihn her, und trat vor Harolds Thron. – Welche Bedingungen, Herr König, sagte er, hat dein Bruder Tosti zu erwarten, wenn er die Waffen niederlegt und den Frieden aus deiner Hand annimmt? – Die Liebe eines Bruders, rief der edelmütige Harold, und die schöne Grafschaft Northumberland. – Und wenn Tosti auf diese Bedingungen eingeht, fuhr der Gesandte fort – wieviel Land soll sein treuer Bundesgenosse Hardrada, der König von Norwegen, erhalten? – Sieben Fuß englischen Bodens, erwiderte Harold stolz. Da aber Hardrada ein Riese sein soll, so geben wir ihm vielleicht zwölf Zoll mehr. – Die Halle erdröhnte vom lauten Beifall. Wenn sich der Norweger nur recht bald seinen englischen Boden holen käme, rief man.« »Ich täte ihnen gern Bescheid,« unterbrach ihn Athelstane abermals, »mir klebt die Zunge am Gaumen.« »Der verspottete Gesandte,« fuhr Cedric fort, in unvermindertem Eifer, obwohl seine Erzählung bei seinem Hörer kein Interesse erweckte – »kehrte mit diesem Bescheid zurück, und nun begann jener furchtbare Kampf, in dem Tosti und der Norwegerfürst nach heldenhafter Gegenwehr mit zehntausend ihrer Tapferen fielen. – Wer hätte gedacht, daß derselbe Wind, der die Banner der siegreichen Sachsen wehen ließ, die Segel der Normannen füllte und sie an die Küste von Sussex führte? wer hätte gedacht, daß binnen wenigen Tagen Harold nicht mehr von seinem Königreiche besitzen sollte, als er in seinem Zorn dem norwegischen Eroberer zugestanden hatte? – Wer hätte gedacht, daß Ihr, edler Athelstane, der Ihr aus Harolds Blute stammt, und ich, dessen Vater nicht der schlechteste Verteidiger der sächsischen Krone war, die Gefangenen eines niedrigen Normannen sein würden, in derselben Halle, wo ehedem unsere Ahnen ein so stolzes Bankett veranstaltet haben?« »Es ist recht traurig,« sagte Athelstane. »Aber ich glaube, sie werden uns für ein nicht allzu hohes Lösegeld freigeben. Es kann doch gewiß nicht ihre Absicht sein, uns zu Tode zu hungern, und doch ist es schon Mittag, und sie machen noch gar keine Anstalten, den Tisch zu decken. Guckt doch mal aus dem Fenster, edler Cedric, und seht nach den Sonnenstrahlen, ob es nicht schon Mittag ist.« »Es ist vergebliche Mühe,« murmelte Cedric vor sich hin, »mit diesem Menschen von etwas anderem zu reden, als was seinen Appetit betrifft. Hardikanuts Seele muß in ihn gefahren sein, daß er weiter kein Vergnügen kennt, als schlucken und schlingen und nach mehr rufen. Ach,« seufzte er und sah Athelstane mitleidsvoll an, »daß in so edler Gestalt ein so dumpfer, stumpfer Geist wohnen muß! Ach, daß sich ein Unternehmen wie die Wiedergeburt Englands um eine so mangelhafte Angel drehen muß! – Wenn Rowena mit ihm vermählt wäre, so würde sie vielleicht mit ihrem Edelsinn und ihrer Großmütigkeit seine Natur aus dem Schlummer rütteln. Aber wie soll das geschehen, da Rowena, Athelstane und ich die Gefangenen eines rohen Räubers sind, und zwar vielleicht nur deshalb, weil wir seiner Nation von Eindringlingen gefährlich werden könnten.« Während sich der Sachse so schmerzlichen Betrachtungen überließ, tat sich die Tür ihres Gefängnisses auf und ein Vorschneider mit dem seinem Amte charakteristischen Stabe trat herein. Dieser Person, die gravitätisch näher kam, folgten vier Diener, die einen gedeckten Tisch trugen. Die reichlichen Speisen, die das Zimmer mit Duft füllten, ließen allem Anschein nach den edeln Athelstane augenblicklich jeder Unbill vergessen. Alle, die bei Tische aufwarteten, waren maskiert. »Was soll der Mummenschanz?« fragte Cedric. »Glaubt ihr denn, wir wissen nicht, wessen Gefangene wir sind, da wir uns doch im Schlosse euers Herrn befinden? Sagt ihm,« setzte er hinzu, indem er diese Gelegenheit ergriff, Unterhandlungen über die Freigabe anzuknüpfen, »sagt euerm Herrn Reginald Front-de-Boeuf, er könne keine Ursache haben, uns der Freiheit beraubt zu sehen, als die gesetzwidrige Absicht, sich auf unsere Kosten zu bereichern. Sagt ihm, seine Raubgier soll befriedigt werden, als wenn er ein handwerksmäßiger Strauchdieb wäre, und er soll nur ein Lösegeld bestimmen, wir wollens bezahlen, wenn es nicht über unser Vermögen geht.« Der Vorschneider gab keine Antwort, sondern verneigte sich nur. »Und sagt Reginald Front-de-Boeuf,« rief Athelstane, »daß ich ihn zum Zweikampf fordere auf Leben und Tod, zu Fuß oder zu Pferde, an irgendeinem sicheren Orte, acht Tage nach unserer Befreiung. Wenn er ein echter Ritter ist, muß er diese Herausforderung annehmen.« Athelstanes Herausforderung wurde zwar in nicht eben sehr schicklicher Weise vorgebracht, denn er hatte gerade das Maul voll und kaute mit beiden Backen. Dennoch erblickte Cedric darin ein sicheres Zeichen, daß die Geisteskraft seines Gefährten endlich erwache, und drückte ihm zum Beweise seines Beifalls herzlich die Hand. Allerdings sank seine Freude gleich wieder bedeutend herab, als Athelstane hinzusetzte, er wolle gern mit einem Dutzend solcher Ritter wie Front-de-Boeuf kämpfen, wenn er nur aus diesem Kerker herauskäme, wo soviel Knoblauch in die Suppe getan würde. Die Gefangenen hatten kaum ihre Mahlzeit beendet, da erschollen vorm Tor die Klänge eines Hornes. Es erklang dreimal so laut und hell, als bliese es der erkorene Ritter vor dem verzauberten Schlosse, wo dann Hallen und Türme, Brücken und Zinnen zerflossen wie ein Morgennebel. Die Sachsen sprangen vom Tische auf und eilten ans Fenster, aber sie sahen sich in ihrer Erwartung getäuscht. Der Schall kam von jenseits des Schloßhofes, auf den die Fenster dieser Halle hinaussahen. Aber der Ton schien als bedeutungsvolle Aufforderung aufgefaßt zu werden, denn im ganzen Schlosse entstand alsbald große Unruhe. Neunzehntes Kapitel Der arme Isaak von York war in ein Kellergewölbe des Schlosses geworfen worden, das tief unter der Erdoberfläche gelegen war. Eine dumpfe, feuchte Luft herrschte darin, und nur ein wenig Licht drang durch zwei kleine Luftlöcher, die so hoch angebracht waren, daß sie der Gefangene nicht mit der Hand erreichen konnte. Selbst zu Mittag ließen sie nur einen matten, ungewissen Schimmer herein, der lange, bevor das gesegnete Licht des Tages das Schloß verließ, zu tiefer Finsternis wurde. Von früheren Gefangenen her hingen noch Ketten und Fesseln verrostet an den Mauern, und an einer steckten sogar in den Ringen noch zwei modernde Menschenknochen, als sei hier unten ein Gefangener nicht nur gestorben, sondern auch zum Gerippe geworden. An dem einen Ende dieses unheimlichen Kerkers war ein großer Feuerrost angebracht worden, über dem ein paar vom Rost fast zerfressene Eisenstangen lagen. Der Anblick dieses Raumes hätte auch ein mutigeres Herz, als in der Brust Isaaks saß, erschüttern können. Aber es war nicht das erstemal, daß sich Isaak in solcher Gefahr befand, und er hatte Erfahrung darin, so daß er gefaßt war und die Hoffnung hegte, es werde auch diesmal wie so oft nicht zum äußersten kommen. Vor allem kam ihm die Hartnäckigkeit seiner Rasse zustatten, und hier machte sich die starre, unbeugsame Festigkeit geltend, mit der das Volk der Juden schon öfter die schwersten Übel, die ihnen Macht und Grausamkeit haben auferlegen können, ertragen hat, ehe sie die an sie gestellten Forderungen bewilligt haben. Isaak saß, seinen pelzverbrämten Rock zusammenhaltend in einen Winkel gekauert da, die Hände gefaltet, Haupt- und Barthaar verwirrt, die hohe Mütze zerknüllt. Drei Stunden lang blieb so der Jude regungslos sitzen, als sich endlich Schritte vernehmen ließen. Die Riegel knarrten, die Tür kreischte in ihren Angeln, und herein trat Reginald Front-de-Boeuf. Ihm folgten die beiden sarazenischen Diener des Templers. Front-de-Boeuf, ein langer, starker Mann, dessen Leben sich aus lauter Krieg, öffentlichen und Privatfehden, zusammengesetzt hatte, trug die Male seiner wilden und schlimmen Leidenschaften offen in seinem Antlitz. Es paßte vollkommen zu seinem Charakter. In einem anderen Gesicht hätten die vielen Narben Ehrfurcht und Interesse erweckt als Zeichen der echten Tapferkeit, in seinem Gesicht aber trugen sie nur dazu bei, das Wilde und Furchtbare des Eindrucks zu erhöhen. Der entsetzliche Mann trug ein Lederwams, das eng anlag und hie und da Flecke von der Rüstung zeigte, im Gürtel trug er nur einen Dolch und ein Bund rostiger Schlüssel. Die schwarzen Sklaven, die Front-de-Boeuf folgten, hatten jetzt an Stelle ihres prächtigen Kostümes Jacken und grobleinene Hosen an. Sie hatten die Hemdärmel aufgestreift wie Metzger, wenn sie schlachten wollen. Jeder hatte einen kleinen Korb in der Hand. Sie blieben an der Tür stehen, die Front-de- Boeuf sorgfältig hinter sich wieder abschloß. Der Edelherr kam nun langsam auf den Juden zu, das Auge fest auf ihn geheftet, als wollte er ihn schon durch den Blick lähmen, wie es manche Tiere der Sage nach mit ihrer Beute machen sollen. Und wie es schien, machte der finstere und böse Blick auch einen solchen Eindruck auf den unglücklichen Juden. Er sperrte den Mund auf und sah den wilden Baron mit solchem Entsetzen an, daß in der Tat seine Gestalt in sich zusammenzuschrumpfen und kleiner zu werden schien. Der Bedauernswerte vermochte nicht einmal aufzustehen, um sich zu verbeugen, nicht einmal den Hut vermochte er abzunehmen oder ein bittendes Wort zu sprechen, so fest war er überzeugt, daß Tod und Marter seiner harrten. Die riesige Gestalt des Normannen schien im Gegenteil immer größer zu werden, wie die eines Adlers, der sein Gefieder aufbläht, wenn er im Begriff ist, auf seine Beute herabzuschießen. Drei Schritte vor dem Winkel, in den sich der Jude zurückgezogen hatte, und von dem er den denkbar kleinsten Teil für sich in Anspruch nahm, blieb er stehen. Front-de-Boeuf gab den Sklaven ein Zeichen, heranzutreten, einer von ihnen kam näher und nahm aus seinem Korbe eine Wageschale und verschiedene Gewichte, er legte sie Front-de-Boeuf zu Füßen und entfernte sich dann wieder. Die Bewegungen dieser Menschen waren langsam und feierlich, als gingen sie mit einem Vorhaben grausamer und entsetzlicher Art um. Front-de-Boeuf leitete diesen Auftritt ein, indem er den unglücklichen Gefangenen folgendermaßen anredete: »Verwünschter Hund aus verfluchtem Volke!« sagte er, mit tiefer, hohler Stimme das Echo des Kerkers weckend, »Siehst du die Wagschale dort?« Der arme Jude antwortete mit einem leisen Ja. »In dieser Wagschale sollst du mir tausend Pfund Silber abwägen,« fuhr der unbarmherzige Baron fort, »nach dem Maß und Gewicht vom Tower in London.« »Heiliger Abraham!« versetzte der Jude, dem dieses gräßliche Verlangen die Sprache wiedergab. »Hat man je eine solche Forderung gehört? Welches Menschen Auge hat je die Seligkeit genossen, soviel Geld auf einmal zu sehen? Wer hat je selbst in den Märchen eines fahrenden Sängers gehört von tausend Pfund Silber? – Und wolltet Ihr mein und meiner Brüder Häuser plündern, in den Mauern von ganz York könntet Ihr die ungeheure Summe nicht zusammenbringen.« »Ich lasse mit mir reden,« sagte Front-de-Boeuf, »was an Silber fehlt, nehme ich in Gold an, die Mark in Gold zu sechs Pfund Silber gerechnet. Wenn du das zahlst, kannst du dein ungläubiges Gerippe von einer Marter loskaufen, wie sie sich dein Sinn nie hat träumen lassen.« »Habt Barmherzigkeit mit mir!« rief Isaak. »Ich bin alt und hilflos. Es ist Eurer unwürdig, über mich zu triumphieren. – Eine erbärmliche Tat ist es, zu zertreten einen Wurm.« »Alt magst du sein,« versetzte der Ritter, »zur Schande für die, die dich in Wucher und Prellerei haben grau werden lassen. Schwach magst du auch sein, denn wann hätte ein Jude Herz und Hand gehabt? – Aber es ist auch weltbekannt, daß du reich bist.« »Ich schwöre es Euch, edler Ritter, bei allem, was ich glaube, bei allem, was wir gemeinschaftlich glauben –« »Werde nicht meineidig an dir selber,« fiel ihm der Normann ins Wort. »Denke nicht, daß ich nur Worte mache, um dir einen Schreck einzujagen und die niedrige Feigheit auszunutzen, die deinem ganzen Volke eigen ist. Ich schwöre dir bei allem, was du nicht glaubst, bei dem Evangelium, das unsere Kirche predigt, mein Vorsatz steht fest und wird schnell vollzogen. Dieser Kerker ist nicht zu Kinderpossen gemacht. Gefangene, tausendmal hervorragendere Männer als du, haben in diesen Mauern ihre Seele ausgehaucht, und nie hat jemand erfahren, was aus ihnen geworden ist. Dir aber ist ein langsamer, qualvoller Tod zugedacht, gegen den alle Leiden, die jene erduldet haben, ein Nichts sind.« Wieder gab er den Sklaven ein Zeichen, näher zu treten, und sprach mit ihnen in ihrer Heimatsprache, denn auch er war in Palästina gewesen. Die Sarazenen nahmen jetzt Holzkohle aus ihren Körben, Blasebälge und eine Flasche voll Öl. Der eine machte ein Feuer an, der andere legte Kohlen unter den alten Rost und blies sie an, bis sie rot glühten. »Isaak, siehst du die eisernen Stäbe über den glühenden Kohlen?« sagte Front-de-Boeuf. »Du wirst entkleidet und auf dieses heiße Lager gebettet. Einer der Sklaven unterhält das Feuer unter dir, der andere bestreicht deine elenden Glieder mit Öl, damit der Braten nicht anbrennt. – Nun wähle! – Entweder ein so qualvolles Bett oder tausend Pfund Silber bezahlen. Bei dem Haupte meines Vaters! eine andere Wahl hast du nicht.« »So mögen mir beistehen alle Erzväter!« jammerte Isaak. »Ich kann keine Wahl treffen, denn ich habe die Mittel nicht, zu bezahlen Eure ungeheure Forderung.« »Ergreift ihn und entkleidet ihn, Sklaven!« rief der Ritter. »Er mag sehen, ob ihm seine Erzväter beistehen.« Die Diener kamen und legten Hand an den unglücklichen Isaak. Sie rissen ihn vom Boden empor und hielten ihn zwischen sich fest, der weiteren Winke des Barons gewärtig. Der arme Jude sah in ihre und Front-de-Boeufs Gesicht, ob er Zeichen von Mitleid gewahre. Aber der Baron sah mit kaltem spöttischen Lächeln drein, und das wilde Auge der Sarazenen rollte düster und blutgierig unter den finsteren Brauen. Sie schienen sich eher auf die Arbeit zu freuen, die ihnen zuerteilt war, als den geringsten Widerwillen dagegen zu empfinden. Dann sah der Jude auf die glühenden Kohlen, auf die er gelegt werden sollte, und da er einsah, daß er sich von seinem Peiniger keines Erbarmens versehen dürfte, änderte er seinen Entschluß. »Ich will zahlen,« sagte er, »die tausend Pfund Silber, das heißt,« setzte er schnell hinzu, »ich will sie aufbringen mit Hilfe meiner Brüder, denn wie ein Bettler muß ich stehen an der Tür unserer Synagoge, bis ich die riesige Summe zusammenhabe. – Wann und wo soll sie abgeliefert werden?« »Hier,« antwortete Front-de-Boeuf, »hier muß sie niedergelegt werden, hier in diesem Kerker wird sie gewogen und bezahlt. Denkst du, ich lasse dich frei, ehe mir das Lösegeld sicher ist?« »Und was habe ich für Sicherheit,« entgegnete der Jude, »daß ich freigelassen werde, wenn ich das Lösegeld bezahlt habe?« »Das Wort eines Normannen, du Wucherer,« versetzte Front-de-Boeuf, »das Ehrenwort eines normannischen Edelmannes, das mehr wert ist als all dein Gold und Silber, als alles Gold und Silber deiner Rasse.« »Ich bitte um Verzeihung, edler Herr,« erwiderte Isaak furchtsam, »aber warum soll ich Vertrauen haben zum Worte eines Mannes, der zu dem meinen keines hat?« »Weil dir nichts anderes übrigbleibt,« war die stolze Antwort des Normannen. »Hier habe ich den Vorteil über dir und daher schreibe ich dir die Bedingungen vor.« Der Jude seufzte tief. »Gib wenigstens mit mir auch meine Reisegefährten frei. Sie haben mich verachtet, aber sie hatten doch Mitleid mit meiner Not.« »Wenn du die sächsischen Bauern meinst, denen werden andere Bedingungen gestellt als dir. Ich warne dich, Jude, kümmere dich nur um deine Angelegenheiten und nicht um fremde.« »Dann bitte ich Euch,« sagte Fsaak, »laßt wenigstens meinen verwundeten Freund mit mir frei.« »Soll ich es einem Sohne Israels zweimal nahelegen,« fuhr Front-de-Boeuf auf, »sich nicht um fremde Angelegenheiten zu bekümmern? Du hast nichts weiter zu tun, als das Lösegeld zu beschaffen.« »Höre mich an,« begann der Jude wieder, »bei dem Reichtum, den du dir auf Kosten deines –« Er hielt inne, denn er fürchtete, den wilden Normannen zu beleidigen, aber Front-de-Boeuf ergänzte selber die Worte Isaaks. »Auf Kosten meines Gewissens,« sagte er lachend, »sprich es aus, Isaak. – Ich sage dir, die Vorwürfe dessen, der im Nachteile ist, kann ich mit anhören, selbst wenn der Betreffende ein Jude ist. Die Hauptsache ist: wann bekomme ich mein Geld? wann soll ich das Silber haben?« »Laßt meine Tochter Rebekka nach York gehen,« erwiderte Isaak, »und gebt ihr ein sicheres Geleit, edler Ritter, und sobald wie Mann und Roß den Weg zurücklegen können, soll der Schatz« – bei diesen Worten weinte er bitterlich, aber gleich darauf fügte er hinzu: – »soll der Schatz hier zu Euern Füßen liegen.« »Deine Tochter?« sagte Front-de-Boeuf mit erkünsteltem Erstaunen. »Beim Himmel, Jude! Das hätte ich wissen sollen! Ich dachte, die schwarzäugige Dirne wäre deine Metze, und ich habe sie Brian de Bois-Guilbert als Dienerin gegeben.« Das Gewölbe hallte wider von dem Schrei, den der Jude bei dieser ihm so grob und gefühllos mitgeteilten Nachricht ausstieß. Es erschreckte sogar die beiden Sarazenen in solchem Maße, daß sie ihren Gefangenen losließen, der diesen Vorteil auf der Stelle benützte, auf das Pflaster zu stürzen und Front-de-Boeufs Knie zu umfassen. »Nehmt alles, Herr Ritter, was Ihr erwartet, ja nehmt noch zehnmal mehr!« rief er. »Macht mich meinetwegen zum Bettler – rennt mir den Dolch durch den Leib, bratet mich auf dem Roste! Aber – schont meine Tochter und liefert sie mir aus wohlbehalten und in Ehren! Sofern Ihr vom Weibe geboren seid, schonet ein hilfloses Mädchen! Sie ist das Abbild meiner verstorbenen Rahel, das letzte der sechs Pfänder ihrer Liebe – Wollt Ihr einem verlassenen Vater den letzten Trost rauben, der ihm noch übrig ist? Wollt Ihr, daß er wünsche, sein einziges Kind liege tot bei der Mutter im Sarge, im Grab meiner Väter?« »Ich wünschte, ich hätte das früher gewußt,« sagte mit milderer Stimme der Normanne, »ich dachte, dein Stamm liebe nur den Geldsack.« »Denke von uns nicht so niedrig,« sprach Isaak und griff gierig nach diesem Moment eines scheinbaren Mitgefühls – »liebt nicht der gejagte Fuchs sein Junges und die gequälte Wildkatze das ihrige? Wie soll der verachtete, verfolgte Stamm Abrahams nicht auch lieben seine Kinder?« »Mag ja sein,« erwiderte Front-de-Boeuf, »und um deiner selbst willen, Isaak, will ich es künftighin glauben. Aber das bringt uns jetzt nicht weiter. Geschehenes gut zu machen, vermag ich nicht, auch nicht, was etwa noch geschehen kann. Mein Waffenbruder hat mein Wort, und Front-de-Boeuf bricht sein Wort um eines Dutzends von Juden und Jüdinnen nicht! – Was soll denn auch dem Mädchen Übles begegnen können, selbst wenn sie Bois-Guilberts Beutestück ist? He?« »Ach Jehovah! Jehovah!« rief händeringend der Jude. »Wann haben die Templer auf anderes gesonnen als auf Grausamkeit gegen Männer – als auf Entehrung der Weiber?« »Hund von einem Ungläubigen!« rief Front-de-Boeuf mit glühenden Augen, froh, einen Vorwand gefunden zu haben, daß er in Wut geraten konnte, »schmähe nicht den heiligen Orden des Tempels von Zion, denke vielmehr darüber nach, wie du dein Lösegeld herbeischaffen willst, sonst wehe dir!« »Räuber und Bösewicht!« rief der Jude, die Schmähungen seines Peinigers mit wilder Leidenschaft zurückgebend, die er nicht länger zu unterdrücken vermochte, obgleich er hilflos war, »nichts will ich dir zahlen, nicht einen Silberling, bis nicht meine Tochter ausgeliefert ist!« »Bist du von Sinnen, Jude? sagte der Normann fest. »Trägt dein Fleisch und Mut Verlangen nach glühendem Eisen und siedendem Öl?« »Nichts frag ich danach!« schrie der Jude, den die Vaterliebe in Verzweiflung trieb. »Tu dein Ärgstes!« Meine Tochter ist mein Fleisch und Blut und mir tausendmal teurer als diese Glieder, die du grausam bedrohst. Kein Silber will ich dir geben, ich könnte es dir denn in geschmolzenem Zustande in den geizigen Hals träufeln. – Nein, nicht einen Silberling will ich dir geben, Nazarener, und könnte ich dich damit erretten von der ewigen Verdammnis, die dir dein ganzes Leben gesichert hat. Nimm mein Leben, wenn du willst, und sieh, wie ein Jude inmitten seiner Qualen noch einen Christen verachtet!« »Das wollen wir sehen!« rief Front de-Boeuf. »Denn bei dem heiligen Kreuze, das der Abscheu deiner Rasse ist, du sollst die schärfste Folter erleiden, die sich durch Feuer und Stahl schaffen läßt. – Entkleidet ihn, Sklaven, und legt ihn auf den Rost!« Die Sarazenen machten sich ans Werk, als vor dem Schlosse ein zwiefaches Hornsignal erklang. Der Ton drang selbst bis in den Kerker, und gleich darauf riefen laute Stimmen nach Front-de-Boeuf. Dieser wollte sich nicht über seiner höllischen Beschäftigung antreffen lassen und gab den Sklaven ein Zeichen, daß sie dem Juden die Kleider wieder zuwerfen sollten, dann ging er mit ihnen hinaus. Isaak war allein, er konnte nur Gott danken für die Errettung aus der Not oder jammern über das voraussichtliche Schicksal seiner Tochter, ob nun seine persönlichen oder seine väterlichen Gefühle stärker sein mochten. Zwanzigstes Kapitel Das Gemach, wohin Lady Rowena geführt wurde, zeigte Spuren von roher Pracht und rohem Zierat, und es ließ sich wohl für einen besonderen Beweis von Achtung und Wohlgemeintheit ansehen, daß man ihr hier ihren Aufenthalt angewiesen hatte. Front-de-Boeufs Gemahlin, für die man dieses Gemach anfangs hergerichtet hatte, befand sich längst nicht mehr unter den Lebenden. Das bißchen Zierat, mit dem sie es geschmückt hatte, war längst in Staub zerfallen oder vergessen. An den Wänden hingen stellenweise die Tapeten in Fetzen, stellenweise waren sie vom Sonnenlichte verblichen, stellenweise durch den Zahn der Zeit zerstört. Aber so verfallen auch das Gemach war, so hielt man es doch für das beste im Schlosse und für am besten geeignet zur Aufnahme der sächsischen Erbin. Hier konnte sie, während die Darsteller dieses schlimmen Dramas die Rollen unter sich verteilten, über das ihr vom Schicksal verhängte Los grübeln. Diese Verteilung der Rollen geschah in einem Kriegsrate, der von Front-de-Boeuf, de Bracy und dem Tempelritter gehalten wurde. Es setzte, ehe über die verschiedenen Vorteile, die jedem von ihnen aus diesem kühnen Unternehmen anheimfallen sollten, schlimmen Streit, der auch so bald nicht geschlichtet wurde. Aber endlich wurde durch sie festgesetzt, welches das Schicksal ihrer unglücklichen Gefangenen sein sollte. In der Mittagsstunde erschien de Bracy, zu dessen Gunsten im Grunde das Unternehmen ins Werk gesetzt worden war, bei Lady Rowena, um seine Ansprüche auf ihre Hand geltend zu machen. Die Zwischenzeit hatte de Bracy nicht ausschließlich zu diesem gemeinsam mit seinen Bundesgenossen gehaltenen Kriegsrate verwendet, sondern auch dazu, sich dem Geschmack der Zeit gemäß herauszuputzen. Sein grüner Jagdrock und seine Larve waren verschwunden und in langen zierlichen Flechten hing sein reiches Haar auf den reich verbrämten Rock nieder. Sein Bart war sorgfältig gestutzt. Das Wams reichte bis halb über die Schenkel, und der Gürtel, an dem ein Schwert hing, war mit reicher Goldstickerei verziert. Die Schuhe waren, der abenteuerlichen Form jener Zeit entsprechend, lang, absonderlich gedreht und gekrümmt wie die Hörner eines Widders. Diese Kleidung eines Gecken der damaligen Zeit wurde in ihrer auffallenden Vornehmheit durch eine hübsche Gestalt und ein geziertes Benehmen noch unterstützt. Er nahm zum Gruße das Sammetbarett ab und lud die Lady in artigen Worten ein, Platz zu nehmen. Als sie stehenblieb, zog er den rechten Handschuh aus und wollte sie zu einem Sessel führen, aber Rowena lehnte durch eine Handbewegung diese Höflichkeit ab. »Wenn ich mich in der Gewalt meines Kerkermeisters befinde,« sagte sie, »und den Umständen nach kann ich gar nichts anderes annehmen, so kommt es einer Gefangenen zu, ihr Urteil stehend anzuhören.« »Schöne Rowena,« entgegnete de Bracy, »Ihr steht vielmehr vor Euerm Gefangenen, und von Euern schönen Augen wird de Bracy das Urteil hinnehmen, das Ihr von ihm erwartet.« »Ich kenne Euch nicht, Sir,« antwortete die Lady, allen Stolz der Schönheit und des gekränkten Ansehens zu ihrer Waffe aufbietend, »und die unanständige Vertraulichkeit, mit der Ihr mich im Tone eines Troubadours anredet, dient schlecht zur Entschuldigung der Gewalttat, die Ihr als Räuber an mir verübtet.« »Es ist in der Tat ein Unglück für mich, daß Ihr mich nicht kennt, aber ich darf hoffen, daß der Name de Bracy nicht ungenannt geblieben ist, wo Minnesänger und Herolde ritterliche Taten gepriesen haben, Heldentaten im Turnier wie auf dem Schlachtfelde.« »So überlaßt es nur den Minnesängern und Herolden,« versetzte Rowena, »Euern Ruhm zu singen, es ziemt sich nicht für Eure eigenen Lippen. Aber sagt mir doch, wer von den Sängern soll den hervorragenden Sieg der letzten Nacht besingen, einen Sieg über einen alten Mann, der von ein paar furchtsamen Dienern begleitet war, und über ein unglückliches Mädchen, das mit Gewalt in das Schloß eines Räubers geschleppt worden ist?« »Ihr seid ungerecht, Lady Rowena,« antwortete der Ritter, indem er sich verwirrt auf die Lippen biß und einen Ton annahm, der ihm besser stand als die erkünstelte Galanterie, in der er bisher geredet hatte, »Ihr seid frei von Leidenschaft, und habt deshalb weder Verständnis noch Entschuldigung für den Wahnsinn eines anderen, selbst wenn ihn Eure eigene Schönheit hervorgerufen hat.« »Ich bitte Euch, Herr Ritter,« fiel ihm Rowena ins Wort, »befleißiget Euch doch nicht eines Tones, der so gemein bei herumziehenden Minnesängern geworden ist, daß sich ein Edelmann seiner nicht mehr bedienen sollte! Wie mögt Ihr solche faden Albernheiten aussprechen, von denen jeder Bänkelsänger so viel besitzt, daß er von heute bis Weihnachten damit ausreichen kann!« »Stolze Lady,« antwortete de Bracy, ergrimmt darüber, daß ihm seine Artigkeit nur Verachtung eintrug, »ich will dir ebenso stolz entgegentreten. Wisse denn, ich habe meine Ansprüche auf deine Hand in der Art geltend machen wollen, die meinem Charakter am meisten zusagt. Dir aber ist es lieber, wenn mit Bogen und Schwert um dich geworben wird, als mit sanfter Rede und in wohlgewählten Worten.« »Artige Worte,« versetzte Rowena, »die nur dazu dienen, die Gemeinheiten eines Räubers zu bemänteln, sind wie der Gürtel eines Ritters um die Brust eines Bauern. Hättet Ihr doch lieber die Sprache und die Kleidung des Räubers beibehalten, als daß Ihr die Taten des Räubers durch gezierte Rede und galantes Wesen verschleiern wollt.« »Euer Rat ist gut, Lady,« sagte de Bracy, »ich sage Euch denn daraufhin, Ihr werdet nie dieses Schloß verlassen, denn als Gattin des Moritz de Bracy. Auf welche andere Weise hättet Ihr wohl je Gelegenheit erhalten, zu hoher Ehre zu gelangen oder in fürstlichen Rang erhoben zu werden, als durch eine Verbindung mit mir? Wie hättet Ihr sonst aus Eurer niedrigen Umgebung eines Bauernhofes herauskommen sollen, wo Sachsen ihre Schweine hüten, die ihren Reichtum ausmachen? Wie hättet Ihr sonst einen Platz da erringen sollen, wohin Ihr gehört, in der Mitte derer, die in England die ersten an Schönheit und Rang sind?« »Herr Ritter,« versetzte Rowena, »das Bauernhaus, das Ihr verachtet, ist seit Kind auf meine Heimat gewesen, und wenn ich es je verlasse, so nur an der Hand eines Mannes, der das Haus und die Sitten, in denen ich groß geworden bin, nicht verachtet.« »Ich weiß wohl, was Ihr denkt, Lady,« antwortete de Bracy, »wenn Ihr mir vielleicht auch nicht soviel Scharfsinn zutraut. Bildet Euch nicht ein, daß Richard Löwenherz je wieder zu seinem Throne zurückkehren werde oder daß Wilfried von Ivanhoe Euch als seine Braut dem Könige vorstellen werde, dessen Liebling er ist. Diese Eure Neigung ist kindisch und hoffnungslos, denn wißt, dieser Nebenbuhler ist in meiner Gewalt, und ich brauche nur zu verraten, daß er mit unter den Gefangenen ist, so würde ihm der Haß eines Front-de-Boeuf gefährlicher werden als meine Eifersucht.« »Wilfried hier?« rief Rowena, indem sie sich zu gleichgültigem Tone zwang. »Das ist eine Lüge. Doch wenn es wahr sein sollte, weshalb sollte ihn Front-de-Boeuf hassen oder was hätte er anderes zu befürchten als eine kurze Gefangenschaft und die Hinterlegung eines ehrenvollen Lösegeldes, wie es die Sitte der Ritterschaft fordert?« »Wißt Ihr nicht, schöne Rowena, daß unser Wirt Front- de-Boeuf jeden aus dem Wege räumen möchte, der ihm seine Ansprüche auf die reiche Baronie streitig macht? Das wird er ohne jede Gewissensbisse tun. Wenn Ihr aber meine Werbung freundlich annehmt, so soll der verwundete Ritter nichts von Front-de-Boeuf zu fürchten haben, anderenfalls aber dürftet Ihr wohl bald Trauer um ihn anlegen müssen, denn ich liefere ihn dann einem Manne in die Hände, der kein Erbarmen kennt.« »Rettet ihn um Himmels willen!« rief Rowena. So stark sie auch war, bei dem Gedanken, daß ihr Geliebter in Gefahr schwebte, verließ sie die Kraft. »Das kann ich und das will ich auch,« erwiderte de Bracy. »Wer dürfte es wagen, dem Verwandten Rowenas, dem Sohne ihres Vormundes, dem Gespielen ihrer Kindheit ein Haar zu krümmen, wenn sie erst eingewilligt hat, de Bracys Braut zu werden? Doch nur Eure Liebe ist der Preis, um den seine Sicherheit zu erkaufen ist. Ich bin kein so romantischer Schafskopf, daß ich einem anderen, der zwischen mir und meinen Wünschen steht, weiterhelfe oder ihn gar vom Untergang errette. Benutzt Euern Einfluß auf mich, und er ist geborgen, versagt mir alles und Wilfried stirbt, Ihr aber seid darum der Freiheit nicht um einen Schritt näher.« »Eure Rede,« antwortete Rowena, »hat in ihrer gefühllosen Kälte etwas, das mich hindert, Euch Glauben zu schenken, unmöglich könnt Ihr so abscheulich sein, noch kann Eure Macht so groß sein.« »Wiegt Euch nicht in solcher Annahme!« entgegnete de Bracy, »bald würdet Ihr erkennen, daß Ihr im Irrtum seid. Euer Geliebter liegt verwundet in diesem Schlosse. Euer Geliebter, den Ihr vorzieht! Und er ist ein Hemmnis für Front-de-Boeuf auf dem Wege zu einem Ziele, das ihn mehr als Schönheit und Ehrgeiz lockt. Was kostet es ihn mehr als einen Dolchstoß oder einen Wurfspieß, und das Hindernis ist auf immer beseitigt? – Und wenn Front-de- Boeuf sich nicht gern der Möglichkeit aussetzt, eine so offene Tat zu rechtfertigen, so kann ihm ja sein Wundarzt einen giftigen Trank reichen. Ja, der Diener oder die Wärterin brauchen nur das Kopfkissen unter ihm wegzunehmen, wenn er schläft, und bei seinem jetzigen Zustande ist Wilfried dann eine Leiche, ohne daß Front-de-Boeuf sein Blut vergossen hätte. – Und auch Cedric...« »Cedric auch!« rief Rowena, »mein edler, großmütiger Beschützer!« »Auch Cedrics Schicksal hängt von Eurer Entscheidung ab, und darum überlasse ich es Euch, Eure Entscheidung zu treffen.« Bis hierher hatte sich Rowena mit unerschütterlichem Mute benommen, der Grund hierzu war aber, daß ihr die Gefahr nicht so unmittelbar und so drohend erschienen war. Aber als sie nun die Gefahr recht ins Auge faßte, verließ sie der Mut und das Selbstvertrauen. Dazu kam noch, daß sie zum erstenmal einem Manne gegenüberstand, der sich ihrem Willen widersetzte, während sie bisher gewohnt gewesen war, daß ihr Wille oberstes Gesetz war. Und jetzt empfand sie den Widerstand eines kalten, kühnen und entschlossenen Gemütes, das sich des Vorteils über sie bewußt war und kein Bedenken trug, ihn auszunutzen. Sie schaute sich rings um, als suche sie Hilfe, wo doch keine zu finden war, dann stammelte sie ein paar abgerissene Worte, und dann hob sie die Hände gen Himmel und brach in lautes Klagen und Jammern aus. Es war unmöglich, ein so schönes Wesen in Not zu sehen und kein Mitleid mit ihm zu fühlen. Auch de Bracy fühlte sich von Rührung beschlichen, obwohl es bei ihm mehr Verlegenheit als weiche Stimmung war. Er war in der Tat zu weit gegangen, um wieder zurückzutreten, und bei Rowena war in ihrer augenblicklichen Verzweiflung weder durch Bitten noch durch Drohungen etwas auszurichten. Er ging daher im Zimmer auf und ab, vergebens bat er das entsetzte Mädchen, sie solle sich doch beruhigen, vergebens suchte er bei sich selber sich klar darüber zu werden, wie er seine Rolle weiterzuspielen habe. »Wenn ich mich,« dachte er bei sich selber, »durch die Tränen und den Kummer dieses trostlosen Mädchens rühren lasse, was habe ich dann anders zu erwarten, als daß mir die schönen Hoffnungen wieder entgehen, für die ich so viel gewagt habe? Und wie würden dann die lustigen Gesellen des Prinzen Johann meiner spotten! Und doch fühle ich, daß ich mich gar schlecht zu der Rolle eigne, die ich übernommen habe. Ich kann ein so schönes Gesicht nicht vom Schmerz entstellt, noch solche Augen in Tränen schwimmen sehen. Ich wollte, sie wäre bei der würdevollen Ruhe geblieben, die sie erst zeigte, oder ich hätte ein Stück von Front- de-Boeufs versteinertem Herzen!« Während ihm solche Erwägungen durch den Sinn gingen, erklang plötzlich jenes Horn, das mit weitschallendem, kühnem Klange auch die anderen Bewohner des Schlosses geschreckt hatte und störend in die Pläne der Habsucht und Wollust eingriff. Einundzwanzigstes Kapitel Während dieses in den andern Teilen des Schlosses vorging, erwartete die Jüdin Rebekka ihr Schicksal in einem hohen, abgelegenen Turme. Sie war von zwei verkleideten Räubern geführt worden und fand in der kleinen Zelle eine alte Frau, die ein sächsisches Lied vor sich hinmurmelte, zu welchem ihre auf dem Boden tanzende Spindel den Takt gab. Die Alte erhob ihr Haupt, als Rebekka eintrat, und sah die schöne Jüdin mit dem feindseligen Blick an, wie ihn Alter und Unglück auf Jugend und Schönheit zu werfen pflegen. – »Du mußt fort von hier, alte Unke,« sagte einer der Männer, »unser edler Herr befiehlt es, und dieses Gemach einem schönern Gaste überlassen.« – »So werden treue Dienste belohnt,« schrie die Alte, »ich weiß die Zeit, wo mein Wort den besten Mann in Waffen aus Sattel und Dienst gehoben hätte und nun muß ich fort auf den Befehl eines Flegels, wie du bist.« »Gute Frau Urfried,« sagte der Mann,«sprich nicht darüber, sondern steh auf und packe dich. – Unsers Herrn Gebote müssen schnell erfüllt werden. Du hast deine Zeit gehabt, alte Dame, doch deine Sonne ist längst untergegangen. Du hast zu deiner Zeit einen guten Schritt gehabt, aber jetzt kannst du nur humpeln. Komm, humple mit mir.« »Mögen Euch die Hunde zerreißen,« sagte die Alte, »und ein Hundestall euer Grab werden. Der böse Zernebock soll mir Glied für Glied zerreißen, wenn ich diese Halle verlasse, bis ich den Hanf von meinem Rocken abgesponnen habe.« »Verantworte es vor unserm Herrn, alter Hausdrache,« sagte der Diener und ging. Rebekka blieb mit dem alten Weib, in dessen Gesellschaft man sie so unfreundlich gezwungen hatte, allein. »Welche Teufelstat haben sie nun vollbracht?« sagte die Alte vor sich hin, indem sie der Jüdin von Zeit zu Zeit einen boshaften Blick zuwarf; »es ist leicht zu erraten. – Glänzende Augen, schwarze Locken, eine Haut weiß wie das Papier, ehe es der Schreiber mit Tinte färbt – ja, es ist leicht zu erraten, warum sie die in den einsamen Turm sperren, wo ein Schrei so wenig gehört wird, wie fünfhundert Klafter tief unter der Erde. Du wirst Eulen zu Nachbarn haben, meine Schöne; ihr Geschrei wird ebenso weit hin klingen, als das deine und ebenso beachtet werden. – Ausländisch obendrein,« setzte sie hinzu, Rebekkas Kleidung und Turban bemerkend. »Aus welchem Lande bist du? – eine Sarazenin? eine Ägypterin? – Warum antwortest du nicht, kannst du nur weinen und nicht reden.« »Zürne mir nicht, gute Mutter,« sagte Rebekka. »Du brauchst nicht mehr zu sagen,« sagte Urfried, »den Fuchs erkennt man an der Spur, die Jüdin an der Sprache.« »Um der ewigen Barmherzigkeit willen,« rief Rebekka. »Was wird das Ende der Gewalttätigkeit sein, die mich hierher führte? Will man mir, um meines Glaubens willen, das Leben nehmen, so will ich es hingeben.« »Dir das Leben nehmen, Schätzchen?« antwortete die Alte, »was könnte ihnen das für ein Vergnügen machen? – Verlasse dich darauf, dein Leben ist nicht in Gefahr. Man wird dich so behandeln, wie man einst eine edle Sachsentochter behandelt hat; eine Jüdin, wie du, darf sich nicht beklagen, daß es ihr nicht besser geht, sieh mich an. – Ich war so jung und noch einmal so schön wie du, als Front-de-Boeuf, der Vater dieses Reginald mit seinen Normannen das Schloß stürmte. Mein Vater und seine sieben Söhne verteidigten ihr Erbteil von Stufe zu Stufe, von Gemach zu Gemach, da war kein Zimmer, keine Treppe, wo nicht Blut floß. Sie fielen bis auf den letzten Mann, und ehe ihre Leichname erkalteten und ihr Blut erstarrte, war ich schon eine Beute und der Spott des Siegers geworden.« »Ist denn keine Hilfe möglich? kein Mittel zur Flucht?« fragte Rebekka; »ich wollte deinen Beistand reichlich vergelten.« »Denke nicht an die Flucht,« sagte die Alte, »von hier ist kein Ausweg, als durch die Pforten des Todes, und es wird spät, spät,« setzte sie, das graue Haupt schüttelnd, hinzu, »ehe sie sich uns auftun; doch es tröstet mich, daß die, so wir auf der Erde zurücklassen, ebenso elend sind, als wir selbst. Leb wohl, Jüdin! – Jüdin oder Heidin, dein Schicksal wird dasselbe sein; denn du hast mit Menschen zu tun, die weder Gewissen noch Erbarmen kennen. Fahr wohl, sage ich, mein Faden ist abgesponnen, dein Tagewerk geht erst an.« »Bleib, bleib, um Himmels willen,« rief Rebekka, »geschieht es auch, um mir zu fluchen. – Deine Gegenwart ist doch ein Schutz.« »Selbst die Gegenwart der Mutter Gottes wird hier kein Schutz sein,« antwortete die Alte, indem sie auf ein Marienbild zeigte; »hier steht sie, schau, ob sie das Schicksal abwenden wird, das dich erwartet.« Sie verließ das Zimmer, indem sie ihr Gesicht zu einem höhnischen Lächeln verzog. Sie verschloß die Türe hinter sich und Rebekka konnte bei jedem Schritt, den sie langsam und mühsam die steile Turmtreppe hinunter tat, ihre Flüche und Verwünschungen hören. Rebekka hatte ein weit furchtbareres Schicksal als Rowena zu erwarten; denn wie konnte sie hoffen, daß man Milde und Anstand gegen ein Mädchen ihres Stammes üben würde, von denen man der sächsischen Erbin doch nur einen Schatten zeigte? Sie hatte als Jüdin den Vorteil, daß sie durch Nachdenken und Charakterstärke besser auf die ihr drohenden Gefahren vorbereitet war. Schon in früher Jugend hatte sich bei ihr ein ernster Charakter offenbart, der es liebte, den Dingen auf den Grund zu sehen. Die Pracht und der Reichtum, den sie im Hause des Vaters sah, hatten sie nicht blenden können, und wohl erkannte sie die Gefahr, in der sie inmitten all dieses Glanzes lebten. Wie Damokles bei seinem berühmten Gastmahle, sah Rebekka immer das Schwert, das über dem Haupte ihres Volkes an einem einzigen Haare hing. Unter solchen Betrachtungen war ihr Gemüt – während ein anderes Herz in ihren Verhältnissen vielleicht stolz, trotzig und hochfahrend geworden wäre – zu stiller Nachdenklichkeit und sanfter Denkweise gekommen. Das Vorbild ihres Vaters hatte sie gelehrt, gegen alle, die ihr nahten, höflich zu sein. Sie konnte zwar nicht seine tiefe Unterwürfigkeit zeigen, weil ihr alle Niedrigkeit der Gesinnung wie auch gewohnheitsmäßige Furchtsamkeit fremd war, aber in ihrem Wesen lag eine stolze Demut, als unterwerfe sie sich den traurigen Verhältnissen, mit denen sie sich als eine Tochter eines verachteten Volkes abfinden müsse, während sie sich in ihrem Innern bewußt war, daß sie nach Verdienst auf einer höheren Rangstufe stehen müsse. Also gefaßt auf widrige Schicksalswendungen, war die Kraft in ihr, sich dagegen zu wappnen. Bei ihrer gegenwärtigen Lage mußte sie ihre volle Geistesgegenwart bewahren und faßte sich rasch. Zunächst untersuchte sie das Gemach, in das sie gebracht worden war. Sie konnte nicht hoffen, daraus entfliehen zu können, denn es fand sich darin weder ein geheimer Gang noch eine Falltür, die Tür selber hatte innen weder Schloß noch Riegel. Das einzige Fenster führte auf einen kleinen, von Zinnen umgebenen Söller hinaus, in dessen Brustwehr ein paar Plätze für Bogenschützen angebracht waren. Er lag einsam und in steiler Höhe. Rebekka hatte daher keine Hoffnung, aber sie bewahrte ihre Fassung. Nichtsdestoweniger erzitterte sie und erbleichte, als ein Schritt auf der Treppe erklang und sich gleich darauf die Tür langsam öffnete. Ein großer Mann trat zaudernd herein, der die Kleidung jener Banditen trug, von denen sie geraubt worden war. Er schloß die Tür hinter sich. Die Mütze hatte er tief im Gesicht, und ein Mantel, den er dicht umgehüllt hatte, verhüllte seine Gestalt. In dieser Verkleidung trat er vor die erschrockene Gefangene, ganz als führe er etwas im Schilde, dessen er sich schämte und wisse nicht recht, wie er sein Vorhaben beginnen sollte. So war es Rebekka möglich, ihm zuvorzukommen. Schnell hatte sie zwei kostbare Armbänder und ein Halsgeschmeide losgemacht, und bot dies dem Geächteten an, um seine Habsucht zufriedenzustellen und ihn für sich zu gewinnen. »Nimm das,« sagte sie, »und habe um Gottes willen Erbarmen mit mir und meinem alten Vater. Diese Schmucksachen sind sehr wertvoll, aber sie sind nur eine Kleinigkeit gegen das, was wir geben wollen, wenn man uns frei und unangetastet aus diesem Schlosse läßt.« »Schöne Blume Palästinas,« versetzte der Räuber, »diese Perlen sind zwar aus dem Orient, aber sie sind nichts gegen deine weißen Zähne, diese Diamanten haben zwar ein herrliches Feuer, aber sie können doch nicht verglichen werden mit deinen Augen, und solange ich dieses wilde Handwerk treibe, habe ich ein Gelübde getan, die Schönheit dem Reichtum vorzuziehen. – Dein Lösegeld,« setzte er auf französisch hinzu, »muß in Liebe und Schönheit bezahlt werden, kein anderes nehme ich an.« »Du bist kein Geächteter,« antwortete Rebekka in derselben Sprache, »kein Geächteter hätte ein solches Anerbieten verschmäht. Kein Geächteter in diesem Lande spricht die Sprache, die du sprichst. Du bist kein Geächteter, sondern ein Normann – wohl gar von edler Herkunft. O, so sei auch edel in deinen Handlungen und wirf die erschreckende Maske der Gewalttätigkeit ab.« »Und du, die du so gut raten kannst,« sagte Brian de Bois-Guilbert, den Mantel abwerfend, »du bist keine Tochter von Israel, sondern in allem, Jugend und Schönheit ausgenommen, eine wahre Hexe von Endor. Ich bin kein Geächteter, nein, du schöne Rose Sarons, ich bin ein Mann, der dir lieber Hals und Arme mit Diamanten, die dich so reizend kleiden, überladen möchte, als dich ihrer berauben.« »Was kannst du von mir haben wollen, wenn es nicht mein Reichtum ist?« entgegnete Rebekka. »Wir können nichts miteinander gemein haben, du bist ein Christ, ich bin eine Jüdin. Deine Kirche wie meine Synagoge sind gegen eine solche Verbindung.« »Da hast du recht,« versetzte der Templer lachend. »Eine Jüdin heiraten? Despardieur! – Nicht, wenn sie die Königin von Saba wäre. Und wisse überdies, holde Tochter Zions, wenn mir der allerchristlichste König selber seine allerchristlichste Tochter anböte, und ganz Languedoc zur Mitgift, ich könnte sie doch nicht heiraten. Es ist gegen mein Gelübde, ein Mädchen anders als nur per amour zu lieben – und so will ich dich auch lieben, denn ich bin ein Templer – siehst du das heilige Kreuz des Ordens?« »Darfst du dich bei solcher Gelegenheit darauf berufen?« sagte Rebekka. »Wenn ich es tue, was gehts dich an?« versetzte der Templer. »Du glaubst ja doch nicht an das gebenedeite Zeichen unserer Erlösung.« »Ich glaube, was mich meine Väter lehrten. Verzeihe mir Gott, wenn mein Glaube irrig ist. Was aber, Herr Ritter, ist Euer Glaube, da Ihr ohne Bedenken das Heiligste anruft, wo Ihr doch eben im Begriffe steht, Euer heiligstes Gelübde als Ritter und Diener der Religion zu brechen?« »Du predigst allerliebst, Tochter Sirachs,« erwiderte der Templer, »nur bleibst du infolge deiner jüdischen Vorurteile ohne Verständnis für die ausgedehnten Freiheiten, die wir haben. Eine Ehe freilich wäre ein unverzeihliches Verbrechen für einen Templer, aber für alle die kleinen Liebestorheiten, die ich zu begehen Lust hätte, erhalte ich sofort Absolution. Du, Rebekka, bist die Gefangene, die ich mir mit Bogen und Speer gemacht habe, nach dem Gesetz der Völker meinem Willen unterworfen. Und nicht einen Zoll breit will ich von meinem Rechte zurücktreten, und nichts soll mich hindern, mir mit Gewalt zu nehmen, was meinen Bitten und der Notwendigkeit versagt wird.« »Zurück!« rief Rebekka. »Zurück! Und höre mich, ehe du eine solche Todsünde begehst. Meine Kraft wirst du leicht brechen, denn Gott hat das Weib schwach erschaffen und es dem Edelsinne des Mannes überlassen, es zu beschützen. Aber deine Schändlichkeit will ich, Templer, von einem Ende Europas bis zum andern verkünden lassen. Der Aberglaube deiner Brüder soll mir verschaffen, was ich von deiner Barmherzigkeit nicht erreichen kann. – Jedes Präzeptorium, jedes Kapitel deines Ordens soll erfahren, daß du dich wie ein Ketzer mit einer Jüdin vergangen hast, und wer dein Verbrechen nicht verabscheut, der soll dich für verflucht halten, weil du das Kreuz, das du trägst, so tief erniedrigt hast, daß du einer Jüdin nachgegangen bist.« »Dein Verstand ist kühn,« entgegnete der Templer, denn er wußte wohl, daß sie die Wahrheit sagte und daß die Bestimmungen seines Ordens Vergehen wie eines, das er jetzt vorhatte, mit den strengsten Strafen belegte, ja daß bisweilen Ausstoßung erfolgt war, »du bist sehr klug – aber deine Klage muß laut ertönen, wenn sie jenseits der eisernen Mauern dieses Schlosses vernommen werden soll. Hier verklingt ungehört jede Klage und jedes Hilfegeschrei.– Eins allein kann dich retten, Rebekka, unterwirf dich deinem Schicksal, nimm unsere Religion an, und du sollst ein Leben führen, daß sich manche Dame an Schönheit und Pracht mit der Geliebten des besten Streiters unter den Templern nicht soll messen können.« »Mich meinem Schicksal unterwerfen?« antwortete Rebekka. »Und heiliger Himmel, welchem Schicksal! Deine Religion annehmen? Was kann das für eine Religion sein, zu der sich ein so abscheulicher Mensch bekennt! Du, der beste Streiter unter den Templern? Erbärmlicher Ritter! Meineidiger Priester! Ich verachte dich und biete dir Trotz!« Der Gott Abrahams hat seiner Tochter einen Ausweg gezeigt aus diesem Abgrund der Schande!« Mit diesen Worten riß sie das Gitterfenster auf, das auf den Söller hinausführte, und war im Nu an den Rand der Brustwehr getreten, und nicht der geringste Schutz lag zwischen ihr und der gähnenden Tiefe. Nicht im mindesten gefaßt auf einen so jähen und verzweifelten Entschluß, hatte Bois-Guilbert weder Zeit, sie daran zu hindern, noch sie aufzuhalten. Als er sich ihr nähern wollte, rief sie: »Bleibe, wo du stehst, stolzer Templer, oder wenn du willst, tritt herzu! Einen Schritt nur – und ich werfe mich in den Abgrund. Eher soll mein Leib an den Steinen des Schloßhofes zerschmettern und alle menschliche Form verlieren, ehe er deiner Gewalttätigkeit zum Opfer fallen soll!« Sie faltete die Hände und hob sie zum Himmel empor, als wolle sie Gnade für ihre Seele erflehen, ehe sie den tödlichen Sprung täte. Der Templer zauderte, und sein kühner Starrsinn, der im Unglück nie versagte, noch sich je von Mitleid hatte beugen lassen, schmolz in Bewunderung ihrer Seelenstärke. »Komm herunter, unbesonnenes Mädchen,« sagte er, »ich schwöre dir bei Erde, Meer und Himmel, ich will dir kein Leid tun.« »Ich mag dir nicht trauen,« erwiderte Rebekka, »du hast mich gelehrt, wie hoch ich die Tugenden deines Ordens zu veranschlagen habe.« »Du tust mir unrecht,« sagte der Templer, »und so schwöre ich dir denn bei dem Namen, den ich trage, bei dem Kreuz auf meiner Brust, bei dem Schwert an meiner Seite, bei dem alten Wappen meiner Väter: ich will dir nicht das mindeste zuleide tun. Töte dich nicht, wenn nicht um deiner selbst willen, so doch um deines Vaters willen, ich will sein Freund sein, denn in diesem Schlosse bedarf er eines mächtigen Schutzes.« »Ach!« seufzte Rebekka. »Das weiß ich nur zu gut. – Darf ich dir trauen?« »Man soll mein Wappen umdrehen und mein Name soll entehrt sein,« sagte Bois-Guilbert, »wenn du noch Ursache haben sollst, über mich zu klagen. Wohl habe ich gegen manches Gesetz und manchen Befehl verstoßen, aber mein Wort habe ich noch nie gebrochen.« »Wohl, ich will dir trauen,« antwortete Rebekka, »aber nur so weit,« und sie kam von dem Söller herab, blieb aber in dem Mauerausschnitt stehen. »Hier,« sagte sie, »will ich stehen. Du bleibe an deinem Fleck. Wenn du versuchst, die Entfernung zwischen uns auch nur um einen Schritt zu verringern, so sollst du sehen, daß ein jüdisches Mädchen eher ihre Seele Gott anvertraut, als ihre Ehre einem Templer.« Der hohe und feste Entschluß gab der ausdrucksvollen Schönheit ihres Angesichts, ihren Blicken und ihrem ganzen Wesen eine fast übermenschliche Erhabenheit. Ihr Blick war nicht angstvoll, noch war ihre Wange bleich aus Furcht vor einem so raschen und entsetzlichen Ende, sondern das Bewußtsein, daß ihr Schicksal in ihrer Hand lag, verlieh ihren Wangen höhere Farbe und ihren Augen lichteren Glanz. So stolz und mutig Bois-Guilbert auch war, so mußte er sich doch gestehen, daß er eine so herrliche und majestätische Schönheit noch nie gesehen hatte. »Laß Friede zwischen uns sein, Rebekka!« sagte er. »Friede, so du es willst,« entgegnete sie, aber dieser Raum bleibt zwischen uns.« »Du hast mich nicht länger zu fürchten.« »Ich fürchte dich auch nicht, und dem danke ich es, der diesen Turm so hoch gebaut hat, daß, wer sich hier herunterstürzt, den Tod findet. Dank ihm und dem Gotte Israels, ich fürchte dich nicht.« »Du tust mir unrecht,« wiederholte der Templer. »Bei Erde, Himmel und Meer, du tust mir unrecht. Von Natur bin ich nicht hart, selbstsüchtig und grausam, wie du mich in diesem Augenblick geschaut hast, ein Weib hat mich dazu gemacht, ein Weib hat mich gelehrt grausam zu sein, und ich bin wieder grausam gewesen, aber nicht gegen solche, wie du eine bist. Ich habe mich vom Leben und seinen Banden getrennt. – Meine Mannheit soll mir kein Weib sänftigen, und häusliches Glück soll mir nicht lachen. Meine alten Tage will ich an keiner heimischen Stätte in Ruhe verleben – einsam bleiben wird mein Grab, und keine Nachkommenschaft wird den Namen Bois-Guilbert in künftige Geschlechter hinübertragen. Das Recht der Unabhängigkeit und Selbständigkeit habe ich zu den Füßen meiner Oberen niedergelegt. Ein Leibeigener in allem, wenn auch nicht dem Namen nach, kann der Templer weder Land noch Gut besitzen, er lebt, bewegt sich und atmet nur nach dem Willen eines anderen.« »Ach,« sagte Rebekka, »welche Vorteile können denn für so große Opfer Ersatz geben?« »Die Macht der Rache und die Aussicht auf Ehre.« »Ein trauriger Ersatz für Rechte, die die teuersten der Menschheit sind.« »Das sage nicht, Mädchen,« antwortete der Templer. »Rache ist ein Fest für Götter. Und die Ehre ist eine Versuchung, gegen die selbst die Seligkeit des Himmels nichts ist.« Er hielt einen Augenblick inne, dann fuhr er fort: »Rebekka, wer den Tod der Schande vorzieht, muß eine starke Seele haben. – Du mußt mein werden. Nein, starre mich nicht so an, nur mit deiner Einwilligung und auf die Bedingungen hin, die du stellen wirst. Du sollst mit mir Hoffnungen teilen, die weiter gehen als die eines Monarchen auf dem Throne. – Höre mich an, ehe du Antwort gibst, und bilde dir erst ein Urteil, statt gleich nein zu sagen. Der Templer verliert alle gesellschaftlichen Rechte, alle Selbständigkeit, aber dafür wird er ein Glied eines gewaltigen Körpers, vor dem Throne zittern. Eine schwellende Flut ist unser Orden, und ich bin kein geringes Glied in ihm, sondem schon einer der ersten Befehlshaber. Bald kann ich die Hand nach des Großmeisters Stabe ausstrecken. Die Herrschaft des von euch lange erwarteten Messias wird euern Stämmen keine so große Macht verleihen als die, nach der ich trachte. Und lange habe ich nach einem verwandten Geiste gesucht, der sie mit mir teilen sollte, den habe ich nun in dir gefunden.« »Sprichst du so zu einer aus meinem Volke?« fragte Rebekka. »Überlege dirs.« »Antworte nicht mir so,« erwiderte der Templer, »führe nicht den Religionsunterschied zwischen uns beiden an. In unseren geheimen Konklaven lachen wir über solche Ammenmärchen. Unser Orden hat lange kühnere und weitere Gesichtspunkte angenommen, als sie noch unsere Stifter in ihrem blinden Götzendienste hatten, und für bessere Entschädigung unserer Opfer ist jetzt gesorgt. Unsere unermeßlichen Besitzungen in jedem Königreiche Europas, unser hoher, militärischer Ruhm, der alle ersten und besten Ritter jedes christlichen Landes in unseren Kreis führt, all das wollen wir zu Zwecken ausnutzen, von denen sich unsere frommen Stifter nicht haben träumen lassen. Weiter aber will ich dir den Schleier unserer Geheimnisse nicht lüften. – Da ruft ein Horn! – Seine Töne verkünden, daß man meiner bedarf. Denke an das, was ich dir gesagt habe. Lebe wohl! Ich bitte nicht um Verzeihung, daß ich dir mit solcher Gewalttat drohte. Das war nötig, damit sich mir dein Charakter offenbarte. Gold wird nur durch den Prüfstein erkannt. Ich komme bald wieder und rede weiter mit dir.« Er ging aus dem Turmgemach und die Treppe hinunter. Rebekka blieb zurück. Ihr Schrecken über einen so furchtbaren Tod, der ihr so nahe gedroht hatte, war nicht weniger nachdrücklich als ihr Grausen vor dem wilden Ehrgeiz des Mannes, in dessen Gewalt sie zu ihrem Unglück war. Sie stieg in das Turmgemach hinab und verrichtete ein Gebet des Dankes für den Schutz, den ihr der Gott ihrer Väter gewährt hatte, und flehte diesen Schutz auch in Zukunft für sich und ihren Vater herab. Und noch ein Name schlich sich in ihr Gebet – der des verwundeten Christen, der in die Hände seiner blutdürstigsten Feinde gefallen war. Wohl machte sie sich Vorwürfe darüber, daß sie für einen mitbetete, dessen Schicksal nie mit dem ihren verbunden werden konnte – für einen Nazarener, einen Feind ihres Glaubens, aber sie hatte ihr Gebet einmal gesprochen, und selbst die strengsten Vorurteile ihres Glaubens vermochten Rebekka nicht zu veranlassen, daß sie das einmal Erflehte widerrufen hätte. Zweiundzwanzigstes Kapitel Als der Templer die Schloßhalle betrat, war de Bracy schon dort. »Ihr scheint in Eurer Liebeswerbung durch das Hornsignal gestört worden zu sein wie ich,« redete ihn der Ritter an, »aber Ihr kommt später und langsam, und da vermute ich, Ihr habt mehr Glück gehabt als ich.« »Habt Ihr denn von der sächsischen Erbin einen Korb bekommen?« fragte der Templer. »Bei den Gebeinen des Thomas a Bekett,« antwortete de Bracy, »die Lady Rowena muß wissen, daß ich keine Weibertränen fließen sehen kann.« »Warum nicht gar!« versetzte der Templer. »Ihr als Anführer einer Freischützenschar werdet Euch doch nicht um Weibertränen scheren! – Wenn ein paar Tröpflein auf die Fackel der Liebe gesprengt werden, so brennt sie um so heller.« »Wärens nur ein paar Tröpflein gewesen!« entgegnete de Bracy. »Aber diese Dame hat so viel Tränen vergossen, daß man ein Wachtfeuer damit hätte auslöschen können. Ein Wassergeist oder Undine selber muß in der schönen Sächsin stecken, denn solch ein Händeringen und solch ein Tränenfluß ist seit der alten Niobe nicht wieder gesehen worden.« »Und im Busen der Jüdin muß eine Legion von Teufeln hausen,« sagte der Templer, »einer allein hätte sie nicht mit solchem Mute und solcher Entschlossenheit beseelen können. Doch wo ist Front-de-Boeuf?« »Ich glaube, er verhandelt mit dem Juden,« sagte de Bracy kalt. »Wahrscheinlich heult Isaak so laut, daß er das Horn nicht hört. Ihr wißt ja, Sir Brian, wenn sich ein Jude von seinen Schätzen unter solchen Bedingungen trennen soll, wie sie Front-de-Boeuf stellen wird, so macht er einen Lärm, daß ein Dutzend Jagdhörner und Schlachttrompeten nicht dagegen aufkommen können. Wir sollten aber Front-de-Boeuf durch seine Leute rufen lassen.« Gleich darauf kam aber Front-de-Boeuf schon. Wie der Leser weiß, war er in seiner tyrannischen Grausamkeit gestört worden. »Wir wollen sehen, was dieser verdammte Lärm zu bedeuten hat,« sagte er, »es ist ein Brief eingegangen, in sächsischer Sprache, wenn ich nicht irre.« Er betrachtete ihn, drehte ihn herum und gab ihn dann de Bracy. »Ich könnte es ebensowenig lesen, als wenn es Zauberhieroglyphen wären,« antwortete dieser, »ich habe wohl mal Schreibunterricht gehabt, aber meine Buchstaben wurden wie Speere und Schilde, und da wurde der Unterricht bald aufgegeben.« »Gebt her,« sagte der Templer, »wir sind insofern Priester, als unsere Tapferkeit mit Kenntnissen gepaart ist.« »So laßt uns Eure Gelahrtheit zugute kommen!« rief de Bracy. »Was steht in dem Wisch?« »Es ist eine Herausforderung,« erwiderte der Templer. »Und wenn es nicht ein Scherz ist, so ist es die schnurrigste Kriegserklärung, die jemals über die Zugbrücke eines freiherrlichen Schlosses gekommen ist.« »Scherz?« rief Front-de-Boeuf. »Ich möchte doch wissen, wer sichs unterstehen sollte, mit mir zu scherzen! Lest, Brian.« Der Templer las wie folgt: »Ich Wamba, der Sohn von Ohnewitz, Hausnarr eines edeln, freigeborenen Mannes, nämlich Cedrics, den sie den Sachsen nennen, und ich, Gurth, der Sohn Beowulfs, Schweinehirt ...« »Bist du von Sinnen?« unterbrach ihn Front-de-Boeuf. »Beim heiligen Lukas! so steht es hier,« entgegnete der Templer. Dann las er weiter: »Ich, Gurth, Sohn des Beowulf, Schweinehirt bei genanntem Cedric, wir beide mitsamt unseren Verbündeten, die uns in dieser Fehde ihren Beistand gewähren, unter denen nur der gute Ritter angeführt sein mag, der vorderhand nur den Namen hat: der schwarze Faulpelz, wir tun Euch, Reginald Front-de-Boeuf, und Euern Helfershelfern und Mitschuldigen kund und zu wissen, daß Ihr ohne Ursach und vorher erklärte Fehde wider Recht und mit Gewalt unseren edeln Herrn Cedric gefangengenommen habt, Ihr habt Euch ferner der Person eines edeln freigeborenen Mädchens, der Lady Rowena von Hargottstandstede, und der Person eines edeln und freigeborenen Mannes, des Athelstane von Conningsburgh bemächtigt, ferner der Person eines Juden Isaak von York und seiner Tochter und mehrerer Pferde und Maultiere. All diese Personen edeln Standes, so wir genannt haben, und die Diener und Sklaven, die Pferde und Maultiere, der Jude und die Jüdin haben in Frieden gestanden mit seiner Majestät dem König und waren als getreue Untertanen unterwegs auf der Heerstraße des Königs. Wir fordern und verlangen daher, daß die besagten edeln Persönlichkeiten, Cedric von Rotherwood, Rowena von Hargottstandstede, Athelstane von Conningsburgh, ihre Diener und Sklaven, Pferde und Maultiere, der Jude und die Jüdin, mit all ihrem Hab und Gut, binnen einer Stunde herausgegeben werden, unberührt und unbeschädigt an Leib und Gut. Wenn dies nicht geschieht, so erklären wir Euch für Verräter und Räuber, und wollen unseren Leib gegen Euch im Kampfe wagen und Euch belagern oder sonst alles versuchen, was sich irgend tun läßt, um Euch zu vernichten und zu zerstören. Im übrigen möge Euch Gott helfen. – Gegeben von uns am St. Witholdsabend, unter der großen Eiche in Harthills Walde. Geschrieben von einem heiligen Manne, dem Diener Gottes und unserer lieben Frau und des heiligen Dunstan, in der Kapelle von Copmanhurst.« Unter diesem Schreiben stand zuerst die grobe Zeichnung eines Hahnenkopfes mit Kamm und mit einer Umschrift, an der dieses Zeichen als Signatur Wambas, des Sohnes von Ohnewitz, zu erkennen war. Unter diesem Ehrfurcht gebietenden Sinnbilde stand ein Kreuz statt einer Unterschrift, das war das Zeichen Gurths des Schweinehirten, des Sohnes Beowulfs. Dann kamen in kühnen energischen Zügen die Worte Le Noir Fainéant – und zum Schluß ein zierlich gezeichneter Pfeil als Zeichen Locksleys. Die Ritter hörten dieses seltsame Schriftstück an und starrten sich dann stillschweigend an, als könnten sie gar nicht gescheit daraus werden. Bracy war der erste, der das Schweigen brach, indem er ein unmäßiges Gelächter anstimmte, in das der Templer mit etwas mehr Ruhe einfiel, während Front-de-Boeuf über ihre vorschnelle Lustigkeit ein wenig ungehalten schien. »Ihr tätet besser daran, meine Herren,« sagte er, »wenn ihr bedächtet, was wir in dieser Lage tun sollen, statt daß ihr so kreuzfidel seid, wo gar kein Grund dazu vorliegt.« »Seit seinem letzten Sturze ist Front-de-Boeuf nicht wieder der alte geworden,« sagte de Bracy zu dem Templer, »der bloße Gedanke an eine Herausforderung jagt ihm Entsetzen ein, selbst wenn sie von einem Narren und einem Schweinehirten kommt.« »Beim heiligen Michael!« versetzte Front-de-Boeuf, »ich wollte, Ihr würdet mit dieser Geschichte allein fertig, de Bracy. Diese Schufte würden nicht so unverschämt handeln, wenn sie nicht bedeutende Unterstützung hätten. In diesen Wäldern hausen viele Geächtete, die es auf mich abgesehen haben, weil ich scharf hinter ihrer Wilddieberei her bin. Als ich einmal einen Kerl, den ich auf frischer Tat ertappte, an das Geweih eines Hirsches binden ließ, der ihn in fünf Minuten totgebohrt hatte, da schwirrten mir gleich soviel Pfeile um die Ohren, wie in Ashby am Ziele vorbeiflogen. – Hierher, Bursche!« rief er seinem Diener zu. »Hast du jemand ausgeschickt, um zu sehen, durch welche gewappnete Macht diese hochfahrende Herausforderung unterstützt wird?« »Es sind mindestens zweihundert Mann im Walde versammelt,« antwortete der Knappe. »Das ist eine schöne Schweinerei,« sagte Front-de-Boeuf. »Das kommt davon, daß ich Euch mein Schloß für Eure Anschläge eingeräumt habe. Ihr könnt nichts geheimhalten, und nun habt Ihr mir dieses Wespennest auf den Hals gehetzt.« »Ein Wespennest?« erwiderte de Bracy, »das sind ja nur Drohnen, die keinen Stachel haben, eine Horde von faulem Gesindel, das lieber im Walde haust und Wild stiehlt, als daß es sich von ihrer Hände Arbeit ernährt.« »Schämt Euch, Herr Ritter,« sagte der Templer, »wir wollen unsere Leute zusammenrufen und über sie herfallen. Ein Ritter – nein, ein Bewaffneter schon nimmt es mit zwanzig von ihnen auf.« »Ein Ritter ist genug und schon zuviel,« meinte de Bracy. »Ich schäme mich, daß ich meine Lanze gegen sie brauchen soll.« »Gewiß,« entgegnete Front-de-Boeuf, »wenn es schwarze Sarazenen oder Mohren wären, Herr Templer, oder feige französische Bauern, mein sehr tapferer de Bracy, aber es sind englische Yeomen, denen wir an nichts überlegen sind als in Waffen und Pferden, und die nützen uns in den dichten Waldungen wenig. Wir sollen einen Ausfall machen, sagt Ihr, wir haben ja kaum Leute genug, um das Schloß zu verteidigen. Meine besten Mannen sind in York, auch Eure ganze Schar, de Bracy, ist dort, und wir haben keine zwanzig Mann außer denen, die an diesem tollen Streich teilgenommen haben.« »Ihr fürchtet doch nicht etwa, daß sie eine Macht zusammenbringen und einen Sturm gegen das Schloß wagen könnten?« fragte der Templer. »Das nicht, Sir Brian,« antwortete Front-de-Boeuf. »Die Räuber haben freilich einen kühnen Anführer, aber ohne Maschinen, Sturmleitern und erfahrene Hauptleute können sie gegen mein Schloß nichts ausrichten.« »Schickt doch zu Euern Nachbarn,« riet der Templer, »die mögen ihre Leute zusammenrufen und zwei Rittern zu Hilfe kommen, die von einem Schweinehirten und einem Narren in dem freiherrlichen Schlosse des Reginald Front- de-Boeuf belagert werden.« »Ihr scherzt, Herr Ritter,« antwortete Front-de-Boeuf. »Zu wem soll ich denn schicken? Malvoisin ist in York, da sind auch alle, auf die ich sonst rechnen könnte, und da sollte ich selber sein, wenn dieses verwünschte Possenspiel nicht wäre.« »So schickt doch nach York und laßt unsere Leute zurücklaufen,« sagte de Bracy; »wenn die Feinde beim Anblick meiner Fahne und meiner Freischar nicht Reißaus nehmen so will ich sie die kühnsten Räuber nennen, die je in einem Walde den Bogen gespannt haben.« »Und wer soll eine Botschaft überbringen?« versetzte Front-de-Boeuf. »Sie werden jeden Pfad besetzt halten und jeden Boten abfangen und durchsuchen. Aber da fällt mir etwas ein,« setzte er hinzu. – Herr Templer, Ihr könnt gut lesen und schreiben – wenn wir nur das Schreibzeug finden könnten, das mein Kaplan gehabt hat, er ist vorige Weihnachten gestorben ...« »Mit Verlaub,« sagte der noch der Befehle harrende Knappe, »ich glaube, die alte Barbara hat das Schreibzeug aus Liebe zu ihrem Beichtvater aufgehoben.« »So geh und hole es,« sagte Front-de-Boeuf, »und dann werdet Ihr, Herr Templer, diese kühne Herausforderung beantworten.« »Das möcht ich lieber mit der Schärfe des Schwertes als mit der Feder tun,« erwiderte Bois-Guilbert, »doch geschehe was Ihr wollt.« Er setzte sich nieder und schrieb auf französisch folgenden Brief: »Sir Reginald Front-de-Boeuf und seine ritterlichen Verbündeten nehmen keine Herausforderung von Sklaven, Leibeigenen und Flüchtlingen an. Wenn der Mann, der sich der schwarze Ritter nennt, wirklich einigen Anspruch auf die Ehre der Ritterschaft erheben kann, so sollte er wissen, daß sein derzeitiges Bündnis entehrend für ihn ist und daß er infolgedessen kein Recht hat, von Männern aus edelm Blute Rechenschaft zu fordern. Was die Gefangenen betrifft, so ersuchen wir Euch, Ihr mögt ihnen aus christlicher Barmherzigkeit einen Diener der Kirche senden, der ihre Beichte entgegennehmen und sie zum Tode bereiten kann, denn es ist unser fester Vorsatz, sie heute vormittag noch zu töten und ihre Köpfe auf den Zinnen unseres Schlosses aufzupflanzen, damit jedermann erfahre, wie wenig Achtung wir denen zollen, die ihnen zu Hilfe kommen wollten. Deshalb ersuchen wir Euch, schickt ihnen einen Priester, der sie mit Gott versöhne, das wäre der letzte irdische Dienst, den ihr ihnen erweisen könntet.« Dieser Brief wurde zusammengefaltet und einem Knappen übergeben, der ihn dann dem Manne gab, der die Herausforderung gebracht hatte und der noch draußen wartete. Der Sendbote kehrte in das Hauptquartier der Verbündeten zurück, das sich jetzt unter einem alten Eichbaum, drei Bogenschüsse vom Schloß entfernt, befand. Hier warteten Wamba und Gurth mit ihren Bundesgenossen, dem schwarzen Ritter und Locksley, ungeduldig auf eine Antwort. In der Runde war mancher Yeoman zu schauen, dem man am Weidmannsrock und an den wetterharten Zügen das Handwerk ansah. Schon waren über zweihundert beisammen, und immer kamen ihrer noch mehr. Die Anführer trugen zum Zeichen nur eine Feder auf dem Hute – im übrigen waren sie – Hut, Waffen und Kleidung – ebenso angetan wie alle anderen. Neben dieser Bande hatte sich noch eine Macht zusammengefunden, die noch irregulärer und noch schlechter bewaffnet war, nämlich die sächsischen Einwohner der nächsten Stadt und viele Leibeigene und Diener von Cedrics ausgedehnten Besitzungen, die alle erschienen waren, um ihn zu befreien. Fast alle waren mit solchen Waffen ausgerüstet, wie sie im Notfalle oftmals zu Werkzeugen des Krieges werden, als Eberspießen, Dreschflegeln, Sensen und dergleichen; denn die Normannen wandten die übliche Vorsichtsmaßregel des Eroberers an, den Besiegten den Gebrauch der Waffen zu verbieten. Infolgedessen waren die Belagerer weniger furchtbar, als sie sonst bei ihrer Überzahl und ihrem Eifer für die gute Sache den Belagerten hätten werden können. Den Anführern dieses buntscheckigen Haufens wurde nun das Schreiben des Templers übergeben. Zuerst wurde der Kaplan aufgefordert, den Inhalt vorzulesen. »Bei dem Hirtenstabe des heiligen Dunstan, der mehr Schafe in den Stall getrieben hat, als irgendein Heiliger ins Paradies,« sagte dieser würdige Geistliche, »ich schwöre Euch, ich kann diese Sprache nicht lesen und weiß viel, obs arabisch oder französisch ist.« Er gab den Brief Gurth, der brummend den Kopf schüttelte und ihn Wamba gab. Der Narr guckte die vier Ecken des Bogens an, als sei ihm der Inhalt verständlich, machte einen Bocksprung und gab das Schreiben Locksley. »Wären die kurzen Buchstaben Pfeile und die langen Buchstaben Bogen,« beteuerte der ehrliche Yeoman, »dann könnte ich es euch deuten, so aber ist der Inhalt des Briefes so sicher vor mir wie ein Hirsch, der zwölf Meilen von mir weg ist.« »Dann muß ich wohl den Vorleser machen,« sagte der schwarze Ritter, nahm Locksley den Brief ab, las ihn erst für sich durch und übersetzte ihn dann seinen Zuhörern ins Sächsische. »Den edeln Cedric hinrichten!« rief Wamba aus. »Beim heiligen Kreuz, da irrt Ihr Euch wohl, Herr Ritter!« »Nein, mein wackerer Freund,« entgegnete dieser, »ich habe Euch die Worte übersetzt, so wie sie hier geschrieben stehen.« »Dann beim heiligen Thomas,« rief Gurth, »wir müssen das Schloß haben und sollten wir's mit'n Händen einreißen.« »Weiter haben wir auch nichts dazu,« sagte Wamba, »und meine Hände sind tatsächlich nicht mal imstande, Stein und Mörtel zu zerbrechen.« »Das ist nur eine List, um Zeit zu gewinnen,« meinte Locksley. »Sie dürfen es nicht wagen, eine Tat zu verüben, die ich furchtbar rächen könnte.« »Ich wollte, es wäre einer unter uns,« sagte der schwarze Ritter, »der ins Schloß hineingelangen könnte, um zu erfahren, wie es bei den Belagerten aussieht. Sie fragen ja nach einem Beichtvater, da könnte doch der heilige Eremit hier zugleich seines Amtes walten und uns die erwünschte Kunde bringen.« »Geht zum Kuckuck mit Euerm Rat!« sagte der fromme Einsiedler. »Ich sage Euch, Herr Faulpelz, wenn ich meine Mönchskutte einmal ausgezogen habe, dann ist meine Priesterschaft, meine Heiligkeit und mein ganzes Latein mit weg, und in meinem grünen Wams kann ich wohl zwanzig Stück Wild erlegen, aber nicht einem Christen die Beichte abnehmen.« »Ich fürchte,« sagte der schwarze Ritter, »wir finden hier keinen anderen, der an Stelle des Einsiedlers den Beichtvater machen kann.« Alle sahen einander schweigend an. »Ich sehe schon,« sagte Wamba nach einer Pause, »der Narr wird immer 'n Narr bleiben und da seinen Hals aufs Spiel setzen, wo sich weise Männer fein davor hüten. Ihr müßt wissen, liebe Gevattern und Landsleute, ich bin braun einhergegangen, ehe ich buntscheckig wurde, und ich bin zum Mönch erzogen worden, ehe ich in mir so viel Verstand entdeckte, daß ich Narr werden konnte. Ich hoffe, wenn ich mit dem Priesterrock dieses guten Eremiten alle Priesterschaft Heiligkeit und Gelehrsamkeit, die darin stecken mag, anlege, dann werd ich geschickt genug befunden werden, unserem würdigen Vater Cedric und seinen Leidensgefährten weltlichen und geistlichen Trost zu bringen.« »Was denkst du, Gurth,« fragte der schwarze Ritter, »hat er Verstand genug?« »Ich weiß nicht,« entgegnete Gurth, »aber 's wäre das erstemal, wenn er hier nicht Pfiffigkeit genug zeigte, aus seiner Narrheit Vorteil zu ziehen.« »Dann hinein in die Kutte, ehrlicher Kerl!« entschied der schwarze Ritter. »Dein Herr soll uns durch dich wissen lassen, wie es im Schlosse steht. Sie können nicht viel Mannschaft drin haben, und es ist fünf gegen eins zu wetten, daß uns ein kühner und plötzlicher Angriff den Sieg verschafft. Aber die Zeit drängt – darum halte dich dazu!« »Bis dahin,« sagte Locksley, »wollen wir das Schloß scharf besetzt halten, daß auch nicht eine Fliege mit einer Botschaft daraus entwischen kann. Du, guter Freund,« setzte er zu Wamba hinzu, »kannst den Tyrannen darinnen schon immer versichern, daß jede Gewalttätigkeit an ihren Gefangenen aufs strengste an ihrer Person vergolten werden soll.« »Pax vobiscum!« sagte Wamba, schon in der Verkleidung des Geistlichen. Dreiundzwanzigstes Kapitel In der Kutte des Eremiten, die mit einem Strick um den Leib gegürtet war, stand Wamba vor dem Schloßtore. Der Torhüter fragte ihn nach Namen und Begehr. »Pax vobiscum!« antwortete der Narr. »Ich bin ein armer Bruder vom Orden des heiligen Franziskus und komme, um bei einigen unglücklichen Gefangenen dieses Schlosses meines Amtes zu walten.« »Du bist 'n Mönch, der Courage hat,« sagte der Torwart, »daß du dich hierher getraust, wo seit unserem besoffenen Beichtvater zwanzig Jahre lang kein Hahn deines Gefieders gekräht hat.« »Ich bitt Euch,« versetzte der Mönch, »richtet dem Schloßherrn aus, was ich Euch aufgetragen habe. Ich geb Euch mein Wort drauf, er wird mich freundlich aufnehmen, und der Hahn soll krähen, daß mans im ganzen Schloß hört.« »Schön Dank,« erwiderte der Torhüter. »Wenn ich aber Schererei deswegen habe, daß ich auf Euern Auftrag hin von meinem Posten weggegangen bin, so will ich mal sehen, ob 'ne Mönchskutte gegen einen Pfeil mit grauen Gansfedern gefeit ist.« Mit dieser Drohung verließ er seinen Turm und bestellte im Schlosse die ungewöhnliche Botschaft, daß ein frommer Bruder am Tor sei und Einlaß begehre. Mit nicht geringer Verwunderung vernahm er den Befehl seines Herrn, den frommen Mann sofort hereinzulassen. So groß das Selbstvertrauen auch war, das Wamba bei seinem gefahrvollen Unternehmen beseelte, so drohte es ihn doch zu verlassen, als er sich einem so furchtbaren und gefürchteten Manne wie Reginald Front-de-Boeuf gegenübersah. Er brachte sein Pax vobiscum, das so ziemlich die ganze Weisheit seiner angenommenen Rolle ausmachte, mit weit mehr Angst und Zagen heraus als bisher. Aber Front-de-Boeuf war so daran gewöhnt, Leute jedes Standes vor sich zittern zu sehen, daß er in der Furchtsamkeit des vermeintlichen Mönches keinen Grund zu Argwohn fand. »Wer bist du, Priester, und woher kommst du?« »Pax vobiscum!« wiederholte der Narr. Ich bin ein armer Bruder des Klosters zum heiligen Franziskus. Als ich hier durch die Wüste wandelte, so fiel ich unter Räuber und Diebe – quidam viator incidit in latrones, sagt die heilige Schrift. Diese Diebe haben mich nach dem Schlosse hier gesandt, daß ich bei zwei Personen, die Eure ehrenwerte Gerechtigkeit zum Tode verurteilt hat, meines Amtes walte.« »Ja so!« machte Front-de-Boeuf. »Kannst du mir auch sagen, heiliger Vater, wie groß die Zahl der Banditen ist?« »Tapferer Ritter,« antwortete der Narr, nomen illis legio – ihr Name ist Legion!« »Sage mir rund heraus, Priester, wie viele sind ihrer im Walde draußen? Sonst sollen dich Kutte und Strick wenig schützen.« »Wehe!« sagte der angebliche Mönch. »Cor meum eructavit, das heißt, mir war, als sollte ich vor Furcht verenden. Soviel ich aber bei aller Angst habe sehen können, so mögen es an Yeomen und gemeinem Volk wohl ihrer fünfhundert sein.« »Was!« rief der Templer, der gerade in die Halle kam. »Ist der Wespenschwarm so dicht? Nun, da ist es Zeit, die ganze verderbliche Brut zu ersticken.« Dann zog er Front-de- Boeuf beiseite. »Kennt Ihr den Priester?« fragte er. »Es ist ein fremder Mönch aus einem entlegenen Kloster,« antwortete Reginald. »Ich kenne ihn nicht.« »Dann vertraut ihm nichts Mündliches an,« sagte der Templer. »Gebt ihm einen schriftlichen Befehl an die Freischar de Bracys mit, daß sie auf der Stelle ihrem Hauptmann zu Hilfe eilen solle. Bis dahin erlaubt dem Glatzkopf, hier frei herumzugehen, damit er keinen Verdacht schöpft, und laßt ihn die sächsischen Schweine zur Schlachtbank herrichten.« »So soll es sein,« stimmte Front-de-Boeuf ein und befahl einem Diener, Wamba in das Gemach zu bringen, wo Cedric und Athelstane gefangen saßen. Als Cedric erkannt hatte, daß er gefangen war, war sein Ungestüm nur noch gestiegen. Mit den Gebärden eines Kriegers, der Sturm laufen oder über seinen Feind herfallen will, schritt er in dem Gemache auf und ab. Bald sprach er mit sich selber, bald mit Athelstane, der mit stoischer Ruhe abwartete, wie sich das Weitere gestalten würde, während er mit aller Behaglichkeit das reiche Mahl verdaute, das er zu Mittag verspeist hatte. Ihm war es einerlei, wie lange seine Gefangenschaft dauern würde, denn er sagte sich, wie alles Leid auf Erden müsse auch sie einmal ein Ende nehmen. »Pax vobiscum!« sagte der Narr, indem er eintrat. »Der Segen des heiligen Dunstan sei mit euch!« »Salvete et vos!« antwortete Cedric dem vermeintlichen Mönch. »Was führt dich zu uns?« »Zum Tode soll ich euch vorbereiten,« erwiderte der Narr. »Das ist nicht möglich!« fuhr Cedric auf. »Sie mögen noch so gottlos und unverschämt sein, aber eine solche offenbare und nutzlose Grausamkeit werden sie nicht wagen.« »Ach!« versetzte der Narr. »Wer sie durch irgendwelchen Appell an menschliche Gefühle zu beeinflussen hofft, der kann ebensogut ein Pferd mit einer seidenen Schnur zu regieren suchen. Deshalb, edler Cedric und tapferer Athelstane, denkt darüber nach, was ihr im Fleische gesündigt habt, denn noch heute müßt ihr vor dem höchsten Richter Rechenschaft tun.« »Hört Ihr, Athelstane?« rief Cedric. »Wir müssen unsere Herzen zu diesem letzten Akt aufraffen! Besser als Männer sterben, denn als Sklaven leben!« »Ich bin bereit,« antwortete Athelstane, »ihre Grausamkeit bis auf die Neige zu erdulden, und gehe ebenso ruhig zum Tode wie zu meinem Mittagessen.« »So führe uns zu einem heiligen Ende, frommer Vater,« sagte Cedric. »Warte noch ein bißchen, guter Onkel!« sagte jetzt der Narr in seinem natürlichen Tone. –«Ehe du ins Dunkle springst, schau besser hin.« »Weiß es Gott!« rief Cedric, »die Stimme sollte ich kennen.« »Es ist die Stimme Euers treuen Sklaven und Narren,« antwortete Wamba, indem er die Kapuze zurückschlug. »Wenn Ihr früher dem Rate eines Narren gefolgt wäret, so säßet Ihr jetzt nicht hier. Befolgt ihn nun, und Ihr werdet nicht lange mehr hier sitzen.« »Was willst du damit sagen, Schelm?« fragte der Sachse. »Nehmt dieses Kleid,« sagte Wamba, »und diesen Strick, sie machen meine ganze Priesterschaft aus – und verlaßt in aller Ruhe das Schloß. Laßt mir Euern Mantel und Gürtel, und ich bleibe an Eurer Stelle zurück.« »Du an meiner Stelle?« rief Cedric, erstaunt über diesen Vorschlag. »Aber sie werden dich hängen, mein armer Schelm.« »Laßt sie doch tun, was sie wollen,« versetzte Wamba. »Ich will zwar Eurer Abkunft nicht zu nahetreten, aber ich meine, der Sohn von Ohnewitz wird mit ebensoviel Anstand an der Kette hängen, wie die Kette an seinem Vorfahr, dem Rathsherrn, hing.« »Gut, Wamba,« antwortete Cedric, »ich nehme den Vorschlag an auf eine Bedingung hin: tausche statt mit mir mit Lord Athelstane die Kleider.« »Nein, beim heiligen Dunstan,« sagte Wamba, »das wäre nicht vernünftig. Es sind gute Gründe vorhanden, daß der Sohn von Ohnewitz den Sohn Herewards rette, aber wenig Weisheit wäre daran, wenn er für einen sterben wollte, dessen Väter ihm fremd sind.« »Schurke!« rief Cedric. »Die Väter von Athelstane waren Herrscher von England!« »Sie mögen gewesen sein, was sie wollen,« versetzte Wamba, »der Hals sitzt mir zu fest auf'm Nacken, als daß ich ihn mir um ihretwillen möchte zusammenschnüren lassen. Also müßt Ihr, mein guter Herr, mein Anerbieten annehmen, oder ich gehe aus diesem Kerker so frei wieder raus, wie ich reingekommen bin.« »Der alte Baum mag verwelken,« sagte Cedric, »wenn nur die Hoffnung des Waldes gerettet wird. Rette den edeln Athelstane, mein treuer Wamba, das ist die Pflicht eines jeden, in dessen Adern sächsisches Blut rollt. Wir beide wollen dann zusammen hierbleiben und der Wut unserer Unterdrücker bis zum Äußersten Trotz bieten, er aber mag frei und mit heiler Haut den Mut unserer Landsleute erwecken und zur Rache für uns aufrufen.« »Nicht also, Vater Cedric!« sagte Athelstane und ergriff ihn bei der Hand, denn wenn er zum Handeln aufgemuntert wurde, so waren seine Handlungen und seine Denkweise fast immer seiner hohen Abkunft würdig. »Nicht also,« fuhr er fort, »lieber wollt ich in diesem Gemach eine Woche lang keine andere Speise genießen als das karge Brot des Gefangenen und kein anderes Getränk begehren als Wasser, ehe ich Gebrauch machen würde von der Liebe dieses Sklaven zu seinem Herrn.« «Ihr Herren, Ihr nennt euch weise!« fiel Wamba ein, »und mich nennt ihr 'nen verrückten Narren, aber, Onkel Cedric und Vetter Athelstane, der Narr soll diesen Streit unter euch entscheiden und euch die Mühe ersparen, euch Komplimente untereinander zu machen. Ich bin gekommen, um meinen Herrn zu retten und der will nicht gerettet sein – also geh ich wieder heim. Ein Liebesdienst kann nicht aus einer Hand in die andere gehen, wie 'n Weberschiff oder 'n Fangball. Ich lasse mich für keinen anderen hängen als für meinen eingeborenen Gebieter.« »So geht denn, edler Cedric,« sagte Athelstane. »Laßt diese Gelegenheit nicht vorübergehen. Wenn Ihr draußen seid, so könnt Ihr vielleicht Freunde zu unserer Hilfe aufrufen. Wenn Ihr hierbleibt, so sind wir alle verloren.« »Und ist Aussicht vorhanden, daß wir draußen Hilfe finden?« fragte Cedric den Narren. »Aussicht genug,« antwortete der Narr. »Ich sag Euch, zieht meine Kutte an, und Ihr habt'n Generalsrock an. Draußen stehen fünfhundert Mann, und heute morgen noch war ich einer ihrer Anführer. Meine Narrenkappe 'n Helm, mein Stock 'n Kommandostab. Na, wir werden ja sehen, ob sie klug dran taten, daß sie sich gegen den Narren einen Weisen eintauschten. Was sie an Besonnenheit gewonnen haben, setzen sie vielleicht an Tapferkeit wieder zu. So lebt denn wohl, Herr! Seid barmherzig gegen den armen Gurth und seinen Hund Packan und laßt in der Halle von Rotherwood meine Schellenkappe aufhängen zum Andenken, daß ich mein Leben ließ für meinen Herrn, recht wie ein treuer – Narr.« Der Ton des letzten Aktes schwankte zwischen Ernst und Scherz. Dem alten Cedric standen Tränen in den Augen. »Dein Andenken soll heilig gewahrt bleiben,« sagte er, »so lange noch Treue und Liebe auf Erden Wert haben. Aber ich hoffe, ich finde Mittel und Wege, Rowena zu retten und Euch, edler Athelstane, und auch dich, mein armer Wamba, ich will in diesem Stück nicht hinter dir zurückstehen.« Nun wurden die Kleider getauscht – da fühlte Cedric plötzlich einen Zweifel in sich aufsteigen. »Ich verstehe keine Sprache weiter, als meine Heimatzunge,« sagte er, »und soll ich mich als frommer Bruder benehmen?« »Zwei Worte machen die ganze Kunst aus,« sagte Wamba: »Pax vobiscum. Das gibt auf alle Fragen Antwort, Ihr mögt kommen oder gehen, essen oder trinken, Segen oder Fluch sprechen – mit Pax vobiscum kommt Ihr durch alles. Es ist für den Mönch so brauchbar, wie der Besenstiel für die Hexe oder die Wünschelrute für'n Zauberer. Sprecht nur in so tiefem ernstem Tone: Pax vobiscum! Dem kann keiner widerstehen: Wachen und Hüter, Ritter und Knappen, Männer zu Roß und zu Fuß – keiner kann diesem Zauber trotzen. Ich denke, wenn sie mich morgen hängen wollen – und das ist wohl anzunehmen – so versuch ich's nochmal, ob ich bei dem Vollstrecker des Urteils nicht mit dem Pax vobiscum was erreiche.« »Wenn dem so ist,« sagte Cedric, »so hätte ich das Priestertum schnell begriffen. – Pax vobiscum! Das werde ich wohl behalten. – Edler Athelstane, lebt wohl, und auch du, mein armer Bursch, dein Herz würde selbst einem schwächeren Kopfe noch als dem deinen Ehre machen. – Ich werde euch retten oder wiederkommen und mit euch sterben. Das königliche Blut unserer Sachsenkönige soll nicht vergossen werden, solange noch Leben in meinen Adern ist, und kein Haar soll diesem braven Jungen gekrümmt werden, der für seinen Herrn das Leben wagte, wenn es Cedric hindern kann. – Lebt wohl!« »Lebt wohl, edler Cedric,« sagte Athelstane, »und bedenkt, daß ein Ordensbruder ruhig Erfrischungen annehmen darf, die ihm angeboten werden.« »Lebt wohl, Onkel!« setzte Wamba hinzu, »und denkt an das Pax vobiscum!« Mit derlei Ermahnungen machte sich Cedric auf den Weg. Es währte nicht lange, so hatte er Gelegenheit, die Kraft seines Zauberwortes zu erproben, denn an einem niedrigen gewölbten Gange begegnete ihm eine weibliche Gestalt, die ihn aufhielt. »Pax vobiscum!« sprach der verkappte Mönch und wollte in aller Eile vorbeischlüpfen, aber eine sanfte Stimme antwortete ihm: »Et vobis – quaeso domine reverendissime pro misericordia vestra –« »Ich bin ein wenig taub,« versetzte Cedric auf gut sächsisch und murmelte in seinen Bart: »Verwünscht sei der Narr und sein Pax vobiscum! Gleich beim ersten Wurfe habe ich meinen Spieß verloren.« Es war aber zur damaligen Zeit keine Seltenheit, daß die Priester für Latein ein taubes Ohr hatten, und das wußte die Person, die mit Cedric sprach, recht wohl. »Ich bitte Euch um Himmels willen, ehrwürdiger Vater,« fuhr sie in sächsischer Sprache fort, »seid so gut und laßt Euern geistlichen Trost einem verwundeten Gefangenen, der hier im Schlosse liegt, zukommen und habt Mitleid mit ihm, wie es Euer Stand erheischt. Ihr sollt nie eine gute Tat getan haben, die Euerm Kloster so großen Vorteil gebracht hätte. »Tochter,« antwortete Cedric in großer Verlegenheit, »meine Zeit erlaubt mir nicht, in diesem Schlosse mein heiliges Amt zu üben – ich muß auf der Stelle fort, denn Tod und Leben hängen davon ab, daß ich mich beeile.« »Und trotzdem,« fuhr die Bittende fort, »muß ich in Euch dringen, laßt um Euers Gelübdes willen den Armen nicht ohne Beistand.« »So möge denn der böse Feind mit mir davonfliegen und mich mit Odins und Thors Seelen in Jfrin lassen,« versetzte Cedric außer sich, und er hätte wahrscheinlich in dem gleichen Tone, der seinem heiligen Stande ganz entgegen war, noch weitergesprochen, wenn nicht ein altes Weib herzugetreten wäre, das mit dem rauhen Krächzen einer Turmeule das Gespräch unterbrach. »Wie, Schätzchen?« sagte sie zu der weiblichen Gestalt, »ist das der Dank für meine Nachsicht, daß ich dir erlaubt habe, aus deiner Gefangenenzelle oben herauszugehen? Treibst du den heiligen Mann dazu, daß er so unfeine Reden gebraucht, um eine Jüdin los zu werden?« »Eine Jüdin?« rief Cedric, froh, daß er einen Vorwand fand, sich loszureißen. »Laß mich gehen, Weib, und halte mich nicht auf, es könnte dir leid tun. Ich habe eben meines Amtes gewaltet und muß mich vor Verunreinigung hüten.« »Folgt mir, Vater!« sagte die Alte. »Ihr seid fremd in diesem Schlosse und findet ohne Führer nicht heraus. Kommt mit, ich habe mit Euch zu reden, und du, Tochter eines verfluchten Volkes, geh zu dem Kranken und pflege ihn, bis ich wiederkomme, und wehe dir, wenn du das Gemach noch einmal ohne Erlaubnis verläßt.« Rebekka ging, und Urfried zog Cedric trotz seinem Widerstreben mit sich fort. Vierundzwanzigstes Kapitel Die Alte führte Cedric in ein kleines Gemach und schloß hinter sich sorgfältig die Tür. Dann holte sie von einem Kredenztische einen Becher und zwei Flaschen und sagte mehr im Tone der Gewißheit als der Frage: »Du bist ein Sachse, Vater; streit es nicht ab,« setzte sie hinzu, als sie sah, daß Cedric mit der Antwort nicht recht herauswollte. »Meine Muttersprache ist Musik in meinen Ohren, wenngleich ich sie aus den Lippen der entwürdigten, erbärmlichen Sklaven nur selten höre, denen in diesem Schlosse die stolzen Normannen die niedrigsten Arbeiten auftragen. – Du bist ein Sachse, Vater, du bist nicht nur ein Diener Gottes, du bist auch ein heiliger Mann. O, wie süß klingt deine Stimme mir im Ohr!« »Kommen denn keine sächsischen Priester in dieses Schloß?« entgegnete Cedric. »Ich dächte, es wäre ihre Pflicht, die ausgestoßenen und geknechteten Kinder dieses Landes zu trösten.« »Es kommt keiner,« antwortete Urfried. »Oder, wenn einige kommen, dann schmausen sie lieber an der Tafel der Eroberer, als daß sie sich von ihren Landsleuten etwas vorseufzen lassen – so geht wenigstens das Gerede, denn ich selber weiß davon nichts. Seit zehn Jahren ist kein Priester in dieses Schloß gekommen, der letzte war unser ausschweifender normännischer Kaplan, der mit Front-de-Boeuf die Nächte durchschwärmte und der nun schon lange dahingegangen ist, Rechenschaft von seinem Amte abzulegen. Du aber bist ein Sachse, ein sächsischer Priester, ich muß dich etwas fragen.« »Ich bin ein Sachse,« antwortete Cedric, »aber nicht würdig, ein Priester zu heißen. Laß mich jetzt meiner Wege ziehen. – Ich gebe dir mein Wort, ich komme wieder, oder ich schicke dir einen unserer Väter, der würdiger ist als ich, deine Beichte entgegenzunehmen.« »Verweile noch ein wenig,« sagte Urfried. »Die Stimme, die du jetzt hörst, wird bald unter der kalten Erde verstummen. Gelebt habe ich wie ein Vieh, nun möchte ich nicht einem Viehe gleich in die Grube fahren. Aber ich muß mir Kraft holen im Wein, daß ich meine grausige Geschichte zu erzählen vermag.« Mit furchtbarer Gier goß sie einen Becher voll hinab bis auf die Neige. »Du wunderst dich, Vater,« sagte sie und sah auf, »aber da kann ich dir nicht helfen. Trink mit mir, wenn du stark genug sein willst, meine Geschichte anzuhören, du könntest sonst zu Boden sinken.« Cedric hätte es ihr gern versagt, ihr in dieser unheimlichen Zecherei Bescheid zu tun, aber in ihrem ganzen Wesen lag eine so große Verzweiflung und Ungeduld, daß er sich ein Herz faßte und ihr zu Willen war. Er leerte einen vollen Becher, und sanfter gestimmt, als er sich ihr fügte, begann die Alte: »Vater, das jammervolle Wesen, das vor dir steht, ist nicht von Geburt an so elend gewesen. Auch ich war frei, glücklich, geehrt – ich habe geliebt und bin geliebt worden. Jetzt bin ich eine Sklavin, arm, elend, verworfen. Als ich noch schön war, war ich das Spielzeug meiner Gebieter, seit ich nicht mehr schön bin, ward ich das Ziel ihres Hohnes, ihres Hasses, ihrer Verachtung. – Wunderst du dich noch, Vater, daß ich die Menschen hasse? Besonders das Volk, das das aus mir gemacht hat? – Kann das verschrumpelte, ausgemergelte Wesen, das du vor dir siehst, jemals vergessen, daß sie die Tochter des mächtigen Thane von Torquilstone war, vor dessen Macht tausend Vasallen zitterten?« »Du Torquil Wolfgangers Tochter!« rief Cedric und bebte zurück. »Du die Tochter jenes edeln Sachsen, der meines Vaters Freund und Waffenkamerad war?« »Deines Vaters Freund!« wiederholte Urfried. »So steht Cedric vor mir, den sie den Sachsen nennen! Denn der edle Hereward von Rotherwood hatte nur einen Sohn. Aber wenn du Cedric von Rotherwood bist, wie kommst du zu diesem Mönchskittel? Hast du daran gezweifelt, daß dein Vaterland wieder befreit werden könnte und dich vor der Unterdrückung und Knechtung in die Stille des Klosters gerettet?« »Wer ich bin, ist einerlei,« sagte Cedric, »fahre du fort, du Unglückliche in deiner Erzählung von Schuld und Jammer – Schuld mußt du haben, denn schon eine Schuld ist es, daß du leben geblieben bist, solches zu erzählen.« »Freilich, freilich,« versetzte die Elende, »tiefe, schwarze, verdammenswerte Schuld lastet zentnerschwer auf meiner Seele – alle Fegefeuer können mich nicht davon rein brennen. Ja, daß ich in diesen Hallen, deren Boden das edle, reine Blut meines Vaters und meiner Brüder getrunken hat, als die Metze ihres Mörders, und zugleich seine Sklavin, als die Genossin seiner wollüstigen Schwelgereien gelebt habe, das hat jeden Atemzug, den ich hier getan habe, zum Verbrechen und zum Fluche gemacht!« »Du Auswurf!« rief Cedric. »Wenn deines Vaters Freunde, wenn jedes sächsische Herz für seine Seele und die seiner tapferen Söhne betete, so vergaßen sie nicht, auch für die hingemordete Ulrika zu beten – denn alle betrauerten sie als tot und ehrten sie im Tode – und dabei war sie noch am Leben und war wert, daß wir sie mit Haß und Abscheu überschütteten, lebte vereint mit dem schändlichen Tyrannen, der ihr das teuerste und ihrem Herzen nächste hingemordet hatte, der der Kinder Blut vergossen hatte, damit kein männlicher Erbe des Geschlechts Torquil Wolfgangers am Leben bleibe – und mit diesem hast du gelebt, in ungesetzlichem Liebesbunde?« »Wohl in ungesetzlichem Bunde, aber nicht im Bunde der Liebe!« entgegnete die Alte. »Eher wohnt Liebe in der ewigen Verdammnis als in diesen Hallen. – Nein, das wenigstens brauche ich mir nicht vorzuwerfen. Haß gegen Front-de-Boeuf und sein ganzes Geschlecht hat meine Seele stets erfüllt, selbst in den Stunden verbrecherischer Lust.« »So hast du ihn gehaßt und doch gelebt!« rief Cedric. »Erbärmliche! war denn kein Dolch da, kein Messer – nicht einmal eine Haarnadel? An solch einem Dasein konntest du noch hängen? Nur gut dann für dich, daß die Geheimnisse eines normännischen Schlosses verschlossen sind wie die eines Grabes. Hätte ich's mir nur träumen lassen, daß Torquils Tochter in verbrecherischer Gemeinschaft mit dem Mörder ihres Vaters lebte, das Schwert eines echten Sachsen hätte sie selbst in den Armen ihres Buhlen zu treffen gewußt.« »Hättest du wirklich dem Namen Torquils zu dieser Gerechtigteit verholfen?« erwiderte Ulrika, »dann bist du wirklich der Sachse, so wie ihn das Gerücht darstellt, denn selbst in diese verfluchten Mauern hinein, wo die Schuld in undurchdringliches Geheimnis gehüllt ist, wie du sagst, selbst bis hierher ist Cedrics Name gedrungen, und ob ich auch elend und verworfen bin, so habe ich mich doch gefreut, daß unserm Volke ein Rächer lebt. – Auch ich habe meine Stunden gehabt, da ich der Rache frönte. Ich habe die Streitigkeiten zwischen unseren Feinden zu Flammen geschürt – ich habe trunkene Zecher zu wütenden Mördern gemacht – ihr Blut habe ich fließen sehen – ihr Todesröcheln vernommen. Schau mich an, Cedric, sind nicht in diesem verwelkten, vor Schande entarteten Antlitz noch Spuren von Torquils Zügen?« »Nicht danach frage mich, Ulrika,« erwiderte Cedric in einem Tone zwischen Haß und Abscheu. »Mir erscheinen diese Züge wie die eines Verstorbenen, in dessen Leichnam ein böser Geist gefahren ist.« »Mag schon sein,« sagte Ulrika. »Und doch haben diese höllischen Züge einst die Larve eines heiteren Genius getragen, als um meinetwillen der ältere Front-de-Boeuf und sein Sohn Reginald in Streit gerieten. Wohl sollte die Hölle mit all ihrer Finsternis verhüllen, was nun geschah, aber die Rache lüftet den Schleier und zeigt, was selbst die Toten reden machen könnte. – Lange hatte unter der Asche die Glut der Zwietracht zwischen dem tyrannischen Vater und seinem wilden Sohne geglommen, lange hatte ich insgeheim den widernatürlichen Haß genährt. In einer Stunde wüster Trunkenheit brach er lodernd aus, und an seinem eigenen Tische fiel mein Peiniger von der Hand seines eigenen Sohnes. Das sind die Geheimnisse, die die Hallen hier verschließen. – Stürzt ein, ihr fluchbeladenen Gewölbe!« setzte sie hinzu, mit einem Blick nach oben, »und in euerm Fall begrabt alle, die um das abscheuliche Geheimnis wissen!« »Und du schuldvolles und jammervolles Wesen,« sagte Cedric, »wie erging es dir, nachdem der Räuber deiner Ehre gefallen war?« »Errat es, doch frage nicht danach! Hier hab ich gehaust, bis Alter, vorzeitiges Alter mir seine gräßlichen Male ins Gesicht grub. Da, wo man mir ehedem gehorcht hatte, war ich verachtet und verhöhnt, und meine Rache, die einst ein so weites Feld gehabt hatte, war nun eingeschränkt auf die kleinliche Bosheit einer mißvergnügten Hausgenossin und auf die unbeachteten Flüche eines alten Weibes. – Verdammt dazu war ich, von meinem Turm herab das Gelärm der Zechgelage zu hören oder das Jammern der neuen Opfer ihrer Grausamkeit.« »Ulrika, ich fürchte, dein Herz verlangt nach einem Lohne für deine Schandtaten, um den du gekommen bist. Wie kannst du es wagen, dich an einen zu wenden, der dieses Gewand trägt? – Bedenke, Unglückliche, was vermöchte der heilige Eduard für dich zu tun, stünde er in fleischlicher Gestalt jetzt hier? Der königliche Bekenner hatte wohl von Gott die Gnade, den Körper von Wunden zu heilen, aber nur der Allmächtige selber kann die Seele vom Aussatz reinigen.« »Nicht so wende dich von mir, ernster Prophet des Zornes!« rief sie. »Sage mir, wenn es in deinem Wissen liegt, was wird das Ende sein der ungekannten schrecklichen Empfindungen, die jetzt in meine Einsamkeit schleichen? Warum stehen längst vergangene Taten in neuem Grausen deutlich vor mir auf? Was wird jenseit des Grabes das Schicksal der Elenden sein, die Gott schon hinieden mit so unsäglichem Elend gestraft hat?« »Ich bin kein Priester,« sagte Cedric, indem er sich voller Abscheu von diesem gräßlichen Bilde der Schuld, des Jammers und der Verzweiflung abwendete, »ich bin kein Priester, wenn ich auch das Gewand eines Priesters trage.« »Du seiest Priester oder Laie,« war die Antwort, »du bist der erste, der mir seit zwanzig Jahren vor Augen kommt, der Gott fürchtet und die Menschen achtet, und du willst mich der Verzweiflung überlassen?« »Der Reue!« erwiderte Cedric. »Bete und tu Buße! Würde dir nur Erhörung! Aber ich kann und will nicht länger bei dir verweilen.« »Noch einen Augenblick verweile!« sagte Ulrika. »Geh nicht also von mir, du Sohn des besten Freundes, den mein Vater hatte, sonst könnte mir der Teufel, der in meinem Leben die Oberhand hat, eingeben, daß ich mich räche für deine hartherzige Verachtung. – Glaubst du nicht, wenn Front-de-Boeuf Cedric den Sachsen in seinem Schlosse fände, in solcher Verkleidung, daß dein Leben nicht verloren wäre? Sein Auge hat dich schon angeblitzt wie ein Falke, der seine Beute schaut.« »Und wäre dem so,« antwortete Cedric, »eher möge er mich zerreißen mit Schnabel und Krallen, ehe ich ein Wort sagte, von dem mein Herz nichts wüßte. So will ich sterben als Sachse, wahr in Worten, offen in Taten. Hebe dich weg – rühr mich nicht an – halt mich nicht auf – selbst der Anblick Front-de-Boeufs ist mir nicht so verhaßt wie deiner, du elendes, verworfenes Weib!« »Wenn dem so ist,« versetzte Ulrika, ihn nicht länger zurückhaltend, »so geh deines Wegs und vergiß im Dünkel deiner Erhabenheit, daß das elende Weib, das vor dir steht, die Tochter des besten Freundes ist, den dein Vater gehabt hat. – Mach, daß du fortkommst! Wenn mich meine Leiden vom Geschlechte der Menschen scheiden, von denen die mir von Rechts wegen helfen sollten, so soll doch keine Scheidung sein zwischen ihnen und meiner Rache. Helfen soll mir niemand, aber alle Welt soll auflauschen, wenn meine Rachetat ruchbar wird! – Fahr wohl! Das letzte Band, das mich noch mit meinem Volke zu verknüpfen schien, ist durch deine Verachtung zerrissen, indem du mir die Hoffnung nahmst, daß ich in meinem Jammer bei ihm Erbarmen finden würde.« »Ulrika,« sagte Cedric, durch diese Worte sanfter gestimmt, »so lange hast du dein Leben durch Schuld und Elend getragen, und nun, da dir die Augen geöffnet werden, daß du deine Verbrechen erkennst, daß du die Reue als deine Aufgabe einsiehst, willst du dich der Verzweiflung hingeben?« »Cedric,« erwiderte Ulrika, »schlecht kennst du das menschliche Herz. Wer leben will, wie ich gelebt habe, der muß einen wahnwitzigen Hang zur Wollust haben, gepaart mit brennendem Durst nach Rache, und muß sich seiner Macht bewußt sein. Zaubertränke sind das, sie berauschen das menschliche Herz, daß ihm die Kraft zur Reue genommen wird. Längst ist ihre Macht dahin. Das Alter kennt keine Wonne, und Runzeln vermögen nicht zu reizen, in ohnmächtigen Verwünschungen stirbt selbst die Rache dahin. Dann kommen die Gewissensbisse den Nattern gleich angeschlichen, dazu die Sehnsucht nach der Vergangenheit und das Grausen beim Gedanken an die Zukunft. Wenn dann alle anderen mächtigen Antriebe ihre Kraft verloren haben, dann werden wir den höllischen Feinden gleich, die wohl Gewissensqualen, doch nimmer Reue fühlen können. Aber deine Worte haben mir eine neue Seele eingeflößt. Du hast gesagt, denen die zu sterben wissen, ist alles möglich. Damit hast du mir den Weg zur Rache gezeigt, und sei gewiß, ich werde ihn einschlagen. Bis auf den heutigen Tag hat der Durst danach den Platz in dieser Brust geteilt mit anderen Leidenschaften, die ihm die Herrschaft streitig machten, jetzt aber soll er allein in mir wohnen, und du selber sollst sagen, daß sich Ulrika, wie auch ihr Leben war, im Tode als würdige Tochter Torquils gezeigt hat. Draußen steht ein Feind, der dieses fluchwürdige Schloß belagern will. Eile du, daß du sie zum Kampfe führst, und wenn du von dem Turme dort, der den Westwinkel dieses Kerkers bildet, eine rote Fahne wehen siehst, dann dränge hart auf die Normannen ein. Sie sollen dann drinnen im Schlosse genug zu schaffen haben, und ihr könnt trotz allen Bogen und Steinschleudern die Mauern ersteigen. Ich bitte dich, geh – folge du deinem Schicksal und überlaß mich dem meinen.« Gern hätte sich Cedric noch näher danach erkundigt, was sie im Schilde führe, aber er vernahm eben die donnernde Stimme Front-de-Boeufs: »Wo schleicht der saumselige Priester herum? Beim heiligen Jakob von Compostella, einen Märtyrer mach ich aus ihm, wenn er unter meinem Dienstvolk Verrat anzettelt.« »Ein böses Gewissen ist ein wahrer Prophet,« flüsterte Ulrika. »Fürchte dich nicht vor ihm – hinaus zu den deinen! Laß erklingen den Kriegsruf der Sachsen!« Mit diesen Worten verschwand sie durch eine geheime Seitentür, und Reginald Front-de-Boeuf trat herein. Cedric tat sich Gewalt an und bezeigte dem hochmütigen Baron seine Untertänigkeit, Front-de-Boeuf erwiderte mit einem flüchtigen Kopfnicken. »Deine Beichte hat lange gedauert, Vater!« sagte er. »Um so besser für meine Gefangenen, denn es ist ihre letzte. Hast du sie auf den Tod vorbereitet?« »Ich fand sie,« antwortete Cedric, in so gutem Französisch, wie er konnte, »in Fassung, sie hatten sowieso das Schlimmste erwartet, seit sie wußten, in wessen Hände sie gefallen waren.« »Ei, ei, Herr Mönch,« sagte Front-de-Boeuf, »mir scheint, Eure Redeweise hat einen sächsischen Beigeschmack.« »Ich bin erzogen worden im Kloster des heiligen Withold zu Burston,« erwiderte Cedric. »So? Für das, was ich mit dir vorhabe, und auch für dich selber wäre es besser, wenn du ein Normann wärst. Aber in der Not darf man mit den Boten nicht wählerisch sein. Das Kloster zum heiligen Withold in Burston ist ein rechtes Eulennest und muß ausgeschwefelt werden. Aber der Tag ist nicht mehr fern, daß der Sachse in der Kutte ebenso wenig sicher sein soll wie im Panzer.« »Gottes Wille möge geschehen!« versetzte Cedric, vor Wut zitternd. Aber Front-de-Boeuf dachte, er zittre aus Furcht. »Ich glaube, du siehst im Geiste schon unsere Krieger in euerm Bierkeller und Refektorium. Aber um meinetwillen sollst du jetzt einmal dein heiliges Amt ablegen und eine andere Verrichtung auf dich nehmen. Wie es dann auch den andern ergehen mag, du sollst in deiner Zelle so sicher schlafen wie eine Schnecke in ihrem Häuschen.« »Nennt Euern Befehl,« sagte Cedric, seinen Ingrimm unterdrückend. »Folge mir durch diesen Gang, ich will dich zur Hinterpforte hinauslassen.« Während Front-de-Boeuf vor dem vermeintlichen Mönch herschritt, teilte er ihm den Auftrag mit, den er ihm zu geben beabsichtigte. »Du siehst die Herde sächsischer Schweine, Mönch, die Schloß Torquilstone zu belagern wagt. Sage ihnen, was dir gerade einfällt. Wie schwach die Besatzung sei oder sonst was, daß du sie nur dazu bringst, noch vierundzwanzig Stunden zu warten. Inzwischen trägst du den Zettel hier – doch halt! – kannst du lesen, Priester?« »Kein Jota,« erwiderte Cedric, »nur in meinem Gebetbuche kann ich lesen, weil ich da die Buchstaben kenne und den Dienst der Andachten auswendig kann. Gelobt sei unsere Frau und der heilige Withold!« »Um so besser für meinen Zweck! Diesen Zettel hier bringst du zum Schlosse Philipps von Malvoisin, sage ihm, ich schicke ihn und der Templer Brian de Bois-Guilbert hätte ihn geschrieben. Er möchte dieses Blatt Papier nach York senden so rasch, als Mann und Roß reiten können. Gib ihm die Versicherung, er werde uns alle sicher und wohlbehalten hinter unsern Verschanzungen antreffen. – Eine Schande ist es, daß wir uns hier von dieser Bande von Strauchdieben müssen einschließen lassen, das Volk kennt es sonst nicht anders, als daß es beim bloßen Geklirr unserer Waffen oder beim Getrappel unserer Pferde auf und davonrennt. Ich sage dir, Priester, biete alle deine Kunst auf, um die Spitzbuben noch zurückzuhalten, bis unsere Freunde ihre Mannen beisammen haben. Meine Rache ist nimmer müde, sie gleicht dem Falken, der nicht eher Ruhe findet, als bis er sich gesättigt hat.« »Bei meinem Schutzpatron,« sagte Cedric mit größerer Energie, als sich mit seiner angenommenen Rolle vertrug, »bei allen Heiligen, die jemals in England gelebt haben und gestorben sind, Euer Befehl soll ausgeführt werden, kein Sachse soll den Platz vor diesen Mauern verlassen, sofern mir nur ein wenig Macht gegeben ist.« »Ha!« fiel ihm Front-de-Boeuf ins Wort, »du änderst deinen Ton, Priester, und sprichst stolz und kühn, als sei dir etwas daran gelegen, daß diese sächsischen Schweine unterliegen, und doch bist du mit ihnen verwandt.« Cedric war wenig bewandert in der Kunst, sich zu verstellen, und jetzt hätte er etwas um einen Einfall Wambas gegeben, aber Not macht erfinderisch, wie das alte Sprichwort lautet, und er murmelte in seine Kutte, die Belagerer wären ja Geächtete, die von Staat und Kirche exkommuniziert seien. »Despardieux!« rief Front-ds-Boeuf. »Da sagst du die Wahrheit. Ich hatte gar nicht daran gedacht, daß dieses Gesindel auch einen fetten Pfaffen ausrauben könne. – Doch mach dich nur auf den Weg,« setzte er hinzu, denn sie waren jetzt an der Pforte angelangt. Hier führte ein schmales Brett über den Graben nach einem Außenwerk, von dem aus eine stark verteidigte Zugbrücke auf das offene Feld hinausführte. »Mach dich auf den Weg,« wiederholte Front-de-Boeuf. »Wenn du wiederkommen willst, sobald du deinen Auftrag ausgerichtet hast, so soll Sachsenfleisch hier so wohlfeil sein als je das Schweinefleisch auf den Schlächterbänken von Sheffield. Und höre – mir scheint, du bist ein lustiger Bruder, komm wieder, und du sollst soviel Malvoisier haben, daß sich dein ganzes Kloster daran besaufen kann.« »Gewiß,« entgegnete Cedric, »wir sehen einander wieder.« »Hier hast du Handgeld,« fuhr der Normann fort und drückte dem Sachsen einen goldenen Byzantiner in die Hand, »und denke fein daran, daß ich dir die Kutte mitsamt deinem Felle abziehen lasse, wenn du meinen Auftrag nicht ausführst.« »Und es soll dir völlig freistehen, beides zu tun,« versetzte Cedric, indem er durch das Tor schritt und freudigen Fußes über das Feld eilte, »sofern ich, wenn wir uns wiedersehen, nichts Besseres von deiner Hand verdiene.« Dann wandte er sich nach dem Schlosse um und warf das Goldstück nach dem Ritter und rief: »Falscher Normann, dein Geld gehe unter mit dir!« Front-de-Boeuf verstand die Worte nicht, aber die Gebärde erschien ihm verdächtig. »Bogenschützen,« rief er den Wachen zu, die auf dem Außenwerke standen, »sendet dem Mönch einen Pfeil nach!« Aber als sie schon den Bogen spannten, setzte er hinzu: »Doch nein, haltet inne! lohnt nicht der Mühe! Wir haben keinen bessern und müssen ihm schon trauen. Ich denke, er wird es nicht wagen, mich zu hintergehen. Im schlimmsten Falle kann ich immer noch mit den sächsischen Hunden verhandeln, die ich sicher in der Falle habe. – Kerkermeister, laß den Cedric von Rotherwood herbringen und den andern Bauer, den von Conningsburgh – Athelstane oder wie sie ihn nennen! Ihr Name selbst ist eine Last für die Zunge eines Normanns, und man hat einen Geschmack davon, als kaute man Schweinefleisch. Holt mir eine Flasche Wein, daß ich mir, wie der lustige Prinz Johann sagt, den Geschmack hinunterspülen kann. Tragt sie in den Waffensaal und dorthin bringt auch die Gefangenen.« Seine Befehle wurden befolgt. Als er in die gotische Halle trat, wo mancher Waffenzierat hing, den er oder sein Vater erbeutet hatte, stand auf dem eichenen Tische eine Flasche Wein, und seine Gefangenen harrten sein, bewacht von vier Dienern. Wamba hatte die Mütze ins Gesicht gezogen, er war außerdem in Cedrics Kleidern, und das düstere Zwielicht und der Umstand, daß der Baron den Cedric von Angesicht gar nicht einmal genau kannte, denn Cedric mied jeden Umgang mit seinen normannischen Nachbarn und kam selten aus seinen Besitzungen heraus, hinderten Front-de-Boeuf, sogleich zu entdecken, daß ihm der bedeutendste seiner Gefangenen entkommen war. »Nun, ihr Tapfern von England, wie behagt es euch zu Torquilstone?« redete sie Front-de-Boeuf an. »Spürt ihrs nun, was ihr euch mit euerm Hochmut beim Gastmahle eines Prinzen aus dem Hause Anjou eingebrockt habt? Habt ihr vergessen, wie ihr die Gastfreundschaft des königlichen Prinzen Johann, deren ihr gar nicht wert waret, vergolten habt? Bei Gott und dem heiligen Dionys, wenn ihr dafür nicht ein größeres Lösegeld zahlt, so laß ich euch an den Eisenstäben dieser Fenster an den Beinen aufhängen, bis euch die Geier und Raben zu Gerippen abgenagt haben. – So sprecht, ihr Hunde von Sachsen, was bietet ihr für euer wertloses Leben? Was sagt Ihr, von Rotherwood?« »Ich gebe nicht 'n Deut,« versetzte der arme Wamba, »und was Euern Gedanken betrifft, uns bei den Beinen aufzuhängen, so habe ich mir sagen lassen, mir sei das Gehirn schon, als ich die erste Kindermütze aufbekam, umgedreht worden. Da kommt es auf diese Weise vielleicht wieder richtig ins Lot.« »Heilige Genoveva!« rief Front-de-Boeuf. »Wen haben wir da?« Und mit dem Handrücken warf er dem Narren die Kappe herunter, riß ihm den Kragen auf und sah nun das Zeichen der Knechtschaft, das Halsband von Eisen. »Kerkermeister! Mohrenelement!« schrie er. »Hunde von Vasallen! Wen habt Ihr mir da hergebracht?« In diesem Augenblicke trat de Bracy herein. »Ich glaube, das kann ich Euch sagen,« sprach er. »Das ist Cedrics Hausnarr, der sich so tapfer den Isaak von York vom Leibe gehalten hat.« »So sollen sie nun beide an einen Galgen,« rief der Normann, »wenn nicht dieser Eber von Conningsburgh und der Herr des Narren tüchtig für ihr Leben bezahlen. Ihr Reichtum allein langt nicht aus, sie müssen auch mit dem Schwarm abziehen, der ums Schloß herumlungert, und schriftlich Verzicht leisten auf all ihre Rechtsame, so daß sie als Leibeigene unter uns leben. In dieser neuen Verfassung, die nun bald in Kraft treten wird, können sie sich glücklich schätzen, wenn wir ihnen noch das Luftschnappen erlauben. Geht,« setzte er zu zweien seiner Diener hinzu, »holt mir den richtigen Cedric her, und ich will euch euern Irrtum um so eher verzeihen, als ihr einen Narren für einen sächsischen Franklin gehalten habt.« »Ach,« versetzte Wamba, »Eure ritterliche Exzellenz wird finden, daß unter uns mehr Narren als Franklins sind.« »Was sagt der Schelm?« fragte Front-de-Boeuf, seine Diener anblickend, die stammelnd und zaudernd hervorbrachten, daß sie nicht wüßten, was aus ihm geworden sei, wenn das nicht der richtige Cedric sei. »Heilige des Himmels!« rief de Bracy, »so muß er in den Kleidern des Mönches entkommen sein.« »Teufel der Hölle!« schrie Front-de-Boeuf. »Also hab ich den Eber von Rotherwood zur Hintertür geführt und sie ihm mit eigenen Händen aufgemacht. Und du,« sagte er zu Wamba, »dessen Narrheit die Weisheit von größeren Dummköpfen, als du bist, überboten hat, ich will dich zum Priester machen – ich will dir den Schädel scheren – hier, reißt dem Hallunken die Haut vom Schädel und stürzt ihn kopfüber von den Zinnen herab. Es ist dein Beruf, Spaß zu machen, was? kannst du das auch jetzt?« »Ihr machts noch besser mit mir, als Eure Reden andeuten,« stammelte der arme Wamba, der selbst angesichts des nahen Todes nicht von der Gewohnheit, zu scherzen, ablassen konnte. »Wenn Ihr mir, wie Ihr vorhabt, eine rote Kappe gebt, so macht Ihr mich nicht bloß zum Mönch, sondern sogar zum Kardinal.« »Der arme Schächer,« sagte de Bracy, »will in seinem Berufe sterben. Front-de-Boeuf, Ihr dürft ihn nicht umbringen. Schenkt ihn mir, ich will ihn zum Spaßmacher für meine Freischar haben. Was meinst du, Schelm, willst du Pardon annehmen und mit mir in den Krieg ziehen?« »Ja, aber nur, wenns mein Herr erlaubt,« sagte Wamba, »denn seht,« und er deutete auf sein Halsband, »das hier kann ich nicht abtun wider den Willen meines Herrn.« »Ihr treibt es sauber, de Bracy,« sagte Front-de-Boeuf. »Haltet Euch mit dem Gewäsch eines Narren auf, und draußen bricht die Vernichtung gegen uns los. Begreift Ihr denn nicht, daß wir überlistet sind und daß unser Plan, uns mit unsern Freunden zu verbinden, durch eben denselben buntscheckigen Edelmann vereitelt worden ist, den Ihr jetzt so brüderlich behandelt. Was haben wir zu gewärtigen als jeden Augenblick den Sturmangriff?« »Auf die Mauern denn!« rief de Bracy, »wenn es zu kämpfen gilt, so bin ich stets ernsthaft bei der Sache. Rufe den Templer her, er mag hier nur halb so tapfer, wie er für den Orden gekämpft hat, um sein Leben fechten – Ihr selbst mit Euerm Riesenleibe stellt Euch auf die Mauer – und auch ich will meinen Mann stellen, und dann sage ich Euch, eher werden die sächsischen Geächteten den Himmel erstürmen als Schloß Torquilstone. Wenn Ihr sonst mit den Banditen verhandeln wollt, warum braucht Ihr nicht den würdigen Franklin da zum Vermitler, der in ernste Betrachtungen der Weinflasche versunken zu sein scheint? Hier, Sachse,« fuhr er fort und reichte Athelstane einen Becher Wein, »spüle deine Kehle aus mit diesem edeln Getränk und rüttle deine Seele auf, daß du uns sagen kannst, was du für deine Freiheit tun willst.« »Was ein Mann vom Stande vermag,« erwiderte Athelstane, »ohne seiner Männlichkeit nahezutreten. Wenn Ihr mich mitsamt meinen Gefährten frei laßt, so will ich tausend Mark Lösegeld zahlen.« »Und willst du dich außerdem verpflichten, dafür zu sorgen, daß der Menschenschwarm dort abzieht?« fragte Front-de-Boeuf. »Soweit es in meinen Kräften steht,« entgegnete Athelstane. »Ich will sie zum Rückzüge auffordern und zweifle nicht daran, daß mich Vater Cedric dabei unterstützen wird.« »So sind wir einig,« sagte Front-de-Boeuf. »Du und die andern werden in Freiheit gesetzt, und gegen ein Lösegeld von tausend Mark soll Friede sein auf beiden Seiten. Das ist eine sehr geringe Summe, Sachse, und du kannst uns dankbar sein, daß wir so bescheiden sind. Aber merke wohl, in dieser Summe ist der Jude Isaak nicht einbegriffen.« »Auch seine Tochter nicht,« sagte der Templer, der eben hereintrat. »Beide nicht,« stimmte Reginald bei, »sie gehören nicht zur Gesellschaft dieses Sachsen.« »Auch Lady Rowena ist nicht mit einbegriffen,« sagte de Bracy. »Es soll mir nicht nachgesagt werden, ich hätte einen so schönen Preis ohne Schwertstreich hingegeben.« »Auch der erbärmliche Hausnarr nicht,« setzte Front-de-Boeuf hinzu, »den will ich behalten, um für jeden Narren, der sichs herausnimmt, aus Scherz Ernst zu machen, ein abschreckendes Beispiel zu geben.« »Die Lady Rowena,« erwiderte Athelstane fest, »ist meine Braut. Eher sollen mich wilde Pferde zerreißen, ehe ich sie mir nehmen lasse. Der Sklave Wamba hat heute das Leben des guten Vaters Cedric gerettet. Eher will ich meines hingeben, ehe ich dulde, daß ihm auch nur ein Haar gekrümmt werde.« »Lady Rowena deine Braut?« rief de Bracy. »Die Braut eines Vasallen wie du einer bist? Sachse, die Zeiten sind vorüber! Die Prinzen aus dem Hause Anjou geben ihre Pflegebefohlenen nicht an einen Mann von deiner Herkunft.« »Meine Herkunft, hochnäsiger Normann,« versetzte Athelstane, »ist von reinerer und älterer Quelle als die eines bettelarmen Franzmanns, der seinen armseligen Lebensunterhalt gewinnt, indem er das Leben der Diebe verkauft, die er unter seiner kläglichen Fahne versammelt. Meine Vorfahren waren Könige, tapfer im Felde und weise im Rat, sie haben tagtäglich in ihrer Halle mehr Hunderte von Männern gespeist, als du einzelne Anhänger hast. Minnesänger haben ihre Namen der Ewigkeit überliefert, ihre Gesetze sind unvergänglich, ihre Gebeine wurden unter den Gebeten der Heiligen zur Ruhe bestattet, und über ihren Gräbern türmen sich Münster.« »Da hast du dein Fett,« höhnte Front-de-Boeuf, zufrieden, daß de Bracy so derb abgefertigt wurde. »Das hat dir der Sachse gut gegeben.« »So gut es einer kann, der in Ketten ist,« erwiderte de Bracy mit erkünstelter Gleichgültigkeit. »Wem die Hände gebunden sind, der muß die Zunge frei haben. – Aber deine spitze Antwort,« wandte er sich an Athelstane, »vermag dir die Freiheit der Lady Rowena doch nicht zu erwirken.« Athelstane gab keine Antwort, er hatte in der Tat schon viel mehr gesprochen, als sonst seine Gepflogenheit war. Auch erschien jetzt ein Dienstbote mit der Meldung, ein Mönch bitte am Tore um Einlaß. »Im Namen des heiligen Bennet, des obersten dieser Popanze,« rief Front-de-Boeuf, »haben wir uns diesmal eines echten Mönches oder wieder eines Betrügers zu versehen? Untersucht mir das, Sklaven. Wenn ihr mir einen zweiten Schwindler hereinlaßt, so lasse ich euch die Augen ausreißen und glühende Kohlen in die Höhlen stecken.« »Euer Zorn treffe mich in all seiner Schwere, Gebieter,« sagte der Kerkermeister Giles, »wenn dieser nicht ein echter Glatzkopf ist. Euer Knappe Jocelyn kennt ihn genau, es ist der Bruder Ambrosius, der beim Prior von Jorlvaux in Diensten ist.« »Schafft ihn her,« sagte Reginald, »er bringt uns wahrscheinlich Botschaft von seinem lustigen Herrn. Mir scheint, der Teufel hat sich jetzt zum Oberhaupt der Kirche aufgeschwungen und die Priester sind ihres Dienstes entlassen, daß sie so wild durchs Land streifen. Die Gefangenen hier bringt wieder weg, und du, Sachse, denke daran, was du gehört hast.« »Ich verlange ein anständiges Gefängnis,« sagte Athelstane, »mit einem ordentlichen Bett und einem ordentlichen Tisch, wie es meinem Range zukommt und wie es sich für einen gehört, der wegen Lösegeld in Unterhandlung steht. Außerdem mache ich den Besten unter Euch verbindlich, mir mit dem Leibe Genugtuung zu geben für diese Freiheitsberaubung. Diese Herausforderung ist Euch bereits übersendet worden. Euch geht sie an, Front-de-Boeuf, Ihr müßt Euch mir stellen. Da liegt mein Handschuh.« »Auf die Herausforderung meines Gefangenen stelle ich mich nicht,« entgegnete der Normann, »und auch Ihr dürft es nicht, de Bracy. Giles,« setzte er hinzu, »hänge den Handschuh dort an die Enden des Hirschgeweihes auf, er mag da hängen, bis sein Herr wieder ein freier Mann ist. Wenn er ihn dann wiederfordert oder mir nachweist, daß ich ihn widerrechtlich zu meinem Gefangenen gemacht habe, dann soll er in mir einen Mann finden, der sich nie davor gescheut hat, sich seinem Feinde zu stellen, ob er nun zu Fuß oder zu Roß, allein oder mit seinen Vasallen gekommen ist.« Die sächsischen Gefangenen wurden weggebracht, und gleichzeitig trat der Mönch Ambrosius herein, der in größter Aufregung zu sein schien. »Das ist der wahre Deus vobiscum,« sagte Wamba, »die anderen waren alle unecht.« »Heilige Mutter Gottes!« rief der Mönch, indem er die versammelten Ritter begrüßte, »endlich bin ich sicher und unter Christen.« »In Sicherheit bist du,« antwortete de Bracy, »und was das Christliche anbelangt, hier steht der tapfere Front-de-Boeuf, dessen größter Abscheu ein Jude ist, und der edle Tempelritter Brian de Bois-Guilbert, dessen Lieblingsbeschäftigung es ist, Sarazenen totzuschlagen – sofern das keine echten Zeichen der Christlichkeit sind, haben wir nicht andere.« »Ihr seid Freunde und Verbündete unseres ehrwürdigen Vaters in Gott, des Priors von Jorlvaux,« sprach der Mönch. »Ihr seid ihm Hilfe schuldig, nicht nur aus ritterlicher Treue, sondern auch aus christlicher Liebe. Wisset, tapfere Ritter, ein paar mörderische Schurken haben ohne Furcht vor Gott und der Kirche meinen Herrn gefangen genommen. Er ist in den Händen der Kinder Belials, Räuber in den Wäldern und Sünder gegen die Heilige Schrift. Denn wie steht geschrieben? Taste meine Gesalbten nicht an und tu kein Leid meinen Propheten.« »Neue Arbeit für unsere Schwerter, meine Herren!« rief Front-de-Boeuf. »Statt daß uns der Prior von Jorlvaux zu Hilfe kommt, will er Hilfe von uns. Man ist übel dran mit diesen feigen Dienern der Kirche – immer gerade, wenn man selber alle Hände voll zu tun hat! Sage uns, Priester, was erwartet dein Herr von uns?« »Wehe!« sagte Ambrosius. »Von rohen gewalttätigen Händen ist mein würdiger Herr, der heiligen Schrift zum Hohne, geplündert worden. Die Kinder Belials haben ihm die Mantelsäcke und sein ganzes Gepäck, dazu zweihundert Mark seinen Goldes abgenommen, und nun verlangen sie von ihm eine hohe Summe, ehe sie ihn wieder aus ihren unreinen Händen lassen. Der ehrwürdige Vater in Gott bittet daher Euch, die Ihr seine liebsten Freunde seid, Ihr möchtet entweder das Lösegeld für ihn zahlen oder ihn mit Waffengewalt befreien.« »Der Teufel soll den Prior holen!« versetzte Front-de-Boeuf, »er hat entschieden heute morgen zu viel getrunken. Wann hätte dein Herr je gehört, daß ein normannischer Baron den Beutel gezogen hätte, um einen Diener der Kirche loszukaufen, dessen Geldsäcke zehnmal so schwer sind wie unsere, und wie sollen wir ihn mit dem Schwert befreien können, da wir hier von einer zehnmal so großen Anzahl, wie wir selber haben, eingeschlossen sind und jeden Augenblick auf einen Sturmangriff gefaßt sein müssen?« »Richtig, das wollte ich sagen,« sprach der Mönch, »über Euerm Ungestüm bin ich gar nicht zu Worte gekommen. Gott sei mir gnädig, ich bin alt und dieser Kriegslärm verwirrt mir die Sinne. Aber es ist gewiß wahr, sie schlagen ein Lager auf und werfen einen Wall auf gegen die Schloßmauern!« »Auf die Zinnen!« rief Bracy, »wir wollen sehen, was die Schurken draußen treiben.« Er riß ein Giebelfenster auf und rief denen in der Halle zu: »Beim heiligen Dionys! der Mönch hat die Wahrheit gesagt! Sie schleppen Schutzdächer und breite Schilde heran, und die Bogenschützen stehen am Waldsaum wie finstere Wolken vor einem Hagelsturm.« Reginald Front-de-Boeuf sah auch hinaus und stieß in sein Horn. Ein lautes langes Signal gebot den Bewaffneten, ihre Plätze auf den Wällen einzunehmen. »De Bracy, geht Ihr an die Ostseite, dort sind die Mauern am niedrigsten. – Edler Bois-Guilbert, Euch hat das Leben erfahren gemacht in der Verteidigung und im Angriff, übernehmt Ihr die Westseite. Ich selbst will auf dem Außenwerk Posten fassen. – Aber bleibt nicht auf Euern Plätzen allein, meine Freunde, wir müssen heute überall sein. Wir müssen uns vervielfältigen, wenn es geht, so daß einer dem andern Hilfe bringen kann, wo der Ansturm am heftigsten ist. Wir sind unserer wenig, aber Mut und Tatkraft muß ersetzen, was an Mannschaft fehlt. Wir haben es ja auch nur mit Schurken von Bauern zu tun.« »Aber, edler Ritter,« rief Vater Ambrosius, in das Getümmel hinein, »will denn niemand die Botschaft des ehrwürdigen Vaters in Gott, meines Herrn, des Priors von Jorlvaux, hören? Ich bitte Euch, edler Reginald Front-de-Boeuf, hört mich an!« »Ruf du den Himmel an, wir auf Erden haben für dich keine Zeit!« war die Antwort des wilden Normann. »Hollah, Anselm! Sorge dafür, daß es nicht an Pech und siedendem Öl fehlt, wir wollen den frechen Verrätern weidlich die Schädel salben. Sorge auch dafür, daß die Armbrustschützen Bolzen genug haben. Laß mein Banner mit dem Stierkopf wehen, die Schurken sollen bald inne werden, mit wem sie es zu tun haben.« »Aber, edler Herr,« rief wieder der Mönch dazwischen, bemüht, sich Gehör zu verschaffen, »bedenkt, daß ich ein Gelübde des Gehorsams getan habe und laßt mich den Auftrag meines Herrn ausrichten.« »Weg mit diesem faselnden Dummkopf!« rief Reginald. »Sperrt ihn in die Kapelle, dort mag er seine Rosenkränze herunterplappern, bis der Krakehl vorüber ist. Die Heiligen von Torquilstone werden sich wundern, wenn sie wiedermal ein paar Aves und Paternosters zu hören kriegen: die Ehre ist ihnen, glaube ich, nicht mehr wiederfahren, seit sie in Stein gehauen worden sind.« »Lästert die Heiligen nicht!« rief de Bracy. »Bis wir die Schurken zersprengt haben, werden wir heute ihre Hilfe brauchen.« »Ich halte nicht viel von ihrer Hilfe,« antwortete Front-de-Boeuf. »Höchstens müßten wir sie von den Zinnen herab den Belagerern auf die Köpfe werfen, da ist zum Beispiel ein riesiger St. Christoph, mit dem könnten wir allein eine ganze Kompagnie zermalmen.« Inzwischen hatte der Templer mit mehr Besonnenheit als der rohe Front-de-Boeuf und sein leichtfertiger Gefährte den Veranstaltungen der Belagerer zugeschaut. »Bei der Treue meines Ordens!« rief er. »Diese Kerle gehen mit einer Planmäßigkeit und Kriegskenntnis vor, daß man gar nicht begreifen kann, wie sie nur dazu kommen. Seht nur, wie gewandt sie jede Deckung ausnutzen, die ihnen Bäume oder Sträucher bieten. Die Bolzen unserer Armbrüste erreichen sie nicht. Ein Banner oder Wappenschild kann ich nicht entdecken, und doch möchte ich meine goldene Kette dransetzen, daß sie ein edler Ritter oder ein kriegskundiger Edelmann anführt.« »Ich hab's!« rief de Bracy. »Dort weht der Helmbusch eines Ritters, und eine Rüstung blinkt. Seht Ihr den Riesen im schwarzen Panzer? Er führt den vordersten Trupp der schurkischen Yeomen an. Beim heiligen Dionys! Ich glaube gar, das ist derselbe, den wir den schwarzen Faulpelz nannten und der Euch, Front-de-Boeuf, in den Schranken zu Ashby aus dem Sattel geworfen hat.« »Um so besser für mich!« sagte Reginald. »Da kann er mir hier gleich Revanche geben. Ein schofler Kerl muß es sein, daß er sich nicht zu dem Preise bekannte, den ihn der Zufall erbeuten ließ. Wo Ritter und Edle ihre Feinde suchen, da hätte ich ihn gewiß nimmermehr gefunden, so bin ich nur froh, daß er sich jetzt unter diesen gemeinen Yeomen zeigt.« Die Bewegungen des Feindes wurden jetzt so drohend, daß jedes weitere Gespräch unmöglich wurde. Jeder Ritter ging an seinen Posten und stellte sich an die Spitze seiner paar Männlein. Die geringe Anzahl reichte nicht aus, die Mauern in ihrer ganzen Ausdehnung zu besetzen, dennoch erwarteten sie mit ruhiger Entschlossenheit den Sturmangriff. Fünfundzwanzigstes Kapitel An dieser Stelle muß unsere Erzählung wieder zurückgreifen, um den Leser nachträglich über einen andern Teil der Ereignisse zu unterrichten. Als Ivanhoe zu Boden sank und von aller Welt verlassen schien, hatte Rebekka ihren Vater durch Bitten dazu bewogen, daß er den jungen tapfern Krieger aus den Schranken tragen und in das Haus bringen ließ, das sie zurzeit in der Vorstadt von Ashby bewohnten. »Es tut auch mir so weh,« hatte Isaak gesagt, »sein junges Blut auf die Erde fließen zu sehen, als wenn mir goldene Byzantiner aus dem Beutel fielen. Du bist bewandert in der Heilkunst und kennst die Kräuter und ihre Kraft und weißt Elixiere zu brauen. Tu denn, was dich dein Herz heißt. Du bist ein gutes Mädchen, ein Segen, eine Krone, ein Freudengesang für mich und das Volk meiner Väter.« Bei ihrer barmherzigen Handlung war aber Rebekka den Blicken des Brian de Bois-Guilbert ausgesetzt, der zweimal an ihr vorüberritt und das kühne feurige Auge auf die schöne Jüdin richtete. Welche Folgen diese Bewunderung ihrer Reize hatte, wissen wir bereits. Rebekka brachte indessen den Verwundeten ohne Säumen nach ihrer derzeitigen Wohnung. Sie untersuchte selbst seine Wunden und legte den Verband an. Die schöne Rebekka war in allen Wissenschaften ihres Volkes unterrichtet, die ihr fähiger und energischer Geist annahm, sichtete und ausbaute. Ihre Kenntnisse in der Medizin und Wundheilkunst verdankte sie der Tochter eines der berühmtesten jüdischen Ärzte, einer schon alten Jüdin, die Rebekka wie ihre Tochter liebte. Diese Jüdin war als ein Opfer des damals noch verbreiteten Fanatismus gefallen, aber ihre Geheimnisse hatte sie durch ihre talentvolle Schülerin gerettet. Rebekka, die sich ebensosehr durch Wissenschaft wie durch Schönheit auszeichnete, genoß allgemeine Achtung und Liebe bei ihrem Volke. Man erblickte in ihr eine jener hochbegabten Frauen, von denen die heilige Schrift erzählt. Ihr Vater selber ließ dem Mädchen in seiner grenzenlosen Verehrung ihrer Gaben und seiner Liebe zu ihr mehr Freiheit, als ihrem Geschlecht sonst gewährt wird. Er gab auch soviel auf ihre Meinung, daß er sich in den meisten Fällen nach ihrem Urteil richtete. Als Ivanhoe in Isaaks Wohnung anlangte, war er noch immer im Zustand der Bewußtlosigkeit, aber Rebekka wußte die geeigneten Heilmittel anzuwenden und versicherte ihrem Vater, daß kein Fieber eintreten werde und daß, wenn der Balsam ihrer Lehrmeisterin noch seine alte Kraft habe, für das Leben ihres Gastes nichts zu fürchten sei. Schon am folgenden Tage könne er nach York geschafft werden. Es war schon spät abends, als Wilfried von Ivanhoe die Besinnung wieder erlangte. Er erwachte aus einem unruhigen Schlummer mit den unklaren, verwirrten Empfindungen, die ein solcher Zustand gewöhnlich im Gefolge hat. Eine Zeitlang war ihm die Erinnerung an all das, was seiner Ohnmacht in den Schranken vorangegangen war, völlig entfallen. Ebensowenig vermochte er sich die Vorfälle des letzten Tages zu vergegenwärtigen. Die Empfindung, daß er verwundet sei und Schmerzen hätte, mischte sich mit dem Gefühl der Schwäche und Erschöpfung und mit der wirren Erinnerung an ausgeteilte und erhaltene Lanzenstöße, an Streitrosse, die gegeneinander prallten, an Sieger und Besiegte, Waffengeklirr, Trompetenschmettern und all das Getöse eines wütenden Kampfes. Er versuchte die Vorhänge seines Bettes zurückzuschlagen, und es gelang ihm, obgleich ihn seine Wunden heftig schmerzten. Zu seiner größten Verwunderung sah er sich in einem reich ausgestatteten Zimmer, dessen Einrichtung orientalisch war, so daß ihm zumute war, als sei er während seines Schlafes nach Palästina versetzt worden. Und in dieser Einbildung fühlte er sich noch bestärkt, als sich eine Tapetentür öffnete und eine weibliche Gestalt in einem prächtigen morgenländischen Gewande hereintrat, der ein schwarzer Diener folgte. Der verwundete Ritter wollte die schöne Erscheinung anreden, aber sie gebot ihm Schweigen, indem sie ihre zierlichen Finger auf ihre purpurroten Lippen legte, der Diener trat an ihn heran und deckte seine Seite auf, worauf die schöne Jüdin sich selber davon überzeugte, daß der Verband richtig liege und die Wunde in gutem Zustande sei. Sie tat dies mit anmutiger Würde und züchtiger Einfalt und gab dem alten Diener in hebräischer Sprache einige Anweisungen und dieser, der schon in vielen Fällen ihr Gehilfe gewesen war, kam ihren Weisungen rasch und schweigend nach. Ivanhoe tat keine Fragen, sondern ließ alles ruhig mit sich geschehen, und erst als der zärtliche Arzt seines Amtes gewaltet hatte, vermochte er nicht länger seine Neugierde zu unterdrücken. »Holde Maid,« begann er in arabischer Sprache, die er im Morgenlande erlernt hatte. »Ich bitte dich, holde Maid, deine Güte –« Aber die schöne Ärztin unterbrach ihn und auf dem Antlitz, dessen gewöhnlicher Ausdruck sanfte Schwermut war, zeigte sich ein Lächeln. »Ich bin aus England, Herr Ritter, und spreche Englisch, wenn auch meine Kleidung und mein Volk aus fremdem Lande sind.« »Holdes Edelfräulein,« begann der Ritter von Ivanhoe abermals, aber wieder unterbrach ihn Rebekka rasch. »Nennt mich nicht edel, Herr Ritter. Es ist erforderlich, daß Ihr sogleich erfahrt, wer Eure Pflegerin ist. Es ist eine Jüdin, die Tochter des armen Isaaks von York, den Ihr vor kurzem so gütig und milde behandelt habt. Ihm und den Seinen kommt es wohl zu, Euch Hilfe zu leisten in Euerm jetzigen Zustande.« Wer weiß, ob die schöne Rowena die Gedanken gebilligt hätte, mit denen bisher der ihr ergebene Ritter die edle Gestalt, das schöne Angesicht und die strahlenden Augen der reizenden Rebekka angeschaut hatte. Lange seidene Wimpern beschatteten den Glanz dieser Prachtgestirne. Aber Ivanhoe war ein zu guter Katholik, um diese Gefühle auch noch zu hegen, nachdem er erfahren hatte, daß sie eine Jüdin war. Das hatte Rebekka von vornherein gewußt, und darum hatte sie sich so beeilt, ihm Namen und Abstammung ihres Vaters zu nennen. Die weise und schöne Tochter Isaaks war nicht völlig frei von weiblicher Schwäche. Im Innern seufzte sie leise, als sich der Blick ehrfürchtiger Bewunderung und stiller Zärtlichkeit, mit dem Ivanhoe seine unbekannte Wohltäterin betrachtet hatte, plötzlich in Kälte, Zurückhaltung und abgemessene Förmlichkeit verwandelte, die keine stärkere Gefühlsäußerung verrieten, als den spärlichen Dank, mit dem Dienste gelohnt werden, die jemand von einer Person niedrigeren Standes unerwarteterweise empfangen hat. Wohl hatte auch in seinem vorigen Benehmen Ivanhoe kein anderes Gefühl ausgedrückt als die übliche Huldigung, die die Jugend der Schönheit darbringt, aber es war doch kränkend für die arme Rebekka, daß sie ein einziges Wort wie mit einem Zauberschlage in eine entwürdigte Klasse versetzte, der man, ohne seine eigene Ehre zu schädigen, nicht die gleichen Ehren erzeigen durfte. Aber Rebekka rechnete es in ihrer Edelmütigkeit Ivanhoe nicht zum Mangel an, daß er die Vorurteile seiner Zeit und seiner Religion teilte. Obgleich es sie tief schmerzte, daß er sie nun als Mitglied eines verworfenen Geschlechtes ansah, mit den man nur im Falle äußerster Not Gemeinschaft pflegen dürfe, wenn man sich nicht selber entehren wollte, fuhr sie dennoch fort, ihn mit größter Sorgsamkeit und Geduld zu pflegen. Sie teilte ihm mit, daß sie morgen nach York reisen müßten. Ihr Vater habe sich entschlossen, Ivanhoe mitzunehmen und ihn in seinem Hause zu lassen, bis er völlig genesen sei. Damit war Ivanhoe gar nicht einverstanden, indem er vorgab, er wolle seinen Wohltätern nicht länger zur Last fallen. »Wohnt nicht in Ashby oder in der Nähe irgend ein sächsischer Franklin, oder nur ein wohlhabender Bauer, der es auf sich nehmen könnte, einen verwundeten Ritter zu pflegen, bis er seine Rüstung zu tragen vermag? – Ist hier kein Kloster, das von Sachsen gestiftet ist, und das ihn aufnehmen könnte?« »Freilich,« sagte Rebekka, »wäre die schlechteste Herberge ein schicklicherer Aufenthalt für Euch, als die Wohnung eines Juden. Aber wenn Ihr den Arzt nicht wechseln wollt, Herr Ritter, so müßt Ihr schon hier bleiben. Unser Volk ist, wie Ihr wohl wißt, bewandert in der Kunst, Wunden zu heilen, wenngleich wir selber nie solche schlagen, und besonders in unserer Familie sind Geheimnisse noch aus der Zeit Salomos aufbewahrt. Kein Nazarener – verzeiht mir bitte – kein christlicher Wundarzt innerhalb der vier Seen Britanniens ist imstande, Euch in einer kürzeren Zeit als vier Wochen soweit wieder zu heilen, daß Ihr Euern Panzer wieder tragen könnt.« »Und in welcher Zeit könnt Ihr es?« fragte Ivanhoe ungeduldig. »Wenn Ihr geduldig und fügsam seid, in acht Tagen.« »Bei der heiligen Jungfrau!« sagte Wilfried. »Es ist jetzt nicht an der Zeit, daß ein Ritter zu Bette liegt, und wenn Ihr Euer Versprechen haltet, Mädchen, so will ich Euch bezahlen mit einem Helm voll Kronen, und sollte ich sie sonstwo hernehmen.« »Ich werde mein Versprechen erfüllen,« erwiderte Rebekka, »aber statt des Silbers, das Ihr mir versprecht, gewährt mir eine andere Bitte.« »Wenn es in meiner Macht liegt und wenn es etwas ist, was ein echter christlicher Ritter einem Mädchen aus Euerm Volke gewähren kann, so will ich dankbar und gern tun, was Ihr von mir fordert.« »Nun so will ich Euch nur bitten, in Zukunft daran zu glauben, daß ein Jude einem Christen Hilfe leisten kann, ohne auf einen andern Lohn zu rechnen als den Segen des himmlischen Vaters, der Juden wie Heiden geschaffen hat.« »Daran zu zweifeln hieße sündigen, Mädchen,« erwiderte Ivanhoe. »Ohne fernere Fragen oder Bedenken vertraue ich mich Eurer Kunst an. Ich verlasse mich darauf, daß ich in acht Tagen wieder die Rüstung anlegen kann. Jetzt aber, meine gütige Wundärztin, will ich ein wenig nach der Welt draußen fragen. Nach dem alten Cedric und seinen Angehörigen – nach der liebenswürdigen Lady –« Er stockte, als dürfe er den Namen der Lady Rowena in diesem Hause nicht nennen –: »Von ihr,« fuhr er fort, »die die Königin des Turniers war.« »Und die Ihr, Herr Ritter, dazu ernannt habt,« setzte Rebekka hinzu, »eine Wahl, die ebenso hohe Bewunderung erregte als Eure Tapferkeit.« Soviel Blut Ivanhoe auch verloren hatte, so röteten sich doch seine Wangen, als er inne ward, daß er gerade durch seinen unbeholfenen Versuch, sein Interesse an Rowena zu verbergen, verraten hatte, wie sehr es ihn danach verlangte, von ihr zu hören. »Weniger von ihr wollte ich sprechen als vielmehr vom Prinzen Johann,« fuhr er fort, »auch hätte ich gern von meinem treuen Knappen gehört. Warum pflegt er mich nicht?« »In meiner Eigenschaft als Wundarzt muß ich Euch Schweigen gebieten,« sagte die Jüdin; »aber ich will Euch erzählen, was Ihr zu wissen begehrt. Prinz Johann hat das Turnier plötzlich abgebrochen und ist mit seinen Edelherrn, Rittern und Geistlichen nach York geritten, nachdem er von denen, die als die Reichsten im Lande gelten, durch rechtmäßige oder gemeine Mittel soviel Geld zusammengebracht hat, als irgend anging. Wie es heißt, trachtet er nach der Krone seines Bruders.« »Aber es wird noch mancher Pfeil fliegen, diese Krone zu verteidigen,« rief Ivanhoe, indem er sich auf seinem Lager aufrichtete, »wenigstens solange es noch einen braven Untertan in England gibt. Ich selber will für Richards Krone mit den tapfersten seiner Feinde kämpfen – ja mit zweien auf einmal!« »Damit Ihr dazu imstande sein möget,« sagte Rebekka und legte ihm die Hand auf die Schulter, »müßt Ihr Euch jetzt, wie ich es Euch verordnet habe, ruhig verhalten.« »Ihr habt recht, Mädchen,« stimmte Ivanhoe bei, »so ruhig, wie es bei diesen unruhigen Zeiten nur möglich ist. Doch jetzt erzählt mir von dem edeln Cedric und seinem Hause.« »Sein Haushofmeister ist eben dagewesen, um von meinem Vater das Geld für die Wolle von Cedrics Herden zu holen. Von ihm habe ich gehört, daß Cedric und Athelstane das Haus des Prinzen in höchster Mißstimmung verlassen haben und jetzt auf dem Heimwege seien.« »Ist auch eine Dame mit beim Bankett gewesen?« »Lady Rowena,« antwortete die Jüdin, des Ritters Frage bestimmter beantwortend, als sie gestellt war, »hat nicht an dem Feste des Prinzen teilgenommen und befindet sich jetzt, wie der Haushofmeister gesagt hat, mit ihrem Vormunde Cedric auf dem Wege nach Rotherwood. Euer treuer Knappe Gurth –« »Wie? Sein Name ist Euch bekannt!« rief der Ritter. »Doch freilich!« setzte er rasch hinzu, »Ihr müßt ihn ja wohl kennen, denn durch Eure Hand und, wie ich glaube, aus Euern eignen Mitteln, hat er ja gestern hundert Zechinen bekommen.« »Schweigt davon!« versetzte Rebekka und errötete tief. »Ich sehe wohl, die Zunge verrät leicht, was das Herz geheim halten möchte.« »Saget mir nur noch, wie es dem armen Gurth ergangen ist.« »Es macht mir Schmerz, Herr Ritter, daß ich Euch sagen muß, er wird auf Befehl Cedrics als Gefangener behandelt. Doch,« setzte sie rascher hinzu, als sie sah, wie sehr diese Nachricht Wilfried nahe ging, »der Haushofmeister Oswald hat mir versichert, wenn Gurth nicht aufs neue den Zorn Cedrics herausfordere, so werde ihm als einem treuen Sklaven gewiß verziehen werden, zumal er ja nur aus Liebe zu Cedrics Sohne gefehlt habe. Auch hat er noch gesagt, er selber und seine Gefährten, vor allem Wamba, wären entschlossen, dem armen Gurth zur Flucht zu verhelfen, wenn Cedrics Groll gegen ihn nicht nachlassen wollte.« »Gebe Gott, daß sie ihr Vorhaben ausführen!« sagte Ivanhoe. »Wie es scheint, muß ich jedem Unglück bringen, der mir Liebe erzeigt. Mein König hat mich geehrt und ausgezeichnet, und die Hand seines Bruders, der ihm zu Dienst verpflichtet ist, greift nach seiner Krone. Meine Zuneigung hat der Schönsten ihres Geschlechtes Verdrießlichkeiten und Kummer verursacht, und nun straft mein Vater in seinem Jähzorn den armen Leibeigenen, weil er mir Liebe und Treue erwiesen hat. – Ihr seht, Mädchen, was für ein zum Unglück vorbestimmtes Wesen Ihr pflegt, zieht Eure Hand von mir, ehe das Mißgeschick, das wie ein Spürhund meinen Fersen folgt, auch Euch trifft.« »Nicht doch!« sagte Rebekka. »Bei Eurer Schwäche und Euerm Herzeleid, Herr Ritter, sind Euch die Wege des Himmels nicht ersichtlich. Ihr werdet Euerm Vaterlande zu einer Zeit erhalten, da es starker Arme und treuer Herzen bedarf, und Ihr habt den Übermut Eurer Feinde und der Feinde Euers Königs zu einer Zeit gedemütigt, da er am höchsten geschwollen war. Nnd nun seht Ihr, daß Gott Euch selbst aus deren Mitte, die das Land am tiefsten verachtet, eine Hilfe und einen Arzt sendet. Seid deshalb guten Mutes und hegt den festen Glauben, daß Ihr zu etwas Hohem bestimmt seid, wie es Euer Arm für Euer Volk verrichten soll. – Lebt jetzt wohl, und wenn Ihr die Arznei eingenommen habt, die ich Euch durch Ruben senden werde, dann versuchet zu ruhen, daß Ihr ohne Schaden die Anstrengungen der Reise ertragen könnt, die wir morgen machen wollen.« Am andern Morgen wurde Ivanhoe, der nach gesundem Schlaf und der niederschlagenden Arzenei gestärkt und von allem Fieber frei war, in die Sänfte gebracht, in der er auch aus den Schranken von Ashby getragen worden war. In einem Punkte aber, obgleich sonst alle mögliche Rücksicht und Sorgfalt beobachtet wurde, damit der Verwundete bequem reiste, vermochte Rebekka trotz all ihren Bitten nicht genügende Nachsicht mit dem Zustand ihres Kranken zu erwirken. Isaak, den stets die Besorgnis verfolgte, er könnte beraubt werden, da er ja auch wußte, daß er eine gute Beute war für jeden normannischen Baron wie für die sächsischen Geächteten – Isaak reiste zu einem hohen Preise und machte daher kürzere Rast und längere Touren. Infolgedessen überholte er Cedric und Athelstane. Aber der Balsam Rebekkas war so vortrefflich, daß Ivanhoes Gesundheit unter der übereilten Reise nicht im geringsten litt. In anderer Hinsicht war die Eile des Juden von mißlichen Folgen. Sein beständiges Drängen führte bald zu Streit zwischen ihm und den Leuten, die er zu seiner Bedeckung gedungen hatte. Das waren Sachsen, die ihrem Volkscharakter entsprechend gern gut lebten und, wie ihnen die Normannen vorwarfen, faul und gefräßig waren. Sie wollten sich nun an dem reichen Juden mästen und waren sehr mißvergnügt, daß er sie immer wieder antrieb. Sie stellten ihm auch vor, daß ihre Pferde einer so großen Anstrengung nicht gewachsen wären. Schließlich kam es zwischen Isaak und seiner Geleitschaft zu heftigem Streit wegen des Maßes Wein und Bier, das ihnen zu jeder Mahlzeit zugesagt war. Als nun obendrein die Furcht vor einem drohenden Überfall losbrach, verließen die gemieteten Begleiter kurzerhand den Juden. In dieser hilflosen Lage fanden Cedric und seine Begleiter den Juden mit seiner Tochter und dem verwundeten Ritter, und fielen kurz darauf allesamt in die Hände de Bracys und seiner Spießgesellen. Die Sänfte wurde zuerst wenig beachtet und vielleicht wäre sie zurückgeblieben, wenn de Bracy nicht voller Neugier hineingesehen hätte, denn er glaubte, da Rowena verschleiert geblieben war, sie wäre darin. Sein Erstaunen war groß, als er einen Verwundeten darin erblickte, der sich in den Händen sächsischer Geächteter wähnte und daher sogleich sich als Wilfried von Ivanhoe zu erkennen gab. So leichtsinnig und ausschweifend de Bracy auch war, so hatte er doch einen so hohen Begriff von ritterlicher Ehre, daß er nicht daran dachte, den Ritter in seiner Hilflosigkeit zu beleidigen, noch ihn an Front-de-Boeuf zu verraten, der sich wohl kein Gewissen daraus gemacht hätte, den Mann, der ihm die Baronie Ivanhoe streitig machte, unter allen Umständen aus dem Wege zu räumen. Andererseits ging aber sein Großmut auch nicht soweit, daß er den Geliebten Rowenas, für den er den Ritter nach den Ereignissen des Turniers halten mußte, befreit hätte. Ein Mittelweg zwischen Gut und Böse war das einzige, was er fand, und er befahl zweien seiner Knappen, dicht bei der Sänfte zu bleiben und jeden davon zurückzuweisen. In Torquilstone hatten sie alle genug für sich selber zu tun, und de Bracys Knappen brachten den verwundeten Ritter in ein entlegenes Gemach, wo er zuerst nur mit der alten Urfried zusammen war, dann aber wieder unter die Pflege der Rebekka kam. Sechsundzwanzigstes Kapitel Als Rebekka wieder am Lager Ivanhoes saß, war sie verwundert über die verzückte und selige Stimmung, in der sie sich fühlte, während alles um sie her in Gefahr und Verzweiflung schwebte. Als sie ihm den Puls fühlte und fragte, wie er sich befinde, lag in der Berührung ihrer Hand und im Ton ihrer Stimme eine innigere Anteilnahme, als sie hatte zum Ausdruck bringen wollen. Ihre Hand zitterte und ihre Hand bebte, und nur Ivanhoes kalte Frage: »Seid Ihr es, freundliches Mädchen?« brachte sie wieder zu sich und erinnerte sie daran, daß sie nie auf eine Erwiderung der Gefühle, die sie empfand, hoffen durfte. Sie seufzte kaum vernehmlich. Fragen, die sie nun an den Ritter richtete, sprach sie wieder im Tone ruhiger Freundschaft. Ivanhoe antwortete ihr rasch, er fühle sich wohl und besser, als er selber es erwartet hatte. »Dank Eurer kunstreichen Hilfe, teure Rebekka,« setzte er hinzu. »Teure Rebekka nennt er mich,« dachte sie bei sich selber, »aber er sagt es so kalt und gleichgültig. Sein Streitroß und sein Jagdhund sind ihm lieber als die verachtete Jüdin.« »Mehr quält Sorge mein Gemüt, freundliches Mädchen, als Schmerz meinen Leib,« fuhr Ivanhoe fort. »Ich habe erfahren, daß ich ein Gefangener bin, und wenn ich die rauhe starke Stimme richtig erkannt habe, die oft durch diese Hallen donnerte, so bin ich im Schlosse des Front-de-Boeuf. Wenn das der Fall ist, wie soll das enden und wie kann ich meinen Vater und Rowena schützen?« »Von dem Juden und seiner Tochter spricht er nicht,« sagte Rebekka zu sich selber, »es ist eine gerechte Strafe für mich, daß ich meine Gedanken an ihn hing.« Dann eilte sie fort und kehrte mit den spärlichen Nachrichten wieder, die sie hatte einziehen können. Sie konnte ihm nur erzählen, daß das Schloß belagert werde, von wem wisse sie aber nicht. Sie hatten nicht lange Zeit, so ungestört miteinander zu sprechen, denn bald wurde der Lärm im Schlosse stärker. Der schwere, eilige Schritt der Bewaffneten hallte durch die Gänge und Gemächer und die engen gewundenen Treppen. Es klang herüber, wie die Ritter ihre Krieger ermunterten und Befehle erteilten oder Verteidigungsmaßregeln anordneten, und oft genug verhallten ihre Worte im Waffengetöse. So furchtbar diese Laute auch waren, und so entsetzlich das, was sie verkündeten, so lag doch eine Erhabenheit darin, die selbst in diesen Augenblicken des Grausens Rebekkas starke Seele ergriff. Das Blut wich aus ihrer Wange, aber ihr Auge leuchtete. Furcht und Schauer der Erhabenheit erfüllten sie, während sie halb zu sich, halb zu ihrem Gefährten sagte: »Der Köcher klirrt – Speer und Schild erglänzt – der Ruf der Führer und Reisigen schallt laut.« Ivanhoe glühte vor Ungeduld, daß er zur Untätigkeit verurteilt war, und vor Verlangen, sich in den Kampf zu stürzen. »Könnte ich mich nur bis an das Fenster da schleppen, daß ich zusehen könnte,« sagte er, »hier liege ich nun ohne Kraft und ohne Waffen.« »Quält Euch nicht selber, edler Ritter,« sagte Rebekka. »Das Getöse ist plötzlich verstummt. Vielleicht kommt es gar nicht zum Kampfe.« »Davon versteht Ihr nichts,« sagte Wilfried. »Diese Todesstille bedeutet nur, daß die Männer an ihre Posten auf den Wällen gegangen sind. Sie erwarten den Angriff. Der Sturm steht bevor, und wird gleich mit voller Wut losbrechen. – Könnte ich nur das Fenster dort erreichen.« »Ich will mich an das Gitter stellen und Euch erzählen, was ich sehe,« sagte Rebekka. »Das dürft Ihr nicht,« fiel ihr der Ritter ins Wort. »Jedes Fenster, jede Öffnung wird bald ein Ziel für die Bogenschützen sein. Wenn ein aufs Geratewohl abgeschossener Pfeil –« »Er soll mir willkommen sein,« sagte Rebekka zu sich selber. Mit festen Schritten war sie gleich darauf die Stufen emporgestiegen. »Rebekka! teure Rebekka!« rief Ivanhoe. – »Das ist kein Schauspiel für Mädchen. Setz dich nicht der Gefahr aus, getötet und verwundet zu werden, und mach mich nicht auf ewig unglücklich, weil ich die Schuld daran trüge. Wenigstens decke dich mit dem alten Schild dort und zeige dich so wenig wie möglich am Fenster.« Mit staunenswerter Gewandtheit tat Rebekka, wie Ivanhoe ihr riet. Sie stellte sich nur an den untern Teil des Fensters und konnte hier deutlich sehen, was draußen vorging. »Der Rand des Waldes scheint ganz mit Bogenschützen bedeckt zu sein,« sagte sie, »aber nur wenige haben sich bis jetzt aus dem Schatten hervorgewagt.« »Könnt Ihr ein Banner sehen?« »Ein Feldzeichen ist nicht zu entdecken.« »Das ist seltsam,« sagte Ivanhoe. »Eine solche Festung erstürmen zu wollen, ohne ein Banner wehen zu lassen? – Könnt Ihr nicht sehen, wer die Anführer sind?« »Ich sehe einen Ritter in einer schwarzen Rüstung, er scheint die Hauptperson zu sein,« sagte Rebekka. »Er ist der einzige, der von Kopf bis zu Füßen bewaffnet ist, er scheint das Ganze zu leiten.« »Was für eine Devise hat er auf dem Schilde?« »Etwas, das aussieht wie ein eiserner Balken und ein blaues Vorlegeschloß auf blauem Felde, ist auf den schwarzen Schild gemalt.« »Ein Fesselschloß und Fesseln in blauem Felde?« sagte Ivanhoe; »wer das ist, der diese Devise führt, weiß ich nicht. Aber ich selber könnte sie jetzt wahrlich führen. Den Wahlspruch könnt Ihr nicht sehen? Auch sind sonst keine andern Anführer zu sehen?« »Keiner soweit ich sehen kann. Sie scheinen jetzt vorrücken zu wollen. Gott Zions, beschütze uns! welch fürchterlicher Anblick! Sie kommen mit großen Schilden und Schutzdächern aus Brettern heran, und dahinter kommen andere mit gespannten Bogen. Jetzt heben sie sie hoch. – Herr Gott des Himmels, verzeih denen, die du erschaffen hast!« Sie wurde in ihrer Beschreibung durch das Zeichen zum Sturmangriff unterbrochen, das von einem Jagdhorn gegeben und von einer Fanfare normännischer Trompeten wiederholt wurde. Dazwischen klang das Kriegsgeschrei der Parteien. Die Stürmenden schrien: Heiliger Georg für England! – die Normannen riefen: En avant de Bracy! Beauséant, beauséant! – Front-de-Boeuf à la ressource! – je nachdem, zu welchem der Anführer sie gehörten. Aber mit Lärm allein war es nicht getan. Die Angriffe der Belagerer fanden den heftigsten Widerstand. Die im Gebrauche des langen Bogens sehr geübten Schützen schossen immer alle auf einmal ab, und wo sich nur einer der Schloßmannschaft sehen ließ, traf ihn der Pfeil. Die Pfeile flogen dicht wie Hagelschauer und drangen dutzendweise durch jede Lücke und jedes Loch der Brustwehr. Durch diesen unausgesetzten Regen von Pfeilen wurde die Besatzung um zwei bis drei Tote und mehrere Verwundete verringert. Aber im Vertrauen auf ihre feste Stellung fochten die Mannen Front-de-Boeufs mit einer Hartnäckigkeit, gegen die der Ansturm trotz all seiner Wucht nichts vermochte. Die Angreifenden, die weniger in Deckung waren, hatten mehr Verluste als die Belagerten. »Und hier muß ich liegen wie ein kranker Mönch!« rief Ivanhoe. »Und der Kampf, der mir Freiheit gibt oder den Tod, wird von andern ausgefochten. Schaut noch einmal hinaus, gutes Mädchen, und seht, ob die Stürmenden Boden gewinnen.« Rebekka trat noch einmal an das Fenster, indem sie sich so mit dem Schilde deckte, daß man sie von unten nicht sehen konnte. »Was seht Ihr, Rebekka?« fragte der verwundete Ritter. »Nichts als eine Wolke von Pfeilen, die so dicht ist, daß sie das Auge nicht durchdringen kann. Die Schützen selber sind davor nicht zu sehen.« »Damit kommen sie nicht weiter,« sagte Ivanhoe. »Wenn sie nicht mit Macht vorgehen, mit den Pfeilen können sie keine Mauern und keine Außenwerke bewältigen. Seht Euch nach dem Ritter mit dem Fesselschloß um – seht zu, was er beginnt: er ist der Anführer, die andern werden nach seinen Befehlen handeln.« »Er ist nicht zu sehen,« sagte Rebekka. »Doch ja! jetzt sehe ich ihn! er führt einen Trupp an die äußere Schutzwand des Brückenkopfes. Sie reißen die Pfähle und Palisaden aus und hauen sie mit den Äxten nieder. Der schwarze Federbusch des Ritters weht über dem Haufen wie ein Rabe über dem Schlachtfeld. – Jetzt haben sie eine Bresche geschlagen. Sie dringen hinein – sie werden zurückgeworfen. Front-de-Boeuf führt die Verteidiger an. Ich sehe seine Riesengestalt im Gewühl. Sie dringen wieder bis an die Bresche – sie ringen um den Eingang – sie fechten Mann gegen Mann.« Als könne sie das Entsetzliche nicht länger mit ansehen, wandte sie das Haupt ab. Dann sah sie auf Ivanhoes Bitte hin noch einmal in den Kampf und rief: »Heilige Propheten! Front-de-Boeuf und der schwarze Ritter fechten miteinander und ihre Krieger folgen lärmend dem Verlauf des Zweikampfes. Gott meiner Väter! unterstütze die Sache der Bedrohten und Gefangenen.« Gleich darauf schrie sie laut auf: »Er fällt! er fällt!« »Wer?« rief Ivanhoe. »Um der heiligen Jungfrau willen! wer?« »Der schwarze Ritter! –« schrie Rebekka. Aber im selben Augenblick setzte sie hinzu: »Nein! nein! der Herrgott der himmlischen Heerscharen sei gelobt! Er steht wieder fest und kämpft, als hätte er die Kraft von zwanzig Mann in seinen Armen! Sein Schwert ist zerbrochen. Er reißt einem Yeoman die Streitaxt aus der Hand – er bedroht Front-de-Boeuf Schlag auf Schlag! der Riese wankt – wie die Eiche unter den Hieben des Fällers – er sinkt – er fällt –« »Front-de-Boeuf!« rief Ivanhoe. »Front-de-Boeuf!« erwiderte Rebekka. »Seine Mannen kommen ihm zu Hilfe, der stolze Templer führt sie an – ihre Übermacht wirft die Angreifer zurück und sie tragen Front-de-Boeuf herein.« »Haben die Stürmenden die Barrieren gewonnen?« »Jawohl, und sie setzten auf den Außenwerken den Belagerten hart zu. Leitern legen sie an, sie schwärmen wie die Bienen, heben einander auf den Schultern empor – Steine, Balken und Baumstämme werden auf sie herniedergeworfen, und sobald Verwundete gefallen sind, steigen auch schon neue Streiter an ihre Stelle herauf. Nun haben sie die Leitern umgestürzt, die Soldaten liegen darunter wie zertretenes Gewürm, die Belagerten sind im Vorteil.« »Heiliger Georg!« rief Ivanhoe. »Kämpfe du für uns! Weichen denn diese erbärmlichen Yeomen etwa zurück?« »Nein!« rief Rebekka. »Sie zeigen sich als echte Yeomen! Der schwarze Ritter naht jetzt mit seiner Axt dem Tore. Ihr könnt die donnernden Schläge hören, sie übertönen den Kampfeslärm. – Steine und Balken werden auf ihn herabgeworfen, aber er achtet darauf so wenig, als wären es Federn oder Disteln.« »Nur ein Mann lebt in England,« rief Ivanhoe, indem er sich frohgemut auf seinem Lager aufrichtete, »der solch eine Tat vermag!« »Die Tür bebt –« fuhr Rebekka fort, »sie zersplittert unter seinen Schlägen! – die Krieger dringen herein – das Außenwerk ist genommen – o Gott, von den Mauern stürzen sie die Verteidiger herunter, sie werfen sie in den Graben! O Menschen, seid ihr denn wirklich Menschen? – Verschont doch die, die sich nicht mehr wehren können!« »Aber die Brücke zum Schlosse haben sie noch nicht?« »Nein! der Templer hat sie zerstört und ist mit einer geringen Anzahl ins Schloß entkommen. Fürs erste scheint es nun vorüber. Unsere Freunde setzen sich auf dem Außenwerke fest, das ihnen hinreichenden Schutz gewährt. Man sieht kaum noch einige Bolzen fliegen.« »Unsere Freunde werden ein so glücklich begonnenes Unternehmen nicht unvollendet aufgeben,« sagte Wilfried. »Nein! ich verlasse mich auf den schwarzen Ritter, dessen Streitaxt Eisenstäbe zerschlug und der ein Herz von Eisen spaltete. Seltsam!« sagte er zu sich selber. »Gibt es denn zwei Männer, die ein solches Wagnis auf sich nehmen? Ein Fesselschloß und Fesseln auf blauen Felde? Was soll das bedeuten? Siehst du sonst nichts, woran der schwarze Ritter zu erkennen wäre?« »Nichts,« erwiderte die Jüdin. »Alles an ihm ist schwarz wie das Gefieder des Nachtraben. Ich kann nichts erkennen, was ihn deutlicher kennzeichnete, aber seit ich ihn einmal im Kampfe gesehen habe, will ich ihn unter tausend Kriegern herauskennen. Er stürzt sich in den Kampf, als wäre er zu einem Feste geladen. Das geht über die bloße Kraft eines Menschen weit hinaus! Es scheint, als sei die ganze Seele, der ganze Geist des Streiters bei jedem Schlage, den er führt. Der Herr vergebe ihm, daß er soviel Blut vergießt. Es ist entsetzlich, aber doch auch erhaben anzusehen, wie das Herz und der Arm eines einzigen über Hunderte triumphiert.« »Rebekka,« sagte Ivanhoe, »Ihr habt da einen Helden beschrieben, und machen sie nur Rast, um neue Kräfte zu sammeln oder Mittel herbeizuschaffen, um über den Graben hinüberzukommen – unter einem Führer, wie ihr ihn geschildert habt, gibt es keine feige Furcht, keine Saumseligkeit und kein Zurückbeben vor kühnem Wagnis. Je schwieriger die Tat, desto glorreicher! – Bei der Ehre meines Hauses, bei der Liebe zu meiner Schönen! Zehn Jahre wollte ich gefangen sein, dürfte ich nur einen Tag lang an der Seite dieses edeln Ritters in solchem Kampfe streiten.« Still sah Rebekka noch eine Zeitlang hinaus, dann sah sie nach dem Lager des Ritters. »Er schläft,« sagte sie. »Durch Schmerz und Aufregung erschöpft, ergreift seine Natur die erste Minute anscheinender Ruhe, um selber auszuruhen. – Ach! ist es denn ein Verbrechen, ihn anzusehen? Es ist ja doch vielleicht das letztemal! – Ach, und mein Vater! Schlecht beraten ist deine Tochter! Sie denkt mehr an die goldenen Locken des Jünglings als an dein graues Haar. – Doch ich will diese Torheit aus meinem Herzen reißen, und sollte jede Fiber darüber verbluten.« Mit diesen Worten legte sie den Schleier fest um sich und setzte sich abseits von Wilfrieds Lager, dem Kranken den Rücken kehrend ... Während auf kurze Zeit Ruhe eingetreten war, lag der Herr des belagerten und gefährdeten Schlosses auf seinem Bette, geistig ohnmächtig und körperlich von Schmerzen geplagt. Ihm stand nicht die Zuflucht offen, die die Abergläubischen der damaligen Zeit in der Regel benutzten: durch Geschenke an die Kirche die Absolution zu erkaufen. Front-de-Boeuf, der harte, habsüchtige Mensch, dessen stärkstes Laster der Geiz war, bot lieber der Kirche und ihren Dienern Trotz, als daß er für die Vergebung der Sünden Geld und Gut hingegeben hätte. Front-de-Boeuf hätte auch stets gern auf Arznei verzichtet, nur um keinen Arzt rufen zu müssen. Jetzt aber war die Stunde gekommen, wo die Erde mit all ihren Schätzen und Herrlichkeiten vor seinem Auge zu einem Nichts zusammenschrumpfte und sein Herz, das sonst so hart war wie ein Mühlstein, erbebte vor dem Blick in die Zukunft. Die Gemütsangst und die marternde Ungewißheit erhöhten noch das Fieber, das seinen Leib durchraste, und sein Totenbett war der Schauplatz eines erbitterten Kampfes zwischen dem aufgerüttelten Gewissen und der alten Hartnäckigkeit und Verstocktheit, die nicht so leichten Kaufes das Feld räumen wollten. Ein gräßlicher Seelenzustand, wie man ihn nur in jenen Regionen kennt, wo es Klagen gibt aber keine Hoffnung, Gewissensbisse aber keine Reue, und Verzweiflung und Furcht kein Ende haben. »Wo sind jetzt die Hunde von Priestern?« stöhnte der Baron. – »Wo sind alle die Karmeliter, für die der alte Front-de-Boeuf das Kloster zur heiligen Anna gründete? Seinen Erben hat er damit um einen satten Wiesengrund und ein gutes Stück fettes Ackerland gebracht! – Sicher sitzt die Sippe beim Bierkrug! Und mich, den Erben dessen, der ihr Kloster gegründet hat, mich lassen sie sterben wie einen räudigen Hund! Statt daß sie für mich beten, wie es ihre Pflicht wäre! – Die undankbaren Schufte! Ohne Absolution und Beichte lassen sie mich verrecken. – Sagt dem Templer, er solle kommen, er ist ja auch ein Priester! Doch nein! – ebenso könnt ich dem Teufel beichten, als Bois-Guilbert, der weder Himmel noch Hölle kennt. Ich habe auch von alten Leuten gehört, daß sie beten könnten und allein beteten und keines Priesters bedürften – aber, aber – das – das – darf ich nicht ...« »Ist es schließlich doch noch dahingekommen,« sagte eine pfeifende Stimme an seinem Bette, »daß Front-de-Boeuf sagen muß, es gäbe etwas, was er nicht darf?« Das böse Gewissen machte, daß Front-de-Boeuf, dessen Nerven völlig erschüttert waren, in dieser Stimme, die so seltsam sein Selbstgespräch unterbrach, die Stimme eines jener Dämonen zu hören glaubte, die nach dem Aberglauben der damaligen Zeit an das Bett von Sterbenden traten und seine Gedanken verwirrten und ihn von der Betrachtung seines ewigen Heiles ablenkten. Er fuhr zusammen, aber er raffte seine alte Unerschrockenheit noch einmal auf und rief: »Wer ist da? – wer bist du, daß du es wagst, auf meine Worte zu antworten wie eine Nachtmahr? Komm und tritt hervor, daß ich dich sehen kann!« »Ich bin dein böser Genius, Reginald Front-de-Boeuf!« erwiderte die Stimme. »Wenn du in der Tat ein böser Feind bist, so laß dich schauen in deiner leibhaftigen Gestalt,« sagte der sterbende Ritter. »Denke nicht, ich würde mich vor dir fürchten. Bei der ewigen Verdammnis, wenn ich nur mit den Schuften, die jetzt auf mich eindringen, fechten könnte wie mit Feinden von Fleisch und Blut, so sollten weder Himmel noch Hölle sagen können, ich fürchtete den Kampf.« »Reginald Front-de-Boeuf! denk an deine Sünden! Aufruhr, Raub und Mord! Wer hat den ausschweifenden Johann gegen seinen Vater aufgehetzt? und gegen seinen hochherzigen Bruder?« »Ob du nun ein böser Geist bist, ein Priester oder ein Teufel,« entgegnete Front-de-Boeuf, »du lügst in deinen Hals hinein. – Nicht ich wars, der Johann zum Aufruhr anstachelte, nicht ich allein! Fünfzig Ritter und Barone, die vornehmsten unter den Grafen des Südens – und soll ich allein büßen für die Schuld der Fünfzig? Hebe dich hinweg, teuflischer Geist, und laß mich in Frieden sterben!« »Du sollst nicht sterben in Frieden,« antwortete die Stimme. »Noch im Todeskampfe sollst du an deine Mordtaten denken – an die Seufzer und das Gestöhn, das in diesen Gewölben widerhallte, an das Blut, das über diesen Fußboden geflossen ist.« »Deine kleinliche Bosheit hat mir nichts an,« erwiderte Front-de-Boeuf mit einem gräßlichen, erzwungenen Lachen. »Der ungläubige Jude? So einen zu mißhandeln, gilt als ein Verdienst! Die Männer, die ihre Hände in Sarazenenblut gebadet haben, sind heilig gesprochen worden. Die sächsischen Schweine, die ich erschlagen habe? Das waren die Feinde meines Vaterlandes, meines Volkes und meines Lehnsherrn. – Ho, ho, du siehst, es ist kein Loch in meinem Panzer! Bist du nun verstummt?« »Nein, abscheulicher Verräter!« versetzte die Stimme. »Denk an deinen Vater, und wie sein Gemach überfloß von seinem Blute, das die Hand seines Sohnes vergossen hatte.« »Ha!« versetzte nach langem Schweigen der Baron. »Und das weißt du? Dann bist du wirklich der Urheber alles Übels und so allwissend, wie dich die Priester nennen. Ich glaubte, das Geheimnis sei in meiner Brust verschlossen gewesen – und in noch einer – in der Brust des Weibes, das mich dazu versucht und daran teilgenommen hat – geh, böser Feind! Suche die sächsische Hexe Ulrika auf, die kann dir erzählen, was nur sie und ich gesehen haben. – Geh zu ihr, sage ich dir, die die Wunde gewaschen hat und die den Leichnam ausgestreckt hat, daß er aussah, als sei der Mann eines natürlichen Todes gestorben. – Geh zu ihr, sie hat mich verführt, sie hat mir gräßlich meine Tat gelohnt! Wenn mich, so laß auch sie die Qualen der Hölle kosten.« »Sie kostet sie schon,« sagte Ulrika und trat vor das Lager Front-de-Boeufs hin, »lange hat sie aus diesem Becher getrunken, und der herbe Trank wird versüßt, wenn du mit daraus trinkst. Knirsche nicht mit den Zähnen, Front-de-Boeuf, und rolle nicht mit den Augen! Was ballst du die Faust und drohst mir? Die Faust, die einst stark war wie die deines berühmten Ahnen, der den Namen deines Geschlechts erhielt, weil er mit der Faust den Schädel eines Bergstiers zerschmettern konnte, diese Hand ist nun kraftlos und machtlos.« »Verfluchte mörderische Hexe!« schrie Front-de-Boeuf. »Gräßliche Nachteule! Also bist du gekommen, um über den Trümmern, die du untergraben hast, dein Gespött zu singen?« »Ja, Reginald Front-de-Boeuf. Es ist Ulrika, die Tochter des ermordeten Torquil Wolfganger, die Schwester seiner erschlagenen Söhne! – Sie fordert von dir und deines Vaters Hause Vater und Angehörige, Namen und Ehre und alles, was sie durch die Front-de-Boeufs verloren hat. – Denk an deine Sünden! – Du warst mein böser Engel, ich will der deine sein! Ich will dich peinigen bis zu dem Augenblicke des Todes!« »Gräßliche Furie!« schrie Front-de-Boeuf. »Nimmer sollst du diesen Augenblick sehen! He, Sklaven, ergreift die verfluchte Hexe, stürzt sie kopfüber von den Zinnen herab! – verraten hat sie uns an die Sachsen! He, Sklaven, was zaudert ihr!« »Rufe sie nur, du mächtiger Baron!« höhnte die Alte. »Rufe sie und drohe ihnen mit der Geißel und Kerker, wenn sie zögern! – Aber wisse, sie werden dir weder antworten, noch gehorchen, noch helfen! Hörst du die furchtbaren Töne? Rings von den Mauern her schallt der Sturm, der von neuem losbricht! Horch! dieses Kriegsgeschrei bedeutet den Untergang deines Hauses, und Front-de-Boeufs Macht, die mit Blut festgekittet ist, erzittert in ihren Grundfesten und wankt vor den Feinden, die ihm sonst die verächtlichsten waren. Der Sachse, Reginald, der verachtete Sachse erstürmt deine Wälle! Was liegst du hier wie ein müder Knecht, während der Sachse dein festes Schloß erstürmt?« »Gott und Teufel!« tobte der verwundete Ritter. »Nur einen Augenblick Kraft, nur daß ich mich ins Gefecht schleppen und einen meines Namens würdigen Tod finden könnte!« »Schlage dir das aus dem Sinn, tapferer Krieger,« erwiderte sie, »diesen Tod sollst du nicht sterben. Du sollst verrecken wie der Fuchs in seinem Bau, wenn die Bauern Feuer ringsherum gelegt haben.« »Verfluchte Hexe, du lügst!« schrie der Normann. »Meine Mannen kämpfen tapfer. Laut hör ich den Ruf des Templers und de Bracys. Meine Mauern sind stark und hoch – meine Kameraden fürchten eine ganze Herde Sachsen nicht. Ja, bei meiner Ehre! Wenn wir das Freudenfeuer anzünden und unsern Sieg feiern, dann sollst du mit Haut und Haar darin verbrannt werden!« »Dir selber,« war die Antwort der Alten, »ist jetzt ein Grab bereitet, dem du bei all deiner Macht, Beherztheit und Kraft nicht zu entgehen vermagst, obgleich es dir nur diese schwache Hand bereitet hat. – Merkst du es nicht, wie erstickender Qualm das Gemach erfüllt? Meinst du, das scheine dir nur so, weil deine Augen brechen und dein Atem verendend keucht? Nein, Front-de-Boeuf, dem ist anders. Denke daran, was für Vorräte an Fett und Öl unter diesen Gemächern aufbewahrt wurden!« »Weib!« brüllte er mit entsetzlicher Stimme. »Du hast doch nicht etwa Feuer dort angelegt? Beim Himmel! das hast du getan – das Schloß steht in Flammen!« »Sie schlagen hoch empor,« sagte Ulrike mit gräßlicher Ruhe. »Front-de-Boeuf, fahr wohl! Ulrika verläßt nun dein Totenbett, mögen jetzt Mitta, Skogula und Zernebock, Götter der alten Sachsen und böse Feinde, wie sie die Priester nennen, ihre Stelle einnehmen. Aber das magst du noch wissen, falls es dich trösten kann – Ulrika fährt zu demselben finstern Gestade als Genossin deiner Schuld und deiner Strafe. – So leb denn wohl auf immer, Vatermörder! Fände doch jeder Stein in dieser Halle und diesen Mauern eine Zunge, um dir dieses Wort entgegenzudonnern!« Mit diesen Worten ging sie hinaus, und Front-de-Boeuf hörte den wuchtigen Schlüssel sich zweimal im Schloß umdrehen. So war denn jede Hoffnung auf Entkommen abgeschnitten. In der höchsten Todesangst rief er den Dienern zu, aber ungehört verhallte seine Donnerstimme in dem Gewölbe. »Ihr Sklaven, zu Hilfe! ich verbrenne hier! – Zu Hilfe, tapferer Bois-Guilbert! ritterlicher de Bracy, Front-de- Boeuf ruft! – Euer Verbündeter, euer Waffenbruder, ihr meineidigen Ritter! Alle Flüche, die der Verräter verdient, auf euer Haupt! – Wollt ihr mich hier elendiglich krepieren lassen? – Sie hören mich nicht, sie können mich nicht hören, meine Stimme verhallt im Kampfeslärm! – Der Qualm wird immer stärker, schon dringt das Feuer durch den Fußboden. O, nur einen Zug Himmelsluft! sollte ich auch daran zugrunde gehen!« Und im Wahnsinn seiner Verzweiflung rief er bald nach den Streitern, bald überhäufte er mit Verwünschungen sich selber, die Menschen und sogar den Himmel. »Die Flamme schlägt rot durch den dicken Rauch! Der Teufel rückt gegen mich an unter dem Banner seines Elements! Hinweg! Ich will nicht ohne meine Genossen gehen, alle gehören dir, die auf diesen Wällen stehen. Meinst du, Front-de-Boeuf ginge allein? Der Templer, der leichtsinnige de Bracy, die schändliche Hexe Ulrika, die Spießgesellen meiner Streifzüge, die Hunde von Sachsen, die verdammten Juden, meine Gefangenen, alle, alle sollen mit. Wahrlich, eine so stattliche Kumpanei, wie sie je den Weg zur Hölle gepilgert ist! Hahaha!« Und er lachte, daß das Gewölbe widerhallte. »Wer lacht hier?« schrie er. »Bist du es, Ulrika? Sprich, Hexe! Nur du und der höllische Feind können jetzt lachen! Hinweg! Hinweg!« Siebenundzwanzigstes Kapitel Als der Brückenkopf erobert war, sandte der schwarze Ritter diese Nachricht an Locksley und ließ ihn gleichzeitig auffordern, das Schloß scharf im Auge zu behalten, daß sich die Verteidiger nicht etwa zu einem Ausfall vereinigen könnten, um das Außenwerk wieder an sich zu reißen. Der schwarze Ritter war darum so sehr bedacht darauf, dies zu verhindern, weil er sehr wohl wußte, daß die Mannschaft, die er anführte, zwar aus tapferen, aber unkundigen, ungeübten und schlecht bewaffneten Männern bestand, die bei einem heftigen Angriff der erprobten Normannen im Nachteil sein mußten. Der Ritter machte sich die kurze Waffenruhe zunutze und ließ ein Floß bauen, mit dem er und die Seinen trotz dem Widerstand des Feindes über den Graben setzen wollten. Die Anführer waren es zufrieden, daß dies geraume Zeit in Anspruch nahm, da inzwischen Ulrika Zeit gewinnen konnte, zu ihren Gunsten den Plan auszuführen, den Cedric mitgeteilt hatte. Als aber das Floß fertig war, sagte der schwarze Ritter: »Es ist nicht ratsam, länger zu warten. Die Sonne sinkt, und meine Zeit erlaubt mir nicht, noch einen Tag länger hier zu verweilen. Es wäre auch ein Wunder, wenn uns die Räuber nicht von York her überfielen, sobald wir unser Unternehmen nicht zu schleunigem Ende führen. Locksley soll also einen Pfeilregen nach der andern Seite des Schlosse schicken und einen Scheinangriff dorthin unternehmen, und ihr, treue englische Herzen, steht zu mir, schafft das Floß in den Graben und folgt mir! Wir wollen uns den Zugang zum Hauptwall des Schlosses erzwingen. Wer unter euch nicht das Herz hat, daran teilzunehmen oder zu schlecht bewaffnet ist, der soll aufs Außenwerk steigen und dort den Bogen spannen und alles niederschießen, was sich auf den Wällen zeigt. Edler Cedric, wollt Ihr die Führung der Zurückgebliebenen übernehmen?« »Nein, gewiß nicht!« versetzte der Sachse. »Ich verstehe das Anführen nicht, aber die Nachwelt soll mir noch im Grabe fluchen, wenn ich Euch nicht in den vordersten Reihen folge. Mich vor allen geht dieser Kampf an, und mir geziemt es, da zu sein, wo die Schlacht am heftigsten tobt.« »Bedenkt, edler Sachse,« erwiderte der Ritter, »Ihr habt weder Brustharnisch, noch Kopfpanzer und nur den leichten Helm da und Schwert und Schild!« »Um so leichter werde ich die Mauern erklettern können,« versetzte Cedric, »und vergebt mir die Prahlerei, Herr Ritter, aber Ihr sollt heute sehen, daß der Sachse mit nackter Brust ebenso kühn dem Sturme entgegengeht als der Normann mit seinem Panzer.« »Denn also los in Gottes Namen!« rief der schwarze Ritter. »Stoßt die Tür auf und laßt die schwimmende Brücke nieder.« Das Floß lag nun auf dem Wasser, den ganzen Raum zwischen dem Außenwerk und dem Schloß füllend. Es bot einen gefährlichen schlüpfrigen Übergang für zwei Mann nebeneinander. Der schwarze Ritter kannte den Vorteil, den ein rascher Überfall auf den Feind verschafft, und er stürzte über die Brücke, Cedric ihm zur Seite. Sie erreichten glücklich das Tor, das der Ritter sofort mit seiner Streitaxt zu bearbeiten begann. Aber zwei von den Nachstürmenden wurden auf der Stelle von Bolzen niedergestreckt, und zwei fielen in den Graben, die anderen zogen sich nach dem Außenwerk zurück. Der schwarze Ritter und Cedric waren nun in großer Gefahr. Zum Glück für sie schossen die Schützen auf den Brückenkopf unausgesetzt ihre Pfeile und nötigten so den Feind, die Verteidigung zu verteilen, so daß der Hagel von Schleudersteinen, der sie sonst überschüttet hätte, zu einem großen Teile von ihnen abgelenkt wurde. In diesem Augenblick wurden die Belagerer die rote Fahne gewahr, die von der Spitze des Turmes wehte, wie es Ulrika dem Sachsen versprochen hatte. Der wackere Yeoman Locksley war der erste, der sie entdeckte. »Heiliger Georg!« rief er. »Heiliger Georg für England! – Greift zu, tapfere Yeomen! Heran, heran! Warum laßt ihr den guten Ritter und den edlen Cedric allein? Los toller Priester! zeige, daß du für deinen Rosenkranz streiten kannst! – Drauf und dran, Yeomen! – Das Schloß ist unser, wir haben Bundesgenossen darin! Seht, die Fahne dort ist das verabredete Zeichen. – Torquilstone ist unser! – Denkt, was für eine Ehre! Denkt, was für reiche Beute! – Nur noch ein letzter Kampf und das Schloß ist unser!« Mit diesen Rufen spannte er seinen braven Bogen und schoß einen Krieger mitten durch die Brust, der eben mit mehreren andern unter de Bracys Führung bemüht war, ein Stück Mauerwerk von der Zinne loszubrechen, um es dem Ritter und Cedric auf den Kopf zu stürzen. Ein zweiter Krieger nahm dem Sterbenden das Brecheisen aus der Hand und fuhr fort, das Gestein loszuschlagen. Ein zweiter Pfeil traf ihn, daß er tot in den Graben stürzte. Da wichen die andern zurück. »Feige Buben!« rief de Bracy. »Mont joye Saint Denis! Mir das Brecheisen!« Er griff es und wütete von neuem gegen das Mauerstück, das wuchtig genug war, die beiden zu zermalmen und die schwimmende Brücke zu zertrümmern, auf der sie standen. Alle sahen die Gefahr, aber selbst die kühnsten, wie der mannhafte Mönch, wagten sich nicht auf die Brücke. Dreimal zielte Locksley auf de Bracy und dreimal sprang der Pfeil von der trefflichen Rüstung des Ritters ab. »Verflucht sei dein spanisches Panzerhemd!« rief Locksley. »Hätte es ein englischer Schmied gemacht, so wären diese Pfeile hindurch gegangen wie durch Seide oder Linnen.« Dann schrie er laut: »Kameraden, edler Cedric, tretet zurück und laßt die Trümmer herabfallen!« Aber seine Warnung blieb ungehört, der Lärm, den der Ritter mit seinen Schlägen gegen das Tor machte, und die Klänge von zwanzig Kriegstrompeten übertönten sie. Der treue Gurth sprang auf das Floß, um Cedric zu warnen oder mit ihm zu sterben. Aber auch er wäre zu spät gekommen, denn schon bebte der gewaltige Block, und de Bracys Arbeit war fast ganz getan, da schlug die Stimme des Templers an sein Ohr: »Alles ist verloren, de Bracy, das Schloß brennt!« »Seid Ihr von Sinnen?« »Am Westende steht alles in hellen Flammen! Es ist unmöglich zu löschen!« In dem kalten finstern Tone, der eine Charaktereigentümlichkeit Brian de Bois-Guilberts war, wurde diese entsetzliche Nachricht mitgeteilt, aber von seinem Kameraden nicht mit der gleichen Fassung vernommen. »Heilige des Paradieses! Was ist da zu tun?« rief de Bracy. »Ich gelobe dem heiligen Nikolas einen Leuchter von reinem Golde ...« »Spart Euch das Gelübde und hört mich an!« sprach der Templer. »Führt Eure Leute hinunter, als wolltet Ihr einen Ausfall machen und stoßt die Pforte auf. – Es stehen nur zwei Mann auf dem Floß, werft sie in den Graben und dringt in das Außenwerk! Ich will zum Haustor hinaus und von dieser Seite das Außenwelt gewinnen, so können wir uns verteidigen, bis uns Entsatz gebracht wird, oder wir bekommen gute Bedingungen zum Abzug.« »Das ist ein kluger Plan,« antwortete de Bracy, »ich will meinen Teil daran übernehmen, wenn Ihr mich nicht im Stich lassen wollt, Herr Templer.« »Meine Hand darauf!« versetzte der Templer. »Aber haltet Euch dazu um Himmels willen!« De Bracy zog schnell seine Leute zusammen und drang mit ihnen nach der Pforte, die er öffnen ließ. Kaum war das getan, so erzwang der schwarze Ritter in seiner gewaltigen Kraft den Eingang trotz de Bracys Leuten. Zwei der vorderen fielen, die andern ergriffen die Flucht. »Hunde!« rief de Bracy, »sollen uns zwei Feinde den einzigen Ausweg versperren?« »Der Teufel ist gegen uns!« rief ein alter Soldat, vor den Axthieben des Schwarzen zurückweichend. »Und wenn es der Teufel selber ist,« schrie de Bracy, »wollt ihr vor ihm in den Rachen der Hölle fliehen? Das Schloß brennt hinter uns! Vielleicht flößt euch die Verzweiflung den nötigen Mut ein. Laßt mich voran, daß ich es mit dem gewaltigen Streiter aufnehme.« Und brav und ritterlich hielt diesmal de Bracy den Ruhm aufrecht, den er sich in den Bürgerkriegen dieser furchtbaren Zeit errungen hatte. Der Gang, der nach der Pforte führte, hallte wider von den Streichen der beiden mächtigen Krieger, die nun miteinander im Handgemenge waren. De Bracy focht mit seinem Schwert, der schwarze Ritter mit seiner Streitaxt. Endlich erhielt der Normann einen Schlag, der ihn in seiner vollen Länge zu Boden streckte. »Ergebt Euch, de Bracy!« rief der schwarze Ritter, indem er sich niederbeugte und ihm den Dolch gegen das Visier hielt. »Ergebt Euch, Moritz de Bracy, auf Gnade und Ungnade, oder Ihr seid des Todes!« »Ich ergebe mich nicht einem Sieger, den ich nicht kenne,« versetzte der Normann. »Nennt Euern Namen oder macht mit mir, was Ihr wollt. Man soll nicht sagen, de Bracy sei der Gefangene eines namenlosen Abenteurers gewesen.« Der schwarze Ritter flüsterte ihm etwas ins Ohr. »Ich ergebe mich Euch auf Gnade und Ungnade,« sagte darauf de Bracy, nunmehr im Tone tiefster Unterwürfigkeit. »Geht nach dem Brückenkopf,« befahl der Sieger in gebieterischem Tone. »Dort harrt meiner weitern Befehle!« »Erst laßt mich Euch noch etwas sagen,« sprach de Bracy: »Wilfried von Ivanhoe ist im Schlosse, verwundet und gefangen, wenn ihm nicht schleunige Hilfe gebracht wird, kommt er im Brande um!« »Wilfried von Ivanhoe!« rief der schwarze Ritter. »Verbrennen, umkommen! Das Leben jedes Mannes im Schlosse soll mir dafür haften, daß ihm nicht ein Haar auf dem Haupte versengt wird. Wo liegt er?« »Geht die Wendeltreppe dort hinauf, so kommt Ihr hin! Soll ich Euch führen?« »Nein! Ihr geht zum Außenwerk und wartet meine Befehle ab! Ich traue Euch nicht, de Bracy.« Während dieses Gefecht und das darauf folgende Zwiegespräch stattfand, eilte Cedric an der Spitze eines Haufens in das Schloß. Der Mönch war der vorderste, der über die Brücke hinüberdrang, sobald das Tor geöffnet war. De Bracys Soldaten gaben den Kampf auf und wichen zurück. Einige baten um Pardon, andere leisteten noch vergebens Widerstand, die Mehrzahl ergriff die Flucht. De Bracy erhob sich vom Boden, sah seinem Sieger betrübt nach und sagte zu sich selber: »Er traut mir nicht, aber habe ich denn auch sein Vertrauen verdient?« Dann öffnete er das Visier zum Zeichen der Unterwerfung, hob sein Schwert auf und ging nach dem Außenwerk. Unterwegs begegnete er Locksley, dem er sein Schwert übergab. Das Feuer griff indessen schneller um sich, und bald drang es auch nach dem Räume, wo Ivanhoe von der Jüdin gepflegt wurde. Das Kampfgetöse erweckte ihn aus einem kurzen Schlummer, seine Pflegerin war seinen Bitten zufolge wieder an das Fenster getreten und hatte ihm alle Wendungen des Kampfes mitgeteilt. Darüber merkten sie eine Zeitlang nicht die erstickenden Dünste, die rings aufzusteigen begannen. Endlich drangen dicke Rauchwolken ins Zimmer, und an dem Geschrei nach Wasser, das sie durch das Getöse deutlich vernahmen, erkannten sie, wie groß diese neue Gefahr war. »Das Schloß brennt!« rief Rebekka. »Was können wir tun, uns zu retten?« »Flieh, Rebekka, und rette dein Leben!« sagte Ivanhoe. »Mir kann doch kein Mensch mehr helfen!« »Ich fliehe nicht,« versetzte sie. »Entweder wir werden zusammen gerettet oder wir sterben zusammen. Und doch! mein Vater! großer Gott, was wird aus ihm!« In diesem Augenblick sprang die Tür des Gemaches auf, und der Templer kam herein. – Eine furchtbare Gestalt. Seine zerbrochene Rüstung war mit Blut befleckt, der Helmbusch war halb zerfetzt, halb versengt. »So habe ich dich gefunden,« sagte er zu Rebekka. »Du sollst sehen, daß ich Wort halte und Weh und Wohl mit dir teilen werde. Hier gibt es nur noch einen Weg, in Sicherheit zu kommen. Durch hundert Gefahren habe ich ihn mir bis zu dir her gebahnt. Komm und folge mir augenblicklich!« »Ich folge dir nicht allein,« antwortete sie. »So du vom Weibe geboren bist, so ein Funken Barmherzigkeit in dir schlummert, so dein Herz nicht gefühllos ist wie dein Panzer, so rette meinen alten Vater und diesen verwundeten Ritter.« »Ein Ritter,« erwiderte der Templer, »muß wissen, seinem Schicksal zu begegnen, ob es ihm in Schwertern naht oder in Flammen. Und wer kümmerte sich darum, wie einen Juden das Schicksal ereilt?« »Unmenschlicher Krieger!« rief Rebekka. »Lieber komme ich in den Flammen um, als daß ich dir Rettung verdanke!« »Du hast keine Wahl, Rebekka. Einmal hast du mich gemeistert, ein zweitesmal aber ist es noch keinem Sterblichen gelungen.« Mit diesen Worten ergriff er die entsetzte Jungfrau und trug sie trotz ihrem Sträuben von hinnen, ohne der Drohungen zu achten, die ihm Ivanhoe nachschrie: »Du Hund des Tempels! Du Schandfleck deines Ordens! Laß die Jungfrau frei – Verräter! Bois-Guilbert! Ivanhoe ist es, der dich ruft! Bösewicht, dein Herzblut will ich haben!« »Ich hätte dich nicht gefunden, Wilfried,« sagte der schwarze Ritter, der eben hereintrat, »hätte ich dein Rufen nicht gehört.« »So du ein echter Ritter bist,« sagte Ivanhoe, »so denke nicht an mich – verfolge den Räuber dort – rette die Lady Rowena – sieh nach dem edeln Cedricl« »Einer nach dem andern,« war die Antwort, »du aber bist der erste.« Er ergriff Ivanhoe und trug ihn hinweg, eilte mit ihm zur Pforte und gab seine Bürde zweien von den Yeomen, dann eilte er wieder ins Schloß, um andere zu retten. Indessen stand schon ein Turm in hellen Flammen, die aus Fenstern und Schießscharten hervorschlugen. An der andern Seite aber leisteten die dicken Mauern noch Widerstand, und dort tobte auch noch die Wut der Menschen kaum minder furchtbar als das verderbende Element. Die Belagerer verfolgten die Schloßmannschaft von Gemach zu Gemach und stillten mit Blut den Rachedurst, den sie schon so lange gegen die grausamen Soldaten des Front-de-Boeuf gehegt hatten. Die Mehrzahl leistete erbitterten Widerstand, wenige baten um Pardon, keinem wurde er gewährt. Die Luft erzitterte von Stöhnen und Waffenklirren, der Boden war schlüpfrig vom Blute der Sterbenden. Durch diesen Wirrwarr hindurch suchte Cedric Rowena, der treue Gurth folgte ihm, sein selbst nicht achtend, um alle Streiche aufzufangen, die gegen seinen Herrn geführt wurden. Der edle Sachse hatte das Glück, sein Mündel zu finden, das eben alle Hoffnung aufgegeben hatte, das Bild des Erlösers ans Herz drückte und den Tod erwartete. Er gab sie Gurth, der sie zum Außenwerk führte, denn der Weg dorthin war jetzt von Feinden frei. Dann eilte der treue Cedric weiter, um seinen Freund Athelstane zu suchen, denn lieber wäre er selber umgekommen, ehe er diesen letzten Sprößling des sächsischen Königtums hätte umkommen lassen. Aber ehe Cedric die Halle erreichte, in der er selber gefangen gewesen war, hatte schon Wambas erfinderischer Geist sich und seinem Leidensgefährten die Freiheit verschafft. Als nämlich das Getöse des Kampfes am stärksten war, hatte Wamba mit der äußersten Kraft seiner Lungen geschrien: »Heiliger Georg und der Drache! Lustiger heiliger Georg für lustig England! Das Schloß ist erobert!« Und um den Eindruck dieser Worte noch zu erhöhen, hatte er ein paar von den alten Waffen, die in der Halle umherlagen, gegeneinander geschlagen. Die Wache, die auf dem Korridor postiert war, schwebte so schon in tausend Ängsten und entsetzte sich nun über Wambas Geschrei, so daß sie dem Templer meldete, die Feinde wären bereits in die alte Halle eingedrungen. Inzwischen war es den Gefangenen ein leichtes, durch den Korridor zu entkommen, und von da aus gelangten sie in den Schloßhof, wo sich eben der letzte Kampf abspielte. Hier saß der stolze Templer zu Roß und hatte den Rest der Besatzung um sich her versammelt, um einen letzten Versuch zum Durchbruch zu machen. Auf seinen Befehl war die Zugbrücke herabgelassen worden, aber sie wurde sofort von den Bogenschützen besetzt. Von der andern Seite drangen nun auch die Belagerer in den Hof, so daß nunmehr das spärliche Häuflein von zwei Seiten angegriffen war. Aber die Verzweiflung beseelte die Krieger und das Beispiel ihres Anführers verlieh ihnen Mut: sie fochten mit größter Tapferkeit, und mehrmals gelang es ihnen, die Angreifenden zurückzuwerfen. Rebekka saß auf einem Pferde vor einem der Sarazenensklaven des Templers, und obwohl in dem Wirrwarr alles drunter und drüber ging, ließ der Templer doch nichts außer acht, was für ihre Sicherheit geboten war. Immer wieder kam er zurück, deckte sie mit seinem großen dreieckigen Schild vor den Pfeilen, sprengte dann wieder, seinen Kriegsruf ausstoßend, davon, schlug den kühnsten der Angreifenden zu Boden und war im selben Augenblick wieder bei Rebekka. Athelstane, der wohl träge war, aber keine Feigheit kannte, sah die weibliche Gestalt, die der Templer so bedachtsam beschützte, und glaubte bestimmt, es sei Rowena, die der Ritter trotz ihrem Widerstande entführe. »Bei der Seele des Heiligen Eduard!« rief er, »ich will sie dem stolzen Ritter entreißen, und er soll von meiner Hand sterben!« »Bedenkt, was Ihr tut,« sagte Wamba. »Wer vorschnell ins Wasser langt, fängt 'n Frosch und keinen Fisch. Bei meiner Narrenkappe, das ist nicht Lady Rowena. Seht nur, was sie für lange schwarze Locken hat! Nein, wenn Ihr nicht Weiß von Schwarz unterscheiden könnt, so mögt Ihr getrost der Anführer sein, aber 's fällt mir nicht ein, Euch zu folgen. Ich will mir die Knochen nicht zerbrechen lassen, ehe ich nicht weiß für wen. – Ihr habt keine Rüstung an, und 'ne seidene Mütze hält keine Stahlklinge ab! Na, wer gern ins Wasser geht, der mag ersaufen! Deus vobiscum, edler Athelstane!« Und er ließ den Sachsen los, den er bisher am Gewand festgehalten hatte. Athelstane raffte einen Streitkolben vom Boden auf, der eben der Hand eines Sterbenden entfallen war und stürzte, rechts und links um sich schlagend, auf den Haufen des Templers ein. Mit jedem Schlage schmetterte er einen Gegner nieder, und im Nu stand er vor dem Templer, den er mit lauter Stimme herausforderte: »Hierher, falscher Templer! Laß sie frei – du bist nicht wert, sie anzurühren! Dreh dich um, du Spießgesell einer Bande räuberischer Mörder!« »Hund!« knirschte der Templer. »Ich will dich lehren, den heiligen Orden Zions zu lästern!« Und er wandte sich um und hob sich im Bügel und führte einen furchtbaren Schlag gegen das Haupt des Sachsen. Und wohl hatte Wamba recht, daß eine seidene Mütze keine Stahlklinge abhält. Das Schwert Bois-Guilberts war so scharf, daß es den mit Eisen beschlagenen Streitkolben wie eine Weidenrute zerschnitt und, auf Athelstanens Haupt herniedersausend, ihn zu Boden streckte. »Beauséant!« schrie der Templer. »So möge es allen Widersachern der Tempelritter ergehen!« Den Schrecken sich zu nutze machend, den Athelstanes Fall verursachte, rief er laut: »Wer sich retten will, folge mir!« Und die Bogenschützen auseinander jagend, stürmte er über die Brücke. Hinter ihm sprengten die Sarazenen einher und ein halbes Dutzend Berittener. Der Rückzug war gefährlich, aber er galoppierte um den Brückenkopf herum, den er, seinem Plan gemäß, in de Bracys Besitz glaubte. »De Bracy, de Bracy!« rief er. »Bist du hier?« »Ich bin hier,« war die Antwort, »aber als Gefangener.« »Kann ich dich befreien?« »Nein! Ich habe mich auf Gnade und Ungnade ergeben und will ein ehrlicher Gefangener sein. Rette dich! Bring das Meer zwischen dich und England. Falken sind los! Mehr darf ich nicht sagen.« »Gut,« antwortete der Templer, »du bleibst also hier, bedenke, daß ich mein Wort gelöst habe. Die Falken mögen sein, welche sie wollen, so denke ich, die Mauern des Präzeptoriums von Tempelstowe werden mir ein hinlänglicher Schutz sein, und dorthin will ich, wie der Reiher in sein Nest, fliehen.« Nachdem er dies gesagt hatte, eilte er im vollen Rosseslauf mit den Seinen davon. Indessen kämpften von der Schloßmannschaft alle, die noch nicht zu Pferde hatten kommen können, wie die Wilden, nachdem der Templer verschwunden war. Aber mehr, weil sie keinen Pardon zu erwarten hatten, als weil sie noch Hoffnung gehegt hätten, zu entkommen. Zudem hatte das Feuer inzwischen alle Teile des Schlosses ergriffen, und nun erschien Ulrika, die es angelegt hatte, auf einem Turme, einer Furie vergleichbar. Sie stimmte einen alten sächsischen Schlachtgesang an. Ihr langes graues Haar wehte im Winde. Ihr Auge glühte von dem trunkenen Entzücken gestillter Rache, und wie eine riesige Feuersäule stiegen die auflodernden Flammen gegen den Abendhimmel empor, weithin sichtbar. Turm auf Turm brach zusammen, Dächer und Balken barsten. Wer von den Besiegten mit dem Leben davongekommen war, hatte sich in den Wald geflüchtet. Die Sieger standen in großen Gruppen da und starrten in die Glut. Lange war die gräßliche Erscheinung der wahnsinnigen Sächsin Ulrika zu sehen, sie reckte die Arme hoch empor und sah aus wie eine Gebieterin des Brandes, den sie angelegt hatte. Endlich stürzte der Turm mit Gekrach ein, und sie kam in den Trümmern um. Eine Pause schreckensvollen Schweigens herrschte, und kaum war leises Murmeln zu hören. Wenn sich einer rührte, so war es, um das Zeichen des Kreuzes zu machen. Endlich erhob Locksley seine Stimme und rief: »Jauchzt, Yeomen! – Die Höhle des Tyrannen ist nicht mehr. – Jeder bringe seine Beute auf unsern Sammelplatz, zum Gerichtsbaum in Harthilwalk. Dort wollen wir bei Tagesanbruch jedem der unsern und unsern edeln Verbündeten in dieser großen Rachetat seinen gebührenden Anteil geben.« Achtundzwanzigstes Kapitel Der Morgen dämmerte auf den Grasplätzen im Eichenwalde. Wie Perlen blitzten Tautropfen auf den grünen Zweigen. Das Reh kam aus seinem Schlupfwinkel hervor und führte die Zicklein auf die Lichtungen, und kein Jäger war da, den stolzen Hirsch zu beobachten, der an der Spitze seiner gehörnten Herde dahinschritt. Die Geächteten waren um den Gerichtsbaum von Harthilwalk versammelt, wo sie die Nacht verbracht hatten, teils hatten sie gezecht, teils geschlafen, teils sich von den Begebenheiten des Tages unterhalten und die Beute überschlagen, die dieser Sieg ihrem Hauptmanne verschafft hatte und die nun an dieser Stätte ihrer Wahrsprüche verteilt werden sollte. Die Beute war reich. Wenn auch manches verbrannt war, so hatten doch die Geächteten, deren Kühnheit, wenn ihrer solcher Lohn harrte, vor keiner Gefahr zurückschreckte, vieles Silbergeschirr, reiche Waffenstücke und Kleider gerettet. So strenge waren die Gesetze ihrer Vereinigung, daß es keiner unter ihnen wagte, sich an der Beute zu vergreifen, die zu einem großen Haufen zusammengetragen war. Der Platz dieser Zusammenkunft war eine uralte Eiche, die eine halbe Meile von Schloß Torquilstone entfernt stand. Unter den dicht verwachsenen Ästen des riesigen Baumes saß hier Locksley auf einem Thron von Rasen. Um ihn her standen seine Getreuen. Zu seiner Rechten saß der schwarze Ritter, zu seiner Linken der edle Cedric. »Vergebt, edle Herren,« sagte er. »In diesen Wäldern bin ich König. Diese meinen rauhen Untertanen würden es mir sehr verübeln, wenn ich meinen Platz irgend einem andern einräumen würde. Aber wo steckt unser Kaplan, unser wackerer Mönch? Ein Christ tut gut daran, sein Tagewerk mit einer Messe einzuleiten. Hat niemand den Mönch von Copmanhurst gesehen?« »Mit Verlaub,« sagte einer der Hauptleute, »ich glaube, der fidele Priester ist zu lange bei der Weinflasche gewesen.« »Wer hat ihn gesehen, seit das Schloß erobert ist?« »Ich habe ihn an der Kellertür gesehen,« antwortete einer. »Er verschwur sich bei allen Heiligen des Kalenders, er wolle den Gaskognerwein des Normannen kosten.« »So mögen es alle Heiligen verhüten, daß er zuviel Wein getrunken hat und beim Einsturz des Schlosses umgekommen ist! Sucht nach ihm! Gießt Wasser aus dem Graben auf die brennenden Trümmer. Ich will eher jeden Stein umdrehen, ehe ich meinen Mönch verloren gebe. Inzwischen wollen wir an die Austeilung der Beute gehen, denn wenn diese kühne Tat ruchbar wird, so werden sich de Bracys Freischar und Malvoisin und andere Verbündete Front-de-Boeufs gegen uns aufmachen. Da müssen wir das Unsrige in Sicherheit bringen. – Edler Cedric,« wandte er sich an den Sachsen, »die Beute ist in zwei Teile geteilt, wähle dir den, der dir am besten gefällt, um deine Leute zu belohnen, die dir bei diesem Unternehmen geholfen haben.« »Guter Yeomen,« antwortete Cedric, »mir ist das Herz schwer vor Kummer. Athelstane von Conningsburgh ist dahin – der letzte Sproß des heiligen Bekehrers – mit ihm sind Hoffnungen, die nie wieder aufleben können, in die Grube gefahren. Mit seinem Blute ist ein Funke erloschen, den keines Menschen Hauch wieder anzufachen vermag. Meine Leute, die außer den wenigen, die hier bei mir sind, meiner daheim harren, warten nur auf mich, um seine verehrte Leiche zur letzten Ruhe zu bestatten. Lady Rowena will nach Notherwood zurückkehren, und ein ansehnliches Gefolge muß sie begleiten. Ich selber wäre auch schon längst weg, wenn ich nicht hätte warten wollen, nicht auf die Verteilung der Beute, denn meiner Treu, ich und die meinigen nehmen nicht einen Heller davon, sondern um dir und deinen tapfern Bogenschützen unsern Dank abzustatten, daß ihr uns Leben und Ehre gerettet habt.« »Aber wir haben höchstens nur die Hälfte der Arbeit getan, nimm wenigstens soviel von der Beute, daß du deine Nachbarn und Anhänger belohnen kannst.« »Ich bin reich genug, daß ich dies aus eigenen Mitteln tun kann,« erwiderte Cedric. »Und manch einer,« sagte Wamba, »war schon allein so schlau und hat gesehen, wo er bleibt, es haben nicht alle Narrenkappen auf.« »Meinetwegen,« versetzte Locksley. »Unsere Bestimmungen gelten nur für die Unserigen.« »Aber du, mein armer Schelm,« sagte Cedric, wandte sich um und schloß seinen Narren in die Arme. »Wie soll ich dich belohnen, der du dich für mich in Ketten schlagen ließest und dem Tode preisgabst? – Alle hatten mich verlassen, mein Narr ist mir treu geblieben.« Bei diesen Worten glänzte dem rauhen Than eine Träne im Auge. Eine solche Gefühlsäußerung hatte ihm nicht einmal Athelstanes Tod entlockt. »Nein,« sprach der Narr und machte sich aus den Armen seines Herrn los, »wenn Ihr meine Dienste mit'm Wasser Eurer Augen lohnt, so muß der Narr mitweinen und dann wird er seinem Beruf untreu. Aber, wenn du mir wirklich 'nen Gefallen tun willst, Onkelchen, so vergib meinem Kameraden Gurth, daß er dir 'ne Woche den Dienst gekündigt hatte, um deinem Sohne zu dienen.« »Ihm vergeben?« antwortete Cedric. »Ich will ihm Vergebung und Lohn zugleich gewähren. Gurth, knie nieder!« Der Schweinehirt fiel seinem Herrn zu Füßen. »Hinfort sollst du kein Leibeigener mehr sein, sondern ein freier Mann in Wald und Feld.« Und er berührte ihn mit seinem Stabe. »Ich gebe dir ein Stück Land für dich und deine Nachkommenschaft, und Gottes Fluch über die, so dem jemals widersprechen.« Gurth, der nun kein Sklave mehr, sondern ein freier Mann und Eigentümer war, sprang vor Freude so hoch, wie er selber war. »Einen Schmied her und 'ne Feile!« rief er. »Der Nacken eines freien Mannes darf kein Band mehr tragen. – Edler Herr! doppelt stark habt Ihr mich durch Euer Geschenk gemacht. So kann ich doppelt stark für Euch kämpfen. In meiner Brust ist jetzt freier Mut. Ich bin ein Mann! mir selber und gewiß auch allen andern komm ich ganz verändert vor. He! Packan!« fuhr er fort. »Kennst du mich noch? Kennst du deinen Herrn noch?« Der treue Hund sah, wie sich sein Gebieter freute und sprang an ihm in die Höhe. »Jawohl,« sagte Wamba, »Packan und ich, wir werden dich noch immer erkennen, Gurth, weil wir noch 's Halsband umhaben, aber du wirst vielleicht uns und dich selber vergessen.« »Sicherlich eher mich selber als dich, treuer Gefährte,« sagte Gurth, »und wenn dir die Freiheit was nützte, so hätte sie dir dein Herr auch gegeben.« »Denke ja nicht, Bruder Gurth,« versetzte Wamba, »daß ich dich beneidete. Der Leibeigene sitzt am Herd in der Halle, der freie Mann muß ins Feld hinaus. Besser ein Narr und sichs wohl sein lassen, als ein Weiser und sich plagen müssen.« Jetzt ließen sich Hufschläge vernehmen und Lady Rowena, von Reitern umgeben, erschien. Mit ihr kamen auch mehrere Bewaffnete zu Fuß an. Sie schlugen die Waffen gegeneinander, um ihre Freude über die Befreiung der Lady auszudrücken. Sie selber saß auf einem kastanienbraunen Zelter in all ihrer Anmut und Würde, und nur ihre Blässe zeigte, was sie gelitten hatte. Auf ihrer schönen Stirn lagen Wolken des Kummers, aber dazwischen strahlte auch ein Schimmer der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Sie wußte, daß Ivanhoe gerettet und Athelstane tot war. Über das erstere empfand sie das innigste Entzücken, und wenn sie sich über das letztere auch nicht gerade freute, so mag man ihr doch verzeihen, wenn sie sich nicht verhehlte, daß ihr diese Wendung nur willkommen sein müsse, da sie nun vor der Betreibung der einzigen Sache gesichert war, über die sie mit ihrem Vormund nicht eines Sinnes war. Und als Rowena auf Locksley zuritt, erhob sich dieser mit all seinen Gesellen und begrüßte sie. Das Blut stieg ihr in die Wangen, als sie freundlich mit der Hand winkte und sich so tief herabneigte, daß sich ihr langes loses Haar mit der Mähne ihres Rosses vermischte, während sie mit kurzen Worten Locksley und den andern Befreiern ihren Dank aussprach. »Gott segne Euch, ihr wackern Männer,« sagte sie. »Gott und die heilige Jungfrau mögen mit euch sein und euch dafür belohnen, daß ihr so tapfer den Gefahren die Stirn geboten und die Bedrückten errettet habt. So einen unter euch hungert, denkt daran, Rowena hat Speise für euch, und so es einen dürstet, Rowena hat manches Faß Wein und Braunbier für euch, und so euch die Normannen aus diesen Wäldern treiben, Rowena hat Wälder, wo ihre tapfern Befreier in voller Freiheit leben können.« »Habt Dank, gütige Lady,« sagte Locksley. »Dank in meinem und meiner Genossen Namen. Aber es ist allein schon Lohnes genug, Euch gerettet zu haben. Wir begehen In unsem Wäldern manche rohe Tat. Möge die Befreiung der Lady Rowena ein kleiner Entgelt dafür sein.« Sie verneigte sich wieder, wie um wegzureiten, als sie aber noch einen Augenblick zauderte, da sie sich von Cedric verabschieden wollte, sah sie plötzlich neben sich den gefangenen de Bracy. Die Arme über der Brust gekreuzt stand er in tiefem Sinnen unter einem Baume, und Rowena hoffte, unbemerkt an ihm vorüberzukommen, aber er blickte auf, und als er Rowena sah, überzog tiefe Schamröte sein hübsches Gesicht. Ein kleines Weilchen wußte er nicht, was er tun sollte, dann trat er vor und ergriff die Zügel ihres Pferdes und lieh sich auf ein Knie nieder. »Will Lady Rowena,« sagte er, »den gefangenen Ritter, den entehrten Soldaten eines Blickes würdigen?« »Herr Ritter,« erwiederte sie, »in Unternehmungen, wie die Eure war, liegt die Entehrung nicht im Fehlschlagen, sondern im Gelingen.« »Laßt mich nur wissen, daß Lady Rowena die Gewalttat verzeiht, zu der mich eine unglückliche Leidenschaft getrieben hat, und Ihr sollt bald vernehmen, daß de Bracy Euch auf edleren Wegen dienen kann.« »Ich vergebe Euch, Herr Ritter, aber nur soweit als ich Christin bin.« »Das heißt soviel wie ganz und gar nicht,« sagte Wamba. »Nie aber werde ich den Kummer und das Elend vergessen, den Ihr mir durch Euern Wahnwitz bereitet habt,« fuhr Rowena fort. »Laßt den Zügel der Lady los,« rief Cedric, der jetzt hinzu kam. »Bei dem hellen Sonnenschein über uns, wenn ich mich nicht schämte, ich nagelte dich mit meinem Wurfspieß an die Erde. Doch seid versichert, Moritz de Bracy, für diese schändliche Tat empfangt Ihr noch Euer Teil!« »Wer einem Gefangenen droht, braucht keine Angst zu haben,« erwiderte der Normann. – »Aber wann hätte je ein Sachse einen Begriff von Ritterlichkeit gehabt?« Er trat zurück und ließ die Lady weiterreiten. Cedric gab vor seinem Aufbruch dem schwarzen Ritter die Versicherung seines herzlichen Dankes und lud ihn dringend ein, mit nach Rotherwood zu kommen. »Ich weiß,« sagte er, »Ihr fahrenden Ritter tragt Euer Glück auf der Spitze Euers Schwertes und fragt nicht nach Land und Gut, aber manchmal ist auch dem wandernden Krieger ein Heim angenehm. Ihr habt Euch eins in Rotherwood gesichert, edler Ritter. Cedric ist reich, aber alles, was sein ist, gehört auch dem, der ihn befreit hat. Kommt nach Rotherwood, und Ihr werdet nicht wie ein Gast, sondern wie ein Sohn und Bruder empfangen werden.« »Cedric hat mich schon reich gemacht,« erwiderte der Ritter. »Er hat mich den Wert sächsischer Tugend erkennen gelehrt. Nach Rotherwood will ich kommen, einstweilen aber halten mich ernste Geschäfte von Euern Hallen fern. Wenn ich komme, so verlange ich vielleicht eine Gunst von Euch, die Eure Großmut auf die Probe stellen wird.« »Noch ehe Ihr sie ausgesprochen habt, ist sie gewährt,« erwiderte Cedric, die bloße Hand in die des Ritters legend, der den eisernen Handschuh trug. »Sie ist gewährt, und gelte es mein halbes Vermögen.« »Gebt Euer Versprechen nicht so vorschnell,« sagte der Ritter vom Fesselschloß. »Einstweilen lebt wohl!« Rowena verneigte sich anmutsvoll gegen den schwarzen Ritter, der Sachse befahl ihn dem Schutze Gottes, und fort ritten sie über den Rasenplatz des Waldes. Sie waren kaum weggeritten, da erschien im Waldesgrün ein Zug, der sich in derselben Richtung wie der der Lady Rowena vorwärtsbewegte. Die Priester eines benachharten Klosters, bewogen durch das Versprechen eines reichen Geschenkes von Cedric, folgten der Bahre, auf der der Leichnam Athelstanes lag. Er wurde in langsamem feierlichen Schritt auf den Schultern seiner Vasallen nach seinem Schlosse Conningsburgh getragen, und Grabgesänge wurden dazu gesungen. In der Gruft, wo Hengist lag, von dem der Tote seine Herkunft ableitete, sollte er bestattet werden. Die Geächteten erhoben sich und bezeugten dem Leichenzuge die gleiche ungeschlachte Huldigung, die sie soeben der lebenden Schönheit gezollt hatten. Der Trauergesang und der feierlich abgemessene Schritt rief ihnen die im Kampfe des verflossenen Tages gefallenen Kameraden ins Gedächtnis. Solche Erinnerungen waren jedoch nicht von langem Bestand bei denen, die ein Leben steter Gefahr und Abenteuer führten. Ehe noch die Klänge der Hymne verhallt waren, hatten sich die Geächteten schon wieder an die Verteilung ihrer Beute gemacht. »Tapferer Ritter,« sagte Locksley, »hätte uns nicht dein Mut und dein tapferer Arm zur Seite gestanden, so wäre unser Unternehmen gewiß mißglückt. Wenn du willst, so wähle dir von dieser Masse an Beute, was dir gefällt.« »Ich nehme das Anerbieten so freimütig an, wie es getan ist,« antwortete der vom Fesselschloß. »Ich bitte Euch, daß ich über Moritz de Bracy nach Gefallen verfügen darf.« »Der ist sowieso dein, und das ist ein Glück für ihn; denn sonst hätte der Tyrann die höchsten Zweige dieser Eiche geziert, und so viele deiner Freischärler, wie wir nur hätten fangen können, sollten wie Eicheln um ihn her hängen. – Aber er ist dein Gefangener, und deshalb ist er in Sicherheit, obgleich er mir den Vater erschlagen hat.« »De Bracy,« sagte der Ritter, »Ihr seid frei – geht Eurer Wege! Er, dessen Gefangener Ihr seid, will für das Vergangene keine Rache an Euch nehmen. Doch hütet Euch für die Zukunft, sonst möchte es Euch übel ergehen. Moritz de Bracy, ich sage Euch, seid auf der Hut!« De Bracy verneigte sich tief, ohne zu antworten. Als er gehen wollte, stimmten die Beomen plötzlich ein Geschrei des Hohnes und der Verachtung an. Der stolze Ritter wandte sich um, blieb stehen, kreuzte die Arme, richtete sich hoch auf und rief: »Schweigt still, ihr kläffenden Köter! So durftet ihr nicht lärmen, als der Hirsch gehetzt wurde. De Bracy verachtet euern Spott, wie er euern Beifall verachten würde. Hinein in eure Büsche und Höhlen, Gesindel in Acht und Bann! Verhaltet euch still, wo von einem Ritter oder einem Edelmann eine Meile weit von euern Fuchslöchern auch nur gesprochen wird.« Dieser schlecht angebrachte Hohn hätte dem Ritter sicher einen Regen von Pfeilen zugezogen, wenn der Hauptmann die Beomen nicht daran gehindert hätte. Inzwischen hatte de Bracy eines der Pferde, die als ein Teil der Beute aufgezäumt herumstanden, ergriffen, schwang sich darauf und verschwand im Galopp in den Wald. Als der Lärm, den dieser Auftritt verursacht hatte, wieder verstummt war, nahm der Hauptmann der Geächteten das reiche Jagdhorn und die Tasche, die er im Bogenschießen zu Ashby gewonnen hatte, von den Schultern. »Edler Ritter,« sagte er zu dem vom Fesselschloß, »wenn Ihr es nicht verschmäht, ein Jagdhorn anzunehmen, das ich einst getragen habe, so nehmt das hier zum Andenken an mich, und wenn es Euch einmal hart ergeht, und Ihr bedrängt seid, so blast dieses Signal: Wasa–hoa! und es wird Euch schnelle Hilfe werden.« Er setzte das Hörn an die Lippen und blies ein paarmal vor, bis der Ritter das Signal wiedergeben konnte. »Dank für deine Gabe, kühner Yeoman,« sagte er dann. »Eine bessere Hilfe als die deine und der Deinen wünschte ich mir nie und wäre ich in der größten Gefahr. Darauf ließ er selber das Hörn laut erschallen. »Ihr blast gut und rein,« sagte Locksley. »Wahrlich, Ihr versteht Euch auf das Weidwerk ebensogut wie auf den Krieg.– Ich meine, Ihr habt auch schon mal dem Wilde nachgestellt. Kameraden merkt euch dieses Signal. Es ist der Ruf des Ritters vom Fesselschloß. Wer ihn hört und nicht hineilt, ihm zu helfen, den will ich mit den Sehnen seines eigenen Bogens aus der Bande peitschen.« »Lange lebe unser Hauptmann und der schwarze Ritter vom Fesselschloß!« riefen die Yeomen. Der Hauptmann fuhr nun fort, die Beute zu verteilen, was mit der größten Unparteilichkeit geschah. Ein Teil, der zehnte, wurde für die Kirche und die frommen Gebräuche zurückgelegt, ein Teil kam zu einer Art gemeinsamen Schatzes, ein Teil war für die Witwen und Weisen gefallener Kameraden bestimmt, und der Rest wurde unter die Geächteten verteilt nach Rang und Verdienst. In streitigen Fällen wurde die Entscheidung des Hauptmannes, der kategorisch sein Urteil fällte, mit Gehorsam aufgenommen. Der schwarze Ritter wunderte sich nicht wenig, daß Menschen, die jedem Gesetze Hohn sprachen, untereinander so einig und gerecht waren, und was er sah, erhöhte seine gute Meinung von der Gerechtigkeit und Urteilsfähigkeit des Anführers. Als ein jeder seinen Anteil erhalten hatte, schafften vier Beomen mit dem Schatzmeister den Teil, der für den Schatz bestimmt war, hinweg, während der Teil für die Kirche unangetastet liegen blieb. »Wenn wir nur bald etwas von unserm fröhlichen Kaplan hörten,« sagte Locksley. »Es ist sonst nicht seine Art, bei Mahlzeiten und Beuteverteilungen zu fehlen. Er muß diesen Zehnten, der bei unserer glücklichen Unternehmung herausgekommen ist, wegschaffen. Ich habe auch hier in der Nähe einen heiligen Bruder und möchte gern, daß mir der Mönch helfe, damit ich richtig mit ihm umgehe. Es wird ihm doch nichts zugestoßen sein?« »Das täte mir leid,« sagte der Ritter. »Ich bin ihm noch Dank schuldig für seine Gastfreundschaft und für die vergnügte Nacht, die er mir in seiner Zelle bereitet hat. Wir wollen in die Trümmer des Schlosses gehen, vielleicht finden wir eine Spur von ihm.« Während er noch so sprach, erscholl lauter Jubel und verkündete die Ankunft dessen, um den sie so in Sorge waren. Sie erkannten den Mönch an seiner Stentorstimme, denn sie hörten ihn schon lange, ehe sie seine robuste Gestalt sahen. »Platz, brave Gesellen!« rief er. »Platz für euern heiligen Bruder und seinen Gefangenen! – Ruft noch einmal Willkommen! – Ich komme, edler Hauptmann, wie ein Adler mit der Beute in den Klauen.« Unter allgemeinem Gelächter drängte er sich durch den Kreis. Fn der einen Hand hielt er seinen wuchtigen Streitkolben, in der andern ein Halfterband, an dessen Ende der unglückliche Isaak von York gebunden war, der, von Kummer und Schrecken gebrochen, von dem Priester dahergeschleppt wurde. »Fröhlicher Priester,« sagte der Hauptmann, »du hast heute morgen eine feuchte Messe gehalten, wennschon es noch früh an der Stunde ist. Wen bringst du uns da?« »Einen Gefangenen, den ich selber mit Schwert und Lanze gemacht habe,« versetzte der Mönch von Copmanhurst, »mit Bogen und Streitkolben. Aus arger Gefangenschaft habe ich ihn erlöst. Sprich, Jude! Habe ich dich nicht vom Satan befreit? Habe ich dich nicht den Glauben, das Pater und das Ave gelehrt? – Habe ich dir nicht die ganze Nacht zugetrunken und dich in den Mysterien unterrichtet?« »Um Gottes willen,« jammerte der Jude. »Will mich denn niemand aus der Gewalt dieses verrückten – ich wollte sagen, heiligen Mannes befreien?« »Was, Itzig?« rief der Mönch mit drohender Gebärde. »Willst du etwa widerrufen? Denke daran, wenn du in deinen vorigen Unglauben verfällst, so bist du, wenn du auch nicht so zart bist wie ein Spanferkel – ich wollt', ich hätte eins zum Frühstück – doch nicht zu zähe, daß man dich nicht schmoren könnte. Sei vernünftig, Jude, und sprich nach, was ich sage: Ave Maria!« »Nein! keine Entweihung, toller Priester!« sagte Locksley. »Latz uns lieber wissen, wo du diesen Gefangenen aufgegabelt hast.« »Beim heiligen Dunstan!« sagte der Mönch. »Dort, wo ich nach besserm Funde suchte. In den Keller bin ich gestiegen, weil ich hatte retten wollen, was unten ist. Ein Becher gebrannten Weines mit Gewürz ist zwar der Abendtrunk eines Kaisers, mir aber erschien es unnütz, daß so viel Wein auf einmal verbrannt werden sollte, und ich ergriff einen Schlauch mit Sekt und wollte noch mehr von der Sorte suchen, da entdeckte ich eine stark versicherte Tür. Aha, dachte ich: hier haben wir erst den richtigen auserlesenen Wein, und der Schelm von Kellermeister, den wir gerade gestört haben, hat den Schlüssel stecken lassen. Ich eile hinein und finde nichts wie verrostete Ketten und diesen Hund von einem Juden, der sich mir ohne weiteres auf Gnade oder Ungnade ergeben hat. Durch einen schäumenden Becher Sekt habe ich ihn erst ein wenig auf die Beine gebracht. Eben wollte ich meinen Gefangenen wegschleppen, da gab es einen furchtbaren Krach, ein Turm stürzte ein und der Ausweg war uns verschüttet, wir hörten das Donnergepolter, ich gab jeden Gedanken an das Leben auf, und da ich es für eine Unehre hielt, mit einem Juden zusammen ins Jenseits einzuziehen, so erhob ich meinen Streitknüttel und wollte ihm schon den Schädel einschlagen, aber sein graues Haar dauerte mich, und ich hielt es für christlicher, meine geistlichen Waffen an ihm zu erproben. So versuchte ich, ihn zu bekehren. Es gelang, der Same fiel auf fruchtbares Land. Aber der Kopf ist mir ganz wüst von dem vielen Reden über die Mysterien – denn die paar Schluck Sekt haben nichts zu sagen, und so war ich völlig erschöpft, als mich Gilbert und Willibald fanden – sie wissen, in was für einer Verfassung.« »Das können wir bestätigen,« sagte Gilbert. »Denn wie wir die Trümmer weggeräumt und die Kellertreppe entdeckt hatten, da war der Schlauch Sekt halb leer, der Jude halb tot und der Mönch – wie er es nennt – völlig erschöpft.« »Ihr Schelme lügt!« rief der beleidigte Mönch. »Ihr gierigen Schufte habt den Sekt ausgesoffen und habt gesagt, das wäre ein feiner Frühtrunk. Ich will ein Heide sein, wenn ich ihn nicht für die Kehle des Hauptmannes aufgespart hatte. Aber was machts? Der Jude ist bekehrt.« »Ist es wahr, Jude,« fragte Locksley, »hast du von deinem Unglauben gelassen?« »Kein Sterbenswort weiß ich von alledem,« antwortete Isaak, »was der ehrwürdige Prälat mir vorgegröhlt hat in dieser entsetzlichen Nacht. Ich war so von Sinnen vor Furcht, Schmerzen und Herzeleid daß der heilige Abraham selber, wenn er wäre gekommen, mir Lehren zu geben, gepredigt hätte tauben Ohren.« »Jude, du lügst! Und das weißt du recht gut!« rief der Mönch. »Ich will dich nur daran erinnern, daß du versprochen hast, all dein Gut der heiligen Kirche zu vermachen.« »So wahr ich baue auf den Trost der Verheißung,« sagte Isaak in größerer Unruhe als zuvor, »solche Worte sind nimmer gekommen über meine Lippen. Ich bin ein armer alter Mann, auch kinderlos nun, wie ich fürchte, ich bitte euch, laßt mich meines Weges gehen.« »Was soll ich dir erst sagen,« sprach der Hauptmann, »daß dein Volk verflucht ist bei allen Christen und daß wir nicht lange deine Anwesenheit ertragen können. Denke daher daran, was du uns als Lösegeld bietest, inzwischen will ich einen Gefangenen anderer Art vernehmen.« »Sind von Front-de-Boeufs Leuten viele gefangen genommen worden?« fragte der schwarze Ritter. »Nicht der Rede wert,« erwiderte der Hauptmann. »Von den paar elenden Kerlen können wir kein Lösegeld fordern, es ist auch schon ohnehin für Rache und Gewinn genug geschehen, der Rest ist keinen Heller wert. Der Gefangene, von dem ich rede, ist eine bessere Beute – ein lustiger Mönch, der eben, wie mir scheint, zu seinem Liebchen unterwegs war, wenn man nach seinem prachtvollen Anzug und Sattelzeug schließen soll. Hier kommt der würdige Prälat – er stolziert daher wie ein Pfauhahn.« Von zwei Yeomen bewacht, erschien jetzt unser alter Freund der Prior Aymer von Iorlvaux, vor dem Waldesthrone des Hauptmanns der Geächteten. Die Miene des gefangenen Abtes war eine komische Mischung von beleidigtem Stolz, gekränkter Eitelkeit, zerzauster Toilette und Furcht um sein leibliches Wohl. »Wie, meine Herren,« sprach er mit einer Stimme, in der all diese Empfindungen zum Ausdruck kamen »was ist das für eine Ordnung? Seid ihr Türken oder seid ihr Christen, daß ihr mit einem Diener der Kirche so umspringt? Ihr habt mein Felleisen geplündert, meinen Spitzenkragen zerrissen. Ein anderer an meiner Stelle hätte sein Excommunicabo vos gesprochen. Ich aber bin friedlichen Sinnes, und wenn ihr mir meine Pferde zurückgebt, meine Brüder freilaßt, mir die Felleisen wieder füllt und auf der Stelle hundert Kronen für den Hochaltar der Abtei von Iorlvaux zahlt, fernerhin das Gelübde leistet, bis zum nächsten Pfingsten kein Wild zu essen, so kann es am Ende möglich sein, daß euch dieser tolle Streich weiter keine Unannehmlichkeiten macht.« »Heiliger Vater!« erwiderte der Hauptmann. »Es tut mir leid, daß meine Leute Euch so unhöflich behandelt haben.« »Behandelt?« versetzte der Priester, ermutigt durch den sanften Ton des Anführers. »So wie sie mich behandelt haben, so behandelt man keinen Hund – geschweige denn einen Christen – gar einen Priester – am wenigsten aber den Abt von Iorlvaux. Ein gottloser Minnesänger ist unter euch, der hat mir mit körperlicher Züchtigung, ja mit dem Tode gedroht, wenn ich nicht vierhundert Kronen als Lösegeld zahlte, ungerechnet alles, was sie mir geraubt haben. – Goldene Ketten und Juwelenringe von unschätzbarem Werte – und alles, was unter ihren Händen zerbrochen ist, so meine Dose und mein silbernes Kräuseleisen.« »Wirklich? – So hättet Ihr wohlgetan, heiliger Vater, die Forderung zu erfüllen, denn meine Leute halten ihr Wort.« »Ihr scherzet!« rief der bestürzte Mönch mit erzwungenem Lachen. »Einen guten Spaß liebe ich sehr, aber hahaha! wenn der Scherz die liebe lange Nacht kein Ende genommen hat, so wird es am Morgen Zeit, daß wieder der Ernst an die Reihe kommt.« »Und mir ist es auch Ernst wie einem Beichtvater,« versetzte der Hauptmann. »Ihr müßt ein stattliches Lösegeld zahlen, Herr Prior, sonst dürfte Euer Kloster einen neuen Prälaten zu wählen haben, denn dann nehmt Ihr Eure Stelle nie wieder ein.« »Seid ihr denn Christen?« sagte der Prior, »und redet so zu einem Diener der Kirche?« »Freilich sind wir Christen,« war die Antwort, »und halten unter uns auf Religion. Unser fideler Kaplan mag vortreten und dem ehrwürdigen Vater den Text lesen, um den es sich hier handelt.« Halb nüchtern, halb betrunken, warf der Mönch die Kutte über sein grünes Weidmannswams und raffte alle Brocken Gelehrsamkeit zusammen, die ihm noch aus früherer Zeit erinnerlich waren. »Heiliger Vater,« begann er, »deus faciet salvum veningnitatem vestrum. Willkommen im grünen Walde!« »Was soll der ketzerische Mummenschanz?« fragte der Prior. »Freund, so du wirklich zur Kirche gehörst, so tätest du besser daran, mir zu zeigen, wie ich aus den Händen dieser Männer entkommen kann, statt daß du dich hier bückst und heulst wie ein Fetischmann der Kannibalen.« »Wahrlich, ehrwürdiger Vater,« erwiderte der Mönch, »ich weiß nur einen Weg, wie Ihr entkommen könnt. Heut ist für uns Sankt Andreastag – wir ziehen unsern Zehnten ein.« »Doch nicht von der Kirche, will ich hoffen, guter Bruder?« »Von Kirche und Welt. Ich rate Euch daher, Herr Prior, macht Euch Freunde mit dem ungerechten Mammon – facite vobis amicos de Mammons iniquitatis – hier kann Euch keine andere Freundschaft etwas nützen.« »Gut,« fügte sich der Abt, »da ich einmal dafür büßen soll, daß ich ohne Begleitung nach Wallingstreet geritten bin, was soll ich zahlen?« »Wäre es nicht ratsam,« fragte einer der Männer den Hauptmann, »daß wir das Lösegeld für den Prior von dem Juden und das für den Juden von dem Prior festsetzen ließen?« »Du bist ein toller Vogel,« sagte der Hauptmann, »aber dein Vorschlag ist entzückend! Komm her, Jude! Sieh dort den heiligen Vater Aymer, den Prior der reichen Abtei Jorlvaux. Sage uns, wie hoch können wir sein Lösegeld berechnen? – Du kennst doch gewiß die Einkünfte seines Klosters.« »Gewiß,« versetzte Isaak. »Ich habe gehandelt von den guten Vätern Weizen, Gerste und Erdfrüchte, auch Wolle viel. – O, eine reiche Abtei ist das! Sie leben dort gut und trinken den köstlichsten Wein, die guten Väter von Jorlvaux. Ach, wenn doch ein armer, ausgestoßener Mann so reich wäre und ein solches Einkommen hätte alle Jahre und Monate – Gold und Silber wollte ich zahlen, um mich loszukaufen aus der Gefangenschaft.« »Du Hund von einem Juden!« rief der Prior. »Wer weiß denn besser als du, daß unser Kloster vom letzten Kanzelbau her verschuldet ist?« »Und von der letzten Füllung Euers Kellers her, wo ihr den Gaskognerwein bezogen habt,« fiel der Jude ein, »aber das hat hier zu sagen.« »So etwas hören Christen mit an, und sie züchtigen den beschnittenen Hund nicht?« rief der Prior. »Damit kommen wir nicht weiter,« sagte Locksley. »Sage uns, Isaak, was kann er bezahlen, ohne daß es ihm Schaden tut?« »Sechshundert Kronen etwa kann der heilige Prior zahlen und sitzt dann noch ebenso warm wie zuvor,« antwortete Isaak. »Sechshundert Kronen,« sagte der Hauptmann ernst »Damit bin ich zufrieden. Du hast gut gesprochen, Isaak. – Sechshundert Kronen. Das ist gerecht und billig, Herr Prior.« »Seid ihr toll, ihr Herren?« rief der Prior. »Wo sollte ich eine solche Summe hernehmen? Kaum die Hälfte könnte ich aufbringen und wenn ich die Leuchter und die silberne Monstranz der Abtei veräußerte! Auch muß ich dann vorher nach Jorlvaux, ihr könnt meine beiden Mönche als Pfand behalten.« »Das wäre ein schlechtes Pfand,« versetzte der Hauptmann. »Nein, Prior, Euch wollen wir hier behalten und die Mönche nach dem Lösegeld schicken.« »Wenn es Euch recht wäre,« sagte Isaak, der sich die Geächteten zu Freunden machen wollte, »so könnte ich um die sechshundert Kronen nach York schicken, ich habe gerade ein bißchen Geld zur Verfügung, der ehrwürdige Abt brauchte mir dann nur einen Wechsel darüber auszustellen.« »Das soll er,« stimmte der Hauptmann bei, »und du sollst das Lösegeld für den Abt und für dich selber hier hinterlegen.« »Für mich?« entgegnete der Jude. »Ach, ihr tapfern Herren ich bin ein armer ruinierter Mann, und auf immer brächtet ihr mich an den Bettelstab, wenn ich auch nur fünfzig Kronen an Euch zahlen sollte.« »Darüber soll nun der Prior urteilen,« versetzte der Hauptmann. »Was meint Ihr, Prior Aymer, kann der Jude ein ordentliches Lösegeld zahlen?« »Ob er zahlen kann!« versetzte der Abt. »Ist er nicht Isaak von York? Reich genug, daß er die zehn Stämme Israels aus der Gefangenschaft loskaufen könnte, die einst unter dem Joche der Assyrer schmachteten? Ich selber habe nur wenig davon gesehen, aber unser Kellermeister und unser Schatzmeister haben viel Geschäfte mit ihm abgeschlossen, sein Haus, sagen sie, stecke so voll von Gold und Silber, daß es eine wahre Schande sei für ein Christenland. Jedes christliche Herz muß sich darüber wundem, daß solche blutsaugenden Nattern an den Eingeweiden des Staates, ja selbst der heiligen Kirche mit ihrem Wucher saugen dürfen.« »Haltet ein, Vater!« rief der Jude. »Laßt nach in Euerm Zorn! Ich bitte Euer Hochwürden, bedenket, daß ich ja doch niemand aufdränge mein Geld. Aber wenn geistliche und weitliche Fürsten, Ritter und Priester klopfen an die Tür Isaaks, so sind sie nicht so unhöflich, wenn sie von ihm haben wollen Geld. Dann heißt es wohl, Freund Isaak, willst du uns helfen? und: Guter Isaak, wenn du je ein Freund derer warst, die in Not sind, so hilf jetzt mir, der Zahltag soll pünktlich innegehalten werden, so wahr Gott lebt! – Kommt der Tag aber und fordre ich zurück mein Eigentum, so bin ich ein verdammter Jüd, der Fluch Ägyptens wird herabbeschworen über mein Volk!« »Prior,« sagte der Hauptmann, »er ist nur ein Jude, aber darin muß ich ihm doch recht geben. – Setze also sein Lösegeld fest, wie er das deine festgesetzt hat, und laß die harten Worte beiseite.« »So sage ich denn, Ihr tut Euch selber unrecht, wenn Ihr weniger als tausend Kronen von ihm fordert.« »Gut gesprochen!« sagte der Hauptmann. »Der Gott meiner Väter erbarme sich mein!« rief der Jude. »Wollt Ihr vollends zugrunde richten einen armen Mann? – Kinderlos bin ich schon – wollt Ihr mir auch noch nehmen, wovon ich friste mein Leben?« »Wenn du keine Kinder hast,« sagte Prior Aymer, »so hast du auch weniger Sorgen.« »Ihr könnt Euch freilich nicht denken, wie das Kind meiner Liebe mir liegt am Herzen! O Rebekka, Rebekka, Tochter meiner geliebten Rahel! – Wäre jedes Blatt auf diesem Baum eine Zechine und mein Eigentum, all diese Zechinen, all diesen Reichtum wollt ich hingeben, könnt' ich dich lebend befreien aus den Händen der Nazarenerl« »Hatte nicht deine Tochter schwarzes Haar?« fragte einer der Geächteten. »Und trug sie nicht einen Schleier von seidnem Flor, der mit Silber durchwirkt war?« »Jawohl, jawohl!« rief der alte Mann, der jetzt vor Begierde zitterte wie zuvor aus Furcht. »Der Segen Jakobs sei mit dir. – Kannst du mir sagen, daß sie ist in Sicherheit?« »Sicherlich ist sie es gewesen,« sagte der Yeoman, »der stolze Templer hat so eine mitgenommen, als er gestern durch unsere Reihen brach. Ich wollte schon einen Pfeil abschießen, aber ich ließ es sein, weil ich fürchtete, ich könnte dem Mädchen Schaden tun.« »Wollte Gott, du hättest ihn abgeschossen,« jammerte der Jude. »Und hätte er ihr den Busen durchbohrt! Besser sie läge im Grabe ihrer Väter als im Bette eines stolzen grausamen Templers! Ischobad! Ischobad! Vernichtet ist die Ehre meines Hauses!« »Meine Freunde!« sagte Locksley. »Der alte Mann ist freilich nur ein Jude, aber sein Kummer rührt mich. – Isaak, sag uns ehrlich, wenn du uns tausend Kronen Lösegeld zahlst, bleibt dir dann gar nichts mehr?« Isaak dachte an seine irdischen Güter und seine Liebe zu ihnen war so groß, daß sie selbst seiner Vaterliebe den Rang streitig machte. Er erblaßte, stammelte und konnte nicht in Abrede stellen, daß ihm noch ein wenig bleiben würde. »Gut,« sagte Locksley. – »was dir bleibt, wollen wir nicht in Anrechnung bringen. Ohne Geld kannst du deine Tochter ebensowenig aus den Klauen des Templers befreien, wie wir einen Königshirsch mit einem Pfeil ohne Kopf schießen können. Wir wollen von dir dasselbe Lösegeld nehmen wie von dem Abt, oder lieber noch hundert Kronen weniger. Es bleiben dir dann immer noch fünfhundert Kronen übrig, die du für deine Tochter verwenden kannst. Templer sind in den Glanz von Gold und Silber ebenso vernarrt wie in den von schwarzen Augen. Laß deine Kronen vor Bois-Guilberts Ohren erklingen, sonst geht es nicht gut. Du findest ihn, wie unsere Spione melden, im nächsten Präzeptorium seines Ordens.« »Jude,« sagte Prior Aymer, »vielleicht könntest du mit einigen Gaben für den Altar des heiligen Robert Gnade finden für deine Tochter Rebekka. Das Mädchen dauert mich, denn sie ist schön und wohlgebaut, in den Schranken von Ashby habe ich sie gesehen. Denke darüber nach, wie du meine Fürsprache gewinnen magst, ich habe großen Einfluß auf Bois-Guilbert.« »Wehe!« rief der Jude. »Überall dringen Räuber auf mich ein, ich bin eine Beute der Assyrer und Ägypter!« Er seufzte und rang die Hände, aber der Anführer der Geächteten nahm ihn zur Seite. »Überlege dir, Isaak,« sagte er, »was du in dieser Sache tun willst. Ich kann dir nur raten, mache dir den Mann der Kirche zum Freunde, er ist geizig und braucht viel, so kannst du leicht seine Gunst gewinnen. Denke ja nicht, daß ich dir glaube, was du mir von deiner Armut vorlügst. Ich kenne den eisernen Kasten, darin du deine Geldsäcke aufbewahrst, und ich kenne den großen Stein in deinem Garten zu York, wo es in das geheime Gewölbe hinuntergeht.« Der Jude wurde totenbleich. »Fürchte nichts von mir,« fuhr der Yeoman fort. »Wir sind alte Bekannte. Erinnerst du dich noch des kranken Yeoman, den deine schöne Tochter Rebekka aus dem Fußblock erlöste und zu Hause behielt, bis sie ihn gesund gepflegt hatte? Als ich ging, hast du mir noch eine Silbermünze mit auf den Weg gegeben. So sehr du auch ein Wucherer bist, nie hat dir Geld so gute Zinsen getragen als dieses Silberstück, heute hat es dir fünfhundert Kronen eingebracht.« »So bist du der, den wir Diccon, den Bogenspanner nannten? Deine Stimme ist mir gleich bekannt vorgekommen.« »Der bin ich, und heiße auch Locksley, und einen andern guten Namen habe ich auch noch.« »Aber guter Bogenspanner,« sagte der Jude, »wegen des Gewölbes bist du im Irrtum. Es ist nichts weiter darin wie ein paar Waren, die ich gern mit dir teilen will – hundert Ellen grünes Tuch zu Wämsern für deine Leute, hundert Stöcke spanisches Rohr zu Bogen und schöne seidene Schnüre – ich will sie dir gern schicken, wenn du nur wegen des Gewölbes nichts verraten willst, ehrlicher Diccon.« »Schweigen will ich wie das Grab,« sagte Locksley. – »Aber um deine Tochter ist mir bange und doch kann ich ihr nicht helfen. Du mußt die Klugheit zu Hilfe nehmen. Soll ich für dich mit dem Prior verhandeln?« »In Gottes Namen, Diccon, wenn ich dadurch mein Kind wiederbekommen kann.« »Prior Aymer,« sagte der Hauptmann, während ihm der Jude wie sein Schatten folgte, »kommt mit mir unter diesen Baum! Man sagt, Ihr liebet den Wein und das Lächeln der Weiber mehr, als Euerm Orden zukomme. Das kann mir aber einerlei sein. Auch weiß ich, daß Ihr schöne Hunde und stolze Pferde gern habt, auch einen Beutel voll Gold nehmt Ihr gern. Nie aber hörte ich von Euch sagen, daß Ihr ein Freund von Grausamkeit und Mißhandlung seid. Nun, hier steht Isaak, er will Euch hundert Mark in Silber geben, wenn Ihr den Templer durch Eure Fürsprache bestimmen wollt, daß er ihm seine Tochter wiedergebe.« »In Züchten und Ehren, wie sie von mir geraubt wurde,« sprach der Jude, »sonst gilt der Handel nicht.« »Schweig, Isaak!« rief der Geächtete; »oder ich mische mich nicht mehr in deine Sache. – Was sagt Ihr zu meinem Vorschlag, Prior Aymer?« »Die Sache ist heikel,« sagte der Abt, »wenn ich auch einerseits eine gute Tat tue, so erweise ich sie andererseits doch einem Juden, aber wenn der Israelit etwas zum Bau unseres Schlafsaales geben will, so will ich es auf mein Gewissen nehmen, ihm in dieser Sache beizustehen.« »Es kommt auf ein paar Dutzend Mark mehr oder weniger nicht an,« sagte der Hauptmann. »Schweig, Isaak, – auch nicht auf ein paar silberne Leuchter auf den Altar – wir wollen nicht mit Euch feilschen –« «Aber guter Diccon!« unterbrach ihn Isaak. »Guter Jude – gute Bestie!« rief der Yeoman. »Wenn du noch länger deine schmutzige Habsucht mit der Ehre und dem Leben deiner Tochter in die Wagschale tust, so will ich dich, ehe drei Tage um sind, jedes Pfennigs berauben, den du auf Erden dein eigen nennst.« Isaak erschrak und schwieg. »Und was bekomme ich zum Unterpfand?« fragte der Abt. »Wenn Isaak durch Eure Vermittlung seinen Zweck erreicht,« sagte Locksley, »so schwöre ich bei dem heiligen Hubert, er soll Euch in gutem Silber bezahlen, sonst will ich mit ihm abrechnen, daß er wünschen soll, er hätte lieber zehnmal mehr gegeben.« »Gut!« sagte Prior Aymer. »Wenn ich mich einmal in diese Sache mischen soll, so leihe mir deine Schreibtafel, Isaak – aber deine Feder will ich nicht benutzen, lieber fastete ich zwanzig Stunden! Woher bekomme ich aber eine andere?« »Wenn Euer heiliges Gewissen nur gestattet, des Juden Schreibtafel zu benutzen,« sagte der Geächtete, »um eine Feder wollen wir nicht lange in Verlegenheit sein.« Und er spannte den Bogen und schoß eine wilde Gans, die eben an der Spitze eines ganzes Zuges zu ihren Häuptern vorüberflog. Vom Pfeil getroffen, fiel das Tier herab. »Hier, Prior,« sagte der Hauptmann, »sind Kiele genug, daß die Mönche von Jorlvaux hundert Jahre lang versorgt wären, auch wenn sie Chroniken schrieben.« Der Prior setzte sich und schrieb in Gemächlichkeit eine Epistel an Brian de Bois-Guilbert, versiegelte den Brief und gab ihn dem Juden mit den Worten: »Ich denke, hiermit wirst du in das Präzeptorium von Templestowe kommen und auch die Befreiung deiner Tochter erreichen, wenn du ein gutes Gebot machst, denn bedenke, der gute Ritter Bois- Guilbert gehört zu einer Brüderschaft, die nichts umsonst tut.« »Gut, Prior,« sagte der Hauptmann, »nun will ich Euch nicht länger aufhalten, nur den Wechsel unterschreibt noch dem Juden, weil wir uns von ihm das Lösegeld für Euch mitbezahlen lassen wollen. Wenn mir zu Ohren kommt, daß Ihr Schwierigkeiten mit der Rückzahlung macht, so schwöre ich Euch bei der heiligen Jungfrau, ich brenne Euch Eure Abtei über dem Kopfe an, und käme ich deswegen zehn Jahre früher an den Galgen!« Mit weniger gutem Willen, als er eben den Brief an den Templer geschrieben hatte, schrieb der Abt von Jorlvaux den Wechsel über sein Lösegeld und versprach, pünktliche Zahlung zu leisten. »Nun, Ihr Herren, bitte ich Euch,« sagte der Prior dann, »gebt mir meinen Zelter und meine Saumtiere wieder, auch laßt die ehrwürdigen Brüder, die mich begleitet haben, frei. Gebt mir die Juwelenringe, die goldenen Ketten und die kostbaren Kleider wieder, da ich Euch nun wie ein ehrlicher Gefangener mein Lösegeld bezahlt habe.« »Eure Brüder, Herr Prior,« entgegnete Locksley, »sollen wieder auf freien Fuß gesetzt werden. Es wäre ungerecht, sie zurückzubehalten, desgleichen Eure Pferde und Maultiere, auch sollt Ihr so viel Reisegeld bekommen, wie Ihr bis York braucht. Es wäre grausam, Euch der Mittel zum Reisen zu berauben. Was aber die Ringe, Ketten und den sonstigen Tand betrifft, so haben wir darin ein gar zartes Gewissen, und wir können es nicht übers Herz bringen, einen ehrwürdigen Herrn, der für die Eitelkeiten der Welt nichts übrig haben darf, einer so starken Versuchung auszusetzen, daß er derlei eitle Dinge trägt, die durch die Bestimmungen seines Ordens verpönt sind.« Dagegen war nichts zu machen, und da jetzt die Leute des Abtes herankamen, so ritt er mit ihnen davon, weniger prunkvoll freilich, als er gekommen war, dafür aber mehr wie ein echter schlichter schmuckloser Mann der Kirche. Nun verblieb nur noch, daß man von dem Juden eine Sicherheit erhielt für das Lösegeld, das er für sich und den Abt bezahlte. Isaak stellte einen versiegelten Brief an einen Bruder seines Stammes zu York aus, in dem er die Anweisung gab, dem Überbringer die Summe von tausend Kronen und einige näher angegebene Waren auszuhändigen. Von zwei Grünröcken begleitet, machte sich dann Isaak auf den Weg. Der schwarze Ritter, der mit großem Anteil all diesen Vorgängen gefolgt war, nahm nun auch Abschied von den Geächteten. Er konnte nicht umhin, seiner Verwunderung Ausdruck zu geben, daß unter diesen gesetzlosen Menschen so viel Gesetz und Ordnung herrsche. »Herr Ritter,« sagte der Hauptmann, »auf schlechten Bäumen wachsen manchmal gute Früchte, und unter denen, die in diesem gesetzwidrigen Zustande leben, sind manche, die es beklagen, ein solches Handwerk betreiben zu müssen.« »Und ohne Frage spreche ich zu einem solchen?« »Herr Ritter, wir haben jeder unser Geheimnis. Da ich aber nicht in das Eure zu dringen begehre, so laßt mich auch meines für mich behalten.« »Verzeih' mir, wackrer Geächteter! dein Vorwurf ist berechtigt. Aber es fügt sich vielleicht, daß wir später einmal mit größerer Offenherzigkeit einander gegenübertreten. Einstweilen scheiden wir als Freunde?« »Von ganzem Herzen!« versicherte Locksley mit festem Handschlag. »Hier meine Hand darauf, es ist die eines echten Engländers, wenn er auch jetzt ein Geächteter ist.« »Und hier die meine!« versetzte der Ritter. »Sie schätzt es als Ehre, von der deinen gedrückt zu werden. – Wer Gutes tut, wo ihm doch die unumschränkte Macht zu Gebote steht, Böses zu tun, der muß nicht nur wegen des Guten gelobt werden, sondern auch wegen des Bösen, das er unterläßt. – Lebe wohl, tapferer Geächteter!« So schieden die beiden Tapfern, und der Ritter vom Fesselschloß stieg auf sein gewaltiges Streitroß und ritt in den Wald hinein. Neunundzwanzigstes Kapitel Die edeln Herrn und Prälaten, mit deren Hilfe Prinz Johann seinen ehrgeizigen Plan, den Thron seines Bruders an sich zu reißen, auszuführen gedachte, waren zu einem frohen Mahle im Schlosse zu York geladen. Waldemar Fitzurse, der begabte und verschlagene Minister des Prinzen, bearbeitete sie im geheimen und war bemüht, ihnen Zutrauen zu seiner Sache einzuflößen und sie zu einer offenen Zusage zu bewegen. Es fehlte aber noch manches wichtige Glied der Verschwörung, so daß man noch nicht zu einem Abschluß gelangen konnte. Die starrsinnige und rücksichtslose, wenn auch fast rohe Tapferkeit Front-de-Boeufs, das feurige kecke Wesen de Bracys und die Umsicht, Kriegserfahrung und weitgerühmte Tapferkeit des Templers Brian de Bois-Guilbert waren zu einem glücklichen Erfolg ihres Vorhabens nicht gut zu entbehren. Der Prinz und seine Ratgeber verwünschten ihre unnötige und unzeitige Abwesenheit und wollten ohne ihren Beistand nichts unternehmen. Auch Isaak, der Jude, schien verschwunden zu sein, und so konnte man nicht auf Darleihung der bedeutenden Geldsummen rechnen, über die sich Prinz Johann mit dem Israeliten und seinen Brüdern geeinigt hatte. Dieser Geldmangel vor allem war bei einer so wichtigen Sache eine große Gefahr. Am Morgen nach dem Fall von Torquilstone verbreitete sich das unklare Gerücht, de Bracy und seine Verbündeten Bois-Guilbert und Front-de-Boeuf seien gefangen genommen oder getötet worden. Waldemar Fitzurse erzählte dies dem Prinzen und bemerkte dabei, seiner Meinung nach sei das Gerücht leider wahr, denn die Ritter seien mit einem kleinen Gefolge ausgezogen und hätten den Sachsen Cedric und sein Gefolge überfallen und gefangen nehmen wollen. Zu jeder andern Zeit hätte Prinz Johann diese Gewalttat als einen launigen Streich angesehen. Da aber jetzt damit seine eigenen Pläne durchkreuzt wurden, so verurteilte er die Tat als einen Frevel an dem Gesetz und eine Störung der öffentlichen Ordnung in einer Art und Weise, wie sie selbst dem König Alfred wohl angestanden hätte. »Räuber ohne Ordnung und Gesetz!« rief er. »Bin ich erst König von England, so lasse ich solche Missetäter an den Zugbrücken ihrer eignen Schlösser aufhängen.« »Um aber König von England zu werden,« sagte sein Ahitophel kalt, »muß Euer Hoheit nicht nur die Missetaten solcher dem Gesetz Hohn sprechenden Räuber dulden, sondern bei allem Eifer für die Wahrung von Recht und Gesetz auch noch die Missetäter in Schutz nehmen. Es würde uns schlecht gehen, wenn die kühnen Sachsen etwa den Einfall Eurer Hoheit verwirklichten und Zugbrücken in Galgen umwandelten. Cedric wäre das wohl zuzutrauen, wie ich ihn kenne. Euer Hoheit begreift, wie gefahrvoll es wäre, ohne de Bracy und den Templer zu handeln, und dennoch sind wir schon zu weit gegangen, um nun noch zurück zu können.« Prinz Johann schlug sich voller Ungeduld gegen die Stirn und schritt im Gemach auf und ab. »Die Schurken! Die niedrigen verräterischen Schurken!« rief er aus: »Mich in solcher Not im Stich zu lassen!« »Nennt sie lieber leichtsinnige unbesonnene Narren, daß sie sich mit solchen Kindereien abgeben, wo so wichtige Dinge auf dem Spiele stehen.« »Was ist zu tun?« fragte der Prinz und trat dicht an Fitzurse heran. »Ich wüßte nicht, was zu machen wäre,« versetzte sein Ratgeber. »Abgesehen von dem, was ich schon in voraussehender Umsicht getan habe. Ich bin zu Eurer Hoheit gekommen, über dieses Mißgeschick zu klagen, aber nicht ohne schon Schritte dagegen getan zu haben.« »Ihr seid immer mein guter Engel, Waldemar,« sagte der Prinz. »Wenn ich immer einen solchen Kanzler habe, so wird König Johanns Regierung in der Geschichte des Reiches mit Ruhm dastehen. Was für Anordnungen habt Ihr getroffen?« »Ich habe Ludwig Winkelbrand, den Leutnant de Bracys, veranlaßt, zum Sammeln zu blasen und sein Banner zu entfalten, damit er ohne Verzug nach dem Schlosse Front-de- Boeufs aufbrechen und uns Gewißheit darüber verschaffen soll, ob wir unsern Freunden nicht noch Hilfe bringen können.« Das Angesicht des Prinzen erglühte wie das eines Kindes, dem eine Kränkung zugefügt wird. »Beim Himmel!« rief er. »Viel nehmt Ihr auf Euch, Waldemar Fitzurse! Es ist mehr als Fürwitz, in einer Stadt, wo wir uns augenblicklich auch aufhalten, das Signal zum Sammeln blasen und das Banner entfalten zu lassen.« »Ich bitte Euer Hoheit um Verzeihung,« entgegnete Fitzurse, bei sich selber die hohle Eitelkeit seines Herrn verwünschend. »Indessen drängte die Zeit, jede Minute war kostbar, und so habe ich das auf mich genommen, da die Sache Eurer Hoheit keinen Aufschub duldet.« »Wir gewähren Euch Verzeihung, Fitzurse,« sagte der Prinz in gravitätischem Tone. »Euer guter Wille entschuldigt Eure Unbesonnenheit. Doch wer kommt dort? – De Bracy selber, und wie er aussieht!« In der Tat war es de Bracy, seine Sporen waren blutig, er dampfte vor Eile. Seine Rüstung war zerbrochen, von Blut befleckt und vom Staub bedeckt, und zeugte von vor kurzem bestandenem Kampfe. Er nahm den Helm ab, legte ihn auf den Tisch und stand ein Weilchen still, wie um sich zu sammeln, ehe er Bericht erstattete. »De Bracyl« sagte Prinz Johann. »Was soll das bedeuten? Sprecht, ich befehle es! Haben sich die Sachsen empört?« Fast in gleichem Atem mit seinem Gebieter rief Fitzurse: »De Bracy, sprecht! Ihr seid doch ein Mann! Wo ist der Templer? Wo ist Front-de-Boeuf?« »Der Templer ist entflohen,« antwortete de Bracy. »Front-de-Boeuf hat ein Grab in Feuersglut unter den Trümmern seines eigenen Schlosses gefunden. Ich allein bin entkommen, Euch diese Meldung zu bringen.« »Frösteln kann's einen bei solcher Kunde,« sagte Fitzurse, »obwohl du von Brand und Feuersglut sprichst.« »Die schlimmste Neuigkeit kommt noch,« fuhr de Bracy fort, und er trat näher an den Prinzen heran und sagte in leisem nachdrücklichen Tone: »Richard ist in England. Ich habe ihn gesehen und mit ihm gesprochen.« Prinz Johann erblaßte, bebte zurück und mußte sich an der eichenen Lehne einer Bank festhalten, um nicht zu fallen, wie einer, der einen Pfeilschuß in die Brust bekommen hat. »De Bracy, Ihr träumt, das kann nicht sein,« sagte Fitzurse. »Es ist so gewiß wie die Wahrheit selber,« beharrte de Bracy. »Ich bin sein Gefangener gewesen und habe mit ihm gesprochen.« »Mit Richard Plantagenet, sagt Ihr?« fragte Fitzurse abermals. »Mit Richard Plantagenet,« antwortete de Bracy. »Mit Richard Löwenherz, mit Richard von England.« »Und Ihr seid sein Gefangener gewesen?« fuhr Fitzurse fort. »War er denn an der Spitze einer Macht?« »Nein, nur ein paar geächtete Yeomen standen um ihn herum, die aber wußten nicht, wer er sei. Ich hörte, wie er sagte, daß er sie wieder verlassen wollte. Er hatte sich ihnen nur zugesellt, um den Sturm auf Torquilstone mitzumachen.« »Ja, das ist ganz Richards Art!« sagte Fitzurse. »Er ist ein echter fahrender Ritter, und im Vertrauen auf die Stärke seines Armes geht er auf Abenteuer aus, während die wichtigsten Angelegenheiten seines Reiches liegen bleiben und seine eigene Person bedroht ist. – Was wollt Ihr nun beginnen, de Bracy?« »Ich habe ihm meine Freischar angeboten, aber er hat sie ausgeschlagen. Nun will ich nach Flandern. Im Wirrwarr der Gegenwart findet ein Mann der Tatkraft überall Beschäftigung. Wollt Ihr, Waldemar, auch Schild und Lanze ergreifen, Eure Staatsklugheit an den Nagel hängen und mit mir gehen? So es Gott gefällt, könnten wir dann Freud und Leid miteinander teilen.« »Dazu bin ich zu alt, Moritz, auch habe ich eine Tochter,« versetzte Fitzurse. »Die könnt Ihr mir geben, ich will sie halten, wie es ihrem Range zukommt, kraft meiner Lanze und meines Steigbügels.« »Nicht so,« erwiderte Fitzurse. »Ich will Zuflucht suchen in der Kirche Sankt Peters – der Erzbischof ist mir durch Eid verbunden.« Während dieses Gespräches war Prinz Johann allmählich aus seiner Erstarrung erwacht, in die ihn die unerwartete Nachricht versetzt hatte. Er hatte mitangehört, was seine Anhänger miteinander gesprochen hatten und sagte nun für sich: »Sie fallen von mir ab wie welkes Laub vom Baume, wenn sich der Wind erhebt. Hölle und Teufel! kann ich mir nicht selber helfen, wenn mich diese Feiglinge im Stiche lassen?« Eine Weile schwieg er. Dann fiel er den andern ins Wort mit einem teuflischen Gelächter, das verbissene Wut zum Ausdruck brachte. »Hahaha! meine Herren!« rief er. »Bei dem Augenlichte unserer lieben Frauen! Ich habe Euch für weise, tapfer und scharfsinnig gehalten und jetzt werft Ihr Reichtum, Ehre, Vergnügen und alles, wonach Ihr gestrebt habt, von Euch, und könntet es doch durch einen kühnen Handstreich gewinnen.« »Ich kann Euch nicht verstehen,« antwortet de Bracy. »Sobald es ruchbar ist, daß Richard wieder da ist, so steht er auch sofort an der Spitze eines Heeres, und alles ist verloren. Ich kann Euch nur raten, Hoheit, flieht nach Frankreich oder begebt Euch in den Schutz der Königin-Mutter.« »Für mich selber suche ich keine Sicherheit,« entgegnete Prinz Johann stolz. »Die könnte ich von meinem Bruder mit einem Worte erlangen. Aber obwohl Ihr, de Bracy und Waldemar, so flink bei der Hand seid, mich im Stich zu lassen, so würde es mir doch keine Freude machen, Eure Köpfe über dem Tore von Clifford baumeln zu sehen. – Glaubt Ihr denn nicht, Fitzurse, der verschlagene Erzbischof werde Euch nicht, um mit Richard auf guten Fuß zu kommen, vom Altar selber wegreißen lassen? – Und habt Ihr, de Bracy, vergessen, daß zwischen hier und Hüll, von wo Ihr nach Flandern überfahren müßt, Robert Estoteville mit all seinen Leuten liegt? – Und daß Graf Esser seinen Anhang um sich schart? Wenn wir Ursache hatten, diese Truppen vor der Rückkehr Richards zu fürchten, so ist jetzt kein Zweifel mehr, zu welcher Partei sich die Anführer schlagen werden. Glaubt mir, Estoteville allein ist stark genug, Euch mit Eurer Freischar zum Teufel zu schicken.« Waldemar Fitzurse und de Bracy sahen einander verlegen an. »Nur einen Weg gibt es noch zur Sicherheit,« fuhr der Prinz fort, und sein Blick wurde finster wie die Mitternacht. – »Der, vor dem wir uns fürchten, reist allein. Man muß ihm in den Weg zu treten versuchen.« »Aber mich laßt dabei aus dem Spiele,« fiel ihm de Bracy hastig ins Wort. »Ich bin sein Gefangener gewesen, und er hat mir Gnade gewährt. Kein Haar will ich ihm auf dem Haupte krümmen.« »Wer spricht denn davon?« rief Prinz Johann mit erzwungenem Lachen. »Wird der Schelm nicht am Ende noch sagen, ich hätte im Sinne, Richard ermorden zu lassen! – Nein, ich denke nur an ein Gefängnis in Britannien oder in Österreich – das ist einerlei. – Dann bleibt es mit den Sachsen, wie es war, als wir unsern Plan faßten. – Wir gründeten unsern Plan damals auf die Hoffnung, daß Richard in Deutschland gefangen bleiben würde. – Ist doch auch unser Onkel Robert sein Leben lang im Schlosse Cardiffe gewesen und ist dort auch gestorben!« »Ja, aber Euer Ahnherr Heinrich hat auch fester auf seinem Throne gesessen, als Eure Hoheit je sitzen wird,« erwiderte Fitzurse. »Das beste Gefängnis ist schon das, das der Totengräber baut. Kein Kerker ist so sicher wie der Friedhof. – Damit habe ich meine Meinung gesagt.« »Gefängnis oder Grab!« rief de Bracy, »ich wasche meine Hände in Unschuld!« »Schurke!« rief Prinz Johann. »Wollt Ihr etwa meinen Anschlag verraten?« »Ein Verräter bin ich nie gewesen,« entgegnete de Bracy. »Auch darf mich niemand einen Schurken heißen.« »Seid friedlich, Herr Ritter,« wandte sich Fitzurse ins Mittel. »Und Ihr, Hoheit, vergebt de Bracy die gewissenhaften Bedenken, ich werde sie ihm bald austreiben.« »Dagegen vermag all Eure Beredtsamkeit nichts,« versetzte der Ritter. »Wie, tapferer Moritz?« fuhr der schlaue Staatsmann fort. »Wie ein scheues Pferd prallt Ihr zurück, ehe Ihr Euch überhaupt genau angesehen habt, was Euch denn eigentlich solchen Schreck einjagt? – Dieser Richard – kaum ein Tag ist darüber vergangen, daß es Euer sehnlichster Wunsch war, ihm in der Schlacht zu begegnen – hundertmal habt Ihr das gesagt.« »Ja, aber wie Ihr sagt, in der Schlacht – Mann gegen Mann! Niemals habe ich daran gedacht, ihn, wenn er allein ist, etwa im Walde, zu überfallen.« »Wenn Euch davor bange ist,« versetzte Waldemar, »so seid Ihr kein echter Ritter. – Haben Lancelot vom See oder Sir Tristan ihren Ruhm in Schlachten erworben? Nein, sondern indem sie im Schatten ungekannter Wälder mit Riesen und Rittern kämpften.« »Mag sein,« sagte de Bracy. »Aber weder Lancelot noch Tristan hätten den König Richard Löwenherz angegriffen, auch war es ihre Art nicht, mit einer Übermacht gegen einen einzelnen auszurücken.« »Ihr seid von Sinnen, de Bracy! Was wird denn von Euch verlangt? Ihr seid ein besoldeter Hauptmann der Freischar, deren Schwerter sich Prinz Johann erkauft hat. Ihr kennt unsern Feind und Ihr erhebt Einwände – und dabei wißt Ihr doch, daß das Glück Euers Gönners, das Eurer Kameraden und Euer eigenes, ja Ehre und Leben eines jeden von uns auf dem Spiele stehen.« »Ich habe Euch doch gesagt,« erwiderte de Bracy verdrießlich, »er hat mir das Leben geschenkt. Freilich, er hat mich von sich gewiesen und mich nicht in seinen Dienst nehmen wollen – ich bin ihm also weder Treue noch Gehorsam schuldig – aber ich werde doch nimmermehr Hand an ihn legen.« »Das ist auch gar nicht vonnöten, Ihr braucht nur Ludwig Winkelbrand mit einem Dutzend Eurer Freischärler gegen ihn aussenden.« »Ihr habt ja Meuchelmörder genug im Sold,« versetzte de Bracy. »Mit einem solchen Auftrag will ich keinen meiner Leute behelligen.« »So eigensinnig seid Ihr, de Bracy,« fragte Prinz Johann, »und wollt Ihr mich verlassen, da Ihr mir doch so oft die Versicherung Eurer Anhänglichkeit gegeben habt?« »Verlassen will ich Euch nicht,« antwortete de Bracy. »Ich will bei Euch bleiben und alles tun, was ein echter Ritter darf. Aber solche Straßenräubereien habe ich ein für allemal verschworen.« »Waldemar, kommt her,« sagte Prinz Johann; »bin ich nicht ein unglücklicher Fürst? – Mein Vater, König Heinrich, brauchte nur einen Wink zu geben, daß ihm ein rebellischer Prinz ein Dorn im Auge sei – und sofort waren treue Diener zur Stelle. Das Blut des Thomas a Beckett – so heilig es auch war – ist über die Stufen seines eigenen Altars geflossen. Aber so treue und kühne Untergebene, wie sie ihm zur Verfügung standen, gibt es nicht mehr. Wohl hat Reginald Fitzurse einen Sohn hinterlassen, aber den Mut und die Treue, die ihn auszeichneten, hat er ihm nicht mit auf den Weg gegeben.« »Er hat sie ihm vererbt!« rief Fitzurse. »Wohlan! Es geht einmal nicht anders! Ich selber will diesen gefahrvollen Anschlag in die Hand nehmen. Teuer freilich hat mein Vater den Namen eines treuen ergebenen und eifrigen Freundes erkaufen müssen, und doch war sein Beweis der Treue noch nichts gegen das, was ich unternehmen will, denn lieber wollt' ich gegen alle Heiligen im Kalender ankämpfen, als meine Lanze zücken gegen Richard mit dem Löwenherzen. – De Bracy, ich muß es Euch anheimgeben, den Mut der Zaghaften aufrecht zu erhalten und die Person unseres Prinzen zu beschützen. Wenn ich selbst Euch das mitteilen kann, was ich Euch in Bälde mitzuteilen hoffe, so wird binnen kurzem unser Unternehmen aller gefahrvollen Ungewißheit enthoben sein.« »Page!« rief er dann, geh schnell in mein Haus, sage meinem Waffenmeister, er soll sich bereit halten, richte meinen Befehl aus, daß Stephan, Wethereal, Thoesby und die drei Speere von Spyinglaw auf der Stelle zu mir kommen sollen, auch Hugh Bardon, der Kundschafter, soll dabei sein. Und nun, mein Prinz, fahrt wohl, bis auf bessere Tage!« Mit diesen Worten ging er hinaus. »Da geht er hin, meinen Bruder gefangen zu nehmen,« sagte Prinz Johann. »Mit einer Seelenruhe geht er an sein Wert, als wäre Richard ein sächsischer Franklin. – Ich denke doch, er wird sich nach unsern Befehlen richten und sich nicht an der Person Richards vergreifen. Beim Augenlichte unserer lieben Frauen, mein Befehl war klar und bestimmt ausgedrückt! Es ist allerdings möglich, daß er ihn nicht deutlich genug vernommen hat, denn ich stand da gerade am offenen Fenster. Aber mit größter Bestimmtheit habe ich ihm zu verstehen gegeben, daß ich gegen die Person Richards, gegen sein Leben, nichts unternommen haben will. Wehe Waldemar Fitzurse, wenn er gegen diesen Befehl verstößt!« »Dann will ich lieber zu ihm gehen,« sagte de Bracy lächelnd, »und ihm den Willen Eurer Hoheit in deutlicher Form ausrichten, denn da ich davon selber nichts gehört habe, so hat wahrscheinlich auch Waldemar nichts davon gehört.« »Nein, nein,« versetzte Prinz Johann ungeduldig. »Ich gebe Euch die Versicherung, er hat alles deutlich gehört. Für Euch habe ich überdies wichtige Geschäfte, Moritz; kommt her, ich will mich auf Euch stützen.« Und vertraulich lehnte er sich auf ihn, und so schritten sie in der Halle auf und ab, und mit dem Anschein innigsten Vertrauens fragte Prinz Johann: »Mein guter de Bracy, was denkt Ihr über diesen Waldemar Fitzurse? Er denkt, er wäre schon Kanzler. Aber selbstverständlich werden wir uns sehr überlegen, ob wir ein so wichtiges Amt einem Manne übertragen, der so geringe Achtung vor unserm Blute beweist, indem er so rasch bereit ist, etwas gegen unsern Richard zu unternehmen. Ihr denkt vielleicht, Ihr hättet in unserer Achtung verloren, indem Ihr das unerquickliche Ansinnen ablehntet? Nein, Moritz, wir achten Eure tugendhafte Standfestigkeit. Es gibt Dinge, die eben unbedingt getan werden müssen, ohne daß wir aber den Täter lieben oder achten. Und es gibt Weigerungen, etwas zu tun, die unsere Achtung vor dem, der sich unserm Willen widersetzt, nur noch erhöhen. Wenn jener meinen Bruder gefangen nimmt, so erwirbt er sich damit keinen so gerechten Anspruch auf das hohe Amt eines Kanzlers, als Ihr Euch dadurch, daß Ihr ritterlich und mutig den Auftrag von Euch wieset, Anspruch auf den Stab des Großmarschalls erworben habt. Des seid eingedenk, de Bracy, und nun, an Eure Arbeit!« »Wankelmütiger Tyrann!« murmelte de Bracy vor sich hin, als er den Prinzen verlassen hatte. »Schlecht fährt, wer dir traut! Dein Kanzler sein? Da müßte man ein Gewissen haben wie du selber. – Aber Großmarschall von England –« und er streckte den Arm aus, wie um schon den Stab zu ergreifen, und ging mit großen Schritten durch das Zimmer – »das ist ein Preis der Mühe wert!« Dreißigstes Kapitel Auf dem Maulesel, den ihm die Geächteten geschenkt hatten, begleitet von zwei stämmigen Yeomen, die ihm zum Schutz und als Wegweiser dienten, war Isaak von York unterwegs auf seiner Reise nach dem Präzeptorium des Ordens der Tempelritter Templestowe, um dort wegen Losgabe seiner Tochter zu unterhandeln. Das Präzeptorium war nur eine Tagesreise von dem zerstörten Schlosse Torquilstone entfernt, und der Jude hoffte, noch vor Anbruch der Nacht dort einzutreffen. Am Rande des Waldes entließ er daher seine Führer, gab jedem zum Lohne eine Silbermünze und setzte dann allein seinen Weg mit einer Eile fort, die, als er noch vier Meilen von dem Hofe der Templer entfernt war, seine Kräfte völlig aufgerieben hatte. Brennende Schmerzen wühlten ihm im Rücken und in allen Gliedern. Zu diesen körperlichen Qualen kam noch seine Herzensangst, und es war ihm ganz unmöglich, weiter als bis zu einem kleinen Flecken zu kommen, wo ein jüdischer Rabbi wohnte, der sehr bewandert in der Medizin und auch mit Isaak gut bekannt war. Nathan Ben-Israel empfing seinen leidenden Glaubensgenossen mit aller Güte, die das Gesetz vorschreibt und die die Juden gegeneinander ausüben. Er drang darauf, daß sich Isaak sogleich zur Ruhe begeben sollte, und gab ihm Arzenei, die das Fieber aufhob, das Entsetzen, Angst, Trübsal und Erschöpfung in dem Körper des armen alten Juden angefacht hatten. Als am andern Morgen Isaak aufstehen und weiterreiten wollte, widersprach Nathan als Wirt wie als Arzt diesem Vorhaben. Er sagte, es könne Isaak das Leben kosten. Aber Isaak erwiderte, mehr als Tod und Leben hinge davon ab, daß er unverzüglich nach Templestowe ritte. »Nach Templestowe?« wiederholte sein Wirt erstaunt. Und er fühlte dem Kranken den Puls und murmelte: »Das Fieber hat nachgelassen, aber er scheint nicht recht bei Verstande zu sein.« »Und warum nicht nach Templestowe?« versetzte der Patient. »Ich weiß wohl, es ist die Behausung derer, denen die verachteten Kinder der Verheißung ein Greuel sind, aber du weißt ja auch, daß uns wichtige Geschäfte oft mitten unter die blutdürstigen Soldaten der Nazarener führen.« »Wohl, wohl!« sagte Nathan. »Weißt du aber auch, daß Lukas Beaumanoir, das Haupt des Ordens, den sie den Großmeister nennen, zurzeit in Templestowe ist?« »Das wußte ich nicht.« »Unerwartet ist er nach England gekommen und sein mächtiger Arm reicht weit, zu bessern und zu strafen. Groß ist die Furcht der Kinder Belials vor ihm. Sicher hast du schon von ihm gehört?« »Gewiß,« antwortete Fsaak. »Die Heiden schildern diesen Lukas Beaumanoir als einen großen Eiferer, und unsere Brüder nennen ihn den großen Mörder der Sarazenen und der Kinder der Verheißung.« »Und mit Recht nennen sie ihn so,« versetzte Nathan. »Was unter den Templern Pflicht heißt, das können andere wohl vergessen über Sinnesfreuden und Versprechungen von Gold und Silber. Beaumanoir aber ist aus anderm Schrot und Korn. Er haßt die Sinnlichkeit, er verachtet irdisches Gut und trachtet nur nach dem, was diese Leute die Krone des Märtyrers nennen. Möge der Gott Jakobs sie ihnen allen bald verleihen! Insbesondere hat dieser stolze Mann sein Schwert über die Kinder der Verheißung ausgestreckt, und in seinen Augen ist die Ermordung eines Juden ein besseres Opfer als die Ermordung eines Sarazenen. Von der Kunst unserer Ärzte hat er falsches und gottloses Gerücht verbreitet und sie als eine Eingebung des Satans verschrien. Möge ihn der Herr dafür züchtigen.« »Trotz alledem und alledem,« erwiderte Isaak, »muß ich nach Templestowe, und wäre sein Angesicht furchtbar wie ein siebenfach geheizter Ofen.« Und er teilte Nathan die dringende Ursache mit, die ihn hinführe, und der Rabbi bekundete seine Teilnahme in der unter diesem Volke üblichen Weise, indem er sein Kleid zerriß und in lautes Klagen ausbrach. »So gehe denn,« sagte er dann. »Weisheit möge beschützen den Daniel in der Löwengrube. Wenn es geht, meide aber die Person des Großmeisters, denn es ist sein Morgen- und Abendlabsal, einem Juden Schmerz zu bereiten. Besser wäre es, wenn du mit Bois-Guilbert allein sprechen könntest, mit dem würdest du wohl leichter fertig werden, denn es heißt, diese verfluchten Nazarener seien untereinander gar nicht einig. Möge der Gott unserer Väter all ihre Anschläge werden lassen zuschanden!« Isaak sagte seinem Freunde Lebewohl und nach einer Stunde stand er schon vor dem Tore des Präzeptoriums von Templestowe. Dieses Stift der Templer lag inmitten grüner Wiesen und fetter Weiden, die der vorige Präzeptor dem Orden vermacht hatte. Das Gebäude war gut befestigt: eine Vorsichtsmaßregel, die die Templer nie außer acht ließen und die in der damaligen Zeit auch nötig war. Zwei Hellebardiere in schwarzer Tracht standen an der Zugbrücke Posten, andere schritten auf den Wällen hin und her, in derselben düstern Kleidung, langsam wie Leichenbitter, mehr Gespenstern als Soldaten ähnlich. Ab und zu gingen auch Ritter in langen weißen Gewändern, das Haupt auf die Brust geneigt, und die Arme gekreuzt, über den Hof. Feierlich und stumm grüßten sie einander. Was strenge und asketische Leben der Templer, wie es die Ordensgesetze vorschrieben und durch das die üppige Ausschweifung und Zügellosigkeit bisher verdrängt worden war, schien unter dem strengen Blick des Großmeisters wieder in Templestowe eingekehrt zu sein. Während Isaak am Tore hielt und überlegte, wie er wohl am besten hineinkommen könne, schritt Lukas Beaumanoir in einem kleinen Garten, der von den äußern Festungswerken eingeschlossen wurde, auf und ab. Er war in vertraulichem und bekümmertem Gespräch mit einem Ordensbruder, der ihn von Palästina her begleitet hatte. Lukas Beaumanoir war schon alt, sein Haar war grau, sein langer Bart war grau, seine buschigen Augenbrauen waren grau, aber sie hingen über zwei Augen hinweg, die ihr Feuer im Laufe der Jahre nicht verloren hatten. Seinen hagern und strengen Zügen sah man es an, daß er ein furchtbarer Krieger und ein mutiger standfester Streiter war, aber sie verrieten auch den fanatischen Büßer, den verbissenen Priester und den selbstzufriedenen Frömmler. Zu dem Ernst seines Gesichts gesellte sich ein Zug der Hoheit und des Adels, der gewinnend wirkte und wohl daher rührte, daß dieser Mann eine so bedeutende Rolle unter Fürsten und Herrschern spielte und ständig unter so vielen edeln und tapfern Rittern die höchste Gewalt ausübte. Sein Wuchs war hoch, Alter und Mühsal hatten ihn nicht gebeugt, und er hatte eine stolze und gebieterische Haltung. Der weiße Mantel, den er trug, war streng nach der Ordensregel zugeschnitten. Auf der linken Schulter saß das achteckige Kreuz aus rotem Tuch. In der Hand trug er den Amtsstab. Der Gefährte dieser hohen Person trug fast die gleiche Kleidung, aber an der tiefen Unterwürfigkeit, die er gegen den Großmeister bekundete, sah man, daß außer in der Kleidung keine Gleichheit zwischen ihnen bestand. Er ging nicht neben ihm, sondern hinter ihm, und zwar so weit, daß sich der Großmeister mit dem Präzeptor – denn das war der Rang des jüngeren – unterhalten konnte, ohne daß er sich umzuwenden brauchte. »Konrad,« sagte der Großmeister, »lieber Gefährte meiner Schlachten und meiner Arbeit, deinem treuen Busen allein kann ich meine Sorgen anvertrauen, dir allein kann ich sagen, wie oft ich schon, seit ich den Fuß in dieses Königreich gesetzt habe, bei mir selber gewünscht habe, ich möchte zu den Gerechten gerufen werden. Nichts außer den Gräbern unsrer Brüder im Gewölbe unsrer Tempelkirche – nichts von allem, was ich sonst in dieser stolzen Hauptstadt gesehen habe, hat meinem Auge Freude gemacht. Eher wollte ich mit hunderttausend Heiden fechten, als den Verfall unseres Ordens mitansehen!« »Wahr ist es,« erwiderte Konrad de Mont-Fitchet – »nur zu wahr, unsere Brüder in England leben ausschweifender als die in Frankreich.« »Weil sie reicher sind! Sei nachsichtig mit mir, Bruder, wenn ich mich selber ein wenig lobe. Du weißt, was für ein Leben ich geführt habe, jede Regel des Ordens habe ich streng befolgt, mit dem Teufel in und außer dem Fleische habe ich gekämpft, niedergeworfen habe ich den brüllenden Löwen, der nach Beute umherstreift – niedergeworfen, wie es die Pflicht eines echten Ritters und frommen Priesters ist. Aber bei dem heiligen Tempel, ich schwöre dir, außer dir und noch einigen wenigen, die noch nach der alten Strenge des Ordens leben, sehe ich hier keinen Bruder, den meine Seele des heiligen Namens für würdig hält. Konrad, die heiligen Gründer unseres Ordens sind aus dem Schlummer des Paradieses geschreckt. Diese Nacht habe ich sie im Traume gesehen – sie haben Tränen vergossen über die Sünden und Torheiten ihrer Brüder und über die schmachvollen Ausschweifungen, denen sie sich hingeben. – Beaumanoir, haben sie zu mir gesagt, – du schläfst, erwache! Auf dem Hause der Templer liegt ein Fleck, schändlich und groß, wie ein Zeichen des Aussatzes. Die Streiter des Kreuzes, die den Blick des Weibes fliehen sollen wie den eines Basilisken, leben in öffentlich sündhaftem Verkehr nicht allein mit den Weibern ihres Glaubens, sondern sogar mit den Töchtern der Juden und der Heiden! Beaumanoir! Du schläfst, wach' auf! Räche uns! Strafe die Sünde an Mann und Weib! – Dann war das Traumbild vorbei. Ich aber will handeln nach ihrem Gebot, ich will das Haus der Templer reinigen, den unreinen Stein, in dem die Pest sitzt, will ich aus der Mauer reißen und zermalmen!« In diesem Augenblick kam ein Knappe, verneigte sich tief und wartete, daß ihm der Großmeister erlauben werde zu reden. »Macht es sich nicht weit schicklicher,« sagte der Großmeister, »diesen Mann im Gewande der Demut und in ehrfurchtsvollem Schweigen vor seinem Obersten stehen zu sehen, als wie er noch vor ein paar Tagen umherging, wie ein Narr in gesticktem Wams, geschwätzig und großtuerisch wie ein Papagei? Sprich, wir erlauben es dir! – Was hast du für Botschaft?« »Ein Jude,« antwortete der Knappe, »steht vorm Tore, hochwürdiger Vater, und begehrt mit Brian de Bois-Guilbert zu sprechen.« »Du tust recht daran, daß du das mir meldest,« sagte der Großmeister. »Es liegt uns viel daran, etwas über die Lebensweise unseres Bruders Brian de Bois-Guilbert zu erfahren.« »Er steht in dem Rufe, tapfer und tüchtig zu sein,« sagte Konrad. »Mit Recht,« erwiderte der Großmeister. »Unsere Tapferteit allein ist noch unserer Vorfahren, der Helden des Kreuzes würdig. Aber als Bruder Brian in den Orden kam, war er ein düsterer unzufriedener Mensch, der, wie es mir schien, nicht aufrichtigen Gemütes sein Gelübde geleistet und der Welt entsagt hat. Seither ist er ein Unruhestifter geworden unter denen, die sich gegen unsere Gewalt auflehnen, und hat nie bedacht, daß dem Großmeister in dem Sinnbilde des Stabes und der Rute die Macht verliehen ist, die Schwachen zu stützen und die Fehlenden zu strafen.« Und sich zu dem Knappen wendend, setzte er hinzu: »Bring' den Juden vor uns.« Mit einer tiefen Verneigung entfernte sich der Knappe und kam gleich darauf mit dem Juden Isaak von York wieder. Ein entblößter Sklave hätte nicht mehr Furcht und bleiches Entsetzen an den Tag legen können, als der Jude, indem er jetzt in die Nähe des Großmeisters trat. Und als er ihm etwa auf drei Ellen nahe gekommen war, gab Beaumanoir ein Zeichen mit seinem Stabs, daß er stehen bleiben solle. Isaak fiel auf die Knie, küßte zum Zeichen seiner Unterwürfigkeit die Erde und stand dann wieder auf und stellte sich vor den Großmeister hin, die Hände über der Brust gekreuzt und das Haupt zu Boden gesenkt, mit all jenen äußeren Gebärden der Demut, wie sie im Orient üblich sind. »Geh« zurück,« sprach der Ordensmeister zu dem Knappen, »und laß niemand, wer es auch sei, in den Garten, solange wir noch hier sind. Der Knappe verneigte sich und ging. »Jude,« sagte nun der stolze Greis, »höre wohl! Es ist unserm Stande nicht angemessen, lange mit dir zu sprechen und Zeit und Worte mit dir zu vergeuden. Antworte daher kurz auf das, was ich dich fragen werde, und vor allem sprich die Wahrheit, denn wenn du mich belügst, so soll dir die Zunge aus dem ungläubigen Halse gerissen werden.« Der Jude wollte antworten, aber der Großmeister fuhr fort: »Schweig, Ungläubiger! Kein Wort in unserer Gegenwart, es sei denn, du hast auf eine Frage zu antworten! Was hast du mit unserm Bruder Bois-Guilbert zu tun?« In seiner Angst und Unsicherheit zauderte Isaak. Beaumanoir diese Todesangst bemerkend, ließ sich herab, ihm etwas Mut zuzusprechen. »Fürchte nichts für deine erbärmliche Person,« sagte er, »sei nur offen gegen uns. Ich frage dich nochmals was hast du mit unserm Bruder Bois-Guilbert zu schaffen?« »Ich habe einen Brief zu überbringen,« stammelte der Jude. »Euer Hochwürden werden gestatten, daß ich ihn an den tapfern Ritter abgebe, er ist vom Prior Aymer, aus der Abtei von Jorlvaux.« »Sagte ich nicht, Konrad, es seien schlechte Zeiten?« sprach der Großmeister. »Ein Zisterzienser Priester sendet an einen Krieger des Tempels einen Brief und kann keinen schicklicheren Boten finden als einen Juden. – Gib den Brief her!« Mit zitternden Händen griff der Jude in die Falten seiner armenischen Kappe. Er hatte der größeren Sicherheit halber die Schreibtafel des Priors darin verborgen und wollte mit ausgestreckter Hand und gebücktem Leibe nähertreten, um sie dem hohen Herrn in die Hand zu legen, aber der Großmeister rief: »Zurück, Hund! Ich rühre keinen Ungläubigen an, es sei denn mit dem Schwert! Konrad, nimm dem Juden den Brief ab und gib ihn mir!« Beaumanoir empfing das Schreiben und las es in Eile, mit Zeichen der Verwunderung und des Abscheues. Dann hielt er es Konrad hin und mit der Hand leicht dagegen schlagend, sagte er: »Eine schöne Epistel das von einem Christen an einen Christen! Und beide hervorragende Mitglieder heiliger Orden! Lies laut vor, Bruder Konrad! Und du, Jude, merke dir den Inhalt, wir werden dich nachher darüber befragen.« Und Konrad las wie folgt: »Aymer, von Gottes Gnaden, Prior des Hauses der Zisterzienser der heiligen Maria von Jorlvaux, wünscht dem Sir Brian de Bois-Guilbert, Ritter des heiligen Ordens der Templer, Gesundheit und Glück in den Freuden des Bacchus und der Venus. – Was unsere derzeitige Lage anbelangt, teurer Bruder, so befinden wir uns als Gefangener in den Händen einiger gottlosen Männer, die allen Gesetzen Hohn sprechen, nicht davor zurückschrecken, unsere Person festzuhalten und ein Lösegeld dafür zu beanspruchen. Hier ist mir auch das Unglück Front-de-Boeufs zu Ohren gekommen und daß Ihr glücklich entronnen seid mit der schönen jüdischen Hexe, deren schwarze Augen Euch in Zauberbann geschlagen haben. Wir freuen uns herzlich, daß Ihr wohl geborgen seid. Demohngeachtet bitten wir Euch, seid auf Eurer Hut, was diese zweite Hexe von Endor anbetrifft, denn es ist uns insgeheim versichert worden, daß Euer Großmeister, der nichts nach schwarzen Augen und Purpurlippen fragt, aus der Normandie zu Euch unterwegs sei, um Euch Eure Vergnügungen zu versalzen und Euch für all Eure Missetaten zu bestrafen. Also seid vorsichtig. Der reiche Jude Isaak von York hat uns um einen Brief an Euch wegen seiner Tochter gebeten. Wir haben ihm nun diesen geschrieben. Wir raten Euch in allem Ernst, gebt die Dirne gegen ein Lösegeld frei, der Jude kann Euch aus seinen Geldsäcken so viel geben, daß Ihr Euch dafür fünfzig andere Dirnen mit weit weniger Gefahr halten könnt, und davon will ich dann meinen Anteil beanspruchen, wenn wir miteinander lustig sind wie treue Brüder und der Flasche nicht vergessen. Wir wünschen, daß es Euch gut gehen möge, bis zu unserer fröhlichen Zusammenkunft. Gegeben hier in der Diebeshöhle zur Stunde der Morgenandacht. Aymer, Prior von Sankta Maria de Jorlvaux. Nachschrift. Eure goldene Kette hat wahrlich nicht lange meinen Hals geziert, ein geächteter Wilddieb trägt sie jetzt um den Nacken, und die Pfeife, womit er seine Hunde ruft, hängt daran.« – »Was sagt Ihr nun dazu, Konrad?« sagte der Großmeister. »Eine Diebeshöhle ist ein passender Aufenthalt für einen solchen Prior. Es ist nicht zu verwundern, daß ihn Gottes Zorn trifft! Aber was will er mit seiner zweiten Hexe von Endor sagen?« Konrad kannte aus Erfahrung die Sprache der Galanterie besser als sein Ordensherr, er erklärte ihm den Sinn der Worte, aber der Großmeister schien mit der Erklärung nicht zufrieden. »Dahinter steckt mehr, Konrad,« sagte er. »Du kannst in deiner Einfalt nicht diesen Abgrund von Gottlosigteit durchschauen. Diese Rebekka von York war eine Schülerin jener Miriam, von der du auch schon gehört hast. Gib acht, der Jude wird es eingestehen.« Er wandte sich an Isaak und fragte laut: »Deine Tochter wird also von Bois-Guilbert gefangen gehalten?« »Jawohl, Hochwürden, und was ein armer Mann wie ich für ihre Freigabe bezahlen kann –« »Schweig! Deine Tochter hat die Heilkunst ausgeübt?« »Jawohl, Euer Gnaden! Ritter und Vasall, Knappe und Bauer segnen die Gabe, die ihr der Himmel verliehen hat. Manch einer kann bezeugen, daß er wieder gesund geworden ist durch ihre Kunst, als alle andere menschliche Hilfe nichts mehr vermochte. Der Segen des Gottes Jakobs ist bei ihr!« Mit grimmigem Lächeln wandte sich Beaumanoir an Mont-Fitchet. Dann sagte er wieder zu dem Juden: »Deine Tochter hat ihre Kuren sicherlich durch Worte, Amulette und andere kabbalistische Mysterien ausgeübt?« »Nein, verehrter und tapferer Ritter, nur durch einen Balsam von wunderbarer Heilkraft.« »Von wem hat sie das Geheimnis?« fragte Beaumanoir. »Miriam, eine weise Matrone meines Volkes,« erwiderte der Jude zaudernd, »hat es ihr hinterlassen.« »Ha, falscher Jude!« herrschte ihn der Großmeister an. »Die Hexe Miriam war es, von deren Zaubereien in jedem Christenlande mit Abscheu gesprochen worden ist. Ihr Leib ist am Pfahl verbrannt worden, ihre Asche in alle vier Winde verstreut, und dasselbe Schicksal soll ihre Schülerin treffen! Ich will sie lehren die Streiter des heiligen Tempels bezaubern. Hierher, Knappe! wirf den Juden zum Tor hinaus! Schlage ihn tot, wenn er sich widersetzt oder zurückkehrt! Mit seiner Tochter wollen wir verfahren, wie es das Gesetz der Christen und unser heiliges Amt erheischt!« Einunddreißigstes Kapitel Albert Malvoisin, Präzeptor der Stiftung des Tempels zu Templestowe, war ein Bruder jenes Philipp von Malvoisin, der bereits in dieser Erzählung genannt worden ist, und wie dieser Baron eng mit Brian de Bois-Guilbert verbunden. Unter den ausschweifenden zügellosen Männern, deren der Orden der Templer nur zu viele in sich schloß, war Albert einer der schlimmsten, nur unterschied er sich von dem kühnen Bois-Guilbert dadurch, daß er es verstand, den Schleier der Heuchelei über seine Laster und seinen Ehrgeiz zu breiten. Nach außen hin trug er den Fanatismus zur Schau, den er innerlich verachtete. Wenn der Großmeister nicht so unerwartet gekommen wäre, so hätte er in Templestowe nichts gefunden, was eine Entartung der Manneszucht verraten hätte, und obwohl nun Albert überrascht worden war und in mancher Beziehung auch verraten war, so hatte er doch den Verweis seines Herrn mit so tiefer Ehrfurcht und Zerknirschung hingenommen und zeigte sich so sehr beflissen, zu bessern, was getadelt worden war, und hatte so rasch in die Gesellschaft, die zuvor noch der Wollust und der Völlerei ergeben gewesen war, einen Anschein der Zucht und asketischen Frömmigkeit gebracht, daß Lukas Beaumanoir von der Sittlichkeit des Präzeptors besser dachte, als bei dem ersten Eindruck der Stiftung. Aber diese günstige Meinung wurde durch die Nachricht, daß Albert eine Jüdin, die obendrein die Mätresse eines Templers zu sein schien, in dieses heilige Haus aufgenommen hatte, von neuem heftig erschüttelt. Als Albert vor dem Großmeister erschien, sprach er ihn im Tone ungewöhnlichen Ernstes an. »In diesem Hause, das dem heiligen Dienste des Ordens der Templer geweiht ist, befindet sich ein jüdisches Mädchen, das ein Ordensbruder mit Euerm Wissen hergebracht hat.« Albert Malvoisin war in tiefster Bestürzung. Er hatte die unglückliche Rebekka in einem abgelegenen Teile des Hauses untergebracht und alle Vorkehrungen getroffen, daß ihr Aufenthalt unentdeckt bliebe. Er las in Beaumanoirs Blick sein und Bois-Guilberts Urteil, falls es ihm nicht gelingen sollte, den ausbrechenden Sturm abzuwenden. »Weshalb verstummt Ihr?« fuhr der Großmeister fort. »Ist es mir gestattet zu reden?« entgegnete der Präzeptor in unterwürfigem Tone. Er wollte aber durch diese Frage nur Zeit gewinnen, um sich zu fassen. »Es ist Euch erlaubt. Sprecht und redet! Wie kommt es denn, daß Ihr einem der Brüder erlaubt habt, eine Geliebte, obendrein eine Jüdin, eine Zauberin, in dieses heilige Haus zu bringen, das dadurch geschändet und entweiht wird?« »Eine jüdische Zauberin!« wiederholte Albert Malvoisin. »Mögen uns alle guten Geister davor beschützen!« »Eine jüdische Zauberin, Bruder! Könnt Ihr es leugnen, daß sich Rebekka, die Tochter des schändlichen Wucherers Isaak von York, die Schülerin der verbrecherischen Miriam, eben jetzt – eine Schande ist es, es sagen zu müssen, es denken zu müssen! – hier in Euerm Präzeptorium befindet?« »Hochwürdiger Vater,« antwortete Albert, »Eure Weisheit hat die Nacht von meinem Verstande genommen. Es hat mich selber gewundert, daß ein so tapferer Ritter wie Bois- Guilbert so sehr von diesem Weibe bezaubert worden ist! Ich habe sie nur in dieses Haus aufgenommen, um einer wachsenden Vertraulichkeit, die vielleicht sonst zu dem Falle unseres tapferen und frommen Bruders geführt hätte, einen Riegel vorzuschieben.« »Ist es bis jetzt noch zu nichts zwischen beiden gekommen, was gegen das Gelübde wäre?« »Wie? Unter diesem Hause?« versetzte Malvoisin, sich bekreuzend. »Möge die heilige Magdalena das verhüten! Habe ich gefehlt, indem ich sie hier aufnahm, so geschah es nur in der irrigen Hoffnung, die unsinnige Neigung meines Bruders zu der Jüdin zu bekämpfen. Erschien mir doch seine Leidenschaft so wild und unnatürlich, daß ich sie nur einer Art Wahnsinn zuschreiben konnte, der mehr durch Mitleid als durch Vorwürfe zu heilen sei. Da nun aber die Weisheit Eurer Hochwürden entdeckt hat, daß diese jüdische Buhlerin eine Zauberin ist, so läßt sich ja freilich die verliebte Narrheit des Ritters völlig begreifen.« »Freilich wohl!« sprach Beaumanoir. »Es kann sein, daß unser Bruder Bois-Guilbert mehr Mitleid als strenge Bestrafung verdient und daß er durch unsere Ermahnungen und durch Gebete von seinem Wahnwitz abgebracht und zu seinen Brüdern zurückgeführt werden kann.« »Es wäre sehr schade,« sagte Mont-Fitchet, »wenn der Orden in ihm eines seiner tüchtigsten Mitglieder verlieren sollte. Zweihundert Sarazenen hat dieser Bois-Guilbert mit eigner Hand erschlagen.« »Unser Bruder wird die Bande dieser Delila zerreißen,« sagte der Großmeister, »die schändliche Hexe selber aber soll wahrlich des Todes sterben!« »Aber die Gesetze von England?« wandte der Präzeptor ein, der erfreut darüber war, daß sich der Zorn des Großmeisters von ihm und Bois-Guilbert abwandte, aber doch befürchtete, er könne in seinem Zorne zu weit gehen. »Die Gesetze erlauben und befehlen jedem Richter,« erwiderte Beaumanoir, »innerhalb seines Bezirks Gerechtigkeit auszuüben. Jeder Baron kann in seinem Gebiete eine Hexe gefangen nehmen, prozessieren und verurteilen. Soll dies dem Großmeister des Tempels verboten sein? Nein! Wir wollen richten und verdammen! Von der Erde verschwinden soll die Hexe! Geht und richtet die Halle für die Gerichtssitzung her!« Albert Malvoisin verneigte sich und ging, nicht um die Halle herzurichten, sondern um Bois-Guilbert aufzusuchen und ihn über den Vorfall zu unterrichten. »Sind das deine Vorsichtsmaßregeln?« rief Bois-Guilbert. »Hast du den alten Schwachtopf wissen lassen, daß Rebekka hier ist?« »Es ist nicht meine Schuld,« erwiderte der Präzeptor. »Ich habe nichts außer acht gelassen, um dein Geheimnis zu verbergen, aber es ist an den Tag gekommen, ob durch den Teufel oder durch sonst wen, das kann nur der Teufel wissen! Aber ich habe es so gedreht, daß du sicher bist, wenn du die Jüdin aufgibst. Man hegt Mitleid mit dir und hält dich für ein Opfer ihrer Zauberkünste. Sie gilt für eine Hexe und soll als solche bestraft werden. Weder Ihr noch sonst jemand kann sie retten! Auch ich kann nichts zu ihren Gunsten versuchen. Ich habe mich schon zuviel in diesen Teufelstanz gemischt und habe keine Lust, wegen eines Stückes geschminkten Judenfleisches meine Präzeptorstelle zu verlieren oder gar aus dem Orden gestoßen zu werden. Du aber folge auch meinem Rate und gib diese Jagd nach einer wilden Gans auf und pürsche auf anderes Wild! Denke, welchen Rang du schon einnimmst und welche Zukunft dir winkt! Würdest du in deiner verkehrten Leidenschaft für Rebekka verharren, so gibst du dem Großmeister die Befugnis, dich zu verderben, und glaube mir, er wird nicht zaudern, es zu tun. Ihm ist bange um den Stab, den er in zitternden Händen hält, und er weiß, daß du die Hand danach ausstreckst.« »Du hast recht, Malvoisin,« erwiderte Bois-Guilbert. »Ich will dem graubärtigen Eiferer keine Gewalt über mich geben. Und was Rebekka betrifft, sie hat es nicht um mich verdient, daß ich ihr Ehre und Rang hinopfere.« »Tausend solcher Puppen mögen sterben,« sagte Albert, »ehe sich dein männlicher Schritt auf der Bahn der Ehre, die glänzend vor dir liegt, aufhalten läßt. Für jetzt müssen wir scheiden, denn man darf nicht wissen, daß wir uns im geheimen besprochen haben. Ich muß jetzt die Halle für die Gerichtssitzung herrichten.« »So rasch?« fragte Bois-Guilbert. »Ja,« versetzte der Präzeptor, »wenn der Richter das Urteil schon im voraus bestimmt hat, so geht der Prozeß schnell.« Als Bois-Guilbert allein war, sprach er bei sich selber: »Rebekka, du kannst mir noch teuer zu stehen kommen. Aber noch einen Versuch zu deiner Rettung will ich anstellen, aber hüte dich, mir wieder mit Undank zu begegnen! Werde ich noch einmal zurückgewiesen, so soll meine Rache ebenso wild sein wie meine Liebe. Bois-Guilbert will nicht Leben und Ehre aufs Spiel setzen, um nur Verachtung und Vorwürfe zum Lohne zu erhalten.« – Der Präzeptor hatte kaum die erforderlichen Weisungen erteilt, als Konrad Mont-Fitchet zu ihm kam und ihm meldete, daß nach dem Befehle des Großmeisters sofort der Jüdin der Prozeß gemacht werden sollte. »Ein Wahn verblendet ihn,« sagte Malvoisin. »Wir haben viele jüdische Ärzte, die wunderbare Heilungen vollzogen haben, und man hat sie doch nicht für Zauberer gehalten. Sind denn hinreichende Gründe vorhanden, diese Rebekka als Hexe zu verdammen?« »Die Gründe müssen verstärkt werden,« erwiderte Konrad. »Verstehst du mich?« »Unter denen, die mit Bois-Guilbert hergekommen sind,« sagte Albert, »sind zwei Burschen, die ich gut kenne. Sie waren bei meinem Bruder in Dienst und kamen dann zu Front-de-Boeuf. Es ist möglich, daß sie etwas von den Zauberkünsten der Jüdin wissen.« »Suche sie sogleich auf, und wenn sich ihr Gedächtnis durch ein paar Byzantiner auffrischen läßt, so laß es nicht daran fehlen. »Um eine Zechine machen die Kerle ihre Mutter zu einer Hexe!« Die gewaltige Schloßglocke hatte kaum die Mittagsstunde verkündet, da vernahm Rebekka auf der geheimen Treppe, die in ihr Gemach führte, Fußtritte. Sie hörte zu ihrer Erleichterung, daß es mehrere Männer sein müßten, denn nichts fürchtete sie so sehr, als wenn der stolze und wilde Templer allein zu ihr kam. Konrad und der Präzeptor traten herein, vier schwarz gekleidete Hellebardiere folgten ihnen. »Tochter eines verfluchten Stammes, folge uns!« sagte der Präzeptor. »Wohin und wozu?« fragte Rebekka. »Du hast nicht zu fragen, Mädchen, sondern zu gehorchen,« sagte Konrad. »Doch magst du wissen, daß du vor das Gericht des Großmeisters unseres heiligen Ordens kommst und Rechenschaft von deinen Sünden ablegen sollst.« »Gelobt sei der Gott Abrahams!« rief Rebekka, die Hände faltend. »Ist auch mein Richter ein Feind meines Volkes, so klingt mir doch sein Name wie der eines Beschützers. Gern folge ich dir, nur laß mich rasch den Schleier über das Haupt breiten.« Mit feierlich gemessenen Schritten ging sie die Treppe hinab und durch einen langen Gang kamen sie in die Halle, in der der Großmeister zu Gericht sitzen wollte. Am Ende dieses Raumes drängte sich eine Menge von Knappen und Neomen, die kaum Platz machten als Nebetta hindurchgeführt wurde. Wie sie durch das Gedränge zu ihrem Sitze schritt, ward ihr ein Blatt Papier in die Hand gedrückt. Sie nahm es an und hielt es fest, ohne nachzusehen, was es enthielt. Aber der Gedanke, in dieser Versammlung einen Freund zu haben, flößte ihr Mut ein, und sie hob den Kopf und sah sich um. Der Gerichtshof, der über die unschuldige und Unglückliche Rebekka richten und urteilen sollte, saß auf dem erhöhten Teil der Halle, den man den Baldachin nannte, wie wir ihn bereits in Cedrics Hause geschildert haben. Auf einem erhöhten Sitz vor der Angeklagten saß der Großmeister des Ordens in weitem weißen Gewande, in der Hand den geheimnisvollen, mit den Sinnbildern des Ordens geschmückten Stab. Ihm zu Füßen stand ein Tisch, an dem zwei Schreiber saßen, die das Protokoll der Verhandlung zu führen hatten. Es waren Kaplane des Ordens, ihre schwarzen Kleider, ihre kahlen Köpfe und ihr steifes Wesen bildeten einen auffallenden Gegensatz zu dem kriegerischen Anstand der anwesenden Ritter. Vier Präzeptoren waren zur Stelle; sie saßen auf Plätzen, die ein wenig niedriger waren als der Sitz des Ordensmeisters. Die Sitze der Ritter waren wiederum niedriger als die der Präzeptoren und von diesen ebensoweit abgerückt, wie die der Präzeptoren vom Platze des Großmeisters. Hinter ihnen, aber noch immer auf dem erhabenen Teile des Raumes, standen die Knappen des Ordens in weniger vornehmen weißen Gewändern. Die ganze Versammlung machte einen sehr würdevollen Eindruck. Die Haltung der Ritter offenbarte neben dem militärischen Aussehen jene Feierlichkeit, die dem geistlichen Stande zukommt und die in Gegenwart des Großmeisters auf jeder Stirne thronte. Der niedriger gelegene Teil der Halle war voller Wachen und anderen Volkes, das die Schaulust hergetrieben hatte, um auf einen Blick einen Großmeister und eine jüdische Zauberin zu sehen. Größtenteils gehörten diese Leute in der oder jener Eigenschaft zum Orden und trugen daher schwarze Kleider, aber es waren auch Bauern der Umgegend da, denn es war Beaumanoirs Stolz, dieses Schauspiel so weit wie möglich vor der großen Öffentlichteit vollzogen zu sehen. Seine großen blauen Augen schienen sich zu erweitern, als er die Versammlung überschaute, und über dem Bewußtsein seiner Würde und über der Einbildung, daß er im Begriffe stehe, ein höchst verdienstvolles Werk zu tun, nahm sein Antlitz eine noch feierlichere Erhabenheit an, und mit einer tiefen weichen Stimme, deren Kraft im Alter noch nicht verloren hatte, stimmte er jenen Psalm an, den die Templer schon so oft gesungen hatten, ehe sie zum Kampfe mit irdischen Feinden gezogen waren. Hundert, im Chorgesang geübte Männerkehlen stimmten ein, und die langgehaltenen Töne schlugen an die gewölbte Decke der Halle und zogen zwischen den Pfeilern hin wie das donnernde und doch feierliche Rauschen eines gewaltigen Stromes. Als der Sang verklungen war, ließ der Großmeister seinen Blick langsam umherschweifen und sah, daß einer der Plätze unter den Präzeptoren leer war. Es war der, den Brian de Bois-Guilbert sonst inne hatte. Jetzt stand der Ritter am äußersten Ende einer der Bänke, die für die einfachsten unter den Rittern bestimmt waren. Er hatte den ausgebreiteten Mantel vors Gesicht geschlagen, und mit der Spitze seiner Schwertscheide zog er langsam verworrene Linien auf den eichenen Boden der Halle. »Der Unglückliche!« sagte der Großmeister zu Mont-Fitchet, indem er einen Blick des Mitleids auf Bois-Guilbert warf. »Sieh nur, Konrad, wie ihn dieses unheilige Tun foltert, er kann uns nicht ansehen, auch sie nicht, und wer weiß, ob er nicht auf Anstiften des bösen Geistes diese kabbalistischen Zeichen auf der Diele zieht.« Dann erhob der Großmeister die Stimme und hielt folgende Ansprache: »Ehrwürdige tapfere Männer! Ritter, Präzeptoren und Mitglieder dieses heiligen Ordens! und auch ihr, wohlgeborene fromme Knappen, die ihr danach strebt, einst das heilige Kreuz zu tragen, und auch ihr, meine Brüder in Christo jeglichen Standes! – Wir haben diese Versammlung in unserer Machtvollkommenheit berufen, denn es ist uns mit diesem Stabe die Befugnis verliehen worden, alles was das Wohl und Wehe unseres Ordens angeht, selber zu prüfen und abzuwägen. Wenn der reißende Wolf in unsere Herde einbricht, dann ist es die Pflicht des guten Hirten, seine Genossen zusammenzurufen, daß sie mit Bogen und Schleuder dem Räuber nachstellen. Wir haben daher ein jüdisches Weib vor uns zitiert – Rebekka, die Tochter des Juden Isaak von York, ein Weib, das berüchtigt ist durch seine Zauberkünste, mit denen es bestrickt hat Blut und Hirn nicht eines gemeinen Mannes, sondern eines Ritters, nicht eines weltlichen Ritters, sondern eines Ritters des Tempels – nicht eines bloßen Mitgliedes des Ordens, sondern eines Präzeptors, eines unter den ersten an Rang und Ruhm. Unsern Bruder Brian de Bois-Guilbert kennen wir und alle, die uns jetzt hören, wohl als einen echten und eifrigen Streiter des Kreuzes, dessen Arm manche Tat der Tapferkeit im heiligen Lande ausgeführt hat. An Weisheit und Verstandesschärfe gilt unser Bruder unter den Seinen nicht weniger, als an Tapferkeit und Manneszucht, so daß in Osten und Westen Brian de Bois-Guilbert als der genannt worden ist, der zum Nachfolger in meinem Amte ernannt werden könnte, wenn es dem Himmel gefallen sollte, uns unseren irdischen Mühen zu entheben. Und nun wird uns hinterbracht, daß ein so verehrungswürdiger Mann plötzlich seinen Stand, sein Gelübde und seine Brüder und seine Zukunft vergißt und in einer Leidenschaft so völlig geblendet und bestrickt ist, daß er sich mit einem jüdischen Mädchen herumtreibt, sie mit Gefahr seines eigenen Leibes schützt und sie sogar in einem unserer Präzeptorien unterbringt! Wir können nichts anders glauben, als daß den edeln Ritter ein böser Dämon oder ein abscheulicher Zauberspruch soweit getrieben hat. Könnten wir anders denken, so würden wir uns nicht durch Tapferkeit, nicht durch Ruhm, nicht hohen Rang, noch irgend eine irdische Rücksicht in unserem Urteil beirren lassen, und die Strafe sollte ihn schwer treffen. Brian de Bois-Guilbert sollte aus unserer Verbindung ausgestoßen werden, und wäre er auch unsere rechte Hand und unser rechtes Auge.« Er hielt inne. Ein leises Gemurmel ging durch die Versammlung. Dann fuhr der Großmeister fort: »So strenge sollte die Strafe einen Tempelritter treffen, der in so wichtigen Punkten gegen die Ordensregel verstoßen hätte. Aber wenn der Satan durch mächtige Zauberkünste Gewalt über den Ritter erlangt hat, so kann ihn nur eine Strafe treffen, die ihn zugleich von seiner Verirrung heilt, weil er mehr unser Mitleid als unsere Bestrafung verdient. Unser ganzer Zorn in all seiner Schwere fällt dann auf die, die an seinem Abfall schuld ist. Wer also sein unseliges Beginnen mitangesehen hat, trete vor und lege Zeugnis ab. Wir werden dann die Beweise prüfen und zusehen, ob wir uns mit der Bestrafung dieses heidnischen Weibes begnügen können, oder ob wir blutenden Herzens das Verfahren gegen unsern Bruder fortsetzen müssen.« Verschiedene Zeugen wurden vorgerufen, die darüber auszusagen hatten, unter wie großer Lebensgefahr Bois-Guilbert Rebekka aus dem brennenden Schlosse gerettet hatte. Sie erzählten mit der gewöhnlichen Menschen eigenen Übertreibung, so daß die immerhin großen Gefahren, denen sich der Ritter ausgesetzt hatte, ins Ungeheuerliche gesteigert wurden. Die Art und Weise, wie er die Jüdin verteidigt hatte, wurde dargestellt als die Grenzen nicht nur der Vorsicht, sondern der tollkühnen, fast wahnsinnigen Tapferkeit überschreitend, und die Verehrung, die er für alles gezeigt hätte, was sie gesagt hatte, obwohl sie oft harte und vorwurfsvolle Worte gebraucht hätte, wurde so übertrieben dargestellt, daß sie bei einem so stolzen Manne allerdings unnatürlich erscheinen mußte. Alsdann wurde der Präzeptor von Templestowe gerufen und berichtete, wie Brian und Rebekka in das Präzeptorium gekommen seien. Malvoisin gab in sehr vorsichtiger und besonnener Weise sein Zeugnis ab. Mit sichtlicher Reue gestand er seinen eigenen Fehltritt ein. »Aber was ich zu meiner Verteidigung zu sagen habe, das habe ich bereits unserm hochwürdigen Großmeister bekannt. Er weiß, daß meine Beweggründe nicht schlecht waren, wenn auch mein Verfahren wider die Regel verstieß. Ich unterwerfe mich freudig jeder Buße, die er mir aufzuerlegen für angebracht befinden wird.« »Wohl gesprochen, Bruder Albert,« sagte Beaumanoir. »Deine Gründe waren gut, denn du hattest recht, daß du deinem irrenden Bruder den Weg zur Sünde verlegen wolltest, aber deine Maßregel war verfehlt. Der heilige Stifter unseres Ordens hat zur Morgenandacht dreizehn und zur Vesper neun Paternoster festgesetzt, verdopple diese Zahl! Der Templer darf nur dreimal in der Woche Fleisch genießen, enthalte du dich dessen ganz! Dies sechs Wochen lang innegehalten, und deine Buße ist getan!« Mit einem heuchlerischen Blick tiefster Unterwürfigkeit zog sich der Präzeptor von Templestowe zurück. Dann sprach der Großmeister weiter: »Wäre es nicht angebracht, meine Brüder, daß wir das Vorleben dieses Weibes näher untersuchten, damit wir erfahren, ob sie schon früher Zauberkünste getrieben hat?« Hermann von Goodalricke war der vierte der anwesenden Präzeptoren, ein alter Krieger, dessen Gesicht von Narben bedeckt war. Er erfreute sich großen Ansehens und hoher Achtung unter seinen Brüdern und erhielt sogleich die Erlaubnis zu reden. »Hochwürdiger Vater!« sagte er. »Ich möchte von unserem Bruder Brian de Bois-Guilbert hören, was er selber zu den seltsamen Bezichtigungen und über seinen Verkehr mit dieser jüdischen Dirne zu sagen hat.« »Brian de Bois-Guilbert,« sagte der Großmeister, »du hörst die Frage, ich befehle dir, darauf zu antworten.« Bois-Guilbert wandte sein Haupt nach dem Großmeister hin, er versuchte, seinen Hohn und seine Verachtung zu verbergen, da er wohl wußte, daß es ihm nichts nutzen würde, sie hier zu äußern. »Brian de Bois-Guilbert,« erwiderte er, »verteidigt sich nicht gegen so alberne und rohe Beschuldigungen. Wenn seine Ehre angegriffen wird, so wird er sie verteidigen mit seinem Leibe und mit seinem Schwerts, mit dem er so oft für die Christenheit gekämpft hat.« »Wir vergeben dir, Bruder Brian,« antwortete der Großmeister, »daß du dich deiner Kriegstaten vor uns rühmst. Auch dieses Eigenlob kommt von dem Bösen, der uns immer versucht, unser eigenes Verdienst zu erhöhen.« In den stolzen dunkeln Augen Guilberts flammte ein Blick der Verachtung und des Zornes, doch gab er keine Antwort. »Da nun die Frage unseres Bruders von Goodalricke,« fuhr Beaumanoir fort, »so unvollkommen beantwortet worden ist, so fahren wir in der Untersuchung fort und hoffen, mit Hilfe unseres Schutzpatrones, in das gottlose Geheimnis zu dringen. Wer sonst über Leben und Treiben dieser Jüdin etwas auszusagen hat, der trete vor.« Nach diesen Worten wurde in dem untern Teile der Halle ein Geräusch laut, und als der Großmeister fragte, was vor sich gehe, erhielt er die Nachricht, daß ein Mann da sei, der bettlägerig gewesen sei und von der Jüdin soweit wieder geheilt worden sei, daß er sich an Krücken bewegen könne. Der arme Mann, ein Sachse von Geburt, wurde vor die Schranken gebracht. Nur widerwillig und nicht ohne Scheu erzählte der Mann, er sei vor zwei Jahren, als er gerade in York bei dem Juden Isaak als Tischler gearbeitet habe, von einem schmerzhaften Übel befallen worden, daß er sich nicht von der Stelle habe bewegen können, bis ihn Rebekka in Pflege genommen und bis ihn die von ihr verschriebenen Mittel, vor allem ein erquickender Balsam, soweit wieder hergestellt hätten, daß er wenigstens einigermaßen die Glieder gebrauchen könne. Sie habe ihm eine Büchse von der köstlichen Salbe gegeben und auch ein Stück Geld, damit er in das Haus seines Vaters nach Templestowe habe zurückkehren können. »Und mit Verlaub Eurer Hochwürden,« sagte der Mann, »ich kann nicht glauben, daß mir das Mädchen – wenn es auch nur eine Jüdin ist – damit hat ein Leid zufügen wollen, ich habe ein Vaterunser dazu gesprochen, und ihr Mittel hat mir gar sehr gut getan.« »Wie heißt du, Sklave?« »Higg, der Sohn Snells.« »So laß dir sagen, Higg, Sohn Snells,« sprach der Großmeister, »es ist besser, zu Bette liegen zu müssen, als von einer Ungläubigen eine Arznei anzunehmen, um wieder gehen zu können – besser, die Ungläubigen mit starker Hand ihrer Schätze zu berauben, als für sie zu arbeiten oder Geschenke von ihnen anzunehmen. – Geh hin und tu nach meinen Worten.« »Mit Verlaub, Euer Hochwürden,« versetzte der Alte, »für mich kommt die gute Lehre freilich zu spät, ich bin ein Krüppel – aber meinen beiden Brüdern – sie arbeiten jetzt beim reichen Rabbi Nathan ben Samuel – will ich es sagen, daß sie besser daran täten, wie Euer Hochwürden sagen – wenn sie den Juden bestöhlen, als wenn sie ihm treu dienen.« »Hinweg mit dir, elender Schwätzer!« sagte Beaumanoir, der freilich auf eine solche Nutzanwendung seiner Worte nicht gefaßt gewesen war. Der Großmeister befahl nun der Rebekka, sich zu entschleiern. Es war das erstemal, daß sie sprach. Sie versetzte im Ton der Würde und Sanftmut, es sei nicht Sitte unter den Töchtern ihres Volkes, sich in einer Versammlung von Fremden, in der man sich allein befände, ohne Schleier zu zeigen. Der sanfte Ton ihrer Stimme und die Bescheidenheit dieser Antwort erweckten in der Versammlung Mitleid und Sympathie. Aber Beaumanoir, der es sich zur Tugend anrechnete, jedes Gefühl der Menschlichkeit, das er dem Gebote seiner Pflicht zuwider glaubte, im Keime zu ersticken, erneuerte seinen Befehl, die Angeklagte des Schleiers zu entkleiden. Und als die Wachen vortraten, um den Befehl auszuführen, sprach Rebekka: »Laßt mich in Eurer Gegenwart nicht so behandeln – diese rohen Menschen dürfen eine Jungfrau nicht berühren. Ich will Euch gehorchen. Seid Ihr doch gleich den Ältesten unseres Volkes, auf Euer Geheiß hin mag sich denn das Antlitz eines unglücklichen Mädchens zeigen.« Sie schlug den Schleier zurück und enthüllte ein Antlitz, in welchem Beschämung und Würde miteinander rangen. Ihre außerordentliche Schönheit rief ein Gemurmel unter den Zuschauern wach. Die jüngern Ritter sagten einander mit Blicken, daß Bois-Guilbert keiner besseren Entschuldigung bedürfe, als in der Macht dieser jungfräulichen Reize läge, und daß das Mädchen keine Zauberkünste anzuwenden brauche, um geliebt zu werden. Nun wurden die beiden Soldaten hervorgerufen, die Albert Malvoisin zu falschen Zeugen gedungen hatte. Beide waren zwar verstockte abgebrühte Bösewichter, aber der Anblick des schönen Mädchens schien sie doch zu verwirren. Ein vielsagender Blick des Präzeptors von Templestone warf sie wieder in ihre sklavische Verworfenheit zurück, und sie erzählten nun mit einer Bestimmtheit und Sicherheit, die selbst einen günstig gesonnenen Richter in seiner Meinung wankend hätten machen können, Dinge, die infolge ihres übertriebenen Charakters sehr ungünstig wirkten. Der eine sagte, Rebekka spräche oft mit sich selber in einer fremden Sprache, sie sänge Lieder, die einen wunderbar süßen Klang hätten und das Herz des Hörers bezauberten, ihre Kleider hätten einen seltsamen fremdartigen Schnitt, wie ihn eine Frau, die auf ihren guten Ruf hielte, nicht trüge, sie hätte Ringe mit kabbalistischen Zeichen, solche wären auch in ihren Schleier gestickt. In Torquilstone hätte sie einen Verwundeten gepflegt und über die Wunde einige Zeichen gemacht und geheimnisvolle Worte dazu gesprochen, sogleich habe sich aus der Wunde die Spitze eines Armbrustbolzens gelöst, und sie habe nicht mehr geblutet und sich geschlossen. Eine Viertelstunde später hätte der Sterbende schon wieder auf dem Walle sein können und dem Zeugen eine Steinschleuder lenken helfen. Der andere Soldat hatte den Auftritt zwischen Rebekka und Bois-Guilbert im Schlosse Torquilstone mitangesehen. Sie sei auf die Brustwehr hinausgetreten, um sich von dem Turme herabzustürzen, sie habe aber die Gestalt eines milchweißen Schwanes angenommen und sei dreimal um den Turm herumgeflogen. Dann habe sie sich wieder auf der Brustwehr niedergelassen und ihre weibliche Gestalt wieder angenommen. Weniger als die Hälfte dieser Beweise hätte ausgereicht, ein altes häßliches Weib – auch wenn es keine Jüdin gewesen wäre – zum Tode zu verdammen, aber auch für Rebekka, trotz all ihrer Jugend und Schönheit, waren die Schuldbeweise zu schwer. Der Großmeister hatte die Abstimmung vorgenommen und fragte Rebekka, ob sie noch etwas gegen das Verdammungsurteil vorzubringen habe, das er jetzt fällen werde. Mit einer vor Bewegung bebenden Stimme erwiderte die reizende Jüdin: »Euer Mitleid anzuflehen, wäre fruchtlos, auch halte ich es für erniedrigend. Auch der Hinweis, daß es wohl dem anerkannten Stifter unserer beiderseitigen Glaubensbekenntnisse nicht mißfallen kann, wenn ich Kranken und Verwundeten beistehe, auch solchen, die nicht meines Glaubens sind – auch dieser Hinweis würde mir nichts helfen. Desgleichen wäre es nutzlos, zu behaupten, das was die Männer wider mich vorgebracht haben – Gott möge ihnen verzeihen! – Dinge der Unmöglichkeit sind – und noch weniger würde es mir helfen zu erklären, daß das Eigentümliche an meiner Kleidung, meiner Sitte und Sprache Eigentümlichkeiten meines Volkes sind, fast hätte ich gesagt, meines Vaterlandes, doch ach! wir haben ja kein Vaterland! Auch auf Kosten meines Peinigers dort will ich mich nicht verteidigen. Zwischen mir und ihm möge Gott richten! Ich will nur alle gegen mich erhobenen Beschuldigungen auf ihn zurückwerfen, ja auf ihn! Brian de Bois-Guilbert! auf Euch selber berufe ich mich. Erklärt, ob diese Beschuldigungen nicht so unwahr, verleumderisch und ungeheuerlich wie verwerflich sind!« Eine Pause trat ein. Aller Augen wandten sich auf Brian de Bois-Guilbert, der aber schwieg. »Sprecht,« fuhr sie fort, »sprecht, so Ihr ein Mann – so Ihr ein Christ seid! Ich beschwöre Euch bei dem Kleide, das Ihr tragt, bei dem Namen, den Ihr ererbt habt, bei der Ritterschaft, deren Ihr Euch rühmt, bei der Ehre Eurer Mutter, bei dem Grabe und den Gebeinen Euers Vaters beschwöre ich Euch, sagt, ist dies alles wahr?!« »Mein Bruder, antworte ihr,« sagte der Großmeister, »sofern der Dämon, der in dir ist, dir die Kraft dazu läßt.« In der Tat schien Bois-Guilbert durch widerstreitende Leidenschaften heftig erschüttert, sein Angesicht verzerrte sich, und mühsam, den Blick auf Rebekka geheftet, stammelte er die Worte: »Das Blatt – das Blatt!« Und Rebekka sah rasch auf ein Stück Pergament, das sie noch in der Hand hielt, und las darauf die in arabischer Sprache geschriebenen Worte: »Fordere einen Kämpfer!« Bei dem Gemurmel, das über Bois-Guilberts seltsame Antwort durch die Versammlung lief, fand sie Zeit, unbemerkt das Blatt zu lesen und es zu vernichten. »Das Geständnis des unglücklichen Ritters, Rebekka,« sagte der Großmeister – »kann dir keinen Vorteil bringen. Wir sehen daran nur, daß ihn der Dämon völlig in der Gewalt hat. Hast du sonst noch etwas zu sagen?« »So bleibt mir denn nach Euern strengen Gesetzen nur ein Mittel übrig, mir das Leben zu retten,« sprach Rebekka, »zwar war es ein elendes Leben, besonders in der letzten Zeit, aber rauben lassen will ich es mir nicht! Ich leugne alles, wessen Ihr mich beschuldigt habt, ich behaupte meine Unschuld und erkläre die Anklage für falsch! Ich suche Entscheidung durch ein Gottesurteil nach und werde durch einen Kämpfer meine Unschuld dartun.« »Wer aber soll die Lanze für eine Zauberin erheben, Rebekka,« entgegnete der Großmeister, »wer soll Kämpfer für die Jüdin sein?« »Gott wird mir einen Kämpfer erwecken,« sagte Rebekka. »Es ist unmöglich, daß in dem heitern, freien, hochsinnigen, gastfrohen England, wo so mancher sein Leben um Ehre wagt, nicht einer für die Gerechtigkeit in die Schranken treten sollte. Genug! Ich fordere ein Gottesgericht. Da liegt mein Pfand!« Sie zog den gestickten Handschuh ab und warf ihn dem Großmeister hin mit einer Gebärde, in der Würde und Schlichtheit zugleich lagen, und die Versammlung brach in ein Gemurmel des Erstaunens und der Bewunderung aus. Zweiunddreißigstes Kapitel Selbst Lukas Beaumanoir war gerührt durch Rebekkas Tapferkeit. Er war von Natur weder grausam noch hart. Nur Leidenschaften kannte er nicht, und seine hohen, wenn auch auf Irrtum fußenden Begriffe von der Pflicht hatten sein Herz allmählich verhärtet. Dazu kam noch, daß er ein Leben der Askese geführt hatte und ihm die hohe Gewalt in die Hände gegeben war und er sich für verpflichtet hielt, Unglauben und Ketzerei auszurotten. Als er daher auf das schöne Mädchen blickte, das ganz allein und ohne Freunde sich so mutig und entschlossen verteidigte, wich die gewohnheitsmäßige Strenge aus seinen Zügen. Er bekreuzte sich zweimal, als traue er dieser weichen Anwandlung nicht recht, da er ja sonst sein Herz als stahlhart kannte. »Mädchen,« sagte er dann, »wenn das Mitleid, das ich jetzt empfinde, dem Einfluß, den deine höllische Kunst über mein Herz gewonnen hat, zuzuschreiben ist, so ist deine Schuld sehr groß. Aber ich will es lieber den sanfteren Empfindungen der Natur zuschreiben und der Trauer, daß in einem so schönen Geschöpf soviel Verworfenheit steckt. Bereue, meine Tochter – bekenne deine Zauberei – wende dich ab von deinem falschen Glauben – umarme dieses heilige Zeichen, und es soll jetzt und hinfüro gut um dich stehen! In einer Schwesterngemeinde sollst du leben und büßen und beten, und du wirst es nie bereuen. Tust du das, so sollst du am Leben bleiben. Was hat das Gesetz Mosis an dir getan, daß du dafür sterben möchtest?« »Es war das Gesetz meiner Väter! In Donner und Sturm, in Blitz und Gewölk ist es auf dem Berge Sinai gegeben worden. Doch vergebt, ich bin ein Mädchen und kann nicht für meine Religion streiten, aber ich kann für sie sterben, wenn es Gottes Wille ist. – Ich bitte Euch, gewährt mein Gesuch um einen Kämpfer!« »Gebt mir den Handschuh,« erwiderte Beaumanoir. »Dies,« fuhr er fort, das zarte Gewebe und die feinen Finger betrachtend, »ist fürwahr ein leichtes gebrechliches Pfand für ein so tödliches Beginnen. Sieh, Rebekka, wie dieser Handschuh sich zu unsern schweren, eisernen verhält, so steht deine Sache gegen die des Tempels, denn es ist unser Orden, den du herausgefordert hast.« »Werft meine Unschuld in die Schale,« versetzte sie, »und die Seide wird den Stahl aufwiegen.« »Du beharrst also auf deiner Weigerung, deine Schuld zu gestehen, und hältst deine kühne Herausforderung aufrecht?« »Ich halte sie aufrecht, edler Herr.« »So sei es denn in Gottes Namen,« sagte der Großmeister, »und so mag denn Gott die Wahrheit ans Licht bringen!« »Amen!« setzten die Präzeptoren hinzu, und dieses Wort lief durch die ganze Versammlung. »Meine Brüder,« sprach der Ordensmeister, »Ihr seid vielleicht der Ansicht, wir hätten diesem Weibe das Gottesurteil abschlagen können. Aber wenn sie auch eine Jüdin und eine Ungläubige ist, so ist sie doch eine Fremde und ohne Schutz, und Gott verhüte, daß sie den Schutz unserer Gesetze umsonst anrufe. Wem, meine verehrten Brüder, sollen wir dieses Pfand nun ausliefern? Wen sollen wir zu unserm Kämpfer in diesem Gottesgerichte ernennen?« »Brian de Bois-Guilbert, den die Sache vor allem angeht,« antwortete der Präzeptor von Goodalricke. »Er weiß überdies auch am besten, wie es mit der Wahrheit in diesem Falle steht.« »Wenn aber unser Bruder Brian,« versetzte Beaumanoir, »unter dem Banne des Zaubers steht?« »Gegen einen Streiter in einem Gottesgericht kann kein Zauber bestehen.« »Du sprichst wahr, Bruder. Albert Malvoisin, gib dieses Pfand Bois-Guilbert! Bruder,« wandte er sich dann an diesen, »wir erteilen dir den Befehl, männlich deinen Kampf zu bestehen, ohne an dem guten Ausgang für die gute Sache zu zweifeln. Dir, Rebekka, tragen wir auf, von heute ab binnen drei Tagen einen Kämpfer zu stellen.« »Das ist eine kurze Frist für eine Fremde, die nicht Euers Glaubens ist, einen Streiter zu finden, der für sie Ehre und Leben wagen soll,« entgegnete Rebekka. »Wir können sie nicht verlängern. Der Kampf muß vor unsern Augen ausgefochten werden, und wichtige Geschäfte rufen uns am vierten Tage von hier fort.« »So geschehe denn Gottes Wille,« sagte Rebekka. »Auf ihn setze ich mein Vertrauen, ist doch für ihn zur Rettung ein Augenblick gleich einem Jahrhundert.« »Es wäre nur noch übrig,« sagte der Großmeister, »einen passenden Platz für den Kampf und – so Gott will – für die Vollstreckung des Urteils zu bestimmen. Wo ist der Präzeptor dieses Hauses?« Albert Malvoisin hielt noch immer Rebekkas Handschuh zwischen den Fingern und sprach eindringlich, aber leise mit Bois-Guilbert. »Wie?« fragte der Großmeister. »Will er das Pfand nicht annehmen?« »Er will es annehmen – er hat es angenommen, hochwürdiger Vater,« antwortete Albert von Malvoisin, indem er rasch den Handschuh unter dem Mantel verbarg. – »Als Platz zum Kampfe werden sich die Schranken von St. Georg am besten eignen, sie gehören zum Päzeptorium, und wir halten darauf unsere kriegerischen Übungen ab.« »Gut,« sagte der Großmeister. »In diesen Schranken, Rebekka, soll sich dein Kämpfer einfinden. Geschieht dies nicht oder fällt dein Kämpfer im Gottesurteil, so sollst du in den nämlichen Schranken den Tod einer Zauberin sterben, unserm Urteil gemäß. Dieser Spruch ist in die Ordensbücher einzutragen. Lest ihn laut vor, damit sich niemand entschuldigen könne, daß er nichts davon gewußt habe.« Einer der Kaplane trug das Urteil in das Ordensbuch ein. Als er mit Schreiben fertig war, las der andere es vor, indem er es zugleich aus dem Normännisch-Französischen ins Englische übersetzte: »Rebekka, eine Jüdin, Tochter des Isaak von York, ist der Zauberei, der Verführung und anderer böser Künste angeklagt, die sie gegen einen Ritter des heiligen Tempels ausgeübt haben soll. Sie leugnet ihre Schuld, erklärt das wider sie abgelegte Zeugnis für falsch, gottlos und unredlich und will dies durch ein Gottesgericht beweisen. Sie will einen Kämpfer stellen, der sie vertreten soll, auf ihre eigenen Kosten und Gefahr. Ihr Pfand wird dem Ritter vom heiligen Orden des heiligen Tempels Zions, Sir Brian de Bois- Guilbert übergeben, er soll diesen Kampf für seinen Orden und sich selber bestehen, denn er ist von der Angeklagten beleidigt und gepeinigt worden. Der dritte Tag von diesem ab ist durch unsern hochwürdigen Vater Lukas, Marquis von Beaumanoir, für diesen Kampf festgesetzt worden, und als Platz sollen die Schranken von St. Georg bei Templestowe dienen. Der Großmeister fordert die Angeklagte auf, sich durch ihren Kämpfer in diesen Schranken vertreten zu lassen, widrigenfalls sie als eine der Hexerei und Verführung überführte Person des Todes sterben soll. Der Großmeister bestimmt ferner, datz der Kampf in seiner Gegenwart abgehalten und dabei durchaus nach den ritterlichen Bestimmungen verfahren werden soll. Gott fördere die gerechte Sache!« »Amen!« sprach der Großmeister, und die Menge sprach es nach. Rebekka sagte nichts, sondern sah ein Weilchen mit gefalteten Händen zum Himmel, dann wandte sie sich um und fragte: »Ist wohl jemand hier, der aus Liebe zur guten Sache oder für reichen Lohn den Auftrag einer Unglücklichen ausrichten will?« Alles schwieg, denn niemand wagte sich angesichts des Großmeisters die Teilnahme an der verleumdeten Gefangenen merken zu lassen. Endlich sprach Higg, der Sohn Snells: »Ich bin nur ein armer Krüppel, aber daß ich mich wieder ein wenig bewegen kann, das verdanke ich der barmherzigen Hilfe dieses Mädchens. Ich will deine Botschaft übernehmen, so gut es ein Krüppel kann.« »Gott ist der Lenker aller Dinge,« sagte Rebekka. »Meine Botschaft zu überbringen, ist die Schnecke ebenso sicher wie der wildeste Falle. Geh zu Isaak von York – hier hast du genug, daß du dir ein Pferd beschaffen kannst – gib Isaak diesen Zettel. Mein Glaube steht fest, daß ich nicht eines solchen Todes sterben soll, sondern einen Kämpfer finden werde.« Die Botschaft, die Higg an Isaak von York zu bringen hatte, lautete folgendermaßen: »Mein Vater! Ich bin zum Tode verurteilt wegen eines Verbrechens der Zauberei. – Mein Vater, wenn ein tapferer Mann gefunden werden kann, der mit Schwert und Lanze gemäß der Sitte der Nazarener, am dritten Tage von heute ab in den Schranken von St. Georg bei Templestone für mich kämpfen will, so wird ihm vielleicht der Gott meiner Väter Kraft zur Verteidigung der hilflosen Unschuld verleihen. Wo nicht, so laß die Jungfrauen unseres Volkes um mich trauern, wie um eine Abgeschiedene, wie um eine Blume, die unter der Sichel gefallen ist. Schau dich um, ob du Hilfe für mich finden kannst. Ein Nazarener wäre vielleicht willens, für mich zu den Waffen zu greifen, Wilfried von Ivanhoe, der Sohn Cedrics des Sachsen, aber er wird jetzt noch nicht imstande sein, das Gewicht der Rüstung zu tragen. Demungeachtet sende ihm aber meine Botschaft, denn er hat großes Ansehen unter den Tapferen seines Volkes und findet vielleicht einen andern. Jedenfalls sage ihm, diesem Wilfried von Ivanhoe, daß Rebekka, ob sie nun am Leben bleibt oder stirbt, unschuldig ist an dem Verbrechen, dessen sie angeklagt ist. – So es Gottes Wille ist, daß dir, alter Mann, eine Tochter genommen werden soll, so bleibe nicht länger in diesem Lande des Blutvergießens und der Grausamkeit, sondern ziehe nach Cordova, wo dein Bruder in Sicherheit lebt.« Am Abend nach ihrem Prozeß vernahm Rebekka an der Tür ihres Gemaches ein Klopfen. »Herein!« rief sie, »wenn du ein Freund bist, und bist du ein Feind, so kann ich dir den Eintritt nicht verwehren.« »Ich bin, ebensogut Freund wie Feind, je nach dem Ausfall dieser Unterredung,« erwiderte Brian de Bois-Guilbert. Erschrocken über die Erscheinung dieses Mannes, dessen grenzenlose Leidenschaft sie als die Ursache all ihres Unglückes betrachtete, wich Rebekka behutsam und mit Bangen bis in die fernste Ecke des Zimmers zurück. »Du hast keine Ursache, Rebekka, mich zu fürchten.« »Ich fürchte Euch nicht, Herr Ritter!« versetzte sie, wenn auch ihr fliegender Atem die Worte Lügen strafte. »Mein Glaube steht fest, und ich fürchte Euch nicht. Doch was führt Ihr im Schilde? Erklärt es mir kurz. Wenn Ihr nichts anderes wollt, als das Elend betrachten, das Ihr geschaffen habt, und Euch daran weiden, so sagt es, und dann überlaßt mich mir selber.« »Du bist im Irrtum,« antwortete der Templer, »wenn du mir die Schuld an dieser Wendung gibst, die ich weder vorhersehen noch verhindern konnte. Hätten sich nicht dieser fanatische Dummkopf und der Narr Goodalricke darein gemischt, so wäre nicht ein Präzeptor, sondern ein gewöhnliches Mitglied des Ordens zum Kämpfer für dich erwählt worden. Dann wollte ich selber – denn darauf war mein Plan angelegt, als ich dir das Blatt in die Hände spielte – als dein Kämpfer in den Schranken erscheinen, verkleidet als fahrender Ritter, der mit Schwert und Lanze auf Abenteuer auszieht. Und dann hätte Beaumanoir meinetwegen zwei oder drei der hier anwesenden Ritter zu Kämpfern ernennen können – ich hätte sie alle aus dem Sattel geworfen. Dann, Rebekka, wäre deine Unschuld erwiesen gewesen, und deiner Dankbarkeit wollte ich es überlassen, den Sieger zu belohnen.« »Das ist eitles Geprahle, Ihr brüstet Euch mit dem, was Ihr hättet tun wollen. So aber habt Ihr meinen Handschuh angenommen, und mein Kämpfer, wenn überhaupt ein so verlassenes Geschöpf wie ich einen findet, muß Eurer Lanze in den Schranken gegenübertreten. Und bei alledem wollt Ihr Euch noch in das Licht eines Freundes und Beschützers stellen?« »Dein Freund und Beschützer will ich auch noch sein,« erwiderte der Templer ernst. »Doch höre wohl, welche Gefahr ich dabei auf mich nehme und wie gewiß mir Entehrung droht, und mach mir keinen Vorwurf, wenn ich meine Bedingungen stelle, bevor ich alles, was das Leben bis jetzt für mich teures hatte, für das Leben eines jüdischen Mädchens hinopfere. Wenn ich nicht in den Schranken erscheine, Rebekka, so verliere ich Ehre und Rang, so verliere ich, was für mich der Odem der Brust ist – die Achtung der Brüder und die Hoffnung, das hohe Amt zu bekleiden, das jetzt der bigotte Geck Lukas de Beaumanoir innehat. Dieses Schicksal ist mir sicher, wenn ich nicht in den Schranken wider dich auftrete. Wenn ich aber in den Schranken erscheine, so muß ich die Ehre meiner Waffen aufrecht erhalten, und ob du nun einen Kämpfer hast oder nicht, du mußt doch am Pfahle sterben oder am Scheiterhaufen, denn es lebt kein Ritter, der mit gleichem Vorteil oder gar mit Erfolg gegen mich gekämpft hatte – keiner außer Richard Löwenherz und seinem Günstling Ivanhoe. Der letztere ist wie du selber weißt, noch nicht imstande, die Rüstung zu tragen, und Richard ist in fremdem Lande gefangen. Wenn ich also in den Schranken erscheine, so stirbst du, selbst wenn sich irgend ein junger Hitzkopf finden sollte, der sich für dich zum Kampfe stellt.« »Warum wiederholt Ihr das so oft?« »Weil du dein Schicksal von jeder Seite betrachten sollst.« »Gut, so wendet das Blatt um und laßt mich die Kehrseite sehen.« »Wenn ich in den unglückseligen Schranken erscheine,« fuhr Bois de Guilbert fort, »so stirbst du eines langsamen grauenvollen Todes; erscheine ich nicht, so bin ich ein entehrter ausgestoßener Ritter, der Zauberei und der Gemeinschaft mit Ungläubigen schuldig. Mein ruhmvoller Name wird ein Spott und ein Schimpf. Verlustig gehe ich der Ehre, des Ranges und einer Macht, wie sie selbst Kaiser nicht erreichen. Meinen gewaltigen Ehrgeiz opfere ich, meine hochfliegenden Pläne vernichte ich, und dennoch, Rebekka,« und er warf sich Rebekka zu Füßen, »dennoch will ich diese Größe opfern, diesem Ruhm entsagen, diese Macht fahren lassen, selbst da ich sie schon halb erreicht habe, alles das, alles das aufgeben, sobald du sagst: ich nehme dich zu meinem Geliebten an. – Rebekka, höre mich! Um deinetwillen will ich dem Ruhm und dem Ehrgeiz entsagen, und wir wollen zusammen fliehen! Rebekka, England ist nicht die Welt – auch nicht Europa. Es gibt noch Länder, die weit genug für meinen Ehrgeiz sind. Wir wollen nach Palästina gehen, dort habe ich einen Freund, Konrad von Montserrat, er ist ebenso frei wie ich von den albernen Vorurteilen, die hier unsere freigeborene Vernunft in Fesseln legen. Dort schaffe ich mir neue Wege zur Größe.« – Mit großen Schritten ging er ungestüm hin und her. – »Europa soll den lauten Fußtritt dessen vernehmen, den es ausgestoßen hat. Du sollst eine Königin werden, Rebekka, auf dem Berge Karmel will ich den Thron errichten, den ich mir mit meiner Tapferkeit erobern will – und statt des lang ersehnten Stabes will ich ein Szepter ergreifen!« »Ein Traum ist das!« versetzte Rebekka.– »Ein Trugbild der Nacht! – Gewänne es Wirklichkeit, es könnte mich nicht locken! – Nimmer würde ich die Macht, die Ihr errungen hättet, mit Euch teilen!« »Nimmer, Rebekka?« rief der Templer. »Wohlan! Versagst du mir die Liebe, so bleibt der Ehrgeiz mein! Beiden will ich nicht entsagen!« »So sei Gott mir gnädig, denn menschliche Hilfe scheint nicht zu erhoffen,« sprach die Jüdin. »So ist es,« erwiderte der Ritter. »Du bist stolz, aber an mir hast du darin einen dir Ebenbürtigen gefunden. Wenn ich mit gefällter Lanze in die Schranken reite, dann hält mich keine menschliche Rücksicht mehr ab, meine ganze Kraft zu zeigen. Dann denke an dein Schicksal – an den gräßlichen Tod, wie ihn nur die ärgsten Verbrecher gestorben sind. Verzehrt von den Flammen auf dem brennenden Holzstoße – verstreut die Asche in alle Winde – kein Stücklein bleibt zurück von dem holden Bilde, das einst lebte und sich regte! – Rebekka! Diese Vorstellungen vermag kein Weib zu ertragen – du mußt meinen Vorschlag annehmen!« »Bois-Guilbert,« antwortete die Jüdin, »Ihr kennt das Herz des Weibes nicht, oder Ihr habt nur solche kennen gelernt, die ihre besseren Empfindungen verloren haben. Ich sage Euch, stolzer Templer, in Euern wildesten Schlachten habt Ihr nicht mehr Mut gezeigt, als das Weib offenbart, wenn es um Pflicht oder Liebe leiden muß. Ich bin ein Weib, verwöhnt und verzärtelt, und scheue die Gefahr und bin empfindlich gegen jeden Schmerz – aber wenn wir beide in die Schranken treten, du, um zu kämpfen, ich, um zu leiden – so sagt es mir ein fester Glaube: mein Mut wird den deinen überflügeln! – Lebe wohl! Ich verliere keines weiteren Wortes an Euch, die Zeit, die auf Erden noch der Tochter Jakobs vergönnt ist, muß anders verbracht werden. Sie muß den Tröster suchen, der zwar sein Antlitz von ihrem Volke abgewendet hat, der aber doch noch immer denen Gehör schenkt, die aufrichtig und wahrhaftig zu ihm beten.« »So scheiden wir denn,« sagte Bois-Guilbert. »Wollte Gott, wir hätten einander nie getroffen, oder du wärst christlichen Glaubens oder edler Herkunft.« »Die Fürsten Judas sind nicht mehr; niedergetreten sind sie wie abgemähtes Gras und vermischt mit dem Staube des Weges. Aber,« rief Rebekka, »es gibt noch viele unter den Juden, die ihren hohen Ahnen keine Schande machen, und zu denen soll die Tochter Isaaks gezählt werden. Fahret wohl! Ich beneide Euch nicht um Euern blutigen Ruhm, noch um Eure barbarische Abkunft von den Heiden des Nordens, noch um Euern Glauben, der immer auf Euern Lippen ist, doch nie in Euern Handlungen und Euerm Herzen wohnt!« »Beim Himmel! Mich hält ein Zauber fest!« sprach Bois-Guilbert. »Schönes Wesen, so jung, so liebreizend, so ohne Todesfurcht, und doch verurteilt, in Schmach und Marter zu sterben! Wer sollte nicht um dich weinen! Die Träne, seit zwanzig Jahren meinem Auge fremd, jetzt rinnt sie, indem ich dich ansehe! Allein es muß sein! Nichts kann dein Leben retten. Du und ich, wir sind beide Werkzeuge eines unerbittlichen, unwiderstehlichen Schicksals, das uns mit sich reißt, wie zwei vortreffliche Schiffe im Sturm gegeneinanderstoßen und so untergehen. Vergib mir und laß uns wenigstens als Freunde scheiden. Vergebens habe ich deinen Entschluß bestürmt, und auch der meine steht so fest, wie die diamantenen Tafeln des Geschickes.« »So legen die Menschen die Folgen ihrer wilden Leidenschaften dem Schicksal zur Last,« erwiderte Rebekka. »Doch ich vergebe dir, Bois-Guilbert, bist du gleich schuld an meinem frühen Tode – ich vergebe dir so bereitwillig, wie je das Schlachtopfer dem Henker vergab. Edle Gedanken schweben über deinem Gemüt, aber deine Seele gleicht dem Garten eines trägen Gärtners, Unkraut ist hoch aufgewuchert, und keine echte Blüte kann sich mehr entfalten.« »Ja, ich bin, wie du mich geschildert hast, stolz, ungezügelt und wild. Diese Geistesstärke habe ich mir inmitten einer Schar von blöden Toren und listigen Heuchlern bewahrt, und so habe ich mich über sie emporgeschwungen. Von Jugend auf war ich ein Kind der Schlacht – hoch fliegen meine Pläne, unbeugsam und starrsinnig verfolge ich sie – so muß ich auch bleiben – stolz, unerschütterlich, unbeugsam und nimmer wankend! – Das will ich der Welt beweisen. – Lebe wohl!« Und er ging hinaus. Dreiundreißigstes Kapitel Als sich der schwarze Ritter von den großmütigen Geächteten verabschiedet hatte, ritt er geradewegs nach einem kleinen, nicht fernen Kloster, Sankt Botolph genannt, wohin Gurth und Wamba nach dem Fall von Torquilstone den verwundeten Ivanhoe gebracht hatten. Was in der Zwischenzeit Wilfried und sein Befreier begannen, braucht nicht berichtet zu werden, es genügt die kurze Bemerkung, daß nach langen ernsthaften Beratungen mehrere Boten in verschiedenen Richtungen das Kloster verließen und daß sich am Morgen nach seiner Ankunft der schwarze Ritter schon wieder anschickte, in Wambas Gesellschaft, der ihm als Begleiter dienen sollte, seine Reise anzutreten. »Wir wollen nach Conningsburgh,« sagte er, »dort wollen wir uns treffen. Dein Vater Cedric feiert dort das Leichenbegängnis seines edeln Vetters Athelstane. Ich finde dort deine edle sächsische Anverwandtschaft beieinander, Wilfried, und will sie besser kennen lernen als bisher. Dort sollst du mich aufsuchen und dich dann mit deinem Vater versöhnen.« Mit diesen Worten nahm er herzlich Abschied von Ivanhoe, der ihm die Hand küßte und ihm lange nachschaute. Kurz nach der Morgenandacht begehrte Ivanhoe den Prior des Klosters zu sprechen. Der alte Mann kam eilig herbei und fragte besorgt nach Wilfrieds Befinden. »Es geht besser,« antwortete Ivanhoe, »als ich selber gehofft habe. Der Balsam hat Wunder getan. Fast ist mir, als könnte ich schon meine Rüstung tragen, und um so besser, denn die Gedanken, die mir das Herz bewegen, machen mir eine längere Untätigkeit zur unerträglichen Qual.« »Davor sei Gott,« erwiderte der Priester, »daß der Sohn Cedrics des Sachsen dieses Kloster eher verlasse, als bis seine Wunden geheilt sind.« »Ich würde auch kein Verlangen danach tragen, Euer gastfreundliches Dach zu verlassen, wenn ich mich nicht stark genug dazu fühlte und wenn es mich nicht triebe...« »Und was kann Euch zu so schneller Abreise treiben?« fragte der Prior. »Habt Ihr nie, ehrwürdiger Vater,« entgegnete Ivanhoe, »eine Ahnung nahenden Ungemachs verspürt, für die Ihr keinen Grund finden konntet? Ist nie Euer Gemüt verdüstert worden, wie die sonnige Landschaft von einer Wolke, die mit einem Gewitter drohte? – Meint Ihr nicht, daß man auf solche Antriebe achten soll wie auf den Wink eines Schutzgeistes bei bevorstehenden Gefahren?« »Das will ich nicht bestreiten,« versetzte der Priester, indem er sich bekreuzte, »solche Ahnungen kamen und kommen vom Himmel, aber dann haben sie einen offenkundig guten Zweck. Ihr jedoch seid verwundet. Was soll es für Zweck haben, daß Ihr den Fußstapfen dessen folgt, dem Ihr doch nicht helfen könntet?« »Ich bin stark genug,« erwiderte Ivanhoe. »Ich bitte Euch, gebt mir ein Pferd, das leichter geht, als mein Streitroß.« Der Prior erfüllte seine Bitte und bald darauf schwang sich Ivanhoe in den Sattel und folgte, begleitet von seinem Knappen Gurth, der Spur des schwarzen Ritters in den Wald hinein. Unterdessen zog der schwarze Ritter mit dem Narren Wamba seine Straße durch das Dickicht des Forstes, zuweilen sangen sie ein Lied, zuweilen plauderten sie lustig miteinander. So waren sie ein gutes Stück fürbaß geritten, da drängte sich Wamba, der schon ein Weilchen in das Gebüsch zu beiden Seiten des Weges hineingespäht hatte, plötzlich dichter an den Ritter heran und fragte: »Was würdet Ihr wohl tun, wenn uns 'n paar Kerle von Malvoisins Soldaten begegneten?« »Wenn sie uns ein Hindernis in den Weg legten,« erwiderte der schwarze Ritter, »so wollte ich sie mit meiner Lanze an den Boden festnageln.« »Und wenn es ihrer nu vier wären?« »So täte ich dasselbe. Alle sollten sie daran glauben.« »Und wenn sie ihrer nu sechs wären?« fuhr Wamba fort, »während wir bloß zwei sind. Würdet Ihr nicht in Locksleys Horn stoßen?« »Ich sollte um Hilfe rufen?« rief der schwarze Ritter aus. »Nicht gegen ein ganzes Dutzend solchen Gesindels, das ein guter Ritter vor sich hertreiben kann wie der Wind die dürren Blätter.« »Ei nu, so laßt mich doch mal das Horn näher betrachten,« sagte der Narr. »Es hat nen mächtigen Atem.« Der Ritter nahm es ab und gab es seinem Gefährten, der es sich um den Hals hängte. »Tralala!« summte er. »Ich kann es so gut wie jeder andere.« »Was soll das heißen, Schelm?« rief der Ritter. »Gib mir das Horn wieder.« »Gemach, Herr Ritter,« antwortete Wamba. »Wenn Tapferkeit und Narrheit miteinanderreisen, so muß die Narrheit das Horn tragen, weil sie am besten blasen kann. Und da nu die Narrheit das Horn hat, so mag sich die Tapferkeit erheben und die Mähne schütteln, denn wenn ich mich nicht irre, so steckt da im Dickicht eine Bande, die uns auflauert.« »Warum glaubst du das?« fragte der Ritter. »Schon 'n paarmal habe ich eine Sturmhaube durch das Grün schimmern sehen. Wärens ehrliche Leute, so hielten sie sich auf geradem Wege.« »Meiner Treu,« sagte der Ritter, »ich glaube, du hast recht.« Im selben Augenblick flogen ihm aus dem verdächtigen Dickicht drei Pfeile gegen Haupt und Brust, von denen ihm einer gewiß ins Gehirn gedrungen wäre, hätte ihn nicht sein Visier aufgehalten. Die beiden anderen prallten an seinem Brustharnisch ab und an dem Schild, den er um den Nacken trug. Etwa ein halbes Dutzend Bewaffneter rannte ihm entgegen. Drei Lanzen trafen ihn und zersplitterten wie an einem Turm von Stahl. Selbst durch die Öffnung des Visiers sprühten die Augen des schwarzen Ritters Feuer. Mit unbeschreiblicher Majestät erhob er sich im Sattel und rief: »Was soll das heißen, Ihr Burschen?« Die Männer antworteten ihm nicht, sie griffen ihn von allen Seiten an mit dem Rufe: »Stirb, Tyrann!« »Ha! heiliger Georg! Ha! heiliger Eduard!« rief der schwarze Ritter und streckte mit jedem Ruf einen Mann zu Boden. »Haben wir hier Verräter?« So tollkühn auch die Angreifer waren, sie wichen doch vor dem Arme zurück, der mit jedem Streiche den Tod gab, und schon schien es, als würde das Entsetzen, das von diesem einzigen ausging, den Sieg über alle diese Buben davontragen, da stürzte ein Ritter in blauer Rüstung, der sich bisher zurückgehalten hatte, mit der Lanze hervor und zielte nicht nach dem Ritter, sondern nach seinem Pferde, das edle Tier tödlich verwundend. »Das war ein Schurkenstück!« rief der schwarze Ritter, als das Roß stürzte und seinen Reiter mit sich riß. An diesem Augenblick stieß Wamba laut ins Horn, denn der Überfall war bisher so blitzschnell verlaufen, daß er bis jetzt nicht Zeit dazu gefunden hatte. Der unerwartete Schall jagte den Mördern einen solchen Schreck ein, daß sie noch einmal zurückwichen, indes Wamba trotz seiner unvollkommenen Bewaffnung ohne Zaudern dem Ritter auf die Beine half. »Schämt Euch, ihr feigen Memmen!« rief der blaue Ritter aus. »Reißt Ihr schon vor dem leeren Schall eines Hornes aus, das ein Narr bläst?« Von neuem fielen sie den Ritter an, dem nun nichts weiter übrig blieb, als sich mit dem Rücken an einen Baum zu lehnen und sich mit dem Schwerte zu verteidigen. Der blaue Ritter wartete einen Augenblick ab, wo sein Gegner hart bedrängt war, und galoppierte heran, um ihn mit der Lanze an den Baum zu nageln. Aber Wamba vereitelte sein Vorhaben. Durch Gewandtheit ersetzte der Narr, was ihm an Kraft fehlte, und da die Bande es auf den schwarzen Ritter abgesehen hatte, so wurde der Narr fast gar nicht beachtet. Er hielt nun den drohenden Ansturm des blauen Ritters ab, indem er dessen Pferde mit seinem krummen Säbel die Knie zerschnitt. Roß und Reiter stürzten, dennoch war der Schwarze in der größten Bedrängnis, da ihm mehrere bis an die Zähne bewaffnete Kerle hart zusetzten und ihn die Kräfte zu verlassen drohten. Da streckte plötzlich ein Pfeil mit den Federn einer wilden Gans den furchtbarsten der Angreifer zu Boden. Gleichzeitig brach, von Locksley und dem lustigen Mönch geführt, eine Schar Yeomen aus dem Walde hervor, und binnen kurzem waren die Feinde vernichtet und lagen teils tot, teils verwundet am Boden. Der schwarze Ritter dankte seinen Helfern mit einer Hoheit, die sie in seinem Wesen bisher nicht gefunden hatten. »Es liegt mir viel daran,« sagte er dann, zu wissen, wer meine unberufenen Feinde sind. »Wamba, öffne dem blauen Ritter das Visier. Er scheint der Anführer zu sein.« Wamba tat, wie ihm geheißen, und der schwarze Ritter sah graue Locken und ein Antlitz, das er nicht unter solchen Umständen zu schauen erwartet hatte. »Waldemar Fitzurse!« rief er. »Was hat einen Mann Euern Ranges – was hat Euch, der Ihr Euch sonst so würdig betruget, zu einer so schändlichen Tat bewegen können? – Tretet beiseite, Ihr Herren, ich muß allein mit diesem Manne reden. – Nun, Waldemar Fitzurse, sprecht die Wahrheit! Wer hat Euch zu dieser verräterischen Tat abgesandt?« »Euers Vaters Sohn,« antwortete Waldemar, »der damit Euern Ungehorsam gegen Euern Vater hat strafen wollen.« Richards Augen glühten vor Zorn, aber seine bessere Natur gewann die Oberhand, er drückte die Hand gegen seine Stirn und sah einen Augenblick dem am Boden liegenden Baron ins Gesicht, darin Beschämung und Stolz miteinander rangen. »Fleht Ihr nicht um Euer Leben, Waldemar?« fragte der König. »Wer im Rachen des Löwen liegt, weiß, daß es umsonst ist,« antwortete Fitzurse. »So nehmt es unerfleht,« sagte Richard. »Der Löwe nährt sich nicht von vorgeworfenen Kadavern. Nehmt Euer Leben, jedoch unter der Bedingung, daß Ihr in drei Tagen England verlaßt und Eure Schande in Euerm normännischen Schlosse verbergt, auch nie den Namen Johann von Anjou im Verein mit Eurer Freveltat nennt. Werdet Ihr nach der angegebenen Frist noch in England betroffen, so sterbt Ihr. Wenn Ihr das Geringste gegen die Ehre meines Hauses äußert, dann beim heiligen Georg! der Altar selber soll Euch keine Zuflucht gewähren! An den Zinnen Euers eigenen Schlosses laß ich Euch den Raben zum Fraße aufhängen! – Gebt dem Ritter da ein Pferd, Locksley, denn wie ich sehe, haben Eure Yeomen die ledig herumlaufenden Tiere eingefangen – und laßt ihn ungehindert von dannen reiten!« »Wenn ich nicht Eurer Stimme gehorchen müßte,« erwiderte der Yeoman, »so würde ich dem Schurken einen Pfeil nachsenden, der ihm eine weite Reise ersparen sollte.« »In deiner Brust schlägt ein englisches Herz,« sagte der schwarze Ritter, »und du hast recht, wenn du fühlst, daß du mir gehorchen mußt. – Ich bin Richard von England.« Diese Worte waren mit einer Hoheit gesprochen, die dem hervorragenden Charakter des Löwenherzigen entsprach. Die Yeomen fielen vor ihm nieder, brachten ihm ihre Huldigung dar und baten um Vergebung ihrer kühnen Taten. »Steht auf, meine Freunde,« sprach Richard in gnädigem Tone, »was Ihr in Forst und Flur Böses getan haben mögt, Ihr habt es wieder gut gemacht durch die treuen Dienste, die Ihr meinen bedrängten Untertanen vor den Mauern von Torquilstone geleistet habt, und durch die Hilfe, die Ihr heute Euerm Monarchen gebracht habt. Steht auf, meine Untertanen, und seid in Zukunft brave Leute. Und Ihr, Locksley ...« »Nennt mich nicht mehr Locksley, sondern lernt mich, mein Fürst, bei meinem wahren Namen kennen, den, wie ich fürchte, das Gerücht nur zu weit verbreitet hat. Ich bin Robin Hood vom Sherwoodswalde.« »König der Geächteten und Fürst guter Gesellen,« sprach der König. »Wer sollte einen Namen nicht kennen, der selbst bis nach Palästina gedrungen ist? Doch sei getrost, guter Robin, was auch in den unruhigen Zeiten, die unsere Abwesenheit hervorgerufen hat, verübt worden sein mag, keine Tat soll dir von mir zu Ungunsten ausgelegt werden.« »Das Sprichwort bewahrheitet sich,« mischte sich Wamba ins Gespräch, wenn auch ein wenig schüchterner als sonst. »Wenn die Katz weg ist, tanzen die Mäuse auf dem Tisch rum.« »Ei, Wamba,« sagte Richard, »bist du auch noch da? Lange habe ich deine Stimme nicht gehört, schon glaubte ich, du hättest Reißaus genommen.« »Ich und Reißaus nehmen?« erwiderte der Narr. »Da liegt die Trophäe meines Schwertes, das gute Pferd, dem ich gern wieder auf die Beine hölfe, wenn ich statt seiner seinen Herrn hinlegen könnte. Freilich, im Anfang wich ich zurück, weil ein Narrenwams einen Lanzenstich nicht so gut abhält wie ein Harnisch von Stahl. Aber wenn ich auch nicht viel gefochten hab, so hab ich doch desto besser geblasen.« »Und zu gutem Zwecke, wackerer Wamba!« sagte der König. »Dein guter Dienst soll dir nicht vergessen werden.« »Confiteor, confiteor!« rief eine Stimme dicht beim König. »Mein Latein reicht nicht weiter, ich bekenne meinen Hochverrat und bitte um Verzeihung, ehe ich zum Tode geführt werde.« Richard sah sich um und erblickte den lustigen Mönch, der ihm zu Füßen lag und seinen Rosenkranz betete, während sein Streitknüttel, der im Gefecht nicht müßig gewesen war, neben ihm am Boden lag. Sein Gesicht hatte den Ausdruck tiefster Zerknirschung angenommen, aber in diesen Schein demütigster Reue mischte sich ein Zug von Spott, der nur zu deutlich verriet, daß seine Furcht und seine Reue erheuchelt waren. »Warum so trostlos, toller Priester?« fragte Richard. »Fürchtest du, dein Diöcesar könnte erfahren, wie treu du dem heiligen Dunstan und der heiligen Jungfrau dienst? Richard von England verrät keine Geheimnisse, die über der Flasche ausgeplaudert wurden.« »Das ist es nicht, mein gnädiger Monarch,« versetzte der Eremit, der in den Sagen von Robin Hood unter dem Namen des Bruders Tuck bekannt ist. »Nicht den Krummstab fürchte ich, sondern das Zepter, weil meine verwegene Hand das Ohr des Gesalbten des Herrn berührt hat.« »Hahaha!« lachte Richard. »Daher weht der Wind. – den Puff hätte ich vergessen, wenngleich mir das Ohr einen ganzen Tag danach gesaust hat. Aber wenn der Schlag gut gegeben wurde, so wurde er auch gut erwidert, oder wenn du glaubst, daß ich dir etwas noch schuldig bin, so kannst du noch einen Faustschlag bekommen.« »Nein, nein!« rief Bruder Tuck. – »Ich habe ihn mit Wucher zurückerhalten. Möchte Eure Majestät alle Schuldner so gut bezahlen.« »Könnte ich es mit Faustschlägen,« sagte Richard, »so sollten sie nicht über eine leere Schatzkammer klagen. Doch sprich, mein ehrlicher Mönch, wäre es nicht viel besser, für die Kirche und für dich selber, ich erlaubte dir, die Kutte auszuziehen und in meine Garde als Yeoman einzutreten?« »Mein König,« versetzte der Mönch, »ich danke Euch untertänigst, aber Ihr würdet meine Entschuldigung gelten lassen, wenn Ihr wüßtet, wie sehr mir das Laster der Faulheit in den Gliedern steckt. Der heilige Dunstan – sei er uns gnädig – steht ruhig in seiner Zelle, wenn ich auch zuweilen über der Pürsch auf einen feisten Rehbock ganz vergesse, ihm seine Abendandacht darzubringen. Manchmal komme ich über Nacht auch gar nicht nach Hause, und Sankt Dunstan zieht nie ein schiefes Gesicht darüber, er ist ein so ruhiger und friedlicher Herr, wie nur je einer aus Holz geschnitzt wurde. Wäre ich nun aber als Yeoman bei meinem König, so wäre zwar die Ehre groß, sehr groß, aber wenn ich einmal abseits ginge, um eine Witwe zu trösten oder um ein Wild zu schießen, so hieß es gleich: wo steckt der Hund von einem Priester? wo treibt sich der verwünschte Tuck herum? – Mein guter König, ich bitte Euch, laßt mich, wo Ihr mich gefunden habt, oder so Ihr Eure Mildtätigkeit bis auf mich erstrecken wollt, so seht mich an als den armen Mönch von Copmanhurst, der eine kleine Gabe mit Dank annehmen wird.« »Ich verstehe dich,« antwortete der König. »Es soll dem heiligen Mönch verstattet sein, in jeder Jagdzeit drei Böcke zu schießen, und wenn dir dies,« setzte er hinzu, »nicht eine Entschuldigung gibt, ihrer dreißig zu schießen, so bin ich kein christlicher Ritter und König.« »Euer Majestät mag versichert sein,« erwiderte der Mönch, »mit der Gunst des heiligen Dunstan will ich schon Mittel und Wege finden, Eure gütige Gabe zu vervielfachen.« »Daran zweifle ich nicht, guter Bruder,« versetzte der König. »Und da Wildbret eine trockene Speise ist, so soll dir unser Kellermeister jährlich ein Faß Malvoisir, eine Butte Sekt und drei Oxhoft vom besten Biere senden – wenn damit dein Durst noch nicht gestillt ist, so muht du an unsern Hof kommen und dich mit unserem Mundschenk bekannt machen.« »Und was bekommt der heilige Dunstan?« »Eine Kappe, eine Stola und ein Altartuch. Doch wir dürfen unsern Scherz nicht zu weit treiben, sonst möchte Gott uns dafür strafen, daß wir mehr an unsere Narrheiten gedacht haben, statt ihm zu dienen und ihm Ehre anzutun.« Der Mönch verneigte sich tief und zog sich zurück. Gleichzeitig erschienen zwei neue Ankömmlinge auf dem Schauplatz. Vierunddreißigstes Kapitel Die neuen Ankömmlinge waren Wilfried von Ivanhoe auf dem Klepper des Priors von Botolph und Gurth, der ihm auf des Ritters eignem Streitrosse folgte. Ivanhoes Erstaunen war ohne Grenzen, als er seinen Herrn mit Blut bespritzt und sechs oder sieben blutige Leichname auf dem kleinen Grasplatze liegen sah, wo das Gefecht stattgefunden hatte; nicht weniger wunderte er sich darüber, daß den König viele Waldgesellen umgaben, die Geächtete zu sein schienen, und darum ein gefährliches Gefolge für einen Fürsten waren. Er wußte nicht, ob er den König als den irrenden schwarzen Ritter anreden sollte, oder nicht. Richard bemerkte seine Verlegenheit. »Fürchte nichts, Wilfried,« sprach er, »wenn du Richard Plantagenet als solchen anredest; du findest ihn in der Gesellschaft treuer englischer Herzen, obgleich sie hier warmes englisches Blut vergossen haben.« »Herr Wilfried von Ivanhoe,« sprach der tapfere Hauptmann, »meine Versicherungen können der unsers Königs nicht mehr Gewicht geben, indessen kann ich wohl mit dem Stolz der Menschen, die viel gelitten haben, sagen, daß er keine treueren Untertanen hat, wie die, so jetzt um ihn stehen.« »Ich zweifle nicht daran, tapfrer Mann,« erwiderte Wilfried, »weil du darunter bist. Doch was bedeuten diese Spuren von Tod und Gefahr, die Erschlagenen und die blutige Rüstung meines Königs?« »Das war Verrat, Ivanhoe,« sprach Richard: »doch, Dank sei den braven Männern, er hat seinen Lohn gefunden. Aber jetzt fällt mir ein, daß du selbst ein Verräter bist, ein sehr ungehorsamer Verräter,« fuhr er lächelnd fort; »denn lautete nicht Unser ausdrücklicher Befehl, daß du in St. Botolphs Abtei bleiben solltest, bis deine Wunde völlig geheilt?« »Sie ist geheilt,« sagte Ivanhoe; »und nur noch unbedeutend, wie der Stich einer Haarnadel. Aber, mein edler Fürst, warum ängstigt Ihr die Herzen Eurer treuen Untertanen, indem Ihr Euer Leben auf einsamen Reisen und wilden Abenteuern aussetzt, als hätte es nicht mehr Wert, als das eines irrenden Ritters, der auf Erden nichts hat, wie Lanze und Schwert?« »Richard Plantagenet,« antwortete der König, »begehrt nicht mehr Ruhm, als ihm seine gute Lanze und sein Schwert verschaffen können, und ist stolzer auf ein Abenteuer, das er mit seinem guten Arm und seinem guten Schwert bestanden hat, als auf ein Heer von Hunderttausenden, das er zur Schlacht führt.« »Aber Euer Königreich, Herr,« sprach Ivanhoe, »dem Bürgerkrieg und Auflösung drohen, Eure Untertanen, die jedem Unglück preisgegeben sind, wenn sie ihren König in solchen Gefahren verlieren, in die Ihr Euch täglich zu Euerm Vergnügen stürzt, und denen Ihr eben mit Not entkommen seid.« »Mein Königreich und meine Untertanen?« antwortete Richard ungeduldig. »Ich sage dir, Herr Wilfried, die besten unter ihnen üben ärgere Torheiten aus, als ich; – zum Beispiel hier mein treuer Diener Wilfried von Ivanhoe, der meinen bestimmten Befehlen nicht gehorcht, und doch seinem Könige eine Predigt hält, weil er nicht nach seiner Meinung handelt. Welcher von uns beiden hat die meiste Ursache, dem andern Vorwürfe zu machen? Doch vergib mir, mein treuer Wilfried. Die Zeit, die ich in der Verborgenheit zubringen muß, ist, wie ich dir schon zu Sankt Botolph sagte, notwendig, um meinen Freunden und treuen Edelleuten Zeit zur Sammlung ihrer Kräfte zu lassen, damit er, wenn Richards Rückkehr angekündigt wird, an der Spitze einer Macht steht, die den Feinden Schrecken einflößen und jede Verräterei unterdrücken kann, ohne das Schwert zu ziehen. Estoteville und Bohun werden nicht stark genug sein, um in vierundzwanzig Stunden nach York vorzurücken. Ich muß von Salisbury im Süden, von Beauchamp, von Warwickshire und von Multon und Percy im Norden Nachricht haben. Der Kanzler muß sich Londons bemächtigen. – Meine plötzliche Erscheinung würde mich Gefahren aussetzen, denen meine Lanze und mein Schwert nicht gewachsen wären, obgleich ich durch den Bogen des braven Robin unterstützt bin, sowie durch Bruder Tucks Streitaxt und das Horn des weisen Wamba.« Wilfried verbeugte sich unterwürfig, wohl wissend, daß es vergebens wäre, mit dem wilden ritterlichen Geiste zu streiten, der seinen Herrn oft zu Gefahren fortriß, die er leicht vermeiden konnte, oder besser gesagt, die er unverzeihlicherweise aufsuchte. Wilfried seufzte und schwieg, während König Richard, zufrieden, seinen Ratgeber zum Schweigen gebracht zu haben, obgleich er im Herzen fühlte, daß jener recht hatte, eine Unterhaltung mit Robin Hood anknüpfte. »König der Geächteten,« fragte er, »hast du deinem Bruder König keine Erfrischung anzubieten? denn diese toten Schelme haben mir Arbeit und Appetit gemacht.« »Wahrhaftig!« rief Robin, »ich verschmähe es. Eure Majestät zu täuschen, unser Vorrat enthält hauptsächlich –« er stockte und wurde verlegen. »Wildbret? wie ich glaube,« fiel Richard fröhlich ein; »nun, eine bessere Speise für den Hunger gibt es nicht, und wenn ein König nicht zuhause bleiben und selbst sein Wild schießen will, so darf er auch nichts sagen, wenn er es von fremder Hand erlegt findet.« »Wenn Eure Majestät noch einmal einen von Robin Hoods Sammelplätzen mit Dero Gegenwart beehren wollen, so soll es an Wildbret nicht fehlen, auch ein Trunk Bier und ein Becher voll gutem Wein wird zu Befehl stehen.« Der Geächtete zeigte nun dem heitern König den Weg, und Richard war über dieses unerwartete Zusammentreffen mit Robin Hood und seinen Waldgesellen glücklicher als in seiner Königsrolle, wenn er sich als der erste unter einem vornehmen Kreis von Edlen und Pairs befunden hätte. Stets neue Gesellschaft und Abenteuer waren die Würze des Lebens für den löwenherzigen Richard, und sein größtes Glück war, Gefahren zu begegnen und zu überwinden. In Löwenherz war die glänzende, aber nutzlose Tätigkeit eines romantischen Ritters verwirklicht und der persönliche Ruhm, den er durch seine eignen Waffentaten erwarb, war seiner überspannten Einbildungskraft teurer, als der, den er sich durch eine weise Regierung erworben hätte. Er glich einem glänzenden Meteor, das schnell am Himmel hinzieht und ein unnützes und furchtbares Licht verbreitet, das plötzlich durch die tiefste Dunkelheit verschlungen wird. Seine Rittertaten gaben den Minnesängern und Harfenspielern Stoff zu Romanzen, verschafften aber seinem Lande keine bleibenden Vorteile, bei denen die Geschichte gern verweilt und sie der Nachwelt als Beispiel erzählt. In seiner gegenwärtigen Gesellschaft erschien Richard im besten Licht. Er war heiter, guter Laune und liebte die Mannheit, wo er sie fand. Unter einem großen Eichbaum wurde eilig das ländliche Mahl für den König von England bereitet: Männer, die von der Regierung geächtet waren, bildeten jetzt seinen Hofstaat und seine Leibwache. Als die Flasche herumging, verloren die rauhen Gesellen allmählich ihre Furcht vor der Gegenwart des Königs: Sang und Scherze wurden gewechselt, frühere Taten erzählt, und während sie sich ihrer glücklichen Gesetzlosigkeit rühmten, verloren sie zuletzt ganz und gar das Bewußtsein, daß sie in Gegenwart des natürlichen Schirmvogts der Gesetze redeten. Der lustige König, der seine Würde nicht mehr achtete als die Gesellschaft, lachte, trank und scherzte. Der verständige Robin Hood dagegen wünschte, daß das Mahl beendigt werde, ehe sich etwas zutragen könnte, was es stören würde, um so mehr, da er gewahrte, daß Ivanhoes Stirn von Sorgen bewölkt war. »Die Gegenwart unsers tapfern Königs macht uns viel Ehre,« sagte er beiseite zum Baron, »aber ich wollte doch, daß er sparsamer mit der Zeit umginge, die wegen der Verhältnisse des Königsreichs so kostbar ist.« »Das ist gut und weise gesprochen, braver Robin Hood,« sagte der Ritter; »wisse überdem, daß die, die mit dem König scherzen, doch immer mit den Mähnen des Löwen spielen, der, sobald er gereizt wird, Klauen und Zähne zeigt.« »Ihr habt die wahre Ursache meiner Besorgnis berührt,« sagte der Geächtete; »meine Leute sind roh von Natur und durch ihr Gewerbe, der König ist ebenso jähzornig als gutmütig, wie bald kann sich eine Ursache zum Streit finden, und wie hitzig könnte dieser werden? – Es ist darum Zeit, daß das Mahl aufgehoben wird.« »Ihr müßt das einleiten, braver Yeoman,« sagte Ivanhoe; »denn jeder Wink, den ich ihm gebe, scheint das Mahl zu verlängern.« »Muß ich denn schon so schnell die Gunst und Verzeihung meines Monarchen in Anspruch nehmen?« sagte Robin Hood und schwieg einen Augenblick; »aber beim heiligen Christoph! ich muß es tun. Ich wäre seiner Gnade unwürdig, wenn ich für sein Bestes nichts wagen wollte. Scathlock, geh hinter jenes Gebüsch und blase eine normannische Weise auf deinem Horn; tue es sogleich, bei Gefahr deines Lebens.« Scathlock gehorchte seinem Hauptmann und in weniger als fünf Minuten wurden die Schmausenden durch den Schall eines Hornes auf die Beine gebracht. »Das ist Malvoisins Horn,« sprach der Müller aufspringend und seinen Bogen ergreifend. Wamba hielt mitten in einem Scherz inne und ergriff Schild und Schwert. Der Mönch ließ die Flasche fallen und nahm seinen Kampfknüppel zur Hand. Alle andern ergriffen ihre Waffen. Männer, deren Leben der Zufall bestimmt, vertauschen schnell den Schmaus mit der Schlacht, und dieser Wechsel war für Richard eine Erhöhung seines Vergnügens; er rief nach seinem Helm und den abgelegten schweren Teilen seiner Rüstung, und während Gurth sie ihm anlegte, befahl er bei seiner höchsten Ungnade, daß sich Wilfried fern vom Kampfe halte, der, wie er glaubte, stattfinden sollte. »Du hast hundertmal für mich gefochten, Wilfried, und ich habe zugesehen. Heute sollst du zusehen, wie Richard für seinen Freund und Untertan fechten wird.« Unterdessen hatte Robin mehrere seiner Anhänger in verschiedenen Richtungen ausgesandt, als sollten sie den Feind suchen, und als er sah, daß die Gesellschaft aufgebrochen war, näherte er sich dem Könige, der vollständig gewappnet war, und sich auf ein Knie vor ihm niederlassend, bat er um Verzeihung. »Weshalb, guter Yeoman?« sprach Richard etwas ungeduldig. »Haben wir dir nicht schon volle Vergebung für alle deine Verletzungen des Gesetzes zugestanden, glaubst du, daß unser Wort eine Feder ist, die vor- und rückwärts geblasen werden kann? Du hast seitdem noch keine Zeit gehabt, neues Unrecht zu begehen.« »Ich habe es dennoch getan,« antwortete der Yeoman, »wenn es nämlich unrecht ist, den Fürsten zu seinem eigenen Vorteil zu betrügen. Das Horn, das Ihr gehört habt, war nicht Malvoisins Horn, sondern wurde auf meinen Befehl geblasen, um das Mahl aufzuheben, denn es konnten Stunden verloren gehen, die zu kostbar sind, um verscherzt zu werden.« Er stand von seinen Knien auf, faltete die Arme über seiner Brust, und in einer mehr ehrfurchtsvollen als unterwürfigen Haltung erwartete er die Antwort des Königs, wie einer, der wohl weiß, daß er kühn war, aber gerechten Grund dazu hatte. Richard errötete vor Zorn, doch dies war nur eine Aufwallung, und sein Gerechtigkeitsgefühl unterdrückte sie sogleich. »Der König von Sherwood,« sprach er, »mißgönnt dem König von England seinen Wein und sein Wildbret. Doch du hast wohl getan, kühner Robin! – Aber wenn du mich einmal in dem heitern London besuchst, so sei überzeugt, daß ich kein so knickriger Wirt sein werde. Demungeachtet hast du recht, guter Bursche. – Laß uns darum zu Pferde steigen und forteilen. Wilfried ist diese ganze Zeit über ungeduldig gewesen. Sag' mir, kühner Robin, hattest du nie einen Freund in deiner Gesellschaft, der, nicht zufrieden, dein Ratgeber zu sein, auch durchaus deine Handlungen lenken will und eine erbärmliche Miene macht, wenn du selbständig handelst?« »Solch einer,« sagte Robin, ist mein Leutnant, der kleine Johann, der eben an Schottlands Küsten mit einer Expedition beschäftigt ist, und ich will Euer Majestät gestehen, daß mich sein kühner Rat oft unwillig macht. Wenn ich es aber überlege, so kann ich nicht lange mit ihm zürnen, der für seine Zudringlichkeiten keinen andern Grund haben kann, als den Wunsch für mein Wohl.« »Du hast recht, guter Yeoman,« antwortete Richard; »und hätte ich Ivanhoe an der einen Seite, um ernsten Rat mit düstrer Stirne zu erteilen, und dich an der andern, um mich zu meinem Besten zu zwingen, so würde ich ebenso wenig Freiheit haben, als irgend ein König im Christen- oder Heidentum. Doch kommt, meine Herren, laßt uns fröhlich nach Conningsburgh eilen und nicht mehr daran denken.« Robin Hood versicherte, daß er eine Abteilung seiner Leute auf dem Wege, den sie nehmen wollten, vorangeschickt habe, die jeden Hinterhalt entdecken würden, und daß er nicht an der Sicherheit der Wege zweifle; wo nicht, so könnten die Ritter die Gefahr zeitig genug entdecken, um einen Trupp Bogenschützen zu rufen, mit denen er selbst ihnen auf demselben Wege folgen wollte. Diese weisen Vorsichtsmaßregeln für Richards Sicherheit rührten diesen, und verscheuchten den leichten Groll über den Betrug, den ihm der Hauptmann der Geächteten gespielt hatte. Er reichte Robin Hood noch einmal seine Hand, versicherte ihn gegenwärtiger Verzeihung und zukünftiger Gunst; auch daß es sein fester Entschluß sei, die tyrannische Ausübung des Forstrechts und anderer harter Gesetze zu beschränken, weil dadurch die englischen Yeomen in einen Zustand der Empörung versetzt würden. Die Anordnung des Geächteten erwies sich als richtig, und der König, von Ivanhoe, Gurth und Wamba begleitet, kam auf dem Schlosse Conningsburgh ohne allen Unfall an, als die Sonne noch am Horizont stand. Fünfunddreißigstes Kapitel Es gibt wenige so schöne und reizvolle Landschaften wie die Umgebung dieses alten Sachsenschlosses. Der liebliche Fluß schlängelt sich durch amphitheatralisch aufgebaute Äcker und Waldungen. Auf einem Berge, der sich bis zu dem Flusse herabzieht, und mit Wällen und Gräben wohl verteidigt ist, erhebt sich das alte Gebäude, das, wie schon sein Name besagt, vor der Eroberung ein Residenzschloß der Könige von England war. Die Außenwerke sind vermutlich durch die Normannen aufgebaut worden, aber das Innere trägt die Spuren hohen Alters. Ein Winkel des inneren Hofes liegt auf dem Berge selber und bildet einen Kreis von etwa fünfundzwanzig Fuß im Durchmesser. Die Mauer ist außerordentlich dick und durch sechs wuchtige Strebepfeiler verstärkt, die aus dem Kreise herausspringen und sich an den Turm lehnen, wie um ihn zu stützen. Diese massiven Säulen waren an der Spitze ausgehöhlt und endeten in einer Art Türmchen, die mit dem Inneren des Hauptgebäudes in Zusammenhang standen. Das große umfangreiche Gebäude mit seinen wunderlichen Nebengebäuden gewährte einen höchst malerischen Anblick. Als Löwenherz und sein Gefolge sich diesem rauhen, doch erhabenen Bau näherten, war er noch nicht wie jetzt mit Befestigungen umgeben. Die Kunst des sächsischen Baumeisters hatte nur das Hauptgebäude in Verteidigungszustand gesetzt, und mit einer rohen Schutzwehr von Pallisaden war seiner Kunst schon genug getan. Eine große schwarze Fahne, die vom Turme herabwehte, verkündete, daß das Leichenbegängnis des letzten Besitzers gefeiert wurde. Über dem Tore wehte eine zweite Fahne, auf der ein weißes Roß dargestellt war. Um das Schloß herum war alles in geschäftiger Bewegung, denn solche Leichenfeiern waren verschwenderische Gastfeste, zu denen jeder, der irgendwie mit dem Verstorbenen bekannt gewesen war, erscheinen konnte, auch jeder, der gerade vorüberreiste, er mochte sein, wer er wollte, durfte sich als gern gesehener Gast betrachten. Bei dem Reichtum und dem Ansehen des verstorbenen Athelstane führte diese Gepflogenheit eine unzählige Menge herbei. Die Menschenmenge stieg den Hügel, auf dem das Schloß lag, auf und nieder. Als der König mit seinen Begleitern durch das offene Tor, an dem jetzt keine Wache stand, hereinritt, wurde ihm der Grund klar, weshalb in diesen Raum eine so zahllose Menge strömte. Köche standen hier, die riesige Ochsen und fette Schafe brieten. Dort wurden große Fässer voll Bier angezapft, und jeder, der trinken wollte, erhielt einen Becher voll. Der halbnackte sächsische Sklave, der ein halbes Jahr lang gedurstet hatte, vergaß sein Elend in einem Tage der Schwelgerei und Trunkenheit. Der wohlhabende Bürger und Zunftgenosse verzehrte seinen Bissen mit Verstand und kritisierte das Malz oder den Brauer, wenn er trank. Bettler aller Art standen zu Dutzenden herum, auch umherziehende Soldaten, die, wie sie behaupteten, aus Palästina kamen. Hausierer kramten ihre Waren aus, reisende Mechaniker hielten um Beschäftigung an, wandelnde Pilger murmelten Gebete, und Minnesänger entlockten ihren Harfen, Fibeln und Zithern unharmonische Töne. Der eine pries Athelstane in einer rührseligen Leichenrede, der andere rühmte in einem Gedicht über die sächsische Genealogie die rauhen und unverfälschten Sitten seiner Ahnen. Auch Narren und Gaukler waren da. Die Begriffe der Sachsen zeigten sich bei derlei Anlässen in ebenso naturgemäßer, wie roher Form. Wer eine durstige Betrübnis hatte, für den war gesorgt, daß er trinken konnte. Wer eine hungrige Betrübnis hatte, für den war Speise da. Wer in seiner Betrübnis beklommenen Herzens und trostlosen Geistes war, für den war Zeitvertreib und Lustbarkeit da. Die Anwesenden verschmähten diese verschiedenen Trostmittel auch nie, nur dann und wann erinnerten sie sich der Ursache, die sie zusammengeführt hatte, und dann seufzten die Männer im Chor, und die Frauen, deren auch viele da waren, riefen mit lauter Stimme: »O weh!« So sah es im Schlosse Conningsburgh aus, als Richard mit seinem Gefolge hineinritt. Der Seneschall oder Haushofmeister, der nicht weiter auf die ab- und zuströmende Menge der niedern Gäste achtete, als nötig war, um die Ordnung aufrecht zu erhalten, war sofort aufmerksam auf den König und Ivanhoe, von denen ihm der letztere bekannt war. Die Ankunft zweier Ritter – denn als solche gab ihr Anzug sie kund – war überdies ein seltenes Ereignis bei einem sächsischen Leichenbegängnis und konnte nur als eine Ehre angesehen werden, die dem Verstorbenen und seiner Familie erwiesen wurde. In seinem schwarzen Kleide mit dem weißen Amtsstabe in der Hand, machte die wichtige Person des Haushofmeisters ihnen durch die buntscheckige Menge der Gäste Platz, und so kamen Richard und Ivanhoe zum Eingange des Turmes. Gurth und Wamba fanden Bekannte im Schloßhofe und blieben dort, um sich nicht weiter vorzudrängen, ehe sie nicht hereingerufen würden. Der Eingang in den großen Turm des Schlosses von Conningsburgh ist sehr eigentümlich und ein treffliches Muster der rohen Einfachheit der Zeit, in der er erbaut worden ist. Eine Reihe von Stufen, die schmal sind und fast abschüssig in ihrer Steilheit, führt zu einer niedrigen Tür, von der aus eine kleine Treppe in die Dicke der Mauer hinein und zu einem dritten Stockwerk des Schlosses führte. Die beiden unteren Stockwerke enthielten Kerker und Gewölbe, die nur durch eine Leiter in Verbindung standen, Luft und Licht erhielten. Zu den oberen Gemächern des Turmes, der im ganzen aus vier Stockwerken bestand, gelangte man auf Stufen, die durch die äußeren Bogen der Mauer gelegt waren. Durch diesen beschwerlichen und komplizierten Eingang gelangte der gute König Richard, begleitet von seinem treuen Ivanhoe, in die runde Halle, die das ganze dritte Stockwerk ausmachte. Ivanhoe verbarg sein Gesicht in seinem Mantel, weil er sich nicht eher seinem Vater zu erkennen geben wollte, als bis ihm der König ein Zeichen dazu geben würde. In diesem Räume saßen um einen großen eichenen Tisch herum etwa zwölf sächsische Familienherren aus der Umgegend. Sie waren sämtlich alt, wenigstens schon bejahrt. Die niedergeschlagenen, traurigen Blicke dieser ehrwürdigen Männer, ihr Schweigen und ihre betrübte Haltung bildeten einen auffallenden Gegensatz zu der lärmenden Lustigkeit, die im Schloßhof herrschte. In dieser Stimmung, und in ihren grauen Bärten und langen Locken und ihren altertümlichen Gewändern und weiten schwarzen Mänteln – eine Tracht, die so recht zu dem schlichten, fast rohen Zimmer paßten, in dem sie saßen – hatten sie ganz das Aussehen von alten Wodansanbetern, die aus dem Totenschlaf zum Leben erwacht zu sein schienen, um über den Verfall des Nationalruhmes nachzudenken. Obgleich eines Ranges mit seinen Landsleuten, schien doch in allgemeiner Übereinstimmung Cedric als das Haupt der Versammlung zu handeln. Als Richard eintrat, in dem Cedric nur den tapferen Ritter vom Fesselschloß erblickte, stand er würdevoll auf und hieß ihn mit dem üblichen Gruß: Heil dir! willkommen. Der König, der mit den Gebräuchen seiner englischen Untertanen vertraut war, erwiderte den Gruß mit dem üblichen Gegengruß: Ich trink auf Euer Heil! und nahm den Becher an, den ihm der Mundschenk überreichte. Die gleiche Höflichkeit wurde Ivanhoe erwiesen, der schweigend seinem Vater Bescheid tat und an Stelle der gebräuchlichen Antwort nur mit dem Kopfe nickte, aus Furcht, an der Stimme erkannt zu werden. Als die Feierlichkeit der Begrüßung vorüber war, erhob sich Cedric, reichte dem König die Hand und geleitete ihn in eine enge, ganz kunstlose Kapelle, die in einem der äußeren Mauerbogen hineingehöhlt war. Da der Raum nur ein sehr schmales Luftloch hatte, so hätte hier völlige Finsternis geherrscht, wenn nicht zwei Fackeln ein rotes, trübes Licht verbreitet hätten, bei dessen Schein man die niedrige Wölbung, die nackten Steinwände und den roh aus Stein gehauenen Altar mit dem steinernen Kruzifix erblickte. Vor diesem Altar stand eine Bahre und an jeder Seite dieses Totenlagers knieten drei Priester, die mit allen Gebärden äußerer Frömmigkeit ihre Rosenkränze abschnurrten und ihre Gebete lallten. Für diesen Leichendienst hatte Athelstanes Mutter ein hohes Seelenlösegeld an das Kloster des heiligen Edmund bezahlt. Das hatten die Brüder nun auch redlich verdienen wollen, und alle bis auf den lahmen Sakristan waren nach Conningsburgh gekommen; während nun sechs von ihnen unausgesetzt den geistlichen Dienst bei dem Toten versahen, ließen sichs die anderen bei den Erfrischungen und Vergnügungen im Schloßhofe wohl sein. Richard und Ivanhoe folgten Cedric in das Gemach des Todes. Während der Sachse mit feierlicher Würde auf die frühzeitige Bahre Athelstanes hindeutete, folgten sie seinem Beispiele, bekreuzten sich fromm und murmelten ein kurzes Gebet für das Wohl der entflohenen Seele. Nach dieser Handlung der Pietät forderte sie Cedric abermals auf, ihm zu folgen. Leise trat er in einen steinernen Gang und öffnete, nachdem er ein paar Stufen hinuntergestiegen war, behutsam die Tür zu einer großen Bethalle, die an die Kapelle stieß. Sie maß etwa acht Fuß im Quadrat und war wie die Kapelle unmittelbar in das Mauerwerk hineingeschlagen. Das Luftloch, das ihr Helle zuführte, ging nach außen in die Breite und ließ einen Strahl der untergehenden Sonne herein, der auf eine weibliche Gestalt von majestätischem Wuchse mit leuchtenden Spuren erhabener Schönheit im Angesicht fiel. Ihre langen Trauerkleider und ihr Kranz von schwarzen Zypressen ließen ihre weiße Haut noch weißer und ihre schönen blonden Flechten, die lang herniederwallten und von der Zeit weder verdünnt, noch mit Silber vermischt worden waren, nur noch schöner und herrlicher erscheinen. Zn ihren Zügen lag der Ausdruck tiefsten Kummers, gepaart mit stiller Ergebung. Auf dem steinernen Tische vor ihr stand ein Kruzifix von Elfenbein, daneben lag ein Meßbuch, das reich bemalte Seiten und einen mit silbernen Spangen und Schlössern versehenen Einband hatte. Als Cedric ein Weilchen geschwiegen hatte, um Richard und Ivanhoe Zeit zu lassen, die Frau des Hauses zu betrachten, wandte er sich an die hoheitsvolle Erscheinung und sprach: »Edle Editha, hier sind würdige Freunde, die an Euerm Kummer teilnehmen wollen. Dieser hier insonderheit ist der edle Ritter, der so wacker gefochten hat, um den zu befreien, den wir jetzt beweinen.« »Seiner Tapferkeit gebührt mein Dank,« erwiderte die Dame, »obgleich es der Wille des Himmels war, daß er sich vergeblich bemüht hat. Auch danke ich ihm und seinem Gefährten für die Aufmerksamkeit, daß sie hierher gekommen sind, und die Witwe Adelings und Mutter Athelstanes im tiefsten Schmerz besuchen. Euch, teurer Vetter, überlasse ich es, dafür zu sorgen, daß es den Gästen an nichts fehlen möge, was diese in Trauer versunkenen Mauern zur Zeit gewähren können.« Die Fremden verneigten sich tief vor der trauernden Mutter und entfernten sich mit ihrem gastfreundlichen Führer. Eine andere Wendeltreppe führte sie in ein Gemach von der Art dessen, das sie zuerst betreten hatten. Es lag gerade ein Stockwerk über diesem. Ein feierlicher melancholischer Gesang von mehreren Stimmen drang daraus hervor. Sie traten ein und sahen etwa zwanzig Frauen und Mädchen hoher sächsischer Familien. Vier Jungfrauen, deren Chor Rowena leitete, sangen einen Hymnus für die Seele des Verstorbenen. Die anderen Frauen und Mädchen waren unterdes beschäftigt, das weite seidene Leichentuch mit Stickereien im Geschmacke der damaligen Zeit zu verzieren. Es war bestimmt, die Bahre Athelstanes zu bedecken. Auch Kränze wanden sie aus Blumen, die in vollen Körben vor ihnen standen. Das Betragen der Frauen war ernst und sie ließen sich durch das Erscheinen der fremden Ritter nicht stören. Rowena allein begrüßte ihren Befreier mit anmutsvoller Höflichkeit. Ihr Wesen war ernst, doch nicht merklich betrübt, und wohl mochte die Ungewißheit über Ivanhoes Schicksal der tiefere Grund ihres Ernstes als der Tod ihres Verwandten sein. Cedric, der bei solchen Anlässen, wie wir schon gesehen haben, keinen besonderen Scharfsinn zeigte, hielt ihre Betrübnis für größer als die der anderen Jungfrauen und flüsterte den Gästen die Erklärung zu: »Sie war die Braut des edeln Athelstane.« Und nachdem Cedric so die Fremden durch alle Gemächer geführt hatte, in denen die Leichenfeier des edeln Athelstane vor sich ging, brachte er sie in einen kleinen Raum, der, wie er ihnen sagte, für ehrenwerte Gäste bestimmt war, die nicht unmittelbar zur Verwandtschaft des Verstorbenen gehörten und vielleicht nicht gern bei den Trauernden selber weilen wollten. Dann wollte er sich von ihnen verabschieden, aber der schwarze Ritter ergriff ihn bei der Hand. »Ich bitte Euch, edler Than,« sagte er, »seid eingedenk des Versprechens, das Ihr mir beim Auseinandergehen gabt, mir eine Bitte um der Dienste willen zu gewähren, die ich Euch zu leisten das Glück hatte.« »Im voraus ist sie gewährt, edler Ritter,« sagte Cedric, »aber in dieser Zeit der Trauer –« »Das habe ich wohl bedacht,« sagte der König, »aber ich habe es nicht für unpassend gehalten, einige Vorurteile mit dem edeln Athelstane ins Grab zu legen. – Bis jetzt kennt Ihr mich nur als den schwarzen Ritter vom Fesselschloß. – Wißt, ich bin Richard Plantagenet.« »Richard von Anjou!« rief Cedric in höchstem Erstaunen, einen Schritt zurücktretend. »Nein, edler Cedric, Richard von England, dessen innigstes Interesse, dessen höchster Wunsch es ist, Englands Söhne vereint zu sehen. Aber wie nun, würdiger Than, beugt Ihr nicht Euer Knie vor Euerm Fürsten?« »Noch nie habe ich es vor normännischem Blute gebeugt,« erwiderte Cedric. »So schiebt Eure Huldigung auf, bis ich bewiesen habe, daß mir das Recht zusteht, sowohl Engländer wie Normannen zu beschützen. Und nun eine Bitte an dich! Ich verlange von dir auf dein Manneswort, daß du dem guten Ritter von Ivanhoe verzeihst. – Diese Versöhnung geht mich selber an, das wirst du zugeben, denn sie betrifft das Glück meines Freundes und beseitigt zugleich die Zwietracht unter meinem treuen Volke.« »So ist dies dort Wilfried?« fragte Cedric, auf seinen Sohn zeigend. »Mein Vater! Mein Vater!« rief Ivanhoe. »Verzeiht mir!« »Dir ist verziehen, mein Sohn!« sagte Cedric und hob ihn auf. »Der Sohn Herewards weiß sein Wort zu halten, selbst wenn er es einem Normannen gegeben hat. Aber komm mir nur in der Tracht und den Waffen unserer englischen Ahnen vor Augen. Nichts von kurzen Röcken, luftigen Mützen und phantastischen Federbüschen in meinem einfachen Hause – Du willst reden,« setzte er ernst hinzu, »und ich ahne, worum du bitten willst. Aber Rowena muß zwei Jahre wie um einen angetrauten Gemahl trauern. Es kann nicht die Rede sein von einer neuen Verbindung, ehe sich noch das Grab über dem, der durch seine Abkunft ihrer Hand am meisten würdig war, geschlossen hat. Athelstanes Geist selber würde aus seinen blutigen Grabtüchern auferstehen und uns von einer solchen Entweihung seines Andenkens zurückhalten.« Fast schien es in der Tat, als hätten Cedrics Worte ein Gespenst erweckt, denn kaum hatte er gesprochen, da ging die Türe jäh auf, und herein in seinen Totenkleidern kam Athelstane, blaß, abgezehrt, wie ein aus dem Grabe auferstandener Leichnam. Sechsunddreißigstes Kapitel Beim Anblick dieser Erscheinung befiel die Anwesenden Staunen und Entsetzen. Cedric wankte bis an die Wand zurück, lehnte sich dort an, und starrte wie jemand, der nicht mehr imstande ist, sich aufrecht zu halten, mit stierem Auge und aufgerissenem Munde die Gestalt seines Freundes an. Ivanhoe bekreuzte sich und murmelte bald sächsische, bald normannische Gebete, wie sie ihm gerade einfielen, und Richard ließ bald ein Benedicte hören, bald fluchte er: Mort de ma vie! Inzwischen hörte man unten ein Geschrei: »Nehmt die verräterischen Mönche fest! – Werft sie in den Kerker! – Stürzt sie von den höchsten Zinnen herunter!« Endlich redete Cedric die Erscheinung seines abgeschiedenen Freundes an: »Im Namen Gottes! So du ein Sterblicher bist, rede! So du aber ein Geist bist, sprich, warum erscheinst du hier und was können wir tun, damit deine Seele Ruhe findet? – Ob du lebst oder tot bist, edler Athelstane, sprich mit Cedric!« »Das will ich auch,« antwortete das Gespenst in ganz ruhigem Tone, »sobald ich nur Atem geschöpft habe und Ihr mir Zeit laßt. Ob ich lebe, fragst du. Ich lebe, soweit noch Leben sein kann in einem, der drei Tage lang, die endlos waren wie Jahrhunderte, von Brot und Wasser gelebt hat. Ja! von Wasser und Brot, Vater Cedric! Beim Himmel und allen Heiligen! Eine bessere Kost ist volle drei Tage lang nicht über meine Zunge gekommen, und nur der Fügung Gottes danke ichs, daß ich jetzt hier bin und Euch das erzählen kann!« »Wie, edler Athelstane,« sprach der schwarze Ritter, »ich habe es doch mit eigenen Augen gesehen, wie Euch der stolze Templer nach dem Fall von Torquilstone niederstreckte, und wie ich selber glaubte und wie auch Wamba erzählte, war Euch der Schädel bis an die Zähne gespalten.« »Da wart Ihr im Irrtum, Herr Ritter,« versetzte Athelstane, »und Wamba hat gelogen. – Meine Zähne sind in trefflicher Ordnung, das soll meine Abendmahlzeit verspüren! – Ich bin dem Templer deswegen keinen Dank schuldig, denn sein Schwert drehte sich in seiner Hand, und infolgedessen traf er mich mit der flachen Klinge. Hätte ich die Sturmhaube aufgehabt, so hätte ich mich den Teufel drum geschert und ihm wieder eins versetzt, daß ihm der Rückzug erspart gewesen wäre. Aber da ich den Helm nicht hatte, so fiel ich zwar betäubt, doch unversehrt zu Boden. Von beiden Seiten stürzten Tote und Verwundete auf mich, und so kam ich nicht wieder zur Besinnung. Als ich endlich das Bewußtsein wieder erlangte, ward ich inne, daß ich vor dem Altar der Kirche zum heiligen Edmund in einem Sarge, zum Glück in einem offenen, lag. Ich mußte ein paarmal niesen, dann stöhnte ich, und dann ermunterte ich mich und wollte herausklettern, aber da kamen der Sakristan und der Abt, die bei dem Geräusch stutzig geworden waren, herzugelaufen. Sie schienen sehr erstaunt und durchaus nicht erbaut darüber zu sein, daß sie einen Mann, den sie doch gar zu gern beerbt hätten, wieder am Leben sahen. Ich verlangte Wein und sie gaben mir den auch, aber es muß wohl ein Schlaftrunk gewesen sein, denn ich versank in einen noch festeren Schlaf als zuvor und wachte erst nach mehreren Stunden wieder auf. Jetzt waren mir die Arme und die Beine so fest eingewickelt, daß mich die Gelenke noch schmerzen. Ich lag in einem finstern Loche, einer Art von Totengruft, wie ich aus der Moderluft schloß, die um mich her war. Seltsame Betrachtungen, was sich wohl mit mir zugetragen haben mochte, erwachten in mir, da ging die Tür mit Krachen auf, und zwei schurkische Mönche kamen herein. Sie wollten mir weismachen, ich sei im Fegfeuer, aber die keuchende kurzatmige Stimme des Vater Abtes war mir nur zu wohl bekannt. Heiliger Jeremias, wie anders aber war jetzt sein Ton, als wenn er mich noch um ein Stück Braten bat! Himmel und Hölle! Und dieser Hund hat sich von Weihnachten bis Neujahr hier bei mir dick und fett gefressen!« »Faßt Euch, edler Athelstane,« sagte der König. »Verschnauft Euch und nehmt Euch Zeit zu Eurer Erzählung. Es läßt sich ihr wahrhaftig besser lauschen als einem Roman.« »Beim Kreuz von Bromeholm, mir war anders zu Mute dabei – ein Gerstenbrot und ein Glas Wasser – das gaben mir die filzigen Schurken, die mein Vater und ich selber reich gemacht haben, als sie noch weiter keine Einkünfte hatten, als die Häppchen Schinken und die Metzen Korn, die sie armen Sklaven und Leibeigenen für ihre Gebete abnahmen. So eine undankbare Schlangenbrut! So ein Otterngezücht! Brot und Wasser einem, der es so gut mit ihnen gemeint hat! – Aber ich will sie aus ihrem Neste ausschwefeln, und sollte ich auch deshalb exkommuniziert werden!« »Um unserer lieben Frau willen, wie bist du dieser Gefahr entronnen, edler Athelstane?« fragte Cedric, seinen Freund bei der Hand ergreifend. »Beschlich Mitleid ihre Herzen?« »Ob Mitleid ihre Herzen beschlich?« versetzte Athelstane. »Schmelzen Felsen am Sonnenlicht? Ich wäre noch dort, wenn nicht ein Geräusch entstanden wäre, das, wie ich nun inne wurde, von dem Zuge herrührte, der zu meinem Leichenbegängnis kam. Da war denn der Schwarm mit einem Male ausgeflogen, und sie wußten doch recht gut, daß ich lebendig begraben war. Ich hörte, wie sie ihre Totenpsalmen brummten, und ich dachte bei mir, da singen nun die Hunde für meine Seele und hungern meinen Leib dabei aus. Sie waren also weg, und ich wartete lange, daß sie mir etwas zu essen bringen sollten. Kein Wunder, der gichtische Sakristan war viel zu sehr in seine eigne Fresserei vertieft, als daß er daran hätte denken können, daß ich auch was zu essen bekommen müßte. Endlich kam er wankenden Schrittes hereingetaumelt und stank gewaltig nach Wein und Gewürzen. Bei der guten Kost war sein Herz aufgetaut, er brachte mir ein Stück Pastete und eine Flasche Wein. Ich aß und trank und fühlte mich neu gestärkt, und zum Glück war der Sakristan so besoffen, daß er die Tür nicht richtig zuschloß, so daß sie nur angelehnt war. Da ich gegessen und getrunken hatte und Licht durch die Türspalte hereinfiel, wurde mein Erfindungsgeist wach. Der Ring, an den meine Ketten geschlossen waren, war vom Rost fast ganz zerfressen, das hatte freilich der schurkische Abt und ich selber auch nicht vermutet. Selbst das Eisen hatte den Dünsten in diesem höllischen Loche nicht widerstehen können.« »Verschnauft Euch, edler Athelstane,« sagte Richard. »Nehmt etwas zu Euch, ehe Ihr in Eurer entsetzlichen Geschichte fortfahrt.« »Etwas zu mir nehmen?« versetzte Athelstane. »Das hab ich heute schon fünfmal getan, aber ich glaube, ein Stück von diesem saftigen Schinken verträgt sich ganz gut mit meiner Erzählung, und ich bitte Euch, edle Herren, tut mir mit einem Becher Weins Bescheid. Die Gäste, noch immer starr vor Erstaunen, tranken ihrem auferstandenen Wirt zu, der dann in seinem Bericht fortfuhr. Er hatte jetzt weit mehr Zuhörer als zu Anfang; denn Editha war dem lebendigen Toten gefolgt, und hinter ihr drangen Männer und Frauen herein, soviel nur in dem engen Gemach Platz finden konnten. Bis auf die Treppe hinaus standen sie dicht gedrängt. »Als ich mich von dem Ring an der Kette befreit hatte,« fuhr Athelstane fort, »schleppte ich mich die Treppen hinauf, so gut es ging, da ich ja ausgehungert und mit Ketten belastet war, und nachdem ich lange umhergeirrt war, ging ich den Klängen eines lustigen Rundgesanges nach, und so kam ich in ein Gemach, wo der würdige Satristan eine Teufelsmesse, wenn ich so sagen darf, mit einem riesigen breitschultrigen Kapuzinermönch abhielt. Dieser Kerl sah eher aus wie ein Dieb als wie ein Diener Gottes. Ich stürzte auf sie los, meine Totengewänder und das Geklirr meiner Ketten gaben mir wohl eher das Aussehen einer Erscheinung von jener Welt als das eines Erdensohnes. Beide standen und glotzten mich an wie die Kühe das neue Tor, aber als ich den Sakristan mit der Faust zu Boden schmetterte, schlug der andere Kerl, sein Saufkumpan, mit einem gewaltigen Knüttel nach mir.« »Das ist gewiß unser Bruder Tuck gewesen,« sagte Richard zu Ivanhoe. »Meinetwegen mag es der Teufel gewesen sein,« sagte Athelstane. »Zum Glück hat er nicht getroffen, und als ich mit ihm handgemein werden wollte, nahm er Reißaus. Ich besann mich nicht lange und schloß mir die Ketten mit dem Schlüssel ab, den der Sakristan am Gürtel trug, und schon wollt ich ihm mit dem Schlüsselbund den Schädel einschlagen, da dachte ich aber an die Pastete und an die Flasche Wein, die er mir in den Kerker gebracht hatte, und so gab ich ihm denn nur ein paar tüchtige Püffe und ließ ihn liegen, und steckte mir etwas Gebacknes und die Lederflasche voll Wein ein, bei der sich die ehrwürdigen Herren gütlich getan hatten, und ging in die Ställe, wo ich meinen Zelter fand. Und so bin ich denn hierher gekommen, so schnell das Tier nur laufen konnte. Alles, was vom Weibe geboren war, riß vor mir aus, weil mich alles für ein Gespenst hielt, und dies um so mehr, als ich die Leichenkappe übers Gesicht gezogen hatte, um nicht erkannt zu werden. Und so kam ich denn her und entdeckte mich meiner Mutter, nahm rasch ein paar Bissen zu mir und bin dann zu Euch geeilt, mein edler Freund.« »Und Ihr findet mich bereit, für unsre alten Pläne Ehre und Freiheit zurück zu erobern,« sagte Cedric. »Ich sage Euch, nie tagt wieder ein so günstiger Morgen für unser Befreiungswerk.« »Laßt mich damit in Ruhe! Ich will nichts davon wissen, irgendwen zu befreien,« versetzte Athelstane. »Ich bin froh, daß ich selber befreit bin. Ich will lieber darüber nachdenken, wie ich den abscheulichen Abt bestrafe. Er soll an der höchsten Spitze des Schlosses von Conningsburgh hängen in Kutte und Stola, und wenn die Treppen zu eng sind für seinen feisten Kadaver, so laß ich ihn von außen hinaufleiern!« »Aber, mein Sohn,« wandte Edith« ein, »bedenke sein heiliges Amt!« »Bedenke meine drei Fastentage,« erwiderte Athelstane. »Alle sollen sie mir dafür bluten! Front-de-Boeuf hatte weit weniger verbrochen und wurde bei lebendigem Leibe verbrannt. Er hat wenigstens seinen Gefangenen einen ordentlichen Tisch gedeckt, nur zu viel Knoblauch war in der Suppe. Die Hunde sterben, und wären sie die besten Mönche auf Erden!« »Schämt Euch, edler Athelstane,« sagte Cedric, »vergeßt die erbärmlichen Kreaturen und gedenkt der ruhmvollen Laufbahn, die sich vor Euch auftut. Sagt diesem normänischen Fürsten, Richard von Anjou, daß, so löwenherzig er auch ist, er doch den Thron Alfreds nicht ohne Widerspruch inne haben wird, solange noch ein männlicher Abkömmling des heiligen Bekenners lebt.« »Wie?« rief Athelstane.«Ist dies der edle König Richard?« »Es ist Richard Plantagenet,« versetzte Cedric, »aber er weilt als Gast aus freien Stücken hier, und so wirst du einsehen, daß er weder beleidigt, noch etwa gefangen genommen werden darf. Du wirst deine Schuldigkeit als Wirt tun.« »Bei meiner Treu,« rief Athelstane, »und meine Schuldigkeit als Untertan auch, denn hiermit schwöre ich ihm Treue mit Herz und Hand!« »Mein Sohn, denk an deine Rechte auf den Königsthron!« rief Editha. »Denk an die Freiheit Englands, entarteter Fürst!« rief Cedric. »Mutter und Freund!« sprach Athelstane. »Laßt eure Vorwürfe. Brot und Wasser und ein Kerker machen den Ehrgeiz gar trefflich kirre, und ich steige weiser aus dem Grabe heraus als ich hineinstieg. Seitdem diese Pläne auf den Beinen sind, habe ich keine Ruhe mehr – Reisen über Hals und Kopf – schlechte Verdauung – Schläge – Püffe – Gefangenschaft und Hunger – und auszuführen sind sie schon gar nicht, ohne daß dabei einige tausend unschuldige Menschen ums Leben kommen. Ich sage Euch, ich will König sein, aber in meinen eigenen Besitzungen, nirgends sonst, und meine erste Herrschertat soll sein, daß ich den Abt hängen lasse.« »Aber mein Mündel Rowena?« fragte Cedric. »Ihr wollt doch nicht etwa von ihr lassen?« »Vater Cedric,« versetzte Athelstane, »nehmt doch Vernunft an. Lady Rowena fragt den Kuckuck nach mir. Der kleine Finger von Vetter Wilfrieds Handschuh ist ihr lieber als an mir der ganze Kerl. Nun, erröte nicht, Muhme. Gib mir deine Hand! Nur als Freund bitte ich darum. Hier, Vetter Wilfried von Ivanhoe, zu deinen Gunsten entsage ich und schwöre ab – heda! beim heiligen Dunstan, unser Vetter Wilfried ist verschwunden, und wenn nicht meine Augen vom Fasten schwach geworden sind, so habe ich ihn doch eben noch hier gesehen.« Alle schauten sich um, Ivanhoe war fort. – Endlich erfuhr man, daß ein Jude nach ihm gefragt habe, und daß er nach kurzem Gespräch mit dem Mann in Gurths Begleitung das Schloß verlassen habe. Kaum hatte Athelstane Rowenas Hand losgelassen, so eilte die Lady in größter Bestürzung hinaus. »Weiß der Geier!« rief Athelstane. »Ich hatte mir eigentlich eingebildet, einen Kuß zum Danke zu bekommen. Ich wende mich nun wieder zu Euch, edler König Richard...« Aber König Richard war auch fort, und niemand wußte, wohin. Schließlich erfuhren sie, daß er in den Schloßhof geeilt sei und dort den Juden, der mit Ivanhoe gesprochen hätte, vor sich habe bringen lassen. Er habe kaum ein paar Worte mit ihm gewechselt, so sei er auf sein Pferd gestiegen, habe dem Juden befohlen, auch aufzusitzen, und sei in gestrecktem Galopp davongeritten. »Nun, so wahr ich lebe!« rief Athelstane: »Zernebock hat in meiner Abwesenheit Besitz von meinem Schlosse genommen. Ich komme in meinen Totenkleidern zurück als ein aus dem Grabe Erstandener und jedermann, mit dem ich rede, verschwindet, sowie er meine Stimme hört. Doch was hilft es, davon zu reden? – Kommt, meine Freunde, die ihr noch da seid, folgt mir in das Speisezimmer, ehe noch jemand von uns verschwindet. Ich denke, es ist so reich besetzt, wie es das Leichenmahl eines alten sächsischen Edeln sein muß; wollten wir noch länger zögern, wer weiß, ob nicht der Teufel mit dem Abendessen davonfliegt?« Siebenunddreißigstes Kapitel Der Schauplatz unserer Erzählung ist nun wieder das Präzeptorium von Templestowe, zu der Stunde, als das blutige Würfelspiel um Tod und Leben für Rebekka anheben sollte. Es war ein großes Leben und Treiben, ganz als wären die Bewohner der Umgegend weit und breit zu einer Kirmeß oder einem ländlichen Feste hier versammelt. Die Augen einer großen Menge waren auf das Tor des Präzeptoriums gerichtet, um die Prozession zu schauen, und eine noch größere Menge hatte den schon zum Hause gehörigen Turnierplatz umringt. Dieser Platz war sehr sorgfältig zu militärischen und ritterlichen Übungen geebnet und bildete die obere Fläche eines sanften anmutigen Hügels, war mit einem Pfahlwerk umgeben und, da die Tempelritter gern zu ihren Übungen Zuschauer einluden, von Bänken und Galerien umschlossen. Für das anberaumte Schauspiel war am östlichen Ende der Schranken ein Platz für den Großmeister errichtet, um den herum Ehrenplätze für die Ordensritter angebracht waren. Darüber wehte die heilige Fahne mit dem Wahrspruch und Feldgeschrei der Templer: Beauséant. Am entgegengesetzten Ende der Schranken war ein Pfahl errichtet, um den ein Stoß Reisig aufgehäuft war. Der Pfahl war tief in den Boden gerammt und in der Mitte war für das Opfer Platz gelassen. Das Reisig, dessen Flammen es verzehren sollten, war so geschichtet, daß ein Weg bis zum Pfahle offen lag. Die Ketten, mit denen die Unglückliche festgeschlossen werden sollte, hingen vom Holze herab. Neben dieser Stätte des Todes standen vier schwarze Sklaven, deren afrikanische Gesichtsfarbe Furcht einflößte, weil sie den Leuten zu jener Zeit noch nicht vertraut genug war, um sie als etwas alltägliches zu betrachten. Das Volk erblickte in diesen Menschen Teufel, die im Begriffe waren, ihre höllischen Werke vorzuführen. Einer darunter, der der oberste zu sein schien, gab ihnen Weisungen, nach denen sie das Stroh und Brennholz ordneten und zurecht legten. Sie sahen auch nicht nach der Menge hin und schienen völlig gefühllos und teilnahmslos zu sein und nur bedacht darauf, ihren gräßlichen Dienst zu tun. Wenn sie miteinander flüsterten, öffneten sie die schwulstigen Lippen und fletschten ihre weißen Zähne, als freuten sie sich schon auf das bevorstehende Trauerspiel. Die Leute ringsum sahen daher in ihnen böse Geister, mit denen die Hexe einst im Bunde gestanden habe und die nun, da die Zeit der gottlosen Frau gekommen sei, die furchtbare Strafe an ihr vollziehen wollten. Die Glocke der Kirche zum heiligen Michael in Templestowe erklang und gab das Zeichen zum Beginn der feierlichen Handlung. Mit Grausen vernahm alles Volk das Geläut. Aller Augen wandten sich nach dem Präzeptorium, denn nun mußten der Großmeister, der Kämpfer und die Verbrecherin bald erscheinen. Endlich wurde die Zugbrücke heruntergelassen, die Tore taten sich auf und ein Ritter, der die große Ordensstandarte trug, kam angeritten. Vor ihm her ritten sechs Trompeter, hinter ihm zu zweien und zweien die Präzeptoren, dann auf einem stolzen, aber äußerst einfach gezäumten Pferde der Großmeister. Hinter diesem kam Brian de Bois-Guilbert, vom Kopf bis zu den Füßen in glänzender Rüstung. Lanze, Schild und Schwert trugen die beiden Knappen, die ihm folgten. Sein Gesicht war zum Teil verdeckt durch eine lange Feder, die von seinem Barett herniederwallte, aber man sah darin das Spiel heftiger Leidenschaften und den Widerstreit von Stolz und Unentschlossenheit. Er war gespenstisch bleich, wie einer, der mehrere Nächte nicht geschlafen hat, doch lenkte er sein Roß mit der Grazie und Gewandtheit, die die beste Lanze im Orden der Templer auszeichneten. Zu beiden Seiten des Kämpfers ritten Mont-Fitchet und Albert von Malvoisin. Hinter ihnen kamen andere Mitglieder des Ordens und ein langes Gefolge von Servienten und Knappen. Hinter diesen wiederum kam eine Wache zu Fuß, gleichfalls in schwarzer Tracht. In ihrer Mitte sah man die Gestalt der blassen Angeklagten, die langsamen, doch furchtlosen Schrittes ihrem Schicksal entgegen ging. An Stelle ihrer orientalischen Kleider trug sie ein grobes, weißes Gewand von einfachstem Schnitt, aber in ihrem Antlitz lag Ergebung und Mut, und dieser Ausdruck rührte selbst in dieser Tracht, in der sie jedes andern Schmuckes als ihrer langen schwarzen Flechten entbehrte, aller Augen zu Tränen. Eine Schar von Leuten niederen Standes, die zum Präzeptorium gehörten, schritten hinter dem Opfer her. Alle gingen gemessenen Schrittes in Reih und Glied und hatten die Arme gekreuzt und den Kopf gesenkt. Dieser langsame Zug schritt den anmutigen Hügel hinan, auf dessem Gipfel der Turnierplatz lag, zog in die Schranken ein, schwenkte herum und machte Halt, als sich der Kreis gebildet hatte. Dann stiegen der Großmeister und seine Begleiter von ihren Pferden, die sofort von bereitstehenden Servienten hinausgeführt wurden. Die unglückliche Rebekka wurde zu dem schwarzen Sitze an dem Pfahle geführt. Als sie den ersten Blick auf die grausige Stätte warf, wo ihr ein Tod drohte, der ebenso furchtbar für das Gemüt wie qualvoll für den Leib war, da sah man, daß sie erbebte, von Schauern geschüttelt wurde und die Augen schloß. Es schien, als spräche sie bei sich selber ein Gebet, denn ihre Lippen bewegten sich. Aber gleich darauf sah sie festen Blickes nach dem Pfahle hin, wie um sich an den Anblick zu gewöhnen, und dann senkte sie wieder das Haupt. Inzwischen hatte sich der Großmeister auf seinen Platz begeben, und als sich die Ritterschaft um ihn her auch dem Range und der Stellung gemäß geordnet hatte, meldete ein langer lauter Trompetenstoß, daß der Gerichtshof zur Stelle sei. Malvoisin ritt vor und legte den Handschuh der Jüdin, der das Pfand des Kampfes war, dem Großmeister zu Füßen. »Tapfrer Gebieter und hochwürdiger Vater,« sprach er, »hier steht der gute Ritter Brian de Bois-Guilbert, Präzeptor des Templerordens. Er hat das Pfand angenommen, das zu Füßen Eurer Hochwürden liegt, und sich damit verpflichtet, im Kampfe des heutigen Tages seine Schuldigkeit zu tun und zu beweisen, daß die Jüdin Rebekka das Todesurteil verdient, das das Kapitel des heiligen Ordens vom Tempel Zions über sie als über eine Hexe und Zauberin gefällt hat.« »Hat er den Eid geleistet, daß dieser Kampf gerecht und ehrenvoll sei?« fragte der Großmeister. »Herr und hochwürdiger Vater, unser Bruder hat in die Hände des guten Ritters Konrad von Mont-Fitchet beschworen, daß seine Anklage auf Wahrheit beruhe. Auf andere Weise kann er nicht schwören, da seine Gegnerin eine Heidin ist.« Zu Malvoisins Freude wurde diese Erklärung angenommen, der schlaue Ritter hatte vorausgesehen, daß es schwer, ja unmöglich wäre, Bois-Guilbert zu einer solchen Eidesleistung vor versammelten Volke zu bewegen. Er hatte sich daher diese Entschuldigung ausgedacht, um diese Notwendigkeit zu umgehen. Der Großmeister hatte die Einwendung Malvoisins gelten lassen und ließ nun einen Herold vortreten, der in die Trompete blies und mit lauter Stimme rief: »Hört! Hört! Hier steht der gute Ritter Brian de Bois- Guilbert. Er ist bereit mit jedem freigeborenem Ritter den Kampf zu bestehen, der von der Jüdin als Kämpfer gestellt wird!« »Es erscheint kein Kämpfer für die Angeklagte,« sagte der Großmeister. »Geh Herold, und frage sie, ob sie einen erwartet.« Der Herold ging zu ihr hin und trotz dem Winke Malvoisins wandte auch Bois-Guilbert sein Roß herum und kam zugleich mit dem Herold bei Rebekka an. Der Herold wandte sich mit folgenden Worten an Rebekka: »Mädchen, der hochwürdige Großmeister läßt dich fragen, ob du einen Kämpfer hast, der heute für dich streiten wird, oder ob du das über dich gefällte Urteil als gerecht anerkennst?« »Antworte dem Großmeister,« erwiderte Rebekka, »daß ich meine Unschuld behaupte und mich nicht für zu Recht verurteilt bekenne. Sage ihm, daß ich Aufschub begehre, wie er gesetzlich statthaft ist, damit ich sehen kann, ob mir Gott in der höchsten Not Rettung schickt. Wenn dann auch diese letzte Frist verstreicht, ohne daß Hilfe kommt, so möge sein Wille geschehen.« »Gott verhüte,« rief Lukas Beaumanoir, »daß uns Jude oder Heide der Ungerechtigkeit sollten zeihen können! Bis die Schatten von Westen nach Osten reichen, wollen wir warten, ob sich ein Streiter für dieses unglückliche Weib stellt. Ist der Tag soweit zur Rüste gegangen, so mag sie sich zum Tode bereiten.« Der Herold überbrachte Rebekka diesen Bescheid des Ordensmeisters. Sie neigte in Demut das Haupt, faltete die Hände und blickte zum Himmel, von ihm eine Hilfe erhoffend, die fast von Menschen nicht mehr zu erwarten war. Während dieser furchtbaren Pause vernahm sie die Stimme Bois-Guilberts, es war nur ein Flüstern, aber doch erschrak sie darüber mehr als über die laute Anrede des Herolds. »Rebekka,« sagte der Templer, »hörst du mich?« »Ich habe nichts mit Euch zu schaffen, grausamer, hartherziger Mensch.« »Verstehst du, was ich sage? Denn mir selber klingt der Ton meiner Stimme furchtbar im Ohr. Kaum weiß ich, wo wir uns befinden und was wir hier sollen. – Diese Schranken? dieser Stuhl? dieser Haufen von Reisig? Ich weiß wohl, wozu sie da sind, und doch ist mir, als wäre das alles nicht wirklich, sondern nur ein entsetzliches Trugbild.« »Mein Sinn und mein Gemüt sind sich des Ortes und der Zeit bewußt,« erwiderte Rebekka. »Ich weiß, dieser Holzstoß ist da, meinen Leib zu verzehren und mir einen schmerzhaften aber kurzen Übergang in eine bessere Welt zu bereiten.« »Träume, Rebekka, Träume! Höre mich,« fuhr er feurig fort, »eine bessere Gelegenheit, dir das Leben und die Freiheit zu erhalten, als sich diese Schurken und der Schwachkopf dort denken, bietet sich dar. Steige hinter mir aufs Pferd, und in einer Stunde sind wir jeder Verfolgung entrückt. Eine neue Welt der Freude öffnet sich dir, mir eine neue Laufbahn des Ruhmes. Dann mögen sie ein Urteil fällen, dann mögen sie den Namen Bois-Guilbert aus ihrer Liste mönchischer Schufte streichen, jeden Fleck, den sie meinem Wappenschilde anhängen können, will ich mit Blut abwaschen! »Versucher!« sprach Rebekka, »hebe dich hinweg von mir! Du sollst mich in dieser letzten Not nicht um eines Haares Breite nachgeben sehen. Feinde sind rings um mich her, dich aber halte ich für den schlimmsten und schrecklichsten. Im Namen Gottes, hebe dich weg von mir!« Albert Malvoisin, ungeduldig und unruhig über die lange Dauer dieser Unterredung, kam heran, um sie zu unterbrechen. »Hat das Mädchen ihre Schuld bekannt,« fragte er laut den Kämpfer, »oder besteht sie auf ihrem Leugnen?« »Sie ist zum Tod entschlossen,« sagte Bois-Guilbert. »Dann mußt du, edler Bruder, deinen Platz wieder einnehmen, um den Ausgang zu erwarten!« rief Malvoisin. »Die Schatten wechseln auf dem Sonnenzeiger. Komm, tapfrer Bois-Guilbert, komm, du Hoffnung unsers heiligen Ordens und bald sein Haupt.« Als er dies in einem besänftigten Tone sprach, legte er die Hand auf die Zügel des Ritters, als wolle er ihn nach seinem Platze zurückführen. »Was willst du mit der Hand an meinem Zügel?« sagte Sir Brian zornig, und die Hand seines Gefährten zurückstoßend, ritt er nach dem obern Ende der Schranken. »Es ist noch Wut in ihm,« sagte Malvoisin zu Mont-Fitchet, »wäre er nur gut geleitet, aber gleich dem griechischen Feuer verbrennt er alles, was ihm nahe kommt.« Die Richter warteten zwei Stunden in den Schranken vergebens auf einen Kämpfer. »Ich weiß wohl, warum keiner kommt,« sprach Bruder Tuck, »weil sie eine Jüdin ist; aber bei meinem Orden, es ist doch hart, daß ein so junges und schönes Geschöpf sterben soll, ohne daß ein Schlag darum geschieht. Hätte sie nur einen Tropfen Christenblut in sich, so sollte mein Kampfstock auf der Stahlhaube des stolzen Ritters tanzen.« Nun wurde allgemein angenommen, daß sich für eine der Hexenkunst und Zauberei angeklagte Jüdin kein Kämpfer stellen werde, und schon flüsterten die Ritter untereinander, es sei an der Zeit, Rebekka ihres Pfandes für verlustig zu erklären. In diesem Augenblick sah man auf der Ebene vor den Schranken einen Ritter, der sein Roß zur Eile antrieb, und hundert Stimmen riefen zugleich: »Ein Kämpfer! Ein Kämpfer!« Allen Vorurteilen und allem Aberglauben zum Trotz jubelte doch die Menge laut, als ein Kämpfer erschien. Aber ein zweiter Blick vernichtete die Hoffnungen, die sein Erscheinen noch gerade zur rechten Zeit erweckt hatte. Sein Pferd hatte mehrere Meilen im schnellsten Laufe zurückgelegt und schien vor Ermattung in die Knie zu sinken, und der Ritter selber, so kühn er sich in den Schranken zeigte, schien sich auch, ob aus körperlicher Schwachheit oder aus Erschöpfung, kaum noch im Sattel halten zu können. Als ihn die Herolde aufforderten, Namen, Rang und Zweck seines Erscheinens zu nennen, erwiderte der fremde Ritter schnell und kühn: »Ich bin ein guter Ritter und bin hierher gekommen, um mit Lanze und Schwert für die gerechte Sache dieses Mädchens, der Rebekka, Tochter des Juden Isaak von York, zu streiten. Ich behaupte, das gegen sie gesprochene Urteil ist falsch und ohne Wahrheit, und Brian de Bois-Guilbert ist ein Mörder und Lügner, und das will ich auf diesem Platze mit meinem Leibe beweisen, mit Hilfe Gottes, unserer lieben Frau und des heiligen Georg!« Malvoisin erwiderte: »Der Fremde muß erst beweisen, daß er ein guter Ritter und von guter Herkunft ist. Der Tempel schickt seine Streiter nicht gegen einen Namenlosen.« »Mein Name,« sprach der Ritter und öffnete den Helm, »ist besser bekannt und mein Stammbaum reiner als der deine, Malvoisin. Ich bin Wilfried von Ivanhoe.« Mit veränderter hohler Stimme rief Bois-Guilbert: »Mit dir fechte ich nicht. Laß erst deine Wunde heilen, verschaffe dir ein besseres Pferd, dann vielleicht halte ich es meiner für würdig, dich für dein knabenhaftes Prahlen zu züchtigen.« »Ha, stolzer Templer,« rief Ivanhoe aus, »hast du vergessen, daß du schon zweimal vor dieser Lanze in den Staub sankest? Denk an die Schranken von Acre – denk an den Waffengang von Ashby de la Zouche – denk an deine stolze Prahlerei in der Halle von Rotherwood, wo du deine goldene Kette gegen mein Reliquienkästchen verpfändet hast, wo du dich verpflichtet hast, mit Wilfried von Ivanhoe um deine verlorene Ehre zu kämpfen. Bei diesem Reliquienkästchen und der heiligen Reliquie, die es enthält, ich will dich, Templer, in jedem Hofe Europas, in jedem Präzeptorium deines Ordens eine Memme nennen, wenn du jetzt nicht mit mir kämpfst!« Unentschlossen wandte Bois-Guilbert sein Haupt nach Rebekka hin, dann blickte er wild auf Ivanhoe und rief: »Hund von einem Sachsen, nimm deine Lanze und bereite dich vor auf den Tod, den du dir selber gerüstet hast!« »Erlaubt der Großmeister den Zweikampf?« fragte Wilfried. »Wir schlagen deine Herausforderung nicht ab,« erwiderte Beaumanoir, »sofern dich das Mädchen als ihren Kämpfer annimmt. Nur wünschte ich, daß du in besserer Verfassung wärst. Ein Feind unseres Ordens bist du freilich immer gewesen, doch möchten wir dich ehrenvoll den Kampf bestehen sehen.« »So wie ich bin, muß ich kämpfen,« versetzte Ivanhoe, »anders nicht. Es ist ein Gottesurteil – dem Schutze Gottes befehle ich mich.« Dann ritt er auf die Unglückliche zu. »Rebekka, nimmst du mich zu deinem Kämpfer an?« »Ich tue es, ich tue es,« rief sie in einer tieferen Erregung, als die Todesfurcht in ihr hatte wachrufen können. »Ich nehme dich an als Kämpfer, den mir Gott gesandt hat. – Doch nein!« setzte sie dann hinzu. »Deine Wunde ist noch nicht geheilt. Kämpfe nicht mit diesem stolzen Manne! Warum solltest du sterben?« Aber Ivanhoe war schon auf seinen Platz geritten und hatte die Lanze ergriffen. Bois-Guilbert hatte das Gleiche getan. Als er sein Visier schloß, war sein Gesicht, das zuvor eben noch aschfahl gewesen war, hochrot. Als der Herold die Kämpfer an ihren Plätzen sah, rief er dreimal laut: »Faites vos devoirs, preux chevaliers!« Nach dem dritten Rufe zog er sich auf die Seite zurück und machte bekannt, daß niemand bei Todesstrafe durch Worte, Geschrei oder tätlichen Eingriff diesen Kampf stören dürfe. Dann nahm der Großmeister Rebekkas Handschuh, warf ihn in die Schranken und tat den verhängnisvollen Ruf: »Laisser aller!« Die Trompeten schmetterten und in vollem Rosseslauf prallten die Ritter gegeneinander. Wie alle erwartet hatten, stürzte das müde Roß Ivanhoes und sein Reiter vor dem kräftigen Rosse und der festgeführten Lanze des Templers zu Boden. Aber obgleich Ivanhoes Lanze kaum den Schild Bois-Guilberts berührt zu haben schien, wankte der Templer doch zum Erstaunen aller Zuschauer im Sattel, verlor den Steigbügel und fiel in die Schranken. Ivanhoe machte sich rasch von seinem Pferde frei und zog sein Schwert, um seinen Nachteil wieder gut zu machen, aber sein Gegner stand nicht wieder auf. Wilfried setzte ihm den Fuß auf die Brust und hielt ihm die Spitze des Schwertes an die Kehle. Er stellte ihm die Wahl zu sterben oder sich für besiegt zu erklären. Bois-Guilbert antwortete nicht. »Tötet ihn nicht, Herr Ritter,« rief der Großmeister, in die Schranken herabsteigend. »Tötet nicht Leib zugleich und Seele ohne Beichte und Absolution. Wir erkennen ihn für besiegt.« Er befahl, dem Besiegten den Helm abzunehmen. Brians Augen waren geschlossen. Noch lange lag die dunkle Röte auf seinem Gesicht, und als sie ihn verwundert ansahen, schlug er die Augen auf, aber ihr Ausdruck war stier und leer – und mit einem Male verschwand die Röte, und Totenblässe überzog sein Gesicht. Die Lanze seines Feindes hatte ihn nicht beschädigt – er war als ein Opfer seiner eigenen unbezähmbaren Leidenschaften gestorben. »Das ist fürwahr ein Gottesurteil!« rief der Großmeister und sah gen Himmel. »Fiat voluntas tua!« Achtunddreißigstes Kapitel Als kaum das erste Erstaunen vorüber war, erklangen Hufschläge und eine große Anzahl Reiter kam im Galopp hereingesprengt, daß der Boden unter dem Gestampf erbebte, der schwarze Ritter jagte in die Schranken, und ihm nach eine Schar von Bewaffneten und darunter einige Ritter in voller Rüstung. »Ich komme zu spät,« sagte der schwarze Ritter, um sich blickend. »Ich hatte mir Bois-Guilbert für mich selber ausersehen. – Ivanhoe, war das recht von dir, ein solches Wagestück zu unternehmen, da du dich doch kaum im Sattel halten kannst?« »Der Himmel hat diesen stolzen Mann zum Opfer auserkoren,« erwiderte Ivanhoe, »ihm sollte nicht die Ehre werden, von Eurer Hand zu fallen.« »Friede sei mit ihm,« sprach Richard und sah ernst auf den Leichnam, »sofern er Frieden finden kann. Er war ein tapferer Ritter und ist ritterlich in seiner stählernen Rüstung gefallen. Aber wir dürfen keine Zeit verlieren. Bohun, walte deines Amtes.« Ein Ritter trat vor aus Richards Gefolge, legte Albert von Malvoisin die Hand auf die Schulter und sprach: »Ich verhafte Euch wegen Hochverrates.« Bisher hatte der Großmeister in stummem Erstaunen über den Einbruch so vieler Ritter dagestanden. Jetzt rief er: »Wer wagt es, einen Ritter des Tempels im Bezirk seines eigenen Präzeptoriums zu verhaften und in wessen Auftrag geschieht eine so kühne Beleidigung?« »Ich vollziehe die Verhaftung,« versetzte der Ritter, »ich, Heinrich Bohun, Graf von Essex, Lord Connetable von England.« »Und er verhaftet Malvoisin,« setzte der König hinzu, »auf Befehl Richard Plantagenets, der hier steht. Konrad Mont-Fitchet, es ist ein Glück für Euch, daß Ihr nicht als mein Untertan geboren seid, aber, Malvoisin, du stirbst mitsamt deinem Bruder Philipp, ehe noch die Welt eine Woche älter ist.« »Ich widersetze mich deinem Urteil,« sagte der Großmeister. »Stolzer Templer,« antwortete Richard, »das ist unmöglich. Schaut auf und seht die königlich-englische Standarte statt dem Banner des Tempels von Euern Türmen wehen. Seid weise, Beaumanoir, und leistet keinen unnützen Widerstand. Eure Hand liegt im Rachen des Löwen. Löst Euer Kapitel auf und zieht mit Euerm Anhang zum nächsten Präzeptorium, sofern Ihr noch eines findet, das noch nicht hochverräterischer Umtriebe gegen den König von England bezichtigt worden ist. Sonst wenn Ihr wollt, mögt Ihr hier bleiben, unsere Gastfreundschaft genießen und Zeuge sein, wie wir Gerechtigkeit üben.« »Ich sollte Gast sein in dem Hause, wo ich zu befehlen habe?« erwiderte der Großmeister. »Nimmermehr! – Ritter und Knappen und Anhänger des heiligen Tempels, bereitet Euch vor, der Fahne Beauséant zu folgen!« Der Großmeister sprach mit einer Würde, die selbst den König aus der Fassung brachte und seinen Anhängern Furcht einflößte. Die Templer sammelten sich um ihr Oberhaupt, ihre finsteren Blicke sprachen feindselige Drohungen aus. Sie bildeten eine lange dunkle Linie von Speeren, aus der die weißen Mäntel der Ritter hervorschimmerten. Die Menge, die ein lautes Geschrei der Mißbilligung ausgestoßen hatte, schwieg jetzt und schaute staunend auf die furchtbare, wohlgeschulte Schar von Kriegern und wich scheu zurück. Der Graf Esser galoppierte beim Anblick dieses Feindes vor und zurück, um seinen Anhang zu ordnen und zur Gegenwehr gegen eine so starke Macht aufzustellen. Richard allein, erfreut über die Gefahr, die seine Gegenwart herbeigeführt hatte, ritt an der Front der Templer langsam herunter und rief laut: »Wie, Sirs? Unter so vielen tapferen Rittern ist nicht einer, der eine Lanze mit Richard brechen will? Ritter des Tempels, Eure Damen müssen gar sehr an der Sonne verschossen sein, daß sie nicht mehr die Splitter einer Lanze wert sind.« Der Großmeister ritt aus der Schar hervor. »Die Ritter des Tempels fechten nicht für so eitle weltliche Dinge, und mit Euch, Richard von England, soll kein Templer kämpfen. Der Papst und die Fürsten von Europa sollen unsern Streit richten und entscheiden, ob ein christlicher Fürst recht getan hat, so aufzutreten, wie Ihr hier getan habt. Wenn wir nicht angegriffen werden, so greifen auch wir niemand an. Eurer Ehre vertrauen wir die Waffenkammer und alles Hab und Gut des Ordens, das wir zurücklassen müssen, und auf Euer Gewissen laden wir alle Schmach und Beleidigung, die Ihr heute dem Christentum angetan habt.« Und ohne eine weitere Antwort abzuwarten, gab der Großmeister das Zeichen zum Aufbruch. Die Trompeten schmetterten einen wilden morgenländischen Marsch, den sonst die Templer zum Angriff bliesen. Sie formierten eine Marschkolonne und ritten so langsam, wie nur die Pferde gehen wollten, um ihren Feinden zu zeigen, daß sie nur auf den Befehl ihres Großmeisters hin, nicht aus Furcht abritten. Die Menge – wie sich ein furchtsamer Hund so lange das Bellen verhält, bis sich der Gegenstand seiner Furcht entfernt hat – ließ ein Hohngeschrei hören, als endlich die Templer den Platz verließen. Von dem Wirrwarr und dem Lärm, den der Abzug der Templer mit sich brachte, sah und hörte Rebekka nichts. Sie lag in den Armen ihres alten Vaters. Über dem schnellen Wechsel der Dinge hatte sie fast die Besinnung verloren. Aber ein Wort Isaaks brachte sie wieder zu sich. »Laß uns gehen, meine Tochter,« sagte er, »mein wieder gefundener Schatz, wir wollen uns dem guten Jüngling zu Füßen werfen.« »O nein! O nein!« sagte Rebekka, »ich könnte ihm jetzt mehr sagen als – – ich darf jetzt nicht mit ihm reden ... nein, Vater, laßt uns auf der Stelle diese Stätte des Bösen verlassen!« »Aber meine Tochter, sollen wir ihm nicht Dank sagen, der sein Leben für nichts achtete, um dich aus der Gefangenschaft zu erlösen und dich – die Tochter eines Volkes, das ihm fremd ist – o, dieser Dienst muß seinen Dank finden.« »Das soll er auch aufs höchste und aufs demütigste! Aber nicht jetzt, um deiner geliebten Rahel willen, Vater, gewähre mir die Bitte und laß uns jetzt fort. Du siehst, König Richard ist bei ihm und –« »Du hast recht, meine gute und weise Rebekka, laß uns fort, laß uns fort! Wahrscheinlich braucht er Geld, er ist eben gekommen aus Palästina, und einen Vorwand, mir Geld abzunehmen, könnte er leicht darin finden, daß ich mit seinem Bruder Johann habe Geschäfte gemacht. Laß uns fort von hier!« Die Jüdin, eben noch die Heldin des Tages, ging jetzt unbeachtet hinweg. Die Aufmerksamkeit der Menge war auf den schwarzen Ritter übergegangen, und der Ruf: »Lang lebe König Richard der Löwenherzige! Nieder mit den frechen anmaßenden Templern!« erfüllte rings die Luft. »Obgleich all diese Lippen hier den Ruf der Treue tun,« sagte Ivanhoe zum Grafen Essex, »so hat der König doch wohl daran getan, daß er Euch, edler Graf, und eine so große Menge treuer Anhänger mitgebracht hat.« Der Graf schüttelte lächelnd den Kopf. »Tapfrer Ivanhoe, Ihr kennt unseren Herrn so gut und meint doch, er sei von selber so weise und vorsichtig gewesen? Ich war unterwegs nach York, weil ich hörte, Prinz Johann zöge dort eine Partei zusammen, und da begegnete ich Richard, der wie ein echter fahrender Ritter hierher reiten wollte, um das Abenteuer zwischen der Jüdin und dem Templer allein mit seinem Arme zum Ende zu bringen. Fast wider seinen Willen Hab ich ihn hierher begleitet.« »Wie steht es in York? Werden uns die Rebellen Widerstand leisten?« »Nicht mehr als der Dezemberschnee der Julisonne. Sie sind auseinandergegangen und kein anderer Bote kam, uns diese Kunde zu überbringen als Prinz Johann selber.« »Der elende freche Verräter!« rief Ivanhoe. »Hat ihn Richard ins Gefängnis werfen lassen?« »Nein, er ist ihm begegnet, als ob sie sich nach einem Jagdausflug träfen. Er deutete auf sich und seine Bewaffneten und sagte: »Bruder, du siehst mich hier mit ein paar ergrimmten Gesellen, es wäre wohl besser, du gingst zu unserer Mutter, versichertest sie meiner Kindesliebe und bliebest dort, bis sich die Gemüter beruhigt haben.« Aus den nun folgenden gerichtlichen Untersuchungen interessiert den Leser nur, daß Moritz de Bracy über die See entkam und unter Philipp von Frankreich Dienste nahm, daß Philipp von Malvoisin und sein Bruder Albert, Präzeptor von Templestowe, hingerichtet wurden, obgleich Waldemar Fitzurse, der doch die Seele der Verschwörung gewesen war, mit Verbannung davonkam und Prinz Johann, für den die Verschwörung unternommen worden war, nicht einmal Vorwürfe von seinem gutmütigen Bruder erhielt. Trotzdem bedauerte niemand das Schicksal der beiden Malvoisins, die ihren Tod wohl verdient hatten, durch manche Untat der Grausamkeit, Falschheit und Tyrannei. Kurz nach diesen Geschehnissen wurde Cedric der Sachse an den Hof Richards entboten, nach York, wohin der Monarch seine Residenz verlegt hatte, um diese Grafschaft, die der Ehrgeiz seines Bruders aufgewiegelt hatte, zu beruhigen. Cedric seufzte und schüttelte wiederholt den Kopf, aber er folgte dem Rufe. Richards Rückkehr hatte alle seine Hoffnungen auf die Wiederherstellung der sächsischen Dynastie zerstört. Wenn sich die Sachsen auch früher von einem Bürgerkrieg Erfolg hatten versprechen können, so war es doch klar, daß unter der unbestrittenen Herrschaft Richards nichts unternommen werden konnte. Er war wegen seiner persönlichen guten Eigenschaften und seines kriegerischen Ruhmes bei dem Volke beliebt, obgleich seine Regierung oft zu sorglos und oberflächlich, bald zu despotisch, bald wieder zu nachsichtich und mild war. Wenn sich nun auch Cedric noch gegen die Erkenntnis sträubte, so mußte er doch einsehen, daß sein Plan, die Sachsen wieder zu vereinen, indem er Athelstane mit Rowena vermählte, jetzt nicht mehr auszuführen war, weil eben die beiden betreffenden Personen nicht damit einverstanden waren. Diese Wendung hatte er bei seinem Eifer für die Sache der Sachsen nicht vorausgesehen; und als endlich die beiderseitige Abneigung Athelstanes und Rowenas offen und deutlich zutage trat, da war es ihm unbegreiflich, daß sich zwei Sachsen aus königlichem Blute ihrer Verbindung widersetzen konnten aus rein persönlichen Gründen, während doch für das Wohl der Nation, für die Sache des Volkes eine solche Verbindung ein Segen gewesen wäre. Aber es war nichts daran zu ändern. Rowena ihrerseits hatte nie ein Hehl aus ihrer Abneigung gegen Athelstane gemacht, nun äußerte aber auch Athelstane fest und bestimmt, daß er nie Ansprüche auf die Hand der Rowena erheben werde. Selbst die eingewurzelte Starrsinnigkeit Cedrics konnte gegen diese Hindernisse nichts ausrichten. Wenn er auf der Verbindung hätte bestehen wollen, so wäre ihm nichts andres übrig geblieben, als das widerstrebende Paar, an der einen Hand den Mann, an der anderen die Frau, zum Altar zu schleppen. Trotzdem hatte er noch einen letzten energischen Versuch mit Athelstane machen wollen, und er fand diesen wiederauferstandenen Sproß des sächsischen Königshauses in einen heftigen Streit mit der Geistlichkeit verwickelt. Wie es schien, hatte nach seinen Drohungen, den Abt von St. Edmund umzubringen, teils infolge der trägen Gutmütigkeit seiner Natur, teils infolge der Bitten seiner Mutter, die es wie alle Damen der damaligen Zeit mit der Geistlichkeit hielt, seine Rachsucht sich daran ein Genüge sein lassen, daß der Abt und seine Mönche drei Tage bei magerer Kost in die Gefängnisse von Conningsburgh gesperrt wurden. Wegen dieser Grausamkeit drohte der Abt, ihn zu exkommunizieren, und er setzte eine große Liste von den Leiden und Beschwerden auf, an denen er und seine Getreuen in Magen und Eingeweiden seit der tyrannischen Einkerkerung krankten. Auf diesen Streit und die Mittel und Wege, die er eingeschlagen hatte, um sich die geistliche Verfolgung vom Halse zu schaffen, war nun Athelstanes Denken und Handeln, als Cedric zu ihm kam, so brennend konzentriert, daß er für nichts anderes Sinn hatte. Als er den Namen der Rowena nannte, bat Athelstane um die Erlaubnis, einen Becher voll Wein auf ihre Gesundheit und auf ihre baldige Vermählung mit ihrem Vetter Wilfried trinken zu dürfen. Allem Anschein nach war mit Athelstane in dieser Hinsicht nichts mehr anzufangen. Nun blieben zwischen Cedric und den Liebenden nur noch zwei Hindernisse: sein Starrsinn und seine Abneigung gegen die normännische Dynastie. Seine Hartnäckigkeit ließ in der Liebe zu seinem Mündel endlich nach, auch der Stolz auf den Ruhm seines Sohnes tat das seine. Daß seinem Stamme die Ehre werden sollte, mit dem Stamme Alfreds verschmolzen zu werden, war ihm auch keineswegs gleichgültig, da der Sprößling Eduards des Bekenners seine höheren Ansprüche für immer hatte fallen lassen. Seiner Abneigung gegen die normännischen Könige wurde nun auch der feste Halt entzogen, da er die Unmöglichkeit einsah, die neue Dynastie aus England zu vertreiben. Außerdem erwies ihm Richard selber, dem Cedrics rauhe Gemütsart gefiel, persönliche Auszeichnung und wußte den edeln Sachsen so zu nehmen, daß er, ehe Cedric noch sieben Tage am Hofe des Königs verweilt hatte, die Einwilligung zu der Hochzeit seines Mündels Rowena mit seinem Sohne Ivanhoe von ihm erreicht hatte. Die nunmehr von seinem Vater rückhaltlos gebilligte Vermählung unsers Helden fand in einem der erhabensten kirchlichen Gebäude, im Münster von York statt. Der König selber war anwesend, und die Art und Weise, wie er bei diesen und andern Anlässen die geknechteten und bisher verachteten Sachsen behandelte, ließ mit Sicherheit und zu ihrer allseitigen Genugtuung hoffen, daß sie ihre Rechte in vorteilhafterer Weise wieder erlangen würden, als sie von dem unsichern Würfelspiel eines blutigen Bürgerkrieges hätten erwarten können. Gurth begleitete in einer prächtigen Livree seinen Herrn, und der großherzige Wamba erhielt zur Feier des Tages eine neue Narrenkappe und schöne silberne Schellen. Sie, die Wilfrieds Gefahren und Unglück geteilt hatten, blieben auch, wie sie mit Recht erwartet hatten, im Glück an seiner Seite. Außer diesen Angehörigen und allen Dienern des Hausstandes und des Cedricschen Geweses waren alle hochgeborenen Normannen und die edelsten unter den Sachsen Gäste bei dem Hochzeitsfeste, die schöne Feier verherrlichend. Sie teilten den allgemeinen Jubel der niedern Stände, die in diesem Feste die Bürgschaft für künftigen Frieden und gutes Einvernehmen zwischen den beiden Stämmen erblickten, die sich dann ja auch so innig miteinander vermischt haben, daß ein Unterschied oder eine Scheidung nicht mehr zu entdecken ist. Cedric selber sah vor seinem Tode noch diese Verschmelzung fast vollendet. Indem die beiden Nationen untereinander heirateten und in geselligen Verkehr traten, ließen die Normannen von ihrem Stolze ab und die Sachsen legten ihre Roheit und manche ihrer ungeschlachten Gebräuche ab. Allein erst unter Eduard dem Dritten wurde die Mischsprache, die sich jetzt Englisch nennt, Hofsprache, und damit erst endete jedwede feindliche Unterscheidung zwischen Sachsen und Normannen. Am zweiten Morgen nach dieser glücklichen Hochzeit brachte die Zofe Elgitha ihrer Herrin Rowena die Meldung, eine Frau wünsche sie unter vier Augen zu sprechen. Rowena war verwundert, zauderte und ließ sich schließlich durch ihre Neugier bestimmen, die Angemeldete hereinzulassen. Die Fremde trat ein – eine edle gebietende Gestalt. Der lange weiße Schleier lag nur wie ein Schatten auf der majestätischen Schönheit, ohne sie zu verhüllen. Sie zeigte ein ehrfurchtsvolles Benehmen, das aber frei war von jeder Beklommenheit oder dem Bestreben, um Gunst zu werben. Rowena war stets bereit gewesen, mit anzuhören, was das Herz ihrer Mitmenschen bewegte und bedrückte, und ihnen beizustehen. Sie erhob sich und wollte die reizende Fremde nach einem Sitze führen, als diese einen Blick auf Elgitha warf und abermals bat, mit der Lady allein zu sprechen. Kaum war Elgitha weg – die nicht ohne Widerstreben das Zimmer verließ – so kniete der schöne Gast vor Rowena nieder, neigte den Kopf zur Erde und versuchte trotz Rowenas Sträuben, den Saum ihres Kleides zu küssen. »Was soll das?« fragte die erstaunte junge Frau. »Warum erweist Ihr mir eine so ungewöhnliche Verehrung?« Rebekka stand auf und nahm ihre frühere hoheitsvolle Haltung wieder an. »Lady von Ivanhoe,« sagte sie, »ich wollte Euch damit nur in geziemender Weise den Dank abstatten, den ich Wilfried von Ivanhoe schuldig bin. Ich bin – verzeiht mir, daß ich Euch so kühn die Huldigung dargebracht habe, die in unserm Vaterlande Sitte ist – ich bin die unglückliche Jüdin, für die Euer Gemahl in den Schranken von Templestowe sein Leben gegen so drohende Gefahr gewagt hat.« »Jungfrau!« versetzte Lady Rowena. »Wilfried von Ivanhoe hat an diesem Tage nur in geringem Maße die unermüdliche Sorgfalt und Hingebung vergolten, mit der Ihr ihn gepflegt habt, als er verwundet und sein Leben in Gefahr war. – Redet – können wir Euch noch irgend einen Dienst erweisen?« »Keinen,« versetzte Rebekka ruhig. »Nur mein dankbares Lebewohl richtet an ihn aus.« »Verlaßt Ihr England?« fragte Rowena, die ihr Erstaunen über diesen unerwarteten Besuch kaum zu beherrschen vermochte. »Ich verlasse England, ehe noch der Mond wechselt. Mein Vater hat einen Bruder, der bei Mohamed Boabdil, dem König von Granada, in hoher Gunst steht. Dorthin gehen wir und hoffen Schutz und Frieden zu genießen gegen die Abgaben, die die Moslemin von unserm Volke nehmen.« »Und könnt Ihr das nicht auch in England?« fragte Rowena. »Mein Gemahl steht in Gunst beim König, der König selber ist gerecht und großmütig.« »Lady,« erwiderte Rebekka, »daran zweifle ich nicht. Aber das Volk Englands ist ein wildes Geschlecht, das beständig im Zwist lebt mit seinen Nachbarn und mit sich selber und stets bereit ist, jedermann mit dem Schwerte zu durchbohren. Da ist für die Kinder meines Volkes keines Bleibens. Ephraim ist eine mutlose Taube, Isaschar ist ein bedrückter Sklave, er schreitet einher zwischen zwei Lasten. In einem Lande, das voll Blut und Krieg ist, das von feindseligen Nachbarn umgeben und im Innern durch vielfältigen Zwiespalt zerrüttet ist, darf Israel nicht hoffen, auf seiner Wanderschaft Rast zu finden.« »Aber Ihr,« Jungfrau, erwiderte Rowena, »Ihr könnt hier nichts zu befürchten haben. Das Mädchen,« fuhr sie in überschwenglicher Begeisterung fort, »das Ivanhoes Krankenbett bewacht hat, hat in England nichts zu befürchten, wo Sachsen und Normannen miteinander wetteifern werden, wer ihr die meiste Ehre erzeigen kann.« »Ihr sprecht gar schön, Lady,« sagte Rebekka, »und süß klingen Eure Worte, und noch edler ist Eure Absicht. Aber es kann nicht sein – zwischen uns ist eine Kluft – doch ehe ich gehe – gewährt mir eine Bitte. Der bräutliche Schleier hängt über Euerm Antlitz, hebt ihn auf und laßt mich das Gesicht sehen, das alle Welt rühmt.« »Kaum ist es des Anschauens wert,« erwiderte Rowena, »aber indem ich von meinem Gast das gleiche erwarte, lüfte ich den Schleier.« Sie schlug ihn zurück, und teils unter dem Bewußtsein ihrer hohen Schönheit, teils aus Verschämtheit errötete sie so tief, daß Wange, Stirne, Nacken und Busen wie von Morgenröte übergossen schienen. Auch Rebekka errötete, aber nur infolge einer augenblicklichen Gefühlsanwandlung, dann meisterten höhere Empfindungen die flüchtige Regung und die Röte wich aus ihren Zügen, wie der Purpur der Abendwolke verblaßt, wenn die Sonne im Horizont versinkt. »Lady,« sprach sie, »das Gesicht, das Ihr mir gezeigt habt, wird lange Zeit in meiner Erinnerung leben. Güte und Sanftmut thronen darin, und wenn ein leiser Zug von Stolz und weltlicher Eitelkeit mit einem so edeln und liebenswürdigen Ausdruck gepaart erscheint, wer möchte tadeln, daß das, was der Erde entstammt, die Farben seines Ursprungs trägt? Lange, lange werde ich Euers Angesichtes gedenken, und Gott sei gelobt, daß ich meinen edeln Befreier vermählt sehe mit...« Sie hielt inne, trocknete sich die Thränen, mit denen ihre Augen sich unwillkürlich füllten, und antwortete auf Rowenas besorgte Fragen: »Ich fühle mich wohl, Lady, recht wohl – aber mir schwillt das Herz, wenn ich an Torquilstone und an die Schranken von Templestowe denke. Lebt wohl! Noch nicht den kleinsten Teil meiner Schuld habe ich hiermit abgetragen. Nehmt dieses Schmuckkästchen von mir an und erschreckt nicht über seinen Inhalt!« Rowena öffnete das kleine mit Silber beschlagene Kästchen und fand darin ein Halsband und Ohrringe von Diamanten, die anscheinend von unermeßlichem Werte waren. »Das kann ich unmöglich annehmen,« sagte sie, den Schmuck zurückgebend. – »Die Gabe ist zu reich.« »O, nehmt sie an, Lady,« bat Rebekka. »Ihr habt Macht, Ansehen, Rang und Einfluß, wir haben Reichtum, der die Quelle unserer Stärke wie unserer Schwäche ist. Wäre der Wert dieses Tandes auch zehnmal so groß, er könnte nicht so viel bewirken wie Euer leisester Wunsch. Für Euch hat meine Gabe geringen Wert, und für mich ist es ein noch geringeres, wenn ich mich davon trenne. Laßt mich nicht glauben, Ihr dächtet ebenso schlecht von meinem Volke, wie die große Masse des englischen Volkes. Meint Ihr, ich schätzte dieses gleißende Gestein höher als meine Freiheit, oder mein Vater schätzte es der Ehre seines einzigen Kindes gleich wert? Nehmt es, Lady, für mich hat es keinen Wert mehr. Ich werde nie wieder Juwelen tragen.« »Seid Ihr denn unglücklich?« fragte Rowena, erschüttert durch den seltsamen Ton, in dem diese letzten Worte gesprochen wurden. »O, bleibt bei uns! der Rat heiliger Männer wird Euch von Euerm unglücklichen Glauben bekehren, und ich will Euch eine Schwester sein.« »Nein, teure Lady,« antwortete Rebekka mit demselben melancholischen Wesen, »das kann nicht sein. Ich kann den Glauben meiner Väter nicht wechseln wie ein Kleid, das nicht zum Klima paßt, unter dem ich lebe. Unglücklich, Lady, werde ich mich nicht fühlen, denn Gott, dem ich mein künftiges Leben weihe, wird mein Tröster sein.« »Habt Ihr denn Klöster, wohin Ihr Euch zurückziehen könnt?« »Nein, Lady, aber in unserm Volke hat es schon zu den Zeiten Abrahams Frauen gegeben, die ihr Denken und Trachten dem Himmel gewidmet haben und in Werken der Barmherzigkeit ihren Lebenszweck erblickten, die Kranken pflegten, die Hungrigen speisten und die Betrübten trösteten. Zu diesen soll Rebekka gezählt werden. Das sagt Euerm Herrn, wenn er nach dem Schicksal der Jüdin fragt, der er das Leben gerettet hat.« Bei diesen Worten erbebte sie unwillkürlich, und eine Innigkeit lag im Klange ihrer Stimme, die mehr verriet, als sie sich merken lassen wollte. Deshalb beeilte sie sich, von Rowena Abschied zu nehmen. »Lebt wohl!« sagte sie. »Der Gott, der Juden und Christen schuf, gieße seinen Segen reich über Euer Haupt aus! – Doch die Barke, die uns von hinnen tragen soll, wird schon unter Segel sein, noch ehe wir den Hafen erreicht haben.« Sie ging hinaus und ließ Rowena zurück in Erstaunen über diesen Besuch. Die schöne Sächsin erzählte die seltsame Unterredung ihrem Gatten wieder, auf dessen Gemüt sie einen tiefen Eindruck zu machen schien. Lange und glücklich lebte er mit Rowena, denn die Bande innigster Liebe verknüpften sie, und durch die Erinnerung an die überwundenen Hindernisse, die sich ihnen entgegengetürmt hatten, wurden sie sich immer teurer. Wir wollen es indessen dahingestellt sein lassen, ob sich der Gedanke an Rebekka nicht öfter dem jungen Gatten aufdrängte, als die schöne Frau aus Alfreds Geschlecht hätte wünschen mögen. Ivanhoe zeichnete sich im Dienste seines Königs aus und erhielt auch ferner noch manchen Beweis der Gunst Richards. Er wäre zu immer höherer Stellung gelangt, wenn nicht der Tod den heroischen Richard Löwenherz so frühzeitig abberufen hätte. Er starb den Heldentod vor dem Schlosse Chalüz bei Limoges. Mit dem Leben des hochherzigen und romantischen Fürsten gingen alle Pläne unter, die seine Großmut und sein Ehrgeiz gefaßt hatte. Auf ihn ließen sich, mit geringer Abänderung, die Zeilen anwenden, die Johnson auf Karl den Zwölften von Schweden gedichtet hat: Sein Schicksal endete an fremdem Strand Vor schwacher Feste und durch niedre Hand. Einst machte jedes Herz sein Name höher schlagen, Jetzt ist er nur ein Stoff, an Lehren reich und Sagen. Das Kloster Roman in zwei Bänden Übersetzt von Erich Walter The Monastery. A Romance. Edinburgh 1820 Erster Band Erstes Kapitel Das Dorf, das der Benediktiner-Abt in dem von ihm hinterlassenen Manuskript unter dem Namen Kennaqhueir beschreibt, weist dieselbe keltische Endform auf, wie wir sie in Traqhueir, Caahueir und andern Zusammensetzungen treffen. Gelehrte leiten das Wort Ohneir her von gekrümmtem Flußlauf, was eigentümlicherweise mit den schlängelnden Windungen zusammenstimmen würde, die der Tweed unweit von dem Dorfe Kennaqhueir macht. Das Dorf stand lange Zeit in Berühmtheit durch sein Sankt Marien-Kloster, das zusammen mit den andern nicht minder hochangesehenen Abteien derselben Grafschaft: Melrose, Jedburgh und Kelso, von David I., König über Schottland und Shetland, gestiftet wurde. David I. beschenkte diese kirchlichen Stifte mit reichem Gut an Ländereien und Gerechtsamen und wurde aus Dankbarkeit hierfür vom Papste heilig gesprochen, was freilich einen verarmten Nachkommen von ihm nicht gehindert hat, sich dahin zu äußern, besagter König David sei ob dieser und andrer Torheiten besser unter die Kategorie der Unheiligen zu setzen. Nichtsdestoweniger ist es nicht unwahrscheinlich, daß besagtem schottischen König David neben diesen Verdiensten um den katholischen Glauben auch mancherlei weltliche Verdienste beizumessen sein werden, und daß er zu seinen Schenkungen an die Kirche durch weltliche Rücksichten mitbestimmt worden ist. Es stand seit der »Fahnenschlacht«, aus der er nicht als Sitzger hervorging, um die Sicherheit seiner Besitzungen in Northumberland und Cumberland nicht sonderlich günstig. Und da infolge dieser Schlacht zu erwarten stand, daß das fruchtbare Tal des Teviot zur Landesgrenze gemacht werde, griff er diesem in England gehegten Gedanken vor und versuchte sich einen Teil dieser einträglichen Besitzungen dadurch zu sichern, daß er ihn der Kirche als Eigentum überwies, und diese hat sich des ihr auf diese Weise anheimgefallnen Gutes auch lange Zeit, sogar in den wilden Grenzkriegen, in ziemlich ungestörter Ruhe erfreuen dürfen. Man geht wirklich nicht fehl, wenn man dem König David von Schottland einräumt, daß dies für ihn die einzige Hoffnung war, den Bebauern dieser Landstriche Schutz und Sicherheit zu schaffen, und in der Tat ließen sich auch Generationen hindurch diese Besitzungen der genannten Abteien dem biblischen Lande Gosen vergleichen, denn über ihnen breitete der Engel des Friedens seine segnende Hand, und ihre Felder und Wälder gediehen und brachten reiches Gut, während alle andern Teile des Reichs unter dem Druck der eisernen Faust wilder Clans und raubgieriger Barone seufzten und aus der düstersten Verwirrung, aus blutigem Krieg und gewalttätiger Fehde niemals herauskamen. Indessen erhielten sich diese kirchlichen Vorrechte in voller Kraft nicht bis zu der Zeit, da die Kronen der beiden Reiche vereinigt wurden, und lange schon vor dem Eintritt dieses Ereignisses hatten die Kriege zwischen England und Schottland den Charakter nationaler Zwietracht eingebüßt und waren auf seiten Englands zum rücksichtslosen Unterjochungskampfe, in Schottland dagegen zum rasenden Ringen um die dem Lande eigentümlichen Rechte und Freiheiten geworden. Dadurch wuchs die Erbitterung auf beiden Seiten zu einer Höhe, wie man sie in der wildesten Zeit der früheren Zwietracht nicht gekannt hatte, und als sich später noch Glaubensstreit und religiöse Zweifel hinzugesellten und den Haß der beiden Völker aus allen Fesseln und Banden lösten, da blieben auch der Kirche die alten Vorrechte trotz aller Verbrieftheit nicht mehr erhalten, und sie gingen des staatlichen Schirmrechts allmählich verlustig. Aber die Untertanen und Lehnsmannen genannter großer Abteien besaßen noch immer allerhand Vorteile vor denen der weltlichen Grundherren, denen infolge des ununterbrochnen Kriegsdienstes, der ihnen oblag, aller Sinn für die Künste des Friedens abhanden kam. Dem Kirchenvasallen lag hingegen die Verpflichtung des Waffendienstes nur dann ob, wenn das eigentliche Reichsinteresse in Gefahr stand; in aller Privatfehde der Barone blieb ihnen die völlige Ruhe und Unantastbarkeit gewahrt, und keines ihrer Lehen, wie die Abteien ihre an Pächter gegen mäßige Abgabe verliehenen kleinen Landgüter zu nennen liebten, durfte anderm als kirchlichem Aufgebot folgen. Auf diese Weise blieb ihnen der ruhige Besitz vergönnt, und selbst heute noch trifft man in Schottland in der Gegend, wo diese großen Klöster lagen, auf Nachkommen solcher einstigen Kirchenvasallen, die sich das Besitztum ihrer Väter von Kind auf Kindeskind zu erhalten verstanden haben. Kein Wunder, daß infolge dieses Zusammenwirkens so günstiger Umstände die Abteiländer Schottlands sich besserer Bewirtschaftung rühmen durften, als aller in weltlicher Hand befindliche Besitz, und daß in ihrem Bereiche die Bewohner nicht allein in materieller Hinsicht sich besser befanden, als alle übrigen Landbewohner von Schottland, sondern ihnen auch in Eigenschaften des Geistes bedeutend überlegen waren. Die Wohnstätten solcher Kirchenvasallen bildeten in der Regel eine kleine Dorfschaft, in der sich dreißig bis vierzig Familien zu gegenseitigem Schutz und Trutz zusammen zu siedeln pflegten. Indessen verschwand hierfür bald der Name Dorf und machte dem Namen Stadt Platz, wie man auch die Ländereien, die zu solcher Niederlassung gehörten, Stadtgebiet oder »Stadtfreiheit« bezeichnete. In der Regel waren diese Ländereien gemeinsamer Pachtbesitz der Bewohner solcher »Stadt«, dessen Aufteilung jedoch nach Maßgabe der Verhältnisse jedes einzelnen »Bürgers« erfolgte, derjenige Teil des Landes, der den Ackerboden enthielt und also gepflügt werden mußte, führte den Namen »Infeld«; gebaut wurden Hafer und Gerste, zumeist in Wechselfurchen-Weise, und die Arbeit fiel bei der Aussaat und Ernte allen gleichmäßig zu, während die Ansprüche an der Jahresfrucht je nach den »Bürgerrechten« sich regelten. Anders verhielt es sich um das sogenannte »Ausfeld«, dessen Bebauung in gewissem Grade der Willkür seiner Anwohner überlassen blieb. Jeder Lehnsmann wählte sich von den zum »Ausfeld« gehörigen Triften und Höhen, was ihm beliebte, und die Unsicherheit des Ertrages aus diesen zu Gemeindeweiden benützten Strecken lieh jedem Lehnsmann, der sich der Mühe, den Anbau zu versuchen, unterzog, ein ausschließliches Anrecht auf die Frucht, die ihm solches Stück »Ausfeld« brachte. Die Wohnstätten der Kirchenvasallen behielten ihren ursprünglichen, einfachen Charakter, ebenso wie die Weise, ihr Feld zu bauen, ursprünglich und einfach blieb, ganz wie man es heutzutage noch finden kann überall auf den shetländischen Inseln. Jedes Dorf oder Städtchen hatte mehrere kleine Türme, deren Zinnen über die Mauern aufragten, und die in der Regel ein paar vorspringende Winkel bildeten, die mit Schießscharten versehen waren, während das starke, mit eisernen Nägeln beschlagene eichene Tor zumeist noch durch ein eisernes Gitter außen verrammelt war. In den kleinen Häusern wohnten zumeist bloß die bessern Lehnsleute mit ihrer »Sippe«, aber sobald die geringste Gefahr im Verzuge war, kamen die andern Dörfler aus ihren ringsherum gelegenen ärmlichen Hütten herbeigeeilt und besetzten alle Verteidigungspunkte. Infolgedessen war es für Feinde nicht leicht, in solches Dorf einzubrechen, denn die Männer waren geübt in Armbrust und Muskete, und die »Wehrtürme« waren gemeinhin so angelegt, daß ihr Feuer kreuzweise strich, so daß es eine Unmöglichkeit war, den Angriff auf einen einzelnen Turm zu richten. Die innere Einrichtung dieser Wohnstätten war zumeist äußerst dürftig und einfach, denn es wäre Torheit gewesen, durch irgend welchen Ueberfluß oder gar Zierat die lüsterne Gier kriegerischer Nachbarn zu wecken. Immerhin fand sich in diesen Familien von Kirchenvasallen ein höherer Grad von Wohlstand, Unabhängigkeitssinn und Verständnis vor, wie sich eigentlich hätte vermuten lassen. Ihr Acker versorgte sie mit Brot, ihre Herden mit Fleisch, und in allen Familien wurde im Monat November ein fetter Ochse geschlachtet und für den Winter in Salzwasser gelegt, und bei besonders festlichen Gelegenheiten griff die kluge Hausfrau wohl nach einem Hahn oder einer Henne oder auch wohl ein paar Tauben in den Geflügelstall, und der Garten brachte Kohl und andres Gemüse, die Flüsse aber, deren Wasser noch durch keinerlei Industrie verdorben wurde, lieferten Fische für die Fastenzeit im Ueberflusse. Auch an Feuerungsmaterial litten sie nie Mangel, denn die Moore lieferten Torf über Torf und die Wälder Bau- und Brennholz. Dazu kam nun für die Besserung der Lebensverhältnisse noch der nicht unbedeutende Vorteil, daß diesen Kirchenlehen Jagdrecht zustand, und kein guter Hausvater unterließ es, im Herbst einen Rehbock abzuschießen. Mit dem Unterricht lag es freilich noch sehr im argen, und man durfte wirklich sagen, daß die Bewohner »besser ernährt als belehrt« würden, indessen boten auch ihnen sich zur Erweiterung des Wissens bessere Gelegenheiten als andern Landleuten im Reiche. Die Mönche unterhielten im allgemeinen freundlichen Verkehr und Umgang mit ihren Vasallen und Hörigen, und es traf sich oft, wenn ein Knabe besonders gute Veranlagung zeigte, daß sich ein Bruder der besondern Mühe unterzog, ihm Unterricht in den Wissenschaften zu geben, die sich freilich zumeist nur auf die Mysterien des Schreibens und Lesens erstreckten, denn nur in Ausnahmefällen reichten die Kenntnisse der Klosterbrüder selbst in andre Wissenssphären hinüber. Da aber, wie schon bemerkt, den Häuptern dieser Familien mehr Ruhe zu geistiger Arbeit blieb, so konnten sie begreiflicherweise all ihr Tun und Lassen besser überlegen und erwägen als die in ewigen Fehden liegenden Nachbarn, und hierdurch waren sie mit den Jahren in der ganzen Umgegend solcher Abtei in den Ruf von Schlauheit und Pfiffigkeit gekommen, während sie anderseits zufolge des verhältnismäßig größern Wohlstandes, in welchem sie sich befanden, und der geringeren Gelegenheit, sich kriegerisch zu betätigen, keinen günstigen Ruf als mutige, unternehmungslustige Männer genossen. Sie hielten sich auch möglichst untereinander, heirateten gemeinhin nur aus einem Abteidorf ins andre und hatten vor nichts anderm in der Welt größere Bange, als in die verderblichen Fehden und die unaufhörlichen Aergernisse und Zwistigkeiten der weltlichen Lehnsleute verwickelt zu werden. So beschaffen war im großen und ganzen der Zustand dieser Abteigemeinden, die aber in den verhängnisvollen Unruhen, die in die Regierungsjahre der Königin Maria fielen, infolge von feindlichen Einfällen furchtbar gelitten hatten. Die protestantischen Engländer waren so wenig geneigt, katholisches Klerisei-Gut zu schonen, daß sie darin noch weit schlimmer hausten als in jedem weltlichen Besitztum. Der im Jahre 1550 zwischen den beiden Nachbarreichen geschlossene Frieden hatte den unglücklichen Landstrichen wieder einige Ruhe verschafft, und es hatte sich allmählich alles wieder ins alte Gleis zurückgefunden. Die Mönche hatten ihre zerstörten Kapellen wieder angefangen aufzubauen, und die kleinen Vasallenfesten, die von den englischen Söldnern in Schutt und Asche gelegt worden waren, erstanden nacheinander wieder zu neuer Blüte. Der Ackersmann schlug seine Hütte wieder auf, und aus den Einöden, wohin die Leute ihr Vieh getrieben hatten, kehrte langsam, was noch am Leben war, in die Dorfschaften zurück, die Felder wurden wieder bebaut, aus den Mooren wurde wieder Torf gefördert, die Wälder wurden wieder aufgeholzt, für neuen Wildstand wurde gesorgt, und so zog wieder, wie für die andern Abteien im schottischen Reiche, auch für das Sankt Marien-Kloster zu Kennaqhueir und für die zu ihm gehörige und von ihm abhängige Gemeinschaft voll Lehnsleuten und Hörigen Ruhe und Frieden ein und währte manches glückliche Jahr, so lange es der Geist der Zeit und die Lage des Volkes vergönnten. Zweites Kapitel Wir sagten im vorigen Kapitel, daß die meisten Pächter oder Lehensleute in dem zu ihrem Stadtgebiete gehörigen Bezirke ihre Wohnstätte hatten. Das war jedoch nicht immer der Fall, und der einsame Turm, in den wir unsre Leser jetzt führen werden, bildete zum wenigsten eine feste Ausnahme von der sonstigen Gepflogenheit. Es war ein kleines Gebäude, aber noch immer größer, als die sonst in diesen Dörfern befindlichen, und dem Anschein nach darauf eingerichtet, daß sich der Eigentümer im Falle eines Angriffs auf die eigene Tapferkeit verlassen müsse. Ein paar ärmliche Hütten am Fuße der »Burg« dienten den Pachtleuten oder Hörigen des Vasallen als Aufenthalt. Die Lage der »Burg« war romantisch: sie erhob sich auf einem bewaldeten Hügel, der nach Süden zu in eine wilde Schlucht vorsprang, während auf der andern Seite sich ein Bach um sie herumzog, der die ihr von Natur verliehene Sicherheit wesentlich erhöhte. Die größte Sicherheit aber verlieh der kleinen Feste, die den Namen Glendearg führte, ihre versteckte Lage. Wer zu ihr gelangen wollte, mußte sich ein paar Stunden auf mühsamem Pfade durch das vielfach verschlungene Tal hindurcharbeiten und wohl an die zwanzig Mal über den Bach setzen, der sich durch die engen Gründe wand und alle hundert Schritte durch neue Felsschiebungen in ein andres Bett hineingezwängt wurde, um dann über Schroffen und Schrägen hernieder zu schießen. Jäh stiegen zu beiden Seiten des Tales die Felswände empor und hielten den Bach gefangen. Für Reiter war jede Passage hier ein Ding der Unmöglichkeit; nur auf Fußpfaden war es möglich, hier vorwärts zu kommen, und so schien niemand zu vermuten, daß man auf solch beschwerlichen Wegen anderswohin als zur Hütte eines Hirten gelangen werde. Aber so einsam und beschwerlich auch das schmale Tal zu sein schien und so unfruchtbar es sein mochte, so entbehrte es anderseits doch manches Reizes nicht. Am Ufer des Baches, auf den kleinen schmalen Rändern wuchs Gras so dicht und grün, daß an die hundert Gärtner vierzehn Tage hätten mähen können und wohl kaum damit zustande gekommen wären. Der Gießbach, der bald zwischen engen Wänden sich wand, bald unbehindert durch das Tal hinschoß, führte seine Fluten sorglos dem hellen Teiche zu. Die Berge stiegen über dem Tale auf und wiesen ihm das graue Felsgestein, von der vor Menschengedenken reißende Gewässer alles Grün hinweggewaschen hatten, aber stellenweise blinkten noch immer einzelne Baumgruppen und mageres Gebüsch herunter von den Höhen, das dem Zahne der Herden, dem Messer der Lehnsleute entgangen war und der Gegend Schönheit und Mannigfaltigkeit zugleich verlieh. Aeußerst reich war die Waldflora im Tale, Eichen und Birken, Eschen und Erlen, Schwarzdorn und Espen einten sich mit dem purpurnen Schimmer der mit Heidekraut bewachsenen Spitzen zu einem buntfarbigen Bilde ohnegleichen, das zu dem tiefern Grün und zu der samtnen Weiche des Rasens am Höhenfuße und in den Talgründen in anziehendem Gegensatze stand. Aber trotz all dieser Schönheiten ließ sich die Gegend weder als erhaben noch auch nur als malerisch bezeichnen. Die seltsame Einsamkeit, die hier herrschte, bedrückte das Herz, und der Wanderer fühlte sich unsicher, wohin er die Schritte lenken solle und wo der unwegsame Pfad sein Ende finden werde. Dadurch wird die Phantasie wohl immer stärker angeregt als durch große Szenerien, bei denen sich genau berechnen läßt, wie weit ein Gasthaus noch entfernt ist, in welchem wir wissen, daß wir den Mittagstisch gedeckt finden oder eines bequemen Nachtquartiers uns versichert halten dürfen. Indessen sind dies alles Gesichtspunkte einer spätern Zeit, denn in derjenigen, von welcher wir sprechen, wußte man weder etwas von malerischer Natur noch von den Bequemlichkeiten eines Gasthofs. Für sie war diese Gegend schätzenswert aus andern, dem Geist ihres Zeitalters angemessenen Gesichtspunkten. Der Name des »roten Tales«, den sie trug, war nicht bloß herzuleiten von der Purpurfarbe des Heidekrauts auf ihren Höhen, sondern auch von dem dunkleren Rot der Felsen und Erdmassen, die in dieser Gegend unter dem Namen »Scaurs« bekannt sind. Auf der Höhe von Ettrick liegt ein ähnliches Tal, das aus ähnlichen Ursachen den gleichen Namen führt, und wahrscheinlich hat es solcher Täler mehrere in Schottland gegeben. Da Glendearg, mit dem wir uns hier zu befassen haben, keinen übermäßigen Zuwachs von sterblichen Gästen erhielt, so bevölkerte es der Aberglaube zum Ersatze hierfür mit Bewohnern einer andern Welt, für die seine einsamen Klüfte ohne Zweifel einen vorzüglichen Zufluchtsort boten. Das »braune Männchen«, wohl der echte Abkömmling der Zwerge des Nordens, wollte man öfter im Moorgrunde gesehen haben, und zwar ganz besonders nach der herbstlichen Nachtgleiche, wenn sich im dichter werdenden Nebel die Dinge nicht mehr genau unterscheiden lassen. Auch eine »Feenhöhle« kannte man im Tale, in einer abgelegenen rauhen Schlucht, und hier sollten die grillenhaften Geschöpfe, die nur selten dem Menschen wohlwollen, nächtlicherweise ihren Spuk treiben. Geheimnisvolle Schauer lagerten über dem ganzen Tale, durch das man aus dem breitern Tale des Tweed nach der Feste Glendearg gelangte. Jenseits des Hügels, auf dem die Feste stand, wurden die Höhen steiler, um sich stellenweis so dicht an den schmalen Bach heranzudrängen, daß sie kaum Platz für einen schmalen Pfad frei ließen, und hier bildete ein tosender Wasserfall eine Art Talsperre und über ein paar Felsen hinweg stürzten polternd die zu Gischt und Schaum gepeitschten Wassermengen in grausige Tiefe. Unfern von dieser Stelle zog sich ein unwegsamer Morast, scheinbar ohne Grenzen, auf dem nur Wasservögel hausten, und der zwischen den Talbewohnern und den Nachbarn auf der Nordseite eine Art Scheidewand bildete. Freilich war dieser Morast den Wegelagerern und Freibeutern wohlbekannt, und gar oft suchten sie hier sichre Zuflucht. Oft auch dehnten sie ihre Streifen bis ins Tal hinunter aus und drangen zu der kleinen Feste hinauf, um dort Gastfreundschaft zu begehren, die ihnen auch gewährt wurde, ohne daß jedoch die friedlichen Bewohner aus jener Zurückhaltung heraustraten, die ein europäischer Ansiedler im nördlichen Amerika bezeigen mag, wenn wilde Indianertrupps bei ihm Einkehr halten und um Bewirtung ansprechen, die er mehr aus Furcht denn aus Gastfreundschaft gewährt. Indessen waren auch in dieser Hinsicht früher andre Anschauungen hier maßgebend gewesen. Der letzte Lehnsmann, Simon Glendinning, rühmte sich, von dem alten Geschlecht der Glendowynne zu stammen, die auf der Westgrenze ihre Sitze gehabt hatten, und wenn er abends am Feuer saß, dann erzählte er gern von den Heldentaten seiner Ahnen, von denen einer bei Ottoburne an der Seite des tapfern Grafen von Douglas gefallen sein sollte. Bei solchem Anlasse hielt dann Simon Glendinning in der Regel ein altes Schlachtschwert auf dem Schoße, das seine Ahnen geführt hatten, lange vorher, ehe einer aus dem alten Geschlecht sich bemüßigt gefunden hatte, bei den Mönchen von Kennaqhueir sich um ein Kirchenlehen zu bewerben. In neueren Zeiten hätte ja Glendinning gemütlich auf seiner Besitzung hausen und mit seinem Schicksale murren können, das ihn hierher verwiesen hatte und ihm nun jede Gelegenheit raubte, sich als Kriegsmann zu verdingen; damals aber fanden sich so viel Anlässe, das murrende Wort durch grimme Tat zu ersetzen, daß sich Simon sogar gezwungen sah, unter den Mauern des Klosterbanns vom Sankt Marien jenen unglückseligen Feldzug mitzumachen, der in der Schlacht von Pinkie ein so schlimmes Ende fand. In diese Fehde war die katholische Geistlichkeit stark verwickelt, weil man die Heirat der noch unmündigen Maria mit dem Sohn des ketzerischen Heinrich zu verhindern strebte. Zufolgedessen hatten die Abteien ihre sämtlichen Vasallen aufgeboten und einen kriegsgeübten Heerführer gedungen, und viele von ihnen hatten sich selbst Waffen umgegürtet und waren mit einer Fahne ins Feld hinausgerückt, auf der die schottische Kirche unter dem Bilde einer weiblichen Gestalt kniete, mit der Umschrift: »Afflictae sponsae ne oblivisceris.« [Vergeßt nicht die bedrängte Braut] Den Schotten tat es aber von je not an besonnenen Führern, denn an Feuer und Ungestüm fehlte es ihnen selber nie. Ihr unbesonnener Mut stürzte sie oft in den Kampf, ohne daß sie Rücksicht auf die eigne und die Stellung des Feindes nahmen, und die unausbleibliche Folge war immer der Verlust einer Schlacht. Aber bei der unheimlichen Schlächterei von Pinkie wollen wir uns nicht aufhalten; es genüge hier bloß die Bemerkung, daß Simon Glendinning an diesem Tage mit zehntausend Rittern und Hörigen den Tod fand und den Ruhm des alten Geschlechts durch diesen Tod nicht verringerte. Als die traurige Kunde hiervon zum Turme von Glendearg gelangte auf ihrem Schreckenswege durch Schottland, da befand sich Simons Witwe Elspath Brydone in der einsamen Burg allein, ein paar Knechte ausgenommen, die weder zur Arbeit noch zum Kriege mehr taugten, und die hilflosen Witwen und Waisen der Mannen ausgenommen, die im Verein mit ihrem Herrn den Tod gefunden hatten. Der Jammer hielt seinen Einzug, aber was konnte Klagen und Jammern nützen? waren doch die Mönche, ihre Herren und Beschützer, durch die englischen Söldner selbst aus der Abtei vertrieben worden, hatten sich doch die Söldnerscharen überall in den Grenzdistrikten festgesetzt und die Bewohner, wenn auch zumeist nur dem Scheine nach, unter ihr Joch gezwungen. Bei den Trümmern der alten Feste Roxburgh hatte der Protektor Somerset ein festes Lager bezogen und befahl alle Umwohnenden zu sich, um, wie es in seinem Erlasse hieß, gegen Abgabe Sicherheit zu bekommen. Es war wirklich auch alle Kraft zum Widerstande gebrochen worden, und die wenigen Barone, die edelsinnig genug waren, sich auch dem Scheine nach nicht zu unterwerfen, gaben ihre Wohnstätten der Zerstörung preis und flüchteten in die einsamen Burgen im Gebirge, während alle Gegenden, deren Herren sich der Unterwerfung weigerten, von englischen Haufen durchzogen und gebrandschatzt wurden. Der Abt und die Klosterbrüder hatten sich über den Forth hinüber geflüchtet, und ihre Ländereien wurden um so härter mitgenommen, weil man sie für ganz unversöhnliche Feinde der englischen Krone hielt. Unter den zu solchen Streifen kommandierten Truppenabteilungen kommandierte Stawarth Bolton eine kleine Schar. Er war Hauptmann in englischen Diensten, aber er gehörte zu jenem bessern Teile englischer Hauptleute, die sich durch eine derbe Großmut und ritterlichen Sinn gegen die Besiegten auszeichnen. Als Frau Elspath Brydone ein Dutzend Reiter den Pfad durchs Tal entlang kommen sah und an der Spitze einen Mann gewahrte, dessen Purpurmantel und glänzende Rüstung mit dem wallenden Federbusch auf dem Helme den Anführer kennzeichneten, ersah sie sich keinen bessern Rat, als im langen Trauergewande mit ihren beiden Knaben an der Hand vor die mit eisernen Nägeln beschlagene Pforte zu treten, die Burg in ihrem vereinsamten Zustande zu übergeben und für sich und ihre Knaben um Schonung zu bitten. »Ich unterwerfe mich, weil ich Widerstand nicht leisten kann,« waren die wenigen Worte, die sie an den englischen Hauptmann richtete. »Um der gleichen Ursache willen, Frau, nehme ich Eure Unterwerfung nicht an,« erwiderte der englische Hauptmann; »ich begnüge mich mit der Erklärung, daß Ihr Frieden halten wollt, und nach dem Sinn Eurer Worte zu urteilen, ist daran wohl nicht zu zweifeln.« »So teilt wenigstens mit uns, was an Vorräten noch in der Burg ist,« sagte Elspath Brydone, »denn Eure Rosse sind erschöpft und Eure Mannschaft bedarf der Erquickung.« »Nein,« erwiderte der Hauptmann, »ich lehne Euer Anerbieten ab, denn es soll von uns englischem Kriegsvolk nicht heißen, daß wir die Witwe eines tapfern Kriegsmanns mit einem Zechgelage belästigt hätten, als sie noch um den Hausvater trauerte. Kameraden! Doch halt!« setzte er hinzu und schwenkte sein Roß herum, »es streifen in allen Richtungen Parteien herum, sie müssen ein Wahrzeichen finden, daß Ihr unter meinem Schutze steht. Komm her, kleiner Gesell,« sagte er zu dem ältesten Knaben, der etwa neun oder zehn Jahre alt sein mochte, »gib mir mal Deine Mütze!« Der Knabe wurde rot bis hinter die Ohren, zauderte und blickte finster drein, bis es endlich der Mutter gelang, ihm unter Worten freundlicher Zurechtweisung die Mütze aus der Hand zu nehmen. Sie gab sie dem Hauptmann, der das gestickte rote Kreuz aus seinem Barett löste und an die Mütze steckte. Hierauf sagte er zu der Witwe: »Durch dieses Zeichen, das all den Unsern heilig ist, werdet Ihr gesichert sein vor jedem Ueberfall.« Dann setzte er dem Knaben die Mütze wieder auf, aber kaum war es geschehen, als der Knabe trotzig, mit wilden Blicken, ehe die Mutter es ihm wehren konnte, die Mütze vom Kopf gerissen und in den Bach geschleudert hatte. Eilends aber kam der andre Knabe herbeigerannt, lief zum Bache hin und sprang der Mütze nach. Es gelang ihm, sie den Fluten zu entreißen, und er brachte sie der Mutter wieder. Vorher aber zog er das Kreuz aus dem Tuche, küßte es mit tiefer Inbrunst und barg es an seiner Brust. Den Engländer befremdete und ergötzte dieser Auftritt, und mit einem Tone, der zwischen Ernst und Scherz schwankte, fragte er den ältern der beiden Knaben: »Weshalb hast Du das Kreuz weggeworfen?« »Weil der heilige Georg bloß im Süden was zu suchen hat,« antwortete mürrisch der Knabe. »Gut,« sagte der Hauptmann, und dann wandte er sich an den jüngern: »Und was dachtest Du, kleiner Freund, als Du das Kreuz wieder aus dem Wasser holtest?« »Der Priester sagt, es sei allen Christen ein Zeichen des Heils.« »Auch gut erklärt,« sagte der Hauptmann. »Wahrlich, liebe Witfrau, um diese beiden Jungen beneide ich Euch. Gehören sie Euch beide?« Wenn der Hauptmann diese Frage stellte, so hatte er gewiß Grund dazu, denn Halbert Glendinning hatte rabenschwarzes Haar und schwarze, große, stechende Augen, die unter den gleichfarbigen Brauen düster blitzten, und eine dunkelgebräunte Hautfarbe; sein Gesichtsausdruck war freimütig, fest und bestimmt in einem Maße, wie sein Alter kaum hätte erwarten lassen. Der jüngere Brüder hingegen hatte blondes Haar und blaue Augen, eine zartere Gestalt und einen sanftern Gesichtsausdruck, er sah fast bleich aus und auf seinen Wangen leuchtete nicht der rosige Hauch kräftiger Gesundheit. Indessen sah der Knabe durchaus nicht krankhaft aus, auch mangelte ihm nicht das Ebenmaß der Formen; er war im Gegenteil ein hübsches Kind, dessen milder, liebevoller Blick unmittelbar zum Herzen sprach. Die Mutter blickte erst stolz, dann zärtlich von einem Knaben zum andern, dann antwortete sie dem Hauptmann: »Freilich, edler Herr! es sind beides meine Jungens!« »Und vom gleichen Vater?« fragte der Hauptmann weiter; doch als er die Röte bemerkte, die ihre Wangen überflog, setzte er rasch hinzu: »Nein, kränken wollte ich Euch nicht, liebe Frau; aber ich würde meine Gevatterin drüben in Merry Lincoln auch nicht anders fragen. Na, das muß ich sagen, Ihr habt da ein Paar herrliche Buben, und ich wünschte, Ihr könntet mir einen davon überlassen, denn ich könnt gar gut einen gebrauchen, lebe ich doch mit meiner Frau auf unsrer alten Burg ganz kinderlos. Na, wie steht's, Jungens, wer will von Euch beiden mit mir mitkommen?« Die Mutter erschrak ob solcher Rede und zog mit beiden Händen die Knaben näher zu sich heran, während beide dem Hauptmann ihre Antworten gaben. »Ich geh nicht mit Euch mit,« sagte Halbert keck, »Ihr seid ein treuloser Mann aus dem Süden, und die Männer aus dem Süden haben meinen Vater erschlagen, aber ich will auf Tod und Leben mit Euch kämpfen und streiten, kann ich erst einmal das Schwert meines Vaters schwingen.« »Na, Du kleiner Streithammel,« versetzte der Hauptmann, »der schöne Brauch, auf Tod und Leben miteinander zu ringen, wird ja in unsern Tagen noch nicht verschwinden. ... Na, und Du, mein zarter Flachskopf, Du magst auch nicht mit mir mitkommen und auf hübschen Steckenpferdchen spazieren reiten?« »Nein,« erwiderte Edward stockend, »denn Ihr seid ja ein Ketzer!« »Ei, das muß ich sagen, liebe Frau,« erwiderte der Hauptmann, »meine Werbung hat bei Euch schlechten Fortgang, und doch beneide ich Euch um die beiden Jungen.« Weder Harnisch noch Koller konnten den tiefen Seufzer verbergen, mit dem er innehielt, dann aber fuhr er fort: »Na, wer weiß, schließlich setzte es bloß Verdruß mit meiner Hausfrau darüber, welcher von beiden ihr der liebste wäre, denn mir gefiele doch der schwarzäugige besser, und sie entschiede sich doch ganz gewiß für den flachsblonden. Na, was hilft's! wir müssen uns mal drein finden, daß wir keine Kinder haben sollen, und müssen das Glück, Kinder zu haben, glücklicheren Menschen lassen als wir sind. ... Sergeant Brittson, Du bleibst hier, bis Du abkommandiert wirst. Beschütze diese Leute, Du bist mir Bürge für sie. Füge ihnen keinerlei Kränkung und Schaden zu, und sorge dafür, daß dies auch von andern nicht geschieht. Ich halte mich an Dich, verstehst Du? ... Liebe Frau, Brittson ist ein verheirateter Mann, alt und verläßlich. Sorgt, daß er pünktlich sein Essen hat. Aber haltet ihn mäßig im Trinken!« Abermals bot Frau Glendinning dem Hauptmann Erfrischungen an, aber mit unsicherer Stimme und erfüllt von dem stillen Wunsche, daß er es ablehnen möge; denn da sie, nach dem gewöhnlichen Irrtum von Eltern, annahm, dem Hauptmann möchte es ebenso sehr darum gehen, Kinder zu bekommen, wie ihr, sie zu behalten, so fürchtete sie, es möchte ihn am Ende die Freude über die beiden Jungen, der er so derben Ausdruck gegeben, dazu verleiten, ihr einen davon zu nehmen. Sie umklammerte sie deshalb mit beiden Händen, wie wenn sie mit ihrer schwachen Kraft bereit sei, sie zu beschützen, wenn man Gewalt brauchen sollte, und mit sichtlicher Freude sah sie, wie der kleine Trupp umlenkte und sich anschickte, den Talweg hinunter zu ziehen. »Ich bin Euch nicht böse drum,« sagte Stawarth Bolton, dem ihre Empfindung nicht entging, »daß Ihr mir argwöhnisch nachschaut, wie der englische Falke über Eurer schottischen Sumpfbrut schwebt. Aber macht Euch keine Sorge! wenig Kinder, wenig Sorgen; und ein kluger Mann holt sich Kinder nicht aus fremdem Hause. Gehabt Euch, liebe Witfrau, und wenn Euer schwarzer Musje mal in die Lage kommt, einen Zug nach England zu unternehmen, dann soll er Weiber und Kinder schonen, und soll nicht vergessen, daß es Stawarth Bolton in Schottland auch so gemacht hat.« »Gott geleit Euch, Ihr edler Mann aus dem Süden!« sagte Elspath Brydone, doch erst, wie er es nicht mehr hören konnte, denn er gab seinem Rosse die Sporen, um an die Spitze des Zuges zu kommen, und langsam verschwanden Helmbusch und Rüstung hinter der Biegung, die das Tal hier machte, in der Ferne. »Mutter,« sagte der älterer der beiden Knaben, »wenn hier für solchen Kerl aus dem Süden gebetet wird, dann sag ich nicht Amen dazu.« »Mutter,« sagte der andere in ehrerbietigerer Weise, »darf man auch für einen Ketzer beten?« »Darauf kann Gott allein Antwort geben, zu dem ich bete und flehe,« antwortete in schwerer Bedrängnis ob dieser beiden Reden aus Kindermund Witwe Elspath, »aber die beiden Worte: Süden und Ketzer, haben Schottland zehntausend seiner tapfersten und rüstigsten Männer gekostet, haben Euch den Vater und mir den Gatten geraubt, und ich mag die beiden Worte nicht mehr hören, weder als Segnung noch als Verwünschung. Geht mit mir in den Turm, Sergeant Brittson!« sagte sie zu dem Soldaten. »Was wir unser nennen, steht Euch zu Diensten.« Drittes Kapitel Die Kunde davon, daß der englische Hauptmann der Witwe von Glendearg Sicherheit gegeben habe, daß weder ihr Vieh weggetrieben, noch ihre Vorräte geraubt würden, hatte sich bald über das ganze Klostergebiet und seine Umgegend verbreitet, und unter den Leuten, zu deren Ohren sie gelangte, befand sich auch eine Dame, die, obgleich viel höheren Standes als die Witwe Glendinning, sich nun zufolge des gleichen Verhängnisses in weit größeres Elend versetzt sah. Die Frau war die Witfrau Walter Avenels, eines tapfern Kriegsmanns aus altem, vornehmem Grenzgeschlechte, das vormals unermeßliche Güter in der Grafschaft Eskdale besessen, die aber schon seit vielen Jahren in andre Hände übergegangen waren. Indessen war ihnen eine Herrschaft von beträchtlichem Umfange und unfern von dem Landsitz des Sankt Marien-Klosters geblieben. Dieselbe lag auf der gleichen Flußseite, wo sich an der Spitze des Tals von Glendearg der kleine Turm Glendinnings erhob. Hier hatten sie seit vielen Jahren gelebt und, ob sie gleich weder reich noch mächtig waren, einen ansehnlichen Rang unter den Adeligen der Umgegend inne gehabt. Durch seinen Mut und Unternehmungsgeist hatte sich der letzte Ritter und Baron von Avenel in eine noch höhere Achtung gesetzt. Als Schottland nach dem furchtbaren Schlage, den es bei Pinkie-Cleuch erhalten hatte, wieder sich einigermaßen zu erholen anfing, da war Walter Avenel einer der ersten gewesen, die einen Guerillakrieg gegen die englischen Machthaber eröffnen halfen in der ganz richtigen Auffassung, daß ein Volk, das von einem fremden ins Joch gespannt wird, sich am leichtesten durch fortdauernde Nadelstiche lästig und verderblich machen kann. In einem dieser Guerillakämpfe war der Ritter von Avenel erschlagen worden, und als die Nachricht hiervon auf das Schloß gedrungen war, folgte ihr eine andre Hiobspost auf dem Fuße, daß ein Trupp englischer Krieger im Anmarsche sei, um das Schloß und die Besitztümer der Witwe zu plündern. Es sei in dem feindlichen Hauptquartier beschlossen worden, ein Exempel zu statuieren, das andre im Lande abschrecken sollte, dem Beispiele des Erschlagenen zu folgen. Der unglücklichen Witwe von Avenel bot sich keine andre Zuflucht, als eine erbärmliche Schäferhütte zwischen den Hügeln. Dorthin schaffte man sie in aller Eile, so daß sie kaum begriff, was mit ihr vorging, und warum die bestürzte Schloßdienerschaft sie mit ihrem jungen Töchterchen aus ihrem Hause und in eine so unwirtliche Gegend brachte. Die Frau des Schäfers war in bessern Tagen Magd auf dem Schlosse gewesen und hieß sie mit all der Ehrfurcht und Demut willkommen, die sie von diesem frühern Verhältnis zu der Schloßherrin noch gewöhnt war. In der ersten Zeit war sich die Schloßherrin ihres Elendes kaum bewußt geworden. Als aber der Schmerz sich halb und halb beruhigt hatte, und als sie für ihre Lage Verständnis fassen konnte, da fehlte wenig, so hätte sie den Gemahl um die schweigsame Stätte beneidet, die er, wenn auch viel zu früh, gefunden hatte. Die Dienerschaft mußte sich, als sie die Herrin in der einsamen Hütte untergebracht hatte, selbst nach einer Unterkunft umtun, und die armen Hirten waren bald nicht mehr im stande, den Unterhalt für ihre Herrin zu beschaffen, da sie ja selbst am Notwendigsten Mangel litten, denn die paar Schafe und Kühe, die noch aus der ersten Durchsuchung der Gegend gerettet worden waren, hatten die Engländer bald nachher aufgestöbert und weggetrieben, so daß ihnen nun der Hunger entgegengrinste. »Nun sind wir verloren und stehen am Bettelstabe,« sagte der alte Schäfer Martin, händeringend, »o, diese Spitzbuben, diese habgierigen Kerle! Kein Stück von der Herde haben sie uns übrig gelassen! wovon sollen wir nun leben?« »Ach, und wie weh hats mir getan, als Dickchen und Grauchen, unsre letzten beiden Kühe, den Hals nach dem Stalle zurückwandten und brummten, als die Rotjacken sie mit ihren Lanzen aus dem Stalle trieben.« »Vier Kerle warens bloß,« sagte Martin, »und wie lange ists her, da hätten sich keine vierzig so weit getraut, aber mit unserm guten Ritter ist alle Kraft und Mannheit hin.« »Um des heiligen Kreuzes willen, Mann, sei still,« bat die Frau, »ist doch unsre arme Herrin ohnedem halb tot! Sieh nur, wie ihr die Augenlider zucken! Noch ein Wort mehr, und sie stirbt uns am Herzkrampf!« »Ach, wenn wir bloß erst alle hinüber wären!« sagte Martin, »wie das noch werden soll, das geht über meinen Verstand. Um meinetwillen härme ich mich nicht, Tibbie, wir können ja darben und arbeiten; aber die gnädige Herrin hat ja beides nicht gelernt.« So besprachen sie sich unverblümt über die Lage, in der festen Meinung, die arme Frau mit ihrem todbleichen Gesicht, mit den zuckenden Lippen und den halb erloschenen Augen könne sie nicht hören. »Einen Rat wüßt ich schließlich noch,« meinte nach einer Weile der Schäfer wieder, »aber ich weiß nicht, ob sie es übers Herz bringt. Die Witwe überm Tal drüben, die Glendinning, hat von den Halunken aus dem Süden Sicherheit bekommen, daß ihr kein Soldat, gleichviel aus was für Grund und Ursach, ins Haus hinein treten darf. Wenn sich unsre Frau ein bißchen beugen wollt und bei der Frau Elspath um Unterkunft nachsuchen möcht, bis sich die Zeiten ein bißchen beruhigt und gebessert haben, dann wär das für ihresgleichen keine geringe Ehre, aber ...« »Eine Ehre ...« erwiderte Frau Tibbie, »na, und was für eine! ... damit könnt ihre Sippe sich noch groß tun, und wenn ihre Knochen schon lange gebleicht sind! ... Aber, Gott im Himmel! bei der Witwe eines Kirchenvasallen soll unsre gnädige Frau, eine Baronin von Avenel, um Unterstand einkommen!« »Dumm genug ists freilich,« meinte Martin; »aber was bleibt andres übrig? Hier im Elend bleiben und verhungern? und wo wollen wir denn sonst hin? Ich weiß nicht besser zu raten, als der erste beste Schafbock, den ich auf die Weide getrieben habe.« »Sprecht nicht weiter darüber,« ergriff da, sich unvermutet ins Gespräch mischend, die Witwe von Avenel das Wort, »ich will zum Turme hinüber gehen. Frau Elspath stammt von braven Leuten, sie ist Witwe und Mutter von Waisen. Sie wird mir ein Plätzchen in ihrem Hause vergönnen, bis sich das Gewitter verzogen hat. So lange solcher Sturm haust, bleibt man besser im tiefen Busche versteckt, als daß man sich auf Höhen begibt.« »Siehst Du, Frau,« sagte Schäfer Martin, »die Gnädige ist zweimal so gescheit wie wir.« »Das muß doch auch sein,« antwortete Frau Tibbie, »denn die Gnädige ist ja im Kloster erzogen worden, sie kann in Seide sticken, kann Weißzeug säumen und Muscheln aufreihen.« »Meint Ihr,« sagte die Dame zu Martin, ihr Kind fest an den Busen pressend, »daß wir bei der Frau von Simon Glendinning willkommen sein werden?« »O, sicher, ganz sicher, gnädigste Frau,« erwiderte Martin, »des Willkomms sind wir doch auch wohl wert. In den ewigen Kriegen sind die Menschen zur Rarität geworden und werden wohl noch lange Rarität bleiben. Ich kann mich doch noch immer tüchtig rühren, besser als je im Leben, und kein Weib weiß mit Kühen bessern Umgang als meine Frau, die Tibbie!« »Ich wollte noch ganz andre Dinge verrichten, wenn ich in einem vornehmen Hause sein könnte,« sagte die Frau, »aber bei der Frau Elspath Glendinning gibts keine Perlen zu reihen und keine Hauben aufzuputzen.« »Laß ab mit Deinen hoffärtigen Gedanken, Weib!« versetzte der Schäfer, »Du wirst im Hause und draußen genug zu schaffen finden, und es müßte doch schlecht hergehn, wenn nicht zwei Menschen das bißchen Essen für drei verdienen sollten, denn das kleine liebe Ding von Fräulein ist doch noch gar nicht zu rechnen. Aber weg von hier, weg! was wollen wir herumstehn und Zeit verlieren, es sind doch an die drei Stunden, die wir wandern müssen über Berge und durch Sumpf und Morast. Für eine zum vornehmen Leben geborne Dame ist das doch was andres, als ein Spazierritt ums Schloß herum!« Um das bißchen Hausgerät brauchten sich die beiden Schäfersleutchen nicht zu bekümmern. Ein alter abgetriebner Gaul, den die Soldaten wohl nicht gemocht hatten, weil er scheute und sich von keinem Fremden einfangen ließ, obendrein das Futter wohl nicht wert war, erhielt die Aufgabe, die paar Decken und sonstigen Dinge zu tragen, die des Mitnehmens verlohnten. Shagram hieß der Gaul, und als er auf den Pfiff des Schäfers herankam, da fand der alte Mann, daß er durch einen Pfeil, den gewiß irgend solch ein Rotrock aus Aerger darüber, daß er ihn nicht hatte fangen können, in den Leib geschossen, verwundet worden war. »Ach, du armer Kerl,« klagte Martin, »mußt du auch noch lernen, was die langen Bogen von diesem Gesindel auf sich haben? mußt dus auf deine alten Tage auch noch lernen, wie wir alle?« »Ach, in welcher Schlucht, in welchem Tale wehklagt man nicht darüber?« sagte die Witwe von Avenel. »Ja, ja, gnädige Frau,« erwiderte der Schäfer, »Gott behüte bloß die Schotten vor diesen schrecklichen Waffen! denn vor flinken Hieben wissen sie sich zu schützen. ... Aber machen wir uns nur auf den Marsch! das bißchen Kram, das wir noch in der Hütte lassen, kann ich schon ein ander Mal nachholen. Vergreifen wird sich hierherum wohl niemand dran, es wohnt ja bloß gute Nachbarschaft im ganzen Tale ... und mit andrer ...« »Lieber Mann, sprecht nicht solche Gedanken aus,« bat die Witwe, »wir müssen noch über manch einsame, gefährliche Stelle, ehe wir am Gatter von Glendinnings sein werden. Um Gottes willen, haltet vor allen Dingen Frieden!« Der Mann versprach es ihr durch ein Nicken, denn es hatte schon seine Gefahr, von den Feen und Hexen des Talgrundes als guter Nachbarschaft zu reden, vor allem, wenn man an Plätzen vorbei mußte, die in dem Rufe standen, von ihnen bewohnt zu sein. Es war der letzte Tag des Oktobermonats, an welchem die drei Leute mit dem kleinen Freifräulein die Wanderschaft antraten. »Heut ist grade Dein Geburtstag, meine süße Mary,« sagte die Witwe, und der Stachel bittrer Erinnerung traf ihr Herz. »O, wer hätte ahnen sollen, daß das kleine Köpfchen, das heute vor wenig Jahren im Schoße fröhlicher Verwandten gewiegt wurde, in dieser Nacht vielleicht umsonst nach einem Obdach suchen wird?« Die Flüchtlinge machten sich nun auf den Weg. Das liebliche kleine Mädchen, Mary Avenel, ein Kind zwischen fünf und sechs Jahren, ritt nach Zigeunerart, zwischen Betten gepackt, auf dem Gaule, die Witwe von Avenel schritt neben dem Gaule, die Schäfersfrau führte den Gaul am Zügel, und der alte Martin ging ein Stück voraus, um den besten Weg zu ermitteln. Aber sobald man die erste Wegstunde hinter sich hatte, wurde dieses Amt mühseliger und schwieriger, als er sich vielleicht gedacht oder als er es hatte sagen wollen. Das große Stück von Weidefläche, wo er jeden Winkel kannte, mußten sie im Westen liegen lassen, denn das Tal von Glendearg lag in östlicher Richtung, und in den rauheren Strichen von Schottland ist der Uebergang von einem Tal ins andre, wenn man nicht über die Berge steigen will, in der Regel nur schwer zu finden. Der Wanderer muß über Schroffen und Klüfte, und Sümpfe und Klippen halten ihn auf oder bringen ihn vom Wege ab. So erging es auch dem Schäfer Martin, und wenn er auch im allgemeinen sich nicht im unklaren darüber war, daß er die rechte Richtung inne behielt, so wurde ihm doch mit der Zeit bange, und er mußte sich langsam eingestehen, daß er den graden Weg verfehlt habe. Noch immer aber meinte er versichern zu dürfen, daß man nicht mehr weit vom Ziele ab sein könne. »Wenn wir bloß erst über den großen Sumpf hinüber wären,« sagte er, »dann könnt ich einstehen, daß wir die Turmspitze von Glendearg sehen müßten.« Aber diese Aufgabe zu lösen, war keine geringe Schwierigkeit, denn je weiter sie vordrangen, unter der äußersten Behutsamkeit, die Martin gebot, um so gefährlicher wurde der Weg, um so tiefer sanken sie ein; aber da sie die gleichen Gefahren zu überwinden hatten, wenn sie wieder umdrehten, wurde es für besser erachtet, den Weg fortzusetzen und nicht umzudrehen. Lady Avenel war freilich für solche Strapazen nicht erzogen worden, aber was vermag eine Mutter nicht zu vollbringen, wenn sie ihr Kind in Gefahr weiß! Sie klagte weniger über die Beschwerden der Wanderung als Martin und seine Frau, die an dergleichen Dinge doch von Kindesbeinen an gewöhnt waren. Sie blieb dicht an der Seite des Pferdes, achtete fürsorglich auf jeden seiner Tritte, immer ängstlich bedacht, ihr Kind in die Arme zu heben, wenn dem Pferde der Boden unter den Füßen verschwinden sollte. Endlich gelangten sie an eine Stelle, wo der Schäfer nicht mehr aus und ein wußte, denn rings um die Wanderer her zeigte sich zerrissener Heideboden, nach allen Seiten hin liefen tiefe Furchen, die mit schwarzem, zähem Moor gefüllt waren. Nach langer Ueberlegung entschied sich Martin endlich für einen Pfad, der in schrägerer Richtung lief als die andern, und damit das Kind noch besser geschützt sei als bisher, nahm Martin das Pferd selbst am Zügel. Aber Shagram fing an zu schnaufen, die Vorderfüße zu strecken und die Hinterbeine anzuziehen und weigerte sich, auch nur einen Schritt noch weiter zu tun. Martin stand in Verwirrung und Zweifeln da, er wußte nicht, ob er Gewalt gegen das Tier brauchen oder ihm den Willen lassen solle, und was ihm seine Frau darauf sagte, als er unschlüssig fragte, was wohl am besten sei, war auch nicht danach angetan, ihn mutiger oder gescheiter zu machen, denn als sie sah, daß Shagram die Nüstern blähte und ängstlich zusammenschauerte, sagte sie leise: »Du, glaub mir, der sieht mehr als ein Mensch sehen kann.« Als sie nun unschlüssig standen und keiner wußte, was zu tun sei, rief das Kind plötzlich: »Die schöne Dame winkt uns zum Turme hinauf!« Alle blickten nach der Stelle, die des Kindes Finger wies, aber sie nahmen nichts wahr, als ein aufsteigendes Gekräusel von Dunst, aus dem bloß eine Kindesphantasie sich eine menschliche Gestalt zurechtgliedern konnte, und der Martin bloß noch die weitere Gefahr im Anzuge befindlicher Nebel vor die Augen rückte. Noch einmal versuchte er, das Pferd in der Richtung, die er für die beste hielt, vorwärts zu treiben, aber er mußte das Vergebliche solcher Bemühung erkennen. Das Tier weigerte sich, auch nur noch einen Schritt weiter zu machen. »Na, dann lauf Deinen eignen Weg, dummes Biest,« rief Martin, »und zeig, wohin Du uns bringst.« Als das Tier seinen eignen Weg gehen durfte, schlug es kühn die Richtung ein, die das Kind gezeigt hatte. Es braucht das weiter nicht zu verwundern, auch nicht, daß das Pferd auf diesem Pfade die Wanderer glücklich über den Sumpf brachte, denn der »Sumpfinstinkt« von Pferden, die in Sumpfgegenden geboren sind, ist eine seltsame, vielbemerkte Eigenschaft dieses an sich zu den klügsten Tieren gehörenden Geschöpfes. Aber merkwürdig blieb es, daß das Kind noch mehrmals der »schönen Dame« Erwähnung tat, wie auch der Winke, die sie ihm gebe, und daß anderseits das Pferd sich beflissen zeigte, genau die angedeutete Richtung einzuhalten. Die Lady achtete im Augenblicke jedoch wenig darauf, denn ihre ganze Aufmerksamkeit war auf die Gefahr gerichtet, die sie zu bestehen hatten, dagegen tauschten die beiden Schäfersleute bedeutungsvolle Blicke miteinander. »Aller Heiligen Abend,« flüsterte Frau Tibbie ihrem Manne zu. »Um der heiligen Gottesmutter willen jetzt kein Wort hiervon,« sagte Martin ebenso leise, »sprich Dein Gebet, Frau, wenn Du sonst nicht zu schweigen vermagst!« Als sie auf festen Grund gelangt waren, gewahrte Martin auf der Spitze der nächstliegenden Hügel die rohen Grenzsteine, die ihm zeigten, in welcher Richtung er gehen müsse, und nun erreichten sie bald den Turm von Glendearg. Bei dem Anblick der kleinen Feste fühlte sich die unglückliche Dame von den herben Unglücksschlägen, die sie getroffen hatten, tief erschüttert. Mit welcher Ehrerbietung war sie sonst begrüßt worden, wenn sie sich in der Kirche oder auf Märkten oder sonst im öffentlichen Leben gezeigt hatte! alle Weiber der Vasallen und Lehensmänner sahen in ihr die Gemahlin des angesehenen, mächtigen, aus uraltem Geschlecht stammenden Ritters von Avenel, und nun war ihr Stolz so tiefgebeugt, nun war sie in ihrem Range so tief gestürzt worden, daß sie um Unterstand betteln mußte bei der Witwe eines solchen Vasallen, um Unterstand, der vielleicht gar keine Sicherheit für sie bot! ... Martin, der wohl merken mochte, was in ihrem Innern vorging, blickte zu ihr auf mit flehendem Ausdruck, wie wenn ihn die Furcht beschliche, sie könnte ihren Entschluß am Ende noch ändern, aber die Dame beschwichtigte, indem sie mehr auf seine Mienen einging als auf seine Worte hörte, diese Regung in dem Gemüte des schlichten Mannes, wenn auch der alte Stolz nur mühsam bezwungen ward und hin und wieder noch immer in ihren Augen aufleuchtete: »Wär ich allein, dann stürbe ich lieber ... aber um des Kindes willen, um meiner lieben, süßen Mary willen, ... um dieses letzten Sprossen des Hauses Avenel willen ...« »Freilich, gnädigste Dame, freilich!« sprach ihr der Schäfer zu, und um jede Möglichkeit eines andern Entschlusses abzuschneiden, fügte er hinzu: »Ich will vorausgehen zu der Frau Elspath, ich hab ihren Mann gut gekannt und hab mit ihm eingekauft und Geschäfte gemacht, als er auch einer von den besser Gestellten im Lande noch war.« Martin hatte sich seines Anliegens bald entledigt, und die Unglücksgenossin sagte nicht nein. Lady Avenel war im Glück immer leutselig und nie hochmütig gewesen, hatte auch vieles Gute getan unter den Armen im Lande, und das Unglück, das sie jetzt betraf, rief bei allen Leuten im Lande, vornehmlich aber in der Nachbarschaft ihrer Besitzung, das tiefste Mitleid wach. Zudem mußte es ja auch dem Selbstgefühl einer niedriger gestellten Frau schmeicheln, daß sie durch ein freundlicheres Schicksal in die Lage gesetzt wurde, einer so hochgestellt gewesenen Dame Unterstand in ihrer bescheidnen Behausung zu gewähren. Um jedoch alle Gerechtigkeit gegen Frau Elspath Glendinning zu wahren, dürfen wir nicht unerwähnt lassen, daß sie auch Teilnahme für eine Frau im Herzen trug, die von dem gleichen Unglück betroffen worden war wie sie, die aber weit schwerer daran zu tragen hatte als sie. Den armen Flüchtlingen wurde alle Gastfreundschaft gewährt, die die gegebnen Umstände ermöglichten, ehrerbietig und willig, und das herzliche Ersuchen wurde damit verbunden, sich so lange in Glendearg wohnlich einzurichten, als es durch die Umstände geboten wäre oder sich mit Geschmack und Neigungen vertrüge. Viertes Kapitel Als die Verhältnisse im Lande wieder ruhiger geworden waren, wäre die Witwe Walter Avenels wohl gern wieder in ihr Schloß zurückgekehrt, doch stand solches Tun nicht mehr in ihrer Macht. Unter der damaligen Regierung, die von einem der eigentlichen Königin gesetzten Vormunde geführt wurde, galt das Recht des Stärkern, und wer viel Gewalt und ein weites Gewissen hatte, machte sich diese Wirren zu nutze und riskierte die gröblichsten Eingriffe in die Rechte andrer. Sir Walter von Avenel hatte noch einen jüngern Bruder, Julian mit Namen, der war ein Mann von solchem Schlage und säumte nicht lange, von der Burg und den Ländereien des Bruders Besitz zu ergreifen, sobald die Engländer das Land verlassen hatten. Zuvörderst ergriff er wohl Besitz im Namen seiner Nichte. Als aber seines Bruders Witwe die Absicht äußerte, mit ihrem Töchterchen wieder in das Schloß zurückzukehren, erklärte er kurz und bündig, Schloß und Land Avenel sei ein Mannslehen und falle mithin nach dem Heimgang des ältern an den jüngern Bruder, also an ihn. So wenig wie jener Philosoph sich in einen Streit mit dem Kaiser einließ, der über zwanzig Legionen gebot, so wenig konnte die Witwe Walter Avenels sich in einen Prozeß mit dem Herrn über zwanzig Banditen und Freibeuter einlassen, die alle im Falle der Not bereit und willig waren, ihm Hilfe und Beistand zu leisten. So rechtlich begründet nun auch der Anspruch von Walters ehelicher Tochter mit seiner Gattin zur rechten Hand und erster Ehe auch war, so sah sich die Witwe, wenn auch nur vorläufig, doch gezwungen, ihrem gewissenlosen Schwager freie Hand zu lassen. Ihre Langmut und friedliche Gesinnung zeitigte zum wenigsten den Entschluß bei demselben, sie der Milde einer Vasallenwitwe nicht völlig anheimgestellt zu lassen, sondern eine Viehherde nach Glendearg in Weidepacht zu geben und Kleidung und Hausgerät, auch einiges Geld, dies jedoch nur in beschränkter Höhe, zu senden. Mittlerweile fanden die beiden Witwen Gefallen an ihrem Zusammenleben, so daß sie sich nur ungern wieder hätten trennen mögen. Einen stillern und sicherern Aufenthaltsort als ihr der Turm von Glendearg bot, hätte die Witwe von Avenel kaum finden können, und sie war ja jetzt auch in die Lage gesetzt, ihr Teil zu den Kosten des gemeinschaftlichen Haushalts beizutragen. Anderseits gewährte der Frau Elspath der Umgang mit einer so vornehmen Dame nicht minder Freude als Ehre, und sie zeigte ihr immer weit mehr Demut und Hingebung, als von dieser begehrt und gern gesehen wurde. Das Schäferpaar Martin und Tibbie erwiesen sich als die emsigsten und treuesten Knechte und suchten sich in allerhand Verrichtung nützlich zu machen, und zwar beiden Frauen, wenn sie sich auch in erster Linie abhängig von der Dame Avenel hielten. Hin und wieder kam es infolgedessen wohl zu einem kleinen Zwiste zwischen Frau Elspath und Martins Frau, wenn die eine eifersüchtig auf ihrem Ansehen bestand und die andre Rang und Herkunft ihrer Herrin zu scharf in den Vordergrund schob. Indessen ließen es sich beide immer angelegen sein, solchen Zwist untereinander abzumachen und die Dame Avenel nichts davon merken zu lassen, denn die Frau Elspath hatte vor ihrer Leidensgefährtin wohl kaum einen geringeren Respekt als die Schäfersfrau. Auch gingen diese kleinen Mißhelligkeiten nie so weit, daß der Hausfriede gestört wurde, denn von dem einen der beiden Teile wurde immer rechtzeitig eingelenkt und nachgegeben, wenn der andre, und das war in der Regel die Schäfersfrau, ein wenig zu weit in ihrem Übereifer für ihre eigentliche Herrin gegangen war. Nach und nach entschwand den beiden Witwen das Interesse für die jenseits ihrer Berge gelegene Welt, und nur, wenn Alice von Avenel an hohen Festtagen in der Klosterkirche Messe hörte, gedachte sie jener Zeit noch, da sie auf gleicher Höhe mit den stolzen Gemahlinnen der Barone des Landes gestanden hatte, die gleich ihr in der Abteikirche erschienen. Aber solche Erinnerungen schmerzten sie nur wenig. Sie hatte ihren seligen Gemahl nicht um des äußerlichen Ansehens willen geliebt, sondern um seiner persönlichen Tugenden willen, und nachdem sie seinen Verlust hatte ertragen müssen, war alles andre Leid, das sie betraf, nicht mehr im stande, sie zu erschüttern. Zwar kam es ihr bisweilen in den Sinn, für ihre Tochter den Schutz der Königin-Regentin Maria von Guise zu erbitten, aber immer trat hindernd die Bange vor ihrem Schwager Julian zwischen Gedanken und Ausführung, denn sie durfte sich nicht verhehlen, daß ein solcher Mensch wie er, sich nicht besinnen würde, ihr das Kind zu rauben, wenn er nicht gar noch zu schrecklicheren Maßregeln griffe, sobald er sich in seinem Raube irgendwie gefährdet sähe. War er doch ein gewalttätiger und roher Gesell, der in allerhand Fehden verstrickt war und überall sich einmischte, wo Lanzen und Speere gebrochen wurden. Zudem zeigte er keinerlei Neigung, in den Ehestand zu treten. Und bei seiner ewigen Händelsucht konnte ihn leicht das Schicksal heimsuchen, das er unentwegt herausforderte, und ihn aus dem Erbe reißen, das er sich auf so schmähliche Weise angeeignet hatte. Darum meinte Lady Alice, daß sie klüger täte, den Einflüsterungen ihres Ehrgeizes jetzt nicht Gehör zu leihen sondern ihr Leben in der bisherigen Ruhe und Zurückgezogenheit in der dürftigen, aber friedlichen Freistatt weiter zu führen wie bisher. Es war wiederum zu Allerheiligen, und die beiden Witfrauen hatten nun drei Jahre zusammen gelebt, und sie saßen in der alten engen Halle in der Feste von Glendearg mit der Dienerschaft um das lodernde Herdfeuer versammelt. Damals kannte man den Brauch von heute, daß die Herrschaft für sich und die Dienerschaft für sich haust, noch nicht. Man wohnte zusammen und nahm die Mahlzeiten zusammen ein. Der oberste Platz am Tische und der behaglichste Sitz am Herde, das waren die einzigen Vorrechte, die der Herrschaft innerhalb der Wohnstätte zugehörten, und der Dienerschaft stand nicht minder das Recht zu, an dem von der Herrschaft geführten Gespräch, wenn in ehrsamer, züchtiger Weise, sich zu beteiligen. Was die eigentlichen Knechte anbetraf, so gehörten denselben die außen gelegnen Hütten, und die beiden Dirnen, die Töchter des einen Knechts, versahen die häusliche Arbeit, früh, ehe sie aufs Feld hinaus gingen, oder abends, wenn sie vom Felde heimkehrten. Wenn sie draußen waren, schloß Martin erst das eiserne Gatter, dann das innere Tor ab, und dann ordnete sich die kleine Hausgemeinschaft wie folgt: Frau Elspath setzte sich an den Spinnrocken, Tibbie kochte die Molken ab, die in einem großen Kessel über dem Feuer hingen, und Martin widmete sich aller Hausarbeit, die sich gerade fand, denn zu jener Zeit war jeder Haushälter sein eigner Maurer, Schmied und Zimmermann, sein eigner Schneider und Schuster, und hatte außerdem noch ein aufmerksames Auge auf die Kinder des Hauses. Den Kindern stand das freie Recht zu, sich nach Herzenslust in den Räumen des Hauses zu tummeln; aber heute war es ihnen danach nicht zu Mute, heute blieben sie in der Nähe der Mutter. Alice von Avenel saß bei einem eisernen Leuchter, in welchem eine ungetüme Fackel brannte, deren Gestell aus der häuslichen Schmiede hervorgegangen war, und beim Schein des Feuers, das in derselben flammte, las sie abgerissene Stellen aus einem mit starken Schlössern versehenen Buche, das sie mit äußerster Sorgfalt aufbewahrte. Die Lady hatte in ihrer Jugend, während ihres Aufenthalts im Kloster, die Kunst des Lesens gelernt, aber sie in den letzten Jahren kaum noch betätigen können, da sich ihr ganzer Bücherschatz auf das kleine Buch, das sie jetzt in der Hand hielt, beschränkte. Die Hausgenossenschaft lauschte ihrem Vortrag, wenn sie auch für den Sinn so gut wie kein Verständnis haben mochte, aufmerksam, und wenn auch Alice oft gewillt war, ihrer Tochter einen tiefern Einblick in ihr Wissen zu verschaffen, so kam sie doch auch hiervon immer wieder ab, weil es damals noch eine gefährliche Sache war, Dinge zu verstehen, die noch nicht als Allgemeingut des Volkes galten, im Gegenteil leicht auf den Verdacht führten, daß sie nur durch Umgang mit bösen Geistern erworben seien. Von Zeit zu Zeit wurde die Dame von Avenel in ihrer Lektüre durch das Toben der Kinder gestört, denen dann Frau Elspath einen bald mehr, bald minder derben Verweis erteilte. Zuletzt schickte sie ihre beiden Knaben ins Bett, aber kaum hatten sie in der Absicht, sich diesem Befehle zu fügen, den Fuß aus der Halle gesetzt, als sie mit angsterfüllten Gesichtern wieder hereingestürzt kamen, um zu melden, daß in der Speisekammer ein gewappneter Mann sich aufhalte. »Wer wirds denn anders sein als der Christie von Clinthill?« sagte Martin; »aber warum mag er zu solcher Stunde sich hier einfinden?« »Und wie mag er hierher gekommen sein?« fragte Elspath. »Ach, was wird er wollen?« rief die Dame von Avenel, der dieser Mann, den sie als einen Anhänger ihres Schwagers kannte und der als sein Beauftragter schon hin und wieder in Glendearg gewesen war, immer ein geheimes Grauen verursachte. »Gott! o Gott! wo ist mein Kind?« rief sie plötzlich und sprang auf. Alle rannten nach der Speisekammer, Halbert Glendinning wappnete sich mit dem rostigen Schwert seines Vaters, und sein jüngerer Bruder nahm das Gebetbuch der Dame. Aber ihre Angst schwand, als sie vor der Tür der Speisekammer die kleine Mary stehen sahen, die nicht im geringsten erschrocken oder geängstigt aussah. Schnell traten sie nun in den Raum, wo zur Sommerszeit hin und wieder einmal das Essen eingenommen wurde. Aber es befand sich niemand in dem Raume. »Wo ist denn Christie von Clinthill?« fragte Martin. »Ich weiß es nicht,« antwortete die Kleine. »Was treibt Ihr denn für Unfug, Ihr garstigen Kinder?« fragte Frau Elspath ihre beiden Knaben. »Ihr rast in die Halle herein, schreit, als wenn Ihr am Spieße steckt, und erschreckt unsre liebe Dame um nichts und wider nichts.« Die Knaben sahen einander stumm und verwirrt an, und die Mutter fuhr in ihrer Strafpredigt fort: »Konntet Ihr keinen andern Abend als Allerheiligen und keine andre Zeit, als da uns die Dame von den frommen Heiligen vorlas, für Eure Possen finden? ... Aber kommt mir nur unter die Finger! ich wills Euch schon eintränken!« Der ältere der Knaben schlug die Augen nieder, der jüngere fing an zu weinen, aber beide schwiegen, und wenn sich das kleine Mädchen jetzt nicht eingemischt hätte, würde es ohne Schläge für die beiden Knaben wohl nicht abgegangen sein. »Frau Elspath, es ist meine Schuld, daß Halbert und Edward gerufen haben. Ich sagte ihnen, es sei ein Mann in der Speisekammer.« »Und warum erschreckst Du uns alle so?« fragte die Mutter ihre Tochter. »Weil,« stammelte das Kind, »weil ich nicht anders konnte.« »Weil Du nicht anders konntest?« sagte die Mutter. »Was ist das für eine Rede, Kind? Du verursachst unnützen Lärm, unnütze Angst, weil Du nicht anders konntest? ... was soll diese Rede, mein Kind?« »Aber es ist wirklich ein gewappneter Mann in der Speisekammer gewesen,« sagte das Kind, »und weil ich mich darüber gar so gewundert habe, habe ich Halbert und Edward gerufen.« »Also hat sie es selbst gesagt,« meinte Halbert, »ich hätt' es gewiß nicht erzählt!« »Ich auch nicht!« ergänzte wetteifernd Edward. »Fräulein Mary,« hob Frau Elspath an, »Ihr habt uns doch nie was gesagt, das nicht wahr gewesen wäre; nun sagt uns doch aufrichtig, wozu war solche Komödie notwendig zu Allerheiligen?« Es schien, als wenn die Dame von Avenel willens sei, sich einzumischen, aber sie wußte nicht recht, wie, und Elspath war zu neugierig, in Erfahrung zu bringen, wie es sich um die Sache verhielt, als daß sie einen Wink von ihr hätte beachten sollen, und fuhr deshalb fort: »War es denn Christie von Clinthill? Wie soll er denn aber ins Haus hineingekommen sein, ohne daß man es gehört hätte?« »Christie wars nicht,« antwortete Mary, »es war ..., war ... ein Herr, ein hübscher Mann mit glitzerndem Harnisch, wie ich ihn damals gesehen habe, als wir noch oben auf dem Schlosse waren.« »Und wie hat er denn ausgesehen?« fragte Tibbie, die Schäfersfrau, die auch an dem Verhör, in das die Kleine genommen wurde, teilnahm. »Er hat schwarze Augen gehabt, schwarzes Haar und einen schwarzen Spitzbart,« antwortete das Kind, »und lauter Perlenschnüre um den Hals, die ihm bis auf den Harnisch hinunter reichten, und auf seiner linken Hand hat ein wunderschöner Falke gesessen, mit silbernen Glöckchen und rotseidner Haube auf dem Kopfe.« »Um Gottes willen!« rief die erschrockne Dienerin, »fragen wir nicht weiter! Seht doch nur, wie bleich meine Herrin wird!« Aber die Dame von Avenel nahm ihr Kind bei der Hand und drehte sich eilig um, um in die Halle zurückzugehen, so daß man nicht sehen konnte, welchen Eindruck die Erzählung des Kindes, die sie so rasch abgebrochen hatte, auf sie weiter gemacht hatte. Was jedoch Frau Tibbie darüber dachte, ließ sich an den vielen Kreuzen erkennen, die sie schlug. Und nach einer Weile flüsterte sie der Frau Elspath ins Ohr: »Gott steh uns bei! die Kleine hat ihren Vater gesehen.« Als sie nachher wieder in die Halle traten, fanden sie die Dame von Avenel mit ihrem Töchterchen auf dem Schoße, in Tränen gebadet. Sie küßte das Kind mit leidenschaftlichem Schluchzen, stand aber auf, als die andern Hausbewohner wieder hereintraten, wie wenn sie nicht wollte, daß man sie beobachtete, und ging in das kleine Stübchen, wo sie mit dem Kinde zu schlafen pflegte. Daß sich die Bewohner, als sie sich allein sahen, sogleich mit der übernatürlichen Erscheinung, für die sie den Vorfall ansahen, weiter beschäftigten, war bei dem abergläubischen Charakter, der den Schotten überhaupt eigentümlich ist, nicht zu verwundern. »Mir wärs lieber gewesen, ich hätte den Gottseibeiuns – die heilige Jungfrau möge uns schützen – leibhaftig gesehen, als daß ich diesen Christie von Clinthill in meinen vier Pfählen vermuten sollte. Wie die Rede im Lande geht, ist der Kerl ein ganz vermaledeiter Spitzbube, wie kaum je einer im Sattel gesessen hat.« »Na, na, Frau Elspath, der Christie tut Euch nichts zu leide. Ihr wißt doch, jede Kröte hält ihr Loch sauber. Ihr Kirchenleute erhebt auch gar zu viel Lärm, wenn sich einer um sein bißchen Brot drehen und wenden muß. Wenn unsre Grundherren die flinken Jungen aus dem Hause jagten, dann ritten sie gar bald mit kleinem Gefolge.« »Besser wärs schon, sie ritten allein, als daß sie bloß Not und Elend damit übers Land bringen!« »Wer soll denn aber die aus dem Süden vom Lande fernhalten?« fragte Tibbie, »wenn Ihr Lanzen und Schwerter aus dem Lande bringt? .... Wir alten Weiber mit Rocken und Spindel könnens doch, weiß der Himmel, nicht machen, und die Mönche mit dem Weihrauchwedel und dem Gebetbuch doch auch nicht!« »Und wann habt Ihrs erlebt, daß Schwerter und Lanzen sie vom Lande fern gehalten hätten?« fragte Elspath, »wenn ich dazu was sagen soll, dann stritte wohl niemand mir ab, daß mich einer aus dem Süden besser behütet hat als all die Grenzreiter mit all ihren Andreaskreuzen! und der Mann aus dem Süden war Stawarth Bolton! ... An der ganzen Feindschaft mit England ist nach meinem Dafürhalten weiter nichts schuld, als die ewigen Ausfälle und Einfälle an der Grenze; weiter nichts als das hat meinem guten Manne und so vielen andern noch das Leben gekostet! ... Da wird immer geschwatzt von einer Heirat zwischen unsrer Königin und dem Prinzen drüben; aber das ist doch immer bloß der Deckmantel, um die Leute drüben in Cumberland auszuplündern, die dann wieder über uns herfallen.« Frau Tibbie wäre unter andern Umständen die Antwort auf solch verächtliche Bemerkungen ihrer Landsleute nicht schuldig geblieben, aber sie zog in Betracht, daß die Frau, die es ihr sagte, die Hausherrin sei, und deshalb schluckte sie die Bemerkungen, so heftig sie sie auch wurmten, hinunter und wechselte, ihre Vaterlandsliebe unterdrückend, eilends den Gesprächsgegenstand. »Ist es nicht seltsam, daß die Erbtochter von Avenel in dieser heiligen Nacht ihren Vater gesehen hat?« fragte sie. »Meint Ihr denn wirklich, daß es ihr Vater gewesen sei?« fragte Frau Glendinning. »Was soll man sonst glauben?« fragte Frau Tibbie. »Vielleicht hat irgend ein Unhold sich in seine Gestalt gesteckt?« meinte Frau Elspath. »Das ist für mich nicht leicht zu sagen,« erwiderte die Tibbie, »aber daß es eine Gestalt war, das steht fest, darauf möcht ich jeden Eid tun! grade so hat er ausgesehen, wenn er auf die Jagd ritt, und wenn Feinde in der Nähe waren, legte er selten den Brustharnisch ab. Ich meinesteils bin immer der Meinung gewesen,« setzte die Tibbie hinzu, »ein Mann, der keinen Brustharnisch trägt, ist kein ganzer Mann.« »Ich habe an Eurem Brustharnisch durchaus keinen Gefallen,« erwiderte Frau Glendinning, »aber ich weiß, daß auch solchen Gesichtern an solch heiligen Tagen kein großer Segen kommt.« »Meint Ihr?« fragte die Tibbie. »Das ist meine Meinung ganz entschieden,« – erklärte die Glendinning ... »mir ist übrigens auch solch Gesicht gekommen.« »Wirklich? was Ihr sagt!« und mit diesen Worten rückte die Tibbie ihren Schemel näher an die Hausherrin heran; »ach, erzählt doch bitte, von so was hör ich gar zu gern.« »Na, Tibbie, Ihr müßt nämlich wissen,« hub Frau Glendinning an, »daß ich in meinem neunzehnten und zwanzigsten Jahr auf keinem Tanzfest, bei keiner Lustbarkeit gefehlt habe, wenn ich nur irgend von daheim hab abkommen können.« »Das ist doch weiter nicht verwunderlich,« sagte die Tibbie, »aber seitdem seid Ihr um vieles gesetzter geworden, sonst hätten sich doch auch unsre jungen Burschen nicht so arg um Euch gerissen.« »Mir sind Dinge passiert, die wohl jedem die Lust ausgetrieben hätten!« meinte die Glendinning, »aber recht habt Ihr, Tibbie, an Freiersleuten hats mir nicht gefehlt, denn so ungestalt war ich eben nun nicht grade, daß alle Kälber hinter mir hergeblökt hätten.« »Das muß wohl gewesen sein,« pflichtete die Tibbie bei, »seid Ihr doch heut noch eine stattliche Frau!« »Ach, redet doch nicht!« verwies sie die Herrin über Glendearg, indem nun auch sie ihren Ehrenschemel ein Stückchen näher an den der Gevatterin rückte ... »mit meiner Schönheit ists längst vorbei, aber es mag ja früher anders damit ausgesehen haben; ich hab mich ja auch immer ganz manierlich herausstaffiert und hatte ja doch auch ein ganz hübsches Eckchen Land mit als Zugabe unterm Mieder. War doch mein Vater Eigentümer von Littledearg ...« »Richtig, das habt Ihr mir schon ein paarmal gesagt,« erwiderte die Tibbie, »jetzt erzählt aber lieber, wies am heiligen Abend sich verhalten hat!« »Na, gut, gut!« lenkte Frau Glendinning ein, »ich hatte mehr als einen Freiersmann, aber besonders gewogen war ich keinem. Nun saß da am heiligen Abend der Pater Niklas, der Kellermeister – er wars vorm Pater Klement, ders jetzt ist – mit bei uns, knackte Nüsse und trank seinen Krug Braunbier, und wir waren gar lustig miteinander. Da haben sie mich geneckt, ich sollt doch einen Spaß mitmachen und sollt mal sagen, wen ich wohl mal freien möcht! und der Pater, der sagte, es wäre doch dabei gar nichts Sündhaftes, und wenn ers am Ende gar selber wäre, dann wollt er mir gleich vorher den Ablaß erteilen. ... So bin ich denn in die Scheune hineingegangen, um dreimal die Fruchtkelle zu schwingen, dabei ist mir aber gar bange geworden, daß ich was Schlimmes anstellen oder was Schlimmes erleiden könnt ... und ich hatte kaum die dritte Kelle geschwungen, der Mond schien blitzhell auf die Tenne, da stand mein lieber Simon Glendinning vor mir, der nun auch eingekehrt ist zu seinem Herrgott. Leibhaftiger hatt ich ihn mein Lebtage nicht gesehen als damals. Er hielt einen Pfeil in die Höhe, während er vor mir einherging, und da fiel ich in Ohnmacht. Es hat viel Mühe gekostet, bis sie mich wieder zur Besinnung gebracht hatten, und sie wollten mir nun durchaus einreden, daß es ein schlechter Streich vom Pater Niklas gewesen sei, den er mit dem Simon verabredet gehabt hatte, und daß der Pfeil nichts weiter zu bedeuten hätt, als der von dem Schelm Cupido ... und auch nach der Heirat hat mir der Simon das noch immer einreden wollen ... du mein liebe Zeit, erklärlich ists doch, daß er sich nicht gern nachreden lassen mocht, er sei schon bei Lebzeiten mal als Geist umgegangen! ... Na, Tibbie, wie die Sach ausgegangen ist, das wißt Ihr ja, wir haben uns geheiratet, der Simon und ich, und aus dem Liebespfeil, mit dem er mir damals erschienen ist, ist gar schnell sein Todespfeil geworden.« »Wie für gar viele andre auch!« seufzte die Tibbie, »ach, wenns bloß diese verwünschten Pfeile in der Welt gar nicht geben möcht!« »Aber, Tibbie, sagt doch bloß, warum liest denn Eure Herrin immer in dem schwarzen Buch mit den eisernen Schließen? es kommen zwar manche recht schönen Worte drin vor, aber die schicken sich doch für niemand als für einen Priester. Ja, wenn vom roten Robin drin stünd oder ein paar Balladen vom David Lindsay, dann könnt man eher wissen, was man sich drunter zu denken hätt. Ich bin ja durchaus nicht mißtrauisch gegen Eure Frau, aber gefallen wills mir durchaus nicht, daß in meinem rechtschaffnen Hause Gespenster und Kobolde ihr Wesen zu treiben anfangen!« »Ihr habt gar keine Ursache, meiner lieben Frau mit Mißtrauen zu begegnen,« sagte die treue Tibbie, fast entrüstet; »und wenn sie spricht oder tut, was sie will. Was aber das kleine Ding von Mädchen anbetrifft, so wißt Ihr ja, daß sie zu Allerheiligen vor neun Jahren das Licht der Welt erblickt hat, und daß solche Sonn- und Festtagskinder mehr sehen als andre Kinder.« »Drum hat auch das Kind gar nicht gestört getan, als sie erzählt, was sie gesehen hatte. Wäre es mein Halbert oder gar mein Edward gewesen, der ja von Natur viel weicher und zarter ist, die hätten doch die ganze Nacht hindurch geschrien ohne Aufhören. Solche Gesichter sind dem Kinde aber jedenfalls was alltägliches.« »Das kann schon sein,« antwortete die Tibbie, »wie ich Euch ja gesagt hab, sie ist am Allerheiligen geboren, und unser alter Pfarrer war immer froh, wenn er um die Nacht herum war und der Tag nach Allerheiligen dämmerte. Außerdem ist ja das liebe Kind beschaffen, wie jedes andre, das könnt Ihr doch selbst sehen; auch weiß ich mich nicht zu besinnen, daß es, ausgenommen diese Nacht, und dann den Tag, als wir den Weg durch das Moor gemacht haben, mehr Gesichter gesehen hätt als andre Kinder und Menschen.« »Was hat sie denn im Sumpfe damals gesehen?« fragte Frau Glendinning neugierig. »Ein Gesicht von einer weißen, schönen Dame, die uns, als wir in Gefahr waren, im Morast zu versinken, das Tor gezeigt hat. Na, so viel steht fest, unser Gaul stutzte, und ich weiß es ganz gewiß, daß mein Martin gedacht hat, das Tier säh allerhand Zeug.« »Aber wer war denn die weiße Dame?« fragte Frau Elspath. »Wißt Ihr davon nichts?« »O freilich weiß ich davon,« erwiderte Tibbie, »und hättet Ihr mehr unter vornehmen Herrschaften gelebt, so wüßtet Ihr auch von solchen Dingen.« »Dafür hab ich auch immer meine eigne Haushaltung geführt,« antwortete Frau Elspath, und zwar nicht ohne Nachdruck, »und wenn ich nicht zu vornehmen Leuten gekommen bin, so sind doch vornehme Leute zu mir gekommen.« »Gut, gut, liebe Frau Glendinning,« sagte Frau Tibbie beschwichtigend, »übel wars ja nicht gemeint, und nehmts nur nicht für ungut! ... aber Ihr müßt doch wissen, daß die alten edlen Geschlechter nicht bedient werden von den gewöhnlichen Heiligen, wie etwa dem heiligen Antonius oder dem heiligen Cuthbert – übrigens Lob und Preis ihnen, wie allen andern! – nein! die haben ihre besondern Heiligen oder Schutzengel ... und die weiße Maid von Avenel ist doch bekannt in der ganzen Umgegend. Soll jemand sterben aus dem alten Geschlecht, so sieht man sie wandeln und hört sie jammern und klagen tagelang, wie an die zwei Dutzend Leut bezeugen können, daß sie gesehen worden ist, ehe der hochgeborne Ritter Walter von Avenel – Gott segne seine Asche! – erschlagen wurde.« »Kann sie nichts bessers,« rief Frau Glendinning fast grimmig, »so werden wohl nur wenig Gebete zu ihr dringen.« »O die weiße Maid von Avenel kann noch weit Herrlicheres verrichten, wie in den alten Geschichten zu lesen steht,« erwiderte Tibbie, »ich hab aber selbst nichts weiter drüber erfahren, als wie das Kind sie drüben im Moorbruch gesehen hat.« »Nun gut, gut, Tibbie,« antwortete Frau Glendinning, stand auf und brannte die eiserne Lampe an, »da haben Eure vornehmen Herrschaften freilich gar große Vorrechte. Aber für mich reichen die Jungfrau Maria und der heilige Paul hinreichend aus. Es sind große Heilige, die mich sicherlich auch nicht im Sumpfe stecken lassen werden, sobald sie mir helfen können, denn ich unterlaß es nie, zu Lichtmeß vier Wachskerzen in ihre Kapelle zu schicken; und wenn sie über meinen Tod auch nicht jammern werden, so werden sie sich doch freuen bei meiner fröhlichen Auferstehung, wozu uns Gott allen verhelfen möge. Amen!« »Amen,« erwiderte die Tibbie andachtsvoll. »Und nun wirds wohl Zeit sein, ein Stück Torf nachzulegen, damit das Feuer nicht ganz und gar ausgeht.« Sie verrichtete ohne Verzug diese Arbeit. Die Witwe Glendinning indessen sah sich noch einmal um, ob in der Halle alles am richtigen Platze stünde, dann sagte sie Frau Tibbie gute Nacht und begab sich zur Ruhe. »Weiß der liebe Himmel,« sagte die Tibbie, »weil ihr Mann hier in dem Loche sein eigner Herr war, dünkt sie sich auch gleich für besser gebacken, als eine, die wie ich einmal Kammerfrau gewesen ist bei einer vornehmen Herrschaft.« Als die Frau ihrem Unmut in diesen kurzen Worten Luft gemacht hatte, begab sie sich gleichfalls zur Ruhe. Fünftes Kapitel Seit dem schweren Schlage, der die Dame von Avenel getroffen hatte, hatte sich der Stand ihrer Gesundheit allmählich sehr verschlechtert, und es nahm mehr und mehr den Anschein, als seien seit dem Heimgange ihres Gemahls nicht erst wenige Jahre, sondern ein halbes Menschenalter hingegangen. Es kam ihr die Elastizität der Glieder, die Hautfarbe, die Frische abhanden und sie bekam ein bleiches, müdes, erschöpftes Aussehen, Schmerzen schien sie nicht zu leiden, aber jedem, der sie sah, mußte es auffallen, wie schnell sich ihr Kräfteverfall vollzog. Endlich entschwand auch das Rot von ihren Lippen, das Feuer aus ihren Augen, aber noch immer bezeigte sie kein Verlangen, einen Priester bei sich zu sehen. Frau Glendinning konnte sich jedoch in ihrem frommen Eifer nicht enthalten, einen Punkt zur Sprache zu bringen, der ihr für das ewige Seelenheil von hohem Belang dünkte, und Alice von Avenel nahm die Erinnerung mit freundlichem Dank hin. »Sollte sich ein frommer Mann bereit finden lassen, den mühsamen Weg hierher zu wandeln,« sagte sie zu Frau Glendinning, »so wäre er mir freilich willkommen, denn die Gebete und Ermahnungen der Frommen sind ja doch immer von Segen.« Zwar war diese gleichgültige Antwort gar nicht nach dem Sinne der Fragestellerin, aber ihre schwärmerische Begeisterung bestimmte sie, den Mangel an Eifer, den die Dame von Avenel an den Tag legte, dadurch wett zu machen, daß sie selbst einen geistlichen Beistand zur Stelle schaffte. Zu diesem Zweck wurde der Schäfer Martin auf dem alten Klepper Shagram, der noch immer das Gnadenfutter bekam, nach dem Kloster geschickt, mit dem Auftrage, einen geistlichen Herrn mit herüber zu bringen, der der Witwe des Ritters von Avenel die letzten Tröstungen erteilen könne. Als der Sakristan den Klosterabt benachrichtigte, daß die Gemahlin des unglücklichen Ritters von Avenel in der Burg Glendearg krank darniederliege und nach dem Trost eines Beichtvaters begehre, verhielt sich der Abt eine Weile lang schweigend. »Wir gedenken Walters von Avenel als eines wackern und tapfern Ritters, der von den Männern aus dem Süden seiner Güter beraubt und getötet wurde. ... Aber kann die Dame den geistlichen Trost nicht hier im Kloster nehmen? Der Weg nach Glendearg ist weit und beschwerlich.« »Die Dame ist schwer krank, frommer Vater,« erwiderte der Sakristan, »und außer stande, den Weg hierher zu machen.« »Wirklich? Ei, nun, dann muß sich freilich einer unsrer Brüder auf den Weg zu ihr machen. ...Weißt Du nicht, ob sie von dem andern Avenel, ihrem Schwager, eine Art Leibgeding erhalten hat?« »Das ist sehr karg bemessen,« erwiderte der Sakristan, »seit ihres Mannes Tode hat sie in Glendearg gewohnt und fast ausschließlich von der Milde einer Witwe, der Frau Elspath Glendinning, das Leben gefristet.« »Haha!« lachte der Abt, »Du kennst ja alle Witwen des Sprengels, haha!« und er schüttelte über den derben Spaß den stattlichen Schmerbauch. Der Sakristan wiederholte das Lachen des Abtes in jenem Tonfall, der sich dem Untergebenen gegenüber dem Vorgesetzten schickt, und setzte dann mit erheucheltem Seufzer und schelmischem Augenblinzeln hinzu: »Es ist doch unsre Pflicht, hochwürdiger Vater, den Witwen in ihrer Not beizustehen und ihre Schmerzen zu lindern.« Er stimmte jedoch das Lachen, mit dem er diese Rede zu schließen gedachte, wesentlich herunter, weil der Abt dem Ausspruch seine Billigung noch nicht gezollt hatte. »Hahaha!« lachte dann wieder der Abt. »Aber jetzt Spaß beiseite! Zieh Deinen Reitkittel an, Pater Philipp, und begib Dich auf den Weg, der Dame von Avenel die Beichte abzunehmen.« »Aber ...« warf der Sakristan ein. »Komm mir mit keinem Aber,« fiel der Abt ein. »Wenn und Aber ziemen sich nicht zwischen Abt und Mönch. Die Bande des Gehorsams, Pater Philipp, dürfen sich nicht lockern, denn die Macht der Ketzerei will wachsen gleich einem Schneeball im Rollen. Das Volk begehrt Beichte und Predigt von den Benediktinern sowohl als von den Bettelmönchen, und wir dürfen nicht feiern im Weinberge des Herrn, wenn wir auch unter der Last der Arbeit erliegen.« »Und wenn es der heiligen Stiftung so wenig nützt ...« warf der Sakristan wieder ein. »Schön, Pater Philipp!« sagte der Abt; »aber weißt Du nicht, daß es wohlgetan ist, Reue zu verhüten? ... Dieser Julian von Avenel führt ein leichtsinniges Lotterleben, und wenn wir der Witwe seines Bruders den geistlichen Zuspruch verweigern wollten, möchte es ihm wohl beikommen, einen Streifzug in unser Gebiet zu unternehmen, und am Ende wüßten wir gar nicht, wo wir uns verstecken sollten. Zudem ist es unsre Pflicht dem alten Geschlecht gegenüber, das seinerzeit zu den eifrigen Wohltätern unsres Stiftes gehört hat. Drum brich augenblicklich auf, lieber Bruder in Christo, reite Tag und Nacht, und zeige aller Welt, wie angelegen es sich der Abt Bonifazius sein läßt, den ihm obliegenden geistlichen Pflichten gerecht zu werden, und wie redlich ihn seine frommen Brüder darin unterstützen. Keine Mühsal hält sie auf, denn das Tal ist mehrere Stunden lang; kein Schrecken hemmt sie in ihrem Berufe, denn es sollen in den Gründen und Schluchten dort böse Geister ihr Wesen treiben; nichts erschüttert sie auf den Wegen ihres seelsorgerischen Amtes, zur Beschämung verleumderischer Ketzer und zur Erbauung und Stärkung aller getreuen und gläubigen Kinder der katholischen Kirche. Es soll mich wunder nehmen, was Pater Eustachius dazu sagen wird.« Außer Atem geraten durch diese Schilderung der Gefahren seiner Kirche und des Ruhmes seiner Kirche, begab sich Abt Bonifazius in das Refektorium, um seinen Morgenimbiß, einzunehmen, und der Sakristan begleitete, mehr unwillig als willig, den greisen Schäfer Martin. Was jedoch auf dem Ritte des Mönchs und des Schäfers nach Glendearg die meiste Mühe verursachte, war die Schwierigkeit, die Gangart des wohlgefütterten Maultiers, das der Mönch ritt, auf das langsamere Tempo des abgemagerten Kleppers herabzuschwächen, den der greise Schäfer Martin ritt. Aber sie kamen in Zeit von etwa drei Stunden nach der Feste von Glendearg, und hier weilte Pater Philipp eine reichliche Stunde an geheimer Unterhaltung mit der ehemaligen Schloßherrin von Avenel. In unmutiger Stimmung trat er nach kurzer Zeit wieder ein und sank in trübes Sinnen. Frau Glendinning hatte für den frommen Gast allerlei Erfrischungen aufgetragen und betrachtete ihn mit großer Unruhe. Es ängstigte sie, daß er einen so hohen Grad von Verlegenheit zeigte, denn sie meinte in seinen Zügen zu lesen, daß er weit eher aussah, wie wenn er das Bekenntnis eines grausigen Verbrechens vernommen hätte, als die Beichte eines dem Tode nahenden einfachen Durchschnittssünders, der sein Herz für den Eingang in den Himmel erleichtern will. Nach langem Zaudern konnte sie schließlich nicht umhin, an den frommen Mann eine Frage zu richten. Sie müsse wohl glauben, daß der Dame von Avenel die Beichte nicht leicht geworden sei, aber sie habe nun ganze fünf Jahre mit ihr zusammen gehaust und könne nichts anders sagen, als daß die Dame sich in dieser Zeit als eine durchaus brave und fromme Frau erwiesen habe, über deren Wandel sich nie die geringste Klage habe führen lassen. »Weib!« erwiderte der Mönch mit strenger Stimme, »was hilft es, ein Gefäß nach außen hin rein zu halten, wenn es doch im Innern mit Ketzerschmutz besudelt ist!« »Unsre Tische mögen ja so sauber nicht sein, wie Eure Ehrwürden es gern sehen möchten,« erwiderte die Frau, »die nur halb den Sinn seiner Worte erfaßte und sich bemühte, den Staub, auf den sie seinen Tadel bezog, mit der Schürze abzuwischen. »Ihr seid im großen Irrtum, Frau Elspath,« erwiderte der Mönch, »Eure Schüsseln sind so rein, wie es bei Holzgerät und Zinnkrügen nur eben sein kann. Die Unsauberkeit, von der ich rede, ist die ketzerische Seuche, die sich mit jedem Tag und jeder Stunde mehr in unsre heilige schottische Kirche einschleicht, die wie der Krebs sich weiter frißt, den ganzen Körper zu einer fauligen Masse verheerend, von dem er ein Glied befallen hat.« »Heilige Gottesmutter!« schrie Frau Glendinning, »mit einer verketzerten Frau hätt ich Haus gehalten?« »Nicht doch, nicht doch,« versetzte der Mönch, »solchen Ausspruch über die beklagenswerte Dame fällen zu wollen, wäre ungerecht von mir, aber ich wünschte, es sei mir vergönnt, sie von ketzerischen Ideen frei zu machen. Ach, sie fliegen ja umher wie die Sommerfäden und verschleiern den Blick des Frommen, sie schleichen herum wie Seuchen, und stecken die schönsten und besten Schafe einer Herde an. Das kann man sehen an dieser Dame, die erhaben ist an Verstand, nicht minder als an weltlichem Range.« »Und sie kann lesen und schreiben, fast hätt ich gesagt, ebenso gut, wie Euer Ehrwürden,« erwiderte Frau Glendinning. »An wen schreibt sie?« fragte der Mönch eifrig, »und was liest sie?« »Daß ich sie jemals schreiben gesehen hätt, nein, das kann ich nicht sagen,« erwiderte die Frau, »aber ihre Magd, – sie dient nur im Hause – die sagt, daß ihre Herrin auch schreiben könne, und gelesen, uns vorgelesen hat sie oft recht schöne Sachen und kluge Worte aus einem dicken, schwarzen Buche, das durch eiserne Schließen zusammengehalten wird.« »Zeigt mir das Buch,« rief der Mönch hastig, »bei Eurer Verbindlichkeit als getreue Vasallin der Kirche, bei Eurem Glauben als rechtgläubige Christin – zeigt es mir auf der Stelle – ich muß es sehen, ich muß es sehen!« Betroffen über die Art, wie der Beichtvater ihre Aeußerung aufgenommen hatte, schwankte Frau Glendinning eine Weile hin und her. Zudem war sie der Meinung, daß eine so brave Frau, wie die Dame von Avenel, die so fromme Andachten hielt, sich mit keinem Buche befassen werde, das Böses oder Versuchung zum Bösen enthielte. Allein die heftige Weise des Mönches, wie er nach dem Buche begehrte, seine Ausdrücke, die sich wie Drohungen anhörten, brachten sie endlich zu dem Entschlusse, das Buch herbeizuschaffen. Es war leichte Mühe, es der Dame wegzunehmen, denn sie lag jetzt, erschöpft von der langen Unterredung mit dem Beichtvater, fast bewußtlos auf ihrem Bett, und in das kleine, runde Turmkämmerchen, wo sie das Buch mit ihren andern Habseligkeiten zu verwahren pflegte, konnte man durch eine Nebentür gelangen. Zwar fühlte Frau Elspath noch immer Gewissensbeklemmungen, daß sie sich unrechterweise an fremdem Besitztum vergreife, aber der Nachdruck, mit welchem der geistliche Obere, der ja auch ihr weltlicher Grundherr war, das Buch von ihr gefordert hatte, und, wenn ich es auch ungern hier verzeichne, jene ihr als Evastochter angeborne Neugierde wirkten endlich entscheidend auf sie, und sie begab sich in das kleine Turmgemach, das Buch zu holen. ... Kaum hatte sie es, mit einer Empfindung halb Reue, halb Wißbegier, dem Mönch in die Hand gegeben, kaum hatte es dieser aufgeschlagen, und das Titelblatt gelesen, als er entsetzt ausrief: »Beim heiligen Orden, dem ich angehöre, es ist so, wie ich ahnte! Mein Maultier! mein Maultier! Hier mag ich nicht länger weilen. Du hast wohl daran getan, das gefährliche Buch mir zu überantworten.« »Ist es denn ein Teufels- oder gar Hexenwerk?« fragte die Frau, bis auf den Tod erschrocken. »Bewahre, bewahre!« antwortete der Mönch, »es ist die Heilige Schrift, aber übertragen in die Landessprache, und darum taugt es, nach dem Ausspruch der heiligen katholischen Kirche nicht in die Hände der Laien.« »Aber die Heilige Schrift ist doch zu unser aller Seligkeit der Menschheit offenbart worden,« wandte Frau Elspath ein; »frommer Vater, belehrt mich eines Bessern in meiner Unwissenheit! Mangel an Verstand kann keine Todsünde sein, und fürwahr! ich wäre selbst in meinem einfältigen Sinne voller Freude, wär ich im stande, in der Heiligen Schrift zu lesen.« »Das glaub ich schon, daß Dir das recht sei,« erwiderte der Mönch, »ganz so verhielt es sich auch mit unsrer Mutter Eva, als sie Gutes und Böses erkennen wollte. Dadurch kam die Sünde in die Welt, und die Sünde brachte den Tod in die Welt.« »Ja, ja, so ists, so ists,« pflichtete die Frau dem Mönche bei, »ach, hätte sie sich doch an den Rat des heiligen Petrus und Paulus gehalten!« »Hätte sie die Gebote des Himmels gehalten,« sagte der Mönch, »der ihr unter Bedingungen, wie sie am besten mit seinem heiligen Willen übereinstimmen, Dasein, Leben und Glück verlieh, dann, Frau Elspath, wär sie heut besser dran! Ich sage Dir, Weib, das Wort tötet! das ist der Buchstab allein, wenn er gelesen wird mit Augen, die nicht erleuchtet, mit Lippen, die nicht heilig sind! das Wort ist gleich einer starken Arznei, die ein Schwerkranker auf ärztliche Vorschrift nimmt. Ein solcher Kranker wird genesen und gedeihen; wer aber Arznei nehmen und brauchen will nach eignem Ermessen und Gutdünken, der wird durch sich selbst umkommen.« »Gewiß, Euer Ehrwürden, gewiß!« pflichtete die Frau bei, »wer wüßte es besser als Ihr!« »Nicht ich weiß es am besten,« erwiderte Pater Philipp mit aller Demut, die er mit seiner Würde als Sakristan des Sankt Marien-Klosters für vereinbar hielt, »nicht ich, sondern der heilige Vater der Christenheit und unser heiliger Vater, der hohe Abt von Sankt Marien, die wissen es besser! Ich, der arme Sakristan, kann nur wiedersagen, was ich von den Lippen meiner Obern vernommen habe. Aber, gute Frau, das nehmet für gewiß an! das Wort, das bloße Wort tötet! Daher sendet die Kirche ihre Diener, daß sie es der gläubigen Gemeinde erläutern und auslegen; und solches künde nicht sowohl ich, meine geliebten Brüder – meine geliebte Schwester, wollte ich sagen – denn er war unwillkürlich in den gewohnten Schlendrian seiner Predigt geraten – solches künde nicht sowohl ich, sondern solches kündet durch meinen Mund der heilige Orden der Benediktiner, verbessert nach den Regeln Bernhards von Clairvaux, daher Cistercienser genannt, welcher Orden, geliebte Brüder – geliebte Schwester in Christo, wollte ich sagen – als heiliger Diener unsrer Frau der Gegend zum höchsten Ruhme gereicht, da er, wie ich sagen muß, wenn auch als unwürdiger Bruder, mehr Heilige, mehr Bischöfe, mehr Päpste der Welt geschenkt hat – ach, daß wir dies mit Dank gegen unsre Fürsprecher erkennen möchten! – als irgend welche andre heilige Station Schottlands. Und deswegen – aber ich sehe, Martin hat mein Maultier gezäumt. So will ich, geliebte Schwester, denn weiter ziehen und Abschied von Euch nehmen mit brüderlichem Kuß, dessen sich keiner von uns beiden zu schämen brauchet, und will meinen Rückweg antreten, ehe es Nacht wird, denn das Tal ist in bösem Leumund, weil Höllengeister dort ihr schlimmes Wesen treiben sollen. Zudem möcht ich nicht allzu spät an die Brücke kommen, weil ich sonst genötigt sein könnte, den Bach, der, wie ich wahrgenommen habe, angeschwollen ist, zu durchwaten.« So verabschiedete sich Pater Philipp von Frau Elspath Glendinning, die noch ganz betäubt stand von dem Sermon, den er ihr gehalten hatte, aber von schwerer Unruhe geplagt war über das Buch, das sie, wie ihr Gewissen ihr vorhielt, nicht hätte in fremde Hände überantworten sollen. Trotz der Eile, die den Pater trieb, zu den Fleischtöpfen Aegyptens zurückzugelangen, denn an die magre Kost, die ihm in Glendearg vorgesetzt worden war, war er nicht gewöhnt, – trotz dem eifrigen Wunsche, der ihn beseelte, seinem Abte den Beweis dafür zu erbringen, daß jenes gefürchtete Werk einer Bibel in englischer Sprache seinen Weg nach Schottland hinein gefunden hätte, und trotz der Angst, die ihn beherrschte, vor den Spukgeistern im Talgrunde, und die ihn zur Eile förmlich jagte, war doch zufolge der unsäglichen Hindernisse, die der Weg bereitete, wie auch zufolge der geringen Uebung, die der Sakristan als Reiter besaß, so viel Zeit über seinem Ritt durch das Tal hingegangen, daß die Dämmerung bereits hereinbrach, ehe er den Fuß an die jenseitige Grenze des Tales setzte. Es war im wahren Sinne des Wortes ein schauerlicher Ritt gewesen. Auf beiden Seiten rückten die Bergwände so dicht aneinander, daß bei jeder Wendung, die der Fluß machte, der Schatten des westlichen Ufers das östliche in dichte Nacht hüllte. Aus jedem Dickicht raschelte und rauschte es von Blätterlaub, und die Felsklippen und Bergspitzen drohten dem Mönch grausiger und schroffer, als es ihm bei Tageslicht und in der Gemeinschaft mit dem Schäfer Martin gedäucht hatte. Pater Philipp war darum von Herzen froh, als er das enge Tal hinter sich hatte und in die offne Ebene des Tweed hinaustrat, der in stolzem Laufe bald einen Landsee bildet, bald mit einer Würde seine Fluten dahinführt, wie sie keinem Strome Schottlands mehr eigentümlich ist. Denn alle andern trocknen zur Sommerszeit in der Regel aus, der Tweed führt aber, mit nur ganz seltnen Ausnahmen, sein Bett voll Wasser und läßt die Schilfdickichte nicht aufkommen, die die Ufer manch andrer berühmter Flüsse Schottlands verunzieren. Da der Mönch, wie alle seine Zeitgenossen, für diese großartigen Schönheiten keinen Sinn und kein Verständnis besaß, und zufolgedessen um so stärkern Eindruck von der grausigen Natur des Tales bekommen mußte, war es kein Wunder, daß er sich wie von einem Alp erlöst vorkam, als er ein andres Bild vor den Augen hatte. Er zog den Zügel an und ließ sein Maultier im gewöhnlichen Paßgange laufen. Auch dem Tiere schien es behaglicher zu werden, denn es fiel von selbst aus dem unruhigen Tempo heraus, das es auf den unwegsamen Bergpfaden hatte einhalten müssen. Der Mönch wischte sich wiederholt den Schweiß von der Stirn, den Unruhe und Anstrengung dort erzeugt hatten, und gemächlich schaute er in das Licht des vollen hellen Mondes, der eben aufgegangen war und sein Licht mit dem Abendrot vermischte. Ueber Feld und Wald, über Dorf und Burg ergoß er sein mildes Licht, und rückte vor allem das große Abteikloster in volle Beleuchtung. Aber das Schlimmste für den Mönch bei diesem herrlichen Naturbilde war, daß das Kloster drüben auf der andern Flußseite lag, und daß damals von den vielen schönen Brücken, die sich heute über den Fluß schwingen, noch keine einzige stand. Dagegen stand dort freilich eine Brücke, die jetzt nicht mehr dort sichtbar ist, obgleich ihre Trümmer noch immer von Neugierigen untersucht werden. Es war ein wunderlicher Bau. Dort, wo der Fluß die geringste Breite zu haben schien, war hüben und drüben ein starkes Gemäuer vorgeschoben worden. Auf einem Felsen in der Strommitte war ein weiteres Gemäuer aufgeführt worden, das wie ein Brückenpfeiler gebaut war, der mit einer Ecke in den Fluß vorspringt. Dieses Mauerwerk stieg so weit in gedrungnem Bau empor, bis es auf gleicher Höhe mit den Mauern hüben und drüben stand. Von da ab begann es in Form eines Turmes aufzuragen. Dessen untres Geschoß bildete bloß einen Torweg durch den Bau, an dessen beiden Enden je eine Zugbrücke mit Gegengewichten hing, die, wenn sie heruntergelassen war, den Brückenpfeiler mit dem jenseitigen Rande verband, auf welchem das Ende der Zugbrücke ruhte. Waren beide Zugbrücken heruntergelassen, so befand sich die Brücke in vollkommnem Stande. Der Brückenmeister, der bei einem der benachbarten Barone in Dienst stand, bewohnte mit seinen Hausgenossen das zweite und dritte Geschoß des Turmes, der, sobald die beiden Zugbrücken aufgezogen waren, eine Inselfestung in der Strommitte bildete. Der Brückenmeister war berechtigt, von jedem Passanten einen kleinen Brückenzoll zu erheben, um dessen Entrichtung es oft zu Zank und Streit zwischen ihm und den Passanten kam. Daß der Brückner sich bei solchen Vorkommnissen immer im Vorteil befand, war klar, da er den Wanderer, wie es ihm paßte, entweder auf der andern Seite stehen oder bis zur Weghälfte passieren lassen und dann in seinem Turme festhalten konnte, bis es ihm gefiel, das Brückengeld zu entrichten. Am allerhäufigsten aber kam es zu Hader wegen dieses Brückengeldes zwischen dem Brückner und den Mönchen des Sankt Marien-Klosters. Die frommen Brüder bettelten so lange, bis sie endlich das Recht freier Passage für sich erwirkt hatten. Darüber war nun begreiflicherweise der Brückner erbost; aber ganz außer sich geriet er darüber, daß die Mönche nun auch noch für die zahlreichen Pilger, die nach dem Heiligtume wallfahrteten, die gleiche Vergünstigung durchzusetzen versuchten, und erklärte kurz und bündig, sich darauf nun und nimmer einzulassen. In dieser Halsstarrigkeit wurde er durch den Baron, in dessen Diensten er stand, weidlich unterstützt. Die Erbitterung wuchs auf beiden Seiten zu einer Höhe an, daß der Klosterabt auf diese Weigerung des Brückners mit dem Kirchenbanne drohte, und wenn sich auch der Brückner nicht in der Lage befand, mit einer gleichen oder ähnlichen Schurigelei großen Stils hierauf zu antworten, so ließ er hinfort wenigstens jeden Mönch, der die Brücke passieren mußte, durch eine Art Fegfeuer wandern, ehe er sich dazu bereit finden ließ, die Passage zu gewähren. Diese Beschwerde wäre für das Kloster und seine Brüder noch weit erheblicher gewesen, wenn der Fluß nicht bei niedrigem Wasserstande für Menschen und Pferde durchwatbar gewesen wäre. Es war, wie schon bemerkt, eine herrliche Vollmondnacht, als Pater Philipp an die Brücke gelangte, deren seltsame Einrichtung einen richtigen Begriff von der Unsicherheit jener Zeit gibt. Der Strom war nicht ausgetreten, aber er stand höher als sonst, wenn es auch noch kein Hochwasserstand war, und der Mönch verspürte keine sonderliche Neigung, hindurchzureiten, sobald er irgendwie Aussicht hatte, auf eine bequemere Weise hinüber zu kommen. »Mein lieber Freund Peter,« rief der Sakristan mit lauter Stimme, »ich bins, Peter, hörst Du denn nicht? Dein Gevatter ists, Pater Philipp, der Dich ruft.« Peter hörte ihn zur Genüge, und sah auch recht gut, in welcher Bedrängnis sich der Sakristan befand. Da er aber recht gut wußte, daß es grade dieser war, dem er den Streit mit dem Kloster wegen des Brückenzolls verdankte, ging er mit der größten Seelenruhe zu Bett, nachdem er zuvor sich noch einmal nach dem Mönche umgeguckt und zu seiner Frau gesagt hatte, solch ein Ritt durch den Fluß bei Mondenschein könne dem Sakristan gar nicht so übel bekommen, da werde er am besten einsehen lernen, was eine Brücke wert sei, über die man bei allem Wetter, ob zur Sommers- oder zur Winterszeit, über den Fluß hinüber könne. Noch immer bot der Sakristan allen Atem auf, um durch Bitten und Drohungen den »Brückenpeter«, wie der Mann in der Umgegend hieß, zu erweichen; der aber ließ ihn bitten und betteln, soviel er wollte, so daß dem Mönch schließlich nichts weiter übrig blieb, als zur Furt hinunter zu reiten. Das tat er auch, freilich nicht, ohne den halsstarrigen Brückenvogt in Grund und Boden hinein zu verwünschen, aller christlichen Milde ungeachtet, die ihm von Glaubens- und Ordenswegen vorgeschrieben war. Je näher er aber der Furt kam, desto vertrauter machte er sich mit dem Gedanken, sie heute einmal benutzen zu müssen, und er sagte sich, daß die Passage durch den Fluß nicht bloß völlig gefahrlos, sondern auch in vieler Hinsicht recht amüsant sei. Es kam ihm vor, als spiegelten sich heute abend grade die überhängenden Klippen und Bäume weit stärker als sonst in den Fluten des dunkeln Stromes, und das stille, freundliche Bild wirkte um so stärker auf sein Gemüt, als es im schroffsten Gegensatze stand zu Glendearg und zu der Talschlucht, und zu den letzten Erlebnissen dieses Tages, zu den Aufregungen und eindringlichen Bitten, mit denen er den halsstarrigen Brückenvogt zu erweichen versucht hatte. Als Pater Philipp an der Furt angekommen war, da sah er dicht am Ufer, an einen großen, hohlen Eichstamm gelehnt, eine Frauengestalt stehen, die wehklagend und jammernd die Hände rang und die Blicke nicht von der Flut wandte. Den Mönch wunderte es nicht wenig, zu solcher abendlichen Stunde und an solcher Oertlichkeit ein weibliches Wesen zu finden. Aber er war in allen Ehrendiensten gegen das zarte Geschlecht – und wenn er einmal in dieser Hinsicht vielleicht auch über das Ziel hinausgeschossen hat, so mag er es mit sich selbst oder vielmehr mit seinem Gewissen abmachen – ein treu ergebner Schildknappe. Und so beobachtete er das Mägdelein einen Augenblick, während es seine Gegenwart nicht zu gewahren schien, und Mitleid mit ihrer Verlassenheit zog in sein Herz, und er faßte den Entschluß, ihr beizustehen. »Jungfer,« sprach er, »Du bist wohl in recht schwerer Bedrängnis? Der garstige Brückenvogt hat wohl Dir wie mir die Zugbrücke nicht heruntergelassen? Mir scheint, als liege Deinem Wunsche, über den Fluß zu setzen, ein Gelübde zu grunde? oder vielleicht irgend ein andrer wichtiger Auftrag?« Die Maid stieß ein paar unverständliche Worte hervor, blickte nach dem Flusse, und dann dem Sakristan ins Auge. Da fiel diesem plötzlich ein, daß im Kloster seit einiger Zeit dem Besuch eines Häuptlings entgegengesehen wurde, der ein Gelübde im Heiligtum der Gottesmutter lösen wollte, und daß am Ende gar dieses Mädchen zu seiner Sippe gehöre, vielleicht selbst ein Gelübde erfüllen wolle oder durch einen Unfall von dem Gefolge des Häuptlings getrennt worden sei und nun allein die Reise fortsetze. Er gelangte im Verlauf dieser Gedanken zu der Meinung, daß es für ihn nur geraten sein möge, dem Mädchen alle Hilfe zu erweisen, die in seinen Kräften stehe, um so mehr, als ihr ja auch die Kenntnis der Landessprache zu mangeln schien. Das wenigstens war der Grund, den sich der Sakristan selbst einredete, und wenn er noch einen andern Grund dafür »in petto« hatte, so ist das eine Sache, um die wir uns hier nicht zu kümmern haben, und die ihn völlig allein angeht. Der Sakristan versuchte nun, sich dem Mädchen verständlich zu machen, indem er sich verschiedner Zeichen bediente, die als gemeinsame Völkersprache zu gelten haben. So wies er zuerst auf den Fluß, dann auf den Rücken seines Esels, dann machte er der einsamen Jungfrau auf so zarte Weise, wie er es irgend im stande war, begreiflich, daß sie hinten aufsitzen möge. Sie schien auch ganz gut zu verstehen, was er im Sinne hatte, denn sie richtete sich in die Höhe, wie zum Zeichen dafür, daß sie danach handeln wolle, und während der Mönch, der, wie wir schon bemerkt haben, ein höchst ungeschickter Reiter war, sich allerhand Mühe gab, sein Maultier so zu drehen, daß das Mädchen bequem in den Sattel gelangen konnte, schnellte sie plötzlich wie eine Sprungfeder von dem Erdboden in die Höhe, schwang sich mit einem Satze hinter den Mönch auf den Rücken des Maultiers und lieferte hierdurch den schlagenden Beweis, daß sie der bessere Reiter von beiden war. Das Maultier schien indessen mit seiner Bürde gar nicht recht zufrieden zu sein, es bockte, es bäumte sich, es sprang bald rechts, bald links, und hätte den Pater Philipp sicher abgeworfen, wenn ihm nicht das Mädchen mit kräftiger Hand in den Sattel hinauf geholfen hätte. Endlich wurde der störrische Gesell andern Sinnes, fing an zu schnopern, schien den heimischen Stall zu wittern, und war im Nu im Wasser. Im Galopp setzte er durch das erste Stück hindurch, dann gewann aber die Furt an Tiefe, und das Tier mußte schwimmen. Zum Schrecken für den Mönch ging es aber tiefer und tiefer, die Flut schoß wirbelnd gegen die Flanken des Tieres und reichte höher und höher an ihm herauf, sodaß es bald nur noch mit dem Kopfe herausreichte. Viel Geistesgegenwart besaß Pater Philipp an und für sich nicht, es ging ihm nun aber auch das bißchen verloren, dessen er sich vielleicht zu rühmen haben mochte, sein Maultier war nicht mehr im stande, gegen die Flut anzukämpfen, sondern mußte der Gewalt der Fluten sich fügen, und da nun der Reiter nicht darauf achtete, ihm den Kopf in der Richtung gegen die Flut zu halten, so glitt das Tier alsbald von der Furt ab, verlor den Grund und fing an, mit dem Strome zu treiben. Was aber das Seltsamste an dem ganzen Vorgange war, in demselben Augenblick, als das Maultier mit dem Strome zu treiben anfing, fing das Mädchen zu singen an, und das mußte begreiflicherweise die Angst des würdigen Sakristans auf eine schier unausstehliche Höhe treiben. Und was das Mädchen sang, war die folgende Ballade: »Wir schwimmen lustig, der Mond scheint hell, Im Lichte da tanzen Flut und Well', Wir haben den Nachtraben aufgestört, Den habe ich am Eichbaume krächzen gehört, Und der Baum streckt die Zweige daher so breit, Und ihr Schatten tanzt auf dem Strome so weit. »Wer weckt mir die Brut?« hat der Rabe gefragt, »Ich sauge sein Blut, noch ehe es tagt, Denn Kadaver sind leckere Speise, traun, Und ich picke mein Teil mir mit Schnabel und Klau'n. Wir schwimmen lustig, der Mond scheint hell, Ein Goldschimmer liegt auf der Höhe so grell, Durch die Erlen zieht ein silberner Guß, Wie durch trauernde Weiden, wogend im Fluß. Ich seh' mit Mauer und Turm die Abtei, Die Vesper zu feiern strömt alles herbei, Zur Kirche eilen die Mönche schon hin: »Wo ist Vater Philipp, die Glocke zu zieh'n?« Wir schwimmen lustig, der Mond scheint hell, Durch Licht und Schatten gleiten wir schnell, Der Strudel dort schläft unter Fels und Stein, Tief, schweigend und fern vom Tagesschein. Der Nixe hat aus dem Teich sich gereckt, Hat die Todeskerze schon angesteckt, Schau, Vater, schau nur, und wundert's Dich nicht, Wie er gafft und starrt Dir ins Angesicht? Gut Glück zum Fischfang! Wem gilt es heut Nacht? Ists ein Armer, oder ein Mann von Macht? Muß Pfaff oder Laie in feuchte Schlucht, Oder ists ein Buhle, der sein Liebchen besucht? Hörst Du, wie der Nixe sich hören läßt? »Heil dem Mann, der die Brücke verschloß so fest; Was der Höhle nur naht, das muß hinein, Verliebte und Mönche, Priester und Lai'n.« Wie lange die Maid noch weiter gesungen oder wo die Fahrt des von Entsetzen geschlagnen Mönches ihr Ende gefunden hätte, das zu bestimmen, entzieht sich der Macht des Erzählers. Noch als sie die letzte Strophe sang, da gelangten sie an oder vielmehr in einen weiten, stillen Wasserspiegel, der von einem festen Wehr gebildet wurde, das quer über den Strom lief und von da ab als ein breiter Wasserfall über den Stamm stürzte. Das Maultier suchte, ob nun freiwillig oder durch den Strom getrieben, den Graben zu gewinnen, der zur Klostermühle hin führte, und gewann ihn auch, halb schwimmend, halb watend, wobei es aber den armen Mönch auf die abscheulichste Weise hin und her schüttelte. Hierbei löste sich nun sein Gewand, und über der Anstrengung, es zu halten, entglitt seiner Hand das Buch der Dame Avenel, das er im Brustlatz getragen hatte. In dem nämlichen Augenblick stieß ihn das Mädchen, das mit ihm im Sattel saß, in die Flut hinein, packte ihn am Kragen und tauchte ihn ein paarmal kräftig unter, so daß jegliches Glied seines Leibes der Taufe teilhaftig wurde; aber erst dann ließ sie ihre Beute den Händen entgleiten, als er so nahe an dem Ufer war, daß er mit geringer Mühe, denn große konnte er nicht aufwenden, ans Land hinauf klettern konnte. Das gelang ihm auch, und als er sich nun umsah, um zu ermitteln, was aus seiner Begleiterin geworden, da erblickte er nicht das Geringste mehr von ihr, sie war vollständig verschwunden. Aber ein paar letzte Strophen ihrer Ballade klangen von dem Wasserspiegel noch zu ihm herüber, die sich mit dem brausenden Anschlag der Wellen einten, das letzte Bruchstück ihres schauerlichen Gesanges: »Gelandet! das schwarze Buch hats getan, Sonst kämst Du im Frühlicht zu Berwick an! Sei lustig und fröhlich, und wünsche Dir Glück, Denn wer mit mir wegschwimmt, kommt selten zurück.« Es war dem Pater Philipp nicht länger möglich, das gräßliche Grausen zu ertragen. Schwindel packte ihn, er taumelte, dann stieß er gegen eine Mauer und schlug bewußtlos zu Boden. Sechstes Kapitel In der Klosterkirche war der Vesperdienst zu Ende, der Abt hatte sein köstliches Feierkleid ausgezogen und seine Werktagstracht angezogen, die in einem schwarzen Gewände, über einem weißen Leibrock getragen, bestand und ganz danach angetan war, die stattliche Gestalt, die ihn auszeichnete, in ein höchst vorteilhaftes Licht zu setzen. In ruhigen Zeiten hätte man sich unmöglich einen bessern Mann als intulierten Abt denken können, denn diese Würde bekleidete Abt Bonifazius,, als diesen verdienten Prälaten. Freilich nahm er es mit sich selbst nicht allzu scharf, sondern ließ gar oft fünf grade sein und überließ sich Gewohnheiten, wie einsame Menschen sie gern annehmen. Zudem war er ein eitler Herr, und wenn ihn jemand, wie es ja auch geistlichen Herren zuweilen passieren soll, einmal hart anließ, dann fing er an, ängstlich zu werden, eine Eigenschaft, die sich freilich weder mit den hohen Anforderungen, die die Kirche an ihn stellte, noch mit dem pünktlichen Gehorsam, den er von seinen geistlichen Untergebenen verlangen mußte, in Einklang setzen ließ. Im übrigen war er ein gastfreier Herr und ein wohltätiger Herr, und seine Ansicht als Privatmann ging dahin, daß es immer klüger und besser sei, mit strengem Vorgehen so lange wie möglich hintanzuhalten. Das lieh sich nun freilich in seiner amtlichen Tätigkeit nicht gut durchführen, und vor allem nicht in solchen Zeiten, wie sie unter seinem Regiment herrschten; indessen wird auch hieraus erhellen, daß er, wie gesagt, auch in andern Zeiten die Obliegenheiten solches hohen Kirchenamts mit ganz demselben Ansehen und ganz derselben Würdigkeit verträumt und vertrödelt haben würde, wie manch andrer Abt und Kirchenfürst im Purpur, der gemütlich und behaglich und doch geziemend sein Leben hinbringt, nachts und nachmittags sein Schläfchen macht und höchstens einmal mit Träumen sich herumplagt. Aber die schwere Erschütterung, die durch die fortschreitende Reformation im Schöße der römischen Kirche bewirkt worden war, hatte auch den frommen und stillen Abt Bonifazius peinlich in seiner Ruhe gestört und ihm ein überweites Gebiet von Pflichten und Sorgen eröffnet, von denen er vordem nicht die geringste Ahnung gehabt hatte. Da gab es Meinungen zu widerlegen und zu bekämpfen, Bräuche und Gepflogenheiten zu untersuchen und festzustellen, Ketzer ausfindig zu machen und zu prozessieren, da mußten Abtrünnige zurückgerufen, zum Abfall Neigende gestützt werden, da galt es, der Verderbnis der Geistlichkeit zu steuern und die Strenge des kirchlichen Gesetzes wieder herzustellen. Da kamen Sendboten über Sendboten, bald vom geheimen Kirchen-, bald vom hohen Staatsrate, da wollte der Fürstprimas umgehenden Bescheid hierüber, ein Vertreter der Königin-Regentin darüber haben, da wollte einer eine Petition befürwortet haben bei dieser, ein andrer bei jener Behörde, da kamen Anfragen hierüber und Bescheide darüber, da mußten Nachforschungen angestellt werden, bald über dies, bald über andres – kurzum, die Amtsgeschäfte wuchsen dem armen Abt Bonifazius über den Kopf, und der scharfblickende Lordprimas von Schottland erkannte bald die Unzulänglichkeit seines Würdenträgers für die dem Sankt Marien-Kloster anheimfallenden Pflichten und Geschäfte und stellte ihm einen Adlatus in der Person eines Unterpriors aus dem Orden der Cistercienser mit Namen Eustachius, der die nötigen Fähigkeiten und Kenntnisse besaß, nicht allein den Abt vorkommendenfalls zu unterstützen, sondern auch zu vertreten und zu ersetzen, auch ihn zu mahnen an die Erfüllung der Gesetze, wenn es ihm beikäme, aus Gutmütigkeit oder Schwäche dagegen zu verstoßen. Pater Eustachius trat in dem Sankt Marien-Kloster in ganz der gleichen Rolle auf, die ein alter Feldherr in einem von irgend welchem Prinzen von Geblüt befehligten Heere zu erfüllen hat, der bloß dem Namen nach das Kommando führt, und sich hat verpflichten müssen, ohne den Beirat des ihm an die Spitze gestellten eigentlichen Heerführers nicht das Geringste zu unternehmen, und er trug auch das Geschick solcher Beigeordneten, von ihren Scheingebietern ebenso bitter gehaßt wie herzlich gefürchtet zu werden. Aber der Lordprimas erreichte seine Absicht: es kam Ordnung in die Geschäfte der Abtei, und Pater Eustachius wurde der ewige Gedanke und zuweilen auch der Popanz des würdigen Prälaten, der sich zuletzt nicht mehr getraute, sich im Bett auf die andre Seite zu legen, ohne an die Meinung und Miene des frommen Pater Eustachius zu denken. Bei jedem schwierigen Falle wurde Pater Eustachius zu Rate gezogen, aber kaum war ein solcher schwieriger Fall wieder überwunden, so wurde auch schon wieder gesonnen und getrachtet, wie man ihn loswerden könne. In jedem Schreiben, das der Abt an die vorgesetzten Behörden zu richten hatte, empfahl er den Abt Eustachius zur Berücksichtigung bald dieses, bald jenes wichtigen Kirchenamtes oder dieses Bistums und jener Abtei, und als all diese Empfehlungen von seiner Seite nichts halfen, sondern Pater Eustachius ständig übergangen wurde, um auf seinem Adlatus-Posten in der Abtei Sankt Marien zu bleiben, da fing der Abt Bonifazius langsam an, sich in den Gedanken einzuleben, daß dem Unterprior die Abtei Sankt Marien als eine Art Leibgedinge ausersehen worden sei, und darüber klagte er in seinem Unmut dem Pater Sakristan auch des öftern sein Herzeleid. Aber noch weit schmerzlicher würde es ihn betroffen haben, wenn er eine Ahnung davon gehabt hätte, daß das Streben des Paters Eustachius auf seine Insul gerichtet sei, die ja, wenn gewisse Vorboten nicht trügten, die von dem Abte selbst weniger ernst, von seinen Freunden jedoch um so ernster genommen wurden, und die auf baldigen Eintritt von Schlagfluß zu deuten schienen, in verhältnismäßig kurzer Zeit erledigt sein konnte. Aber die feste Zuversicht auf seine Gesundheit, die der Abt mit vielen andern geistlichen Würdenträgern teilte, ließ den Gedanken, daß die Zähigkeit des Paters Eustachius damit in Zusammenhang stände, in dem Abte nicht aufkommen. Weil sich nun der Abt in wirklich schwierigen Fällen mit der Notwendigkeit abzufinden hatte, bei seinem Adlatus sich Rat zu holen, lag der Gedanke für ihn nahe, alle leichtern Amtsgeschäfte ohne dessen Vorwissen zu besorgen. Immerhin wurde er aber auch in diesen Fällen den Gedanken an den Pater Eustachius, was der dazu sagen, wie der darüber denken würde, nicht los. Und so hatte er es auch verschmäht, den Unterprior von der Absendung des Sakristans nach Glendearg zu unterrichten. Als nun aber die Versperstunde herankam und der Sakristan noch immer nicht zum Vorschein kam, da wurde ihm doch sehr unbehaglich zu Mute, und zwar um so unbehaglicher, als sein Gemüt auch von andern Dingen noch schwer belastet wurde. Die Zwistigkeit mit dem Brückenvogt drohte eine gefährliche Wendung zu nehmen, denn der kriegerisch veranlagte Baron, in dessen Dienst der Brückenvogt stand, konnte sich jederzeit in den Streit einmischen, und von dem Lordprimas waren auch Schreiben höchst unangenehmen Inhalts eingelaufen. Und gleich dem vom Zipperlein geplagten Kranken, der sich auf seine Krücken stützt, die Krankheit aber, die sie ihm aufnötigt, zu allen Geiern wünscht, fand sich der Abt, wenn auch mit Widerstreben, in der unangenehmen Notwendigkeit, den Pater Eustachius nach dem Gottesdienst in sein Haus oder vielmehr in seinen Palast, der einen Teil des Klosters ausmachte, zu bitten. Abt Bonifazius sah in seinem hohen Sessel, dessen seltsam geschnitzte Lehne in einer Bischofsmütze auslief, vor einem tüchtig lohenden Feuer. Neben ihm standen auf einem eichnen Tische die Ueberreste eines gebratnen Kapauns, den Hochwürden zum Abendbrot verzehrt hatten. Daneben stand eine stattliche Flasche Bordeaux-Wein mit köstlicher Blume. Nachlässig blickte er ins Feuer, sinnend über sein einstiges und über sein zukünftiges Geschick und Glück, hin und wieder auch Kirchen und Türme in die glühende Herdasche mit seinem Stocke zeichnend. Und dann malte er sich aus, in diesen feurigen Bildern die friedlichen Bilder von Dundrennan zu sehen, wo er die Tage verlebt hatte, in denen er noch nicht zu Glanz und Ehre, noch nicht zu Unruhe und Verdruß ausersehen worden war. »Wir waren eine friedliche Brüderschaft,« sprach er bei sich, »die ihre Mönchspflichten regelmäßig erfüllte, und die, wenn einmal menschliche Schwäche unter ihnen sich eindrängte, sich unter einander absolvierte. Was wir im Grunde nur fürchteten, waren die Sticheleien im Konvent, die es dann über einen dummen Streich, den einer von uns gemacht hatte, zu setzen pflegte. Ach, ists mir doch im Grunde, als säh ich den Klostergarten vor mir mit den Birnbäumen, die ich selbst noch gepflanzt habe. Wozu muß, ich mit Geschäften überladen werden, die mich nichts angehen? was soll mir der Titel Mylord Abt?... um mich vom Pater Eustachius am Gängelbande führen zu lassen! Ach, wenn bloß diese Türme die Abtei Aberbrothock wären und Pater Eustachius dort Abt! oder möcht er hier irgendwo im Feuer liegen und schmoren, oder sonst wo stecken, damit ich ihn los wäre! Der Lordprimas behauptet zwar, unser heiliger Vater der Papst habe auch einen Adlatus; wenn der, aber so ist, wie meiner, dann könnt ers doch ganz gewiß nicht acht Tage mit ihm aushalten! Und bekommt denn jemand von ihm Auskunft früher, als bis er ihm unumwunden seine Not bekennt? Mit keinem Wink geht er einem von selbst an die Hand, sondern ist der richtige Geizhals, der erst dann in seinen Beutel greift, wenn ihm die Gabe abgedrungen wird! Und dann werde ich doch auf diese Weise in den Augen all meiner Brüder zum richtigen Popanz, keiner hat noch Respekt vor mir, jeder, sieht mich an, wie unter Kuratel gestellt, wie einen Idioten, der gar keine selbständige Meinung mehr hat und mehr haben darf. ... Nein, das ertrage, wer will! Ich kanns nicht mehr ertragen! ... Bruder Bennett!« ... ein Laienbruder gab Antwort auf seinen Ruf, »sage doch dem Pater Eustachius, ich hätte keinerlei Verlangen mehr nach ihm.« »Eben wollte ich Euer Hochwürden melden, daß der Pater Eustachius aus dem Kloster herüberkommt.« »Wenn es an dem ist, dann soll er mir willkommen sein,« erwiderte der Abt, »da, räume diese Dinge weg, oder lege lieber ein Messer her! der fromme Vater könnte ja hungrig sein. – Aber nein, räume doch lieber ab! es ist ja doch keine gesellige Ader in ihm! Bloß, die Weinflasche laß stehen und setze noch einen Becher mit her!« Der Laienbruder führte diese widersprechenden Befehle aus, wie es ihm geziemend erschien. Er nahm das halb abgeknabberte Gerippe des Kapauns hinweg und setzte dafür zwei Becher neben die Weinflasche. Und jetzt trat der Pater Eustachius ein. Es war ein schmaler, kleiner, magerer Herr, mit scharf geschnittnem Profil und stechenden, kleinen Augen, die denjenigen, auf den sie sich wandten, durch und durch zu bohren schienen. Das Fasten, das er mit strengster Gewissenhaftigkeit innehielt, hatte im Verein mit der unermüdlichen Geistesarbeit, der er sich unterzog, seinen Körper intensiv abgemagert. Mit mönchischer Demut verbeugte er sich vor seinem Vorgesetzten, und wie man sie nun einander gegenüber stehen sah, konnte man sich einen schärfern Kontrast nicht gut vorstellen, als er sich hier in diesen beiden Gestalten zum Ausdruck brachte. Das gutmütige Gesicht des greisen Abtes mit dem rosigen Hauch, den so gern feiste Gesichter annehmen, die heiter blickenden Augen, die selbst die große Bedrängnis der gegenwärtigen Zeit nicht hatte trüben können, und die bleichen, dürren Wangen mit den hohlen, stechenden Augen des Unterpriors, aus denen der forschende, kühne Geist sich so energisch kündete ... wirklich, etwas von schärferem Gegensätze ließ sich nicht vorstellen. Der Abt eröffnete das Gespräch, indem er den Mönch einlud, sich zu setzen und einen Becher Wein anzunehmen. Das Erbieten wurde mit Demut, doch mit dem Hinweise abgelehnt, daß die Vesper bereits vorüber sei. »Um des Magens willen,« sagte der Lord-Abt lächelnd. »Ihr kennt ja doch den Wortlaut des Textes.« »Und doch ist es gefährlich, es allein zu tun und zu so später Stunde,« erwiderte der Prior. »Der Wein ist ein gefährlicher Gesell in der Einsamkeit, und deshalb meide ich ihn.« Der Lord-Abt hatte sich einen Becher eingegossen, der etwa ein halbes englisches Maß fassen mochte, ließ ihn aber, entweder gekränkt durch die Weigerung oder beschämt über den stillen, in den Worten des andern gelegnen Vorwurf, stehen, ohne ihn anzurühren. Hierauf wechselte er sogleich das Gesprächsthema. »Der Lordprimas hat uns geschrieben, daß wir in unserm Sprengel die schärfste Nachsuchung halten sollen nach ketzerischem Volk, vornehmlich nach den in diesem Verzeichnis namhaft gemachten Personen, die sich der gerechten Strafe, die über sie verhängt worden, entzogen haben. Es sei wahrscheinlich, daß sie über die Grenzen nach Frankreich zu fliehen beabsichtigen, und in dem Schreiben wird verlangt, ich solle darüber wachen und es verhindern.« »Allerdings, und so gehört es sich, denn die Obrigkeit soll das Schwert nicht umsonst tragen.« »Ja, aber wie soll mans denn anfangen?« rief der Abt ungeduldig. ... »O, heilige Jungfrau, steh uns bei! Ich bin doch kein weltlicher Baron, der über Kriegsmarinen gebietet! Der Primas sagt, zieh aus und reinige das Land! halte alle Ausgange besetzt! Ja, du lieber Gott! können denn Mönchskutten und Skapuliere den Weg versperren?« »Euer Vogt, ehrwürdiger Vater, steht doch im Rufe eines wackern Kriegers, und Eure Vasallen sind zu Kriegsdiensten verpflichtet, wenn es die Verteidigung der heiligen Kirche gilt. Unter dieser Bedingung ist ihnen der Besitz kirchlichen Gutes gewährt worden. Wollen sie diese Bedingung nicht halten, dann gebt Ihr Land an andre Leute!« »Wir werden nichts unterlassen, was der heiligen Kirche dienen und frommen kann,« erwiderte der Lord-Prior mit Würde, »Du selbst, Eustachius, sollst die diesbezüglichen Befehle an unsern Vogt und an die Lehnsmannen überbringen. Aber dann bleibt noch die leidige Differenz mit dem Brückenvogt und dem Baron von Meigallot. Ach, heilige Jungfrau! wie mehren sich doch die Bedrängnisse über unserm Haupte und der Menschheit! man weiß ja nicht mehr, wohin man blicken, wohin man sich wenden soll! Du sagtest doch, Pater Eustachius, Du wolltest unser Begehr, die gefallsfreie Passage unsrer Wallfahrer betreffend, durchsetzen?« »Ich habe in den alten Briefen und Urkunden des Klosters nachgesehen,« sagte der Abt, »und habe eine schriftliche, formell verbindliche Urkunde aufgefunden, kraft deren nicht allein die zu dieser Abtei gehörenden Geistlichen oder Brüder, sondern, auch alle diejenigen, die sich als Pilger ausweisen, sowohl dieser Abtei wie der Abtei Ailford, frei sein sollen von Brücken- und andern Abgaben. Die Urkunde ist ausgefertigt am St. Brigitten-Abend im Jahre 1137, mit dem Siegel und der Unterschrift des Karl von Meigallot, der diese Vergünstigung einräumt, gezeichnet. Es war der Ururgroßvater des jetzigen Barons. In der Urkunde steht, daß die Vergünstigung gewährt werde um seines eignen Seelenheils willen wie um des Seelenheils seines Vaters, seiner Mutter, seiner Ahnen und Abkömmlinge willen, so lange es Barone von Meigallot gebe.« »Aber er sagt, die Brückenvögte seien im Besitz dieses Gefälls und hätten es geltend gemacht seit über fünfzig Jahren. Der Baron droht mit Gewaltmaßregeln. Inzwischen wird die Wallfahrt unsrer Pilger gestört zum Schaden ihres Seelenheils und zum großen Nachteil für unser Kloster. Der Sakristan rät, ein Boot auszusetzen, aber der Vogt, dessen Gottlosigkeit bekannt ist, hat geschworen, der Teufel solle ihn lebendig holen, wenn er ein Boot auf dem Strome seines Herrn leide. Er will es kurz und klein schlagen. Und dann sagen wieder andre, wir täten klüger, die Gefällsforderung des Barons durch eine kleine Pauschalsumme abzulösen.« Hier wartete der Abt augenscheinlich auf eine Antwort seines Amtsbruders, und da er keine erhielt, fragte er: »Nun, was meinst Du, Pater Eustachius, warum verhältst Du Dich so schweigsam?« »Weil mich die Frage wundert, die der Lord-Abt unsers Klosters an den jüngsten seiner Ordensbrüder richtet.« »Der jüngste der Zeit des Eintritts nach gerechnet, Bruder Eustachius, aber nicht dem Alter und der Erfahrung nach,« erwiderte der Abt ... »zudem der Unterprior dieser Abtei.« »Ich staune darüber,« sagte Pater Eustachius, »daß der Abt dieses ehrwürdigen Klosters irgend jemand die Frage vorlegen kann, ob er das Erbe unser heiligen Beschützerin schmälern oder gar einem gewissenlosen, vielleicht ketzerischen Baron die Rechte abtreten solle, die sein frommer Ahnherr der Kirche überließ. Das verpönen doch Päpste und Konzilien! Ermannt Euch, ehrwürdiger Vater, und fasset nicht Zweifel an einer gerechten Sache! Zieht das Schwert und richtet es gegen die Gottlosen!« Der Abt Bonifazius sagte: »Das ist alles ganz schön gesprochen, wenn man es nicht zu machen braucht; aber ...« hier unterbrach ihn Bruder Bennett, welcher ungestümer, als es sich für einen Klosterbruder geziemt, in das Zimmer hereintrat ... »Der Esel,« meldete er, »auf dem der Sakristan heute morgen ausgeritten ist, kommt eben pitschnaß in den Stall gerannt. Aber der Bruder Sakristan sitzt nicht drauf ...« »Heilige Gottesmutter!«, rief der Abt, »unser geliebter Bruder ist unterwegs umgekommen!« »Vielleicht auch nicht,« sagte Pater Eustachius schnell, »laßt die Glocke läuten! die Brüder sollen die Gegend mit Fackeln absuchen! das Dorf soll alarmiert werden! eilt hinunter zum Flusse! ich eile allen voran dorthin!« In stummer Bestürzung stand der Abt, als er auf einmal inne wurde, daß alles, was von ihm hätte befohlen werden sollen, ausgeführt wurde auf den Befehl des jüngsten seiner Klosterbrüder. Allein, ehe noch einer der befohlenen Schritte zur Ausführung gebracht worden war, erschien der Bruder Sakristan und machte alle Maßregeln unnötig. Siebentes Kapitel Gleichzeitig von Frost und Entsetzen geschüttelt, stand der betrübte Sakristan und lehnte sich auf den Arm des treuen Klostermüllers. Er war ganz durchnäßt und vermochte nicht ein Wort zu seinem Obern zu sagen. Mehrmals setzte er an, und endlich gelang es ihm, die Worte zu stammeln: »Wir schwimmen gar fröhlich, und hell scheint der Mond!« »Wir schwimmen gar fröhlich?« wiederholte der Abt verdrießlich. »Ihr habt Euch für Eure Schwimmübung einen lustigen Abend ausgesucht und begrüßt Euern Vorgesetzten ja recht geziemend.« »Unser Bruder ist mißgestimmt,« meinte Eustachius. »Sprecht, Vater Philipp, was ist Euch?« »Fein hat sichs gefischt heut!« fuhr der Sakristan fort, und der Versuch, die Stimme seiner absonderlichen Gefährtin nachzuahmen, mißlang ihm kläglich. »Fein hat sichs gefischt?« wiederholte der Abt mit steigendem Unwillen. »Bei meinem Orden, der Mann ist voll von süßem Weine, und er wagt es, vor uns zu treten, da ihm noch die aufgeschnappten Narreteien in der Kehle sitzen! Wenn dieser Wahnsinn sich mit Brot und Wasser austreiben läßt –« »Mit Verlaub, hochwürdiger Herr,« unterbrach ihn der Unterprior, »Wasser hat unser Bruder genug gekriegt, und wie mir scheint, rührt der verstörte Blick seiner Augen mehr von Schreck her als von irgend einer seines Standes unwürdigen Ursache. Müller Hob, wo habt Ihr ihn angetroffen?« »Mit Verlaub, Euer Ehrwürden, ich war gerade dabei, die Schleuse meiner Mühle zu schließen, und wie ich unterwegs bin nach meiner Schleuse, da höre ich ganz in meiner Nähe ein Grunzen, und ich dachte mir nichts andres, als daß es eins von den Schweinen des Giles Fletcher sei, denn, mit Verlaub, Euer Ehrwürden, dieser – dieser Schweinehund macht nie sein Gatter zu. Ich hatte schon die Hand erhoben und wollte was dorthin werfen, wo das Gegrunze herkam, – verzeih mir die heilige Jungfrau! – aber als wenn die Heiligen das hätten verhüten wollen, hör ich noch einmal ein Aechzen, das so klang, als habe ein lebender Mensch es ausgestoßen. Da rief ich denn meine Knechte herbei, und da fanden wir den Vater Sakristan – ganz naß und bewußtlos lag er unter der Mauer unseres Backofens. Wir standen ihm bei und brachten ihn ein wenig zu sich – da bat er uns, wir möchten ihn zu Euer Hochwürden bringen, aber unterwegs kam es mir ganz so vor, als habe er völlig den Verstand verloren, und erst als wir hier waren, kam wieder ein bißchen Sinn und Vernunft in sein Gerede.« »Schon gut,« erwiderte Vater Eustachius, »wohl hast Du getan, Hob, Du magst nun gehen. In Zukunft nur sei behutsam, ehe Du im Dunkeln nach etwas wirfst oder schlägst.« »Mit Verlaub, Euer Ehrwürden, ich will mirs wohl zur Warnung sein lassen,« entgegnete der Müller, »und Zeit meines Lebens will ich keinen heiligen Mann mehr für ein Schwein halten.« Und der Müller machte eine tiefe devote Verbeugung und ging. »Nun ist der Bauer weg,« sagte Eustachius, »willst Du nun nicht dem hochwürdigen Herrn bekennen, was Dir zugestoßen ist? Bist Du vino gravatus? Dann sollst Du in Deine Zelle geschafft werden.« »Wasser, Wasser, kein Tröpflein Wein,« murmelte der Sakristan kraftlos. »Nun,« erwiderte der Mönch, »wenn Du daran Beschwerden hast, so mag Dir vielleicht der Wein Heilung bringen?« »Er mag sich umkleiden,« befahl der Abt, »oder noch besser, laßt ihn ins Krankenhaus bringen; denn es könnte unsrer eignen Gesundheit schaden, wenn wir hier seinen Bericht entgegennehmen wollten – dampft und raucht er doch, wie ein aufsteigender Nebelschwaden.« »Ich will ihn in Verhör nehmen und nachher Euer Hochwürden Bericht erstatten,« sagte Eustachius, indem er den Sakristan in seine Zelle brachte und nach einer halben Stunde zum Abt zurückkehrte. »Und was ist es mit Vater Philipp?« fragte der Abt. »Wie erklärt er seine sonderbare Verfassung?« »Er kommt von Glendearg,« erwiderte Eustachius, »und im übrigen erzählt er eine Geschichte, wie sie seit Jahrhunderten im Kloster nicht wieder vernommen worden ist.« Er berichtete nun dem Abt in großen Umrissen, was dem Sakristan auf seiner Rückkehr zugestoßen war, und setzte hinzu, er habe zuerst sich fast versucht gesehen, den Mann für irrsinnig zu halten, da er unaufhörlich durcheinander geweint, gelacht und gesungen hätte. »Ein seltsames Ereignis,« sagte der Abt, »daß es dem Satan möglich war, nach einem unsrer geweihten Brüder die Tatzen auszustrecken.« »Ganz gewiß,« entgegnete Eustachius, »aber es läßt sich zu jedem Text eine Umschreibung finden, und ich habe so eine Ahnung, als sei Vater Philipp nicht ganz ohne Schuld daran, daß er von einem Geist der Hölle solch eine Taufe erhalten hat.« »Wie?« sagte der Abt, »ich hoffe, Du zweifelst nicht daran, daß es in der Vorzeit dem Satan verstattet worden ist, heilige und fromme Männer zu versuchen und zu peinigen – wie er zum Beispiel den Gottesmann Hiob gemartert hat?« »Da sei Gott vor, daß ich daran zweifeln sollte,« erwiderte der Mönch und bekreuzigte sich. »So es aber eine nicht ganz auf Wunder gegründete Erklärung von der Geschichte des Sakristans gibt, so halte ich es für nützlich, sie zum mindestens ins Auge zu fassen, wenn man sich auch nicht ganz darauf verlassen mag. Dieser Müller Hob hat ein flinkes Ding von einer Tochter – gesetzt den Fall – ich sage nur, gesetzt den Fall – unser Sakristan ist an der Furt mit ihr zusammengetroffen – denn sie war bei ihrem Oheim, der an der andern Seite der Furt wohnt, zu Besuch, und kam am selben Abend nach Hause – gesetzt den Fall, unser Sakristan hat aus Höflichkeit, damit sie sich nicht erst Schuhe und Strümpfe ausziehen sollte, sie hinter sich aufs Pferd genommen – gesetzt den Fall, er hat seine Liebenswürdigkeit noch weiter getrieben und das Mädchen hat sich das nicht gefallen lassen wollen – da wäre es doch sehr naheliegend anzunehmen, daß das zu seinem unfreiwilligen Bade geführt hat.« »Und die ganze Geschichte wäre nur erdacht, um uns zu hintergehen?« versetzte der Abt und errötete vor Zorn. »Das soll genau untersucht werden. Wir wollen dem Vater Philipp das Handwerk legen, wenn er versucht, seine schlechten Streiche für Werke des Teufels auszugeben. Gebiete dem Mädchen, daß es morgen vor uns erscheinen solle – wir wollen den Fall untersuchen, und die Strafe soll nicht ausbleiben.« »Euer Hochwürden mögen verzeihen,« erwiderte Eustachius, »eine solche Strenge würde unklug sein. So wie die Dinge jetzt liegen, sind die Ketzer erpicht darauf, Aergernisse in unsrer Kirche aufzudecken, und haschen nach jedem flüchtigen Gerücht, das auf ein solches zu deuten scheint. Das Unrecht muß ausgerottet werden, aber nicht bloß durch verschärfte Ordenszucht, sondern auch dadurch, daß wir böse Nachrede beschwichtigen und nicht aufkommen lassen. Wenn ich in meinen Vermutungen das Rechte treffe, so wird das Mädchen schon um ihrer selbst willen den Schnabel halten, und Euer Hochwürden mag dem Vater des Mädchens und dem Sakristan Stillschweigen auferlegen. Wenn es dem Sakristan noch einmal einfallen sollte, Schande über unsern Orden zu bringen, so muß er streng, aber insgeheim in Strafe genommen werden.« Nach diesen Worten gingen die beiden für die Nacht auseinander. Am folgenden Tage nahm Abt Bonifazius den Bruder Philipp in ein strenges Verhör, aber über die wahre Ursache des Unglücks, das ihm am verflossenen Abend zugestoßen war, konnte er nichts aus ihm herausbringen. Der Sakristan blieb beharrlich bei seinen Angaben, trotzdem es ihm sogar zustieß, daß er einige Einzelheiten verwechselte. Er gab vielfach unzusammenhängende Antworten und konnte sich nicht enthalten, Teile von dem sonderbaren Gesange des Mädchens, die ihm erinnerlich waren, mitten in dem Verhör zum besten zu geben, zum Beweis für den tiefen Eindruck, den der Gesang auf ihn gemacht hätte. Der Abt fühlte Mitleid mit der Schwäche des Sakristans, die er wirklich auf einen übernatürlichen Anlaß zurückzuführen geneigt war, und glaubte, die naturgemäße Darlegung des Vaters Eustachius klinge wohl wahrscheinlich, entspreche aber nicht den Tatsachen. Wir haben das Abenteuer so wiedergegeben, wie wir es aufgezeichnet gefunden haben, aber wir müssen doch hinzufügen, daß die Klosterbrüder darüber verschiedner Ansicht waren und mehrere unter ihnen der Erklärung, daß die schwarzäugige Müllerstochter hinter der Geschichte stecke, den Vorzug gaben. Darüber aber waren sich alle einig, daß der Vorfall der Lächerlichkeit wegen verheimlicht werden müsse. Bei seinem Gelübde des Gehorsams wurde es daher dem Sakristan untersagt, je wieder von seinem Sturz ins Wasser zu sprechen, und da er durch eine Schilderung des Abenteuers sein Gemüt bereits beruhigt hatte, so läßt sich annehmen, daß er sich dieser Vorschrift willig gefügt hat. Die Gedanken des Vaters Eustachius weilten indessen weniger bei der wunderbaren Erzählung des Sakristans, als vielmehr bei dem Buche, das er aus dem Turme von Glendearg mitgenommen hatte. Ein Druck der heiligen Schrift in landessprachlicher Uebersetzung hatte sich also in das eigne Gebiet der Kirche eingeschlichen und war im geheimsten, entlegensten Winkel auf den Besitzungen des Klosters unsrer lieben Frauen gefunden worden! Er hätte das Buch zu gern gesehen, aber der Sakristan konnte ihm den Wunsch nicht erfüllen, da er es verloren hatte – wie er angab – als das übernatürliche Wesen sich von ihm entfernt habe. Vater Eustachius begab sich selber an die Stelle und suchte den ganzen Fleck ab, in der Hoffnung, das Buch zu finden, aber all seine Mühe war umsonst. Er begab sich daher zum Abt zurück und bat um die Erlaubnis, selber im Turme von Glendearg nachzuforschen. »Wir wollen doch sehen,« sagte er, »ob irgend ein Gespenst oder ein weißes Weib der Wildnis mir auf meiner Hin- oder Rückreise in den Weg treten wird. Habe ich die Erlaubnis und den Segen Eurer Hochwürden zu meinem Vorhaben?« fragte er in einem Tone, als ob ihm an beidem nicht viel gelegen sei. »Du hast beides, lieber Bruder,« antwortete der Abt, und im Geheimen wünschte er, ein schwarzes, graues oder weißes Ungeheuer möchte dem Ratgeber einmal eine Lehre zuteil werden lassen, die ihn ein für alle Mal von der Dünkelhaftigkeit kurieren möchte, sich für gescheiter als alle Brüder zu halten. Unterdessen war Eustachius bereits unterwegs nach dem Turm von Glendearg und gelangte bald an die Zugbrücke. Es gelang ihm hier den Widerstand des Brückenwächters zu brechen und ihm durch gewandte Vorstellungen über die Vorteile seines jetzigen Dienstes und den Nutzen des Klosters die Einwilligung abzulisten, daß bis zum nächsten Pfingstfest jeder zu Fuße wandernde Pilger zollfrei die Brücke passieren dürfe, sofern nur alle Leute zu Rosse und zu Wagen die herkömmliche Abgabe entrichteten. Nachdem Vater Eustachius eine für das Heil des Klosters so wichtige Angelegenheit erledigt hatte, setzte er seine Wanderung fort. Achtes Kapitel November-Nebel lag in dem kleinen Tale, durch das der Mönch Eustachius gemächlich ritt. Die Schwermut, von der die Landschaft der Jahreszeit entsprechend erfüllt war, ging auch auf ihn über. Es klang, als murmelte der Fluß in tiefen, leidvollen Tönen, um den scheidenden Herbst klagend. Das welke Laub am Boden stob unter den Tritten des Maultieres raschelnd auseinander. Der Mönch sank in tiefes Sinnen, und wenn er ab und zu aufschaute, war es ihm, als wenn eine weißgekleidete Frauengestalt in der Haltung einer Leidtragenden am Wasserrande stehe. Aber es war, immer nur ein augenblickliches Empfinden; wenn er genauer hinsah, war es immer ein alltäglicher Gegenstand – ein weißlicher Stamm, oder der Stumpf einer Birke mit silberner Rinde – statt der vermeintlichen Erscheinung. Vater Eustachius war zu lange in Rom gewesen, um die abergläubischen Ansichten der im allgemeinen weit unwissenderen schottischen Geistlichen zu teilen. Aber dennoch murmelte er unwillkürlich seine Gebete, der Vorschrift des Ordens gemäß, bis er sich im Schutze der Feste Glendearg befand. Frau Glendinning stand am Tore, und als sie den guten Vater erblickte, stieß sie einen Ruf der Freude und des Erstaunens aus. »Martin! Kaspar!« rief sie. »Wo steckt nur das Volk? Seid doch dem hochwürdigen Herrn Unterprior behilflich beim Absteigen und nehmt Euch seines Maultieres an! Euch hat Gott uns in der Not geschickt! Eben wollte ich einen Reiter nach dem Kloster schicken und Euer Hochwürden bitten lassen, Euch herzubemühen.« »Keine Rede von Mühe, gute Frau,« sagte Vater Eustachius. »Womit kann ich Euch dienen? Ich bin hergekommen, um die Lady von Avenel zu besuchen.« »Da trefft Ihrs gut,« antwortete Frau Elspath, »denn gerade ihretwegen habe ich Euch herrufen wollen. Ist es Euch gefällig, in ihr Gemach zu gehen?« »Hat sie nicht dem Vater Philipp gebeichtet?« fragte der Mönch. »Das hat sie allerdings,« versetzte die Hausfrau von Glendearg, »aber ich wünschte nur, es wäre auch eine vollständige Beichte gewesen. – Vater Philipp hat freilich ein ganz nachdenkliches Gesicht dazu gemacht – und dann ist hier ein Buch gewesen, das er mitgenommen hat und das –« Sie hielt inne, als wolle sie es vermeiden, mehr zu sagen. »Vollendet, Frau Glendinning,« sagte der Mönch, »vor uns dürft Ihr keine Geheimnisse haben.« »Mit Verlaub, Euer Ehrwürden,« antwortete die Frau, »es ist nicht an dem, daß ich vor Euer Ehrwürden das Geringste geheim halten wollte, aber ich fürchte, ich möchte Euer Ehrwürden eine schlechte Meinung von der Lady beibringen, und sie ist doch eine ausgezeichnete Dame. Monate – ja jahrelang hat sie hier im Turme gewohnt, und niemand kann einen musterhaftern Lebenswandel haben – aber was die bewußte Angelegenheit betrifft, so wird sie ohne Zweifel sich Euer Ehrwürden selber anvertrauen.« »Zuvörderst möchte ich es aber doch von Euch erfahren,« wiederholte der Mönch, »es ist Eure Pflicht, es mir zu sagen.« »Mit Verlaub, Euer Ehrwürden,« sagte die Witwe, »das Buch, das Vater Philipp von Glendearg mitgenommen hatte, hat sich heute früh auf wundersame Weise wieder angefunden.« »Wieder angefunden?« fragte der Mönch. »Was wollt Ihr damit sagen?« »Ich will sagen,« erwiderte Frau Glendinning, »das Buch ist wieder nach Glendearg zurückgekommen – mögen die Heiligen wissen, auf welche Weise. Und gestern hatte es doch der Vater Philipp mitgenommen. Und heute morgen hat das junge Volk beim Spielen auf der Weide eine weiße Frau am Brunnen sitzen sehen, die die Hände gerungen hat. Die Kinder sind erschrocken, wie sie das fremde Frauenzimmer erblickt haben, aber eins hat sich doch ein Herz gefaßt und ist auf sie zugegangen – und da war sie mit einemmal verschwunden –« »Ei, schämt Euch, gute Frau,« sagte Eustachius, »Ihr seid doch sonst eine so vernünftige Frau und achtet auf solche Märchen? Was junge Volk hat Euch einen Bären aufgebunden, das ist das Ganze.« »Nein, Herr, das ist es nicht,« erwiderte die alte Frau, »die Kinder haben mich erstens noch nie belogen, und zweitens haben sie auf demselben Fleck, wo die weiße Frau gesessen hat, das Buch gefunden und mit in den Turm gebracht.« »Das ist allerdings sonderbar,« sagte der Mönch. »Wißt Ihr nichts davon, daß etwa in diesem Bezirk noch ein zweites Exemplar dieses Drucks existiert?« »Nein, Euer Ehrwürden,« erwiderte, Elspath, »und was sollten wir denn damit? drin lesen könnte ja doch niemand, und wenn wir zwanzig hätten.« »Ihr seid also der Ueberzeugung, daß es dasselbe Buch ist, das Ihr dem Vater Philipp übergeben habt?« fragte der Mönch. »So gewiß ist es dasselbe, wie ich jetzt mit Euer Ehrwürden rede,« war die Antwort. »Sehr sonderbar,« sagte der Mönch und schritt nachdenklich in dem Gemache auf und ab. »Wie auf Brennnesseln hab ich gesessen, so sehr hat michs danach verlangt zu hören, wie Euer Ehrwürden über den Vorfall denken,« fuhr Frau Glendinning fort. »Ich täte wohl alles für die Dame von Avenel – und das hab ich ja auch bewiesen – aber ich meine, wenn eine Dame sich im Hause einer andern Frau aufhält, dann schickt es sich nicht, daß Engel, Feen, Geister oder so was Aehnliches mit ihr umgehen. Das bringt einen nicht in guten Ruf. Aber ich habe den Kindern rote Fäden um den Hals gebunden und ihnen einen Eschenzweig in die Jacken genäht, – mehr kann doch eine verlassene Frau nicht tun, um die Geister von sich abzuhalten, nicht wahr, Euer Ehrwürden?« »Frau Glendinning,« antwortete der Mönch, »kennt Ihr die Tochter des Müllers?« »Ob ich Käthe Happer kenne?« erwiderte die Witwe. »Ei, so genau, wie der Bettler seinen Sack kennt. Käthe war ein schmutziges Frauenzimmer, und besonders vor zwanzig Jahren ist sie näher mit mir bekannt gewesen.« »Das kann nicht das Mädchen sein, von dem ich spreche,« entgegnete Vater Eustachius. »Die Dirne, nach der ich hier frage, kann kaum fünfzehn Jahre alt sein. Ein Mädel mit schwarzen Augen – gewiß habt Ihr sie schon in der Kirche gesehen.« »Das ist die Nichte von der Käthe, da haben Euer Ehrwürden recht. Aber, Gott sei Dank, ich bin immer zu andächtig im Gottesdienst, als daß ich merken sollte, ob die Mädchen blaue oder schwarze Augen haben.« Der gute Vater lächelte, als Frau Glendinning so feierlich ihren Widerstand gegen eine Versuchung beteuerte, die für sie freilich weniger gefährlich war, als für die männlichen Kirchenbesucher. »Aber Ihr wißt vielleicht wie das Mädchen sich kleidet?« fragte er. »Ei gewiß, guter Vater,« versetzte die Frau, »sie hat wohl immer ein weißes Röcklein an, wahrscheinlich damit man den Mehlstaub nicht so soll sehen können – und sie trägt eine blaue Haube, aber wohl bloß aus Koketterie, denn die ließe sich wohl entbehren.« »Nun, sollte nicht dieses Mädchen das Buch wiedergebracht haben und weggelaufen sein, als die Kinder sich ihr näherten?« fragte der Mönch. Die Frau schwieg – sie wollte dem Mönch nicht widersprechen – aber es war ihr nicht verständlich, aus welchem Grunde sich das Müllermädchen so weit von der Heimat entfernen und in einen abgelegenen Winkel wagen sollte, bloß um drei Kindern, vor denen sie doch verborgen bleiben wollte, ein altes Buch wiederzugeben. Es war ihr auch nicht erklärlich, warum das Mädchen nicht, da Frau Glendinning doch mit der Familie bekannt war, sich bei ihr aufgehalten, ausgeruht und etwas zu sich genommen hätte. Aber gerade diese Einwürfe überzeugten den Mönch nur noch mehr, daß er mit seiner Vermutung recht habe. »Nun will ich die Dame sprechen,« sagte er, »doch geht erst hinein und bereitet sie auf meinen Besuch vor.« Nach einer Weile, während der Mönch in tiefem Sinnen hin und her gegangen war und sich überlegt hatte, wie er sich wohl der schweren Pflicht, die ihm auferlegt war, mit Erfolg entledigen könne – kehrte Frau Glendinning mit Tränen in den Augen zurück und winkte ihm, daß er ihr folgen solle. »Wie?« fragte der Mönch. »Steht ihr Ende so nahe bevor? – Nun, die Kirche darf nicht wüten und verwunden, sobald sie noch trösten kann.« Und er vergaß seinen Eifer und eilte in das kleine Gemach, wo auf dem kargen Lager, das ihr im Turme von Glendearg hergerichtet war, die Witwe Walters von Avenel eben ihre Seele ausgehaucht hatte. »Vater im Himmel!« rief der Unterprior. »So ist sie infolge meines unglückseligen Zögerns ohne den Trost der Kirche dahingegangen? Seht doch zu, Frau,« setzte er in großer Unruhe hinzu, ob kein Funke von Leben mehr in ihr ist! Kann sie nicht mehr zum Bewußtsein gebracht werden? – und sei es auf wenige Minuten? Ist kein Odem mehr in ihr?« »Nie wieder wird sie Odem haben,« sagte die Frau des Hauses. »Ach, des armen vaterlosen Mädchens! sie ist nun ganz verwaist! und die gütige Gefährtin, die ich so viele Jahre um mich hatte, soll ich nun nie wiedersehen! Aber wenn eine Sterbliche in den Himmel kommt, so wird sie in den Himmel kommen, das ist gewiß – denn eine Frau, die einen bessern Lebenswandel –« »Wehe mir!« rief der Mönch, »wenn sie nicht in froher Zuversicht von hinnen gegangen ist! Wehe dem pflichtvergessnen Schäfer, der es geschehen ließ, daß der Wolf ein Schaf aus der Hürde wegtrug, während er seine Zeit damit vergeudete, die Schleuder und den Stab zu säubern, womit er das Ungeheuer bekämpfen wollte! Ach, wenn im unendlichen Jenseits diese arme Seele das Heil nicht findet, was habe dann ich verschuldet, indem ich gezögert habe? Den schweren Verlust einer unsterblichen Seele!« Er trat, erfüllt von Gewissensbissen, an den Leichnam, der mit einem friedlichen Lächeln auf den dünnen Lippen dalag. Dann forderte er Frau Elspath auf, alles, was sie über den Lebenswandel der Toten wisse, ihm zu erzählen. Da hörte er denn nichts als Lobenswertes, und er lauschte begierig auf alles, was ihm die Gewißheit geben konnte, daß die Dame wenigstens in den Hauptgrundsätzen rechtgläubig geblieben sei. Eine Stunde etwa verweilte der Mönch noch allein bei der Leiche und betete, dann kehrte er in die Halle zurück, wo er die Freundin der Verstorbenen noch immer in Tränen fand. Sie hatte ein Mahl für ihn bereitet, das er aber mit den Worten ablehnte: »Ich darf heute bis Sonnenuntergang keine Speise zu mir nehmen, denn ich muß sühnen, was ich durch Nachlässigkeit verschuldet habe. Aber, liebe Frau,« setzte er hinzu, »ich darf in meiner Sorge um den Leichnam nicht vergessen, das Buch mitzunehmen, welches für die Unwissenden dasselbe ist, was für die Stammeltern des Menschen der Baum der Erkenntnis war – das heißt, an sich vortrefflich, aber schädlich und verderblich, wenn es diejenigen gebrauchen, denen es verboten ist.« »Mit Freuden, ehrwürdiger Vater,« erwiderte die Witwe Simon Glendinnings. »Ich will Euch das Buch geben, wenn ich es nur den Kindern wegnehmen kann, aber freilich, sie schwimmen jetzt in Tränen, und man könnte ihnen wohl das Herz aus dem Leibe nehmen, ohne daß sie es gewahrten.« Der Mönch rief nach seinem Maultiere und wollte Abschied nehmen, als eben ein Ritter in voller Rüstung und Bewaffnung in den kleinen Hof, der den Turm umgab, hereingeritten kam. Neuntes Kapitel Die Gesellen oder Knappen von Großgrundbesitzern oder Häuptlingen hießen in Schottland »Eisenwämser«, weil sie als Rüstungen Wämser mit Stahlfütterung trugen. Diese Söldner benahmen sich gegen erwerbtreibende Leute aus dem Volke mit der größten Rücksichtslosigkeit und fanden sich stets dazu bereit, die gesetzwidrigsten Befehle ihrer Gebieter auszuführen. Christie von Clinthill war ein solcher Kumpan und an den eisernen Platten auf seinen Schultern, den verrosteten Sporen und dem verrosteten Speer zu erkennen. An seiner eisernen Sturmhaube, die nicht allzu blank geputzt war, trug er als Kennzeichen einen Zweig der Stechpalme – das Insignium des Hauses Avenel. An der Hüfte hing ein zweischneidiges Schwert mit eichnem Griff. Sein Roß war jämmerlich abgemagert, er selber sah hager und wild aus, was auf eine nur geringe Ergiebigkeit seines Handwerks zu deuten schien. Er begrüßte Frau Glendinning nicht allzu höflich, und den Mönch noch unhöflicher, denn die wachsende Geringschätzung mönchischer Orden mußte vor allem in den Kreisen solcher verwilderten Menschen Platz greifen. »So? also ist unsre Edelfrau tot,« sagte der Knappe, »mein Herr schickt Euch eben einen fetten Ochsen, – der kann nun zu ihrem Leichenmahl dienen – ich habe ihn oben in der Schlucht gelassen – er ist mit Brandzeichen versehen, aber je eher die Haut an ihm herunter ist und er im Pökel liegt, desto weniger Schererei habt Ihr mit dem Vieh. Ihr versteht schon, wie ich das meine. Und nun gebt mir Hafer für meinen Gaul und Fleisch und Bier für mich. Denn ich muß noch ins Kloster – doch den Ritt könnte ich mir ersparen, der Mönch hier wird meine Botschaft ausrichten.« »Deine Botschaft, unverschämter Patron,« sagte der Unterprior und runzelte die Stirn. Die arme Frau Glendinning befürchtete, es möchte zwischen den beiden Männern zum Streit kommen. »Du liebe Güte, Christie,« sagte sie, »das ist ja der Herr Unterprior – Hochwürdiger Herr, das ist der Christie von Clinthill, der Führer von den Eisenwämsern des Lairds, und Ihr wißt ja, von diesen Leuten kann man wenig Anstand erwarten.« »Ihr seid ein Söldner des Lairds von Avenel,« wandte der Mönch sich an den Reitersmann, »und führt eine so große Sprache gegen einen Bruder des Klosters unsrer lieben Frauen, dem doch Euer Herr so sehr verpflichtet ist.« »Er hegt die Meinung, Euerm Kloster in noch höherm Maße verpflichtet zu werden,« antwortete der Eisenwams. »Da er vernahm, daß seine Schwägerin, die Witwe Walters von Avenel, auf dem Totenbette liege, so hat er mich zu dem Herrn Abt und den Brüdern gesandt mit der Botschaft, daß er willens sei, das Leichenmahl in ihrem Kloster abzuhalten und mit etwa zwanzig Pferden und einigen Freunden auf drei Tage und drei Nächte Quartier zu nehmen. Er erwarte, daß Ihr die Pferde umsonst füttern und die Leute umsonst bewirten werdet. Aus diesem Grunde melde er diese seine Absicht schon jetzt an, damit Ihr Zeit genug habt, Euch darauf einzurichten.« »Das denke nicht, Freund,« versetzte der Unterprior, »daß ich dem Abt eine Botschaft überbrächte, die ihn so tief kränken muß. Meinst Du, die Güter der Kirche seien nur dazu da, von ruchlosen Laien vergeudet zu werden, die mehr Gesellen in ihrem Dienste halten, als sie auf ehrliche Weise besolden können? Entbiete Deinem Herrn von dem Unterprior des Klosters unsrer lieben Frauen, daß wir vom Primas Befehl erhalten hätten, uns dergleichen gewaltsame Erpressungen des Gastrechts nicht länger gefallen zu lassen. Unsre Güter und unser Vermögen sind bestimmt, Pilger und notleidende Jünger zu unterstützen, und nicht für rohe Kriegerhaufen Gelage auszurichten.« »Mir das?« versetzte der grobe Eisenwams. »Mir und meinem Herrn das? So paßt denn auf, Herr Unterprior, ob Ihr mit Euren Aves und Credos die Ochsen in den Ställen zurückhalten und die Scheunen vorm Feuer werdet schützen können!« »Bedrohst Du das Gebiet der heiligen Kirche mit Raub und Brand?« entgegnete der Unterprior. »Ich rufe alle, die die Worte dieses Räubers gehört haben, zum Zeugen wider ihn! Bedenke wohl, Lord James hat zwanzig solcher Gesellen wie Du im schwarzen Teich bei Jeddart ersäufen lassen. – Bei ihm und beim Primas will ich Klage erheben!« Der Kriegsmann antwortete nicht, sondern drehte seinen Speer herum und zielte damit auf den Mönch. Frau Glendinning begann um Hilfe zu schreien. »Tibb Tacket! Martin! wo seid Ihr alle? – Christie, um Himmelswillen! bedenkt doch, er ist ein Diener der heiligen Kirche!« »Ich fürchte mich nicht vor seiner Waffe,« sagte der Unterprior. »Wenn ich erschlagen werde, während ich die Rechte und Privilegien meines Stifts verteidige, so wird der Primas wissen, wie er dafür Rache zu nehmen hat.« »Der mag sich selber schützen,« entgegnete Christie, aber er lehnte doch seinen Speer gegen die Mauer. »Er ist in Fehde mit dem Normannen Lestie, und der wird ihm schon zu schaffen machen, denn Lestie ist ein wahrer Bluthund, der sich festbeißt. Aber es war nicht mein Wille,« setzte er hinzu, »den heiligen Vater zu beleidigen. Ich bin ein rauher Mann und zu Speer und Steigbügel erzogen. Da verstehe ich nicht, mit Priestern und Schriftgelehrten zu verkehren. Wenn ich etwas Ungehöriges gesagt habe, so will ich gern den heiligen Vater um Verzeihung und um seinen Segen bitten.« »Um Gotteswillen, Ehrwürden,« flüsterte die Witwe von Glendearg dem Unterprior zu, »gewährt ihm Verzeihung! – wie sollen wir armen Leute in den dunklen Nächten ruhig schlafen, wenn die Kirche mit solchen Kerlen wie dem da in Zwist lebt?« »Ihr habt recht, liebe Frau,« sagte der Unterprior. »Eure Sicherheit muß uns zuerst am Herzen liegen. – Kriegsmann, ich verzeihe Dir, Gott segne Dich und mache Dich zu einem ehrlichen Manne.« Christie neigte unwillig den Kopf ein wenig, wobei er vor sich hinbrummte: »Das will gerade soviel besagen wie: Gott möge Dich verhungern lassen. – Und nun, Herr Priester, was soll ich meinem Herrn für Bescheid auf seine Botschaft bringen?« »Daß die Leiche der Witwe Walters von Avenel, wie es ihrem Stande zukommt, in der Gruft neben ihrem tapfern Gatten beigesetzt werden soll. Was den beabsichtigten Besuch Eures Herrn mit Gefolge anbelangt, darüber zu entscheiden, bin ich nicht befugt – diese Botschaft Eures Herrn müßt Ihr dem hochwürdigen Herrn Abt selber vortragen.« »So muß ich eben hinreiten,« sagte der Krieger, »aber es läßt sich heute noch abmachen.« Während Frau Elspath dem Söldner das Mahl zurichtete, war der Unterprior bemüht, sich in den Besitz des Buches zu setzen, das der Sakristan am verflossenen Abend mitgenommen hatte und das auf so seltsame Weise in den Turm von Glendearg zurückgelangt war. Edward, der jüngere von den Knaben der Frau Glendinning, war nicht damit einverstanden, das Buch herzugeben, und Mary hätte ihm hierin wahrscheinlich beigestimmt, wenn sie nicht in ihrem Schlafgemach gewesen wäre, wo Tibb sich alle Mühe gab, sie über den Verlust ihrer Mutter zu trösten. Allein der jüngere Glendinning nahm ihre Eigentumsrechte mit einer Entschiedenheit wahr, die sonst nicht seiner Gemütsart entsprach, und erklärte, nach dem Tode der Mutter gehöre dieses Buch nur der Mary, und sie allein solle es behalten. Erst nach vieler Mühe gelang es dem Unterprior, den Knaben zur Herausgabe des Buches zu bewegen. Um nun nach dem Kloster zurückzukehren, ohne noch einmal dem wilden Kriegsmanne zu begegnen, stieg der Unterprior auf sein Maultier und trat den Heimweg an. Er hatte sich im Turme aber doch länger aufgehalten, als eigentlich seine Absicht gewesen war, und so neigte der Novembertag sich schon seinem Ende zu, als er die Rückkehr antrat. Ein unheimlicher Ostwind heulte in den verwelkten Blättern und warf sie in Schauern auf den Boden. Während der Priester nachdenklich dahinritt, weckte ihn das Getrappel eines hinter ihm herkommenden Pferdes aus seinen Gedanken, und er erblickte denselben wilden Kriegsmann, den er im Turme zurückgelassen hatte. »Guten Abend, mein Sohn! Segne Dich Gott!« sagte der Mönch. Aber der rohe Söldner dankte kaum durch ein flüchtiges Kopfnicken für den Gruß, gab seinem Pferde die Sporen und hatte binnen kurzem den Mönch und sein Maultier ein gutes Stück hinter sich gelassen. »Dieses Gesindel,« dachte Vater Eustachius bei sich, »ist eine Landplage. Die Freiherrn von Schottland sind zurzeit die abgefeimtesten Diebe und Bösewichter. Ich fürchte, mit meinem Rat, diesen Landstreichern Widerstand zu bieten, komme ich beim Abt zu spät, aber ich muß mich beeilen.« Er trieb sein Maultier an, aber das Tier scheute plötzlich, und so sehr sich der Reiter auch anstrengte, es war nicht mehr vom Flecke zu bringen. Gleichzeitig begann eine Stimme, die wie die Stimme eines Weibes klang, dicht neben ihm zu singen: Guten Abend, Herr Priester, im nächt'gen Gefild – Du reitest so schön in den Mantel gehüllt. Doch ob auf dem Berg, ob im Tal du magst reiten – 's ist jemand befugt, Dir zur Seite zu schreiten. Das schwarze Buch gib mir zurück Im Augenblick! Es ist mir betraut, und ich bring es zurück! Der Unterprior sah sich um, aber es war weder ein Gebüsch noch ein Gestrüpp in der Nähe, wo eine Sängerin sich hätte verstecken können. »Unsre liebe Frau möge mich beschützen!« sagte Vater Eustachius. »Ich hoffe, ich werde nicht den Verstand verlieren, aber es ist nicht gut möglich, daß meine Gedanken sich von selber zu Reimen zusammenfügen, die ich doch so sehr verachte, und zu Musik, von der ich nichts halte; oder wie sollte der Klang einer Frauenstimme, deren Wohllaut so lange Zeit keinen Reiz auf mich gehabt hat, meinem Begriffsvermögen ein Schnippchen schlagen, und sollte die Vision des Vaters Philipp auch an mir sich vollziehen? – Hollah, mein Maultier, zieh eiligst von dannen, so lange wir noch Herren unsrer Sinne sind.« Aber das Maultier stand wie angewurzelt und wollte nicht von der Stelle, es legte die Ohren zurück, die Augen traten ihm fast aus den Höhlen und es verriet alle Anzeichen eines heftigen Entsetzens. Während der Unterprior mit Drohen und Bitten das verhexte Tier dazu zwingen wollte, seine Pflicht zu tun, erklang abermals dicht neben ihm die sonderbar wohllautende Stimme: Wie konntest Du, Priester, Dich unterstehn, Ein Buch auf dem Totenbett zu erflehn? Nimm ja Dich in acht und hör meinen Rat: Kehr um, sonst büßest Du schwer Deine Tat! Zurück! Dir droht Ein schneller Tod, Befolgst Du nicht gleich meines Meisters Gebot! »Und beim Namen meines Herrn und Meisters,« rief der verblüffte Mönch, »vor dessen Namen alles, was Odem hat, erbebt, beschwöre ich Dich: Sprich, wer bist Du, die Du hier mich heimzusuchen wagst!« Dieselbe Stimme erwiderte: Ein Wesen, weder schlecht noch gut, Weder Himmelsgebilde, noch Höllenbrut, Ein Nebelstreif – ein Wasserschaum – Halb wacher Gedanke – halb schlummernder Traum – Ein Gebild so fein, Du siehst es allein, Wenn Du blinzelst im Abendsonnenschein. »Das ist kein leeres Spiel der Phantasie!« sagte der Unterprior und raffte sich auf, denn bei aller ihm innewohnenden Beherztheit sträubte sich ihm doch das Haar, und Entsetzen befiel ihn, als er sich einem übernatürlichen Wesen so nahe fühlte. »Ich gebiete Dir,« rief er endlich mit lauter Stimme, »was Du auch im Schilde führen mögest, entweiche und belästige mich nicht mehr. Geist der Lüge, Dir ist nur Macht über die gegeben, so ihrer Pflicht vergessen!« Die Stimme antwortete sogleich: Mir zu entreißen gelingt Dir nicht, Ich fahr durch die Nacht wie ein Irrlicht. Ich tanz auf dem Strom, ich reit auf dem Wind, Ich durchstreife die Welt mit dem Alp geschwind. Ein zweites mal – An der Biegung im Tal – Am Bache dort sehn wir uns noch einmal!« Wie es schien, war die Straße jetzt frei gegeben, denn das Maultier kam zu sich und begann langsam weiter zu schreiten, aber es schnaubte heftig, zitterte an allen Gliedern, und man merkte es ihm an, daß es in Todesängsten geschwebt hatte. »Bis jetzt hab ich von Kabbalisten und Rosenkreuzern nichts gehalten,« sagte der Unterprior, »aber bei meinem heiligen Orden, hier weiß ich nicht mehr, was ich denken soll. – Mein Puls ist ruhig – meine Hand ist frei von Hitze – ich erkenne jeden Gegenstand – ich bin im Besitz meiner Geisteskräfte wie sonst – entweder ist es da einem Geist der Hölle erlaubt, mich an der Nase herumzuführen, oder die Ammenmärchen von Paracelsus und andern sind doch nicht ganz ohne Begründung. Wo das Tal eine Biegung macht? – Sollte ich den Weg vermeiden? Aber ich stehe im Dienste der Kirche, und die Hölle hat mir nichts an!« Er sah sich vorsichtig und ein wenig furchtsam um, und so ritt er etwa eine Meile, ohne daß ihn etwas aufgehalten hätte. Als er an die Stelle kam, wo der Bach an den Rand des Hügels in einer plötzlichen Wendung so dicht herantritt, daß ein Pferd kaum passieren kann, verriet das Maultier wieder dieselben Anzeichen des Entsetzens und blieb stehen. Der Prior gab sich diesmal gar nicht erst die Mühe, es vorwärts zu treiben, sondern wandte sich sogleich an das Wesen, das ohne Zweifel abermals die Ursache für seinen Aufenthalt bildete, die feierlichen Beschwörungsworte sprechend, welche für solche Vorkommnisse die römische Kirche vorschreibt. Die Stimme antwortete singend: Die guten Leute sind dreist, doch redlich – Die rohen Leute sind wild, doch nicht schädlich. Doch liege Du In guter Ruh, Daß niemand Dir ein Leides tu! Der Unterprior wandte den Blick nach der Stelle, von wo die Laute zu kommen schienen, und nun war es ihm, als ob etwas gegen ihn rauschend heranströmte, und plötzlich fühlte er sich mit sanfter, doch unwiderstehlicher Gewalt aus dem Sattel geschoben. Ehe er zu Boden fiel, verließ ihn die Besinnung und er lag bewußtlos da. Als er vom Maultier fiel, war die Sonne noch nicht hinter den Hügeln am Horizont versunken, und als er wieder zu sich kam, stand der blasse Mond über der Landschaft. Er erwachte – noch saß ihm das Entsetzen in den Gliedern, und er vermochte nur langsam sich von dieser Empfindung zu befreien. Er richtete sich auf und nahm wahr, daß er völlig unversehrt war, nur war er infolge der herrschenden strengen Kälte ganz erstarrt. Ein Geräusch dicht bei ihm jagte ihm von neuem das Blut zu Herzen, aber er raffte sich mit Gewalt empor und entdeckte nun zu seiner Beruhigung, daß eben dieses Geräusch von den Tritten seines eignen Maultieres herrührte, das bei seinem bewußtlosen Herren gewartet hatte und jetzt ruhig das Gras abweidete, das an diesem abgelegnen Flecke üppig wuchs. Er dauerte noch ein Weilchen und kostete ihn auch noch einige Anstrengung, ehe er das Tier wieder besteigen konnte. Dann grübelte er über sein sonderbares Abenteuer nach und zog seines Weges weiter. Er war mit sich uneinig, ob er den Vorfall berichten oder geheim halten sollte, entschied sich aber in edler Selbstverleugnung schließlich für das Letztere. Er wollte der Wahrheit die Ehre geben und eine vollkommene Beichte ablegen, obgleich ihm nun dasselbe zugestoßen war, worüber er am Tage vorher noch so gespottet hatte, denn es war ihm nun klar, daß dem Sakristan das gleiche Abenteuer widerfahren war. »Der Himmel hat mich,« dachte er bei sich selber, »gerade in dem bestraft, worin ich am meisten mich selbst überhoben habe, in meiner geistlichen Dünkelhaftigkeit und meiner irdischen Weisheit. Ueber die Unerfahrenheit meiner Brüder habe ich gelacht und gespottet. Nun muß ich mich selber ihrem Spotte preisgeben. Ich werde erzählen, was mir niemand glauben kann – ich werde beteuern, was sie nur aus kläglicher Feigheit oder absichtlicher Lüge werden erklären können – ich werde die Schmach eines lächerlichen Träumers oder eines wissentlichen Betrügers auf mich nehmen. Sei es! aber ich will meine Schuldigkeit tun und ein vollständiges Bekenntnis ablegen. Wenn ich auch nach dieser schweren Erfüllung meiner Pflicht in diesem Hause meiner Aufgabe nicht mehr genügen kann und mein Ansehen dahin ist, so werden Gott und unsre liebe Frau schon einen andern Platz für mich finden, wo ich ihnen besser und segensreicher dienen kann.« Als er sich der äußern Klosterpforte näherte, erblickte er zu seiner Verwunderung helles Fackellicht, bei dessen Schein er Männer zu Pferde und zu Fuß, und mehrere Mönche versammelt sah. Der Unterprior wurde mit einstimmigem Freudengeschrei empfangen, aus dem er ersah, daß die Leute um ihn selber in Sorge gewesen waren. »Da ist er ja! da ist er ja! Gott sei Dank!« schrien die Lehnsleute, während die Mönche riefen: »Te deum laudamus – kostbar ist das Blut Deiner Diener in Deinen Augen!« »Was ist denn los, Kinder? was bedeutet das, liebe Brüder?« fragte der Unterprior, indem er am Tore vom Maultiere stieg. »Wenn Du noch nichts davon weißt, so wollen wir es Dir erst erzählen, wenn Du im Refektorium bist,« erwiderten die Brüder. »Der Abt hat hier diese unsre dienstwilligen Lehnsleute aufgeboten, daß sie Dich suchen sollen, um Dich aus großer Gefahr zu erretten. – Ihr könnt nun wieder heimkehren, Kinder, und morgen kann ein jeder, der sich heute abend hier eingefunden hat, ein Rindviertel und eine Kanne Doppelbier in der Klosterküche abholen lassen.« Mit lautem Beifallsgeschrei zerstreuten sich die Lehnsmänner, und mit ebenso großem Jubel führten die Mönche den Unterprior ins Refektorium. Zehntes Kapitel Kaum trat der Unterprior in Begleitung seiner fröhlichen Brüder ins Refektorium; so hefteten seine Blicke sich auf einen Mann, in dem er sofort Christie von Clinthill erkannte. Er saß in Fesseln und unter Bewachung in der Ecke am Kamin, und aus seinen Zügen sprach der Trotz und finstre Starrsinn, denen so verhärtete Bösewichter ihre Strafe auf sich nehmen. Als der Mann aber den Unterprior erblickte, verzog sich sein Gesicht zum Ausdruck des wildesten Entsetzens und er rief: »Der Teufel, der Teufel selber macht die Toten wieder lebendig!« »Nein!« antwortete der Mönch, »sage Du lieber, unsre gebenedeite Frau macht die Anschläge der Gottlosen wider ihre gläubigen Diener zu nichte, denn unser treuer Bruder lebt und atmet noch.« »Lebt und atmet noch!« rief der Bösewicht, sprang auf und nahte sich wankend dem Unterprior, soweit es ihm bei seinen Fesseln möglich war. – »Nein! keinem Eichenspeer und keiner Stahlspitze will ich mehr traun. Es stimmt!« setzte er hinzu, indem er den Unterprior verdutzt musterte. »Kein Fleck und keine Wunde – nicht einmal ein Ritz in der Kutte!« »Und wer sollte mich denn verwundet haben?« fragte Vater Eustachius. »Hier, dieser gute Speer, der noch nie zuvor sein Ziel verfehlt hat,« antwortete Christie von Clinthill. »Der Himmel möge Dir verzeihen, wenn Du diese Absicht gehabt hast,« sagte der Unterprior. »Hattest Du vor, einen Diener des Altars zu erschlagen?« »Warum denn nicht?« entgegnete Christie, »die Leute von Fife sagen: Und wenn Euer ganzes Gezücht umgebracht würde, bei Flodden hätten noch mehr dran glauben müssen.« »Bube! bist Du auch ein Ketzer obendrein, außer daß Du ein Mörder bist?« »Nein, beim heiligen Aegidius, das bin ich nicht,« antwortete der Eisenwams. »Wohl habe ich den Laird von Monnance gern reden hören, daß Ihr alle Schelme und Betrüger wäret, aber als er verlangte, ich sollte einem Allwissenden, einem Bibelleser, wie sie die Kerle nennen, zuhören, da habe ich mich ebenso wenig beschwatzen lassen, wie ein wildes Roß, wenn es eben einen Reiter abgeworfen hat, sich gleich darauf von einem andern besteigen läßt –« »So hat er doch noch ein Gutes,« sagte der Sakristan zu dem Abt, der in diesem Augenblick hereinkam, »er hat sich geweigert, einem ketzerischen Prediger zuzuhören.« »Um so besser für ihn, wenn er im Jenseits sein wird,« antwortete der Abt. »Mein Sohn, bereite Dich zum Tode vor. Wir überliefern Dich dem weltlichen Arme unsers Klostervogts, auf daß er Dich morgen bei Tagesanbruch auf dem Galgenberge hinrichte.« »Amen!« sagte der Räuber. »Früher oder später mußte es mit mir ein solches Ende nehmen – und es ist mir einerlei, ob ich den Raben beim Liebfrauenkloster oder bei Carlisle zum Fraße diene.« »Mit Verlaub, Euer Hochwürden,« sagte der Unterprior, »ich möchte um einen Augenblick Geduld bitten, da ich erst untersuchen möchte –« »Wie?« rief der Abt, der ihn erst jetzt erblickte. »Unser lieber Bruder! So ist er uns wieder geschenkt, da wir ihn schon zu den Toten zählten! – Nein, beuge nicht das Knie vor einem Sünder, wie ich einer bin. Steh auf – Du hast meinen Segen! – Als dieser Bösewicht, von den Furien seines schuldbeladnen Gewissens getrieben, ans Tor heransprengte und rief, er habe Dich ermordet, da glaubte ich, der Pfeiler unsers Chorgangs sei zusammengebrochen. Wir wollen verhüten, daß hinfort ein so kostbares Leben gefährdet sei in diesen abenteuerlichen Grenzlanden, wir wollen nicht länger einen vom Himmel Geliebten und Beschützten in einer so niedrigen Stellung belassen, wie er sie als Unterprior bekleidet, – wir wollen uns beim Primas um Deine schleunige Versetzung und Beförderung verwenden.« »Ei, nicht doch!« unterbrach ihn der Unterprior. »Laßt mich zuvor hören, ob dieser Kriegsknecht wirklich behauptet, er habe mich getötet?« »Im vollen Galopp habe er Dich durchbohrt mit seinem Speer,« versetzte der Abt. »Als Du aber, zu Tode getroffen, vom Maultier sankst, da sei ihm, wie er behauptet, unsre hochgebenedeite Beschützerin erschienen.« »Fällt mir gar nicht ein, solches Zeug zu behaupten,« warf der Gefangne ein, »ich habe bloß gesagt, eine weißgekleidete Frau hätte mich gestört, als ich gerade dabei war, die Kutte dieses Priesters zu untersuchen, weil die in der Regel sehr fett gespickt sind. Das Frauenzimmer hatte ein Binsenrohr in der Hand und hat mich mit einem einzigen Streich mit diesem Binsenrohr so glatt vom Gaule herabgeworfen, wie man ein vierjähriges Göhr mit einer Eisenkeule zerschlagen könnte, und dabei sang sie mir vor wie ein echter Singpopanz, und so einer war sie auch: Danks dem Schmuck auf Deinem Kopf, Dem Stechpalmzweig! Sonst erschlüg Dich armen Tropf Ein Binsenstreich! Ich aber raffte mich auf, stieg zu Pferde und ritt hierher wie vom Teufel besessen, in der wackern Absicht, mich hängen zu lassen!« »Du siehst, verehrter Bruder,« sagte der Abt zum Unterprior, »wie hoch Du bei unsrer hochgebenedeiten Schutzfrau in Gunst stehst, denn sie wacht selber über Dir auf Schritt und Tritt. Seit unser Stift gegründet ist, hat sie noch niemand so sichtbarliche Gnade zuteil werden lassen. Wir sind nicht würdig, geistliche Oberherrschaft über Dir zu haben, darum bereite Dich auf Deine schleunige Versetzung nach Aberbrothock vor.« »Herr und Vater!« sagte der Unterprior, »Deine Worte verwunden mich im Innersten der Seele. Unter dem Siegel der Beichte will ich Euch jetzt bekennen, warum ich mich weit eher von einem Geiste ganz andrer Art besessen wähne, als daß ich mich für den Schützling himmlischer Mächte halte. Vorerst aber laßt mich ein paar Fragen an diesen unglückseligen Menschen stellen.« Darauf wandte er sich an den Eisenwams. »Aus welchem Grunde hast Du die Absicht gehegt, einen Mann zu töten, der Dir noch nie ein Leid angetan hat?« fragte er ihn. »Aber Du hast mir gedroht,« erwiderte der Räuber, »und ein Narr, wer sich zweimal drohen läßt! Denke nur daran, was Du vom Primas und vom schwarzen Teich in Jeddart gesagt hast? Dachtest Du, ich würde warten, bis ich in den Sack gesteckt oder an den Galgen geknüpft worden wäre?« »Also nur wegen des einen Wortes, das in einem Augenblick des Unmuts gesprochen wurde und schon wieder vergessen war, ehe es verklang?« fragte Vater Eustachius. »Ja, das war der Grund,« antwortete Christie von Clinthill. »Und weil mir Dein goldnes Kruzifix gefallen hat.« »Gerechter Himmel – und ist Dir denn über dem gleißenden Metall, über der schimmernden Erde jeder Gedanke daran, was es vorstellt, abhanden gekommen? – Vater Abt, als besondre Gnade erbitte ich es, daß Ihr diesen Verbrecher mir überliefert.« »Eurem Gericht, Bruder,« erwiderte der Abt, »doch nicht Eurer Barmherzigkeit. Bedenkt, wir stehen nicht alle gleich hoch in der Gunst unsrer gebenedeiten Frau; auch ist nicht zu glauben, daß jede Kutte sich als eiserne Rüstung erweist, wenn ein Speer dagegen fährt.« »Eben deswegen möchte ich es vermeiden,« erwiderte der Unterprior, »daß wegen meiner unwürdigen Person sich die ganze Brüderschaft mit Julian von Avenel, dem Gebieter dieses Menschen, entzweite. Mit Verlaub des Herrn Abtes wünschte ich daher, daß diesem Manne die Fesseln abgenommen würden und man ihn seines Weges ziehen ließe. Und hier, mein Freund,« setzte der Unterprior hinzu, indem er ihm das goldne Kruzifix gab, »da hast Du das Kleinod, das Dich zu einer Untat verlocken wollte. Schau Dirs ordentlich an, und möge es Dich zu andern und bessern Gedanken leiten, als von einem bloßen Stücklein Goldes ausgehen können. Es war ein Andenken, das mir ein geliebter Freund gab; aber es kann mir keinen bessern Dienst leisten, als wenn es dem Himmel eine verlorne Seele zuführt.« Der Räuber, der jetzt von den Fesseln befreit war, starrte von dem Prior auf das Kruzifix. »Beim heiligen Aegidius!« murmelte er. »Ihr seid mir ein Rätsel! Dafür, daß ich die Lanze gegen Euch richtete, gebt Ihr mir Gold – ei, was würdet Ihr mir wohl dafür geben, wenn ich damit einem Ketzer den Garaus machte?« »Die Kirche will erst durch geistliche Strafen versuchen,« erwiderte der Unterprior, »ob sie verlorne Schafe wieder in die Hürde bringen kann, ehe sie zum Schwerte des heilgen Petrus greift.« »Das heißt aber,« versetzte Christie, »der Primas empfiehlt selber, neben den Strafreden auch ein bißchen zu verbrennen und mit dem Schwerte zu strafen. Aber lebt wohl, ich verdanke Euch mein Leben, und ich werde allzeit Euer Schuldner sein.« Pfeifend verließ er das Gemach. Der Abt entließ die Brüder, aber der Unterprior blieb noch zurück, und da der Abt wollte, fiel er vor ihm auf die Kniee und bat ihn, daß er ihm unter dem Siegel der Beichte anvertrauen dürfe, was ihm an diesem Tage widerfahren sei. Seine Hochwürden gähnten und hätten gar zu gern unter dem Vorwande der Ermüdung die Sache verschoben, aber vor Vater Eustachius wollte er nicht gern im Lichte der Gleichgültigkeit erscheinen, er nahm daher die Beichte entgegen, in der Vater Eustachius getreuen Bericht über alle Vorfälle dieses Tages abstattete. Als der Abt ihn fragte, ob er sich vielleicht einer geheimen Sünde bewußt sei, durch die er sich auf eine Zeitlang den bösen Geistern in die Hände gegeben habe, gab der Unterprior unumwunden zu, er glaube, sein hartes, unbrüderliches Urteil über Bruder Philipps Erzählung habe ihm diese Strafe eingetragen. Für den Abt war es gleichzeitig ein süßer Stolz, eine erfreuliche Bekräftigung seines Urteils, als er den Unterprior sich selber jener Fehler zeihen hörte, die er ihm im stillen vorwarf. Aber das Bewußtsein, daß er das Recht hatte, stimmte ihn seiner Natur gemäß nur gutmütiger, als er zuvor schon gewesen war, und er dachte nicht daran, hart mit Vater Eustachius zu verfahren. In der Ermahnung, die er ihm zuteil werden ließ, kam seine geschmeichelte Eitelkeit und seine Besorgnis, dem Unterprior wehe zu tun, in etwas komischer Form zum Ausdruck. »Mein Bruder,« sprach er, »bei Eurer einsichtsvollen Beobachtung müßt Ihr wohl gemerkt haben, daß wir oft uns in unserm Urteil von Euch haben leiten lassen, selbst in solchen Angelegenheiten, die die Brüderschaft in erster Linie angingen. Es wäre uns aber nicht lieb, wenn Ihr daraus etwa schließen wolltet, wir hielten unsre Meinung für weniger richtig, oder uns selbst für weniger einsichtsvoll als unsre Brüder. Unsre Absicht dabei war nur, unsern jüngern Brüdern – und zu denen gehört Ihr ja selbst, liebwerter Bruder – den Mut einzuflößen, daß sie ihre Ansichten frei aussprechen. Wir behalten oft unsre Meinung für uns, um unsre jüngern Brüder, vor allem unsern teuern Bruder Unterprior, zu bewegen, ihr Urteil uns ohne Scheu bekannt zu geben. Diese Nachsicht unsrerseits mag Euch wohl dazu verleitet haben, lieber Bruder, Eure Einsicht und Fähigkeiten zu überschätzen, so daß Ihr schließlich, wie es nun klar vor uns liegt, den Neckereien und dem Spott der höllischen Geister verfallen seid. Aber wir selbst haben nicht recht getan, indem wir Euch zu sehr nachgegeben haben, und so müssen wir denn beide unsre Fehler wieder gut machen, Ihr, indem Ihr weniger Euren irdischen Wissenschaften und Fähigkeiten vertraut, ich, indem ich mich weniger vom Urteil eines Mannes, der dem Amt nach mir untergeben ist, leiten lasse. Nichtsdestoweniger möchten wir nicht den großen Vorteil missen, den wir schon aus Euerm weisen Rat gezogen haben und noch werden ziehen können. Wir wollen daher bei wichtigen Geschäften Euch im geheimen zu uns rufen, wir werden Euern Rat hören, und wenn er mit unsrer Meinung übereinstimmt, werden wir danach handeln und den Beschluß als von uns allein herrührend ausdrücklich bezeichnen. Auf diese Weise bewahren wir Euch, lieber Bruder, vor schädlichem Hochmut und uns vor etwaiger Herabsetzung im Ansehen unsrer Brüderschaft.« Als strenger Katholik hatte zwar Vater Eustachius eine hohe Meinung von der Beichte, doch sah er sich fast versucht, einem Gefühle der Lächerlichkeit Raum zu geben, als sein Oberer in solcher albernen Pfiffigkeit ihm den kleinlichen Plan anvertraute, die Erfahrung und Klugheit des Unterpriors sich zu nutze zu machen und doch das ganze Verdienst für sich einzuheimsen. Aber sein Gewissen ließ ihm sogleich erkennen, daß der Abt recht hätte. Es war zu merken, daß von diesem denkwürdigen Abend ab der würdige Abt weit milder und freundschaftlicher mit dem Unterprior umging, als er in jenen Tagen pflegte, da er in ihm ein fleckenloses, unfehlbares Wesen erblickte, dessen Weisheits- und Tugendkleid kein Loch hätte. Aber diese Gesinnung brachte er des öftern in einer Weise an den Tag, die einem Manne von dem feinen Selbstgefühl des Vaters Eustachius peinlich sein mußte: so erwähnte er seiner gegen die andern Brüder nie ohne den Beisatz: »Unser lieber Bruder Eustachius, der arme Mann!« auch mahnte er hin und wieder die jüngern Brüder vor den Schlingen des geistigen Stolzes und der Ruhmsucht, die der Satan gern den Gerechten lege, und dabei warf er immer Blicke auf den Unterprior, die diesen als einen solchen bezeichneten, der in diese Schlingen gefallen sei. Solcherlei Vorfälle erheischten von Vater Eustachius den ganzen Gehorsam eines Mönches, die disziplinarische Unterwerfung eines Weisen, die Duldsamkeit eines Christen – ohne diese Eigenschaften wäre es ihm vielleicht nicht möglich gewesen, die prahlerische Herablassung seines biedern, aber gar sehr einfältigen Vorgesetzten zu ertragen. Nun wünschte er selber, aus dem Kloster versetzt zu werden, und mischte sich fortan nicht mehr in die klösterlichen Angelegenheiten in jener selbstbewußten vorschreibenden Art, wie er vorher getan hatte. Elftes Kapitel Zwei bis drei Jahre waren verstrichen, und der Sturm, der bald darauf die kirchliche Herrschaft zertrümmerte, meldete sich näher und näher an. In der Lebensweise des Unterpriors hatte sich manches geändert. Er blieb oft tagelang aus dem Kloster fort, und da das Abenteuer von Glendearg sich ihm tief ins Gedächtnis geprägt hatte, so fühlte er sich oft nach dem einsamen Turme hingezogen, und er widmete sich den Waisenkindern, die darinnen weilten. Außerdem hätte er gar zu gern erfahren, ob das Buch, das er verloren hatte, als er auf so seltsame Weise vor der Lanze eines Mörders behütet worden war, wieder in den Turm von Glendearg zurückgelangt wäre. Aber so eifrig er auch nachforschte, so konnte er nicht erfahren, ob einer der Insassen des Turmes den Bibelabdruck, nach dem er so begierig fahndete, wieder zu Gesicht bekommen hätte. Die häufigen Besuche des guten Vaters blieben nicht ohne Einfluß auf Edward Glendinning und Mary Avenel. Ersterer zeigte eine so rasche Auffassungsgabe, und Lernfähigkeit, daß Eustachius seine Freude an ihm hatte über diese seltne Vereinigung von Begabung und Fleiß in einem besonders von der Natur begünstigten Kopfe. Vater Eustachius lag es am Herzen, die so früh entfalteten Gaben Edwards dem Dienste der Kirche zukommen zu lassen, und er glaubte, der junge Mann werde sich um so rascher hiermit einverstanden erklären, als er von nachdenklicher, versonnener Gemütsart war und die Pflege der Wissenschaften und ihre geistige Anneigung für die schönste Lebensfreude zu halten schien. Auch hegte er nicht den mindesten Zweifel, daß die Mutter bei ihrer Verehrung für die Mönche des Liebfrauenklosters es mit Freude begrüßen würde, wenn einer ihrer Söhne in diese Brüderschaft Aufnahme fände. Aber in beiden Mutmaßungen hatte Vater Eustachius sich geirrt. Wenn er mit Elspath Glendinning von dem sprach, was eine Mutter am liebsten hört: von den Fortschritten und Fähigkeiten ihres Sohnes – so lauschte sie mit Freude, aber wenn Vater Eustachius davon sprach, daß es eine heilige Pflicht sei, solche ausgezeichneten Gaben der Kirche zu weihen, da brachte die Mutter das Gespräch immer auf einen andern Gegenstand; und wenn er dann beharrlicher darauf bestand, so sprach sie von ihrer Schutzlosigkeit und sagte, sie könne ihr Besitztum nicht allein verwalten und freue sich schon darauf, daß Edward an die Stelle seines Vaters treten und, wenn sie einst sterben sollte, im Turme bleiben werde. »Wenn Ihr mir Edward nehmet, guter Vater,« sagte sie, »so raubt Ihr meinem Hause den Halt und die Stütze, denn mir ahnet, Halbert wird dieselben Wege wandeln wie sein Vater, und desselben Todes sterben wie er.« Wenn nun der Unterprior sich an den Sohn selber wendete, wenn er ihm darstellte, wie herrlich er seine Wißbegierde innerhalb der Ordens befriedigen könne, so begegnete er der gleichen Abneigung. Edward führte dagegen an, daß er sich zu einem so ernsten Berufe nicht geeignet fühle, daß er keine Lust habe, seine Mutter zu verlassen. Vater Eustachius hielt dies nur für Ausflüchte, konnte aber die wahren Beweggründe, aus denen der junge Mann sich gegen den Eintritt in den Orden erklärte, nicht aus ihm herausbekommen und blieb hierin auf unklare Vermutungen beschränkt. Es ist ein altes, wahres Sprichwort: »Die größten Gelehrten sind nicht immer die klügsten Männer«, und wenn Vater Eustachius, statt hinter der Abneigung des jungen Mannes die Vorliebe für ketzerische Wissenschaft zu vermuten, nur ein wenig mehr auf das, was im Turme vorging, geachtet hätte, so dürfte er wohl in den Augen der Mary von Avenel, die nun ein Mädchen von 14 bis 15 Jahren war, den Grund entdeckt haben, aus dem sich die Abneigung des jungen Mannes gegen das Mönchsgelübde erklären ließ. Sie war selber eine vielversprechende Schülerin des guten Vaters, und ihre keusche kindliche Schönheit wirkte, ohne daß er es vielleicht selber merkte, tief auf ihn. Ihr Stand und ihre Aussichten gaben ihr das Vorrecht, in Lesen und Schreiben Unterricht zu erhalten. Im Anfange dieses Unterrichts war sie mit Halbert zusammen unterwiesen worden, aber er war zu ungeduldig und zu kühnen Gemütes, als daß er Fortschritte hätte machen können. Der Unterprior kam nicht regelmäßig, und oft lagen ganze Wochen zwischen seinen Besuchen. Dann hatte Halbert nicht nur das nicht gelernt, was ihm aufgetragen war, sondern auch noch das wieder vergessen, was ihm zuvor beigebracht worden war. Er bereute das zwar jedesmal, doch besserte er sich nicht. Manchmal suchte er sogar seinen Bruder und Mary Avenel zum Müßiggang zu verlocken. »Hol Deine Mütze, Edward,« sagte er einmal, »der Laird von Colmslie ist mit seinen Hunden im Tale.« »Mag er nur,« entgegnete Edward, »ich muß der Mary bei ihrer Aufgabe helfen.« »Du wirst noch solange über den Mönchsaufgaben brüten, bis Du selber ein Mönch wirst,« erwiderte Halbert; »so geh Du mit mir, Mary!« »Ich kann nicht mit Dir gehen,« antwortete das Mädchen. »Ich muß lernen, denn es dauert immer eine ganze Weile, bis ich es erfaßt habe. Freilich, wenn ich so rasch begriffe wie Edward, dann wollt ich schon mal mitkommen.« »Ja, wirklich? Kämest Du mit?« rief Halbert. »So will ich auf Dich warten – und ich will obendrein mich noch einmal selber über meine Aufgabe machen.« Lächelnd und doch mit einem Seufzer klappte Halbert das Buch wieder auf und begann die ihm erteilte Aufgabe zu lernen. Wie aus der Gemeinschaft der beiden verbannt, saß er am Fenster, und nachdem er vergeblich sich mit den Schwierigkeiten seines Exerzitiums herumgeschlagen hatte, gab er es auf und fing unwillkürlich an, die beiden Lerneifrigen zu beobachten, statt sich selber noch länger zu plagen. Das Bild, das sich ihm zeigte, war an sich gewiß anmutig, doch waren einige Einzelheiten wohl nicht geeignet, ihm sonderlich Freude zu machen. Das schöne Mädchen neigte sich in ängstlicher Besorgnis über ihre Aufgabe, erfüllt von dem Eifer, die Schwierigkeiten zu überwinden, und sah hin und wieder zu Edward hilfeflehend empor, der, dicht an sie sich schmiegend, ihr über alle Schwierigkeiten hinweghalf und ebenso stolz war auf die Fähigkeiten seiner Schülerin, wie auf seine eigne Fertigkeit, ihr helfen zu können. Ein festes Band knüpfte sie aneinander: die Sehnsucht nach Wissen und das Hochgefühl, Hindernisse zu besiegen. Halbert war sich nicht klar darüber, worin die Quelle der schmerzhaften Empfindung, von der er sich ergriffen fühlte, liege; aber es war ihm nicht möglich, noch länger dieses traute Bild anzusehen, und er warf sein Buch beiseite, sprang auf und rief: »Hol der Satan alle Bücher und alle Träume, die sie in uns erwecken! Ich wünschte, es käme ein Haufe Südländer ins Tal, dann würden wir schon kennen lernen, was das ganze Geplapper und Geschreibsel wert ist!« Mary und sein Bruder sahen erstaunt auf, während er in heftiger Erregung im Zimmer hin und her schritt. »Ja, Mary!« rief er mit zornigen Blicken und mit Tränen in den Augen, »ich wünschte, eine Bande Südländer käme heute ins Tal, dann solltest Du sehen, daß ein starker Arm Dir einen bessern Schutz gewähren würde als alle Bücher, die je aufgeschlagen worden sind, und daß ein wuchtiges Schwert Dir mehr helfen würde, als alle Gänsekiele, die je zu Federn geschnitzt worden sind.« »Dich kränkt und schmerzt es, Halbert,« sagte Mary verwundert, »daß Du nicht so leicht und rasch wie Edward lernst – so geht es mir auch – doch komm und setz Dich zwischen uns, so soll Edward uns beide unterrichten.« »Ich mag seinen Unterricht nicht!« versetzte Halbert zornig. »Er nimmt ja auch von mir keine Lehre an, wenn ich ihn in wackerm, ehrenwertem Tun unterweisen will; so soll er mich auch nicht seine mönchischen Kniffe lehren. Ich hasse die Mönche, sie sind ein faules Pack, und ich will niemand Herrn nennen, der sich des Namens nicht mit dem Schwerte wert macht, und ich will keinen einen Mann nennen, es sei denn, er zeigte sich als Mann und Meister.« »Sei doch nur still, Halbert!« fiel ihm Edward ins Wort. »Wenn solches Gerede ruchbar wird, so möchte es unsrer Mutter schweren Schaden tun.« »Bring es nur selber unter die Leute!« rief Halbert. »Schrei es überall aus, daß Halbert Glendinning nie einem alten Manne mit geschornem Schädel als Lehnsmann Untertan sein will. Es gibt noch genug Freiherrn, die kühne Lehnsmannen suchen: Laß Du Dir nur diese erbärmlichen Aecker zu Lehen geben, sie werden Dir soviel einbringen, daß Du Dir in Ruhe und Frieden Deinen Haferbrei kochen kannst!« Er rannte hinaus, aber er kam im nächsten Augenblick wieder hereingestürzt und fuhr im gleichen ergrimmten Tone fort: »Ihr braucht übrigens beide nicht so wichtig zu tun, daß Ihr in einem Pergamentbuche lesen könnt. Ich will so schnell wie Ihr lesen lernen, das sage ich Euch, und ich weiß einen weit bessern Lehrmeister als Euren albernen alten Mönch, und ich kenne auch ein weit bessres Buch, als das gedruckte Brevier da, und wir werden ja sehen, Mary, da Du eine so große Freundin von Gelehrsamkeit bist, wer mehr wissen wird, Edward oder ich!« Und er lief hinaus und kam nicht wieder. »Was mag er nur haben?« fragte Mary. »Was meint er für ein Buch und was für einen Lehrmeister?« »Darüber wollen wir uns nicht den Kopf zerbrechen,« versetzte Edward, »Halbert ist jähzornig und weiß nicht, was er will. Wenn er sich in den Felsen müde geklettert hat, wird er schon ganz ruhig wieder nach Hause kommen.« Aber Mary schien sich doch ernste Sorge um Halbert zu machen. Sie brach die Arbeit mit dem Bemerken ab, daß sie Kopfschmerzen hätte, und Edward vermochte sie auch den ganzen Morgen nicht dazu zu bewegen, die Arbeit wieder aufzunehmen. Inzwischen eilte Halbert mit der Geschwindigkeit eines Hirsches, barhäuptig, wie er war, mit von Zorn und Eifersucht entstellten Zügen, nach dem entlegensten, wildesten Teile des Tales und, die Gefahren voller Verzweiflung verachtend, suchte er sich die schwierigsten Wege aus, bis er endlich in eine enge Felsschlucht gelangt war, durch die ein Wässerchen dem Bache zuströmte, von welchem die Gegend von Glendearg ihr Wasser erhielt. Hier machte Halbert plötzlich Halt und sah sich scheu und ängstlich um. Aus einer Spalte des steil vor ihm emporsteigenden Felsens wuchs ein wilder Stechpalmstrauch. Es war Sommerszeit und um die Mittagsstunde, so daß jetzt trotz der beträchtlichen Höhe der Felsen das Sonnenlicht auf dem Wässerchen gleißte. »Es ist die rechte Stunde,« sagte Halbert zu sich selber, »und nun – gern möchte ich wohl mehr wissen als Edward mit all seinem Eifer und Fleiß; Mary sollte wohl sehen, ob er allein es verdient, daß er um Rat und Meinung gefragt wird. Ob er allein neben ihr sitzen, sich über sie neigen und ihr helfen darf. Und dabei liebt sie mich doch mehr als ihn, – das steht fest – denn sie ist edlem Blut entstammt und haßt alle Trägheit – und steh ich nicht auch hier feige und träge wie ein Priester? Warum fürchte ich mich denn davor, diese Gestalt jetzt zu rufen? Ich habe mich ja sonst nicht vor dieser Erscheinung gefürchtet. Ich bin ja doch ein Bursche, beherzt und stark wie mein Vater, und trage ich nicht auch das Schwert meines Vaters bei mir? Und dabei klopft mir das Herz und die Haare sträuben sich mir empor bei dem Gedanken, einen Schatten herbeizurufen – und ich will einer Bande von Südländern in Fleisch und Blut gegenübertreten? – Bei der Seele des ersten Glendinning, ich will sehen, ob der Zauberer Kraft hat!« Er zog den ledernen Halbstiefel vom rechten Fuß, stellte sich fest hin, zog das Schwert, sah sich ringsum und neigte sich dreimal gegen die Stechpalme und gegen den kleinen Quell, wobei er die Worte sprach: Dreimal der Stechpalme hier, Dreimal dem Quell! Ich bitte Dich, erscheine mir, Weiße Maid von Avenel! Mittag schimmert aus dem Teich, Mittag glüht am Felsen grell, Erschein', erscheine allsogleich, Weiße Maid von Avenel! Kaum hatte er diese Worte gesprochen, so stand ein frauliches Wesen in weißer Kleidung drei Schritte entfernt vor Halbert Glendinning. Zwölftes Kapitel Auf den ersten Augenblick erbebte Halbert, obgleich er sich vorgenommen hatte, vor der Erscheinung, die er nun schon zweimal erschaut hatte, nicht zum dritten Male sich zu erschrecken. Aber trotzdem wagte Halbert kaum zu atmen, sein Haar sträubte sich, offnen Mundes sah er die Erscheinung an, das nackte Schwert wider sie gezückt. Endlich begann die weiße Frau – diese Bezeichnung wollen wir diesem Wesen geben – mit unsagbar süßer Stimme die Verse zu singen: Dunkeläugiger Jüngling, warum riefst Du mich an? Warum kamst Du her, wenn Furcht Dich erfassen kann? Wer umgehn will mit uns, darf Makel und Furcht nicht haben. Der Böse und der Feige erkennen nicht unsre Gaben. Die Luft, die her mich trug, muß nach Aegypten ziehen. Die Wolke unter mir muß nach Arabien fliehen, Die Wolke muß mit mir im Flug die Luft durcheilen, Denn eh der Tag erlischt, muß fort ich hundert Meilen! Halbert überwand allmählich seine Bestürzung, er gewann die Sprache wieder und redete, wenn auch noch mit bebender Stimme, das Wesen an: »Im Namen Gottes, wer bist Du?« Die Erscheinung erwiderte: Ich darf Dich nicht wissen lassen, Was ich bin – Du kannst es nicht fassen. Etwas, das nimmer fiel noch stand, Dem Himmel, der Hölle nicht bekannt. Ein Wesen, das Dir, jenachdem, Gefährlich oder angenehm. Kein Schatten, doch auch keine feste Gestalt, Hausend in Sumpf und Wiese und Wald, Ueberm Wasser zaubrisch gleitend, Auf des Sturmes Flügeln reitend, Engel nicht noch Sünderinnen Stehn wir schwankend mitten innen Zwischen dem, was bös und gut, Ränkevoll, doch ohne Blut. Sel'ger wir, als ihr es seid, Leben zehnmal längre Zeit; Weit unsel'ger, denn das Grab Bricht uns jedes Hoffen ab. Ihr erwacht zu Freud und Sorgen, Unser Schlaf kennt keinen Morgen. Dies darf ich Dich wissen lassen, Mehr vermagst Du nicht zu fassen. Die weiße Frau hielt inne, als erwarte sie eine Antwort von Halbert; da der Jüngling aber nicht zu wissen schien, was er weiter sagen solle, so begann die Erscheinung allmählich zu verblassen und in Nebel zu verschwimmen. Halbert faßte sich daher ein Herz und rief: »Dame, als ich Euch im Tale sah und Ihr das schwarze Buch der Mary Avenel wieder brachtet, da sagtet Ihr doch, eines Tages sollte ich in diesem Buche lesen lernen.« Die weiße Frau entgegnete: Tät ich Wort und Spruch Dich lehren, Daß Du hier mich solltest stören? Hat doch Falk und Reiherbeiz Sonst für Dich viel größern Reiz, Schwert und Lanze gilt Dir mehr Als des Wortes gute Lehr', Lieber streifst Du durch Wald und Trift Als Dich zu plagen mit schwarzer Schrift, Bist ein Schwärmer in Busch und Morast, Der die geistige Speise haßt. Bei diesen Worten nahm die Gestalt der weißen Frau – wenigstens kam es Halbert so vor – wieder deutlichere Umrisse. »Wohl bin ich saumselig gewesen, Dame,« erwiderte Halbert, »aber das will ich hinfort nicht mehr sein. Ich will jetzt lernen und mit doppeltem Eifer vorwärts streben. Seit kurzem bin ich anders Sinnes geworden und mein Herz hat sich gewandelt. Ich will mich, bei Gott, in Zukunft einer andern Tätigkeit widmen. An diesem einen Tage bin ich um Jahre älter geworden, ich bin als ein Knabe hergekommen und gehe als Mann weg. Ich will den Inhalt des geheimnisvollen Buches begreifen lernen, – ich will ergründen, warum die Dame von Avenel es so sehr geliebt hat, – warum die Priester es durchaus an sich bringen wollen – und warum Du es ihnen zweimal schon wieder weggenommen hast. Was für Geheimnisse verbirgt es? Sprich, ich beschwöre Dich!« Die Dame nahm ein besonders feierliches Wesen an, neigte das Haupt, faltete die Hände über der Brust und entgegnete: Es liegt in diesem Heiligtum Der Mysterien Mysterium, Glücklich sind zu preisen, die Gott mit dieser Gunst belieh, Zu lesen, zu fürchten, zu hoffen, zu beten, Aufzuschließen und einzutreten. Der Zweifler, der Spötter – wehe dem Toren! Besser, er wäre nie geboren! »Gebt mir das Buch, Dame,« sagte der junge Glendinning, »Sie schelten mich faul und blöde – aber ich will fleißig sein, und Gott wird meinem Streben seinen Segen geben. Gebt mir das Buch.« Die Erscheinung erwiderte sogleich: »Viel Klafter tief hab ichs zur Ruh Versenkt, die Erde deckt es zu – Ueberirdisch Feuer umglüht es, Ueberirdische Musik umzieht es, Des Himmels hohes Pfand. Jedes Ding in seiner Sphäre Huldigt ihm, erweist ihm Ehre: Ihr nur habt Euch abgewandt. Komm, daß ich Dir zeige – sofern Dir nicht graut – Was noch keines Menschen Auge erschaut! Halbert Glendinning reichte der weißen Frau furchtlos die Hand. Als sie seine Hand in der ihren leise zittern fühlte, fragte sie: Bangt es Dir, mit mir zu gehn? Noch ist an Dir – bleib draußen stehn. Als Bauerngesell Magst Du Dich plagen, Das Wild des Königs jagen, Doch nimmer Dich wagen Zum Felsenquell. »Keine Furcht soll mir den Weg in mein heimatliches Tal versperren,« erwiderte der beherzte Jüngling. Kaum hatte er diese Worte gesprochen, so versanken beide in die Erde – so schnell, daß Halbert der Atem ausging. Er sah und fühlte nichts, als daß er mit der Schnelligkeit eines Blitzes dahin gerissen wurde. Mit einem jähen Ruck kamen sie zum Stillstand, und der Stoß kam so plötzlich, daß der Sterbliche, der sich in diese unterirdischen Räume gewagt hatte, gewiß zu Boden gestürzt wäre, wenn seine übernatürliche Führerin ihn nicht gehalten hätte. Als Halbert nach einer Weile wieder zu sich gekommen war, sah er sich um und erkannte eine Grotte oder von der Natur gebildete Höhle, die mit Kristallen bekleidet war. In diesem Gestein brach sich in tausendfachem Glanz der Schein einer Flamme, die auf einem alabasternen Altar brannte. Dieser Altar mit der Flamme nahm den Mittelpunkt der Höhle ein, die von runder Form und hoch war wie eine Kathedrale. Nach den Himmelsrichtungen liefen vier Verzweigungen der Grotte, die aus demselben flimmernden Gestein waren, deren Ende sich aber im Finstern verlor. Keine irdische Phantasie vermöchte den wunderbaren Glanz sich vorzustellen, den das tausendfach von den Kristallpfeilern widergespiegelte Licht ringsum verbreitete. Das Feuer brannte nicht ruhig und stetig, sondern stieg und fiel, hin und wieder glich es einer Pyramide von Flammen, die bis zur halben Höhe der stolzen Wölbung sich erhob, dann wieder sank es in sich zusammen und verbreitete nur noch einen rosigen Schimmer. Daß es mit irgend einem faßbaren Stoffe gespeist worden wäre, oder daß es Rauch hervorgebracht hätte, war nicht zu erkennen. Das Allerseltsamste aber war, daß das schwarze Buch mitten im Feuer lag – ganz unversehrt und unberührt. Und doch schien die Flamme stark genug, Diamanten zu schmelzen. Nachdem die weiße Dame ein Weilchen geschwiegen hatte, um dem jungen Glendinning Zeit zu lassen, sich umzuschauen, begann sie: Hier liegt das Buch, zu dem Du kühn gedrungen – Rührs an und nimms – nicht leicht wird es errungen. Halbert glaubte nun an Wunder gewöhnt zu sein, auch erfüllte ihn die tolle Begier, den Mut, dessen er sich gerühmt hatte, nun auch zu zeigen, und er streckte ohne Zaudern die Hand in die Flamme, in der Hoffnung, mit einem raschen Griffe das Buch herauszureißen, aber er hatte sich getäuscht. Die Flamme ergriff sofort den Rockärmel und versengte ihm, obwohl er die Hand schleunigst zurückzog, doch den Arm so furchtbar, daß er vor Schmerz laut aufgeschrien hätte. Aber er bezwang sich und zuckte mit dumpfem Aechzen zusammen. Die weiße Dame strich mit ihrer kalten Hand über seinen Arm, und ehe sie noch ihre folgenden Worte gesungen hatte, war der Schmerz gestillt, und keine Spur mehr von einer Brandwunde vorhanden. Kecke Tat, Wenn man naht Ewiger Glut mit irdischem Kleid. Weg mit dieser Hülle Tand, Prüfe nochmals Deine Hand. Soweit Halbert den Wink seiner Führerin zu verstehen glaubte, entblößte er den Arm bis zur Schulter, indem er die Fetzen des versengten Aermels herabriß. Als die Stücke zu Boden fielen, schrumpften sie zusammen, ohne daß man hätte sehen können, daß Feuer sie verzehrte, verwandelten sich in flatternden Zunder und zerstäubten in einem plötzlichen Luftzug, der durch die Grotte zog. Als die weiße Dame das Erstaunen des Jünglings bemerkte, fuhr sie fort: Was Ihr Menschen webt und schafft, Hält nicht stand der Zauberkraft, Was des Menschen Kunst erdacht, Wird bei uns zu nichts gemacht. Das Gold wird Staub, ists noch so rein, Es schmilzt der blanke Edelstein, Alles verwandelt sich, alles verweht, Nur die Wahrheit allein besteht. Wag noch einmal den Versuch, Und vielleicht wird Dir das Buch. Diese Worte machten Halbert Mut zu einem zweiten Versuch, er griff mit nacktem Arm ins Feuer und zog das heilige Buch heraus. Das Feuer hatte ihm nichts angetan, er verspürte nicht einmal die Hitze. Er erstaunte, daß es ihm gelungen war, ja fast erschrak er darüber. Nun sah er die Flamme in sich zusammensinken, dann in einer jähen Lohe bis an die Decke emporschlagen, wieder zurückfallen und förmlich verlöschen. Undurchdringliche Finsternis war nun um ihn her, er hatte indes nicht Muße, sich zu bedenken, was er beginnen sollte, denn er fühlte sich von der weißen Dame bei der Hand erfaßt, und mit derselben Schnelligkeit, wie sie niedergefahren waren, stiegen sie wieder zur Erdoberfläche empor. Sie standen beide an der Quelle von Corrinan Shian, und als der Jüngling sich bestürzt umschaute, bemerkte er, daß der Tag sich schon seinem Ende zuneigte. Er sah auf seine Führerin, als erwarte er eine Erklärung von ihr. Aber ihre Gestalt begann zu erblassen, ihre Züge verloren ihre Bestimmtheit, und sie verschwamm mit dem Nebel, der aus der Schlucht emporstieg. »Bleibe doch!« rief der Jüngling. »Du mußt mich noch unterweisen in der Kunst, dieses Buch zu lesen. Was nützt es sonst, daß ich es habe?« Aber die Gestalt zerfloß völlig und war nur noch wie ein blasser Fleck Mondlicht am Wintermorgen. Ehe sie ganz verschwand, sang sie noch die Worte: Weh! nicht zu teil Ward uns das Heil, Zu verstehn die heilgen Zeichen. Leer in Luft gemalte Wesen, Sind wir nicht zu Glück erlesen, Das die Menschen hier erreichen. Sei stets bereit. Der Herr verleiht Den rechten Führer Dir zur rechten Zeit. Selbst die Stimme der Erscheinung verklang allmählich, ganz als ob das Wesen allmählich von der Stelle sich entfernte, wo es begonnen hatte. Nun befiel das Entsetzen, das er so lange standhaft bezwungen, plötzlich mit aller Gewalt den jungen Mann, und er stand, von Schauer ergriffen, mit gesträubten Haaren und klopfendem Herzen da. Aber bald gewann er seine Fassung wieder und trat seinen einsamen Heimweg an, nicht mit der wilden Hast, in der er hergestürmt war, sondern ruhig und gelassen, wie ein Pilger, der unterwegs tiefen Gedanken nachhängt. Dreizehntes Kapitel Die Sonne war schon untergegangen, als Halbert Glendinning in seinem Elternhause eintraf. Das Mittagessen wurde zu dieser Jahreszeit um zwölf Uhr und das Abendessen eine Stunde vor Sonnenuntergang eingenommen. Zu erstern war Halbert nicht erschienen, was nichts weiter Ungewöhnliches war, da er oft, wenn er auf Jagd war oder sich sonst umhertrieb, das Essen versäumte, und wenn seine Mutter sich auch Sorgen machte, so war sie es doch so sehr gewöhnt, ihn nicht bei Tische zu sehen, daß sie ihm nur einen gelinden Verweis erteilte, wenn er zu spät nach Hause kam. Jetzt war aber Frau Glendinning ärgerlicher als gewöhnlich, und zwar nicht bloß wegen der verschiedenen Hammel- und andern Braten, die für die Tafel bestimmt waren, sondern auch, weil eine so wichtige Person wie Müller Hob, denn so hieß der Mann in der allgemeinen Redeweise, wenn auch sein eigentlicher Name Happer war, sich in Glendearg eingefunden hatte. Was den Müller zu der Reise nach Glendearg veranlaßte, waren mancherlei Gründe, dem Anschein nach kam er freilich nur, um seine Bekannten und guten Freunde im Klostersprengel wieder einmal heimzusuchen und an den Erntefesten in den einzelnen Dorfschaften teilzunehmen, auch wohl um alte Bekanntschaften durch wiederholten Besuch aufzufrischen; in der Hauptsache aber kam er, um nachzusehen, wie die Ernte bei den einzelnen Lehensmännern ausgefallen war, und was sie an Getreide eingefahren hatten, um sich des ihm zukommenden Mahlzinses zu vergewissern. In allen schottischen Dominien, gleichviel ob sie weltliches oder geistliches Besitztum waren, bildete es nämlich eine Gerechtsame für den Bezirks- oder Sprengelmüller, daß jeder Landwirt des Sprengels oder Bezirks sein Getreide nirgends wo anders als bei ihm mahlen durfte, und dafür hatten wieder diese Sprengel- oder Bezirksmüller eine bedeutende Abgabe, den sogenannten »städtischen Mahlgroschen« an ihre vorgesetzte Behörde zu entrichten. Wer von den Bewohnern eines Bezirks oder Sprengels hiergegen verstieß, verfiel in eine hohe Strafe, wie auch, wenn sie mit ihrem Korn etwa von einem Jahre zum andern hatten warten wollen. Nun lag bei Glendearg, und zwar in einer von Glendearg besser und bequemer zu erreichenden Gegend, die Mühle eines weltlichen Barons, und der Müller war ein sehr freundlicher Mann, der auch einen geringern Mahlgroschen nahm als der Klostermüller, und so war es für den Meister Hob eine Pflicht der Selbsterhaltung, all seine Wachsamkeit aufzubieten, daß sich keiner der Klostervasallen einfallen ließ, mit seinem Korn in jene andre Mühle zu gehen. Als das beste Mittel, sich hierin vor Schaden zu bewahren, war ihm bisher die Pflege guter Kameradschaft und nachbarlicher Freundschaft erschienen, und unter diesem Deckmantel hielt er nun in jedem Jahre seinen Kreuzzug durch die Klosterherrschaft, zählte jeden Kornhaufen und berechnete seinen Inhalt auf die Metze, so daß es ihm ein leichtes war, festzustellen, ob alles Korn aus dem Sprengel zu ihm in die Mühle gebracht worden war oder nicht. Gleich den andern Lehnsleuten im Sprengel mußte auch Frau Glendinning diese Besuche als Höflichkeitsbeweise gelten lassen, indessen waren sie seit dem Tode ihres Mannes nicht wieder vorgekommen, wohl weil ihr Gut gar so weit und ungünstig für solchen Besuch gelegen war, und weil nur wenig Ackerfeld dazu gehörte. In diesem Jahre hatte man jedoch auf den Rat des Schäfers Martin hin ein paar Scheffel Korn in das sogenannte »Ausfeld« gesät und hatte bei der milden Witterung in diesem Jahre eine ganz leidliche Ernte erzielt. Und dieser Umstand mochte wohl den Müller veranlaßt haben, sich wieder einmal in Glendearg sehen zu lassen. Frau Elspath hieß den Gast heute herzlich bei sich willkommen, während sie sich sonst wohl nur geduldig drein gefunden hätte. Diese andre Gemütsbeschaffenheit der Frau Glendinning hatte ihren Grund, wenn auch nicht allein, so doch zumeist in dem Umstande, daß der Müller seine Tochter Mysie mitgebracht, von der sie dem Unterprior wohl seinerzeit erzählt, deren Gesicht sie ihm aber nicht hatte beschreiben können. Bisher hatte sich die Witwe um das Mädchen wohl kaum gekümmert, aber die Erkundigungen, die der Unterprior unter der Hand, und mit solchem Eifer anstellte, hatten ihr die Müllerstochter in den Kopf gesetzt. Hin und wieder, wenn auch nur allmählich, hatte sie wohl die Rede auf sie gebracht; sie hatte aber durch all diese Weisen nichts weiter erfahren können, als daß die Mysie eine schwarzäugige Dirne sei mit ein Paar Wangen, rot wie Kirschen, und einer Haut, so weiß wie das feingesiebte Mehl, aus dem sich der Klosterabt seine Frühsemmeln backen ließ; daß sie von Gemütsart das lustigste, munterste Ding sei, und vom hellen Morgen bis in den späten Abend singe und lache; was aber bei ihr noch ein gar gewichtiges Wort mitspräche, sei das hübsche Erbe, worauf sie einmal rechnen dürfe, und das sich nicht allein auf ein reiches Stück Bargeld erstrecken werde, das der Müller, wie es bei den Leuten hieß, mit »seinem Golddaumen« zusammengescharrt habe, sondern auch auf ein tüchtiges Stück Ackerboden mit Jagdgerechtsame und auf die einträgliche Klostermühle, die für einen mäßigen Pachtgroschen, wenn man rechtzeitig beim Unterprior darum einkäme, auch auf einen Schwiegersohn des Müllers übergehen dürfe. Frau Glendinning hatte sich all diese Punkte reiflich überdacht und war hierdurch auf den Gedanken gekommen, daß es für ihren Sohn Halbert weit gescheiter sei, sich einmal um des Müllers Mysie zu bemühen und in die Mühle einzuheiraten als sich von dem gefahrvollen und immer uneinträglicheren Grenzreiterleben zu ernähren. So war ihr der Müller ein recht willkommner Gast, und Müllers Mysie mit den frischen Wangen und dem üppigen schwarzen Haar entsprach dem Ideal eines Mädchens, wie es Frau Glendinning sich auszumalen liebte, so vollständig, daß sie sie schnell in ihr Herz geschlossen hatte; und kaum eine halbe Stunde war sie bei Glendinnings im Hause, so erschien es der Witwe schon so gut wie ausgemacht, daß für ihren Halbert Müllers Mysie die rechte Frau sein werde. Freilich kam es ihr ja so vor, wie wenn Mysie sich ebenso gern im Tanz um einen Maienbaum drehen, wie eine Hauswirtschaft führen möchte, aber schließlich war es doch seit jeher nicht anders, als daß ein Müller ein handfester Mann und eine Müllerin ein lustiges Weiblein sein müsse, und sollte es schließlich mal im Haushalte nicht so recht zusammenklappen, so könne ja doch die Mutter des Müllers mit zugreifen, usw. »Ich will den jungen Leuten ganz gern mit wirtschaften helfen, denn bei mir im Turm ists doch gar zu einsam geworden,« dachte Frau Glendinning so bei sich, »und dann ist mir auf meine alten Tage auch die Nähe der Kirche recht tröstlich. Ueber das Turmleben mag sich Edward mit seinem Bruder vergleichen, ist er doch der Liebling des Unterpriors; und mag er dann, wie sein braver Vater, weiter im Turm hausen. Wer weiß denn, warum die Mary Avenel, so hoher Abkunft sie auch ist, sich immer so in die Kaminecke setzt? Freilich, arm ist sie wie eine Kirchenmaus, aber soviel Schönheit und Anmut und Verstand ist mir, so alt ich bin, noch nicht vor die Augen gekommen, und ich kenne doch alle Dirnen im Sprengel mitsamt ihren Müttern ... ja, sie ist eine gar schmucke Dirne, und wenn ihr ihr Onkel auch ihr Gut noch vorenthält, wer weiß, ob nicht auch einmal ein befiederter Schaft den Weg durch seinen Panzer findet, wie es, leider Gottes, doch soviel bessern Männern auch ergangen ist. Und wollten sie mit ihrem Stammbaum und ihrer Vornehmheit gar zu hoch hinaus, dann könnte Edward doch recht gut sagen: Wer war ihr denn der beste Freund, als sie bei Nacht und Nebel ins Tal hinunterkam, auf der jämmerlichsten Schindmähre, wie es je eine gegeben? Und sollten sie ihm Bauernblut vorwerfen, so kann ja Edward ganz gut sagen, abgesehen von dem alten Sprichwort: Wer adlig tut, hat adlig Blut, daß von Glendinning und Brydone kein Bauernblut herkommt, denn ...« Hier wurde Frau Glendinning durch die rauhe Stimme des Müllers aus ihren Gedanken geweckt, und daran erinnert, daß sie den Grund zum Aufbau solcher Luftschlösser, wenn es ihr ernstlich darum zu tun wäre, doch bei dem Müller und seiner Tochter selbst legen müsse, und daß sie dann beide nicht mehr so vernachlässigen dürfe, wie sie es bisher getan hatte, sondern daß sie im Gegenteil um ihre Gunst und ihr Wohlwollen werben müsse. Und da wurde sie sich mit einem Male bewußt, daß sie die beiden Leutchen in ihren Reisekleidern hatte sitzen lassen, was doch ganz den Eindruck bei ihnen erwecken mußte, als wenn sie sie am liebsten so schnell wie möglich wieder ziehen sähe, und das war ihr passiert einzig und allein, weil sie sich gar zu sehr in das Sinnen um die Zukunft ihrer beiden Knaben vertieft hatte. ... »Und das laßt Euch nun wenigstens sagen, Frau Glendinning,« schloß der Müller seine Rede, deren Sinn der Witwe völlig verloren gegangen war, weil sie sie tatsächlich so gut wie gar nicht gehört hatte, »da Euch Eure Wirtschaft den Kopf gar zu dick macht, so will ich mit meiner Mysie zum Haus Broxmouth hinreiten, der uns freundlichst eingeladen hat, für heute sein Gast zu sein.« Frau Espath wurde hierdurch so rauh aus ihren Träumen von Heirat und Hausstand und Müllergerechtsame gerissen, daß es ihr eine Weile zu Mute war, wie dem Milchmädchen in der Fabel, als es mit all seinem Sinnieren und Träumen den Topf zerschlagen hatte. Anstatt sich aber, so weit es anging, wegen ihrer Geistesabwesenheit und Zerstreutheit bei ihrem Gast und seinem Töchterchen zu rechtfertigen, schien sie es für klüger zu erachten, auf solche Weise, die ihr vielleicht nicht recht bequem war, oder vielleicht etwas zu schwer fallen mochte, zu verzichten, und statt ihrer lieber zur Offensive zu greifen. Sie glich hierin ganz einem geschickten Feldherrn, der es für geraten erachtet, seine Schwäche durch einen kühnen Ausfall zu verbergen. Das erste war ein kräftiger Ausruf, dann hielt sie dem alten Freunde mit heftigen Vorwürfen seine lieblose Art und Weise gegen sie vor, und wie er nur einen Augenblick an ihrer freundlichen Gesinnung habe zweifeln können, und wie er auf den Gedanken kommen könne, statt den Tag bei ihr zu verleben, sich zu dem alten Broxmouth zu setzen, der alte Turm von Glendearg stände doch heute noch an seiner alten Stelle, und wenn es noch so schlimme Zeit gäbe, Platz für ein paar so alte Freunde sei da doch allemal, usw., und diese Vorwürfe brachte sie mit solchem Ernst vor, daß zu guter Letzt der Müller, der kein Mensch war, alles auf die Goldwage zu legen, und dem im Grunde genommen gar nicht viel daran lag, sich von Glendearg nach einem andern Nachtquartier auf den Weg zu machen, sich dadurch ebenso irreführen ließ, wie sie sich selbst dadurch irreführte. Auf all diese Worte der Frau Glendinning begnügte er sich, in der ruhigsten Weise zu erwidern, daß er ja gar nicht habe wissen können, ob die Frau Nachbarin noch Korn für ihn zu mahlen habe? »denn Ihr tatet ja ganz, wie wenn man Euch nicht recht käme; Ihr konntet doch auch daran denken, was ich mit Eurem alten Martin über die letzte Gerstenaussaat gesprochen habe. ... Im übrigen weiß ich freilich, daß Ihr nicht gern was davon hören wollt, einem andern Müller das Mahlgeld und an die Klostermühle den Mahlzwang zu entrichten.« »Wie Ihr bloß so was reden könnt, Nachbar Hob,« erwiderte Frau Glendinning, »und daß auch der Martin erst über das Mahlrecht hat schwatzen müssen! Dafür will ich ihn schon zurechtsetzen, wies ihm gebührt, darauf könnt Ihr Euch verlassen, so wahr ich eine rechtschaffne Wirtschafterin bin und eine ehrsame Witfrau. Und wieviel eine Frau, wenn sie so allein steht wie ich, mit dem Gesinde zu schaffen hat, das ist Euch doch gewiß nicht fremd.« »Ihr müßt nur,« sagte der Müller, indem er seinen breiten Gurt aufschnallte, der ihm den Mantel zusammenhielt und worin auch ein breiter Dolch steckte, »Ihr müßt nur nicht böse sein auf den Martin, Frau Elspath, denn ich bin ihm auch nicht gram. Aber meine Pflicht und Schuldigkeit ists halt, auf den Gefällsgroschen zu sehen, der mir ja von Rechts wegen zusteht, und für den ich doch eine gehörige Pacht abzuführen hab, und im übrigen heißts bei mir, wie bei andern Müllern auch: Ich mahle mein Mehl, wenn der Wind weht, Und küsse mein Weib, wenn der Hahn kräht, Und hole den Zins, der im Buch steht, Und lasse Gott walten, wenns schief geht.« Dieses Liedchen vor sich her trällernd, hing der Müller ohne Umstände seinen weiten Mantel an ein mächtiges Hirschgeweih, das die nackte Turmwand schmückte, und gleichzeitig den Kleiderrechen vertrat. Unterdes half die Witwe dem Mädchen, das sie sich zur Schwiegertochter erkoren, beim Ablegen von Hut, Mantel und der andern Reisekleidung, und nun stand Mysie da, wie es sich für die flinke Müllerstochter geziemte, lachend und blühend, im schlohweißen Mieder, das mit grünen Schnüren und Fransen besetzt, auch mit Goldfäden durchwirkt war. Frau Glendinning warf einen schüchternen Blick auf das unverhüllte Mädchengesicht, das von pechschwarzem Haar umwallt war, das von einer grünseidnen, mit Silber durchwirkten Schleife, die prächtig mit dem Mieder harmonierte, im Knoten gehalten wurde. Die ganze Erscheinung, die das Mädchen bot, war liebreizend im höchsten Maße, ihr Auge war dunkel und groß und hatte einen schalkhaften Ausdruck, ihr Mund war kaum größer als ein schottischer Marientaler, ihre Lippen waren lieblich geschwungen, wenn auch etwas voll, dazwischen blitzten wunderweise Zähne in tadelloser Doppelreihe, und am Kinne zeigte sich ein allerliebstes Grübchen. Die Gestalt, die zu diesem fröhlichen Gesicht gehörte, war rund und voll und fest und schön; sie schien zwar darauf hinzudeuten, daß sie mit den Jahren leicht übervoll werden könne, ein Fehler, dem die Schönheiten Schottlands gern verfallen, aber in ihrem sechzehnten Lebensjahre hatte Müllers Mysie so ganz die Gestalt einer richtigen Hebe, wie wir sie uns nach den Statuen, das altklassischen Griechenlands vorzustellen lieben. Und bei all ihrer Voreingenommenheit als Mutter mußte sich die schüchterne Frau Glendinning doch sagen, daß sich für solch schmuckes Ding leicht wohl ein bessrer Mann finden möchte als ihr Halbert. Ein gewisser Zug in ihrem Gesichte schien auf einen etwas losen Sinn zu deuten, und ihr Halbert zählte noch keine neunzehn Jahre, also eilte es bei ihm ja noch nicht mit der Einrichtung eines eignen Hausstandes, aber das blieb für die brave Frau immer der Kernpunkt der Sache, und eine bessre Gelegenheit, sich damit zu befassen, konnte ja eigentlich sich gar nicht wieder finden. Sie überbot sich nun in vermeintlicher Schlauheit in allerhand Lobreden über ihren liebreizenden Gast, und Müllers Mysie hörte ihr auch während der ersten fünf Minuten unter Erröten ganz vergnügt zu, aber als darüber noch weitere fünf Minuten verstrichen waren, da schien es sie eher lustig als eitel zu stimmen, und endlich wurde es auch der Müller satt, die Tochter gar so herausgestrichen zu sehen, und er fiel der Witwe mit den Worten in die Rede: »Na, freilich, eine ganz nette Hexe ist sie ja geworden, und wenn sie mal erst fünf Jahre älter ist, dann wird sie einen Mehlsack tragen können, wie die kräftigste Dirne im Sprengel. Aber ich hab mich schon eine ganze Weile nach Euren beiden Jungen umgeguckt, Frau Elspath; bei uns hört man, Euer Halbert sei ein muntrer Springinsfeld geworden, der in Westmoreland wohl noch mal in hellen Mondnächten von sich reden machen dürfte.« »Das verhüte der liebe Gott in seiner Gnade, mein liebwerter Nachbar,« sagte Frau Glendinning, und zwar kam ihr der Wunsch so recht aus dem Herzen, denn jede Anspielung auf solche Wahrscheinlichkeit, ihren Halbert betreffend, schnitt ihr wie ein Messer durch die Seele; aber aus Furcht, nach dieser Seite vielleicht zuviel Besorgnis gezeigt zu haben, setzte sie flugs hinzu, »daß sie seit dem letzten so schweren Schlage bei Pinkie-Cleuch immer am ganzen Leibe zittre, wenn sie von Speer und Büchse und Kampf und Krieg sprechen höre; indessen schienen ja bis jetzt ihre beiden Söhne, dem Himmel sei Dank, als ehrsame, friedfertige Klostervasallen leben zu wollen, wie ja ihr Vater es auch getan hätte bis zu jener schrecklichen Schlacht, aus der er mit soviel andern wackern Männern nicht wieder heimgekehrt wäre.« »Davon braucht Ihr mir nichts zu erzählen,« sagte der Müller, »bin ich ja doch auch mit dabei gewesen! und ein doppeltes Paar Beine, das nicht einmal mir gehörte, sondern meinem Gaule, hat mir damals besser gedient als ein Paar Fäuste. Ich hatt mir schon zurechtgelegt, wie es wohl herginge, wenn unsre Leute ausreißen müßten; und wie dann die Hatz losging über Stock und Stein, da hab ich meinem Gaul derb die Sporen in die Weichen gedrückt und mich, so lang es noch Zeit dazu war, auf und davon gemacht.« »Das muß man sagen, Nachbar,« versetzte die Witwe, »Ihr habts gescheit gemacht! Wenn mein Simon auch so klug gewesen wäre, wie Ihr, dann könnt er heut auch davon erzählen; aber seine gute Herkunft und hohe Verwandtschaft hat ihm halt den Kopf verdreht, und da hat er gedacht, sein guter Ruf täts erfordern, daß er bis zuletzt mit standhielte, mit all den Junkern und Earls und Baronen, die keine Weiber daheim hatten, oder die sich nichts draus machten, wenn ihre Weiber frühzeitig die Witwenhaube aufsetzen mußten ... Aber das ist doch nichts für unsersgleichen! Na, bei meinem Halbert hats, denk ich, keine Not, denn gerät er einmal in die Patsche, so hat er ja die flinksten Beine im ganzen Sprengel, und kann mit Eurem Gaul ganz gewiß um die Wette rennen.« »So?« meinte der Müller, »kann er das?« Dann sagte er zu der Witwe, auf den eben eintretenden Edward zeigend, »ist er das?« »Nein, das ist ja mein Edward,« sagte die Witwe, »der jüngre von beiden, der kann lesen und schreiben, so gut wie Unser Lord-Abt selber, wenns nicht sündhaft wär und vermessen, so etwas zu behaupten.« »So, so,« meinte der Müller, »also der junge Gelehrte, auf den der Abt so große Stücke hält? Die Leute im Dorf reden, der Junge würde es noch einmal weit bringen im Leben, am Ende gar selber mal zum Unterprior! Und warum nicht? der erste lecke Kahn, der ans Land gekommen, wär er doch auch nicht!« »Um einmal Prior zu werden, Herr Nachbar,« erwiderte Edward, »muß man doch erst Klosterbruder und Priester werden, und dazu wohnt mir, wie mich bedünkt, die richtige Neigung nicht inne.« »Er wird sich mal hinter den Pflug stellen, Nachbar Müller,« meinte die Witwe, »und das erwart ich von meinem Halbert auch, ganz bestimmt. Ach, ich wünschte, Ihr sähet einmal meinen Halbert. ... Sag doch, Edward, wo steckt denn Dein Bruder?« »Auf der Jagd wird er wohl sein,« antwortete Edward, »wenigstens ist er heut morgen zum Laird von Huntershope und seinen Hunden gelaufen. Den ganzen Tag hab ich die Köter im Walde bellen hören.« »Das wär Musik für meine Ohren gewesen,« meinte der Müller, »und mir wärs auf ein paar Meilen Umweg gewiß nicht angekommen!« »Nun, wenn Ihr ein Freund von der Jagd seid,« meinte Frau Glendinning, »dann wird Euch der Halbert schon gefallen! Er weiß all die Ausdrücke für Falkenbeize und hohe und niedre Jagd, ganz ebenso gut wie der Wildmeister von unserm Abt, der Tom mit dem grünen Zweige.« »Kommt er denn nicht zum Essen heim, Frau?« fragte der Müller, »bei uns in Kennaghueir wird um zwölf Uhr zu Mittag gegessen.« Daraufhin mußte die Witwe freilich bekennen, daß Halbert zu dieser Hauptmahlzeit des Tages in der Regel abwesend zu sein pflege, worüber der Müller den Kopf schüttelte und sagte, da hielte es Halbert wohl, wie das Sprichwort von Mac Farlanes Gänsen sage, »die lieber spielen als fressen.« Damit aber der Müller nicht noch verdrießlicher über Halbert werden sollte, ließ Frau Glendinning schnell Mary Avenel kommen, damit sie sich mit Mysie Happer unterhalte. Dann eilte sie selbst in die Küche und fing an, mit Tellern und Schüsseln herum zu wirtschaften, Töpfe vom Feuer zu reißen, Pfannen und Roste darauf zu stellen und einen Befehl über den andern hervorzupoltern, bis schließlich der guten Tibb die Geduld riß. »So ein Aufstand,« rief sie, »weil ein alter Mehlsack mitessen will. Das ist ja grad, als wär ein schottischer Häuptling zu Gaste.« Vierzehntes Kapitel »Was ist denn das für ein hübsches Kind?« sagte der Müller Hob, als Mary von Avenel in die Stube trat, um Frau Elspath Glendinning zu vertreten. »Das ist die junge Dame von Avenel, Vater,« sagte die kleine Müllerstochter mit einem tiefen Knicks. Der Müller zog die Mütze und machte einen tiefen Diener, vielleicht nicht so tief, als wenn das junge Mädchen im Glanze ihres Ranges und Reichtums aufgetreten wäre, doch tief genug, daß die Reverenz als gebührende Huldigung vor der hohen Geburt der schottischen Edeldame gelten konnte. In der Tat hatte Mary Avenel teils von ihrer Mutter, deren Beispiel sie so lange Zeit vor Augen gehabt hatte, teils aus eingebornem Sinn für Anstand und Würde sich ein Benehmen angeeignet, in welchem ein berechtigter Anspruch auf Hochachtung sich äußerte, und das jeden Versuch einer vertraulichen Annäherung von seiten derer, die in ihrer gegenwärtigen Lage wohl ihre Gefährten sein mochten, aber unter keinen Umständen sich für ihresgleichen halten durften, von vornherein ausschloß. Sie war von Charakter sanft, sinnig und nachdenklich, sie liebte die Einsamkeit und saß gern in sich gekehrt, den üblichen Zerstreuungen war sie abhold. Es war bekannt geworden, daß sie zu Allerheiligen geboren worden war, und ihr infolgedessen Gewalt über die unsichtbare Welt verliehen sei. Sie war unter ihren Altersgenossen deswegen der Geist von Avenel genannt worden, ganz, als wenn die liebliche, aber allzu gebrechliche Gestalt, die zarte, doch etwas zu bleiche Wange und das dunkelblaue Auge mehr der geistigen als der körperlichen Welt angehörten. Die allgemein verbreitete Sage von der weißen Frau, die über dem Glück des Hauses Avenel walten sollte, verlieh diesem ländlichen Gerede eine gewisse Bedeutung. Dieser geheimnisvolle Nimbus, die Vorliebe des Unterpriors für die Familie, der furchtbare Name Julian von Avenel, den jedes neue Ereignis in diesen bewegten Zeiten nur berüchtigter machte, – dies alles verlieh dem jungen Mädchen eine gewisse Bedeutung, und manche trachteten aus Stolz nach ihrer Bekanntschaft, während andre, namentlich die furchtsameren unter den Vasallen, ihren Kindern empfahlen, der edeln Waise mit Achtung zu begegnen. So wurde das Fräulein, das wenig beliebt war, weil es fast gar keine persönlichen Bekannten hatte, mit abergläubischer Scheu betrachtet, teils aus Furcht vor den Kriegern ihres Oheims, teils auf grund ihres eignen zurückhaltenden Wesens. Von dieser Scheu mochte sich auch wohl Mysie befallen fühlen, als sie sich mit einem solchen, dem Stand und der Lebensart von ihr so verschiednen Mädchen allein sah; denn ihr biedrer Vater hatte den ersten besten Anlaß benutzt, zu verschwinden, um sich zu erkundigen, wie es mit der Scheune stände und ob seine Mühle gutes Korn erwarten könne. Die beiden Mädchen kamen indessen recht gut miteinander aus. Sie befaßten sich mit Dingen, wie sie ihrem Alter zukamen: sie sahen sich Marys Tauben an, die diese mit der Sorgsamkeit einer Mutter pflegte, dann wühlten sie in ihrem Schmuckkästchen herum, in welchem sich, so unbedeutend sonst auch die Kleinodien des Mädchens sein mochten, doch einige Sachen befanden, die ihre Gespielin bewunderte. Ein goldner Rosenkranz und ein paar Stücklein von Frauenzierat waren im Augenblicke des größten Unglücks durch Tibbs Geistesgegenwart gerettet worden, während die Herrin selber in ihrem tiefen Kummer an derlei Dinge nicht im geringsten gedacht hatte. Das Wesen der beiden Mädchen bildete einen auffallenden Gegensatz: die Müllerstochter in ihrer Gutmütigkeit, die immer mit dem Lachen bei der Hand war, und alles, was sie schön fand, ungezwungen angaffte, und die ruhige, gesetzte Würde der Mary, die ein Stück nach dem andern vorzeigte, und bei all ihrer Gelassenheit doch nicht ganz über die Freude am Erstaunen ihrer Gespielin erhaben war. Der Hufschlag von Pferden unter der Pforte des Turmes unterbrach die beiden Mädchen in ihrer Beschäftigung. Mysie eilte in zwangloser Neugier ans Fenster. »Heilige Jungfrau, gnädiges Fräulein!« rief sie, »da kommen zwei feine Herren auf stattlichen Rossen. Kommt doch her und seht sie Euch an!« »Nicht doch,« entgegnete Mary Avenel, »Ihr könnt mir ja sagen, wer es ist!« »Wenn ichs nur wüßte!« erwiderte Mysie. »Aber ich kenne sie ja nicht. Doch halt! Ja! den einen kenne ich, und Ihr kennt ihn auch, Fräulein. Das ist gar ein fideler Kauz, er hat ein bißchen lange Finger, aber das schadet bei den Herren heutzutage nicht viel. Er ist ein Dienstmann bei Euerm Herrn Oheim und heißt Christie von Clinthill. Er trägt heute nicht sein altes grünes Wams, sondern hat einen scharlachroten Rock mit Silberbesatz an und einen Brustharnisch, der ist so blank, daß man sich darin spiegeln könnte. Kommt doch bloß ans Fenster und seht ihn Euch an.« »Sofern es wirklich der Mann ist, Mysie,« antwortete die Waise von Avenel, »denn Ihr mir nanntet, so werde ich ihn immer noch allzu früh zu sehen bekommen.« »Nun, wenn Ihr Euch den schmucken Christie nicht anschauen wollt,« sagte die Müllerin, deren Angesicht von Neugierde glühte, »so sagt mir doch wenigstens, wer der hübsche Herr ist, der mit ihm gekommen ist so einen schneidigen, liebenswürdigen Burschen, habe ich ja noch nie gesehen.« »Das ist mein Pflegebruder Halbert Glendinning,« entgegnete Mary mit scheinbarer Gleichgültigkeit – es war ihre Gewohnheit, die Kinder Elspaths ihre Pflegegeschwister zu nennen. »Nein, der ist das nicht,« antwortete Mysie. »Die beiden Glendinnings kenne ich doch sehr gut, dieser Reiter aber ist gewiß nicht aus unserm Lande. Er hat ein karmoisinrotes Barett auf, unter dem das Haar lang und braun hervorfällt, er trägt auch einen Stutzbart. Das Kinn aber ist rein und glatt rasiert. Er hat ein himmelblaues Wams an, das mit weißem Atlas besetzt und gefüttert ist. Er hat ein Paar Pumphosen und seine einzigen Waffen sind Dolch und Degen. Wer mag das nur sein?« »Ich kann mirs nicht denken,« antwortete Mary, »aber nach seinem Kameraden zu schließen, dürfte nichts weiter dran liegen, ob man es weiß oder nicht.« »Er ist doch gar zu schmuck!« sagte Mysie. »Wenn er bloß hier vom Pferde steigen wollte! Aber, so kommt doch bloß mit ans Fenster und seht ihn Euch einmal an!« Mary von Avenel mochte wohl meinen, daß sie Gleichgültigkeit zur Genüge gezeigt hatte und sich nun wohl die Männer ansehen dürfe. Sie sah nun in der Gesellschaft Christies einen Ritter, der sehr stattlich und schmuck herausgeputzt war und, nach seinem vornehmen Wesen, wie nach der prächtigen Tracht und dem schönen Sattelzeug auf dem wundervollen Rosse zu schließen, in der Tat ein Mann von edler Herkunft sein mußte. Auch Christie schien nicht wenig stolz darauf, daß er mit einem solchen Manne hergekommen war, denn er schrie noch lauter als gewöhnlich nach der Dienerschaft. Als die Pferde abgeführt worden waren, stellte Christie der Frau Glendinning den fremden Herrn als Sir Pircie Shafton vor, einen Freund von ihm selbst und seinem Herrn. Der Herr wolle, ohne der Familie große Umstände zu machen, drei bis vier Tage im Turme Quartier nehmen. Die gute Frau könnte zwar nicht verstehen, was ihr eine so große Ehre verschaffte, sie hätte sich wohl gern damit entschuldigt, daß sie nicht auf die Bewirtung eines so vornehmen Gastes eingerichtet sei, und der Fremde, der die kahlen Wände betrachtete und das ärmliche Gerät des Zimmers beaugenscheinigte, schien selber einzusehen, daß er der Hausfrau Ungelegenheiten machen und so ein Aufenthalt in diesem alten Gemäuer auch ihm zur Last fallen würde, allein sie hatten es beide mit einem unerbittlichen Gesellen zu tun, der alle Einwände mit den Worten zurückwies: »Mein Herr will es so!« »Und ganz abgesehen davon, daß der Wille meines Herrn auf zehn Meilen in der Runde als unumstößliches Gesetz zu gelten hat,« setzte er hinzu, »so habe ich außerdem hier ein Schreiben von Eurem Baron im Weiberrock, dem Lord-Priester, der Euch befiehlt, ihm den Gefallen zu tun und den wackern Mann hier so gut zu bewirten, wie es in Euren Kräften steht. Und Ihr selber, Sir Piercie Shafton, wandte er sich an diesen, »müßt ja am besten wissen, ob es für Euch mehr auf weiße Betten und gute Kost als auf Zurückgezogenheit an einem entlegnen, versteckten Fleck ankommt. Ueberdies dürft Ihr nicht nach dem Aussehen hier ungünstige Schlüsse auf das Vermögen der guten Frau ziehen, sie wird uns gleich ein Essen auftragen, an dem Ihr erkennen werdet, daß die Speicher von Vasallen der Kirche ganz hübsch gefüllt sind.« Frau Glendinning erkundigte sich bei ihrem Sohn Edward, was es mit den Befehlen des Abtes für eine Bewandtnis habe, und sah ein, daß ihr in der Tat nichts weiter übrig bliebe, als es dem fremden Manne so bequem wie möglich zu machen. Er selber schien zu begreifen, daß auch ihm nichts weiter übrig bleibe, als die Gastfreundschaft anzunehmen, die die Frau ihm ziemlich gleichgültig antrug. Das Mittagsmahl, das bald darauf vor den versammelten Gästen dampfte, war wirklich vorzüglich und machte der Kochkunst der Frau Glendinning alle Ehre. Während des Mahles bot Sir Pircie Shafton alle Galanterie auf, um Mary von Avenel zu unterhalten, die er allein seiner Ansprache würdigte. Edward Glendinning fühlte sich zuerst beschämt, daß er so langsam und schwerfällig redete, während der junge Höfling mit einer Leichtigkeit und Gewandtheit, von der er zuvor noch keine Ahnung gehabt hatte, die hochtrabendsten Artigkeiten in seinen glatten, wenn auch nichtssagenden Reden herausschwatzte. Bei seinem gesunden Verstande begriff Edward allerdings bald, daß es alles Unsinn sei, was der jugendliche Geck plapperte, aber wenn er das Geschwätz nun auch verachtete, so beneidete er doch den jungen Menschen um den gewandten Vortrag, die einschmeichelnde Anmut seines Ausdrucks und um die elegante Ungezwungenheit seines Benehmens. Diese Eigenschaften erweckten Edwards Verdruß, um so mehr, als der junge Mann damit sich bei Mary beliebt zu machen trachtete, und obwohl Mary nur darauf einging, weil sie seine Aufmerksamkeiten sich nicht gut verbitten konnte, so gab der junge Mensch doch auf diese Weise zu erkennen, daß ihm daran gelegen sei, Marys Gunst zu gewinnen, weil sie in seinen Augen die einzige Person war, die einer solchen Bewerbung würdig war. Sein Titel, sein Stand, seine wirklich ausgezeichnete Bildung und einige Funken von Geist und Witz, die aus dem großen Wust von Unsinn, den er vorbrachte, hindurchblitzten, verliehen ihm in der Tat einen gewissen Nimbus und mochten ihm wohl für Damenaugen einen großen Reiz zu geben, so daß der arme Edward in all seiner selbst erworbnen Wissenschaft und bei all seinen tüchtigen Eigenschaften in seinem Hausrock, seiner blauen Mütze, seinen ledernen Hosen sich wie ein Bauernjunge neben dem Hofmann ausnahm und im Herzen bittern Groll wider den Ritter häufte, der ihn so tief in Schatten stellte. Gegen Christie, der ab und zu dem Edelmann gegenüber in plumpe Vertraulichkeit fallen solle, zeigte Sir Pircie Shafton eine stolze Verachtung, indem er ihm stets durch völlige Vernachlässigung oder durch lakonische Antworten zu verstehen gab, daß er sich nicht erdreisten solle, sich auf gleichen Fuß mit ihm zu stellen. Der Müller verhielt sich ganz still, denn da er im allgemeinen nur von seiner Mühle und seinen Einnahmen zu reden wußte, so verspürte er hier keine Lust, in Gegenwart von Christie von Clinthill seinen Reichtum auszukramen, oder dem Ritter zur Last zu fallen. Erst als Halbert hinzugekommen war und eine Weile dem inhaltlosen Geschwätz zugehört hatte, fand der junge Höfling einen Gegner, der sich von seiner überlieferten Art nicht verblüffen ließ. »Herr Ritter,« sagte Halbert bei passender Gelegenheit, »wir haben hier in Schottland ein altes Sprichwort: Den Busch, der Dich verbirgt, sollst Du nicht verachten. Wenn das Gesinde mir richtigen Bescheid gegeben hat, so seid Ihr hierher gekommen, um im Hause meines Vaters Schutz zu suchen; macht Euch also nicht lustig über die Einfachheit derer, die darin wohnen. Ihr hättet lange am Hofe von England bleiben können, ehe wir uns um Eure Gunst beworben oder Euch mit unsrer Gesellschaft behelligt hätten. Nun aber hat das Schicksal Euch in unsre Mitte versetzt, daher nehmt nun Vorliebe mit der Kost und der Unterhaltung, wie wir sie Euch zu bieten vermögen, und dankt uns nicht für unsre Güte mit Euerm Hohne, denn die Schotten haben kurze Geduld, aber lange Schwerter.« Aller Augen waren auf Halbert gerichtet, der in Haltung und Sprache eine Würde an den Tag gelegt hatte, wie man sie zuvor nicht an ihm gemerkt hatte. Ob diese würdevolle Festigkeit in seinem Benehmen auf sein Zusammentreffen mit der wunderbaren Erscheinung oder auf das Bewußtsein, mit übernatürlichen Dingen vertraut zu sein, zurückzuführen ist, möge dahingestellt sein. Fest steht, daß von diesem Tage ab eine Veränderung im Wesen Halberts allen auffiel, in seinem Handeln lag jetzt eine so rasche Entschlossenheit, eine solche Umsicht und Energie, wie sie sonst nur dem reiferen Alter zu eigen ist. Der Ritter ließ sich die Zurechtweisung gefallen. »Bei meiner Ehre, Du hast recht, junger Mann!« erwiderte er. »Doch wenn ich ein wenig gespottet habe über das Dach, das mir Schutz gewährt, so gereicht es ja bloß Dir zum Lobe, da Du ja unter diesem Dache geboren bist und Dich doch aus seiner Niedrigkeit emporschwingen kannst, gleichwie die Lerche, die in niedrigen Furchen nistet, und sich, trotz des Adlers, der aus Felsen seinen Horst baut, zur Sonne erhebt.« Nach beendeter Mahlzeit zerstreute sich die Gesellschaft, die jungen Leute gingen auf ihre Stuben, die ältern Leute machten sich an ihre Hausarbeiten, und während Christie sich um sein Pferd kümmerte, machte sich Edward über sein Buch her, und Halbert, in Kopfarbeit bisher kein Held, dafür aber um so geschickter in aller Handarbeit, machte sich dabei, in seinem Stübchen eine Diele aufzureißen, um in dem dadurch gewonnenen Versteck das Exemplar der Heiligen Schrift zu verbergen, das er auf so merkwürdige Weise aus den Händen von Menschen und Geistern gewonnen hatte. Inzwischen saß Sir Piercie Shafton starr wie ein Steinblock auf seinem Stuhl, hielt die Hände über der Brust gefaltet, die Beine gradaus vor sich gestreckt und auf die Fersen gestemmt, und die Augen nach der Decke hin gerichtet, wie wenn er dort jede Spinnweb zählen wollte, die an den Schwibbogen hing, aber mit einer Miene so feierlicher, unerschütterlicher Ernsthaftigkeit, als hinge von der Genauigkeit seines Exempels sein Leben ab. Es war kaum möglich, ihn aus diesem Zustande von Versunkenheit so weit aufzurütteln, daß er sich mit an den Tisch setzen konnte, auf dem das Abendbrot hergerichtet war, das übrigens die jüngern Damen nicht mit einnahmen. Sir Piercie sah sich wohl ein paarmal um, wie wenn ihm was fehle; aber er stellte keine Fragen, sondern meinte nur, die rechten Zuhörer seien wohl darum nicht da, weil es ihm an dem rechten Geiste fehle, nahm das Wort fast immer nur, wenn man ihn ein paarmal drum angegangen hatte, und gab dann nüchterne Antwort, in schlichtem, allgemein verständlichem Englisch, das niemand besser reden konnte als er, wenn er nur wollte. Als sich Christie infolgedessen im ungeteilten Besitze der Aufgabe sah, die Unterhaltung zu führen, gab er allerhand Episoden aus seinem rohen, unrühmlichen Kriegsleben zum besten, daß, sich Frau Elspath die Haare sträubten, während Frau Tibb Tacket, froh, wieder einmal mit einem »Stahlwams« zusammen zu sein, den Worten desselben lauschte, wie Desdemona den Heldentaten ihres Othello. Die Brüder Glendinning saßen inzwischen jeder vertieft in die Betrachtungen, die sie beschäftigten, und nur die Aufforderung, zu Bett zu gehen, konnte sie darin stören. Fünfzehntes Kapitel Am andern Morgen war Christie von Clinthill nirgendswo zu sehen. Da es aber nicht in der Art dieses schmucken Gesellen lag, auszuposaunen, was er vorhatte, zeigte sich kaum jemand über sein Verschwinden nächtlicherweile überrascht, wenn auch die Frage, ob er mit leeren Händen gegangen sei, einige Unruhe wachrief. Man fand jedoch alles in Ordnung, der Stallschlüssel lag über der Tür, der Schlüssel zum Gatter steckte innen im Schloß, und so fand sich tatsächlich keine Ursache zur Klage über den Mann. Halbert, der heute darauf verzichtete, zu Büchse und Armbrust zu greifen und, seiner Gewohnheit gemäß, eine Streife ins Freie zu unternehmen, machte sich zufolge der anständigen Art und Weise, wie sich Christie von Clinthill entfernt zu haben schien, an eine Besichtigung des ganzen Turmplatzes, und verfügte sich dann in die Eß- oder Wohnstube, wo früh um sieben das Essen bereit gehalten wurde. Dort fand er den Schönredner wieder in derselben Versunkenheit, wie abends zuvor, mit den Armen über die Brust verschränkt, unter dem gleichen Winkel wie abends zuvor, mit den Augen auf die gleichen Spinngewebe gerichtet, und die Fersen auf den gleichen Fleck gestemmt wie abends zuvor. Halbert fühlte sich von diesem ewigen Einerlei in Haltung und Wesen seines Gastes schließlich so angeödet, daß er es für das Geratenste hielt, das Eis kurz entschlossen zu brechen und festzustellen, welchen Umständen die Anwesenheit dieses gebieterischen und schweigsamen Gastes im Turme von Glendearg beizumessen sei. »Herr Ritter,« hub er an, »ich hab Euch heut morgen ein paarmal guten Morgen gewünscht, aber Ihr seid so geistesabwesend, daß Ihr es nicht gehört zu haben scheint, und daß Euch eine Erwiderung des Grußes nicht möglich gewesen ist. Es steht Euch ja allerdings frei, einer Höflichkeit gegenüber Euch zu verhalten wie Ihr wollt; aber was ich Euch weiter zu sagen habe, betrifft Euch persönlich so ausschließlich, daß ich Euch schlechterdings um ein wenig Aufmerksamkeit bitten muß, denn Worte an ein Bild von Stein zu vergeuden, ist keine Sache nach meinem Geschmacke.« Infolge dieser unvermuteten Ansprache riß Sir Pircie Shafton die Augen auf und maß den Jüngling mit strengem Blick. Als aber Halbert weder eine verlegne noch eine verwirrte Miene zeigte, da mochte es dem Ritter als geraten erscheinen, eine andre Stellung einzunehmen. Er schlug die Augen empor, zog die Beine an und richtete den Blick auf den jungen Glendinning, wie jemand, der sich anschickt, aufzupassen auf das, was ihm ein andrer sagen will. Ja, er hielt es sogar für geraten, den Entschluß, den er gefaßt hatte, noch schärfer zu markieren, dadurch, daß er sagte: »Sprich! wir leihen Dir Ohr!« »Herr Ritter,« nahm nun Halbert das Wort, »es ist im Sprengel des Sankt Marien-Klosters Brauch und Sitte, den Gast, der beherbergt wird, nicht mit Fragen zu belästigen, sobald über seinen Aufenthalt die Sonne nicht öfter als einmal untergeht. Es ist uns recht gut bekannt, daß Verbrecher und Schuldner hier eine Freistatt suchen, und von einem Pilgrim, den uns der Zufall als Gast schickt, etwa gewaltsam in Erfahrung zu bringen, was ihn zu uns führt, liegt uns völlig fern. Wenn hingegen jemand höhern Standes als wir, Herr Ritter, und vornehmlich ein Herr, der auf den Besitz solches Vorrangs hält, die Absicht verrät, länger unser Gast zu sein, dann pflegen wir ihn nach seiner Heimat und nach Grund und Zweck seiner Reise zu fragen.« Der Ritter gähnte ein paarmal, ehe er Antwort gab. Dann erwiderte er in höhnischem Tone: »Wahrlich, mein edler Villaggio, Eure Frage hat was an sich, das in Verlegenheit setzt, denn Ihr fragt da nach Dingen, auf die ich noch gar nicht recht Antwort weiß, wenn ich es überhaupt für angemessen halte, darauf zu antworten. Begnüge Dich damit, mein lieber Junge, daß Dir der Lord-Abt aus Herz gelegt hat, mich recht freundlich zu bewirten, was aber im Grunde genommen zuweilen nicht so geschehen ist und geschieht, wie es ein Herr von meinem Stande zu erwarten berechtigt ist.« »Ich verlange eine bestimmtere Antwort als diese, Herr Ritter,« antwortete der junge Glendinning. »Freundchen,« erwiderte der Ritter, »keine solche ehrenrührigen Redensarten! bei Euch im Norden mag es ja Sitte sein, sich frecherweise in die Geheimnisse von Standespersonen einzudrängen, etwa wie eine Laute in ungeschickter Hand bloß Mißtöne weckt...« In diesem Augenblick ging die Stubentür auf, und Mary Avenel trat herein. »Aber wer kann da von Misstönen reden,« fuhr der Ritter fort, indem er seinen scherzhaften Ton wieder anschlug, »wenn die Seele der Harmonie, in überschwengliche Schönheit gehüllt, zu uns hernieder sich neigt! Gleichwie Füchse, Wölfe und andre empfindungs- und vernunftslose Tiere die Erscheinung der glänzenden Himmelssonne fliehen, wenn sie emporsteigt in ihrer Herrlichkeit, so entweicht der Zorn, so flüchten alle unedlen Leidenschaften; denn was, die Wärme, die das Auge des Tages spendet, für die materielle und physische Welt ist, das ist das Auge, vor dem ich mich jetzt neige, für die Welt des intellektuellen Mikrokosmus.« Hier schloß der Ritter mit einer tiefen Verbeugung. Mary Avenel betrachtete einen nach dem andern. Da sie aber deutlich sah, daß zwischen ihnen etwas vorgefallen sein mußte, brachte sie weiter nichts über die Lippen als: »Um Gottes willen, was soll das vorstellen?« Diesmal versagte der Takt, den sich Marys Pflegebruder seit kurzem angeeignet hatte, und er wußte nicht recht, wie er einem Gaste gegenüber sich verhalten solle, der auf der einen Seite solch erhabnen Ton heuchlerischer Ueberlegenheit und Wichtigkeit anschlug, auf der andern hinwiederum in seinen Reden ein so geringes Maß von Ernst zeigte, daß man schlechterdings nicht wußte, ob es ihm Ernst oder Scherz damit sei. Nichtsdestoweniger war er fest entschlossen, Sir Piercie Shafton bei angemessner Veranlassung und wenn er sich an schicklicherem Orte mit ihm zusammenfände, zur Rede zu stellen, vorläufig aber die Sache auf sich beruhen zu lassen, zumal jetzt auch der Müller mit seiner Mutter, die in der Scheune den ungefähren Ernteertrag ermittelt hatten, in die Stube zurück kamen. Der Müller hatte gerechnet und gerechnet und war schließlich zu der Ueberzeugung gelangt, daß der Witwe Glendinning nach Abzug der Schuld, die sie noch bei der Abtei zu tilgen hatte, und nach Erstattung all dessen, was an ihn selbst noch zu entrichten war, ein ganz erklecklicher Ueberschuß bleibe. Ob nun eine solche Erwägung bei dem Müller ähnliche Pläne wachrief, wie die Witwe sie im Herzen trug, darüber kann ich mir kein Urteil bilden, soviel aber darf ich versichern, daß der Müller eine Einladung der Witwe, sein Töchterchen auf ein paar Wochen in Glendearg zu lassen, mit unverhohlener Freude entgegennahm. Da sich solcherweise die Hauptpersonen dieser kleinen Komödie in der fidelsten Stimmung untereinander befanden, durfte man sich beim Morgenimbiß ungeteilter Freude hingeben, und Sir Piercie Shafton erwies sich über die Aufmerksamkeiten, mit der ihn die dunkle Mysie bedachte, so entzückt, daß er ihr, ohne seiner hohen Abkunft und seines hohen Standes zu gedenken, ein paar ganz ungewöhnlich schöne Redebilder widmete. Mary Avenel, die sich infolgedessen von diesem Schwatzmichel erlöst sah, stellte sich so, als sei es ihr nicht unlieb, ihm zuzuhören, und der wackre Ritter, durch solchen Beifall von zwei Seiten ermutigt, und zwar von jenem zarten Geschlecht, um deswillen er sich als Schönredner ausgebildet hatte, ließ alsbald durchblicken, künftig mehr aus sich heraus zu treten, als es in seinen, auf Glendinnings Fragen erteilten Antworten geschehen war, und gab zu verstehen, daß ihn nur dringende Gefahr bestimmt hätte, sich bei ihnen als Gast wider Willen einzufinden. Nach dem Frühstück hieß es, auseinander zu gehen. Der Müller machte sich reisefertig, Mysie hatte für den Aufenthalt, der sich so unerwarteterweise ihr bot, mancherlei Vorsorge zu treffen, Edward wurde von Martin um Rat in manchen Wirtschaftsfragen angegangen, um die sich Halbert niemals kümmerte, Frau Glendinning wurde durch häusliche Geschäfte in Anspruch genommen, und Mary wollte ihr nachgehen, als ihr einfiel, daß dann Halbert und der fremde Ritter wieder allein zusammen blieben, also die schönste Gelegenheit bekämen, ihren Zwist von heute früh fortzusetzen. Gleich drehte sie infolgedessen um und nahm auf einem kleinen Fenstersitz Platz, mit dem festen Willen, dem ungestümen Halbert die Zügel straff zu halten. Dem fremden Ritter entging das Benehmen des Mädchens nicht, aber er meinte, die Wandlung ihres Entschlusses auf Rechnung seiner Schönrednerei und auf das Wohlwollen, das sie in seiner Gesellschaft fände, setzen zu sollen. Aus diesem Grunde, vielleicht auch noch aus dem weitern, daß es ihm ritterliche Artigkeit verbot, eine Name allein sitzen zu lassen, stand er auf und setzte sich neben sie, um die folgende Unterredung mit ihr zu eröffnen: »Schönes Fräulein, glaubt mir,« sagte er, »es bereitet mir hohe Freude, daß mich mein Schicksal von dem Herde heimischer Freuden verbannt hat, hierher in diese düstre Waldhütte des Nordens, wo es mir vergönnt ist, eine so schöne Gestalt und ein so offnes Herz zu finden, ein Herz, dem ich meine verwandten Gefühle offenbaren kann. Indessen vergönnt mir, mein schönstes, huldvollstes Fräulein, gemäß der an unserm Hofe, dem Garten des feinen Witzes, herrschenden Sitte, die besondre Bitte, einen Beinamen mit mir tauschen zu wollen, der Euch deutlich sagen kann, wie treu ergeben ich Euch bin. Ich möchte ersuchen, hinfort an Euch unter dem Namen »Protektion« mich wenden zu dürfen, mich selbst hingegen als Eure »Affabilität« gelten zu lassen.« »Die ländlichen Sitten des Nordens, Herr Ritter, erlauben, uns nicht solche Beinamen mit Personen zu tauschen, die uns vollständig fremd sind,« erwiderte Mary. »Ei, seht doch, wie Euch, das gleich in Rage setzt!« sagte der Ritter, »Ihr kommt mir ganz so vor, wie ein ungebändigtes Roß, das vor einem wehenden Schnupftuch beiseite springt, aber der fliegenden Fahne, sobald die Zeit gekommen ist, doch entgegensprengen muß. Nennt doch Elisabeth von England ihren Philipp Sidney nicht anders als ihre »Courage«, während er seine Fürstin nur als seine »begeisternde Genia« kennt. Deshalb also, meine schöne Protektion – – denn mit diesem Beinamen werde ich Euch hinfüro nennen –« »Doch wohl nicht ohne des gnädigen Fräuleins Einwilligung, Sir,« bemerkte Halbert; »Eure so überaus galante Verkehrsmanier wird hoffentlich nicht gegen solches Grundgesetz des Umgangs verstoßen!« »Redlicher Eigentümer eines gemeinen Lehnguts,« versetzte der Ritter, mit der gleichen Kälte und Höflichkeit, doch mit etwas vornehmerm Tone, als er ihn gegen die Dame angeschlagen hatte, »wir Leute im Süden pflegen uns nur mit Leuten einzulassen, mit denen wir auf ungefähr gleichem Fuße stehen, mit andern Leuten im Grunde nicht, oder nur wenig, und ich muß Dich nach allen Regeln der Kunst bitten, mein Sohn, dem Drange der Umstände Rechnung zu tragen, der uns zu Bewohnern ein und derselben Hütte gemacht hat, ohne uns jedoch gesellschaftlich auf das gleiche Niveau zu setzen.« »Bei der heiligen Jungfrau,« versetzte der junge Glendinning, »das ist denn doch der Fall, denn dem schlichtesten Verstand muß es wohl einleuchten, daß wenn jemand hier eine Freistätte sucht, er sie nur demjenigen verdankt, der sie ihm gewähren kann und gewährt, und daß wir uns so lange in ganz dem gleichen Range befinden, als uns doch das gleiche Dach bedeckt.« »Mein Sohn und Freund, Du befindest Dich in einem höchst seltsamen Irrtume,« erwiderte Sir Piercie Shafton; »um Dich aber zur Einsicht in unser beiderseitiges Verhältnis zu bringen, so laß Dir sagen, daß ich mich nicht als Deinen Gast betrachte, sondern als den Gast Deines Grundherrn, des Lord-Abts vom Sankt Marien-Kloster, der aus Gründen, die ihm und mir bekannt sind, Dich, seinen Hörigen und Knecht, dazu anhält, mir gegenüber Gastrecht zu üben. Du bist demnach sehr einfach in diesem Falle nichts weiter als das gemeine Werkzeug eines Höhern, und für mich ganz dieselbe Null, wie dieses Spinnweb an der Wand, oder im Punkte meiner Bequemlichkeit aufgefaßt, wie dieser ungehobelte Stuhl hier, auf dem ich grade sitze, oder der gewöhnliche Holzteller, von dem ich eben ordinäre Speisen gegessen habe. Darum, schönste Dame, oder, wie ich ja hinfüro Sie anreden will, meine allergnädigste und allerliebenswürdigste Protektion ...« Mary Avenel wollte ihm eben antworten, als Halbert ihr das Wort abschnitt durch den grimmigen Ruf: »Nicht vom Könige von Schottland ließe ich mir, wenn er am Leben wäre, solches bieten!« »Ums Himmels willen, Halbert! bedenke, was Du tust!« rief angsterfüllt Mary Avenel und warf sich zwischen ihn und den fremden Ritter. »Seid ohne Furcht, allerschönste und allerlieblichste Protektion!« erwiderte hierauf Sir Piercie Shafton mit der höchsten Frohlaune, »es wird diesem bäuerischen, ungehobelten Jünglinge nicht gelingen, mich zu irgend einer Handlung in Eurer Gegenwart zu bringen, die sich mit meiner Würde nicht vertrüge. Eher könnte der Zündstock eines Musketiers einen Eiszapfen in Flammen setzen, als daß der Funke der Leidenschaft mein Herz entzündete, das zur höchsten Sanftmut gestimmt wird durch den Respekt vor der Gegenwart meiner allergeneigtesten Protektion ...« »So könnt Ihr die Dame ja freilich nennen, Herr Ritter,« warf Halbert ein, »denn, beim heiligen Andreas! es ist ja das einzige gescheite Wort, das ich ans Eurem Munde vernommen habe; indessen könnten wir einander wohl anderswo treffen, wo Euch ein solches Protektorat von recht wenig Nutzen sein möchte.« »Meine allerhuldvollste Protektion,« fuhr der Galanthomme fort, ohne die Drohung Halberts nur eines Zuckens seiner Miene zu würdigen, geschweige einer weitern Erwiderung, »zweifelt nicht, daß Eure getreueste »Affabilität« sich durch die Worte dieses Flegels stärker reizen ließe als der klare, heitre Mund sich durch das Bellen eines Hofhunds irritieren läßt, der aus Stolz über die Höhe seines Misthaufens in dem Wahne sich befindet, er stände der majestätischen Lichtscheibe um einige Stufen näher.« Zu welchen Schritten solches Gleichnis Halbert Glendinning noch getrieben hätte, läßt sich schwer sagen, aber in demselben Augenblick kam Edward in die Stube gestürzt mit dem Rufe, die beiden vornehmen Klosterbrüder, der Küchenmeister und der Tafeldecker, seien mit einem wohlbeladnen Maultiere eingetroffen und hätten die Nachricht mitgebracht, daß sich der Lord-Abt, der Unterprior und der Sakristan auf dem Wege nach Glendearg befänden. Von solch merkwürdigem und außerordentlichem Umstande wußten weder Chroniken noch Annalen zu berichten, seit das Sankt Marien-Kloster stand, und auch in keiner Sage von Glendearg erklang davon ein Laut, wenn auch in dem Turme von Glendearg sich ein schwaches Gerücht erhalten hatte, daß in alten Zeiten ein Lord-Abt sich einmal auf einem Jagdzuge verirrt und in dieser Wildnis des Nordens zu Mittag gespeist hätte. Daß aber ein Lord-Abt eine freiwillige Reise nach solch schauerlicher Gegend, dem richtigen Sibirien des Klostersprengels, unternehmen werde, das hätte sich kein Klosterbruder jemals träumen lassen, so wenig wie jeder andre Mensch, und diese Meldung, mit der jetzt Edward in die Stube hineinschneite, war für alle Familienglieder, einzig Halbert ausgenommen, im höchsten Grade überraschend. Diesen ungestümen Jüngling beschäftigte die erlittne Kränkung seiner Ehre zu stark, als daß er an etwas andres als Rache hätte denken können. »Das ist mir lieb,« rief er, »daß der Abt nach Glendearc hinauf zu kommen geruht. Von ihm werde ich hören, mit welchem Recht uns der fremde Ritter auf den Hals geschickt worden ist, um unter dem Dache unsrer Väter zu kommandieren, als seien wir seine Knechte und nicht freie Männer. Ich will dem stolzen Priester ins Gesicht hinein sagen ...« »Aber, lieber Bruder Halbert,« sagte Edward, »bedenke doch, wie teuer Dich solche Worte zu stehen kommen können ...« »So teuer wohl kaum,« erwiderte Halbert, »daß ich vor einer Begegnung mit dem Abte mein menschliches Gefühl und meinen gerechten Zorn opfern sollte!« »Bedenke doch unsre Mutter!« rief Edward, »wenn sie ihres Obdachs beraubt würde! wenn sie aus ihrem Eigentum vertrieben würde um Deiner Unbesonnenheit, um Deines Jähzorns willen! Wie könntest Du denken, so schweres Vergehen je sühnen zu können?« »Beim Himmel!« rief Halbert, sich vor die Stirn schlagend, »Du sprichst nur allzu wahr!« Im nächsten Augenblick aber stampfte er mit dem Fuß auf den Boden, auf seinem Gesicht stand in grimmer Deutlichkeit der Ausdruck gewaltsam zurückgedrängter Leidenschaft ... mit einem Ruck drehte er sich um und verließ das Zimmer. Mary Avenel blickte den fremden Ritter an. Es sah aus, wie wenn sie einer Bitte Ausdruck geben wollte, er möge die Heftigkeit ihres Pflegbruders nicht dem Abte mitteilen und dadurch die ganze Familie in Elend und Ungemach bringen. Aber Sir Piercie, diese echte Blume ritterlicher Höflichkeit, deutete sich ihr Anliegen aus ihrer Verlegenheit und wollte sie der Mühe, es in Worte zu kleiden, überheben. »Allerliebste Protektion,« sagte er, »Eure Affabilität bringt es nicht über das Herz, etwas von unziemlicher Art zu sehen oder zu hören, geschweige auszusprechen oder zu wiederholen, das sich ereignen könnte, während ich mich des Elysiums Eurer Gegenwart zu erfreuen das Glück fand. Es mag sein, daß roher Menschen Busen auf rohe Weise bewegt wird; aber das Herz eines Mannes, der sich bei Hofe bewegt, ist so fein ziseliert, daß ihm dergleichen nichts anhaben kann. Genau wie der gefrorne See den Einfluß des Lüftchens nicht spürt, das über ihn streicht, genau so ...« Da verlangte ein gellender Aufschrei die Hilfe Mary Avenels. Aus dem Munde der Frau Glendinning war er gekommen. Mary gehorchte auf der Stelle, von Herzen froh, der galanten Reden und Gleichnisse dieses höfischen Stutzers überhoben zu sein. Und für den Ritter war es eine Erleichterung nicht geringerer Art, denn kaum hatte Mary Avenel die Schwelle überschritten, als er die zeremonielle Miene höfischer Artigkeit aus seinem Gesichte förmlich mit einem Strich entfernte und eine Miene äußerster Abspannung und grenzenloser Langweile an ihre Stelle setzte. Dann gähnte er ein paarmal auf die schlimmste Weise, daß man gewissermaßen fühlte, es bärge sich hinter diesem Ausbruch von geistiger Oede irgend ein schweres Unglück, und dann brach er in folgendes Selbstgespräch aus: »Daß der böse Feind diese Dirne hierher führen mußte, als ob es nicht Plage genug wäre, in einem Loche zu hausen, das in England kaum gut genug wäre als Hundestall, sich anschnauzen zu lassen von einem rohen Bauernlümmel und sich der sogenannten Treue eines feilen Gauners überliefert zu wissen. Kann ich doch nicht einmal in Ruhe über mein Pech nachdenken, sondern muß hier sitzen und einem bleichen, hektischen Gespenst zu Ehren in aller Erhabenheit und lebendigem Redeflusse Vortrag halten, weil adliges Blut in ihren Adern rinnt. Bei meiner Ehre! diese Müllers Mysie ist, alles Vorurteil beiseite gesetzt, der weit bessre Happen. Doch Geduld, Piercie Shafton! Deinen wohlerworbnen Ruf als galanten Diener des schönen Geschlechts darfst Du Dir nicht verkürzen lassen, sondern Du mußt nach wie vor der elegante Witzbold, der vollendete Hofmann bleiben, der Du immer gewesen! Danke lieber dem Himmel, Piercie Shafton, daß er Dir in dieser Avenel, deren Herkunft aus dem Uradel des Landes ja über allen Zweifel erhaben ist, einen Wetzstein gespendet hat. Deine galanten Artigkeiten, Deinen scharfen Witz zu schleifen, ohne Dir in Deinem Range etwas zu vergeben. Denn gleichwie eine Damaszenerklinge um so blanker und schöner wird, je länger man sie reibt ...aber wozu den Schatz meiner Gleichnisse in Selbstunterredungen verschleudern? Dort kommt der Pfaffenzug, einem Dutzend Krähen vergleichbar, die nach ihrem Horste ziehen! Die Kerle werden doch in ihrer Fürsorge um meinen Wanst nicht meinen Koffer vergessen haben? Da wär ich ja fein dran, wenn der Krempel unter dem spitzbübischen Grenzvolk Malheur gelitten hätte!« Beunruhigt durch diesen Gedanken, rannte er wie im Sturm die Stufen hinunter und ließ sein Pferd satteln, um den Lord-Abt und sein Gefolge im Tale zu erreichen und sich Gewißheit über diesen für ihn wichtigen Punkt zu verschaffen. Kaum etwa eine Stunde war er unterwegs, als er auf den Pfaffenzug, wie er sich ausgedrückt hatte, stieß, der sich mit all der Langsamkeit und all dem Wohlanstand entlang bewegte, wie es seiner Würdigkeit und seinem Stande zukam. Der Ritter ermangelte nicht, den Lord-Abt mit jener zeremoniellen, Höflichkeit zu bekomplimentieren, die zu damaliger Zeit vornehme Herren einander zu erweisen pflegten. Zum Glück fand er auch seine Koffer vor unter dem Gepäck des Zuges, und infolge dieser tröstlichen Zuversicht wandte er sein Pferd und gab dem Lord-Abt das Geleit zum Turme von Glendearg. Groß war unterdes die Unruhe der braven Frau Glendinning und ihrer Gehilfinnen, um alles zum würdigen Empfange des hohen Besuches herzurichten. Die Mönche hatten kein großes Vertrauen in ihre Küche gesetzt, und doch war sie mit Gerichten beschäftigt, die ihr den Dank und Beifall ihrer Lehnsherren eintragen sollten. So gebot sie Halbert, als er ihr mit zornglühendem Gesicht in den Weg lief, schleunigst in den Wald hinaus zu eilen und nicht ohne Wildbret nach Hause zu kommen. Der Müller, der sich nun schnell zur Heimreise anschickte, versprach, ihr einen Salm herauf zu schicken, und Frau Glendinning, die nun alle Hände voll zu tun hatte, fing es schon an, leid zu tun, daß, sie Müllers Mysie eingeladen hatte, ja sie befaßte sich schon mit dem Gedanken, wie sie sie am Ende, ohne bei dem Vater gar zu scharf anzustoßen, bald heimschicken könne; aber die unvermutete Artigkeit des Vaters machte vorderhand jede Unartigkeit gegen die Tochter zur Unmöglichkeit, und so machte sich denn der Müller allein auf den Heimritt. Aber diesmal sollte die Gastlichkeit der Frau Glendinning einen schnelleren Lohn finden, als sie sich hatte träumen lassen, denn Jungfer Mysie erwies sich als eine recht geschickte Köchin, die allerhand seine Leckereien und Zuspeisen, wie blancmanger und dergleichen, von denen die wackre Witwe bisher keine Ahnung gehabt hatte, zu bereiten verstand, und so pries denn die Witwe den Himmel und alle Heiligen, daß ihr der Gedanke, das Mädchen in Glendearg zu behalten, gekommen war. Als sie eine so tüchtige Stellvertreterin am Kochherde wußte, verließ, sie die Küche und putzte sich nun aufs beste als Frau vom Hause heraus, um sich dann mit klopfendem Herzen an der Tür ihres kleinen Turmes zu postieren, in der Absicht, dem Lord-Abt, sobald er ihrem Hause nahte, die tiefste Reverenz zu machen. Neben, ihr stand Edward mit nicht minder klopfendem Herzen. Er mußte jetzt lernen, wieviel Zeit Vernunft braucht, um über die Macht äußrer Verhältnisse obzusiegen, und in welchem starken Maße unser Gefühl durch Neuheit animiert, durch Brauch und Gewohnheit abgestumpft wird. Jetzt sah er zu seinem Staunen den Lord-Abt herannahen, der aus etwa einem halben Dutzend Reiter in langen, schwarzen Tataren bestand, die durch die weißen Skapuliere nur wenig aufgehellt wurden. Das Ganze glich mehr einem Leichenzuge, als irgend etwas anderm, bloß Sir Piercie Shafton brachte durch seine Gegenwart eine wohltuende Abwechslung in das düstre Einerlei, denn er trug eifrig Sorge dafür, daß seine ziemlich bedeutende Reitkunst ebenso zur Wirkung gelangte, wie er all seine andern Künste und Fertigkeiten während seines kurzen Aufenthalts zu zeigen bemüht gewesen war, freilich oft genug zum starken Verdrusse des Lord-Abts, dessen Zelter durch die Lebhaftigkeit des andern Rosses auch lebhaft zu werden drohte. »Ich bitt Euch, Herr Ritter,« rief der Lord-Abt einmal über das andre, »laßts nun gut sein. ... Aber, Sir Piercie, das hat doch gar keine Art so! ... Benedikt, ruhig! es ist doch ein gutes und ruhiges Tier. Sachte, sachte!« und was der begütigenden Worte sonst noch zu sein pflegen, mit denen ein schlechter Reiter sich aus der Verlegenheit zu ziehen liebt. Mit einem innigen Deo gratias! beschloß er endlich sein Bitten und Beten als er mit einem blauen Auge glücklich den Turmhof erreicht hatte. Wie auf ein Kommando knieten sämtliche Hausbewohner nieder, dem Lord-Abt die Hand zu küssen, eine Zeremonie, die sich hin und wieder auch die Mönche gefallen lassen mußten. Dem frommen Abt Bonifazius hatten die letzten Ereignisse dermaßen zugesetzt, daß er sich dieser Zeremonie nicht mit der Feierlichkeit unterzog, wie er es zu andern Malen gewöhnt gewesen war. Mit einem schneeweißen Taschentuch trocknete er sich mit der einen Hand die Stirn, während er die andre der handkußdurstigen Schar von getreuen Gliedern seiner Gemeinde überließ. Dann machte er mit weit ausgestrecktem Arme das Zeichen des Kreuzes und rief: »Gottes Segen über Euch, meine liehen Kinder, Gottes Segen!« Und dann begab er sich, gar häufig brummend, über die finstre, steile Wendeltreppe in das ihm angewiesene Zimmer und warf sich im Zustande äußerster Erschöpfung und Abspannung auf einen, ich will nicht sagen, bequemen, aber doch auf den bequemsten Stuhl, der sich in dem dürftigen Räume befand. Sechzehntes Kapitel Der Lord-Abt war auf diese hochmütige Weise den Blicken seiner harrenden Lehnsleute plötzlich entschwunden, aber der Unterprior war bemüht, diese Unhöflichkeit seines Vorgesetzten wieder gut zu machen, indem er sie herzlich als Familienmitglieder begrüßte, besonders Frau Elspath, ihre Pflegetochter und ihren Sohn Edward. »Wo ist denn Halbert, der waghalsige Nimrod?« fragte er leutselig. »Er ist ins Tal hinab gegangen und holt Wildbret, mit Verlaub Euer Ehrwürden,« erwiderte Frau Glendinning. »Sonst wäre er sicher anwesend an einem solchen Ehrentage für mich und die Meinen.« »Nun freilich,« murmelte der Unterprior, »wir sind auch stets Freunde von einem schmackhaften Wildbraten gewesen. Doch jetzt auf Wiedersehen, gute Frau, ich muß mich zu Seiner Herrlichkeit, dem Vater Abt, verfügen.« »Ehrwürdiger Herr,« sagte sie, »seid doch so gütig und legt ein Wort für uns ein, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Sagt doch, es sei nicht bös gemeint, und macht ein paar Entschuldigungen, wenn es ja an etwas fehlen sollte. Ihr wißt, wir haben alles Silberzeug verloren.« »Macht Euch keine Sorge,« erwiderte der Unterprior, »der Mundschenk hat das Eß- und Tafelgeschirr des Abtes mitgebracht, und wenn es bei Eurer Bewirtung an etwas mangeln sollte, wir wissen auch den guten Willen zu schätzen.« Mit diesen Worten begab er sich ins Speisezimmer, wo, so gut es in der Eile ging, die Vorkehrungen zu einem Mittagsmahl für den Abt und den englischen Ritter getroffen wurden. Der Lord-Abt, für den ein aus allen im Hause vorhandnen Mänteln hergerichtetes Polster noch nicht umfangreich genug geworden war, beschäftigte sich gerade damit, sich in dem geräumigen Lehnstuhl Simons ein weiches, gemütliches Plätzchen herzurichten. »Ihr irrenden Ritter,« sagte der Abt zu Sir Piercie Shafton, »könnt Euch nicht denken, daß auch unsereins Last und Mühe hat. Aber auch wir sind nicht gewohnt, uns der Hitze und Plage des Dienstes zu entziehen. Kaum hatte ich erfahren, daß Ihr Euch hier befändet, und daß Ihr aus gewissen Gründen nicht ins Kloster kommen dürftet, so habe ich sofort meinen Leuten meinen Entschluß kund getan, nach Glendearg zu reiten. Bruder Timotheus, habe ich gesagt, laß meinen schwarzen Zelter satteln, der Unterprior und ein Dutzend Brüder sollen sich bereit halten; morgen früh, reiten wir nach Glendearg. Und der Küchenmeister und der Mundschenk sollen voraus reiten und den armen Leuten behilflich sein, ein uns angemessnes Mahl einzurichten. Ihr seht also, Sir Piercie, auch wir haben unsre Beschwerlichkeiten gehabt, und Ihr dürft uns keinen Vorwurf machen, wenn nicht alles so gut gegangen, ist.« »Davon ist wirklich auch keine Rede,« entgegnete Sir Piercie Shafton. »Wenn Ihr so harte Beschwerlichkeiten auf Euch genommen habt, wie Eure Herrlichkeit mir sie schildert, so würde es mir sündigem Kinde der Welt übel anstehen, Beschwerde zu führen über ein Bett, das hart ist wie eine Pritsche, oder über Brot, das genau so schmeckt, als wenn verbrannte Wolle darin wäre, oder über andre Speisen, die ganz nach der rauhen Gegend hier schmecken.« »Es schmerzt mich,« erwiderte der Abt, »daß Ihr dieses gastfreundliche Haus nicht in bessrer Vorbereitung angetroffen habt, – aber wenn Ihr unser, der heiligen Jungfrau geweihtes Haus mit Eurer Anwesenheit beehren wolltet, so sollt Ihr vollauf zufrieden gestellt werden.« »Wenn ich Euer Hochwürden die Gründe nennen soll,« antwortete Sir Piercie Shafton, »warum ich vorläufig Eurem wohlbekannten Hause nicht nahen und Eure schätzenswerte Gastfreundschaft nicht genießen darf, – so müßten Euer Hochwürden mir noch ein wenig Zeit lassen oder –« und er warf einen Blich um sich her, »unsre Zuhörer hier vermindern. Denn Eure Weisheit wird einsehen, daß man nicht vorsichtig genug sein kann, wenn der Kopf eines Mannes auf dem Spiele steht.« Der Abt befahl seinen Begleitern, mit Ausnahme des Unterpriors das Gemach zu verlassen. »Vor unserm Freunde und Ratgeber, Vater Eustachius, könnt Ihr ohne Scheu sprechen. Er besitzt mein ganzes Vertrauen, und ist auch des Euern würdig.« Sir Piercie Shafton verneigte sich vor den ehrwürdigen Mönchen, und mit einem Seufzer, der so schwer war, als wollte er ihm den Brustpanzer sprengen, begann er: »Ich habe wohl Grund dazu, so tief zu seufzen, denn seit ich die prachtvolle Sphäre des englischen Königshofes mit einem entlegnen Winkel in dieser unzugänglichen Wüste vertauscht habe, ist mirs, als wäre ich aus dem Himmel ins Fegfeuer gekommen. Vor kurzem noch brach ich mit meinesgleichen auf dem Turnier eine Lanze, bald für die Liebe der Ehre, bald für die Ehre der Liebe – und jetzt fälle ich die Lanze gegen Landstreicher Und Diebesgesindel. Vor kurzem noch habe ich auf der lustigen Schaubühne des Hofes eine glänzende Rolle gespielt, jetzt sitze ich in einem schottischen Hundestall. Vor kurzem noch umschwebte ich die Schönheiten des englischen Thrones, jetzt muß ich mich mit der kalten Höflichkeit eines schottischen Fräuleins begnügen oder gar mich von einem Müllermädchen anstarren lassen.« Der Abt hörte diese Reihe von Klagen verblüfft an und wußte nicht, was er darauf erwidern sollte. Der Unterprior, kam seinem Herrn, der ihn ratlos ansah, zu Hilfe und sprach: »Wir bedauern lebhaft, Herr Ritter, die vielen Unannehmlichkeiten, die das Schicksal Euch aufgebürdet hat, doch können wir uns noch immer nicht erklären, aus welchem Grunde Ihr Euch in eine so mißliche Lage schicken müßt.« »Ehrwürdiger Herr,« fuhr der Ritter fort, »verübelt es einem unglücklichen Menschen nicht,, wenn er ein Weilchen bei der Aufzählung seiner Leiden verweilte, wie jemand, der in einen Abgrund gestürzt ist, die Höhe mißt, von der er gefallen ist.« »Ich meine aber doch, es wäre vernünftiger,« versetzte Vater Eustachius, »wenn er denen, die ihn aufzuheben herbeikommen, sagen wollte, welches Nein er gebrochen habe.« »Ehrwürdiger Vater,« antwortete der Ritter, »Ihr habt da in dem kleinen Zweikampf unsres Geistes einen Meisterstoß geführt, während ich sozusagen meinen Lanzenschaft zerbrochen habe. Verzeiht, daß ich in der Sprache des Turniers rede, in der Ihr ohne Zweifel nicht bewandert seid. – Ach, das Turnier! Die köstliche Versammlung alles Edeln, Schönens und Heitern! O, Ihr himmlischen Schönheiten, die Ihr mit Euern strahlenden Augen dem Ganzen die schönste Weihe verleiht! Piercie Shafton wird nie wieder in die Bahn reiten, das Ziel Eurer bewundernden Blicke – nie wieder wird er seinen Gegner besiegen und die Ehrenrunde reiten, den Lohn empfangen, den die Schönheit der Ritterlichkeit spendet.« Er hielt inne, rang die Hände und sah gen Himmel, wie es schien, völlig verloren in Betrachtung seines verlornen Glückes. Der Unterprior wußte jedoch gezierte Übertreibung von der Irrede des Wahnsinns zu unterscheiden, und er hielt denk Ritter ernstlich vor, daß der Lord-Abt eine so weite Reise, die ihn bei seinem Alter sehr angestrengt hätte, nur aus dem Beweggrunde unternommen hätte, um zu erfahren, ob er Sir Piercic Shafton helfen könne. Dies sei aber nur möglich, wenn er ihn genau darüber unterrichte, warum er in Schottland Zuflucht gesucht hätte. »Der Tag geht zur Neige,« setzte er hinzu mit einem Blick nach dem Fenster, »und wenn der Abt ins Kloster zurückkehren müßte, ohne das, was er wissen wollte, erfahren zu haben, so wäre das allerdings für beide Teile unerfreulich; die größre Unannehmlichkeit liegt hoch wohl auf Eurer Seite, Herr Ritter.« Dieser Wink half. »O, Göttin der Höflichkeit,!« rief »der Ritter. »So weit habe ich Deine Gebote außer acht gelassen, daß ich die Zeit dieser ehrwürdigen Prälaten mit meinen Klageliedern vergeude. So wisset denn, ehrwürdiger Herr, ich, Euer armer Gast, bin durch Geburt dem Piercie von Northumberland verwandt, dessen Geschichte ich Euch in aller Kürze erzählen will –« »Das ist nicht nötig,« unterbrach ihn der Abt, »wir kennen ihn als einen guten, echten Edelherrn und als tapfern Vorkämpfer unsers Glaubens. Noch gerade weil Ihr mit ihm verwandt seid, Sir Piercie Shafton, erklären wir Euch, Ihr seid uns sehr willkommen, und wir werden Euch nach Kräften beistehen, wenn wir nur erst wissen, wie.« »Ich bin Euch für ein so liebenswürdiges Anerbieten allezeit verbunden,« antwortete Sir Piercie Shafton, »ich brauche auch für jetzt nicht mehr zu sagen, als daß mein ehrenwerter Vetter von Northumberland nach einer Unterredung mit mir und einer großen Anzahl erlesener Geister unsrer Zeit über die Frage, auf welche Weise und durch welche Maßregeln der Dienst des Herrn gemäß den Satzungen der katholischen Kirche sich in diesem, vom wahren Glauben abgefallnen Königreich England wieder einführen ließe, mich so weit in diese geheime Verbindung hineingezogen hat, daß schon dieses hinreicht, mich vogelfrei zu machen und meine persönliche Sicherheit zu gefährden. Die Prinzessin Elisabeth hat nämlich genaue Kunde von unserm Anschlag erhalten. Mein ehrenwerter Vetter hielt es nun für das Beste, daß ein einzelner für die Gesamtheit Schimpf und Schande auf sich nähme, und hierzu hat er mich erlesen. Ich habe nun diese Bürde um so bereitwilliger auf mich genommen, als mein gütiger, ehrenwerter Verwandter sich von jeher als edelsinniger Freund erwiesen hat, und als ferner mein Vermögen – ich weiß selber nicht, wie das gekommen ist – nicht mehr ausreicht, um den Aufwand zu bestreiten, zu dem wir erlesenen Geister genötigt sind, um uns einigermaßen vom Pöbel zu unterscheiden.« »Eure Privatverhältnisse haben es Euch also nicht erlaubt,« bemerkte der Unterprior, »ins Ausland zu fliehen? Und diese mißlichen Vermögensverhältnisse sind neben der Vereitlung des Staatsstreiches der Grund, weshalb Ihr in Schottland Zuflucht gesucht habt?« »Ihr habt den Nagel auf den Kopf getroffen,« antwortete der Höfling. »Und mit knapper Not habe ich meinen Hals vor der Schlinge gerettet. In fliegender Eile bin ich nach Norden geflüchtet, denn ich hielt es für das Beste, meinen ehrenwerten Vetter Northumberland auf einem seiner zahlreichen Schlösser zu besuchen. Bei Northallerton begegnete ich einem gewissen Vaughan, einem Bediensteten meines Vetters, welcher mir mitteilte, ich konnte bei ihm keinen Schutz finden, denn mein Vetter habe dem Befehle, der von Hofe an ihn ergangen sei, nachkommen und Haftbefehle wider mich erlassen müssen.« »Mir scheint,« erwiderte der Abt, »Euer ehrenwerter Verwandter ist sehr grausam gegen Euch verfahren.« »Es hat so den Anschein, Hochwürden,« entgegnete Sir Piercie, »allein ich kann für die Ehre meines Vetters von Nothumberland mit meinem Leben eintreten. Vaughan gab mir im Auftrage meines Vetters ein zuverlässiges Pferd, einen Beutel mit Gold, und zwei Grenzreiter, wie man sie nennt, als Führer, die mich nach dem Hause eines gewissen Barons – wenigstens will er für einen solchen gelten – brachten, – ich meine, in das Haus Julians von Avenel, bei dem ich Aufnahme fand. Es gab wenig zu essen dort, aber doch mußte ich beim Abschied noch ganz gut zahlen, denn dem Freiherrn gefiel mein in Silber gearbeiteter kostbarer Dolch so gut, daß mir nichts andres übrig blieb, und ich ihn, bitten mußte, ihn als Geschenk anzunehmen. Er ersparte mir die Mühe, ihn zweimal zu bitten, und steckte das wertvolle Kunstwerk sogleich in seinen schmutzigen Gürtel von Büffelleder, in welchem die edle Waffe, auf mein Wort, Hochwürden, mehr wie das Schlachtmesser eines Metzgers als wie der Dolch eines Edelmannes sich ausnahm. Wenn ich noch länger bei ihm geblieben wäre, so hätte er mir mit allerlei Komplimenten noch den Rest meiner Garderobe abgegaunert, bis aufs Hemd hätte er mich ausgezogen, das schwöre ich Euch bei den Göttern der Gastfreundschaft! Zum Glück bekam ich einen Brief von meinem Vetter, in welchem er mir mitteilte, er habe meinetwegen an Euch geschrieben und zwei Koffer mit Kleidungsstücken an Euch geschickt, nämlich mein rotseidnes Wams mit den Goldtressen, den dazu gehörigen verzierten Gürtel, ferner zwei Paar schwarzseidne Pumphosen, ein schwarzseidnes Wams mit Pelzbesatz, ferner –« »Herr Ritter,« unterbrach ihn der Unterprior, »erlaßt uns die weitre Aufzählung Eurer Garderobe. Die Mönche des Klosters unsrer lieben Frauen sind keine räuberischen Freiherren, und was in den Koffern an uns geschickt worden ist, ist aufs ehrlichste heute hierher geschafft worden. Gemäß dem, was Euer Vetter uns mitgeteilt hat, dürfen wir wohl annehmen, daß Ihr vorläufig, soweit es sich mit Euerm hohen Stand und Verdienst verträgt, unbekannt bleiben wollt?« »Leider, leider, Euer Ehrwürden,« antwortete der Höfling, »eine Klinge kann nicht blitzen, so lange sie in der Scheide steckt – ein Demant kann nicht leuchten, so lange er in der Schatulle liegt, so kann auch das Verdienst, das durch die Verhältnisse gezwungen ist, sich selbst unter den Scheffel zu stellen, die Augen der Welt nicht auf sich lenken.« »Ich zweifle nicht, hochwürdiger Herr und Vater,« sagte der Unterprior, »daß Ihr in Eurer Weisheit Mittel und Wege finden werdet, diesen Herrn und edlen Ritter in Sicherheit zu bringen, ohne dabei unsre Brüderschaft zu gefährden, denn es ist Euch ja bekannt, daß in diesen abenteuerlichen Zeiten schon Schritte getan worden sind, alle kirchlichen Stiftungen zu vernichten. Wir sind, wenn uns auch schon mehrfach gedroht worden ist, bisher immer mit einem blauen Auge davon gekommen, aber unter den jetzt am Hofe der Königin herrschenden Verhältnissen werden sich diese Verhältnisse sicher noch verschlimmern.« »Hochwürdiger Herr,«, fiel ihm Piercie Shafton ins Wort, »während Ihr über diesen Punkt beratet, will ich Euch von meiner Gegenwart befreien, denn es liegt mir sehr viel daran, zu erfahren, in welchem Zustande meine Garderobe hier angekommen ist, und ob sie etwa unter der Reise hierher gelitten hat. Denn es sind vier Anzüge von feinstem Stoff und geschmackvollstem Schnitt dabei, außerdem sind meine gestickten Hemden darunter – Ihr werdet sicher verzeihen, wenn ich sogleich nachsehe, wie es damit steht.« Mit diesen Worten verließ er das Zimmer, und der Unterprior warf ihm einen vielsagenden Blick zu und flüsterte: »Wo Dein Schatz ist, da ist auch Dein Herz.« »Die heilige Jungfrau erhalte uns unsre fünf Sinne!« rief der gute Abt aus, der über den Wortschwall des Ritters fast den Verstand verloren hatte. »Wie kann bloß in dem Kopfe eines Mannes weiter nichts sein als seidne Kleider, Stickereien und der Himmel weiß, was für Plunder! Wie konnte bloß der Earl von Northumberland einen solchen Flederwisch zu seinem Vertrauten in lebenslänglichen Komplotten machen!« »Wenn er ein andrer Charakter wäre,« erwiderte der Unterprior, »so hätte er sich für die Rolle des Sündenbocks, zu der ihn allem Anschein nach der Earl für den Fall eines Mißlingens von vornherein auserlesen hatte, nicht so vortrefflich geeignet. Er ist weiter nichts als ein Stutzer. Aber wir haben nur mit den Folgen zu rechnen, die es für uns haben kann, wenn wir uns seiner annehmen. Welche Strafe könnte uns treffen, wenn man uns überführen könnte, daß wir einem Staatsverbrecher Obdach gewährt hätten? Es fänden sich wohl viele schottische Schmarotzer, die sich sogleich die Güter unsrer Stiftung erbetteln würden, und ein englisches Heer wäre sofort zur Stelle, unsern heiligen Bezirk mit Feuer und Schwert heimzusuchen. Wir müssen auf der Hut sein, und dürfen diesen Menschen, ich meine, den Sir Piercie Shafton, nicht in unsern Klostermauern beherbergen.« »Was sollen wir aber mit ihm tun?« erwiderte der Abt. »Sein Gönner, der Earl von Northumberland, war uns immer wohlgesinnt, er kann uns nützen und uns schaden, je nachdem wie wir mit seinem Verwandten umgehen.« »Laßt ihn hier bleiben,« erwiderte der Unterprior. »Der Ort hier ist entlegen und versteckt, und wenn er auch nicht seinem Stande gemäß bewirtet wird, so braucht er dafür auch weniger eine Entdeckung zu befürchten. Wir müssen eben dafür sorgen, daß er hier so gut wie möglich aufgehoben ist.« »Nun Wohl, Vater Eustachius, ich billige Deinen Vorschlag,« antwortete der Abt. »Wir werden ihm insgeheim Wein und Weißbrot schicken. Doch da kommt der Tafeldecker mit den Speisen. Ich muß gestehen, ich bin recht hungrig nach dem langen Ritte.« Siebzehntes Kapitel Gleich nach seinem Zwiste mit dem neuen Gaste Piercie Shafton hatte Halbert Glendinning den Turm von Glendearg verlassen. Als er mit rüstigen Schritten das Tal hinan schritt, kam ihm der alte Martin nach und bat ihn, ein wenig langsamer, zu gehen. »Halbert,« sagte der Greis, »Ihr werdet gewiß nicht so lange leben, bis Euer Haar weiß geworden ist, wenn Ihr gleich bei jeder Gelegenheit aufbraust.« »Und warum solchen Wunsch, guter Alter?« entgegnete Halbert, »soll ich die Zielscheibe sein, nach der jeder Narr seinen Pfeil ungestraft schießen darf? Was hast Du davon, Alter, daß Du läufst, schläfst und wachst, ißt und trinkst, und Dich dann auf Dein hartes Lager wirfst? Wie kanns Dich Vergnügen, daß Dich jeder Morgen zu des Tages Last und Mühen ruft, und Dich der Abend wieder an Dein dürftiges Lager holt? ... Wärs nicht besser, Du schliefest ein, um nicht wieder aufzuwachen, statt dieses ewigen Einerleis von Arbeit und Oede und Oede und Arbeit?« »Daß mir Gott helfe!« sagte Martin, »es mag wohl sein, wie Du sagst! aber laufe bloß nicht so geschwind! mit Deinen jungen Beinen kommen doch meine alten Beine nicht mehr fort.« »Vergiß doch nicht, daß wir Wild herbeischaffen sollen, um die fromme Sippschaft, die heut schon einen mehrstündigen Ritt hinter sich hat, zu stärken und laben. Und wenn wir nicht bis in die Heide von Brucksburn laufen, so wird sich wohl kaum ein Hirschkalb auftreiben lassen.« Nach einer Weile fragte er plötzlich: »Sage doch, Martin, findest Du nicht, daß ich seit einiger Zeit anders geworden bin?« »Das wohl,« versetzte Martin, »ich hab Euch immer gekannt als ungestüm, jäh und unbedacht, als rauh und zu hastiger, unbesonnener Rede geneigt; aber seit einiger Zeit hat sich Euer Wesen, wie mich bedünkt, geändert, ist kräftiger und ernster geworden, ohne an seinem natürlichen Feuer eingebüßt zu haben. Ich möchte fast sagen, Ihr seiet als roher Bursch schlafen gegangen und als feiner Herr erwacht.« »Was weißt denn Du von feinem Herrn, Martin?« fragte Halbert. »O, so manches, so manches!« erwiderte der Greis, »hab ich doch mit dem Ritter von Avenel, meinem lieben und guten Herrn, mehr als eine Reise gemacht in ferne Länder, und hab manche große und schöne Stadt gesehen, wenn er mir auch nicht mehr hat zeigen können, als Weideplätze von einem Hügel für etwa drei Dutzend Schafe. ... Aber, mir kommt doch vor, wenn ich so mit Euch rede, als redete ich gar nicht die rauhe Sprache unsers Nordens ... wie es kommen mag, kann ich mir freilich nicht erklären.« Halbert besann sich eben auf eine schickliche Antwort, da sprang ein Stück Wild über den Weg. Im Nu hatte der Jüngling die Armbrust angelegt, der Bolzen pfiff, und das Wild lag tot am Boden. »Da liegt der Wildbraten, wie ihn unsre Herrin braucht,« sagte Martin; »wer hätte sichs träumen lassen, daß sich ein Hirsch um diese Jahreszeit so weit ins Tal verlaufen würde? Und obendrein ein so fetter Hirsch – drei Finger dick ist der Speck auf dem Bruststück! Ihr habt doch wirklich Glück, Halbert, wo Ihr geht und steht. Wenn Ihr nur wolltet, Ihr könntet einer von den Hofjägern des Abtes werden.« »Still, guter Alter,« unterbrach ihn Halbert, »ich will einmal der Königin dienen, sonst keinem Menschen. Geh, bring das Wild in den Turm, man wartet dort darauf. Ich gehe jetzt nach dem Moor, vielleicht kann ich dort noch ein paar Hühner erlegen.« Während Martin mit der Beute nach Glendearg zurückkehrte, ging Halbert leichtern Herzens seines Weges, weil er sich nun wieder allein wußte. »Dienstmann eines Priesters!« murmelte er bei sich selber. »Ha! Wenn ich nicht einen Widerwillen gegen nächtliche Räubereien fühlte, weiß der Himmel, lieber zöge ich das Wams an, griffe zur Lanze und würde Grenzreiter! – Aber es muß etwas geschehen. Ich will nicht länger hier leben, daß sich jeder fremde Fant aus dem Süden über mich lustig machen kann, bloß weil er Sporen an den Stiefeln hat! Jenes Wesen aber, jene Erscheinung, muß ich noch einmal beschwören, komme, was da wolle. Seit ich diese Frau gesehen habe und ihre Hand mich berührt hat, sind in mir Gedanken und Empfindungen rege geworden, wie sie mir früher selbst im Traume nicht in den Sinn gekommen sind. Das Tal meines Vaters ist meinem hochfliegenden Geiste zu enge geworden, und ich will nicht das Gespött dieses flittrigen Hofnarren mir gefallen lassen, obendrein in Gegenwart von Mary Avenel! Nein, so will ich mich nicht erniedrigen!« So mit sich redend, kam er in das entlegne Tal von Corinan-Shian. Es war gerade die Mittagsstunde. Er stand ein Weilchen und blickte in die Quelle und fragte sich, wie ihm wohl diesmal die weiße Frau begegnen würde. Sie hatte ihm zwar nicht ausdrücklich verboten, sie nochmals zu beschwören, aber ihre Worte zum Abschied, mit denen sie ihm empfahl, auf einen andern Führer zu warten, hatten doch eine Art von Verbot in sich geschlossen. Halbert Glendinning konnte sich aber nicht länger bezwingen. Tollkühnheit war der vorstechende Zug seines Charakters, und diese Verwegenheit war, seit seine Gesinnung so vervollkommnet und umgewandelt worden war, eher noch ausgeprägter geworden, statt sich zu verringern. Er zog das Schwert, entledigte sich des rechten Halbstiefels, neigte sich dreimal vor der Quelle und dreimal vor der Stechpalme und sprach, wie er es das letzte Mal getan hatte, die Verse: Dreimal der Stechpalme hier, Dreimal dem Quell! Ich bitte Dich, erscheine mir, Weiße Maid von Avenel! Mittag schimmert aus dem Teich, Mittag glüht am Felsen grell, Erschein', erscheine allsogleich, Weiße Maid von Avenel! Bei den letzten Worten heftete er den Blick auf den Dornbusch, und Schaudern ergriff ihn, als er die Luft zwischen seinem Auge und der Stechpalme sich verdunkeln und sich zu der unklaren Erscheinung einer Gestalt verdichten sah, durch die aber – so dünn und durchsichtig war sie zuerst – das Gezweig des Strauches, wie durch einen feinen Schleier erkenntlich blieb. Allmählich nahm die Erscheinung mehr körperliche Form an, und mit zürnendem Angesicht stand schließlich die weiße Frau vor ihm. Sie redete, und immer noch sang sie, wenn sie sprach: Heut ist der Tag, das Volk der Feen Klagt, daß ihm kein Trost erscheint. Die Waldmaid stöhnt im Windeswehn, Die Meermaid in der Grotte weint: An diesem Tag ward ein Werk vollbracht, Doch haben wir nicht teil daran: Den Kindern des Staubs ward Erlösung gebracht, Doch für Meer- und Luftvolk ist nichts getan; Und um die Menschen ist es geschehn, Die uns am Freitagmorgen sehn. »Geist,« sagte Halbert Glendinning kühn, »es nutzt nichts, daß man einem droht, dem nichts mehr an seinem Leben liegt. Dein Zorn kann nur töten, aber ich glaube, Du wirst Deine Gewalt nicht so weit anwenden. Der Schrecken, mit dem Euer Geschlecht sonst die Menschen erfüllt, hat auf mich keine Wirkung. Verzweiflung hat mein Herz gegen Furcht gestählt. Wenn mein Geschlecht in der Tat, wie Deine Worte es andeuten, dem Himmel mehr wert ist als das Deine, nun, so kommt es mir zu, zu fragen, und Du hast zu antworten; denn ich bin das edlere Wesen.« Als er diese Worte sprach, sah die Erscheinung ihn wild und zornig an, und ihre Züge verzerrten sich sonderbar. Ihre Augen wurden kleiner und glühten feuriger, leise Zuckungen gingen über ihre Zuge, und die ganze Erscheinung glich jenen Wahngebilden, die eine durch Opium erhitzte Phantasie vorgaukelt, und die, so schön sie zuerst auch waren, bald, ohne daß wir es hindern können, in das Bizarre und Abenteuerliche ausarten. Allein, als Halbert zu Ende gesprochen hatte, stand die weiße Frau wieder so starr und wehmütig vor ihm, wie er sie zu sehen gewohnt war. Er war darauf gefaßt, daß die Gestalt in ihrem Zorne sich zu irgend einem grausigen Ungeheuer verwandeln würde, aber die Geistin kreuzte nur die Arme über die Brust und entgegnete: Kühner Jüngling, es ist Dein Glück, Daß unter meinem Zornesblick Dein Herz nicht zagte, Dein Mut nicht versagte; Es ist Dein Glück, Daß Du trotztest dem zornigen Blick Der Maid von Avenel! Hättst Du furchtsam Dich geduckt, Hätte die Wimper Dir gezuckt, Ja, das leiseste Beben, Es kostete Dir das Leben! Und bin ich gebildet aus Aetherblau, Und ist mein Blut ungefallner Tau, Und bist Du geschaffen aus Staub allein, Ist Dein doch die Frage, die Antwort mein. »Nun denn, so frage ich Dich,« begann der Jüngling, »sind meine Empfindungen und meine Bestrebungen so verwandelt worden, daß mir nichts mehr an der Jagd, an Hund und Bolzen gelegen ist, daß die Grenzen dieses Tales meiner Seele zu enge sind, daß mir das Blut siedend den Kopf durchbraust bei den kränkenden Worten eines Menschen, hinter dessen Pferd ich vor wenigen Tagen noch einen ganzen Vormittag hergelaufen wäre, um zu meiner Freude von einem so stolzen Ritter eines Wörtleins gewürdigt zu werden? Warum treibt es mich jetzt, mich zu Rittern, Fürsten und Edeln zu gesellen? Bin ich noch derselbe, der gestern noch in selbstzufriednem Dünkel verschlafen dahin lebte, und heute vor Ruhmsucht und Ehrgeiz mich nicht zu halten weiß? Sprich, wenn Du kannst – sage mir, was bedeutet diese gänzliche Umgestaltung? Stand ich bis jetzt unter dem Banne eines Zauberwortes, daß ich mich als ein andres Wesen empfinde, und daß ich trotzdem weiß, ich bin noch derselbe, der ich gewesen bin? Sprich! ist diese Verwandlung auf Deinen Einfluß zurückzuführen?« Die Weiße Frau entgegnete: Ein höherer Zauberer ist es fürwahr, Der mächtig alle Welt umfaßt; Sein ist im Wolkenmeer der Aar, Die Taube auf dem grünen Ast. Stets wandelbar, doch hoch und hehr, Lenkt er die Herzen nach Begehr, Zu Heil, zu Unheil hin und her In Hütte und Palast. »Rede nicht so unklar und dunkel!« sagte der Jüngling, dessen Antlitz, Nacken und Hände von tiefer Röte übergossen waren. »Sprich Deine Meinung deutlich und verständlich aus.« Der Geist antwortete: Frage Dein Herz, dessen innerste Zell' Voll ist von der Jungfer von Avenel! Frage, was Deinen Stolz verletzt, Wenn Marys Blick gering Dich schätzt. Frage, warum Du Dich erhebst, Nur nach Macht und Wissen strebst. Hassest Deinen niedern Stand Und verschmähst den alten Tand; Warum Du im blut'gen Streit Tod suchst oder bessre Zeit? Frag' Dein Herz, das sagt Dir schnell, Seufzend aus geheimer Zell': s' ist um die Jungfer von Avenel. »Sage mir also,« erwiderte Halbert, dessen Wangen noch immer hoch gerötet waren, »da Du mir Dinge gesagt hast, die ich mir selbst nicht zu sagen getraut hatte, wie soll ich meiner Leidenschaft Herr werden? wie soll ich sie entdecken?« Die weiße Frau antwortete: So darfst Du nicht fragen! Ich weiß nichts zu sagen; Wohl schaun wir zu, wie nimmer ruht Der Leidenschaften Ebb' und Flut; Schaun Euren alten Flittertanz, Wie sterbliches Auge des Nordlichts Tanz; Wenn tausend Wimpel in Flammenpracht, Rasch streifen über die Stirn der Nacht; Der Gaffer schaut ihr wechselnd Licht, Doch ihren Einfluß verspürt er nicht. »Und ist nicht, sofern sich die Menschen nicht sehr täuschen,« erwiderte Halbert, »Dein eignes Geschick mit dem Geschick der Sterblichen verknüpft?« Die Erscheinung erwiderte: Geheimes Band hält mit den Menschenkindern Verkettet unser zauberhaft Geschlecht, Der Stern, der aufging über Avenels Haus, Als Normann Ulrich sich den Namen gab, Der Stern in seines Kreislaufs höchstem Punkt Schoß einen Tropfen Demanttau herab, Und dieser Born empfing ihn – – und ein Geist entstieg der Quelle, dessen Lebenszeit Von gleicher Dauer ist mit Avenels Haus Und dessen Leitstern. »Sprich etwas deutlicher!« erwiderte der junge Glendinning, »davon verstehe ich nichts. Sag mir, was hat Deine zauberhafte Schicksalskette an das Haus Avenel geschmiedet? Sag mir vor allem: Welches Los ist diesem Hause beschieden?« Die weiße Frau antwortete: Schau meinen Gürtel, diesen Faden Gold, Dünn ist er, wie die reinste Sommerwebe, Und hält nicht mehr, kraft eines Zauberspruchs, Die Falten meines Kleids, wie fein sie sind. Als schwere Kette wand ich einst ihn um, Die jenen Judenkämpfer fesseln konnte, Als er das Haar am längsten trug – – sie schwand, Nahm ab an ihrer Kraft und Stärke, da Die Größe sank des Hauses Avenel. Bricht dieser schwache Faden, so erstatt ich Den Elementen ihren Lebensstoff. Frag mich nichts mehr davon – – der Stern verbeut's. Der Jüngling antwortete: »So kannst Du in den Sternen lesen? und mir das Schicksal meiner Neigung entdecken, wenn Du mir auch nicht beizustehen vermagst?« Die weiße Frau antwortete: Matt schimmert Avenels sonst heller Stern, Matt wie der Leuchtturm, wenn der Morgen naht. Ein Einfluß, fürchterlich und jammervoll, Drängt es zum Fall. Unsel'ge Leidenschaft, Haß, Mitbewerbung stehen im Aspekt. Der auf sein Glück sich senkt. »Mitbewerbung?« wiederholte Glendinning. »Also ist es, wie ich besorgte? Soll aber der englische Seidenwurm sich erfrechen dürfen, im Hause meines Vaters, angesichts von Mary Avenel, mich zu verhöhnen? Führe ihn mir in den Weg, Geist! Laß den hohlen Standesunterschied verschwinden, um dessen willen er sich weigert, sich zum Zweikampfe zu stellen! Heb uns auf gleiche Stufe, und ob die Sterne dann günstig oder ungünstig stehen, das Schwert meines Vaters wird ihren Einfluß aufwiegen.« Sie antwortete, und so schnell wie vordem: Klag mich nicht an, Geschöpf von Staub, Bleib ich bei Deinen Leiden taub: Schwebend hoch ob Eurem Stand, Ist Lieb und Haß uns unbekannt; Wie Weisheit oder Lust Dich lenkt, Hab ich Dir Wohl und Weh geschenkt. »Meine Ehre vergönne mir einzulösen!« rief Halbert Glendinning; »meinem stolzen Rivalen die Kränkung heimzuzahlen, die er mir zugefügt, vergönne mir, dann komme es, wie es wolle. Kann ich die Schmach nicht rächen, so will ich ruhig schlafen und nichts von meinem Unstern wissen.« Und wieder antwortete die Erscheinung: Wenn Piercie Shafton prahlt vor Dir, Dann laß ihn sehn dies Zeichen hier! Die Sonne sich gen Westen kehrt, Leb wohl, Dir ist Dein Wunsch gewährt. Dieweil sie diese Worte sprach oder sang, zog sie aus ihren Locken eine silberne Nadel und reichte sie dem Jüngling, dann schüttelte sie ihr Haar, daß es wie ein Schleier sie umwallte, und wie die wogenden Locken, so flossen die Umrisse ihrer Gestalt ineinander, und ihr Antlitz wurde bleich und unkenntlich wie der zunehmende Mond, und sie verschwand. Mit der Zeit gewöhnt man sich wohl an Wunder, aber der Jüngling erlitt, als er sich auf einmal an jener Stelle allein befand, wenn auch in schwächerem Grade, die seelische Erschütterung wieder, die er beim ersten Verschwinden der Erscheinung erlitten hatte. Ein schwerer Zweifel lastete auf seinem Herzen darüber, ob er die Gabe eines Geistes entgegennehmen dürfe, der selbst bekannt habe, nicht zu den Engeln zu gehören, und der allem Anschein nach auf einer weit niedrigern Stufe stand, als er selbst bekennen mochte. »Ich will mit Edward reden,« sprach er bei sich, »doch nein! er versteht sich freilich auf geistliche Dinge, aber er ist zu ängstlich und bedächtig. Ich will lieber zusehen, welche Wirkung die Gabe üben wird, wenn ich sie an Piercie Shafton versuche; und hieraus werde ich ja dann sehen, ob es mit Gefahr verknüpft ist, ihrem Rate zu folgen. ... Nach Hause! nach Hause! und bald wird es sich ja zeigen, ob dieses Haus mich noch länger fesselt. Denn Beleidigungen laß ich mir nicht mehr bieten, mit meines Vaters Schwert an der Seite und vor den Augen Marys von Avenel!« Ende des ersten Bandes Zweiter Band Erstes Kapitel Zur damaligen Zeit war es nicht Sitte, daß sich gewöhnliche Leute an den Tisch von Vornehmen setzten, und so blieben auch die Bewohner Glendeargs von der Tafel fern, die in dem alten Turmgemach für den Lord-Abt und sein Gefolge hergerichtet worden war ... und selbst wenn diese Sitte nicht bestanden hätte, so hätte die kirchliche Regel dem Klosterabt es untersagt, seine Mahlzeiten in Gemeinschaft mit Frauen einzunehmen. Indessen sprach der geistliche Herr den Wunsch aus, daß sie ihm ihre Gegenwart während des Essens schenken möchten, und er unterließ nicht, ein paar freundliche Worte über den gastlichen Empfang, den sie ihm bereitet hätten, an die Frauen zu richten. Die Hirschkeule dampfte schon auf der Tafel, dem Abt wurde nun mit tiefer Ehrerbietung von dem Tafeldiener eine Serviette unter das Kinn gebunden, und alles war zur Tafel bereit, bloß der Ritter fehlte. Aber endlich erschien auch er, strahlend wie die Sonne, in einem fleischfarbnen, reich mit silbernen Tressen bedeckten Wams und einem Hute nach der neusten Mode mit einem Rande aus ziselierter Goldschmiedsarbeit, um den Hals trug er ein goldnes, mit Rubinen und Topasen so reich besetztes Band, daß man sich die Sorge, die er um sein Gepäck getragen hatte, recht wohl erklären konnte. Dieses prächtige Halsband, das ihm, wie die Ordenskette des edlen Ritters, tief auf die Brust herniederhing, endigte in einem Medaillon von gleich hohem Werte. »Wir hatten gemeint, auf Sir Piercie Shafton warten zu sollen,« bemerkte der Abt, indem er sich eilig auf seinen Platz in den großen Sessel setzte, den ihm der Küchenmeister ebenso eilig an den Tisch rückte. »Gewähret mir, bitte, Verzeihung, hochwürdiger Vater und gnädigster Herr,« erwiderte diese Blume der Galanterie, »ich mußte bloß zuvor mein Reisekostüm ablegen, um vor einer Tischgesellschaft von so vornehmer Art in anständigerer Tracht zu erscheinen.« »Ich muß Euch um Eures feinen Taktes willen wirklich alles Lob zollen, Herr Ritter,« antwortete der Abt, »aber jetzt bitte ich doch, freundlichst Platz an unsrer Tafel zu nehmen.« Hierauf wandte er sich an den Unterprior: »Vater Eustachius, sprecht das Benedicite und schneidet den Braten an!« Der Unterprior gehorchte willig dem ersten Teil der Weisung, aber beim zweiten äußerte er das Bedenken, daß doch heut Freitag sei, und zwar, um es den Laien unverständlich zu lassen, auf lateinisch. »Wir sind ja doch auf der Reise,« versetzte der Abt, »und viatoribus licitum est [Die Reisenden sind (vom Fastenzwang) entbunden]. diese Regel kennt Ihr doch selbst ... wer auf Reisen ist, muß, sich nähren von dem, was ihm sein schweres Los beschert. Ich verstatte heute Euch allen, Fleisch zu essen, meine Brüder, unter der Bedingung, daß Ihr vorm Einschlafen das Confiteor betet, daß der Ritter nach Maßgabe seiner Verhältnisse ein Almosen spende, und daß Ihr alle Euch dafür an einem Tage des nächsten Monats, wenn es Euch paßt und bequem ist, des Fleisches enthaltet. Also jetzt eßt nach Herzenslust und ohne Bedenken! Tafeldecker, tut Eures Amts!« Und während er noch die Bedingungen, unter denen heute von den Fastenregeln Abstand genommen werden könne, auseinandersetzte, hatte er schon ein tüchtiges Stück von dem köstlichen Wildbraten verzehrt und mit einer ganzen Flasche Rheinwein hinuntergespült. »Die Tugend lohnt sich selbst, das ist doch ein wahrer Spruch,« sagte, vom Tafeldecker noch ein Stück Braten fordernd, der Klosterabt, »denn wie schlecht es auch mit der Kost heut bestellt und so geschwind sie auch zurecht gemacht worden ist, und so ärmlich der Raum auch sein mag, worin wir sie verzehren, so muß, ich doch sagen, daß ich mich lange keines solchen Appetits entsinnen kann wie heute. Höchstens, als ich noch einfacher Klosterbruder in der Abtei Dundrennan war und von früh bis abends im Garten arbeitete, hats mir so gut geschmeckt wie heute. Da bin ich immer mit wahrem Vergnügen in das Refektorium gegangen und habe von Herzen gern mit allem fürlieb genommen, was mir der Bruder Küchenmeister auf den Tisch setzte, gemäß der Regel; und Fest- und Fasttag, caritas oder poenitentia, machte mir keinen Unterschied aus. Damals wußte ich auch noch nichts von Magenbeschwerden, aber heut muß der Wein und eine bessere Küche für leichtere Verdaulichkeit der Speisen sorgen.« »Wenn Ihr von Zeit zu Zeit einen Ritt über den Klosterbann hinaus machen wolltet, heiliger Vater,« bemerkte der Unterprior, »dann täte das wohl die gleiche Wirkung auf Eure Gesundheit wie die Gartenluft in Dundrennan.« »Vielleicht ist es an dem, daß solcher Ritt gut bei uns anschlüge,« antwortete der Abt, »sofern wir besondre Acht darauf geben, daß unser Wild recht geschickt und behutsam erlegt wird von einem Weidmann, der Meister in seinem Gewerbe ist.« »Wenn mir der Lord-Abt nach dieser Hinsicht eine Bemerkung erlauben will,« nahm der Bruder Küchenmeister das Wort, »so wäre meines Dafürhaltens ein gutes Mittel, den Wunsch Eurer Herrlichkeit zu befriedigen, wenn Ihr geruhen wolltet, den ältesten Sohn dieser braven Witfrau, der Frau Glendinning, als Jäger und Forstadjunkt anzustellen. Ich verstehe mich recht wohl darauf, was dazu von nöten ist, ein Stück Wildbret kunstgerecht zu erlegen, daß es in keiner Weise für die Tafel an Wohlgeschmack verliert; und ich darf ebenso wohl sagen, daß ich noch mein Lebtag nicht solchen brillanten Bolzenschuß gesehen habe, und wohl auch kein andrer Coquinarius neben mir, wie diesen hier. Der Bolzen sitzt mitten im Herzen des Bockes. »Was schwatzt Ihr so viel von einem einzigen Schusse, Pater Küchenmeister, der mal gesessen hat?« bemerkte Sir Piercie Shafton; »ein Schuß macht ebenso wenig einen guten Schützen, wie eine Schwalbe noch keinen Sommer macht. Den jungen Menschen, von dem Ihr erzählt, habe ich wohl auch schon gesehen, muß, aber sagen, daß wenn der Pfeil seines Bogens immer so gut sitzt, wie die Spitze seiner Zunge, ich nicht das mindeste Bedenken trage, ihn für einen Bogenschützen zu halten, so gut, wie es Robin der Rote nur je gewesen.« »Nun,« entschied der Abt, »wir erachten es für das Beste, die Frau selbst in dieser Sache zu befragen, denn es wäre töricht von uns, sie auf irgend welche Weise zu übereilen, denn wie leicht können bei so etwas die Geschenke des Himmels verunstaltet und untauglich gemacht werden für menschlichen Gebrauch. ... So tretet denn vor, Frau Glendinning, und sagt uns als Eurem Lehnsherrn und geistlichen Oberhaupt, ohne Furcht und Hehl, schlecht und recht, da uns diese Angelegenheit sehr am Herzen liegt: versteht sich Euer Sohn wirklich so gut auf die Bedienung der Armbrust, wie uns der Pater Küchenmeister versichert?« »Mit Eurer Herrlichkeit Verlaub,« erwiderte die Frau, indem sie einen Knicks bis auf den Erdboden hinunter machte, »von Armbrust und Bogenschießen hab ich schon was ausstehen müssen! denn seht, mein guter Mann, der ist auf dem Blachfeld von Pinkie durch einen Bolzen getroffen worden, als er unter dem Kirchenbanner focht, wie es Pflicht und Schuldigkeit ist für einen Kirchenvasallen. Mit Verlaub, Eure Herrlichkeit, er war ein gar beherzter und rechtschaffner Mann, mein Mann, und bis auf das eine, daß er von Zeit zu Zeit mal gern einen Wildbraten aß und sich, wie es die Leute an der Grenze alle tun, dann und wann ein Stück Wild aus dem Walde holte, wüßt ich ihm keine Sünde nachzureden. Und doch hab ich noch immer keine Gewißheit, daß er aus dem Fegfeuer los ist, trotzdem ich schon weit über vierzig Schilling für Messen entrichtet und acht Scheffel Weizen und vier Metzen Roggen noch extra ans Kloster geliefert habe.« »Wir wollen Euren Fall sorgfältig untersuchen und feststellen lassen,« vertröstete sie der Abt, »und wenn Euer Mann, wie Ihr sagt, in einer kirchlichen Fehde und unter kirchlichem Banner gefallen ist, so könnt Ihr Euch schon darauf verlassen, daß wir ihn aus dem Fegfeuer erlösen werden. Vorausgesetzt natürlich, daß er wirklich drin steckt. Aber jetzt ist es nicht unser Wille, uns über Euern Mann mit Euch zu unterhalten, sondern über Euern Sohn haben wir um Auskunft gebeten. Nicht von einem erschossenen Kirchenvasallen wollen wir etwas von Euch hören, sondern von einem geschossnen Stück Kirchenwild. Und darum wiederhole ich meine Frage und fordre Euch auf, ohne Umschweife und ohne Rückhalt zu antworten: Ist Euer Sohn ein geübter Schütze oder nicht?« »Ach, Euer Hochwürden, um meinen Acker möchts besser bestellt sein,« erklärte die Witfrau, »wenn ich auf Eure Frage mit Nein antworten könnte. Aber das kann ich nicht, so gern ich es wollte! denn mein Halbert schießt mit Armbrust und Bogen, mit Büchse und Flinte gleich gut. Sofern es unserm ehrenwerten Gaste belieben sollte, seinen Hut im Abstande von hundert Ellen zu halten, so kann er sicher sein, daß ihn mein Halbert mitten durchschießt, den Hut natürlich. Doch darf sich der Herr nicht rühren, sondern muß fein still halten, dann will ich wetten um einen Malter Gerste, daß ihm mein Halbert nicht einen Faden von seinen Bändern streift. Hab ichs doch schon oft ausprobieren sehen von unserm alten Martin, und wenn sich unser ehrwürdigster Unterprior zu erinnern geruhen will, so wird er zugeben müssen, daß er es mit eignen Augen schon gesehen hat.« »So leicht werde ich es nicht vergessen, meine liebe Frau,« erwiderte Pater Eustachius, »wüßt ich doch nicht, was mich mehr in Staunen setzte, die sichere Ruhe des jugendlichen Schützen oder die Festigkeit und zuversichtliche Haltung des greisen Zieles, und deshalb möcht ich dem ehrenwerten Gaste, Sir Piercie Shafton, auch nicht raten, seinen kostbaren Kastorhut und seine noch kostbarere Person einem derartigen Wagestück auszusetzen, es sei denn, daß er ein ganz besonderes Vergnügen daran fände.« »Nicht im geringsten,« erwiderte mit einiger Hast Sir Piercie, »seid überzeugt, heiliger Vater, nicht im geringsten! Die Eigenschaften, für die sich Euer Ehrwürden interessieren, will ich ja dem Jungen durchaus nicht streitig machen. Aber Bogen sind Holz, und Sehnen sind Flachs, und Schützen Menschen, Finger können gleiten, Augen können irren, und ein Stockblinder kann das Ziel treffen, während der beste Schütze um Bogenlänge vorbeischießen kann. Drum meine ich, wir lassen alle gefährlichen Proben.« »Ganz nach Belieben, Sir Piercie,« erklärte der Abt. »Inzwischen wollen wir jedoch den jungen Mann zum Bogenschützen im Bereich unsrer Waldungen ernennen, soweit uns der hochselige König David deren zuerteilt hat, zu dem Zwecke, daß das Fleisch der Tiere des Waldes der armen Brüderschaft zugute komme.« »Knie nieder, Weib! knie nieder!« rief der Pater Küchenmeister, zugleich mit dem Tafelaufseher, der Witwe zu, »und küsse Seiner Herrlichkeit für die Deinem Sohn erwiesene Gnade die Hand!« Und nun stimmten sie, als sängen sie Messe und Responsa, ob der Segnungen solches Dienstes die folgende Litanei an: »Einen grünen Rock und ein Paar Lederhosen zu jedem Pfingsten,« sagte der Küchenmeister. »Und zu Lichtmeß vier Mark in bar!« sagte der Tafeldecker. »Auf Martini ein Oxhoft Doppelbier und Dünnbier, je nach dem Durste, sofern er sich mit dem Kellermeister gut steht.« »Der doch ein sehr verständiger Bruder ist und keinen eifrigen Klosterbeamten darben läßt,« setzte der Abt hinzu. »An jedem hohen Feiertag eine Schüssel Fleischbrühe mit einem Stück Rind- oder Hammelfleisch,« begann der Küchenmeister seine Litanei von neuem. »Und auf der Wiese Unsrer lieben Frau zwei Kühe und ein Reitpferd,« ergänzte sein Amtsbruder. »Alljährlich eine Ochsenhaut zu Stiefeln, um durch Dornen und Disteln zu laufen,« betonte ein andrer wieder. »Und noch mancherlei andre Akzidenzien, quae nunc praescribere longum« [über die vorher Worte zu verlieren zuviel Zeit rauben möchte], fiel der Abt ein, mit gebietender Stimme alle Emolumente oder Einkünfte eines klösterlichen Bogenführers summarisch zusammenfassend. Die ganze Zeit über lag Frau Glendinning auf den Knien und wiegte, einem Uhrwerk nicht unähnlich, das von zwei Riesen flankiert wird, das Haupt bald nach dem einen, bald nach dem andern der beiden Kirchendiener hin. Als nach einer Weile die beiden Diener schwiegen, küßte sie mit tiefer Demut die Hand des freigebigen Abtes. Da sie aber den unbeugsamen Charakter ihres ältesten Sohnes in manchen Dingen nur allzu gut kannte, unterließ sie es nicht, natürlich unter wiederholten Dankesversicherungen, der Hoffnung Ausdruck zu leihen, daß es ihrem Sohne auch recht sein und daß er Ja dazu sagen werde. »Was höre ich?« sagte, die Brauen finster zusammenziehend, der Abt, »recht sein? Ja sagen? ... Weib, ist etwa Dein Sohn verrückt?« Verwirrt durch den Ton, in welchem diese Worte fielen, konnte die Witwe keine Antwort finden, und hätte sie eine finden können, so hätte sie sich nicht verständlich machen können, denn die beiden Amtsbrüder, der Küchenmeister und der Tafeldecker, fingen alsobald ihre zweistimmige Litanei wieder an. »Was? Nicht annehmen?« sagte der Küchenmeister. Und der Tafeldecker wiederholte in noch verwunderterem Tone: »Nicht annehmen?« »Vier Mark jährlich nicht annehmen?« fragte der eine. »Doppel- und Dünnbier, Suppe und Rind- und Hammelfleisch nicht annehmen? Weide und Kühe und Reitpferd nicht annehmen?« schrie der Küchenmeister. Und der Tafeldecker ergänzte wiederum, verwunderter und lauter als der andre: »Rock und Hosen nicht annehmen?« »Eine kleine Weile Geduld, Brüder!« nahm der Unterprior das Wort, »verwundern wir uns nicht eher, als bis wir Ursache zur Verwunderung haben. Die brave Frau kennt Anlagen und Neigungen ihres Sohnes am allerbesten. Ich meinesteils kann nur sagen, daß dieselben auf Wissenschaft und Gelehrsamkeit nicht gerichtet sind, und daß ich mich vergeblich bemüht habe, ihm davon was beizubringen. Nichtsdestoweniger ist er ein junger Mann von ungewöhnlichem Geist, jedoch eher denjenigen ähnlich, nach meiner geringen Einsicht, die der Herr erweckt in einem Volke, wenn er ihm die Gnade erweisen will, es durch Kraft des Armes und Mut des Herzens zu befreien. Solche Menschen finden wir in der Regel mit einem unbesiegbaren Charakter ausgestattet, der gern für Geistesverstocktheit und Gleichgültigkeit gegen Bekannte und Freunde angesehen wird, bis sich endlich für sie eine Gelegenheit findet, dem Willen der Vorsehung gemäß das treffliche Rüstzeug für große Dinge zu werden.« »Du sprichst das rechte Wort zur rechten Zeit, Bruder Eustachius,« äußerte der Abt, »und wir wollen uns den jungen Mann erst mal ansehen, bevor wir über die Art seiner Anstellung das letzte Wort sagen. Was meint Ihr, Sir Piercie ist es nicht Brauch bei Hofe, den Mann für das Amt, nicht aber das Amt für den Mann in Aussicht zu nehmen?« »Mit Verlaub, Euer Ehrwürden,« nahm der Ritter aus Northumberland das Wort, »in gewisser Hinsicht möchte ich dieser Rede Eurer Weisheit beipflichten. Immerhin würden wir, bei aller Hochachtung vor dem Unterprior, nach tapfern Volksführern doch wohl nicht in der Volkshefe suchen. Ich will ja gelten lassen, daß sich in dem jungen Menschen ein paar Funken kriegerischen Geistes finden mögen, aber nur selten fand ich bisher, daß sich Anmaßung und Hochmut zuletzt durch Tat und Handlung gleichen. Jedenfalls genügt das nicht, um einen jungen Menschen von solch niedriger, beschränkter Sphäre auszuzeichnen, denn so wenig wie der Glühwurm, der sich im Wiesengrase allerliebst ausnimmt, oben im Leuchtturm am Platze wäre, so wenig wird solcher Jüngling sich bewähren auf der Höhe der menschlichen Gesellschaft.« »Gut, gut!« sagte der Unterprior, »da kommt der junge Jägersmann, um für sich selbst einzutreten.« Durch das gegenüberliegende Fenster konnte er Halbert sehen, wie er gerade den kleinen Berg, auf dem der alte Turm stand, emporstieg. »Ruft ihn vor unser Angesicht,« sprach der Lord-Abt, und gehorsam eilten die beiden diensttuenden Leute hinaus. Zu gleicher Zeit verschwand auch Frau Glendinning aus der Stube, einmal in der Absicht, ihrem Sohne Gehorsam gegen den Willen des Abtes ans Herz zu legen, zum andern Mal weil es ihr nicht gefallen mochte, daß der Sohn in der gewöhnlichen Alltagstracht vor dem Abte erscheine. Aber Küchenmeister und Tafeldecker hatten bereits den Jüngling unter den Armen gefaßt und brachten ihn im Triumph in das Gemach hinein, so daß der Witwe nur noch übrig blieb, sich mit dem Ausrufe zu entschuldigen: »Des Herrn Wille geschehe! hätte doch mein Junge bloß seinen Sonntagsstaat an!« Aber so unbedeutend dieser Wunsch an sich war, so fand er doch vor dem Schicksal keine Gnade, denn Halbert Glendinning wurde in seiner Werkeltracht vor den Abt geleitet; immerhin kam in seiner Erscheinung ein gewisses Etwas zum Ausdruck, das von der Gesellschaft Achtung für sich forderte, in die er so ohne alle Umstände eingeführt wurde, trotzdem die meisten geneigt waren, ihn mit Hochmut, wenn nicht mit unbedingter Verachtung zu betrachten. Zweites Kapitel Bevor wir fortfahren, dieses Zusammentreffen des Abtes vom Sankt Marien-Kloster mit Halbert Glendinning in einer für den Lebenslauf des letztern so entscheidungsvollen Stunde zu schildern, müssen wir ein paar Worte über seine Gestalt und seine Aufführung einflechten. Halbert stand nun in seinem neunzehnten Lebensjahre. Er war behend und schlank, nicht stark, aber von jenem muskulösen Gliederbau, der bei voller Ausgewachsenheit und richtiger körperlichen Ausbildung große Stärke erwarten läßt. Er war streng ebenmäßig gebaut und besaß gleich vielen Männern, die sich solchen Vorzugs erfreuen, eine angeborne Grazie und Gewandtheit im Auftreten, die nicht zuließ, daß man seine Körpergröße, die volle sechs Fuß betrug, als das hervorragendste Moment seiner Erscheinung ins Auge faßte. Diese außerordentliche Größe im Verein mit dem vollkommenen Ebenmaß seiner Gestalt und der edlen Grazie seiner Haltung gaben dem jungen Glendinning ganz unbedingte Vorteile selbst vor dem Ritter Piercie Shafton, der von Figur kleiner war und dessen Gliederbau, wenn auch im einzelnen tadellos, doch im ganzen nicht das gleiche schöne Verhältnis aufwies. Anderseits hatte der Ritter durch seine chevalereske Haltung einen nicht unbedeutenden Vorteil vor dem jungen Schotten voraus, den er auch an Regelmäßigkeit der Züge und an Glanz der Haut übertraf. Die Züge des jungen Schotten waren mehr kräftig als schön gezeichnet, und die rot und weiße Färbung seiner Haut war durch den Einfluß von Luft und Himmel in völliges Nußbraun gewandelt, das nun Wangen, Nacken und Stirn gleichmäßig färbte, nur vielleicht auf letzterer noch um einige Grade tiefer glühte. Für den wirkungsvollsten Teil seines Antlitzes mußte man seine Augen halten, die groß waren und tiefnußbraune Färbung aufwiesen, aber in Augenblicken seelischer Erregtheit in einem so ungewöhnlichen Glanze funkelten, daß man tatsächlich den Eindruck gewann, als ob sie Licht ausstrahlten. Auch sein Haar wies dunkelbraune Färbung auf und war von Natur zu dichten Locken gekräuselt, die seine Gesichtszüge noch lebensvoller erscheinen ließen und einen weit kühnern und regern Geist verrieten, als sein sonstiges Wesen, das einen Eindruck von Blödigkeit und Unbeholfenheit machte, auf den ersten Blick erwarten ließ. Der Anzug, den der Jüngling trug, war auch nicht so beschaffen, daß er sein Wesen hätte anmutiger erscheinen lassen können. Die Jacke und Beinkleider, die er trug, waren von grobem Bauerntuch und ebenso auch seine Mütze. Um den Leib trug er einen Gurt, dessen Aufgabe war, das breite große Schlachtschwert zu tragen, von dem schon wiederholt die Rede gewesen ist, sowie etwa ein halbes Dutzend Pfeile und Bolzen und ein breites Messer mit Griff aus Hirschhorn, das für einen Dolch galt und an der rechten Seite steckte. Damit wir seinen Anzug vollständig schildern, sei noch der weiten Stiefel aus Hirschleder gedacht, die sich bis ans Knie heraufziehen oder bis auf die Waden niederfallen ließen, je nachdem es dem Träger paßte. Wer zu damaliger Zeit viel der Jagd oblag, dem waren solche Stiefel wegen der vielen Dickichte, durch die der Weg im Walde führte, unentbehrlich. Schwieriger fällt es, zu schildern, wie sich die Seele des jungen Glendinning Ausdruck durch die Augen schuf, als er sich so unvermuteterweise Personen gegenüber sah, die er von frühester Jugend mit Ehrfurcht zu behandeln gelehrt worden war. Aus seiner Haltung sprach ein gewisser Grad von Verlegenheit, doch lag in derselben weder ein knechtischer Sinn, noch eine auffällige Verwirrtheit. Sie war vielmehr nicht größer, als sie sich für einen Jüngling schickt, der mit Hochherzigkeit und Freimut einen kühnen Geist verbindet, aber nicht über das geringste Maß von Lebenserfahrung gebietet, und zum ersten Male sich in einer solchen Gesellschaft befindet und unter solchen für ihn doch recht ungünstigen Verhältnissen zum ersten Male selbständig denken und handeln soll. In seinem ganzen Benehmen kam nicht der geringste Grad von Voreiligkeit oder Schüchternheit zum Ausdruck. Er kniete nieder und küßte dem Abte die Hand, dann richtete er sich auf, trat ein paar Schritte zurück und verneigte sich respektvoll vor der versammelten Gesellschaft, ließ ein weiches Lächeln auf seine Lippen treten, als ihn ein ermutigender Blick aus den Augen des Unterpriors traf, und errötete, als er Mary Avenels besorgten Blicken begegnete, die der Prüfung, die ihr Pflegebruder bestehen sollte, mit einem gewissen Grade von Bangigkeit entgegensah. Er faßte sich aber bald, die Ergriffenheit infolge des Blickes aus diesem Mädchenauge schwand, und nun stand er gelassen und ruhig da und harrte der Anrede des Lord-Abts. Sichtlich machte er auf die geistlichen Herren einen günstigen Eindruck. Der Abt blickte um sich und tauschte mit seinem Berater, dem Pater Eustachius, einen befriedigenden Blick des Einverständnisses, wenngleich die Anstellung eines Forstadjunkten oder Bogenführers schwerlich zu jenen Dingen gehörte, bei denen er auf den Rat seines Unterpriors zurückgreifen mußte. Allein der günstige Eindruck, den die äußere Erscheinung des Jünglings machte, legte es ihm näher, sich zu dem Funde einer für solchen Posten so trefflich geeigneten Persönlichkeit zu gratulieren, als daß er sich zu andern Regungen hätte bestimmt fühlen sollen. Pater Eustachius empfand jene Freude, die in ein freundlich besaitetes Gemüt einzieht, wenn es sich dem Glück eines jungen Menschen gegenüber fühlt, denn da er dem Jüngling seit jenem Wechsel der Umstände, die in seine Anschauungen und sein Wesen solche Wandlung gebracht hatten, nicht mehr begegnet war, hegte er nicht den mindesten Zweifel, daß ihm das Amt eines Forstadjunkten im Dienste des Klosters als ein Glück erscheinen werde. Dem Küchenmeister sowohl als dem Tafeldecker gefiel der Jüngling dermaßen, daß sie zu meinen schienen, Sold und Einkünfte, Portionen, Weide, Rock und Hosen hätten keinem Bessern angeboten werden können, als dem Jüngling mit der muntern, lebensvollen Gestalt, die jetzt vor ihnen stand. Im Gegensatze zu ihm schien Sir Piercie das Interesse an dem Jüngling, vielleicht weil er zu tief in seine persönlichen Betrachtungen versenkt war oder auch, weil er den Gegenstand nicht für bedeutend genug hielt, sich mit ihm zu befassen, nicht zu teilen. Die Augen halb geschlossen, die Hände verschränkt über der Brust haltend, saß er da, wie in weit tiefere Betrachtungen versunken, als sich aus der gegenwärtigen Szene schöpfen zu lassen schienen. Indessen war, trotz der scheinbaren Versunkenheit und Zerstreutheit, ein Zug von Eitelkeit aus der Haltung des Ritters nicht verschwunden, wenigstens nahm er eine galante Stellung nach der andern an, wenn er sie auch vielleicht nur allein in diesem Sinne auffaßte, und heftete pausenweis verstohlene Blicke auf die Damen der Gesellschaft, in der Absicht, sich Gewißheit darüber zu verschaffen, inwieweit es ihm glückte, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, die von diesem Teile in weit höherm Maße den wenn auch nicht so regelmäßigen, aber um so energischeren und männlicheren Zügen Halberts geschenkt wurde. Von den zur Glendearger Familie gehörigen Frauen war allein die Müllerstochter in der angenehmen Stimmung, die Posituren, in die der Ritter sich setzte, mit Muße zu betrachten, beziehungsweise zu bewundern; denn Mary von Avenel und Frau Glendinning sahen mit ängstlicher Besorgnis der Antwort entgegen, die von Halbert auf das Erbieten des Abtes erteilt werden würde, und erwogen voller Furcht die Folgen, die sich aus seiner etwaigen Weigerung, darauf einzugehen, für ihn und sie alle ergeben möchten. Ganz anders als Halbert benahm sich der jüngere Bruder Edward. Von Natur schüchtern, um nicht zu sagen blöde und scheu, hatte er bislang so gut wie unbeachtet in einer Ecke des Raumes gestanden, und der Abt, übrigens erst infolge einer unmittelbaren Anregung seines Unterpriors, hatte sich nur flüchtig bei ihm erkundigt, wie weit er im »Donat« und im »Promptuarium Parvulorum« [lateinische Schulbücher der damaligen Zeit] vorgedrungen sei, ohne die Antwort des jungen Burschen übrigens abzuwarten. Aus diesem Winkel hatte sich nun Edward an die Seite des Bruders geschlichen und sich hinter ihn postiert, dann verstohlen mit der linken Hand nach seiner rechten gegriffen und ihm durch einen sanften Druck, den der andre gleich kräftig und frisch erwiderte, zu verstehen gegeben, daß er Anteil an der Lage nehme, in die er durch den Zufall geraten sei, und daß er willens sei, das Los, das ihn treffen werde, mit ihm zu teilen. In dieser Weise hatte die Gesellschaft sich gruppiert, als der Abt nach einer Pause von ein paar Minuten, die er brauchte, um behaglich seinen Becher auszuschlürfen, sich mit geziemender Würde anschickte, seinen Antrag zu stellen. »Mein Sohn,« hub er an, »wir, Euer rechtmäßiger Oberherr, und nach Gottes Willen und Beschluß Abt der Brüderschaft zur heiligen Jungfrau, haben von Euren mancherlei ... hm, hm ... geschickten Fähigkeiten, vornehmlich das Weidwerk anbelangend, Kunde erhalten, insonderheit von der echt jagdgerechten Weise, wie Ihr das Wild zu schießen versteht, ehrlich und recht, wie es sich für einen redlichen Freisassen schickt, ohne des Himmels Gaben und Geschenke zu mißbrauchen durch Schädigung des Fleisches, wie dies von seiten nachlässiger Jäger so häufig geschieht, ... hm, hm!« Der Abt machte eine Pause, fuhr aber, als er wahrnahm, daß sich Halbert Glendinning, statt zu antworten, mit einer Verbeugung begnügte, in seiner Ansprache fort wie folgt: »Mein Sohn, Eure Bescheidenheit finden wir löblich, nichtsdestoweniger ist es unser ausdrücklicher Wunsch, daß Ihr Euch frei und unbehindert äußert zu der Beförderung, die wir Euch zugedacht haben, zu dem Amt eines Bogenführers und Forstadjunkten über sämtliche Jagden im Forste, mit denen unser Kloster ausgestattet worden ist durch Schenkungen frommer Könige und Adeliger, deren Seelen jetzund die Früchte ihres Edelmuts gegen die Kirche in wahrer Himmelsfreude genießen, wie auch über all jene andern Jagden und Forste, die uns nach dem ausschließlichen Eigentumsrecht auf alle Zeiten gehören. So kniee denn nieder, mein Sohn, auf daß wir Dich eigenhändig und ohne Zeitverlust in Dein Amt einweihen können.« »Kniee nieder!« sagte der Küchenmeister auf der einen und sagte zugleich der Tafeldecker auf der andern Seite des Abtes. Halbert Glendinning jedoch blieb stehen. »Wollte ich Euer Hochwürden und Herrlichkeit meine Dankbarkeit und Erkenntlichkeit bezeugen,« nahm nun er das Wort, »so läge der Boden nicht tief genug für mich zu knieen, und die Zeit wäre nicht lang genug, Euch meine Demut zu bezeugen. Allein ich kann weder das eine noch das andre tun, denn ich darf die Belehnung mit Eurer edlen Gabe nicht entgegennehmen, Mylord und Abt, weil ich bereits andre Entschlüsse, mein Glück in der Welt zu suchen, gefaßt habe.« »Was sind das für Reden, Freund?« versetzte, die Stirn runzelnd, der Abt: »habe ich richtig verstanden, was Ihr sagtet? Ihr, als Vasall unsers Klosters geboren, könntet in dem Augenblick, da ich Euch solch großmütiges Zeichen meines Wohlwollens gebe, statt in meine Dienste in fremde treten wollen?« »Mylord und Abt,« nahm Halbert Glendinning wieder das Wort, »es schmerzt mich, denken zu müssen, daß Ihr mich für fähig halten werdet, Euren liebreichen Antrag für gering zu achten oder fremden Dienst dem Eurigen vorzuziehen. Nein, Mylord und Abt, Euer edler und großmütiger Antrag beschleunigt nur die Ausführung eines Entschlusses, den ich schon seit langer Zeit in meinem Herzen gefaßt habe.« »Wirklich, mein Sohn?« erwiderte der Abt; »ei, Du hast ja beizeiten gelernt, Dich über den Rat derjenigen Personen hinwegzusetzen, von denen Du von Rechts wegen abhängig bist. Aber wie steht es denn im Grunde um den Entschluß, den Du in Deiner eignen Weisheit gefaßt hast?« »Mein Entschluß, heiliger Vater, geht dahin, allen Anteil, der von dem durch meinen Vater Simon Glendinning hinterlassenen Lehen mir gehört, an meine Mutter und meinen Bruder abzutreten, an Eure Herrlichkeit die demütige Bitte zu richten, Ihr möget beiden ein so gütiger und edelmütiger Oberherr bleiben, wie bisher und wie es Eure Vorgänger, die würdigen Aebte des Liebfrauenklosters, meinem im Kampfe für klösterliche Interessen auf dem Blachfeld gebliebenen Vater immer gewesen sind, und was dann mich Persönlich angeht, mein Glück auf dem besten Wege, der sich mir öffnet, zu versuchen.« Von mütterlicher Besorgnis gequält und angefeuert, wagte hier die Witwe das Schweigen, das sie bisher gewahrt hatte, zu brechen durch den Ausruf: »O, mein Sohn! mein Sohn!« und Edward, der sich an den Bruder klammerte, flüsterte ihm ängstlich zu: »Aber, Bruder! Bruder!« Der Unterprior meinte auf grund der Teilnahme, die er der Glendearger Familie allezeit bewiesen hatte, zu Worten herben Tadels berechtigt zu sein und sprach in strengem Tone: »Eigenwilliger Jüngling! welcher törichte Sinn kann Dich bestimmen, die Hand von Dir zu stoßen, die sich Dir zur Hilfe entgegenstreckt? Welches Ziel schwebt Dir vor, daß Du ein Anerbieten verächtlich von der Hand weist, das Dir eine anständige Stellung und unabhängige Zukunft sichert?« »Vier Mark jährlich auf den Tag!« bemerkte, zu seiner Litanei wieder ansetzend, der Küchenmeister. »Viehweide, Rock und Beinkleid!« setzte der Tafeldecker hinzu. »Still, meine Brüder!« sagte der Unterprior. »Eure Herrlichkeit möchte ich aber bitten, dem eigenwilligen Jüngling einen Tag zur Ueberlegung zu vergönnen. Ich will dann versuchen, ihn eines Bessern darüber zu belehren, was er auf solches Anerbieten seines Lehnsherrn seiner Familie und sich selbst schuldig ist.« »Eure große Güte, ehrwürdiger Vater, verpflichtet mich zu außerordentlichem Dank, ist sie doch die Fortsetzung einer ganzen Reihe von Wohltaten, deren sich unsre Familie von Eurer Seite zu erfreuen gehabt hat, Wohltaten, denen ich nicht das geringste als Gegenleistung zu bieten habe. Es ist das Mißgeschick, das sich an meine Fersen heftet, und nicht Eure Schuld, hochwürdiger Herr, wenn Eure Absicht vereitelt wird. Aber mein gegenwärtiger Beschluß steht fest und ist unwandelbar. Ich kann also den gütigen Antrag des Lord-Abtes nicht annehmen, denn mein Los ruft mich auf eine andre Stätte, wo ich entweder mein Leben anders gestalten oder beschließen werde.« »Bei der heiligen Jungfrau,« rief der Abt, »ich glaube, diesen jungen Menschen hat die Tarantel gestochen? oder er ist wirklich, wie Ihr vorhin sagtet, Herr Ritter Piercie, für solche Auszeichnung untauglich. Sagt mir doch, habt Ihr etwa seine verkehrte Art schon früher gekannt, als es uns beschieden ist, sie kennen zu lernen?« »Nein, nein, Mylord-Abt,« versetzte der Ritter mit der von ihm bei solchem Anlaß immer sehr geschickt gespielten Gleichgültigkeit, »ich taxiere ihn einzig und allein nach seiner Herkunft und Erziehung, denn aus einem gemeinen Habichtsei wird wohl nie ein Edelfalke herauskommen.« »Du bist selbst ein gemeiner Habicht!« rief dem Ritter der Jüngling zu, ohne sich einen Augenblick zu besinnen. »Solche Rede in unsrer Gegenwart solchem vornehmen Herrn?« sprach der Abt, indem ihm das Blut die Wangen purpurn färbte. »Jawohl, hochwürdigster Herr,« erwiderte Halbert, »gerade in Eurer Gegenwart will ich diesem stattlich herausstaffierten Musje den Schimpf heimzahlen, den er in so grundloser Weise auf meinen Namen gehäuft hat. Ich bin solche Abfindung schon allein meinem braven Vater schuldig, der es durch seinen Tod in der Schlacht wahrlich nicht verdient, von solchem Hansdampf in seiner Ehre gekränkt zu werden.« »Unerzogener Knabe!« rief der Abt. »Hochwürdigster und gnädigster Herr Abt,« wandte sich der Ritter an den geistlichen Würdenträger, »werdet, bitte, diesem Bauernbub nicht böse! Und was meine Person in diesem Falle anbetrifft, so darf ich Euch versichern, daß eher der Nordwind einen Felsen aus seinen Grundfesten heben wird, als daß den Ritter Piercie Shafton irgend welches Wort aus solches Bauernflegels Munde, und sei es noch so flegelhaft, in seiner Ruhe zu stören vermöchte.« »So stolz Ihr auch tut, Herr Ritter,« erwiderte Halbert, »so solltet Ihr in Eurer eingebildeten Ueberlegenheit doch nicht allzu fest darauf bauen, daß Ihr absolut nicht verwundbar seiet.« »Von Deiner Seite,« entgegnete der Ritter, »kann mich nichts verwunden!« »Nun, kennst Du dieses Zeichen?« rief der junge Glendinning, indem er dem Ritter die silberne Nadel vor Augen hielt, die ihm die weiße Frau gegeben hatte. Solch jähen Uebergang aus einer Stimmung in die andre, wie sie sich jetzt bei dem Ritter vollzog, der aus dem Stadium hochmütigsten Frohsinns in das der unsinnigsten Leidenschaftlichkeit verfiel, dürfte noch kaum erlebt worden sein. Er erinnerte in diesem Augenblick an zwei Kanonen, von denen eine geladen in der Schießscharte steht, die andre von der Lunte unter Feuer gesetzt wird. Bebend vor Wut an allen Gliedern, stand er da wie außer sich, während in seinem vom Grimm verzerrten Gesicht ein Grad von Wildheit zum Ausdruck gelangte, der ihm mehr mit einem Besessenen als einem mit seinen fünf gesunden Sinnen ausgestatteten Menschen Ähnlichkeit gab. Er ballte die Fäuste, streckte sie weit vor sich und hielt sie dem jungen Glendinning vor die Augen, der über solchen Ausbruch von Wahnwitz und Raserei selbst ganz außer sich geriet. Auf einmal aber zog Sir Piercie die geballten Fäuste wieder an sich, gab sich mit der offnen Hand einen Schlag vor die Stirn und rannte im Zustande maßlosester Erschütterung aus dem Gemache. Dies alles geschah so plötzlich, daß sich kein Mensch hineinzumischen vermochte. Nach dem Verschwinden des Ritters trat auf einen Moment vollständige Stille ein. Dann wurde allseitig die Forderung laut, daß Halbert Glendinning ohne Säumen erklären solle, wie er imstande gewesen sei, eine so unbedingte Wandlung in dem Betragen des Ritters mit solcher Plötzlichkeit zu bewirken. »Ich habe nichts weiter mit dem Ritter gemacht,« antwortete er, »als was Ihr gesehen habt. Soll ich Rede und Antwort stehen für seine wunderlichen Grillen?« »Knabe,« entgegnete der Abt in dem strengsten Tone, den seine Würde ihm lieh, »mit dergleichen Ausflüchten wirst Du bei mir keinen Erfolg haben. Sir Piercie ist kein Mann, der sich durch eine augenblickliche Laune dermaßen aus der Fassung bringen ließe. Du allein bist die Veranlassung dazu gewesen, Du mußt also Aufklärung geben können über den Fall. Ich befehle Dir, mir auf der Stelle zu sagen, wie Du unsern Freund in solcher Weise aufzuregen vermochtest. Wir dulden nicht, daß unsre Gäste in unsrer Gegenwart durch unsre Vasallen in solche an Wahnsinn streifende Aufregung versetzt werden, während wir selbst nicht einmal die Mittel kennen, wodurch solches bewerkstelligt wurde.« »Bei meinem Leben, heiliger Vater,« rief Halbert Glendinning, »ich habe dem Ritter weiter nichts gezeigt, als dieses Ding hier,« erwiderte Halbert, indem er die Nadel dem Abte übergab, der sie mit aufmerksamen Blicken betrachtete und dann mit Kopfschütteln, ohne jedoch ein Wort hinzuzusetzen, dem Unterprior einhändigte. Pater Eustachius betrachtete das geheimnisvolle Ding ebenfalls auf das aufmerksamste, dann sprach er ernst und gemessen zu Halbert: »Junger Mann, sofern Du in dieser Sache nicht eines merkwürdigen Betruges verdächtig bleiben willst, so laß uns unverzüglich wissen, auf welche Weise Du in den Besitz dieses Gegenstandes gelangt bist, und wie es kommt, daß es auf den Ritter von solch merkwürdigem Einfluß ist?« Es wäre bei dem zur damaligen Zeit herrschenden Aberglauben eine sehr schlimme Sache für Halbert gewesen, wenn er auf solche verfängliche Frage die Antwort hätte verweigern, noch schlimmer aber, wenn er die Wahrheit hätte sagen wollen. Wäre er zu unsrer Zeit mit dem schlimmen Rufe eines gemeingefährlichen Lügners weggekommen, so wäre ihm damals der Brandpfahl im Falle, daß er die Wahrheit gesagt hätte, unbedingt sicher gewesen, während er sich, wollte er die Auskunft weigern, der peinlichen Befragung hätte versehen können. Zum Glück erlöste ihn die Rückkehr des Ritters aus dieser höchst gefahrvollen Lage. Derselbe hatte die Worte des Priors bei seinem Eintritt noch vernommen, und ohne abzuwarten, ob und was Halbert noch etwa antworten werde, flüsterte er diesem im Vorbeigehen zu: »Schweig! Die gewünschte Genugtuung soll Dir nicht vorenthalten bleiben.« Hierauf setzte er sich wieder auf seinen Platz, und wenngleich die Spuren seiner Verwirrung noch immer auf seiner Stirn zu lesen standen, so hatte er sich allem Anschein nach wieder gefaßt und beruhigt und entschuldigte sich, nachdem er sich umgesehen hatte, wegen des unmanierlichen Verhaltens, dessen er sich schuldig gemacht hatte, das er aber einem plötzlichen Unwohlsein heftiger Art, von dem er öfter einmal befallen werde, zuschrieb. Alle schwiegen und sahen einander voll Verwunderung an. Der Abt hieß nun alle bis auf den Ritter und den Unterprior das Gemach verlassen. »Habt acht auf den eigenwilligen Jüngling,« schärfte er den Klosterbrüdern ein, »daß er uns nicht entrinne, denn sofern er durch Zauberwerk oder auf irgend welche andre, wider kirchliches Recht verstoßende Weise der Gesundheit unseres vornehmen Gastes zu nahe getreten sein sollte, so schwöre ich bei dem Chorhemd und der Inful, die ich trage, daß er maßlose Strafe erleiden soll.« »Gnädiger Herr und hochwürdiger Vater,« sagte Halbert, indem er sich tief verneigte, »fürchtet nicht, daß ich gesonnen sei, mich dem Gericht zu entziehen, wenn es sein Urteil sprechen sollte über mein Tun und Lassen, hoffentlich wird Euer Gast selbst angeben können, was ihn in solche Unruhe versetzt hat, wie auch mir Zeugnis ausstellen darüber, wie gering meine Schuld bei dem ganzen Vorfall ist.« »Sei ohne Sorge,« erwiderte, ohne jedoch aufzublicken, der Ritter. »Ich werde dem Lord-Abt Erklärungen zufriedenstellender Art geben.« Nach diesen Worten zog sich die Familie Glendearg mit Halbert und den Klosterbrüdern zurück. Der erste, welcher das Wort ergriff, als der Abt allein war mit dem Ritter und dem Unterprior, war der letztere. »Klärt uns darüber auf, edler Herr,« begann er, »auf welche Weise dieses gebrechliche Ding im stande hat sein können, Euer Gemüt so aufzuregen und Eure Geduld so zu erschöpfen, was uns um so mehr befremden muß, als Ihr Euch doch gegen jede Herausforderung des eigentümlichen Jünglings so gänzlich unnahbar erwieset?« Der Ritter nahm die silberne Nadel aus der Hand des frommen Paters, beaugenscheinigte sie mit großer Ruhe und gab sie hierauf dem Prior mit den Worten wieder: »Ich muß mich wirklich wundern, ehrwürdiger Vater, daß die mit Eurem Silberhaar verbundne Weisheit auf falscher Fährte, entschuldiget bitte diesen Vergleich, anschlagen kann wie ein kläffender Hund. Ich müßte ja leichter in Bewegung zu versetzen sein wie Espenlaub im Windeshauch, wenn solche Lappalie mich aus der Fassung bringen sollte. Ich schere mich, das dürft Ihr mir glauben, hochwürdige Herren, nicht mehr darum, als wenn dieselbe Menge Silber zu Groschen geschlagen würde. Die ganze Sache liegt bloß an einer schweren Krankheit, der ich von Kindheit an unterworfen bin und die mich eben wieder vor Euren Augen befallen hat. Aber so qualvoll das Leiden auch ist, es geht glücklicherweise, wie Ihr ja selbst seht, schnell vorüber.« »Alles, was Ihr uns da sagt, Herr Ritter, kann den Jüngling nicht entschuldigen, der Euch dieses silberne Spielzeug in der Absicht, Euch an etwas, und wie wir annehmen müssen, etwas recht Unangenehmes, zu erinnern, vor Augen hielt,« bemerkte der Unterprior, sich niedersetzend. »Euer Ehrwürden mögen meinen, was Euch beliebt,« versetzte der Ritter. »Ich kann doch deshalb nicht Euch zu Liebe sagen, daß Ihr mit Eurem Urteil Euch auf der richtigen Fährte befändet, wenn es doch die falsche ist. Es liegt mir doch wohl nicht die Verpflichtung ob, Rechenschaft über das Beginnen eines naseweisen jungen Menschen zu geben?« »Keinesfalls wollen wir eine Untersuchung weiter ausdehnen,« erwiderte der Unterprior, »die unserm Gaste mißfällt. Immerhin kann aus diesem Vorfall,« fuhr er fort, sich an den Abt wendend, »für Eure Herrlichkeit sich die Notwendigkeit ergeben, für unsern ehrenwerten Gast einen andern interimistischen Aufenthalt ins Auge zu fassen, als diesen Turm, wenn es vielleicht auch seine Schwierigkeit haben wird, die beiden Bedingungen Verborgenheit und Sicherheit, die bei den zurzeit in England herrschenden Verhältnissen als Hauptsachen in Betracht kommen, ebenso gut zu erfüllen wie hier.« »Der Zweifel, den Ihr da aussprecht, lieber Amtsbruder,« erwiderte der Abt, »ist freilich am Platze; ich wünschte nur, er wäre ebenso rasch beseitigt wie aufgeworfen. Ich meinesteils kenne im ganzen Klostersprengel keinen Zufluchtsort, der so günstig gelegen wäre wie Glendearg, und doch möchte ich ihn unserm werten Gaste nicht weiter empfehlen, eben um des Betragens willen, das dieser eigenwillige Bursche an den Tag legt.« »Genug dieser Worte, Ihr hochwürdigen Herren,« nahm jetzt der Ritter das Wort; »wenn mir die Wahl freisteht, so bleibe ich hier in diesem Turme, das erkläre ich bei meiner Ehre. Mir ist der junge Mensch wirklich nicht deshalb zu wider, weil er einige Funken von Geist gezeigt hat, und weil sich diese Funken auf meinem Haupt entzündet haben. Im Gegenteil zolle ich dem Burschen deshalb einen gewissen Grad von Achtung. Deshalb spreche ich den Wunsch aus, hier zu bleiben und den jungen Menschen bei mir zu behalten. Er mag mir auf der Jagd behilflich sein. Da er solch guter Schütze ist, meine ich, werden wir uns bald zusammen befreunden. Mir wird es dann bald möglich sein, dem gnädigen Herrn Abt einen recht feisten Hirsch für seine Küche zu schicken, so kunstgerecht geschossen, daß selbst Euer Pater Küchenmeister kein Untätchen daran findet.« Dies alles wurde von dem Ritter mit solchem Anschein von Ruhe und guter Laune gesprochen, daß der Abt über den Vorfall nichts weiter mehr äußerte, sondern seinen Gast von all den Dingen, wie Teppichen, Decken, Gerätschaften ec., die er ihm zur Erhöhung seiner Bequemlichkeit nach dem Turme schicken wolle, vorplauderte, und zwar so lange, bis er geruhte, Befehl zum Satteln der Pferde für die Heimkehr zu erteilen. Dann befahl er dem Ritter noch alle Vorsicht, da ja die englischen Grenzreiter leicht bei der Hand sein könnten, Jagd auf ihn zu machen. Dann erfüllte er noch all die Pflichten der Höflichkeit, die ihm oblagen, dann setzte er sich mühsam, unter mancherlei Seufzern, die stark an Stöhnen erinnerten, auf seinen Zelter, dessen purpurne Decke bis auf den Erdboden reichte, und begann in mäßigem Trabe den Heimritt. Der Unterprior warf noch, ehe er dem Abte folgte, auf Halbert, der halb versteckt hinter der äußern Hofwand lehnte, ein paar strenge, warnende Blicke, dann hob er, ihm Lebewohl bedeutend, den Finger gegen ihn auf und ritt mit den andern Klosterbrüdern hinter seinem Obern her in das Tal hinunter. Drittes Kapitel Halbert Glendinning ging der warnende Blick des Unterpriors tief zu Herzen, denn wenn ihm auch aus dem Unterricht des wackern Klosterherrn geringerer Nutzen erwachsen war als seinem Bruder Edward, so war doch sein Gemüt von der lautersten Ehrfurcht vor ihm erfüllt, und wenn ihm auch nur wenig Zeit geblieben war, die Lage, in die er durch die gegen den Ritter ausgestoßene Beleidigung geraten war, zu überdenken, so war ihm doch wenigstens das eine klar geworden, daß er den Ritter tödlich beleidigt hatte, und daß er alle Folgen dieser Handlung über sich ergehen lassen müsse. Um nun diese Folgen nicht durch unzeitige Erneuerung des Zwistes schneller über sich zu bringen, als es die Umstände notwendig machten, hielt er es für geraten, sich auf die Zeit von einer Stunde zu entfernen, und mit sich darüber zu Rate zu gehen, wie er sich diesem hochmütigen Gaste gegenüber hinfort am besten verhalte; und bei Ausführung dieser Absicht kam ihm der Umstand vorteilhaft zu statten, daß alle Glieder des kleinen Haushalts sich, sobald sich der Abt entfernt hatte, wieder an ihre Hausarbeit begaben, so daß es nicht den Anschein weckte, als ob er dem Fremden mit Vorsatz aus dem Wege ginge. Er machte sich also auf den Weg in die enge Ebene hinunter, die sich zwischen dem Hügel, auf dem der Turm stand, und der ersten Windung, die das Bett des Baches machte, hinzog. Hier meinte er, sich in einem kleinen Birken- und Eichendickicht vor beobachtenden Blicken eine Zeitlang schützen zu können. Aber er war kaum zu dieser Stelle gelangt, als er einen leichten Schlag fühlte, und, wie er sich umsah, den Ritter vor sich stehen sah. Es kann uns, wenn es mit unserm Mute, gleichviel ob aus Mangel an Vertrauen in unsre Körperkraft oder in die Gerechtigkeit der Sache, die wir vertreten, nicht sonderlich beschaffen ist, nichts in stärkerm Grade aus der Fassung bringen, als wenn wir unsern Gegner mit recht vergnügter Miene auf uns zutreten sehen. Das war der Fall so mit dem jungen Glendinning, als er so unvermutet des fremden Gastes ansichtig wurde, dessen Zorn er wachgerufen hatte, und der eine so friedliche Miene zeigte, als wenn gar nichts auf der Welt zwischen ihm und Halbert vorgegangen war. Wenn es auch Halbert an Mut und Geistesgegenwart nicht gebrach, so fühlte er sich doch über diesen unerwarteten Anblick des Ritters, und über seine so völlig unbeirrte Miene nicht wenig beunruhigt. Immerhin gelang es ihm, sich so weit zu beherrschen, daß er sich seine Bewegung nicht merken ließ und den Blick des Gegners mit vollständiger Ruhe aushielt. Ja, er fand sogar so viel Fassung, daß er die Frage an denselben stellen konnte: »Womit kann ich Euch gefällig sein, Sir Piercie Shafton?« »Gefällig? Du mir?« wiederholte Sir Piercie; »eine recht nette Frage nach der Rolle, die Du gegen mich gespielt hast! Ich bin wirklich im höchsten Maße verwundert über diesen Wahnwitz von Dir, Bursche, gegen einen Mann, der als Gast Deines Lehnsherrn in das Haus Deiner Mutter kommt und als solcher gerechten Anspruch auf alle gebührliche Höflichkeit hat, in solch unmanierlicher Weise aufzutreten. Ich will weder danach fragen, noch mich darum bekümmern, auf welche Weise Du Dich in Besitz des leidigen Geheimnisses zu setzen gewußt hast, was Dir den Mut gab, mir vor allen Leuten Hohn zu sprechen. Aber so viel darf ich Dir Wohl sagen, daß sein Besitz Dir Dein Leben gekostet hat.« »So lange ich es noch mit Hand und Schwert verteidigen kann, doch wohl nicht,« erwiderte Halbert keck. »Des Vorteils der Verteidigung denke ich Dich ja nicht zu entkleiden,« erwiderte der Engländer, »nur fürchte ich, daß Du infolge Deiner Jugend und bäuerischen Erziehung nicht viel dadurch gebessert sein wirst. Aber damit hast Du zu rechnen, daß ich in diesem Zweikampf keinen Pardon gebe.« »Und Dir, Du stolzer Mann, sei hierauf geantwortet, daß Du Dich eines Ersuchens um Pardon von meiner Seite nicht gewärtig zu halten hast, und daß ich auch nicht im geringsten befürchte, trotz Deiner Zuversicht, als läge ich bereits zu Deinen Füßen, solches Ersuchen von nöten zu haben.« »So bist Du also nicht gewillt,« sagte der Ritter, »das Schicksal, das Dir winkt, und das Du mit solch ungemessener Verwegenheit heraufbeschworen hast, von Dir abzuwenden?« »Wie sollte das möglich sein?« erwiderte Halbert Glendinning, mehr von dem Wunsche geleitet, sein Verhältnis zu dem Fremden besser zu erkennen als ihm irgend welche Nachgiebigkeit zu erzeigen. »Du brauchst mir bloß zu sagen,« antwortete hierauf Sir Piercie, »aber ohne Säumen und ohne Arg, wie Du dazu gekommen bist, mich in meiner Ehre so tief zu verletzen, und kannst Du mir hierbei einen meiner Rache würdigeren Feind namhaft machen, dann will ich Dir um Deiner Geringfügigkeit willen gern erlauben, über Deine Keckheit und Deinen Mangel an Schicklichkeit einen Schleier zu decken.« »Es wäre ein Unrecht, wollte man Deinem Uebermut solch hohen Flug gestatten ohne alles Hemmnis,« erwiderte Glendinning. »Du bist in meines Vaters Haus gekommen als Flüchtling und Verbannter, so weit ich vermuten kann, und der erste Gruß, den Du seinen Bewohnern sagtest, war Beleidigung und Verachtung. Wie ich nun dazu gekommen bin, Dir auf solches Verhalten zu antworten, wie ich es getan habe, das mach mit Deinem Gewissen ab. Für mich ist das Vorrecht jedes freien Schotten genügend, sich jeder Beleidigung zu wehren und kein ihm angetanes Unrecht auf sich sitzen zu lassen.« »Gut also!« rief Sir Piercie Shafton; »morgen früh entscheiden wir unsern Zwist durch das Schwert. Als Zeit wollen wir den Tagesanbruch festsetzen, den Ort magst Du bestimmen. Wir begeben uns in den Wald, wie wenn wir vorhätten, auf die Jagd zu gehen.« »Mir recht,« erwiderte Halbert Glendinning, »und ich will Dich an einen Ort führen, wo an die Hundert fechten und fallen können, ohne daß sie die geringste Störung oder Unterbrechung zu befürchten brauchen.« »Einverstanden,« versetzte der Ritter, »und nun laß uns auseinander gehen. Es wird freilich wohl nicht ohne die Nachrede für mich abgehen, daß ich mich einem die Scholle brechenden Bauern gegenüber meines edelmännischen Rechts müßigerweise begeben hätte und zu einer tiefern Sphäre herniedergestiegen wäre, etwa der Sonne gleich, wenn sie sich dazu erniedrigen wollte, ihre goldnen Strahlen mit dem bleichen Schein eines flackernden Talglichts zu vergleichen. Indessen soll mich Rücksicht auf Rang nicht daran hindern, die mir von Dir erwiesene Kränkung zu ahnden. Und nun merke Dir, mein Sir Villaggio, daß, wir uns vor den Bewohnern jenes Turmhauses, das Du die Stätte Deiner Geburt nennst, nicht das geringste merken lassen, sondern so harmlos uns benehmen, als läge zwischen uns nicht das geringste mehr vor. Und das Weitere dann morgen bei Tagesanbruch!« Mit diesen Worten schritt der Ritter dem Turme zu. Halbert folgte ihm langsam und konnte sich jetzt des Gedankens nicht erwehren, daß ihm sicherlich jede Neigung, ihm eine Kränkung anzutun, ferngelegen hätte, wenn sich der Ritter immer eines so edeln Betragens und ritterlichen Tons befleißigt hätte, wie bei dieser letzten Begegnung. Indes war die Sache nun nicht mehr zu ändern, die tödliche Beleidigung war auf beiden Seiten gefallen, und ihrem Ausgleich durch Entscheidung auf Tod und Leben ließ sich nun nicht mehr ausweichen. Beim Abendtisch entfaltete Sir Piercie Shafton gegen sämtliche Mitglieder der Familie eine solche Liebenswürdigkeit und beteiligte alle so gleichmäßig an der Unterhaltung, wie noch nie bisher. Die meiste Aufmerksamkeit erwies er freilich seiner göttlichen und unvergleichlichen, »Protektion«, wie er Mary von Avenel noch immer zu nennen liebte; er unterließ aber auch nicht, Müllers Mysie, die er gern als »anmutige Demoiselle«, und der Hausfrau, die er als »Matrone« zu titulieren liebte, manche Blume seiner Rhetorik zu spenden. Ja, um sich ihrer Bewunderung noch mehr zu versichern, stimmte er sogar einen Gesang an, wobei er dem lebhaften Bedauern darüber Ausdruck gab, daß ihm seine Viola di gamba fehle; trotzdem brachte er es auf fünfhundert Verse eines »unsterblichen Liedes«, wie er sagte, »aus dem Munde des unsterblichen Sängers Asphodel, unter welchem Namen wir Sterbliche den göttlichen Sir Philipp Sidney zu nennen liebten, der diesen Gesang an seine holde Schwester, die einzige Parthenope, bei Hofe und in der Welt als »Gräfin von Pembroke« bekannt, gerichtet habe; und da Sir Piercie immer mit halb geschlossenen Augen zu singen pflegte, entdeckte er nicht eher, als bis er zum Schlusse gelangt war und die Augen aufschlug, daß seine Zuhörer zum weitaus größten Teile eingeschlummert waren. Mary von Avenel hatte wohl Takt genug besessen, sich die süßen Fadaisen des göttlichen Asphodel bis zum Schlusse anzuhören; Mysie dagegen kam sich vor, als sei sie wieder in Vaters Mühle und schlummerte schon beim Anbruch des zweiten Versdutzends, während Edward es wohl eine kleine Weile länger aushielt, die Nase der braven Hausfrau hingegen alles Zeug dazu verriet, zu der ersehnten Viola einen tiefen Baß als Begleitung zu schnarchen. Halbert war der einzige, der keine Neigung zum Schlummer verriet, sondern, den Blick auf den Sänger geheftet, wach blieb, freilich wohl nicht, weil ihn der Inhalt der Verse sonderlich unterhalten oder die Vortragsweise sonderlich entzückt hätte, sondern nur, weil ihm die Fassung Bewunderung, vielleicht auch Neid, abgewann, mit der der Ritter am Abend vor einem Zweikampf endlose Lieder zu singen im stande war. Indessen entging es seinem Scharfblick auch nicht, daß hin und wieder der Ritter auch auf ihn einen heimlichen Blick warf, wie wenn er hätte erspähen wollen, wie Halbert seine Kaltblütigkeit aufzunehmen scheine. »In meiner Haltung,« dachte Halbert stolz, »soll er nicht das geringste lesen, was ihm die Meinung wecken könnte, als sei ich auch nur ein Körnchen weniger gleichgültig als er.« Und dann trat er an einen Wandsims und nahm einen Beutel herunter, der mit allerhand Gerätezeug angefüllt war, und machte sich eifrig an die Herrichtung von einigen Angeln. Als er etwa ein halbes Dutzend fertig haben mochte, sang Sir Piercie die letzten Strophen seines Gesanges von Asphodel. Auf diese Art bekundete er seine Kaltblütigkeit gegenüber dem am nächsten Tage zu erwartenden Ereignisse. Inzwischen war es spät geworden, und die Hausgenossenschaft ging auseinander. Sir Piercie wandte sich zu der Frau vom Hause mit dem Anfang einer Unterhaltung: »Ihr Sohn Albert –»meinte er. »Halbert,« verbesserte ihn mit Nachdruck die Witwe, »nach seinem Großvater Halbert Brydone ...« »Na, auch gut,« antwortete Sir Piercie, »ich habe Euren Sohn Halbert gebeten, morgen bei Sonnenaufgang mit mir auf die Jagd zu gehen. Wir wollen einen Hirsch vom Lager scheuchen, und Euer Sohn will mir den Beweis erbringen, daß er wirklich ein so tüchtiger Weidmann ist, wie die Leute sagen.« »O, Herr Ritter, das ist er freilich,« erwiderte die Frau, »und Ihr sagt ihm doch bei dieser Gelegenheit, daß er dem Herrn Abt, unserm gnädigen Herrn, Gehorsam schuldig ist, und redet ihm zu, die Stellung eines Bogenschützen im Dienste der Abtei anzunehmen. Nicht wahr?« »Verlaßt Euch nur auf mich, liebe Frau,« versetzte Sir Piercie, »ich werde ihm schon beibringen, wie er sich gegen feine Leute und Vorgesetzten zu benehmen hat.« Dann wandte er sich zu Halbert. »Also bei Tagesgrauen treffen wir uns?« sagte er wieder. Halbert nickte zustimmend, und der Ritter fuhr fort: »Indem ich noch meiner allerschönsten Protektion all jene fröhlichen Träume wünsche, die das Lager schöner Huldinnen umgaukeln, dieser anmutigen Demoiselle Mysie hingegen süße Ruhe in Morpheus' Armen und allen übrigen Herrschaften die im allgemeinen übliche gute Nacht, suche ich für mich selbst um die gütige Erlaubnis nach, mich nach meiner Ruhestatt verfügen zu dürfen, wenngleich ich mit dem Dichter sagen darf: Ach Ruh! nur Lag' und Ort getauscht, doch Ruh' nicht – Ach Schlaf! nur Ohnmacht der Natur, doch Schlaf nicht – Ach Bett! nur Pfühl von Steinen, doch nicht Bett – Bett, Schlaf und Ruhe kennt nicht der Verbannte! Darauf ein anmutiges Kompliment, und der Ritter war aus dem Gemache verschwunden. Frau Glendinning gab nun das Zeichen zum Auseinandergehen, befahl noch Halbert, den Ritter ja pünktlich bei Tagesgrauen zu erwarten und begab sich dann zur Ruhe. Halbert, der neben seinem Bruder auf dem Strohlager ruhte, konnte keine Ruhe finden. Der Zwist mit dem Ritter nahm seinen Geist noch immer rege in Anspruch, und je mehr er sann, desto deutlicher wurde ihm, was der Geist dunkel angedeutet hatte, daß er, wenn er ihm die Gabe bewillige, die von ihm ebenso unvorsichtig und ungestüm begehrt werde, mehr zu seinem Schaden handle als zu seinem Nutzen, und er erkannte nun zu spät, welche Gefahren und Schwierigkeiten seinen liebsten Freunden durch diesen Zweikampf drohten, gleichviel, ob er als Sieger aus demselben hervorginge oder den Tod dabei fände. Welches traurige Vermächtnis von Kummer und Wirren mußte sein Tod für seine Mutter werden! Und Mary von Avenel? So gewiß er über das Haus, in welchem sie seit ihrer Kindheit Schutz und Zuflucht gefunden hatte, und über sie selbst unnötigerweise Unheil und Unfrieden brachte, ebenso gewiß konnte er ihr, wenn er in dem gegenwärtigen Kampfe unterlag, weder Hilfe noch Beistand noch Schutz mehr gewähren! So verzweifelt aber seine Aussichten waren, im Fall er den kürzeren zog, so winkte ihm anderseits, wenn er als Sieger aus dem Zweikampfe hervorging, auch keine andre Aussicht, als daß er das Leben rettete und seinem Stolze Befriedigung schuf. Seiner Mutter und seinem Bruder hingegen, desgleichen auch Mary von Avenel, mußten, wenn er siegte, weit schwierigere Verhältnisse erwachsen, als wenn er in dem Zweikampfe den Untergang fand, denn der englische Ritter konnte im letztern Falle recht wohl sich für verpflichtet erachten, ihnen seinen Schutz fernerhin angedeihen zu lassen. Fiel hingegen der Ritter, so konnte wahrscheinlich nichts die Rache hintanhalten, die der Abt und das Kloster an den Vasallen nehmen würden, in deren Haus ihr Gast statt Beschützer Mörder gefunden hatte! Dieser Gedanke, daß den Seinigen auf jeden Fall, gleichviel, welchen Ausgang der Zweikampf für ihn nähme, Not und Verderben erwachsen müßten, wandelte jeden Strohhalm seines Lagers zu einem scharfen Dorn und jagte allen Frieden aus seinem Gemüt und allen Schlaf aus seinen Augen. Und nur ein einziger Weg zeigte sich ihm aus diesem Wirrsal, aber es war ein Weg herber Erniedrigung, und ein Weg, nicht frei von Gefahr, selbst wenn er ihn wandelte. Er mußte dann dem englischen Ritter bekennen, durch welche seltsamen Umstände er bestimmt worden war, ihm die silberne Nadel zu zeigen, und von wem er sie bekommen hatte. Aber zu solchem Bekenntnis konnte sich sein Stolz nicht herablassen, und dann mußte er sich auch sagen, wenn er seinen Verstand dabei zu Rate zog, – und Verstand ist in solchen Fällen doch immer gar zu sehr geneigt, Stolz zu beraten – daß solche Erniedrigung ebenso unnütz wie überflüssig sein würde; »denn erzähle ich,« dachte er bei sich, »solch seltsame Geschichte, so werde ich doch unfehlbar entweder als Lügner gebrandmarkt oder als Zauberer bestraft, und wenn Sir Piercie Shafton so großmütig und edel wäre wie die Kämpen in Romanen, dann ließe sich vielleicht sein Ohr gewinnen und aus der Lage gelangen, in der ich stecke, ohne daß ich mich erniedrigen müßte, aber er ist doch so eingenommen von sich, so eitel und anmaßend und hochmütig, daß ich mich ganz ohne Frage vergeblich vor ihm beugen würde ... nein,« rief er plötzlich energisch und war mit einem Satze aus dem Bett, »ich beuge mich nicht!« und er packte sein großes Schlachtschwert und schwang es in dem Mondschein, der sich durch die offne Nische ergoß, die als Fenster diente ... als er zu seinem namenlosen Entsetzen dicht vor sich ein luftiges Gebilde erblickte, dessen flüchtig und leise wie ein Hauch zu ihm herüber dringende Stimme ihn im Nu dahin aufklärte, daß er die weiße Frau wieder vor sich hatte. Um so grausiger war ihm ihr Anblick, als sie diesmal ihm ungerufen erschien; es war ihm, als wecke sie Ahnungen in ihm von einem unmittelbar bevorstehenden Unglück, und der Gedanke, daß er sich mit einem Dämon verbrüdert habe, über dessen Macht und Eigenschaften er sich vollständig im unklaren befand, war von so furchtbarer Wirkung auf ihn, daß er vom Schreck wie gefesselt war und wie entgeistert die Gestalt anstarrte, die den Vers hersang oder im rhythmischen Maße hersprach: Nicht vor Blutvergießen beben Darf, wer Rache sinnt, denn eben Knoten, die die Zunge fitzte, Löst man nur mit Schwertes Spitze. »Hebe Dich weg von mir, Du falscher Geist!« rief Halbert, »hab ich Deinen Rat doch schon so teuer erkauft! ... Fort, fort von mir, Du trügerisches Gebilde! fort, fort im Namen Gottes!« Das Gespenst schlug eine gräßliche Lache auf, und ihr schriller Klang hörte sich weit grausiger an, als der sonstige so melancholische Laut seiner Stimme: Du riefst mich einmal, riefst mich zweimal zu Dir, Und ungerufen steh ich jetzund hier. Du kamest ungebeten, unbegehrt ins Tal, Und ungebeten, unbegehrt komm ich nun mal. Vor Schreck schier außer sich, rief Halbert seinem Bruder zu: »Edward, Edward! wache auf, wache auf! Siehst Du denn niemand in der Stube?« Edward richtete sich auf und sah sich um. »Nein,« sagte er, »ich sehe nichts.« »Was? nichts auf dem Boden vor Dir im Mondschein?« fragte Halbert. »Nein, ich sehe nichts, nichts als Dich, gestützt auf Dein bloßes Schwert. Glaub mir, Halbert, Du solltest mehr Deinen geistigen Waffen vertrauen als den Waffen von Stahl und Eisen, die Du so liebst. In so mancher Nacht schon bist Du aus Deinem Schlafe aufgefahren und hast laut gesprochen von Schlachten und Gespenstern und Kobolden, hast keine Erquickung im Schlafe gefunden, hast Dich gewälzt von einer auf die andre Seite. Glaub mir, Halbert, bete Dein Vaterunser und Dein Credo, gib Dich in Gottes Obhut, und Du wirst gesund schlafen und gestärkt erwachen.« »Das kann schon sein,« antwortete Halbert langsam, aber sein Blick wich nicht von der weißen Gestalt, die in voller Sichtbarkeit vor ihm stand, »das kann schon sein. Aber, Edward, sag mir bloß eins: siehst Du wirklich nichts auf dem Boden als mich?« »Nichts als Dich,« wiederholte Edward, indem er sich auf die Ellbogen stützte, »Bruder, leg Deine Waffe beiseite, sprich Dein Gebet und leg Dich zur Ruhe.« Während dieser Worte Edwards stand auf dem Gesichte des Geistes dasselbe verächtliche Lächeln wie vordem, und bevor dieses Lächeln schwand, war zuvor die bleiche Wange in dem Mondlicht geschwunden, und Halbert erblickte die Erscheinung jetzt selbst nicht mehr, um derentwillen er sich so ängstlich an die Aufmerksamkeit seines Bruders gewandt hatte. »Gott bewahre mir meinen Verstand!« sagte er, indem er sein Schwert abgürtete und sich wieder auf das Lager warf. »Amen, mein Bruder, Amen!« erwiderte Edward; »wir dürfen jedoch den Himmel nicht herausfordern in unsrer Anmaßung, wenn wir auch zu ihm flehen in unsrer Not. ... Zürne mir nicht, lieber Bruder! ... Aus welchem Grunde hältst Du Dich seit einiger Zeit so fern von mir? Freilich, Du bist von Kind auf stark und beherzt gewesen, ich aber nicht, doch hattest Du bis vor kurzem noch immer ein paar Augenblicke tagsüber für mich. Warum ist das mit einem Male so ganz anders geworden, Bruder? Glaub mir, Halbert, ich habe manche Träne deshalb geweint, wenn ich es auch immer vermied, mich in Deine Geheimnisse zu drängen. ... Wirf doch die Arme nicht so wild um Dich, Bruder!« fuhr Edward fort, »Du hast, scheint es, seltsame Träume! Ich fürchte, Deine Nerven sind erschüttert. Rück näher an mich heran! Ich will Dich mit meinem Mantel zudecken.« »Laß mich in Ruhe, Edward,« versetzte Halbert, »Deine Sorge ist unnütz. Deine Klagen sind grundlos, Du brauchst Dich wahrlich nicht solchen Befürchtungen hinzugeben um meinetwillen.« »Bruder Halbert,« nahm da Edward das Wort, »gib mir ein paar Augenblicke Gehör! Wenn Du im Schlafe sprichst oder in wachen Träumen liegst, dann weilst Du bei Wesen, die nicht von dieser Welt sind und nicht zum Menschengeschlechte gehören. Unser frommer Pater Eustachius sagt, wir sollten freilich nicht uns mit Sagen von Kobolden und Gespenstern abgeben, denn es sei eitler Kram, aber wir müßten anderseits der heiligen Schrift gemäß für wahr halten, daß der böse Feind in Wüsten und an einsamen Stätten sich gern einnistet, und daß, wer sich allein dorthin wagt, auch leicht solchem schweifenden Satan in die Hände gerät. Darum, Bruder, bitte ich Dich, geh nicht wieder allein in das einsame Tal hinunter, sondern nimm mich mit. Wenn Du auch meinen Schutz nicht brauchst, so weißt Du doch, wie übel berüchtigt viele Stellen dort unten sind, und daß solchen Gefahren der besonnene Mensch besser gewachsen ist als der verwegene. Ich habe gewiß noch keinerlei Recht, mir auf meine Weisheit etwas einzubilden, aber was uns aus gelehrten Büchern der verwichnen Zeiten darüber zu Gebote steht, das ist mir doch bekannt geworden.« Fast hätte Halbert sich versucht gefühlt, seinem Bruder, als er diese freundlichen Worte aus seinem Munde vernahm, alles zu vertrauen, was sein Herz so seltsam schwer bedrückte. Aber im nächsten Augenblick erinnerte Edward daran, daß doch eben ein hoher Festtag angebrochen sei, daß er alles andre beiseite lassen und eilen müsse, nach dem Kloster zu gelangen, da er beim Pater Eustachius für die Beichte vorgemerkt sei. Da regte sich Halberts Stolz wieder, und er nahm sich vor, seinen Entschluß nicht mehr zu ändern. »Nein,« sprach er bei sich, »ich mag nicht fliehen vor diesem Engländer, denn sein Arm und sein Schwert können nicht besser sein als mein Arm und mein Schwert. Meine Väter haben schwereren Kampf bestanden, und daß er wirklich ein so guter Fechtmeister ist, als wie er von sich sagt, das mag er nur erst mal beweisen.« Stolz, sagt man, behütet Mann und Weib vorm Falle, Stolz erweist sich aber noch von stärkerm Einfluß auf die Seele, wenn er sich auf die Seite der Leidenschaft schlägt, denn dann siegt er über Vernunft und ertötet das Gewissen. So auch bei Halbert, der nun, wenn auch zum Schlimmern, entschlossen war. Zuletzt aber überkam auch ihn der Schlaf, und er wurde erst mit Tagesanbruch wieder munter. Viertes Kapitel Kaum graute der Morgen, so war Halbert auf den Beinen und fuhr geschwind in die Kleider. Dann gürtete er sein Schwert um und griff nach seiner Armbrust, ganz so, wie wenn er seinem gewöhnlichen Zeitvertreib nachgehen wollte. Er tappte die finstre Wendeltreppe hinab, schob behutsam von dem innern Tor die Riegel zurück und stand auf dem Hofe. Als er nun sich umsah und auch zum Turme hinauf blickte, bemerkte er, daß jemand mit einem Schnupftuch aus dem Fenster winkte. Er dachte im ersten Augenblick, sein Widersacher sei es, und blieb stehen, um auf ihn zu warten. Aber es war Mary Avenel, die wie ein Geist unter dem niedrigen, grob gezimmerten Torwege hervorschlich. Halbert schreckte zusammen. Es war ihm ganz so zu Mute, wie einem, der sich auf einem verbotenen Wege ertappt findet. Noch nie zuvor war ihm die Gesellschaft des jungen Mädchens so peinlich gewesen wie in diesem Augenblicke. Und um so peinlicher wurde sie ihm, als in dem Tone, in welchem sie ihn anredete, sich Besorgnis mit Vorwürfen zu mischen schien. Sie fragte ihn ernst und eindringlich, was er zu beginnen gedächte. Halbert zeigte auf die Armbrust, und wollte eben eine Ausflucht machen, als Mary ihm ins Wort fiel. »Laß doch das sein, Halbert!« sagte sie; »Deine Rede war immer bisher ja ja, nein nein, und strenge Wahrheit. Ausflüchte sind eines rechten Mannes unwürdig. Deine Gedanken sind heut nicht auf Wild gerichtet, das unsre Wälder belebt. Du suchst nach anderm Ziele ... Du willst einen Zweikampf ausfechten mit dem Fremden!« »Und aus welchem Grunde sollte ich Händel suchen mit unserm Gaste?« fragte Halbert, während tiefe Glut in seine Wangen stieg. »Du hast mehr denn einen Grund dazu, Halbert, aber noch mehr Gründe ließen sich für Dich finden, solchem Vorhaben nicht nachzugehen!« versetzte das Mädchen, »und jeder dieser letztern wöge für sich allein die sämtlichen andern auf. Und doch begibst Du Dich jetzt auf den Weg, solchen unseligen Zwist auszufechten?« »Wie kannst Du bloß solche Dinge vermuten, Mary?« erwiderte Halbert, eifrig bemüht, sein geheimes Vorhaben zu verbergen, »der Ritter ist der Gast meiner Mutter, genießt den Schutz des Abtes und der gesamten Klosterbrüderschaft, er ist von hoher Geburt, und Du kannst trotz alledem meinen, ich wollte mir herausnehmen, ein hastiges Wort aus seinem Munde, das vielleicht mehr im Uebermut seines Witzes gefallen ist, als daß es die wirkliche Meinung seines Herzens gegen mich wäre, zu ahnden?« »Halbert, Halbert!« rief das Mädchen, »diese letzte Frage macht mir, was ich ahnte, zur Gewißheit. Du warst von Kind auf verwegen. Du hast immer die Gefahr gesucht, statt ihr aus dem Wege zu gehen, hast Dich allezeit gefreut über alles, was waghalsig und gefahrvoll war! Du wirst auch, was Du jetzt vorhast, nicht aus Furcht aufgeben. Aber, Halbert, tu es aus Mitleid, aus Mitleid mit Deiner bejahrten Mutter, die Dein Tod des Trostes und der Stütze beraubt, und Dein Sieg nicht minder.« »Meine Mutter,« erwiderte Halbert, sich abwendend, »hat ja doch noch meinen Bruder Edward!« »Allerdings bleibt ihr noch der sanftmütige, edelgesinnte und besonnene Edward,« antwortete Mary, »der Deinen Mut besitzt, Halbert, doch ohne Dein Feuer, ohne Deinen Wagemut, der den gleichen hohen Sinn hat wie Du, aber ihn mit bessrer Vernunft zu regieren weiß. Er hätte seiner Mutter schon sein Ohr geliehen, er hätte seine Pflegeschwester nicht umsonst bitten lassen, wenn sie ihn beide gebeten hätten, sich nicht in solches Verderben zu stürzen, nicht all ihre Hoffnungen zu vernichten!« Mit herber Unruhe im Herzen erwiderte Halbert auf diese Worte: »Nun wohl, Mary! was ist der Sinn all dieser Reden? Ihr behaltet ja doch denjenigen von uns beiden, der in Euren Augen der Bessere ist, der Klügere, der Mutigere ... wenn Ihr beide diesen Beschützer behaltet, was braucht Ihr dann mich? was schert Ihr Euch dann noch um mich?« Er wandte sich zum Gehen, aber Mary Avenel legte ihre weiche Hand so sanft auf seinen Arm, daß er den Druck kaum fühlte, wohl aber, wie schwer, wie unmöglich es ihm sei loszukommen. So stand er denn, mit einem Fuß bereit, den Hof zu verlassen, und doch so unschlüssig, daß er den Eindruck eines Menschen machte, der von einem Platz weg will, den aber ein Zauber an den Boden bannt, so daß er den Fuß nicht weiter zu setzen vermag. Mary Avenel nahm seine Unschlüssigkeit wahr und drang weiter in ihn. »Höre mir zu, Halbert,« sagte sie, »bloß ein paar Worte noch! Ich bin eine Waise, und selbst der Himmel erhört die Waisenkinder ... ich war die Genossin Deiner Kindheit, und wenn Du mir nicht solche Liebe erweisen willst, mich einen Augenblick anzuhören, wer anders soll mir dann solche geringfügige Gabe gewähren? wen anders soll ich darum angehen?« »Ich höre Dir ja doch zu,« erwiderte Halbert, »aber, liebe Mary, fasse Dich kurz! Du bist im Irrtum darüber, was ich heut vorhabe. Es handelt sich um nichts weiter zwischen uns beiden Männern als um einen einfachen Frühspaziergang an dem schönen Sommermorgen.« »Sprich nicht so zu mir,« erwiderte Mary, ihn unterbrechend, »nicht so zu mir! Andre kannst Du ja zu täuschen versuchen und täuschen, aber nicht mich! Seit meiner frühesten Jugend regt sich, wenn ich mich einer Falschheit gegenüber sehe, in meinem Herzen eine Stimme, die mich warnt, vor der aller Trug zerstiebt, vor der alle List zu nichte wird. Zu welchem Zweck mir das Schicksal solche Kraft verliehen hat, weiß ich freilich nicht; aber trotzdem ich in diesem weltfremden Tale in Unwissenheit erzogen worden bin, erkennen meine Augen doch gar häufig, was die Menschen sich bemühen zu verheimlichen. Auch unter der heitersten Stirn bleibt mir das düstre Vorhaben nicht verborgen, das der Mensch in seinem Herzen brütet, und ein einziger Blick meines Auges sagt mir mehr, als andern Menschen Eide und Versicherungen.« »Ei, ei, liebe Mary,« erwiderte Halbert, »bist Du solche Herzenskünderin, dann sage mir, was liest Du wohl in meinem Herzen? Sag mir nur eins, daß, was Du hier in diesem Busen liest, Dich nicht kränkt. Bloß dieses eine sag mir, und Du sollst hinfort meines Herzens Lenkerin und meines Tuns und Lassens Seele sein, sollst mich, ganz nach Deinem Gefallen und Willen, leiten können zu Ehre oder Unehre.« Bei diesen Worten des Jünglings schoß in Marys Wangen zuerst eine jähe Röte, die aber ebenso schnell einer Leichenblässe wich. Als er sich aber dann umdrehte in der Absicht, ihre Hand zu fassen, antwortete sie, indem sie sich sanft von ihm losmachte: »In den Herzen, Halbert, kann ich nicht lesen; ich möchte auch in Deinem Herzen nichts lesen, als was sich für uns beide geziemt; bloß auf Zeichen, Worte und Handlungen von geringerer äußerer Bedeutung verstehe ich mich besser als meine Umgebung, wie ja auch meine Augen, wie Du weißt, Dinge gesehen haben, die andern niemals sichtbar geworden sind.« »So richte sie denn auf jemand, den sie nimmer wieder sehen werden!« erwiderte Halbert, wandte sich von ihr und stürzte, ohne sich noch einmal umzusehen, zum Hofe hinaus. Mary von Avenel stieß einen matten Schrei aus und preßte die Hände an die Stirn. Kaum eine Minute mochte sie so gestanden haben, als hinter ihr sich eine Stimme vernehmlich machte: »Es ist sehr edelmütig von meiner gütigen Protektion, diese leuchtenden Augen vor jenen um so vieles gemeineren Strahlen zu verhüllen, die eben den östlichen Horizont mit ihrem Golde säumen wollen. Freilich könnte es wohl geschehen, daß Phöbus, außer stande, den stärkern Strahlenglanz zu ertragen, mit beschämtem Angesicht seinen Wagen umlenkte und lieber die Welt in Dunkelheit ließe, als die Schmach solcher Begegnung auf sich nähme. Glaubt mir, meine liebwerte Protektion ...« Als nun aber Sir Piercie Shafton, denn der Leser wird an dieser blumenreichen Rede sicher den Sprecher erkannt haben, die Hand der jungen Dame ergreifen und seine Ansprache fortsetzen wollte, da machte sie eine flinke Wendung beiseite und eilte, mit einem Blicke, aus dem Schrecken und Bewegung zugleich sprachen, an ihm vorbei und in den Turm zurück. Der Ritter blickte ihr nach mit einer Miene voll Verachtung und gleichzeitig auch Verdruß, und rief dann: »Bei meiner Ritterschaft! ich habe an diese bäurische Phidele eine Rede weggeworfen, die von der erhabensten Schönheit an Felicias Hofe ... so möge man mir hinfort das Elysium zu nennen erlauben, aus dem ich verwiesen worden ... als Cupidos Frühmesse bezeichnet worden wäre. Ja, mein Piercie Shafton, das Schicksal hat sich recht herbe gegen Dich erwiesen, indem es Dich hierher bannte in diesen einsamen Winkel, wo Du Deinen herrlichen Witz vergeuden mußt an Bauerndirnen und Dich messen mußt mit vierschrötigen Gesellen. Aber für solchen Schimpf, und wär er mir zugefügt worden von dem gemeinsten Plebejer, gibt es keine andre Remedur als den Tod. Von meiner Hand soll er sterben, der Wicht, die Maßlosigkeit der Beleidigung gleicht den Unterschied im Stande hier vollständig aus. Zudem glaube ich, daß sich der Flegel und Prahlhans zu Hieben wohl ganz ebenso bequemen wird, wie zu Spott und Hohn.« Unter solchem Selbstgespräch eilte der Ritter nach dem kleinen Birkengebüsch, das zwischen den beiden Widersachern als Stätte des Rendezvous gewählt worden war. Als er dort hinkam, fand er den Gegner schon anwesend. Er grüßte ihn höflich und begleitete den Gruß mit den Worten: »Ich ersuche Euch, mein junger Herr, nicht unbeachtet zu lassen, daß ich vor Euch den Hut ziehe, trotzdem Ihr mir an Rang so tief nachsteht. Indessen hat die Ehre, die ich Euch dadurch erwiesen habe, daß ich Eure Herausforderung annahm, uns nach dem besten Urteil aller Kämpen gewissermaßen, wenigstens für die Zeit unsres Zwistes, auf gleiche Stufe miteinander gestellt. Diese Ehre muß Euch, meine ich, höchst wohlfeil dünken, selbst wenn sie Euch das Leben kosten sollte, was im bevorstehenden Kampf allerdings hohe Wahrscheinlichkeit für sich haben dürfte.« »Diese Gnade von Eurer Ehren,« versetzte Halbert, »habe ich wohl lediglich dem geringfügigen Dinge aus Silber zu verdanken, das ich Euch zeigte?« Im Nu verfärbte sich der Ritter und knirschte vor Wut mit den Zähnen. »Heraus mit der Klinge!« schrie er grimmig. »Nicht hier, Herr Ritter,« versetzte Halbert, »denn hier könnten wir gestört werden. Seid so freundlich, mir an einen Ort zu folgen, wo wir mit Ruhe und Sicherheit vor jeder Störung unsern Zweikampf zu Ende führen können.« Er schritt das Tal hinauf, in der Absicht, die unter dem Namen Corrinan-Shian bekannte Schlucht aufzusuchen, weil sie als Aufenthalt von Gespenstern und Geistern verschrieen war und zufolgedessen von den Leuten der Umgegend gemieden wurde. Aber als er am Eingange der Schlucht angelangt war, legte ihm die geringe Breite des ebnen Bodens den Gedanken nahe, daß es unklug von ihm wäre, einen Platz zu wählen, der ihm nicht Raum genug böte, seine Gewandtheit zu voller Entfaltung zu bringen, da er doch lediglich dadurch die ihm mangelnde Kenntnis der Fechtkunst einigermaßen ausgleichen könnte. Einen solchen Platz fand er nun aber nicht früher, als bei der wohlbekannten Quelle, an deren Rande sich, gegenüber von dem gewaltigen Felsblock, aus dessen Schoße sie entsprang, eine weite Rasenfläche ausdehnte, die Raum genug bot für das Vorhaben, das sie hierher geführt hatte. Die finstre, einsame Lage dieser Oertlichkeit machte sie zum Schauplatz eines Kampfes auf Leben und Tod in ganz besonderm Maße geeignet. Aber eine höchst seltsame Ueberraschung wurde ihnen hier zu teil, denn dicht am Fuße des Felsens war mit äußerster Sorgfalt und Akkuratesse ein Grab geschaufelt worden. Der grüne Rasen lag auf der einen, die Erde auf der andern Seite aufgeschüttet, und am Rande lagen Hacke und Schaufel. Sir Piercie Shafton heftete auf Halbert Glendinning einen Blick des tiefsten Ernstes und fragte in strengem Tone: »Soll das Verrat bedeuten, Jüngling? Habt Ihr etwa vor, mich hier wie in einer Imboscata, einem Hinterhalte, zu überfallen?« »Nicht ich, Herr Ritter, beim Himmel! nicht ich!« rief entrüstet der junge Glendinning. »Ich habe keinem Menschen von unserm Vorhaben etwas erzählt und möchte auch um den Thron von Schottland nicht gegen einen Feind mich solches Vorteils bedienen.« »Ich glaube so etwas auch nicht von Dir, mein Sohn,« erwiderte der Ritter, »aber das Grab ist mit solcher Akkuratesse ausgehoben, daß es dreist als Meisterstück des letzten Bettmachers der Natur, ich meine des Totengräbers, gelten könnte. Aber danken wir hierfür dem Zufall oder einem unbekannten Freunde, der es sich nicht hat nehmen lassen mögen, für einen von uns ein schickliches Begräbnis vorzubereiten, und lassen wir uns dadurch nicht abhalten, die Entscheidung darüber zu suchen, wem von uns beiden das Glück beschert sein wird, sich an diesem einsamen Plätzchen einem ungestörten Schlummer überlassen zu dürfen.« Mit diesen Worten legte er Wams und Mantel ab, legte sie mit äußerster Sorgfalt zusammen und auf einen Felsblock. Nicht ohne Unruhe folgte Halbert Glendinning seinem Beispiel, denn da er die Behausung der weißen Frau hier in der Nähe wußte, kam er wider Willen auf mancherlei Vermutung in betreff des hier aufgeworfnen Grabes. »Von ihr muß es herrühren,« dachte er bei sich, »und von niemand sonst! der Geist sieht den verhängnisvollen Ausgang voraus. ... Ich kann den Platz bloß verlassen als Mörder, oder muß in dies Grab hier steigen.« »Da wir,« nahm nun Sir Piercie das Wort, »ohne Sekundanten unsern Zweikampf ausfechten, so möchte es wohl gut sein, Ihr befühltet meine und ich Eure Körperseite, wenn ich auch keineswegs meine, als könntet Ihr einen verborgnen Panzer auf dem Leibe tragen, sondern einzig und allein einem alten, löblichen, bei solcherlei Fällen vorgeschriebnen Brauche zu Ehren.« Halbert Glendinning schickte sich in diese Grille seines Widersachers, und Sir Piercie verfehlte unterdes nicht, die Aufmerksamkeit des Jünglings auf das feine, kunstvoll gestickte Hemd zu lenken, das er auf dem Leibe trug. »In diesem Hemde,« erzählte er, »in welchem ich jetzt mit einem Bauern aus Schottland, denn was anders bist Du nun doch einmal nicht, zu kämpfen mich anschicke, war mir das beneidenswerte Los vergönnt, in jenem herrlichen Ballspiel, das zwischen dem göttlichen Asphodel, unserm unvergleichlichen Sidney, und dem höchst ehrenwerten und liebreichen Lord von Oxford stattfand, die von Sieg gekrönte Partei zu führen. Alle Huldinnen unsrer Felicia, unter welchem Namen ich mein geliebtes England meine, befanden sich auf der Galerie, und bei jeder Wendung, die das Spiel nahm, schwenkten sie mit den Tüchern und spornten die Kämpfer durch ihren Beifall. Auf das Ballspiel folgte ein unvergleichliches Bankett, wobei es der herrlichen Urania – der Gräfin von Pembroke – gefiel, mich durch Ueberreichung ihres eignen Fächers zu beglücken, damit ich mir das lebhaft gerötete Antlitz ein wenig kühle. Ich aber legte, um diese Artigkeit zu erwidern, mein Angesicht in trübe Falten und spracht: O, göttliche Urania! nehmet doch Eure huldvolle Gabe wieder an Euch, denn mir bringt dieser Fächer keine Kühlung, sondern übergießt mich gleich dem Hauch eines glühenden Sirokko mit Feuerbrand ... worauf sie mich mit höhnischen Blicken maß, ohne jedoch einen gewissen Grad von Wohlwollen dabei zu verbergen, der jedem Höfling von einiger Erfahrung ohne weiteres offenbar geworden wäre ...« Hier aber fiel Halbert dem Ritter ins Wort, denn es kam ihm so vor, als ob Sir Piercie die größte Lust hätte, statt zu einem Schluß mit diesen Erinnerungen zu kommen, sich vielmehr aus dem Hundertsten ins Tausendste zu begeben. »Ich meine, Herr Ritter, daß solche Erzählung für das, was wir hier vorhaben, nicht unbedingt von nöten ist, und so wäre es wohl auch geraten, sich nicht länger damit aufzuhalten. Wenn Ihr so gern die Zeit mit Reden verbringt, hättet Ihr meiner Meinung nach klüger gehandelt, in England zu bleiben, denn in Schottland zieht man Streiche den Worten vor.« Die Schwerter fuhren aus der Scheide, und der Kampf nahm seinen Anfang. Halbert sah bald ein, daß seine Befürchtung begründet gewesen und daß er seinem Gegner in der Führung der Waffe bedeutend unterlegen war. Sir Piercie Shafton hatte wahrlich nicht geprahlt, als er sich einen hervorragenden Fechter nannte, und Halbert erschien es von Minute zu Minute zweifelhafter, ob es ihm gelingen werde, gegen einen solchen Meister im Fechten aufzukommen. Sir Piercie war mit allen Schlichen in der Führung von Schwert und Degen wohlvertraut und war auch im Besitze einer sehr beträchtlichen Körperkraft. Halbert hielt sich demzufolge zunächst in der Defensive, um seinem Gegner die Schliche und Schwächen abzugewinnen, und die unausbleibliche Folge hiervon war, daß auch der Ritter, nach ein Paar kräftigen Angriffen, die Halbert abgewiesen oder auf geschickte Weise vermieden hatte, sich auf die Defensive beschränkte, aus Furcht, bei stetigem Angriff sich zu leicht Blößen geben zu können. Halbert seinerseits war vorsichtig genug, einen Gegner nicht zu drängen, dessen Gewandtheit ihn mehr denn einmal in den Sand gestreckt hätte, wäre er nicht so außerordentlich auf seiner Hut gewesen. Nach ein paar weitern Gängen trat eine Pause ein, und beide Kämpfer senkten, wie wenn sie es verabredet hätten, gleichzeitig die Spitzen ihrer Schwerter, um einander, ohne daß einer ein Wort gesprochen hätte, mit den Blicken zu messen. Endlich nahm Halbert, der wegen seiner Angehörigen wohl allmählich von stärkerer Unruhe befallen werden mochte, nachdem er Gelegenheit gehabt hatte, die Stärke und Gewandtheit seines Gegners zu erproben, das Wort zu der Frage: »Ist denn, Herr Ritter, der Gegenstand unsers Zwistes wirklich so ernster Natur, daß einer von unsern Leibern dieses Grab unbedingt füllen muß? sollten wir nicht besser tun, als Freunde heimzukehren, nachdem wir die Stärke unsrer Waffen beiderseits gemessen haben?« »Mein tapfrer Junker,« antwortete Sir Piercie, »keinem Erdensohne hättet Ihr solche Ehrenfrage schicklicher vorlegen können, der die gleiche Fähigkeit besessen hätte wie ich, sie zu beantworten. Laßt uns um einen Stoß pausieren, damit ich Euch sagen kann, wie meine Meinung über den Streit ist, in welchem wir beide liegen. Denn soviel ist gewiß, daß sich tapfre Männer nicht in den Tod stürzen wie wilde Bestien, sondern einander mit Raisen, unter Wahrung von Anstand und Schicklichkeit, umbringen sollen. Treten wir also mit Kälte und Ruhe an diese Untersuchung unsers Zwistes heran, so wird sich leichter ermessen lassen, ob einer von uns, und welcher, durch die drei Schwestern verurteilt worden ist, den Zwist mit seinem Blute zu büßen. Verstehst Du den Sinn meiner Rede?« »Ich habe den Pater Eustachius von den drei Furien sprechen hören,« antwortete Halbert nach kurzem Besinnen, »die mit Faden und Schere arbeiten.« »Genug, genug!« fiel ihm Sir Piercie grimmig ins Wort, »Dein Lebensfaden ist gesponnen.« Mit diesen Worten warf er sich mit äußerstem Ungestüm auf den Jüngling, dem kaum Zeit genug blieb, sich in Verteidigungsstand zu setzen. Aber wie so häufig bemerkt wird und bemerkt worden ist, infolge der unbesonnenen Wut des angreifenden Teiles kam der angegriffene in unvermuteten Vorteil, denn gerade als der Ritter einen verzweifelten Stoß führte, beugte Halbert sich vor und versetzte, ehe der Ritter sich seiner Waffe wieder bedienen konnte, ihm eine, um in seiner Blumensprache zu reden, Stoccata par excellence, die ihm mitten durch den Leib fuhr, so daß er wie eine Planke zu Boden schlug. Fünftes Kapitel Halbert wurde, als er den Ritter auf den Rasen hingestreckt sah, aus dessen Leib das dunkelrote Blut hervorquellte, wie wenn ein Pumpwerk darin arbeitete, von so wildem Schreck gepackt, daß er sein Schwert auf den Boden und sich auf die Knie warf, um dem Verwundeten beizustehen und die Wunde zu verstopfen, die allem Anschein nach mehr äußerlich als innerlich ihren Sitz zu haben schien. In den Zwischenräumen der Ohnmacht, die den Ritter befiel, sprach derselbe in der ihm eignen affektierten Weise, die jetzt mehr als sonst auf seine eitle, wenn vielleicht auch nicht unedle Seele schließen ließ: »Du bäurischer Knabe, Deine glückliche Hand hat über ritterliche Kunst obgesiegt, Kühnheit hat Herablassung überwunden. Es kommt ja vor auch im Leben der Natur, daß der gemeine Habicht den Edelfalken überfällt und zerreißt. Fliehe, Knabe, und rette Dich! Nimm aus der untern Tasche meines Beinkleids meine Börse und bring Dich in Sicherheit! Was Du an Geld darin findest, ist für einen Bauern nicht zu verachten. Aber eines vergiß nicht! meine Koffer sollen mit meinen Kleidern ins Liebfrauenkloster geschafft werden.« Hier wurde seine Stimme schwächer, und es schien, wie wenn Gedächtnis und Besinnung von ihm schwänden. »Seid guten Muts, Herr Ritter,« sagte Halbert, der außer sich war vor Gewissensbissen; »ich glaube bestimmt, es wird noch alles gut gehen ... ach! wäre doch nur ein Wundarzt zur Stelle!« »Und wären zwei Dutzend Aerzte zur Stelle, so wäre ich doch nicht mehr zu kurieren, denn sieh, mein Leben entflieht ja in Strömen. Grüße die ländliche Nymphe noch bestens von mir, die ich meine Protektion nannte ... o, Du wahrhaftige Kaiserin dieses nunmehr im Ernste blutenden Herzens! Aber Du, bäurischer Sieger, lege mich lang auf den Boden! wer hätte es Dir wohl an der Wiege fingen sollen, daß es Dir beschieden sein sollte, den Stolz alles flammenden Lichts am Hofe Felicias auszulöschen! ... o, ihr Heiligen und Engel! ihr Ritter und Edeldamen! Masken und Schaubühnen! witzige Sinnsprüche! Kettenwerk und Stickerei! Liebe, Ehre und Schönheit!« Dieweil der ritterliche Sir Piercie Shafton diese letzten Worte lispelte, die ihm ohne allen Zweifel unwillkürlich entschlüpften, als er der Herrlichkeit des englischen Hofes gedachte, streckte er die Glieder aus, stöhnte tief auf, schloß die Augen und lag regungslos da. Der Sieger raufte sich das Haar vor Schmerz, als er das bleiche Antlitz seines Schlachtopfers erblickte. Wenn auch das Leben noch nicht ganz aus dem Körper gewichen war, so sah er sich doch ohne andre Hilfe außer stande, es zu erhalten. Er verwünschte sich und die blutige Tat; er fluchte dem unheilkündenden Platze, den er, trotzdem er wußte, daß er einer Hexe oder dem Teufel selbst als Aufenthalt diente, als Stätte für die Austragung des Zweikampfes erwählt hatte; an jedem andern Orte, mußte er sich sagen, hätte er Hilfe herbeischaffen können, entweder durch die Schnelligkeit seiner Füße oder durch die Macht seiner Stimme; aber hätte er hier gerufen, wen anders hätte er erreichen können als den bösen Geist, der ihm dieses Unheil angeraten? ... Und nun rief er und schrie den dem Leser bekannten Zauberspruch ... aber nichts ließ sich hören oder sehen, weder eine Erscheinung noch ein Laut oder Zeichen. »Hexe! Zauberin! böser Feind!« erklang es aus seinem Munde; »bist Du taub? und doch warst Du so bereit, meinem Worte zu gehorchen und auf den Ruf nach Rache zu antworten? ... Nun, auf und rede! rede, wenn Du es nicht erleben willst, daß ich Deine Quelle verstopfe, Deinen Dornbusch ausreiße und Deine Behausung zur Wüstenei wandle!« Da! was erklang dort aus der Ferne? vom Eingange der Schlucht her? Ein Ruf war es, der sich ähnlich anhörte, wie ein Halloh! »Heilige Jungfrau, sei gepriesen!« rief der Jüngling, »ich höre die Stimme eines lebendigen Menschen, der mir in dieser furchtbaren Not raten und helfen kann.« Und der Stimme von Zeit zu Zeit durch ein Halloh antwortend, stürzte er, wie ein gehetztes Reh, den rauhen Pfad hinunter, und in einer Frist, unglaublich kurz für jeden andern, als einen Bewohner schottischer Berge, erreichte der Jüngling den von einem kleinen Bache durchströmten Eingang zur Schlucht Corrinan-Shinan. Hier blieb er stehen und ließ den Blick nach allen Richtungen hin durch das Tal schweifen, war aber außer stande, ein menschliches Wesen zu entdecken. Schon verlor er den Mut, aber im andern Augenblicke sagte er sich, daß ja die Krümmungen, die das Tal bildete, den Blick hemmten, und daß der Mensch, dessen Stimme er gehört habe, noch gar nicht bis zu ihm gelangt, geschweige schon sichtbar für ihn sein könne. Dicht neben ihm reckte eine Eiche ihren kräftigen Stamm empor. Mit einem Sprunge hatte der Jüngling den niedrigsten Ast erfaßt und kletterte, wie ein Eichkätzchen so flink, an dem Baum empor. Und von dieser hohen Warte aus konnte er ganz deutlich eine menschliche Gestalt sehen, die das Tal herab geschritten kam. Sie sah weder aus wie ein Schäfer noch wie ein Jäger, und doch pflegte sonst niemand durch diese Oedenei zu wandern, besonders nicht auf dem Pfade von Norden her, denn der Bach entsprang aus einem in dieser Richtung gelegnen weiten und höchst gefahrvollen Moraste. Halbert Glendinning hielt sich nicht auf mit Erwägungen, wer der Wanderer sein könne und was ihn in diese unwegsamen Ländereien führe. Ihm war es genug, zu wissen, daß ein Mensch, der ihm vielleicht helfen könne, in der Nähe sei. Im Nu war er wieder unten auf dem Erdboden und wieder in einem Nu war er um die Biegung herum gerannt, die das Tal hier bildete; und als er nun am Ende desselben stand und von neuem den Blick hinausschweifen ließ, und wiederum nichts erblickte, da war es ihm zu Mute, als sei er vom Schicksal genarrt worden, als sei die Gestalt, die er gesehen zu haben meinte, ein leeres Luftgebilde gewesen, oder die Ausgeburt seiner überhitzten Phantasie. Aber als er sich jetzt um den Fuß eines gewaltigen Felsblocks herum wand, da sah er zu seiner ganz unsäglichen Freude auf dem schmalen Pfade, der kaum einem Wanderer Raum bot, plötzlich vor sich einen Mann stehen, dessen Tracht auf einen Pilgrim zu deuten schien. Es war ein Greis, schon ziemlich hoch an Jahren, mit langem Bart, mit breitem Hut mit niedergeschlagner Krempe auf dem Haupte, in einem Kittel aus schwarzer Sersche, mit einem die Arme verdeckenden Oberteil, das im übrigen ganz ohne Falten auf den Leib herniederfiel. An der Seite trug er eine kleine Flasche und eine Tasche, in der Hand hielt er einen derben Stock. Er ging langsamen Schrittes, wie jemand, der bereits eine lange Wanderung hinter sich hat. »Grüß Gott, Vater!« sprach der Jüngling, »Gott und die heilige Jungfrau haben Euch hergesandt, mir zu Beistand und Hilfe.« »Und wie könnte solch schwaches Geschöpf wie ich Euch eine Hilfe sein?« erwiderte der Greis, der nicht minder überrascht war, einen so rüstigen Jüngling vor sich zu sehen, dessen Züge von Angst erfüllt und dessen Hände mit Blut besudelt waren. »Es verblutet sich ein Mensch hier unten im Tale!« sagte Halbert. »Hier ganz in der Nähe! Kommt mit, kommt mit! Ihr seid ein erfahrner Mann, Ihr seid im Besitz Eurer fünf gesunden Sinne, mich haben die meinigen so gut wie vollständig verlassen.« »Ein Mensch verblutet sich? hier im Tale?« wiederholte der fremde Greis, »hier in dieser öden Gegend?« »Verzieht nicht, guter Vater!« erwiderte Halbert, »die Zeit entflieht, und mit ihr das Leben jenes Aermsten! Kommt, folgt mir, Vater, und ohne einen Augenblick zu säumen!« »Aber mein Sohn, wer wird denn so im Handumdrehen einem fremden Menschen folgen, den er zum ersten Male im Leben sieht, obendrein in einer Gegend wie dieser?« wandte der Greis ein. »Wenigstens mußt Du doch, ehe ich Dir folgen soll, mir Deinen Namen sagen und Deine Absicht künden!« »Hier, guter Vater, ist nicht Zeit zu Auseinandersetzungen. Ich sage Euch doch, es steht ein Menschenleben auf dem Spiel. Ihr müßt helfen, sage ich Euch, Ihr müßt, oder ich bringe Euch mit Gewalt so weit, daß Ihr Ja sagt und mitgeht.« »Nun, mein Sohn, der Gewalt bedarf es nicht,« erwiderte der Greis, »sofern es sich wirklich so verhält, wie Dein Mund mir kündet, denn in solchem Falle folge ich Dir gern willig, und um so eher, als ich in der Heilkunde nicht ganz unerfahren bin und ein Mittel in meiner Tasche trage, das Deinem Kranken gewiß wird nützlich sein können. Geh aber langsamer, mein Sohn, denn solchen Schritt kann ich nicht halten, bin ich doch von langer Wanderung stark entkräftet.« Ungeduldig wie ein feuriges Roß, das von seinem Reiter gezwungen wird, mit einem langsamen Klepper auf einer Hochstraße gleichen Schritt zu halten, mit dem verhaltnen Ungestüm eines Wanderers, der einem Ziel entgegenjagen möchte, aber auf seinen Kameraden Rücksicht nehmen muß, weil ihm dieser noch nicht traut, lief Halbert an der Seite des Pilgers einher. Endlich hatten sie die Stelle erreicht, wo sie aus dem weiten Tale in die Schlucht hineinbiegen mußten. Hier aber blieb der Greis unschlüssig stehen, wie wenn er den Fuß nicht von der offnen Straße hinweg setzen möchte. »Junger Mensch,« sprach er, »sofern Du gegen diese grauen Haare Schlimmes im Schilde führen solltest, so laß Dir wenigstens das eine sagen, daß Du wenig dabei wirst gewinnen können, denn ich trage keine Schätze bei mir, die Räuber und Mörder locken könnten.« »Und ich, guter Vater,« entgegnete Halbert, »bin weder das eine noch das andre ... und doch, allmächtiger Gott im Himmel! kann ich zum Mörder werden, wenn Ihr nicht zeitig genug zu dem Verwundeten mehr kommt, ihm Hilfe zu bringen.« »Verhält es sich wirklich so?« fragte der Greis. »Können menschliche Leidenschaften den Busen der Natur auch in ihrer tiefsten Einsamkeit bedrängen? Aber wieso sollte ich mich wundern, daß da, wo Finsternis herrscht, auch ihre Werke gedeihen? Ihr sollt den Baum erkennen an seinen Früchten ... heißt es nicht also in der Schrift? ... Geh voran, unglücklicher Jüngling! ich folge Dir.« Und eifriger als bisher strengte der fremde Greis sich an, die Erschöpfung zu meistern, die sich seiner bemächtigt hatte, und mit seinem ungestümen Führer gleichen Schritt zu halten. Endlich hatten sie die verhängnisvolle Stelle erreicht. Aber wie groß war das Erstaunen des jungen Schotten, als er keine Spur mehr von Piercie Shafton entdeckte! Daß ein Kampf hier stattgefunden hatte, dafür gaben noch deutliche Spuren Zeugnis. Und wenn auch der Mantel des Ritters zusammen mit seinem Leibe verschwunden war, so war doch sein Wams noch dort, wo er zuvor gelegen hatte, und der Rasen, auf den er gestreckt worden war, zeigte noch deutliche Blutspuren. Als Halbert, von Schreck und Staunen wie gelähmt, um sich blickte, fielen seine Augen auf die Stelle, wo sich das Grab befunden hatte, und nun erst sah er, daß dasselbe nicht mehr offen, sondern zugeschüttet war. Die Erde schien also ihren neuen Gast bereits aufgenommen zu haben, denn der gewohnte Grabhügel war bereits errichtet worden und die Schollen lagen so akkurat aneinander gefügt, wie es kein Totengräber besser hätte machen können. Halberts bemächtigte sich unwiderstehlich der Gedanke, daß unter dem Erdhügel jener Mensch begraben liege, der vor kurzen noch geatmet hatte, aber durch seine grausame Handlungsweise einem frühzeitigen Grabe entgegengeführt worden war. Jene selbe Hand, die das Grab bereitet hatte, hatte nun auch das Werk vollendet und die Leiche darin geborgen! und wessen andre Hand konnte es sein, als die jenes geheimnisvollen Wesens, das er in seiner Waghalsigkeit angerufen, dem er vergönnt hatte, in sein Schicksal mit einzugreifen? Und als er so dastand, die Hände ineinander geschlungen und den Blick empor zum Himmel gerichtet, da wurde er aufgeschreckt durch die Stimme des fremden Greises, dessen Argwohn sich wieder regte, als er die Szene so völlig anders erblickte, als der Jüngling sie ihm geschildert hatte. »Jüngling,« sprach er, »hast Du Deine Zunge mit dem Köder der Falschheit befleckt, um vielleicht wenige Tage von dem Leben eines Mannes abzuschneiden, den die Natur bald heimrufen wird, ohne daß Du es notwendig hättest, die Schuld auf Dich zu laden, daß Du ihm nach dem Leben getrachtet hast?« »Nein! bei der himmlischen Jungfrau, Vater! solches liegt nicht in meinem Sinne und hat nicht in meinem Sinne gelegen!« »Schwöre nicht, Jüngling,« antwortete der Greis, »weder beim Himmel, denn er ist der Thron Gottes, noch bei der Erde, denn sie ist sein Schemel, noch bei den Geschöpfen der Erde, denn sie sind seine Gebilde. Deine Rede sei: Ja, ja, Nein nein! was darüber ist, das ist vom Uebel. Sage mir mit einfacher, klarer Rede: weshalb und zu welchem Zweck hast Du solche Mär ersonnen, die einen verirrten Wanderer in eine noch größere Irre hat leiten müssen?« »So gewiß ich ein Christ bin, guter Vater,« erwiderte Halbert, »so habe ich den Mann hier in seinem Blute verlassen, und doch sehe ich ihn nun nicht mehr, und das Grab, das Ihr hier seht, hat, so fürchte ich, seine sterblichen Reste schon aufgenommen!« »Und wie heißt der Mann, um dessen Schicksal Du in solcher Bange bist?« fragte der Greis, »und wie ist es möglich, daß der auf den Tod verwundete Mann von hier weggeschafft oder an solch einsamer Stätte sollte beerdigt worden sein?« »Er heißt,« antwortete Halbert nach einer kurzen Weile, »Piercie Shafton ... aber wer ihn von dieser Stelle, wo ich ihn auf den Tod verwundet liegen ließ, weggeschafft hat, das zu sagen ist mir ein Ding der Unmöglichkeit.« »Piercie Shafton?« wiederholte der Greis, »Sir Piercie Shafton von Wilverton? ein Verwandter des großen Piercie von Northumberland, wie es heißt? ... Jüngling, wenn Du ihn erschlugst, und wenn Du nach solcher Tat zurückkehrst in die Abtei des Abtes, dann kannst Du ebenso gut Deinen Hals in den Knoten stecken, den der Henker um den Hals seines Opfers schlingt. Sir Piercie Shafton ist gar wohl bekannt als unbedingter Schildträger des Papstes, der von Politikern, als Werkzeug klügerer Ränkeschmiede sowohl wie aber auch solcher, die lieber Böses sinnen als Gefahren bestehen, mit Vorliebe auf sogenannte verlorne Posten geschoben wird. Ich sage Dir, Jüngling, ziehe mit mir und rette Dich vor den schlimmen Folgen dieser Tat! geleite mich nach dem Schlosse Avenel, und Schutz und Sicherheit soll Dir hierfür zum Lohne werden.« Halbert stand schweigend und ging mit sich zu Rate. Daß die Rache des Abtes nicht gelind sein werde an dem Mörder des Freundes und Gastes, war ihm freilich klar und war ihm von vornherein klar gewesen; allein bei den verschiedenen Möglichkeiten, die er vorher erwogen hatte, war ihm doch entgangen, zu erwägen, was er dann begänne, wenn Sir Piercie der unterliegende Teil sei. Wenn er nach Glendearg zurückkehrte, dann war mit aller Sicherheit anzunehmen, daß sich die Rache der Klosterbrüderschaft auf seine ganzen Angehörigen erstrecken werde; dagegen konnte es, wenn er entfloh, den Anschein gewinnen, als habe er ganz ohne Wissen der Seinigen von Anfang bis zu Ende in der Angelegenheit gehandelt und habe die Flucht ergriffen, um auch mit ihnen allen Auseinandersetzungen darüber enthoben zu sein. Halbert erinnerte sich auch der Gunst, die der Unterprior den Seinigen zuwandte, vor allem seinem Bruder Edward, und er sagte sich, daß er wohl am ehesten auf dessen Verwendung zu gunsten der Seinigen bei dem Abte zu rechnen haben dürfte, wenn er diesem würdigen Herrn seine Schuld erst von einer gewissen Entfernung von Glendearg aus unumwunden bekennte; und infolge weiterer reiflicher Erwägung dieses Gedankens entschloß er sich zur Flucht. Bestärkt wurde er hierin durch die Gegenwart des Pilgers und den Schutz, den ihm derselbe verhieß. Immerhin aber war er nicht im stande, sich darüber Klarheit zu schaffen, wie sich die Aufforderung des Greises, ihn zu seiner Sicherheit nach Avenel zu begleiten, zu dem gegenwärtigen Eigentümer der Herrschaft, Julian von Avenel, verhalten möchte. »Frommer Vater, Ihr irrt Euch, fürchte ich,« sagte er, »in dem Manne, bei dem Ihr mir Unterkunft verschaffen wollt. Julian von Avenel war es doch gerade, der Sir Piercie Shafton nach Schottland geleitete, und sein Reisiger Christie von Clinthill hat doch diesen Südländer zu uns nach Glendearg gebracht.« »Das ist mir sehr gut bekannt,« erwiderte der Greis; »allein, wenn Du Dich ebenso auf mich verlassen willst, wie ich mich Dir ohne Widerstreben anvertraut habe, so wirst Du bei Julian Avenel freundliche Aufnahme, zum wenigsten Sicherheit finden.« »Nun denn, wackrer Vater,« erwiderte Halbert, »wenn ich auch Eure Aussage mit Julian Avenels Verhalten nicht in Einklang zu sehen vermag, so will ich doch, da mir Eure Worte treu und redlich erscheinen und mich meine persönliche Sicherheit wenig bekümmert, sowie nicht zum wenigsten aus Rücksicht darauf, daß Ihr Euch so unbedingt meiner Leitung anvertraut, Euer Vertrauen erwidern und Euch nach dem Schlosse Avenel geleiten, und zwar auf einem Pfade, den Ihr selbst wohl kaum gefunden haben dürftet.« Mit diesen Worten ging er voran, und der Greis folgte ihm, lange Zeit in Schweigen versenkt. Sechstes Kapitel Es war ein schmerzliches Gefühl, das Halberts Brust erfüllte, als er neben dem Greise einherschritt in dem Bewußtsein, daß dieser Weg ihn auf immer entfernte von seinem Heim und von Mary Avenel, weit schmerzlicher als es zu sein pflegt zu einer Zeit und in Ländern, wo ein Menschenleben wenig gilt, wie es in jenen Jahrhunderten vorwiegend der Fall war in Schottland; und lange Zeit ging der Greis neben dem Jüngling her, aber endlich brach er das Schweigen. »Mein Sohn,« sprach er, »es heißt im Sprichwort, der Kummer, der sich keine Luft mache, sei tödlich. Sage mir, weshalb befällt Dich eine solche Niedergeschlagenheit? Erzähle mir das unglückliche Los, das Dich getroffen hat; es ist mir doch vielleicht möglich, Deinem jungen Leben Rat und Hilfe zu schaffen.« »Ach,« klagte Halbert, »könnt Ihr Euch wohl wundern, daß Ihr mich bekümmert seht? Ich bin jetzt ein Flüchtling, der Mutter, Bruder und Freunde hinter sich läßt, auf dessen Seele das Blut eines Menschen lastet, der mich wohl beleidigte, aber doch nur mit eitlen Reden, die ich ihm aber blutig heimzahlte. Mein Herz sagt mir, daß ich Böses getan habe, und es müßte ja auch härter sein als diese Felsen, wenn es den Gedanken, daß ich diesen Menschen ohne Testament und Beichte zu schwerer Rechenschaft sandte vor den Herrn, seinen Gott, ertragen könnte, ohne herbe Reue darüber zu empfinden.« »Fasse Dich, mein Sohn,« erwiderte der Wanderer, »freilich ist es eine Todsünde, Gottes Ebenbild in der Person Deines Nächsten zu vernichten, in eitlem Zorn und eitler Hoffart Staub zu Staube gesellend, einem Mitmenschen die Frist abzukürzen, die ihm der Himmel zur Reue vergönnt hat; und grade dies macht die Sünde freilich um so schlimmer. Indessen, mein Sohn, für dieses alles ist Balsam gewachsen in Gilead.« »Ich verstehe Eure Worte nicht, frommer Vater,« sagte Halbert, ergriffen von dem feierlichen Tone, den der Greis angeschlagen hatte. »Du hast Deinen Feind erschlagen, mein Sohn,« fuhr der Greis in seiner Rede fort, »das ist eine grausame, schlimme Tat. Du hast ihn vielleicht erschlagen in seiner Sünde, und das macht Deine Missetat noch schlimmer. Handle jetzt nach meinem Rate und befleißige Dich mit Eifer, statt der Seele, die Du vielleicht dem Reiche des Bösen zugeführt hast, eine andre Seele aus der Macht des Bösen zu erretten.« »Jetzt verstehe ich den Sinn Eurer Rede, Vater,« erwiderte Halbert, »ich könnte, so meint Ihr, meine unbesonnene Handlung dadurch wieder gut machen, daß ich der Seele meines Widersachers einen Dienst erwiese? Aber wie soll das geschehen können? Um Messen lesen zu lassen, dazu habe ich kein Geld; gern aber wollte ich barfuß nach dem heiligen Lande pilgern, um seine Seele aus dem Fegfeuer zu erlösen, wenn nur ...« »Mein Sohn,« fiel ihm der Greis ins Wort, »der Sünder, um dessen Errettung Du Dich bemühen sollst, befindet sich nicht unter den Toten, sondern wandelt unter den Lebenden. Nicht mahnen will ich Dich, für die Seele Deines Widersachers zu beten, denn ihm wurde von einem milden und gerechten Richter bereits sein letztes Urteil gesprochen, und könntest Du Gold prägen aus diesem Felsen, es möchte der abgeschiedenen Seele nichts frommen. Denn wohin der Baum fällt, dort bleibt er liegen. Doch die Gerte, in der noch Kraft und Saft ist, läßt sich biegen nach dem Punkte, wohin man sie wenden will.« »Bist Du ein Priester, Vater?« fragte der Jüngling, »oder in wessen Auftrage redest Du von so hohen Dingen?« »Im Auftrage meines Gottes und Herrn, des Allmächtigen über Himmel und Erde!« erwiderte der Wanderer, »unter dessen Banner ich kämpfe und streite.« Halberts Wissen in religiösen Dingen gründete sich einzig und allein auf den Katechismus des Erzbischofs von Sankt Andreas und auf ein Büchelchen, das »Der Zehnpfennigsglaube« hieß und gleich dem andern durch die Klosterbrüder der Abtei zu Sankt Marien unter dem Volke verbreitet wurde. Aber so gering sein Wissen in dieser Hinsicht zufolgedessen war, so beschlich ihn jetzt der Argwohn, daß er sich in Gemeinschaft eines Evangelischen oder Ketzers befände, die damals in Schottland umherzogen und die alte Religion in ihren Grundfesten zu erschüttern suchten. Erzogen in frommem Abscheu vor diesen schrecklichen Sektierern, trug der Jüngling in seinem Herzen tief eingewurzelt die Ueberzeugung eines treuen und unterwürfigen Kirchenvasallen. »Wärest Du fähig, alter Vater, die Worte mit Deiner Hand zu verfechten,« sprach Halbert, »die Deine Zunge gegen unsre heilige Mutterkirche ausgestoßen hat, so wollten wir hier auf diesem Moor erproben, welche von unsern Glaubenslehren den besten Kämpfer für sich habe.« »Ei, bist Du ein rechter Söldner Roms,« erwiderte der Greis, »dann darfst Du Deinem Vorsatze nicht entsagen, denn Du hast den Vorteil der Jahre und Stärke auf Deiner Seite. Höre mich an, mein Sohn! Ich habe Dir gezeigt, wie Du Dich mit dem Himmel versöhnst, und Du hast meinen Vorschlag von Dir gewiesen. Nun will ich Dir weiter zeigen, wie Du Dich mit den Mächten dieser Welt aussöhnst. Trenne dieses hinfällige Haupt von dem hinfälligen Leibe, der es trägt, und bringe es dem hoffärtigen Abte Bonifacius, und sofern Du ihm beichtest, Du habest Sir Piercie Shafton erschlagen, dann lege ihm dieses Haupt vor die Füße und sage ihm, es sei Heinrich Wardens Haupt, dann wird er Dir nicht allein Absolution erteilen, sondern Dich unter die Kandidaten für den nächsten Heiligenspruch aufnehmen.« Halbert Glendinning schreckte zurück. »Was?« rief er, »Ihr wäret Heinrich Warden? der Ketzer, der so berühmt ist unter seinesgleichen, daß sogar oft der Name des großen Knox vor ihm verbleicht?« Und nach einer kurzen Pause setzte er hinzu: »Der wäret Ihr, und getrautet Euch, den Fuß zu setzen in das Gebiet des Sankt Marien-Klosters?« »Jawohl, ich bin Heinrich Warden,« antwortete der Greis, »doch bin ich nicht würdig, neben Knox genannt zu werden, wenn ich mich auch freudig jeder Gefahr unterziehe, zu der mich der Dienst meines Herrn beruft.« »Dann höre jetzt Du mich!« sagte Halbert; »Dich zu töten, gebricht es mir an Mut. Dich in Gefangenschaft zu führen, brächte gleichfalls Blut über mein Haupt. Dich in dieser Wildnis ohne Führer zu lassen, wäre nicht viel anders. Ich werde Dich also, wie ich es Dir versprach, nach dem Schlosse von Avenel begleiten. Aber nur unter der Bedingung, daß Du, so lange wir unterwegs sind, kein Wort über die heilige Kirche redest, als deren unwürdiges und unwissendes, aber eifriges Mitglied ich mich bekenne. Wenn Du im Schlosse bist, dann mußt Du Dir selbst helfen. Es steht ein hoher Preis auf Deinem Kopfe, und Julian Avenel, das laß nicht außer acht, ist ein großer Verehrer unsrer schottischen Goldstücke.« »Willst Du damit sagen, er könnte um schnöden Goldes wegen das Blut seines Gastes vergießen?« »Nein, sofern Du zu ihm kommst als Fremder, der von ihm geladen wurde und auf seine Treue baut, wird Julian, ein so schlimmer Herr er auch ist, es nicht wagen, die Gesetze der Gastfreundschaft zu brechen, die uns in Schottland, so schlaff auch alle andern Bande sein mögen, aneinander ketten, die für heilig im höchsten Sinne dieses Wortes gehalten werden. Seine eignen Verwandten würden es für ein unverbrüchliches Gesetz ansehen, sein Blut zu vergießen, um den Schandfleck zu tilgen, den der Bruch der Gastfreundschaft auf ihren Stamm und ihren Namen brächte. Kommst Du hingegen zu ihm, ohne daß Du Anspruch auf Gastrecht hast, dann sei versichert, daß Du bei einem Julian von Avenel alles riskieren wirst!« »Ich stehe in der Hand meines Gottes,« erwiderte der Prediger, denn ein solcher war Heinrich Warden, »bloß auf sein Geheiß pilgre ich durch diese Wildnis und setze mich allen Gefahren solcher Pilgerschaft aus, und so lange ich im Dienste meines Herrn und Meisters noch wirken kann, so lange soll nichts mich schrecken. Kann ich aber, gleich dem verdorrten Feigenbaume, keine Frucht mehr tragen, was mag dann liegen daran, wann und von wem die Axt an die Wurzel gelegt wird?« »Solcher Mut und solche Hingabe,« rief Halbert, »wären einer bessern Sache würdig.« »Das ist nicht wohl möglich,« versetzte Warden, »denn eine bessere Sache denn meine gibt es hienieden nicht.« Die beiden Wanderer setzten schweigend ihren Weg fort, und Halbert Glendinning suchte sich mit äußerster Behutsamkeit einen Weg durch die Wirrnis der gefährlichsten und unbegangensten Moräste zu bahnen, die den heiligen Klosterbann von dem Landbesitze des Schlosses Avenel trennten. Hin und wieder mußte er inne halten und seinem Begleiter über den schwankenden Boden des Moors hinweghelfen. »Mut, Alter!« sagte Halbert, als sein Gefährte allmählich ans Ende seiner Kraft gelangt war. »Bald stehen wir auf festem Grunde.« Die Verheißung sollte sich auch schnell erfüllen, denn bald hatten sie nun das Ende des Sumpfes gewonnen und schlugen den Pfad längs dem Abhange ein, über frischen Rasen hinweg, der, von weitem gesehen, die braune Heide wie ein schmales grünes Band durchzog, während man in der Nähe diesen Unterschied der Färbung bei weitem nicht so deutlich bemerkte. Der Greis hatte einen verhältnismäßig leichten Gang und sprach, da er keine Neigung verspürte, von neuem den Eifer des mannhaften Jünglings für die katholische Religion zu wecken, über gleichgültige Dinge. Er war weitgereist und vertraut mit Sprache und Sitten andrer Völker, und so war es wohl begreiflich, daß Halbert Glendinning, der um seiner Tat willen damit rechnen mußte, das Ausland aufzusuchen, ihm mit gespannter Aufmerksamkeit lauschte, als er auf diese Dinge zu sprechen kam. Nach und nach wurde er von dem Greise durch die so anregende Unterhaltung gefesselt; die Furcht, die er vor ihm als einem Ketzer gehegt hatte, schwand, und mehr als einmal hatte er ihn wieder mit dem trauten Worte »Vater« angeredet, ehe ihnen die Türme der Burg von Avenel in Sicht kamen. Die alte Feste lag auf einem kleinen Felseneiland mitten in einem Bergsee, die man in der dortigen Gegend mit dem Namen »Tarn« zu nennen liebt. Der See mochte etwa eine Meile im Umfange haben und war von ziemlich hohen Hügeln eingeschlossen, die bis auf die wenigen Stellen, wo alte Bäume und Buschholz die Schluchten, die sie von einander schieden, bedeckten, kahl und nackt waren und zufolge ihrer Granitfärbung eine fast täuschende Aehnlichkeit mit der braunen Heide aufwiesen. Die Umgebung war weniger romantisch und großartig als vielmehr wild und grausig, jedoch nicht ohne Reiz. Zur Sommerszeit, wenn die Sonne ihre glühenden Strahlen auf den See sandte, erschien sein Wasser tiefblau, und wenn zur Winterszeit auf den Hügeln um den See herum blendender Schnee lag, dann schimmerte die Wasserfläche wie ein trüber, zerbrochner Spiegel um die Mauern der grauen Burg auf dem schwarzen felsigen Eiland. Sie bedeckte mit ihren Baulichkeiten und mit den Außen- und Seitenmauern jede aufragende Felsspitze und jeden vorspringenden Felshang, so daß es den Eindruck erweckte, als sei sie gänzlich von Wasser umschlossen, gleich einem Wildschwanhorste, und bloß ein schmaler Damm, der das Eiland mit dem Uferlande des Sees in Verbindung setzte, störte diesen Eindruck. Die Insel nahm sich auch übrigens weit größer aus, als sie in Wirklichkeit war, und von den Gebäuden, die auf ihr standen, war manches bereits baufällig und unwohnlich geworden. Zu jener Zeit, als das Haus Avenel noch in seinem vollen Glanze dagestanden, hatte eine beträchtliche Anzahl von Dienstmannen darin gehaust; zurzeit standen sie aber öde und leer, und Julian dürfte wohl, wenn er nicht dem Felseneiland um seiner persönlichen Sicherheit willen den Vorzug gegeben hätte, sich in manch anderm Asyl lieber aufgehalten haben als in diesem einsamen, von allem Verkehr mit Menschen so streng abgeschlossenen Burgwesen. Aber die mancherlei Fehden, die Julian ausfocht, seine Verwicklung in fast alle dunklen Unternehmungen, die in solchem wilden Grenzgebiet an der Tagesordnung waren, auch allerhand persönliche Abenteuer andrer Art, die er liebte, machten es gewissermaßen zum Gesetz für ihn, daß er einem so sichern Aufenthalt, wie ihn die alte Burg bot, vor jedem andern Domizil den Vorzug gab, zumal seitdem er sich mit beiden am Ruder befindlichen Parteien eingelassen hatte, und bald mit der einen, bald mit der andern in engere Beziehungen trat, je nachdem es seinen Zwecken am besten diente. Als sich jetzt die alte Burg den Blicken der beiden Wanderer zeigte, blieb der Greis, auf seinen Pilgerstab gestützt, stehen und ließ die Blicke über die Landschaft schweifen. Wie bereits gesagt, war die Burg stellenweis bereits verfallen, und sogar auf die Entfernung hin, in welcher sich die Wanderer noch befanden, fielen die schadhaften Stellen an den Außenflächen der Mauern ins Auge. Eine dunkle Rauchsäule stieg aus den Essen auf, die sich in langen Dunststreifen über den klaren Aether zog, zum Zeichen dafür, daß die alte Burg nicht unbewohnt war. Aber sie wies doch erhebliche Unterschiede gegen die andern herrschaftlichen Behausungen auf, selbst der geringern Barone im Lande. So zeigten weder die Getreidefelder noch die eingehegten Weideplätze von der Seeseite her jene sorgsame Bewirtschaftung, welche man in Schottland vorwiegend antrifft. Auch die kleinen mit Ahornpfählen eingezäunten Hütten suchte man hier vergebens, die den Hörigen zur Wohnung dienen; auch keine Kirche sah man im Tal, und auf den Hügeln weideten so wenig die sonst überall vorhandenen Schafherden, wie in den Gründen Hornvieh; kurz, nichts war vorhanden, was auf irgend welche Uebung friedlicher Gewerbe schließen ließ. Augenscheinlich galten die Bewohner, so weit welche vorhanden waren, lediglich als Besatzungsmannschaft für die Burg, die in dem Schutzbereich derselben hauste und ihre Nahrung sich in andern als friedlichen Erwerbszweigen suchen mußte. »Man könnte sich zu der Meinung versucht fühlen,« meinte der Greis, als er sich dem Anschein nach an der alten Burg sattgesehen hatte, »die der König von einer andern Burg seines Landes gewann, als er ihr einen Besuch machte oder einen Feldzug gegen sie führte, daß ihr Erbauer ein Erzspitzbube gewesen sein müsse.« »Was jedoch hier nicht zuträfe,« erwiderte Halbert, »denn die Burg ist von den ersten Lords von Avenel erbaut worden, die im ganzen Land zu Friedenszeiten ebenso beliebt wie in Kriegszeiten gefürchtet waren. Der Mann, der sich auf räuberische Weise jetzt in den Besitz ihres Erbteils gesetzt hat, hat keine größere Ähnlichkeit mit ihnen, als die räuberische Eule mit dem Falken hat, wenn sie auch auf den gleichen Felsen horsten.« »Also ist Julian Avenel bei seinen Nachbarn nicht gut angeschrieben?« fragte der Greis. »So schlecht angeschrieben ist er,« erwiderte Halbert, »daß ich mit Ausnahme der Wamsmänner und Reisigen, mit denen er gemeinsame Sache zu machen pflegt, kaum noch jemand kenne, der sich mit ihm abgeben möchte. Zu wiederholten Malen schon ist er in England wie in Schottland geächtet worden, seine Güter sind für verfallen erklärt und über ihn selbst die Acht verhängt, ja auf seinen Kopf sogar ein Preis gesetzt worden. Aber in Zeiten, wie den unsrigen, findet ein Mann von solcher Verwegenheit, wie Julian Avenel, immer ein paar gute Freunde, die ihn mit Freuden gegen die Strafe des Gesetzes in Schutz nehmen, vorausgesetzt daß er im stillen zu Gegenleistungen sich bereit finden läßt.« »Du schilderst ihn mir als einen recht gefährlichen Menschen,« meinte Heinrich Warden. »Das könnt Ihr leicht selbst erfahren,« antwortete der Jüngling, »sofern Ihr nicht ordentlich auf Eurer Hut seid. Indessen kann es ja doch auch sein, daß er sich unsrer Kirchengemeinschaft entfremdet hat und auf dem Pfade der Ketzerei wandelt.« »Was Du in Deiner Verblendung so nennst,« belehrte ihn der Reformator, »ist einzig und allein der richtige Weg zum wahren Glauben. Gebe der Himmel, der Mann wäre von keinem andern schlechten Geiste beseelt als diesem! Mir persönlich ist der Baron von Avenel völlig unbekannt. Er gehört weder zu unsrer Vereinigung noch zu unserm Rat. Und doch habe ich Schreiben an ihn von Personen, die er, wenn nicht fürchten, so doch achten muß, und im Vertrauen darauf begebe ich mich zu ihm in seine Behausung ... Kommt, wir wollen weiter gehen. Die kurze Pause, die wir uns gegönnt haben, hat mich hinreichend gestärkt.« »Laßt Euch wenigstens noch folgendes raten, frommer Vater,« sagte Halbert, »Ihr dürft wohl glauben, daß das, was ich Euch sage, sich auf den Brauch gründet, der in diesem Lande und bei seinen Bewohnern herrscht. Könnt Ihr es aber wagen, den Fuß in die Burg zu setzen, dann versucht wenigstens, sichres Geleit von ihm zu erreichen, und laßt nicht eher ab, als bis ers Euch zuschwört beim schwarzen Kreuze. Achtet auch darauf, ob er mit Euch zusammen an der gleichen Tafel ißt und ob er Euch zutrinkt. Unterläßt er es, Euch diese Zeichen des Willkomms zu bieten, dann will er Euch auch nicht wohl, und Ihr tut gut, auf Eurer Hut zu sein.« »Leider habe ich zurzeit keine bessre irdische Zukunft als diese drohenden Türme, aber im Vertrauen auf jenen andern Beistand, der nicht von dieser Erde ist, setze ich den Fuß hinein. Du aber, mein wackrer Jüngling, mußt denn auch Du Dich den Gefahren dieser Höhle aussetzen?« »Ich bin nicht in Gefahr,« erwiderte Halbert Glendinning, »denn ich bin gut bekannt mit einem Reisigen Julians, mit Christie von Clinthill. Und was mich persönlich am besten schützt, ist der Umstand, daß ich nichts an mir habe, was Bosheit wecken und Raubgier locken könnte.« Vom See her wurden in diesem Augenblick Hufschläge laut, und als sie sich umdrehten, erblickten sie einen Reiter, dessen Stahlhelm und Lanzenspitze im Schein der untergehenden Sonne glitzerten. Er kam rasch auf sie zugeritten, und Halbert erkannte auf der Stelle Christie von Clinthill in ihm. Er unterrichtete geschwind seinen Kameraden, daß es Julians Reisiger sei, der auf sie zukäme. »Ei, ei, mein Bürschchen,« rief Christie dem jungen Glendinning zu, »hast Du Dich nun doch noch besonnen und kommst, Dienst bei meinem edlen Herrn zu nehmen? Als wir letzt zusammen sprachen, warst Du ja noch recht widerhaarig! Aber sollst an mir einen treuen Kameraden finden, und noch vorm Sankt Barnabas-Tage alle Schleichwege zwischen Millburn Plain und Netherby so genau kennen, als wärst Du mit dem Wams auf dem Leibe und mit der Lanze in der Faust auf die Welt gekommen. ... Was bringst Du uns denn aber für einen alten schwarzen Knaben mit ins Haus? Zu der Brüderschaft vom Liebfrauenkloster gehört er doch nicht, denn ich sehe ja das Brandmal dieser schwarzen Biester nicht an ihm.« »Es ist ein Pilger, der mit dem Ritter von Avenel etwas zu erledigen hat, geschäftlicher Natur, also brauchst Du Dich nicht so zu haben! Und was mich selbst angeht, so will ich nach Edinburg hinunter, um mich mal bei Hofe umzusehen. Wenn ich wieder heimkomme, will ich zusehen, was sich zu Deinem Vorschlag sagen läßt. Für heute nacht jedoch will ich von Deiner häufigen Einladung, Dich mal auf der Burg zu besuchen, Gebrauch machen und um Unterkunft für den Greis und mich bitten.« »Du bist willkommen, junger Kamerad,« sagte hierauf Christie, »aber für Pilger oder Leute, die wie Pilger aussehen, haben wir auf der Burg kein Gelaß.« »Mit Verlaub, mein Lieber,« nahm Heinrich Warden das Wort, »ich habe von einem vertrauten Freunde Empfehlungsschreiben an Euren Herrn, und darf wohl annehmen, daß er sich demselben durch ernstere Dinge gefällig erweisen möchte, als daß er mir auf kurze Zeit Schutz und Unterstand gewährt. Ich bin kein Pilger, im Gegenteil den Wallfahrten mit ihren abergläubischen Bräuchen streng abhold.« Mit diesen Worten reichte er dem Reisigen die Papiere, der sie wohl nahm, aber den Kopf schüttelte und sagte: »Damit muß sich mein Herr selbst befassen. Er wird sie wohl lesen können. Für mich sind Schwert und Lanze Buch und Psalter und sind es schon seit meinem zwölften Jahre. Aber in die Burg hinauf führen will ich Euch, der Baron von Avenel mag Euch selbst bescheiden, ob er Euch aufnehmen will oder Euch lieber den Laufpaß gibt.« Inzwischen hatte der kleine Trupp den Damm erreicht, der die Verbindung zwischen dem Felseneiland und dem Ufer des festen Landes herstellte. Er trabte Christie voraus und meldete den Burgwächtern seine Ankunft durch einen schrillen Pfiff. Die vordere Zugbrücke wurde niedergelassen, der Reiter trabte hinüber und verschwand auf der andern Seite unter der finstern Pforte. Glendinning und sein Kamerad folgten ihm langsam zu Fuße, denn der Weg über den holprigen Damm war beschwerlich, aber auch sie kamen bald unter den düstern Torweg, über welchem sich, in tiefrote Quadern gehauen, das alte Wappen des Geschlechtes der Avenel zeigte. Dasselbe stellte eine weibliche Gestalt vor in dichter Vermummung durch eine Art Schleier oder Umhang oder beides, die das Wappenfeld vollständig einnahm. Warum das Geschlecht derer von Avenel zu solch seltsamem Wappenbilde gekommen war, entzog sich der Betrachtung ebenso, wie was dasselbe bedeuten sollte; aber die Rede ging allgemein, daß die Wappenfigur die weiße Frau darstellte, jenes geheimnisvolle Wesen, dem in allen Wandlungen, die das alte Geschlecht betroffen hatte, eine weissagende, zum Teil sogar tätige Rolle beigemessen wurde. Halbert dachte beim Anblick dieser wunderlichen Wappenfigur an die mancherlei Umstände, die sein Schicksal und das der Mary von Avenel mit dieser Erscheinung in Beziehung gesetzt hatten, und es fiel ihm ein, daß er diese Figur schon auf dem bei der Plünderung des Schlosses nach Walter von Avenels Tode geretteten und von seiner Witwe mit nach Glendearg gebrachten Siegelringe dieses letzten direkten Sprossen des berühmten schottischen Geschlechts gesehen hatte. »Warum seufzest Du so schwer, mein Sohn?« fragte der Greis, der den Eindruck, den die Figur auf das Gemüt des Jünglings gemacht hatte, wohl bemerkte, aber den Grund dazu mißverstand; »wenn Du Dich fürchtest, den Fuß hinein zu setzen, so können wir ja noch immer umdrehen.« »Das müßt Ihr nun schon bleiben lassen,« meinte Christie von Clinthill, der eben aus einer Seitentür unterhalb des Gewölbes wieder zum Vorschein kam, »denn guckt Euch doch um! entweder müßt Ihr wie ein paar Wildenten durch das Wasser paddeln oder wie ein paar Regenvögel durch die Luft streichen, denn was andres bleibt Euch, wenn Ihr zurück wolltet, wohl nicht übrig.« Als sie sich umdrehten, sahen sie, daß die Zugbrücke schon wieder aufgezogen war und mit ihren Planken die im Untergang begriffne Sonne halb verdeckte, wodurch natürlich die Finsternis, die in dem Gewölbe herrschte, noch erheblich vermehrt wurde. Christie lachte höhnisch, dann forderte er sie auf, ihm zu folgen, und als Halbert ihm in die Nähe kam, flüsterte er ihm zu: »Antworte nur dreist und flink auf jede Frage des Barons, ohne zu stocken und ohne nach schönen Worten zu suchen. Vor allen Dingen zeige keine Bange, denn kein Teufel ist so schwarz, wie ihn die Leute malen.« Mit dieser Mahnung geleitete er sie in die große steinerne Halle, an deren einem Ende ein mächtiges Holzfeuer brannte. Der Sitte gemäß wurde die Mitte des Raumes von einem großen eichnen Tische eingenommen, auf welchem das Abendbrot für den Baron und seine vornehme Hausdienerschaft gedeckt war. Etwa ein halbes Dutzend Mannen, große, herkulisch gebaute Figuren mit wild blitzenden Augen, schritten im hintern Teil der Halle auf und ab, mit so schweren Tritten, daß die ganze Halle dröhnte. Stahlwämser oder Koller von Büffelhaut machten den vornehmsten Teil ihrer Kleidung aus, während ihre Kopfbedeckung aus Stahlhauben oder breitkrempigen Hüten mit wallenden spanischen Federn bestand. Der Baron von Avenel war selbst eine jener schlanken, muskulös gebauten, an den alten Kriegsgott Mars erinnernden Figuren, wie sie Salvator Rosa mit Vorliebe gemalt hat. Er trug einen Mantel, der einmal mit äußerst feiner Stickerei besetzt gewesen sein mochte, aber derb strapaziert worden und durch den Einfluß von Wind und Wetter stark verschossen war. Unter einem Koller von Büffelhaut blitzte stellenweis das helle Panzerhemd vor, das er statt der schärfer in die Augen fallenden Rüstung zum Schutz gegen hinterlistige Anfälle auf dem Leibe trug. In einem ledernen Gurt steckte an der Seite ein breites schweres Schwert, an der andern jener kostbare Dolch, der einst dem Ritter Piercie Shafton gehört hatte, dessen Zierat jedoch stark ruiniert war, entweder weil unvorsichtige damit umgegangen worden war oder weil man nie daran gedacht hatte, ihn zu putzen oder zu erneuern. Trotz der groben Tracht, die er trug, verriet das Benehmen und die Haltung des Ritters doch weit mehr Noblesse als Benehmen und Haltung der Mannen, die seine Umgebung bildeten. Er mochte etwas über fünfzig Jahre alt sein, denn sein ehedem schwarzes Haar war stark mit Grau vermischt, aber das Feuer seiner Augen war durch das Alter noch nicht getrübt, sein reger Geist noch nicht geschwächt worden. Er war ehedem ein schöner Mann gewesen, denn Schönheit war dem Hause Avenel eigentümlich, aber Wind und Wetter hatten seinen Zügen einen Ausdruck von Rauheit und Derbheit gegeben. Er ging in einigem Abstande von seinen Untergebenen im Hintergrunde der Halle auf und ab, dem Anschein nach in tiefes Sinnen versunken, blieb von Zeit zu Zeit stehen, um einen auf seiner Hand sitzenden Falken zu streicheln oder zu füttern, und der Vogel, für diese Liebkosungen seines Herrn offenbar nicht unempfindlich, schlug hin und wieder mit dem Schnabel nach der Hand seines Herrn oder plusterte sich auf. Dann spielte um die Lippen des Barons ein Lächeln, gleich darauf aber versank er wieder in dasselbe mürrische Nachdenken wie zuvor, und schien ein auffälliges Etwas, an dem wenige so oft wie er vorbei gegangen wären, ohne den Blick darauf zu werfen, gar nicht zu sehen. Dieses Etwas war eine Frau von wunderbarer Schönheit in einer weniger reichen als geschmackvollen Kleidung, die auf einem niedrigen Schemel dicht neben dem mächtigen Kamine saß. Nach dem güldnen Geschmeide zu schließen, das ihren Hals und ihre Arme zierte, sowie weiter nach dem schmucken grünen Gewand, das bis auf den Boden hinunter fiel, und dem mit Silberfiligran gestickten Gürtel, an dem als Zierat ein Schlüsselbund an silberner Kette hing, endlich dem seidnen »Couvreche«, der um ihren Kopf geschlungen war, die Fülle ihres dunklen Haares nur zum Teil bedeckend, hätte man meinen müssen, die Hausfrau des Barons zu erblicken. Vor allem aber hätte darauf ein andrer Umstand deuten müssen, der in irgend einer alten Ballade höchst sinnig angedeutet wird durch die Worte, daß für die jetzige Figur der Frau, beziehungsweise den damaligen Zustand derselben, der Gürtel zu prall, das Kleid zu kurz geworden sei. Aber der niedrige Sitz, der ihr zugewiesen war, sowie der Ausdruck einer tiefen Schwermut, der sich nur dann zu einem schmerzlichen Lächeln wandelte, wenn sie gewahr wurde, daß Julian von Avenel einen flüchtigen Blick auf sie warf, nicht minder der Blick des sinnigen Auges, das ihren Gram zu verhüllen suchte, und die hervorquillende Träne, sobald sie sich unbemerkt meinte, dies alles wiederum schien bei der Frau nicht auf die Eigenschaft einer Gattin zu deuten, sie hätte denn gerade zu denen gehören müssen, die der Mann verschmäht, und die betrübten Herzens es lieben, sich auf sich selbst zu beschränken. Julians Verhalten hätte zu solchem Vermuten berechtigen können, denn er erwies ihr, während er in der Halle auf und nieder schritt, nicht die geringste jener Aufmerksamkeiten, die ein Mann, sei es aus Zuneigung oder Galanterie, fast jeder Frau erweist. Er schien weder von ihrer noch von der Anwesenheit der andern Personen etwas zu wissen, sondern bloß der Falke auf seiner Faust schien für ihn Bedeutung und Interesse zu haben. Auf den Falken schien auch die schöne Frau ihr Augenmerk zu lenken, vielleicht weil sie dachte, auf diese Weise am ehesten einen Anlaß zu einem Gespräch mit dem Baron zu gewinnen, oder weil sie meinte, in den Worten, die er zu dem Vogel sprach, etwas herauszuhören, was ihr für dies oder jenes ein gewisses Verständnis eröffnen könne. Die beiden fremden Männer hatten Zeit genug, dies alles wahrzunehmen, denn kaum waren sie mit dem Reiter, der sie führte, in die Halle eingetreten, als dieser sie bedeutete, an der Tür stehen zu bleiben, während er selbst sich in der Mitte der Halle aufstellte, beflissen, eine Haltung einzunehmen, die dem Baron, sobald es ihm einfiele, sich einmal umzudrehen, sofort ins Auge fallen müsse. Die Aufmerksamkeit seines Herrn und Gebieters auf andre Weise zu wecken, schien er nicht für geraten zu erachten; überhaupt fiel es sofort auf, in welcher sonderbaren Weise sich das Benehmen dieses dreisten und groben Menschen in Gegenwart des Ritters änderte; er war der unterwürfigste, kriechendste Wicht geworden, den man sich denken konnte, und erinnerte stark an einen rebellischen Köter, der den Schwanz einzieht und sich ängstlich in einen Winkel verkriecht, wenn er die Peitsche seines strengen Herrn wittert, oder wenn er vor einem stärkern Kameraden retirieren muß. So neu für Halbert Glendinning die ganze Situation und Szenerie auch war, so fühlte er sich doch mit allen Fasern seines empfindsamen Gemüts von dem schönen Frauenbild angezogen, das sich seinen Augen hier bot. Er sah recht gut, wie ängstlich sie acht gab auf die Worte, die der Ritter an seinen Falken richtete, und wie sich ihr Blick zu ihm stahl, um bei dem leisesten Anzeichen, daß er es gewahre, sich wieder von ihm abzuwenden. Der Ritter plauderte und scherzte noch eine ganze Zeitlang mit seinem Falken, bis schließlich die wilde Natur desselben sich geltend machte und er, als ihn der Ritter mit einem Stück Fleisch neckte, auf denselben einzustürmen versuchte. »Narr du!« lachte der Ritter, »vergißt wohl, daß du die Riemen an den Klauen hast? ... nimm dich in acht, du Biest, und bessre dich, sonst dreh ich dir mal nächster Tage den Hals um! Da, nimm den Happen und friß! das ist bei euch Kanaillen doch die Hauptsache. Damit kann man eure ganze Sippe kirre kriegen. ... Holla, Jenkin! schaff das Luder in seinen Käfig, ich habs satt mit ihm. Er soll sich baden, und morgen soll er steigen. Verstehst Du? ... Oho, Christie! so geschwind zurück?« Christie erstattete Bericht von seiner Mission, wie ein Polizeibeamter einem Vorgesetzten gegenüber, nämlich durch Zeichen und Gebärden sowohl als durch Worte. »Edelster Gebieter,« hub der würdige Trabant an, »der Laird von ...« er nannte den Ort nicht, sondern wies mit der Hand gen West ... »kann auf den festgesetzten Tag Euch sich nicht entschließen, weil der Lord-Landrichter gedroht hat, ihn ...« Er sprach nicht weiter, machte aber mit der Hand ein deutliches Zeichen nach seinem Halse, das seinen Zweifel über die Drohung des Landrichters bestehen ließ. »Der gemeine Feigling!« zischte Julian zwischen den Zähnen, »beim Himmel! die ganze Welt hat sich gedreht. Sie verdients nicht mehr, daß ein braver Mann darauf lebt. Tag und Nacht kann man reiten, ohne daß man einen Federbusch wallen sieht oder ein Roß schnauben hört. ... Der Geist unsrer Väter ist von uns gewichen, die wilden Tiere sogar entarten, unsre Falken sind Sperlinge, unsre Hunde Schwänzler, unsre Männer sind Weiber, und unsre Weiber sind ...« Da sah er zum ersten Male die schöne Frau an, und da hielt er mitten in seiner Rede inne, wiewohl in seinen Blicken eine solche Geringschätzung zum Ausdruck kam, daß sich das, was er verschluckte, ohne Mühe dahin ergänzen ließ: »Unsre Weiber sind so, wie die da.« Und doch verschwieg er das Wort, und die schöne Frau, von dem Wunsche erfüllt, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, möge auch vorgehen, was wolle, erhob sich und trat mit einer Miene erheuchelter Lustigkeit, hinter der sich aber ihre Schüchternheit recht unvorteilhaft versteckte, auf ihn zu und stellte ihm die Frage: »Unsre Weiber, Julian? Nun, was lag Dir denn auf der Zunge, Julian, von den Weibern?« »Was denn sonst, als daß sie gutmütige Dinger und barmherzige Schwestern sind wie Du, Käthe?« Tief errötend kehrte sie auf ihren Sitz zurück. Darauf wandte der Baron sich mit der Frage an Christie: »Na, und was bringst Du denn für ein Paar fremde Kerle mit?« »Der lange ist einer mit Namen Halbert Glendinning, und ist der ältere von den beiden Söhnen der Witwe von Glendearg.« »So? was führt ihn zu uns?« fragte der Baron, »etwa eine Botschaft von Mary Avenel?« »Soviel ich weiß, nicht,« erwiderte der Gefragte, »der junge Kerl schweift herum im Lande und war wohl immer ein wilder Sprößling, denn ich hab ihn ja schon gekannt, wie er erst kaum bis an sein Schwert heraufreichte.« »Was kann er leisten?« fragte der Baron. »Wohl alles, was man ihm auferlegt,« erwiderte der getreue Knappe, »er schießt einen Rehbock aufs Blatt, spürt das Wild auf, läßt den Falken steigen, hetzt den Hund, schießt mit Bogen und Armbrust wie ein Freischütz, schwingt Lanze und Schwert kaum schlechter als ich und tummelt den wildesten Gaul ... kurz, ich wüßte nicht, was er nicht verstünde, um ein wackrer Gesell zu werden.« »Und der alte Bärbeiß neben ihm? wer ist das?« »So etwas, wie ein Priesterknecht wohl, der Empfehlungsschreiben an Euch zu besitzen angibt,« antwortete Christie. »Laß die beiden Kerle herantreten,« befahl der Baron; aber kaum waren sie der Aufforderung gefolgt, als er, verwundert über die stattliche Gestalt des jungen Glendinning, denselben also anredete: »Ich höre, mein Junge, daß Du Dich in der Welt herumtreibst, ohne festes Ziel, auf der Suche nach dem Glück? Nun, wenn Du bei Julian Avenel in Dienst treten willst, dann brauchst Du weder nach Ziel noch nach Glück länger zu suchen.« »Mit Verlaub,« erwiderte Halbert, »es ist mir etwas passiert, das es mir geratner erscheinen läßt, das Land überhaupt zu meiden und mich nach Edinburg zu begeben.« »Was Du sagst!« rief lachend der Baron, »hast wohl königliches Wild weggeknallt? oder Dir von den Klosterwiesen ein paar Rinder gefangen? ... oder etwa gar eine Streife über die Grenze unternommen?« »Keineswegs, Baron. Mein Fall liegt durchaus anders,« erwiderte der junge Glendinning. »Dann möcht ich wetten, daß Du einen Bauernjungen um einer Dirne willen um die Ecke gebracht hast,« rief der Baron weiter; »Du siehst mir ganz aus nach so etwas, Junge!« Verdrießlich über die Art und Weise, wie der Baron ihn behandelte, schwieg Halbert, dachte jedoch bei sich, was wohl der Ritter sagen möchte, wenn er erführe, daß der Zwist, den er mit solch leichtfertiger Rede abzutun suchte, um seine eigne Bruderstochter entstanden war! »Gleichviel, was Dich zur Flucht getrieben hat,« sagte Julian Avenel wieder, »bis auf dies Eiland her verfolgt Dich kein Gesetz und kein Vollstrecker eines solchen! Dazu ist der See zu tief und das Gebäude zu stark und der Damm zu lang, der Land und Eiland verbindet! Da, sieh meine Mannen an, als ob sie aussehen, als litten sie, daß einem Kameraden ein Leid geschehe! sieh mich an und sage mir, ob ich der Mann sein könne, der einen Knappen im Stich ließe, im Guten wie im Bösen! Ich sage Dir, Jüngling, ewiger Friede wird zwischen Dir und dem Gesetz bestehen, vom selben Augenblicke an, da Du Dich entschließest, meine Farben an Deinen Hut zu stecken. Dem Lord-Landrichter kannst Du an der Nase vorbeireiten, und kein Hund von seiner Meute wird Dich anzubellen wagen.« »Für Euer Anerbieten, edler Herr, danke ich Euch,« antwortete Halbert, »ich muß Euch jedoch kurz darauf erwidern, daß es sich nicht für mich schickt, denn mein Schicksal ruft mich anders wohin.« »Du bist ein eigensinniger Narr, der seinen Vorteil nicht kennt,« erwiderte Julian, indem er ihm den Rücken wandte und Christie zu sich heranwinkte. »Der Bursche hat in seinem Blicke etwas, das außerordentlich anspricht. Wir brauchen Leute von kräftigen Gliedern und zähen Sehnen. Was Du mir letztmals gebracht hast, gehört zum Abschaum der Menschheit, es sind durchweg Schufte, die keinen Pfeilschuß wert sind. Der Jüngling ist ja gebaut, wie ein Sankt Georg! Setz ihm recht zu mit Wein, verstehst Du? und laß auch ein paar Dirnen auf ihn los, daß sie ihn fangen! wie Spinnen die Fliege im Netz ... verstehst Du?« Christie nickte verständnisvoll und zog sich hierauf in ehrerbietige Ferne zurück. Der Baron wandte sich jetzt an den Greis. »Na, und Du, Alter,« fragte er, »treibst Du Dich auch in der Welt herum? Bist Du auch auf der Suche nach dem Glück? Siehst aber nicht so aus, als ob das Glück Dich suchte!« »Mit Verlaub,« versetzte Heinrich Warden; »wer weiß, ob ich nicht tiefer zu beklagen wäre, wenn mir das Glück zu teil geworden wäre, das ich, wie so viele Altersgenossen von mir, in der Jugend eifrig gesucht habe!« »Versteh mich recht, Mann!« sagte der Baron, »läßt Du Dir genügen an Deinem steifleinenen Kittel und Deinem langen Stabe, solls mir auch recht sein, daß Du so arm und verächtlich bleibst, wie es sich für Dein leibliches und seelisches Heil schicken mag. Jetzt aber will ich nichts weiter von Dir wissen, als was Dich auf meine Burg führt, denn für Krähen von Deinem Kaliber soll es sich hier nicht gerade gut horsten. Bist wohl ein verjagter Mönch aus einem aufgehobnen Kloster, der nun im Alter den üppigen Müßiggang seiner jungen Jahre büßen muß? oder ein Pilger mit einer Tasche voller Lügen? oder ein Ablaßkrämer mit Reliquiensack aus Rom, der alle Sünden vergibt, das Dutzend für einen Pfennig und darüber? Aha, was der Junge in Deiner Gesellschaft macht, darüber geht mir jetzt ein Licht auf: er soll Dir Deinen Quersack tragen, daß Du Deine faulen Schultern schonst? aber, das merk Dir! aus diesem Plane von Dir wird nichts! Bei Mond und Sonne schwöre ich Dir, daß ich nicht dulde, daß solch schmucker Junge mit solchem alten Gauner im Lande herumstrolcht. Hinweg mit Dir!« schrie er, vor Wut auffahrend und so schnell sprechend, daß man die Absicht merkte, den ältern Gast an jeder Antwort zu verhindern und statt dessen zu schleuniger Flucht zu bestimmen, »fort mit Dir und mit Deinem Kittel, Deiner Tasche und Muschel ... oder so wahr ich ein Avenel bin, ich laß meine Hunde auf Dich hetzen!« Warden wartete mit größter Geduld, bis Julian, verwundert darüber, daß seine heftigen Worte und Drohungen gar keinen Eindruck auf seinen Gegner machten, verstummte. »Was soll das heißen, zum Teufel, daß Ihr keine Antwort gebt?« fragte Avenel in einem weniger herrischen Tone nach einer Weile. »Wenn Ihr fertig seid mit Eurer Rede,« erwiderte Warden, in dem ruhigen Tone, der bisher seine Worte ausgezeichnet hatte, »dann ist es ja Zeit genug für mich, Euch zu antworten.« »Dann rede, Mönch, ins Teufels Namen! aber nimm Dich in acht, daß Du nicht bettelst, sei es auch bloß um einen Bissen, den kein Hund von mir möchte!« »Ich bin kein Bettler und auch kein Mönch,« erwiderte Warden, »und wär Euch um keines Wortes willen wider Mönche gram, wenn Ihr reden möchtet um christlicher Liebe willen.« »Nun, was bist Du anders?« rief Avenel, »und was hast Du hier in unserm Grenzlande zu suchen, wenn Du es weder als Mönch noch als Soldat und Bettler betrittst?« »Ich bin ein Prediger des heiligen Wortes, und dieses Schreiben hier von einem sehr vornehmen Herrn wird Euch über den Grund meiner Anwesenheit unterrichten.« Mit diesen Worten übergab er dem Baron einen Brief, und dieser betrachtete nicht ohne Ueberraschung das Siegel und las mit immer wachsenderer Verwunderung den Inhalt. Dann heftete er einen grimmigen Blick auf den Greis und rief in warnendem Tone: »Du nimmst Dir hoffentlich nicht heraus, mich zu täuschen oder gar zu hintergehen?« »Ich bin der Mensch nicht, der solches im stande wäre,« versetzte kurz der Prediger. Julian trat ans Fenster und las den Brief noch einmal oder stellte sich wenigstens so, denn sein Blick schweifte verstohlen von dem Brief auf den Fremden, wie wenn er den Inhalt mit dem Gesicht desselben vergleichen wolle. Endlich rief er der schönen Frau zu: »Käthe, hol mir doch einmal geschwind den Brief, den Du in dem Kästchen aufheben solltest, weil es mir an einem geeigneten Orte, ihn aufzuheben, fehlte.« Katharina stand schnell auf, und nun wurde jener veränderte Zustand, der einen weiteren Rock und Gürtel forderte, in welchem die Frau eine erhöhte Sorgfalt und Liebe vom Manne zu erwarten hat, noch sichtbarer als bisher. Sie war zwar schnell mit dem geforderten Papiere wieder zur Stelle, aber der ganze Dank, den sie dafür erhielt, bestand in den Worten: »Ich danke Dir, Weib; Du bist ein gewissenhafter Sekretär.« Auch dieses zweite Papier las er mehr denn einmal durch und warf auch während dieser Lektüre von Zeit zu Zeit einen vergleichenden Blick auf den Prediger, der aber trotz aller Gefahr seiner Lage die Ruhe wahrte, wie bisher, und vor dem Geierblick des Barons unentwegt standhielt. Zuletzt faltete der Baron die Papiere zusammen und schob sie in die Rocktasche. Dann sagte er mit einem fröhlichen Anstrich zu seiner Gefährtin: »Käthe! ich habe den guten Mann verkannt; ich habe ihn für einen von den römischen Faulpelzen gehalten, aber er ist ein Prediger von ... von der neuen Lehre der Kongregation.« »Von der Lehre der heiligen Schrift,« erwiderte der Prediger, »die geläutert worden ist durch menschliche Erfindungen.« »Ja, so ist wohl die Bezeichnung,« antwortete Julian von Avenel, »meinetwegen nenne es, wie es Dir beliebt! mir ists recht, weil wir dadurch die albernen Träumereien von Heiligen, Engeln oder Teufeln los kriegen, und die mönchischen Tagediebe überflüssig werden, die uns mit ihren Leichenmessen und Opfern und Zehnten das Geld aus der Tasche und mit ihren zehn Geboten und Psalmen den Mut aus dem Herzen holen! Die neue Lehre räumt ja auf mit all dem Kram von Taufen und Bußen und Beichten und Ehen, und was es an sogenannten Sakramenten sonst noch gibt!« »Mit Verlaub,« sagte Warden, »nicht gegen die Grundlehren der Kirche kämpfen wir, sondern gegen die Verderbnis der Kirche; nicht abschaffen wollen wir die Grundlehren, sondern vielmehr festigen.« »Ruhig, Pfaffe!« rief der Baron, »uns Laien ists ganz gleichgültig, was Ihr macht und wie Ihrs macht. Unser Beruf ists, die Welt von oben nach unten zu kehren, denn wenn alles drunter und drüber geht, dann leben wir am lustigsten.« Warden wäre ihm die Antwort hierauf wohl kaum schuldig geblieben, aber der Baron ließ ihm keine Zeit dazu, sondern schlug mit dem Dolch auf den Tisch und rief: »Heda, ihr langsamen Schufte! tragt das Essen auf! Seht Ihr denn nicht, daß der fromme Mann ganz ausgehungert ist? Habt Ihr je von einem Pfaffen gehört, der nicht fünfmal am Tage gefuttert hätte?« Die Diener brachten mehrere dampfende Schüsseln herein, in denen große Stücke Rindfleisch, teils gebraten, teils gekocht, lagen, aber ohne alle Zutat, ohne Gemüse sowohl als Brot, bloß ein paar Haferkuchen wurden in einem Korbe auf die Tafel gesetzt. Der Ritter hielt es für angemessen, sich bei Heinrich Warden deshalb zu entschuldigen. »Ihr seid von jemand, den wir außerordentlich achten und schätzen, unsrer Fürsorge empfohlen, Herr Prediger, da dies nun doch einmal Euer Titel ist,« sagte Julian von Avenel. »Ich bin der Zuversicht, daß der edle Lord ...« sagte Warden. »Pst, pst!« fiel ihm der Ritter in die Rede, »was brauchen Namen genannt zu werden? Wir verstehen einander ja doch! Ich wollte bloß erwähnen, daß er Euch unsrer Hut empfiehlt. Nun, was diesen Punkt anbetrifft, so braucht Ihr ja bloß auf unsre Mauern und auf den See um unsre Burg herum zu blicken; aber der Lord legt uns auch ans Herz, für Eure Bequemlichkeit zu sorgen. Und da muß ich Euch denn sagen, daß wir selbst kein Korn bauen, und daß sich Mehlsäcke aus dem Süden nicht so leicht wegschaffen lassen wie Rindvieh, denn Rindvieh hat Beine und läßt sich treiben, und Mehlsäcke wollen geschleppt sein. Aber einen Becher Wein sollst Du haben, Pfaffe, und sollst auch zwischen mir und meiner Käte obenan am Tische sitzen. Du aber, Christie, nimmst den jungen wilden Schößling in die Schere, verstehst Du? Es soll ihm an nichts fehlen; laß Dir vom Kellermeister auch eine Flasche vom besten für ihn geben.« Der Baron nahm seinen gewohnten Platz zu oberst der Tafel ein, Frau Käthe saß weiter unten, zeigte aber dem Gaste höflich einen Platz zwischen ihnen. Warden jedoch weigerte sich, trotz Durst und Hunger, der Aufforderung Folge zu leisten. Siebentes Kapitel Julian Avenel nahm mit Erstaunen wahr, daß der fremde Greis an der Tafel nicht Platz nehmen wollte. »Zum Henker!« rief er aus, »haben unsre neumodischen Pfaffen etwa auch Fastenzeit? Fast möcht ich drauf wetten. Unsre alten Schwarzkittel überließen solche Faxen den Laien, fraßen sich selbst aber die Hucke voll.« »Wir kennen dergleichen Gesetze nicht,« erwiderte der Prediger. »Unser Glaube schreibt keine Fastenzeit vor; aber wenn wir fasten und Buße tun, dann zerreißen wir nicht unsre Kleider, wohl aber unsre Herzen.« »Gut für Euch, doch schlimm für Euren Schneider,« erwiderte der Baron; »nun aber komm her und setz Dich! Mußt Du uns aber von Deinem Amt ein Pröbchen geben, dann murmle Deinen Spruch her!« »Herr Baron,« versetzte der Prediger, »ich bin in fremdem Lande, wo man weder mein Amt noch meine Lehre kennt, ja, wo beide, wie es scheint, falsch aufgefaßt und mißverstanden werden. Mir liegt die Pflicht ob, mich so zu benehmen und so zu verhalten, daß die Würde meines heiligen Herrn in meiner Person, so unwürdig sie auch sein mag, geachtet werde, und daß die Zügel der Ordnung nicht erschlaffen und die Sünde sich nicht überhebe und breit mache.« »Laß das! laß das!« erwiderte der Baron; »Du bist hierher geschickt worden um Deiner Sicherheit willen, aber wohl nicht, damit Du mir die Moral liest oder den Aufseher über mich spielst. Was hast Du, Pfaffe, denn im Sinn? Laß nicht außer acht, daß Du mit einem Manne sprichst, der nicht viel Geduld hat, dem jede Minute, die ihm seinen Genuß verkürzt, leid tut.« »Nun, dann seien wir kurz!« erwiderte in strengerem Tone der Prediger ... »diese Frau hier ...« »Was willst Du von der Frau?« fuhr der Baron grimmig auf, »was willst Du von dieser Dame wissen?« »Ist sie Deine Hausfrau?« fragte der Prediger nach kurzem Schweigen, nach dem passendsten Ausdruck auf der Suche zur Bezeichnung dessen, was er zur Sprache bringen wollte, »ist sie Dein Eheweib?« Die unglückliche junge Frau bedeckte ihr Gesicht mit den Händen, wie wenn sie versuchen wollte, die Röte ungesehen zu machen, die ihr in die Wangen schoß, aber die durch ihre schmalen Finger hervorbrechenden Tränen verrieten ihren Schmerz sowohl als ihre Scham. »Bei meines Vaters Asche!« schrie der Baron, aufspringend und seinen Schemel mit solcher Gewalt von sich wegstoßend, daß er bis an die entgegengesetzte Seite des Zimmers flog ... aber ebenso schnell tat er seinem Grimm Einhalt und rief lachend: »Was soll ich mich um eines Narren willen aufregen?« Dann setzte er sich wieder und erwiderte kalt und voll Verachtung: »Nein, Pfaff, oder Herr Prediger, Katharina ist mein Eheweib nicht, ... hör doch auf, albernes Weib, mit Deinem Geflenne ... aber versprochen sind wir zusammen, und dadurch ist sie grade so gut mein rechtschaffnes Eheweib, als wenn wir zusammen vor dem Altar gestanden hätten.« »Versprochen?« wiederholte Heinrich Warden. »Weißt Du, frommer Mann, denn nichts von diesem Brauch?« erwiderte Julian Avenel im gleichen höhnischen Tone. »Na, dann will ich Dir es sagen. Paß auf! Wir Grenzer sind vorsichtigere Leute als Eure Bauern drin im Lande von Fife und Lothian. Wir tappen nicht gern im Dunkeln und schmieden uns nicht gern früher Fesseln, als bis wir wissen, daß sie uns auch sitzen ... und darum nehmen wir uns auch ein Weib erst auf Probe, genau so, wie wirs machen mit unsern Pferden. Wenns bei uns heißt, es haben sich zwei Leute zusammen versprochen, so heißt das, daß sie zusammen eins geworden sind, es auf ein Jahr lang mit dem Ehestande zu probieren. Ist dies Jahr vorbei, dann kann das Paar wieder auseinander gehen oder weiter zusammen bleiben, in welch letzterm Falle aber dann in der Regel die priesterliche Kopulation eintritt. So, nun wißt Ihr, was bei uns unter versprochen bei den Eheleuten zu verstehen ist.« »Dann darf ich Dir, edler Baron,« versetzte der Prediger, »aus Bruderliebe und um Deines Seelenheiles willen nicht verbergen, daß dies ein heidnischer, roher, verderblicher Brauch ist, denn er bindet Dich, den stärkern Teil, an den schwächern Teil, das Weib, bloß so lange, als Du Befriedigung bei ihr findest für Deine Begierden, und gibt dem tierischen Triebe alles, während für die edle, zarte Neigung nicht das geringste Recht verbleibt. Wer aber solches Band zerreißen, wer ein beschimpftes Weib mit seinem hilflosen Sprößling im Stiche lassen kann, der ist schlimmer als ein Raubvogel, denn der Raubvogel bleibt doch mit seinem Weibchen, wenigstens so lange zusammen, bis die Nestlinge ausfliegen können. Vor allem aber sage ich Dir, solcher Brauch ist der Christenlehre vollständig zuwider, denn sie gesellt das Weib dem Manne in Freud und Leid für alle Zeit, nach dem Worte der heiligen Schrift, als Balsam für seine Leiden, als Helferin in seinen Mühen, als Freundin in seiner Trübsal, nicht aber als Spielzeug für müßige Stunden, oder wie eine Blume, die er nach Laune und Belieben aus der Hand werfen kann, wenn er sie abgebrochen hat von ihrem Stengel.« »Eine recht tugendsame Predigt, Pfaffe,« erwiderte der Baron, »fein ausgeklügelt und mit unvergleichlichem Geschick vorgetragen, obendrein vor exquisiter Gemeinde! Nun aber ein paar Worte meinerseits, Pfaffe! Meinst Du etwa, Du habest einen Esel vor Dir? meinst Du, ich wüßte nicht, daß Deine Sekte bloß um deswillen vom Heinz Tudor im Lande gelitten worden ist, weil Ihr ihm dazu verholfen habt, von seiner Käthe loszukommen? Ei, und warum sollte ich der gleichen christlichen Freiheit mich nicht ebenso bedienen dürfen? Also kein Wort mehr von dem Kram! setz Dich an den Tisch und stopf Dir den Schnabel! Im übrigen scher Dich nicht weiter um Geschichten, die Dich keinen Dreck angehen. In Julian Avenel hast Du keinen Strohkopf vor Dir, der sich ein X für ein U machen ließe.« »Für sein U hat der sich selbst sein X gemacht,« erwiderte der Prediger kühn, »denn kann er die arme Genossin seiner häuslichen Sorgen jetzt noch zum Range einer reinen unbefleckten Hausfrau erheben? kann er das Kind freimachen von dem Jammer, daß es sein Dasein einer Mutter verdankt, die einen Fehltritt auf dem Gewissen hat? Freilich, er kann sich die Frau nachträglich antrauen lassen und zu seiner rechtmäßigen Gattin machen, er kann den Sohn zu seinem rechtmäßigen Kinde erklären lassen; aber das kann er nicht ändern, daß an dem Weibe und an dem Kinde in der öffentlichen Meinung ein Flecken haftet. Und doch, Baron, unterlaß nicht, dem Weibe und dem Kinde diese letzte, wenn auch noch unvollkommne Gerechtigkeit anzutun! Befiehl mir, Euch ehelich zusammen zu tun, aber feiert das Fest Eurer Hochzeit nicht mit Festlichkeit und Schmauserei, sondern mit Herzeleid und Trübsal über begangne Sünde und mit dem Vorsatz, hinfort ein besseres Leben zu führen. Dann kann ich sagen, daß mich ein glücklicher Zufall in diese Burg geführt hat, wiewohl ich den Fuß in sie setzte als ein vom Unglück verfolgter Mann, der nicht weiß, wohin er sich wenden solle!« Vielleicht zum ersten Male in seinem ganzen Leben hatte der wilde Baron, der gewohnt war, alles Gesetz zu verhöhnen und allen Zwang religiösen und sittlichen Gebots zu verwerfen, die Empfindung, daß er sich vor einem höhern Geiste als dem seinen beugen müsse. Stumm und unschlüssig saß er auf seinem Schemel, schwankend zwischen Zorn und Scham und niedergedrückt durch die Wucht gerechten Tadels, der ihm mit solcher Festigkeit und Kühnheit ins Gesicht geschleudert wurde. Das unglückliche schöne Weib aber meinte, Schweigen und Unschlüssigkeit ihres Tyrannen so deuten zu dürfen, als fühle er sich zur Nachgiebigkeit gestimmt. Und Furcht und Scham außer acht setzend, heftete sie die Augen bittend auf ihn und rückte näher und näher zu seinem Sitze heran, bis sie endlich die Hand auf seinen Mantel legen konnte. Sie tat es zitternd und bebend, und zitternd und bebend sprach sie leise zu ihm: »Ach, edler, edler Julian! leih den Worten des guten Mannes Herz und Ohr!« Aber Wort und Bewegung der schönen Frau waren übel angebracht und bewirkten in seinem harten Gemüte das Gegenteil von dem, was sie bewirken sollten. Ingrimmig fuhr der Ritter empor und schrie die Frau an: »Was? Verrückte Vettel! hast Dich wohl mit dem Landstreicher unter einen Hut gesteckt, mich in meinem eignen Hause zu schmähen? Hinweg mit Dir! und laß Dir gesagt sein, daß Julian Avenel gefeit ist gegen alle Heuchelei, mag sie vom Manne oder vom Weibe kommen!« Bleich wie der Tod fuhr das arme Wesen zurück und suchte seinem Befehle Folge zu leisten, aber ehe sie die Tür gewonnen hatte, verließen sie die Kräfte, und sie schlug auf den steinernen Boden nieder. Das Blut rann ihr von der Stirn, und Halbert Glendinning, außer stande, solche schändliche Szene länger mit anzusehen, sprang von seinem Schemel und fuhr mit der Hand nach seinem Schwert; aber Christie von Clinthill erriet sein Vorhaben und hielt ihn fest. Avenel war selbst schwer betroffen über die Folgen seiner Heftigkeit, eilte zu der schönen Frau hin, hob sie vom Boden auf und sprach ihr auf seine Weise Trost zu. »Sei doch bloß ruhig, Du einfältige Närrin!« sprach er, »wahrlich, Käthe, wenn ich auch dem zudringlichen Pfaffen kein Gehör schenke, so könnte am Ende doch sich was zwischen uns im Sinne seiner Worte ereignen, falls Du mir einen Jungen bescheren solltest. Aber nun gut, hörst Du? wisch Dir Deine Tränen ab und laß Deine Weiber kommen! Heda, wo steckt denn die Brut? ... Christie, Rowley, Hutcheon! schleppt die faulen Kanaillen an den Haaren herbei!« Ein halbes Dutzend auf den Tod erschrockner Weiber, mit verstörten Blicken, stürzte in die Halle, um Käthe hinauszutragen, die man ebenso gut ihre Gefährtin hätte nennen können wie ihre Gebieterin. Sie gab kein Lebenszeichen, außer daß sie unter leisem Wimmern die Hand gegen die Seite preßte. Sobald das unglückliche Weib aus der Halle getragen worden war, trat der Baron an den Tisch und goß einen Humpen voll Wein ein. Dann wandte er sich um und rief dem Prediger zu, der von Entsetzen über den Vorfall ergriffen worden war: »Pfaffe, Du hast uns derb zugesetzt, aber da Du mit so wuchtiger Empfehlung zu uns kommst, wollen wir annehmen, daß Du in guter Meinung gehandelt habest. Doch laß Dir noch einmal sagen, wir in unsern Bergen sind ein wilderes Volk als Ihr drunten im Tale. Drum rat ich Dir, laß Dir den alten Sekt schmecken und uns von andern Dingen reden.« »Ich bin gekommen, Euch zu befreien von böser Leidenschaft ...« hub der Prediger wieder an. Aber ungestüm fiel ihm Avenel in die Rede. »Setz Dich!« schrie er, »oder bei meines Vaters Helmbusch und bei der Ehre meiner Mutter ...« »Wenn er sich jetzt nicht setzt,« flüsterte Christie dem jungen Glendinning zu, »dann gebe ich keine sechs Dreier für seinen Kopf!« »Lord Baron,« nahm Warden wieder das Wort, »Du hast mich aufs äußerste gebracht. Aber das sage ich Dir: lieber werde ich das Licht der Welt einbüßen, als daß ich mich im geringsten dazu verstehen werde, das Licht, dessen Verbreitung Gebot meiner Mission ist, zu verstecken. Gleichwie der heilige Täufer zu Herodes sprach: Es ist nicht recht, daß Du dieses Weib hast, so spreche ich auch, und wenn mich Ketten und Tod erwarten, zu Dir: Es ist nicht recht, Julian Avenel, daß Du dieses Weib hältst!« Von rasender Wut gepackt über die feste, entschiedne Art, wie der Prediger zu ihm sprach, schleuderte Julian den Becher, mit dem er dem Gaste hatte zutrinken wollen, in die Ecke. Sein nächster Griff war nach dem Dolch an seiner Seite. Aber er besann sich ebenso schnell eines andern und schrie mit Donnerstimme: »Heda! Ihr da, in den Kerker mit dem frechen Wicht von Landstreicher! Und daß mir niemand das Wort für ihn einlegt! Wenn sich der Heuchler nicht gutwillig wegführen läßt, denn schleppt ihn weg!« Ohne die geringste Furcht und ohne das leiseste Zeichen von Widerstand ließ sich Heinrich Warden von den beiden Trabanten, die sich auf ihn stürzten, wegführen. Dann schritt Julian Avenel in düsterm Schweigen noch ein paarmal durch die Halle, dann winkte er einen seiner Trabanten zu sich heran, flüsterte ihm einen Auftrag zu und setzte sich hierauf wieder an die Tafel. »Diese Hundsfotte von Pfaffen, die sich in alles mischen, machen uns, beim Henker! schlimmer, als wir ohnehin schon sind!« In diesem Augenblick kam der Trabant wieder herein, und der Bescheid, den er ihm brachte, schien sein erregtes Gemüt zu besänftigen; und nun forderte er auch die Dienerschaft auf, ihre Plätze wieder einzunehmen. Alle kamen der Aufforderung schweigend nach und fingen an zu essen. Christie gab sich alle Mühe, seinen jugendlichen Kameraden zum Zechen zu animieren, aber nicht einmal sprechen mochte Halbert. Er sagte, er sei müde, und wolle nichts andres genießen, als ein bißchen Heidelbeermeth, der damals das gewöhnliche Tischgetränk für die Dienerschaft bildete. Er bat auch Christie bald, ihn in seine Kammer zu bringen, und dieser ließ sich nach einiger Zeit bereit finden, ihm seinen Wunsch zu erfüllen; aber nie mag wohl ein Korporal von einem Werbekommando schärfer aufgepaßt haben, daß ihm ein Mann, den er »auf dem Rohre« hat, nicht entrinne, als Christie von Clinthill auf Halbert. Zwar brachte er Halbert in eine Kammer, die nach der Seeseite hin lag; aber ehe er den Fuß wieder hinaus setzte, unterließ er nicht, das äußere Gitter vorm Fenster nachzusehen und den Schlüssel zweimal im Schlosse umzudrehen. Halbert erkannte hieraus, daß man nicht gewillt sei, ihn ruhig seines Weges vom Schlosse weiter ziehen zu lassen. Er hielt es jedoch für klüger, diese Wahrnehmung, so beängstigender Natur sie für ihn war, für sich zu behalten. Doch schwächte die Empfindung, daß er selbst sich als Gefangenen dieses wilden Häuptlings anzusehen habe, seine Teilnahme am Schicksal seines Leidensgefährten in keiner Weise ab; vielmehr nahm er sich vor, der Unerschrockenheit desselben nachzueifern und sich weder durch Drohungen noch Leiden in die Dienste eines solchen Mannes zwingen zu lassen. Sein nächster Gedanke war, zu untersuchen, welche Aussicht sich ihm für Flucht böte. Er eilte an das Fenster und sah, daß die Kammer, in der man ihn untergebracht hatte, nicht im ersten Stockwerk der Burg und nicht so weit entfernt von dem Felsen, auf dem sie erbaut war, lag, daß ein behender, kühner Mann sich nicht auf ein Felsstück unmittelbar unter dem Fenster hätte schwingen können, von wo aus es nicht unmöglich sein konnte, in den See hinunter zu klettern oder zu springen, dessen helle, blaue Flut sich in dem stillen Lichte des Sommervollmondes vor seinen Augen dehnte. Wenn aber auch das Fenster groß genug war, um einem Menschen Durchgang zu gewähren, so schienen doch die Eisenstäbe des Gitters ein unbezwingliches Hindernis zu bieten. Als Glendinning jetzt zum Fenster hinausblickte, drangen von unten herauf Laute an sein Ohr, an denen er die Stimme des Predigers erkannte, der eben seine Andacht verrichtete. Der Plan, sich mit ihm in Beziehung zu setzen, reifte auf der Stelle in ihm, aber ebenso schnell sagte er sich, daß ihm kein andres Mittel dazu verfügbar sei, als die eigne Sprache, und so wagte er endlich, den Prediger laut beim Namen zu rufen. Er erhielt auch schnell die Antwort von unten herauf: »Bist Du es, mein Sohn?« Warden hatte sich der kleinen Oeffnung genähert, die seinem Kerker, freilich in sehr geringem Maße, Licht und Luft zuführte und grade zwischen Mauer und Fels befindlich war, und zwar ziemlich unmittelbar unter Halberts Kammer, so daß es den beiden Kameraden möglich war, sich leise zusammen zu verständigen. Halbert flüsterte nun dem Prediger zu, daß er sich mit der Absicht zu entfliehen trage, und daß es ihm recht wohl möglich erscheine, diese Absicht auch auszuführen, sobald es ihm gelänge, das Gitter zu ...« »Probiere es, mein Sohn,« fiel ihm Warden in die Rede, »ob es Deiner Stärke gelingen kann, es zu bezwingen.« Halbert leistete diesen Worten Folge, jedoch mehr infolge der Verzweiflung, die ihn erfüllte, als von der Hoffnung getrieben, daß es ihm gelingen werde. Aber wie groß war sein Erstaunen, als der Gitterstab, an dem er seine Kraft zuerst versuchte, mitten durchbrach und die obere Hälfte, wahrscheinlich weil die Fugen gelockert waren, ihm entgegen rutschte. »Beim Himmel!« flüsterte er dem Prediger zu, »der Gitterstab hat nachgegeben.« »Sage dem Himmel Dank, mein Sohn,« versetzte Warden aus seinem Kerker, »statt bei ihm zu schwören.« Halbert zwängte sich nun durch die auf so wunderbare Weise entstandne Oeffnung und ließ sich an dem ledernen Gurte seines Schwertes wie an einem Seile nieder auf das Felsstück; gleich darauf öffnete sich das Fensterloch in dem Verließe des Predigers. Dieses aber ließ sich nicht zu einem Durchschlupf erweitern, denn es war nicht viel breiter, als eine Schießscharte für Musketen zu sein brauchte, und hatte wahrscheinlich auch nur die Bestimmung einer solchen. »Läßt sich Eure Rettung auf keine Weise bewerkstelligen?« fragte Halbert den Prediger. »Ich wüßte nicht, wie sie sich bewerkstelligen ließe,« antwortete Warden, »indessen steht es in Deiner Macht, mich zu retten.« »Ich werde es an ernstlichem Bemühen nicht fehlen lassen,« versetzte Halbert. »Gib diesen Brief hier auf Deinem Wege nach Edinburg dem Anführer der Reiterschar, der Du begegnen wirst. Sie ist auf dem Ritte nach dem Süden begriffen, und Du kannst sie unmöglich fehlen. Benachrichtige den Anführer von der Lage, in der ich mich befinde, und es kann wohl geschehen, daß die Begegnung mit dem Herrn zu Deinem Glück ausschlägt.« Als er Halbert den Brief durch die enge Oeffnung gereicht hatte, setzte er hinzu: »Und nun, mein Sohn, ziehe mit dem Segen Gottes weiter und vollende das Werk, das er mit seiner unendlichen Güte in die Wege geleitet hat.« »Amen!« sprach Halbert und schritt ohne weiteres Säumen zur Ausführung seines Planes. An dem Felsen hinunter zu klimmen bis zum Seespiegel, erschien ihm bei der herrschenden Finsternis zu gefahrvoll; er besann sich deshalb schnell eines andern und schlug die Hände über den Kopf, um mit einem kühnen Sprunge von dem Felsen in den See hinunter zu tauchen. Das Wasser schlug hoch über ihm zusammen, aber solcher Uebung gewohnt, tauchte er wie ein Wasserhuhn wieder empor und schwamm, wenngleich das Schwert ihn hinderte, mit kräftigen Stößen in nördlicher Richtung durch den See. Am Lande angelangt, warf er noch einen Blick nach der Burg zurück. Da ward er inne, daß dort Lärm entstand; er hörte, wie die Zugbrücke niedergelassen wurde, dann Pferdegetrappel über den Damm hinüber, dann sah er, wie die Fenster eins nach dem andern hell wurden. Aber vor einer Verfolgung in der Finsternis hatte er wenig Bange, er wand das Wasser aus den Kleidern, watete durch den Morast, der sich zwischen dem Seeufer und der Heide dehnte, und eilte, vom Polarstern geleitet, in nordöstlicher Richtung von dannen. Achtes Kapitel Im Turme von Glendearg war es mittlerweile auch seltsamlich hergegangen. Das Mittagessen war mit aller Sorgfalt hergerichtet worden. Die Witwe war hierbei von Tibb und Mysie eifrig unterstützt worden. »Ob sie wohl bald wieder da sein werden?« fragte Frau Elspath nach einer Weile. »Du warst doch vorhin draußen, Mysie?« »Freilich, aber ich hab bloß nach der jungen Lady geguckt, die ist nicht recht wohl und hat sich hingelegt.« »Aber Ihr wart doch auch am Brunnen,« sagte die Tibbie. »Habt Ihr auch dort nichts gesehen?« »Nicht das geringste,« antwortete Mysie; »wären sie auf der Rückkehr, hätt man die weiße Feder des englischen Ritters doch über dem Buschwerk sehen müssen.« »Dem Englischen seine weiße Feder?« fragte Frau Glendinning; »Du einfältiges Ding Du! da sieht man doch früher von meinem Halbert den Kopf, als von dem kleinen Gernegroß die Feder! und wenn sie auch noch so weiß ist!« »Na, wenn sie nicht bald wieder da sind, dann müssen sie eben alles essen, wie es ist,« sagte die Tibbie; »der Küchenjunge kann ja kaum noch den Spieß drehen. Geh, Junge, schöpf ein bißchen Luft! ich will den Spieß so lange drehen, bis Du wieder da bist.« »Lauf auf die Zinne hinauf, Bursche,« sagte Frau Glendinning, »dort ist die Luft frischer als drinnen vorm Tore. Halt Ausschau und sag uns, wenn mein Halbert mit dem Ritter ins Tal hinunter kommt.« Der Knabe blieb so lange, daß die Tibbie es bitter bereute, ihn weggeschickt zu haben. Endlich kam er aber mit dem Bescheide wieder, daß nicht das geringste sichtbar sei, so weit man sehen könne. So verging unter allerhand Mutmaßungen darüber, was die Jäger wohl aufhalten möge, die Zeit bis etwa zur vierten Stunde. Die Turmleute hatten hastig ein paar Bissen zu sich genommen, alles aber so weit zugerichtet, daß das Essen jederzeit aufgetragen werden konnte. Da kam statt der erwarteten Jäger ein andrer Besuch, und zwar einer, dessen man sich am allerwenigsten versehen hätte, der Unterprior Pater Eustachius. Der Auftritt vom vorigen Tage war ihm nicht aus dem Sinne gekommen, das Schicksal der Familie zu Glendearg ging ihm sehr zu Herzen, zudem mußte der Klosterbrüderschaft daran liegen, daß es zwischen Sir Piercie Shafton und dem jungen Glendinning nicht zu einem ernstlichen Konflikte käme, denn alles, was die Aufmerksamkeit der äußern Welt auf den Ritter lenken konnte, mußte dem Kloster unfehlbar zum Nachteil sein, das sich ohnehin von schwerer Gefahr bedroht sah. Der Prior traf die Familie in der Halle beisammen, bloß Mary Avenel fehlte, und nun erst erfuhr er, daß Halbert Glendinning mit dem Ritter auf die Jagd gegangen sei, daß sie aber noch nicht zurückgekehrt seien. Zu Beunruhigung konnte dies aber kein sonderlicher Anlaß sein, denn wann pflegten Jugend und Weidwerk sich an Zeit und Stunde zu binden? ... Der Prior ließ sich mit Edward in ein Gespräch ein über die Fortschritte, die er letzterzeit in seinen Studien gemacht habe, und dieses Gespräch mochte wohl ein halbes Stündchen gedauert haben, als aus dem Zimmer, das von Mary Avenel bewohnt wurde ein lauter Schrei ertönte. Alles stürzte erschrocken dorthin. Mary lag ohnmächtig in den Händen des alten Martin, der sich in herbem Schmerz anklagte, Ursache zu ihrem Tode geworden zu sein. Und es sah auch wirklich ganz danach aus, als ob der Tod hier Einkehr gehalten habe, denn die junge Dame lag starr auf dem Boden, alle Farbe war aus ihrem Antlitz gewichen und ihre Augen waren geschlossen. Edward trug sie an das Fenster, um die frische Luft auf sie wirken zu lassen. Der Prior, der, wie viele seiner Amtsbrüder, einige Kenntnisse in der Heilkunde hatte, suchte soviel wie möglich zu helfen, und die erschrocknen Frauen suchten, während sie sich dabei oft hinderlich wurden, allerhand Weisen vor, die Dame wieder zu sich zu bringen. »Das ist wieder einer von den vielen Geistern gewesen, die in ihr das Wesen treiben,« meinte Frau Glendinning. »Sie zittert genau so am Leibe, wie manchmal auch ihre selige Mutter,« bemerkte die Tibbie. »Sie muß wohl eine schlimme Neuigkeit gehört haben,« meinte die Müllerstochter; indes die Weiber mit gebrannten Federn und kaltem Wasser versuchten, die stockenden Lebenskräfte wieder in Gang zu bringen, jedoch ohne sichtlichen Erfolg. Da tauchte ein neuer Helfer auf der Bildfläche auf, und zwar kein andrer, als Sir Piercie Shafton, der unbemerkt an die Gruppe herangetreten war. »Ei, ei,« hub er in seiner gewohnten Weise an, »was geht denn mit Euch vor, meine allerhuldvollste Protektion? Welche Ursache hat den roten Strom des Lebens zur Zitadelle des Herzens zurückgejagt, wo er doch hätte ewig weilen sollen? Tretet hinweg und laßt mich zu ihr!« sprach er. »Diese Krone aller Essenzen, destilliert von der göttlichen Urania, besitzt die Kraft, das entweichende Leben zu bannen, selbst wenn es schon im Scheiden begriffen ist.« Mit diesen Worten kniete Sir Piercie Shafton neben der in Ohnmacht liegenden Dame nieder, um ihr ein zierliches Büchschen unter die Nase zu halten, das ein mit der so hochgepriesenen Essenz getränktes Schwämmchen enthielt. Jawohl, mein lieber Leser, es war Sir Piercie in Person, der so gänzlich unvermuteterweise hier seine Dienste anbot! Wohl waren seine Wangen bleich und seine Kleidung stellenweis von Blut befleckt, im übrigen zeigte sein Aussehen und seine Haltung jedoch keinen Unterschied gegen sonst. Aber kaum hatte Mary Avenel die Augen aufgeschlagen, kaum einen Blick auf die Gestalt des dienstfertigen Höflings geheftet, als sie von einer neuerlichen Ohnmacht befallen wurde und jählings wieder zurück sank. Dann machte wieder ein heftiger Aufschrei ihrem beklommenen Busen Luft, dann richtete sie sich empor und schrie mit schrecklicher Stimme: »Haltet ihn fest, den Mörder! den Mörder Halbert Glendinnings!« Wie versteinert stand die ganze Gruppe da, keiner aber war mehr von Entsetzen geschlagen als der Schönredner selbst, der sich so jäh und so seltsamerweise von der ohnmächtigen Dame unter so schwere Anklage gestellt sah, während er sich doch so eifrig bemüht hatte, ihr Hilfe zu bringen. »Hinweg mit ihm!« schrie sie wieder, »hinweg mit dem Mörder!« »Nun, bei meiner Ritterschaft,« nahm Sir Piercie wieder das Wort, »die herrlichen Gaben Eures Geistes wie auch die köstlichen Vorzüge Eures Leibes, o, meine schönste Protektion, sind von wunderlicher Verblendung umnebelt, denn entweder erkennen Eure Augen nicht, daß Sir Piercie Shafton, Eure alleruntertänigste Affabilität, hier vor Euch steht, oder Euer Geist zieht, falls Eure Augen mich erkennen, ganz irrige Folgerungen und beschuldigt jemand, dessen Hände rein sind, eines grausen Frevels. Nein, meine so maßlos erzürnte Protektion, es ist kein Mord heute verübt worden, als höchstens der, den eben Eure bösen Blicke an Eurem untertänigsten Gefangnen begehen.« In seinem Redefluß wurde er aber jetzt von dem Pater Eustachius unterbrochen, der inzwischen sich mit dem alten Diener Martin unterhalten und von demselben Kunde bekommen hatte, durch welche unvermutete Mitteilung Mary von Avenel in diesen erregten Zustand versetzt worden war. In feierlichem Tone und mit auffälliger Langsamkeit sprach derselbe: »Herr Ritter, es sind so ungewöhnliche Dinge mir zu Ohren gebracht worden, daß ich mich, ohne Rücksicht darauf, daß Ihr der Gast unsrer ehrwürdigen Gemeinschaft seid, gezwungen sehe, darüber eine Erklärung von Euch zu verlangen. Ihr habt heut morgen diesen Turm verlassen in Gesellschaft eines Jünglings, des ältern Sohnes dieser wackern Frau, und kehrt nun ohne ihn zurück. Wo habt Ihr Halbert Glendinning gelassen, und wann habt Ihr ihn verlassen?« Der englische Ritter schwieg einen Augenblick. Dann antwortete er: »Es muß mich Wunder nehmen, daß Euer Ehrwürden solch ernsten Ton anschlagen, um solch belanglose Frage zu stellen. Ich habe mich ein paar Stunden nach Sonnenaufgang von Halbert Glendinning getrennt.« »Und wo, wenns beliebt?« fragte der Pater weiter. »In einer tiefen Schlucht, in der am Fuß eines mächtigen Felsens eine Quelle entspringt,« hub der Ritter an, »ein erdgeborner Titan, der sein graues Haupt erhebt ...« »Erspart uns die weitre Schilderung,« versetzte der Pater,«denn wir kennen die Oertlichkeit. Von dem Jüngling ist seitdem aber nichts mehr vernommen worden, und an Euch ist es nun, Rechenschaft über ihn zu geben.« »Mein Sohn, mein Sohn!« schrie jetzt Frau Glendinning auf, »jawohl, heiliger Vater, fordert Rechenschaft von dem Schelm über mein Kind!« »Ich schwöre bei Brot und Wasser, den Stützen unsers Lebens, gute Frau ...« hub der Ritter wieder an. »Schwöre bei Wein und Semmel,« rief Frau Glendinning, »denn das sind Deines Lebens Stützen, Du verhungerter Mann aus dem Süden! So ein Hundsfott von Fresser kommt zu uns ins Haus, verlangt die besten Bissen, räsonniert noch, daß ihm nichts fein genug sei, und während wir das unsrige tun, ihm sein Leben zu erhalten, tut er das Seinige, uns nach dem Leben zu trachten!« »Ich sage Euch doch, Frau,« erwiderte Sir Piercie, »ich bin mit Eurem Sohne einfach auf die Jagd gegangen.« »Für unsern armen Jungen ist es eine traurige Jagd geworden,« bemerkte Frau Tibbie; »ich habe doch gleich gesagt, als ich den falschen Mann aus dem Süden gesehen habe, daß von dem nichts Gutes zu erwarten stehe. Wann hats wohl eine gute Jagd gegeben, sobald ein Piercie mit hinauszog?« »Still, Frau,« verwies ihr der Unterprior das Wort, »noch haben wir keine Gewißheit, sondern nur Verdacht ...« »Sein Herzblut gehört uns!« schrie Frau Glendinning, und stürmte so wild auf den Schönredner ein, daß es wohl ein schlimmeres Ende mit ihm genommen hätte, wäre nicht der Pater ihr zusammen mit Müllers Mysie in den Arm gefallen. Edward, der gleich nach der Frage des Paters aus dem Gemache geschritten war, trat jetzt wieder herein, mit dem Schwert in der Faust und gefolgt von Martin und Kaspar, die mit Jagdspeer und Armbrust bewaffnet waren. »Besetzt die Tür!« befahl er seinen beiden Begleitern, »und versucht er durchzubrechen, dann stoßt oder schlagt ihn nieder ohne Gnade! denn beim Himmel, sobald er zu entwischen sucht, so muß er sterben!« »Was hast Du im Sinne?« fragte der Prior; »wie kannst Du Dich so vergessen, gegen einen Gast Gewalt zu brauchen, in Gegenwart von mir, dem Stellvertreter Deines Lehnsherrn?« Mit dem bloßen Schwert in der Faust trat Edward einen Schritt vor und rief: »Verzeiht, ehrwürdiger Vater, hier spricht die Stimme der Natur lauter und gebieterischer als die Eurige. Ich kehre meines Schwertes Spitze gegen diesen Mann und fordre von ihm das Blut meines Bruders, das Blut von meines Vaters Sohne, der unsers Namens Erbe und Träger ist. Weigert er mir Rechenschaft über meines Bruders Verbleib, so soll er meiner Rache nicht entrinnen!« Aber Sir Piercie Shafton, so groß auch seine Verlegenheit war, äußerte doch keine Furcht für sein Leben. »Steck Dein Schwert ein, Jüngling,« sagte er, »an einem Tage schlägt Piercie Shafton sich nicht mit zwei Bauern!« »Höret Ihr es, heiliger Vater?« rief Edward; »er bekennt die Tat.« »Geduld, mein Sohn, Geduld!« sagte der Pater, »besser wirst Du Dir durch meine Vermittelung als durch Deine Gewalttätigkeit Recht verschaffen. Ihr Frauen aber, verhaltet Euch ruhig! Tibbie, führt Eure Herrin und Mary Avenel beiseite!« Als die Frauen aus dem Raume verschwunden waren, forderte der Unterprior den Ritter von neuem auf, alles mitzuteilen, was er über Halbert Glendinnings Verbleib wisse. Edward Glendinning schritt, mit dem Schwert in der Hand, vor der Tür auf und nieder, um jede Flucht unmöglich zu machen. Der Ritter befand sich in einer höchst bedrängten Situation, denn was er vom Ausgange des Zweikampfes mit Bestimmtheit zu erzählen wußte, war für seinen Stolz so empörend, daß er sich zu einem ausführlichen Bericht unmöglich entschließen konnte, zumal er obendrein annehmen mußte, daß man ihm schwerlich Glauben schenken, sondern alles für eine absonderliche Mär, die bloß erzählt werde, um Ausflüchte zu machen, halten werde. Das stand doch um so eher zu erwarten, als er, wie dem Leser ja bekannt ist, von Halberts weiterm Verbleib nicht das geringste wußte. »Ihr könnt doch nicht in Abrede stellen,« nahm der Pater wieder das Wort, weiter in den Ritter dringend, »daß Ihr gestern, wie es den Anschein hatte, von dem Jüngling beleidigt wurdet, aber zu unser aller Verwunderung so tatet, als ginge Euch die Beleidigung nicht nahe. Nun habt Ihr gestern dem Jüngling plötzlich eine Jagdpartie in Vorschlag gebracht und seid mit ihm bei Tagesanbruch in den Wald gegangen. Nun sagt Ihr, Ihr hättet Euch an der Quelle von ihm getrennt, unweit von dem Felsen, und ein paar Stunden nach Sonnenaufgang. Das läßt doch alles Ernstes vermuten, daß Ihr Euch, ehe Ihr auseinander ginget, zusammen geschlagen habt.« »Das ist doch von mir gar nicht gesagt worden,« erwiderte der Ritter. »Wie kann denn bloß solcher Lärm erhoben werden darüber, daß ein Bauer und Leibeigner auf und davon gelaufen ist ... jawohl, das behaupte ich ... um sich der ersten besten Freibeuterschar anzuschließen? Ich, ein Ritter vom Geschlecht der Piercie, soll Euch Rede und Antwort stehen um eines so unbedeutenden Flüchtlings willen? Sagt mir, welchen Preis Ihr fordert für seinen Kopf, und ich will ihn an Euern Bruder Schatzmeister bezahlen, Herr Pater.« »Also räumt Ihr ein, meinen Bruder erschlagen zu haben?« fragte Edward mit drohender Gebärde. »Gut, dann sollt Ihr aus meinem Munde die Antwort vernehmen, wie hoch wir Schotten das Leben eines Blutsverwandten anschlagen.« »Still, Edward, ich bitte Dich darum, und ich befehle es Dir,« nahm der Unterprior wieder das Wort, »Ihr aber, Herr Ritter, denkt besser von uns, als daß Ihr meint, schottisches Blut lasse sich vergießen und dann bezahlen, wie eine Rechnung vom Weinküfer für das, was man bei einem Gelage verschüttet oder getrunken hat. Halbert Glendinning war kein Leibeigner, wie Ihr wohl gewußt habt, und daß Ihr im eignen Vaterlande auch gegen den geringsten Untertan das Schwert nicht zücken dürftet, ohne Euch den Gesetzen verantwortlich gemacht zu haben, das wißt Ihr ebenso gut. Wenn Ihr Euch einbilden wolltet, daß es hierzulande anders sei, würdet Ihr Euch in einem schweren Irrtume befinden.« »Ihr stellt meine Geduld auf eine schwere Probe,« erwiderte der Schönredner, »aber was soll ich Euch sagen können über den Verbleib eines jungen Menschen, den ich seit zwei vollen Stunden nach Sonnenaufgang nicht mehr gesehen habe?« »Aber unter welchen Umständen Ihr ihn verließet, darüber könnt Ihr doch Auskunft geben?« fragte der Pater. »Was für Umstände, zum Henker, sollen denn das sein, die Ihr erklärt haben wollt?« rief der Schönredner heftig; »denn so lebhaften Widerspruch ich auch erheben muß gegen diese ungeziemende Behandlung eines Gastes, so möchte ich doch alles versuchen, diesen Zwist friedlich zu beendigen, sofern er sich durch Worte irgend beendigen läßt.« »So, erkläret mir, Sir Piercie,« drang der Unterprior weiter in ihn, »warum der Boden am Rande der Quelle von Corrinan-Shilan mit Blut getränkt gewesen ist, da Ihr selbst einräumt, Euch dort von Halbert Glendinning getrennt zu haben?« Darauf der Ritter trotzig: »Es sei doch nichts Ungewöhnliches, den Rasen dort blutig zu finden, wo Jäger ein Stück Wild zur Strecke gebracht hätten!« »Und habt Ihr Euer Wild ebenso gut verscharrt, wie Ihr es geschossen habt?« fragte der Mönch. »Wir verlangen Auskunft von Euch, wer in dem Grabe liegt, das neben der Quelle ausgeschachtet worden ist! ... Ihr entrinnt mir nicht, Sir Piercie, wie Ihr wohl seht. Drum rate ich Euch, seid aufrichtig und erzählt uns, was dem unglücklichen Jüngling geschehen ist, dessen Leiche doch sicher unter dem blutgetränkten Rasen ruht.« »Dann müßte ihn grade jemand lebendig begraben haben,« erwiderte Sir Piercie, »denn ich schwöre Euch, heiliger Vater, daß der Bauernbub ganz fidel und munter war, als er sich von mir trennte. Laßt doch das Grab öffnen und durchsuchen, und falls Ihr die Leiche, die Ihr vermutet, darin finden solltet, dann mögt Ihr mit mir schalten nach Belieben.« »Ueber Dein Schicksal zu bestimmen, Herr Ritter, ist nicht meines Amtes, das wird dem hochwürdigen Abt und dem hohen Kapitelstuhle anheimfallen. Mir liegt lediglich die Pflicht ob, die Voruntersuchung des Falles zu führen.« »So möchte ich noch zuvörderst Angeber und Zeugen wissen, die solchen unsinnigen Verdacht gegen mich wachgerufen haben,« sagte Sir Piercie Shafton. »Das wird gleich geschehen,« antwortete der Unterprior, »es soll ja auch nichts Euch vorenthalten bleiben, was Ihr zu Eurer Verteidigung wahrnehmen könnt. Das hier im Turme aufhältliche Fräulein Mary von Avenel hat Euch, weil sie Schlimmes argwöhnte, den alten Martin Tacket nachgeschickt mit dem Auftrage, Unglück, das vielleicht im Werke sei, zu hindern. Indessen scheint Ihr Eurer Leidenschaft sehr schnell die Zügel freigegeben zu haben, denn als der Mann den Platz erreichte, wohin ihn Eure Fußspuren führten, da hat er weiter nichts mehr gefunden als blutigen Rasen und ein zugeworfnes Grab. Er hat noch geraume Zeit nach Euch und dem jungen Glendinning gesucht, aber weder von ihm noch von Euch etwas entdecken können und ist dann, die Erfolglosigkeit weiterer Mühe einsehend, hierher zurückgeeilt, um der Jungfrau, die ihn ausgeschickt hatte, die schmerzliche Kunde zu bringen.« »Hat er denn mein Wams nicht gesehen?« versetzte Sir Piercie Shafton; »denn als ich meine Besinnung wiederfand, da sah ich, daß ich in einen Mantel gewickelt war, aber mein Unterkleid nicht mehr anhatte, wie Euer Ehrwürden sich ja überzeugen können.« Mit diesen Worten riß er seinen Mantel auf, ohne bei der ihm eignen Unvorsichtigkeit daran zu denken, daß er auf diese Weise sein blutiges Hemd zeigte. »Wie? Du grausamer Mensch!« rief lebhaft erzürnt der Mönch, als er diese Bestätigung seines Argwohns wahrnahm, »Du willst Deine Schuld in Abrede stellen und trägst das vergossne Blut an Deinem Leibe? ... Du willst noch leugnen, daß Deine überschnelle Hand eine Mutter ihres Sohnes, unsre Gemeinde eines Vasallen und die Königin von Schottland eines Untertanen beraubt hat? Wessen kannst Du Dich sonst gewärtig halten, als daß wir Dich zum wenigsten, als unsers weitern Schutzes unwert, an England ausliefern werden?« »Bei allen Heiligen!« rief da der Ritter, aufs äußerste drangsaliert, »sofern dieses Blut Zeugnis wider mich ablegt, so ist es rebellisches Blut, denn es ist diesen Morgen noch, so wahr mir Gott helfe, in meinen Adern geronnen.« »Wie sollte dies der Fall sein können, Sir Piercie Shafton?« entgegnete der Mönch; »sehe ich doch keine Wunde an Deinem Leibe, aus der es geflossen sein könnte!« »Das ist die geheimnisvolle Seite dieses Ereignisses,« versetzte Sir Piercie. »Seht hierher!« Sein Hemd aufreißend, wies er die Stelle, die Halberts Schwert getroffen hatte, die jedoch schon vernarbt war und wie eine längst geheilte Wunde aussah. »Das, Herr Ritter, muß meine Geduld erschöpfen,« rief der Unterprior, »denn Ihr fügt zu Gewalttat noch Kränkung durch Spott! Haltet Ihr mich für ein Kind oder für einen Tropf, daß Ihr mir zumutet, ich solle glauben, das frische Blut, das Euer Hemd befleckt, rühre von einer Wunde her, die seit Wochen und Monaten schon vernarbt ist? ... Unseliger Spötter, meinst Du uns dergestalt zu blenden? Laß ab von diesem Lug, denn wir wissen nur allzu gut, daß dieses Blut herrührt von Deinem Schlachtopfer, das in verzweifeltem Kampfe mit Dir rang, und das Du erschlagen hast in unehrlichem Zweikampf.« Der Ritter nahm jetzt einen andern Ton an und wandte sich in ruhigerer Stimmung zu dem Prior: »Ich will offen sein, Pater. Laßt diese Leute so weit zurücktreten, daß sie uns nicht hören, und ich will Euch alles mitteilen, was mir von diesem geheimnisvollen Vorgange bekannt ist. Aber zürnet mir nicht, guter Vater, wenn Euer Beistand es nicht zu deuten vermag, denn ich muß bekennen, daß es für den meinigen zu dunkel ist.« Der Mönch winkte hierauf Edward und den beiden Hörigen, aus dem Gemache zu treten, aber er mußte Edward die Erlaubnis geben, vor der Tür stehen zu bleiben, weil sich derselbe nur unter der Bedingung dazu verstehen wollte, daß er sicher sein könne vor jedem Fluchtversuch des Ritters. Der Mönch versicherte ihm, daß seine Unterhaltung mit dem Gefangnen nur kurz sein werde, und gab ihm die verlangte Erlaubnis. Draußen aber besann sich Edward eines andern und schickte an ein paar Familien des Klosterbannes, deren Söhne mit seinem Bruder und ihm öfter verkehrt hatten, Boten ab mit der Nachricht, daß Halbert Glendinning von einem Engländer erschlagen worden sei, und daß er sie auffordern lasse, sich ohne Aufschub im Turme von Glendearg einzufinden. In solchen Fällen galt die Pflicht der Rache für so heilig, daß Edward keine Sekunde im Zweifel war, sich dieses weitern Beistandes versichert halten zu dürfen. Darauf untersuchte er die Türen des Turms nebst dem Hoftor, und begab sich dann zu den Frauen des Hauses, um sie zu trösten wie auch zu versichern, daß er für den gemordeten Bruder heilige Rache nehmen werde. Neuntes Kapitel »Wie Ihr wißt, ehrwürdiger Vater,« begann Sir Piercie Shafton die Unterhaltung, »hatte jener Bauernbursche mir in Gegenwart Eures verehrten Obern und Eurer selbst und andrer würdigen Männer, der jungen Dame von Avenel nicht zu vergessen, die ich mit aller Ehrerbietung als meine Protektion bezeichnen darf, eine so bittre Kränkung zugefügt, daß ich mich in Rücksicht auf Zeit und Ort wohl der mir zustehenden Rache auf eine gewisse Zeit enthalten konnte, zuletzt aber zu dem Entschlusse kommen mußte, ihm das Vorrecht eines Ebenbürtigen einzuräumen, ihm also die Eigenschaft der Satisfaktionsfähigkeit zuzusprechen.« »Ihr laßt zwei Umstände dabei unaufgeklärt, Herr Ritter,« fiel ihm der Mönch ins Wort, »erstens, warum das kleine Ding, das der Jüngling Euch zeigte, Euren Grimm in solch maßloser Weise wachrufen konnte, und zweitens, woher der Jüngling, mit dem Ihr doch erst ein paarmal höchstens zusammengewesen sein konntet, von Eurer Vergangenheit so viel wußte, daß er Euch solcherweise zu erregen vermochte?« Der Ritter wurde von tiefer Röte übergossen. »Eure erste Frage, ehrwürdiger Vater,« antwortete er, »möchte ich, als zur Sache nicht gehörig, übergehen, und in betreff der andern beteure ich, daß ich die Mittel und Wege, wie er zu solcher Kenntnis gelangt ist, ebenso wenig begreife wie Ihr selbst, ja daß ich mich fast geneigt fühle zu der Annahme, er müsse es mit dem Satan halten. Indessen davon nachher ein Weiteres. ... Zur Sache denn, Herr Prior! An jenem Abend habe ich, wie es bei uns Kriegsleuten so Brauch ist, meine Absicht hinter allerhand Tändelei mit meiner schönen Protektion versteckt, die für ihre unerfahrenen Ohren köstliche Musik sein mußten. Am Morgen darauf habe ich meinen Gegner getroffen, von dem ich übrigens sagen muß, daß er sich für einen ungehobelten Villaggio so wacker benommen hat, wie man nur eben wünschen kann. . . . Als es nun zum Zweikampfe ging, maß ich den Wert seiner Klinge durch ein Halbdutzend simpler Stöße, und hätt ihn mit einem jeden derselben auf den Rasen strecken können, wenn mir daran gelegen gewesen wäre, mich solch verabscheuenswerten Vorteils zu versichern. Ich dachte statt dessen Gnade für Recht ergehen lassen zu sollen und suchte ihm bloß einen geringfügigen Denkzettel zu erteilen. Er aber häufte, während ich so gelind mit ihm verfuhr, weitere Beleidigungen auf mich und jagte mich in Wut. Ich mache eine Parade, gleite dabei aus, aber nicht durch einen Fehler meiner- oder einen Trick seinerseits, sondern weil, wie gesagt, der Teufel sein Spiel dabei haben mußte, vielleicht den Rasen genäßt oder sonst was angestellt hatte, so daß der Bursche, ehe ich meine Stellung wiedergewinnen konnte, mir das Schwert so entgegenhält, daß ich mit dem Unterleib hineinrenne, und, wie es mir vorkommt, mitten durch gestochen werde. Ganz außer sich über diesen ihm selbst höchst unvermuteten Ausgang unsers Kampfes, reißt der Bursche aus und läßt mich in meinem Blute liegen, so daß ich infolge starken Blutverlusts in Ohnmacht falle. Als ich hierauf endlich wieder zu mir komme, da sehe ich, daß mich jemand in meinen Mantel gewickelt und an den Fuß einer der Birken getragen hat, die unfern von der Quelle in einer Gruppe stehen. Ich drehe mich um und lege meine Hand an die Wunde, ich fühle wenig Schmerz, aber große Schwäche, die Wunde ist, wie ich merke, schon wieder zugeheilt und vernarbt, genau so, wie ich sie Euch vorhin zeigte; ich stehe auf und komme hierher ... und was dann hier noch geschehen ist, das wißt Ihr ja!« »Auf solch seltsame Erzählung, Herr Ritter, kann ich nichts weiter sagen,« antwortete der Unterprior, »als daß es wohl kaum jemand zugemutet werden kann, sie zu glauben.« »Ehrwürdiger Vater,« erwiderte der Ritter, »ich bitte zuvörderst gelten zu lassen, daß ich mich auf eine nochmalige Erörterung dessen, was ich bereits als wahrhaftig verbürgt habe, nur eingelassen habe aus geziemender Rücksicht auf Eure Ordenstracht, und daß ich vor niemand anders als einem Geistlichen oder einer Edeldame oder meinem Landesfürsten einmal Bezeugtes anders als mit der Spitze meines Schwertes bekräftigen würde. Nach dieser Erklärung habe ich bloß noch hinzuzufügen, daß ich meine Ehre als Edelmann und als katholischer Christ zum Pfande dafür setze, daß die Dinge sich genau so zugetragen haben, wie ich sie Euch erzählt habe, und kein Jota anders.« »Das ist gewiß eine feierliche Versicherung, Herr Ritter,« antwortete der Unterprior, »bedenkt aber, daß es doch immer nur eine Versicherung ist, und daß Ihr keinen einzigen Grund dafür nennen könnt, daß man Dinge für wirklich annehmen soll, die aller Vernunft so gerade entgegengesetzt sind. War das Grab, das man auf Eurem Kampfplatze antrifft, bedeckt oder offen?« »Offen,« versetzte Sir Piercie, »ich bin dessen so gewiß, wie wenn ...« »Laßt, bitte, alle Gleichnisse beiseite und gebt acht! Gestern abend war dort noch kein Grab vorhanden, denn der alte Martin ist zufällig auf der Suche nach einem verirrten Schafe, dort vorbeigekommen. Bei Tagesanbruch dagegen ist, nach Eurer Aussage, das Grab ausgeschachtet gewesen, dann hat ein Zweikampf stattgefunden, nur einer der beiden Kämpfer kommt wieder zum Vorschein, und der ist mit Blut befleckt und dem Anschein nach verwundet –-« hier machte Sir Piercie eine Gebärde der Ungeduld – »Nur einen Moment noch, bitte!« sagte der Unterprior, »das Grab ist voll geschüttet, mit Rasen bedeckt ... was läßt sich da anders annehmen, als daß es den Leichnam des andern Kämpfers aufgenommen habe?« »Unmöglich, beim Himmel, ganz unmöglich!« rief der Ritter, »es müßte denn sein, daß der Jüngling sich selbst umgebracht und in das Grab gebettet habe; um mich als seinen Mörder zu brandmarken.« »Das Grab soll nachgesehen werden, sobald der Tag graut,« sagte der Mönch. »Ich selbst will es in Augenschein nehmen.« »Nachdem ich nun hiermit Euer Ehrwürden,« nahm der Schönredner wieder das Wort, »einen vollständigen und ungekünstelten Bericht über alles gegeben habe, was mir in dieser Angelegenheit bekannt ist, überlasse ich es Eurer Weisheit, dasjenige daraus zu entnehmen, was Euch nützlich und verwendbar zu sein scheint. Ich selbst gedenke morgen in aller Frühe mich nach Edinburg zu begeben.« »Ich bedaure, Herr Ritter,« erwiderte hierauf der Mönch, »Euren Plan stören zu müssen, aber es ist nicht gut möglich, ihn zur Ausführung zuzulassen.« »Wie, ehrwürdiger Vater?« rief der Ritter mit der Miene des höchsten Erstaunens, »wenn ich es mir vorgenommen habe abzureisen, dann wird es Wohl möglich sein müssen, zu reisen!« »Ich wiederhole, es wird nicht möglich sein, Euch diesen Plan ausführen zu lassen, so lange wenigstens nicht, bis über die Entscheidung des Lord-Abtes das Nähere bekannt geworden ist.« »Ehrwürdiger Herr,« rief der Ritter, eine Miene höchster Würde annehmend, »ich bin dem Lord-Abt gewiß auf das tiefste verpflichtet, aber in diesem Falle habe ich mit seinem liebwerten Willen nicht das geringste zu schaffen, sondern bin einzig und allein gesonnen, mich nach meinem und nicht nach seinem Willen zu richten.« »Bitte um Verzeihung,« versetzte der Unterprior, »dem Lord-Abt in dieser Angelegenheit vorzugreifen ist durchaus unzulässig.« Sir Piercie Shafton wurde blutrot. »Was?« rief er, »Euer Ehrwürden wollen mich um des eingebildeten Todes eines gemeinen Grobians willen in meiner Freiheit beschränken, mich, einen Verwandten des ritterlichen Geschlechtes der Piercie Shafton?« »Herr Ritter,« erwiderte der Unterprior höflich, aber fest, »Eure hohe Abkunft wird Euch in diesem Falle so wenig nützen, wie Euer wieder aufsteigender Zorn. Ihr hättet hier nicht Zuflucht suchen sollen, wenn Ihr hier bloß Blut vergießen wolltet wie Wasser.« »Ich sage Euch nochmals, daß kein Blut vergossen worden ist,« rief Sir Piercie, »außer meinem eignen.« »Den Beweis hierfür seid Ihr uns aber noch schuldig geblieben,« antwortete der Prior, »und wir von der Klosterbrüderschaft zu Sankt Marien von Kennaqhueir sind nicht gewohnt, schöne Redensarten für das Leben unsrer Vasallen in Tausch zu nehmen.« »Und wir vom Hause Piercie Shafton lassen uns weder Drohungen bieten, noch fügen wir uns Zwangsmaßregeln. Ich wiederhole hiermit, daß ich morgen abreisen werde, geschehe, was wolle!« »Und ich dagegen,« versetzte der Unterprior im gleichen entschiednen Tone, »erkläre hiermit, daß ich Eure Reise verhindern werde, geschehe, was wolle!« »Wer will mich abhalten,« rief der Ritter, »wenn ich mir den Weg mit Gewalt bahne?« »Ihr werdet klug tun,« erwiderte der Mönch gefaßt, »Euch erst reiflich zu überlegen, was Ihr tut, bevor Ihrs tut, denn es fehlt im Klostersprengel nicht an Männern, die ihre Rechte gegen jeden, wahren, der sie anzutasten wagt.« Bei diesen Worten klatschte er in die Hände und rief mit lauter Stimme. Sogleich trat Edward ein in Begleitung von zwei jungen Männern, die sich zufolge seiner Nachricht bereits wohlbewaffnet eingefunden hatten. »Edward,« redete der Unterprior ihn an, »Du wirst den englischen Ritter in diesem Räume hier mit anständiger Kost für die Nacht versorgen, und ihn im übrigen so behandeln, wie wenn nichts vorgefallen wäre. Aber Du wirst scharfe Wache halten, daß er nicht entkommt. Und sollte er versuchen, Dir Widerstand zu leisten, dann kämpfe mit ihm auf Leben und Tod; doch darfst Du ihm in keinem andern Falle, so gewiß Dich die Verantwortung dafür trifft, ein Haar auf seinem Haupte krümmen.« »Ihr seid mir in jeder Hinsicht ein Vater gewesen, ehrwürdigster Herr,« sagte Edward Glendinning, »und kennt mich gut genug, um zu wissen, daß meine Hand lieber nach dem Buche griff als nach dem Schwerte, und daß der rasche, kühne Geist mir mangelt, welcher das Eigentum mei ...« hier stockte seine Stimme, er schwieg eine Weile, dann fuhr er entschlossen und mit Heftigkeit fort: »Ich wollte sagen, daß ich meinem Bruder nicht gleichkam an Mut und Kühnheit; aber Halbert ist nicht mehr, und ich stehe nun an seiner Statt und meines Vaters Statt als sein Nachfolger in allen seinen Rechten«, – bei diesen Worten sprühten seine Äugen voll Feuer – »und halte mich für verpflichtet, diese Rechte zu wahren und zu schützen, genau so, wie er es getan hätte. Darum bin ich jetzt ein anderer Mensch, ein Mensch, beseelt von höherm Mute und ausgestattet mit bessern Rechten und Ansprüchen. Und als solcher Mensch, ehrwürdiger Vater, erkläre ich Euch, achtungsvoll aber entschieden und unumwunden: hat dieser Mann meines Bruders Blut vergossen, so soll er dafür büßen, denn Halbert soll nicht vernachlässigt in seinem Grabe schlummern, als wäre mit ihm der Geist meines Vaters für immer entwichen. In meinen Adern rollt sein Blut nicht minder, und so lange Halberts Blut ungerochen ist, so lange wird auch das meinige sich nicht beruhigen. Geduldig will ich den Urteilsspruch des Abtes und der Klosterschaft erwarten und mich bescheiden, wenn sie gerecht am Andenken meines Bruders handeln. Trifft solche Voraussetzung aber nicht zu, dann habe auch ich ein Herz und eine Hand, um solche Irrung zu berichtigen. Denn wer in die Erbfolge meines Bruders tritt, der muß auch seinen Tod rächen.« Nicht ohne Staunen nahm der Unterprior wahr, daß auch bei Edward, trotz der großen Schüchternheit, die sonst seinem Wesen zu eigen war, und trotz des unbedingten Gehorsams, der sonst seine Tugend bildete, die wilden Grundsätze seiner Vorfahren und seiner Umgebung in den Adern tobten, daß seine Augen glühten, daß er am ganzen Leibe bebte und daß ihn ein Rachedurst beseelte, der seinem Wesen eine Heftigkeit verlieh, die an die Ungeduld der Freude stark erinnerte. »Edward,« sagte der Mönch, »ich verlasse mich auf Dein Wort, daß Du Dich aller vorschnellen Handlung enthalten wirst.« »Ich werde Euren Worten gewiß nicht zuwider handeln, ehrwürdiger Vater, denn Ihr seid mir wahrlich mehr denn ein Vater gewesen,« erwiderte Edward; »allein meines Bruders Blut, sowie die Zähren meiner Mutter und ... und ... auch Mary Avenels sollen nicht fließen, ohne daß derjenige, der die Schuld daran trägt, zur strengsten Rechenschaft gezogen werde. Ich will Euch nicht hintergehen, Vater; doch wenn dieser Piercie Shafton meinen Bruder gemordet hat, dann muß er sterben, und wenn alles Blut des Hauses Piercie in seinen Adern rönne.« In dieser Erklärung Edward Glendinnings kam ein so feierlicher Entschluß, ein so tief eingewurzelter Wille zum Ausdruck, daß dem Unterprior nichts andres übrig blieb, als sich für den Augenblick in die Umstände zu fügen. Er verließ das Gemach und begab sich zu den Frauen, um ihnen Trost zuzusprechen. Aber auch hier mußte er erkennen, daß seine tröstliche Stimme vergebens erscholl, und daß er dem Schmerz seinen natürlichen Verlauf lassen mußte. Zehntes Kapitel Die traurige Nachricht von dem Tode Halbert Glendinnings hatte im Turme von Glendearg alle vorher getroffenen Anordnungen über den Haufen geworfen. So hatte man Mary von Avenel, da ihr Zustand unmittelbare Aufmerksamkeit erheischte, in die Stube gebracht, die bisher Halbert und Edward inne gehabt hatten, da Edward willens war, alle Nächte zu wachen, um seinen Gefangnen an jedem Fluchtversuch zu hindern. Auf Müllers Mysie hatte man in der Folge gar keine Rücksicht genommen. Ohne eine Ahnung davon, daß die Eßstube, durch die man bloß zu dem kleinen Kämmerchen gelangen konnte, das bisher von Mary Avenel bewohnt gewesen war, und das man ihr wegen der vielen Gäste, die abends im Turme eingetroffen waren, angewiesen hatte, dem Ritter Piercie Shafton als Schlafstube dienen sollte, war sie dort zurückgeblieben, als die andern Frauen auf die Aufforderung des Unterpriors hin, sich zurückzogen; und nun traute sie sich nicht mehr hinaus, sowohl aus persönlicher Schüchternheit als aus Ehrerbietung vor dem geistlichen Herrn, der in geheimer Unterredung mit dem Ritter in der Eßstube zurückgeblieben war. Sie mußte also wohl öder übel so lange dort zurückbleiben, bis die Unterredung zu Ende war, und konnte es, da die Verbindungstür nur ein dünner Verschlag war, nicht hindern, daß sie jedes Wort, das zwischen den beiden Männern gesprochen wurde, hörte. Auf diese Weise traf es sich, daß sie, ohne es zu wollen, mit der Absicht des geistlichen Herrn, dem Ritter die Entfernung aus dem Turme zu wehren, bekannt wurde, und gleichzeitig konnte sie aus dem kleinen Fenster ihres Stübchens, das nach dem Hofe hinaus sah, beobachten, wie sich immer mehr junge Männer draußen einfanden, zufolge des Aufgebots, das Edward im Klostersprengel erlassen hatte. Hierdurch wurde in ihrem Herzen die lebhafteste Besorgnis für den Fremdling wachgerufen, dessen Eleganz und Auftreten die harmlose, schlichte Müllerstochter ebenso bezaubert und geblendet, wie sie die klarer blickende Mary Avenel abgestoßen hatten. Der Ritter seinerseits hatte diesen Eindruck recht wohl bemerkt und sich dadurch nicht wenig geschmeichelt gefühlt, war es ihm doch ein Beweis dafür, daß seine Tugenden und Vorzüge nicht allgemeiner Mißachtung anheimfielen, sondern in dem Herzen wenigstens dieses Mädchens freundliche Anerkennung fanden. Aus Artigkeit hatte er sich Mysie gegenüber weit höflicher gezeigt, als es seiner Ansicht nach ihrem Stande gegenüber in jedem andern Falle am Platze gewesen wäre. Kein Wunder, daß ihr von Natur weichherzig gestimmtes Gemüt sich infolge dieser ihm von dem Ritter erwiesenen Artigkeit noch um so beruhigter fühlte. Freilich sagte sie sich, daß es sehr garstig von ihm gewesen sei, solch jungen Menschen wie Halbert Glendinning umzubringen, aber er war und blieb doch Edelmann von Geburt und Soldat und war doch überhaupt ein so feiner und artiger Herr, daß es ihr gar nicht anders scheinen wollte, als daß Halbert den Zwist veranlaßt haben müsse, der doch eben bloß um Mary Avenels willen entstanden sei, für die beide junge Männer, wie man ja in Glendearg recht gut wußte, derart schwärmten, daß sie kein andres Mädchen im ganzen Klostersprengel angucken mochten. Daß ein so hübscher, netter Mensch, wie dieser edle Ritter, der wie ein Prinz aussah und wie ein Prinz sich zu benehmen wußte, sich durch die Schuld eines groben Bauern in einen Zweikampf eingelassen hatte und nun dafür mit dem Leben büßen sollte, das war ein Gedanke für die arme Mysie, der ihr die hellen Tränen in die Augen trieb. Ihr Herz empörte sich gegen solche Grausamkeit einem Menschen gegenüber, der aus seiner Heimat verbannt war, der ganz ohne Hilfe und Freund dastand, und der so anmutig zu sprechen vermochte und sich so geschmackvoll zu kleiden verstand, und sie fing an, mit sich zu Rate zu gehen, ob es denn gar nicht möglich sei, ihm in solcher Not beizustehen. Ueber diesem Gedanken schwand die Sorge, die ihr Gemüt bisher in Anspruch genommen hatte, einen Weg aus diesem Kämmerchen zu finden, ohne von jemand gesehen zu werden, vollständig; sie pries sich im Gegenteil recht glücklich, daß ihr der Zufall dieses Plätzchen hinter der Eßstube angewiesen hätte, und lebte sich allmählich in die Einbildung hinein, der Himmel habe sie zur Erhaltung und zum Schutze dieses armen Fremdlings dorthin geschickt. Mysie war schlichten Sinnes und empfindsamen Herzens, dabei aber aufgeweckt und unternehmend, und mutiger, als Frauen im allgemeinen zu sein pflegen; auch besaß sie einen ziemlich großen Grad von körperlicher Stärke. Und all diese Umstände zusammen genommen führten sie schließlich zu dem Gedanken: »Ich will ihn retten, den schmucken Menschen, und neugierig bin ich, was er dann wohl von dem armen Müllerstöchterlein denken und was er zu ihr sagen wird, wenn sie so etwas für ihn gewagt und ausgeführt hat, wozu sich doch all die vornehmen Damen in London und andern großen Städten von England im ganzen Leben nicht entschlossen hätten!« Im nächsten Augenblick gab ihr freilich die Klugheit einen Nasenstüber und hielt ihr vor, daß es doch für sie persönlich im selben Verhältnis gefährlich zu werden drohte, wie sich Sir Piercies Herz aus Dankbarkeit ihr zuwendete. Aber da fielen ihre Blicke gleichzeitig auf den kleinen Spiegel, neben den sie ihre kleine Lampe gestellt hatte, und in dem kleinen Spiegel sah sie eine Figur, die von schönstem Ebenmaße war, und ein Paar Augen, die lustig blitzten und funkelten, und noch durch jenen Ausdruck veredelt wurden, der Gemütern zu eigen ist, die kühne Taten entwerfen und in Ausführung setzen können. »Ei, sollten diese Augen, diese Züge und diese Figur nicht im Verein mit dem Dienste, den ich dem Ritter zu tun im Begriff stehe, den Rangunterschied zwischen uns beiden bis zu einem gewissen Grade aufheben können?« Diese Frage wurde durch die nicht geringe Portion von Eitelkeit, die in ihrem Köpfchen steckte, bei ihr wachgerufen, und wenn ihre Phantasie auch nicht gleich mit einem schnellen Ja darauf antworten mochte, so wurde doch ein Mittelweg in dem Schlusse gefunden: »Zunächst will ich dem jungen Menschen mal aus der Patsche helfen, und für das andre mag dann der Himmel sorgen.« Alle selbstsüchtigen Gedanken nunmehr aus dem Sinne schlagend, richtete das ebenso sehr unbesonnene wie mutige Mädchen ihren ganzen Sinn auf die Ausführung des Gedankens, den jungen Ritter zu befreien. Noch kaum ein Viertelstündchen war verflossen, seit der Unterprior die Eßstube verlassen hatte, als Mysie auch schon ihren Plan fertig hatte. Kühn war er freilich, aber er versprach Erfolg, sobald er mit der richtigen Vorsicht ausgeführt wurde. Vor allen Dingen war es notwendig, daß sie das Kämmerchen, in welchem sie sich befand, nicht früher verließ, als bis sich alles im Turme zur Ruhe begeben hatte, die Wachen natürlich ausgenommen. Die Zwischenzeit benützte sie dazu, das Verhalten des Mannes zu beobachten, zu dessen freiwilligem Champion sie sich aufzuwerfen gewillt war. Sie hörte, wie er in der Eßstube hin und her ging, wahrscheinlich in Gedanken vertieft über sein ungünstiges Schicksal und seine keineswegs ungefährliche Lage. Dann hörte sie ihn in seinen Koffern kramen, die ihm auf seinen Wunsch durch den Unterprior aus der Stube, die er bisher bewohnt hatte, geschickt worden waren. Wahrscheinlich suchte er, so dachte das Mädchen bei sich, durch solche Beschäftigung sich von seinen trübsinnigen Betrachtungen Ablenkung zu verschaffen. Dann hörte sie ihn deklamieren, dann ein Liedchen trällern, dann den Takt zu einem Tanze summen, und hieraus schloß Mysie, daß es ihm gelungen sein möchte, seinen Sinn durch die Beschäftigung mit seiner Garderobe aufzuheitern. Zuletzt hörte sie, wie er sich auf sein Lager warf, das man ihm für die nächste Nacht zurecht gemacht hatte, wie er ein paar Gebetsworte vor sich hin brummte, und nach kurzer Zeit gewann sie den Eindruck, daß er eingeschlafen sein müsse. Nun betrachtete sie ihr Vorhaben von allen Seiten, und so große Gefahr damit auch verbunden sein mochte, so half ihr der ruhige Blick, den sie für alles hatte, doch auf die richtigen Mittel und Wege zur Ausführung. Wirken ja Mitgefühl und Liebe an sich schon mit außerordentlicher Macht auf jedes weibliche Gemüt! Es war ungefähr eine Stunde nach Mitternacht. Bis auf die den Gefangnen bewachenden jungen Leute schlief alles im Turme, sogar die Witwe und Mary Avenel waren von dem schweren Kummer, der an ihrem Herzen nagte, so niedergedrückt, daß sie für die Außenwelt so gut wie unzugänglich waren. An Werkzeug, um Feuer zu schlagen, war in dem Kämmerchen das Nötige bei der Hand, und es gelang Mysie, die ja in allen häuslichen Arbeiten wohl bewandert war, die kleine Lampe, die Mary Avenel zu brennen pflegte, anzustecken. Zitternd und zagend machte sie nun die Tür leise auf, die sie von der Eßstube trennte, in welcher der Ritter aus dem Süden eingeschlossen war, und wenig fehlte, so wäre sie wankend in ihrem Entschlusse geworden, als sie sich mit dem schlafenden Gefangnen in dem gleichen Raume sah. Kaum getraute sie sich, die Blicke auf ihn zu richten; in seinen Mantel gehüllt, lag er auf dem ärmlichen Schragen und schlief. Mit abgewandten Augen versuchte sie ihn am Aermel zu zupfen und munter zu machen. Aber er regte sich nicht eher, als bis sie es ein paarmal wiederholt hatte. Dann aber drehte er sich um und war so verwundert, daß wenig fehlte, so hätte er laut aufgeschrieen. Nun wich die Verschämtheit bei Mysie der Furcht. Sie legte die Finger auf den Mund zum Winke für ihn, daß er das strengste Stillschweigen wahren solle, und dann zeigte sie nach der Tür, um ihm verständlich zu machen, daß sie bewacht würden. Jetzt wurde auch Sir Piercie wieder Herr seiner Aufregung und richtete sich in die Höhe. Verwundert betrachtete er die hübsche Mädchengestalt, die sich seinem Blicke zeigte, mit den tadellosen Formen und dem wallenden Haar und den zarten Gesichtsumrissen, und die romantische Phantasie des jungen Ritters wäre sicherlich nicht lange in Verlegenheit gewesen um eine artige Redewendung, aber Mysie ließ ihn nicht Zu Worte kommen. »Ich komme, Herr Ritter,« Hub sie an, »Euer Leben zu retten, das von großer Gefahr bedroht ist. Sofern Ihr mir Antwort geben wollt, so sprecht nur leise, denn Eure Tür ist mit Bewaffneten besetzt.« »Huldreichste aller Müllerstöchter,« erwiderte Sir Piercie, der sich bereits auf seinem Lager aufgerichtet hatte, »sei ohne Furcht wegen meiner Sicherheit! Du darfst mir glauben, daß ich Dir die Wahrheit sage, wenn ich es bestreite, die rote Pfütze, die von den höchst ungesitteten Verwandten des Bauernjungen für dessen Blut gehalten wird, vergossen zu haben. Deshalb bin ich auch ohne alle Sorge um des Ausgangs dieser Haft willen, denn ich weiß, daß sie mir keinen Schaden bringen kann. Immerhin soll Dir, meine schönste Molinara, der Dank, den Deine liebevolle Aufmerksamkeit fordert, nicht vorenthalten bleiben.« »Nicht doch, Herr Ritter, ich verdiene keinen Dank,« antwortete das Mädchen, aber mit so leiser, bebender Stimme, daß er es kaum verstehen konnte, »so lange Ihr meinen Rat befolgt. Edward Glendinning hat nach mehreren jungen Burschen geschickt, ihm Beistand zu leisten, und die sind nun gekommen, und ich hörte sie zusammen sprechen, als sie vorhin im Hofe abstiegen, daß die Buße für den an ihrem Verwandten verübten Mord entrichtet werden müsse, und wenn alle Mönchskutten darüber in Brand gerieten. Die Vasallen sind heute so aufsässig, daß selbst der Abt ihnen nicht Einhalt gebieten könnte, denn das ganze Kloster lebt doch jetzt in ständiger Furcht, sie möchten gleich den andern Leuten in Schottland auch ketzerisch werden und ihren Lehnszins nicht mehr entrichten.« »Freilich, solche Versuchung mag stark sein,« erwiderte Sir Piercie Shafton, »und vielleicht könnten sich die Mönche, wenn sie mich über die Grenze an Sir John Foster oder Lord Husdon, die beiden englischen Grenzhüter, auslieferten und auf diese Weise England und seine Klostervasallen zugleich befriedigten, von all ihren Sorgen befreien. In Anbetracht dessen, schönste Molinara, will ich Deinen Rat befolgen und Deine Schönheit, sowie Deinen Geist, wenn es Dir gelingt, mich aus diesem Hundestall zu erlösen, feiern und preisen, daß Rafaels Bäkernymphe im Vergleich mit meiner Molinara eine gemeine Zigeunerin sein soll.« »Still, still, ich bitt Euch,« erwiderte die Müllerstochter, »denn wenn durch Eure Worte die Wächter draußen aufmerksam werden, dann kann mein Plan nicht gelingen, und nur der Gnade des Himmels und der Fürsorge unsrer lieben Frau haben wir es zu danken, daß uns bis jetzt noch niemand gehört und entdeckt hat.« »Ich werde mich mäuschenstill verhalten,« entgegnete der Engländer, »still wie die Sternennacht! aber, schönste Molinara, sofern Dein Plan Dich selbst irgendwie in Gefahr setzt, dann wäre es doch meiner gänzlich unwürdig, wenn ich meine Rettung Deiner Hand zu verdanken hätte.« »Denkt nicht an mich, Herr Ritter,« erwiderte Mysie, »ich bin geborgen und werde schon an mich denken, sofern ich nur erst Euch aus dieser Gefahr befreit weiß. Und nun macht schnell! besinnt Euch nicht lange, sofern Ihr von Euren Kleidern oder Sachen etwas mitnehmen wollt.« Darüber verging nun freilich noch einige Zeit, bis der Ritter sich schlüssig war, was er von seinen Sachen alles, mitnehmen und was er davon zurücklassen wollte, denn an jedes Stück knüpfte sich eine Erinnerung, bald an eine Festlichkeit, bald an ein Gastmahl, bald an dies oder jenes Abenteuer, wobei er es getragen hatte. Mysie ließ ihm eine Weile Zeit, da ja auch sie selbst einige Vorkehrungen zu der schnellen Abreise zu treffen hatte. Als er aber bei ihrem Wiedereintritt noch immer nicht bereit war, bat sie ihn mit ein paar schlichten Worten, sie nicht beide durch längern Aufenthalt in Fährlichkeit zu setzen, sondern sich entweder zur Flucht aufs schnellste einzurichten oder darauf zu verzichten. Da packte der Ritter trostlos ein paar Sachen in ein Bündel, warf auf seine Koffer noch einen stummen Blick voll Schmerz und Weh und erklärte nunmehr seiner freundlichen Führerin, ihr folgen zu wollen »durch dick und dünn«. Mysie wandte sich nach der Tür und bedeutete den Ritter, sich ihr dicht anzuschließen. Dann klopfte sie leise. Es dauerte eine Weile, bis Edward antwortete, wer denn poche und was man wolle? »Sprecht doch leise,« versetzte Mysie, »sonst wird der englische Ritter munter. Ich bins, Mysie Happer. Ich will hinaus. Ihr habt mich ja in der kleinen Kammer eingeschlossen, und da Hab ich warten müssen, bis der englische Ritter eingeschlafen war. Nun will ich aber nicht länger eingesperrt bleiben.« »Was? Ihr seid eingesperrt gewesen, Mysie?« fragte Edward verwundert. »Ja doch,« erwiderte die Müllerstochter. »Ihr seids doch selbst gewesen, der mich eingesperrt hat! Ich war doch in der kleinen Kammer, in der früher Mary geschlafen hat.« »Könnt Ihr denn nicht warten bis morgen?« versetzte Edward, »Ihr könnt doch die Nacht auch dort schlafen!« »So?« rief Mysie empört, »das wäre ja schön! Nicht um alles in der Welt bliebe ich eine Sekunde länger in einem Raume, der neben der Stube liegt, in der sich ein Mann allein befindet. Nein, dazu ist doch meines Vaters Tochter zu sittsam und streng erzogen, als daß sie ihren guten Namen preisgeben sollte!« »Na, dann kommt heraus und verfügt Euch in Eure Kammer!« sagte Edward und machte die Tür auf. Die Stiege draußen war finster, wie Mysie sich schon vorher überzeugt hatte. Kaum war sie herausgetreten, so faßte sie Edward am Arm, wie wenn sie sich auf ihn stützen wolle, und zog ihn ein kleines Stück von der Tür weg. Dann stellte sie sich unauffällig so, daß sie den Raum zur Tür vertrat, so daß Edward den ihr auf dem Fuße folgenden Engländer nicht gewahren konnte. Barfuß und behutsam schlich dieser auf den Zehen einher, während Mysie sich laut bei Edward darüber beklagte, daß kein Stümpfchen Licht da sei. »Ich kann Euch keins verschaffen, Mysie,« erwiderte Edward, »denn ich darf nicht von diesem Posten weichen. Unten werdet Ihr aber schon Feuer finden.« »Nun, dann kann ich mich schließlich gefaßt machen, bis morgen früh unten zu sitzen,« sagte unwillig das Mädchen und ging die Treppe hinunter, während Edward die Tür der nun leeren Stube unnützerweise wieder abschloß. Unten traf Mysie wieder den Mann ihrer Sorge, dem sie wiederum das strengste Schweigen befahl, wozu er sich auch, wohl zum ersten Male in seinem Leben bequemte. Mit der größten Behutsamkeit, wie wenn sie über brüchiges Eis schritten, schlichen sie bis zu einem finstern Winkel, der als Holzstall benützt würde, und hier flüsterte Mysie dem Ritter zu, sich hinter dem Reisig zu verstecken, bis sie wiederkäme. Dann steckte sie das Küchenfeuer mit ihrer Lampe an und setzte sich an Rocken und Spindel, um nicht unbeschäftigt zu erscheinen, falls jemand hereinkommen sollte. Von Zeit zu Zeit schlich sie auf den Zehen zum Fenster hin, weil sie zur weitern Ausführung ihres Planes das erste Frühlicht abwarten mußte. Endlich färbte sich der Himmel, und mit gefalteten Händen dankte sie der Jungfrau Maria für ihre bisherige Hilfe und bat um weitern Segen für das Werk, das sie vorhatte. Aber bevor sie mit ihrem Gebet zu Ende war, fühlte sie zu ihrem namenlosen Schreck plötzlich die Hand eines Mannes auf ihrer Schulter. »Ei, die schmucke Mysie ans der Klostermühle, und schon so früh bei einem frommen Gebet? Ei, dafür muß ich doch einen Kuß bekommen!" rief eine rauhe Stimme gleichzeitig unter derbem Lachen hinter ihr. Einer von den jungen Burschen war es, die Edward nach dem Turm von Glendearg gerufen hatte, Dan von Howlet-Hirst. Und er ließ seiner lustigen Rede auf der Stelle die kecke Tat folgen, bekam aber dafür nach ländlicher Art einen so derben Knuff in die Seite, daß er kaum einen Aufschrei zu unterdrücken vermochte, im übrigen aber den Knuff ganz ebenso hinnahm, wie ein feiner Herr den Klaps einer schönen Dame mit dem Fächer hingenommen hätte. »Ei was, Herr Hanswurst,« meinte Mysie, »habt Ihr um Narretei willen Euren Wachtposten bei dem englischen Gefangenen im Stich lassen müssen?« »Ganz und gar nicht, schönste Mysie,« antwortete Dan von Howlet-Hirst, »ich habe den Edward noch gar nicht von seinem Posten abgelöst; und wärs nicht schädlich, ihn länger Posten stehen zu lassen, so brächt ichs, meiner Treu, nicht fertig, Euch die ersten zwei Stunden allein mit Euch zu lassen.« »O, Ihr habt Zeit genug, unsereins zu sehen, Dan,« antwortete die Müllerstochter, »aber jetzt solltet Ihr an den Kummer denken, der die Hausleute betroffen hat, und Edward ablösen, damit er sich auch ein bißchen aufs Ohr legen könnte, denn der arme Mensch hat die ganze Nacht gewacht.« »Aber erst muß ich noch einen Kuß haben, Mysie,« sagte Dan von Howlet-Hirst. Mysie war jedoch auf ihrer Hut und leistete dem Burschen, vielleicht auch, weil sie an den nahen Holzstall dachte, kräftigen Widerstand, bis schließlich der liebeskranke Schäfer die spröde Dirne unter ein paar kräftigen Ausdrücken, die von Liebe wenig an sich hatten, stehen ließ, und die Stiege hinauf rannte, um den Kameraden abzulösen. Mysie, die sich bis zur Tür hin schlich, hörte nun die beiden Burschen eine Weile zusammen reden, dann verließ Edward den Posten, den Dan von Howlet-Hirst an seiner Statt bezog. Mysie ließ nun noch einige Zeit verstreichen, bis es noch ein wenig heller draußen geworden war. Dann ging sie zu Dan hinauf, in der Meinung, daß er inzwischen Zeit genug gehabt hätte, allen Groll gegen sie wegen ihrer Sprödigkeit zu vergessen, und sagte ihm, er solle ihr die Schlüssel zum äußern Tor geben. »Und wozu denn?« fragte der Bursche. »Ei, die Kühe müssen doch gemolken und ins Freie gelassen werden,« antwortete Mysie, »oder soll das arme Vieh den ganzen Morgen im Stall bleiben? Die Hausleute sind doch noch alle dermaßen von ihrem Kummer übermannt, daß keiner die Arbeit verrichten kann, außer mir und der Magd.« »Und wo ist die Magd?« fragte Dan. »Sie sitzt bei mir in der Küche, denn es könnte ja sein, daß die Hausleute dringender Hilfe bedürfen.« »Na, da nimm den Schlüssel, Du Plagegeist!« sagte der Wachtposten. »Dank schön, Du Tunichtgut,« antwortete die Müllerstochter und rannte die Treppe hinunter. Im Nu war sie im Holzstall und warf dem Ritter einen alten Weiberrock über, der dort am Rechen hing, dann riß sie die Tür auf und lief in den Kuhstall, der im andern Hofwinkel lag, während Sir Piercie Shafton sich über den hierdurch entstehenden Aufenthalt beklagen zu müssen meinte. »Allerschönste und huldreichste Molinara,« rief er, »wäre es nicht gescheiter von uns, wir öffneten das äußre Tor und machten uns wie ein Paar Seemöwen, die bei drohendem Sturmwetter Schutz auf einem Felsen suchen, auf den Weg?« »Zuerst müssen wir die Kühe hinaustreiben,« antwortete Mysie, »es wäre doch sündlich, die Witwe um ihre Herde zu bringen, sündlich um ihretwillen und um der armen Tiere willen. Daß jemand den Turm mir nichts dir nichts verlassen und uns nachsetzen werde, davor habe ich keine Sorge. Zudem müßt Ihr doch auch Euer Pferd haben, denn Ihr müßt schon zusehen, so schnell wie möglich weiter zu kommen, wenn Ihr Euch in Sicherheit bringen wollt.« Mit diesen Worten verschloß und verriegelte sie das innere und äußere Turmtor, rannte in den Kuhstall, trieb das Vieh heraus zum Hoftore und führte das Pferd des Ritters zum Holzstalle, worin derselbe noch steckte. Sie wollte nun noch einmal zum Stalle eilen, um ihren eignen Klepper zu holen, aber das Stampfen der Hufe hatte Edwards Aufmerksamkeit wachgerufen. Er trat an das Fenster seiner Stube und rief hinaus, was denn vorgehe? Ohne Zögern erwiderte Mysie, daß sie die Kühe ins Freie hinaus treibe, weil noch niemand anders im Hause am Gange sei und die Tiere ja hungern müßten. »Schönen Dank, gutes Mädchen,« erwiderte Edward, aber im andern Augenblick wurde er wieder stutzig. »Was hast Du denn für ein Weibsbild bei Dir?« fragte er wieder. Mysie wollte Antwort geben, aber Sir Piercie kam ihr zuvor, weil er nicht leiden mochte, wie es den Anschein hatte, daß das große Werk seiner Befreiung vollständig ohne sein Zutun ins Werk gesetzt werde, und rief ihm vom Hofe aus zu: »Ich bins, mein schöner Hirtenknabe, dessen Aufsicht die milchreichen losen Mütter der Herde von Glendearg unterstellt worden sind.« »Holla, holla!« schrie Edward, von Grimm und Staunen zugleich ergriffen, »das ist ja Piercie Shafton! Verrat, Verrat! Holla, Dan! holla, Kaspar! holla, Martin! Der Schurke entwischt!« »Zu Pferd! zu Pferd!« rief, Mysie und saß im Nu hinter dem Ritter, der sich bereits in den Sattel geschwungen hatte. ... Und los ging es nun auf Tod und Leben. Edward hatte die Armbrust ergriffen und schoß. Dicht an Mysies Ohr schwirrte der Bolzen vorbei. »Flugs, flugs!« rief sie dem Gefährten zu, »der nächste Bolzen fehlt uns sicher nicht. Hätte Halbert an Edwards Stelle geschossen, dann lägen wir schon im Sande!« Der Ritter preßte dem Pferde die Sporen in die Weichen, daß das Blut herausschoß. Er sprengte an den Kühen vorbei und sauste den Hügel hinunter, auf dem der Turm stand. Dann nahmen sie ihren Weg ins Tal hinein, und bald brachte das flinke Tier seine doppelte Last weit genug, daß von dem Lärm, der nun im Turme von Glendearg entstand, nichts mehr zu den Ohren des Ritters und des Mädchens drang. Auf solch wunderliche Weise geschah es, daß ein Menschen-Paar zu gleicher Zeit in verschiedner Richtung von dannen floh, von welchem jeder als des andern Mörder betrachtet wurde. Elftes Kapitel Sir Piercie Shafton ritt in so flottem Tempo, wie es die Straße erlaubte, bis er das Tal von Glendearg überwunden und das breite Tal des Tweed gewonnen hatte. Bald erschien am jenseitigen Ufer das hohe graue Kloster zu Unsrer lieben Frau, dessen Türme und Zinnen die Strahlen der aufgehenden Sonne eben trafen. Er setzte seinen Ritt am nördlichen Ufer hinab fort, bis sie dem Wehr ungefähr gegenüber waren, wo Pater Philipp seine ungewöhnliche Wasserfahrt beendigt hatte. Ohne eigentlich zu wissen, wohin er seinen Ritt lenken sollte, war Sir Piercie bis hierher gekommen. Der Anblick des Klosters erinnerte ihn aber an die Gefahr seiner Lage und an die Notwendigkeit, einen festen Plan für seine Rettung zu fassen. Zudem nahm er jetzt auch wahr, daß seine Begleiterin bitterlich weinte und seufzte und das Haupt auf seine Schulter stützte. »Schöne Molinara, was fehlt Dir?« fragte er. »Kann Piercie Shafton seine Dankbarkeit auf irgend eine Weise bezeigen?« Mysie zeigte über den Strom, getraute sich aber nicht, den Blick dorthin zu richten. »Sprich deutlich, edelste aller Jungfrauen, was Du mit Deinem Wink meinst?« sagte der Ritter. »Dort drüben liegt meines Vaters Haus,« sagte Mysie schluchzend. »Und ich führte Dich so weit hinweg von dieser Stätte Deiner Wiege?« rief Sir Piercie in dem Wahne, die Quelle ihres Kummers gefunden zu haben. »So steige denn ab, holde Mysinda,« denn so beliebte es ihm, sie umzutaufen, »oder wär es Dir lieber, wenn ich Dich heim zu Deinem kornmahlenden Vater brächte? Sprich ein Wort, Du Süße, und ich trotze gern allen Gefahren, die mir durch Mönch oder Müller drohen.« Tief errötend schlug Mysie die Augen zu Boden, während Sir Piercie im Tone verlegener Artigkeit fortfuhr: »Weine doch nicht so, Du liebe Molinara, wir werden uns ja wiedersehen, wenigstens hoffe ich es fest und zuversichtlich.« »Ach,« sagte Mysie, von deren Wangen jetzt das Scharlachrot wich, um langsam fahler Blässe Platz zu machen, »ich hab jetzt keine Heimat mehr.« »Was? keine Heimat mehr?« rief Shafton. »Spricht meine Molinara das im Ernst, da doch drüben ihres Vaters Haus und Mühle steht?« »Ach,« versetzte die Müllerstochter, »mein Vater ist doch der Abtei untertan. Ich aber habe den Abt beleidigt, und komme ich jetzt nach Hause, so bringt mich der Vater doch sicher um.« »Ich schwöre Dir, meine teure Mysinda, er soll Dir nichts zu leid tun,« rief Sir Piercie. »Vergiß nicht, daß Dir ein Mann zu Dank verpflichtet bleibt, der das leiseste Unrecht zu rächen gewillt ist, das jemand Dir zufügen wollte!« Hiermit sprang er vom Pferde, ergriff die Hand des Mädchens, blickte in ihre großen, schwarzen Augen, die an den seinigen mit einem Ausdruck hingen, den man auch unter dem Schleier mädchenhafter Verschämtheit nicht mißverstehen konnte, blickte auf die Wangen, die ein Hoffnungsstrahl wieder mit ihrer natürlichen Färbung zu beleben anfing, und auf ein Paar Lippen, die sich, Rosenknospen gleich, halb erschlossen und eine Reihe perlengleicher Zähne zeigten. Das war alles nicht ungefährlich anzuschauen, und so war es schließlich kein Wunder, daß der für solche Dinge überempfängliche Sir Piercie Shafton schließlich seine Frage, ob er seine Mysinda nach dem Vaterhaus zurückbringen solle, dahin änderte, ob etwa Mysinda willens sein sollte, mit ihm zu gehen. ... »Wenigstens so lange,« setzte er hinzu, »bis es mir möglich geworden, Mysinda, Euch an einen sichern Ort zu schaffen?« ... Darauf erteilte Mysinda keine Antwort, gab aber, errötend vor Scham und Freude, dadurch, daß sie ihr Bündel fester anzog, zu verstehen, daß sie dem Ritter aus dem Süden zu folgen bereit sei. Sir Piercie Shafton machte nun die kostbare Kette mit dem Medaillon, deren bereits Erwähnung getan worden ist, von seinem Halse los und hing sie der schönen Mysinda um, ohne daß er sich an die Weigerung des Mädchens, sie zu nehmen kehrte, aber er mußte doch zuletzt dulden, daß sie die Kette wieder abnahm und in ihrem Bündel verbarg, mit dem ausdrücklichen Bemerken, sie nur so lange dort behalten zu wollen, bis Sir Piercie sich in Sicherheit befände; »denn die Mädchen in meiner Heimat,« sagte sie, »lassen sich von vornehmen Leuten nun einmal keine Geschenke machen, und um des heutigen Morgens eingedenk zu bleiben, bedarf es für mich keines Andenkens.« Darauf setzten sie ihren Ritt fort. Mysie übernahm jetzt, gestützt auf die Ortskenntnis, die Führung, und Sir Piercie fand nun Muße, allerhand Anekdoten »vom Hofe Felicianas« zum besten zu geben, denen seine Begleiterin, obgleich sie kaum einen Begriff davon hatte, doch ein recht aufmerksames Ohr lieh. So verging der Morgen, und am Mittag gelangten sie an einen andern Strom, an dessen Ufer sich ein altes Schloß, von Bäumen eingeschlossen, erhob. Unfern davon dehnte sich ein Dorf mit einer Kirche in der Mitte. »Dort sind zwei Wirtshäuser,« erklärte Mysie, »aber ich meine, für unsere Zwecke dürfte das geringere den Vorzug verdienen. Uebrigens ist mir dessen Wirt bekannt, denn er hat von meinem Vater Malz gekauft.« Diese Mitteilung war nicht besonders glücklich für die Absicht, die Mysie verfolgte, denn ihr Begleiter, der infolge der muntern Unterhaltung, die sie zusammen unterwegs geführt hatten, allmählich dazu gelangt war, den zwischen ihm und seiner Begleiterin bestehenden Rangunterschied zu vergessen, wurde sich dessen hierdurch jäh wieder bewußt. Aber er ließ es sich nicht recht merken, am wenigsten hätte er ein Wort darüber fallen lassen mögen, denn für eine Müllerstochter war es ja doch nur natürlich, daß sie Bekanntschaft mit Leuten hatte, die mit ihrem Vater Geschäfte gemacht hatten; immerhin wäre es ihm unangenehm gewesen, und wer weiß, ob er seine Dankbarkeit bis zu solcher Selbstverleugnung ausgedehnt hätte, mit einer Müllerstochter hinter sich auf seinem Rosse durch das Dorf zu traben. Aber Mysie ersparte ihm jeden solchen Unglimpf, indem sie schon ein Stück vor dem Wirtshaus vom Pferde sprang und dem Wirt, der mit gaffendem Munde auf seine Schwelle trat, um einen so stattlichen Gast, wie den englischen Ritter, würdig zu begrüßen, flink ein geschickt ersonnenes Märchen aufband von einer Sendung des Klosters an den Hof von Schottland, und daß sie es auf den Wunsch ihres Vaters übernommen habe, den Ritter bis auf die rechte Straße zu führen, daß ihr aber unterwegs der Klepper müde geworden sei, und daß sie ihn deshalb im andern Dorfe auf der Waldseite gelassen habe. Ner Wirt möge vor allen Dingen nur für ein Abendbrot, wie es sich für einen solchen vornehmen Gast schicke, Sorge tragen, und wenn es in der Küche fehlen sollte, so sei sie gern bereit, auszuhelfen und so weiter, kurz, sie stopfte dem Wirt mit ihrer gewandten Zunge die Ohren so voll, daß er froh war, ihr zu entrinnen. Sir Piercie war schier außer sich vor Verwunderung über die Gewandtheit des Mädchens, sich aus einer Verlegenheit zu ziehen, und setzte sich mit unsagbarer Erleichterung an das von ihr schneeweiß und mit allerhand Leckerbissen geschmackvoll gedeckte Tischchen in der obern Gaststube, der sogenannten »Herrenstube«; und die flinke, dienstbereite Art, wie sie die Speisen auftrug und vorlegte, und das Glas mit edlem Bordeaux füllte, der freundliche Blick, mit dem sie ihn aufforderte, recht tüchtig zuzulangen, da sie noch eine gar tüchtige Strecke vor sich hätten, konnte unmöglich verfehlen, den für Frauenschönheit und Anmut empfänglichen Sir Piercie für seine schöne Molinara noch höher zu begeistern. Aber sich mit an das Tischchen setzen und an dem Mahle teilzunehmen, dazu wollte sich Mysie, aller freundlichen Einladung des Ritters zum Trotz, nicht verstehen, sie verschwand vielmehr alsbald aus der Gaststube und überließ den Schönredner seinen stillen Betrachtungen darüber, wie dies Verschwinden zu erklären sei und ob er richtiger täte, sich darüber zu ärgern oder zu freuen. Er sollte darüber nicht lange im Zweifel sein, denn die Tür ging auf, und der Wirt trat ein mit der Meldung, das Pferd stehe für Seine Gnaden wieder bereit. Auf seine Frage, wo denn das Frauenzimmer, »ich meine das Mädchen«, stecke, fragte der Wirt: »Die Mysie Happer? wie? Na, heimgegangen!« »So, heim?« murmelte Sir Piercie, ein paarmal hastig durch das Zimmer schreitend, »heim? na, mag sie! wär sie länger geblieben, hätte sie mir doch nur Schererei gemacht und sich selbst Unehre! Wie konnte ich mir die Sache bloß so umständlich denken, sie los zu werden! Sicher lacht sie jetzt über mich bei irgend einem Bäuerlein und wird sich über meine Kette freuen als Aussteuerstück! Aber Mercie, Piercie Shafton! wie kannst Du Deiner Retterin die Gabe mißgönnen, die sie doch so sauer sich, verdient hat? ... Doch was lohnt alles weitre Grübeln? Herr Wirt, macht mir die Rechnung, und laßt mein Pferd vorführen!« »Was die Rechnung anbetrifft,« erwiderte der Wirt stockend, »na, so hat sie das Mädel schon bezahlt; aber wenn Euer Gnaden noch etwas zutun wollen, so dürft ichs wohl nehmen, denn die Mysie, die handelt und ist genauer als ihr Vater ...« »Was? die Rechnung schon beglichen?« Der Ritter schüttelte den Kopf, warf aber dem Wirt einen Rosenobel hin, der die Rechnung für damalige Zeit jedenfalls über das Doppelte glich, trat vor das Gasthaus hinaus, stieg zu Pferde und schlug den Weg in nördlicher Richtung ein, der ihm als der kürzeste nach Edinburg angegeben wurde. »Hm, ihr Verschwinden hat schließlich noch einen ganz andern Grund gehabt. Was meinst Du, Piercie?« sprach er bei sich und strich sich wohlgefällig die Seite; »beten wir: Führe uns nicht in Versuchung! und freuen wir uns, daß wir uns nicht weiter erst eingelassen haben, so empfindlich mir wohl bald ihr Verlust werden dürfte,« setzte er hinzu, denn vor ihm dehnte sich, so weit er blickte, Moorgegend, die mit Gestrüpp eingefaßt und von zahllosen kleinen Hügeln bedeckt war; »solche Ariadne, mich durch die Schlupfwinkel dieses Gebirgslabyrinthes zu leiten, wäre freilich im Grunde nicht grade übel.« Da erklang hinter ihm Pferdegetrappel, und als er sich umdrehte, sah er auf einem Nebenpfade hinter dem Dickicht hervor einen schmucken Burschen, kaum über Jungengrüße, auf einem Pony gesprengt kommen. Als derselbe die offne Straße gewonnen hatte, ritt er zu dem Ritter heran, den sein Aeußeres, die saubre Pagentracht und die kecke Miene bestachen, so daß er ihm die Frage stellte, wohin er wolle und von wo er käme. Der Page gab mit abgewandtem Gesicht die Antwort, daß er unterwegs nach Edinburg sei, sich in einem vornehmen Hause einen Dienst zu suchen. »Bist wohl Deinem letzten Herrn entlaufen, daß Du Dir nicht getraust, mir ins Gesicht zu sehen?« fragte Sir Piercie. »Wahrlich nicht,« erwiderte der Page beschämt, indem er sich herumdrehte und sein Gesicht auf einen Augenblick zeigte. Nur einen Blick hatte Sir Piercie auf das Gesicht geworfen, aber er hatte hingereicht, ihm zu offenbaren, daß sich in der Pagentracht niemand anders verbarg, als seine holde Molinara. Das gab ein gar fröhliches Wiedersehen, und Sir Piercie hatte über dem glücklichen Bewußtsein, seine schöne Ariadne wieder zu haben, rasch alte Bedenken vergessen, mit denen er sich noch eben das Herz beschwert hatte. »Aber woher so schnell die Tracht? woher das Pony?« fragte dann Sir Piercie. Die Tracht, erklärte ihm die schmucke Müllerstochter, habe sie geliehen von einem mit ihrem Vater befreundeten Krämer im Dorfe, es seien die Sonntagssachen seines Sohnes, der mit seinem Lehnsherrn ins Feld habe ziehen müssen, und den Klepper habe sie geliehen vom Gastwirt, bei dem sie eben eingekehrt seien. Der möge ihn von der Rechnung streichen, die er beim Vater noch zu begleichen habe. »Aber da leidet doch der Vater Einbuße?« sagte Sir Piercie. »Was müßt Ihr jetzt von meinem Vater reden?« erwiderte verdrießlich das Mädchen, setzte aber gleich hinzu, im Tone tiefen Schmerzes: »Was der Vater heut sonst verloren, dürfte ihm wohl den Verlust aller übrigen Habe leicht machen.« Daraufhin meinte der Ritter, daß ihn Ehre und Gewissen verpflichteten, dem Mädchen Vorhaltungen zu machen, welchen Gefahren sie sich aussetze, und daß die Schicklichkeit ihre Rückkehr ins Vaterhaus verlange. Das Mädchen hörte seinen wie immer blumenreichen Darlegungen aufmerksam zu, senkte das Haupt, wie jemand, der tiefen Gedanken nachhängt, blickte dann ihren Begleiter gefaßt an und antwortete dann mit Festigkeit, daß, wenn er ihrer Gesellschaft müde sei, er es nur sagen solle, dann werde ihm die Müllerstochter nicht weiter lästig fallen; gleichwie er den Weg jetzt nach Edinburg allein finden könne, würde auch sie wissen, wohin sie sich zu wenden habe, und was er ihr in ihrer persönlichen Sache zu erwähnen für notwendig meine, habe sie sich alles schon reiflich überlegt. »Bloß eins will ich noch beifügen,« schloß sie, »Ihr seid hier nicht in Eurem englischen Lande, wo, wie es heißt, gegen hoch und niedrig die gleichen Maße gelten für Recht und Unrecht, sondern in einem Lande, wo die Stärke des Armes entscheidet, wo ein gutes Maß Schlauheit die beste Verteidigungswehr ist. Die Gefahren, denen Ihr hier ausgesetzt seid, kurz gesagt, kenne ich besser als Ihr.« Ein Seitenblick auf seinen Pagen zeigte dem Ritter, mit welchem Geschick derselbe sein Pferd zu führen wußte, ein andrer Blick, auf die kräftig entwickelten Muskeln, daß er auch in Kämpfen und Spielen geübt sein müsse, wenigstens doch seinen Mann zu stellen vermöchte, und so gelangte er, alles in allem erwogen, zu dem Schlusse, daß er mit seiner Begleiterin doch besser zurechtkommen werde als ohne sie. Das Paar ritt nun weiter, wie am Morgen, den ganzen Tag. Noch als es zu dämmern anfing, war die schöne Molinara von der Seite des Ritters verschwunden, und er sah sie erst am andern Morgen wieder, als die Pferde geschirrt vor dem Wirtshause standen, wo er die Nacht über geweilt hatte. »Ein seltsames Geschöpf!« sprach er bei sich, »bei meiner Ehre, ebenso sittsam wie klug und gebildet. Keine Frage! es wäre gemein, ihr Schimpf und Schande anzutun!« Zwölftes Kapitel Mary Avenel war in das Gemach gebracht worden, worin sonst die Brüder Glendinning gehaust hatten. Tibbie, die treue Magd, hatte sich nach Kräften bemüht, sie zu beruhigen, und auch Pater Eustachius suchte sie durch Trostsprüche zu erheitern. Schließlich mußte man sich darein finden, sie ihrem Gram zu überlassen, der sich übrigens nicht in Seufzern und Tränen erschöpfte, sondern seine Quelle fand in ernsten Erwägungen der Lage, in die sie durch den Tod Halberts versetzt worden war. Sie berechnete, gleich einem bankerotten Schuldner, die ganze Höhe des Verlustes, der sie betroffen hatte. Es schien ihr, als sei mit diesem Bande alles zerrissen, was sie an die Erde gefesselt hatte. Wenn sie auch nie an die Möglichkeit eines ehelichen Bundes mit Halbert Glendinning gedacht hatte, so schien ihr doch jetzt der einzige Baum gestürzt worden zu sein, der sie vor Stürmen hätte schützen können. Sie achtete wohl den sanftern Charakter Edwards, des jüngern Bruders, sie glaubte schließlich, sich nach wie vor mit der rauhen, wenn auch mütterlichen Güte der Mutter der beiden Knaben abfinden zu können, aber für die männlichen Eigenschaften Halberts, die ihr als der letzten Erbin der Anschauungen eines stolzen und kriegerischen Geschlechts, vor allem sympathisch sein mußten, meinte sie, nun und nimmer Ersatz finden zu können. Eine Gemütsleere, wie sie aus der Unwissenheit, in welcher damals Rom die Kinder seiner Kirche hielt, notwendig entstehen mußte, versagte ihr Trost, und auch im Gebete ihn zu finden, war ihr nicht vergönnt, denn ihr Gebet war weiter nichts als Herlallen unbekannter Worte, deren sie sich nur aus Gewohnheit bediente; und so gelangte sie, unbekannt mit wahrer geistiger Andacht und außer stande, die Gnade göttlichen Wesens zu fassen, in ihrem Elend zu der Ueberzeugung, daß es auf Erden für sie keine Hilfe mehr gebe. Endlich befiel ein unruhiger Schlummer ihren erschöpften Geist und Leib, und sie schlief bis zum Tagesanbruch, um erst durch den Lärm geweckt zu werden, der im Turme sich über Sir Piercie Shaftons Flucht erhoben hatte. Rasch fuhr sie, in Furcht vor neuem Unheil, in die Kleider. Als sie aber zur Tür hinausstürzen wollte, vernahm sie von der Magd, die mit fliegenden Haaren, wild vor Aufregung, von einem Raum in den andern stürzte, daß der südländische Schuft entwichen sei, und daß Halbert Glendinning ungerochen in seinem blutigen Grase werde schlummern müssen. Gleich darauf aber war die Stimme des Unterpriors laut geworden, die Schweigen geboten hatte, und darauf hatte sich Mary Avenel, die sich nicht gestimmt fühlte, sich vor den Leuten zu zeigen oder gar an Erörterungen oder Beratungen teilzunehmen, wieder in ihrer Stube eingeschlossen. Dadurch, daß Mysie die Tore von außen geschlossen hatte, saß die ganze Turmbewohnerschaft wie in einer Falle, und in Ermangelung von Werkzeug, die Eisenstäbe vor den Fenstern zu brechen, war ihnen auch dieser Ausweg ins Freie verschlossen. Wenn es ihnen auch gelang, die Bewohner der Hütten außerhalb der Hofmauer zu alarmieren, so waren dort doch nur Weiber und Kinder anwesend, da man die Männer zur Verstärkung der Wache für die Nacht in den Turm hinein befohlen hatte. In dieser allgemeinen Wirrnis kam die Mittagszeit heran, ohne daß man im stande gewesen wäre, das Geringste zur Verfolgung des flüchtigen Ritters zu unternehmen. Da nahte unvermutet Sukkurs von außen durch die Ankunft Christies von Clinthill, der an der Spitze eines kleinen Trupps Reisiger herangesprengt kam, die auf ihren Sturmhauben das Zeichen der Avenel, den Stechpalmzweig, trugen. »Heda,« rief Cristie hinauf, »ich bring Euch einen Gefangenen!« »Besser wärs schon,« antwortete ihm Dan von Howlet-Hirst, »Ihr brächtet uns Freiheit.« Verwundert über die Lage, in der er die Turmbewohner fand, rief Christie: »Und wenn mir der Galgen drohte, ich könnt mir das Lachen nicht verbeißen, Leute wie die Ratten durchs eigne Gitterloch gucken zu sehen! Der mit dem Barte dort sieht aus wie der echte Rattenkönig!« »Schweig, Du Schelm! hier ist jetzt keine Zeit zu rohen Späßen!« rief Edward hinunter. »Ei, ei, mein Jüngling,« rief Christie zurück, »auch obendrein noch naseweis? Immerhin, ich will die Worte heute nicht auf die Goldwage legen. Reicht mir einen Haken herunter! Damit werd ich Euch wohl Luft machen können. Bin doch schon in manch liebes Gitter eingebrochen!« Christie hatte nicht zu viel versprochen, denn noch ehe eine halbe Stunde verstrichen war, stand das Gitter, das allen Anstrengungen von innen so lange getrotzt hatte, offen. »Und nun zu Pferde, Kameraden! und hinter dem elenden Shafton her!« rief Edward, dem Stalle zurennend. »Sachte, sachte,« erwiderte Christie, »Ihr werdet doch nicht Eurem Gaste, einem Freunde meines Herrn, nachsetzen? Mit so was ist ja nicht zu spaßen. Weshalb wollt Ihr ihm hinterher?« »Der Schurke hat meinen Bruder ermordet! Also Platz da!« rief Edward. »Was faselt der Mensch? Wer ermordet? und von wem ermordet?« »Shafton hat heut morgen Halbert im Walde erschlagen,« sagte Dan. »Ihr seid Wohl alle miteinander toll geworden?« rief Christie von Clinthill, »Ihr sitzt hier alle m Eurem Turm eingesperrt, ohne Euch rühren zu können, damit Ihr nicht Rache nehmt für einen Mord, der gar nicht verübt worden ist.« »Ihr hört doch aber, daß dieser Hund von Shafton gestern früh meinen Bruder erschlagen hat,« rief Edward, »Und ich sag Euch,« versetzte Christie, »daß ich gestern abend Euer« Bruder heil und gesund gesehen habe.« Darauf schwiegen alle und gafften verwundert den Reisigen an, bis der Unterprior, der sich bisher von dem Manne ferngehalten hatte, auf ihn zutrat und ihn auf sein Gewissen fragte, ob er als wahr behaupten wolle und könne, daß Halbert Glendinning noch am Leben sei. »Ehrwürdiger Vater,« antwortete Christie mit einer Ehrerbietung, wie er sie außer seinem Herrn sonst niemand zu erweisen pflegte, »ich treibe manchmal meinen Spaß mit Leuten, die Kutten tragen, mit Euch aber nie! denn Euch hab ich, wie Ihr wohl noch wißt, mein Leben zu verdanken! Und Euch sag ich, Pater Prior, so wahr wie gestern abend die Sonne am Himmel untergegangen ist, so wahr ists, daß gestern abend Halbert Glendinning im Schlosse meines Herrn sein Abendbrot gegessen hat, und daß er dorthin gekommen ist in Gesellschaft eines Greises, den ich Euch hierher bringe, als Euren Gefangenen.« Die letzten Worte überhörend oder auf sie kein Gewicht legend, fragte Pater Eustachius: »Und wo befindet sich Halbert jetzt?« »Das kann Euch bloß der Teufel sagen,« versetzte Christie, »denn meiner Meinung nach muß die ganze Sippe seines Namens vom Teufel besessen sein. Der Junge ist über dies und das, was mein Herr gesagt hat, aus Rand und Band geraten, ist aus dem Schloß ausgebrochen, ist über den See geschwommen wie eine wilde Ente und ist nicht wieder aufgebracht worden, trotzdem ihm mehrere unsrer Reisigen auf Tod und Leben nachgesetzt sind.« »Und warum hat ihm Euer Herr nachsetzen lassen? hat er was verbrochen?« »Meines Wissens nicht. Aber der Ritter von Avenel ist seit einigen Tagen schier wie von der Tarantel gestochen,« sagte Christie, »und möchte jeden fressen, der ihm in den Weg tritt.« »Edward,« fragte der Mönch jetzt den jüngern Glendinning, »wohin so eilig?« »Nach Corinnan-Shian, Vater!« versetzte der Jüngling. »Martin, Dan, wenn Ihr Männer seid, so nehmt Hacke und Spaten und folgt mir!« »Recht so,« sagte der Mönch, »und findet Ihr was, setzt uns sofort in Kenntnis.« »Ungesalzen will ich fressen, was Ihr findet,« rief Christie, »wenn Ihr was findet, das mit Halbert Aehnlichkeit hat! ... Aber da bringen meine Reisigen Euren Gefangnen. Von ihm hätt ich schon lange reden sollen, aber Euer Krakehl hat mich noch nicht zu Worte kommen lassen.« Zwei Avenel'sche Reisige ritten in den Hof, in der Mitte ein Klepper, auf dem der reformierte Prediger Heinrich Warden saß. »Mein Herr schickt Euch und Eurem Abt, um sich von böser Verleumdung zu reinigen, die ihn als Ketzer brandmarken möchte, den Mann, der mit seinen Predigten die Welt von oben zu unterst gekehrt hat. Ihr sollt mit ihm verfahren, wie es die heilige Kirche gebeut, und wie es Eure Ehrwürden und Seine Ehrwürden der Abt für recht und billig befinden werden.« Die Augen des Unterpriors leuchteten bei dieser Kunde, denn für das Kloster war es eine Sache von hoher Wichtigkeit, einen Mann in Haft zu nehmen, der von so hohem Eifer für den neuen Glauben beseelt war, daß er die römische Kirche nicht allein aufs tiefste geschädigt hatte, sondern seit langem und noch immer in Schrecken hielt. Für das Verständnis der in diese Erzählung verwobenen Charaktere ist es hier notwendig, zu erwähnen, daß die römische Kirche in dem Königreiche Schottland in ihren letzten Zügen lag, daß in vielen Städten die Klöster schon durch den Pöbel niedergerissen worden waren und die reformierten Barone sich allerorten im Lande an klösterlichem Gut zu bereichern liebten. Das Kloster Kennaqhueir erfreute sich nun aber des besonderen Schutzes der mächtigen Grafen von Northumberland und Westmoreland, und war zufolgedessen noch immer im stande gewesen, all seine Gerechtsame aufrecht zu erhalten und für das Ansehen seiner Kirche als streitende Macht aufzutreten. Zu den eifrigsten Predigern der Gegenkirche hatte nun Heinrich Warden, seitdem er aus dem Kloster geflohen war, in das er seinerzeit zusammen mit dem Prior Eustachius als Novize eingetreten war, gegolten, und nun lieferte der Zufall ihn als Gefangenen in dasselbe Kloster, zu einer Zeit, da sein einstiger Schulkamerad dort die Stelle eines Unterpriors bekleidete und in allem als die rechte Hand, in nicht wenigem als die eigentliche Seele seines Abtes galt. Heinrich Warden hatte in dem Feuereifer, der ihn beseelte, die Grenzen seiner Glaubenspartei eingeräumten Rechte überschritten und sich mit dem Staate und dem Gerichte in Konflikt gesetzt. Zufolgedessen war er aus Edinburg geflohen, hatte aber von Lord James Stuart, nachmals als Graf von Murray berühmt, Empfehlungen an verschiedne Grenzhäuptlinge, darunter an Julian von Avenel, mit auf den Weg bekommen, und diese hatten sich heimlich verschworen, ihn sicher nach England hinüber zu schaffen. Julian von Avenel hatte sich ohne Bedenken mit beiden Parteien eingelassen, würde sich aber, so schlimmen Sinnes er sonst war, nichts gegen einen ihm von so hoher Seite empfohlenen Gast herausgenommen haben, hätte derselbe sich nicht in solcher, wie ihm es schien, maßlos zudringlichen Weise in seine häuslichen Verhältnisse gemischt. Anstatt nun aber gegen Warden in seinem eignen Schlosse Gewalt zu üben, hatte er, mit der ihm eigenen Arglist, den Plan geschmiedet, ihn an das Liebfrauenkloster auszuliefern, um nicht allein ihm die Befriedigung seiner Rachsucht zu überlassen, sondern sich dort auch einen Anspruch auf Belohnung zu sichern, sei es in Geld, sei es in Abtretung von Klosterland gegen geringen Erbzins, der damals üblichen Weise, die Klöster ihres weltlichen Besitzes zu entkleiden. Als nun der Unterprior so unerwartet den unbeugsamen Feind der Kirche seinen Händen überantwortet sah, war seine erste Regung, die Erwartung aller Freunde der Kirche, die sich mit solchem Vorgange verknüpften, dadurch zu erfüllen, daß er die Ketzerei in dem Blute eines ihrer tätigsten Bekenner erstickte. »Räumt das Gemach,« befahl er den Anwesenden,»bloß die zur Bewachung des Gefangenen notwendigen Leute sollen hier bleiben – und dann bringt mir den Mann Herein!« Außer Christie von Clinthill, der selbst die Wache zu übernehmen erklärte, verließen alle den Raum. Antlitz in Antlitz standen sich nun die beiden Nebenbuhler gegenüber: der Mönch im Begriff, mit äußerster Gefahr für sich und seine Brüderschaft ein Werk zu tun, das er in seiner Unwissenheit für seine Pflicht erachtete; der Prediger, von besserer Einsicht erfüllt, sich für die Sache des Herrn jeglicher Strafe zu unterziehen, nötigenfalls seine Sendung mit seinem Blute zu besiegeln. Also gerüstet zu dem geistigen Kampfe, einer den andern mit den Blicken durchdringend, in der Hoffnung, einen Riß oder Mangel in der Rüstung des Gegners zu entdecken, näherten sie sich einander. Aber während sie sich mit den Blicken maßen, fingen doch langsam alte Erinnerungen an, sich in ihren Herzen zu regen. Von der Stirn, des Mönches wich langsam die Strenge und Unversöhnlichkeit, und von Wardens Antlitz der verhaltene Trotz, und auf einen Moment streiften sie die düstre Feierlichkeit des Wesens von sich. Sie hatten zusammen eine Universität im Auslande besucht, waren dort treue Freunde gewesen, hatten sich geholfen in mancher Zeit der Bedrängnis. Dann hatten sie sich auf lange Zeit trennen müssen. Warden hatte um seiner Sicherheit willen, der Mönch der gemeinen Klostersitte gemäß, den bürgerlichen Namen abgelegt, und so war es gekommen, daß sie sich in den feindlichen Rollen in dem großen politischen Drama, das sich zu ihrer Lebenszeit in Schottland abspielte nicht wiedererkannt hatten. Allein jetzt rief der Mönch: »Henry Wellwood!« und der Prediger: »William Allan!« und ergriffen von den alten vertrauten Klängen, ergriffen von den unvergeßlichen Erinnerungen gemeinsamer Jugenderlebnisse, gemeinsamer Studien, reichten sie sich auf einen Augenblick die Hände und blickten einander ins Herz. »Nehmt ihm die Fesseln ab!« sprach der Mönch und half dem Reisigen eigenhändig bei dieser Arbeit. Aber als sie im andern Augenblick zum Bewußtsein der Rollen, die ihnen vom Schicksal zuerteilt worden waren, kamen, da ließ jeder die Hand des andern los und trat von dem andern hinweg. Und jeder maß wieder den andern mit den kalten Blicken des Widersachers. »Ist dies die Grenze von Wellwoods Laufbahn?« hub der Unterprior an, »ist dies das Ende der rastlosen Tätigkeit, der unerschrocknen Wahrheitsliebe, die die Forschung bis auf die Spitze trieb? die den Himmel stürmen zu wollen schien? Mußten wir uns darum in den besten Jahren der Jugend kennen und lieben, um uns im Alter als Richter und Beklagter gegenüberzustehen?« »Nicht so, William Allan, begegnen wir uns wieder,« versetzte Warden, »sondern als irregeführter Tyrann und als demütiges Schlachtopfer. Auch ich frage nun: sind dies die Früchte jener herrlichen Hoffnungen auf William Allans klassische Bildung, scharfe Verstandeskräfte und unschätzbare Kenntnisse, daß er sich erniedrigen mußte zum nutzlosen Einsiedler, vor dem Pöbel beehrt mit dem hohen Auftrage, Roms Bosheit an Roms Widersachern zu üben?« »Nicht Dir,« wiederholte der Mönch, »noch sonst einem Sterblichen, des sei versichert, will ich Rechenschaft geben von der Gewalt, mit der die heilige Kirche mich bekleidet hat, die mir verliehen von ihr wurde als ein Pfand zu ihrem Heile. Und zu ihrem Heile soll diese Gewalt jeder Gefahr zum Trotz angewendet werden, ohne Furcht und ohne Nachsicht!« »Von Deinem mißleiteten Eifer habe ich Geringeres nicht erwartet,« antwortete der Prediger, »und in mir habt Ihr jemand gefunden, gegen den Ihr Euer Ansehen furchtlos geltend machen könnt, mit der Sicherheit, daß wenigstens sein Geist Eurem Einfluß Trotz bieten wird, gleich dem Schnee auf dem Mont-Blanc, der auch nicht schmilzt in der Hitze des Sommers, und den wir einst zusammen sahen.« »Daran zweifle ich nicht,« erwiderte der Mönch. »Du warst von je ein Löwe, der sich gegen den Speer des Jägers wandte, und nicht wie ein Hirsch beim Klange des Hifthorns erbebte.« Schweigend schritt er durch den Raum. Dann sprach er wieder: »Wellwood! wir können nicht länger Freunde sein. Unser Glaube, unser Anker in der Zukunft ist nicht mehr der gleiche.« »Es betrübt mich tief,« erwiderte der andre, »daß Du die Wahrheit redest, Allan! Möge denn Gott mich richten, wenn ich die Belehrung einer Seele, wie der Deinen, nicht mit meinem Herzblut erkaufte.« »Mit besserm Grunde muß ich Dir Deinen Wunsch zurückgeben,« sagte der Mönch. »Ein Arm, wie der Deine, sollte die Bollwerke der Kirche verteidigen! Doch da es der Wille des Schicksals ist, daß wir nicht länger als Freund Seite an Seite fechten, so laß uns wenigstens als edle Feinde handeln. Willst Du ehrlicher Gefangner bleiben auf Dein Wort, wie es die Krieger dieses Landes zur Bedingung setzen? Willst Du feierlich geloben, Dich auf meine Ladung vor dem Abt und Kapitel des Liebfrauenklosters zu stellen, und Dich nicht über eine Viertelmeile in der Runde von diesem Hause zu entfernen? Ich meine, willst Du Dein Wort dafür setzen zum Pfande, so sollst Du, also baue ich auf Deine Ehrlichkeit, unbewacht und ungefesselt Dich hier bewegen können.« »Insofern, als Dein Vorschlag mit solcher Ruhe und Höflichkeit gemacht wird,« sagte der Prediger, »und von meiner Seite mit Ehren angenommen werden kann, will ich darauf eingehen.« »Halt!« rief der Mönch, »einen Punkt noch, den ich fast vergessen hatte! Du mußt geloben, während Deines Aufenthalts hier weder mittel- noch unmittelbar Deine pestartige Ketzerei zu verbreiten.« »Hier müssen wir unsre Unterhandlung abbrechen,« versetzte fest und entschieden der Prediger. »Wehe mir, wenn ich das Evangelium zu predigen unterließe!« Diese Worte brachten den Mönch außer sich. ... »Bereite Dich, zu tragen, was Du um solcher Gesinnung, um solches Trotzes willen verdienst. Kriegsmann, bindet ihn!« Heinrich Warden, mit stolzer Ergebenheit in sein Schicksal, reichte die Arme den Fesseln, ... »Schont meiner nicht!« sprach er zu Christie, der, so rohen Sinnes er war, doch Anstand nahm, die Bande fest zu ziehen. Und während der Mönch aus seiner Kutte hervorsah, wie der Reisige dem Befehle genügte, wahrend er den Blick zu Boden senkte und die Hand an die halb von der Kutte verhüllte Wange legte, als wenn er die Bewegungen seines Gemüts ersticken wolle, erhob sich am Eingänge des Turmes ein wilder Lärm, und gleich darauf stürzte Edward Glendinning mit erhitzten Wangen in das Gemach hinein. »Gott sei Dank, ehrwürdiger Vater,« rief er, »mein Bruder lebt! In Corinnan-Shian findet sich kein Grab, keine Spur von einem solchen. Der Rasen um die Quelle ist weder durch Spaten noch durch Schaufel weggeräumt worden. Mein Bruder lebt, so gewiß ich noch lebe!« Der Ernst des Jünglings, die Lebhaftigkeit seines Wesens, sein blitzendes Auge erinnerten den Prediger, als er ihn sah, lebhaft an Halbert, und er fragte, ohne sich Zeit zu gönnen: »Von wem sprichst Du, mein Sohn, etwa von einem Jünglinge, der etwas älter zu sein scheint, wie Du, schlanker und kräftiger ist als Du, braunes Haar hat und ein offnes Gesicht? der aber beinahe die gleiche Stimme hat wie Du und fast die gleiche Haltung hat wie Du?« »Sprecht, ums Himmels willen, sprecht!« rief Edward, »Tod und Leben liegen auf Eurer Zunge.« Und mit einer Stimme, so ruhig, als stände er nicht hier unter der schwersten Bedrohung von Freiheit und Leben, gab der Prediger einen haarkleinen Bericht, wie er Halbert getroffen, wie ihn Halbert in die Schlucht geführt hatte, worin sie Gras mit Blut bedeckt und ein zugeschüttetes Grab gefunden hätten, wie der Jüngling sich selbst des Mordes an Sir Piercie Shafton bezichtigt habe. »Und sagtest Du nicht eben,« wandte der Mönch sich an Edward, »daß dort keine Spur von einem Grabe zu sehen, zu finden sei?« »Keine Spur!»wiederholte Edward, »indessen muß auch ich sagen, daß der Rasen ringsum niedergetreten und mit Blut bespritzt war.« »Das sind Blendwerke des Bösen,« rief der Mönch, indem er sich bekreuzte, »kein Christ kann länger daran zweifeln! »Wäre dies der Fall,« sagte Würden, »so möchten wohl Christen sich besser davor bewahren mit dem Schwert des Gebets als durch solch kabbalistisches Zeichen!« »Das Zeichen des Kreuzes, das Zeichen der Erlösung,« sagte der Mönch, »entwaffnet alle bösen Geister.« »Das bloße Wort,« erwiderte der immer kampfbereite Warden, »ist kein Beweis! Wo steht geschrieben, daß dergleichen leeren Zeichen und Gebärden solche Kräfte, wie Du behauptest, innewohnen?« »Ich wollte vordem mit Dir disputieren,« antwortete der Mönch, »aber Dein Trotz lehnte es ab. Jetzt bin ich nicht mehr dazu willens.« »Und sollten es die letzten Worte sein, die über meine Lippen dringen,« versetzte der Reformator, »und würden sie gesprochen auf dem Scheiterhaufen, halb erstickt vom Rauche der Flammen, so würde ich doch mit meinem letzten Hauche zeugen gegen Roms abergläubische Erfindungen!« Nur mit Mühe unterdrückte der Unterprior die Antwort, die ihm auf den Lippen schwebte, und sagte zu Edward, er solle seine Mutter auf der Stelle in Kenntnis setzen, daß sein Bruder noch lebe. »Ich habs Euch doch schon vor zwei Stunden gesagt,« bemerkte Christie von Clinthill, »aber mir wolltet Ihr nicht glauben. Wie es scheint, verdients die Aussage solch alten Graukopfs besser? und dabei reite ich doch niemals aus, ohne mein Paternoster herzusagen.« »Führt den Gefangenen ab,« antwortete der Mönch, »und achtet darauf, daß er nicht entweiche. Allein füget ihm kein Leid zu! Bei Eurem Leben!« Kaum sah sich der Unterprior mit Edward, der das Gemach noch immer nicht verlassen hatte, allein, so fragte er: »Was ist Dir widerfahren, Edward, daß Deine Augen funkeln, Deine Wangen bald rot, bald blaß sich färben? daß Du Dich weigerst, Deiner Mutter die frohe Kunde zu bringen? So geh doch und sage es ihr!« »Ich muß ihr, wenn ich das eine melden, jetzt auch das andre melden, daß, wenn sie einen Sohn wiedergewonnen, den andern dafür verliert!« »Was sollen solche Reden bedeuten, Edward?« fragte der Prior streng. »Vater,« sprach der Jüngling, indem er vor dem Prior niederkniete, »ich will Dir meine Sünde bekennen und Du sollst Zeuge sein von meiner Reue.« »Was ist es, mein Sohn, das Dein Gewissen so peinigt?« fragte der Prior gütig. »Laß es mich wissen. Die Gnade der Kirche ist groß gegen ihre folgsamen Kinder, die ihre Gewalt nicht bezweifeln.« »Mein Bekenntnis wird ihrer Gnade gar sehr bedürfen,« erklärte Edward, »ich hörte von dem plötzlichen Tode des Bruders mit Freude und freute mich seiner – ich hörte von seiner Wiedergeburt und betrübte mich dessen.« »Edward!« rief der Mönch, »Du bist von Sinnen! In der Erschütterung Deines Herzens hast Du die Stimme desselben falsch gedeutet! Geh hin, mein Sohn, und sammle Deine Sinne im Gebet!« »O, Vater, was mein Herz erfüllte, was mein Herz trieb zu solch sündiger Freude, es war die Liebe zu Mary von Avenel! durch sie bin ich zu dem schrecklichen Sünder geworden, als welchen ich mich vor Dir und unsrer Kirche bekenne!« »Liebe zu einem Mädchen, das Eurem Stande so weit überlegen ist? Wie durfte Halbert, wie durftest Du es wagen, die Augen zu ihr zu erheben, anders, als mit dem Bewußtsein, daß sie für Euch unerreichbar sei? daß sie an Rang so unendlich über Euch stände, daß jeder solche Gedanke an Wahnsinn streife?« »Wann hat Liebe gewartet auf Ahnen?« erwiderte Edward; »war Mary nicht unsrer Mutter Pflegekind? und in nichts unterschieden von uns, mit denen sie gemeinsam erzogen wurde? Genug, wir liebten sie, liebten sie beide! und ich sah, wenn, wir beisammen saßen, recht gut, daß Halbert ihr der Liebere sei, an tausenderlei Zeichen. Aber ich trug es, Vater, ohne ihn zu hassen ...« »Und wohl Dir,« fiel der Mönch ihm in die Rede, »daß Du es trugst, und daß Du ihn nicht haßtest! wie hattest Du auch so verstockt sein können, ihn zu hassen, weil er töricht war wie Du?« »Vater,« fügte Edward, »die Welt hält Dich für weise und schätzt Deine Kenntnis des menschlichen Herzens. Aber hier gehst Du irre! Es geschah nicht ohne schweren innern Kampf, daß ich mich vor Haß bewahrte, und nie habe ich schwerer gekämpft als in jener Nacht, die uns trennte. Und es war mir kaum möglich, der Freude zu widerstehen, als er von meinem Pfade gerissen wurde – es war mir nicht möglich, mich der Betrübnis zu wehren, als er wieder in meinen Pfad geschleudert wurde.« »Gott sei Dir gnädig, mein Sohn!« sprach der Mönch und legte die Hand auf sein hämmerndes Haupt, »das ist ein gräßlicher Gemütszustand! In eben solch böser Stimmung erwürgte der erste Mörder seinen Bruder, weil Abels Opfer dem Herrn genehmer war.« »Ich will ringen mit dem Dämon, der sich meiner bemächtigt hat,« sprach der Jüngling mit Festigkeit. »Aber ich muß zuerst vor den Auftritten fliehen, die hier stattfinden werden. Ich kann den Anblick nicht ertragen, wenn Marys Augen vor Freude leuchten werden über die Nachricht von dem Wiederfund ihres Geliebten, denn das könnte mich zu einem andern Kain machen!« »Rasender!« rief der Mönch. »Zu welchem Verbrechen droht Deine Wut Dich zu treiben?« »Mein Los ist entschieden,« sprach Edward. »Ich werde in den geistlichen Stand treten, den Ihr mir einst so dringend empfahlet. Es ist mein Vorsatz, mich mit Euch ins Kloster zu begeben, Vater.« »Nicht in diesem Zustande von Zerrüttung, mein Sohn,« antwortete der Mönch. »Ich sage es nicht, um Dich von Deinem Pfade abzubringen, und Du sollst ja mit mir gehen. Aber als Novize mußt Du eine Prüfungszeit bestehen, und für diese ist es Vorschrift des Ordens, daß Du sie antrittst mit kaltem Blute und nach reiflichem Bedacht.« »Es gibt Handlungen, Vater,« erwiderte Edward, »die keinen Verzug gestatten. ... Wann werden wir uns in das Kloster begeben?« »Wenn Du willst, auf der Stelle,« erklärte der Prior, seinem Ungestüm nachgebend. »So gehe und triff die hierzu nötigen Anstalten! Doch warte! Du mußt mir zuvor volle Beichte ablegen, mein Sohn; ich frage Dich drum, hast Du auch nichts mir verschwiegen, was Dich so plötzlich bestimmt hat zu solchem Entschlusse?« »Meine Sünde habe ich vollständig gebeichtet,« sprach Edward, indem er sich wieder auf die Kniee fallen ließ, »aber einer seltsamen Erscheinung habe ich nicht erwähnt, die durch ihre Wirkung auf mein Gemüt wohl dazu beigetragen haben mag, daß ich diesen Entschluß so schnell faßte!« »Laß mich denn alles wissen, mein Sohn!« »Ich erzähle es nicht gern,« sagte Edward. »Erzähle es mir immerhin!« sagte der Mönch, »und fürchte keinen Tadel von mir! denn ich kann Gründe haben, als wahr anzunehmen, was Dir anders bedünken mag.« »So wisset denn, Vater, daß ich, zwischen Hoffnung und Verzweiflung schwebend, den verstümmelten, eilig verscharrten Leichnam zu finden, nach dem Tale eilte. Ihr wißt, in welchem Rufe der Platz in der ganzen Gegend steht. Meine Begleiter gerieten in Angst, und eilten, wie auf einem Verbrechen ertappt, das Tal hinunter. Meine Seele war zu erregt, um Lebendige oder Tote zu fürchten. Ich ging langsamer als meine Begleiter. Schon waren sie mir aus dem Gesicht geschwunden, als ich, mich umschauend, an der Quelle eine weibliche Gestalt erblickte ...« »Hüte Dich, mein Sohn,« fiel ihm der Mönch streng in die Rede, »in einer Stimmung, wie Deiner jetzigen, zu scherzen!« »Ich scherze nicht, Vater,« antwortete der Jüngling, »wer weiß, ob ich je wieder scherze! Ich sage Euch, ehrwürdiger Vater, ich sah eine weibliche Gestalt, in weitem Gewande, schneeweiß, ganz so, wie man den Geist schildert, der um das Haus Avenel wandert. Glaubt mir, Vater, bei Himmel und Erde! ich spreche kein Wort, als was ich mit diesen Augen gesehen habe!« »Ich glaube Dir, mein Sohn,« sagte der Mönch. »Erzähle weiter!« »Die Erscheinung,« sagte Edward Glendinning, »begann zu singen, und zwar wie folgt: – und so seltsam es Euch erscheinen mag, daß ich die Worte noch jetzt so genau weiß, so vermag ich doch keine Erklärung dafür zu geben, außer daß sie mir so unvergeßlich in die Seele geprägt sind, wie wenn sie mir seit meiner Kindheit bekannt wären: – Der Du zu meinem Quell gekommen, Von argen Hoffnungen entglommen, Des Herz von sünd'ger Freude glüht, Wenn scheinbar Gram Dein Aug umzieht, Zurück! hier findest Du fürwahr Nicht Leiche, Sarg, nicht Grab noch Bahr, Der Tot-Lebendige ist nicht hie. Zu den Lebendig-Toten flieh! Zu ihnen, deren Ernst verhehlt Oft jenen Wunsch, der Dich beseelt; Die oftmals, Leidenschaft zernagt, Der sie mit einem Schwur entsagt; Die ernsten Blicke oft wild Verlangen Und eitle Hoffnung hält befangen; Du eile in des Klosters Schoß, Gebet und Wachen sei Dein Los! Weg mit dem Grün, nimm graues Kleid, Hinweg! dem Kloster Du geweiht! »Das ist ja ein seltsamer Singsang,« sagte der Mönch, »und wie mir scheinen will, nicht eben zu Deinem Besten gesungen. Aber wir haben die Gewalt, des Satans Blendwerk zu schanden zu machen. Du sollst mit mir gehen, mein Sohn! Aber willst Du nicht Deine Mutter noch einmal sehen?« »Keinen Menschen mag ich mehr sehen,« rief Edward. »Ich will nicht Gefahr laufen, daß mein Entschluß wankend gemacht werde. ... Aus dem Kloster sollen sie erfahren, was ich will. Sie alle mögen wissen, daß Edward nicht länger mehr der Welt angehört, ihrem Glücke im Wege zu stehen!« »So komm, mein Sohn! und wenn wir durch das Tal hinunter reiten, will ich Dir die Wahrheiten künden, wodurch die Väter und Weisen der Vorzeit zu jener köstlichen Alchimie den Weg fanden, welcher die Kraft innewohnt, unsre Leiden in Glückseligkeit zu wandeln!« Dreizehntes Kapitel Edward ließ die Pferde anschirren, dann verabschiedete er sich von den Nachbarsleuten, die ihm zu Hilfe geeilt waren, und die über seinen so schnellen Aufbruch wie über die Wendung, die sich so schnell vollzogen hatte, nicht wenig überrascht waren. »Hier ist es mit der Gastfreundschaft gar traurig bestellt,« meinte Dan von Howlet-Hirst zu seinen Kameraden, »soviel steht bei mir fest, die Glendinnings mögen sterben und aufwecken, soviel es ihnen paßt, ich setze wegen dieser Gesellschaft keinen Fuß mehr von meinem Gehöft.« Martin redete ihnen gut zu und suchte sie durch Speise und Trank besser zu stimmen. Aber es wollte ihnen nicht schmecken, was Martin ihnen vorsetzte, und übellaunig zogen sie von dannen. Die Familie hatte bald erfahren, daß Halbert Glendinning noch lebe. Die Mutter weinte bald, bald dankte sie dem Himmel für seine Gnade. Frau Tibbie meinte, sie hätte es sich niemals so recht denken können, daß Halbert sich von einem Piercie oder einem dieses Schlages umbringen ließe; man möge über die Englischen reden und denken, was man wolle, einem echten Schotten kämen sie doch einmal an Körperkraft und Ausdauer nicht gleich. Auf Mary Avenel machten diese Ereignisse einen ungleich tiefern Eindruck. Sie hatte erst seit kurzer Zeit Trost im Gebete gesucht, und ihr war ganz so zu Mute, als seien ihre Gebete auf der Stelle erhört worden, als hätte die himmlische Gnade sich an ihr auf höchst seltsame Weise offenbart, kaum daß sie gelernt habe, sich an sie zu wenden; und wenn auch solchen Empfindungen ein bedenklicher Grad von Schwärmerei zu grunde liegen mochte, so ging dieselbe doch nur aus der lautersten Andacht hervor. Das heilige Buch, das sie von nun ab als ihren besten Schatz betrachtete, wickelte sie in ein seidnes Tuch, eins der wenigen Sachen von wirklichem Wert, die sie ihr eigen nannte, und sie fühlte nur eins mit Schmerzen, daß ihr das heilige Buch, weil es ihr an einem geschickten Ausleger gebrach, wohl immer nur ein verschlossnes Buch, eine versiegelte Quelle bleiben werde. Während Edward für die Pferde besorgt war, ersuchte Christie von Clinthill neuerdings um Weisung, was mit dem reformierten Prediger werden solle, und abermals suchte der Unterprior einen Ausweg zu finden aus dem Dilemma, in das ihn das Mitleid mit dem alten Freunde, die hohe Achtung, die er vor ihm fühlte, und die Pflicht, die er seiner Kirche gegenüber zu erfüllen hatte, stürzte. Die beträchtlichste Schwierigkeit war, wie ihm vorkam, durch Edwards unvermuteten Entschluß beseitigt worden, und darum durfte er den Prediger nicht in Glendearg lassen. »Ueberliefere ich diesen Wellwood oder Warden dem Kloster,« sprach er bei sich, »so muß er in seiner Ketzerei sterben, muß Leib und Seele verlieren; und wenngleich solches Verfahren ehedem für ratsam erachtet wurde, um Schrecken unter den Ketzern zu verbreiten, so ist doch ihre Macht jetzt so groß geworden, daß wir durch solches Vorgehen wohl nur ihre Wut entflammen, ihren Rachedurst wecken würden. Freilich hat er mir das Versprechen nicht gegeben, kein Unkraut mehr unter den Weizen säen zu wollen, aber der Boden ist doch anderseits viel zu dürr hier, daß Saat aufgehen könnte. Und daß er Einfluß auf die armen Frauen hier gewinnen könnte, brauche ich doch wahrlich nicht zu befürchten, denn sie sind ja in viel zu strengem Gehorsam gegen die Kirche als ihre Vasallen erzogen worden. Dagegen hätte Edwards scharfer, wißbegieriger Geist sich leicht an der neuen Lehre entzünden können, aber Edward ist nun fort von hier, und außer ihm bleibt nichts mehr hier gegenwärtig, was von der Flamme erfaßt werden könnte. Es wird mithin Warden einerseits alle Gelegenheit fehlen, seine verderblichen Lehren auszustreuen, anderseits ist sein Leben hier in Sicherheit; und wer weiß, ob nicht vielleicht seine eigne Seele aus dem Netze des Vogelstellers gerettet wird. Ließe sich Warden von seinen Irrtümern bekehren, so zöge die Kirche aus solcher geistigen Wiedergeburt hundertfältigen Vorteil, während ihr der zeitliche Tod des Mannes bloß schaden würde.« Am Schlusse dieser Betrachtungen angelangt, die in demselben Maße von seiner Herzensgüte wie von der Beschränktheit seiner Anschauungen und auch einem gewissen Grade von Eigendünkel und Selbsttäuschung Zeugnis gaben, erteilte der Unterprior Befehl, den gefangenen Prediger vor ihn zu bringen. »Heinrich,« sagte er, »alte Freundschaft und christliches Mitleid verbieten mir, das zu erfüllen, was mir das strenge Pflichtgefühl gebeut, und Dich dem sichern Tode zu überliefern. Du warst, wenn auch hart und unbeugsam in Deinen Entschlüssen, doch immer edlen Herzens. Ich verlange von Dir kein andres Versprechen, als daß Du Dein Wort gibst, nicht aus diesem Turme zu entfliehen, und Dich, der Ladung gehorsam, zu stellen.« »Du hast einen Kunstgriff gefunden,« antwortete der Prediger, »mir die Hände fester zu binden, als es die schwersten Kerkerfesseln vermöchten. Selbstverständlich werde ich nichts tun, was Dich bei Deinen Obern in Mißkredit setzen könnte, und werde um so behutsamer vorgehen, als es mir bei weiteren Unterredungen doch am Ende noch gelingt, Deine Seele wie einen Brand aus dem Feuer zu retten, Dich aus den Klauen des Antichrists zu erlösen.« Der Unterprior geriet ob dieser Meinung, die seiner eignen so vollständig gleich war, in hellen Zorn, und streitfertig rief er: »Gott und die heilige Jungfrau seien gelobt, daß mein Glaube an jenem Felsen ankert, auf welchem der heilige Petrus seine Kirche gegründet hat.« »Das ist eine Textverdrehung,« rief der eifrige Streiter Heinrich Warden, »die sich an ein bloßes Wortspiel klammert, und eine durchaus grundlose Redefigur.« Es fehlte wenig, so hätte sich der Wortstreit wieder entzündet und vielleicht mit der Abführung Heinrich Wardens in den Klosterkerker geendigt, zum Glück aber warf jetzt Christie von Clinthill die Bemerkung dazwischen, daß es spät zu werden anfange und sie wohl gut täten, aufzubrechen, da sie ja noch durch das ganze Tal zu wandern hätten, das doch ziemlich berüchtigt sei, und das er nach Sonnenuntergang nicht gern noch passieren möchte. Der Unterprior bekämpfte deshalb seine Streitlust, erinnerte Heinrich Warden nochmals daran, daß er sich seiner Dankbarkeit und seines Edelsinns gewärtig halte, und verabschiedete sich von ihm. »Du darfst Dich versichert halten, alter Freund,« erwiderte Warden, »daß ich mit Vorsatz und Willen nichts tun werde, was Dir nachteilig werden könnte. Sollte aber mein Meister mich zu einem neuen Werk auffordern, dann ist es für mich Gebot, Gott eher zu gehorchen als den Menschen.« Die beiden Männer, die durch Gaben der Natur und durch einen erworbnen Schatz von Kenntnissen gleich hervorragend waren, hatten der gemeinsamen Berührungspunkte weit mehr, als sie sich zugestehen mochten. Worin sie von einander im Grunde genommen nur abwichen, war die Eigenschaft des einen als Katholik und die Eigenschaft des andern als Protestant. Der Katholik stritt für seinen Glauben, der wenig Raum für Gefühl und Empfindung litt, voll frommer Ergebenheit in die Gerechtigkeit seiner Sache mehr mit dem Kopf als mit dem Herzen und zeigte sich weltklug, behutsam und listig ... der andre hingegen, den die starke Triebfeder einer im spätern Leben gewonnenen Ueberzeugung leitete, verfocht dieselbe mit dem gerechten Gefühl eines lebendigen Vertrauens, mit Feuer und Begeisterung und, bedingt hierdurch, mit einer gewissen Ueberhast. Wahrend der Katholik also, um sich soldatisch auszudrücken, der Defensive den Vorzug gab, trachtete der Protestant nach der Offensive; der Priester suchte hinzuhalten, der Prediger hingegen zu erringen. Aber sie konnten nicht von einander scheiden, ohne sich noch einmal die Hände zu reichen und mit einem Blicke ins Angesicht zu schauen, aus welchem sowohl Kummer als Liebe und Mitleid deutlich sprachen. Pater Eustachius machte nun der Witwe Glendinning davon Mitteilung, daß der Prediger auf ein paar Tage bei ihr als Gast zu verweilen hätte, und untersagte ihr und allen Hausbewohnern, unter Androhung schwerer Kirchenbußen, sich mit ihm über Glaubenssachen in irgend welches Gespräch einzulassen, hingegen für seine sonstigen Bedürfnisse gewissenhaft Sorge zu tragen. Frau Glendinning war über diese Mitteilung tief erschrocken und fand erst nach einer Weile die Fassung zu folgender Antwort: »Verzeih mirs unsre liebe Frau, ehrwürdiger Vater, aber es ist schon in viele Häuser durch viele Gäste viel Verderben gekommen, und ich fürchte, es wird auch Glendearg nicht frommen, daß es fortwährend einen neuen Gast aufnehmen muß. Zuerst hat sich die Dame von Avenel hergefunden. Nun, ihre Seele möge in Frieden ruhen, aber sie hat einen solchen Schwarm von Geistern und Feen mitgebracht, daß in dem alten Turmgebäude Schrecken und Angst geherrscht haben bis zu ihrem Hinscheiden, und daß es uns allen vorkommt, als hätten wir die ganze Zeit nicht in Wirklichkeit gelebt, sondern nur im Traume. Dann ist der Ritter aus England gekommen, und wenn er auch meinen Halbert nicht gemordet hat, so hat er ihn doch dazu gebracht, daß er dem Vaterhause entwichen und in die weite Welt hinausgelaufen ist. Nun bringen mir Euer Ehrwürden noch gar einen Ketzer ins Haus, der wahrscheinlich den Satan selbst über uns alle bringen wird. Für den Satan ist ja jede Tür und jedes Fenster zu eng, und so wird er wohl ein ganzes Stück von unserm alten Turme mitnehmen. ... Indessen, ehrwürdiger Vater, an mir ist es, Euch und dem Kloster zu Diensten zu sein, und ich will es auch nicht fehlen lassen, diese Pflicht gewissenhaft zu erfüllen.« »Laßt nur gut sein, Frau,« erwiderte hierauf der Priester, »was Ihr an Eurem Hause Schaden gelitten habt, dafür soll Euch das Kloster schadlos halten. Ich werde den Schatzmeister anweisen, Euch auszuzahlen, was Ihr zu fordern habt. Und wegen der Unruhe, die wir Euch bereitet haben, und wegen der Ausgaben, die Euch jetzt wieder entstehen, soll Euch ein Nachlaß am Lehnszins gewährt werden. Außerdem will ich nach dem Verbleib Eures Sohnes die sorgfältigsten Ermittelungen anstellen lassen.« Die Witwe verneigte sich tief vor dem geistlichen Herrn und bat ihn noch, doch ja ihrem Gevatter, dem Müller Happer, sagen zu wollen, daß in betreff seiner Tochter und des Schicksals, das über sie hereingebrochen sei, sie selbst nicht die geringste Schuld träfe. »Da erinnert Ihr mich noch an eine andre Angelegenheit, gute Frau,« nahm Pater Eustachius wieder das Wort, »die nicht verabsäumt werden darf, so viel ihrer mich zurzeit auch bedrängen. Dieser Ritter aus England muß aufgesucht und von diesem seltsamen Ereignis in Kenntnis gesetzt werden. Ebenso muß Sorge dafür getragen werden, daß dieses leichtsinnige Mädchen den Weg ins Vaterhaus zurück finde. Denn litte sie durch dieses Mißverständnis an ihrem Rufe, so könnte ich mich von Schuld an solchem Unglimpf nicht frei halten. Indessen weiß ich im geringsten nicht, wie sie wohl wieder aufzufinden sein könnten.« »Mit Verlaub,« sagte da Christie, »diese Sorge will ich auf mich nehmen. Wenn Ihr mir auch niemals sonderlich freundlich gesinnt gewesen seid, so darf ich doch nimmer vergessen, daß ich ohne Eure Dazwischenkunft schwerlich noch unter den Lebenden weilte. Und wenn anderseits jemand im stande ist, ihre Spur ausfindig zu machen, so bin ich dieser Jemand. Das behaupte ich vor jedermann im ganzen Grenzgebiet. Zuvor aber habe ich noch etwas mit Euch abzutun von seiten meines Herrn, sofern Ihr mir erlauben wollt, mit Euch das Tal hinunter zu reiten.« »Ich dachte, mein Lieber,« erwiderte der Mönch, »Du müßtest Dir allein sagen, daß ich keine rechte Ursache habe, einem Kameraden wie Dir in solch einsamer Gegend mit Vertrauen entgegenzukommen.« »Ehrwürdiger Herr,« antwortete der Reiter, »wollt ich solchen Versuch noch einmal riskieren, so ginge es mir selbst doch am schlimmsten dabei. Habe ich Euch denn im übrigen nicht schon oft genug gesagt, daß ich Euch mein Leben zu verdanken habe? Solchen Dienst bleibt aber Christie von Clinthill niemand schuldig, früher oder später kommt so was zum Ausgleich. Zudem hab ichs verschworen, jemals durch das einsame Tal wieder allein zu ziehen, auch nicht mit meinen Reisigen, denn sie sind doch alle Belialskinder wie ich. Was anders ist es, wenn Euer Ehrwürden mit Psalter und Rosenkranz dabei sind, dann könnt Ihr alle bösen Geister in die Lüfte verjagen, während ich mit meinem Speere alle irdischen Widersacher über Stock und Stein jage.« Edward trat herein mit der Meldung, daß die Pferde gesattelt seien. Dabei fiel sein Auge auf seine Mutter, und sein Entschluß geriet ins Wanken, als ihm einfiel, daß er nun Abschied nehmen müsse. Der geistliche Herr, seine Verwirrung wahrnehmend, kam ihm zu Hilfe. »Liebe Frau,« sagte er, »ich hatte vergessen, Euch davon zu unterrichten, daß Euer Sohn Edward sich mit mir in das Kloster hinüber begibt und vor ein paar Tagen nicht heimkehren wird.« »Ihr wollt gewiß bei der Suche nach dem Bruder helfen. Gott und die Heiligen mögen Euch dafür belohnen!« Der geistliche Herr nahm den Segen, der ihm diesmal recht unverdienterweise in den Schoß fiel, mit auf den Weg und trat mit Edward die Reise an. Dicht auf dem Fuße folgte ihm Clinthill mit seinen Reisigen, so daß man deutlich merkte, wie viel ihm daran gelegen, war, auf seinem Ritte durch das Tal geistliches Geleit wahrzunehmen. »Euer Ehrwürden,« redete er den Prior an, sobald er in seine Nähe gelangt war, »ich war der Meinung gewesen, Euch mit dem alten Evangelischen ein passables Präsent gemacht zu haben. Da Ihr ihm aber so geringe Rücksicht schenkt, scheint Euch wenig daran gelegen zu sein.« »So dürft Ihr die Sache doch eben nicht nehmen,« antwortete der Mönch. »Das Kloster wird Eurem Herrn diesen Dienst hoch anrechnen und auch gut vergelten. Aber der alte Mann ist vormals ein guter Freund von mir gewesen, und ich rechne darauf, ihn vom Wege des Verderbens abzubringen.« »So ist mirs freilich vorgekommen, als ich sah, wie sich die beiden Herren begrüßten. Aber das ist meinem Herrn ganz gleich. Heilige Jungfrau,« rief er plötzlich, »was ist denn das dort?« »Ein Weidenzweig, der zwischen uns und dem Himmel über dem Wege hängt,« antwortete der Mönch. »Gott helf uns!« erwiderte der Reiter, »es sah doch ganz so aus, wie eine Menschenhand mit einem Schwert. ... Aber, um wieder auf meinen Herrn zu kommen, der hat sich als vernünftiger Mann in unfrei schwierigen Zeit so lange in der Schwebe gehalten, bis er genau zu unterscheiden vermochte, wo sich für ihn die größte Sicherheit bietet. Die Lords von der Kongregation hatten ihm ja ganz verlockende Anträge gestellt, und um es Euch rund heraus zu sagen, er hat sich auch eine Zeitlang mit dem Gedanken getragen, mit diesen Herren, die bei Euch ja Ketzer heißen, zu paktieren, hat er doch recht gut gewußt, daß Lord James an der Spitze eines ansehnlichen Reiterhaufens die Straße hier entlang ziehen werde. Anderseits hat aber auch Lord James so bestimmt auf ihn gerechnet, daß er diesen Warden, oder wie er sonst heißt, voraus schickte, mit dem Ansinnen, ihn als Freund in Schutz zu nehmen. Unterwegs aber ist der Lord ...« »Bewahr uns die heilige Jungfrau!« rief der Mönch. »Amen!« ergänzte der Reiter. »Haben Euer Ehrwürden was gesehen?« setzte er ängstlich hinzu. »Nicht das mindeste,« sagte der Mönch; »Deine Erzählung hat mir den Ausruf abgenötigt.« »Na, da mögt Ihr wohl auch im Recht sein, wenn Ihr Euch sorgt,« meinte der Reiter, »denn wenn Lord James den Weg hierher nehmen wollte, dann ginge Euer Kloster wohl in Feuer und Flammen auf. Aber seid gutes Mutes! denn wie auf dem Schlosse Avenel verlautete, ist der Lord wohl auf dem Marsche, aber in westlicher Richtung, nicht hierher, weil die Aufforderung an ihn gelangt ist, dem Lord Semple gegen Cassilis und die Kennedys zu Hilfe zu marschieren.« »Darum also ist dem Prediger Warden eine so frostige Aufnahme auf dem Schlosse bereitet worden?« fragte der Mönch. »Der Grund ist wohl ein andrer gewesen,« sagte der Reiter, »denn mein Herr konnte sich lange nicht darüber schlüssig werden, wie er sich am besten verhielte, und hätte sich ganz gewiß nicht darauf eingelassen, so mit einem Manne zu verfahren, der ihm vom Lord James zugeschickt wurde, wenn nicht irgend ein rühriger Teufel dem Manne zugesetzt hätte, sich mit einer Sache zu befassen, die ihn gar nichts anging, mit dem Verhältnis nämlich, in welchem mein Herr sich zu der Dame Katharina von Newport befindet. Die beiden leben nämlich zusammen, sind aber nicht verheiratet, wohl aber, nach schottischem Hochlandsbrauch, auf ein Jahr zusammen versprochen. Dagegen fing der Prediger an zu eifern, und mein Herr ist darüber in Wut geraten, und darüber ists auf einmal zwischen meinem Herrn und Lord James zu bösem Verdruß gekommen, denn Lord James hat noch nie jemand eine Beleidigung oder Kränkung verziehen. Seitdem steht aber mein Herr Euch mit allem, was sein ist, zu Gebote. Es bleibt ihm ja auch kaum was andres übrig, muß er doch damit rechnen, daß Lord James nicht früher mit der Fehde aufhört, als bis er mit meinem Ritter vollständig fertig ist, das heißt, bis er denselben vom Erdboden getilgt hat und mit ihm das ganze Geschlecht Avenel, denn wenn man das arme Mädel nicht mitrechnet, das hinten in Glendearg hockt, ist doch Ritter Julian der letzte Avenel. Hiermit habe ich Euch wohl mehr mitgeteilt, als meinem Ritter selbst recht sein dürfte; Ihr habt mir aber noch einmal großmütig durchgeholfen, und es könnte sich wohl treffen, daß ich nochmals auf Euren Beistand zu rechnen habe.« »Es soll Euch nicht zum Nachteil sein, daß Ihr uns so aufrichtig Bescheid erteilt habt,« versetzte der Mönch, »denn in solch unsichern Zeiten muß der Kirche natürlich viel daran liegen, zu erfahren, was ihre Nachbarn im Schilde führen, und durch welche Triebfeder sie in Bewegung gesetzt werden. Aber was erwartet Euer Herr als Entgelt für seine Dienste? Ich halte ihn nämlich für einen von jenem Schlage, auf die das alte Wort: Kein Geld, kein Schweizer, zutrifft.« »Nun, das kann ich Euch ganz genau sagen,« antwortete Christie von Clinthill, »Lord James hatte ihm für seine Parteigängerschaft einen schmucken Landstrich zugesagt, der an seine Herrschaft Avenel stößt, und dazu den mitten in seinem Gebiete gelegenen Distrikt Cranberry-Moor. Weniger dürfte er also von Euch auch nicht erwarten.« »Aber was sollte dann mit dem alten Gilbert von Cranberry-Moor werden?« fragte der geistliche Herr. »Ich sollte doch meinen, das Kloster besäße Land genug, um Gilbert, der doch nur knapp über ein paar lahme, gebrechliche Bauern verfügt, anderswo hinzusetzen, wenn auch Cranberry-Moor sein alter Erbsitz sein mag. Aber gegen meinen Herrn, der über fünfzig Berittne kommandiert, die alle schneidig einexerziert sind, kann doch der alte Krippensetzer nicht aufkommen! Zum wenigsten wird Euch wohl der Entschluß zwischen beiden nicht schwer fallen.« »Wir wollen überlegen, wie sich die Dinge einrichten lassen,« erwiderte der geistliche Herr, »und wie sich der tätige Beistand Eures Herrn für das Kloster gewinnen läßt.« Sie langten jetzt an die Stelle, wo dem Sakristan das garstige Begegnis mit dem Geiste passiert war. Es war eine schöne Nacht, und sie setzten ohne Abenteuer und Fährlichkeit über. Aber kaum standen sie an der Pforte des Klosters, als ihnen der Pförtner entgegeneilte und an den Prior die Worte richtete: »Ach, ehrwürdiger Vater, der Lord-Abt vergeht vor Ungeduld, Euch zu sprechen.« »Führe diese fremden Männer hier in die große Halle und trage Sorge, daß sie ordentlich beköstigt und untergebracht werden. Doch erinnere sie daran, daß sie sich bescheiden und sittsam verhalten, wie es sich für Gäste einer frommen Stätte schickt.« »Ehrwürdiger Bruder,« sagte Pater Philipp wieder, »Ihr müßt so freundlich sein, Euch sogleich zu dem Lord-Abt zu begeben, denn so trostlos und kleinmütig habe ich ihn seit der Schlacht bei Pinkie-Cleugh nicht mehr gesehen.« »Ich komme, lieber Bruder, ich komme,« erwiderte Pater Eustachius. »Nur um eins noch bitte ich Dich: diesen Jüngling hier, Edward Glendening aus Glendearg, geleite in die Novizenzelle und überweise ihn dem Bruder Lehrmeister, Gott hat sein Herz gerührt, und er will ein Glied unsers heiligen Ordens werden. Da er gute Fähigkeiten mit Fleiß und Demut verbindet, so denke ich, daß er unserm Kloster dereinst zur Zierde gereichen wird.« Ein andrer Klosterbruder kam herbeigestürzt, der Pater Nikolaus. »Mein allerwürdigster Bruder,« rief er, »begib Dich doch bitte, auf der Stelle, zum Lord-Abt! In solcher tiefen Sorge habe ich ihn noch nie gesehen. Seine Bestürzung ruft mir den Tag ins Gedächtnis, als Pater Ingilram die Unglücksbotschaft von Flodden-Field erhielt.« »Ich komme, ich komme, ehrwürdiger Bruder,« versetzte Pater Eustachius und begab sich nun allen Ernstes zu seinem Obern. Vierzehntes Kapitel »Meine Brüder,« sprach der Abt, als sein Ratgeber, der Unterprior, mit dem Bruder Sakristan und dem alten Pater Nikolaus in sein Zimmer getreten war, wo er, neben sich die von kostbaren Steinen schimmernde altertümliche Mitra, den Rosenkranz und den prächtig verzierten Krummstab, in einem gewaltigen Armsessel saß, über dessen Lehne seine Hände unruhig hin und her fuhren ... »meine Brüder, ich darf doch wohl annehmen, daß Ihr mir gegenüber gelten lassen werdet, daß ich dem mir zugewiesenen Amte allezeit mit Eifer und Ehren vorgestanden habe. Auch habt Ihr immer Eure Nahrung hier gehabt, und ich habe die Einkünfte des Klosters niemals zu eitlen Genüssen verschwendet, habe niemals die eignen Verwandten oder fremdes Weibsvolk auf Kosten des Klosterschatzes unterhalten oder gar bereichert ...« »Darüber ist niemals eine Beschwerde verlautbart,« antwortete, dem Obern in die Rede fallend, der Prior, »aber dürfen wir fragen, hochwürdiger Herr, welche neue Sorge Euch bedrückt? auf welche neue Sorge Eure Worte hinzudeuten scheinen?« »Ihr wählt das richtige Wort, Pater,« erwiderte der Abt, »jawohl, eine neue Sorge! die Sorge um die Engländer, die unter Führung des Sir John Foster von Hexham im Anmarsch gegen das Kloster sind, und die Sorge, wie wir dem Lord James Stuart entrinnen sollen, der mit seinen Söldnerscharen von der andern Seite, Zerstörung und Verderben drohend, heranrückt.« »Ich dachte, dieser Anschlag sei durch die Fehde zwischen Lord Semple und den Kennedys vereitelt worden?« fragte der Unterprior. »Es ist gegangen, wie es immer geht,« versetzte der Abt, »die beiden strittigen Parteien haben sich auf Kosten des Klosters geeinigt. Der Earl von Cassilis soll die Landstriche bekommen, die eigentlich dem Hause Corseregal gehören, und demzufolge hat er sich dem Stuart angeschlossen, der sich jetzt Murray nennt. Hier sind die Briefe.« Der Prior, nahm die durch einen Eilboten vom Fürst-Primas übersandten Schreiben und trat zur Lampe, um sie mit aufmerksamer Miene zu lesen. Der Sakristan und Pater Nikolaus sahen einander an mit solch jämmerlichen Mienen, wie ein Paar Hähne, wenn über ihrem Hofe der Habicht schwebt. Das Auge des Abtes, das unter der Last schwerer Sorge gebeugt saß, ruhte voll Bangigkeit auf dem Unterprior, wie wenn er aus dem Ausdruck seiner Mienen Trost zu schöpfen suchte; als er aber sah, daß sein Berater noch immer in Nachdenken versunken stehen blieb, fragte er in ängstlichem Tone: »Was beginnen wir nun?« »Was uns die Pflicht vorschreibt,« antwortete der Unterprior, »das übrige steht in Gottes Hand.« »Unsre Pflicht!« wiederholte der Abt; »nun freilich, unsre Pflicht müssen wir tun, aber worin besteht sie? wozu soll sie uns frommen? ... wirds uns gelingen, die Feinde mit Glockengeläut, mit Büchern und Kerzen zu verjagen? Oder wird Murray sich um Chorgesänge und Psalmen was scheren? oder kann ich für das heilige Stift fechten wie Judas Makkabäus gegen den ungläubigen Nikanor? oder kann ich den Sakristan aussenden gegen diesen neuen Holofernes, daß er mir sein Haupt im Korbe herbringe?« »Wohl habt Ihr recht, Mylord-Abt,« erwiderte der Unterprior, »wir können nicht fechten mit weltlichen Waffen, denn das widerspräche unsrer Tracht ebenso wohl wie unserm Gelübde; allein wir können für unser Kloster und für unsern Orden in den Tod gehen.« Der Bruder Sakristan und Pater Nikolaus sahen einander mit einem Ausdruck in ihren Mienen an, der von Entsetzen nicht mehr weit war. »Indessen bleibt uns,« fuhr der Unterprior fort, »noch ein Mittel, nämlich, wir können diejenigen unter die Waffen rufen, die fechten können und fechten wollen. Die Engländer sind nur gering an Zahl und scheinen auf Murrays Beistand zu warten, dessen Marsch aber unterbrochen worden ist. Wagt es nun Foster mit seinen Banditen aus Cumberland und Hexamshire in Schottland einzudringen, in der Absicht, unser Stift zu plündern, so müssen wir unsre Vasallen aufbieten, und daß wir es an Stärke mit ihnen aufnehmen können, erscheint mir nicht zweifelhaft.« »Im Namen unsrer heiligen Jungfrau,« erwiderte der Abt, »meint Ihr, ich sei ein Petrus, um mich als Heerführer an die Spitze einer Armee zu stellen?« »Es gibt doch kriegsgewohnte Männer,« sagte der Unterprior, »zum Beispiel Julian Avenel ...« »Ein schlechter Mensch, ein Lüdrian, ein echter Belialssohn!« erwiderte der Abt. »Und doch müssen wir uns seiner zu solchem Amte bedienen, wozu er erzogen worden ist,« antwortete der Mönch, »zumal wir es ihm ja gut bezahlen können. Ich weiß schon, wie es sich mit seiner Abfindung dafür wird machen lassen. Es scheint wohl sicher, daß die Engländer in der Meinung heranrücken, sich des Ritters Piercie Shafton bemächtigen zu können, der sich zu uns geflüchtet hatte. Zum wenigsten werden sie diesen Vorwand benützen, um unser Kloster zu überfallen.« »Ich habe niemals gewähnt, daß er uns mit seinem Firlefanz von Atlasgewändern und Helmschmuck und Federn sonderlich Gutes bringen, würde,« bemerkte der Abt. »Und doch müssen wir, sofern es irgend angeht, uns auch seiner Hilfe versichern!« sagte der Unterprior. »Mag er doch den großen Piercie, mit dessen Huld und Freundschaft er sich brüstet, bestimmen, daß er zu unsrer Hilfe heranziehe! Dieser gute und getreue Lord könnte einen Foster schon bezwingen und all seine Absichten vereiteln. Ich gedenke, diesen Reitersmann noch heute zu ihm zu schicken.« »Wohl möglich, daß Foster auf Murray wartet,« erklärte der Abt, »zumal dessen Zug gegen uns ja nur auf kurze Zeit verzögert weiden dürfte.« »Das glaube ich nicht,« entgegnete der Unterprior, »denn dieser Foster ist ein zu verzweifelter Ketzer, der zu erpicht ist auf die Zerstörung unsrer Kirche. Als geborner Grenzer trachtet er nach den Schätzen der Kirche, und ein Einfall in Schottland wird ihm ein Gaudium sein! Außerdem hat er noch Beweggründe genug, sich sogleich über uns herzumachen, denn wartet er, bis ihm Murray beisteht, so geht ihm die Aussicht auf die Hälfte der Beute verloren; macht er die Sache allein ab, so fällt ihm alles zu. Ferner kann Julian Avenel den Foster nicht besehen, wie ich gehört habe. Sobald die sich sehen, geht die Hauerei los. Bruder Sakristan, holt doch unsern Vogt herbei! er soll das Verzeichnis der streitbaren Männer mitbringen, die dem Kloster zur persönlichen Hilfeleistung verpflichtet sind. Schickt auch zu dem Baron von Meigallot und laßt ihm sagen, daß sich das Kloster mit ihm wegen des Brückenzolls verständigen werde, falls er uns diesmal mit seinem Trupp helfen wolle. Endlich, Mylord, wollen wir uns an die Abschätzung unsrer Mannschaften und derjenigen des Feindes machen, damit nicht etwa umsonst Menschenblut vergossen werde. Wir wollen also einmal berechnen.« »Mir ist von dem allen so dumm,« rief der Abt, »als ging mir ein Mühlrad im Kopfe herum!. Aber mein Entschluß steht fest, steht schon lange fest,« und bei diesen Worten stand er auf und trat mit all der Würde, die ihm seine stattliche Person vergönnte, einen Schritt vor, um dann fortzufahren: »Vernehmt zum letzten Male die Stimme Eures Abtes Bonifacius! Ich habe für Euch gearbeitet, so weit meine Kräfte es mir erlaubten. In ruhigeren Zeiten wäre mir manches wohl besser gelungen. Habe ich mich doch nur ins Kloster geflüchtet, um der Ruhe pflegen zu können, und das Kloster mußte gerade mir zu einer Stätte der Unruhe werden! Zudem wird es von Tag zu Tag in dieser Hinsicht schlimmer, und je höher ich im Alter herausrücke, desto geringer wird meine Fähigkeit, mich mit all dieser Plackerei zu befassen. Darum gebührt mir ein solcher Platz nicht mehr, denn ich kann die Pflichten, die er auferlegt, nicht mehr erfüllen. So habe ich mich denn entschlossen, mein Amt in die Hände des Paters Eustachius, unsers geliebten Priors, dem es nach der Rangordnung zunächst anheimfällt, niederzulegen. Ich freue mich, daß er noch nicht anderswo eine seinen Verdiensten angemessene Stellung zuerteilt bekommen hat, denn ich hoffe, daß er die Mitra und den Stab aus meinen Händen entgegennehmen werde.« »Mylord-Abt,« nahm hierauf der Unterprior das Wort, »wenn ich von den Tugenden, die Euch bei Führung dieses hohen Amtes geziert haben, schwieg, so dürft Ihr nicht meinen, daß ich dieselben nicht zu würdigen wüßte. Gleich allen, die Euch kennen, bin ich mir des Umstandes wohl bewußt, daß kaum jemals ein Mitglied unsers Ordens zu diesem hohen Amt einen lauterern Willen besessen hat, allen Menschen wie allen Verhältnissen gerecht zu werden, und wenn auch Eure Amtszeit nicht ausgezeichnet war durch kühne Unternehmungen, wie diejenige manches Eurer Vorgänger, so sind hinwiederum Eurem Charakter die Fehler fremd gewesen, die den Charakter solcher Vorgänger verdunkelt haben.« Der Abt richtete seine Blicke mit Verwunderung auf den Prior und sprach: Daß auch Ihr, ehrwürdiger Vater, mir so viel Gerechtigkeit zu teil werden ließet, dessen bin ich mir nicht gewärtig gewesen.« »Ich habe in Eurer Abwesenheit,« sagte der Prior, »diese Meinung noch kräftiger vertreten als in Eurer Gegenwart, und ich möchte nicht unterlassen, hochwürdiger Herr, Euch zu bitten, daß Ihr die gute Meinung, die allgemein über Euch herrscht, nicht dadurch beeinträchtigen möchtet, daß Ihr zu einer Zeit, da Eure Fürsorge gerade am notwendigsten ist, den Verzicht auf Euer Amt erklärt.« »Aber, geliebter Bruder in Christo, ich trete doch mein Amt einem weit besser dafür geeigneten Mitgliede unsers heiligen Ordens ab!« sagte der Lord-Abt. »Zu einer Zeit, wie der jetzigen, bedarf unser Kloster einer kräftigeren Hand. Drum bestimme ich, daß Ihr noch heut abend Euer Amt als Abt antretet und alle notwendigen Anstalten trefft, damit morgen das Kapitel zusammentrete und Eure Wahl vollziehe! Und nun, geliebte Brüder, benedicite! Friede sei mit Euch! Ich bete mit Euch! Ich wünsche dem Anwärter der Abtswürde, daß er so sanft schlafen möge, wie der, welcher die Mitra niederzulegen im Begriffe steht.« Fünfzehntes Kapitel Der neu erwählte Abt traf alsbald die Vorkehrungen, die durch den Drang der Umstände geboten waren, und wer in seine Nähe kam, der konnte sehen, daß seine Falkenaugen seltsam blitzten und auf seine hagern, bleichen Wangen eine lebhafte Röte stieg. Kurz und bestimmt schrieb er an verschiedne Barone, um sie von dem bevorstehenden Einfall der Englischen zu unterrichten und um ihre Hilfe in solchem Notfalle anzugehen. Solchen, denen er nicht zutraute, daß sie sich um der bloßen Ehre halber verpflichten würden, bot er mancherlei Vorteile; bei allen aber appellierte er an die Vaterlandsliebe und an den eingeimpften Haß gegen alles Englische. Zu früherer Zeit wäre solcher Appell wohl kaum notwendig gewesen, aber die Unterstützung, die der reformierten Partei Schottlands durch die Königin Elisabeth von England zu teil geworden war, hatte sich von so bedeutenden Folgen erwiesen, daß sich nicht ohne Grund vermuten ließ, ein großer Teil der Edelleute würde sich diesmal neutral verhalten, wenn nicht gar eine Verbindung mit den Englischen gegen die Katholischen eingehen. Als Abt Eustachius erwog, auf wieviel Klostervasallen er zu rechnen habe, erfüllte es ihn mit Betrübnis, daß er dieselben unter das Banner eines so wüsten und hochmütigen Mannes wie Julian Avenel stellen solle ... »Schade,« dachte er bei sich, »daß der junge, schwärmerische Glendinning nicht aufzufinden ist, ihm vertraute ich die Führung lieber an, trotz seiner Jugend, und möchte mich des himmlischen Segens für gewisser halten. Unser Vogt ist leider schon zu alt und zu schwächlich. Es wird sich also wohl kein andrer finden, der für das Amt eines Truppenführers sich eignete, als dieser Julian Avenel.« Er klingelte und gebot dem eintretenden Bruder, Christie von Clinthill zu ihm zu führen. »Du verdankst mir bis zu einem gewissen Grade Dein Leben,« redete der Abt den eintretenden Reiter an, »und wenn Du offen und ehrlich auf die Fragen, die ich Dir stellen werde, antwortest, so kann ich Dir eine Gefälligkeit andrer Natur erweisen.« Christie hatte bereits ein paar Becher Wein geleert, und bei andrer Gelegenheit hatte er Wohl seiner Frechheit unbedenklich die Zügel schießen lassen. Hier aber erklärte er, daß er bemüht sein wolle, auf alle Fragen aufrichtige Antwort zu erteilen. »Steht der Baron von Avenel zu Sir John Foster, dem Grenzwächter der westlichen Marken, in freundschaftlichem Verhältnis?« fragte der Abt Eustachius. »Etwa wie Wildkatze und Dachshund,« erwiderte der Reiter. »Er würde also mit ihm sofort aneinander geraten, wenn sie sich träfen?« »Ganz gewiß.« »Und würde er in einer Kirchenfehde mit Foster Händel anfangen?« »Wenns bloß Fehde ist,« antwortete Christie; »welcher Art, danach früge er ganz gewiß nicht.« »So wollen wir an ihn schreiben und ihm kund tun, daß er im Fall eines Einbruchs Fosters in unser Gebiet seine Mannen mit den unsrigen vereinigen und den Befehl über das vereinigte Korps übernehmen solle. Für diese Dienstleistung wollen wir ihm eine hohe Belohnung sichern, deren Bestimmung in seine Hände gelegt werden soll. Aber nun noch, ein weitres Wort! Du meintest den Aufenthalt des englischen Ritters Piercie auskundschaften zu können?" »Allerdings. Ich schaffe ihn Euch, ob im Guten oder im Bösen, ganz wie es Euer Ehrwürden als das Bessere dünkt.« »Gewalt soll ihm nicht angetan werden,« erwiderte der Abt. »Wie lange Zeit meinst Du dazu zu brauchen?« »Etwa dreißig Stunden, falls er nicht schon Lothian hinter sich haben sollte,« erwiderte Christie. »Wenn Ihrs befehlt, dann setze ich mich sogleich auf und spüre ihn aus, wie der Hund den Landstreicher.« »Bring ihn zur Stelle, und Du sollst rasche und gute Belohnung bekommen,« sagte der Abt. »In dieser Hinsicht verlasse ich mich ganz auf Euer Ehrwürden. Wir Leute mit Schwert und Spieß ziehen ziemlich sorglos durch das Leben. Aber leben muß halt jeder, und das geht manchmal nicht grade.« »Mach Dich also auf den Weg! Ich werde Dir einen Brief an den Ritter mitgeben.« Christie war fast ziemlich an der Tür, als er umdrehte und wie jemand, der, wenn er dürfte, gern einen derben Spaß machte, die Frage stockend stellte, was er denn mit Müllers Mysie anfangen solle, wenn er die beiden zusammen träfe? »Soll ich sie etwa auch mit herbringen, Euer Ehrwürden?« schloß er. »Hierher, Du loser Wicht?« herrschte ihn der Abt an; »weißt Du nicht, an wen Du das Wort richtest?« »Na, böse wars ja nicht gemeint,« entgegnete Christie; »aber wenn Ihr sie nicht hier haben mögt, könnt man sie ja nach Schloß Avenel bringen, wo man eine schmucke Dirne immer ganz gern einziehen sieht.« »Unterlaß Deine Späße!« sprach der Abt. »Nach ihres Vaters Hause bring das übelberatne Mädchen, und sieh zu, daß es in aller Sicherheit und in Ehren für sie geschieht.« »Gegen die Sicherheit soll sich nichts sagen lassen,« erwiderte Christie; »was aber die Ehre anbetrifft, so läßt sich da nur sagen, daß ihr die bleiben soll, die sie noch hat. Und nun, Euer Ehrwürden, lebt wohl! ich muß zu Pferde sein, ehe der Hahn kräht.« »Was? Im Finstern willst Du weg? Wirst Du den Weg auch finden?« »Ich habe die Spuren von des Ritters Gaul bei der Furt gesehen, als wir vorbeiritten,« sagte Christie von Clinthill, »auch bemerkt, daß sie nach Norden ging. Also ist der Herr unterwegs nach Edinburg, dafür möcht ich die Hand ins Feuer legen. Und noch ehe der Tag anbricht, will ich dorthin auf dem Wege sein.« Mit diesen Worten verließ er das Gemach. »Schlimmer Anlaß, der es notwendig macht, sich solcher Werkzeuge zu bedienen,« sagte Abt Eustachius, indem er ihm nachsah. »Allein, da uns von allen Seiten und von allerhand Menschen der Angriff droht, welcher Ausweg bleibt uns dann offen? Aber ich muß nun zu dem allernotwendigsten schreiten, was mir noch zu tun bleibt.« Er setzte sich an seinen Tisch und schrieb noch weitere Briefe, erließ Befehle und nahm die ganze Sorge auf sich für eine Anstalt, die dem Einsturz drohte, aber er verrichtete alles mit dem tapfern Geiste eines Festungskommandeurs, der sich auf die letzten Mittel, den Sturm hintanzuhalten, angewiesen sieht, dieweil sein Vorgänger Bonifacius, aller Sorgen und Beschwerden ledig, nach ein paar Stoßseufzern entschlummerte und den Schlaf des Gerechten schlief. Sechzehntes Kapitel Wir hatten Halbert Glendinning auf der Hochstraße nach Edinburg verlassen. Sein Zusammentreffen mit Heinrich Warden war so flüchtig gewesen, daß er nicht einmal von ihm hatte hören können, wie der Edelmann hieß, an den er empfohlen worden war. Er hatte nur so viel verstanden, daß er einem Ritter begegnen werde, der mit einem Trupp nach Süden zu unterwegs sei. Bei Tagesgrauen befand sich Halbert noch immer in dieser Ungewißheit. Hätte er eine bessre Schulkenntnis besessen, so hätte er sich durch die Aufschrift, die der Brief trug, belehren können, aber er hatte in dem Unterricht beim Pater Eustachius nicht so viel profitiert, daß er die Buchstaben hätte entziffern können. Indessen sagte ihm die angeborne Klugheit, daß es nicht gut sei, bei der Unsicherheit, die zurzeit überall im Lande herrsche, sich bei Leuten, die ihm unterwegs begegneten, zu erkundigen; als ihn aber nach langem Marsche unfern von einem Dorfe die Nacht überfiel, wurde er doch allgemach unsicher und ängstlich über den Ausgang seines Vorhabens. In einem armen Lande, wo Gastfreundschaft willig gewährt wird, fällt es nicht eben auf und erniedrigt auch nicht, wenn jemand um ein Nachtquartier bittet. Bei einer greisen Bäuerin fand er ein solches und brach am andern Morgen beizeiten auf. Sein Pfad führte durch Sumpf und Moor, bergauf, bergab, und endlich kam er an eine Höhe, die eine weite Aussicht über einen Strich wilden, wüsten Landes bot, das mit Schieferhügeln und seichten Lachen bedeckt war. Durch diese Oedenei zog sich schlangenartig ein kaum sichtbarer Weg. Unschlüssig, ob er gradeaus oder seitab gehen solle, machte Halbert hier Halt; aber er hatte noch nicht lange auf einem Baumstumpf gesessen, als er in nicht zu großer Ferne eine Staubwolke sah, die sich auf ihn zu bewegte, und bald erkannte er, daß sie aus etwa einem Dutzend Reiter sich zusammensetzte. Sie ritten in sehr schnellem Tempo, und ihre Helme und Lanzenspitzen blitzten im Sonnenschein. Der vorderste des Zuges ritt auf der Stelle auf Halbert zu und stellte ihm die Frage, wer er sei? Halbert übergab dem Reiter seinen Brief, und alsbald erscholl von dem hinter dem Vortrab einhersprengenden Haupttrupp der Ruf: Halt! Dann kam der Befehl, daß hier eine Stunde gerastet werden solle. Gleich darauf wurde der junge Erbe von Glendearg auf eine Stelle geführt, die höher lag als der eigentliche Moorgrund. Hier war ein Teppich auf den Boden gebreitet worden. Die Führer der Reiterschar ließen sich rings um den Teppich nieder, um ihr Frühmahl zu halten, das aber kaum viel anders und besser sein mochte, als das, welches Halbert noch eben bei der greisen Bäuerin bekommen hatte. Als Halbert herbeigeführt wurde, erhob sich ein Mann von schöner Gestalt, mit gebietender Haltung, aus dessen ganzem Wesen selbst Halbert trotz seiner Jugend auf der Stelle inne wurde, daß er dem eigentlichen Befehlshaber der Schar sich gegenüber befand. Er trug ein Büffelwams, das mit seidnen Schnüren besetzt war, an Stelle einer Rüstung, und um den Hals eine Kette von gediegnem Golde und ein Medaillon. Das schwarze Samtbarett, das auf seinem Haupte saß, war mit einer Schnur großer, schöner Perlen und mit einem Federstutz verziert, und um die Hüften gegürtet hing ihm ein Schwert an der Seite, das eine auffallende Länge zeigte und wuchtig niederhing. Goldne Sporen an den hohen Reiterstiefeln vervollständigten seine Rüstung. Er winkte Halbert Glendinning, näher zu treten. »Dieses Schreiben,« hub er an, »ist von dem wackern Gottesstreiter Heinrich Warden, junger Mann? nicht wahr?« Halbert antwortete mit einem bestimmten Ja auf die Frage. »Dem Anschein nach schrieb er an Uns im Zustande von Sorge und Bedrängnis und weist Uns betreffs näherer Auskunft an Euch. Laßt Uns also wissen, Jüngling, wie es mit ihm steht.« Halbert erzählte nun nicht ohne Verwirrung, wie es sich gefügt hatte, daß Warden in Haft von dem Baron Avenel genommen worden war. Als er auf den Streit zwischen den beiden Männern über das Leben des Barons in wilder Ehe zu sprechen kam, machte ihn die ernste Miene des Grafen Murray so bestürzt, daß er in der Meinung, doch vielleicht etwas Unschickliches gesagt zu haben, fast gestockt hätte. »Was fehlt denn dem Esel?« rief ein andrer Ritter, der neben dem stand, der mit Halbert sprach, und zog die dunkelroten Brauen finster zusammen, während sich auf der Stirn tiefe Falten zu graben anfingen. »Hast Du nicht gelernt, die Wahrheit zu sagen, ohne zu stocken?« »Mit Verlaub,« erwiderte hierauf mit fester Stimme der Jüngling, »ich habe noch nie mit solchem Herrn gesprochen.« »Wie mir scheint,« nahm hierauf der erste der Herren das Wort, – der kein andrer war als Lord Murray – indem er sich zu dem neben ihm stehenden Ritter wendete, »ist der Jüngling bescheidnen Sinnes, aber doch ein Mensch, der sich in einer guten Sache weder vor Freund noch Feind fürchtet. Sprich weiter, mein Sohn, freimütig und ehrlich.« Nun berichtete Halbert weiter von dem Streit zwischen dem Baron Avenel und dem Prediger. Der Ritter hörte ihm zu, indem er sich auf die Lippen biß, und sich anscheinend zur Gleichgültigkeit zwang. »Warden,« sagte er dann, nicht abgeneigt, sich auf die Seite des Barons Avenel zu schlagen, »ist zu eifrig in seinem Eifer, denn gewisse eheliche Beziehungen sind sowohl nach göttlichem als menschlichem Recht statthaft, auch wenn sie nicht der strengen bürgerlichen Form angemessen geschlossen worden sind, und die Nachkommenschaft, die solchen Verhältnissen entspringt, gilt nicht minder für erbfähig, als die aus den streng bürgerlich geschlossenen Ehen.« Die allgemein gehaltne Meinung, die er mit einem Blick auf die bei dem Gespräch anwesenden Kriegsgefährten begleitete, fand die allgemeine Billigung, und alle, bis auf einen, der den Blick zu Boden schlug und schwieg, riefen: »Dawider läßt sich nichts vorbringen!« Graf Murray wandte sich wieder an Halbert mit der Aufforderung, weiter zu erzählen, aber sich der größten Genauigkeit dabei zu befleißigen. Als nun Halbert schilderte, wie der Baron Avenel seine Konkubine wild von sich schleuderte, knirschte der Graf mit den Zähnen und fuhr mit der Hand an den Griff seines Dolches. Dann aber winkte er, daß Halbert fortfahren solle. Inzwischen hatten sich zu den Zuhörern noch ein paar reformierte Geistliche gefunden, die mit gesteigertem Interesse an den Worten des Jünglings hingen. Als derselbe nun von der schmählichen Weise erzählte, wie Baron Julian den Prediger ins Verließ habe werfen lassen, da schien Graf Murray den richtigen Anlaß gefunden zu haben, seinem Grolle Lust zu machen, denn augenscheinlich war er sich der Zustimmung aller Anwesenden sicher. »Anwesende Pairs und Edlen von Schottland,« hub er an, indem er einen Blick in der Runde schweifen ließ, »richtet Ihr zwischen mir und diesem Julian Avenel! Er hat sein Wort gebrochen und ein sicheres Geleit verletzt. Auch darüber richtet Ihr, daß er sich vergriffen hat an einem Prediger der heiligen Lehre, auch darüber, daß er mit dem Gedanken umzugehen scheint, den Anhängern des Antichrists sein Blut zu verdingen.« »Den Tod eines Verräters soll er sterben,« riefen die weltlichen Hauptleute, »der Henker soll ihm zur Strafe seines Meineids die Zunge mit glühendem Eisen ausreißen.« »Zu den Baalspfaffen soll er hinunter fahren!« zeterten die geistlichen Herren, »und seine Asche sollt Ihr streuen in den tiefsten Abgrund!« Murray hörte ihre Worte mit verhaltnem Lächeln. Er hatte den Ausbruch solcher Rache wohl erwartet, aber er mochte denken, daß die Roheit, mit der der Baron Avenel seine Konkubine behandelt hatte, ein gewisses Seitenstück fand in der Art und Weise, wie auch die Mutter des Ritters behandelt worden war, der vorhin den Blick zu Boden geschlagen und geschwiegen hatte, als er dem in Schottland üblichen »Eheverspruch« das Wort geredet hatte, und der kein andrer war als Graf Morton, der unehelich geborne Halbbruder des Lords; er mochte weiterhin denken, daß man die Ursache zu dem grimmigen Ausdruck, den das Gesicht des Grafen jetzt zeigte, in der Erinnerung hieran zu suchen haben mochte. Dagegen sprach Lord Murray sehr freundlich mit Halbert, als dessen Bericht zu Ende geführt war. Dann wandte er sich zu den Begleitern. »Der Jüngling ist augenscheinlich kühn und tapfer und aus dem Stoffe gebildet, den diese unruhigen Zeitläufte erheischen. Es gibt Vorgänge, die einem Manne Gelegenheit geben, sich als Mann zu zeigen, und einen solchen Vorgang haben wir mit diesem Jüngling eben erlebt. Ich muß ihn näher kennen lernen, den Jüngling.« Umständlich fragte er nun Halbert aus nach den Streitkräften, die dem Baron von Avenel zur Verfügung seien, nach der Stärke seines Schlusses, wie nach dem Schicksal seines nächsten Erben. Dabei mußte natürlich die Rede kommen auf die traurige Lage, in welcher sich die einzige Tochter seines verstorbnen Bruders, Mary von Avenel, befand, und die Halbert mit einer Befangenheit erzählte, die dem Lord Murray nicht entging. »Ha, Baron Julian!« rief er, »Du reizest mich zum Zorn zu einer Zeit, die Dir doch alle Ursache gäbe, meine Gnade zu erflehen? O, ich habe Walter Avenel gut gekannt, er war ein wackrer Schotte und ein tapfrer Kriegsmann. Unsre Schwester, die Königin, muß, seiner Tochter zu ihrem Recht verhelfen, die gewiß eine schickliche Braut abgäbe für einen tapfern Kriegsmann, der Unsrer Gunst würdiger sein dürfte, als dieser Verräter von einem Julian!« Hierauf heftete er einen forschenden Blick auf Halbert und fragte: »Jüngling, bist Du von edlem Geblüt?« Auf diese Frage erwiderte Halbert mit einer längern Darlegung seiner Ansprüche auf die Abstammung von den alten Glendowynes von Galloway, aber Graf Murray unterbrach ihn nach einer Weile mit den Worten: »Ei, Jüngling! laß die Stammbäume von Barden und Wappengelehrten beiseite! Heute ist jeder der Mann seiner Taten. Das erhabne Licht der Reformation erleuchtet den Fürsten wie den Bauern, und Bauer und Fürst einen sich zum Kampfe für die Verbreitung der Glaubensneuerung. Alles in der Welt rührt sich zum Kampfe für den Bezwinger des Antichrists, was über ein tapfres Herz und einen starken Arm gebietet. Jüngling, sage mir freimütig, warum Du Deines Vaters Haus verließest?« Ohne Zaudern bekannte Halbert seinen Zweikampf mit dem Ritter Piercie Shafton und verschwieg auch nicht den vermeintlichen Tod desselben. »Bei meiner Faust!« rief Murray, »Du bist ein kühner Sperber, der einem Falken wie Piercie Shafton gar früh das Gefieder zerzaust! Die Königin Elisabeth hätte ihren Handschuh, mit Goldkronen bis zum Rande gefüllt, dafür gegeben, war ihr bekannt geworden, daß dieser vorlaute Geck unterm Rasen läge. Nicht wahr, Morton?« »Allerdings,« erwiderte dieser, »ihren Handschuh jedoch für ein bessres Geschenk gehalten als die güldnen Kronen!« »Was sollen nun aber wir anfangen mit seinem jugendlichen Mörder?« fragte Murray, »und was werden unsre geistlichen Herren sagen zu diesem Fall?« »Denen erzählt bloß was von Moses und Benajah,« antwortete Morton, »denn es ist schließlich doch nichts weiter als der Tod eines Aegypters.« »Recht so,« erwiderte Murray mit Lachen, »begraben wir also die Geschichte, wie der Prophet den Leichnam im Sande begrub. Hinfort will ich sorgen für unsern Jüngling. Glendinning, denn dies ist hinfort hier Dein Name, bleib bei uns! Du trittst als Squire in unsre Dienste. Unser Stallmeister wird für Deine Ausrüstung sorgen.« Graf Murray bekam während des Kriegszugs, auf dem er sich befand, wiederholt Veranlassung, den Mut und die Geistesgegenwart des jungen Glendinning zu prüfen, und Glendinning stieg bald so schnell in seinem Ansehen, daß alle, die den Grafen kannten, die Meinung gewannen, das Glück des jungen Menschen sei gemacht. Und was ihn noch mehr in dieser Gunst befestigen sollte, das war seine Bereitwilligkeit, die katholische Religion abzuschwören, zu der er sich nie sonderlich hingezogen gefühlt hatte, und sich zu dem neuen Glauben zu bekennen, der jetzt die Gemüter Schottlands erfüllte. Hierdurch trat er seinem Herrn um vieles noch näher, und bald durfte er ihm nicht mehr von der Seite weichen während der ganzen Zeit, die er im westlichen Schottland zubrachte, und das erstreckte sich auf Wochen und Monate, denn der unbeugsame Sinn seiner Widersacher machte ihm das Leben außerordentlich schwer. Siebzehntes Kapitel Man war schon weit im Herbste vorgerückt, als eines Morgens der Earl von Morton, dessen Bekanntschaft der Leser im vorigen Kapitel zusammen mit derjenigen des Grafen Murray gemacht hat, unvermutet in das Vorzimmer des letztern trat, in welchem grade Halbert Glendinning die Wache hielt. »Ruft Euren Herrn, Halbert,« sagte der Earl, »es sind Neuigkeiten da von Teviotdale, auch für Euch welche, Glendinning!« Der Graf erschien, begrüßte den Earl und fragte hastig, was er zu erzählen hätte. »Es ist ein verläßlicher Mann aus dem Süden bei mir gewesen, « antwortete Morton, »er ist im Liebfrauenkloster gewesen. Der Aegypter unsers getreuen Glendinning, der schottische Moses, ist wieder zum Leben erwacht und wächst und gedeiht herrlicher denn je im Gosen von Teviotdale, zu Kennaqhueir im Kloster.« »Was meint Ihr mit solcher Rede?« fragte Graf Murray. »Nichts weiter, als daß Euer neuer Squire Euch einen Bären aufgebunden hat. Piercie Shafton ist frisch und gesund und liegt in den Fesseln eines holden Müllerskindes, das mit ihm in schmucker Verkleidung das Land durchstreift hat.« »Glendinning,« wandte Murray sich an den Jüngling, während seine Stirn sich in finstre Falten legte, »Du wirst Dich doch nicht unterstanden haben, Dich durch eine Unwahrheit in mein Vertrauen einzudrängend?« »Mylord,« erwiderte Halbert, »ich bin der Lüge unfähig, und sollte es mich das Leben kosten. Ich habe dem Manne, wie ich Euch erzählte, dieses Schwert meines Vaters durch den Leib gestoßen, daß ihm die Spitze zum Rücken herausdrang und der Griff ihm in der Brust saß. Und ebenso tief will ich es demjenigen in den Leih rennen, der sich erfrechen sollte, mich einer Falschheit oder gar einer Lüge zu zeihen.« »Wie, Bursche,« rief Morton, »Du wolltest Dich erfrechen, einem Edelmanne Trotz zu bieten?« »Halbert, still!« kam ihm Murray zuvor, »und Ihr, Mylord von Morton, seht ihm die heftigen Worte nach! Ich sehe ihm die Wahrheit auf der Stirn geschrieben.« »Ich wünschte, was drin im Buche steht, möchte mit der äußern Aufschrift im Einklange stehen. Nehmt Euch in acht, Mylord, durch Euer allzu großes Vertrauen werdet Ihr Euch noch mal selbst ums Leben bringen.« »Und Ihr durch Euern Argwohn um Eure Freunde!« erwiderte Murray.... »Doch genug davon! laßt mich hören, was Ihr zu melden habt.« »Sir John Foster,« berichtete Morton, »steht im Begriff, Truppen nach Schottland zu senden, mit dem Befehle, das Liebfrauenkloster zu verwüsten.« »Ohne auf meine Einwilligung und Anwesenheit zu warten?« rief Murray. »Wie? will er in das Land unserer Königin als Feind einfallen?« »Ja, auf ausdrücklichen Befehl der Königin Elisabeth, und die läßt bekanntlich nicht mit sich spaßen!« versetzte Morton; »von seinem Einmarsch ist schon mehrmals während unsers Hierseins die Rede gewesen, er ist aber immer wieder aufgegeben worden und hat jetzt in Kennaqhueir keinen geringen Schrecken verursacht. Der alte Abt ist zurückgetreten, und wen, meint Ihr wohl, haben sie an seiner Statt zum Abt erhoben?« »Natürlich keinen,« erwiderte Graf Murray. »Bevor man dort nicht meinen Willen und den Willen der Königin kennt, wird man sich solcher Wahl nicht erfrechen.« Earl Morton zuckte die Achseln. »Den Zögling des alten Kardinals Beatoun hat man gewählt, den pfiffigen, resoluten Kämpen Roms, den Busenfreund unsres tätigen Primas von Sankt Andreas, der bis jetzt Unterprior von Kennaqhueir war. Jawohl, Eustachius ist jetzt Abt von Kennaqhueir, und gleich einem andern Papste Julius hebt er Leute aus und schickt sich zum Kampfe mit Foster an, falls er wirklich einrücken sollte.« »Solchem Zusammenstoße müssen wir zuvorzukommen suchen,« erwiderte Graf von Murray hastig, »denn welcher der beiden Teile auch das Feld behielte, immer wäre es für uns eine unangenehme Sache. ... Wer ist Befehlshaber über die Truppen des Abtes?« »Kein andrer, als unser alter, getreuer Freund Julian Avenel,« antwortete Morton. »Glendinning,« sagte Murray, »laß schleunig zum Aufsitzen blasen! Alle, die es ehrlich mit uns meinen, sollen sich ohne Verzug aufmachen. Jawohl, Mylord, wir stecken in einer recht mißlichen Klemme. ... stellen wir uns auf die Seite unsrer englischen Freunde, so laden wir Schimpf auf uns vor dem ganzen Lande, und zu solcher Handlung dürfen wir nicht schreiten. Zumal meine Schwester, deren Vertrauen ich kaum gewonnen habe, mir darüber höchst ungnädig werden dürfte. ... Leisten wir hingegen dem englischen Grenzwächter Widerstand, so müssen wir damit rechnen, daß uns dies Elisabeth als eine Begünstigung ihrer Feinde auslegen dürfte, und das ist für uns in keinem geringern Grade gefährlich.« »Die Dame ist freilich wohl die beste Karte in unserm Spiel,« bemerkte Morton, »und doch würde ich nicht ruhig mit zusehen, wenn englische Klingen in schottisches Fleisch hauen wollten. Ich meine fast, wir täten am klügsten, ruhig unsre Straße zu ziehen, indem wir so tun, als könnten unsre Gäule auf den Hundswegen nicht recht vom Flecke. Mögen sie dann sich verhauen, so viel sie wollen, uns kann dann wenigstens von keiner Seite ein Vorwurf treffen, denn wir haben nichts davon gewußt und sind auch nicht dabei gewesen.« »James Douglas,« erwiderte Murray, »dann würden wir beide Teile einbüßen. Nein, besser, wir rücken mit äußerster Schnelligkeit vor und suchen auf alle Weise den Frieden zwischen beiden Parteien zu erhalten. Hätte der Klepper, der diesen Piercie Shafton über die Grenze trug, bloß den Hals gebrochen! der vermaledeite Hanswurst ist gerade der Kerl danach, alles durcheinander zu wühlen und womöglich gar es zu einem Bürgerkriege zu bringen.« »Hätten wirs beizeiten erfahren, daß der Kerl über die Grenze wollte,« meinte Douglas, »so hätten wir ihm dort heimlich aufgepaßt und ihn beizeiten um die Ecke gebracht! An Kerlen, die dazu bereit gewesen waren, fehlts doch im Lande nicht! Aber nun aufgesessen, James Stuart! Die Trompeten schmettern. Wir werden bald sehen, wessen Klepper den besten Atem hat!« Die beiden mächtigsten Barone des Landes setzten sich an die Spitze des aus 300 Mann bestehenden Zuges, um nach Dumfries und von da nach Teviotdale zu reiten, und zwar in solcher Eile, daß an die hundert Pferde zu Falle kamen, und sie knapp 200 Mann noch stark waren, als sie sich dem Platze näherten, wo sich der Zusammenstoß der beiden feindlichen Truppenteile erwarten ließ. Etwa sechs bis sieben Meilen mochten sie noch von dem Liebfrauenkloster entfernt sein, als ihnen ein Edelmann, den Graf Murray, weil er auf seine Einsicht rechnen zu dürfen meinte, zu sich entboten hatte, mit ein paar Dienern in gestrecktem Galopp ihnen entgegengesprengt kam. Er kam mit der Meldung, daß Foster, nachdem er wiederholt mit seinem Einfalle gedroht hatte, sich über die Kunde, daß Piercie Shafton sich unverhohlen im Klosterbezirk zeige, so ergrimmt habe, daß er die Befehle seiner Königin, die Grenze nicht zu respektieren, um deswillen schon auszuführen willens sei, um sich der Person dieses versäumten Schwätzers zu bemächtigen und den Patron endlich unschädlich zu machen. Der Abt hatte einen Kriegertrupp zusammengebracht, dessen Zahl sich mit derjenigen der Engländer wohl messen könne, wenn er anderseits auch nicht kriegstüchtig sei. Den Befehl habe Julian Avenel übernommen. Wie man allgemein annähme, würde es am Ufer eines kleinen Flusses, der die Grenze des Klostergebiets bilde, zum Zusammenstoße kommen.« »Wer kennt diesen Platz?« fragte Murray. »Ich, Mylord,« erwiderte Glendinning. »Gut,« beschied ihn der Graf, »nimm Dir zwei Dutzend der besten Reiter mit und eile dorthin! Sage beiden, ich sei unterwegs mit einer großen Streitmacht und würde jeden ohne Gnade und Barmherzigkeit über die Klinge springen lassen, der den ersten Streich führen sollte. Davidson,« wandte er sich an den Ritter, der ihm die Meldung gebracht hatte, »Ihr bleibt als Führer bei mir. Du aber, Glendinning, tummle Dich und sage Foster, ich ließe ihm raten, wenn ihm sein Dienst bei der Königin Elisabeth lieb sei, mir nicht in den Kram zu pfuschen. Dem Abte dagegen tue kund und zu wissen, daß ich ihm den roten Hahn auf sein Klosterdach setzen lasse, wenn er sichs einfallen lassen sollte, loszuschlagen, ehe ich an Ort und Stelle wäre. Dem Hund Avenel aber bestelle, er hätte nun schon so, viel auf dem Kerbholz bei mir, daß ich ihn um einen Kopf kürzer machen ließe, wenn er sich etwa erfrechen sollte, noch für weitere Kreidestriche Sorge zu tragen. Und nun los! Schone weder Sporen noch die Weichen Deines Pferdes!« »Zu Befehl, Mylord!« rief Glendinning und sprengte von dannen. Noch hatte er mit seinem kleinen Kommando nicht die Hälfte des Weges zurückgelegt, als ihm ein paar Leute entgegenkamen, die einen dritten schleppten, der schwer verwundet sein mußte, Halbert erkannte Klostervasallen in ihnen und rief sie an. Aber im selben Augenblick glitt der Verletzte zur Erde, und die andern beiden stiegen ab, um dem Sterbenden die letzte Tröstung zu spenden, und so konnte Halbert nichts von ihnen vernehmen. Er sprengte weiter, und mit um so größerer Hast, als er jetzt immer mehr Leute erblickte, die das Sankt Andreas-Kreuz auf Sturmhaube und Harnisch trugen, und allem Anschein nach, wie die drei ersten, denen er begegnet war, das Schlachtfeld geräumt hatten. Aber auch von ihnen konnte Halbert keine Kunde erlangen. Die meisten ritten dem heranziehenden Reiterhaufen aus dem Wege oder hielten sich rechts oder links in solchem Abstande, daß es nicht möglich war, sich mit ihnen zu verständigen. Aber Halbert zweifelte nun nicht länger mehr, daß die Klösterlichen in die Flucht geschlagen worden seien, und unsäglich besorgt um das Schicksal seines Bruders, der dort sicher an dem Treffen teilgenommen hatte, trieb er sein Roß zu solcher Eile an, daß kaum ein halbes Dutzend seiner Leute mit ihm Schritt halten konnte. Endlich hatte er einen Hügel erklommen, an dessen Fuße die Ebene sich erstreckte, in welcher das Treffen sich abgespielt hatte. Es war ein düstres Bild, das sich vor seinen Augen hier entfaltete. Es war hart gekämpft worden, wie ja immer in diesen Grenzgefechten, bei denen tief eingewurzelter Haß die Waffen schärfte. In der Hütte des Blachfeldes lagen die Leiber von Soldaten, die im Handgemenge niedergemacht worden waren. Neben ihnen lagen Verwundete im Gebete oder bettelten um Wasser. Unsicher, in welcher Richtung er seinen Ritt fortsetzen solle, von Angst erfüllt, daß er den Bruder unter den Toten finden werde, anderseits unter der Annahme, daß er bei weiterer Annäherung sein Leben wie das seiner Mannschaft in die schlimmste Gefahr durch die siegreichen Engländer setzen müsse, beschloß er zu warten, bis Graf Murray mit seinen Streitkräften heran sein werde, und nahm auf einem günstigen Platze Posten, den die Schotten beim Anfange des Treffens innegehabt und, wie der Augenschein lehrte, hartnäckig verteidigt hatten. Kurze Zeit nachher drang auf einmal an sein Ohr leises Wimmern, offenbar von einem Weibe herrührend. Außer stande, sich zu erklären, wie auf einem Kampfplatze, wo doch nur Männer gefochten haben konnten, ein Weib zugegen sein sollte, blickte er sich besorgt um und bemerkte endlich neben einem Ritter in glänzender Rüstung, dessen Helm trotz allem Schmutz, der auf ihm haftete, doch den hohen Rang deutlich erkennen ließ, der ihm gehörte, die Gestalt einer Frau, die, in einen Reitermantel gehüllt, ein Kind an ihrem Busen hielt. Da warf er einen raschen Blick auf die Truppen der Engländer, die aber nicht im Vorrücken waren, sondern augenscheinlich alle Mühe hatten, sich wie er zu sammeln; wenigstens ließ sich das aus den Signalen ihrer Trompeten deutlich erkennen. Auf diese Weise gewann Halbert Zeit, sich um die Unglückliche zu kümmern, die neben dem Ritter lag. Er fragte sie, nachdem er sein Pferd einem Lanzenknecht gegeben, in freundlichem Tone, ob er ihr in ihrer Not beistehen könne. Er bekam nicht sogleich Antwort, denn das Weib war bemüht, dem Ritter, neben dem sie lag, die Springfedern von Helmsturz und Ringkragen zu öffnen, was aber ihrer ungeübten und zitternden Hand nicht gelingen wollte. Aber, nach einer Weile sagte sie im Tone schmerzlicher Ungeduld: »Ach! er erholte sich gewiß bald, wenn ihm Luft verschafft werden könnte! Alles gäbe ich drum, wenn ich diese eisernen Platten lösen könnte, die ihm ja allen Atem benehmen!« Halbert Glendinning bückte sich, den Helmsturz zu öffnen und den Ringkragen zu lösen und erkannte nun zu seinem namenlosen Erstaunen in dem am Boden liegenden Ritter den Baron Julian von Avenel. Sein bleiches Antlitz ließ deutlich erkennen, daß er den letzten Kampf gekämpft hatte, daß der wilde, ruhelose Geist mitten im Kampfe, den er ja immer geliebt hatte, von ihm gewichen war. ... »Er ist tot!« sagte Halbert zu dem jungen Weibe, in welchem er nun ohne Mühe die unglückliche Konkubine des Ritters, Katharina, erkannte. »Nein, nein, nein!« rief das Weib, »sprecht nicht so! er ist nicht tot, er ist bloß ohnmächtig. Ich habe selbst schon einmal so da gelegen, und damals hat mich seine Stimme ins Leben zurückgerufen, als er freundlich zu mir sprach: Blick auf, Katharina! mir zu lieb! Und nun rufe ich, Julian! blick auf, Julian, mir zu lieb! ...« und sie betastete den leblosen Leib, »ich weiß ja, Julian, daß Du nicht tot bist! ... nein, nein, Du tust ja bloß so, Du stellst Dich ja bloß so, um Schreck einzujagen, aber Du kannst mir nicht Angst machen, Julian;« und sie versuchte krampfhaft zu lachen ... dann wechselte sie die Stimme und bat: »Sprich! o, sprich! und wärs auch nur, meine Torheit zu verhöhnen! Ach, Julian, alle rauhen Worte, die Du mir gesagt hast, sie würden mir klingen, wie die liebsten und teuersten, die Du an mich richtetest, ehe ich Dir alles, alles gab. ... Ach, hab Mitleid mit mir und geh nicht so von mir!« und dann wandte sie sich zu Halbert: »Ach, so hebt ihn doch auf! hebt ihn auf! um Gottes willen! habt Ihr denn gar kein Mitleid in Eurer Brust? ... Ach, er hat mir versprochen, mich zur Frau zu nehmen, mich zur Gattin zu machen, wenn ich ihm einen Sohn brächte, und nun bring ich ihm einen! einen, der ihm ähnlich sieht, wie aus den Augen geschnitten! Ach, wie soll er sein Wort halten können, wenn Ihr ihn nicht wieder zu sich bringen wollt! Ach, Christie von Clinthill, Rowley, Hutcheon, Ihr habt an seinen Festen teilgenommen, habt mit ihm geschmaust und gezecht, aber in der Schlacht, da habt Ihr ihn verlassen, da seid Ihr von ihm gewichen, Ihr falschen Schurken! da habt Ihr nicht gesorgt, daß ihn kein Stahl treffe!« »Ich nicht, beim Himmel! ich nicht!« lallte ein im Sterben liegender Krieger unfern von ihm, der sich auf den Ellbogen zu stützen suchte, und in welchem Halbert die ihm wohlbekannten Züge des Knappen Julians erkannte, »ich bin keinen Fußbreit von ihm gewichen, aber der Mann kann nicht länger fechten, als er Atem hat, und mir geht der Atem schon aus. So, mein junger Freund?« sagte er, mit einem Blick auf Glendinning, als er dessen Rüstung erblickte, »hast Du wirklich noch den Helm genommen? Na, es lebt sich besser darunter als es sich stirbt! ... Na, ich hätts lieber gesehen, der Zufall hätte Deinen Bruder hergeführt, an Stelle von ... hm, in dem steckt noch was Gutes ... aber Du ... Du bist von so wildem Sinne ... und wirst bald ganz ebenso gottvergessen sein wie ich ... ganz ebenso gottver...« »Da sei Gott vor!« rief Halbert. »Amen, von Herzen Amen!« lallte der Verwundete, »dort wohin ich komme, wird es Gesellschaft geben auch ohne Dich genug. Aber, Gott sei gelobt! an dieser Schändlichkeit trifft mich keine Schuld!« sagte er, mit einem Blick auf die arme Katharina, und mit einem Gemurmel zwischen den Lippen, das sich halb wie ein Gebet, halb wie ein Fluch anhörte, wandte er sich ... und dann entfloh ihm die Seele. ... Einen Augenblick lang vergaß Glendinning seine Lage und seine Pflicht, denn der Vorgang war von zu erschütternder Wirkung gewesen ... dann aber wurde er durch Pferdegestampf und durch den Schlachtruf: »Sankt Georg für England!« wieder in die Gegenwart zurückgerufen. ... Seine paar Leute, denn die meisten waren in Erwartung von Murrays Ankunft zurückgeblieben, hielten sich mit gelüfteten Lanzen im Sattel, des Befehls gewärtig, ob sie kämpfen oder sich ergeben sollten. »Da steht unser Hauptmann,« sagte einer von Halberts Leuten, als ein an Zahl weit überlegner Trupp Engländer, der Vortrab von Fosters Zuge, heranrückte. »Euer Hauptmann?« wiederholte höhnisch der englische Führer, »oho! mit dem Schwert in der Scheide! und angesichts des Feindes zu Fuße? ... Muß ja ein recht grimmiger Soldat sein! ... Na, junger Frosch!« wandte er sich höhnend an Halbert, »seid Ihr nun fertig mit Träumen? ... wollt Ihr mir nun wohl sagen, ob Ihr fechten ober ausreißen wollt?« »Weder das eine noch das andre!« versetzte Halbert Glendinning mit großer Ruhe. »Dann tu Dein Schwert ab und ergib ich!« sagte der Engländer. »Erst, wenn ich anders nicht kann,« versetzte Halbert, noch immer mit der gleichen Ruhe. »Stehst Du auf eigne Faust hier, oder bist Du in eines andern Dienst?« fragte der englische Hauptmann. »Im Dienste des Grafen von Murray,« erwiderte Glendinning. »«So? Na, dann hast Du Dir ja den besten Dienst ausgesucht!« sagte der Hauptmann, »das ist ja der treuloseste aller Edelleute unter Gottes Sonne! falsch wie Galgenholz, und zwar gegen England sowohl als gegen Schottland!« »Du lügst!« rief Glendinning, ohne Bedacht auf die Folgen zu nehmen. »Oho! jetzt so hitzig, und vor einer Minute noch so kalt?« versetzte der Hauptmann, ... »so? ich lüge? ... willst Du diesen Vorwurf auf mir sitzen lassen oder vom Leder ziehen?« »Mann gegen Mann, oder ich allein gegen zwei, oder zwei gegen fünf ... ganz wie es Euch recht ist,« sagte Halbert Glendinning ... nur gebt Raum genug!« »An Raum solls Dir nicht fehlen, junger Heißsporn,« versetzte der Engländer; »sollt ich fallen, dann laßts ihn nicht entgelten, Kameraden. ... Zurück! Er soll Raum haben, und wenn ich unterliege, Jungens, dann soll er frei abziehen dürfen mit seinen Leuten!« »Lang lebe der Hauptmann!« riefen die Soldaten, erfüllt von Ungeduld, den Zweikampf anzusehen. »Lange wird ers wohl auf diese Weise nicht mehr machen,« sagte der Rottenführer, »wenn er als alter, sechzigjähriger Mann noch mit all und jedem wegen der geringfügigsten Lappalie sich in einen Zweikampf einläßt, obendrein mit solch blutjungem Gesellen, von dem er Vater sein könnte. ... Na, Gott sei Dank! da kommt unser Grenzwächter! der kann ja den Strauß gleich mit ansehen!« Wirklich kam jetzt Sir John Foster herangesprengt mit einem starken Reitertrupp, im selben Augenblick, als seinem Hauptmann, der gegen einen so kräftigen, gewandten Jüngling wie Glendinning nicht mehr standhalten konnte, das Schwert aus der Faust geschlagen wurde. »Pfui, alter Stalwarth Bolton, heb Dein Schwert auf!« rief Sir John Foster, »und Du, junger Sausewind! sage mir, wer und was Du bist und hier willst!« »Wer ich bin? ein Dienstmann des Earl von Murray, der Euer Gnaden durch mich sagen läßt,« versetzte Glendinning; »aber da kommt er ja selbst ... dort sehe ich den Vortrab seiner Reiter den Hügel herauf reiten.« »In Reih und Glied getreten!« kommandierte Foster; »wessen Speer gebrochen ist, der zieht sein Schwert! Wir sind zwar zu neuem Kampfe nicht sonderlich mehr tüchtig, aber wenns sein muß, dann muß es eben gehen, auch wenn wir statt Mäntel bloß Fetzen noch auf dem Leibe haben! ... Inzwischen, mein lieber Stalwarth Bolton, haben wir das Wild gestellt, auf dessen Jagd wir ausgezogen sind. Hier zwischen zwei Reisigen steht Piercie Shafton, unter sichrer Bedeckung!« »Was? der Junge da?« rief Bolton, »der ist Piercie Shafton so blutwenig wie ich! Freilich, er hat seinen prächtigen Kittel an. Aber Piercie Shafton ist ein reichliches Dutzend Jahre älter als dieser Jammerbold! Ich hab den Piercie Shafton doch gekannt, wie er kaum größer war als ein Dreikäsehoch. ... Habt Ihr ihn denn nie in der Rennbahn oder bei Hofe gesehen, wenn Audienz war?« Da schallten Trompetenstöße über das Blachfeld, und ein schottischer Herold trat vor und erklärte, der edle Graf von Murray lasse in allen Ehren und ohne alles Arg um eine Zusammenkunft nachsuchen mit Sir John Foster, inmitten beider Truppen, jeder mit einem Gefolge von sechs Mann und unter zehn Minuten Freiheit, zu kommen und zu gehen, je nach Belieben. »So!« antwortete der Engländer, »also mit diesem falschen Schotten soll ich mich in eine Unterredung einlassen? der weiß doch jeden so zu beschwatzen und einem ehrlichen, schlichten Menschen solchen Staub in die Augen zu streuen, daß einem Hören und Sehen vergeht. Im Reden bin ich ihm nicht gewachsen, und auf einen Waffengang kann ich mich jetzt auch nicht mit ihm einlassen. ... Herold, wir bewilligen die Zusammenkunft, und Ihr, junger Kriegsmann,« wandte er sich zu Halbert Glendinning, »Ihr zieht ab mit Euren Reisigen zu der Partei, zu der Ihr gehört. ... Marsch! folgt Eures Earls Trompete! Und Ihr, Stalwarth Bolton, bringt Euren Trupp in Reih und Glied, bleibt aber in Bereitschaft, vorzurücken, wenn ich Euch winke ...« Trotz des Befehls, den ihm Foster gegeben, konnte Glendinning den Blick nicht von der unglücklichen Frau wenden, die noch immer auf dem Boden lag, unempfindlich für die Gefahr, von den Pferden, die um sie her standen, zertreten zu werden. Ein zweiter Blick aber belehrte ihn, daß es auch mit ihr zu Ende sei, daß auch sie den letzten Hauch von sich gegeben habe. ... Er freute sich fast über diese Wahrnehmung, denn es erfüllte ihn mit seltsamem Wohlbehagen, daß kein Huf mehr ihr wehtun, kein Huf mehr ihr schaden könne. ... Aber er nahm ihr das Kind aus den Armen, wenn er sich auch fürchtete ob des Gelächters, das die Krieger anstimmen würden, wenn sie ihn mit solcher Last in ihrer Mitte sehen würden. ... »Schultert das Kind!« rief ein Arkebusier. »Präsentiert's Kind!« rief ein Lanzenträger. »Schweigt, Unmenschen!« rief Stalwarth Bolton, »aber verliert die letzte Spur von Menschlichkeit nicht! Ich verzeih's dem jungen Menschen, daß er sich an meinen grauen Haaren vergangen hat, weil er sich des armen, hilflosen Wesens auf solche Christenart annimmt, über das Ihr doch alle miteinander hingeritten wäret, als wärs Wolfsbrut, und nicht ein Kind, vom Weibe geboren!« Inzwischen trafen die beiden Truppenführer auf dem gewählten neutralen Platze zusammen, und der Earl von Murray eröffnete die Unterhaltung mit der Ansprache: »Heißt das ehrlich gehandelt, Sir John, oder für was seht Ihr uns beide an, den Earl von Morton und mich, daß Ihr in Schottland einfallt, wie der Führer einer wilden Horde, Treffen liefert und Menschen erschlagt, ganz wie es Euch zu Sinne kommt? ... Was habt Ihr für schriftliches Recht dazu?« »Mylord von Murray,« erwiderte hierauf Foster, »Ihr habt mich wochenlang hingehalten mit dem Versprechen, den Aufwiegler gegen meine Landesherren, diesen Piercie Shafton, zu verhaften und in meine Hände zu liefern, habt aber nicht Wort gehalten, sondern allerhand Ausflüchte vorgebracht, bald die Unruhen im Westen, bald was anders! Da er nun gar die Frechheit gehabt hat, dieser erbärmliche Wicht, sich knapp zehn Meilen weit von England öffentlich zu zeigen, so durfte ich mich nicht länger mehr ungehorsam gegen meine Herrin und Gebieterin zeigen, durfte ich mich nicht länger von Euch hinhalten lassen, sondern mußte meine Macht und Gewalt in Geltung setzen und den Aufwiegler greifen, wo ich ihn fände.« »Und habt Ihr ihn denn nun?« fragte der Earl. »Vergeßt nicht, daß es für mich ein Schimpf wäre ohnegleichen, wenn ich ihn von Euch außer Landes bringen ließe, ohne Euch fühlen zu lassen, daß Ihr niemand, ohne mich zu fragen, aus dem Lande meiner Schwester hinausführen dürft." »Ihr würdet also, aller Gunst zum Hohn, die Ihr von der Königin von England empfinget, um solches Schuftes willen die Hand wider sie erheben?« fragte Sir John Foster. »Nicht um deswillen, Sir John,« antwortete Murray, »aber um der Unverletzlichkeit unsers freien Königreichs willen würde ich in solchem Falle kämpfen bis zum letzten Blutstropfen!« »Ganz wie es Euch beliebt, Graf Murray,« lautete Fosters frostige Erwiderung, »mein Schwert ist durch den Kampf, den es heute bestanden hat, noch lange nicht rostig geworden.« »Bei meiner Ehre, Sir John,« nahm jetzt Sir George von Chipchase das Wort, »wir haben keinen Grund, uns mit diesen schottischen Lords in einen Kampf einzulassen, denn ich bin ganz der gleichen Meinung, wie unser greiser Stalwarth Bolton, daß wir in unserm Gefangnen den Piercie Shafton so wenig erwischt haben, wie den Earl von Northumberland selber ... Wozu also den Friedensbruch zwischen den beiden Königreichen um einer Lappalie willen verschärfen?« »Sir George,« erwiderte Foster, »ich habe oft die Rede gehört, daß der Reiher, den Ihr in Eurem Wappen führt, sich vor dem Falken fürchte ... ei, laßt die Hand vom Schwertknauf, es war nicht im Ernst gemeint, was ich hier sagte. ... Aber was nun meinen Gefangenen anbetrifft, so soll er herbeigebracht werden, damit wir uns überzeugen können, wer er ist, und was er ist; aber, Mylords, alles unter der Zusage unverbrüchlicher Sicherheit,« sagte er, indem er sich zu den schottischen Lords wendete. »Auf unser Ehrenwort,« erklärte Earl Morton, »es soll keinerlei Gewalt gebraucht werden.« Ein wildes Gelächter brach nun los, als der Gefangene vor die Kriegsmannen geführt wurde und sich in ihm nicht allein eine ganz andre Person entpuppte, als der gesuchte Sir Piercie Shafton, sondern sogar nicht einmal ein Manns-, sondern ein Weibsbild! »Reißt der Betze den Mantel von der Fratze!« rief Sir Foster, »und dann jagt sie hinter zu den Stallknechten, denn aus bessrer Gesellschaft kommt sie ja doch nicht. Mein Wort darauf!« Sogar der Graf von Murray fühlte sich über diese Täuschung des Hüters der englischen Reichsgrenze zum Lachen gereizt, was bei ihm nicht grade häufig war. Allein daß der schönen Molinara, die nun zum zweiten Male Sir Piercie Shafton dadurch vor schwerer Gefahr behütete, daß sie sich auf der Flucht für ihn ausgab, irgend welches Leid angetan werde, das litt seine ritterliche Ehre unter keinen Umständen. »Ihr habt nun des Unheils mehr, weit mehr angerichtet, als sich verantworten läßt,« sagte der Earl; »wollte ich jetzt noch dulden, daß diesem jungen Frauenzimmer auch nur ein Haar gekrümmt werde, würde ich Schmach und Unehre auf mich häufen.« »Mylord,« sagte Morton, »wenn Sir John sich dazu verstehen will, auf ein Weilchen mit mir beiseite zu reiten, so werde ich ihm Gründe genug namhaft machen, daß er es für geraten ansehen wird, das Feld zu räumen.« Der Graf winkte zustimmend mit der Hand, und der Earl von Morton nahm nun den Hüter der englischen Reichsgrenze beiseite. »Sir Foster,« erklärte er ihm, »es nimmt mich Wunder, daß ein Mann wie Ihr, der doch seine Königin kennen sollte, sich in Dinge einläßt, die ihr nicht allein keinen Nutzen, sondern im Gegenteil Verdruß und Schaden bringen müssen, indem sie sie in Zwistigkeiten mit ihren Nachbarn verwickeln. Ich will Euch unverhohlen die Wahrheit bekennen, Herr Ritter. Hättet Ihr wirklich bei solch törichtem Einfall den richtigen Sir Piercie Shafton erwischt, und wäre es durch Eure Heldentat, wie doch bestimmt zu erwarten stand, zu einem tatsächlichen Bruche zwischen den beiden Reichen gekommen, so würde die weltkluge Fürstin und ihr nicht minder weltkluger Kronrat dem Ritter Sir John Foster es schwerlich Dank gewußt haben. Sie hätte wohl eher ihn in Ungnade fallen lassen, als daß sie sich in einen zweifelhaften Krieg mit Schottland eingelassen hätte. Allein, nun da Ihr Euer Ziel nicht erreicht habt, dürft Ihr Euch verlassen drauf, daß Ihr Euch bloß in schweren Verdruß setzt, wenn Ihr die Sache noch weiter verfolgen wolltet. ... Ich will den Grafen Murray zu bestimmen suchen, daß er es durchsetzt, daß Sir Piercie Shafton den Boden Schottlands verläßt. Im weitern aber seid klug und laßt von Gewalt ab, denn wenn Ihrs drauf ankommen ließet, so würdet Ihr mit Euren geschwächten Leuten wohl kaum etwas ausrichten gegen unsre durchaus frische Mannschaft.« »Eine verdammte Geschichte!« sagte Foster, nachdem er eine Weile mit gesenktem Haupte neben dem Earl gehalten hatte ... »ich werde für alle Plackerei, die ich heut gehabt habe, wohl nur wenig Dank ernten!« Darauf ritt er zu dem Earl zurück und erklärte, daß er aus Rücksicht gegen Seine Herrlichkeit, wie auch mit Rücksicht auf die persönliche Verwendung des Earl von Morton sich dahin entschlossen habe, von allen weitern Feindseligkeiten Abstand zu nehmen und sich wieder über die Grenze zurückzuziehen. »Einen Augenblick noch, Sir John!« sprach Murray, »es geht nicht an, daß ich Euch aus dem Reiche lasse, ohne daß Ihr mir eine Geisel stellt, als Sicherheit dafür, daß sich das Unheil, das Ihr über Schottland gebracht habt, nicht wiederhole ...« »Das soll niemand in England von John Foster sagen,« rief der Hüter englischer Reichsgrenze, »daß er gleich einem Besiegten sich zur Stellung von Geiseln verpflichtet hätte ... obendrein auf einem Schlachtfelde, auf dem er den Sieg errungen hat. ... Indessen,« setzte er nach einigem Bedacht hinzu, »sollte sich mein Hauptmann Stalwarth Bolton dazu verstehen wollen, aus freien Stücken bei Euch zu verweilen, so hätte ich nichts dawider, und nach meinem Dafürhalten wäre es schon aus dem Grunde recht gut, wenn er hier bliebe, weil er sich doch mit eignen Augen überzeugen könnte, ob dieser Piercie Shafton, den er doch kennt, wirklich des Landes verwiesen wird.« »Ich aber betrachte und behandle ihn, wie eine mir von Euch gestellte Geisel,« erklärte der Graf. Sir John Foster tat jedoch so, als hörte er die Worte nicht, sondern machte sich mit Stalwarth Bolton zu schaffen, dem er seine Weisungen erteilte. »Da reitet ein getreuer Diener einer schönen, aber gestrengen Gebieterin,« sagte Murray beiseite zu Morton, »und doch weiß er nicht, der glückliche Mensch, ob ihm die Vollstreckung ihrer Befehle nicht am Ende gar den Kopf kostet. Eins aber hat er sicher, wenn er sie unvollstreckt läßt, und zwar die Ungnade seiner Gebieterin. ... Wahrlich, ein brillantes Glück, nicht bloß den Launen Fortunas unterworfen zu sein, sondern auch noch den Launen einer Königin, die der andern Donna hierin vielleicht noch voransteht!« »Mylord,« bemerkte Morton, »auch wir dienen einer Herrscherin!« »Freilich, Douglas, freilich,« antwortete Graf Murray mit unterdrücktem Seufzer ... »aber wie lange noch eine Frauenhand in solchem zerklüfteten Reiche wie unserm Schottland die Zügel der Regierung wird in der Hand behalten können, das wird die Zukunft wohl erst zu zeigen haben. Jetzt aber, Douglas, auf nach dem Liebfrauenkloster! wir müssen die Zustände, die dort eingerissen sind, mit eignen Augen sehen. ... Heda, Glendinning! kümmre Dich mal um das Frauenzimmer hier und nimm sie unter Deinen Schutz! Aber zum Teufel, Bursche! was hältst denn Du in den Armen? Ein Kind? Mord und Tod! wo hast Du denn das aufgegabelt? unter solchen Umständen, wie wir sie jetzt erlebt haben?« Halbert Glendinning erzählte nun den Sachverhalt. Der Earl ritt zu der Stelle hin, wo die Leiche Julian Avenels lag, in den Armen der unglückseligen Gefährtin seines wilden Lebens, gleich dem Stamm einer vom Sturm entwurzelten Eiche ... niedergeschmettert mit dem an ihm rankenden Efeu, mit den aus ihm sprossenden Ranken ... Beide waren kalt, der Baron sowohl wie seine Konkubine ... kalt wie der Tod. ... Murray wurde von tiefem Herzweh erfüllt, als er sich bei diesem Anblick der eignen Herkunft erinnerte. ... »Douglas,« sprach er, »was haben die zu verantworten, welche die süßesten Gaben der Zärtlichkeit auf solche Weise mißbrauchen?« Der Earl von Morton, der eben so unglücklich war als Gatte, wie zügellos in seinen Leidenschaften, antwortete: »Ja, Mylord, nach solchen Dingen erkundigt Ihr Euch wohl besser bei Leuten wie Heinrich Warden und John Knox. Denn ich maße mir in allem, was die Weiber angeht, kein Urteil an.« »Auf denn nach dem Liebfrauenkloster!« rief der Earl von Murray, »und Du, Glendinning, gib das Kind dem weiblichen Reitersmanne dort! Der mag dafür sorgen. Den Leichen aber laß keinen Unglimpf antun, sondern sorge dafür, daß sie ein schickliches Grab bekommen, wie es ihrem Ansehen und Stande zukommt! ... und nun vorwärts, Kameraden und Freunde!« Achtzehntes Kapitel Im Dorf und im Kloster von Kennaqhueir verursachte die Nachricht von dem verlornen Treffen die größte Bestürzung und Verwirrung. Der Sakristan riet zur Flucht, und nicht wenige Mönche pflichteten ihm hierin bei. Der Schatzmeister meinte, es werde am besten sein, alles Kirchensilber als Tribut zu spenden, um den englischen Befehlshaber günstig zu stimmen. Der Abt war der einzige, der den Mut nicht verlor, sondern Mut und Entschlossenheit wahrte. »Meine Brüder,« sagte er, »Gott hat den Unsrigen nicht den Sieg verliehen, mithin legt er uns sicherlich den Kampf als Märtyrer auf, und in diesem edlen Kampfe kann uns nur eins um den Sieg bringen, und das ist unsre eigne Kleinmütigkeit. Laßt uns die Rüstung des Glaubens anlegen und uns bereiten zum Tod unter den Trümmern jener heiligen Stiftung, deren Dienste wir uns geweihet haben. Uns winkt hohe Ehre, von dem frommen Bruder Nikolaus an, dessen graues Haar ihm geblieben ist, daß es die Krone des Märtyrertums trage, bis zu meinem geliebten Sohne Edward hinunter, dem die Mitarbeit in unsern Hallen vergönnt wurde, wiewohl er erst in des Tages letzter Stunde Aufnahme gefunden hat im Weinberge unsers lieben Herrn. ... Aber seid alle gutes Mutes, meine Kinder und Brüder! freilich darf ich Euch nicht Rettung durch ein Wunder verheißen, wie es meinen gepriesenen Vorgängern so oft vergönnet war, denn wir sind solcher Auszeichnung längst nicht mehr würdig; drum müssen wir selbst zusehen, daß wir uns der Aufgabe würdig zeigen, die jetzt an uns herantritt! wir müssen sorgen, daß Euer Vater und Abt die Mitra weiter in Ehren auf seinem Haupte tragen könne, und daß diese Mitra nicht entehrt werde... Drum gehet in Eure Zellen, Kinder, und betet zu unserm Herrn, daß er uns stärke! Und dann legt Eure Chorröcke an, als solltet Ihr das hehrste unsrer Feste begehen. Haltet Euch bereit, dem Feinde, wenn das Geläut der großen Glocke ihn kündet, in feierlichem Ornate entgegenzuziehen! Lasset die Portale der Kirche öffnen, damit sie denjenigen unserer Vasallen eine Zuflucht gewähre, die infolge des unglücklichen Treffens und wegen ihres Anteils daran den Zorn des Feindes am ärgsten zu fürchten haben. ... Und – dann meldet dem Sir Piercie Shafton, wenn er dem Treffen glücklich entronnen sein sollte ... »Hochwürdiger Abt, hier bin ich,« sprach Sir Piercie Shafton, »und falls es Euch schicklich erscheinen sollte, so will ich ohne Säumen alle Mannschaft sammeln, die dem Treffen entronnen ist, und den Kampf hier von neuem beginnen und fortführen bis zum letzten Hauche meiner Seele. O, hätte es Julian Avenel gefallen, nach meinem Rate zu handeln ... Ihr werdet von allen Ueberlebenden hören, daß ich meine volle Schuldigkeit in dieser Sache getan habe, ... hätte Julian Avenel, wie gesagt, nach meinem Rate gehandelt, hätte er sein Haupttreffen um einige Glieder zurückgehalten, wie Ihr ja sicher schon bemerkt haben werdet, wenn der Reiher dem niederschießenden Falken ausweicht, um ihn, statt mit den Flügeln, lieber mit dem Schnabel zu nehmen, so wären, meine ich, die Dinge wohl anders gekommen, und wir hätten uns ohne Frage auf eine weit kriegsmäßigere Weise geschlagen. Demungeachtet liegt es mir ferne, irgend welche geringschätzige Aeußerung über Julian Avenel zu tun, im Gegenteil, denn ich sah ihn in mannhaftem Kampfe fallen, mit dem Antlitz dem Feinde zugewandt, und das hat den häßlichen Ausdruck, den er mir zurief: »Vorlauter Naseweis«, wie ich sagen muß, in einem Momente der Unbedachtsamkeit, aus meinem Gedächtnis getilgt, wenn ich mir auch vorgenommen hatte, den trefflichen Menschen, wenn es dem Himmel und seinen Heiligen gefallen hätte, sein Leben zu verlängern, zur Rechenschaft zu ziehen ...« »Sir Piercie Shafton,« sagte der Abt, indem er ihm endlich ins Wort fiel, »wir haben uns jetzt nicht damit zu befassen, was man hätte tun und lassen können ...« »Ihr habt recht, hochwürdigster Herr und Vater,« erwiderte der unverbesserliche Schönredner, »das Präteritum, wie sich die Sprachlehrer auszudrücken lieben, kümmert die sterbliche Menschheit weit weniger als das Futurum, und im Grunde genommen beziehen sich unsre Gebauten vornehmlich auf das Präsens. Mit einem Worte, ich bin bereit, mich an die Spitze der Mannschaften zu stellen, die bereit sein sollten, mir Gefolgschaft zu leisten, um dem Vordringen der Engländer, trotzdem sie meine Landsleute sind, allen Widerstand entgegenzusetzen, der einem sterblichen Wesen möglich ist. ... Verlaßt Euch drauf, edler Abt, Piercie Shafton wird mit seiner Länge von fünf Fuß zehn Zoll eher den Boden messen, auf dem er steht, als um nur einen Zoll zurückzuweichen.« »Ich zweifle nicht, Herr Ritter, daß Ihr Euer Wort auch einlösen würdet, allein es ist des Himmels Wille nicht, daß wir mit irdischen Waffen siegen sollen. Es ist uns bestimmt zu dulden, und darum steht uns kein Recht weiter zu, das Blut unsrer unschuldigen Gemeinde nutzlos zu vergeuden. ... Männern meines Standes ziemt unnützer Widerstand nicht ... Unsre Paniere sind von Gott und der Jungfrau gesegnet!« »Bedenkt Euch noch, ehrwürdiger Herr,« wandte Piercie Shafton sehr eindringlich ein, »bevor Ihr auf Verteidigung verzichtet, die doch in Eurer Macht steht, daß es am Eingange des Dorfes mehrere Stellen gibt, an denen tapfere Männer viel vermögen gegen einen andringenden Feind, und daß ich noch einen andern Grund habe, auf die Verteidigung nicht zu verzichten, die Rücksicht auf die Wohlfahrt einer Freundin, die den Händen der Ketzer, wie ich hoffen will, entronnen sein wird ...« »Ich verstehe, Sir Piercie, Ihr sprecht von der Tochter unsers Klostermüllers ...« »Hochwürdiger Herr,« erwiderte Sir Piercie, diesmal nicht, ohne zu stocken, »die schöne Mysie ist die Tochter eines Mannes, so läßt sich in gewissem Sinne sagen, ... dessen Beruf es ist, auf mechanischem Wege Korn zu verarbeiten, so daß Brot aus dem Produkt gebacken werden kann, ohne welches die Menschen nicht zu bestehen vermöchten, so daß mithin sein Gewerbe nicht bloß ein höchst ehren- und segensreiches, sondern auch ein unentbehrliches ist. Wenn indessen die hehrsten Empfindungen eines adlig gesinnten Frauenherzens, das davon überströmt, gleich dem Diamant, der die Sonnenstrahlen widerspiegelt, im stande sind, ein Weib zu adeln, das allerdings die Tochter eines Korn auf mechanischem Wege verarbeitenden Müllers ist ...« »Meine Zeit, Sir Piercie Shafton, ist zu kurz, mich mit dergleichen Dingen zu befassen. Laßt Euch darum an der Antwort genügen, daß wir nicht mehr mit irdischen Waffen fechten werden und dürfen. Wir Männer geistlichen Berufs werden Euch weltliche Leute lehren, wie man kalten Blutes stirbt, nicht mit geballter Faust, sondern mit gefalteten Händen, nicht mit haßerfülltem Herzen, sondern mit christlicher Sanftmut, nicht unter dem Lärm von sinnverwirrenden Kriegsdrompeten, sondern unter dem milden Klange frommen Hallelujahs ...« »Lord-Abt,« erwiderte Sir Piercie Shafton, »dies kann an dem Schicksal unsrer Molinara nichts ändern, die ich, wie ich bitte, nochmals bemerken zu dürfen, nicht verlassen werde, so lange noch das goldne Heft und die stählerne Klinge meines Dolches zusammenhalten. ... Ich gab ihr den Befehl, uns nicht in die Schlacht zu folgen, und doch meine ich, sie in der Tracht eines Edelknaben unter dem Nachtrab bemerkt zu haben ...« »Ihr werdet anderswo nach der Person suchen müssen, an der Euch so sehr viel gelegen zu sein scheint,« erwiderte der Abt, »indessen hindert Euch nichts, Euch in der Kirche nach ihr zu erkundigen unter den wehrlosen unsrer Vasallen, die sich dorthin geflüchtet haben ... Euch gebe ich den gleichen Rat, gleichfalls unter den heiligen Altar zu flüchten, im übrigen könnt Ihr Euch einer Sache versichert halten, Sir Piercie Shafton,« schloß er seine Rede, »geschieht Euch ein Leid, so leidet darunter die ganze fromme Brüderschaft, denn nie wird der Geringste von uns sein Heil erkaufen dadurch, daß er einen Gast oder Freund des Klosters ausliefert ... Und nun, mein Sohn, verlaßt uns! und seid Gottes Schutz empfohlen!« Kaum war Sir Piercie Shafton aus der Zelle des Abtes verschwunden, als dieser, im Begriffe, sich in sein Ornat zu kleiden, von einem Unbekannten um eine Unterredung gebeten wurde. Als er diesem Wunsche willfahrte und er sich den Mann ansah, der zu ihm trat, erkannte er zu seinem nicht geringen Staunen den reformierten Prediger Heinrich Warden. Der Abt stutzte und rief voll tiefen Verdrusses: »Ha! sollen die wenigen Stunden, die das Schicksal vielleicht dem Manne läßt, der wohl zum letzten Male den hehren Schmuck dieser heiligen Stätte tragen wird, noch durch die Zudringlichkeit der Ketzerei vergällt werden? Kommst Du, Dich der Hoffnungen zu freuen, die Deiner fluchwürdigen Sekte verstattet zu sein scheinen? kommst Du, den Besen zu führen, der unsre Heiligtümer hinwegfegen, unsre heilige Religion schänden soll? der die Zinnen dieses heiligen Gotteshauses zertrümmern helfen soll?« »Ruhig, William Allan,« antwortete mit Fassung und Würde der protestantische Prediger, »aus solchem Grunde komme ich nicht! Freilich sähe ich gern diese heiligen Hallen der Götzenbilder beraubt, die nicht mehr betrachtet werden als Darstellungen guter und weiser Menschen, sondern die zu Gegenständen schändlichsten Mummenschanzes geworden sind! Nichtsdestoweniger tadle ich scharf all jene Verwüstungen, die das niedre Volk in seiner blinden Zerstörungswut begangen hat, indem es sich, von seinem Eifer gegen falschen Götzendienst zu blutigen Verfolgungen hinreißen läßt ...« »Nichtswürdiger!« erwiderte Pater Eustachius, »wozu der Vorwand, unter dem Du dieses Gotteshaus beraubst? Warum willst Du in solcher Zeit schwerer Bedrängnis seinem letzten Abte Hohn sprechen durch Deine unheilkündende Nähe?« »William Allan, Du bist unbillig, und doch bleibe ich bei meinem Entschlusse! Du hast mich vor kurzem mit Gefahr Deines Standes und, was bei Dir noch mehr gilt, Deines Rufes, bei Deiner eignen Sekte in Schutz genommen. Jetzt hat unsre Partei die Oberhand. Aber ich bin, glaube mir, bloß darum in dieses Tal hernieder gekommen, das Du mir seinerzeit bis zur Entscheidung der Angelegenheit angewiesen hast, um meine Schuld bei Dir abzutragen.« »Es mag wohl sein,« erwiderte der Abt, »daß mich jetzt dafür, daß ich einst schwach genug war, weltlichem und unmännlichem Mitleid Gehör zu geben, die Strafe trifft durch das Herannahen dieses Gerichts ... und daß der Himmel um deswillen den irrenden Hirten gestraft und die Herde zerstreut hat.« »Denke besser vom göttlichen Gericht!« erwiderte Warden, »nicht um der Sünden willen, an denen Deine verkehrte Erziehung die Schuld trifft, wirst Du gestraft, sondern für jene Sünden, die Deine unselige Kirche durch jahrhundertelange Irrtümer auf ihr Haupt und aus das Haupt ihrer Getreuen gehäuft hat.« »Nun, bei meinem unerschütterlichen Glauben an den Felsen Petri,« rief der Abt, »Du entfachst den letzten Funken menschlichen Unwillens, den ich aus meinem Busen gebannt wähnte, und Deine Stimme reizt mich noch einmal zur Aeußerung ungöttlichen Zornes. Ha, in diesen Stunden schweren Herzeleids willst Du der Kirche Hohn sprechen, die das Licht des Christentums seit den Zeiten der Apostel bis auf uns ungetrübt erhalten hat!« »Seit den Zeiten der Apostel!« wiederholte Warden, »nein! William Allan, das ist zu leugnen! Die Urkirche ist von der römischen so grundverschieden, wie Licht von Finsternis. Aber schnöde denkst Du von mir, wenn Du mir unterschiebst, ich sei gekommen, Dich in der Stunde der Betrübnis zu kränken, während ich doch, das weiß Gott, zu Dir herkomme mit dem christlichen Wunsche, eine Schuld abzutragen, in der ich noch immer bei Dir stehe, dadurch abzutragen, daß ich den Grimm der Sieger mildre zu Deinem Besten, den Groll jener Sieger, die Gott als Geisel für Deine Hartnäckigkeit Dir sendet ...« »Ich brauche Deine Güte nicht,« erwiderte der Abt mit Stolz, »die Würde, zu der die Kirche mich erhob, hätte zu keiner Zeit, sogar nicht denen des höchsten Glücks, meinen Busen mit größerm Stolze erfüllt, als es der Fall ist in diesen Stunden schweren Verhängnisses. Ich verlange nichts weiter von Dir, als die Versicherung, daß meine Milde gegen Dich nicht zum Mittel geworden ist, eine Seele dem Satan zuzuführen, die von dem großen Seelenhirten meiner Aufsicht anvertraut wurde ...« »William Allan,« sagte Warden, »ich will aufrichtig sein gegen Dich. Was ich versprach, habe ich gehalten, ich habe meine Zunge gefesselt. Aber es hat dem Himmel gefallen, Fräulein Mary von Avenel zu einem bessern Glauben zu bekehren.« »Elender!« rief der Abt, nicht mehr im stande, an sich zu halten, »Du rühmst Dich vor dem Abt des Liebfrauenklosters, die Seele eines Menschen aus dem Kirchsprengel auf die Pfade des Irrtums, in das Netz der Ketzerei gelockt zu haben? Wellwood, Du treibst mich zum Aeußersten, die letzten Augenblicke meiner Macht zur Vernichtung eines Menschen anzuwenden, der seine ihm von Gott verliehenen Anlagen in so schnöder Weise dem Dienste des Satans geweiht hat!« »Tue, was Dir gefällt, William Allan,« erwiderte der Prediger, »aber Deine nichtige Wut soll mich nicht hindern, meine Pflicht zu Deinem Besten zu erfüllen, so weit ich es darf, ohne daß ich die andern Pflichten meines höhern Berufs dadurch verletze. Ich gehe zum Earl von Murray.« In diesem Augenblick dröhnte die größte Kirchenglocke, und das war das Zeichen, daß der Feind im Anzuge sei. Der Abt wiederholte seinen Befehl, daß sich alle Brüder wie zu feierlicher Prozession kleiden und in dem Chor verharren sollten, dann stieg der Abt auf einer besondern Treppe zu den Zinnen des herrlichen Klosters hinauf, wo er den Sakristan antraf, der eben die gewaltige Glocke in Bewegung gesetzt hatte, gemäß dem ihm vom Abte gegebnen Befehle. »Ich erfülle heute zum letzten Male, hochwürdiger Vater und Lord,« sprach er zu dem Abte, »meine Amtspflichten als Sakristan des Klosters, denn dort nahen die Philister, aber die Glocke sollte nicht anders, als in echten und vollen Klängen erschallen. Für einen Mann unsers Standes bin ich zwar Sündenknecht genug gewesen,« fügte er hinzu mit einem Blicke zum Himmel, »aber das eine glaube ich sagen zu dürfen, daß noch nie eine Glocke vom Turm unsrer heiligen Kirche die Harmonie nicht gewahrt habe, seit Vater Philipp als Glöckner im Amte gewesen ist.« Ohne dem Bruder eine Antwort zu geben, richtete der Abt seine Blicke auf die Straße, die sich um den Berg herum von Süden her um Kennaqhueir zieht. Er sah in der Ferne eine Staubwolke und hörte das Stampfen von Rossen, dann sah er das Blitzen von Speeren, die sich in das Tal herunter bewegten. »Pfui über meine Schwäche,« sprach Pater Eustachius, indem er sich die Augen wischte, »mein Gesicht ist zu trüb geworden, um ihre Bewegungen zu verfolgen. Sieh Du hin, mein Sohn Edward,« ... sein Liebling, der Novize, war eben in seine Zelle getreten ... »und sage mir, was für Fahnen sie führen.« »Schotten sinds, bloß Schotten,« rief Edward, »ich sehe die weißen Kreuze ... vielleicht sind es die westlichen Grenzleute ...« »Sieh nach dem Banner,« sagte der Abt, »was für ein Wappen führt es?« »Das Wappen von Schottland,« sagte Edward, »den Löwen mit dem Saum, durch drei Balken, wie mir deucht, geteilt. Sollte dies etwa die königliche Standarte sein?« »Nein!« versetzte der Abt, »die des Earl von Murray! Er hat ja doch seit seinen letzten Siegen die Abzeichen des mutigen Randolph angenommen und auf seinem angeerbten Wappenschilde die Binde angefügt, die seine niedre Herkunft bekundete ... wollte Gott, daß er sie auch aus seinem Gedächtnisse verwischt hätte!« »Zum wenigsten wird er uns vor den Südländern schützen,« meinte Edward. »Ja, mein Sohn, wie der Schäfer ein schwaches Lamm vor dem Wolfe schützt, das er zu rechter Zeit sich für eine Mahlzeit aufbewahrt. Ach, mein Sohn, schwere Zeiten sind es, die unsrer warten; schon zeigen die Mauern unsers Heiligtums eine Bresche, denn Dein Bruder ist von seinem Glauben abgefallen. So lautet die letzte geheime Nachricht, die mir übermittelt worden ist. Murray hat bereits davon gesprochen, ihn mit der Hand Mary Avenels zu belohnen.« »Mary Avenels!« sagte der Novize, indem er zu der Wand hinüber wankte, die den stolzen Bau stützte. »Ja, Mary Avenels, mein Sohn, und sie ... sie hat gleichfalls den Glauben ihrer Väter abgeschworen. ... Weine nicht, mein Sohn, oder wenn Du weinen willst, dann weine über ihren Abfall, und preise den Herrn, daß er Dich aus dieser sündigen Welt zu sich einberufen hat, denn ohne die Gnade der heiligen Jungfrau wärest Du auch einer von diesen Abtrünnigen geworden.« Nach einer Weile fuhr er fort: »Auch ich weine nicht, mein Sohn, und welchen Verlust habe ich zu gewärtigen! Betrachte hier diese Türme, in denen Heilige wohnten und Helden bestattet wurden. Erwäge, daß ich doch kaum erst zur Leitung der frommen Herde berufen worden bin, die seit den ersten Zeiten des Christentums hier sich zusammengefunden hat. ... O, komm, komm, laß uns hinab steigen! laß uns unserm Schicksal entgegen gehen! Ich sehe, sie nähern sich bereits dem Dorfe.« Kurz nachher tat sich das Hauptportal der Kirche auf, und eine feierliche Prozession bewegte sich langsam aus dem reichverzierten Torwege. Kreuze und Fahnen wurden getragen, Kelche und Monstranzen und Reliquienschreine, Weihrauchfässer wurden geschwenkt, und dem langen Zuge der Mönche in ihren schwarzen, bis zu den Füßen reichenden Talaren, darüber die weißen Skapuliere, schritten die Klosterbeamten voran mit den besonderen Abzeichen ihres Amtes. Und in der Mitte, umringt von seinen vornehmsten Amtsgehilfen, ging der Abt in seiner feierlichen Tracht, mit so ruhiger, ernster Miene, als hätte er nur Sinn für die feierliche Handlung, die sich eben vollzog. Hinter ihm her schritten die geringern Personen des Klosters, die Novizen in ihren weißen Chorhemden, dann die Laienbrüder, sich durch ihre Bärte auszeichnend, die von den Mönchen nur in besondern Fällen beibehalten wurden. Den Nachzug bildeten Weiber und Kinder mit mehreren Männern, die sämtlich über die bevorstehende Verwüstung ihres Klosters bittre Tränen weinten. In dieser Ordnung bewegte sich die Prozession einher, durch leise Klagetöne, die sich in den gemessnen Gesang der Mönche mischten, ihr Nahen kündend. Auf dem Marktplatz des kleinen Dorfes Kennaqhueir, damals wie noch heutzutage sich durch ein uraltes Kreuz von prächtiger Schnitzerei auszeichnend, das neben einer vielleicht noch ältern, aber sicher ebenso hoch verehrten mächtigen Eiche stand, die wohl schon den Götzendienst der Druiden erlebt haben mochte, stellten die Mönche sich auf, das Te-Deum singend, und um sie her drängten sich alle diejenigen, die unter dem Banne des allgemeinen Schreckens standen. Dann trat eine feierliche Pause ein. Der Gesang der Mönche verstummte, die Wehklagen der Laien verstummten, und alles harrte in bangem Schweigen der Ankunft des ketzerischen Söldnertrupps. ... Endlich Stampfen und Wiehern von Rossen, dann blitzten hüben überm Dorfe Lanzen und Speere. Dann Waffengeklirr und laute Stimmen. Und nun zeigten sich am Hauptportal die ersten Reiter, die schnell zum Marktplätze hin sprengten. Paarweis, in geschlossener Ordnung, kamen sie, ritten um den Platz herum, bildeten Front nach der Straße zu, und so ging es fort in der gleichen Ordnung, bis sich der Marktplatz gefüllt hatte. Nun winkte der Abt leise, und gleich darauf stimmten die Mönche den feierlichen Gesang an: De Profundis clamari. ... Unterdes beobachtete der Abt die Reihen der Krieger, um zu erkennen, welchen Eindruck der Gesang auf sie mache. Alle wahrten Schweigen, aber auf manchem Gesicht malte sich deutlich die Verachtung, und fast alle andern zeigten Gleichgültigkeit, denn sie waren schon zu lange an ihr wildes Leben gewöhnt, daß durch Hymnen und Prozessionen noch ihre schlummernden bessern Gefühle hätten geweckt werden sollen. ... Mittlerweile ritten langsam die Kommandanten heran, Earl Murray und Morton, beide in tiefem Gespräch begriffen, mit ihrem Gefolge, darunter auch Halbert Glendinning, bis in die Mitte des Platzes. Heinrich Warden, eben aus dem Kloster zurückgekehrt, gesellte sich sogleich zu ihnen. Er war übrigens der einzige, der bei der Unterredung der beiden Grafen zugegen sein durfte. »Also seid Ihr wirklich entschlossen, Mylord,« sagte Morton, »die Erbin von Avenel mit all ihren Rechten und Ansprüchen diesem in Niedrigkeit gebornen jungen Menschen ohne Namen zu geben?« »Hat Euch nicht Warden gesagt, daß sie zusammen aufgezogen worden sind?« fragte Murray, »und daß sie einander von Jugend auf in Liebe zugetan gewesen sind?« »Nun, meiner Meinung nach recht romantische Gründe, Mylord von Murray, und kaum triftig genug, das junge Ding einem Bennygask zu weigern! Doch sagts nur unumwunden, Mylord! Ihr seht das feste Schloß lieber in den Händen eines Menschen, der, was er ist, Eurer Huld und Gnade verdankt, als in der Hand eines Douglas und meines engsten Verwandten!« »Mylord von Morton,« sagte hierauf Graf Murray, »ich habe in der Sache nicht das geringste getan, was Euch kränken oder gar beleidigen könnte. Ich habe dem jungen Glendinning dieses Versprechen eigentlich schon gegeben zu Julians Lebzeiten, als er, außer der Lilienhand dieses Fräuleins, nichts zu erwarten hatte. Dahingegen habt Ihr für eine Heirat zwischen Mary Avenel und Eurem Verwandten ein Wort erst eingelegt, als Ihr Julian tot auf dem Schlachtfelde liegen sahet. Wahrlich, Mylord, Ihr erweist Eurem Vetter Bennygask nach meinem Dafürhalten keinen sonderlichen Gefallen, denn ihre Herkunft abgerechnet, ist sie doch nur eine Bauerndirne. Ich hätte gemeint, Ihr könntet für Eure Familie weit besser sorgen!« Morton wollte eben hierauf erwidern, als sich Heinrich Warden, der protestantische Pfarrer, die Freiheit, die seinem Stande schon lange zustand, herausnahm zu einer Einmischung. »Mylords,« sprach er, »ich muß der Pflicht gemäß, die mein Stand mir auferlegt, die beiden Edlen, die das Werk der Reformation so eifrig gefördert haben, ermahnen, sich nicht zu veruneinigen um eines alten Schlosses und einiger Sandhügel willen oder gar um einer alten Liebschaft willen, die zwischen einem geringen Lanzenreiter und einem in gleicher Niedrigkeit erzognen Mädchen sich gebildet hat ...« »Edler Douglas,« sprach Murray, »ich glaube, unser frommer Warden hat im rechten Augenblicke das Wort genommen und hat mit dem wenigen, was er gesprochen, durchaus recht.« Hier reichte er Morton-Douglas die Hand. ... »Unsre Einigkeit ist für die gegenwärtige Lage unsers gemeinsamen Vaterlandes zu wichtig, als daß wir sie um geringfügiger Dinge wegen gefährden dürften. Dem Glendinning in diesem Falle den Willen zu tun, bin ich fest entschlossen. Ich kann nicht mehr anders, denn ich habe ihm mein Wort gegeben. Die Kriege, an denen ich beteiligt gewesen, haben manche Familie ins Elend gebracht. Laßt mir den Versuch, ob ich einmal eine Familie werde glücklich machen können! Es gibt Mädchen in Schottland genug, die sich besser schicken für Euern Vetter, und ich geb Euch das Versprechen, daß Bennygask eine treffliche Partie machen soll.« »Mylord,« nahm Heinrich Warden wieder das Wort, »Ihr redet edel und wie ein echter Christ. O, laßt uns in diesem Lande des Blutvergießens die wenigen Spuren der Liebe nicht vertilgen, die sich noch darin vorfinden! Noch nun zu ...« »Ich weiß, Warden, ich weiß! Dort steht der stolze Abt, von dem Ihr nun reden wollt. ... Aber Ihr habt nun schon so viel für ihn gesprochen, daß ich fast hätte sagen mögen: weniger wäre mehr gewesen! Sonst aber, Warden, hätt ich das Nest heut einmal richtig ausgehoben und all dies schwarze Gesindel hinausgeworfen.« »Und ich meine,« sagte Morton, »das solltet Ihr jetzt auch noch tun! den Mönchen die Einkünfte nehmen, heißt ihnen die Fangzähne ausbrechen!« »Nun, etwas rupfen wollen wir ihn doch, trotz aller schönen Worte unsers frommen Warden ... und wenn er in der Abtei verbleiben will, dann wird ihm nichts andres übrig bleiben, als uns den Piercie Shafton herauszurücken!« Kaum hatte er diese Worte gesprochen, so waren sie auf den Marktplatz gelangt, und im selben Augenblick sprengte ein Herold aus dem Zuge, der die beiden mächtigsten Edelleute des Reiches begleitete, und ritt zu den Mönchen hinüber. »Dem Abte des Liebfrauenklosters wird hiermit befohlen, vor dem Earl von Murray, dem Landesverweser, zu erscheinen!« »Der Abt des Liebfrauenklosters,« lautete dessen Antwort, »behauptet in seinem Stiftsgebiete den Rang vor jedem weltlichen Lord. Er läßt demzufolge dem Earl von Murray sagen, derselbe möge sich zu ihm verfügen!« Murray vernahm diese Antwort mit Hohnlächeln. Dann schwang er sich aus dem Sattel und näherte sich in Begleitung von Morton-Douglas und mehreren andern den um das Kreuz versammelten Mönchen, die von Schrecken vor dem mächtigen Manne befallen zu werden schienen. Aber der streitbare Abt strafte sie mit einem tadelnden Blicke. Dann trat er aus ihren Reihen heraus und direkt vor die Edelleute. »Lord James Stuart, oder Earl von Murray, sofern dies Euer Titel ist, mit welchem Rechte, frage ich, Eustachius, Lord-Abt des Liebfrauenklosters, Euch hiermit, überfallt Ihr mit streitbaren Haufen unser friedliches Kirchdorf? Weshalb umzingelt Ihr meine Brüder? Nie weigerten wir Euch, wenn Ihr darum ersuchtet, die Gastfreundschaft! Denkt Ihr aber Gewalt gegen friedfertige Geistliche zu gebrauchen, so saget uns zuvor den Grund hierfür und laßt uns auch Zweck und Ziel solches Tuns wissen!« »Herr Abt,« erwiderte Murray, »Eure Redeweise hätte sich für ein früheres Jahrhundert besser geeignet und für geringere Personen, als Ihr in uns vor Euch seht. Wir stehen nicht hier, um Fragen von Euch zu beantworten, sondern um an Euch Fragen zu stellen. – Warum habt Ihr den Frieden gebrochen dadurch, daß Ihr Eure Vasallen unter die Waffen riefet und die Lehnsleute der Königin aufbotet?« »Lupus in fabula!« erwiderte voll Verachtung der Abt, »auch der Wolf warf ja dem Lamme vor, es habe das Bächlein getrübt, dieweil er doch oben am Laufe stand ... aber das gab ihm den Vorwand, das Lamm zu verschlingen. Ich hätte die Lehnsleute der Königin aufgeboten? Ich tat es, um das Land der Königin gegen Fremdlinge zu verteidigen! Ich tat also nichts, als meine Pflicht, und bedaure nur eins, daß ich zu schwach an Mitteln war, meine Pflicht mit stärkerm Nachdruck zu erfüllen.« »Und Eure Pflicht war es auch, Verrätern und Empörern wider die Königin von England in Euern Klostermauern Unterstand zu geben?« »In meinen jüngern Jahren,« erwiderte der Abt mit der gleichen Unerschrockenheit, »war es kein so schlimmes Ding, ein Krieg mit England, daß deshalb ein infulierter Abt einem Fremdling, der Gastfreundschaft bei ihm suchte, sie hätte weigern sollen. In meinen jüngern Jahren,« setzte der Abt hinzu, »hätte sich jeder Bauer geschämt, aus Furcht vor einem Zwiste mit England einem Fremden die Tür zu weisen. Allein in jenen Zeiten sahen Engländer selten das Gesicht eines schottischen Ritters anders als durch sein Visier.« »Mönch!« sprach mit Nachdruck der Graf von Murray, »es soll Dir wenig frommen, daß Du versuchst, Dich in Ungezogenheiten zu überbieten! Wir leben nicht mehr in jenen Zeiten, da sich ein römischer Priester herausnehmen durfte, einem Edelmanne ungestraft Hohn zu sprechen! Den Piercie Shafton gib uns heraus, oder, bei meines Vaters Helmbusch! Deiner Abtei wird der rote Hahn aufs Dach gesetzt!« »Sofern dieser Fall eintreten sollte, so werden die Trümmer meiner Abtei auf die Gräber Deiner Ahnen stürzen. Möge der Ausgang werden, wie er wolle, der Abt des Liebfrauenklosters liefert keinen Menschen aus, der Schutz in den Mauern des heiligen Zufluchtsortes gesucht hat!« »Abt, bedenke Dich,« erwiderte Graf Murray, »und nötige uns nicht zu harten Maßregeln! Die Hände von Kriegern wie diesen,« setzte er hinzu, auf seine Mannen, zeigend, »werden in Zellen und zwischen Heiligtümern keine Euch genehme Arbeit verrichten. Also zwingt uns nicht zu einer Haussuchung, denn wir müssen den englischen Hund haben.« »Das sollt Ihr nicht notwendig haben,« rief eine Stimme aus der Menge, und der Schönschwätzer, den Mantel von sich werfend, in den er sich gehüllt hatte, trat mit allem Anstand eines Edelmannes vor die Grafen und Edelleute, »hinweg mit der Wolke, die Piercie Shafton verdunkelte! hier, Mylords, erblickt den Ritter von Wilverton, der Euch die Schuld erspart, Gewalttat und Kirchenraub zu begehen.« »Vor Gott und der Menschheit protestiere ich wider jeden Eingriff in die Rechte meines heiligen Klosters und seiner Schirmherrschaft,« rief der Abt mit lauter Stimme, die weithin über den Platz erschallte, »und mithin gegen die Festnahme dieses edlen Ritters. Sofern das Parlament Schottlands noch über ein Atom von Macht und Ansehen verfügt, werden wir diesen Fall anderswo zur Sprache bringen.« »Erspart Euch Eure Drohungen,« erwiderte der Graf. »Möglich, daß mein Plan mit Sir Piercie Shafton anders ist, als Ihr vermutet, aber das beschäftigt uns hier jetzt nicht. Nehmt ihn in Haft, Herold, als unsern Gefangnen! Die Folgen treffen uns.« »Ich gebe mich selbst in Gefangenschaft,« erklärte der Schönschwätzer, »behalte mir aber mein Recht vor, die beiden Mylords von Murray und von Morton zum Zweikampfe zu fordern für die mir als Edelmann angetane Schmach!« »Still, Freundchen, still!« rief da eine Stimme aus der Schar der Hauptleute, und Stalwarth Bolton trat vor. »Nur ruhig, ganz ruhig, Kerlchen! Deiner Mutter Vater war nichts weiter als ein Schneiderlein, ich hab ihn gar gut gekannt, den alten Fadenspuler von Holderneß! Meinst, wir solltens vergessen, weil Du Dich erfrechst, Deine Herkunft zu verleugnen, und Dich wie ein aufgeblasner Vogel in unbezahlten Samt und Seide zu stecken und mit Kavalieren und Kammerherren Umgang zu halten? Molly Kreuzstich, Deine Frau Mama, war das niedlichste Marjellchen im ganzen Lande. Die ging mit dem wilden Shafton von Wilverton auf und davon, und der war, wie man sagt, mit den Piercies linker Hand verwandt. Ob sich die beiden hinterher noch geheiratet haben, kann sein. Bestreiten will ich es nicht, aber gehört davon hab ich nichts.« »Holt doch dem edlen Ritter ein bißchen geweihtes Wasser!« rief höhnend Morton, »er ist so hoch herabgepurzelt, daß ihn schwindelt, infolge all des vielen Schwindels, den er uns aufgetischt hat!« Wirklich sah Sir Piercie Shafton aus, als wenn ihn der Donner gerührt hätte, während sich niemand, selbst der heilige Abt nicht, eines Lachens enthalten konnte. »Lacht nur, Ihr ärgert mich damit doch nicht,« sagte Sir Piercie endlich, »aber erlaubt mir, an diesen Squire hier die Frage zu richten, zu welchem Zweck er diesen unseligen Flecken in einer sonst makellosen Abkunft an die große Glocke gehängt hat?« »Ich?« fragte tief verwundert Glendinning, der mit am lautesten gelacht hatte, denn ihm galt die pathetische Frage des Gefoppten; »ich habe bis zur Stunde ja selbst keine Ahnung von diesem Zusammentreffen der Dinge gehabt.« »Wie? nicht von Euch hätte dieser alte Krieger diese Kunde bekommen?« fragte mit steigender Verwunderung der Ritter. »Nein! beim Himmel! von ihm nicht!« beteuerte Stalwarth Bolton, »denn ich hab den Jüngling ja mein Lebtag noch nie gesehen als hier und als heute!« »O, würdiger Herr,« sagte da Frau Glendinning, die jetzt aus der Menge heraustrat. »Ihr habt ihn doch schon früher einmal gesehen ... Halbert, mein Sohn, das ist ja Stalwarth Bolton, dem wir unser Leben und die Mittel zu seiner Erhaltung verdanken. Und wenn er, wie es den Anschein hat, Gefangner im Heere der Schotten ist, so tue, was in Deinem Vermögen steht, ihm seine Lage zu erleichtern. Er hats um uns verdient! ...« »Ach ja, gute Frau,« sagte Bolton, »in meine Stirn haben sich Furchen gegraben, seit wir uns nicht mehr gesehen haben, aber Deine Zunge hält die Probe besser als mein Arm. Dein Junge hat mir heut morgen weidlich zugesetzt! Er ist ein tüchtiger Kriegsmann geworden, der braune Wicht. Aber was ist denn aus Deinem andern, aus dem Weißkopfe, geworden?« »Ach, mein Edward ist Mönch hier in der Abtei geworden,« erwiderte die Witwe. »Ein Mönch und ein Landsknecht. Schlimm ausgesucht von allen beiden! besser hätten sie getan, wenn der eine ein Schneider geworden wäre wie der alte Fadenspuler von Holderneß. ... Damals hab ich sie Euch geneidet, die beiden schmucken Jungen, aber heut beklag ich Euch drum. ... Der Landsknecht stirbt auf offnem Felde, und der Mönch lebt knapp im Kloster.« »Mutter, Mutter!« rief Halbert, »wo ist Edward? Kann ich nicht ein paar Worte mit ihm reden?« »Er ist jetzt unterwegs mit einer Botschaft für den Lord-Abt,« beschied ihn Pater Philipp. »Und Mary, Mutter?« fragte Halbert. Mary war in der Nähe, und bald waren die drei Menschen abseits von den andern, um sich zu erzählen, wie es ihnen in der Zeit, da sie sich nicht gesehen hatten, ergangen war. Inzwischen hatte sich der Abt mit den beiden Grafen über die zukünftige Lage seines Klosters unterhalten und war durch kluge Nachgiebigkeit einer-, durch unbedingte Zähigkeit anderseits zu Abmachungen gelangt, die den bisherigen Fortbestand der uralten Gottesstätte einigermaßen sicherten. Dann legte der Abt ein gutes Wort für Piercie Shafton ein. »Freilich, wohl ist er ein Geck, Mylords,« sprach er »aber er ist doch ein edelsinniger Geck, und Ihr mögt ihm heute wohl weher getan haben, als wenn ein Dolchstoß sein Herz getroffen hätte.« »Oder eine Nadel,« erwiderte lachend Morton, »ich habe wahrhaftig immer selbst gemeint, dieser Schneidersenkel sei zum wenigsten einem fürstlichen Schoße entsprungen.« »Indes muß ich dem Abte beistimmen,« bemerkte Murray, »es möcht uns kaum zur Ehre sein, wollten wir ihn an Elisabeth ausliefern. Aber an einen Ort müssen wir ihn schaffen, wo er weder ihr noch uns ferner zum Nachteil sein kann. Unser Herold mag ihn mit Stalwarth Bolton nach Dunbar bringen. Von dort soll er hinüber nach Flandern. Doch still! da kommt er ja eben mit seiner Donna am Arm.« »Lords und andre,« sprach der Schönschwätzer mit unsagbarer Feierlichkeit. »Bitte, Platz für die Gemahlin Piercie Shaftons! dies Geheimnis, daß mir die Dame hier angetraut worden, sollte nicht eher über meine Lippen kommen, als bis mir das Schicksal die Umstände, es zu offenbaren, günstiger in meinem Leben geordnet hatte. Aber nun muß ich es schon heute ...« »Aber das ist ja die Mysie Happer, die Tochter vom Klostermüller,« rief die Tibb Tacket, die sich ebenfalls mit unter der Menge befand, die sich der Prozession angeschlossen hatte, »so wahr ich lebe! Also so tief ist der Stolz Piercie Shaftons gesunken?« »Ganz recht, es ist die liebenswerte Mysinda,« bestätigte der Ritter, »deren Verdiensten um ihren Herrn und Gemahl ein weit höherer Rang noch zukäme, als ich ihn ihr zu bieten im stande bin.« »Und doch hätten wir,« meinte Graf Murray, »wohl nie in unserm Leben etwas davon vernommen, daß aus der Müllerstochter eine Lady geworden sei, hätte Stalwarth Bolton nicht die Schneidersherkunft bewiesen.« »Mylord,« nahm hierauf der Gekränkte wieder das Wort, »sich an einem Manne zu reiben, der nichts zu erwidern vermag, sich in solch spöttischer Weise zu reiben, ist kein sonderliches Zeichen von Mut, und Ihr werdet, wie ich hoffe, wohl nicht außer Betracht lassen, was Ihr nach dem Kriegsgesetz einem Gefangenen schuldig seid, demgemäß also des häßlichen Gegenstands nicht weiter erwähnen. Sobald ich erst wieder Herr meiner selbst bin, werde ich um Mittel und Wege, mich davor zu bewahren, nicht eben verlegen sein.« »Wenigstens doch in der Phantasie,« bemerkte Morton. »Doch nun gut, Douglas,« sagte Murray, »sonst steht zu fürchten, daß Ihr ihn noch toll macht! Zudem haben wir Wichtigeres zu erledigen. Glendinning soll mit Mary Avenel durch Warden getraut werden. Dann soll er ungesäumt den Besitz der Herrschaft Avenel antreten. Ich bringe dies am besten ins reine, bevor wir aus der Gegend rücken.« »Und ich meinerseits,« nahm hier der Klostermüller das Wort, »habe auch noch solche Metze Korn zu vermahlen, denn ich hoffe, es wird sich wohl von unsern frommen Vätern einer der Mühe unterziehen, eine Mutter mit ihrem zugestutzten Herrn Bräutigam zu kopulieren.« »Das ist nicht mehr von nöten,« erwiderte Sir Piercie Shafton, »denn diese Zeremonie ist bereits in aller Form vollzogen worden.« »Aber es wär doch ganz gut, die Sache geschähe noch einmal,« erwiderte der Müller, »denn es ist immer besser, man sieht alles mit eignen Augen. Das ist meine Rede auch immer, wenn ich den Mahlgroschen zweimal vom gleichen Sacke nehme. Und dann bleiben wir ja doch beim eignen Gewerbe, denn Euer Großvater hat doch gewiß immer gesagt: Doppelt genäht hält!« »Schafft ihm den Mann vom Halse, der mechanisch das Korn verarbeitet, daß es Brot werden kann,« sagte der Graf unter Lachen, »sonst quält er ihn noch zu Tode! Mylord, der Lord-Abt lädt uns ins Kloster ein. Ich denke, wir leisten seiner Freundlichkeit Folge, und Sir Piercie wird sich, denke ich, hiervon nicht ausschließen. Ich muß das Fräulein von Avenel kennen lernen, denn morgen habe ich Vaterstelle bei ihr zu vertreten. Ganz Schottland soll sehen, wie Graf Murray einen getreuen Diener belohnt.« Mary Avenel und Glendinning begaben sich, statt in das Kloster, einstweilen in ein Haus des Dorfes, aus Rücksicht auf den Abt, den sie durch ihre Anwesenheit, als von der alten Kirche abtrünnig, nicht kränken durften. Am andern Tage aber wurden sie in Anwesenheit der beiden Earls von Schottland durch Heinrich Warden nach protestantischem Ritus getraut, und am selben Tage begaben sich, nachdem der Müller seinen Willen durchgesetzt hatte und das Paar im Kloster in seiner Anwesenheit noch einmal getraut worden war, Sir Piercie Shafton mit seiner Gemahlin und mit Stalwarth Bolton an die Seeküste, wo sie sich nach Flandern einschifften. Am übernächsten Tage setzten die beiden Earls mit ihren Truppen ihren Ritt nach dem Schlosse Avenel fort, wo der junge Ehegemahl mit dem weltlichen Besitztume seiner jungen Ehegattin belohnt werden sollte. Das vollzog sich ohne alle Störung. Aber Mary Avenel nahm von dem Erbe ihrer Väter nicht Besitz, ohne daß sich jene Vorbedeutung gezeigt hätte, die sich immer zeigte, wenn sich irgend ein wichtiger Vorgang in ihrem Hause oder ihrer Familie vollzog. Frau Tibb Ticket und Martin Tibbet erblickten nämlich an diesem Tage die gleiche kriegerische Gestalt, die sie damals gesehen hatten, als sie an den veränderten Glücksumständen ihrer jugendlichen Herrin Anteil bekommen hatten und mit ihr in Glendearg eingezogen waren. Sie schwebte nämlich vor den Reitern hin, als sie über den langen Dammweg zogen, blieb bei allen Zugbrücken stehen und winkte wie im Triumphe mit der Hand, als sie unter dem düstern Torwege verschwand, über welchem man die Wahrzeichen der Avenels eingegraben sieht. Frau Glendinning aber begleitete stolzen Herzens den Sohn, um es mit anzusehen, wie er Aufnahme fand unter den Baronen des Landes. »O, mein geliebter Sohn,« sprach sie, »das Schloß Avenel ist fest und stark, und doch wünsche ich Dir und Deiner Ehefrau, Ihr möchtet Euch niemals zurücksehnen nach den unruhigen Bergen von Glendearg, denn noch immer ist das schwere Spiel nicht zu Ende, noch immer sind die letzten Trümpfe nicht gezogen!« Edward hielt sich während dieser ganzen Zeit im väterlichen Turme verborgen. Wohl hieß es, der Abt habe ihm wichtige Arbeit zugewiesen, in der Hauptsache trug dieser aber den Wunsch im Herzen, ihn nicht zum Zeugen der weltlichen Triumphe seines Bruders zu machen. Endlich war aber auch er nicht mehr im stande, in den öden Gemächern zu verweilen, wo ihn alles erinnerte an die mühseligen Jahre der Jugend, die ihm wie unzufriedne Geister vor den Augen hinzogen und bei jedem Schritte, den er machte, neue Gegenstände heraufbeschwörten, die ihm Ursache gaben zu Gram und Herzeleid. Und da stürmte er hinaus und hinunter in das Tal, wie wenn er dort die Bürde abschütteln wolle, die auf seinem Herzen lastete. Eben ging die Sonne zur Rüste, als er den Eingang von Corrinan-Shian erreichte, und was er bei seinem letzten Besuche der verrufenen Schlucht erblickte, dessen erinnerte er sich nun wieder lebhaft. Aber diesmal war es ihm mehr zu Mute, Gefahren aufzusuchen, als ihnen aus dem Wege zu gehen, wie damals. »Ich will den geheimnisvollen Worten ins Auge sehen,« sprach er, »denn das Schicksal hat mir gekündet, daß es mich in dies finstre Gewand hüllen werde. Nun will ich wissen, ob es mir sonst nichts zu sagen hat über mein Leben, das doch nicht anders werden kann als kläglich und erbärmlich.« Und wirklich sah er den weißen Geist wieder an derselben Stelle sitzen, wie damals, und wieder hörte er ihn singen mit der bekannten leisen, halb verschwommenen Stimme, und während er sang, da war es, als schaue er mit Blicken der Kümmernis nieder auf seinen goldnen Gürtel, der sich nun zu feinen seidnen Fäden verdünnt hatte ... »Lebe wohl nun, Ginster grün, Nimmer seh ich Dich forthin Glänzend hell mit allen Zweigen Meiner schwachen Kunst sich neigen, Daß die Hindin scheu entflieht, Die dich hauchlos flattern sieht. Quell, ade! denn nicht mehr lang Murmelst du zu meinem Sang, Wenn Deine Blasen trüben Tanz Bilden in kristallnem Glanz, Steigen, schwellen, platzen, springen, Plänen gleich, die nicht gelingen. O, des Schicksals Knoten schau! Bau'r ist Lord, und Maid ist Frau! Umsonst hatt ich durch Zaubers Macht Den Liebsten von ihr weggebracht. Welke, Strauch! versiege, Quell! Tief herab sank Avenel!« Und während dieses leisen, verschwommenen Gesanges war es, wie wenn die Gestalt Tränen vergösse ... und ihr Singsang führte herbes Weh in Edwards Herz, denn ihm war, als senke sich über Marys Ehe mit seinem Bruder eine finstre Wolkenlast, die ihnen Schlimmes zuführte. ... Schluß Der Abt oder Maria Stuarts Glück und Ende Roman in zwei Bänden Übersetzt von Erich Walter The Abbot Edinburgh 1820 Erster Band Erstes Kapitel Unmerklich eilt die Zeit dahin, und stufenweis wandelt sie, wie die äußern Verhältnisse, Tracht und Sitten und Charakter. Ist der Mensch fünf Jahre älter geworden, so ist er ein andrer geworden, und doch derselbe geblieben: die Welt um ihn her hat sich nicht geändert, er sieht sie aus andern Gesichtspunkten an, er beurteilt Grundsätze und Handlungen anders. Halbert Glendinning und seine Frau waren um zweimal fünf Jahre älter geworden, seit wir sie in der Erzählung »Das Kloster« verließen, in der sie eine so hervorragende Rolle spielten. Das Band, das so glücklich für sie war, wie es gegenseitige Liebe nur immer zu schließen vermag, hatte sich nicht gelockert, aber ihr Glück war durch einen doppelten Umstand getrübt worden: einmal durch die wirtschaftliche Not, die über ganz Schottland hereingebrochen war, dann durch die zerrütteten Verhältnisse dieses unglücklichen Landes, in welchem ein Bürger den andern mit der Spitze seines Schwertes bedrohte. Gegen Murray hatte sich Glendinning bewährt, wie Murray es erwartet hatte: unwandelbar in der Freundschaft, tapfer im Kampfe, besonnen im Rat. Drum wurde er auch, war Gefahr im Anzuge, und das war nicht selten der Fall, von seinem Patron immer entboten zur Teilnahme auf Kriegszügen oder bei mühseligen Unternehmungen, wie er auch immer seinen Rat einholte bei den Ränken und Intrigen eines halb in Verwilderung versunknen Hofes. Daher kam es denn, daß Sir Halbert Glendinning -- denn er war inzwischen zur Ritterswürde gelangt -- oft und lange von seinem Schloß und seiner Gemahlin fern war, und der Umstand, daß ihre Ehe nicht mit Kindern gesegnet war, die während seines Fernseins die Herrin von Avenel hätten trösten können, war auch nicht danach beschaffen, ihr Mißvergnügen hierüber zu lindern. Sie lebte zu solchen Zeiten völlig abgeschieden von der Welt, im Bereiche der Wälle ihrer väterlichen Burg. Von Besuchen der Nachbarn untereinander war nicht die Rede, besondre Festlichkeiten ausgenommen, und auch dann beschränkte sich der Verkehr immer nur auf die allernächste Verwandtschaft. Bei der Schloßherrin von Avenel war solche aber nicht vorhanden, und die Damen der in der Schloßnachbarschaft sässigen Barone betrachteten sie nicht sowohl als Erbin von Avenel, als vielmehr als Frau eines Bauern, der als Sohn eines Kirchenvasallen durch Murrays launenhafte Gunst wie ein Pilz emporgeschossen war. Dieser Adelsstolz trat schärfer noch bei den Frauen zu Tage als bei den Männern, und nicht wenig trugen auch die Fehden der damaligen Zeit dazu bei, den zwischen den Geschlechtern vorhandnen Zwiespalt zu mehren, denn die meisten Adelinge des Südens waren auf Seite der Königin und auf das Uebergewicht Murrays in hohem Grade eifersüchtig. All diese Umstände trugen dazu bei, das Schloß Avenel für die Schloßherrin zu einem recht traurigen und einsamen Aufenthalte zu machen. Der Vorzug der Sicherheit wurde hierdurch freilich nicht verkümmert. Wie der Leser noch aus der Erzählung »Das Kloster« weiß, war es auf einer kleinen Insel in einem kleinen See erbaut, ein Dammweg bildete seinen einzigen Zugang, und ein doppelter Graben, der von zwei Zugbrücken verteidigt wurde, durchschnitt diesen Damm, so daß das Schloß für damalige Zeiten, wo man noch keine Geschütze kannte, als unbezwinglich galt. Ein halbes Dutzend Bewaffneter reichte aus, es vor Ueberrumpelung zu schützen, und bei ernsterer Gefahr wurde aus der männlichen Bewohnerschaft eines kleinen Dörfchens, das sich zwischen See und Hügel auf einer schmalen Landzunge, unfern der Stelle, wo der Dammweg das feste Land erreichte, unter Halberts wirksamer Förderung angesiedelt hatte, rasch ein Besatzungskorps herangezogen. Dem Schloßherrn von Avenel, dessen Leutseligkeit als Lehnsherr bekannt war, wurde es nicht schwer, Hörige zu finden. Seine Eigenschaft als Günstling des mächtigen Grafen von Murray, wie als kriegserfahrner Herr, war hierzu auch nur förderlich, denn wer unter seinem Banner sich niederließ, durfte auch rechnen, Schutz und Verteidigung zu finden. Auf dreißig rüstige Mannen durfte er auf diese Weise immer rechnen, und zur Verteidigung für seine Burg war diese Anzahl völlig hinreichend. Die Angehörigen der Dörfler fanden während solcher Zeit mit ihrem Vieh Zuflucht in den Schluchten der Berge und überließen es dem feindlichen Kriegsvolk, sich in den leeren Hütten zu behelfen. Bloß ein Mann verweilte, wenn auch nicht als regelmäßiger, so doch als häufiger Gast im Schlosse Avenel. Das war Heinrich Warden, der sich jetzt wieder frisch genug fühlte, das recht mühevolle Amt eines reformierten Geistlichen auf sich zu nehmen. Da er sich nun durch seinen Eifer mit mehreren angesehenen Adelingen und Parteiführern in Zwist gesetzt hatte, meinte er sich auf dem Rittersitze eines befreundeten Herrn, der obendrein Parteigänger eines Grafen von Murray war, am sichersten zu befinden. Demungeachtet unterließ er nicht, mit der Feder seiner Sache ebenso freudig und rührig zu dienen wie vordem mit der Zunge, und verfocht einen grimmigen Streit mit dem Abte Eustachius, ehedem Unterprior von Kennaquihr, über das sogenannte Meßopfer, der in einer Flut von Schriften und Gegenschriften schon eine Zeitlang die Gemüter lebhaft beschäftigte. Selbstverständlich kann nun aber solch schreibseliger Theologe auch keinen anziehenden Gesellschafter abgeben für eine einsame Dame. Sein strenges, in sich gekehrtes Wesen war vielmehr eher Ursache, die Düsterkeit im Schloß zu mehren, statt zu mindern. Die Aufsicht über die zahlreiche weibliche Dienerschaft machte die wichtigste Beschäftigung der Schloßherrin aus. Rocken und Spindel waren ihr ebenso vertraut wie die Bibel, und die einzige Zerstreuung, die sie sich gönnen durfte, war ein Spaziergang auf der Schloßmauer oder auf dem Dammwege oder dann und wann einmal, aber nicht oft, am Seeufer. Indessen war die Unsicherheit in jenen Zeiten so groß, daß der Turmwächter, wenn sie einmal den Einfall bekam, ihren Spaziergang ins Dörfchen auszudehnen, immer erst Weisung bekam, die Gegend fürsorglich abzuspähen, ob auch kein Feind in der Nähe sei, und vier bis fünf Mann sich bereit hielten, beim geringsten Anzeichen eines Ueberfalls aufzusitzen und zum Dorfe hinaus zu sprengen. So sah es im Schlosse von Avenel aus, als nach mehrwöchentlicher Abwesenheit der Heimkehr des Schloßherrn entgegengesehen wurde. Ein Tag um den andern verging, und der Ritter von Avenel, wie Sir Halbert Glendinning gemeinhin genannt wurde, kam nicht. Briefe zu schreiben war damals noch nicht Brauch. Der Ritter hätte auch, wenn er es gewollt hätte, sich der Hilfe eines Schreibers bedienen müssen. Zudem hatte man damals keinen regelmäßigen Beförderungsdienst, sondern war auf zufällige Gelegenheiten angewiesen, und es fiel niemand ein, von Zeit und Richtung einer Reise, die er vorhatte, etwas verlauten zu lassen, weil er dann mit ziemlicher Gewißheit hätte, drauf rechnen können, mehr Feinden als Freunden zu begegnen. Zufolgedessen war niemand auf dem Schlosse über den Tag genau unterrichtet, an welchem Sir Halbert eintreffen werde, aber die Frist, die seine Gemahlin sich ausgerechnet hatte, war schon lange verstrichen, und ihre Ungeduld weckte langsam Mißmut und Groll, und schwermütige Betrachtungen erfüllten ihr Gemüt. Es war ein schwüler Sommerabend, und die Sonne war schon ziemlich hinter den Bergen von Liddesdale verschwunden, die man im Westen aufsteigen sah, als die Dame sich zu einem Spaziergang längs der Zinnen, die an einer Reihe von Vordergebäuden entlang führten und auf breitem, bequemem Pfade zu gehen erlaubten, entschloß. Glatt wie ein Spiegel lag der See, kein Lüftchen kräuselte seine Fläche und die niedrigen Höhen, die ihn umfriedeten, zeigten in den Fluten ihr Abbild. Die Einsamkeit wurde nur gestört durch helle Kinderstimmen aus dem Dorfe oder durch einen fernen Hirtenruf. Dann und wann ließ eine Kuh ihre dumpfe Stimme hören, die Mägde zum Melken rufend, die mit der Gelte auf dem Kopfe unter hellklingendem Gesang zum Stalle zogen. Und sie gedachte an frühere Tage, als es ihre liebste Arbeit und ihre größte Freude war, der Frau Glendinning und der Magd Tibb Tacket beim Melkgeschäft an die Hand zu gehen. »Warum bin ich nicht die Bauerndirne gewesen, für die ich in aller Augen galt?« sprach sie bei sich; »wir hätten friedlich unser Leben in diesem Tale verlebt, Halbert und ich, ungestört von den Truggebilden der Furcht und des Ehrgeizes. Dann wäre Halberts höchster Stolz gewesen, Herr über die schönste Herde in Halidome zu sein, und keine andre Gefahr hätte er kennen gelernt, als einen Dieb aus unserm Grenzbezirk zu verscheuchen, auch wären wir nicht länger getrennt voneinander gewesen als Zeit notwendig war, einen Hirsch oder ein andres Standwild zu jagen. Aber ach! was wiegt das Blut auf, das Halbert vergossen hat, was macht die Gefahren wett, denen er entgegengeht, um Rang und Namen zu behaupten, die ihm wert sind, weil er sie durch mich besitzt, die wohl aber nimmer auf unsre Nachkommen sich fortpflanzen werden, denn mit mir muß der Name Avenel verlöschen!« Sie seufzte schwer, und sie blickte zum Seeufer hinunter, wo sich Kinder verschiedenen Alters die Zeit im lustigen Spiele damit vertrieben, ein geschickt aus Holz gezimmertes Schiffchen die Probefahrt machen zu lassen. »Warum hab ich nicht ein paar solcher Wildfänge?« sprach sie bei sich, denn die trübe Stimmung war noch immer nicht von ihr gewichen. »Die Leute, denen sie gehören, sind kaum im stande, sie zu ernähren und zu kleiden, und ich könnt sie aufziehn im Ueberfluß, aber mir ist der Muttersegen verschlossen!« Bitter fiel ihr dieser Gedanke aufs Herz, und Neid erfüllte ihre Seele. So tief ist dem Weibe das Sehnen und Verlangen nach einem Kinde eingeimpft! Schmerzvoll, wie ringend unter dem Uebermaß der trostlosen Empfindung, vom Himmel also gestraft zu sein, preßte sie die Hände ineinander. Ein großer Jagdhund, von der Windspiel-Rasse, kam zu ihr herangesprungen und leckte ihr, wie veranlaßt durch diese Gebärde, die Hände. Sie gab ihm die Liebkosung zurück, indem sie ihn am Kopfe kraute, aber ihre trübe Stimmung wollte nicht weichen. »Wolf,« sagte sie zu ihm, »bist ein, schönes Tier, ein edles Tier, aber ich wünsche mir Liebe und Zuneigung bessrer Art, so lieb ich ja auch dich habe.« In diesem Augenblick erklang vom See her angstvolles Wehgeschrei. Die Dame blickte voll Unruhe auf. Sie erkannte sogleich den Grund dazu, und war heftig erschrocken. Das kleine Schiffchen war in eine Untiefe getrieben und zwischen Wasserlilien hängen geblieben, und ein kecker, kleiner Kerl hatte sich ohne Zaudern ins Wasser hinein gewagt, um das Schiffchen heranzuholen, war aber, obwohl des Schwimmens kundig, mittwegs vom Ufer entweder mit der Brust an einen Felsen gestoßen oder von einem Krampfe befallen, kurz, schwebte in Gefahr zu ertrinken, denn er war schon ein paarmal unter Wasser geraten, hatte sich aber immer wieder in die Höhe gearbeitet; doch drohten ihn die Kräfte langsam zu verlassen, und nun erhoben seine Kameraden ein Zetermordio, aber keiner fand den Mut, ihm zu Hilfe, zu eilen. Die Dame schrie nun auch angsterfüllt um Hilfe, und befahl den ersten ihrer Leute, die sich daraufhin sehen ließen, das Boot herbeizuschaffen und dem Kinde zu Hilfe zu eilen. Das brauchte jedoch ein paar Minuten Zeit, denn das Boot lag in dem Kanal hinter dem Dammwege. In der Zwischenzeit verfolgte die Dame mit unsäglicher Pein die Anstrengungen des Knaben, sich über Wasser zu halten, aber es fing ihm sichtlich die Kraft zu schwinden an, und sicher wäre er untergegangen, ehe ihm Hilfe durch das Boot hätte werden können, wenn nicht plötzlich von andrer Seite her unvermuteter Beistand gekommen wäre. Das Windspiel, ein geübter Schwimmer, war mit einem Satze im See. Mit dem bewunderungswürdigen Instinkt, der diese Tiere auszeichnet, schwamm es direkt auf die Stelle hin, wo seine Hilfe von nöten war, packte den Knaben am Gesäß und zog ihn in der Richtung zum Dammwege hin, wo ihm zunächst fester Boden winkte. Inzwischen war das Boot herbeigekommen und traf den Hund mittwegs. Die Männer nahmen ihm seine Last ab und legten am Dammwege grade unterhalb des Schlosses an. Die Schloßherrin kam ihnen mit ein paar Mägden entgegen. Der Knabe, aus dem alles Leben gewichen zu sein schien, wurde ins Schloß getragen und auf ein Bett gelegt. Heinrich Warden, der nicht ohne einige Kenntnis in der Heilkunde war, ordnete die notwendigste Behandlung an, doch schien es lange, als wenn es nicht gelingen sollte, Leben in den Körper zurückzuführen. Die Dame sah mit gespannter Erwartung auf das bleiche schöne Gesicht des Knaben, der etwa zehn Jahre alt sein mochte. Er trug Sachen vom gröbsten Stoff, das lange gelockte Haar und der edle Ausdruck seiner Züge stimmten jedoch nicht mit dieser Dürftigkeit seines Aeußern überein. Kein stolzer Adeling hätte solches Kindes sich zu schämen gebraucht, jeder hätte sich glücklich geschätzt, solches Kind als Stammhalter und Erben sein eigen zu nennen. Noch immer betrachtete die Dame das schöne Kindergesicht, und noch immer zeigte es keine Spur von Leben wieder. Tiefer Ernst lagerte sich auf das freundliche Antlitz der holden Frau, und deutlich erkannte man, wie tief sie der Schmerz über dieses Unglück traf. Fast schien es, als solle alle Mühe verloren sein, die Heinrich Warden sich gab, fast schien es, als wenn sich der wackre Wolf umsonst bemüht hätte, da plötzlich trat ein leichter Anflug von Röte auf das Gesicht des Knaben, dann hob ein schwerer Seufzer die kleine Brust, und dann schlug er die Augen auf und streckte die Arme aus nach der Frau, die an seinem Bette stand, und stammelte das für jedes Frauenohr so süße Wort: »Mutter«. »Meine Gnädige,« sprach der Pfarrer, »Gott hat Euch ein Kind gesandt; Euch liegt es nun ob, das Kind zu erziehen, auf daß es dereinst nicht wünsche, in seiner Unschuld umgekommen zu sein.« »Dafür will ich sorgen,« erwiderte die Dame, umschlang das Kind und küßte und liebkoste es. So stürmisch war ihr Gemüt erregt worden durch den Schrecken, den sie ausgestanden hatte, und so stark war die Freude über solch unerwartete Rückkehr zum Leben. »Aber Du bist ja nicht meine Mutter,« sagte der Knabe, der nun auch das Bewußtsein wiederfand und trotz aller Schwäche doch Kräfte, genug besaß, die Liebkosungen der Schloßherrin von Avenel von sich abzuweisen. »Du bist doch nicht meine Mutter! ... Ach, ich habe keine Mutter, ich träumte nur, als hätte ich eine. »Den Traum, lieber Knabe, will ich Dir deuten,« sagte die Dame von Avenel, »ich selbst will Dir hinfort Mutter sein. O, hat mein Gott mich, nicht erhört und mein Sehnen endlich gestillt? hat er in seiner Gnade mir nicht, ein Wesen gesandt, dem ich all meine Liebe schenken soll?« Der Pfarrer wußte nicht recht, was er auf diesen leidenschaftlichen Gefühlsausbruch eines Frauenherzens antworten solle, der ihm im ersten Augenblick wohl überschwenglich erscheinen mochte. Jetzt wurde auch der große Jagdhund, der sich bei allen Mitteln, die man angewandt hatte, den toten Knaben, wieder zu sich zu bringen, ruhig verhalten hatte, ungeduldig und mochte nicht länger leiden, daß sich niemand um ihn mehr kümmerte, sondern fing an zu winseln und seine Herrin mit seinen Pfoten zu liebkosen. »Ja doch, ja doch,« sagte sie, »auch an dich soll die Reihe kommen, mein Getreuer,« sagte die Dame, »auch an dich soll gedacht werden, bist ja doch heute gar ein tapfrer Hund gewesen! hast solch liebem Knaben das Leben gerettet!« Aber Wolf war mit den Brosamen, die auf seinen Anteil kamen, gar nicht recht zufrieden, sondern winselte weiter und liebkoste die Herrin noch immer mit den Pfoten. Da er noch pitschnaß war, wurde es der Dame endlich lästig, und sie gab einem Diener Befehl, das Tier hinauszubringen. Trotzdem es aber ein Diener war, an den der Hund gewöhnt war, kehrte er sich so lange nicht an die von der Herrin gegebene Weisung, und ließ den Diener nicht an sich herankommen, bis die Herrin selbst zur Türe schritt und ihn hinauswies. Da wandte der Hund sich nach dem Bette um, auf dem der Knabe lag, halb seiner Besinnung wieder mächtig, halb noch in Fieberträumen befangen, erhob ein dumpfes, wildes Geheul, fletschte die Zähne, die dem Gebiß eines richtigen Wolfs an Stärke und Schärfe nur wenig nachstanden, drehte sich knurrend zu dem Diener herum und ließ sich herausbringen. »Merkwürdig,« meinte die Dame, »das Tier ist sonst so gutmütig, besonders gegen Kinder. Was kann ihn so erbittern gegen den kleinen Kerl, dem er doch das Leben gerettet hat?« »Hunde,« sagte der Pfarrer, »gleichen dem Menschen in seiner Schwachheit nur allzusehr, obgleich die Natur sie seltener irre führt als den armen Sterblichen sein Verstand, wenn er der eignen Kraft vertraut und der göttlichen Hilfe entraten zu können meint. Eifersucht ist dem Hunde nicht unbekannt, meine liebe Dame, er verrät sie oft, nicht nur der eignen Gattung gegenüber, wenn ihr Herr einen andern Hund bevorzugt, sondern sehr oft Kindern gegenüber, wenn sie Nebenbuhler in der Gunst ihrer Herren zu werden drohen. Ihr habt das Kind mit Liebkosungen überschüttet, und nun wittert er einen Gegenstand in ihm, der ihn aus Eurer Gunst verdrängen wird.« »Das ist ein wunderlicher Naturtrieb,« antwortete die Dame, »und aus dem Ernst mit dem Ihr auf die Frage eingeht, mein ehrwürdiger Freund, möchte, ich fast schließen, Ihr hieltet die wunderliche Eifersucht meines Lieblingshundes nicht bloß für vorhanden, sondern auch für begründet. Aber Ihr sprecht vielleicht im Scherz.« »Ich scherze nicht oft,« erwiderte der Pfarrer, »das Leben ward uns nicht gespendet, daß wir es vertun sollen in eitlem Spiele. Ihr solltet aus meiner Rede, sofern es Euch beliebte, für Euch die Lehre entnehmen, daß unsre schönsten Empfindungen, wenn wir uns ihnen im Uebermaß hingeben, andern Geschöpfen Leid bereiten können. Nur eins gibt es, dem wir nachhängen dürfen mit aller Stärke unsers Denkens und Empfindens, ohne daß wir zu befürchten brauchen, Uebermaß könne schaden, das ist die Liebe zu unserm Schöpfer.« »Aber dasselbe Gebot weist uns doch,« bemerkte die Dame, »auch auf die Liebe zu unserm Nächsten!« »Allerdings, meine Gnädige,« antwortete Warden, »aber unsre Liebe zu Gott soll ohne Schranken sein, ihn sollen wir lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit ganzem Gemüte. Die Liebe hingegen, die wir für unsern Nächsten haben sollen, ist einer genauen Begrenzung und Bestimmung unterworfen. Unsern Nächsten sollen wir lieben wie uns selbst, und außerdem erläutert uns noch das große Gesetz dieses Verhältnis durch die Beiworte: daß wir ihm tun sollen, wie wir wollen, daß er uns tue. Hier ist der schönsten unsrer Empfindungen eine Grenze gesteckt, ein Ziel gesetzt, soweit dieselben auf irdische, vergängliche Dinge gerichtet sind. Wir sollen unserm Nächsten, gleichviel welches sein Rang und seine Stellung sei, jenen Grad von Liebe oder Zuneigung zuwenden, den wir von ihm selbst erwarten, auf den wir von ihm als Gegenleistung rechnen können, wenn er im selben Verhältnis zu uns stände wie wir zu ihm. Daraus ergibt sich, daß weder Mann noch Weib, weder Sohn noch Tochter, weder Verwandter noch Freund uns zu Gegenständen abgöttischer Liebe werden sollen. Denn der Herr unser Gott ist ein starker und eifriger Gott, welcher nicht duldet, daß wir einem seiner Geschöpfe die Anbetung zollen, die Er, der uns schuf, für Sich erheischet. Ich sage Euch, meine Gnädige, auch die schönsten und reinsten unsrer Empfindungen, die uns am meisten zur Ehre gereichen, haben jenen, Uranstrich von Sünde, der uns bestimmen muß, Einhalt zu tun und uns zu besinnen, ob wir recht tun, uns ihnen hinzugeben bis zum Uebermaße.« »Ich verstehe den Sinn Eurer Worte nicht, hochwürdiger Herr,« erwiderte die Dame, »noch vermag, ich mir zu erklären, wie das, was ich zurzeit getan oder gesagt haben mag, solche Zurechtweisung, die einen Beigeschmack von Tadel zu haben scheint, verdienen kann.« »Verzeiht mir, bitte, meine Gnädige,« erwiderte Warden, »falls der Wunsch zu lehren mich über die Grenzen meiner Pflicht geführt haben sollte. Aber bedenket, ob bei dem feierlichen Gelöbnis, dem armen Kinde nicht bloß Beschützerin, sondern auch Mutter zu sein, Ihr Euch der Zustimmung jenes edlen Ritters, dessen Gemahlin Ihr seid, versichert halten dürfet. Die Zärtlichkeit, die Ihr dem unglücklichen und, wie ich gern gelten lasse, auch liebenswürdigen Kinde zuwendet, hat eine Regung in Eurem Lieblingshunde wachgerufen, die einem Vorwurfe nicht unähnlich ist. Gebt nun nicht Eurem edlen Gemahl noch Anlaß zu Mißvergnügen, zu Unzufriedenheit! Nicht bloß das Tier ist eifersüchtig auf die Neigungen derjenigen, denen sie ihre Zuneigung widmen, sondern auch der Mann.« »Hochwürdiger Herr, Ihr geht zu weit,« sagte die Dame, denn sie fühlte sich tief gekränkt. -- »Ihr seid lange Gast in unserm Schlosse gewesen, habt vom Schloßherrn wie auch von mir alle Achtung, Ehre und Liebe genossen, die wir Laien Eurem Stande schuldig sind. Aber ich wüßte nicht, daß ich Euch je ermächtigt hätte, in unsre ehelichen Verhältnisse Euch zu mischen oder über unser Leben als Mann und Frau zu richten. Ich möchte doch bitten, dies in Zukunft zu unterlassen.« »Meine Gnädige,« versetzte der Pfarrer mit einer den Angehörigen seines Standes damals eigentümlichen Unerschrockenheit, »seid Ihr meiner Erinnerungen müde, dann sehe ich, daß Euch und dem edlen Ritter, Eurem Gemahl, meine Dienste nicht länger mehr angenehm sind, daß meines Bleibens hier nicht länger mehr ist. Ich will also, indem ich die Fortdauer göttlichen Segens auf Euch und Euer Haus herabflehe, ausziehen, und wäre es selbst im härtesten Winter, nach jener Wüste jenseits der Berge, allein und ohne Beistand und in einem Zustande weit größerer Hilflosigkeit als damals, da ich zum ersten Male mit Euch zusammentraf im Tale von Glendearg. Aber so lange ich noch hier verweile, will ich Euch nicht abirren sehen vom rechten Pfade, nein, nicht um ein Haarbreit, ohne daß ich Euch die Warnerstimme eines Greises vernehmen lasse.« »Nicht so, hochwürdiger Herr! nicht so,« sagte die Dame, die den wackern Geistlichen liebte und schätzte, wenn ihr auch der übergroße Eifer, mit dem er seines Amtes waltete, oft nichts weniger als genehm war, »nicht so wollen wir scheiden, lieber Freund! Frauen sind lebhaft und übereilt in ihren Empfindungen, aber, glaubt mir, meine Wünsche und Pläne bezüglich dieses Knaben bewegen sich in einer Richtung, die sowohl Eure, wie meines Gemahls Beifall haben dürfte.« Der Pfarrer verbeugte sich und ging nach seiner Stube. Zweites Kapitel Kaum hatte Warden das Zimmer verlassen, so überließ sich die Dame von Avenel ganz der Liebe und Zärtlichkeit, die der Anblick des Kindes, die plötzliche Gefahr und die so unvermutete Rettung in ihr wach gerufen hatten, und überhäufte den Knaben, seit sie frei war von priesterlicher Strenge, wie sie das Verhalten des Geistlichen auffaßte, mit Liebkosungen. Er hatte sich von den Folgen des Unglücks, das ihn betroffen hatte, halb und halb erholt und ließ sich die freundliche Behandlung der schönen Dame, wenn er auch seine Verwunderung darüber nicht verbarg, recht wohl gefallen. Das Gesicht der Dame war ihm völlig fremd und die Kleidung, die sie trug, so schön und kostbar, wie er sie in seinem Leben noch nie gesehen hatte. Aber der Knabe war von unerschrocknem Temperament und besaß jene den Kindern eigentümliche Gabe, rasch zu merken, wer es gut mit ihnen meint, in hervorragendem Grade. Das freundliche Wesen, das er infolgedessen zeigte, eroberte das Herz der Dame im Nu, und so fiel es ihr in der Tat schwer, sich von seinem Lager zu entfernen und ihm die Zeit zur Ruhe zu lassen, die ihm nach den schweren Minuten, die er nahe dem Ertrinken verlebt hatte, so not tat. »Wem gehört denn der kleine Knabe, den wir. dem Tode entrissen, haben?« so lautete die erste Frage, die die Dame von Avenel an ihre Kammerzofe Lilias richtete, als sie sich nach ihrem Zimmer zurückgezogen hatte. »Einer Greisin im Dorfe,« lautete die Antwort, »die grade beim Torwart unten ist, um sich nach ihm zu erkundigen. Ist es Euch genehm, meine Gnädige, daß sie eingelassen werde?« »Ob es mir genehm sei?« wiederholte mit scharfem Nachdruck die Dame. »Wie kannst Du daran zweifeln, Mädchen? Welche Frau könnte kein Mitleid haben mit der Todesangst, die eine Mutter fühlen muß, der der Verlust eines Kindes auf solche schreckliche Weise drohte?« »O, gnädige Frau sind in einem Irrtum,« erwiderte die Zofe, »die Frau ist viel zu alt, daß sie die Mutter dieses Knaben sein könnte. Eher vermute ich, daß sie die Großmutter ist oder sonst eine nahe Verwandte.« »Mag sie sein, wer sie wolle,« versetzte die Dame, »sie muß wohl tiefbekümmert sein, ist doch so lange Zeit schon verstrichen seit dem Unglück, und niemand hat ihr Nachricht über den Verlauf geben können! Geh gleich und bring sie her! Ich möchte gar zu gern wissen, wie es um den Knaben steht, wessen Kind er ist u. s. w.« Lilias verließ das Zimmer und kam bald wieder mit einem Weibe von ziemlich großer Figur, das zwar ärmlich gekleidet, aber weit sauberer aussah, als man sonst zu finden pflegt bei Leuten, die auf, grobe Kleidung angewiesen sind. Die Dame von Avenel erkannte die Gestalt auf den ersten Blick wieder. Sie hatte sie hin und wieder Sonntags in der Schloßkapelle gesehen, zu der die Mitglieder der Dorfgemeinde zum Gottesdienst und zu andern kirchlichen Handlungen Zutritt hatten. Ein Hauptaugenmerk des edlen Ritters von Avenel war die Verbreitung des protestantischen Glaubens in dem Bezirke des Landes, der seiner Machtbefugnis unterstand. Heinrich Wardens Predigten waren hierzu von großem Belang und von großer Wirkung auf das Gemüt seines alten Schulfreundes, des Abtes Eustachius, der sich dadurch immer zu neuem Disput angespornt fühlte und mehr denn einmal schon gedroht hatte, diese sichre Zufluchtsstatt der Ketzerei und des Unglaubens auszurotten mit Stumpf und Stiel. Aber trotz dieses Ingrimms, ja trotz aller Abneigung in der Gegend gegen den neuen Glauben fuhr Heinrich Warden in der Ausübung seiner Lehre fort und gewann alle Wochen für die reformierte Kirche, deren Diener er jetzt war, neue Anhänger. Unter diesen Proselyten befand sich auch die Greisin, und zwar gehörte sie zu den eifrigsten derselben. Schon wiederholt hatte die Schloßherrin sich erkundigen wollen, wer die große alte Frau mit dem vornehmen Wesen sei, wenn sie ihr unter den Mitgliedern der Kirchengemeinde aufgefallen war. Aber sie hatte immer nur gehört, es sei eine »Englische«, die sich seit einiger Zeit im Dorfe aufhalte, und weiter wußte niemand, über sie etwas zu sagen. Jetzt fragte sie die Frau, wer sie denn eigentlich sei. »Magdalene Gräme heiße ich,« erwiderte die Greisin, »und stamme von dem Grämen von Heathergill im Nikolswalde, einem Stamme sehr alter Herkunft.« »Und was tut Ihr hier, so fern von Eurer Heimat?« fragte die Dame weiter. »Ich habe keine Heimat,« versetzte Magdalene Gräme, »sie ist verwüstet worden durch Eure Grenzräuber, Mann und Sohn sind mir erschlagen worden, kein Tropfen Bluts ist gelassen worden in den Adern jemands von meiner Sippe.« »Zu solchen Zeiten wie den unsrigen kein so ungewöhnlicher Fall,« erwiderte die Schloßdame, »und in solch unruhigem Lande wie dem unsrigen erst recht nicht! Englische Hände haben an unserm Blute sich genau so schlimm vergangen, wie schottische Hände an englischem.« »Das dürft Ihr mit vollem Recht sagen, meine Dame,« erwiderte die Gräme, »erzählt man doch von einer Zeit, da dies Schloß nicht fest genug war, das Leben Eures Vaters zu retten oder Eurer Mutter und ihrem Kinde eine Zuflucht zu bieten. Warum fragt Ihr mich denn also, weshalb ich nicht in der eigenen Heimat und unter meinen Landsleuten lebe?« »Freilich war's eine überflüssige Frage, Frau Gräme, da doch die Not so oft treibt zur Heimatsflucht. Doch warum nahmet Ihr Zuflucht im Feindeslande?« »Meine Nachbarn waren Papisten und Meßkrämer, es hat aber dem Herrn im Himmel gefallen, mich zu erleuchten im Evangelium, und ich habe den Aufenthalt hier gesucht um des Predigers Warden willen, der zu so vieler armen Leute Trost das Wort Gottes lauter und wahr kündet.« »Seid Ihr arm?« fragte die Dame von Avenel weiter. »Ihr hört wohl nicht, daß ich um Almosen bäte?« versetzte die Engländerin. Eine Pause trat ein. Das Benehmen der Frau war, wenn nicht unehrerbietig, doch nicht im geringsten entgegenkommend. Sie mochte, wie man sah, von eigentlichem Verkehr nichts wissen. Die Dame von Avenel knüpfte die Unterhaltung wieder an über einen andern Gegenstand. »Ihr habt wohl gehört von der Gefahr, die Euer Knabe überstanden hat?« »Allerdings, meine Dame, ebenso, wie er durch Gottes gnädige Fügung errettet worden ist. Möge der Himmel fügen, daß er und ich Euch dankbar sein können.« »In welcher Verwandtschaft steht Ihr mit ihm?« »Ich bin seine Großmutter, meine Dame, mit Verlaub, und die einzige Frau, die ihm geblieben ist, Sorge für ihn zu tragen.« »Es muß doch für Euch eine große Sorge sein, den Knaben durchzubringen,« meinte die Dame. »Ich habe hierüber zu niemand geklagt,« antwortete die Gräme mit demselben Gleichklange der Stimme, wie sie alle bisherigen Fragen beantwortet hatte. »Wenn nun Euer Enkel Aufnahme finden könnte in einer vornehmen Familie, möchte das nicht von Vorteil sein für Euch und für ihn?« »Aufnahme fände in einer vornehmen Familie?« wiederholte die Gräme, indem sie sich zu voller Höhe reckte und die Brauen zusammenzog, bis eine finstre Falte sich tief in ihre Stirn grub, »und wozu? wenn ich bitten darf. Um der Page der gnädigen Frau zu sein oder der Jockei des gnädigen Herrn? um mit dem übrigen Gesinde sich um den Abhub von der Herrentafel zu zanken? Oder soll er von dem Gesichte der Gnädigen die Fliegen scheuchen mit dem Wedel, wenn sie schläft, oder ihr die Schleppe tragen, wenn sie spazieren geht, ihr den Teller reichen, wenn sie ißt? vor ihr herreiten oder hinter ihr hergehen? soll er plärren, wenn sie ihn hören will, und schweigen, wenn sie es befiehlt? Gleichwie der Adler von Helwellyn sich aufhockt und dreht und seine Stellung ändert, um zu zeigen, woher der Wind streicht, soll auch Roland Gräme tun und lassen, wie 's Eurer Laune beliebt?« Die Frau sprach so schnell und heftig, daß es war, als stände sie unter dem jähen Eindruck einer Furcht, daß dem Knaben eine größere Gefahr drohe, als wie er sie eben erst überstanden habe, und zwar gerade durch die Dame, in deren Obhut er sich befände. »Ihr mißversteht mich, liebe Frau,« sagte sie in besänftigendem Tone, »ich will ja nicht sagen, der Knabe solle in meinen Dienst treten, sondern in den Dienst meines Gemahls, des edelsten unsrer Ritter. Und wäre er der Sohn eines Grafengeschlechts, liebe Frau, so könnte ihm kein bessrer Unterricht werden in allem was Ritterspflicht und Rittertugend ist, als durch Sir Halbert Glendinning.« »Gewiß, gewiß,« rief die Greisin wieder in der gleichen Erregtheit wie vordem, nur noch mit bittrerem Hohne, »ich kenne solchen Dienstes Lohn, kenn ihn zur Genüge! glänzt der Harnisch nicht, wie er soll, setzt's ein Donnerwetter; ist der Gurt nicht straff gezogen, wie er gezogen sein soll, gibt's eine Dachtel; Prügel mit der Reitpeitsche, wenn die Jagdhunde nicht parieren wollen; Scheltworte, wenn die Jagd nicht gut ausfällt; wenn's der Herr befiehlt, soll der arme Kerl sich die Hände besudeln mit Tier- oder Menschenblut, soll das erste beste harmlose Wesen hinschlachten, soll Gottes Ebenbild austilgen, wenn's seinem Herrn ein Dorn im Auge ist, soll das Leben von Straßenräubern führen, von gemeinen Banditen, soll Hunger und Durst, Hitze und Kälte leiden, soll alle Entbehrungen eines Einsiedlers ertragen, nicht aus Liebe zu Gott, sondern im Dienste Satans; soll am Galgen verenden oder im ersten besten Winkeltreffen sich erschlagen lassen, soll das Leben verschlafen in bequemer Befriedigung der Fleischeslust, um zu erwachen in der ewigen Glut, die nimmer erlischt!« »Aber so redet doch nicht dergleichen abscheuliche Dinge!« sagte die Schloßdame, »Euer Enkel soll hier der Gefahr solch verruchten Lebens nicht ausgesetzt werden! Mein Gemahl ist bekannt als gerecht und milde gegen alle, die unter seinem Banner leben; und daß junge Leute an unserm Kaplan einen wenn auch strengen, so doch gerechten Lehrer und Führer haben, wißt Ihr so gut wie ich.« Die Greisin schien mit sich zu Rate zu gehen; wenigstens fuhr sie fort: »Ihr habt des einzigen Umstands Erwähnung getan, der im stande sein könnte, bestimmend auf mich zu wirken. Denn ich muß bald von hinnen, so hat's die Erscheinung gekündet. Ich muß weg ... weg ... mein Verhängnis jagt mich ... Wollt Ihr schwören, Euch des Kindes anzunehmen wie Eures eignen, dann will ich drein willigen, mich auf eine gewisse Zeit von ihm zu trennen. Vor allem gelobt mir, daß er den Unterricht des frommen Mannes nicht missen soll, der die Wahrheit des Evangeliums so hoch erhoben hat über das armselige Wissen und Lehren jener armseligen Tröpfe, mit der Tonsur, jener Klosterbrüder und Mönche und Kuttenträger!« »Beruhigt Euch, liebe Frau,« sagte die Schloßherrin, »es soll für den Knaben gesorgt werden, wie wenn er mein Fleisch und Blut wäre. Sagt, ob Ihr ihn nicht sehen wollt?« »Nein,« versetzte die Gräme strengen Tones. »Es ist schon genug, wenn man scheiden muß. Ich ziehe fort, weil mein Beruf mich ruft. Ich mag das Herz nicht erweichen durch Wehklagen und Flennen, als sei ich eine von denen, die einen Ort verlassen, ohne daß die Pflicht sie ruft.« »Wollt Ihr nicht eine Unterstützung annehmen, die Euch die Wanderschaft erleichtert?« fragte die Dame von Avenel, indem sie ihr zwei Sonnenkronen in die Hand drückte. »Bin ich vom Stamme Kains, daß Ihr das eigne Fleisch und Blut abfeilschen wollt durch sündiges Gold, stolze Dame?« fragte die Gräme. »So habe ich es nicht gemeint, Frau,« erwiderte freundlich die Dame, »auch bin ich die stolze Dame nicht, wie Ihr meint. Wäre mir Demut nicht angeboren, so hätt mich das eigne Schicksal sie wohl gelehrt.« Es schien, wie wenn die Greisin von ihrem strengen Tone nachlassen wolle. »Ihr seid von edlem Blute,« sagte sie, »sonst hätte unsre Zwiesprache so lange nicht gedauert. Für edles Blut,« setzte sie hinzu, und ihre hohe Gestalt reckte sich noch höher, »ist Stolz so schicklich wie für den Helm die Feder. Aber dieses Gold müßt Ihr schon wieder an Euch nehmen. Denn ich brauche es nicht .. Lebt wohl und haltet Wort. Laßt die Tore öffnen und die Brücken niedergehen. Ich will noch in dieser Nacht fort. Wenn ich wiederkehre, dann werde ich strenge Rechenschaft von Euch fordern, denn ich lasse das Kleinod meines Lebens in Euren Händen, und bis ich Roland Gräme wiedergesehen habe, wird der Schlaf mein Auge fliehen, wird Trank und Speise mich nicht erquicken, wird keine Ruhe meine Kraft erneuern ... und nun lebt nochmals wohl, ich scheide.« »Verneigt Euch, Frau,« sagte die Zofe zu der Frau, als sie das Gemach verlassen wollte ohne alle Bezeigung von Höflichkeit, »verneigt Euch und bedankt Euch bei Euer Gnaden für die Güte, die sie Euch erweist, denn so gebührt es sich für Euch.« Da drehte die Greisin sich plötzlich um und fuhr die aufdringliche Zofe an: »Mag sie sich verneigen vor mir, und dann will ich ihr dafür danken. Weshalb soll ich mich beugen vor ihr? Etwa weil sie ein seidnes Mieder anhat und ich eins aus Drillich? -- Still, mein Persönchen, still! Der Rang des Mannes bestimmt den Rang des Weibes, und wer einen Bauernsohn heiratet, die bleibt eine Bauersfrau, und wär sie auch eines Königs Tochter.« Die Zofe wollte der Greisin zornig antworten, aber die Schloßherrin legte ihr Stillschweigen auf und hieß sie die Greisin heil und gesund nach dem Festlande bringen. »Die, und heil und gesund?« rief die Zofe, während die Gräme aus dem Gemache schritt, »in den See soll man sie schmeißen, dann wird sich ja zeigen, ob sie eine Hexe ist oder nicht! sagen tut's ja jeder drüben im Seedorf und beschwören würde es auch jeder. Wie Euer Gnaden sich den Hochmut von solchem Weibe so lange hat bieten lassen, muß mich wirklich wundern.« Aber die Befehle der Schloßdame wurden pünktlich erfüllt, und die Greisin aus dem Schlosse geführt, dann aber ihrem Schicksal überlassen. Die Greisin hielt Wort; noch in derselben Nacht, in der dieses Gespräch stattgefunden hatte, verließ sie das Dörfchen, ohne daß jemand gefragt hätte, wohin sie des Wegs ziehe. Die Dame von Avenel ließ sich erkundigen, unter welchen Umständen sie ins Dorf gekommen sei, konnte aber weiter nichts in Erfahrung bringen, als daß sie die Witwe eines Mannes von Rang und Bedeutung unter den »Grämen« sein müsse, die zur damaligen Zeit »das bestrittene Land« bewohnten, unter welchem man einen Landstrich verstand, der zwischen Schottland und England häufig der Anlaß zu Streit und Fehde gewesen war, und daß sie bei einer solchen um Land und Mann gekommen sei. Wie sie ins Dörfchen gekommen sei, konnte niemand sagen, auch nicht, in welcher Absicht, einige hielten sie für eine Hexe, andre für eine versteckte Katholikin. Sie redete in einer geheimnisvollen Zunge und hatte eine Art und ein Benehmen an sich, das jedermann abstieß. Alles, was sich aus den Reden der Leute entnehmen ließ, schien darauf hinzudeuten, daß sie unter dem Einfluß eines Zaubers oder Gelübdes stand, denn sie redete oft, als handle sie nach einer starken, von außen auf sie einwirkenden Macht. Aber welcher Art dieselbe war, darüber konnte sich niemand eine Meinung bilden. Das waren nun freilich nicht Auskünfte, die einen befriedigenden Schluß gestatteten. Aber weiteres in Erfahrung zu bringen, wollte, wie gesagt, nicht gelingen. In den Grenzstrichen war damals zwischen den Bewohnern häufiger Wechsel, so daß der Anblick flüchtiger Leute nicht dazu angetan war, Verwunderung zu wecken. Man gab ihnen, was man entbehren konnte, wenn es auch nicht viel war, denn man hatte in der Regel selbst bloß so viel, wie man grade brauchte. Aber man stand unter dem Eindruck, daß man morgen, was man heute verweigere, selbst brauchen könne, und das war der eigentliche Trieb, der über Not und Elend am besten hinweghalf. So war Magdalene ins Dorf gekommen und so schied sie wieder aus dem Dorfe, ohne daß jemand hätte erfahren können wohin; wie ein Schattenbild war sie erschienen und wie ein Schattenbild verschwand sie wieder aus der Gegend des Schlosses. Der Knabe, der auf so merkwürdige Weise der Schloßherrin zugeführt worden war, wurde mit einem Male ihr ausgesprochner Liebling. Und wie hätte es anders kommen sollen? Durch ihn schwand das düstre Einerlei, unter dessen Banne die Schloßherrin bisher gestanden hatte. Ihm in all den Dingen Unterweisung zu geben, die sie verstand, wurde ihr eine unsägliche Freude. Ueber seinen Spielen und andern Zerstreuungen zu wachen, bildete für sie eine Lieblingsbeschäftigung. Der junge Roland war für die Dame von Avenel, was dem unglücklichen Gefangnen in seinem Kerker die Blume ist, die einsam auf seinem Fenstersimse blüht, und die er hegt und pflegt sorgfältiger als sein Leben; sie besaß an ihm ein Wesen, das ihre Fürsorge nicht allein in Anspruch nahm, sondern auch vergalt und lohnte, so daß sie also, während sie ihm einerseits ihre Neigung zuwandte, anderseits sich ihm gewissermaßen zu Dank verpflichtet fühlte, weil er sie aus dem öden Einerlei erlöste, zu welchem sie verurteilt war, sobald ihr Mann nicht auf dem Schlosse sich aufhielt. -- Aber selbst die Anmut ihres neuen Lieblinges war nicht im stande, die Besorgnisse zu verscheuchen, die das Ausbleiben ihres Mannes in ihrem Herzen wachrief. Endlich, endlich kam ein Reitknecht, der die Meldung vom Schloßherrn brachte, daß er noch am Hofe von Holyrood aufgehalten sei, daß ihm so ernste Geschäfte oblägen, daß er noch einige Zeit von seinem Schlosse fernbleiben müsse; aber auch die Zeit, die er als äußerste Frist für sein Fernhalten bezeichnet hatte, verstrich, und er kam nicht und kam nicht. Und so folgte auf den Sommer der Herbst, und auf den Herbst der Winter, und Sir Halbert Glendinning hatte noch immer den Weg zum Schlosse nicht zurückgefunden. Drittes Kapitel »So? Soldat willst Du auch werden, Roland?« fragte die Dame von Avenel, während sie, auf einer steinernen Ruhebank sitzend, dem Knaben zusah, wie er mit einem langen Stecken die Exerzitien der Schildwache nachmachte, die bald ihre Lanze schulterte, bald hinter sich her schleifte. »Jawohl, gnädige Frau,« versetzte der Knabe, denn er war schon vertrauter geworden und gab auf alle Fragen schnell und frisch Antwort, »ich will Soldat werden, denn noch nie hat ein Adeling gelebt, der sich nicht mit dem Schwert gegürtet hätte!« »Du und Edelmann?« meinte die Zofe Lilias, die wie gewöhnlich den Dienst bei der Schloßherrin hatte, »so einer, wie man ihn aus jeder Bohnenstange sich schneiden kann.« »Still, Lilias, schilt mir den Jungen nicht!« sagte die Dame von Avenel, »denn ich glaube ganz bestimmt, daß er aus edlem Blute stammt. Sieh doch nur, wie er sich verfärbt bei Deinem Spott!« »Wenn es nach mir ginge,« meinte die Zofe, »dann sollt ein strammes Birkenreis ihm die Blässe bald aus dem Gesichte treiben!« »Aber, Lilias,« sagte die Dame, »fast sollte man meinen, das Kind hätte Dir was zu leide getan ... oder gönnst Du ihm die Gunst nicht, die ich ihm schenke, weil Du meinst, sie entginge Dir?« »Da sei der Himmel vor, gnädige Herrin,« erwiderte die Zofe, »ich bin, gedankt sei Gott, zu lange im Dienst bei vornehmen Herrschaften gewesen, um mich in Widerspruch zu ihren Grillen und Launen zu setzen. Ob sich die Herrschaft interessiert für einen Hund oder einen Vogel oder einen Jungen, das ist mir alles ganz egal.« Lilias war eine von jenen verwöhnten Kammerzofen, die sich mehr herauszunehmen, als sich manche Herrin mit Maß und Vernunft anzuhören vermag. Aber die Dame von Avenel pflegte, was ihr nicht gefiel zu überhören, und so tat sie es auch in diesem Falle. Sie nahm sich vor, den Knaben der Obhut der Zofe zu entziehen und sich hinfort selbst mehr um ihn zu bekümmern. Sie war der bestimmten Meinung, daß er von edlem Blute abstammen müsse, denn wie besäße er sonst eine so edle Gestalt und so vornehme, ansprechende Züge? ... Nicht minder ließen sein Ungestüm, das ihn zuweilen befiel, die Verachtung jeder Gefahr, das Widerstreben gegen jeden Zwang darauf schließen, daß er nicht von bäurischer Herkunft war. Nach dieser Ueberzeugung richtete sie ihr Verhalten hinfort ein. Die andre Dienerschaft, die nicht so ungebundnen Sinnes war wie die Zofe, verhielt sich wie sich Dienervolk in der Regel zu verhalten pflegt: sie suchte sich gemäß den Neigungen, von denen sich die Schloßherrin leiten ließ, zu verhalten. Der Knabe hingegen eignete sich bald jene überlegene Miene an, die sich leicht einzufinden pflegt, wenn jemand fortwährend unterwürfige Leute um sich sieht. Ihm schien Befehlen zur zweiten Natur zu werden, und es fiel ihm nicht schwer, für seine Grillen und Launen Beachtung nicht allein zu erwarten, sondern auch zu erlangen. Allerdings war der Pfarrer der Mann, solche Miene von Ueberlegenheit, wie sie Roland sich anmaßte, in ihre Schranken zu verweisen, und er hätte ihm solchen Dienst ganz sicher auch recht gern erwiesen, aber einige wichtige Auseinandersetzungen mit seinen Kollegen hatten ihn eine Zeitlang vom Schlosse fern gehalten. Auf solche Weise hatten sich die Dinge im Schlosse gestaltet, als vom Seeufer herauf Hornstöße erschallten, die von den Turmzinnen lustig erwidert wurden. Die Dame von Avenel erkannte das Hornsignal ihres Mannes und stürzte zum Fenster. Ein Trupp von etwa dreißig Lanzenträgern, voran ein Mann mit fliegender Fahne, zog an den ausgefransten Ufern entlang zum Dammwege hin. Allen voran, im Abstande mehrerer Ellen, ritt ein Mann in glänzender Rüstung, auf der sich die Oktobersonne in Tausenden von Strahlen brach, und selbst auf den großen Abstand hin erkannte die Dame an dem stolzen Federbusche, der ihre Leibfarben, mit einem Palmenzweig geschränkt, zeigte, an der stolzen, festen Haltung und an dem würdevollen Anstand des Reiters ihren Gemahl, Sir Halbert Glendinning. Die erste Regung, die die Dame von Avenel fühlte, war grenzenlose Freude. Dann beschlich sie eine unbestimmte Furcht, ihrem Gemahl möchte es nicht recht sein, daß sie den Knaben aufs Schloß genommen; noch ängstlicher aber wurde sie, wenn sie daran dachte, wie sie den Knaben bevorzugt und verhätschelt hatte, denn sie wußte recht gut, wie sehr ihr Mann in allen Dingen ein Freund der goldnen Mittelstraße war. Sie faßte deshalb einen raschen Entschluß, des Vorfalls mit dem Knaben erst am andern Morgen Erwähnung zu tun, und gab der Zofe die Weisung, sich mit ihm aus dem Zimmer zu begeben. Aber der verzogene Knabe, der schon öfter einmal seinen Willen durchgesetzt hatte und eine besondre Freude daran fand, sich in ein Ansehen zu setzen -- eine Schwäche, die er mit andern vornehmen Leuten teilt -- sagte laut und entschieden: »Aber, gnädige Dame, ich will doch den tapfern Kriegsmann, der so stolz über die Zugbrücke reitet, auch mit ansehn -- warum soll ich denn mit der Lilias in das finstre Turmzimmer hinauf? ... Nein, dorthin gehe ich nicht mit ... ganz gewiß nicht! ganz gewiß nicht!« »Roland,« sagte die Dame von Avenel streng, »Du darfst jetzt nicht bleiben.« »Ich will aber bleiben,« versetzte eigensinnig der Knabe, denn er merkte, daß er schon wieder bei der Dame gewann. »Roland, was ist das für ein Benehmen,« fuhr die Dame fort, strengern Tones, als sie sonst dem Knaben gegenüber ihn anzuschlagen pflegte -- »wie kannst Du mir gegenüber sagen, Du willst? Ich sage Dir doch, Du mußt mit Lilias mitgehen.« »Nein, ich muß nicht,« rief der Knabe, »weil ich nicht will! Muß ist kein Wort, das sich für eine Frau schickt, aber will ein Wort, das sich für den Mann schickt.« »Du wirst ja ein ganz ungezogenes Bürschchen, Roland,« verwies ihn die Dame ... »Lilias, bring ihn sofort aus der Stube!« »Daß mein junges Herrchen dem alten noch einmal werde Platz machen müssen,« meinte die Zofe schnippisch, »das hab ich mir immer gedacht, und nun kommt's schneller, als ich dachte.« »Sie liebt es ja auch, recht naseweis zu sein, Jungfer,« sagte die Dame von Avenel. »Haben wir etwa Mondwechsel, daß Ihr Euch alle so vergeßt?« Lilias sagte nichts, sondern führte den Knaben hinweg, der zu stolz war, einen Widerstand fortzusetzen, der keinen Zweck hatte, aber einen Blick auf seine Wohltäterin schoß, der deutlich erkennen ließ, wie gern er auf seinem Willen bestanden hätte, wenn Aussicht vorhanden gewesen wäre, ihn durchzusetzen. Noch rötete Mißmut die Wangen der Dame von Avenel, noch hatte sie die ungetrübte Heiterkeit der Seele nicht wiedergefunden, als ihr Gemahl, ohne Helm, aber mit den übrigen Waffen, angetan, eintrat. Seine Gemahlin dachte, als sie seiner ansichtig wurde, an nichts andres mehr; sie flog ihm entgegen, umschlang seine stahlbedeckte Brust mit ihren Armen und küßte sein kriegerisches, männliches Gesicht mit einer Inbrunst, die nicht bloß auffällig, sondern in höherm Grade noch aufrichtig war. Sir Halbert gab ihr Umarmung und Kuß mit gleicher Innigkeit zurück, denn wenn auch vielleicht die Zeit, die seit ihrer Vereinigung verstrichen war, die romantische Glut ihrer Liebe vermindert hatte, so war an ihre Stelle eine Zuneigung getreten, die mehr auf Vernunft fußte, und die wiederholte Abwesenheit des Ritters von seinem Schloß und seiner Gattin hatte verhütet, daß diese Zärtlichkeit nicht in Gleichgültigkeit überging. Als die ersten Begrüßungen gewechselt waren, blickte die Dame von Avenel ihrem Gemahl liebevoll ins Antlitz und sagte: »Aber, Halbert, ich finde, Du hast Dich recht verändert. Hast Du etwa heut einen weiten Ritt gemacht, oder ist Dir nicht wohl gewesen?« »Ich hab mich nie unwohl befunden, Maria, die ganze Zeit, seit ich weg bin,« erwiderte Sir Halbert, »und ein starker Ritt kommt bei mir alle Tage vor. Das weißt Du doch. Wer als Adeling geboren ist, der mag das Leben in den Mauern seines Schlosses verträumen. Wer aber sich den Adel selbst erworben hat, darf nie aus den Steigbügeln, sondern muß zeigen, daß er seines Adels auch würdig ist.« Die Dame von Avenel blickte ihren Gemahl liebevoll an, wie wenn sie versuchen wollte, in seiner Seele zu lesen, denn der Ton, in welchem die Worte gesprochen worden waren, war nicht frei von einer gewissen Entmutigung. Sir Halbert Glendinning war noch der gleiche wie früher, und doch ein andrer geworden, als er in früheren Jahren gewesen war. Die heiße Ungebundenheit war verschwunden, um der ruhigen, strengen Haltung des Kriegs- und Staatsmannes das Feld zu räumen. Die Sorge hatte die edlen Züge gefurcht, über die sonst jede Gemütsbewegung spurlos hinweg zog, wie leichtes Gewölk über sommerlichen Himmel. Die Stirn war höher und kahler geworden, die dunklen Locken wallten wohl noch immer dicht um das Haupt, an den Schläfen waren sie aber, wenn noch nicht verschwunden, so doch merklich dünner geworden, eine Wirkung nicht sowohl der verwichenen Jahre, als vielmehr des Druckes, den die Stahlhaube übte. Den Bart trug er der herrschenden Sitte gemäß dicht und kurz, in Zwickelbartform, und spitz zulaufend. Die von Sturm und Regen gebräunte Wange hatte ihren jugendlichen Glanz verloren, kündete aber von gestählter Manneskraft. Mit einem Worte, Sir Halbert Glendinning war ein Ritter, wie geschaffen, zur Rechten eines Königs zu reiten, das Banner eines Königs im Felde zu tragen, der Berater eines Königs im Frieden zu sein. Und doch lagerte jetzt über diesen stolzen Zügen eine Niedergeschlagenheit, deren er sich vielleicht selbst gar nicht recht bewußt war, die aber dem scharf beobachtenden Blicke der zärtlichen Frau nicht entging. »Es ist etwas vorgegangen oder soll etwas vorgehen,« sagte die Dame von Avenel, »denn solcher Unmut umwölkt nicht grundlos Deine Stirn; ich fürchte, es ist ein Unglück im Anzuge gegen uns selbst oder gegen unser Vaterland.« »Es hat sich nichts Neues ereignet, nicht daß ich wüßte,« versetzte Sir Halbert; »aber es gibt wenig Unglück, das sich nicht in unserm unglücklichen, durch schweren Zwist geschiedenen Reiche befürchten ließe.« »Du machst mich nicht irre,« sagte die Gattin. »Ich sehe es Dir an, daß sich etwas Unangenehmes ereignet haben muß. Sonst hätte Lord Murray Dich nicht so lange in Holyrood festgehalten. Es muß eine ernste Sache gewesen sein, für die ihm Dein Rat von Wichtigkeit war.« »Ich bin nicht in Holyrood gewesen, Maria,« versetzte der Ritter, sondern mehrere Monate außerhalb des Landes.« »Außerhalb unsers Landes,« rief die Dame, »und Du hast mir keine Botschaft gesandt?« »Was konnte die Nachricht Dir frommen? sie hätte Dich doch höchstens in Sorge und Herzeleid gestürzt!« versetzte der Ritter. »Deine Besorgnis hätte den leisesten Hauch, der über Deinen kleinen See hier gestrichen wäre, zu einem rasenden Orkan entfacht.« »Also über See bist Du gewesen?« fragte die Dame von Avenel erschrocken. »Deine Heimat hast Du verlassen, hast an fernen Gestaden geweilt, wo man die schottische Sprache nicht versteht und spricht?« »Freilich, freilich,« antwortete Sir Halbert, mit zärtlichem Getändel ihre Hand erfassend und streichelnd, »solche bewundernswerte Tat habe ich vollbracht, drei Tage und drei Nächte habe ich mich auf dem Meere schaukeln lassen, und bloß ein dünnes Brett hat mich von den Wellen geschieden.« »Wie konntest Du die göttliche Vorsehung so in Versuchung setzen, Halbert?« fragte die Dame voll stillen Vorwurfs. »Ich hab Dich nie gedrängt, das Schwert von der Hüfte zu lösen oder die Lanze beiseite zu tun; hab Dich nie gebeten, die Hand in den Schoß zu legen, wenn Dich Geschäfte riefen. Aber sind Schwert und Lanze nicht Gefahren genug für einen Mann? Mußtest Du auch noch das grimmige Meer dazu gesellen?« »Wir haben in Deutschland und in den Niederlanden, Maria,« nahm der Ritter wieder das Wort, »Männer mit uns verbunden im gleichen Glauben, denen es nützlich erschien, mit uns in ein Bündnis zu treten. Zu einigen bin ich gesandt worden in vertraulicher Angelegenheit. Wohlbehalten bin ich an ihrem Gestade gelandet und wohlbehalten heimgekehrt. Aber schwerere und mannigfachere Gefahren birgt das Leben zwischen hier und Holyrood, als in allen Gewässern, die die niederländischen Gestade bespülen.« »Und Land und Volk, Halbert, sind wie Schottland und die Schotten? ebenso gutmütig? Und wie sind sie gegen Fremde?« fragte Maria. »Holland ist mächtig durch seinen Reichtum, Maria,« antwortete Sir Halbert, »der alle andren Völker schwächt, aber schwach in den Künsten des Kriegs, die alle andren Völker stark machen.« »Ich verstehe Deine Rede nicht,« versetzte die Dame. »Der Sinn des Holländers ist bloß auf Erwerb gerichtet, Maria, und zur Kriegsführung wirbt er sich fremdes Kriegsvolk, und durch fremdes Kriegsvolk verteidigt er seinen Reichtum. Er baut Dämme am Gestade des Meeres, zum Schirm für sein Land, und aus den Scharen der Schweizer und Deutschen holt er sich die Besatzung dazu. So ist der Holländer mächtig in seiner Ohnmacht, denn eben der Überfluß, der den Machtvollern zum Raube reizt, bewaffnet fremde Mannen in holländischem Dienst.« »Solch feige Knechte!« rief die Dame von Avenel empört, denn sie war die echte Schottin damaliger kriegerischen Zeit, »Hände haben sie und gebrauchen sie nicht? Abschlagen sollte man sie ihnen unterm Ellbogen!« »Nicht doch,« wagte ihr Gemahl, »ihre Hände dienen dem Vaterlande nicht minder, wenn auch in anderer Weise. Schau hin auf diese kahlen Hügel, Maria, auf dieses tiefgewundne Tal, durch das eben die Herde von ihrer magern Weide heimkehrt. Die Hand des fleißigen Niederländers würde diese Berge mit Wald bedecken, ließe Getreide aufsprießen, wo wir jetzt bloß dürre Heide sehen. Mir tut's weh, Maria, wenn ich die Blicke auf dieses Land lenke, und mir vorstelle, welchen Reichtum ihm Menschen bringen könnten, wie ich sie jüngst kennen gelernt habe, Männer, die nicht nach eitlem Ahnenruhme trachten, nicht nach der blutigen Ehre, sich in täglicher Fehde aufzureiben dürsten, die ihr Land bewohnen, nicht um seinen Wohlstand zu hindern und zu unterdrücken, sondern ihn zu erhalten und zu fördern.« »Solche Kultur, wie es dort wohl heißt, lieber Halbert, wäre hier wenig am Platze,« bemerkte Maria, »denn die uns feindlichen Engländer würden sie verwüsten, ehe sie aus dem gröbsten heraus wäre, und der erstbeste Nachbar, der mehr Reiter besäße als der andre, würde die Saaten, die Deinen Schweiß gekostet haben, niedermähen! Warum willst Du Dich deshalb grämen? Das Geschick, das Dir Schottland als Vaterland gab, gab Dir auch Kopf und Herz und Hand, Dich als Schotte zu behaupten, wie es einem Schotten geziemt.« »Mir gab es keine Ursache, mich als Schotte zu behaupten,« versetzte Halbert, langsam durch das Zimmer schreitend. »Mein Arm hat sich hervorgetan in jedem Kampfe, meine Stimme hat sich vernehmen lassen bei jeder Beratung, und selbst die Weisesten verschmähten nicht meinen Rat. Der schlaue Lethington, der düstre Morton pflogen mit mir geheimen Rat, und Grange und Lindsay haben nicht in Abrede gestellt, daß ich in jeder Feldschlacht meinen Mann gestellt habe, wie es einem Ritter zukommt. Aber laß die Zeit der Not, in der sie mich brauchen, vorüber sein, und keiner von ihnen wird sich des unbekannten Herrn von Glendinning, der über keine Ahnen verfügt, noch erinnern.« Das Gespräch hatte eine Wendung genommen, die die Dame von Avenel immer scheute, denn der Rang, in den ihr Mann erhoben worden war, die Gunst, deren er sich bei dem Grafen von Murray, dem mächtigsten Manne im Reiche, erfreute, sowie die Eigenschaften, die ihn zu diesen Auszeichnungen befähigt hatten, konnten begreiflicherweise den Neid, mit dem man ihn betrachtete, nicht vermindern, sondern nur vermehren. Zog man doch vor allem die niedrige Herkunft in Betracht, neben der die persönlichen Tugenden, durch die er sich emporgerungen hatte, in den Augen seiner Zeitgenossen zu einem Nichts zusammenschrumpften. Die ihm angeborene Charakterfestigkeit befähigte ihn nicht dazu, die in der öffentlichen Meinung als feststehend erachteten Vorzüge einer hohen Abkunft als geringwertig anzusehen, ja es gab Augenblicke, -- so leicht finden eifersüchtige Grillen Eingang auch in die edelsten Gemüter -- wo es ihn bitter verdroß, daß sein Ansehen als Besitzer von Avenel darin fußte, daß er es bloß besaß, als Erbe seiner Frau. Er war nicht so ungerecht, solcher Regung die Herrschaft über sein Gemüt zu lassen, aber so recht los wurde er diese Regung eigentlich nie, und das entging der Aufmerksamkeit seiner Gemahlin nicht. »Wären wir mit Kindern gesegnet,« sagte sie dann bei sich, »die sich in die Vorteile meiner Abkunft und in die Tugenden des Vaters hätten teilen können, dann hätten solche schmerzlichen Empfindungen unser Glück nicht einen Augenblick gestört. Aber solcher Segen ist uns nun einmal versagt geblieben.« Es war mithin nicht zu verwundern, daß es die Dame von Avenel nicht gern sah, wenn ihr Gemahl die Rede auf dieses Thema brachte, das ihrem Verdruß so reiche Nahrung gab. Und wie jedesmal, so suchte sie auch jetzt diesen Gedanken eine andre Richtung zugeben. »Wo ist denn Wolf?« rief da plötzlich der Ritter, »ich habe ja den Kerl noch mit keinem Blick gesehen, und sonst war er doch immer der erste, der mir entgegensprang!« »Wolf liegt an der Kette,« antwortete die Dame mit einem Anflug von Verlegenheit, von der sie sich vielleicht selbst kaum einen rechten Grund hatte angeben können. »Er benahm sich recht garstig gegen meinen Pagen.« »Wolf an der Kette? Wolf hätte sich unfreundlich gegen einen Pagen benommen?« rief Sir Halbert Glendinning, »Wolf ist doch niemals gegen jemand unfreundlich gewesen, und die Kette lähmt entweder seinen Mut oder macht ihn wild ... Heda, macht mir auf der stelle meinen Hund los von der Kette!« Sofort wurde sein Befehl vollzogen, und der große Hund kam ins Zimmer hinein gerast, warf durch seine unbändigen Sprünge alles in den buntesten Haufen, so daß es Alias, die alles wieder in Ordnung zu bringen hatte, nicht zu verargen war, daß sie vor sich hin brummte: »Der Hund des Laird ist grade so abscheulich wie der Page der gnädigen Frau.« »Und was ist denn das für ein Page?« fragte der Ritter, durch die Bemerkung der Zofe wieder auf diesen Gegenstand hingelenkt, »den jeder hier mit meinem alten Freund und Liebling zusammenzustellen scheint? Seit wann erhebst Du Anspruch auf das Vorrecht einen Pagen zu halten ... und wer ist der Knabe?« »Ich denke doch, Du wirst Deiner Frau gleiches vergönnen, Hillbert, wie es andern Frauen ihres Standes auch vergönnt wird,« sagte die Dame, nicht ohne zu erröten. »Das ist selbstverständlich, Maria,« versetzte der Ritter, »es genügt vollständig, daß Du Dir solch einen Diener wünschest. Aber unnützes Gesinde zu halten ist nie meine Sache gewesen, und ich meine, es stehe den stolzen englischen Damen vielleicht an, sich solch ein Bürschchen zu halten, das ihnen die Schleppe nachträgt, Kühlung zuweht und die Laute schlägt, aber unsre schottische Jugend müsse für Lanze und Steigbügel erzogen werden.« »Es war ja doch bloß ein Scherz, mein Gemahl,« bemerkte die Dame, »daß ich den Knaben meinen Pagen nannte. Es ist ja bloß ein kleiner Waisenjunge, den wir vom Tode des Ertrinkens retteten, und den ich seit der Zeit aus Mitleid im Schlosse behalte habe ... Lilias, geh und hol den kleinen Roland her!« Alsbald trat nun Roland herein und eilte an die Seite der Dame, sich an den Falten ihres Kleides festzuhalten suchend. Dann wandte er sich um und staunte, nicht ohne Furcht, die stattliche Gestalt des Ritters an. »Roland,« sagte die Dame, »geh hin und küsse dem edlen Ritter die Hand! Bitt ihn darum, daß er Dir seinen Schutz gewährt.« Aber Roland gehorchte der Dame nicht, sondern fuhr fort, sich dichter an sie drängend, starr und furchtsam auf den Ritter zu blicken. »Geh doch hin zu dem Ritter und küß ihm die Hand, Knabe,« mahnte ihn die Dame. »Ich küsse niemand die Hand, außer Euch, gnädige Dame!« sagte Roland Gräme. »Nicht doch, Kind,« sagte die Dame, »tu', wie Dir geheißen wird, und sei artig zu dem Ritter ... Er ist durch Deine Anwesenheit geängstigt,« sagte sie, ihn gegen ihren Gemahl in Schutz nehmend, »aber ist es nicht ein hübsches Kind?« »Auch Wolf,« sagte Sir Halbert, »ist ein hübscher Hund,« und dabei streichelte er seinen ungeschlachten Liebling, »und hat vor Deinem neuen Liebling den Vorzug, daß er tut, was man ihm befiehlt, und nicht hört, wenn man ihn lobt.« »Nun, Halbert, jetzt bist Du böse auf mich!« sagte die Dame, »und doch, hast Du dazu Grund? Ein armes Waisenkind zu unterstützen ist doch kein Unrecht, und was einem der Zuneigung wert erscheint, dem darf man doch auch gut sein. Aber Du hast in Edinburg den Herrn Warden gesprochen, und der war schon hier auf den armen Jungen nicht zu best zu sprechen.« »Meine geliebte Maria,« erwiderte ihr Gatte, »Herr Warden weiß zu genau, in welchem Verhältnis wir zueinander stehen, als daß er sich beikommen ließe, sich in Deine oder meine Dinge zu mischen. Ich tadle Dich doch auch nicht, daß Du freundlich gegen den Knaben bist. Durchaus nicht. Ich meine nur, in Rücksicht auf seine Herkunft wäre es richtiger, ihn mit einem bescheidneren Maße von Zärtlichkeit zu behandeln und ihn nicht so zu verwöhnen, daß er die Tauglichkeit verliert für die beschränkteren Verhältnisse, die ihm für sein Leben nun einmal angewiesen bleiben.« »Aber, Halbert, sieh doch nur das Kind an!« versetzte die Dame, »hat er denn nicht ganz das Aussehen, als sei er vom Himmel zu etwas Besserm ausersehen als einem bloßen Bauern? Kann er nicht ebensogut, wie andre Menschen auch, sich aus einer beschränkten Lage zu Ansehen und Ehre emporarbeiten?« Sie hatte den Satz kaum ausgesprochen, als sie inne wurde, einen Fauxpas gemacht zu haben. Sie brach jäh ab, und tiefe Röte zog über ihr Gesicht, während sich auf das von Sir Halbert düstre Wolken zu lagern schienen. Aber nur für einen kurzen Augenblick, denn jede Annahme, als habe seine Frau ihn kränken wollen, war ihm ebenso unmöglich, wie die Worte, die sie eben gesprochen, auf die Goldwage zu legen. »Tue ganz, wie es Dir genehm ist,« sagte er, »ich bin Dir zuviel schuldig, als daß ich Dir auch das Geringste nicht sollte gönnen wollen, was Deine einsame Lebensweise einigermaßen erträglich zu machen vermag. Mach aus dem Jungen, was Dir gefällt. Ich will Dir nicht dawider sein. Aber behalte immer in Deiner Erinnerung, daß er Dein Pflegesohn ist und nicht meiner! Vergiß nicht, daß er kräftige Glieder hat, den Menschen zu dienen, und einen Geist und eine Zunge, um Gott zu ehren. Erziehe ihn treu gegen seinen Herrn und gegen den Himmel! Im übrigen verfüge über ihn ganz nach Deinem Belieben, er ist Deine Sache und soll es bleiben.« Dieses Zwiegespräch entschied über das Schicksal Roland Grämes, von dem hinfort der Ritter von Avenel wenig Kenntnis nahm, während die Schloßherrin ihm nach wie vor vieles nachsah und allerhand Gunst zuwandte, die Dienerschaft hingegen zwischen Schloßherrn und Schloßherrin balanzierte, freundlich mit dem Jungen tat, wenn es die Dame, ihn ignorierte, wenn es der Herr von Avenel sah. Und so wuchs Roland Gräme zum Jüngling heran, frei von der strengen Zucht, unter der er sonst, als Diener eines Herrn von Stande, der in jenem Zeitalter herrschenden Strenge gemäß gestanden hätte. Viertes Kapitel Unter den gleichen Verhältnissen war Roland in sein siebzehntes Lebensjahr getreten, als ihn an einem Morgen in aller Frühe sein Weg in die Falknerei Sir Halbert Glendinnings führte, wo er nachsehen wollte, wie es einem Nestfalken ging, den er aus einem berühmten Horste der Umgegend selbst gehoben hatte. Er fand hier jedoch keine Ursache, mit der Abwartung des Lieblingsvogels zufrieden zu sein, und stellte den Burschen des Falkners, der sich besser um ihn hätte kümmern sollen, zur Rede. Da sich der Junge hierzu nicht still verhielt, versetzte ihm Roland ein Paar Püffe, und auf sein Geschrei hierüber kam der Falkner selbst, ein Engländer von Geburt mit Namen Adam Woodcock, herbei und verwies Roland, seinen Burschen zu schlagen, was er, wenn's nötig sei, schon selbst zu besorgen wisse. »Ihn und Dich prügle ich,« rief Roland heftig, »wenn Du Dich nicht besser um das zu kümmern weißt, was Deines Amts ist. Ist das wohl eine Art, einen Nestfalken mit ungewaschnem Fleisch zu füttern? Er soll mir wohl die Räude kriegen?« »Sei doch nicht so vorlaut, Rolandchen,« erwiderte der Falkner spöttisch, »bist doch selbst noch ein kleines Nestkücken, und was verstehst du groß von der Fütterei? Ein ungewaschner Vogel muß auch noch ungewaschnes Fleisch haben, denn gewaschnes verträgt er erst, wenn er flügge ist, andernfalls kriegt er den Pips, und das weiß jeder, der einen Geier von einem Falken zu unterscheiden weiß.« »Du falscher englischer Kujon, bist ja selbst so faul, daß Du Dich den Geier drum kümmerst, was Dein Junge macht. Schlafen und saufen, das ist Deine liebste Arbeit, und Dich weißbrennen, wenn Dein Junge was anrichtet, das verstehst Du freilich!« »Ist der Page der gnädigen Dame etwa mit Arbeit so überhäuft, daß er ein Recht hätte, mich zu hofmeistern? Ich hab drei Falkenhecken zu beschicken, und das gibt für einen Mann schon Arbeit so viel, wie er haben muß. Und was meine englische Herkunft angeht, so ist die wohl immer noch edler, als wenn ich wie Du hinterm Zaune geboren wäre. Soll Dich der Geier holen dafür, daß Du als gemeiner Geier so gern den Edelfalken herausbeißen mochtest.« Die Antwort hierauf war eine derbe Ohrfeige, die so sicher gezielt war, daß sie den Falkner direkt in den Trog hinein warf, worin die Falken sich badeten. Adam Woodcock war wie vom Teufel besessen wieder auf den Beinen und hatte nach einem Knüppel gegriffen, den er auf Roland hob, und hätte diesen sicher nicht schlecht traktiert, hätte er nicht im Nu die Hand am Dolche gehabt und bei allem, was ihm heilig sei, geschworen, ihn kalt zu machen, wenn er sich erfrechen wollte, einen Schlag nach ihm zu führen. Der Lärm war so laut geworden, daß sich andre Personen vom Hausgesinde einfanden, darunter der Hausverwalter Wingate, eine Respektsperson sondergleichen, wie die goldne Kette, die er um den Hals trug, und der weiße Stab in seiner Hand deutlich bekundeten. Sobald er sich zeigte, wurde zwischen den streitigen Parteien Ruhe, nichtsdestoweniger hielt es der »Majordomus« für angezeigt, Roland Gräme Vorhaltungen über die unziemliche Art, wie er mit dem Gesinde umgehe, zu machen. »Es sei recht schade,« schloß er seinen Sermon, »daß der Schloßherr grade wieder auf einer seiner Ritterfahrten abwesend sei; dessen dürfe der jugendliche Unband sich aber versichert halten, daß seines Bleibens auf dem Schlosse nicht mehr lange sein werde, wenn er sich so etwas herausnehmen wolle in Gegenwart des Schloßherrn. Seine Pflicht sei es jedoch, von diesem Vorfalle der Schloßherrin Kenntnis zu geben, und das wolle er auch auf der Stelle tun.« »Recht so, recht so,« rief die Dienerschaft, »die Schloßherrin mag darüber entscheiden, ob man gegen uns wegen eines Wortes zuviel gleich den Dolch vom Leder ziehen darf, und ob sich das verträgt mit der Gottesfurcht, die sonst im Hause herrscht!« Roland, das Ziel dieses allgemeinen Unwillens, schob den Dolch in die Scheide, warf einen geringschätzigen Blick auf die um ihn her stehenden Leute, schob beiseite, wer ihm nicht freiwillig Platz machte, und ging. »In diesem Baume mag ich nicht nisten,« brummte der Falkner, »wenn solcher Spatz uns über den Kopf wachsen soll.« »Mich hat er gestern mit der Reitpeitsche geschlagen,« sagte einer von den Reitknechten, »weil dem Wallach der Schweif nicht so gestutzt war, wie er es wollte.« »Und ich sag Euch,« fiel die Waschfrau ein, »keine Minute besinnt er sich, uns Vettel und Schlampe zu titulieren, wenn sich auch nur ein unsaubres Fleckchen an seiner Halskrause vorfindet.« Der allgemeine Refrain lautete: »Wenn Herr Wingate es nicht der Dame von Avenel meldet, dann ist keines Bleibens mehr hier in diesem Schlosse.« Herr Wingate schien sich aber, je mehr die Dienerschaft in ihn einredete, desto reiflicher zu überlegen, ob es auch für ihn geraten sei, um eines Falkners willen Stellung bei der Schloßherrin gegen ihren ausgesprochnen Günstling zu nehmen. Da kam er aber der Zofe Lilias ins Gehege, die sich unter keinen Umständen die Gelegenheit entgehen lassen mochte, »dem Teufelspagen« eins auszuwischen, dem sie noch immer den alten Groll nachtrug. »Ich meine bloß,« sagte der Majordomus auf ihren Vorhalt, daß er in solchen Dingen viel zu wenig seine Würde zu wahren wisse, »daß es keinem gut bekommen ist im Leben, wenn er die Partie der Dame gegen den Herrn nahm, aber miserabel ist's immer solchen gegangen, die es mit dem Herrn gegen die Dame hielten.« »Also sollen wir uns, Mann oder Weib, Hahn oder Henne, von solch jungem Schößling ankrähen lassen? ... Nichts da, und wenn ich zuerst von allen mir das Maul verbrennen soll. Soviel wenigstens erhoffe ich von Euch, Herr Wingate, daß Ihr, wenn die gnädige Frau sich nach dem Sachverhalt erkundigt, der Wahrheit gemäß berichten werdet, wie Ihr den Fall hier mit eignen Augen mit angesehen habt.« »Der Wahrheit gemäß zu berichten, wenn ich von der Schloßherrin nach dem Verlaufe des Auftritts gefragt werde, ist meine Pflicht und Schuldigkeit, Jungfer Lilias, immer freilich solche Fälle ausgenommen, in denen sich die Wahrheit nicht sagen läßt, ohne Unheil und Unsegen über mich selbst wie über das Gesinde im allgemeinen zu bringen.« »Aber der grüne Junge gehört nicht zum Gesinde und ist auch mit keinem vom Gesinde befreundet. Drum weiß ich, daß es Euch wohl kaum beikommen dürfte, Euch durch Parteinahme für ihn mit dem ganzen Hauspersonal in Feindschaft zu setzen.« »Glaubt mir, Jungfer Lilias, von Herzen gern bisse ich zu, wenn ich die rechte Zeit zum Beißen für gekommen erachten könnte.« »Genug, genug, Wingate,« versetzte die Zofe, »da die Dinge so stehen, soll ihm bald sein letztes Brot im Schlosse gebacken sein. Sofern die Herrin binnen jetzt und zehn Minuten nicht selbst sich danach erkundigt, was es denn gegeben habe, so rück ich ihr selbst damit vor die Ohren, oder ich will nicht länger mehr Lilias Bradbourne sein.« Sie ließ keine Zeit verstreichen, um ihren Plan zur Ausführung zu bringen, sondern wußte es einzurichten, daß ihre Herrin bald merkte, ihre Zofe wollte etwas sagen, fände aber nicht die rechte Veranlassung oder die rechten Worte, es anzubringen. Lilias kannte infolge der vielen Jahre, die sie um die Schloßherrin gelebt hatte, dieselbe wie »einen bunten Dreier.« Neugierig war auch sie, wie alle Evastöchter, und so dauerte es nicht lange, bis sie sich erkundigte, was es denn mit dem komischen Wesen der Zofe auf sich habe. Die aber ließ eine Weile fragen und fragen, ohne mit der Sprache herauszurücken, seufzte bloß und verdrehte die Augen, meinte, man müsse eben das Beste hoffen, daß es nicht noch schlimmer werde, und reizte natürlich auf diese Weise die Herrin bald so, daß sie die Geduld verlor und der Zofe befahl, ihr offen und unverblümt zu sagen, wie es sich um die Sache verhalte, mit der die Zofe in Gedanken so lebhaft beschäftigt sei. »Gott sei Dank, die Ohrenbläserei ist mir immer zuwider gewesen, und als Zuträgerin habe ich mich noch nie ausgewiesen. Ich habe auch noch keinem mißgönnt, was er besser hatte als ich, und hab's mir auch noch nie angelegen sein lassen, jemand bei der Herrschaft anzuschwärzen ... und bis jetzt ist's ja, Gott sei Dank, im Schlosse noch immer gegangen ohne Mord und Totschlag ...« »Ohne Mord und Totschlag?« wiederholte die Schloßherrin, »was sollen solche Worte aus solcher Närrin Munde? ... Das laß Dir gesagt sein, Lilias, sofern Du Dich nicht deutlicher ausdrückst, so hab ich Dir was zugedacht, was Dir kaum Freude bereiten dürfte.« »Nun, gnädige Herrin,« hub die Zofe an, »sofern Ihr mir befehlt, die Wahrheit zu sagen, dürft Ihr denn auch nicht ungehalten sein, die Wahrheit zu hören! und dürft mir nicht gram werden, wenn ich was sage, das Euren Ohren nicht angenehm klingt.« »Was ist's, das Du sagen willst und zu sagen so hinhältst?« fuhr die Herrin sie an. »Nun, gnädige Frau, der Roland hat bloß dem Adam Woodcock eins mit dem Dolche versetzt ...« »Gott im Himmel!« rief die Dame von Avenel, »ist der Mann erstochen?« »Nein, gnädige Herrin, so schlimm ist's zum Glück nicht ausgegangen, aber geschehen wär's wohl, wenn nicht so schnell andre beigesprungen wären. Na, vielleicht ist's der gnädigen Herrin recht so, daß der junge Herr nach uns armem Bedientenvolk sticht und haut und schlägt.« »Was läßt Du Dir denn beikommen, mein Püppchen?« rief die Schloßherrin, »Du wirst ja recht naseweis! Geh hin zum Hausmeier und sage ihm, er solle sich ja auf der Stelle zu mir herbemühen.« Lilias ließ sich das nicht zweimal sagen, sondern lief zum Herrn Wingate und meldete ihm, was die Herrin ihr befohlen. Aber sie unterließ es nicht, ihm zuzuraunen: »So! nun ist der Stein ins Rollen gebracht. Sorgt bloß, daß er nicht unterwegs wo hängen bleibt.« Der Hausmeier, ein gar kluger Mann, blinzelte der Zofe wohl zu, hütete sich aber vor jedem Worte und trat gleich darauf, entschlossen, sich der äußersten Vorsicht zu befleißigen, mit einer ehrfürchtigen Verbeugung bei der Schloßherrin ein. »Wingate,« fragte die Dame kurz, »was ist das für Ordnung im Schloß in Abwesenheit des Schloßherrn, daß seine Dienerschaft mit Knütteln und Dolchen aufeinander losschlägt, wie in einer Diebes- und Mörderhöhle? ist der verwundete Mann noch am Leben? und was ist aus dem unseligen Knaben geworden?« »Zurzeit, gnädigste Herrin, ist überhaupt niemand verwundet und in Gefahr ist auch noch keines Menschen Leben,« versetzte der Hausmeier ... »es übersteigt aber meinen Wissensbereich, wenn ich sagen sollte, wieviel am Ende bis zum Passahfeste noch verwundet werden können, wenn nicht ernstliche Maßregeln getroffen werden, den jungen Menschen in Räson zu halten. Man muß ja gelten lassen, daß er ein ganz hübscher junger Mensch ist,« setzte er sich selbst verbessernd hinzu, »und geschickt in all seinem Tun ist er auch, aber leider zu vorschnell im Handeln, es scheint, als jucke es ihm in den Fingerspitzen, wenn er die Reitpeitsche in der Hand oder den Dolch in der Scheide fühlt.« »Und wessen Schuld ist das als Eure?« sagte die Dame erzürnt. »Ihr solltet ihn Bessres gelehrt haben, als sich herumzustreiten und seine Meinung mit dem Dolche zu verfechten.« »Wenn es Euer Gnaden belieben mich in solcher Weise zu tadeln, so muß ich es über mich ergehen lassen, das steht außer Zweifel. Aber erlauben werdet Ihr mir wohl mögen darauf hinzuweisen, daß ich seiner Waffe den Weg aus der Scheide nicht zu wehren vermag, wenn ich sie ihm nicht nehmen oder festnageln darf. Denn das ginge noch über die Kunst des Raimund Lullus, der auch das Quecksilber nicht in seiner Röhre zum Stillstande hat bringen können.« »Laßt mir den Raimund Lullus aus dem Spiele,« erwiderte die Dame von Avenel, der nun die Geduld riß. »Aber schickt mir den Kaplan her! Ihr wachst mir alle über den Kopf, infolge der leider so häufigen Abwesenheit meines Herrn und Gemahls. Möchte Gott es geben, daß seine Geschäfte ihm bald längeres Verweilen in seinem Haus und Hof gestatteten, denn es geht wirklich über meine Kräfte, allem immer so allein vorzustehen.« »Verhüt's Gott, daß es Eure ernstliche Meinung sei, was Ihr jetzt ausgesprochen habt,« sagte der Hausmeier, »denn Eure alten Diener sollten doch hoffen dürfen, nach so langen Jahren eifrigen Dienstes Gerechtigkeit zu finden. Zum wenigsten verdienen sie darum nicht Mißtrauen, weil sie nicht im stande sind, den Mutwillen eines jungen Brausekopfs im Banne zu halten.« »Laßt mich allein,« sagte die Dame von Avenel, »Sir Halbert ist jeden Tag zu erwarten, er mag diese Sache selbst untersuchen. Ihr braucht mir weiter nichts darüber zu sagen, denn ich weiß wohl, daß Ihr gewissenhaft und pünktlich seid, und daß der junge Bursche leicht über die Stränge schlägt. Immerhin kann ich mich der Meinung nicht verschließen, daß Ihr ihm hauptsächlich darum so gram seid, weil er sich meiner Gunst zu erfreuen hat.« Der Majordomus verneigte sich und ging, nachdem ihm die Dame den Versuch, sich gegen die letzte Insinuation zu verwahren, direkt untersagt hatte. Darauf erschien der Kaplan, aber auch von ihm bekam die Dame keinen Trost. Sie fand ihn im Gegenteil nur geneigt, die Unruhe, die der Jüngling im Schlosse stifte, einzig und allein auf Schuld ihrer allzu großen Milde gegen ihn zu setzen. »Es wäre wohl besser gekommen, gnädigste Herrin,« sagte Warden, »wenn Ihr meinen ersten Worten mehr Gehör gewährt hättet. Ein Uebel an der Quelle zu hemmen ist leicht, aber eine mühsame Sache ist es, sich dagegen zu stemmen, wenn es zum wilden Gießbach angeschwollen ist -- Euch aber, edle und verehrte Dame, und ich nenne Euch so nicht, weil es dem höflichen Brauch entspricht, sondern weil es meine tiefste Ueberzeugung ist, weil ich Euch immer lieben und ehren konnte als eine edle vortreffliche Frau, Euch aber sage ich, daß es Euch zu Unrecht beliebt hat, den Knaben aus seinem Stande zu einem Stande emporzuheben, der sich dem Eurigen nähert.« »Was wollt Ihr damit sagen, hochwürdiger Herr?« fragte die Dame, »ich habe den Knaben zum Pagen genommen ... liegt etwas hierin, was sich mit meinem Stand und Charakter nicht vertrüge?« »Eure wohltätige Absicht, meine Gnädige, verkenne ich nicht,« sagte der hartnäckige Priester, »Euch des jungen Menschen anzunehmen; auch Eure Befugnis, dem Knaben das müßige Amt eines Pagen zu geben, lasse ich gelten, ob es auch über meine Weisheit hinausgeht zu erforschen, was aus einem Jungen, wenn seine Erziehung ausschließlich in Frauenhand gelegt wird, anders soll werden können als ein auf eitle Dinge eingebildeter Fant. Aber entschiedenen Tadel muß ich Euch aussprechen deswegen, weil Ihr es unterließet, ihn über die Gefahren, die solcher Stand für ihn birgt, aufzuklären und seinen von Natur herrschsüchtigen und heftigen Sinn zu bändigen.« »Herr Barden, sagte die Dame, tiefgekränkt, »Ihr seid ein alter Freund meines Gemahls und Eure Liebe zu ihm und seinem Hause halte ich für ehrlich und aufrichtig. Aber ich muß Euch sagen, daß ich solch herben Vorwurf nicht von Euch erwartete, wenn ich um Euren Rat bat. Habe ich den armen, verwaisten Knaben mehr geliebt als andre seines Standes, so verdient solche Irrung meines Dafürhaltens solch scharfer Zurechtweisung nicht, und wenn strengere Zucht am Platze war, so sollte nicht außer Berücksichtigung bleiben, daß ich doch nur ein Weib bin und daß es dem Freunde wohl besser hätte anstehen dürfen, mich über Fehler, die mir als Frau dabei unterlaufen sind, zu belehren statt zu schmälen. Indessen lassen wir diese Auseinandersetzungen! Es ist ein Herzenswunsch von mir, diese Zwistigkeiten beseitigt zu, sehen, ehe mein Gemahl zurück ist -- -- -- er ist häuslichem Zwist abhold, und ich möchte nicht, daß er die Meinung bekommt, daß solcher Zwist ausgehe von jemand, der sich meiner Gunst erfreut hat. Was ratet Ihr mir zu tun, hochwürdiger Herr?« »Entlaßt den Burschen aus Eurem Dienste, gnädige Dame,« versetzte der Pfarrer. »Das könnt Ihr nicht von mir verlangen, weder als Christ noch als Mann, der seine Nächsten liebt,« erwiderte die Dame von Avenel: »ein Wesen soll ich von mir weisen, das keinen Beschützer hat, dem meine Gunst, mögt Ihr sie auch unbedacht nennen, so manchen Feind erweckt hat?« »Ihr braucht ja Eure Hand nicht gleich von ihm zu ziehen, wenn Ihr ihn anderswohin in Dienst gebt oder zu einem Berufe bestimmt, der seinem Charakter und Stande sich besser schickt,« antwortete der Pfarrer. »An anderm Ort, in andrer Sphäre kann er ein nützliches Glied der Gesellschaft werden, hier aber ist er bloß Friedensstörer und Stein des Anstoßes. Ich lasse gern gelten, daß der junge Mensch Fähigkeiten besitzt, aber an Fleiß fehlt es ihm entschieden. In Leyden an der Universität ist meines Wissens das Amt eines Unterpedellen frei. Ich will ihm gern Empfehlungsschreiben dorthin mitgeben. Neben freiem Unterricht, sofern er sich dieses Vorteils versichern will, erhält er fünf Mark jährlichen Sold und einen abgetragnen Anzug von einem der Professoren, die an der Universität lesen.« »Das wird wohl nicht das richtige sein, lieber Herr,« erwiderte die Dame von Avenel, und sie konnte kaum ein Lächeln unterdrücken, »indessen soll die Sache in reifliche Erwägung genommen werden. Euch jedoch bitte ich, hochwürdiger Herr, der Dienerschaft ihre Pflichten gegen Gott und ihre Dienstherrschaft in recht nachdrücklicher Weise einzuschärfen, damit uns solche Auftritte in Zukunft erspart bleiben.« »Ich werde tun nach Eurem Befehle,« versetzte Heinrich Warden, »und sofern mir der liebe Gott nicht seinen Segen vorenthält, wird es wohl gelingen, den Wolf aus dem Schafstalle zu jagen.« Er wählte für seine nächste Predigt den Text: »Und wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen,« und eiferte gegen alle die Sünder, die nach einer Waffe greifen, die der Mensch ersann, um offne Feindseligkeit zu üben, um sich auf gewalttätige Weise zu einem Vorteil zu helfen, der ihm auf ehrliche und grade Weise nicht werden könne. Dann eiferte er gegen diejenigen, die sich solcher Waffen bedienen, trotzdem sie im Dienste von Frauen stehen und in den Zimmern von ehrenwerten Damen die Aufwartung zu befolgen haben, die also milden Sinnes sein sollten und doch in die Sünde des Zornes verfallen, und sich dadurch zu weibischen Zwittern machten, daß sie zur Hinterlist und Feigheit des Weibes noch die Schwächen und Leidenschaften ihrer Natur als Männer gesellten.« Bei diesen Worten heftete er die Blicke unverwandt auf die Stelle, wo der Page Roland zu Füßen seiner Gebieterin mit einem zierlichen Dolch in karmesinrotem Gürtel saß. Die Wirkung, die die auf diesen Hauptsätzen beruhende Philippika des Pfarrers gegen Roland Gräme auf die kleine Gemeinde hervorbrachte, war erstaunlich. Die Dame von Avenel schien zugleich betroffen und verletzt, die Dienerschaft vermochte kaum ihre Freude über diese Donnerkeile zu, verstecken die Zofe Lilias warf den Kopf in die Höhe, daß er schier in Gefahr geriet, aus dem Halsgelenk zu gleiten, und der Hausmeier heftete in dem eifrigen Bemühen, strenge Neutralität. zu wahren, seine Blicke auf ein altes Wappenschild an der andern Mauerseite. Der mißliebige Gegenstand dieser Strafrede geriet in heftigen Zorn darüber, daß er dem Spott und Tadel der ganzen Dorfgemeinde auf solche Weise öffentlich ausgesetzt werde, ballte die Faust und fuhr unwillkürlich wieder nach der Waffe, die den Unwillen des Kanzelredners so heftig erregt hatte. Dunkle Röte stieg auf seine Wangen, aus seinen Lippen dagegen wich alle Farbe, und als der Pfarrer in immer heftigerer Weise zu eifern fortfuhr und seinem Grimm gegen ihn in immer schärfern Ausdrücken Luft machte, da sprang er, von der Besorgnis befallen, er könne sich an heiliger Stätte zu einem Racheakt hinreißen lassen, von dem Polster auf, auf dem er saß, und verließ eiligen Schrittes die Kapelle. Der Pfarrer schwieg nun eine Weile. Dann aber hub er an in langsamer feierlicher Weise, um den schweren Bann zu künden: »Hinweg von uns ist er gegangen, weil er keiner war von den Unsern, weil er den Stachel fühlte, der wider ihn löckte. Das Schaf entfloh der Hürde und gab sich selbst preis dem Wolfe, weil es sich nicht bequemen mochte zu dem stillen Wandel, den der große Hirt uns auferlegt. Ach, meine Lieben in Christo, hütet Euch vor dem Zorn, hütet Euch vor dem Stolz, jener todbringenden, verderblichen Sünde, die sich unsern verblendeten Augen so oft im Lichtgewande zeigt. Was ist irdische Ehre? Stolz! Was sind irdische Gaben und Vorzüge? Stolz und Eitelkeit! Stolz zerrte den Lucifer vom Himmel zur Tiefe der Hölle, Stolz und Eigendünkel entzündeten das flammende Schwert, das uns aus dem Paradiese entgegenblitzt, Stolz machte Adam zum Sterblichen und müden Wandrer auf dem Erdenrund, Stolz brachte die Sünde unter uns. Drum reißt ihn heraus mit der Wurzel, nehmt Euch das Beispiel dieses kläglichen Sünders zu Herzen, der eben unsre Gemeinde verlassen, ergreifet die Mittel der Gnade, ehe der andre Tag erscheint, ehe Euer Gewissen wie mit Feuerbränden ausgetrocknet ist, ehe Eure Ohren Taubheit verschließt, ehe Euer Herz verhärtet wie der härteste Mühlstein. Ringet und überwindet! wachet und betet! Aber für den, der heute von Euch ging, für den hebet die Hand nicht mehr! ihn laßt laufen und dort sich Wohnstatt und Mitmenschen suchen, wo die Sitte herrscht, mit dem Dolche auf seinen Mitmenschen loszugehen. Wehe, wehe über den Sünder!« Lebhaft erregt verließ auch die Dame von Avenel die Kirche. Sie war erzürnt auf den Pfarrer, daß er eine Privatsache, an der sie selbst in nicht geringer Weise beteiligt war, zum Thema für seine Predigt genommen hatte; aber sie wußte, daß sich der Mann in seinem christlichen Eifer hierzu für berechtigt hielt, entsprechend dem Brauche, der zur damaligen Zeit in der christlichen Kirche herrschte. Schweren Kummer bereitete ihr das eigenwillige Benehmen ihres Lieblings. Daß er auf eine so auffallende Weise aller Rücksicht ins Gesicht schlug, die er auf ihre Gegenwart hätte nehmen müssen, obendrein an einer so heiligen Stätte, gegen die zu jener Zeit solcher Verstoß als schwere Versündigung galt: das mußte auch ihr als ein Zeichen seines unfügsamen Geistes gelten, das mußte auch in ihren Augen die Nachreden für wahr erscheinen lassen, die im Hause über ihn geführt wurden. ... Und doch bemächtigte sich ihrer der Gedanke an den elternlosen Jüngling, der ihr so manche Stunde der Einsamkeit verscheucht, so manche frohe Minute bereitet hatte, wieder mit solcher Zärtlichkeit, mit solcher Inbrunst, daß sie sich nicht entschließen konnte, zu lassen von ihm, der ihr immerdar vorkam, wie ihr vom Himmel gesendet, auf daß er die Leeren ausfülle, die ihr das Leben so traurig gestalteten. ... Nein! sie wollte ihn nicht von sich lassen, so lange er nicht selbst den Schutz von sich weisen sollte, den sie ihm bislang in so reichem Maße gespendet hatte; und in der Absicht, darüber zur Gewißheit zu gelangen, in welchem Maße sie sich hierzu noch für berechtigt halten dürfe, ließ sie Roland Gräme zu sich bescheiden. Fünftes Kapitel Roland Gräme kam nicht gleich, sondern ließ eine Zeit warten. Die Botin, die ihm den Bescheid bringen sollte, hatte zuerst an seiner Tür geklinkt, ohne Zweifel in der liebevollen Absicht, sich an der Verwirrung des Schuldigen zu weiden und zu beobachten, wie er sich verhalte. Aber Roland hatte den Riegel vorgeschoben, und dies kleine Stück Eisen hinderte sie daran. Lilias klopfte nun und rief ein paarmal hintereinander: »Roland Gräme! Roland Gräme!« dann (mit Nachdruck auf dem Worte »Herr«) -- »Herr Roland Gräme« -- dann fragte sie: »Aber fehlt Euch denn was, Gräme? und wollt Ihr nicht öffnen, Roland? seid Ihr etwa in stillem Gebet begriffen, das Ihr so plötzlich im Stich gelassen? Redet doch, was los ist! wenn Ihr Euch noch einmal so in der Kirche aufführt, dann wird der Herr Pfarrer wohl Sorge tragen müssen, daß Ihr in einem eingefriedeten Raum zu sitzen kommt, damit Euer Benehmen nicht der ganzen Gemeinde zum Aergernis werde!« Aber Roland Gräme rührte sich nicht in seiner stillen Klause. Die Zofe begann nun das Thema fallen zu lassen, das bisher ihren Rufen zu Grunde gelegen hatte, und fragte kurz und grob: »Heda! Ihr junger Mensch dadrinnen, Ihr sollt auf der Stelle Bescheid geben, ob Ihr zur Schloßherrin kommen wollt oder nicht. Sie schickt mich her, Euch zu ihr zu holen!« »Was sagt Eure Herrin?« fragte jetzt der Page von drinnen. »Schockschwerenot!« rief die Zofe ärgerlich, »da steht man wie ein Ochs am Scheunentor! Könnt Ihr denn nicht aufmachen und Bescheid geben?« »Der Name Eurer Herrin ist ein zu schöner Deckmantel für Eure Frechheit,« sagte der Page, noch immer von drinnen. ... »Sagt mir kurz, was die Dame von Avenel will.« »In ihrem Kabinett sollt Ihr Euch sogleich einfinden,« rief ihm die Zofe zu. »Die Schloßherrin wird Euch wohl einige Winke geben wollen, wie Ihr Euch künftighin in der Kirche zu verhalten habt.« »Sagt der Dame von Avenel,« erwiderte Roland Gräme, daß ich sogleich zu ihren Diensten stehen werde; Ihr aber macht, daß Ihr von meiner Tür wegkommt.« »Ist das ein Flegel!« brummte die Zofe und ging; ihrer Herrin aber meldete sie, daß Roland Gräme sich bei ihr einfinden werde, sobald es ihm genehm sein werde. »Wie?« fragte die Schlußherrin, »rührt der Zusatz von ihm her oder von Dir?« »Je nun, gnädigste Herrin,« antwortete die Zofe, die eigentliche Frage umgehend, »es hörte sich so an, wie wenn er noch ganz andre Dinge auf den Lippen hätte; ich hielt es aber für besser, nicht erst zu warten, bis er sie gesagt hätte. Aber da ist er ja schon und kann Euch selbst Rede und Antwort stehen.« Roland Gräme trat stolzer, und mit tieferer Röte auf den Wangen als sonst, in das Zimmer. Aus seiner Haltung sprach Verlegenheit, aber nicht Furcht oder Reue. »Junger Mann,« redete die Schloßherrin ihn an, »was soll ich wohl von Eurer heutigen Aufführung denken?« »Wenn sie Euch gekränkt hat, meine gnädigste Herrin, so betrübt mich das sehr,« erwiderte der Jüngling. »Ueber die Kränkung können wir schweigen,« antwortete die Dame von Avenel, »aber Ihr habt Euch eine Aufführung zu schulden kommen lassen, die Euren Herrn sehr erzürnen wird. Wie konntet Ihr so gewalttätig handeln gegen Eure Dienstgenossen und so unehrerbietig gegen Gott und seinen Stellvertreter? »Ich muß hierauf sagen, gnädigste Herrin,« antwortete Roland Gräme, »daß es mich aufrichtig betrübt, Euch gekränkt zu haben, aber dies ist's, was mich in diesem Falle mit Schuld belastet, und was mich mit Reue erfüllt. Zu dem weitern aber wollt Ihr gelten lassen, daß mich Sir Halbert Glendinning nicht seinen Diener nennt, und ich ihn nicht meinen Herrn ... er hat kein Recht, mich zu schelten darum, weil ich einen frechen Lümmel züchtigte, wie es ihm gebührte. Ebensowenig fürchte ich den Zorn des Himmels, weil ich einem Pfaffen zu verstehen gab, daß ich seine Einmischung in meine persönlichen Angelegenheiten mit Verachtung zurückweise.« Vor diesem Auftritt hatte die Dame von Avenel an ihrem Lieblinge wohl Aeußerungen knabenhaften Mutwillens und Auflehnung gegen jeden Tadel und Vorwurf bemerkt, aus seinem jetzigen Benehmen leuchtete ein ernster und fester Charakter hervor, und sie wußte eine Zeitlang nicht, wie sie ihm entgegentreten sollte, denn er schien über Nacht zum Manne gereift zu sein, dem es an Kühnheit und Entschlossenheit nicht gebrach. Dann aber sagte sie mit der ihm eigentümlichen Würde: »Solche Sprache gegen mich, Roland? Geschieht es in der Absicht, mir die Gunst zu verleiden, die ich auf Dich verwendet habe? Erklärst Du Dich deshalb für frei jeglicher Herrschaft des Himmels und der Erde? Hast Du vergessen, wer Du warst, und vergißt Du, in welche Lage Du gelangen mußt, wenn Du meines Schutzes entbehrst?« »Gnädigste Herrin, ich habe nichts von alledem vergessen,« versetzte der Page, »nur zu lebhaft steht alles in meinem Gedächtnis. Ich bin mir wohlbewußt, daß ich ohne Euch in den blauen Fluten dort umgekommen wäre, und daß ich Eurer Güte und Liebe viel, sehr viel zu verdanken habe. Glaubt nicht, meine Dame, ich sei hierfür undankbar, aber ich habe hier doch auch manches ertragen müssen, was ich nicht ertragen hätte, wäre es nicht geschehen um Euretwillen.« »Um meinetwillen?« wiederholte die Dame von Avenel, »habe ich Dir jemals zugemutet, etwas zu ertragen, was sich mit den Gefühlen der Dankbarkeit und Erkenntlichkeit nicht vertrüge, die ich bei Dir voraussetzen mußte?« »Ihr seid zu gerecht, gnädige Frau, daß Ihr von mir fordern könntet, ich solle dankbar sein gegen die kalte, mit Widerwillen gepaarte Verachtung, mit der mich Euer Gemahl ständig behandelt hat; Ihr seid zu gerecht, daß Ihr von mir Dankbarkeit erwarten könntet für die ständigen Aeußerungen von Hohn und Mißgunst, mit denen mich andre in so überreichem Maße bedacht haben, oder gar etwa für die Bußpredigt, die mir der Herr Schloßkaplan heute gehalten hat!« »Hat jemand wohl je solche Reden vernommen?« fragte die Zofe, indem sie die Hände zusammenschlug und die Augen gen Himmel hob; »redet er nicht, als sei er ein Grafensohn oder die letzte Auslese eines edlen Ritters?« Der Page würdigte sie keiner Antwort, sondern warf nur einen Blick tiefer Verachtung auf sie. Ihre Herrin, aber, die sich ernstlich gekränkt fühlte und um der Torheit des Jünglings willen doch Sorge fühlte, schlug den gleichen Ton an. »Roland, Du vergißt Dich in der Tat auf so seltsame Weise, daß ich mich versucht fühle, Deinen Dünkel in ernster Weise zu dämpfen, und zwar dadurch, daß ich Dich auf den Platz zurückversetze, der Dir im Leben und in der Welt zukommt.« »Das beste wäre wohl, die gnädige Herrin spedierte ihn als die gleiche Bettelbrut wieder zum Schlosse hinaus, als die er seinen Weg hineingefunden hat,« rief Lilias. »Lilias braucht eine derbe Ausdrucksweise,« meinte die Schloßherrin, »aber die Wahrheit spricht sie. Ich bin nicht der Meinung, daß es gut sei, ferner Rücksicht auf den Stolz zu nehmen, der Dir den Kopf, wie es scheint, so stark verdreht hat. Dadurch, daß ich Dich mit schönen Kleidern herausgeputzt habe und als Sohn eines Edelmannes behandelte, hast Du völlig vergessen, aus welch niedrigem Blute Du stammst.« »Mit Verlaub, gnädigste Dame,« nahm jetzt der Page das Wort, »die Zofe hat nicht die Wahrheit gesprochen, und Euer Gnaden ist über meine Abkunft nicht das geringste bekannt. Ihr seid mithin keineswegs berechtigt, mit solch verächtlichen Worten davon zu sprechen. Ich bin keine Bettelbrut, denn meine Großmutter ist nie jemand um ein Almosen angegangen, weder hier noch anderwärts. Wir sind verjagt worden von Haus und Hof, ein Fall, der in unsrer Zeit durchaus nicht vereinzelt dasteht, und den auch andre Leute erlebt haben. War doch auch Schloß Avenel mit seinen Türmen und seinem See nicht immer fest genug, seine Bewohner vor Jammer und Elend zu schützen.« »Ist das eine Frechheit!« rief die Zofe, »unsrer Herrin das Unglück ihres eignen Hauses in Erinnerung zu bringen!« »Dieser Punkt wäre allerdings besser unbemerkt geblieben,« sagte die Schloßherrin, durch diese Anspielung sichtlich betroffen. »Es war notwendig, gnädige Frau, dies zu erwähnen, wenn ich mich rechtfertigen sollte,« sagte der Page, »sonst hätte ich gewiß nicht von Dingen gesprochen, die für Eure Ohren nicht angenehm zu hören sind. Daß ich indes nicht von niedriger Herkunft bin, das dürft Ihr mir wohl glauben, wenn ich auch nicht sagen kann, woher ich stamme, aber das hat mir die einzige Verwandte gesagt, die ich gekannt habe, und das hat sich in mein Herz geprägt und wird aus meinem Herzen nicht schwinden. Und demnach verdiene ich die Behandlung, wie sie Leuten von Herkunft gehört.« »Und auf solche unbestimmte Andeutung hin,« sagte die Dame, »meinst Du Anspruch zu haben auf all die Rücksichten und Vorrechte, die einem hohen Rang und einer vornehmen Geburt zustehen? Geh, geh, Bursche, und halte Einkehr, oder unser Hausmeier soll Dir sagen, daß einem vorlauten Bengel wie Dir die Hosen noch straff gezogen werden müssen. Dir gegenüber ist viel zu viel Nachsicht geübt worden.« »Eher soll der Herr Hausmeier meinen Dolch zwischen seinen Rippen fühlen, als daß mich ein Schlag von ihm trifft. Ich merke schon, meine gnädige Dame, ich habe zu lange unter weiblichem Pantoffel gestanden und zu lange einem silbernen Pfeifchen pariert. Es wird gut sein, Ihr seht Euch nach einem andern Burschen um, der sich dazu besser eignet als ich, mag er auch von Geburt und Sinn so niedrig sein, daß er sich von Eurem Hausgesinde allen Spott und Hohn einsteckt und einen Lehnsmann der Kirche für seinen Herrn ansieht.« »Es geschieht mir recht, daß mich solche Kränkung jetzt aus Deinem Munde trifft,« sprach tief errötend die Dame von Avenel; »warum habe ich Deinen Trotz so lange genährt und Deine Unarten so ruhig mitangesehen! Geh Deiner Wege, Bursche; noch heute nacht verläßt Du das Schloß! Die Mittel zum Unterhalt, bis Du ein Unterkommen gefunden hast, will ich Dir geben, sofern Du nicht in Deinem Dünkel alles verschmähst außer Mitteln, die Du Dir durch Gewalttätigkeiten verschaffen kannst. ... Fort, sage ich, Bursche! und komm mir nicht wieder vor die Augen!« Der Page warf sich, von schrecklicher Angst ergriffen, der Dame zu Füßen. »Meine teure, innig verehrte Herrin --« Hub er an, war aber außer stande, eine Silbe weiter zu sprechen. »Steh auf, Bursche,« rief die Dame von Avenel unwillig, »und nimm die Hand von meinem Mantel. Heuchelei ist eine zu schnöde Hülle für Undank.« »Ich bin weder des Undanks fähig noch der Heuchelei,« sagte der Page, indem er mit einem Ungestüm aufsprang, wie es seinem heftigen Temperament angemessen war. »Meint nicht, ich wolle um Erlaubnis betteln, hier bleiben zu dürfen. Mein Entschluß, Avenel den Rücken zu wenden, steht schon lange fest, und nie werde ich es mir verzeihen, daß ich es darauf ankommen ließ, daß Ihr mir das Wort: »Fort!« früher gesagt habt, als ich Euch Lebewohl geboten habe. Ich sank vor Euch auf die Kniee, um Euch um Verzeihung zu bitten wegen eines ungestümen Wortes aus meinem Munde, das den Weg in einem hohen Grade von Unmut über meine Lippen nahm, das ich aber nicht hätte aussprechen sollen. Um andre Gnade wollte ich nicht bitten und um andre Gnade bitte ich nicht, denn Ihr habt mir der Gnaden schon zuviel erwiesen, aber ich wiederhole, daß Euch besser bekannt ist, was Ihr selbst getan, als was ich geduldet habe.« »Roland,« nahm jetzt die Dame in einem sanfteren Tone das Wort, denn die Liebe zu dem schönen Jüngling brach wieder hindurch, »wenn Du meintest, daß man Dich nicht angemessen behandle oder gar Dich beleidige, so war es Deine Pflicht, Dich an mich zu wenden. Unrecht hinzunehmen, war so wenig Deine Sache, wie Dir ein Recht zustand, es selbst zu ahnden, denn Du standest unter meinem persönlichen Schutze.« »Und wenn mir Unrecht widerfuhr von Personen, die Ihr liebtet, sollte ich dann Eure Ruhe stören durch ewige Klagen, durch Klatscherei und Zwischenträgerei? Nein, gnädige Herrin, lieber trug ich, was mir widerfuhr, in Ruhe und ohne Murren. Ich hätte es nicht über das Herz bringen können, Euch fort und fort in den Ohren zu liegen mit meinem Leid, dazu verehrte ich Euch zu innig. Und darum, gnädigste Herrin, ist es gut, daß wir scheiden. Ich eigne mich nicht dazu, so lange mich in Gunst zu wiegen, bis mich Verleumdungen von Subjekten aus dieser Gunst verdrängen. Ich werde immer zum Himmel flehen, daß er sein reiches Segensfüllhorn über Euch ausschütte und, um Euretwillen, auch über alle diejenigen, die Euch teuer sind.« Er war schon bis zur Tür gegangen, da rief ihn die Schloßherrin von Avenel zurück. Der Page blieb stehen, und die Dame sagte: »Daß ich Dich ohne Mittel zum Unterhalt ziehen lassen sollte, kann weder meine Absicht gewesen sein, noch entspräche es der Billigkeit, und wenn meine Unzufriedenheit mit Dir größer noch wäre als sie ist. Also nimm hier diese Börse!« »Bitte um Eure gütige Nachsicht, gnädigste Herrin,« sagte der Jüngling, »aber laßt mich scheiden mit dem Bewußtsein, daß mir die Erniedrigung, Almosen entgegenzunehmen, erspart geblieben ist. Selbst angenommen, meine bescheidnen Dienstleistungen hätten wettmachen können, was Ihr an Kost und Kleidung für mich aufgewandt habt, so bleibe ich Euch noch immer Schuldner für die Rettung meines Lebens, und das allein schon ist eine Schuld, die ich zeitlebens nicht zu tilgen im stande wäre. Drum nehmt Eure Börse wieder zu Euch, meine gnädigste Herrin, und laßt mich gehen mit dem Bewußtsein, daß Ihr nicht im Zorne von mir scheidet.« »Nein, Roland, nicht im Zorne wollen wir scheiden,« wiederholte die Dame, »aber in schwerer Sorge um Deines Starrsinns willen sehe ich Dich ziehen. Nimm hier das Geld, Du wirst es brauchen können.« »Möge Gott Euch segnen, beste Herrin, für und für, aber dies Geld kann ich nicht nehmen. Ich habe Kräfte genug, mir Geld zu verdienen, und auch an Freunden fehlt es mir nicht so völlig wie Ihr zu meinen scheint. Vielleicht kommt einmal noch eine Zeit, da ich meine Dankbarkeit auf andre Weise zu bezeigen vermag als durch bloße Worte.« Er ließ sich auf ein Knie nieder und küßte die Hand, die sie ihm nicht entzog. Dann verließ sie schnellen Schrittes das Zimmer. Die Dame von Avenel stand ein paar Augenblicke da, so bleichen Gesichts und so unsichrer Haltung, daß sie einer Ohnmacht nahe zu sein schien. Die Zofe wollte ihr zu Hilfe eilen, aber die Dame winkte ihr, sich zu entfernen. Sie faßte sich schnell und begab sich in ihre Gemächer. Früh am Morgen nach diesem Auftritte verließ der in Ungnade gestürzte Liebling der Dame von Avenel das Schloß, in welchem er den Stoff noch zu mancher Unterhaltung zwischen der ihm aufsässigen Dienerschaft liefern sollte, und wanderte fürbaß, ohne alles Ziel. Das Boot, worin er über den See gesetzt war, hatte er nach der vom Dörfchen am weitesten abgelegnen Stelle gerudert, um über die Richtung, die er einschlüge, völlige Ungewißheit bestehen zu lassen. In seinem Stolze sagte er sich, daß er als Ausgewiesener bei den Dörflern nur Verwunderung, höchstens noch Mitleid wecken werde, und von beidem mochte er nichts wissen. Anderseits mußte er sich sagen, daß jeder Beistand, der ihm etwa geleistet werde, zu den Ohren der Leute auf dem Schlosse den Weg und dort mißgünstige Deutung finden könne. Ein nichtiger Vorgang sollte ihn bald lehren, daß er sich um seiner Freunde am jenseitigen Ufer willen keine Sorge zu machen brauche. Ein junger Mensch, um ein Paar Jahre älter als er, begegnete ihm, der sich früher, als Roland noch in Gunst bei seiner Herrin stand, überglücklich gefühlt hatte, wenn er an Rolands Spielen und Zerstreuungen hatte teilnehmen dürfen, wenn auch nur in der untergeordneten Rolle eines jugendlichen Dienstmannes. Er kam mit der schmeichlerisch-frohen Miene eines sklavischen Freundes auf ihn zu und sagte ihm guten Morgen. »Ei, ei, Junker Roland, unterwegs auf dieser Seeseite und schon so früh und ohne Hund und Falken?« »Falken und Hund,« erwiderte Roland, »werde ich wohl kaum wieder Halloh rufen. Ich bin weg vom Schlosse, das heißt, ich bin auf dem Wege wo anders hin.« Ralph Fischer -- so hieß der junge Mensch -- war höchlich verwundert. »Wie? also im Begriff, in die Dienste des Ritters zu treten?« das Panzerhemd wollt Ihr anlegen und die Lanze nehmen?« »Nein, so ist's nicht gemeint,« versetzte Roland, »ich stehe im Begriff, den Dienst auf dem Schlosse Avenel ganz aufzugeben.« »Und wohin, gedenkt Ihr den Fuß zu setzen?« fragte der junge Dörfler. »Darauf läßt sich so schnell nicht antworten, wie es sich fragen läßt,« sagte Roland Gräme, »darüber bin ich noch nicht mit mir einig.« »Nun, nun, es wird wohl auf eins herauskommen, wohin Ihr Euch wendet,« meinte Ralph Fischer, »denn die gnädige Dame von Avenel wird ja nicht vergessen haben, Euch Euer Wams tüchtig mit Geld zu Polstern.« »Niedriger Sklave,« versetzte Roland stolz, »meinst Du, ich ließe mich traktieren von einer Frau, die mich in Mißgunst fallen ließ und mich von sich wies um der Klatschereien einer Zofe und eines salbadernden Pfaffen willen? Am kleinsten Bissen Brot, den sie mir noch gegeben hätte, wär ich erstickt.« Ralph gaffte seinen einstigen Gespielen an mit einer Miene, die halb Staunen, halb Geringschätzung kündete. »Na, was geht's, mich an?« sagte er dann, »jeder muß am besten wissen, was ihm frommt und wie er mit seinem Magen zurecht kommt. Aber ich wär froh gewesen, wenn ich so ins Blaue hinein laufen müßt, es hätt sich jemand gefunden, der mir die Taschen voll machen wollte. Ist's Euch vielleicht recht, auf eine Nacht mit mir beim Vater zu bleiben? freilich bloß auf eine Nacht, denn morgen kommt Onkel Menelaus mit seinem Jungen zu mir und da ist's dann vorbei mit dem Platze ... aber auf eine Nacht, wie gesagt ...« Der Page fühlte sich, da das Anerbieten in so wegwerfendem Tone und mit solcher Einschränkung gemacht wurde, mehr verletzt dadurch als erfreut und erwiderte: »Lieber schlaf ich aus offner Heide, wie bei geringerer Veranlassung schon in so manch andrer Nacht,« sagte er stolz, »als in Eures Vaters verräucherter Dachstube, die doch nach Torf und Branntwein stinkt wie ein Hochschottenplaid.« »Das könnt Ihr ganz halten, wie Ihr wollt,« versetzte Ralph, »ich denk aber, es wird sich wohl noch mit dem spröden Wesen legen und seid Ihr erst mal ein paarmal ohne Obdach gewesen, dann wird Euch wohl eine Streu mit ein bißchen Torfqualm und einem Schnaps dazu gar so Unrecht nicht sein. Bedanken wenigstens hättet Ihr Euch schon können, wenn Euch jemand was anbietet, denn es ist schließlich nicht jedermanns Sache, sich Scherereien auszusetzen wegen eines aus dem Dienst entlassenen Lakeien.« »Ralph,« versetzte Gräme, »vergiß doch lieber nicht, daß Du die Reitpeitsche, die ich noch in der Hand halte, schon ein paarmal gekostet hast. Es könnte Dir wohl noch einmal passieren.« Ralph, ein strammer, untersetzter Bursche, der sich seiner Kräfte sattsam bewußt war und es sich wohl zutraute, einen Kampf mit dem Junker bestehen zu können, lachte ob der Drohung desselben hell auf. »Was mich schlug, war der Stiel, die Hand tat dazu nicht viel,« sagte er und lachte hell auf. »Der Reim paßt so gut, wie wenn er in einer Ballade stände. Ich will Euch bloß sagen, junges Herrchen, wenn ich mir den Stiel von Eurer Peitsche hab gefallen lassen, dann war's um der Schloßherrin willen, bei der ich's nicht verderben wollte, aber jetzt wüßte ich nicht was mich abhalten sollte, alte Rechnungen hier mit dem Haselstocke wettzumachen und Euch fühlen zu lassen, daß ich nicht Eure Knochen, mein junger Herr Roland, sondern bloß Eure Livree hab schonen wollen.« So ergrimmt auch Roland über diese bäurische Frechheit war, so riet ihm doch in diesem Falle die Klugheit, sich in die Gefahr eines Streits mit dem um so viel stärkeren Menschen nicht einzulassen, und während sein Widersacher ihn mit höhnischem Lachen zum Kampfe herausforderte, wurde ihm die Bitternis seiner gegenwärtigen Lage nur allzu bewußt und er brach in heftiges Weinen aus, außer stande, die Tränen zu verbergen. Selbst dem rauhen Bauernburschen ging der Schmerz des ehemaligen Gefährten nahe. »Herr Roland,« sagte er gutmütig, »es war ja nicht so gemeint, und weh tun hab ich Euch nicht wollen, ganz gewiß nicht, schon um der alten Bekanntschaft willen nicht. Aber laßt Euch eins raten! Ehe Ihr von Eurer Reitpeitsche zu reden anfangt, dann seht Euch lieber den Kerl zuvor an, ob er nicht ein paar Zoll länger ist als Ihr und nicht bloß ein paar solche Spindelchen von Armen hat wie Ihr ... Aber, horch! da hör ich doch Adam Woodcok den Falken rufen! ... Kommt mit, Page, Zum Vater, wir wollen uns einen vergnügten Nachmittag machen; kehrt Euch nicht an das bißchen Torfqualm und an den Fusel! Wer weiß, ob sich nicht ein ganz anständiges Mittel zu Brot und Auskommen für Euch dabei finden läßt, wenn es auch eine gar schwere Sache heutzutage ist, ein Unterkommen zu finden.« Roland fühlte sich so tief unglücklich, daß er kein Wort zur Antwort fand, sondern noch immer die Hand vor die Augen hielt, um die Tränen nicht sehen zu lassen, die ihm nach wie vor über die Wangen rannen. Ralph aber fuhr fort in dem Tone, der seiner Meinung nach der rechte war, ihn zu trösten: »Seht, Freund, als Ihr noch Liebling der Gnädigen wart, da haben die Leute gesagt, Ihr seiet stolz, haben Euch für einen Papisten gehalten und alles mögliche. Drum müßt Ihr nun, da Ihr auf eignen Füßen stehn wollt, Euch befleißigen, recht hübsch manierlich und gesellig zu werden, auch mal ein gutes Wort jemand zu sagen wissen, müßt beim Prediger in die Nachmittagsbetstunde gehen, und dergleichen. Und wenn er sagt, Ihr hättet gesündigt, dann müßt Ihr mit dem Kopf unters Wasser fahren, und wenn Euch mal ein Adeling eins mit der Gerte überzieht, dann müßt Ihr Euch nicht mucksen, sondern bloß sagen, schönen Dank, daß Ihr mir das Wams ausgeklopft habt, oder so etwas, wie ich's ja auch mit Euch gemacht habe ... Aber da pfeift Adam schon wieder mit der Schalmei. Ich will Euch unterwegs alle Schliche lehren, wie man's machen muß, um durch die Welt zu kommen.« Roland Gräme hatte sich inzwischen wieder so weit beruhigt, daß es ihm gelang, eine gleichgültige Miene zu machen, und er erwiderte: »Nun, ich weiß, daß es noch andre Wege gibt, und selbst wenn das nicht der Fall wäre, so möcht ich in Eure Fußtapfen doch nicht treten.« »Wie gesagt, Herr Roland,« versetzte der Bauernbursche, »ganz wie Ihr wollt und denkt. Es muß jeder am besten wissen, wie er sich sein Leben einrichtet. Ich mag Euch nichts dreinreden. Noch einen Händedruck, Kamerad, um der alten Bekanntschaft willen. Was? auch nicht? Na, ein Dickkopf läßt sich eben von nichts abbringen, drum lebt wohl, noch einen guten Morgen auf den Weg!« »Guten Morgen!« sagte Roland hastig, »guten Morgen!« während der Bauer sich schnell entfernte, offenbar froh, jemand los zu sein, der nichts mehr hatte, sich nützlich zu erweisen, aber einem leicht Dinge zumuten konnte, die einem Ungelegenheiten machen konnten. Als sich sein Gemüt einigermaßen beruhigt hatte, trat die Erinnerung an seine Wohltäterin und an ihre Güte ihm wieder vor die Seele, und alle Kränkung, die er ihr angetan hatte, zeigte sich ihm jetzt in den schwärzesten Farben. Wie oft hatte sie ihn nicht in Schutz genommen gegen die Ränke andrer, und nie würde sie aufgehört haben es zu tun, hätte nicht er in seinem Uebermaß von Trotz und Herrschsucht sie vor die Notwendigkeit gestellt, die schützende Hand von ihm zu ziehen. »Ja,« rief er bei sich, »und wenn ich auch Unwürdiges gelitten habe, so war es doch nur der verdiente Lohn für meinen Undank. War es wohl recht von mir, ihre Gastfreundschaft anzunehmen, mich mit mehr als mütterlicher Liebe von ihr behandeln zu lassen und ihr zu verschweigen, daß ich andern Glaubens bin als sie? ... Aber sie soll es noch hören, daß ich katholischen Glaubens bin, und daß ein Katholik ganz ebenso dankbar sein kann wie ein Puritaner, daß ich wohl unbesonnen war, aber nicht schlecht von Charakter, daß ich sie immer hochgeachtet habe, ihr immer in Liebe zugetan blieb, selbst in den zornigsten Augenblicken, daß ich wohl unüberlegt handeln konnte, aber nicht undankbaren Herzens bin.« Während diese Gedanken ihm durch den Sinn gingen, drehte er sich um und wandte die Schritte wieder dem Schlosse zu. Dann aber kam der Gedanke an den Hohn, mit dem ihm die Dienerschaft begegnen würde, und dämpfte die erste schnelle Regung von Reue, die ihn überkommen hatte. Hätten diese gemeinen Seelen denn andre Gründe für seine Umkehr finden können, als daß er um Verzeihung für sein unartiges Benehmen bitten, daß er sich wieder ins Schloss einvettern wolle? Er mäßigte wohl die Schnelligkeit seines Schrittes, blieb aber nicht stehen. »Mögen sie sagen, was sie wollen, mögen sie mit dem Finger weisen, mögen sie reden von Hochmut, der vor dem Falle kommt, und was sonst noch, ich will es nicht achten, ich will es ansehn als eine Buße, die mir gebührt, und will alles mit Geduld tragen. Aber wenn auch sie, meine Gönnerin, mich für so niedrig und schwachherzig ansehen sollte, daß ich nicht käme, bloß sie um Verzeihung zu bitten, sondern um mir wieder Vorteile zu schaffen, die mir ihre Gunst bisher gewahrte -- das vermöchte ich nicht zu ertragen, das will und werde ich nicht ertragen!« Er blieb stehen, und sein Stolz raunte ihm zu, daß er sich durch solchen Schritt weniger die Gunst der Dame von Avenel als ihre Geringschätzung verschaffen werde, und während er so stand und sann, da glitt ein Gegenstand an ihm vorbei, so dicht, daß er ihm die Augen blendete und die Feder seines Hutes streifte. Es war der Lieblingsfalke Sir Halberts, der seinen Kopf umflatterte und die Aufmerksamkeit des Pagen, der so oft mit ihm in den Wald hinaus gewandert war, auf sich lenken zu wollen schien. Roland ließ den gewohnten Lockruf ertönen, und sogleich setzte sich der Falke auf den ausgestreckten Arm des Pagen und fing sich zu putzen an und heftete von Zeit zu Zeit einen scharfen, funkelnden Blick aus den nußbraunen Augen auf ihn, wie wenn er fragen wollte, warum er ihn nicht mit der sonstigen Zärtlichkeit behandle. »Ach, mein schöner Demant!« sagte da Roland zu dem Falken, wie wenn ihn der Vogel verstände, »wir müssen uns nun fremd werden. Hast manchen schönen Fang für mich gemacht, hast manchen kräftigen Reiher in den Sand gestreckt! aber das ist nun alles vorbei, denn für mich, schöner Demant, gibt es nun keine Beize mehr!« »Ei, und warum nicht, Herr Roland,« sagte ein Stimme, und Roland erkannte sie als die Stimme Adam Woodcocks, des Falkners, der eben hinter Erlenbüschen hervortrat, die ihn Rolands Blicken verborgen hatten, »warum sollte es für Euch keine Beize mehr geben? Was wäre denn das ganze Leben ohne das edle Weidwerk?« Er sprach's in zutraulichem, freundlichem Tone, aber die Erinnerung an den Zwist, den sie zusammen vor so kurzer Zeit erst gehabt, und an die Folgen, die für ihn so einschneidender Art gewesen waren, lähmte Roland die Zunge »Herr Roland, meint Ihr denn als halber Engländer, ein ganzer Engländer wie ich könne Groll gegen Euch bewahren jetzt, da Ihr in Not und Verdruß seid? Das sähe doch den Schotten zu ähnlich, meinen Herrn natürlich ausgenommen, die von Gesicht freundlich tun und mit dem Herzen falsch sein können, die einem alles nachtragen, bis ihren Reden nach die rechte Stunde da ist; die mit Euch aus der gleichen Schüssel essen, mit Euch aus dem gleichen Becher trinken und beizen und jagen, und schließlich, wenn sich ein günstiger Anlaß bietet, eine alte Rechnung, die Ihr längst vergessen habt, mit der Dolchspitze ausgleichen! ... Drüben in Yorkshire hat man für solche Schulden kein Gedächtnis. Nein, mein junger Kamerad, Ihr habt mir wohl derb eins ausgewischt, aber es kann wohl sein, daß ich es von Euch noch lieber hingenommen hab als von jedem andern, denn Ihr habt wenigstens gute Kenntnisse von der Falkenbeize, wenn ich auch inbetreff des Auffütterns von Nestfalken andrer Meinung bin als Ihr. Drum gebt mir die Hand, Kamerad, und hegt nicht weiter gegen mich Groll.« Wenngleich sich Rolands Blut gegen die vertrauliche Weise des Falkners auflehnte, so war er doch außer stande, der treuherzigen Offenheit desselben zu widerstehen, und indem er sich mit der einen Hand das Gesicht verdeckte, streckte er die andre dem Manne entgegen und erwiderte seinen freundschaftlichen Druck. »Na,« sagte Adam Woodcock, »jetzt kommt's doch von Herzen, ich hab's ja doch immer gesagt, das Herz bei Euch sei gut, wenn Ihr auch ein Stück vom Teufel in Euch hättet. Ich war mit dem Falken unterwegs, um Euch zu suchen, und der ungeschlachte Lümmel dort sagte mir's, wohin Ihr den Flug genommen hättet. Von der Geiersbrut im Dorfe habt Ihr immer zuviel gehalten, Herr Roland, und ich Hab mit angesehn, was zwischen Euch passiert ist. Mit einem Donnerwetter hab ich den Kerl auf den Trab gebracht, als er sich an mich heranmachen wollte ... Und nun, Herr Roland, wohin soll Euer Flug sich wenden?« »Wie es dem Herrn droben gefällt, Woodcock,« versetzte der Page mit einem Seufzer. »Na, Kamerad, deshalb nicht so trübe dreingeschaut!« sagte der Falkner, »wer weiß, ob Ihr nicht bald weit bessern Aufflug nehmt, als es hier hätt sein können! Seid Ihr nicht mehr Page, so seid Ihr Euer freier Herr, könnt hingehn, wohin es Euch Paßt, und tun, was Ihr wollt. Und könnt Ihr Euch nicht mehr so schön kleiden, so braucht Ihr auch nicht mehr nach der Pfeife zu tanzen. Es hat eben immer jegliches Ding seinen Vorteil und seinen Nachteil. Und was Euch noch in der Zukunft gebacken wird, wer kann's wissen? Sir Halbert, mit Verlaub, denn er ist jetzt mein Brotherr, soll auch mal froh gewesen sein, daß er als Förster bei seinem Herrn ankam, und jetzt ist er Ritter und hat seine eigne Jagd und Hund und Falken und den Adam Woodcock als Falkner noch obendrein!« »Recht habt Ihr, Woodcock,« antwortete der Jüngling, dem das Blut die Wangen färbte, »höher schwingt sich der Falkner ohne die Schellen und wenn sie gleich aus Silber wären!« »Nun, das war auch recht gesagt, Herr Roland,« versetzte der Falkner, »aber nun noch einmal, wohin soll's gehen?« »Ich wollte nach der Abtei Kennaquheir hinüber,« sagte Roland, »und den Abt Ambrosius um Rat fragen.« »Nun, dann Glück auf den Weg,« erwiderte der Falkner, »aber Ihr werdet die Mönche wohl in einiger Unruhe finden, denn wie das Gerücht geht, so droht das Volk, sie aus ihren Klöstern und Zellen zu jagen, weil es der Meinung ist, sich ihren Spuk nun lange genug mit angesehen zu haben. Und wenn ich die Wahrheit sagen soll, so bin ich unumwunden der gleichen Meinung.« »Dann wird's für den Pater Ambrosius um so erwünschter sein, einen Freund bei sich zu haben!« meinte Roland entschlossenen Tones. »Aber, mein jugendlicher Unverzagt, für besagten Freund wohl weniger angenehm, denn er könnte grade hinzukommen, wenn die Schläge am dichtesten fallen, und das ist doch allemal die böseste Zeit des Kampfes.« »Furcht davor, daß mich Schläge treffen könnten, wird mich nicht abhalten,« sagte Roland, »aber ich befürchte, ich könnte den Brüdern zur Last fallen, wenn ich den Vater Ambrosius aufsuche. Ich will heute in St. Cuthberts Zelle nächtigen, der Pater dort gibt mir schon Unterstand, und morgen früh will ich beim Pater Ambrosius im Kloster anfragen lassen, ob ich ihm recht komme.« »Bei unsrer lieben Frau,« erwiderte der Falkner, »kein übler Gedanke!... und nun noch eins,« -- aber hier ging die bisherige Frische und Ungezwungenheit seines Wesens in etwas wie unbeholfene Verlegenheit über -- »Ihr wißt wohl, daß ich eine Futterschleppe für meine Falken bei mir trage, aber wißt Ihr auch, womit sie ausgefüttert ist . . he?« »Doch wohl mit Leder,« meinte Roland, verwundert darüber, daß Woodcock bei einer Frage von so einfacher Natur solch merkwürdige Verlegenheit zeigte. »Mit Leder, meint Ihr?« wiederholte Woodcock, »nein, aber mit Silber. Da seht,« und bei diesen Worten wies er auf einen verborgnen Schlitz in der Tasche ... hier stecken dreißig Heinrichsgroschen, echt wie sie nur je in den Tagen des lustigen Heinz geschlagen worden sind, und zehn davon könnt Ihr haben, wenn's Euch recht ist ... und nun ist's runter vom Herzen, Gott sei gedankt!« Rolands erster Gedanke war, das Anerbieten abzuweisen, aber er besann sich auf das Gelübde der Demut, das er sich vor wenigen Augenblicken selbst geleistet hatte, und antwortete dem Falkner mit aller Unbefangenheit, die ihm zur Verfügung stand, daß er das Anerbieten nicht von sich weisen wolle, wenn es auch sonst wider seine Anschauungen laufe. Unterlassen konnte er jedoch nicht, seinen Stolz wenigstens durch die Bemerkung zur Geltung zu bringen, daß er suchen werde, diese Schuld so schnell wie möglich wieder auszugleichen. »Damit haltet's nur nach Eurem Belieben, ich tret Euch nicht drum auf die Zehen,« erwiderte der Falkner treuherzig, indem er die zehn Silberstücke dem Pagen gewissenhaft in die Hand zählte; dann aber setzte er hinzu mit der alten Fröhlichkeit seines Wesens: »So, Herr Roland! und nun könnt Ihr den Tanz mit dem Leben wagen! ... denn wer noch weiß, wie man einen Gaul sattelt und einen Hund hetzt und in ein Horn stößt und Schwert und Tartsche führt und einen Falken beizt, dabei ein gutes Paar Schuhe und ein grünes Wams und zehn Heinrichsgroschen im Sack hat, der kann's mit ansehn. Und nun laßt's Euch gut draußen gehen, Herr Roland. Gott befohlen!« Mit diesen Worten drehte er sich um, wie wenn ihm dran läge, jedem Schön Dank! seines Kameraden zu entgehen, und ließ Roland allein. Sechstes Kapitel Die Klause des heiligen Cuthbert, wie sie allgemein in der Gegend hieß, und zu der jetzt Roland Gräme die Schritte lenkte, war ein Absenker der stattlichen Abtei von Kennaqhuair und lag in nordwestlicher Richtung ein paar Wegstunden von ihr entfernt. Die Umgegend wies manche jener angenehmen Dinge auf, die der wohlerfahrene katholische Geistliche bei der Wahl der Oertlichkeit für seine Andachtsstätten niemals außer acht läßt. Eine Heilquelle war vorhanden, die natürlich unter den Schutz eines Heiligen gestellt wurden war und eine gewisse Einnahmequelle sicherte, da keinem Sterblichen ihre Segnungen zu teil wurden, der nicht für den Kaplan einen Obolus übrig hatte. Dann waren ein paar Streifen bebaubaren Bodens vorhanden, die dem Kaplan die Anlage eines Gemüsegartens möglich machte. Hinter der Klause erhob sich eine kleine Höhe, die sie gegen Nord- und Ostwinde schützte, aber den Südwinden offen hielt, zugleich Aussicht in ein wildromantisches Tal gewährte, in welchem ein muntrer Bach entlang floß, in regem Kampfe wider alles sich ihm in den Weg legende Gestein. Die Bauart war einfacher Art und fast roh zu nennen, ein kleines gotisches Gebäude mit zwei Stübchen, von denen eines dem Priester als Wohnung, das andre als Kapelle diente. So lange die katholische Religion die Oberhand hatte, war die Anwesenheit des Geistlichen für diese Grenzgegend von mancherlei Wohltat gewesen, denn es durften nur wenige damals riskieren, sich so nahe an die Grenze zu setzen. Seit aber die protestantische Lehre sich immer weiter ausbreitete, hatte es der Geistliche für angemessen erachtet, in strenger Abgeschiedenheit zu leben und sich aller Aufmerksamkeit so viel wie möglich zu entziehen. Der Anblick, den die Klause bot, als Roland Gräme sie erreichte, bewies jedoch deutlich, daß all seine Vorsicht zuletzt gar nichts genutzt hatte. Im ersten Augenblick dachte der Page, an die Pforte um Einlaß zu klopfen, aber im andern Augenblick sah er, daß sie offen stand und aus den Angeln gehoben war. Hierdurch beunruhigt und da er keinerlei Geräusch hörte, meinte er, es möge klüger sein, sich erst draußen ein wenig umzusehen, ob alles geheuer sei, ehe er sich in das Innere wagte. Die Blumen, die an der Mauerkante geblüht hatten, waren ausgerissen, das kleine Gitterfenster neben der Pforte war eingedrückt, die Wege im Garten waren Zertreten, Spuren von Hufen und Stiefeln sah man überall. Sogar die Heilquelle war der Verwüstung nicht entgangen, der Bogen, unter dem sie hervorsprudelte, war zerschlagen, die Steine, aus dem er errichtet worden war, hatten die Vandalen vor die Quelle gewälzt, wie um sie zu verstopfen; vom Dache der Kapelle war ein ganzes Stück abgelöst worden, so daß der Regen frei ins Innere strömen konnte, und als nun Roland Gräme sich entschloß, den Fuß ins Innere der Ruine zu setzen, da sah er die wenigen Gerätschaften des Klausners in Scherben am Buden liegen; und was irgend brennbar gewesen war, das hatte einem Feuer zur Nahrung gedient, das in einem Winkel angesteckt worden war, darunter auch das uralte, roh gezimmerte Bildnis des Heiligen Cuthbert, das in halb verkohlten Stücken zwischen der Asche lag. In dem kleinen Raume, der als Kapelle gedient hatte, war der Altar umgestürzt, die vier großen Steine, aus denen er bestanden hatte, lagen auf dem Boden umher, das große steinerne Kruzifix war in den Garten hinaus geschleudert worden, wo es, in drei Stücke zerschellt, auf dem Sande lag. Aber wie von höherer Hand erhalten, war die Form, die es von dem Bildhauer erhalten hatte, noch deutlich, zu erkennen, und die drei Bruchstücke lagen so beieinander, daß Roland Gräme, der mit Grausen dieses gottesschänderische Werk sah, auf der Stelle die Möglichkeit, das Kruzifix wieder aufzurichten, erkannte. Mit einer Kraft, deren er sich nie zuvor für fähig erachtet hatte, gelang ihm das Werk. Zuerst hob er den untern Kreuzbalken am einen, sodann am andern Ende in die Höhe, dann fügte er die beiden Ränder in den Säulenfuß ein, aus dem sie herausgerissen worden waren, dann stellte er es aufrecht und fügte die drei zerschlagenen Stücke so aneinander, daß sie einigermaßen zusammenhielten. Wie er noch bei der mühsamen Arbeit war, klang hinter ihm eine ihm bekannte Stimme in hellem, fast schrillem Tone: »Das hast Du brav gemacht, Du guter und getreuer Knecht! O, so meinem Kinde wieder zu begegnen, das war die stille, aber heiße Sehnsucht meiner alten, müden Augen.« Tief erstaunt drehte Roland sich um und sah vor, sich die hoheitsvolle Gestalt der Magdalene Gräme stehen, in ein weites schwarzes Gewand gehüllt, das dem Pilgergewande sich nur so weit näherte, wie es in einem Lande geraten erschien, wo der Verdacht, katholischen Glaubens zu sein, von großer Gefahr für die persönliche Sicherheit werden konnte. Roland lag im nächsten Augenblick der Frau zu Füßen. Aber sie hob ihn sogleich auf und schloß ihn in die Arme, zärtlich und liebevoll, aber nicht ohne eine an Strenge grenzende Würde. »Du hast Deinen Glauben treu bewahrt, selbst unter ketzerischer Umgebung, und trotzdem Du noch Jüngling bist .... Du hast Dein und mein Geheimnis treu und fest bewahrt, auch unter Deinen Feinden. Damals als ich vom Schlosse schied, ohne Dich noch einmal zu selben, habe ich bittre Tränen vergossen, nicht sowohl weil Dein leibliches Leben in Gefahr geschwebt hatte, als vielmehr Deine Seele in Gefahr kam ... aber Du hast Dich als treu bewährt. Kniee nieder vor dem heiligen Bilde, das böse Menschen verlästern und höhnen. Kniee nieder und preise die Engel für die Gnade, die sie Dir erwiesen haben dadurch, daß sie Dich vor dem Gift des Aussatzes bewahrten, das an dem Hause haftet, in welchem Du erzogen wurdest.« »Wenn ich zurückgekehrt bin, Mutter, denn so muß ich Euch nennen,« erwiderte Roland Gräme, »Eurem Wunsche gemäß, so müßt Ihr es den Bemühungen des Paters Ambrosius danken, durch dessen Unterricht Eure Lehren in mir gefestigt wurden und der mich lehrte, gläubig und verschwiegen zu sein.« »Sei er gesegnet dafür!« antwortete die Gräme, »gesegnet, wohin ihn sein Weg führt... aber über Deine Abkunft war ihm nichts bekannt!« »Davon konnte doch ich ihm nichts sagen,« versetzte Roland, »denn nur dunkel konnte ich aus Euren Andeutungen den Schluß ziehen, daß Sir Halbert Glendinning mir mein Erbe vorenthält, und daß ich so edlen Blutes bin, wie nur je in eines schottischen Adelinges Adern fliehen kann. Solche Dinge vergißt man nicht, aber nähere Aufklärung möchte ich nun von Euch erwarten.« »Du sollst nicht umsonst darum bitten, nur warte die Zeit ab!« lautete die Antwort aus dem Munde der Greisin. »Aber, mein Sohn, es geht die Rede, Du seiest kühn und schnell, und Jünglingen solchen Temperaments vertraut man nicht ohne weiteres Dinge an, die sie leicht in heftige Erregung setzen können.« »Sprecht lieber, Mutter, ich sei schlafmützig und kalt,« entgegnete Roland Gräme; »könnt Ihr Euch vergegenwärtigen, welches Maß von Geduld und Mäßigung dazu notwendig war, es jahrelang mit anzusehen, wie meine Religion in den Staub gezogen wurde, und doch dem Gotteslästerer den Dolch nicht ins Herz zu stoßen!« »Tröste Dich, mein Kind,« versetzte die Gräme, »es sind große Dinge im Werke und Du -- ja, Du sollst das Deinige beitragen, sie zu befördern ... Du hast also den Dienst der Dame von Avenel verlassen?« »Entlassen aus dem Dienste bin ich, Mutter, erleben Hab ich es müssen, daß man mich gehen hieß, als sei ich der geringste ihrer Dienerschaft.« »Um so besser, mein Kind,« versetzte sie, »so ist Dein Herz gestählt zu dem, was geschehen muß!« »Nur gegen die Dame von Avenel möge nichts unternommen werden,« sagte der Page, »doch scheinen Wort und Blick von Euch es zu verraten. Ich hab ihr Brot gegessen, ich hab ihrer Güte vieles zu danken ... ich will sie nicht kränken oder beleidigen, noch weniger aber zum Verräter an ihr werden.« »Hiervon später, mein Sohn,« sagte sie, »doch merke Dir, darüber, was Deine Pflicht gebeut, Bedingungen zu machen, kommt Dir nicht zu, auch nicht zu sagen, das paßt mir zu tun, und jenes nicht ... Nein, Roland, die Verworfenheit dieses Geschlechts können weder Gott noch Menschen länger ertragen. Siehst Du hier diese Trümmer? weißt Du, was sie bedeuten? Und meinst Du, es stehe Dir zu, einen Unterschied in dieser Rotte zu machen, auf der des Himmels Fluch lastet, daß sie alles zertrümmern und lästern und verleugnen, was noch zu glauben und zu verehren wert und geboten ist?« Mit einer Miene schwärmerischer Andacht neigte sie das Haupt zu dem zertrümmerten Bilde, erhob die linke Hand in der Weise jemands, der ein Gelübde tut, und fuhr dann fort: »Du heiliger Gottesmann, in dessen entweihtem Tempel wir stehen, sei mir Zeuge, daß mein Haß nicht diese Menschen verfolgt, um mich selbst zu rächen, so wenig wie ich aus Gunst oder irdischer Zuneigung zu einem unter ihnen meine Hand von der Pflugschar ziehen will, wenn sie über die dem Verderben geweihte Furche hinziehen soll. Sei mir des Zeuge, Du Heiliger! der Du einst selbst landesflüchtiger Pilger warest, wie jetzt wir -- sei mir des Zeuge, Du heilige Gottesmutter und Himmelskönigin! -- seid mir des Zeugen, Ihr Heiligen und Engel!« Gespenstisch sah sie aus, wie sie dastand mit den gen Himmel gerichteten Augen und den über die Schultern wallenden langen grauen Locken, die der Wind von Zeit zu Zeit hob, daß sie flatternd wie Schleichen und Nattern in der Luft umherschossen. Roland war von früher her gewöhnt, daß sie nicht litt, über das was sie im Schilde führte, gefragt zu werden. Auch drang sie selbst nicht weiter in ihn, sondern schlug, nachdem sie sich bekreuzigt hatte, die Hände zusammen zu frommem Gebet und wandte sich dann mit ruhiger, dem gewöhnlichen Verkehrston angemessener Stimme zu Roland: »Deines Bleibens kann hier nicht lange sein. Du mußt schon morgen von hier fort. Für diese Nacht, wirst Du freilich ein hartes Lager haben, mit dem sich Deine durch weichen Pfühl verwöhnten Glieder kaum werden zufrieden erklären wollen.« »Mutter,« sagte Roland, »als wir umherzogen, war ich Jäger und Fischer und Vogelsteller. Und von denen, die solchem Berufe angehören, ist jeder an rauhes Nachtlager gewöhnt. Ich kann hart liegen, ohne daß es mich hart zu sein dünkt.« »Und was wirst Du essen?« fragte sie, als sie aus der Kapelle in die verödete Priesterzelle traten. »Armes Kind, für solch weite Reise hast Du Dich schlecht vorgesehen! Dabei fehlt es Dir auch an der Fähigkeit, Dir auf geschickte Weise über Mangel hinwegzuhelfen. Aber unsre liebe Frau hat Dir eine Gefährtin beigesellt, die mit dem Mangel in aller Gestalt vertraut ist, wie sie es früher war mit Pracht und Ueberfluß. ... Mit dem Mangel, Robert, finden sich all die Künste und Fertigkeiten ein, die ihn Vater nennen!« Mit dienstfertigem Eifer, der von der schwärmerischen Begeisterung wunderlich abstach, begab sie sich nun an die Herrichtung der Speisen. Aus der Tasche, die sie trug, nahm sie Feuerstein und Stahl, und aus den in der Kapelle verstreut liegenden Holzstücken gewann sie, selbst mit sorgfältiger Ausscheidung aller Stücke, die von dem Bilde des Heiligen und von dem Kruzifixe herrührten, Späne genug, daß bald ein lustiges Feuer auf dem Herde der Zelle brannte. Dann sagte sie: »Und nun, was zum Essen und Trinken von nöten ist.« »Sorgt nicht dafür, Mutter, sofern Ihr nicht selbst hungert und dürstet. Für mich ist es ein kleines, eine Nacht hindurch zu fasten, und für die notgedrungene Übertretung der kirchlichen Vorschriften während meines Aufenthalts im Schlosse eine wahrlich nur geringe Buße.« »Du fragst, ob ich selbst Durst und Hunger fühle? ... Wisse, Jüngling, keine Mutter kennt den Hunger, so lange sie nicht ihr Kind gesättigt weiß.« Und mit einer Zärtlichkeit, die zu ihrer sonstigen Strenge in seltsamem Widerspruche stand, sprach sie weiter: »Nein, Roland, Du mußt essen. Du hast Dispensation, Du bist jung, und für die Jugend sind Schlaf und Speise unabweisbare Bedürfnisse. Sei haushälterisch mit Deiner Kraft, Kind! denn Dein Fürst, Deine Religion und Dein Vaterland machen Ansprüche auf Deine Kraft. Alter mag sich kasteien durch Fasten und Nachtwachen, die Jugend soll aber ihre Glieder stählen durch Schlaf und Speise, daß sie die Kraft finde, die sie zur Arbeit braucht.« Aus ihrer Tasche nahm sie nun auch, was für Robert zur Speise bestimmt war, und wachte mit Eifer darüber, daß er sich satt aß. Roland gehorchte willig, aber als er auch sie aufforderte sich zu stärken, schüttelte sie mit dem Kopfe, und als er nicht ablassen wollte mit Bitten und Vorstellungen, verwies sie ihm stolz alle weitere Rede in diesem Sinne. Dann machte sie aus dürrem Laub ein Lager auf dem Erdboden zurecht, suchte zur Decke ein paar Stücke Zeug zusammen, die auf dem Boden umherlagen, wobei sie jedoch mit frommer Scheu alles unangerührt ließ, was einen Teil der priesterlichen Gewandung ausgemacht hatte, und ebenso heftig wie sie Speise und Trank von sich gewiesen, so wies sie nun auch die Zumutung von sich, das hergerichtete Lager selbst zu benützen. Mit gebieterischer Handbewegung sagte, sie: »Schlafe Du, Roland Gräme, schlafe Du! Du verfolgtes und enterbtes Waisenkind! Du Sohn einer unglücklichen Mutter! schlafe, schlafe Du! ... Ich gehe in die Kapelle nebenan, um zu beten!« Siebentes Kapitel Als sie von den Resten des gestrigen Abendbrots ihr Frühstück eingenommen hatten, machten sie sich auf die Wanderung. Magdalene Gräme ging festen und rüstigen Schrittes voran, und Roland, mißmutig über die ihm neuerdings aufgezwungene Abhängigkeit, schritt hinter ihr drein. »Soll ich mich denn immer verzehren in der Begierde nach Unabhängigkeit und freier Tätigkeit,« sprach er bei sich, der Worte der Greisin eingedenk, daß er kein Recht haben solle zu wählen zwischen dem, was er tun und was er nicht tun wolle, »und soll ich demungeachtet durch die Umstände immerfort genötigt sein, mich dem Willen andrer Menschen zu beugen?« Sie sprachen selten zusammen. Frau Gräme sang hin und wieder aus irgend einer schönen lateinischen Hymne mit gedämpfter Stimme einige Strophen, murmelte ein Credo oder ein Ave und versank tiefer und tiefer in ihre religiösen Betrachtungen. Die Aufmerksamkeit des Enkels war mehr auf irdische Dinge gerichtet, und wenn von Zeit zu Zeit einmal ein Sumpfvogel mit trotzigem Kampfgeschrei aus einem Busche aufstieg und über einen Sumpf hinschoß, da fiel ihm der muntre Woodcock ein und die prächtigen Falken, oder wenn sie an einem Dickicht vorbeigingen, das mit Heide- und Pfriemenkraut durchwachsen war zu einem sichern Versteck, dann träumte er von einem Rehbock oder von Windspielen. Oft aber wandte seine Seele sich zurück zu seiner gütigen Gebieterin, von der er geschieden war, ohne jeglichen Versuch von seiner Seite, sie wieder zu versöhnen, so daß sie mit vollem Recht ihm zürnte. »Hätte ich mich doch nur noch einmal zu ihr begeben,« sprach er bei sich, und diesen Gedanken konnte er nicht los werden, »und wäre es nur auf einen Augenblick gewesen, um ihr zu sagen: Gnädigste Herrin, der Waisenknabe war wohl unbändig, aber undankbar war er nicht.« Um die Mittagsstunde herum erreichten sie ein kleines, einzeln liegendes Dörfchen, das, wie die meisten Grenzorte, mit ein paar vorspringenden Türmen oder Schirmdächern, damaligem Brauche gemäß, aus Rücksicht auf die oft notwendig werdende Verteidigung gegen Ueberfälle, befestigt war. Ein kleiner Bach floß hindurch, und an einem Winkel, den er bildete, stand ein verfallnes Wohnhaus, das aber ehemals Personen von Rang und Stand zum Aufenthalt gedient haben mochte. Ein paar Maulbeerbäume milderten das düstre Aussehen des aus dunkelrotem Gestein aufgeführten Hauses, das einstmals ein stattliches Aeußere gehabt haben mochte. Der Hof vor der Tür, ehedem von einer niedern Mauer umschlossen, die aber jetzt in Verfall war, zeigte unter dem dichten Grase, das von Nesseln und anderm Unkraut überwachsen war, deutliche Spuren eines ehemaligen Steinpflasters. Der Bach hatte die Mauer unterwaschen, in seinem Bett lagen verschiedene von den Ecktürmchen, die sie vor Zeiten gekrönt hatten, und infolge der Trümmer, die es in seinem Laufe geschaffen, hatte es sich weiter an den Turm herangezogen und schickte sich nun an, auch den Grund zu unterhöhlen, auf dem das Gebäude selbst stand, sofern ihm nicht schnell noch durch einen Dammbau Einhalt getan wurde. Alles dies erregte Rolands lebhafte Aufmerksamkeit, als er sich mit seiner Begleiterin auf einem gewundenen Pfade, der ihnen die mannigfachsten Ausblicke eröffnete, dem eigentümlichen Gebäude näherte. »Führt unser Weg nach diesem Hause?« fragte er die Großmutter, »dann hoffentlich nur auf kurzen Besuch, denn das Haus sieht ganz so aus, als genügten ein Paar Tage mit Böen aus Nordwest her, es in den Bach hinein zu befördern.« »Du siehst bloß mit den Augen des Leibes,« sagte die Greisin, »Gott wird sein Besitztum schützen, wenn es gleich von den Menschen verlassen und verachtet ist... Besser unter seinem Schutze auf Sand zu wohnen, als auf Felsen menschlichen Selbstvertrauens zu flüchten.« Unter dem Austausch dieser Worte traten sie in den Hof des alten Hauses, und hier merkte Roland sofort, daß das Haus ehedem eine stattliche Fassade besessen hatte aus dem gleichen dunkelroten Stein, aus dem das Haus selbst gebaut war. Aber die Fassade war zertrümmert, und nur verwitterte Spuren von Nischen und Gebälk bedeckten die Stelle, die sie einst eingenommen hatten. Der Haupteingang an der Vorderseite war vermauert, aber ein schmaler, wenig betretener Pfad führte zu einer engen Pforte, die durch eine dicht mit eisernen Nägeln beschlagene Tür Zugang zu dem Hause gewährte. Hier klopfte die Frau Gräme dreimal hintereinander, bei jedem Schlage eine bestimmte Weile inne haltend. Nach dem dritten Schlage gab drinnen ein leises Pochen Antwort, und bald darauf wurde die schmale Pforte geöffnet, und ein bleiches, hageres Weib begrüßte die Ankömmlinge mit dem Spruche: »Gesegnete, die da kommen im Namen des Herrn!« Als sie eingetreten waren, schloß die Pförtnerin die Pforte schnell wieder zu und schob die starken Riegel wieder vor. Die hagere Frau führte sie durch ein niedriges Portal in ein Vorzimmer von ziemlich bedeutender Größe, das mit Steinplatten gepflastert war und an dessen Wänden Steinplatten entlang liefen. Am obern Ende befand sich ein Bogenfenster, das aber zum Teil mit Heubündeln verbaut war, wodurch der Raum ein sehr düstres Aussehen gewann. Hier verweilten sie, und die Besitzerin, denn das war die Pförtnerin -- umarmte nun Magdalena und küßte sie auf beide Wangen und bewillkommnete sie mit dem Namen Schwester. Dieses Wort ließ in Roland keinen Zweifel über die Religion der Frau. Sie sprachen dann heimlich noch ein paar Worte, und dadurch gewann Roland Zeit, die äußere Erscheinung der neuen Bekannten genauer zu betrachten. Sie mochte zwischen fünfzig und sechzig Jahren alt sein. In ihren Blicken lag eine Mischung von Trübsinn und Not, die an Mißmut grenzte, aber die trotz ihres Alters noch deutlich erkennbare Spuren der einstigen Schönheit verrieten. Sie trug sich in einfachster Weise, dunkel, in gewisser Hinsicht ebenso klösterlich wie die Gräme. Ein hoher Grad von Sauberkeit schien darauf hinzudeuten, daß sie wohl arm, aber nicht so weit heruntergekommen war, daß sie den Sinn für Anstand im Leben verloren hatte. Ihr Benehmen sowohl wie ihre Gesichtszüge und ihre äußere Erscheinung verrieten deutlich, daß sie früher in andern Verhältnissen gelebt haben und auch eine Erziehung genossen haben mußte, die weit über die beschränkte Lage, in der sie sich jetzt befand, gereicht hatten. Je länger Roland die Greisin betrachtete, desto deutlicher war es ihm, daß diese Frau Dinge erlebt haben müsse, die des Erzählens wohl wert sein mochten. Mittlerweile, hörte das flüsternde Gespräch der beiden Frauen auf. Die Besitzerin des Hauses trat zu ihm und betrachtete ihn scheinbar mit reger Aufmerksamkeit und Teilnahme. »Also dies ist das Kind Deiner unglücklichen Tochter, Magdalene, sagte die Frau zu der Gräme, »und diesen letzten Sproß Eures unglücklichen Stammes wollt Ihr der guten Sache weihen?« »Ja, beim heiligen Kruzifix,« antwortete die Gräme in ihrem gewöhnlichen Tone unbeirrbarer Festigkeit, »der guten Sache weihe ich ihn, mit Haut und Fleisch, mit Armen und Sehnen, mit Seele und Leib.« »Du bist ein glückliches Weib, Magdalene, daß Du so hoch erhaben bist über menschliche Neigung und menschliches Gefühl, um ein solches Opfer dem Altare zuführen zu können. Ich hätte mit weit schwererem Herzen nur ein solches Opfer bringen können.« Und wieder betrachtete sie den Jüngling, aber in ihren Blick hatte sich ein Ausdruck wehmütiger Teilnahme geschlichen. Endlich trieb ihre unausgesetzte Betrachtung dem Jüngling das Blut in die Wangen und er wollte sich schon ihrer Nähe entziehen, aber seine Großmutter hielt ihn mit der einen Hand zurück, während sie ihm mit der andern das Haar aus der von Schamröte überflognen Stirn strich und mit unerschütterter Festigkeit, in die sich aber eine innige Zuneigung mischte, die Worte sprach: »Ja, sieh ihn Dir nur an, Schwester, denn nie ruhte Dein Blick auf einem schöneren Gesichte. Auch mir kam, als ich ihn zum ersten Male sah, eine Empfindung, wie sie jedem irdisch empfindenden Wesen auch wohl kommen muß. Aber von dem verwitterten Baume, der seinen Blätterschmuck schon längst verlor, kann kein Sturm ein Blatt mehr reißen, und ebensowenig kann eine zufällige Erscheinung des menschlichen Daseins noch Empfindungen wecken, die in der Stille frommer Andacht schon lange entschlummert sind.« Aber während die Greisin so sprach, strafte ihr Benehmen sie Lügen, denn als sie jetzt hinzusetzte: »Aber, je reiner und fleckenloser das Opfer ist, desto würdiger, nicht wahr, Schwester, ist es der Annahme.« Es schien, als ob sie den Gefühlen, die sie erschütterten, mit Freuden entränne, denn sie fuhr gleich darauf fort: »Aber er wird sich retten können, meine Schwester, und es wird sich ein Widder fangen in dem Dickicht, und die Hand unsrer abtrünnigen Brüder wird nicht, über unsern Joseph kommen. Kann doch der Himmel seine Rechte verfechten selbst durch die Hand von Kindern und Säuglingen, von Frauen und unmündigen Knaben!« »Der Himmel hat uns verlassen,« sagte die andre; »um unsrer Sünden, um der Sünden unsrer' Väter willen ist von diesem fluchbeladnen Lande die Hilfe aller gebenedeiten Heiligen gewichen. Die Krone des Märtyrertums können wir wohl gewinnen, nicht aber die Krone des irdischen Triumphs. So wurde wiederum einer hinüber in eine bessre Welt gerufen, dessen Weisheit uns in solch schwerer Zeit gar sehr fehlen wird. Der Abt Eustachius ist nicht mehr von dieser Erde.« »Möge seine Seele Gnade finden!« betete Magdalene Gräme, »und möge der Himmel auch uns Gnade schenken, die wir jetzt ohne ihn weiter leben müssen in diesem blutigen Lande. Unersetzlich ist für uns freilich sein Verlust, denn wer besäße seine Erfahrung, seinen Eifer, seine Weisheit, seinen Mut? Mit der Fahne in der Hand ist er gefallen im Kampfe, und doch wird Gott einen Nachfolger ihm erwecken, der das geweihte Panier tragen wird gleich ihm! Sprich, wen hat das Kapitel ernannt als Nachfolger in seinem Amte?« »Es geht, die Rede, es getraue sich keiner der wenigen überlebenden Brüder, das von ihm hinterlassene Amt zu übernehmen. Die Ketzer haben sich verschworen, keine neue Wahl geschehen zu lassen, und sollen entschlossen sein, keinem neuen Abt den Einzug in das heilige Marienkloster zu erlauben.« »Quousque tandem, Domine [Wohin (soll das) schließlich (führen), o Herr] ,« erwiderte Magdalene, »das wäre freilich ein gefahrvoller Riß in unsern Bund, aber ich bin fest in meinem Glauben, daß sich ein andrer für uns erheben wird an Stelle des von uns abgerufenen Streiters. Doch sprich, wo ist Deine Tochter Katharine?« »Im Sprechzimmer, Magdalene,« versetzte die Matrone, »aber« -- sie stockte, blickte auf den Jüngling und wisperte der Freundin ein paar Worte ins Ohr. »Um ihn sei ohne Sorge,« erwiderte Magdalene Gräme, »freilich ist's ebenso recht wie von nöten, aber von seiner Seite sei ohne Sorge, denn mir sollt's eine Freude sein, war er so fest im Glauben, wie er fest ist in seinen Grundsätzen, wie sein Gemüt frei ist von schlechten Gedanken, Reden und Handlungen. Denn das muß man an der ketzerischen Erziehung bestehen lassen, Schwester, in strenger Sitte ziehen sie dort«die Jugend heran und lassen keinerlei jugendlicher Torheit eine Pforte!« »Nun, so soll er meine Katharine sehen, da Du es für unbedenklich und zweckmäßig hältst, Schwester. Folge mir also, Jüngling,« setzte sie hinzu und ging der Freundin voraus, langsamen Schrittes, allerhand Gänge entlang und durch mehrere Gemächer. Unterwegs fand der Page Gelegenheit, über die neue Lage, die ihm sein Schicksal bereitet hatte, Betrachtungen anzustellen, die von keiner seinem feurigen Charakter besonders angemessenen Art waren. Statt einer Gebieterin, sagte er sich, habe er nun ihrer zwei erhalten, und zwar zwei Greisinnen, die sich verbündeten, jeden seiner Schritte nach ihrer Willkür zu lenken, im Verfolg eines Planes, an dem er selbst keinen Anteil habe. Das aber ginge, wie er bei sich dachte, zu weit, denn wenn auch seine Großmutter zufolge der Wohltaten, mit denen sie ihn überhäufte, ein Anrecht besäße, seine Schritte zu leiten, so sei sie doch nicht berechtigt, solches Recht an ihm auf fremde Personen zu übertragen oder mit ihnen zu teilen, und höchst unangenehm war ihm zu beobachten, daß die Greisin seiner neuen Bekanntschaft ganz ohne Umstände den gleichen Ton ihm gegenüber annahm wie seine Großmutter, und die gleiche Gewalt über ihn auszuüben sich anschickte wie jene. »Aber so soll es nicht lange bleiben,« dachte Roland Gräme bei sich, »es soll mir nicht einfallen, mein ganzes Leben nach den Pfeifen von Weibern zu tanzen, ihr Brot zu essen, zu laufen und zu stehen, wenn sie mich rufen. Nein, beim heiligen Andreas! eine Hand, die eine Lanze zu schwingen versteht, ist der weiblichen Zuchtrute entwachsen. Bei der ersten besten Gelegenheit, die sich mir bietet, sollen sie das Halsband in der Hand behalten, und ich will meiner Wege gehen, frei und ungebunden. Mögen sie dann zusehen, wie sie mit dem Plane, den sie im Schilde haben, allein zurechtkommen. Und ich glaube, das rettet beide noch aus einer Gefahr, die ihnen selbst an den Kragen gehen könnte, denn meines Wissens ist doch Graf Murray mit seiner Ketzerpartei zu weit schon im Lande vorgedrungen, als daß es noch geschehen könnte, daß ein paar alte Weiber dagegen aufkämen!« Während er solchen Gedanken nachhing, traten sie in ein niedriges Gemach, worin ein drittes Frauenzimmer saß. Es war der erste Wohnraum in dem Gebäude, der mit beweglichen Sitzen und einem hölzernen Tische ausgestattet war. Der Tisch war mit einem Stück Tapete verdeckt. Auf dem Boden lag ein Teppich, auf dem Herde stand ein Rost, kurz, die Stube sah aus, als sei sie bewohnbar und werde auch bewohnt. Rolands Augen fanden indessen eine schönere Weide, als eine Zimmereinrichtung, und sei sie noch so schön gewesen, ihm hätte sein können: dieser andre weibliche Insasse des Wohnhauses schien von allem bisher gesehenen wesentlich verschieden zu sein. Mit einer stummen, aber tiefen Verbeugung hatte sie die beiden alten Frauen begrüßt. Als ihr Auge dann auf Roland fiel, zog sie züchtig den Schleier über ihr Gesicht, aber ohne alle erkünstelte Eile und Schüchternheit, die von Verlegenheit hätte künden können. Roland war jedoch Zeit genug geblieben, zu erkennen, daß es ein Gesicht war, das einem Mädchen von kaum sechzehn, siebzehn Jahren angehörte, und das ein Paar Augen hatte, die einen wundersam milden und doch gleichzeitig feurigen Glanz hatten. Das Mädchen verlor in Rolands Augen dadurch nicht, daß sie eine volle Gestalt hatte, die eher zu einem Vergleich mit einer Hebe, als mit einer Sylphide gepaßt hättet aber die vollen Formen verrieten zugleich einen lieblichen Reiz von Zartheit, der durch das knapp sitzende Leibchen und den nicht grade weiten Rock noch auf das vorteilhafteste herausgehoben wurde. Rock und Leibchen trug sie nach fremdem Schnitte, und der erstere war auch kurz genug, um ein zierliches Füßchen sehen zu lassen, das auf einer Querleiste des Tisches ruhte, an dem sie saß, während ihre zierlichen Finger eifrig an einem Stück Tapete nähten, das so zerrissen war, daß die Näherin, die es wieder in stand bringen wollte, schon über eine gute Portion Geduld und Fertigkeit verfügen mußte. Es ist notwendig, hier zu bemerken, daß sich Roland über diese Einzelheiten nur durch verstohlene Blicke zu unterrichten vermochte, und daß es ihm vorkam, als habe sich das Mädchen bemüht, sich in ähnlicher Weise über seine Person zu unterrichten, trotz des ihr Gesicht verdeckenden Schleiers. Mittlerweile setzten die beiden Frauen ihre heimliche Unterredung fort und warfen von Zeit zu Zeit einen Blick auf die jungen Leute, der Roland Gräme keine Minute darüber im Zweifel ließ, daß ihre Unterhaltung sich um sie drehte. Endlich hörte er deutlich, wie seine Großmutter die folgenden Worte zu der andern Greisin sprach: »Nein, Schwester, Gelegenheit miteinander zu sprechen und bekannt zu werden, müssen wir ihnen schon lassen; sie müssen einander doch persönlich kennen lernen; wie sollen sie sonst ausführen können, was ihnen zustehen wird?« Es war ihm, wie wenn die andre Greisin Einwendungen dagegen erhöbe, seine Großmutter aber sie nicht gelten lassen wollte. »Es muß so sein,« hörte er noch aus dem Munde der letztern, »drum laß uns auf den Erker hinaustreten, Schwester, wo wir unser Gespräch in Ruhe fortsetzen können.« Dann wandte sie sich an Roland und das Mädchen: »Es wird gut sein, wenn Ihr miteinander besser bekannt werdet, als Ihr es bis jetzt seid.« Mit diesen Worten trat sie auf das Mädchen zu und schlug ihr den Schleier zurück, ein Gesicht enthüllend, das jetzt, mochte seine Farbe sein wie sie wollte, im Augenblick von jäher Schamröte übergossen wurde. »Licitum sit [Es sei erlaubt] ,« sagte Magdalene mit einem Blick auf die andre Greisin. »Vix licitum [Kaum erlaubt] , sagte darauf die andre und legte dem Mädchen den Schleier wieder so über das Gesicht, daß er ihre Züge, wenn nicht verhüllte, doch überschattete; dann flüsterte sie laut genug, daß Roland es hören konnte: »Katharine, vergiß nicht, wer Du bist, und was Deine Bestimmung Dir vorschreibt.« Hierauf entfernten sich beide Greisinnen durch eine der Fenstertüren, die auf einen langen, breiten Altan führte, der einen angenehmen Spaziergang im Freien ermöglichte,, ohne daß man das Haus selbst zu verlassen brauchte. Hier verweilten die beiden Frauen in geheimer Zwiesprach, ohne jedoch so vollständig darin aufzugehen, daß sie nicht Zeit gefunden hätten, einen Blick hin und wieder in das Zimmer hinein zu werfen, um sich zu unterrichten, wie dort die Sachen ständen. Achtes Kapitel Katharina stand in jenem glücklichen Alter geistiger Unschuld und Harmlosigkeit, daß sie die Situation, in die sie auf einmal versetzt worden war, die Bekanntschaft eines hübschen Jünglings machen zu sollen, den sie nicht einmal dem Namen nach kannte, von der komischen Seite auffaßte, sobald sie über die erste Verlegenheit hinaus war. Die erste halbe Stunde, während der die beiden Matronen auf und ab vor der Fenstertür schritten, hielt sie mit bewunderungswürdiger Ernsthaftigkeit aus. Als sie sich dann aber durch einen Seitenblick von der Verlegenheit unterrichtete, mit der Roland kämpfte, und sah, wie er bald auf seinem Stuhle hin und her rückte, bald die Mütze zwischen den Fingern drehte, und aus jeder Miene und Gebärde erkennen ließ, daß er sich keinen Rat wisse, wie er die Unterhaltung beginnen solle, da konnte sie nicht länger mehr an sich halten, sondern mußte hell auflachen, und dabei glitzerten ihre muntern Augen so blank, und ein Paar Lachperlen von Tränen schimmerten so lustig, und ihre lieblichen Locken flatterten so ungebunden um das hübsche Köpfchen, daß die Göttin des holden Lachens nicht reizender ausgesehen haben kann wie Katharina in diesem Augenblicke aussah. Kein andrer Page, wenn er Hofluft geatmet, hätte sich besonnen, in dieses Lachen mit einzustimmen, aber Roland hatte seine Jugend auf dem Lande verlebt, und war einesteils infolgedessen blöde, andernteils aber auch nicht frei von Eitelkeit, und so setzte er es sich in den Kopf, das Mädchen lache ihn aus. Katharina sah ihm das an und hatte große Lust, von neuem aufzulachen, aber sie hielt an sich. Roland seinerseits sagte sich nun aber auch, daß es hier wenig am Platze sein dürfte, eine Miene verletzter Würde zu zeigen, daß es sich den blauen Augen gegenüber, die so allerliebst zwischen Tränen hatten lächeln können, besser schicke, auch ein fröhliches Gesicht zu schneiden, und fragte jetzt, indem er nun ebenfalls hell auflachte: »wie die junge Dame sich die Fortsetzung einer so lustig begonnenen Bekanntschaft wohl dächte?« »Ja,« gab sie lachend zur Antwort, »das ausfindig zu machen ist doch nicht meine, sondern einzig und allein Eure Sache. Bloß könnte es sein, daß ich bei der Eröffnung unsrer Unterhaltung zu weit gegangen bin.« »Setzen wir den Fall, wir machten's wie in einem Märchenbuche,« sagte Roland, »und fingen damit an, daß wir einander fragten, wie wir denn eigentlich heißen.« »Das war ein ganz nett ausgedachter Anfang,« erwiderte Katharina. »Macht Ihr also den Anfang, und ich will zuhören.« »Mich nennt man Roland Gräme,« sagte Roland, »und die große alte Frau ist meine Großmutter.« »Und Eure Vormünderin wohl auch?« fragte Katharina. »Schön! und wer sind Eure Eltern?« »Die sind beide tot,« erwiderte Roland. »Ja, aber wer waren sie? ... Eltern, denk ich, habt Ihr doch auch gehabt?« »Das muß wohl sein,« erwiderte Roland, »aber viel gehört über sie hab ich nicht. Mein Vater ist ein schottischer Ritter gewesen, der den Tod auf einem seiner Streifzüge gefunden hat, und meine Mutter ist eine Gräme gewesen von Heathergill in dem bestrittnen Lande -- mehrere meiner Sippe sind umgekommen, als Lord Maxwell und Lord Herries von Caerlaverock das bestrittne Land mit Feuer und Schwert verheerten.« »Ist das lange her?« fragte die Maid. »Vor meiner Geburt ist's passiert,« erwiderte der Page. »Das muß schrecklich lange her sein,« sagte sie, ernsthaft mit dem Kopfe schüttelnd, »denn seht nur, weinen kann ich nicht um sie.« -- »Zu beweinen brauchen wir sie auch nicht,« sagte der Jüngling, »denn sie starben beide in Ehren.« »Soviel was Euren Stammbaum angeht,« erwiderte die Maid, »von dem mir übrigens die lebendige Probe« (hier blickte sie nach dem Fenster) -- »weit besser gefällt als die toten. Eure werte Großmama sieht ganz darnach aus, als könnte sie einen im bittersten Ernste weinen machen. Und was nun Euch selbst anbetrifft, mein schöner Herr, so werdet Ihr wohl, wenn Ihr Euch nicht mehr beeilt, mitten in Eurer Erzählung abbrechen müssen, denn Mutter Brigitte bleibt jedesmal stille stehen, sobald sie der Weg am Fensterkreuz vorbeiführt, und mit der zusammen darf man nicht lustig sein, bei der geht's immer zu, so ernst und still wie im Grabe Eurer Ahnen.« »Was ich noch zu berichten habe, ist bald besorgt. Dann bin ich ins Schloß Avenel gegeben worden, wo ich den Pagen von der Schlossherrin hab abgeben müssen.« »Sie ist eine strenge Hugenottin -- wie?« fragte die Maid. »Wie der Herr Calvin selbst nicht strenger sein kann,« versetzte Roland. »Aber meine Großmutter kann die Puritanerin ganz geschickt spielen, wenn es ihr grade mal beliebt, und sie hatte sich einen Plan zurechtgelegt, mich ins Schloß hinein zu bringen, woraus aber wohl nichts geworden wäre, trotzdem wir schon ein paar Wochen im Dorfe zugebracht hatten, wenn nicht ein Zeremonienmeister, auf den wir am allerwenigsten gerechnet hätten, sich --« »Ei, und was war denn das für einer?« rief das Mädchen, »Ein großer schwarzer Hund, Wolf mit Namen, der mich in seiner Schnauze wie eine angeschossne Wildente ins Schloß hinein trug und der Schloßherrin in den Schoß legte.« »So etwas läßt man sich gefallen,« lachte Katharina, »solche Vorstellung passiert nicht alle Tage. Aber was habt Ihr im Schlosse gelernt? Das zu wissen, wozu Bekannte taugen können, ist immer von Wert.« »Ich kann einen Falken aufsteigen lassen, kann einen Hund hetzen, ein Pferd satteln und Lanze, Schwert und Bogen führen.« »Und prahlen mit all den Sachen auch, nicht wahr, schöner junger Herr?« sagte lachend die Maid, »wenigstens rühmt man die letztere Tugend allen Pagen drüben in Frankreich nach. Aber wie hab ich mir zu erklären, daß Eure hugenottische Schloßherrschaft sich dazu hat verstehen können, solch gefährliche Person wie einen katholischen Pagen unter ihre Dienerschaft aufzunehmen und auf ihrem Schlosse zu dulden?« »Weil ihnen dieser Teil meiner Lebensgeschichte nicht bekannt war, denn es ist mir von Kindsbeinen an eingeschärft worden, über meinen Glauben zu schweigen, und weil meine Großmutter es durch Schöntun mit dem ketzerischen Kaplan verstanden hat, seinen Verdacht einzuschläfern, schönste Kallipolis,« und bei diesen Worten rückte der Page mit lächelndem Gesicht seinen Stuhl näher an den des Mädchens. »Nicht doch, junger Herr, immer die angemessene Entfernung einhalten!« sagte sie und drohte lächelnd mit dem Finger, »denn ich kann mir lebhaft vorstellen, daß die beiden alten Damen unsre Unterhaltung geschwind abbrechen möchten, wenn wir ihren Wunsch, uns miteinander bekannt zu machen, nicht in streng züchtiger Weise erfüllen wollten. Also hübsch drei Schritte vom Leibe, schöner junger Herr!« rief sie unter hellem Lachen, »und dann gebt auch ein bißchen schneller Antwort auf meine Fragen! Durch welche Heldentaten habt Ihr denn Eure Pagenkünste bestätigt?« Roland, der nun sich in den Geist und den Ton der Unterhaltung gefunden hatte, versetzte in gemessenem Tone: »In keinem der Dinge, die dazu angetan waren, Unfug zu stiften, meine holde Kallipolis, hab ich mich unbewandert gezeigt,« versetzte Roland. »Ich habe Schwäne geschossen, Katzen gejagt, Dienstmädchen in Angst gejagt und das Vieh gehetzt und den Obstgarten geplündert, etc. Daß ich auch den Kaplan sekiert habe, wo es irgend ging, davon will ich nicht erst Worte machen, denn das ist meine Pflicht gewesen als ein getreuer Sohn unsrer Kirche.« »Aber wie ist's denn gekommen, daß man Euch vom Schlosse jagte?« fragte mutwillig die Maid. »Welcher Anlaß wurde denn benützt, um solche Katastrophe herbeizuführen? ... Bitte, guckt mich doch nicht so, perplex an! ich habe auch meine Schule hinter mir -- also ohne gelehrte Worte: weshalb hat man Euch Eures Dienstes entlassen?« Roland erzählte kurz den Vorfall mit dem Falkner und was im Anschluß daran sich auf dem Schlosse zugetragen hatte, und wie er sich dann, als ihm die Schloßherrin den längern Aufenthalt im Schlosse verboten, auf den Weg zur Großmutter gemacht hatte, und was er dort in der Kapelle gesehen und getan hatte. »Und nun wißt Ihr von mir, holde Kallipolis, was ich Euch irgendwie melden kann. Nun seid Ihr an der Reihe. Ich bitte, seid mit Eurer Schilderung nicht minder freigebig oder geizig als ich -- ganz wie Ihr's aufgefaßt habt!« »Das ist doch Glück bei einer Großmutter,« sagte sie unter erneutem Lachen, »daß sie ihren verlaufenen Pagen grade in solchem Außenblick wiederfindet, da ihn die Herrin von der Koppel gelassen hat, und für solchen Pagen nicht minder, daß er vom Pagen im Handumdrehen zum Kammerdiener aufrückt!« »Das ist aber kein Sterbenswort von Eurer Lebensgeschichte!« rief Roland, dem allmählich die Art der Maid recht angenehm zu werden schien. ... »Erzählung um Erzählung! nur so ist's ausgemacht! und so muß es Brauch bleiben unter Reisegefährten!« »Dann wartet doch gefälligst, bis wir Reisekameraden sind,« erwiderte Katharina. »O nein, so kommt Ihr mir nicht weg,« rief Roland, »und geht Ihr mit mir nicht ehrlich zu Werke, dann ruf ich die Dame Brigitte, oder wie sie sonst heißt, und beklage mich bei ihr, daß Ihr mich überlisten wollt.« »Das sollt Ihr nicht brauchen,« versetzte die Maid, denn meine Geschichte ist das Gegenstück zu der Eurigen, es könnten's ganz die gleichen Worte tun, bloß Umrisse und Namen wären zu ändern. Ich heiße Katharina Seyton und bin eine Waise.« »Sind Eure Eltern auch schon lange tot?« »Das ist die einzige Frage,« antwortete sie, indem sie mit einem plötzlichen Ausdruck schmerzlichen Gefühls die schönen Augen niederschlug, »die einzige, zu der ich nicht lachen kann?« »Und die Frau Brigitte, bitte, ist Eure Großmutter?« Die plötzliche Wolke zog vorüber, wie zur Sommerszeit ihre Kameradin, die einen Moment lang die Sonne verhüllte -- und in ihrem gewöhnlichen Tone antwortete sie: »Schlimmer als so 'was, weit schlimmer! die Brigitte, bitte, ist meine Muhme im zweiten Gliede und obendrein jungfräuliche Muhme!« »Daß sich Gott erbarm!« lachte Roland, »ach, daß Ihr so was habt erzählen müssen! und was folgt nun weiter noch Grausiges?« »Ganz dieselbe Geschichte, wie Ihr sie erzählt habt ... ich kam auf Probe in Dienst ...« »Und seid weggejagt worden, weil Ihr die Herrin sekiertet, oder schnippisch waret gegen ihre Zofe?« sagte Roland. »Nein, in diesem Punkte verläuft meine Geschichte anders,« sagte die kleine Dame. »Unsre Herrin hob ihr Hauswesen auf oder es würde ihr aufgehoben, was übrigens auf ein und dasselbe hinausläuft, und ich bin nun frei, wie der Vogel in der Luft.« »Und das macht Euch mehr Freude, als wenn mein Wams mit Goldstücken gefüttert wäre,« sagte der Jüngling. »Vielen Dank für Eure Teilnahme,« erwiderte sie, aber der Handel, scheint's, geht Euch doch nichts an!« »Nun, erzählt doch weiter,« drängte der Page, »denn Ihr werdet, wie mir scheint, auch bald unterbrochen werden. Die beiden wackern Damen sind nun auf dem Altan genug herumgeflattert und werden wohl einfliegen und sich auf ihre Stange hocken ... Wer, bitte, war denn die Herrin, bei der Ihr im Dienste waret?« »O, die steht in gar großem Ansehen in der Welt,« versetzte Katharina Seyton, »und nur wenige Damen werden ein größeres Haus gemacht haben als sie, und nur wenige soviel Weibsvolk im Dienste gehabt haben wie sie ... meine Muhme Brigitte war eine von den Hausvorstandsdamen ... wir haben freilich das Antlitz unsrer gebenedeiten Herrin nie vor Augen bekommen, aber gehört haben wir genug von ihr, mußten früh auf sein und kamen erst spät zu Bett und wurden angehalten zu schmaler Kost und langem Gebet.« »Also auch eine Hexe, wie sie im Buche steht?« meinte der Page. »Ums Himmels willen lästert nicht!« rief das Mädchen und guckte sich scheu um. »Verzeih uns Gott! ich hab nichts Arges sagen wollen. Ich sagte es ja doch bloß mit Bezug auf unsre gebenedeite Heilige, Katharina von Siena! Und die Stätte, wo wir weilten, war ihr Kloster. Ein Dutzend Nonnen waren drin unter einer Aebtissin. Und das war meine Muhme, und so lange war sie's, bis die Ketzer alles verwüsteten.« »Und wo sind die, welche mit Euch dort waren?« fragte Roland. »Verstreut in alle Winde! zerschmolzen wie Schnee vor der Frühjahrssonne! manche nach Frankreich, andre nach Flandern, andre wohl noch weiter hinaus in die Welt, noch andre, wie ich fürchte, auf und davon zu irdischen Freuden und Freunden! Uns hat man zu bleiben erlaubt oder vielmehr das Hierbleiben nicht verwehrt, denn meine Muhme hat viel Verwandtschaft unter den Ketzern und die haben jedem, der uns zu nahe träte, mit Todfehde bedroht, und Bogen und Speer sind nun mal in Zeiten wie diesen die besten Waffen.« »Nun, holde Kallipolis, was sagtet Ihr wohl zu folgendem Vorschlag?« fragte Roland, »wenn wir, beide auf so wunderliche Art unsers Dienstes ledig geworden, die Brandfackel in den Händen unsrer so überaus achtbaren Duennas ließen und mitsammen in lustigem Zweitritt durch dieses Jammertales Auen wandelten?« »Das wäre kein übler Vorschlag zur Güte,« sagte Katharina, »so recht würdig dem Tollkopf von Pagen, der in seinem Dienst nicht gut getan! Und wovon gedenken Euer Gnaden ihr Leben zu bestreiten? Von Bänkelsängerei oder Beutelschneiderei? oder von Abenteuern à la Jack Sheppard auf der Heerstraße? Beim letztern Handwerk möchten, glaub ich, noch die meisten Späne fallen.« »Ihr braucht ja nur zu wählen, stolzeste aller Püppchen!« versetzte der Jüngling, zu seinem lebhaften Aerger durch den unbedingt lächerlichen Klang in der Stimme, mit der die Antwort gegeben wurde, abgeführt. Aber grade als er die Worte gesprochen hatte, erschienen zwei Schatten vor der Fenstertür und verdunkelten die Helligkeit im Zimmer ... dann tat sich die Tür auf, und die beiden Greisinnen traten wieder ins Zimmer, die Aebtissin voran, und die Gräme hinterdrein. Neuntes Kapitel »Nun, Kinder, habt Ihr miteinander gesprochen?« fragte die Gräme, »und seid ihr bekannt zusammen geworden? wie Reisekameraden, die Zufall zusammenführte, und die ermitteln müssen, wie sie sich am besten in die auf dunklem Pfade vorhandnen Gefahren teilen?« Katharina konnte selten einen Scherz bei sich behalten und redete öfter einmal in Fällen, wo sie besser geschwiegen hätte. »Euer Enkel findet solche Freude an der Reise, daß er am liebsten schon jetzt aufgebrochen wäre,« antwortete sie. »Das heißt vorwitzig sein, Roland,« verwies ihn die Dame, »und ist ebenso ein Fehler wie gestern, da Ihr zu bedächtig waret. Die rechte Mitte liegt im Gehorsam, der das Zeichen zum Aufbruch ebenso abwartet, wie er ihm Folge leistet, wenn es gegeben wird. Aber noch einmal, Kinder! steht eins dem andern so fest im Gedächtnis, daß jedes von Euch, wenn Ihr einander begegnet, gleichviel in welcher Verkleidung, in dem andern den geheimen Beförderer des großen Werkes erkennt, zu welchem Ihr Euch verbinden sollt? ... Seht Euch einander an! faßt jeder des andern Züge, des andern Mienen auf! Lernt am Gange, an der Stimme, an der Bewegung der Hand, an dem Blick des Auges den Genossen erkennen, den der Himmel einer dem andern sandte, zur Vollstreckung seines Willens ... Roland Gräme, wirst Du dieses Mädchen wiedererkennen, gleichviel wann und wo Du ihr begegnen wirst?« Ebenso freudig wie der Wahrheit gemäß antwortete Roland auf diese Frage mit einem kräftigen Ja. »Und Du, meine Tochter, wirst Du Dich der Gesichtszüge dieses Jünglings wieder entsinnen?« »Nun, liebe Mutter, ich dächte, in letzter Zeit nicht so viel Mannsgesichter gesehen zu haben, daß ich Euren Enkel so im Handumdrehen wieder vergessen sollte, wenngleich ich eben nicht viel an ihm sehe, was der Aufbewahrung im Gedächtnisse sonderlich wert wäre.« »So reichet einander die Hände, meine Kinder,« sagte Magdalene Gräme, wurde aber von ihrer Genossin unterbrochen. »Nein, Schwester,« sprach sie, denn sie hatte mit steigendem Verdruß all diese Worte mitangehört, die ihren klösterlichen Vorurteilen so unbedingt zuwiderliefen, daß sie nicht länger sie mit anhören, noch dazu schweigen mochte. »Nein, Schwester,« wiederholte sie bestimmter, »Du vergißt, daß Katharina dem Himmel verlobt ist, daß also dergleichen Vertraulichkeiten nicht stattfinden können.« »Es geschieht doch in Sachen des Himmels, daß ich sie auffordre, die Hände ineinander zu legen, Schwester,« erwiderte die Gräme mit der vollen Kraft ihrer gewaltigen Stimme, »der Zweck, Schwester, heiligt die Mittel, deren wir uns bedienen, weil wir uns ihrer bedienen müssen.« »Wer mich anredet, der redet mich an als Frau Aebtissin oder wenigstens doch als Mutter,« sprach Dame Brigitte und warf sich in die Brust, wie wenn sie sich durch das herrische Wesen der Freundin gekränkt fühlte -- »Lady Heathergill vergißt, daß sie das Wort an die Aebtissin des Klosters der heiligen Katharina richtet.« »Als ich den Namen führte, den Ihr mir beilegt,« erwiderte die Gräme, »da waret Ihr allerdings das, was Ihr aussprecht, aber jetzt sind beide Namen verschwunden mit dem Range, den die Welt und die Kirche ihnen geliehen hat; jetzt sind wir in den Augen der Welt nichts weiter als ein paar arme, verachtete alte Weiber, die nur wenige Jahre noch von einem gemeinen Grabe trennen. Und was sind wir in den Augen des Himmels anders als Mägde, die seinen Willen zu erfüllen haben? in deren Ohnmacht die Macht der Kirche soll offenbaret werden, vor denen die Macht eines Murray soll zunichte werden! Und auf solche wolltest Du die einschränkenden Vorschriften klösterlicher Abgesondertheit angewandt wissen wollen? ... Oder hast Du den Befehl Deines Vorgesetzten vergessen, den ich Dir zeigte, und der Dich in solchen Dingen mir unterwirft?« »Auf Dein Haupt also falle Anstoß und Sünde!« sagte mißmutig die Gräme ... »und nochmals sage ich, umarmet Euch, meine Kinder!« Aber Katharina, die vielleicht ahnen mochte, wie der Zwist enden würde, schlüpfte aus dem Zimmer und machte auf diese Weise dem Enkel einen empfindlicheren Strich durch die Rechnung als der Großmutter. »Sie geht, um eine kleine Erfrischung zu besorgen, die aber denen, die weltlich gesinnt sind, wenig behagen dürfte. Wenigstens kann ich mich von den Regeln nicht freisprechen, an die ich durch mein Gelübde gebunden bin, um deswillen, weil es Gottlosen unter den Menschen gefällt, das Heiligtum zu zertrümmern, innerhalb dessen man sie zu achten gewohnt war.« Die Aebtissin, furchtsam, engherzig und unzufrieden, hing an den alten Gebräuchen und Rechten, die durch die Reformation aufgehoben worden waren, und war im Unglück nicht anders als im Glück, ängstlich, kleinmütig und bigott. Die Gräme hingegen ließ sich in ihrem feurigen höher strebenden Sinne durch Regeln und Vorschriften nicht in den außerordentlichen Plänen, die ihre glänzende Phantasie geschmiedet hatte, einschränken. Roland aber, statt sich um diese Abweichungen in dem Charakter der beiden Damen zu kümmern, wartete bloß mit Ungeduld auf das Wiedererscheinen von Katharina, weil er noch immer hoffte, die Umarmung werde dann nochmals angeregt werden, auf die er sich so sehr gefreut hatte. Aber er wurde in diesen Erwartungen oder richtiger, Hoffnungen, doch getäuscht, denn als Katharina nun wieder in das Zimmer trat und einen irdenen Wasserkrug auf den Tisch stellte, nahm die Dame von Heathergill, indem sie sich an der Energie genügen ließ, mit der sie sich ihrer Kameradin entgegengestellt hatte, Abstand davon, ihren Sieg weiter zu verfolgen, freilich ohne zu ahnen, in welch geringem Maße sie sich für diese Mäßigung des Beifalls ihres Enkels zu erfreuen hatte. Mittlerweile stellte Katharina die mageren Gerichte für den Abendtisch auf die Tafel, die aus einer Kohlsuppe, in irdener Schüssel hergerichtet, und ein paar Gerstenbrötchen bestanden. Das in der Flasche schon vorher aufgetragene Brunnenwasser blieb das einzige Getränk, das auf die Tafel kam. Bei den Frauen, die zwar mäßig aßen, aber nichtsdestoweniger an Appetit keinen Mangel verrieten, schien die Einfachheit der Gerichte kein Mißbehagen zu wecken. Roland Gräme dagegen war an bessere Kost gewöhnt, denn bei Sir Halbert Glendinning pflegte die Tafel immer auf das reichhaltigste ausgerüstet zu sein. Um so unzufriedener war er, als ihm auch nachher jede Hoffnung, noch einmal mit der hübschen Novize ins Gespräch zu kommen, vereitelt wurde, denn Katharina, sei es nun aus besonderem Zartgefühl, aus Laune oder vielleicht aus einer Mischung von beidem, erinnerte die Aebtissin gleich nach dem Essen daran, daß sie sich vor der Vesper noch auf eine Stunde zu entfernen habe, und die Aebtissin nickte ihr sogleich bereitwillig zu. Katharina machte den beiden Matronen einen Knicks, so tief, daß sie fast in die Kniee sank, verneigte sich dann flüchtig vor Robert und war zu dessen Verdruß rasch aus dem Zimmer verschwunden. »Hol sie der Geier,« dachte er bei sich, wenn auch die Gegenwart der Aebtissin alle unheiligen Gedanken aus seiner Seele hätte ausmerzen sollen. »Sie ist harten Herzens und gleicht der lachenden Hyäne, von der man in den Reisebeschreibungen liest; jedenfalls werde ich mich ihres Herzens noch manche Zeit erinnern, wohl lange über diese Nacht hinaus!« Die beiden alten Damen zogen sich zurück, nachdem sie Roland noch bedeutet hatten, daß er sich keinesfalls aus dem Bereiche des Klosters entfernen oder sich an den Fenstern zeigen dürfe. »Das geht aber doch weit über Wardens verbohrte Sittenstrenge,« meinte Roland bei sich, sobald er allein war, »denn das muß man ihm lassen, so scharf wir auf seinen Vortrag beim Unterricht aufpassen mußten, in der übrigen Zeit ließ er uns doch ungeschoren, ja wenn wir uns manierlich betrugen und nicht über die Stränge schlugen, war er sogar häufig Mitspieler von uns. Aber diese beiden alten Damen sind ja die reinen mixta composita aus Trübsinn, Geheimniskrämerei und Selbstverleugnung ... Was haben sie gesagt? nicht vors Tor soll ich gehen? nicht ans Fenster treten soll ich? nicht zum Fenster hinausgucken soll ich? Hm, aber mich im Innern umzusehen, das haben sie mir nicht verboten, also will ich zum wenigsten sehen, ob sich im Innern des Hauses nicht irgend was findet, was einem als Zeitvertreib dienen kann. Und wer weiß, vielleicht findet sich im einen oder andern versteckten Winkel gar meine blauäugige Lachmöwe?« Er entfernte sich in entgegengesetzter Richtung wie die Matronen aus dem Zimmer, denn es läßt sich wohl denken, daß es ihn nicht danach verlangte, von den geheimen Unterhaltungen, die sie zusammen führten, noch mehr zu hören, als er bereits wußte. Er ging aus einem Zimmer ins andre, auf eifriger Suche nach einem Gegenstande, der seine Neugierde reizen oder ihm Unterhaltung schaffen könnte. So kam er durch einen langen Gang, zu dessen beiden Seiten die kleinen Zellen lagen, die den Nonnen zur Unterkunft gedient hatten, die aber jetzt alle verödet waren und keinen einzigen jener Gegenstände mehr aufwiesen, deren Benützung die Ordensregel ihnen gestattete. Zu einer Reihe von Zimmern im Erdgeschoß des Hauses führte eine Wendeltreppe, so eng und schmal, als hätte sie die Nonnen immer an die Pflichten erinnern sollen, die ihnen oblagen, an Fasten, Kasteiung und dergleichen. Diese Räume im Erdgeschoß waren noch ärger verwüstet als alles andre im Hause; sie waren wohl der ersten Wut der Klosterstürmer ausgesetzt gewesen, und kein Fenster, keine Tür hatten sie ganz gelassen, ja sogar die Scheidewände zwischen den einzelnen Räumen hatten sie zum großen Teil niedergerissen. So führte ihn sein Weg von Trümmer zu Trümmer, und schon beschlich ihn der Gedanke, von einer so unerfreulichen Schaubühne sich wieder hinwegzuheben, als er zu seiner lebhaften Verwunderung ganz dicht in seiner Nähe eine Kuh brüllen hörte. Für solche Zeit und solchen Ort war das ein Laut so seltsam, daß Roland in die Höhe fuhr, wie wenn er das Gebrüll eines Löwen vernommen hätte, und mit der Hand im Nu am Dolche war. Aber fast im selben Augenblick tat sich die Tür eines Verschlags auf, und die liebliche, lustige Gestalt der Maid erschien im Rahmen derselben. »Ei, recht schönen guten Abend, mein wackerer Ritter vom Bratspieß,« sagte sie lachend, »seit Walter Warwick hat's niemand besser verdient, einer braunen Kuh in die Augen zu schauen.« »Kuh?« erwiderte Roland, »na, ich hab doch wahrhaftig gemeint, es sei der Gottseibeiuns, der sich das Vergnügen mache, mir einen Ohrenschmaus zu bereiten. Wer hat wohl gehört, daß ein Nonnenkloster und ein Kuhstall sich unter ein und demselben Dache befinden?« »Jetzt stehen uns keine Mittel mehr zu Gebote, Kalb und Kuh den Eingang zu wehren,« versetzte Katharina, »drum können sie ungehindert herein. Aber ich möchte Euch doch raten, lieber Herr, daß Ihr Euch wieder dorthin verfügtet, woher Ihr gekommen seid.« »Erst wenn ich gesehen habe, schön Schwesterchen, was Ihr hier treibt,« versetzte Roland, indem er sich, ohne der halb ernstlich gemeinten, halb scherzhaften Einwendungen des Mädchens zu achten, in den Raum hineindrängte, der ehedem als Speisesaal gedient hatte, jetzt aber einer Kuh als Stall diente, die neben Gras und Heu, das zum Futter für sie bestimmt war, in einer Ecke lag. »Das muß man sagen, die Mutschekuh hat ein besseres Quartier als alle übrigen Wesen, die sich in diesem Gebäude aufhalten.« »Also wär's wohl am besten, Ihr ließet Euch bei ihr nieder,« neckte das Mädchen, »und schüfet ihr Ersatz für den Sprößling, der ihr so unglücklicherweise abhanden kam.« »Wenigstens will ich Euch dabei helfen, dem Tiere die Streu herzurichten, da Ihr nun doch mal damit beschäftigt zu sein scheint,« sagte Roland. »Das laßt ja hübsch sein,« versetzte Katharina, »denn einmal versteht Ihr nichts von solcher Arbeit, und dann schafft Ihr bloß Ursache zu Schelten für mich, und an Schelten fehlt's mir ohnedem nicht.« »Was? Schelte? weil ich Euch helfe? und dabei soll ich Euch doch Beistand und Helfer in ganz andern Dingen sein! ... Das ginge doch wider alle Vernunft, und nun sagt mir, da mich grade die Rede drauf führt, was ist denn das für eine große Unternehmung, die ich mit ins Werk setzen soll?« »Ich denke mir, es wird wohl ein Vogelnest sein, das Ihr ausnehmen sollt,« sagte mit Lachen das Mädchen, »solcher Gedanke liegt wenigstens nahe, wenn man sich den Kämpen ansieht, den sie sich dazu erkoren haben.« »Nun, nun, schöne Fee, ein Bursche, der in den Felsklüften von Palmoodie ein Falkennest ausgenommen hat, darf schließlich auch ein wenig den Mund auftun,« verwahrte sich Roland, »aber das liegt ja nun alles hinter mir, und der Schinder mag Falkennest und Falkenbeize holen, denn um dieses Zeugs willen ist mir ja bloß das Los beschieden worden, auf Reisen zu gehen. Hätt ich nicht wenigstens Euch dabei erwischt, holde Kallipolis, möcht ich vor Aerger schier schwarz werden, das kann ich Euch wohl sagen! Aber da wir Reisekameraden werden sollen ...« »Leidenskameraden wohl, aber nicht Reisekameraden,« erwiderte das Mädchen, »denn zu Eurem Troste müßt Ihr wissen, daß die gnädige Aebtissin mit mir morgen früher aufbrechen wird als Ihr mit Eurer lieben Frau Gräme, und daß ich Euch zum Teil diese kurze Zwiesprach nur darum gewähre, weil wohl geraume Zeit verstreichen wird, bis wir einander wieder begegnen werden.« »Beim heiligen Andreas, so soll die Abmachung nicht gelten!« rief Roland, »sofern wir nicht gekoppelt jagen, dann pfeif ich auf die ganze Jagd!« »Ich befürchte, wir werden in diesen und andern Punkten wohl tun müssen, was uns befohlen wird.« -- »Aber, horcht doch, Kallipolis! ist das nicht Eurer Muhme Stimme?« Im selben Augenblick trat auch Dame Brigitte schon herein und warf einen Blick grimmiger Strenge auf ihre Nichte, während Roland auf den glücklichen Einfall kam, sich an der Halfter der Kuh zu tun zu machen. »Ach, der junge Herr hat mir bloß dabei geholfen, die Kuh anzubinden, die sich losgemacht hatte. In der letzten Nacht ist sie bis vor ans Fenster gelaufen und hat mit ihrem Gebrüll die ganze Gegend aufrührerisch gemacht. Wir kommen ja entweder auf diese Weise bei dem Ketzervolk bloß in den Verdacht der Zauberei oder büßen am Ende gar unsre Kuh ein!« »Darum laß Dir lieber kein graues Haar wachsen, mein Kind,« erwiderte etwas spöttisch die Aebtissin, »denn die Person, die die Kuh gekauft hat, wird im Augenblick da sein, und sie abholen.« »Ach, dann gute Nacht, meine arme Mutsche,« sagte Katharina, indem sie dem Tier auf den Rücken klopfte, »hoffentlich fällst Du in liebe Hand, denn in der letzten Zeit waren es die freundlichsten Stunden für mich, da ich mit deiner Abwartung zu tun hatte ... ach, wäre ich doch bloß zu was anderm als solcher Arbeit auf die Welt gekommen!« »Pfui über Dich, Du weltlich und niedrig gesinntes Wesen!« sagte die Aebtissin; »ist das eine Sprache, würdig des Namens Seyton, den Du doch führst? schickt sich solche Rede für die Schwester solches Ordens? obendrein in Gegenwart eines fremden Jünglings! ... Begib Dich auf der Stelle in Deine Betstube und lies Deine Horen, bis ich hinaufkomme. Dann will ich Dir den Text lesen energisch genug, daß Du die Segnungen schätzen lernst, die hienieden Dein Teil geworden sind!« Katharina wollte sich schweigend zurückziehen, mit einem halb trübseligen, halb komischen Blicke auf Roland Gräme, wie wenn sie sagen wollte: »Na, da seht Ihr's doch, wie's mir hier geht und was ich auszustehen habe,« änderte aber plötzlich ihren Entschluß, trat auf den Pagen zu, gab ihm die Hand und wünschte ihm eine gute Nacht. Noch ehe die Matrone, die darob ganz perplex war, es zu verhindern vermochte, hatten sich ihre Hände ineinander gelegt, und dann sagte Katharina: »Verzeiht mir, Mutter, wir haben ja gar so lange schon kein Gesicht mehr gesehen, das uns freundlich anblickt. Immer nur finstre, grimmige Fratzen! und zwar so lange schon, seit diese schlimmen Unruhen unsre friedliche Stätte zerstört haben. Ich sage dem Jünglinge ein freundliches Lebewohl, weil er hergekommen ist mit einem freundlichen Herzen und weil es wohl kaum wahrscheinlich ist, daß wir uns einander im Leben noch einmal sehen. Ahnt mir doch schon jetzt, als seien die Pläne, in die Ihr Euch verwickelt, viel zu mächtiger Art, als daß Eure Hand sie zu leiten vermöchte, daß Ihr vielmehr einen Stein in Bewegung bringt, der Euch im Rollen zerschmettern muß. Drum sage ich dem armen Jüngling, der gleich mir zum Schlachtopfer erkoren worden ist, ein herzliches Lebewohl.« In einem Tone tiefen Ernstes und innigen Gefühls wurden diese Worte gesprochen, der durchaus nicht zu dem so leichtfertigen, lustigen Tone, den sie dem Jüngling gegenüber bisher gefunden hatte, passen wollte, und der deutlich erkennen ließ, daß sich hinter dem lustigen Temperament der Jugend ein weit größerer Schatz von Verstand und Empfindung barg, als sich aus ihrem bisherigen Benehmen auch nur im entferntesten hätte mutmaßen lassen. Eine Weile lang stand die Aebtissin stumm da und sah dem Mädchen, das mit dem letzten Wort aus ihrem Munde auch aus dem Zimmer verschwunden war, entgeistert nach. Der harte Verweis, den sie erteilen wollte, blieb ihr im Halse stecken. Es war, als sei sie von dem ernsten prophetischen Tone tief ergriffen, in welchem ihre Nichte ihr den Nachtgruß geboten hatte. Und schweigend ging sie voraus nach dem Zimmer, in welchem sie vordem geweilt hatten und wo eine kleine Erfrischung bereit stand aus Milch und Gerstenbrot. Frau Gräme wurde gerufen, an dieser Erfrischung teilzunehmen. Sie trat aus einem anstoßenden Zimmer, aber die Maid ließ sich nicht wieder sehen. Es wurde während des Essens nur wenig gesprochen, und als man damit fertig war, wurde Roland zur nächsten Zelle geführt, wo zu einem Nachtlager die notwendigsten Vorkehrungen getroffen waren. Die wunderliche Lage, in die er sich versetzt sah, übte die gewöhnliche Wirkung, sie brachte ihn um den Schlaf. Das hatte aber den Vorteil für ihn, daß er ein Gespräch noch mit anhörte, das zwischen den beiden Greisinnen geführt wurde, sobald er aus dem Zimmer den Fuß gesetzt hatte, und bis in die tiefe Nacht hinein dauerte. Als sie endlich auseinandergingen, hörte er aus dem Munde der Aebtissin ganz deutlich die Sätze: »Kurz und gut, Schwester, Euren Charakter und das Ansehen, zu dem Euch meine Vorgesetzten erhoben haben, schätze und ehre ich, nichtsdestoweniger will es mir notwendig erscheinen, bevor wir uns auf eine so gefahrvolle Bahn begeben, den Rat eines der Väter unsrer Kirche einzuholen.« »Und wo sollten wir einen treuen Bischof oder Abt finden, dessen Rat sich einholen ließe?«, fragte die Gräme. »Der getreue Eustachius ist nicht mehr. Wohin sollen wir uns noch wenden?« »Der Himmel wird für die Kirche sorgen,« versetzte die Aebtissin, »und die getreuen Väter, denen man den Aufenthalt im Kloster zu Kennaqhueir noch gestattet hat, werden zur Wahl eines Abtes schreiten. Daß der Krummstab am Boden liege und niemands Haupt die heilige Inful schmücke, das werden die frommen Männer von Kennaqhueir nun und nimmer dulden.« »Das werde ich morgen erfahren,« antwortete die Gräme, »aber wer übernimmt jetzt den Dienst auch nur eine einzige Stunde, es sei denn, er teilte ihn mit dem kirchenschänderischen Gesindel, um Teil zu haben an der Plünderung? ... Der kommende Tag wird uns lehren, ob einer von den tausend Heiligen, die aus dem heiligen Marienkloster hervorgegangen sind, dem Kloster in seiner schweren Bedrängnis helfen und beistehen wird ... Lebt wohl, Schwester, auf Wiedersehen in Edinburg!« »Benedicite! [Seid gesegnet!] « antwortete die Aebtissin, und dann schieden sie. -- »So, so!« meinte Roland Gräme bei sich, »also nach Kennaqhueir soll's morgen gehen? Da will ich die Stunde Schlaf, die ich eingebüßt habe, gern missen, denn sie ist mir nicht zu teuer dafür. In Kennaqhueir werde ich den Pater Ambrosius treffen, und in Edinburg will ich schon Mittel und Wege finden, mich allein durch die Welt zu bringen. In Edinburg soll ich ja auch die kleine Fee wiedersehen, die mir, scheints, den Kopf doch ein bißchen verdreht hat.« Mit diesen Gedanken schlief er ein, um von Katharina Seyton zu träumen. Zehntes Kapitel Als Roland Gräme aufwachte aus seinem langen, festen Schlafe, da stand die Sonne schon hoch am Himmel und die Reisegefährtin stand an seinem Pfühl und weckte ihn. Er kleidete sich schnell an, und sie waren bald mitten in dem fruchtbareren und bewohnteren Teile des Tales, das sie durchschreiten mußten, um das Ziel ihrer Wanderschaft zu erreichen. So fanatisch die Greisin auch gesinnt war, und so wenig sie für mehr zu gelten im Sinne hatte, als sie zurzeit in der Welt war, so schien es ihr doch Freude zu machen, wenn Reisende, die sie auf ihrer Wanderung trafen, mehr Achtung ihr zollten, als sich mit ihrer äußern Erscheinung auf den ersten Blick in Einklang setzen ließ. Ein paar Bauernburschen, die eine Viehherde vor sich hertrieben, ein paar lose Dirnen, die unterwegs zu irgend welcher Lustbarkeit sein mochten, ein vagabondierender Student und ein vagabondierender Kriegsknecht zogen wohl an unserm seltsamen Menschenpaare vorüber, ohne ihm sonderliche Beachtung zu schenken, ja ein paar ungezogene Straßenkinder, die Anstoß nahmen an der düstern, an Pilger erinnernden Kleidung der Greisin und sich weideten an der schmucken Tracht des Pagen, riefen ihm wohl auch hinterher: »Junge, wie kommst Du zu der alten Meßtrude?« aber es kamen auch andre, und ihrer waren es mehr, die noch Ehrfurcht im Herzen trugen vor der gefallenen Priesterherrschaft und, wenn sie sich auch erst scheu umherguckten, dann doch in Eile ein Kreuz über der Brust schlugen, das Knie vor der hohen Gestalt der Magdalena Gräme beugten, ihr die Hand oder gar den Saum ihres Gewandes küßten und in Demut aus ihrem Munde das »Benedicite!« entgegennahmen, dann scheu wieder in die Höhe fuhren und sich umguckten, ob sie auch ja von niemand gesehen worden seien, und raschen Schrittes ihre Wanderung fortsetzten. Die Gräme unterließ nicht, den Enkel auf diese Zeichen der Achtung und Ehrfurcht aufmerksam zu machen, die ihr von Zeit zu Zeit unterwegs zu teil wurden. »Du siehst, mein Sohn,« sagte sie dann, »unsre Feinde haben nicht vermocht, allen guten Geist aus dem Herzen unsers Volks auszurotten, die treue Saat keimt nach wie vor und mitten unter Ketzern und Schismatikern, mitten unter Gotteslästerern und Kirchenschändern erhält sich ein gläubiges Häuflein.« »Das ist wohl wahr, Mutter,« antwortete Roland, »aber mich will bedünken, als ob diese Kundgebungen in einer Weise erfolgten, die uns nicht von großem Nutzen sein wird. Ihr seht doch, daß alle, die ein Schwert tragen, oder sonstwelches Abzeichen höhern Standes führen, die Nase rümpfen, wenn sie an uns vorbei sind, als seien sie gemeinem Bettelvolk begegnet. Und wer uns Beweise von Teilnahme gibt, gehört doch immer bloß den niedrigen Ständen an, den ärmsten der Armen, dem Auswurf der Dürftigen. Die haben kein Brot für uns übrig und kein Schwert zu unserm Schutze, und wenn sie eins fänden, dann möchte es ihnen an der Festigkeit fehlen, es zu führen. Wie kann aus solchen Kreisen Gutes für uns kommen?« »Und doch, mein Sohn,« sprach die Gräme, »kehrt auch nur einer von diesen mit Gebrechen behafteten Armen geheilt aus der Kapelle des heiligen Ringan zurück,« -- und die Stimme der Greisin fand einen Klang so sanft und weich, wie er ihn noch nie bei ihr gehört hatte, -- »dann wird der Ruhm seines Glaubens und der Preis des ihm gewordnen Lohnes beredter zu unserm irregeführten schottischen Volke dringen als jenes Wort- und Phrasengeklingel dieser ketzerischen Leute, die sich auf die heiligen Kanzeln zu begeben wagen, allwo sie doch nichts zu suchen haben!« »Ich befürchte bloß, Mutter, dieser Heilige hat die Hand von uns gezogen, denn er hat sich in der letzten Zeit recht träge gezeigt und uns von seiner Heilkraft so gut wie gar kein Zeichen mehr gegeben!« »Und hat es unser Land wohl anders verdient?« fragte die Matrone, rasch vorwärtsschreitend, bis sie die Anhöhe gewonnen hatte, über die der Weg sie führte. Dann ließ sie den Blick um sich schweifen und sprach weiter: »Hier stand das Kreuz, die Mark des heiligen Marienklosters, -- hier, auf dieser Anhöhe, von der aus das Auge des frommen Pilgers zuerst das Kloster erschaute, die Grabstätte von Königen, die Wohnstatt von Heiligen, des Landes Licht und Fröhlichkeit! ... Und wo ist es nun, dieses Sinnbild unsers Glaubens? Tief am Boden liegt es, ein formloser Trümmerhaufen! Zu den gemeinsten Zwecken hat man sie hinweggeschleppt, seine Bruchstücke und Splitter, so daß alle Aehnlichkeit mit seiner ursprünglichen Gestalt geschwunden ist. Blicke gen Osten, mein Sohn, wo einstmals stattliche Türme von der Sonne bestrahlt wurden ... jetzt sind sie ihrer Kreuze beraubt, und ihre Glocken sind zerschellt -- blicke hinauf zu jenen Zinnen, deren Trümmer wir selbst auf solche Ferne zu erkennen vermögen -- und frage Dich, mein Sohn, ob solches Land von seinen gebenedeieten Heiligen, deren Kapellen es niedergerissen, deren Bilder es entweihet hat, andre Wunder erwarten darf als Wunder der Rache? Ha, wie lange,« rief sie, den Blick gen Himmel gerichtet, mit weithin schallender Stimme, »wie lange wird sie noch warten lassen, wie lange noch zögern?« Sie schwieg, dann hub sie wieder an mit Begeisterung, und ihre Worte jagten sich förmlich: »Ja, mein Sohn, alles hienieden währet nur seine Zeit, Freud folgt auf Leid, Sieg auf Niederlage, Regen auf Sonnenschein! ... Nicht immer wird der Weinberg zertreten, es kommen auch Tage, an denen die fruchtbringenden Reben wieder aufgebunden und ausgeputzt werden. Noch heute, noch in dieser Stunde erwarte ich wichtige Kunde zu vernehmen. Drum zögre nicht, mein Sohn, eilen wir! die Zeit ist kurz und das Gericht ist unausbleiblich!« Sie schlug wieder den zur Abtei führenden Weg ein, der keine Spur mehr von der früheren Sauberkeit an sich hatte, dessen Geländer niedergerissen war und stellenweis den Weg sperrte; und binnen einer halben Stunde standen sie vor dem prächtigen Kloster, das der Wut der Kirchenschänder nicht entgangen war, während sie die Kirche selbst verhältnismäßig geschont hatten. Die lange Zellenwand, die zwei Seiten des großen Vierecks eingenommen hatte, lag jetzt in Trümmern, das Innere war vom Feuer verzehrt, und nur die massiven Außenmauern waren verschont geblieben. Die Wohnung des Abtes, die die dritte Seite des Vierecks gebildet hatte, hatte zwar ebenfalls stark gelitten, war aber noch immer leidlich bewohnbar und diente jetzt den wenigen Brüdern als Unterkunft, denen aus besondrer Nachsicht der Aufenthalt in Kennaqhueir noch gestattet worden war. Die schönen Wirtschaftsgärten, der prächtige Blumengarten, die ernsten Kreuzgänge, einst den Brüdern zur Erholung bestimmt, alles war verwüstet, zertrümmert, geplündert. Mit Grausen betrachteten unsre beiden Pilgrime das Bild, das ihren Augen sich bot, aber weder die Greisin noch der Jüngling fanden Worte für die Empfindung des Abscheus, die ihre Herzen füllte. Roland wollte sich dem Hauptportal nähern, das nach Morgen zu gelegen war, aber die Greisin hielt ihn zurück. »Dieser Eingang,« sagte sie, »war lange verrammelt, um die ketzerische Rotte nicht wissen zu lassen, daß es noch Männer unter den Brüdern des Marienklosters gibt, die an der Stätte, wo ihre Vorgänger einst beteten und nun begraben liegen, Gott nach wie vor anzubeten wagen ... Folge mir auf diesem Wege, mein Sohn!« Und indem sie sich scheu umsah, ob sie beobachtet seien, denn in den gefährlichen Zeiten hatten sie es gelernt, Vorsicht zu üben, zeigte sie Roland ein kleines Pförtchen und befahl ihm daran zu klopfen. »Aber leise,« setzte sie hinzu, mit einer zur Vorsicht mahnenden Gebärde. Als nach einer kurzen Weile keine Antwort kam, gab sie Roland einen Wink, das Zeichen zu wiederholen. Endlich trat ein hagerer, furchtsam dreinschauender Pförtner in die halb geöffnete Tür, halb in Sorge, sich den Blicken der draußen Stehenden zu entziehen, halb bemüht, zu erfahren, wer Einlaß ins Gotteshaus begehre. Wie verschieden von dem stolzen Selbstgefühl früherer Tage, mit dem sich der feiste Klosterwart den Pilgern, die nach Kennaqhueir kamen, zeigte! Das feierliche Wort »Introite, mei filii [Tretet ein, meine Söhne] «, mit dem er einst zum Eintritt aufforderte, erklang jetzt nicht, sondern mit ängstlich zitternder Stimme sprach er auf englisch: »Jetzt könnt Ihr nicht eintreten, denn die Brüder sind in ihren Zellen.« Als aber Magdalena Gräme mit gedämpfter Stimme fragte: »Heiliger Vater, hast Du mich vergessen?« da änderte er seine zurückweisenden Worte: »Tritt ein, geliebte Schwester im Herrn! schnell, schnell, denn es umlauern uns die Blicke der Argen!« So traten sie ein. Der Pförtner verrammelte und verriegelte eilig die Pforte wieder, dann führte er sie durch eine Reihe von düstern, gewundenen Gängen. »Unsre Väter,« sagte er unterwegs, »sind im Kapitelhause versammelt, würdige Schwester, um den neuen Abt zu wählen. Ach, und wir dürfen keine Glocken läuten, und kein Hochamt halten, die Hauptportale dürfen nicht geöffnet werden, damit das Volk seinen geistlichen Vater schaue und ehre. Unsre Väter müssen sich verstecken wie Räuber, die ihren Hauptmann, und nicht wie Mönche, die ihren insulierten Abt wählen.« »Auf wen, mein Bruder, wird die Wahl fallen?« fragte die Gräme mit Eifer. »Auf wen sie fallen kann?« versetzte der Bruder Pförtner, »oder, ach! wer wird es wagen, dem Rufe zu folgen, es sei denn der würdige Zögling des als heilig ausgerufenen Eustachius, der wackre, unerschrockne Bruder Ambrosius?« »Wußte ich es doch, hat mir mein Herz doch den Namen zugeraunt!« sprach Magdalena. »Tritt vor, Du mutiger Kämpe, und verteidige die verderbliche Bresche! stehe auf, kühner Pilot, und nimm das Steuer in Deine Hand, dieweil der Sturm raset! wende die Schlacht, Du kraftvoller Bannerträger! schwinge Schleuder und Krummstab, Du edler Hirt einer zerstreuten Herde!« »Verhaltet Euch, bitte, still, würdige Schwester,« sprach der Pförtner, »denn die Brüder werden gleich einziehen, die Wahl durch eine große Messe zu feiern; als Marschall muß ich sie zum Hochamt geleiten, denn alle Aemter dieser ehrwürdigen Stätte lasten jetzt auf den Schultern von mir armem, altem, müdem Manne!« Behutsam verließ er die Kirche, und Magdalena und Roland standen allein, in dem großen, gewölbten Raume, der den edlen Baustil der Gotik des vierzehnten Jahrhunderts aufwies. Aber auch hier hatten die Vandalen gehaust, nicht einmal die Gräber der Helden und Fürsten hatten sie geschont, die Lanzen und Schwerter, die über den Särgen gehangen hatten, lagen mit den Reliquien, die andächtige Pilger gespendet hatten, zusammen auf wüstem Haufen, und die Gestalten, die einst, von Künstlerhand gemeißelt, die Sargdeckel geschmückt hatten, lagen zwischen. Heiligenfiguren und Engelsköpfen, die gewalttätige Hände von ihren Simsen gerissen hatten. Das Traurigste aber war, daß die Mönche, obgleich nun Monate verstrichen waren, seit diese Greueltaten verübt worden waren, noch immer den Mut nicht gefunden hatten, den Schutt hinwegzuräumen und in der Kirche einen leidlichen Zustand von Ordnung zu schaffen. Und es wäre doch mit nicht allzuviel Mühe verbunden gewesen! Aber die ohnmächtigen Reste dieser einst so stolzen Gemeinschaft waren so kleinmütig, so verzagt, so schreckhaft geworden, daß sie sich, getragen von dem Bewußtsein, daß sie ihre Gegenwart bloß einem Uebermaß von Nachsicht und Milde verdankten, nicht dazu aufraffen konnten, irgend welche Schritte zu tun, die so hätten gedeutet werden können, als wollten sie alte Rechte wieder in Geltung setzen, sondern sich an der heimlichen und stillen Uebung ihrer kirchlichen Bräuche genügen ließen. Ein paar Brüder waren inzwischen dem Rufe ihres Herrn gefolgt, und zu ihrer Bestattung waren einige Aufräumungsarbeiten vorgenommen, aber auch auf das allernotwendigste beschränkt worden. Magdalena Gräme blieb vor einem dieser neuen Gräber stehen, das die sterblichen Reste des letzten Abtes Eustachius barg. »Zu guter Stunde für Dich, Du Heiliger, aber zu gar unglücklicher Stunde für die Kirche wurdest Du von uns gerufen. Laß Deinen Geist mit uns sein, erfülle Deinen Nachfolger mit Mut, in Deine Fußtapfen, zu treten, gib ihm Deine Kühnheit, Deine Klugheit, Deine Gewandtheit, Deinen Eifer und Deinen frommen Sinn!« Dieweil sie noch so sprach, tat sich eine Seitentür auf, und auf dem aus der einstigen Abtswohnung nach der Kirche führenden Gange, mitten zwischen Schutt und Trümmern, schritten sieben bis acht greise Männer, von Gram und Furcht gebeugt, und bebend und zitternd vor Alter, ebensoviel Gespenstern gleich, aufwärts zum Hochaltar, um dort ihr erwähltes Oberhaupt zum Vorsteher eines Schutthaufens zu weihen. Der Priester, dem das Amt eines Abts vom heiligen Marienkloster überwiesen worden war, war ein Mann, zu dem schweren Amte, das seiner wartete, geeignet wie keiner, kühn und schwärmerisch, und doch edelmütig und versöhnlich, klug und bedacht und doch schnell und eifrig, -- und es bedurfte bloß eines bessern Anlasses, als der Stürzung eines im Niedergange begriffnen Aberglaubens, ihn in die Reihe wahrhaft großer Männer zu rücken. Ein solcher Mann war Pater Ambrosius, der letzte Abt von Kennaqhueir. Seine Haltung bei dieser Feierlichkeit, die doch aller sonst hierbei vorhandnen Herrlichkeit entbehrte, breitete eine hehre Würde über die heilige Stätte wie über die frommen Teilnehmer, die aus Furcht, Kummer und Scham, im Bewußtsein der Gefahr, in der sie schwebten, geneigt waren, die Handlung so viel wie möglich abzukürzen, gleich als ob sie etwas vorhätten, das sie entwürdigen oder in andre verdrießliche Lage bringen könne. Nicht so Pater Ambrosius! Wenn er auch in tiefer Schwermut den Hauptgang hinaufschritt, zwischen den Ruinen von Gegenständen, die ihm heilig gegolten hatten, so zeigte seine Stirn doch keine Spur von Niedergeschlagenheit, und sein Gang war fest und würdevoll. Auf seinem Gesicht stand zu lesen, daß er die Herrschaft übernehme als keineswegs abhängig von äußern Umständen, unter denen sie übertragen werde, daß sich seine Sorge nicht zu erstrecken habe auf die Sorge um die eine oder um fremde Personen, sondern einzig und allein mit allen Fasern des ihm gewählten Denkens und Seins um die Kirche, deren Dienst er sich geweiht hatte. Der Weg, den er zu wandeln hatte, war beschwerlich, ein rechtes Abbild jenes andern Weges, der ihm im Leben bevorstand, aber endlich stand er doch auf den zertrümmerten Stufen des Hochaltars, barfuß, wie es vorgeschrieben stand, mit dem Hirtenstab in der bloßen Hand, denn Demantring und Inful, die mit kostbaren Juwelen besetzt gewesen waren, waren eine Beute der Plünderer geworden. Und keine Vasallen erschienen, ihre Huldigung darzubringen, ihr geistliches Oberhaupt mit Parade-Zelter und Prachtgeschirr zu versorgen; kein Bischof wohnte der Feierlichkeit bei, um den Prälaten, dessen Stimme bei der Gesetzgebung soviel galt wie seine eigene, in den Hochadel der Kirche aufzunehmen. Mit abgekürztem Zeremoniell traten die wenigen Brüder, die noch in der Abtei anwesend waren, an den Altar heran, um ihrem neuen Abte den Friedenskuß zu geben, der das Unterpfand sein sollte für brüderliche Liebe und geistliche Huldigung. Dann wurde die Messe gelesen, ebenfalls im beschleunigten Verfahren, und doch stockte der Priester, der sie las, und blickte sich wiederholt um, wie wenn ihn die bange Sorge befiele, mitten in der feierlichen Handlung gestört zu werden durch unheilige Elemente ... und die wenigen Brüder lauschten seinen Worten, wie von dem Wunsche beseelt, daß es bald, recht bald vorüber sein möge ... Diese Zeichen von Unruhe mehrten sich, je länger die heilige Handlung währte, und es gewann allmählich den Anschein, als sei nicht bloß Angst die Ursache dazu, denn jetzt ertönten in den Pausen des Festgesangs allerhand Klänge, von außen her, dazwischen. Schwach und in der Ferne begannen sie, kamen aber näher und näher an die Kirche heran, bis sie endlich anschwollen zu mißtönendem Geschrei, das den Festgesang der frommen Brüder übertönte. Dazwischen Hornstöße ohne Rücksicht auf Wohlklang, und Schellengeklingel und Trommelwirbel, Dudelsack-Pfiffe und Cymbelschläge, dann Johlen und Kreischen einer vielköpfigen Menge, Weiber- und Kindergekreisch, untermischt mit Männergebrüll, kurz ein Durcheinander von Lärm, daß es an das heidnische Babel erinnerte, zuerst die kirchlichen Hymnen übertönte, dann einschüchterte und gänzlich verstummen machte. Elftes Kapitel Die Mönche verstummten, und gleich einer Herde Küchlein, in die ein Habicht hineinfährt, stoben sie zuerst auseinander und suchten nach verschiedenen Richtungen zu entfliehen, dann drängten sie sich, verzweifelnd an Rettung, um ihren neuen Abt. Er aber, mit dem gleichen unerschrocknen und festen Blicke, der während der ganzen feierlichen Handlung nicht von ihm gewichen war, stand auf der obersten Altarstufe, als wenn er sich des Platzes, der ihn zur Zielscheibe für die im Nahen begriffne Gefahr machte, in keinem Falle freiwillig begeben wolle, vielmehr seine Brüder durch die Gefährdung der eignen Person vor Gefahren zu schützen bedacht sei. Unwillkürlich traten Magdalena Gräme und Roland Gräme von dem Platze, an dem sie bislang geweilt, hinweg und an den Altar heran, wie wenn ihre Herzen sie trieben, der Gefahren, denen die Brüder entgegengingen, teilhaftig zu werden. Beide neigten sich tief vor dem Abt, und während Magdalena das Wort nehmen wollte, legte Roland die Hand an den Dolch und richtete den Blick fest auf die Pforte, vor der jetzt der Lärm am meisten zu toben anfing. Aber beiden gebot der Abt mit einer leichten Handbewegung Ruhe. Mit jedem Augenblick schwoll jetzt das Getöse. Es wurden Stimmen laut, die ungeduldig Einlaß begehrten. Der Abt trat ruhig und würdevoll an die Pforte und forderte in strengem, Achtung gebietendem Tone, wer hierher gekommen sei, fromme Andacht zu stören, und in welchem Begehr? ... Eine kurze Weile trat draußen Ruhe ein. Dann aber erscholl schrilles Gelächter. Und endlich antwortete eine höhnische Stimme: »Einlaß in die Kirche begehren wir, und wenn Ihr aufmacht, dann seht Ihr ja im Nu, wer wir sind.« »Auf wessen Vollmacht fordert Ihr hier Einlaß?« fragte der Abt. -- »Der hochwürdige Herr Abt hat's also verfügt,« versetzte die Stimme von außen, und dem Gelächter nach zu schließen, das auf diese Worte folgte, mußte es ein ganz besondrer Ulk sein, der draußen sich der Menge zeigte. »Ich verstehe den Sinn Eurer Worte nicht und will ihn nicht verstehen,« sagte darauf der Abt, »denn jedenfalls ist es etwas Ungeziemendes. Indessen geht in Gottes Namen und laßt seine Diener zufrieden! Und' wenn ich solches Euch künde, so geschieht es, weil ich Vollmacht besitze, hier zu befehlen.« »Aufgemacht!« rief eine grobe Stimme, »wir wollen Eure Vollmacht mit der unsern vergleichen, mein liebes Mönchlein, denn auch wir gehorchen einem Oberhaupt das gewohnt ist, ersten Baß zu spielen.« »Brechstangen her!« rief ein dritter, »wenn der Kerl noch lange salbadert!« Ein wüstes Geschrei folgte auf die Worte. »Wir haben keine Lust, die schuftigen Mönche noch lange zu betteln, die uns bloß unsre Gerechtsame verkürzen!« rief ein vierter. »Jawohl, unsre Gerechtsame!« johlte die Menge. »Schlagt die Türen ein! Rückt dem faulen Gesindel, die unserm Herrgott den Tag abstehlen, zu Leibe!« Jetzt schlugen die Missetäter mit eisernen Hämmern gegen die Tore, und bei der Wut, mit der die Schläge geführt wurden, bestand keine Aussicht, daß die Tore lange sich halten würden. Der Abt sah ein, daß Widerstand müßig sein würde, und um die Kirchenstürmer nicht durch solchen Versuch noch zu stärkerer Wut zu reizen, bat er ernstlich um Ruhe, erlangte über nur mit Mühe Gehör. »Meine Kinder,« redete er die Menge an, »ich will versuchen, ob es meinen Worten gelingen mag, Euch vor schwerer Sünde zu bewahren, die Ihr zu begehen Euch anschickt. Der Pförtner wird gleich zur Stelle sein, das Tor zu öffnen. Er ist auf dem Wege nach den Schlüsseln. Inzwischen geht mit Euch zu Rate, ob Ihr in einer Stimmung seid, wie sie vorhanden sein soll, um den Fuß über eine heilige Schwelle zu setzen.« »Lirum larum mit Eurem Gewäsch!« wurde draußen geschrieen, »niemals war's den Mönchen so wohl, als wenn sie Brühsuppe aßen mit Kohl. Drum, hat Euer Pförtner nicht Zipperlein vom Bier und Wein und Branntewein, so bringt ihn trab trab auf die Schemelbein', kommandiert ihm ein bißchen Eile, sonst brechen wir ein sonder Weile! ... »Na, Jungens, war das nicht fein geredt?« »Fein geredt!« brüllten draußen ein paar Dutzend Kehlen, »und so sein wie Eure Rede war, so sein wollen wir uns auch benehmen!« Und wäre nicht im selben Augenblick der Pförtner mit den Schlüsseln gekommen, so hätte der Pöbel draußen ihn der Mühe des Aufschließens ganz sicher enthoben. Der Pförtner aber; kaum, daß er den Schlüssel herumgedreht hatte, flüchtete erschrocken wie ein Schleusenmeister, der das Wehr aufgezogen hat und von der hereinbrechenden Flut ereilt zu werden fürchtet. Die Mönche hatten sich, wie scheues Wild, hinter ihren Abt geflüchtet, der allein ein paar Schritte vorm Eingange dastand, ohne weder Bestürzung noch Furcht zu zeigen. Ein lautes Gelächter brach aus, als die Pforte sich auftat, aber es flutete keine Schar wilder Frevler, wie Abt und Mönche erwartet hatten, in das Gotteshaus. Im Gegenteil dröhnte der Ruf über die Menge: »Halt, Ihr Herren, halt! laßt den beiden ehrwürdigen Patres doch Zeit, sich zu beschnopern! Also geziemt es sich, und keiner verstoße dagegen!« Ein wieherndes Gelächter folgte der Rede. Es war ein wunderlicher Schwarm, dem diese Stimme Ruhe gebot, und abenteuerlich im höchsten Maße. Männer, Weiber, Kinder, in buntem Durcheinander und auf die possierlichste Weise herausgeputzt! Da war einer vorn mit einem Pferdekopf und hinten mit einem Pferdeschweif, in eine große Pferdedecke gehüllt, die ihm das Aussehen eines Pferdes geben sollte. Ein andrer war als Drache vermummt, mit mächtigen Flügeln aus Goldpapier und einem Rachen voll gräßlicher Zähne, zwischen denen eine spitzige, scharlachrote Zunge spielte. Der Drache schnappte nach einem Buben, der als Königin von Saba herausstaffiert war und mit langen Beinen vor ihm ausriß, und zwischen beide drängte sich ein martialischer Sankt-Georgsritter, statt eines Helms mit einem Punschnapfe auf dem Kopfe und statt der Lanze mit einem Bratspieß in der Faust. Dem Jungen aber gelang es, dem Drachen, und dem Drachen, dem Ritter zu entkommen. Dann kam ein Bär und ein Wolf und noch ein paar andre wilde Bestien, und alle suchten es dem Schneider Snug in Shakespeares Sommernachtstraum gleichzutun und waren die echten Muster von Vorsichtskommissarien, die durch den beschränkten Gebrauch ihrer künstlichen Hinterfüße niemand im geringsten Zweifel ließen darüber, daß sie nur armselige Zweifüßler waren. Dann kam eine Gruppe von Bösewichtern à la Robin dem Roten oder Kohlhaas, und das war entschieden die beste Gruppe in der ganzen tollen Gesellschaft, was übrigens insofern erklärlich war, als es dem Gewerbe nach zumeist Komödianten waren, die sie darstellten. Männer waren kostümiert als Weiber, und Weiber waren kostümiert als Männer, Kinder liefen als Greise an Krücken und mit Stöcken, in großen Flausröcken und mit wollnen Hauben auf den Flachsköpfen, während Großväter und Großmütter als kleine Kinder sich herausgeputzt hatten. Und wem die Mittel oder die Gedanken zu einem Kostüm gefehlt hatten, der hatte sich wenigstens Gesicht und Hände rot oder schwarz bemalt und das Futter seines Wamses nach außen gewandt, und so war mit einem Male die ganze Menschheit hier vor dem Kloster in einen Trupp der tollsten Maskerade verwandelt, die man sich selbst mit der buntesten Phantasie nicht bunter ausmalen konnte. Die Krone der Maskerade war aber der »Abt der Unvernunft«, eine Maske, die jetzt in vollem Kostüm ihren Aufzug nach dem Haupteingange der Klosterkirche hielt, und zwar als lebendiges Konterfei des wirklichen Oberhauptes, zu dessen Begrüßung sie an seinem Weihetage, in Gegenwart seiner Klosterbrüder und im Chore seiner Amtsbrüder, sich eingefunden hatten. Dieses Konterfei eines Prälaten war ein stämmiger, untersetzter Mensch, der sich einen echten Falstaffswanst ausgestopft hatte, eine Inful aus Leder trug, die vorn wie ein Grenadiershelm, mit allerhand verrückter Stickerei und Flitterwerk aus Blech verziert, aussah, die aber noch unendlich stark von einem Gesicht übertroffen wurde, dessen wichtigster Bestandteil die Nase war, die sich als ein »Lötkolben« von ganz ungewöhnlicher Größe erwies und reicher als der reichste Hals- und Kopfschmuck mit Rubinen besetzt war. Sein Chormatel war aus Wachsleinwand und das Meßgewand aus Segeltuch, mit seltsamer Malerei versehen und aufgeschlitzt. Auf der einen Schulter war das Bild einer Eule befestigt und in der rechten Hand trug er den Hirtenstab, in der linken aber einen kleinen Spiegel mit einem langen Griff, so daß er dem bekannten Hansnarren Eulenspiegel, und zwar solchem in der Kutte, glich. Die Begleiter dieses Eulenspiegel-Prälaten trugen ihre eigne Tracht mit dem dazu passenden Zubehör und äfften auf die gleiche verrückte Weise die verschiedenen untern Klosterämter nach, wie ihr Führer den Klosterabt. Sie folgten demselben in langer Prozession, und die buntscheckigen Masken drangen nun hinter ihm her in die Kirche mit dem Geschrei: »Platz, Platz dem ehrwürdigen Pater Eulenspiegel, dem gelahrten Mönche Ohnezucht, dem hochwürdigen Abte der Unvernunft!« Dazu stimmte die Kohorte ein wüstes Konzert an von allerhand Klängen und Tönen. Die Kinder quiekten und heulten, die Männer lachten und tobten, die Weiber kreischten und kicherten, die Bestien heulten, der Drache zischte, das Steckenpferd wieherte, bockte und schmiß, und alles hüpfte und tanzte durcheinander, stampfte mit den Nägelschuhen gegen die, Steinplatten, daß die Funken stoben, kurz es waren ein Tohuwabohu, wie man es sich toller und verrückter gar nicht denken konnte. Die Mönche blickten mit Angst und Bangen auf ihren Abt, und der Abt schien selbst in großer Verlegenheit. Er fühlte zwar keine Furcht, hingegen konnte er sich nicht verhehlen, daß es in hohem Grade gefährlich werden konnte, wenn er oder einer seiner Mönche Unwillen laut werden liehen. Er gab mit der Hand ein Zeichen, als wolle er Ruhe gebieten, das jedoch im ersten Augenblick nur mit wieherndem Gelächter beantwortet wurde. Aber als die gleiche Handbewegung zum andern Male Stille gebot, da leisteten die unwirschen Patrone ohne weiteres Gehorsam, denn sie erhofften sich von einer Zwiesprach zwischen dem wirklichen Abte und dem von ihnen ausstaffierten Konterfei das größte Gaudium. Deshalb begannen sie jetzt zu schreien: »Munter, munter, ihr Patres! flott ins Geschirr, Bruder Mönch! flott ins Geschirr, Pfaff Eulenspiegel! Abt gegen Abt ist kein übler Fall, und Vernunft gegen Unvernunft ein feiner Strauß!« »Silentium, Kumpane!« rief Eulenspiegel-Abt, »sollen zwei wohlgelahrte Kirchenpatres sich nicht zusammen ausquatschen können, ohne daß Ihr dazwischen quakt wie die Frösche? Silentium, sage ich. Gönnt dem weisen Pater und mir Zeit und Weile, uns zu beraten über Dinge, die unser beiderseitiges Verhältnis und Ansehn betreffen.« »Meine lieben Kinder,« hub Pater Ambrosius an. »Dito, meine lieben Kinder, und meine Glückspilze von Kindern!« sagte sein Konterfei, »es läuft so manches Kindlein unter der Sonne herum und kennt seinen eignen Vater nicht, und da ist's wohl schön und gut, wenn sie die Auswahl haben zwischen zweien!« »Ist Dir noch sonst etwas geblieben außer Spott und Hohn und Eulenspiegelei?« fragte der Kirchen-Abt, »dann laß mich, um Deines eignen Seelenheiles willen ein paar Worte sprechen zu diesen irre geleiteten Menschen!« »Ob mir andres geblieben außer meiner Eulenspiegelei?« wiederholte der Abt der Unvernunft. »Ei, ei, würdiger Bruder in Christo, mir ist alles geblieben was der Mensch braucht, um Mensch zu sein, mein Rind- und Schweinefleisch, mein Bier und Schnaps, und andrer Leckerbissen gar nicht zu erwähnen, Kollega! ... Na, quatsch Dich nur aus, wir wollen uns messen, wie es Brauch ist zwischen ein Paar ehrlichen Streithengsten ... gleiche Kappen, gleiche Waffen!« Der Zorn der Frau Gräme war auf den Höhepunkt gestiegen. Sie trat zu dem Abt und sprach mit leiser Stimme, aber in festem, entschiedenem Tone: »Wachet auf und erhebet Euch, frommer Vater! Das Schwert des heiligen Petrus ruhet in Deiner Hand. Zieht es und rächet das Erbe Sankt Petrus'! Schlagt sie in Ketten, mit denen auch im Himmel gefesselt bleibt, wen die Kirche auf Erden in Fesseln gelegt hat!« »Ruhe, Schwester!« sprach der Abt, »ihre Torheit soll uns nicht der Fassung berauben! sei still und laß mich meines Amtes walten! es ist das erste und mag vielleicht das letztemal sein, daß ich mich hierzu berufen fühle.« »Nicht doch, mein frommer Bruder in Christo,« sagte darauf Eulenspiegel-Abt, »richte Dich doch nach den Worten der alten Madam. Ist doch noch kein Kloster gediehen ohne Weiberhilfe!« »Sei still, Du Tor!« erwiderte der Kirchen-Abt, »und Ihr, meine Brüder --« »Nicht doch,« fiel ihm Eulenspiegel-Abt in die Rede, »keinen Quatsch mit dem Laienvolk, als bis Ihr Euch mit Eurem Bruder mit der Schellenkappe besprochen und beraten habt. Ich schwör es bei Meßbuch und Glocke und Kerze, daß keiner von meiner Sippe Euch anhören soll. Also wendet Euch an mich mit Eurer Rede, denn mich findet Ihr bereit zu hören und Antwort zu geben.« Abermals versuchte der Kirchen-Abt, an die Empfindungen bessrer Art zu appellieren, die einst unter den Gliedern dieses geistlichen Distrikts verbreitet waren, aber der Abt der Unvernunft brauchte nur seinen Schellenstab zu schwingen, und das Schreien und Toben der Menge nahm wieder überhand, daß es den Zungen der stärksten aller Stentorstimmen widerstanden hätte. »Und nun, Kumpane,« nahm der Abt der Unvernunft wieder das Wort, »haltet noch einmal die Mäuler, und laßt uns erproben, ob der Kampfhahn von Kennaqhueir kämpfen oder vom Kampfplatze fliehen wird.« Wiederum trat eine Pause ein, die Pater Ambrosius wahrnahm, sich an den Gegner zu wenden, weil er keine andre Möglichkeit ersah, sich auf andre Weise Gehör zu schaffen. »Armer Mann,« sagte er, »weißt Du keine bessre Anwendung für Deinen ungeschlachten Witz, als daß Du ihn nützest, diese verblendeten Menschen in den Abgrund der Finsternis zu führen?« »Bruder in Christo,« versetzte mit Lachen der andre, »auf die Art kriegen wir die Karre nicht in Gang! Noch immer stehen wir einander nicht anders gegenüber, als daß Ihr aus einem Jux einen Sermon, und ich aus einem Sermon einen Jux mache.« »Wollt Ihr denn wirklich dulden,« wandte der Kirchenabt sich wieder an die Menge, »daß ein von Gott abtrünniger Possenreißer Gottes Diener an heiliger Stätte verhöhne? So mancher von Euch hat unter meinen heiligen Vorgängern gelebt, vielleicht ihr alle! Unter meinen Vorgängern, die berufen waren zu herrschen dort, wo ich berufen sein soll zu leiden. und nennt Ihr weltliche Güter Euer eigen, so besitzt Ihr sie aus den Händen meiner Vorgänger; und standen Euch, sofern Ihr sie nicht verschmähtet, nicht jederzeit auch bessere Gaben zur Verfügung, wie die göttliche Gnade und die Vergebung der Sünden? Haben wir nicht, während Ihr fröhlich waret, gebetet für Euer Seelenheil? haben wir nicht für Euch gewacht, dieweil Ihr schliefet?« »So haben wohl die Klostermuhmen immer gern gefaselt,« hub Eulenspiegel-Abt an, aber diesmal fand sein Spott nur mäßigen Beifall, und Pater Ambrosius nahm den Vorteil des Umschwungs in der Stimmung mit Eifer wahr. »Geziemt es sich für Euch,« fuhr er fort, »ein Paar Greise mit Hohn zu überschütten, deren Vorgänger Euch und Euren Eltern und Ureltern immer nur Gutes erwiesen? die keinen andern Wunsch mehr hienieden haben, als in Ruhe und Frieden unter den Trümmern der Stätte zu sterben, die einst der Ruhm des Landes war? die täglich zu Gott ihrem Herrn bitten, sie früher abzurufen, als der letzte Funken verlöschen und dieses Land in Finsternis begraben wird? Wir haben die Schärfe des geistlichen Schwertes nicht gegen Euch gerichtet, als Ihr unsrer Ländereien uns beraubtet, als Ihr uns alles nahmt, was uns bisher den kargen leiblichen Unterhalt lieferte, den dieses Land uns spendete. Nein! bloß um das eine haben wir gebettelt, daß Ihr uns sterben lasset an der Stätte, da wir zu unserm Gott gebetet haben zeit unseres Lebens, daß Ihr uns auch weiter vergönnt, für Euer Seelenheil zu beten zu Gott und unsrer lieben Frau, auf daß uns und Euch die Sünde verziehen werde, die uns allen anhaftet! und dazu bitten wir heute noch, daß Ihr uns in unserm stillen Werke nicht stören möget durch solchen Mummenschanz und solches Possenspiel, das Gott nicht wohlgefällig, sondern ein Aergernis ist!« Und so verschieden war diese Rede in ihrem Ton und ihrem Schlüsse von derjenigen, die die Menge hier zu vernehmen gerechnet hatte, daß sie eine Wirkung erzielte, die der Fortsetzung des possenreißerischen Treibens nicht günstig war. Die Tänzer mit den schwarzbemalten Gesichtern standen still, das Steckenpferd bockte nicht mehr. Pfeife und Trommel verstummten, und eine düstre Stille fing an, über das wilde Völkchen sich zu legen. Und der Kirchenabt stand mit zuversichtlicher Miene auf dem gleichen Plätze wie von Anbeginn und die frommen Brüder begannen wieder Mut zu fassen. Aber Eulenspiegel-Abt war nicht gewillt, seinen Plan so schnell fallen zu lassen. »Ei, ei, Kumpane,« rief er lustig, »heißt das spielen, wie es sich gehört? habt Ihr mich darum, zum Abte der Unvernunft erwählt, weil Ihr vernünftiger Rede Gehör geben wollt? Bin ich darum durch Euer feierliches Kapitel im Martinschen Leihhause zum Abte der Unvernunft gekürt worden? Spielt das Spiel zu Ende, und helft mir jeden Wortvergessnen unsers Ordens mit Sang und Klang unters Wehr zu tauchen!« Der Pöbel, wie immer wetterwenderisch, ließ ein lautes Hurra erschallen, und der ganze Hexensabbat hub von neuem an. Aber es wäre dem Abte Ambrosius ohne Zweifel noch einmal gelungen, durch seine Reden und Bitten den Sieg zu gewinnen, hätte nicht Frau Magdalena Gräme sich verleiten lassen, dem Unwillen Raum zu geben, der so lange in ihrer Brust schon tobte. »Ihr Spötter! Ihr Gotteslästerer, Ihr Belialskinder!« eiferte sie. »Ruhe, Schwester, ich befehle es Euch, ich bitt Euch darum,« sagte der Kirchenabt, »lasset mich meine Pflicht tun und, störet mich in der Ausübung meines Berufs nicht durch selbstwilligen Eingriff!« Aber die Gräme fuhr fort zu eifern und zu wettern, bis der Abt der Unvernunft das Wort nahm und unter Lachen rief: »Kumpane! auch nicht eine einzige verständliche Silbe hat die alte Dame über ihre Lippen gebracht: drum mag sie nach dem Gesetze unsers Ordens freigesprochen werden von jeglicher Schuld! Aber was sie gequatscht hat, war vernünftig gemeint, drum soll sie erklären, daß es Quatsch gewesen, wenn sie nicht Bekanntschaft machen will mit dem Wehr. So steht's in den Statuten unsers Ordens, und also wollen wir's halten! ... Darum, mein frommes Madamchen, ob Ihr nun Pilgerin seid oder Aebtissin, Küchen- oder andre Nonne, laß ab von Deinem Faschingsquatsch, oder nimm Dich vorm Wehr in acht! Wir brauchen in unserm Sprengel der Unvernunft weder geistliche noch weltliche Schimpfmäuler.« Mit diesen Worten streckte er die Hand aus nach der Greisin, und seine Kumpane schrieen: »Vor den Schöppenstuhl mit ihr! vor den Schöppenstuhl!« Aber als sich Eulenspiegel-Abt anschickte, dem Begehr der Menge zu folgen, da ereignete sich plötzlich ein Vorfall, der ihn unfähig dazu machte. Roland Gräme, dem schon lange die Hand juckte, geriet außer sich über diese seiner bejahrten Verwandten angetane Schmach und stieß, indem er sich der angebornen Heftigkeit seines Temperaments überließ, dem Eulenspiegel-Abt den Dolch in den Bauch, daß der Dickwanst wie ein Klotz zu Boden niederschlug. Zwölftes Kapitel Der Pöbel, auf so grauenhafte Art in seiner Freude gestört, erhob ein furchtbares Rachegeschrei. Aber für den ersten Augenblick hielt ihn das flammende Auge und der Dolch in der Hand des Jünglings in Schranken, im Verein mit dem Bewußtsein, daß ihm jegliche Waffe fehlte. Der Abt aber, ob dieser Gewalttätigkeit tief entsetzt, hob die Hände zum Himmel und flehte um Vergebung ob des in den heiligen Mauern vergossenen Blutes. Bloß die Gräme war verzückt vor Freude über die Strafe, die ihr Tochtersohn diesem sündigen Spötter erteilt hatte, wenngleich sich langsam die Bange ob des Schicksals, das diesem Sproß ihres Geschlechts nun winkte, an sie heranschlich. Indessen hatte die Menge sich umsonst ereifert, die Gräme sich umsonst gefreut und umsonst gebangt, und der Kirchenabt sich umsonst bekümmert, denn der Eulenspiegel-Abt, den alle Welt auf den Tod verwundet wähnte, sprang plötzlich puppenlustig von der Erde auf und stimmte ein helles Gelächter an. Dann rief er: »Ein Wunder, Kumpane, ein Wunder! so herrlich und groß, wie es die Kirche von Kennaqhueir noch nie erlebt hat, so lange sie steht ... Und nun befehle ich Euch, Kumpane, als Euer gewählter Abt, daß Ihr an niemand Hand legt! ... Wolf und Bär, vorgetreten! Ihr beide nehmt den naseweisen Musje unter Obhut, sorgt aber, daß ihm kein Leid geschehe! Und Ihr, ehrwürdiger Herr Kollega, werdet Euch mit Euren Brüdern in Eure Zellen zurückziehen, denn unsre Zwiesprach ist zu Ende, wie all solche Dispute, bei denen jeder auf dem bestehen bleibt, was er sich in seinen Dickkopf gesetzt hat. Ich rechne drauf, daß Ihr Euch fügen werdet, denn sollte es zu einem Kampfe kommen, so müßtet Ihr doch unbedingt den kürzeren ziehen. Drum geht, und wir, Herr Kollega, wir werden auch nicht länger hier verweilen. Umsoweniger,« setzte er in weit natürlicherem und freundlicherm Tone als bisher hinzu, »als es unsre Absicht ja überhaupt nicht war, Euch Böses zu tun. Vergeßt nicht: Hunde, die viel bellen, beißen wenig, und es ist immer das klügste, die Partie aufzugeben, so lange man noch gute Karten kriegt. Drum geht, sage ich Euch nochmals. Laßt die Leute ruhig austoben. Mit der Zeit bekommen sie den Spuk von selber satt. Ueberlaßt es dem Abte der Unvernunft, sie wieder zur Vernunft zu bringen!« Auch die Brüder drangen in den Abt, dem Strome zu weichen. »Nun, so geschehe es nach Eurem Willen!« sagte endlich Abt Ambrosius. »Begebt Euch in Eure Zellen, und Euch, Magdalena Gräme, bei dem Gehorsam, den Ihr mir schuldig seid und bei der Rücksicht, die Ihr auf Euren Enkel zu nehmen habt, befehle ich, mit uns zu gehen ohne jedes weitere Wort! Euch aber, böser Mann, frage ich, was habt Ihr mit dem Jünglinge vor? Ihr wißt,« setzte er in strengerm Tone hinzu, »daß er die Livree des Hauses von Avenel trägt. Und wer den Zorn des Himmels nicht scheut, der möge zum wenigsten den Unwillen der Menschen nicht außer acht lassen!« »Um seinetwillen laßt Euch kein graues Haar wachsen, Herr Abt,« erwiderte Eulenspiegel, »wer der Musje ist und was der Musje ist, das wissen wir recht gut.« »Gewährt meiner Fürsprache Gehör,« sprach der Abt in bittendem Tone, »und tut ihm nichts zu leide! es war jugendlicher Uebereifer, der ihn zu der Tat spornte.« »Ich sage Euch ja, macht Euch um seinetwillen keine Sorge,« wiederholte Eulenspiegel, »aber entfernt Euch mit Eurem Gefolge, sonst kann ich mich nicht verbürgen, daß Eurer zelotischen Madam der Sprung ins Wehr erspart bleibt ... Und was die Nachträgerei anbetrifft, so laßt Euch sagen, daß in meinem Herzen dafür kein Raum ist. Dazu ist mein Bauch zu fein mit Häcksel und Wachstuch ausgestopft ... das hat den Dolch des jungen Brausekopfs verhindert, seine Wirkung zu tun.« Durch diese Worte einigermaßen beruhigt, zog sich der Kirchen-Abt an der Spitze seiner Mönche zurück, während der Eulenspiegel-Abt sich an die Lärmer wandte, die trotz ihrer tollen Laune sich so lange ruhig verhielten, bis der letzte Mönch durch die Seitentür verschwunden war, die zu ihrem Wohnhause führte. Soviel hatte die Rede des Abtes doch bei ihnen gefruchtet. Und selbst nachher noch bedurfte es mehrfacher Anregung von seiten Eulenspiegels, um den Geist des Aufruhrs noch einmal wachzurufen, nachdem er in solcher Weise gedämpft worden war. Da aber trat in der Gestalt eines Ritters in voller Rüstung und in Begleitung von drei bis vier Bewaffneten eine neue Erscheinung auf die Bühne dieser wunderlichen Handlung. Mit strenger Stimme befahl er auf der Stelle die Einstellung des ungebührlichen Mummenschanzes. Das Visier des Ritters war aufgeschlagen, aber auch ohnedem hätte jeder sofort an dem Helmzierate des Palmenzweigs erkennen müssen, daß er in dem Ritter den Schloßherrn von Avenel, Sir Halbert Glendinning, vor sich habe. Auf seinem Heimritt war er zufällig grade zurzeit des Tumults durch das Dorf Kennaqhueir gekommen und hatte sich, vielleicht um das Schicksal des eignen Bruders besorgt, sofort nach der Kirche begeben. »Was soll das heißen, Leute?« rief er empört, »seid Ihr Christen und Untertanen eines christlichen Königs und verwüstet Kirche und Chor wie gemeine Heiden?« Alle standen stumm da, wenn sich auch manche gar nicht zurechtlegen konnten, wie es einem protestantischen Ritter beikommen könne, sich einer katholischen Kirche auf solche Weise anzunehmen. Endlich übernahm es der Drache, für seine Gefährten eine Rechtfertigung zu versuchen, und er brummte, »es sei doch bloß geschehen, um den Götzendienst der Päpste aus dem Lande zu fegen.« »Was setzt Ihr Euch da für Unsinn in den Kopf?« fuhr der Ritter den Drachen an. »Daß solcher Mummenschanz weit Schlimmeres in sich birgt als diese steinernen Mauern, das leuchtet Euch wohl nicht ein? Solch zügelloses Treiben ist eitel Torheit und Frevel. Drum tut ihm Einhalt und zerstreut Euch in Ruhe!« »Nu, da hätten wir ebenso gut römisch bleiben können,« brummte der Drache, »wenns nach wie vor verboten sein soll, sich einen Jux in seiner freien Zeit zu machen.« »Ist das ein Zeitvertreib für einen anständigen Kerl, auf dem Boden herumzukriechen wie ein Ungetüm von Kohlraupe?« fragte der Ritter, »mach, daß Du aus Deinem Gehäuse herauskommst, oder ich will Dich traktieren, wie man's mit solchem Gewürm macht, zu dem Du Dich selbst erniedrigst.« »Gewürm?« wiederholte knurrend der Drache, »von Eurer Eigenschaft als Ritter abgesehen, ist meine Herkunft wohl nicht schlechter als die Eurige.« Der Ritter versetzte dem Drachen statt aller Antwort ein paar Püffe mit dem Lanzenschafte, daß bloß die Rippen seines Drachenschweifs ihn vor dem Bruche der Rippen seines Leibes schützten. Eiligst kroch nun der Mann aus seinem Drachenleibe heraus und entpuppte sich dem Ritter als sein alter Kamerad Daniel von Howlethirst, der so manches Abenteuer mit ihm erlebt hatte, ehe das Schicksal ihn so hoch über den Stand seiner Geburt emporheben sollte. Der Bauer glotzte den Ritter knurrig an, wie wenn ihm heftige Vorwürfe über solche Grobheit auf den Lippen schwebten. Glendinnings Gutmütigkeit brach schnell wieder hervor und es tat ihm selbst leid, daß er den Mann so derb geschlagen hatte. »Hätt ich Dich gekannt, Daniel, wär's Dir nicht so ergangen,« sagte er zu dem Bauern, »aber ich hab Dich wahrlich nicht in solch alberner Tracht vermutet. Ein toller Schlingel warst Du ja immer, das muß ich sagen. Aber komm mit hinauf aufs Schloß, und wir wollen mal probieren, wie meine Falken fliegen.« »Und zeigt Ihr ihm nicht Falken, die wie Raketen steigen,« mischte der Abt der Unvernunft sich ein, »dann müßten meine Knochen Euren Lanzenschaft ganz ebenso fühlen wie vorhin seine.« »Was?« rief der Ritter, »Du Halunke bist auch dabei?« Eulenspiegel-Abt hatte im Nu die falsche Lötkolben-Nase abgerissen und den Bauch von sich abgestreift und die Schellenkappe vom Kopfe genommen, und stand nun da als Falkner Adam Woodcock. »Kerl, Du hast Dich erfrecht, solchen Tanz aufzuspielen, und obendrein in dem Hause, das meinem Bruder als Wohnstatt dient?« herrschte der Ritter ihn an. »Grade wegen des Tanzes, Euer Gnaden, hab ich's mir herausgenommen,« erwiderte der Falkner, »denn ich hatte gehört, daß man in der Gegend vorhabe, einen Abt der Unvernunft zu wählen, und da hab ich mir gesagt, daß es bloß zu Dummheiten kommen könne, wie sie mir recht sein würden, wenn sich's einrichten ließe, daß die Wahl auf mich träfe. Das ist eingetroffen, und so hab ich Eurem Bruder wohl zu einem bißchen Verdruß verhelfen müssen, aber hab ihn vielleicht dadurch vor schwererem Leid bewahrt.« »Du bist ein geriebener Patron, Woodcock, das weiß ich schon eine Weile, und mehr als die Anhänglichkeit an mich und mein Haus ist's die Lust an Lärm und Narretei, die Dich hierher geführt hat. Aber sorge drum, führe Deine Kumpane sonst wohin, nur hier im Gotteshause habt Ihr nichts zu suchen. Da hast Du ein paar Kronen für die Zeche. Beschließt den Tag so toll, wie Ihr ihn begonnen habt, aber richtet keinen Schaden weiter an, sondern vergeßt nicht, daß Ihr morgen wieder in Eurem Berufe arbeiten sollt. Drum tut's Euch nicht gut, daß Ihr Euch heute betragt wie Raubgesindel!« Dem Befehle seines Dienstherrn gehorsam, rief der Falkner seine Leute zusammen und raunte ihnen zu: »Fort, fort von hier! und zur Frau Martin hin, der Brauersfrau! Dort wollen wir Kehraus machen. Zieht ab mit Drommel und Dudelsack, aber fein manierlich und still, bis Ihr über den Kirchhof seid, dann könnt Ihr Euch zeigen wieder als die Bestien, die Ihr hier wart ... aber, was zum Teufel, hat bloß den Ritter über uns gebracht, daß er uns stören mußte in unserm Spiele! Merkt Euch bloß eins, Kumpane, den böse zu machen, ist keinem zu raten, denn seine Lanze ist keine Flaumfeder. Unser Daniel wird's schon gemerkt haben.« »Na, wenn mir ein andrer das angetan hätt,« rief Daniel, »und nicht mein alter Kamerad, dann hätt ich ihm meines Vaters Hirschfänger um die Ohren gehauen!« »Still, Kamerad, still!« versetzte Adam Woodcock, »in diesem Tone kein Wort weiter! kommt's nicht als gar zu grobes Wetter über einen, dann muß man sich halt ducken.« »Mir paßt's aber nicht, mich zu ducken,« brummte Daniel, als Woodcock ihn aus der Kirche hinausziehen wollte, und stemmte sich mit Händen und Beinen dagegen. Da traf der scharfe, durchdringende Blick des Ritters die beiden Kämpfenden, und er rief: »Heda, Falkner Woodcock, noch ein Wort!« und er zeigte auf den zwischen seinen beiden Wächtern, dem Wolf und dem Bären, befindlichen Pagen, »hast Du den Pagen meiner Frau in dieser Livree hierher gebracht, Schurke, damit er an Eurem hirnverbrannten Unfug mit teilnehme? ... Dann hättet Ihr doch wenigstens soviel Anstand wahren sollen, mein Haus nicht zu kompromittieren, und ihn auch in so eine Hanswurstjacke stecken können, wie Ihr sie tragt ... Bringt mir den jungen Menschen her, Ihr Bursche!« Adam Woodcock war ein zu ehrlicher Gesell, um an Roland Gräme eine Schuld haften zu lassen, die ihn nicht traf, und er sagte: »Euer Gnaden, ich schwöre Euch, der Knabe ist nicht hierher gekommen auf meine Weisung oder durch meine Vermittlung, am wenigsten in solcher Absicht.« »Aber um die eigne Lust an Spektakel solcher Art zu befriedigen,« sagte der Ritter, »wird er sich wohl hergefunden haben, das kann ich mir denken.« Dann wandte er sich zu Roland. »Hierher, junger Springinsfeld, und gebt mir Bescheid, ob Eure Herrin Euch erlaubt hat, Euch soweit vom Schlosse zu entfernen und meine Livree durch Teilnahme an solchem Mummenschanz zu schänden!« »Sir Halbert Glendinning,« versetzte Roland Gräme mit Entschiedenheit, »Eure Gemahlin hat mir vielmehr befohlen, über meine Zeit hinfort nach eignem Ermessen zu verfügen. Mir war das Schauspiel hier im höchsten Grade zuwider, das hab ich dem Eulenspiegel-Abt zu kosten gegeben, und Eure Livree trage ich bloß so lange, bis ich Sachen mir schaffen kann, an denen solches Zeichen der Knechtschaft nicht haftet!« »Wie soll ich das verstehen, junger Mensch?« sagte Sir Halbert Glendinning, »rede deutlich! Rätsel zu raten ist nicht meine Sache ... Daß meine Gemahlin einen Narren an Dir gefressen hatte, weiß ich. Was hast Du Dir zu schulden kommen lassen, daß sie Dir den Laufpaß gegeben hat?« »Ich muß sagen, nichts, was der Rede wert gewesen wäre, das muß ich sagen an des Knaben Stelle,« nahm Adam Woodcock das Wort, »eine Rauferei mit mir, die man der gnädigen Herrin hinterbracht hat, aber indem man aus der Laus einen Elefanten machte! Bis auf den Umstand, daß ich seinen Nestfalken mit ungewaschnem Fleisch gefüttert hab, hat alles Unrecht, das bekenn ich offen und ehrlich, bei dem ganzen Trödel, der dem Knaben den Dienst gekostet hat, auf meiner Seite gelegen.« Nun erzählte der ehrliche Falkner den Hergang des Vorfalls, der Roland bei seiner Herrin in Ungnade gestürzt hatte, aber auf eine für den Pagen so günstige Weise, daß Sir Halbert den Beweggrund wohl oder übel fühlen mußte. »Ein guter Kerl bist Du doch, Woodcock,« sagte er. »Wie einer nur irgend mal einen Falken auf der Faust getragen hat,« versetzte Woodcock, »aber von der Seite genommen, ist's Junker Roland nicht minder. Nur da er von Abstammungswegen ein halber Edelmann ist, wallt bei ihm leicht das Blut ...« »Gut, gut,« entgegnete Sir Halbert, »ich sehe, meine Gemahlin hat sich, scheint's, übereilt, zum wenigsten war das Vergehen wohl nicht schwer genug, einen Jungen, den man sieben Jahre bei sich hatte, Knall und Fall zu verabschieden, der Junker mag, wie ich mir denke, durch losen Mund die Sache schlimmer gemacht haben -- indessen trifft sich der Vorfall gut mit dem, was ich vorhabe ... Bring diese Sippschaft von hier weg, Woodcock; Ihr aber, Roland Gräme, geht mit mir.« Schweigend folgte der Page dem Ritter, der sich nach der Abtswohnung begab. In das erste Zimmer, das Sir Halbert offen fand, eintretend, befahl er einem aus seinem Gefolge, ihn bei seinem Bruder Eduard zu melden. Während er, auf den Bruder wartend, im Zimmer auf und ab schritt, richtete er an Roland Gräme das Wort: »Es wird Dir wohl nicht entgangen sein, mein Sohn, daß ich Dich durch besondre Aufmerksamkeit nicht grad auszuzeichnen liebte. Ich sehe, Dir schießt schon wieder das Blut zu Kopfe, aber verhalte Dich nur ruhig, bis ich fertig bin. Wenn ich mich so verhalten habe, geschah es nicht, weil ich nichts Lobenswertes an Dir bemerkt hätte, sondern weil ich etwas an Dir wahrnahm, was durch Lob sich noch gesteigert, noch verschlimmert hätte. Deine Gebieterin, der in ihrem Hauswesen vollständig freie Hand gehört, hat Dich vor der übrigen Hausgenossenschaft ausgezeichnet, hat Dich mehr behandelt als Verwandten denn als Diener, und wenn Du Dich durch diesen Unterschied auch verleiten ließest zu Mutwillen, vielleicht auch Eitelkeit, so wäre es ungerecht, nicht gelten lassen zu wollen, daß Du Dir gewisse Fertigkeiten angeeignet und in Deinen Sitten gebessert hast. Zudem wäre es nicht in Ordnung, nachdem man Dich so weit erzogen, Dich dem Mangel und dem Leben auf der Landstraße zu überantworten, bloß weil Du jenen Mangel an Zucht zeigst, der eben eine Folge Deiner in Weiberhand gelegenen Erziehung sein mußte. Aus diesem Grunde und weil es die Rücksicht auf das Ansehen meines Hauses so fordert, habe ich beschlossen, Dich so lange in meinem Gefolge zu behalten, bis sich für Dich eine Unterkunft in Ehren finden läßt. Ich erwarte, daß Du dem langen Aufenthalt in meinem Hause, wie der Erziehung durch meine Frau dann keine Unehre machen wirst.« Roland erwiderte in ehrerbietigem Tone, indessen nicht ohne Selbstgefühl: »Undank gegen den Schutz, den mir der Schloßherr von Avenel hat angedeihen lassen, liegt meinem Heizen ganz gewiß fern, und ich höre zum ersten Male zu meiner hohen Freude, daß ich seiner Aufmerksamkeit nicht, wie ich befürchtete, gänzlich unwert gewesen bin. Es ist wahrlich nichts weiter von nöten als mir zu sagen, wie ich die Schuld der Dankbarkeit gegen meine einstige Wohltäterin abzutragen vermag. An mir soll es nicht fehlen, und ich werde gern an die Lösung solcher Aufgabe das Leben setzen.« Aber er stockte. »Das sind bloß Phrasen und Worte, junger Mensch,« erwiderte Sir Halbert, »und man dreht sie gern, um sie statt wirklicher Leistungen zu brauchen. Ich weiß nicht, wie sich für Dich Gelegenheit dazu finden sollte, Dein Leben zum Wohle und Heile der Schloßherrin von Avenel einzusetzen. Ich kann nur sagen, daß es ihr lieb sein wird zu hören, Du habest eine Laufbahn gewählt, durch die für Deine leibliche Sicherheit und für Dein Seelenheil gesorgt ist. Was hindert Dich, solchen Vorschlag von mir anzunehmen?« »Einzig und allein eine noch am Leben befindliche Verwandte von mir,« entgegnete Roland, »die einzige, die ich kenne oder doch wenigstens gesehen habe, und die sich, seitdem ich vom Schlosse entlassen worden, meiner angenommen hat. Mit ihr muß ich, ehe ich Ja zu Eurem Vorschlage sage, Rücksprache nehmen. Das erfordert höfliche Rücksicht.« »Wo befindet sich diese Verwandte?« fragte Glendinning. »Hier in diesem Hause,« erwiderte Roland. »Dann geh und suche sie auf,« beschied der Ritter den Pagen. »Es ist nicht mehr als billig, daß Du sie um ihren Willen angehst. Aber schlimmer denn töricht mochte es von ihr sein, wollte sie Dir ihre Einwilligung weigern.« Roland ging, und der Abt trat ein. Die beiden Männer begrüßten einander wie Brüder, die einander in Liebe zugetan sind, einander aber selten sehen. Ihre Lebensverhältnisse legten ihnen gewissermaßen die Bedingung auf, statt brüderlichen Verkehr zu pflegen, einander zu meiden, denn sie standen in zwei einander so feindlichen Lagern, daß jedes andre Verhalten sie in Zwist mit den Parteien hätte führen müssen, deren Interessen sie vertraten oder eigentlich führten. Nach herzlicher Umarmung und nach ein paar Worten des Willkommens von Seiten des Abtes gab Sir Halbert seiner Freude Ausdruck, daß er grade zur rechten Zeit gekommen sei, dem Eulenspiegel die Wege zu weisen. »Nichtsdestoweniger, Eduard, muß ich sagen, wenn ich auf Dein Gewand blicke,« sagte der Ritter, »es weile noch immer in diesen Mauern ein Abt der Unvernunft.« »Weshalb solche Reden über mein Gewand?« versetzte der Abt, »es ist das Rüstzeug meines Standes, wie Panzer und Wehrgehenk das Rüstzeug des Deinigen.« »Es zeugt bloß, meines Dafürhaltens, von einem recht bescheidenen Maße von Klugheit, die Rüstung anzulegen, wenn wir nicht im Stande sind zu fechten. Das ist doch eitle Verwegenheit, den Feind herauszufordern.« »Das kann niemand, behaupten, Bruder, ehe die Schlacht entschieden ist,« versetzte der Abt, »und wäre es selbst, wie Du sagtest, so möchte, meine ich, ein tapfrer Mann doch lieber fallen mit der Waffe in der Hand, als Waffe und Rüstzeug unter schimpflichen Bedingungen dem Gegner ausliefern. Indessen wollen wir uns nicht entzweien über einen Punkt, in welchem wir zu einer Uebereinstimmnng der Ansicht nie gelangen werden, sondern verweile lieber und nimm, wenn auch Ketzer in meinem Auge, an dem Feste meiner Weihe teil. Du brauchst nicht zu befürchten, daß kirchlicher Pomp Dein Auge hierbei kränken werde. Die Zeiten unsers alten Freundes Bonifazius sind vorbei. Der Abt des heiligen Marienklosters gebietet nicht mehr über Forste und Waldungen, Weiden und Felder, ihm gehören weder Schaf- noch Rinderherden, weder Wild noch Geflügel. Seine Weizenkammern sind leer, und in seinen Kellern lagert weder Bier noch Wein. Aber willst Du das wenige mit Deinem Bruder teilen, dann wollen wir es freudigen Herzens zusammen verzehren, dann will ich mit meinen wenigen Brüdern, denen der Aufenthalt an dieser heiligen Stätte gestattet wird, freudigen Herzens Dir danken für den Schutz, den Du uns gegen die gottlosen Spötter zuteil werden ließest.« »Es tut mir leid, Bruder, daß ich Dir hierin nicht nach Wunsche dienen kann. Es möchte uns beide in bösen Leumund setzen, sollte es verlautbaren, daß sich protestantische Gäste beim Feste Deiner Weihe befunden hätten. Und soll mir irgend welche Möglichkeit bleiben, als Beschützer für Dich einzutreten, falls Notwendigkeit dazu sich ergibt, muß ich mich frei halten von dem Argwohn, als sei ich ein Freund Eurer Zeremonien und Bräuche. Den kühnen Mann zu schützen, der es dem Gesetz, dem Parlamentsverbot zuwider, wagte, das Amt eines Klosterabts von Sankt-Marien zu übernehmen und anzutreten, wird alles Ansehen erforderlich machen, das ich unter meinen Freunden besitze und noch erlangen kann.« »Beunruhige Dich ob dieser Sache nicht, Bruder,« erwiderte hierauf der Abt, »wüßte ich, Du verteidigtest die Kirche um der Kirche willen, dann wollt ich mein Herzblut zum Opfer bringen; da Du aber ihr Widersacher bist, möcht ich nicht wünschen, Du machtest Dir irgend welche Ungelegenheit oder Gefahr, bloß um meiner Person willen. Doch wer kommt da? wer nimmt sich heraus, uns die wenigen Minuten zu verkümmern, die ein mißgünstiges Geschick uns zu brüderlichen Worten läßt?« Die Tür ging auf, und die Gräme trat herein. »Wer ist dies Weib, und was ist ihr Begehr?« fragte der Ritter rauh. »Daß Ihr mich nicht kennt, hat nicht viel auf sich,« sagte die Matrone. »Ich komme auf Euer eignes Geheiß, um aus freien Stücken darein zu willigen, daß der junge Mensch mit Namen Roland Gräme den Dienst bei Euch wieder aufnimmt. Hiermit ist der Zweck, der mich in Eure Nähe führte, erfüllt. Ich mag Euch nicht durch meine Gegenwart belästigen. Friede sei mit Euch!« Sie wollte sich zur Tür wenden, wurde aber durch eine weitere Frage Sir Halberts aufgehalten. »Wer seid Ihr? ... Was seid Ihr? ... Und warum wartet Ihr nicht, mir Rede und Antwort zu stehen?« »Als ich der Welt noch angehörte, war ich eine Dame von nicht unbekanntem Namen,« antwortete die Gräme. »Jetzt bin ich Magdalene, eine arme Pilgerin, um der Kirche willen.« »So? Katholikin seid Ihr? Ich dächte, von meiner Frau gehört zu haben, Roland sei aus protestantischer Familie.« »Sein Vater war ein Ketzer,« versetzte die Matrone, »oder vielmehr einer von jenem Schlage, der sich weder um Christ noch Antichrist kümmert. Schien doch auch ich mich, denn die Sünde der Zeit schafft Kinder der Sünde, in Eure unheiligen Bräuche zu finden, aber mir ist Vergebung der Sünde geworden.« »Du siehst, Bruder,« sagte der Ritter, indem er sich mit bedeutsamem Lächeln dem Abt zuwandte, »daß wir ohne Grund Euch Katholiken der Doppelsinnigkeit im Herzen nicht beschuldigen.« »Und doch tut Ihr uns unrecht, Bruder,« erwiderte der Abt, »denn diese Greisin ist nicht bei vollem Verstande. Und schuld daran seid Ihr, wie ich notgedrungen hinzusetzen muß, mit Euren raubgierigen Baronen und Eurer ständig sich mehrenden Geistlichkeit.« »Hierüber mit Dir zu disputieren, Bruder, muß ich ablehnen,« versetzte Sir Halbert, »es gibt der Ungerechtigkeit und Unbilden so viel in der schlimmen Zeit, in der wir beide leben, daß für jede der beiden Kirchen wahrlich genug bleibt, wenn sie sich schwesterlich drein teilen.« Mit diesen Worten bog er sich zum Fenster hinaus und stieß in sein Horn. »Warum läßt Du Dein Horn erschallen, Bruder?« fragte der Abt, »wir sind doch erst wenige Minuten beisammen.« »Und selbst diese wenigen Minuten werden der Ungereimtheiten mehr als wir wünschen unter die Leute bringen. Ich will nicht, daß Euer Enkel, gute Frau, mit mir nach dem Schloß zurückkehre. Es möchte bloß zu neuem Zwist zwischen ihm und dem Hausgesinde führen, wenigstens doch zu Neckereien, die sein Stolz nicht vertragen kann. Ich wünsche jedoch, ihm bloß Gutes und Liebes zu erweisen. Drum möcht ich Euch bitten, gute Frau, ihm zu sagen, er solle sich bereit halten, sofort aufzusitzen, weil er sich mit einem aus meinem Gefolge auf den Weg nach Edinburg machen soll. Ich brauche einen Botschafter, der dorthin berichtet, was sich inzwischen hier zugetragen hat.« Er hielt den Blick fest auf die Greisin gerichtet, die aber seinem scharfen Blicke mit Gleichgültigkeit begegnete. »Euch ist's nicht unlieb?« setzte er nach einer Weile hinzu. »Ich sehe freilich Roland lieber als Spielball von Launen einer fremden Welt denn als Spielball einer Schloßdienerschaft, am wenigsten der von Avenel,« erwiderte die Gräme. »Macht Euch keine Sorge, gute Frau,« sagte der Ritter in besänftigendem Tone, »er soll keiner von beiden Spielball werden.« »Mag sein, mag sein,«, versetzte die Gräme, »aber ich will seinem eignen Verhalten doch mehr zutrauen als Eurem Schutze.« Mit diesen Worten schritt sie aus dem Zimmer. Der Ritter blickte ihr nach. Als sie die Tür hinter sich eingeklinkt hatte, wandte er sich herzlich zu seinem Bruder, sprach die freundlichsten Wünsche für sein Wohlergehen aus und bat ihn um Erlaubnis, sich zu verabschieden. Doch als er sich der Tür zuwandte, sagte der Abt: »Bruder, gehen wir nicht so auseinander! Da kommt eine kleine Erfrischung, geh nicht von hinnen aus einem Hause, das ich, so lange nicht Gewalt mich daraus vertreibt, das meinige nennen muß, ohne den Bissen Brot genossen zu haben, den jeder bei uns findet, und keiner uns abschlägt.« Der Laienbruder, der den Pförtner abgab, trat ein mit einem Laib Brot und einem Kruge Wein. »Ich hab sie im Keller noch vorgefunden,« sagte er unterwürfig, »aber ich hab die fernsten Winkel absuchen müssen.« Der Ritter goß einen kleinen Becher voll und forderte den Bruder auf, ihm Bescheid zu tun, indem er sagte, es sei ja Bacharacher von bestem Gewächs und hohem Alter. »Er stammt aus dem Winkel, der im Keller als die Abtsecke bekannt ist, und Abt Ingelram, der ihn so getauft hat, war aus Würzburg zu uns gekommen. Dort wächst wohl dieser Tropfen.« »Wenn auch nicht in Würzburg selbst, sondern mehr am Rhein, statt am Main, aber die Domherren von Würzburg sind weit und breit bekannt um der herrlichen Weine willen, die ihre Keller bergen. Drum bitte ich meinen Bruder, Bescheid zu tun und Euch nicht minder ein Glas davon zu vergönnen.« Der alte hagre Pförtner warf einen sehnsuchtsvollen Blick auf den Abt, der die beiden Worte Do veniam [Ich gebe die Erlaubnis] sprach. Mit zitternder Hand griff der Greis nach dem Glase, das einen Tropfen enthielt, der so lange schon nicht mehr seine Lippen genetzt hatte, und schlürfte mit wonnigem Behagen den edlen Saft. Dann setzte er das Glas mit schwermütigem Lächeln, aus welchem deutlich die Bange sprach, daß es wohl wieder gar lange dauern werde, bis ihm ein solcher Genuß vergönnt sei, auf den Tisch nieder. Die beiden Brüder lächelten. Als nun aber der Ritter den Abt aufforderte, den Becher zu nehmen und ihm Bescheid zu tun, da schüttelte der Abt den Kopf und sagte: »Heute ist für den Abt des heiligen Marienklosters kein Tag zu leckrer Speise und wonnigem Trunke. In Wasser aus dem Bronnen unsrer lieben Frau trinke ich Dir Bescheid, Bruder,« sagte er, indem er den Becher mit diesem reinen Naß füllte, »und wünsche Dir Glück und Gesundheit, vornehmlich aber die Erkenntnis der Verirrungen Deines Geistes!« »Und Dir, mein lieber Eduard,« versetzte Glendinning, »wünsche ich den freien Nießbrauch der eignen Vernunft und die Erkenntnis, daß das Leben dem Menschen wichtigere Aufgaben stellt, als solche mit hohlem Namen, zu deren Ausübung Du Dich in einem Augenblicke der Uebereiltheit hast bestimmen und verleiten lassen.« Die Brüder schieden voneinander. Tiefe Wehmut war in ihr Herz gezogen, und doch fühlte jeder zugleich eine gewisse Erleichterung im Vertrauen auf die Ansicht, die er vertrat, daß er den andern nicht mehr sah, so hoch er ihn achtete. Bald darauf erklang Trompetenschall, und der Abt bestieg den Turm, von dessen zertrümmerten Zinnen er dem Reiterzuge nachblickte, wie er die Anhöhe zur Zugbrücke hinan sich bewegte. Da trat die Gräme zu ihm. »Du kommst, Schwester,« sagte der Abt, »einen Abschiedsblick auf Deinen Enkel zu werfen. Dort zieht er hin, unter dem Schutze des besten Ritters von Schottland, abgesehen allerdings von seiner ketzerischen Glaubensrichtung.« »Du kannst mir Zeuge sein dafür, daß es weder auf Wunsch von mir noch meinem Enkel geschehen ist, daß der Ritter von Avenel, wie Du ihn nennst, Roland, Gräme wieder in seine Dienerschaft aufnahm. Der Himmel, der die Klugen mit Blindheit schlägt und die Gottlosen in ihrer List zum Verderben bringt, hat ihn dahin gebracht, wo ich ihn zum Heile der Kirche am liebsten zu sehen wünschte.« »Ich verstehe den Sinn Eurer Worte nicht, Schwester,« sagte der Abt. »Hochwürdiger Vater,« antwortete Magdalena, »hörtet Ihr nie, daß es Geister gibt, die Schloßmauern sprengen, wenn sie erst einmal den Weg ins Schloßinnere fanden? Und Roland Gräme hat ihn zweimal ins Schloß Avenel hinein gefunden, ohne alles Zutun von eigner Seite; zweimal haben ihn diejenigen, so jetzt den Namen Avenel führen, an sich gezogen, erst die Schloßherrin, dann der Schloßherr. Mögen sie beide des Ausgangs gewärtig sein!« Mit diesen Worten verließ sie den Turm, und der Abt, nachdem er einen Augenblick noch über die Worte der Greisin nachgesonnen, deren Inhalt er dem verworrenen Zustande ihres Gemüts beimaß, folgte ihr die Wendeltreppe hinunter, um den Antritt seines schweren Amtes, statt mit Bankettieren und Pokulieren, mit Kasteien und Fasten und Beten zu feiern. Dreizehntes Kapitel Seelenvergnügt trabte jetzt Roland Gräme im Gefolge des Ritters von Glendinning einher, war er doch frei von der verdrießlichen Sorge, mit Spott und Hohn auf dem Schlosse begrüßt zu werden, und durfte er doch hoffen, daß in der Zeit seines Aufenthaltes in Edinburg sich so viel ereignen, soviel ändern werde, daß, wenn er die Schritte hinweglenkte, dies geschehen würde in andrer Rolle, am Ende als Ritter, der Taten vollbracht hätte, die die Augen der Welt auf ihn lenkten! Die Brust geschwellt von Stolz, ein Roß unter dem Leibe zu fühlen, statt wie in den Tagen seit seinem Abschiede vom Schlosse auf Schusters Rappen zu reiten, erregt durch die seltsame Lebhaftigkeit seines Geistes, die durch die letzten Ereignisse so reiche Nahrung gefunden, ließ er seine Stimme hell und munter erschallen und gab auf alle Reden, die an ihn gerichtet wurden, so kecke und muntre Antwort und drückte seinem Rosse die Sporen so derb und flott in die Weichen, daß der Ritter mehr denn einmal mit zufriedner Miene den Blick auf ihm ruhen ließ. Nicht lange währte es, so gelangte der Reiterzug an den Hohlweg, der zur Brücke hin führte, die noch immer unter der Obhut des alten Brückenvogts Peter stand, der inzwischen freilich nicht jünger geworden war, aber auch an knurrigem Wesen nichts eingebüßt hatte. Hier ließ der Ritter halten und winkte den Falkner und Roland heran. »Woodcock,« sagte er, »Du weißt, wohin Du den Jüngling geleiten sollst. Und Dir, Jüngling, gebe ich auf, mit Überlegung und Pünktlichkeit die Weisungen zu erfüllen, die Dir erteilt werden. Beuge Deinen eiteln, trotzigen Sinn! sei brav, wahrhaft und treu! es ist in Deinem Wesen etwas gelegen, das wohl im stande ist, Dich über Deinen gegenwärtigen Stand hinauszuheben. Und nimmer soll es Dir, allerdings nur in der Voraussetzung, daß Du bestrebt bleibst, zu erfüllen, was ich Dir als Deine Pflichten genannt habe, fehlen an dem Schutze des Schloßherrn von Avenel.« Nach diesen Worten wandte der Ritter sich zur Linken, der Hügelkette zu, in deren Kranze Schloß und See Avenel lagen, während Woodcock und Roland mit dem Knappen, den ihnen der Ritter mitgegeben, sich zur Brücke hin wandten und den alten Vogt aufforderten, ihnen Durchgang zu gewähren. Das geschah jedoch erst, als ihm der Brückengroschen gereicht worden war, worauf sich die drei Reiter gen Norden wandten. Woodcock, bekannt in diesem Landstrich, schlug vor, ein Stück von der Landstraße abzuschneiden dadurch, daß sie den Weg quer durch das schmale Felsental von Glendearg nähmen, das durch die im eisten Teile der Handschrift des Benediktiners erzählten wilden Abenteuer den Lesern des Romanes »Das Kloster« noch bekannt sein dürfte. Auch Roland kannte diese Abenteuer und erklärte sich gern einverstanden mit Woodcocks Vorschlage. Vergnügt allerhand lustige Lieder trällernd, deren er über einen reichen Schatz in seinem Gedächtnis barg, ritt der Falkner an Rolands Seite, bis sie zu einer Hütte tief unten im Tale gelangten, wo sie, unbekümmert um Abenteuer und Geister, sich für die Nacht ein leidliches Quartier zurechtmachten. Am Tage darauf setzten sie ihre Reise nach Edinburg fort, das sie am Spätnachmittag in Sicht bekamen. »Das also ist die Hauptstadt, von der ich so viel schon gehört habe?« rief Roland aus, als er auf den Kamm einer der Höhen gelangt war, die den Blick ins Tal bislang verschlossen hatten, »das da drüben ist wirklich Edinburg?« »Allerdings,« sagte der Falkner, »dort steht das alte Rauchnest, von dem Ihr den Qualm und Dunst auf zwanzig Meilen weit lagern seht. Dort Pulsiert das Herz Schottlands, und jeder seiner Schläge wird von Solways Bord bis zu Duncans Hafenspitze gefühlt. Dort liegt das alte Schloß, und dort das Schloß von Craigmillar, das meiner Lebtage immer ein lustiger Winkel gewesen ist.« »Hat dort nicht die Königin Hof gehalten?« fragte der Page. »Gewiß, gewiß,« erwiderte der Falkner, »damals war sie Königin, aber jetzt dürft Ihr sie so nicht mehr nennen -- na, die Leute mögen reden, was sie wollen, es wird sich manches Herz in Schottland um Maria Stuart grämen, sie war doch das lieblichste Geschöpf, das ich je im Leben mit meinen Augen erschaute, und keine Dame im ganzen Lande hätte solche Freude an einem steigenden Falken! Ich weiß es noch wie heute, als in Roslinmuor die große Wettbalz abgehalten wurde zwischen Bothwell -- für sie ein garstiger Anblick -- und dem Baron von Roslin, dem es in solchem Sport keiner gleichtat in Schottland und England. O, ich seh sie noch, wie sie auf ihrem weißen Zelter saß, der über den Heideboden hin sauste, als tät's ihm leid, die roten Blümchen mit seinen Hufen zu zertreten. O, ich höre noch ihre silberhelle Stimme mit dem so berückenden Klange, die so süß schmettern konnte wie die Kehle der Weindrossel! O, ich seh sie noch alle vor mir, die stolzen Adelinge, wie sie buhlten um einen einzigen Blick von ihr, und wie sie jubelten, wenn sie ein Wort zu ihnen sprach, wie sie Leib und Leben wagten im tollsten Ritte, um ein Lob von ihr zu ernten oder an einem Blicke aus diesen herrlichsten aller, Königinnen-Augen sich zu laben ... Ach, und da, wo sie jetzt weilt, da wird sie nicht viel zu sehen bekommen von Falken und Falkenbeize, von Rittern und Ritterturnieren... Ja ja, Pracht und Herrlichkeit, sie rauschen vorüber so flink wie der Schlag eines Falkenfittichs.« »Und wo hält man die arme Königin in Haft?« fragte Roland. »Wo man sie in Haft hält?« wiederholte der Falkner die Frage des Jünglings. »Je nun, in irgend einem Schlosse hoch oben im Norden ... wo, kann ich nicht sagen, und sich drum zu kümmern, möcht auch nicht der Mühe verlohnen, denn ändern könnte man doch nichts dran! Hätt sie ihr Regiment besser geführt, so lange sie es noch in der Hand hielt, dann stünde es besser um sie! Wie es heißt, hat sie um des Buben willen, des kleinen Prinzen, Verzicht auf die Krone leisten müssen. Um seinetwillen soll man sie ihr nicht mehr gelassen haben. Unser Herr ist bei der Affäre so stark beteiligt gewesen, wie kein einziger seiner Nachbarn, und sollte die Königin je wieder zu ihrem Eigentume gelangen, so dürfte Schloß Avenel dafür leicht in Rauch aufgehen, der Schloßherr müßte denn seinen Vorteil auf andre Weise zu wahren wissen.« »In einem Schlosse im Norden, sagt Ihr, wird die Königin in Haft gehalten?« fragte der Page. »Ja, so wenigstens heißt's, jenseits des großen Flusses, der dort herabkommt, der aber kein Fluß, sondern ein Arm der See ist, bitter wie Salz.« »Und unter all ihren Untertanen,« fragte der Page weiter, »ist nicht einer, der die Hand aufheben will zu ihrer Rettung?« »Das ist eine kitzlige Frage, Junker,« erwiderte der Falkner, »und wenn Ihr solche Frage stellt, dann muß ich Euch leider sagen, daß Ihr riskiert, selbst in ein solches Schloß gesperrt zu werden, sofern man es nicht gar etwa vorziehen dürfte, Euch einen Kopf kürzer zu machen, um keine weitere Schererei mit Euch zu haben. Die Hand aufheben, sagt Ihr? I du meine Güte! jetzt hat Murrays Schiff das volle Fahrwasser und segelt so flott, daß es dem Teufel nicht beikommen dürfte, es mit ihm aufzunehmen ... Nein, nein! sie ist nun mal dort und muß dort bleiben, bis ihr der Himmel Erlösung schickt oder bis ihr Sohn alles in seine Gewalt bekommt. Aber daß Murray sie frei geben sollte, daran ist gar nicht zu denken, denn da kennt er sie viel zu gut. Und dann noch eins, Herr Roland, unsre Bestimmung lautet nach Holyrood, dort wird's weder an Neuigkeiten noch an Höflingen mangeln, die damit aufwarten werden ... aber, Herr Roland, laßt Euch von mir raten! streut Eure Saat, wie der Schotte sagt, im stillen! hört auf jedermanns Meinung, behaltet die Eure aber für Euch! Und wenn Ihr mal was hört, das Euch nicht in den Kram paßt, dann springt nicht gleich auf, als wolltet Ihr Euch fürs Gegenteil gleich selbst ins Zeug legen. Nehmt Euch unsern Haushofmeister Wingate auf Schloß Avenel zum Muster! der versteht's, wie man sich durchschlängeln muß, ohne es wo zu verderben, und dabei doch lustig sein Pfeifchen zu schneiden! Laßt meinen Rat gelten, Herr Roland, denn Ihr kommt unter eine Gattung von Menschen, die einen Blick haben so scharf wie ein Falke, und fahrt nicht gleich mit der Hand nach dem Dolche bei jedem schiefen Worte, das Euch zu Ohren gelangt, denn Ihr werdet auf so flinke und scharfe Degen treffen, daß der Eurige Mühe haben möchte, standzuhalten. Und für solche Aderlässe ohne Ort und Kalender dank ich schön, und ich glaube, Ihr bedankt Euch auch besser dafür!« »Nun, Ihr sollt sehen, daß ich mich zusammennehmen will, Woodcock, und ruhig und behutsam bleiben,« versetzte Gräme; »aber was ist das für ein herrliches Gebäude, das hier in Schutt und Asche liegt? in so dichter Nähe bei der Stadt? Ist hier am Ende auch mal »Abt der Unvernunft« gespielt worden, und hat das Gaukelspiel hier mit der Zerstörung der Kirche geendet?« »Da seid Ihr schon wieder im Schusse wie ein wilder Falke, der um Köder und Pfeife sich den Geier was schert! Danach solltet Ihr so leise fragen, wie ich Euch jetzt Antwort gebe.« »Nun, wie's scheint, komm ich noch um den Gebrauch meiner Sprache, wenn ich lange hier bleibe!« versetzte Gräme .. »nun, so sagt doch, was das für Trümmer sind?« »Die Feldkirche ist's!« belehrte mit leisem Flüstern der Falkner den Pagen und legte bedeutsam den Finger an die Lippen, »fragt nicht weiter danach, denn hier ist jemand gar übel mitgespielt worden, und einem andern jemand hat man die Schuld dann in die Schuhe geschoben, und damit hat eine Komödie begonnen, deren Ausgang wir vielleicht noch erleben ... Armer Heinrich Darnley! ein Esel will ich heißen, wenn er sich nicht großartig aufs Beizen verstanden hat, aber man hat ihn selber auffliegen lassen in einer stillen, mondhellen Nacht.« Die Erinnerung an diese grausige Katastrophe war zu neu, und der Page wandte entsetzt die Augen von dieser Stätte. Die wider die Königin erhobnen Beschuldigungen traten mit solcher Lebendigkeit vor sein geistiges Auge, daß das Mitleid, das sich bei ihm für sie geregt hatte, zu schwinden anfing. Mit unheimlichen Empfindungen durchwanderte er den Schauplatz jener furchtbaren Ereignisse, deren bloßes Gerücht die entferntesten Einöden Schottlands erschüttert hatte gleich dem Widerhall fernen Donners, der durch ein Gebirge rollt. Dann fiel ihm Katharina Seyton ein, und er fragte sich, ob es ihm wohl beschert sein werde, die Maid, deren Bekanntschaft er auf so seltsame Weise gemacht hatte, in dieser Stadt, die ihr ja gleichfalls jetzt zum Aufenthalte diente, wiederzutreffen. Und mit dieser Frage war seine Phantasie noch beschäftigt, als er sich schon in der Stadt befand und jenes frohe Staunen alle andern Empfindungen verstummen machte, das den Bewohner einsamer Landstriche erfüllt, wenn er sich zum ersten Male in den Straßen einer volkreichen Stadt, in dem Gewühle von tausenden sieht. Die Hauptstraße von Edinburg war damals, wie auch heute noch eine der geräumigsten Straßen von ganz Europa. Die imposante Höhe der Gebäude, das bunte Durcheinander von gotischen Giebeln, Altanen und Zinnen, von Balkonen und Erkern, die den Gesichtskreis nach allen Seiten hin einengten, die gewaltige Lange der Straße, die, schnurgerade Linie, die sie bildete, hatte wohl bewandertere Augen in Verwunderung gesetzt als diejenigen Roland Grämes. Innerhalb der Wälle wimmelte es von geschäftig hin und her eilenden Menschen wie in einem Bienenkorbe. Alles, hatte sich zur Stadt gedrängt, dem Regenten Murray aufzuwarten, was mit Politik irgend zu tun hatte oder sich von der Beteiligung an den politischen Fragen, die das Land beherrschten, irgend welchen Vorteil versprach. Eine unendliche Reihe von Verkaufsbuden waren zu beiden Seiten der Straße aufgeschlagen worden, und wenn die darin zum Verkauf gestellten Waren auch nicht zu den reichsten der Welt gehörten, so meinte doch Roland, in den Ballen flandrischer Tücher und in den Stößen von Teppichen und in den Schwertern und Dolchen und Rüstungsstücken alle Reichtümer der Erde zu sehen. Bei jedem Schritt, den er machte, fand er soviel zu sehen und zu staunen, daß es Woodcock dem Falkner unendlich schwer wurde, ihn in dieser Zauberwelt vom Flecke zu bringen. Auch die Unmenge von Menschen setzte ihn in Staunen. Da kam eine feingeputzte Dame in Schleier und seidnem Ueberwurf getrippelt, der ein Kammerdiener vorauf schritt um ihr Bahn durch die Menge zu brechen, während ein Page ihr die Schleppe trug und eine Zofe, mit Bibel oder Gesangbuch unter dem Arme, ihr zur Seite schritt. Dort stand eine Bürgergruppe in weiten Pluderhosen, Wämsern mit hohen Kragen und kurzen flämischen Mänteln.« Dann kam ein Geistlicher im schwarzen Genfer Mantel mit steifer Halskrause, der mit Würde sondergleichen dem Gespräch einiger Leute lauschte, die sich in seiner Begleitung befanden und einen religiösen Disput führten. Am häufigsten aber sah er Herren in neuester Pariser Modetracht, mit zierlichen Manschetten an den Händen, die aus dem aufgeschlitzten Wams hervorguckten, und mit Schwertern an der Seite, -- dahinter, je nach dem Rang und Vermögensstand, eine Schar stämmiger Leibdiener, die, in der Regel mit Schwert und Spieß bewaffnet, ganz wie ein kriegerisches Gefolge in strengem Takte einherschritten. Zwei solcher Scharen stießen zufällig auf der Straße aufeinander, etwa in der Mitte derselben, und keiner wollte der andern ausweichen, sondern beide marschierten direkt aufeinander los. Die beiden Häupter, einander an Rang jedenfalls ebenbürtig und durch politischen Hader aufeinander erbittert, blieben, als sie den Fuß nicht weiter setzen konnten, ohne einander anzurennen, einen Moment lang stehen, maßen einander mit Blicken, und dann flogen die Schwerter aus den Scheiden. Ihre Mannen folgten diesem Beispiel der Herren, und im Nu blitzten an zwanzig Klingen in den Sonnenstrahlen, und klirrend rasselten die Schilde aneinander, und hüben und drüben ertönte das Schlachtgeschrei: »Hie Leslie!« und »Hie Seyton!« Hatte der Falkner schon immer seine liebe Not gehabt, den Pagen vom Flecke zu bringen, so war es ihm hier gradezu unmöglich, seiner Stimme bei ihm Geltung zu verschaffen. Der Page hielt sein Roß an, klatschte, in die Hände und lärmte und schrie, lauter als alle bei der Schlägerei, beteiligten Mannen. Sein Lärm zog andre Edelleute herbei, die sich bald für die eine, bald für die andre Partei entschieden. Nun wurde die Schlägerei allgemein, und wenn auch im Grunde genommen mehr mit den Schwertern und Schilden gerasselt als zugehauen wurde, so ging es doch ohne mancherlei Beulen auf beiden Seiten nicht ab. Als nun in der Kampfeswut einige gar statt des Schwertes zu der gefährlichern Waffe des Stoßdegens griffen, da lagen schließlich auf der Seite, wo der Ruf: »Hie Seyton!« erklungen war, zwei Mannen am Boden, und die Seytons begannen zu weichen, denn sie standen den andern an Zahl erheblich nach. Da war es aber im Nu aus mit Rolands Ruhe und Geduld. »Woodcock,« rief er, »seid Ihr ein Mann, dann zieht vom Leder und helft den Seytons!« Und ohne auf Antwort aus dem Munde des Falkners zu warten, sprang der feurige Jüngling vom Pferde und stürzte sich mit dem Rufe: »Ein Seyton! ein Seyton! Drauf und dran!« mitten hinein in den dichtesten Haufen und rannte einen von denen, die dem Lord am heißesten zu Leibe gingen, mit einem Dolchstoße nieder. Dieser unvermutete Zuwachs lieh der schwächern Partei Mut, sie begann den Kampf von frischem, als mit einem Male vier Magistratspersonen, kenntlich an den samtenen, Mänteln und güldnen Ketten, mit einer Wache von Hellebardieren und Bürgern, auf dem Kampfplatze erschienen. In solchem Dienste wohlerfahren, drangen Hellebardiere und Bürger frisch und munter vor und zwangen die Streitenden, von einander zu lassen. Augenblicklich stoben die Raufbolde auseinander, die einen hierhin, die andern dorthin, und beide Parteien ließen ihre Verwundeten, die sich nicht vom Platze bewegen konnten, im Stiche. Der Falkner, außer sich über diesen Unbedacht seines jungen Gefährten, raufte sich erst den Bart, dann ritt er mit dem Pferde, das er am Zügel faßte, zu Roland heran und rief ihm zu: »Ei, ei, Herr Roland, Herr Springinsfeld, Herr Tausendsasa, wollt Ihr wohl aufsitzen und Euch auf und davon machen? Oder wollt Ihr warten, bis man Euch greift und ins Loch steckt und zwingt, Rede und Antwort zu stehen für solch edles Tagwerk?« Dem Pagen ward es zum Glück im Nu bewußt, welch alberne Rolle er bei der ganzen Sache gespielt habe und noch spiele; er folgte der Aufforderung seines Begleiters und saß im Nu auf seinem Pferde, um hinter der Partei der Seytons herzugaloppieren und glücklich im Verein mit ihnen der Häscherschar zu entrinnen. Wenn er auch einen der Magistratsbeamten dabei schier über den Haufen rannte und von wüstem Lärm und Geschrei verfolgt wurde, so waren doch solche Auftritte in Edinburg damals so an der Tagesordnung, daß die Polizei, sofern nicht eine Person von Rang und Bedeutung das Leben dabei eingebüßt hatte, am liebsten sich ruhig verhielt und alles auf sich beruhen ließ. Auch in diesem Falle hatte man sich, trotzdem der Regent, ein Mann von großer Willenskraft und Charakterfestigkeit, es durchgesetzt hatte, daß die Stadt eine ständige Scharwache auf den Beinen hielt, dabei bewenden lassen, die beiden Parteien auseinander zu bringen, und von aller Verfolgung abgesehen, zum großen Glück für Roland, der jetzt mit dem Falkner die Canongate entlang ritt, und zwar, um keine Aufmerksamkeit wachzurufen, in langsamem Tempo. Aber sie waren noch nicht weit gekommen, als Roland seinem Begleiter, der sich eben anschickte, ihm eine derbe Standrede zu halten, die Zügel seines Rosses zuwarf und vom Pferde sprang, um in einen der vielen schmalen Durchgänge hinein zu stürmen, die nach der Hauptstraße führten, wie es Adam Woodcock vorkam, einer zierlichen jungen Dame hinterher, die kurz vor ihm in demselben Durchgange verschwunden war. »Heiliger Barnabas! heilige Magdalena!« rief er einmal übers andre, »solche Geschichten könnten einen wirklich zum Fluchen bringen! was kann dem jungen Menschen bloß in die Glieder, gefahren sein? und was soll ich in dieser Zeit hier anfangen? Wenn sie den Menschen erwischen, so schneiden sie ihm womöglich die Gurgel ab, so wahr ich am Fuße des Rosenhügels geboren bin. Könnt ich bloß jemand auftreiben, mir das Pferd zu halten, daß ich dem Junker hinterher könnte! aber die Leute sind ja hier flink wie der Teufel. Oder wenn ich wenigstens einen von unsern Leuten erwischen könnte, oder von den Leuten des Regenten! Aber einem wildfremden Menschen kann ich doch die Pferde nicht, anvertrauen; und vom Platze weichen, wenn der Junge am Ende in die Patsche gerät, das geht doch erst recht nicht an!« Wir müssen aber den Falkner, obschon in so schwerer Not, verlassen, um uns nach dem Jüngling umzusehen, der schon wiederum die Ursache hierzu geworden war. Roland Gräme hatte in, der Canongate, wie gesagt, eine weibliche Gestalt gesehen, deren Zierlichkeit und lebhaftes Wesen ihn an Katharina Seyton erinnerte. Er hatte sie mit seinen Blicken schon eine kurze Weile verfolgt, als es der Gestalt beigekommen war, vor einem der gewölbten Durchgänge an einer Stelle, wo ein kunstreiches Wappenschild sich spreizte, den seidnen Ueberwurf, in den sie gehüllt war, zu lüften. Vielleicht trieb auch sie die Neugierde, zu erfahren, wer der Reiter sei, der sie schon ein Weilchen mit den Blicken verfolgte, Roland aber hatte genug gesehen, um sich zu sagen, daß er sich in seiner Vermutung nicht getäuscht habe, daß es dieselben himmelblauen Augen, die schönen Locken, die fröhlichen Mienen seien, die ihm den Aufenthalt in jenem Kloster, wohin ihn die Großmutter mitgenommen, so unvergeßlich machten. Nach einem alten Sprichwort geht Weiberwitz über allen Witz, aber in diesem Falle mochte er Katharina doch im Stiche lassen, denn sie wußte sich keinen andern Rat, als so geschwind das Weite zu suchen, wie ihre kleinen Füße sie irgend tragen wollten. Aber die Beine eines achtzehnjährigen Jünglings sind in der Regel auch noch nicht vom Zipperlein geplagt, und so geschah es denn, daß Katharina, als sie quer über einen gepflasterten Hof floh, der mit großen Zypressen in weiten Kübeln, mit Eichenbäumen und andern immergrünen Gewächsen angefüllt war, und eine hohe Tür in der Mitte zu gewinnen trachtete, von Roland ereilt und gestellt wurde. Aber sie riß sich los und huschte wie ein gejagtes Reh durch die Tür, und in das Gebäude hinein und über verschiedene Gänge hin, um in einer Halle zu verschwinden, deren Tür sie hinter sich ins Schloß fallen ließ. Roland, nicht gewillt, die heißersehnte Beute fahren zu lassen, war wie ein Sturmwind hinter ihr her, unbedacht, was sich alles für schlimme Folgen hieraus für ihn ergeben konnten, als er mit einem Male dumpfes Stimmengewirr vernahm, das ihn einigermaßen zur Vernunft brachte. Aber er stand nun vor der Tür, ratlos, wohin er sich wenden, ob er stehen bleiben oder zurückgehen solle, da tat sich eine Seitentür auf und Katharina kam auf ihn zugerannt mit ganz derselben Eile, wie sie bisher vor ihm geflohen war. »Welcher Unstern hat Euch bloß hierher geführt?« flüsterte sie. »Flieht, flieht! oder Ihr seid des Todes! .. oder besser, bleibt! sie kommen ... Flucht ist unmöglich ... sagt, Ihr seiet gekommen, um nach Lord Seyton Euch zu erkundigen.« Im Nu war sie hinweg und durch die Tür verschwunden, aus der sie zum zweitenmal gekommen war. In demselben Augenblick flogen ein paar Flügeltüren am obern Ende der Galerie auf, und ein halbes Dutzend Männer, bewaffnet mit Schwertern, die sie in der Faust schwangen, in reicher Tracht, stürzten herein. »Wer ist's, der uns dermaßen höhnt, daß er sogar in unsre Wohnung uns verfolgt?« rief der eine. »Haut ihn, in Stücke!« schrie ein andrer, »büßen soll er für den Frevel und für die Gewalttätigkeiten dieses Tages! Es ist ein Anhänger der Roten. »Nein, bei der heiligen Jungfrau!« rief ein dritter, »es ist einer vom Gefolge des Erzfeindes, des geadelten Bauers Halbert Glendinning, der sich den Namen Avenel anmaßt ... einst einer, der ein Kirchenlehen erhielt und der jetzt die Kirche plündert!« »So ist's,« schrie, ein vierter, »ich erkenn ihn an dem Palmenzweige, der ja das Abzeichen der Glendinnings ist. Vertretet ihm die Tür, denn für solche Frechheit soll der Kerl büßen!« Zwei der jungen Herren traten, indem sie die Degen zogen, vor die Tür, durch die Roland in die Halle getreten war, wie um sein Entrinnen zu verhindern. Die andern traten auf Gräme zu, der eben noch Ueberlegung genug fand, um sich zu sagen, daß jeder Versuch zu Widerstand ebenso fruchtlos wie unbedacht wäre. Von verschiedenen Stimmen wurde er nun aufgefordert, zu sagen, wer er sei, woher er komme, was er wolle, wer ihn hierher schicke. Da trat, noch ehe er Zeit zu irgend welcher Antwort hatte finden können, ein Mann in die Halle von hoher Gestalt, und vor ihm wichen die jungen Männer, die Roland so heftig bestürmt hatten, scheu und ehrfurchtsvoll zurück. Das dunkle Haar des Mannes wies Spuren von grauen Fäden auf, aber in seinen Augen und aus seinen stolzen Zügen strahlte noch das ungeschwächte Feuer der Jugend. Der Oberteil seine Leibes war, bis auf das Hemd aus holländischem Linnen, unbekleidet, und dessen weite bauschige Falten waren mit Blut bespritzt. Aber ein scharlachroter Mantel, mit reichem Pelzaufschlag, den er über die Schulter geworfen hatte, und eine Mütze aus scharlachrotem Samt, auf der einen Seite aufgekippt und mittels einer güldnen Kette gehalten, die sich dreimal um sich herumlegte, und ein güldnes Medaillon mit dem Geschlechtswappen, wie es damals Brauch war, in buntfarbiger Gravur, verrieten auf den ersten Blick, daß der Mann zu dem vornehmsten Adel Schottlands und Edinburgs gehörte. »Wen habt Ihr da, Söhne und Vettern,« fragte er streng, »den Ihr so unwirsch bedrängt? .. Wißt Ihr nicht, daß mein gastliches Dach jedem eine freundliche Stätte sichert, der sich darunter begibt, sei es in friedlicher Absicht, sei es zu offner, männlicher Fehde?« »Hier hat sich aber ein Schurke eingeschlichen, Mylord,« antwortete einer der Jünglinge, »in der verräterischen Absicht, uns auszuspähen.« »Das stell ich in Abrede,« versetzte Roland Gräme keck, »denn ich bin bloß hierher gekommen, um mich nach Mylord zu erkundigen.« »Eine billige Ausflucht,« riefen die Ankläger, »aus dem Munde eines Glendinning.« »Tut Einhalt, junge Freunde,« sprach Lord Seyton, »denn dieser Adeling selbst war es, laßt mich den Jüngling ins Auge fassen! Bei der lieben Jungfrau, es ist der nämliche, der sich vor wenigen Minuten so kühn mir an die Seite stellte als mehrere meiner eignen Schurken, besorgt um die Sicherheit ihres Leibes, es an Tapferkeit in bedenklichem Maße fehlen ließen. Laßt ab von ihm, denn er verdient mehr ein freundliches und ehrenvolles Willkommen Eurerseits als solche rauhe Behandlung.« Die Jünglinge traten gehorsam zurück, und der Lord nahm Roland Gräme bei der Hand und zog ihn an seine Seite. Dann dankte er ihm für den tapfern Beistand, den er ihm mit so schnellem Entschlusse geleistet hatte, und setzte hinzu, »der Grund seiner Herkunft sei wohl nur der, sich zu erkundigen, wie es um die Verwundung stehe, die er sich bei diesem Strauße geholt habe?« Roland verbeugte sich tief zum Zeichen der Zustimmung. »Oder kann ich Euch sonst meinen Dank bezeugen?« fragte der Lord. Der Page erachtete es aber für am besten, wenn er bei der Entschuldigung für seine Anwesenheit im Hause des Lords bliebe, die dieser selber als wahrscheinlich erklärt hätte, und sagte, er habe bemerkt, daß der Lord blessiert worden sei; und das Verlangen zu erfahren, wie sich derselbe befinde, sei der einzige Grund für sein ungestümes Eindringen in das Haus des Lords. »Die Blessur ist eine Lappalie,« erklärte der Lord, »ich hatte, grade mein Wams abgelegt, damit der Feldscher mir einen Verband anlege, als die voreiligen Burschen hier den Lärm anhoben und mich nötigten, den Feldscher in seiner Arbeit zu stören.« Roland verneigte sich wieder und wollte sich, vergnügt, um den Verdacht der Spionage so bequem herumgekommen zu sein, anderseits um seinen Kameraden Adam Woodcock besorgt, den er so jäh im Stich gelassen, und der doch gar nicht wußte, wie er daran und wohin »sein junger Unband« hingeraten war, aus dem Gemache und dem Palaste entfernen, Lord Seyton machte ihm das jedoch nicht so leicht. »Nicht so geschwind, mein junger Freund,« sagte er, »erst mach mich bekannt mit Deinem Stand und Namen. Lord Seyton hat es letzter Zeit öfter erlebt, daß Freund und Diener ihn im Stiche ließen, als daß ihm Beistand von fremder Seite wurde. Aber es können ja wieder andre Verhältnisse kommen, die ihn in die Möglichkeit setzen, solchen unvermuteten Freundschaftsdienst besser zu lohnen als zurzeit.« »Mein Name, gnädiger Herr,« antwortete der Page, »ist Roland Gräme. Ich stehe als Page im Dienste Sir Halbert Glendinnings.« »Hab ich es nicht gleich gesagt?« rief einer der Jünglinge, »mein Leben setz ich ein, daß dies ein Pfeil ist aus dem Köcher der Ketzer, eine Kriegslist, einen Späher in unser Vertrauen einzuschmuggeln. Die Halunken verstehen es, Kinder und Weiber zu Spionen und Sendboten abzurichten, wie kein andrer sonst.« »Wenn die Worte auf mich gemünzt sein sollen, so treffen sie ein falsches Ziel. Es sollte kein Mann in Schottland mich zu solcher Schurkerei dingen!« »Ich glaube Dir, mein Sohn,« erwiderte der Lord, »denn Deine Streiche wurden, zu kräftig geführt, daß sie auf Einverständnis mit denen hätten schließen lassen, denen sie galten. Indessen kann ich nicht ungesagt sein lassen, daß ich mich kaum der Hilfe von einem Diener Deines Herrn versehen hätte, und darum möchte ich wohl wissen, was Dich bestimmt hat, bei solchem Strauße eines Seyton Dich selbst in Gefahr zu setzen.« »Mit Verlaub, gnädiger Herr,« erwiderte Roland, »aber mein Herr hätte wohl selbst nicht müßig dagestanden, um einen Ehrenmann unter einer Mehrzahl unterliegen zu sehen. So wenigstens lautet die Lehre für Ritter auf Schloß Avenel.« »Der gute Samen ist auf gutes Land gefallen, junger Freund,« sagte Lord Seyton, »aber wenn Du in solch ehrloser Zeit Fehde üben willst in solch ehrenwerter Weise, dann wird Dein Leben, mein armer Junge, nicht lange währen.« »War's ehrenvoll, kann's kurze Dauer haben,« versetzte Roland Gräme; »aber jetzt erlaubt mir mich zu verabschieden, gnädiger Herr, denn ich werde auf der Straße von einem Kameraden mit meinem Pferde erwartet.« »Dann nehmt doch wenigstens das mit, mein junger Freund,« sagte Lord Seyton und löste von seiner Mütze die goldne Kette und das goldne Medaillon, um beides Roland zu reichen, »und tragt es zu meinem Gedenken!« Roland Gräme war nicht wenig stolz auf solches Geschenk, das er eilends an seiner Mütze befestigte, wie er es schon bei vielen der jungen Edinburger Herren beobachtet hatte. Dann verbeugte er sich nochmals vor dem Lord und verließ schleunigst die Halle, eilte quer über den Hof und gelangte grade auf die Straße hinaus, als Adam Woodcock, in Sorge und auch ärgerlich über Rolands Ausbleiben, die beiden Rosse im Stiche lassen wollte, um sich nach seinem Verbleib umzusehen. »Das ist doch wiederum ein Streich, wie Ihr ihn besser nicht gewagt hättet,« rief er Roland entgegen, als er ihn in dem Straßengewühl auftauchen sah, denn wenn auch seine Mienen deutlich erkennen ließen, daß er Angst ausgestanden hatte, so war er doch herzensfroh, daß der Jüngling sich wiedergefunden hatte, und er ließ sich von Verdruß nichts mehr merken. »Laß die Fragen und Reden, Woodcock, und sieh her, in welch kurzer Zeit ich mir solch schwere goldne Kette verdienen konnte!« rief Roland mit strahlender Miene und sprang auf sein Roß. »Na, verhüt's Gott, daß Ihr sie nicht auf unrechtem Wege gewonnen habt,« versetzte der Falkner, »denn wie Ihr anders hättet dazu kommen sollen, könnt ich mir freilich kaum sagen. Ich bin oft hier gewesen, und zuweilen ganze Monate, aber mir ist so etwas nie bisher zu teil geworden, das dürft Ihr mir freilich wohl glauben.« »Na, und ich hab das hier nach kurzer Bekanntschaft mit der Residenz ergattert,« sagte lachend der Page, »aber stimmt Euer biedres Gemüt nur zur Ruhe, Medaillon und Kette sind weder geraubt noch gestohlen, sondern mir zu teil geworden durch freiwillige Spende.« »Na, Du wirst wohl in keinem Wasser ersaufen und an keinem Strick aus Hanf ersticken!« meinte der Falkner: »als Page der Schloßherrin wirst Du weggejagt und kehrst als Knappe des Schloßherrn wieder, und dafür, daß Du einem Mädel in ein Schloß nachrennst, aus dem ein andrer mit einer Tracht Prügel gejagt worden wäre, wenn er nicht einen Dolchstoß zwischen die Rippen bekommen hätte, dafür erwischst Du ein Paar Pfund Gold! ... Das darf man sich schon gefallen lassen. Aber da sind wir vor der Abtei. Ich wünsche Dir bloß, mein lieber Junge, daß Dir Dein Glück treu bleiben möge, auch wenn Du den Fuß über dieses Steinpflaster setzest, denn dann, bei unsrer lieben Frau! könntest Du fragen, was ganz Schottland kostet?« Sie hielten am Ausgang der Straße, da wo das hohe Portal altgotischen Stiles sich quer vor ihr erhebt, und ritten hindurch in den düstern Hof, der von einem wirren Haufen von Klosterbauten bedeckt war, von denen heute noch eine ganze Front steht, während andre dem unter Karl dem Ersten erbauten neuen Palaste haben weichen müssen. Dort gab der Falkner die Rosse einem Lakeien mit dem wichtigtuerischen Befehle, ja gut für sie zu sorgen. Dann schritt er dem Knappen voraus in den Palast von Holyrood. Vierzehntes Kapitel Der Page Roland blieb am Eingange zum Hofe stehen und warf einen Blick voll des lebhaftesten Interesses über das Bild, das seinen Augen sich hier bot. Allerhand Gruppen von Leuten standen umher. Solche in glänzender Tracht, aber mit nachdenklichen Mienen, offenbar bedrückt, entweder durch öffentliche, oder durch persönliche Angelegenheiten -- greise Staatsmänner mit gebietenden Blicken, im pelzverbrämten Mantel und in Zobelschuhen, Kriegsmänner in Büffelwams und Stahlhaube, mit dichtem Schnauzbart und finstrer Stirn, die ihr langes Schwert klirrend hinter sich auf dem Pflaster herschleiften, dazwischen Dienstmannen, unterwürfig gegen den Herrn und Gebieter, keck, frech und schlagfertig gegen jeden, der im Range unter ihnen stand; dann armes Bittstellervolk mit verzagten Mienen und schüchternen Blicken, Beamte, erfüllt von der bescheidnen Würde, die ihnen anheimfiel, stolze Priester, auf den Fang einer fetten Pfründe, noch stolzere Barone, auf den Fang eines noch fettern Stückes Kirchenland erpicht, Räubervolk aus dem Landadel, das Pardon suchte für andern Leuten angetanen Schaden, und ausgeraubte Hörige und Bauern, die Ersatz forderten für erlittnen Schaden ... dort hielten Scharwächter Musterung ab über ihre Kommandos, hier wurden Boten abgeordert oder empfangen, vorm Tore wieherten und stampften Rosse, drinnen blitzten Waffen, klirrten Sporen, wehten Standarten und Federn. Kurz, es war ein Durcheinander von Farben und Pracht und Staat, daß für ein jugendliches Auge den Höhepunkt alles Schönen und Sehenswürdigen bildet, dem Auge des erfahrenen Mannes aber als ein Meer von Ungewißheit, Trug und Falsch- und Hohlheit, von Hoffnungen, die nie Wirklichkeit werden, von Verheißungen, die nie Erfüllung finden, erscheint. Adam Woodcock war des Bildes bald überdrüssig, in dessen Anblick sein jugendlicher Gefährte noch immer versunken stand, und freute sich lebhaft, in einem stattlichen Diener des Hofgesindes unter tiefgrüner Mütze mit wallendem Federbusch ein bekanntes Gesicht zu erblicken. Im andern Augenblick schon ertönte aus beider Leute Mund der Ruf: »Schockschwerenot! trügen mich nicht meine Augen? Seid Ihr's wirklich, alter Kamerad?« und dann setzte der eine der Frager den Namen Adam Woodcock, der andre den Namen Michael Wingthewind hinzu. Und dann kam die Unterhaltung rasch in Fluß. »Na, was macht denn die Windspielhatz?« fragte Woodcock. »Damit wird's alle Jahre schwächer, wie mit den Kräften auch. Vier Beine tragen keinen Hund ewig, wir halten die Hatz zur Zucht, und auf diese Weise entgeht sie dem Ersäufen. -- Sonst wär sie schon lang um die Ecke. Doch was steht Ihr und gafft? Der gnädige Herr Regent hat schon wiederholt gefragt, ob Ihr schon da seiet?« »So? Graf Murray hat sich erkundigt nach mir? der Reichsregent nach Adam Woodcock?« fragte der Falkner. »Hm, diesen Morgen war Graf Morion bei ihm. Er kam in gar böser Stimmung. Wenn ihm was im Kopfe steckt, diesem Herrn, dann sieht er aus wie der leibhaftige Teufel. Ich war grade im Zimmer drin, weil ich Instruktion einholen mußte wegen einer Falkenhecke, die von Danoway geholt werden soll, da wetterte Graf Morton los, ob das ehrliches Spiel sei, für seinen Bruder sei ihm die Kommenthurei von Kennaqhueir in Aussicht gestellt worden mit der festen Zusage, daß eine königliche Domäne draus geschaffen werden solle zu seinen gunsten, und nun hätten die falschen Mönche die Frechheit gehabt, einen neuen Abt zu wählen, der nun seinem Bruder mit seines Rechten in den Weg treten würde. ... Zudem hat das Gesindel aus der Nachbarschaft alles, was in der Abtei noch niet- und nagelfest war, verbrannt und zerschlagen und ausgeplündert, so daß der Grafenbruder, wenn er die faulen Hunde von Pfaffen hinausgejagt hätte, nicht einmal wüßte, wohin er sein Haupt legen solle. Mein gnädiger Herr hat ihm freilich drauf gesagt, wenn daran was Wahres sei, dann hätte ihm Ritter Halbert Glendinning gewiß schon berichtet, vornehmlich wenn im Kloster ein Abt gewählt, oder die Abtei zerstört worden sein solle. Da hat denn der Graf gesagt, der neu gewählte Abt sei der Bruder von Glendinning, und er habe schon immer, wenn auch leeren Ohren, gepredigt, man dürfe sich auf diesen in den Adel erhobnen Bauerssohn nicht allzu viel verlassen. Das hat aber mein gnädiger Herr nicht aufkommen lassen, sondern hat Euern Herrn mächtig herausgebissen, an dessen Treue sei nicht zu zweifeln, und dafür stehe er ein, u. s. w., wenn aber, was Wahres dran sei, dann erwarte er von Glendinning die Kutte eines gehängten Mönches und den Kopf eines der aufrührerischen Bauern zu bekommen, und zwar als Opfer einer gestrengen und prompten Justiz! Da ist denn Graf Morton still geworden und hat das Feld geräumt, wenn auch, wie mir vorkam, in etwas bedrückter Stimmung. Aber seitdem hat mein gnädiger Herr schon ein paarmal gefragt, ob denn noch immer kein Bote von Glendinning da sei ... Und wenn ich Euch das erzählt habe, Woodcock, so ist's darum geschehen, weil ich dachte, Ihr könntet Eure Rede danach einrichten, wenn Euch mein gnädiger Herr ausfragt, denn ich vermute, wenn so was verlautete, wie Graf Morton hat verlauten lassen, dann möcht's mit der guten Laune und Wohlmeinenheit bei meinem Herrn vorbei sein!« Ob mancher Dinge in diesen Mitteilungen zog sich Woodcocks Gesicht gewaltig in die Länge, und er fragte beklommen: »Was war's, was dieser grimmige Graf Morton von einem Bauerntropfe sagte?« »Aber das war ja nicht der Graf Morton, sondern mein gnädiger Herr, der Regent selber!« erwiderte Michael Wingthewind; »der sagte, er rechne drauf, daß Euer Ritter, wenn sich Gesindel an der Abtei vergriffen hätte, ihm den Kopf des Rädelsführers überschicke.« »Ach, von Zerstörung ist ja gar nicht die Rede gewesen,« erklärte Woodcock mit wachsender Beklommenheit, »höchstens sind bei dem bißchen Radau ein Paar bunte Scheiben eingeschlagen, und ein paar Heilige in ihren Gräbern gestört worden. Um die Abtei, in Brand zu stecken, ist ja gar nicht mal Zünddocht da gewesen, geschweige Lunte oder Feuerstahl. Darauf habe ich bei der Affäre von Anfang an gesehen.« »Was sagt Ihr da, Woodcock?« rief sein Kamerad, »Ihr habt doch hoffentlich nicht die Hand dabei im Spiele gehabt? Da sollt's mir leid tun, Euch in Schrecken jagen zu müssen, zudem Ihr grade erst von der Reise kommt. Aber ich kann Euch bloß sagen, der Graf Morton hat von Halifax eine Jungfer mitgebracht, so was habt Ihr in Eurem Leben noch nicht gesehen! die umarmt Euch und behält Euren Kopf in den Armen, während Euer Leib in einen Trog zu ihren Füßen kollert.« »Schwatzt nicht solches Zeug! ich bin doch zu alt, daß mir solche Vettel noch den Kopf verdrehen könnte! Lord Morton mag ja schmücken Dirnen gern nachlaufen. Aber was braucht er darum nach Halifax zu laufen, und wenn er sich dort ein Liebchen holt, was hat das mit meinem Kopfe zu schaffen?« »Hm, eine ganze Menge!« meinte Michael Wingthewind, »die Herodias hats Kopfabsäbeln nicht schlechter verstanden als diese Mortonsche Jungfer aus Halifax! Das Beil fällt ganz von selbst herunter und erspart alle Henkersarbeit ...« »Meiner Treu, eine hundsföttische Erfindung, vor der einen der Himmel bewahren möge!« sagte Woodcock. Dem Pagen schien über dieser Unterhaltung der beiden alten Kameraden die Geduld auszugehen. Er unterbrach sie jetzt durch die Bemerkung, ob Woodcock nicht besser tun möchte, den Brief an den Regenten abzugeben, den ihm der Ritter zur Befolgung mitgegeben habe? »Der Bursch hat recht,« meinte Wingthewind, »der gnädige Herr wird sicher begierig sein, ihn zu lesen. Es läßt sich doch annehmen, daß über die Vorgänge in Kennaqhueir drin berichtet wird.« »Der Bursche ist klug genug, sich den Rücken frei zu halten,« sagte Woodcock, »und an anderm fehlt's ihm schließlich auch nicht. Ich dächte, Herr Roland, am Ende wär's das gescheiteste, Ihr überbrächtet dem Lordregenten selbst das ritterliche Schreiben. Ein junkerlicher Page findet wohl leichter freundliches Gehör bei solchem Herrn als ein ausgedienter Falkner.« »Das mag wohl sein, Ihr, alter Schlaumeier von Yorkshirer Blut. Aber mir kam's doch anfangs so vor, als ob Ihr selber recht erpicht drauf seiet, dem Regenten vor die Augen zu treten? Und nun wollt Ihr den jungen Menschen ins Feuer schicken? Meint Ihr am Ende, die Mortonsche Jungfer schnitte lieber solchen schmucken Hals durch als Euren sonnverbrannten alten?« »Dein Witz, mein Lieber, versteigt sich zu hoch, um zu treffen,« erwiderte mit beklommenem Lachen der Falkner, »aber der Jüngling läuft keine Gefahr. Darauf könnt Ihr rechnen! hat er doch mit dem Mummenschanz vor der Abtei nicht das mindeste zu tun gehabt, was ihm zum Schaden werden könnte. Aber eine feine Komödie war's, das muß ich Euch sagen. Bloß schade, daß wir nicht mehr dazu kamen, die feine Ballade abzusingen, die ich expreß dazu gedichtet und komponiert hatte. Aber basta! Bring den jungen Menschen vor zur Audienz, ich will hier bleiben und warten, mit dem Zügel in der Faust, wie die Geschichte ausgeht. Nimmt's, schlimme Wendung, dann denk ich, soll bald eine Meile zwischen dem Herrn Regenten und meiner Wenigkeit liegen.« »Nun, dann kommt, mein junger Herr,« wandte sich Michael Wingthewind an den Pagen, »wenn's doch nicht anders sein soll, als daß Ihr vor dem schlauen Yorkshirer Bauern in den Sprenkel geht.« Mit diesen Worten ging er Roland voraus, der ihm auf dem Fuße folgte. Durch eine Reihe von gewundnen Gängen gelangten sie zu einer breiten steinernen Wendeltreppe, die sie nach dem obern Stockwerk hinauf führte. Hier wendete sich der Führer seitwärts und stieß die Tür eines finstern, modrig riechenden Vorzimmers auf. So finster war es, daß der Page fast über eine niedrige Stufe gestolpert wäre, die seltsamerweise grade vor der Schwelle angebracht war. »Vorsicht!« mahnte der Führer den Pagen, ängstlich sich umsehend, ob ihn auch niemand belausche -- -- »Vorsicht, junger Freund! denn wer auf den Dielen hier stolpert, erhebt sich nicht wieder. Schau her,« fuhr er fort, mit noch leiserer Stimme als bisher und zeigte auf ein paar dunkelrote Flecke auf dem Fußboden und verschiedene Spritzer an der Wand, auf die aus einer schmalen Klause ein Lichtstreif fiel, »schau her! und setz behutsam Deine Füße, Jüngling, denn hier sind vor Dir Männer gefallen!« »Was bedeutet Eure Rede?« fragte der Page, den eine Gänsehaut überlief, ohne daß er sich sagen konnte, warum ... »Ist das Blut?« »Ja doch, ja doch,« sagte der Diener, noch immer flüsternd, und zog den Pagen hinter sich her. »Blut ist es, aber jetzt ziemt es sich nicht, danach zu fragen oder danach zu schauen ... Blut, greulich und grausig vergossen, und greulich und grausig gerochen! ... es ist,« und seine Stimme sank zu noch tieferem Geflüster, »das Blut des Signor David.« Roland klopfte das Herz, als er sich so unvermutet an der Stelle sah, wo Rizzio, der Sänger, ermordet worden war, ein Mord so furchtbar, daß die Kunde davon selbst in jener wilden, Zeit alle Gemüter, in Palast und Hütte, mit Grausen erfüllt hatte und auch bis nach Avenel gedrungen war. Aber sein Führer drängte ihn, als hätte er über ein gefährliches Thema bereits zuviel gesprochen. Er klopfte an eine niedrige Tür am Ende des Vorgemachs, ein Türsteher kam herbei und nahm Michaels Anmeldung entgegen, daß ein Page vom Ritter von Avenel da sei und Briefe zu überreichen habe. »Der Staatsrat will grade auseinander gehen,« sagte der Türsteher, »aber gebt mir die Briefe, vielleicht entschließt sich Seine Gnaden, den Boten vorzulassen.« »Mein Auftrag lautet, die Briefe an den Regenten selbst abzugeben,« erwiderte Roland. Der Türsteher maß den Pagen vom Kopf bis zu den Füßen, gleich als ob ihn seine Keckheit in Staunen setzte. Dann fuhr er ihn an: »So, so, mein Herrlein? für ein Kücken krähst Du ja schon ziemlich laut, obendrein für eins aus dem Bauernstall!« »Wäre Zeit und Ort angemessen,« sagte Roland, »dann wollt ich Dir zeigen, daß ich mehr als krähen kann. Aber tut was Eures Amtes ist, und laßt Euren Herrn wissen, daß ich seiner Befehle mich gewärtig halte.« »Du bist ein Naseweis, mir von dem zu reden was meines Amtes sei,« erwiderte der diensttuende Türsteher, »aber es wird sich schon Zeit und Gelegenheit finden, Dir zu zeigen, was Deines Amtes ist. Vorläufig kannst Du ja hier auf Bescheid warten.« Mit diesen Worten schlug er Roland die Tür vor der Nase zu, erschien aber sehr bald wieder mit der Weisung, die er in wesentlich höflicherm Tone ausrichtete. Seine Gnaden der Regent wolle die Botschaft des Ritters von Avenel entgegenzunehmen geruhen. Demzufolge geleitete er Roland Gräme in ein Gemach, das ganz wie eine Kanzlei eingerichtet war. Der Regent, der an einem mit Akten bedeckten Tische saß, drehte sich langsam um, als die Tür aufging. Seine Züge zeigten den Ausdruck trüben Ernstes. Er war einfach gekleidet, in schwarzen Samt, nach niederländischer Mode; das einzige, was an ihm auffällig hätte sein können, war eine demantne Agraffe, die an der Seite des hohen Hutes steckte, den er auf hatte. An der Seite trug er einen Dolch, und auf einer langen eichnen Tafel, die in der Mitte des Gemaches stand, lag ein Schwert. Huldvoll nahm er das Schreiben aus der Hand Rolands entgegen und winkte huldvoll mit der Hand, als Roland versuchte, den ihm aufgetragen Gruß des Ritters von Avenel auszurichten. Ja er zögerte einen Augenblick, ehe er den seidnen Faden löste, der das Schreiben zusammenhielt, um Roland, an dessen Zügen er offenbar Wohlgefallen fand, nach dem Namen zu fragen. »Roland Gräme heiße ich,« antwortete der Page. »Gräme?« wiederholte der Regent, indem er den Namen wiederholte. »Etwa vom Geschlechte der Grahams von Lennox?« »Nein, gnädiger Herr,« erwiderte Roland, »meine Eltern haben in dem bestrittnen Lande gewohnt.« Murray fragte nicht weiter, sondern las in dem Schreiben des Ritters weiter. Bald aber trat ein düstrer Ausdruck auf seine Stirn wie bei jemand, der von etwas Kunde erhält, die ihn zugleich verwundert und beunruhigt. Er überlas den Brief nochmals, dann lehnte er sich ein paar Augenblicke in dem Stuhle zurück. Als er nach einer Weile aufblickte, traf sein Blick den Türsteher, der sich vergeblich bemühte, einen unbefangnen Ausdruck zu zeigen. Der Regent hatte recht gut den spähenden Blick bemerkt, mit welchem der Diener jedem Zug auf dem Angesichte seines Herrn verfolgte. »Hinaus, Hyndham,« rief in strengem Ton der Regent, »stell Deine Betrachtungen anderswo an als hier. Du bist mir schon lange zu pfiffig für Deinen Posten, für den ein Schwachkopf besser geeignet ist. So! diese Miene kleidet Dich schon besser, aber es ist Dir bloß nicht darum Ernst. Behalte diese dumme Miene, damit Du Dir Deinen Dienst erhältst ... Und nun hinaus, Patron!« Zitternd verschwand der Türsteher, mit vermehrtem Grolle auf Roland blickend, weil dieser von dem Unwillen des Regenten gegen ihn unwillkürlich Zeuge gewesen war. Sobald der Regent mit Roland allein war, stellte er an diesen die Frage: »Armstrong, sagtet Ihr, sei Euer Name?« »Nein, Gräme,« erwiderte der Page, »Roland Gräme, dessen Eltern im bestrittnen Lande gewohnt haben unter dem Namen Heathergill.« »Richtig, richtig. So sagtet Ihr ja vorhin. Habt Ihr Bekanntschaft in Edinburg?« »Gnädiger Herr,« versetzte Roland, bemüht die Frage zu umgehen, statt, unmittelbar zu beantworten, denn sein Abenteuer mit Lord Seyton zu verschweigen, gab ihm ein guter Genius ein -- »ich bin kaum eine Stunde in Edinburg und zwar zum erstenmal in meinem Leben.« »Was? und Ihr seid Page bei Sir Halbert Glendinning?« fragte der Regent. »Ich bin als Page der Schloßherrin erzogen worden,« erklärte der Jüngling, »und habe das erste Mal in meinem Leben den Fuß aus dem Schlüsse von Avenel gesetzt.« »Page der Schloßherrin?« wiederholte wie in Gedanken der Regent. »Sonderbar, in solch wichtiger Angelegenheit den Pagen seiner Frau zu schicken! Morton wird sagen, es sei das Gegenstück zur Abtwahl des Bruders, und doch ist in gewisser Hinsicht dieser unerfahrene Jüngling der tauglichste Bote: Was ist Dir denn während Deiner Lehrzeit beigebracht worden, mein Sohn?« »Ich hab die Jagd betrieben und auch die Beize,« versetzte Roland Gräme. »Wohl die Kaninchenjagd und die Drosselbeize?« fragte der Regent lächelnd, »denn das sind ja die Belustigungen der Damen und ihrer Begleiter.« Roland, errötete tief, und nicht ohne Schärfe erwiderte er: »Wir haben Rotwild gejagt, wenn, es die Krone ansetzt, und Reiher gebeizt. Vielleicht sagt man bei Hofe dafür Kaninchen jagen und Amseln beizen? Indessen kann ich auch ein Schwert schwingen und eine Lanze einlegen, wie es bei uns an der Grenze heißt, bei Hofe aber sagt man da wohl, Wasserlilien und Heidebinsen?« »Deine Worte haben metallnen Klang,« meinte der Regent, »der Wahrheit zuliebe sei der Stachel verziehen ... Es ist Dir also bekannt, was einem Kriegsmann für Pflichten obliegen?« »Was sich ohne wirklichen Dienst im Feld?, also durch bloße Uebung erlernen läßt, ja,« versetzte Roland, »aber das Glück, ein Schlachtfeld zu sehen, ist mir noch nicht beschieden gewesen.« »Das Glück?« wiederholte der Regent, mit einigermaßen zweifelhaftem Lächeln, »junger Freund, Du darfst es mir aufs Wort glauben, Krieg ist das einzige Spiel, aus dem beide Teile mit Verlust hervorgehen.« »Doch wohl nicht immer,« antwortete kühn der Page, »sofern das Gerücht nicht trügt.« »Was willst Du damit sagen, Bursche?« fragte der Regent, der vielleicht in diesen Worten eine Anspielung auf sein eignes Glück im Kriege erblickte. »Weil dem, welcher sich tapfer im Kriege hält,« antwortete Roland, ohne seinen Ton zu ändern, »Ruhm im Leben oder Ehre im Tode anheimfallen muß. Also ist Krieg doch ein Spiel, aus dem keiner mit Verlust hervorgehen kann.« Der Regent schüttelte lächelnd das Haupt. Da ging die Tür auf, und Graf Morton trat herein. »Verzeiht, lieber Graf, ich komme mit Hast, infolge wichtiger Nachricht und infolgedessen unangemeldet ... Die Sache ist, wie ich gesagt habe, Edward Glendinning ist zum Abte gewählt, und -- --« »Still, Mylord, ich weiß es,« sagte der Regent; »aber ...« »Vielleicht habt Ihr es früher gewußt als ich, Mylord Murray,« und Mortons finstre, rote Stirn verfinsterte und rötete sich noch tiefer, während er dieser Vermutung Worte lieh. »Laßt mich mit Eurem Argwohn in Ruhe, Morton,« versetzte Murray, »und tretet meiner Ehre nicht zu nahe! ... ich habe genug von den Verleumdungen meiner Feinde zu leiden, werdet Ihr nicht Ursache, daß ich mich noch gegen ungerechten Argwohn von Freunden zu wehren habe... Wir sind nicht allein,« setze er hinzu, sich besinnend, »sonst könnte ich Euch mehr sagen.« Er führte den Grafen in eine Nische, die einen günstigen Platz für geheime Zwiesprache bot. Zuerst sprachen sie leise, so daß Roland von ihren Worten nicht hören konnte. Als ihre Unterhaltung aber ernsthafter wurde, sprachen sie auch lauter und vergaßen zuletzt wohl überhaupt, daß der Page noch im Zimmer war, was um so begreiflicher war, als derselbe an einer Stelle stand, die ihre Augen nicht erreichten, und so konnte Roland, ohne daß er es besonders darauf anlegte, manches deutlich hören, andres durch Vermutungen ergänzen. »Es ist alles im Gange,« sagte z. B. Murray, »und Lindesay ist wohl schon auf dem Wege. -- Länger besinnen darf sie sich nicht! Du siehst, ich handle nach Deinem Rat und verschließe mich milderen Erwägungen.« »Nur in Ordnung, Mylord,« entgegnete Morton. »Gilt es, Macht zu erringen, so zeigt Ihr Euch nicht unschlüssig, sondern steuert energisch aufs Ziel; aber bewahrt Ihr auch das Errungne mit gleicher Energie? ... Wozu eigne Dienerschaft? Hat Eure Mutter nicht Dienerschaft genug zur Aufwartung für eine Person mehr? war es notwendig, diese überflüssige und zudem gefährliche Bedingung zu erfüllen?« »Morton, schämt Euch! Ihr sprecht von einer Fürstin und meiner Schwester! sollte ich ihr standesgemäße Dienerschaft weigern?« »Das ist der Flug aller Eurer Geschosse,« erwiderte Morton,, »sie schnellen kräftig vom Bogen und sind nicht ungeschickt gezielt, aber schädliche Zuneigung lähmt sie im Fluge und bringt den Pfeil aus der Richtung.« »Morton, ich leide solchen Tadel nicht,« versetzte Murray mit Ungeduld, »was ich getan habe, das habe ich getan, und was ich noch tun muß, werde ich tun und will ich tun. Aber aus Stahl und Eisen wie Du bin ich nicht, und Erinnerungen vermag ich nicht zu bannen ... Genug jetzt! mein Entschluß ist gefaßt.« »Ich bin fest überzeugt,« sagte Morton, »die Wahl dieser Dienerschaft wird auf ...« Er, flüsterte nun Namen, die Roland nicht hören konnte. Murray antwortete gleichfalls flüsternd, aber gegen den Ausgang hin wurden die Stimmen wieder deutlicher, und so hörte Roland ganz deutlich: »Und seiner halte ich mich versichert, auf Glendinnings Empfehlung hin ...« »Die vielleicht ebenso vertrauenswürdig ist wie jüngst sein Verhalten bei der Abtwahl ... Ihr habt doch gehört, daß sein Bruder gewählt worden ist? Er scheint eben soviel brüderliche Zuneigung zu hegen wie Ihr!« »Beim Himmel, Morton, für solche Spöttelei sollte ich Euch den Fehdehandschuh hinwerfen, indessen will ich sie Euch nachsehen, ist ja doch Euer Bruder auch dabei beteiligt. Aber, diese Wahl soll kassiert werden. So lange ich das Schwert des Reiches für meinen königlichen Neffen in meiner Hand halte, so lange soll mir weder ein Lord noch ein Ritter in Schottland mein Ansehen streitig machen. Das sage ich Euch, Graf Morton, und das mag sich gleich Euch jeder andre gesagt sein lassen. Beleidigungen meiner Freunde ertrage ich einzig und allein um deswillen, weil ich es mit Freunden nicht verderben mag und weil ich weiß, daß sie es wert sind, daß ihnen Torheiten nachgesehen werden.« Morton murmelte etwas wie Entschuldigung, und der Regent murmelte hierauf ein paar Worte in milderem Tone, dann fuhr er fort: »Außerdem habe ich neben Glendinnings Bürgschaft noch ein weiteres Unterpfand für seine Treue: die nächste Verwandte von ihm hat sich als Geisel für ihn selbst in meine Hand gegeben, damit ich mit ihr verfahre, wie seine Aufführung es verdient.« »Das läßt sich wohl hören,« murmelte Morton, »und doch muß ich Euch in treuer Liebe und guter Absicht wiederholt bitten, auf der Hut zu sein. Unsre Feinde rühren sich wieder, erst heute morgen hat sich Georg Seyton mit etwa zwanzig seiner Leute mit den Leslies geschlagen, auf offner Straße ... bis vom Magistrat aus Hellebardierer anrückten und die Kampfhähne auseinandertrieben...« »Ich weiß, Graf Morton, denn auf meinen Befehl ist die Scharwache ausgerückt,« erwiderte der Regent. »Sind Leute verwundet?« »Lord Seyton selbst, vom schwarzen Leslie ... hol' der Teufel diesen Stoßdegen, daß er nicht gleich mitten durchfuhr! ... der schwarze Ralph hat eins über den Schädel bekommen von einem Pagen, den niemand kennt ... Fritz Seyton ist durch den Arm gestochen worden, und ein paar andre haben wohl noch leichten Aderlaß bekommen. Im übrigen ist von edlem Blute nichts bei der Rauferei geflossen, aber ein paar Kriegsknechten sind die Beine gebrochen und die Ohren heruntergeschlagen worden, die Kneipwirtsweiber haben die Halunken von der Straße aufgehoben und klagen nun wegen Mordes.« Douglas, Ihr nehmt die Sache sehr leicht,« erwiderte der Regent, »solche Fehden auf offner Straße gereichten aber nicht einmal der Residenz des Großtürken zur Ehre, geschweige uns! Doch auch diesem Unfuge soll, wenn ich lebe, Abhilfe geschehen! es soll von mir in der Geschichte nicht heißen, ich hätte das Ansehen nicht zu wahren gewußt, das mir nach der Entthronung meiner Schwester anheimfiel. Nein, ich werde es wahren zum Heile des Gemeinwesens ...« »Und zum Heil Eurer Freunde!« versetzte Morton, »daher hoffe ich unverzüglich auf einen Befehl von Euch, der die Wahl dieses Faulpelzes von Mönch, dieses Glendinning, zum Abt von Kennaqhueir für ungültig erklärt!« »Euch soll sogleich Genüge getan werden!« erklärte der Regent, trat einen Schritt vor und wollte eben rufen: »Holla, Hyndman!« als sein Blick auf Roland Gräme fiel. »Meiner Treu, Douglas,« rief er, zu seinem Freunde sich wendend, »hier haben drei Rat gehalten.« »Aber nur zwei gehören dazu,« versetzte Morton, »der Junge muß beiseite geschafft werden.« »Pfui doch, Morton! ein Waisenknabe!« verwies ihm der Regent solches Ansinnen. Dann rief er Roland zu sich. »Höre, mein Sohn, Du hast mir vorhin einiges genannt, was Du gelernt habest. Hast Du auch gelernt, die Wahrheit zu reden?« »Jawohl, gnädiger Herr, sofern es zu meinem Frommen sei,« erwiderte kühn Roland Gräme. »Zu Deinem Frommen sollst Du sie jetzt sagen,« sprach in strengem Tone der Regent, »Lüge wäre Dein Verderben. Was hast Du gehört oder verstanden von dem, was zwischen uns beiden gesprochen wurde?« »Nur wenig, gnädiger Herr,« entgegnete Roland, »bloß soviel ist mir klar geworden, daß man die Treue des Ritters von Avenel in Zweifel zieht, unter dessen Dache ich erzogen worden bin.« »Und was denkst und weißt Du darüber?« fragte der Regent weiter, einen durchdringenden Blick auf den Jüngling richtend. »Das richtet sich nach dem Stande desjenigen, der die Ehre des Ritters antastet, dessen Brot ich so lange gegessen habe,« antwortete der Page. »Steht solcher Mensch unter mir, dann sage ich ihm, daß er ein Lügner sei und daß ich ihm mit meinem Stocke dienen werde, sofern er den Mund nicht hält. Ist er meinesgleichen, so halt ich den Lügner aufrecht und fordre ihn zum Zweikampf. Steht er über mir, dann . ..« er stockte in seiner Rede. »Fahre getrost fort,« munterte ihn der Regent auf, »also: wenn solcher Mensch, sagst Du, über Dir steht, dann ...« »Dann würde ich ihm sagen,« fuhr Gräme fort, »es sei nicht in Ordnung, über einen Abwesenden Uebles zu sprechen, und mein Herr sei Mannes genug, Rechenschaft über sein Tun und Lassen jedem zu geben, der sie mannhaft von Angesicht zu Angesicht von ihm fordert.« »Mannhaft gesprochen, mein Sohn,« sagte der Regent, indem er dem Pagen die Hand auf die Schulter legte, »wie denkst Du darüber, Morton?« »Ich denke,« versetzte der Graf, »daß sich zwischen seinem Denken und Tun eine große Verschiedenheit finden möchte, falls er einem gewissen alten Freunde an Verschlagenheit ebenso gleichkommt wie er ihm im Ausdruck des Auges und an Stirn und Nase ähnelt.« »Und wem soll er Deiner Ansicht nach ähneln?« fragte der Regent. »Dem redlichen und treuen Julian Avenel,« antwortete Morton. »Aber der Jüngling stammt doch aus dem bestrittenen Lande,« sagte Murray. »Das kann ja sein, aber Julian war ein Jäger, der gern in fremde Gehege strich und dem es auf einen Weg nicht ankam, wenn er ein schmuckes Wild auf dem Rohr hatte.« »Pah!« rief der Regent, »das sind hohle Vermutungen ... Da, Hyndman, Du Naseweis, bring den jungen Menschen wieder zu seinem Kameraden! ... Du hältst Dich mit Deinem Begleiter zu sofortigem Aufbruch bereit,« sprach er zu Gräme. »Ich laß Dir Weisung zukommen.« Dann winkte er ihm freundlich, sich zu entfernen, und die Unterredung hatte ein Ende. Fünfzehntes Kapitel Hyndman der Türsteher führte den Falkner und den Pagen nach einem Raume im Erdgeschoß und bedeutete sie, daß sie dort sich zu verhalten hätten, bis ihnen durch Seine Gnaden Bescheid zu weiterem Dienste zuginge. Speise und Trank fänden sie in der Küche, und ihr Nachtlager hätten sie, da alles im Schlosse besetzt sei, im Gasthofe zu Sankt-Michael zu nehmen, sich morgens aber hier wieder einzufinden. Kaum war Hyndman verschwunden, so fragte der Falkner mit aller Hast gespannter Neugierde: »Nun, Roland, die Neuigkeiten, die Neuigkeiten! komm, öffne Deinen Zeitungsbeutel! Was spricht der Regent? hat er sich nach Adam Woodcock erkundigt? ist alles niedergeschlagen, oder wird der Abt der Unvernunft noch dran zu glauben haben?« »Alles steht nach dieser Seite hin gut,« antwortete der Page; »aber« -- und hier sah er verwundert auf seine Mütze -- »habt Ihr mir etwa Kette und Medaillon von der Mütze abgemacht?« »Freilich, und grade noch zur rechten Zeit, als der sauertöpfische Patron von Türsteher sich eben erkundigen wollte, was Ihr da für pfäffischen Plunder an Euch trüget! denn sonst wäret Ihr doch Euer Medaillon los, denn man hätt's Euch Gewissens halber konfisziert! Aber wie steht's denn mit Euren weitern Neuigkeiten? laßt Ihr sie nun bald fliegen? was hat der Regent zu Euch gesagt?« »Nichts was ich weiter sagen werde,« erwiderte Roland. »Was der Tausend!« rief Adam, »wie klug und weise wir doch mit einem Male geworden sind! Herr Roland, Ihr habt's wirklich in kurzer Zeit recht weit gebracht! Nahe dran wart Ihr, Euch einen blutigen Schadet zu holen, und habt Euch eine goldene Kette geholt, dann einen Feind erworben, den Herrn Türsteher nämlich mit seinen Säbelbeinen, dann habt Ihr Audienz gehabt beim ersten Mann in ganz Schottland, und nun steht Ihr da mit so geheimnisvollem Schleier um die Stirn, als wärt Ihr am höfischen Himmel geflattert, schön, als Ihr aus Eurem Ei krocht.. Meiner Treu, Ihr seid, scheint's mir, mit einem Stück Eierschale auf dem Kopfe herumgelaufen wie die Schnepfen drüben in Avenel ... wollte Gott, wir wären wieder hinter ihnen her! ... aber setz Dich, Junge! Adam Woodcocks Sache ist's nie gewesen, sich in Heimlichkeiten einzudrängen: da, setz Dich, ich will was zu essen und trinken holen, mir hängt der Magen schon ganz windschief, ich weiß ja von früher her, wo man hier was Gescheites bekommt.« Der Falkner ging und überließ Roland den seltsamen und verwickelten, zugleich auch höchlich beunruhigenden Betrachtungen, die die Vorgänge dieses Vormittags in seinem Gemüte geweckt hatten. Gestern noch ohne Zweck und Ziel auf der Landstraße, als Begleiter einer Greisin, mit deren Verstand es ihm selbst nicht ganz richtig zu sein schien, und jetzt, ohne daß er selbst wußte, wie und weshalb, und in welchem Maße, der Hüter eines Staatsgeheimnisses von solch wichtiger Natur, daß der Regent selbst ihm treues Verschweigen ans Herz gelegt hatte. Der Umstand, daß er selbst die Tragweite dieses Geheimnisses nicht vollständig begriff, in dessen Besitz er wider Willen gesetzt worden war, war mehr geeignet, die Situation für ihn interessant, als gleichgültig zu gestalten. Es war ihm zu Mute, wie jemand, der eine romantische Landschaft zum ersten Male in einen Nebelsack gehüllt erblickt, so daß die Berge und Abgründe, zufolge der schwanken Umrisse, in denen Felsen, Bäume und andre Dinge ringsumher dem Auge erscheinen, doppelte Höhe und Tiefe gewinnen, weil es an jedem Maßstabe für sie gebricht. Selten gewinnt aber beim Menschen, vorzüglich, wenn er kurz vorm Eintritt in das zweite Lebensjahrzehnt steht, die Phantasie dermaßen die Herrschaft über sein ganzes Wesen, daß ihm das Bewußtsein für irdische Nahrung abhanden kommt. So war es auch unserm Helden, wie wir ihn nachgerade wohl nennen dürfen, ganz lieb und recht, daß sein Freund Adam Woodcock mit einer tüchtigen Schüssel voll Rindfleisch und Gemüse wieder in der Stube erschien und hinter ihm drein ein Diener sichtbar wurde, der Salz und Brot und was sonst zu einer rechtschaffnen Mahlzeit gehört, herbeitrug. Der Falkner sagte freilich, für das armselige Dienervolk des Adels werde es mit jedem Tage schlechter und karger, es sei wirklich ein Stück Arbeit, etwas Bessers noch zu ergattern als Haut und Knochen, grobe Reden und Püffe seien weit leichter zu haben, und Bier gebe es überhaupt nicht mehr, sondern nur Malzwasser ... »aber, Kamerad,« setzte er bei, »es kommt nichts heraus dabei, Klagelieder über alte Zeiten anzustimmen, besser ist's schon, man sucht die Gegenwart zu nehmen, wie sie ist.« Mit diesen Worten setzte sich der ehrliche Falkner neben den Junker, dessen Sorge um die Zukunft in der angenehmen Befriedigung einer durch Jugend und Entbehrung geschärften Eßlust schon eine Weile lang geschwunden war. Sie hielten auch wirklich auf königliche Kosten ein tüchtiges Mahl, so schlicht auch die Speisen waren, aus denen es bestand, und ungeachtet des über den Haustrunk des Palastes gefällten Tadels hatte er doch bereits viermal tüchtig an dem Kruge »gezulpt«, bevor es ihm wieder einfiel, daß er sich drüber »mokiert« hatte. Dann warf er sich in einen alten Armsessel, heftete auf seinen Gefährten einen Blick sorgenloser Lust und bedauerte es lebhaft, daß demselben noch immer nicht die Ballade bekannt sei, die er für den Aufzug des Narrenabtes komponiert habe. Und ohne auf eine Aufforderung zu warten, stimmte er munter und fidel an: Der Papst in stolzer Heidenpracht Hüllt uns in Narrenkappen. Wenn Blinder Blindenführer macht, Im Irrsal beide tappen; Auf seinem Thron spricht keck er Hohn. Dem, was Vernunft gebeut ... Singt dudeldum und dudeldei Im Grünen ungescheut. Der Bischof brummt, wie Ihr ja wißt, Und neckt sich mit der Dirne. Der Sündenmönch frönt dem Gelüst Mit frecher Muckerstirne. Nicht lesen schier kann sein Brevier Der Pfaff. O arge Zeit! Singt dudeldum und dudeldei Im Grünen ungescheut. Roland fand an diesem Spottgedicht, wie sich bei seiner Denkart und Glaubensrichtung wohl denken läßt, kein sonderliches Behagen und griff nach seinem Mantel, um ihn über die Schulter zu werfen, und Adam Woodcock setzte deshalb in seinem Gesange aus. »Wo soll's denn schon wieder hin, unruhiger Knabe?« rief er, »Du hast doch ganz gewiß Quecksilber in Deinen Adern! hältst genau so wenig aus, wie ein Falke auf dem Handgelenk, wenn er die Haube nicht auf hat.« »Je nun, Woodcock,« antwortete der Page, »ich will mal einen Gang durch die Stadt machen, wenn Du es durchaus wissen willst. Wenn man die ganze Nacht hier zwischen vier Steinmauern verbringen sollte, dann könnte man grad so gut eingekerkert sitzen im alten Schloß am See.« »Aber allein laß ich Euch keinen Schritt tun,« sagte der Falkner, »bis der Regent Euch wohlbewalten aus meiner Hand empfing. Drum laßt uns, wenn's Euch paßt, nach Sankt-Michael in den Gasthof gehen. Dort werden wir Menschen genug sehen, aber durchs Fenster, wohlgemerkt! denn daß Ihr etwa noch mal hinauslauft, um Euch mit Seytons und Leslies herumzuschlagen, das geb ich auf keinen Fall zu.« »Na, also auf nach Sankt-Michael!« stimmte der Page bei; und sie verließen den Palast, gaben der Wache am Tore Bescheid über Namen und Stand und Zweck ihrer Anwesenheit im Schlosse und wurden dann gegen Ausfolgung von Einlaßkarten für den kommenden Tag durch eine enge Pforte des Haupttors hinausgelassen. Bald hatten sie den Gasthof, der am Fuße des Calton-Hügels lag, erreicht, ein großes, unwirtliches Gebäude, das mehr einer Karawanserei des Morgenlandes glich als einem Gasthofe im Abendlande, Der jeden Wunsch des Gastes zu erfüllen trachtet, Der nicht auf Kreide bei der Zeche achtet. Immerhin gab es für Roland, dessen Auge an solchen Anblick, wie ihn eine volle Gaststube des damaligen Schottland darbot, nicht gewöhnt war, des Aufregenden und Ergötzlichen grade genug zu sehen. Einheimische und Fremde trafen einander hier, begrüßten einander, spielten Karten und pokulierten zusammen, ohne daß sich einer um den andern kümmerte, und bildeten so einen schroffen Gegensatz zu der strengen Ordnung und einförmigen Ruhe, mit der sich alles in dem wohlgeordneten Haushalte des Ritters von Avenel vollzog. Neckerei, Wortwechsel und Zank gab es an allen Tischen, und doch schien der Lärm, der dadurch entstand, niemand zu stören, ja niemand zu kümmern als die Gruppe, zu der die im Disput befindlichen grade gehörten. Der Falkner setzte sich, in eins der Erkerfenster, ließ sich kalten Kapaun und Rindszunge und Landwein bringen und sagte zu Roland: »So, Kamerad! nun zugelangt, heut soll's noch ein paar lustige Stunden setzen! Begraben wir die Sorgen bis morgen!« Aber Roland war noch zu satt von dem Abendessen im Schlosse und vergnügte sich durch die Beobachtung des draußen in dem großen Hofe herrschenden Lebens und Treibens. Die vielen, jetzt zur Hauptstadt strömenden Adelinge des Landes hatten alle Ställe mit ihren Pferden in Beschlag genommen, und es wimmelte draußen von kriegerischem Gefolge und von Dienerschaft in allen möglichen Trachten und Livreen. Das war ein Singen und Lärmen und Pfeifen und Schreien und Lachen, untermischt mit Waffen- und Sporengeklirr, mit Stampfen und Wiehern, daß Roland bald die Ohren weh taten. Aber er hörte nicht auf, zu sehen und zu staunen. Wiederholt hatte Woodcock ihn aufmerksam gemacht auf das und jenes, das ihm besonders verdiente, beobachtet zu werden, und worunter sich auch manche Dirne befunden hatte, die im buntfarbigen Mieder, in schmuckem Rock und Unterrock mit der Gelte zum Trog gelaufen war, um dem einen oder andern bevorzugten Knecht oder Diener bei der Abwartung seines Rosses zur Hand zu gehen. Aber kein einziges mal hatte Roland ihn einer Antwort gewürdigt. »Na, Schockschwerenot! Roland, was seht Ihr denn bloß, daß Ihr gar kein Wort für mich übrig habt?« Roland blieb nach wie vor stumm. »Na, wißt Ihr, Herr Roland,« sagte der Falkner wieder, »bei mir zu Hause ist's nicht Mode, daß man jemand die Antwort weigert, der mit einem spricht.« Aber auch jetzt kam keine Antwort aus dem Munde des Gefährten. »In dem Burschen steckt wahrhaftig der Henker,« brummte der Falkner vor sich hin, »der muß sich die Augen verguckt und die Zunge lahm geschwatzt haben.« Er goß den Krug Wein hinunter und rückte näher zu Roland heran, der wie eine Bildsäule dasaß und in den Hof hinaus stierte, trotzdem sich dort, wenigstens für die Augen des Falkners, nicht das geringste zeigte, was solches stieren Gaffens als wert hätte erscheinen können. Aber das Staunen des Pagen hatte seine guten Gründe, wenngleich sie nicht danach beschaffen waren, daß er sich zu seinem Kameraden darüber hätte aussprechen können. »Der Bursche ist, weiß der Himmel, von Sinnen!« brummte Woodcock vor sich hin. Der Lärm im Hofe hatte verschiedene Leute von der Straße herbeigelockt, darunter auch einen Pagen, dessen Erscheinung, als er ins Hoftor trat, die Aufmerksamkeit Rolands sogleich auf sich gezogen hatte. Er war etwa von gleichem Alter mit ihm, eher junger als älter, und mochte, der Tracht und Haltung nach zu schließen, einem gleich vornehmen Hause angehören wie er, bloß war er zierlicher und schmächtiger von Gestalt. Er warf, kaum in den Hof getreten, einen Blick zu den obern Fenstern hinauf, und da erkannte Roland zu seinem höchsten Staunen unter der purpurnen Samtmütze mit der weißen Feder, die den Pagenkopf bedeckte, die seiner Erinnerung so tief eingeprägten Gesichtszüge mit den wohlgeformten Brauen unter den goldnen Ringellocken und der Purpurlippe, die in der Regel von halb unterdrücktem schelmischem Lächeln umspielt war, mit einem Worte, da erkannte Roland in dem schmücken Pagen die lustige Maid, die er zum erstenmal in dem Kloster, zum andern mal in dem Palaste des Lords Seyton gesehen hatte, Katharina Seyton! ja, Katharina Seyton in Pagentracht, und, dem Anschein nach, mit Geschick und Glück bemüht, ihn nachzuäffen. »Beim heiligen Georg und was weiß ich noch allem!« sprach Roland bei sich, »sah man wohl je eine keckere Dirne? .. Indessen sieht's doch so aus, als ob sie ihrer Vermummung sich ein wenig schämte, denn jetzt hält sie schon wieder den Mantelzipfel vors Gesicht ... aber, mit welcher Keckheit drängt sie sich durch diesen Haufen von Mannsvolk .. Ich glaube gar, jetzt zieht sie dem Stallburschen in der Friesjacke mit der Reitgerte ein paar über!« Ein Tölpel von Stallburschen in dicker Friesjacke hatte dem, wie es schien, in großer Eile befindlichen Pagen nicht Platz machen wollen und bekam jetzt seine Reitpeitsche zu kosten. Sie sauste ihm um die Ohren, und brummend trat der ungelenke Mensch beiseite! Während seine Kameraden sich darüber vor Lachen ausschütten wollten, trat eine Dirne, in rotem Mieder, die ihm geholfen hatte und seinem Mißgeschick dadurch die Krone aufsetzte, daß sie aus vollem Lachen mitlachte, zu dem Pagen heran und fragte, ob er vielleicht hier jemand suche. »Richtig erraten, mein Kind, einen jungen Schößling mit Palmenzweig auf der Mütze, schwarzäugig und schwarzlockig, in grünem Wams und mit den Mienen eines Gecken vom Lande. Ich hab ihn schon überall in der Canon-Gate gesucht und kann ihn nicht finden.« »Na, nur gemütlich,« murmelte Roland verwundert in sich hinein, »das hört sich ja recht schmeichelhaft an!« »Ich will dem schmucken jungen Herrn gern den Gefallen tun und Umschau nach dem jungen Buben vom Lande halten,« sagte die Magd zu dem Pagen. »Seid so gut,« antwortete dieser; »bringt Ihr ihn mir her, sollt Ihr heut abend auch einen guten Groschen und am andern Sonntag, wenn Ihr ein reines Mieder anhabt, einen Schmatz bekommen.« »Na, das nenn ich die Keckheit doch etwas weit getrieben, gegen mich wie gegen die Dirne,« brummte Roland in sich hinein. »Den Groschen könnt Ihr behalten,« beschied die Dirne, »und den Schmatz schenk ich Euch!« Im andern Augenblick war die Magd, die für Pagen einen schärfen Blick zu haben schien, in der Gaststube und sah sich um. Dann ging sie heraus, um gleich darauf mit dem Pagen hereinzutreten. Die verkleidete Maid ließ ihren Blick keck über die in der Gaststube sitzende und stehende Gesellschaft von Mannsvolk schweifen; Roland wußte nicht, was er von ihr denken sollte, nahm sich aber vor, sich nicht einschüchtern zu lassen, sondern ihr lustig gegenüberzutreten und sie gleich merken zu lassen, daß er sie erkannt habe und um ihr Geheimnis Bescheid wisse, daß also ihr Schicksal in gewissem Sinne in seiner Hand liege, und daß er sie recht wohl nötigen könne, sich vor ihm zu »ducken« oder wenigstens doch so zu tun, als »krieche sie vor ihm zu Kreuze«. In dieser Weise hatte sich Roland die weitere Entwicklung der Situation recht fein ausgedacht; aber als er die zu solchem Verhalten passende Miene grade aufsetzen wollte, trafen seine Blicke auf das kecke, unverwandt auf ihn gerichtete Augenpaar seines brüder- oder schwesterlichen Pagen, der in ihm sogleich mit seinem Falkenblick die Persönlichkeit erkannt hatte, auf deren Suche er begriffen war, und mit der unbefangensten Miene und dem unerschrockensten Wesen von der Welt hörte er sich plötzlich angesprochen: »Ei, Herr Palmenzweig, Euch such' ich, weil ich mit Euch was zu sprechen habe.« Es war dieselbe ruhige, zuversichtliche und kalte Stimme, wie er sie im Kloster aus ihrem Munde vernommen hatte, es waren dieselben Gesichtszüge, die ihm so scharf vor der Seele standen, die ihm, aus solch unmittelbarer Nähe gesehen, ganz unmöglich Zweifel wecken konnten, und doch stand er da perplex und außer stande, sich die Situation zurechtzulegen, und es war ihm, als wenn ihn Ungewißheit beschliche, ob er nicht doch am Ende das Opfer einer Augen- oder Sinnestäuschung sei; und aus der Klugheit, die er hatte entfalten wollen, aus der pfiffigen Miene, die sein Gesicht hatte zeigen sollen, war eine alberne Blödigkeit, aus dem spöttischen Lächeln, das auf seine Lippen hatte treten wollen, ein dummes Grinsen geworden, so daß er ganz aussah, wie jemand der lachen will, um seine Verlegenheit zu bemänteln. »Na, ich denke doch, bei Dir zu Lande wird Schottisch gesprochen, Palmzweig?« fragte die wundersame Fee in der noch wundersamern Verkleidung, »ich sagte doch, ich hätte mir Dir zu reden!« »Was habt Ihr junges Kampfkücken denn vor mit meinem Kameraden?« fragte Adam Woodcock, der sich anschickte, seinem Kameraden zu Hilfe zu kommen, obgleich er über den Grund von dessen Verwirrung auf durchaus falscher Fährte war. »Mit Euch altem Hahne gar nichts,« erwiderte das jugendliche Stutzerlein, »geht Ihr in aller Ruhe und reicht Euren Falken Pillen zum Abführen! Ich seh es ja an Eurer Tasche und Eurem Handschuh, daß Ihr so was seid wie Falkenier?« Das Stutzerlein lachte, und dieses Lachen rief ihm jenes andre, das er im, Kloster gehört hatte, so deutlich in die Erinnerung, daß er sich kaum, enthalten konnte auszurufen: »Katharina Seyton, so wahr Gott lebt« -- aber er unterdrückte noch rechtzeitig diesen Ausruf und sagte statt, seiner nur: »Mir kommt so vor, mein junger Herr, als seien wir einander nicht ganz fremd.« »Dann müssen wir einander grade im Traume gesehen haben,« sagte der Page, »ich habe tagsüber aber so viel zu tun, daß es mir ganz unmöglich ist, mich um Träume zu kümmern.« »Oder Euch derjenigen bei Tage nicht mehr zu entsinnen, die Ihr abends gesehen habt,« versetzte Roland. Der Page sah ihn verwundert an, dann sagte er: »Ich verstehe von Euren Reden nicht mehr und nicht weniger als dort der Gaul. Soll in Eurer Rede ein Tort gegen mich liegen, so steh ich nicht an, Euch darüber zur Rede zu stellen, wie jeder andre junge Kavalier von Edinburg.« »Daß ich mich mit Euch nicht in Händel einlassen werde, wißt Ihr recht gut,« erwiderte Roland, »wenn's Euch beliebt mit mir wie mit einem Fremden zu reden. Mir muß ja jeder Streit mit Euch fern liegen.« »Dann laßt mich in Ruhe den Auftrag ausrichten, den ich für Euch habe« sagte der Page. »Aber, tretet ein wenig hier herüber, damit uns das alte Falkenleder nicht hört.« Sie trat in einen Verschlag am Fenster, der Jüngling kehrte der Gesellschaft in der Gaststube den Rücken zu, nachdem er sich noch einmal mit scharfen Blicken rings umgesehen, dann zog er unter seinem Purpurmantel ein kurzes, aber fein ziseliertes Schwert hervor, dessen Griff und Scheide mit silbernem Zierat ausgelegt waren, und sprach zu Roland wie folgt: »Ein Freund sendet Euch diese Waffe und schenkt sie Euch unter der Bedingung, daß Ihr sie nicht früher ziehen sollt, als bis es Euer angestammtes Oberhaupt Euch befiehlt. Weil man Euer heißes Blut kennt, und Eure Keckheit, Euch um ungelegte Eier zu bekümmern, soll dies Eure Strafe sein, erteilt von denjenigen, die Euch wohlwollend gesinnt sind und deren Hand bestimmt ist, in Euer Geschick einzugreifen. Dies ist mein Auftrag. Wollt Ihr nun ein ehrliches Wort austauschen gegen ein gutes Schwert und Euer Gelübde durch Handschlag und Handschuh verpfänden, dann laß ich Euch meinen Flamberg da, andernfalls bin ich gehalten, ihn denen wieder zurückzubringen, die ihn mir übergeben haben.« »Ich darf nicht fragen, wer die Auftraggeber sind?« fragte, die herrliche Waffe bewundernd, Roland. »Mein Auftrag ermächtigt mich nicht, auf solche Frage Bescheid zu tun,« sagte das Stutzerlein im Purpurmantel. »Und auch, wenn mich Beleidigung trifft, soll ich nicht vom Leder ziehen dürfen?« fragte Roland wieder. »Nicht dieses Schwert,« versetzte der Page, »aber dazu habt Ihr ja doch das eigne Schwert, das ich Euch doch nicht nehmen soll; und wozu habt Ihr denn Euren Dolch?« »Unter dieser Bedingung, und da es von so lieber Hand kommt, nehme ich das Schwert,« erklärte Roland, »doch glaubt mir, sofern wir in irgend welcher Unternehmung von Wichtigkeit, wie ich ja doch anzunehmen veranlaßt worden bin, gemeinsam handeln, dann wird doch ein gewisser Grad von Vertrauen und Offenheit Eurerseits von nöten sein, um meinem Eifer das nötige Feuer zu geben. Für den Augenblick will ich nicht weiter in Euch dringen. Es genügt mir, wenn Ihr mich versteht.« »Wenn ich Euch verstehe?« wiederholte der Page, jetzt seinerseits unverblümte Verwunderung zeigend, »nicht leben will ich, wenn dem so ist ... Ihr steht da und lächelt und schneidet Gesichter, als wenn Gott weiß welches Wunderding von Rank und Intrige zwischen uns sich abspielte, und dabei habe ich doch weder Euch noch habt Ihr mich gesehen!« »Was?« rief Roland Gräme, »Ihr wolltet in Abrede stellen, baß wir einander schon gesehen hätten?« »Potztausend! vor jedem christlichen Potentaten will ich's beschwören!« rief der andre Page. »Und wollt Ihr ferner leugnen, daß es uns eingeschärft worden ist, uns wechselseitig unsre Gesichtszüge einzuprägen?« rief Roland. »Gedenkt Ihr nicht der Damen Brigitte und Magdalene ...« Hier unterbrach ihn der Page mit mitleidsvollem Achselzucken und sagte: »Was schwatzt Ihr da von einer Brigitte und einer Magdalena? ... Na, das ist doch helle Verrücktheit oder Träumerei! ... Wißt Ihr was, mein Herr Palmenzweig? Mir scheint, Ihr seid nicht mehr recht bei Euch! oder Euer bißchen Griebs ist Aehren lesen gegangen! Trinkt einen guten Magenbitter, oder zieht über Euer krankes Hirn eine wollne Nachtmütze ... und damit Gott befohlen!« Damit war der Page verschwunden. Sechzehntes Kapitel Am andern Morgen dämmerte es kaum, so wurde am Wirtshaus durch laute Schläge am Türklopfer Einlaß begehrt im Namen des Regenten. Gleich darauf stand Michael Wingthewind vor unsern Reisenden, die sich in den Betten befanden. »Auf, auf!« rief er, »wenn Murray ruft, ist's aus mit Schlaf!« Im Nu waren beide aus den Betten und auf den Beinen. »Alter Freund,« sagte Michael zu Adam, »Ihr müßt sofort aufsitzen mit diesen Schriftstücken nach Kennaqhueir und Avenel! dies eine hier dem Abt, und jenes andre dem Ritter Avenel behändigen.« »Das heißt also auf schottisch: die Mönche sollen die Abtei räumen,« rief Adam, die Schreiben in seine Jagdtasche steckend, »und mein Herr soll dafür sorgen, daß es prompt geschieht. Aber zwei Brüder aufeinander zu hetzen ist keine rühmliche Sache.« »Kümmert Euch nicht um ungelegte Eier,« verwies ihn Michael, »sondern macht, daß Ihr in den Sattel kommt, denn werden die beiden Befehle nicht sofort vollstreckt, dann wird man vom Marienkloster bald bloß noch die Mauern und vom Schloß Avenel nicht viel mehr sehen. Ich hörte Murray in heftigem Disput mit Morton, und wir sind beide so gestellt miteinander, daß über Kleinigkeiten keine Differenzen erwachsen dürfen.« »Ist noch vom Abte der Unvernunft die Rede gewesen, oder gilt das als beigelegt?« »Das hat man als Jux nicht weiter beachtet, weil's keinen Schaden gestiftet hat. Aber laßt künftig die Finger von solchen Geschichten und denkt an die Mortonsche Jungfer.« »Die soll mir den Hals nicht wegsäbeln,« meinte Woodcock und schlang sich das Tuch dreimal um den dicken, sonnverbrannten Hals, indem er dreimal hintereinander Roland zurief, sich schnell fertigzumachen. »Laßt den Pagen in Ruh,« sagte Wingthewind, »der begibt sich nicht mit Euch zurück, für den hat der Regent einen andern Auftrag.« »Alle Heilige! Herr Roland Gräme soll hier bleiben?« rief Woodcock, »und ich soll allein nach Avenel zurück? Aber das geht doch nicht! so ein junges Blut weiß sich doch nicht durch die Welt zu bringen! da gibt's doch der Fälle noch gar zuviel, wo er auf meiner Pfeife Lockruf hören muß!« Roland schwebten schon Worte auf der Zunge, den Falkner auf eine Gelegenheit zu verweisen, bei der er selber besser gefahren wäre, wenn er auf andrer Rat geachtet hätte, aber er unterließ die Bemerkung, als er die echte Bekümmernis auf dem Gesichte des braven Alten über die Trennung wahrnahm. Indessen kam er ohne Neckerei doch nicht los, denn Michael nahm ihn jetzt beim Arme und fragte ihn: »Aber sag doch bloß, Alter, was ist denn mit Deinen Augen? die sind ja geschwollen, als sollten sie aus den Höhlen treten!« »Ach, laß meine Augen!« versetzte unwirsch Adam, »das kommt vom Schlafen auf den vermaledeiten Schloßpritschen! ich laß mir einen Holzapfel braten und setz eine Flasche Bier drauf, da wird die Geschwulst bald weg sein!« »Recht so, Adam! ich werde Dir Deinen Gaul satteln lassen und für den Holzapfel sorgen. Aber spute Dich! Der Regent hat's eilig!« Während seiner Abwesenheit nahm Woodcock den Pagen, bei der Hand. »Mein lieber Roland,« sagte die biedre Seele, »wer weiß, ob wir je wieder einen Falken zusammen steigen lassen. Mir tut's leid, daß wir scheiden müssen, als wenn Ihr mein eigner Sohn wärt, nehmt's mir nicht übel! Ich weiß nicht, woher es kommt, aber ich kann's nicht ändern, Ihr seid mir lieber als jeder andre Junge auf dem Schloß. Drum laßt Euch heut dreierlei noch sagen zum Abschied, Roland! Ihr sollt Euch nun allein bewegen in dieser unruhigen Welt, in der wir uns zurzeit befinden. Also merkt Euch folgendes: Zieht Euren Dolch nicht bei geringfügiger Veranlassung, denn nicht jedermanns Wams möchte so ausgepolstert sein, wie das des Unvernunftabtes; lauft nicht jeder hübschen Dirne nach wie der Sperber der Drossel! denn Ihr werdet nicht immer güldne Ketten dabei ergattern; und drittens: nehmt Euch vorm Kruge in acht! ein guter Trunk hat schon klügre Männer als Euch um die gesunden fünf Sinne gebracht. Und nun, lieber Junge, lebt wohl. Wir haben zu mehr jetzt keine Zeit ... Aber da habt Ihr noch Eure Kette und Euer Medaillon! fast hätt ich beides vergessen. Verwahrt die Dinge gut, denn sie sind massiv und können Euch in manchem Fall der Not zum Nutzen sein. Aber seid auch hübsch vorsichtig damit!« Roland erwiderte den warmen Händedruck des braven Falkners, trug ihm auf, seiner Gebieterin zu sagen, daß es ihn noch jetzt schmerze, ihr weh getan zu haben, und daß er sich in der Welt so aufführen werde, daß es ihr zur Freude gereichen solle, wie es ja um des gütigen Schutzes willen, den sie ihm gewährt habe, für ihn Pflicht und Schuldigkeit sei. Dann bestieg der Falkner seinen frischen, gut gefütterten Gaul und trabte von dannen. Jeder Hufschlag schien Roland Gräme zu treffen, denn er fühlte, wie innig auch er an dem braven Manne hing und wie seltsam es ihm zu Mute war, jetzt allein, bloß auf sich selbst angewiesen, in der Welt zu stehen. Aber Michael kam jetzt zurück und riß ihn aus seinem Sinnen durch den Zuruf, daß der Regent auf ihn warte. Er müsse sich außerordentlich sogar beeilen, denn es sei heut eine sehr eilige Staatsratssitzung anberaumt und der Regent habe ausdrücklich befohlen, den Pagen vorher ihm zuzuführen. Michael führte Roland in ein kleines, mit Teppichen dicht belegtes Zimmer, wo Graf Murray im dunkelfarbigen Schlafrock, in Pantoffeln und Mütze auf einem Sessel saß. Aber auch bei dieser bequemen Morgentracht trug er den Degen an der Seite, halb aus persönlicher Vorsicht, halb den Vorstellungen seiner Freunde sich fügend. Auf die ehrfurchtsvolle Verbeugung des Pagen antwortete er durch ein Nicken. Dann ging er ein paarmal in dem Zimmer auf und nieder, den Blick scharf auf Roland gerichtet, wie wenn er im Innern seiner Seele lesen wolle. Endlich brach er das Schweigen durch die Frage: »Julian Gräme lautet Euer Name -- nicht so?« »Roland Gräme,« versetzte der Page, »nicht Julian, gnädigster Herr!« »Ach richtig, mein Gedächtnis hat mich im Stich gelassen. Roland Gräme aus dem bestritten Lande, richtig! ... Nun, Roland! Dir sind die Obliegenheiten im Dienst einer Dame bekannt?« »Ja, gnädigster Herr, denn ich bin auferzogen worden im Dienste der Dame von Avenel. Aber ich denke sie nie wieder zu üben, da mich der Ritter von Avenel ...« »Schweigt, Bursche,« fuhr der Regent ihn an, »zu sprechen habe hier ich, und Ihr habt zu hören und zu gehorchen. Es ist notwendig, daß Ihr auf einige Zeit wieder in den Dienst einer Dame tretet, die an Rang in Schottland nicht ihresgleichen hat. Ist dieser Dienst vorüber, und ward er prompt erfüllt, dann soll Eurem Ehrgeiz, darauf gebe ich Euch mein gräflich Wort, eine Bahn sich eröffnen, die dem stolzesten Manne recht sein dürfte ...« Als Roland inne wurde, daß der Regent eine Antwort zu erwarten schien, fragte er: »Darf ich wissen, wem ich meine Dienste widmen soll?« »Das sollt Ihr später erfahren,« versetzte der Regent, dann fügte er mit sichtlichem Widerstreben hinzu: »Oder warum soll ich's Euch nicht gleich sagen? erfahren müßt Ihr's doch ... in den Dienst der erhabensten und doch unglücklichsten Frau von ganz Schottland sollt Ihr treten, in den Dienst Marias von Schottland ...« »Ich in den Dienst der Königin, gnädiger Herr?« rief der Page, völlig außer stande, sein Staunen zu unterdrücken. »Die einst Königin war!« sagte Murray mit seltsamer Mischung von Unmut und Verlegenheit im Tone seiner Stimme, »Ihr dürft nicht außer acht lassen, daß ich an ihrer Statt das Regiment in Schottland führe.« »Werde ich Königlicher Hoheit am Orte ihrer Gefangenschaft zu dienen haben?« fragte der Page mit treuherziger Unbefangenheit, durch die er den Staatsmann halb und halb aus der Fassung brachte. »Sie ist nicht in Gefangenschaft, das verhüte Gott!« erwiderte der Regent verdrießlich, »bloß entfernt von Staats- und öffentlichen Geschäften, bis sich die Verhältnisse wieder so weit beruhigt haben, daß sie sich ihrer unbeschränkten Freiheit wieder erfreuen darf, ohne ihren königlichen Sinn den Ränken schlimmer Menschen ausgesetzt zu sehen. Da sie,« setzte er hinzu, »von Rechts wegen mit einer ihrer abgeschiednen Lage angemessnen Dienerschaft umgeben werden muß, auf deren Klugheit ich mich verlassen kann, ist, was den Pagendienst angeht, meine Wahl auf Euch gefallen. Ihr seid anstellig, in Euren Mienen lese ich, daß Ihr Verständnis für die Aufgabe habt. Hier in diesem Schriftstück sind die Obliegenheiten niedergelegt, die Ihr zu erfüllen habt. Aber was vor allem von Euch erwartet wird, ist Treue. Ihr sollt wachen, über jeden Versuch, über jede aufkeimende Neigung, mit irgend einem der im Westen des Landes sässigen Lords, mit Hamilton, Seyton, Fleming u. s. w., die sich zu Häuptern der uns feindlichen Partei aufgeworfen haben, Beziehungen oder Verkehr anzuknüpfen. Es wird Euch demnach zur Pflicht gemacht, über alles, was Euch in Eurem Dienste auffällt, meiner Mutter, bei der sich zurzeit meine Schwester als Gast aufhält, zu berichten, über jeden Verdacht, der Euch aufsteigt, meine Schwester könne sich mit der Absicht tragen, ihren Aufenthaltsort zu wechseln, oder gar etwa mit Angehörigen fremder Staaten Verbindungen anzuknüpfen. Sollte aber sich irgend etwas von Bedeutung tatsächlich ereignen, so sollt Ihr ohne allen Verzug direkte Boten an mich absenden, und zur Bewerkstelligung all dessen, was in solchem Falle von nöten, nehmt hier diesen Ring, der Euch jedem ausweist als meinen Vollmachtträger. Und nun geh, mein Sohn!« verabschiedete ihn der Regent und legte wiederum die Hand auf Rolands Schulter, diene mir treu, und so wahr ich Graf Murray bin, Dir soll hoher Lohn werden!« Roland verneigte sich und stand im Begriffe, sich zu entfernen, da gab ihm der Graf ein Zeichen, noch zu verweilen. »Ich habe großes Vertrauen in Dich gesetzt, mein Sohn, denn Du bist der einzige meines Gefolges, der auf meine eigne Empfehlung zu meiner Schwester gesandt wird. Ihre Kammerfrauen hat sie sämtlich sich selbst gewählt. Sie solches Vorrechts berauben zu wollen, wäre übertriebne Härte gewesen, wenn auch einige Mitglieder des Staatsrats hierfür stimmten ... Du bist jung und ein schmucker Gesell. Mach ihre Torheiten mit, aber achte darauf, daß hinter Torheiten sich nichts Ernsteres verbirgt, und werden Minen gelegt, dann lege Du Gegenminen! Im übrigen betrage Dich mit allem Anstand und aller Ehrerbietung gegen Deine Herrin, denn sie ist Fürstin, wenn auch vom Unglück beherrscht, und sie war Königin, Königin von Schottland! wenn sie es auch, leider! jetzt nicht mehr ist -- Und nun leb wohl! -- Doch halt, noch eins! Du reitest mit Lord Lindesay. Sieh Dich vor, ihm nicht zu nahe zu treten! er ist ein rauher Herr, der keinen Spaß versteht ... und Du, mein Sohn, sollst, wie ich vernommen, zuweilen vorlaut, man hat sogar gesagt, naseweis sein.« Diese letzten Worte sprach er mit freundlichem Lächeln. Dann fügte er noch hinzu: »Mir wäre es freilich lieber gewesen, der Staatsrat hätte einen Lord von bessrer Bildung mit solcher Botschaft beordert.« »Und warum, Mylord?« fragte Graf Morton, der grade ins Zimmer trat, um diese Schlußworte noch zu hören. »Der Staatsrat hat entschieden, daß Lord Lindesay der beste sei für diese Aufgabe, denn es fehlt uns wahrlich nicht an Proben von Halsstarrigkeit dieser Dame, und eine Eiche, die der scharfen Axt von Stahl widersteht, muß durch rauhen Eisenkeil gespalten werden ... So? dies soll der Page sein? Nun, Mylord hat Euch wohl instruiert, junges Bürschchen, wie Ihr Euch zu verhalten habt. Indessen will ich Euch doch einen kleinen Wink noch beifügen. Ihr steht im Begriffe, Euch nach einem Douglas-Schlosse zu begeben. Vergeßt nicht, Knabe, daß noch in keinem Douglas-Schlosse Verrat gedieh! die erste Spur von Verdacht wäre der letzte Augenblick, Eures Lebens ... Mein Vetter William Douglas ist ein wilder Gesell. Wittert er Argwohn gegen Euch, dann tanzt Ihr, ehe die Sonne über seinem Zorne untergeht, auf den Schloßzinnen Schwebewalzer im Winde! ...« Dann wandte er sich an den Regenten: »Und einen Beichtvater soll die Dame auch erhalten?« »Gelegentlich,« versetzte der Regent, »denn ihr den geistlichen Trost vorenthalten zu wollen, wäre doch mehr als grausam.« »Mylord, immer wieder weichherzig?« fragte Graf Morton. »Solch falscher Priester ebnet ihren Klagen nicht bloß den Weg zu unsern Widersachern in Schottland, sondern auch zu den Gassen in Frankreich und zu den Glaubensgenossen in Rom und Madrid!« »Seid ohne Sorge!« erwiderte der Regent, »es sollen Maßregeln getroffen werden, die jede Verräterei unmöglich machen.« Hierauf wandte sich der Regent zu dem Pagen, wie wenn ihm einfiele, derselbe sei nun lange genug bei einer Unterredung, die ihn eigentlich nichts mehr anginge, anwesend gewesen, und befahl ihm, ohne Säumen aufzusitzen, da Lord Lindesay bereits fertig zum Ausritt sei. Roland verneigte sich und verließ das Zimmer. Im Hofe hielt ein Kommando von etwa dreißig Berittenen unter einem Befehlshaber, dem man Zorn und Ungeduld deutlich genug ansah. »Ist das der Maulaff von Page, auf den wir so lange haben warten müssen?« fuhr er Michael an, »Lord Ruthven wird nun vor uns im Schloß eintreffen.« Michael bejahte die Frage, fügte aber bei, daß der Regent den Pagen nicht früher zu entlassen geruht habe. Lord Lindesay brummte einige unverständliche Worte, die sich anhörten wie, daß man sich mehr bieten lassen müsse, als auf eine Kuhhaut ginge; dann rief er einen Reiter heran, der noch grimmiger aussah als der Lord selbst, und rief ihm zu: »Nimm den Musje unter Deine Obhut, Edward! Außer mit Dir soll er mit niemand reden!« Dann wandte er sich an einen bejahrten Herrn von ehrwürdigem Aussehen, den er mit »Sir Robert« anredete und der der einzige in dem Trupp zu sein schien, der ihm an Rang gleichstand, mit der Bemerkung, es sei nun an der Zeit aufzubrechen. Während dieses Gesprächs der beiden Lords hatte Roland Zeit, sie sich anzusehen. An Lord Lindesay von Byres, dem Führer des Zuges, waren die Jahre gewissermaßen spurlos vorübergegangen. Die stramme aufrechte Haltung und sein kräftiger Gliederbau ließen erkennen, daß er den Beschwerden des Krieges noch immer gewachsen sei. Ueber den großen, von düstrer Glut lodernden Augen hingen dichte Brauen, die ins Graue zu spielen anfingen. Eine Anzahl von Schrammen, Zeuginnen der Schlachten und Kämpfe, die er bestanden, mehrte noch den strengen, abstoßenden Ausdruck seiner Züge. Eine Stahlhaube mit vorspringendem Schirm, doch ohne Visier, überschattete den obern, ein graumelierter Bart, der von der Kinnkette gekreuzt wurde, bedeckte den untern Teil des grimmigen Gesichts. Er trug ein ledernes Wams, das einst mit Stickerei besetzt und mit Seide eingefaßt gewesen war, jetzt aber die Spuren von allerhand Strapazen deutlich an sich trug. Unter dem Wams saß ein Panzer, einst von poliertem Stahl und fein vergoldet, jetzt aber durch Rost stark entstellt. Ein Schwert von seltsamer Größe und altertümlicher Form, mit beiden Händen zu führen, hing an einem Wehrgehenk über beiden Schultern und reichte quer über den ganzen Mann hinweg, so daß der gewaltige Griff über die linke Schulter aufragte, die Spitze aber fast an die Ferse hinunterreichte. Dieses Ungetüm von Waffe, das damals aus dem Brauche zu kommen anfing, ließ sich nicht anders aus der Scheide ziehen als so, daß man den Griff über die linke Schulter hob, denn keines Menschen Arm war lang genug, es auf die gewöhnliche Weise zu bewerkstelligen. Das ganze Bild, das der Mann bot, war das eines rauhen, in seiner äußern Erscheinung den Menschenfeind aufs schärfste markierenden Kriegers, und der abgerissne, strenge Ton, den er gegen sein, Gefolge anschlug, verriet unbedingten Mangel an Bildung. Der neben ihm reitende Mann zeigte den unmittelbaren Gegensatz zu dem rauhen Lord, sowohl in Gestalt und Gesicht wie in Haltung und Wesen. Sein spärliches zartes Haar war auch bereits ergraut, obgleich er nicht über die Mitte der Vierziger sein mochte. Der Klang seiner Stimme war sanft und schmeichlerisch, seine Gestalt schmächtig, hager und leicht gebeugt, das bleiche Gesicht hatte einen auffälligen Zug von Klugheit, eher noch Verschmitztheit, aber auch hoher Einsicht, sein Auge war lebhaft aber freundlich, und sein ganzes Benehmen mild und einnehmend. Er ritt einen Zelter, wie ihn Frauen und geistliche Herren zu reiten liebten, und trug ein Koller von schwarzem Samt, Mütze und Feder von der gleichen Farbe, letztere durch ein goldnes Medaillon gehalten, und -- mehr als Schmuck und Rangabzeichen als zum Gebrauch -- einen Staatsdegen, sonst keinerlei Waffen. Der Zug war aus der Stadt heraus und in gleichmäßigem Tempo in der Richtung nach Westen zu unterwegs. Roland hätte gern über das Endziel ihres Rittes etwas vernommen, aber der Reiter, dem er zugewiesen worden war, zeigte ein so bärbeißiges Gesicht, daß es Roland für geratener hielt zu schweigen. Die gleiche Schweigsamkeit herrschte in dem ganzen Trupp, der eher einer Prozession von Mönchen als einem Kriegerzuge glich, und diese übertriebne Strenge setzte Roland nicht wenig in Staunen, denn selbst der Ritter von Avenel, der auf sehr strenge Mannszucht hielt, gestattete seinen Mannen auf dem Ritt zur Kurzweil den Austausch von Reden wie den Sang eines muntern Reiterliedes. Indessen kam ihm diese Ruhe insofern zu gute, als sie ihm Zeit schuf, die eigene Lage mit Sammlung zu überdenken und sich klar zu werden über die Aufgaben, die ihm die Zukunft, nach den Instruktionen des Ritters zu schließen, stellen mußte. Es lag klar auf der Hand, daß es ihm durch seltsame Fügung der Umstände, deren Aenderung nicht in seiner Hand lag, beschieden worden war, zu den Parteien, die jetzt in Schottland um die Herrschaft rangen, in Beziehungen zu gelangen, die sich unmöglich zusammen vertragen konnten, wenngleich er weder als Anhänger der einen Partei noch der andern gelten konnte. Es wurde ihm jetzt nach und nach klar, daß ihm die gleiche Stellung, zu der ihn der Regent auserwählt hatte, auch von seiner Großmutter, der Frau Magdalena Gräme, bestimmt gewesen war, denn darüber mußte ihn manches Wort, das in der Unterhaltung zwischen Murray und Morton, deren unwillkürlicher Zuhörer er gewesen war, Aufklärung gegeben haben. Nicht minder klar war es ihm aber, daß ihn der Graf als erklärter Feind, die Großmutter als inbrünstige Anhängerin des katholischen Glaubens, der Graf als der anerkannte Führer einer neuen Regierungspartei, die Großmutter als strenge Verfechterin der alten Legitimität, für diese Aufgabe bei Maria von Schottland ersehen hatte. Es bedurfte nur eines sehr geringen Grades von Witz und Ueberlegung, sich darüber klar zu werden, daß dieser Widerstreit der an ihn gestellten Anforderungen ihn binnen kurzem in eine Situation bringen mußte, in der seine Ehre in schlimmster Gefahr schwebte, Schiffbruch zu leiden, und daß er sein Leben dabei nicht minder in die schwerste Bedrängnis setzte. Aber es lag nicht in Rolands Charakter, sich um Not früher zu sorgen, als sie wirklich da war, und sich mit Schwierigkeiten früher zu befassen, als sie sich tatsächlich zeigten ... »Sehen will ich sie, die unglückliche und schöne Maria Stuart,« sprach er bei sich, »von der ich schon so unendlich viel gehört habe, und dann wird es noch immer Zeit genug sein, sich darüber klar zu werden, ob ich mich zum Regenten oder zur Königin schlage. Kann doch weder die eine noch die andre Partei sagen, ich hätte mich durch Wort oder Spruch verpflichtet, denn sie haben mich beide wie einen blinden Hans an ihrem Gängelbande geführt, und keine hat mir bestimmt gesagt, was sie eigentlich von mir erwartet und will. Ein Glück für mich war's, daß der grimmige Douglas heut morgen ins Kabinett des Regenten schneite, sonst wäre ich ohne Verpfändung der Treue nicht von dem Herrn losgekommen.« Unter solchen Gedanken kam Roland mit der Reiterschar des Lords Lindesay ohne weiter bemerkenswerte Abenteuer, als daß ihnen beim Uebersetzen über die Königinnenfurt ein Pferd lahm wurde -- zur damaligen Zeit ein sehr häufiger Unfall -- und daß von den Zinnen der alten Ritterburg Rosythe nördlich der Fähre, ohne daß zwischen dem Burgherrn und Lindesay Fehde bestanden hätte, eine alte Feldschlange auf sie gefeuert wurde, die aber keinerlei Schaden anrichten konnte ... bis zu dem malerisch schönen See, in dessen Mitte, auf einem Eilande, das alte Schloß Lochleven sich erhebt. Wie heute, so bestand auch damals die wellenumgürtete Burg aus keinem andern Gebäude als einem von einem großen Hofe umschlossenen Gefängnisturme, den zwei Ecktürme flankierten. Den Anblick trostloser Abgeschiedenheit frischten ein paar Gruppen von alten hohen Bäumen auf. Indessen konnte sich der Page, als er sich sagte, daß hier eine jugendliche Königin in Haft gehalten werde, eines tiefen Schmerzes nicht erwehren, und wenn er des eignen Loses gedachte, das ihn an solch öde Stätte führte, so war er von Freude darüber auch fern. Die Reiterschar hatte jetzt das Seeufer erreicht, und einer aus dem ersten Zuge ritt vor, das Fähnlein Lord Lindesays zu entfalten, wahrend der Baron selbst in sein mächtiges Hifthorn stieß. Sogleich stieg als Antwort an der Turmspitze die Burgfahne auf, und ein paar Männer liefen an den See hinunter, das Boot loszumachen. »Es wird geraume Zeit währen,« sagte Sir Robert zum Lord, »ehe sie mit dem Boote herüber sind. »Wär's nicht gut, die Zwischenzeit zu einem Ritt ins Städtchen zu benutzen und unsern Anzug ein wenig in Ordnung zu bringen? Wir können doch unmöglich so schmutzig vor ...« »Haltet Ihr das, wie Ihr wollt!« versetzte Lindesay, »ich habe für solch eitlen Tand weder Zeit noch Lust. Sie hat manch sauern Ritt gekostet und braucht jetzt an meinem schäbigen Mantel und schmutzigem Wams nicht Anstoß zu nehmen. Es ist die Tracht, in die sie ganz Schottland versetzt hat.« »Sprecht nicht so hart,« erwiderte Sir Robert, »denn tat sie unrecht, hat sie's schwer gebüßt! Ihr all die kleinen äußerlichen Huldigungen zu entziehen, auf die sie als Fürstin wie auch als Frau noch Anspruch hat, will mir nach solchem Verlust königlicher Gewalt als überflüssige Herzlosigkeit erscheinen.« »Macht das, wie Ihr wollt, Sir Robert, sag ich Euch nochmals,« fuhr ihn Lord Lindesay grob an, »ich bin zu alt, um die Putzstube einer Dame noch als Geck zu zieren.« »Putzstube, Mylord?« fragte Sir Robert mit einem Blick auf den alten Turm, »beliebt's Euch, die düstre Burg mit den vergitterten Fenster, das Staatsgefängnis einer in Haft genommenen Königin mit solch, lustigem Namen zu belegen?« »Nennt's so oder anders,« versetzte grob der Lord, »wenn der Regent den alten Grobian von Lindesay zu dieser Visite bestimmt hat, statt einen der vielen Stutzer vom Hofe zu nehmen, so wird er wohl gewußt haben, warum, und wie mit dem irre geleiteten Weibe geredet werden muß. Ich habe mich zu dieser Kommission nicht gedrängt, sie ist mir aufgetragen worden, und wenn ich mich ihrer entledige, mag ich nicht mehr Umstände damit haben als eben notgedrungnerweise damit verknüpft sein müssen.« Mit diesen Worten sprang der Lord vom Pferde und warf sich ins Gras, um auf das Boot zu warten, während seine Reiter im Sattel blieben. Sir Robert Melville war gleichfalls abgestiegen und ging mit verschränkten Armen am Gestade auf und ab, den Blick oft nach dem Turme hinüber lenkend, dessen unheimliches Düster ihm Betrübnis und Kummer zu machen schien. Die Fährleute näherten sich inzwischen dem Ufer. Kaum hatte der Lord das Boot mit einem Blicke gesehen, als er den Mann am Steuer anfuhr, weshalb er kein größeres gebracht habe, sein Gefolge mit überzusetzen. »Mit Verlaub,« antwortete der Mann, »weil der Befehl der gnädigen Frau lautet, nicht mehr als vier Personen zur Burg hinüber zu rudern.« »Deine gnädige Madam ist eine kluge Sibylle,« versetzte Lindesay, »daß sie in mir Verrat wittert. Aber hätt ich dergleichen im Sinne, was hinderte mich wohl, Dich und Deine Leute ins Wasser zu schmeißen und mit meinen Mannen das Boot zu füllen?« Der Mann am Steuer wiederholte, daß er nach seinem Befehle handeln müsse, er wolle aber zurückrudern und eine Aenderung des Befehls zu erwirken suchen. »Tut das, Mann,« sagte Sir Robert Melville, nachdem er sich umsonst bemüht hatte, den Lord zu einer Beschränkung seines Gefolges auf die kurze Zeit zu bestimmen ... »Wartet,« rief Lord Lindesay dem Fährmanne zu, »nehmt hier den Pagen mit hinüber, der für den Gast Eurer Gebieterin ausgesucht worden ist ... Abgesessen, Musje!« befahl Lord Lindesay dem Pagen, »fahr mit dem Boote hinüber!« »Und was wird aus meinem Rosse?« fragte der Page, »für das ich doch meinem Herrn verantwortlich bin?« »Der Sorge will ich Dich überheben,« brummte Lindesay ihn an, »in den nächsten zehn Jahren sollst Du nicht viel zu Pferde kommen.« »Wenn ich das glauben müßte ...« hob Roland an, wurde aber von Sir Robert unterbrochen, der in beschwichtigendem Tone zu ihm sagte: »Füge Dich, junger Freund! Widerspruch kann hier nichts frommen, bloß Dich in Gefahr setzen.« Roland Gräme fühlte, wie richtig es sei, sich den Vorstellungen Sir Melvilles zu fügen, ohne dem rauhen Baron auf seine Grobheit weitere Antwort zu geben, und stieg in das Fährboot. Die Ruder griffen ins Wasser, und bald war Robert an dem neuen Schauplatze seines Lebens. Siebzehntes Kapitel Am Hoftore stand die stattliche Lady Lochleven, die einstige Geliebte König Jakob des Fünften, dem sie den Grafen Murray, den derzeitigen Regenten von Schottland, geboren hatte. Da sie von edler Abkunft war und aus dem uralten Geschlechte der Mar stammte, wie auch von hervorragender Schönheit war, hatten sich nach dem Könige Jakob noch andre Freier für sie gefunden, und unter ihnen hatte sie Sir William Douglas von Lochleven den Vorzug gegeben. Aber weder der hohe Rang, den sie als Lady Lochleven einnahm, noch die Eigenschaft als Mutter einer Reihe von rechtmäßigen Kindern, noch die hervorragenden Talente, und die Macht und Würde ihres außerehelichen Sohnes, der jetzt das Staatsruder führte, waren im stande gewesen, sie in der Gesellschaft und im öffentlichen Leben als makellos gelten zu lassen. Und sie selbst fand nie die volle Lebensfreude wieder, denn immer nagte an ihr die ihr von dem Könige Jakob angetane Ungerechtigkeit, sie nicht zur Königin zu erheben, denn in diesem Falle hätte sie jetzt in ihrem Sohne den rechtmäßigen Landesherrn über Schottland gesehen, und das Geschlecht der Mar hätte sich rühmen dürfen, unter seinen Töchtern eine Königin zu besitzen, statt in ihr jetzt eine jener Frauen sehen zu müssen, denen weibliche Schwäche anhaftet und die immer im Munde der Leute bleiben, auch wenn sie sich eines königlichen Liebhabers zu rühmen hatten. Dieser Kummer prägte sich auch in ihren Gesichtszügen aus, die aber trotzdem noch immer schön zu nennen waren. Vielleicht fand auch bei ihr ein altes Wort, dessen letzte Hälfte von »alten Betschwestern« spricht, bis zu einem gewissen Grade Anwendung, denn sie hatte in ihre Vorstellungen von religiösem Wandel grade jene schlimmsten Irrtümer aufgenommen, die die Segnungen christlichen Evangeliums auf diejenigen beschränken, die sich zu den strengsten Sittenlehren der Kirche bekennen. In allen Hinsichten war die unglückliche Königin Maria Stuart als der gezwungne Gast oder vielmehr als Gefangne des Schlosses Lochleven von dieser verbitterten Dame abhängig, der sie schon darum ein Dorn im Auge war, weil sie die legitime Tochter eben jenes Königs Jakob aus seiner Ehe mit Maria von Guise war, um derentwillen ihr Sohn hatte zurückstehen müssen, und weil sie katholischen Glaubens war, den sie tiefer als das Heidentum verabscheute. Diese Frau, deren scharf geschnittene, aber wie schon bemerkt, noch immer schöne Gesichtszüge von einer schwarzen Samthaube überschattet wurden, fragte jetzt den im Boote heranrudernden Diener, wo Lord Lindesay und Sir Melville geblieben seien. Der Diener teilte ihr mit, was sich drüben zugetragen hatte, und die Lady erwiderte spöttisch: »Solchen Narren muß man schmeicheln, nicht aber der Quere sein. Rudre wieder hinüber, Randal, und entschuldige Dich, so gut Du kannst; sage, Lord Ruthven sei schon im Schlosse und sehe Lord Lindesays Ankunft mit Ungeduld entgegen. Tummle Dich, Randal -- aber sprich, was bringst Du uns denn da für einen Springinsfeld mit herüber?« »Mit Verlaub, meine Gnädige, es ist der Page für ...« »Ach, richtig,« meinte Lady Lochleven, »der neue Günstling! gestern ist ja auch die kleine Zofe angelangt.. Durch diese Dame bekomme ich einen recht bunten Haushalt, hoffentlich findet man bald eine andre, die sich statt meiner solcher Mühe unterzieht. Fahr jetzt hinüber, Randal, und Ihr, Musje Springinsfeld, begebt Euch mit mir in den Garten!« Langsamen, vornehmen Schritts ging sie voraus nach dem kleinen Garten, der von einer mit Statuen geschmückten Steinmauer umfriedigt war und in dessen Mitte eine Fontäne spielte. In dem engen Bereiche seiner regelmäßig angelegten Gänge lernte Maria Stuart sich in die Gefangnenrolle schicken, die ihr mit Ausnahme einer kurzen Unterbrechung hinfort bestimmt sein sollte. Zwei Dienerinnen begleiteten sie auf ihrem langsamen, eintönigen Spaziergange, aber mit dem ersten Blicke, den Roland auf die schöne, durch hohe Gaben des Geistes, herrliche Leibesschönheit und hohe Geburt ausgezeichnete Frau warf, fühlte Roland sich in Fesseln geschlagen. Gesicht und Gestalt dieser unglücklichsten aller Königstöchter haben sich der menschlichen Phantasie so tief eingeprägt, daß es selbst nach Verlauf drei voller Jahrhunderte überflüssig ist, eine Schilderung der selbst dem unwissendsten Leser bekannten Züge dieses merkwürdig schönen Antlitzes zu geben, das alle Begriffe von Hoheit, Liebreiz und Glanz in sich vereinigte und in Zweifel darüber ließ, ob in ihm die Herrscherin oder das vollendet schöne Weib glücklicher zum Ausdrucke trat. Wem träte dieses Antlitz, wenn er den Namen Maria Stuart hört, nicht vor die Seele, ganz wie ihm das Antlitz der Geliebten seiner Jugend vor die Seele tritt oder der Lieblingstochter seiner reiferen Jahre? Selbst jene, die allem oder manchem, was ihr von ihren Feinden zur Last gelegt wird, Glauben beimessen, können nicht anders als mit einem Seufzer an ein Antlitz denken, das auf alles andre schließen läßt, bloß nicht auf die schändlichen, ihr schon bei Lebzeiten beigemessenen Verbrechen, die in der Geschichte ihr Andenken verdüstern: an jenes Antlitz mit der hohen königlichen Stirn, den Brauen von solch regelmäßiger und gegen den Tadel der Schalheit durch die herrliche Wirkung der nußbraunen Augen so tief gesicherter Schönheit, mit der echt griechischen Nase, dem ebenmäßig, so überaus lieblich geformten Munde, daß von ihm nur Liebes und Lauteres zu erwarten stand, mit dem Grübchen im Kinn und den zart gerundeten Wangen: an jenes von so reichem Haar gekrönte Antlitz auf dem hohen Schwanenhalse, das eine solche Allgewalt übte, daß es nach so langer Zeit noch der Gegenstand nicht bloß kalter Bewunderung, sondern heißer romantischer Verehrung geblieben ist!? Mit unvergleichlicher Anmut in Mienen, Gestalt und Wesen, aber in tiefer Trauer kam Maria Stuart der Dame entgegen, die ihrerseits Abneigung und Scheu unter ehrerbietiger Kälte zu verbergen suchte, hatte sie ja schon oft die geistige Überlegenheit der Königin durch versteckten, aber beißenden Spott erfahren. Die Verbeugung der Lady Lochleven erwiderte die Königin durch ein leichtes Nicken. »Das Glück ist uns hold, wir genießen heute die Gesellschaft unsrer liebenswürdigen Wirtin zu ungewöhnlich früher Stunde. zu einer Zeit, die man uns sonst für unsre einsamen Spaziergänge vergönnte. Unsre liebe Wirtin weiß jedoch, daß ihr der Zutritt zu unsrer Person jederzeit frei steht, und daß sie nicht an die Förmlichkeit gebunden ist, unsre Erlaubnis für Besuche erst einzuholen.« »Recht bedauerlich, daß Eure Gnaden mein Erscheinen als Zudringlichkeit auffassen,« erwiderte Lady Lochleven, »ich kam jedoch nur in der Absicht, Euch, die Ankunft eines jungen Menschen anzukündigen, der hinfort Euer Gefolge vermehren soll -- ein Fall, der doch in der Regel uns Frauen nicht so ganz gleichgültig ist.« »O, ich bitte um Verzeihung, edle Frau! das Gefühl des Dankes gegen meine edlen, oder sage ich richtiger, gnädigen Herren drückt mich zu Boden.« »Allerdings sind die Herren darauf bedacht gewesen, ihre Wohlmeinenheit Euer Gnaden zum Ausdruck zu bringen, wenn auch vielleicht, wie ich meine, zum Teil auf Kosten der Vorsicht, indessen hoffe ich, man werde, was sie getan, nicht mißdeuten.« »Unmöglich, ganz unmöglich!« sprach die Königin, »die Güte, der Erbin einer Königskrone, der gesalbten Königin von Schottland zwei Kammerzofen und einen Pagen zur Bedienung zu vergönnen, ist etwas, was eine Maria Stuart vollauf zu würdigen weiß. Aber die Kosten, die durch solchen Zuwachs an Gefolge für den Haushalt unsrer gütigen Wirtin erwachsen, sind sicher Ursache für die Wolken, die ich auf Eurer Stirn sehe. Ach, lasset den Mut nicht sinken! die Krone Schottlands hat manch schönes Lehen, und Euer wohlgeneigter Sohn, mein lieber Bruder, wird sicher Euren Gemahl mit dem besten Krongute belehnen, ehe Maria den Fuß von diesem Schlosse setzt. Wie ginge es an, einer Lady Lochleven Lasten aufzuerlegen, wenn ihr die Mittel fehlen, sie zu tragen?« »Das Haus Douglas von Lochleven hat sich allzeit seiner Pflichten gegen den Staat entledigt ohne Rücksicht auf Lohn, auch wenn der Auftrag mit Verdruß oder Gefahr verknüpft war,« erwiderte Lady Lochleven. »Aber, liebe Lochleven,« scherzte die Königin, »Ihr nehmt die Sache zu gewissenhaft! nehmt doch lieber ein gutes Kronlehn an, wenn's Euch geboten wird! Wovon sollte die Königin von Schottland wohl leben, wenn nicht von ihren Krongütern, wenn sie Gast ist an solch fürstlichem Hofe? ... und wer sollte für eine Mutter besser sorgen können als ein so wohlgeneigter Sohn wie Murray? der Wohlwollen und Macht in solch wunderbarer Weise in seiner Hand vereint? ... Oder meintet Ihr, die Gefahr des Auftrags sei es, was Eure sanfte, gastfreundliche Stirn umwölkt? ... Freilich, freilich, ein Page ist ein so erheblicher Zuwachs zu meiner weiblichen Leibgarde, daß Lord Lindesay nur recht daran tut, ohne vielköpfiges Gefolge sich nicht in solch furchtbare Nähe zu wagen!« Lady Lochleven stutzte. Ihr Blick verriet Erstaunen. Maria aber ging plötzlich von dem Tone erkünstelter Freundlichkeit in den des strengen Befehls über und sprach mit der vollen Hoheit ihres königlichen Ranges: »Ja, Lady Lochleven, ich weiß, daß Ruthven sich bereits im Schlosse befindet, und daß Lindesay am andern Ufer der Ueberfahrt harrt, in Gemeinschaft mit Sir Robert Melville. In welcher Absicht kommen die Herren, und wie kommt es, daß ich nicht in geziemender Ordnung von ihrer Ankunft unterrichtet wurde?« »Nach ihrer Absicht,« antwortete Lady Lochleven, »müssen Euer Gnaden diese Herren schon selbst befragen, und eine formelle Anordnung erübrigt sich wohl, da Eure Gnaden über so geschickte Spione in ihrer Umgebung verfügen.« »Ach, arme Fleming,« sagte die Königin, sich an die ältere Dienerin wendend, »man wird Dich verhören, verdammen, hängen, weil Du das Pech hattest, über den Saal zu gehen, als Lady Lochleven mit ihrer kräftigen Stimme ihrem Lotsen Randal die Weisungen für die Ueberfahrt erteilte ... Mädchen, stopft Euch Watte in die Ohren, sofern Euch daran liegt sie zu behalten! Vergeßt nicht, im Schlosse Lochleven sind Ohren und Zunge Dinge, die man bloß zum Staate hat und nicht gebrauchen darf ... kann doch unsre liehe Frau Wirtin hören und schwatzen für uns alle! ... Gewiß, meine liebe Lochleven, Wir entheben Euch der Verpflichtung längern Verweilens. Entfernt Euch, bitte, und bereitet die Zusammenkunft mit Unsern meuterischen Lords vor! Das Vorzimmer Unsers Schlafgemachs mag Unser Audienzsaal sein, Ihr aber,« wandte sie sich jetzt an Roland, indem sie die bisherige Bitterkeit ihres Tones zu gutmütigem Scherz umstimmte, »Ihr Gesamtinbegriff Unsers männlichen Gefolges vom Oberhofmarschall bis zum Läufer hinunter, Ihr wollt mit Uns gehen, die Anstalten zu Unsrer Audienz zu treffen.« Sie drehte sich um und ging langsam dem Schlosse zu. Roland folgte ihr, eine Wendeltreppe hinauf, zum zweiten Stockwerk, wo drei ineinander gehende Zimmer der in Gefangenschaft gehaltenen Fürstin als Wohnung angewiesen waren. Das vorderste Zimmer war ein kleiner Saal oder auch Vorgemach, der zu dem eigentlichen Wohngelaß führte, und an dieses stieß das Schlafgemach der Königin. In einem kleinen Nebenzimmer schliefen die beiden Kammerfräulein. Roland blieb, wie es seinem Dienst sich schickte, in dem Vorgemach und harrte hier der für ihn bestimmten Befehle. Vom Gitterfenster aus sah er Lord Lindesay, Sir Melville und ihr Gefolge aus dem Boote steigen. Im Schloßtore sah er einen dritten Adeling den beiden andern entgegengehen. Dann hörte er, wie Lord Lindesay mit seiner rauhen Stimme sagte: »Mylord Ruthven, Ihr seid früher da als wir!« In diesem Augenblick drang ans dem Wohngemach der Königin ein tiefes Stöhnen. Die beiden Kammerfräulein schrieen ängstlich auf und der Page eilte schnell zur Hilfe. Die Königin lag in einem Armsessel und rang nach Luft, die ältere Kammerdame hielt sie in den Armen, während die jüngere ihr das Gesicht abwechselnd mit Wasser und Tränen netzte. »Lauft, Page, nach Hilfe! die Königin wird ohnmächtig,« rief die ältere Kammerdame. Die Königin aber rief mit gebrochner Stimme: »Bleibt! ich befehle es. Ruft niemand zum Zeugen meiner Schwäche! ich fühle mich schon besser. Es wird gleich vorüber sein.« Sie richtete sich auch wirklich schnell in die Höhe, wenn auch mit der Anstrengung eines Menschen, der um sein Leben ringt, und wenn auch ihr Gesicht von der erlittenen Anstrengung zitterte. »Mädchen,« sprach sie nach einer Weile, »ich schäme mich meiner Schwäche; aber es ist verwunden, und ich bin wieder Maria Stuart. Der rauhe Ton des Mannes, der mir am widrigsten ist von all diesen puritanischen Flegeln, seine mir bekannte Frechheit, der Name, den er nannte, sowie die Absicht, die sie herführt, mögen mir Entschuldigung sein für eine momentane Schwäche, aber sie soll nicht wiederkehren! Diese Menschen sollen mich stark finden!« Sie ließ die Haube, die ihr während des Anfalls von Krämpfen in Unordnung geraten war, zur Erde fallen, dann strich sie mit den Händen durch das braune Lockenlabyrinth, dann erhob sie sich von dem Sessel und richtete sich auf. Wie eine begeisterte Seherin des alten Griechenlands stand sie da in einer Stellung, in der sich Bekümmernis und Stolz, Lächeln und Tränen mischten. »Wir sind kümmerlich ausgestattet, unsre meuterischen Untertanen zu empfangen, aber soweit es in unserm Vermögen liegt, wollen wir ihnen, wie es ihrer Königin geziemt, gegenüber treten. Folgt mir, liebe Mädchen, der gewöhnlichen Zierden meiner Würde hat mich Gewalttat, und der geringen, die mir eine gütige Natur verlieh, haben mich Kummer und Angst beraubt.« Aber während sie so sprach, ließ sie wieder die zarten Finger in ihrem Lockenlabyrinthe wühlen, das ihren königlichen Nacken und schwellenden Busen umhüllte, wie wenn ihr in aller Bekümmernis des Herzens doch nicht das Bewußtsein der unerreichten Schönheit ihres Leibes gänzlich abhanden gekommen wäre. Roland Gräme, auf dessen jugendlichen, für alles Schöne begeisterten Sinn die würdevolle Schönheit, das erhabene Benehmen einer erlauchten Frau wie die Wunderkraft einer Zauberin wirkte, stand wie eingewurzelt auf der Schwelle, festgebannt durch Staunen und Mitgefühl, und erfüllt von dem Verlangen, sein Leben in so herrlichem Kampfe, wie der für Maria Stuart sein mußte, zu wagen. Sie war in Frankreich auferzogen, war im Besitz der erhabensten Schönheit, war Königin gewesen, Königin von Schottland, für die doch Menschenkenntnis so unentbehrlich war wie das Einatmen der Luft. Durch dies alles war Maria vor allen Frauen der Erde sicher am meisten geeignet, das Uebergewicht wahrzunehmen, und zu benützen, das ihre Reize wohl auf jeden ausübten, der in ihren Zauberbann geriet. Und sie warf auf Roland Gräme einen Blick, der ein Herz von Marmor hätte schmelzen können. »Mein armes Kind,« sagte sie, mit einer teils aus Klugheit angenommenen, teils aufrichtigen Empfindung: »Du bist unter uns ein Fremder, aus der Nähe einer zärtlich besorgten Mutter, oder Schwester, oder Geliebten bist Du in dieses traurige Gefängnis übergeführt worden. Mich schmerzt Dein Los, denn Du bist das einzige männliche Wesen in meinem knappen Haushalte ... willst Du bereit sein, meinen Befehlen zu gehorchen?« fragte sie, ergriffen und ergreifend. »Bis in den Tod, gnädigste Frau!« sagte Roland in festem Tone. »Dann bewache die Tür dieses Zimmers,« sprach die Königin, »bis diese Männer wirklich Gewalt zu brauchen drohen, oder bis wir unsre Toilette so weit geordnet haben, daß es uns beliebt, ihnen entgegenzutreten.« »Ich werde tun nach Eurem Geheiß, Majestät,« sprach Roland, denn jedes Bedenken, das er früher hegte, wie er sein Benehmen einzurichten habe, war durch den Eindruck des Augenblicks gänzlich aufgehoben. »Ich meine,« sprach er bei sich, »Graf Murray müsse selbst einräumen, daß es jedes Pagen heilige Pflicht sei, seine Gebieterin gegen alles Eindringen in ihre Gemächer zu verteidigen.« Darauf begab er sich in das kleine Vorgemach, verschloß und verriegelte die Tür und setzte sich dann nieder, der kommenden Dinge zu warten. Das brauchte er nicht lange. Denn bald rüttelte eine derbe Faust an der Tür, und als sie dem Druck widerstand, dröhnte der Ruf: »Aufgemacht da drinnen!« »Auf wessen Geheiß soll ich die Tür zur Wohnung der Königin von Schottland öffnen?« fragte der Page. Ein zweiter Versuch, die Tür gewaltsam zu öffnen, wurde unternommen, scheiterte aber wie der erste. »Aufgemacht, befehle ich Euch, oder Ihr riskiert Euer Leben!« rief die dröhnende Stimme wieder. »Aufgemacht! Lord Lindesay ist da, mit der Lady Maria von Schottland zu reden.« «Lord Lindesay muß als schottischer Edelmann die Erlaubnis seiner Königin abwarten!« erwiderte der Page. Ein lebhafter Wortwechsel folgte nun draußen zwischen Lord Lindesay und, wie Roland deutlich unterschied, Sir Robert Melville, der sich bemühte, den Lord zu beschwichtigen. »Nein, nein!« schrie dieser, »lieber spreng ich die Tür mit einer Petarde, als daß ich mich von solch ruchlosem Frauenzimmer aussperren oder von solch frechem Musje an der Tür abfertigen lasse.« »Erlaubt mir wenigstens vorher, den Weg der Güte zu versuchen,« bemerkte mild Sir Robert Melville. »Gewalttat gegen ein Weib wäre doch ein ewiger Schandfleck für Euer Wappen. Oder wartet wenigstens, bis Lord Ruthven zur Stelle ist.« »Ich will nicht länger warten,« schrie der Lord, »es ist die höchste Zeit, daß dies Geschäft zu Ende komme. Wir müssen uns auf den Rückweg machen, zum Staatsrat. Versucht Ihr Euren Weg zur Güte, wie Ihr Euch ausdrückt, während ich meinen Reitern befehle, die Petarde zur Stelle zu schaffen. Ich bin mit so feinem Pulver versorgt, daß ich die Feldkirche zum andernmal in die Luft sprengen könnte.« »Um Gottes willen, haltet an Euch,« rief Sir Melville. Dann näherte er sich der Tür und sagte, zu den Personen gewandt, die er hinter der Tür vermutete: »Laßt die Königin wissen, daß ich, ihr treuer Diener Robert Melville, sie ersuchen lasse, um ihrer selbst willen und um dem Schlimmsten vorzubeugen, die Tür zu öffnen und Lord Lindesay einzulassen, der ihr eine Botschaft vom Staatsrat überbringt.« »Ich werde Euren Auftrag ausrichten und den Entschluß der Königin Euch kundtun,« versetzte der Page. Roland trat an die Tür des Schlafgemachs. Die ältere Kammerdame öffnete, und die Königin ließ ihm die Weisung melden, daß sie willens sei, Lord Lindesay und Sir Robert Melville einzulassen. Roland kehrte in das Vorzimmer zurück und öffnete die Tür, durch die Lord Lindesay mit der Miene eines Kriegers, der sich den Zugang zu einer belagerten Festung erstritten hat, eintrat, während Sir Melville ihm mit tiefbetrübter Miene folgte. Im selben Augenblick öffnete sich die Tür des innern Gemaches, und Maria erschien, mit der Miene der ihr eignen Huld und Majestät, auf der Schwelle, ohne daß es schien, als habe dieser Trotz, den Besuch bei ihr zu erzwingen, im geringsten einen widerwärtigen Eindruck in ihr hinterlassen. Sie war in eine Robe von schwarzem Samt gekleidet, eine schmale, vorn offne Halskrause zeigte ihr schön geformtes Kinn und ihren stolzen Nacken, während der Busen davon verhüllt wurde. Auf dem Kopfe hatte sie ein Spitzenhäubchen, und von den Schultern wallte ein weißer, durchsichtiger Schleier nieder, in großen weiten Falten, über das lange schwarze Gewand, so daß er, je nachdem es der Trägerin beliebte, über das Gesicht und den ganzen Leib gezogen werden konnte. Am Halse trug sie ein goldnes Kruzifix, und im Gürtel hing ihr Rosenkranz aus Ebenholz mit goldnen Perlen. Hinter ihr kamen ihre beiden Dienerinnen, die während der ganzen Unterredung, die nun folgte, hinter ihr stehen blieben. Selbst Lord Lindesay, obgleich der rauheste aller Edelleute damaliger Zeit, wurde ob dieses Anblicks von einer Empfindung wie Ehrfurcht beschlichen, der unbefangne, hoheitsvolle Blick einer Frau, die er entweder in maßloser Leidenschaft oder in nutzlosem, vergeblichem Gram zu finden erwartet hatte, oder von Kummer niedergedrückt ob der ihr entzognen Majestät und Herrschaft, überraschte und verwunderte ihn sichtlich. »Wir haben Euch, besorgen Wir, warten lassen, Lord Lindesay,« begann, indem, sie sich in Erwiderung seiner Verbeugung huldvoll verneigte, die Königin, »aber eine Frau bringt immer erst, ehe sie Besuch empfängt, ein paar Minuten am Toilettentische zu. Ihr Männer, Mylord, seid an solche Förmlichkeiten nicht gebunden« Lord Lindesay warf einen Blick auf seinen von der Reise beschmutzten Mantel, murmelte ein paar Worte von großer Eile und langem Ritte. Dann begrüßte die Königin, wie es schien, sehr freundlich sogar, Sir Robert Melville. Dann herrschte ein paar Augenblicke Totenstille, und Lord Lindesay blickte nach der Tür, als sähe er mit Ungeduld dem Eintritt seines Mitgesandten entgegen. Nur die Königin schien frei von aller Verlegenheit. »Ihr habt ja einen recht verläßlichen, gewichtigen Reisekameraden mitgebracht, Lord Lindesay,« hub sie wieder an, mit einem ironischen Blick auf das breite Schwert, das ihm über die Schulter hing, weisend. »Hoffentlich habt Ihr nicht erwartet, hier einen Feind zu finden, gegen den es solch grimmiger Waffe bedurfte? Für einen Besuch bei Hofe, scheint mir, etwas auffällig, wenngleich ich als eine Stuart vor Schwertern keine Furcht empfinde.« »Nicht zum ersten Male,« erwiderte Lord Lindesay, indem er die Waffe herumbrachte, so daß die Spitze auf den Boden kam und er mit einer Hand sich auf den kräftigen Griff stützte, »nicht zum ersten Male getraut sich dieses Schwert vor die Augen des Hauses Stuart.« »Recht wohl möglich,« antwortete die Königin, »meinen Vorfahren mag es gedient haben, denn Eure Vorfahren, Mylord, waren Männer, die ihre Untertanenpflicht kannten.« »Jawohl, gnädige Dame,« versetzte Lindesay, »gedient hat es, aber in Aemtern und Dingen, die Könige nicht gern anerkennen oder gar lohnen. Wie die Hippe dem Baume dient, indem sie ihn verwundet bis aufs Mark und der überflüssigen Menge von Schößlingen und unfruchtbaren Ranken beraubt, die ihm die Nahrung entziehen.« »Ihr sprecht in Rätseln, Mylord,« sagte Maria, »die Auflösung enthält, will ich hoffen, nichts als Beleidigung?« »Urteilt selbst, gnädige Dame,« erwiderte Lindesay, »mit diesem guten Schwerte wurde Archibald Douglas, Graf von Angus, umgürtet an jenem denkwürdigen Tage, als er sich den Spitznamen »Vald der Rattenfänger« holte. Vor den Augen Eures Urgroßvaters Jakobs des Dritten hob er einen Schwarm von Günstlingen und Speichelleckern auf und ließ sie über der Brücke von Lauder zum warnenden Exempel für alles Luder, das sich dem schottischen Throne so gern naht, an Pfähle knüpfen. Mit derselben Waffe spaltete derselbe unentwegte Verfechter schottischer Ehre und schottischen Adels den Höfling Eures Großvaters Spens von Kilspindie bei Tafel den Rumpf, weil er sich erfrechte, in des Königs Gegenwart leichtfertig von ihm zu sprechen.« »Mylord,« erwiderte errötend die Königin, »meine Nerven sind zu fest, daß sie durch solche gruselige Erzählungen erschüttert werden könnten. Indessen darf ich wohl fragen, wie solche Klinge aus dem Besitz der Douglas in den der Lindesay hat übergehen können? Ich hätte gedacht, sie müsse einem Geschlecht als heilig gelten, das sich in den Glauben gewiegt hat, alles was es wider das Königshaus tue, tue es zum Heile des Vaterlandes.« »O, gnädigste Frau,« rief, ihr ängstlich ins Wort fallend, Sir Robert Melville, »stellt nicht diese Frage an Lord Lindesay! ... Und Ihr, Mylord, sofern Ihr Gefühl noch hegt für Scham und Schicklichkeit, so scheut Euch, Antwort drauf zu geben.« »Es ist Zeit, daß solches Weib die Wahrheit höre,« rief grimmig Lord Lindesay. »Und laßt Euch versichern, Mylord,« sprach Maria Stuart, keins Eurer Worte, möget Ihr sprechen, was Ihr wollt, wird die Frau, mit der Ihr sprecht, zum Zorne reizen. Es gibt Fälle, wo gerechte Verachtung stets gerechtem Zorne obsiegt.« »Dann wißt,« versetzte Lindesay, »daß ich auf dem Plane von, Caxberry-Hill, als der falsche, ruchlose Verräter und Mörder Jakob, einst Graf von Bothwell, mit dem Spottnamen Herzog von Orkney, jedem der Adelinge, die gekommen waren, ihn zur Verantwortung zu ziehen, sich zum Zweikampf erbot, die Herausforderung annahm und von Graf Morton Douglas dafür mit diesem edlen Schwert beschenkt wurde, den Strauß zu bestehen. Ha, hätt er ein Körnchen mehr Mut und ein Korn weniger Feigheit besessen, so wahr mir der Himmel helfe, ich hätt seinen elenden Verräterleib mit diesem guten Stahl so zugerichtet, daß er Hunden und Raben ein leckeres Futter gewesen wäre.« Als Maria den Namen Bothwell hörte, erlag der Mut der Königin beinahe, knüpfte sich doch an ihn eine ganze Reihe von Schuld und Scham und Unglück! ... Aber die großsprecherische Art Lindesays gab ihr Zeit zur Fassung, und mit einer Miene kalter Verachtung erwiderte sie: »Einen Feind zu besiegen, der nicht in die Schranken tritt, ist leicht. Hätte aber Maria Stuart mit ihres Vaters Szepter auch sein Schwert geerbt, dann sollten die verwegensten ihrer Rebellen nicht Klage an diesem Tage führen, daß niemand da sei, es mit ihnen aufzunehmen. Eure Herrlichkeit wird mir es nachsehen, wenn ich dieses Gespräch abkürze. Von solchem blutigen Kampfe ist eine kurze Erwähnung schon lang genug, die Neugierde einer Dame zu stillen; und hat Lord Lindesay uns nichts Wichtigeres mitzuteilen als Dinge vom »Bald dem Rattenfänger«, die er wohl gern nachgemacht hätte, wenn Zeit und Umstände sich dazu schickten, dann wollen Wir uns in unser Kabinett zurückziehen, wo Ihr uns, liebe Fleming, Weiteres vorlesen mögt aus dem lustigen Büchlein Des rodomontades Espagnolles [Ueber spanische Großprahlereien]. »Entschuldigt, gnädige Dame,« versetzte Lindesay, dessen Wangen jetzt auch Röte färbte, »ich kenne Euren schnellen Witz von früher her zu gut, daß ich nach einer Unterredung hätte geizen sollen, die Euch Gelegenheit geben konnte, seine Schärfe auf Kosten meiner Ehre zu zeigen. Lord Ruthven und meine Wenigkeit kommen in Begleitung Sir Robert Melvilles im Auftrage des Staatsrates, Euer Gnaden Anträge zu stellen, von denen die Sicherheit Eures Lebens und die Wohlfahrt des Staates abhängen wird.« »Im Auftrag des Staatsrats?« fragte die Königin. »Auf wessen Vollmacht besteht und handelt er, während man mich, die ihn zu seiner Würde erhob, hier in Gefangenschaft hält? Aber es mag so sein! Was Schottlands Wohl erheischt, wird Maria Stuart recht kommen, gleichviel woher es komme -- und was ihr eignes Leben anbetrifft, so hat sie, auch wenn sie erst ein Alter von fünfundzwanzig Jahren erreichte, doch lange genug schon gelebt, um ihres Lebens überdrüssig zu sein ... Wo bleibt Euer Kollege, Mylord? ... und warum zögert er?« »Er kommt, gnädigste Dame!« sagte Sir Robert Melville. In diesem Augenblicke trat, mit einer Rolle in der Hand, Lord Ruthven ins Zimmer, und Leichenblässe bedeckte das Gesicht der Königin, als sie seinen Gruß erwiderte. Aber sie gewann ihre Fassung schnell, als hinter dem edlen Lord, dessen Erscheinung ihren Busen in solche Wallung zu setzen schien, Georg Douglas, jüngster Sohn des Ritters von Lochleven, der in Abwesenheit des Vaters und der Brüder auf dem Schlosse den Dienst eines Seneschalls versah, hinter ihm ins Zimmer trat. Ende des ersten Bandes Zweiter Band (Zugleich Fortsetzung des Romans »Das Kloster.«) Erstes Kapitel Was das Gemüt der Königin so erregte, als Lord Ruthven, der durch Blick und Haltung den Krieger und Staatsmann verriet und dessen Lederkoller nichts von der schmutzigen Nachlässigkeit zeigte, durch die Lindesays Anzug sich auffällig machte, war der Anteil, den derselbe an der Ermordung des Sängers David Rizzio genommen hatte. Sein Vater, wenn auch durch lange Krankheit an das Siechbett geheftet, hatte diese Greueltat vor den Augen seiner Fürstin verübt und sein Sohn hatte ihm als Werkzeug dabei gedient. Die Königin hatte die grauenvolle Tat mit angesehen, und so war es kein Wunder, daß die Teilnehmer derselben sie fort und fort mit Schrecken und Entsetzen erfüllten. Nichtsdestoweniger erwiderte sie die Begrüßung Lord Ruthvens mit Anmut und reichte Georg Douglas die Hand, der ehrfurchtsvoll niederkniete und einen Kuß darauf drückte; und dieser Handkuß war das erste Zeichen von Untertanenhuldigung, das Roland Gräme seiner gefangenen Fürstin darbringen sah. Eine kurze Stille trat ein. Der Hausmeier des Schlosses, ein Mann von düsterm Aussehen und finstrem Blick, stellte einen Tisch zurecht und setzte ein Schreibzeug darauf. Roland Gräme rückte einen Armsessel heran. Der Hausmeier entfernte sich mit tiefer Verbeugung, und die Königin brach das Schweigen mit den Worten: »Mit Eurem gütigen Verlaub, Mylords, will ich mich setzen. Wenn auch meine Spaziergänge jetzt beschränkt sind und kaum ermüden können, so fühle ich doch mehr als sonst das Bedürfnis nach Ruhe.« Sie ließ sich nieder und stützte die schöne Hand gegen ihre Wange. Dann richtete sie einen festen, durchdringenden Blick auf jeden der drei Abgesandten. »Ich erwarte Eure Botschaft, Mylords,« hob die Königin an, als sie eine Minute gesessen hatte, ohne daß jemand das Wort, ergriff, »die Botschaft von Eurem sogenannten Staatsrat. Ich rechne, daß Ihr Euch naht, mich auf den Thron zurückzugeleiten, der mir gebührt, und mich bitten wollt um Gnade für die, die sich erfrechten, mich vom Throne zu drängen.« »Gnädigste Dame,« nahm nun Ruthven das Wort, »es ist ein peinliches Amt für uns, einer Fürstin, die so lange über uns geherrscht hat, mit herber Wahrheit zu nahen. Aber wir stehen nicht hier, um Gnade zu bitten, sondern um Gnade zu bieten, mit einem Wort, gnädigste Dame, der Staatsrat entsendet uns mit diesen Urkunden, Eure Unterschrift dafür zu fordern, geleitet von der Ueberzeugung, daß solches die öffentliche Ruhe wiederherstellen, das Wort Gottes zu Ehre und Ansehen und Euer eignes künftiges Wohlergehen fördern werde.« »Und von mir erhofft man, daß ich diese schön in die Ohren klingenden Worte auf Treu und Glauben hinnehme! oder darf ich, Mylord, den Inhalt dieses versöhnlichen Schriftstücks kennen lernen, ehe man mir die Unterschrift zumutet?« »Unbedenklich, gnädigste Frau! es ist unser Wunsch und unser Wille, daß Ihr leset, was Ihr unterzeichnen sollt,« erwiderte Ruthven. »Sollt?« fragte die Königin; »doch lassen wir's! der Ausdruck paßt gut zur Sache. Lest vor, Mylord!« Lord Ruthven las den Text der Urkunde vor, die, aufgesetzt im Namen der Königin, erklärte, sie sei in früher Jugend zur Herrschaft über Schottland und zur Verwaltung seiner Krone berufen worden und habe sich aller Regierungsgeschäfte so lange mit Eifer und Liebe angenommen, bis sie durch leibliche und seelische Abspannung verhindert worden sei, diese Lasten weiter zu tragen. Da sie nun durch Gott den Herrn mit einem Knaben gesegnet sei, sei sie von dem Wunsche beseelt, ihm noch bei Lebzeiten die Thronfolge zu sichern, die ihm von Gott und Rechts wegen als Erbe gebühre. »Und deswegen haben Wir,« lautete die Urkunde weiter, »vermöge der mütterlichen Liebe, die Wir zu Unserm Sohne hegen, verzichtet und Uns begeben und verzichten und begeben Uns durch diesen Unsern Brief, aus freiem guten Willen, der Krone, der Regierung und der Verwaltung des Königreiches Schottland zu gunsten Unsers Sohnes, auf daß er Uns als Unser Kronprinz nachfolge genau so, als wäre der Thron durch Unser Absterben und nicht durch Unsre eigne Verzichtleistung erledigt. Und damit diese Unsre eigne Entsagung königlicher Macht um so feierlicher und vollgültiger erscheine und niemand dessen Unkunde vorschützen könne, bewilligen und übertragen Wir volle, freie und offne Vollmacht Unsern vielgetreuen Vettern Lord Lindesay von Byres und William Lord Ruthven, in Unserm Namen vor allen Adelingen des Reiches, vor der gesamten Geistlichkeit und Bürgerschaft, soviel deren zu Schloß und Stadt Stirling zusammenberufen werden mögen, zu erscheinen und in Unserm Namen und zu Unserm Behuf öffentlich und in aller Gegenwart auf die Krone, Leitung und Regierung dieses Unsres Königreichs Schottland zu verzichten.« Hier unterbrach ihn die Königin mit einer Miene des höchsten Erstaunens ... »Was bedeutet das, Mylords?« rief sie, »sind meine Ohren mir untreu worden, daß sie mich durch solch seltsame Töne berücken? Sagt, ich sei im Irrtum, Mylords, sagt's, um Eurer eignen, um der Ehre des schottischen Adels willen, daß meine vielgetreuen Vettern von Lindesay und Ruthven, zwei Barone von kriegerischem Ruf und altem Adel, nicht die Gefängnisstätte ihrer gütigen Gebieterin in solcher Absicht aufgesucht haben, wie dieses Schriftstück sie zu künden scheint. Sagt um Eurer Untertanentreue willen, um des Eides willen, den Ihr Unsrer königlichen Majestät geleistet habt, daß meine Ohren mich trügen.« »Nein, gnädigste Frau,« versetzte Ruthven ernst, »Eure Ohren trügen nicht! das Land vermag die Herrschaft einer Frau nicht mehr zu ertragen, die sich nicht selbst zu beherrschen vermag, deren Ohren stets der Schmeichelei von Verrätern und Speichelleckern, von fremdländischen und heimischen Günstlingen offen standen und über persönlichem Tand das Wohl von Land und Untertanen außer acht ließen! und darum ersuche ich Euch, in den letzten, noch übrigen Wunsch Eurer Ratgeber und Untertanen Euch zu fügen und Euch und uns die weitere Erörterung eines so verdrießlichen Gegenstandes zu ersparen.« »Und das Mylord, ist alles, was meine lieben und getreuen Untertanen von mir fordern?« fragte Maria im Tone bittrer Ironie. »Verlangen sie wirklich bloß von mir, ich solle die Krone, die mir gehört durch das Recht der Geburt, auf ein Kind übertragen, das kaum das erste Lebensjahr vollendet hat? ich solle um solches Wurmes willen das Szepter von mir werfen und zur Spindel greifen? ... Ach, solche Bitte getreuer Untertanen ist doch gar zu bescheiden! Die andre Rolle enthält sicher etwas Weiteres noch, wohl schwerer noch zu bewilligen als das erste, aber geeignet vielleicht, meinem Willen, mich in das Ansinnen meiner Lieben und Getreuen zu fügen, in den Augen Schottlands höhern Wert zu leihen?« »Dieses Pergament,« nahm Lord Ruthven wieder in ungemindertem Ernste das Wort, indem er das Papier aufrollte, »ist eine Urkunde, durch die Ihr den ehrenwertesten und treuergebensten Euren Untertanen, zugleich Euren nächsten Blutsverwandten, während der Minderjährigkeit des jugendlichen Königs als Regenten über Schottland einsetzt. Vom Staatsrat ist er schon dazu ernannt.« Ein Schrei entfuhr der Königin, und sie rief, indem sie die Hände ineinander schlug: »Aus diesem Köcher also schwirrt der Pfeil? Von meines Bruders Bogen ist er abgeschossen? Ach, und auf seine Rückkehr aus Frankreich hoffte ich als auf die einzige, wenigstens nächstliegende Möglichkeit meiner Befreiung! Ach, und selbst als ich horte, er habe die Regentschaft übernommen, da habe ich noch geglaubt, er werde sich schämen, sie in meinem, im Namen seiner Schwester zu führen!« »Mir liegt die Pflicht ob, gnädigste Frau, im Namen des Staatsrats um Antwort zu bitten,« sagte Lord Ruthven. »Im Namen des Staatsrats!« wiederholte die Königin; »sagt lieber, im Namen einer Räuberbande! die vor Ungeduld, die Beute, die sie in Zähnen und Fängen hält, zu teilen, brennt! Auf solches Ansinnen, Uns gestellt durch den Mund eines Verräters, dessen Schädel, hätte nicht weibische Weichherzigkeit es gehindert, längst vor den Toren der Hauptstadt prangen müßte, hat Maria von Schottland keine Antwort.« »Gnädigste Frau,« nahm Lord Ruthven wieder das Wort, »ich will unumwunden mit Euch sprechen. Eure Regierung, von der unglücklichen Schlacht bei Pinkie-Cleuch, wo Ihr noch als Kind in der Wiege lagt, bis heute, da Ihr als erwachsne Frau vor uns steht, war ein solches Drama von Verlusten, Unglücksfällen, inneren Fehden und auswärtigen Kriegen, wie seinesgleichen in unsern Chroniken nicht wieder zu finden ist. Kein Jahr ist verflossen ohne Empörung und Blutvergießen, ohne Verbannung von Adelingen und Bedrückung von Bürgern. Schottland ist der Kriegsschauplatz zwischen Franzosen und Engländern. Der Bruder erschlägt den Bruder, der Vater den Sohn. Das zu ertragen, ist unser Volk nicht mehr im stande und nicht mehr willens. Und deshalb ersuchen wir Euch, als eine Fürstin, der Gott die Gabe versagt hat, weisem Rate Gehör zu leihen, und auf deren Beginnen und Tun niemals göttlicher Segen ruhte, einem andern Regiment und einer andern Verwaltung Raum zu geben, damit noch ein Ueberrest von Wohlfahrt diesem zerrütteten Lande erhalten bleibe.« »Mylord,« sagte Maria, »mir scheint, als häuftet Ihr auf mein unglückliches, dem Verderben geweihtes Haupt die Schuld alles Unheils, das ich doch, mit weit größerm Rechte, der unbändigen und wilden Sinnesart der Lords dieses Landes beimäße! Beginnt Ihr nicht Fehden unter einander, übt Ihr nicht Grausamkeit gegeneinander, rücksichtslos gegen alles Gesetz im Lande, als ob es gar keinen König im Lande gäbe? als ob jeder ein König auf seiner eignen Hufe wäre? Und nun werft Ihr die Schuld auf mich, deren Leben verbittert, deren Schlaf gestört, deren Glück zertrümmert wurde durch Euren Zwiespalt? Bin ich nicht selbst genötigt gewesen, an der Spitze eines Häufleins getreuer Begleiter durch Wildnisse und Gebirge zu ziehen, um Frieden zu erhalten und der Unterdrückung zu steuern? ... Trug ich nicht selber Harnisch und Pistolen, weiblichem Sinne und königlicher Würde entsagend, um meinem Gefolge ein Beispiel zu geben?« »Wir wollen gelten lassen,« erwiderte Lindesay grob, »daß Euch die durch Eure schlechte Regierung hervorgerufenen Unruhen zuweilen auf einem Maskenball oder bei einer andern Lustbarkeit erschreckt haben mögen, oder daß sie den Götzendienst einer Messe oder den ränkevollen Vortrag eines französischen Gesandten gestört oder aufgehalten haben. Aber die beschwerlichste Reise, die Euer Gnaden wohl je unternommen haben, war die von Hawick nach Schloß Hermitage, soweit wenigstens ich zurückdenken kann. Dem Gewissen Euer Gnaden bleibe es anheimgestellt zu beurteilen, ob bei derselben das Staatswohl oder Eure Privatehre gewonnen hat.« »Lindesay,« sprach die Königin in jenem Ton und Wesen unaussprechlicher Anmut, und mit jenem Zauberblicke, den ihr der Himmel verliehen hatte, Menschenherzen für sich zu gewinnen, – Gaben wie sie kaum ein weibliches Wesen in höherm Maße besessen hat als sie – »Lindesay, an jenem lieblichen Sommerabend, als Ihr mit mir gegen den Grafen Max und Maria Livingstone nach der Scheibe schosset, und als sie für uns die Zeche zahlen mußten im Andreasgarten, damals waret Ihr mein Freund und gelobtet, mein Ritter zu sein. Wodurch ich Lord Lindesay beleidigt habe, kann ich nicht sagen, es müßte denn sein, daß der höhere Rang sein Benehmen verändert hätte.« »Gnädigste Frau,« antwortete Lindesay, der bei aller Hartherzigkeit durch diese Sprache doch ergriffen worden war, aber nichts von dem seiner Meinung nach gewonnenen Terrain verloren gehen lassen mochte – »daß Euer Gnaden bei jenem Anlasse betören konnte, wer in Eure Nähe kam, ist ja bekannt, und ich maße mir durchaus nicht an, klüger als andre gewesen zu sein. Aber meine ungehobelte Huldigungsweise fand gar bald Ersatz durch höfischer veranlagte Herren, und ich meine, Euer Gnaden dürften sich noch entsinnen, daß ich durch mein Bemühen, es diesen andern gleichzutun, bloß Spott und Hohn bei Gecken und Zofen und fränkischem Gelichter geerntet habe.« »Mylord, wenn ich durch arglose Fröhlichkeit Euch kränkte, so tut mir das von Herzen leid,« erwiderte die Königin, »ich kann reinen Herzens versichern, daß es ohne alle Absicht geschah. Indessen, Mylord, Ihr seid vollauf gerächt, denn ich werde hinfort durch frohen Sinn und ausgelassenes Wesen niemand mehr zu nahe treten.« »Wir vergeuden Zeit, gnädigste Dame,« sagte Lord Ruthven, »und ich muß um Bescheid bitten in der wichtigen Sache, über die ich Euch Vortrag gehalten habe.« »Ei, ei, Mylord, in solcher Angelegenheit kann doch Euer Staatsrat, wie er selbst sich nennt, nicht Bescheid im Handumdrehen erwarten!« »Der Staatsrat, gnädigste Dame,« versetzte bitterernst der Lord, »vertritt die Meinung, daß seit der Zeit, die zwischen der Nacht von König Heinrichs Ermordung und dem Tage von Carberry-Hill verstrichen ist, Euer Gnaden hätten gefaßt sein müssen auf solchen Antrag als den einfachsten und naheliegendsten Ausweg aus diesen zahlreichen Gefahren und Schwierigkeiten.« »Und wenn ich mich,« rief die Königin, erbleichend, »dieser Entsagung, die jeder christliche König als einen dem Verlust des Lebens gleichzuachtenden Verlust an Ehre betrachten würde, wenn ich mich solcher Forderung, mit solchem Ungestüm gestellt, nicht füge, was geschieht dann?« Sie sprach diese Worte in einem Tone, in welchem angeborene weibliche Furchtsamkeit mit dem Gefühl tiefverletzter Würde kämpfte. Eine Stille trat ein. Es war, als ob sich niemand getraue, Antwort auf solche bestimmte Frage zu geben. Endlich nahm Ruthven das Wort: »Es wird kaum notwendig sein, Euer Gnaden, die ja in den Gesetzen unser Landes besser bewandert ist als mancher Untertan, darauf hinzuweisen, daß Mord und Ehebruch Verbrechen sind, um deren willen ehedem selbst Königinnen den Tod erlitten.« »Und wo, Mylord, fandet Ihr die Gründe zu solch gräßlicher Anklage gegen die Frau, die vor Euch steht?« sprach Königin Maria. »Gemeine Verleumdungen schändlicher, gehässiger Menschen sind noch keine Schuldbeweise, mögen sie auch die allgemeine Stimmung in Schottland vergiftet und mich als hilflose Gefangne in Eure Hände geliefert haben.« »Wir brauchen nach andern Beweisen als der schamlosen Vermählung zwischen der Witwe des Ermordeten und dem Anführer der Mörderbande nicht zu suchen!« erwiderte Lord Ruthven. »Die beiden, die sich die Hand zum verbrecherischen Bunde an jenem verhängnisvollen Maitage reichten, hatten einander schon Herz und Hand gelobt, als sie kurze Wochen vorher gemeinschaftlich die Hände im Blute badeten.« »Mylord, Mylord,« sprach erbittert die Königin, »besinnt Euch, daß mehrere, nicht ich allein, in diese unheilvolle Verbindung, den unglückseligsten Entschluß des unglückseligsten Lebens, gewilligt haben. Ein Herrscher tut oft einen Fehltritt auf argen Rat hin, aber solche Berater sind dann schlimmere Teufel als die Hölle sie birgt, wenngleich sie die ersten sind, die ihren beklagenswerten Fürsten um der Folgen solchen Rates willen zu Rate ziehen. Hörtet Ihr niemals von einem Schriftstück, unterzeichnet von zahlreichen Adelingen, das diese unselige Vermählung der unseligen Maria anempfahl? Mir ist so in Erinnerung, als würden sich, wollte man der Sache auf den Grund gehen, auch die Namen Morton, Lindesay und Ruthven unter dem Schriftstücke finden! Ach, wie recht hattest Du doch, Du wackrer, getreuer Lord Herries, vor der drohenden Gefahr mich zu warnen! und doch warest Du der erste, das Schwert für mich zu ziehen, als ich die Folgen der Mißachtung Deines Rates zu spüren anfing! O, welcher Abstand zwischen Dir und diesen Ratgebern zum Argen, die mir jetzt nach dem Leben streben, weil ich in das gelegte Garn fiel!« »Meine Gnädige,« sagte Lord Ruthven nicht ohne Anflug von Hohn, »Eure Beredsamkeit ist sattsam bekannt, und darum hat wohl der Staatsrat Männer zu dieser Mission ausgesucht, die mehr mit Kriegssachen als mit Staatsintrigen Bescheid wissen. Hier handelt es sich einzig und allein um die Frage, ob Ihr Euch der Herrschaft über dieses Königreich Schottland begeben wollt oder nicht?« »Und was leistet mir Gewähr, daß Ihr den Vertrag haltet, wenn ich meine königliche Würde tauschen wollte gegen das Gnadengeschenk, in stiller Abgeschiedenheit zu weinen?« »Unsre Ehre und unser Wort, gnädigste Frau!« erwiderte Ruthven. »Das sind zu leichte Pfänder, Mylord,« sagte die Königin, »fügt wenigstens noch eine Handvoll Distelflaum hinzu als Gewichtsmehrung in der Wagschale!« »Gehen wir, Ruthven!« rief Lindesay, »gutem Rat verschloß sie ja immer ihr Ohr, und für Sklaven und Windbeutel war sie zu haben. Soll sie beharren auf ihrer Weigerung!« »Verzeiht, Mylord,« nahm jetzt Sir Robert Melville das Wort, »oder vielmehr, gestattet mir bei Ihrer Gnaden ein paar Minuten privaten Gehörs! Soll meine Anwesenheit in der Kommission von Nutzen sein, so kann es ja doch nur sein als Vermittler ... Drum beschwöre ich Euch, verlaßt nicht das Schloß früher als bis ich von dem definitiven Entschlusse Ihrer Gnaden Euch Kenntnis gegeben habe.« »Wir wollen eine halbe Stunde im Saale warten,« sagte Lindesay, »aber da sie unser Wort und unsre Ehre schmähte, soll sie nun selbst sehen, wie sie sich zu verhalten hat. Verstreicht die halbe Stunde, ohne daß sie sich erklärt, in unsre Forderungen zu willigen, so ist sie eben ihrem Ziele nahe genug.« Die beiden Lords gingen, ohne erwähnenswerte Beweise von Höflichkeit, aus dem Zimmer und stiegen die Wendeltreppe hinunter, auf der das gewaltige Schwert Lord Lindesays ein gewaltiges Dröhnen verursachte. Georg Douglas, der mit Melville mancherlei Zeichen von Staunen und Teilnahme ausgetauscht hatte, folgte ihnen. Sobald die Männer aus dem Gemache hinaus waren, warf sich die Königin wieder in den Armsessel und überließ sich ihrem Gram und ihrem Kummer und schien tiefster Verzweiflung anheimzufallen. Ihre Kammerfräuleins suchten sie zu beruhigen, und auch Sir Robert Melville versuchte ihr Trost zuzusprechen. Ein leidenschaftlicher Ausbruch ihres Schmerzes erschütterte sie noch einmal, dann war es, wie wenn sie ihre Gewalt wieder über sich gewänne; sie richtete sich langsam auf und sagte zu dem vor ihr knieenden Edelmanne: »Steht auf, Sir Robert! höhnt mich nicht durch äußere Zeichen von Huldigung, während Euer Herz sich doch von mir gewendet hat. Warum bleibet Ihr zurück bei einem von Entsetzen geschlagenen Weibe, dem vielleicht bloß wenige Lebensstunden winken? Warum beobachtet Ihr, da Ihr doch die gleiche Auszeichnung bekommen wie die übrigen, länger den äußern Schein von Dankbarkeit und Ergebenheit als sie?« »Gnädigste Frau,« antwortete Sir Robert, »so mir der Himmel helfe! weil ich treu bin, weil mein Herz an Euch hängt noch ebenso, als wie Ihr standet am höchsten!« »Mir treu! Ihr mir treu?« fragte mit herbem Tone die Königin! »was soll Treue heißen, Melville, die Hand in Hand wandelt mit der Treulosigkeit meiner Freunde? Euer Schwert und Arm haben sich nie so bewährt, daß ich Euch vertrauen könnte, da, wo Tapferkeit in Frage tritt. Ja, Seyton, Dein wackrer Vater, mein Käthchen, der ist treu, klug und tapfer zugleich!« Da geriet Rolands heißes Blut in Wallung. Schon lange hatte er den Drang, der so bedrängten und doch so schönen Frau sein Schwert zu weihen. »O Königin!« rief er, »vermag meine Waffe Eure gerechte Sache irgendwie zu stützen oder den weisen Worten dieses edlen Herrn nach irgend welcher Seite hin zu nützen, dann verfügt über meinen Arm!« und indem er mit der einen Hand sein Schwert aushob, faßte er mit der andern an den Griff. Da aber rief Katharina Seyton, wie außer sich vor Verwunderung, indem sie zu Roland hinrannte und ihn am Zipfel seines Mantels faßte: »Was seh ich? ein Geschenk meines Vaters?« ... und dann fragte sie Roland aufs ernstlichste, wie er zu diesem Schwerte ihres Vaters gekommen sei. Drauf der Page, nicht minder erstaunt: »In solcher Gegenwart, wie dieser unglücklichen Dame, ist Scherz fürwahr nicht am Platze. Ihr wißt doch selbst am besten, Fräulein, durch wen und wie ich zu dieser Waffe komme!« »Ist das jetzt Zeit zu Getändel?« sagte Katharina, »zieht augenblicklich Euer Schwert aus der Scheide!« »Schäm Dich doch, Mädchen!« sagte die Königin, »Du willst doch den armen Burschen nicht in zwecklosen Zwist stürzen mit den tüchtigsten Streitern von Schottland?« »Für Euer Gnaden setz ich gern mein Leben ein!« rief der Page, und bei diesen Worten zog er das Schwert halb aus der Scheide. Da fiel ein um die Klinge gewickeltes Papier zu Boden. Katharina aber hatte es blitzschnell aufgehoben. »Es ist meines Vaters Schrift,« sagte sie, »doch sicher bestimmt für Eure Majestät! ... Daß man gewillt sei, ihn auf solche Weise an Euch gelangen zu lassen, wußte ich, doch vermutete ich, durch einen andern Boten.« »Meiner Treu, meine Schönste!« dachte Roland bei sich; »Wenn Du es nicht wußtest, daß ich solch geheime Botschaft bei mir trage, so habe ich es doch noch weit weniger gewußt!« Die Königin warf einen Blick auf den Zettel und blieb eine Weile in Gedanken versunken. Endlich sagte sie: »Sir Melville! dieser Zettel rät mir, mich der Not zu fügen und die Urkunden, die mir diese Leute bringen, zu unterschreiben, gemäß der infolge der Drohungen von Meuterern und Mördern in meinem Gemüte erweckten Furcht. Ihr, Sir Robert, seid ein kluger Mann, und Lord Seyton ist sowohl klug als tapfer. Keiner von Euch beiden wird mich in dieser Sache irre leiten wollen.« »Gnädigste Dame,« rief Sir Melville, »wohl besitze ich nicht die körperliche Kraft eines Lord Herries oder Lord Seyton, und vermag nicht für Euch zu fechten wie sie, aber ich will weder dem einen noch dem andern nachstehen in Eifer und Treue im Dienste Eurer Majestät, und keiner von beiden kann mehr bereit sein, das Leben für Euch hinzugeben als ich.« »Ich glaub Euch, mein alter treuer Berater,« erwiderte die Königin, »und hab Euch, seid versichert, nur einen Augenblick verkannt. Hier leset, was uns Lord Seyton zu wissen tut, und gebt uns Euren besten Rat.« Er warf einen Blick auf den Zettel und rief dann: »O, meine teure königliche Gebieterin, nur ein Verräter hätte Euch andern Rat geben können, als hier Lord Seyton schreibt. Gewiß, Herries, Huntley, der englische Gesandte Throymorton und alle Eure andern Freunde stimmen darin überein, daß alle Urkunden, die Euer Gnaden abgerungen werden durch Härte, Ungemach, Furcht und Drohung, während Eurer Gefangenschaft in diesen Räumen, in dieser Burg, alle Kraft und Bedeutung verlieren müssen. Gebt also den Umständen nach und haltet Euch überzeugt, daß Ihr Euch durch solche Unterschrift zu gar nichts verpflichtet, denn Eure Handlung ermangelte, als Ihr sie gabt, des freien Willens, und nur er kann einer Handlung Giltigkeit verleihen.« Noch zögerte Maria. »Gnädigste Frau,« nahm da Melville von neuem das Wort, »die Zeit drängt, und Ihr dürft diese Boote, die eben in Bereitschaft gesetzt werden, wie ich sehe, nicht abstoßen lassen, ohne Euch zu erklären. Hier sind der Zeugen genug, Eure Zofen, der Page, auch ich, wenn ich auch nicht zu sehr in den Vordergrund treten möchte, – die alle aussagen können, daß man Euch die Unterschrift abgezwungen hat! Schon sind die Boote bemannt zur Rückfahrt. O, erlaubt Eurem alten Diener, die Lords zurückzurufen!« »Melville, Du bist ein alter Hofmann,« sagte die Königin, »wann hörtest Du, daß ein absoluter Fürst Untertanen wieder in seine Gegenwart berief, die mit solchen Worten von ihm gingen! ... die weder sich unterwerfen, noch sich entschuldigen wollen! ... Nein, Melville! mag es mich Leben und Krone kosten, in meine Gegenwart bescheide ich solche Männer nicht wieder!« »O, gnädigste Frau, soll eine leere Förmlichkeit zur Scheidewand werden? Sofern ich recht verstanden habe, seid Ihr gewillt, wohlgemeintem und vorteilhaftem Rate Gehör zu geben ... aber, gnädigste Frau, von selbst heben sich Eure Bedenken, die Lords kommen von selbst zurück, nach Eurem Rate zu fragen ... O, folgt dem Rate des edlen Seyton, und Ihr werdet noch einmal Gebieterin sein über diejenigen, die sich jetzt einen Triumph über Euch anmaßen! ... Doch still! ich höre sie im Vorzimmer.« Melville hatte kaum ausgesprochen, als Georg Douglas die Tür öffnete, um den beiden Lords den Eintritt zu gewähren. »Gnädigste Frau, wir kommen Eure Antwort zu holen,« sagte Ruthven. »Eure entscheidende Antwort auf den Antrag des Staatsrats,« setzte Lord Lindesay hinzu, »denn an eine abschlägige Antwort muß sich für Euch die Gewißheit knüpfen, daß Ihr der letzten Gelegenheit entsagt, Euren Frieden mit Gott und den Menschen zu machen und Euch einen längern Aufenthalt in dieser Welt zu sichern.« »Mylords,« sagte Maria mit unnachahmlicher Grazie und Würde, »dem Uebel, dem wir nicht Widerstand leisten können, müssen wir uns fügen. Ich will diese Pergamente unterzeichnen mit solcher Freiheit meines Entschlusses, wie meine derzeitige Lage mir zur Verfügung läßt. Wäre ich drüben auf dem andern Ufer, mit einem flüchtigen Andalusier und zehn wackern und getreuen Rittern, dann wollt ich ebenso bereitwillig das Urteil meiner ewigen Verdammnis wie diesen Verzicht auf meinen Thron unterzeichnen. Hier aber, in den Mauern des Schlosses Lochleven, vom tiefen See umgeben, nur Euch, Mylords, zur Seite, hier bleibt mir keine freie Wahl. Gebt mir die Feder, Melville, zur Unterschrift und seid mir Zeuge, was und wie und warum ich es tue.« »Eure Gnaden werden sich doch, wie wir hoffen wollen, nicht durch Furcht vor uns für gezwungen halten, das zu vollziehen, was Eure freie eigne Willenserklärung sein soll.« Schon war die Königin an den Tisch herangetreten, auf welchem Schreibzeug und Urkunden sich befanden, schon hielt sie die Feder zur Unterschrift bereit, da blickte sie ob der von Lord Ruthven gesprochnen Worte auf, hielt inne und warf die Feder weg. – »Wenn man die Erklärung von mir erwartet,« sprach sie, »daß ich meine Krone niederlege aus freien Stücken oder einem andern Grunde, als weil ich mich gezwungen sehe ihr zu entsagen, infolge der Androhung andrer und schwerer Uebel für mich und meine Untertanen, dann setz ich meinen Namen nicht unter diese Urkunde voll solcher Unwahrheit – nein! und gälte es, den vollen Besitz von England, Frankreich und Schottland zu gewinnen, alle dereinst mein eigen, dem Rechte nach oder durch Besitz.« »Seht Euch vor, Weib,« rief Lindesay und faßte den Arm der Königin mit seiner Panzerfaust, um ihn in der rohen Leidenschaftlichkeit, die in ihm aufwallte, stärker zu drücken, als vielleicht er selbst inne wurde ... »seht Euch vor, Weib, ob Ihr gut tut, gegen die zu kämpfen, in deren Händen die Gewalt ruht und Euer Schicksal.« Er richtete einen Blick furchtbarer Strenge auf sie und preßte ihren Arm noch immer, bis ihm Ruthven sowohl als Melville ein erregtes Pfui! zuriefen und Georg Douglas, der sich bisher im Zustande anscheinender Teilnahmlosigkeit im Hintergrunde verhalten hatte, einen Schritt vortat, wie wenn er der Königin zu Hilfe eilen wollte. Da erst ließ der rohe Baron den Arm der Königin frei und verbarg die Beschämung darüber, daß er sich in seinem Grimm so weit hatte hinreißen lassen, unter einem verächtlichen, hämischen Lachen. Mit einem Ausdruck heftigen Schmerzes streifte die Königin ihr Gewand vom Arme auf, und man sah die roten Male vom Drucke dieser Panzerfaust. »Mylord,« sprach die Königin, »als Ritter und Edelmann hättet Ihr mir diesen schmerzlichen und handgreiflichen Beweis dafür, daß das Uebergewicht auf Eurer Seite liegt, und daß Ihr es wahrzunehmen gedenkt, ersparen können. Aber ich bin Euch dankbar dafür, zu welchem Ausgange das heutige Tagewerk führen soll. Ihr Herren und Frauen, ich rufe Euch insgesamt zu Zeugen dafür,« und bei diesen Worten zeigte sie auf die Male an ihrem Arm, »daß ich diese Urkunden unterfertige, gehorsam dem eigenhändigen Zeichen, das Ihr von Lord Lindesay meinem Arme eingeprägt seht.« Lindesay wollte sprechen, aber Ruthven kam ihm zuvor. »Still, Mylord,« sagte er, »Maria von Schottland soll ihre Unterschrift geben, wozu es ihr genehm ist. Unser Amt ist es, uns ihre Unterschrift zu verschaffen und dem Staatsrat zu überreichen. Erhebt sich in Zukunft Streit darüber, wie die Unterschrift erlangt und vollzogen worden ist, so bleibt zur Erörterung noch immer Zeit genug.« Lindesay schwieg. Aber in den Bart brummte er doch: »Weh tun wollte ich ihr, weiß Gott, nicht, aber Weiberfleisch ist, scheint mir, so zart und weich, wie frisch gefallner Schnee.« Mittlerweile unterfertigte die Königin hastig und gleichgültig, wie wenn es eine bloße Förmlichkeit zu erfüllen gelte oder um Geringfügiges sich handle. Dann stand sie auf, verneigte sich vor den Lords und wollte sich in ihr Schlafgemach zurückziehen. Ruthven verneigte sich förmlich wie die Königin, Melville zeigte deutlich den Wunsch, ihr seine Teilnahme zu bezeugen, traute sich aber nicht aus Besorgnis, sich vielleicht in den Augen der beiden Lords bloßzustellen. Lindesay stand, selbst als sich die beiden andern anschickten, aus dem Zimmer zu treten, da wie an den Boden gewurzelt. Plötzlich schritt er um den Tisch herum, wie von jähem Impuls getrieben, bis dorthin, wo die Königin stand, ließ sich auf ein Knie nieder, ergriff ihre Hand, küßte sie und ließ die Hand dann wieder sinken. »Weib,« sagte er, »Du bist, ob Du gleich Gottes herrlichste Gaben mißbrauchtest, ein edles Geschöpf. Ich zolle diese Huldigung nicht der Macht, die Du lange Zeit unverdientermaßen übtest, sondern Deinem entschlossnen Geiste. Nicht vor der Königin, sondern vor Maria Stuart kniee ich.« »Und beide, Lindsay, die Königin sowohl als Maria Stuart, beklagen und bedauern Dich nicht minder als sie Dir verzeihen. Hättest Du einem König treu und in Ehren gedient, so hättest Du Dir selbst genügt. Aber mit Meuterern im Bunde bist Du nichts als ein gutes Schwert in Bubenhand! ... Lebt wohl, Mylord Ruthven, Ihr sanftrer, aber schlimmerer Verräter! ... Lebt wohl, Melville! ich wünsch Euch Herren, die staatsklüger sind und über bessre Mittel verfügen, Eure Dienste zu lohnen, als Maria Stuart ... Lebt wohl, Georg Douglas, macht Eurer verehrten Großmutter begreiflich, daß Wir für den Rest des Tages ungestört sein wollen ... Gott sei Uns Zeuge, daß es Uns not tut, Unsre Gedanken zu sammeln.« Alles verneigte sich und schied; aber kaum waren die Lords im Vorzimmer, als sich zwischen beiden ein Wortwechsel erhob. »Laßt mich in Ruhe, Ruthven,« sagte Lindesay, »ich dulde solchen Vorwurf nicht. Mir teilt Ihr in dieser Sache das Henkeramt zu, aber selbst dem Henker ist es gestattet, seinem Opfer vor der Hinrichtung ein paar freundliche Worte zu sagen und es um Pardon zu bitten für das, was er an ihm vollziehen muß ... Ich wünschte, ich hätte gleich triftigen Grund, ihr Freund zu sein, wie ich Grund habe zur Feindschaft gegen sie ... Ihr solltet es erleben, daß ich weder meine gesunden Glieder noch meines Lebens schonen würde in ihrer Fehde.« Sie stiegen die Treppe hinunter und in die Boote. Die Königin winkte Roland, sich in den Vorsaal zurückzuziehen und sie mit ihren Zofen allein zu lassen. Zweites Kapitel Roland Gräme stellte sich in einer Ecke des Vorzimmers hinter das Fenster und sah zu, wie die Lords einstiegen und abstießen, nachdem sie sich von Lady Lochleven höflich verabschiedet hatten. Als die Dame mit ihrem Sohne zum Schlosse zurückkehrte, konnte er die folgende Zwiesprach zwischen Großmutter und Enkel erlauschen: »Also hat sie ihren Sinn doch gebeugt, sich auf Kosten ihrer königlichen Würde das Leben zu erhalten?« sagte die Lady. »Das Leben, gnädige Frau Großmutter?« versetzte Georg; »ich wüßte nicht, wer es anzutasten im Schlosse meines Vaters wagen sollte. Hätt ich solche Absicht hinter dem Besuch der Lords vermutet, so hätt ich die drei Herren mitsamt ihrem Gefolge wieder über den See gejagt.« »Nicht von Mord spreche ich, Sohn, sondern von öffentlichem Anklageverfahren, Prozeß, Urteil und Hinrichtung. Denn damit ist sie bedroht worden. Aber flösse nicht mehr Guisen- als Schottenblut in ihren Adern, so hätte sie ihnen ins Angesicht Trotz geboten. Bei ihr stimmt eben alles zusammen, und Niederträchtigkeit ist die natürliche Gefährtin der Verworfenheit, Ich bin für heut abend der Beschwerde ihrer Gesellschaft entbunden. Geh also Du, mein Sohn, und erfülle beim Abendtisch die notwendigen Höflichkeitspflichten gegen die Dame, die hinfort nicht mehr Königin für uns sein wird.« »Mit Verlaub, Frau Großmutter, mir ist an ihrer Gesellschaft nicht sonderlich gelegen.« »Recht so, mein Sohn, darum vertrau ich auch Deiner Klugheit. Immerhin möchte es sich mit unsrer Ehre nicht vereinbaren, sie in unserm Hause eine Mahlzeit einnehmen zu lassen, ohne daß jemand von uns mit bei Tische wäre. Sie könnte sterben, sei es durch höheres Gericht, oder weil der Böse Macht über sie gewänne in ihrer Verzweiflung, dann möchte es sich mit unsrer Ehre nicht vereinbaren, könnten wir nicht nachweisen, daß ihr im Hause und bei der Tafel gute Behandlung und alle geziemende Höflichkeit zu teil geworden sei.« Da fühlte Roland sich durch einen derben Klaps auf die Schulter im Lauschen gestört. Er drehte sich um, innerlich fest überzeugt, daß er den Klaps von dem Pagen bekommen habe, der ihn in dem Gasthofe zu Sankt-Michael, als er mit Woodcock dort nächtigen mußte, aufgesucht hatte. Und wirklich sah er Katharina Seyton vor sich stehen. »So, schöner Page,« sagte die Maid, »horchen ist wohl eine Haupttugend von Euch?« »Schön Schwesterchen,« versetzte Roland, »sind gewisse unsrer Freunde mit den andern Geheimnissen unsers Dienstes ebenso gut vertraut wie mit Ausspionieren, Verkleiden ec., dann brauchen sie keinen Pagen der Christenheit um Einsicht in seine Bestallung zu bitten.« »Was Ihr mit diesen Worten meint, schöner Page, weiß ich nicht,« sagte die Maid, »aber wir haben jetzt keine Zeit mehr zu Disput. Das Essen kommt. Tut was Eures Amtes, Herr Page.« Vier Diener erschienen mit Schüsseln, ihnen voraus schritt der alte, grämliche Hausmeier, den Roland schon bei der Ueberfahrt gesehen hatte, hinterher Georg Douglas, der in Abwesenheit des Schloßherrn, seines Vaters, das Amt eines Seneschalls versah. Die Arme über der Brust verschränkt und die Blicke zu Boden haltend, trat er zu der Tafel heran, auf der mit Rolands Hilfe das Essen aufgetragen wurde. Darauf verneigten sich Hausmeier und Seneschall tief, wie wenn die königliche Gefangne schon an der Tafel Platz genommen hätte. Nun tat sich die Tür des anstoßenden Schlafgemachs auf. Georg Douglas sah sich schnell um, richtete den Blick aber gleich wieder zur Erde, als er sah, daß bloß das ältere Kammerfräulein eintrat. »Ihre Gnaden wollen heut abend nicht bei der Tafel erscheinen,« sagte Lady Maria Fleming. »Dann wolle es gnädigem Fräulein belieben zu beobachten, wie wir unseren Obliegenheiten nachkommen,« erwiderte Douglas. Er winkte dem Hausmeier und dieser schnitt von jeder Speise ein Schnippelchen ab und reichte es Douglas zur Vorprobe, damals bei herrschaftlichen Tafeln allgemeine Sitte wegen der vielen Vergiftungsversuche, die gemacht wurden. »Die Königin wird also wirklich nicht erscheinen?« fragte Douglas noch einmal. »Sie hat so beschlossen,« erklärte die Fleming. »Dann ist unsre weitre Gegenwart von Ueberfluß. Wir wünschen gute Nacht.« Langsam wie er gekommen war, den Blick nach wie vor zu Boden gerichtet, entfernte er sich, und die Dienerschaft folgte ihm. Die beiden Fräuleins setzten sich zu Tische und Roland wartete ihnen auf, ganz wie wenn auch die Königin an der Mahlzeit teilgenommen hätte. Katharina Seyton sah, nachdem sie dem Pagen einen Blick unvergleichlicher Schalkheit zugeworfen hatte, still und artig da, während sich die gesetztere Gefährtin jetzt an Roland wandte und ihm einen Platz am untern Ende der Tafel anwies. Roland, der den ganzen Tag noch keinen Bissen zu sich genommen hatte, denn Lord Lindesay und seinen Reitern schienen menschliche Bedürfnisse abhanden gekommen, gehorchte gern, beobachtete aber, all seines Appetits ungeachtet, Anstand und Mäßigkeit teils aus angebornem Taktgefühl, teils weil er sich das Vergnügen, Katharina zu bedienen, nicht rauben lassen wollte ... Mit Anstand und Geschick schnitt er die Scheiben zurecht und legte den Damen, wie es sich schickte, die besten Stücke vor, sprang auf, sobald er nur den leisesten Wunsch vermutete, schenkte Wein ein, mischte ihn mit Wasser, wechselte die Teller und versah den Tafeldienst mit allem Eifer des gewandtesten Junkers. Als er sah, daß die Damen aufstehen wollten, beeilte er sich, ihnen in der silbernen Kanne Wasser, Waschbecken und Handtuch zu reichen. Die ältere Zofe dankte mit einem freundlichen Blick, die jüngere aber, ob aus Schalkheit oder aus Ungeschick, spritzte dem diensteifrigen Pagen beim Waschen ein paar Tropfen ins Gesicht, ohne Verdruß darüber, daß die ältere sie ob ihres Ungeschicks tadelte. »Du hattest recht, Katharina,« sagte dann Lady Fleming, »als Du mir sagtest, unser neuer Kamerad in diesem mühelosen Dienst sei von edler Geburt und guter Erziehung. Ich will ihn nicht eitel machen, aber er überhebt uns der Dienste dieses Douglas, der doch immer, wenn die Königin nicht anwesend ist, stolz tut wie ein Pfau.« »Ich sollte im Gegenteil meinen, Georg Douglas sei der artigste Junker im Reich; es ist doch eine Freude, ihn in diesem düstern Lochleven zu sehen. Wer hätte gedacht, daß dieser lustige, flotte Junker sich zum Gefangnenwärter über ein paar hilflose Weiber hergeben würde?« »Vielleicht geht's ihm wie uns, er mußte,« versetzte Lady Fleming. »Indessen scheinst Du Deinen kurzen Aufenthalt bei Hofe recht gut wahrgenommen zu haben, wenn Du zu solchen Unterschieden und Vergleichen Zeit fandest.« »Ich hab die Augen offen gehalten,« versetzte Katharina, »und dazu war ich, meines Wissens, bei Hofe. Hier wird's freilich nicht der Mühe lohnen, die Augen zu brauchen. Das war ja schon im Kloster so. In Lochleven muß man sich eben gewöhnen, sie bloß für sein bißchen Handarbeit zu brauchen.« »Und solche Worte führst Du, nachdem Du kaum ein paar Stunden hier im Schlosse bist? Ist dies das Mädchen, das im Kerker leben und sterben wollte, wenn es ihr bloß vergönnt wäre, ihre gnädige Königin zu bedienen?« »Fleming, wenn Ihr im Ernste scheltet, dann ist mein Scherz zu Ende,« sagte Katharina. »Ich möchte an Treue und Anhänglichkeit nicht meiner armen Frau Pate nachstehen, die doch die weisesten Sittensprüche auf der Zunge und die steifste Halskrause unter dem Kinne hat. Das wißt Ihr, Fleming, und doch tut Ihr mir immer weh durch Eure Reden.« »Du bist ein gutes Ding, Katharina, aber dem Manne, der Dich einmal bekommt, gratuliere ich, denn wenn es kaum ein reizenderes Ding geben kann zu seiner Freude, so doch auch kein mutwilligeres zu seiner Qual. Ich glaube, Du könntest ein ganzes Dutzend um ihr bißchen Verstand bringen.« »Sprecht doch nicht so, Fleming,« sagte Katharina, die nun ihre unbefangne und heitre Laune wiederfand, »der müßte ja doch schon ganz von Sinnen sein, der mich für so etwas sich aussuchte! Aber es freut mich, Fleming, daß Ihr mir nicht ernstlich böse seid,« und bei diesen Worten fiel sie der altern Freundin in den Arm, »Ihr wißt doch, ich hab mit meines Vaters unbändigem Stolze und mit dem hohen Edelsinn meiner Mutter zu ringen. Möge der liebe Gott sie in seinen gnädigen Schutz nehmen! ... aber mehr als die beiden edlen Eigenschaften haben meine lieben Eltern nicht auf mich zu vererben, denn was an Geld und Gut da war, haben die Wirren im Reiche verschlungen, und was noch da ist, wird den gleichen Weg wohl gehen ... und so bin ich das eigenwillige kecke Ding geworden, das ich bin. Aber laßt mich acht Tage hier in Lochleven sein, dann werde ich wohl ganz ebenso kleinlaut sein wie Ihr!« Aus dem Schlafzimmer der Königin klang ein Ruf, Maria Fleming verschwand hinter der Tür, und Katharina und Roland blieben allein zurück. Eine Weile lang saßen sie einander still gegenüber, bis endlich die junge Zofe das Schweigen brach. »Darf ich bitten, junger Herr, mir zu sagen,« fragte sie ganz ehrbarlich, »was Ihr in meinem Gesichte findet, daß Ihr es so unverwandt anstarrt? Meines Wissens sah ich Euch doch erst zweimal im Leben.« »Und welches waren diese beiden glücklichen Anlässe?« fragte Roland. »Im heiligen Katharinenkloster,« erwiderte die Zofe, »zum erstenmal, und bei dem Ueberfall, den Ihr in meines Vaters Hause auszuführen beliebtet, zum andernmal. Ein Wunder, wenn man den rasch auflodernden Zorn der Seytons kennt, daß Ihr da mit heiler Haut weggekommen seid! Uebrigens mir sehr leid,« setzte sie spöttisch hinzu, »daß für solch wichtige Vorgänge mein Gedächtnis treuer zu sein scheint als das Eurige.« »So ganz tadellos ist die Treue Eures Gedächtnisses doch nicht, holde Kallipolis,« sagte Roland lächelnd, »denn ich sehe, Ihr habt das Zusammentreffen Nummer drei im Wirtshause Sankt-Michael vergessen, wo Eure Reitgerte so lose war, daß mancher an den Seytonschen Zorn hätte erinnert werden können,« »Schöner Page,« versetzte Katharina, »hat Euch nicht Euer schöner Verstand hier im Stiche gelassen, so bin ich außer stande, zu raten, was Ihr meint.« »Meiner Treu, auch ich vermöchte den Traum, den Ihr mir vorgaukelt, nicht zu enträtseln. Hab ich Euch nicht verwichne Nacht im Wirtshause Sankt-Michael gesehen? Habt Ihr mir nicht das Schwert gebracht, mit dem Geheiß, es nicht zu ziehen außer auf Geheiß meines angestammten Fürsten? Und hab ich nicht getan, wie Ihr befahlet?« »Wenn Eure Augen Euch niemals bessre Dienste taten als in dem genannten Gasthause,« sagte die Zofe, »dann werden Euch die Raben keinen sonderlichen Schaden zufügen, wenn sie Euch die Dinger aus dem Schädel Picken. Aber horch, die Glocke! wir werden unterbrochen!« Die Zofe hatte recht. Die Tür flog auf, und der Hausmeier mit seinem strengen Blick, seiner goldnen Amtskette und seinem weißen Amtsstabe trat herein, und ihm folgte dieselbe Dienerschar, die Tafel aufzuräumen, die sie zuvor gedeckt hatte. Starr wie eine Bildsäule, stand der Hausmeier da, und als die Tafel wieder leer war, hob er, ohne sich an jemand im besonderen zu wenden, im Ton eines Herolds, der einen Aufruf zur Verlesung bringt, an und kündete: »Meine edle Gebieterin, Frau Margarete Erskine, verehelichte Douglas, gibt der Lady Maria von Schottland und ihrem Gefolge bekannt, daß ein Diener der reinen Lehre, ihr ehrwürdiger Kaplan, heut abend wie gewöhnlich predigen und katechisieren wird, gemäß evangelischem Brauch.« »Mein bester Herr Dryfesdale,« nahm Katharina das Wort, »diese Verkündigung ist eine Förmlichkeit, die alle Abende sich wiederholt, wie ich gewahr werde. Nun wollet doch aber, bitte, bemerken, daß Lady Maria Fleming und ich, denn Eure dreiste Einladung geht, wie ich hoffe, bloß uns an, den Pfad Sankt Peters zum Himmel erkoren haben, es bleibt also für Eure gottselige Vermahnung bloß der junge Page noch übrig, der, als in Händen Satans befindlich, freilich besser tut mit Euch Andacht zu halten, als uns durch sein Fernbleiben von unsern bessern Andachtsübungen zu belästigen.« Der Page war zwar nahe daran, diese kecke Behauptung in Abrede zu stellen, erinnerte sich aber noch rechtzeitig der zwischen ihm und dem Regenten vorgefallenen Dinge und beherzigte deshalb den Wink, den ihm Katharina durch Aufheben ihres Zeigefingers erteilte. Wie schon in Avenel, so übte er auch hier wieder die Rolle eines Glaubensleugners und folgte dem Hausmeier in die Schloßkapelle, wo er der Abendandacht beiwohnte, die hier vom Schloßkaplan Elias Henderson, einem geistlichen Herrn in der Vollkraft des Alters und ausgestattet mit guten, durch sorgfältige Erziehung ausgebildeten Gaben der Natur, gehalten wurde. So verstrich der erste Tag im Schlosse Lochleven, und die folgenden hatten eine Zeitlang den gleichen, wenn nicht noch eintönigeren Charakter. Drittes Kapitel Die Lebensweise, zu der sich Maria Stuart und ihr Gefolge verurteilt sahen, war im höchsten Grade einsam und abgeschieden, und bloß wenn das Wetter einen Spaziergang im Garten oder auf den Schloßzinnen gestattete, kam eine geringe Abwechslung in das ewige Einerlei. Für Roland war die Zeit, die er in Gesellschaft der Damen zuzubringen hatte, noch am angenehmsten, denn dann befand er sich doch in der Nähe der muntern Katharina Seyton, für deren unvergleichlichen Witz und herrliche Gabe, ihre Gebieterin aufzuheitern, er immer große Bewunderung fand. Sie tanzte, sang, erzählte Märchen und Geschichten, trieb allerhand Spaß und Kurzweil, ja zeigte zuweilen eine so übertriebne Lustigkeit, wie sie sich besser für ein Dorfkind, die Königin beim Maienfeste, geschickt hätte als für die Tochter eines altadligen Hauses. Wenn sich die ernstere Gefährtin bei solchen Anlässen mit Vorhalt und Tadel gegen sie kehrte, dann verglich die Königin sie einem abgerichteten, dem Käfig entflohenen Singvögelchen, das in der Wonne der Freiheit und im unbeschränkten Besitze waldigen Grüns all die Lieder und Weise anstimmt, die es während seiner Gefangenschaft gelernt hat. Die wenigen Augenblicke, die der Page in der Nähe dieses bezaubernden Wesens zubringen durfte, eilten ihm zuvor wie Blitze vorüber, aber sie schufen ihm doch reichliche Entschädigung für die ermüdende Langweile des ganzen übrigen Tages, selbst wenn es ihm auch nie wieder vergönnt war, allein mit ihr zu sprechen oder gar zusammen zu sein. Ob der Grund zu dieser Absperrung in besondrer Vorsicht auf den Haushalt der Königin lag oder ob sie zu solchen Bestimmungen durch ihre Begriffe von Anstand und Schicklichkeit überhaupt veranlaßt wurde, oder ob die eigentliche Triebfeder hierzu mehr die ältere Zofe Maria Fleming war, darüber sich genauen Einblick zu verschaffen, wollte ihm nicht gelingen, so wenig wie es ihm glückte, genauere Nachforschungen über die geheimnisvolle Pagen-Erscheinung im Sankt-Michaels-Gasthofe anzustellen. So schlichen langsam die Wintermonate hin, und der Frühling war bereits wieder eingekehrt, als Roland Gräme in dem Verhalten seiner Mitgefangnen langsam eine gewisse Veränderung wahrzunehmen meinte, und bald gewann er die Ueberzeugung, daß unter ihnen etwas im Werke war, das sie nicht zu seiner Kenntnis gelangen lassen mochten, daß Königin Maria durch Mittel und Wege, in die er keinen Einblick gewinnen konnte, einen Briefwechsel mit Personen außerhalb der Schloßmauern unterhielt und sich mit Fluchtgedanken trug. Nicht immer konnte sie es ganz verbergen in den Gesprächen, die sie mit ihren Damen führte, daß sie von den Dingen, die sich in der Welt zutrugen, Kenntnis hatte. Er machte die Beobachtung, daß sie sich weniger mit ihrer Stickerei als mit Briefschreiben befaßte, und daß sie auch, wahrscheinlich um jeden Argwohn in Schlummer zu wiegen, ein weniger schroffes Wesen gegen Lady Lochleven an den Tag legte, daß sie mehr ein Benehmen zeigte, als fange sie allmählich an, sich in ihre Lage zu schicken. »Die Damen müssen grade denken, ich sei blind,« sprach er bei sich, »und scheinen zu meinen, ich verdiene ihr Vertrauen nicht, vielleicht weil sie mich noch zu jung halten oder weil mich der Regent hergeschickt oder weil ich bei dem Kaplan den Gottesdienst anhöre? aber dazu haben sie mich doch selbst veranlaßt!« indessen hatte Roland hiermit wahrscheinlich das Richtige getroffen und zwar darum mochte man gegen ihn eingenommen sein, weil er dem Kaplan den Wunsch ausgesprochen hatte, sich über verschiedne religiöse Themata mit ihm in besondrer Weise zu unterhalten, und ihm offen bekannt hatte, daß er ein gewisses Bedürfnis nach seinem Unterricht in seinem Herzen fühle. Der Kaplan, der mit dem Plan im Herzen nach Lochleven gekommen war, unter der Dienerschaft der Königin Proselyten zu machen, nahm die Gelegenheit, die ihm Roland Gräme bot, gern wahr, und Lady Lochleven erschloß ihm zufolge seines frommen Eifers ihr Herz so weit, daß sie ihm ein paarmal, wenn auch mit aller Vorsicht, Erlaubnis erteilte, nach Kinroß, einem über dem See gelegnen Dorfe, hinüber zu fahren, und für seine Herrin einige unbedeutende Besorgungen zu machen. Aber zu seinem Leidwesen machte er die Wahrnehmung, daß er im selben Verhältnis, wie er bei Lady Lochleven in der Gunst stieg, bei der Königin und ihren beiden Damen in der Gunst sank, und immer deutlicher wurde es ihm, daß er von ihnen für einen Aufpasser angesehen wurde, vor dessen Ohren man sich zu hüten habe. Mit diesem Schwinden des Vertrauens trat auch eine Veränderung in dem Benehmen gegen den Pagen ein: die Königin, die ihn früher oft einmal durch eine Artigkeit ausgezeichnet hatte, würdigte ihn jetzt noch kaum eines Wortes, Lady Fleming zeigte bloß durch allgemeine Bemerkungen noch, daß sie von seiner Anwesenheit Kenntnis hatte, und Katharina wurde schnippisch, herb und grillig bei dein geringsten Anlaß, der sich ihr bot, dem Pagen ein Wort zu sagen. Am meisten aber verdroß es ihn, daß sich zwischen Georg Douglas und Katharina Seyton freundlichere Beziehungen in die Wege zu leiten schienen. Mit einem Worte, Rolands Situation wurde von Tag zu Tag unbehaglicher, und es war nur begreiflich, daß sich sein Herz gegen solch ungerechte Behandlung empörte, daß er die Königin sowohl als Katharina Seyton, denn die Meinung des Fräuleins Fleming war ihm gleichgültig, einer Ungereimtheit beschuldigte, wenn sie ihm gram sein sollten um seines Verhaltens willen, das doch einzig und allein die Folge einer von ihnen selbst gegebnen Weisung war. Warum hatten sie ihn geheißen, den Gottesdienst dieses gewaltigen Streiters vorm Herrn, der nun einmal Kaplan Henderson war, zu besuchen? was konnte er dafür, daß Kaplan Henderson ein unendlich eifrigerer Gottesmann war als der greise Heinrich Worden auf dem Schlosse Avenel? daß er ganz anders zu predigen, dem Worte Gottes viel faßlichere, weit mehr zum Herzen gehende Auslegungen zu geben verstand als jener?... »Aber ich will dieses Leben nicht länger mehr ertragen,« sprach Roland bei sich; »denken die Damen am Ende, ich werde meine Gebieterin deshalb verraten, weil mir Gründe aufsteigen, an der Religion zu zweifeln, an die sie glauben?« In einer schlaflosen Nacht reifte der Entschluß in seinem Herzen, sich gegen Georg Douglas auszusprechen, am Morgen aber wurde er wieder wankend, und da traf es sich, daß er an diesem Tage zu einer frühern Stunde als sonst zur Königin beschieden wurde. Da er sich vorgenommen hatte, mit Douglas angeln zu gehen, trug er die Angelrute in der Hand, als er der Königin gegenübertrat. »Katharina muß wohl oder übel auf andern Zeitvertreib sinnen,« sagte die Königin zu Maria Fleming, »denn unser fürsorglicher Page hat schon über seine Zeit für heute verfügt.« »Ich sagte ja gleich, daß Eure Gnaden nicht zu sicher auf einen jungen Menschen rechnen dürften, der so manche Bekanntschaft unter Hugenotten hat und infolgedessen über weit mehr Mittel, sich Unterhaltung zu schaffen, verfügt als wir.« »Ich hätt nichts dawider,« rief Katharina, und ihr geistvolles Gesicht errötete vor Verdruß, »wenn er sich mit seinen Kumpanen auf und davon machte, und statt seiner ein Page den Weg hierher fände, der treu zu seiner Königin und seinem Glauben hielte.« »Eure Wünsche, mein gnädiges Fräulein, können zu gewissem Teil Erfüllung finden,« erwiderte Roland, außer stände, über die Behandlung, die ihm von den Damen widerfuhr, seinen Unmut länger zu verbergen, und wollte grade noch beifügen, daß er dem Fräulein von Herzen einen andern an seiner Statt zur Gesellschaft wünsche, der besser imstande sei, Weibermucken zu ertragen, ohne sie sich zu Heizen zu nehmen wie er ... da besann er sich aber noch rechtzeitig auf die Reue, die er empfunden hatte, als er sich bei einer ähnlichen Veranlassung von seinem Temperament hatte fortreißen lassen, und biß sich auf die Lippen, daß ihm die Worte auf der Junge erstarben, die in Gegenwart einer Königin noch um so ungeziemender gewesen wären. »Warum steht Ihr da wie an den Boden gewurzelt?« fragte die Königin. »Ich warte auf die Befehle von Euer Gnaden,« erwiderte der Page. »Ich hab keine Befehle für Euch – schert Euch!« Auf dem Weg nach dem Boote hörte er noch deutlich die Worte der Königin zu einer ihrer Zofen: »Da seht Ihr, in welche ärgerliche Situation Ihr uns gebracht habt!« Dieser kurze Auftritt war bestimmend für Rolands Entschluß, den Aufenthalt in Lochleven so viel wie möglich abzukürzen und noch heute mit Douglas darüber zu sprechen, wie er am schnellsten in dieser Hinsicht zum Ziele kommen könne. Douglas saß wie immer still und schweigsam in dem kleinen Kahne, den sie auf ihren Angelfahrten benützten, Roland stieg mit ein und sie ruderten nun ein Stück weit in den See hinaus. Da sagte Roland zu Georg Douglas: »Ich möchte gern mit Euch über etwas sprechen, Douglas, wenn's Euch recht wäre.« Der schwermütige Zug in dem Gesichte des jungen Mannes wich unvermutet dem scharfen Blick eines auf seiner Hut befindlichen Herrn, der einer wichtigen Nachricht beunruhigenden Charakters entgegensieht. »Mir ist der Aufenthalt in diesem Schlosse bis in den Tod zuwider,« sagte Roland. »Weiter nichts?« versetzte Douglas. »Ich wüßte niemand im Schloß, dem's nicht ebenso ginge,« »Mag sein, aber ich bin weder hier geboren, noch sitze ich hier in Gefangenschaft; deshalb darf ich wohl vernünftigerweise den Wunsch hegen, Lochleven zu verlassen.« »Euer Wunsch möchte an Vernunft kaum einbüßen, wenn eins von beidem der Fall wäre,« erwiderte Douglas. »Ich habe aber nicht bloß das Leben hier satt, sondern will fort von hier,« sagte Roland Gräme. »Leichter gesagt als getan,« sagte Douglas, »Leicht getan, wenn's Euch und Eurer Frau Mutter recht ist,« sagte Roland. »Ihr seid im Irrtum, Roland,« erwiderte Douglas, »und werdet bald erkennen, daß hierzu die Einwilligung von zwei andern Personen nicht minder unerläßlich ist, und zwar einerseits der Lady Maria, Eurer Herrin, anderseits des Regenten, meines Oheims, der Euch an diesen Platz beorderte und es schwerlich angemessen finden dürfte, daß die Lady so schnell mit ihrem Diener wechselt.« »So müßte ich bleiben, auch wider meinen Willen?« fragte der Page, ziemlich betroffen über eine Auffassung, die ihm, wäre er erfahrener gewesen, selbst hätte kommen müssen. »Wenigstens werdet Ihr so lange bleiben müssen, bis es meinem Onkel passen wird, Euch gehen zu lassen.« »Offen gestanden,« sagte der Page, »sollte ich mich hier als Gefangnen anzusehen haben, so sage ich Euch als einem Edelmann, den ich keines Verrats für fähig halte, daß mich weder Ringmauern noch Fluten lange in meinem Kerker halten sollten.« »Offen gestanden,« erwiderte Douglas, »könnt ich Euch solchen Versuch auch nicht verdenken. Aber bei dem allen würde Euch sowohl mein Vater, als mein Onkel, Graf Morton und jeder meiner Brüder, wie jeder königliche Diener, dem Ihr in die Hände gerietet, aufknüpfen lassen wie einen gemeinen Hund oder wie eine Schildwache, die von ihrem Posten gelaufen ist. Und entkommen dürftet Ihr ihnen schwerlich, darauf geb ich Euch Brief und Siegel ... Aber haltet dort auf die kleine Insel zu. Dort gelingt uns sicher ein guter Fang. Haben wir uns mit Angeln eine Stunde die Zeit vertrieben, dann wollen wir über das, was Ihr angeregt habt, uns näher besprechen.« Als die von Douglas gesetzte Zeit verstrichen war, nahm er das Ruder und gab Roland das Steuer. Mittwegs zwischen Insel und Landungsplatz ließ er die Ruder ruhen und sagte, sich behutsam umsehend, zu seinem Gefährten: »Ich könnt Euch was mitteilen, aber es ist ein so tiefes Geheimnis, daß ich es selbst hier zwischen Himmel und Flut, wo niemand uns belauschen kann, nicht auszusprechen wage.« »Zieht Ihr die Ehre dessen, der allein Euch hören kann, in Zweifel, dann laßt's ungesprochen,« erwiderte Roland. »Nicht Eure Ehre ziehe ich in Zweifel, doch Ihr seid jung, unbedacht, wankelmütig,« sagte Douglas. »Wer hat Euch gesagt, ich sei wankelmütig!« fragte Roland. »Jemand, der Euch vielleicht besser kennt als Ihr Euch selbst!« »Vermutlich Katharina Seyton,« sagte der Page mit klopfendem Herzen, »aber sie ist selbst fünfzig mal wetterwenderischer als die Wasserfläche, über die wir jetzt fahren.« »Katharina Seyton, junger Freund, ist ein Fräulein von edler Abkunft, über das man so leichthin sich nicht äußern darf,« sagte Douglas. »Herr Georg Douglas,« versetzte Roland, »es scheint, als solle etwas, was wie Drohung aussieht, Euren Worten Nachdruck leihen, ich mochte aber zu bemerken bitten, daß ich mir aus einer Drohung nicht mehr zu machen pflege wie aus einer Forellenflosse, und nebenbei muß ich sagen, daß ein Kämpe, der sich um jedes vornehmen Fräuleins willen, das die Männer eines veränderlichen Sinnes zeiht, in die Gefahr eines Zweikampfes stürzen wollte, bald alle Hände voll zu tun haben dürfte.« »Still, still,« sagte der Seneschall, doch in gutgelauntem Tone, »Ihr seid ein wunderlicher Kauz, mit dem sich darüber reden läßt, wie man ein Netz wirft oder einen Falken steigen läßt, aber über nichts andres.« »Dreht sich Euer Geheimnis um Katharina Seyton,« sagte der Page, »so läßt es mich kalt, und Ihr dürft's ihr ruhig sagen, wenn's Euch beliebt. Ich weiß ja, sie findet schon Gelegenheit mit Euch zu sprechen.« Die jähe Röte, die Douglas in die Wangen schoß, verriet dem Pagen, daß er richtig geraten, wenn er auch nur auf den Strauch geschlagen hatte, aber die Ueberzeugung, daß es so war, fuhr ihm wie ein Dolchstich durch das Herz, Sein Kamerad griff wieder, ohne weitere Erwiderung, zu den Rudern und setzte sie erst wieder ab, als sie zum Schloß und Eiland gelangt waren. Hier nahmen die Diener die gewonnene Beute in Empfang, die beiden Angler aber verfügten sich jeder in seine Stube, Eine Stunde lang mochte Roland in seinem Grolle gegen Schloß und Menschen dagesessen haben, als ihn sein Dienst zur Tafel der Königin rief. Verdrießlich kleidete er sich um und verdrießlich stellte er sich hinter dem Stuhle seiner Gebieterin auf; sie mochte es bemerken und wahrscheinlich zu der altern Zofe ein paar Worte darüber äußern, denn diese lachte, während Katharina sie halb lächerlich, halb empfindlich aufzunehmen schien. Da aber Roland seine Miene nicht änderte, schien die Königin sich anders zu besinnen, es schien ihr leid zu tun, daß sich das junge Blut grämte, und sie machte nun mit dem ihr eignen Zartgefühl, das kein Weib in höherm Grade besessen haben dürfte als sie, das Unrecht wieder gut, indem sie erst die Fische lobte, die er gefangen, und die ihr zum Fasttage eine so herrliche Speise gebracht hätten, dann die schönen Farben der Fische lobte, dann von dem Fangorte, über die Größe und Schmackhaftigkeit, zuletzt über die Vorzüge plauderte, die den im Gebirgswasser gefangnen Forellen gegenüber den See-Forellen zuzusprechen seien ... und Rolands Mißmut schwand wie Schnee vor der Sonne, er pries die Herrlichkeiten von Schottlands Bergen und Tälern, er erzählte von den prächtigen Forellen im Tale des Nith und von der ganz eigentümlichen Art, die im Schloßsee von Lochmaben gefangen werde, und er geriet in solches Feuer, daß seine schwärmerische Begeisterung die Königin ansteckte. Ihr Lächeln schwand, und nicht lange, so standen ihr Tränen in den Augen. Und da hielt er plötzlich inne und fragte bewegt, ob er, ohne sein Wissen, etwas gesagt habe, das ihr Kummer bereitet habe? »Nicht doch, mein Knabe,« sagte die Königin mild, »Eure Schilderungen der Flüsse und Seen meines schönen Landes weckten die Sehnsucht in meinem Herzen, und da spielte mir meine Phantasie einen Streich und riß mich hinaus in das malerische Tal des Nith und zu den majestätischen Türmen Lochmabens. O du liebliches Land, über das meine Ahnen so lange Jahrhunderte herrschten! Dem ärmsten Bettler ist's vergönnt, was Deiner Königin verwehrt ist, Du kannst mit Deinem Stab in der Hand von einem Platz zum andern ziehen, und ich, ach, ich, muß mein Leben vertrauern in diesen kalten finstern Mauern! »Eure Hoheit,« sagte Lady Fleming, »möchten gut tun, sich zurückzuziehen.« »Gewiß, Fleming, komm mit,« sagte die Königin, »wie sollte ich so jugendliche Herzen wie diese beiden durch meinen Gram vergiften!« Mit einem Blicke inbrünstiger Schwermut verließ sie Roland und Katharina. Eine Weile lang saß das junge Paar schweigend einander gegenüber. Der Page fühlte sich wundersam beklommen, während Katharina gleich einem zögernden Geiste, der sich der Furcht bewußt ist, die er dem armen Sterblichen einflößt, ihm aber Zeit läßt, sich zu sammeln, eine geraume Zeit vergehen ließ, ehe sie es aufgab zu warten, daß er spreche, und selbst die Unterhaltung eröffnete. »Glaubt mir, Roland, alle, die Euch wohlwollen, sind recht besorgt um Euch,« sagte sie. »Ich glaube, ihre Zahl ist ziemlich beschränkt, und ihre Besorgnis wird schwerlich tiefer liegen, als daß sie nicht binnen zehn Minuten zu heilen wäre.« »Die Zahl ist größer, als Ihr meint,« versetzte Katharina, »mancher aber scheint sich um Euch zu sorgen, ohne damit recht zu tun, wißt Ihr doch, Euch am besten selbst zu beraten. Wenn Ihr der Ehre und Pflicht und dem Glauben Eurer Väter Gold und Kirchengüter vorzieht, warum sollte da Euer Gewissen Euch stärkere Fesseln anlegen als andern?« »Sei mir der Himmel Zeuge!« rief Roland, »daß, wenn ich Zweifel bezüglich der Religion hege, diese Zweifel aus Ueberzeugung meines Herzens, zufolge der Stimme meines Gewissens, hervorgegangen sind!« »Zufolge der Stimme Eures Gewissens?« wiederholte sie mit Nachdruck. »Gewiß, Euer Gewissen ist Euch Deckmantel, ein gar bequemer Deckmantel, wie ich gern gelten lasse, birgt er doch die schwere Last eines der schönsten Lehen der Abtei des heiligen Marienklosters von Kennaqhyeir, jüngst unserm Königlichen Krongut anheimgefallen durch ihren Abt und ihre Brüder, und nun übertragen durch den großmächtigen Murray, den Verrätergraf, dem lieben Frauenritter Roland für seine Dienste als Hilfsspion und Vize-Kerkermeister seiner rechtmäßigen Fürstin Maria.« »Ihr verkennt mich grausam,« erwiderte der Page, »Gott ist mir Zeuge, daß ich diese arme Dame schützen und retten möchte mit Leibes- und Lebensgefahr! aber was kann ich, was irgendwer zu ihrer Rettung tun?« »Tun läßt sich vieles! genug, alles, wenn Männer sich treu und ehrenhaft bewähren wie in den Tagen eines Bruce und eines Wallace. Ach, Roland, welchem Unternehmen entzieht Ihr Euch, entzieht Ihr Eure Hand und Euer Herz aus bloßem Wankelmut und aus Mangel an Feuergeist!« »Wie kann ich mich einem Unternehmen entziehen, das mir noch gar nicht bekannt ist?« fragte Roland. »Hat die Königin, habt Ihr, hat sonst jemand einen Dienst von mir begehrt, dessen ich mich geweigert hätte? Habt aber nicht vielmehr Ihr mich ferngehalten von all Euren Beratungen, als sei ich ein treuloser Kundschafter?« »Wer sollte dem Freunde, Schüler und Genossen eines Ketzerpriesters wie Henderson vertrauen? Wahrlich, einem bessern konntet Ihr Euch nicht zuwenden an Stelle des edlen Paters Ambrosius, der jetzt von Haus und Hof gejagt ist, wenn er nicht irgendwo im Kerker schmachtet, weil er den Schergen des Grafen Morton sich widersetzte, an dessen Bruder die irdischen Besitztümer des hehren Gotteshauses gegeben worden sind.« »Ist das möglich? in solcher Not befände sich Pater Ambrosius?« fragte der Page. »Das solltet Ihr nicht wissen?« fragte Katharina, »da Ihr doch geschlürft habt von dem Gifte, das Ihr von den Lippen schleudern solltet? Oder stellt Ihr's in Abrede? Ist Euer Glaube nicht im Wanken, wenn nicht gar schon unterlegen? Rühmt sich nicht dieser ketzerische Mucker schon Eurer Eroberung? stellt Euch die ketzerische Schloßherrin nicht andern schon als Muster auf? Glauben nicht die Königin und Lady Fleming an Euren Abfall? Und gibt's wohl jemand außer einer einzigen Person – nun, warum soll ich's nicht unumwunden sagen? ... gibt's außer mir wohl jemand noch, der auch nur die schwächste Hoffnung noch besäße, daß Ihr Euch noch so bewähren möchtet, wie alle einst von Euch erwarteten?« »Ich weiß nicht,« sagte darauf Roland, in großer Verlegenheit darüber, was man von ihm erwartet hatte, nach den Reden einer Person, an der sich sein Interesse durch den langen gemeinschaftlichen Aufenthalt im Schlosse Lochleven ganz sicher nicht verringert hatte ... »ich weiß nicht, was man von mir erwartet hat oder von mir fürchtet. Ich bin hierher gesandt worden zum Dienst bei der Königin Maria und gelobe ihr Dienerpflicht auf Leben und Tod. Hat sich jemand andrer Dienste von mir gewärtig gehalten, dann bin ich nicht tauglich gewesen, sie zu leisten. Zu den Lehren der reformierten Kirche bekenn ich mich weder, noch verwerfe ich sie ... Soll ich Euch sagen, wie ich in dieser Hinsicht denke und meine? Mir will es vorkommen, als sei die katholische Geistlichkeit durch gewisse Schlechtigkeiten selbst schuld an diesem Strafgericht, das über sie hereingebrochen ist; und meinem Dafürhalten nach kann solches Strafgericht nur beitragen zu ihrer Besserung ... Was aber den Verrat betrifft an dieser edlen Königin, so bin ich, Gott sei Dank! frei von jeglichem Gedanken daran. Und dächt ich schlimmer über sie als ich vom Standpunkt eines Dieners aus möchte und von dem eines Untertans aus dürfte, so würde ich selbst dann nicht zum Verräter an ihr werden...« »Genug! genug!« rief Katharina und klatschte in die Hände, »Du verläßt uns also nicht, wenn sich Mittel und Wege zeigen sollten, unsrer Gebieterin den Weg zur Freiheit zu zeigen, Mittel und Wege zur Beilegung des Zwistes zwischen ihr und ihren meuterischen Untertanen?« »Ja, aber, Holdeste der Holden,« warf der Page ein, »hört doch, bitte, was der Regent zu mir sagte, als er mich hierher sandte!« »Hört lieber, was der Teufel sagte!« rief erbittert Katharina, »statt daß Ihr hört, was solch ein falscher Untertan und Bruder und Freund und Berater gesagt hat! Von einem armseligen, auf kleinen Gnadengehalt gesetzten Subjekt durch die Großmut seiner Schwester emporgehoben zum Verweser, der wie ein Pilz aufgeschossen und gewachsen ist einzig durch die Wärme schwesterlicher Gunst, und der nun zum Dank hierfür Ränke gegen sie spann, durch die sie den Weg hierher in dieses Kerkerloch gefunden hat, durch die er sie gezwungen hat zur Entsagung, zum Verzicht auf Thron und Land – O, ermorden ließe er sie, wenn er es wagte um der andern Höfe, um Schottlands, um ihrer letzten Anhänger willen!« »So schlecht denke ich nicht vom Grafen Murray,« erwiderte Roland Gräme, »und grade heraus gesagt, holde Kallipolis, einiger Bestechung wäre es nun doch wohl nötig, um mich zu einem festen, verzweifelten Entschluß zwischen den beiden Parteien zu bringen.« »Nun, wenn es bloß darauf ankommen soll,« rief Katharina in begeistertem Tone, »so werden Euch die Gebete unterdrückter Untertanen, die Gebete einer beraubten Geistlichkeit, eines verhöhnten Adels, die Segnungen kommender Geschlechter, die Dankbarkeit der Zeitgenossen, Ruhm auf Erden und Seligkeit im Himmel wohl ein genügendes Entgelt sein können, aber Euer Vaterland, Eure Königin werden Euch danken, die Männer werden Euch ehren, die Frauen Euch preisen, und ich, durch frühern Schwur schon an Euch gebunden zur Befreiung der Königin, werde Euch herzlicher lieben als eine Schwester je den Bruder liebte.« »Weiter – Weiter!« flehte Robert, indem er sich auf ein Knie niederließ und ihre Hand ergriff, die sie im Feuer ihrer Rede nach ihm ausgestreckt hatte. »Nein!« sagte sie und tat sich Einhalt ... »zuviel ... viel zu viel habe ich gesprochen, wenn ich als Siegerin hervorgehe ... und viel, viel zu wenig, wenn ich nicht als Siegerin hervorgehe. Aber ich habe gesiegt,« sprach sie weiter, denn sie sah, daß sich in den Mienen des Jünglings das Feuer ihrer Begeisterung spiegelte, »ich siege, oder vielmehr, die gute Sache siegt durch eigne Kraft – und so weihe ich Dich dieser unsrer guten, unsrer heiligen Sache!« Und indem sie so sprach, machte sie mit ihrem Zeigefinger über der Stirn des in Staunen versunkenen Jünglings das Zeichen des Kreuzes, neigte ihr Antlitz zu ihm hernieder und schien dem leeren Raume, innerhalb dessen sie dieses Sinnbild gezeichnet hatte, einen Kuß zu spenden. Dann richtete sie sich auf und eilte in das Zimmer der Königin. Viertes Kapitel In nachdenklicher Stimmung begab Roland sich am andern Morgen auf die Zinnen des Schlosses, um ruhig seinen Gedanken nachhängen zu können, aber es war ein schlecht gewählter Zufluchtsort, denn er traf hier alsbald den Kaplan Henderson. »Euch suchte ich, junger Mann,« sprach der Kaplan, »denn ich habe mit Euch über eine Sache, die Euch angeht, zu reden.« Roland hatte keinen Vorwand, sich diesem Wunsche zu entziehen, so lebhaft er auch fühlte, daß ihm aus der Unterhaltung nur Verdruß erwachsen werde. »Junger Mann,« hub der Kaplan an, »Du bist hier im Dienst einer Dame, die, von so hoher Geburt sie ist, doch um des Unglücks willen, das sich an ihre Fersen heftet, unser tiefes Mitleid herausfordert, während die großen äußern Vorzüge, die eine gütige Natur ihr verlieh, und die des Mannes Aufmerksamkeit und Neigung in Fesseln schlagen, zur Vorsicht gemahnen. Hast Du je Dein Verhältnis zur Lady Maria von Schottland aus richtigem Gesichtspunkt betrachtet?« »Ich hoffe die Pflichten, die ein Diener in meiner Stellung einer königlichen Gebieterin in solch trauriger Lage schuldig ist, richtig aufzufassen, würdiger Herr,« sagte Roland. »Recht, aber grade dieses lobenswerte Gefühl kann Dich auf Abwege leiten, die zu Verbrechen und Verrat führen.« »Ich verstehe nicht, worauf Ihr hinaus wollt, Herr,« erwiderte Roland. »Ich will nicht über Dinge mit Dir reden, Jüngling, die dieser übelberatenen Fürstin nachgeredet werden, weil sie sich nicht schicken für die Ohren eines Dieners, der ihr zur Treue verpflichtet ist. Es genügt, wenn ich sage, daß dieser Fürstin höhere Gnadengebote, bessere Ruhmeshoffnung geboten waren als je einem Fürsten der Erde. Aber alles wies sie von sich und führte ein Leben, das sie zuletzt in solch einsame Haft führen mußte zu ihrem eignen Seelenheil und zum Besten des schottischen Volks, wie sie sie jetzt verbringt in diesem einsamen Schlosse.« »Die Gefängnishaft meiner unglücklichen Gebieterin, würdiger Herr,« versetzte Roland mit Ungeduld, »fühle ich selbst, denn ich leide ja infolgedessen selbst unter Beschränkung meiner Freiheit. Und wenn ich offen reden soll, so bin ich dieser Beschränkung herzlich überdrüssig.« »Eben darüber wollte ich mit Dir reden,« sagte freundlich der Kaplan, »vorher möchte ich Dich aber bitten, mein Sohn, den Blick auf diese gesegneten Fluren zu lenken. Was verdiente wohl der, der über sie Mord und Brand brächte, der die Schwerter des Volks gegeneinander kehrte und die mühsam erbauten Wohnstätten in Schutt und Asche legte? ... Was verdiente der, der des Aberglaubens alte Götzen wieder aufrichtete und unsre Gotteskirchen zu Baalsaltären machte.« »Ich errate nicht, wem Ihr die Absicht, solch grauses Elend über Land und Volk zu bringen, beimessen wollt!« sagte Roland. »Verhüte Gott, daß ich sagen wollte, Dir!« erwiderte der Prediger. »Doch achte, Roland Gräme, daß Du über dem Dienste Deiner Gebieterin die höheren Pflichten nicht aus dem Auge verlierst, die der Frieden Deines Vaterlands, und seiner Bewohner Heil und Wohlfahrt erfordern. Sonst, Roland Gräme, könntest Du grade derjenige sein, auf dessen Haupt die solchem Beginnen gebührliche Strafe fiele. Läßt Du Dich vom Gesange dieser Sirene betören, die Flucht dieser unglückseligen Frau aus diesem Orte der Haft und Buße zu befördern, dann ist es aus mit der Ruhe und dem Frieden dieses Landes, mit der Frucht seiner Felder, mit der Wohnlichkeit seiner Hütten, mit der Pracht seiner Paläste ... und das noch ungeborne Kind wird dem Manne fluchen, welcher dem Wirrsal Tür und Tor öffnete, das einem Kriege zwischen Mutter und Sohn entspringen muß!« »Mir ist solches Beginnen fremd, würdiger Herr,« lautete die Antwort des Pagen, »ich kann also auch nichts dazu tun. Ich habe der Königin gegenüber keine andern Obliegenheiten als die eines Dieners, und ihrer wäre ich am liebsten, je eher, je lieber, ledig, demungeachtet –« »In der Absicht, Dich für den Genuß größerer Freiheit zu bereiten,« sagte der Prediger, »habe ich mich bemüht, Dir die Verantwortlichkeit einzuprägen, deren Du Dich bei Erfüllung Dieser Pflicht bewußt zu halten hast. Georg Douglas hat der Schloßherrin gesagt, mein Sohn, Du seiest Deines Dienstes überdrüssig, und da Du desselben nicht entlassen werden kannst, hat sich die Lady durch mich bestimmen lassen, Dich für die Besorgung gewisser Aufträge ins Auge zu fassen, die bislang andern Personen überlassen wurden. Komm also mit mir zur Schloßherrin, mein Sohn, denn heut zum ersten Male sollst Du mit solchem Auftrag bedacht werden.« »Ich möchte doch bitten, würdiger Herr, in diesem Falle von mir abzusehen, denn wie kann es sein, daß einer zweien Herren diene? und ich besorge sehr, daß meine Gebieterin es mir nicht gut anrechnen möchte, wollte ich für andre Herrschaften Dienste tun.« »Diese Besorgnis, mein Sohn, soll von Dir genommen werden,« erwiderte der Prediger, »denn die Schloßherrin wünscht, daß von Deiner Gebieterin die Erlaubnis in schicklicher Form eingeholt werde. Ich vermute, sie wird sie nur zu gern erteilen, weil sie im stillen hoffen mag, auf diese Weise einen Vermittler mehr zu gewinnen für den Briefwechsel, in welchem sie, wie wir wissen, mit Personen in Schottland steht, die sich als ihre Freunde ausgeben, die aber ihres Namens sich bloß bedienen, um einen Bürgerkrieg zu entfesseln und dies arme Land in Not und Schrecken zu setzen.« »Und ich werde auf solche Weise dem Verdacht auf allen Seiten ausgesetzt sein,« erwiderte der Page, »denn meine Gebieterin wird mich als einen Kundschafter ansehen, den ihre Feinde ihr an die Seite gesetzt haben und Lady Lochleven wird den Gedanken nie loswerden, ich könne mich schließlich doch zu einem Verrat durch Umstände bestimmen lassen, die sich zurzeit noch nicht ergeben haben, aber jederzeit eintreten können ... Ich möchte darum vorziehen, zu bleiben, was ich bin.« »Ich verstehe Dich nicht, Roland,« sagte der Prediger nach einer Weile, in der er den Pagen mit scharfem Blicke gemustert hatte, um zu ermitteln, ob nicht in dieser Antwort mehr gelegen sei, als die Worte auszudrücken schienen; aber Roland, von Jugend auf gewöhnt, sich mit seiner Haltung und Miene nach den Worten andrer zu richten, zeigte eine so verdrießliche Miene, daß es nicht möglich war, hinter ihr die Gedanken zu erkennen, die sein Gemüt zurzeit beherrschten ... »ich verstehe Dich nicht, Roland! ich dachte, die Freude, wieder einmal mit Armbrust und Flinte drüben im Lande zu sein, würde alles andre Bedenken bei Dir besiegen.« »Das wäre wohl auch der Fall gewesen,« versetzte Roland, da er inne wurde, daß es gefährlich werden könne, das Mißtrauen des Kaplans zu wecken, »und wie hätte es anders sein können, hättet Ihr mir nicht so schlimme Worte gesagt von Brand und Mord und Wirrsal!« »Laß uns Lady Lochleven aufsuchen,« sagte der Prediger, »und rede selbst mit ihr.« Sie trafen die Dame mit ihrem Enkel, Georg Douglas, beim Frühstück. »Friede sei mit Euer Gnaden,« hub der Prediger an, »und mit Euch, Junker!« Dann winkte er dem Pagen. »Ich bring Euch Roland Gräme, der Eures Auftrags gewärtig ist.« »Unser Kaplan, junger Mensch,« sagte die Schloßherrin zu Roland, »hat sich für Eure Treue verbürgt. Wir möchten Euch daraufhin einige Aufträge geben, die wir in Kinroß, unsrer Stadt, besorgt zu sehen wünschen.« »Auf meinen Rat hin geschieht es nicht,« sagte kalt Georg Douglas. »Das ist von mir nicht gesagt worden,« erwiderte empfindlich die Lady. »Ich sollte meinen, Deines Vaters Mutter sei alt genug, in solcher einfachen Sache zu wissen, wie sie sich zu verhalten habe.« Sie wandte sich hierauf zu Roland. »Nimm also das Boot und fahre mit zwei von meinen Leuten, die Dryfesdale oder Randal bestimmen mag, nach Kinroß hinüber und hole einiges Silberzeug und Tapeten ab, die vorige Nacht von Edinburg für uns angekommen sind.« »Drüben am Ufer wird ein Diener von uns warten, dem gebt zu weiterer Besorgung hier dieses Päckchen,« fügte Georg Douglas bei. »Es ist der schriftliche Wochen-Bericht an meinen Vater,« bemerkte er zu seiner Großmutter, die sich begnügte, mit dem Kopfe zu nicken. »Ich habe dem Herrn Kaplan gegenüber schon betont,« bemerkte Roland, »daß es zuvor notwendig sei, die Einwilligung ihrer Gnaden meiner Gebieterin hierzu einzuholen.« »Dieser Einwand macht Dir nur Ehre, mein Sohn,« antwortete die Lady, »Georg, sorge hierfür!« »Mit gütigem Verlaub von beiden Seiten,« bemerkte der Kaplan, »möchte ich mich dieser Aufgabe unterziehen. Die Königin hat mich zwar während der ganzen Dauer meines Aufenthalts in diesem Schlosse keines Wortes oder Blickes gewürdigt, indessen war es, des rufe ich den Himmel zum Zeugen, in erster Linie der Wunsch, ihre Seele auf den rechten Weg des Heils zu führen, der mich hierher geführt hat.« »Wagt Euch nicht vorwitzig an eine Sache,« meinte Georg Douglas in einem fast höhnischen Tone, »zu der es Euch doch vielleicht an Beruf fehlt ... wer drängt Euch denn zu solchem Dienste?« »Der Herr und Meister, dessen Dienst ich meine Kräfte geweiht habe,« erwiderte mit gläubigem Aufblick der Prediger. »Er, der mir die Pflicht auferlegte, eifrig zu sein in der Zeit und außer der Zeit.« »Mein Sohn,« sagte Lady Lochleven, »hemme nicht den Willen unsers wackern Freundes, sondern laß ihn der unglücklichen Fürstin vortragen, was wir von ihr gewährt zu erhalten wünschen.«-- »Mir liegt nichts dran, es ihm zu wehren,« versetzte Douglas, »ich wünsch ihm alles Glück.« Der Geistliche begab sich zur Königin und traf sie mit ihren beiden Damen in jenem Zimmer, wo sie die denkwürdige Unterredung mit den beiden Lords und Sir Melville gehabt hatte. Sie war, wie immer, mit Stickerei beschäftigt. Sie begrüßte den Diener Gottes mit jener Huld, die fast unzertrennlich von ihrem Wesen war, so daß sich derselbe in gewissem Grade verlegen fühlte. »Die liebe Lady Lochleven, mit Eurer Gnaden Gunst ...« begann er. Maria fiel ihm ins Wort. »Der lieben Lady? ... doch sprecht weiter! was ist dieser lieben Lady Begehr?« »Eure Gnaden möchten dem Pagen Gräme erlauben, nach Kinroß hinüberzufahren, wo er einige Tapeten und Gerätschaften, bestimmt für Euer Gnaden Gemächer, im Boot herüberholen soll.« »Wozu eine Erlaubnis von mir in Dingen, die doch im Belieben der Lady stehen?« fragte die Königin. »Hätte man nicht gemeint, der Page stehe mehr unter dem Befehle der Lady als der Königin, so würde man ihn der Königin schwerlich vergönnt haben. Aber Wir geben, da sie gewünscht wird, diese Einwilligung gern, denn es liegt Uns ferne, zu den Erschwernissen der Gefangenschaft, die Wir erdulden müssen, andre Geschöpfe zu verdammen.« »Ueber Gefangenschaft Klage zu führen, gnädigste Dame,« versetzte der Priester, »ist menschlicher Natur angemessen. Aber es hat auch Menschen gegeben, die erkannten, daß irdische Haft sich verwenden lasse zur Erlösung aus geistigen Banden,« »Ich errate, was Ihr meint, mein Herr,« versetzte die Königin, »doch spart Euch alle Mühe! Ich habe Gelegenheit gehabt, Euren gewaltigen Ketzer-Apostel John Knox zu hören, auch er hat solche Mühe sich gegeben, und ebenfalls umsonst.« »Die Worte, die von ihm, den Ihr mit Recht Apostel nennt, vergeblich gesprochen wurden, konnten bei der Muße, die Euch dieser Aufenthalt zum Nachdenken schafft, im Gegensatz zu der Fröhlichkeit und dem bunten Leben bei Hofe, doch vielleicht freundlicherer Aufnahme sich zu gewärtigen haben. Gott ist mir Zeuge, gnädigste Dame, daß ich in der Einfalt meines Herzens rede, und daß es mir fern liegt, mich nur im entferntesten mit jenem heiligen Manne in Vergleich zu stellen, dessen Namen Eure Lippen genannt haben. Wolltet Ihr aber Euch herablassen, von den herrlichen Gaben der Natur und des Geistes, über die Ihr gebietet, den schönsten Gebrauch zu machen – wolltet Ihr nur der leisesten Hoffnung Raum vergönnen, daß Ihr Euer Ohr den Mahnungen nicht verschlösset, Euch freizumachen von dem Irrglauben und Götzendienst, in welchem Ihr erzogen wurdet, dann bin ich gewiß, daß der reichstbegabte meiner Brüder, daß John Knox selbst herbeieilen würde ...« »Für Eure christliche Liebe bin ich Euch zu allem Dank verbunden, Herr,« erwiderte Maria: »da ich aber zurzeit nur dies bescheidne Audienzzimmer zur Verfügung habe, läge mir wahrlich nichts daran, es zu einem hugenottischen Konzilium verwandelt zu sehen.« »Doch beharret zum wenigsten nicht, gnädigste Frau,« hub der Prediger wieder an, »in solch hartnäckiger Verblendung auf Euren Irrtümern! Leihet einem Manne Euer Ohr, der hungerte und dürstete, wachte und betete, das fromme Werk Eurer Bekehrung zu unternehmen ...« »Ich will Eures Eifers nicht spotten,« fiel ihm Maria von neuem ins Wort, »und es möchte sich wohl so anhören, wenn ich Euch sagte, daß Ihr eher zum Hohngelächter der Hölle werden, als über sie siegen dürftet! Eure Nächstenliebe fordert im Gegenteil meinen Dank, denn sie mag wohl redlich gemeint sein ... aber hegt von mir die gleich gute Meinung, die ich von Euch hege, und haltet dafür, daß ich so lebhaft danach verlange, Euch auf den rechten Weg zurückzuführen, wie Ihr es mir gegenüber verlangt.« »Sofern dies wirklich Eure ehrliche Absicht ist, gnädigste Frau,« nahm sie der Prediger beim Worte, »was hindert uns dann, in die Erörterung solch wichtiger Streitfrage einzutreten? Ihr verfügt, nach aller Zeugnis, die mit Euch verkehrten, über Gelehrsamkeit und Witz ...« »Nein, nein,« wehrte ihm Maria, »es wäre trotz allem ein ungleicher Kampf! denn Ihr, Herr, könntet Euch, sobald Ihr merkt, daß der Kampf sich zu Euren Ungunsten neigt, aus dem Treffen ziehen, ich aber bliebe an den Pfahl gebunden und könnte nicht sagen, ich sei des Streites müde ... Nein, nein! ich habe bloß einen Wunsch, allein zu sein!« Mit diesen Worten verneigte sie sich vor dem Kaplan, und dieser, so glühender Eifer ihn auch beseelte, meinte doch nicht, solchem Winke gegenüber seine Anwesenheit länger ausdehnen zu dürfen, sondern wandte sich nach einer tiefen Verbeugung, um das Zimmer zu verlassen. Doch Maria nahm noch einmal das Wort. »Tut mir in Euren Gedanken nicht unrecht, Herr,« sagte sie; »sollte sich mein Aufenthalt in dieser Burg verlängern, sollten weder meine meuterischen Untertanen ihr Unrecht bereuen lernen, noch die mir treu gebliebenen die Oberhand gewinnen, dann könnte ja vielleicht der Fall eintreten, daß es meinen Ohren nicht unangenehm wäre, einen Mann anzuhören, der so verständig und teilnahmsvoll zu sein scheint wie Ihr; dann lasse ich es vielleicht, auf die Gefahr hin, von Euch belächelt zu werden, auf einen Versuch in dem von Euch angedeuteten Sinne ankommen, aber das müssen wir späteren Zeiten überlassen, und inzwischen mag unsre liebe Lady über meinen Pagen verfügen, wie es ihr gefällt.« Hierauf wandte sie sich an Roland. »Hier, mein lieber junger Freund, nimm die kleine Börse! es sind ein Paar Goldstücke drin, geprägt mit meinem eignen, nichtssagenden Gesichte, und doch hab ich sie immer wirksamer gegen als für mich gefunden – grad so wie meine eignen Untertanen die Waffen gegen mich ergreifen und meinen eignen Namen als Losung und Feldgeschrei gegen mich gebrauchen – da, Freund! nimm die paar Goldfüchse und amüsiere Dich auf dem Feste drüben! tanze, jubiliere, laufe, springe, liebe, drüben in der Stadt ist alles passabel, aber hier in diesem Kastell müßte jemand mehr als Quecksilber in den Adern haben, wollte er lustig sein.« »Aber, gnädigste Dame,« wandte der Kaplan ein, »wozu ermuntert Ihr diesen Jüngling, da doch die Zeit enteilt und unser die Ewigkeit harret. Läßt sich das Heil durch eitle Lust erringen? lassen sich fromme Werke üben ohne Zittern und Zagen?« »Furcht und Zittern,« erwiderte die Königin, »sind Maria Stuart fremd; aber siechen Herzens bin ich, und Wir möchten nicht ferner in Unsrer Ruhe gestört sein durch weitern Disput, Drum bitt ich, Herr, mit aller Schonung, die mit solcher Bitte vereinbar ist, Ihr wollet Euch anderswohin verfügen.« Und durch die Aufnahme, die ihm zu teil geworden, mehr gedemütigt als erfreut, entfernte sich der Kaplan, und bald nach ihm verließ auch Roland Gräme seine Gebieterin, um sich von Lady Lochleven die Weisungen für den ihm zugedachten Auftrag zu holen, »Unser Kämmerer oder, wie er sich doch nennt, törichterweise, Doktor Lukas Lundin drüben in Kinroß, wird Dich belehren über Zweck und Aufgabe der kleinen Reise, Im übrigen vergiß nicht, daß man Vertrauen in Dich setzt. Zeige Dich also desselben würdig!« Er eilte in sein kleines Stäbchen und legte seine schmuckeren Pagenkleider von Avenel an statt der schwarzen, die von Maria Stuart in Lochleven nur gelitten wurden. Dryfesdale, der Hausmeier, wartete schon am Bootsplatz und trieb zur Eile. Roland sprang in das Boot und war bald am andern Ufer, wo er sich sogleich nach dem Kämmerer Lundin erkundigte. Aber dieser hatte schon gehört, daß ein Bote von Lochleven da sei und ihn sprechen wolle, und kam Roland halbwegs entgegen. Fünftes Kapitel Lukas Lundin war aus der benachbarten Grafschaft Fife gebürtig, stand mit dem den Lochlevens befreundeten Geschlechte der Lundins in entfernter Bluts- oder Seitenverwandtschaft und hatte sich dem Studium der Heilkunde zugewandt, aber nicht mit dem gewünschten Erfolg. Er war deshalb froh gewesen, die behagliche Anstellung eines Kämmerers in der Lochlevenschen Güterverwaltung zu bekommen. In den unruhvollen Zeiten waren die Kämmerei-Einkünfte aber auch zurückgegangen, und er hatte sich nebenher wieder zu seiner frühern Kunst gewandt, und nun hatte man in der Herrschaft Kinroß bald die Erfahrung gemacht, daß die Bewohnerschaft es in der Zwangsmühle des Barons nicht schlechter gehabt hatte als jetzt, wo sie von dem Doktor und Kämmerer gezwungen wurde, sich mit allen möglichen Arzneien und Mixturen vom Leben zum Tode zu kurieren; und wehe dem reichen Landbauern, der es sich herausnahm, ohne einen Paß vom Doktor Lundlin aus dem Leben zu scheiden! In seiner doppelten Bedeutung, als Arzt und als Amtsperson, und eingebildet auf die gelehrten Brocken, mit denen er seine Rede so spickte, daß sie fast unverständlich wurde, hieß er den Pagen, der auf ihn zutrat, willkommen, »Der Morgen spende Euch Kühlung, schöner Herr! Ihr seid gewiß hierher gesandt, um Euch zu erkundigen, ob ich die mir übertragne Ordnung auch angemessen aufrecht erhalte. Ihre Gnaden wünschen ja alle abergläubischen Observantien und Zeremonien bei diesem unserm Fest aufgehoben zu sehen. Aber wie ich die Ehre hatte, ihr aus den Büchern des gelehrten Hercules Saxo auseinanderzusetzen, daß omnis curatio est vol canonia vol coacta, was soviel heißt, schöner Herr, denn Samt und Seide haben selten ihr Latein ad unguem [sonderlich genau], jede Kur muß durch Kunst und Anwendung der Regeln oder mit Gewalt bewerkstelligt werden; und der weise Arzt zieht das erstere vor. Da Ihre Gnaden solchem Grund ihre Anerkennung nicht versagten, habe ich mir die veniam [Erlaubnis] genommen, Unterweisung und Vorsicht mit gaudium [Freude] zu vermischen, so daß ich dafür bürgen kann, daß das Volksgemüt durch die gebrauchten Medikamente von veralteten päpstlichen Torheiten gereinigt und ausgefegt werden dürfe, tuto, cito, jucundo [gänzlich, geschwind und angenehm]. »Doktor Lundin,« antwortete der Page, »ich habe keinen Auftrag.« »Nennt mich nicht Doktor,« antwortete der Kämmerer, »denn ich bin doch im wesentlichen jetzt auf das weltliche Geschäft der Kämmerei beschränkt, wenn Ihr auch in meiner Wohnung, wohin ich Euch jetzt geleite, gut tun werdet, nicht über Retorten zu stolpern.« Dort angelangt, fand der Page freilich allen Grund, vorsichtig zu sein, denn neben ausgestopften Vögeln, Eidechsen, Schlangen in Spiritus, Kräuterbündeln und andern zum Trocknen ausgebreiteten Ingredienzien, wie sie sich auf dem Warentische eines Spezereihändlers befinden, lagen und standen auch Berge von Holzkohle, Schmelztiegel, Kohlenbecken und allerhand andres Zubehör einer chemischen Werkstätte herum. Doktor Lundin war Philosoph und war unordentlich wie ein Philosoph, und die alte Wirtschafterin, die, wie er sagte, über dem Nachräumen dessen, was er verlege und verkrame, ihr Leben hinbringe, hatte sich heut schon beizeiten auf den Weg nach dem Tanzboden gemacht. Es dauerte also geraume Zeit, bis der Doktor aus all seinen Glasbeständen zwei Gläser herausgefunden hatte, die geeignet waren, solch schmuckem Gaste etwas zum Trinken vorzusetzen, und nicht minder lange dauerte es, bis er aus seinen anderen Vorräten dasjenige herausgefunden hatte, was er solchem Gaste als Herzstärkung vorsetzen durfte. Aber endlich war ihm beides gelungen, und nun mußte sich Roland dazu bequemen, von dem in allen Tonarten gepriesenen Getränk seines Wirtes zu kosten; aber er fand das Zeug so abscheulich bitter, daß er gern aus der ärztlichen Werkstatt in den Hof hinaus geschlüpft wäre, um ein Glas Wasser zu trinken. Aber sein redseliger Wirt wollte ihn nicht von sich lassen, sondern schwatzte ihm die Ohren voll mit allerhand Geschichten von Kuren und Mixturen, bis Roland endlich die Geduld riß und er dem Doktor erklärte, er wolle unbedingt keine Zeit weiter verstreichen lassen, sondern sich das Fest ansehen. »Ein passabler Vorschlag,« stimmte der Doktor bei, »und ich täte auch gut, mich auf dem Festplatze sehen zu lassen. Ueberdem erwartet uns das Schauspiel, junger Mann, denn heute spielt totus mundus histrionem [alle Welt dem Schauspieler] . So machten sie sich beide auf den Weg. Das Erscheinen des Kämmerers erregte großen Jubel, denn nun ließ sich annehmen, daß es mit dem Beginn des Schauspiels nicht mehr lange dauern werde. Alles andre, was auf dem Feste geboten wurde, war jüngern Datums, aber das dramatische Spiel fesselte noch immer die Aufmerksamkeit am meisten. Im Nu wurden alle andern Belustigungen unterbrochen, der Tanz um den Maienbaum wurde eingestellt, und Tänzer wie Tänzerinnen sprangen zur Waldwiese, wo die Bühne aufgerichtet war. Der große braune Bär und die drei bis vier Bullenbeißer, die zur Augenweide des Publikums einen grimmigen Kampf ausfochten hatten, wurden von einem halben Dutzend Bauernburschen im Verein mit dem Bärenführer mit Stangen auseinander gebracht. Der Bänkelsänger sah sich grade bei der interessantesten Stelle seines Liedes von seinem ganzen Publikum verlassen und merkte zum lebhaftesten Verdrusse, daß er den günstigen Moment zum Einsammeln seines Spielhonorars verpaßt hatte, schob seine dreisaitige Fidel mit verdrossnem Gesicht in ihr Futteral und folgte mit einem Gebrumm, wie es keine Baßgeige kräftiger hätte herausbringen können, dem Volke zu jener andern Vorführung, die die seinige so schmählich in den Hintergrund gedrängt hatte. Der Taschenspieler gab es auf, Feuer zu schlucken und Drachen zu speien, und machte es wie sein Kollege der Bänkelsänger. Wollte man an die theatralische Vorstellung, die hier geboten wurde, den Maßstab von heute legen, so würde man freilich weit neben das Ziel schießen, denn wahrscheinlich waren die Bühnen im alten Griechenland gegenüber denen im alten Schottland noch großartig zu nennen. Von Kulissen, Maschinenwerk, Logen und Parterre ec. war nichts zu erblicken, der grüne Rasen war die Bühne, und Rasenbänke waren für die Zuschauer die Sitze, die um drei Vierteile des Platzes herum liefen, während das letzte Viertel offen gelassen war für die Schauspieler zum Auf- und Abtreten. Auf diesen Rasenbänken saß nun das kritische und unkritische Publikum, allen voran der Kämmerer als die vornehmste Standesperson, der den Platz in der Mitte einnahm. Die Schauspieler, die hier auftraten, waren dieselben, wie auf all den frühern Volksbühnen der Kulturvölker: greise Männer und Weiber, die von ihren Kindern ausgebeutet und ausgeplündert werden, ein großmäuliger Kriegsmann, ein pfiffiger Ablaßkrämer, ein Tolpatsch von Bauer und eine Zierpuppe von Stadtmadam. Daneben der lose Narr mit der Pritsche, der Don Juan der spanischen Bühne, u. s. w. Das Stück war eine Komödie gegen den katholischen Glauben, das keine geringere Person als den Doktor Lundin zum Urheber hatte, allerhand scharfe Spitzen gegen die Geistlichkeit und die Klöster ec. enthielt; und wenn eine besonders saftige Stelle zum Vortrag kam, so ermangelte er nicht, Roland mit dem Aermel anzustoßen, und wenn auch Roland nicht lachte, so unterließ er das doch nie selbst und klatschte wohl auch in die Hände, um die allgemeine Stimme seinem Werke recht günstig zu machen. Die Handlung drehte sich um das uralte, ewig neue Thema des Liebeshandels zwischen Mann und Weib, wobei eine wundertätige Reliquie ihre wirksame Rolle spielte. Mit entsprechenden Grimassen und Hanswurstereien wurde die Reliquie allen Darstellerinnen reihum präsentiert, von denen aber keine, wenn es an die Keuschheitsprobe ging, bestehen konnte oder wollte. Endlich drohte die Geschichte langweilig zu werden, und der Reliquienkrämer wollte ein andres Stück an die Reihe bringen, als der Narr unvermutet einem jungen Frauenzimmer, das in der vordersten Reihe der Zuschauer stand, ein schwarzes Tuch vor dem Gesicht hatte und sich grade mit den Vorgängen auf der Bühne schärfer als vorher befaßte, ein Fläschchen unter die Nase hielt. Infolge des scharfen Geruchs, den das Fläschchen ausströmte, mußte das Frauenzimmer heftig niesen und geriet darüber in solchen Zorn, daß es dem Narr eine Ohrfeige versetzte, so derb, daß derselbe ins Gras purzelte. Darüber nun großer Lärm. Alles schrie der couragierten Person Beifall zu, aber der Narr erhob sich langsam und fing an zu wimmern und seine Backe zu streicheln, und da schien es, als wenn die Stimmung des Publikums umschlagen wollte. Den Kämmerer verdroß es aber, daß gegen den Narren solche Selbstjustiz von solchem jungen Dinge geübt worden war, und er beorderte zwei von seinen Hellebardierern, die schuldige Person vor sein Tribunal zu führen. Das Mädchen aber widersetzte sich trotzig den beiden Dienern der kämmerlichen Hermandad, und schon schickten diese sich an, Gewalt zu brauchen, als das Mädchen nach kurzem Besinnen in bescheidner jungfräulicher Sitte ihren Mantel um die Arme schlug und sich zum freiwilligen Mitgehen anschickte. Leicht und in natürlicher, ungezwungner Anmut schritt sie über den Rasenplatz, bewacht von ihren beiden Trabanten, und ließ ihr blitzsaubres, rotbraunes Mieder sehen mit dem Röschen von rotbrauner Farbe und dem niedlichen Füßchen darunter. Das Tuch verhüllte ihr Gesicht, aber der Doktor, der es sich trotz alles wissenschaftlichen Ernstes nicht nehmen lassen mochte, ein guter Kenner weiblicher Schönheit zu sein, meinte genug gesehen zu haben, um von dem wenigen, was er sah, einen befriedigenden Schluß auf das Ganze zu machen. »Was hast Du zu Deiner Entschuldigung vorzubringen, Du naseweises Ding, das mich hindern könnte, Dich in den See zu tauchen zur Strafe dafür, daß Du Dich an einem Manne vergriffen hast?« fragte der Doktor. »Weil ich, beim Himmel, meinen sollte, daß Eure Würden bei dem Unfall, der mich betroffen hat, auch noch ein kaltes Bad für notwendig erachten werden, möchte ich mich der Antwort entschlagen,« versetzte das Mädchen. »Eine verteufelte Schwerenöterin,« flüsterte der Doktor dem neben ihm sitzenden Roland zu, »und ganz gewiß, wie ich wetten möchte, ein sehr liebes Kind ... Mein Kind, Du zeigst von Deinem Gesichtchen recht wenig. Möchtest Du nicht so freundlich sein, das Tuch abzubinden?« »Hoffentlich wird Eure Würden mir vergönnen, damit so lange zu warten, bis wir näher bekannt sind. Ich möchte wenigstens nicht als das arme Ding im Lande bekannt sein, mit dem der alberne Mensch seinen Jux getrieben hat.« »Sei unbesorgt um Deinen Ruf,« erwiderte der Doktor, »denn so wahr ich Kämmerer von Lochleven, Kinroß usw. bin, selbst die keusche Susanne hätte an diesem Elixir nicht riechen können, ohne zu niesen, da es pures Extraktum von Sonnenessig war, von mir speziell gebraut. Und da Du Dich bereit erklärst, über den Vorfall Dich gebührlicher Reue und Buße nicht zu verschließen, so befehle ich Dir, für den Augenblick alles beim alten zu lassen, wie wenn keinerlei Unterbrechung und Störung dieser Art sich bei diesem spectaculo ereignet hätte.« Das Mädchen verneigte sich vor Ihren kämmerlichen Würden und verfügte sich an ihren Platz zurück. Das Spiel nahm seinen Fortgang, aber der Page fühlte keinerlei Interesse mehr daran. Was ihm seltsame Gedanken machte, war der Umstand, daß dieses Mädchen eine gewisse Aehnlichkeit mit Katharina Seyton aufwies. Stimme und Gestalt, auch Nackenbildung und Lockenhaar erinnerten unmittelbar an die geliebte Erscheinung, daß es ihm wirklich zu Mute war, als habe er sich im Irrsal eines seltsamen und staunenerregenden Traumes befunden. Der merkwürdige Auftritt im Wirtshause trat ihm mit all seinen merkwürdigen Umständen wieder vor die Seele. Waren in diesem seltsamen Geschöpf von Mädchen all die Märchen, wie man sie in Gedichten vorfand, in die Wirklichkeit getreten? war Katharina im stande, sich aus dem festen Schlosse Lochleven, das doch von dem breiten See umgeben war, – nach welchem er sich jetzt umsah, wie wenn er sich vergewissern wollte, ob er auch wirklich noch da sei – hierher zu begeben? konnte sie all diese Hindernisse besiegen, um an einem Feste in solchem Dorfe wie Kinroß teilzunehmen? und konnte sie sich hier so weit hinreißen lassen, daß sie in Händel mit der Ortspolizei geriet? War das möglich? Ließ sich das annehmen? Roland konnte zu keiner bestimmten Meinung gelangen, ob er sich irrte oder nicht; aber soviel mußte er sich sagen, daß sie sich zu einem Geschöpf entpuppen würde, für das dem gewöhnlichen Menschenkinde die Begriffe fehlten, wenn sie die Mühen und Anstrengungen im Verein mit den mannigfachen Gefahren wirklich überstanden hätte, um ihre Freiheit zu gewinnen, und wenn sie diese Freiheit in der Tat dazu wahrnähme, sich den Genuß solcher Feste zu verschaffen! In diesen Betrachtungen wurde er gestört durch seinen Gefährten Doktor Lundin.. »Ihr dürftet,« meinte dieser, indem er Roland ziemlich unsanft in die Rippen stieß, wahrscheinlich weil er schon mehrfach auf zartere Weise versucht haben machte, die Aufmerksamkeit des jungen Pagen für sich zu gewinnen, »doch vielleicht Lust zu einem Tänzchen haben? Die Spielleute fangen an aufzuspielen, und über Eure Tänzerin seid Ihr wohl nicht im Zweifel? Discernit sapiens res, quas cofundit asellus [Wohl durchschauet der Weise, was töricht verheddert das Eslein] . Kaum hörte der Page diese Mahnung des Kämmerers, als er auch schon auf den Beinen war, drei bis vier Bauernburschen den Rang abzugewinnen, die die muntre kleine Schlägerin ebenfalls aufs Korn genommen hatten. Keiner von ihnen verstand die rechten Worte für seine Absicht zu finden, der Page meldete aber in wohlgesetzter Rede, daß er im Auftrage oder doch wenigstens als Abgesandter des Kämmerers komme, ihre Hand zu einem Tänzchen zu erbitten. »Der würdige Kämmerer,« versetzte sie, »indem sie ihm ihre Hand reichte, »ist ganz gescheit, sein Vorrecht auf einen Tanz auf solche Weise geltend zu machen. Die Vorschriften auf diesem Tanzboden möchten eine andre Wahl für mich wohl auch ausschließen.« »Vorausgesetzt, schönes Fräulein, bemerkte der Page, »daß Euch die Wahl des Ersatzmanns nicht durchaus mißfällig sei.« »Darauf, schöner Herr,« antwortete die lose Maid, »möcht ich Euch antworten, wenn wir den ersten Gang auf diesem Turnier hinter uns haben.« Katharina Seyton besaß, wie wir wohl schon einmal bemerkt haben, eine bewunderungswürdige Grazie ihrer Bewegungen und eine außerordentliche Gewandtheit. Sie war von ihrer königlichen Herrin oft gebeten worden, ihr etwas vorzutanzen, und dann war Roland Gräme immer ihr Partner gewesen. Infolgedessen kannte er ihre Art beim Tanzen genau, und machte jetzt die Wahrnehmung, daß die lose Maid, die er zum schottischen Bauerntanze aufführte, Katharinen wohl an Munterkeit und Grazie glich, aber hier auf dem Rasenturnier eine stärkere Hand erforderte als die kunstreichen Pas, Touren und Wendungen im kleinen Gemache der Königin. Aber die vielen Dinge, die bei solch naturwüchsigem Tanze Beobachtung heischen, ließen ihm keine Zeit zum Nachdenken und noch weniger Zeit zum Plaudern. Als aber ihr Pas-de-deux zu Ende getanzt war, und das ganze Landvolk, das solch kunstvolle Ausführung wohl noch nie gesehen haben mochte, in lautes Klatschen und Jubeln ausbrach, da nahm er diesen Zeitpunkt wahr, ein Gespräch mit seiner Schönen anzuknüpfen. »Holde Kallipolis,« hub er an, »darf ich nicht bitten um den Namen derjenigen, die mir solch hohe Gunst gewährte?« »Das dürft Ihr schon,« antwortete sie, »was anders aber ist's, ob ich's Euch sagen werde.« »Und warum solltet Ihr nicht wollen?« »Weil niemand was gibt für nichts und wider nichts!« versetzte die Schöne. »Und Ihr könnt mir nichts sagen von allem, was ich gern hören möchte.« »Könnt ich nicht meinen Namen und meine Verwandtschaft sagen im Austausch?« fragte der Page. »Nein, denn Ihr wißt von beidem wenig!« sagte die Maid. »Wieso?« fragte der Page verstimmt. »Seid nicht grillig darüber,« antwortete das Mädchen, »ich will's Euch auf der Stelle zeigen, daß ich von Euch mehr weiß, als Ihr selber von Euch bislang wohl gehört habt!« »Das wäre!« erwiderte Roland Gräme, »für wen haltet Ihr mich wohl?« »Für den Nestfalken, den ein Windspiel in der Schnauze ins Schloß trug – für den Sperber, den man nicht von der Leine lassen mag, damit er den Fang nicht im Stich lasse und auf Aas stoße, und dem man die Kappe nicht abnehmen darf, bis seine Augen hell genug geworden sind, Gutes von Bösem zu unterscheiden.« »Nun, sei es so,« erwiderte Roland Gräme, »ich errate einen Teil Eures Gleichnisses, schöne Herrin, und vielleicht weiß ich von Euch so viel wie Ihr von mir und kann der Auskunft, mit der Ihr so spröde tut, entbehren.« »Nun, so beweist's,« versetzte das Mädchen, »und ich will Euch gern scharfsinniger halten, als Euer Gesicht erraten läßt.« »Ich will sofort damit dienen,« erwiderte Roland, »Euer Name fängt an mit einem S und schließt mit einem N.« »Trefflich geraten,« sagte die Tänzerin, »weiter, bitte!« »Heut paßt's Euch, Haube und Schürze zu tragen,« sagte Roland, »und morgen sieht man Euch wohl vielleicht in Hut und Feder, Wams und Beinkleid?«  – »Fein gezielt! Aufs Haar getroffen!« rief die Maid, mit Mühe ein herzliches Lachen unterdrückend. »Ihr könnt Männern die Augen ausschlagen und Herzen aus dem Busen reißen!« fuhr Roland fort, aber wenngleich er diese letzten Worte so leise sagte, daß er meinte, sie müßten zum Herzen gehen, so minderten sie doch die Lachlust der muntern Dame nicht, sondern mehrten sie nur und Zwar in einem Maße, daß Roland sich schrecklich dumm vorkam. »Hättet Ihr meine Hand,« sagte die Maid, »für so schlimm erachtet, dann hättet Ihr sie wohl kaum so derb angefaßt! Aber ich sehe schon, Ihr kennt mich so aus dem FF, daß gar kein Grund für mich vorliegen kann, Euch mein Gesicht zu zeigen.« »Schöne Katharina,« erwiderte der Page, »der wäre wahrlich nicht würdig, Euch je gesehen zu haben, der so lange unter einem Dach mit Euch gelebt, so lange Eure Grazie bewundert, Eure Mienen studiert, Euer Ebenmaß angestaunt hätte und Euch nicht überall erkennen sollte, wo ihm das Glück, Euch gegenüber zu treten, zu teil wird? Und wer mit Stumpfsinn geschlagen wäre, müßte Euch erkennen; was aber mich angeht, holde Kallivolis, dann könnt ich wohl auf diese Locke schwören, was hinter diesem Tuche sich birgt!« ».. und auf das Alltagsgesicht, das dieses Tuch verhüllt,« sagte das Mädchen, indem sie es zurückschob, aber im nämlichen Augenblick wieder darüber zu ziehen suchte. Es waren Katharinens Züge, aber ein eigentümlicher Grad von Ungeduld und Zorn zuckte darin auf, als es ihr nicht gelingen wollte, das mit der Eleganz und Gewandtheit zu tun, die ein auszeichnendes Moment für die Modedamen der damaligen Zeit war. »Der Teufel soll den Fetzen in Stücke reißen,« rief das Fräulein, während das Tuch ihr um die Schultern wehte, in solch resolutem und zornigem Tone, daß der Page stutzig wurde. Er blickte ihr von neuem ins Gesicht, aber er sah in den Augen nichts anders als bisher. Dann half er ihr, das Tuch zu ordnen, und dann schwiegen beide eine Weile, Das Fräulein begann die Unterhaltung zuerst wieder, denn Roland war außer stande, sich die Widersprüche, die er im Aeußern und im Charakter bei Katharina entdeckte, zusammenzureimen. »Was Ihr hier hört und seht,« sagte das Mädchen, »verwundert Euch? Aber der Lauf der Zeit, der aus Weibern Männer macht, ist am wenigsten geeignet, daß aus Männern Weiber werden; und doch steht Ihr, scheint's, in Gefahr einer solchen Metamorphose.« »Ich stünde in Gefahr, zu einem Weibe zu werden?« fragte Gräme. »Ei freilich, trotz aller Keckheit, mit der Ihr antwortet! ..« erwiderte das Fräulein. »Zu einer Zeit, da Ihr festhalten solltet an Eurem Glauben, weil er bedrängt wird von allem möglichen verräterischen Ketzergesindel, laßt Ihr ihn Euch aus dem Herzen entwinden wie Wachs! Ist das nicht weibisch? ... Und was besticht Euch dazu? Feile Hoffnung auf Gewinn und irdische Auszeichnung! Ist das nicht weibisch? ...Und wenn Ihr Euch wundert, daß ich eine Drohung ausstoße oder einen Fluch über die Lippen gelangen lasse, solltet Ihr nicht vielmehr Euch wundern über Euch selbst, daß Ihr beim Vorhandensein eines Anspruchs auf edlen Namen und bei dem Streben nach Ritterswürde, das Euch doch beseelt, so feige, so töricht und so selbstisch sein könnt!« »Ich wollte, solchen Vorwurf machte mir ein Mann!« rief der Page, »er sollte gewahren, ob er Ursache habe, mich der Feigheit zu zeihen, noch ehe er um eine Minute älter geworden wäre.« »Seht Euch vor ob solcher stolzen Worte!« versetzte das Mädchen. »Ihr sagtet noch eben erst, ich trüge zuweilen Wams und Beinkleid.« »Aber Ihr bleibt immer Katharina Seyton, und wenn Ihr sonst was tragt,« antwortete der Page, indem er von neuem versuchte, sich ihrer Hand zu bemächtigen. »So gefällt es Euch, mich zu nennen,« entgegnete das Mädchen, seine Absicht vereitelnd, »doch führe ich daneben noch andre Namen!« »Und wolltet auf den nicht hören, unter dem Ihr alle Schönen ganz Schottlands an Schönheit überstrahlt?« rief der Page. Sein Lob bestach sie nicht, denn sie hielt ihn noch immer von sich fern, und unter mutwilligem Lachen hub sie an, aus einer Ballade die Strophe zu trällern: »Der eine Herzliebste, der ruft mich Hans, Und der andre bald Roland, bald Will. Doch reite ich nüber nach Holyrood, Dann bin ich der Willy Will.« »Sagt lieber, der Eigenwill oder Hansdampf in allen Gassen,« rief Roland bitter, »denn ein trügerisches, luftigeres Gebilde hat's wohl nie gegeben!« »Wenn ich's bin,« erwiderte das Mädchen, »so mach ich's doch keinem Narren zur Bedingung, mir nachzulaufen! und wenn er's tut, so tut er's aus eigner Lust und Freude, und muß auch die eigne Gefahr drum leiden!« »Aber, holdeste Katharina, seid doch bloß mal einen einzigen Augenblick ernsthaft!« sagte Roland Gräme. »Wollt Ihr mich Eure holdeste Katharina nennen,« sagte das Fräulein, »da ich Euch doch die Wahl ließ unter so mancherlei Namen, möchte ich Euch doch fragen, wie Ihr so grausam sein könnt, mir während der paar vergnügten Augenblicke, die ich seit Monden vielleicht genieße, zuzumuten, daß ich ernst sein solle? vorausgesetzt natürlich, daß Ihr die Vermutung, festhaltet, ich sei dem Turm dort drüben auf ein paar Stunden entronnen!« »Aber, schöne Katharina, es gibt doch Augenblicke im Leben voll so tiefen und warmen Gefühls, daß sie Jahre aufwiegen! und solcher Augenblick war gestern für mich, als Eure Lippen..« »Was?... meine Lippen?« fragte hastig das Fräulein. »Als Ihr Eure Lippen zum Zeichen des Kreuzes so nahe brachtet, das Ihr mir auf die Stirn machtet!« »Heilige Gottesmutter!« rief in noch stolzerm Tone und mit noch männlicherer Weise als bisher das Fräulein, »Katharina Seyton hätte ihre Lippen der Stirn eines Mannes genähert, und dieser Mann wärst Du? ... Sklave, Du lügst!« Roland erstaunte. Als er aber erkannte, daß er das Zartgefühl des Mädchens durch diesen Hinweis auf einen Augenblick schwärmerischer Begeisterung gekränkt habe, bemühte er sich, ein paar Worte der Entschuldigung oder Rechtfertigung zu stottern, und seine Gefährtin ließ, ob sie schon aller gebührlichen Form ermangelten, sie doch gelten, zumal ihr Unwille sich bereits wieder gelegt hatte. »Reden wir nicht weiter drüber,« sagte sie, »sondern scheiden wir! denn unsre Unterhaltung möchte zuletzt noch Aufmerksamkeit wecken, und die taugt vielleicht für uns beide nicht.« »Erlaubt mir wenigstens, Euch nach einem abgeschiedenen Platze zu folgen!« sagte der Page, »Das wagt Ihr doch nicht!« sagte das Mädchen. »Ich sollte mich dorthin nicht getrauen, wohin Ihr geht?« fragte der Page. »Ihr fürchtet Euch vor einem Hansdampf in allen Gassen,« sagte das Fräulein; »wie, wenn nun gar ein feuriger Drache käme, der eine Zauberin auf seinem Rücken trüge?« »Wie Zauberer Merlin am Artushofe?« rief Roland; »gibt's solche Wunderdinge hier zu sehen?« »Ich geh zur Mutter Rieneven, und die weiß mit der Wünschelrute fein Bescheid!« »Dorthin will ich Euch folgen,« erwiderte Roland. »Doch nur in gewissem Abstande!« erwiderte das Mädchen. Geschickter als zuvor hüllte sie sich in ihren Mantel, mischte sich ins Gedränge und ging nach dem Dorfe zu, während Roland ihr behutsam, um keinerlei Aufmerksamkeit zu wecken, in einiger Entfernung folgte. Sechstes Kapitel Als das Fräulein in die Haupt- oder einzige Straße einbog, die Kinroß besaß, drehte es sich um, wie wenn es sich überzeugen wolle, daß er die Spur auch nicht verloren habe. Dann bog sie plötzlich in ein schmales Seitengäßchen ein, das von einer kleinen Reihe armseliger, baufälliger Hütten gebildet wurde. Vor der Tür solcher elenden Wohnstatt blieb sie noch einmal stehen und blickte wieder die Gasse hinauf nach dem Pagen, dann griff sie nach der Klinke, machte die Tür auf und verschwand ... So geschwind auch der Page hinter ihr her war, so verursachte doch der besondre Kniff, der beim Druck auf die Klinke von nöten war, und der Druck gegen die Tür, die auch nicht sogleich nachgab, eine Verzögerung von einigen Minuten. Ein räucheriger Gang führte, wie in allen schottischen Bauerhütten, zu dem sogenannten »Hallan«, der das Innere solcher Behausung von der Außenwelt scheidenden Lehmwand. Am Ende des Ganges führte eine Tür in dieser Scheidewand nach dem »Ben« oder innern Stäbchen der Hütte, und als Roland den Drücker faßte, da sprach eine weibliche Stimme: Heil, wer im Namen des Herrn, wehe, wer im Namen des Feindes kommt! Als er in das Zimmer eintrat, erblickte er vor einem niedrigen Herde eine Gestalt. Sonst war der Raum leer. Roland Gräme sah sich darin um, verwundert über Katharinas Verschwinden, ohne des alten Weibes zu achten, bis sie durch den Ton ihrer Stimme von neuem seine Aufmerksamkeit fesselte. »Was suchst Du hier?« fragte sie. »Ich suche ... ich suche...« stotterte verlegen der Page. Aber er stockte, denn das alte Weib zog mit einem grimmigen Blicke, der ihre Stirn in tausend Falten legte, die hohen, grauen Brauen finster zusammen, stand auf, richtete sich zu voller Höhe auf, ritz das Tuch vom Haupte, nahm Roland beim Arm und führte ihn mit zwei Schritten quer durch das Zimmer vor ein kleines, schmales Fenster, das volles Licht auf ihr Gesicht warf und dem verdutzten Jünglinge die Züge von Magdalena Gräme zeigte ... »Ja, Roland,« sagte sie, »Deine Augen betrügen Dich nicht, sie zeigen Dir die Züge derjenigen, die Du betrogen haft, deren Wein Du in Galle, deren Brot Du in Gift, deren Hoffnung Du in Verzweiflung verwandelt hast! ... Magdalena Gräme ist es, die jetzt an Dich die Frage richtet: Was suchest Du hier? – Das Weib, dessen einzige Sünde war, daß es Dich liebte über alles, mehr als das Heil der ganzen Kirche liebte, sie richtet jetzt an Dich die Frage: was suchest Du hier?« ... Und ihre großen schwarzen Augen hafteten auf dem Antlitz des Jünglings mit dem Ausdruck, den das Auge eines Adlers zeigt, der im Begriffe steht, seine Beute zu zerreißen. Roland fühlte sich im Augenblick unfähig, zu antworten oder zu entrinnen. Die wunderliche Schwärmerin hatte von jenem Ansehen, das sie während seiner Kindheit über ihn gewonnen hatte, noch manches behalten. Außerdem war er sich der Leidenschaft und Unduldsamkeit gegen Widerspruch noch recht gut bewußt und ahnte, daß, er mochte antworten, was und wie er wollte, sich ganz sicher annehmen ließe, daß sie in maßlose Wut geraten werde. Darum schwieg er, und Magdalena Gräme fuhr mit steigender Begeisterung fort: »Noch einmal, falscher Knabe, was suchest Du hier? Doch nicht die Ehre, auf die Du verzichtetest, den Glauben, den Du verlassen, die Hoffnungen, die Du zertrümmert hast? ... oder suchtest Du mich, die einzige Beschützerin, die einzige Verwandte, die sich Deiner angenommen hat in Deiner Jugend? vielleicht um mein graues Haar unter Deine Füße zu treten, wie schon die liebsten Wünsche meines Herzens?« »Verzeiht mir, Mutter,« erwiderte jetzt Roland Gräme, »Euren Tadel verdiene ich gewiß nicht. Bin ich nicht von allen, und vor allen andern von Euch, verehrte Großmutter, behandelt worden wie einer, dem es an den gemeinsten Gaben eines freien Willens und einer richtigen Ueberlegung fehlte? Bin ich nicht in ein Land versetzt worden, rings umgeben von Zauberei? Ist mir nicht alles verkleidet entgegengetreten? hat nicht alles in Bildern zu mir gesprochen? daß ich befangen war wie in einem schweren Traume? ... Und nun scheltet Ihr mich, ich besäße nicht Beharrlichkeit? ich wäre nicht wie ein verständiger Mensch, der wisse, was er tue, und warum er es tue? ... Wenn ein Mensch mit Vermummten und mit Gespenstern umgehen muß, als wären es Erscheinungen und keine Wirklichkeit, so muß das den festesten Glauben erschüttern und den klügsten Kopf in Verwirrung setzen. Wen ich suchte, so fragt Ihr? Nun, dieselbe Katharina Seyton suche ich, mit der Ihr mich zusammengeführt habt! die ich hier in Kinroß traf, ohne daß ich mir zu erklären vermag, wie sie hierher gekommen sein soll, nachdem ich sie vor wenigen Stunden im Schlosse Lochleven verließ? die ich hier sehe in tollster Ungebundenheit, während ich sie verlassen habe als trübsinnigste Zofe einer gefangenen Königin? ... Sie habe ich gesucht, und Euch treffe ich an ihrer Statt? Euch, meine Mutter, und in noch seltsamerer Verkleidung!« »Und was hast Du zu schaffen mit Katharina Seyton?« fragte die Greisin mit strenger Betonung; »ist das eine Zeit oder eine Welt, den Dirnen nachzulaufen oder um einen Maienbaum zu tanzen? da doch die Kriegstrompete jeden treugesinnten Schotten zur Fahne seines rechtmäßigen Fürsten ruft? Und da findest Du Zeit am Putztische eines Weibes zu vertrödeln?« »Beim Himmel, nein!« erwiderte Roland Gräme, »weder Zeit für den Putztisch eines Weibes noch Zeit zur Haft in den alten Mauern einer Inselburg! Ich wollte, die Trommeten erklängen jetzt, denn kein schwächerer Schall wird, fürchte ich, die Geister bannen können, von denen ich zurzeit umgeben bin.« »Zweifle nicht, er wird ertönen,« sprach die Greisin, »und so fürchterlich wird er durch Schottland schmettern, durch Berg und Tal, daß Schottlands Volk wähnen wird, den Posaunenlärm des jüngsten Gerichts zu vernehmen! ... Unterdes aber, mein Roland, sei brav und bleibe standhaft, diene Gott und ehre Deine Fürstin! und beharre bei Deinem Glauben! ... ich kann und will nicht fragen, ob die schrecklichen Gerüchte, die mir zu Ohren gekommen sind über Deinen Abfall von der alleinseligmachenden Kirche, wahr sind; ich traue mich nicht, danach zu fragen! ... Geh, wenn Du anfingst, diesen Weg des Fluches zu wandeln, nicht weiter! und Du kannst, selbst zu dieser späten Stunde noch, werden, was ich vom Sohne meiner Hoffnung erhoffte, ... was sage ich: meiner Hoffnung? von Schottlands Hoffnung, Schottlands Stolz und Schottlands Ruhm! ... Selbst Deine närrischen Wünsche können sich erfüllen! aber soviel merke Dir, Roland! Katharina Seyton wird ihre Liebe nur dem schenken, der ihre Gebieterin in Freiheit setzt. In Deiner Gewalt wird es also liegen, dieser glückliche Liebhaber zu werden! ... Hinweg also mit Furcht und Zweifel! bereite Dich zu dem, was die Religion von Dir erwartet, wozu die Religion Dich auffordert! ... bereite Dich zu dem, was Dein Vaterland von Dir erwartet, was Deine Untertanenpflicht von Dir fordert, was Deine Pflicht als Diener Deiner Königin Dir auferlegt! ... Und wenn Du hierin treu bist, dann werden sich, des sei überzeugt, Deine Hoffnungen am ehesten erfüllen, am schnellsten und leichtesten erreichen lassen!« Sie hörte auf zu sprechen. Ein zweimaliges Klopfen erschallte an der Tür. Schnell rückte die Greisin ihr Tuch wieder zurecht, nahm ihren Platz am Herde wieder ein und fragte, wer da sei? »Salve in nomino sancto! [Seid willkommen im geheiligten Namen (Gottes)!]« ertönte es von draußen. »Salvete et vos! [Und Ihr desgleichen!]« lautete die Antwort der Greisin. Ein Mann trat ein. Er trug die gewöhnliche Tracht eines Reisigen im Gefolge eines Edelmanns und am Gürtel das Schwert und die Tartsche. »Ich suchte Euch, Mutter,« sagte der Mann, »und den jungen Mann, den ich bei Euch sehe,« hierauf wandte er sich an Roland Gräme: »Solltest Du nicht ein Päckchen besorgen von Georg Douglas?« »Das Päckchen habe ich,« sagte der Page, sich plötzlich dessen erinnernd, was ihm an diesem Morgen von dem Enkel der Lady Lochleven übergeben worden war. »Aber nicht jedem darf ich es ausfolgen, nur dem, der sich durch ein Zeichen als berechtigt ausweist, es mir abzufordern.« »Ihr habt recht,« antwortete der Reisige und flüsterte ihm ins Ohr: »Was ich von Euch fordere, ist der Wochenbericht an Georg Douglas' Vater. Ist das genug als Ausweis?« »Es ist genug,« erwiderte der Page. Hierauf nahm er das Päckchen aus seinem Busen und übergab es dem Manne. »Ich kehre augenblicklich wieder,« sagte der Reisige und verließ die Hütte. Roland Gräme hatte sich von dieser neuen Ueberraschung bald hinreichend erholt, um seine Großmutter zu fragen, warum er sie in solch seltsamer Vermummung und an solchem doch gewiß nicht ungefährlichen Orte treffe. »Welchen Haß die Lady Lochleben gegen alle hegt, die Eures oder vielmehr unsers Glaubens sind, kann Euch nicht unbekannt sein, Großmutter,« sagte er, »und Eure jetzige Verkleidung setzt Euch mancherlei Argwohn andrer Art aus, der nicht minder verhängnisvoll werden kann, sei es als Katholikin oder als Zauberin oder als Parteigängerin der unglücklichen Königin, die sich innerhalb des Grenzbereiches Douglasscher Macht befindet. Und an dem Lochlevenschen Kämmerer dürftet Ihr wohl auch keinen Freund haben.« »Nein,« rief die Greisin mit blitzenden Augen, »das weiß ich freilich, daß der auf seine Mixturen versessene Narr wie der Teufel mich haßt, seitdem ihm zu Ohren gekommen ist, daß die Heiligen mein Gebet gesegnet haben, daß Reliquien aus meinem Schrein bessere Heilung brachten als seine Arzneien. Aber der Magd des Herrn wird kein Leid geschehen, bis des Herrn Werk vollbracht ist. Und wann diese Stunde schlägt, dann mögen sich die Schatten der Nacht unter Blitz und Ungewitter auf mich niedersenken, und willkommen soll die Zeit mir sein, die meine Augen befreit vom Anblick der Sünde und meine Ohren vom Hören der Lästerworte. Aber Du sei standhaft und spiele Deine Rolle, wie ich die meinige gespielt habe und spielen werde, und Erlösung wird mir winken wie dem gebenedeiten Märtyrer, den die Engel des Paradieses willkommen heißen mit Psalmen und Lobgesängen, unter deren Schall der Hohn und die Verwünschungen der Erde ersticken.« Als sie geendigt hatte, trat der Reisige wieder in die Hütte und sagte: »Es ist alles gut, die Zeit ist festgesetzt auf morgen nacht.« »Welche Zeit ist festgesetzt? und was ist festgesetzt?« rief Roland, »ich habe doch hoffentlich Douglas' Auftrag an keinen Unrechten besorgt?« »Seid ohne Sorge, junger Mann,« versetzte der Reisige, »Ihr habt mein Wort und mein Zeichen.« »Vom Zeichen weiß ich nicht, ob es das rechte ist, und auf das Wort eines Fremden lege ich keinen besondern Wert,« erwiderte der Page. »Und hättest Du auch den Auftrag eines Meuterers gegen die Königin einem getreuen Untertan in die Hände gespielt, so brauchte das Versehen Dich nicht zu grämen, Roland Gräme!« »Beim heiligen Andreas!« rief da Roland, »das wäre freilich ein erbärmlicher Irrtum; denn treu meinem Worte zu sein, liegt auf dieser ersten Stufe des Rittertums mir ob als heiligste Pflicht. Und hätte mir der Teufel in Person einen Auftrag erteilt und mein Wort für die Besorgung in Händen, so verriete ich seinen Anschlag an keinen Engel!« »Ha, erwürgen konnte ich Dich mit eigner Hand, bei der Liebe, die ich einst für Dich empfunden!« sprach die Greisin, »höre ich Dich faseln von einer Treue, die Du Ketzern und Empörern schuldig zu sein meinst, wenn es sich um das Heil Deiner Kirche und Deiner Fürstin handelt.« »Seid ruhig, liebe Schwester,« sagte der Reisige, »ich will ihm Gründe namhaft machen, die seine Zweifel beseitigen werden. Die Gesinnung, die ihn dazu bestimmt, ist löblich, wenn auch hier vielleicht zur Unzeit angebracht ... Folgt mir, junger Mann!« »Ehe ich mit diesem Manne gehe, mich zu überzeugen von der Nichtigkeit seiner Worte, eine Frage noch, Mutter: kann ich nichts tun zur Erleichterung Eurer Lage?« »Nichts, mein Sohn, außer was Dich zur Ehre führen wird!« sprach die Greisin streng – »wandle den Pfad des Ruhms, der Dir vorgezeichnet ist, und gedenke meiner als einer Person, die sich freuen wird, Gutes von Dir zu hören! Und nun geh und folge dem Fremden! er hat Nachricht für Dich, wie Du sie kaum erwartet haben wirst! Mit raschen Schritten ging der Fremde voraus und aus der Hütte, dem Gäßchen entlang, und nun bemerkte Roland, daß sich bloß auf der einen Seite desselben Hütten befanden, und daß die andre Seite von einer alten, hohen Mauer eingeschlossen war, über die ein paar Bäume ihre Zweige reckten. Nach einem kurzen Stück Wegs kamen sie an eine niedrige Tür. Der Fremde blieb ein paar Augenblicke stehen, sich umzusehen, ob er nicht beobachtet werde, dann zog er einen Schlüssel aus der Tasche, öffnete die Tür und trat über die Schwelle, dem Pagen winkend, ihm zu folgen. Dann schloß der Fremde behutsam die Tür wieder ab. Roland sah sich um und bemerkte, daß er in einem kleinen Baumgarten sich befand. Der Fremde führte ihn durch eine Reihe von Gängen in eine Laube und forderte ihn auf, sich auf eine Rasenbank zu setzen, während er selbst an einen Pfosten sich lehnte. Nach kurzem Schweigen begann er: »Ihr verlangtet Gewähr von mir, daß ich von Georg Douglas beauftragt sei, das Euch anvertraute Paket an mich zu nehmen?« »Ja,« versetzte Roland, »und sollte mir hier ein Irrtum unterlaufen sein, so muß ich zusehen, alles zu tun, was in meinen Kräften steht, den Schaden wieder gut zu machen.« »Ihr meint, ich sei Euch völlig fremd,« erwiderte der Mann. »Ei, so seht Euch doch mein Gesicht einmal näher an!« Roland sah den Fremden aufmerksam an, konnte aber in seinen Zügen nichts entdecken, was ihn an frühere Bekanntschaft erinnerte. »Nun, mein Sohn,« sagte der Fremde, seine Verlegenheit wahrnehmend, »den Ihr vor Euch seht, ist Pater Ambrosius, der einst wähnte, Euch für seinen Glauben gewonnen zu haben, jetzt aber einen Abtrünnigen in Euch beklagen muß.« Seinen ehemaligen Lehrer und geistlichen Führer in solcher kläglichen Lage, als gemeinen Reisigen, zu sehen, ging Roland, dessen Herzensgüte seiner Lebhaftigkeit um nichts nachstand, so nahe, daß er auf die Kniee sank und laut aufschluchzte. »Durch welches Verhängnis,« rief der Page – »und doch,« unterbrach er sich selbst, »was brauche ich zu fragen? hat mich doch Katharina Seyton schon vorbereitet ... aber daß ein so gänzlicher Umsturz, ein so völliger Wechsel der Verhältnisse ...« »Mein Sohn, was sollen diese Tränen?« erwiderte der Abt; »sollen sie bezeugen, daß Du Deiner Abtrünnigkeit Dich schämst, dann ist es ein Erguß, Gott und den Heiligen wohlgefällig – aber nicht vergieße sie um meinetwillen! Freilich siehst Du das Oberhaupt des heiligen Marienklosters in der Kleidung eines armen Knappen, aber solches ist den Zeitumständen angemessen und steht einem Prälaten der streitenden Kirche ebensogut an wie Bischofsstab und Inful zurzeit, da die Kirche als triumphierende erscheint.« »Und Euer Bruder, der Ritter von Avenel, konnte denn er nichts tun zu Eurem Schutze?« »Er ist selbst in Verdacht geraten bei den Mächtigen im Lande,« sagte der Abt, »denn sie beweisen sich ebenso ungerecht gegen ihre Freunde wie grausam gegen ihre Feinde. Nicht könnte es mich betrüben, wenn ich hoffen dürfte, es werde ihn ablenken von der betretenen Bahn des Irrtums, doch besorge ich bei Halberts Denkungsweise eher, es werde ihn spornen zu Taten, noch verderblicher für die Kirche, noch mißfälliger in den Augen des Herrn, den Feinden Gottes und der Kirche zum Zeugnis dafür, wie treu er ihrer Sache anhängt ... Ich bin sicher, es wird Euch genügen, daß das Paket, vor kurzem noch in Euren Händen, von Georg Douglas für mich bestimmt war.« »Dann also ist Georg Douglas –« Hub der Page an, und der Abt ergänzte seine Worte: »Ein Freund seiner Königin, Roland, dessen Augen, so hoffe ich, bald sich öffnen werden über die Irrtümer seiner sogenannten Kirche!« »Was aber ist er dann seinem Vater, was der Lady Lochleven gegenüber, die ihm so viel gewesen ist wie eine Mutter?« fragte der Page voll Ungeduld. »Der beste Freund ist er beiden, in Zeit sowohl als in Ewigkeit,« erwiderte der Abt, »wenn er zum glücklichen Werkzeug wird, das Böse gut zu machen, das sie schaffen und schufen.« »Aber, mein Vater,« machte Roland geltend, »ist solch Verhalten eines Mannes wie Douglas nicht eben das, was unsre Gegner uns zur Last legen? wenn sie sagen, daß wir handelten nach dem Lehrsätze, der Zweck heilige die Mittel?« »Die Ketzer haben bei Dir, mein Sohn, ihre gewöhnlichen Mittel angewendet,« versetzte der Abt, »uns möchten sie gern des Rechtes berauben, klug und versteckt zu handeln, obgleich ihre Ueberlegenheit an irdischer Macht uns verbietet sie zu bekämpfen ... Doch darüber ein andermal mehr. Jetzt, mein Sohn, befehle ich Dir auf Dein Gewissen, mir aufrichtig zu bekennen, was Dir begegnet ist, seit wir voneinander geschieden wurden, und wie der gegenwärtige Zustand Deines Herzens beschaffen ist. Die Großmutter Gräme ist eine eifrige Dienerin Gottes und der Kirche, aber ihr Eifer ist nicht immer mit Klugheit verbunden. Darum, mein Sohn, möcht ich Dich gern selbst befragen und selbst auch beraten.« Mit aller seinem Lehrer gebührenden Ehrerbietung erzählte Roland die unsern Lesern bekannten Ereignisse und unterließ auch nicht von dem Eindrucke zu sprechen, den Katharina Seyton auf sein Gemüt gemacht hatte. »Zu meiner Freude bemerke ich, mein lieber Sohn,« entgegnete der Abt, daß ich noch grade zeitig genug komme, Dich am Rande des Abgrundes aufzuhalten, in den Du zu versinken drohtest. Dem Unkraut, das in fettem Boden aufschießt und das der Landmann mit gar emsiger Hand ausrotten muß, sind die Zweifel Deiner Seele zu vergleichen. Aber Du darfst nicht hoffen, diese Lockungen des Bösen durch die Vernunft allein zu besiegen. Versenke Deine Gedanken in die Anbetung der heiligen Gottesmutter, wenn Dir der Erzketzer die Ohren zu füllen sucht und es die Umstände Dir nicht gestatten, Dich seiner Gesellschaft zu entziehen. Und wenn Du Deine Gedanken nicht fest auf himmlische Dinge lenken kannst, dann denke lieber an Deine irdischen Freuden, als daß Du Gott und die Heiligen in Versuchung setzest dadurch, daß Du der Irrlehre Dein Ohr leihst. Der Himmel fördert seine Ratschlüsse auch durch die Torheit der Menschen, und die ehrgeizige Neigung, die Douglas beherrscht, wird nicht minder als die, welche Dich so völlig gefangen hält, das Ziel erringen helfen, das uns vorschwebt.« »Wie, mein Vater,« rief der Page, »so ist es also wahr, daß Douglas liebt ...« »Douglas liebt, und seine Liebe hat sich ein ebenso verkehrtes Ziel gesucht wie Deine Liebe ... doch nimm Dich vor ihm in acht und tritt ihm nicht in den Weg!« »Er mag zusehen, daß er mir nicht in den Weg trete!« rief der Page heftig, »denn nicht einen Zoll werde ich ihm weichen, und hätt er den Mut von jedem Douglas im Leibe, der seit den Zeiten des Graumännchens [der Stammvater dieses urältesten aller Adelsgeschlechter] gelebt hat.« Da näherte sich ein alter Mann, wie ein Bauer gekleidet, der Laube und grüßte den Abt. »Ich komme Euch zu melden, daß der junge Mensch vom Kämmerer Lundin gesucht wird, und daß er gut täte, sich gleich zu ihm zu verfügen. Heiliger Franciscus, wenn seine Hellebardiere den Weg hierher fänden, die richteten doch mein ganzes Gärtchen zu grunde!« »Schicken wir ihn fort, Bruder,« sagte der Abt, »aber wie können solche geringen Dinge im Augenblick der schwersten Entscheidung, die uns bevorsteht, die Schottland bevorsteht, Dein Gemüt beschäftigen?« »Ehrwürdiger Vater,« sagte der Eigentümer des Gartens, denn er war es, »wie oft muß ich Euch noch bitten, Eure hehren Ermahnungen an Gemüter zu richten, die Euch gleichgestimmt sind? ... Was habt Ihr von mir begehrt, das ich Euch nicht gewährt hätte, wenn auch schweren Herzens?« »Eins begehren möchte ich von Euch und muß ich von Euch, daß Ihr Euch selber treu seid, daß Ihr nicht vergeßt, wer Ihr gewesen seid, und wozu frühere Gelübde Euch verbanden!« »Vater Ambrosius,« erwiderte der Gärtner, »durch die Proben, die Ihr meiner Geduld stelltet, wäre unsrer sämtlichen Heiligen Geduld erschöpft worden. Daran, was ich gewesen, ist nichts gelegen, und niemand weiß besser als Ihr, worauf ich in der Hoffnung auf Ruhe in meinen letzten Tagen Verzicht leistete, und niemand weiß besser als Ihr, wie meine Freistatt überfallen, meine Obstbäume vernichtet, meine Blumen zertreten, meine Ruhe erschüttert, ja aller Schlaf mir geraubt wurde, seit die Königin, der unser lieber Herrgott seinen Segen geben möge, nach Lochleven gebracht wurde ... Ich schelte sie nicht und tadle sie nicht. Sie sitzt in Gefangenschaft, und daß sie wünschen mag, solch niedrer Haft zu entkommen, ist menschlich begreiflich, ist doch dort drüben in dem alten Steinloch kaum Raum für einen Garten, denn die Dünste, die aus dem Wasser aufsteigen, sollen, wie ich gehört habe, jede Knospe im Keime ersticken. Aber warum mußte man mich in dieses Komplott mit einbeziehen? warum meine harmlosen Lauben, die ich mit eigner Hand gepflanzt, zu Sammelplätzen für die Verschwörer machen? warum meine Anlände, die für meinen kleinen Kahn von mir gezimmert wurde, zu einem Hafen für geheime Einschiffungen machen? ... warum mußte, mit einem Worte, ich in einen Plan verwickelt werden, der menschlichem Ermessen nach mit nichts anderm als Schafott und Galgen enden kann?« »Bruder, Ihr seid verständig, Ihr solltet wissen ...« sagte der Abt. »Nein, ich bin nicht verständig, keine Bohne Verstand hab ich, kein Krümelchen Witz hab ich,« versetzte ärgerlich der streitbare Gärtner, sich die Ohren mit den Fingern zuhaltend, »Verstand hat man mir immer bloß eingeredet, wenn man mich zu einer Dummheit verleiten wollte!« »Aber, mein lieber Bruder in Christo,« hub der Abt wieder an. »Ich bin kein lieber Bruder,« versetzte der Gärtner, »hätt ich Verstand gehabt, hätt ich Euch hier nicht aufgenommen, und wäre ich ein lieber Bruder, dann hätt ich Euch mit Eurem Komplott zur Störung des Friedens im Lande Gott weiß wohin geschickt! Was soll uns und dem Lande dieser Streit zwischen König und Königin nützen? Können wir Menschen denn nicht friedlich beieinander wohnen? sub umbra vitis [unterm Schatten des Weinstocks]? und wenn ich ein verständiger Mensch wär und ein lieber Bruder, dann tät ich das auch! Aber so bin ich lieber Bruder bloß in dem Sinne, daß Ihr mir aufhalsen könnt, was Euch gefällt! Komm also mit mir, junges Bürschchen! mein Bruder in seiner Tracht als Knappe wird mir wenigstens insoweit recht geben, daß Du nun lange genug hier gewesen bist.« »Folge meinem frommen Bruder,« sagte der Abt zu Roland, »und bleib eingedenk meiner Worte! Der Tag ist nahe, an dem sich die Treue Schottlands erproben wird ... mag Dein Herz sich bewähren so fest wie der Stahl Deines Schwertes!« Der Page verneigte sich, und sie schieden. Der Gärtner führte den Pagen zu einer andern Tür, als durch die er gekommen war. An der Schwelle blieb er stehen und machte das Zeichen des Kreuzes. Dann sprach er zu Roland: »Jüngling, laß Dir raten von einem alten Manne, von einem, der lang in der Welt gelebt hat und auf höhern Posten, in höhern Aemtern gesessen hat, als Du erhoffen kannst... Laß Dir raten und krümme Dein Schwert zu einer Gartenhippe, aus Deinem Dolch aber mach ein Gartenmesser! Dir wird's dann, rückst Du in höhere Jahre auf, nur um so wohler sein. Hilf mir in meinem Garten, ich will Dir die französischen Pfropfweisen beibringen, das ist besser für Dich als in Kriegsfehde ziehen. Es wird ein Wirbelsturm über unser Land hinbrausen, und bloß solche werden ihm entgehen, die niedrig genug stehen, daß der Sturm ihre Aeste nicht fassen kann!« Dann sprach er das Benedicite [Seid gesegnet!] und kehrte, nachdem er die Pforte fürsorglich verschlossen hatte, brummend in den Garten zurück. Siebentes Kapitel Roland Gräme schritt durch den Garten, den ein eingefriedigter Rasenfleck, wo sich ein paar dem Gärtner gehörige Kühe es sich wohl sein ließen, von dem Dorfe schied. Wenn er der Worte des Paters Ambrosius gedachte, konnte er nicht umhin, einen gewissen Argwohn zu empfinden, als sei derselbe beflissener gewesen, die abweichenden Lehren der beiden Kirchen beiseite zu lassen als ihn der Zweifel zu entheben, in die ihn die Predigten des Kaplans Henderson versetzt hatten. Es mag ihm freilich, sagte er sich, an der Zeit dazu ebenso gefehlt haben, wie mir an der nötigen Ruhe und dem nötigen Wissen, auf Streitpunkte von solcher Tragweite sich einzulassen. Soviel ist aber doch sicher, daß es von mir erbärmlich wäre, meinem Glauben abtrünnig zu werden gerade dann, wenn ihm Zeit und Welt übel mitspielen. Ich bin als Katholik getauft, als Katholik erzogen, und will so lange Katholik bleiben, bis mich Zeit und Vernunft belehren, daß der katholische Glauben ein Irrglauben ist, ebenso will ich dieser armen gefangnen Königin dienstbar bleiben, wie es einem loyalen Untertan geziemt. Ich kann nicht dafür, daß die Wahl der Leute, die mich nach Lochleven schickten, nicht auf einen feilen und doppelzüngigen Schuft gefallen ist, der das Zeug dazu in sich hatte, den dienstwilligen Pagen der Königin und gleichzeitig den unterwürfigen Spion ihrer Feinde abzugeben. Die Schuld, sich geirrt zu haben, haben sie sich selbst beizumessen, nicht mir. Für mich gibt es kein Besinnen, wenn die Frage an mich tritt, ob ich ihr dienen oder sie verraten will. Wie aber soll ich mich gegenüber dieser Katharina Seyton verhalten, die mit mir kokettiert, während sie mit Georg Douglas Beziehungen unterhält? die mit mir Fangball spielt, ganz wie es ihrer Lust und Laune gefällt? .. Beim Himmel! sie soll mir Rede und Antwort stehen bei der ersten Gelegenheit, die sich mir bietet, und bekennt sie nicht ehrlich Farbe, so breche ich mit ihr auf immer!« Von diesem kühnen Entschlusse beseelt, wollte er den Fuß aus dem Gartenzaune setzen, als er sich angesprochen fühlte von jemand, an den er am allerwenigsten gedacht hatte .. »Ei, sieh da, mein vortrefflichster Freund,« rief Doktor Lukas Lundin ihm entgegen, »wo kommt denn Ihr her? Aber ich wittere, was dahinter steckt. Nachbar Blinkhoolies Gärtchen ist ein vergnügliches Stelldichein, und in dem Alter, in welchem Ihr Euch befindet, steht einem ja der Sinn nach einem schmucken Dirndl fortwährend .. Und doch, mein Lieber, sieht es mir, wenn ich Euch genauer ansehe, ganz so aus, als ob Ihr eine trübselige Miene schnittet; hat Euch das Dirndl etwa gar übel angelassen? .. Laßt Euch kein graues Härlein drum wachsen, junger Freund! denn in Kinroß gibt's mehr Käthchen .. und sollt's Euch nebenher passiert sein, von Blinkhoolies unreifen Pflaumen zu naschen, na, so gibt's in meiner Apotheke ein Gläschen von zweimal abgezogner Aqua mirabilis, die Euch von allem Bauchkneifen im Nu erlösen .. diese aqua mirabilis de facto probatum est [Wunderwasser ist wirklich erwiesenermaßen heilsam].« Am liebsten hätte Roland dem Doktor, den er ob seines Witzes haßte, die Wege gewiesen; aber es fiel ihm ein, daß der Mann den Namen Käthe für Dirne bloß aus Vorliebe für Alliteration gewählt hatte, und so begnügte er sich, ihm die Frage zu stellen, ob schon Nachricht von den Fährleuten da sei? »Ich suche Euch schon eine ganze Stunde,« erwiderte der Doktor, »um Euch zu sagen, daß die Ladung bereits im Boote liegt, und Eurer Heimfahrt mithin nichts im Wege steht. Die Rudersleute sind auf ihrem Posten, und drüben am Wachtturm haben sie schon ein paarmal die Flagge gehißt, zum Zeichen, daß Ihr erwartet werdet. Zu einem Imbiß bleibt Euch schließlich aber noch immer Zeit.« Trotzdem aber hierzu ein guter Schnaps als Magenstärkung vom Doktor in Aussicht gestellt und entschieden davon abgeraten wurde, sich der scharfen Luft auf dem See mit hohlem Magen auszusetzen, hielt es den Pagen doch nicht länger. Er eilte vielmehr in der Richtung zum Anlegeplatze davon. Unterwegs vermeinte er unter einem Haufen Menschen, der sich um eine Bande fahrender Spielleute geschart hatte, Katharina Seyton zu erkennen, und mit einem einzigen Satze war er an der Seite des Mädchens .. »Katharina,« flüsterte er, »ist es klug von Euch, noch hier zu weilen? Wollt Ihr nicht lieber mit nach dem Schlosse zurück?« »Hol Eure Katharinen und Schlösser der Geier!« erwiderte ärgerlich die Angeredete, »habt Ihr Euch noch immer nicht aus Euren Narrheiten herausgefitzt? Macht, daß Ihr weiter kommt! ich mag nichts wissen von Euch, und wenn Ihr mich nicht in Ruhe laßt, so habt Ihr's Euch selbst zuzuschreiben, wenn Euch Ungelegenheiten zustoßen.« – »Holde Kallipolis!« antwortete Roland, »wenn Ihr Ungelegenheiten befürchtet, warum soll ich sie nicht mit Euch teilen dürfen?« »Zudringlicher Narr!« rief das Mädchen leise, »mich ficht keine Gefahr an, Du aber hast mit ihr zu rechnen! und damit Du es weißt, so laß Dir gesagt sein, daß Du sie vor allem in meiner Dolchspitze zu gewärtigen hast!« .. Mit dieser Drohung kehrte sie ihm trotzig den Rücken und verschwand unter der Menge, die ihr nicht ohne Befremden über die Rücksichtslosigkeit, mit der sie sich den Weg durch die Menge bahnte, nachsah. Als Roland sich eben anschickte, ungeachtet seines lebhaften Verdrusses, ihr zu folgen, faßte ihn Doktor Lundin auf der andern Seite, denn der Biedermann hatte es nicht über sich gebracht, seinen Gast allein ziehen zu lassen, und erinnerte ihn, daß der Kahn noch immer seiner laure, und daß drüben am Turm eben wieder die Flagge aufgezogen worden sei. So sah sich Roland gewissermaßen gezwungen, die Heimfahrt nach Schloß Lochleven anzutreten. Es währte nicht lange, so befand er sich am Landungsplatze, wo ihn der greise Dryfesdale streng und höhnisch bewillkommnete ... »Also endlich wieder da? Ganze sechs Stunden seid Ihr junger Fant nun weg, und schon dreimal hab ich Euch das Zeichen geben lassen, daß Ihr erwartet werdet! Ich möchte wetten, daß Euch allerhand Larifari, vielleicht gar eine Schlemmerei oder Sauferei, verhindert hat, Euch Eurer Pflicht zu erinnern. Wo ist das Verzeichnis über das Silberzeug und Hausgerät? Hoffentlich ist nichts davon verloren gegangen unter Eurer Aufsicht, junger Taugenichts?« »Sollten das Worte sein, Herr Hausmeier, im Ernste gesprochen,« erwiderte zornig der Page, »so dürft Euch, beim Himmel! das graue Haar nicht schützen gegen Eure schlimme Zunge!« »Windbeutelt nicht, Musje,« versetzte Dryfesdale, »sondern denkt hübsch daran, daß wir in Lochleven für solche Streitbolde allerhand Unterkunft hinter Schloß und Riegel haben .. Scher Dich zur gnädigen Frau und mach Dich, wenn Du Courage dazu hast, vor ihr breit .. verdrießlich genug wirst Du sie finden, denn sie hat nun lange genug gewartet.« »Soviel ich merke, sprichst Du von Lady Lochleven,« versetzte Roland mürrisch; »also sag mir lieber, statt zu räsonnieren, wo ich sie finde.« »Was schwatzest Du da wieder?« sagte der Hausmeier; »von wem anders als Lady Lochleven sollt ich denn reden? Außer ihr hat doch niemand im Schlosse was zu sagen!« »Lady Lochleven ist Deine Herrin,« antwortete Roland, »aber nicht meine. Ich diene der Königin von Schottland.« Dryfesdale sah ihn einen Moment lang starr an. Dann rief er mit einer Miene erkünstelter Verachtung, der es jedoch gar nicht gelingen wollte, den Argwohn und Verdruß, der in seinem Herzen wohnte, zu verbergen: »Musje! durch Deine vorlaute Zunge wirst Du Dich selbst noch in arges Ungemach bringen .. Mir ist Dein verändertes Benehmen erst letzthin in der Kapelle aufgefallen; ich habe recht gut gesehen, was für Blicke Du einer gewissen Mamsell beim Essen zugeworfen hast! Ihr habt was vor miteinander, Musje, und darauf werde ich mein Auge gerichtet halten. Nun schert Euch, und wenn Ihr wissen wollt, wem Ihr auf dem Schlosse zu gehorchen habt, der Lady Lochleven oder der andern, so könnt Ihr Euch Belehrung darüber im Vorzimmer der andern verschaffen, denn dort stecken sie jetzt gerade beisammen.« Von Herzen froh, dem knurrigen Greise aus dem Wege zu kommen, eilte Roland nach dem Schlosse. Unterwegs überlegte er aber, daß es doch einen besondern Grund haben müsse, weshalb die Schloßherrin zu solch ungewohnter Zeit und Stunde bei seiner Gebieterin weile, und er kam zu dem Schlusse, daß sie hierfür keinen andern Grund haben dürfte, als zu beobachten, wie ihn die Königin bei seiner Rückkunft begrüßen und sich gegen ihn verhalten werde, und er nahm sich vor, möglichst auf der Hut zu sein. Als er in das Zimmer der Königin trat, sah er diese auf ihrem Stuhle sitzen, während sich Maria Fleming auf die Lehne desselben stützte. Dagegen stand Lady Lochleven vor ihr, und aus dem Verdrusse, den ihr Gesicht verriet, konnte Roland Gräme schließen, daß sie sicherlich schon eine geraume Zeit stehen mochte und noch immer auf eine Aufforderung der Königin, sich zu setzen, wartete. Roland machte, als er eintrat, erst der Königin eine tiefe, dann der Lady Lochleven eine weniger tiefe Verbeugung, Dann blieb er stehen, wie wenn er darauf wartete, von ihnen gefragt zu werden ... Die beiden Damen fragten ihn ziemlich zur gleichen Zeit ... »Na, junger Mensch! endlich wieder da?« fuhr ihn Lady Lochleven an, verhielt sich aber still, als sie bemerkte, daß die Königin weiter sprach, ohne sich daran zu kehren, daß auch die andre sprach .. »Willkommen daheim, Roland,« sagte die Königin, »also doch die treue Taube geblieben, und nicht zum Raben verwandelt? nun, ich hätte es Dir wahrlich nicht übel genommen, mein Kind, wenn Du den Weg zu unsrer vom Wasser umschlossnen Arche nicht wiedergefunden, sondern die goldne Freiheit unserm elenden Kerker vorgezogen hättest! Hoffentlich hast Du einen Oelzweig mit hergebracht, denn unsre gütige Frau Wirtin hat sich über Dein langes Ausbleiben in große Erregung hinein abwirtschaftet, und Uns war doch nie ein Sinnbild des Friedens und der Versöhnung so dringend von nöten wie gerade jetzt.« »Es tut mir leid, daß ich nicht pünktlicher sein konnte, gnädigste Frau,« erwiderte Roland, »aber der Mann, dem die Sachen, die ich holen sollte, übergeben wurden, hat mich so lange aufgehalten.« »Nun, da habt Ihr's,« sagte die Königin, sich zur Lady Lochleven wendend, »wir konnten Euch zu unserm Bedauern, geliebteste Frau Wirtin, nicht davon überzeugen, daß Euer Hausgerät wohl aufgehoben sei. Freilich finden Wir für Eure Sorge, daß etwas hätte abhanden kommen können, hinlängliche Erklärung in dem dürftigen Zustande, den diese königlichen Gemächer aufweisen. Sind Wir doch nicht einmal in der Lage gewesen, Euch einen Stuhl anzubieten während der langen Zeit, da Ihr Uns das Vergnügen Eurer königlichen Gesellschaft zu schenken die Güte hattet.« »Hierzu, gnädigste Frau,« antwortete die Lady, »hat es wohl mehr am guten Willen als an den Mitteln gefehlt?« »Wie,« sagte die Königin, indem sie sich umsah, mit erkünstelter Verwunderung, »sind denn wirklich Stühle hier? einer, zwei, richtig! wirklich vier Stühle! den zerbrochnen da mitgezählt – ein königlicher Hausrat! das muß ich wohl sagen – aber Unsre liebenswürdige Wirtin darf uns glauben, Wir hatten diesen Reichtum nicht bemerkt – ist's Euer Gnaden gefällig, Platz zu nehmen?« »Nein, gnädigste Frau,« versetzte die Lady, »denn ich will Euch bald von meiner Gegenwart befreien, und die kurze Zeit, die ich noch hier zu verweilen habe, ertragen meine alten Glieder ein bißchen leichter, als mein Herz sich drein finden könnte, Erniedrigung zu heucheln.« »Nein, Lady Lochleven, so tief gekränkt sollt Ihr Euch nicht fühlen,« sagte die Königin und stand auf, um ihr den eignen Stuhl hinzuschieben, »da bedient Euch doch lieber des meinigen! die erste aus Eurer Familie, die das tut, seid Ihr ja doch nicht!« Lady Lochleven weigerte sich auch jetzt, von der Güte der Königin Gebrauch zu machen; es schien ihr aber schwer zu fallen, die Antwort, die sich ihr auf die Lippen drängte, zu unterdrücken. Roland hatte während der ganzen Zeit all seine Aufmerksamkeit auf Katharina Seyton gerichtet, die kurz nach ihm in ihrer gewöhnlichen Kleidung in das Zimmer der Königin getreten war. Von irgend welcher Eile, durch die Notwendigkeit schnellen Kleiderwechsels bedingt, oder von einer Spur von Verwirrung oder Bange, vielleicht doch entdeckt zu werden, konnte Roland nicht das geringste an ihr merken. Eine Verbeugung, die er ihr machte, wurde mit der gleichgültigsten Miene erwidert .. er wußte wirklich nicht, was er von ihr denken sollte! »daß sie auch jetzt wieder, wie seinerzeit die Begegnung in dem Gasthofe von Sankt Michael, alles sollte abstreiten wollen, was ich mit eignen Augen gesehen habe, kann ihr doch nicht in den Sinn kommen? immerhin will ich es sie merken lassen, daß sie sich in solchem Falle vergebliche Mühe machen möchte, und daß sie klüger wegkommen dürfte, wenn sie mir gegenüber weniger hinter dem Berge hielte.« In diesem schnellen Gedankenspiele wurde er unterbrochen durch die Königin, die sich nach dem Wortwechsel mit der Eigentümerin des Schlosses wieder an ihn wandte: »Wie hat's denn a name="page 66" title=" Schmidi/JWE" ID="page66"> ausgesehen in Kinroß, Roland Gräme? es mag wohl recht lustig drüben hergegangen sein, nach dem bißchen Musik zu urteilen, das bis zu den Fenstern hier herauf gedrungen ist, aber Du siehst ja so grämlich aus, als kämst Du unmittelbar aus einem Hugenotten-Konzil?« »So unwahrscheinlich möchte das nicht sein, gnädigste Frau,« nahm Lady Lochleven, auf die diese Bemerkung gemünzt war, das Wort, »wenigstens bin ich der Ueberzeugung, daß es inmitten aller läppischen Torheit an besserem Element dort nicht gefehlt haben wird; nicht alle sind Freunde jener eitlen Lust, die aufflackert wie dürre Dornen, und den Toren, die sich dafür begeistern, nichts hinterlaßt als ein bißchen Staub und Flugasche.« »Fleming,« sagte die Königin, sich umdrehend und den Mantel enger um sich ziehend, »wenn doch ein bißchen Dornicht, von dem unsre Wirtin so wundersam poetisch spricht, sich in unsern Ofen verirren möchte! mir kommt es vor, als wenn die feuchte Luft vom See, die in diesen gewölbten Räumen sich festnistet, empfindliche Kälte verursache.« »Der Wunsch Euer Gnaden soll erfüllt werden,« erwiderte Lady Lochleven, »ich darf wohl aber daran erinnern, daß wir uns mitten im Sommer befinden.« »Danke für die freundliche Belehrung,« sagte die Königin; »aber Gefangene sollen den Kalender ja in der Regel aus dem Munde ihrer Wächter besser erfahren als auf Grund der eignen Empfindungen ... Aber, wie war es denn in Kinroß, Roland, mit der Festbarkeit?« »O, gnädigste Frau, das Treiben war äußerst munter und vielseitig,« antwortete der Page, »aber wohl kaum danach beschaffen, von Eurer Hoheit vernommen zu werden.« »O, Ihr wißt nicht, lieber Roland,« sagte die Königin, »wie nachsichtig mein Ohr gegen alles geworden ist, was mir erzählt wird von Belustigungen freier Menschen. Ein Rundtanz froher Menschen um die Maie ist mir lieber als der prächtigste Maskenball in den Ringmauern eines Palastes.« »Es werden, wie ich hoffen will, bei solchem Tand,« bemerkte Lady Lochleven, »keinerlei Anstößigkeiten passiert sein?« »Nicht daß ich wüßte, gnädigste Frau,« erwiderte Roland, »ausgenommen höchstens, daß ein keckes Frauenzimmerchen mit ihrer Hand in zu große Nähe der Wangen eines fahrenden Schauspielers kam und halb und halb in Gefahr geriet, in den See getaucht zu werden.« Bei diesen Worten faßte er Katharina Seyton scharf ins Auge; es war ihr aber nicht das geringste anzumerken, als ob der Wink sie irgendwie getroffen hätte. »Es dürfte nicht notwendig sein,« bemerkte Lady Lochleven, »Euer Gnaden noch länger mit meiner Gegenwart zu belästigen .. es müßte denn sein, Ihr hättet mir noch Weiteres zu melden.« »Nicht das mindeste, gute Wirtin,« antwortete die Königin, »höchstens hätte ich zu bitten, daß Ihr es bei weiteren Anlässen nicht wieder für notwendig erachtet, Uns so lange aufzuwarten und liebere Aemter dadurch zu verabsäumen.« »Es beliebt wohl Euer Gnaden,« bemerkte Lady Lochleven noch, »Euern Pagen dahin zu belehren, daß er gehalten ist, mir Rechenschaft über die Dinge abzulegen, die zu Euer Gnaden Bestem durch ihn aufs Schloß geholt worden sind?« »Roland, begleitet die Lady, sofern Unser Befehl wirklich von nöten dazu ist. Du magst Uns morgen von Kinroß und der Festlichkeit erzählen. Für heute entlassen Wir Dich Deines Dienstes.« Roland beantwortete die Fragen, die ihm die Lady unterwegs stellte, mit äußerster Vorsicht und hütete sich besonders, irgend etwas über Frau Magdalena und den Pater Ambrosius verlauten zu lassen. Als die Dame sah, daß er ihr wenig oder gar nichts Belangreiches zu berichten hatte, verabschiedete sie ihn, und er sah nun zu, sich vor allen Dingen mit etwas Speise und Trank zu versorgen, denn er fühlte regen Appetit. Dann stahl er sich, da ihn die Königin beurlaubt hatte, hinaus in den Garten. Hier ging er trübsinnig auf und ab, überdachte noch einmal die Vorfälle des Tages und stellte, was er vom frommen Pater über Georg Douglas vernommen hatte, zusammen mit den eignen Beobachtungen. Er kam zu dem Schlusse, daß es sein Beistand sein müsse, der es ihr möglich mache, sich wie ein Irrlicht bald dort, bald hier zu zeigen, nach Belieben jetzt auf dem Festlande, und nachher wieder auf der Insel zu erscheinen. Dann aber durchkreuzte ihn der Gedanke, – denn Liebe hofft ja immer, wenn Ueberlegung schon verzweifelt – daß sie vielleicht mit Douglas bloß um der Wohlfahrt ihrer Herrin willen schön tue, und daß sie zu edel und offen sei, ihn mit Hoffnungen zu erfüllen, deren Erfüllung nicht in ihrem Sinne läge. Versunken in diese Betrachtungen, setzte er sich auf eine Rasenbank, von der aus man auf der einen Seite nach dem See hinaus, auf der andern nach der Schloßseite die Aussicht hatte, wo sich die Zimmer der Königin befanden. Es war schon eine geraume Weile nach Sonnenuntergang, und das Mai-Zwielicht verlor sich schnell in einer heitern Maiennacht. Der Wasserspiegel des Sees hob und senkte sich beim leisesten Hauche des Südwinds; in der Ferne erblickte man die dunkeln Umrisse der St.-Serf-Insel, auf die einst mancher Pilgrim in Sandalen gepilgert kam, die aber als Zuflucht fauler Mönche seit Jahren verachtet und aus der Reihe der heiligen Stätten gestrichen worden war .. ihr Anblick lenkte Rolands Gedanken auf den Widerstreit der Glaubensmeinungen, in den er heute wiederholt einbezogen wurde, und in dieser Stunde des Sinnens stellten sich ihm die Gründe und Beweise des Kaplans Henderson mit verdoppelter Stärke vor die Seele, so daß sie sich durch die Berufung des Abtes Ambrosius von seinem Verstände an sein Gefühl kaum zurückweisen ließen: eine Berufung, die ihm mitten im regen Lebensgewühle eindringlicher zu sein bedünkte als jetzt bei ungestörter Betrachtung. Sein Gemüt von diesem beunruhigenden Gegenstande abzulenken, erforderte Anstrengung, und er spürte, daß ihm dies am besten gelänge, indem er seine Augen nach der Schloßseite lenkte und dort die Stelle beobachtete, wo noch immer ein flimmerndes Licht vom Fenster Katharina Seytons ausging, das zuweilen auf Augenblicke verdunkelt wurde, wenn der Schatten seiner schönen Bewohnerin zwischen die Kerze und das Fenster fiel. Schließlich aber wurde das Licht entfernt oder verlöscht, und so entschwand auch dieser Gegenstand der Betrachtung den Augen des sinnenden Verliebten. Die Augen wurden ihm schwer, Zweifel über die verschiedenen Punkte seiner Glaubensmeinung, bange Vermutungen über die Neigung der Geliebten, schließlich auch die Abspannung nach solchem von seiner Lebensführung in den letzten Monaten so grundverschiedenen Tage; dies alles wirkte so stark auf seine Nerven, daß er zuletzt in festen Schlaf versank .. Erst als die eiserne Zunge der Turmglocke zu lärmen begann und die Höhe, die sich jäh am südlichen Gestade des Sees erhob, die tiefen dumpfen Klänge widerhallen ließ, fuhr Roland aus seinem Schlafe auf: pünktlich um zehn Abend für Abend wurde diese Glocke geläutet zum Zeichen, daß die Tore geschlossen und ihre Schlüssel dem Seneschall zur Obhut übergeben wurden. Hurtig rannte er zur Pforte, die aus dem Garten nach dem Schlosse führte, um noch Einlaß zu bekommen; aber eben raffelte der Riegel in die steinerne Fuge der Pforte. »Halt! halt!« rief er, »laßt mich ein, bevor Ihr das Tor sperrt!« Die grämliche Stimme Dryfesdales antwortete ihm: »Musje! die Stunde hat geschlagen; wie es scheint, behagt's Euch nicht mehr recht drinnen bei uns im Schlosse .. macht also richtigen Feiertag und bringt nach dem Tage auch die Nacht noch außerhalb der Ringmauern zu! Und nun, Musje! Glück zu der frischen Luft heute nacht, die Deinem heißen Blute recht gut zusagen wird!« Roland lief in seiner Wut über die Gemeinheit Dryfesdales eine Weile lang, sich in eitlen Rachegelübden erschöpfend, durch den Garten. Dann überkam ihn eine Empfindung, daß seine Lage eher belachens- als beklagenswert sei, denn für einen an das Jägerleben so gewöhnten Menschen wie ihn, war es weiter nichts Unangenehmes, eine Nacht im Freien verleben zu müssen, und so sagte er sich bald, daß die kleinliche Bosheit des Hausmeiers weit mehr Verachtung verdiene als Zorn. Ruhiger kehrte er nach seiner Rasenbank zurück, die von einer Hecke auf der einen Seite halbwegs verdeckt war, hüllte sich in seinen Mantel und streckte sich auf das grüne Lager in der Hoffnung, den Schlaf wiederzugewinnen, den die Turmglocke in einer für ihn so wenig ersprießlichen Weise unterbrochen hatte. Aber je eifriger Roland ihn suchte, desto länger floh er ihn; er war völlig munter geworden, und der Aerger über Dryfesdale hatte seine Nerven wieder so belebt, daß er nach geraumer Zeit bloß in eine Art träumenden Sinnens versank, aus dem er aber bald wieder, und zwar durch die Stimme von zwei im Garten auf und niederwandelnden Personen, aufgerüttelt wurde. Eine Weile lang vermischten sich die Worte, die zu seinen Ohren drangen, noch mit seinen Träumen, dann aber erwachte er vollständig und richtete sich auf seinem Lager empor. Mit maßlosem Erstaunen sah er nun deutlich zwei Personen im Garten, die sich lebhaft wenn auch leise, unterhielten. Im ersten Augenblicke dachte er, überirdische Wesen vor sich zu haben; dann dachte er an ein Komplott von Anhängern der Königin, schließlich an Georg Douglas und Katharina Seyton, die sich hier, unter Wahrnehmung des Vorteils, daß Georg als Verwahrer der Schlüssel freien Aus- und Eingang habe, ein Stelldichein gäben; und in dieser letzten Auffassung wurde er bestärkt durch den Ton der Stimme, die flüsternd die Frage stellte, ob alles bereit sei? Achtes Kapitel Der helle Mondschein machte für Roland die nur wenige Schritte von seinem Verstecke befindlichen Gestalten, die im ernsten und vertrauten Gespräch begriffen waren, leicht erkennbar. An der schlanken Gestalt und tiefen Stimme verriet sich ihm Georg Douglas und an dem auffälligen Anzüge des andern erkannte er den Pagen aus dem Wirtshause von Sankt Michael. »Ich bin an der Tür des Pagen gewesen,« hörte er Douglas sprechen, »er ist aber nicht in seiner Kammer, oder er hat keine Lust zu antworten. Vielleicht schläft er auch heute fester als sonst. Er riegelt sich immer ein, durch seine Kammer können wir mithin nicht.« »Ihr vertraut dem Fant zuviel,« erwiderte der andre; »mir gefällt sein veränderlicher Sinn und heißes Hirn nicht sonderlich.« »Mir ist es ebenso gegangen in dieser Hinsicht wie Euch,« sagte Douglas, »mir ist aber versichert worden, daß er sich willig zeigen werde, wenn man ihn dazu auffordere, denn..« hier wurden seine Worte so leise, daß es Roland nicht möglich war zu verstehen, so verdriesslich es ihm auch war, denn er hatte die Empfindung, daß die Worte ihn noch stärker betrafen als die vorherigen. »Nichts da,« rief der andre lebhafter, »ich hab ihn bislang immer noch mit schönen Redensarten abgespeist, Euch aber rate ich, da Ihr ihm im Augenblicke der Entscheidung mißtraut, ihn mit dem Dolch aus dem Wege zu schaffen.« »Das wäre Vorwitz,« sagte Douglas; »zudem ist, wie ich Euch ja sage, seine Stubentür verriegelt. Ich will aber nochmals zusehen, ob ich ihn wecken kann.« Roland sagte sich ohne weiteres, daß die beiden Fräulein bemerkt haben mußten, daß er sich noch im Garten aufhalte, und deshalb, um nachts über nicht gestört zu werden, die Vorzimmertür abgesperrt hatten. Aber wie kam dann Katharina Seyton, wenn sich die Königin mit der Fleming noch in ihren Wohnräumen befand und der Zugang verriegelt war, ins Freie?.. »Ich hab keine Lust, mich länger noch mit diesen Heimlichkeiten äffen zu lassen. Zudem darf ich doch nicht unterlassen, meiner holden Kallipolis, wenn sie es wirklich ist, für den freundlichen Wink mit dem Dolche meinen Dank abzustatten.. ich merke, sie sind auf der Suche nach mir, und sie sollen sich nicht umsonst bemühen.« Douglas war zurück nach dem Schlosse geschlichen, und der fremde Page stand, mit den Armen über der Brust, die Augen ungeduldig auf den Mund gerichtet, wie wenn er ihm um seines hellen Scheines willen grolle, allein im Garten. Im andern Augenblick stand Roland Gräme vor ihm.. »Eine liebliche Nacht, Fräulein Katharina,« sagte er, »für eine junge Dame, in solcher Vermummung sich Stelldichein zu geben im lauschigen Garten mit Mannsbildern.« »Ruhig, Du ewiger Streithammel,« erwiderte der fremde Page, »sag' rund heraus: bist Du Freund oder Feind?« »Wie sollt ich jemands Freund sein, der mich mit aalglatten Worten hintergeht und einem Douglas rät, sich meiner durch einen Dolchstich zu entledigen? »Soll doch der Teufel dem Douglas und Dir Durchgänger in den Nacken fahren!« rief der andre, »heraus wird doch bald alles sein, und dann heißt Tod die Parole.« »Katharina,« sagte Roland, »Ihr seid unehrlich und lieblos mit mir verfahren, jetzt ist die Zeit günstig für eine Aussprache zwischen uns, und ich will ihr so wenig aus dem Wege gehen wie Euch selbst.« »Ich heiße weder Kathi noch Käthe,« erwiderte der andre, »und ich sollte meinen, der Mond schiene gerade hell genug, daß es nicht schwer fallen könnte, Hirsch und Hindin voneinander zu unterscheiden.« »Solche Ausflüchte sollen Euch nichts helfen, schöne Dame,« rief Roland, den Mantelzipfel des Pagen fassend; »diesmal wenigstens soll es mir offenbar werden, mit wem ich es in Euch zu tun habe.« »Laßt ab von mir,« rief sie, bemüht, sich von ihm loszumachen, und es kam Roland so vor, wie wenn ihre Stimme sich zwischen Unwillen und Lachlust bewegte, »wie könnt Ihr Euch so unmanierlich gegen eine Seyton benehmen?« Als jedoch Roland, in der Meinung, ihre Lachlust berechtige ihn zu einiger Kühnheit, ihren Mantel noch immer nicht losließ, rief sie ihm im Tone nicht mißzuverstehender Entrüstung energisch zu: »Die Hände weg, Du rasender Wicht! Leben und Tod hängen an dieser Minute, Dir einen Denkzettel zu geben, liegt noch nicht in meinem Willen, aber Du tust doch gut, Dich in dieser Hinsicht in acht zu nehmen.« Bei diesen Worten machte sie einen schnellen Versuch, ihn beiseite zu stoßen und zu entfliehen; dabei entlud sich eine Pistole, die sie in der Hand gehalten haben mußte, und der Knall brachte im Nu das Schloß in Bewegung. Der Turmwart blies in sein Horn und zog die Turmglocke, und von seiner Zinne herab schrie er laut, daß es weithin dröhnte: »Verrat! Verrat! Wachet auf! wachet auf!« In der ersten Bestürzung ließ Roland den Mantel des fremden Pagen los, und im Nu war Katharina Seyton in der Dunkelheit verschwunden. Ruder plätscherten auf dem See, und gleich darauf knallte von den Turmzinnen ein halbes Dutzend Büchsenschüsse, zu denen sich auch der Donner aus einer Feldschlange gesellte. Völlig außer Fassung durch diese Vorgänge, zeigte sich Roland kein andrer Weg als seine Zuflucht zu Douglas zu nehmen, denn er vermutete Katharina Seyton in dem Kahne, der über den See fuhr, und hinter dem her die Schüsse gefeuert wurden, und wollte bei Douglas alles aufbieten, das Mädchen zu schonen. In dieser Absicht rannte er die Treppe hinauf nach dem Zimmer der Königin, aus welchem starker Lärm und laute Stimmen drangen. Dort sah er sich inmitten einer wirren Gruppe, deren Anblick ihn auf der Schwelle gebannt hielt. Am obern Ende des Zimmers stand die Königin, in Reisekleidern, neben ihr nicht allein Lady Fleming, sondern auch der kleine Ueberallundnirgends Katharina Seyton, in ihrer weiblichen Tracht, mit einem Kästchen in der Hand, worin die Königin die wenigen Juwelen, die man ihr vergönnt hatte, aufzubewahren pflegte. Am andern Zimmerende stand Lady Lochleven, im losen Hausgewande, das sie sich, durch den plötzlichen Lärm erschreckt, schnell übergeworfen hatte, umringt von ihrer Dienerschaft, die zum Teil Waffen trugen, zum Teil Fackeln schwenkten. Zwischen beiden Gruppen sah Roland Georg Douglas mit verschränkten Armen, den Blick zu Boden gesenkt gleich einem auf frischer Tat ertappten Verbrecher, stehen. »Sprich, Georg Douglas,« rief Lady Lochleven, »und reinige Dich von diesem Deinem Namen anklebenden Verdacht! Sage mir: nie gab es einen wortbrüchigen Douglas, und ich bin ein Douglas! sage mir das geliebter Sohn, nichts weiter, zur Rettung Deines Namens! sage, daß es bloß Arglist war von dieser unglücklichen Frau und diesem treuvergessnen Knaben, die solch unheilvolle Flucht ersann, unheilvoll für Schottland und vernichtend für Deines Vaters Haus.« »Gnädigste Herrin,« erwiderte der alte Hausmeier, »der unnütze Page hat, wie ich zu seiner Rechtfertigung nicht unterlassen darf zu sagen, an der Affäre kaum Anteil, denn was im Schlosse heute nacht vorgegangen ist, kann er schon um deswillen gar nicht wissen, weil ich ihm heut nacht den Zutritt zum Schlosse versperrt und ihn dadurch gezwungen habe, draußen zu kampieren. Seine Beteiligung bei der Affäre ist demnach zweifellos äußerst gering gewesen, wenn überhaupt von ihm dabei die Rede sein kann.« »Dryfesdale, Du lügst,« rief die Lady, »um das erbärmliche Leben dieses hergelaufnen Zigeunerbuben zu retten, trachtest Du danach, die Schmach über das Haus Deines Herrn zu bringen.« »Ich wüßte nicht, weshalb mir an seinem Leben mehr liegen sollte als an seinem Tode,« versetzte der Hausmeier, »aber was wahr ist, muß doch wahr bleiben.« Bei diesen Worten richtete Georg Douglas sich auf und sprach kühn und gelassen wie ein Mensch, der mit seinem Entschlusse ins reine gekommen ist: »Durch mich soll keines Menschen Leben in Gefahr geraten. Ich allein« ... »Douglas,« fiel ihm hier die Königin ins Wort, »bist Du von Sinnen? Kein Wort weiter! ich befehle es Dir!« »Gnädigste Frau,« nahm hierauf entschlossen wie vordem Douglas das Wort, indem er sich mit tiefer Ehrfurcht verbeugte, »Eurem Befehle gehorchte ich gewiß gern, aber man verlangt nach einem Opfer, und dieses soll niemand anders sein als der wirklich Schuldige.« Hierauf wandte er sich an die Lady: »Es ist, wie ich sage, gnädige Dame, mich allein trifft an diesem Vorgange die Schuld ... und sofern bei Euch ein Douglas-Wort noch Gewicht hat, so müßt Ihr mir glauben, daß dieser Knappe unschuldig daran ist. Auf Euer Gewissen mache ich es Euch aber zur Pflicht, ihm keinerlei Unrecht zu tun oder antun zu lassen, und ebenso wollt Ihr es nicht der Königin selbst anrechnen als Schuld, daß sie die Gelegenheit, die sich ihr bot, die Freiheit wieder zu erlangen, wahrnahm! ... sie wurde ihr geboten nicht allein aus ehrlicher Untertanentreue, sondern von einer tiefern Empfindung aus ... jawohl, ich bekenne, daß ich den Plan zur Flucht der schönsten aller Frauen entwarf, ich allein und kein andrer – und weit entfernt, solches Tun zu bereuen, so rühme ich mich dessen vielmehr und bin stündlich bereit, für sie und ihr Heil mein Leben in die Schanze zu schlagen.« »Nun, dann verleihe mir der gütige Gott Trost im Alter und Kraft, die schwere Bürde des Kummers zu tragen!« erwiderte Lady Lochleven. »O, wann werdet Ihr, zu unglücklicher Stunde geborne Fürstin, aufhören, allen, die sich Euch nähern, zum Werkzeug der Verführung und des Unterganges zu werden! o unheilvolle Stunde, die unter das Dach des alten, so lange als ehrenfest gepriesenen Geschlechtes der Lochleven diesen Irrläufer führte!« »Ihr sprecht zu Unrecht so,« versetzte ihr Enkel, »denn wenn ein Lochleven in den Tod geht für die unglücklichste aller Königinnen und für die liebenswürdigste aller Frauen, so kann dies den alten Ruhm des Geschlechts nur überstrahlen.« »Douglas,« sagte die Königin, »muß ich in diesem Augenblick äußerster Gefahr, eines getreuen Dieners verlustig zu werden, Dich darum schelten, weil Du außer acht läßt, was Du mir als Deiner Königin schuldest?« »Ungeratener Bube!« sagte Lady Lochleven, »so tief bist Du in die Schlingen dieser Moabiterin geraten? hast Du alles vergessen können um ihrer willen, Namen, Pflicht, ritterlichen Eid, Dankbarkeit gegen Deine Eltern, Gott und Vaterland? ist Dir dies alles feil gewesen um einer erheuchelten Träne, um eines erzwungnen Lächelns willen von Lippen, die dem kränklichen fränkischen Franz geschmeichelt, den Narren Darnley in den Tod gelockt, dem Günstling Chatelet süße Liederchen vorgehaucht, mit Rizzio süße Liebeslieder zur Laute gesungen und den schändlichen Bothwell mit Wonne geküßt haben?« »Lästert nicht also, Mutter,« rief Douglas, »und Ihr, schöne Königin, so tugendhaft wie schön, scheltet nicht jetzt Eures Vasallen Anmaßung! Nicht bloße Untertanentreue konnte mich zu der Rolle bewegen, die ich spielte ... und wenn Ihr auch wert seid, daß ein jeglicher Eurer Untertanen für Euch in den Tod geht, so konnte zu meinem Verhalten einen Douglas doch nur Liebe treiben! denn ich habe geheuchelt und mich verstellt, und solcher Falschheit kann noch kein Douglas geziehen werden! Drum, edelste aller Frauen, und herrlichste aller Königinnen, Du holde Königin aller Herzen und meines Herzens Kaiserin! lebt wohl! wenn Ihr befreit seid aus dieser schmählichen Haft – und sofern noch Gerechtigkeit lebt unter Gottes Himmel, müßt Ihr die Freiheit gewinnen – und wenn Ihr den glücklichen Mann, dem es gelang, Euch die Freiheit zu bringen, mit Ehren und Titeln überhäuft, dann gedenket zuweilen auch jenes Ritters, dessen Herz jeglichen Lohn verschmäht hätte, dem ein Kuß auf Eure Hand das hehrste Glück gebracht hätte ... und laßt eine Träne fallen auf sein unrühmliches Grab!« Bei diesen Worten warf er sich der Königin zu Füßen, nahm ihre Hand und preßte sie an seine Lippen. »Solches in meiner Gegenwart und vor meinen Augen!« rief Lady Lochleven empört, »angesichts Deiner Großmutter buhlst Du mit Deinem ehebrecherischen Liebchen? ... Reißt sie auseinander, Leute! und werft ihn in mein tiefstes Turmverließ!« Und als sie sah, daß ihre Dienerschaft unschlüssig stand, schrie sie: »Hört Ihr nicht, was ich befehle? wenn Euer Leben Euch lieb ist, greift ihn und schleppt ihn in den Turm!« Da trat Maria näher zu Douglas und raunte ihm zu: »Douglas! noch schwanken sie! rette Dich! ich befehle es Dir.« Mit jähem Satz vom Boden aufspringend, und mit dem Rufe: »Dir, Königin, gehört mein Leben, verfüge darüber nach freier Wahl!« riß er sein Schwert aus der Scheide und brach sich durch die noch immer wie vom Donner gerührte Dienerschaft, die den Sohn ihres Dienstherrn ebenso sehr liebte wie fürchtete, Bahn. Als Lady Lochleven inne wurde, daß er entkommen sei, rief sie zornentbrannt: »Hab ich etwa bloß Verräter um mich? Ihm nach! Verfolgt ihn, schlagt ihn, stoßt ihn nieder!« »Gnädigste Herrin!« sagte zu ihrer Beruhigung der Hausmeier, »er kann nicht weg von der Insel, denn ich trage den Schlüssel zur Bootskette bei mir.« Aber von unten herauf schrieen ein paar, der junge Herr habe sich in den See gestürzt. »Ein tapferes Herz!« rief die Königin, »ein echter Douglas! Er zieht den Tod der Gefangenschaft vor!« Lady Lochleven aber rief: »Feuert auf ihn! und wer als treuer Diener seines Vaters gelten will, der sorge dafür, daß die Fluten des Sees unsre Schande bedecken!« Während ein paar Schüsse fielen, trat Randal mit der Meldung herein, der Junker sei unfern vom Schlosse von einem Kahne aufgenommen worden und müsse nun wohl schon drüben auf dem Lande sein ... »So ist er doch entkommen? und die Ehre unsres Hauses ist auf ewig hin!« rief Lady Lochleven ergrimmt, indem sie mit einer Gebärde der Verzweiflung die Hände gegen die Stirn preßte; »uns alle wird man nun als Teilnehmer an diesem schändlichen Verrate betrachten.« Da trat die Königin ihr einen Schritt näher und sprach: »Lady Lochleven! Ihr habt mir heut nacht meine schönsten Hoffnungen genommen! habt mir den Becher der Freude von den Lippen gerissen! und doch fühle ich bei dem Kummer, der Euch trifft, das Mitleid, das Ihr dem meinigen weigert. Wie gern tröstete ich Euch, wenn es in meinem Vermögen stände – ich kann es nicht! aber laßt mich wenigstens in Liebe von Euch scheiden.« »Hinweg, Du stolzes Weib! hinweg!« rief die Lady, »niemand verstand es so gut wie Du, unter der Maske von Güte und Liebe die tiefsten Wunden zu schlagen! wer hätte je mit einem Kusse so berücken können wie Du Gleißnerin?« »Die Lady Douglas von Lochleven,« erwiderte mit Ruhe die Königin, »kann mich in solchem Augenblicke wie diesem mit Ihren unweiblichen Reden, deren sie sich selbst nicht vor dem Hausgesinde schämt, nicht verletzen. Dazu bin ich heut nacht einem Gliede ihres Hauses zu tief verpflichtet, denn es tilgte durch seinen Edelmut alles, was seine Ahne und Herrin im Grimme ihrer Leidenschaft an Jammer und Unglück auf mein Haupt gehäuft hat.« »Sehr verbunden, Fürstin,« erwiderte die Lady, »verwöhnt durch königliche Huld wurde das Haus Douglas nie, und so lange mein Wille gilt, wird es seine schlichte Redlichkeit auch nicht aufgeben für höfische Auszeichnungen, wie sie Maria von Schottland zurzeit noch zu verschenken hat.« »Wer sich gut aufs Nehmen versteht,« erwiderte die Königin, »meint sich gern frei von der Verbindlichkeit, die mit dem Empfangen verknüpft ist. Und daß mir jetzt so wenig zu bieten bleibt, ist doch niemands Schuld als der Adelsgeschlechter vom Namen Douglas und Konsorten.« »Eure Gnaden bringen das strenge Weib noch ganz von Sinnen,« flüsterte Lady Fleming der Königin zu; »bedenkt doch, darum flehe ich, daß sie schon aufs tiefste beleidigt ist, und daß sie uns doch völlig in ihrer Gewalt hat.« »Ich will sie nicht schonen, Fleming,« erwiderte die Königin, »sie hat meine aufrichtige Teilnahme mit Schimpf und Hohn erwidert. Es geht mir wider die Natur, ihr anders als mit gleicher Münze zu dienen. Sind ihr die Worte zur Erwiderung zu stumpf, die ihre Zunge ihr gibt, so mag sie mir doch, wenn sie es wagt, mit ihrem Dolche erwidern.« »Lady Lochleven täte doch sicherlich besser, sich jetzt zu entfernen,« wandte die Fleming sich unmittelbar an die Lady, »Ihre Gnaden, meine gütige Herrin, benötigt doch ernstlich der Ruhe.« »Jawohl,« versetzte die Lady, »damit Ihre Gnaden und Hochdero Schoßkinderchen hübsch Zeit behalten, sich zu besinnen, welch andre dumme Fliege sich in ihrem arglistigen Spinngewebe fangen könnte? ... Mein ältester Sohn ist Witmann: sollte er schmeichlerischen Betörungen nicht leichter noch zugänglich sein als sein Bruder es war? ... Freilich, das eheliche Joch wurde ja schon dreimal abgeschüttelt, aber bei den Römlingen herrscht ja doch, trotzdem sie die Ehe für ein Sakrament erklären, die Ansicht, man könne an solchem Sakrament nicht oft genug Teil haben.« »Die Bekenner des Genfer Glaubens,« erwiderte die Königin, vor Empörung errötend, »sollen dagegen, weil sie in der Ehe kein Sakrament erblicken, von dieser heiligen Zeremonie zuweilen entbinden.« Im andern Augenblick erschrak sie aber selbst über die Folgen dieser herben Anspielung auf die Irrungen in dem frühern Wandel ihrer Feindin, und sie wandte sich zu ihrer Hofdame: »Komm, Fleming, wir erweisen unsrer Wirtin zuviel Huld durch diesen Wortwechsel, und wollen uns nun zur Ruhe begeben. Sollte sie noch einmal Neigung verspüren, uns in unsrer nächtlichen Ruhe zu beschweren, so müßte sie die Tür einschlagen lassen.« Hierauf begab sich die Königin in ihr Schlafgemach. Lady Lochleven aber, durch die letzten Reden der Königin im tiefsten Herzen getroffen, blieb wie angewurzelt am Boden stehen. Dryfesdale und Randal bemühten sich, sie durch Fragen wieder zu sich zu bringen. »Was soll vorderhand weiter geschehen, gnädigste Herrin?« fragte der eine. »Sollen die Wachen verdoppelt werden? soll ich im Garten bei den Booten eine Sonderwache aufziehen lassen?« fragte der andre. »Soll eine Meldung an Sir William nach Edinburg abgehen?« fragte dann Dryfesdale wieder; »sollte nicht auch Kinroß alarmiert werden? für den Fall, daß sich am Seeufer noch ein feindlicher Rückhalt befände?« »Handle nach Deinem besten Wissen, Dryfesdale,« versetzte Lady Lochleven, die langsam ihre Besinnung wiederfand, »es heißt ja von Dir, Du verständest das Kriegshandwerk. Triff also alle Vorsichtsmaßregeln, die Dir als notwendig erscheinen – Gott im Himmel! daß ich so offnen Schimpf erleiden mußte!« »Wär's Euer Wille, diese Person – diese – Lady, durch strengere Maßregeln zu zwiebeln?« fragte Dryfesdale. »Nein, Kerl!« fuhr die Lady ihn an, »mich dürstet nach andrer Rache, solch gelinde Dosis wäscht nicht die Schmach von mir!« »Und solche Rache soll Euch werden, gnädigste Herrin,« versetzte Dryfesdale; »bevor die Sonne zum andern Male untergegangen, soll Ihr zufrieden sein!« Die Lady erwiderte nichts hierauf: sie hatte vielleicht die letzten Worte gar nicht vernommen, da sie eben schon das Zimmer verließ. Dryfesdale entließ die Dienerschaft, er selbst blieb zurück, und Roland Gräme war nicht wenig verwundert, den grämlichen Greis mit einer freundlicheren Miene, als er sonst an ihm gewohnt war, auf sich zukommen zu sehen, und um so verwunderter, als sich diese Miene gar nicht recht zu dem finstern Ausdruck des ganzen Gesichts schicken mochte. »Junger Wicht,« hub Dryfesdale an, »es will mich bedünken, als hätte ich Dir hin und wieder unrecht getan – die Schuld daran trifft aber Dich selbst, denn Dein Benehmen war immer so leicht wie die Feder, die Du auf dem Hute trägst. Aber mein Urteil über Dich ist zu hart gewesen. Heute nacht hab ich aus meinem Fenster gesehen, wie Du Dich gegen den Kameraden des ungetreuen Sohnes dieses Hauses wandtest, der davon abgetrennt werden muß wie ein wilder Schößling – ich war nämlich neugierig, wie Du Dich für die Nacht allein im Garten einrichten würdest – als ich sah, wie Du den Eindringling am Mantelzipfel faßtest, wollte ich Dir schon zu Hilfe kommen: da knallte die Pistole, und der Turmwart, ein falscher Halunke, den ich im Verdacht habe, sich bestechen zu lassen – mußte wohl oder übel Lärm blasen – was er bis dahin, wahrscheinlich mit guter Absicht, unterlassen hatte. Um mein Unrecht wieder gut zu machen, möcht ich Euch eine kleine Liebe antun.« »Die wäre?« fragte der Page. »Du sollst die Nachricht von dem Fluchtversuch nach Holyrood melden. Dort kannst Du Dich dadurch in große Gunst setzen, beim Grafen Morton, wie auch bei Sir William Douglas.« »Vielen Dank, Herr Hausmeier,« erwiderte Roland, »aber ich habe keine Lust, Eure Botschaft auszurichten, denn einmal bin ich ja als Page der Königin hier, und mithin zum Dienste ihr verpflichtet; sodann kann ich mir nicht recht denken, daß die genannten Herren demjenigen sonderlich gnädig sein möchten, der ihnen die Nachricht von der Treulosigkeit eines ihnen so nahe verwandten Junkers überbringt.« »Hm,« brummte Dryfesdale, halb verwundert, halb verdrießlich, »bei allem Flattersinn scheint's, als ob Ihr Euch in der Welt doch forthelfen würdet.« »Ich will Euch bloß zeigen, daß mich keine selbstsüchtigen Grundsätze leiten, sondern daß mir Ehrlichkeit für besser gilt als ein grämlicher Sinn, und Lustigkeit für besser als Arglist. Mir kommt's weiter so vor, Herr Hausmeier, als daß Ihr mir nie im Leben so wenig grün wäret, wie eben jetzt, daß Ihr mir aufrichtiges Vertrauen nicht schenken mögt, weiß ich ja; und darum wundert Euch nicht, daß ich falsche Zusicherungen nicht für bare Münze nehme. Bleibt nur mir gegenüber der alte: das ist für uns beide schon das beste – beargwöhnt mich nach wie vor aus vollem Herzen, und haltet mich, wie bisher, hübsch unter der Fuchtel – ich komm dabei ganz gut zurecht, denn Trotz biet ich Euch so oder so – an mir habt Ihr nun mal einen gefunden, der's mit Euch aufnimmt.« »Musje! beim Himmel!« rief erbost der Hausmeier, »wagst Du Verrat gegen Lochleven zu spinnen, dann soll Dein Kopf auf der Turmwarte in der Sonne rösten!« »Wer Vertrauen von sich weist, trägt sich wohl nicht mit Gedanken an Verrat,« erwiderte Roland; »und mein Kopf, mein lieber Dryfesdale, sitzt fest auf meinen Schultern, wie ein Turm, vom besten Baumeister gezimmert.« »Na, dann gute Nacht, Musje Federhut!« sagte höhnisch der Hausmeier. »Gute Nacht, Signor Ohrenbläser,« erwiderte lachend der Page und legte sich, sobald der alte Griesgram verschwunden war, aufs Ohr. Neuntes Kapitel Um andern Morgen wurde zur üblichen Stunde vom Hausmeier mit üblicher Förmlichkeit das Frühstück aufgetragen ... »Es möge von jetzt ab, junger Musje, Euer Amt sein, den Vorschneider zu machen – zu lange schon ist mit diesem Dienst bei der Lady Maria ein Douglas betraut gewesen.« »Es wäre für den Vornehmsten dieses Geschlechts, ja für den Stammherrn ein Ehrenamt gewesen!« Diese herausfordernden Worte des Pagen mit finsterm Blicke beantwortend, verlieh der Hausmeier das Zimmer. Roland aber zeigte sich beflissen, all den Anstand und die gute Manier bei dem neuen Dienste zu zeigen, wodurch Georg Douglas sich hervorzutun verstanden hatte. Aber was ihn hierbei vor allem leitete, war ein Gefühl edelmütiger Aufopferung, wie etwa ein tapfrer Krieger in das Glied eines gefallnen Kampfgenossen vorrückt; »hinfort bin ich ihr einziger Hort und Schutz,« sprach er bei sich, »und ich will ihr, im Glück und im Unglück, dienen so treu und brav, wie es kein Douglas besser vermöchte.« In diesem Augenblicke trat, ihrer Gewohnheit völlig zuwider, ein Tuch vor die Augen haltend, Katharina Seyton allein in das Vorzimmer; ängstlich trat Roland ihr näher und fragte sie mit klopfendem Herzen, wie sich die Königin befände. »Könnt Ihr etwa meinen, sie befände sich wohl?« erwiderte Katharina Seyton! »da müßte sie ja gerade von Stahl und Eisen sein, wenn sie nach der grausamen Enttäuschung noch den gräßlichen Hohn dieser puritanischen Hexe aushalten sollte. Ach, daß ich kein Mann bin! wie wollt ich ihr helfen und beistehen!« »Wenn Leute, die Pistolen, Stöcke und Dolche führen, auch nicht allemal Männer sind,« versetzte Roland, »so sind es dann doch Amazonen; und das kommt, wenn es nicht gar noch schlimmer ist, auf ein und dasselbe hinaus.« »Ei, Ihr seid ja heute recht gut aufgelegt,« erwiderte das Fräulein, »ich bin's aber nicht, und kann Witz deshalb nicht recht vertragen, geschweige erwidern.« »Nun,« sagte der Page, »so vergönnt mir ein Wort im Ernste. Fürs erste erlaubt mir die Bemerkung, daß gestern abend alles weit besser verlaufen wäre, hättet Ihr mich ins Vertrauen gezogen.« »Das ist auch unsre Absicht gewesen. Wem konnte es aber einfallen, daß es Euch belieben würde, die Nacht im Garten zu verbringen?« »Und muß denn solch wichtige Angelegenheit bis zum äußersten Augenblick geheim gehalten werden?« »Euer Verkehr mit dem Kaplan Henderson hat uns abgehalten, uns früher an Euch zu wenden.« »Und warum noch im letzten Augenblicke?« fragte hierauf der Page, der sich durch diese Worte gekränkt fühlte; »warum überhaupt in irgend einem Augenblicke, da ich doch einmal das Malheur hatte, soviel Mißtrauen zu wecken?« »Nun seid Ihr schon wieder knurrig,« versetzte Katharina, »ich müßte, wenn ich verfahren wollte, wie es recht und billig ist, eigentlich kein Wort mehr mit Euch wechseln; aber ich will noch einmal Gnade für Recht ergehen lassen und Eure Frage beantworten. Unser Grund, Euch zu vertrauen – versteht Ihr wohl? vertrauen, sage ich – war ein doppelter: erstens ließ es sich doch nicht vermeiden, daß wir den Weg durch Euer Zimmer nahmen, und zweitens ...« »Bitte, bitte! den zweiten Grund könnt Ihr Euch sparen,« bemerkte der Page, »macht doch der erste Euer Vertrauen bloß zu einem notgedrungnen.« »Ich möchte nichtsdestoweniger bitten, mich ausreden zu lassen,« sagte Katharina, »zweitens, sage ich, gibt's unter uns Weibsvolk hier oben auf der Burg ein törichtes Ding, das sich einbildet, Roland Gräme hätte, wenn's ihm auch im Kopfe ein wenig schwindelt, doch ein warmes Herz, und auch, wenngleich ein hitzig wallendes, doch ein treues Blut und hohes Ehrgefühl, wenngleich eine Zunge, die leicht alle Vorsicht vergißt.« Katharina legte dieses Bekenntnis ab mit leiser Stimme und mit zu Boden geschlagenen Augen, es war, als ob sie Rolands Blick aus dem Wege gehen wollte, als diese Worte den Weg über ihre Lippen nahmen. »Und dieses einzige Wesen, das dem armen Roland Gerechtigkeit zu teil werden läßt,« rief der Jüngling mit gehobner Stimme, »die ihrem eignen edlen Herzen befiehlt, zwischen Kopf und Herz und den Irrungen beider zu unterscheiden ... dies einzige Wesen, geliebte Katharina, wo muß ich es suchen? wem bin ich innigen Dank dafür schuldig?« »Ich kann's Euch nicht sagen,« versetzte Katharina, »Wenn es nicht Euer eignes Herz Euch sagt.« Der Page ließ sich auf ein Knie nieder und faßte die Hand des Mädchens. »Geliebteste Katharina!« »Ich sage ja,« wiederholte Katharina, »wenn es nicht Euer eignes Herz Euch sagt, dann habt Ihr ein recht undankbares Ding von Herz!« und sie entzog ihm langsam ihre Hand .. »denn da doch die mütterliche Zärtlichkeit und Fürsorge von Lady Fleming.« Im Nu war der Page auf den Beinen. »Beim Himmel, Katharina!« rief er, »Eure Zunge hüllt sich in so verschiedne Tracht, wie Euer Leib. Warum treibt Ihr mit mir solch herben Spott? Ihr wißt doch recht gut, daß Lady Fleming sich so wenig um jemand bekümmert, wie dort die arme Prinzessin in dem Stück alter Tapete.« »Was kann schon sein,« sagte Katharina, »aber redet doch deshalb nicht so laut!« »Ihr wißt, daß sie sich außer um die Königin und um sich selbst um keinen Menschen bekümmert! und ebenso gut wißt Ihr, daß mir an keines Menschen Beifall etwas liegt außer an dem Eurigen ... selbst nicht an dem der Königin.« »Wenn es an dem ist,« sagte darauf Katharina mit Gelassenheit, »so müßt Ihr Euch um so ärger schämen!« »Aber, schöne Katharina,« rief der Page wieder, »warum wollt Ihr mich dadurch, daß Ihr der Glut meiner Liebe solchen Dämpfer aufsetzt, verhindern, mich mit Leib und Seele der Sache meiner Gebieterin zu weihen?« »Wer seinem Glauben, seinem Fürsten, seinem Vaterlande mit Eifer und Hingebung dienen will, der braucht dazu keinen romanhaften Ausputz .. und wer diese gekränkte Fürstin aus ihrem Kerker errettet und als freie Königin ihren freien und tapfern Adelingen zuführt, deren Herzen vor Begierde brennen, sie willkommen zu heißen – dessen Liebe wäre hohe Ehre für jedes Mädchen Schottlands, und wäre sie dem Blute des vaterländischen Königshauses entsprossen und er des ärmsten Käthners Sohn, der jemals hinter einem Pfluge schritt!« »Schönste Katharina,« rief Roland begeistert, »ich will das Abenteuer wagen! doch sagt mir zuvor, und so, als wenn Ihr dem Priester die Beichte ablegtet – ich weiß, die arme Königin ist tiefunglücklich, aber, Katharina, ist sie auch unschuldig? man zeiht sie des Mordes!« »Halt ich das Lamm für schuldig, weil der Wolf es anfällt?« erwiderte Katharina, »oder die Sonne dort für besudelt, weil Erdendunst ihren Glanz verhüllt?« Seufzend blickte der Page zu Boden. »Hätt ich doch Deine feste Ueberzeugung! aber eins ist offenbar: durch diese Kerkerhaft geschieht ihr das herbste Unrecht – auf einen Vergleich hin hat sie sich den Adelingen ihres Reiches ausgeliefert, und die Bedingungen des Vergleichs sind ihr nicht gehalten worden – Katharina! ich will für ihre Sache eintreten mit Tod und Leben!« »Das wolltet Ihr? wolltet Ihr wirklich?« rief Katharina, jetzt seine Hand ergreifend; »o, sei so standhaften Sinnes, wie Du kühn und entschlossen im Wollen bist – halte Dein verpfändetes Wort, und künftige Geschlechter werden in Dir Schottlands Erlöser verehren.« »Hab ich aber mit Erfolg gestrebt, die Lea – Ehre – zu gewinnen, soll ich dann etwa noch verurteilt sein, weitere Jahre um die Rahel – Liebe – zu dienen?« »Darüber werden wir noch Zeit genug finden zu reden,« versetzte Katharina, ihre Hand wieder aus der seinigen ziehend. »Ehre ist die ältere der beiden Schwestern und will zuerst errungen sein.« »Ob ich sie erringe, steht nicht allein bei mir,« sagte drauf der Page, »wagen dafür will ich, was im Vermögen eines Menschen steht. Zudem laßt Euch sagen, schönste Katharina, daß nicht Ehre allein, und auch nicht jene andre Schwester, deren bloße Erwähnung schon Eure Stirn in Falten legt, mich treibt, zur Befreiung der Königin aus ihrer schmählichen Haft das meinige zu tun, sondern auch das strenge Gebot der Pflicht.« »Wirklich?« fragte Katharina, »das hat Euch doch aber so manchen Zweifel bereitet?« »Ehedem,« versetzte der Page, »als ich sie noch nicht in ihrem Leben bedroht wußte.« »Ist denn Ihr Leben jetzt schärfer bedroht als früher?« fragte lebhaft erschrocken das Fräulein. »Aengstigt Euch nicht,« sagte der Page, »aber Ihr habt doch gehört, mit welchen Worten Eure Herrin von der greisen Lady schied?« »Gewiß, gewiß!« erwiderte Katharina, »ach! daß sie ihren fürstlichen Unwillen nicht mäßigen kann!« »Zwischen den beiden Frauen ist etwas vorgegangen,« sagte Roland, »was Frauen niemals verzeihen. Ich habe recht gut gesehen, wie zuerst bleich, und dann schwarz das Gesicht der Lady wurde, als ihr die Königin vor dem ganzen Hausgesinde ihre Schande vorwarf. Ich habe auch den Schwur vernommen, den sie in ihrem Grimm und Rachegefühl einem ins Ohr raunte, der nach der Antwort, die er darauf gab, nur zu bereitwillig sein dürfte, ihren Willen zu vollstrecken.« »Ihr setzt mich in Schrecken,« rief ängstlich Katharina. »Begebt Euch nicht unter das Joch der Furcht,« sagte Roland; »rafft Euch auf, wendet Euch an die männliche Seite Eures Charakters, und laßt uns auf der Hut sein, damit wir Pläne vereiteln, so gefahrvoll sie auch sein mögen. Warum seht Ihr mich so an und weint?« »Ach,« erwiderte Katharina, »Ihr seid ein Mann, steht in Eurer vollen Jugend, seid erfüllt von edlem Unternehmungsgeist, und erfreut Euch noch aller Sorglosigkeit einer frischen Jugend! wenn Ihr nun heut oder morgen verstümmelt und entseelt auf dem Boden dieses verhaßten Kerkerloches liegt, wem anders als Katharina Seyton wird dann die Schuld beizumessen sein, daß Eure Laufbahn schon zerstört wird, kaum daß Ihr in die Schranken getreten seid? und hattet Ihr sie nicht erkoren, Euch die Myrte ins Haar zu binden? und sie soll bestimmt sein, Euch das Totenhemd zu weben?« »Und das geschehe,« rief Roland in jugendlicher Begeisterung, »wenn Du Tränen hineinwebst, wie sie jetzt aus Deinen Augen rinnen; welch schönere Ehre konnte es geben für meine irdische Hülle? kein Grafenmantel könnte dem Lebenden schönere Zierde sein! Aber beiseite jetzt mit aller Weichheit des Herzens! Katharina, sei eine Seyton, oder richtiger gesprochen, sei ein Seyton! – sofern Du es willst, kannst Du schon einer sein!« Katharina wischte sich die Tränen aus den Augen und versuchte zu lächeln. »Befragt mich nicht jetzt über Dinge, die Euer Herz beunruhigen! mit der Zeit sollt und werdet Ihr alles erfahren – gleich in diesem Augenblicke solltet Ihr es erfahren, wenn nicht – doch still! die Königin kommt!« Maria von Schottland trat, bleicher als sonst, aus ihrem Zimmer. Sie war sichtlich erschöpft und abgespannt durch eine schlaflose Nacht. Aber ihre Schönheit verlor nicht hierdurch, denn an die Stelle hoheitsvoller Anmut der Königin trat jene zarte Erregbarkeit des liebevollen und liebenswürdigen Weibes. Abweichend von ihrer sonstigen Weise, hatte sie ihre Toilette hastig gemacht; das Haar, das sonst von Lady Fleming sorgsam frisiert wurde, fiel in den langen, üppigen Locken, die von der Natur selbst gekräuselt wurden, lose um die Stirn hernieder und über Hals und Busen, die nicht so fürsorglich wie sonst verhüllt waren. Kaum hatte die Königin den Fuß über die Schwelle gesetzt, als Katharina ihr entgegeneilte, sich vor ihr auf ein Knie niederließ und ihr die Hand küßte. Auf der einen Seite die Fleming, auf der andern Katharina, schienen sie sich in die ehrenvolle Aufgabe, ihr Stütze und Beistand zu sein, mit treuem Eifer zu teilen. Der Page rückte den Armsessel an die Tafel heran, in welchen sie sich in der Regel niederließ, um ihr Frühstück einzunehmen, und stand, seines Dienstes gewärtig, auf dem Platze, den bisher der junge Seneschall Georg Douglas eingenommen hatte. Marias Auge ruhte eine Weile auf ihm; es mußte ihr natürlich bewußt werden, daß in diesem Dieneramt ein Wechsel vorgegangen war, und doch war sie sich vielleicht der Worte »Armer Douglas!« die ihr jetzt entschlüpften, nicht bewußt; sie lehnte sich in ihren Stuhl zurück und brachte ihr Tuch vor die Augen. »Ja, gnädigste Herrin,« sagte Katharina, mit heiterer Miene, in der Absicht, das Gemüt Marias dadurch aufzuheitern, »unsrer wackrer Amadis ist von uns gegangen, er war dem kühnen Wagnis nicht gewachsen; indessen hat er uns einen jungen Knappen hinterlassen, der dem Dienste seiner Königin nicht minder ergeben ist und Euch durch mich Hand und Schwert bieten läßt.« »Wozu das alles?« erwiderte die Königin; »weshalb immer und immer wieder für neue Opfer sorgen, Katharina, sie mit meinem unglücklichen Schicksal zu verketten? Geben wir lieber alles weitere Bemühen, eine Aenderung meiner Lage herbeizuführen, auf! es widerstrebt mir, soviel edle Herzen, die zu unserm Heile ihr Bestes einsetzen, mit in mein Verderben zu reißen; es haben sich in meiner Umgebung genug Anschläge und Ränke abgespielt, seit ich als verwaistes Kind in meiner Wiege lag, und die feindlichen Adelinge meines Reichs sich darum bekämpften, wer von, ihnen im Namen des unschuldigen und bewußtlosen Kindes das Regiment in meinem Reiche führen sollte – es ist ja wirklich an der Zeit, daß dieser schmachvolle und gefahrvolle Zustand sein Ende finde! Ich will meine Haft hinfort als Klosterhaft ansehen, will mir vorstellen, als hätte ich mich freiwillig von der Welt und ihrem Treiben in diese stille Klause zurückgezogen.« »O, gnädigste Fürstin,« erwiderte Katharina, »redet doch nicht so in Gegenwart Eurer treuesten Diener! muß das nicht ihnen allen Eifer rauben, Euch zu dienen? muß ihnen solche königliche Rede nicht das Herz brechen! Komm, Roland! wir sind die jüngsten ihres Gefolges, knie neben mir nieder vor ihrem Schemel und flehe mit mir zu ihr, daß sie ihren hohen Sinn auch fürder behalte!« und sie nahm Roland bei der Hand und kniete mit ihm vor der Königin. Maria richtete sich empor, reichte die eine Hand dem Pagen zum Kusse und strich mit der andern die üppigen Locken aus der kühnen und offenen Stirn des jungen Mädchens. »Ach, ma mignonne,« sagte sie, denn mit diesem Kosenamen liebte sie ihre junge Dienerin zu nennen, »wie soll ich es billigen, daß Du Dein junges Leben an mein unheilvolles Schicksal kettest? .. Sieh doch her, Fleming! ist's nicht ein holdes Paar? und muß mir der Gedanke, daß ich ihnen zum Untergang werden soll, nicht das Herz zerfleischen?« »Sprecht nicht also, gnädigste Fürstin,« rief da begeistert Roland, »denn unser freier Wille ist's, Euch Befreiung zu schaffen,« »Aus dem Munde dieser Kinder,« sprach die Königin, indem sie den Blick gen Himmel lenkte, »wird mir also vom Himmel die Aufforderung, jene hohen Gedanken weiter zu nähren, die meiner Geburt und meinen Rechten geziemen. Da darf ich wohl erwarten, daß er ihnen auch seinen Schutz wird angedeihen lassen und die Macht verleihen wird, ihren Eifer zu belohnen.« Hierauf an Lady Fleming sich wendend, setzte sie hinzu: »Du weißt ja, liebe Fleming, wie glücklich ich mich immer gefühlt habe, wenn es mir vergönnt war, Dienste fürstlich zu lohnen – ach, und wie gern hab ich mich immer unter glücklichen Menschen bewegt! selbst als man es mir übel anrechnete, daß ich mich in ungebundner Fröhlichkeit unter die Maskenzüge meines Hofstaates mischte und an den Tänzen von dessen jungem Volke teilnahm! mag es auch der kalvinistische Knox, der strenge Prediger des Ketzertums, eine Sünde genannt und Graf Morton es als eine Herabwürdigung königlichen Ansehens bezeichnet haben! ich bereue es auch heute noch nicht, denn wehe der armseligen Scheelsucht, die aus dem Ueberschwange unbewachter Fröhlichkeit eine Herzenssünde herzuleiten vermag. Verlaß Dich drauf, Fleming! sind Wir erst wieder in den Besitz Unsres Thrones gelangt, so soll ein fröhliches Hochzeitsfest Uns alle vereinen! aber Wir dürfen zurzeit weder Braut noch Bräutigam nennen, doch haben Wir dem Bräutigam die Baronie von Blairgowrie zugedacht, die auch als Geschenk einer Königin noch immer ein schönes Geschenk genannt weiden darf, und in den Kranz der Braut wollen Wir die schönsten Perlen flechten, die in den Tiefen des Lamondfees gefischt worden sind – und Du selbst, liebe Fleming, die geschickteste Haarkräuslerin, die je die Locken einer Königin flocht, und die sich wohl an keines Weibes Haar von geringer Herkunft vergriffe, Du selbst sollt die Perlen mir zuliebe ihr, Unsrer holden Braut, in die Locken flechten – Liebe Fleming, setzen Wir den Fall, es wären Locken von der üppigen Art, wie sie das süße Köpfchen Unsres Lieblings hier, Unsrer frohen Katharina, zieren? sie würden doch Deiner schönen Kunst nimmer zur Unehre gereichen! – Was meinst Du wohl?« und während sie liebkosend mit der Hand über den Kopf ihres Lieblings strich, blickte sie der andern ihrer beiden Hofdamen so mild und glückselig in die Augen, daß dieser die hellen Trauen in die Augen schossen. »Ach, gnädigste Dame,« rief leise klagend die bejahrte Dienerin, »Eure Gedanken schweifen in gar weite Fernen!« »Freilich, freilich, meine liebe Fleming!« erwiderte darauf die Königin; »aber ist es recht von Dir, sie zurückzurufen? ist's freundlich von Dir? Bei wessen Hochzeit war es denn, liebe Fleming, daß Wir zum letzten Male tanzten? Bei der Hochzeit, von der ich jetzt spreche, soll Maria nichts spüren von all ihren Sorgen und Kümmernissen! da will sie selbst noch einmal den Reigen führen! in ungebundner Fröhlichkeit! ... Ach, Fleming, mir ist's heut ganz zu Mute, als hätte mir der gestrige Auftritt das Gedächtnis ein bißchen verwirrt – ich sollte doch eigentlich wissen, wann ich zum letzten Male im heitern Tanze mich drehte! Kannst Du mir nicht einhelfen? Freilich, kannst Du es, liebe Fleming! warum tust Du's denn nicht?« »Ach, gnädigste Herrin,« wehrte die Fleming ab ... »Aber warum denn so ungehorsam, liebe Fleming! warum willst Du es meinem Gedächtnis weigern, ihm zu helfen? – ich muß doch meinen, Fleming, daß Unsre Reden Deinem ernstern Sinne als eitle Torheit erscheinen. Du bist aber doch am Hofe erzogen, Fleming, und weißt, was solcher Ungehorsam gegen Deine Gebieterin bedeutet – ich sage Dir also, daß ich es Dir befehle! verstehst Du, Fleming, die Königin befiehlt der Lady Fleming, ihr zu sagen, wann sie den letzten Reigen geführt hat!« Todbleich wurde die Hofdame, aber sie weigerte sich nicht länger, der Aufforderung zu gehorchen, und mit einer Miene, wie wenn sie in die Erde sinken müsse, sagte sie: »Gnädigste Fürstin, sofern mich mein Gedächtnis nicht trügt, so war es auf einem Maskenball in Holyrood, bei der Hochzeit Sebastians.« Bei diesem unheilvollen Worte entfuhr der unglücklichen Königin, die bis jetzt der stotternden Hofdame mit übermütigem Lächeln zugehört hatte, ein so wilder, so furchtbarer Schrei, daß das ganze Gemach davon widerhallte. Katharina und Roland eilten in der größten Bestürzung an ihre Seite. Völlig außer sich durch die Verknüpfung der grausigsten Vorstellungen, aus allen Grenzen der Vernunft gerissen durch diese plötzliche Erinnerung an das Entsetzlichste, das sie in ihrem jungen Leben getragen, schrie sie mit gellender Stimme: »Verräterin! Deinen Fürsten wolltest Du morden! Ruft meine Garden! à moi, à moi, mes Français! – Verräter umzingeln mich in meinem eignen Palaste! meinen Gemahl haben sie ermordet – Hilfe, Hilfe der Königin von Schottland!« Ihre in ihrer Blässe noch eben so überaus lieblichen Züge waren entflammt von der Wut des Wahnsinns und glichen denen Bellonas, der Kriegsgöttin Roms. »Ha!« schrie sie wieder, »Unsre Hauptstadt soll wachsam sein! Lothian und Fife sollen wachsam sein! man sattle Unser spanisch Roß, und Paris, der Franzose, soll unsren Karabiner laden! besser, an der Spitze Unsrer tapfern Soldaten wie Unser Großvater zu Flodden sterben, als an einem gebrochnen Herzen hinsiechen wie Unser unter einem unheilvollen Sterne geborner Vater.« »Beruhigt Euch doch, gnädigste Fürstin!« bat Katharina und wandte sich hierauf an ihre Gefährtin: »Wie konntet Ihr auch nur ein Wort sagen, das sie an ihren Gemahl erinnerte!« »Gemahl!« wiederholte die unglückliche Königin, denn sie hatte dies Wort aufgefangen und wiederholte es hastig ein paarmal hintereinander. Dann schrie sie: »Welcher? welcher Gemahl? Seine allerchristlichste Majestät nicht, denn die ist unpaß – kann nicht aufs Pferd hinauf – auch nicht der von Lennox – der Herzog von Orkney war's, auf den Du anspieltest!« »Um Gottes willen, Fürstin,« bat die Fleming, »seid ruhig!« Aber die erregte Phantasie der Königin war nicht zu besänftigen ... »Ruf ihn her! sag ihm, er solle mir helfen! solle seine Lämmer mitbringen, wie er sie nennt: Bowton, Hay von Talla, Ormiston den Schwarzen, und Robert, seinen Vetter! – Ach, prrrr! wie sie nach Schwefel duften! und wie schwarz sie aussehen! – Was? mit Morton im geheimen Rat? Nein! wenn die Douglasse mit den Hepburns über einem Anschlage brüten, dann jagt der Vogel, der aus der Schale kriecht, ganz Schottland in Angst und Schrecken – meinst Du nicht, liebe Fleming?« »Sie wird immer irrer,« sagte die Fleming, »wir haben für diese verworrnen Reden der Zuhörer zuviel.« »Roland,« rief Katharina und trieb den Pagen in das Vorzimmer, »laß uns allein mit ihr fertig werden; Du kannst uns nichts dabei helfen – Fort – fort!« Aber trotzdem die Tür hinter ihm abgeschlossen und verriegelt wurde, konnte er die Königin noch immer schreien hören, bis ihre Stimme sich endlich in einem leisen Gewimmer verlor. Da trat Katharina wieder zu ihm ... »Mach Dir keine Sorge weiter,« sagte sie zu ihm, »der Anfall ist vorüber. Aber halte die Tür versperrt und laß niemand herein, bis sie ihre Fassung wiedergewonnen hat.« »Um Gottes willen, Katharina,« sagte Roland, »was bargen die Worte der Fleming so Schreckliches, daß die Königin in eine so wilde Erregung geriet?« »Ach, die Fleming, die Fleming!« sagte Katharina, den Namen ungeduldig wiederholend, »die Fleming ist ein dummes Frauenzimmer, sie hängt an ihrer Herrin mit aller Liebe, weiß aber nicht, wie sie diese Liebe beweisen soll – wenn ihr die Königin befehlen sollte, sie zu vergiften, so würde sie sich auch nicht besinnen, sondern es tun, weil es ihr eben von der Königin befohlen worden – ich hätt ihr die Halskrause herunterreißen können um dieses Wortes Sebastian willen – mir hätte die Königin eher das Herz aus der Brust reißen können, als daß ich diesen Namen über meine Lippen gelassen hätte!« »Und was ist's denn für eine Geschichte mit diesem Sebastian?« fragte Roland; »beim Himmel, Katharina! Ihr seid das lebendige Rätsel!« »Und Ihr ein Narr, wie die Fleming eine Närrin!« versetzte das Fräulein voll Ungeduld, »wißt Ihr denn nicht, daß in jener Nacht, da Heinrich Darnley ermordet und die Feldkirche in die Luft gesprengt wurde, die Königin auf einem Maskenballe anwesend war, den sie zum Hochzeitsfeste ihres Leibdieners mit Namen Sebastian gab, der sich mit einem Hoffräulein von ihr verheiratete?« »Beim Himmel! dann wundre ich mich freilich nicht mehr über ihre Erregtheit,« sagte Roland, »bloß der Gedächtnismangel ist mir nicht verständlich, daß sie der Fleming solche Frage mit solcher Dringlichkeit stellen konnte!« »Darüber kann ich freilich auch nichts sagen,« erwiderte Katharina, »aber großes Seelenleid mag wohl, wenn es sich mit einem wilden Schreck gepaart hat, das Gedächtnis schwächen oder verdüstern. Indessen will ich mit Euch nicht länger müßig diskutieren, während es mir in allen Fingern juckt, der Fleming noch jetzt eine kalte Douche zu geben – verwahrt mir die Tür gut, Roland, denn auf keinen Fall möcht ich haben, daß einer von dem Ketzerpack im Schloß sie in diesem traurigen Zustande vor die Augen bekäme – denn in der Freude darüber, daß ihre teuflischen Pläne so herrlich angeschlagen, möchten sie sich keine Sekunde besinnen, den Anfall der Königin in ihrem ekelhaften Kauderwelsch als ein Strafgericht des Himmels zu preisen.« Gerade als sie den Fuß aus dem Vorzimmer setzte, um zur Königin zurückzukehren, wurde von draußen mit Wucht auf die Türklinke gedrückt; aber Roland hatte den Riegel fest vorgeschoben, und er widerstand den Bemühungen des groben Eindringlings.. »Wer ist an der Tür?« fragte Roland. »Ich, der Hausmeier,« erwiderte Dryfesdale. »Ihr könnt nicht herein,« rief Roland. »Warum nicht?« rief draußen Dryfesdale; »ich komme ja nur, mich pflichtschuldigst zu erkundigen, weshalb die Moabiterin so laut geschrieen hat?« »Bleibt draußen!« rief Roland; »herein dürft Ihr nicht!« »Und warum nicht, junger Hansdampf?« fragte Dryfesdale. »Weil ich den Riegel vorgeschoben habe, und weil ich keine Lust habe, ihn Euch zu Gefallen wegzuschieben – Wurst wider Wurst, Hausmeierchen!« »Laß Dir solche Dummheiten nicht beikommen, Musje,« schrie vor Wut außer sich draußen der Hausmeier, »ich setze auf der Stelle die Schloßherrin in Kenntnis.« »Ihr könnt der Dame zugleich mit melden, daß die Königin sich alle Besuche verbittet, wie auch alle Botschaft, denn sie fühlt sich zurzeit nicht wohl und empfängt niemand.« Also abgewiesen, begab sich Dryfesdale unter lautem Gebrumm wieder die Treppe hinunter. Zehntes Kapitel Lady Lochleven saß, in ihre in Sammet gebundne und auf dem Deckblatt mit Silber reich verzierte Bibel vertieft, allein in ihrem Gemache; sie erkannte aber bald, daß es ihr nicht gelingen wollte, ihr Gemüt von dem verdrießlichen Ereignis der letzten Nacht abzulenken. Die Kränkung, die ihr von der Königin widerfahren war, erinnerte sie an eine zu schwere Verirrung ihrer Jugend, die sie schwer genug bereut hatte, um jede Erwähnung auf das bitterste zu empfinden. »Warum,« sprach sie bei sich, »soll grade sie mir solchen Vorhalt machen dürfen? sie, die meiner Torheit Früchte genießt oder doch genossen hat? die meinen Sohn vom Throne verdrängte? warum soll sie es wagen dürfen, mir in Gegenwart meines Gesindes und ihrer Dienerschaft diese Torheit, diese Schande vorzuwerfen? Befindet sie sich nicht in meinen Händen? Fühlt sie keine Furcht vor mir? Ha, Versucher! weiche von mir! komm mir nicht mit Gedanken, die ich meinem Herzen fernhalten will, komme es, wie es wolle!« Sie griff wieder nach dem heiligen Buche, ernster als vordem bemüht, sich durch seinen Inhalt seelisch zu stärken – da wurde sie durch ein Pochen an der Tür unterbrochen. Auf ihr Herein erschien der Hausmeier Dryfesdale auf der Schwelle. Sie schrak zurück vor der verstörten Miene, die sein Gesicht zeigte. »Was ist vorgegangen, Dryfesdale?« fragte die Lady; »was soll dieses dumme Gesicht? Hast Du schlimme Kunde von meinem Sohn oder meinem Enkel?« »Nein, Lady,« antwortete der Hausmeier, »aber Ihr habt letzte Nacht schweren Hohn erlitten, und heute morgen ist, wie ich befürchte, Euch herbe Genugtuung geschaffen worden – Wo ist der Kaplan?« »Was soll diese hastige Frage, Dryfesdale? Der Kaplan ist, wie Ihr doch recht gut wißt, heut abwesend. Ihr habt ihm doch selbst die Bestellung zur geistlichen Konferenz in Perth überbracht.« »Mag er stecken, wo er will,« brummte Dryfesdale, »ein Baalspfaffe ist und bleibt er ohnehin!« »Dryfesdale! was sollen solche Reden?« erwiderte die Dame streng, »ich habe schon immer gehört, daß Du während Deines Aufenthalts in den Niederlanden zur Gemeinschaft der Wiedertäufer gehört hättest – zu jenen Keilern, die alle Weinberge aufwühlen – aber meine geistlichen Berater sollen auch meiner Dienerschaft recht sein!« »Immerhin wär's mir gerade heut nicht unlieb,« versetzte, der Worte seiner Gebieterin nicht achtend, der Hausmeier, »wenn ich geistlichen Zuspruch zur Hand hätte ... die moabitische Madame in unsrer Burg.« »Sprich von der Dame mit der Ehrerbietung, die ihr zusteht,« wies ihn die Lady zurecht, »denn sie ist eines Königs Tochter!« »Meinetwegen,« versetzte Dryfesdale störrisch, wie vordem, »wenn sie ins Grab steigt, ist zwischen ihr und einer Betteldirne auch kein Unterschied – Maria von Schottland liegt in den letzten Zügen.« »Was schreist Du mir da in die Ohren, Mensch?« rief die Lady entsetzt; »Maria in den letzten Zügen? in meinem Schlosse? an welcher Krankheit? durch welchen Zufall?« »Nun, nicht so aufgeregt, Lady!« sagte Drysesdale, »den Dienst hab ich ihr geleistet.« »Schurke! Verräter! wie konntest Du solches wagen?« »Ich hab's Euch gestern abend zugesagt, und jetzt ist's geschehen; sie verhöhnt Euch zum andern Male nicht wieder.« »Schurke, Du bist nicht bei Sinnen!« »Aber auch nicht von Sinnen!« erwiderte trocken der Hausmeier; »was dem Menschen vorgezeichnet, muß er erfüllen; und in meinem Zeichen steht, was ich getan, schon seit Millionen von Jahren!« »Grausamer Halunke! Du hast sie doch nicht etwa gar vergiftet?« »Nun, und wenn ich sie vergiftet hätte, was wäre weiter dabei? Die Menschen vergiften Ungeziefer – warum sollten sie sich nicht auch ihrer Feinde auf gleiche Weise entledigen? in Italien tut's der erste beste, wenn er ein Goldstück dafür bekommt.« »Aus meinen Augen, feiger Meuchelmörder!« rief die Dame entsetzt. »Urteilt nicht blindlings, Lady!« sagte Drysesdale; »denkt an Lindesay, an Ruthven, an Euren Vetter Morton! erdolchten sie nicht den Rizzio? sitzt etwa auf ihren gestickten Aufschlägen Blut? erstach nicht der Lord Temple den Lord Sanquhar? und sitzt ihm seine Kappe deshalb um einen Strich schiefer? – ein Gifttrank und ein Dolch sind völlig gleiche Mittel zum gleichen Zweck; der eine wirkt aufs Hirn, der andre zapft Blut – indessen sage ich ja keineswegs, daß ich dieser Lady was eingegeben hätte.« »Was soll diese Salbaderei, Mensch?« rief die Dame; »willst Du Deinen Hals vom Stricke retten, dann berichte mir unverhohlen den Hergang! Als gefährliches Subjekt kennt man Dich ja schon lange!« »Hm, daß ich im Dienste meines Herrn kühn und rücksichtslos sein kann, will ich nicht in Abrede stellen. Warum sollt ich Euch nicht sagen, wie ich mich in dieser Sache verhielt? ich war, als ich letzthin drüben auf dem Lande war, bei einem klugen Weibe, von dem sich seit einigen Monaten die ganze Gegend allerhand Wunderdinge zuraunt. Sie heißt Mutter Nicneven. Narren, die wieder' jung werden wollen, lassen sich Zaubertränke von ihr brauen. Geizhälse, die ihr Hab und Gut mehren wollen, lassen sich Wünschelruten von ihr schneiden; andre lassen sich von ihr die Zukunft deuten; nun, mir hat sie ein Päckchen gegeben, das, unter eine Flüssigkeit gemischt, vollkommene Rache übt,« »Elender! und Du hast dies Gift unter die Speisen der Lady gemischt? Zur ewigen Schmach für Deines Herrn Haus?« »Bloß um die Ehre meiner Herrschaft zu rächen, die sie auf gemeine Weise verhöhnte! ich hab das Tränkchen in den Krug Zichorienwasser geschüttet, das die moabitische Madam ja mit solcher Vorliebe trinkt, daß sie selten mal einen Tropfen drin übrig läßt.« »Ein Werk der Hölle, Schurke!« rief die Lady, aufspringend; »fort, fort! laß uns sehen, ob wir noch helfen können.« »Ich glaube nicht, Lady, daß wir eingelassen werden,« sagte trocken der Hausmeier, »ich wenigstens bin schon zweimal an der Tür gewesen, hab aber nicht Zutritt erlangen können.« »Wenn nicht anders, so lasse ich die Tür einschlagen,« rief zornig die Lady; »doch halt! lauf und bring mir den Randal her!« »Randal,« sprach sie, als der Mann eintrat, »es hat sich ein schlimmer Vorfall im Schlosse zugetragen. Laß mir auf der Stelle den Kämmerer Lundin herüberholen! bring auch die Hexe Nicneven mit, wenn Du ihrer irgend habhaft werden kannst, sie soll hier erst ihren Zauber unschädlich machen, dann werden wir sorgen, daß sie auf der Serf-Insel verbrannt wird – Fort, fort! laß alle Segel beisetzen und sieh zu, auf der Stelle wieder hier zu sein.« »Ich glaube schwerlich, daß sich unter solchen Verheißungen die Hexe bereit finden läßt, die Fahrt mit über den See zu machen,« bemerkte Dryfesdale. »Dann sage ihr volle Sicherheit zu! schaff sie her, denn Du haftest mit Deinem eignen Leben für die Wiederherstellung der Lady!« »Das hätt ich mir freilich denken können,« brummte Dryfesdale ärgerlich, »da, einen Trost wenigstens hab ich, daß ich mich selbst dabei mit gerächt habe – denn mir hat diese Moabiterin oft genug aufs ärgste mitgespielt! und dem verfluchten Pagen, der jetzt Vorkoster ist, hab ich's auch gleich mit eingetränkt.« »Verfüge Dich in den westlichen Turm und setze keinen Fuß hinaus,« befahl die Dame, »bis sich erkennen läßt, welchen Ausgang dieser Fall nimmt – ich kenne Dich und weiß, daß Du nicht zu entkommen suchen wirst.« »Nein, keine Sorge!« erwiderte Dryfesdale, »und wären die Burgmauern aus Eierschalen gefügt und der See mit fester Eisdecke überzogen! Ich stehe zu fest in dem Glauben, daß der Mensch nichts aus sich selbst zu dem Schicksale hinzutun kann, das ihm von Geburt an vorgezeichnet ist. Doch eines, Lady! vergiß nicht, wenn ich raten darf, bei allem Eifer für das Leben und Heil dieser Jesabel die eigne Ehre, und was Du ihr schuldest – halt auch die ganze Geschichte so geheim, wie irgend tunlich.« Mit verbissenem Gleichmut verfügte sich der finstere Schicksalsmensch an den ihm angewiesenen Haftort; die Lady aber nahm sich den letzten Wink zu Herzen und begab sich nun selbst zu den Gemächern der Königin, bemühte sich aber bei Roland ebenfalls vergeblich um Einlaß. »Befand sich je ein Weib in schrecklicherer Lage?« rief sie; »Hab wenigstens acht, Du kecker Wicht, daß niemand was von dem Trank und der Speise genießt, die heut herausgebracht worden sind!« Darauf eilte sie nach dem Turme, um Dryfesdale wieder aufzusuchen. Er saß ruhig in seiner Zelle und las. »Weißt Du, ob Dein Trank schnell oder langsam wirkt?« fragte sie. »Langsam,« erwiderte er; »die Hexe fragte mich, was mir das liebere sei, und ich sagte ihr, langsame, aber sichre Rache sei es, was ich haben wolle.« »Welchen Teufel hab ich in meinem Hause genährt?« klagte die Lady, »Verzeih mir Gott die Sünde, Dich so lange in Kost und Kleidung zu erhalten.« »Das hat nicht in Eurem Ermessen gestanden, Lady,« versetzte der Hausmeier, »denn lange schon vor Erbauung dieses Schlosses, lange schon, bevor diese Insel, auf der es errichtet wurde, aus den blauen Wogen heraufstieg, war es mir vom Schicksal bestimmt worden, Euch als Sklave zu dienen – habt Ihr vergessen, wie ich zur Zeit, als die Mutter dieser Madam sich als Feindin Eures Hauses aufspielte, mich unter die siegreichen Franzosen stürzte und Euren Gemahl aus den Feinden heraushieb? habt Ihr vergessen, daß keiner von denen, die mit ihm die gleiche Milch getrunken hatten, solchen Versuch wagen mochte? habt Ihr vergessen, wie ich mich in den See stürzte, um Euren Enkel zu retten, als er sein Boot im Sturme nicht zu steuern wußte? ... wer einem schottischen Edeln recht dient, der scheut weder das eigne Leben, noch fremdes Leben, das seines Herrn ausgenommen – Wär's nicht für ganz Schottland die froheste Kunde, wenn ihr Tod gemeldet werden konnte? entstammt sie nicht dem blutigen Geschlecht der Guisen? ist sie nicht Jakobs Kind, jenes schurkischen Tyrannen, den der Himmel vom Throne stürzte und dessen hochmütiger Sinn geduckt wurde wie derjenige des Nebukadnezer?« »Schweig, Elender!« rief die Lady, in deren Herzen sich allerhand Erinnerungen regten, als sie den Namen ihres königlichen Galans vernahm, »schweig und störe die Asche jenes unglücklichen Toten nicht! Lies weiter in Deiner Bibel und bitte zu Gott, daß sie Dir künftig bessere Belehrung gebe!« Kaum war sie in das nächste Zimmer getreten, so entströmten Tränen ihren Augen, und sie mußte stehen bleiben, um sie zu trocknen. »O, daß ich solche Tränen noch erleben würde,« sprach sie bei sich, »das hätt ich nicht erwartet! trocknen Auges hab ich die Untreue meines Enkels über mich ergehen lassen, und doch ruhte auf ihm meines Sohnes Hoffnung, des Kindes meiner Liebe Hoffnung! und nun weine ich um ihn, der so lange schon im Grabe ruht! um ihn, dem ich es beizumessen habe, daß seine Tochter mich mit Spott und Hohn überschüttet? aber es ist seine Tochter, und wenn mir plötzlich aus ihrem Auge das Bild des Vaters vor die Seele tritt, dann wird es mir weich ums Herz, das durch mancherlei Ursache verhärtet gegen sie ist – doch wenn mir dann wieder die Aehnlichkeit beikommt, die ihr Gesicht mit ihrer mir verhaßten Mutter, mit dieser echten Tochter des Hauses Guise, aufweist, dann wanke ich wieder in meinem Entschlusse, ihr Milde und Güte zu erweisen. Aber durch solchen schändlichen Anschlag soll sie nicht sterben in meinem Hause! Ich danke Dir, mein Gott! daß es kein schnell wirkendes Gift war, das dieser Elende ihr eingab, daß sich ihm also noch vorbeugen läßt – ich will noch einmal nach ihrem Zimmer – aber daß dieser Mensch, auf dessen Treue wir so fest bauten, der uns so viele Beweise seiner Anhänglichkeit gegeben, sich entpuppt als solcher Bösewicht! welches Wunder erklärt solche Tücke und solche Treue in ein und demselben Herzen?« Roland Gräme hatte, während Lady Lochleven sich zu dem Hausmeier nach dem Turme begab, Katharina Seyton von den Worten unterrichtet, die ihm diese zur Tür hereingerufen hatte, und das lebhafte Mädchen mit seinem schnellen Verstände begriff im Nu den ganzen Zusammenhang, schoß aber im Uebermaß ihrer Liebe um ihre Gebieterin weit über die Wahrheit hinaus und malte sich die Sache furchtbarer aus, als sie in Wirklichkeit sich verhielt. »Uns vergiftet zu haben, so rechneten sie!« rief sie mit Entsetzen; »und hier steht der tödliche Trank, der die Greueltat bewirken sollte daß wir auf dergleichen gefaßt sein mußten, seitdem Georg Douglas nicht mehr Vorkoster unsrer Nahrung ist, ist klar; aber wie kamen die Scheusale dazu, Roland, den unschuldigsten von uns allen, zum sichern Tode zu verdammen? er hätte doch, wenn er von dem Tranke, seiner Dienstpflicht gemäß, zuerst genoß, doch auch zuerst und von allen am sichersten, den Tod gefunden! Verzeiht mir, liebe Fleming, was ich im Zorn gegen Euch gesagt habe! der Himmel gab Dir die Worte ein, die Du der Königin von ihrem Gemahle sagtest! gab sie Dir ein, um unser Leben zu retten – was aber nun? das alte See-Krokodil wird doch sicher gleich wieder zur Stelle sein, um über unsern Todeskampf seine heuchlerischen Tränen zu flennen – was sollen wir beginnen, Fleming?« »Helf uns die Mutter Gottes!« antwortete die Lady, »ich weiß nicht, wozu ich raten soll, als höchstens, daß wir uns an den Regenten wenden?« Den Teufel selber zitieren?« rief Katharina heftig, »und am Fuße seines Flammenthrons seine Großmutter obendrein?« Dann lugte sie in das Zimmer hinein. »Die Königin schläft noch. Wir müssen Zeit gewinnen, denn die giftmischerische Hexe darf nicht erfahren, daß ihr Anschlag mißglückt ist. Solche alte Kreuzspinne ist zu schnell bei der Hand, ein zerrissnes Gewebe auszubessern – Roland, hilf mir den Krug in den Ofen oder zum Fenster hinaus schütten! und dann schmeiße hier alles durcheinander, daß es aussieht, als hätten wir gefuttert wie die Raben. Schütte alles in den Ofen und laß die Reste auf den Schüsseln, laß auch in jedem Becher ein Paar Tropfen! Aber wenn Dir Dein Leben lieb ist, dann koste nichts, weder von den Speisen noch von dem Tranke; wenn die Königin aufwacht, will ich ihr erzählen, in welch schlimmer Lage wir uns befinden – sie ist verständig genug, uns über unser Verhalten das Rechte zu sagen – bis dahin merk Dir, Roland, die Königin ist bewußtlos, die Fleming ist unwohl – für sie schickt sich diese Rolle,« setzte sie leiser hinzu, »am allerbesten, da braucht sie ihren Witz nicht anzustrengen –« »Und Ihr selbst Katharina? was sage ich von Euch?« »Mit mir verhält es sich besser – Du verstehst schon, Roland –« »Und was von mir selbst?« fragte der Page. »Was Ihr von Euch sagen sollt?« rief Katharina schelmisch, »Euch geht's natürlich kreuzmunter – wer möcht sich wohl in Ungelegenheit setzen, um Schoßhündchen oder Pagen zu vergiften?« »Für solchen Augenblick paßt solch leichtfertiger Scherz doch nicht!« sagte Roland in pikiertem Tone. »O doch, er paßt!« antwortete Katharina; »denn wenn die Königin sich einverstanden erklärt mit dem, was ich will, so kann uns grade dieser hämische Anschlag von gutem Dienste sein.« Während sie so zusammen sprachen, hatten sie das aufgetragne Frühstück in der Weise, wie Katharina geraten hatte, aufgeräumt, und so leise wie möglich verfügten sich die beiden Fräulein in das Schlafzimmer der Königin. Gleich darauf pochte es wieder an der Tür, und als Roland öffnete, sah er Lady Lochleven draußen stehen. Mit der Erklärung, es tue ihm leid, daß er die Lady vorhin hätte warten lassen müssen, ließ er sie in das Vorzimmer und setzte hier hinzu, er dürfe auch jetzt noch niemand zur Königin lassen, da sie gleich nach dem Frühstück in einen tiefen Schlaf gesunken sei. »Also hat sie doch von dem Frühstück genossen?« fragte Lady Lochleven. »Ei freilich,« antwortete der Page, »Ihre Gnaden fasten doch nur an den Fasttagen.« »Der Krug ist leer?« rief Lady Lochleven, einen Blick hinein werfend, »hat Lady Maria allein davon getrunken?« »Wohl das meiste, gnädige Frau! ich habe bloß gehört, daß das jüngere Fräulein sich bei dem andern darüber beschwerte, für sie bleibe ja bloß noch ein schäbiger Rest, nachdem die andre von dem was die Königin übrig gelassen, auch über die Hälfte getrunken habe.« »Sind die beiden Damen unpaß?« »Fräulein Fleming klagte über große Müdigkeit, und Fräulein Katharina klagte, der Schwindel, der sonst in ihrem Kopfe rumore, sei heute viel ärger als sonst.« Bei den letzten Worten verstärkte er merklich seine Stimme, weil ihm offenbar daran lag, diesen Schmerz auch zu Katharinens Ohren gelangen zu lassen. Lady Lochleven wandte sich jetzt energisch an den Pagen: »Ich will ins Schlafgemach der Königin – mein Anliegen ist dringlicher Art.« Da hörte man aber auf der Stelle Katharinas Stimme: »Ins Zimmer hinein darf niemand! die Königin schläft.« »Ich lasse mir von solch jungem Dinge keine Vorschriften machen,« versetzte die Lady, »an der Tür ist meines Wissens kein Riegel. Ich möchte also wissen, wer mir den Zutritt wehren sollte.« »Der Riegel fehlt freilich an der Tür, nicht durch unsre Schuld,« antwortete Katharina; »aber die Haken, an denen er gehangen, sind noch da, und da hinein steck ich meinen Arm, jener Ahnfrau von Euch nachahmend, die in edlerem Bemühen, ihrer Fürstin Schlafgemach gegen Mörder zu schützen, sich also in die Bresche warf. Probiert denn Eure Kraft! seht zu, ob eine Seyton es einem Mädchen namens Douglas an Kräften gleichtut, oder nicht.« »Auf solche Bedingung hin will ich es lieber lassen,« versetzte Lady Lochleven höhnisch, lenkte aber ein und sagte: »Mein Kind, mein Ehrenwort darauf, daß mich nur der Wunsch, der Königin zu dienen, herführt. Wenn Du sie lieb hast, so wecke sie auf und rate ihr, mir den Zutritt zu gestatten. Wenn es gewünscht wird, will ich gern von der Tür zurücktreten.« »Du wirst doch die Königin nicht etwa wecken?« fragte Maria Fleming; »Du wirst, wenn Du es tust, bloß einen neuen Anfall heraufbeschwören.« »Das möge der Himmel verhüten!« fügte Katharina; »aber es bleibt uns doch keine andre Wahl! wir müßten denn warten wollen, bis Lady Lochleven selbst die Rolle der Kammerzofe spielt; denn ich vermute, ihr Geduldfaden möchte bald reißen. Zudem muß ja die Königin drauf vorbereitet sein, mit ihr zu sprechen! ich meine sogar, sie wird in dieser furchtbaren Entscheidung recht wohl im stande sein, selbst einen Entschluß zu fassen. Dich aber, liebe Fleming, möchte ich recht sehr bitten, nach Deinen besten Kräften Dich matt und trübe zu stellen.« Katharina trat zu dem Lager der Königin und küßte ihr zu wiederholten malen die Hand, bis es ihr gelang, sie munter zu machen, ohne sie zu erschrecken. Sie war verwundert, daß sie in ihren Kleidern im Bett lag, richtete sich jedoch auf und war so ruhig wieder, daß Katharina es für das beste hielt, sie ohne weiteres darüber aufzuklären, was inzwischen vorgegangen war. Die Königin wurde bleich und bekreuzte sich, gewann aber sogleich Verständnis für alle mit solcher Lage verbundnen Gefahren und Vorteile. »Ich wüßte nicht,« sagte sie zum Schluß einer raschen Unterredung mit ihrer jungen Dienerin, während sie sie an ihr Herz zog und ihr einen Kuß auf die Stirn drückte, »was wir Klügeres und Besseres tun könnten als nach dem von Deiner tapferen Liebe ersonnenen Plane zu handeln. Mach der Lady die Tür auf, mein Kind! sie soll erkennen, daß Wir es an List mit ihr aufnehmen, wenn auch nicht an Untreue. Zieh die Vorhänge zu und Du, Fleming, tritt dahinter, denn Dein Platz ist weniger auf der Bühne als in der Garderobe, atme recht tief, ächze und seufze auch ein paarmal, das gehört zu der Rolle, die Wir für Dich bei der neuen Komödie bestimmen – Doch horch! sie kommen – Nun, Katharina von Medici! möge Dein Geist jetzt in mich fahren! denn für solchen Auftritt ist ein kaltes nordisches Hirn zu plump.« So leise wie möglich trat Lady Lochleven, von Katharina Seyton geführt, in das von dem Zwielicht nur halb erhellte Zimmer. Bleich und erschöpft von der schlaflosen Nacht und von der erregten Szene am Morgen, lag Maria so matt und müde auf ihrem Bett, daß ihre Wirtin die schlimmsten Befürchtungen nur allzu begründet halten konnte. All ihren Stolz beiseite lassend, warf sich Lady Lochleven neben dem Bett auf die Kniee und rief: »Nun, Gott verzeih uns unsre Sünden! es ist nur allzu wahr! Maria ist ermordet!« »Wer ist denn hier?« fragte Maria wirr, wie wenn sie aus schwerem Schlafe erwachte. »Fleming, Seyton! wo seid Ihr? ich höre eine fremde Stimme – wer ist bei mir? – Ruft Courcelles!« »Ach! wenn auch ihr Leib in Lochleven ist,« sagte die Lady, »mit dem Geiste ist sie noch immer zu Holyrood! O, verzeiht, gnädigste Frau, wenn ich Eure Aufmerksamkeit auf mich ziehe – ich bin Margaret Erskine, aus dem Hause Mar, verehelichte Douglas von Lochleven,« »Sieh da, unsre herzliebe Wirtin,« erwiderte Maria, »die soviel Sorge trägt für unsre Behausung und unsre Beköstigung? Wir belästigen Euch wirklich schon viel zu lange, gute Lady Lochleven; aber Wir rechnen zuversichtlich darauf, daß es nicht lange mehr notwendig sein dürfte, Eure Güte in Anspruch zu nehmen.« »Wie ein Dolch durchbohren mich ihre Worte,« sprach Lady Lochleven bei sich, setzte aber laut hinzu: »Ich bitte Eure Gnaden mit blutendem Herzen, mir mitzuteilen, woran es Euch fehlt, damit ich, so lange es noch Zeit ist, Abhilfe schaffen kann.« »Mir fehlt gar nichts, nein, nein!« versetzte die Königin, »ein bißchen Schwere in den Gliedern, ein bißchen Schüttelfrost; aber daran leiden Gefangne wohl in der Regel – frische Luft und Freiheit möchten mich ja schnell auf die Beine bringen! aber meinen Ständen hat es nun doch einmal beliebt zu bestimmen, daß allein der Tod die Schlösser meines Kerkers brechen soll.« »O, gnädigste Frau,« rief die Lady, »vermochte Freiheit Euch die Gesundheit wiederzugeben, so wollte ich lieber dem Zorne des Regenten und meines Sohnes William mich aussetzen, als Euch in diesem Schloß sterben und verderben lassen.« »Ach, gnädige Frau,« mischte sich hier Lady Fleming ein, die es jetzt für angezeigt hielt, erkennen zu lassen, daß sie durchaus nicht in geistiger Hinsicht so geringwertig sei, wie man es zu meinen liebe – »es wäre doch wohl ganz gut, durch einen Versuch festzustellen, welche Wirkung Freiheit auf uns üben möchte – ein freier Spaziergang auf grünem Wiesengrund würde meinen Nerven sicher recht gut tun.« Einen durchdringenden Blick auf die ältere Kranke werfend, richtete Lady Lochleven sich von dem Boden auf und fragte: »Befindet Ihr Euch wirklich so schlecht, Lady Fleming?« »Nun, gut ist es mir freilich nicht, besonders nicht seit dem Frühstück,« antwortete Lady Fleming. »Hilfe, Hilfe!« rief da Katharina, lebhaft besorgt, eine Unterredung zum Abbruch zu bringen, die für ihren Plan nichts Gutes prophezeite – »Hilfe, Hilfe! hört denn niemand? Die Königin ist im Verscheiden – Lady Lochleven, so helft doch der Königin! seid Ihr denn kein Weib?« – Lady Lochleven beeilte sich den Kopf der Königin zu stützen; diese aber lenkte mit tiefer Mattigkeit die Augen nach ihr und sagte: »Vielen Dank, meine liebste Lady und Großmama! abgesehen von einigen Vorgängen in der jüngsten Gegenwart wäre es ja Sünde von mir, wollt ich Eure Liebe und Anhänglichkeit mißdeuten oder in Zweifel ziehen. Beide Tugenden sind ja schon von Euch, wie mir zu Ohren gekommen, glänzend bewährt worden, als ich noch in der Wiege lag.« Lady Lochleven sprang, wie von einer Tarantel gestochen, vom Bett hinweg, durchmaß ein paarmal das Zimmer und riß heftig das Fenster auf, wie um frische Luft zu schöpfen. »Heilige Gottesmutter,« sagte Katharina bei sich, »wie tief muß doch beim Weibe die Spottsucht eingeimpft sein, da die Königin bei allem Verstande lieber das Aergste riskiert, als daß sie ihren Hohn beiseite ließe!« Dann beugte sie sich zur Königin und flüsterte: »Um Eurer Wohlfahrt willen, gnädigste Fürstin, mäßigt Euch bloß jetzt!« »Mädchen, Du nimmst Dir viel heraus,« erwiderte die Königin, setzte aber im andern Augenblick hinzu: »Tu' mir bloß den Gefallen und sorge, daß mich die alte Hexe nicht noch einmal mit ihren giftigen Händen berührt! ich fühle dann immer solchen Ekel und Haß, daß ich nicht an mich halten kann.« »Gott sei Dank!« rief da Lady Lochleven, vom Fenster zurücktretend, »der Kahn kommt schnell herüber; er bringt den Arzt und auch ein Weib sitzt drin: sicher doch die Hexe, die ich holen ließ. War sie bloß erst wieder, ohne daß unsre Ehre dabei leidet, vom Schlosse weg, ich wollt ihr sicher keine Träne nachweinen, und ein zweites mal zu solchem Wächterposten bekäme mich kein Mensch!« Unterdessen beobachtete Roland aus einem Fenster das heranfahrende Boot, und auch er wurde alsbald inne, daß vorn der Kämmerer in seinem schwarzen Samtmantel, hinten seine leibhaftige Großmutter, Magdalena Gräme, in der von ihr angenommenen Rolle einer Mutter Nieneven saß, die gefalteten Hände dem Schlosse zustreckend, wie von schwärmerischer Ungeduld erfüllt, in die Nähe ihrer Königin zu kommen. Bald waren sie an der Anlande, und während die vermeintliche Hexe beschieden wurde, sich unten in der Torwartstube zu verhalten, wurde der Arzt und Kämmerer in das Zimmer der Königin geführt, das er mit allem seinem Stande angemessenen Zeremoniell betrat. Katharina benützte die erste Gelegenheit, vom Bette der Königin hinweg und zu Roland zu treten. »Ich glaube nicht,« flüsterte sie ihm ins Ohr, »daß es sonderlich schwer fallen wird, diesem Esel im abgeschabten Samtkittel die Halfter über den Kopf zu werfen. Aber Deine Großmutter, Roland, wird uns mit ihrem maßlosen Eifer das ganze Ding verderben, sofern man ihr nicht zu verstehen gibt, daß sie sich bei der Lady verstellen muß.« Roland schlich sich ohne weiteres hinaus, eilte durch das Wohnzimmer in den Vorsaal, sah sich aber hier durch zwei mit Karabinern aufgestellte Männer aufgehalten, die ihm ein kräftiges zurück! zuriefen. Hieraus erkannte er, daß Lady Lochleven trotz aller Unruhe, die sie erfüllte, noch immer soviel Argwohn besaß, daß sie es nicht unterlassen hatte, bei ihrer Gefangnen Posten auszustellen. Es blieb ihm nichts weiter übrig, als nach dem Wohnzimmer zurückzugehen, wo er die Schloßherrin in Unterhaltung mit dem Kämmerer fand. »Verschone mich mit Deiner Salbaderei und mit Deinen Grimassen, Lundin,« herrschte sie den Kämmerer an, »und sage mir unverblümt, ob die Frau etwas zu sich genommen hat, was ihrer Gesundheit von Nachteil werden kann.« »Aber, gütigste Lady, verehrteste Gönnerin, der ich in meiner Wirksamkeit zu so großem Danke verpflichtet bin, verfahret im vorliegenden Falle doch glimpflich mit mir! Wenn die Kranke sich zu keiner Auskunft bereit finden lassen mag, sondern bloß seufzt und stöhnt, oder mich angähnt, wenn ich mich nach Merkmalen ihres Uebelbefindens befrage, und das andre junge Fräulein – übrigens, wie ich gern gelten lasse, ein recht artiges Ding ...« »Laß Dein dummes Geschwätz von artigen oder sonstwelchen Dirnen,« fuhr ihn die Dame wieder an, »und sag mir rund heraus: hat die Frau drinnen Gift geschluckt, oder nicht?« »Die Wissenschaft, gnädigste Frau, kennt mancherlei Gifte,« hub der Kämmerer, sich in die Brust werfend, an: »tierische Gifte, mineralische, halbmineralische Gifte, Gifte aus Kräutern und Pflanzen. Von den erstern erwähnen schon Dioskorides und Galenus den Lepus marinus, von den letzteren haben wir die Aqua cymbalariae.« »Der Teufel hole Dich mitsamt Deinem lateinischen Quark!« rief die Lady; »wie kann ich doch so dumm sein, von solchem Brummochsen einen Orakelspruch zu erhoffen?« »Aber Eure Gnaden wollen geruhen,« sagte der Kämmerer wieder, »wenn ich nur wenigstens wüßte, von welcher Speise sie genossen hat, oder die Reste davon einsehen könnte, denn den äußern Symptomen nach kann ich nichts entdecken – sagt ja doch schon Galenus in seinem Buche über die Gegengifte oder, wie er sagt, De Antidosis.« »Das Maul gehalten, Narr!« rief die Dame und wandte sich zu einem der Wächter draußen, »schafft mir auf der Stelle die Hexe herauf!« Im Nu wurde ihrem Befehle Folge geleistet; doch hielten sich die Männer, von deren Gegenwart die Hexe gar nichts zu wissen schien, in scheuer Entfernung, weil sie ohne Zweifel Furcht hatten vor den übernatürlichen Fähigkeiten, die man der Frau nachredete. Sie trug dieselbe düstere Kleidung, in der sie Roland in Kinroß gesehen hatte, bloß hatte sie jetzt das Gesicht nicht verhüllt, sondern trat unerschrocken vor die Schloßherrin, die mit Verdruß wahrzunehmen schien, daß sie es in der Frau mit keiner schüchternen oder zaghaften Person zu tun hatte. »Elendes Weib,« herrschte die Schloßherrin die Frau an, nachdem sie eine Weile umsonst versucht hatte, sie durch ihren strengen Blick einzuschüchtern, »was für ein Pulver hast Du meinem Diener, Dryfesdale, verkauft zu dem Zwecke, eine langsame, heimliche Rache damit zu üben? Beschreib mir das Pulver genau, oder, bei der Ehre der Douglas, ich laß Dich lebendig als Hexe verbrennen, bevor die Sonne vom Himmel verschwindet.« »Wann hat es einem Douglas oder einem in seinem Dienste an Mitteln zur Rache gefehlt, daß er sie zu suchen brauchte bei einem armen, hilflosen Weibe? Noch stehen ja die Türme fest, in denen Eure Gefangnen verschmachten, noch haben die darin verübten Verbrechen nicht ihre Gewölbe gesprengt, noch haben Eure Mannen ihre Armbrüste und Spieße und Dolche – was tut's Euch not an Zaubertränken, wenn Ihr nach Rache dürstet?« »Holt Drysesdale aus dem Turme her!« befahl die Schloßherrin, »ich will sie einander gegenüber stellen.« »Erspart Euch und Euren Knechten solche Mühe,« sagte die Frau, »denn ich bin nicht hierher gekommen, um einem erbärmlichen Reitknecht zur Staffage zu dienen oder der ketzerischen Buhlin Jakobs Rede und Antwort zu stehen. Ich bin hierher gekommen, um mit der Königin von Schottland zu sprechen – marsch, Platz da!« und während Lady Lochleven betroffen über solche Verwegenheit dastand, wie an den Boden gewurzelt, schritt Magdalena Gräme an ihr vorbei in das Schlafgemach der Königin, kniete dort nieder und berührte mit der Stirn, nach morgenländischer Sitte, die Erde. »Heil Dir, Fürstin,« rief sie, »Heil Dir, Du Tochter einer langen Ahnenreihe! aber berufen von allen, begnadigt vor allen, für den wahren Glauben zu leiden! Heil Dir! und vernimm den Trost, den Gott und unsre liebe Frau Dir sendet durch den Mund Deiner unwürdigsten Dienerin! Zuvor aber ...« sie bekreuzte sich wiederholt und sagte dem Anschein nach eine bestimmte Gebetsformel her. »Greift sie! schleppt sie in das tiefste Verließ meines Schlosses!« schrie wie außer sich Lady Lochleven, »nur der Teufel konnte ihr die Kühnheit leihen, die Mutter der Douglas in ihrem eignen Schlosse zu beschimpfen!« Der Kämmerer aber bemühte sich, die Lady zu besänftigen. »Vergönnt mir doch, gnädigste Herrin, zuvor ein Paar Worte mit der Inkulpatin,« sagte er, »es ist doch nicht ausgeschlossen, daß wir etwas über das Arcanum in Erfahrung bringen, das sie allem Gesetz zuwider Eurem Hausmeier verabfolgt hat.« »Für Dich Esel,« fuhr die Lady ihn an, »ist solcher Rat klug genug. Ich will also meinen Groll unterdrücken, bis Du mit der Vettel gesprochen hast.« In diesem Augenblick aber erhob sich Magdalena Gräme, wandte das Gesicht zur Königin, tat einen Schritt vorwärts, streckte den Arm aus und nahm die Haltung einer verrückten Sibylle an; unter ihrer Haube vor quoll das graue Haar, ihre Augen sprühten Funken, und über ihre Züge flog eine an Wahnsinn grenzende Begeisterung. Ihr Aussehen erfüllte alle Anwesenden mit Grauen. Die Königin selbst richtete sich, wie unter einem Banne, auf ihrem Lager in die Höhe, außer stande, ihre Blicke von der Dämonengestalt abzuwenden, die jetzt, wie eine zweite Pythia, Worte von ihren Lippen schleuderte in so reichem Flusse, daß sie – und vielleicht stand die Schwärmerin selbst unter diesem Wahne – als höhere Eingebung gelten konnten .. »Steh auf, Königin von Frankreich und England! steh auf, Löwin von Schottland! ohne Zagen vor den Netzen, mit denen Deine Jäger Dich umgarnen! Tritt den Verrätern, denen Du bald im offnen Felde gegenüberstehen wirst, schon jetzt mit offnem Visier gegenüber! meide Verstellung! Deine Sache wird entschieden werden durch Kampf, und der Herr der Heerscharen, in dessen Hand alles Krieges Wohl und Wehe liegt, wird für Dich sein! Hinweg mit allen Künsten Niedriggeborner, und brauche nur die, die einer Königin geziemen. Wahrhaftige Verfechterin des einzigen Glaubens! Dir steht die himmlische Rüstkammer offen. Getreue Tochter der Kirche, nimm die Schlüssel des heiligen Petrus, zu binden und zu lösen! Königin des Landes, ergreife das Schwert des heiligen Paulus, zu strafen und zu vernichten! Dunkelheit waltet über Deinem Schicksal, nicht in diesen Türmen, nicht unter der Gewalt dieser stolzen Frau soll es sich erfüllen! nicht in Schottland soll die Königin von Schottland lange gefangen bleiben, und das Schicksal der königlichen Stuarts liegt nicht in den Händen des Verräters Douglas .. und wenn die Lady Lochleven ihre Riegel noch so verdoppelt und ihre Kerker noch so vermauert, so werden sie nicht im stande sein, Dich hier zu halten ... alle Elemente vielmehr werden sich vereinen, Dir beizustehen in Deiner Beschwernis, Dich zu erlösen aus Deiner Gefangenschaft ... vernehmet Ihr alle dies! zittert Ihr alle darob! Ihr all, die Ihr ankämpfet gegen das Licht, denn sie spricht solches, der es zugesichert wurde!« Sie schwieg; der Arzt aber rief betroffen: »Hat es je ein vom Dämon besessenes Weib gegeben, dann ist sie es! keinen zweiten Teufel gibt es, der mit der Zunge eines Weibes spricht als hier dieses!« »Larifari,« rief die Lady, die sich von ihrem Erstaunen erholt hatte, »betrügerische Kunstgriffe! ... In das Verließ mit ihr!« »Lady Lochleven,« nahm Maria nun das Wort, indem sie sich von ihrem Bette erhob und mit der ihr eignen Würde vortrat, »vernehmt nur ein Wort von mir, ehe Ihr in Unsrer Gesellschaft, in Unsrem Gemache jemand verhaftet. Ich war erst der Meinung, Ihr hättet von dem Anschlag Eures Dieners auf unser Leben gewußt; ich habe Euch dadurch getäuscht, daß ich Euch in dem Glauben ließ, der Anschlag sei dem Verworfnen geglückt. Das war unrecht von mir, Lady Lochleven, denn ich habe nunmehr erkannt, daß es wirklich in Eurer Absicht lag, mir beizustehen – wir haben von Eurem Getränk weder gekostet, noch befinden Wir Uns unwohl – abgesehen davon, daß Wir nach Unsrer Freiheit schmachten.« »Das ist ein Bekenntnis, einer Maria von Schottland würdig,« rief Magdalena Gräme, »wisset auch, daß die Königin ruhig den Trank hätte leeren können bis auf den letzten Tropfen, denn der Trank war so unschädlich wie Wasser aus dem heiligen Brunnen. Habt Ihr etwa gemeint, Ihr stolzes Weib,« wandte sie sich jetzt an Lady Lochleven, »ich hätte so verrucht sein können, einem Knechte des Hauses Lochleven Gift in die Hände zu spielen, da ich doch wußte, wer hier gefangen gehalten wird! Da hätte ich ebenso leicht einen Trank bereitet zur Ermordung meines eignen Kindes!« »Soll mir solcher Schimpf angetan werden in meinem eignen Schlosse?« rief empört die Lady. »In das Verließ mit ihr! sie soll die Strafe leiden, die denen nach Recht und Gesetz zukommt, die Gift verkaufen und Zauber üben!« »Einen Augenblick noch, Lady Lochleven,« nahm Maria wieder das Wort, »Ihr aber, Magdalena Gräme, schweigt! auf mein Geheiß! Euer Hausmeier, Lady Lochleven, hat nach seinem eignen Bekenntnis, mir und meiner Dienerschaft nach dem Leben getrachtet, dieses Weib hingegen hat getan was in ihren Kräften stand, uns zu retten. Da sollten Wir nun meinen, Wir trügen Euch einen gerechten Tausch an, wenn Wir Eurem Diener Verzeihung böten gegen Verzeihung, die Ihr hier diesem Weibe gewährt. Denn Wir meinen überzeugt zu sein dürfen, daß Ihr es dem Weibe nicht als Verbrechen anrechnet, etwas Unschuldiges an Stelle des löblichen Giftes, das von ihr begehrt wurde, gegeben zu haben?« »Da sei der Himmel vor,« erwiderte die Lady, »daß ich etwas als Verbrechen ansehen möchte, was mein Haus vor solch gemeiner Verletzung der Ehre und des Gastrechts behütet hat. Wir haben bereits unserm Sohne Mitteilung von dem Vorgefallnen gemacht, denn wir sind der unerschütterlichen Meinung, daß unser Diener seine Strafe, die wahrscheinlich der Tod sein wird, erleiden muß! aber dieses Weibes Tun ist verdammenswert nach der Schrift, und nach den weisen Gesetzen unsrer Vorfahren zu sühnen nicht minder als ein Kapitalverbrechen. Auch sie muß darum ihre Strafe leiden.« »Habe ich denn gar keine Ansprüche an das Haus Lochleven wegen des mir in seinen Mauern soeben zugefügten Unrechts?« fragte stolz die Königin, »zumal ich nichts weiter begehre als Rücksicht für eine hinfällige Greisin, deren Verstand unter dem Alter gelitten zu haben scheint, wie ja Ihr selbst auch einsehen werdet!« »Was das Unrecht, von dem Lady Maria in unserm Hause bedroht gewesen zu sein meint, anbetrifft,« erwiderte die unbeugsame Lady, »so mag sie es als Ausgleich nehmen dafür, daß ihre Anschläge dem Hause Douglas die Verbannung eines Sohnes kosten.« »Saget kein Wort weiter, huldreiche Fürstin, zu meinem Nutzen,« nahm jetzt Magdalena wieder das Wort, »erbittet von diesem stolzen Weibe nicht soviel wie ein graues Haar von meinem Kopfe! Mir ist die Gefahr, in die ich mich hier begab, nicht unbekannt gewesen, aber ich war immer bereit, meiner Kirche und meiner Königin zu dienen auf Kosten meines Lebens. Es liegt ein Trost für mich darin, daß das Haus, dessen Ehre sie mit so vollem Munde rühmt, das Maß seiner Schmach dadurch voll machen wird, daß es sich an meiner Person vergreift, sei es, daß es mir mein armseliges Leben nimmt, sei es, daß es mich meiner Freiheit beraubt, denn es verletzt in beiden Fällen ein feierliches, zudem schriftlich gegebenes Versprechen, mir alle Sicherheit zu gewähren.« Bei diesen Worten überreichte sie der Königin ein Schriftstück, das sie in ihrem Busen verborgen gehalten hatte ... »Es ist eine feierliche Verbriefung von Sicherheit und Leben,« sagte die Königin, »ausgefertigt und unterzeichnet mit dem Siegel des Kämmerers von Kinroß, und giltig auf die Zeit von vierundzwanzig Stunden, sofern sie sich dazu verstehen will, den Fuß hinter die eisernen Tore der Burg Lochleven zu setzen.« »Schurke,« fuhr Lady Lochleven den Kämmerer an, »wie durftest Du es wagen, dem Weib einen solchen Geleitsbrief auszustellen?« »Gnädigste Herrin,« erklärte Lundin, »es ist geschehen auf Euer ausdrückliches Gebot, mir gemeldet durch Randal, wie er es jederzeit zu bezeugen bereit sein wird.« »Ach, ich besinne mich,« rief da die Lady, »aber ich hatte gemeint, die Zusicherung sollte nur ausgefertigt werden, wenn sie sich unter andrer Gerichtsbarkeit befunden hätte, um sie dann vor einem Haftbefehl unserseits sicher zu stellen.« »Trotzdem ist Lady Lochleven gebunden, dem Weibe das freie Geleit zu halten, das ihm durch ihren Kämmerer gewährt worden,« sagte die Königin. »Gut, so soll Randal sie zurück nach Kinroß schaffen; aber, um sie zugleich für die weitere Zukunft zu sichern, über unsre Grenzen weisen, und Eure Weisheit,« wandte sie sich zu dem Kämmerer, »mag ihr Gesellschaft leisten!« Elftes Kapitel Aus dem Zimmer der Königin verfügte sich Lady Lochleven in ihre Gemächer, wohin sie den Hausmeier zu führen befahl. Er kam, wie immer, mit dem Schwert und dem Dolch an der Seite ... »Sind Dir die Waffen nicht genommen worden?« fragte sie ihn. Der alte Griesgram antwortete: »Nein! Wie hätte jemand Grund dazu gehabt? Eure Gnaden haben, als sie mich in den Turm schickte, nichts davon gesagt, daß ich die Waffen abzutun hätte. Da wird sich wohl schwerlich einer Eurer Diener an Kaspar Dryfesdale mit solcher Zumutung herangetrauen! Befehlen Euer Gnaden es jetzt? viel Wert haben die beiden Dinger jetzt nicht mehr, aber gefochten haben sie mal ehrlich für Euer Haus.« »Dryfesdale! Ihr habt ein Verbrechen geschmiedet, auf dem Todesstrafe steht: Ihr habt einer Euch anvertrauten Person mit Gifte nach dem Leben getrachtet.« »Einer mir anvertrauten Person? Hm, wie Eure Gnaden die Sache auffassen, weiß ich ja nicht; aber die Leute draußen meinen, die Moabiterin sei Euch anvertraut worden; und zwar in eben dieser Absicht. Da wäret Ihr doch gut aus der Affäre gekommen, es mochte' gehen, wie es wollte ohne alles Dazutun, und auch ohne alles Dawidertun!« »Elender!« rief die Lady, »und so dumm wie schlecht, die ersonnene Tat nicht einmal ausführen zu können.« »Ich tat, was ich tun konnte,« erwiderte Dryfesdale, »und wenn ich von der Hexe und Papistin, an die ich mich wandte, kein Gift bekommen habe, weil es vom Schicksal anders bestimmt war, nun, so hab ich es doch eben versucht. Indessen läßt sich, sofern Ihr es wünschet, dem halbgeführten Streiche immer noch nachhelfen.« »Bösewicht! ich will gerade einen besondern Boten an meinen Sohn abschicken, seinen Befehl einzuholen, was mit Dir zu geschehen habe. Bereite Dich zum Tode, sofern Du dessen fähig bist.« »Und wen wollt Ihr mit diesem Auftrage beehren?« fragte der Hausmeier trocken. »Es wird nicht fehlen an Boten,« sagte die Lady. »Hm, am Ende doch,« erwiderte Drysesdale keck, »viel Mannschaft in Anbetracht der Posten, die um Eures Gastes willen ausgestellt werden müssen, ist im Schloß nicht vorhanden. Dem Turmwart und den beiden andern habt Ihr den Laufpaß gegeben, weil sie zu dem jungen Herrn hielten. Nun ist Wache von nöten für den Turm, für die Warte, für die Bastei: fünf Mann müssen sie beziehen; die andern müssen zumeist in ihren Kleidern schlafen. Wollt Ihr nun noch einen davon wegspedieren, so riskiert Ihr, daß Euch die Wache grillig wird; denn zu Tode quälen läßt sich doch nun einmal so leicht niemand. Ich erblicke bloß einen Ausweg: ich übernehme die Botschaft an Sir William selbst.« »Das wäre allerdings ein Ausweg; aber an welchem Tage in den nächsten zwanzig Jahren würde die Botschaft dann ausgerichtet werden?« fragte Lady Lochleven. »So schnell es Roß und Mann im stande sind,« antwortete Drysesdale; »mir ist an meinem Dienstmannsleben schon lange nicht mehr viel gelegen,« erwiderte der Hausmeier, »und lange drauf zu warten, wem von beiden mein Hals gehört, mir oder dem Henker, hätte wahrlich keinen Zweck.« »So wenig gilt Dir Dein Leben?« fragte die Lady. »Sonst hätt ich doch wohl das Leben andrer höher geachtet,« antwortete der Fatalist, »was ist denn Tod? ein Aufhören des Lebens. Und was ist Leben? die ermüdende Wiederkehr von Tag und Nacht, von Schlafen und Wachen, von Nahrung und Hunger und Durst. Wer tot ist, braucht für Licht und Feuer, für Krug und Bett nicht mehr zu sorgen, und der Kasten, den ihm der Schreiner fertigt, dient ihm als Wams für alle Ewigkeit.« »Unglücklicher! und Du glaubst an keinen Tag eines letzten Gerichts?« rief die Lady. »Meine gnädige Gebieterin!« antwortete der Fatalist, »Eurem Diener stände es schlecht an, Eure Worte zu bestreiten; aber, mit Verlaub, mir hat der Nikolaus Schöffernach, ein tüchtiger Kerl, dem der blutige Bischof von Münster den Kopf abschlagen ließ, den Beweis dafür erbracht, daß wer bloß Vorausbestimmtes ausführt, sich keiner Bestrafung zu ... –« »Schweig, Elender!« verwies ihn die Lady, »verschone mich mit Deinen Lästerungen! aber da Du so lange Jahre der treue Diener unseres Hauses warest, will ich Dein Anerbieten annehmen. Hier ist der Brief. Ich will nur noch den Beisatz machen, daß mir mein Sohn zur Ergänzung meiner Mannschaft ein paar getreue Diener hersenden solle. Bist Du klug, dann machst Du Dich nach Lockerbie auf und davon, sobald Du drüben auf dem Lande bist, und sorgst, daß ein anderer den Brief besorgt. Das ist Deine Sache. Ich verlaß mich drauf, daß der Brief richtig besorgt werde.« »Ich war, gnädige Frau, von Kindesbeinen an im Hause der Douglas,« versetzte Dryfesdale, »und werde in meinen Tagen nicht zum Rabenboten werden. Eure Botschaft an Euren Sohn soll im Gegenteil so prompt bestellt werden, als drehte es sich nicht um meinen, sondern um eines andern Hals dabei. Ich verabschiede mich daraufhin.« Als der Hausmeier im Dorfe ankam, wurden ihm, trotzdem sich das Gerücht von seiner Ungnade schnell dorthin verbreitet hatte, auf Weisung des Kämmerers Pferde besorgt, und er machte sich in Gesellschaft des Fuhrmanns Auchtermuchty, da die Straßen nach Edinburg durchaus nicht für sicher galten, auf den Weg. Die nächste Dorfschenke war aber für alle Fuhrleute und Reitersleute damaliger Zeit ein so beliebtes Absteigequartier, daß keiner gern daran vorbeizog, ohne bei dem gemütlichen Keltie, dem Wirte, auf einen Trunk oder einen Happen oder beides vorzusprechen. So ging es auch Dryfesdale und Auchtermuchty, dem Fuhrmanne. Keltie führte beide vergnügt in sein Haus, ohne sich daran zu kehren, daß Dryfesdale in der allgemeinen Wertschätzung, seitdem er nicht mehr Hausmeier war, erheblich zurückgegangen war. Indessen schien es dem letztern selbst nicht so recht zu passen, sich in der Wirtsstube sehen zu lassen; er begab sich, während Wirt und Fuhrmann sich an einem Schnäpschen labten, mißmutig nach der Küche, worin sich bloß ein einziger Gast befand: einer, der kaum über das Knabenalter hinaus sein mochte, von schmächtiger Figur und in Pagenkleidung, der sich aber ein so keckes, gewichtiges Aussehen zu geben wußte, daß Dryfesdale daraus auf einen vornehmen Rang hätte schließen müssen, wäre ihm nicht aus Erfahrung bekannt gewesen, daß sich gar oft in Schottland Diener und Knappen mit solch übermütigen Mienen herausputzten. »Ein Pilger wünscht Euch guten Morgen, Alterchen,« sagte der Jüngling, »Ihr kommt wohl aus Schloß Lochleven? Nun, wie geht's denn unsrer schönen Königin?« »Wer von Lochleven spricht und von den Leuten, die dort hinter Schloß und Riegel sitzen,« antwortete grämlich Drysesdale, »der tut's auf seine Gefahr, denn er spricht von Dingen, die nicht ihn, sondern die Douglasse angehen.« »Redet Ihr so aus Furcht vor ihnen, Alterchen, oder gelüstet's Euch um ihretwillen nach Händeln? Ich dächte, Euer Alter müßte nun Euer Blut langsam abgekühlt haben.« »Noch lange nicht, so lange noch in der Welt dumme Laffen herumlaufen, die dafür sorgen, daß es nicht kalt wird.« »Mein Blut hält der Anblick grauer Haare kalt,« erwiderte der Jüngling und setzte sich wieder. »Dein Glück, Musje, sonst hättst Du Bekanntschaft machen können mit der Reitgerte da,« erwiderte grämlich der Hausmeier; »bist wohl gar einer von den jungen Eisenfressern, die Streit in Wirtshäusern suchen, den Glauben Babylons wieder ins Land und die moabitische Madam wieder auf den Thron setzen möchten?« »Bei Sankt Benedikt, dem Schutzpatron der Seytons,« rief aufspringend der Jüngling, »ich haue Dir eine Ohrfeige, Du Lästermaul von sündigem Ketzer!« »Sankt Benedikt und Schutzpatron der Seytons? das hört sich ja nett an! Sankt Benedikt ist ein schmucker Gewährsmann, und die Seytons sind ja noch schmuckere Raubvögel! In Haft werde ich Dich nehmen lassen, als Verräter am König Jakob und an unserm braven Regenten. Heda, Wirt! Hilfe gegen einen Königsschänder!« Mit diesen Worten packte er den Pagen beim Kragen und zog sein Schwert. Der Wirt aber hielt sich in weiser Ferne. Es kam zum Handgemenge, in welchem der Page, in Wut versetzt durch Drysesdales Grobheit und Stärke, den Dolch zog und mit Blitzesschnelle ihm drei Wunden in Brust und Unterleib versetzt hatte, von denen die letzte unbedingt tödlich war. Stöhnend sank der Greis zu Boden, der Wirt aber stimmte ein klägliches Gejammer an. »Still, Du Kläffer!« fuhr ihn der Hausmeier an, »sind sterbende Männer und Dolchstiche in Schottland solche Rarität, daß Du blökst, als wenn Dir Deine Bude überm Kopfe zusammenstürzte? ... Komm her, Du junger Fant, ich verzeih Dir die rasche Tat; was Du getan, hab ich manch anderm auch getan ... darum also keine Feindschaft! es ist ja doch alles Vorausbestimmung ... wenn Du aber tun willst, woran Du mich verhindert hast, und was Du mir also schuldig bist, so trage diesen Brief hier zum Ritter William Douglas nach Edinburg. Sorge auch dafür, daß mein Nachruf nicht leide, denn ich war, wie Du siehst, besorgt darum, den Auftrag, der mir gegeben worden, noch im letzten Augenblicke meines Lebens zu erfüllen.« Der Zorn des Jünglings war verraucht, und er wollte eben zu dem alten Manne treten, als die Tür aufging und ein andrer Mann in die Küche trat. Kaum hatte er einen Blick auf den Greis geworfen, als er ausrief: »Was Drysesdale? Ihr hier, und in den letzten Zügen?« »Ja,« erwiderte Drysesdale, »und mir wär's lieber, ich wär schon tot, statt die Stimme jenes einzigen Douglas hören zu müssen, der falsch und untreu gewesen! Tretet zurück, Ihr alle, vor allem Du, mein Mörder, dem ich jetzt Dank weiß für seinen guten Stoß, und laßt mich mit diesem Abtrünnigen seines Geschlechts reden! Junker Georg! kniet nieder hier an meiner Seite! Es ist Euch zu Ohren gekommen, daß mein Anschlag gegen die Moabiterin fehlschlug. Es ist mir nicht geglückt, diesen Stein des Anstoßes für Schottland mit seinem Drumunddran von Diener- und Genossenschaft aus dem Wege zu räumen. Aber diesen Anschlag, wenn ich auch Deiner Mutter andre Gründe nannte, hab ich einzig und allein gemacht aus Liebe zu Dir!« »Elender Giftmischer! aus Liebe zu mir!« rief Georg Douglas; »Du wolltest solchen grausen Mord begehen und dabei meines Namens erwähnen?« »Ei, und warum nicht, Georg?« erwiderte Drysesdale; »es bleiben mir bloß ein paar Atemzüge noch, aber ich will sie zu nichts anderm brauchen als hierzu: hast Du Dich nicht, zuwider der Ehre Deines Namens, der Treue gegen Deinen König zum Trotz, durch die Reize dieser Zauberin in Fesseln schlagen lassen? .. Wolltest Du ihr nicht beistehen zur Flucht? wolltest Du ihr nicht helfen, daß sie wieder auf ihren Thron gelange, den sie zu einer Stätte der Unzucht und des Greuels gemacht hat? .. Nein! nicht hinweg von mir! meine Hand, wenn sie auch schon erstarrt, hat noch Kraft genug, Dich zu halten, daß Du mich zu Ende hörst! War's nicht gar Deine Absicht, diese Hexe von Schottland zu heiraten? Na. Georg! kannst ja am Ende Glück damit haben, oft genug schon ist wenigstens ihre Hand wohlfeiler weggegangen als für den Preis, den Du dafür zahlen wolltest! Eine lumpige Unze Rattengift hätte Dich aber von diesem Elend, diesem Jammer frei gemacht!« »Dryfesdale,« erwiderte Georg Douglas, »denk an Deinen Gott und sprich nicht weiter solch greuliche Worte! Kannst Du's, dann bereue Deine Tat! kannst Du es nicht, so schweige wenigstens! Komm, Seyton, hilf mir, dem Elenden in seinen letzten Augenblicken beizustehen, daß ihm bessre Gedanken kommen.« »Seyton!« lallte der Sterbende, »Seyton? durch eines Seytons Hand falle ich endlich? Nun, darin liegt ein Grad Wiedervergeltung, denn seine Sippe hätte durch meinen Anschlag um ein Haar ein Glied, wenn auch ein weibliches nur, verloren!« Er richtete den Blick auf den Jüngling ... »wahrlich! fast ganz dieselben Züge! ganz das gleiche Aussehen! Jüngling, tritt näher, und laß mich Dich genau ansehn ... wenn wir uns in jener Welt treffen, dann möcht ich Dich nicht verkennen, denn wir Mörder gehören dort zu ein und derselben Gilde. Ich hab auch gemordet, aber nicht so jung angefangen wie Du, mein Junge, um so eher aber wirst Du am Ende Deiner Bahn sein ... seltsam! daß sich unser Wille doch immer den gewaltigen, unlenkbaren Wogen des Schicksals entgegenstemmt! warum kämpfen wir immer an gegen den Strom, statt uns von ihm treiben zu lassen? Ach, mein Kopf wird schwach und versagt mir den Gehorsam, diesen Dingen weiter nachzuforschen ... schade, daß mein alter Freund Schöfferbach nicht da ist. Georg Douglas, gehab Dich wohl! ich sterbe als treuer Diener Deines Vaters.« Nach diesen Worten verfiel er in Zuckungen und verschied. Seyton und Douglas standen noch lange und blickten auf den Sterbenden. Dann verfügten sie sich zum Zweck ernster Betrachtungen in ihre Stube hinauf, wo sie aber bald durch den Eintritt des Wirtes gestört wurden, der Georg Douglas fragte, was mit der Leiche geschehen solle. »Binde ihm einen Stein um den Hals,« sagte Seyton, »und wirf ihn in den Cleishersee! Dort mag er sehen, ob er Grund findet.« »Nein,« sagte Douglas, »Keltie, Du bist mein alter Gönner! schaff ihn nach der Kirche von Bellingry, und erzähl irgend ein Märchen, daß er im Streit mit Gästen bei Dir umgekommen sei ...« »Nicht doch, wenn es so sein soll, dann mag er die Wahrheit sagen, daß er im Kampfe mit Heinrich Seyton gefallen ist. Mir liegt kein Pfifferling dran, ob ich wegen dem Kerl Streit bekomme oder nicht.« »Ein Streit mit Douglas war aber niemals etwas Geringes,« versetzte Georg, indem sich Unmut zu seinem Grolle gesellte. »Nicht, wenn der beste des ganzen Geschlechts auf meiner Seite steht!« »Wir wollen den Pater Ambrosius zu Rate ziehen,« sagte hierauf Douglas, »wir reiten ja doch noch heute abend nach Kinroß.« Zwölftes Kapitel Der Faden unsrer Erzählung führt uns nach dem Schlosse Lochleven zurück, und wir nehmen die Reihenfolge der Ereignisse mit dem merkwürdigen Tage wieder auf, an welchem Dryfesdale aus dem Schlosse geschickt wurde. Die Mittagszeit war vorüber, und zur Bewirtung der Königin, die sich in ihr Zimmer zurückgezogen hatte, wo sie eifrig mit Schreiben beschäftigt war, schienen keinerlei Anstalten gemacht zu werden. Die Dienerschaft war im vordern Zimmer beisammen und erging sich in Betrachtungen über den Aufschub der Mahlzeit, die ihr um so näher lagen, als sie ja zufolge des seltsamen Vorgangs um ihr Frühstück gekommen war. »Mir scheint,« meinte Roland, »da die Herrschaften mit ihrem Gifte kein Glück gehabt haben, wollen sie es nun mit einer Hungerkur probieren. Zuzutrauen wär's ihnen!« Lady Fleming fühlte sich durch diese Andeutung beklommen, tröstete sich aber mit dem Gedanken, daß ja die Küchenesse den ganzen Tag über tüchtig geraucht habe. »Na, da kommen sie ja mit den Schüsseln über den Hof,« rief Katharina Seyton, die ans Fenster getreten war, »und Lady Lochleven wird das Amt eines Seneschalls selbst verrichten; sie kommt in ihrer schönsten und geschmacklosesten Saloppe, mit Krausen und Schleifen von Flor und im Reifrock von rotem Samt, wie er Mode war zu ihrer Großmutter Zeit.« »Meiner Treu,« erwiderte der Page, gleichfalls ans Fenster treten, »es ist der gleiche, den sie trug, als sie das Herz Königs Jakob gewann und unsrer armen Königin das teure Juwel eines Bruders bescherte.« »Recht wohl möglich, Herr Roland,« erwiderte Lady Fleming, die für alles, was mit Mode zusammenhing, ein scharfes Gedächtnis hatte, »da ja der Reifrock erst nach der Schlacht bei Pinkie durch die Königin-Regentin aufgebracht wurde ...« In dieser wichtigen Erörterung wurde sie jedoch gestört durch den Eintritt der Lady Lochleven, die den Dienern vorausging, die mit den Schüsseln kamen. Sie vollzog mit allem Zeremoniell die Obliegenheit eines Seneschalls, von jeder Schüssel besonders zu kosten. Lady Fleming sagte ein paar verbindliche Worte, daß die Lady sich solcherweise ihretwegen bemühen müsse. Darauf erwiderte die Lady, »daß es nach einem so seltsamen Vorfall die Ehre ihres Hauses und ihres Sohnes erheische, daß sie von allem künftighin mitgenieße, was dem unfreiwilligen Gaste ihres Hauses zur Nahrung geboten werde.« Dann bat sie, »Lady Maria in Kenntnis zu setzen, daß sie sich zu ihren Befehlen halte.« »Ihre Majestät,« sagte die Fleming hierauf, indem sie auf den Titel besondern Nachdruck legte, »soll erfahren, daß Lady Lochleven um die Ehre bitten läßt, ihr aufzuwarten.« Maria Stuart erschien sogleich und richtete das Wort mit einer Höflichkeit an die Lady, die nicht frei sogar von einer gewissen Herzlichkeit war. »Das ist sehr edel von Euch, denn wenn wir auch selbst unter Eurem Dache keine Gefahr für uns befürchten, so sind doch unsre Damen lebhaft durch den unliebsamen Vorfall beunruhigt worden. Durch Eure Gesellschaft wird unsre Mahlzeit ja um so angenehmer. Ich bitt Euch, Platz zu nehmen.« Lady Lochleven kam der Aufforderung nach, und Roland verrichtete, wie immer, seinen Dienst als Vorschneider und Vorleger der Speisen. Die Mahlzeit verlief aber, trotz der huldvollen Worte der Königin, steif und ungemütlich, es wurde kein Wort gewechselt, und alle Mühe der Königin, eine Unterhaltung in Gang zu bringen, ging durch die gemessnen und kühlen Antworten der Lady Lochleven verloren. Endlich mußte die Königin sich hierdurch beleidigt fühlen, sie warf ihren Damen einen bezeichnenden Blick zu, zuckte leicht mit den Achseln und schwieg. Eine Pause folgte. Dann nahm Lady Douglas das Wort zu der Bemerkung, daß es ihr vorkomme, als störe sie die Gesellschaft, und sie bäte deshalb um Entschuldigung, wenn sie sich zurückzöge. ... »Ich bin Witwe, von meinem Enkel verlassen, von meinem Diener verraten, stehe allein einem unglückseligen Auftrag gegenüber, und bin kaum der Gnade wert, die Ihr mir dadurch erweist, daß Ihr mich auffordert, an Eurer Tafel Platz zu nehmen, von deren Gästen, wie ich bemerke, Witz und muntre Einfälle zur Kürzung von Zeit und Weile erwartet werden.« »Wenn Lady Lochleven sich in ernster Stimmung fühlt,« sagte die Königin, »dann wundern wir uns, wie sie auf den Einfall kommen kann, unsre Mahlzeiten seien jetzt von Heiterkeit gewürzt. Lebt sie doch als Witwe geehrt und ohne Einschränkung und ist Herrin über den Haushalt ihres verstorbnen Gemahls. Ich aber weiß von einer Witwe, die es in so empfindlicher Weise erfahren hat, was es bedeutet, verlassen und verraten zu werden, daß es besser sein möchte, diese Worte in ihrer Gegenwart nicht auszusprechen.« »Es war nicht meine Absicht, dadurch, daß ich von meinen Unfällen sprach, Euch die Eurigen in das Gedächtnis zu rufen,« sagte die Dame. Dann trat wieder Totenstille ein, und endlich wendete sich Maria an Lady Fleming. »Todsünden, meine Liebe, können wir hier nicht begehen, dazu sind wir zu gut bewacht und unter zu getreuer Aufsicht. Könnten wir es aber, dann möchte diese Kartäuserstille als Buße von Vorteil sein, und ist etwa Dir, liebe Fleming, das Versehen passiert, daß Du mir das Busentuch nicht recht gesteckt hast oder Katharinen, daß sie im Stickrahmen sich versehen, oder Roland, daß er eine Wildente im Fluge gefehlt und statt ihrer eine Glasscheibe im Turmfenster zerschossen hat, dann ist die Zeit jetzt da, Eurer Sünden zu gedenken und sie zu bereuen.« »Ich spreche mit aller Ehrerbietung, gnädigste Frau,« sagte Lady Lochleven, »aber ich bin alt und darf auf das Vorrecht des Alters Anspruch erheben. Es möchten sich für Eure Dienerschaft wohl angemessenere Ursachen zur Reue finden, als solche Geringfügigkeiten, von denen Ihr sprecht. Ich bitte um Verzeihung, aber ich möchte es in meinem Hause doch lieber sehen, wenn mit Sünde und Reue kein Spott getrieben würde.« »Ihr habt den Vorkoster unsrer Speisen gemacht, Lady Lochleven,« sagte die Königin, »Mir scheint, Ihr möchtet nun auch dazu übergehen, unsern Beichtvater abzugeben. Und da Ihr nun den Wunsch aussprecht, Wir möchten Uns in Unsrer Unterhaltung größeren Ernstes befleißigen, so möchte wohl die Frage Unsrerseits am Platze sein, warum das Versprechen des Regenten, für Unsern geistlichen Trost zu sorgen, bis jetzt noch immer keine Erfüllung gefunden hat?« »Gnädigste Frau,« erwiderte Lady Lochleven, »Graf Murray war freilich schwach genug, Euren religiösen Vorurteilen Rechnung zu tragen, insoweit daß ein papistischer Geistlicher hier erschien, aber in seinem Schlosse Lochleven ist Douglas Herr, und ein Douglas wird nicht dulden, daß seine Schwelle auch nur auf einen Moment verunreinigt werde durch einen Abgesandten des römischen Bischofs.« »Dann möchte es wohl gut sein, der Prinzregent schickte mich irgend wohin, wo geringere Bedenken, aber größere Christenliebe heimisch ist,« versetzte Maria. In diesem Augenblick trat Randal mit so bestürzter Miene ein, daß Fräulein Fleming aufschrie und die Königin erschrak, Lady Lochleven aber, zu stolz, ihre Unruhe zu verraten, hastig die Frage hervorstieß, was denn vorgefallen sei. »Dryfesdale ist erstochen worden, gnädigste Frau,« lautete die Antwort, »der junge Seyton hat ihn ermordet, als er ans Land trat.« Jetzt war die Reihe, zu erbleichen, an Katharina Seyton. »Ist der Mörder des Dieners vom Hause Douglas entkommen?« fragte Lady Lochleven weiter. »Es war niemand zur Stelle, ihn zur Rechenschaft zu ziehen, bloß unser alter Kärrner Auchtermuchty, ein schwacher Greis, der es mit dem kecksten Jüngling in ganz Schottland, der gewiß auf Spießgesellen in der Nähe rechnen durfte, allerdings nicht aufnehmen konnte.« Wieder trat eine Pause ein. Die Königin und Lady Lochleven maßen einander mit Blicken, als sinne jede von ihnen darauf, wie sie in dem ständigen Zwist, der zwischen ihnen herrschte, den Vorfall am vorteilhaftesten für sich ausnützen könne. Katharina Seyton hielt das Tuch vor die Augen und weinte. »Da habt Ihr einen flagranten Beweis für die blutigen Lehren und Grundsätze irre geleiteter Papisten!« sagte Lady Lochleven. »Bekennt lieber, meine Dame,« versetzte die Königin, »daß der Himmel ein gerechtes Strafgericht vollziehen ließ an einem kalvinistischen Giftmischer.« »Dryfesdale war weder der Genfer noch der schottischen Kirche anhängig,« erwiderte hastig die Lady. »Aber ein Ketzer war er doch,« erwiderte Maria, »es gibt bloß einen einzigen treuen Führer, welcher nimmer irrt, alle andern aber führen auf Irrwege.« »Freilich gebe ich mich der Hoffnung hin, daß es Euch mit Eurer Einsamkeit aussöhnen werde, in diesem Verbrechen einen Beweis von der Gesinnung derjenigen zu erblicken, die Eure Freiheit wünschen. Blutdürstige Tyrannen und grausame Mörder sind es alle, vom Clan Ronald und Tosach im Norden bis zu Ferniherst und Buccleugh im Süden, den Mordgesellen Seyton im Osten, und –« »Ihr vergeßt wohl, Lady Lochleven, daß ich eine Seyton bin?« sagte Katharina empört, indem sie das Tuch von ihrem Gesicht nahm. »Hätt ich's vergessen, hätt Euer keckes Wesen, Fräulein, wohl daran erinnert?« erwiderte die Lady. »Hat mein Bruder einen Elenden erstochen, der seine Fürstin und seine Schwester zu vergiften plante, so tut mir dabei bloß leid, daß er dem Henker vorgegriffen hat. Im übrigen war es für ihn eine Ehre, wie für den besten Douglas nicht minder, durch das Schwert eines Seyton zu fallen.« »Mädchen Eures Schlages, mein keckes Mamsellchen,« sagte die Lady, »sehen Sausewinde und Raufbolde in Trab, und Burschen, die einer Dirne von solchem Temperament gefallen wollen, müssen natürlich drauf aus sein, gegen alle hergebrachte Sitte im Lande zu verstoßen,« Darauf machte sie der Königin eine Verbeugung und fuhr fort: »Auch Euch, gnädigste Frau, möchte ich mich empfehlen bis auf den Abend, wo ich Euch wieder beim Essen aufzuwarten gedenke, wenn auch vielleicht in zudringlicherer Weise, als Euch recht sein möchte.« Dann wandte sie sich zu Randal: »Komm, Randal, und erzähle mir mehr von dieser grausen Tat!« »Ein seltsamer Vorfall,« sagte die Königin, als sich die Lady entfernt hatte, »aber ein so böses Subjekt der Hausmeier auch war, so hätt ich doch lieber gesehen, es war ihm Zeit geblieben zur Reue und Buße. Wir wollen Sorge dafür tragen, wenn Wir je wieder in den Besitz Unsrer Freiheit gelangen, daß ein paar Messen für sein Seelenheil gelesen werden ... Aber sprich, Katharina, besteht zwischen Dir und Deinem Bruder noch immer diese seltsame Aehnlichkeit?« »Es soll noch immer beschränkte Menschen geben, gnädigste Frau,« erwiderte Katharina, »die uns kaum zu unterscheiden vermögen, besonders dann, wenn meinen Bruder die Laune anwandelt, sich als Mädchen zu maskieren.« Bei diesen Worten heftete sie einen schelmischen Blick auf Roland, in dessen Herzen diese Worte einen Lichtstrahl entzündeten heller als je einer in den Kerker eines Gefangnen gedrungen sein mag durch den Spalt der zu seiner Befreiung sich öffnenden Tür. »Es muß ein hübscher Rittersmann sein, Dein Bruder, wenn er Dir in so hohem Maße ähnelt,« versetzte Maria; »er hat die letzten Jahre wohl in Frankreich zugebracht, denn am Hofe zu Holyrood habe ich ihn nicht gesehen?« »An seinem Aussehen ist wohl nie etwas zu tadeln gewesen, gnädigste Frau,« sagte Katharina, »bloß wünschte ich, es wäre ihm ein geringeres Maß Seytonscher Hitzigkeit überkommen, als der schlimme Zeitenlauf in unsern Junkern großgezogen hat .. Warum mußte er mit solchem alten Herrendiener Streit beginnen und seinen Namen durch solchen Hader, seine Hände mit solch gemeinem Blute beflecken?« »Nicht doch, Katharina, beruhige Dich! Du darfst mir meinen wackern Ritter nicht schelten. Mit Heinrich Seyton als meinem Ritter und mit Roland Gräme als meinem Knappen komme ich mir vor wie eine Prinzessin im schönsten unsrer Ritterromane, die in kurzem den Verließen und Waffen aller bösen Zauberer Trotz bieten wird ... Aber mir schwirrt es im Kopfe von all den erschütternden Ereignissen dieses Tages. Komm, liebe Fleming, wir wollen einen kurzen Spaziergang durch den Garten machen.« Sie winkte Katharina zurückzubleiben und war mit der ältern ihrer Zofen bald in ein Gespräch vertieft, das mit leiser Stimme geführt wurde, aber, wie die Chronisten zu melden wissen, nichts Ernsteres betroffen haben soll als eine Parallele zwischen dem Aussehen einer hohen und einer tiefen Halskrause. Roland mag sich aber hierum nicht sonderlich bekümmert haben, denn er hätte einfältiger sein müssen, als ein junger Verliebter wohl je war, wenn er solch günstige Gelegenheit hätte unbenutzt sein lassen. »Ich habe schon den ganzen Abend, schönste Katharina, Euch fragen wollen,« begann er, »wie albern und mißtrauisch ich Euch habe vorkommen müssen, da ich Euch mit Eurem Bruder habe verwechseln können!« »Daß mein Benehmen so leicht mit dem eines Jünglings zu verwechseln ist, gereicht mir wohl kaum zu besondrer Ehre. Aber mit der Zeit werde doch auch ich verständiger, und so bin ich auch entschlossen, nicht an Eure eignen Torheiten zu denken, sondern mich der meinigen zu entledigen.« »Diese Aufgabe ist gewiß nicht schwer,« antwortete Roland. »Das ist mir doch nicht so recht wahrscheinlich,« meinte Katharina, »wenigstens kommt es mir vor, als seien wir beide ganz unverzeihlich albern gewesen!« »Von Sinnen bin ich gewesen, von Sinnen, Katharina,« sagte Roland, »Ihr aber, schönste Katharina ...« »Ich aber,« ergänzte Katharina in dem gleichen bedächtigen Tone, »ich habe Euch zu lange gegen mich einen solchen Tun erlaubt, und darf es Euch, wie ich fürchte, nicht länger mehr erlauben, mich so anzureden, denn es möchte Euch Verdruß schaffen, und ich hätte mir dann Vorwürfe zu machen.« »Und was kann sich ereignet haben, das zu solch jäher Aenderung unsers bisherigen Verhältnisses Ursache geben konnte?« fragte Roland bestürzt. »Ich kann es kaum sagen,« antwortete Katharina, »außer daß die Ereignisse des Tages mir diese Notwendigkeit nahegelegt haben. Ein Vorfall wie der, den wir heute erlebt haben, könnte meinen Bruder leicht von den geringfügigen Beziehungen unterrichten, die zwischen uns bestanden haben oder bestehen, und bei der Heftigkeit seines Charakters bin ich nicht frei von Sorgen darum, was daraus am Ende entstehen konnte!« »Deshalb, schönste Katharina, brauchtet Ihr Euch wohl keiner Beunruhigung hinzugeben,« erwiderte der Page, »denn vor Gefahren solcher Art könnte ich mich wohl selbst schützen.« »Das heißt, Ihr wolltet Euch in Schlägerei einlassen mit meinem Zwillingsbruder, um bei der Schwester Euch in Respekt zu setzen! Ich hab erst neulich aus dem Munde der Königin gehört, die Männer seien in Liebe und Haß die eigennützigsten Geschöpfe der Erde, und die Gleichgültigkeit, die Ihr in unserm Falle zeigt, kommt wohl auf ganz dasselbe hinaus. Doch schämt Euch hierüber nicht allzusehr! Ihr seid, wenn auch nicht besser, in dieser Hinsicht doch auch nicht schlechter als andre.« »Ihr tut mir unrecht, Katharina, ich dachte nur, mir drohe ein Schwert, dachte aber nicht weiter, von welcher Seite es mir drohen könne; wäre Euer Zwillingsbruder, Euch in allem so zum Verwechseln ähnlich, mein Gegner, dann, glaubt mir, möchte er eher mein Blut vergießen, als daß ich mich versucht fühlen könnte, einem Angriffe von ihm Widerstand zu leisten.« »Ach, Ihr gedenkt bloß der seltsamen Umstände, die uns zusammengeführt haben, nicht aber, daß sich zwischen uns ein unüberbrückbarer Abgrund auftun wird, sobald ich wieder in mein väterliches Haus den Fuß zurücktrete. Die einzige Verwandte von Euch ist eine schwärmerische Greisin, von wildem, seltsamem Wesen, aus einem feindseligen, versprengten Stamme, von Eurer andern Sippschaft ist nichts bekannt –, nie wird mein Vater, verzeiht mir diese Aufrichtigkeit, eine Verbindung zwischen uns gut heißen wollen!« »Die Liebe, schönste Katharina, sieht verächtlich auf Stammbäume!« »Die Liebe schon, nicht aber mein Vater, nicht der Lord Seyton!« wandte das Mädchen ein. »Die Königin, unser beider Gebieterin, wird für uns sprechen bei Deinem Vater. O, schick mich nicht von Dir, Mädchen, nicht jetzt, wo ich mich glücklicher wähnte als je im Leben! ... Und sollte ich zu ihrer Befreiung behilflich sein, so sagtet Ihr doch selbst, wäre sie und wärest Du mir zu Dank verpflichtet, wäre sie und Du meine Schuldnerinnen.« »Ganz Schottland wäre Dein Schuldner,« rief Katharina; »was aber die Beweise unsrer Dankbarkeit anbetrifft, so dürft Ihr nicht vergessen, daß ich in dieser Hinsicht abhängig bleibe von meinem Vater, während die Königin zunächst wohl abhängig bleiben wird von den Adelingen ihrer Partei.« »Und wenn auch!« rief Roland, »durch meine Taten will ich alle Vorurteile ans der Welt schaffen. Die Welt ist in Gärung, und ich will mir meinen Anteil an dem Ruhme, der dabei zu gewinnen ist, sichern. Der Ritter von Avenel, jetzt ein so hochgestellter Herr, ist auch von niedriger Herkunft, gleichwie ich!« »Das ist das rühmliche Wort des mannhaften Ritters, der sich Bahn zu der Geliebten seines Herzens brechen will durch Drachensaat und Feindeshaufen,« sagte schwärmerisch Katharina, und Roland fiel ihr ins Wort: »Und kann ich der Prinzessin die freie Willensmeinung schaffen, auf wen wird ihre Wahl dann fallen?« »Erlöset die Prinzessin aus der Haft, und sie wird es Euch sagen im Vertrauen!« antwortete Katharina. Dann brach sie die Unterhaltung rasch ab und gesellte sich zur Königin. Kurz nachher erschien die Schloßherrin, und die Diener kamen mit dem Abendessen. Beharrlich dem gefaßten Entschlüsse, die Gegenwart dieser Dame mit Gleichmut und Standhaftigkeit zu ertragen, verhielt sich die Königin ruhig, wenn sie es auch vermied, ein Wort zu sprechen. Aber bald sollte eine neue Erscheinung, die bisher nicht zum Schloßzeremoniell gehört hatte, ihre Geduld auf eine harte Probe stellen. Als sich der eine Diener entfernt hatte, trat Randal herein mit den an einem Ringe befestigten Burgschlüsseln und behändigte sie der Lady mit der Meldung, die Wachen seien ausgestellt und sämtliche Tore verschlossen. Die Königin wechselte mit ihren Namen einen Blick der Ueberraschung und des Verdrusses. Dann sagte sie laut: »Ueber die Beschränkung Unsers Hofstaats dürfen Wir Uns wahrlich nicht beklagen, wenn Wir wahrnehmen, daß Unsre holde Frau Wirtin selbst sich so vielen Obliegenheiten unterzieht. Nicht bloß mit den Aemtern eines Hofmarschalls und Großalmoseniers begnügt sie sich, jetzt versieht sie auch noch den Dienst eines Hauptmanns unsrer Leibwache.« »Und wird das auch hinfort tun,« entgegnete Lady Lochleven mit hohem Ernst, »die Geschichte Schottlands lehrt uns ja, wie schlecht ein Geschäft betrieben werden kann, wenn es in die Hände eines Günstlings gelegt wird ...« »O, meine Liebe,« erwiderte die Königin, »mein königlicher Vater hatte wohl auch Günstlinge im Unterrock, sollte ich meinen.. zum Beispiel die Ladies Sandland und Olifaunt, und noch diese und jene andre, deren Namen sich freilich im Gedächtnis einer so vielbeschäftigten und würdigen Dame, wie der Lady Lochleven, nicht festsetzen können.« Lady Lochleven warf einen Blick auf die Königin, als wolle sie sie zermalmen; aber sie beherrschte ihre Wut und entfernte sich, mit dem schweren Schlüsselbund in der Hand, aus dem Zimmer. »Gott sei Dank, daß er dieses Weib in der Jugend nicht schärfer gehütet hat!« sagte die Königin, »denn hätte sie nicht diese verwundbare Stelle, so verschwendete ich doch all meine Worte umsonst an sie! ... Aber dieser Fleck ist das unmittelbare Widerspiel eines Hexenmales ... Hier läßt sich Empfindung wecken, so unempfindlich dieses Geschöpf auch sonst ist ... Aber, Mädchen! hier stehen wir vor einer neuen Schwierigkeit! Wie ist den Schlüsseln beizukommen? Dieser Heiduk ist doch nicht bestechlich und auch nicht zu hintergehen.« »Darf ich fragen,« nahm der Page das Wort, »ob Eure Gnaden außerhalb der Schloßmauern über Mittel und Wege verfügen, über den See nach dem Lande hinüber zu gelangen, und dort auch Schutz finden werden?« »Gewiß, Roland, das überlaß nur uns!« erwiderte die Königin. »In diesem Falle dürfte ich Euer Gnaden von Nutzen sein können,« erwiderte der Page. »Und wie, mein Sohn? Sage ohne Furcht, was Du im Sinne hast!« ermutigte ihn die Königin. »Der Ritter von Avenel hielt darauf, seine Pagen auch im Schmieden der Waffen zu unterrichten, und Fräulein Seyton ist es ja bekannt, daß ich in diesem Handwerk Uebung besitze, denn ich habe ihr ja in der Zeit unsers Beisammenseins auf dieser Burg eine silberne Arbeitsnadel geschmiedet.« »Schön, aber Ihr solltet dabei nicht unbemerkt lassen, daß die Nadel so schlecht war, daß sie schon am andern Tage zerbrach,« bemerkte Katharina Seyton. »Es hat ihr bitterleid getan, daß sie so ungeschickt war,« sagte die Königin, »und sie hat die Stücke im Busen geborgen... Aber was unsre Sache angeht, sollte es Dir möglich sein, mein Sohn, eine neue Garnitur Schlüssel zu schmieden?« »Das nicht, gnädigste Frau, weil mir die Bärte nicht in einem Wachsabdruck vorliegen. Aber daß ich ein Bündel Schlüssel machen könnte, das ungefähr so aussieht wie dieses verhaßte Schlüsselbund, und daß man ihn dann dagegen vertauschen könnte, das glaube ich bestimmt.« »Hierbei würde es von Vorteil sein, daß Lady Lochleven stark kurzsichtig ist. Aber wie sieht's mit der Schmiede aus?... und wie willst Du unbemerkt arbeiten können?« »Die Schmiede ist im runden Gewölbe am untern Turm. Ich habe dort schon dann und wann mit dem Schmied gearbeitet. Weil er im Verdacht stand, es zu viel mit Georg Douglas zu halten, ist er zusammen mit dem Turmwart aus dem Dienste entlassen worden. Es wird nicht auffallen, wenn man mich dort arbeiten sieht, und um einen Vorwand, Blasebalg und Amboß zu brauchen, werde ich kaum in Verlegenheit sein.« »Nun, so mach Dich ohne Zaudern an die Arbeit; doch achte, daß Du nicht entdeckt wirst,« sagte die Königin. »Ich werde mich vor zufälligen Besuchern dadurch schützen, daß ich den Riegel vorschiebe, so daß mir Zeit bleibt, meine Arbeit beiseite zu tun, bevor ich aufmache.« »Nun, so wollen wir für die Nacht scheiden,« sagte die Königin, »Gott segne Euch, meine Kinder! und erhebt sich Marias Haupt je über die Fluten, dann sollt Ihr Euch erheben mit ihr!« Dreizehntes Kapitel Rolands Unternehmen schien zu gelingen, denn er verstand es geschickt, die Aufmerksamkeit von seiner eigentlichen Arbeit durch Anfertigung von allerhand Kleinigkeiten abzulenken. Bald hatte er eine Anzahl von Schlüsseln, an Gestalt und Schwere denen gleich, die allabendlich der Burgherrin von Lochleven überreicht wurden, geschmiedet; mit Salzwasser brachte er die dunkle, rostige Farbe hervor, die die Schlüssel bedeckte, und im Vollgefühl seiner Kunst überreichte er sie eines Abends der Königin etwa eine Stunde vor dem Abendläuten. Mit froher, aber auch bedenklicher Miene betrachtete sie Rolands Arbeit. »Ich glaube schon, daß die Augen von Lady Lochleven sich hierdurch täuschen lassen mochten. Aber wie sollen wir es bewerkstelligen, daß wir ihr diese Schlüssel unterschieben? wer an unserm kleinen Hofe soll sich diesem Taschenspielerkniffe unterziehen?« »Vielleicht fände sich auch hierfür ein Weg,« erwiderte Roland, »ich fürchte nur die Schildwache, die jetzt nachts im Garten ausgestellt wird, und bei der wir notwendigerweise vorbei müssen.« »Die letzten Nachrichten, die wir von unsern Kinrosser Freunden erhalten haben, sagen uns in dieser Hinsicht Beistand zu,« erwiderte die Königin. »Und Eure Gnaden sind der Treue und Wachsamkeit dieser auswärtigen Freunde versichert?« fragte Roland. »Für ihre Treue stehe ich ein mit meinem Leben und für ihre Wachsamkeit nicht minder,« erwiderte die Königin. »Den Beweis hierfür will ich Dir sogleich geben, mein Sohn. Komm, Katharina, begleite Uns in Unser Kabinett. Du weißt, was ich Roland dort zeigen will. Aber ich begebe mich der bösen Zungen in Lochleven halber nicht allein mit einem jungen Manne in mein Kabinett. Oder besser noch, Fleming, komm Du mit! Deine ehrbare Gegenwart wird für Roland eine bessere Gewähr sein!« setzte sie mit einem lächelnden Seitenblick auf Katharina hinzu, »aber, Schatz! nicht eifersüchtig deshalb!« In dem kleinen Zimmer, das nur durch ein Erkerfenster Licht erhielt, zeigte die Königin Roland die Stelle am jenseitigen Ufer, wo Kinroß lag, und wo die Abendlichter zu flackern begannen ... »Siehst Du das einzelne Flämmchen dort, getrennt von den übrigen Lichtern, und ein Stück naher am See als die andern? So klein es Dir erscheint, so ist es doch Maria Stuart mehr wert, als jeglicher Stern am Himmelsfirmament. An diesem Zeichen erkenne ich, daß mehr als ein treues Herz auf meine Befreiung sinnt, und ohne dieses Zeichen wäre ich längst meinem Schicksal erlegen, wäre ich längst an gebrochenem Herzen gestorben, Plan auf Plan ist entworfen worden, und Plan auf Plan ist aufgegeben worden, aber noch immer flimmert das Licht, und so lange es flimmert, so lange erstirbt auch meine Hoffnung nicht.« »Irre ich mich nicht,« bemerkte Roland, »so leuchtet das Licht in dem Häuschen des Gärtners Blinkhoolie?« »Du hast ein scharfes Auge, mein Sohn,« versetzte die Königin, »ja, dort weilen meine Getreuen und halten Rat über das Werk meiner Befreiung. Die Stimme der armen Gefangnen möge früher auf diesen Wogen verhallen, als sie zu ihren Ohren hinüber dränge, und doch kann ich mich mit ihnen verständigen ... Ich will Dir alles vertrauen. Ich will jetzt bei meinen Getreuen Anfrage halten, ob der Augenblick für das große Werk gekommen ist ... Fleming, setz die Lampe ins Fenster!« Sie gehorchte, nahm sie aber sogleich wieder weg. Im selben Augenblick verschwand auch in der Gärtnerhütte das Licht. »Nun zähle,« sagte die Königin, »mir schlägt das Herz zu laut, daß ich selbst zu zählen vermöchte.« Lady Fleming zählte bis zehn, und dann zeigte das Licht wieder seinen schwachen Schimmer. »Nun,« sprach die Königin, »Lob und Preis sei unsrer lieben Frau! ... vor kaum zwei Nächten konnte ich noch zählen bis dreißig, ehe der Lichtschein wieder sichtbar war. Die Stunde der Befreiung rückt näher. Gott möge die segnen, die mit solcher Treue für mich am Werke sind ... Aber wir müssen zurück ins andre Zimmer, denn unsre längre Gegenwart hier möchte Verdacht erregen.« Sie verließen das Kabinett der Königin, und der Abend nahm seinen weiteren Verlauf wie gewöhnlich. Aber am folgenden Tage, um die Mittagsstunde, trug sich ein Vorfall zu, der die gleichmäßige Ruhe störte. Während Lady Lochleven bei der Mahlzeit der Königin anwesend war, kam ein Diener mit der Meldung, ein Gewappneter fordre Einlaß ins Schloß. »Hat er die Losung gegeben?« fragte die Lady. »Er spart sie wohl auf für das Ohr von Euer Gnaden,« erwiderte Randal, der Diener. »Befiehl ihm, in der Halle auf mich zu warten,« beschied ihn die Dame, »doch nein, mit Eurer Erlaubnis, gnädigste Frau, bring ihn hierher!« »Wenn es Euch beliebt, Eure Diener hier zu empfangen, ohne meine Einwilligung abzuwarten,« sagte die Königin, »so bleibt mir freilich keine Wahl.« »Meine Kränklichkeit mag mir als Entschuldigung dienen,« erwiderte Lady Lochleven; »das Leben, das ich hier führen muß, paßt schlecht zu den früher verlebten Jahren; ich muß deshalb von mancher Förmlichkeit Abstand nehmen.« »Ach, meine gute Lady,« versetzte darauf die Königin, »ich wünschte, es gebe in diesem Schlosse nichts, was schlimmern Zwang übte, als Förmlichkeitsrücksichten. Aber Schloß und Riegel sind doch noch bösere Gesellen.« Unterdes trat der von Randal gemeldete Knappe ins Zimmer, in welchem Roland auf den ersten Blick den Pater Ambrosius erkannte. »Euer Name, Freund?« fragte Lady Lochleven. »Eduard Glendinning,« erwiderte mit geziemender Verbeugung der Abt. »Bist Du verwandt mit dem Ritter von Avenel?« fragte die Lady. »Jawohl, gnädige Dame, sehr nahe,« antwortete der Abt. »Wahrscheinlich genug, denn der Ritter ist, was er ist, durch seine Taten und von geringer Abkunft zu seinem jetzigen hohen Stande im Staate gestiegen. Aber er ist von unbescholtner Treue und von erprobtem Werte, und sein Verwandter sei uns willkommen! Ihr bekennt Euch doch zu dem allein wahren Glauben?« »Des dürft Ihr Euch überzeugt halten, gnädigste Dame!« versetzte der Abt. »Gab Dir Sir William eine Losung?« fragte die Dame weiter. »Ja! doch soll ich sie Euch im Vertrauen sagen!« »Du hast recht,« sagte die Lady und trat mit dem Fremden in eine Fensternische... »So sag mir die Losung!« »O Douglas, Douglas! lieb und treu!« sagte der Knappe. »Es ist in Ordnung, Glendinning. Wir nehmen Dich in unser Gefolge auf. Doch, Randal, sorge, daß er nur die Außenwacht übernimmt! wenigstens bis wir aus seinem Munde Näheres gehört haben über unsern Sohn... Du bist doch Nachtluft gewohnt, oder scheust Du Dich vor ihr?« »Ich scheue mich im Dienste Euer Gnaden vor nichts,« versetzte der Abt in Knappentracht. »So wäre denn unsre Besatzung durch solchen Zufall um einen treuen Mann verstärkt,« sagte Lady Lochleven, sichtlich erfreut. »Begebt Euch in die Speisekammer und laßt Euch reichlich bewirten.« Kaum hatte sich die Lady mit dem Pseudo-Knappen entfernt, als die Königin sich zu Roland mit den Worten wandte: »Ich erblicke Trost in den Zügen des fremden Mannes, wenn ich auch nicht weiß, warum es mir so zu Mute ist. Aber ich bin überzeugt, daß er uns ein Freund ist.« Der Page unterrichtete die Königin, daß es der Abt des heiligen Marienklosters in Person sei, der hier in der Rolle des Kriegsknappen sich Eintritt ins Schloß verschafft habe. Die Königin bekreuzte sich und sandte einen Blick gen Himmel. »Ich unwürdige Sünderin,« sprach sie, »um meinetwillen setzt sich ein heiliger Mann von so hohem Rang in Gefahr, als Verräter zu sterben, und wechselt sein heiliges Kleid mit dem profanen Gewand eines Kriegsmanns!« »Der Himmel wird seinen Diener schützen!« sagte Katharina. »Segnen würde seine Teilnahme unser Unternehmen, wäre es nicht schon gesegnet an sich selbst!« »Und was das Zeichen vom andern Ufer angeht, so sagt mir mein Herz,« warf Katharina dazwischen, »daß wir heut nacht statt eines Flämmchens vom Garten Blinkhoolies zwei sehen werden! Und dann, Roland, gilt's! sei wacker, wie bisher, und wir wollen, gleich Feen zu mitternächtiger Stunde, auf dem grünen Rasen tanzen und springen.« Katharina hatte recht. Am Abend flimmerten drüben über dem See zwei Flämmchen statt eines, und der Page hörte mit klopfendem Herzen, wie draußen vorm Schlosse der neue Knappe zur Wache bestellt wurde. Als er die erste Kunde hiervon der Königin überbrachte, reichte sie ihm die Hand. Er kniete nieder, führte die Hand in schuldiger Ehrfurcht an die Lippen und fühlte, daß sie kalt war wie Marmor. »Um Gottes willen, gnädigste Frau,« rief die Fleming, »betet zu Eurem Schutzheiligen!« »Betet zu den hundert Geistern der Königsreihe, von der Ihr abstammt!« sagte Roland wieder, »in dieser Stunde der Not wäre die Entschlossenheit eines Fürsten soviel wert wie der Beistand von hundert Heiligen!« »Ach, Roland Gräme, sei mir treu,« sagte Maria im Tone höchster Verzagtheit, »sei mir treu – so manche sind falsch gegen mich gewesen! – Ach, und ich war mir selbst nicht treu!... Meinem Herzen ahnt es, daß ich in der Sklaverei sterben werde, daß dieses kühne Werk allen das Leben kosten werde! ... Von einer Wahrsagerin ist mir in Frankreich gekündet worden, daß ich im Gefängnis eines gewaltsamen Todes sterben werde ... Jetzt naht sie, die schwere Stunde!« »O, gnädigste Frau,« rief Katharina Seyton, »erinnert Euch, daß Ihr eine Königin seid! Es ist besser, wir finden bei dem mutigen Werk alle unsern Tod, als daß wir hier bleiben, in Gefahr, den Tod durch Gift zu leiden, durch böses Gewürm, wie es in allem alten Gemäuer haust.« »Du hast recht, Katharina,« erwiderte die Königin, »Maria wird sich zeigen Marias würdig. Aber, ach! ach! Dein jugendlicher, kräftiger Mut vermag die Ursachen nicht wohl zu erraten, die den meinigen brachen. Lebt wohl für ein paar Augenblicke, Kinder! ich will Geist und Leib bereiten zu diesem furchtbaren Abenteuer.« Sie gingen voneinander und blieben getrennt, bis das Abendläuten sie wieder zusammenrief. Die Königin war ernst, aber fest und entschlossen. Lady Fleming verstand es meisterhaft, die Bangigkeit, die ihr Herz erfüllte, durch die Kunst der Hofdame zu verbergen; Katharinas Augen leuchteten von mutvollem Feuer, und ihren schönen Mund umspielte ein muntres Lächeln, das jeder Gefahr und aller Furcht vor Entdeckung zu spotten schien; Roland suchte sich in dem Bewußtsein, daß der Erfolg zum großen Teil von seiner Gewandtheit und Festigkeit abhängig sei, alle Geistesgegenwart zu erhalten, und stand, gleich dem Jagdhund an der Leine, Hand, Herz und Auge gespannt, alle Gelegenheit zur Durchführung des Anschlags wahrzunehmen. Lady Lochleven stand mit dem Rücken dem Fenster zugekehrt, das, wie das im Schlafkabinett, nach Kinroß und auf die Kirche hinaus sah, die ein Stück vom Dorfe dem See näher lag und damals nur durch wenige Hütten mit ihm im Zusammenhang stand. Das Gesicht hielt sie dem Tische zugewandt, auf dem für die kurze Zeit, die sie zum Kosten der Speisen brauchte, das Schlüsselbund lag; ihre Miene war – so meinten wenigstens die Gefangnen – herausfordernder denn sonst, ihr Blick fester als sonst auf das Werkzeug strenger Haft gerichtet. Gerade als sie nach dem Bunde greifen wollte, warf der Page den Blick nach Kinroß hinüber und rief, er sehe ja Totenlichter auf dem Friedhofe; die Lady war zwar vom Aberglauben, der zur damaligen Zeit die Gemüter beherrschte, ziemlich frei, aber sie gedachte des Schicksals ihrer Söhne, ein sogenanntes Totenlicht auf dem Friedhofe bedeute Todesfall in der Familie, und so drehte sie sich um, in der Absicht, zum Fenster hinaus zu sehen; sie sah die Flämmchen flimmern, die für die Gefangnen Signale waren, und vergaß auf einen Augenblick ihr Amt, und ging nun der Früchte ihrer Wachsamkeit verlustig. Mit großer Gewandtheit vertauschte der Page die selbstgeschmiedeten Schlüssel, die er unter dem Mantel trug, gegen die echten, hatte aber ein schwaches Geklirr doch nicht verhüten können. Im Nu fuhr die Lady mit dem Kopfe herum und rief: »Wer rührt an meinen Schlüsseln?« der Page sagte, er habe mit dem Aermel daran gestreift; sie aber sah sich um, griff nach dem Schlüsselbund, ohne gewahr zu werden, daß sie das falsche nahm, und blickte wie er hinüber nach den vermeintlichen Totenlichter. »Mir scheint,« sagte sie, »die Lichter kommen nicht vom Friedhofe, sondern von Blinkhoolies Hütte herüber. Was der alte Mann wohl vorhat, daß er seit kurzem immer bis in die Nacht hinein Licht brennt? Ich habe ihn immer für einen ruhigen, fleißigen Mann gehalten; nimmt er jedoch Nachtschwärmer und Tagediebe bei sich auf, dann werden wir Sorge tragen müssen, daß er seinen Aufenthalt wechselt.« »Er mag wohl Körbe flechten, gnädige Frau,« sagte der Page in der Absicht, ihre Aufmerksamkeit abzulenken. »Oder Netze, wie?« erwiderte die Lady. »Kann auch sein,« versetzte der Page, »für den Forellen- und Lachsfang, dem er ja obliegt.« »Oder für Narren- und Schurkenfang!« rief die Lady Lochleven grimmig. »Doch morgen soll das untersucht und festgestellt werden!« Dann wandte sie sich zu der Königin. »Für heute wünsche ich Euer Gnaden und Eurer Gesellschaft guten Abend. Randal, komm mit uns mit!« Die Lady verschwand mit ihrem Diener, dem sie das Schlüsselbund in die Hand gelegt hatte. Roland aber rieb sich vergnügt die Hände, daß ihm sein Streich gelungen war, und sagte zu Katharina: »Narren verschieben auf morgen, was gescheite Leute heute tun. Doch ich muß jetzt gehen, diese Werkzeuge zur Freiheit gut zu schmieren, daß sie durch Knarren uns nicht verraten. Mut und Ausdauer! dann wird alles gut gehen. Wenn nur unsre Freunde rechtzeitig mit dem Boote zur Stelle sind!« »Ihretwegen seid ohne Furcht!« sagte Katharina, »sie sind treu wie Gold – wenn bloß unsre teure Gebieterin den Mut nicht sinken läßt, der sie so lange aufrecht erhalten hat!« »Zweifle nicht an mir, Katharina,« sprach die Königin, »wenn ich vor einer Weile noch unterlag, so habe ich doch den Mut der früheren, fröhlicheren Tage wiedergefunden, als ich mit meinen bewaffneten Adelingen durch Wald und Flur ritt und das Verlangen im Herzen trug, ein Mann zu sein, um zu lernen, wie es sich lebt im Felde, mit Schild und Schwert, mit Panzer und Brotbeutel.« »O, keine Lerche singt froher als ein lustiger Soldat,« rief der Page; »bald, bald wird sich Eure königliche Majestät in der Mitte ihres Heers befinden, und das Auge der Königin wird in jedes Mannen Herz erhöhten Mut pflanzen! Aber ich muß jetzt an meine letzte Arbeit! Entschuldigt also, Eure Gnaden!« »Es bleibt nur wenig Zeit noch,« sagte die Königin, »eins von den beiden Lichtern ist verloscht. Das ist uns ein Zeichen dafür, daß eins der Boote schon unterwegs ist.« »Die Leute werden nur langsam rudern,« erwiderte der Page, »stellenweis werden sie es, kein Geräusch zu machen, schieben müssen. Aber jetzt jeder auf seinen Posten! Ich will im Vorbeigehen Rücksprache mit dem frommen Vater nehmen.« Die Mitternachtsstunde schlug, Totenstille herrschte im Schlosse, als die Glocke verklungen war. Da schob der Page den Schlüssel in das Schloß des Pförtchens, das sich unterhalb der zu den Zimmern der Königin in den Schloßgarten führenden Wendeltreppe befand. Der Riegel leistete nur geringen Widerstand, und das Schloß knarrte kaum, Roland hatte die Schlüssel gut geölt. Aber er wagte es nicht, den Fuß über die Pforte hinaus zu setzen, sondern flüsterte dem verkleideten Abte bloß die Frage zu, ob das Boot bereit sei. »Schon seit einer halben Stunde,« antwortete dieser, »unter dem Wall, zu dicht an der Insel, um vom Turmwart gesehen zu werden, aber wenn es abstößt, wird es den Späherblicken desselben wohl kaum entgehen.« »Die Dunkelheit wird uns schützen,« erwiderte der Page, »wir werden suchen, so unbemerkt abzustoßen, wie die Leute gelandet sind. Zudem hat Hildebrand die Wache auf dem Turm, ein Tölpel, der nie ohne einen vollen Krug auf Nachtwache zieht. Der schläft doch sicher!« »So hole die Königin!« flüsterte der Abt, »ich will Heinrich Sehton rufen, er soll den Herrschaften beim Einsteigen helfen.« Leisen Schrittes, mit verhaltenem Atem, zusammenschreckend beim leisesten Rascheln der eignen Gewänder, schlüpften die holden Gefangnen, eine hinter der andern, von Roland geleitet, die Wendeltreppe hinunter und wurden am Pförtchen von Heinrich Seyton und dem Abte in Empfang genommen. Der erstere schien die Leitung des ganzen Unternehmens in die Hand genommen zu haben. »Hochwürdiger Abt,« flüsterte er, »reicht meiner Schwester den Arm, ich werde die Königin geleiten, der junge Mann hier wird die Ehre haben, sich der Lady Fleming anzunehmen.« Roland mußte sich fügen, denn Zeit zu einem Einspruch war nicht vorhanden. Freilich hätte Roland eine andre Anordnung lieber gesehen, Katharina hüpfte gleich einer Sylphide voraus und führte mehr den Abt, statt von ihm geführt zu werden. Die Königin, deren angeborener Mut alle Furcht und alle Bedenken besiegte, schritt unter Seytons fester Hand festen Schrittes voran, während die Fleming für Roland ihrer Ängstlichkeit und Unbeholfenheit wegen eine rechte Last war. Er bildete mit ihr den Nachtrab, und während er sie an der einen Hand führte, trug er unter dem andern Arm ein Päckchen für die Königin. Roland trat, als er die Wendeltreppe glücklich mit seiner Dame herunter gestiegen war, an die Gartentür und versuchte sie mit einem der in seiner Hand befindlichen Schlüssel zu öffnen, mußte aber mehrere probieren, ehe er den richtigen fand. Darüber verstrich ein banger Augenblick. Endlich gab die Tür nach, und nun wurden die Damen von Männern, die bislang, im Rasen versteckt, auf dem Boden gelegen hatten, zum Boote, das ihrer mit sechs Ruderern im See wartete, halb geführt, halb getragen. Heinrich Seyton führte die Dame in das Hinterteil des Bootes, der Abt wollte Katharinen beim Einsteigen helfen, aber die Maid war mit einem Satze im Boote, noch ehe der Abt den Arm erhoben hatte, ihn ihr zu reichen, und Roland wollte grade der Lady Fleming den gleichen Ritterdienst erweisen, als ihm plötzlich ein Gedanke in den Sinn schoß. Mit dem Rufe: »Ich hab was vergessen. Wartet bloß eine Minute auf mich!« warf er, es seiner Dame überlassend, wie sie zurechtkäme, das Paket der Königin in das Boot und eilte, geräuschlos wie ein leichtbeschwingter Vogel, durch den Garten zurück. »Beim Himmel!« rief Seyton, »noch im letzten Moment bricht er die Treue. Gefürchtet hab ich es ja immer.« »Er ist treu, wie der Himmel selbst!« rief Katharina, »dafür stehe ich ein.« »Still, Püppchen!« erwiderte Seyton, »Dein Urteil gilt mir nichts. Stoßt ab, Leute, und rudert auf Tod und Leben!« »Helft mir an Bord!« rief ängstlich, und lauter als sie mochte, die Fleming, »helft mir an Bord!« »Stoßt ab! stoßt ab!« befahl Seyton; »laßt alles schießen, wenn bloß die Königin in Sicherheit ist.« »Gnädigste Frau, wollt Ihr das zugeben?« rief da Katharina flehend; »soll Euer Retter dem sichern Tode anheimfallen?« »Nein! das soll nicht sein!« sagte die Königin .. »Seyton, ich befehle Euch, zu warten, auf jede Gefahr!« »Verzeiht mir, gnädigste Name, wenn ich ungehorsam bin,« erwiderte der unbeugsame Jüngling, und nachdem er schnell der Fleming noch ins Boot geholfen hatte, gab er dem Boote selbst einen Tritt mit dem Fuße und sprang dann hinterher. Etwa Zwei Klaftern weit war es vom Lande, als Roland am Ufer erschien und mit einem Satze im Wasser war, es noch zu erreichen. Mit einem zweiten Satze war er im Boote, rannte aber dabei Seyton über den Haufen, der darüber einen derben Fluch ausstieß. Als Roland nach dem Hinterteil des Bootes gehen wollte, wo sich die Damen befanden, trat ihm Seyton in den Weg mit den Worten: »Euer Platz ist nicht bei hochgebornen Damen. Bleibt vorn und sorgt, daß das Boot nicht aus dem Gleichgewicht kommt ... Na, Platz da! versteht Ihr nicht Schottisch? .. Leute, rudert, rudert um Gottes und der Königin willen!« »Warum habt Ihr die Ruder nicht umwickelt?« flüsterte Roland, »das Plätschern muß ja die Wache wecken ... Bursche, rudert, daß Ihr aus Schuhweite kommt! hätte der alte Hildebrand nicht heut einen Teller Mohnsuppe geschluckt, dann hätt er schon längst von Eurem Geflüster munter sein müssen.« »Du bist allein an der Säumnis schuld!« rief Seyton. »Wenn wir drüben am Lande sind, sollst Du mir hierfür und für manch andres Rede und Antwort stehen!« Aber Rolands Befürchtung bewahrheitete sich schnell genug, so daß er sich einer Antwort hierauf enthalten mußte. Die Wache hatte in ihrem Schlummer wohl das Geflüster der Stimmen nicht gehört, aber das Plätschern der Ruder machte sie munter, und jetzt vernahm man den Alarmruf: »Ein Boot! ein Boot! haltet an, oder ich schieße!« Und als die Ruderer nur um so derber sich ins Zeug legten, schrie die Wache mit Stentorstimme: »Verrat! Verrat!« schoß ihre Feuerbüchse nach dem Boote ab und zog die Glocke. Wie gescheuchte Vögelchen drängten sich die Damen zusammen, als der Schuß über das Wasser dröhnte. Die Ruderer setzten die besten Kräfte ein. Andre Kugeln pfiffen nun über die Wasserfläche, und im ganzen Schlosse fing es an, lebendig zu werden. »Stemmt Euch gegen die Ruder!« rief Seyton, »zieht an, daß Euch das Blut unter die Nägel tritt, oder ich will's Euch mit dem Dolche aus dem Leibe zapfen ... gleich wird uns von drüben ein Boot auf den Hacken sein!« »Daß das nicht der Fall sein kann, dafür ist gesorgt!« bemerkte Roland kalt und ruhig, »denn ich bin vorhin nochmals zurückgeeilt, um die schweren Hauptriegel vor die Tore zu legen. In dieser Nacht wird kein Boot aus Lochleven mehr über den See fahren, denn mit den falschen Schlüsseln können sie die Tore nicht öffnen, und ehe sie sich bei Tage von ihrem Verlust überzeugen weiden, sind wir in Sicherheit ... Und nun lege ich mein Schließeramt von Lochleven nieder, und übergebe das Schlüsselbund der Nixe tief unten am Grunde.« Als die schweren Schlüssel unter dem Wasser verschwanden, sagte der Abt: »Gottes Segen über Dich, mein getreuer Sohn! Deine Klugheit und Vorsicht, Dein Mut und Dein Eifer beschämt uns alle!« Als das Boot aus Büchsenschußweite gebracht worden war, schöpfte die Königin Atem und gewann langsam die Ruhe wieder. Dann sagte sie: »Die Treue und Klugheit meines Knappen zog ich nie in Zweifel. Ich muß ihn mit meinen beiden nicht minder getreuen Rittern Douglas und Seyton als einen lieben Freund ansehen .. aber wo ist Douglas?« »Hier, gnädigste Dame!« antwortete eine tiefe Stimme aus der Reihe der Ruderer; sie kam aus der Brust des ihr zunächst sitzenden, der das Steuer lenkte. »Also decktet Ihr mich mit Eurem Leibe, als die Kugeln um das Boot pfiffen?« fragte die Königin gerührt. »Seid Ihr der Meinung, ein Douglas überließe einem andern die Gefahr, das Leben seiner Königin durch das eigne zu schützen?« Hier wurde die Unterhaltung durch schwerere Schüsse gestört, die vom Schlosse nach dem Boote herüberstrichen. Man feuerte jetzt aus den Falkonetten, leichteren Kanonen, die damals zur Bollwehr für Schlösser und Burgen im Brauch waren. Aber die Schüsse waren aufs Geratewohl gefeuert worden, da das Boot mittlerweile verhältnismäßig weit aus Sehweite gelangt war. Der dumpfe Knall indes, der jedem Schusse vorausging, und die Blitze, die vom Schlosse herüberzuckten, waren für die Damen doch ein Gegenstand großen Schreckens. Endlich stieß das Boot ans Land, und zwar an einem primitiv angelegten Landungsplätze vor einem großen Garten, und während hier der Abt Gott für das bisherige Gelingen inbrünstig dankte, erntete Douglas den schönsten Dank für seine Treue, denn er durfte die Königin am Arme nach der Gärtnerhütte geleiten. Aber die Königin vergaß auch jetzt der Dienste Rolands nicht und befahl ihm, Katharina den Arm zu reichen, während sie Seyton befahl, sich der Lady Fleming anzunehmen. Aber Seyton übergab diese Sorge dem Abte unter dem Vorwande, daß er sich nach den Pferden umsehen müsse, und seine Mannen beeilten sich, indem sie die Ruderermäntel abwarfen, ihm hierin beizustehen. In der kurzen Zeit, die nun die Königin in der Hütte verweilte, bemerkte sie in einem Winkel den alten Mann, dem die Hütte gehörte, und rief ihn zu sich. Mit Widerstreben folgte er dem Rufe. »Aber, Bruder,« sagte der Abt Ambrosius, »so langsam, wenn es gilt, Deiner erlauchten Königin und Gebieterin Glück zu ihrer Befreiung aus schmählicher Haft zu wünschen?« Der Greis kam dieser Aufforderung mit ein Paar schicklichen Worten nach. Die Königin dankte ihm huldvoll und reichte ihm als Belohnung seiner Treue eine kleine Börse ... »Nehmt sie,« sagte sie, »Eure Wohnung ist lange genug Zufluchtsort für unsre getreuen Diener gewesen. In Zukunft gedenken wir solche Dienste besser zu lohnen.« »Danke der Königin für solche Huld, Bruder, und kniee nieder!« sagte Abt Ambrosius. »Bruder,« antwortete der Gärtner, aber mit verdrießlicherer Stimme als bisher, »Du standest einst verschiedene Stufen unter mir und bist um manches Jahr jünger als ich. Drum laß mich danken auf meine Weise! Es hat Tage gegeben, da Königinnen vor mir knieten, und meine Kniee sind zu alt und steif geworden, daß ich sie beugen könnte, selbst vor solch holdseliger Dame wie dieser! ... Gestatten Eure Gnaden mir die bescheidene Bemerkung, daß es mir der schönste Lohn wäre, wenn sie in Zukunft ihren Aufenthalt recht weit von dieser Stätte stiller Zurückgezogenheit nehmen wollte, die über Gebühr durch den mitternächtigen Verkehr von Dienern Eurer Gnaden gelitten hat. Weiß ich doch kaum, ob ich es noch mein Eigentum nennen darf! alle Blumen haben sie mit ihren schweren Stiefeln niedergetreten, und seit sie sogar ihre Streitrosse hergeführt haben, ist es um all mein Obst geschehen ... Ich bin ein Greis, hoch an Jahren, und möchte gern die paar Jahre, die mir der Herr in seiner Güte noch verleihen wird, in Ruhe und Frieden verbringen.« »Gern versprech ich Euch, daß mich die Mauern dort drüben nicht wieder sehen sollen, guter Mann,« antwortete die Königin, »aber nehmt immerhin dies bißchen Geld! es mag doch halbwegs im stande sein, den Schaden auszugleichen, den Ihr erlitten habt.« »Vielen Dank, Euer Gnaden!« antwortete der Greis, »aber es wird mir kaum Entschädigung sein können. Die zerstörte Arbeit eines Jahres läßt sich von einem Menschen, der vielleicht bloß ein Jahr noch zu leben hat, nicht leicht wett machen. Zudem höre ich, daß ich diesen Ort werde meiden und wieder zum Pilgerstabe greifen müssen. Das ist für einen Greis in meinem Alter eine harte Zuversicht. Außer diesen paar Blumen und Obstbäumen nenn ich nichts mein eigen, höchstens noch ein Paar Dokumente und Familienpapiere, Geheimnisse bergend, der Mitteilung und Kunde wohl kaum wert. Hätt ich dem Golde angehangen, so hätte ich Klosterabt von Sankt-Marien bleiben können; und doch, wenn ich denke, daß aus meinem Nachfolger Ambrosius ein Kriegsmann geworden mit Schild und Tartsche, so ist mir das Los als Gärtner doch lieber, denn es entspricht dem Leben eines Bonifazius doch besser!« »Ist dies wirklich Abt Bonifazius, von dem ich so viel gehört habe?« sprach die Königin. »Das Knie hätt ich vor Euch beugen sollen, daß Ihr mich segnet, frommer Vater!« »Beugt nicht das Knie vor mir, Fürstin! aber der Segen eines Greises, der kein Abt mehr ist, möge Euch begleiten über Berg und Tal ... Ich höre das Getrappel Eurer Rosse.« »Lebt wohl, mein Vater!« sagte die Königin, »wenn Wir Unsern Thron zu Holyrood wieder bestiegen haben, wollen Wir Eurer und Eures Gartens huldvoller gedenken!« »Vergeßt mich und den Garten, Fürstin,« sagte der Ex-Abt, »und Gott sei mit Euch!« In düsterm Selbstgespräch verschwand der Greis hinter seiner Pforte und verwahrte sie durch Schloß und Riegel. »Die Rache des Hauses Douglas wird den armen Greis erreichen, « sagte die Königin. »Gott helfe mir! ich richte jeden zu grunde, dem ich nahe komme.« »Für seine Sicherheit ist gesorgt,« sagte Seyton, hier darf er nicht bleiben, sondern wird nach einem Orte überführt, wo er sichrer sein wird. Doch ich wollte, Euer Gnaden säßen bereits im Sattel ... Zu Pferde! zu Pferde!« Durch die bei den Pferden zurückgebliebne Dienerschaft vermehrte sich die Begleitung von Seyton und Douglas um etwa ein Dutzend. Die Damen saßen alsbald auf und erreichten, unter der Führerschaft von Georg Douglas, das offne Feld. Dann jagten sie in gestrecktem Galopp von dannen. Vierzehntes Kapitel Lange vor Tagesanbruch kamen sie vor den Toren von Niddrie an, einem Schlosse in Westlothian, das dem Lord Seyton gehörte. Heinrich Seyton kam Georg Douglas zuvor, der Königin beim Absteigen zu helfen, und sich auf ein Knie niederlassend, ersuchte er sie, einzutreten in das Haus seines Vaters, ihres allzeit getreuen Dieners. »Hier kann Eure Majestät in völliger Sicherheit ausruhen, das Schloß ist bereits von streitbaren Kriegern zu Eurem Schutze besetzt, und ich habe meinem Vater durch expressen Boten zu wissen getan, daß Ihr hier seid. Wir dürfen seiner schnellen Ankunft mit einer Schar von 500 Mann uns gewärtig halten. Erschreckt also nicht, wenn Euer Schlaf durch Pferdegetrappel gestört wird, sondern denkt bloß, daß wir noch weiteren Zuwachs von vermessenen Seytons bekommen.« »Und von bessern Freunden als ihnen kann keine Königin Schottlands bewacht werden!« erwiderte Maria. »Mein Zelter hat ja den alten leichten Trab behalten, aber es ist so lange her, daß ich nicht mehr über Feld und Heide geritten bin, und ich fühle mich recht matt. Ach, Ruhe wird mir recht willkommen sein! ... Katharina, mein Lieb, Du mußt heut nacht mit in meinem Zimmer schlafen, und mich morgen Deinem Vater zuführen. Dank, vielen Dank meinen Befreiern insgesamt! Was kann ich ihnen anders bieten als Dank und gute Nacht? Doch erklimme ich noch einmal die Höhe von Fortunens Rad, dann will ich nicht Fortunens Binde tragen, sondern will meine Augen offen halten und Freund und Feind zu unterscheiden wissen.. Seyton, es wird kaum von nöten sein, den hochwürdigen Abt, unsern Douglas und meinen Pagen Roland Eurer Gastfreundschaft zu empfehlen?« Heinrich Seyton verneigte sich, und Katharina verfügte sich mit Lady Fleming in das für die Königin hergerichtete Gemach. Hier überließ sich die Königin, während sie scherzend meinte, heute wäre es mit dem Offenhalten der Augen schwerlich das Rechte der Ruhe und erwachte erst, als der Morgen schon weit vorgerückt war. Ihr erster Gedanke, als sie erwachte, war, ob sie auch wirklich die Freiheit wiedergewonnen habe, und sie sprang, einen Mantel über die Schulter werfend, ans Fenster, um sich davon zu überzeugen... O des herrlichen Anblicks, der sich hier bot! Von dem glatten Wasserspiegel, der sich in Lochleven ihren Blicken gezeigt hatte, sobald sie ans Fenster trat, keine Spur! Ueberall wohin sie sah, Wald und Moor, und der ganze Park um das Schloß dicht angefüllt von Kriegerscharen ihrer getreuesten Edlen! »Steh auf, Katharina, steh auf!« rief die entzückte Fürstin, »steh auf und komm her! Sieh, wie die Schwerter und Speere blitzen, wie die Sonne auf den Rüstungen glitzert! da sieh die Fahnen im Winde spielen!.. Großer Gott! ist das eine Lust für meine matten Augen, ihre Wappen zu ermitteln! Da weht die Fahne Deines tapfern Vaters! und dort die des fürstlichen Hamilton, dort die des getreuen Fleming!.. O sieh, sieh Katharina! sie haben mich gesehen und drängen sich näher zum Fenster heran!« Sie riß das Fenster weit auf, und nicht achtend der ungezwungenen Toilette nicht achtend der Locken, die fessellos ihr schönes Haupt umwallten, nicht achtend der Blöße ihres Arms, erwiderte sie durch Mienen und Gebärden das Jauchzen der Krieger, das von weit und breit zu ihr herüber brauste... und dann ward sie der leichten Kleidung, die ihren herrlichen Leib deckte, inne, und rasch trat sie zurück vom Fenster, errötend und die Hände vor die Augen führend, aber draußen erriet man den Grund, weshalb sie so schnell zurückwich, und ein Jubel von Begeisterung brach aus über diese holde Fürstin, die in der Eile, ihren Untertanen ihren Dank zu künden, ihres Ranges und der ihrem Range schuldigen Rücksicht vergessen hatte... Maria warf sich in den nächststehenden Sessel und rief, noch immer errötend, mit unterdrücktem Lächeln: »Mein Lieb! was werden sie von mir denken? wie konnte ich mich ihnen zeigen barfuß in Pantoffeln? bloß in diesem losen Mantel! mit dem fliegenden Haar um die nackten Schultern und Arme? ... O, das beste, was sie denken, mag sein, daß mir der lange Aufenthalt im Kerker den Verstand verwirrt habe! Aber meine Untertanen haben mich schmucklos gesehen und im tiefsten Schmerze, warum sollt ich diesen wackern und treuen Männern gegenüber ein kälteres Zeremoniell zeigen? ... Ach, rufe die Fleming! .. Sie hat hoffentlich das kleine Päckchen nicht liegen lassen, das ich ihr gab, ehe wir Schloß Lochleven verließen. Es barg meine bessern Kleider. Wir müssen Uns doch so stattlich zeigen wir irgend möglich.« »Nein, gnädigste Frau, unsre gute Fleming war nicht im stande, auch nur an das Geringste zu denken,« sagte Katharina. »Du scherzest, Katharina?« fragte, nicht frei von Empfindlichkeit, die Königin, »es liegt doch wirklich nicht in ihrer Art, ihrer Pflicht für meine Garderobe zu sorgen, dermaßen uneingedenk zu sein!« »Roland Gräme, gnädigste Frau,« sagte Katharina, »hat sich des Pakets angenommen und es, ehe er zurückrannte, das Tor zu verschließen, ins Boot geworfen, mir wär's beinahe auf den Kopf gepurzelt ... wirklich, mir ist ein größerer Tolpatsch von Page noch nie vor die Augen gekommen!« »Das soll er Dir abbitten!« sagte lachend die Königin, »nebst allen Dir sonst zugefügten Kränkungen .. Aber rufe die Fleming! sie soll sich mit unsrer Toilette befassen, daß Wir vor Unsern Lords angemessen und würdevoll erscheinen.« Lady Fleming entledigte sich ihrer Aufgabe mit außerordentlichem Talent, und bald trat Maria Stuart, geschmückt als Königin, vor ihre Lords und mit der ihr eigentümlichen Grazie sprach sie nicht bloß jedem einzelnen von ihnen Dank aus für seine Anhänglichkeit und Treue, sondern zeichnete neben den vornehmeren auch manchen der geringeren Barone durch huldvolle Ansprache aus. »Und wohin nun, meine Lords?« fragte sie. »Welche Route habt Ihr in Euren Beratungen festgestellt?« »Nach Schloß Draphane,« antwortete Lord Arbroath, »sofern es Eure Majestät gut heißen. Von da nach Dumbarton. Dort werden Eure Majestät in völliger Sicherheit sein. Und wir, wir werden abwarten, ob die Verräter sich wirklich in offner Feldschlacht uns stellen werden.« »Und wann brechen wir auf?« »Nach dem Frühstück, sofern Eure Gnaden nicht zu sehr angegriffen sein sollten,« sagte Lord Seyton. »Eure Wünsche, Mylords, sind auch die meinigen,« antwortete die Königin; »Wir richten Unsre Reise ganz nach Eurer Weisheit ein und hoffen, künftighin durch Eure Weisheit Herrscherin zu sein in Unserm Lande. Doch werdet Ihr meinen Damen und mir, meine lieben Lords, gestatten mögen, in Eurer Gesellschaft unser Frühstück einzunehmen.. Wir müssen uns jetzt als halbe Krieger ansehen und höfisches Zeremoniell beiseite setzen.« Manch behelmtes Haupt verneigte sich tief bei diesem huldreichen Erbieten.. da bemerkte Maria, daß unter den versammelten Führern Douglas sowohl als Roland Gräme fehlte, und sie flüsterte Katharina eine diesbezügliche Frage ins Ohr. »Sie sitzen mißmutig in der Kapelle, Majestät,« erwiderte Katharina, und die Königin bemerkte, daß die Augen ihres Lieblings von Tränen gerötet waren. »Das soll nicht sein,« sagte die Königin. »Unterhalte Dich mit der Gesellschaft. Ich will mich nach ihnen umsehen.« Sie begab sich in die Kapelle, wo sie zuerst Douglas sah, der in einer Fensternische lehnte, mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, und die Arme über der Brust zusammengeschlagen hielt. Als er der Königin ansichtig wurde, schreckte er zusammen. Dann verklärte sich seine Miene, aber gleich wieder wich seine jähe Freude ebenso jäh einem Anfluge von Schwermut. »Was soll das heißen, Douglas?« fragte die Königin. »Warum flieht derjenige, dessen kühnem Plane ich meine Freiheit doch nur zu danken habe, Unsre gesellige Tafel?« »Gnädigste Frau,« erwiderte Douglas, »all die Lords, denen Ihr die Gnade Eurer Gegenwart gewährt, führen Euch streitbare Mannen zu und bringen Euch Schätze zum Unterhalt Eures Hofstaats oder besitzen Burgen, Euch zu bergen. Ich aber bin ein heimatloser Mensch, der weder Mannen noch Schätze noch Burgen sein nennt, der enterbt ist vom Vater, der belastet ist mit dem Fluche seines Hauses und seines Geschlechtes, der ausgestoßen ist von allen, die den Namen Douglas führen. Ich bring Euch nichts zu Eurem Banner als ein bloßes Schwert und das armselige Leben seines Trägers.« »Wollt Ihr mir Vorwürfe machen, Douglas, über die Verluste, die Euch betroffen haben?« fragte, selbst vorwurfsvoll, die Königin, – »Behüte Gott meine Gnädige,« fiel ihr mit Lebhaftigkeit Douglas ins Wort; »stünde es nochmals in meiner Macht, und besäße ich zehnmal mehr Rang und Reichtum und zwanzigmal mehr Freunde, so würde ich nicht anders handeln, als ich gehandelt habe! überreich würde ich alles, was ich verloren, vergolten sehen dadurch, daß ich Eure Majestät als freie Fürstin auf ihrem Throne, auf Schottlands Throne, sähe!« »Warum wollt Ihr Euch denn nicht freuen mit denen, die durch die Freude über den Wiedereintritt dieses Ereignisses zu fröhlicher Tafel versammelt sind?« fragte die Königin. »Gnädigste Frau,« erwiderte der Jüngling; »wenn ich auch ein Enterbter und Ausgestoßener bin, so bin ich doch noch immer ein Douglas, und mit den meisten dieser Adelinge hat meine Familie in Fehde gelebt. Eine kühle Aufnahme ihrerseits wäre für mich eine Kränkung, eine freundliche Aufnahme noch eine größere Demütigung für mich.« »Schäme Dich, Douglas!« rief die Königin, »schüttle solch unmännlichen Trübsinn von Dir! Dem Besten unter ihnen kann ich Dich gleichstellen an Rang und Reichtum, und glaube mir, ich will es auch! .. Begib Dich also in ihre Gesellschaft. Ich befehle es Dir.« »Diese Worte sind genügend,« antwortete Douglas. »Ich gehe. Nur eins erlaubt mir zu bemerken: Nicht um Rang und Reichtum hätt ich getan, was ich getan! Maria Stuart will nicht, und die Königin kann mich nicht belohnen.« Mit diesen Worten schritt er aus der Kapelle und mischte sich unter die Adelinge, setzte sich aber an das untere Ende der Tafel, Die Königin blickte ihm nach und trocknete sich die Augen. »Heilige Gottesmutter, hab mit mir Erbarmen,« flehte sie, »denn kaum haben meine Schmerzen als Gefangne ein Ende gefunden, fangen die Sorgen der Königin wieder an, mich zu bedrücken ... Glückliche Elisabeth! der das Staatsinteresse alles gilt und die sich nie betören läßt durch Herzenssachen! ... Doch nun muß ich den andern Jüngling aufsuchen, wenn verhindert werden soll, daß er und Seyton mit den Dolchen aufeinander losgehen!« Roland Gräme war wohl auch in der Kapelle, aber so weit abseits von Douglas, daß er nicht hatte hören können, was zwischen der Königin und ihm gesprochen worden war. Auch Roland war verdrießlich und in Nachdenken verloren, aber auch seine Stirn heiterte sich auf, als er die Frage aus dem Munde der Königin vernahm: »Wie steht es, Roland? hat Euch der nächtliche Ritt so müde gemacht? Ihr vernachlässigt ja ganz Euren Dienst!« »Gnädigste Fürstin, ich bin nicht müde,« versetzte Roland, »aber es ist mir gesagt worden, der in Lochleven Page gewesen sei, sei nicht mehr Page in Schloß Niddrie, und so hat mich Junker Seyton meines Dienstes überhoben.« »Herr im Himmel!« rief die Königin, »wie bald schwillt diesen jungen Hähnchen der Kamm!... So will ich mich wenigstens gegen Kinder und Knaben als Königin erweisen.. Ihr müßt mir Freunde zusammen werden... Hole mir auf der Stelle jemand den jungen Seyton her!..« Aber kaum war der Name über ihre Lippen, so war auch sein Träger zur Stelle.. »Tretet näher, Seyton! und reicht diesem Jüngling hier die Hand! Ihr wißt doch, was wir ihm zu danken haben bei diesem Werk meiner Befreiung.« »Gern, gnädigste Frau,« antwortete Seyton, »sobald mir dieser Jüngling verspricht, die Hand meiner Schwester nicht zu berühren, denn bisher hat ihm die meinige hierfür gegolten. Will er meine Freundschaft gewinnen, muß er die Liebe meiner Schwester sich aus dem Kopfe schlagen.« »Heinrich Seyton, kommt es Euch zu, Bedingungen zu stellen, wenn ich Gehorsam fordre?« fragte die Königin. »Gnädigste Frau,« sagte Heinrich, »ich bin Euer Diener, als Sohn Eures treuesten Vasallen in Schottland; unsre Habe, unsre Schlosser, unser Blut sind Euch geweiht. Aber unsre Ehre zu erhalten, ist unsre Sache. Ich könnte Weiteres noch sagen. Aber...« »Sprecht weiter, ungestümer Knabe!« sagte die Königin, »was hilft es mir, aus Lochleven befreit zu sein, wenn ich unter das Joch meiner Befreier gezwängt sein soll? wenn man hindern will, gegen jemand gerecht zu sein, der sich mir so treu und eifrig erwies, wie Ihr selbst?« »Laßt Euch nicht die Laune verderben um meinetwillen,« sagte Roland, »dieser Jüngling besitzt als treuer Diener Eurer Gnaden und als Bruder von Katharina Seyton etwas, das ihn feit gegen jeden Zornesausbruch meines Gemüts.« »Ich warne Dich noch einmal, Aeußerungen zu tun,« rief Heinrich stolz, »die sich so anhören, als sei die Tochter des Lord Seyton mehr für Dich als jeden Niedriggebornen Schottlands.« Die Königin wollte eben wieder vermitteln, denn über Rolands Wangen glitt jähe Röte, die es zweifelhaft erscheinen ließ, wie lange seine Liebe zu Katharina den Zorn gegen Heinrich zu dämpfen vermochte, da kam eine andre Person, bislang von niemand beachtet oder bemerkt, aber von Anbeginn Zeuge dieses Auftritts, der Königin zuvor. Aus einer Nische hervor trat eine hohe weibliche Gestalt, die dort gebetet hatte. Es war Magdalena Gräme. Sie wandte sich unmittelbar an den jungen Seyton, anknüpfend an seine kränkenden Aeußerungen gegen Roland. »Aus welchem Tone sind sie denn geformt, die stolzen Seytons, daß das Blut der Grämes kein Anrecht haben sollte, sich dem ihrigen zu vermischen? Wisse, Du hochmütiger Knabe, daß ich diesen Sohn den Sohn meiner Tochter nenne, und daß ich dadurch seine Abkunft von Malisius bezeuge, zubenannt mit dem funkelnden Schwer, von Malisius, Grafen von Strathern. Euer Blut entspringt, glaube ich behaupten zu dürfen, aus keiner edleren Quelle.« »Wackre Mutter,« erwiderte Seyton, »Eure Heiligkeit sollte Euch erheben über solche irdischen Eitelkeiten. Es scheint auch, wie wenn sich Euer Gedächtnis in dieser Hinsicht geschwächt habe, aber um sich der Herkunft als Adeling zu rühmen, muß der Name und Stammbaum des Vaters ebenso vornehm und unbescholten sein wie der der Mutter.« »Und wenn ich Euch sagte, daß er von väterlicher Seite herstammt aus dem Geschlechte der Avenel, nenn ich dann sein Blut edler als das Deinige, hochfahrender Jüngling?« rief die Gräme mit hohem Feuer. »Vom Blute der Avenels entstammte mein Page?« fragte die Königin. »Jawohl, gnädigste Königin!« antwortete Magdalena Gräme. »Roland ist Sohn des Julian von Avenel, des letzten männlichen Erben des uralten Geschlechtes, der in der Schlacht gegen die Leute aus dem Süden fiel.« »Ich habe von dieser traurigen Geschichte gehört,« sagte die Königin. »Also Deine Tochter war es, die diesem unglücklichen Lord in die Schlacht folgte und auf seiner Leiche den Tod fand? Ach, wie viel Wege zum eignen Elend findet doch die Leidenschaft eines Weibes!... Und Du, Roland, bist jenes Kind des Unglücks, das zwischen Leichen und Lebendigen zurückblieb? Heinrich Seyton, Roland ist Dir als Avenel und als Gräme ebenbürtig an Geschlecht und Abkunft.« »Das doch nicht, gnädige Fürstin!« warf Heinrich Seyton ein, »denn wenn die Lieder und Erzählungen, die über diesen Vorfall berichten, die Wahrheit künden, dann war Julian von Avenel ein falscher, treuloser Ritter, und seine Mutter eine Buhlerin, wenigstens ein schwaches, leichtgläubiges Mädchen.« »Jetzt, beim Himmel, Seyton, lügt Dein Mund!« rief Roland, indem er mit der Hand nach seinem Schwerte fuhr. Aber der Eintritt Lord Seytons machte dem Auftritt ein Ende. – »Rettet mich, Mylord!« rief die Königin, »und bringt diese beiden ungestümen Jünglinge auseinander!« »Wie, Heinrich!« sprach der Baron, »sind mein Schloß und die Anwesenheit unsrer Königin für Deinen Hochmut keine Schranken? ... Und mit wem haderst Du? ... Trügt mich dies Zeichen nicht, so steht der Jüngling vor mir, der mir im Streite mit den Leslies so wacker zur Seite stand! Zeig mir das Medaillon, mein Sohn! Beim heiligen Benediktus! es ist derselbe! Heinrich, ich befehle Dir, laß ab von diesem Zwiste, so wahr Dir mein Segen lieb ist!« »Und so weit Dir Meine Huld lieb ist!« setzte die Königin hinzu, »denn fürwahr! mir leistete Roland getreuesten Dienst!« »Jawohl, hohe Fürstin,« rief Heinrich Seyton, »als er das Briefchen in der Scheide Seytonschen Schwertes zu Euch brachte, ohne von Schwert und Scheide mehr zu wissen als das Packpferd, das es auf dem Sattel schleppt!« »Aber ich, die den Jüngling dem großen Werke weihete,« nahm Magdalena Gräme das Wort, »durch deren Rat und Mitwirkung diese rechtmäßige Fürstin unseres Reiches aus ihrer entwürdigenden Haft befreit wurde, ich flehe diese Königin jetzt an, diesen Jüngling einzusetzen zum Erben des schwachen Lohns, den ich mir durch mein Tun verdient habe! ... Hier geht mein Geschäft zu Ende. Huldreiche Königin, Ihr seid frei, seid unumschränkte Fürstin, steht an der Spitze eines mutigen Heers, seid umringt von treuen, tapferen Baronen! ... Meine Dienste könnten Euch in der öffentlichen Meinung nicht mehr nützen, sondern eher schaden. Denn hinfort ruht Euer Glück auf den Schwertern dieser Krieger! Möge ihre Tapferkeit und Treue sich nicht schlechter bewähren als die Treue Eurer weiblichen Untertanen!« »Ihr werdet Uns nicht verlassen, fromme Mutter,« erwiderte die Königin. »Denn wieviel Wir Euch zu danken haben, wissen Wir gar wohl; Ihr habt große Gefahren bestanden, Ihr habt Großes gewagt und habt Großes gewonnen, habt die Augen unsrer Feinde geblendet und den Mut unsrer Freunde befeuert... Nein! fromme Mutter, Ihr werdet nicht von Uns gehen, werdet Uns nicht verlassen in der Morgenröte Unsers wiedererwachenden Glückes, werdet bleiben, bis Wir Zeit gehabt haben, Euch kennen zu lernen, Euch zu danken.« »Ihr könnt diejenige nicht kennen lernen, die sich selbst nicht kennt. Es gibt Zeiten, da wohnt in dieser weiblichen Hülle die Stärke eines Saul, und in diesem gequälten Hirne die Weisheit eines Joseph.. und dann liegt wieder über mir eine Nebelkappe, daß meine Stärke zur Ohnmacht, meine Weisheit zur Torheit wird. Ich habe vor Fürsten und Kardinalen gesprochen, ja selbst vor den Fürsten Deines Stammhauses Lothringen, edelste der Fürstinnen, und nimmer hab ich gewußt, woher mir die Worte kamen, solche Unterredungen zu führen, wie ich die Reden fand, die den Weg fanden zu solchen Ohren... Und jetzt, da ich dieser Worte am meisten bedürfte, jetzt liegt etwas über mir, das den Fluß dieser Worte hemmt, das den Lippen die Kraft raubt, sie auszusprechen.« »Kann ich Dir irgend etwas gewähren zu Deiner Freude, das in meiner Gewalt steht, Dir zu geben,« sprach die Königin, »dann brauchst Du der Beredsamkeit nicht, sondern es genügt der schlichte Name.« »Mächtige Fürstin,« sagte die Gräme, »es beschämt mich, daß in einem Augenblick solcher Erhabenheit einer greisen Frau, deren Gelübde die Heiligen erhörten, deren Arbeit und Mühe in einer gerechten Sache die Gunst des Himmels zu teil wurde, eine Spur menschlicher Schwäche anhaften muß. Aber das wird wohl bleiben, so lange die Welt steht, so lange sterbliche Wesen auf dieser Erde wandeln. Ich will dieser Schwachheit nicht widerstreben, aber es soll die letzte sein, die dieses Herz beschleicht.« Bei diesen Worten nahm sie Roland bei der Hand, führte ihn zur Königin, hieß ihn niederknieen und ließ sich selbst auf ein Knie nieder.. »Hochedle Fürstin,« bat sie, »blickt auf diese Blume! ein mitleidiger fremder Mann fand sie auf einem Schlachtfelde, und lange währte es, ehe meine Augen sahen und meine Arme umschlungen hielten was von meiner Tochter mir allein zurückgeblieben. Um Euretwillen, um des heiligen Glaubens willen konnte ich es über mich gewinnen, die zarte Blume fremder Pflege zu überlassen, ja sie Feinden in die Hände zu geben, denen es vielleicht eine Freude gewesen wäre, sie verkümmern und eingehen zu lassen. Wer mag es denken, was ein ketzerischer Glendinning wohl getan hätte, wenn ihm bekannt gewesen wäre, daß er den Erben der Avenels in seinem Hause hielte? Seitdem habe ich mein Kind nur wiedergesehen in Stunden der Gefahr und in Augenblicken des Zweifels, und nun scheide ich von dem Kinde meiner Liebe für immer, ach! für immer! O, gnädigste aller Fürstinnen, um der vielen beschwerlichen Schritte willen, die ich in Eurer gerechten Sache getan habe, gewährt ihm Euren Schutz! ihm, meinem Roland, den ich nicht mehr Kind nennen darf.« »Ich schwöre Euch zu, Mutter,« sagte tiefbewegt die Königin, »daß um Euret- und seiner selbst willen sein Glück und seine Wohlfahrt Unsre ständige Sorge sein soll.« »Ich danke Euch, erhabne Fürstentochter,« antwortete begeistert die Gräme und drückte ihre Lippen erst auf die Hand der Königin, dann auf die Stirn ihres Enkels. »Und nun,« fuhr sie fort, indem sie ihre Tränen trocknete und sich mit Würde erhob, »nun hat die Erde ihren Anteil, das andre gehört dem Himmel... Löwin von Schottland, zeuch hin und siege! Die Gebete einer Gottgeweihten sollen in fernen Landen und vor fernen Altären für Dich aufsteigen zum Himmel. Wie ein Geist will ich schweifen von Tempel zu Tempel, und wo man selbst meines Heimatlands Namen nicht kennt, soll der Priester fragen, wer ist die Königin des fernen Landes im Norden, für die diese Pilgerin so brünstig zu ihrem Gott betet? Königin, lebe wohl! Möge Dir Ehre werden und irdisches Gedeihen, sofern es des Höchsten Wille ist, und beschließt Er anders, dann möge die Buße, die Du hienieden tun mußt, die ewige Seligkeit Dir bürgen. Ich bitte Dich, laß niemand mir folgen, niemand zu mir sprechen! mein Entschluß ist gefaßt, mein Gelübde muß vollbracht werden!« Mit diesen Worten, und den letzten Blick auf ihren Enkel gerichtet, war sie verschwunden. Roland wollte aufstehen und ihr nacheilen, aber die Königin und Lord Seyton wehrten es ihm. »Beliebt es Euer Gnaden,« sagte Lord Seyton, »nachdem einem jungen Ritter sein Recht geworden, unser karges Morgenmahl mit uns zu teilen? Wir müssen aufsitzen, so zeitig wie möglich, denn bald sollen unsre Fahnen sich spiegeln im Clyde. Ritter Roland Avenel, denn dieser Name und Rang gebühren Euch hinfort, kommt mit uns!« Fünfzehntes Kapitel In der Woche, die auf die Flucht der Königin aus dem Schlosse Lochleven folgte, hatten ihre Anhänger ein stattliches Heer gesammelt, das über sechstausend Krieger zählte. Zu Hamilton hielt sie ihr Hauptquartier, und dorthin drängten sich noch immer neue Ritter und Krieger. Aber auch der Regent hatte, im Namen des Königsknäbleins, ein Heer um sich geschart, das an Zahl dem der Königin zwar nachstand, ihm aber an tüchtigen Führern, wie dem in Frankreich und den Niederlanden gebildeten Murray, dann Morton und dem Laird von Grange, überlegen war. Unter diesen Umständen wäre es für die Königin wohl am geratensten gewesen, eine Schlacht zu vermeiden und durch Verhandlungen mit den Gegnern sich zu sichern, was sie bisher erreicht hatte, aber das Ungestüm ihrer Lords sollte diesen Plan ihrer weiseren Berater zu nichte machen. Wohl war beschlossen worden, mit dem Heere nach Dumbarton zu marschieren und in seinem festen, uneinnehmbaren Schlosse die Person der Königin in Sicherheit zu bringen. Wohl fand in der Ebene von Hamilton eine der glänzendsten Musterungen statt, die über ein schottisches Kriegsheer je abgehalten worden, wohl führte die Gegenwart der von erlesener Edelwache umgebnen Königin Begeisterung in aller Herzen, wohl wuchs das königliche Heer nicht bloß durch profane Krieger, sondern auch geistliche Herren scheuten sich nicht, zu den Waffen zu greifen und ihr Blut für die Königin einzusetzen. Wohl rückte das königliche Heer in sieghaftem Zuge bis vor die Mauern von Glasgow, mit Entfaltung alles kriegerischen Prunkes damaliger Zeit. Dort aber sollte es zur Schlacht kommen, denn hier stellten die Gegner der Königin sich ihrem Heere. Aber ehe wir der Geschichte ihr Recht lassen, müssen wir uns nach zwei Hauptpersonen umsehen, die in dem Heere der Königin Seite an Seite ritten, nach dem Ritter Avenel und dem Abte Ambrosius. Der letztere trug nicht mehr Knappentracht, sondern das heilige Kleid seines Ordens. Seit der Nacht, da die Königin aus Lochleven geflohen war, hatte Roland den Abt nicht mehr gesehen und ihn eben erst wieder im Gefolge der Königin bemerkt. Er hatte sich beeilt, an seine Seite zu reiten und mit entblößtem Haupte ihn um seinen Segen zu bitten. »Der Segen des Klosterabtes von Sankt-Marien, mein Sohn,« antwortete Ambrosius, »gehört Dir. Ich sehe Dich jetzt unter Deinem wahren Namen und in der Rittertracht, die Dir zukommt. Deiner Stirn steht der Helm mit dem Palmenzweige wohl an, und lange habe ich auf die Stunde gewartet, da Du ihn tragen werdest.« »So war Euch meine Herkunft bekannt, frommer Vater?« fragte Roland. »Wohl, doch unter dem Siegel der Beichte, durch Deine Großmutter; demnach stand es nicht in meiner Macht, das Geheimnis zu offenbaren, sondern ich mußte es überlassen, ob sie dies Geheimnis lösen werde oder nicht.« »Was mag ihr Grund gewesen sein, frommer Vater, es so lange zu hüten?« fragte Roland. »Vielleicht Scheu vor meinem Bruder, aber es wäre unbegründete Scheu gewesen, denn mein Bruder Halbert hätte, und wenn es einem Königreich gegolten hätte, keinem Waisenknaben Unrecht angetan, ganz abgesehen davon, daß Euer Anspruch, Roland, in ruhigen Zeiten sich mit dem Anspruche von Halberts Frau, als der Tochter von Julians älterm Bruder, nicht hätte messen können, auch wenn Euer Vater sich so gerecht gegen Eure Mutter erwiesen hatte, wie es, so will ich hoffen, der Fall gewesen ist.« »Von meiner Seite haben sie Ansprüche nicht zu gewärtigen, geschweige zu fürchten,« versetzte Avenel, »denn Schottland ist doch wahrlich groß genug, und manches Lehn ist zu gewinnen, ohne daß ich meinen Wohltäter auszuplündern brauche. Aber beweist mir, hochwürdiger Vater, daß mein Vater gerecht war gegen meine Mutter, und daß ich mich mit Fug und Recht einen Avenel nennen kann ... Ihr macht mich dadurch zu Eurem in Ewigkeit Euch zu Dank verbundenen Sklaven.« »Die Seytons achten Dich, wie ich höre, gering wegen dieses auf Deinem Wappenschilde haftenden Fleckens. Ich besitze aber Mitteilungen vom Abte Bonifazius, die solchen Vorwurf widerlegen können, wenn er ernstlich erhoben werden sollte.« »Gebt mir Kenntnis von diesen Nachrichten, die Balsam für mein Gemüt sind,« rief Roland, »und was mein künftiges Leben vermag ...« »Ungestümer Jüngling,« erwiderte der Abt, »ich müßte fürchten, Dich in dem Gleichgewicht Deiner Seele zu stören, wollte ich Hoffnungen in Dir wecken, die sich nicht erfüllen können – oder vielleicht nicht erfüllen dürften ... Und ist dies jetzt die Zeit dazu? Bedenke, auf welchem gefahrvollen Marsche wir uns befinden, und laß, sofern Du noch eine Sünde zu beichten hast, diese kurze Frist nicht vorübergehen, die Dir der Himmel vielleicht noch spendet zur Beichte und zur Vergebung Deiner Sünden.« »Zu beidem findet sich vielleicht noch Zeit, wenn wir in Dumbarton sein werden,« erwiderte der jugendliche Ritter. »Ja, Du bist ganz wie alle übrigen, und denkst nicht an das alte Wort von den Hähnen, die zu früh gackern!« sagte der Abt. »Noch sind wir nicht in Dumbarton, und ein Löwe sperrt uns den Weg.« »Meint Ihr den Grafen Murray? oder Morton und die andern Meuterer?« rief Roland. »Ehrwürdiger Vater! sie halten dem Anblick des königlichen Paniers nicht stand!« »So sprachen andre auch, die erfahrener sind als Du, Sohn .. Ich komme aus dem Süden zurück, wo ich manchen berühmten Häuptling sprach, der Kriegerscharen warb für die Sache der Königin. Und die hier versammelten Lords verließ ich als weise und besonnene Männer .. aber wie finde ich sie wieder? als rasende Toren! ... Aus bloßem Stolz und eitler Ruhmsucht wollen sie die Königin im Triumph angesichts des feindlichen Heeres unter den Wällen von Glasgow vorbeiführen. Aber nur selten ist der Himmel solchem trotzigen Selbstvertrauen gnädig gesinnt. Wir werden Widerstand finden, und bitterernsten Widerstand!« »Um so besser,« versetzte mit Begeisterung Roland Avenel, »das Blachfeld war meine Wiege.« »Hüte Dich, mein Sohn, daß es Dir nicht zum Sarge werde!« erwiderte der Abt; »doch was hilft es, einem jungen Wolfe von den Gefahren zu sprechen, die ihm drohen von Hetze und Treibjagd? Wer weiß, ob Ihr nicht schon, ehe der Tag sich neigt, erfahren habt, was für Männer es sind, die Ihr jetzt so unbesonnenerweise geringschätzt!« »Was sprecht Ihr da, hochwürdiger Abt?« rief Heinrich Seyton, der zu dem Paare herangeritten war, »haben die drüben etwa Sehnen von Stahl und Muskeln von Eisen? Schlägt ihnen Stahl keine Wunden, und dringt Blei nicht in ihr Fleisch? ... Und sind es Menschen wie wir, dann, hochwürdiger Herr, haben wir wenig zu fürchten.« »Es sind böse Menschen, aber der Krieg erfordert keine Heiligen,« erwiderte der Abt, »Murray und Morton sind bekannt als Schottlands beste Heerführer, noch keiner hat Lindesays oder Ruthvens Rücken gesehen, und den Kirkaldy von Grange nannte der Connetable von Frankreich den ersten Kriegshelden von Europa .. und mein Bruder? auch er führt einen Namen, der zu gut ist für solch ungerechte Sache.« »Desto ruhmvoller für uns!« rief Heinrich Seyton wieder, und seine Mienen strahlten vor Stolz und Freude ... »all diese Verräter von Namen und Rang werden wir auf herrlichem Schlachtfelde vor uns haben. Unsre Sache ist gerecht, unsre Scharen sind zahlreicher, und an Mut und Kraft stehen wir ihnen wahrlich nicht nach, also: Sankt Benediktus! drauf und dran!« Der Abt gab hierauf keine Antwort, aber er schien in Betrachtungen zu versinken, und seine Unruhe und Besorgnis ging auf Roland über, der von jeder Höhe aus, über die sie der Marsch führte, beklommenen Herzens die Blicke über die Türme von Glasgow schweifen ließ, als sei er gefaßt, die Feinde aus ihren Toren brechen zu sehen. Wohl bangte er nicht vor dem Kampfe, aber der Ausgang desselben war zu wichtig für die weitere Gestaltung der Dinge in seinem Vaterlande, wie nicht minder seiner persönlichen Verhältnisse, als daß sich das ungestüme Temperament nicht hätte mäßigen sollen. Liebe, Ehre, Ruhm, Wohlfahrt, alles schien abzuhängen von dem Ausgange einer einzigen Schlacht, die vielleicht zu schnell gewagt wurde, jetzt aber unvermeidlich geworden zu sein schien. Der Heereszug bewegte sich jetzt der Stadt Glasgow gegenüber .. da sah Roland auf den Höhen, die sich vor ihnen hinzogen, Helme blitzen, und nun erkannte er, daß sie besetzt gehalten wurden von einer Kriegerschar, die das königliche Banner entfaltete, gleich dem Heere, dem er angehörte ... und weiter erspähte er, daß aus den Toren der Stadt Fußvolk und Reiterei hervordrang, um die auf dem Höhenzuge postierten Truppen zu verstärken. Nun kamen Reiter über Reiter von der Vorhut herangesprengt mit der Meldung, daß Graf Murray das Blachfeld, das sich vor ihnen dehne, mit seinem ganzen Heere besetzt halte, und daß er den festen Entschluß gefaßt habe, sich dem Heere der Königin zu stellen ... Der Augenblick war also da, in welchem der Mut der Streiter die Feuerprobe bestehen sollte, wo alle jene, die zu voreilig gemeint hatten, sie würden unbeanstandet an der Stadt vorbeimarschieren können, erkennen sollten, daß sie sich in schwerem Irrtum befunden hatten, denn sie sahen sich so plötzlich einem entschlossenen Feinde, der gleich ihnen um die Frage der Herrschaft, ja um die Frage seines weiteren Daseins rang, gegenüber, daß ihnen kaum noch Zeit blieb, einen Entschluß zu fassen, geschweige zu überlegen. Sogleich hatten die Führer sich um die Königin geschart, um einen beschleunigten Kriegsrat zu halten. Marias bebende Lippen kündeten die Bangigkeit, die sie durch eine kühne Haltung und würdevolle Miene zu verbergen trachtete. Aber die Erinnerung an den unglücklichen Ausgang des Treffens von Carberry-Hill war zu schmerzlich, daß es ihr hätte gelingen können, und als sie die Frage an ihre Lords stellen wollte, wie sie sich die Schlachtstellung am günstigsten dächten, da entschlüpfte ihr die andre Frage, ob es nicht möglich sei, der Schlacht noch auszuweichen. »Ausweichen?« rief Lord Seyton voll wilden Feuers; »stehe ich einer gegen zehn dem Feinde gegenüber, dann kann ich von so etwas reden. Aber nun und nimmer, stehe ich ihnen drei zu zwei gegenüber. Und das ist der Fall hier!« »In die Schlacht! in die Schlacht!« riefen ungestüm die Lords wie aus einem Munde. »Wir wollen die Meuterer aus ihrer guten Stellung jagen wie der Hund den Hasen auf die Höhe jagt.« »Verzeiht, edle Lords,« warf der Abt dazwischen, »aber es wäre wohl ebenso gut, den Feind zu hindern, daß er selbst solchen Vorteil gewinne? .. Unser Weg führt durch das Dörfchen oben auf der Höhe, und meiner Meinung nach gewinnt der, welcher es zuerst besetzt, eine sehr feste Stellung, und ist in bedeutendem Vorteil gegenüber dem Gegner.« »Der hochwürdige Herr spricht klug und wahr,« pflichtete die Königin bei; »o eile, eile Seyton, daß Du das Dorf in Deine Gewalt bekommst. Schon rückt der Feind mit Windeseile heran.« Seyton verneigte sich tief und riß sein Roß herum. »Königliche Hoheit vergönnt mir viel Ehre,« sprach er, »ich werde sofort vordringen und mich des Platzes bemächtigen.« »Doch nicht früher als ich, Mylord, denn mir wurde die Führung des Vortrabs übertragen,« rief Lord Arbroath. »Früher als Ihr und jeder Hamilton in Schottland,« rief Seyton, »denn ich habe den Befehl aus dem Munde der Königin ... Folgt mir, Kameraden, Vasallen und Vettern! Sankt-Benediktus, und drauf und dran!« »Und Ihr, meine edlen Vettern und Lehnsmänner,« rief Arbroath, »wir wollen unserseits sehen, wer den Platz zuerst gewinnt, denn wir haben die Ehre des Vortrabs zu wahren! Für Gott und die Königin!« »Unheilkündende Eile und unheilvoller Zwist!« sagte der Abt, als er die Lords mit ihren Scharen wie Rasende von dannen sausen sah, die Höhe zu gewinnen, ohne zu warten, bis ihre Mannschaften sich formiert hatten. »Und Ihr, Ihr jungen Herren!« sprach er vorwurfsvoll weiter, zu Roland und Seyton gewandt, die sich anschickten, den Rasenden zu folgen, »wollt Ihr die Person der Königin unbewacht zurücklassen?« »O, Roland! ach, Seyton! weichet nicht von mir!« bat die Königin, »es fehlt doch wahrlich nicht an Armen, das Schwert zu ziehen in diesem grausen Ringen. Entzieht mir nicht Eure Arme, denen ich mich anvertraue in dieser schweren Gefahr!« »Eure Gnaden dürfen wir nicht im Stiche lassen,« rief Roland und riß sein Roß herum, während er auf Seyton blickte. »Ich hab schon immer drauf gewartet, daß Dir das einfallen werde,« rief ihm der ungestüme Jüngling zu. Roland gab keine Antwort, sondern biß sich auf die Lippen, daß sie zu bluten anfingen. Dann flüsterte er Katharinen zu, indem er an ihren Zelter heransprengte: »Nie habe ich gemeint, daß ich durch persönliches Verdienst mir Anspruch erworben hätte auf Eure Hand. Aber heut habe ich mir Feigheit von Eurem Bruder ins Gesicht vorwerfen lassen, und mein Schwert ist ruhig in der Scheide geblieben! einzig und allein aus Liebe zu Euch!« »Ihr seid alle wie von Sinnen!« sagte Katharina, »mein Vater, mein Bruder und Ihr! An unsre arme Königin solltet Ihr alle denken, und jeder denkt bloß an sein ärmliches Selbst! jeder ist eifersüchtig auf das bißchen persönliche Recht, das ihm zusteht! ... Der einzige unter uns, der seine Besonnenheit wahrt, der ein besserer Feldherr ist als Ihr alle, ist der Mönch ... Hochwürdiger Herr,« sagte sie laut, »war es nicht klüger, wir zögen uns westlich und warteten den Erfolg, den uns Gott beschieden hat, ab, statt hier auf offner Landstraße zu warten, wo wir die Person der Königin doch in unmittelbare Gefahr setzen und unsern Truppen beim Vorrücken hinderlich sind?« »Du hast recht, meine Tochter,« erwiderte der Abt. »Ach, hätten wir doch nur jemand, der uns dorthin geleitete, wo sich die Königin in Sicherheit befände! All unsre Adelinge reiten wie rasend in den Kampf, ohne an die alleinige Ursache dieses Kampfes zu denken.« »Folgt mir,« sprach ein gewappneter Krieger mit geschlossenem Visier und in tiefschwarzer Rüstung, ohne Busch auf dem Helm und ohne Abzeichen auf dem Schilde. »Wir werden keinem Fremden folgen ohne irgend eine Bürgschaft für seine Treue,« sprach der Abt. »Ich bin ein Fremder, doch in Euren Händen,« antwortete der Reiter, »und wollt Ihr mehr wissen, dann wird sich die Königin selbst für mich verbürgen.« Wie gelähmt von Furcht, war die Königin nicht von dem Platze gewichen, auf dem ihr Zelter hielt. Sie lächelte mechanisch, winkte mit der Hand und nickte, wenn Fahnen und Speere der hinter Seyton und Arbroath nachrückenden Scharen sich vor ihr senkten. Doch kaum hatte der schwarze Ritter sich vor ihr verbeugt und ihr ein Wort ins Ohr geflüstert, so rief sie: »Ja, ja, Ihr habt recht!« und als er nun mit lauter, gebietender Stimme befahl: »Ihr Herren, die Königin will, daß Ihr mir folgt!« da rief sie wieder, und zwar mit einem gewissen Grade von Heftigkeit: »Ja, ich will es!« Im Augenblick war alles in Bewegung, denn der schwarze Reiter tummelte jetzt sein Roß und ließ es Sprünge und Wendungen machen, daß man wohl sah, daß er es ganz in der Gewalt hatte. Schnell hatte er das Gefolge der Königin in Ordnung gebracht, dann schwenkte er links um und nahm die Richtung auf ein Schloß, das auf einer kleinen, freien Höhe lag und einen weiten Blick über die zu seinen Füßen liegende Landschaft gestattete. Von ihm aus übersah man die Höhen, um deren Besitz jetzt die beiden Heere rangen und die augenscheinlich bald der eigentliche Schauplatz des Kampfes werden sollten. »Wem gehört das Schloß dort?« fragte der Abt den schwarzen Reiter. »Befindet es sich im Besitze von Freunden?« »Es hat jetzt keinen Herrn oder ist zum wenigsten frei von feindlicher Besatzung,« antwortete der Gefragte, »aber spornt doch, bitte, die beiden Jünglinge an zu größerer Eile! es ist doch wahrlich jetzt keine Zeit, müßige Neugierde für einen Kampf zu zeigen, an dem man keinen Anteil nehmen kann.« »Mir ist das sicher keine Freude,« erwiderte Seyton, »denn ich wäre lieber dort unter dem Banner meines Vaters, als in Erwartung der Aussicht, für treue Hüterpflichten einst Kammerherr zu Holyrood zu werden,« »Der Platz unter dem Banner Eures Vaters wird bald höchst gefahrvoll werden,« sagte Roland, der den Blick, auch während er sein Roß in entgegengesetzter Richtung lenkte, den beiden im Kampfe befindlichen Heeren zugewandt hielt, »denn die von Osten im Anmarsch befindliche Schar wird das Dorf wohl eher erreichen, als es Lord Seyton wird besetzen können.« »Es ist doch bloß Reiterei,« erwiderte Heinrich Seyton, »und ohne Büchsenfeuer läßt sich das Dorf doch nicht halten.« »Seht schärfer hin, und Ihr werdet erkennen,« erwiderte Roland, »daß hinter jedem dieser Reiter ein Krieger zu Fuße marschiert.« »Beim Himmel, er hat recht,« pflichtete der schwarze Reiter bei, »es muß einer von Euch auf der Stelle dem Lord Seyton hiervon Meldung machen! und dem Lord Arbroath desgleichen, damit sie nicht ohne Fußvolk weiter vorrücken, sondern ihre Mannschaft so schnell wie möglich in rechte Ordnung bringen!« »Ich will hinüberreiten,« rief Roland, »ich bemerkte die Kriegslist des Feindes zuerst!« »Meines Vaters Banner steht in Gefahr,« erwiderte Heinrich Seyton, »mithin steht mir das Recht zu.« »Ich lasse der Königin die Entscheidung,« sagte Roland Avenel. »Muß einer von Euch mich verlassen,« entschied die Königin, »so sei es Seyton. O, über diesen neuen Zwist in meinem Gefolge!« klagte sie. »Habe ich nicht Feinde schon mehr als genug? müssen sich auch meine Freunde fortwährend in Fehde setzen?« Seyton gab, nachdem er sich so tief verbeugt hatte, daß die weißen Federn des Helmbusches die fliegende Mähne seines Rosses berührten, diesem die Sporen und sauste mit Windeseile über das Blachfeld und die Höhe hinauf, die sein Vater noch immer nicht erreicht hatte, trotzdem ihn kein Hindernis aufhielt. »Mein Bruder! mein Bruder! mein Vater!« schrie Katharina, von Todesangst ergriffen, »sie schweben in Todesgefahr, und ich – ich befinde mich in Sicherheit!« »O Gott! könnte ich doch bei ihnen sein!« rief Roland, »jeden Tropfen ihres Blutes wollte ich mit dem doppelten Maße des meinigen erkaufen!« »Zur Königin, zur Königin, Fräulein Seyton!« rief der Abt, »sie wird immer schwächer!« Man hielt jetzt vor dem Schlosse. Die Damen halfen der Königin aus dem Sattel. Aber als sie dem Schlosse zuschreiten wollten, wehrte sie dem, indem sie mit matter Stimme bat: »Nicht dorthin! nicht dorthin! In diese Mauern setz ich den Fuß nie wieder!« »Zeigt Euch als Königin, gnädigste Frau,« sagte der Abt, »und vergeßt, daß Ihr ein Weib seid!« »O, weit, weit mehr noch muß ich vergessen,« klagte die hohe Frau, »ehe ich das Auge auf diesen wohlbekannten Schauplatz lenken kann. Ich muß die Tage vergessen, die ich hier gelebt habe als Braut des unglücklichen ... des ermordeten ...« »Es ist Schloß Crookstone,« sagte die Fleming, »wo die Königin ihren ersten Hof gehalten hat, nach ihrer Vermählung mit Darnley.« »Himmel,« seufzte der Abt, »Deine Hand lastet schwer auf uns! Und doch, hohe Frau, ermannt Euch! Eure Feinde sind die Feinde der heiligen Kirche, und heute wird Gott seine Entscheidung treffen darüber, ob Schottland dem katholischen Glauben treu bleiben oder in Ketzerei versinken wird.« Schweres Kanonen- und Musketenfeuer gab seinen Worten furchtbaren Nachdruck und schien von tieferem Eindruck auf die Königin zu sein als geistliche Zusprache. »Dorthin,« flüsterte sie, auf einen Eichenbaum weisend, der dicht bei dem Schlosse auf einer kleinen Höhe stand, »dorthin! ich kenne sie gar gut, die Stelle! von da habt Ihr eine Aussicht besser als von den Höhen von Schehallion.« Sie machte sich von ihren Begleiterinnen los und eilte festen, aber leidenschaftlichen Schrittes, auf den Baum zu. Der Abt, Katharina und Roland folgten ihr, während Lady Fleming die geringeren Personen ihres Gefolges zurückhielt. Auch der Reiter in schwarzer Rüstung begleitete die Königin. Wie der Schatten dem Licht, doch immer im Abstände von etwa einem halben Dutzend Schritte, die Arme über der Brust verschränkt, folgte er ihr. Maria blickte ihn nicht an, sondern hielt die Augen nach wie vor auf jenen Eichenbaum geheftet. »O Du schöner, herrlicher Baum,« rief sie wie in Verzückung, wie wenn sie sein Anblick den grausen Auftritten der Gegenwart entrückte – und auch jenes andre Grausen von ihr gejagt hätte, das beim ersten Anblick dieser Stätte ihr Herz erfüllt hatte – »O, da stehst du noch immer in deiner wundersamen Pracht! unbeirrt um das Kriegsgetöse, das dich umtobt! O, wer erzählen könnte wie du! alles, alles ist verrauscht, seit ich dich zum letzten Male sah! die Liebe ist verflogen, der Geliebte ist hin! die Schwüre sind verhallt, und der sie leistete, wandelt nicht mehr unter den Lebenden, kann nicht mehr aufblicken zu deiner und zu jener andern Krone, die so viel schwerer lastet als deine! ... Aber, hochwürdiger Abt, wie steht die Schlacht? Zu unserm Vorteil, will ich hoffen – Aber, ach! ach! was sonst als Unheil könnten Marias Augen erschauen von dieser Stätte aus!« Begierig richteten ihre Begleiter die Blicke auf das Schlachtfeld, aber nichts andres ließ sich erkennen, als daß noch immer wild um das Dorf gerungen wurde. Dagegen ließ der andauernde Kanonendonner die Folgerung bestehen, daß noch keine der beiden Parteien im Rückzuge sein könne. »Manche Seele wird zum Himmel gerufen oder zur Hölle,« sprach der Abt, »Ihr unter uns, die Ihr Euch zur heiligen Kirche bekennt, laßt uns knieen und beten, daß uns der Sieg werde in diesem grausigen Kampfe!« »Nicht hier – nicht hier!« rief die unglückliche Königin, »betet nicht hier, frommer Vater, oder betet leise! denn mein Gemüt ist in zu heftigem Kampfe zwischen einst und jetzt, als daß es wagen könnte, sich dem göttlichen Throne zu nahen. Oder wenn Ihr beten wollt, dann betet für ein armes Weib, dem seine heiligsten Empfindungen zu den schwersten Verbrechen wurden, und das aufhörte, Königin zu sein um deswillen, weil es ein Weib war, das für die Liebe empfänglich war und durch Liebe getäuscht und betrogen wurde!« »Wäre es nicht geraten,« sagte Roland, »wenn ich näher an die Heere heran ritte, und die Entscheidung des Tages zu erspähen suchte?« »Tu' das in Gottes Namen,« antwortete der Abt, »denn sind unsre Freunde geschlagen, so müssen wir schleunigst fliehen, aber sieh Dich vor, daß Du nicht zu dicht in die Schlacht hinein gerätst, denn mehr als Dein eignes Leben hängt davon ab, daß Du wieder zurückkehrst.« »Fürchtet nichts! ich werde auf der Hut sein!« rief Roland, und ohne weitern Bescheid abzuwarten, sprengte er nach dem Blachfeld hinüber, wo die Heere im schrecklichen Ringen waren. Bald hatte er einen Hügel gewonnen, der in größerer Nähe an dem Höhenzuge lag, um den die Scharen Lord Seytons stritten, und behutsam, um in keine feindliche Schar zu geraten, drang er weiter vor. Stärker dröhnten die Schüsse ihm in die Ohren, immer wilderes Geschrei erfüllte die Luft, und immer stärker schlug ihm das Herz, je mehr er sich dem eigentlichen Kampfgewühl näherte, dessen Schauplatz ein Hohlweg war, in den sich der Vortrab der Königin in unbedachter Hitze gewagt hatte, um von ihm aus auf dem kürzesten Wege zu dem Dorfe hinauf zu gelangen. Hier aber waren sie von den feindlichen Truppen unter Anführung des wilden Kriegshelden Kirkaldy und des klugen Grafen Morton gestellt worden, und in dem Bemühen, sich zu dem jenseits vom Hohlwege aufgestellten Heere durchzuschlagen, hatten sie schon sehr schwere Verluste erlitten. Da aber ihre Schar fast durchgängig aus Adelingen bestand, die zu den besten Lanzenkämpfern von ganz Schottland gehörten, waren sie, aller Hindernisse ungeachtet, vorgedrungen und griffen, als Roland auf der Höhe anlangte, den Vortrab des Regenten am Schlüssel des Engpasses mit grimmiger Wut an, während ihre Gegner, nicht gewillt, den erstrittenen Vorteil aufzugeben, die Angreifer mit gleicher Hartnäckigkeit zurückzudrängen suchten. »Gott und die Königin!« erscholl es auf der einen, »Gott und der König!« auf der andern Seite. So mochte der Kampf wohl eine Stunde getobt haben, als Roland eine Abteilung Fußvolk erblickte, die sich um den Fuß des Hügels, auf dem er selbst stand, mit einigen Reitern an der Spitze, herumschlängelte, um dem Vortrab der Königin in die Flanke zu fallen. Auf den ersten Blick erkannte er in dem Führer des Zugs seinen alten Dienstherrn, den Ritter von Avenel, und ein zweiter Blick sagte ihm, daß derselbe den entscheidenden Streich gegen den Vortrab der Königin zu führen vorhatte ... Und wirklich, dieser Eingriff frischer Mannschaft in den Kampf sollte die Entscheidung herbeiführen! Die Schlachtordnung der angreifenden Ritter, die bislang eine finstre, dichtgeschlossene Reihe von Helmen mit wallenden Federbüschen gebildet hatte, wurde im Nu durchbrochen, und nicht lange mehr dauerte es nun, so war der Vortrab der Königin von dem so lange umstrittenen Hügel verjagt. Umsonst riefen die Lords ihren Mannen zu, die Schlacht zu halten, umsonst kämpften sie selbst weiter, als bereits aller Widerstand umsonst war, wer nicht wich, wurde erschlagen, niedergestampft oder in die Flucht hineingerissen. Roland erkannte die Notwendigkeit, auf der Stelle das Pferd zurückzuwenden, nach Schloß Crookstone zurückzureiten und, sofern es noch möglich war, den Versuch zur Rettung der Königin zu machen. Aber als er am Fuße der Höhe Heinrich Seytons ansichtig wurde, der, abgeschnitten von den seinigen, mit Staub und Blut bedeckt, sich verzweiflungsvoll gegen eine Schar von Feinden wehrte, die, durch seine strahlende Rüstung angelockt, auf ihn eindrang, da gab es für Roland kein Besinnen. Wie ein Wettersturm war er die Höhe hinunter gesaust und machte mit ein paar wuchtigen Hieben zwei der wildesten Gegner Seytons nieder, worauf die andern sich zur Flucht wandten. Dann hieß er Seyton die Mähne seines Roßes packen. »Heut leben wir zusammen oder finden zusammen den Tod,« rief er, »haltet Euch fest, bis wir aus dem dichtesten Gewühl heraus sind. Dann ist mein Roß Euer.« Seyton hörte ihn und bot die letzten Kräfte auf, sich an dem Rosse zu halten. Aber kaum war Roland zu der Stelle gelangt, von wo aus er den Ritter von Glendinning aus dem Hinterhalte hervorbrechen sah, so ließ Seyton die Mähne des Rosses fahren und sank, aller Bemühungen Rolands, ihn zu stützen, ungeachtet, rücklings zu Boden. »Laß mich liegen,« sagte er mühsam zu Roland, während ihm das Blut aus Mund und Nase hervorschoß, »es war meine erste und letzte Schlacht. Ich hab zuviel von ihr gesehen, als daß es mich nach dem Ende noch verlangen sollte. Reite zur Königin, rette sie und sag Katharina einen letzten Gruß, Jetzt wird sie niemand mehr mit mir verwechseln ... oder mich mit ihr ... der letzte Hieb, den ich von den Wichten bekam, ohne ihn parieren zu können, hat mir den Rest gegeben.« »Laßt mich Euch auf mein Pferd hinaufheben!« rief Roland eifrig. »Noch immer könnt Ihr gerettet werden. Ich kann mich zu Fuße zurückfinden. Wendet mein Roß bloß nach Westen, und es wird Euch wie der Wind zurück und in Sicherheit schaffen,« »Ich setze keinen Fuß mehr in einen Steigbügel,« versetzte der Jüngling, »leb wohl, Roland! Du bist mir im Tode lieber geworden, als ich mir im Leben je hätte denken können. Aber bleib nicht müßig stehen bei einem Sterbenden, sondern eile zur Königin! ... Eins noch, Roland! ich wär froher, wäre meine Hand rein vom Blute des alten Hausmeiers ... Sancte Benedicte! ora pro nobis! [Heiliger Benedikt, bete für uns!] « Die letzte Anstrengung, die es ihm verursachte, diese Worte hervorzustoßen, kostete ihn den letzten Hauch, und er sank tot nieder. Roland erinnerte sich, als er den Jüngling verscheiden sah, der ihm fast aus der Erinnerung gewichenen höheren Pflicht, aber er war nicht der einzige, der die letzten Worte des Sterbenden vernommen hatte. »Die Königin! wo ist die Königin?« rief eine Stimme, deren Klang ihm nicht fremd war, und als er sich umdrehte, erkannte er seinen alten Dienstherrn Sir Halbert Glendinning, der, von einigen Reisigen gefolgt, herangesprengt kam. Roland gab keine Antwort, sondern wandte sein Roß und sprengte, was sein treues Tier rennen konnte, weg in der Richtung auf Schluß Crookstone. Mit eingelegter Lanze, aber in schwerer Rüstung und auf minder flinkem Rosse, setzte Sir Halbert hinter ihm drein und rief ihm zu: »Haltet, Ihr mit dem Palmenzweig! und beweist Euer Recht, ihn als Helmzier zu tragen! Halt, Memme, oder ich renn Dir die Lanze von hinten durch den Leib wie einem Feigling! .. Ich bin der Ritter Avenel, Halbert Glendinning, und keiner außer mir trägt den Palmzweig als Helmzier mit Recht!« Roland fühlte aber kein Verlangen, mit seinem ehemaligen Herrn einen Kampf zu bestehen, zumal er wußte, daß die Sicherheit der Königin von seiner Eile abhing. Mit keiner Silbe erwiderte er auf die Schmährufe des Ritters, sondern ritt in rasendem Galopp in der Richtung nach dem Schlosse weiter. Um ein paar hundert Schritte war er dem Verfolger voraus, da sah er unter dem Eichenbaum die Königin bereits auf ihrem Zelter halten. So laut er konnte, rief er: »Feinde! Feinde! Reitet, schöne Frauen! reitet, so schnell Ihr es vermögt! Und Ihr, tapfre Kampfgenossen! erfüllt Eure Pflicht, sie zu schützen!« Im andern Augenblick hatte er seinen Gaul gewandt und rannte gegen den vordersten aus der feindlichen Schar mit solcher Wucht seine Lanze, daß Roß und Mann zu Boden schlugen. Während er sich nun gegen den nächsten wandte, ritt der Ritter mit der schwarzen Rüstung, der sich von dem Gefolge der Königin getrennt hatte, um die Feinde aufzuhalten, auf Sir Halbert Glendinning ein. Mit solcher Wucht prallten sie wider einander, daß beider Rosse zu Falle kamen und beide Reiter sich auf dem Boden wälzten. Keiner von beiden konnte aufstehen, denn der schwarze Reiter war von Glendinnings Lanze durchbohrt worden, und diesen drückte die Last seines Pferdes, daß er sich in nicht viel bessrer Lage befand als sein auf den Tod verwundeter Gegner. »Ergebt Euch, Herr Ritter von Avenel, auf Gnade und Ungnade!« rief Roland, der einen zweiten Knappen des Ritters soeben in den Sand gestreckt hatte und es sich angelegen sein ließ, den Ritter von weiterem Kampfe abzuhalten. »Ich kann leider nicht anders,« versetzte der Ritter, »aber ich schäme mich, das Wort zu solch einer Memme, wie Dir, zu sagen.« »Braucht solches Wort nicht, Sir Halbert,« rief Roland und schlug sein Visier zurück, während er seinem Gefangnen unter dem Pferde hervorhalf ... »ich hätte mich Euch gestellt, wie es einem rechtlichen Manne zusteht, hätte mich nicht die Erinnerung an die gütige Behandlung, die mir in Eurem Schlosse von Euch, mehr aber noch von Eurer Gemahlin zu teil geworden ist, davon zurückgehalten.« »Der Page meiner Frau!« rief außer sich vor Verwunderung Sir Halbert. »Ha, Elender! von Deinem schimpflichen Verrat in Lochleven habe ich vernommen!« »Mach ihm keinen Vorwurf, Bruder!« sprach Abt Ambrosius. »Er war nur Werkzeug in Gottes Hand.« »Zu Pferde! zu Pferde!« rief Katharina Seyton, »sitzt auf, oder wir sind verloren! Ich sehe unser stattliches Heer in wilder Flucht. Hochwürdiger Abt, zu Pferde! Roland, aufgesessen! Gnädigste Fürstin, da steht Euer Zelter. Wir hätten schon eine Stunde weit sein können.« »Seht hier diese Züge,« sprach die Königin, auf den tödlich verwundeten Ritter in schwarzer Rüstung zeigend, dem eine mitleidige Hand den Helm aufgeschnallt hatte; »blicket auf sie und sagt mir, ob die Frau, die alle ins Verderben stürzt, die ihr in Liebe zugetan sind, einen Fuß breit fliehen sollte, ihr unglückliches Leben zu retten.« Was das Herz der Königin geahnt hatte, das sah sie jetzt! es waren die Züge des unglücklichen Georg Douglas, denen der Tod jetzt sein Siegel aufdrückte. »Seht ihn Euch recht an!« rief die Königin, »so erging es allen, die Maria Stuart liebten! Nichts vermochte sie zu retten, weder den edlen Franz sein königlicher Rang, noch Chatelet sein Witz, noch den heitern Gordon sein Rittermut, noch Rizzio der Wohllaut seiner Stimme, noch Darnley seine edle Gestalt und jugendliche Anmut, noch Bothwell die kecke Gewandtheit und das einschmeichelnde Wesen, noch den wackern Douglas die treue Ergebenheit jugendlicher Schwärmerei ... nichts hat sie retten können! sie richteten den Blick auf die unglückliche Maria, und genug war es für sie, Maria geliebt zu haben, um einen frühen Tod zu leiden! ... Dringt nicht in mich so stürmisch hinein! ich mag nicht weiter fliehen! ich kann ja doch bloß einmal sterben, und ich will hier den Tod erwarten!« In reichem Strome flossen ihre Zähren über das Antlitz des edlen Jünglings, der die Augen mit einer Glut auf sie heftete, die selbst der Tod nicht zu löschen vermochte. »Klaget nicht um mich,« sagte er mit matter Stimme, »sondern bleibt bedacht auf Eure Sicherheit, Ich sterbe als ein Douglas und sterbe, beweint von Maria Stuart!« Mit diesen Worten verschied er. Die Königin, deren Herz so weich und liebevoll war, daß sie die holdeste Gattin abgegeben hätte, wenn ihr das Schicksal einen würdigeren Gatten als Darnley zuerteilt hätte, blieb an seiner Seite und weinte die bittersten Tränen, bis es dem Abt gelang, sie zum Bewußtsein ihrer selbst zurückzubringen. Aber er mußte, um Gehör zu finden, einen Ton anschlagen, den er bisher noch nie geführt hatte. »Auch wir, gnädigste Frau,« sagte er, »haben als getreue Begleiter von Euer Gnaden Freunde und Verwandte zu beklagen. Ich lasse einen Bruder zurück in größter Gefahr, Katharinas Vater und Brüder befinden sich drüben auf blutiger Walstatt, tot oder verwundet, oder als Gefangne eines grimmigen Feindes. Wir vergaßen im Dienste unsrer Königin das Schicksal unsrer Liebsten und Nächsten, und unsre Königin ist so mit ihrem eignen Schmerz beschäftigt, daß sie für uns kaum einen Gedanken findet.« »Ich verdiene Euren Vorwurf nicht, hochwürdiger Herr,« sagte die Königin und trocknete ihre Tränen, »aber ich leihe ihm Gehör ... wohin sollen wir uns begeben? ... Was sollen wir beginnen?« »Wir müssen fliehen, und zwar auf der Stelle,« erwiderte der Abt; »wohin, ist nicht so leicht zu sagen; aber darüber können wir uns unterwegs klar werden. Hebt die Königin in den Sattel, und laßt uns aufbrechen.« Es wurde aufgebrochen. Roland bedeutete die Begleiter des Ritters von Avenel, nach dem Schlosse Crookstone zu reiten, und begehrte für die Freilassung des Ritters kein andres Lösegeld als das Versprechen für sich und sein Gefolge, die Richtung als Geheimnis zu hüten, die er mit der Königin einschlüge. Als er sein Roß wandte, gaffte ihn das ehrliche Gesicht Adam Woodcocks an, mit einem solchen Ausdruck von Staunen und Verwunderung, daß er zu andrer Zeit sich vor Lachen ausgeschüttet hätte. Woodcock war mit unter den Reitern des Ritters von Avenel gewesen, die seinen starken Arm zu fühlen bekommen hatten. Roland vergaß nicht, ihm ein paar Goldstücke – die er der Freigebigkeit der Königin verdankte – in die Mütze zu werfen, die noch auf der Erde lag, und mit einem freundlichen Abschiedsgruß sprengte er von dannen, um die Königin einzuholen, die schon weit hinunter den Hügel gelangt war. »Es wird doch kein Hexengold sein,« meinte der ehrliche Falkner, indem er die Stücke einzeln untersuchte und betastete, »und Herr Roland war's doch auch, das steht bombenfest! denn es war noch immer die gleiche derbe Faust, die sich nicht besinnt zuzuschlagen ... Na, das wird der lieben Schloßherrin lieb sein zu hören, denn sie trauert wirklich und wahrhaftig um ihn, als wenn der Junge ihr leibliches Kind wär! Und wie flott der Kerl einherritt! Das muß man ihm lassen. Aber diese leichtfüßigen Burschen kommen ebenso sicher obenauf, wie der Schaum aufs Bier! ... Ein Falkner bleibt doch ein ganzer Kerl Zeit seines Lebens!« Mit diesen Worten begab er sich zu seinen Kameraden, die jetzt in größerer Zahl sich eingefunden hatten, und half ihnen, seinen Herrn, der unter einer starken Quetschung litt und sich noch nicht bewegen konnte, in das Schloß hinein tragen. Sechzehntes Kapitel Unter bittern Tränen vollzog sich die weitere Flucht der Königin. Es waren der zerstörten Hoffnungen, der vernichteten Aussichten, der gefallenen Freunde auch gar zu viel, aber am meisten von allem ging ihr der Verlust Seytons und des wackern Douglas nahe, so nahe wie der Verlust des Thrones, den sie fast wiedergewonnen hatte! Katharina, ängstlich besorgt, den Mut im Herzen ihrer Gebieterin aufrecht zu erhalten, verbarg ihren Schmerz, während der Abt sich vergeblich mühte, für die nächste Zukunft einen Plan zu entwerfen, auf den sich einigermaßen bauen ließe. Bloß Rolands Mut blieb ungebeugt. »Eure Majestät hat eine Schlacht verloren,« sagte er, »doch gedenkt Eures Ahnherrn Bruce, der sieben Schlachten hintereinander verlor, ehe er sieghaft den Thron Schottlands besteigen konnte, ehe er als Sieger auf dem Schlachtfelde von Bannockburn die Unabhängigkeit seines Vaterlandes errang. Und ist diese Heide nicht unendlich besser als das von Wasser umschlossne, modrige Schloß Lochleven? ... Können wir sie nicht frei durchschweifen? Wir sind frei, Majestät! in diesem einzigen Worte liegt ein Trost für alle Verluste!« Eine kühne Saite war es, die er anschlug, aber sie hallte nicht wider in Marias Herzen. »Besser, ich wäre in Lochleven geblieben,« klagte sie, »als daß ich solche Niederlage meiner treuen Untertanen durch diese Meuterer erleben mußte! Redet mir nichts von neuen Versuchen! sie möchten doch bloß Euch und allen meinen übrigen Freunden das Leben kosten! und ich könnte es nicht noch einmal ertragen, was ich in diesen Tagen gelitten habe! O, war das ein Anblick, als ich die blutdürstigen Reiter dieses Morton unter den getreuen Seytons und Hamiltons wüten sah! und weshalb sind sie gefallen im blutigen Kampfe? um meinetwillen! ... Nicht noch einmal möchte ich leiden, was ich gelitten habe, als das Blut des edlen Douglas meinen Mantel bespritzte um seiner Liebe zu Maria Stuart willen! ... und könnte ich Kaiserin werden über alle Besitztümer der britischen Krone! Nennt mir einen stillen Ort, wo ich mein Haupt verbergen kann, das Verderben bringt über alle, die mich lieben ... das möge der letzte Liebesdienst sein, den ich, Maria Stuart, von meinen Getreuen erbitte.« Nachdem zuerst Lord Herries mit einer kleinen Schar sie eingeholt hatte, zog Maria Stuart in dieser tiefen Niedergeschlagenheit in die Abtei von Dundrennen ein, die etwa zwanzig Stunden von dem Schlachtfelde entfernt lag, das ihres Ruhmes Grab werden sollte. In diesem entfernten Winkel von Galloway waren die neuen Kirchengesetze noch nicht mit jenem Eifer und jener Strenge durchgeführt worden, wie in den der Hauptstadt näher gelegnen Stätten. Hier hausten und beteten noch einige Mönche unbehelligt in ihren Zellen, und der Prior der Abtei hieß die flüchtige Königin unter Tränen und mit tiefer Ehrerbietung an der Klosterpforte willkommen. »Ich bring Euch Unglück, frommer Vater,« sagte die Königin, als sie von ihrem Zelter gehoben wurde. »Solch Unglück soll willkommen sein,« erwiderte der fromme Mann. Als die Königin zu ihren Kammerfrauen trat, betrachtete sie einen Augenblick ihren weißen Zelter mit trauriger Miene, dann sagte sie zu Roland: »Gib acht, mein Lieber, daß die arme Rosabella nicht Not leide. Der liebe Douglas hat dafür gesorgt, daß ich mein altes treues Pferd wieder reiten konnte. Es hat dem lieben Menschen viel Mühe gemacht, es aus dem Marstall des Regenten für mich zu beschaffen. Frag Dein eignes Herz, warum ich in dieser trüben Stunde Dich um diesen Liebesdienst ersuche.« Die Königin wurde in ihr Zimmer geführt, und hier wurde in übereilter Beratung der verhängnisvolle Entschluß gefaßt, in England eine Zuflucht für die unglückliche Königin zu suchen. Am andern Morgen gab sie hierzu ihre Einwilligung, und es wurde zu der nächsten Grenzvogtei ein Bote gesandt mit dem Ersuchen um Aufnahme und sichres Geleit für die Königin von Schottland. Am andern Tage ging der Abt mit Roland im Abtei-Garten spazieren, und hier sprach er in heftiger Erregtheit sein Mißfallen über den gefaßten Entschluß aus. »Besser wäre es gewesen, die Königin überantwortete sich den rauhen Hochländern im Gebirge, als daß sie sich der treulosen Elisabeth ins Garn lieferte, die ja doch darauf ausgeht, sich den Thron von Schottland selbst in die Hände zu spielen! Roland,« sagte er, »Lord Herries ist treu und ehrlich und wacker, aber durch diesen Rat stürzt er seine Herrin unmittelbar ins Verderben.« »Ja, Verderben folgt uns, wohin wir den Fuß setzen,« sprach ein Greis, der ein Grabscheit in der Hand hielt und die Kleidung eines Laienbruders trug. Der Abt hatte ihn in der Leidenschaft, mit der er sich gegen Roland geäußert hatte, nicht bemerkt. »Verderben folgt uns allen, überall. O, staunt mich doch nicht so verwundert an! ja doch, ich bin derselbe, der zu Kennaqhueir Abt Bonifazius hieß, der in Lochleven als Gärtner Blinkhoolie bekannt war und rings durch Schottland gejagt worden ist, bis er wieder Einkehr gehalten hat in jenem Kloster, wo er einst sein Probejahr bestand. Und nun seid Ihr schon wieder da, mich zu verscheuchen? Ach, für einen, dem der Frieden über alles im Leben ging, hab ich ein schreckliches Leben des Unfriedens geführt!« »Wir wollen Euch bald von unsrer Gegenwart erlösen, frommer Vater,« sagte der Abt, »und die Königin wird nun Eure Ruhe wohl nicht mehr stören!« »O, ganz dasselbe habt Ihr früher auch immer gesagt,« brummte der mürrische Greis, »und doch bin ich von Kinroß verjagt worden und unterwegs von Räubern ausgeplündert worden. Das Zeugnis haben sie mir geraubt, von dem ich Euch erzählte – das von dem Baron, der ein Wegelagerer war so gut wie die andern. Ihr habt so oft danach gefragt, und ich konnte es immer nicht finden, sie aber hatten's auf den ersten Griff! Es war ein Attest über die Ehe eines gewissen – ach, mein Gedächtnis läßt mich so sehr im Stich, und Pater Niklas, der hätt Euch hunderterlei Geschichten erzählen können vom Abt Ingelram, Gott hab ihn selig! – Ich geb Euch mein Wort, er war an die neunzig Jahr! und ich, ich – na, wie alt bin wohl ich?« »Hieß der Name nicht Avenel, frommer Vater? ach, besinnt Euch doch!« bat ihn Roland, mit Ungeduld, aber in freundlichem Tone, denn er befürchtete, der Greis möchte sich beunruhigt oder gar verletzt fühlen. »Ja, ja, Avenel!« sagte der Alte, »Julian Avenel, Ihr habt mir auf den richtigen Namen geholfen! Ich hatte, weil ich dachte, mein Gelübde erfordre es, alle Sonderbeichten aufgehoben. Und als mein Nachfolger Ambrosius davon sprach, könnt ich das Dokument nicht finden. Aber die Wegelagerer, ich sag's Euch ja, die haben's gefunden auf den ersten Griff, Und der Ritter, der schlug sich drob an die Brust, daß der ganze Panzer gerasselt hat! – grad wie eine leere Gießkanne!« »Heilige Jungfrau!« rief Pater Ambrosius, »für wen konnte dies Dokument solche Wichtigkeit haben? Wie sah der Ritter aus? welches war sein Wappen, seine Farbe und seine Helmzier? »Ihr verwirrt mich mit so viel Fragen! ich hab mich doch kaum getraut, ihn anzusehen, sie wollten mir schuld geben, ich beförderte Briefe an die Königin, und durchstöberten meinen Mantelsack, aber das ist alles bloß eine Folge von Eurem Treiben in Lochleven!« »Ich hoffe zu Gott,« sagte der Abt zu Roland, der zitternd neben ihm stand, »daß dieses Schriftstück in die Hände meines Bruders gefallen sein möge! Ich hörte davon, daß er zwischen Stirling und Glasgow auf Kundschaft unterwegs sei. Hatte der Ritter nicht einen Palmzweig als Helmzier? Könnt Ihr Euch nicht besinnen, frommer Vater?« »Ach, worauf soll ich mich nicht alles besinnen,« klagte der Greis, »zählt erst der Jahre soviel wie ich, dann wollen wir sehen, worauf Ihr Euch noch besinnen werdet!« Da hörte man vom Ufer her ein Horn erschallen. »Der Totenschrei für die Herrschaft der Königin!« sagte Ambrosius. »die Antwort des englischen Grenzvogtes ist da! sie lautet sicher günstig, denn wann wurde ersehnter Beute das Türchen der Falle verschlossen? ... Doch getrost, Roland! dieser Sache soll auf den Grund gegangen werden, nur dürfen wir jetzt nicht die Königin verlassen! Folge mir, wir müssen unsre Pflicht erfüllen bis zum Ende, wenn wir den Ausgang auch Gott anheimstellen müssen. Leb wohl, frommer Vater! ich werde Dich vielleicht bald wieder besuchen.« Sie gelangten bald zu der Stelle, wo die Königin stand, umringt von ihrem kleinen Gefolge, und ihr zur Seite stand, in reicher Amtskleidung, von Soldaten umgeben, der Sheriff von Cumberland, ein Adeling aus dem Geschlechte der Lowthes. Die Miene der Königin brachte ein wunderliches Gemisch von Bereitwilligkeit und Unlust zur Reise zum Ausdruck. Durch Worte und Gebärden sprach sie ihrem Gefolge Ermutigung und Trost zu, sie schien sich selbst einreden zu wollen, daß der gefaßte Entschluß für ihre jetzige Lage das beste sei, was sie tun könne, sie schien die Zusicherung einer freundlichen Aufnahme und Fürsorge als zureichend zu betrachten; aber das Zittern ihrer Lippen, der unstete Ausdruck ihres Auges strafte sie Lügen, denn beides verriet deutlich ihre Angst, daß sie Schottland den Rücken wenden, und ihre Bange, daß sie der zweifelhaften Treue Englands sich ausliefern solle! »Willkommen, hochwürdiger Abt, und auch Ihr seid willkommen, lieber Roland Avenel,« sprach sie die beiden Getreuen an, »wir haben Euch erfreuliche Kunde zu melden. Der Sheriff Unsrer lieben Schwester Elisabeth bietet Uns in ihrem Namen einen sichern Zufluchtsort vor den Meuterern gegen Unsern Thron. Mir tut es nur leid, daß Wir Uns nun auf gewisse Zeit hier trennen müssen.« »Von uns sollen Eure Gnaden sich trennen?« fragte der Abt; »soll Eure Zuflucht in England nur gewählt werden unter Einschränkung Eures Gefolges, nur unter der Bedingung, daß Ihr Euch Eurer Ratgeber entäußert?« »Faßt es nicht so auf, frommer Herr,« antwortete die Königin, »der Landvogt Unsrer Schwester, ein getreuer Beamter, erachtet es für notwendig, dem ihm zugegangnen Befehle auf das Wort zu gehorsamen, und kann nur zugestehen, daß ich mein weibliches Gefolge mit über die Landesgrenze nehme. Ein Eilbote wird sogleich von London abgehen, der mir meinen Aufenthaltsort meldet. Ich werde unverzüglich nach Euch allen senden, sobald mein Hofstaat eingerichtet wird.« »Euer Hofstaat drüben in England?« fragte der Abt. »Nicht, so lange Elisabeth dort auf dem Throne sitzt! Es müßte denn geschehen, daß wir zwei Sonnen am Himmel wandeln sehen!« »Nicht doch, mein getreuer Abt, nicht doch!« erwiderte die Königin, »Wir sind des festen Glaubens, daß Wir Unsrer Schwester vertrauen dürfen. Elisabeth achtete stets die öffentliche Meinung, und was könnte ihr größern Ruhm bringen, als daß sie einer vom Unglück verfolgten Schwester die Arme öffnet? Dagegen könnte alles, was sie noch Großes und Weises vollbringen könnte, die Schmach nicht austilgen, wollte sie das Vertrauen täuschen oder mißbrauchen, das ich ihr durch diesen Schritt bezeuge ... Drum lebt wohl, meine Lieben! lieber Ritter und liebwerter Abt! wir scheiden, doch nur auf kurze Zeit.« Sie hielt Roland die Hand hin, und er bedeckte sie mit Tränen, während er sich vor ihr auf ein Knie niederließ. Die Königin küßte ihn mit Inbrunst auf die Locken. Roland war willens, auch Katharina diese Huldigung zu teil werden zu lassen, als die Königin mit einer fröhlichen Miene das Wort nahm: »Ei, ihre Lippen, närrischer Junge! und Du, Katharina, sei nicht spröde, die englischen Herren sollen sehen, daß selbst unter unserm nordischen Himmel Schönheit die Treue zu lohnen weiß!« »Wir brauchen weder die Macht schottländischer Schönheit, noch die Gewalt schottländischer Tapferkeit zu lernen,« bemerkte mit viel Höflichkeit der Landvogt von Cumberland, »Aber darf ich Eure Majestät in Erinnerung rufen, daß die Flut in rascher Abnahme begriffen ist?« Der Landvogt faßte die Hand der Königin, und schon hatte sie den Fuß auf das Brett gesetzt, das vom Lande hinüber in das Boot führte, als der Abt wie aus einer Betäubung aufwachte, in die ihn Schmerz und Staunen versetzt hatten. Mit einem Satze war er im Wasser und griff nach ihrem Mantel. »Sie hat es vorher gesehen!« rief er, »gewiß, gewiß! sie hat Eure Flucht in ihr Königreich erwartet und hat, in Voraussicht dieses Ereignisses, ihre Befehle erteilt, Euch so zu empfangen, wie Ihr jetzt empfangen werdet ... Verblendete Fürstin! irre geführte und dem Verderben geweihte Fürstin! Wenn Du den Fuß von diesem Strande setzest, so ist Dein Urteil unterschrieben. Königin von Schottland, Du darfst nicht aus Deinem Kronlande, darfst nicht aus Deinem Erbreiche scheiden. Alle, so in Treue zu Dir halten, müssen Dich hindern an der Ausführung solches unheimlichen Entschlusses, müssen sich hiergegen empören und auflehnen, müssen Dich retten vor Gefangenschaft und Tod, solange es noch Zeit ist. Fürchte nicht die Speere und Bogen, die nur eines Winkes vom Munde dieses Mannes in reicher Amtstracht gewärtig sind! Mit Gewalt wollen wir uns widersetzen. O, schütze uns der Arm meines kriegerischen Bruders! Roland von Avenel, zieh Dein Schwert!« Unschlüssig, zagend stand die Königin, mit einem Fuße auf der Planke, die nach England hinüber führte, mit dem andern Fuße am Strande ihres Heimatlandes, das sie für immer zu verlassen im Begriff stand. »Was soll diese Widersetzlichkeit, Herr Priester?« fragte der Landvogt. »Ich kam hierher auf den Wunsch Eurer Königin, ihr zu Dienst zu sein. Und sobald sie es befiehlt, entferne ich mich wieder, denn so lautet die Weisung, die ich aus London erhielt. Ist es zu verwundern, daß bei den Wirren, die Euer Land zerfleischen, die Weisheit unsrer huldvollen Königin solchen Schritt ihrer königlichen Schwester voraussah? .. Ist sie zu tadeln, weil sie es für weise und gerecht hielt, ihrer königlichen Schwester gastfreie Aufnahme zu entbieten, aber einem geschlagenen Heere den Uebertritt über die Landesgrenzen zu verbieten?« »Ihr hört es,« sprach Maria, indem sie huldvoll lächelnd ihr Gewand aus den Händen des Abtes freimachte ... »Ihr hört es, daß Wir aus freier Wahl dieses Ufer verlassen, und sicher wird es Unserm Willen auch unbenommen bleiben, Uns hinüber nach Frankreich zu begeben, je nachdem Wir Uns in Zukunft zu entschließen für angemessen erachten werden. Zudem ist es jetzt zu spät, Unsern Entschluß noch zu ändern. Euren Segen, frommer Vater, und dann lebt wohl! lebt alle wohl!« »Herrgott, erbarme Dich ihrer!« betete der Abt inbrünstig, »Herrgott, behüte sie und gehe nicht von ihr! ... Aber mein Herz sagt mir, ich sah Dich zum letzten Male, huldvollste aller Königinnen!« Die Segel wurden gespannt, die Ruderer ließen die Riemen ins Wasser fallen, und schnell durchflog das Fahrzeug den Frith, der die Grenze zwischen Schottland und England bildet, oder im engern Sinne genommen, zwischen Galloway und Cumberland. Aber so lange das Fahrzeug noch in Sicht blieb, so lange verweilten die bekümmerten, ihres Dienstes entlassnen Begleiter der schönsten und doch unglücklichsten aller Königinnen am Gestade. Und noch lange, noch lange unterschieden sie in der Ferne das Tuch ihrer Fürstin, mit dem sie der Heimat und den getreuesten ihrer Getreuen ihr letztes Lebewohl, das Lebewohl auf Nimmer-, Nimmerwiedersehen zuwinkte!. Siebzehntes Kapitel Mehrere Tage blieb Roland mit dem Abt Ambrosius in Dundrennan. Dann kam eines Tages Nachricht, und zwar von keiner geringern Seite als von Ritter Halbert Glendinning. Sie sollte ihm Trost bringen über die Trennung von der Geliebten wie auch über das Schicksal der Königin. Atemlos kam der Bote auf dem Schlosse an, und zwar kein andrer als Adam Woodcock war es mit einem Briefe eines Herrn an den Abt, der noch immer nicht, zu des greisen Bonifazius Verdruß, seinen Stab weiter gesetzt hatte. In dem Schreiben wurde Abt Ambrosius dringend aufgefordert, ein paar Tage Schloß Avenel zum Aufenthalt zu nehmen. »Durch die Milde des Regenten,« hieß es in dem Schreiben, »wird Euch Pardon gewährt, Dir sowohl, lieber Bruder, als Roland; aber der Regent knüpft die Bedingung daran, daß Ihr Euch einige Zeit unter meine Aufsicht stellt. Zudem habe ich Dir mancherlei mitzuteilen über Rolands Herkunft, was nicht bloß von Interesse sein wird zu vernehmen, sondern was mir, als dem Manne der ihm am nächsten verwandten Person, die Berechtigung zu gewisser Ueberwachung seiner weiteren Schicksale gibt.« Als der Abt dieses Schreiben gelesen hatte, überlegte er still, in welcher Weise er sein Verhalten am besten einrichte. Inzwischen nahm der Falkner Roland beiseite. »Nehmt Euch nur von jetzt ab wenigstens in acht, Herr Roland,« sagte er, »daß weder Euch noch den Priester wieder irgend welcher pfäffischer Kram vom rechten Pfade abbringe. Da, lest das! und seid Eurem lieben Herrgott dankbar, daß er den alten Bonifazius einen Weg hat ziehen lassen, der ihn uns in die Hände geführt hat. Ein paar von den Seytonschen Leuten haben ihn nach Dundrennan geleitet. Als wir ihn visitierten, in der Erwartung, Nachrichten bei ihm über Eure Heldentat in Lochleven zu finden, die manchem braven Mann das Leben und mir ein paar Knochen geraubt hat, da haben wir Dinge bei ihm gefunden, die besser für Euch taugen, Herr Robert, als für uns.« Nach diesen Worten behändigte Woodcock dem jungen Gräme ein Schriftstück, das sich als ein schriftliches Zeugnis des Bruders Philipp, Sakristans und Mönchs im Sankt-Marienkloster, erwies und den folgenden Inhalt hatte: »Unter Gelobung des Geheimnisses habe ich den Ritter Julian Avenel, Schloßherrn von Avenel, und Katharina Gräme durch das heilige Sakrament der Ehe verbunden. Indem nun aber der Ritter von Avenel es nachher bereut hat, diese Ehe geschlossen zu haben, hat er mich, der diese Ehe eingesegnet hat, als Pater und Sakristan der Abtei von Sankt-Marien, sündlicherweise bestimmt, das arme Fräulein, gemäß einem von ihm ersonnenen Plane, dahin zu bereden, daß sie glauben solle, das Band der Ehe sei ungültig, weil es von einem Geistlichen geschlossen sei, welchem die heilige Weihe fehle, und deshalb völlig außer stande, irgend welche gesetzlichen Folgen zu bewirken. Ich Unterzeichneter erkenne in dieser sündhaften Entstellung einer richtig vollzogenen Ehe den Grund dafür, daß ich einem Zauber unterlegen bin und von einem Wasserkobold irre geführt wurde, daneben von besagter Zeit ab auch stark von Gicht und Podagra geplagt wurden bin. Darum habe ich bei meinem Abte Bonifazius solches gebeichtet und schriftliches Zeugnis darüber hinterlegt, sub sigillo confessionis [unter dem Siegel der Beichte]. Diesem Schriftstück lag ein andres bei, nämlich ein Brief Julians, aus welchem erhellte, daß sich der Abt Bonifazius in dieser Sache auch wirklich bemüht und von dem Baron Julian die ehrenwörtliche Zusage erhalten habe, daß er die Ehe mit Katharina Gräme öffentlich anerkennen wolle. Aber der Tod sowohl des Ritters als seiner ihm angetrauten und von ihm in ihrem Rechte doch so beeinträchtigten Ehefrau, zusammen mit der Abdankung des Abtes Bonifazius, sowie nicht zum wenigsten mit seiner völligen Unkenntnis des Schicksals, das über das unglückliche Kind hereingebrochen sei, und dem ihm anhaftenden trägen und gleichgültigen Sinne hatten die Angelegenheit vollständig in Vergessenheit geraten lassen, und erst eine zufällige Unterredung mit dem Abt Ambrosius über die Schicksale, von denen die Familie Avenel betroffen worden, hatte die Aufmerksamkeit wieder auf sie gelenkt. Abt Bonifazius hatte, auf das Verlangen seines Nachfolgers hin, sich nach dem Zeugnis des Bruders Philipp umgesehen; da er aber von fremder Mithilfe, unter den gewissenhaft aufbewahrten Amtsgeheimnissen zu suchen, nichts wissen mochte, hatte es bei seiner Trägheit und Bequemlichkeit leicht geschehen können, daß diese Angelegenheit wieder im Sande verlief, und das Schriftstück auf immer verborgen geblieben wäre, hätte nicht Halbert Glendinning persönlich sich dazu entschlossen, eine genaue Nachforschung vorzunehmen. »Und so wird es denn nun zum Schlusse noch so kommen,« sagte Adam Woodcock, »daß Ihr Erbe von Avenel werdet, Herr Roland, sobald mein gnädiger Herr und seine Frau Gemahlin das Zeitliche gesegnet haben werden. Ich habe nun bloß noch eine einzige Bitte an Euch, und darum versehe ich mich darauf auch einer günstigen Antwort.« »Steht es in meiner Macht, Woodcock, Euch die Bitte zu gewähren, so dürft Ihr freilich darauf rechnen,« sagte Roland. »Ei, wenn ich's erlebe, daß Ihr die Schloßherrschaft bekommt, Herr Roland,« rief Adam Woodcock keck, »dann füttre ich die jungen Falken wie bisher mit ungewaschnem Fleische weiter!« »Na, meinetwegen,« erwiderte unter Lachen Roland, »füttre sie, wie es Dir paßt. Ich bin zwar bloß um ein paar Monate älter geworden, seit ich Schloß Avenel den Rücken gewandt habe, aber soviel habe ich doch gelernt, daß es mir nicht mehr beikommen wird, einem Manne, der seinen Beruf versteht, in der Ausübung desselben zu widersprechen.« »Nun, daraufhin tausche ich nicht mit dem Falkner des Königs und nicht mit dem Falkner der Königin,« rief Adam Woodcock, »aber die Königin, du meine Güte, wird ja, wie es heißt, eingesperrt, wird also keinen Falkner wieder brauchen! und ich sehe es auf Eurem Gesichte, Herr Roland, die Erinnerung hieran macht Euch betrübt, und mir könnte es ja freilich auch so ergehen, aber was hilft's, das Glück geht nun mal seinen Weg ganz nach seiner Laune, und wenn man sich heiser schriee danach, ändern würde man hierin doch nichts!« Kurz darauf unternahmen der Abt und Roland die Reise nach Schloß Avenel, und sie fanden bei dem Ritter Halbert eine überaus herzliche Aufnahme. Die Dame von Avenel aber konnte Tränen der Freude nicht zurückhalten, als sie den Waisenknaben, den sie so tief in ihr Herz geschlossen hatte, wiedersah und zwar als den einzigen überlebenden Sprößling ihrer Familie. Sowohl der Ritter als auch die Dame von Avenel waren erstaunt über die mit Roland in dieser kurzen Zeitspanne vorgegangne große Veränderung, weit erstaunter hierüber war jedoch die Schloßdienerschaft, und zu ihrem Staunen gesellte sich eine aufrichtige Freude, denn der verhätschelte, anmaßende und zanksüchtige Page war als freundlicher, anspruchsloser Jüngling wiedergekehrt, der viel zu genau wußte, was er zu erwarten hatte, und wie sich die Dinge für ihn schicken mußten, als daß er wie ehedem keck und rücksichtslos einen Respekt hätte fordern sollen, der ihm an sich selbst ja gern und willig gezollt wurde. Wingate, der alte Haushofmeister, war der erste, der seinem Lobe die Zügel schießen ließ über die Veränderung, die mit dem jungen Herrn vorgegangen, und ebenso erklangen wahre Hymnen aus dem Munde der Zofe Lilias, die nur einer Hoffnung noch Ausdruck gab, daß es Gott dem Allgütigen belieben möge, ihn zur Erkenntnis des wahren Glaubens zu führen. Das war jedoch schon lange ein stiller Wunsch Rolands selbst, und als der Abt Ambrosius sich nach Frankreich begab, um dort in ein Kloster seines Ordens zu treten, war das wichtigste Hindernis zur Ausführung von Rolands Absicht, den katholischen Glauben abzuschwören, beseitigt. Ein andres Hindernis war freilich noch seine Pflicht gegen seine Großmutter Magdalena Gräme, aber sein Aufenthalt auf dem Schlosse Avenel war erst von kurzer Dauer, als ihn die Nachricht erreichte, die Großmutter sei in Köln als Opfer einer für ihr Alter zu strengen Bußübung verstorben, der sie sich nach Eintreffen der Kunde von der verlorenen Schlacht bei Longside zum Frommen ihrer Königin und der Kirche Schottlands unterzogen habe. Abt Ambrosius wurde in seiner Gesinnung um vieles gemäßigter und zog sich in ein Schottenkloster auf dem Festlande zurück. Dort führte er ein solches Leben der Frömmigkeit, daß die Klosterbrüder es für angemessen erachteten, die Ehre der Heiligsprechung für ihn zu beantragen. Aber er erriet, was sie vorhatten, und bat sie auf seinem Sterbebett, hiervon Abstand zu nehmen, dagegen seinen Leichnam und sein Herz in der Familiengruft des Geschlechts von Avenel im Sankt-Marienkloster zu Kennaqhueir beisetzen zu lassen, auf daß der letzte Abt des berühmten Gotteshauses unter seinen Trümmern ruhe. Um viele Jahre früher wurde Roland von Avenel mit Katharina Seyton verbunden, die nach zweijährigem Aufenthalt bei ihrer Königin entlassen wurde, weil die Königin Elisabeth von England, beziehungsweise ihre Ministerräte eine Verschärfung der Haft für die unglückliche Maria Stuart für angemessen erachteten. Daraufhin kehrte Katharina in das Haus ihres Vaters zurück, und seitdem Roland als Nachfolger und rechtmäßiger Erbe des alten Geschlechts derer von Avenel anerkannt worden war, und sein Vorgänger, Sir Halbert Glendinning von Avenel, die Besitztümer durch seine Klugheit und Umsicht reich vermehrt hatte, wurde von seiten der Angehörigen des Hauses Seyton keinerlei Widerspruch gegen diese Verbindung erhoben. Ihre Mutter war kurz vor Katharinas Heimkehr aus dem Kloster gestorben, und ihr Vater erachtete die Verbindung mit einem der Königin Maria zwar treu ergebenen, indessen klugen Manne wie es Roland Avenel war, – der durch Sir Halbert Glendinning auf die herrschende Partei nicht ganz ohne Einfluß war, – in den wirren Zeiten, die auf die Flucht der Königin Maria nach England folgten, für nicht unerwünscht und für nicht unvorteilhaft. So wurde aus Roland und Katharina, trotz dem verschiedenen Glauben, dem sie anhingen, ein glückliches Paar, und die Erscheinung der weißen Dame von Avenel, die zur Zeit des Niedergangs des alten berühmten Geschlechts nur selten zu beobachten war, trieb wieder, angetan mit dem goldnen Gürtel so breit wie ein gräfliches Wehrgehenk, an ihrem Lieblingsbrunnen fleißig ihr Wesen. Ende Kenilworth Erster und zweiter Teil Übersetzt von Erich Walter Kenilworth. A Romance. Edinburgh 1821 Erster Teil Erstes Kapitel Ein Erzähler hat das Vorrecht, den Anfang seiner Geschichte in ein Gasthaus zu verlegen – denn dort ist der Sammelplatz aller Reisenden, und dort gibt sich jeder, wie er ist, ohne Umstände und ohne Zwang. Bei einer Geschichte, die in den Tagen des lustigen Altenglands spielt, machte sich das besonders gut; denn damals waren die Gäste nicht bloße Bewohner, sondern Zechkumpane und zeitweilige Gefährten des Wirtes, der gewöhnlich ein mit dem Vorrecht größter Freiheit und Ungezwungenheit einstimmig belehnter Mann von stattlicher Erscheinung, guter Laune und saftigem Humor war. Unter seiner Gönnerschaft und Befürwortung kamen sich die verschiedensten Charaktere bereitwilligst näher, und wenn sie erst ihre paar Humpen wacker geleert hatten, warfen sie in der Regel alle Zurückhaltung ab und stellten sich einander und ihrem Wirte vor mit der Ungezwungenheit alter Bekannten. Das Städtchen Cumnor, drei bis vier Meilen von Oxford entfernt, konnte sich im achtzehnten Regierungsjahre der Königin Elisabeth eines ausgezeichneten Gasthauses vom alten Schlage rühmen, das unter der Verwaltung von Giles Gosling stand, einem stattlichen und feisten Wirte. Er mochte fünfzig Jahre und wohl noch etwas älter sein, war mäßig in seinen Rechnungen, prompt und pünktlich in seinen finanziellen Verpflichtungen, hatte einen Keller voll trefflicher Getränke, einen schlagfertigen Witz und eine hübsche Tochter. Seit den Tagen des alten Heinz Baillie, der das Gasthaus »Zum Waffenrock« in Southwark hatte, war noch keiner besser darauf »geeicht« gewesen, den Gästen nach jeder Richtung hin angenehm und gefällig zu sein, als Giles Gosling; und so groß war sein Ruf, daß jeder, Reisende, der in Cumnor war und nicht auf einen Humpen in dem guten Hause »Zum schwarzen Bären« hätte einsprechen wollen, sich ein trauriges Armutszeugnis ausgestellt hätte. Ebenso gut hätte ein Mann vom Lande aus London zurückkommen können, ohne die Königin gesehen zu haben. Die Leute von Cumnor waren stolz auf ihren Wirt und ihr Wirt war stolz auf sein Haus, seinen Wein, seine Tochter und sich selber. Im Hofe des Gasthauses, das diesen wackeren Mann seinen Wirt nannte, stieg gegen Abend ein Reisender ab, gab sein Pferd, das einen weiten Weg zurückgelegt zu haben schien, dem Stallknecht und stellte einige Fragen, die zu dem folgenden Zwiegespräch zwischen den Myrmidonen des guten »Schwarzen Bären« führte. »Heda, Kellner Hans!« »Da bin ich, Stallknecht Willem,« versetzte der Mann vom Faßhahn und trat in seiner losen Jacke, seinen Leinenhosen und der grünen Schürze auf die Türschwelle, von der aus es in einen Keller hinunterzugehen schien. »Hier ist ein Herr, der fragt, obs bei dir gutes Bier gäbe,« fuhr der Stallknecht fort. »Ei, das versteht sich,« antwortete der Buffetier, »liegen doch bloß vier englische Meilen zwischen uns und Oxford. Wenn nicht mein Bier gut genug wäre, den Studenten die Köpfe zu erleuchten, so würden sie wahrscheinlich meinem Kopfe mit ihren zinnernen Krügen heimleuchten.« »Soll das Logik à la Oxford sein?« fragte der Fremde, der jetzt den Zügel seines Pferdes hatte fallen lassen und auf die Wirtshaustür zuging. – Da trat ihm die stattliche Gestalt Giles Goslings selber entgegen. »Sprecht Ihr von Logik, Herr Gast?« fragte der Wirt. »Ei, da laßt mich Euch einen schönen logischen Schluß zurufen: »An die Krippe das Pferd Und den Sekt an den Herd.« »Amen von ganzem Herzen, mein guter Wirt!« sagte der Gast. »Ein Viertelmaß Eures besten Kanariensektes bringt herbei und leiht mir Euren trefflichen Beistand, es zu leeren!« »Na, da seid Ihr noch in den Kinderschuhen, Herr Reisender, wenn Ihr Euren Wirt dazu in Anspruch nehmt, Euch bei so einer Lappalie wie einem Viertelmaß beizustehen – wenns wenigstens eine Gallone wäre, dann könntet Ihr vielleicht meine kameradschaftliche Hilfe beanspruchen und Euch schließlich auch einen guten Wirtshausgast nennen.« »Seid ohne Sorge,« sagte der Gast, »ich will meine Pflicht tun, wie einem Manne geziemt, der bis auf fünf Meilen an Oxford heran ist; denn ich komme nicht vom Felde des Mars, um mich unter den Jüngern der Minerva zu blamieren.« Als der Wirt dies hörte, hieß er ihn herzlichst willkommen und führte ihn in ein großes, niedriges Zimmer, wo mehrere Männer in verschiedenen Gruppen beieinander saßen. Die einen spielten Karten, die andern plauderten, und wieder andere, die aus Rücksicht auf ihr Geschäft am andern Morgen früh aufstehen mußten, beendeten ihre Abendmahlzeit und regelten mit dem Zimmerkellner die Angelegenheit ihres Nachtquartiers. Der Fremde erfuhr beim Eintritt die allgemeine oberflächliche Art von Aufmerksamkeit, die bei solchen Anlässen gewöhnlich neuen Ankömmlingen gewidmet wird und diese Musterung führte zu folgendem Ergebnis: Der Gast war einer von jener Art Herren, die ein ganz nettes Aeußere und an sich nicht ungefällige Züge haben, dennoch aber nicht im mindesten hübsch genannt werden konnten – einer von jenen Menschen, von denen man sich – ob das nun am Gesichtsausdruck oder dem Ton der Stimme oder der Art, sich zu geben und zu benehmen, liegen mag – vielmehr im Grunde abgestoßen fühlt. Der Fremde hatte ein beherztes, selbstbewußtes Auftreten, ohne frech und zudringlich zu sein, und schien voller Eifersucht und Unruhe einen Grad von Aufmerksamkeit und Untergebung für seine Person zu beanspruchen, der ihm vielleicht, wie er fürchtete, nicht gezollt werden möchte, wenn er nicht augenblicklich sein Anrecht darauf geltend machte. Er war in einen Reitmantel gekleidet, unter dem ein schmuckes, mit Tressen besetztes Wams zum Vorschein kam. Um das Wams trug er einen Gürtel von Büffelleder, in dem ein Schwert und ein Paar Pistolen steckten. »Ihr reitet wohl gerüstet, Herr,« sagte der Wirt mit einem Blick auf die Waffen, indem er dem Reisenden den bestellten Sekt auf den Tisch setzte. »Ja, mein Wirt, ich habe gefunden, wie nützlich das in gefahrvollen Zeiten ist, und ich mache es nicht, wie die hohen Herren von heutzutage, daß ich meinen Anhängern den Laufpaß gebe, sobald ich sie nicht mehr brauche.« »Ei, Herr,« sagte Giles Gosling, »so seid Ihr aus dem Flachlande, dem Lande der Piken und Flinten?« »Ich war im Hohen und im Flachen, mein Freund, ich war weit und breit, fern und nah; aber ich trinke auf Euer Wohl einen Becher Eures Sektes. Füllt Euch selber einen andern, daß Ihr mir Bescheid tun könnt, und wenn der Wein nicht weit her ist, so müßt Ihr ihn halt trinken, wie er gebraut ist.« »Wie meint Ihr das?« sagte Giles Gosling, trank den Becher leer und schmatzte mit den Lippen, indem er eine Fratze unsagbaren Behagens schnitt, »so einen Wein haben selbst die »Drei Kraniche« nicht im Keller, das steht fest. Aber wenn Ihr besseren Sekt auf den kanarischen Inseln selber findet, so wollt ich in meinem Leben nichts wieder an die Lippen bringen. Na, haltet ihn doch nur in die Höhe, gegen das Licht, dann seht Ihr die kleinen Perlen in der goldenen Flüssigkeit tanzen wie Staub im Sonnenlicht. Aber ich möchte lieber Wein abziehen für zehn Bauern als für einen Reisenden. – Ich hoffe doch zuversichtlich, der Wein findet bei Euer Ehren Beifall?« »Er ist rein und angenehm, mein Wirt. Wenn man aber guten Wein kennen lernen will, dann muß man dorthin gehen, wo der Wein wächst. Glaubt mir, der Spanier ist Euch viel zu schlau, als daß er das beste von seinen Trauben hierher schicken sollte. Dieser Tropfen hier, der Euch so ausgezeichnet vorkommt, würde doch nur als Halbblut gelten in Coruna oder zu Porto Santa Maria. Wenn Ihr dem Mysterium der Fässer und Krüge bis auf den Grund kommen wollt, Herr Wirt, dann solltet Ihr auf Reisen gehen.« »In Wahrheit, Signor Gast,« sagte Giles Gosling »sollte ich nur zu dem Zweck reisen, um mir an dem, was ich zu Hause haben kann, den Geschmack zu verderben, so wäre das wohl ein recht törichtes Beginnen. Ich versichere Euch übrigens, so mancher Hausnarr rümpft die Nase über ein gutes Getränk und ist doch aus dem Küchenrauche von Altengland in seinem Leben nicht herausgekommen. Es lebe mein eigener Herd!« »Das nenn ich kleinlich denken, mein Wirt,« sprach der Fremdling. – »Zuversichtlich denken nicht alle Leute hier im Städtchen so. Ihr habt hier auch tapfere Kerle, das glaub ich ganz bestimmt, und ein paar mögen wohl bis nach Virginia gereist sein oder haben zum mindesten das Flachland durchzogen. Kommt, helft einmal Euerm Gedächtnis nach! Habt Ihr Freunde im fernen Lande, von denen Ihr gern etwas hörtet? »Ich nicht,« antwortete der Wirt, »seit der wilde Robin von Drysandford bei der Belagerung von Brill gefallen ist, habe ich keine Freunde mehr in der Welt draußen. Der Teufel mag die Kugel holen, die ihn getroffen hat, – es hat nie einen fröhlicheren Burschen gegeben am Kneiptisch um Mitternacht. Aber er ist nicht mehr, und ich kenne keinen Soldaten und keinen Reisenden vom Soldatenhandwerk, für den ich einen Pfifferling gäbe.« »Das ist sonderbar, es treibt sich mancher brave englische Bursche draußen herum, und Ihr, ein Mann von hervorragender Stellung, solltet keinen Freund oder Verwandten dabei haben?« »Wenn Ihr auf Verwandte zu reden kommt,« versetzte Gosling, »so habe ich allerdings so einen Tunichtgut von einem Verwandten, der uns im letzten Regierungsjahr der Königin Maria ausgerissen ist – aber es ist besser, der bleibt verschollen, als daß wir ihn wiederfinden möchten.« »So solltet Ihr nicht reden, Freund, sofern Ihr in der letzten Zeit nichts Schlimmes mehr von ihm gehört habt. Aus manchem wilden Füllen ist noch ein gutes Pferd geworden. Sagt mir, wie der Mann hieß.« »Michael Lambourne,« erwiderte der Wirt vom »Schwarzen Bären«, »der Sohn meiner Schwester. Eine Freude ists gerade nicht, des Namens oder der Verwandtschaft sich zu erinnern.« »Michael Lambourne!« wiederholte der Fremde, der in seinem Gedächtnis nachzusuchen schien, »doch nicht etwa ein Verwandter mit dem Michael Lambourne, dem tapfern Ritter, der sich bei der Belagerung von Venlos so tapfer zeigte, daß Graf Moritz ihm vor versammelter Mannschaft Dank abstattete? Es hieß, er sei ein Engländer, aber nicht von hohem Stande.« »Das dürfte wohl kaum mein Neffe gewesen sein,« erwiderte Giles Gosling, »der hatte nicht soviel Courage wie ein Huhn – bloß wenn es galt, Unheil zu stiften, da war er bei der Hand.« »O, es ist mancher erst im Kriege zu einem mutigen Soldaten geworden.« »Wohl möglich,« sagte der Wirt, »aber meiner Meinung nach hätte unser Michel seinen geringen Vorrat an Courage dort eher noch vollends einbüßen müssen.« »Der Michael Lambourne, den ich kenne,« fuhr der Fremde fort, »war ein schmucker Bursche, kleidete sich immer sehr sauber und hatte Augen wie ein Falke – zumal auf hübsche Mädels.« »Unser Michel,« sagte der Wirt, »hatte Augen wie ein Köter, der den Schwanz einzieht, und er hatte einen Kittel an, an dem ein Fetzen immer dem andern Valet sagte.« »O, im Kriege kommt man leicht zu einer guten Ausrüstung,« meinte der Gast. »Unser Michel,« erwiderte der Wirt, »hätte sie wohl eher in einem Kleiderladen gestohlen, wenn der Trödler gerade anderswohin gesehen hätte, und was seine Falkenaugen betrifft, von denen Ihr sprecht, die schielten meistens bloß nach meinen silbernen Löffeln. Er ist ein Vierteljahr lang Kellner in diesem gesegneten Hause gewesen, und da war der falschen Rechnungen, Ungezogenheiten, Irrtümern und Schlechtigkeiten kein Ende, und wenn er noch ein Vierteljahr länger hier gewesen wäre, dann hätte ich mein Wirtshauszeichen herunternehmen, die Bude zumachen und den Schlüssel dem Teufel selber abliefern können.« »Und dennoch wird es Euch leid tun,« fuhr der Fremde fort, »wenn ich Euch sage, daß der arme Michael Lambourne bei Maastricht beim Sturm auf eine Schanze gefallen ist.« »Das sollte mir leid tun?« entgegnete der Wirt, »die beste Nachricht wäre es, die ich von ihm hören könnte, denn ich hätte dann doch die Gewißheit, daß er nicht mehr an den Galgen kommen würde. Aber laßt das gut sein. Ich glaube nicht, daß sein Ende so rühmlich für seine Angehörigen sein würde. Wenn es so wäre, so würde ich sagen (und er nahm einen neuen Becher Sekt zur Hand), von ganzem Herzen trinke ich auf seine Ruhe in Gott!« »Still, Mann!« sagte der Reisende, »seid ohne Sorge, Euer Neffe wird Euch noch Ehre machen, besonders wenn es der Michael Lambourne ist, den ich gekannt und fast so lieb gehabt habe wie mich selber. Könnt Ihr mir kein Kennzeichen angeben, nach dem ich beurteilen könnte, ob es derselbe wäre?« »Meiner Treu, nicht daß ich wüßte,« sagte Giles Gosling. »Höchstens daß unserem Michel der Galgen auf der linken Achsel eingebrannt worden ist, weil er der Dame Snort von Hogsditch einen silbernen Leuchter gestohlen hatte.« »Nein, Oheim, da lügt Ihr selber wie ein Spitzbub,« sagte der Fremde, warf die Halskrause ab und streifte den Aermel seines Wamses von Hals und Achsel. »Beim hellen Tage! Meine Schulter trägt noch ebensowenig ein Brandmal wie Deine eigene.« »Was! Michel – Junge! Michel!« rief der Wirt. »Bist Dus denn im Ernst? Das habe ich mir doch bald gedacht, denn ich sagte mir, kein andrer hätte sich halb soviel für Dich interessiert. Aber, Michel, wenn Deine Schulter noch frei ist vom Brandmal, dann bist Du bloß dem Henker Thong Dank schuldig, daß er ein Auge zugedrückt und Dich mit einem kalten Eisen gezeichnet hat.« »Still, Oheim, laßt Eure Scherze beiseite. Würzt damit Euer saures Bier, und laß uns lieber sehen, was für ein herzliches Willkommen Du einem Verwandten bereitest, der achtzehn Jahre lang sich um die Welt herumgetrieben hat, der die Sonne hat untergehen sehen, wo sie aufgeht, der gereist und gereist ist, bis der Westen gar zum Osten geworden war.« »Du hast eine den Reisenden eigentümliche Fähigkeit mitgebracht, wie ich sehe, allerdings gerade die, wegen der Du am allerwenigsten hättest wegzureisen brauchen. Ich erinnere mich noch recht wohl, neben Deinen anderen Vorzügen hattest Du auch den, daß man Dir kein Wort glauben konnte.« »Welch ein ungläubiger Heide, meine Herren!« sagte Lambourne und wandte sich an die, die diesem seltsamen Auftritt zwischen Oheim und Neffen mitansahen, von denen einige als alte Einwohner des Städtchens den wilden Jüngling wohl gekannt hatten. – »Das heiß ich einen nett bewillkommnen. – Aber Onkel, ich komme nicht von den Trebern und nicht vom Schweinetrog, und es kümmert mich herzlich wenig, ob ich Dir willkommen bin oder nicht. Ich habe das bei mir, was mir Willkommen schaffen wird, wohin ich mich auch wenden werde.« Mit diesen Worten zog er eine gut gefüllte Geldbörse heraus, deren Anblick auf die Gesellschaft Eindruck machte. Einige schüttelten den Kopf und flüsterten untereinander, während ein paar von den weniger bedenklichen Charakteren sich sofort wieder seiner als ihres Schulkameraden oder Mitbürgers erinnern wollten. Dagegen verließen einige würdevolle Personen von gesetztem Aeußern unter Kopfschütteln das Gasthaus, indem sie andeuteten, daß Giles Gosling wohl seinen unsteten, halt- und gottlosen Neffen sich sobald wie möglich wieder vom Halse schaffen müsse, wenn er nicht ruiniert sein wollte. Gosling schien seinem Wesen nach so ziemlich derselben Meinung zu sein. Dem ehrlichen Manne stach das Gold weit weniger in die Augen, als man sonst bei Leuten seines Berufs zu finden pflegt. »Vetter Michael,« sagte er, »steck nur Deine Börse wieder ein. Der Sohn meiner Schwester soll in meinem Hause für Abendbrot und Logis nichts zu bezahlen haben, und ich denke mir, Du wirst schwerlich den Wunsch haben, Dich länger an einem Orte aufzuhalten, wo Du nur zu wohl bekannt bist.« »Was das anbetrifft, Onkel,« sagte der Reisende, »das wird sich nach meinen eigenen Geschäften und meinem Gutdünken richten. Inzwischen will ich diesen wackeren Herren, die nicht zu stolz sind, sich des Michel Lambourne, des ehemaligen Kellnerjungen, zu erinnern, zum Abend Bescheid tun. Wenn Du mich für mein Geld bewirten willst, gut – wenn nicht, so sind es ja nur ein paar Schritte bis zum Hasen mit der Trommel, und ich denke doch, unsere Nachbarn werden sich nicht scheuen, bis dorthin mit mir zu gehen.« »Nein, Michel,« erwiderte sein Oheim, »achtzehn Jahre sind über Dein Haupt hingegangen, und gewiß haben sich Deine Verhältnisse ein wenig gebessert. Du sollst mein Haus nicht zu dieser Stunde verlassen und sollst haben, was Du vernünftigerweise begehren magst. Aber ich wollte, ich wüßte, daß das viele Geld in Deiner Börse, mit dem Du Dich so groß tust, auch wohl erworben wäre.« »Ein ungläubiger Thomas, Nachbarn!« sagte Lambourne, und wandte sich abermals an die Umstehenden. »Nach einer Menge von Jahren will er noch auftischen, was sein Neffe auf dem Kerbholz hat. Was das Gold anbetrifft, – ich bin dort gewesen, wo es wächst und für jeden zu haben war, der welches suchte. In der neuen Welt bin ich gewesen, Mann, im Eldorado, wo kleine Rangen mit Diamanten Murmel spielen, und die Landdirnen sich Halsbänder aus Rubinen flechten statt aus Vogelbeeren, wo die Ziegel auf den Dächern aus purem Golde sind und die Pflastersteine aus reinem Silber.« »Das muß ich sagen, Freund Michel,« sagte der junge Lorenz Goldfaden, der Schnittwarenhändler von Abingdon, – »an solch einer Küste muß sich fein Handel treiben lassen. Was mögen wohl Linnen, Seide und Band einbringen, wo das Gold so wohlfeil ist?« »O, gar nicht auszurechnen wäre der Profit,« versetzte Lambourne, »besonders wenn ein junger, schmucker Handelsmann sein Päckchen selber trägt. Denn die Damen unter dieser Zone sind bona-robas, und da sie selber ein wenig sonnverbrannt sind, so fangen sie Feuer wie Zunder beim Anblick einer solchen frischen Gesichtsfarbe, wie Du sie hast, und eines solchen ins Rote spielenden Haares.« »Ich hätte schon Lust, dort Handel zu treiben,« sagte der Krämer schmunzelnd. »Ei, und das könntest Du auch sehr leicht,« sagte Michael. »Das heißt, wenn Du noch derselbe flotte, lebendige Bursche bist, mit dem zusammen ich den Obstgarten des Abtes geplündert habe. Es ist nichts weiter nötig, als so ein kleiner alchimistischer Kniff, Dein Haus und Deinen Grund und Boden in bares Geld zu verwandeln, und dieses bare Geld in ein großes Schiff mit Segel, Ankern und Takelage und allem, was dazu gehört, dann wird Dein Warenlager gut verstaut, fünfzig tüchtige Kerle unter meinem Kommando werden geheuert, und dann werden die Segel gehißt, und hei! gehts in die neue Welt!« »Du hast ihm ein Geheimnis verraten, Vetter,« sagte Giles Gosling, »wie er seinen Taler in einen Heller und seine Gewebe in einen bloßen Faden verwandeln kann. Hört Ihr nur nicht auf den Rat eines Narren, Nachbar Goldfaden. Wagt Euch nur nicht auf die See, denn die See ist ein gefräßiges Ungeheuer. Karten und Liebschaften, das könnt Ihr schon ein Weilchen aushalten, und wenns noch so toll ginge, da hat Euer Vater Warenballen genug herangeschafft, daß Ihr nicht so bald ins Spital kommen könnt. Aber das Meer hat eine grundlose Freßsucht – es würde den ganzen Reichtum der Lombardstraße an einem Morgen hinunterschlingen, ebenso leicht, wie ich ein Setzei und ein Gläschen Rotwein verschlucke. Was meines Vetters Eldorado betrifft, so verlaßt Euch nur darauf, er hat es nirgendwo anders als in den Taschen solcher Gimpel gefunden, wie Ihr einer seid. – Aber laßt Euch das nur nicht in die Nase stechen. Wohlgemut ans Werk, denn da kommt das Abendbrot, und ich lade jeden ein, der daran teilnehmen will, zur Feier der Rückkehr meines Neffen. Ich selber nehme bestimmt an, er ist als ein anderer Mensch wiedergekommen. – In der Tat, Vetter, Du bist meiner armen Schwester ähnlich, wie nur je ein Sohn seiner Mutter ähnlich gesehen hat.« »Aber nicht ganz so dem alten Benedikt Lambourne, ihrem Ehemann,« sagte der Krämer blinzelnd und kichernd. »Besinnst Du Dich noch, Michael, was Du sagtest, als der Schulmeister seinen Bakel über Dir tanzen ließ, weil Du Deinem Vater die Krücken weggenommen hattest? Das ist ein weises Kind, sagtest Du, das seinen Vater kennt. Dr. Bircham mußte lachen, bis ihm die Tränen kamen, und diese seine Tränen haben Dir die Tränen erspart.« »Na, er hat michs noch lange nachher entgelten lassen,« sagte Lambourne, »und wie geht es dem alten Pädagogen?« »Tot,« erwiderte Giles Gosling, »schon lange tot.« »So ist es,« sagte der Gemeindeküster, »ich habe an seinem Totenbett gesessen. Voller Seelenruhe ist er dahingegangen, Morior mortuus sum vel fui mori – das waren seine letzten Worte, und er setzte dann noch hinzu: Nun habe ich mein letztes Verbum konjugiert.« »Nun, Friede sei mit ihm,« sagte Michel. »Er ist mir nichts schuldig.« »Nein, gewiß nicht,« versetzte Goldfaden, »und mit jeder Strieme, die er Dir aufgezogen hat, so pflegte er immer zu sagen, hat er dem Henker eine Arbeit erspart.« »Man möchte meinen,« ,sagte der Küster, »er hätte ihm dann nicht mehr viel zu tun übrig gelassen. Und doch hat der gute Thong, der Henker, keine Sinekure bei unserm Freunde.« »Voto a dios!« lief Lambourne, dem die Geduld zu reißen schien; er nahm den breiten Schlapphut vom Tische und setzte ihn auf, und unter dem tiefen Schatten nahmen seine Augen und Züge, die von Natur nichts Anheimelndes hatten, so recht das Aussehen eines spanischen Bravos und Abenteurers an. – »Hört, Ihr Herren, – unter Freunden, und wenns durch die Blume gesagt wird, ist schließlich alles nicht so sehr schlimm, und ich habe schon meinem würdigen Oheim und Euch allen gern erlaubt, über die Torheiten meiner Jugendzeit nach Herzenslust herzuziehen. Aber ich trage Schwert und Dolch bei mir, meine guten Freunde, und ich verstehe sie mit Leichtigkeit zu gebrauchen, wenn sich ein Anlaß bietet. Seit ich in spanischen Diensten stehe, habe ich gelernt, im Punkte der Ehre ein wenig empfindlich zu sein, und ich möchte nicht, daß Ihr mich bis zum Aeußersten reiztet.« »Was würdet Ihr denn tun?« fragte der Küster. »Na ja doch, Freundchen, was würdet Ihr denn tun?« fragte der Krämer und huschte geschwind an die andere Seite des Tisches. »Euch die Kehle aufschlitzen, daß Euch Euer Sonntagsgeplärr vergehen sollte, Herr Küster,« sagte Lambourne wild, »und Euch, mein würdiger Krämer in Sammet und Seide würde ich zu einem Eurer Warenballen zusammenhauen.« »Nur sachte, nur sachte,« fiel der Wirt ein, »hier verbitt ich mir jede Großmäuligkeit. Neffe, es wird Dir am besten anstehen, nicht allzu vorschnell etwas schief zu nehmen. Und Ihr Herren werdet gut tun, daran zu denken, daß Ihr allerdings in einem Gasthause seid, daß Ihr aber doch die Gäste des Wirtes seid und auf die Ehre seiner Familie Rücksicht zu nehmen habt. – Meiner Treu, über Euerm albernen Gezänk vergeß ich alles andere. Und dort sitzt mein stiller Gast, wie ich ihn nenne, denn er wohnt nun seit zwei Tagen bei mir und hat noch nie ein Wort gesprochen, außer wenn er sein Essen bestellt und seine Rechnung bezahlt. – Macht einem nicht mehr Umstände als ein einfacher Bauer – bezahlt seine Zeche wie ein königlicher Prinz, guckt immer nur nach der Summa summarum auf der Rechnung, – und ich weiß noch nicht, an welchem Tage er abreisen wird. O, er ist ein Juwel von einem Gaste! Und doch, ich Rindvieh ich, da habe ich ihn sitzen lassen wie einen Ausgestoßenen, ganz allein in seiner finsteren Ecke da und habe ihn nicht einmal eingeladen, doch wenigstens einen Bissen oder einen Teller Suppe mit uns zu essen. Es wäre schon die rechte Strafe für meine Unhöflichkeit, wenn er nach dem Hasen mit der Trommel ginge, ehe noch die Nacht älter wird.« Er glättete die weiße Serviette sorgfältig über seinem linken Arme, legte für den Augenblick seine Sammetkappe beiseite und nahm sein bestes Silberfläschchen in die Rechte. So schritt nun der Wirt auf den genannten einsamen Gast zu und lenkte dadurch die Augen der Anwesenden auf ihn. Er war ein Mann im Alter zwischen fünfundzwanzig und dreißig Jahren, ein wenig über Mittelgröße, einfach und anständig gekleidet, aber eine gewisse Nonchalance, die sich fast zur Würde steigerte, ließ erkennen, daß sein Rang höher war, als seine Kleidung auf den ersten Blick vermuten ließ. Seine Miene war ernst und gedankenvoll, er hatte dunkles Haar und dunkle Augen – die Augen blitzten bei jeder augenscheinlichen Erregung in ungewöhnlichem Glanze, hatten aber sonst denselben nachdenklichen, ruhigen Ausdruck wie seine Züge. Die rege Neugier des Städtchens war geschäftig gewesen, seinen Namen und Stand zu erkunden und was er in Cumnor zu tun habe. Aber nach keiner Seite hin hatte sich etwas Unrechtes wittern lassen, was die Neugierde befriedigt hätte. Giles Gosling, Gemeindevorstand des Oertchens, und ein treuer, beständiger Anhänger der Königin Elisabeth und der protestantischen Konfession, war zuerst geneigt, seinen Gast für einen Jesuiten oder Seminarpriester zu halten, wie sie Rom und Spanien zu jener Zeit so zahlreich aussandte, die englischen Galgen zu zieren. Aber es war kaum möglich, eine solche Voreingenommenheit gegen einen solchen Gast, der so wenig Umstände verursachte, seine Rechnung so regelmäßig beglich und wie es schien, recht lange im »Schwarzen Bären« zu bleiben gedachte, aufrecht zu halten. Der ehrliche Giles war also der Ueberzeugung, daß sein Gast kein Römer sei, und ersuchte ihn mit aller gebührlichen Höflichkeit, ihm Bescheid zu tun mit einem kühlenden Schluck und teilzunehmen an einem kleinen Festessen, daß er seinem Neffen zu Ehren seiner Rückkehr und, wie er hoffe, seiner Besserung spendierte. Der Fremde schüttelte zuerst den Kopf, als lehne er die Einladung ab, aber der Wirt drang weiter in ihn. »Meiner Treu, Herr,« sagte er, »es gehört zu meinem Renommee, daß in meinem Hause alle lustig sein sollen, und wir haben böse Jungen unter uns in Cumnor, (zwar wo wären die nicht?) die es übel auslegen, wenn jemand den Hut über die Stirn zieht, als wenn er an die Vergangenheit dächte, statt sich des heitern Sonnenscheins zu freuen, den Gott uns im süßen Antlitz unsrer Landesherrin, der Königin Elisabeth, gesandt hat – möge der Himmel sie segnen und uns erhalten.« »Ei, mein Wirt,« antwortete der Fremde, »es ist doch hoffentlich kein Verrat, wenn ein Mann gern seinen eignen Gedanken nachhängt unterm Schatten seines eignen Hutes? Ihr habt zweimal so lange wie ich in der Welt gelebt, und Ihr müßt wissen, es gibt Gedanken, die uns selber zum Trotz verfolgen und denen wir vergebens zurufen: Geht und laßt uns lustig sein.« »Wir müßten sie in einer prächtigen See von Rotwein ersäufen, mein edler Gast! Entschuldigt meine Freiheit, Herr. Ich bin ein alter Wirt und muß reden, wie mir der Schnabel gewachsen ist. Diese sauertöpfische Melancholie steht Euch übel an. Sie paßt nicht zu einem blanken Stiefel, einem feingarnierten Hut, einem schmucken Mantel und einer vollen Börse. Laßt sie fahren, schickt sie denen, die sich die Beine in Heu eingewickelt haben, die einen alten Filzhut über den Schädel ziehen müssen, deren Jacken so dünn sind wie Spinneweben und die nichts in den Taschen haben, um dem bösen Feind Melancholie den Laufpaß zu geben! Lustig, Herr! Allweil fidel! Sonst bei diesem guten Weine werden wir Euch aus den Freuden fröhlicher Gesellschaft verbannen und in den Nebel des Trübsinns und das Land des Unbehagens verstoßen. Hier ist ein Kreis von guten Kerlen, die sich einen Jux machen wollen. Da dürft Ihr nicht zu ihnen so mißmutig hinüberschauen, wie zehn Meilen böser Weg.« »Wohl gesprochen, mein würdiger Wirt,« sagte der Gast mit schwermütigem Gesicht, – das bei aller Schwermut seinen Zügen etwas sehr Anmutiges gab – »wohl gesprochen, mein jovialer Freund, wer ein Griesgram ist wie ich, soll nicht den Frohsinn derer, die sich glücklich fühlen, stören. Ich will einmal mit Euern Gästen anstoßen, von Herzen gern – bloß daß sie mich nicht für einen Spielverderber halten.« Mit diesen Worten erhob er sich und trat zu der Gesellschaft, die größtenteils aus Personen bestand, die die Gelegenheit, auf Kosten des Wirts ein frohes Gelage abzuhalten, gern sich zu nutze machten. Sie hatten denn auch, dem Beispiel und den Lehren Michael Lambournes folgend, schon des Guten zu viel getan und begannen auszuarten, was aus dem Ton hervorging, in dem Michael nach seinen alten Bekannten in der Stadt fragte, und aus dem schallenden Gelächter, mit dem jede Antwort aufgenommen wurde. Giles Gosling selber nahm nicht geringen Anstoß an dieser krakehlenden Fidelitas, zumal er unwillkürlich vor seinem unbekannten Gaste Respekt hatte. Er blieb daher ein paar Schritte vor dem Tische, an dem die polternden Saufgenossen saßen, stehen und sagte, wie um ihre Ausgelassenheit zu entschuldigen: »Wenn Ihr die Burschen so lärmen hört, möchtet Ihr sie wohl alle für Gesindel halten, das von »Steh und dein Geld her« lebt, und doch könnt Ihr sie morgen als fleißige Handwerker oder Handelsleute bei der Arbeit sehen. Der Krämer da hat den Hut schief auf dem Ohre, er hat das Wams nicht zugeknöpft und den Mantel über die eine Schulter gehängt und spielt sich auf wie ein echter und rechter Schlagetot. Er schwatzt, als wenn er jede Nacht die Heerstraße zwischen Hunslow und London unsicher machte, und dabei liegt er friedlich im Bett, mit einer Kerze zur einen und einer Bibel zur andern Seite, damit ihm die Gespenster nichts anhaben können.« »Und ist Euer Neffe, Herr Wirt, dieser Michael Lambourne, der der Held des Gelages ist, auch nur so zum Schein ein Wildfang?« »Ei, da treibt Ihr mich in die Enge,« sagte der Wirt. »Mein Neffe ist mein Neffe, und wenn er auch ein toller Vogel früher gewesen ist, so kann er sich gemausert haben wie andere Leute. Und ich möchte nicht, daß Ihr alles aufs Wort glaubt, was ich von ihm gesagt habe. Ich habe das Vögelchen gleich erkannt und wollte ihm nur erst so ein bißchen das Gefieder zausen. Und nun, mein Herr, bei welchem Namen darf ich meinen würdigen Gast diesen Herren vorstellen?« »Jenun, mein Wirt,« versetzte der Fremde, »Ihr mögt mich Tressilian nennen.« »Tressilian?« antwortete der Wirt vom »Schwarzen Bären«. »Ein gar stattlicher Name – und wie mich dünkt, aus kornwallischem Geschlecht. Darf ich sagen, der würdige Herr Tressilian aus Kornwallis?« »Sagt nichts weiter, als ich Euch erlaubt habe, mein Wirt, so werdet Ihr sicher sein, nichts mehr zu sagen, als was der Wahrheit entspricht.« Der Wirt ging nicht weiter in seiner Neugierde, sondern stellte Herrn Tressilian der Gesellschaft seines Neffen vor, sie begrüßten ihn, tranken auf sein Wohl und setzten dann ihre Unterhaltung fort, die durch manchen Witz und Trinkspruch unterbrochen wurde. Zweites Kapitel »Also Will von Wallingford, das Großmaul,« sagte Lambourne, »ist auch dahingegangen?« »Er ist gestorben wie ein feister Rehbock,« sagte einer von der Gesellschaft, »der alte Thatcham, des Herzogs stämmiger Förster in Donnington-Castle hat ihn mit einem Armbrustbolzen zur Strecke gebracht.« »Wildpret hat er sein Leben lang gern gehabt,« sagte Michael. »Ich trinke ein Glas auf sein Andenken. Prosit, meine Herren!« Als die Gesundheit dieses würdigen Entschlafenen getrunken war, erkundigte Lambourne sich nach Prance von Padworth. »Hat baumeln müssen – vor zehn Jahren ist er unsterblich gemacht worden,« sagte der Krämer. »Was? So haben sie den armen Prance an den Galgen geknüpft – und bloß, weil er gern bei Mondschein ausging? Ein Glas seinem Andenken, meine Herren! Alle lustigen Kerle haben das Mondlicht gern. Was ist aus Heinz mit der Feder geworden? Er wohnte unten in Yattenden und trug eine lange Feder – ich habe vergessen, wie er hieß.« »Ah, Heinz Hempseed?« versetzte der Krämer. »Na, der war ja so eine Art vornehmer Herr, wie Du Dich erinnern wirst, und mischte sich gern in Staatsangelegenheiten, und da ist er wegen der Sache mit dem Herzog von Norfolk in die Klemme geraten, er wurde steckbrieflich verfolgt, flüchtete aus dem Lande und ist seit zwei oder drei Jahren nicht mehr gesehen worden.« »Na, ich habe genug gehört,« entgegnete Michael Lambourne, »und habe schon gar keine Lust mehr, mich nach Toni Foster zu erkundigen, denn wenn Strick und Armbrustbolzen und Steckbriefe hier so an der Tagesordnung sind, dann ist ihnen der Toni sicherlich nicht entwischt.« »Was für einen Toni Foster meinst Du denn?« fragte der Gastwirt. »Na den, den sie Toni den Scheiterhaufenanstecker nannten, weil er ein Licht brachte, womit der Scheiterhaufen von Latimer und Rudley angebrannt werden konnte, denn der Wind hatte dem Henker die Fackel ausgelöscht und niemand wollte sie ihm für Geld und gute Worte wieder anbrennen.« »Toni Foster lebt und es geht ihm gut,« sagte der Wirt, »aber ich rate Dir, Neffe, nenne ihn nicht den Scheiterhaufenanstecker, wenn Du ihn nicht fuchsteufelswild machen willst.« »Wie! So schämt er sich wohl jetzt dessen?« rief Lambourne. »Er hat sich sonst immer groß damit getan und sagte, er sähe ebenso gern einen gebratenen Ketzer wie einen gebratenen Ochsen.« »Ja, Vetter, das war zur Zeit der Maria,« versetzte der Wirt. »Damals war Tonis Vater noch Vogt beim Abt von Abingdon. Jetzt hat Toni eine Strenggläubige vom reinsten Wasser geheiratet und ist ein guter, eifriger Protestant geworden.« »Und schaut sehr würdevoll drein und trägt den Kopf hoch und guckt seine alten Kameraden nicht mehr an,« sagte der Krämer. »Jedenfalls ist er vermögend geworden,« sagte Lambourne. »Denn wenn jemand Geld allein hat und sein eigen nennt, dann geht er in der Regel denen aus dem Wege, die ihre Schatzkammern in anderer Leute Taschen haben.« »Ein Großer vom Hofe,« sagte der Wirt, »der das Land dort von der Krone zu Lehen hatte, hat ihm das alte Herrenhaus Cumnorplace hinter dem Kirchhofe überlassen, und dort wohnt nun Toni und kümmert sich nicht mehr um die armen Schlucker von Cumnor, ganz als wäre er ein stolzer Ritter.« »Nein,« sagte der Krämer, »bei Toni ist es nicht bloß Stolz. Da ist eine hübsche Frau im Spiele, und Toni ist so eifersüchtig, daß er selbst die Sonne kaum ihr Antlitz schauen lassen will.« »Wie!« sagte Tressilian, der sich jetzt zum erstenmal in die Unterhaltung mischte, »sagtet Ihr nicht, dieser Foster sei verheiratet und mit einer Strenggläubigen!« »Er war verheiratet, und zwar mit einer so strengen Protestantin, wie je eine Fleisch in der Fastenzeit gegessen hat, und wie Hund und Katze haben sie miteinander gelebt. Aber sie ist tot jetzt, Friede sei mit ihr, und Toni hat bloß so ein winziges Ding von einer Tochter. Nun heißt es, er werde die Fremde freien, von der die Leute so viel Wesens machen.« »Und warum?« fragte Tressilian, »ich meine, warum machen die Leute so viel Wesens von ihr?« »Ja, das weiß ich nicht,« erwiderte der Wirt, »bloß sagen eben die Leute, sie war so schön wie ein Engel. Niemand weiß, wo sie her ist, und alle Welt möchte gern wissen, warum sie so abgeschlossen und unter so strengem Gewahrsam gehalten wird. Ich meinesteils habe sie noch nie gesehen – Ihr habt sie wohl mal gesehen, Herr Goldfaden?« »Freilich, freilich, alter Junge,« erwiderte der Krämer, »schaut, ich kam gerade von Abingdon geritten – und ritt unter dem östlichen Erkerfenster des alten Herrenhauses vorbei, wo alle die alten Heiligen und Historien aufgemalt sind – ich hatte nicht den gewöhnlichen Weg eingeschlagen, sondern einen Pfad durch den Park, denn die Hintertür war nur eingeklinkt, und ich dachte, als alter Bekannter könnte ich es mir schon erlauben, durch die Bäume zu reiten, sowohl weil ich da im Schatten war, denn es war ein sehr heißer Tag, als auch weil ich vor Staub geschützt war – ich hatte nämlich mein pfirsichfarbenes Wams mit der schweren Goldstickerei an.« »Und dieses Wams,« sagte Michael Lambourne, »wolltest Du so gern einer jungen Dame in die Augen stechen lassen. – O, Du alter Sünder! Du läßt auch Deine alten Kniffe und Pfiffe im Leben nicht!« »Das nicht – das nicht,« sagte der Krämer mit süßlichem Grinsen. »Das war ganz und gar nicht der Grund. Nur Neugierde, weißt Du, und auch so ein bißchen Mitleid im Grunde, – denn die arme junge Dame sieht von früh bis spät nichts als Toni Foster mit seinen finsteren, schwarzen Brauen, seinem Ochsenkopf und seinen krummen Beinen.« »Und so wolltest Du ihr gern einen schmuckeren Burschen zeigen, in seidenem Wams – ein Bein, wie das einer Henne, wenns ein wenig zu kurz geraten ist, in Corduanschuhen, und ein rundes, grinsendes Fatzkengesicht, über dem ein seidener Hut mit Türkenfeder und goldener Spange sitzt? Haha! Du lustiger Krämer, wer gute Ware hat, zeigt sie auch gern den Leuten! Kommt, Ihr Herren, laßt nicht die Gläser stehen! Ich trinke auf lange Sporen, kurze Schuhe, volle Hüte und leere Schädel!« »Nein, nun bist Du eifersüchtig auf mich, Michel,« sagte Goldfaden, »und doch hätte das Glück, das ich hatte, ebenso gut auch auf Dich wie auf jeden andern fallen können.« »Hol der Kuckuck Deine Unverschämtheiten!« rief Lambourne. »Du willst doch nicht etwa Dein Griesbreigesicht und Deine Ladenschwengelmanier mit dem Antlitz und Wesen eines schneidigen Herrn und eines Soldaten vergleichen?« »Nicht doch, lieber Herr,« wandte Tressilian ein, »laßt mich Euch ersuchen, den höflichen Bürger hier nicht zu unterbrechen, er erzählt seine Geschichte so gut, dünkt mich, daß ich ihm bis Mitternacht zuhören könnte.« »Mehr Gunst als ich verdiene,« antwortete der junge Herr Goldfaden. »Da ich Euch aber Vergnügen mache, Herr Tressilian, so will ich fortfahren trotz aller Sticheleien dieses wackern Soldaten, der vielleicht in den Niederlanden mehr Hiebe als Sold bekommen hat. – Also, Herr, als ich unter dem großen gemalten Fenster vorbeiritt, und den Zügel lose auf dem Nacken meiner Mähre ruhen ließ, teils zu meiner Bequemlichkeit, teils um desto besser Umschau halten zu können, da höre ich, wie ein Fenster aufgemacht wird, und bei meiner Ehre, Herr, da stand vor mir das schönste Weib, das je meine Augen geschaut haben. Und ich glaube doch, ich habe schon eine Menge hübscher Weiber gesehen, und mit ebenso gutem Urteil wie andre.« »Darf ich fragen, wie sie aussah?« sagte Tressilian. »O, Herr,« antwortete Meister Goldfaden, »mein Wort darauf, sie war gekleidet wie eine vornehme Dame – ein sehr zierliches und niedliches Kleid, wie es der Königin selber angestanden hätte. Es war aus ingwerfarbigem Atlas, – mag meiner Schätzung nach die Elle gut dreißig Schillinge gekostet haben – das Futter war aus dunkelrotem Taffet, besetzt war es mit breiten Streifen von Gold und Silber. Und ihr Hut, Herr, war entschieden das beste in der Putzbranche, was ich in dieser Gegend gesehen habe. Er war aus lohgelbem Taffet, bestickt mit Skorpionen aus venetianischem Golde, mit einer Franse von Gold ringsherum. – Ich sage Euch, Herr, ein Putzstück von einzig dastehender Aufmachung.« »Ich habe nicht danach gefragt, was sie anhatte,« sagte Tressilian, der während dieser Ausführungen ein wenig ungeduldig geworden war, »ich habe nach ihrem Gesicht gefragt – nach der Farbe ihres Haares – nach ihren Zügen.« »Was ihre Gesichtsfarbe anbetrifft,« versetzte der Krämer, »da kann ich keinen genauen Bescheid geben, aber ich habe gesehen, daß sie einen Fächer mit ganz eigentümlicher Einlegearbeit in der Hand trug, und was dann wieder die Farbe ihres Haares anbetrifft, so kann ich dafür einstehen, daß sie, ob es nun dunkel oder blond gewesen sein mag, ein Netz von grüner Seide, mit Gold durchwirkt, darüber trug.« »Ein richtiges Schnittwarenhändler-Gedächtnis!« lachte Lambourne. »Der Herr fragt ihn nach der Schönheit der Dame und er faselt von ihren feinen Kleidern.« »Ich sage Dir,« antwortete der Krämer, »ich hatte wenig Zeit, sie mir anzusehen, denn als ich gerade im Begriff stand, ihr guten Tag zu sagen, und zu diesem Zweck mein Gesicht zu einem Lächeln zurecht gelegt hatte ...« »Wie ein Affe, der eine Nuß aufbeißt,« warf Michael Lambourne ein. »Da kam plötzlich,« fuhr Goldfaden fort, ohne sich an den Zwischenruf zu kehren, »Toni Foster selber mit einem Knüttel in der Hand ...« »Und hat Dir hoffentlich Deine Tracht versetzt für Deine Unverschämtheit,« sagte sein Spottvogel. »Das wäre leichter gesagt als getan,« antwortete Goldfaden entrüstet, »nein, nein, es ist kein Schädel eingeschlagen worden – allerdings er hat mit seinem Knüttel gedroht und gesagt, es solle was setzen, und hat mich gefragt, warum ich nicht auf der Heerstraße ritte, und ich hätte ihm schon ordentlich das Fell versohlt, wenn nicht die Dame dabei gewesen wäre, denn ich fürchtete, sie könnte in Ohnmacht fallen.« »Ei, Du sollst leben, mein schwachmütiger Sklave!« sagte Lambourne. »Welcher abenteuerliche Ritter hat je daran gedacht, daß seine Dame sich entsetzen könne, wenn er wider Riesen, Drachen oder Zauberer vor ihren Augen, und zu ihrer Befreiung kämpfte? Aber was rede ich zu Dir von Drachen, der Du ja schon vor einer Fledermaus Reißaus nehmen würdest!« »So mach Du Dich doch daran, Maulheld Michel,« antwortete Goldfaden. »Da drüben ist das verzauberte Haus und der Drache und die Dame, alles steht Dir zu Diensten, wenn Du die Courage hast, es mit ihnen aufzunehmen.« »Ei, das tat ich um ein Maß Sekt,« sagte der Soldat. »Oder halt – mit meiner Leinenwäsche ist es jammervoll bestellt – willst Du ein Stück holländisch Linnen gegen die fünf Goldstücke hier wetten, daß ich hingehe und morgen Toni Foster zwinge, mich seiner schönen Gästin vorzustellen?« »Ich nehme Deine Wette an,« sagte der Krämer, »und ich glaube, wenn Du auch so unverschämt wärst wie der Teufel selber, diesmal gewinn ich! Unser Wirt soll die Einsätze an sich nehmen, und ich will Gold zum Pfande setzen, bis ich das Linnen schicke.« »Ich mische mich nicht in solch eine Geschichte,« sagte Gosling. »Neffe, trink Du Deinen Wein in Ruhe und laß Dich nicht auf solche Wagnisse ein. Ich sage Dir, Meister Foster hat Einfluß genug, daß er Dich ins Gefängnis nach Oxford schicken lassen oder Deine Beine mit dem Fußeisen bekannt machen kann.« »Das hieße eine alte Bekanntschaft erneuern,« sagte der Krämer, »denn Michels Schienbeine und die Fußblöcke sind schon von früher her einander nicht fremd. Aber er soll nicht von seiner Wette zurücktreten, oder er muß Abstand zahlen.« »Abstand?« rief Lambourne. »Ist mir viel zu schofel! Aus Tonis Wut mach ich mir gar nichts! Und ich will seiner Schönen einen Besuch abstatten, ob es ihm nun recht ist oder nicht.« »Ich würde gern die Hälfte Eurer Wette auf mich nehmen,« sagte Tressilian, »wenn Ihr mir erlaubtet, Euch bei dem Wagnis zu begleiten.« »Was würde das für Euch für einen Vorteil haben, Herr?« antwortete Lambourne. »Gar keinen Vorteil, Herr,« sagte Tressilian; »nur Zeuge der Geschicklichkeit und Tapferkeit würde ich sein, die Ihr an den Tag legen würdet. Ich bin ein Reisender, der nach seltsamen Begegnungen und ungewöhnlichen Vorkommnissen fahndet, wie ehedem, die Ritter nach Abenteuern und Waffentaten.« »Na, wenn Ihr mit ansehen wollt, wie man einen Hering ausnimmt,« antwortete Lambourne, »mir ist es einerlei, wie viele mitansehen, was ich leisten kann. Und so trinke ich hier auf das Gelingen meines Unternehmens, und wer mir nicht darauf Bescheid tut, den erkläre ich für einen Schurken, und ich will ihm die Beine abschlagen bis zu den Knieschnallen.« Dem Trunk, den Lambourne hierauf leerte, waren so viele andre schon vorausgegangen, daß seine fünf Sinne bereits verwirrt waren. Er schrie dem Krämer ein paar unzusammenhängende Flüche zu, weil dieser in sehr begreiflicher Weise sich weigerte, mit ihm auf den Verlust seiner eigenen Wette anzustoßen. »Willst Du Grünschnabel mit mir rechten!« rief Lambourne. »Wart', ich will Dich in fünfzig Ellen Tressen zerschneiden.« Aber als er das Schwert zu ziehen versuchte, um diesen mannhaften Entschluß auszuführen, packten ihn der Kellner und der Hausknecht und schleppten ihn in sein Zimmer, wo er sich nach Herzenslust nüchtern schlafen konnte. Die Gesellschaft ging auseinander, und die Gäste nahmen Abschied, darüber war freilich der Wirt mehr erfreut als die Burschen, von denen mancher noch gern mehr von dem Wein, der ihnen nichts kostete, getrunken hätte. Drittes Kapitel »Und wie geht es Euerm Neffen, guter Herr Wirt?« fragte Tressilian, als am andern Morgen Gosling in die Gaststube trat. »Ganz gut, Herr, vor zwei Stunden ist er ausgegangen und hat, ich weiß nicht was für alte Kameraden aufgesucht. Eben erst ist er wiedergekommen und nimmt jetzt ein Frühstück von frischen Eiern und Muskateller zu sich. Und was die Wette anbetrifft, so warne ich Euch als Freund, laßt Euch auf nichts ein, was Michel Euch vorschlägt. Daher rate ich Euch, genießt jetzt zum Frühstuck eine Bouillon, die bringt den Magen wieder auf gleich, und laßt meinen Neffen und Meister Goldfaden das Maul von ihrer Wette so voll nehmen, wie sie wollen.« »Es scheint mir, mein Wirt,« sagte Tressilian, »als wüßtet Ihr nicht recht, was Ihr von diesem Euern Verwandten sagen sollt. Ihr könnt ihn ohne leise Gewissensbisse weder anschwärzen noch herausbeißen.« »Da trefft Ihr den Nagel auf den Kopf, Herr Tressilian,« erwiderte Giles Gosling. »Natürliche Zuneigung flüstert mir ins Ohr: Giles, Giles, willst Du Deinen eignen Neffen um seinen guten Namen bringen? Willst Du den Sohn Deiner Schwester in bösen Leumund bringen? Willst Du Dir das eigne Nest verschandeln, Dein eigen Blut verunglimpfen? – Und dann wieder kommt der Gerechtigkeitssinn und sagt zu mir: Da ist ein prächtiger Gast, wie nur je einer in den »Schwarzen Bären« gekommen ist. Ein Gast, der nie an einer Rechnung herumgenörgelt hat (das sag ich Euch ins Gesicht, Herr Tressilian, Ihr habt das nie getan, aber Ihr habt freilich auch keine Ursache dazu gehabt), einer, der nicht weiß, warum er hergekommen ist, und auch, so viel ich sehe, noch nicht weiß, wann er wieder gehen wird. Und willst nun Du als ein Gastwirt, der die langen Jahre her in der Stadt Cumnor alles redlich bezahlt hat, der Du jetzt Gemeindevorsteher bist, willst Du dulden, daß dieser Gast der Gäste, dieser Mann der Männer, dieser sechsreifige Humpen, wenn ich so sagen darf, von einem Reisenden, in die Netze Deines Neffen falle, der als ein Maulheld und Tollkopf bekannt ist, als Kartenspieler und Würfler, als Professor der sieben verdammungswürdigen Wissenschaften – sofern in ihnen je ein Mensch den Grad eines Gelahrten erreicht hat? Nein, beim Himmel! Ich kann wohl ein Auge zudrücken, wenn er einen so kleinen Schmetterling wie den Goldfaden fängt, aber Ihr, mein Gast, sollt gewarnt sein und gerüstet, wenn Ihr nur hören wollt auf Euern getreuen Wirt.« »Nun, Herr Wirt, Euer Rat soll nicht verworfen werden,« erwiderte Tressilian, »in dieser Wette aber muß ich nun meinen Anteil durchhalten, da ich nun einmal mein Wort darauf verpfändet habe. Aber gebt mir nun in dieser Sache Euern Rat – dieser Foster oder – wer und was ist er eigentlich – und warum macht er ein solches Geheimnis aus dieser Frauensperson?« »Fürwahr,« antwortete Gosling, »dem, was Ihr gestern abend gehört habt, kann ich nur wenig hinzufügen. Er ist einer von den Papisten der Königin Maria gewesen und ist nun einer von den Protestanten der Königin Elisabeth, er war ein Lehnsmann des Abtes von Abingford und wohnt nun als Herr in dem alten Herrenhause. Vor allem, er war arm und er ist jetzt reich. Die Leute reden von geheimen Gemächern im Herrenhause, die so vornehm ausgestattet und verziert sein sollen, daß die Königin drin wohnen könnte. Gott segne sie. Manche glauben, er habe einen Schatz gefunden im Obstgarten, einige meinen, er habe sich um einen Schatz dem Teufel verkauft, und einige sagen, er habe dem Abt das Silbergerät abgegaunert, das zur Reformation im Herrenhause versteckt worden war. Jedenfalls ist er reich, und Gott und sein Gewissen und vielleicht der Teufel noch daneben wissen allein, wie er zu seinem Reichtum gekommen ist. Er hat auch ein mürrisches Wesen und bricht den Verkehr mit allen Hiesigen ab, als wenn er entweder ein sonderbares Geheimnis zu hüten hätte oder sich aus anderm Stoff als wir dünkte. Ich halte es sehr wahrscheinlich, daß mein Verwandter und er in Streit geraten werden, wenn Michel wegen seiner frühern Bekanntschaft sich ihm aufdrängen sollte. Und ich bedauere es, daß Ihr, mein würdiger Herr Tressilian, noch immer daran denkt, mit meinem Neffen zu gehen.« Tressilian antwortete ihm abermals, er werde die Sache sehr vorsichtig anstellen, und der Wirt brauche sich seinetwegen nicht zu sorgen. Kurz, er gab ihm alle jene Versicherungen, mit denen jemand, der zu einer raschen Tat entschlossen ist, den Rat eines Freundes abwehrt. Einstweilen nahm der Reisende die Einladung des Wirtes an und war eben mit dem Frühstück fertig, das ihm und Giles Gosling die hübsche Cäcilie aufgetragen hatte, da trat Michael Lambourne herein. Seine Toilette hatte ihm augenscheinlich einige Mühe gekostet, denn sein Anzug war im Gegensatz zu dem Reisekostüm vom vergangenen Tage nach der neuesten Mode und mit großer Sorgfalt so angelegt, daß seine Persönlichkeit möglichst vorteilhaft darin sich ausnahm. »Meiner Treu, Oheim,« rief der Galan, »das war eine feuchte Nacht gestern, und es ist ein trockner Morgen, darauf gefolgt. Ich möchte Dir gern mit einem Humpen Bescheid tun. – Ei, mein hübsches Muhmchen Cilly! Als ich Dich verließ, lagst Du noch als Baby in der Wiege, und nun stehst Du im Sammetmieder da, ein so stattliches Mädchen, wie nur Englands Sonne bescheint. Erkenne Deinen Freund und Verwandten, Cilly, daß ich Dich küssen und Dir meinen Segen geben kann.« »Kümmere Dich nicht um Cilly, Neffe,« sagte Giles Gosling, »sondern laß sie in Gottes Namen ihrer Wege gehen, denn wenn auch Deine Mutter die Schwester ihres Vaters war, so sollst Du Dich doch nicht mit ihr einlassen.« »Wie, Oheim,« versetzte Lambourne, »denkst Du, ich sei ein Ungetreuer und würde den Angehörigen meines eigenen Hauses ein Leid zufügen?« »Von Leid zufügen ist gar keine Rede, Michel,« antwortete sein Oheim, »das ist nur so ein bißchen Vorsicht von meiner Seite. Nun, Du bist allerdings so schmuck herausgeputzt, wie eine Schlange, wenn sie die alte Haut im Frühling abstreift, aber trotz alledem sollst Du nicht in mein Eden hineinschleichen. Ich will schon auf meine Eva aufpassen, und damit laß Dir Genüge sein, Michel. – Aber wie fein Du jetzt aussiehst, Junge! Wenn man Dich jetzt ansieht und mit Herrn Tressilian in seinem dunkelfarbenen Reitkostüm vergleicht, so möchte man wirklich meinen, Du wärst in Wirklichkeit der vornehme Herr und er der Stallknecht.« »Fürwahr, Onkel,« versetzte Lambourne, »das kann auch nur so ein Bauer wie Du sagen, ders nicht besser versteht. Ich sage offen, und es ist mir einerlei, wer es hört, das Wesen des echten Adels hat etwas Besonderes an sich, das wenige, die nicht von adliger Geburt sind und so die Fähigkeit gleich mitbringen, sich aneignen können. Ich weiß nicht, worin der Kniff liegt, aber ich mag in eine Gaststube noch so dreist und selbstbewußt eintreten, mag noch so laut mit Kellnern und Buffetiers herumschimpfen, noch so tüchtig trinken, noch so dickbackig fluchen und noch so freigebig, wie nur irgend einer von den Bespornten und Befederten um mich her, mit Gold um mich werfen – es hilft nichts – den echten Chik bringe ich doch nicht heraus, obwohl ich es schon hundertmal versucht habe. Der Wirt weist mir den untersten Tisch an der Tafel an und schneidet mir zu allerletzt vor, und der Hausdiener sagt zu mir: Na, kommt, Freund, ohne mir eine Reverenz zu machen oder mir sonstwelche Ehrerbietung zu bezeigen. Aber Schwamm drüber! Ich pfeife darauf. Ich habe Adel genug in mir, um Toni, dem Scheiterhaufenanstecker, einen Streich zu spielen.« »Ihr bleibt also dabei, Euern alten Bekannten zu besuchen,« fragte Tressilian den Abenteurer. »Gewiß, Herr,« sagte Lambourne, »es ist gewettet worden, also muß das Spiel auch riskiert werden. Das ist Spielgesetz und gilt auf dem ganzen Erdenrund. Wenn mich mein Gedächtnis nicht im Stiche läßt – denn ich habe gestern ein bißchen zu tief ins Glas geguckt, habt Ihr Euch ja selber an meinem Risiko beteiligt.« »Ich bleibe auch dabei, Euch bei Euerm Abenteuer zu begleiten,« sagte Tressilian, »wenn Sie mir die Gunst erzeigen und es mir erlauben wollen. Meinen Anteil am Einsatz habe ich unserm würdigen Wirt eingehändigt.« »Das hat er getan,« sagte Giles Gosling. »Ich wünsche Euerm Unternehmen Glück, aber bei meiner Ehre, es wäre angebracht, wenn Ihr vorher noch einen Schluck trinkt, ehe Ihr geht, denn dort drüben in der Halle werdet Ihr einen etwas trocknen Willkommen finden. Und wenn es Euch an den Kragen gehen sollte, seht Euch vor, daß Ihr kein kaltes Eisen in den Magen bekommt. Schickt nach mir, und Giles Gosling, der Gemeindevorstand, wird schon mit Toni Foster fertig werden, so stolz er auch sein mag.« Das Städtchen Cumnor ist anmutig auf einem Hügel erbaut, und in einem dicht angrenzenden Waldpark lag das alte Herrenhaus, das zu jener Zeit Anthony Foster bewohnte. Die Ruinen sind noch heute zu sehen. Der Park war damals voll von großen Bäumen und besonders von alten, mächtigen Eichen, die ihre riesigen Zweige über die hohe Umfassungsmauer des Hauses reckten. So eingeschlossen, nahm es sich recht abgeschieden, melancholisch und klösterlich aus. In den Garten führte ein altmodischer Torweg in der Außenmauer, dessen Tor aus zwei mächtigen Eichenbohlen gezimmert und wie das Tor einer alten Stadt mit Nägeln beschlagen war. »Hier säßen wir fest,« sagte Michael Lambourne, mit einem Blick auf das Tor, »wenn der Mann in seinem Mißtrauen uns gar nicht hereinlassen wollte. Aber nein,« setzte er hinzu, indem er wider das Tor stieß, das nachgab, »die Tür steht einladend offen, und nun stehen wir auf dem verbotenen Boden.« Vor ihnen lag eine Allee, von alten Bäumen beschattet und eingesäumt von hohen Hecken. Die waren aber jahrelang nicht gestutzt worden und nun zu großen Büschen oder vielmehr zu Zwergbäumen aufgeschossen und wucherten nun auf den Weg herüber, den sie einst beschirmt hatten. Auf der Allee selber stand das Gras dicht und hoch, und hie und da lagen große Haufen von Reisig, das zum Trocknen zusammengetragen worden war. Der allgemeine Eindruck der Verödung, der sich immer stark einprägt, wenn wir die Werke der Menschen verwüstet und vernichtet sehen durch Vernachlässigung und allmählich das Pflanzenleben die Spuren des Menschenlebens vertilgt, wurde noch erhöht durch die Größe der Bäume und ihre weit ausgedehnten Wipfel. Selbst wenn die Sonne am höchsten stand, war es hier düster, und düstre Stimmung befiel jeden, der hier herkam. Dies empfand selbst Michael Lambourne, so fern seinem Wesen auch sonst die Zugänglichkeit für Eindrücke liegen mochte, außer bei solchen Dingen, die unmittelbar mit seinen Leidenschaften zu tun hatten. »Dieser Wald ist finster wie ein Wolfsrachen,« sagte er zu Tressilian, als sie die einsame, versperrte Allee selbander dahinschritten und eben in Sicht der klösterlichen Front des alten Herrenhauses gekommen waren, deren Bogenfenster und Ziegelsteine von Efeu und Schlinggewächsen überwuchert und von hohen, schweren Schornsteinen überragt waren. – »Und doch ist es ganz richtig so von Foster, wenn er doch keine Besuche haben will. So läßt er denn sein Grundstück in einem solchen Zustand, daß sich wenige verlockt sehen werden, in seine Einsamkeit einzudringen. Wenn er aber der Toni wäre, den ich einmal gekannt habe, dann wären diese stämmigen Eichen längst das Eigentum eines Holzhändlers geworden, und der Wald hier würde um Mitternacht heller aussehen, als jetzt am Morgen, während Foster selber mit dem daraus gelösten Gelde in irgendeiner Ecke von Whitefriars spielte.« »War er denn so ein Verschwender?« fragte Tressilian. »Er war wie wir alle,« erwiderte Lambourne, »kein Heiliger und kein Sparer. Aber was ich ihm immer am meisten nachgetragen habe, das war, daß er sich immer allein amüsierte und um jeden Tropfen grollte, der nicht auf seine Mühle floß. Das und auch eine Neigung zum Aberglauben, die ihm im Blut zu liegen schien, machte ihn der Gesellschaft guter Kameraden unwürdig. Und nun hat er sich hier vergraben in einer Höhle, die so recht für so einen schlauen Fuchs paßt.« »Darf ich Euch fragen, Herr Lambourne,« sagte Tressilian, »da doch die Gemütsart Euers alten Bekannten so wenig zu der Euern paßt, warum ist Euch so viel daran gelegen, Eure Bekanntschaft mit ihm zu erneuern?« »Und darf ich meinerseits Euch fragen, Herr Tressilian,« versetzte Lambourne, »warum Euch so viel daran gelegen zu sein scheint, mich auf diesem Vorhaben zu begleiten.« »Ich habe Euch ja meinen Grund genannt,« sagte Tressilian, »als ich mich an Eurer Wette beteiligte. – Pure Neugierde.« »Papperlappapp!« unterbrach ihn Lambourne. »Seht doch, wie Ihr höflichen, vorsichtigen Herren uns anführen wollt, die wir kein Blatt vor den Mund nehmen und uns geben, wie uns der Schnabel gewachsen ist. Wenn ich Eure Frage damit beantwortet hätte, daß es bloße Neugierde wäre, weshalb ich meinen alten Kameraden Anthony Foster besuche, dann möchte ich wetten, Ihr hättet es für eine Ausflucht erklärt, mit der ich nur meinen wahren Zweck verschleiern wollte. Aber mir, wie es scheint, muß jede Antwort recht sein.« »Und warum sollte nicht pure Neugierde,« sagte Tressilian, »ein hinreichender Grund sein, daß ich mit Euch gehe?« »O, gebt Euch doch zufrieden, Herr,« entgegnete Lambourne. »So leicht könnt Ihr mir kein X für ein U machen, denn ich habe mich lange genug in der tollen Welt umgesehen, daß ich kein Stroh mehr für Korn fresse. Ihr seid ein Adliger von Geburt und Erziehung – das erkenn ich an Euerm ganzen Wesen. Ihr seid ein höflicher Mann und von gutem Rufe – Eure Manieren beweisen es mir und mein Oheim bezeugt es, und doch tut Ihr Euch zusammen mit so einem Lotterkerl, wie die Leute mich nennen, und Ihr wißt, daß ich so einer bin, und tut Euch doch mit mir zusammen, um einen Mann zu besuchen, dem Ihr ganz fremd seid – und alles aus bloßer Neugierde – ei ja doch! – Wenn man diesen Vorwand genau abwägt, dann fehlen auch ein paar Striche am reellen Gewicht.« »Und wenn Euer Verdacht begründet wäre,« sagte Tressilian, »Ihr habt mir ja auch kein Vertrauen entgegengebracht – wie könnt Ihr da auf Vertrauen meinerseits rechnen?« »O, wenns danach ginge,« entgegnete Lambourne, »meine Beweggründe schwimmen oben. So lange das Gold hier reicht,« und er nahm seine Börse heraus, schnippte sie in die Luft und fing sie im Fallen auf, – »so lange will ich es für Vergnügen und Spaß ausgeben, und wenns alle ist, dann muß ich mehr haben. Nun, wenn diese geheimnisvolle Dame vom Edelhof – diese Herzallerliebste von Toni, dem Scheiterhaufenanstecker – ein so wunderbares Stück Mensch ist, wie die Leute sagen, ei, dann ist Aussicht vorhanden, daß sie mir dazu verhelfen könnte, meine Rosenobels in Grots [Eine kleine Silbermünze – 4 Pence. Rosenoble, eine alte Goldmünze – 4 Shilling 8 Pence.] zu verwandeln, und wenn Anton wiederum ein so reicher Filz ist, wie das Gerücht geht, dann erweist er sich vielleicht als mein Stein der Weisen und verwandelt mir wieder meine Grots in schöne Rosenobels.« »Die Sache ließe sich hören,« sagte Tressilian, »aber ich sehe nicht ein, wieso Ihr Aussicht hättet, diesen angenehmen Vorsatz auszuführen.« »Heute nicht gleich – und wohl auch morgen noch nicht,« antwortete Lambourne. »Ich glaube selber nicht daran, daß ich den alten Fuchs fangen werde, ehe ich nicht den Grundköder fein sauber zurecht gelegt habe. Aber ich bin heute morgen schon etwas weiter in seine Schliche eingeweiht, als ichs gestern abend noch war, und was ich weiß, das will ich so anwenden, daß er denken soll, ich wüßte noch weit mehr, als ich eigentlich weiß. – Nein, wenn ich nicht bestimmt auf Vergnügen oder auf Gewinn rechnete, dann hätte ich nicht einen Fuß auf diesen Herrensitz gesetzt, das kann ich Euch sagen; denn ich versichere Euch, ich halte es gar nicht für so ungefährlich, daß wir hierher gekommen sind. Aber wir sind nun einmal da, und müssen eben sehen, wie wir am besten dabei fahren.« Während dieser Worte waren sie in einen großen Obstgarten getreten, der das Haus auf zwei Seiten umschloß. Die Bäume entbehrten aller Pflege, waren von Moos überwuchert und schienen kaum noch Frucht zu tragen. Ein paar Statuen, die den Garten einst in den Tagen seines Glanzes geziert hatten, waren jetzt von ihren Piedestalen herabgeworfen und zerschellt, und ein großes Sommerhaus mit einer wuchtigen Steinfront, auf der Schnitzereien das Leben und die Taten Simsons darstellten, war in demselben Zustande des Verfalls. Sie hatten eben diesen Garten der Fäulnis durchschritten und waren nur noch ein paar Schritte vom Tor des Herrenhauses entfernt, als Lambourne ausgeredet hatte. Das war Tressilian sehr angenehm, denn er war somit der Verlegenheit enthoben, zu dem freimütigen Bekenntnis der Absichten, die seinen Gefährten hierher geführt hatten, etwas zu bemerken. Lambourne klopfte ohne alle Umstände und ziemlich ungestüm an die Tür des Herrenhauses, indem er gleichzeitig bemerkte, selbst an Stadtgefängnissen hätte er selten so starke Tore gefunden. Erst als sie mehrmals geklopft hatten, lugte ein alter Diener mit sauertöpfischem Gesicht durch ein kleines, viereckiges Loch in der Tür nach ihnen aus und fragte durch die Eisenstäbe, mit denen die kleine Oeffnung wohl versichert war, nach dem Begehr der Fremden. »Wir wünschen augenblicklich Herrn Foster in dringenden Staatsgeschäften zu sprechen,« war Michael Lambournes schlagfertige Antwort. »Mich dünkt, es wird Euch Schwierigkeiten machen, damit durchzukommen,« flüsterte Tressilian seinem Gefährten zu, während der Diener ging, die Botschaft seinem Herrn zu überbringen. »Still doch,« versetzte der Abenteurer, »im ganzen Leben würde ein Soldat nichts ausrichten, wenn er immer erwägen wollte, wie er durchkommen sollte. Wenn wir nur erst einmal Einlaß erlangen, dann wird schon alles gut gehen.« Binnen kurzem erschien der Diener wieder, schob mit behutsamer Hand Riegel und Eisenstab zur Seite und öffnete das Tor. Durch einen gewölbten Gang kamen sie nun in einen viereckigen Hof, der von Gebäuden umgeben war. Dem Torweg gegenüber lag ein andres Tor, das der Diener in gleicher Weise entriegelte, und sie traten nun in einen mit Stein gepflasterten Raum, darin nur wenig Mobiliar war, und was drinnen stand, von der gröbsten, altmodischsten Art. Die Fenster waren hoch und weit und reichten fast bis an die Decke des Raumes, die von schwarzem Eichenholz war, die auf den viereckigen Hof hinaussehenden Fenster waren durch die Höhe der Gebäude ringsherum verdunkelt, und da sie mit massigen Steinpfeilern durchsetzt und dick mit religiösen Sprüchen und Szenen aus der Geschichte der Heiligen Schrift bemalt waren, ließen sie ein im Verhältnis zu ihrer Größe nur sehr karges Licht herein, und was hereinfiel, nahm noch den düstern, dämmerigen Schimmer des gefärbten Glases an. Tressilian und sein Führer hatten Zeit genug, all diese Einzelheiten zu bemerken, denn sie warteten geraume Zeit im Gemach, ehe der gegenwärtige Herr des Hauses endlich erschien. Tressilian war wohl darauf gefaßt, einen Mann von unheilverkündendem, abscheuerregendem Aeußern zu sehen, aber die Häßlichkeit Anton Fosters überbot noch, was er zu sehen erwartet hatte. Er war von mittlerm Wuchs, stämmig gebaut, aber dabei so plump, daß er fast mißgestaltet erschien und die knotige Tölpligkeit eines an Händen und Beinen linken Menschen hatte. Sein Haar, in dessen Pflege die Männer damals eben so peinlich waren, wie heutzutage, war nicht sauber frisiert und in Löckchen gekräuselt und auch nicht hinten aufgestutzt, wie man es auf alten Gemälden findet – es hing vielmehr in schmutziger Vernachlässigung unter einer Pelzmütze hervor und fiel in Alpzöpfen, die nie einen Kamm kennen gelernt zu haben schienen, über die struppigen Brauen und in das seltsame, jedes anheimelnden Zuges bare Gesicht hinein. Seine stechenden, finstern Augen saßen tief unter breiten, zottigen Augenbrauen und waren stets zu Boden geschlagen, als schämten sie sich selber des ihnen eignen Ausdrucks, und suchten ihn vor menschlichen Blicken zu verbergen. Bisweilen aber, wenn er mehr auf die Beobachtung andrer bedacht war, schlug er sie plötzlich auf und heftete sie scharf auf die, mit denen er sprach, und dann drückten sie um so wilder tiefe Leidenschaft und jene Gewalt des Beistandes aus, die willkürlich die Tiefe und den Umfang der innern Gefühle unterdrücken und verhehlen kann. Die Züge, die zu diesen Augen und dieser Gesichtsform paßten, waren unregelmäßig und doch so ausgeprägt, daß sie sich unauslöschlich der Erinnerung dessen, der sie jemals gesehen hatte, einprägten. Seine Kleidung bestand aus einem Wamse von rostbraunem Leder – wie die bessere Klasse der Landleute trug – und einem Gürtel von Rindsleder, in dem links ein langes Dolchmesser und rechts ein Hirschfänger steckte. Er hob die Augen, als er in das Gemach trat und heftete einen scharf durchdringenden Blick auf die beiden Gäste, dann schlug er den Blick zu Boden, als wenn er seine Schritte zählte, während er langsam bis zur Mitte des Raumes vorkam, und sagte in leisem, gedämpftem Tone: »Laßt mich Euch bitten, Ihr Herren, mir die Ursache dieses Besuches zu sagen.« Er schien die Antwort von Tressilian zu erwarten, so sehr traf Lambournes Bemerkung zu, daß höhere Geburt und Anstand auch durch die Verkleidung niederer Tracht erkenntlich sei. Aber Michael gab ihm die Antwort in der ungezwungenen Vertraulichkeit eines alten Freundes und in einem Tone, der nicht durch den geringsten Zweifel an einer herzlichen Aufnahme beeinträchtigt klang. »Ha, mein teurer Freund und Kamerad, Toni Foster!« rief er und ergriff die unwillige Hand und schüttelte sie so nachdrücklich, daß er fast die vierschrötige Gestalt der Person, der sie gehörte, ins Taumeln gebracht hätte. – »Wie gehts Euch seit so manchem langen Jahre? Was! Habt Ihr ganz Euern alten Freund, Gevatter und Spielkameraden Michael Lambourne vergessen?« »Michael Lambourne!« sagte Foster und sah ihn auf einen Augenblick an. Dann senkte er den Blick und zog ohne alle Umstände die Hand aus dem freundschaftlichen Griff des Mannes, von dem er angeredet wurde, – »seid Ihr Michael Lambourne?« »Ja doch, so gewiß wie Ihr Anton Foster seid,« versetzte Lambourne. »Na schön,« sagte sein mürrischer Wirt, »und was kann Michael Lambourne von seinem Besuche hier erwarten?« »Voto a dios!« antwortete Lambourne, »einen bessern Willkommen habe ich erwartet, als mir zuteil wird.« »Ei, Du Galgenvöglein, Du Gefängnisratte, Du Duzbruder vom Henker und seiner Kundschaft,« versetzte Foster, »bist Du so keck, von irgendwem, dessen Hals noch nicht mit dem Eisen Bekanntschaft gemacht hat, Entgegenkommen zu erwarten?« »Es mag schon so sein,« erwiderte Lambourne, »und nehmen wir mal an, ich laß es gelten, bloß daß wir weiter kommen – so bin ich doch noch gut genug als Bekanntschaft für meinen alten Freund Anton, den Scheiterhaufenanstecker, wenn er auch zurzeit durch irgend ein nicht ganz koscheres Privilegium Herr von Cumnor-Place ist.« »Hört, Michael Lambourne, Ihr seid jetzt ein Spieler,« sagte Foster, »und Ihr lebt vom guten Glück – was kommt es mir darauf an, daß ich Euch in diesem Augenblick aus dem Fenster dort in den Graben werfe?« »Ich wette zwanzig gegen eins, daß Ihr das hübsch bleiben lassen werdet,« antwortete der abgebrühte Gast. »Und warum wohl, ich bitte Euch?« fragte Anton Foster, preßte die Zähne aufeinander und kniff die Lippen zusammen, wie jemand, der sich bemüht, eine wilde innere Erregung zu bezwingen. »Weil,« sagte Lambourne gelassen, »Ihrs bei Euerm Leben nicht wagen dürft, mich auch nur mit dem Finger anzutippen. Ich bin jünger und stärker als Ihr und habe in mir eine doppelte Portion von dem Teufel, der mit Hieb und Stich losgeht, wenn auch vielleicht nicht ganz so viel von dem maulwurfsartigen Satan, der unter der Erde einen Weg zu seinem Ziele findet – der den Leuten Galgenstricke unter die Kissen legt und ihnen Rattengift in die Suppe tut, wies in dem Bühnenstück heißt.« Foster sah ihn ernst an, wandte sich dann ab und durchschritt den Raum zweimal mit demselben festen, bedachtsamen Schritt, mit dem er ihn betreten hatte. Dann kam er plötzlich zurück, streckte Michael Lambourne die Hand hin und sagte: »Sei nicht böse auf mich, guter Michel; ich wollte nur probieren, ob Du Deine alte, ehrliche Freimütigkeit eingebüßt hättest, die Deine Neider und Verleumder freche Unverschämtheit nannten.« »Mögen sie sie nennen, wie sie wollen,« sagte Michael Lambourne, »darin besteht doch das Handgepäck, das wir mit uns durchs Leben tragen müssen. Potz Dolch und Schneide! Ich sage Dir, Mann, mein eigener Vorrat an Keckheit war zu klein, um was daraus zu schlagen, so habe ich denn ein paar Tonnen Frechheit mehr in jedem Hafen einladen müssen, an dem ich auf meiner Lebensfahrt angelegt habe, und was ich an Bescheidenheit und Skrupeln noch übrig hatte, das habe ich über Bord geworfen, damit für den Ballast Platz wurde.« »Nein, nein,« versetzte Foster, »was die Skrupel und die Bescheidenheit betrifft, an dem Ballast hattest Du ja genug, als Du von hier absegeltest. – Aber wer ist dieser edle Herr dort? – Ist das auch so ein Luftikus, so ein Windbeutel, wie Du?« »Bitte schön, ich stelle Dir Herrn Tressilian vor, mein Dickerchen,« erwiderte Lambourne und stellte zur Antwort auf die Frage seines Freundes seinen Bekannten vor. – »Kenn ihn und ehre ihn, denn er ist ein Edelmann von vielen bewundernswerten Eigenschaften; und wenn er auch nicht in meiner Branche Geschäfte macht, wenigstens soweit ich es weiß, so hat er doch eine gerechte Hochachtung und Bewunderung für Tausendkerle unsrer Klasse. Er wird mit der Zeit schon auch in unser Fahrwasser steuern, das bleibt ja selten aus; vorjetzt aber ist er nur ein Neophyt, ein Proselyt.« »Wenn er solche Vorzüge besitzt, so will ich Euch bitten, mir in einem andern Gemach Eure Gesellschaft zu vergönnen, ehrlicher Michel, denn was ich Dir zu sagen habe, ist nur für Dein Ohr. – Inzwischen bitte ich Euch, edler Herr, in diesem Gemach auf uns zu warten und sich nicht daraus zu entfernen. Es sind ihrer in diesem Hause, die über den Anblick eines Fremden sich erschrecken würden.« Tressilian war einverstanden, und die beiden würdigen Kumpane verließen das Zimmer zusammen, in welchem er nun allein zurückblieb. Viertes Kapitel Der Raum, in den der Herr von Cumnor-Place seinen würdigen Gast geführt hatte, war geräumiger als der, in welchem sie zuerst sich unterhalten hatten und machte doch mehr den Eindruck der Zerfallenheit. Große eichene Wandschränke, mit Fächern vom gleichen Holze gefüllt, standen rings an den Wänden und hatten ehedem zur Aufnahme einer reichhaltigen Sammlung von Büchern gedient, von denen noch viele vorhanden waren, aber zerrissen und unkenntlich, mit Staub bedeckt, der kostbaren Schlösser, Riegel und Einbände beraubt und in unordentlichen Haufen auf den Brettern zusammengeschoben, wie ganz abgetane und unbeachtete Sachen, die, wer Lust hatte, zerstören konnte. Die Schränke selber waren stellenweise beschädigt und angebrochen und überdies mit Spinngeweben förmlich überzogen und mit Staub dicht bedeckt. »Die Männer, die diese Bücher geschrieben haben, haben sichs wohl nicht träumen lassen, in wessen Hut sie einmal fallen würden,« meinte Lambourne. »Ah bah!« rief Anton Foster, »das ist lauter papistisches Gewäsch, Privatstudien von dem Abt von Abingdon, dem alten Mummelgreis. Der neunzehnte Teil einer reinen, rechtgläubigen Predigt wiegt eine Wagenladung von solchem Kram auf.« »Brav gesprochen, Meister Toni Scheiterhaufenanstecker!« antwortete Lambourne. Foster schielte finster nach ihm hin und erwiderte: »Hört, Freund Michel, vergeßt den Namen und den Vorfall, auf den er sich bezieht, wenn Ihr nicht wollt, daß unsere neu belebte Kameradschaft eines plötzlichen und gewaltsamen Todes sterben soll.« »Ei, ei,« sagte Michael Lambourne, »Ihr rühmtet Euch doch sonst, daß Ihr bei der Hinrichtung der beiden ketzerischen Bischöfe mitgeholfen habt.« »Das,« sagte sein Kamerad, »war zu der Zeit, da ich noch in der Galle der Bitternis und in den Banden der Missetat gefangen war, und hat nichts mehr zu schaffen mit meinem Wandel oder meinen Wegen jetzt, da ich zu den Auserlesenen zähle. Herr Melchisedek Maultext hat mein Mißgeschick in dieser Angelegenheit mit dem des Apostel Paulus verglichen, der den Zeugen, die den heiligen Stephan steinigten, die Kleider hielt. Darüber hat er gepredigt vor drei Sabbathen, und zum darstellenden Beispiel, sagte er, nähme er das Verhalten eines ehrbaren Mannes, der unter den Zuhörern weile – damit meinte er mich.« »Ich bitte Dich, verschone mich, Foster,« sagte Lambourne, »ich weiß nicht, wie es kommt, aber wenn ich den Teufel die heilige Schrift zitieren höre, dann läuft mirs wie eine Gänsehaut über das Fell, und übrigens, Mann, wie konntest Du das Herz haben, die bequeme, alte Religion zu verlassen, die Du aus- oder anziehen konntest wie Deinen Handschuh? Ist mirs nicht noch erinnerlich, wie Ihr Euer Gewissen zur Beichte zu führen pflegtet, so regelmäßig, wie der Monat herankam? Und wenn Dir der Priester Dein Gewissen gesäubert, gestriegelt und weißgewaschen hatte, dann warst Du allezeit bereit zu der schlimmsten Schurkerei, die ausgeheckt werden konnte, wie ein Kind, das immer die meiste Lust hat, in den Dreck zu rennen, wenns einen reinen Sonntagskittel anhat.« »Mach Dir keine Kopfschmerzen um mein Gewissen,« sagte Foster, »das ist ein Ding, das Du nicht verstehen kannst, denn Du hast selber nie eins gehabt. Laß uns lieber zur Sache kommen und sage mir mit einem Worte, was Du mit mir vorhast und was für Hoffnungen Dich hierhergelockt haben.« »Die Hoffnung auf ein besseres Leben,« antwortete Lambourne, »wie das alte Weib sagte, als es über die Brücke in Kingston sprang. Seht her, diese Börse enthält den ganzen Rest einer so runden Summe, wie sie nur einer in der Hosentasche herumzutragen sich wünschen kann. Ihr sitzt hier im warmen Neste, wie es scheinen möchte, und erfreut Euch der Gunst guter Freunde, denn die Leute sagen, Ihr ständet unter ganz besondrer Protektion. Na, starr mich nur nicht an, wie ein Schwein, das gestochen wird – denkst Du, Du kannst in einem Netze herumtanzen, ohne daß die Leute Dich sehen? Nun weiß ich, solche Protektion ist nicht so ohne weitres feil, Ihr müßt dafür Dienste zu verrichten haben, und in diesen Diensten biete ich Dir meinen Beistand an.« »Aber wenn ich nun keinen Beistand von Dir gebrauchen kann, Michel? Ich denke, bei Deiner Bescheidenheit hast Du eine solche Möglichkeit schon in Betracht gezogen?« »Das heißt,« versetzte Lambourne, »Du willst lieber die ganze Arbeit allein herunterschuften, als den Lohn teilen – aber sei nicht allzu futterneidisch, Anton. Habgier und Knauserigkeit bringt den Sack zum Platzen, und das Korn wird verschüttet. Seht, wenn der Weidmann auf den Hirsch pirscht, dann nimmt er mehr als einen Hund mit. Er hat den festen Spürhund, der das wunde Wild über Hügel und Tal aufspürt, aber er hat auch den flinken Windhund, der es zu Tode hetzt, wenn ers zu sehen bekommen hat. Du bist der Bluthund, ich bin der Windhund, und Dein Gönner wird beide brauchen und kann sichs auch leisten, beide zu bezahlen. Du hast tiefen Scharfsinn, – eine zielbewußte, unerschütterliche Ausdauer – eine standfeste, langatmige Niederträchtigkeit, die die meine noch übertrifft. Dafür aber bin ich der kühnere, der schlagfertigere. Getrennt sind unsre Eigenschaften nicht so weit her, aber tu sie zusammen, so können wir die Welt vor uns herjagen. Wie sagst nun – sollen wir selbander jagen?« »Das ist ein schurkisches Vorhaben, – sich so in meine Privatangelegenheiten hineinzudrängen,« erwiderte Foster, »aber Du warst von je ein bösartiger Hund.« »Ihr sollt keine Ursache haben, das zu sagen, es sei denn, Ihr weist meinen höflichen Vorschlag ab,« sagte Michael Lambourne, »wenn Ihr aber das tut, dann hüte Dich vor mir, Herr Ritter, wie es in der Romanze heißt. Ich will entweder an Euern Plänen beteiligt sein oder sie vereiteln, denn ich bin hierher gekommen, um tätig zu sein, entweder im Verein mit Dir oder gegen Dich.« »Gut,« sagte Anton Foster, »da Du mir eine so billige Wahl stellst, so will ich lieber Dein Freund sein als Dein Feind. Du hast recht, ich kann Dich in den Dienst eines Herrn bringen, der genug hat, uns beide zu versorgen und noch hundert andre. Kühnheit und Geschicklichkeit verlangt er – die Gerichtsbücher legen Zeugnis ab zu Deinen Gunsten. In seinen Diensten gibt es kein Stutzen aus Rücksichten, und man darf sich nicht an Skrupeln stoßen – ei, und wer hätte da wohl je bei Dir ein Gewissen vermutet? – Keckheit muß der haben, der einem Höfling dienen will – und Deine Stirn ist undurchdringlich wie ein mailändisches Visier. Nur eins würde ich gern in Dir abgefeilt sehen.« »Und was ist das, mein Goldantonchen?« versetzte Lambourne, »denn beim Kissen der Siebenschläfer schwör ich, ich will nicht säumen, den Fehler abzulegen.« »Nun, eben gibst Du wieder eine Probe davon,« sagte Foster. »In Deiner Redeweise krakehlst Du noch zu sehr in der alten Manier und schmückst sie in jedem Satze mit absonderlichen Flüchen aus, die einen papistischen Beigeschmack haben. Überdies ist auch Dein Aeußeres zu wüst und lotterig für einen Anhänger seiner Lordschaft, denn er hat einen hohen Ruf in den Augen der Welt zu behaupten. Du mußt Deinen Anzug ein wenig ändern – in einen mehr ernsten und gesetzten Schnitt. Und dann – geh in die Kirche – oder noch besser, in den Gottesdienst, wenigstens einmal im Monat. Schwöre bloß bei Deinem Glauben und Deinem Gewissen – lege Deine martialische, großspurige Miene ab und greife nie nach Deinem Degen, außer wenn Du in allem Ernste blank ziehen willst.« »In der Hinsicht, Anton, bist Du einfach verrückt,« antwortete Lambourne, »und hast mir jetzt katzenbuckelnd eher den Portier einer Puritanerin als den Untergebnen eines ehrgeizigen Höflings bezeichnet! Ja, so ein Ding, wie Du aus mir machen möchtest, muß wohl ein Buch am Gürtel tragen statt eines Dolches, aber wer im Gefolge eines Edelmanns mitmachen will, der muß flott und protzig auftreten.« »O, gebt Euch zufrieden, Freundchen,« erwiderte Foster, »es ist anders geworden, seit Ihr aus der englischen Welt hinaus seid, und wir haben ihrer, die ihr Ziel auf den gefährlichsten und geheimsten Wegen verfolgen und doch nie ein prahlerisches Wort oder einen Fluch oder einen gottlosen Ausdruck in ihrer Rede fallen lassen.« »Das heißt,« entgegnete Lambourne, »sie stehen in Handelsgemeinschaft und betreiben des Teufels Geschäfte, ohne seinen Namen in der Firma mit anzuführen. Na, ich will mir alle Mühe geben, es Euch nachzumachen, ehe ich in dieser neuen Welt Boden verliere. Aber, Anton, wie heißt der Edelmann, in dessen Dienst ich mich zum Heuchler ausbilden soll?« »Aha, Meister Michael! Guckt Ihr aus der Luke?« fragte Foster mit einem boshaften Lächeln. »Und ist das die Kenntnis, die Ihr von meinen Angelegenheiten zu wissen vorgebt? Woher wißt Ihr denn, daß es eine solche Person in rerum natura gibt oder daß ich Euch nicht einen Bären aufgebunden habe?« »Du und mir einen Bären aufbinden, Du dummöhriger Hornochs?« antwortete Lambourne, nicht im mindesten eingeschüchtert, »ei, so finster und schmutzig Du auch denkst, so wollt ich doch binnen einem Tage Dich und Deine Geheimnisse klar durchschauen.« In diesem Augenblick wurde ihr Gespräch durch einen lauten Schrei unterbrochen, der aus dem anstoßenden Zimmer kam. »Beim heiligen Kreuz von Abingdon,« rief Anton Foster und vergaß in seiner Bestürzung ganz seinen Protestantismus, »ich bin zu Grunde gerichtet.« Mit diesen Worten stürzte er in das Gemach, aus dem der Schrei kam, und Michael Lambourne ihm nach. Wie der Leser weiß, wurde, als Lambourne mit Foster in das Nebenzimmer ging, Tressilian in dem alten Empfangsraume allein gelassen. Sein dunkles Auge sah ihnen mit einem Blicke der Verachtung nach, die sich zum Teil sogleich wider ihn selber kehrte, daß er sich auch nur für einen Augenblick zum vertrauten Genossen dieser beiden herabgewürdigt hatte. »Das also ist der Umgang, Amy,« so sprach er zu sich selber, »zu dem Deine grausame Leichtsinnigkeit und Deine unbedachte und ganz unverdiente Falschheit einen Mann verurteilt haben, von dem seine Freunde einst andres erhofften und der jetzt sich selber verachtet, wie er von andern verachtet wird, wegen der Niedrigkeit, zu der er sich entwürdigt aus Liebe zu Dir. Aber ich will nicht nachlassen, Dich zu verfolgen, an der ich einst in reinster und hingebendster Liebe hing, – jetzt freilich kannst Du für mich nur noch ein Ding sein, um das ich Tränen vergieße. – Ich will Dich vor Deinem Verräter und vor Dir selber retten – ich will Dich Deinen Eltern – und Deinem Gotte – zurückgeben.« Ein leises Geräusch in dem Gemach schreckte ihn aus seiner Träumerei; er sah um sich, und in der schönen, reichgekleideten Frau, die jetzt hereintrat, erkannte er sie, die er suchte. Sein erstes in der Ueberraschung dieser jähen Entdeckung war, daß er sein Gesicht mit dem Mantelkragen bedeckte, bis sich ihm ein günstiger Augenblick bieten würde, sich zu erkennen zu geben. Aber die junge Dame, die noch nicht über achtzehn Jahre alt war, vereitelte sein Vorhaben, indem sie freudig auf ihn zulief, ihn am Mantel zog und neckisch zu ihm sagte: »Mein süßer Freund, nachdem ich so lange auf Euch gewartet habe, kommt Ihr doch nicht in mein Versteck, Mummenschanz zu treiben. Ihr seid des Verrats an treuer Liebe und zärtlicher Zuneigung bezichtigt, und Ihr müßt vor die Schranken treten und Euch mit unverhülltem Gesicht verteidigen – was habt Ihr zu sagen: schuldig oder nicht?« »Ach, Amy!« sagte Tressilian leisen und schwermütigen Tones und ließ sich den Mantel vom Gesicht ziehen. Der Klang seiner Stimme und noch mehr der unerwartete Anblick seines Gesichts brachte im Augenblick die Dame aus ihrer scherzhaften Stimmung. – Sie taumelte zurück, bleich wie der Tod, und schlug die Hände vors Gesicht. Tressilian selber war für den Augenblick ganz überwältigt, aber plötzlich schien er sich wieder bewußt zu werden, daß er eine Gelegenheit ausnützen müsse, die vielleicht nie wiederkehren konnte, und sagte leise: »Amy, fürchte mich nicht.« »Warum sollte ich Euch fürchten?« fragte die Lady, ihre Hände von ihrem schönen Gesicht wegnehmend, das jetzt mit Purpurröte überzogen war, – »warum sollte ich Euch fürchten, Herr Tressilian? Doch wozu seid Ihr in meine Wohnung gedrungen, uneingeladen, Herr, und unerwünscht?« »Eure Wohnung, Amy!« sagte Tressilian. »Ach, ist ein Gefängnis Eure Wohnung? – Ein Gefängnis, das bewacht wird von einem der schmutzigsten Menschen, der aber doch noch kein größers Scheusal ist als sein Gebieter?« »Dies Haus ist mein,« sagte Amy, »mein, so lange es mir paßt, darin zu wohnen. Wenn es mir Spaß macht, in Abgeschiedenheit zu leben, wer will es mir verwehren?« »Euer Vater, Jungfrau,« antwortete Tressilian. »Euer Vater, dem das Herz gebrochen ist, der mich abgesandt hat, nach Euch zu forschen, und mir jene Vollmacht erteilt hat, die er selber nicht in Person ausüben kann. Hier ist sein Brief – beim Schreiben hat er die Schmerzen gelobt, die seinen Körper peinigen, weil er über ihnen die Seelenqual nicht so tief empfindet.« »Die Schmerzen! Ist denn mein Vater krank?« fragte die Dame. »So krank,« antwortete Tressilian, »daß, wenn Ihr auch auf Flügeln zu ihm eiltet, Ihr ihn doch nicht gesund machen könntet, doch soll alles sogleich zu Eurer Abreise hergerichtet werden, sobald Ihr Euch dazu bereit erklärt.« »Tressilian,« antwortete die Dame, »ich kann nicht, ich darf nicht diese Stätte verlassen. Kehrt zu meinem Vater zurück, sagt ihm, ich will mir Urlaub erwirken, ihn in zwölf Stunden von jetzt ab zu besuchen. Kehrt zurück, Tressilian, – sagt ihm, ich befinde mich wohl, ich bin glücklich – ich wäre glücklich, könnte ich denken, er wäre es auch – sagt ihm, er soll sich nicht davor fürchten, daß ich kommen will – ich will so zu ihm kommen, daß all der Kummer, den Amy ihm bereitet hat, vergessen sein soll – die arme Amy ist jetzt größer als sie verraten darf. Geht, mein guter Tressilian, – ich habe auch Euch weh getan, aber glaubt mir, ich habe Macht, die Wunden zu heilen, die ich geschlagen habe. Ich habe Euch ein kindisches Herz geraubt, daß Euer gar nicht würdig war, und ich kann den Verlust durch Ehren und Beförderung ersetzen.« »Sagt Ihr das mir, Amy? – Bietet Ihr mir den Flitter eiteln Ehrgeizes für den stillen Frieden, den Ihr mir geraubt habt? Noch sei es so – ich bin nicht gekommen, Vorwürfe zu machen, – sondern Euch zu dienen und Euch zu befreien. Ihr könnt es vor mir nicht verbergen, Ihr seid eine Gefangene. Sonst wäre Euer liebes Herz – denn lieb und gut war es einst – schon am Bette Eures Vaters. Kommt, armes, betrognes, unglückliches Mädchen! – Alles soll vergessen sein – alles soll vergeben sein. Fürchtet nicht, ich könnte Euch Ungelegenheiten machen wegen unsers frühern Verhältnisses – es war ein Traum und ich bin erwacht. Doch kommt – Euer Vater lebt noch – kommt, und ein Wort der Liebe – eine Träne der Reue wird das Gedächtnis von allem, was vorgegangen ist, ausmerzen.« »Habe ich nicht schon gesagt, Tressilian,« erwiderte sie, »daß ich ganz bestimmt zu meinem Vater kommen werde, und ich will dies nicht länger hinausschieben, als unbedingt nötig ist, um andre ebenso unerläßliche Pflichten zu erfüllen. – Geht, bringt ihm den Bescheid – ich komme, so gewiß, wie Licht am Himmel ist – das heißt, wenn ich Erlaubnis bekomme.« »Erlaubnis? Erlaubnis, Deinem Vater auf dem Krankenbette, vielleicht auf seinem Totenbette zu besuchen?« sagte Tressilian, »und Erlaubnis von wem? – Von dem Schurken, der unter dem Mantel der Freundschaft jeder Pflicht der Gastfreundschaft Hohn sprach und Dich aus Deines Vaters Hause stahl?« »Verunglimpf ihn nicht, Tressilian. Er, von dem Du sprichst, trägt ein Schwert, so scharf wie Deines, – ja schärfer noch, eitler Mann – denn die besten Taten, die Du je im Frieden oder Kriege getan hast, waren ebenso wenig würdig, in einem Atem mit den seinen genannt zu werden, wie Dein niedrer Rang sich mit der Sphäre messen kann, in der er sich bewegt. Verlaß mich! Geh, richte meine Bestellung an meinen Vater aus, und wenn er wieder zu mir schickt, soll er einen willkommnern Boten wählen.« »Amy,« erwiderte Tressilian sanft, »mit Deinen Vorwürfen richtest Du nichts aus bei mir. Sage mir eins, daß ich wenigstens einen Strahl des Trostes meinem alten Freunde bringen kann. Seinen Rang, von dem Du so rühmlich sprichst, teilst Du mit ihm, Amy? – Hat er das Recht eines Gatten, Dir Vorschriften zu machen?« »Zügle Deine unartige Zunge!« sagte die Dame. »Eine Frage, die meine Ehre in Zweifel stellt, würdige ich keiner Antwort.« »Ihr habt schon genug gesagt, indem Ihr die Antwort darauf verweigertet,« versetzte Tressilian, »und merke wohl, unglücklich wie Du bist, ich bin gerüstet mit der Vollmacht Deines Vaters, Dir Gehorsam zu bieten, und ich will Dich retten aus der Sklaverei von Sünde und Kummer, selbst wider Deinen Willen, Amy!« »Droh mit keiner Gewalttat hier!« rief die Dame und zog sich vor ihm zurück, bestürzt über die Entschlossenheit, die aus seinem Blick und Wesen sprach. – »Drohe mir nicht, Tressilian, denn ich habe Mittel, mich vor Gewalt zu schützen.« »Aber doch wohl nicht den Wunsch, diese Mittel zu so schlimmem Zwecke zu benutzen,« sagte Tressilian. »Mit Deinem Willen – Deinem unbeeinflußten, freien und natürlichen Willen, Amy, kannst Du nicht diesen Zustand der Sklaverei und Schande auf Dich genommen haben – Du bist durch irgend einen Zauber gebannt worden – Du bist durch irgend einen Betrug umgarnt worden – Du wirst durch ein erzwungenes Gelübde festgehalten. – Aber so brech ich den Zauber – Amy, im Namen Deines herrlichen, vom Herzeleid gebrochnen Vaters gebiete ich Dir, mir zu folgen.« Mit diesen Worten trat er auf sie zu und streckte den Arm aus, als wollte er sie ergreifen. Aber sie wich zurück vor seinem Griff und stieß den Schrei aus, der Lambourne und Foster in das Zimmer führte. Der letztere rief, sobald er hereintrat: »Feuer und Reisig! Was haben wir hier?« Dann wandte er sich an die Dame und setzte in einem Tone zwischen Bitte und Befehl hinzu: »Potzblitz, Madame! Was tut Ihr hier in voller Freiheit? Macht, daß Ihr wegkommt – weg – weg – Tod und Leben sind hier im Spiele! – Und Ihr, Freund, wer Ihr auch seid, verlaßt dieses Haus – hinaus mit Euch, ehe mein Dolch und Eure Brust miteinander Bekanntschaft machen. Zieh, Michel, und befrei uns von dem Schurken!« »Ich nicht, bei meiner Seele,« versetzte Lambourne. »Er ist hierher gekommen in meiner Gesellschaft, und er ist sicher vor mir nach den Gesetzen der Diebszunft, zum wenigsten, bis wir einander wieder begegnen. Aber hört, mein Freund aus Cornwallis: Ihr habt einen echten kornischen Windsturm mit hierher gebracht, einen Taifun, wie sie im Orient sagen. Macht Euch dünn – zieht Leine – verschwindet, sonst soll Euch das Lebenslichtlein ausgeblasen werden.« »Hinweg, erbärmlicher Bursche,« sagte Tressilian. »Und Ihr, Madame, gehabt Euch wohl – das letzte bißchen Leben in Euers Vaters Brust wird von hinnen fliehen bei der Nachricht, die ich ihm zu bringen habe.« Er ging, – als er das Zimmer verließ, flüsterte die Dame ihm leise zu: »Tressilian, seid nicht voreilig und unbedacht – sprecht nichts Ehrenrühriges von mir!« »Da haben wir ja eine nette Bescherung,« sagte Foster, »ich bitte Euch, geht in Euer Zimmer, Mylady, und laßt uns bedenken, wie wir das wieder gut machen können. – Nein, säumet nicht.« »Auf Euer Geheiß rühr ich kein Glied, Herr,« antwortete die Dame. »Aber Ihr müßts, schöne Dame,« erwiderte Foster, »entschuldigt meine Freiheit, aber bei Blut und Nageln, wir haben keine Zeit jetzt, Höflichkeiten zu drechseln – Ihr müßt in Euer Zimmer gehen – Michel, geh diesem naseweisen Laffen nach, und wenn Dir selber daran liegt, gut zu fahren, sorge dafür, daß er von hier wegkommt, dieweil ich diese halsstarrige Dame zur Vernunft bringe. Zieh vom Leder, Kerl, und hinter ihm drein!« »Das will ich,« sagte Michael Lambourne, »und weg soll er von hier. Aber einem zu Leibe gehen, mit dem ich am Morgen noch ein Glas zusammen getrunken habe, das ist ganz gegen mein Gewissen.« Mit diesen Worten ging er hinaus. Tressilian schritt indessen in Hast auf dem ersten besten Wege dahin, der ihn aus dem wilden, überwucherten Park, in welchem Fosters Haus lag, hinauszuführen versprach. Hast und tiefer Seelenschmerz ließen ihn irre gehen, und anstatt die Allee einzuschlagen, die nach der Stadt führte, schlug er einen andern Weg ein, der ihn, nachdem er ihm eine Zeitlang mit hastigen, unachtsamen Schritten gefolgt war, an die andre Seite des Grundstücks brachte, wo eine Hintertür in der Mauer aufs freie Feld hinausführte. Tressilian blieb einen Augenblick stehen. Es war ihm gleichgültig, auf welchem Wege er eine jetzt für seine Erinnerung so hassenswerte Stätte verließ, aber es war doch anzunehmen, daß die Hintertür verschlossen wäre und er hier nicht hinausgelangen könnte. »Ich muß es aber doch versuchen,« sagte er zu sich selber, »das einzige Mittel, dieses verlorene, – dieses verworfene – dieses trotz allem noch liebreizende und unglückliche Mädchen zurückzufordern, ist, daß ihr Vater sich an die Gesetze seines Landes wendet. Ich muß ihm schleunigst diese herzzerreißende Nachricht bringen.« Als in diesem Selbstgespräch Tressilian herantrat und versuchte, ob er die Tür öffnen oder über die Mauer steigen könnte, bemerkte er, daß von außen ein Schlüssel in das Schloß gesteckt wurde. Der Schlüssel wurde herumgedreht, der Riegel sprang zurück, und ein Kavalier trat herein, in den Reitmantel gehüllt und einen breitkrempigen Hut mit herabhängender Feder auf dem Kopfe und stand nun dicht vor Tressilian, der eben hinauswollte. Im Tone des Grolls und Erstaunens rief der eine: »Varney!« und der andere: »Tressilian!« »Was macht Ihr hier?« war die barsche Frage, die der Fremde an Tressilian richtete, als die erste Ueberraschung überwunden war, »was macht Ihr hier, wo Eure Anwesenheit weder erwartet noch erwünscht wird?« »Nein, Varney,« versetzte Tressilian, »was macht Ihr hier? Seid Ihr gekommen, über die Unschuld, die Ihr vernichtet habt, zu triumphieren, wie der Geier oder die Aaskrähe kommt, sich an dem Lamme zu mästen, dem sie zuerst die Augen ausgehackt haben? – Oder seid Ihr gekommen, der verdienten Rache eines ehrlichen Mannes Euch zu stellen? – Zieh, Hund, und verteidige Dich!« Tressilian zog sein Schwert, aber Varney legte nur die Hand auf den Griff des seinen, indes er antwortete: »Du bist verrückt, Tressilian – ich gebe zu, der äußere Schein ist gegen mich, aber bei allen Eiden, die ein Priester aufsetzen oder ein Mensch ablegen kann, Mistreß Amy Robsart ist kein Leid von mir widerfahren; und wahrhaftig, es sollte mir doch ein wenig leid tun, Euch um deswillen zu verwunden. – Du weißt, ich kann fechten.« »So hört ich Dich sagen, Varney,« antwortete Tressilian, »jetzt aber, dünkt mich, hätte ich gern einen bessern Beweis als Dein bloßes Wort.« »Der soll nicht ausbleiben, so mir Griff und Klinge treu sind,« antwortete Varney, und sein Schwert zog er mit der Rechten, den Mantel warf er um die Linke und fiel Tressilian mit einem Ungestüm an, der ihm auf einen Moment den entscheidenden Vorteil im Zweikampfe zu geben schien. Aber nicht lange hielt diese günstige Wendung an. Tressilian war von Rachedurst erfüllt und hatte obendrein eine sichere Hand und ein festes Auge – Eigenschaften, die ihn zu einem Meister in der Handhabung des Rapiers machten. Varney sah sich bald hart bedrängt und versuchte, sich seine überlegene Körperkraft zu nutze zu machen und mit seinem Gegner handgemein zu werden. Zu diesem Zwecke wagte er es beherzt, einen von Tressilians Stößen in seinem Mantel aufzufangen, den er um den Arm gewickelt hatte, und ehe sein Gegner sein so festgeranntes Rapier herausziehen konnte, fiel er ihn dicht an, indem er sein Schwert kurz faßte, um ihm den Garaus zu machen. Aber Tressilian war auf der Hut, und er riß den Dolch aus der Scheide, parierte mit der Klinge dieser Waffe den Todesstoß, der sonst dem Zweikampf ein Ende gemacht hätte, und führte nun den Kampf so geschickt weiter, daß Varney zu Boden gestreckt wurde. Sein Schwert flog ein paar Schritte weit, und ehe er wieder aufspringen konnte, setzte ihm sein Gegner die Degenspitze an die Kehle. »Gebt mir augenblicks die Mittel, das Opfer Eures Verrats zu erlösen,« sagte Tressilian, »oder tut Euern letzten Blick zur Sonne Euers Schöpfers!« Zu bestürzt oder zu trotzig zu antworten, machte Varney eine plötzliche Anstrengung, aufzuspringen, und sein Gegner zog den Arm zurück und hätte wohl seine Drohung ausgeführt, aber der Stoß wurde durch den Griff Michael Lambournes aufgehalten, der dem Klange der klirrenden Schwerter nachgeeilt war und gerade zur rechten Zeit ankam, um Varneys Leben zu retten. »Kommt, kommt, Kamerad,« sagte Lambourne, »hier ist genug getan und mehr als genug – tut Euer Schwert zur Seite und laßt uns heim bummeln.« »Hinweg, Auswurf!« sagte Tressilian und riß sich von Lambourne los. »Wagst Du es, zwischen mich und meinen Feind zu treten?« »Auswurf! Auswurf!« wiederholte Lambourne; »das soll mit kaltem Stahl beantwortet werden, sobald ein Glas Sekt die Erinnerung an den Morgentrunk hinweggespült hat, den wir miteinander geleert haben. Mittlerweile, seht Ihr, – geht los, schwimmt ab, zieht Leine – wir sind zwei gegen einen.« Er sagte die Wahrheit, denn Varney hatte die Gelegenheit benutzt, seine Waffe wieder aufzuraffen, und Tressilian sah ein, daß es Wahnwitz wäre, den Kampf bei so ungleichem Stande fortzusetzen. Er zog die Börse, nahm zwei Goldnobels heraus und warf sie Lambourne zu: »Da, Sklave, ist Dein Morgenlohn – Du sollst nicht sagen, Du habest mich ohne Lohn geführt. Varney, lebt wohl! Wir sehen einander wieder, wo niemand zwischen uns treten soll!« Mit diesen Worten wandte er sich um und ging zur Hinterpforte hinaus. Varney schien keine Lust zu haben – oder keine Kraft (denn sein Sturz war schwer gewesen), seinem Feinde zu folgen, aber er starrte ihm finster nach, dann wandte er sich an Lambourne: »Bist Du ein Kamerad von Foster, guter Bursch?« »Wir sind geschworene Freunde, wie Heft und Messer,« erwiderte Michael Lambourne. »Da hast Du einen Zehrgroschen, – geh dem Buben da nach und sieh, wohin er geht und bring mir Bescheid ins Herrenhaus hier. Vorsichtig und verschwiegen, Bursche, sofern Dir Deine Kehle lieb ist.« »Genug gesagt,« erwiderte Lambourne, »ich kann eine Spur verfolgen so gut wie ein Schweißhund.« »Dann geh Deines Weges,« sagte Varney, steckte sein Rapier in die Scheide, kehrte Lambourne den Rücken zu und schritt langsam dem Hause zu. Lambourne verweilte nur einen Augenblick, um die Nobels aufzulesen, die sein ehemaliger Gefährte ihm so unfein zugeworfen hatte, und während er sie mit dem Handgeld Varneys einsteckte, murmelte er vor sich hin: »Zu den Hornochsen da drüben hab ich vom Eldorado gesprochen. Bei Sankt Anton, für Leute unsers Schlages gibt es kein Eldorado, das sich mit dem guten Altengland vergleichen läßt! Hier regnet es Nobels vom Himmel – sie liegen auf dem Grase so dick wie Tautropfen – man braucht sie bloß aufzulesen. Und wenn ich nicht meinen Teil an diesen glitzernden Tautropfen habe, so mag mein Schwert schmelzen wie ein Eiszapfen!« Fünftes Kapitel Anton Foster war noch immer in Wortwechsel mit seiner schönen Schutzbefohlnen, die jeder Aufforderung, sich in ihr Zimmer zu begeben, mit Verachtung zurückwies – da ließ sich ein Pfeifen an der Eingangstür des Herrenhauses hören. »Jetzt sind wir geliefert,« sagte Foster, »da draußen ist das Signal Euers Lords, und was wir zu der Unordnung, die jetzt hier herrscht, sagen sollen, bei meinem Gewissen, ich weiß es nicht.« »Ruhe, Herr,« sagte die Dame, »und macht Euerm Gebieter das Tor auf. – Mylord! Mein treuer Lord!« rief sie dann und eilte nach dem Eingang des Zimmers; dann setzte sie im Tone der Enttäuschung hinzu: »Puh! Es ist bloß Richard Varney.« »Ja, Madame,« sagte Varney und grüßte im Hereintreten die Dame mit einer respektvollen Verneigung, die sie halb nachlässig, halb mißvergnügt erwiderte. – »Es ist bloß Richard Varney, aber die erste graue Wolke, die im Osten aufleuchtet, sollte willkommen sein, weil sie die Nähe der gesegneten Sonne verkündet.« »Wie! Kommt Mylord heute hierher?« fragte die Dame freudig, doch auch bestürzt; und Anton Foster haschte das Wort auf und wiederholte die Frage. Varney antwortete der Dame, sein Herr beabsichtige, ihr seine Aufwartung zu machen, und die Dame lief nach der Tür des angrenzenden Gemachs und rief laut: »Jeanette – Jeanette! Komm sofort in mein Boudoir!« Dann wandte sie sich wieder zu Varney und fragte, ob Mylord ihr sonst noch etwas bestellen ließe. »Diesen Brief soll ich abgeben, geehrte Dame,« sagte er und zog aus der Brust ein kleines, in scharlachrote Seide gewickeltes Päckchen, – »und mit ihm ein Angebinde für die Königin seiner Liebe.« Mit neugieriger Hast eilte die Dame, die seidene Schnur zu lösen, die das kleine Päckchen umschloß, und da es ihr nicht gelang, den Knoten so rasch aufzuknüpfen, zu dem sie verschlungen war, rief sie wieder laut nach Jeanette: »Bring mir ein Messer – eine Schere – irgend was, womit dieser niederträchtige Knoten aufzukriegen ist!« »Kann nicht mein armseliger Dolch dazu dienen, geehrte Dame?« fragte Varney und bot ihr einen kleinen Dolch von hervorragender Arbeit an, der an seinem Schwertgurt von türkischem Leder hing. »Nein, Herr,« versetzte die Dame, das Werkzeug, das er ihr bot, von sich weisend. »Ein stählerner Dolch soll keinen Liebesknoten von mir zerschneiden.« »Und doch hat er schon viele zerschnitten,« sagte Anton Foster, halb beiseite, mit einem Blick auf Varney. Mittlerweile war der Knoten ohne jede andre Hilfe als durch die feinen, flinken Finger der Jeanette aufgeknüpft worden – sie war ein schlicht gekleidetes Mädchen, die Tochter Anton Fosters, die auf den wiederholten Ruf ihrer Herrin herbeigeeilt war. Ein Halsband von orientalischen Perlen, das bei einem mit Wohlgeruch genetzten Briefe lag, wurde hastig von der Dame hervorgezogen. Sie reichte das Geschmeide nach einem flüchtigen Blick der Dienerin, während sie den Inhalt des Briefes las oder vielmehr verschlang. »Jedes Wort in diesem Briefe wiegt dieses ganze Kleinod auf. Aber komm in mein Ankleidezimmer, Mädchen: wir müssen uns sputen und uns fein machen, Mylord kommt heute nacht hierher. – Er bittet mich, Euch meine Gunst zu schenken, Meister Varney, und für mich ist sein Wunsch Gesetz. – Ich lade Euch zu einer Mahlzeit in meinem Zimmer heute nachmittag, und auch Euch, Meister Foster. Gebt Befehl, daß alles in Ordnung gebracht wird und daß zum Empfang Mylords heute abend die gehörigen Vorbereitungen getroffen werden.« Mit diesen Worten verließ sie das Gemach. »Sie versteht sich schon aufs Vornehmtun,« sagte Varney, »und teilt die Gunst ihrer Gesellschaft aus, als wäre sie schon die ebenbürtige Gefährtin seiner Würde. – Nun ja, es ist weise, die Rolle, zu der das Schicksal uns bestimmt, vorher einzustudieren, – der junge Adler muß in die Sonne schauen, ehe er mit starken Schwingen ihr entgegenfliegen kann.« »Sie trägt schon jetzt den Kopf hoch, Meister Varney,« sagte Foster, »und hört nicht mehr auf meinen Pfiff. Ich versichere Euch, sie kehrt sich schon gar nicht mehr an mich.« »Daran bist Du selber schuld, Du griesgrämiger, unerfinderischer Gesell,« antwortete Varney, »Du weißt eben keine Methode der Zähmung als die rohe Gewalt. – Kannst Du ihr nicht das Heim angenehm machen mit Musik und Spielen? Kannst Du ihr nicht die Außenwelt zu einer Schrecknis machen, indem Du ihr Erzählungen von Gespenstern auftischst? Du wohnst doch hier dicht am Kirchhof und hast nicht einmal Witz genug, einen Geist heraufzubeschwören, der Deine Weibsbilder in guter Zucht halt?« »Sprecht nicht so, Meister Varney, – die Lebenden fürchte ich nicht, aber ich treibe kein Spiel und keinen Spott mit meinen toten Nachbarn vom Kirchhofe da – ich sage Euch, es gehört schon ein gutes Herz dazu, so ganz in ihrer Nähe zu hausen.« »Wie kam dieser Tressilian an die Hintertür?« fragte Varney. »Tressilian? Was weiß ich von Tressilian? Ich habe den Namen noch nie gehört.« »Du Schuft, es ist eben der Hanswurst aus Cornwallis, dem der alte Sir Hugh Robsart seine Tochter zugesagt hatte, und der hirnverbrannte Narr ist hierher gekommen, seinem weggelaufenen Schätzchen nachzuschauen. Zum Glück weiß er nichts von Mylord und denkt, er hat bloß mit mir zu tun. Aber wie zum Teufel ist er hierher gekommen?« »Na, mit Michael Lambourne zusammen,« antwortete Foster. »Und wer ist dieser Michel Lambourne?« fragte Varney. »Beim Himmel, Du tätest am besten dran, Du hängtest ein Schild über Deine Tür und lüdest jeden Landstreicher, der des Weges kommt, ein, sich anzusehen, was Du vor Sonne und Luft selber geheim halten solltest.« »Ei, ei! Das ist so recht Höflingsmanier, mir den Euch geleisteten Dienst zu vergelten, Meister Richard Varney,« erwiderte Foster. »Habt Ihr mir nicht aufgetragen, für Euch einen Burschen ausfindig zu machen, der ein gutes Schwert und ein weites Gewissen hätte? Und habe ich mich nicht bemüht, einen passenden Mann zu finden – denn, dem Himmel sei Dank! Mein Umgang liegt nicht bei dieser Sorte von Kerlen – da will es der Himmel, und dieser lange Bursche, der in all seinen Eigenschaften so recht der Teufelskerl ist, den Ihr Euch wünscht, kommt hierher und zwingt mir in seiner haarsträubenden Unverschämtheit seine Bekanntschaft auf, und ich ließ mir das auch gefallen, weil ich dachte, ich tät Euch einen Gefallen damit, – und da sieht man nun, was mein Dank ist, daß ich mich selber entwürdigt habe, indem ich mich mit ihm abgegeben habe.« »Na, da ist er wohl Deinesgleichen,« sagte Varney, »nur daß ihm Deine Gabe der Heuchelei fehlt, die so dünn über Deinem harten, ruchlosen Herzen liegt, wie Goldlack über rostigem Eisen – und hat er den muckernden, seufzenden Tressilian mitgebracht?« »Zusammen sind sie gekommen, beim Himmel,« sagte Foster, »und Tressilian – um die Wahrheit des Himmels zu reden – hat einen Augenblick mit unserm hübschen Püppchen sprechen können, während ich abseits mit Lambourne verhandelt habe.« »Unvorsichtiger Schurke! Wir sind beide geliefert!« sagte Varney, »sie hat in letzter Zeit manchen Blick zurück nach dem Hause ihres Vaters geworfen, wenn ihr Verehrer sie allein ließ. Wenn dieser salbadernde Schafskopf sie mit seinem flötenden Gewäsch in die alte Hürde zurücklocken sollte, dann ists um uns beide geschehen.« »Darum laßt Euch nicht bange sein, Meister,« versetzte Anton Foster, »sie denkt nicht im mindesten daran, nach seiner Pfeife zu tanzen, denn als sie ihn sah, hat sie laut aufgekreischt, als wenn eine Otter sie gestochen hätte.« »Das ist gut. – Kannst Du nicht von Deiner Tochter herausbekommen, was zwischen ihnen vorging, guter Foster?« »Ich sage Euch rund heraus, Meister Varney,« sagte Foster, »meine Tochter soll nicht in unsre Pläne eingeweiht werden, noch unsre Wege wandeln. Mir selber machts nichts weiter aus, denn ich weiß mich mit dem Himmel wegen meiner Missetaten wieder auszusöhnen, aber ich will nicht, daß die Seele meines Kindes zu Euerm oder Mylords Gefallen irgend welcher Gefahr ausgesetzt werde. Ich selber kann zwischen Schlangen und Fallen einhergehen, weil ich vorsichtig bin, aber ich will nicht das arme Lamm zwischen sie lassen.« »Du kannst doch auf Umwegen irgend etwas von Deiner Tochter erfahren, Du mißtrauischer Narr?« »Das habe ich auch getan, und sie hat mir gesagt, ihre Lady härme sich um die Krankheit ihres Vaters.« »Gut!« versetzte Varney. »Dieser Wink schon ist die Nachfrage wert, und ich will mich danach richten. Aber dieser Tressilian muß aus dem Lande – denn ich hasse ihn wie starkes Gift, seine Gegenwart ist Schierling für mich – und heute selber wäre ich ihn los geworden, nur daß mein Fuß ausglitt – und in Wahrheit, wenn Dein Kamerad hier nicht mir zu Hilfe gekommen wäre und seine Hand festgehalten hätte, so wüßte ich jetzt schon, ob wir beide den Pfad des Himmels oder der Hölle wandeln.« »Und Ihr könnt so ruhig von solch einer Gefahr sprechen!« rief Foster. »Euch schlägt ein starkes Herz in der Brust, Meister Varney – ich für mein Teil, wenn ich nicht hoffte, noch viele Jahre zu leben und Zeit zu finden für das große Werk der Reue, ich ginge nicht eines Weges mit Euch.« »O! Du willst so lange leben wie Methusalem,« sagte Varney, »und so großen Reichtum aufhäufen wie Salomo, und Du wirst so gottergeben bereuen, daß Deine Reue noch großartiger sein wird als Deine Verruchtheit – und das will viel sagen. Aber vor allem muß dafür gesorgt werden, daß dieser Tressilian verschwindet. Dein Raufbold da ist hinter ihm drein und spürt ihm nach. Unser beider Glück steht dabei auf dem Spiele, Anton.« »Ja doch, ja doch,« sagte Foster mürrisch, »das kommt davon, wenn man sich mit jemand einläßt, der nicht einmal soviel von der heiligen Schrift weiß, daß der Arbeiter seines Lohnes wert ist. Wie gewöhnlich, muß ich wieder die ganze Schererei und die ganze Gefahr auf mich nehmen.« »Gefahr! Und was ist denn die große Gefahr dabei, ich bitte Euch?« antwortete Varney. »Dieser Bursche wird schon noch einmal um unser Haus herumstrolchen oder gar hereinkommen, und wenn Ihr ihn für einen Einbrecher nehmt, was ist natürlicher, als daß Ihr ihn mit kaltem Stahl oder heißem Blei empfangt? Selbst ein Kettenhund reißt den nieder, der ihm zu nahe kommt, und wer wird ihn tadeln?« »Ja, ich habe hier bei Euch die Arbeit eines Kettenhundes und kriege auch den Lohn eines Kettenhundes,« sagte Foster. »Ihr, Herr Varney, habt Euch da einen schönen Freisitz aus dieser alten Stiftung des Aberglaubens sichergestellt, und ich bin nur ein Pächter dieses Hauses unter Euch, der an die Luft gesetzt werden kann, sobald es Euer Gnaden beliebt.« »Ei, und da möchtest Du gern Dein Pachtgut in einen Freisitz umwandeln – nun, es kann sich schon so fügen, Anton Foster, wenn Du uns gute Dienste leistest. Aber gemach, guter Anton – es ist nicht damit getan, daß Du ein paar Zimmer dieses Hauses dazu hergibst, den hübschen Papagei Mylords aufzunehmen – nicht indem Du bloß die Fenster und Türen zumachst, daß er nicht wegfliegen kann, verdienst Du Dir schon Dein Teil. Bedenke, der Zins und die Zehnten sind zu dem klaren jährlichen Betrag von neunundsiebenzig Pfund fünf Schilling und fünfeinhalben Penny angesetzt. Komm, komm, Du mußt vernünftig sein; mit großen und geheimen Diensten läßt sich dies beides und noch mehr verdienen. – Und nun mag Dein Bursche kommen und mir die Stiefel ausziehen. – Gib etwas zu essen und einen Becher von Deinem besten Wein.« Sie trennten sich und kamen zur Mittagsstunde, die damals auch die Essenszeit war, bei Tische wieder zusammen. Als dann die Tafel abgedeckt worden war und sie sich wieder allein beieinander befanden, setzten sie ihr Zwiegespräch fort. »Schwatzt ein wenig, guter Toni,« sagte Varney. »Sei es, was es sei, ich will es als Würze zu diesem Becher Alikante hinnehmen.« »Nun, dann sagt mir,« sagte Anton Foster, »wäre nicht der Dienst unsers guten Lords und Gebieters besser versehen und seine Antichambre passender angefüllt mit bescheidnen, gottesfürchtigen Männern, die still und in aller Ruhe seinen Willen verrichten und ihren eignen Nutzen dabei verfolgen, ohne weltlichen Skandal zu machen, anstatt daß seine Mannschaft und seine Begleitung und sein Gefolge aus unverhohlenen Lüderianen und so hagebuchnen Messerhelden, wie Tidesly, Killigrew oder diesem Schurken Lambourne besteht oder ähnlichem Gesindel, das den Galgen im Gesicht und den Mord in der rechten Hand trägt?« »Gebt Euch zufrieden, guter Meister Anton Foster,« antwortete Varney; »wer auf alle Arten Wild pirscht, muß auch alle Arten von Falken haben – gestutzte und langflüglige. Der Kurs, den Mylord steuert, ist nicht eben glattes Fahrwasser, und da muß er an allen Punkten zuverlässige Helfershelfer haben, die ihm alle Arten von Diensten verrichten können. Er muß seinen flotten Höfling haben, wie mich, der im Vorzimmer gut aufzutreten vermag und bloß die Hand an den Degen legt, wenn jemand von seiner Gnaden etwas Ehrenrühriges spricht. Er muß seine Anwälte haben, verschlagene, scharfsinnige Pioniere, die ihm seine Kontrakte aufsetzen, und er muß seine Aerzte haben, die einen Becher oder eine Suppe zu würzen verstehen – und dann muß er seine Hexenmeister haben, wie Dee und Allan, die den Teufel beschwören können, und die Messerhelden, die mit dem Teufel fechten können – und vor allen muß er so gottergebene, unschuldige, puritanische Seelen haben wie Dich, Anton, die vorm Satan gefeit sind und gleichzeitig doch das Werk des Satans tun können.« »Ihr wollt doch nicht etwa sagen, Meister Varney,« sagte Foster, »daß unser guter Lord und Gebieter, den ich für vollkommen in allem Adel halte, so niedrige und sündige Mittel anwendete, um in die Höhe zu kommen?« »Tatata, Mann,« erwiderte Varney, – »sieh mich nicht mit so finstrer Stirn an, Mensch, – Du fängst mich nicht und ich bin nicht in Deiner Gewalt, wie Du Dirs in Deinem schwachen Hirn einbilden magst, weil ich Dir offenherzig die Maschinen, Federn, Schrauben und Taue nenne, durch die die großen Männer in unruhigen Zeiten in die Höhe kommen. – Sagst Du, unser guter Lord ist vollkommen in allen adligen Eigenschaften? – Amen, und so ist es. Um so mehr aber tut es ihm not, Leute um sich zu haben, die sich ohne irgend welche Bedenken seinem Dienste weihen und, weil sie wissen, daß sein Fall auch sie mitreißen und vernichten wird, Blut und Hirn, Seele und Leib dransetzen müssen, ihn oben zu halten; und das sage ich Dir, weil es mir einerlei ist, wer es erfährt. Und hast Du all das in Ordnung gebracht, was Dir von London zugeschickt wurde, und die westlichen Zimmer so hergerichtet, daß Mylord daran Gefallen finden wird?« »Ein König kann darin Hochzeit halten,« sagte Anton, »und ich versichere Euch, Dame Amy sitzt jetzt schon darin, so stolz und froh, als wäre sie die Königin von Saba.« »Um so besser, guter Anton,« antwortete Varney, »wir müssen unser zukünftiges Glück auf ihrem Wohlwollen gründen.« »Dann bauen wir auf Sand,« sagte Anton Foster, »denn gesetzt den Fall, sie segelt von hinnen, um in aller Würde ihres Lords zu prangen, – wie sollte sie auf mich zurückblicken, der ich hier sozusagen ihr Kerkermeister bin, der sie gegen ihren Willen festhält?« »Fürchte nicht ihre Ungnade,« sagte Varney, »ich will ihr zeigen, daß alles, was Du getan hast, ein guter Dienst gewesen ist sowohl für Mylord wie für sie.« »Da seht Euch nur vor, Meister Varney,« sagte Foster, »Ihr verrechnet Euch vielleicht arg in dieser Sache – sie hat Euch sehr frostig empfangen heute morgen, und ich glaube, sie sieht Euch wie mich mit feindseligen Augen an.« »Ihr irrt Euch in ihr, Foster – Ihr verkennt sie ganz und gar. Mit festen Banden ist sie an mich geknüpft als an den, dem sie die Befriedigung ihrer Liebe und ihres Ehrgeizes verdankt. Wer war es, der die obskure Amy Robsart – die Tochter eines verarmten, schwachsinnigen Ritters – die erlesene Braut eines mondsüchtigen, faselnden Schwärmers wie Edmund Tressilians, von ihrem niedrigen Schicksal errettet und ihr Anwartschaft auf das höchste Glück in England, vielleicht in Europa, verliehen hat? Ich wars, Mann, ich, wie ich Dir schon oft gesagt habe, der ihnen Gelegenheiten zu ihren geheimen Zusammenkünften verschaffte. Ich wars, dem bis heute von ihrer Familie die Schuld an ihrer Flucht zugemessen wird. – Wer hat die Briefe zwischen ihnen besorgt? Ich. – Wer hat dem alten Ritter und Tressilian Sand in die Augen gestreut? – Ich. Wer hat den Plan zu ihrer Flucht entworfen? – Ich wars. Ich wars, mit einem Worte, ich, Dick Varney, der dieses kleine, hübsche Gänseblümchen aus dem niedern Winkel hervorgeholt und sie auf den stolzesten Hut in England gesteckt hat.« »Sie muß Euch aber aus irgend welchem Grunde auf dem Striche haben,« sagte Foster; »ich sage Euch das, damit Ihr Euch rechtzeitig vorsehen könnt. Sie denkt wohl, Ihr seid daran schuld, daß sie hier so geheim und verborgen gehalten wird, weil Ihr dem Lord das geraten habt und weil auch ich darauf hingewirkt habe. Und so liebt sie uns beide, wie ein Verurteilter den Richter und den Gefängniswärter liebt.« »Sie muß uns mehr lieben, ehe sie von hier wegkommt, Anton,« antwortete Varney. »Wenn ich aus gewichtigen Gründen geraten habe, sie eine Zeitlang hier zu halten, so kann ich andrerseits auch den Rat geben, daß sie in den vollen Glanz ihrer Würde emporgehoben werde. Aber ich müßte ja wahnsinnig sein, täte ich das, da ich Mylord so nahe stehe und sie meine Feindin ist. Diese Wahrheit flüstert ihr ins Ohr, wenn sich Gelegenheit bietet, Anton, und überlaßt es mir, Euch bei ihr herauszustreichen – eine Hand wäscht die andere – das ist ein Sprichwort, das in der ganzen Welt gilt. Die Lady muß ihre Freunde kennen und einsehen, was für Macht sie haben, wenn sie ihre Feinde sind. Inzwischen halte ein scharfes Auge auf sie – bewahre aber dabei, soweit es Dir bei Deiner vierschrötigen Natur möglich ist, den äußern Anstand. Doch horch, es pocht wer ans Tor. Sieh zum Fenster hinaus – laß niemand herein – es wäre nicht gut, wenn wir heute abend gestört würden.« »Es ist der Mann, von dem wir vorm Mittagessen gesprochen haben,« sagte Foster, durchs Fenster guckend, – »es ist Michael Lambourne. »O, den laß auf jeden Fall herein,« sagte der Höfling. »Er bringt uns Bescheid über Tressilian – und es liegt uns viel daran, zu erfahren, was dieser Bube vornimmt. Laß ihn herein, sag ich, aber bring ihn nicht hierher – ich werde gleich nach der Bibliothek kommen und Euch dort treffen.« Foster ging hinaus, und der Höfling durchmaß ein paarmal in tiefen Gedanken das Zimmer, die Arme über der Brust gekreuzt. »Es ist nur zu wahr,« sagte er bei sich selber, indem er plötzlich stehen blieb und die rechte Hand auf den Tisch stützte, an dem sie gesessen hatten, »dieser gemeine Kerl hat den wahren Grund, die ganze Tiefe meiner Furcht ermessen, und ich bin nicht imstande gewesen, ihm das zu verbergen. – Sie liebt mich nicht – ich wollte, es ließe sich ebenso wahr sagen, daß ich sie auch nicht liebte! – Ich Tor, der ich war, daß ich sie für mich selber zu gewinnen trachtete, da doch die Klugheit es erheischte, daß ich Mylord als treuer Kuppler diente! – Und dieser verhängnisvolle Irrtum war ein gefährlicher Fehltritt, und seit dieser Stunde kann ich sie nicht mehr ansehen, ohne daß Furcht und Haß und Liebe sich so seltsam in mir vermischen, daß ich nicht weiß, ob ich, wenn es mir frei stünde, sie besitzen oder zu Grunde richten möchte. Aber sie darf aus diesem Versteck nicht heraus, ohne daß ich mir Gewißheit verschafft habe, auf welchem Fuße wir ferner zueinander stehen sollen. Ich muß eine Anteilnahme in ihr erwecken, ob nun aus Liebe oder aus Furcht – und wer weiß, ob ich nicht noch die süßeste und vollste Rache ernte für ihre frühere Verachtung? – – das wäre in der Tat ein Meisterstück der Höflingskunst. Nur einmal laßt mich ihr Ratgeber sein – nur einmal soll sie mir ein Geheimnis vertrauen, beträfe es auch nur den Raub eines Hänflingnestes, und, schöne Gräfin, Du bist mein!« Wieder durchschritt er das Zimmer schweigend, blieb stehen, goß sich einen Becher voll und trank ihn aus, wie um sich zu beruhigen, dann murmelte er: »Nun ein verschlossenes Herz und eine offene, glatte Stirn!« und ging hinaus. Sechstes Kapitel Vier Räume im Westflügel des alten Vierecks von Cumnor-Place waren auf das prunkvollste hergerichtet worden. Dies war die Arbeit von mehreren Tagen gewesen. Handwerker waren von London hergeschickt worden und durften das Haus nicht eher verlassen, als bis die Arbeit beendet war. Sie hatten die Gemächer in diesem Flügel des Gebäudes aus dem verfallnen Zustande eines halb in Trümmer gesunkenen Klosters in den Pomp und Glanz eines königlichen Palastes versetzt. All diese Arbeiten waren geheim gehalten worden, und bei Nacht waren die Arbeiter gekommen und wieder gegangen. An dem Abend – von dem jetzt die Rede ist – war die neue und prachtvoll dekorierte Folge von Zimmern zum erstenmal erleuchtet, und zwar in einem Glanze, den man weit hätte sehen müssen, wenn nicht eichene Fensterläden und Vorhänge von Seide und Sammet verhindert hätten, daß auch der leiseste Schimmer nach außen gedrungen wäre. In der Hauptsache waren es, wie wir gesehen haben, vier Zimmer, die ineinander liefen. Man gelangte zu ihnen auf einer großen, steilen Treppe von ungewöhnlicher Länge und Höhe, die an der Tür eines Vorzimmers endete, das sich wie eine Galerie ausnahm. Von diesem Vorzimmer aus kam man in das Speisezimmer, das nicht sehr groß war, aber so prächtig ausgestattet war, daß der Reichtum der Möbel den Beschauer blendete. Die ehedem so kahlen, geisterhaften Wände waren jetzt mit himmelblauem Sammet mit Silberstickerei behangen. Die Stühle waren aus Ebenholz und reich geschnitzt, die Polster entsprachen dem Wandbehang. An Stelle der silbernen Leuchter, die die Antichambre erhellten, hing hier ein großer Kronleuchter aus dem gleichen, kostbaren Metall. Der Boden war mit einem spanischen Teppich bedeckt, auf dem Blumen und Früchte in so glühenden und naturgetreuen Farben dargestellt waren, daß man sich fast scheute, den Fuß auf eine so kostbare Arbeit zu setzen. Der Tisch von altem englischen Eichenholz war bereits mit schneeweißem Linnen gedeckt. Das dritte Zimmer war das sogenannte Gesellschaftszimmer. Es war mit feinsten Tapeten behangen. Der am meisten ins Auge fallende Sitz dieses Zimmers war eine Art Staatssessel, der sich um zwei Fuß etwa vom Boden erhob und groß genug für zwei Personen war. Ein Baldachin erhob sich darüber, der aus rotem Sammet war und mit Perlstickerei geziert war. An der Spitze trug er zwei Kronen, die wie die eines Earl und die einer Gräfin aussahen. Stühle mit Sammetbezug und ein paar Polster waren an Stelle der üblichen Rohrstühle in diesem Zimmer. Außerdem sah man darin Musikinstrumente, Stickrahmen und andere Artikel zum Zeitvertreib für Damen. Das Schlafzimmer, das zu dieser prächtigen Reihe von Zimmern gehörte, war in weniger prunkendem Geschmack dekoriert, aber doch nicht weniger reich als die anderen. Zwei mit wohlriechendem Oel gespeiste Lampen verbreiteten zugleich einen kostbaren Duft und einen zitternden, zwielichtartigen Schimmer in dem stillen Gemach. Es war so dick mit Teppichen belegt, daß der lauteste Tritt nicht gehört werden konnte, und das reich mit Daunen gefüllte Bett war mit einer großen Decke von Seide und Gold bedeckt. Auf dem Toilettentisch stand ein schöner venetianischer Spiegel in einem Rahmen von Silberfiligran. Daneben stand eine goldene Sahnenschüssel für den Nachttrunk. Ein Paar Pistolen und ein in Gold gearbeiteter Dolch lagen in der Nähe des Kopfendes: das waren die Nachtwaffen, wie sie damals jedem in Ehren gehaltenen Gaste dargeboten wurden. Die Gottheit, für die dieser Tempel geschmückt worden war, war die Kosten und die Mühe wert, die man hier aufgewendet hatte. Sie saß in dem Gesellschaftszimmer, das wir eben beschrieben haben, und betrachtete mit dem freudigen Auge natürlicher und unschuldiger Eitelkeit den Glanz, der ihr zu Ehren so plötzlich geschaffen worden war. Zum erstenmal an diesem Abend sah sie selber diesen Teil des Herrenhauses, der von den ihr bisher bekannten Gemächern so verschieden war, daß er ihr im Vergleich zu jenen wie ein verzauberter Palast erschien, denn sie war ängstlich davon fern gehalten worden, damit keiner der Arbeiter sie zu Gesicht bekommen sollte. Und sie betrachtete all diese Pracht mit der wilden, zügellosen Freude einer ländlichen Schönen, die sich plötzlich mit einem Luxus umgeben sieht, wie ihn ihre überschwenglichsten Wünsche sich nicht hatten träumen lassen, und zugleich auch mit dem feinen Gefühl eines liebenden Herzens, das sich bewußt ist, daß all der Zauber um sie her das Werk der großen Tausendkünstlerin Liebe ist. Die Gräfin Amy – denn zu diesem Range war sie durch ihre geheime, aber feierliche Verbindung mit Englands stolzestem Grafen erhoben worden – war eine Zeitlang von Zimmer zu Zimmer geeilt und hatte jeden neuen Beweis von dem Geschmack ihres Liebhabers und Bräutigams bewundert, dann streckte sie sich im Gesellschaftszimmer auf einen der orientalischen Sessel und ruhte hier, halb sitzend, halb zurückgelehnt. In dieser Haltung, mit einem Ausdruck halb lässiger Sorglosigkeit und halb gespannter Erwartung in dem feinen, ausdrucksvollen Gesicht hätte man wohl See und Land durchsuchen können, ohne etwas halb so Ausdrucksvolles oder halb so Liebreizendes wieder zu finden. Das Gewinde von Brillanten, das sich mit ihrem braunen, dunklen Haar vermischte, konnte sich nicht an Glanz mit dem haselbraunen Auge messen, das eine hellbraune, in feinster Zartheit gezeichnete Braue und lange Wimpern derselben Farbe zugleich erhellten und beschatteten. Nach der Hast, mit der sie eben durch die Zimmer geeilt war, und infolge der erregten Spannung und befriedigten Eitelkeit waren ihre feinen Züge in warme Glut getaucht. Die milchweißen Perlen ihres Halsbandes – desselben, das sie eben als ein Liebesangebinde von ihrem Liebhaber erhalten hatte – wurden an Reinheit von ihren Zähnen und der Farbe ihrer Haut übertroffen, nur an einigen Stellen hatte die Freude und Selbstzufriedenheit den Hals mit einem Schatten leichter Röte überzogen. »Jeanette,« sagte Amy zu ihrer Zofe, »rufe Deinen Vater her und auch Varney, – ich will gegen niemand Groll hegen, und obwohl ich Ursache habe, mit beiden unzufrieden zu sein, so sollen sie doch beide selber daran schuld sein, wenn ich je eine Beschwerde wider sie beim Grafen anbringe. – Rufe sie hierher!« Jeanette Foster gehorchte ihrer Herrin, und in wenigen Minuten trat Varney herein, mit der anmutigen Ungezwungenheit und der heiteren Stirn eines vollendeten Höflings, der geübt ist, unter dem Schleier äußerer Höflichkeit die eigenen Gefühle zu verbergen und die anderer zu durchschauen. Anton Foster trottete hinter ihm herein, die natürliche, finstere Gemeinheit seines Aeußeren schien noch auffallender, da er in seiner plumpen Weise versuchte, die Beklommenheit und das Mißvergnügen zu verbergen, mit dem er jetzt auf sie blickte, die er doch bisher in so strenger Zucht gehalten hatte – und nun saß sie in so prachtvollem Gewande und so prächtiger Umgebung, in der alles von der Liebe ihres Gatten sprach. Er machte der Gräfin eine unbeholfene Verneigung, wie sie der Verbrecher vor dem Richter macht, wenn er zugleich seine Schuld gesteht und um Erbarmen bittet. Die Gräfin grüßte Varney fast herzlich, so daß es schien, als erteile sie ihm volle Amnestie für alles, was sie je ihm vorzuwerfen gehabt hätte. Sie stand von ihrem Sitze auf, trat ihm zwei Schritt entgegen und hielt ihm die Hand hin, während sie sagte: »Herr Richard Varney, Ihr habt mir heute morgen so willkommene Nachricht gebracht, daß ich wohl, wie ich fürchte, Euch nicht mit der den Wünschen meines Lords und Gatten entsprechenden Auszeichnung empfangen habe. Wir bieten unsere Hand, Herr, zur Versöhnung.« »Ich bin unwürdig, diese Hand zu berühren,« sagte Varney, sich auf ein Knie niederlassend, »außer mit der Ehrfurcht, die der Untertan dem Fürsten entgegenbringt.« Er berührte mit den Lippen die schönen, zarten Finger, die so reich mit Ringen und Juwelen beladen waren, dann erhob er sich in anmutiger Galanterie und wollte sie zu ihrem Staatssessel führen, aber sie sagte: »Nein, guter Herr Richard Varney, dort nehme ich meinen Platz nicht eher ein, als bis mein Herr selber mich dorthin geführt hat. Ich bin vorderhand nur eine angeputzte Gräfin und will mir keine Würde anmaßen, ehe mich nicht der Mann dazu ermächtigt hat, von dem sie stammt.« »Ich hoffe zuversichtlich, Mylady,« sagte Foster, »daß ich nicht Eure Ungnade auf mich geladen habe, indem ich meines Gebieters Befehle ausführte und Euch hier in strengem Gewahrsam hielt, denn ich habe damit ja doch nur meine Pflicht gegen meinen Herrn und mich selber getan – denn der Himmel hat, wie die heilige Schrift sagt, dem Manne die Oberhand und die Gewalt über das Weib gegeben – ich glaube, so heißt die Stelle, oder wenigstens so ähnlich.« »Mir ist in diesem Augenblick eine so angenehme Ueberraschung geworden, Herr Foster,« antwortete die Gräfin, »daß ich Euch nicht im mindesten tadeln kann, daß Ihr mich in strenger Gehorsamkeit gegen Euern Herrn solange von diesen Gemächern ferngehalten habt, bis sie ein so neues und herrliches Aussehen angenommen hatten.« »Ach ja, Lady,« sagte Foster, »es hat manche gute Krone gekostet, und damit nicht mehr darauf gehen möge, als unbedingt nötig ist, so lasse ich Euch bis zu meines Herrn Ankunft mit dem guten Meister Varney allein – ich glaube, er hat Euch was zu sagen von Euerm höchst edeln Lord und Gatten.« Foster machte seine vierschrötige Verbeugung und ging, seine Tochter nahm einen Stickrahmen und setzte sich am äußersten Ende des Zimmers nieder. Varney nahm den niedrigsten Stuhl, den er finden konnte, stellte ihn neben den Diwan, auf dem die Gräfin sich wieder niedergelassen hatte, und saß eine Zeitlang schweigend da, die Augen auf den Boden geheftet. »Ich glaubte, Herr Varney,« sagte die Gräfin, als sie sah, daß er nicht willens schien, die Besprechung zu eröffnen, – »Ihr hättet etwas von meinem Herrn und Gemahl mitzuteilen, wenigstens habe ich so Herrn Foster verstanden, und deshalb habe ich meine Zofe weggeschickt. Wenn ich mich irre, so will ich sie wieder an meine Seite rufen, denn ihre Nadel ist noch nicht so vollkommen im Kreuzstich, und es wird sich empfehlen, ihr dabei ein wenig auf die Finger zu sehen.« »Lady,« sagte Varney, »Foster ist über mein Vorhaben zum Teil im Irrtum gewesen – ich wollte nichts von Euerm edeln Gemahl und meinem hochedeln Gönner bestellen – sondern ich sehe mich genötigt, über ihn mit Euch zu reden.« »Das ist mir ein sehr willkommener Gesprächsgegenstand, Herr,« sagte die Gräfin, »ob Ihr mir nun etwas von meinem Gemahl oder über meinen Gemahl sagt. Aber seid kurz, denn ich erwarte ihn binnen kurzem.« »Also kurz, Madam,« erwiderte Varney, »und frei heraus, denn, was ich zu sagen habe, erfordert Eile sowohl als Mut. Ihr habt heute Tressilian gesehen?« »Ich habe ihn gesehen, Herr, und was solls damit?« antwortete die Dame ein wenig schroff. »Nicht als ob es mich was anginge, Lady,« versetzte Varney unterwürfig. »Aber meint Ihr, geehrte Dame, daß Euer Lord es mit derselben Gleichgültigkeit vernehmen wird?« »Und warum sollte er nicht? – Für mich war Tressilians Besuch eine unangenehme und schmerzliche Störung, denn er hat mir Nachricht gebracht, daß mein guter Vater krank sei.« »Euer Vater krank, Madam!« antwortete Varney. »Was muß plötzlich gekommen sein, sehr plötzlich. Nenn der Bote, den ich auf Mylords Geheiß absandte, fand den guten Ritter auf der Jagd, wo er seine Hunde mit dem gewohnten jovialen Feldgeschrei losließ. Ich bin überzeugt, Tressilian hat diese Nachricht gefälscht. Er hat ja seine Gründe dazu, Madam, das weiß ich sehr wohl, Euch Euer, gegenwärtiges Glück zu verleiden.« »Ihr tut ihm unrecht, Herr Varney,« erwiderte die Gräfin lebhaft, »Ihr tut ihm bitteres Unrecht. Er ist das freieste, offenste, zarteste Herz, das schlägt. Immer meinen ehrenwerten Lord ausgenommen, kenne ich keinen, dem Falschheit und Lüge verhaßter wären als Tressilian.« »Ich bitte demütig um Verzeihung, Madam,« sagte Varney, »es war nicht meine Absicht, dem Herrn unrecht zu tun. Ich wußte nicht, wie sehr Euch seine Sache am Herzen liegt.« »Ich muß Tressilian Gerechtigkeit erweisen,« unterbrach ihn die Gräfin, »den ich habe ihm arg mitgespielt, wie Ihr selber am besten wißt. Tressilians Gewissen ist von anderem Stoffe als Euer Höflingsgewissen. Diese Welt birgt bei all ihren Reichtümern nichts, was ihn von dem Wege der Wahrheit und der Ehre hinweglocken könnte. Um deswillen liebte ihn auch mein Vater – um deswillen würde auch ich ihn geliebt haben, wenn ich gekonnt hätte. Und doch hatte er, da er ja von meiner Heirat nicht unterrichtet ist, auch nicht weiß, mit wem ich vereinigt wurde, seiner Meinung nach so zwingende Gründe, mich von hier weg zu bringen, daß er wohl das Mißbefinden meines Vaters stark übertrieben haben mag – und wohl mögen Eure besseren Nachrichten mehr der Wahrheit entsprechen.« »Das könnt Ihr mir glauben, Madam,« antwortete Varney, »ich gebe mich keineswegs als einen blinden Kämpen dieser selben nackten Tugend, der Wahrhaftigkeit, aus. Ich kann mich völlig damit einverstanden erklären, daß ihre Reize, sei es auch nur des Anstands wegen, mit einem Schleier verhüllt werden. Aber Ihr müßt geringer von meinem Kopf und meinem Herzen denken, als Ihr von einem Manne, den mein edler Lord Freund zu nennen geruht, füglich denken solltet – wenn Ihr meint, ich würde in eigensinniger und unnötiger Weise Eurer Ladyschaft mit einer Lüge aufwarten, die doch so bald ans Tageslicht kommen müßte.« »Herr Varney,« sagte die Gräfin, »ich weiß, daß mein Herr Euch schätzt und Euch für einen treuen und zuverlässigen Lotsen in jenen Meeren hält, in denen er ein so großes und waghalsiges Segel gesetzt hat. Denkt daher nicht, daß ich etwa mit Euch selber ins Gericht hätte gehen wollen, indem ich die Wahrheit sagte zu Tressilians gunsten. Wie Ihr wohl wißt, bin ich auf dem Lande groß geworden und liebe schlichte, bäuerische Wahrheit mehr als höfische Komplimente, aber ich muß doch wohl meine Manier ändern, da ich jetzt in anderen Kreisen lebe.« »Sehr wahr, Madam,« sagte Varney lächelnd, »eine Hofdame – und sei es die edelste, die tugendhafteste, die untadeligste am Hofe der Königin, würde es vermieden haben, die Wahrheit, oder das, was sie für die Wahrheit hielte, zum Lobe eines in Ungnade gefallnen Verehrers vor dem vertrauten Diener ihres edeln Gemahls offen herauszusagen.« »Und warum,« sagte die Gräfin und errötete vor Unmut, »sollte ich nicht Tressilian vor dem Freunde meines Gatten – vor meinem Gatten selber – vor der ganzen Welt verteidigen, wie er es verdient?« »Und wird Eure Ladyschaft heute abend,« sagte Varney, »mit derselben Offenheit meinem edeln Lord erzählen, daß Tressilian Euern vor aller Welt so ängstlich geheim gehaltenen Wohnort entdeckt und eine Unterredung mit Euch gehabt habe?« »Ganz gewiß,« sagte die Gräfin. Es wird das erste sein, was ich ihm sage, und jedes Wort, das Tressilian gesagt und das ich ihm geantwortet habe, obendrein. Ich werde damit meine eigene Schmach aussprechen, denn Tressilians Vorwürfe – wenn sie auch weniger gerecht waren, als er selber meinte – ganz unverdient waren sie nicht. So will ich sprechen, wenn auch mit Schmerz, und nichts will ich verbergen.« »Eure Lordschaft wird nach Belieben verfahren,« antwortete Varney, »aber meines Dünkens wäre es, da ja doch gar kein Grund zu einer solchen offenherzigen Enthüllung vorliegt, gerade so gut, Ihr erspartet Euch diesen Schmerz und meinem edeln Lord die Unruhe, und dem Herrn Tressilian – da ja bei der Sache eben doch auch an ihn gedacht werden muß – die Gefahr, die für ihn daraus entstehen kann. – Seht, Madam,« setzte er nach einer kleinen Pause mit einer aufrichtigen oder erkünstelten Offenheit hinzu, die von seinem sonstigen glatten, höfischen Wesen sehr abstach, »ich will Euch zeigen, daß auch ein Höfling die Wahrheit sprechen kann wie jeder andere, wenn es das Wohl derer gilt, die er ehrt und die ihm nahe stehen – ja, und brächte er sich selber dadurch in Gefahr.« Er wartete, wie auf ein Geheiß oder wenigstens eine Erlaubnis fortzufahren, da aber die Dame in Schweigen verharrte, sprach er, doch mit sichtlicher Vorsicht. »Schaut Euch um,« sagte er, »edle Lady, und gewahrt die Schranken und Gitter, mit denen dieser Platz umschlossen ist, und mit welch ängstlicher Sorge das prächtigste Juwel, das England aufweist, vor dem bewundernden Blick geheim gehalten wird. Seht, in welchen engen Kreis Euer Gehen und Stehen streng gebannt ist, und wie Euer Handel und Wandel eingeschränkt ist durch diesen vierschrötigen Foster. Bedenkt das alles und urteilt selber, was die Ursache sein kann.« »Mylords Belieben,« antwortete die Gräfin, »es ist meine Pflicht, nach keinem anderen Grunde zu suchen.« »Allerdings ist es sein Belieben,« sagte Varney, »aber wer einen Schatz besitzt, und wer diesen Schatz hoch und wert hält, der ist oft ängstlich bemüht, und zwar im selben Maße, als er ihn wert hält, den Schatz vor den räuberischen Händen anderer zu sichern.« »Was soll all dies Geschwätz, Herr Varney?« entgegnete die Dame. »Wollt Ihr mich glauben machen, mein edler Herr sei eifersüchtig? Und wenn es wahr wäre, ich weiß ein Heilmittel gegen Eifersucht: jederzeit Mylord die Wahrheit sagen und mein Gemüt und mein Gedächtnis rein wie einen Spiegel halten, so daß er, wenn er hinein sieht, seine eignen Züge widergespiegelt sieht.« »Ich verstumme, Madam,« antwortete Varney. »Und da ich gar keine Veranlassung habe, mich um Tressilian zu sorgen, der gern mein Herzblut vergösse, wenn er nur könnte, so werde ich mich auch leicht mit dem Gedanken aussöhnen, was wohl dem Herrn widerfahren könnte, wenn Ihr so offenherzig verratet, daß er in Eure Einsamkeit frech eingedrungen ist. Ihr kennt ja Mylord so viel besser als ich und könnt am besten beurteilen, ob er diese Beleidigung ungesühnt hingehen lassen wird.« »Wenn ich denken sollte, daß ich selber Tressilian ins Verderben stürzen würde,« sagte die Gräfin, »ich, die ich ihm schon soviel Herzeleid bereitet habe – das wäre freilich für mich ein Grund, doch zu schweigen. Doch was hülfe es? Hat ihn doch Foster und wohl auch noch jemand anders gesehen! Nein, nein, Varney, dringt nicht weiter in mich. Ich will die ganze Sache Mylord erzählen und will Tressilians Torheit so beredt entschuldigen, daß mein edler Herr in seiner Großmütigkeit ihm nicht zürnen soll.« »Foster kennt Tressilian nicht von Ansehen,« sagte Varney, »und ihm und seinem Burschen kann ich leicht irgend was weis machen, was das Erscheinen eines Fremden hinreichend erklärt.« Die Dame zauderte einen Moment, dann antwortete sie: »Wenn es wahr ist, Varney, daß Foster noch nicht weiß, daß der Mann, den er gesehen hat, Tressilian ist, dann wäre es mir freilich recht unlieb, wenn er erführe, was ihn ja gar nichts angeht. Ich habe so schon genug unter seiner Strenge zu leiden, und ich möchte nicht, daß er sich auch noch zum Richter in meinen Privatangelegenheiten aufwürfe.« »Was hat der griesgrämige Bursche mit den Angelegenheiten Eurer Ladyschaft zu tun?« erwiderte Varney. »Nicht mehr als der Kettenhund, der seinen Hof bewacht! Wenn er Eurer Ladyschaft in irgend was zuwider ist, so habe ich Einfluß genug, Euch an seiner Stelle einen Seneschall zu verschaffen, der Euch angenehmer sein wird.« »Herr Varney, laßt dieses Thema,« sagte die Gräfin, »wenn ich mich über die Diener zu beschweren habe, mit denen Mylord mich umgeben hat, so will ich es nur gegen ihn persönlich tun. – Horch! Ich höre Pferdegetrappel. Er kommt! Er kommt!« rief sie und sprang entzückt auf. »Ich kann nicht glauben, daß er das ist,« sagte Varney, »Ihr könnt doch nicht durch diese verhängten Fenster hindurch den Tritt seines Pferdes hören.« »Haltet mich nicht auf, Varney! Er ist es.« »Aber Madam, Madam!« rief Varney ängstlich, ihr in den Weg tretend, »ich denke doch, was ich in untertänigstem Diensteifer gesagt habe, wird nicht zu meinem Verderben angewendet werden? Ich hoffe, mein treuer Rat wird nicht zu meinem Nachteil ausgelegt werden? Ich flehe Euch an ...« »Seid getrost, Mann, seid getrost!« sagte die Gräfin, »und laßt mein Kleid los – mich aufzuhalten! Das ist doch wirklich zu dreist! – Gebt Euch doch zufrieden – ich denke gar nicht an Euch!« In diesem Augenblick flogen die Flügeltüren weit auf, und ein Mann von majestätischer Erscheinung, in die Falten eines langen Reitmantels gehüllt, trat herein. Siebentes Kapitel Die Gräfin warf sich dem edlen Fremden in die Arme, drückte ihn an die Brust und rief: »Endlich – endlich – bist Du da!« Varney zog sich diskret zurück, als sein Gebieter eintrat, und Jeanette wollte dasselbe tun, doch ihre Herrin gab ihr einen Wink zu bleiben. Sie begab sich wieder an das fernste Ende des Zimmers und blieb hier stehen, wie um auf den leisesten Wink sofort bereit zu sein. Inzwischen erwiderte der Earl [Zur damaligen Zeit die höchste englische Würde.] – denn er war von nicht geringerem Range – die Liebkosungen seiner Dame mit zärtlichster Inbrunst, aber als sie versuchte, ihm den Mantel abzustreifen, tat er so, als wolle er es ihr wehren. »Nein,« sagte sie, »ich muß Dir den Mantel ausziehen – ich muß sehen, ob Du Dein Versprechen gehalten hast und als der große Earl gekommen bist, den die Leute Dich nennen, und nicht wieder, wie bisher, als einfacher Ritter.« »Du bist wie alle Welt, Amy,« sagte der Earl und ließ sie gewähren, »Juwelen, Federn und Seide gelten Dir mehr als der Mann, den sie zieren – doch manche armselige Schneide sieht sehr elegant aus in einer Scheide von Sammet.« »Das aber können die Leute von Dir nicht sagen, Du edler Graf,« sagte seine Dame, als der Mantel auf den Boden fiel und sie ihn vor sich sah in der Tracht, die Fürsten beim Ausreiten anlegen, – »Du bist der gute, wohlerprobte Stahl, dessen innerer Wert den äußern Zierat verdient und doch gering schätzt. Denke nicht, daß Amy Dich in dieser prächtigen Tracht inniger lieben könnte als damals, da sie in den Wäldern dem Mann in dem braunen Kittel ihr Herz schenkte.« »Und auch Du, mein Lieb,« sagte der Graf, indem er sie anmutig und hoheitsvoll auf den Staatssessel führte, der für sie beide hergerichtet war, »auch Du, meine Liebste, hast ein Deinem Range geziemendes Gewand angelegt, das aber doch Deine Schönheit nicht zu erhöhen vermag. Was denkst Du von dem Geschmack bei uns zu Hofe?« »Setz Dich hierher,« sagte sie, »als etwas, das die Menschen anbeten und bewundern müssen.« »Ja, Lieb,« sagte der Graf, »wenn Du meine Pracht mit mir teilen willst.« »Nicht so,« sagte die Gräfin, »ich will auf diesem Sessel Dir zu Füßen sitzen, daß ich Deinen Glanz betrachte und zum erstenmal lerne, wie Fürsten angezogen sind,« Und mit kindlicher Verwunderung, die ihre Jugend und ländliche Erziehung nicht nur entschuldbar, sondern allerliebst erscheinen ließ, und einer in zärtlichem Getändel betätigten Gattenliebe untersuchte und bewunderte sie von Kopf bis zu Füßen die edle Gestalt und das fürstliche Kleid des Mannes, der die stolzeste Zierde am Hofe von Englands jungfräulicher Königin war, so berühmt dieser Hof auch für glänzende Höflinge und weise Hofräte war. Als der Carl zärtlich seine reizende Braut betrachtete und sich befriedigt ihrer zwanglosen Bewunderung überließ, da sprachen aus seinen dunklen Augen und den edlen Zügen sanftere Leidenschaften, als der herrische und hochfahrende Ausdruck, der sonst auf seiner breiten Stirn saß und aus dem durchdringenden Glanz seines dunkeln Auges sprühte. »Und nun, meine Geliebte,« sagte der Graf, als sie all den Zierat bewundert und er ihr die Herkunft aller seiner Orden und die daran geknüpften Geschichten erzählt hatte, – nun ist Dein Wunsch erfüllt, und Du hast Deinen Vasallen in aller Pracht gesehen, soweit er sie über einen Reitanzug anlegen kann; denn Staatsgewänder und Kronen sind nur für fürstliche Hallen. »Ja, aber,« sagte die Gräfin, »mein Wunsch hat, wie gewöhnlich, kaum befriedigt, schon wieder einen neuen geboren.« »Und was ist es, was Du erbitten und ich Dir verweigern könnte?« »Ich wünschte, meinen Earl diese entlegene und geheime Behausung in all seiner fürstlichen Pracht besuchen zu sehen,« sagte die Gräfin, »und nun dünkt mich, sehne ich mich danach, in einer seiner fürstlichen Hallen zu sitzen und ihn in einfachem, braunem Wamse hereintreten zu sehen, wie er es damals trug, als er der armen Amy Robsart Herz gewann.« »Dieser Wunsch ist leicht zu erfüllen,« sagte der Graf, »das schlichte Wams soll morgen angelegt werden, wenn Du willst.« »Aber soll ich,« sagte die Dame, »mit Euch auf eines Eurer Schlösser gehen?« »Ei, Amy,« sagte der Earl und schaute sich um, »sind nicht diese Gemächer prächtig genug ausgestattet? Mich dünkt, meine Weisungen sind recht gut ausgeführt worden, – wenn Nu aber mir etwas nennen kannst, was noch zu tun wäre, so will ich unverzüglich Order erteilen.« »Nein,, Mylord, nun spottet Ihr meiner,« versetzte die Gräfin, »die bunte Pracht dieses, reichen Hauses überflügelt meine Phantasie und gibt mir mehr, als ich verdiente. Aber soll nicht Deine Gattin – wenigstens nun binnen kurzem – mit all den Ehren umgeben werden, die ihr als der Gemahlin des stolzesten Grafen von England zukommen?« »Binnen kurzem?« fragte ihr Gatte. »Ja, Amy, eines Tages wird das gewiß geschehen, und glaube mir, Du selber kannst diesen Tag nicht sehnlicher herbeiwünschen als ich. Mit welcher Freude könnte ich mich von meinen Staatsgeschäften und den Arbeiten und Sorgen des Ehrgeizes zurückziehen, um mein Leben in Würden und Ehren auf einer meiner großen Domänen mit Dir, meine reizende Amy, meiner Freundin und Gefährtin zu verbringen! Wer daß kann noch nicht sein, und diese süßen, doch verstohlnen Zusammenkünfte sind alles, was ich der liebwertesten und geliebtesten ihres Geschlechts gewähren kann.« »Aber warum kann das nicht sein,« drang die Gräfin in ihn in den sanftesten Tönen der Ueberredung, »warum kann sie nicht unverzüglich stattfinden – diese vollkommenere und keiner Trennung mehr ausgesetzte Bereinigung, nach der Ihr Euch sehnt, wie Ihr sagt, und die die Gesetze Gottes und der Menschen zugleich erheischen? – Ach, wenn Ihr nur halb so sehr, als Ihr sagt, danach verlangtet, wer oder was könnte Euch, der Ihr so mächtig seid und in so hoher Gunst steht, an der Erfüllung Eures Wunsches hindern?« Der Graf machte ein finsteres Gesicht. »Amy,« sagte er, »Ihr sprecht da von etwas, was Ihr nicht versteht. Wir, die wir an Höfen arbeiten, sind wie Leute, die einen Berg von losem Sande hinanklimmen. Wir dürfen nicht Halt machen, ehe nicht ein vorspringender Fels uns sichern Ruhepunkt bietet – wenn wir eher rasten, dann gleiten wir durch unser eignes Gewicht wieder hinunter und fallen dem allgemeinen Gelächter anheim. Wenn ich meine Heirat bekannt geben wollte, so würde ich selber meinen Sturz herbeiführen. Aber glaube mir, ich werde einen Punkt erreichen, und das bald, wo ich Dir und mir Gerechtigkeit erweisen kann. Inzwischen vergifte nicht die Freude am gegenwärtigen Augenblick durch die Sehnsucht nach dem, was zurzeit noch nicht sein kann. Laß mich lieber wissen, ob hier alles nach Deinem Gefallen eingerichtet ist. Wie benimmt sich Foster gegen Euch? In allen Dingen respektvoll, nehme ich an, sonst soll der Bursche es büßen.« »Ich habe nichts zu klagen,« antwortete die Lady, »er entledigt sich seiner Pflicht in aller Treue gegen Euch. Und seine Tochter Jeanette ist die liebste, beste Gefährtin meiner Einsamkeit. Der ihr eigene Zug von Frömmigkeit steht ihr gar zu gut.« »So, so?« sagte, der Graf. »Wer Dir Freude macht, darf nicht unbelohnt bleiben. Komm her, Mädchen.« »Jeanette,« sagte die Dame, »komm her zu Mylord.« Jeanette kam herzu, und der Graf mußte unwillkürlich lächeln über den Kontrast zwischen der großen Schlichtheit ihres Kleides, der gezwungenen Sittsamkeit ihrer Miene und einem wirklich hübschen Gesicht mit schwarzen Augen, die trotz alles Bemühens ihrer Besitzerin, ernst drein zu schauen, stets lachten. »Ich bin Dir verbunden, hübsche Maid,« sagte der Graf, »daß diese Dame so sehr mit Dir zufrieden ist.« Mit diesen Worten zog er einen wertvollen Ring vom Finger und gab ihn Jeanette Foster. »Trag dies,« setzte er hinzu, »um ihret- und meinetwillen.« »Es ist mir Freude genug,« antwortete Jeanette spröde, »daß mein bescheidner Dienst meiner Lady angenehm ist, aber wir von der Gemeinde des ehrenwerten Meister Holbforth trachten nicht danach, wie die Töchter dieser Welt uns Gold um die Finger zu schlingen oder Steine um den Hals zu tragen, wie die eiteln Weiber von Tyrus und Sidon.« »Ei, Nu bist eine gestrenge Jüngerin dieser frommen Schwesternschaft,« sagte der Graf, »und ich glaube, Dein Vater ist bei derselben Gemeinde, nun, ich mag Euch deshalb nur um so lieber leiden; denn in dieser Gemeinde ist für mich gebetet worden. So nimm denn dies, mein Mädchen, und wende es an nach Deinem Gefallen.« Mit diesen Worten legte er ihr fünf große Goldstücke in die Hand. »Ich würde auch dieses Gold nicht annehmen,« sagte Jeanette, »hoffte ich nicht, daß ich es einmal zum Segen für uns alle anwenden könnte.« »Nun geh, ich bitte Dich, und sag den Leuten, sie sollen sich mit der Abendmahlzeit beeilen.« »Ich habe Herrn Varney und Herrn Foster eingeladen, mit uns zu speisen, Mylord,« sagte die Gräfin, als Jeanette ging, um die Befehle des Grafen auszuführen, »ist Dir das recht?« »Was Du tust, muß mir immer recht sein, meine süße Amy,« versetzte ihr Gemahl, »und es gefällt mir umsomehr, daß Du ihnen diese Gunst erweisest, da Richard Varney für mich durchs Feuer geht und ich fürs erste auf diesen Anton Foster noch rechnen muß.« »Ich hätte Dich noch um etwas zu bitten und ein Geheimnis Dir anzuvertrauen, mein teurer Herr,« sagte die Gräfin stammelnd. »Laß beides bis morgen, mein Lieb,« erwiderte der Earl. »Wie ich sehe, werden die Flügeltüren zum Speisesaal geöffnet, und da ich weit und schnell geritten bin, wird mir ein Becher Wein gut tun.« Mit diesen Worten führte er sein reizendes Weib in das nächste Zimmer, wo Varney und Foster sie mit den tiefsten Verbeugungen empfingen, – der erste verneigte sich nach Höflingsmanier, der zweite, wie er es bei seinen frommen Versammlungen zu tun gewohnt war. Als das Mahl beendet war, war auch die Stunde der Ruhe herangekommen, und der Graf und die Gräfin zogen sich in ihr Gemach zurück. Die Nacht hindurch lag das Schloß in tiefer Stille. Nachdem der Graf am anderen Morgen seine Pferde bestellt hatte, trat er wieder in das Schlafgemach, um raschen Abschied von der liebreizenden Gräfin zu nehmen. Er fand sie in einem Morgenrock von Seide mit Pelzbesatz, die kleinen Füße waren noch ohne Strümpfe und das Haar hing fessellos hernieder. »Nun, Gott sei mit Dir, mein Teuerstes und Liebstes!« sagte der Graf, sie wieder und wieder in die Arme schließend und wieder ihr Lebewohl sagend und wieder zurückkehrend, sie zu küssen und zu umarmen. »Schon ist die Sonne am Rande des blauen Horizonts, ich darf nicht länger säumen. Schon längst müßte ich zehn Meilen von hier weg sein.« Mit diesen Worten wollte er endlich dem Abschied ein Ende machen. »So wollt Ihr nicht meine Bitte erfüllen?« fragte die Gräfin. »Falscher Ritter! Hat je eine Dame mit nackten Füßen und Pantöffelchen einen wackern Ritter vergebens um eine Gunst gebeten?« »Alles, Amy, alles, was Du erbitten kannst, will ich gewähren,« antwortete der Graf, »nur nicht etwas,« setzte er hinzu, »was uns beide ins Verderben bringen würde.« »Nein,« sagte die Gräfin, »ich will nicht den Wunsch vorbringen, als die Gattin des ersten und verehrtesten unter Englands Edelleuten anerkannt zu werden – laßt mich nur das Geheimnis meinem lieben Vater mitteilen – laßt mich nur dem Jammer ein Ende machen, in den mein unwürdiges Verhalten ihn gestürzt hat – sie sagen, der arme, alte, liebe Mann sei krank.« »Sie sagen?« fragte der Earl rasch. »Wer sagt es? Hat nicht Varney alles, was wir zurzeit über Euer Glück und Wohlergehen melden können, Sir Hugh übermittelt? Und hat er Euch nicht gemeldet, daß der gute, alte Ritter frisch und gesund seinen gewohnten Lieblingssport treibt? Wer hat es gewagt, Euch andre Gedanken in den Kopf zu setzen?« »O, niemand, Mylord, niemand,« sagte die Gräfin, ein wenig bestürzt über den Ton, in dem die Frage gestellt war. »Aber ich möchte mich doch gern mit eigenen Augen davon überzeugen, daß mein Vater sich wohl befindet.« »Gib Dich zufrieden, Amy – Du kannst jetzt nicht mit Deinem Vater oder den Seinen zusammentreffen, jener Mann aus Cornwallis – jener Trevanion oder Tressilian oder wie er gleich heißt, verkehrt im Hause des alten Ritters und würde sogleich erfahren, was dort bekannt wird. Und gerade dem mag ich nicht trauen – bei meiner Ehre, ich will ihm nicht trauen. Lieber wollte ich, der böse Feind mischte sich in unsere Sache, als dieser Tressilian.« »Und warum, Mylord?« fragte die Gräfin, obgleich sie leicht erschauerte über den entschiedenen Ton, in dem er sprach. »Laßt mich nur wissen, warum Ihr so hart von Tressilian denkt?« »Madam,« versetzte der Carl, »mein Wille sollte hinreichender Grund sein. Wenn Ihr mehr begehrt, so bedenkt, mit wem dieser Tressilian in Verbindung steht. Er steht hoch in der Achtung dieses Radcliffe, dieses Sussex, gegen den ich nur mit Mühe den Boden in der Gunst unsrer so mißtrauischen Königin behaupten kann; und wenn er einen solchen Vorteil gegen mich hätte, Amy, daß ihm die Geschichte unsrer Heirat bekannt wäre, ehe Elisabeth in geeigneter Weise darauf vorbereitet ist, so wäre ich für immer aus ihrer Gnade ausgestoßen – bankerott wäre ich zugleich in Gunst und Glück, und vielleicht – denn sie hat etwas von ihrem Vater Heinrich in sich – ein Opfer, ein blutiges am Ende, ihres gekränkten eifersüchtigen Zornes.« Aber warum, Mylord,« drang die Dame wieder in ihn, »denkt Ihr so schmählich von einem Manne, von dem Ihr so wenig wißt. Was Ihr von Tressilian wißt, wißt Ihr durch mich, und ich selber gebe Euch die Versicherung, daß er unter keinen Umständen Euer Geheimnis verraten würde. Wenn ich ihm um Euretwillen unrecht getan habe, Mylord, so liegt mir jetzt umsomehr daran, daß Ihr ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen sollt. – Es kränkt Euch, daß ich von ihm spreche – was würdet Ihr sagen, wenn ich ihn wirklich gesehen hätte?« »Wenn Ihr ihn gesehen hättet,« erwiderte der Graf, »so tätet Ihr gut, dieses Zusammentreffen so geheim zu halten, wie ein Geheimnis, das im Beichtstuhle abgelegt wird. Ich trachte niemand nach dem Leben, aber wer sich in meine Privatgeheimnisse, drängt wird in Zukunft auf Gottes Welt keinen gefahrlosen Schritt mehr tun können. Der Bär läßt keinen ungestraft seinen furchtbaren Pfad durchkreuzen.« [Das Abzeichen des Grafen Leicester war das alte von seinem Vater, als er Earl von Warwick war, angenommene Wappen: der Bär und der Knotenstock.] »Furchtbar in der Tat!« sagte die Gräfin, tief erbleichend, »Dir ist nicht wohl, mein Lieb,« sagte der Graf und stützte sie mit dem Arm. »Lege Dich noch einmal nieder, es ist noch zu früh für Dich. Hast Du noch irgend etwas andres, wobei mein Ruhm, mein Glück, mein Leben weniger im Spiele ist, von mir zu erbitten?« »Nichts, mein Lord und Leben,« antwortete die Gräfin matt. »Es war wohl etwas, was ich Euch sagen wollte, aber vor Euerm Groll ist es mir entfallen.« »Heb es auf, bis wir uns wiedersehen, mein Lieb,« sagte der Earl zärtlich und umarmte sie wiederum. »Und wenn Du die Ansuchen beiseite läßt, die ich nicht gewähren kann und darf, dann muß Dein Wunsch mehr umfassen, als ganz England erfüllen könnte, wenn er nicht bis auf den Buchstaben befriedigt werden sollte.« Mit diesen Worten nahm er endlich Abschied. Am Fuß der Treppe reichte ihm Varney einen weiten Mantel und einen breitkrempigen Hut, beide machten ihn völlig unkenntlich. Im Hofe standen für ihn und Varney Pferde bereit. Ein paar Leute seines Gefolges, die so weit in das Geheimnis eingeweiht waren, daß sie um die Liebschaft des Grafen mit einer ihnen dem Namen und dem Stande nach unbekannten Name in diesem Hause wußten, warm bereits über Nacht weggeschickt worden. Anton Foster selber hielt das Pferd des Grafen am Zügel, einen stämmigen Straßengaul, während sein alter Dienstbursche das stattlichere und seiner aufgeputzte Pferd Varneys, der hier als der Herr gelten sollte, am Zügel hielt. Als der Earl herantrat, sprang jedoch Varney herzu, um seinem Herrn den Zügel zu halten und Foster nicht diesen Dienst dem Grafen erweisen zu lassen, den er offenbar als zu seinem Amte gehörig betrachtete. Foster warf ihm einen bösen Blick zu, als er so gehindert wurde, seinem Gönner seine Aufwartung zu machen, aber er machte Varney Platz, und der Graf stieg ohne eine weitere Bemerkung zu Pferde. Er vergaß, daß er gemäß der Rolle des Dieners, die er spielen sollte, eigentlich hinter seinem Herrn herreiten müßte, und ritt ganz in Gedanken zu, dem Hofe hinaus, die Hand mehrfach schwenkend zur Antwort auf die Zeichen, die ihm die Gräfin noch aus dem Fenster ihres Zimmers mit dem Taschentuch nachwinkte. Während seine vornehme Gestalt unter dem dunkeln Torweg verschwand, murmelte Varney: »Das nenn ich schlau gehandelt – der Diener reitet vor dem Herrn!« Dann benutzte er die Gelegenheit, noch ein Wort mit Foster zu sprechen. »Du schaust mich finster an, Anton,« sagte er, »als hätte ich Dich um den Abschiedsgruß von Deinem Herrn gebracht, aber ich habe ihn bewogen, daß er Dir ein bessres Andenken für Deinen treuen Dienst hinterläßt. Sieh hier! Eine Börse voll so gutem Golde, als je unter der Faust eines Geizhalses geklimpert hat. Ja, zähle sie nur, Bursche,« sagte er, als Foster sie mit grimmigem Lächeln entgegennahm, »und tu dazu noch das gute Trinkgeld, das er gestern abend der Jeanette gegeben hat.« »Was? Was?« rief Anton Foster rasch. »Hat er der Jeanette Geld gegeben?« »Gewiß, Mann, warum nicht? Der Dienst, den sie seiner schönen Dame erweist, erfordert doch auch seine Belohnung.« »Sie soll nichts davon behalten,« sagte Foster, »sie soll es wieder zurückgeben. Ich weiß, er ist nur kurze Zeit immer in ein Lärvchen vernarrt, aber dafür um so gründlicher. Seine Liebe ist veränderlich wie der Mond.« »Ei, Foster, Du bist verrückt – auf so ein gutes Glück hoffst Du doch nicht etwa, daß Mylord ein Auge auf Jeanette haben sollte? Wer in des Teufels Namen lauschte wohl der Drossel, wenn die Nachtigall singt?« »Drossel oder Nachtigall, dem Vogelsteller ist alles gleich – und ich will nicht, daß meiner Tochter eine solche Gunst erwiesen werde, wie Ihr schon manchem armen Mädchen erwiesen habt. – Lachst Du? – Ein Glied meiner Familie wenigstens soll vor den Klauen Satans bewahrt werden, darauf magst Du Dich verlassen. Sie soll das Gold zurückgeben.« »Oder es Dir zum Aufheben überlassen, Toni, was eben so gut ist,« antwortete Varney, »aber ich habe etwas zu sagen, was ernster ist. – Unser Herr kehrt in einer für uns nicht günstigen Stimmung nach Hofe zurück. Er trägt sich mit dem Gedanken, dem Hofe Valet zu sagen, um ihretwillen. Dann wäre freilich alles verloren, aber ich denke doch, Cumnorplace soll vorerst noch ein Freigut werden. Nur folge meinem Rate und verrate nicht, daß dieser Tressilian hier gewesen ist – nicht ein Wort, bis ich Dir einen Wink gebe.« »Und warum das?« fragte Foster mißtrauisch. »Blödes Vieh!« versetzte Varney. »Wo Mylord jetzt so gestimmt ist, so wäre das der leichteste Weg, ihn in seinem Entschlusse zu bestärken – man brauchte ihn nur wissen zu lassen, daß seine Dame in seiner Abwesenheit von einem solchen Gespenst heimgesucht wird. Er selber würde den Drachen über seinem Kleinod abgeben wollen, und dann wäre Dein Dienst, zu Ende! Doch lebe wohl – ich muß ihm folgen!« Er wandte sein Pferd, gab ihm die Sporen und ritt hinter seinem Herrn her zum Torweg hinaus. »Ich wollte, Dein Dienst wär zu Ende oder Du hättest Dir schon das Genick gebrochen, verfluchter Kuppler!« brummte Anton Foster hinter ihm drein. »Kein verderblicher Hauch soll Jeanetten streifen – sie soll rein bleiben wie ein Engel, wäre es auch nur, um für ihren Vater Gott zu bitten. Ich bedarf ihrer Fürbitte, denn es steht schlimm um mich. Seltsame Gerüchte über meine Lebensweise sind im Umlauf. Die Gemeinde sieht mich kalt an, und als Holdforth letztens von Heuchlern sprach, die wie Grabmäler aussehen, innen aber voller Totengebeine sind, da war mirs, als sähe er mich voll an. Der römische Glaube war bequem, Lambourne hat recht – da brauchte man bloß seine Rosenkränze zu beten, eine Messe zu hören, zu beichten – und man hatte Absolution. Diese Puritaner gehen einen härtern und rauhern Pfad. Aber ich will erst eine Stunde in der Bibel lesen, ehe ich wieder meine eiserne Geldkiste öffne.« Varney ritt inzwischen hinter seinem Herrn her, den er am Hinterpförtchen das Gartens wartend fand. »Ihr vertrödelt die Zeit, Varney, und die Zeit drängt,« sagte der Earl. »Ich muß bis nach Woodstock, ehe ich meine Verkleidung ablegen kann, und bis dahin ist mein Weg nicht geheuer.« »Wenn Ihr schnell reitet, seid Ihr in zwei Stunden dort, Mylord,« sagte Varney, »ich habe mich nur versäumt, um diesem Foster noch einmal Eure Befehle einzuschärfen und nach der Wohnung des Herrn zu fragen, den ich für das Gefolge Eurer Lordschaft an Trevors Stelle vorschlagen möchte. Er verspricht, sich gut zu eignen. Und wenn Euer Lordschaft geruhen wollte, weiter zu reiten, so könnte ich nach Cumnor zurückreiten und ihn nach Woodstock mitbringen.« »Gut, sorgt dafür, daß Ihr bei mir seid, wenn ich aufbreche.« Mit diesen Worten gab er seinem Pferde die Sporen und ritt weiter, während Varney auf der Verkehrsstraße nach Cumnor zurückritt. Er hielt am Tor des »Schwarzen Bären« an und begehrte Herrn Michael Lambourne zu sprechen. Dieser Ehrenmann erschien sogleich vor seinem neuen Gönner, aber mit niedergeschlagenen Blicken. »Du hast die Spur Deines Kameraden Tressilian verloren,« sagte Varney. »Das seh ich Dir an Deinem langen Gesicht an. Ist das Deine Gewandtheit, Du unverschämter Bursche?« »Potzblitz!« sagte Lambourne. »Nie ist eine Spur so fein verfolgt worden. Hier bei meinem Onkel hab ich ihn einkehren sehen – ich hab mich an ihn gehängt wie Pech – ich hab aufgepaßt, bis er in, sein Zimmer gegangen war, und presto – am nächsten Morgen war er verschwunden, selbst der Gastwirt weiß nicht, wohin.« »Das klingt, als wolltest Du mir eine Nase drehen, Bursche,« sagte Varney, »und wenn sich das herausstellt, so sollst Du es bei meiner Seele bereuen!« »Herr, der beste Hund kann einmal fehlgehen,« antwortete Lambourne. »Ihr mögt den Wirt fragen – den Kellner, den Hausdiener, wie scharf ich Tressilian im Auge behalten habe, solange er auf den Beinen war; es war doch nicht zu erwarten, daß ich wie ein Krankenwärter über ihm wachen sollte, als ich ihn hübsch hatte zu Bett gehen sehen.« Varney erkundigte sich in der Tat bei dem Personal und erfuhr, daß Lambourue ihm die Wahrheit gesagt hatte. Tressilian war plötzlich und unerwartet zwischen Nacht und Morgen abgereist. »Aber ich will ihm kein Unrecht tun,« sagte der Wirt, »er hat auf dem Tisch seines Zimmers den vollen Betrag seiner Rechnung zurückgelassen und noch ein Trinkgeld für die Bediensteten obendrein, was eigentlich gar nicht nötig war, da er ja sein Pferd ohne Beistand des Stallknechts ganz allein gesattelt hat.« Also beruhigt über Lambournes Verhalten, sprach Varney zu ihm über das, was er mit ihm vorhabe, da er von Foster gehört habe, daß er nicht abgeneigt sei, in den Dienst eines Edelmanns zu treten, »Bist Du je am Hofe gewesen?« fragte Varney. »Nein,« antwortete Lambourne, »aber seit meinem zehnten Lebensjahre habe ich einmal wöchentlich geträumt, ich wäre an einem Hofe und machte mein Glück.« »Vielleicht ist es Deine Schuld, wenn sich Dein Traum nicht erfüllt. Weißt Du, was der Gefolgsmann eines großen Herrn am Hofe haben muß?« »Ich habe es mir selber ausgedacht, Herr,« antwortete Lambourne. »So zum Beispiel ein flinkes Auge – einen verschlossenen Mund – eine rasche, kühne Hand – einen scharfen Witz und ein stumpfes Gewissen.« »Und bei dem Deinen,« sagte Varney, »hat sich jedenfalls die Schneide schon lange abgestumpft.« »Allzu scharf ist seine Schneide nie gewesen, soviel ich mich erinnere,« erwiderte Lambourne. »Als ich noch jung war, hatte ich wohl ein paar Grillen, aber auf dem rauhen Schleifstein des Krieges habe ich sie zum, Teil abgeschliffen, und was übrig blieb, haben die breiten Wogen des Atlantischen Ozeans mit weggespült.« »Du kannst mir und meinem Lord und Dir selber gute Dienste tun,« sagte Varney nach einer Pause. »Aber merke wohl, ich kenne die Welt, – und antworte mir der Wahrheit gemäß: Kannst Du treu sein?« »Wenn Ihr die Welt nicht kenntet,« antwortete Lambourne, »so wäre meine Pflicht, ja zu sagen, ohne weitere Umstände, und bei meinem Leben und meiner Ehre und so weiter darauf zu schwören. Da Euch aber lieber mit ehrlicher Wahrheit als mit schlauer Liebe gedient zu sein scheint – so antworte ich Euch: Ich kann treu sein bis zum Fuße des Galgens, ja bis zur Schlinge, die daran herunter hängt – wenn der Dienst gut ist und ordentlich bezahlt wird – sonst nicht.« »Hast Du einen Gaul im Stall?« »Ja, Herr,« sagte Lambourne, »als ich jüngst bei Shooters-Hill einen ehemaligen Viehhändler anhielt, dessen Taschen besser gefüllt waren als sein Hirnkasten, da hat mich die gute Mähre flott vor allen Verfolgern gerettet.« »Dann sattle ihn und begleite mich,« sagte Varney, »laß Kleider und Gepäck bei dem Wirt in Verwahrung, und ich will Dich in einen Dienst bringen, in dem Du Dein Glück machen kannst.« »Herzlich gern – und in einem Augenblick bin ich zu Pferde!« rief Lambourne. »Geht mein Neffe mit Euch?«, fragte Giles Gosling, als er die Anstalten zum Aufbruch sah. »Ja, das ist seine Absicht,« antwortete Richard Varney. »Da tust Du recht, Neffe,« sagte der Wirt, »da tust Du ganz recht. Wenn Du durchaus durch einen Strick vom Leben zum Tode befördert werden willst – und so sieht es ja ganz aus, da Du mit diesem Herrn da gehst – so suche Dir wenigstens Deinen Galgen möglichst weit von Cumnor aus, und so sitz auf und reite Deiner Wege.« Der Herr und der neue Diener ritten in schnellem Trabe davon, und als sie den Anstieg eines sandigen Hügels hinter sich hatten, setzten sie ihr Gespräch fort. »Du bists also zufrieden,« sagte Varney zu seinem Gefährten, »bei Hofe Dienste zu nehmen?« »Durchaus, Herr, wenn Euch meine Bedingungen ebenso recht sind, wie mir die Euern.« »Und was sind Deine Bedingungen?« fragte Varney. »Wenn ich ein flinkes Auge im Interesse meines Herrn haben soll, so muß er meinen Fehlern gegenüber ein Auge zudrücken können,« sagte Lambourne. »Gewiß,« sagte Varney, »wenn sie nur nicht so hagebuchen am Tage liegen, daß er darüber fallt.« »Einverstanden,« sagte Lambourne. »Ferner, wenn ich ein Wild erlegt habe, muß ich die Knochen kriegen.« »Das ist nur billig,« versetzte Varney, »das heißt, Deine Vorgesetzten kommen zuerst dran.« »Gut,« stimmte Lambourne bei, »und es bleibt nur noch zu sagen übrig, daß, wenn ich mit dem Gesetz in Konflikt gerate, mein Gönner mir heraushelfen muß, das ist ein Hauptpunkt.« »Auch nur recht und billig,« sagte Varney, »wenn Ihr im Dienste Euers Herrn mit dem Gesetz uneins geworden seid.« »Was den Lohn und so weiter betrifft,« fuhr Lambourne fort, »so sage ich gar nichts darüber, selbstverständlich muß ich davon leben können.« »Da sei ohne Sorge, Du kommst in einen Haushalt, wo es Gold wie Heu gibt.« »Das ist so mein Fall,« erwiderte Michael Lambourne, »und es wäre nun nur noch übrig, daß Ihr mir den Namen meines Herrn nenntet.« »Mein Name ist Herr Richard Varney,« antwortete sein Gefährte. »Aber ich meine,« sagte Lambourne, »den Namen des edeln Lords, zu dem Ihr mich in Dienst bringen wollt.« »Wie, Bursche, dünkst Du Dich zu gut, mich Herrn zu nennen?« fragte Varney rasch. »Ich sehe es gern, wenn Du frech bist gegen andre – mir gegenüber laß Deine Unverschämtheit beiseite.« »Ich bitte Euer Gnaden um Vergebung,« sagte Lambourne, »aber Ihr scheint auf vertraulichem Fuße mit Anton Foster zu stehen – und mit dem steh ich selber auf Du und Du.« »Du bist ein durchtriebner Bursche, wie ich sehe,« erwiderte Varney. »Hör mich an – ich habe allerdings die Absicht, Dich bei einem Edelmann in Dienst zu bringen, aber meiner Person in der Hauptsache wirst Du zu dienen haben und von mir wirst Du abhängig sein. Ich bin sein Stallmeister – seinen Namen wirst Du bald erfahren – er ist einer, der unter den Räten der Königin die erste Rolle einnimmt und das Ruder des Staates in der Hand hat.« Die Reiter verfielen nun wieder in den flotten Trab, den sie bei ihrem Zwiegespräch gezügelt hatten, und langten bald in dem königlichen Park von Woodstock an. Sie ritten ohne Umstände in den Hof des alten, verfallenen Herrenhauses hinein, in welchem an diesem Morgen dem Auge sich ein buntbelebtes Bild zeigte. Beamten vom Haushalt des Grafen, Diener in Livree kamen und gingen mit all dem rücksichtslosen Lärm, der ihrem Gewerbe anzuhaften scheint. Pferdegewieher und Hundegebell war zu hören; denn wenn auch Mylord hierher gekommen war, um das alte Haus und Gewese zu besichtigen, so hatte er sich doch auch mit allem versehen, um eine Jagd abhalten zu können in dem Park, dem ersten, eingezäunten Wildpark in England, der reich mit Wild versehen war, das nun schon lange unbelästigt dort geäset hatte. Einige Einwohner des Dorfes lungerten, in der Hoffnung, daß bei diesem ungewohnten Besuch auch für sie etwas abfallen würde, im Hofe herum und warteten, ob der große Mann sich zeigen werde. Ihre Spannung wuchs noch, als sie Varney in aller Eile hereinsprengen sahen, und ein Gemurmel lief herum: »Der Stallmeister des Grafen!«, während sie eilig ihn, für sich einzunehmen trachteten, indem sie die Hüte zogen und dem begünstigten Diener und seinem Begleiter Zügel und Steigbügel hielten. Kurz darauf erschien der Earl mit seinem Gefolge und begab sich zu Pferde, um nach dem Hofe zurückzukehren, begleitet von dem lauten Zuruf der Einwohner von Woodstock, die so laut brüllten, daß die alten Eichen widerhallten: »Lang lebe Königin Elisabeth und der Graf von Leicester!« Achtes Kapitel In der Nacht seines plötzlichen Verschwindens hatte Tressilian sich zur Ruhe gelegt und lag in trüben Gedanken, als er die Tür seiner Stube knarren hörte und ein Licht hereinschimmern sah. Er sprang sofort aus dem Bette und ergriff sein Schwert, aber er ließ es ruhig in der Scheide, als er die Worte hörte: »Seid nicht so ungestüm mit Euerm Degen, Herr Tressilian. Ich bin es, Euer Wirt, Giles Gosling,« Gleichzeitig entfernte er den Schirm der Blendlaterne, die nur einen undeutlichen Schimmer verbreitet hatte, und die behäbige Gestalt des Wirtes vom »Schwarzen Bären« stand vor seinem erstaunten Gast. »Was ist das für ein Mummenschanz, Herr Wirt?« fragte Tressilian. »Habt Ihr wieder einen fidelen Abend gehabt und Euch in der Kammer geirrt? Oder ist Mitternacht eine Zeit, daß Ihr in den Zimmern Eurer Gäste Maskeraden treibt?« »Herr Tressilian,« versetzte der Wirt, »ich weiß genau, wo ich hingehöre, und kenne auch meine Zeit so gut, wie nur je ein lustiger Wirt. Aber mein Neffe, dieser Teufelskerl, hat Euch scharf bewacht, wie nur je ein Kater eine Maus bewacht hat, und dann habt Ihr entweder mit ihm oder mit einem anderen gefochten, und ich fürchte, Ihr seid von ernster Gefahr bedroht.« »Geht, geht, Ihr seid nicht recht gescheit,« sagte Tressilian, »Euer Vetter hat nur einen Groll auf mich, und woher wollt Ihr denn wissen, daß ich mit irgend wem einen Zweikampf gehabt hatte?« »O, Herr,« antwortete der Wirt, »Ihr habt einen roten Fleck auf der Wange gehabt, der von kurz vorher ausgefochtenem Streite zeugte, auch Euer Gürtel hat sich verschoben, und Ihr wart in wilder Hast.« »Nun, guter Wirt, wenn »ich den Degen habe, ziehen müssen,« sagte Tressilian, »warum soll das Euch zu dieser Nachtzeit aus Euerm warmen Bette treiben? Ihr seht ja doch, alles Unheil ist vorüber.« »Das eben, mit Verlaub, bezweifle ich. Anton Foster ist ein gefährlicher Mensch, der am Hofe von starker Gönnerschaft unterstützt wird, und mein Neffe – na, ich habe Euch ja schön gesagt, was das für ein Früchtchen ist, und wenn diese Halunken ihre alte Bekanntschaft erneuert haben, so wünschte ich nur, mein ehrenwerter Gast, es wäre nicht auf Eure Kosten geschehen.« »Ihr seid ein ehrlicher Mann, Herr Wirt,« sagte Tressilian, »und ich will Euch reinen Wein einschenken. Wenn diese Männer etwas Böses wider mich im Schilde führen, – und ich gebe gern zu, daß das möglich ist – so tun sie das nur als die Helfershelfer eines weit mächtigen Bösewichts.« »Damit meint Ihr Richard Varney, nicht wahr?« fragte der Wirt. »Er ist gestern nach Cumnorplace gekommen, und wenn er auch noch so insgeheim hergekommen ist, so hat ihn doch jemand gesehen und es mir gesagt. Da seid nur ja auf Eurer Hut, Herr Tressilian. Dieser Varney ist der Gönner und Beschützer von Anton Foster, und durch seine Gunst ist ihm das Herrenhaus da in Pacht gegeben worden. Dein Varney ist ein großer Teil der Ländereien der Abtei von Abingdon von seinem Herrn, dem Grafen von Leicester, überlassen worden. Da habt Ihr Euch einen gar gefährlichen Feind auf den Hals gehetzt. Weil Richard Varney einen so großen Einfluß auf den Grafen besitzt – man sagt, er habe ihn vollständig in der Hand – so fürchten sich die Leute fast, seinen Namen zu nennen, geschweige denn, irgendwie sich seinen Plänen entgegenzustellen. Und dabei denken doch alle Leute, daß er hinter diesem Geheimnis mit der hübschen Dirne stecke. Aber vielleicht wißt Ihr selber davon mehr als ich.« »Allerdings weiß ich mehr von dieser unglücklichen Dame als Ihr, mein freundlicher Wirt, und in diesem Augenblick entbehre ich so gänzlich aller Freunde und jedes guten Rates, daß ich Euch gern zu meinem Ratgeber machen und Euch die ganze Geschichte erzählen möchte, um so mehr, als ich Euch am Schluß um eine Gefälligkeit ersuchen möchte.« »Guter Herr Tressilian,« sagte der Wirt, »ich bin bloß ein armer Gastwirt, der einen solchen Gast wie Euch wohl kaum einen guten Rat wird geben können, aber ich bin ein ehrlicher Mann und als solcher gewiß Euers Vertrauens wert.« Tressilian sann eine Weile nach, wie er seine Erzählung beginnen sollte. »Ich muß, um mich verständlich zu machen, ein wenig zurückgreifen,« begann er dann, »Ihr habt gewiß von der Schlacht von Stoke gehört und wohl auch von Sir Roger Robfart. In dieser Schlacht nun wurde mein Großvater, der, wie viele andre Edelleute aus Cornwallis dem Hause York treu ergeben war, von eben diesem Sir Roger Robfart gefangen genommen. Der edle Ritter entließ ihn aber ohne Lösegeld, doch konnte er ihn nicht vor dem Zorne des Königs schützen, der ihm eine so schwere Geldbuße auferlegte, daß er zum armen Manne wurde. Der gute Ritter tat alles, ihm seine Sorgen zu erleichtern, und so wurden beide so innige Freunde, daß mein Vater wie ein Bruder des jetzigen Sir Hugh Robsart des einzigen Sohnes Rogers, auferzogen wurde. Dieser Sir Hugh Robsart hatte eine einzige Tochter. Und hiermit fängt mein Anteil an der Geschichte an. Als mein Vater vor einigen Jahren gestorben war, wollte der gute Sir Hugh mich gern zu seinem Nachfolger machen, und damit war ich völlig einverstanden, denn die große Schönheit, zu der Amy Robsart mit der Zeit heranwuchs, konnte mir nicht entgehen, da ich bei dem vertrauten Verhältnis zu ihrem Vater fast ständig um sie war. Mit einem Worte, ich liebte sie, und ihr Vater bemerkte das wohl. Er nahm meine Bewerbung mit großer Freude an, – aber leider erwiderte seine Tochter meine Liebe nicht. Sie begegnete mir freilich wohl mit Achtung und machte mir auch Hoffnung, daß mit der Zeit aus diesem Gefühl sich eine wärmere Neigung entwickeln werde. Auf ihres Vaters Veranlassung wurde zwischen uns abgemacht, daß wir uns heiraten sollten, aber auf ihr dringendes Ersuchen wurde die Vollziehung dieses Kontraktes auf ein volles Jahr hinausgeschoben. Während dieser Zeit erschien in der Gegend Richard Varney, wußte sich bei Sir Hugh beliebt zu machen und lebte bald dort, als wenn er zur Familie gehörte. Damit fing das Unglück an, aber es folgte eins dem andern so seltsam, daß ich jetzt die Reihenfolge nicht mehr Fall für Fall verfolgen kann– kurz, mit einem Male war die ehedem so glückliche Familie zugrunde gerichtet. Eine. Zeitlang begegnete Amy Robsart Varneys Aufmerksamkeiten mit Gleichgültigkeit, dann schien sie ihn mit Mißfallen, ja mit Widerwillen zu betrachten – dann aber schien sich plötzlich eine ganz neue Art von Bekanntschaft zwischen ihnen zu entwickeln – und bald schien Einverständnis und eine gewisse Vertraulichkeit zwischen ihnen zu herrschen – und dann eines Tages verschwand Amy plötzlich aus ihres Vaters Hause– Varney verschwand zu derselben Zeit – und heute erst habe ich sie als seine Maitresse wiedergesehen, in demselben Hause, das dieser schmutzige Foster innehat.« »Und daher seid Ihr auch miteinander handgemein geworden? Aber sagt mir nur, wie habt Ihr nur die Wohnung dieser Dame, oder vielmehr ihr Versteck ausfindig machen können?« »Es war mir bekannt geworden, daß Varney große Güter, die ehemals den Mönchen von Abingdon gehörten, verwaltete, und als dann Euer Neffe die Absicht aussprach, seinen alten Bekannten Foster zu besuchen, gab mir das Gelegenheit, mich durch eignen Augenschein zu überzeugen.« »Und was gedenkt Ihr nun zu tun?« »Ich will mich an den Grafen von Leicester wenden,« sagte Tressilian, »er soll selber die Schändlichkeit seines Günstlings richten. Wenn ihm sein eigner Ruf am Herzen liegt, darf er meine Bitte nicht abweisen. Sonst will ich mich an die Königin selber wenden.« »Sollte Leicester,« sagte der Wirt, »seinen Günstling in Schutz nehmen wollen (und er soll ja mit ihm ein Herz und eine Seele sein), so werden sie beide zur Vernunft kommen, wenn Ihr Euch an die Königin selber wendet. Ihre Majestät versteht keinen Spaß in solchen Dingen. Sie wird lieber einem Dutzend Höflingen Pardon geben, wenn sie sich in sie verlieben, als einem, wenn er einem andern Weibe den Vorzug gibt. Also corragio, mein lieber Gast! Wenn Ihr eine Bittschrift von Sir Hugh dem Throne zu Füßen legt, so wird der so hoch in Gunst stehende Graf lieber in die Themse springen, wo sie am breitesten und tiefsten ist, als Varney in einer solchen Angelegenheit zu schützen. Aber um einigermaßen mit Erfolg vorzugehen, müßt Ihr ganz formell dabei zu Werke gehen. Und vor allem müßt Ihr unverzüglich nach Devonshire, müßt dem Sir Hugh eine Bittschrift aufsetzen und Euch möglichst viele Freunde werben, die bei Hofe ein Wort für Euch einlegen können.« »Ihr habt wohl gesprochen, mein guter Wirt,« antwortete Tressilian, »und ich werde Euer« Rat befolgen. Ihr aber seid so gut und habt ein Auge darauf, was im Hause Fosters vorgeht. Schickt mir schriftliche Mitteilungen darüber durch die Person, die Euch diesen Ring hier zeigen wird – keinem andern Menschen vertraut etwas an.« »Gut, Sir,« erwiderte der Wirt. »Ich beklage von Herzen den guten Edelmann, dem seine Tochter, die Stütze seines Alters, durch solch einen Habicht wie diesen Varney geraubt worden ist, und ich will Euch dabei behilflich sein, das Mädchen dem alten Manne wiederzugeben, soweit ich Euch bei der Sache als guter Kundschafter dienen kann. Aber ich muß mich darauf verlassen können, daß Ihr reinen Mund haltet? denn es könnte dem Renommee des »Schwarzen Bären« schaden, wenn man seinem Besitzer nachsagte, daß er sich in solche Angelegenheiten mische. Auch hat Varney Einfluß genug, das schöne Schild über meiner Tür herunterreißen zu lassen und mir die Konzession, zu entziehen.« »Ihr könnt Euch auf meine Verschwiegenheit verlassen, Herr Wirt,« sagte Tressilian. »Ich werde Euch allzeit dankbar sein für Eure Gefälligkeit – und vergeßt nicht, daß dieser Ring hier ein Zeichen von mir sein soll. Nun aber lebt wohl – ich will die Nacht noch fort.« »So folgt mir,« sagte der Wirt »und tretet so leise auf, als ginget Ihr auf Eiern, statt auf Dielen. Niemand darf wissen, wie und wann Ihr aufgebrochen seid.« Neuntes Kapitel Tressilian war bis in das Tal von Whitehorse gelangt, als der Tag heranbrach. Jetzt wurde er zu seinem Verdruß gewahr, daß sein Pferd ein Hufeisen an einem der Vorderfüße verloren hatte. Da er sich in der Nähe eines armseligen Dörfchens befand, stieg er ab und führte sein Pferd. Vor einem der kläglichen Häuschen, aus denen die verlassene Ortschaft bestand, stand eine alte Frau, die ihn aus seine Frage, ob nicht in der Nähe ein Grobschmied wohne, mit sonderbarer Miene ansah. »Ein Grobschmied?« erwiderte sie. »Ja, ein Grobschmied ist wohl hier in der Nahe. – Was wollt Ihr von ihm?« »Mein Pferd soll er beschlagen, gute Frau. Ihr seht, es hat ein Hufeisen verloren,« antwortete Tressilian. »Magister Feiertag!« rief die alte Frau. »Magister Erasmus Feiertag! Kommt doch einmal her und sagt dem Manne hier Bescheid. Er fragt nach Wieland dem Schmied, und ich mag ihm den Weg zu dem Teufel nicht sagen. Sein Pferd hat ein Eisen verloren.« »Quid mihi cum caballo?« versetzte eine Stimme aus dem Hause, und gleich darauf erschien der ehrliche Pädagoge, – denn daß er ein solcher war, dafür zeugte sein Anzug: Eine lange, hagere, gekrümmte Gestalt, deren Kopf von dünnem, schon stark ergrautem Haar bedeckt war. Als er einen Fremden von Tressilians Aeußerm erblickte, dessen Vornehmheit er zu würdigen verstand, zog er die Mütze und redete ihn mit den Worten an: »Salve domine! Intelligisne linguam latinam?« Tressilian kramte sein Latein hervor und erwiderte: »Linguae latinae haut penitus ignarus venia tua, domine eruditissime vernaculam libentius loquor.« Diese lateinische Antwort wirkte auf den Schulmeister etwa ebenso wie das Zeichen der Freimaurer auf die Brüder dieses Ordens. Er interessierte sich sofort für den gelehrten Reisenden, hörte die Geschichte von dem müden Pferde, und dem verlorenen Eisen und antwortete dann in feierlichem Tone: »Es mag Euch, verehrter Herr, als die größte Einfachheit von der Welt, vorkommen, wenn ich Euch den Bescheid gäbe, daß nur ein kurzes Stückchen von hier der beste faber ferrarius, der vollendetste Grobschmied haust.« »Ich würde dann wenigstens eine glatte Antwort auf eine einfache Frage erhalten,« versetzte Tressilian, »aber wie es scheint, ist die hier nicht zu haben.« »Wer ein lebendes Wesen nach Wieland, dem Schmied, fragt, liefert eine Seele dem Bösen aus,« sagte die Alte. »Still, Frau Schlamm!« sagte der Erzieher. »Pauca verba. Kümmert Euch um Euern Weizenbrei. Und Ihr, verehrtester Herr, würdet Euch wohl felix bis terque schätzen, wenn ich Euch die Wohnung dieses Schmiedes zeigte?« »Ich bitte Euch,« wiederholte Tressilian ungeduldig, »sagt mir mit einem Wort, ob ich hier irgendwo mein Pferd füttern und beschlagen lassen kann?« »Diese Gefälligkeit, Herr,« erwiderte der Schulmeister, »kann ich Euch ohne Schwierigkeiten selber erweisen. Ich will mich bei der guten Hausfrau verwenden, daß sie Euch eine Schüssel Weizenbrei vorsetze – das ist eine gar gesunde Speise – nur habe ich noch keinen lateinischen Namen dafür gefunden. Euer Pferd soll inzwischen im Kuhstall eingestellt werden und ein Bund Heu haben – die gute Mutter Schlamm hat einen reichen Vorrat davon. Man kann von ihrer Kuh sagen: foenum in cornu. Und wenn Ihr mir das Vergnügen bereiten wollt, mir Gesellschaft zu leisten, so soll Euch die Mahlzeit ne semissem quidem kosten, denn die gute Mutter Schlamm tut mir gern einen Gefallen, weil ich ihren hoffnungsvollen Enkel und Erben Richard in der lateinischen Sprache unterrichte.« »Freilich, vergelts Euch Gott, Magister Feiertag,« sagte die gute Alte. »Wenn nur der kleine Dickie recht fleißig lernen möchte.« Tressilian bedachte, daß sein Pferd der Ruhe bedürfe und daß er, wenn er den guten, alten Pädagogen sich gehörig ausschwatzen ließe, über kurz oder lang doch noch erfahren werde, wo der Schmied wohne. Er ging daher mit dem Schulmeister in die Hütte, setzte sich zu ihm und aß mit ihm von dem Weizenbrei. Eine gute halbe Stunde lang mußte er erst allerlei gelehrtes Gewäsch über die Persönlichkeit des Erziehers mit anhören, ehe es ihm möglich war, den redseligen Mann auf ein andres Thema zu bringen. Wir geben diese weitschweifigen Ausführungen nur in kurzer Skizze wieder. Er war in Hogsnoton geboren. Den Namen Erasmus hatte er daher, weil seine Mutter, eine Wäscherin, dem großen Gelehrten gleichen Namens die Wäsche besorgt hatte, und weil wohl die gute Frau die dunkle Ahnung gehabt hatte, daß in dem kleinen Täufling ein Genius verborgen sei, der einst zu einem ebenbürtigen Nebenbuhler des Erasmus von Rotterdam heranreifen würde. Den Namen Feiertag führte er wohl seines Erachtens quasi lucus a non lucendo – weil er seinen Schülern wenig Feiertage vergönnte. Dann aber neigte er auch wieder zu der Annahme, daß der Name sich auf seine große Begabung bezöge, Theaterspiele, Mohrentänze, Maifeste und andre für Feiertage passende Veranstaltungen zu arrangieren. In dieser Fähigkeit sei er der erfinderischste Kopf in ganz England, und seine Begabung für solche Belustigungen habe ihm schon die Bekanntschaft manches vornehmen Herrn verschafft, und vor allem des edeln Grafen von Leicester. »Erlaubt mir, auf Eure eigene gelehrte Weise zu fragen,« unterbrach ihn Tressilian endlich, »quid hoc ad Iphicli boves? Was hat das mit dem Beschlagen meines Pferdes zu tun?« »Festina lente!« sagte der Gelehrte. »Wir kommen sogleich darauf. Ihr müßt wissen, vor ein paar Jahren kam in diese Gegend ein gewisser Doktor Doboobie, der war – was her gemeine Mann einen Hexenmeister nennt. Er behauptete, ein Bruder vom geheimnisvollen Orden der Rosenkreuzer zu sein. Er heilte Wunden, wahrsagte aus der Hand, wußte gestohlenes Gut aufzufinden, sammelte Kräuter, durch die sich die Menschen unsichtbar machen können, und verstand, Blei in Silber zu verwandeln.« »Mit anderen Worten, er war ein ganz gemeiner Quacksalber und Gauner,« unterbrach ihn Tressilian abermals, »doch was hat das mit dem verlorenen Hufeisen meines Pferdes zu schaffen?« »Das sollt Ihr sogleich erfahren,« erwiderte der weitschweifige Gelehrte. »Patentia, werter Herr! Dieser Demetrius Doboobie hätte es sicherlich weit gebracht, wenn nicht in einer dunkeln Nacht der Teufel gekommen und mit ihm davongeflogen wäre. Seitdem hat man nichts wieder von ihm gehört und gesehen. Nun komm ich auf den eigentlichen Kern meiner Erzählung. Dieser Doktor Doboobie hatte einen Diener, einen armen Kerl, der ihm den Ofen zu heizen, die Zauberkessel zu füllen, die Tropfen anzufertigen, die Zauberkreise zu ziehen und die Patienten zu beschwichtigen hatte. Als nun der Doktor in so absonderlicher Weise verschwunden war, hat dieser Wieland angefangen, die gefährliche Kunst seines Herrn weiterzutreiben. Aber in diesen Künsten konnte er sein Brot nicht finden, da die ganze Gegend nach dem unerklärlichen Verschwinden des Doktors zu sehr in Angst und Grauen war, als daß irgendwer den Mut gehabt hätte, sich bei dem Diener Hilfe zu holen. So hat sich denn nun dieser Bursche – ob es ihn der Teufel gelehrt oder ob er es in der Jugend gelernt hat, – darauf gelegt, Pferde zu beschlagen, und er tut das ebenso gut, wie nur irgend ein Grobschmied.« »Wo wohnt er?« fragte Tressilian. »Zeigt mir sogleich seine Wohnung.« »Hört erst weiter, ehe Ihr Euch in eine solche Gefahr begebt,« sagte Erasmus Feiertag. »Dieser Grobschmied nimmt für seine Arbeit von niemand Geld an.« »Und das ist ein sicheres Zeichen,« fiel die alte Frau ein, »daß er mit dem Teufel unter einer Decke steckt. Jeder gute Christ nimmt Lohn für seine Arbeit.« »Die alte Frau hat recht,« sagte der Pädagog. »Rem aou tstigit, – sie hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Dieser Wieland nimmt kein Geld und läßt sich auch vor niemand sehen. Und doch verrichtet er seine Arbeit musterhaft – selbst Mulciber. mit seinen Zyklopen könnte es nicht besser machen. Aber es ist nicht ratsam, sich von jemand helfen zu lassen, der mit dem Anstifter alles Bösen gemeinschaftliche Sache macht.« »Ich muß es doch darauf wagen, guter Magister Feiertag,« sagte Tressilian und erhob sich. »So zeigt ihm doch, wo er wohnt,« sagte die Alte, die gern den Gast los sein wollte. »Wen der Teufel treibt, der läßt sich doch nicht halten.« »Nun, meinetwegen,« sagte der Magister. »Ich nehme die Welt zum Zeugen, daß ich diesen wackern Edelmann aufs beste gewarnt habe. Ich will auch nicht selber mit meinem Gaste hingehen. Ricarde, adsis, nebulo!« »Nein, mit Verlaub!« fiel ihm das alte Weib ins Wort. »Meinen kleinen Dickie sollt Ihr nicht zu einem solchen Dienst vorschlagen!« »Gute Mutter Schlamm,« versetzte der Lehrer, »er soll ja nur bis auf den Hügel mitgehen und die Wohnung des Schmiedes dem fremden Herrn mit dem Finger zeigen. Glaubt nicht, daß ihm ein Leid widerfahren wird, er hat auf nüchternen Magen heute früh schon ein Kapitel in der Septuaginta gelesen. Ich vermute außerdem, er geht zu seinem eigenen Vergnügen oft zu dem Beschwörer hin, so mag er denn einmal aus Gefälligkeit für uns sich auf den Weg machen. Ergo heus, Ricarde! adsis quaeso, mi didascale!« Der so herbeigerufene Zögling kam endlich ins Zimmer gestolpert. Er war ein kleiner, watschelnder, verwachsener Zwerg, der seiner kleinen Gestalt nach kaum zwölf oder dreizehn Jahre alt sein konnte, obgleich er in Wirklichkeit wohl ein oder zwei Jahre älter sein mochte. Das rote Haar hing ihm verwildert um das von Sommersprossen bedeckte, verbrannte Gesicht herab, er hatte eine Stülpnase, ein spitzes Kinn und graue, durchdringende Augen, die zu schielen schienen. Beim bloßen Anblick des kleinen Kerls fühlte man den lebhaftesten Kitzel zum Lachen. »Ricarde,« sagte der Lehrer, »Du sollst mit dem Herrn dort bis auf den Hügel hinauf und ihm zeigen, wo Wieland, der Schmied, wohnt.« »Mein guter Junge,« sagte Tressilian, »ich will Dir ein Silberstück geben, wenn Du mich nach der Werkstätte des Schmiedes führst.« Der Knabe warf ihm einen listigen Seitenblick zu: »Ich will Euch schon führen,« sagte er, »setzt Euch nur den Hut auf, zieht Euer Pferd aus dem Stall und vergeht nicht, daß Ihr mir ein Silberstück versprochen habt.« »Nun, nun, nicht so hastig!« rief der Lehrer. »Suflamanina Ricarde!« »Seid Ihr nur hübsch still,« sagte Dickie und entschlüpfte dem Lehrer. Tressilian bestieg ohne Säumen sein Pferd und folgte seinem gnomenhaften Führer. Zehntes Kapitel »Haben wir noch weit bis zur Behausung des Schmieds, mein hübscher Junge?« fragte er den Knaben. »Wie nennt Ihr mich?« war die Antwort, indem der Junge ihn mit seinen durchdringenden grauen Augen ansah. »Ich nenne Dich einen hübschen Jungen – ist das was Schlimmes?« »Ei, wenn meine Großmutter und Magister Feiertag mit dabei waren, dann könntet Ihr alle drei das Lied singen: Wir sind ei, ei, Schön dumm alle drei! Denn Ihr drei,« sagte der häßliche Kobold, »seid die einzigen, die mich je einen hübschen Jungen genannt haben. Meine Großmutter tut es, weil sie vor Alter halb blind und aus Großmutterliebe ganz blind ist – und mein Schulmeister, der arme Kerl, tut es aus Liebedienerei, damit er immer eine volle Schüssel Haferbrei kriegt. Aber warum Ihr mich einen hübschen Jungen nennt, das müßt Ihr freilich selber am besten wissen.« »Du bist eine durchtriebne Range, wenn Du auch nicht hübsch bist. Aber wie nennen Dich Deine Spielkameraden?« »Hoppspopanz,« antwortete der Bengel flink. »Fürchtest Du Dich nicht vor dem Schmied, zu dem wir gehen?« »Ich mich vor ihm fürchten,« versetzte der Junge. »Wenn er der Teufel wäre, für den die Leute ihn halten, so würde ich mich doch nicht vor ihm fürchten, aber wenn er auch ein absonderlicher Kauz ist, so ist er doch ebenso wenig ein Teufel wie Ihr selber. Und das sage ich Euch, weil Ihr so ganz anders ausseht, als sonst die Herren, die wir hier zu Gesicht bekommen, und ich möchte nicht, daß gerade Ihr mich für einen Schafskopf halten sollt, zumal ich Euch eines Tages vielleicht, einmal um eine Gefälligkeit zu ersuchen habe.« »Das wäre?« erwiderte Tressilian. »O, wenn ich sie jetzt von Euch erbitten würde,« sagte der Junge, »so würdet Ihr mirs abschlagen. Aber wartet, bis wir, uns bei Hofe wiedersehen.« »Bei Hofe, Richard! Sollst Du an den Hof kommen?« »Ja, ja, ich wette, Ihr denkt nun auch,« erwiderte der Knabe, »was soll ein so widerwärtiger, watschelnder Kobold bei Hofe? Aber laßt nur Richard Schlamm für sich. Ich bin nicht umsonst hier Hahn im Korbe gewesen. Ich will schon dafür sorgen, daß der scharfe Verstand über die Häßlichkeit triumphiert. Ich wäre schon längst weg von hier, aber der Magister hat mir versprochen, daß ich auf dem nächsten Feste, das er veranstalten wird, eine Rolle spielen soll. Es soll in kurzem ein großes Fest geben, auf irgend einem Schlosse im Norden – nicht weit von Berkshire. Und wenn der Magister sein Wort nicht hält, dann wehe ihm. Dann nehm ich das Gebiß zwischen die Zähne und gehe durch und werf ihn ab, daß er sich alle Knochen brechen soll. Und doch möcht ich ihm nicht gern ein Leid antun, denn der alte, langweilige Narr hat mir mit vieler Mühe alles beigebracht, was er selber weiß. Doch genug! Hier sind wir an der Tür von Wielands Schmiede!« »Du spaßest wohl, mein kleiner Freund,« sagte Tressilian, »hier ist ja nichts als ein nacktes Moor und ein Ring von Steinen mit einem großen in der Mitte.« »Ja, und der große, flache Stein in der Mitte,« sagte der Junge, »ist Wielands Zahltisch, da müßt Ihr Euer Geld abgezählt darauflegen.« »Was soll diese Dummheit?« fragte, Tressilian und sing an, sich über die Range zu erbosen. »Ja doch,« sagte Dickie mit einem Grinsen, »Ihr müßt Euer Pferd an den aufrecht stehenden Stein dort anbinden, an dem der Ring dran ist, und dann müßt Ihr dreimal pfeifen, und Euer Geld auf den flachen Stein dort legen und aus dem Kreise herausgehen und Euch an der Westseite des Gebüsches hier niedersetzen, und wohl acht geben, daß Ihr zehn Minuten lang nicht rechts noch links seht oder wenigstens solange, wie der Hammer klingt, und wenn die Hammerschläge aufhören, dann sprecht ein Gebet, und dann tretet wieder in den Kreis, und Ihr werdet Euer Geld nicht mehr finden, aber Euer Pferd beschlagen.« »Mein Geld wird weg sein, ja das glaub ich wohl!« rief Tressilian. »Hör, Du Range, ich bin freilich nicht Dein Schulmeister, aber wenn Du mich zum Narren halten willst, so will ich Dir die Jacke nicht weniger derb ausklopfen.« »Ja, wenn Ihr mich kriegt!« rief der Junge, und sogleich war er über die Heide geflüchtet mit einer solchen Geschwindigkeit, daß Tressilian in seinen schweren Stiefeln ihn nicht einholen konnte. Dabei rannte der Bengel – was Tressilian nur noch mehr reizte, – nicht einmal so schnell, als er hätte rennen können, wenn er sich in Gefahr gewußt oder sich gefürchtet hätte, sondern er richtete seine Eile immer danach ein, daß Tressilian ihm nahe genug blieb, um noch weiter Lust zur Verfolgung zu behalten – und wenn er ihm dann zu nahe gekommen war, dann stob er hinweg mit der Geschwindigkeit des Windes. Das ging so eine Weile fort, bis Tressilian vor Erschöpfung stillstand und eben die Verfolgung mit einem herzhaften Fluch auf den widerwärtigen Bengel, der ihn zu einer so lächerlichen Anstrengung verleitet hatte, aufgeben wollte. Aber der Junge, der sich jetzt auf einem kleinen, gerade vor Tressilian liegenden Hügel aufgepflanzt hatte, begann in die langen, dünnen Hände zu klatschen, mit seinen knochigen Fingern nach ihm zu deuten und seine wilden, häßlichen Züge zu einem so absurden Ausdruck des Gelächters und der Verhöhnung zu verzerren, daß Tressilian fast glauben mochte, er habe einen leibhaftigen Kobold vor sich. Aufs äußerste gereizt und doch gleichzeitig unwiderstehlich zum Lachen gekitzelt, wollte Tressilian sein Pferd besteigen, um dem Jungen mit mehr Aussicht auf Erfolg zu Pferde nachzusetzen, aber er dachte an das verlorene Hufeisen, und hielt es für das beste, mit einem so flinkfüßigen und durchtriebnen Feinde seinen Frieden zu schließen. »Komm herunter,« sagte er, »Du Teufelsrange! Laß Dein Foppen und Fratzenschneiden und komm her, ich will Dir nichts zu leide tun, so wahr ich ein Edelmann bin.« Der Knabe folgte dem Rufe mit dem größten Vertrauen und tanzte mit ausgelassenen Sprüngen von dem Hügel herab, wobei er das Auge fest auf Tressilian geheftet hielt, der sein Pferd am Zügel hielt und ganz außer Atem und in Schweiß gebadet war, während auf der mit Sommersprossen bedeckten Stirn des Bengels, deren Haut wie ein Stück vergilbtes Pergament aussah und straff über den fleischlosen Schädel gespannt war, nicht ein Tröpflein Schweiß zu sehen war. »Und nun sage mir,« sagte Tressilian, »warum treibst Du ein solches Spiel mit mir oder was bezweckst Du damit, daß Du mir ein solches albernes Ammenmärchen aufbindest? Zeige mir lieber ordentlich, wo der Schmied wohnt, und ich will Dir soviel Geld geben, daß Du Dir den ganzen Winter über Aepfel kaufen kannst.« »Und wenn Ihr mir einen ganzen Obstgarten geben wolltet,« sagte Dickie Schlamm, »so kann ich Euch doch nicht besser führen, als ich getan habe. Legt Euer Geld dort auf den flachen Stein – pfeift dreimal – und setzt Euch dann an der Westseite des Gestrüpps dort nieder. Ich will bei Euch sitzen, und es soll Euch freistehen, mir den Hals umzudrehen, wenn Ihr nicht den Schmied gleich darauf werdet arbeiten hören.« »Ich sehe mich vielleicht versucht. Dich beim Wort zu halten, wenn Du mich zum besten hast« sagte Tressilian, »aber ich will Deinen Spuk probieren, Ich binde also mein Pferd hier an den aufrecht stehenden Stein an – hierher muß ich mein Geld legen, sagst Du? – und nun muß ich dreimal pfeifen?«, »Ja, aber Ihr müßt lauter pfeifen,« sagte die Range, als Tressilian, halb beschämt über die Dummheit des ganzen Treibens, nur leise pfiff. – »Ich sehe, ich muß den Schmied für Euch herbeirufen.« Und Dickie pfiff so scharf und schrill, daß es Tressilian durch Mark und Bein ging. »Das nenne ich pfeifen,« sagte der Junge, »und nun ins Versteck, ins Versteck!« Tressilian fragte sich, was wohl dieses ganze Possenspiel zu bedeuten habe, war aber doch überzeugt, daß irgend etwas dabei herausschauen müsse, und ließ sich von dem Jungen, der sich so vertrauensvoll in seine Gewalt gegeben hatte, nach dem Dickicht führen und setzte sich hier nieder, und da es ihm als das Wahrscheinlichste erschien, daß der ganze Humbug nur darauf angelegt war, ihm sein Pferd zu stehlen, so hielt er den Buben beim Kragen, fest entschlossen, ihn zur Geißel für sein Pferd zu machen. »Nun lauscht scharf auf,« sagte Dickie,, »bald werdet Ihr den Schlag eines Hammers hören, der nicht aus irdischem Eisen geschweißt, denn der Stein, auf dem er gemacht ist, ist vom Monde herniedergefallen.« Und in der Tat hörte gleich darauf Tressilian den leisen Schlag eines Hammers, wie wenn ein Nagelschmied bei der Arbeit wäre. Der Ton klang an diesem einsamen Platze so sonderbar, daß er unwillkürlich zusammenfuhr. Aber er blickte auf den Jungen und erkannte an dem boshaften Ausdruck seines Gesichts, daß der Bengel sein vorübergehendes Entsetzen bemerkte und sich daran ergötzte, und er nahm sich fest vor, zu ergründen, von wem oder in welcher Absicht dieses Possenspiel getrieben wurde. Die ganze Zeitlang, während der Hammer klang, blieb er daher ganz ruhig sitzen, aber kaum verstummte das Klappern, so wartete Tressilian nicht die Zeit ab, die sein Führer ihm angeraten hatte, sondern sprang mit gezogenem Schwert auf, rannte um das Dickicht herum und stand nun einem Manne gegenüber, der die Lederschürze eines Schmieds trug, sonst aber phantastisch mit einer zottigen Bärenhaut bekleidet war. »Zurück, zurück!« schrie der Junge Tressilian zu. »Ihr werdet in Stücke gerissen – es hat ihn noch kein Lebender gesehen!« In der Tat hob der unsichtbare, jetzt ganz sichtbare Schmied den Hammer und schien bereit, dreinzuschlagen. Aber als der Junge sah, daß weder seine Warnungen, noch die drohende Haltung des Schmieds Tressilian von seinem Vorhaben abzubringen vermochten, sondern daß dieser im Gegenteil dem Hammer mit dem blanken Degen entgegentrat, da rief er nun dem Schmied zu: »Wieland, tu ihm nichts, sonst wird es Dir schlecht gehen! Der Herr ist ein echter Edelmann und ein tapfrer obendrein!« »So hast Du mich doch verraten, Du Popanz?« sagte der Schmied. »Das sollst Du mir büßen!« »Sei, wer Du willst,« sagte Tressilian, »Du hast von mir nichts zu fürchten, wenn Du mir sagst, was diese Gaukelei zu bedeuten hat und warum Du Dein Handwerk in so geheimnisvoller Weise treibst.« Der Schmied wandte sich zu Tressilian und rief in drohendem Tone: »Wer fragt den Insassen des kristallenen Schlosses des Lichts? Den Beherrscher des großen Löwen, den Reiter des roten Drachen? – Von hinnen! Hebe Dich weg, ehe ich Talpack mit der feurigen Lanze rufe, daß er Dich zermalme, zerschmettere, vernichte.« Diese Worte begleitete er mit ungestümen Gebärden, das Maul aufreißend und den Hammer schwingend. »Ruhe, Du alberner Gaukler, laß Dein Zigeunergewäsch!« versetzte Tressilian verächtlich, »komm mit mir zur nächsten Obrigkeit oder ich schlage Dir den Schädel entzwei.« »Sei still, guter Wieland, ich bitte Dich,« sagte der Knabe. »Hier kommst Du mit Deiner Großmäuligkeit nicht durch, Du mußt schon klein beigeben.« »Ich denke, ehrenwerter Herr,« sagte der Schmied und ließ den Hammer sinken, indem er einen sanftern und unterwürfigern Ton anschlug, »wenn ein armer Mann sein Tagewerk tut, dann kann es ihm auch vergönnt sein, es nach seinem eignen Geschmack zu verrichten. Euer Pferd ist beschlagen – das Geld habt Ihr bezahlt – was habt Ihr Euch nun noch zu kümmern? Steigt auf und reitet weiter.« »Nein, Freund, Ihr irrt Euch,« antwortete Tressilian, »jedermann hat das Recht, einen Betrüger und Gaukler zu entlarven, und Eure Lebensweise erregt den Verdacht, daß Ihr beides seid.« »Wenn Ihr dazu entschlossen seid, Herr,« sagte der Schmied, »so kann ich mir nur durch rohe Gewalt helfen, und das tät ich nicht gern Euch gegenüber, Herr Tressilian. Ich fürchte mich zwar nicht vor Eurer Waffe, aber ich weiß, daß Ihr ein würdiger, gütiger, hochbefähigter Edelmann seid, der lieber einem armen Kerl, der in der Klemme sitzt, hilft als ihm noch schadet.« »Gut gesprochen, Wieland,« sagte der Junge, der den Ausgang des Gesprächs begierig erwartet hatte, »aber laß uns in Deine Höhle, Mann, denn es ist nicht gut für Deine Gesundheit, hier in der Abendluft zu stehen und zu schwatzen.« »Da hast Du recht, Popanz,« erwiderte der Schmied, und er ging zu dem kleinen Ginstergestrüpp, das an der Seite zunächst dem Steinkreise gelegen war, gegenüber von dem, an welchem Tressilian gesessen hatte, und es zeigte sich hier eine sorgfältig mit Buschwerk bedeckte Falltür. Durch die stieg er in die Erde hinunter und verschwand vor ihren Augen. Trotz seiner Neugier zauderte Tressilian doch, dem Mann zu folgen, da das Loch leicht eine Räuberhöhle sein konnte, zumal als er die Stimme des Schmieds rufen hörte: »Popanz, komm Du zuletzt und mach die Falltür fest hinter Dir zu!« »Habt Ihr nun genug von Wieland, dem Schmied, gesehen?« flüsterte die Range Tressilian zu mit einem pfiffigen Grinsen, als durchschaue er die Unschlüssigkeit des Herrn. »Noch nicht,« sagte Tressilian fest, und er schüttelte die zaghafte Anwandlung von sich und stieg die enge Treppe hinab. Dickie Schlamm folgte ihm und machte die Tür hinter sich zu, so daß nun auch nicht der leiseste Schimmer von Tageslicht mehr hereinfiel. Es ging jedoch nur ein paar Stufen hinunter, dann ging es durch einen ebenfalls nur wenige Schritte langen Gang, an dessen Ende der Schein eines grellroten Lichts erschien. An diesem Punkte, mit dem Schwerte in der Hand, angelangt, stand Tressilian nach einem Schritt nach links in einem kleinen, viereckigen Gewölbe, das als Schmiedewerkstatt eingerichtet war, ein mächtiges Kohlenfeuer brannte, dessen Dunst den Raum mit erdrückendem Qualm gefüllt hätte, wenn nicht durch ein verborgnes Luftloch die unterirdische Schmiede mit der Außenluft in Verbindung gestanden hätte. Bei dem Licht, das das Feuer und eine an einer Eisenkette hängende Lampe verbreiteten, sah man einen Ambos, Blasebälge, Zangen, Hammer, eine Menge fertiger Hufeisen und andre zum Handwerk eines Schmieds gehörige Gegenstände, außerdem aber auch Schmelztiegel, Destillierkolben, Retorten und andre Instrumente der Alchimie. Die groteske Gestalt des Schmieds und die häßlichen, bizarren Gesichtszüge des Knaben stimmten in der Beleuchtung des zuckenden, unvollkommenen Schmiedefeuers und der heruntergebrannten Lampe wunderbar zu all diesem mystischen Kram und hätten in diesem Zeitalter des Aberglaubens wohl manchen Mann mit Furcht und Grausen erfüllt. Aber Tressilian hatte von Natur eiserne Nerven, und seine an sich sorgfältige Erziehung und vorzügliche Bildung hatte er später durch anhaltendes Studium zu sehr vervollkommnet, als daß ihm irgend welcher Aberglaube etwas hätte anhaben können. Er warf einen Blick um sich her und fragte dann den Schwarzkünstler nochmals, wer er wäre und durch welchen Zufall er seinen Namen erfahren hätte, mit dem er ihn vorhin angeredet habe. »Euer Gnaden werden sich noch erinnern,« sagte der Schmied, »daß vor drei Jahren am Tage der heiligen Lucie ein wandernder Zauberer in ein Herrenhaus in Devonshire kam und vor einem würdigen Ritter und einer vornehmen Gesellschaft seine Künste zeigte – ich sehe an dem Gesicht Eurer Gnaden, daß, so unangenehm diese Erinnerung sein mag, mein Gedächtnis mich doch nicht getäuscht hat.« »Du hast genug gesagt,« erwiderte Tressilian und wandte sich ab, als wollte er vor dem Mann den Schmerz verbergen, den diese Erinnerung plötzlich in ihm erweckte. »Der Gaukler,« fuhr der Schmied fort, »spielte seine Rolle so gut, daß die Strohköpfe von Landadligen, die zugegen waren, wirklich glaubten, die Sache ginge nicht mit rechten Dingen zu, aber es war ein junges Mädchen von etwa fünfzehn Jahren dabei, mit dem hübschesten Gesicht, das ich je gesehen, deren rosige Wange wurde bleich und ihr helles Auge wurde trübe, als sie die vorgeführten Wunder sah.« »Schweig, ich befehl es Dir, schweig!« unterbrach ihn Tressilian. »Ich will Euer Gnaden nicht kränken,« sagte der Mann, »aber ich habe alle Ursache, noch daran zu denken, wie Ihr das junge Mädchen von der Furcht befreitet und Ihr genau die Art und Weise erklärtet, wie das Gaukelspiel bewerkstelligt wurde, und Ihr brachtet den armen Gaukler ganz aus seinem Konzept, indem Ihr seine Geheimnisse so klarlegtet, als wäret Ihr selber ein Bruder von der Zunft gewesen.« »Kein Wort mehr davon!« versetzte Tressilian. »Mich dünkt,« fuhr er nach kurzem Schweigen fort, »Du warst in jenen Tagen ein fideler Bursche, der eine ganze Gesellschaft mit Gesängen und Anekdoten und Geigenspiel so gut wie mit Deinen Gaukeleien zu erheitern wußte. Wie kommt es, daß ich Dich jetzt als einen Handwerksmann wiederfinde, der sein Gewerbe an einem so traurigen Orte und unter so seltsamen Umständen betreibt?« »Meine Geschichte ist nicht lang,« sagte der Gaukler, »aber Euer Ehren setzte sich lieber wohl beim Zuhören.« Mit diesen Worten rückte er einen dreibeinigen Schemel ans Feuer und nahm sich selber einen zweiten, während Dickie Schlamm sich zu Füßen des Schmieds niederhockte und mit einem von gespannter Neugierde wunderlich verzogenen Gesicht zu dem Schmied emporsah. »Beginnt Eure Erzählung,« sagte Tressilian, »denn meine Zeit ist kostbar.« »Es soll Euch nicht gereuen, sie mir gewidmet zu haben,« sagte der Schmied, »denn Euer Pferd soll inzwischen ein bessres Futter erhalten als heute morgen, daß es neue Kräfte zur Weiterreise erhält.« Mit diesen Worten ging er hinaus und kehrte nach einigen Minuten zurück. Elftes Kapitel »Ich wurde zum Grobschmied erzogen,« begann der Schwarzkünstler seine Erzählung, »und ich verstand meine Kunst so gut wie nur je ein rußiger Jünger dieser edeln Zunft. Aber ich wurde des ewigen Gehämmers überdrüssig und zog hinaus in die Welt, wo ich mit einem berühmten Schwarzkünstler bekannt wurde, dessen Finger aber mit der Zeit zu steif wurden zu seinem Hokuspokus und der gern einen Gehilfen in seiner edeln Kunst haben wollte. Ich diente ihm sechs Jahre, bis ich selber Meister in meinem Fache war. Nicht lange nachdem ich bei Sir Hugh Robsart im Beisein Eurer Gnaden eine Vorstellung gegeben hatte, ging ich zur Bühne und habe mit den besten Schauspielern um die Wette agiert – aber ich weiß nicht, es gab in diesem Jahre sehr viel Aepfel, und die Rangen auf der Galerie bissen immer nur ein Stückchen ab und warfen dann den Rest dem Schauspieler, der gerade auf der Bühne war, an den Kopf. So kriegte ich denn auch das satt – verzichtete auf meinen Gewinnanteil – gab meinen ganzen Kram an Kostümen meinen Kameraden – und schüttelte den Staub des Theaters von meinen Füßen. Darauf wurde ich halb Assistent, halb Diener eines sehr kundigen, aber nicht eben vermögenden Mannes, der dem ärztlichen Berufe oblag. Wir trieben unsere Praxis in etwas abenteuerlicher Weise, und die Medikamente, die ich in meinen ersten Studien in der Pferdeheilkunde erlernt hatte, wurden oft genug für menschliche Patienten verschrieben. Aber der Same, aus dem alle Krankheit erwächst, ist immer der gleiche, und wenn Terpentin, Teer, Pech und Rindertalg, vermischt mit Gelbwurz, Mastix und einer Knoblauchknolle das Pferd heilen kann, das sich an einem Nagel verwundet hat, so sehe ich nicht ein, warum dasselbe nicht auch einem Menschen gut tun sollte, der mit einem Schwerte gekitzelt worden ist. Aber meines Meisters Praxis wie auch seine Kenntnisse waren den meinen weit überlegen, und er ließ sich auch in gefährlichere Dinge ein. Er machte nicht nur physikalische Experimente der kühnsten und gewagtesten Art, sondern er war auch, wenns gerade mal so sein sollte, auch ein Schwarzkünstler, der in den Sternen las und nach dem Horoskop das Schicksal der Menschen erkundete. Er kannte alle Geheimnisse der Kräutermischung und der Chemie – stellte allerlei Versuche an, Quecksilber zu fixieren und hatte seiner Ueberzeugung nach um ein Haar sogar den Stein der Weisen gefunden. Ich habe selber noch eine schematische Ausstellung von ihm über die diesbezüglichen Experimente.« Er reichte Tressilian eine Pergamentrolle, auf der am Kopfe, am Fuße und an der Seite die Zeichen der sieben Planeten standen, seltsam vermischt mit kabbalistischen Zeichen und griechischen und hebräischen Brocken. In der Mitte standen ein paar lateinische Verse, die so deutlich geschrieben waren, daß Tressilian sie sogar in der undeutlichen Helle des Gewölbes entziffern konnte. »Ich muß gestehen,« sagte Tressilian, »ich kann von dem Kauderwelsch nichts weiter verstehen, als daß die letzten Worte ungefähr bedeuten: »Nimm, was Du kriegen kannst.« »Dies,« sagte der Schmied, »war auch der Grundsatz dieses würdigen Freundes und Meisters Doktor Doboobie, und ihm ist er immer treu geblieben, bis er an seinen eignen Phantastereien zum Narren wurde und im Dünkel auf seine Kunst in der Chemie Verschwender wurde und sich selber um das Geld betrog, das er andern abgaunerte. Auch mich versuchte er zu betrügen, aber obgleich ich ihm nie Unannehmlichkeiten machte und mich nie mit ihm entzweite, so sah er doch, daß ich zu viel von seinen Geheimnissen wußte, um noch länger ein harmloser und ungefährlicher Genosse zu sein. Inzwischen wurde er immer berühmter oder richtiger berüchtigter, und seine vermeintliche Kenntnis aller okkulten Wissenschaften zog ihm die geheime Kundschaft von Männern ein, die zu mächtig sind, als daß ich sie nennen dürfte, und die ihn zu Zwecken brauchten, die zu unheimlich sind, als daß ich sie verraten dürfte. Die Menschen verfluchten und bedrohten ihn und gaben mir, dem unschuldigen Gehilfen seiner Studien, den Beinamen Teufelsfaktotum, und ein Steinhagel empfing mich, sobald ich mich auf der Straße sehen ließ. Endlich verschwand mein Herr plötzlich – er wollte mir weis machen, er ginge auf sein Laboratorium in Farringdon, und verbot mir, ihn zu stören, ehe noch zwei Tage herum wären. Als nun diese verstrichen waren, wurde mir bange, und ich ging nach Farringdon ins Laboratorium und fand die Feuer ausgelöscht und alles Gerät in wirrer Unordnung, und ein Schreiben war da von Doktor Doboobie, denn so unterschrieb er sich, in welchem er mir mitteilte, daß wir uns nie wiedersehen würden. Er gebe seine ganzen chemischen Apparate in meine Hände, wie auch das Pergament, das ich eben Euch habe lesen lassen, und legte mirs dringend ans Herz, seinem Geheimnis fleißig weiter nachzuspüren – ich würde dann unfehlbar zur endlichen Entdeckung des großen Magisteriums gelangen.« »Und hast Du diesen weisen Rat befolgt?« fragte Tressilian. »Verehrter Herr, nein,« antwortete der Schmied. »Ich bin von Natur vorsichtig und mißtrauisch, ich war es um so mehr, da ich ja wußte, mit wem ich es zu tun hatte – so habe ich alles so genau und so oft durchsucht, ehe ich auch nur ein Feuer anzuzünden wagte, daß ich endlich ein Fäßchen Schießpulver entdeckte, das sorgfältig unter dem Herde versteckt war, gewiß zu keinem andern Zwecke, als daß mit dem Augenblick, wo ich das große Werk der Verwandlung von Metallen in Angriff nehmen würde, die Explosion das Gewölbe und alles in einen Haufen von Trümmern verwandeln sollte, der mich unter sich hätte begraben müssen. Das hat mich von der Alchimie kuriert, und gern wäre ich zu meinem ehrlichen Hammer und Ambos zurückgekehrt, aber wer hätte wohl ein Pferd zum Beschlagen zu mir, dem Teufelsfaktotum, gebracht? Inzwischen hatte ich aber schon die Gunst dieses meines ehrlichen Popanzes hier erworben, denn er war damals in Farringdon mit seinem Magister, dem weisen Erasmus Feiertag. Ich hatte ihm ein paar Geheimnisse mitgeteilt, wie sie Jungen seines Alters Spaß machen; und nachdem wir viel mit einander beraten hatten, kamen wir zu dem Entschlusse, da ich auf ehrliche Weise keine Arbeit finden würde, es zu versuchen, ob ich unter den unwissenden Menschen Beschäftigung finden könnte, indem ich auf ihren albernen Aberglauben spekulierte. Und dank meinem guten Popanz, der wacker dafür sorgte, daß mein Ruf sich im Lande verbreitete, hat es mir auch an Kundschaft nicht gefehlt. Aber ich habe diese Kundschaft unter zu großen Gefahren erworben, und ich fürchte, sie werden mich endlich als einen Hexenmeister aufgreifen, und ich warte nur auf eine günstige Gelegenheit, diese Höhle zu verlassen, sobald ich auf den Schutz eines ehrenwerten und angesehenen Mannes gegen die Wut der Bevölkerung, falls sie mich erkennen sollten, rechnen darf.« »Und bist Du,« fragte Tressilian, »vollkommen bekannt mit den Wegen in diesem Landstrich?« »Ich würde mich um Mitternacht zu Pferde zurecht finden,« antwortete Wieland, der Schmied. »Du hast aber kein Pferd,« sagte Tressilian. »Verzeiht,« versetzte Wieland, »ich habe einen ganz guten Gaul – ich vergaß zu sagen, daß dieses Pferd das beste war an dem ganzen Vermächtnis des Arztes.« »Dann wasche Dich und kämme Dich,« sagte Tressilian, »kleide Dich ordentlich an, so gut es geht, lege diese grotesken Lumpen ab, und wenn Du verschwiegen und treu sein willst, so sollst Du auf kurze Zeit bei mir bleiben, bis Dein Hokuspokus hier vergessen ist. Ich habe etwas vor, was Geschicklichkeit und Mut erheischt, und ich glaube, Dir fehlt es an beidem nicht.« Wieland, der Schmied, nahm begierig den Vorschlag an und gelobte seinem neuen Herrn Treue und Ergebenheit. In ein paar Minuten hatte er seine frühere Erscheinung so wesentlich umgeändert, indem er die Kleidung wechselte und sich Haar und Bart schor und kämmte, daß Tressilian selber zugeben mußte, er bedürfe eigentlich kaum eines Beschützers, da seine alten Bekannten ihn in dem neuen Aufzuge nicht erkennen würden. Wieland schritt voran aus der Höhle. Dann rief er Popanz, der nach kurzem Zögern mit dem Sattelzeug des Pferdes erschien. Wieland machte die Falltür zu und breitete sorgfältig das Gestrüpp darüber hin, um sie unsichtbar zu machen. Er würde die Höhle vielleicht im Notfalle noch einmal brauchen können, bemerkte er, auch sei das Werkzeug nicht ohne Wert. Auf einen Pfiff kam ein Gaul heran, der gemächlich auf der Gemeindewiese weidete und an das Zeichen gewöhnt war. In wenigen Minuten waren Tressilian und Wieland zur Reise fertig. Da kam Schlamm herbei, um ihnen Lebewohl zu sagen. »Also wollt Ihr mich verlassen, mein alter Spielkamerad,« sagte der Junge, »und so ist unser Possenspiel und all unser Jux mit den feigen, furchtsamen Dummerianen, die ich hierher an Eure Teufelsschmiede brachte, ein- für allemal zu Ende?« »So ist es,« sagte Wieland, der Schmied, »die besten Freunde müssen sich trennen, Popanzchen, Du aber, mein Junge, bist das einzige, was ich in diesem Tale von Whitehorse eigentlich mit Bedauern zurücklasse.« »Nun, ich sage Dir auch gar nicht Lebewohl,« sagte Dickie Schlamm, »denn Du wirst doch an dem Feste teilnehmen, denk ich, und wenn mich Magister Feiertag nicht mitnimmt, dann beim Lichte des Tages, das wir dort in der dunklen Höhle nicht sehen konnten, dann gehe ich allein hin.« »Kommt Zeit, kommt Rat,« sagte Wieland, »ich bitte Dich nur, handle nie vorschnell und unbedacht.« »Ei, wollt Ihr denn jetzt auf einmal ein Kind aus mir machen – ein ganz gewöhnliches, alltägliches Kind, daß Ihr mir vorhaltet, wie gefährlich es sei, ohne Gängelband zu gehen? Aber ehe Ihr eine Meile weg seid, sollt Ihr an einem sichern Zeichen erkennen, daß ich mehr vom Popanz an mir habe, als Ihr glauben mögt.« Die Reiter saßen auf und entfernten sich in flottem Trabe, nachdem Tressilian seinem Führer die Richtung angegeben hatte. Als sie fast eine Meile geritten waren, äußerte Tressilian zu seinem Gefährten, es falle ihm auf, daß sein Pferd weit leichter gehe als am Morgen. »Verspürt Ihr das?« sagte Wieland lächelnd. »Das macht mein kleines Geheimnis. In eine Handvoll Hafer habe ich Eurem Pferde etwas beigemischt, daß Euer Gnaden sechs Stunden lang mindestens ihm keine Sporen zu geben brauchen. Medizin und Arzneikunde habe ich nicht umsonst studiert.« »Wird Eure Mixtur auch meinem Pferde nichts schaden?« »Nicht mehr als ihm die Milch der Stute geschadet hat, die es geworfen hat,« antwortete der Tausendkünstler. Er wollte noch weiter über die Vorzüglichkeit seines Rezeptes sprechen, aber ein lauter und furchtbarer Knall, wie der einer Mine, die die Wälle der umlagerten Stadt sprengt, unterbrach ihn. Die Pferde scheuten, und die Reiter waren gleichfalls überrascht. Sie wandten sich um, nach der Richtung zu schauen, in der der Donnerkrach erschollen war, und sahen genau auf dem Flecke, den sie vor kurzem erst verlassen hatten, eine große, dunkle Rauchsäule hoch in die klare, blaue Atmosphäre des Himmels emporsteigen. »Meine Behausung ist vernichtet,« sagte Wieland, dem die Sache sofort klar war, »ich war ein Narr, daß ich erzählt habe, was der Doktor mit mir in seinem Laboratorium geplant hatte – wenigstens hätte ich es nicht vor diesem Taugenichts, diesem Popanz, sagen sollen. Ich hätte mir gleich denken können, daß es ihn an allen Fingern jucken würde, einen solchen Streich zur Ausführung zu bringen. Aber laßt uns rasch unsers Weges eilen, sonst treibt der Knall die ganze Bevölkerung an den Fleck.« Mit diesem Worte gab er seinem Pferde die Sporen, und Tressilian hielt Schritt mit ihm. Die Nacht verbrachten sie in einem kleinen Gasthofe. Früh am nächsten Morgen brachen sie auf und gelangten nun ohne weitere Zwischenfälle nach Wiltshire und Somerset, und am Abend des dritten Tages, nachdem Tressilian Cumnorplace verlassen hatte, langten sie in dem an der Grenze von Devonshire gelegenen Landsitze Lidcote-Hall des Ritters Hugh Robsart an. Zwölftes Kapitel Der alte Landsitz Lidcotehall lag nahe bei dem gleichnamigen Dorfe und grenzte an den wilden, ausgedehnten Wald von Exmoor, in welchem ein reicher Wildstand vorhanden war; mancherlei alte, der Familie Robsart gehörige Rechte gaben Sir Hugh die Befugnis, seinem Lieblingsvergnügen, der Jagd, hier nachzugehen. Das alte Herrenhaus war ein niedriges, ehrwürdiges Gebäude, das einen beträchtlichen Bodenraum, von Morast umgeben, einnahm. Der Zugang und die Zugbrücke wurden von einem achteckigen Turm aus altem Ziegelwerk verteidigt, der aber mit Efeu und andern Kletterpflanzen so überwachsen war, daß man nur schwer erkennen konnte, aus was für Material er gebaut war. Die Winkel des Gebäudes waren mit Türmchen geschmückt, die in Gestalt und Größe eine wunderliche Verschiedenheit aufwiesen, und zufolgedessen mit jenen eintönigen Pfefferbüchsen aus Stein nicht die geringste Ähnlichkeit hatten, die zu dem gleichen Zwecke in moderner Gotik Verwendung finden. Einer dieser Türme war viereckig und diente als Glockenturm. Aber die Uhr an seinem Frontispiz stand jetzt still; ein Umstand, der besonders Tressilian höchst unangenehm berührte, weil der brave, alte Ritter, neben andern unschuldigen Eigentümlichkeiten, es nie unterlassen konnte, sich ganz genau um die Zeit zu kümmern, eine Mode, die man so häufig bei Leuten antrifft, die mit ihrer Zeit sonst nichts anzufangen wissen und sich von Langeweile schwer bedrückt fühlen. Bei Kaufleuten, wenn sie nichts zu tun haben, kann man ja auch die Beobachtung machen, daß sie dann von ihren Waren ein haarkleines Verzeichnis aufnehmen. Der Zugang zu dem Hofe des alten Herrensitzes führte durch einen von dem vorerwähnten Turme überragten Torweg, und ein Flügel des mit Eisen beschlagenen Tors stand offen, ohne daß sich jemand darum zu kümmern schien. Tressilian ritt eilig über die Zugbrücke und in den Hof, wo er mit lauter Stimme die Dienstboten bei ihren Namen rief. Eine Zeitlang gab ihm bloß das Echo Antwort und das Geheul der Hunde, deren Pferch nicht weit von dem Herrensitze lag und von demselben Graben umgeben war. Endlich kam Will Badger, der alte und bevorzugte Diener des Ritters, der bei ihm den Kammerdienst versah und auch seinen Leibesübungen vorstand, zum Vorschein. Der rüstige, wetterharte Weidmann bezeigte große Freude, als er Tressilian erkannte. »Gott Lob und Dank,« sagte er, »Junker Edmund, bist Du es denn in Fleisch und Bein? ... Dann kann es wohl sein, daß Du Sir Hugh gelegen und zu nutze kommst, denn mit ihm auszukommen, geht über Menschenwitz, das heißt über meinen und über den des Pfarrers und über den Meister Mumblazens.« »Geht es denn schlechter mit Sir Hugh, seit ich weg bin, Will?« fragte Tressilian. »Was das körperliche Befinden angeht, nein, da gehts im Gegenteil besser,« versetzte der Diener, »aber er ist wohl oben nicht mehr so, wie er war, er ißt und trinkt aber so, wie immer, dagegen schläft er nicht, oder vielmehr wacht nicht auf, denn er ist immer in einer Art von Dämmerstimmung, die weder Schlafen noch Wachen ist. Frau Swineford hat gedacht, es sei so was wie Schlagfluß. Aber nein, nein, Frau, hab ich gesagt, das Herz ists, das Herz!« »Läßt sich denn sein Geist nicht aufheitern durch Zeitvertreib dieser Art oder jener?« fragte Tressilian. »Er mag von allem Vergnügen nichts mehr sehen und hören,« versetzte Will Badger, »hat weder Domino noch Häufelspiel angerührt, noch mit Meister Mumblazen einen Blick getan in das große Traumbuch. Ich habe die Uhr ablaufen lassen in der Meinung, es möchte ihn ein bißchen aufrütteln, wenn er die Uhr einmal nicht schlagen hört; denn Ihr wißt doch, Junker Edmund, hinsichtlich der Zeit nahm er es immer sehr genau; aber er hat nie ein Wort darüber geäußert, und so darf man wohl die alte Klingel wieder in Gang setzen. Ich hab sogar die Courage gehabt, dem Bungay auf den Schwanz zu treten, und Ihr wißt recht gut, welchen Tanz zu andrer Zeit das für mich abgesetzt hätte – aber das Gewinsel des armen Kerls hat ihn diesmal so wenig gekümmert, wie das Geschrei einer Waldeule, die sich in unsern Schornstein verflogen hat. Wie gesagt, mir ist das ein Rätsel.« »Du kannst mir ja das andre drin erzählen, Will. ... Inzwischen laß den Mann da in die Speisekammer führen und mit Achtung behandeln. Er ist nämlich einer von der Kunst.« »Von was wohl für einer? Von der weißen oder schwarzen?« erwiderte Will Badger, »ich möchts wissen, um zu wissen, ob er mit seiner Kunst uns helfen kann oder nicht. Hier, Kellnerbub, guck Dir den Mann von der Kunst an und sieh zu, daß er Dir keinen von Deinen Löffeln maust,« setzte er im Flüsterton, zu dem Kellnerbuben gewandt, hinzu, »ich habs erlebt, daß mancher mit grundehrlichem Gesicht pfiffig genug war, so was zu machen.« Darauf schob er Tressilian in ein niedriges Zimmer, sah jedoch auf seinen Wunsch erst nach, in welchem Zustande sich sein Herr befand, damit nicht die plötzliche Wiederkehr seines lieben Mündels und vermutlichen Schwiegersohns ihm allzu nahe gehen möge. Er kam alsbald zurück und sagte, Sir Hugh schlummere in seinem Lehnstuhl, aber Meister Mumblazen wolle Junker Tressilian auf der Stelle melden, wenn er aufwache. »Aber es fragt sich, ob er Euch kennt,« sagte der Weidmann, »denn er weiß ja von keinem Hunde in der Koppel den Namen mehr. Es mögen wohl acht Tage her sein, seit es mir vorkam, als sei es ein wenig besser geworden. Da sagte er nämlich: ›Sattle mir die alte Sorrel‹, und zwar ganz plötzlich, nachdem er aus dem großen silbernen Ehrenbecher seinen üblichen Nachttrunk genommen hatte, ›und schaff morgen die Hunde auf den Haselhorstberg‹. Jesus, waren wir da alle vergnügt, und draußen hatten wir ihn in aller Frühe, und er ritt munter und flott wie sonst; doch was er sagte, war weiter nichts, als daß der Wind aus Süden komme und daß die Witterung trügen werde. Und ehe wir die Hunde von der Koppel hatten, fing er an, um sich herum zu stieren, wie jemand, der plötzlich aus einem Traume aufwacht ... reißt sein Tier herum und rast zur Halle zurück und überläßts uns, ob wir weiter jagen wollen oder nicht.« »Ihr erzählt uns eine gar trübe Geschichte, Will,« versetzte Tressilian, »aber Gott helfe uns weiter, von Menschen ist hier nichts mehr zu hoffen.« »Dann bringt Ihr uns wohl keine Kunde vom jungen Fräulein Amy? Aber wozu brauche ich da zu fragen? Erzählt doch Eure Stirn, wie die Dinge stehen. Immer habe ich gehofft, daß, wenn sie jemand bringen könnte oder brächte, Ihr dieser jemand sein müßtet. Ach, jetzt ist alles vorbei und verloren. Treff ich aber diesen Varney mal in Pfeilschußweite, dann will ich ihm einen sein gespitzten Bolzen in den Leib jagen; das schwör ich bei Salz und Brot.« Dieweil er so sprach, ging die Tür auf und Meister Mumblazen erschien, ein vertrockneter, dürrer, ältlicher Mann, dessen Wangen aussahen, wie ein Winterapfel, dessen graues Haar von einem kleinen Hütchen verdeckt wurde, das wie ein Kegel geformt war oder vielmehr wie ein Stachelbeerkorb, wie ihn die Obsthöker in London vor ihre Fenster hängen. Er war eine zu gesetzte Person, um auf eine bloße Begrüßung Worte zu verschwenden; darum lud er Tressilian, nachdem er ihn mit einem Nicken und einem Händedruck bewillkommnet hatte, ein, ihm in Sir Hughs großes Zimmer zu folgen, das der brave Ritter in der Regel bewohnte. Will Badger folgte ihnen, wenn man ihn auch nicht dazu aufgefordert hatte, weil er zu ängstlich besorgt war um seinen Herrn, und auf alle Fälle sehen wollte, ob ihn Tressilians Ankunft aus seinem apathischen Zustande reißen werde oder nicht. In einem langen,, niedrigen, mit Jagdgerät und Jagdbeute reich verzierten Gemache, neben einem ganz aus Steinen gebauten Kamin, über dem ein Schwert und eine Rüstung hingen, beide verstaubt und lange Zeit nicht geputzt, saß Sir Hugh Robsart von Lidcote, ein Mann von stattlicher Größe, den bloß fleißige Motion vor Korpulenz bewahrt haben mochte. Es kam Tressilian so vor, als ob die Lethargie, unter der sein alter Freund zu leiden schien, schon in den wenigen Wochen seiner Abwesenheit dessen Umfang vermehrt habe, zum wenigsten hatte sie die Lebendigkeit seines Gesichtsausdrucks erheblich beeinträchtigt. Langsam folgten seine Augen, als er mit Meister Mumblazen in das Gemach trat, erst diesem bis zu einem großen Eichenpult, auf dem ein wuchtiger Band aufgeschlagen lag, dann heftete es sich, wie voll Ungewißheit, auf den Fremden, der mit Meister Mumblazen eingetreten war. Der Pfarrer, ein grauhaariger Herr, der in den Tagen der Königin Maria Beichtvater bei Hofe gewesen war, saß in einem andern Winkel des Gemachs, mit einem Buch in der Hand. Auch er nickte Tressilian trübe zu und legte sein Buch beiseite, um zu beobachten, welche Wirkung das Erscheinen desselben auf den mit Kummer beladenen alten Mann machen würde. Als Tressilian, dem gleichfalls Tränen in den Augen ständen, sich dem Vater seiner angelobten Braut mehr und mehr näherte, schien Sir Hughs Verstand sich wieder zu beleben. Er tat einen schweren Seufzer, wie jemand, der aus einem Zustande von Starrsucht aufwacht, dann glitt ein leichter Krampf über seine Züge; ohne ein Wort zu sprechen, breitete er die Arme aus und schloß Tressilian, als dieser sich in seine Arme warf, an seinen Busen. »So ist mir doch etwas noch geblieben,« waren die ersten Worte, die er hervorstieß, und während sie den Weg über seine Lippen nahmen, machte er seinen Empfindungen Luft in einem Weinkrampf, und die Tränen schossen ihm über seine sonnverbrannten Wangen und seinen langen, weißen Bart. »Ich habe nie im Leben gedacht, daß ich Gott für Tränen danken würde, die mein Herr vergießt,« sagte Will Badger, »aber jetzt tue ich es, ob ich gleich mit ihm um die Wette weinen möchte.« »Ich will Dir keine Fragen stellen,« sagte der alte Ritter, »keine Fragen – keine, Edmund – Du hast sie nicht gefunden, oder so Du sie gefunden, so wäre es besser, sie wäre verloren.« Tressilian war nicht imstande zu erwidern, außer daß er die Hände vor das Gesicht legte. »Es ist genug ... es ist genug. Aber weine nicht um sie, Edmund. Ich habe Ursache zu weinen, denn sie ist meine Tochter ... Du hast Ursache, Dich zu freuen, daß sie Dein Weib nicht geworden ist. ... Du droben im Himmel, großer Gott! Du weißt am besten, was für uns gut ist ... es war mein Gebet zu Dir in der Nacht, daß ich Amy und Edmund als Paar sehe ... wäre meine Bitte erfüllt worden, so hätten sich zu meiner Bitternis jetzt noch Gewissensbisse gesellt.« »Tröste Dich, Freund!« sprach der Pfarrer, sich zu Sir Hugh wendend, »es ist ja gar nicht möglich, daß die Tochter all unsrer Hoffnung, all unsrer Liebe das schlechte Geschöpf sein sollte, als das Du sie Dir denkst.« »O, nein, nein,« erwiderte Sir Hugh mit Ungeduld, »ich täte unrecht, wenn ich sie rund heraus mit dem gemeinen Wort benennen wollte, das sie sich verdient hat ... nein! Es gibt sicher irgendeinen neuen hofmäßigen Ausdruck dafür, ganz gewiß, ganz gewiß! Ehre genug für die Tochter eines alten Devonshireedelmanns, daß sie die Liebste eines lustigen Hofmannes geworden ist ... noch dazu eines Varney ... eines Varney, dessen Großvater von meinem Vater ausgelöst wurde, als sein Vermögen zertrümmert wurde in der Schlacht von ... der Schlacht von ... wo Richard erschlagen wurde ... verschwunden ists aus meinem Gedächtnis! ... Und ich wette drauf, es kann mir keiner von Euch drauf helfen. ...« »In der Schlacht von Bosworth,« sagte Meister Mumblazen, »die zwischen Richard Crookback und Henry Tudor, dem Großvater der Königin, die jetzt auf dem Throne sitzt, primo Henrici Septimi, und im Jahre eintausend vierhundert und achtundfünfzig post Christum natum geschlagen wurde.« »Richtig ... genau so ...« sprach der alte Ritter, »ein jedes Kind weiß es.. Aber mein armes Gedächtnis hat es vergessen, mein armes Gedächtnis vergißt alles, wessen es sich erinnern sollte, und behält bloß, was es vergessen, ach, am ehesten vergessen sollte! Mein Hirn, Tressilian, mein Hirn hat mich im Stiche gelassen fast die ganze Zeit über, die Du weg warst, und auch jetzt rennt es schon wieder auf und davon!« »Euer Ehren,« sagte der wackre Geistliche, »zöge sich besser in Euer Wohngemach zurück und versuchte eine kurze Zeit zu schlafen ... der Arzt hat einen beruhigenden Trank dagelassen ... und unser großer Arzt dort droben hat uns befohlen, Mittel, die die Erde spendet, zu brauchen, damit wir gekräftiget werden, die Prüfungen zu tragen, die er über uns verhängt.« »Richtig, richtig, alter Freund,« sprach Sir Hugh, »und wir werden unsre Prüfungen männlich tragen ... wir haben ja doch bloß ein Frauenzimmer verloren. – Sieh, Tressilian,« ... bei diesem Worte zog er eine lange Locke blonden Haares aus seinem Busen – »sieh hier diese Locke! ... Ich sage Dir, Edmund, in jener selben Nacht, als sie verschwand, als sie mir guten Abend wünschte, wie es ihre Gewohnheit war, da hing sie an meinem Halse und herzte mich inniger als sonst; und ich, wie ein alter Narr, ich hielt sie an dieser Locke, hielt sie fest, bis sie die Schere nahm und die Locke abschnitt und sie in meiner Hand ließ ... als das ... als das ... das einzige, was ich je noch von ihr sehen sollte!« Tressilian war außer stande zu sprechen, denn er empfand nur zu gut, welch ein Wirrwarr von Empfindungen den Busen des unglücklichen Flüchtlings in diesem grausamen Augenblick zerreißen mußte. Der Geistliche war im Begriff, das Wort zu nehmen, aber Sir Hugh kam ihm zuvor. »Ich weiß, was Ihr sagen wollt, Herr Pfarrer! ... Schließlich ist es doch bloß eine Locke aus eines Weibes Haar ... und durch das Weib kam Schmach und Sünde und Tod in die Welt, in eine unschuldige Welt ... o, und unser gelahrter Herr Mumblazen kann von philosophischen Dingen auch genug sagen über des Weibes untergeordnete Bedeutung im All.« »C'est l'homme,« sagte Meister Mumblazen, »qui se bast et qui conseille.« »Richtig,« sagte Sir Hugh, »und wir wollen uns darum betragen wie Männer, die beides, Mut und Weisheit, in sich tragen. – Tressilian, Du bist genau so willkommen, wie wenn Du frohere Kunde brächtest. Aber wir haben zu lange gesprochen, ohne die Lippen zu feuchten ... . Amy, füll Edmund einen Becher Wein und einen andern mir!« ... Dann besann er sich im Augenblick, daß er jemand rief, der ihn nicht hören konnte, er schüttelte das Haupt und sagte zu dem Geistlichen: »Dieses Herzeleid ist für ein verstörtes Gemüt, was die Lidcoter Kirche für unsern Park ist: wir können uns wohl eine Weile zwischen den Büschen und Sträuchern verlaufen, aber wir sehen doch immer den alten, grauen Turm und das Grab meiner Ahnen. Ach, trügen sie mich doch morgen schon diesen Weg!« Tressilian und der Geistliche drangen zusammen in den erschöpften, alten Mann, sich zur Ruhe zu begeben, und erreichten es auch endlich, daß er sich ihren Bitten fügte. Tressilian blieb so lange an seinem Bette sitzen, bis er sah, daß sich der Schlummer auf seine Lider gesenkt hatte. Dann kehrte er zurück, um mit dem Prediger zu beraten, welche Schritte unter solchen unseligen Umständen zu tun seien. Meister Michael Mumblazen konnten sie von diesen Betrachtungen nicht ausschließen, und sie zogen ihn um so lieber dabei zu Rate, als sie nicht bloß alles von seinem Scharfsinn hoffen durften, als auch ihn als einen so großen Freund von Schweigsamkeit hielten, daß sie in seine Eignung zum Berater keinen Zweifel setzen konnten. Er war ein alter Junggeselle aus guter Familie, aber ohne Vermögen und mit dem Hause Robsart weitläufig verwandt. Zufolge dieser Beziehung war Lidcotehall wahrend der letztverflossenen zwei Jahrzehnte durch seinen Aufenthalt ausgezeichnet worden. Seine Gesellschaft war Sir Hugh angenehm, hauptsächlich seines großen Wissens wegen, das, wenn es sich auch in der Hauptsache auf Wappenkunde und Genealogie beschränkte, wie auf denjenigen Teil von Geschichte, der zu diesen Wissenschaften in Beziehung stand, doch dem wackern, alten Ritter so imponierte, daß er den alten Junggesellen nur ungern vermißt hätte. Außerdem war es ihm sehr recht, immer einen Freund in dem alten Junggesellen zur Hand zu haben, an den er sich wenden konnte, wenn sich sein eigenes Gedächtnis, wie es leider recht oft geschah, als schwach erwies und ihn betreffs Namen und Jahreszahlen irreführte, in welchen Fällen dann Meister Michael Mumblazen mit pflichtschuldiger Kürze und Diskretion einsprang und nachhalf. Dieser Herr gab auch wirklich oft in Fragen, die die moderne Welt angingen, in seiner prägnanten und heraldischen Redeweise guten Rat, der immer der Berücksichtigung wert war, oder, um sich in Will Badgers Sprache auszudrücken, er schoß das Wild, dieweil andere den Busch abklepperten. »Wir haben eine schlimme Zeit mit dem wackern Ritter durchgemacht, Junker Edmund,« sagte der Geistliche. »Soviel habe ich nicht gelitten, seit ich von meiner geliebten Herde gerissen und gezwungen wurde, sie den römischen Wölfen Zu überlassen.« »Das war in Tertio Mariae,« sagte Meister Mumblazen. »Um Himmelswillen sagt uns bloß,« fuhr der Geistliche fort, »habt Ihr Eure Zeit besser angewandt, als wir die unsre, oder bringt Ihr irgendwelche Kunde von jenem unglücklichen Mädchen, das während so mancher Jahre die große Freude dieses niedergeschmetterten Hauses war, und nun sich als sein größtes Unglück erweist? Habt Ihr nicht wenigstens ihren Aufenthaltsort ausgekundschaftet?« »Das ja,« erwiderte Tressilian. »Ist Euch Cumnorplace bekannt in der Nähe von Oxford?« »Allerdings,« versetzte der Geistliche, »es war ein Zufluchtsort für die Mönche von Abingdon.« »Die Wappen der Mönche habe ich,« bemerkte Meister Michael, »über einem steinernen Kamin in der Halle gesehen ... ein gezacktes Kreuz zwischen vier Hämmerchen.« »Dort hat,« sagte Tressilian, »dieses unglückliche Mädchen seinen Aufenthalt genommen, und zwar in Gemeinschaft mit dem schurkischen Varney. Aber hatte nicht ein seltsames Mißgeschick obgewaltet, so hätte mein Schwert all unsre Schmach, wie auch die ihrige, an seinem unwürdigen Haupte gerächt.« »Sei Deinem Gott im Himmel dankbar, daß er Deine Hand von Blut reingehalten, Du unbesonnener, junger Mann,« antwortete der Pfarrer. »Die Rache ist mein, spricht der Herr, ich will vergelten. Besser, wir sinnen, wie sie aus den schimpflichen Netzen dieses Schufts befreit werden könne.« »In der Heraldik heißen diese Netze Laquai Amoris oder Lacs d'amour!« sagte Mumblazen. »Hierbei, Freunde, rechne ich auf Eure Hilfe, auf Euren Beistand,« erklärte Tressilian. »Ich bin entschlossen, diesen Bösewicht direkt am Fuße des königlichen Thrones der Falschheit, und Hinterlist, der Verführung und des Bruchs der Gastfreundschaft anzuklagen. Die Königin wird mich hören, wenn auch der Earl von Leicester, der Gönner dieses Schurken, ihre rechte Hand ist.« »Ihre Majestät hat ihren Untertanen ein erhabenes Beispiel von Enthaltsamkeit gegeben und wird ganz ohne Zweifel an diesem Verbrecher gegen das heilige Recht der Gastfreundschaft ein Exempel statuieren. Möchte es nicht aber besser sein, Du wendetest Dich zuerst an den Earl of Leicester, damit er selbst seinen Untertan in Strafe nehme? Gewährt der Earl of Leicester Dir recht, so ersparst Du Dir die Gefahr, Dir einen machtvollen Feind zu schaffen, was gar wohl der Fall sein könnte, wenn Du so ohne weiteres seinen Stallmeister und Günstling bei der Königin verklagst.« »Mein Gemüt empört sich gegen Euren Rat,« erwiderte Tressilian, »ich kann es nicht über mich bringen, die Sache meines edlen Beschützers, die Sache der unglücklichen Amy, vor einer andern Instanz als meiner Königin anhängig zu machen. Leicester ist edel, das willst Nu sagen, nun, magst Du recht haben . , . aber er ist ein Untertan wie wir selbst, und ich mag nicht vor ihn die Klage bringen, da ich Besseres zu tun imstande bin. Dennoch will ich dessen, was Du mir gesagt, eingedenk bleiben. Vorderhand muß ich Euch bitten, daß Ihr mir beisteht, den lieben Sir Hugh zu überreden, mich zu seinem Beauftragten und Vertrauten in dieser Sache zu machen, denn nicht in meinem Namen, sondern in dem seinigen muß ich das Wort führen. Seitdem sie soweit gesunken ist, daß sie ihre Liebe diesem hohlen, lüderlichen Höfling schenkt, soll er ihr wenigstens diejenigen Rechte zuteil werden lassen, die in seinem Vermögen stehen.« »Besser, sie stürbe coelebs und sine prole,« sagte Mumblazen, mit höherm Feuer, als sonst in seiner Rede zu finden war, »als daß das edle Wappenschild der Robsart mit demjenigen eines solchen Bösewichts per pale sich einte!« »Falls es, wie mir nicht fraglich sein kann, Eure Absicht ist,« sagte der Geistliche, »den Ruf dieses unseligen, jungen Weibes wieder zu reinigen, so muß ich Euch von neuem ermahnen, Euch zu allererst an den Earl of Leicester zu wenden. Er ist in seinem Hause ganz ebenso unbeschränkter Gebieter und Herr, wie die Königin in ihrem Königreich, und wenn er dem Varney bedeutet, daß das und das zu geschehen habe, so wird doch die Ehre des Mädchens nicht so öffentlich breitgetreten.« »Ihr habt recht, Ihr habt recht,« erwiderte Tressilian hastig, »und ich bin Euch dankbar, daß Ihr mich aufmerksam macht auf etwas, was ich in meiner Hast übersehen habe. Hätte ich doch nie im Leben gedacht, Leicester um eine Gunst angehen zu müssen; aber knien könnte ich vor diesem stolzen Dudley, wenn dadurch die Ehre dieses unglücklichen Mädchens um einen Schatten heller würde. Ihr wollt mir also beistehen, die nötigen Vollmachten von Sir Hugh Robsart zu erlangen?« Der Geistliche versicherte ihn seines Beistandes, und der Heraldiker nickte. »Ihr müßt Euch auch bereit halten, falls Ihr darum angegangen werdet, die offenherzige Gastfreundschaft, die unser lieber Gönner diesem verräterischen Bösewicht erwiesen hat, und die schurkische List, die derselbe aufgewendet hat, seine unglückliche Tochter zu verführen, zu bezeugen.« »Zuerst, so hat es mir scheinen wollen,« äußerte der Geistliche, »hat sie sich aus seiner Gesellschaft nicht sonderlich viel gemacht, dagegen habe ich sie später öfter zusammen gesehen.« »Siant im Wohnzimmer, und passant im Garten,« bemerkte Meister Mumblazen. »Ich habe sie einmal zufällig getroffen,« sagte der Priester, »an einem Frühlingsabend im Südwalde – Varney war eingemummt in einen dunklen Mantel, so daß ich sein Gesicht nicht gesehen habe... sie gingen schnell auseinander, als sie es rascheln hörten, und ich sah noch, wie sie den Kopf wandte und ihm lange nachblickte.« »Regardant mit den Augen,« sagte der Heraldiker, »und am Tage ihrer Flucht, was ja am Sankt Augustinstage war, da habe ich Varneys Diener in seiner Livree hinter der Kirchhofsmauer halten sehen, an der Hand das Roß seines Herrn und den Zelter von Madam Amy, proper gezäumt und gesattelt.« »Und nun ist sie ausfindig gemacht in ihrem geheimen Zufluchtsorte,« sagte Tressilian, »der Schurke ist in flagranti ertappt, und ich wünschte nur, er möchte sein Verbrechen leugnen, daß ich ihm den Beweis auf dem Wege durch seine falsche Kehle erbringen könnte! Aber ich muß mich rüsten zu meiner Reise. Suchet Ihr, meine Herren, meinen Gönner dahin zu beeinflussen, daß er mir alle nötige Vollmacht gebe, um in seinem Namen auftreten und handeln zu können.« Mit diesen Worten schritt Tressilian aus dem Zimmer. »Er ist zu hitzig,« sprach der Pfarrer, »und ich bitte unsern lieben Gott im Himmels, daß er ihm Geduld leihe, mit Varney zu handeln, wie es sich schickt.« »Geduld und Varney,« sagte Mumblazen, »ist schlimmere Heraldik als Metall auf Metall. Denn er ist falscher als eine Sirene, räuberischer als ein Vogel Greif, giftiger als eine Viper und grausamer als ein kriechender Leu.« »Und doch bezweifle ich sehr,« bemerkte der Pfarrer, »daß Sir Hugh Robsart in seinem dermaligen Zustande sein Vaterrecht über Madam Amy auf einen andern, sei es, wer es wolle, übertragen kann.« »Euer Ehrwürden brauchen nicht daran zu zweifeln,« sagte Will Badger, der während dieser Worte eingetreten war, »denn mein Leben will ich einsetzen, daß er als ein andrer Mann erwachen wird, als er während dieser letzten dreißig Tage gewesen ist.« »Ei, ei, Will,« meinte der Pfarrer, »hast Du denn solch festes Vertrauen zu, Doktor Diddleums Arznei?« »Nicht im geringsten,« sagte Will, »denn der gnädige Herr hat niemals einen Tropfen davon eingenommen, hat doch die Hausmagd das Zeug ausgeschüttet. Aber ein Herr ist da, der mit Herrn Tressilian gekommen ist, der hat Sir Hugh eine Medizin gegeben, die ist zwanzigmal besser als jene. Ich habe mit ihm so unter der Hand geredet und muß sagen, ein besserer Viehdoktor oder einer, der von Pferds- und Hundskuren mehr versteht, als der, ist mir in meinem Leben noch nicht vorgekommen, und so einer tut auch niemals einem Christenmenschen Schaden ... nein, sicher nicht!« »Ein Viehdoktor! Ihr frecher Kujon ... und mit wessen Ermächtigung, bitte?« sagte der Geistliche, erstaunt und entrüstet aufstehend; »oder wer will sich verbürgen für diesen neuen Doktor?« »Was die Ermächtigung anbetrifft, wie Eure Ehrwürden wohl zu bemerken gestatten, so stammt sie her von mir; und was die Bürgschaft anbetrifft, so bin ich wohl nicht ein Vierteljahrhundert in diesem Hause gewesen, ohne mir ein Anrecht darauf erworben zu haben, beurteilen zu können, was einem Menschen oder einem Stück Vieh heilsam und von Nutzen sein kann ... kann ich doch auch selbst ein Rezept verschreiben und ein Klystier geben, zur Ader lassen und Schröpfköpfe setzen, auch, wenns gerade sein muß, ein Bein abschneiden, ohne studierte Hilfe.« Die Räte des Hauses Robsart erachteten es für geboten, Tressilian auf der Stelle hiervon Kenntnis zu geben; und Tressilian ließ sogleich Wieland, den Schmied, rufen und stellte, ihm die Frage ... unter vier Augen jedoch ... mit welcher Befugnis er sich herausgenommen habe, Sir Hugh Robsart eine Arznei zu reichen? »Jenun,« versetzte der Schmied, »Euer Gnaden müssen sich doch darauf besinnen, daß ich Euch erzählt habe, ich hätte in die Kunst oder Mysterien meines Meisters ... ich meine den gelahrten Herrn Doktor Doboobie ... tiefern Einblick gewonnen als ihm recht gewesen. Und fürwahr, sein Gezanke und sein Grimm gegen mich rührten bloß daher, weil ich ihm so viel abgeguckt hatte ... gar manche Leute, ganz besonders eine schmucke, junge Witib aus Abingdon, wollten von seinen Rezepten nichts mehr wissen, sondern kamen zu mir und ließen sich von mir Arznei verschreiben.« »Laß jetzt Deinen Firlefanz, Mensch,« rief Tressilian ernst und streng. »Hast Du uns genarrt oder gar etwas angestellt, was der Gesundheit Sir Hugh Robsarts schaden kann, so verlaß Dich drauf, daß Du Dein Grab in einer Zinngrube findest.« »Ich habe zu geringe Kenntnis von dem großen Arcanum, Erz in Gold zu wandeln,« sagte Wieland festen Tones. »Aber weist Euren Befürchtungen die Wege, Junker Tressilian ... ich weiß genau, wie es um den Fall des guten Ritters steht, aus den Mitteilungen, die mir der Meister William Badger gemacht hat; und bin hoffentlich sattsam imstande, ihm eine lumpige Dosis Mandragora zu verabfolgen, die zusammen mit dem Schlafe, der drauf folgen muß, das einzige ist, was Sir Hugh Robsart braucht, damit sein aus dem Geschick geratenes Gehirn wieder instand kommt.« »Ich verlasse mich drauf, Wieland, daß Du ehrliches Spiel mit mir treibst,« sagte Tressilian. »Ehrlich, rechtlich und treu, wie der Erfolg es ausweisen wird,« erwiderte der Schmied; »was würde es mir wohl nützen, dem armen, alten Mann ein Leid anzutun, an dem Ihr ein so großes Interesse nehmt? Ihr, dem ich es verdanke, daß der Henkersknecht mit seinen sakrischen Zangen mir nicht jetzt Fleisch und Sehnen zerreißt? Mir mit seiner scharfen Pfrieme nicht jetzt Löcher in den Leib bohrt? ... Hol die Hände, die sein Henkerswerkzeug schmiedeten, der Satan! ... Ihr habt mich vor ihm bewahrt, und ich habe mich, meiner Treu! anheischig gemacht, Euch in Eurem Gefolge als getreuer Diener zu dienen, und verlange weiter nichts von Euch, als durch das Ergebnis aus des guten Ritters Schlummer einen Beweis meiner Ehrlichkeit zu liefern.« Wieland, der Schmied, hatte richtig prophezeit. Der beruhigende Trank, den seine Kunst bereitet hatte, und der dem Ritter durch den vertrauensvollen Diener Will Badger gereicht war, übte die allergünstigsten Wirkungen. Der Patient, tat einen langen, gesunden Schlaf und erwachte, zwar seelisch niedergedrückt und sehr schwach bei Kräften, jedoch weit frischeren Geistes, als er die letzte Zeit über gewesen war. Er verstand sich nicht gleich dazu, dem Vorschlag seiner Freunde zuzustimmen, der dahin ging, Tressilian an den Hof zu schicken, um auf diesem Wege die Rückgabe der Tochter und die Wiederherstellung ihrer Ehre zu erreichen, soweit das letztere noch möglich war. »Laßt sie gehen,« sagte er, »sie ist bloß ein Falke, der nach dem Winde fliegt; mir wäre jeder Pfiff zu schade, sie wieder herzurufen.« Aber trotzdem er eine ganze Zeit diesen Grund aufrecht hielt, gelang es den Freunden zuletzt doch, ihn dahin zu überzeugen, daß es seine Pflicht sei, den Entschluß zu fassen, zu welchem ihn natürliche Zuneigung triebe, und darein zu willigen, daß alles zugunsten seiner Tochter von Tressilian versucht werde, was sich irgend tun lasse. Er unterschrieb also eine gerichtliche Vollmacht, die ihm der Pfarrer aufsetzte, denn in jenen schlichten Tagen war die Geistlichkeit häufig Beraterin ihrer Gemeinde in Gerichts- wie in Kirchen- oder Glaubenssachen. Alles, was zu seiner zweiten Reise notwendig war, wurde vierundzwanzig Stunden nach seiner Rückkehr nach Lidcotehall hergerichtet; bloß einen wesentlichen Umstand hatte man außer acht gelassen, an den Tressilian erst durch Meister Mumblazen erinnert wurde. »Ihr begebt Euch zu Hofe, Junker Tressilian,« sagte er: »Ihr werdet doch wohl nicht außer acht lassen, daß Euer Wappenschild argent und or sein muß, denn andere Felder gelten dort nicht.« Die Bemerkung war ebenso richtig wie beunruhigend. Um eine Sache bei Hofe zu führen, war auch in den goldnen Tagen der Königin Elisabeth Bargeld ebenso unentbehrlich, wie zu allen spätern Zeiten, und gerade das war bei den Bewohnern von Lidcotehall recht knapp vertreten. Tressilian selbst war arm, die Einkünfte des guten Sir Hugh Robsart gingen, und zwar immer schon im voraus, durch seine gastfreundliche Lebensweise drauf, und schließlich stellte sich die Notwendigkeit heraus, daß der Heraldiker, der den Zweifel wachgerufen hatte, ihn selbst heben mußte. Meister Michael Mumblazen brachte nämlich einen Beutel mit Geld zum Vorschein, der annähernd dreihundert Pfund in Gold und Silber in Münzen verschiedener Prägung enthielt. Es waren die Ersparnisse von etwa zwanzig Jahren, die er jetzt, ohne eine Silbe darüber zu verlieren, dem Dienste des Gönners weihte, dessen Freundschaft ihm Dach und Fach gegeben und dem er es zu danken hatte, daß er sich diese Summe hatte sparen können. Tressilian nahm das Geld in Empfang, ohne sich eine Sekunde zu besinnen, und ein gegenseitiger Händedruck war alles, wodurch der eine seiner Freude, seine ganze Habe solchem Zwecke zu weihen, der andre dem Troste, auf solch unerwartete Weise das Haupthindernis für den Erfolg beseitigt zu sehen, Ausdruck gab. Als sich Tressilian am andern Morgen zur Abreise rüstete, erbat sich Wieland, der Schmied, kurzes Gehör. Er gab der Hoffnung Ausdruck, Tressilian sei mit der Medizin zufrieden gewesen, die er Sir Hugh Robsart eingegeben, und knüpfte hieran die Bitte, ihn mit nach Hofe begleiten zu dürfen. Daran hatte nun Tressilian selbst schon wiederholt gedacht, denn die Klugheit, Beschlagenheit in allen möglichen Dingen und Willigkeit zu allen Dingen, die der Bursche auf der ersten Reise bewiesen hatte, die sie zusammen gemacht hatten, legte Tressilian den Wunsch nahe, ihn mitzunehmen. Aber Wieland stand in Gefahr, von den Häschern der Justiz aufgegriffen zu werden, und hieran erinnerte ihn Tressilian, indem er gleichzeitig der Zangen des Henkers und des Haftbefehls Erwähnung tat, den der Richter in Händen hatte. Wieland, der Schmied, jedoch lachte dazu. »Ei, Sir,« sagte er, »sehet doch! Ich habe ja meinen Arbeitskittel, schon vertauscht gegen die Livree eines Gefolgsmannes, aber abgesehen hiervon guckt Euch doch meinen Schnurrbart an, jetzt hängt er herunter und jetzt zwirble ich ihn in die Höhe und färbe ihn mit einer Tinktur, die ich zu mischen verstehe; und nun will ich den Teufelskerl sehen, der mich wiedererkennt.« Diese Worte begleitete er mit der dazu gehörigen Gebärde, und in knapp einer Minute stand er, zufolge dieser an sich vorgenommenen Wandlungen, als ein ganz andrer da. Nichtsdestoweniger nahm Tressilian noch immer Anstand, sich seiner Dienste zu versichern. Um so dringender aber wurden die Bitten des Schmieds. »Ich schulde Euch Leib und Leben,« rief er, »und möchte gern einen Teil der Schuld abtragen, zumal ich von Herrn Will Badger erfahren habe, welch gefährliches Unternehmen Ihr vorhabt. Ich bin zwar kein Hitzkopf, kein Raufbold, der seines Herrn Sache mit Schwert und Schild zu führen liebt. Weit eher gehöre ich' zu jenen andern, die das Ende einer Mahlzeit dem Anfang eines Handgemenges vorziehen. Immerhin weiß ich, daß ich recht wohl imstande bin, in, einer Sache Euch, gestrenger Herr, bessere Dienste zu leisten, als jeder, der das Schwert und den Dolch zu führen versteht. Und diese Sache ist eben die, um derentwillen Ihr jetzt ausziehen wollt. Mein Kopf ist so viel wert, wie hundert Fäuste.« Aber, noch immer besann sich Tressilian, kannte er doch diesen sonderbaren Patron erst so kurze Zeit; auch war er noch im Zweifel, ob er und wie weit er auf ihn bauen dürfe, sich aus ihm einen Begleiter zu machen, der ihm wirklich von Nutzen sein könne. Ehe er in dieser Sache zu einem bestimmten Entschlüsse gelangte, wurde im Schloßhofe Pferdegetrappel laut, und Meister Mumblazen trat mit Will Badger eilig in Tressilians Zimmer. Beide sprachen laut und erregt miteinander. »Ein Reiter ist in den Hof geritten auf dem flinksten Grauschimmel, der mir je vor Augen gekommen ist,« sagte Will Badger, seinem Gefährten das Wort abgewinnend. »Er trägt am Arm ein silbernes Schild und drauf erblickt man einen feurigen Drachen, der im Munde einen Ziegelstein halt.« »Drunter ist eine Grafenkrone,« sprach Meister Mumblazen, »er bringt einen Brief an Euch, mit demselben Wappen gesiegelt.« Tressilian nahm den Brief, dessen Aufschrift lautete: »An den gestrengen Herrn Tressilian, unsern geliebten Vetter.« Und darunter stand: -»Reite! Reite!« nach damaligem Brauche als Weisung für den Boten, »so flink Du kannst!« Tressilian brach den Brief auf und fand den folgenden Inhalt: »An Junker Tressilian, unsern geliebten Freund und Vetter. Wir befinden uns zurzeit so schlecht und auch sonst in so unglücklichen Umständen, daß wir von unsern Freunden diejenigen um uns zu sehen wünschen, denen wir unser besonderes Vertrauen schenken dürfen. Zu diesen zählen wir an erster Stelle unsern lieben Herrn Tressilian als einen der uns am nächsten stehenden, und zwar dem Herzen wie der Verwandtschaft nach, dem guten Willen und der raschen Fertigkeit nach. Weshalb bitten wir Euch, Ihr möget so gütig sein, Euch nach unsrer geringen Wohnung zu begeben, nach Say's Hof bei Deptford, wo wir weiter mit Euch sprechen wollen über Dinge, die wir dem Papier nicht anvertrauen mögen. Und so entbieten wir Euch unsern Gruß und begrüßen Euch als unsern herzlieben Vetter Ratcliffe, Earl of Sussex.« »Schick auf der Stelle den Boten herauf, Will Badger,« sagte Tressilian, und als der Mann eintrat, rief er ihm entgegen: »Ah, Steffen, Du bists! Nun, sprich, wie geht es meinem lieben Herrn?« »Sehr schlecht, Junker Tressilian,« versetzte der Bote, »und darum wünscht er eben, der guten Freunde mehr um sich zu haben.« »Aber was fehlt denn dem guten Herrn eigentlich?« fragte Tressilian, nicht ohne lebhafte Unruhe, »ich habe ja gar nichts davon gehört, daß er krank sei.« »Das weiß ich nicht, Junker,« entgegnete der Mann; »er ist krank, recht krank. Die Doktors stehen da, wie die Kühe vorm Scheunentor, und in seinem Hause gibt es manch einen, der was von Hexerei vermutet, wenn nicht gar noch etwas Schlimmeres dahinter steckt.« »Wie tritt denn das Leiden auf?« fragte Wieland, der Schmied, indem er hastig vortrat. »Wie denn? Was denn?« sagte der Bote, der den Sinn der Worte des Schmieds nicht recht verstand. »Ich meine, was ihm fehlt? Wo das Uebel sitzt? Wie sich die Krankheit zeigt?« sagte der Schmied. Der Diener sah Tressilian an, wie wenn er sich erst vergewissern wollte, ob er auf solche von einem Fremden gestellte Fragen auch antworten dürfe, und als er eine bejahende Gebärde wahrnahm, zählte er nun eiligst den Verfall auf, der an den Kräften des Ritters eingetreten sei, die nächtlichen Schweiße, den Appetitmangel, das Erscheinen von Ohnmächten und so weiter. »Dazu hat sich wohl auch,« fragte der Schmied, »ein quälender Schmerz im Magen gesellt und ein schleichendes Fieber?« »Ganz genau,« bestätigte der Bursche, ziemlich verwundert. »Ich weiß, woher das Leiden stammt,« erklärte der Schmied, »und weiß auch, wie es entstanden ist. Euer Herr hat vom Manna des heiligen Sankt Nikolaus gegessen. Ich weiß auch« die Kur ... mein Herr soll nicht sagen können, daß ich mich in seinem Laboratorium herumgedrückt hatte, ohne was zu lernen.« »Was ist der Sinn solcher Worte?« fragte Tressilian, die Stirn in Falten legend. »Wir sprechen von einem der vornehmsten Männer Englands. Bedenke das! Witze und Späße anzubringen ist das kein Fall.« »Da sei Gott vor,« sagte der Schmied. »Ich sage ja nur, und das halte ich aufrecht, daß ich die Krankheit des hohen Herrn kenne und heilen kann. Erinnert Euch doch dessen, was ich für Sir Hugh Robsart getan.« »Wir wollen auf der Stelle aufbrechen,« sagte Tressilian. »Gott ruft uns.« Demzufolge machte er schnell Sir Hugh Robsart und dessen Hausgenossen Mitteilung von diesem neuen Grunde zur Beschleunigung der Abreise, ohne jedoch weder der argwöhnischen Befürchtungen des Sendboten, noch der Zusicherungen Wielands, des Schmieds, Erwähnung zu tun. Sir Hugh Robsart begleitete ihn mit seinen Segenswünschen und seinem Gebet, und in Begleitung des Schmieds und des Sussexschen Sendboten machte sich Junker Tressilian auf den Ritt nach London. Dreizehntes Kapitel Tressilian ritt mit seinen beiden Begleitern, so rasch die Rosse laufen konnten. Den Schmied hatte er zuvor gefragt, ob er nicht lieber Berkshire, wo er doch so gut bekannt sei, links liegen lassen wolle. Wieland antwortete indessen, seiner Sache ganz sicher zu sein. Er hatte die kurze Frist, die ihm noch geblieben war, bevor sie von Lidcotehall wegritten, benützt zu einer ganz erstaunlichen Umwandlung seines Aussehens. Der struppige lange Bart war jetzt auf ein schmales Schnurrbärtchen zusammengeschrumpft, das militärisch aufgezwirbelt war. Ein Lidcoter Dorfschneider hatte für Geld und gute Worte unter Aufsicht des Bestellers all seine Kunstfertigkeit aufgeboten, um aus dem Schmied einen Menschen zu machen, der um zwanzig Jahre jünger erschien. Vordem sah er in seinem schmierigen Arbeitskittel, mit dem Haarbusch auf dem Kopf und um das Gesicht, in der gebückten Haltung, die er sich durch sein Handwerk angewöhnt hatte, und in dem Ruß und Schmutz, der sich auf seiner Haut festgesetzt hatte, fast wie ein Mann von fünfzig Jahren aus, und jetzt, in der schmucken, kleidsamen Livree eines Gefolgmanns von Tressilian, mit dem Schwert an der Seite und dem Schild auf der Schulter, sah er aus wie höchstens ein Mann von dreißig bis fünfunddreißig Jahren, also in der Blüte des Mannesalters. Das ihm früher eigne derbe, ungeschlachte Wesen schien sich gleichfalls ganz umgewandelt zu haben, und zwar in ein entgegenkommendes, schneidiges und keckes, in Blick und Handlung zum Vorschein tretendes Wesen. Auf Tressilians Frage, wie er mit dem allen so schnell zu stande gekommen sei, gab Wieland bloß Antwort durch einen Vers aus einer Komödie, die damals neu war und nach Meinung mancher Kritiker bei dem Verfasser ein nicht geringes Talent vermuten ließ. Es freut uns, daß wir in der Lage sind, diesen Vers hersetzen zu können, der genau gelautet hat wie folgt: »Pah pah ça ça Caliban, Kriegst 'n neuen Meister, Nu werd ein neuer Mann!« Obgleich sich Tressilian nicht darauf besann, diese Verse gehört zu haben, besann er sich doch, daß Wieland, der Schmied, früher einmal Komödiant gewesen sei, woraus sich auch die Geschwindigkeit erklärte, mit der er die Umwandlung seiner äußern Person vollzogen hatte. Der Schmied selbst setzte ein so festes Vertrauen in diese Wandlung und in die Unkenntlichkeit, die er sich dadurch verschafft, daß es ihm fast leid getan hätte, wenn er an seinem früheren Wohnorte nicht vorbeigekommen wäre. »Ich kann es riskieren,« sagte er, »in der Kleidung, die mich jetzt deckt, und bei dem Rückhalt, den mir Euer Ehren leihen, dem Richter Blindas direkt vor die Augen zu treten, sogar in öffentlicher Gerichtssitzung, und möchte wirklich mal noch zu erfahren suchen, was aus dem Musje Kobold geworden ist, der ganz gewiß am liebsten die Welt auf den Kopf stellte, wenn er mal die Fesseln los werden und seiner Großmutter und seinem Dominus ausreißen könnte. ...Ei, und das vertrackte, alte Gewölbe!« rief er, »was aus dem geworden, wie das Pulver dort unter den Retorten und Phiolen des Doktors Demetrius Doboobie gehaust haben mag, das hätte ich gar zu gern mal gesehen! Ich weiß ganz sicher, daß von mir noch erzählt werden wird im Tale von Whitehorse, wenn auch meine Knochen längst verfault sein werden, und daß noch mancher Tropf sein Pferd anbinden und seinen Silberling niederlegen und pfeifen wird, wie ein Seemann bei Windstille, daß Wieland, der Schmied, komme und sein Roß beschlage! Aber das Roß wird eher die Rotzkrankheit kriegen, als daß sich Wieland, der Schmied, wieder sehen lassen wird.« In dieser Hinsicht erwies sich Wieland als der richtige Prophet. Fabeln entstehen tatsächlich so leicht und so geschwind, daß man bis heutigen Tags zu erzählen weiß dort und in der Umgegend von einem Hufschmied, der ein richtiger Teufelskerl gewesen sei und in allen Künsten Gewandtheit besessen habe; ja selbst die Sage von dem großen Siege des Königs Alfred oder die andre von dem berühmten Wunderhorn haben sich in Berkshire nicht so kräftig erhalten, wie die Sage von Wieland, dem Schmied. Die Eile, mit der die Reiter ihrem Ziele zustrebten, gestattete ihnen keinen längeren Aufenthalt, als zum Füttern ihrer Tiere notwendig war, und da manche von den Ortschaften, durch die sie ihr Weg führte, unter dem Einflüsse des Grafen von Leicester stand, erachteten sie es für klug, ihre Namen für sich zu behalten, wie auch den Zweck ihrer Reise. Bei solchen Anlässen war nun die Fertigkeit und Gewandtheit Wieland Schmieds, wie wir den Mann hinfort nennen wollen, ob er gleich mit seinem richtigen Namen Lancelot Wieland hieß, von außerordentlicher Verwendbarkeit. Er schien wirklich Freude daran zu haben, wenn er bei Wirten und Hausknechten durch sein geschicktes Verhalten recht große Neugierde wachgerufen und sie gehörig an der Nase herumführen konnte. Dreierlei verschiedene Gerüchte kamen in Umlauf während der Dauer ihrer Reise: erstens daß Tressilian der Lorddeputierte von Irland sei und in Verkleidung käme, um den Willen der Königin in Sachen des großen Rebellen Rory Oge Mac-Carthy Mac-Mahon zu vernehmen; zweitens daß Tressilian ein Geschäftsträger sei von »Monsieur«, der für Seine königliche Hoheit um die Hand der Königin Elisabeth anhalten soll; drittens, daß er der Herzog von Medina sei, der inkognito nach England gekommen, um den Streitfall zwischen Philipp dem Zweiten von Spanien und der Herrscherin von England beizulegen. Tressilian wurde hierüber sehr ärgerlich und legte Wieland Schmied die mancherlei Scherereien und vor allem den unnötigen Grad von Aufsehen, den sie um solcher Märchen willen machten, zur Last. Aber er ließ sich beruhigen ... und wer hätte solchem Grunde sein Ohr verschließen können? ... durch die Versicherung des Schmieds, die Schuld läge einzig und allein an ihm selber und an seinem vornehmen, ritterlichen Aussehen, so daß es gar nicht zu umgehen gewesen sei, einen auffälligen Grund für die Eile und die Heimlichkeit des Rittes anzugeben. Endlich kamen sie der Hauptstadt näher, und je mehr sie sich ihr näherten, desto geringer wurde infolge des Fremdenschwalls, der dieselbe umlagerte, das Interesse für die beiden Reiter. Tressilians Absicht war, direkt, nach Deptford sich zu begeben, wo Lord Sussex residierte, um dem Hofe, der zurzeit in Greenwich gehalten wurde, dem Lieblingswohnsitze der Königin Elisabeth und besonders geschätzt von ihr als Stätte ihrer Geburt, so nahe wie möglich zu sein. Indessen war ein kurzer Aufenthalt in London nicht zu umgehen, und durch die ernstlichen Bitten Wieland Schmieds, der sich in der Stadt umsehen wollte, zog sich dieser Aufenthalt sogar noch etwas in die Länge. »Nimm Dein Schwert,« sagte Tressilian, »und Deinen Schild und folge mir! Ich muß gleichfalls ausgehen, wir können uns also zusammen auf den Weg machen.« Er sagte das um deswillen, weil er sich noch immer nicht recht auf die Treue seines neuen Gefolgmanns verlassen zu dürfen meinte; wenigstens erschien es ihm nicht für geraten, ihn in diesem wichtigen Augenblick, da sich die Parteien am Hofe der Königin in solch regem Wettkampfe um die Herrschaft befanden, aus dem Gesicht zu lassen. Wieland Schmied ließ sich diese Vorsichtsmaßregel willig gefallen, deren Grund er wahrscheinlich vermutete, aber er bedang sich bloß aus, daß sein Herr in die Läden derjenigen Doktoren der Chemie und der Apotheker mitgehe, die er namhaft machen werde, wenn sie ihren Weg durch die Fleet Street nähmen, und ihm ein paar Einkäufe dort erlaubte von Dingen, deren er dringend benötige. Tressilian erklärte sich damit einverstanden und ging mit in die Läden, die der Schmied bezeichnete; es waren ihrer vier bis fünf, und in jedem kaufte Wieland Schmied, wie Tressilian zu seiner Verwunderung wahrnahm, immer bloß ein, aber immer ein andres Arzneimittel. Was er davon zuerst einkaufte, war immer gleich bei der Hand; was er später verlangte, brauchte immer einige Zeit, bis er es erhalten konnte... ebenso machte Tressilian die Wahrnehmung, daß Wieland mehr als einmal, zum lebhaften Erstaunen der Ladeninhaber, die ihm verabfolgte Droge oder Pflanze zurückgab und sich die richtige dafür ausbat, oder den Laden verließ, um sie anderswo einzukaufen. Ein Ingrediens aber schien sich gar nicht auftreiben zu lassen. Einige Drogisten gaben ohne Zaudern zu, dasselbe noch nie im Leben gesehen zu haben. Andre stellten in Abrede, daß es eine solche Arznei überhaupt gäbe, außer in der Einbildung ganz verschrobener Alchimisten, Die meisten versuchten, dem Schmied eine andre Arznei dafür zu verkaufen, ohne daß es ihnen aber gelingen wollte, denn dieser wies all die untergeschobene Ware als nicht das, wonach er frage, zurück, so viel auch die Verkäufer ihm einreden wollten, daß sie ihm doch gäben, was er verlange, und nichts anders, oder daß das, was sie ihm gäben, die gleichen Eigenschaften besitze, wie das von ihm Verlangte. Durchschnittlich waren sie aber alle erpicht darauf, zu erfahren, wozu der Schmied diese Arznei haben wolle. Ein alter, dürrer Drogist, an den der Schmied das gleiche Ansuchen richtete, aber in Ausdrücken, für die es Tressilian an Verständnis gebrach, und die er sich nie im Leben erinnerte gehört zu haben, antwortete frei und offen, die Arznei dürfe sich in ganz London wohl kaum ausfindig machen lassen, wenn sie nicht etwa Yoglan, der Jud', führte. »Hab ich es mir doch gedacht!« sagte Wieland. Und sobald sie aus dem Laden getreten waren, sagte er zu Tressilian: »Ich muß Euch, gestrenger Herr, um Verzeihung bitten, aber es ist kein Arbeiter im stande, etwas zu machen, wenn es ihm an dem Werkzeug dazu gebricht. Ich muß deshalb noch zu diesem Yoglan gehen, und gelobe Euch, daß der Gebrauch, den ich von dieser seltnen Arznei machen will, Euch reichliche Entschädigungen bringen wird für den Aufenthalt, den ich Euch jetzt verursache. Erlaubt mir also, jetzt vorauszugehen,« setzte er hinzu, »denn wir müssen jetzt die breite Hauptstraße verlassen und kommen, wenn ich den Führer mache, noch einmal so geschwind vom Flecke.« Tressilian erklärte sich einverstanden, der Schmied bog in eine Seitengasse ein, die linker Hand zum Flusse hinunterging. Es kam ihm vor, als ob sein Führer mit besonderer Geschwindigkeit seinen Weg verfolge und als ob er sehr bekannt in der großen Stadt sein müsse, denn er wußte den Weg ganz genau durch alle Seiten- und Nebengäßchen. Endlich blieb Wieland stehen, mitten in einem besonders engen Winkelgäßchen, das seinen Ausgang nach der Themse hinunter hatte, die hier recht düster und schmutzig aussah. Dieser Hintergrund wurde, wie Meister Mumblazen gesagt hätte, »quer geteilt« durch die Masten von zwei Leichterschiffen, die dort vor Anker lagen und auf die Flut warteten. Der Laden, vor dem der Schmied stehen blieb, besaß, wie es zurzeit Mode ist, kein Schaufenster, sondern war nichts weiter als eine mit Glanzleinwand gedeckte Bude, wie sie jetzt zumeist Schuhflicker halten. An der Vorderseite war sie offen, und erinnerte hierin an die Fischbuden unsrer Tage. Ein altes, kleines Männchen mit schmutzfarbenem Gesicht, sonst aber von keiner Ähnlichkeit mit einem Juden, denn er war ganz blond und hatte gar keinen Bart, zeigte sich und er fragte Wieland unter allerhand Höflichkeitsbezeugungen, was ihm die Ehre seines Besuches verschaffe. Kaum hatte er die Arznei genannt, die er suchte, als der Jude zusammenfuhr und sehr verwundert dreinschaute. »Und wozu will Euer Gnaden wohl haben diese Arznei? Ich habe nun meinen Laden an die vierzig Jahr, aber, mein Gott, es ist in dieser ganzen Zeit gewesen nicht ein einziges Mal Nachfrage bei mir danach.« »Diese Frage Euch zu beantworten, dazu habe ich von meinem Besteller keinen Auftrag,« entgegnete Wieland; »ich will bloß von Euch hören, ob Ihr führt, was ich will haben, und ob Ihr, wenn dies der Fall ist, mir von der Arznei was käuflich wollt ablassen.« »Ei, Du mein Gott, freilich führe ich die Arznei und führe sie nicht zum Vergnügen, sondern zum Verkaufe; also könnt Ihr auch haben, soviel Ihr wollt, wie ich verkaufe als Drogist alles, was ich führe in meinem Laden.« Also sprechend, schüttete er ein Pulver auf den Ladentisch und fuhr dann fort: »Aber die Arznei wird kosten viel Geld, denn was sie mich kostet, das geht nicht bloß ins Geld, das geht ins Gold ... ja, sie muß gewogen werden mit Gold, muß gewogen werden sechsfach mit Gold ... denn sie kommt vom Berge Sinai, wo gegeben worden ist uns das heilige Gesetz. Und die Pflanze blüht nur einmal im Jahrhundert.« »Ich weiß nicht, wie oft sie gesammelt wird auf dem Berge Sinai,« erwiderte Wieland, nachdem er die ihm gezeigte Droge mit tiefer Verachtung betrachtet hatte; »aber ich will mein Schwert und meinen Schild gegen Euren Mantel setzen, daß das Zeug, das Ihr mir da gebt, statt dessen, was ich fordere, in Aleppu im Schloßgraben umsonst gepflückt werden kann.« »Ihr seid ein rauher Mann,« sagte der Jude, »und zudem habe ich nichts, was besser wäre als das, in meinem ganzen Laden ... oder wenn ich noch hätte, was besser wäre, so würde ich es Euch nicht ablassen wollen ohne eine ärztliche Verordnung, Ihr müßtet mir denn sagen, was Ihr wollt machen für einen Gebrauch davon.« Wieland gab ihm nun Bescheid in einer Sprache, von der Tressilian nichts verstand und die den Juden mit dem größten Erstaunen erfüllte. Er starrte den Schmied an, wie jemand, der plötzlich irgend einen gewaltigen Helden oder gefürchteten Gewalthaber in der Person eines unbekannten und bislang für nichts gehaltenen Fremden erkannt hat. »Heiliger Elias!« rief er aus, als er sich von den ersten Wirkungen seines Staunens erholt hatte, und dann ging er mit einem Male aus seiner bisherigen argwöhnischen und bedächtigen Weise zu der äußersten Höflichkeit und zu dem verbindlichsten Wesen über, machte einen Bückling über den andern vor dem Schmied und ersuchte ihn, in seine arme Behausung einzutreten, um seiner elenden Schwelle nicht den Segen zu rauben. »Ihr wollt keinen Becher leeren mit dem armen Juden Zacharias Yoglan? ... Kann ich dienen mit einem Glas Tokayer? ... Wollt Ihr kosten von meinem Lachrymae Christi? ... Wie?« »Ihr beleidiget mich mit Euren Angeboten,« versetzte Wieland, »gebt mir, was ich begehre und erspart Euch alles weitere Reden.« Also in seine Schranken verwiesen, griff der Jude nach seinem Schlüsselbund und schloß behutsam ein Schränkchen auf, das fester verschlossen zu sein schien als die andern Schubladen und Kästen, in denen er seine Drogen und, Arzneien verwahrt hielt und zwischen denen es stand; dann zog er ein geheimes Fach auf, das mit einer Glastafel bedeckt war, und das eine geringe Portion eines schwarzen Pulvers enthielt. Dieses Pulver reichte er dem Schmied, und sein Wesen bezeugte dabei die tiefste Ehrerbietung, wenn er auch mit einem geizigen, eifersüchtigen Ausdruck im Gesicht und mit ängstlicher Behutsamkeit, als wenn es ihm leid sei um jedes Gran, das er seinem Kunden zuviel abgeben könne, die Menge in der Hand wog: ein seltsamer Gegensatz zu der Unterwürfigkeit, deren er sich sonst dem Schmied gegenüber beflissen zeigte, und durch den diese an Wert erheblich verlor. »Habt Ihr eine Wage?« fragte Wieland. Der Jude zeigte auf die Wage, die er sonst in seinem Laden zu benutzen pflegte, aber mit einem so deutlichen Zeichen von Zweifel und Furcht, daß es dem Schmied nicht entgehen konnte. »Es muß eine andre Wage sein als diese,« sagte Wieland in strengem Tone; »wisset Ihr nicht, daß heilige Dinge ihre Kraft einbüßen, wenn sie gewogen werden auf ungerechter Wage?« Der Jude ließ den Kopf hängen, nahm aus einem mit Stahl plattierten Kästchen eine andre, elegant verzierte Wage und sagte, indem er sie für den Gebrauch zurecht machte und dem Schmied gab: »Diese Wage dient mir zu meinen eignen Experimenten ... ein Haar von des Hohenpriesters Bart würde ins Schwanken bringen ihr Zünglein.« »Die genügt,« erwiderte der Schmied und wog zwei Drachmen von dem schwarzen Pulver für sich ab, die er hierauf auf das sorgsamste zusammendrückte, in ein festes Blatt Papier wickelte und zu den übrigen Medikamenten in die Tasche schob. Dann fragte er den Juden, was die beiden Drachmen kosteten; der Jude aber schüttelte den Kopf und verneigte sich tief zur Erde. ... »Keinen Preis, nein, keinen ... nichts, nichts von solchen wie Ihr seid ... aber Ihr werdet Wohl wieder besuchen den armen Juden und werdet Euch ansehen sein Laboratorium, wo er, Gott helfe ihm, zusammen ist geschrumpft zu dem Stoffe, aus welchem bestanden hat der verdorrte Kürbis des Propheten Jonas, des heiligen ... ja, Ihr werdet haben Mitleid mit ihm und ihm helfen einen Schritt weiter auf der großen Straße.« »Pst!« machte Wieland und legte geheimnisvoll den Finger an den Mund, »es kann sein, daß wir uns wieder begegnen ... Du hast beinahe den Schamajm, wie Deine eignen Rabbis es nennen ... die große Schöpfung ... wache also und bete, denn Du mußt die Weisheit des Alkahest erlangen und des Elixiers und des Samech ... ehe ich mich weiter einlasse mit Dir.« Dann erwiderte er die tiefe Verbeugung des Juden mit einem Nicken und schritt hoheitsvoll durch das Gäßchen von bannen, hinter ihm sein Herr, dessen erste Bemerkung über den Auftritt, dessen Zeuge er gewesen war, lautete: daß Wieland dem Juden für das Pulver etwas hatte bezahlen müssen, sei es noch so wenig gewesen. »Ich ihn bezahlen?« versetzte dieser; »soll mich der böse Feind und sich holen, wenn ich es tue! ... Hätte ich, nicht befürchtet, Euer Gnaden Unwillen wachzurufen, so hätte ich ihm noch ein paar Unzen Goldstaub für das gleiche Gewicht Ziegelstaub abgenommen!« »Ich rate Dir, solche Streiche zu unterlassen, so lange Du bei mir in Diensten stehst!« sprach Tressilian. »Ich sage ja doch, daß ich es bloß unterlassen habe um Euretwillen,« antwortete Wieland Schmied, »Streiche saget Ihr? ... ei, ei! Das alte, dürre Skelett ist reich genug, die enge Gasse, in der es wohnt, mit Talern zu pflastern. Aber er läßt sie nicht aus seinem eisernen Kasten heraus, und doch wird er närrisch wegen des Steins der Weisen! Außerdem wollte er mich zuerst betrügen, da er mich für einen armen Gefolgsmann ansah, mit einem Quark, der keinen Heller wert war. Wurst wider Wurst! sagte der Teufel zum Kohlenmann. Wenn seine schlechte Droge meine echten Kronen wert sein sollte, so galt das gleiche von meinem Ziegelstaub und seinem Gold.« »Du magst recht haben, wenn Du einen Juden so traktierst und mit den Drogisten feilschest,« erwiderte Tressilian, »aber merke Dir, dergleichen Manöver, von einem meiner Leute ausgeübt, beeinträchtigen meine Ehre, und darum kann ich sie nicht erlauben. Nun bist Du hoffentlich fertig mit Deinen Einkäufen?« »Das bin ich, gestrenger Herr,« erwiderte Wieland; »und mit diesen Drogen gedenke ich noch heute das wahre Gegengift, jene edle Arznei zu bereiten, die man in so seltenen Fällen nur als wirksam und echt findet in den Ländern des europäischen. Kontinents, wo jenes so äußerst seltne und kostbare Arzneimittel nicht zur Verfügung steht, das ich eben von dem Juden Yoglan gekauft habe. [Orvietan oder venetianisches Tränkchen, wie es bisweilen auch genannt wird, stand im Rufe eines vornehmen Heilmittels gegen Gift; und der Leser muß sich für die Lektüre dieses Buches darein finden, diese Meinung zu teilen, die ehedem verbreitet war sowohl in der gelehrten Welt wie beim großen Volk.] »Warum hast Du denn Deine Einkäufe nicht sämtlich im gleichen Laden gemacht?« fragte Tressilian; »wir haben dadurch beinahe eine Stunde eingebüßt, daß wir von einem Drogisten zum andern haben laufen müssen.« »Lasset das gut sein, Herr,« versetzte Wieland, »es soll mir niemand mein Geheimnis ablernen; ich würde es aber bald los sein, wollte ich alle Medikamente, die dazu gehören, zusammen in einem und demselben Laden kaufen.« Nun begaben sie sich zurück nach ihrem Gasthofe, dem beliebten »Zum wilden Mann«; und während dort der Diener des Lord Sussex die Pferde anschirrte, ließ sich Wieland Schmied vom Koch einen Mörser geben, schloß sich in ein besonderes Stübchen ein und zerstieß und mischte und wog und brachte die Drogen, die er eingekauft hatte, in das richtige Verhältnis zu einander, mit einer Fertigkeit und Schnelligkeit, daß niemand, der ihn dabei beobachtet hätte, im Zweifel gewesen wäre über seine Eigenschaft als Apotheker oder Pharmazeut. In der Zeit, die Wieland zur Bereitung seines Heilmittels brauchte, war der Diener auch mit dem Anschirren der Pferde fertig. Ein Ritt von knapp einer Stunde brachte sie zum gegenwärtigen Wohnsitz des Earl of Sussex, einem alten Schlosse in der Nähe von Deptford, Say's-Hof mit Namen, das lange der Familie dieses Namens gehört hatte, aber seit etwa einem Jahrhundert der alten und ehrlichen Familie Evelyn gehörte. Das dermalige Oberhaupt dieser Familie nahm lebhaften Anteil an dem Schicksal des Earl of Sussex und hatte ihm und seinem zahlreichen Gefolge diese gastliche Stätte geöffnet. Vierzehntes Kapitel Say's-Hof wurde bewacht, wie eine belagerte Festung; und Argwohn beherrschte zu damaliger Zeit die Gemüter in so hohem Maße, daß Tressilian und seine Begleiter, als sie in die Nähe des kranken Grafen gelangten, wiederholt von Schildwachen angehalten und ausgefragt wurden, von berittnen sowohl wie von solchen zu Fuß. Wirklich machte auch der hohe Rang, den Sussex in der Gunst der Königin einnahm, wie auch seine Rivalität gegen den Earl of Leicester, die in ganz England bekannt und von der Königin gelitten war, sein Wohlbefinden zu einer Sache von höchster Wichtigkeit, denn zu der Zeit, da unsere Erzählung spielt, herrschte in allen Gemütern noch Zweifel darüber, ob er oder der Earl of Leicester den höhern Rang in ihrer Gunst besitzen würde. Königin Elisabeth liebte es, wie manch andre ihres Geschlechts, die Parteien gegen einander auszuspielen und, je nachdem es das Staatsinteresse erheischte, manchmal wohl auch, wie es ihrer weiblichen Eitelkeit gefiel, denn sie war von dieser Schwäche durchaus nicht frei, bald diese, bald jene ans Ruder kommen zu lassen. Klug zu erwägen, die Karten nicht aus der Hand zu geben, das eine Interesse gegen das andre zu setzen, den Höfling, der in ihrer Wertschätzung sich der höchsten Stelle sicher wähnte, durch die Furcht im Schach zu halten, es könne ein andrer, wenn auch nicht in ihrer Gunst, so doch in ihrem Vertrauen, ihm an die Seite treten, waren Künste, die sie während ihrer Regierung zu üben verstand und die ihr, so oft sie in die Schwäche der Günstlingswirtschaft sank, die Möglichkeit und die Fähigkeit ließen, die schlimmen Einwirkungen derselben auf ihr Königreich und ihre Regierung zum größten Teile zu verhindern. Die beiden Edelleute, die sich zurzeit in ihrer Gunst als Nebenbuhler gegenüberstanden, besaßen äußerst verschiedene Ansprüche auf diesen Besitz; es möge indessen hier die allgemeine Bemerkung genügen, daß der Graf von Sussex Elisabeth als Königin die größten Dienste geleistet hatte, während Leicester ihr als Mensch näher stand. Sussex war, wie damals im britischen Königreiche gesagt wurde, ein »Martialist«, ein Mann des Krieges. Er hatte Hervorragendes geleistet in Irland sowohl als in Schottland, vor allem aber in dem großen Aufstand im Norden des Landes, der im Jahre 1569 ausgebrochen und zumeist durch seine soldatische Tüchtigkeit unterdrückt worden war. Infolgedessen scharten sich um ihn all jene Elemente, die durch das Waffenhandwerk sich zu Macht und Ansehen bringen wollten. Dazu kam, daß der Graf von Sussex aus älterm und edlerm Geschlechte stammte als sein Nebenbuhler, denn er vereinigte in seiner Person sowohl das Geschlecht der Fitz-Walters, wie das der Ratcliffes, während das Wappenschild Leicesters befleckt war durch die Degradation seines Großvaters, des herrschsüchtigen Ministers Heinrich des Siebenten, und wohl kaum wieder gereinigt durch jene andre seines Vaters, des unglücklichen, am 22. August 1553 im Tower hingerichteten Dudley, Herzogs von Northumberland. Aber in seiner Person, seiner Wohlgestalt, seinem Angesicht, seiner Haltung und Führung – Waffen, die am Hofe einer Herrscherin von so ausschlaggebender Bedeutung find – besaß Leicester Vorzüge, die mehr als ausreichend waren, die soldatischen Dienste, das edlere Blut und das freie und offne, vielleicht manchmal derbe Wesen des Grafen von Sussex in Schatten zu stellen oder doch auszugleichen. Leicester besaß auch in Hofkreisen, zum Teil sogar im Königreiche, das Ansehen, daß ihm die Gunst der Königin in höherem Maße gehöre als Sussex, wenngleich die Königin auch in diesem Falle Klugheit genug besaß, ihre Gesinnung nicht vollständig an den Tag zu legen, um den Grafen immer in der Meinung zu halten, daß zuletzt doch vielleicht der andre an die erste Stelle gelangen könne. Die Erkrankung des Grafen von Sussex kam Leicester deshalb um so gelegner, als sich in der Bevölkerung die sonderbarsten Kombinationen daran knüpften, wahrend die, Parteigänger des einen Grafen von den tiefsten Befürchtungen, diejenigen des andern von den stärksten Hoffnungen wegen des wahrscheinlichen Ausgangs der Krankheit erfüllt wurden. Inzwischen – denn zu damaliger Zeit rechnete man immer mit der Wahrscheinlichkeit, daß solcher Zwist mit dem Schwerte beigelegt werden würde – scharten sich die Parteigänger der beiden Männer um deren Fahnen, erschienen wohlbewaffnet selbst in der Nahe des Hofes und verwirrten das Ohr der Herrscherin durch ihre häufigen und beunruhigenden Auseinandersetzungen und Streitereien, die von ihnen sogar in den engern Räumen des königlichen Palastes geführt wurden. Diese Verhältnisse zu schildern, war notwendig, um die nun folgenden Vorgänge dem Leser verständlich zu machen: Tressilian fand bei seiner Ankunft in Say's-Hof Parteigänger des Grafen von Sussex und Edelleute, die gekommen waren, sich nach dem Befinden ihres Gönners zu erkundigen, in Scharen, so daß das Haus sie kaum zu fassen vermochte. Aller Hände waren bewaffnet, und aller Gesichter zeigten düstern Ernst, gleich als ob auf allen die Furcht vor einem sofortigen heftigen Angriffe lastete. In der Halle dagegen, wohin Tressilian von einem Diener des Grafen geführt wurde, während ein andrer sich zu dem Grafen begab, um die Ankunft Tressilians zu melden, warteten nur zwei Edelleute. In der Kleidung, Erscheinung und im Wesen derselben bestand ein auffälliger Gegensatz. Die Haltung des ältern, augenscheinlich eines hohen Standesherrn, der in, der Vollkraft des Mannesalters stand, war schlicht und soldatisch; er war von untersetzter Gestalt, von kräftigem Gliederbau; sein Wesen ermangelte jeglicher Milde, und sein Gesichtsausdruck war von jener Art, die einen kerngesunden Menschenverstand ausdrückt, ohne ein Korn von Lebhaftigkeit oder Einbildungskraft. Der jüngere, der anfangs oder Mitte der Zwanziger zu stehen schien, war in die munterste Tracht gekleidet, die zu damaliger Zeit von Standespersonen getragen wurde: hervorstechend durch ein Mäntelchen aus karmesinrotem Sammet, das reich besetzt war mit Spitzen und Stickereien, eine Kappe aus dem gleichen Stoffe, umschnürt mit einer dreifach gewundenen, durch eine Medaille befestigten, güldnen Kette. Sein Haar war frisiert, wie man es in unsrer Zeit bei manchen vornehmen Edelleuten trifft, nämlich kurz geschnitten und energisch in die Höhe gekämmt; in den Ohren trug er silberne Ringe, und in jedem der Ringe prangte eine Perle von erheblicher Größe. Das Gesicht dieses Jünglings, das übrigens von regelmäßiger Schönheit war und dessen Ausdruck durch eine elegante Erscheinung erhöht wurde, war lebhaft und munter und von einer Offenheit, daß man die Festigkeit eines entschlossenen und das Feuer eines unternehmenden Charakters zugleich mit Ueberlegungskraft und Raschheit des Entschlusses davon hätte ablesen können. Die beiden Edelleute lehnten ziemlich in der gleichen Stellung unfern von einander auf Bänken, aber jeder schien in seine besondern Betrachtungen vertieft zu sein, jeder blickte starr auf die Wand, die ihnen gegenüber sich erhob, und keiner sprach zum andern ein Wort. Die Blicke des ältern der beiden ließen keinen Zweifel, daß er, wenn er sich die Wand ansah, nichts weiter darin sah, als den mit Waffenröcken, Geweihen, Schilden, alten Rüstungen, Partisanen und dergleichen Dingen, die gewöhnlich den Schmuck solcher Stätte bilden, behangenen Teil eines Gemachs. Die Miene des jüngern Stutzers verriet eine gewisse Phantasie: er war versunken in träumendes Sinnen, und es sah ganz so aus, als ob der leere Bodenraum zwischen ihm und der Wand die Bühne eines Theaters sei, auf der sein Geist seine eignen dramatischen Personen auftreten ließe, und ihm Szenen vorführte von ganz andrer Art und ganz anderm Charakter, als jene, die ihm sein leibliches Auge und irdisches Leben hätten zeigen können. Bei Tressilians Eintritt fuhren beide Edelleute aus ihrem Sinnen auf und entboten ihm ihren Gruß; der jüngere vornehmlich mit großem Aufwand von Munterkeit und Herzlichkeit. »Willkommen, willkommen, Tressilian,« sagte der Jüngling, »Deine Philosophie raubte Dich uns, als diese Stätte dem Ehrgeiz Ziele zu eröffnen schien ... aber sie ist manierlich und läßt sich ertragen, da sie Dich uns wieder zuführt zu einer Zeit, da hier bloß Gefahren zu teilen sind.« »Ist denn mein lieber Herr so gefährlich erkrankt?« fragte der Junker. »Wir befürchten das Schlimmste,« antwortete der ältere Edelmann, »und zwar darum, weil hier die schlimmsten Praktiken gelten.« »Pfui,« rief da Tressilian, »der Graf von Leicester ist doch ein Ehrenmann.« »Was will er dann mit all den Mannen, die er um sich schart?« sagte der jüngere. »Wer den Teufel weckt, mag ja ein Ehrenmann sein, aber er ist verantwortlich für das Unheil, das er stiftet, trotz allem.« »Versteht Ihr unter diesem »trotz allem« Euch selbst, meine Herren?« fragte Tressilian, »seid Ihr es allein, die meinem lieben Herrn beistehen in seiner äußersten Not?« »Nein, nein,« versetzte der ältere Edelmann, »Tracy, Markham und manch andre mehr sind da, aber wir halten hier paarweise Wacht, und manche sind müde und schlafen oben in der Galerie.« »Und manche,« setzte der Jüngling hinzu, »sind unterwegs nach Deptford zum Dock hinüber, um nach einem Schiff Ausschau zu halten, zu dessen Ankauf die Trümmer ihres Vermögens noch ausreichen; und sobald hier alles vorbei ist, wollen wir unsern edlen Herrn in ein edles, grünes Grab betten, dann bei schicklichem Anlaß über die herfahren, die ihn in solchen Zustand gejagt haben, und dann mit schwerem Herzen und leichtem Beutel nach Indien segeln.« »Meinetwegen,« versetzte Tressilian, »und sobald ich mein Geschäft am Hofe erledigt habe, will ich mich Eurem Vorhaben gern anschließen.« »Du hast Geschäfte bei Hofe?« riefen beide, wie aus einem Munde, »und machst die Reise mit nach Indien?« »Ey ei, Tressilian,« rief der jüngere Mann, »bist Nu nicht versprochen, verlobt? Und hinweg über jene Glücksfahrten, die andres junges Volk hinaus auf hohe See treiben, wenn ihre Barke bloß ein paar Ruderschläge noch bis zum Hafen hatte? ... Was ist aus der holden Indamira geworden, die meinem Amoret in Treue und Schönheit sollte vereinet sein?« »Sprich von ihr nicht!« sagte, sich abwendend, Tressilian. »Ei, ei, steht es so mit Euch beiden?« rief der Jüngling, indem er mit aller Herzlichkeit und Liebe des andern Hand ergriff; »dann fürchte nicht, daß ich den Finger wieder auf die frische Wunde lege! Aber das ist eine seltsame Kunde! Seltsam und traurig! Kann denn keiner von uns muntern, fröhlichen Gesellen in diesem jähen Gewittersturm glücklich im Hafen landen, sondern müssen alle von uns schmählichen Schiffbruch leiden? Von Dir wenigstens, mein lieber Edmund, hatte ich gehofft, Du würdest glücklich landen; aber sagt nicht ein andrer lieber Freund Deines Namens: »Wer sieht Fortunens Rad zerstören, Ein Glück, das er für sicher hält; Der fühlt es, daß wir angehören Dem Wankelmut in dieser Welt, Der im Zertrümmern sich gefällt!« Der ältere Edelmann war von seiner Bank aufgestanden und schritt mit merklicher Ungeduld durch die Halle, während der Jüngling mit hohem Ernst und tiefer Empfindung diese Strophen zitierte. Als er damit fertig war, hüllte der andre sich in seinen Mantel ein und streckte sich wieder hin mit den Worten: »Mich wundert es, Tressilian, daß Ihr den albernen Kram mit anhören könnt. Was soll wohl ein vernünftiger Mensch denken von einem so tugendsamen und ehrbaren Hause, wie dem meines Herrn, wenn er hier solch weinerliches, läppisches, kindisches Gereimsel hört? Solches Gefasel, das mit Junker Walter Klingelbeutel den Weg gefunden hat in unser ehrenfestes, kernfestes Englisch? Das uns Gott geschenkt hat, damit wir uns schlicht und verständlich ausdrücken? Und das sollen wir uns verdrehen und verschnörkeln lassen in solch unreifes, unfaßliches Geplapper?«. »Blount meint,« sagte sein Kamerad lachend, »der Teufel habe um Eva in Versen gefreit,, und die mystische Bedeutung vom Baume der Erkenntnis beziehe sich einzig und allein auf die Fertigkeit, Reime zu drechseln und Hexameter zu bilden.« In diesem Augenblick trat der Kammerherr des Grafen in die Halle und benachrichtigte Tressilian, daß der Graf ihn zu sich entbieten lasse. Tressilian fand Lord Sussex angekleidet, aber frei von Arm- und Beinschienen auf seinem Ruhebett. Ueber die Veränderung, die durch die Krankheit mit ihm vorgegangen war, fühlte er sich tief betroffen. Der Graf begrüßte ihn aufs herzlichste und erkundigte sich sogleich, wie es um seine Herzenssachen stände. Tressilian ging der Antwort einen Augenblick aus dem Wege und lenkte die Rede auf den Gesundheitszustand des Grafen. Zu seinem nicht geringen Erstaunen machte er die Beobachtung, daß die Symptome seiner Krankheit sich genau mit der Schilderung deckten, die der Schmied von ihr gegeben hatte. Darum zauderte er nicht, dem Grafen genau zu erzählen, wie es sich um seinen neuen Gefolgsmann verhielt, und daß sich derselbe anheischig gemacht hätte, die Krankheit zu heilen, an der der Graf litte. Dieser hörte aufmerksam, aber ungläubig zu, bis der Name Demetrius vorkam. Da rief er plötzlich seinem Sekretär zu, ihm ein Kästchen zu bringen, worin sich Papiere von Wichtigkeit befanden. »Nimm die Aussage heraus,« sagte er zu dem Sekretär, »die der Schurke von Koch, den wir im Verhör hatten, abgegeben hat, und sieh sorgfältig zu, ob darin nicht der Name Demetrius vorkommt.« Der Sekretär hatte die Stelle im Nu gefunden und las: »Und der Inkulpat, als er befragt wird, sagt aus: daß er sich erinnre, die Sauce zu dem erwähnten Stör bereitet zu haben, nach dessen Genuß der besagte edle Lord von Uebelkeit befallen wurde; und er tat die üblichen Ingredienzien und Gewürze hinzu und zwar ...« »Uebergehe diese nebensächlichen Dinge,« sagte der Graf, »und sieh zu, ob er nicht durch einen gewissen Demetrius, seines Zeichens Kräuterhändler, mit den betreffenden Materialien versorgt worden ist.« »Das ist durchaus richtig,« antwortete der Sekretär, »und er fügt bei, daß er seitdem besagten Demetrius nicht gesehen habe.« »Dies stimmt überein mit der Geschichte Deines Burschen,« erwiderte der Graf, »laß ihn herholen, Tressilian!« Vor den Grafen geführt, erzählte Wieland, der Schmied, sein Vorleben mit Festigkeit und Ruhe. »Es kann ja sein,« sprach der Earl, »daß Du abgesandt worden bist von denen, die dies Werk begonnen haben, zu dem Zwecke, es zu vollenden. Aber bedenke, daß es Dir hart ergehen wird, wenn ich an Deiner Arznei zugrunde gehe.« »Das wäre gestrenges Maß,« erwiderte der Schmied, »da doch die Wirkung von Arzneien und das Ende des menschlichen Lebens in Gottes Hand ruht. Aber ich will die Gefahr laufen. Ich habe nicht so lange unter der Erde gelebt, um Bange vor dem Grabe zu haben.« »Nun denn, da Du so zuversichtlich bist, will ich die Gefahr desgleichen auf mich nehmen,« sprach der Graf, »denn die studierten Aerzte sind mit ihrem Latein bei mir zu Ende. Sage mir, wie die Arznei eingenommen werden muß.« »Das soll sogleich geschehen,« antwortete Wieland, »erlaubt mir jedoch noch eine Bedingung, daß es, weil ich alle Gefahr der Kur auf mich nehme, keinem Arzt erlaubt sein solle, sich einzumischen.« »Das ist nur recht und in Ordnung,« entgegnete der Graf, »und nun bereite Deine Arznei.« Während Wieland die Befehle des Grafen zur Ausführung brachte, entkleideten die Diener auf Weisung des Schmieds den Grafen und brachten ihn zu Bett. »Ich sage Euch im voraus,« bemerkte der Schmied, »daß die erste Wirkung dieser Arznei sich durch einen tiefen Schlaf äußern wird, und während dieser Zeit darf die Ruhe im Zimmer durch nichts gestört werden, weil sich sonst verhängnisvolle Folgen einstellen werden. Ich werde selbst bei dem Herrn Grafen, wachen mit einem der Kammerherren vom Dienste.« »Es sollen alle das Zimmer verlassen mit einziger Ausnahme von Stanley und diesem braven Manne,« sprach der Earl. »Und mit Ausnahme von mir,« sagte Tressilian, »denn ich nehme das lebhafteste Interesse an den Wirkungen dieses Trankes.« »Einverstanden, mein lieber Freund,« sagte der Earl; »und nun zu unsrer Kur; aber zuvor ruft mir meinen Sekretär und meinen Kammerherrn.« »Ihr seid Zeugen dafür,« sprach er, als diese Herren eintraten, »Ihr seid mir Zeugen dafür, daß unser ehrenwerter Freund Tressilian in keiner Weise verantwortlich ist für die Wirkungen, die diese Arznei auf mich äußern wird, denn ich nehme sie aus meinem eignen freien Willen und zufolge meiner eignen freien Wahl, aus dem Grunde, weil ich sie für eine Arznei halte, die mir mein gnädiger Gott sendet auf einem weder von mir noch von andern vermuteten Wege, zu dem Zwecke, mich von meiner Krankheit genesen zu machen. Meldet meiner edlen, fürstlichen Gebieterin meine untertänigen Empfehlungen, und beteuert ihr, daß ich lebe und sterbe als ihr getreuer Diener, und daß ich allen, die um ihren Thron sich scharen, die gleiche Herzensaufrichtigkeit, den gleich guten Willen, ihr dienstbar zu sein, wünsche im Verein mit größerer Fähigkeit und Geschicklichkeit, als verliehen war dem armen Thomas Ratcliffe.« Er faltete, nun die Hände und schien auf die Zeit von einigen Sekunden in stilles Gebet zu versinken, dann nahm er die Medizin in die Hand, verhielt sich ein paar weitere Sekunden lang still und betrachtete Wieland mit einem Blicke, der ihm durch die Seele dringen sollte, aber in dem Benehmen des Schmieds und in seiner Handlungsweise weder Unruhe noch Zaudern bewirkte. »Hier ist keine Ursache vorhanden zu Furcht oder Besorgnis,« sprach der Graf zu Tressilian und schluckte die Medizin ohne weitres Besinnen hinunter. »Und nun bitte ich Eure Herrlichkeit,« sagte Wieland, »sich so bequem wie nur möglich zur Ruhe hinzustrecken; und Euch, meine edlen Herren, ersuche ich, sich so still wie möglich zu verhalten, und ganz so stumm, wie wenn Ihr am Sterbebette Euerer leiblichen Mutter verweiltet.« Der Kammerherr und der Sekretär verließen nun das Gemach und erteilten draußen Befehl, daß alle Türen geschlossen bleiben und aller Lärm im Hause auf das strengste vermieden werden solle. Verschiedne Edelleute blieben, weil es ihr Wille war, in der Halle als Wache, aber das Gemach, in welchem der kranke Graf lag, wurde von niemand betreten, ausgenommen von seinem Leibdiener Stanley, von Wieland und von Tressilian. Die Anordnungen Wielands wurden flugs erfüllt, und ein tiefer Schlaf senkte sich auf den Grafen, ein Schlaf, so tief und fest, daß die beiden, die abwechselnd an seinem Bette wachten, Tressilian und Stanley, ernstlich zu fürchten anfingen, er möchte bei dem geschwächten Zustande, in dem er sich befand, in die Ewigkeit hinübergehen, ohne aus seiner Lethargie zu erwachen. Wieland, der Schmied, schien selbst Unruhe zu fühlen, betastete von Zeit zu Zeit mit leichtem Druck die Schläfen des Grafen – und verfolgte mit besondrer Aufmerksamkeit die Atemzüge des Patienten, die tief aus der Brust heraufkamen, aber leicht und regelmäßig waren. Fünfzehntes Kapitel Es gibt keine Zeit, wo die Menschen einander häßlicher vorkommen, als wenn das erste Tagesgrauen sie noch wach und schlaflos findet. Selbst eine Schönheit erster Klasse, nach durchtanzter Nacht vom Morgengrauen überrascht, würde besser daran tun, sich vor dem Blick selbst ihres ergebensten und blindesten Verehrers zu verbergen. So wirkte auch das bleiche, unheimliche und unangenehme Licht, als es Tag zu werden anfing um die Männer her, die die ganze Nacht hindurch Wache gehabt hatten in der Halle von Says-Hof. Der kalte, blasse Schimmer vermischte sich mit dem roten, gelben und qualmigen Schein verlöschender Lampen und Fackeln. Der junge Edelmann, der in unserm letzten Kapitel aufgetreten ist, war auf ein paar Minuten hinausgegangen, um nachzusehen, weshalb an der Außentür geklopft wurde, und als er wieder hereinkam, erschrak er fast über das trostlose, gespenstische Aussehen seiner Wachtkameraden und rief aus: »Herr, Du meine Güte! Ihr Herren, Ihr seht aus wie die Eulen! Mich dünkt, wenn die Sonne aufgeht, sehe ich Euch mit verschleierten Augen aufflackern und Euch im nächsten Efeugestrüpp oder einem verfallnen Gemäuer verstecken.« »Halt den Schnabel, Du Hansnarr,« sagte Blount, »halt den Schnabel. Ist jetzt eine Zeit zum Witzereißen, wo das Mannestum von England eine Mauer breit von uns am Ende verstirbt?« »Da lügst Du,« erwiderte der junge Mann. »Was, lügen?« rief Blount und fuhr auf. »Lügen! Mir das!« »Ja, das hast Du getan, Du zänkischer Narr,« antwortete der Jüngling, »liegst Du nicht noch auf der Bank dort? Aber bist Du nicht ein Brausekopf, daß Du gleich bei einem schlecht angebrachten Worte auffährst in Zorn und Grimm? Aber so sehr ich auch Mylord liebe, und gewiß ebenso aufrichtig wie Ihr, so sage ich doch, wenn der Himmel ihn von uns nimmt, so stirbt doch nicht Englands ganzes Mannestum mit ihm.« »Gewiß,« versetzte Blount, »ein gutes Teilchen bleibt mit Dir am Leben.« »Und ein gutes Teil mit Dir selber, Blount, und mit dem stämmigen Markham hier und mit Tracy und mit uns allen. Aber ich will sicherlich die Talente, die der Himmel uns allen gegeben hat, am vorteilhaftesten verwerten.« »Wie denn, bitte?« sagte Blount. »Teil uns doch Dein Geheimnis der Multiplikation mit.« »Nun Ihr Herren,« antwortete der Jüngling, »Ihr seid wie gutes Land, das noch kein Korn trägt, weil es nicht durch Dünger gehoben worden ist. Ich aber habe diesen anspornenden Geist in mir, der meine bescheidnen Fähigkeiten schon mit sich fortreißen wird. Mein Ehrgeiz wird mein Hirn in steter Tätigkeit halten, darauf könnt Ihr Euch verlassen.« »Ich bitte Gott, daß Dich der Ehrgeiz nicht um den Verstand bringen möge,« sagte Blount, »ich meinesteils – wenn wir unsern edeln Lord verlieren – ich sage dem Hof und dem Lager Valet. Ich habe fünfhundert Aecker in Norfolk, und dorthin gehe ich dann und tausche den Höflingspantoffel gegen ein Paar derbe Ackerbauerstiefel um.« »Eine klägliche Veränderung!« rief der andre. »Du hast auch schon so recht den Schlendrian eines Ackerbauers an Dir – die Schultern hängen Dir herab, als wenn Deine Hände auf dem Pfluge lägen, und Du hast eine Art Erdgeruch an Dir, statt nach Parfüm zu duften, wie ein galanter Stutzer und Höfling. Deine einzige Entschuldigung wäre, daß Du bei diesem Schwerte schwörtest, Dein Pächter habe eine hübsche Tochter.« »Ich bitte Dich, Walter,« sagte ein andrer aus der Gesellschaft, »laß Dein Gespött – es ist dazu jetzt weder die Zeit noch der Ort. Sag uns lieber, wer jetzt am Tor war.« »Doktor Masters, Leibarzt Ihrer Majestät, von ihr selber mit dem ausdrücklichen Befehl gesandt, sich nach dem Befinden des Earls zu erkundigen,« antwortete Walter. »Was!« rief Tracy. »Das wäre kein geringes Zeichen ihrer Huld. – Wenn der Graf mit dem Leben davonkommt, so wird er noch immer Leicester den Rang ablaufen. Ist Masters jetzt bei Mylord?« »Nein,« erwiderte Walter, »er ist schon wieder halbwegs nach Greenwich und außer sich vor Wut.« »Du hast ihm doch nicht etwa den Zutritt verweigert?« rief Tracy. »So wahnsinnig bist Du doch nicht gewesen?« setzte Blount hinzu. »Ich habe ihm den Zutritt verweigert, so rundweg, Blount, wie Ihr einem blinden Bettler einen Penny abschlagen würdet, so hartnäckig, Tracy, als Du je einem Gläubiger die Wege gewiesen hast.« »Warum in des Teufels Namen hast Du ihn auch nach dem Tor gehen heißen?« sagte Blount zu Tracy. »Er paßte dem Alter nach besser dazu als ich,« antwortete Tracy, »aber nun hat er uns alle ins Verderben gebracht. Ob nun Mylord am Leben bleibt oder stirbt, er wird nie wieder einen huldvollen Blick von Ihrer Majestät erhalten,« »Und auch seine Anhänger werden nicht mehr ihr Glück in seinem Gefolge machen können,« sagte der junge Edelmann, verächtlich, lächelnd. »Da liegt der Hase im Pfeffer – das ist nicht wieder gut zu machen. Meine Herren, ich habe nicht so laute Klagelieder über Mylords Krankheit angestimmt, wie einige unter Euch, aber wo es gilt, ihm einen Dienst zu erweisen, da nehme ich es mit jedem unter Euch auf. Hätte dieser gelahrte Arzt hereingedurft, meint Ihr nicht, es wäre zwischen ihm und dem Doktor Tressilians zu einem solchen Krakehl gekommen, daß selbst ein Toter, geschweige denn ein Schläfer, hätte erwachen müssen! Ich weiß, wenn sich Doktoren in die Haare kriegen, da gehts toll her.« »Und wer nimmt nun die Folgen auf sich, daß wir uns den Befehlen der Königin widersetzt haben?« fragte Tracy. »Denn ohne Zweifel kam Doktor Masters mit dem ausdrücklichen Befehl der Königin, den Grafen zu kurieren.« »Ich, der ich das Unrecht begangen habe, werde auch die Folgen tragen,« fügte Walter. »Na, dann schlag nur in den Wind, was Du von Hofgunst geträumt hast,« sagte Blount. »Mit nichten,« sagte der junge Mann errötend, »mit nichten, so lange Irland und die Niederlande Krieg führen, so lange die See pfadlose Wege hat. Der reiche Westen hat noch ungeahnte Länder, und England hat kühne Herzen, die es wagen, sie aufzusuchen. Adieu einstweilen, meine Herren. Ich will in den Hof und die Posten revidieren.« »Der Bursche hat Quecksilber in den Adern,« sagte Blount und sah Markham an. »Er hat etwas im Blut und im Schädel,« sagte Markham, »was ihn entweder zum großen Mann machen oder zugrunde richten wird. Aber indem er dem Masters die Tür gewiesen hat, hat er einen kühnen und liebevollen Dienst getan, denn Tressilians Mann hat immer gesagt, den Lord erwecken, hieße ihn töten!« Der Morgen war schon weit vorgeschritten, als Tressilian erschöpft und übernächtigt mit der freudigen Kunde herunterkam, daß der Graf von selber aufgewacht sei. Die innerlichen Schmerzen hätten sehr nachgelassen, er spreche mit einer Munterkeit und schaue sich mit einer Lebhaftigkeit um, die allein schon ein Beweis seien, daß eine wesentliche Besserung eingetreten sei. Tressilian befahl gleichzeitig, daß zwei Männer des Gefolges mitkommen sollten, um zu berichten, was in der Nacht vorgefallen sei, und ließ die Wache im Zimmer des Grafen ablösen. Als die Nachricht von der Königin dem Earl of Sussex mitgeteilt wurde, lächelte er zuerst darüber, daß der Arzt von seinem übereifrigen Parteigänger abgewiesen worden sei, dann aber sammelte er sich sogleich und befahl, daß Blount sofort mit dem Boote nach dem Palast von Greenwich fahren und den jungen Walter und Tracy mitnehmen solle. Er solle der Landesherrin seinen untertänigen Tank abstatten und erklären, aus welchem Grunde er aus den Beistand des gelahrten Doktor Masters habe verzichten müssen. »Hols der Henker!« brummte Blount. »Hätte er mich mit einer Herausforderung an Leicester geschickt, ich glaube, ich hatte seinen Auftrag mit Freuden ausgeführt. Aber zu unsrer allergnädigsten Landesherrin zu gehen, – vor der alle Worte mit Goldschaum oder mit Zucker lackiert werden müssen – potzblitz, das ist eine so kitzlige Sache, daß mein armes, altes Gehirn sich keinen Rat weiß. – Komm mit, Tracy, und Du auch, Meister Walter Naseweis, der an dem ganzen Rummel schuld ist. Laß doch sehen, ob Dein flinkes Köpfchen, das so manches puffende Feuerwerkchen schon angesteckt hat, einen geraden, schlichten Kerl durch irgend einen pfiffigen Kniff aus der Klemme ziehen kann.« Sie glitten bald auf dem fürstlichen Busen der Themse dahin, die im Sonnenglanz in all ihrer Pracht dalag. »Zwei Dinge gibt es, die auf der weiten Welt kaum ihresgleichen finden,« sagte Walter zu Blount, »die Sonne am Himmel und die Themse auf der Erde.« »Die eine wird uns schon auf dem Wege nach Greenwich leuchten,« sagte Blount, »und die andre würde uns schneller hinbringen, wenn grade Ebbe wäre. Aber mich dünkt obendrein, unsre Botschaft ist vergebens, denn seht, die Barke der Königin liegt an den Stufen, als wollte Ihre Majestät eine Ausfahrt machen.« So war es auch. Die königliche Barke, bemannt mit den Ruderern in den königlichen Livreen, das englische Banner am Steuer gehißt, lag in der Tat an der großen Schloßstiege, die vom Flusse emporführte, und neben ihr ein paar andre Boote, die für denjenigen Teil ihres Gefolges bestimmt waren, der nicht zum persönlichen Dienst der Majestät befohlen war. Die Yeomen von der Wache, die größten und hübschesten Männer, die England hervorbringen konnte, bewachten mit ihren Hellebarden den Durchgang vom Palast zum Fluß, und alles schien bereit zur Ausfahrt der Fürstin, obwohl es noch so sehr früh am Tage war. »Meiner Treu, das verheißt uns nicht Gutes,« sagte Blount, »es muß eine gefährliche Sache vorliegen, daß Ihro Gnaden zu solcher Stunde schon auf den Beinen ist. Wenn ich uns einen Rat geben soll, so führen wir am besten wieder zurück und sagten dem Grafen, was wir gesehen haben.« »Dem Grafen sagen, was wir gesehen haben!« rief Walter. »Ei, was haben wir denn weiter gesehen, als ein Boot und Leute in scharlachroten Kitteln mit Hellebarden in den Händen? Wir wollen unsern Auftrag ausrichten und ihm dann sagen, was die Königin uns antwortet.« Mit diesen Worten ließ er das Boot anlegen an einem von der Hauptanlegestelle etwas entfernten Landungsplatze, sprang ans Ufer, und seine ängstlichen, zaghaften Gefährten folgten ihm mit Widerstreben. Als sie dem Tor des Palastes sich näherten, sagte ihnen einer der Türhüter, sie könnten jetzt nicht herein, da Ihre Majestät sogleich herauskommen werde. Der junge Edelmann nannte den Namen des Grafen von Sussex, aber auch damit erreichten sie nichts. »Ich habe es Euch ja gesagt,« sprach Blount, »komm, mein lieber Walter, laß uns in unser Boot steigen und umkehren.« »Nicht eher, als bis ich die Königin habe herauskommen sehen,« antwortete der junge Mann gelassen. »Du bist von Sinnen, völlig von Sinnen,« versetzte Blount. »Und Du bist zu einem Feigling verwandelt,« sagte Walter. »Ich habe Dich selber einem Dutzend krausköpfiger Iren, mit denen Du es aufgenommen hattest, keck ins Äuge schauen sehen – und jetzt willst Du Dich wieder wegstehlen und fürchtest Dich vor dem Blick einer schönen Dame!« In diesem Augenblick öffneten sich die Tore, und Kammerherren kamen in voller Gala heraus, vor ihnen her und neben ihnen schritten die Herren von der königlichen Ehrenwache. Unter einer Menge von Herren und Damen, die aber so um ihre Person her geordnet waren, daß die Königin nach allen Seiten hin sehen und auch von allen Seiten her gesehen werden konnte, kam darauf Elisabeth selber, die damals in der Blüte der Weiblichkeit stand und für eine Königin sicher schön genannt werden konnte. Ihre Gestalt war edel und ihr Gesicht fesselnd und gebietend. Sie lehnte am Arme des Lord Hunsdon, der zufolge seiner Verwandtschaft mit ihr von mütterlicher Seite oft durch solche Zeichen der Vertraulichkeit von Elisabeth ausgezeichnet wurde. Der junge Edelmann, den wir nun schon hinreichend kennen, war jedenfalls noch nie der Person der Königin so nahe gekommen, und er drängte sich so weit vor, wie es das Spalier der Wärter nur ermöglichte, um sich die Gelegenheit zu nutze zu machen. Sein Gefährte verwünschte dagegen seine Unklugheit und zog ihn zurück, bis Walter sich ungeduldig von ihm losriß, wobei ihm der prachtvolle Mantel von der Schulter fiel. Dieser Umstand diente dazu, seine wohlgebaute Gestalt in sehr vorteilhafter Weise zu enthüllen. Gleichzeitig nahm er die Mütze ab und heftete die Augen fest und gespannt auf die Königin, mit einer Mischung ehrfürchtiger Neugierde und bescheidner, doch glühender Bewunderung, die seinem seinen Gesicht so gut stand, daß die Wärter, von seiner reichen Kleidung und edeln Erscheinung bestochen, ihn näher heranließen, als sie Wohl sonst einen gewöhnlichen Zuschauer an den Platz herangelassen hätten, über den die Königin zu gehen hatte. So stand der waghalsige Jüngling voll vor Elisabeths Auge – einem Auge, das nie für die ihr von ihren Untertanen verdientermaßen gezollte Bewunderung unempfindlich und auch für das Ebenmaß einer schönen Gestalt bei irgend einem ihrer Höflinge nie gleichgültig war. Sie heftete daher ihren scharfen Blick auf den Jüngling, als sie dem Platz, wo er stand, sich näherte, und in ihrem Blick lag Erstaunen über seine Kühnheit, doch ohne Verdruß, indessen ereignete sich ein Zufall, der ihre Aufmerksamkeit noch stärker auf ihn lenkte. Die Nacht war regnerisch gewesen, und grade, wo der junge Edelmann stand, sperrte eine kleine Pfütze der Herrscherin den Weg. Sie zauderte, sie zu überschreiten, und der junge Fant warf den Mantel von den Schultern und legte ihn über die schmutzige Stelle, so daß Elisabeth trocknen Fußes weiterschreiten konnte. Sie sah den jungen Mann an, der diese Handlung tief ergebner Höflichkeit mit einem Gebaren untertänigster Ehrfurcht verrichtete, während hohe Röte dabei sein Gesicht bedeckte. Die Königin war verwirrt, errötete selber, nickte mit dem Kopfe, schritt hastig weiter und bestieg ihre Barke, ohne weiter ein Wort zu sagen. »Komm nur jetzt, Junker Hanswurst,« sagte Blount, »Dein fescher Mantel bedarf heute der Bürste, möcht ich wetten.« »Dieser Mantel,« sagte der Jüngling, nahm ihn auf und faltete, ihn zusammen, »soll nie wieder ausgebürstet werden, so lange er mir gehört.« »Und das wird er nicht mehr lange, sofern Du nicht« mehr Sparsamkeit lernst.« Ihr Gespräch wurde unterbrochen durch einen Mann von der Ehrenwache. »Ich bin geschickt worden,« sagte er, nachdem er sie aufmerksam betrachtet hatte, »zu einem Herrn, der keinen Mantel hat oder einen schmutzigen. Ihr, Herr,« – indem er sich an den Junker wendete – »seid der Mann; Ihr wollt mir gefälligst folgen.« »Er gehört zu mir,« sagte Blount, »dem Stallmeister des edeln Grafen von Sussex.« »Das geht mich nichts an,« antwortete der Bote, »mein Befehl ist direkt von Ihrer Majestät und betrifft allein diesen Herrn.« Mit diesen Worten ging er fort, und Walter folgte ihm, während die andern ihm sprachlos nachgafften. Blount wollten die Augen vor Erstaunen fast aus den Höhlen treten, und endlich machte er seiner Verblüffung in dem Rufe Luft: »Wer zum Kuckuck hätte das gedacht!« Und geheimnisvoll den Kopf schüttelnd, ging er zu seinem eignen Boot, stieg ein und fuhr nach Deptford zurück. Der junge Ritter wurde inzwischen von dem Mann der Ehrenwache nach dem Wasser geführt. Der Mann, der ihm.– was als ein sehr bedeutsames Zeichen angesehen werden durfte –, nicht geringe Ehrerbietung erwies, führte ihn in einen der Kähne, die bereit waren, der königlichen Gondel zu folgen, die schon auf dem Flusse schwamm. Die beiden Ruderer brauchten ihre Riemen mit solcher Emsigkeit, daß sie ihr kleines Boot rasch an die königliche Barke herangebracht hatten. Die Fürstin saß unter einem Baldachin, und um sie her einige Damen und die Edelherren ihres Gefolges. Sie sah oft nach dem Kahne, in dem der junge Edelmann saß, sprach dann zu ihrer Umgebung und schien zu lachen. Endlich gab einer aus dem Gefolge, augenscheinlich auf der Königin Befehl, dem Kahn ein Zeichen, an die Längsseite der Bark zu kommen, und der junge Mann wurde aufgefordert, aus dem Kahn in die Gondel zu treten, was er mit graziöser Gewandtheit tat. Er trat dann der Königin näher, wahrend der Kahn wieder hinter der Barke hersteuerte. Der junge Mann hielt den Blick der Majestät aus und erschien dabei um so anmutiger, als eine leichte Verlegenheit sich in sein Selbstbewußtsein mischte. Der beschmutzte Mantel hing noch über seinem Arm und bildete den natürlichen Gegenstand, über den die Königin zu sprechen begann. »Ihr habt heute einen schmucken Mantel in unserm Dienste verdorben, junger Mann. Wir danken Euch für Euern guten Dienst, wenn auch die Art und Weise ein wenig ungewöhnlich, ja sogar kühn war.« »Wenn es der Dienst einer Landesherrin erfordert,« antwortete der Jüngling, »ist Kühnheit jedes Untertanen Pflicht.« »Bei Gott! Das war wohl gesprochen, Mylord!« sagte die Königin und wandte sich an einen ernsten Mann, der neben ihr saß und mit einer ernsten Neigung des Kopfes antwortete, ein paar Worte der Zustimmung murmelnd. »Nun, junger Mann, Eure Galanterie soll nicht unbelohnt bleiben. Geht zu unserm Garderobier, er soll Anweisung erhalten, Euch das Kleidungsstück zu ersetzen, das Ihr in unserm Dienst weggeworfen habt. Ihr sollt einen Anzug nach dem neuesten Schnitt haben, darauf geben wir Euch unser fürstliches Wort.« »So es Euer Majestät gefiele,« sagte Walter zögernd, »es geziemt freilich einem so niedrigen Diener Eurer Majestät nicht, ein Maß an Eure Güte zu legen; doch wenn es mir »erlaubt wäre, zu wählen ...« »So würdest Du lieber Gold haben, wette ich,« sagte die Königin, ihn unterbrechend. »Pfui, junger Mann! Ich sage es mit Beschämung, in unsrer Hauptstadt sind die Gelegenheiten zu verschwenderischen Torheiten so zahlreich und mannigfach, daß einem jungen Mann Geld geben Kohlen ins Feuer tun heißt. Das heißt nur sie auf den Weg der Selbstverderbung führen. So lange ich am Leben und an der Regierung bin, sollen diese Gelegenheiten zu unchristlicher Ausschweifung eingeschränkt werden. Doch Du magst wohl arm sein,« setzte sie hinzu, »oder Deine Eltern sind arm. Du sollst Gold haben, wenn Du willst – aber Du sollst mir dafür stehen, daß es nicht vergeudet wird.« Walter wartete geduldig, bis die Königin ausgeredet hatte, und versicherte ihr dann, daß ihm der Sinn ebenso wenig nach Geld stünde, wie nach dem Gewände, daß Ihre Majestät ihm vorher angeboten hätte. »Wie, Knabe?« rief die Königin. »Weder Gold noch Kleidung? Was willst Du denn von mir?« »Nur Erlaubnis, Majestät, – sofern es nicht eine zu hohe Ehre ist – den Mantel zu tragen, der Euch diesen geringfügigen Dienst erwiesen hat.« »Erlaubnis, Deinen eignen Mantel zu tragen, Du törichter Knabe!« rief die Königin. »Er ist nicht länger mein« sagte Walter, »seit Eurer Majestät Fuß ihn berührt hat, ist er eines Fürsten würdig und viel zu kostbar für seinen bisherigen Eigentümer.« »Habt Ihr je dergleichen gehört, Mylords?« fragte die Königin, die abermals errötete und ihre angenehme Ueberraschung und leise Verwirrung unter einem Lachen zu verbergen suchte. »Der Jüngling hat sich durch Romanlektüre ein wenig den Kopf verdreht. Ich muß Näheres über ihn erfahren, damit ich ihn ein wenig ins Gebet nehmen kann. Wer bist Du?« »Ein Edelmann vom Gefolge des Grafen Sussex – ich bin mit Verlaub Eurer Majestät zusammen mit seinem Stallmeister hergeschickt worden – wir haben einen Auftrag an Euer Majestät.« Der huldvolle Ausdruck, den Elisabeths Gesicht bisher gezeigt hatte, wich im Augenblick einem Ausdruck des Hochmuts und der Strenge. »Mylord von Sussex,« sagte sie, »hat uns gelehrt, wie wir seine Botschaften aufzunehmen haben, denn er selber legt den unsern keinen Wert bei. Wir sandten eben heute morgen erst unsern Leibarzt zu ihm, und das zu ganz ungewohnter Zeit, da wir hörten, daß seine Erkrankung gefährlicher sei, als wir zuerst gefürchtet hatten. An keinem Hofe in Europa gibt es einen in dieser heiligen und nützlichen Wissenschaft besser bewanderten Mann als Doktor Masters, und er war von Uns an Unsern Untertan gesandt. Und doch ist ihm der Eintritt verwehrt worden. Für diese abweisende Annahme einer Freundlichkeit, in der nur zu viel gütige Herablassung lag, wollen wir, wenigstens vorderhand, keine Entschuldigung annehmen, und eine solche auszurichten, ist doch wohl der Zweck von Lord Sussexs Sendung.« Dies wurde in einem Tone und mit einer Gebärde gesprochen, daß die an Bord der Barke befindlichen Freunde des Grafen von Sussex zitterten. Er aber, an den diese Worte gerichtet waren, zitterte nicht, sondern antwortete, sobald der Zorn der Königin es ermöglichte, mit Unterwürfigkeit: »Mit Verlaub Eurer Majestät, ich bin mit keiner Entschuldigung vom Grafen von Sussex hergesandt worden.« »Nun, was ist Dir denn aufgetragen worden?« rief die Königin in jenem Ungestüm, das neben edeln Eigenschaften in ihrem Charakter besonders stark hervortrat. »Mit einer Rechtfertigung wohl gar – oder, Gottes Tod! Mit einer neuen Verhöhnung.« »Allergnädigste Fürstin,« sagte der junge Mann, »Mylord von Sussex weiß, daß eine Kränkung an Hochverrat grenze, und er konnte keinen andern Gedanken hegen, als sich des Beleidigers zu versichern und ihn Eurer Majestät auf Gnade oder Ungnade auszuliefern. Der edle Graf lag in festem Schlafe, als Eure höchst huldvolle Botschaft ihn erreichte – ein Schlaftrunk war ihm von seinem Arzte eingegeben worden, und seine Lordschaft hat erst heute morgen nach seinem Erwachen davon gehört, daß Eurer Majestät höchst erfreuliche Sendung in so unschicklicher Weise abgewiesen worden ist.« »Und welcher von seinen Dienern im Namen des Himmels hat die Dreistigkeit gehabt, meine Botschaft zurückzuweisen, ohne auch nur den Arzt, den ich zu seiner Pflege sandte, vor ihn zu lassen?« fragte die Königin, sehr überrascht. »Der Beleidiger steht vor Euch, allergnädigste Königin,« erwiderte Walter mit einer tiefen Verbeugung. »Der Tadel trifft ganz allein mich, und Mylord hat nur gerecht gehandelt, indem er mich hergeschickt hat, daß ich die Folgen eines Vergehens, an dem er ganz unschuldig ist, auf mich nehme.« »Was? Du warst es – Du selber hast meinen Boten und meinen Arzt von Says-Hofe abgewiesen?« sagte die Königin. »Was konnte einen Mann, der doch – dem Aeußern nach zum mindesten – seiner Landesherrin treu ergeben zu sein scheint, zu einer solchen Kühnheit veranlassen?« »Allergnädigste,« sagte der Jüngling, der trotz des erkünstelten Zuges von Strenge im Antlitz der Königin einen Ausdruck zu sehen glaubte, der nichts weniger als unversöhnlichen Zorn verkündete, »wir sagen bei uns zu Lande, der Arzt sei der Lehnsherr des Patienten. Nun stand mein edler Herr unter der Hut eines Arztes, dessen Rat ihm bisher sehr gut getan hatte, und dieser Arzt hatte ausdrücklich befohlen, daß der Kranke in der Nacht nicht gestört werden solle – sofern man nicht sein Leben ernstlich gefährden wollte.« »Dein Herr hat sich einem Charlatan anvertraut,« sagte die Königin. »Das weiß ich nicht, Majestät, Tatsache ist aber, daß er heute morgen nur nach dem Schlaf von vielen Stunden sehr erfrischt und gestärkt erwacht ist.« Die Edelleute sahen einander an, aber mehr, um zu erfahren, was jeder von dieser Neuigkeit dächte, als irgend eine Bemerkung darüber zu äußern. Die Königin antwortete schnell und ohne sich Mühe zu geben, ihre Genugtuung zu verhehlen: »Bei meinem Worte, es freut mich, daß er sich wohler fühlt. Du aber warst mehr als kühn, meinem Doktor Masters den Zutritt zu verwehren. Wie heißt Du, junger Mann, und von welcher Herkunft bist Du?« »Raleigh ist mein Name, allergnädigste Königin, ich bin der jüngste Sohn einer großen, doch ehrenwerten Familie in Devonshire.« »Raleigh?« sagte Elisabeth, nachdem sie ein Weilchen nachgedacht hatte. »Haben wir nicht gehört, daß Du uns in Irland gute Dienste geleistet hast?« »Ich bin allerdings so glücklich gewesen, dort Dienst tun zu können, Majestät,« erwiderte Raleigh, »indessen doch wohl in zu bescheidnem Maße, als daß es Eurer Majestät zu Ohren hätte kommen können.« »Dies Ohr reicht weiter, als Du denken magst,« sagte die Königin huldvoll, »und es hat von einem jungen Burschen gehört, der in Shannon eine Furt gegen eine ganze Bande irischer Rebellen verteidigte, bis der Strom purpurn floß von ihrem Blute und dem seinen.« »Ein bißchen Blut mag ich verloren haben,« sagte der Jüngling, den Blick niederschlagend, »aber es floß, als das Beste hergegeben werden mußte – im Dienste Eurer Majestät.« Die Königin schwieg und sagte dann rasch: »Ihr seid sehr jung, wenn man bedenkt, daß Ihr schon so gut gefochten habt und so trefflich zu sprechen wißt. Aber dafür, daß Ihr Masters abwieset, dürft Ihr der Strafe nicht entgehen – hört also, Junker Raleigh, tragt zum Zeichen der Buße Euern schmutzigen Mantel, bis wir kund tun werden, was uns weiterhin belieben wird. Und hier,« setzte sie hinzu und gab ihm einen goldnen Schmuck, »dies gebe ich Euch, tragt es am Halse.« Raleigh, dem die Natur die höfischen Künste, die manche erst nach langer Erfahrung sich aneignen, mit auf den Weg gegeben hatte, kniete nieder, und indem er aus ihrer Hand das Juwel entgegennahm, küßte er die Finger, die es ihm gaben. Sein Herr und Gebieter, Graf von Sussex, genoß den vollen Vorteil dieser von Elisabeth dem Junker gewidmeten Gunst. »Mylords und Ladys,« sagte die Königin und sah sich unter ihrem Gefolge um, »mich dünkt, da wir auf dem Flusse sind, wäre es angebracht, wir ließen unsre ursprüngliche Absicht, nach der Stadt zu fahren, fallen und überraschten diesen armen Earl of Sussex mit einem Besuch. Er ist krank und leidet ohne Zweifel unter der Furcht vor unsrer Ungnade, vor der er bewahrt worden ist durch das Geständnis dieses naseweisen Burschen. Was denkt Ihr?, Wäre es nicht ein Akt der Barmherzigkeit, ihm zum Trost den Dank seiner Königin zu überbringen, die ihm sehr verbunden ist für seine getreuen Dienste?« Selbstverständlich wagte keiner von denen, an die diese Worte gerichtet waren, dem Vorschlag zu widersprechen. Die Barke erhielt daher Befehl, die königliche Bürde an dem nächsten passenden Orte abzusetzen, von dem aus Says-Hof bequem zu erreichen war, damit die Königin ihrer königlichen und landesmütterlichen Anteilnahme durch persönliche Nachfrage nach dem Befinden des Earl of Sussex Genüge tun könnte. Raleigh, der bei seinem scharfen Verstände wichtige Folgen aus den nebensächlichsten Ereignissen vorhersah oder vorausahnte, bat rasch die Königin um Erlaubnis, den leichten Kahn zu besteigen und den königlichen Besuch seinem Herrn anzumelden, denn er vermutete in seiner Klugheit, daß die freudige Ueberraschung der Gesundheit seines Herrn nachteilig sein könne. Aber ob die Königin es für zu anmaßend von einem so jugendlichen Höfling hielt, daß er ungefragt seine Meinung äußre, oder ob in ihr der Argwohn wieder erwachte, der durch das Gerücht, daß der Graf von Sussex bewaffnete Männer um sich hielt, ihr eingeflößt worden war – jedenfalls äußerte sie in schroffem Tone den Wunsch, Raleigh möchte seinen Rat für sich behalten, bis er danach gefragt würde, und wiederholte ihren Befehl, in Deptford zu landen, indem sie hinzufügte: »Wir wollen mit eignen Augen sehen, was für eine Art von Gefolge Mylord von Sussex um sich hat.« Die königliche Barke machte in Deptford Halt, und unter dem lauten Jubel des Volkes, den ihr Erscheinen stets wachrief, ging die Königin unter einem ihr zu Häupten getragnen Baldachin nach Says-Hof, wo das ferne Geschrei zuerst von ihrer Ankunft Kunde gab. Sussex, der eben dabei war, mit Tressilian zu beraten, wie er den vermeintlichen Bruch mit der Königin wieder gut machen sollte, war unendlich überrascht, als er, von ihrer Herkunft unterrichtet wurde. Daß die Königin die hervorragenderen Vertreter des Adels oft zu besuchen pflegte, konnte ihm nicht unbekannt sein, aber die so plötzliche Mitteilung ließ ihm keine Zeit zu den Vorbereitungen, mit denen seiner Erfahrung gemäß Elisabeth sich gern empfangen sah, und bei der Roheit und Verwirrung seines militärischen Haushalts, die durch seine Krankheit nur noch vermehrt worden war, war es ihm ganz unmöglich, zu ihrem Empfang irgendwelche Zurüstungen zu treffen. Innerlich den Zufall verwünschend, der ihm unerwartet diesen huldvollen Besuch zuführte, eilte er mit Tressilian hinunter, dessen ereignisreiche und interessante Erzählung er eben mit großem Interesse angehört hatte. »Wein würdiger Freund,« sagte er, »soweit ich, Euch in Eurer Klage wider Varney unterstützen kann, soweit dürft Ihr meinen Beistand erwarten, um der Gerechtigkeit und der Dankbarkeit willen. Der Zufall wird uns sogleich zeigen, ob ich bei unsrer Königin etwas erreichen kann oder ob es Euch nicht vielmehr eher von Nachteil als von Nutzen sein wird, wenn ich mich in Eure Angelegenheit mische.« So sprach Sussex, während er in aller Eile ein loses Pelzgewand um sich warf und sein Aeußeres, soweit es irgend anging, in Ordnung brachte, um dem Auge seiner Königin begegnen zu können. Aber er vermochte doch die bleichen Spuren einer langen Krankheit nicht von einem Gesicht zu verwischen, das von Natur wohl mit kraftvollen, aber doch nicht anmutigen Zügen begabt war. Obendrein war er klein von Gestalt und breitschultrig, athletisch und der geborne Kriegsmann – aber seine Erscheinung in einer Halle des Friedens war nicht derartig, daß die Damen sie mit Gefallen hätten betrachten können – ein persönlicher Nachteil, in dessen Folge Sussex wahrscheinlich, so hoch ihn die Königin auch schätzte und ehrte, doch sehr gegen Leicester zurückstand, welcher durch Grazie des Benehmens wie durch Schönheit der Person gleich ausgezeichnet war. Bei all seiner Eile war es dem Grafen doch erst möglich, der Königin entgegenzugehen, als sie schon die Halle betreten hatte, und er bemerkte auf den ersten Blick, daß eine Wolke auf ihrer Stirn lag. Ihr argwöhnisches Auge hatte die kriegerische Schar bewaffneter Edelherren und Vasallen gesehen, von der das Herrenhaus angefüllt war, und ihr erstes Wort sprach auch ihr Mißfallen aus. »Ist dies eine königliche Garnison, Mylord von Sussex, daß hier so viele Piken und Gewehre sind? Oder haben wir zufällig Says-Hof verfehlt und sind an unserm Tower zu London ausgestiegen?« Lord Sussex sprach rasch einige Worte der Entschuldigung. »Nicht nötig,« unterbrach sie ihn. »Mylord, wir beabsichtigen, einen gewissen Zwist zwischen Euch und einem andern großen Lord unsers Gefolges zu schleunigem Ende zu bringen. Gleichzeitig wollen wir die unzivilisierte und gefährliche Maßregel aufheben, sich hier mit einem Gefolge von bewaffneten und sogar ziemlich hagebuchnen Gesellen zu umgeben, als wolltet Ihr in der Nähe unsrer Hauptstadt, ja an der Schwelle selber unsrer königlichen Residenz in Bürgerkrieg gegeneinander entbrennen. Es freut uns, daß Ihr Euch soweit erholt habt, Mylord, wenn auch ohne den Beistand des gelahrten Arztes, den wir Euch gesandt haben – bringt keine Entschuldigung vor – wir wissen bereits, wie das zugegangen ist, und haben dem Wildfang, dem jungen Raleigh, deshalb seine Lektion erteilt. – Nebenbei, Mylord, wir wollen eiligst Euer Haus von ihm befreien und ihn zu uns nach Hofe nehmen. Er hat etwas an sich, was einer bessern Ausbildung wert ist, als sie ihm unter Euerm militärischen Gefolge zuteil werden kann.« Auf diesen Vorschlag konnte Sussex – obwohl er nicht wußte, wie die Königin dazu kam, ihn zu machen – nur mit einer Verneigung und dem Ausdruck seines Einverständnisses antworten. Er ersuchte sie dann zu verweilen, bis ihr Erfrischungen angeboten werden konnten, aber dies vermochte er nicht zu erreichen. Und nach ein paar Komplimenten weit kälterer und herkömmlicher Art, als sie anläßlich einer so ausgesprochenen Gunstbezeigung, wie es ein persönlicher Besuch war, eigentlich hätten erwartet werden sollen, verabschiedete sich die Königin von Says-Hof. Verwirrung hatte sie mit sich gebracht, Furcht und Zweifel ließ sie zurück. Sechzehntes Kapitel »Für morgen bin ich zu Hofe befohlen,« sagte Leicaster zu Varney, »ich soll dort vermutlich mit Mylord von Sussex zusammentreffen. Die Königin beabsichtigt, unsern Zwist beizulegen. Das kommt von ihrem Besuch zu Says-Hof, von dem Du noch dazu so obenhin sprichst.« »Ich bleibe auch dabei, daß er nichts zu bedeuten hat,« sagte Varney. »Ich weiß von einem zuverlässigen Kundschafter, der vieles, was gesprochen worden ist, mit angehört hat, daß Sussex durch diesen Besuch eher verloren als gewonnen hat. Als die Königin in die Barke zurückkehrte, sagte sie, in Says-Hof sähe es aus, wie in einer Wachtstube, und es röche darin, wie in deinem Hospital.« »Du hast vielerlei Nachrichten gesammelt,« sagte Leicester, »aber das Wichtigste hast Du vergessen oder ausgelassen. Sie hat zu den tändelnden Satelliten, die sie zu ihrem Gefallen die Kreise um ihre Sonne ziehen läßt, einen neuen hinzugefügt.« »Euer Lordschaft meint jenen Raleigh, den Jüngling aus Devonshire,« sagte Varney, »den Ritter vom Mantel, wie sie ihn bei Hofe nennen.« »Er wird vielleicht eines Tages noch Ritter vom Hosen-, bände,« sagte Leicester, »denn er macht schnell Fortschritte – sie hat Verse mit ihm gelesen und solche Torheiten. Ich möchte aus freiem Willen gern den Stein aufgeben, den ich im Brett ihrer wankelmütigen Gunst habe, aber ich möchte mich nicht so durch einen Rippenstoß hinausschieben lassen von diesem Hanswurst Sussex oder diesem neuen Emporkömmling. Ich höre, auch Tressilian ist bei Sussex und steht hoch in seiner Gunst. Ich würde ihn gern schonen – aus Rücksicht, aber er rennt allein in sein Schicksal – Sussex ist jetzt wieder so wohl auf wie nur je.« »Mylord,« erwiderte Varney, »Unebenheiten gibt es auf dem glattesten Wege, zumal wenn er bergan führt. Sussex' Krankheit war für uns eine Sendung des Himmels, von der ich viel erhoffte, Er hat sich allerdings erholt, aber er ist jetzt nicht mehr zu fürchten, als vor seiner Erkrankung. Und damals schon ist er im Kampfe gegen Euer Lordschaft oft abgeführt worden. Nur den Mut darf Euer Lordschaft nicht sinken lassen, dann wird alles gut gehen.« »Mir ist der Mut noch nie gesunken. Mann,« sagte Leicester. »Nein, Mylord,« sagte Varney, »doch hat Euer Herz Euch schon manchen Streich gespielt. Wer einen Baum erklimmen will, muß bei den Zweigen zupacken, nicht bei den Blüten.« »Gut, gut, gut,« sagte Leicester ungeduldig, »ich verstehe, wie Du es meinst. – Sorge dafür, daß mein Gefolge in Ordnung ist – sieh zu, daß der Aufputz meiner Mannen prächtig genug ist, um nicht nur die vierschrötigen Gesellen von Ratcliffe auszustechen, sondern auch die Vasallen jedes andern Edelmanns und Höflings. Du selber bleib in meiner Nähe, es gibt vielleicht noch etwas für Dich zu tun.« Sussex und seine Partei trafen nicht weniger emsige Vorbereitungen. »Eure Bittschrift, die Varney der Verführung bezichtigt,« sagte der Earl zu Tressilian, »ist jetzt schon bei der Königin – ich habe sie durch sichre Vermittlung hingeschickt. Mich dünkt, Euer Gesuch müßte Erfolg haben, denn es fußt auf Gerechtigkeit und Ehre, und Elisabeth ist das wahre Muster von beiden. Aber ich weiß nicht, wie es kommt, der Zigeuner« – so nannte Sussex seinen Nebenbuhler wegen seiner dunkeln Hautfarbe – »hat jetzt viel bei ihr zu sagen in den faulen Friedenszeiten. Stünde der Krieg am Tore, dann wäre ich ihr Bester, aber in Friedenszeiten kommen Soldaten aus der Mode. Na, wir dürfens uns nicht verdrießen lassen – es ist nun einmal die Mode so. –Blount, hast Du dafür gesorgt, daß unser Gefolge die neuen Uniformen angelegt hat?« »Es ist besorgt, und Eurer Lordschaft wackre Verwandten und Freunde kommen zu Dutzenden heran, um Euch zu Hofe zu begleiten, und wir werden in Reih und Glied ebenso stattlich erscheinen wie Leicesters Sippschaft, mag er sie noch so protzig herausstaffieren.« Der Earl of Sussex gab seine Anweisungen in solcher Hast, daß Tressilian nur mit Mühe endlich Gelegenheit fand, sein Erstaunen auszusprechen, daß er in der Angelegenheit Sir Hugh Robsarts so weit gegangen sei, die Bittschrift gleich der Königin vorzulegen. Es sei die Meinung der Freunde der jungen Dame gewesen, sagte er, daß man sich zuerst an Leicesters Gerechtigkeitsgefühl wenden solle, da die Beleidigung durch einen seiner Offiziere begangen worden sei, und dies habe er ja auch Sussex ausdrücklich mitgeteilt. »Dies hätte geschehen können, ohne sich an mich zu wenden,« sagte Sussex, ein wenig hochmütig. »Ich wenigstens hätte nicht zum Ratgeber genommen werden dürfen, wenn es sich um ein erniedrigendes Ansuchen bei Leicester handelte, und ich bin erstaunt, daß Ihr, Tressilian, ein Mann von Ehre und mein Freund, einen solchen niedrigen Weg einschlagen wolltet. Wenn Ihr mir das gesagt habt, so habe ich es gewiß nicht in einem Euch so unähnlichen Sinne verstanden.« »Mylord,« sagte Tressilian, »der Weg, den ich einschlagen wollte, wenn es nur nach mir gegangen wäre, ist der, den Ihr gewählt habt, aber die Freunde dieser unglücklichen Dame ...« »O, die Freunde, die Freunde,« unterbrach ihn Sussex, »müssen uns in dieser Sache den Weg einschlagen lassen, den wir für den besten halten. Dies ist die Zeit und die Stunde, alles, was gegen Leicester und sein Gefolge aufgebracht werden kann, aufzuhäufen, und Eure Beschwerde wird die Königin für eine sehr schwerwiegende halten. Aber auf jeden Fall liegt ihr jetzt die Klage vor.« Während die staatsmännischen Nebenbuhler sich so geschäftig auf ihr bevorstehendes Zusammentreffen vor der Königin vorbereiteten, war Elisabeth selber nicht ohne Befürchtungen, was wohl aus dem Zusammenstoß zweier so feuriger Geister sich ergeben könne, von denen jeder eine so starke und zahlreiche Gefolgschaft hinter sich hatte und unter die, insgeheim oder offenkundig, die Hoffnungen und Wünsche der meisten Edelmänner ihres Hofes geteilt waren. Die Ehrenwache war ganz ins Gewehr getreten, und eine Abteilung Yeomen war aus London auf der Themse hergebracht worden. Ein königlicher Erlaß wurde ausgegeben, der streng allen Edelmännern, welches Ranges sie auch seien, untersagte, sich dem Palast mit Lehnsmännern oder Gefolge in kurzen oder langen Waffen zu nahen. Die kritische Stunde, die auf allen Seiten mit so großer Spannung erwartet wurde, kam endlich heran, und begleitet von ihren langen, prunkenden Zügen von Freunden und Lehnsmännern, betraten die beiden gräflichen Rivalen pünktlich zur Mittagsstunde den Schloßhof zu Greenwich. Wie nach vorheriger Vereinbarung, oder vielleicht, weil die Grafen vermuteten, daß dies der Königin angenehm sei, kam Sussex und sein Gefolge von Deptford zu Wasser nach dem Palast, wahrend Leicester zu Lande kam. So betraten sie den Schloßhof von verschiedenen Seiten. Die beiden Grafen tauschten keinen Gruß miteinander aus, doch sahen sie sich fest und scharf ins Gesicht, und beide erwarteten vielleicht einen Austausch von Höflichkeiten, mit denen keiner den Anfang machen wollte. Fast zur selben Minute, als sie eintrafen, läutete die Schloßglocke, die Tore öffneten sich, und die Grafen traten herein – mit einem zahlreichen Gefolge solcher Edelherren aus ihrer Sippschaft, die ihrem Range nach hierzu befugt waren. Die Yeomen und geringeren unter der Gefolgschaft blieben im Hofe, wo die feindlichen Parteien einander mit Blicken des Hasses und der Verachtung maßen, als warteten sie voller Ungeduld auf eine Gelegenheit zu offnem Tumult. Aber sie wurden durch die strengen Befehle ihrer Führer in Zaum gehalten, auch flößte eine bewaffnete Wache ihnen Respekt ein. Inzwischen folgten die hervorragenderen eines jeden Zuges ihren Lehnsherren in die hohen Hallen und Vorzimmer des königlichen Palastes – sie rannen im selben Bette wie zwei Ströme, die in einen Kurs gezwungen werden und doch ihre Wässer nicht vermischen wollen. Die Flügeltüren am obern Ende wurden gleich darauf geöffnet, und flüsternd wurde verkündet, die Königin sei im Audienzzimmer, zu dem diese Räume führten. Beide Grafen gingen langsam und feierlich auf den Eingang zu, Sussex war von Tressilian, Blount und Raleigh begleitet, hinter Leicester ging nur Varney her. Der Stolz Leicesters mußte sich vor den Hofformalitäten beugen, und er blieb stehen, bis sein Nebenbuhler, ein Graf von höherm Alter als er, vor ihm hereingetreten war. Tressilian und Blount wollten dem Grafen von Sussex folgen, aber es wurde ihnen nicht gestattet, der Kammerherr mit dem schwarzen Stabe ersuchte um Entschuldigung, aber er habe strengen Befehl, heute bei den Vorlassungen scharf auf alle Formalitäten zu achten. Zu Raleigh, der zurücktrat, als seine Gefährten abgewiesen wurden, sagte er: »Ihr, Junker, dürft herein,« und Raleigh trat daher herein. »Folgt mir auf dem Fuße, Varney,« sagte der Earl of Leicester, der auf einen Augenblick vorsichtig zurückgetreten war, um zu sehen, wie Sussex empfangen würde; und eben wollte er hereintreten, als Varney, der in prunkvollste Galauniform gekleidet war, von dem Kammerherrn angehalten wurde, wie vor ihm Tressilian und Blount. »Was bedeutet das, Herr Bowyer?« fragte Graf Leicester. »Wißt Ihr, wer ich bin, und daß dieser hier mein Freund und Vasall ist?« »Euer Lordschaft wird mir verzeihen,« versetzte Bowyer mit Entschiedenheit, »ich habe strengen Befehl und halte mich nur an die gewissenhafte Erfüllung meiner Pflicht.« »Schurke! Es ist ungerecht von Euch,« sagte Leicester, indem ihm das Blut ins Gesicht stieg, »mir diese Schmach anzutun, da Ihr soeben einen vom Gefolge des Grafen von Sussex hereingelassen habt.« »Mylord,« sagte Bowyer, »Junker Raleigh ist seit kurzem als ergebner Diener Ihrer Majestät zugelassen worden, und auf ihn bezieht sich meine besondre Weisung nicht.« »Du bist ein Schuft – ein undankbarer Schuft,« sagte Leicester, »aber der, der Dich in die Höhe gebracht hat, kann Dich auch wieder stürzen – Du sollst Dich nicht länger mit Deiner Würde brüsten.« Diese Drohung sprach er laut aus, seine gewöhnliche Klugheit und Vorsicht außer acht lassend, und trat dann in das Audienzzimmer, sich vor der Königin verneigend. Die Majestät war sogar noch prächtiger gekleidet als sonst und war umgeben von jenen Edlen und Staatsmännern, deren Mut und Weisheit ihre Regierung unsterblich gemacht haben. Sie erwartete stehend die Huldigung ihrer Untertanen, erwiderte anmutig die Begrüßung des beliebten Grafen und blickte bald nach dem einen, bald nach dem andern. Eben schien sie ihre Rede beginnen zu wollen, da trat Bowyer – ein Mann von Mut, der die in Erfüllung seines Amtes ihm von Leicester offen angetane Schmach nicht auf sich sitzen lassen wollte, mit seinem schwarzen Stabe herein und kniete vor ihr nieder. »Was gibt es, Bowyer?« fragte Elisabeth. »Ihr kommt ungelegen.« »Meine allergnädigste Königin,« sagte er, während alle Höflinge um ihn her über seine Kühnheit zitterten, »ich komme nur zu fragen, ob in der Ausübung meines Amtes ich den Befehlen Eurer Hoheit oder denen des Grafen von Leicester zu gehorchen habe, der mir öffentlich mit seiner Ungnade gedroht und ehrenrührige Ausdrücke gegen mich gebraucht hat, weil ich einem aus seinem Gefolge den Zutritt verwehrt habe, gemäß den strengen Befehlen Eurer Majestät?« Der Geist Heinrichs VIII. erwachte sofort im Busen seiner Tochter, und sie wandte sich an Leicester mit einer Strenge, die ihn und all sein Gefolge in Angst versetzte. »Gottes Tod, Mylord!« das war immer ihr Ausruf, wenn sie erregt war, »was soll das heißen? Wir haben eine gute Meinung von Euch gehabt und Euch in die Nähe unsrer Person genommen, doch nicht zu dem Zweck, daß Ihr die Sonne unsern getreuen Untertanen verdunkeln solltet. Wer gab Euch Befugnis, unsern Befehlen zu widersprechen oder unsre Beamten zu kontrollieren? Ich will an diesem Hofe, ja in diesem Reiche, nur eine Herrin haben und keinen Herrn. Seht ja zu, daß Bowyer keinen Schaden erleidet, weil er seine Pflicht gegen uns getreu erfüllt hat. Denn so wahr ich ein christliches Weib und eine gekrönte Königin bin, Ihr sollt mir teuer dafür einstehen. – Geht, Bowyer, Ihr habt gehandelt wie ein ehrlicher Mann und ein treuer Untertan. Wir wollen hier nicht dulden, daß irgendwer sich zum Herrn des Palastes aufwirft.« Bowyer küßte die Hand, die sie ihm reichte und kehrte zu seinem Posten zurück, erstaunt über den Erfolg seiner Kühnheit. Ein Lächeln des Triumphes ging durch die Partei des Grafen von Sussex, die Leicester-Partei schien in demselben Maße bestürzt, und der Günstling selber nahm eine Miene der tiefsten Demut an und hütete sich, ein Wort zu seiner Verteidigung vorzubringen. Daran tat er weise, denn Elisabeth war es nur darum zu tun, ihn zu demütigen, nicht ihn in Ungnade fallen zu lassen. Die Würde der Königin war befriedigt, und das Weib in ihr begann bald selber den Verdruß zu bedauern, den sie ihrem Liebling bereitet hatte. Ihr scharfes Auge bemerkte auch, daß die Partei des Sussex heimlich Blicke der Beglückwünschung austauschte, und es entsprach durchaus ihrer Politik, keiner der beiden Parteien einen entscheidenden Triumph zu gewähren. »Was ich zu Mylord von Leicester sagte,« sprach sie nach kurzer Pause, »das sage ich ebenso zu Euch, Mylord von Sussex. Auch Ihr dürft nicht am Hofe von England an der Spitze einer eignen, kampflustigen Partei erscheinen.« »Meine Vasallen, gnädige Fürstin,« sagte Sussex, »sind in der Tat in Eurer Sache kampflustig gewesen in Irland, in Schottland und gegen jene rebellischen Grafen im Norden. Ich wüßte nicht, daß –« »Wollt Ihr mit Blicken und Worten mit mir streiten, Mylord?« unterbrach ihn die Königin. »Ich dächte, Ihr hättet von Mylord von Leicester zum mindesten die Bescheidenheit lernen können, zu schweigen, wenn ich Euch einen Verweis erteile. Ich sage Euch, Mylord, mein Vater und schon mein Großvater sind so klug gewesen, den Edlen dieses zivilisierten Landes zu verbieten, daß sie mit solchen wüsten Gefolgen herumzögen; und meint Ihr wohl, weil ich eine Haube trage, würde ihr Szepter in eine Kunkel verwandelt werden? Ich sage Euch, kein König der Christenheit wird so streng darauf halten, daß an seinem Hofe und in seinem Reiche keine Streitigkeiten geschehen und daß der Friede seines Königtums nicht durch die Arroganz zu hoch aufgeschossener Macht zerstört werde – kein König strenger als die Frau, die jetzt mit Euch spricht. – Mylord von Leicester, und Ihr, Mylord von Sussex, ich befehle Euch beiden, Freundschaft unter einander zu halten, oder bei der Krone, die ich trage, Ihr sollt eine Feindin finden, die zu stark für Euch beide sein wird.« »Gnädigste Frau,« sagte der Earl of Leicester, »Ihr, die selber der Urquell der Ehre seid, wißt am besten, was der meinen geziemt. Ich stelle sie Euch anheim und sage nur, daß die Spannung zwischen mir und Lord von Sussex nicht durch mich hervorgerufen worden ist, auch hatte er keine Veranlassung, mich für seinen Feind zu halten, als bis er mir schweres Unrecht angetan hatte.« »Ich meinesteils,« sagte Graf von Sussex, »muß mich dem Belieben Eurer Majestät fügen, aber ich würde sehr zufrieden sein, wenn Mylord von Leicester sagen würde, worin ich – wie er es nennt – ihm unrecht getan habe, denn meine Zunge hat nie ein Wort gesprochen, für das ich nicht jederzeit eingetreten wäre, ob nun zu Pferde oder zu Fuß.« , »Und was mich anbetrifft,« sagte Leicester, »immer mit Verlaub meiner allergnädigsten Königin, – meine Hand wird ebenso bereit sein, meine Worte zu verfechten, wie die irgend eines Mannes, der sich Ratcliffe geschrieben hat.« »Mylords,« sagte die Königin, »in diesem Tone, können wir hier nicht verhandeln; und wenn Ihr Euer Ungestüm nicht zügeln könnt, so werden wir Mittel finden, Euch Brauseköpfe ein wenig abzukühlen. Ich will sehen, Mylords, daß Ihr Euch die Hände schüttelt und Eure eitle Feindseligkeit vergeßt.« Die beiden Nebenbuhler sahen einander mißmutig an und keiner wollte den ersten Schritt tun, dem Befehl der Königin nachzukommen. »Sussex, ich bitte – Leicester, ich befehle Euch ...« Doch waren die Worte so betont, daß die Bitte wie Befehl und dar Befehl wie eine Bitte klang. Sie standen still und steif, bis sie ihre Stimme zu einer Höhe erhob, die zugleich Ungeduld und unbedingtes Gebot aussprach. »Sir Henry Lee,« sagte sie zu einem Offizier in der Nähe, »haltet eine Wache sofort in Bereitschaft und bemannt auf der Stelle eine Barke. Mylords von Sussex und Leicester, ich gebiete Euch noch einmal, Euch die Hände zu reichen, – und, Gottes Tod! Wer sich weigert, soll die Luft in unserm Tower atmen und vorderhand unser Angesicht nicht wieder schauen. Ich will Eure stolzen Herzen gebeugt haben, ehe wir auseinander gehen, und das verspreche ich Euch, so wahr ich eine Königin bin.« »Das Gefängnis,« sagte Leicester, »wäre zu ertragen, aber Euer Majestät nicht mehr zu schauen, das hieße Licht und Leben mit eins zu verlieren. Hier, Sussex, ist meine Hand.« »Und, hier,« sagte Sussex, »ist meine in Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit.« »So soll es sein,« sagte die Königin und sah sie huldvoller an. »Wenn die Hirten sich vereinigen zum Schütze der Herden, dann ist es um die Herden, die wir zu hüten haben, gut bestellt. Denn, Mylords, ich sage Euch rund heraus, Eure Torheiten und Streitereien führen zu arger Verwirrung unter Euern Dienern. Mylord von Leicester, Ihr habt einen Herrn in Euerm Gefolge namens Varney?« »Ja, allergnädigste Fürstin,« erwiderte Leicester, »ich habe ihn vorgestellt, Eurer Majestät die Hand zu küssen, wie Ihr das letzte Mal in Nonsuch wart.« »Nun, sein Aeußeres war nicht uneben,« sagte die Königin, »aber doch nicht so schön, sollte ich meinen, daß ein Mädchen von ehrbarer Geburt und guten Aussichten um seiner schönen Augen willen ihren guten Namen hingeben und seine Maitresse hätte werden können. Und doch ist es so. Dieser Bursche von Euch hat die Tochter eines guten, alten Ritters aus Devonshire, des Sir Hugh Robsart von Lidcote-Hall verführt, und sie ist mit ihm aus ihres Vaters Hause geflüchtet. – Mylord von Leicester, seid Ihr krank, daß Ihr so totenblaß ausseht?« »Nein, gnädigste Frau,« sagte Leicester, und es erforderte alle Anstrengung, diese paar Worte vorzubringen. »Ihr seid sicherlich krank, Mylord!« sagte Elisabeth hastig und ging fast bestürzt auf ihn zu, und Sprache und Gang bekundeten die tiefste Sorge um ihn. »Ruft Masters – ruft unsern Leibarzt – wo sind diese saumseligen Narren – wir werden den Stolz unsers Hofes verlieren durch ihre Nachlässigkeit. Oder ist es möglich, Leicester,« fuhr sie fort, und sah ihn mit sehr sanftem Blick an, »kann Furcht vor unsrer Ungnade Dir so nahe gegangen sein? Glaub nicht, edler Dudley, daß wir Dich wegen der Torheit, Deines Lehnsmanns tadeln könnten – Dich, dessen Gedanken, wie Wir wissen, ganz wo anders weilen!« »Merkt Ihr das?« sagte Sussex zu Raleigh. »Der Teufel steht ihm bei, das steht fest, denn was andre zehn Klafter tief stürzen würde, scheint ihm nur die Fahrt noch zu erleichtern. Hätte einer von meinem Anhang so gehandelt –« »Gemach, Mylord,« sagte Raleigh, »gemach in Gottes Namen. Wartet ab, bis das Wetter anders wird, es scheint schon jetzt umschlagen zu wollen.« Der Scharfblick Raleighs hatte recht gesehen, denn Leicesters Verwirrung war so groß, und in der Tat schien er für den Augenblick so völlig überwältigt, daß Elisabeth ihn verwundert ansah und, als sie auf die ungewöhnlichen Ausdrücke der Huld und Zuneigung keine verständliche Antwort erhalten hatte, ihren raschen Blick über den Kreis der Höflinge hinfliegen ließ. In den Gesichtern las sie vielleicht etwas, was mit ihrem erwachten Verdacht übereinstimmte, und sie fragte plötzlich: »Oder steckt dahinter mehr, als wir jetzt sehen – vielleicht mehr, als Ihr, Mylord, wünscht, daß wir sehen sollen? Ruft mir sofort diesen Varney her und auch den in der Bittschrift genannten Tressilian – führt beide vor uns.« Der Befehl wurde ausgeführt, und Tressilian und Varney kamen herein. Varneys erster Blick fiel auf Leicester, sein zweiter auf die Königin. In den Blicken der letztern las er bevorstehenden Sturm, und in der niedergeschlagnen Miene seines Gönners konnte er keine Weisungen entdecken, auf welche Weise er sein Schiff für dieses Zusammentreffen seefähig zu machen hätte – dann sah er Tressilian, und sofort erkannte er die Gefahr der Lage, in der er sich befand. Aber Varney hatte eine freche Stirn und einen schlagfertigen Witz und war, verschlagen und kannte keine Bedenken – ein gewandter Lotse in großer Gefahr, der sich voll bewußt war, wie große Vorteile er erringen konnte, wenn es ihm gelang, Leicester aus dieser Klemme herauszubringen, und wie unrettbar ihm selber das Verderben drohte, wenn es ihm nicht glückte. »Ist es wahr, Herr,« sagte die Königin mit einem jener forschenden Blicke, denen stand zu halten nur wenige die Kühnheit hatten, »daß Ihr eine junge Dame von edler Herkunft und Erziehung, die Tochter des Sir Hugh Robsart von Lidcote-Hall, zur Schande verführt habt?« Varney kniete nieder und erwiderte mit einer Miene tiefster Zerknirschung, es habe zwischen ihm und Amy Robsart ein Liebesverhältnis bestanden. Leicesters Fleisch erzitterte vor Empörung, als er seinen Vasallen dieses Geständnis ablegen hörte, und für den Augenblick war es ihm, als sollte er sich ein Herz fassen und hervortreten, dem Hofe und der Hofgunst Lebewohl sagen und das ganze Geheimnis von der heimlichen Heirat preisgeben. Aber er sah auf Sussex, und der Gedanke an das triumphierende Lächeln, das bei diesem Bekenntnis auf dem Antlitz seines Nebenbuhlers liegen würde, versiegelte ihm die Lippen. Fest und gefaßt reckte er sich wieder empor und hörte aufmerksam auf jedes Wort, das Varney sprach, und war wieder entschlossen, bis zum letzten Augenblick das Geheimnis zu wahren, von dem sein Glück als Höfling abhing. Inzwischen fuhr die Königin in ihrem Verhör fort: »Ein Liebesverhältnis!« sagte sie, die letzten Worte wiederholend. »Warum, Du Schuft, hast Du nicht bei dem Vater um die Hand der Dirne angehalten, wenn Du es mit Deiner Liebe ehrlich meintest?« »Mit Verlaub, Eurer Majestät,« sagte Varney, noch immer knieend, »das wagte ich nicht, denn ihr Vater hatte ihre Hand einem Herrn von Geburt und Ehre versprochen – ich will ihm Gerechtigkeit erweisen, obgleich ich weiß, daß er mir feindlich gesinnt ist – einem gewissen Junker Edmund Tressilian, den ich jetzt unter den Anwesenden erblicke.« »So!« erwiderte die Königin, »und inwiefern hattest Du ein Recht, die dumme Närrin durch Deine Liebelei, wie Du es heuchlerisch und dreist nennst, dahin zu bringen, daß sie ihres Vaters Absicht vereitelt hat?« »Allergnädigste Frau« versetzte Varney, »es ist vergebens, der menschlichen Schwäche das Wort zu reden vor einer Richterin, die selber keine Schwäche kennt, oder die Sache der Liebe zu verfechten vor einer Frau, die gegen die Leidenschaft gefeit ist –« er hielt einen Augenblick inne und setzte dann ganz leise und schüchtern hinzu, »mit der sie andre entflammt.« Elisabeth versuchte die Stirn zu runzeln, aber sie lächelte unwillkürlich und antwortete: »Du bist ein wunderbar unverschämter Bube. Bist Du mit dem Mädchen verheiratet?« Leicester hatte jetzt das Gefühl, als ob sein ganzes Innere fest in sich verkrampft wäre und als ob sein Leben abhinge von der Antwort, die Varney geben würde. Dieser erwiderte nach kurzem Zögern: »Ja.« »Du falscher Schurke!« rief Leicester in einem Wutausbruch, aber er vermochte weiter kein Wort hinzuzufügen. »Nein, Mylord,« sagte die Königin, »wir wollen, wenns erlaubt ist, zwischen diesen Burschen und Euern Zorn treten. Wir sind noch nicht fertig mit ihm. – Wußte Euer Herr, Mylord von Leicester, von dieser saubern Geschichte? Sprich, die Wahrheit, ich befehle es Dir.« »Allergnädigste Frau,« sagte Varney, »die Wahrheit des Himmels zu gestehen, Mylord war selber schuld an der ganzen Sache.« »Du Schurke, willst Du mich etwa verraten?« knirschte Leicester. »Sprich weiter,« sagte die Königin, ihre Wange rötete sich und ihre Augen funkelten – »sprich weiter – höre jetzt auf keinen Befehl, als auf den unsern.« »Euer Befehl ist allgewaltig, allergnädigste Herrin,« erwiderte Varney, »und vor Euch kann es kein Geheimnis geben. – Doch möchte ich nicht gern,« setzte er hinzu, »vor andrer Ohren von den Angelegenheiten meines Herrn sprechen.« »Tretet zurück, Mylord,« sagte die Königin zu denen, die um sie herumstanden, »und Ihr sprecht weiter. – Was hat der Earl mit dieser strafbaren Intrigue von Dir zu tun? Sieh zu, Schurke, daß Du ihn mir nicht verleumdest.« »Fern sei es von mir, meinen edeln Gönner in falschen Leumund zu bringen,« erwiderte Varney, »doch ich bin gezwungen, zu gestehen, daß seit einiger Zeit eine tiefe, überwältigende, doch geheime Leidenschaft im Herzen meines Herrn sitzt – sein Sinn ist nicht wie sonst bei den Angelegenheiten seines Haushalts, die er doch sonst mit religiöser Strenge zu regeln pflegte – und er hat uns Gelegenheiten finden lassen, Torheiten zu begehen, deren Schmach zum Teil, wie in diesem Falle, auf unsern Gebieter fällt. Ohnedem hätte ich weder die Gelegenheit noch die Muße gefunden, die Dummheit zu begehen, die mir seine Ungnade eingebracht hat – das schwerste Unglück für mich, immer abgesehen von dem noch mehr gefürchteten Zorn Eurer Majestät.« »Und nur in diesem Sinne und keinem andern trägt er Mitschuld an Deinem Vergehen?« fragte Elisabeth. »Gewiß, allergnädigste Frau, in keinem andern,« antwortete Varney, »aber da ihm etwas zugestoßen sein muß, so kann man ihn kaum zur Rechenschaft ziehen, denn er ist nicht mehr sein eigner Herr. Seht ihn an, Gnädigste, wie bleich und zitternd er dasteht – wie ganz unähnlich seiner sonstigen majestätischen Erscheinung – und doch was hat er zu fürchten von den Eröffnungen, die ich Eurer Hoheit machen könnte? Ach, allergnädigste Herrin, seit er jenes Päckchen erhalten hat ...!« »Was für ein Päckchen und von wem?« rief die Königin begierig. »Von wem, Gnädigste, das kann ich nicht erraten, aber ich stehe seiner Person so nahe, daß ich weiß, er hat seitdem stets am Halse und zunächst seinem Herzen jene Haarlocke getragen, die in einem kleinen, herzförmigen Goldschmuck ruht – er spricht zu ihm, wenn er allein ist – er trennt sich von ihm nicht im Schlafe – kein Heide hat je einen Fetisch mit solcher Hingebung angebetet.« »Du bist ein fürwitziger Gesell, Deinem Herrn so scharf aufzupassen,« sagte Elisabeth und errötete, doch nicht vor Zorn, »und eine Plaudertasche obendrein, daß Du seine Torheiten ausschwätzest. Von welcher Farbe mag die Locke gewesen sein, von der Du da redest?« Varney antwortete: »Ein Dichter könnte sie einen Faden von dem goldnen Gewebe, das Minerva gesponnen hat, nennen. Meines Dünkens aber war sie noch blasser als selbst das reinste Gold – mehr wie der letzte scheidende Sonnenstrahl des sanftesten Tages im Lenze.« »Ei, Ihr seid selber ein Dichter, Junker Varney,« sagte die Königin lächelnd, »aber ich habe nicht Genie genug, Euern köstlichen Metaphern zu folgen. Seht Euch unter diesen Damen, um. Ist hier (sie stockte und zwang sich, eine Miene der größten Gleichgültigkeit anzunehmen), ist unter dieser Gesellschaft eine Dame, deren Haar die Farbe jener Locke hat? Ich möchte zwar nicht in die Liebesgeheimnisse des Lords von Leicester dringen, doch dünkt mich; ich erführe ganz gern, welche Art von Locken wie der Faden von Minervas Gewebe sind oder wie der – wie, war es doch? – wie der letzte Strahl der Sonne an einem Tage im Maien.« Varney sah sich in dem Audienzsaale um, sein Auge wanderte von einer Dame zur andern, bis es mit einem Blicke tiefster Verehrung auf der Königin selber ruhte, »Ich sehe keine Flechten, die solcher Gleichnisse würdig wären, in dieser Gesellschaft,« fügte er, »außer an einem Haupte, wo ich sie nicht anzuschauen wage.« »Wie, Bursche,« sagte die Königin, »erdreistest Du Dich, anzudeuten ...« »Nein, gnädigste Fürstin,« erwiderte Varney, die Augen mit der Hand beschattend, »die Strahlen der Maiensonne haben meine schwachen Augen geblendet.« »Geh, geh, Du bist ein närrischer Bursch,« sagte die Königin, und sie wandte sich rasch von ihm ab und ging zu Leicester. Gespannte Neugierde mit all den geteilten Hoffnungen, Befürchtungen und Leidenschaften, unter deren Einfluß alle Hofintriguen stehen, hatte das Audienzgemach beherrscht und im Banne gehalten, wie mit der Kraft eines morgenländischen Talismans, so lange dieses Zwiegespräch der Königin mit Varney währte. Die Männer unterließen jede, selbst die leiseste äußere Bewegung und hätten sogar das Atmen aufgeschoben, wenn die Natur eine solche Unterbrechung der Funktionen zuließe. Die Atmosphäre war ansteckend, und als Leicester alle um sich her von dem Wunsche, daß das Glück ihm lächeln möchte, oder von dem Wunsche, daß er stürzen möchte, beseelt sah, vergaß er alles, was ihm eben noch die Liebe eingegeben hatte, und sah nichts als Gnade oder Ungnade, die von dem Kopfnicken der Elisabeth und von Varneys Treue abhingen. Elisabeth ließ ihn nicht lange im Zweifel, denn die Herzlichkeit, die mehr war als bloße Gunst, mit der sie ihn jetzt anredete, entschied seinen Triumph in den Augen seines Nebenbuhlers und des versammelten Hofes von England. »Ihr habt einen schwatzhaften Diener an diesem Varney, Mylord,« sagte sie; »es ist nur ein Glück, daß Ihr ihm nichts anvertraut, was Euch in unsrer Meinung herabsetzen könnte, denn, glaubt mir nur, er würde nicht reinen Mund halten.« »Wenn er vor Eurer Hoheit etwas geheim halten wollte,« sagte Leicester und ließ sich anmutig auf ein Knie nieder, »das hieße Verrat begehen. Ich wollte, mein Herz selber läge offen vor Euch.« »Wie, Mylord,« sagte Elisabeth und sah freundlich auf ihn nieder, »ist nicht ein einziger kleiner Winkel da, über den Ihr gern einen Schleier breiten möchtet? Ich sehe, die Frage verwirrt Euch, Und Eure Königin weiß, daß sie nicht zu tief auf den Grund der Treue ihrer Untertanen schauen sollte, damit sie nicht etwas erblicke, was ihr mißfallen könnte oder wenigstens sollte.« Durch diese Worte von seiner Beklemmung befreit, brach Leicester in einen Strom von Beteuerungen tiefer und leidenschaftlicher Ergebenheit aus, die in diesem Augenblick vielleicht nicht ganz erheuchelt waren. Nie war er Elisabeth beredsamer, hübscher, interessanter erschienen, als jetzt, da er vor ihr kniete und sie beschwor, ihn all seiner Macht zu berauben und ihm nur den Namen ihres Dieners zu lassen. »Nehmt dem armen Dudley,« rief er aus, »alles, wozu ihn Eure Güte gemacht hat, und heißt ihn wieder der arme Edelmann sein, der er war, als das Licht Eurer Gnade zum ersten Mal auf ihn fiel, laßt ihm nichts als diesen Mantel und sein Schwert, doch laßt ihn noch immer sich rühmen dürfen, daß er – was er in Wort und Tat noch nie verscherzt hat – die Wohlgeneigtheit seiner angebeteten Königin und Herrin besitzt!« »Nein, Dudley,« sagte Elisabeth und richtete ihn mit der einen Hand auf, während sie die andre ihm zum Kusse hinreichte, »Elisabeth hat nicht vergessen, daß zur Zeit, da Ihr noch ein armer Edelmann und Eures erblichen Ranges beraubt waret, sie selber eine ebenso arme Prinzessin gewesen ist und daß Ihr in ihrer Sache alles gewagt habt, was die Unterdrückung Euch gelassen hatte – Leben und Ehre. – Steht auf, Mylord, und laßt meine Hand los! – Steht auf und seid, was Ihr stets gewesen seid, die Zierde unsers Hofes und die Stütze unsers Thrones. – Und so wahr mir Gott helfe,« setzte sie hinzu, sich an die Zuhörerschaft wendend, die mit verschiednen Gefühlen diese interessante Szene ansah, »so wahr mir Gott helfe, meine Herren, so denke ich, nie hat ein Landesfürst einen treuern Diener gehabt, als ich in diesem edeln Carl besitze.« Ein Murmeln der Zustimmung ging durch die Leicester-Partei, dem die Anhänger des Grafen von Sussex nicht zu widersprechen wagten. Sie standen mit zu Boden gesenkten Blicken, bestürzt und erbittert zugleich über den öffentlichen und völligen Triumph ihrer Widersacher. Leicester benutzte die Vertraulichkeit, zu der die Königin ihn so offenkundig wieder erhoben hatte, um sich nach ihren Befehlen in der Angelegenheit seines Dieners Varney zu erkundigen. »Dieser Bursche,« sagte er, »verdient freilich nur, Ungnade, aber wenn ich mirs anmaßen dürfte, ein Wort einzulegen ...« »Wahrhaftig, wir hatten seine Sache ganz vergessen,« sagte die Königin. »Und das war nicht recht von uns, die wir unsern niedrigsten wie höchsten Untertanen Gerechtigkeit schuldig sind. Es gefällt uns sehr, Mylord, daß Ihr selber der erste seid, der uns an diesen Fall erinnert. – Wo ist Tressilian, der Ankläger? – Laßt ihn vor uns kommen.« Tressilian erschien und machte eine tiefe Verbeugung. Sein Aeußeres hatte, wie schon früher bemerkt, einen Zug der Grazie und des Adels, der dem kritischen Blick der Königin Elisabeth nicht entging. Sie sah ihn aufmerksam an, als er unerschrocken und doch mit einer Miene tiefster Traurigkeit vor ihr stand. »Dieser Herr tut mir wirklich leid,« sagte sie zu Leicester. »Ich habe Erkundigungen über ihn eingezogen, und sein Aeußeres bestätigt, was ich gehört habe, daß er nämlich ein Gelehrter und ein Soldat zugleich sei, in Künsten und in Waffen wohl bewandert. Wir Frauen, Mylord, sind launisch in unsrer Wahl – und ich hätte, wenn ich mein Auge urteilen ließe, jetzt gesagt, es könne eigentlich gar kein Vergleich zwischen Eurem Vasallen und diesem Herrn gezogen werden. Aber Varney versteht gut zu sprechen und die Wahrheit zu sagen, damit erreicht man viel bei uns vom schwächern Geschlecht. – Seht, Junker Tressilian, hat man einen Pfeil verschossen, so braucht noch nicht gleich der Bogen gebrochen zu sein. Eure treue Liebe – ich will Euer Gefühl gern dafür gelten lassen – scheint nur schlecht erwidert worden zu sein, aber Ihr habt Gelehrsamkeit und wißt, falsche Cressidas hat es schon gegeben von der Zeit der Trojaner an. Vergeßt, guter Herr, dieses Dämchen der leichten Liebe und lehrt Eure Neigung mit bessern Augen sehen. Dies sagen wir zu Euch und sprechen dabei mehr aus den Schriften gelehrter Männer, als aus eigner Erfahrung in solchem eiteln Spiel launischer Leidenschaft. Was den Vater dieser Dame anbetrifft, so können wir seinen Schmerz lindern, indem wir seinen Schwiegersohn zu einer solchen Stellung befördern, daß seine Gattin standesgemäß leben kann. Ihr selber sollt nicht vergessen werden, Tressilian – bleibt bei uns am Hofe, und Ihr sollt sehen, daß ein echter Troilus einigen Anspruch auf unsre Gnade hat. Denkt nur, daß dieser Schlaukopf, der Shakespeare sagt – doch potzblitz! Seine Scherze gehören jetzt nicht hierher, wir haben an andres zu denken.« Und als Tressilian trotzdem stehen blieb in der Haltung eines Mannes, der gern sprechen würde, nur daß die tiefste Ehrfurcht ihm Schweigen gebiete, setzte die Königin ein wenig ungeduldig hinzu: »Was will denn der Mann? Die Dirne kann doch nicht Euch beide heiraten. Sie hat ihre Wahl getroffen – vielleicht nicht eben eine kluge – aber sie ist Varneys angetraute Gattin.« »Hier sollte mein Gesuch verstummen, allergnädigste Landesherrin,« sagte Tressilian, »und mit meinem Gesuche meine Rache. Aber ich halte das Wort dieses Varney nicht eben für eine gute Bürgschaft der Wahrheit.« »Wäre dieser Zweifel anderswo ausgesprochen worden,« antwortete Varney, »so sollte mein Schwert –« »Dein Schwert!« fiel ihm Tressilian verächtlich ins Wort; »– mit Eurer Majestät Erlaubnis soll jetzt mein Schwert –« »Ruhig, Ihr Buben! Alle beide!« rief die Königin. »Wißt Ihr, wo Ihr seid? Das kommt von Euern Streitigkeiten, Mylords,« setzte sie hinzu, sich an Leicester und Sussex wendend. »Eure Vasallen treibens ganz so wie Ihr selber – wie die Herren singen, so zwitschern die Diener. Gebt acht, Ihr Herren, wer mir vom Schwerterziehen spricht in irgend einem andern Zwist als im Kampfe für mich und England, – bei meiner Ehre, ich will ihm Armbänder von Eisen an Händen und Füßen anlegen lassen!« Dann hielt sie ein Weilchen inne und fuhr in sanfterm Tone fort: »Ich muß trotzdem zwischen diesen dreisten, aufrührerischen Burschen Recht sprechen. – Mylord von Leicester, wollt Ihr mit Eurer Ehre verbürgen – daß Euer Diener die Wahrheit spricht, indem er sagt, er habe diese Amy Robsart geheiratet?« Dies war eine neue Wendung, die Leicester fast von neuem ins Verderben gestürzt hätte. Aber er war jetzt zu weit gegangen, um wieder umzukehren, und antwortete nach kurzem Besinnen: »Nach meinem besten Gewissen – ja, nach meinem besten Wissen – sie ist angetraute Gattin.« »Allergnädigste Frau,« sagte Tressilian, »darf ich danach fragen, wann und unter welchen Umständen diese angebliche Heirat –« »Was, Du Fant!« versetzte die Königin, »angebliche Heirat! – Habt Ihr nicht das Wort dieses ausgezeichneten Grafen zur Bürgschaft für die Wahrheit der Angaben seines Dieners? Aber Du bist der verlierende Teil – und wir wollen Nachsicht mit Dir haben, – wir wollen die Sache näher untersuchen, wenn wir mehr Zeit haben. – Mylord von Leicester, ich denke, Ihr werdet nicht vergessen haben, daß wir willens sind, das Fest auf Euerm Schlosse Kenilworth in der folgenden Woche mitzumachen – wir wollen Euch gebieten, unsern guten und hochgeschätzten Freund, den Grafen von Sussex, zu ersuchen, daß er uns dort Gesellschaft leisten möge.« »Wenn der edle, Graf von Sussex,« sagte Leicester und verneigte sich ungezwungen und graziös vor seinem Nebenbuhler, »meinem schlichten Hause so viel Ehre antun will, so will ich darin einen weitern Beweis für die freundschaftlichen Beziehungen erblicken, die Eure Majestät zwischen uns gepflogen zu sehen wünscht.« Sussex war unbeholfner. »Ich würde, Majestät,« sagte er, »Euch nur im Frohsinn stören, da ich eben erst von schwerer Krankheit genesen bin.« »Und seid Ihr denn wirklich so krank gewesen?« fragte Elisabeth und sah ihn mehr mit Aufmerksamkeit an als zuvor. »Ihr seid wahrlich sehr verändert, und tief schmerzt mich das. Aber seid gutes Mutes, – wir wollen selber uns die Gesundheit eines so hochgeschätzten Dieners angelegen sein lassen, dem wir so sehr viel verdanken. Masters soll Euch Diät anordnen, und damit wir selber sehen, daß Ihr Euch nach seinen Vorschriften richtet, müßt Ihr auf dem Feste in Kenilworth mit uns zusammen sein.« Dies wurde in so entschiednem Tone und dabei doch mit so viel Freundlichkeit gesagt, daß Sussex nichts weiter tun konnte, als sich in Gehorsam gegen die Befehle der Königin tief zu verneigen, so sehr es ihm auch zuwider war, bei seinem Nebenbuhler zu Gaste zu sein. Er sagte Leicester mit linkischer Höflichkeit die Annahme seiner Einladung zu. »Mylords von Sussex und Leicester,« sagte die Königin, »Tressilian und Varney sind in Euern Diensten – Ihr werdet dafür sorgen, daß sie Euch nach Kenilworth begleiten – und da wir dann Paris und Menelaus in unsrer Nähe haben, so wollen wir auch die schöne Helena sehen, deren Untreue diesen Tumult verursacht hat. Varney, Dein Weib soll mit in Kenilworth sein und auf unsern Befehl sich zeigen. – Mylord von Leicester, wir erwarten, daß Ihr dafür sorgen werdet.« Der Graf und sein Vasall verneigten sich tief und hoben den Kopf wieder, ohne daß sie die Königin oder sich selber anzusehen gewagt hätten, denn beiden war in diesem Augenblick zu Mute, als wenn die Netze und Stricke, die ihre eigne Falschheit gewoben hatte, sich dicht um sie schlössen. Die Königin aber sah ihre Verwirrung nicht. »Mylords von Leicester und Sussex,« fuhr sie fort, »wir benötigen Eurer Anwesenheit in dem geheimen Rat, der alsogleich tagen soll. Dinge von großer Wichtigkeit stehen auf der Tagesordnung. Dann wollen wir zu unsrer Kurzweil eine Wasserfahrt machen, und Ihr, Mylords, werdet uns begleiten. – Und das erinnert uns an noch etwas – vergeßt Ihr nicht, Herr Ritter vom beschmutzten Mantel« (dabei zeichnete sie Raleigh durch ein Lächeln aus), »daß Ihr auch an der Fahrt teilzunehmen habt. Ihr sollt mit geeigneten Mitteln versehen werden, Eure Garderobe in stand zu bringen.« Und so endete diese gerühmte Audienz, auf der, wie durch ihr ganzes Leben, Elisabeth die Launenhaftigkeit ihres Geschlechts mit jenem feinen Verstand und mit jener tiefen Staatsklugheit vereint hatte, in denen kein Mann und kein Weib sie je wieder übertroffen haben. Ende des ersten Bandes Zweiter Teil Erstes Kapitel Während der kurzen Zeit, die zwischen dem Schlusse der Audienz und der Sitzung des Geheimen Rats lag, hatte Leicester Zeit, sich zu überlegen, daß er an diesem Morgen sein eignes Schicksal untersiegelt habe. »Es wäre ihm,« dachte er, »jetzt unmöglich, nachdem er angesichts des ganzen vornehmen Adels von England sich, wenn auch in zweideutiger Rede, für die Wahrheit der Varneyschen Aussage verbürgt hätte, sie zu widerrufen oder zu verleugnen, ohne sich selbst nicht bloß dem Verluste der Gunst des Hofes auszusetzen, sondern auch der höchsten Ungnade der Königin, seiner hintergangnen Gebieterin, und dem Spott und Hohn seines Nebenbuhlers und aller Vornehmen im Lande.« Diese Gewißheit überkam sein Gemüt zugleich mit all den Schwierigkeiten, denen er sich notwendigerweise aussetzen würde, wenn er ein Geheimnis hütete, das jetzt in gleicher Weise ausschlaggebend war für seine Sicherheit, seine Macht und seine Ehre. Er befand sich in einer Situation, wie jemand, der auf Eis Schlittschuh läuft, der alles Eis um sich her brechen sieht und keine andre Sicherheit für sich erblickt als festen, herzhaften Schrittes, ohne Zagen und Zaudern, weiter zu laufen. Die Gunst der Königin sich zu erhalten, der er so vieles zum Opfer gebracht, war jetzt für ihn Hauptsache; dazu mußte er alles aufbieten, durfte kein Mittel, keinen Weg scheuen, denn diese Gunst war die einzige Planke, die er in diesem Sturme betreten, auf der er Halt finden konnte! Er mußte deshalb alles daran setzen, sich die Parteilichkeit der Königin nicht bloß zu erhalten, sondern noch stärker auf seine Seite zu ziehen. Er mußte Elisabeths Günstling werden, oder er wurde schiffbrüchig an Ehre und Vermögen. Alle andern Erwägungen traten für den Augenblick in den Hintergrund, und die wilden Gedanken, die sein Gemüt bestürmten, wenn ihm Amys Bild vor das Auge trat, verjagte er energisch, indem er sich sagte, daß nachher Zeit genug sein werde, sich mit der Frage zu befassen, wie sich ein Ausweg aus dem Labyrinth schaffen lasse; der Lotse, der zu seinen Füßen eine Scylla sieht, sagte er bei sich, darf sich die Zeit nicht nehmen, an die in der Ferne drohenden Gefahren der Charybdis zu denken. In dieser Stimmung nahm der Earl of Leicester an diesem Tage seinen Sitz in dem Geheimen Rat der Königin ein, und in derselben Stimmung, als die Amtsgeschäfte erledigt waren, auch den Ehrenplatz an ihrer Seite auf der Luftfahrt auf der Themse. Und niemals entfaltete er seine Gaben als Politiker ersten Ranges oder die ihm von der Natur verliehenen Talente eines vollendeten Höflings in höherm Glanze! Der Zufall fügte es, daß an diesem Tage die Angelegenheiten der unglücklichen Maria Stuart in dem königlichen Geheimrate zur Sprache kamen, die nunmehr sieben Jahre in schmerzvoller Gefangenschaft gehalten wurde. Es waren Meinungen vor Elisabeths Rat gelangt, die zu gunsten dieser Fürstin sprachen und die mit nicht geringem Nachdruck von Sussex und andern Männern vertreten wurden, die das Völkerrecht und den Bruch des Gastrechts höher einschätzten als es, wenn auch in milder Form oder mit entschuldigenden Floskeln vorgebracht, den Ohren Elisabeths genehm zu hören war. Leicester vertrat mit Lebhaftigkeit die entgegengesetzte Ansicht und setzte beredt die Notwendigkeit auseinander, die Königin von Schottland nach wie vor in strenger Haft zu halten, sowohl um der, Sicherheit des Königreichs als um der persönlichen Sicherheit der Königin Elisabeth willen, denn ein Haar von dem geheiligten Haupte derselben müsse den Herren Lords höher stehen und Gegenstand ängstlicherer Fürsorge sein, als die Person ihrer unglücklichen Schwester von Schottland, die vergeblicher- und ungerechterweise zuerst die Hand ausgestreckt habe nach dem Throne von England, und auch jetzt noch, im Schoße ihres Landes wie auch anderwärts, die Hoffnung aller Feinde von Englands rechtmäßiger Königin sei. Leicester schloß seine Rede mit den Worten, daß er die hohen Räte um Verzeihung bitte, wenn er im Eifer der Rede irgendwem zu nahe getreten sei, aber die Sicherheit der Königin sei ein Thema, das ihn die Grenzen der Mäßigung immer vergessen lasse. Elisabeth verwies ihm, wenn auch in gelinden Worten, die ungebührliche Wichtigkeit, die er ihren persönlichen Interessen beimesse; doch ließ sie gelten, daß sie, seitdem es Gott dem Herrn gefallen habe, dieses ihr persönliches Interesse mit dem Wohl ihrer Untertanen zu vereinen, lediglich ihre Pflicht tue, wenn sie solche Maßregel der Selbsterhaltung träfe, wie sie durch die Verhältnisse und Umstände ihr aufgenötigt würden; und wenn der Rat in seiner Weisheit es für angemessen erachte, daß die Person ihrer unglücklichen Schwester von Schottland auch weiterhin in Haft gehalten werden müsse, so halte sie persönlich sich versichert, daß niemand sie um deswillen tadeln werde, daß sie die Gräfin von Shrewsbury ersuche, ihr alle Güte und Milde angedeihen zu lassen, die sich mit der Hut über ihre Person nur irgend vereinen lasse. Noch nie war mit solcher Hast und solchem Eifer der Weg frei gemacht worden für den »hohen Lord von Leicester« als heute, wie er durch die gedrängt voller Leute stehenden Vorzimmer schritt, um Ihre Majestät zu ihrer Barke zu geleiten. ... Noch nie hatte die Stimme der Herolde lauter geklungen bei dem Rufe: »Platz! Platz für den hohen Lord von Leicester!« ... Noch nie war diesen Rufen und Zeichen schneller und ehrerbietiger Folge geleistet worden als heute.... Noch nie hatten so viel Augen so begierig gehascht nach einem huldvollen Blicke von ihm... noch nie hatten so vieler niedrigen Diener Herzen sehnsüchtig gepocht, ihm ihre Glückwünsche auszusprechen oder ihrer Furcht Ausdruck zu geben, daß es ihm, der so unermeßlich hoch über ihnen stände, lästig sein müsse, sich von ihnen behelligt zu sehen. Der ganze Hof betrachtete den Ausgang dieser Audienz, der mit so vielen Zweifeln und so großer Besorgnis entgegengesehen worden war, als einen entschiedenen Sieg des Earl of Leicester und empfand es als ausgemacht, daß der Stern seines Nebenbuhlers, wenn auch nicht völlig verdunkelt, so doch stark im Niedergange begriffen sei. Das war die Meinung bei Hofe sowohl als bei den Höflingen, bei hoch und niedrig, und demgemäß richtete sich alles Tun und Lassen. Andrerseits hatte Leicester diese Grüße und Komplimente noch niemals mit solcher Huld und Höflichkeit erwidert wie jetzt, noch nie hatte er sich mit größerm Erfolg bemüht, »goldne Meinungen aus aller Leute Munde« zu ernten, wie jemand äußerte, der gerade in nicht zu großer Entfernung von ihm stand... wie an diesem Audienztage. Für alle hatte der von der Gunst seiner Königin getragne Earl einen Gruß, auch wohl eine Verneigung, zum wenigsten ein Lächeln, hin und wieder sogar ein huldvolles Wort. Zumeist galten diese Bevorzugungen solchen Höflingen, die heute lange schon in Vergessenheit geraten sind; aber auch andre befanden sich darunter, deren Namen seltsam in unsern Ohren klingen, wenn sie im Zusammenhang mit den gewöhnlichen Dingen des Lebens genannt werden, über die sie die Dankbarkeit der Nachwelt längst emporgehoben hat. Einige von Leicesters Worten und Reden, die er für seine Umgebung bei diesem Anlasse hatte, mögen hierher gesetzt sein: »Ei, guten Morgen, Pointings, und was macht die Frau Gemahlin und das holde Fräulein Tochter? Und warum sieht man sie gar nicht bei Hofe?« ... »Adams, Euer Gesuch ist hinfällig – – die Königin will kein Monopol mehr erlassen; aber vielleicht kann ich Euch ein andermal besser dienen.« ... »Mein lieber Herr Alderman Aylford, das Gesuch der City, in betreff Queenhithes, soll, soweit mein bescheidnes Interesse dabei dienen kann, Förderung erhalten.« ... »Mein lieber Herr Edmund Spencer, in Sachen Eurer irländischen Bittschrift möchte ich Euch zu gern behilflich sein, bin ich den Musen doch gar nicht gram, aber Ihr habt Euch erlaubt, den Lord Schatzmeister zu bewitzeln.« »Mylord, wäre es mir vergönnt, auseinanderzusetzen ...« hub der Poet an. »Kommt in meine Wohnung, Edmund,« antwortete der Graf, »morgen oder nächster Tage nicht, aber bald, hört Ihr, bald?« ... »Ei, sieh da, Will Shakespeare – – wilder Will! – – Du hast dem Philipp Sidney, meinem Neffen, Liebespulver eingegeben, und nun kann er nicht schlafen ohne Deine »Venus und Adonis« unter dem Kopfkissen.! Wir werden Dich aufknüpfen lassen als den schlimmsten Zauberkünstler von ganz Europa! Weißt Du, unwirscher Geselle! Deine Patentsache habe ich keineswegs vergessen, auch die Bärenangelegenheit nicht!« Der Schauspieler verneigte sich und der Earl nickte und schritt weiter – so hätte man zu jener Zeit den Fall erzählt – in unsern Tagen aber vielleicht lieber gesagt, »der Unsterbliche habe dem Sterblichen gehuldigt.« Der Nächste, dem der Hohe das Wort vergönnte, war einer seiner eifrigsten Parteigänger. »Sieh da, Sir Francis Denning,« flüsterte er, als Antwort auf dessen schmeichelhaften Gruß, »dieses Lächeln hat Dein Gesicht um ein volles Drittel kürzer gemacht, als es mir heute früh vorgekommen ist. Muß das sein?« ... »Aber, mein lieber Herr Bowyer, bitte, einen Schritt zurück! Meint Ihr wirklich, ich trüge Groll gegen Euch in meinem Busen? ... Ganz im Irrtum! Habt Ihr doch heute morgen bloß Eure Pflicht getan! Und wenn ich mich des Vorgangs zwischen uns erinnre, soll es geschehen zu Euern gunsten.« Hierauf trat, unter allerhand phantastischen Bücklingen, eine wunderliche Persönlichkeit zu dem Earl heran. Sie war absonderlich gekleidet in ein Wams aus schwarzem Sammet, das kuriose, mit karmesinrotem Atlas verbrämte Schlitzen aufwies. Eine lange Hahnenfeder auf dem Sammetbarett, das er in der Hand hielt, und eine ungeheure Halskrause, nach dem absurden Geschmack damaliger Zeit über die Maßen gestärkt, im Verein mit einem schneidigen, muntern, verschlagnen Gesichtsausdruck schienen einen eitlen, hohlköpfigen Gecken, einen Menschen von geringem Wissen zu verraten, während der Stab, den er in der Hand hielt, und ein gewisses amtliches »Air«, das er sich zu geben wußte, ihn als Menschen erscheinen ließ, der mit irgend einer Behörde im Zusammenhang stehen mochte. Hierauf ließ auch ein eigentümlicher Grad von Redegabe schließen, der dieser Persönlichkeit zu eigen war. Die spitze Nase und die hageren Wangen, die der Mann hatte, waren ständig von Röte bedeckt, eine Eigenschaft, die mehr von »gutem Leben« sprach, wie man sich auszudrücken liebt, als von Zurückhaltung und Mäßigkeit; und die Art und Weise, wie er sich dem Earl näherte, bestätigte solche Ansicht. »Recht guten Abend, Meister Robert Laneham,« sagte Leicester, schien aber willens, mit diesen Worten an der Persönlichkeit vorüberzugehen. »Ich habe ein Gesuch an Eure Lordschaft,« sagte die Persönlichkeit und ging dem Grafen keck hinterher. »Und welcher Art, mein lieber Türsteher im Geheimratssaale?« »Aufseher im Geheimratssaale, bitte,« versetzte Meister Robert Laneham mit Nachdruck, sowohl als Antwort wie als Verbesserung. »Nun, leg Dir Deinen Titel zurecht, wie Du willst, Mann,« erwiderte der Earl, »was ist Dein Begehr von mir?« »Nicht viel,« entgegnete Laneham, »weiter nichts als daß Eure Herrlichkeit wie bislang, mein lieber Herr, bleiben und mir das Recht verleihen möge, die Sommerreise nach dem schönen, von nichts übertroffnen Landsitze Eurer Herrlichkeit, dem Schlosse Kenilworth, mitzumachen.« »Zu welchem Zwecke, lieber Meister Laneham?« erwiderte der Earl; »erwäge, daß ich mit vielen Gästen werde rechnen müssen.« »Aber nicht mit ihrer so vielen,« erwiderte der Bittsteller, »daß es Eurer Herrlichkeit nicht möglich sein sollte, für einen so alten Diener wie mich das bißchen Unterschlupf und das bißchen Speise und Trank übrig zu haben. Bedenkt, Mylord, wie notwendig Euch dieser Stab ist, all jene Lauscher hinwegzuscheuchen, die sonst so gern beim Geheimrat sich einnisten und durch die Ritzen und Schlüssellöcher lugen möchten, wenn mein Stab nicht hantierte, wie eine Fliegenklatsche in einem Fleischerladen.« »Mich bedünkt, Dir beliebe hier ein recht fliegenwedliger Vergleich für den hohen Geheimrat, Meister Laneham,« sagte der Earl; »aber gib Dir nicht erst Mühe, das zu rechtfertigen. Komm nach Kenilworth, wenn es Dich gelüstet; Narren werden dort in Menge zu treffen sein, und so wirst Du auch hinpassen.« »Nun, sollten dort Narren sein, Mylord,« erwiderte Laneham mit lustigem Lachen, »so will ich, verlaßt Euch darauf, für Spaß unter ihnen sorgen, denn es kann sich kein Jagdhund mehr darauf freuen, einem Hasen hinterherzusetzen, als ich mich gecke, wenn es glückt, einem Narren eins auszuwischen. Aber noch eine weitre Gunst besondrer Art habe ich mir von Eurer Lordschaft zu erbitten.« »Sag, was Du willst, und laß mich dann in Ruhe,« sprach der Earl; »ich denke, daß die Königin jeden Augenblick kommen wird.« »Mein gnädigster Lord, ich wollte mir erlauben, einen Bettkameraden mitzubringen.« »Was faselst Du da, Du unverschämter Wicht?« rief Leicester. »Nun, Mylord, nur etwas, was durchaus im Rahmen des Anstands und der guten Sitte sich bewegt,« entgegnete sein Bittsteller, dessen Röte um deswillen nicht aus dem Gesichte verschwand, »ich habe ein Weib, das an Neugierde ihrer Großmutter nichts nachgibt, die sich die verbotne Frucht gut schmecken ließ, den Apfel des Paradieses. Nun mag ich sie nicht so geradezu mitbringen, da Eure Herrlichkeit doch so strenge Befehle gegen alle Bediensteten erlassen hat, ihre Ehegesponse auf dieser Reise daheim zu lassen und den Hof nicht mit Weibsvolk zu behelligen. Aber was ich von Eurer Herrlichkeit erbitten möchte, ist, mir die Mitnahme meines Weibes unter irgend einer Vermummung zu gestatten, so daß also niemand verspürt, daß es ein Frauenzimmer ist, und also dadurch keinerlei Aergernis entstehen kann.« »Hol der böse Feind Euch alle beide,« sagte Leicester, durch die Erinnerungen, die hierdurch in ihm geweckt wurden, aufs äußerste erbittert, »weshalb haltet Ihr mich auf mit solchem Tratsch!« Der erschrockne »Aufseher des Geheimratssaals«, niedergeschmettert durch diesen Zornesausbruch, den er so ahnungslos hervorgerufen hatte, ließ seinen Amtsstab fallen und starrte auf den erzürnten Earl mit einem blitzdummen Gesicht, auf dem sich Schreck und Staunen zugleich malten, die aber durch Leicester sogleich beseitigt wurden. »Ich wollte bloß sehen, ob Du auch die Kühnheit besitzest, die Dein Amt erfordert,« sprach er hastig. »Komm nach Kenilworth und bring den Satan mit, wenn Du willst.« »Mein Weib hat den Satan bis jetzt nur in einem Mysterium zur Zeit der Königin Maria gespielt – aber es wird uns wohl noch an manchen Requisiten fehlen.« »Hier hast Du eine Krone für Dich,« sagte der Earl, »... nun laß mich aber in Frieden ... die große Glocke schlägt.« Meister Robert Laneham war noch eine Weile ganz perplex über die Erregung, die er hervorgerufen hatte, und dann sprach er bei sich, während er sich bückte, um seinen am Erdboden liegenden Stab aufzuheben: »Der edle Graf ist heute bei schlimmer Laune, aber wer Kronen austeilt, erwartet von uns klugen Leuten Unterwürfigkeit gegen ihre Launen, und, meiner Treu! wenn sie nicht die Gnade haben wollten zu bezahlen, so würden wir ihnen schon die Daumschrauben ansetzen.« Leicester ging schnell hinweg, ohne sich der Höflichkeit, die er heute so freigiebig für alle an den Tag gelegt hatte, noch weiter zu befleißigen. Mit eiligen Schritten durchmaß er den Raum, schob beiseite, wer ihm von dem Hofgesinde im Wege stand, bis er ein kleines Nebengemach erreicht hatte. Hier blieb er eine Weile stehen, um unbeobachtet und allein für sich wieder zu Atem zu kommen. »Was ist geworden aus mir,« sprach er bei sich, »daß mich solcher gemeine, verkommne, hohlköpfige Tropf durch seine Faseleien dermaßen beeinflussen kann! ... Gewissen, Du bist ein Bluthund, dessen Geknurr beim leisen Vorbeihuschen einer Maus ebenso flink laut wird, wie beim Schritt eines Löwen. ... Kann ich mich denn nicht durch einen einzigen kühnen Streich aus solchem qualvollen, solchem ehrlosen Zustande befreien? Wie, wenn ich vor Elisabeth einen Kniefall täte, wenn ich ihr alles bekennte und mich ihrer Gnade überantwortete?« Während er diesem Gedanken nachhing, ging die Tür des Gemaches auf, und Varney trat ein. »Gott sei Dank, Mylord, daß ich Euch gefunden habe!« lautete sein Ausruf. »Dem Teufel sei Dank, dessen Diener Du bist!« lautete die Erwiderung des Grafen. »Richtet Euren Dank, an wen Ihr wollt, Mylord,« versetzte Varney, »aber eilet, eilet, daß Ihr ans Ufer kommt. Die Königin ist bereits an Bord und fragt nach Euch.« »Geh, sag, daß mir plötzlich schlecht geworden sei,« erwiderte Leicester, »denn beim Himmel, mein Hirn vermag dies alles nicht mehr zu ertragen.« »Freilich kann ich das bestellen,« antwortete Varney herb, »sind doch Euer Platz wie auch der meinige bereits ausgefüllt. Was soll ich noch als Stallmeister auf Euch warten, wenn Ihr niemand mehr braucht, Euer Roß zu halten? Euer Platz in der Barke der Königin ist besetzt. Hört Ihrs, Leicester? ... Der neue Schoßhund, Walter Raleigh, und unser alter Bekannter, Tressilian, sind berufen worden, unsre Plätze einzunehmen, gerade als ich wegrannte, Euch zu holen.« »Du bist ein Teufel, Varney,« rief Leicester hastig, »aber zurzeit führst Du das Regiment ... ich folge Dir.« Varney gab keine Antwort, sondern schritt voran aus dem Palast und nach dem Flusse hinunter. Sein Herr folgte ihm, gleichsam mechanisch, bis sich Varney umsah und in einem Tone, der, wenn er nicht befehlend klang, doch wenigstens stark ans vertrauliche streifte. ... »Was soll das heißen, Lord? Euer Mantel hängt auf einer Seite ... Euer Beinkleid ist in Unordnung ... gestattet mir ...« »Du bist verrückt, Varney! Ein ebensolcher Narr wie Du ein Schurke bist!« sagte Leicester, indem er ihn von sich wegstieß und seine Dienstleistung ihm wehrte, »wir sind gut so, wie wir sind ... und wenn wir Eure Dienste begehren, um unsre Person in Ordnung zu bringen, so wissen wir Euch zu finden, aber für jetzt brauchen wir Euch nicht!« Bei diesen Worten fand der Graf schnell sein herrisches Wesen wieder und damit auch die Herrschaft über sich selbst; mit einem heftigen Ruck schob er den Mantel in noch krassere Unordnung und schritt an Varney vorbei mit dem Wesen und in der Haltung eines Herrn und Gebieters, und begab sich nun seinerseits zum Themseufer. Die königliche Barke war gerade im Begriff, abzustoßen. Der dem Earl of Leicester sonst eingeräumte Sitz am Stern und der für seinen Stallmeister vorhandne Platz am Bug waren bereits besetzt. Aber als Leicester sichtbar wurde, trat auf einen Augenblick Stille ein. Die Ruderer hielten inne. Es war, wie wenn sie erwarteten, daß eine Wandlung in der Gruppierung der Gesellschaft sich vollziehen werde. Auf dem Gesicht der Königin zeigte sich jedoch der rote Fleck, der immer auf Aerger deutete, und der Klang ihrer Stimme nahm jene Kälte an, durch die die vornehme Welt innre Aufregung zu verhüllen sich befleißigt, da sie ihrer Würde etwas vergeben würde, wollte sie solcher Stimmung gegen andre Ausdruck leihen. Eisig klangen die Worte aus ihrem Munde: »Wir haben gewartet, Mylord of Leicester.« »Madame und huldvollste Fürstin,« sprach Leicester, »die Sie so viele Schwächen verzeihen können, die Ihr Herz nimmer kennt, Sie können am besten jenen Erschütterungen des Busens, die Kopf und Glieder zugleich angreifen, Ihr königliches Mitleid schenken. Ich trat heute vor Ihre Majestät als Mensch, dessen Herz erfüllt ist von Zweifeln, als Untertan, auf den sich Anklagen häuften; Ihre Majestät zerteilten durch Ihre Huld die Wolken der Verleumdung und stellten meine Ehre wieder her, und, was noch teurer ist, erhielten mir Ihre Gunst ... Ist es verwunderlich, daß mich mein Stallmeister, wenn es auch für mich höchst unangenehm war, in einem Zustande traf, der mir kaum gestattete, den Weg hierher zurückzulegen, hierher zu diesem Platze, weil ein einziger, wenn auch, ach! zorniger Blick von Eurer königlichen Hoheit Kraft genug besaß, für mich zu tun, worin Aeskulap sich als ohnmächtig erwiesen hatte!« »Wie verhält sich das?« sprach Elisabeth hastig, zu dem Stallmeister des Grafen gewandt; »war Eurem Herrn nicht wohl?« »Es war ein Anfall wie von einer Ohnmacht,« erwiderte der redegewandte Varney, »wie Ihre Majestät wohl erkennen wird aus Mylords derzeitigem Aussehen. Hat mir doch Mylords Eile nicht einmal ermöglicht, seine Kleidung in Ordnung zu bringen.« »Das ist von keinem Belang,« sprach Elisabeth, indem sie den Blick auf dem edlen Angesicht und der eleganten Gestalt des Grafen ruhen ließ, dem sogar der Sturm von Leidenschaft, durch die er in jüngster Zeit erschüttert worden war, nur ein interessanteres Aussehen zu leihen vermochte... »macht, bitte, Platz für meinen edlen Lord, – Euer Platz, Varney, ist besetzt; Ihr müßt zusehen, einen Platz in einer andern Barke zu finden.« Varney verneigte sich und ging. »Und auch Ihr, junger Ritter vom Mantel,« setzte sie hinzu mit einem Blick auf Raleigh, »müßt für diesmal Euch in die Barke unsrer Ehrenjungfrauen begeben. Was Tressilian betrifft, so hat er bereits zu viel von Weiberlaunen gelitten, als daß ich ihm noch wehe tun möchte durch diese Wandlung meines Planes, insoweit er davon berührt wird.« Leicester nahm seinen Sitz in der Barke, dicht neben der Königin ein; Raleigh stand auf, um sich zurückzuziehen, und Tressilian hätte sich, unbewandert in höfischer Sitte, beinahe der Taktlosigkeit schuldig gemacht, seinem Freunde seinen eignen Platz zu räumen, hätte nicht der schnelle und scharfe Blick Raleighs selbst, der jetzt in seinem Element zu sein schien, ihn eines Bessern belehrt, dahin, daß solche Ablehnung königlicher Gnade als schwere Kränkung und Taktlosigkeit aufgefaßt werden könne. So saß er schweigend da, während Raleigh mit tiefer Verbeugung und einem Blick demütigster Ergebenheit sich anschickte, seinen Platz zu verlassen. Ein edler Höfling, der ritterliche Lord Willoughby, meinte in dem Antlitz der Königin etwas zu lesen, das mit Raleighs echtem oder gemachtem Anschein von Kränkung Mitleid auszudrücken schien. »Es schickt sich nicht für uns ältre Höflinge,« sagte er, »den jüngern Herren den Sonnenschein zu entziehen. Mit ihrer Majestät Erlaubnis werde ich auf die Zeit von einer Stunde auf dasjenige Verzicht leisten, was Ihrer Majestät Untertanen das Köstlichste ist, nämlich auf die Wonne der Gegenwart von Ihrer Majestät, und mich selbst in den Nachteil setzen, im Sternenlicht zu wandeln, dieweil ich auf kurze Zeit dem Glanze von Dianens Strahlen entsage. Ich werde mich in das Boot begeben, das die Damen trägt, und diesem jugendlichen Kavalier, seine Stunde verheißnen Glücks lassen.« Die Königin erwiderte mit einem Ausdruck, halb Schmerz, halb Ernst: »Falls Ihr so willig seid, Uns zu verlassen, Mylord, so trifft Uns keine Schuld an Eurem Kummer; indessen erlaubt Uns, daß Wir, für so alt und erfahren Ihr Euch auch halten möget, den Vorbehalt, daß Wir Euch Unsern jungen Ehrendamen doch nicht anvertrauen mögen. Euer ehrwürdiges Alter, Mylord,« fuhr sie fort und lächelte, »dürfte sich doch besser eignen für das Alter Unsers Lord Schatzmeisters, der Uns im dritten Boote folgt, und dessen Erfahrung ja auch durch die Unsers Lords Willoughby geläutert werden kann.« Lord Willoughby verbarg seine Enttäuschung unter einem Lächeln; er wurde verlegen, lachte, dann verneigte er sich und verließ die königliche Barke, um sich an Bord Lord Burleys zu begeben. Leicester, der sich bemühte, seine Gedanken von aller seelischen Tätigkeit abzulenken, dadurch, daß er sie auf das, was um ihn her vorging, lenkte, nahm unter andern auch diesen Umstand wahr. Als aber die Barke vom Ufer abstieß unter den Klängen der Musik von einer sie begleitenden Barke, und als vom Ufer herüber die Jubelrufe des Volkes schallten und ihm dies alles die Lage in das Gedächtnis rief, in die er geraten war, da lenkte er durch eine energische Anstrengung sein Sinnen und Empfinden ab von allem andern und richtete seine ganze Aufmerksamkeit, einzig und allein auf die Notwendigkeit, sich die Gunst seiner Königin zu erhalten. Er bot all sein Talent auf, durch die ihm von der Natur verliehenen Gaben zu gefallen und zu fesseln, mit solchem Erfolge, daß die Königin, einerseits entzückt durch seine Unterhaltung, andrerseits besorgt um seine Gesundheit, ihm endlich zeitweilig gebot, sich still zu verhalten, mit scherzhaften, doch von ängstlicher Fürsorge um seine Gesundheit diktierten Worten. »Mylords,« sprach sie, »nachdem wir Unserm lieben Lord Leicester zeitweilig Stille auferlegt haben, wollen Wir Eure Gedanken mit einer lustigen Sache befassen, für deren Beratung sich die jetzige Zeit, da uns Musik und Fröhlichkeit beherrschen, besser schickt, als die ernsten Stunden, die wir dem Staat und seinem Wohl zu widmen haben. ... Wer von den Herren Lords weiß etwas zu erzählen,« fragte sie mit Lächeln, »von einer Bittschrift eines gewissen Orson Pinnit, seines Zeichens Aufseher, wie er sich selbst zu titulieren liebt, über unsre königlichen Bären? Wer steht zu seinem Gesuch Gevatter?« »Das ist mein Fall, Majestät, mit Ihrer gnädigen Erlaubnis,« sprach der Graf von Sussex. »Orson Pinnit war ein wackrer Kriegsmann, ehe er durch die Skenes des irischen Mac Donaugh zu solchem Krüppel wurde, und wie Ihrer Majestät Huld und Gnade Ihren getreuen Untertanen immer zugewandt ist, so wird sie wohl auch diesem, der nicht zu den schlechtesten gehörte, nicht fehlen.« »Sicherlich ist es,« sprach die Königin, »Unsre Absicht, Unsern Untertanen, vor allem Unsern armen Soldaten und Seeleuten, die für geringen Sold ihr Leben wagen, Unsre Huld zuzuwenden. Wir möchten eher,« fügte sie mit blitzenden Augen hinzu, »jenen königlichen Palast dort drüben zum Spital für sie einrichten lassen, als im Lichte der Undankbarkeit bei ihnen stehen wollen. ... Aber,« sprach sie weiter, und ihre Stimme, die zufolge der patriotischen Regung einen gewissen Schwung angenommen hatte, verfiel in den leichtern Klang fröhlicher Unterhaltung, »darum dreht sich die Angelegenheit nicht, denn das Gesuch dieses Orson Pinnit geht um einiges weiter. Er beschwert sich darüber, daß infolge des großen Interesses, das beim Volke jetzt für die schauspielerischen Aufführungen eines gewissen Will Shakespeare eingekehrt sei, ... von dem wir, meine Herren Lords, wohl sämtlich auch bereits gehört haben ... das männliche Vergnügen der Bärenhetzen langsam ganz in Verfall gerate; denn den Menschen sei es jetzt bequemer und angenehmer, zuzusehen, wie sich Komödianten im Spaß umbringen, als daß sie sich noch selbst in Lebensgefahr setzen – – was sagt Ihr hierzu, Earl of Sussex?« »Je nun, huldvolle Madame,« nahm Sussex das Wort, »Sie dürfen wahrlich von einem alten Kriegsmann gleich mir nicht erwarten, daß er sich begeistre für Schlachten auf Theaterboden, sofern sie in Parallele gestellt werden mit Schlachten im Ernstfalle; nichtsdestoweniger, meiner Treu! will ich nicht Will Shakespeares Schaden. Er ist ein Kerl, der seinen Mann steht im Stoß mit dem Stab und im Kampf mit dem kurzen Schwert wie selten einer, wenngleich er, wie mir zu Ohren gekommen, hinkt. Es heißt, er habe noch vor kurzem erst einen strammen Strauß bestanden mit ein paar Förstern oder Treibern Sir Thomas Lucys of Charlecot, weil er in den Wildpark desselben eingebrochen ist und der Tochter des einen der Förster oder Treiber einen Kuß geraubt hat.« »Mit Verlaub, Mylord of Sussex,« sprach die Königin, »diese Angelegenheit ist zum Vortrag gelangt in Unserm Rate, und Wir wünschen nicht, daß diesem Burschen größres Unrecht nachgeredet werde, als er begangen hat. Von einem Kusse ist keine Rede gewesen und der Verteidiger hat die Abrede im Protokoll vermerkt. Aber was sagt Ihr zu seinem dermaligen Gewerbe, Mylord, zu seinem Komödiantentum? Denn hiervon sprechen Wir jetzt, nicht aber von seinem Vorleben und den Torheiten, die in dessen Zeit fallen.« »Je nun, Madame,« entgegnete Sussex, »wie ich vordem bemerkt habe, so will ich nicht, daß der Mann in Schaden komme, Verschiednes von der lüderlichen ... ich bitte Ihre Majestät ob dieses Beiworts um Verzeihung ... Dichterei des Menschen ist mir durch Mark und Bein gedrungen, das bekenne ich; aber im großen und ganzen ist es doch eitler Tand, was er macht. Es ist weder Fisch noch Fleisch, wie ja Ihre Majestät auch selbst empfinden werden. Was ist solch ein halbes Dutzend Wichte mit verrosteten Schwertern und zerfetzten Schilden, die bloß so tun, als wenn sie sich schlügen, im Vergleich zu dem königlichen Treiben von Bärenhatzen, die durch die Anwesenheit sowohl Ihrer Majestät wie Hochdero Vorfahren in diesem Ihrem Königreiche so oft ausgezeichnet worden und in der ganzen Christenheit berühmt sind durch die unvergleichlichen Bulldoggen und verwegnen Bärenkämpfer?« »Fürwahr, Mylord,« sagte die Königin mit Lachen, »Ihr nehmt Euch dieser Angelegenheit mit großem Feuer an, und was Ihr sagt, soll nicht auf toten Boden fallen. Wir denken, in Unserm Leben noch nicht der letzten Bärenhatz beigewohnt zu haben. ... Jedoch, wer will nun zur Sache sprechen?« »Darf ich mich für befreit ansehen von dem mir auferlegten Zwang zu schweigen, königliche Gebieterin?« nahm der Earl of Leicester nun das Wort. »Sicherlich, Mylord,« antwortete huldvoll die Königin, »das heißt mit dem Vorbehalt, daß Ihr Euch kräftig genug fühlt, an Unserm Scherze teilzunehmen und in dem Wortgefecht Euren Mann zu stehend ... Und doch,« fügte sie bei, »wenn ich an Euer Wappen denke, den Bären mit dem Knüppel, so meine ich, es hatte sich ein Redner lieber melden sollen, der in geringerm Maße Parteimann hierbei ist.« »Huldvolle Fürstin, nein!« hub der Graf von Leicester an, »wenngleich mein Bruder Ambrosius von Warwick und ich das alte Bild im Wappen führen, dessen sich Ihre Majestät zu erinnern geruhen, so ist es nichtsdestoweniger mein Wunsch, daß ehrlich Spiel walte oder, wie es bei solcher Hatz als Motto gilt, »dem Hunde, was dem Hunde, dem Bären, was dem Bären zukommt!« Was nun die Komödianten anbetrifft, so muß ich sagen, es sind gar kecke Gesellen, durch deren Witz und Späße aber die große Menge des Volkes abgelenkt wird von der Aufmerksamkeit für die politischen Fragen, desgleichen der Zeit beraubt wird, schlimme, dem Staate schädliche Reden, hohle Gerüchte und illoyales Gefasel mit anzuhören. Befaßt sich die Menschheit mit Leuten wie Marlowe, Shakespeare und andern solchen Bühnenfexen, verfolgt sie den »Knoten«, wie sie sich in ihrer Fachsprache auszudrücken belieben, ihrer Bühnenstücke, dann wird ihr Geist davon abgelenkt, sich mit dem Leben und der Aufführung derer zu beschäftigen, in deren Händen das Regiment über sie ruht.« »Wir fühlen jedoch nicht den Wunsch, die Aufmerksamkeit Unsrer Untertanen von Unserm Tun und Lassen abzulenken, Mylord,« erwiderte Elisabeth, »weil ihnen die wahren Beweggründe für Unsre Handlungen um so klarer ersichtlich sein dürften, je schärfer sie dieselben beobachten und verfolgen können.« »Mir ist indessen zu Ohren gekommen,« nahm der Dekan von St. Asaph das Wort, ein hervorragender Puritaner, »daß diese Komödianten in ihren Aufführungen nicht bloß profane, häßliche Ausdrücke gebrauchen, die danach angetan sind, Sünde und Lotterei zu verbreiten, sondern auch Reden über die Regierungen, über Ursprung und Zweck derselben im Munde führen, die wohl im stande sein können, Unzufriedenheit zu wecken, und die festen Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft zu erschüttern. Mit Ihrer Majestät Verlaub, es will mir demnach nicht am Platze zu sein scheinen, daß solchen windigen, sich übler Rede befleißigenden Patronen gestattet werde, Menschen, die sich eines gottgefälligen Wandels befleißigen, um ihrer Zucht und ihrer Sitte halber zu bewitzeln und durch gotteslästerliche Reden und Schmähungen der Diener Gottes alles göttliche und irdische Gesetz in den Staub zu ziehen.« »Könnten Wir glauben, Mylord, daß es in Wahrheit sich also verhielte,« nahm Elisabeth des Wort, »so würden Wir solches Beginnen ohne Zaudern streng ahnden. Aber es ist eine üble Sache, sich eine Meinung gegen einen Brauch aus seinem Mißbrauch zu bilden. Was den besagten Shakespeare angeht, so sind Wir der Ansicht, daß sich in seinen Komödien mancherlei findet, was ein paar Dutzend Bärengärten aufwiegt, und daß die neue Schöpfung seiner, wie er es nennt, »Chroniken«, den lebenden Untertanen Unsrer Regierung nicht allein, sondern auch künftigen Geschlechtern zu gute kommen dürfte.« »Eurer Majestät Regierung wird solcher schwachen Mittel nicht bedürfen, um in der Erinnerung der Nachwelt bestehen zu bleiben,« ergriff Leicester das Wort; »und doch hat gerade dieser Shakespeare in dieser Hinsicht mancherlei Ereignisse aus Ihrer Majestät glorreicher Regierung in so trefflicher Weise zur Darstellung gebracht, daß alle Beschwerden, die Seine Hochwürden der Dekan von St. Asaph hier vorgebracht hat, reichlich aufgewogen werden. Mir fallen da einige Strophen ein ... schade, daß mein Neffe Philipp Sidney nicht zur Stelle ist, denn er führt sie fast immer im Munde, sie kommen in einem Feenstücke vor, das, soviel ich weiß, »Liebeszauber« oder ähnlich heißt; aber diese Strophen sind wunderschön, so kurz sie sind und so wenig sie den Gegenstand erschöpfen, auf den sie mit nicht zu verkennender Kühnheit anspielen. ... Mein Neffe zitiert sie, glaube ich, sogar in seinen Träumen.« »Ihr legt Uns Tantalusqualen auf, Mylord,« sagte die Königin, »Junker Philipp Sidney ist, wie Wir recht wohl wissen, ein Günstling der Musen, und Wir freuen Uns, daß es an dem ist. Ritterlicher Sinn erglänzt nie heller und schöner, als wenn er sich paart mit edlem Geist und Liebe zu den Wissenschaften. Sicherlich sind aber manch andre unter Unsern jungen Höflingen, die sich auf Dinge nicht besinnen können, die Eurer Lordschaft aus dem Gedächtnis entschwunden sind unter weit wichtigern Geschäften. – Junker Tressilian, Ihr werdet Mir beschrieben als ein Verehrer Minervens ... besinnet vielleicht Ihr Euch auf diese Strophen?« Tressilian war das Herz zu schwer, die Aussichten, die ihm das Leben eröffnet hatte, waren zu grausam vernichtet worden, als daß er hätte den Ehrgeiz fühlen sollen, solche Gelegenheit wahrzunehmen, wie sie sich ihm bot, die Aufmerksamkeit seiner Königin zu fesseln, aber er fand Kraft zu dem Entschlusse, seinem jungen und ehrgeizigern Freunde diesen Vorteil zuzuweisen, entschuldigte sich mit Gedächtnisschwäche und bemerkte, daß seines Wissens Walter Raleigh die schönen Verse, deren Lord Leicester Erwähnung getan, im Gedächtnis haben dürfe. Auf den Befehl der Königin zitierte dieser Kavalier mit einer Betonung und einem Anstand, die ihrem ausgesucht köstlichen Zartsinn und ihrer lieblichen Schönheit noch einen wunderbareren Reiz verliehen, die berühmte Vision Oberons: Ich sah zur selben Zeit (Du sahst es nicht), Kupido schwebend zwischen Mond und Erde, Er war bewaffnet, und sein hehres Ziel – Jetzt eine schöne Priesterin der Vesta Auf einem Thron im Abendland – es flog Der Pfeil vom Bogen rasch, als sollt er dringen Durch hunderttausend Herzen, doch die Glut Des Pfeils erlosch in Dianens feuchten Strahlen, Und weiter schritt die keusche Herrscherin, Jungfräulich sinnend, stolz und leicht und frei.« Walter Raleighs Stimme zitterte leicht, als er zu den letzten Strophen gelangte, gleich als ob er unsicher sei, wie die Königin, an die sich die zarte Huldigung richtete, sich dazu stellen werde. War dieses Zagen erkünstelt, so ließ sich nichts andres sagen, als daß es seine Politik sei; war es hingegen echt, dann war geringer Grund dazu vorhanden. Die Verse waren der Königin wahrscheinlich nichts Neues, denn wie hätte solche vornehme Schmeichelei nicht alsbald den Weg zu dem Ohre finden sollen, auf das sie gemünzt war? Indessen waren sie dort nicht minder willkommen aus eines solchen Deklamators Munde, wie Walter Raleigh war. Gleich entzückt durch den Inhalt, den Vortrag und die anmutige Gestalt, wie das lebhafte Mienenspiel des ritterlichen Jünglings und Rezitators, bezeichnete Elisabeth den Rhythmus durch Blick und Finger. Als der Deklamator geendet hätte, flüsterte sie, fast ohne zu wissen, daß sie belauscht werde, die letzten Strophen, und als sie, die letzte derselben sprach: Jungfräulich sinnend, stolz und leicht und frei, da warf sie die Bittschrift des Aufsehers des königlichen Bärengartens, Orson Pinnit, in die Themse, mit dem Gedanken, sie möge zusehen, ob sie freundlichere Aufnahme fände in Sheerneß oder wo es ihr sonst belieben solle vorzusprechen. Leicester wurde durch den glücklichen Erfolg, den der jüngere Höfling geerntet hatte, zum Wetteifer gespornt, wie der Veteran von Renner aufgescheucht wird, wenn ein kräftiges Füllen ihm auf der Bahn voransaust. Er lenkte die Rede auf Schaustellungen, Banketts, Aufzüge, Gepränge und auf die Rollen derjenigen, die bei solchen Szenen zumeist vertreten sind. Er vereinte scharfe Beobachtung mit leichter Satire in jenem richtigen Verhältnis, das frei war wie von hämischer Verleumdung so auch von fader Lobhudelei. Er ahmte höchst geschickt Redeweise und Gebärdenspiel der affektierten und possenhaften Leute nach, und die ihm persönlich eigne Anmut in Rede und Wesen schien sich, wenn er sich ihrer befliß, zu verdoppeln. Fremde Länder, ihre Bräuche und Sitten, das Zeremoniell an ihren Höfen, die Moden, ja auch der Anzug der Damen, dies alles war ihm gleich geläufig; und selten schloß er seine Rede, ohne der jungfräulichen Königin sowohl über ihre eigne Person als über ihre Hofhaltung und Regierung ein zartes und zutreffendes Kompliment zu sagen. In dieser Weise wurde während dieser Lustfahrt die Unterhaltung geführt, an welcher sich auch die andern dem Hofe attachierten Herren durch muntre, mit Zitaten aus ältern und neuern Schriftstellern gewürzte Reden jeder an seinem Teile eifrig beteiligten, während die mitanwesenden Staatsmänner und Weisen gediegne Aussprüche über Staats- und Wirtschaftspolitik und Worte und Gedanken einer gesunden Moral hinzugaben, und also Weisheit mit dem leichtern Geplauder an einem Damenhofe einten. Als man nach dem Palaste zurückkehrte, nahm oder vielmehr wählte Elisabeth Leicesters Arm als Stütze für den Weg von den Landungsstufen bis zum Haupttore. Es kam ihm sogar vor – eine Empfindung, die ihren Ursprung auch vielleicht nur in den schmeichlerischen Einflüsterungen seiner Phantasie hatte, als ob sich die Königin auf dieser kurzen Wegstrecke fester als sonst auf seinen Arm stütze, – fester, als es der nicht übermäßig schlüpfrige Boden notwendig mache. Ganz sicher wirkte bei der Königin Tun und Reden zusammen, einen Grad von Gunst zum Ausdruck zu bringen, den der Graf, selbst in seinen stolzesten Tagen, bisher noch nicht erlangt hatte. Sein Rival erfreute sich allerdings wiederholter Auszeichnung durch die königliche Huld; das geschah aber in einer Weise, die weniger aus spontaner Neigung zu entströmen, als durch Rücksicht auf seine mannigfachen Verdienste bedingt zu sein schien. Und in der Meinung vieler erfahrnen Höflinge wurde all die Huld, die sie ihm bezeigte, mehr denn aufgewogen durch die Aeußerung, die sie Lady Derby ins Ohr flüsterte, »daß sie nun merke, daß Krankheit eine weit bösere Älchimistin sei, als sie sich je gedacht habe, denn man sehe doch, daß sie das Kupfer auf der Nase des Lord Sussex in eitel Gold verwandelt habe.« Der Scherz kursierte alsbald unter den Höflingen, und der Earl of Leicester weidete sich an seinem Triumph so recht, wie jemand, der Hofgunst als das Alpha und Omega seines Lebens ansieht, dieweil er im Rausch des Augenblicks die Wirrnisse und Fährlichkeiten seiner persönlichen Lage vergißt. Tatsächlich dachte er in diesem Augenblick, so seltsam es auch scheinen mag, weniger an die aus seiner geheimen Ehe erwachsenden Gefahren, als an die Beweise von Huld, die Elisabeth von Zeit zu Zeit dem jungen Raleigh spendete. Im Laufe des Abends trug sich ein weitrer Umstand zu, der Leicesters Aufmerksamkeit noch stärker auf diesen Gegenstand richtete. Die Edelleute und Höflinge, die die Königin auf ihrer Lustfahrt begleitet hatten, wurden mit königlicher Gastfreundschaft zu einem splendiden Mahl im Festsaale des Palastes geladen. Die Tafel wurde freilich nicht durch die Anwesenheit Ihrer Majestät ausgezeichnet, denn gemäß ihrer Vorstellung von Sittsamkeit und Würde war die jungfräuliche Königin gewohnt, bei solchen Gelegenheiten allein oder mit einigen Lieblingsdamen ihr einfaches und bescheidnes Mahl zu sich zu nehmen. Nach kurzer Frist traf der Hof in dem prächtigen Garten des Palastes wieder zusammen, und als man dort lustwandelte, richtete die Königin an eine ihr nahestehende Hofdame die Frage, was aus dem jugendlichen »Ritter Schmutzmantel« geworden sei. Lady Paget antwortete, »sie habe Junker Raleigh erst vor drei bis vier Minuten gesehen, und zwar am Fenster eines kleinen Pavillons oder Lusthäuschens, das nach der Themse hinaus läge, und daß er mit einem Diamantringe die Fensterscheibe geritzt habe.« »Der Ring,« versetzte die Königin, »war ein Geschenk von mir, ein geringer Ersatz für den Mantel, den er sich verdorben hat. Komm, Paget, sehen wir zu, was er gemacht hat. Ich durchschaue ihn nun schon. Er ist ein merkwürdig kluger Kopf.« Die Damen begaben sich zu der Stelle, von wo aus sie, wenn auch nur von weitem, das Fenster sehen konnten, an dem der junge Kavalier noch immer lehnte, gleich dem Vogelsteller, der seinen Sprenkel gestellt hat und nun auf das Vögelchen wartet, das sich fangen soll. Die Königin näherte sich dem Fenster, an dem Junker Raleigh ihr Geschenk versucht hatte, um die folgende Strophe einzukritzeln: »Gern stiege ich, wär bloß das Fallen nicht!« Die Königin lächelte, las die Strophe aber- und abermals, las sie Lady Pagei vor und dann nochmals allein für sich. »Ein hübscher Anfang,« meinte sie nach kurzer Erwägung, »aber mich bedünkt, die Musen haben den guten Weisen im Stich gelassen nach seiner ersten Lösung einer gestellten Aufgabe. Es wäre doch ganz nett, meinst Du nicht, Paget? wenn man den Vers an seiner Statt ergänzte: Versuche doch mal, was Du zu reimen vermagst!« Lady Paget ... von Kindesbeinen an eine echt prosaische Natur, wie nur je eine Kammerfrau bei Hofe vor ihr oder nach ihr ... lehnte jede Möglichkeit, dem jungen Dichter beizuspringen, unbedingt ab. »Nun, dann müssen Wir Uns selbst den Musen weihen!« sprach Elisabeth. »Niemand kann süßern Weihrauchs sich gewärtigen,« sagte Lady Paget, »und Eure Hoheit wird den Damen vom Parnaß sehr schwere Verlegenheit bereiten ...« »Pst, Pst!« sagte die Königin, »Ihr begeht ja Hochverrat an den unsterblichen neun Schwestern ... doch da auch sie jungfräulich sind geblieben, läßt sich vielleicht annehmen, daß sie sich einer jungfräulichen Königin hold erweisen werden ... und darum ... nun, versuchen wirs! ... Wie lautet seine Strophe? Gern stiege ich, wär bloß das Fallen nicht! könnte die Antwort nicht ganz gut lauten: Steig gar nicht erst, wenn Dirs an Mut gebricht!« Die Ehrendame klatschte freudig überrascht Beifall über die so glückliche Lösung der gestellten Aufgabe. Die Königin, hierdurch ermutigt, zog einen Diamant vom Finger und sprach: »Wir wollen diesem jungen Herrn ein wenig Ursache geben zur Verwunderung; wenn er zurückkommt, soll er seinen Vers also ergänzt finden, ohne daß es ihm Mühe gemacht hat.« Nach diesen Worten setzte sie die selbstgefundne Zeile unter die andre. Darauf verließ sie den Pavillon, zog sich aber sehr langsam zurück und nicht, ohne sich öfters umzusehen; und da konnte sie wahrnehmen, daß der Junker auf Windesflügeln zu der Stelle hin eilte, wo sie eine kurze Weile gestanden. »Bloß um zu sehen,« wie sie sagte, »ob das Manöver ihr geglückt wäre,« blieb sie ein Weilchen stehen und dann schlug sie, herzlich über den Vorfall lachend, mit ihrer Dame den Rückweg zum Palaste ein. Unterwegs verbot Elisabeth ihrer Dame, über die Hilfe, die sie dem jungen Poeten geleistet, zu irgendwem etwas verlauten zu lassen, und Lady Paget gelobte unverbrüchliches Schweigen. Indessen möge nicht unbemerkt bleiben, daß sie zu gunsten Leicesters eine »resevatio mentalis«, einen Gedankenvorbehalt, machte und dem edlen Lord unverzüglich Kenntnis gab von dem Vorfall, so wenig er auch geeignet erschien, demselben zur Freude zu gereichen. Raleigh hatte sich inzwischen an das Fenster geschlichen und las mit Entzücken die verblümte Ermutigung, die die Königin seinem Ehrgeize gegeben. Dann begab er sich zu Sussex, und dessen Gefolge zurück, das sich eben einschiffen wollte. Hoch schlug ihm das Herz vor Stolz über die Auszeichnung, die ihm winkte. Die Ehrfurcht, die man vor dem Grafen im Herzen trug, wehrte jede Aeußerung, ja jede Betrachtung über die Annahme, die demselben bei Hofe geworden, bis man ans Land stieg und bis sich der gesamte Hofhalt des Grafen in der großen Halle von Says-Hof versammelte, wo der Lord, durch seine letzte Krankheit und durch die Anstrengungen erschöpft, sich in sein Zimmer zurückzog, um nach dem Beistande des Schmieds, seines unglücklichen Arztes, zu verlangen. Aber Wieland der Schmied war nirgends zu finden, und während einige der gräflichen Mannen ungeduldig nach ihm suchten, scharten sich die andern um Raleigh, um ihm Glück zu den Aussichten, die er bei Hofe hatte, zu wünschen. Walter Raleigh besaß Urteilskraft und Taktgefühl genug, um den Umstand mit dem Verse zu verschweigen, zu dem die Königin einen Reim zu suchen sich herabgelassen hatte. Indessen war manches andre bekannt geworden, das jeden Zweifel hob, daß er in der Gunst der Königin Fortschritte gemacht habe. Raleigh dankte jedem dieser Gratulanten auf das verbindlichste, machte indessen hierbei die Bemerkung, daß es noch lange nicht auf Gunst bei Hofe deute, wenn er einmal einen glücklichen Tag gehabt habe, so wie auch eine Schwalbe noch nicht den Sommer mache. Blount stimmte, wie er wahrnahm, nicht in die allgemeinen Glückwünsche ein, und einigermaßen empfindlich über diese anscheinende Teilnahmlosigkeit, fragte Raleigh nach dem Grunde. Blount antwortete mit der an ihm gewohnten Höflichkeit: »Mein lieber Walter, ich wünsche Dir alles Gute, wie sonst einer von all den Kumpanen, die sich um Dich scharen und Dir ihre Glückwünsche ins Ohr flüstern, wie wenn Du gut Wetter haben würdest; aber, Freund, ich habe Sorge um Dich!« bei diesen Worten trocknete er sich das redliche Auge; »recht große Sorge! Dergleichen Leben bei Hofe mit den ewigen Intrigen und Tänzen und Witzen aus Weiberaugen, dieses Haschen nach Weibergunst und so weiter, das sind die Kniffe und Pfiffe, durch die sich gutes Gold in schlechtes Kupfer verwandelt, die schönen Fratzen und witzigen Schädeln zur Bekanntschaft mit unheimlichen Blöcken und scharfen Beilen verhelfen.« Mit diesen Worten stand Blount auf und verließ die Halle, während Raleigh ihm nachblickte mit einem Ausdruck, der auf einen Augenblick sein keckes, lebendiges Gesicht verdüsterte. Ein Diener trat gerade ein in die Halle und sagte zu Tressilian: »Mylord wünscht Euren Burschen Wieland zu sehen, und eben ist Euer Bursche Wieland in einem Kahne hergekommen und wünscht Euch zu sehen und will erst zu Mylord gehen, wenn er mit Euch gesprochen hat. Der Bursche sieht aus, als wenn er nicht recht gescheit wäre, so sieht es mir wenigstens aus . . . ich rate, sprecht gleich mit ihm!« Tressilian verließ auf der Stelle die Halle, ließ den Schmied in ein angrenzendes Gemach führen und Lichter hinein tragen. Dann begab er sich selbst dorthin. Mit Erstaunen nahm er die Erregung wahr, die sich auf dem Gesicht des Mannes zeigte. »Was ist denn los mit Euch, Wieland?« fragte er. »Habt Ihr etwa den Satan vor Augen gehabt?« »Schlimmer, schlimmer,«, versetzte Wieland, »einen Basilisken habe ich gesehen! ... Gott sei gedankt, daß ich ihn zuerst gesehen habe, denn auf diese Weise und da er mich nicht gesehen, wird er weniger Unheil stiften.« »Im Namen Gottes, redet, Schmied!« sagte Tressilian, »redet vernünftig und sagt, was Eure Worte bedeuten.« »Ich habe meinen alten Prinzipal gesehen,« sagte der Schmied, »gestern nacht bin ich mit einem Freunde, den ich hier gefunden, weggegangen; er wollte mir die Uhr im Paläste zeigen, weil er meinte, ich sehe solches Kunstwerk gern ... und am Fenster eines Türmchens, unfern von der Uhr ... da habe ich ihn gesehen ... da habe ich meinen alten Meister gesehen!« »Du mußt Dich ganz gewiß getäuscht haben, Schmied,« entgegnete Tressilian. »Ich habe mich nicht verguckt,« erwiderte Wieland der Schmied, »wer diese Züge nur einmal in seinem Leben gesehen hat, der kennte ihn heraus aus Millionen! Er hatte sich in eine uralte Tracht gesteckt, aber vor mir kann er sich nicht verkleiden, Gott seis gedankt, wie ich mich vor ihm. Indessen will, ich die Vorsehung nicht herausfordern dadurch, daß ich in seiner Höhle bleibe. Schauspieler Tarleton könnte sich so nicht verkleiden und verstellen, daß ihn Doboobie nicht früher oder später herausspintisierte. Ich muß morgen weg von hier, denn so wie ich mit ihm stehe, wäre es mein Tod, wenn ich im Bereich seiner Augen und Hände bliebe.« »Aber der Graf von Sussex?« fragte Tressilian. »Was er bisher genossen hat, wird ihm wenig mehr schaden, vorausgesetzt, daß er allmorgentlich so viel wie eine Bohne von dem Orvietan schluckt auf nüchternen Magen ... doch muß er sich hüten vor jedem Rückfall.« »Und wie kann man ihn davor bewahren?« fragte Tressilian. »Einzig und allein durch solche Vorsicht, wie man sie dem Teufel gegenüber anwenden müßte,« entgegnete Wieland. »Mylords Mundkoch muß jede Speise, die er für Mylord bereitet, selbst anrichten, muß jedes Tier, von dem er nimmt, selbst schlachten, darf kein anders Gewürz dazu verwenden als solches aus ganz sichern, verläßlichen Händen. ... Der Vorschneider muß die Speisen selbst auftragen, und der Haushofmeister muß darauf achten, daß beide, Koch und Vorschneider, von den Speisen, die der eine kocht, der andre austrägt, selbst zuvor kosten, ehe Mylord die Lippen daran rührt. Dann darf Mylord an nichts riechen, das nicht von ganz verläßlichen Leuten herrührt, darf keine Salbe, keine Pomade gebrauchen außer von durchaus bekannter Quelle. Mylord darf in keinem Falle mit Fremden trinken oder Obst bei Fremden genießen, gleichviel wann. Vor allen Dingen soll er die äußerste Vorsicht üben, wenn er sich nach Kenilworth begibt ... seine Krankheit, sowie der Umstand, daß er noch immer strenge Diät beobachten muß, wird und muß die Sonderbarkeit solches Verhaltens in den Augen der Welt entschuldigen.« »Und Du, Wieland,« fragte Tressilian, »was soll aus Dir hinfort werden?« »Frankreich, Spanien oder Indien, gleichwohl ob Ost- oder Westindien, sollen mein Zufluchtsort werden,« erwiderte Wieland, »ehe ich mein Leben in Gefahr setze dadurch, daß ich in der Höhle dieses Doboobie oder Demetrius oder wie er sich gerade nennt, verbleibe.« »Gut,« versetzte Tressilian, »es kommt mir nicht ungelegen ... ich hatte für Euch in Berkshire was zu besorgen; aber in dem entgegengesetzten Zipfel von dem, den Du kennst, und schon ehe Du diesen neuen Grund, Dich in Verborgenheit zurückzuziehen, gefaßt hast, war es meine Absicht, Dich mit einem geheimen Auftrag dorthin zu schicken.« Der Schmied sprach seine Bereitwilligkeit hierzu aus, und Tressilian, der recht gut wußte, daß der Schmied mit der Natur der Geschäfte, die er bei Hofe hatte, nicht unbekannt war, setzte ihn nun vollständig in Kenntnis davon und ließ auch nicht unerwähnt, welche Abmachung er mit Giles Gosling getroffen hatte, wie er ihm auch erzählte, was Varney an jenem Tage in dem Audienzgemach erzählt und wofür sich Leicester verbürgt habe. »Du siehst,« setzte er nach einer Weile hinzu, »daß es mir unter den Umständen, in die ich geraten bin, wohl geziemt, auf das Tun und Lassen solcher grundsatzlosen Menschen wie Varney und seiner Komplizen, Foster und Lambourne, ein ebensolch scharfes Auge zu halten wie auf Lord Leicester selbst, der, wie ich argwöhne, teilweise Betrüger und keineswegs Betrogner in dieser Sache ist. Hier ist mein Ring als Pfand und Ausweis für Dich bei Giles Gosling, hier auch Gold, das dreifach vermehrt werden soll, wenn Du mir treu und redlich dienst. Und nun auf nach Cumnor! Und sieh zu, was dort geschieht.« »Ich gehe mit zwiefach gutem Willen,« erwiderte der Schmied, »erstlich, weil ich Euer Ehren diene, der so gütig gegen mich gewesen ist, und dann, um meinem alten Meister zu entgehen, der, sofern er nicht der Satan in Fleisch und Blut ist, doch wenigstens unheimlich viel vom Satan an sich hat, in seinem Willen sowohl wie in seinem Wort und seinem Handeln, wie nur je in einem Menschen zur Schande der Menschheit vorhanden gewesen sein mag.... Und doch soll er sich hüten vor mir! Ich fliehe vor ihm wie ehedem, aber gleich dem Wildochsen Schottlands reizt mich die häufige Hetze zur Wildheit, bis ich Haß und Verfolgung gegen ihn kehre. ... Will Euer Ehren Befehl geben zum Satteln meines Kleppers? Ich will nur Mylord die Medizin noch reichen, die ich in die verschiednen Portionen zerlegt habe, und einige Weisungen dazu hinterlegen. Sein Wohlbefinden und seine Rettung wird dann abhängen von seiner Dienerschaft und seinen Freunden. ... Vor dem, was geschehen, ist er außer Gefahr, aber, vor der Zukunft bewahrt und hütet ihn wie ein rohes Ei!« Wieland der Schmied empfahl sich nun bei dem Grafen, gab ihm einige Winke für seine Diät und über seine sonstige Lebens- und Verhaltungsweise, Dann verließ er, ohne den Anbruch des Morgens abzuwarten, Says-Hof. Zweites Kapitel Als Leicester in seinen Palast zurückkehrte nach einem so wichtigen und sorgenvollen Tage, fühlte er sich, trotzdem sich seine Flagge zuletzt siegreich behauptet hatte, auf den Tod erschöpft, ganz wie ein Seemann nach gefährlichem Orkan. Als ihm sein Kämmrer den Mantel abnahm und ihm dafür den mit Zobel verbrämten Schlafrock reichte, sprach er kein Wort, und als ihm der gleiche Bedienstete meldete, daß Junker Varney mit Seiner Lordschaft zu sprechen begehre, erwiderte er bloß durch ein schwerfälliges Nicken. Varney sah dieses Nicken als Erlaubnis an und trat ein, worauf der Kämmerer sich zurückzog. Der Earl verhielt sich schweigend und rührte sich fast nicht in seinem Sessel. Sein Kopf ruhte in seiner Hand, und mit dem Ellbogen stützte er sich auf den Tisch, der vor ihm stand. Er schien den Eintritt seines Vertrauten kaum zu bemerken. Varney wartete ein paar Minuten, ob der Earl das Wort nehmen werde. Als dies nicht der Fall war, sah er sich , erpicht darauf, zu erfahren, welche Stimmung das Gemüt des Grafen jetzt beherrsche, endlich genötigt, selbst das Wort zu nehmen. »Darf ich Eurer Herrlichkeit gratulieren zu dem gestern errungnen Siege,« fragte er, »über den höchst gefährlichen Nebenbuhler?« Leicester hob das Haupt und antwortete finster, aber ohne Groll: »Du, Varney, weißt doch am besten, wie wenig Ursache im vorliegenden Falle ist zu Gratulationen, ist es doch lediglich Deine Kombinationsgabe, die mich in dieses Spinngewebe von Falschheit und Niedertracht verheddert hat!« »Tadelt Ihr mich, Mylord,« sagte Varney, »weil ich nicht auf den ersten Anlauf ein Geheimnis preisgab, von dem Euer Glück abhängig und das Ihr so oft und mit so viel Ernst mir als heilig zu hüten ans Herz gelegt habt? Eure Lordschaft war persönlich anwesend und hätte mir widersprechen können, hätte sich durch ein Bekenntnis der Wahrheit selbst zu gründe richten können; ganz ohne Zweifel war es aber nicht Sache eines getreuen Wieners, so zu handeln ohne unmittelbaren Befehl von Eurer Lordschaft.« »Was kann ich nicht in Abrede stellen, Varney,« erwiderte der Graf, indem er aufstand und quer durch das Gemach schritt; »mein eigner Ehrgeiz ist zum Verräter meiner Liebe geworden.« »Sagt lieber, Mylord, daß Eure Liebe zum Verräter geworden ist an Eurer Größe und Euch eine Aussicht sperrt auf Ehre und Macht, wie sie die ganze große Welt keinem zweiten ihrer Söhne wieder bieten kann. Dadurch, daß Ihr meine werte Frau zur Gräfin erhobet, habt Ihr dem Glück entsagt, daß Euch persönlich ...« Er machte eine Pause und schien keine Lust zu haben zur Vollendung des Satzes. »Welches persönlichen Glücks?« fragte Leicester; »sprich es aus, Varney, was Du meinst!« »Des Glückes, selbst ein König zu werden,« ergänzte, Varney seine Rede, »des Glückes, König von England zu werden! ... So zu sprechen ist kein Verrat an unsrer Königin. Indem sie Euch erwählte, hätte sie den Wunsch all ihrer Untertanen erfüllt und ihrem Lande einen lustigen, edlen und ritterlichen König gegeben!« »Du rasest, Varney,« antwortete Leicester. »Uebrigens haben doch gerade wir in unsern Tagen genug davon gesehen, was Männern für Heil wird durch Kronen, die ihnen zufallen aus Weibergunst! Nimm bloß in Schottland Darnley!« »Der!« sagte Varney, »ein Trottel, ein Narr, ein dreifach gesottner Esel, der sich wie eine Rakete beim ersten Freudenfeuerwerk in die Luft abschießen ließ! ... Hätte Maria das Glück gehabt, den edlen Earl zum Gemahl zu besitzen, der einst ersehen war, den Thron mit ihr zu teilen, so hätte sie einen Ehemann aus ganz anderm Holze kennen gelernt, und ihr Mann hätte in ihr eine Frau gefunden, so dienstwillig und liebevoll, wie das Gespons des niedrigsten Squire im Lande, die den Hunden zu Pferde folgt und ihm den Zaum beim Aufsteigen hält.« »Möglich, daß Du recht hast, Varney,« sagte Leicester, über dessen sorgenvolles Gesicht ein kurzes Lächeln der Genugtuung huschte. »Henry Darnleys Weiberkenntnis war gleich Null ... mit Maria hätte ein Mann, der mit Frauen umzuspringen wußte, mancherlei Chancen gehabt, das eigne Geschlecht zur Geltung zu bringen. Nicht aber mit Elisabeth, Varney – denn ich denke, Gott, der ihr das Herz eines Weibes schenkte, gab ihr dazu den Kopf eines Mannes, um des Herzens Torheiten im Zaume zu halten. – Nein, ich kenne sie. – Sie wird ein Liebesunterpfand hinnehmen und in gleicher Form und Güte erwidern, wird gezuckerte Sonette in ihren Busen schieben, ja, und mit gleicher Ware dafür zahlen, wird die Galanterie bis auf jene Spitze treiben, wo Neigungsaustausch aus ihr wird – dann aber schreibt sie zu allem folgenden nil ultra und würde kein Jota von ihrer eignen höchsten Gewalt für das gesamte Alphabet Cupidos und Hymens zum Tausche geben.« »Um desto besser für Euch, Mylord,« sagte Varney, »das heißt, wenn sie wirklich solchen Charakters ist ... und wenn Ihr eben meint, auf die Eigenschaft eines Ehegemahls keine Anwartschaft zu haben. Ihr Günstling seid Ihr und dürftet es bleiben, sofern die Dame in Cumnor-Place in ihrer dermaligen Dunkelheit verbleibt.« »Arme Amy,« sagte Lord Leicester mit tiefem Seufzer; »ach, und sie ersehnt es so innig, vor Gott und den Menschen als meine angetraute Gattin sich zu zeigen.« »Ei ja doch, Mylord,« sagte Varney, »hat aber ihr Wunsch Sinn und Verstand? Das ist die Frage. Die religiösen Zweifel der guten Dame sind gelöst ... sie ist ein Weib in Ehren und ein geliebtes Weib ... sie erfreut sich der Gesellschaft ihres Herrn Gemahls, so oft ihm seine höhern Pflichten vergönnen, in ihre Nähe zu eilen. ... Was möchte sie noch weiter wünschen? Meiner Ueberzeugung nach verbringt solch innig liebendes Weib, solch artiges, verständiges Weib ihr Leben lieber weiter in Abgeschlossenheit, – die übrigens auch nicht schlimmer oder härter ist, als sie es von ihrem Leben in Lidcote-Hall gewohnt ist – als daß sie ihrem Herrn Gemahl Eintrag, und sei er noch so gering, täte an Ehre und Größe durch vorzeitigen Versuch, beides zu teilen.« »Eine gewisse Wahrheit liegt in Deinen Worten,« sagte Leicester, »und verhängnisvoll würde es ja sein, wenn sie hier erschiene ... doch muß sie sich in Kenilworth zeigen, denn Elisabeth wird nicht vergessen, daß sie das bestimmt hat.« »Gönnt mir Zeit und Weile, diesen Punkt zu beschlafen,« erwiderte Varney; »sonst kann der Plan, den ich im Sinne habe, nicht reifen, der aber, ausgereift, sowohl der Königin als auch meiner geschätzten Gemahlin zur Befriedigung gereichen dürfte und dabei doch dieses verhängnisvolle Geheimnis in seinem Grabe lassen würde.... Hat Eure Herrlichkeit für die Nacht noch Befehle?« »Ich wünsche allein zu sein,« versetzte Leicester. »Verlaß mich, Varney, und stell meine Kassette auf den Tisch ... doch halte Dich in Rufweite!« Varney zog sich zurück und der Earl öffnete das Fenster, um lange und voll Unruhe auf das funkelnde Sternenmeer am Firmament zu blicken. Unwillkürlich entschlüpften ihm die Worte: »Nie war mir ein freundliches Bild der Himmelskörper so nötig, wie zur gegenwärtigen Zeit und Stunde, denn mein Erdenpfad liegt dunkel vor mir und verworren.« Daß zu der Zeit, in welcher diese Geschichte spielt, die eitlen Weissagungen der Astrologen in hohem Ansehen standen, ist bekannt, und Leicester, wenn auch im großen und ganzen nicht abergläubisch, stand doch in dieser Hinsicht nicht höher als seine Zeitgenossen, sondern lieh vielmehr den Doktoren dieser vermeintlichen Wissenschaft in einer Weise Förderung, die viel bemerkt wurde. Der Graf trat jetzt an die Kassette, sah nach, ob sie noch unversehrt und nicht etwa geöffnet worden sei; dann schloß er sie mit einem Schlüssel, den er aus einem andern Behälter nahm, auf und langte zuerst einige Goldstücke heraus, die er in eine seidne Börse schob, sodann ein Pergament, auf dem planetarische Zeichen standen, wie auch jene Linien und Exempel, die zur Stellung eines Horoskops gebraucht wurden. Eine Weile hielt er den Blick hierauf geheftet, dann griff er nach einem andern größern Schlüssel, der an der Wand hing, schob die Tapete beiseite und schloß eine geheime Tür auf, die im Winkel des Gemachs zu einer in der Mauerdicke befindlichen Wendelstiege führte. »Alasko,« rief der Earl mit gehobner Stimme, doch nur so laut als es notwendig war, um von dem Insassen des kleinen Turmes gehört zu werden, zu welchem hinauf die Stiege führte. »Alasco, erscheine!« »Ich komme, Mylord,« antwortete von oben hernieder eine Stimme. Ner Tritt eines alten Mannes wurde laut, der langsam die schmale Stiege herabkam; und Alasco trat in das Gemach. Es war ein kleiner Mann, dieser Astrologe, und schien bereits sehr alt zu sein, wenigstens war sein langer Bart, der über sein schwarzes Wams bis zu dem seidnen Gürtel herniederhing, schneeweiß. Sein Haar zeigte die gleiche ehrwürdige Farbe, dagegen waren seine Brauen so kohlschwarz wie die scharfen, durchdringenden Augen, die von ihnen beschattet wurden; und diese Merkwürdigkeit gab dem Gesichte des Greises ein seltsames, schreckliches Gepräge. Seine Wangen waren noch frisch und hatten einen rötlichen Anstrich, und die Augen, von denen wir eben gesprochen, wiesen Ähnlichkeit auf mit denen einer Ratte, sowohl in der Scharfe wie auch in der Wildheit des Ausdrucks. Seinem Wesen gebrach es nicht an einer gewissen Würde, und der Sterndeuter schien sich, wenn er auch die Formen des Respekts wahrte, doch keineswegs beklommen zu fühlen, im Gegenteil schlug er in der Unterhaltung mit dem erklärten Günstling Elisabeths einen Ton an, der etwas Schulmeisterliches, ja nicht selten etwas von soldatischer Strenge an sich hatte. »Eure Weissagungen haben sich nicht erfüllt, Alasco,« sagte der Graf, als sie einander begrüßt hatten, – »er ist genesen.« »Mein Sohn,« erwiderte der Astrologe, »laßt mich Euch daran erinnern, daß ich seinen Tod nicht verbürgte – auch laßt sich aus den Himmelskörpern, ihren Aspekten und Konjunktionen, kein Prognostikum stellen, das nicht der Richtigstellung durch den Willen des Himmels unterworfen wurde. Astra regunt homines, sed regit astra Deus.« [Pentameter: Sterne regieren die Menschen, doch Gott regieret die Sterne] »Welchen Wert besitzen dann Deine Mysterien?« fragte der Earl. »Hohen Wert, mein Sohn,« versetzte der Greis, »weil sich durch sie der natürliche und wahrscheinliche Verlauf der Dinge erkennen läßt, wenn er auch einer höhern Macht untertan bleibt. So werden Eure Herrlichkeit, wenn Ihr das Horoskop betrachtet, das Ihr meiner Geschicklichkeit anvertraut, wahrnehmen, daß Saturn, der im sechsten Hause in Opposition zum Mars steht und zurück in das Haus des Lebens schreitet, nichts andres bedeuten kann, als lange und gefahrvolle Krankheit, deren Haus in der Macht des Himmels steht, wenn sie auch wahrscheinlich zum Tode führen dürfte ... doch wenn ich den Namen des Betreffenden oder Betroffnen wüßte, so würde ich ein andres Schema aufstellen.« »Sein Name ist ein Geheimnis,« versetzte der Graf, »doch muß ich Dir bekennen, daß Dein Prognostikon, der Wahrheit nicht zuwider lief. Er ist krank gewesen, gefährlich krank, wenn auch nicht auf den Tod. Aber hast Du mein Horoskop gestellt, wie Dich Varney beauftragte, und bist Du im stande, mir zu sagen, welche Kunde die Sterne geben vom Stande meines gegenwärtigen Glücks?« »Meine Kunst steht zu Eurem Befehl,« erwiderte der alte Mann, »und hier, mein Sohn, liegt die Karte Deiner Schicksale, funkelnd im Aspekt, wie je unter dem strahlenden Glanze jener gepriesenen Zeichen, durch die unser Leben beeinflußt wird, jedoch nicht gänzlich frei von Gefahren, Hindernissen und Befürchtungen.« »Mein Los stände über dem der Sterblichen, wenn es sich anders verhielte,« sprach der Earl; »fahret fort, Vater, und seid überzeugt, daß Ihr mit einem Manne sprecht, der bereit ist, sich dem zu fügen, im Handeln wie im Leiden, was ihm vom Schicksal bestimmt ist ... ganz wie es sich ziemt für einen Edelmann des stolzen England.« »Dein Mut im Tun und Tragen muß doch um eine Saite höher gespannt werden,« sagte der Greis. »Die Gestirne künden noch einen stolzern Titel, noch einen höhern Rang. Es ist Deine Sache zu erraten, zu raten, was sie künde, nicht meine, es zu verkünden.« »Kündet mir es,« sprach Leicester, dessen Augen blitzten, während er auf den Greis zuschritt, »kündet es mir; ich beschwöre Euch.« »Ich kann nicht und ich will nicht,« erwiderte der Greis. »Fürstenzorn ist wie Löwengrimm. Aber höre und dann urteile selbst. Hier die Venus im Aufstieg nach dem Hause des Lebens und in Konjunktion zur Sonne, schüttet jene Flut silbernen Lichts, mit Gold gesättigt, hernieder, Und das bedeutet Macht, Reichtum, Ehren und Würden; alles, was ein Mannesherz begehrt, verheißt es in solchem Uebermaß, daß selbst Augustus, der Herrscher über jenes alte, übermächtige Rom, nimmer aus dem Munde seiner Haruspices solch eine Kunde von Glanz und Herrlichkeit vernahm, wie Du, das Lieblingskind Fortunens.« »Nu spaßest doch bloß mit mir, Vater,« sprach der Earl, erstaunt über den Schwall von Begeisterung, in welchem der Sterndeuter seine Weissagung gekündet hatte. »Stände Scherz und Spaß wohl einem Manne an, der schon mit einem Fuß im Grabe steht?« erwiderte der Greis feierlich. Der Earl schritt ein paarmal durch das Gemach, mit ausgestreckter Hand, wie jemand, der dem Wink eines Phantoms nacheilt, das ihn zu großen Taten ruft. Doch als er sich umdrehte, begegnete er dem Auge des Astrologen, das auf ihn geheftet war, während ein Blick schärfster Beobachtung unter dem Schirmdach seiner buschigen, dichten Brauen hervorzuckte. Leicesters stolze, argwöhnische Seele fing im Nu Feuer; und vom andern Ende des hohen Gemachs her schoß er auf den Greis zu und blieb erst stehen, als seine ausgestreckte Hand knapp einen Fuß vom Körper des Sterndeuters entfernt war. »Schurke!« schrie er, »wenn Du Dich erfrechst, mich zu betrügen, dann laß ich Dich lebendig schinden! ... Bekenne, daß Du erkauft bist, mich zu hintergehen und zu betrügen! ... daß Du ein Gauner bist und mich behandelst als Deine blöde Beute!« »Was soll diese Heftigkeit bedeuten, Mylord,« erwiderte der Greis, »oder in welcher Hinsicht kann ich sie verdient haben um Euch?« »Gib mir Beweise,« rief der Earl heftig, »daß Du mit meinen Feinden nicht unter einer Decke steckst.« »Mylord,« nahm da der Greis das Wort mit Würde, »Ihr könnt keinen bessern Beweis haben als den, den Ihr selbst Euch wähltet. In diesem Turme habe ich die letzten vierundzwanzig Stunden zugebracht, unter Eurem persönlichen Verschluß, in Eurer Haft. Sogar den Schlüssel trugt Ihr bei Euch! Diese Stunden in Dunkel und Finsternis habe ich darauf verwandt, die Himmelskörper mit diesen vom Alter getrübten Augen zu betrachten, und die Stunden der Helle dazu, dieses altersschwache Gehirn zur Vervollständigung der Kombinationen zu zwingen, die mir diese Steinbilder darboten. Irdische Speise habe ich nicht genossen ... keine irdische Stimme vernommen ... Ihr wißt selbst, daß dergleichen nicht mein Wille war ... und doch sage ich Euch ... trotzdem ich in solcher Einsamkeit und über solchem Studium hier eingesperrt gewesen ... daß Euer Stern innerhalb dieser vierundzwanzig Stunden am Horizont zur Herrschaft aufgestiegen ist, und daß mithin entweder das helle Himmelbuch trügt oder daß sich in Euren irdischen Schicksalen eine Umwälzung vollzogen haben muß, die sich mit dem Stande der Gestirne deckt. Hat sich in dieser Zeitspanne nichts ereignet, was zur Sicherung Eurer Macht oder zur Mehrung von Gunst, die Ihr genießt, beigetragen hat, dann allerdings bin ich ein Betrüger und Gauner, und die himmlische Kunst, die zuerst geübt ward in den Gefilden des uralten Chaldäa, ist ein elender Tand, eine alberne Komödie.« »Freilich warest Du,« sprach Leicester nach kurzer Ueberlegung, »im Turme eng eingeschlossen, und ferner trifft es zu, daß solche Wandlung in meiner Lage sich vollzogen hat, wie sie das Horoskop nach Deiner Rede kündete.« »Weshalb also dieses Mißtrauen gegen mich, mein Sohn?« sagte der Astrologe, indem er den Ton eines Ermahners anschlug, »die Himmelsgeister ertragen kein Mißtrauen, auch nicht bei denen, die ihre Gunst genießen.« »Frieden, Vater,« antwortete Leicester, »ich habe mich im Irrtum befunden, im Zweifel. Nicht zu sterblichen Wesen, geschweige zu himmlischen Geistern werden Dudleys Lippen auch nur ein einziges Wort weiter sagen ihnen zur Huldigung, ihm selber zur Entschuldigung! Reden wir vielmehr von dem gegenwärtigen Stande der Sterne ... Sterne! Inmitten der leuchtenden Verheißungen fand sich, sagtest Du, auch ein drohender Aspekt ... kann Deine Kunst künden, woher und von welcher Seite solche Gefahr droht?« »Nur insoweit,« lautete die Antwort des Sterndeuters, »gibt meine Wissenschaft mir die Möglichkeit zu einer Antwort auf Eure Frage: Das Unglück droht durch den bösen und feindlichen Aspekt ... von seiten eines Jünglings ... und, wie ich meine, eines Nebenbuhlers ... aber ob er wider Euch ist auf dem Felde der Liebe oder der fürstlichen Gunst ... das zu sagen bin ich außer stande; auch kann ich weiteres über ihn nicht sagen, außer daß er aus dem westlichen Viertel herzieht.« »Von Westen her? ... Ha!« erwiderte Leicester, »genug, genug! ... Freilich zieht das Gewitter herauf aus Westen! Cornwall und Devon ... Raleigh und Tressilian ... auf einen dieser beiden deutet das Gestirn ... vor ihnen beiden muß ich mich hüten ... Vater, ich habe Deiner Kunst unrecht getan ... ich will Dir eine fürstliche Belohnung geben!« Er nahm aus der Kassette, die vor ihm stand, eine Börse voll Gold. »Hier nimm den doppelten Lohn, den Varney Dir versprach ... sei getreu ... sei verschwiegen ... gehorche den Weisungen, die Du von meinem Stallmeister erhalten wirst, und grolle nicht über die kurze Haft, die Du erlitten, oder den Zwang, der Dir in meiner Sache auferlegt worden. Du sollst für alles reich entschädigt werden! ... Hier, Varney, geleite diesen ehrwürdigen Mann nach Deinem eignen Gemach ... sieh zu, daß er an nichts notleide ... aber achte darauf, daß er mit niemand in Verkehr trete.« Varney verneigte sich, der Sterndeuter küßte dem Earl die Hand zum Zeichen des Abschieds und folgte dem Stallmeister in ein andres Gemach, wo Wein und Erfrischungen für ihn bereit standen. Der Sterndeuter setzte sich zum Essen nieder, während Varney übervorsichtig zwei Türen abschloß, hinter die Tapete guckte, ob nicht etwa ein Fremder sich versteckt habe, und dann gegenüber dem Weisen Platz nahm. »Habt Ihr mein Zeichen drüben vom Hofe gesehen?« begann er zu fragen. »Jawohl,« antwortete Alasco, denn mit diesem Namen wurde er jetzt gerufen ... »und ich habe das Horoskop demgemäß gestellt.« »Und der Graf ließ es gelten ohne Widerspruch,« fragte Varney weiter. »Nicht ganz,« versetzte der Greis, »aber er ließ es gelten, und ich setzte hinzu, daß die Gefahr aus Westen drohe, von seiten eines Jünglings.« »Mylords Furcht wird bei der einen und sein Gewissen bei der andern Prophezeihung Gevatter stehen,« bemerkte Varney. »Sicherlich hat es in der Welt nie einen Menschen gegeben, der solches Rennen wagte und dabei sich herumschlug mit solchen Zweifeln ... mir bleibt nichts anderes übrig, als ihn zu seinem eignen Vorteil zu betrügen ... Was aber nun Eure Angelegenheit angeht, kluger Dolmetsch der Gestirne, so kann ich Euch von Eurem Geschick besser Kunde geben als Euer ganzes Firmament.... Ihr müßt den Stab von hinnen setzen!« »Das will ich nicht,« entgegnete Alasco., »Ich bin in der letzten Zeit meines Lebens zu viel herumgejagt worden ... hab Tag und Nacht in einsamem Turme gesessen ... ich muß meine Freiheit genießen muß meine Studien fortsetzen, die von größrer Wichtigkeit sind als das Schicksal von fünfzig Staatsmännern und Günstlingen, die emporsteigen und bersten wie Schaumblasen in solcher Hofatmosphäre.« »Ganz wie es Euch gefallt,« antwortete Varney, mit jenem boshaften Lächeln, das seinen Zügen zur Gewohnheit geworden war, und das bei den Malern als das Hauptcharakteristikum des Satans zu gelten pflegt ... »ganz wie es Euch gefällt,« sagte er, »Ihr dürft Euch Eurer Freiheit freuen und Euren Studien hingeben, bis die Dolche der Parteigänger des Earl of Sussex den Weg zwischen Euer Wams und Eure Rippen finden werden.« Der alte Mann erbleichte, und Varney fuhr fort: »Wißt Ihr nicht, daß er eine Belohnung ausgesetzt hat für die Auffindung des Quacksalbers und Giftmischers mit Namen Demetrius, der dem Koche Seiner Herrlichkeit gewisse köstliche Gewürze verkauft hat? ... He, alter Freund? Ihr werdet bleich? ... Erblickt Hali ein Unglück im Hause des Lebens!? ... Na, hört mal zu, wir wollen Euch in ein altes Haus auf dem Lande schaffen, das mir gehört, wo Ihr leben könnt mit einem alten, griesgrämigen Sklaven, den Eure Alchimie in Dukaten verwandeln mag, denn zu solcher Umwandlung allein ist Eure Kunst ja dienstbar.« »Lüge, eitel Lüge ist es, was Deine Lippen reden,« rief Alasco, vor ohnmächtigem Zorn bebend, »Du böser Spötter! Es ist wohl bekannt, weit über dieses Land hinaus, daß ich dem Endgeheimnis näher gerückt bin als jeder andre Sterbliche! Von keinem halben Dutzend meiner Rivalen auf dem Boden der alchimistischen Wissenschaft läßt sich sagen, daß sie dem großen Arkanum, nach dessen Erkenntnis die Geister ringen, so nahe gekommen seien wie ich.« »Na na, na na,« fiel ihm Varney ins Wort, »was ins Himmels Namen soll das heißen? Sind wir denn nicht Bekannte? Ich glaub Dir gern, daß Du es weit gebracht hast in der Kunst oder dem Geheimnis zu betrügen, daß Du Dich, nachdem Du alle Welt betrogen, nun selbst betrügst und, ohne deshalb aufzuhören, andre an der Nase zu führen, Dich selber an der Nase führst! Werde nicht rot deshalb, Mensch! ... ein gelehrtes Haus bleibst Du trotzdem ... kein andrer als Du selbst vermöchte Dich betrügen! ... Aber eins laß Dir ins Ohr sagen, alter Knabe! War das Gewürz, das Sussex die Suppe versalzen sollte, schärfer gewesen, so dächte ich besser von Deiner Kunst, mit der Du Dich so dick tust,« »Du bist ein hartgesottner Schuft, Varney,« erwiderte Alasko, »gar manche tuns und reden nicht davon.« »Und manche wieder reden davon und tuns nicht,« entgegnete Varney, »aber grolle mir deshalb nicht, ich suche keinen Zwist mit Dir ... tät ichs, so riskierte ich ja, vier Wochen lang aus Furcht vor Gift von Eiern leben zu müssen ... doch sage mir, wie ging es zu, daß Deine Kunst in diesem Falle Dich so schmählich im Stich gelassen hat?« »Das Horoskop des Earl of Sussex verkündet,« entgegnete der Astrologe, »daß das Zeichen des aufsteigenden Wesens in Aufruhr ...« »Verschone mich doch endlich mit Deinem Quatsch!« rief Varney grob; »meinst Du etwa mit dem Grafen zu schauspielern?« »Ich bitte Euch um Verzeihung und schwöre Euch,« erwiderte der Greis, »daß bloß ich eine Medizin kenne, die im stande war, des Grafen Leben zu retten, und daß niemand in England lebt, der das Gegengift kennt als ich selbst ... und seine Bestandteile, einer insbesondre, sind fast nirgendswo erhältlich. ...« »Es ging die Rede von einem Quacksalber,« bemerkte Varney nach kurzem Besinnen, »der ihn gepflegt und geheilt habe;« dann fragte er den Greis: »Seid Ihr Eurer Sache sicher, daß außer Euch niemand im Besitze dieses Gegengiftes ist?« »Einer hat gelebt, der ehedem Diener bei mir war,« erwiderte der Doktor, »der könnte es mir mit einigen andern Geheimnissen gestohlen haben! Aber, Junker Varney, es verträgt sich nicht mit meiner Art, solchen Pfuschern Einmischung in mein Handwerk zu gestatten. ... Der spürt meinen Geheimnissen nicht mehr nach, verlaßt Euch drauf ... denn ich glaube, er ist auf feurigem Drachen gen Himmel gefahren ... Friede seiner Asche! ... Aber darf ich rechnen, in jener Einsamkeit, von der Ihr sprecht, mein Laboratorium zu finden?« »Eine ganze Werkstatt, Mann!« rief Varney, »denn ein ehrwürdiger Abt, der vor mehr als zwanzig Jahren den flotten König Heinz dort mit manchem seiner Höflinge bewirtet hat, besaß einen vollständigen Alchimistenschuppen, der von einem seiner Nachfolger auf den andern überkommen ist. Dort sollst Du Wich niederlassen, dort sollst Du mischen und mehren und quacksalbern und doktern nach Herzenslust, bis der grüne Drache sich zu Gold gewandelt hat, oder wie die Rede bei Euch gelahrten Zunftbrüdern sonst wohl heißt.« »Nu hast recht, Junker Varney,« sprach, der Alchimist, die Zähne aufeinander pressend, daß sie knirschten, »recht in Deiner hohen, bodenlosen Verachtung alles Rechts und aller Vernunft, denn was Du sprichst im Hohn, kann lautre Wahrheit sein, ehe wir uns zum andern Male sehen. Und ist es darum nicht klug von mir und weise, daß ich mein künftiges Leben, so lange es noch währen wird, in Ruhe meiner Wissenschaft weihe, die mich frei macht von niedriger Abhängigkeit von Günstlingen, und Günstlingen von Günstlingen, in deren Klauen ich jetzt stecke?« »Recht so, bravo! Bravo! Mein guter Vater!« rief Varney mit seinem gewohnten sardonischen Lächeln, »aber alle Versuche, Dich dem Steine der Weisen zu nähern, lockten Mylord Leicester keine Krone aus der Tasche, und Richard Varney noch weniger. Was wir von Dir verlangen, sind irdische Dinge, sind Dienste, die wir fassen, die wir schätzen können, Mann! Mit all Deiner philosophierenden Sternhimmelkomödie locken wir keinen Hund hinterm Ofen vor.« »Mein Sohn Varney,« erwiderte der Alchimist, »Dich umgibt Unglaube gleich einem frostigen Nebel und hat Deinen Geist derartig getrübt, daß er dem Weisen zum Stein des Anstoßes wird, und dem, der in Demut Erkenntnis sucht, eine so deutliche Lehre gibt, daß jeder sie verstehen muß. Du meinst, Kunst besitze die Macht nicht, die unvollkommnen Versuche der Natur in der Erzeugung von Metallen zu vervollkommnen, und doch vermag sie es!« ... »Papperlappapp,« fiel ihm Varney ins Wort, »das ist mir alles schon so oft vorgeschwatzt worden, daß ich genug davon habe, besonders seit ich ein solcher Esel war, als Grünling im Leben zwanzig Goldfüchse an die Gewinnung des feinen chemischen Pulvers zu setzen, die aber, leider! in Qualm aufgingen. Seitdem soll mit jeder fern bleiben mit allem, was nach Chemie duftet, oder sich als Astrologie, Chiromantie oder sonstwie aufspielt. Aus mir lockt all dies Zeug keinen roten Heller mehr heraus. Drum sage ich Dir, Freund, was Du in Deiner neuen Behausung zu verrichten Dir angelegen sein läßt, wird am besten darin bestehen, einen Vorrat von jenem Sussex-Manna zu bereiten, das ich nicht entbehren und darum auch nicht verspotten will ... Du weißt ja, das Manna des heiligen Nikolaus ...« »Ich will kein Manna mehr bereiten,« erwiderte der Greis, fest entschlossen. »Dann sollst Du hängen,« rief der Stallmeister, »für Deine bisherigen Sünden, in welchem Falle die Menschheit auch um Dein großes Geheimnis wäre, und wohl kaum zu ihrem Schaden ... Aber sei nicht so grausam gegen sie, Vater, tue der Menschheit diese Ungerechtigkeit nicht an! sondern unterwirf Dich Deinem Schicksal und mach uns ein paar Unzen aus jenem selben Stoff, so daß es ungefähr ausreicht für ein paar Personen. Das schafft Dir Mittel, Deine Universalarznei zu bereiten, die ja doch alle Krankheit auf einmal aus der Welt schaffen soll. Aber sei lustig und guter Dinge, alter Brummsack! Hast Du mir nicht gesagt, daß eine bescheidne Portion Deines Tränkchens milde Wirkung tue, dem menschlichen Leibe in keiner Weise zu Schaden sei, sondern bloß Niedergeschlagenheit, Kopfweh, Schwindel und Unlust, sich vom Flecke zu bewegen, verursache? daß es dem Menschen zu Mute werde, wie einem Vögelchen im Käfig, das keine Lust habe, aus seinem Käfig zu fliegen, auch wenn ihm die Tür geöffnet wird?« »Allerdings habe ich so gesagt,« erwiderte der Alchimist, »und so verhält es sich auch. Solche Wirkung wird es hervorbringen, und das Vöglein, das sich mit solch mäßiger Portion bescheidet, wird eine Zeitlang matt und müde auf seiner Stange sitzen, ohne des freien, blauen Himmels oder des frischen, grünen Waldes zu gedenken, auch wenn der Himmel beschienen würde von den Strahlen der aufgehenden Sonne und in dem Walde das schönste Konzert seiner lustigen Sänger erschallte.« »Und solcher Zustand würde ohne Gefahr des Lebens sein?« fragte Varney, nicht frei von Unruhe. »Ja, das heißt, sofern das richtige Maß nicht überschritten wird und jemand, der die Beschaffenheit des Manna kennt, die Symptome überwacht und im Notfälle zu Hilfe kommen kann.« »Du sollst das Ganze regeln,« sagte Varney, »Deine Belohnung soll fürstlich sein, wenn Du die richtige Zeit hältst und das richtige Verhältnis triffst, so daß ihre Gesundheit nicht leidet ... andernfalls rechne mit schwerer Strafe!« »Daß Ihre Gesundheit nicht leidet?« erwiderte Alasko; »also ist es ein Weib, an dem ich meine Kunst versuchen soll?« »Nein, Du Tropf!« versetzte Varney; »habe ich Dir denn nicht gesagt, ein Vögelchen, eine zahme Meise, deren süßer Schlag selbst einen Habicht weich stimmen möchte? ... ha! Wie Dein Auge glänzt! O, ich weiß, ich weiß, Dein Bart ist keineswegs so weiß, wie Kunst ihn gefärbt hat.... Das wenigstens hast Du zu Silber wandeln können! Aber, Freund! Das ist nichts für Dich! Nichts für Dich! Das Vögelchen im Käfig gehört jemand, der sich niemand ins Gehege kommen läßt, am wenigsten solchen Vogel wie Dich und . . das merke Dir! Das Vögelchen muß gesund bleiben, das ist Hauptsache bei der ganzen Sache.... Aber die Dinge liegen nun einmal so, daß sie bei den Festen drüben in Kenilworth erscheinen soll; und es muß alles daran gesetzt werden, daß unser Vögelchen nicht dorthin fliegen kann ... es darf nicht sein ... darf unter keinen Umständen sein ...doch braucht sie davon, daß dies notwendig ist, und weshalb es notwendig ist, nichts zu erfahren; es muß vielmehr alles aufgeboten werden, daß sie von den Festlichkeiten aus freiem Willen wegbleibt, daß sie sich dem Ansinnen, den Fuß aus ihrem Hause zu setzen, von selbst widersetzt,« »Das ist nur natürlich,« sagte der Alchimist mit seltsamem Lächeln, das aber größere Vertrautheit mit dem menschlichen Charakter zeigte, als die teilnahmlose, nüchterne Miene, die sein Gesicht bisher gezeigt hatte. »So stehts,« sagte Varney; »ich sehe, Ihr versteht Euch auf Weiber, wenn es auch lange her sein mag, daß Ihr mit ihnen verkehrt habt ... Nun also, Du hörst, es darf ihr nicht widersprochen werden ... und darf ihr auch nicht gewillfahrt werden. ... Ein leichtes Unwohlsein, wohl verstanden, das ihr die Lust benimmt, sich vom Flecke zu rühren, das ihr nahe legt, sich an Euch zu wenden, mit Euch sich zu begnügen, den Aufenthalt bei sich zu Hause allem andern vorzuziehen, das wäre, mit einem Worte, dasjenige, was als ein guter Dienst anzuerkennen und als solcher auch zu belohnen wäre.« »Das Haus des Lebens zu gefährden, wird also nicht von mir gefordert werden?« fragte der Alchimist. »Im Gegenteil,« versetzte Varney, »an den Galgen sollst Du, sofern Du Dir solches beikommen läßt!« »Und mir sollen,« setzte Alasco hinzu, »die Hände frei bleiben, es soll mir unbenommen sein, zu fliehen oder mich zu verbergen, falls die Sache entdeckt werden sollte?« »Ganz wie Du willst, ganz wie Du willst, Du Ungläubiger, Du Heide in allen Dingen, die nicht zu Deinem unmöglichen, alchimistischen Unsinn gehören ... He, Mann, wofür hältst Du mich denn?« Der Greis stand auf, nahm ein Licht und begab sich zu der Tür, die zu dem kleinen Schlafstübchen führte, wo er die Nacht zubringen sollte ... an der Tür drehte er sich uni und wiederholte langsam Varneys Frage, ehe er Antwort gab: »Wofür ich Euch halte, Varney? ... hm, für einen schlimmern Teufel, als ich selbst gewesen bin. Aber ich bin in Euren Netzen und muß Euch dienstbar sein, bis meine Zeit um ist.« »Gut, gut,« antwortete Varney eilig; »sei auf den Beinen, wenn der Tag graut. Wer weiß, vielleicht brauchen wir Deine Arznei nicht ... unternimm nichts eher, als bis ich selbst da bin ... hörst Du? ... Michael Lambourne wird Dich an den Ort Deiner Bestimmung schaffen.« Als Varney hörte, daß der Adept die Tür abschloß und sich vorsichtig einriegelte, machte er einen Schritt vorwärts und schloß mit gleicher Vorsicht die Tür von außen ab, zog den Schlüssel ab und brummte vor sich hin: »Schlimmer als Du, Du giftmischerischer Quacksalber und Hexenkoch, den der Teufel sich bloß deshalb nicht zum Sklaven genommen, weil ihm solcher Lehrjunge ein Greuel ist? Ich bin ein Sterblicher, und suche durch Mittel, wie sie Sterblichen zugänglich, Befriedigung für meine Leidenschaften und Förderung der Aussichten, die mir das Leben eröffnet ... Du aber, Du bist ein Vasall der Hölle, der richtigen Hölle! ... Heda, Michel Lambourne!« rief er zu einer andern Tür hinaus ... und Michel Lambourne trat herein mit geröteter Wange und unsichern Schrittes, »Du bist betrunken, Schuft!« herrschte Varney ihn an. »Ganz ohne Frage, edler Herr,« versetzte der schamlose Michel; »haben wir doch alle auf die rühmlichen Erfolge dieses Tages und auf Mylord Leicester und seinen tapfern und männlichen Stallmeister ein paar Pullen geleert.... Betrunken! Gott versorge mich! Betrunken! Wer an solchem Abend nicht ein paar Dutzend Gesundheiten hinunterschüttet, der muß ein madiger Philister, ein Dreckfilz von Gesinnung sein, dem jagte ich auf der Stelle meinen Dolch sechs Zoll tief in den Wanst!« »Laß Dir raten, Hallunke! Werde im Nu nüchtern ... ich befehle Dirs! Ich weiß, Du kannst im Nu nüchtern sein, so betrunken Du auch bist, wenn Du bloß willst. Willst Du es heute nicht, dann mach Dich auf Schlimmes gefaßt.« Lambourne ließ den Kopf sinken, ging aus dem Gemache und kam nach Verlauf einiger Minuten zurück, durchaus ein andrer. Sein Gesicht war ruhig und gesetzt, sein Haar war ordentlich gekämmt, sein Anzug saß richtig und sah sauber und manierlich aus. »So? Bist Du jetzt nüchtern? Und verstehst Du mich jetzt?« sagte Lambourne mit strenger Stimme. Lambourne verneigte sich zustimmend. »Du mußt auf der Stelle nach Cumnor-Place mit dem ehrwürdigen Meister, der drüben in dem kleinen Gewölbe schläft. Hier ist der Schlüssel, damit Du ihn beizeiten wecken kannst. Nimm noch einen verläßlichen Burschen mit! Behandle ihn gut auf der Fahrt, aber laß ihn nicht entwischen! Schieß ihn nieder, wenn ihm die Lust hierzu ankommen sollte; ich wills verantworten. Du sollst von mir Briefe an Foster mitbekommen. Der Doktor soll die untern Zimmer vom östlichen Viereck bewohnen, und es soll ihm freistehen, das alte Laboratorium mit seinem Zubehör zu benutzen. ... Zu der Dame soll er keinen Zutritt haben, bis ich weiter darüber bestimme ... es müßte gerade sein, sie fände Freude an seinem gelehrten Krimskrams. Du selbst wartest in Cumnor-Place meine weitern Befehle ab; und wenn Dir Dein Leben lieb ist, dann meide die Bierbank und den Schnapstisch. Jeder Atemzug in Cumnor-Place muß frei bleiben von gemeinem Dunste!« »Genug, Mylord ... wollte sagen mein verehrter Herr und Gebieter ... bald, hoffentlich recht bald, mein verehrter Herr und Ritter! ... Ihr habt mir meine Lektion gesagt und meine Lizenz erteilt ... ich werde die eine ausführen und die andre nicht mißbrauchen. Ich werde bei Tagesanbruch im Sattel sitzen.« »Recht so, und erwirb Dir Gunst! ... Noch eins! Bevor Du gehst, füll mir noch einen Becher Wein – nicht aus der Flasche, Lümmel!« rief er, als Lambourne aus der Flasche eingießen wollte, aus der Alasco getrunken hatte ... »stich eine frische an!« Lambourne gehorchte; und Varney trank, nachdem er sich den Mund mit einem Schluck ausgespült hatte, den Becher leer, dann nahm er eine Lampe und zog sich in seine Schlafkammer zurück. »Seltsam!« sprach er unterwegs ... »ich bin so wenig wie nur irgendwer Sklave der Phantasie, und doch brauche ich bloß ein paar Worte mit diesem Kerl Alasco zu reden, so ist es mir zu Mute, als seien mir Mund und Lungen mit arseniksaurem Kalk verkleistert ... Pah!« Mit diesen Worten verließ er das Zimmer. Lambourne blieb noch stehen, weil er noch einen Schluck aus der aufgekorkten Flasche nehmen wollte. »Es ist Johannisberger,« sagte er, »welcher vom Berge,« und er roch an der köstlichen Blume.... »Ha! Fürwahr, was Feines! ... Aber ich muß es nun lassen, damit ich eines Tages nach Lust und Laune davon trinken kann.« Dann trank er ein volles Glas Wasser aus, um die Kraft des Rheinweins zu dämpfen, zog sich langsam nach der Tür zurück, blieb noch einmal stehen und ... konnte der Versuchung nicht widerstehen, sondern trat wieder zu der Flasche, setzte sie an den Mund, – auf die Form, den Wein in einen Becher zu gießen, verzichtend – und trank die Flasche leer bis auf die Neige. »Wär bloß diese vertrackte Gewohnheit nicht,« sagte er, »so kletterte ich genau so hoch, wie Varney selbst. Aber wer kann klettern, wenn der Raum, in dem er sich befindet, um ihn im Kreise tanzt wie ein Quirl? ... Ach, ich wollte, die Entfernung wäre größer und die Straße holpriger zwischen Mund und Becherrand! ... Aber morgen trink ich keinen Tropfen Wein ... bloß Wasser ... Wasser ... nichts als klares Wasser!« Drittes Kapitel Die Gaststube des »Schwarzen Bären« in Cumnor, wohin unsre Erzählung zurückkehrt, durfte sich an dem Abend, von dem wir reden, einer nicht gewöhnlichen Versammlung von Gästen rühmen. Es war Markt in der Nachbarstadt gewesen, und der Schnittwarenhändler von Abingdon hatte mit einigen, andern dem Leser als Gäste und gute Bekannte von Giles Gosling bereits bekannt gewordenen Personen schon zeitig einen Kreis um das abendliche Feuer geschlossen und diskutierte mit ihnen eifrig die Tagesvorgänge. Es war ein muntrer, pfiffiger, lauter Patron, dessen Warenballen nebst dem Ellenmaß aus Eichenholz, das mit messingnen Punkten angemessen übersät war, ihn deutlich als »einen von des Zukunft des Autolykos« kennzeichnete. Er nahm einen großen Teil der Aufmerksamkeit für sich in Anspruch und sorgte andrerseits fleißig für Unterhaltung. Die Hausierer jener Zeit waren, wie hier erinnert sein mag, Leute von weit größrer Wichtigkeit, als ihre verbummelten und von der Zeit überholten Kollegen von heute. In der Hand dieser »wandelnden Kaufleute« lag zum weitaus größten Teile der »Handel« mit den bessern Manufakturwaren »über Land« für die Frauentracht, der Zeit, und wenn es ein solcher Handelsmann so weit gebracht hatte, daß er ein Packpferd sein eigen nannte, so galt er schon als eine recht angesehene Person im Lande, und für jeden Landsassen, der ihm unterwegs begegnete, als eine durchaus anständige und willkommne Reisegesellschaft. Der Handelsmann, von dem hier die Rede ist, nahm demzufolge an der fröhlichen Zeche, die in dem gemütlichen »Schwarzen Bären« in Cumnor von den Stammgästen desselben gehalten wurde, einen tätigen und allgemein willkommen geheißenen Anteil. Er liebäugelte mit der niedlichen »Jungfer Cilchen«, lachte mit dem Wirt und scherzte mit Herrn Goldfaden, der diesmal, ohne es zu wollen, für die Gesellschaft die Zielscheibe des Witzes war. Er war mit dem Hausierer in einen heftigen Diskurs geraten über den Vorzug, der den spanischen Strümpfen gegenüber den schwarzen Gamaschen, die aus der Gascogne eingeführt wurden, gebühre, und der Herr Wirt hatte eben den Gästen zugeblinzelt, wie wenn er ihnen sagen wollte: »Jetzt aufgepaßt, meine Herrschaften, jetzt werden wir was erleben!« ... als im Hofe Pferdegetrappel laut wurde und mit lauter Stimme nach dem Wirt gerufen wurde, dazwischen hinein, auch einige der damals landesüblichen Flüche geschrieen wurden. Wie ein Sturmwind war Will, der Hausknecht, draußen und hinter ihm her sauste, wie ein andrer Sturmwind, Johann der Kellner; und hinter beiden her der ganze Troß der Bedienerschaft, die alle von ihren Posten gewichen waren, um ein bißchen teilzunehmen an den Zechfreuden, die heute hier herrschten. Auch der Herr Wirt stürzte hinaus, um seinen neuen Gästen den Willkommen zu bieten, und kam sogleich wieder herein, seinen würdigen leiblichen Neffen, Michael Lambourne, vor sich herschiebend, der ziemlich anständig betrunken war und den Astrologen, am Schlafittchen führte. Alasco, wenngleich noch immer ein kleines altes Männchen, hatte doch dadurch, daß er sein Wams mit einem Reitrocke vertauscht und sich Bart wie Brauen abgeschnitten hatte, ein Aussehen um zwanzig Jahre jünger gewonnen und konnte jetzt für einen rüstigen Mann zu Anfang oder Mitte der sechziger gelten. Er zeigte ein äußerst unruhiges Wesen und hatte viel in Lambourne hineingeredet, nicht erst im Gasthofe Einkehr zu halten, sondern ohne Aufenthalt sich an das Ziel ihrer Fahrt zu begeben. Aber Lambourne hatte nichts davon hören mögen. »Onkel!« schrie Lambourne, als er die Gaststube glücklich erreicht hatte, »ein großes Maß von Euerm besten Sekt! es gilt eine Runde für den edlen Lord of Leicester! ... Was? Sollen wir einander nicht begrüßen? Sollen wir unsre Verwandtschaft nicht begießen? Ha, das wäre noch schöner! Wir beide, und nicht mitsammen einem paar Pullen die Hälse umdrehen! Hahaha! Das wäre!« »Gewiß, Vetter! Das tun wir und mit ganzem Herzen!« sagte der Wirt drauf, auf dessen Gesicht aber ziemlich deutlich zu lesen stand, daß er den Patron am liebsten wieder los wäre, »aber kannst Du soviel Wein auch berappen?« Diese Frage, die manch andern Zecher in Verlegenheit gesetzt hätte, änderte an dem Vorsatz Michael Lambournes nicht das geringste. »Nanu, Onkel! Nach Geld fragt Ihr? Holt Euch Bescheid in Mexiko und Peru!« und bei den Worten warf er eine Handvoll Goldstücke auf den Tisch; »stellt Eure Frage an den Lordschatzmeister der Königin ... Gott segne Majestät! ... meines guten Herrn gnädige Dame!« »Schön, schön, mein lieber Neffe,« versetzte drauf der Wirt, »mein Geschäft ist, Wein an Leute zu verkaufen, die bezahlen können ... , na, Johann, Nu kannst nun auftragen ... Aber gern erfuhr ich aus Deinem Munde, auf welche Weise man so schnell' zu Geld kommt, Michel?« »Hm, Onkel, dies Geheimnis will ich Euch künden.... Seht Ihr das kleine Männchen da? Ein Kerl, verwelkt wie ein Span, mit dem sich der Teufel ein Süppchen gekocht! ... Und doch, Onkel, unter uns gesagt, in seinem Gehirn hat Witz seinen Sitz ... Mord und, Tod! Der Kerl macht aus Häckerling Gold! flinker als ich fluchen kann!« »In meinem Beutel mag ich aber doch nichts haben aus seiner Münze, Michel,« meinte der Wirt; »ich weiß, was für Strafe drauf steht, wenn man falsches Geld unter die Leute bringt.« »Du bist ein Esel, Onkel, so alt Du sein magst – zieh mich doch nicht am Aermel, Doktor; auch Du bist ein Esel! Ein gründlicher Esel! Und da Ihr beide Esel seid, so sage ich Euch hiermit, daß ich bloß im Bilde gesprochen habe.« »Seid Ihr von Sinnen? Steckt der Teufel in Euch? ... Könnt Ihr uns nicht hier ruhig sitzen lassen, ohne daß sich alle Gäste nach uns umsehen!« flüsterte Alasco. »Meinst Du?« sagte Lambourne, »da bist Du im Irrtum, Alter. ... Keiner soll Dich ansehen, darauf gebe ich Dir mein Wort! Hörst Du? ... Beim Himmel, Leute! Wer sich erfrecht, dem alten Männchen hier ins Gesicht zu sehen, dem stech ich mit meinem Dolch die Augen ans dem Schädel! ... So, nun setz Dich, Alterchen, und sei vergnügt ... die Leutchen hier sind meine Sippe ... meine alten Kumpane und Kameraden, die werden niemand verraten oder hineinlegen.« »Wärs nicht gescheiter, Neffe,« meinte Giles Gosling, »Du nimmst Dir ein besondres Zimmer ... Du redest gar so wunderliche Dinge, und Aufpasser und Horcher gibts doch überall!« »Um die scher ich mich nicht,« rief der großspurige Michael. ... »Aufpasser? Prrr! ... Ich bin in Diensten bei Lord Leicester ... Da kommt der Wein ... Füll einen Becher, Mundschenk! eine Runde für den edlen Lord of Leicester, die Blume von England! Für den edlen Lord Leicester, sage ich ... wer nicht mir Bescheid trinkt, ist ein Schwein von Sussex, und er soll mir auf den Knien saufen oder ich schneid ihm die Keulen vom Leibe und räuchre sie zu Schinken!« Keiner riskierte es daraufhin, dem rohen Patron nicht Bescheid zu tun, und Michael Lambourne, dessen Trunkenheit natürlich durch diese neue Füllung nicht gemindert wurde, fuhr in seiner rüpelhaften Weise fort, in dem Gastzimmer herumzuschreien, erneuerte mit manchen der Gästen die frühere Bekanntschaft, von denen manche ihm mit Respekt, manche mit Furcht, manche mit einer zwischen beiden schwankenden Empfindung entgegentraten, denn es waren wahrlich genug Gründe vorhanden, auch dem niedrigsten von Leicesters Dienerschaft, besonders wenn er ein Mensch war wie Lambourne, mit Vorsicht zu begegnen. Mittlerweile ließ der alte Mann, da er seinen Führer in dieser unzurechnungsfähigen Laune sah, weitere Einreden sein, setzte sich in die finsterste Ecke der Stube und bestellte sich ein kleines Glas Warmbier, über dem er, wie es schien, einzunicken anfing. So viel wie möglich entzog er sich der allgemeinen Beachtung, tat wenigstens nichts, was seine Gegenwart dem Reisegefährten in die Erinnerung führen konnte, der sich zu seinem alten Kameraden Goldfaden von Abingdon gesetzt hatte und Erinnerungen aus frühern Tagen mit ihm aufwärmte. »Wenn ich sage, muntrer Michel, ich war über Deinen Anblick nicht so froh wie über den meines besten Kunden, der mirs Geld auf den Tisch legt,« sagte Krämer Goldfaden, »so glaubtest Du mir doch nicht! ...Ei, Freund Michel, Du kannst sicher bei einem Fest oder Maskenspiel einem Freund zu einem guten Plätzchen verhelfen ... ja, und wohl auch Mylord was ins Ohr flüstern ... wenn er in die Gegend herkommt und einen neuen Kragen oder sonstwas braucht ... kannst ihm sagen, da ist ein alter, guter Freund von mir, der Lorenz Goldfaden aus Abingdon, der hat gute Ware, ist auch ein hübsches Mannsbild, wie nur eins in Berkshire, und könnte es für Eure Herrlichkeit aufnehmen mit jedem andern seines Schlages ... dann könntest Du noch sagen ...« »Noch hundert verdammte Lügen mehr kann ich sagen,« erwiderte Lambourne, »indessen soll mirs auf ein gutes Wort für einen Freund nicht ankommen.« »Auf Deine Gesundheit, Michel, von ganzem Herzen!« sagte der Krämer; »kannst auch für die neuen Moden gutsagen ... aber da war doch ein Schelm von Hausierer vorhin anwesend ... der die altmodischen spanischen Strümpfe weit über die neuen Gascogner Gamaschen stellte ... wo ist er denn hingekommen? Heda, Herr Wirt! Wo steckt denn der Hausierer?« »Wo jeder andre vernünftige Mensch auch stecken sollte, der morgens bei der Kundschaft auf dem Posten sein will ... in seine Kammer hinauf ist er gegangen, hat sich eingeschlossen und macht Kasse.« »Soll er hängen, der pedantische Filz!« rief der Krämer; »aber Lust hätte ich, ihm seine Waren abzunehmen! Diese Gauner von Hausierer fügen durch ihr Herumziehen im Lande bloß dem ansässigen Geschäftsmanne den größten Schaden zu. ... In Berkshire gibts Kerle, die ihren Mann stehen ... man trifft den Patron schon einmal auf der Landstraße ...« »Hm,« machte der Wirt lachend; »er steht schon auch seinen Mann ... wer dem an den Kragen will, muß Mark und Knochen haben und derb zupacken ...« »So?« fragte Goldfaden. »Jawohl, so!« entgegnete der Wirt; »bei Hahn und Elster! Er ist der Hausierer wie er sein soll, genau wie der, der dem Robin dem Roten so tüchtig aufs Leder rückte... wies in dem Verse heißt: Da zog der Robin Hood sein Schwert, Den Knief der Handelsmann, Und deckte Robin Hood so gut, Wies keiner besser kann! »An den Galgen mit dem Hund! Mag er laufen!« rief der Krämer, »stehts so mit ihm, so wäre wenig Ehre mit ihm zu holen ... und nun sagt mir, Michel ... braver Michel ... wie trägt sich das holländische Leinen, das Ihr mir abgewonnen habt?« »O, famos, wie Ihr ja sehen könnt, Meister Goldfaden,« erwiderte Michel, »Du sollst noch einen Trunk dafür haben ... Füll mal die Pulle, Musje Kellner!« »Mit derlei Wetten, Michel, wirst Du noch mehr Holländisch-Leinen gewinnen,« meinte der Krämer, »denn der Brummsack Tony Foster schimpft in einem weg auf Dich und schwört, Du solltest ihm nicht wieder über die Schwelle, denn Du könntest, hols der Teufel, das Dach von einem Christenhause herunterfluchen!« »So? Hat er sich so vernehmen lassen, dieser heuchlerische, duckmäuserische Hundsfott?« wetterte Lambourne, »na, dann soll er doch herkommen und hören, was ich ihm heut zu bestellen habe; her, unter meines Onkels Dach, soll er kommen! ... Und solch schwarzen Sanktus will ich ihm singen, daß er noch ganze vier Wochen meinen soll, der Teufel halte ihn am Schlafittchen, wenn er bloß meint, mich zu hören!« »Schockschwerenot! Jetzt ist der Topf aber voll zum Ueberlaufen!« rief der Krämer. »Was? Tony Foster soll auf Deinen Pfiff parieren? ... Ei, ei, mein lieber Michel, pack ein, pack ein!« »Ich sage Dir, Du schmalgesichtiger Tropf!« rief Michael Lambourne heftig, »...fünfzig Goldfüchse halte ich gegen die fünf vordersten Regale Deines Ladens, von der Hinterlichtseite angefangen, mit allem, was drin ist, daß ich Tony Foster hierher in diesen Gasthof lotse, noch ehe wir drei Runden gesoffen haben.« »Eine Wette in solcher Höhe geh ich nicht ein,« sagte der Krämer, durch ein Angebot einigermaßen ernüchtert, das eine ziemlich genaue Kenntnis von der Beschaffenheit und Einrichtung seines Ladens verriet, ... »nein, für solche Wette danke ich; »aber fünf Füchse will ich halten gegen Deine fünf, wenn Dir das recht ist, daß Tony Foster seine vier Pfähle nicht verläßt, am wenigsten, um in eine Gaststube nach der Gebetstunde zu kommen Deinethalben oder wegen sonst jemand.« »Einverstanden,« sagte Lambourne. »Hier, Onkel, die Wette gilt, und laßt eins von Euren jungen Blutfäßchen herschaffen ... einer von Euren Kellnerbuben soll hinüber ins Herrenhaus laufen und Meister Foster hier den Brief abgeben und ihm sagen, daß ich, sein »Bester«, Michael Lambourne, ihn auf meines Onkels Schloß bitten lasse, woselbst ich ihm Dinge von hoher Wichtigkeit zu sagen hätte.... Hinweg mit Dir, Junge, denn die Sonne ist schon unter, und der Kerl geht mit den Hühnern schlafen, um ein Talglicht zu sparen ... allons, lauf!« Gleich darauf war der Junge verschwunden ... die Pause wurde mit Zechen und Lärm ausgefüllt ... und nicht lange, so kam er mit dem Bescheide wieder, daß Meister Foster sich einfinden werde. »Gewonnen! Gewonnen!« rief Lambourne und griff nach dem Gelde. »Erst wenn er da ist, bitte,« sagte der Krämer. »Ei, der Teufel! Er steht ja schon auf der Schwelle!« versetzte Michael ... »was sagte er, Jungen?« »Mit Verlaub, Euer Gnaden,« antwortete der Bote, »er guckte aus dem Fenster, mit einem Schießprügel in der Hand, und als ich Euern Auftrag ausrichtete, was ich mit Furcht und Bange getan, da rief er mit einem Gesicht, so sauer wie Essig, Ihr mochtet hinfahren, wo Satan haust.« »Oder in die Hölle, nicht wahr?« meinte Lambourne, »dorthin wünscht er alle, die nicht zur Brüderschaft gehören.« »Ganz recht, so sagte er auch, doch brauchte er eine Redensart, die um einiges poetischer war.« »Ein gescheiter Kerl, der Junge!« sagte Michael; »sollst einen Tropfen haben, um Deine poetische Ader zu begießen ... Und was hat Foster sonst gesagt?« »Zurückgerufen hat er mich,« antwortete der Junge, »und hat mir aufgetragen, zu bestellen, Ihr solltet doch zu ihm kommen, wenn Ihr was zu bestellen hättet.« »Und was sonst noch?« fragte Lambourne. »Er hat den Brief gelesen, und da schien es, als besänne er sich, und dann fragte er, ob Euer Gnaden beim Schoppen säßen ... und ich sagte, Euer Gnaden sprächen ein bißchen Spanisch, wie einer, der auf den Kanarischen Inseln geboren sei.« »Weiter, Du Diminutivum von einem Bierkrug! ... Ergehst Dich ja in kühnen Vermutungen ... was hat er noch gesagt?« »Hm, er brummte, wenn er nicht käme, dann möchten am Ende Euer Gnaden ausposaunen, was besser einbehalten würde, und so griff er nach seiner alten Filzkappe und warf den verschlissenen blauen Mantel um, und, wie ich schon sagte, er wird im Handumdrehen hier sein.« »Es steckt Wahrheit in dem, was er sagt,« erwiderte Lambourne, wie wenn er zu sich selbst spräche, »mein Hirn hat mir wiederum die alten Hundsstreiche gespielt ... aber Couragio! ... Mag er kommen! ... Ich habe mich nicht so lange in der Welt herumgetrieben, um vor Tony Foster ins Mauseloch zu kriechen, gleichviel, ob ich nüchtern bin oder besoffen. ... Bring mir eine Flasche kaltes Wasser, um meinen Sekt zu taufen!« Während Lambourne, den Fosters Nähe zur Besinnung gebracht zu haben schien, sich zu seinem Empfange rüstete, schlich Giles Gosling nach der Kammer, in die sich der Hausierer zurückgezogen hatte. Er traf ihn, wie er mit großen Schritten den engen Raum durchmaß. »Ihr habt Euch ja so plötzlich zurückgezogen von unsrer Gesellschaft?« fragte der Wirt seinen Gast. »Es war Zeit, da der Teufel sich bei Euch einfand,« versetzte der Hausierer. »Höflich ist es nicht von Euch, meinen Neffen mit solchem Namen zu belegen,« meinte Gosling, »noch schickt es sich für mich, in diese Tonart einzustimmen, und doch mag Michel in gewissem Grade als Satanskumpan gelten dürfen.« »Pah! Ich rede nicht von Eurem Trunkenbold von Neffen,« entgegnete der Hausierer, »sondern von dem andern ... ihn meine ich ... aber wohin wollen sie und woher kommen sie?«, »Sapperlot! das sind, viel Fragen auf einmal, von denen ich keine beantworten kann,« versetzte der Wirt, »aber, Herr, Ihr habt mir von dem wackern Herrn Tressilian ein Andenken überbracht ... es ist ein gar schöner Stein ...« Er nahm den Ring aus der Tasche und betrachtete ihn; dann setzte er, ihn in seine Börse schiebend, hinzu: daß es ein Gueridon sei, und viel zu wertvoll für allen Dienst, den er dem Herrn vielleicht geleistet habe oder leisten könne. Er stände, sagte er, im Gasthofsberufe, und es stände ihm übel an, allzu neugierig hinter andrer Leute Geheimnissen her zu sein; er hätte schon gesagt, daß er nichts hätte hören können, daß aber die Dame noch immer in Cumnor-Place, in der größten Verborgenheit, lebe und allen, die sie einmal gesehen, in Sinnen vertieft und unzufrieden mit ihrer Lage vorkomme. »Jetzt aber,« fuhr er fort, »ist die günstigste Gelegenheit, wenn Ihr den Wunsch hegt, Eurem Herren zu dienen, die sich nur irgend bieten kann. Tony Foster kommt her, und ich darf den Neffen bloß noch eine Flasche ausstechen lassen, so bringt ihn selbst, der Königin Befehl nicht mehr von der Bierbank weg. ... Die sitzen wohl noch eine Stunde hier fest. ... Wenn Ihr nun Euren Warenballen packtet und jetzt hinginget – was Euch der beste Vorwand wäre – so könntet Ihr am Ende Euch Gehör bei der alten Dienstmagd verschaffen; eben weil sie sich durch die Abwesenheit des Herrn sicher fühlen dürfte ... so könnte es wohl sein, daß Ihr mehr Kunde über die Dame und ihre Lage hortet, als ich oder sonst jemand Euch je zu schaffen vermöchte.« »Wahr, sehr wahr,« erwiderte Wieland, denn er war es, »ein trefflicher Rat, aber wie mich bedünkt, nicht ohne Gefahr ... denn angenommen, Foster käme zurück?« ... »Sehr leicht möglich, allerdings,« versetzte der Wirt. »Oder ferner angenommen,« fuhr Wieland fort, »die Dame käme meinen Bemühungen mit Kälte entgegen?« »Auch das ist nicht unwahrscheinlich,« erwiderte Giles Gosling. »Ich glaube, Junker Tressilian wird für seine Bemühungen um sie und ihr Wohl nicht viel Dank ernten.« »In beiden Fällen möchte ich schön ankommen,« erwiderte Wieland, »und darum gefällt mir schließlich Euer Rat doch nicht recht.« »Na, das müßt Ihr mit Euch selbst abmachen, mein lieber Gefolgsmann,« sagte der Wirt, »mich geht die Sache ja nichts an, sondern Euren Herrn. Ihr müßt am besten wissen, was sich wagen läßt, und wie weit Ihr gehen könnt. Aber was Ihr selbst nicht wagen wollt, das könnt Ihr auch von andern nicht erwarten.« »Still, still,« sagte Wieland, »bloß eins sagt mir noch: Begibt sich jener alte Mann nach Cumnor-Place?« »Meiner Meinung nach, ja,« versetzte der Wirt, »der Diener hat mir gesagt, er bringe ihr Gepäck hinüber, aber auf ihn hat der Bierkrug die gleiche Wirkung geübt, wie auf Michael die Sektflasche.« »Genug,« sagte Wieland, ein Wesen annehmend, das auf einen hohen Grad von Entschlossenheit deutete, »die Pläne, mit denen dieser Schuft sich tragt, will ich durchkreuzen ... mein Grauen ob seines Anblicks fängt an zu schwinden, und mein Grimm und Haß zu steigen. Helft mir meinen Pack aufheben, wackrer Wirt ... und Du, alter Albumasar! sieh Dich vor! ... In Deinem Horoskop herrscht ein böser Einfluß, und er flammt aus dem Sternenbilde der Ursa major, des großen Bären!« Mit diesen Worten hob er seinen Ballen auf den Rücken, der Wirt führte ihn bis zum hintern Tor des Gasthofs, dann schlug Wieland den entlegensten Seitenweg ein nach Cumnor-Place. Viertes Kapitel Bestimmt durch seine Angst, den wiederholten Befehlen des Grafen, das Geheimnis von Kenilworth zu hüten, auf das pünktlichste nachzukommen, nicht minder durch die ihm anhaftenden ungeselligen, knickerigen Lebensgewohnheiten war Anthony Foster in seiner Häuslichkeit weit mehr bedacht, alles, was die Aufmerksamkeit auf sie lenken konnte, zu unterlassen, oder zu unterdrücken, als irgendetwas zu tun oder geschehen zu lassen, was die Neugierde wecken konnte. Aus diesem Grunde hielt er sich bloß einen Diener und zwei alte Frauen. Der Diener mußte besorgen, was in den Bereich seiner persönlichen Angelegenheiten fiel, während den Frauen der Dienst bei der Gräfin oblag. Eine dieser alten Frauen öffnete das Tor, als Wieland klopfte. Auf seine Frage, ob er die Waren den Damen des Hauses vorlegen dürfe, wurde ihm in schroffer Weise der Bescheid, daß er seiner Wege gehen solle. Es gelang ihm jedoch, durch einen Silberling den ersten Groll zu dämpfen, und als er der Alten dann versprach, daß sie eine neue Haube bekommen solle, wenn die Herrschaften ihm was abkauften, sagte sie: »Vergelts Dir Gott, Mann, denn meine Haube ist schon ein Lumpen ... geh nur 'nein in 'n Garten und bring dei' Sach an, Mann ... sie spaziert 'rum im Garten.« Mit diesen Worten schob sie den Hausierer durch das Tor, wies auf ein altes, verfallnes Gartenhaus und sagte: »Dort drüben ist sie. Mann ... dort ... sie wird schon was kaufen, wenn Du's ihr richtig zeigst, denn sie hat was Neues immer gern.« »Hm, sie überläßt mir zu tun, was mir recht scheint,« dachte Wieland, als er hörte, wie die Gartentür hinter ihm ins Schloß fiel. »Aber Prügel wirds doch wohl nicht gleich setzen und einen Mord wohl auch nicht um solch geringfügigen Uebergriffs willen und bei diesem Zwielicht! Also weiter! Frisch weiter! ... Will Shakespeare, sei Du mir behilflich! Ich will den Damen was vorsagen von Deinem Autolykus ... dort sehe ich sie ja. ...« Und sich ein Herz fassend, sang er mit heller Stimme das damals bekannte Volkslied: Leinen weiß, wie frischer Schnee, Schleier schwarz, wie Rab und Kräh', Handschuh voller Rosenduft, Masken gegen frische Luft ... »Welch unverhofften Anblick spendet uns Fortuna, Jeanette?« »Einen Handelsmann, der seine Ware nach kurzer Elle mißt,« antwortete das Mädchen züchtig; »mich wunderts, daß ihn die alte Dorcas durch das Gartentor gelassen hat.« »Ein glücklicher Zufall,« sagte die Gräfin; »wir führen doch ein recht trauriges Leben hier, und auf ein Weilchen kann der Mann uns wohl unterhalten.« »Ei, meine holde Dame,« sagte Jeanette, »aber ... mein Vater ...« »Mein Vater ist er nicht,« sagte die Gräfin, »und hoffentlich auch nicht mein Herr ... ich befehle Dir, laß den Mann zu mir!« »Eure gräfliche Gnaden brauchen ja nur zu befehlen ...« hub das Mädchen an. Aber die Gräfin fiel ihr ins Wort: »Oder warte, Du ängstliches Ding, ich will ihn selbst herholen, dann kannst Du ja nicht ausgezankt werden ...« »Ach, gräfliche Gnaden, wenns damit abginge ...« Die Gräfin aber rief dem Hausierer schon zu: »Lieber Gesell, tritt naher ... Zeig, was Du in Deinem Packen hast ... sinds gute Waren, die Du führst, so schickte Dich wohl der Zufall her zu meiner Freude, und Dich zu Deinem Vorteil.« »Was steht Euer gräflichen Gnaden zu Befehl?« fragte Wieland, seinen Ballen aufschnürend und die Waren mit einem Geschick auseinanderbreitend, als sei er darin ein alter Praktikus ... er verstand es auch, seine Ware anzupreisen, ihre Vorzüge hervorzuheben und angemessne Forderung dafür zu stellen. »Was mir zu Befehl sei?« wiederholte die Gräfin. »O, seit einem halben Jahre habe ich kein Stück Zeug, keine Elle Leinwand eingekauft, nicht das geringste mehr aus eignem Willen oder nach eigner Wahl .. drum wäre es schon besser zu fragen: was hast Du feilzubieten? Einen solchen Kragen und auch ein Paar von diesen Aermeln, auch diese schwarzen Spitzen kannst Du für mich beiseite legen, die kirschrote Mantille mit den goldnen Knöpfen und Schnüren auch ...« »Ist sie nicht etwas überladen, gnädige Frau Gräfin?« bemerkte das Mädchen. »Ach, Du hast ja keinen Geschmack, Jeanette!« wies die Gräfin sie ab; »auch diesen Kopfputz legt für mich beiseite, lieber Mann, und diese Haarnadel mit Perlen ...« »Aber, Frau Gräfin,« wandte das Mädchen ein, »diese Nadel ist doch gar nicht ...« »Warte, Du böses Ding,« rief die Gräfin und drohte scherzend mit dem Finger, »zur Strafe für Deinen Vorwitz sollst Du Mantel und Nadel selbst tragen; aber paß hübsch auf, daß Dir Dein sparsamer Papa nicht die goldnen Knöpfe und die Perlen ablöst, um sie in seine Geldkassette zu tun!« »Ach, gnädige Frau Gräfin, gehen Sie doch mit meinem Vater nicht gar so hart um!« sagte traurig das Mädchen. »Ei, warum soll ich ihm solche Reden sparen?« lachte die Gräfin, »ist denn nicht seine ganze Natur angelegt zum Sparen!« Dann wandte sie sich wieder an den Hausierer: »Führt Ihr nicht auch Pomaden und Parfums in den jetzt modernen kleinen Flacons?« Wieland beeilte sich, auf alle Wünsche und Fragen, die die Dame stellte, befriedigende Antwort zu geben, und dachte bei sich: »Wär ich richtiger Hausierer, so könnte ich hier das beste Geschäft machen! Aber wie soll es mir gelingen, ihren Sinn einen Augenblick auf ernste Dinge zu lenken?« Er breitete eine erlesene Sammlung der besten Parfums vor ihr aus und bemerkte, daß alles, was er führe, im Preise um das Doppelte gestiegen sei, infolge der großen Vorkehrungen, die vom Grafen von Leicester getroffen würden, um die Königin und den gesamten Hofstaat auf seinem Herrschaftssitze Kenilworth zu empfangen und zu bewirten. »Ha!« rief die Gräfin, »so wäre doch etwas Wahres an dem Gerücht, Jeanette?« »Ei, freilich,« nahm sogleich Wieland das Wort; »es muß mich wunder nehmen, daß Eure Gnaden noch nichts davon vernommen haben; die Königin von England wird auf ihrer diesjährigen Sommerfahrt bei dem edlen Grafen eine Woche lang verweilen; es geht sogar die Rede, England dürfe einen König bekommen, und Englands Königin Elisabeth ... des Himmels Segen auf ihr Haupt ... einen Gemahl, bevor das Ende der Sommerfahrt gekommen sei.« »Das ist schändliche Lüge!« rief die Gräfin, in heftigen Zorn geratend, aus. »Um Gottes willen, gnädige Frau Gräfin, wer wird glauben wollen, was Hausierermund im Lande herumträgt?« »Du hast recht, Jeanette,« sagte in milderm Tone die Gräfin, »dergleichen Gerüchte, die den Ruf des edelsten Pairs von England schädigen, können bloß Glauben finden bei niedrigen, gemeinen Seelen.« »Sterben will ich, gnädigste Frau Gräfin,« rief Wieland der Schmied, der recht gut wahrnahm, daß die Heftigkeit der Dame sich gegen ihn richtete, »auf der Stelle sterben, wenn ich etwas verbrochen habe, das mir Ihren Zorn zuzieht ... ich sage bloß wieder, was allgemein im Lande gesprochen wird.« Die Gräfin hatte inzwischen die Fassung wiedergewonnen und bestrebte sich, ängstlich geworden durch Winke des Mädchens, allen Anschein von Unwillen und Empörung zu unterdrücken. Dann fragte sie, wie um dem Gespräch eine andre Wendung geben zu wollen, den Hausierer: »Was ist das für Salbe, hier in dem silbernen Schächtelchen? Wohl was ganz Besondres, da sie in so kostbarem Behälter liegt?« »Ein Mittel gegen Uebelkeit von einer Art, die Euer gräflichen Gnaden hoffentlich ein verschlossnes Buch ist ...« sagte Wieland. »Nimmt man von ihr so viel wie eine türkische Bohne, und zwar eine Woche lang an jedem Tage, so stählt sie das Herz gegen die finstern Gedanken, die durch Einsamkeit, Traurigkeit, unerwiderte Liebe oder getäuschte Hoffnung so gern entstehen ...« »Seid Ihr ein solcher Tor, daß Ihr meint, ich werde Euch solchen Kram abkaufen um teures Geld? ... Wer hörte je, daß Herzeleid geheilt werden könne durch Arzneien für den Leib?« »Mit gnädigstem Verlaub, Frau Gräfin,« versetzte er mit einem Tone, aus dem gewisse Empfindlichkeit klang, »ich bin ein ehrlicher Mann und verkaufe meine Ware zu Preisen, wie sie recht und billig sind. ... Zudem habe ich Euer Gnaden diese Arznei überhaupt nicht zum Kauf angeboten! Welchen Grund sollte ich mithin haben, Euch etwas vorzureden? Aber geholfen hat meine Medizin schon manchem, bei Hofe sowohl wie in Stadt und Land; erst neulich noch einem Junker mit Namen Tressilian drunten in Cornwallis, einem gar ehrenwerten Manne mit Namen Edmund ... der war, wie mir die Leute erzählten, in Schwermut versunken infolge einer unglücklichen Liebe, so daß seine Freunde Bange fühlen um sein Leben ...« Er machte eine Pause, und auch die Dame schwieg eine Weile ... dann fragte sie, vergeblich bemüht, ihrer Stimme festen und gleichgültigen Klang zu geben: »Und ist der Edelmann, von dem Ihr sprecht, nun wieder hergestellt?« »Einigermaßen, gnädige Frau,« erwiderte der Schmied, »zum wenigsten klagt er nicht mehr über leibliches Weh.« »Ich werde mir auch etwas von dieser Arznei kaufen, Jeanette,« sagte die Gräfin, »auch mich überkommt zuweilen jener Hang zur Melancholie, die den Geist mit trübem Gewölk umhüllt.« »Das solltet Ihr doch lieber nicht tun, Madame,« sagte Jeanette, »wer steht uns gut dafür, daß es nichts Schädliches ist?« »Ich will selbst dafür einstehen,« sagte Wieland, nahm ein Stück von der Medizin und schluckte sie hinunter. Die Gräfin kaufte das andre, durch die Einwendungen des Mädchens eher bestärkt als abgelenkt, und nahm sogleich eine erste Dosis ein. Sie meinte, was wohl aber auf Einbildung beruhen mochte, es sei ihr schon jetzt leichter um das Herz und sie fühle sich heitrer gestimmt als vordem. ... Darauf nahm die Gräfin alles, was sie dem Hausierer abgekauft, auf den Arm, warf Jeanetten ihre Börse zu und hieß sie mit dem Hausierer abrechnen. ... Dann begab sie sich, wie wenn sie der Unterhaltung, die ihr zuerst so viel Freude bereitet hatte, müde sei, nach einem Gutenachtwunsch für den Hausierer, langsam ins Haus. Auf diese Weise ging Wieland alle Gelegenheit verloren, sie zu sprechen. Er versuchte jedoch, sich mit Jeanette auszusprechen. »Mädchen,« sagte er, »Du siehst mir ganz so aus, als seist Du Deiner Herrin in Liebe zugetan. Deine Herrin braucht treue Dienste gar nötig.« »Und sie hat wahrlich auch ein Anrecht drauf!« erwiderte das Mädchen; »ich diene ihr auch treu ... aber wozu solche Rede?« »Mädchen, ich bin durchaus nicht, was ich scheine,« sagte, die Stimme senkend, der Hausierer. »Nichtsdestoweniger doch ein ehrlicher Mann?« meinte das Mädchen. »Umsomehr das, was Du fragst,« versetzte Wieland, »da ich kein Hausierer bin.« »Dann mach Dich auf der Stelle weg von hier, oder ich rufe um Beistand und Hilfe. Der Vater muß gleich da sein.« »Sei nicht so flink,« sagte Wieland, »Du möchtest bereuen, was Du tust. Ich bin einer von denen, die es gut meinen mit Deiner Herrin. Es tun ihr mehr not von Leuten gleich mir, und es wäre unrecht von Dir, den wenigen, die sie besitzt, zum Verderben zu sein.« »Wie soll ich Dir das glauben?« »Schau mir ins Gesicht,« sprach Wieland der Schmied, »und sieh zu, ob aus meinem Blicke nicht Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit sprechen.« Und wahrlich, wenn sein Gesicht auch nicht schön zu nennen war, so lag doch auf seinen Zügen der energische, scharfe Ausdruck des denkenden Geistes und klugen Sinnes, und der Blick seines lebendigen, glänzenden Auges, sein wohlgeformter Mund und das offne, verständige Lächeln, das seine Lippen umspielte, liehen seinem zugleich ansprechenden und doch nicht regelmäßigen Antlitz zuweilen Anmut und Interesse. Jeanette betrachtete ihn mit der ihrer Sekte eignen klugen Einfalt. Dann erwiderte sie auf seine Worte: »Trotzdem Du Deine Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit so sehr betonst, Freund, will es mir doch so vorkommen, als läge auf Deinem Gesicht etwas vom Hausierer und auch vom ... Schelm.« »Du hast vielleicht nicht unrecht,« versetzte lachend Wieland der Schmied; »heute abend oder morgen wird jedoch mit Deinem Vater ein alter Mann herkommen, der den schleichenden Tritt der Katze, das scharfe Auge der Ratte, das zutuliche Wesen des Schoßhündchens und die Wildheit des Bullenbeißers in sich vereint.... Vor diesem hüte Dich! Vor diesem hüte Deine Herrin! ... denn, niedliche Jeanette, dieser Schleicher trägt unter erheuchelter Taubenunschuld böses Natterngift.... Welch schweres Unheil er gegen Euch hier plant, kann ich nicht raten; aber Tod und Jammer waren immer die Folgen seiner Gegenwart. ... Sprich hiervon nichts zu Deiner Herrin! ... Meine Kunst sagt mir, daß in dem Zustande, in welchem sie zurzeit befangen ist, Furcht vor Uebel nicht minder schädlich für sie ist als die Wirkung des Uebels selbst ...aber rede ihr zu von der Arznei zu nehmen, denn« ... er senkte wieder die Stimme, sprach aber um so eindringlicher ihr ins Ohr ... »es ist ein Gegengift . ... das verhindert, daß Gift, das ihr gegeben wird, ihr schadet. ... Doch horch, sie kommen, sie kommen!« In der Tat näherte sich lauter Lärm, Freudenrufe, untermischt mit lauten Reden, der Gartentür. Hierdurch beunruhigt, sprang Wieland in ein Dickicht, während Jeanette sich mit dem Rest der Einkäufe, den ihre Herrin nicht mitgenommen hatte, sich in ein Gartenhaus flüchtete, um nicht gesehen zu werden. Ihre Angst war jedoch unnütz, denn ihr Vater mit seinem alten Knecht, Lord Leicesters Diener und der Sterndeuter kamen in den Garten gerannt, hinter Lambourne her, dessen wilde Weise sie in die höchste Unruhe gesetzt hatte, und den sie vergebens zum Schweigen zu bringen suchten. Der elende Wicht war nun sternhagelbetrunken, war aber, wie es häufig der Fall bei Trunkenbolden, noch immer Herr seiner Bewegungen sowohl wie seiner Rede. »Was?« schrie er mit aller Stärke seiner Stimme, »ich soll hier ohne Willkommen bleiben? soll kein Saufgelage halten? trotzdem ich Eurem alten, vermaledeiten Hundeloch Glück bringe in der Gestalt eines Satansknechts, der Schiefer in spanische Taler zu wandeln vermag! Hierher, Tony Foster, Feuerbrand, Papist, Puritaner, Heuchler, Dreckfilz, Schandbube, Gottseibeiuns, Kompositum, aus allen Sünden aller Menschen! Hierher und knie nieder und bete den an, der jenen Götzen in Dein Haus bringt, den Du anbetest!« »Um Herrgotts willen, rede leiser,« sagte Foster, »komm ins Haus herein ... Nu sollst Wein haben und wonach Dir sonst der Sinn steht!« »Nein, Du Hexenbalg, Du Kobold, Du Schwein! Herausgebracht haben will ich ihn,« schrie der betrunkne Wicht, »hier draußen will ich ihn trinken, al fresco will ich ihn haben, wie der Italiener sich ausdrückt. ... Nein, nein! Mit dem giftigen Teufel, mit diesem Meister in allem schlimmen Hexenbräu trinke ich nicht im Hause drinnen hinter verschlossnen Türen, wo ich ersticken würde von all den Dünsten, die Arsenik und Quecksilber verbreiten. ... Davor auf der Hut zu sein, hat mich der Schurke Varney gelehrt.« »Holt ihm Wein her, im Namen aller bösen Feinde!« sagte der Sterndeuter. »Aha! Willst ihn mir wohl würzen? Du alter Pfennigfuchser? He, hast sie schon bei der Hand? ... Deine Gift-Würze? ... Grünspan, Helleborum, Vitriol und Aquafortia und was Du sonst an Teufelszeug verarbeitest! Zwanzigerlei und mehr treibt Blasen in meinem Hirnkasten, wie die Hexenbrühe im Zauberkessel, wenn der Gottseibeiuns sich einfinden soll. ... Hol Du selber den Wein, alter Scheiterhaufenanstecker ... und laß ihn auskühlen, ... warmen mag ich nicht, den hast Du doch noch übrig von den Feuersteinen, auf denen Ihr die alten Bischöfe geschmort habt. ... Oder warte mal, laß bloß erst Leicester König sein von England, wenns ihm paßt ... schön ... und Varney, Schuft Varney, Großwessir vom Reiche ... ha, brillant! ... Und was werd ich dann sein? ... Ha, Kaiser, Kaiser Lambourne! ... Und jetzt? ... ha! jetzt will ich das auserlesne Exemplar von Schönheit sehen, das sie hier eingemauert haben zum Privatvergnügen ... zur Zeitwürze ... heute nacht soll sie mir meinen Humpen kredenzen und mir die Nachtmütze über die Ohren ziehen. ... Was will denn ein Kerl mit zwei Weibern? Und war er zwanzigmal Earl? ... Darauf gib Du mal Antwort, Tony, Du alter hartgesottner Hund von Heuchler! Du alter Bischofröster! Du gotteslästerlicher Glaubenswüterich! ... He! Darauf gib Du mal Antwort!« »Mein Messer jag ich dem Kerl in den Wanst!« sagte Foster in leisem, aber vor Leidenschaft bebendem Tone: »Ums Himmels willen, kein Blutvergießen!« rief der Sterndeuter. »Hier, wackrer Lambourne, willst Du mir Bescheid tun auf das Wohl des edlen Earl of Leicester und Junkers Richard Varney?« »Freilich, alter Albumasar, – freilich, Du alter Rattengiftverkäufer! – – Küssen wollte ich Dich, wenn Du bloß nicht so erbärmlich nach Schwefel und schändlichem Apothekerkram röchest! ...« Eine Pause machte der Elende, dann schrie er wieder: »Es lebe Varney! Hoch die Gläser! Und Leicester daneben! Hoch die Gläser! Hoch die beiden edlen, hochfliegenden Geister! die im Trüben fischen, im Tiefen wühlen und auf zum Horizonte streben! Die bösen, grimmen, ehrsüchtigen Missetäter! – Na, weiter sage ich nichts – aber wer mir nicht Bescheid tut, dem stech ich meinen Dolch in den Wanst! – – Also meine Herrschaften, los, los!« Mit diesen Worten leerte Lambourne den Humpen, den ihm der Sterndeuter gereicht hatte, und der nicht Wein, sondern destillierten Spiritus enthielt. Mit einem gräßlichen Fluche ließ Lambourne den leeren Humpen aus der Faust fallen, griff mit der Hand nach dem Schwerte, war aber nicht mehr im stande, es zu ziehen, schwankte hin und her und schlug ohne Bewußtsein, ohne sich noch einmal zu regen, in die Arme des Dieners, der ihn in seine Schlafkammer schleppte und zu Bett brachte. In dem allgemeinen Durcheinander, das hier herrschte, war es Jeanette gelungen, die Gemächer ihrer Dame zu erreichen, zitternd am ganzen Leibe wie Espenlaub, aber fest entschlossen, die furchtbaren Mutmaßungen, die sie aus den trunknen Reden Michael Lambournes gewonnen hatte, vor ihrer Gebieterin geheim zu halten. Aber wenn auch ihre Befürchtungen noch keine feste Gestalt besaßen, so hielten sie doch Schritt mit der Warnung aus dem Munde des Hausierers; der Rat, den er ihr erteilt, erschien ihr jetzt wertvoller als vordem, und sie gelobte sich, ihre Herrin in dem Vorsatze, die Medizin des Mannes einzunehmen, zu bestärken, was sonst wohl kaum der Fall gewesen wäre. Aber auch Wieland hatte die Worte des Trunkenbolds' vernommen und verstand es besser, ihren Sinn zu deuten. Er empfand tiefes Mitleid mit der liebenswürdigen und jetzt so unglücklichen Dame, die er vordem in so glücklichen Verhältnissen gesehen hatte und die sich jetzt in den Händen solcher Schurken sah. Sein Grimm war wild erregt worden durch die Stimme jenes Greises, den er schlimmer fürchtete als das Feuer und ärger haßte als den Tod; und so gefahrvoll auch das Unternehmen war, das er wagte, so besaß er doch Vertrauen zu seiner Klugheit genug, um nicht zurückzuschrecken, faßte vielmehr in dieser Nacht den festen Entschluß, dem Geheimnis auf den Grund zu gehen und der unglücklichen Dame, wenn irgend möglich, Hilfe zu bringen». Fünftes Kapitel Der Glanz der bevorstehenden Festlichkeiten zu Kenilworth bildete jetzt das Gespräch durch ganz England, und alles, was zu der Lustbarkeit oder der Pracht bei dem geplanten Empfange der Königin im Hause ihres bevorzugtesten Günstlings beitragen konnte, wurde daheim zusammengebracht oder von auswärts beschafft. Mittlerweile schien Leicester in der Gunst der Königin immer mehr zu gewinnen. Im Rate war er ständig an ihrer Seite – in den Ruhepausen zwischen den Staatsgeschäften hörte sie ihm gern zu – es kam zwischen ihnen ab und zu sogar zu herzlicher Vertraulichkeit– alle, die bei Hofe irgendetwas zu hoffen hatten, sahen zu ihm empor – fremde Minister buhlten um seine Gunst unter den schmeichelhaftesten Achtungsbeweisen von ihren Landesherren – er war das alter ego der erhabnen Elisabeth, die jetzt, wie man allgemein glaubte, nur noch Zeit und Gelegenheit erwog, daß sie ihn durch Heirat zum Gefährten ihrer Landesherrlichkeit mache. In dieser Hochflut des Glücks war dieses Nesthäkchen in der Gunst der Königin vielleicht der unglücklichste Mensch in dem Reiche, das ihm zu Füßen zu liegen schien. Der Charakter seiner Herrin war ihm bis in die verborgensten Regungen bekannt; seine eingehende Vertrautheit mit ihren Launen im Verein mit seinen hervorragenden geistigen Fähigkeiten und glänzenden äußern Vorzügen hatte ihm einen so hohen Platz in ihrer Gunst verschafft; und eben diese Vertrautheit mit ihrer Launenhaftigkeit hielt ihn stets in der Furcht vor einer plötzlichen, vernichtenden Ungnade. Die Gunst, in der ein Walsingham oder ein Burleigh stand, war, wie Leicester wohl wußte, auf Elisabeths klugem und zielbewußtem Urteil, nicht auf ihrer willkürlichen Neigung gegründet und war daher auch vor all den Möglichkeiten einer Wandlung und eines Sturzes gesichert, der notwendigerweise eine lediglich auf persönlichen Vorzügen, und weiblicher Bevorzugung fußende Gunst angesetzt war. Diese, großen und weisen Staatsmänner wurden von der Königin nur nach den Ratschlägen, die sie erteilten, und den Gründen, mit denen sie ihre Meinung verfochten, beurteilt; der Erfolg aber von Leicesters Laufbahn war abhängig von all dem leichten, veränderlichen Wechselspiel der Grille und der Laune, das einem Verehrer den Weg zum Herzen seiner Herrin bald beschwerlich, bald glatt und eben macht – und obendrein war sie eine Herrin, die immerfort befürchtete, die Würde zu vergessen oder sich in ihrer Autorität als Königin etwas zu vergeben, wenn sie sich den Regungen des Weibes überließ. All dieser Schwierigkeiten war sich Leicester voll bewußt, und ob er nun nach Mitteln sann, mit Sicherheit von seinem hohen Posten herabzusteigen, er sah nur wenig Hoffnung, daß ihm das eine oder andre gelingen würde. In solchen Momenten verweilten seine Gedanken bei seiner geheimen Ehe und ihren Folgen, und voller Bitterkeit gegen sich selber und auch gegen die unglückliche Gräfin, schrieb er diesem voreiligen Schritt, der in der Hitze einer unbedachten Leidenschaft – wie er sie jetzt nannte – getan worden war, alle Schuld zu, daß er einerseits seine Macht nicht auf festen Grund stellen könne, und daß ihm andrerseits in jedem Augenblicke ein jäher Sturz drohte. »Die Leute sagen,« so gingen ihm die Gedanken in diesen Augenblicken der Furcht und Reue, »ich könnte Elisabeth heiraten und König von England werden. Alles deutet darauf hin. In Liedern wird die Heirat besungen und der Pöbel wirft die Mützen in die Luft. In Schulen ist die Rede davon gewesen – im Audienzsaal hat man davon geflüstert – von der Kanzel herab wird sie warm befürwortet – in den kalvinistischen Kirchen wird sie erfleht – und diese kühnen Andeutungen haben keinen Widerspruch erfahren, sind nicht unter Zorn und Verdruß zurückgewiesen worden, nicht einmal mit der üblichen weibischen Beteuerung, sie würde als jungfräuliche Königin sterben. – Ihre Worte sind zuvorkommender als je, obwohl sie weiß, was für ein Gerücht umgeht – ihre Haltung mir gegenüber ist noch anmutiger – ihre Blicke noch freundlicher als je zuvor – alles scheint darauf hinzuzielen, daß ich König von England werden soll, endlich den Stürmen der Hofgunst weit entrückt! – Und da ich nun diese Hand ausstrecken könnte zu dem kühnsten Griffe, da ist sie durch ein geheimes, unlösliches Band gefesselt! – Und hier sind Briefe von Amy,« fuhr er fort und nahm sie mit einer Gebärde des Verdrusses auf, – sie dringt in mich, sie öffentlich anzuerkennen – ihr und mir selber Gerechtigkeit anzutun – und wer weiß, was noch! Mich dünkt, ich habe mir selber zunächst nicht im mindesten Gerechtigkeit angetan – nichts weniger als das. Und sie redet gerade, als ob Elisabeth die Eröffnung mit der Freude einer Mutter hören würde, die erfährt, daß ihr hoffnungsvoller Sohn sich glücklich verheiratet hat! – Sie, die Tochter Heinrichs, der in seinem Zorn keinen Mann und in seiner Wollust kein Weib verschonte! Wenn sie entdeckt, daß man sein Spiel mit ihr getrieben hat, daß man sie durch eine Gaukelei der Leidenschaft dahin gebracht hat, daß sie einem Untertan ihre Liebe gesteht – und nachher entdeckt sie, daß eben dieser Mann schon verheiratet ist – wenn Elisabeth erführe, daß man mit ihr getändelt habe, wie ein Höfling mit einer Dorfschönen scherzen kann, dann würden wir wohl erfahren, was es heißt: furens quid femina!« Dann hielt er inne und rief nach Varney, der jetzt öfter als sonst um Rat gefragt wurde, und ihre Beratung endete gewöhnlich mit emsigen Erwägungen, wie man wohl die Gräfin in Kenilworth vorführen solle. Diese Beratungen hatten fast zu dem Entschlüsse geführt, die Festlichkeiten zu verschieben. Aber schließlich wurde ein endgültiger Entschluß erforderlich. »Elisabeth will absolut, daß sie zugegen sei,« sagte der Earl. »Ob nun ein Verdacht sich in ihre Seele gestohlen hat oder ob die Bittschrift des Tressilian von Sussex oder einem andern geheimen Feinde immer wieder aufs Tapet gebracht wird, das weiß ich nicht, aber selbst wenn sie noch so huldreich mit mir spricht, so kommt sie doch oft auf die Geschichte der Amy Robsart zu sprechen. Gib mir jetzt Deinen Rat, Varney, diese unlösbare Schwierigkeit zu beseitigen. Ich habe alle möglichen Vorwände angewendet, die ich nur irgend mit Anstand, vorbringen konnte, dieses verfluchte Fest zu verschieben, aber das Gespräch von heute hat sie alle über den Haufen geworfen. Sie hat in sehr freundlichem, aber stets bestimmtem Tone zu mir gesagt: »Wir wollen Euch keine Zeit mehr zu Vorbereitungen lassen, Mylord, damit Ihr Euch nicht noch etwa ganz und gar dem Bankerott ausgesetzt. Am Sonnabend, dem 9. Juli, wollen wir mit Euch in Kenilworth sein. Wir bitten Euch, keinen der festgesetzten Gäste zu vergessen, vor allem nicht dieses putzige Püppchen, die Amy Robsart.« Nun, Varney, wende alle Deine Erfindungskunst an – Deine Ränke haben uns schon oft geholfen; denn so wahr ich Dudley heiße, die Gefahr, die mir durch mein Horoskop angedroht worden ist, zieht sich jetzt finster um mich zusammen.« »Ist Mylady auf keinen Fall zu bewegen, auf eine kurze Zeit die niedre Rolle zu übernehmen, die die Verhältnisse ihr auferlegen?« fragte Varney zaudernd. »Wie, Bursche? Meine Gräfin soll sich Deine Frau nennen? das ist weder mit ihrer noch mit meiner Ehre vereinbar.« »Und doch hält Elisabeth sie für nichts andres,« sagte Varney, »und ihr in dieser Meinung widersprechen hieße alles entdecken.« »Denke etwas andres aus, Varney,« sagte der Earl in großer Erregung. »Diese Erfindung ist unbrauchbar, denn wenn ich auch mich dazu verstehen könnte, so doch sie nicht. Denn ich sage Dir, Varney, so Du es noch nicht weißt: Elisabeth auf dem Throne hat nicht mehr Stolz als diese Tochter eines niedern Edelmanns von Devonshire. Es ist unmöglich. Weder durch Bitten noch durch Gewalt ist sie dazu zu bringen, Deinen Namen auch nur für eine Stunde anzunehmen.« »Das ist freilich recht bitter,« sagte Varney trocken, und dann setzte er hinzu: »Wenn wir nun eine Person finden würden, die sie vertreten könnte? Solche Maskeraden sind schon oft dagewesen.« »Das ist purer Blödsinn, Varney,« antwortete der Earl. »Die falsche Gräfin würde Tressilian gegenübergestellt werden, und die Entdeckung wäre unvermeidlich.« »Tressilian könnte vom Hofe entfernt werden,« sagte der skrupellose Varney. »Auf welche Weise?« »Es gibt mancherlei Mittel,« sagte Varney, »durch die ein Staatsmann in Eurer Lage, Mylord, einen unbequemen Burschen, der sich in Eure Angelegenheiten mischt und sich in gefährliche Opposition zu Euch stellt, vom Schauplatz verschwinden lassen kann.« »Sprich mir nicht von derartigen Kunstgriffen, Varney,« sagte der Earl hastig. »Im vorliegenden Falle würde es uns nicht einmal was nützen. Es sind viele andre am Hofe, denen Amy bekannt sein mag. Und wenn Tressilian nicht mehr da ist, so wird ihr Vater oder einer ihrer Bekannten unverzüglich hierher gerufen werden. Strenge noch einmal Deinen erfinderischen Kopf an!« »Mylord, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Aber wenn ich in der Klemme säße, so würde ich auf der Stelle mich nach Cumnorplace begeben und meine Frau zwingen, in die Maßregeln zu willigen, die die Rücksicht auf ihre und meine Sicherheit vorschreiben. Ich möchte doch wissen, ob Mylady Euch zu Danke verpflichtet ist, oder ob das Verhältnis bei diesem schönen Bunde so liegt, daß Ihr der Lady Dank schuldig seid. Ich möchte wohl wissen, wer die meiste Ursache hat, dem andern gefällig zu sein und auf die Wünsche, Anordnungen und die Sicherheit des andern Rücksicht zu nehmen.« »Ich sage Dir, Varney,« sagte der Graf, »alles, was in meiner Macht lag, ihr zu geben, hat sie tausendmal vergolten, allein durch ihre Tugend und Schönheit.« »Na, wenn Eure Lordschaft so sehr zufrieden gestellt ist, so ist ja das recht erfreulich,« antwortete Varney, mit seinem gewohnten sardonischen Lächeln, das selbst die Achtung vor seinem Gönner nicht zu unterdrücken vermochte, »Ihr werdet Zeit genug haben, die Gesellschaft einer so graziösen und schönen Frau ungestört zu genießen, das heißt, sobald die Kerkerhaft vorüber ist, durch die Ihr das Verbrechen, Elisabeth Tudor hintergangen zu haben, werdet büßen müssen.« »Niederträchtiger Schurke!« antwortete Leicester, »spottest Du noch meiner in meinem Unglück? – Mach es, wie Du willst.« »Wenn es Euer Ernst ist, Mylord,« sagte Varney, »so müßt Ihr auf der Stelle nach Cumnorplace.« »Geh Tu selber, Varney, der Teufel hat Dir die Beredsamkeit verliehen, die am stärksten ist, wenn es eine böse Sache gilt.« »Wenn es Euch damit Ernst ist, Mylord,« sagte Varney, »daß ich die Aufgabe übernehmen soll, diese überaus erforderliche Maßregel durchzusetzen, dann müßt Ihr mir ein, Schreiben an Mylady mitgeben, das ich als Kreditiv vorzeigen kann.« Leicester griff zum Schreibzeug und begann einige Male einen Brief an die Gräfin, den er nachher wieder zerriß. Endlich brachte er ein Paar verworrene Zeilen zu Papier, in denen er sie beschwor, aus Gründen, die dringend sein Leben und seine Ehre beträfen, auf ein paar Tage während des Festes zu Kenilworth den Namen Varneys anzunehmen. Er setzte hinzu, daß Varney ihr all die Gründe, die eine solche Täuschung erforderlich machten, mitteilen würde. Dieses Beglaubigungsschreiben unterzeichnete und versiegelte er, dann schleuderte er es über den Tisch hinweg Varney zu mit einer Gebärde, die ihn zum Aufbruch mahnte, und sein Ratgeber zauderte nicht, diesen Wink, den er sogleich verstand, auszuführen. Varney nahm sich nicht einmal Zeit, die Kleidung zu wechseln, er warf sich sofort in den Sattel und verließ Berkshire, ein einziger Diener folgte ihm. Varney war voll höher Hoffnung. Er hatte Lord Leicester an den Punkt gebracht, wo er ihn hin haben wollte, daß er ihm die geheimsten Winkel seiner Brust aufschloß und ihn als Vermittler bei seinem vertraulichsten Verkehr mit seiner Gattin gebrauchte. Hinfort, das sah er voraus, würde es seinem Gönner schwer fallen, seiner Dienste zu entbehren oder seine Forderungen abzuwerfen, auch wenn sie unvernünftig waren. Und wenn die hochnäsige Dame, so nannte er die Gräfin, sich dem Verlangen ihres Gatten fügte, dann mußte Varney, der angebliche Gatte, zu ihr in ein derartiges Verhältnis treten, daß, es sich noch gar nicht absehen ließ, wo seine Kühnheit eine Grenze finden würde, ja vielleicht verschafften ihm die Umstände einen Triumph, den er mit teuflischen Empfindungen ausmalte, der ihm vor allem vollgültige Rache für ihre frühere Verachtung bringen würde. Dann erwog er wieder die Möglichkeit, daß sie auch gar nicht mit sich könne reden lassen und sich hartnäckig weigern könne, die ihr in dem Drama zu Kenilworth zuerteilte Rolle zu spielen. »Dann muß Alasko das seine tun,« sagte er. »Krankheit muß dann die Entschuldigung gegenüber Ihrer Majestät sein, daß Frau Varney ihr nicht ihre Huldigung zu Füßen legen kann. – Ja, und vielleicht muß es eine schwere und verzehrende Krankheit sein, wenn Elisabeth noch weiterhin ein so huldvolles Auge auf den Grafen von Leicester wirft. Mags biegen oder brechen, ich will mir die Aussicht, der Günstling eines Monarchen zu sein, nicht Verscherzen. Vorwärts, gutes Pferd, vorwärts – Ehrgeiz und hochfahrende Hoffnung, Wollust und Rache treiben ihre Stachel so tief in meine Brust, wie ich Dir die Sporen in die Flanken drücke. Hei, gutes Pferd – der Teufel sitze uns beiden im Nacken!« Sechstes Kapitel Die Gräfin war mit ihrer Zofe in Geschwätz und Tändelei begriffen, als sie Hufschlag im Hofe hörte, ans Fenster eilte und ausrief: »Das ist Leicester! Das ist mein edler Graf! Jeder Hufschlag klingt wie fürstliche Musik! Es ist mein Dudley!« Ein Weilchen ging es im Hofe hin und her, und Foster kam mit seinem niedergeschlagnen Blick und seinem mürrischen Wesen herein und sagte: »Meister Richard Varney ist vom Herrn Grafen hergekommen, er ist die ganze Nacht hindurch geritten und verlangt auf der Stelle Eure Ladyschaft zu sprechen.« »Varney?« erwiderte die enttäuschte Gräfin, »doch er bringt Nachrichten von Leicester, also laßt ihn augenblicklich herein.« Varney trat in das Boudoir, wo sie in all ihrem natürlichen Liebreiz saß, angetan mit einem prachtvollen und geschmackvollen Morgengewande. Aber das Schönste an ihr waren die vollen, üppigen, lichtbraunen Locken, die in reicher Fülle ihren Hals umfluteten und über einen von gespannter Erwartung wogenden Busen fielen. Varney trat in das Gemach in demselben Anzug, in dem er am Morgen mit seinem Herrn am Hofe gewesen war, und die reiche Pracht dieses Anzuges nahm sich in der Unordnung nach einem eiligen Ritt in dunkler Nacht und auf schlechten Wegen absonderlich aus. Er sah abgespannt aus, und die Gräfin erschrak sogleich über seinen Anblick und rief: »Ihr bringt Nachricht von Mylord, Meister Varney? Um Gottes willen ist er krank?« »Nein, Gnädige, dem Himmel sei Dank!« sagte Varney. »Beruhigt Euch und laßt mich erst zu Atem kommen, ehe ich Euch meine Botschaft ausrichte.« »Außer Atem, Herr?« versetzte die Lady ungeduldig. »Ich kenne Eure Theaterkniffe. Wenn Euer Atem ausgereicht hat. Euch hierher zu bringen, so wird er Wohl auch noch solange reichen, bis Ihr mir Eure Sache wenigstens in Kürze und in der Hauptsache vorgetragen habt.« »Gnädige Frau,« versetzte Varney, »wir sind nicht allein, und die Botschaft Mylords war nur für Euer Ohr.« »Verlaßt uns, Jeanette und Herr Foster,« sagte die Dame, »bleibt aber im Zimmer nebenan, daß wir Euch rufen können.« Foster und seine Tochter gingen dem Geheiß der Lady Leicester zufolge in das nächste Gemach, das Gesellschaftszimmer, und die Tür zum Schlafzimmer wurde sorgfältig verschlossen und verriegelt. Vater und Tochter verharrten in gespannter Erwartung, aber es war von dem Gespräche nebenan nichts zu hören, die beiden dämpften, wenn sie überhaupt sprachen, ihre Stimmen so sehr, daß kein Wort zu vernehmen war. Plötzlich aber erklangen ihre Stimmen hastig und durcheinander und überlaut, und gleich darauf rief die Gräfin im Tone höchster Entrüstung: »Macht die Tür auf, Herr, ich befehle es Euch! – Die Tür auf! – Ich will kein Wort weiter hören!« rief sie und erstickte mit der Heftigkeit ihrer Stimme die leise gemurmelten Laute, die Varney zwischendurch hören ließ. »Hollah! Ihr da, heraus!«, und sie tat ein paar schrille Schreie. »Jeanette, mach Alarm im ganzen Hause! – Foster, brich die Tür auf da, heraus!«, und sie tat ein paar schrille Schreie. »Jeanette, – ich werde hier von einem Verräter festgehalten! – Nimm Axt und Hebebaum, Foster! tu's auf meine Verantwortung!« »Was soll nicht nötig sein, Gnädige,« sagte Varney endlich deutlich. »Wenn Ihr Mylords wichtige Geheimnisse preisgeben Wollt, so will ich Euch nicht daran hindern.« Die Tür wurde aufgeriegelt und weit geöffnet, und Jeanette und ihr Vater stürzten herein, begierig, die Ursache des Auftritts zu erfahren. Während sie hereintraten, stand Varney an der Tür und knirschte mit den Zähnen, und Wut, Scham und Angst malten sich auf seinen Zügen. Die Gräfin stand mitten im Zimmer, aufgelöst in Wut und Raserei. Auf ihrer schönen Stirn traten die Adern in geschwollnen, blauen Linien hervor – Wange und Hals glühten wie Scharlach – ihre Augen glichen denen eines gefangnen Adlers, der rote Blitze gegen die Feinde schleudert, die er mit den Krallen nicht erreichen kann. Sobald die Tür offen war, lief Jeanette zu ihrer Herrin hin, und langsamer, doch auch mit größerer Hast, als er sonst pflegte, ging Anton Foster auf Richard Varney zu. »Was ist meiner gnädigen Frau?« rief die erstere. »Was im Namen des Satans hast Du mit ihr gemacht?« fragte Foster seinen Freund. »Wer? Ich? Nichts,« antwortete Varney, aber mit gesenktem Haupt und in verbissnem Tone. »Ich habe ihr bloß Seiner Lordschaft Befehle mitgeteilt, und wenn die Dame denen sich nicht fügen will, so muß sie ja besser wissen, als ich, wie sie es verantworten kann.« »Beim Himmel, Jeanette!« rief die Gräfin, »der falsche Verräter lügt in seinen Hals hinein! Er muß lügen, es ist gar nicht anders möglich, denn er sagt etwas, was Mylord selber Schande macht – er lügt doppelt, denn er will dabei seine eignen, genau so fluchenswerten wie unerreichbaren Zwecke fördern.« »Ihr habt mich mißverstanden, Lady,« sagte Varney, »laßt die Sache ruhen, bis Ihr Euch beruhigt habt, dann will ich alles erklären.« »Du sollst nie eine Gelegenheit haben, das zu tun,« sagte die Gräfin. »Sieh ihn an, Jeanette, er ist schmuck gekleidet, er hat das Aeußre eines Edelmanns, und er ist hierher gekommen, mir vorzureden, es beliebe meinem Gemahl – nein, mehr noch, mein Gemahl befehle, daß ich mit ihm nach Kenilworth gehen und vor der Königin und den Edelherren und vor meinem eignen, mir angetrauten Herrn ihn – ihn, diesen Rockausbürster und Stiefelputzer – ihn da, diesen Lakai Mylords – ihn als meinen rechtmäßigen Herrn und Gemahl anerkennen sollte!« »Ihr hört sie, Foster, und Ihr, junges Mädchen, hört diese Dame,« antwortete Varney, und benutzte die Pause, die die Gräfin wohl mehr aus Mangel an Atem als aus Mangel an Stoff machte, »Ihr hört, daß sie in ihrer Aufregung nun mir einen Vorwurf aus den Maßregeln macht, die unser guter Lord nur zu dem Zwecke anordnet, um gewisse Dinge geheim zu halten – wie er in eben dem Briefe schreibt, den sie in der Hand hält.« »Der Himmel verzeihe mir!« rief die Gräfin. »Nie will ich glauben, daß der edle Dudley einem so feigen und schändlichen Plane zugestimmt hat! Und wenn er es wirklich getan hat, so zertrete ich seine Niederträchtigkeit und vernichte die Erinnerung daran für immer!« Mit diesen Worten riß sie Leicesters Brief in Stücke und stampfte in ihrer überheftigen Erregtheit mit dem Fuß auf die Fetzen, als wollte sie selbst die kleinen Schnitzel noch zu nichts zermalmen. »Seid Zeugen,« sagte Varney, sich fassend, »sie hat Mylords Brief zerrissen, um mir den Plan zur Last zu legen, der von ihm ausgeht – und obgleich ich nichts weiter davon habe, als Gefahr und Plackerei, will sie es doch mir in die Schuhe schieben, als ob ich einen Sonderzweck dabei verfolgte.« »Du lügst, Du verräterischer Sklave!« rief die Gräfin trotz Jeanettens Versuchen, sie zur Ruhe zu bringen, »Du lügst – laß mich gehen, Jeanette! – Und wäre es das letzte Wort, das ich zu sprechen hätte, er lügt! – Er hat seinen eignen gemeinen Zweck dabei gesucht, und noch deutlicher hätte er mir seine eignen Ansichten enthüllt, hätte ich mich bezwingen und noch länger die Ruhe bewahren können, die ihn zuerst ermutigt hat, seine erbärmlichen Pläne aufzudecken.« »Gnädige Frau,« sagte Varney, bei all seiner Frechheit aufs höchste bestürzt, »ich bitte Euch, glaubt mir, Ihr irrt Euch!« »Ebenso gern will ich glauben, Licht sei Finsternis,« erwiderte die Gräfin, die sich gebärdete, wie ein in einer Schlinge gefangnes Wild, »habe ich denn Vergessenheit getrunken? Sind mir denn nicht frühere Zudringlichkeiten bekannt, die, wenn Leicester sie erführe, Dich an den Galgen brächten? – Ich wollte, ich wäre ein Mann nur fünf Minuten lang! Das wäre Zeit genug, einen Feigling wie Dich dahin zu bringen, daß er seine Schurkerei gestünde! Aber geh – geh Deiner Wege. Sag meinem Herrn, wenn ich den schändlichen Weg einschlagen muß, auf den Deine erbärmlichen Kunstgriffe führen müssen, so will ich ihm einen Nebenbuhler geben, der seines Namens ein wenig würdiger sein soll. Er soll nicht durch einen hündischen Lakaien ersetzt werden, dessen größtes Glück es ist, einen Anzug von seinem Herrn zu bekommen, ehe er abgetragen ist, und der höchstens das Zeug dazu hat, eine Vorstadtdirne zu verführen, indem er auf die alten Pantoffel seines Herrn neue Rosetten setzt! – Geh – geh Deiner Wege, Gesell! Ich verachte Dich so sehr, daß ich mich fast schäme, mich über Dich geärgert zu haben,« Varney ging hinaus in stummer Wut, und Foster folgte ihm, dessen von Natur schwerfälliges Begriffsvermögen von diesem heftigen, überschäumenden Wutausbruch völlig in die Enge getrieben worden war. Zum ersten Male hörte er Laute der Empörung von den Lippen eines Wesens, das bis auf diesen Augenblick zu sanft und lammfromm geschienen hatte, um auch nur einen zornigen Gedanken zu hegen, geschweige denn ein maßloses Wort auszustoßen. Foster folgte daher Varney von Zimmer zu Zimmer und drang unablässig mit Fragen in ihn, auf die jedoch der andre nicht antwortete, bis sie auf der entgegengesetzten Seite des Vierecks und in der Bibliothek angelangt waren. Hier wandte er sich an seinen hartnäckigen Verfolger, und redete ihn in verhältnismäßig ruhigem Tone an, denn er war daran gewöhnt, seine Wut zu bezwingen, und der kurze Weg hatte ihm Zeit genug gegeben, sich zu beruhigen und seine Geistesgegenwart wiederzuerlangen. »Toni,« sagte er mit seinem gewöhnlichen Grinsen, »der Teufel steckt in der Kanaille! Sie sah so verlockend drein und verstand es so meisterhaft, ihre Züge zu beherrschen, während ich ihr Mylords Botschaft ausrichtete, daß ich wirklich auf den Einfall gekommen bin, auch ein paar Worte für mich selber miteinzuflechten. Nun denkt sie, sie hat meinen Kopf unter ihrer Fuchtel – da irrt sie sich. – Wo ist Doktor Alasko? Ich bedarf seiner. Führe mich in sein Pandämonium!« Mit schnellen, überstürzten Schritten folgte er Foster, der ihn durch geheime Gänge, von denen manche schon fast verfallen waren, wieder nach der gegenüberliegenden Seite des Vierecks führte, wo in einem unterirdischen Gemach der Alchimist Alasko hauste. In diesem selben Gewölbe hatte einst zum großen Aergernis seiner Brüderschaft einer der Aebte von Abingdon, der eine Vorliebe für okkulte Wissenschaften hatte, sich ein Laboratorium errichtet, worin er, wie viele andre Narren jener Zeit, viel kostbare Zeit und auch viel Geld in der Suche nach dem »großen Arkanum« verschwendet hatte. Anton Foster blieb vor der Tür stehen, die ängstlich von innen verschlossen war, und schien sich zu bedenken, ob er den Weisen stören solle. Aber Varney klopfte ohne Zaudern an und rief solange, bis endlich langsam und mit Widerstreben der Insasse die Tür aufmachte. Der Alchimist erschien, seine Augen tränten von der Hitze und den Dünsten des Ofens oder Tiegels, über dem er gearbeitet hatte. Der Alte murmelte mit verächtlicher Ungeduld: »Soll ich immer von dem Treiben des Himmels herab zu dem der Erde zurückgerufen werden?« »Zum Treiben der Hölle,« versetzte Varney, »denn das ist Dein eigentliches Element. Foster, wir brauchen Dich bei unsrer Verhandlung.« Foster trat langsam herein, Varney folgte und verriegelte die Tür, und sie setzten sich, um geheimen Rat zu pflegen. Inzwischen durchmaß die Gräfin das Zimmer, und Scham und Zorn brannten noch immer auf ihrer Wange. »Der Schurke,« sagte sie, »der kaltblütige, berechnete Sklave! Aber ich habe ihn entlarvt, Jeanette – ich habe die Schlange sich mit all ihren Ringeln vor mir aufrollen lassen, bis sie in ihrer nackten Mißgestalt vor mir kroch – ich habe meine Empörung bezwungen auf die Gefahr hin, vor Anstrengung zu ersticken, bis er mich tief auf den Grund seines Herzens hatte sehen lassen, das schlimmer ist als der finsterste Winkel der Hölle. – Und Leicester – aber es ist unmöglich, der Schurke hat in allem gelogen. Jeanette, ich will nicht länger hier bleiben – ich fürchte mich vor ihm – ich fürchte mich vor Deinem Vater – es tut mir leid, daß ich das sagen muß – aber ich fürchte mich vor Deinem Vater – und am meisten vor diesem abscheulichen Varney. Ich will von Cumnorplace entfliehen.« »Ach, gnädige Frau, wohin wolltet Ihr denn fliehen, oder wie wolltet Ihr denn aus diesen Mauern entkommen?« »Das weiß ich nicht, Jeanette,« sagte die unglückliche junge Frau, sah gen Himmel und rang die Hände. »Ich weiß nicht, wohin ich flüchten soll oder wie ich entrinnen soll, aber ich weiß, der Gott, dem ich gedient habe, wird mich in dieser furchtbaren Not nicht verlassen, denn ich bin in der Hand von Bösewichten.« »Glaubt das nicht, teure Lady,« sagte Jeanette, »mein Vater ist barsch und schroff und verrichtet streng seinen Dienst, aber doch ...« In diesem Augenblick trat Anton Foster herein, einen gläsernen Becher und einen kleinen Flacon in der Hand. Sein Benehmen war sonderbar: denn wenn er bisher auch der Gräfin mit der ihrem Range gebührenden Achtung gegenüber getreten war, so hatte er doch immer die hartnäckige Griesgrämigkeit seines Wesens merken lassen, die sich, wie es bei Leuten seines unglücklichen Temperaments immer der Fall ist, hauptsächlich an denen ausließ, die durch die Verhältnisse ihm unterstellt waren. Aber in diesem Augenblick ließ er nichts von dem finstern Autoritätsbewußtsein merken, das er unter einem plumpen Gebaren der Höflichkeit und Unterwürfigkeit zu verbergen pflegte, wie ein Strauchdieb Pistole und Dolch unter seinem lumpigen Kaftan versteckt. Und doch schien es, als lächle er mehr aus Furcht als aus Höflichkeit, und als trüge er schon eine weitre Bosheit im Sinne, als er die Gräfin aufforderte, von dem kostbaren, stärkenden Tranke zu genießen, der ihr nach der letzten Aufregung gut tun und beruhigend auf sie wirken würde. Seine Hand zitterte auch, seine Stimme stockte, und sein ganzes äußres Wesen wirkte in der Tat so verdachterregend, daß seine Tochter Jeanette ihn ein Weilchen erstaunt ansah und sich mit einem Male zu einem kühnen Entschluß aufzuraffen schien. Sie hob den Kopf, nahm eine entschiedne und gebieterische Haltung an, trat langsam zwischen ihren Vater und ihre Herrin, nahm ihm das Glas aus der Hand und sagte in leisem, aber entschlossnem Tone: »Vater, ich will meiner edeln Herrin einschenken, wenn sie es wünscht.« »Nu, mein Kind?« rief Foster furchtsam, »nein, mein Kind! Nicht Du sollst der Lady diesen Dienst erweisen.« »Und warum denn nicht,« erwiderte Jeanette, »wenn es überhaupt angebracht wäre, daß meine edle Herrin von dem Tranke genießt?« »Warum? Warum?« sagte der Seneschall zaudernd, und dann brach er in Wut aus, das Feste Mittel, wenn sich keine Gründe finden lassen. »Weil es mir so paßt, und nun mach, daß Du in die Abendandacht kommst!« »Nun, so wahr ich noch einmal eine Andacht zu hören hoffe,« erwiderte Jeanette, »ich will heute abend nicht hingehen, ehe ich nicht beruhigt bin, daß meiner Herrin kein Leid geschieht. Gib mir das Fläschchen, Vater,« und sie nahm es ihm aus der widerstrebenden Hand, während er es wie unter Gewissensbissen losließ. »Und nun, Väter,« sagte sie, »was meiner Herrin gut tun soll, das kann mir nichts schaden. Vater, ich trinke Dir zu.« Ohne ein Wort zu sprechen, stürzte Foster auf seine Tochter zu und riß ihr das Fläschchen aus der Hand. »Das ist sonderbar, mein Vater,«, sagte Jeanette und hielt den Blick fest auf ihn geheftet, »soll ich weder meiner Herrin einschenken noch selber trinken?« Die Gräfin verdankte es nur ihrem mutigen Herzen, daß sie diese Szene so ruhig mit angesehen hatte, deren Bedeutung ihr um so klarer war, als der geheime Zweck mit keinem Worte erwähnt wurde. Ihre Wange war wohl beim ersten Schreck blaß geworden, aber ihr Auge sah ruhig und fest verächtlich drein. »Wollt Ihr von diesem kostbaren Trunke kosten, Meister Foster? Vielleicht weigert Ihr Euch nicht, uns Bescheid zu tun, wenn Ihr es auch Jeanetten nicht erlaubt. Trinkt, Herr, ich bitte Euch.« »Ich will nicht,« antwortete Foster. »Und für wen ist denn das köstliche Getränk bestimmt?« fragte die Gräfin. »Für den Teufel, der es gebraut hat!« antwortete Foster und stürzte hinaus. Jeanette sah ihre Herrin mit einem Antlitz voll Scham, Entsetzen und Schmerz an. »Weine nicht um mich, Jeanette,« sagte die Gräfin sanft. »Nein, gnädige Frau,« versetzte ihre Zofe unter Schluchzen, »nicht um Euch weine ich, sondern um mich selber – und um diesen unglücklichen Mann. Wer vor den Menschen entehrt ist – und von Gott verflucht ist, der hat Grund zu klagen – nicht der, der unschuldig ist. Lebt wohl, Herrin!« setzte sie rasch hinzu und nahm hastig den Mantel, in dem sie auszugehen pflegte. »Verläßt Du mich, Jeanette?« rief ihre Herrin. »Willst Du von mir gehen in so großer Not?« »Euch verlassen, liebe Frau?« rief Jeanette, lief zu ihr zurück und deckte ihre Hand mit Küssen, »Euch verlassen? Eher mag mich die Hoffnung auf Gott verlassen! – Nein, Gnädige, mit Recht habt Ihr gefügt, der Gott, dem Ihr dient, werde Euch einen Weg zur Befreiung erschließen. Es gibt einen Weg zur Flucht. Ich habe Tag und Nacht gebetet um Licht, daß ich erkennen möchte, wie ich meiner Pflicht gegen jenen unglücklichen Mann und gegen Euch zugleich genügen könne. Schrecklich und grell ist dieses Licht jetzt aufgedämmert, und die Tür, die Gott aufmacht, darf ich nicht schließen. Fragt mich, nichts weiter. Ich bin binnen kurzem wieder zurück.« Mit diesen Worten hüllte sie sich in den Mantel und ging hinaus. Inzwischen war ihr Vater wieder ins Laboratorium getreten, wo er die Helfershelfer seines geplanten Verbrechens antraf. »Hat der süße Vogel genippt?« fragte Varney mit einem Lächeln, während der Astrolog dieselbe Frage mit den Augen tat, doch ohne ein Wort zu sagen. »Nein, und sie soll es auch nicht von meiner Hand,« versetzte Foster, »ich soll vor den Augen meiner Tochter zum Mörder werden?« »Ist Dir nicht gesagt worden, Du verbissner und doch schwachherziger Sklave,« antwortete Varney bitter, »daß von Mord, wie Du es nennst, dabei keine Rede ist? Ist Dir nicht gesagt worden, daß eine kurze Krankheit – ein Unwohlsein, wie es die Weiber oft aus bloßer Launenhaftigkeit erheucheln, das Ganze ist, was hierbei erzielt werden soll? Hier dieser gelehrte Mann wird es Dir beschwören beim Schlüssel zum Schlosse der Weisheit.« »Ich beschwöre es,« sagte Alasko, »das Elixir, das Du dort in der Flasche hast, schadet dem Leben nichts. Ich schwöre es bei der unsterblichen, unzerstörbaren Quintessenz von Gold, die jede Substanz in der Natur durchzieht, wenn auch ihr geheimes Vorhandensein allein von dem nachgewiesen werden kann, dem Trismegistus den Schlüssel der Kabbala verleiht. »Das, ist ein nachdrücklicher Schwur,« sagte Varney. »Du warst schlimmer als ein Heide, daß Du nicht daran geglaubt hast. Gib her, ich werde gleich wieder hier sein.« Mit diesen Worten nahm Varney Foster das Fläschchen aus der Hand und ging hinaus. Er ließ die beiden allein. Als er nach einiger Zeit wiederkehrte, war seine erste Frage: »Weißt Du auch ganz bestimmt, Alasko, daß Du nicht mehr und nicht minder hineingemischt hast als das genaue, richtige Maß?« »Ja,« sagte der Alchimist, »so genau, wie Menschenhände überhaupt bei diesen heikeln Messungen verfahren können.« »Nun, dann fürchte ich nichts,« sagte Varney, »ich weiß, Du bist bezahlt worden, eine Krankheit zu erzeugen, und Du würdest es für verwerfliche Verschwendung halten, zu demselben Preise einen Mord zu begehen. Komm, wir wollen ein jeder auf unser Zimmer. – Wir werden morgen sehen, wie die Sache wirkt?« »Wie hast Du sie dazu gebracht, daß sie getrunken hat?« fragte Foster schaudernd. »Nichts hab ich getan,« antwortete Varney, »ich habe sie nur angesehen mit jenem Blick, der Tollhäusler, Weiber und Kinder in Bann hält. Im Sankt Lukas-Hospital haben sie mir gesagt, ich hätte den richtigen Blick, einen widerspenstigen Patienten zu bewältigen. Die Krankenwärter machten mir ihr Kompliment deswegen. Wenn die Hofgunst mich verläßt, so weiß ich wenigstens, womit ich mir mein Brot verdienen kann.« »Und fürchtest Du nicht, die Dosis könnte nicht genau abgemessen sein?« fragte Foster. »In dem Falle wird sie nur um so tiefer schlafen,« versetzte Varney. »Die Furcht davor soll mir nicht die Ruhe rauben. Gute Nacht, Ihr Herren.« Siebentes Kapitel Der Sommerabend war zur Neige gegangen, und Jeanette kehrte rechtzeitig zurück, ehe sie durch zu langes Ausbleiben Verdacht in dem argwöhnischen Hause erregt hätte, und eilte in das Gemach, wo sie ihre Herrin verlassen hatte. Sie fand sie an einem Tische, beide Arme hatte sie darauf gelegt, und das Haupt lag auf ihren Armen. Als Jeanette hereinkam, sah sie weder auf, noch rührte sie sich. Mit Blitzeseile stürzte die treue Dienerin zu ihrer Herrin, rüttelte sie sanft und beschwor sie aufs eindringlichste, aufzusehen und ihr zu sagen, was ihr so nahe gegangen sei. Die unglückliche Frau hob den Kopf und sah ihre Dienerin mit geisterhaftem Auge und kreidebleicher Wange an: »Jeanette,« murmelte sie, »ich habe es getrunken.« »Gott sei gelobt!« sagte Jeanette hastig, »ich meine, Gott sei getobt, daß es nicht schlechter ist, der Trank wird Euch nicht schaden. Steht auf, werft diese Lethargie von Euern Gliedern und diese Verzweiflung von Euerm Gemüt!« »Jeanette,« wiederholte die Gräfin, »störe mich nicht – laß mich in Frieden – laß das Leben in Ruhe dahin gehen – ich bin vergiftet.« »Ihr seid es nicht, meine teuerste Frau,« antwortete das Mädchen eifrig, »was Ihr geschluckt habt, kann Euch nichts schaden – Ihr hattet ja vorher das Gegengift zu Euch genommen. Ich bin hierher geeilt, um Euch zu sagen, daß der Weg zur Flucht offen steht.« »Flucht!« rief die Dame und erhob sich rasch von ihrem Stuhle, während Licht in ihr Auge und Leben in ihre Wange zurückkehrte. »Noch ach! Jeanette, das kommt zu spät.« »Nicht doch, teuerste Frau – steht auf, nehmt meinen Arm und geht im Zimmer auf und ab. Laßt nicht die Einbildung das Werk der Vergiftung tun – so, fühlt Ihr nicht jetzt, daß Ihr noch den vollen Gebrauch all Eurer Glieder habt?« »Der Starrkrampf scheint nachzulassen,« sagte die Gräfin, während sie, von Jeanette gestützt, im Zimmer auf und nieder schritt. »Aber ist es denn so und habe ich nicht einen tödlichen Trank genossen? Varney ist hier gewesen, wie Du weg warst, und hat mir mit Augen, in denen ich mein Schicksal las, den furchtbaren Trank zu schlucken gegeben. O, Jeanette, es muß Gift sein, nie ward durch einen solchen Mundschenk ein harmloser Trank gereicht.« »Er hat ihn vielleicht nicht in harmloser Absicht gereicht,« erwiderte das Mädchen, »aber Gott macht die Ränke der Bösen zu nichte, Euer Leben ist vor seinen Anschlägen sicher. Habt Ihr Euch ihm nicht zur Wehr gesetzt?« »Alles im Hause war still,« antwortete die Lady, »Du warst fort, und er war allein im Zimmer, fähig zu jedem Verbrechen. Ich machte mir nur zur Bedingung, daß er mich von seiner abscheulichen Gegenwart befreien möge, und trank, was er mir anbot. – Aber Du sprachest von Flucht, Jeanette, – kann ich so glücklich sein?« »Seid Ihr stark genug, die Nachricht zu hören und den Versuch zu machen?« fragte das Mädchen. Stark!« versetzte die Gräfin. »Frage die Hindin, wenn der Hund den Fang aufreißt, sie zu packen, ob sie stark genug ist, über einen Abgrund zu springen! Ich bin zu jedem Versuche bereit, der mich von hier wegbringen kann.« »Dann hört mich,« sagte Jeanette. »Einer, den ich für einen ergebnen Freund von Euch halte, hat sich mir in verschiednen Verkleidungen gezeigt und hat mich zu sprechen gesucht, und ich habe es ihm immer abgeschlagen, da ich erst heute abend den wahren Sachverhalt durchschaut habe. Es war der Hausierer, der Euch Waren brachte, – der reisende Krämer, der mir die Bücher verkaufte – und sobald ich hinauskam, konnte ich auch darauf rechnen, ihn zu treffen. Der Vorfall von heute abend hat mich bewogen, mit ihm zu sprechen. Er wartet eben jetzt am Hintertor des Parkes und hält alles zur Flucht bereit. Aber fühlt Ihr Euch auch bei Kräften? – Habt Ihr Mut und Fassung? – Könnt Ihr das Unternehmen wagen?« »Wer vor dem Tode flieht,« sagte die Lady, »findet Kraft, und wer der Schande entrinnen will, dem mangelt es nicht an Mut.« »Dann in Gottes Namen, Lady,« sagte Jeanette, »muß ich Euch Lebewohl sagen und Euch Gottes Hut anvertrauen.« »So willst Du nicht mit mir fliehen, Jeanette?« fragte die Gräfin. »Soll ich Dich verlieren? Ist das Dein treuer Dienst?« »Lady, ich würde gern mit Euch fliehen, aber wenn ich es täte, so würde unsre Flucht auf der Stelle entdeckt und wir sogleich verfolgt werden. Ich muß zurückbleiben, um eine Zeitlang die Wahrheit zu verschleiern.« »So soll ich allein mit diesem Fremdling reisen?« fragte die Lady. »Bedenke, Jeanette, kann dahinter nicht ein finstrer Plan stecken, Dich von mir zu trennen, die Du meine einzige Freundin bist?« »Nein, Gnädige, glaubt das nicht,« antwortete Jeanette rasch, »der Jüngling meint es ehrlich mit Euch, und er ist ein Freund von Junker Tressilian, in dessen Auftrag er hergekommen ist.« »Wenn er ein Freund Tressilians ist,« sagte die Gräfin, »so will ich mich ihm anvertrauen, denn nie hat ein Mensch gelebt, der mehr von allem Niedrigen, Schlechten und Selbstsüchtigen frei gewesen wäre als Tressilian. Er hat immer sich selber vergessen, wenn er andern von Nutzen sein konnte. Ach! Und wie ist es ihm vergolten worden!« Mit Hast und Eifer suchten sie die paar Sachen zusammen, die die Gräfin mitnehmen mußte und die Jeanette geschickt und rasch zu einem kleinen Bündel zusammenschnürte. Sie vergaß dabei nicht die wertvollen Schmucksachen, die ihr gerade unter die Finger kamen, und vor allem ein kleines Kästchen voll Juwelen, die in künftiger Zeit ihr, wie sie klug bedachte, leicht gute Dienste erweisen könnten. Dann zog die Gräfin Leicester sich um und zog ein Kleid ihrer Zofe an, denn sie hielten es erforderlich, jedes äußre Merkmal zu vermeiden, das Aufmerksamkeit erregen könnte. Ehe diese Vorbereitungen beendet waren, war am sommerlichen Himmel der Mond aufgegangen, und im Hause war alles zur Ruhe – zum mindesten war es still in allen Gemächern. Der Flucht von Haus und Garten stand kein Hindernis entgegen, sofern es ihnen gelang, ungesehen fortzukommen. Die flüchtige Gräfin eilte mit ihrer Führerin auf dem verwilderten Pfade dahin, der einst eine Allee gewesen war. Zweige breitästiger Bäume griffen über ihm ineinander, und ein zweifelhaftes Licht warf die Strahlen des Mondes herein, wo die Axt Lichtungen im Walde geschlagen hatte. Wiederholt sperrten gefällte Bäume ihnen den Weg, und die Unannehmlichkeit solcher Hindernisse, die atemlose Hast, in der sie den ersten Teil ihres Weges zurückgelegt hatten, der aufreibende Wechsel von Furcht und Hoffnung erschöpften so völlig die Kraft der Gräfin, daß Jeanette den Vorschlag machen mußte, ein paar Minuten zu rasten, um erst wieder zu Atem und Fassung zu gelangen. Sie standen daher beide still unter dem Schatten einer mächtigen, alten, knorrigen Eiche und sahen unwillkürlich beide zurück zu dem Herrenhaus, dessen lange, dunkle Front in der finstern Ferne auftauchte und sich mit seinen Schornsteinen und Türmchen in scharfen Umrissen gegen den sommerlich blauen Nachthimmel abhob. Den zweiten Teil ihres Weges legten sie mit mehr Bedacht und auch leichter zurück. So fanden sie Muße zu Erwägungen, und Jeanette fragte nun ihre Herrin, wohin sie sich zu wenden gedenke. »Wahrscheinlich in Eures Vaters Haus,« setzte sie gleich hinzu, »dort könnt Ihr bestimmt auf Sicherheit und Schutz rechnen.« »Nein, Jeanette,« sagte die Lady traurig, »ich habe Lidcotehall verlassen, als mein Herz noch leicht und mein Name noch ehrlich war, und ich will nicht eher dorthin zurückkehren, bis Mylord es mir erlaubt und unsre Ehe öffentlich anerkannt hat und ich mit all dem Rang und all den Ehren, die er mir beschert hat, dort einziehen kann.« »Und wohin wollt Ihr denn, Mylady?« fragte Jeanette. »Nach Kenilworth, Mädchen,« sagte die Gräfin kühn und frei, – »ich will die Festlichkeiten sehen – die fürstlichen Feste – deren Zurüstungen das Land von einer Seite zur andern in Aufruhr bringen. Mich dünkt, wenn die Königin von England in den Hallen meines Gemahls den Festjubel genießt, wird die Gräfin von Leicester keine unziemliche Gästin sein.« »Ich bitte zu Gott, daß Ihr eine willkommne sein möget!« sagte Jeanette schnell. »Ich habe weiter keinen Wunsch,« sagte die Gräfin, »als mich in den Schutz meines Gemahls zu begeben. Die Niederträchtigkeit der Männer, mit denen er mich umgeben hat, hat mich aus dem Hause, das er mir angewiesen hat, vertrieben – aber in nichts sonst will ich seinen Befehlen zuwider handeln. Ich will mich an ihn allein wenden, ich will mich von ihm beschützen lassen, und ich will aus seinem Munde Weisungen entgegennehmen, wie ich mich in Zukunft zu verhalten habe. Und ich bin entschlossen, mein Schicksal mit einem Schlage zu erfahren, und zwar von meinem Manne selber; und ihn in Kenilworth aufzusuchen, ist das beste Mittel zu meinem Zweck.« Nach einer Weile fragte sie: »Bist Du auch vorsichtig gewesen, Jeanette, und hast diesem Führer, dem ich mich anvertrauen muß, nicht das Geheimnis meiner Lage verraten?« »Von mir hat er nichts weiter erfahren,« sagte Jeanette, »und ich glaube, er selber weiß auch nichts weiter, als was die Welt im allgemeinen von Eurer Lage vermutet.« »Und was ist das?« »Ihr hättet Euers Vaters Haus verlassen – aber ich kränke Euch, wenn ich weiter spreche ...« »Nein, sprich weiter,« sagte die Gräfin, »ich muß das Uebel ertragen lernen, das ich selber verschuldet habe. Denken also die Leute, ich sei die Maitresse Leicesters?« »Varneys, denken die meisten wohl gar,« erwiderte Jeanette, »und doch nennen einige ihn nur den Strohmann Seiner Lordschaft, aber sie wagen es nicht, diese Meinung allzu laut zu äußern, damit sie nicht wegen Beleidigung des Adels bestraft werden.« »Sie tun gut daran, leise zu sprechen,« sagte die Gräfin. »Denn wehe dem, der den edlen Dudley den Spießgesellen eines solchen elenden Schuftes wie Varney nennt! – Wir sind am Hintertor. – Ach, Jeanette, ich muß Dir Ade sagen. Weine nicht, mein gutes Mädchen, wir sehen uns wieder!« »Gott geb es, teure Lady!« sagte Jeanette. Nach harter Mühe hatte endlich der Schlüssel das Schloß der Hintertür bezwungen, und nicht ohne Schaudern sah die Gräfin sich jenseits der Mauern, die das strenge Geheiß ihres Gemahls ihr als die Grenze ihrer Spaziergänge bezeichnet hatte. Voller Angst auf ihr Erscheinen wartend, stand Wieland der Schmied, ein paar Schritte entfernt hinter einer Hecke am Wegesrande. »Ist alles sicher?« fragte Jeanette ihn ängstlich, während sie behutsam näher traten. »Alles,« erwiderte er, »ich habe nur kein Pferd für die Lady besorgen können, aber das macht nichts, sie muß auf meiner Mähre reiten und ich werde neben ihr her laufen, bis wir ein andres Pferd bekommen.« Die Gräfin wurde von Wieland aufs Pferd gehoben. »Ade! Und möge Gott mit Euch sein!« sagte Jeanette, wieder ihrer Herrin die Hand küssend, die ihren Segenswunsch mit stummer Liebkosung erwiderte. Dann rissen sie sich auseinander, und Jeanette rief Wieland noch zu: »Möge der Himmel mit Dir verfahren, wie Du treu oder falsch sein wirst gegen diese hilflose, unglückliche Dame!« »Amen, teuerste Jeanette!« erwiderte Wieland. Achtes Kapitel Die Reisenden waren ohne Unterbrechung bis nach Donnington gekommen. Hier mußte die Gräfin sich ein wenig ausruhen, während Wieland mit seiner gewohnten Geschicklichkeit und Umsicht die Anstalten traf, die unerläßlich waren, wenn sie ihre Reisen auch fernerhin ohne Gefahren fortsetzen wollten. Er besorgte für sich und die Gräfin Kleider, die ihnen das Aussehen wohlhabender Landleute gaben, und bestimmte seine Gefährtin, daß sie sich, um möglichst alles Aufsehen zu vermeiden, für seine Schwester ausgeben sollte. Auch ein gutes Pferd, das mit dem seinen Schritt halten konnte, hatte er bald besorgt. Als die Gräfin sich nach einigen Stunden ruhigen Schlafes wieder bei Kräften fühlte, setzten sie die Reise am Nachmittag fort und schlugen den Weg über Coventry und Warwick nach Kenilworth ein. Es war ihnen aber nicht lange beschieden, zu reisen, ohne einer Gefahr zu begegnen. Der Wirt des Gasthofes in Donnington hatte ihnen mitgeteilt, daß eine lustige Gesellschaft soeben von Donnington aufgebrochen sei, die in Kenilworth Maskenspiele aufzuführen beabsichtige. Wieland kam sofort auf den Gedanken, sich dieser Truppe anzuschließen, sobald sie sie auf der Heerstraße einholen würden, denn er würde auf diese Weise, sagte er sich, weniger Aufsehen erregen, als wenn er mit der Dame allein reiste. Die Gräfin, der nur daran lag, Kenilworth so schnell als möglich zu erreichen, war ganz damit einverstanden. Sie trieben also ihre Pferde an, um die Schauspielertruppe zu erreichen und in ihrer Gesellschaft weiter zu reisen – und kaum wurden sie die Schar gewahr, die aus Reitern und ein paar Fußgängern bestand und eben auf der Spitze eines kleinen Hügels, eine halbe Meile von ihnen, hinzog – da erblickte Wieland, der unablässig in der Runde spähte, einen Reiter, der, von einem Diener begleitet, auf schnellem Pferde herankam. Wieland sah genauer hin und erblaßte. »Das ist Richard Varneys Renner – unter tausend Pferden möchte ich ihn erkennen – jetzt wird die Sache ernst.« »Zieht Euer Schwert,« antwortete die Lady, »und durchstoßt mir die Brust, ehe Ihr mich ihm in die Hände fallen laßt.« »Eher wollte ich ihn oder mich selber durchbohren. Aber Fechten ist nicht eben meine Stärke, und ich habe auch bloß ein verrostetes Rapier, und er hat doch sicher eine Klinge von Toledo. Außerdem ist noch ein Diener bei ihm – ich glaube, der Raufbold und Trunkenbold Lambourne – ich fürchte mich vor beiden nicht in meiner guten Sache – Euer Pferd könnte noch ein bißchen schneller laufen, wenn Ihr ihm die Sporen geben wolltet – doch nein, gebt ihm nicht die Sporen, es sieht sonst so aus, als ob wir uns vor ihnen fürchten wollten. Wenn wir nun die Truppe vor ihnen erreichen könnten, dann würden wir uns unter sie mischen und unbeachtet entkommen – es müßte denn sein, daß Varney ausgeritten ist, um uns zu verfolgen – und dann sei Gott mir gnädig!« Das Glück war ihnen günstig, und sie langten auf dem Gipfel des Hügels an und sahen, daß in einem kleinen Tale am andern Abhange des Hügels die Gesellschaft Halt gemacht hatte. Wieland schöpfte nun Hoffnung, daß sie sie erreichen würden, ehe Varney sie noch eingeholt hätte. Wieland war um so mehr in Sorge, als seine Gefährtin totenbleich geworden war und vor Entkräftung vom Pferde zu fallen drohte. Sie trieb aber trotzdem ihr Pferd so sehr zur Eile an, daß sie die Truppe im Tale erreichten, als Varney und Lambourne eben oben auf dem Hügel erschienen. In der kleinen Gesellschaft, die sich um einige in dem Tale gelegne Hütten gruppierte, schien große Verwirrung zu herrschen. Die Frauen liefen zu einer der Hütten aus und ein, und die Männer standen mit ratlosen Gesichtern herum. Wieland und seine Begleiterin hielten wie aus Neugierde an und mischten sich dann, ohne gefragt zu werden und selber zu fragen, unter die Gesellschaft, als hätten sie schon immer zu ihr gehört. Fünf Minuten mochten sie abseits von der Landstraße gestanden haben, als Lord Leicesters Stallmeister und Lambourne den Hügel herabgesprengt kamen, die Flanken der Pferde und die Sporen der Reiter trugen die blutigen Male fliegender Eile. An dem theatralischen Aufputz der Schar, die einen leichten, mit ihren szenischen Requisiten beladnen Karren mit sich führte, erkannten die Reiter sogleich, wen sie vor sich hatten und in welcher Absicht die Leute unterwegs waren. »Ihr geht nach Kenilworth, um dort Spiele aufzuführen?« fragte Varney. »Recte quidem, domine spectatissime« [Recht so, würdigster Herr], antwortete einer. »Und was zum Teufel bummelt Ihr hier?« entgegnete Varney. »Nur bei größter Eile könnt Ihr noch rechtzeitig nach Kenilworth kommen – morgen speist die Königin in Warwick zu Mittag – und Ihr Schelme macht hier Rast?« »Ei, mein Herr,« sagte ein kleiner Zwerg, der eine Larve mit zwei scharlachroten Hörnern vorm Gesicht trug und ein prallanliegendes, schwarzfarbnes Wams mit roten Strümpfen anhatte, während seine Schuhe die Form von gespaltnen Klauen zeigten, »der Teufel, mein Vater, zwingt uns hier Halt zu machen, denn er hat unsre Gesellschaft um einen Sprößling vermehrt.« »Du hast den Teufel im Leibe,« sagte Varney mit seinem sarkastischen Grinsen. »Und wie heißt denn die Teufelin, die sich die Zeit so schlecht ausgesucht hat?« »Gaudet nomine Sybillae« [Sie erfreut sich des Namens Sibylle], sagte der, der zuerst gesprochen hatte, »sie heißt Sybille Laneham und ist die Frau des Herrn Laneham –« »Des Pförtners vom Sitzungszimmer des Staatsrates,« erwiderte Varney, »das ist unverzeihlich von ihr, zumal sie doch schon darin genug Erfahrung hat, daß sie sich besser hätte vorsehen können. – Aber wer waren denn die Leute, ein Mann und eine Frau, die eben so eilig den Hügel hinaufritten? Gehören sie auch zu Eurer Gesellschaft?« Wieland wollte selber schon auf diese beängstigende Frage antworten, als der kleine Teufel ihm zuvorkam. »Mit Verlaub,« sagte er, indem er dicht an Varney herantrat und so leise redete, daß es niemand anders hören konnte, »der Mann ist unser Teufel senior, und er weiß Künste genug, daß er so ein Dämchen wie die Frau Laneham hundertmal ersetzen kann. Und die Weibsperson, das ist die kluge Frau, deren unsre leidende Gefährtin so dringend bedarf.« »So, so, Ihr habt die Hebamme holen lassen? Na, man sah es ihr an, daß sie es eilig hatte. Und somit, wies im Stück heißt: Gott sei bei Euerm Werke!« Mit diesen Worten gab er seinem Pferde die Sporen und galoppierte davon. Lambourne hinterdrein. Der schlaue Zwerg machte jetzt einen Luftsprung und näherte sich dem Pferde Wielands. »Ich habe nun gesagt, wer Ihr seid – nun sagt mir auch, wer ich bin.« »Entweder Dickie Flibbertitibitsch, mein Popanz, oder im Ernst ein kleiner Teufel.« »Du hasts getroffen,« erwiderte Richard Schlamm, »ich bin wahrhaftig Dein Popanz, Dein Flibbertitibitsch, und ich bin mit meinem gelahrten Lehrmeister aufgebrochen, wie ich Dir vorher gesagt habe, ob er wollte oder nicht. – Aber was hast Du da für eine Dame bei Dir? Ich sah, Du warst in der Klemme, als vorhin der Fremde nach Dir fragte – deshalb sprang ich ein und kam Dir zur Hilfe. Aber nun muß ich auch wissen, wer sie ist, lieber Wieland.« »Du sollst fünfzigerlei viel schönre Sachen wissen, mein liebes Kleinchen,« sagte Wieland, »vorderhand aber laß Dein Gefrage. Ihr wollt nach Kenilworth und dahin will ich auch, aus Liebe zu Deinen Geschichtchen und Deiner spaßhaften Gesellschaft.« »Als was willst Du denn mit uns reisen?« »Als Gaukler, Du weißt, das Handwerk versteh ich,« erwiderte Wieland. »Ja, aber die Dame?« antwortete Flibbertitibitsch, »ich denke doch, sie ist eine Dame – und Du bist in tausend Aengsten um sie in diesem Augenblick, das sehe ich Dir an Deinem fisprigen Benehmen an.« »Sie, mein Junge? Sie ist eine arme Schwester von mir,« sagte Wieland, »sie kann singen und die Laute spielen.« »Dann soll sie mir gleich was vorspielen,« sagte der Junge, »ich liebe das Lautenspiel.« »Meine Schwester ist von der Reise erschöpft und bedarf der Ruhe,« versetzte Wieland, und zwischen die Zähne brummte er: »Hol der Teufel den Kobold mit seiner Neugierde! Ich muß mir ihn bei guter Laune halten, sonst fahren wir nur um so schlechter.« Dann berichtete er dem Magister Feiertag von seinen Talenten als Gaukler und von der musikalischen Begabung seiner Schwester. Eine Probe seiner Geschicklichkeit wurde verlangt, die er so ausgezeichnet ablegte, daß die Gesellschaft entzückt war, solchen Zuwachs zu erhalten, und gern die Entschuldigung gelten ließ, die er vorgab, als auch eine Probedarbietung von seiner Schwester verlangt wurde. Die neuen Ankömmlinge wurden eingeladen, an der Mahlzeit teilzunehmen, die jetzt zubereitet wurde, und es bereitete Wieland nicht geringe Schwierigkeiten, sich mit seiner angeblichen Schwester während des Mahles ein wenig abseits zu halten. Er benutzte die Gelegenheit, sie zu ersuchen, daß sie auf kurze Zeit ihren Rang und ihren Schmerz vergessen und sich in die Gesellschaft der Leute mischen möge, mit denen sie reisen müßten, – denn nur so könnten sie hoffen, unentdeckt zu bleiben. Die Gräfin sah die Notwendigkeit ein, aber im weitern Verlauf ihrer Reise kam Wieland selber auf den Gedanken, sich insgeheim von der Gesellschaft zu trennen, weil ihm Dickie Schlamm in seiner zudringlichen Neugierde zu viel zu schaffen machte. »Deine Schwester, Wieland,« sagte er, »hat für eine Schmiedstochter einen hübschen Hals, und wenn man bedenkt, daß sie die Spindel gedreht hat, hat sie noch recht zierliche Finger, – ei, meiner Treu, ich will dran glauben, daß Ihr miteinander verwandt seid, wenn aus dem Krähenei mal ein Schwan auskriecht.« »Geh zu,« sagte Wieland, »Du bist ein fürwitziger Bengel und verdienst die Knute für Deine Frechheit.« »Schön,« sagte die Range und ging, »ich sage Dir weiter nichts, – denke dran, daß Du ein Geheimnis vor mir verbirgst, und wenn ich Dir das nicht gründlich versalze, so will ich nicht Richard Schlamm heißen.« Diese Drohung und der Umstand, daß Popanz während der weitern Reise sich fern von ihm hielt, beunruhigten Wieland sehr, und er veranlaßte seine angebliche Schwester, daß sie unter dem Vorwande der Erschöpfung den Wunsch aussprechen solle, ein paar Meilen vor der Stadt Warwick Rast zu machen mit dem Versprechen, am andern Morgen die Truppe wieder einzuholen. Eine kleine Dorfherberge gab ihnen Obdach, und mit geheimer Freude sah Wieland die ganze Gesellschaft, Dickie Schlamm eingeschlossen, nach einem höflichen Abschiedsgruß weiterwandern. »Morgen, gnädige Frau,« sagte er zu seiner Schutzbefohlenen, »wollen wir in aller Frühe aufbrechen, damit wir vor der großen Menge in Kenilworth eintreffen.« Die unglückliche Gräfin von Leicester war von ihrer Kindheit an von ihrer Umgebung mit ebenso grenzenloser wie unvernünftiger Nachsicht behandelt worden. Durch die natürliche Milde ihres Charakters blieb sie davor bewahrt, in anmaßendes und übellaunisches Wesen zu verfallen. Aber die Grille, aus der heraus sie den hübschen, schmeichlerischen Leicester dem ehrlichen Tressilian vorzog, von dessen hoher Ehrenhaftigkeit und Zuneigung sie selber so felsenfest überzeugt war – dieser verhängnisvolle Irrtum, der das Glück ihres Lebens zerrüttet hatte, hatte seinen Ursprung in der schlecht angebrachten Güte, mit der ihr in ihrer Kindheit die schmerzliche, doch höchst notwendige Lehre der Unterordnung und Selbstzucht erspart worden war. Dieselbe Duldsamkeit hatte zur Folge, daß sie nur gewöhnt gewesen war, Wünsche zu hegen und auszusprechen, während es andern überlassen blieb, sie zu erfüllen; und so fehlte es ihr am gefährlichsten Punkte ihres Lebens nicht nur an Geistesgegenwart, sondern sie war auch völlig unfähig, für sich selbst einen vernünftigen und klugen Plan ihres Verhaltens zu entwerfen. Mit zermalmender Wucht bedrückten diese Schwierigkeiten die unglückliche Dame an dem Morgen, der der Wendepunkt ihres Schicksals zu sein schien. Von jeder weitern Ueberlegung absehend, hatte sie nur gewünscht, in Kenilworth zu sein und mit ihrem Manne zusammenzukommen; und jetzt, da sie in beider Nähe war, drängten sich ihr tausend Bedenken zugleich auf, und sie sah sich von neuen großen Gefahren, teils wirklich, teils eingebildet, alle aber überspannt und gesteigert durch die völlig hilf- und ratlose Lage, umgeben. Es traf sich gut, daß Wieland, der von seinen frühern Wanderschaften und seinem unsteten Leben her fast ganz England kannte, genau mit den Nebenwegen wie den Hauptstraßen in der schönen Grafschaft Warwick vertraut war. Denn so groß war die Menge, die von allen Richtungen her nach Kenilworth drängte, um den Einzug Elisabeths in das Schloß ihres Lieblings zu sehen, daß auf den Hauptstraßen ein Fortkommen nicht möglich war und sie die auf Umwegen zum Ziele führenden Nebenwege benutzen mußten, wenn sie ohne Aufenthalt vorwärts kommen wollten. Die Zahlmeister der Königin hatten im ganzen Lande in Meiereien und Dörfern all die Dinge aufgekauft, die bei einer Reise der Königin in der Regel gebraucht wurden. Die Hausverwalter des Grafen Leicester hatten zu demselben Zwecke das Land durchstöbert, und viele seiner Freunde und Bundesgenossen von nah und fern benutzten die Gelegenheit, sich bei ihm in Gunst zu setzen, und schickten ihm große Massen an Proviant und Delikatessen aller Art, dazu Wild in großen Stücken und ganze Tonnen von den besten fremden und heimischen Weinen und Schnäpsen. So waren die Heerstraßen versperrt von großen Zügen von Ochsen, Schafen, Kälbern und Schweinen und von schwerbeladnen Karren, deren Achsen unter der Last von Weintonnen und Bierfässern und Kolonialwaren und geschossenem Wild und gesalznem Fleisch und Säcken voll Mehl, ächzten. Ununterbrochen fanden in dieser Folge von Wagenzügen Stockungen statt, wobei es zwischen den fluchenden Fuhrknechten oft gar zu Schlägereien kam. Hier waren ferner Schauspieler und Masken, Gaukler und Spezialitäten aller Art. In lustigen Banden zogen sie die Pfade, die nach dem »Palast zur fürstlichen Lust« führten. So hatten die fahrenden Sänger Kenilworth in den Liedern genannt, die schon als ein Vorgeschmack der dort erwarteten Festlichkeiten herausgebracht worden waren. Inmitten dieser buntscheckigen Prozession stellten Bettler ihre wirklichen oder vorgegebnen Gebrechen zur Schau – ein seltsamer, doch alltäglicher Kontrast zwischen den Eitelkeiten und dem Elend des Menschenlebens. Alle diese trieben dahin mit der Hochflut von Volk, das aus purer Neugierde zusammengeströmt war. Das Gedränge und der Wirrwarr war jedoch von frohlauniger und heitrer Art. Alle kamen herbei, um etwas zu sehen und sich zu vergnügen, und alle lachten über die kleinen Unannehmlichkeiten, die zu einer andern Zeit leicht böses Blut hätten machen können. Abgesehen von dem gelegentlichen Schimpfen jener leicht erregbaren Klasse, der Fuhrleute, waren die gemischten Töne, die aus dieser Menschenmasse emporstiegen, nur Laute der leichtsinnigen Fröhlichkeit und jener Ausgelassenheit, die sich im siebenten Himmel fühlt. Nichts bereitet einem in Trübsal versunknen Gemüt mehr Schmerz, als wenn es sich in eine Szene der Lustigkeit und Schwelgerei versetzt sieht, wo alles eine so mißtönende Begleitung zu den eignen Gefühlen abgibt. Die Gräfin von Leicester aber fühlte sich durch den Lärm und das wirre Treiben der bunten Szene abgelenkt von ihren eignen trüben Gedanken, und es war ihr bei dem Leben um sie her unmöglich, über ihr eignes Unglück nachzusinnen oder furchtbare Ahnungen ihres künftigen Schicksals wachzurufen. Sie reiste, wie im Traume befangen, und folgte blindlings der Führung Wielands, der mit großer Geschicklichkeit jetzt sich durch das Gedränge vorschob, jetzt Halt machte, bis sich eine neue günstige Gelegenheit bot, wieder ein Stück weiter vorzudringen, und oft auch von dem Hauptwege abbog und einen kleinen Umweg auf einem Nebenwege machte, der sie wieder auf die Hauptstraße brachte, nachdem sie ein beträchtliches Stück bequemer und schneller zurückgelegt hatten. Auf diese Weise umging er Warwick, in dessen Schlosse Elisabeth die verflossne Nacht verbracht hatte und wo sie bis zum Mittag – der damals in ganz England üblichen Essenszeit – bleiben wollte, um dann nach der Mahlzeit nach Kenilworth weiterzureiscn. Endlich kam das fürstliche Schloß in Sicht, an dessen Einrichtung und äußrer Umgebung der Graf von Leicester umfassende Verbesserungen hatte vornehmen lassen, die ihm die Summe von 60 000 Pfund Sterling – nach unsrem jetzigen Gelde nahezu eine halbe Million Mark – gekostet haben sollen. Die Außenmauer dieses herrlichen und gigantischen Baues umschloß sieben Morgen Land, einen Teil davon nahmen ausgedehnte Stallungen und ein Lustgarten ein, den Rest bildete der große Außenhof des edeln Schlosses. Das herrliche Gebäude selber, das nahe dem Mittelpunkt dieser umfangreichen Umhegung sich erhob, setzte sich aus einem gewaltigen Komplex von kastellartigen Bauten zusammen, die anscheinend zu verschiednen Zeitaltern entstanden waren. Jeder Teil der prachtvollen Gebäudemasse trug seinen Namen und sein Wappen nach einem mächtigen Häuptling, der schon längst dahingegangen war. Alle diese Einzelbauten waren um einen Innenhof herum errichtet. Eine große, wuchtige Feste, die die Zitadelle des Schlosses bildete, war von unbestimmtem, doch sicher sehr hohem Alter und trug den Namen Cäsar – vielleicht weil sie dem Turme dieses Namens im Tower von London ähnelte. Allen frühern Besitzern hatte Leicester es zuvorgetan, so fürstlich und mächtig sie auch gewesen waren. Er hatte ein neues riesiges Gebäude aufführen lassen, das jetzt unter seinen eignen Trümmern begraben liegt – ein Denkmal des Ehrgeizes seines Besitzers. Die äußre Mauer dieses königlichen Schlosses war an der Süd- und Westseite geziert und verteidigt zugleich durch einen teilweise künstlich angelegten See, über den Leicester eine prachtvolle Brücke hatte schlagen lassen, damit die Königin auf einem bisher noch unbetretnen Wege ins Schloß einzöge, anstatt auf dem gewöhnlichen Wege von der Nordseite her, über dem er ein Torhaus hatte errichten lassen, das noch vorhanden ist und sich an Größe und baulicher Schönheit mit dem Schlosse manches Barons aus dem Norden messen kann. Jenseits des Sees lag ein ausgedehntes Gehege voll Rot- und Damwild und aller andern Jagdbeute, überreich an hohen Bäumen, und von diesem Walde aus sah man die weithin sich streckende Front und die massigen Türme des Schlosses in Majestät und Schönheit emporragen. Um diesen fürstlichen Palast herum, wo Prinzen schlemmten und Helden fochten, bald im blutigen Ernst von Schlacht und Belagerung und bald in ritterlichen Spielen, wo Schönheit den Preis verteilte, den die Tapferkeit erworben hatte, ist jetzt alles Einöde. Das Bett des Sees ist nur ein von Binsen überwucherter Morast, und die wuchtigen Ruinen des Schlosses zeigen nur, was einst für Pracht hier gewesen, und der sinnende Besucher kann den Gedanken über den hinfälligen Wert menschlichen Besitzes und das Glück derer nachhängen, die ein bescheidnes Los in Zufriedenheit genießen. Mit ganz andern Gefühlen sah die unglückliche Gräfin von Leicester die grauen, massigen Mauern zum erstenmal über die schattigen Wälder hinweg ragen. Sie, die unbestrittne Gemahlin des großen Grafen, des Lieblings der Elisabeth von Englands mächtigen Günstlings, näherte sich ihrem Manne und der Königin, dieses Mannes unter dem Schutze mehr als der Führung eines armen Gauklers, und obwohl sie die unbestrittne Herrin dieses stolzen Schlosses war, deren flüchtigstes Wort hätte genügen müssen, die Tore in ihren schweren, wuchtigen Angeln sich drehen zu machen zu ihrem Einlaß, so konnte sie sichs doch nicht verhehlen, mit welchen Schwierigkeiten und Gefahren es für sie verknüpft war, in ihre eignen Hallen hineinzukommen. Gefahr und Schwierigkeiten schienen in der Tat mit jedem Augenblick zu wachsen und drohten endlich ihnen völligen Stillstand zu bereiten an dem großen Tore, das zu einem breiten, schönen Wege führte. Dieser Weg lief etwa zwei englische Meilen weit durch das Gehege, gewährte mehrere schöne Ansichten von dem Schloß und dem See und endete an der neu errichteten Brücke, über die die Königin bei diesem denkwürdigen Besuche das Schloß betreten sollte. Das Tor, das zu dieser Allee führte, fanden die Gräfin und Wieland von einer Abteilung berittner Garde-Yeomen der Königin bewacht, die kurzweg allen den Zutritt verwehrten außer den zu dem Feste geladnen Gästen oder solchen Personen, die in den geplanten lustigen Veranstaltungen eine Rolle spielen sollten. Das Gedränge an diesem Eingang war infolgedessen sehr groß, und Personen aller Art gaben alle möglichen Vorwände an, um hereingelassen zu werden. Die Wache hatte für all das ein taubes Ohr und wies alle schönen Worte und sogar annehmbare Trinkgelder mit dem Hinweis auf ihre strengen Befehle ab. Mit denen, die sich mit diesen Gründen nicht zufrieden gaben, gingen sie gröber um und trieben sie ohne Umstände zurück, indem sie mit ihren mächtigen Gäulen auf sie eindrängten oder ihnen derbe Hiebe mit den Kolben ihrer Karabiner versetzten. Wieland wußte nicht, auf welche Weise er Einlaß erlangen sollte, und überlegte eben noch in großer Ratlosigkeit, wie er es anstellen sollte, als der Führer der Abteilung ein Auge auf ihn warf und zu seinem nicht geringen Erstaunen ausrief: »Leute, macht Platz für den Burschen da im orangegelben Rock. Komm vor, Musjö Hanswurst, und mach schnell. Was im Namen des Teufels hat Dich aufgehalten? Komm vor mit Deinem Weiblein da!« Während der Führer diese dringende, wenn auch unhöfliche Aufforderung an Wieland richtete, die dieser kaum als ihm geltend auffassen mochte, machten die Yeomen schleunigst freie Bahn für ihn, und Wieland raunte nur noch schnell seiner Gefährtin zu, den Schleier dicht an das Gesicht zu ziehen, und ritt dann durch das Tor, ihr Pferd am Zügel führend. Aber er ritt mit so niedergeschlagnen Blicken herein und in seinem Gesicht kam Angst und Beklommenheit so deutlich zum Ausdruck, daß das Volk, empört darüber, daß dieser Mann einen Vorzug vor den andern haben sollte, ihm ein lautes Hohngelächter nachschickte. Also in das Gehege hineingelassen, ritten Wieland und seine Schutzbefohlne vorwärts und sannen, was wohl für Schwierigkeiten ihnen zunächst begegnen würden. Sie folgten der breiten Allee, an der zu beiden Seiten ein langes Spalier von Söldlingen Wache hielt – sie waren alle mit Schwertern und Partisanen bewaffnet und trugen die Livree des Grafen von Leicester mit den Kennzeichen Bär und Knotenstock, den Emblemen des Earls. Sie standen auf der ganzen Strecke vom Eingang in den Park bis zur Brücke in einem Zwischenraum von drei Fuß voneinander. Und als die Lady zuerst eine umfassende Ansicht des Schlosses hatte, als sie die stattlichen Türme emporragen sah, die lange, gebogne Linie der Außenmauern, die Zinnen und Türmchen und Plattformen erblickte, von denen manches herniederwallte – als sie das Gewoge von bunten Helmbüschen und Federn auf den Terrassen und Estraden gewahrte – da sank ihr beim Anblick all der ungewohnten Pracht das Herz, als wollte es aufhören zu schlagen, und sie fragte sich auf einen Augenblick, was sie denn Leicester geboten habe, daß sie es verdiente, die Herrin dieser fürstlichen Pracht zu sein. Aber ihr Stolz und Edelmut widerstanden dem Geflüster, das sie verzweifeln hieß. »Ich habe ihm,« sagte sie, »alles gegeben, was ein Weib zu geben hat. Namen und Ruf, Herz und Hand habe ich dem Herrn all dieser Pracht gegeben am Altar, und Englands Königin könnte ihm nicht mehr geben. Er ist mein Gemahl – ich bin sein Weib. – Die Gott vereint, kann der Mensch nicht auseinanderreißen. Kühn und beherzt will ich mein Recht beanspruchen, um so kühner, als ich so unerwartet und so verlassen ankomme. Ich kenne meinen edeln Dudley gut! Er wird wohl ein wenig zürnen, daß ich ihm nicht gehorcht habe – aber Amy wird weinen, und Dudley wird ihr verzeihen.« Aus diesen Betrachtungen schreckte sie ein Ruf des Erstaunens von ihrem Führer Wieland, der sich plötzlich von zwei dünnen, schwarzen Armen um den Leib gefaßt fühlte. Der, dem diese Arme gehörten, hatte sich von einer Eiche auf seines Pferdes Rücken herabgelassen, unter dem lauten Gelächter der Postenkette. »Dies muß der Teufel oder wieder Flibbertitibitsch sein!« rief Wieland, nachdem er vergebens versucht hatte, sich loszumachen und den Kobold, der sich an ihn klammerte, vom Pferde zu setzen. »Tragen die Eichen um Kenilworth solche Eckern?« »Freilich, Meister Wieland,« erwiderte sein unerwarteter Bundesgenosse, »und manche andern noch, die zu hart sind, als daß Du sie knacken könntest, wenn ichs Dich nicht lehrte. Wie wart Ihr wohl durchs Tor dort oben gekommen, wenn ich ihm nicht vorher gesagt hätte, daß unser erster Gaukler und Possenreißer nachkommen würde? Und hier habe ich nun auf Euch gewartet, und die andern werden wohl schon ganz aus dem Häuschen sein, weil ich nicht da bin.« »Na, Du bist ein Stück vom leibhaftigen Teufel selber, guter Kobold,« sagte Wieland. »Ich füge mich Dir und will Deinen Rat befolgen. Nur, wie Du mächtig bist, sei auch barmherzig!« Unter so unheilvollen Umständen und unter so seltsamer Gesellschaft näherte sich die Gräfin von Leicester zum ersten Male der prachtvollen Behausung ihres fast fürstlichen Gemahls. Zehntes Kapitel Als die Gräfin von Leicester an dem Außentore des Schlosses von Kenilworth anlangte, fand sie den Turm, unter dem der breite Torweg hindurchführte, auf seltsame Weise bewacht, auf den Zinnen standen riesenhafte Wächter, die mit Keulen und Streitäxten und andern vorzeitigen Waffen ausgerüstet waren und die Soldaten König Arturs darstellen sollten. Einige dieser furchtbaren Kerle waren wirkliche Menschen in Maske und Stelzenfuß, andre waren bloße Puppen aus Pappe und Steifleinwand, die, von unten gesehen, mitten unter den lebenden aufgestellt, den beabsichtigten Eindruck vortrefflich erzielten. Aber der gigantische Torwart, der am Tore unten die Wache hielt, verdankte die imposante, fast furchtbare Wirkung seiner Gestalt keinerlei künstlichen Mitteln. Er war ein Mann, der mit seiner gewaltigen Gestalt und der Kraft seiner Muskeln und Sehnen den Riesen Goliath hätte darstellen können, ohne sich auch nur um die Höhe eines Absatzes dem Himmel näher zu bringen. Beine, Knie und Arme dieses Enakssohnes waren nackt, an den Füßen trug er Sandalen. Ein pralles, kurzärmeliges Wams von scharlachrotem Sammet bedeckte seinen Leib und einen Teil seiner Glieder, und an Stelle eines Mantels trug er auf der Schulter das Fell eines schwarzen Bären. Seine Waffe war eine schwere Keule mit Stahlspitzen. Als Wieland sich bescheiden näherte und an ihm vorbei wollte, als sei es ganz selbstverständlich, daß er hereingelassen würde, trat ihm der Riese in den Weg und rief mit donnernder Stimme: »Zurück!« Gleichzeitig stieß er seine Keule auf den Boden mit solcher Gewalt, daß das Pflaster Funken sprühte und der Torweg von dem Krach dröhnte. Wieland folgte dem Rate Dickies und erklärte, er gehöre zu einer Schauspielertruppe, die ihn nicht entbehren könne – er sei durch Zufall zurückgehalten worden und habe nachkommen müssen – und manches dergleichen. Aber der Wärter blieb unerbittlich, bis Dickie Schlamm Wieland ins Ohr flüsterte: »Nur ruhig, ich weiß, wo ihn der Schuh drückt und werde ihn im Augenblick kirre machen.« Er sprang zum Pferde hinab, schlüpfte zu dem Pförtner hin, zupfte ihn an seinem Bärenfell, daß er seinen großen Kopf herabbücken mußte, und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der schreckliche Ausdruck im Gesicht des Riesen wich auf der Stelle, er warf seine Keule auf den Boden und hob Dickie Schlamm so hoch empor, daß der Kleine sich Hals und Beine hätte brechen können, wenn die mächtigen Arme ihn hätten fallen lassen. »Stimmt schon,« rief er mit donnernder Stimme frohlockend aus, »stimmt schon, mein kleiner Knirps – aber wer zum Teufel hat es denn Dir sagen können?« »Das laßt Euch nicht bekümmern,« sagte Flibbertitibitsch, »aber –« und er sah auf Wieland und die Dame und dämpfte seine Stimme zu unhörbarem Geflüster, was ihm nicht sehr schwer fiel, da der Riese ihn zu seiner Bequemlichkeit dicht an sein Ohr hielt. Der Pförtner streichelte dann Dickie zärtlich und setzte ihn auf den Boden, mit derselben Sorgfalt, mit der eine fürsorgliche Hausfrau eine chinesische Tasse, die schon einen Sprung hat, auf den Kaminsims stellt, und rief gleichzeitig Wieland und seiner Dame zu: »Herein mit Euch – herein mit Euch – und seht Euch vor, daß Ihr nicht noch einmal zu spät kommt, wenn ich gerade die Wache habe.« »Ja, ja, herein,« sagte Popanz, »ich muß noch ein kleines Weilchen bei meinem ehrlichen Riesen Goliath bleiben, aber ich bin gleich wieder bei Euch und geh Euerm ganzen Geheimnis auf den Grund, und wäre es so tief und so dunkel wie das Burgverließ.« »Das glaub ich gern,« sagte Wieland, »aber das Geheimnis wird bald meiner Obhut entrückt sein, und dann schert es mich nicht, ob Du oder sonstwer es weiß.« Sie passierten nun den Eingangsturm, der die Bezeichnung Galerieturm führte. So hieß er, weil die ganze Brücke von dem Eingangsturm bis zu einem andern Turm auf der gegenüberliegenden Seite des Sees, dem sogenannten Mortimerturm, zu einem geräumigen Turnierplatz hergerichtet war, der etwa hundertunddreißig Ellen in der Länge und zehn in der Breite maß, mit dem feinsten Sand bestreut und an beiden Seiten durch starke und hohe Palisaden geschützt war. Die breite, schöne Galerie, von der aus die Damen die auf dieser Arena veranstalteten Ritterspiele mitansehen sollten, war an der Nordseite des nach ihr bekannten Außenturmes errichtet. Unsre Reisenden ritten langsam über die Brücke oder den Turnierplatz, und langten am Mortimerturm an, durch den der Zugang zu dem Außenhof des Schlosses führte. Das Tor hier war von vielen Hütern in prunkvollen Livreen bewacht, die sie aber ungehindert passieren ließen. Sie gelangten in tiefer Stille in den großen Außenhof des Schlosses und hatten nun voll vor sich den mächtigen fürstlichen Komplex mit all seinen stattlichen Türmen, jedes Tor stand offen, wie zum Zeichen unbeschränkter Gastlichkeit, und die Räume waren dicht gefüllt mit edeln Gästen und ihren Dienern, Vasallen und Untertanen aller Art. Mitten in dieser prächtigen, vielbelebten Szene hielt Wieland an und sah auf die Dame, als warte er auf ihre Befehle, was fernerhin getan werden solle, da ja das Ziel nun glücklich erreicht war. Da sie schwieg, wartete Wieland ein Weilchen und dann fragte er sie rund heraus, was sie weiter befehle. Sie hob die Hand an die Stirn, als sammle sie Gedanken und Entschlüsse, und antwortete leise und gedämpft, in dem Flüstern eines, der im Traume spricht: »Befehle? Ich kann in der Tat ein Recht beanspruchen, hier zu befehlen. Doch, wer wird mir gehorchen?« Dann hob sie plötzlich den Kopf, als habe sie einen entschiednen Vorsatz gefaßt, und redete einen schmuck gekleideten Diener an, der eben mit geschäftiger Miene durch den Hof ging: »Halt da,« sagte sie, »ich wünsche den Earl of Leicester zu sprechen.« »Wen?« versetzte der Mann, erstaunt über das Begehren. Dann sah er die bescheidne Ausrüstung der Dame an, die ihn in so herrischem Tone anredete, und setzte in wegwerfendem Tone hinzu: »Ei, was haben wir denn da für eine Tollhäuslerin, die an einem Tage wie heute Mylord zu sprechen wünscht?« »Freund,« sagte die Gräfin, »sei nicht so unverschämt. Was ich mit dem Earl zu sprechen habe, duldet keinen Aufschub.« »Da müßt Ihr Euch schon einen andern für Euern Auftrag aussuchen, und wäre die Sache noch so dringend,« sagte der Bursche. »Ich sollte Mylord von der königlichen Seite Ihrer Majestät wegrufen? Ein Peitschenhieb wär meine Antwort. – Mich wunderts, daß unser alter Pförtner solch Gesindel nicht mit seiner Keule wegjagt, statt daß ers hereinläßt.« Ein paar Leute blieben stehen, als der Diener so zu schimpfen anfing, und Wieland, um sich und die Dame besorgt, wandte sich rasch an einen, der am höflichsten aussah, schob ihm ein Geldstück in die Hand und besprach sich kurz mit ihm, ob nicht ein zeitweiliger Unterschlupf für die Dame zu haben sei. Der Mann, mit dem er sprach, hatte, wie es schien, kraft seines Amtes etwas zu sagen und tadelte die andern wegen ihrer Unhöflichkeit. Er befahl einem der Burschen, die Pferde der Fremden zu besorgen, und ersuchte sie, ihm zu folgen. Sie traten durch den großen Torweg in den Innenhof des Schlosses und wurden von ihrem Führer nach einem kleinen, aber starken Turme geleitet, der die Nordostecke des Gebäudes einnahm, welches an die große Halle grenzte. Den untern Teil dieses Turmes bewohnten Haushaltsbeamten Leicesters, aber im obern Stock, zu dem man auf einer engen Wendeltreppe gelangte, lag eine kleine, achteckige Kammer, die bei dem augenblicklichen großen Bedarf an Unterkunft zur Aufnahme von Gästen hergerichtet worden war, obwohl das Gerücht ging, daß dieser Raum als Kerker für eine unglückliche Person gedient habe, die hier ermordet worden sei. Die Sage nannte diesen Gefangnen Mervyn, und nach ihm war auch der Turm genannt. Es stand ein Bett im Zimmer, und es waren mancherlei andre Vorbereitungen zum Empfange von Gästen getroffen worden, die die Gräfin jedoch kaum beachtete – ihr fiel es vor allem auf, daß auf dem Tische ein Schreibzeug stand – was man in Schlafstuben der damaligen Zeit selten fand – und sofort kam ihr der Gedanke, an Leicester zu schreiben und verborgen zu bleiben, bis sie Antwort von ihm erhalten hätte. Der Mann, der sie in diesen behaglichen Raum gebracht hatte, fragte höflich Wieland, dessen Freigebigkeit er kennen gelernt hatte, ob er noch etwas für ihn tun könnte. Auf den zarten Wink hin, daß eine kleine Erfrischung sehr erwünscht sei, führte er den Schmied sofort in das Vorratsgewölbe, wo Speisen aller Art in gastlicher Fülle für alle, die danach fragen mochten, aufgestellt waren. Wieland erhielt bereitwilligst ein paar leichte Bissen, wie sie seiner Meinung nach dem geschwundnen Appetit der Lady am besten zusagen würden, und er ließ die Gelegenheit nicht vorübergehen, selber eine kräftigere und reichlichere Mahlzeit einzunehmen. Dann kehrte er in das Turmgemach zurück, wo die Gräfin ihren Brief an Leicester eben beendet hatte. An Stelle eines Siegels und seidnen Fadens hatte sie ihn mit einer Flechte ihres eignen schönen Haares zugebunden, die sie zu einem sogenannten »Knoten wahrer Liebe« zusammengeschlungen hatte. »Guter Freund,« sagte sie zu Wieland, »den mir Gott in meiner äußersten Not gesandt hat, ich ersuche Dich, diesen Brief an den Earl of Leicester zu besorgen; es wird die letzte Mühe sein, die Ihr um eine unglückliche Dame haben sollt. Mag der Brief aufgenommen werden, wie er wolle,« setzte sie hinzu mit einem Ausdruck zwischen Furcht und Hoffnung, »Du guter Bursche, sollst keine Not mehr mit mir haben. Aber ich hoffe das Beste, und wenn je eine Dame einen armen Mann reich gemacht hat, so hast Du es sicher von meiner Hand verdient, wenn mir jemals das Glück wieder lächelt. Gib, ich bitte Dich, den Brief Lord Leicester nur persönlich in die Hand und merke wohl, wie er ihn aufnimmt.« Daß die Dame, statt nach ihrer Flucht aus Cumnorplace sich zu ihrem Vater zu begeben, was doch das Natürlichste gewesen wäre, und so sich der Macht derer zu entziehen, die sie in so dringende Gefahr gebracht hatten, im Gegenteil sich hatte nach Kenilworth bringen lassen, vermochte Wieland sich nur so zu erklären, daß sie die Absicht habe, sich unter den Schutz Tressilians zu stellen und die Königin selber um Beistand anzurufen. Anstatt aber dieses natürliche Verfahren zu wählen, vertraute sie ihm jetzt einen Brief an Leicester an, unter dessen Gutheißung, wenn nicht ausdrücklicher Beeinflussung ihr all das Uebel zugefügt worden war, das sie bereits erlitten hatte. Dies erschien Wieland als ein unsichres und obendrein gefährliches Verfahren, und Wieland erkannte sogleich, daß er sich erst den Rat und Beistand eines Beschützers sichern müßte, ehe er diesen Auftrag ausführen konnte, ohne dabei die Dame und sich selber in ernste Gefahr zu bringen. Er beschloß daher, ehe er den Brief an Leicester bestellte, Tressilian aufzusuchen und ihn von der Ankunft der Dame in Kenilworth in Kenntnis zu setzen. Auf diese Weise entledigte er sich aller weitern Verantwortlichkeit und übertrug die Aufgabe, die unglückliche Dame zu führen und zu schützen, auf den Gönner, der ihm zuerst den Auftrag erteilt hatte, der Dame seine Dienste zu widmen. Elftes Kapitel In dem wirren Treiben, von dem das Schloß erfüllt war, eine besondre Person herauszufinden, war nicht leicht, indessen erfuhr Wieland durch indirekte Fragen, die er vorsichtig stellte, Tressilian müsse bei einer großen Schar von Herren im Gefolge des Grafen von Sussex sein, der an diesem Morgen nach Kenilworth gekommen und von Leicester mit großer Ehrerbietung empfangen worden sei. Beide Earls seien aber jetzt mit Edelleuten, Rittern und Herren der Königin nach Warwick entgegengeritten, um sie nach Kenilworth zu begleiten. Wie andre großen Ereignisse hatte sich auch die Ankunft der Königin von Stunde zu Stunde verzögert, und ein Bote, der atemlos herankam, meldete, daß die Majestät – zurückgehalten von dem Wunsche, die Huldigung ihrer Untertanen, die sich in Warwick zusammengedrängt hätten, entgegenzunehmen – erst in der Dämmerstunde nach Kenilworth kommen würde. Diese Nachricht ließ nun denen, die in der Erwartung auf eine augenblickliche Ankunft der Königin sich schon die Rollen zurechtgelegt hatten, die sie bei der Feierlichkeit zu spielen hatten, noch eine kurze Frist; und als Wieland ein paar Reiter in das Schloß hereinkommen sah, hoffte er schon, Tressilian wäre darunter. Aber während er noch eifrig nach dem ausspähte, den er doch nicht sehen konnte, wurde er von jemand, vor dem er am liebsten sich nicht hier hätte sehen lassen, am Aermel gezupft. Dies war Dickie Schlamm oder Flibbertitibitsch, und was Wieland auch innerlich empfinden mochte, so hielt er es doch für nötig, über das unerwartete Zusammentreffen Freude zu bekunden. »Ei, Du bist es, mein kleiner Kobold? Sage mir doch nur, wie bist Du denn mit dem dickköpfigen Riesen fertig geworden?« »Das ist mein Geheimnis,« versetzte der kleine Kerl. »Aber sagt mir doch, wollt Ihr mir nicht die Geschichte von dieser Dame, Eurer Schwester, erzählen, die ebenso wenig Eure Schwester ist wie ich?« »Was könnte Dir das nützen?« fragte Wieland. »O, steht es so zwischen uns?« fragte der Junge, »na, ich kümmre mich ja nicht weiter drum – bloß wenn ich ein Geheimnis wittre, so versuche ich im guten oder im bösen dahinter zu kommen, und somit guten Abend.« »Nein, aber lieber Dickie,« sagte Wieland, der die rastlose Ränkesucht des Knaben zu gut kannte, um nicht sich vor seiner Feindschaft zu fürchten, – »warte doch, lieber Dickie, – reiß nicht so kurzweg vor Deinen alten Freunden aus! – Du sollst alles, was ich über die Dame selber weiß, eines Tages ja schon noch erfahren!« Aber Richard Schlamm war schon mit einem Luftsprung aus dem Torweg, lief mit der ihm eigentümlichen außerordentlichen Geschwindigkeit über die Brücke auf den Galerieturm zu und war im Augenblick verschwunden. Tressilian aber, den Wieland hier so ängstlich erwartete, war schon auf anderm Wege wieder ins Schloß gelangt. Allerdings war er mit der Kavalkade des Earls nach Warwick geritten. Als er aber Varney unter Leicesters Gefolge sah, und dieser sich ihm zu nähern und ihn anzureden schien, hielt er es für geraten, ein solches Zusammentreffen jetzt zu vermeiden. Er war daher wieder zu Pferde gestiegen und nach Kenilworth zurückgeritten, das er auf einem fernen Umwege erreichte und durch eine kleine Pforte in der Westmauer betrat, zu der man ihn als einen der Anhänger des Grafen von Sussex ohne weitres hineinließ – denn Leicester hatte befohlen, gegen Sussex und seine Leute die weitgehendste Höflichkeit zu üben. So kam es, daß er Wieland nicht traf, der ihn ungeduldig erwartete, und den er selber ebenso sehnlichst zu sehen wünschte. Nachdem er sein Pferd seinem Diener übergeben hatte, erging er sich ein Weilchen im Lustgarten, mehr um in verhältnismäßiger Einsamkeit seinen Gedanken nachzuhängen, als um die einzigen Schönheiten der Natur und der Kunst zu bewundern, die die Großartigkeit Leicesters hier zusammen gebracht hatte. Während es in allen andern Teilen des Schlosses lärmte, war der Garten still, und nur die Blätter rauschten, die Insassen eines großen Vogelkäfigs zwitscherten um die Wette mit ihren glücklichern Gefährten, die noch unter freiem Himmel wohnten, und die Springbrunnen plätscherten, die, von Bildwerken phantastischer und grotesker Art in die Luft geschleudert, lautlos in die großen Becken von italienischem Marmor zurückfielen. Tressilian riß sich aber endlich aus seiner traurigen Verlorenheit, und um sich selber zu andern Gedanken zu zwingen, verließ er den Lustgarten, um sich unter die lärmende Menge auf den Wällen zu mischen. Aber als er das lustige Stimmengewirr und das Lachen und die Musik hörte, fühlte er ein unzähmbares Widerstreben, und es war ihm unmöglich, sich in dieser Gesellschaft zu verlieren; so beschloß er, auf das ihm zugewiesne Zimmer zu gehen und sich mit Studien zu befassen, bis das Läuten der großen Schloßglocke die Ankunft Elisabeths verkünden würde. Tressilian schritt daher zu dem dritten Stock vom Mervynsturm hinauf und klinkte an der Tür des kleinen Gemachs, das ihm zuerteilt worden war – er war erstaunt, es abgeschlossen zu finden. Aber es fiel ihm ein, der Kammerdiener hatte ihm einen Schlüssel gegeben und ihm geraten, bei dem jetzigen Wirrwarr im Schlosse seine Tür möglichst immer verschlossen zu halten. Diesen Schlüssel steckte er jetzt ins Schloß, der Riegel sprang auf, und er trat ein. Im selben Augenblick sah er eine Frauengestalt in dem Zimmer sitzen und erkannte in ihr Amy Robsart. Das Erstaunen der Gräfin war kaum geringer, obwohl sie von Wieland gehört hatte, daß er im Schlosse sei. Sie war aufgesprungen und stand ihm jetzt gegenüber, die Blässe auf ihren Wangen war einer tiefen Röte gewichen. »Tressilian,« sagte sie endlich. »Wie kommt Ihr hierher?« »Nein, wie kommt Ihr hierher, Amy?« entgegnete Tressilian. »Es sei denn, um endlich die Hilfe anzurufen, die, soweit das Herz und der Arm eines Menschen reichen können, Euch auf der Stelle erwiesen werden soll?« Sie schwieg einen Augenblick, und dann antwortete sie in mehr traurigem als ärgerlichem Tone: »Ich bedarf keiner Hilfe, Tressilian, und es gereichte mir eher zum Schaden als zum Nutzen, wenn Ihr mir irgendwelche Dienste anbieten wolltet. Glaubt mir, ich bin in der Nähe eines Mannes, der durch Gesetz und Liebe verpachtet ist, mich zu beschützen.« »Der Schurke hat Euch also die klägliche Gerechtigkeit angedeihen lassen, die allein noch in seiner Macht war,« sagte Tressilian, »und ich sehe vor mir die Gattin dieses Varney?« »Varneys Gattin!« versetzte sie mit allem Nachdruck der Verachtung. »Mit welchem gemeinen Namen, Herr, brandmarkt Eure Frechheit die – die – die –« Sie stockte und sah zu Boden, während die zornige Rede ihr auf den Lippen erstarb, und schwieg voller Verwirrung, denn sie dachte gleich daran, was für verhängnisvolle Folgen es haben könne, wenn sie den Satz mit den Worten »die Gräfin von Leicester« vollendete. Das wäre ein Verrat des Geheimnisses, von dem das Glück ihres Gatten abhing, wie er ihr selber versichert hatte – das hieße es nicht nur Tressilian, sondern auch Sussex und der Königin und dem ganzen versammelten Hofe verraten. »Nimmer,« dachte sie, »will ich das Schweigen brechen, das ich versprochen habe. Lieber will ich jeden Verdacht auf mich fallen lassen.« Die Tränen traten ihr in die Augen, während sie schweigend vor Tressilian stand. Er sah sie voller Schmerz und Mitleid an und sagte: »Amy, Amy, Eure Augen widersprechen Eurer Zunge. Diese spricht von einem Beschützer, der willens und im stande sei, Euch zu behüten, und jene sagen mir, daß Ihr zu Grunde gerichtet und verlassen seid von dem Elenden, an den Ihr Euch gehängt habt.« Sie sah ihn mit einem Blick voll funkelnden Zornes an, den die Tränen nicht verschleierten, aber sie wiederholte nur die Worte: »Von dem Elenden!« mit dem Nachdruck der Entrüstung. »Ja, von dem Elenden!« sagte Tressilian; »denn wenn er etwas Bessers wäre, warum seid Ihr hier und allein in meinem Zimmer? Warum sind nicht die erforderlichen Vorbereitungen für einen ehrenvollen Empfang getroffen worden?« »In Eurem Zimmer?« wiederholte Amy. »In Eurem Zimmer? Das soll sofort von meiner Gegenwart befreit werden.« Sie eilte auf die Tür zu, aber der betrübende Gedanke an ihre Verlassenheit bedrückte sie sogleich wieder, und sie blieb auf der Schwelle stehen und setzte in unsäglich leidensvollem Tone hinzu: »Wehe! Ich vergaß – ich weiß ja gar nicht, wohin ich gehen soll.« »Ich durchschaue das alles,« sagte Tressilian und sprang an ihre Seite und führte sie zu dem Stuhle zurück, auf den sie niedersank, »Ihr bedürft der Hilfe – Ihr bedürft des Schutzes, wenn Ihr es auch nicht zugeben wollt, und Ihr sollt dessen nicht lange bedürftig bleiben. An meinen Arm gelehnt, neben mir als dem Vertreter Euers ausgezeichneten, vom Herzeleid gebrochnen Vaters, sollt Ihr an der Schwelle des Schloßtores vor Elisabeth treten, und die erste Tat, die sie in den Hallen von Kenilworth tun soll, wird ein Akt der Gerechtigkeit gegen ihr Geschlecht und ihre Untertanen sein. Im starken Vertrauen auf meine gute Sache und die Gerechtigkeit der Königin soll die Macht ihres verhätschelten Günstlings meinen Entschluß nicht erschüttern. Ich will auf der Stelle Sussex aufsuchen.« »Um alles nicht!« rief die Gräfin bestürzt – sie fühlte, daß es vor allem notwendig war, Zeit zum mindesten zur Ueberlegung zu gewinnen. »Tressilian, Ihr wart sonst immer edelmütig, – gewährt mir eine Bitte und glaubt mir, wenn es Euer Wunsch ist, mich vor Elend und Wahnsinn zu retten, so werdet Ihr durch das Versprechen, das ich von Euch erbitte, mehr für mich tun, als Elisabeth mit all ihrer Macht kann.« »Bittet mich um alles, wofür Ihr triftige Gründe angeben könnt,« sagte Tressilian, »doch verlangt nicht von mir ...« »O, setzt Eurer Güte keine Grenzen, lieber Edmund!« rief die Gräfin aus, – »einst lag es Euch ja am Herzen, daß ich Euch so nennen sollte – schränkt nicht Eure Güte durch Gründe ein! Denn meine Seele ist eitel Wahnsinn, und die Tollheit muß die Ratschläge leiten, die allein mir helfen können.« »Wenn Ihr so wirr und wild redet,« sagte Tressilian, während er abermals über dem Erstaunen seinen Entschluß und seinen Schmerz vergaß, »so muß ich Euch in der Tat für unfähig halten, für Euch selber zu überlegen und zu handeln.« »O nein!« rief sie aus und sank vor ihm auf ein Knie, »ich bin nicht von Sinnen – ich bin nur ein unsäglich unglückliches Geschöpf, und durch die allerseltsamsten Umstände werde ich in den Abgrund gezogen, vom Arme dessen, der eben mich davor bewahren will – eben Euch, Tressilian, den ich geehrt, hochgeschätzt – wenn auch nicht geliebt habe – und doch auch geliebt, ja, auch geliebt, Tressilian – wenn auch nicht so, wie Ihr es wünschtet.« Es lag in ihrer Stimme und in ihrem Wesen eine Energie – eine Selbstbeherrschung – ein Sichhingeben – ein unbegrenztes Vertrauen auf seine Großmut, daß er tief gerührt war. Er hob sie auf und bat sie in gebrochnen Lauten, sich zu trösten. »Ich kann mich,« sagte sie, »ich will mich nicht trösten, ehe Ihr mir nicht meine Bitte gewährt! Ich will so deutlich sprechen, wie ich darf – ich erwarte jetzt die Befehle eines Mannes, der ein Recht hat, mir Befehle zu erteilen – die Einmischung eines dritten, besonders Eurer Person, Tressilian, wäre mein Verderben – mein gänzliches Verderben. Wartet nur vierundzwanzig Stunden, und es kann sein, daß die arme Amy in der Lage sein wird, zu zeigen, daß sie Eure uneigennützige Freundschaft schätzt und zu belohnen weiß – daß sie selber glücklich und auch in der Lage ist, Euch glücklich zu machen – es ist sicherlich der Mühe wert, sich auf so kurze Zeit zu gedulden.« Tressilian schwieg und erwog im Geiste die verschiednen Möglichkeiten, die eine energische Einmischung seinerseits mehr schädlich als vorteilhaft gestalten könnten, er bedachte auch, daß sie in den Mauern von Kenilworth sei und daß sie zum mindesten vor allen Unbilden solange gesichert sei, als das Schloß durch die königliche Gegenwart geehrt und durch die königlichen Wachen geschützt sei – und er war im Grunde selber der Meinung, daß er ihr mehr einen bösen als einen guten Dienst erwiese, wenn er das in ihrer Sache von ihm an Elisabeth gerichtete Gesuch jetzt durch sie selber vertreten ließ. »Amy,« sagte er, indem er seine traurigen und ausdrucksvollen Augen auf sie heftete, während sie die ihrigen in ihrem Uebermaß von Zweifel, Furcht und Ratlosigkeit zu ihm aufschlug, »ich habe immer erkannt, wenn andre Euch kindisch und eigensinnig nannten, es lag unter diesem äußern Anschein von jugendlicher und eigenwilliger Torheit tiefes Gefühl und kraftvoller Verstand. Und auf diese beiden will ich vertrauen und auf die Zeit von vierundzwanzig Stunden Euer Schicksal in Eure eignen Hände legen, ohne mich mit Worten oder Taten einzumischen.« »Versprecht Ihr mir das, Tressilian?« fragte die Gräfin. »Ist es möglich, daß Ihr jetzt noch so großes Vertrauen zu mir haben könnt? Versprecht Ihr, so wahr Ihr ein Edelmann und ein Ehrenmann seid, Euch weder durch Reden noch durch Handlungen in meine Angelegenheiten zu mischen, auch wenn Ihr sonst etwas hören und sehen mögt, was Euch zur Anteilnahme reizen könnte? Wollt Ihr mir so weit vertrauen?« »Ich will es – bei meiner Ehre,« sagte Tressilian, »aber wenn diese Zeit um ist –« »Wenn diese Zeit um ist,« sagte sie, ihm ins Wort fallend, »könnt Ihr nach Gutdünken und ganz nach Euerm eignen Urteil handeln.« »Kann ich sonst nichts für Euch tun, Amy?« fragte Tressilian. »Nichts,« sagte sie, »nichts als mich verlassen – sofern Ihr mir Euer Zimmer auf vierundzwanzig Stunden abtreten könnt.« »Das ist höchst wundersam!« rief Tressilian. »Was könnt Ihr zu hoffen haben in einem Schlosse, wo Ihr nicht einmal über ein Zimmer gebieten könnt?« »Sucht nicht nach Gründen, sondern verlaßt mich,« sagte sie, und als er langsam und widerstrebend ging, setzte sie hinzu: »Edler Edmund! Die Zeit kommt wohl noch, wo Amy zeigen kann, daß sie Deine edle Zuneigung verdient hat.« Zwölftes Kapitel Als Tressilian in seltsamer Erregung kaum ein paar Stufen der Wendeltreppe herabgestiegen war, begegnete er zu seinem großen Erstaunen und Mißbehagen Michael Lambourne, der ihm mit so unverschämt vertraulicher Miene entgegentrat, daß Tressilian sich fast versucht sah, ihn die Treppe hinunterzuwerfen. Aber er besann sich, daß Amy, um die allein er besorgt war, Unannehmlichkeiten haben könne, wenn er sich zu dieser Zeit und an diesem Orte zu irgendwelcher Gewalttat hinreißen ließ. Er sah daher Lambourne nur starr an, wie einen, der gar nicht wert ist, bemerkt zu werden, und versuchte an ihm vorbeizukommen ohne irgend ein Zeichen des Erkennens. Aber Lambourne, der bei der überreichen Gastlichkeit dieses Tages nicht verfehlt hatte, einen gehörigen Humpen Wein zu trinken, wenn auch noch nicht so viel, daß er völlig betrunken gewesen wäre – war nicht in der Laune, sich von irgendwem über die Achsel behandeln zu lassen. Ohne die geringste Verlegenheit hielt er Tressilian auf der Wendeltreppe an und redete ihn an, als wenn er auf vertrautem Fuße mit ihm stände: »Was? doch kein böses Blut zwischen uns wegen alter Geschichten, Meister Tressilian? – Nein, ich bin einer, der eine Freundlichkeit länger behält als einen Streit – ich will Euch den Beweis liefern, daß ich es ehrlich und gut mit Euch gemeint habe.« »Ich wünsche keine Vertraulichkeit von Eurer Seite,« sagte Tressilian. »Verkehrt Ihr mit Euresgleichen.« »Nu, gleich wieder hui, hui!« sagte Lambourne. »Nur gemach! Wie doch die nobeln Herren, die ohne Frage aus dem Porzellan der Erde gemacht sind, verächtlich auf den armen Michael Lambourne herabsehen! Ihr wollt den Heiligen spielen, Meister Tressilian, und vergeßt, daß Ihr doch eben zur Schmach für das Schloß Mylords in Eurem Schlafzimmer selber ein Weibchen habt, ha ha ha! Hab ich Euch erwischt, Junker Tressilian?« »Ich weiß nicht, was Ihr wollt,« sagte Tressilian, aber er mußte doch annehmen, daß dieser unverschämte Gesell Kenntnis von Amys Anwesenheit in seinem Zimmer erlangt haben müsse. »Aber wenn Ihr hier auf die Zimmer aufzupassen habt, und ein Trinkgeld haben wollt, so ist hier eins, dafür laßt Ihr wohl mein Zimmer unbehelligt?« Lambourne sah das Geldstück an und steckte es in die Tasche. »Ich weiß nicht,« sagte er, »aber durch ein freundliches Wort hättet Ihr vielleicht mehr bei mir erreicht als durch dieses glänzende Stückchen. Aber im Grunde – wer mit Gold bezahlt, bezahlt gut, und Lambourne ist nie ein Spielverderber gewesen. Leben und leben lassen, das ist mein Motto. Aber wenn ich Euer Geheimnis bewahre, Meister Tressilian, so könnt Ihr mich wenigstens anständig angucken – der beste unter uns, seht Ihr, macht gern mal so ein kleines Späßchen – und so macht mit Euerm Zimmer, was Ihr wollt, und mit dem Vögelchen drin auch – Michael Lambourne schert sich den Kuckuck drum!« »Macht Platz!« sagte Tressilian, der nicht länger seine Frechheiten mit anhören konnte, »Ihr habt Euer Trinkgeld!« »Hm!« machte Lambourne, während er aus dem Wege trat, aber er brummte zwischen den Zähnen, Tressilians Worte wiederholend: »Macht Platz – hm! – Ihr habt Euer Trinkgeld – hm – aber es macht nichts – ein Spielverderber bin ich nicht – aber ein räudiger Hund bin ich auch nicht.« Er sprach desto lauter, je mehr Tressilian, vor dem er im Grunde Angst hatte, sich entfernte: »Ich bin kein räudiger Hund, das laßt Euch gesagt sein, mein Meister Tressilian. Und ich will mir die Dirne mal angucken, die Ihr da so behaglich in dem alten Geisterzimmer einquartiert habt – vielleicht fürchtet sie sich vor Gespenstern und schläft nicht gern allein. Na gut – durch diese glückliche Entdeckung habe ich Meister Tressilian mit Kopf und Kragen in der Hand, das eine steht fest – und ich will zusehen, ob ich diese Dulcinea von ihm zu sehen bekomme, das ist auch abgemacht!« Dreizehntes Kapitel Tressilian begab sich, im Zweifel darüber, ob er Amy Robsart recht getan oder nicht, in den äußern Schloßhof, wo er dem Schmied in den Weg lief, der, als er ihn sah, den Ruf ausstieß: »Gott sei Dank, Herr, daß ich Euch treffe!« Dann raunte er ihm ängstlich und behutsam die weitern Worte ins Ohr: »Herr, Herr, die Dame von Cumnorplace ist entflohen!« »Sie ist jetzt im Schlosse,« erwiderte Tressilian, »ich habe sie gesehen und gesprochen. ... Hat sie aus freier Wahl in meinem Zimmer Zuflucht gesucht?« »Nein,« erwiderte Wieland, »aber es war mir nicht möglich, sie anderweit sicher unterzubringen; ich war froh, noch einen von der Hausverwaltung zu finden, der wußte, welches Euer Zimmer war. Die Dame weiß nicht, was sie will ... sie mag nichts hören von Eurer Hilfe ... sie befiehlt, daß Euer Name nicht genannt werde, und will sich in Lord Leicesters Hände begeben. ... Ich habe mir auch fest vorgenommen, wenn ich das Schreiben an Lord Leicester abgegeben habe, keinen Augenblick länger im Schlosse zu verweilen. Ich will bloß, ehe ich es abgebe, Eure Befehle hören. ... Da, hier ist es ... aber hol mich der Teufel! ... Doch nein! ... Ich muß es wahrhaftig in dem Hundeloche oben haben liegen lassen, auf dem Heuboden, wo ich schlafen soll.« Tressilian geriet völlig aus seiner gewöhnlichen Ruhe. »Tod und Teufel!« schrie er, »Du wirst doch nicht verloren haben, wovon mehr abhängig ist, als tausend solcher Leben wie das Deine?« »Verloren? Ich?« antwortete Wieland rasch, »das wär ein schlimmer Spaß! ... Nein, Herr, ich habs fürsorglich verwahrt bei meinem Nachtzeug und manch andern Dingen, die ich brauche. Ich hol es auf der Stelle.« »Tu das,« versetzte Tressilian, »sei treu und pünktlich, und es soll Dein Schade nicht sein. ... Bekäme ich aber Ursache, Dir zu mißtrauen, dann wäre ein toter Hund besser dran denn Du.« Wieland ging, wie es den Anschein hatte, mit Zuversicht und Vertrauen hinweg, im Grunde seines Herzens aber fühlte er Furcht und Zagen. Der Brief war, das begriff er jetzt, in Verlust geraten, und wenn er Tressilian noch nicht die Wahrheit gesagt hatte, so war es nur darum nicht geschehen, weil er dessen heftigen Zorn hatte beschwichtigen wollen. ... Der Brief war verloren, konnte in schlimme Hände geraten und dann würde ganz gewiß die ganze Intrige, in die er verwickelt war, zu Tage kommen; und wie er sich dann noch verborgen halten solle, gleichviel, wie es ausginge, dazu sah Wieland keine rechte Möglichkeit mehr. »Ich will auf ihr Zimmer gehen,« sprach Wieland bei sich, »und ihr sagen, wie es mir mit ihrem Briefe ergangen ist; wenn sie es für gut und recht erachtet, so kann sie mir ja einen andern schreiben.« Schleichend und spähend wie eine Katze, die einer Beute nachläuft, suchte sich Wieland durch die Höfe und Gänge seinen Weg zu dem Zimmer der Gräfin, darauf bedacht, selbst ungesehen zu bleiben und doch alles bemerkend, was sich um ihn her befand oder begab. So gelangte er durch den äußern und innern Schloßhof und durch den gewölbten Gang, der zwischen der langen Reihe von Küchen und der großen Halle hin zu der kleinen Wendeltreppe lief, auf der man zu den Gemächern im Mervynsturme kam. Froh, den mancherlei Gefahren glücklich entronnen zu sein, die ihm auf diesem Wege drohten, stieg er eben, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf, als er, einer halboffnen Tür gegenüber, ziemlich nahe der Treppenwand, den Schatten eines Mannes gewahrte. Vorsichtig zog er sich zurück, ging wieder auf den innern Hof hinunter und dort eine Viertelstunde etwa auf und ab, die ihm aber lang wie eine Stunde zu dauern schien ... dann begab er sich wieder in den Turm zurück, in der Hoffnung, das Feld dort nun frei zu finden. Er gelangte, ohne etwas zu gewahren, zu der verdächtigen Stelle ... dort sah er keinen Schatten ... er machte noch ein paar Schritte, ohne recht zu wissen, da die Tür noch immer offenstand, ob er weiter oder wieder zurückgehen solle ... als die Tür plötzlich weit aufgerissen wurde und Michael Lambourne auf den verblüfften Wieland zuschoß. »Wer zum Teufel bist Du, und was hast Du in diesem Teile des Schlosses zu schaffen? Marsch hinein in diese Stube, damit wir den Fall untersuchen.« »Ich bin kein Hund, der auf jedermanns Pfiff angekrochen kommt,« erwiderte Wieland, eine Zuversicht heuchelnd, die durch das Zittern seiner Stimme Lügen gestraft wurde. »So? Meinst Du, den Ton anschlagen zu sollen?« schrie Lambourne, ... »heda, Lorenz Staples, hierher, hierher!« Ein ungeschlachter Kerl von ungeschlachtem Aussehen und weit über sechs Fuß Höhe wurde in der Tür sichtbar, und Lambourne fuhr fort, zu Wieland gewandt: »Willst Du gern hier in den Turm, so sollst Du ihn auch gründlich kennen lernen! Zwölf Fuß unterm Bett des Sees sollst Du Dein Quartier bekommen, und für gute Gesellschaft, fidele Kröten, Schlangen und dergleichen, ist Sorge getragen ... drum gib Antwort, wenn ich Dich noch einmal frage im guten, wer Du bist und was Dein Begehr hier ist?« Der Schmied dachte bei sich: Schlägt die Kerkerpforte einmal hinter Dir zu, so bist Du ein verlorner Mann; drum meinte er, es sei klüger, klein beizugeben und er sagte: »Wer ich bin? Ein armer Teufel von Gaukler ... einer von denen, die Euer Gestrengen gestern im Weatherleygrunde getroffen haben.« »Und welchen Gauklerstreich hast Du hier vor? Hier in dem Turme? ... Deine Bande liegt doch drüben bei Clintons.« »Meine Schwester wollt ich mal besuchen,« erwiderte der Gaukler, »sie ist droben in Herrn Tressilians Zimmer.« »Aha!« sagte Lambourne lachend, »das kann stimmen! Auf Ehre! für einen Fremden macht es sich der Herr Tressilian sehr bequem, das muß man sagen ... sein Zimmer versieht er mit allerhand Kram! auch mit lebendigem! ... Du, Lorenz, das setzt mal eine feine Sache mit diesem Herrn Tressilian, die manch einem recht kommen und manch einem den Beutel füllen wird mit seinen Goldstücken. ...« Dann wandte er sich wieder zu Wieland und rief: »Ich sage Dir, Bursche, Miezchen einen Wink zu geben, daß sie sich auf und davon macht, das soll Dir nicht gelingen ... die müssen wir hier in ihrem Bauer fangen. ... So, drum mach, daß Du mit Deinem Schafsgesicht weiterkommst, oder ich schmeiß Dich zum Turmfenster hinunter ... Du kannst dann sehen, wie Du unten Deine Knochen zusammenfindest.« Dann drehte er sich um zu seinem Helfer: »Lorenz, schaff mir den Kerl aus den Augen.« Lorenz packte den Gaukler, der keinen Widerstand versuchte, beim Kragen, während sich Lambourne eiligen Schrittes zu der versteckten Pforte begab, durch die Tressilian ins Schloß gelangt war und die nicht weit vom Mervynsturme, in der Mauer nach Westen zu, lag. Raschen Schrittes mußte nun Wieland den Raum zwischen Turm und Hinterpforte durchlaufen, und vergebens sann er unterwegs, um auf eine List zu kommen, durch die er der armen Dame hätte helfen können, für die er, all der Gefahr ungeachtet, in der er schwebte, das innigste Mitleid fühlte. Als er aber zum Schlosse hinausgeführt wurde und Lambourne hinter sich her fluchen hörte, daß er im untersten Verließ verschmachten solle, wenn er sich noch einmal einfallen ließe, den Fuß aufs Schloß hinauf zu setzen, da hob er die Hände und Augen empor zum Himmel, wie wenn er Gott zum Zeugen anrufen wolle dafür, daß er, was in seinen Kräften gestanden, gewagt habe für die unglückliche Dame ... und dann wandte er dem Schlosse den Rücken, um sich fern von Kenilworth anderswo einen, wenn auch weniger vornehmen, so doch sicherern Zufluchtsort zu suchen. Lambourne und Lorenz sahen dem Schmied eine Zeitlang nach. Dann begaben sie sich zurück zum Turme. Vierzehntes Kapitel Als Wieland von ihm gegangen war, war Tressilian unschlüssig, was er tun sollte. Da kamen Raleigh und Blount, Arm in Arm, zu ihm, ihrer Gewohnheit nach in eifrigem Zwiegespräch begriffen. In der augenblicklichen Stimmung hatte Tressilian kein großes Verlangen nach ihrer Gesellschaft, aber es war unmöglich, ihnen jetzt aus dem Wege zu gehen; und verpflichtet, wie er durch sein Versprechen war, sich Amy nicht zu nähern oder einen Schritt in ihrem Dienste zu tun, fühlte er sehr wohl, daß er nichts Bessres tun könnte, als sich in die Gesellschaft zu mischen und nach außenhin von der Angst und Unschlüssigkeit, die ihm schwer auf dem Herzen lastete, so wenig wie möglich merken zu lassen. Er machte daher aus der Notwendigkeit eine Tugend und begrüßte seine Kameraden. »Ich bin durch ein eigentümliches Mißverständnis um mein Zimmer gekommen,« sagte Tressilian dann. »Eben wollte ich Dich auffordern, Raleigh, mir in Deinem Gemach Quartier zu geben.« »Von Herzen gern,« erwiderte Raleigh. »Ich wohne allerliebst. Fürstlich hat Leicester für uns gesorgt.« »Was hat die Königin solange in Warwick aufgehalten?« fragte Tressilian. »Eine Menge Narrenspossen,« antwortete Blount. »Ansprachen, Schauspieler, Hunde und Bären und Männer, die Affen aus sich gemacht haben und so weiter – ich wundre mich nur, daß die Königin es hat aushalten können. Aber kommt, laßt uns auf den Galerieturm gehen!« Sie schritten über die lange Brücke und den Turnierplatz und stellten sich mit andern Edelleuten vor das Außentor des Galerie- und Eingangsturmes auf. Sie mochten ihrer etwa vierzig sein – eine erlesne Schar vom ersten Range nächst der Ritterschaft – und ordneten sich in Doppelreihen zu beiden Seiten des Tores, wie eine Ehrenwache innerhalb der dichten Hecke von Piken und Partisanen, die von Leicesters Söldlingen gebildet wurde. Die Edelherren trugen keine Waffen außer ihren Degen und Dolchen. Diese Junker waren so bunt herausgeputzt, wie die Phantasie es sich nur erdenken kann, und da die Mode der Zeit eine Entfaltung großer Pracht gestattete, so war nichts zu sehen als Sammet und Gold und Silber und Bänder und Federn und Edelsteine und goldne Ketten. Obwohl viel ernsterer Kummer ihn drückte, fühlte Tressilian doch ein leichtes Unbehagen, als er in seinem, wenn auch hübschen, so doch von dem letzten Ritt bestaubten Reitanzug – Raleigh und Blount hatten sich umgezogen und ihre Reitröcke gegen prächtige Kleider umgetauscht – sich inmitten dieser geputzten Herren erblickte, unter denen er sich doch recht unwürdig vorkam. Dies wurde ihm umsomehr zum Bewußtsein, als er sah, daß seine Freunde sich über seine unpassende Kleidung wunderten, während die Anhänger Leicesters verächtliche Bemerkungen darüber hören ließen. Es war die Dämmerstunde eines Sommerabends des 9. Juli 1575, die Sonne war seit einiger Zeit schon untergegangen, und alles erwartete voll Spannung die unmittelbare Ankunft der Königin. Die Menge stand schon seit einigen Stunden versammelt, und ihre Zahl nahm noch immer zu. Eine reichliche Verteilung von Erfrischungen, darunter Rinderbraten und Bier, das in Fäßchen an verschiednen Stellen des Weges stand, hatte die Bevölkerung in guter Stimmung erhalten, daß sie für die Königin und ihren Günstling durchs Feuer gegangen wäre, – eine Ergebenheit, die leicht im Kurse hätte fällen können, wenn zu dem Warten auch noch das Fasten hinzugekommen wäre. Das Volk vertrieb sich die Zeit mit Kreischen und Lärmen und tollen Spielen, und auf Feldern und Wegen herrschte ein Höllenlärm. Der größre Teil der Volksmassen stand am Jagdtore. Da mit einem Male sah man einzelne Raketen in die Luft steigen, und im selben Augenblicke, weithin über See und Feld hörbar, erklang das Läuten der großen Schloßglocke. Totenstille herrschte für einen Augenblick, dann erscholl ein so lautes vielstimmiges Jubelgeschrei, daß das Land auf Meilen in der Runde widerhallte. Die am Wege dicht aufgestellten Wachen griffen das Geschrei auf, das wie ein Lauffeuer nach dem Schlosse hinzog und allen darinnen verkündete, daß Königin Elisabeth in Kenilworth eingezogen sei. Alle Musik verstummte sofort im Schlosse, und auf den Zinnen gab Artillerie eine Salve ab; aber der Lärm von Trommeln und Trompeten und selbst der Kanonendonner war nur schwach zu hören inmitten des Gebrülls und des andauernden Willkommengeschreis der Menge. Als der Lärm allmählich nachließ, wurde vom Parktore her ein breiter Lichtschein sichtbar, der im Näherkommen greller noch und breiter wurde und sich auf der schönen Allee entlang bewegte, die von beiden Seiten mit Söldlingen Leicesters besetzt war. An diesem Spalier entlang lief jetzt die Parole: »Die Königin! Die Königin! Ruhe! und Stillgestanden!« Und heran kam die Kavalkade, beleuchtet von zweihundert dicken Wachsfackeln, in den Händen von ebenso vielen Reitern, die ein Licht wie das des hellen Tages um die ganze Prozession verbreiteten, vor allem aber um die Hauptgruppe, deren Mittelpunkt die Königin selber im prunkvollsten Staate und im Glanze von tausend Juwelen bildete. Sie saß auf einem milchweißen Pferde, das sie mit besondrer Grazie und Würde lenkte, und in ihrer edeln, stattlichen Haltung erkannte man die Tochter von hundert Königen. Die Hofdamen, die neben ihrer Majestät ritten, hatten besondre Sorge dafür getragen, daß ihr Aeußres nicht prächtiger sei, als ihrem Range und der Gelegenheit eben entsprach, sodaß kein geringres Licht in dem Lichtkreise des königlichen Glanzes auffallen konnte. Aber ihre persönlichen Reize und die Pracht, durch die sie bei aller aus kluger Rücksicht auf die Majestät beobachteten Einschränkung doch ausgezeichnet waren, ließen in ihr die »crême« eines für Glanz und Schönheit so weit berühmten Königreiches erkennen. Die Herrlichkeit der Höflinge, die nicht durch die den Damen aus Klugheit gebotne Rücksicht beeinträchtigt war, zeigte sich in noch unbegrenzterm Maße. Leicester, der wie ein goldnes Bildnis von Juwelen und goldnem Zierat glitzerte, ritt zur rechten Hand der Königin, in seiner Eigenschaft als Wirt wie als Stallmeister zu diesem bevorzugten Platz berechtigt. Das schwarze Pferd, das er ritt, hatte nicht ein einziges weißes Haar am Leibe und war einer der berühmtesten Renner von Europa, den der Earl für diesen königlichen Besuch besonders zu hohem Preise gekauft hatte. Wie das edle Tier, ungeduldig über den langsamen Gang des Zuges, den prachtvollen Nacken bog und in das silberne Gebiß knirschte, das seinen Ungestüm zügelte, flog ihm der Schaum vom Maule und befleckte seine wohlgeformten Glieder wie mit Flecken von Schnee. Wohl geziemte dem Reiter der hohe Platz, den er innehatte, und dem Rosse, das er ritt, denn kein Mann in England oder vielleicht in Europa war vollendeter in der Reitkunst und allen andern zu seinem Stande gehörenden Fertigkeiten als Dudley. Er war barhäuptig, wie alle Höflinge im Zuge, und das rote Fackellicht schien auf seine langen, lockigen Flechten schwarzen Haares und auf seine edeln Züge, an deren Schönheit nur der strengste Kritiker den herrischen Fehler – wie man es hätte nennen können – einer zu hohen Stirn gerügt hätte. An diesem stolzen Abend hatten diese Züge nur den Ausdruck der dankbaren Besorgnis eines Untertanen, der sich erkenntlich für die hohe Ehre erzeigen will, die die Königin ihm erweist, und den Stolz und die Befriedigung, die einem so ruhmvollen Moment entsprachen. Doch wenn auch das Auge und die Miene nur Gefühle ausdrückten, die der Gelegenheit angemessen waren, bemerkten doch einige von den persönlichen Begleitern des Earls, daß er ungewöhnlich blaß war, und sie äußerten gegeneinander ihre Besorgnis, er mute sich mehr zu, als seiner Gesundheit zuträglich sei. Varney folgte dicht hinter seinem Herrn als der erste im persönlichen Dienste des Grafen, und ihm war auch Seiner Lordschaft schwarze Sammetmütze anvertraut, die mit einer Schnalle von Diamanten und einer weißen Feder verziert war. Er behielt seinen Herrn beständig im Auge und war vielleicht von allen Dienern Seiner Lordschaft am meisten in Sorge, daß die Kraft und Energie seines Herrn erfolgreich diesen so so aufregenden Tag überstehen möge. Denn obwohl Varney eines der wenigen – der sehr wenigen moralischen Ungeheuer war, denen es gelingt, die Gewissensbisse ihrer Brust in Schlaf zu wiegen, so wußte er doch, daß in der Brust seines Gönners schon das Feuer, das nie gelöscht wird, erwacht war, daß sein Gebieter inmitten all der Pracht und Herrlichkeit schon das Nagen des Wurmes fühlte, der nicht stirbt. Der Zug von Herren und Damen, der unmittelbar der Person der Königin folgte, bestand aus den tapfersten und schönsten ihres Geschlechts – den höchsten Edelherren und den weisesten Räten des großen Reiches. Dahinter kam eine zahlreiche Schar von Rittern und Edeln, deren Rang und Geburt – ob noch so hoch – doch schon wieder in Schatten gestellt war, wie sie denn auch hier in zweiter Reihe kamen. Unter den Klängen einer rauschenden Musik sprengte die Kavalkade durch das Tor des Galerieturmes. Auf das Spiel dieser Kapelle antworteten wieder andre von verschiednen Teilen der Schloßmauern her und wieder andre aus dem Jagdgehege – wenn die Töne der einen noch in der Luft zitterten, und in leisem Widerhall verklangen, fiel auch schon von andrer Seite her wieder neue Musik ein. Wie durch Zauberei hervorgerufen, schienen diese Töne bald ganz dicht in der Nähe zu erklingen, bald hallten sie wider, durch die Ferne gedämpft, bald zogen sie leise und süß dahin, als würde die Entfernung noch mehr vergrößert, bis nur noch die letzten hingezognen Laute das Ohr erreichen konnten. Unter dieser zauberhaften Musik ritt die Königin über die lange Brücke, die vom Galerieturm bis zum Mortimerturm sich erstreckte und die schon tageshell war, so viele Fackeln waren zu beiden Seiten an den Palisaden festgemacht worden. Die meisten der Edelleute saßen hier ab und schickten ihre Pferde in die nahe Ortschaft Kenilworth, um der Königin zu Fuße zu folgen, was auch die Herren taten, die am Galerieturm sie empfangen hatten. Bei dieser Gelegenheit wie auch bei verschiednen Anlässen am Abend richtete Raleigh ein paar Worte an Tressilian und wunderte sich nicht wenig über seine unbestimmten, unbefriedigenden Antworten. Wenn er dann bedachte, daß Tressilian sein Zimmer ohne einen triftigen Grund aufgegeben hatte, daß er vor der Königin in so unordentlichem Anzuge erschienen war, wo die hohe Frau doch leicht daran hatte Anstoß nehmen können, so erwachte in ihm der Argwohn, sein Freund leide unter einer zeitweiligen Geistesstörung. Kaum hatte inzwischen die Königin die Brücke betreten, so war hier für ein neues Schauspiel gesorgt. Die Musik hatte das Zeichen gegeben, daß die Königin schon auf der Brücke sei, und es erschien ein Floß, das zu einer kleinen treibenden Insel ausgeschmückt war und von mannigfachen Fackeln beleuchtet war. Die Insel war umgeben von schwimmenden als Seepferde zurecht geputzten Stöcken, auf denen Tritonen, Nereiden und andre sagenhafte Gottheiten der Seen und Flüsse saßen. Sie kam hinter einem Versteck hervor und trieb langsam über den See hin, nach dem andern Ende der Brücke. Auf dem Eiland erschien ein schönes Weib, das in einen meerfarbnen Mantel von Seide gekleidet war und an den nackten Armen und Füßen große goldne Bänder trug. In dem langen schwarzen Haar trug sie eine Krone aus künstlichem Mistelzweig und in der Hand einen Stab aus Ebenholz mit silberner Spitze. Zwei Nymphen in derselben antiken, mystischen Tracht saßen neben ihr. Dieses Maskenspiel war so geschickt angeordnet, daß die Frau vom treibenden Eiland nach effektvoller, malerischer Fahrt mit ihren zwei Dienerinnen gerade in dem Augenblick am Mortimerturm anlangte, als Elisabeth dort eintraf. Das Fabelwesen richtete nun eine wohlentworfne Ansprache an die Königin. Sie sei die berühmte Jungfrau vom See, die in den Geschichten des Königs Arthur erscheine und deren Schönheit zu mächtig für die Weisheit und den Zauber Merlins gewesen sei. Seit dieser Zeit sei sie in ihrem kristallnen Reiche verblieben, und so viel berühmte und mächtige Männer auch seitdem in Kenilworth gewesen seien, sie habe ihretwegen doch nie ihr Haupt über den Wasserspiegel erhoben, in dem ihr kristallner Palast verborgen sei. Aber der größte Gast, den je Kenilworth gesehen, sei jetzt erschienen, und sie komme nun, in Huldigung und Treue die unvergleichliche Elisabeth zu bewillkommnen. Die Königin nahm die Ansprache huldvoll entgegen, und als die Jungfrau vom See verschwand, erschien Arion, der sich unter den Meergöttern befand, auf seinem Delphin. Aber Lambourne, der diese Rolle an Stelle des verjagten Wieland auf sich genommen hatte, war halb erfroren von dem langen Aufenthalt in einem Element, auf das er überhaupt nicht gut zu sprechen war, auch konnte er seine Rede nicht auswendig. Er half sich also mit Unverschämtheit aus der Verlegenheit, riß schließlich seine Maske ab und schwur: Zum Kuckuck! er wäre weder Arion noch Orion, sondern der ehrliche Michael Lambourne, der vom Morgen bis in die Mitternacht auf das Wohl Ihrer Majestät getrunken hätte und ihr jetzt ein herzliches Willkommen im Schlosse Kenilworth zurufe. Die Windbeutelei wirkte besser, als es die Ansprache, die er halten sollte, gekonnt hätte. Die Königin lachte herzlich und schwur (ihrerseits zur Erwiderung), er hätte die besten Worte gesprochen, die sie heute noch vernommen hätte. Lambourne, der sogleich erkannte, daß ihm sein Witz mit heiler Haut davon geholfen hatte, sprang ans Ufer, gab seinem Delphin einen Tritt und erklärte, er wolle sich nie wieder mit Fischen abgeben, höchstens bei Tische. Als die Königin nun in das Schloß hineintreten wollte, wurde zum Schlusse noch das wunderbare Feuerwerk zu Wasser und zu Lande abgebrannt, das Meister Laneham, den der Leser schon kennen gelernt hat, in überschwenglicher Sprache beschrieben hat. »So zahlreich flammten brennende Kugeln auf,« schreibt Meister Laneham, »so zahlreich schossen funkelnde Steine empor und Lauffeuer prasselte und Feuerfunken hagelten hernieder und Donnerbolzen blitzten knatternd auf, so ununterbrochen, so furchtbar und mit solcher Wucht, daß die Erde bebte und das Wasser in brausendem Gischt emporstieg.« Fünfzehntes Kapitel All die herrlichen Festlichkeiten, die zu Ehren der Anwesenheit der Königin zu Kenilworth gefeiert wurden, haarklein zu beschreiben, kann nicht unsre Absicht sein. Es mag vielmehr genügen, zu bemerken, daß Ihre Majestät unter flammendem Feuerwerk durch den Mortimerturm im Schlosse Kenilworth ihren Einzug hielt, daß ihr dort Götter und Göttinnen des heidnischen Altertums Gaben darreichten und Glückwünsche darbrachten, und daß sie, durch solch mythologisches Spalier, endlich zu der großen Schloßhalle gelangte, die zu ihrem Empfange mit den kostbarsten Seidentapeten ausgeschlagen war, in der ein wahres Meer von Wachskerzen strahlte und die erfüllt war von den herrlichsten Wohlgerüchen und von der lieblichsten Musik. Am obersten Ende dieses Prachtsaales stand ein Baldachin von wunderbarer Schönheit über einem Königsthrone, und ein köstliches Portal öffnete den Zugang zu einer langen Flucht von Gemächern, die für den Aufenthalt der Königin und ihrer Hofdamen bestimmt und auf das eleganteste und schönste hergerichtet waren. Nachdem der Earl of Leicester die Königin zum Throne geleitet hatte, ließ er sich vor ihr auf ein Knie nieder und dankte ihr auf das wärmste und innigste für diese höchste Ehre, die eine Monarchin einem Untertan erweisen könne. Der Anblick dieses vor seiner Herrscherin knieenden Edelmanns war so berückender Art, daß sie sich versucht fühlte, den Auftritt länger auszudehnen, als eigentlich notwendig war; und ehe sie Leicester aufhob, fuhr sie ihm mit der Hand über das Haupt, so nahe und so dicht über seine langen, gewellten und wohlriechenden Haare, daß es fast so aussah, als hätte sie diese Handbewegung gar zu gern in eine Liebkosung verwandelt. Endlich hob sie ihn auf, und als er nun neben ihr an dem Throne stand, gab er ihr Kenntnis von all den Vorkehrungen und Anordnungen, die zu ihrer Unterhaltung und Freude getroffen worden waren. Sodann bat der Graf die Königin um die Erlaubnis, sich mit den Edelleuten, die den Tag über Dienst bei ihr getan, auf kurze Zeit entfernen zu dürfen, um sich umzukleiden. Nach empfangner Erlaubnis zog er sich mit den Herren vom engern Gefolge zurück, während jene andern Herren, die schon vor ihr auf dem Schlosse eingetroffen waren und bereits hofmäßige Tracht trugen, nun ihrerseits sich um den Thron gruppierten, aber, da sie zumeist nur den zweiten Rang bekleideten, in gemessner Entfernung. Das scharfe Auge der Königin entdeckte bald Walter Raleigh unter ihnen nebst einigen andern Herren, die ihr schon vorgestellt waren. Sie winkte die Herren huldvoll zu sich heran und richtete gnädig das Wort an sie, besonders an Raleigh, der ihr durch das Abenteuer mit dem Mantel noch lebhaft in der Erinnerung stand. Auf Tressilian, dessen schlichte Tracht gegen die Pracht und Eleganz der andern unvorteilhaft abstach, zeigend, fragte sie: »Wer ist denn jener etwas ungehobelt aussehende Mensch?« »Ein Poet, mit Eurer Majestät gnädigem Verlaub.« Elisabeth lächelte und fuhr fort: »Ich fragte nach dem Namen des wunderlichen Menschen und nicht nach seinem Stande.« »Tressilian ist sein Name,« antwortete Raleigh mit innerlichem Widerstreben, denn er ersah aus der Art und Weise, wie sich Elisabeth nach seinem Freunde erkundigte, nicht viel Erfreuliches für ihn voraus. »Tressilian!« antwortete Elisabeth, »o! also der Menelaos unsrer Romanze! Hm, er hat sich in ein Gewand gesteckt, das wohl nicht angetan sein dürfte, seine holde und falsche Helena in seine Arme zurückzuführen; weißwaschen könnte sie sich damit schon! ... Und wo ist Farnham, oder wie er heißt ... Mylord Leicesters Gefolgsmann meine ich ... der Paris dieser Devonshire-Idylle?« Mit noch größerm Widerstreben zeigte nun Raleigh auf Varney, auf dessen äußre Erscheinung sein Schneider alle erdenkliche Sorgfalt verwandt hatte, und nannte seinen Namen. Die Königin ließ den Blick von einem aus den andern gleiten und sagte dann: »Wie mir scheint, ist dieser Herr Tressilian einer von jenen Kavalieren, die unser weiser Chaucer für zu gelehrt hält, daß sie klug sein könnten. Jedenfalls ist es ihm gar nicht eingefallen, vor wem er heut erscheinen soll. Was hingegen diesen Varney anbetrifft, so erinnre ich mich, daß es ein Musje mit aalglatter Zunge ist, der seine Worte sehr fein zu drechseln weiß, und da fürchte ich freilich, daß die schöne Dame, die sich auf solch unangenehme Weise entfernt hat, nicht ohne Ursache dazu gewesen ist.« Raleigh wagte hierauf keine Antwort, da er wußte, daß es dem Freunde wenig helfen werde, wenn er den königlichen Worten widerspräche; zudem neigte er der Ansicht zu, daß es schließlich das beste sei, wenn die ganze Angelegenheit, an die sich Tressilian umsonst mit ganzer Seele klammerte, durch die Macht der Königin einfür allemal aus der Welt geschafft würde. Während diese Gedanken ihm durch sein reges Gehirn schossen, öffnete sich die untre Tür der Halle; und Leicester, in Begleitung einiger Herren von seinem Gefolge, trat wieder in die Halle von Kenilworth. Der königliche Günstling erschien jetzt ganz in Weiß gekleidet, in Schuhen aus weißem Sammet, in Strümpfen, aus weißer Seide gewirkt, darüber kurze Beinkleider aus weißem Sammet, die bis zu halber Schenkelhöhe mit weißen Silberstreifen geschlitzt waren. Sein Wams war aus silberfarbner Seide, die darunter prall sitzende Weste aus weißem Sammet, mit Silber und weißen Perlen überreich gestickt. Auch der Gürtel und die Scheide seines Schwertes waren aus weißem Sammet, der Gürtel mit güldner Schnalle, die Scheide mit güldnem Beschlag. All diese Pracht umfloß ein weißer Atlasmantel, fußbreit mit güldner Stickerei besetzt, und die um das Knie geschlungne Kette des Hosenbandordens, mit dem azurblauen Bande selbst, setzte dem Anzug des Earl of Leicester, der seine schöne Gestalt und das Ebenmaß seiner Glieder vorzüglich heraushob, und den edlen Ausdruck des Antlitzes erheblich steigerte, die Krone auf. Kurz, wer ihn sah, mußte zugestehen, niemals einen schönern Mann gesehen zu haben. Der Earl of Sussex war nicht minder elegant gekleidet, die übrigen Edelleute desgleichen; aber an Pracht und Leibesanmut übertraf sie doch alle Lord Leicester. Elisabeth empfing den Lord mit großer Huld. »Wir haben einen Akt königlicher Justiz zu vollziehen,« sprach Elisabeth, »der Uns sowohl als Frau wie in dem Charakter einer Mutter und Hüterin des britischen Volkes obliegt.« Ein unwillkürlicher Schauder überrieselte Leicester, als er sich tief verbeugte zum Zeichen seines Gehorsams gegen die Gebieterin, und einen ähnlichen Frostschauer empfand wohl auch Varney, dessen Augen an diesem Abend fast ununterbrochen auf seinen Gönner gerichtet waren. Aus der Veränderung, die Leicesters Züge zeigten, so geringfügig sie im Grunde genommen war, schloß er sogleich auf das Thema, wovon bei der Königin die Rede war. Leicester war sich jedoch insoweit schlüssig geworden, wie er es in seiner Zweizüngigkeit für den Fall für notwendig hielt; und als Elisabeth fortfuhr: »Von Tressilian und Varney sprechen Wir,« und ihm die Frage stellte: »Ist die Lady zur Stelle?« ... hielt er die Antwort bereit: »Huldvolle Fürstin! Nein, sie ist nicht zur Stelle.« Die Königin runzelte die Brauen und zog die Lippen zusammen. »Unsre Befehle, Mylord, waren streng und bestimmt,« lautete ihre Antwort. »... und wären auch gehorsam erfüllt worden, gnädigste Fürstin,« erwiderte Leicester, »wären sie auch nur als leisester Wunsch verlautbart. Aber ... Varney, tritt vor ... dieser Edelmann wird Eurer Majestät die Ursache melden, warum die Dame – –« (er konnte seine rebellische Zunge nicht dazu bringen, statt der beiden letzten Worte zu sagen: seine Frau) »warum die Dame nicht vor königlicher Majestät erscheinen kann.« Varney trat vor und meldete mit geläufiger Zunge, was er tatsächlich selbst glaubte, daß sich »die Betreffende – –« (in Leicesters Gegenwart wollte er sie auch nicht »seine Frau« nennen) – – in völliger Unmöglichkeit, vor der königlichen Majestät zu erscheinen, befände. »Hier,« setzte er hinzu, »sind Atteste, gegeben von einem höchst gelehrten Arzte, dessen Tüchtigkeit und Ehrenhaftigkeit meinem gnädigen Herrn sattsam bekannt sind, sowie von einem rechtschaffnen, frommen Protestanten, einem gewissen Tony Foster, dem Herrn, in dessen Hause sie zurzeit sich aufhält, Atteste, aus denen königliche Majestät ersehen, daß sie an einer Krankheit leidet, die es ihr absolut unmöglich macht, solche Reise aus der Gegend von Oxford hierher zu machen.« »Das ändert freilich die Sache,« sprach die Königin, indem sie die Atteste aus Varneys Hand nahm und durchsah... »Tressilian soll vortreten.... Junker Tressilian, Wir empfinden für Eure Lage ein tiefes Mitgefühl, zudem es scheint, als ob Euer Herz innig an dieser Amy Robsart oder Varney hängt. Unsre Macht ist, dank Gott und dem willigen Gehorsam eines in Liebe ergebnen Volkes, vielvermögend, indessen gibt es Dinge, bis zu denen heran sie nicht reicht. Zum Beispiel sind Wir außer stande, einem losen jungen Dinge zu gebieten, Du mußt den und den Mann lieben, oder ihr vorzuschreiben, das Wams des oder des Hofmanns muß Dir besser gefallen als das jenes andern; desgleichen sind Wir außer stande, Krankheiten zu gebieten, wie zum Beispiel im vorliegenden Falle, der die Dame in die absolute Unmöglichkeit versetzt, hier zu erscheinen, wie Wir es gewünscht und auch befohlen haben. Hier sind die ärztlichen Atteste, wie auch diejenigen von dem Manne, in dessen Hause sie zurzeit weilt.« »Mit königlicher Majestät Verlaub,« nahm nun Tressilian das Wort, voller Hast und in seiner Beunruhigung wegen der Folgen dieses an der Königin begangnen Betrugs, zum Teil wenigstens, des Amy gegebnen Versprechens eingedenk, »diese Atteste sprechen nicht die Wahrheit.« »Wie, Junker!« sprach die Königin, »Zweifel an Lord Leicesters Wahrhaftigkeit? Doch Ihr sollt volles Gehör finden. Vor Unserm Throne wird der niedrigste Unsrer Untertanen Gehör finden wider den höchsten und der unbekannteste wider den begünstigtsten. Drum sollt Ihr unumschränktes Gehör finden, doch hütet Euch, Dinge auszusprechen, für die es Euch an gutem Zeugnis gebricht. Nehmt diese Atteste zur Hand, prüft sie fürsorglich und sagt ehrlich und männlich, ob Ihr ihre Wahrheit anzufechten vermöget, und auf grund welches Zeugnisses?« Während dieser Worte der Königin bestürmten das Gemüt des unglücklichen Tressilian das gegebne Versprechen und seine Folgen, und ein schwerer Kampf war es, den seine Empfindungen kämpften, einen Betrug zu entschleiern, den ihm die eignen Augen offenbart hatten; ein Kampf, so schwer, daß über sein ganzes Wesen eine Unentschlossenheit und Unsicherheit kamen, die sowohl die Königin als die übrigen Anwesenden gegen ihn einnahmen. Er wandte die Papiere um und um in der Hand, wie wenn er von Blödsinn geschlagen wäre und gar nicht die Fähigkeit besäße, sie auf ihren Inhalt hin zu prüfen. Die Ungeduld der Königin zeigte sich immer deutlicher. »Ihr seid ein gelehrter Herr, Junker,« sprach sie, »und, wie mir zu Ohren gekommen, von einiger Bedeutung; doch scheint es Euch eigentümlich schwer zu fallen, Geschriebnes zu lesen? Wie lautet Eure Meinung über diese Atteste? Sind sie echt oder falsch?« »Majestät,« nahm jetzt Tressilian das Wort, mit sichtlicher Verlegenheit und Unsicherheit, der Folge seiner Unruhe darüber, daß es ihm geschehen könne, etwas für richtig anzuerkennen, dessen Richtigkeit er dann widerrufen müsse, und doch auch andrerseits beherrscht von dem Bemühen, das Amy gegebne Wort zu halten und ihr dadurch Zeit zu schaffen, daß sie ihre Angelegenheit nach eignem Willen führen könne. »Majestät, Euer Gnaden verlangen von mir, Echtheit von Attesten zu beweisen, was doch Sache sein müßte derer, die diese Papiere beibringen.« »Hm, hm, Tressilian, Du bist ebenso sehr Kritiker wie Poet,« sagte die Königin, indem sie einen Blick des Mißbehagens auf ihn heftete, »Uns will bedünken, da diese Atteste vorgelegt werden in dem Schlosse des edlen Earl und in seiner Gegenwart, und da seine Edlen mit ihrer Ehre für die Echtheit derselben sich verbürgt haben, dürften Wir weitern Zeugnisses nicht bedürfen ... und solches Zeugnis müsse auch genügend sein für Dich. ... Da Du indessen so sehr am Förmlichen klebst, ... so möge Varney oder vielmehr Lord Leicester – denn die Angelegenheit berührt zunächst doch Euch« – (und ob auch diese Worte gewissermaßen nebenher gesprochen wurden, schnitten sie doch dem Earl wie ein Messer in die Brust) – »Lord Leicester sagen, welches Zeugnis er hat für die Echtheit dieser Atteste?« Varney beeilte sich, dem Lord zuvorzukommen. »Mit Verlaub, huldvolle Majestät, der junge Lord of Oxford, der hier zugegen ist, kennt die Handschrift des Herrn Anthony Foster und auch ihn selbst persönlich.« Der Earl of Oxford, ein junger Sausewind, dem Foster wiederholt Geld und Wucherzins geliehen, sagte nun zufolge dieser Aufforderung aus, daß er genannten Mann als einen reichen und unabhängigen Freisassen kennte, und bezeugte die Echtheit seiner Handschrift. »Und wer verbürgt die Echtheit des ärztlichen Zeugnisses?« fragte die Königin. »Alasko, dünkt mich, ist sein Name.« Masters, der Leibarzt der Königin, mehr wie gern geneigt, durch sein Zeugnis Leicester zu nützen, dagegen dem Earl of Sussex und seiner Partei zu schaden, deponierte, daß er sich wiederholt mit dem Doktor Alasko über schwierige Fälle unterhalten habe, und schilderte ihn als einen höchst gewissenhaften und außerordentlich tüchtigen Mann, wenn er auch keine regelmäßige Praxis ausübe. Der Earl of Huntingdon, Schwager des Lord Leicester, und die alte Gräfin Rutland, priesen auch noch Alaskos Verdienste, und beide erkannten die zierliche, italienische Handschrift auf dem Atteste als dieselbe, in welcher sie die Rezepte von ihm geschrieben bekommen hätten. »Und nun dächte ich, Herr Tressilian,« sprach die Königin, »Wir dürften diese Angelegenheit als erledigt beiseite legen... Wir wollen noch heute abend einiges veranlassen, was den alten Herrn Robsart mit dieser Heirat auszusöhnen vermag. Ihr habt Eure Pflicht tapfrer erfüllt, als manch andrer an Eurer Statt es vermocht hätte; aber Wir müßten nicht selbst Weib sein, wollten Wir mit den Wunden, die treue Liebe schlägt, kein Mitgefühl haben. Darum verzeihen Wir Euch Eure Kühnheit ebenso wohl wie Eure ungebürsteten Stiefel, die trotz der Parfüms, mit denen Lord Leicester diese Halle erfüllt hat, unsre Geruchsnerven auf das unangenehmste berühren.« Also die Königin. Aber Tressilian hatte sich in dieser Zeit gesammelt, so verblüfft er auch im ersten Augenblick gewesen war über die bodenlose Frechheit solchen Betrugs, der tatsächlich den Sieg davontrug über die mit eignen Augen gesehne Wahrheit. Er stürzte vorwärts, sank vor der Königin auf die Knie und faßte das königliche Gewand am Saume. »So wahr Ihr eine christliche Frau seid, Madame,« rief er, »und so wahr Ihr gekrönte Königin seid, gleiche Gerechtigkeit zu üben gegen alle Eure Untertanen, gleichwie Ihr vor Gott Gehör zu finden hoffet an jenem letzten Gericht, vor dem wir alle erscheinen müssen, gewährt mir eine geringe Bitte! Entscheidet in dieser Sache nicht so schnell! Gewährt mir bloß vierundzwanzig Stunden Frist, und ich gelobe, in dieser kurzen Zeit Zeugnis beizubringen, das unwiderruflich beweisen soll, daß diese Atteste, welche aussagen, die unglückliche Dame sei krank in Cumnorplace verblieben, falsch sind wie die Hölle.« »Laßt mein Gewand los,« rief Elisabeth, empört über solche Heftigkeit, obgleich zu viel von Löwennatur ihr eigen war, als daß sie hätte Furcht empfinden sollen ... »der Mensch muß von Sinnen sein ... der witzige Mussje, mein Patchen Harrington mag ihn in seinen Strophen des Orlando furioso besingen! ... und doch, bei dem Licht der Sonne! es liegt etwas Seltsames in dieser Heftigkeit seiner Bitte – sprecht Tressilian! was willst Du tun, wenn die vierundzwanzig Stunden um sind und Du kannst solch feierlich bezeugte Tatsache, wie die Krankheit dieser Dame, nicht entkräften?« »Mein Haupt will ich dann auf den Block legen,« versetzte Tressilian fest. »Pst, pst!« rief die Königin, »Du sprichst, bei Gott! wie ein Narr. Welch Haupt fällt in England, als durch richterlichen Spruch? Ich frage Dich, Mann ... wenn Du Verstand hast, mich zu verstehen, ... dann antworte mir: Willst Du, falls der Beweis Dir nicht, gelingt, mir einen triftigen Grund angeben, warum Du Dich darin eingelassen hast?« Tressilian überlegte und zögerte wiederum mit der Antwort, weil er sich sagte, daß sich innerhalb der begehrten Frist am Ende Amy Robsart mit ihrem Gemahl wieder aussöhnen könne, und daß es dann seinerseits ihr den schlimmsten Dienst erwiesen hieße, wollte er die sämtlichen Umstände vor Elisabeth wieder aufrollen und dartun, wie diese weise und eifersüchtige Königin durch falsches Zeugnis irregeführt worden sei. Das Bewußtsein dieser schwierigen Lage brachte von neuem in seine Miene, seine Stimme, seine Haltung den frühern hohen Grad von Verlegenheit zurück; er zauderte, sah zu Boden, blickte auf die Königin, die ihre Frage mit strenger Stimme und blitzendem Auge wiederholte, und gab dann zu mit unsichern Worten: »Daß es ja doch sein könne – daß er nicht positiv sagen könne – indessen würde er unter gewissen Umständen und Bedingungen die Ursachen und Gründe nennen können, die ihn zu solcher Handlungsweise bestimmt hatten.« »Nun, bei König Heinrichs Seele!« rief die Königin, »das ist entweder Raserei oder Schurkerei! ... Sieh, sieh, Raleigh, Dein Freund ist gar zu bäuerisch-dichterisch angehaucht für eine Umgebung wie diese. Führe ihn anderswo hin, denn auf den Höhen vom Parnaß oder im Sankt Lukas-Spital ist kein Platz für seine hochfliegenden Ideen. ... Du selbst aber komm sogleich zurück, wenn er in schicklichen Gewahrsam gebracht worden ist. ... Wir hätten die Schönheit gar zu gern gesehen, die solches Unheil im Kopfe eines Weisen anzurichten vermochte.« Tressilian suchte noch einmal an die Königin das Wort zu richten, aber Raleigh fiel ihm, gehorsam dem Befehle derselben, in den Arm, und zog ihn halb, halb führte er ihn mit Hilfe Blounts aus der Halle. Draußen hieß er Blount den Freund, der sich mit solchem Ungeschick benommen, in die für den Earl of Sussex und sein Gefolge bestimmten Räume führen und befahl, nötigenfalls ihm einen Mann als Wache dort zu lassen. Tressilian folgte Blount ohne Widerstand in Raleighs Zimmer, wo er bald selbst einsah, daß keine Vorstellungen und Auseinandersetzungen ihm Beistand und Hilfe von Freunden früher verschaffen konnten, als bis die Zeit, in der er alles Handeln zu unterlassen versprochen hatte, verstrichen sei. Mit Mühe gelang es ihm, von Blount zu erreichen, daß er ihm die Schmach einer Ueberwachung ersparte. Sechzehntes Kapitel »Eine traurige Sache,« sprach die Königin, als Tressilian aus der Halle geführt worden war, »mit anzusehen, wie eines weisen und gelehrten Menschen Verstand so kläglich zerrüttet werden kann. Indessen gibt Uns dieser vor der Öffentlichkeit geführte Beweis seiner Gehirnschwäche die Zuversicht, daß seine Anklage und der von ihm behauptete Sachverhalt müßig waren; und darum, Mylord of Leicester, gedenken Wir Eures frühern Ansuchens zu gunsten Eures Gefolgsmanns Richard Varney, dessen getreue Dienste und Fähigkeiten, da sie für Euch von Nutzen sind, von Uns belohnt werden sollen; wissen Wir doch aus häufiger Erfahrung, wie sehr alles, was Euch angehört, auch Unsern Diensten treu und ergeben ist und von Nutzen. Und Wir wollen Eurem Diener auch darum diese Ehre erweisen, weil Wir Gast sind unter dem Dach Eurer Herrlichkeit und Euch, wie Wir fürchten, viel Last und Ungemach dadurch bereiten. Um deswillen wollen wir den wackern, greisen Ritter von Devon, dessen Tochter er zum Weibe genommen hat, erfreuen und zufrieden stellen, in der Hoffnung und Erwartung, daß dieses Zeichen Unsrer Huld und Gnade, das Wir ihm erweisen wollen, ihn aussöhnen werde mit seinem Schwiegersohne. ... Mylord Leicester, Euer Schwert!« Der Graf löste sein Schwert vom Gürtel, faßte es an der Spitze und reichte der Königin den Griff, indem er sich auf ein Knie niederließ. Die Königin nahm langsam das Schwert, zog es aus der Scheide und betrachtete, während die Damen sich schaudernd abwandle, mit seltsamen Blicken die fein damaszierte Klinge. »Wär ich als Mann geboren,« sprach sie, »so hätte, glaub ich, kein einziger meiner Vorfahren sein gutes Schwert besser geliebt als ich. Doch auch als Weib lieb ich das Schwert und möchte wohl, gleich jener Zauberfee, von der ich in italienischen Versen gelesen, mir das Haar kämmen und frisieren in solchem Spiegel wie diesem. ... Richard Varney, tritt heran und knie nieder! Im Namen Gottes und des heiligen Georg, Wir schlagen Dich zum Ritter! Sei getreu, tapfer und glücklich! ... Und nun steh auf, Sir Richard Varney!« Varney stand auf und verneigte sich tief zum Zeichen des Gehorsams und Dankes gegen eine Herrscherin, die ihn in solcher Weise und so hoch geehrt hatte. »Der Sporn soll Euch morgen in der Kapelle überreicht werden,« sprach die Königin, »woselbst auch die andern rituellen Bräuche stattfinden sollen, die zu dieser feierlichen Handlung gehören. Denn Wir wollen Sir Richard Varney einen Ehrengenossen geben und fordern zu diesem Zwecke Unsern Vetter von Sussex auf, Uns einen Namen in Vorschlag zu bringen.« Der edle Earl of Sussex, der seit seiner Ankunft auf dem Schlosse Kenilworth, ja wohl seit Beginn dieser Sommerreise, sich in einer, Lord Leicester untergeordneten Stellung befunden hatte, zeigte ein düstres Aussehen ... ein Umstand, der der Königin nicht entgangen war. In der Hoffnung, die Wolken zu verscheuchen, die sich auf seiner Stirn gelagert hatten, und getreu ihrem Prinzip, durch Wechsel ihrer Gunstbezeigung die Gemüter in Eifersucht zu halten, winkte sie jetzt den Grafen zu ihrem Throne. Sussex nahte ihr schnell, und auf die aus königlichem Munde wiederholte Frage, wen er zu dieser weitern Ehrung vorschlagen wolle, erbat er mit höherm Grade von Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit als Politik und Klugheit die Auszeichnung durch den Ritterschlag für den Junker Tressilian, dessen tapferm Arme er sein Leben verdanke, und der ein ausgezeichneter Soldat und Gelehrter, auch von tadellosem Geschlecht stamme, »bloß,« sagte er, »fürchte er, die Ereignisse dieses letzten Abends ...«, und hier hielt er inne. »Ich bin erfreut, daß Eure Lordschaft so rücksichtsvoll denkt,« sprach Elisabeth; »die Ereignisse dieses Abends dürften jedoch Uns bei Unsern Untertanen, wollten Wir diesen Augenblick erwählen zu solchem Gnadenbeweise für ihn, wohl in demselben Lichte von Gehirnschwäche erscheinen lassen, wie sie diesem armen Menschen zu eigen ist, denn Wir rechnen sein Benehmen ihm nicht an als Bosheit ...« Die Herzogin von Rutland half dem Earl aus der Verlegenheit. Sie las es der Königin vom Gesichte ab, daß sie darauf gerechnet hatte, der Earl werde Walter Raleigh zum Ritter vorschlagen und hierdurch einem Herzenswunsch von ihr entgegenkommen. Die Herzogin nahm, nachdem es den beiden Grafen als Repräsentanten des Hofadels vergönnt worden, je einen Kandidaten für die Ritterwürde in Vorschlag zu bringen, das gleiche Recht für die Namen bei Hofe in Anspruch und erbat die hohe Auszeichnung für den Junker Walter Raleigh. ... »Seine Herkunft, seine Taten, seine Gewandtheit und stete Bereitwilligkeit, Unserm Geschlecht mit dem Schwerte oder der Feder zu dienen, machen ihn solcher Auszeichnung vor allen andern würdig.« »Ich danke Euch, meine schönen Damen,« sprach die Königin mit Lächeln, »und gewähre gern Eure Bitte. ... Der im Scherz zum Ritter vom schmutzigen Mantel erhobne Junker soll also heute zum wirklichen Ritter geschlagen werden.« Walter Raleigh trat, auf einen Wink der Königin, zum Throne heran und empfing mit dem Schwerte des Earls of Sussex von der Hand der jungfräulichen Königin den Ritterschlag, der wohl nie einem edleren und würdigern Untertan zur Auszeichnung geworden war. Der Ruf zum Bankett ertönte, und auf dieses Zeichen hin begab sich die Hofgesellschaft durch den innern Schloßhof nach dem neuen Gebäude, woselbst sich das große Bankettzimmer befand. Dort war, mit einer dem festlichen Anlaß angemessnen Pracht, die Tafel hergerichtet worden. Auf eine eingehende Schilderung dieses festlichen Abends dürfen wir verzichten. Wie großartig es dabei zuging, mag der Leser daraus ersehen, daß der Earl of Leicester, als er sich endlich zurückziehen konnte, wie betäubt zusammenbrach, und daß es seinem Vertrauten, dem neuen Ritter Richard Varney, längere Zeit große Mühe kostete, ihn so weit wieder zu sich zu bringen, daß er im stande war, sich mit ihm zu unterhalten. Varney hatte seinen glänzenden Galaanzug abgelegt und stand im einfachen Rock bereit, seinen Gönner beim Schlafengehen zu bedienen. »Ei, ei,« fügte lächelnd der Earl of Leicester, als er die Müdigkeit einigermaßen bekämpft hatte, »Euer neuer Rang schickt sich kaum zu der Niedrigkeit solcher Dienstleistung.« »Sollte dieser Rang mich von Mylord trennen,« sagte Varney, »oder zwischen Mylord und mir eine Kluft bringen, so würde ich lieber auf die Ritterschaft verzichten.« »Du bist ein dankbarer Gesell,« versetzte Leicester, »doch kann ich nicht dulden, daß Du etwas verrichtest, was Dich in den Augen Deiner Mitmenschen herabsetzen müßte.« Indessen litt er, während er so sprach, ohne Weigerung die Dienstleistungen Varneys, der sich übrigens so emsig und eifrig um den Earl bemühte, daß es tatsächlich den Anschein hatte, als hätte er wirkliche Freude an diesen Verrichtungen. »Was die Leute sagen,« erwiderte er auf Lord Leicesters Aeußerung, »danach frage ich wenig oder gar nicht, besonders darum nicht, weil meiner Meinung nach ... erlaubt mir, bitte, die Halskette zu lösen... hier im Schlosse zurzeit kaum jemand weilen dürfte, der nicht die Ueberzeugung mit mir teilte, daß es sich binnen kurzem Männer von weit höherm Rang als ich zur Ehre anrechnen werden, Eure gräflichen Gnaden beim Zubettgehen zu bedienen.« »Freilich hätte das der Fall sein können,« erwiderte der Graf mit unwillkürlichem Seufzer, um sodann hinzuzusetzen, »meinen Schlafrock, Varney... ich will einen Blick in die Nacht hinaus tun.... Ist nicht jetzt Vollmond?« »Dem Kalender nach, denke ich, ja,« antwortete Varney. In dem Gemach war ein Fenster mit abschüssigem Boden, durch das man auf den Balkon hinaus gelangte, einen kleinen steinernen Vorbau, wie man sie in gotischen Bauwerken in der Regel findet. Der Graf öffnete dies Fenster und trat in die frische Luft hinaus. Von dem Platz aus, wo er nun stand, hatte man einen weiten Blick über den See und die angrenzende Waldung. Der Vollmond spiegelte sich in den blauen Fluten und schimmerte durch die Zweige der Eichen und Ulmen im Park. Alles schien wie in Schlummer versunken, nur von Zeit zu Zeit klang der Ruf der Wächter herüber, denn Leibgardisten waren ständig bei der Königin; dazwischen Hundegebell in der Ferne, von der Meute herrührend, die durch die Stallknechte und Jäger zu der glänzenden Jagd in Bereitschaft gehalten wurde, die auf dem Programm des nächsten Tages stand. Lord Leicester blickte zu dem blauen Himmelsgewölbe auf, und in seinen Gebärden wie auf seinem Gesicht kam angstvolle Freude zum Ausdruck, während Varney, der in dem dunklen Raume verblieben war, ohne selbst bemerkt zu werden, mit heimlicher Genugtuung seinen Gönner beobachtete, wie er die Arme gen Himmel streckte, mit Gebärden so eindringlicher Art, daß es aussah, als wolle er die Sterne zu sich herunter ziehen. »Ihr fernen Kreise lebendigen Feuers,« so lautete die leise Anbetung der Gestirne in Leicesters Munde... »schweigend vollendet ihr euren geheimnisvollen Lauf, aber des Menschen Weisheit gab euch eine Stimme. Kündet mir also, zu welchem Ausgang meine hohe Laufbahn führt! Wird die Größe, die ich erstrebe, leuchten und dauern und alles überragen gleich der eurigen? oder soll ich ausersehen sein zu einem zwar glänzenden, aber bloß kurzen Lauf durch nächtliches Dunkel, um dann zur Erde niederzusinken, gleich dem wertlosen Staube einer verpuffenden Rakete?« In tiefem Schweigen blickte er ein paar Minuten zum Himmel hinauf; dann schritt er in das Gemach zurück, wo Varney dem Anschein nach sich damit befaßt hatte, das Geschmeide des Grafen in eine Kassette zu legen. »Was sagt Alasko von meinem Horoskop?« fragte Leicester. »Schon einmal sagtet Ihr es mir; doch ist es mir entfallen, weil ich zu wenig von dieser Kunst halte.« »Daß Euer Stern jetzt im Mittagskreise flammt, und der widrige Einfluß ... einfachre Ausdrücke braucht er nun einmal nicht, ... wenn auch noch nicht völlig zerstört, sich doch in sich selbst verzehrt oder, so sagte er wohl, in retrograder Bewegung sich befinde.« »Genau so ist es,« erwiderte Leicester, auf ein Blatt mit astrologischen Exempeln blickend, das er in der Hand hielt; »der stärke Einfluß gewinnt die Oberhand und die schlimme Stunde zieht, so scheint es mir, vorüber. Helft mir, Sir Richard, den Schlafrock auszuziehen ... und verweilt, sofern es Eurer Ritterschaft nicht zu beschwerlich ist, noch eine Weile hier, bis ich mich in den Schlaf gefunden habe. Der Lärm heute hat, wie ich fürchte, mein Blut in Feuer gejagt, denn es rast mir wie siedendes Blei durch die Adern ... noch einen Augenblick verzeiht, bitte ... ich möchte meine Lider, ehe ich sie schließe, schwer, recht schwer im Kopfe fühlen.« Varney half dem Grafen beim Zubettgehen und stellte eine Nachtlampe von gediegnem Silber auf den marmornen Tisch, der zu Häupten des Lagers stand. Dann legte er ein kurzes, breites Schwert daneben. Entweder um das Licht der Lampe nicht zu sehen, oder um sein Gesicht dem Blicke Varneys zu entziehen, zog Leicester die seidnen, mit Gold durchwirkten Vorhänge zu, so daß sein Kopf ganz im Schatten lag. »Varney,« hub der Graf endlich an, nachdem er eine Weile vergebens gewartet hatte, daß der neue Ritter, der sich an das Kopfende des Bettes gesetzt hatte, die Unterhaltung anfangen werde, »die Leute sprechen also von der Gunst, die mir die Königin erwiesen?« »Gewiß, mein gütiger Herr,« versetzte Varney. »Wie wäre das auch anders möglich, da sie Euch doch so offen auszeichnet!« »Ich weiß, was ich davon zu denken habe,« erwiderte der Graf voller Ungeduld, »wenn Du auch Deine Worte heute abend mit ganz besondrer Vorsicht setzest ... Du willst mir plausibel machen, es stände nur bei mir, mich mit der Königin zu vermählen.« »Das sagt Ihr, Mylord; aber über meine Lippen ist es nicht gekommen!« erwiderte Varney, »doch gleichwohl, wer es sagt, im großen England sagen es von hundert Menschen neunundneunzig.« »Ja, aber,« sagte Leicester, indem er sich in seinem Bette auf die andre Seite wandte, »dieser hundertste weiß es besser. Du zum Beispiel kennst das Hindernis, das sich nicht überspringen läßt.« »Und doch muß es, wenn die Sterne wahr reden, übersprungen werden,« sagte Varney mit Sammlung und Ruhe. »Du hast recht,« erwiderte Leicester, sich abermals im Bette umdrehend. »Die Welt wünscht diese Verbindung. Es ist Nachricht an mich gelangt, von den reformierten Gemeinden Deutschlands, aus den Niederlanden, aus der Schweiz ... und alle sprechen es übereinstimmend aus, daß Europas Sicherheit davon abhängig sei. ... Frankreich wird nicht dagegen sein, und in Schottland erblickt die herrschende Partei ihr größtes Glück in dieser Verbindung, während Spanien sie fürchtet ... aber nicht zu hindern vermöchte ... und doch weißt Du, Varney, daß sie nicht stattfinden kann!« »Daß ich nicht wüßte, Mylord!« sagte Varney, ... »die Gräfin ist unpäßlich.« »Schurke!« rief Leicester, indem er auf seinem Lager emporsprang und nach dem Schwerte griff, das neben ihm auf dem Nachttische lag, »zielen dorthin Deine Gedanken? ... Einen Mord begingest Du doch nicht?« »Für wen oder was haltet Ihr mich, Mylord?« sagte Varney, indem er sich der Ueberlegenheit eines zu Unrecht verdächtigen Unschuldigen versicherte, »ich habe nichts gesagt, was zu dieser furchtbaren Anschuldigung, die Eurer Heftigkeit enteilt, auch nur das leiseste Recht gäbe! Ich habe bloß gesagt, die Gräfin ist unpaß ... und mag sie zehnmal Gräfin sein und noch so liebenswert sein und noch so sehr geliebt werden ... unsterblich machen könnt Ihr sie nicht. ... Warum also sollte sie nicht sterben können und Eure Hand wieder frei und ledig machen?« »Hinweg! Hinweg! ... Hiervon kein Wort mehr!« rief Leicester. »Gute Nacht, Mylord!« sagte Varney, indem er sich stellte, als fasse er die Worte des Grafen als Befehl, sich zu entfernen; aber Leicesters Stimme störte ihn in seinem Vorhaben. »Auf solche Weise entschlüpfest Du mir nicht, Sir Narr,« rief er; »die neue Würde hat Dir, wie mir scheint, das Gehirn verschoben. Gestehe, daß Du von unmöglichen Dingen gesprochen hast, als ob es möglich sei, daß sie geschehen könnten.« »Mylord, Gott schenke Eurer schönen Gräfin recht langes Leben!« erwiderte Varney. »Ich sehe aber nicht ein, wie Ihr nicht dessenungeachtet König von England werden könntet. Hat man nicht oft schon gehört von Heiraten zur linken Hand, die in andern Ländern geschlossen werden zwischen Personen ungleichen Standes? Heiraten, die den Gatten nicht gehindert haben, nachher eine seinem Stande angemessenere Heirat einzugehen?« »Daß so etwas in Deutschland geschehen sei, ist allerdings verlautet,« meinte Leicester. »Der reizenden Gesponsin, die Ihr aus wahrer Liebe erkoren habt, gehören die geheimen Stunden Eurer Zärtlichkeit, Eurer Erholung,« fuhr Varney fort. »Dabei könnt Ihr jedoch der Königin alle gebührende Aufmerksamkeit widmen ... es gehört nichts weiter dazu, als eine offne Stirn und geschlossne Lippen! Ueberlaßt es mir, Euch eine geschützte Laube zu bauen, zu der keine eifersüchtige Königin den Eingang finden soll!« Leicester schwieg eine Weile, tat einen tiefen Seufzer und sprach sodann: »Sir Richard Varney, gute Nacht! Was Ihr andeutet, ist unmöglich. ... Indessen verzeiht noch einen Augenblick! Wißt Ihr mir zu sagen, warum Tressilian heute vor der Königin in solch geringem Anzuge erschien?« Varney lachte höhnisch. »Recht gemacht hat ers, glaube ich. Wie sollte er anders tun, sein Herz zu trösten? ... Er hat doch einen Kameraden, einen weiblichen Geschlechts ... eine Jungfer oder so etwas wie die Frau oder Schwester eines Komödianten mit aufs Schloß gebracht ... hat sie mit bei sich im Mervynskäfig, wo ich ihn aus gewissen Gründen persönlicher Natur untergebracht habe.« »Eine Jungfer? ... sagtest Du? ... meinst Du, eine Buhlerin?« »Jenun, Mylord! Bliebe wohl eine andre in eines ledigen Herrn Gemache?« »Meiner Treu! zur rechten Zeit erzählt am rechten Orte, gäbe das eine, gar köstliche Anekdote!« sagte Leicester. »Ich habe diesen Bücherwürmern und Stubenhockern, diesen heuchlerischen, gleisnerischen Tugendbolden nie im Leben getraut ... gut, gut! Junker Tressilian beliebt mit meinem Hause ein wenig keck umzuspringen! ... Wenn ich die Augen darüber zudrücke, so verdankt er es lediglich gewissen Rücksichten, gewissen Erinnerungen. ... Ich möchte ihm nicht weher tun als schon geschehen.... Behalt ihn indessen im Auge, Varney!« »Eben weil ich meinte, daß dies von nöten sei, habe ich ihn im Mervynsturme untergebracht...« versetzte Varney, »dort bewacht ihn mein, wenn auch immer betrunkner, so doch immer getreuer und wachsamer Michael Lambourne, den ich Eurer Hoheit empfohlen hatte.« »Hoheit?« wiederholte Leicester... »was ist der Sinn solches Beiworts in Deinem Munde?« »Es entfuhr mir unbewußt, Mylord und doch klingt es so durchaus natürlich, daß ich es nicht zurücknehmen kann.« »Deine eigne Erhöhung hat Dir das Gehirn verdreht,« sagte Leicester mit Lachen. »Neue Ehren berauschen wie junge Weine.« Seinem Gönner gute Nacht wünschend, verließ Varney das Gemach. Siebzehntes Kapitel Unsre Erzählung kehrt nunmehr zurück zum Mervynskäfig, dem Gemach oder vielmehr Gefängnis der unglücklichen Gräfin Leicester, die eine geraume Weile ihre Ungeduld und Bangigkeit zu beherrschen suchte. Sie sagte sich, daß es wohl möglich sei bei solchem Wirrwarr, solcher Anstrengung, daß ihr Brief nicht gleich in die Hände ihres Mannes habe kommen können, daß es leicht auch einige Zeit dauern könne, bis ihr Mann sich von seinem Amte bei der Königin frei machen könne, um zu ihr nach dem Mervynsturme zu kommen. »Vor Abend will ich, gar nicht auf ihn rechnen,« sprach sie bei sich, »es läßt sich wohl denken, daß er sich von seinem königlichen Gaste nicht entfernen kann, selbst um nach mir zu sehen. Wenn es ihm möglich ist, wird er früher da sein. Das weiß ich. Aber wie gesagt, vor Einbruch des Abends will ich nicht auf ihn rechnen.« Und dennoch wartete sie auf ihn, wartete auf ihn die ganze Zeit, während sie sich fortwährend vom Gegenteil zu überzeugen suchte; jedes eilige Geräusch von all den Hunderten, die zu ihren Ohren drangen, klang ihr wie Leicesters rascher Schritt, wenn er die Treppe hinauf rannte, um in ihre Arme zu fliegen. Die körperliche Anstrengung, die Amy in der letzten Zeit zu ertragen gehabt, zusammen mit der bei solch grausamem Zustande von Ungewißheit natürlichen Gemütserregung begann allmählich auf ihr Nervensystem zu wirken, und die Furcht, es könne ihr langsam die Kraft ausgehen, das, was ihr vielleicht noch bevorstände, zu tragen, fing an, sie zu beschleichen. Indessen war ihr, wenn auch durch zu nachsichtige, manchmal wohl weichliche Erziehung geschädigt, eine große Gemütsstärke von Natur eigen, und zu ihr trat ein durch ihre Teilnahme der Jagden des Vaters gestählter Körper. Sie gebot zufolgedessen über eine äußerst kräftige Gesundheit und nahm jetzt alle Kräfte zusammen, um keine seelische Erschlaffung und keine Nervenschwäche aufkommen zu lassen. Als jedoch vom Cäsarsturm herab, der unfern von dem als Mervynsturm bekannten stand, die große Schloßglocke die Ankunft des königlichen Zuges durch mächtige Pulse verkündete, da drang ihr Schall so scharf zu ihren Ohren und schnitt ihr so schmerzvoll durch die Seele, daß sie angstvoll zusammenfuhr und sich kaum wehren konnte, bei jedem dröhnenden Schlag der unbarmherzigen Glocke aufzuschreien. Gleich nachher schoß der Widerschein flammenden Feuerwerks zu den Fenstern des kleinen Gemachs herein, dasselbe taghell erleuchtend, daß es der einsamen Frau zu Mute ward, als stiege jede Rakete dicht neben ihr empor und ströme ihr Feuer dicht neben ihr aus, und als fühle sie dessen Hitze in allen Gliedern. Sie zwang sich zum Aufstehen und kämpfte all den wunderlichen Schreckenstanz, den die Feuergebilde vor ihrem geistigen Auge aufführten, mit Gewalt nieder, trat zum Fenster und blickte hinaus, starr und unverwandt, auf eine Szene, die zu jeder andern Zeit ihr Herz sicher weniger mit Furcht als mit Freude erfüllt hätte. »Großer Gott im Himmel droben!« rief sie leise vor sich hin, »wie gleicht doch dieser vergängliche Glanz dem Flitter meiner eignen Hoffnungen! Ein einziger Funke, der im Nu verschlungen wird von Finsternis ringsum, ein flüchtiger Strahl, der für einen Augenblick emporschießt, um desto tiefer zu fallen! O, Leicester! Ist es denn möglich, nach alledem, was Du gesprochen, was Du geschworen hast, Deine Amy sei Dein Leben, Dein alles, Deine Liebe ... ist es denn möglich, daß Du der Zauberer seiest, auf dessen Wink all diese Wunderwerke erstehen? und daß ich, Deine Amy, ihnen zuschaue als Verstoßne, als Turmgefangne?« ... Von allen Seiten her erklang jetzt Musik, von fern her und aus der Nähe, daß es war, als sei nicht das Schloß allein, sondern die ganze Umgegend der Schauplatz des herrlichen Festes zu Ehren königlich britischer Majestät. Aber der einsamen Frau führte die Musik keine Freude ins Herz, sondern nur den gleichen schmerzlichen Gedanken näher und näher, und als nach langer, langer Zeit das Echo der Klänge erstarb, da war es der Gräfin, als stürbe auch in ihrem Herzen alles, alles dahin, was dort von Lust und Freude geherrscht hatte; und sie trat, düstrer, schmerzlicher betroffen als je, zurück vom Fenster, zurück in das kleine Gemach und dessen Dunkelheit.... Es war Nacht geworden, wohl stand der Mond am Himmel, aber sein Licht erhellte den Raum, der ihr als Aufenthalt angewiesen worden war, nur spärlich. Seitdem Tressilian so leicht Zutritt zu ihm, trotzdem er von innen verschlossen war, sich hatte schaffen können, traute sie dem Schlüssel nicht mehr, der im Schlosse steckte. Aber das einzige, was sie zur Mehrung ihrer Sicherheit tun konnte, beschränkte sich darauf, daß sie einen Tisch vor die Tür rückte. Sicher, durch das Geräusch geweckt zu werden, das entstehen müsse, wenn jemand versuchen sollte, heimlich eindringen zu wollen, aufs höchste abgespannt und erschöpft, gab sie endlich dem Drange nach Ruhe Folge und trat zu ihrem Lager; und die Forderung der Natur, nachdem die Arme noch lange wach gelegen, noch lange gewartet hatte, überwand endlich Liebe, Herzeleid und Furcht, ja selbst die Pein der Ungewißheit... und Amy schlief ein.... Ja, Amy schlief. Ein paar Stunden lang schlief sie und träumte ... zuerst, daß sie in Cumnorplace sei und lausche auf den leisen Pfiff, durch den sich Leicester anzumelden pflegte, wenn er plötzlich auf einem seiner heimlichen Ritte im Schlosse erschien.... Aber ihr war es dann mit einem Male, wie wenn das leise Pfeifen sich wandle zum gewaltig dröhnenden Hornsignal... und dann war es ihr, als wenn sie zu einem Fenster hinliefe, das nach dem Hofe hinuntersähe,... und nun sah sie im Hofe Menschen über Menschen... und alle trugen Trauergewänder, und der Pfarrer stand in ihrer Mitte und hielt eine Rede... und als sie zuhörte, da ward sie inne, daß es eine Grabrede war... und dann sah sie Mumblazen in der Tracht eines alten Wappenherolds, mit einem Wappenschild, das er vor sich her trug, und das die bekannten Verzierungen zeigte, Totenschädel, Gebeine und Stundengläser ... aber das Wappen selbst konnte sie nicht erkennen, sie sah nur, daß es eine Grafenkrone trug. ... Der alte Mann sah sie an mit gespenstischem Lächeln und fragte: »Amy, sind sie etwa nicht richtig quadriert?« ... und dann begannen die Hörner wieder zu schmettern ... es war ein trauriger, wilder Totenmarsch ... und Amy erwachte. ... Sie fuhr empor von ihrem Lager ... deutlich hörte sie jetzt den Hörnerruf, der die Bewohner zu einer Hirschjagd im nahen Walde lud. Amy lauschte den Klängen ... sie sah die ersten Strahlen des Sommermorgens durch das Gitter ihres Fensters dringen ... und nun besann sie sich, mit einer Empfindung quälender Angst, wo sie war und in welcher Lage sie war. ... »Er denkt nicht an mich,« sprach sie zu sich.... »nicht nahen wird er mir.... Eine Königin ist bei ihm zu Gaste, und was kümmert es da ihn, ob und in welchem Winkel seines mächtigen Schlosses ein elendes Weib wie ich in Zweifeln schmachtet und Herzeleid und Qual erliegt?« ... Da ... ein Geräusch an der Tür ... leise, wie wenn jemand versuchte, sie behutsam zu öffnen ... und eine unsägliche Empfindung, halb Freude, halb Furcht, erfüllte ihr Herz ... mit einem Sprung war sie bei der Tür und rückte den Tisch hinweg, den sie aus Vorsicht davor gestellt hatte ... dann schloß sie auf, ... doch fragte sie, auch jetzt noch vorsichtig: »Bist Du es, Geliebter?« »Jawohl, meine Gräfin!« flüsterte es draußen zur Antwort. Sie riß die Tür auf und mit dem Schrei: »Leicester!« flog sie dem Mann in die Arme, der draußen stand, in seinen Mantel gehüllt, und Einlaß begehrte. »Nein – – nicht ganz Leicester,« antwortete Michael Lambourne, denn er war es, indem er die Liebkosungen mit roher Gewalt zurückgab, ... »nicht ganz Leicester, meine holde, bis über die Ohren verliebte Herzensherzogin, aber ein Mann so gut und stark wie er.« Mit einem Uebermaß von Kraft, dessen sie sich zu keiner andern Zeit fähig gehalten hätte, machte die Gräfin sich los von dem unheiligen und entheiligenden Griffe des trunknen Wüstlings und flüchtete nach der Mitte ihres Gemachs, wo ihr Verzweiflung den Mut lieh, stehen zu bleiben. Lambourne fiel, als er eintrat, der Mantel vom Gesicht ... und die Gräfin erkannte nun den verworfnen Diener Varneys ... die allerletzte Person, seinen Herrn selbst ausgenommen, von der sie sich hier hätte entdeckt sehen mögen. Aber sie war noch immer eingehüllt in ihren Reisemantel, und da Lambourne in Cumnorplace kaum in ihre Nähe gekommen war, hoffte sie, ihm weniger bekannt zu sein als er ihr ... welch letzteres ja auch nicht der Fall gewesen wäre, hätte ihn ihr nicht Jeanette einmal gezeigt, wie er über den Hof ging, und dann erzählt, was für ein schlechter Mensch er sei. Lambourne warf, als er ins Gemach trat, die Tür hinter sich ins Schloß, dann schlug er die Arme übereinander, wie wenn er der Verzweiflung spotten wollte, die sich Amys bemächtigt hatte. Dann sprach er höhnisch: »Höre, was ich Dir sage, Du holdeste Kallipolis, oder verliebteste aller verlumpten Gräfinnen und göttlichste aller in finstern Ecken sich herumquetschenden Herzensherzoginnen – – wenn Du Dir noch so viel Mühe gibst, Dich aufzublähen, wie ein angeschossner Fasan, um mir die Freude, Dich zu fangen, noch zu erhöhen, so ist es doch gescheiter, Du sparst Dir solches! Deine erste Art und Weise ist mir weit lieber ... und Deine jetzige paßt mir dagegen ganz und gar nicht ...« (bei diesen Worten machte er taumelnd einen Schritt auf sie zu) »... paßt mir so wenig ... Tod und Teufel! ist das hier ein wackliger Fußboden! ... da kann sich ja der feinste Herr den Hals brechen, wenn er nicht wie ein Seiltänzer auf dem Seile tanzen kann ...« »Zurück!« rief die Gräfin, »keinen Schritt näher heran, oder es ist um Dich geschehen!« »Was? um mich geschehen? hahaha! und keinen Schritt weiter? hahaha! kannst Du noch einen bessern Schatz verlangen als den ehrlichen Michael Lambourne? ... Ich bin in Amerika gewesen, Mädel, wo das Gold wächst wie Heu, und hab eine stramme Kahnladung davon mit rübergebracht –« »Lieber Freund!« sprach die Gräfin, aufs äußerste erschrocken über die freche, zudringliche Weise des Menschen ... »ich bitt' Dich, geh und laß mich!« »Daran solls nicht fehlen, Schatz, wenn wir einander satt haben ... aber kein Tüttelchen früher, hörst Du?« ... und er faßte sie beim Arme, während sie, außer stande, sich länger zu wehren, einen Schrei über den andern ausstieß ... »Na, schrei, so viel Du willst,« rief er und hielt sie noch immer fest, »ich hab die See brüllen hören beim wildesten Wetter, und wenn ein Weibsbild ein bißchen quiekt, so klingt mir das kaum anders, als wenn eine Katze miaut! ... Hol mich der Teufel, ich hab an die fünfzig oder hundert schreien hören, als wir mal eine Stadt stürmten.« Das Geschrei der Gräfin brachte aber eine, wenn auch unerwartete Hilfe herbei in der Person des Lorenz Staples, der in seiner Stube unten das Geschrei gehört hatte und noch gerade zurecht kam, um die Gräfin vor Entdeckung, wenn nicht gar roher Gewalttat zu schützen. Lorenz war auch betrunken, noch von der letztdurchzechten Nacht her; glücklicherweise zeigte sich sein Rausch aber in ganz andrer Weise, wie bei Lambourne. »Was ist das hier für ein Mordsspektakel? bei mir im Turme?« rief er, »was? ein Mannsbild und ein Weibsbild zusammen in derselben Zelle? Das geht wider das Reglement ... unter meinem Szepter muß Ordnung herrschen! beim Sankt Petrus in Ketten!« »Mach, daß Du die Stiege hinunterkommst, besoffnes Biest!« schrie Michael Lambourne, »siehst Du nicht, daß wir beide, die Dame und ich, was vorhaben, wozu man keinen Zeugen braucht?« »Braver Herr! würdiger Herr!« flehte die Gräfin, sich an den Schließer wendend, »errettet mich von ihm! um der göttlichen Barmherzigkeit willen.« »Sie spricht artig und lieb,« sagte der Schließer, »da muß man ihr schon helfen. ... Laß das Weib los, oder ich schlage Dir den Schädel mit meinem Schlüsselbunde ein!« »Da mach ich doch schneller aus Deinem Bauchfell einen Blutkuchen!« schrie Lambourne und legte die Linke an den Degen, wahrend er mit der Rechten noch immer die Gräfin festhielt. ... Da packte der Schließer Lambourne am Arm, daß er den Dolch nicht ziehen konnte, und als Lambourne mit ihm rang und ihn von sich abzuschütteln suchte, machte die Gräfin ihrerseits eine heftige Anstrengung; und es gelang ihr, die Hand aus dem Handschuh zu ziehen, den Lambourne noch immer festhielt ... mit einem Ruck war sie frei und zur Stube hinaus und rannte die Stiege hinunter, während sie im selben Augenblick zwei schwere Körper niederschlagen hörte, mit einer Wucht, die ihr Entsetzen noch erhöhte. Die Außenpforte bot ihrer Flucht kein Hindernis, denn sie war, um Lambourne einzulassen, geöffnet und von diesem offen gelassen worden. Glücklich gelangte sie von da in den Lustgarten, der ihrem hastigen Blicke als derjenige Ort erschien, wo sie vor Verfolgung am geschütztesten sein dürfte. Zwischen den vielen Lauben, Bäumen, Bildsäulen, Springbrunnen einen Platz zu finden, wo sie sich verbergen könne, bis jemand käme, dem sie sich in ihrer schrecklichen Lage offenbaren dürfte und durch dessen Vermittlung sich eine Zusammenkunft mit dem Grafen erlangen ließe, das könnte, sagte sie sich, an solchem Orte nicht allzu schwer sein.... »Wenn ich bloß meinen Führer wiederfände,« dachte sie; »dann erführe ich doch, ob er meinen Brief abgegeben hat. Oder wenn ich wenigstens Tressilian träfe! ... nun, ich will warten und hoffen ... unter so vielen menschlichen Wesen wird sich ja doch ein mildes Herz finden, das ermessen und mitfühlen kann, was mein armes Herz so schwer bedrückt!« Freilich, es gingen viele im Garten auf und ab ... aber ... das waren immer solche, die das Herz voller Freude hatten ... die zusammen lachten und scherzten und allerhand Kurzweil trieben ... wie sollten die Sinn und Gefühl haben für Leid? ... Das Versteck, das sich die Gräfin ausgesucht hatte, war recht geeignet, sie vor andrer Blicke zu schützen. Es war eine mit Moosbänken versehne Grotte, in deren Hintergrunde eine Fontäne spielte. Wenn sie sich dort aufhielt, so konnte sie, ohne bemerkt zu werden, abwarten, bis der Zufall eine einzelne Person herführte, die es vielleicht für geraten hielt, sich zu entdecken. Auf solchen Zufall wartend, trat sie hinter die Fontäne und blickte in den hellen Spiegel ihrer Flut, erschreckend über das eigne Bildnis, denn ihre Erscheinung war durch die letzterlebten Stunden in ihrer Schönheit um vieles gemindert worden. Aber der helle Wasserspiegel ermöglichte ihr eine rasche Toilette, und als sie damit fertig war, setzte sie sich auf eine der Moosbänke, harrend, daß ihr das Schicksal einen Ausweg zeigen oder einen Beschützer zuführen werde. Achtzehntes Kapitel Es traf sich an diesem denkwürdigen Morgen, daß eine der ersten, die in aller Frühe im vollen Jagdschmuck aus ihrem Zimmer trat, die Fürstin selber war, der all diese Lustbarkeiten galten, Englands jungfräuliche Königin. Sie hatte kaum einen Schritt über die Schwelle ihres Gemaches getan, als Leicester auch schon an ihrer Seite war und ihr den Vorschlag machte, bis zur Beendung der Jagdrüstungen den Lustgarten zu besichtigen. Sie gingen selbander zu dieser neuen Stätte der Augenweide – gelegentlich stützte Leicesters Arm die Königin, wo lange Reihen von Stufen – damals eine beliebte Zierde in Gärten – sie von Terrasse zu Terrasse führten. Die begleitenden Hofdamen waren klug genug, nicht in der Nähe der Königin zu bleiben, obwohl sie sie nicht aus den Augen ließen, und so wurde das Gespräch zwischen der Königin und dem Grafen weder gestört noch belauscht. Was sie miteinander sprachen, ist im einzelnen nicht überliefert worden. Noch die, die sie aus einiger Entfernung beobachteten – und die Augen von Höflingen und Hofdamen sind sehr scharf – , waren der Meinung, daß noch nie die hohe Würde, die Elisabeth sonst in Gebärde und Gang bewahrte, so offenkundig sich habe gehen lassen und Unentschlossenheit und zärtliche Vergessenheit verraten habe. Ihr Schritt war nicht nur langsam, sondern auch unsicher – etwas ganz ungewohntes in ihrer Haltung. Ihre Augen waren auf den Boden geheftet – ja, einige wollten sogar eine Träne in ihrem Auge und eine Röte auf ihren Wangen gesehen haben. Zu welchen Schlüssen diese Beobachtungen führten, ist klar, und wahrscheinlich waren diese Schlüsse auch nicht völlig grundlos. Edelmänner so gut wie Schäferburschen sagen in solchem kritischen Augenblick mehr, als sie eigentlich wollten, und Königinnen so gut wie Dorfschönen hören länger zu, als sie sollten. So hatte Elisabeth mit mehr Gunst als sonst den romantischen Galanterien gelauscht, mit denen sie immer angeredet zu sein liebte, und der Graf ging aus Eitelkeit oder aus Ehrgeiz oder aus beidem immer mehr aus sich heraus, bis die Sprache der Liebe selber von seinen Lippen kam. »Nein, Dudley,« sagte Elisabeth, doch in gebrochnem Tone, »nein, ich muß die Mutter meines Volkes sein. Andre Bande, die die niedrige Maid glücklich machen, sind der Landesherrin versagt. Nein, Leicester – drängt nicht weiter in mich. Wäre ich wie andre und stünde es mir frei, mir mein eignes Glück auszusuchen – dann, ja dann! – aber es kann nicht, kann nicht sein. Schiebt die Jagd auf – schiebt sie auf eine halbe Stunde auf und verlaßt mich, Mylord.« »Wie, Euch verlassen, Majestät?« sagte Leicester. »Hat mein Wahnwitz Euch beleidigt?« »Mit nichten, Leicester!« antwortete die Königin rasch. Wahnwitz ist es wirklich und darf nicht wieder aufgebracht werden. Geht – aber geht nicht weit von hier – und bis dahin laßt niemand mich stören.« Während sie so sprach, verneigte Dudley sich tief und zog sich leise und wie tief betrübt zurück. Die Königin sah ihm nach und murmelte vor sich hin: »Wäre es möglich – wäre es doch nur möglich! Doch nein – nein – Elisabeth muß allein Englands Frau und Mutter sein!« Das Gemüt dieser Elisabeth Englands mochte wohl durch diese Unterredung ein wenig aus seinem Gleichgewicht gebracht worden sein – aber dank ihrer Festigkeit und Entschlossenheit hatte sie bald ihre natürliche Stimmung wieder erlangt. Als sie mit langsamem Schritt sich dem Innern der Grotte näherte, hatte ihr Gesicht wieder seinen würdevollen Blick und ihre Miene wieder ihren herrischen Ausdruck erlangt. Da sah die Königin, daß eine weibliche Gestalt neben und zum Teil hinter einer Alabastersäule stand, an deren Fuß der helle Springbrunnen emporstieg, der in der innersten Tiefe der von Halbdunkel erfüllten Grotte sprudelte. Im Nähertreten blieb sie im Zweifel, ob sie eine Statue oder eine Gestalt von Fleisch und Blut vor sich hätte. Die unglückliche Amy stand regungslos – sie verlangte danach, ihre Hilflosigkeit einer ihres Geschlechts mitzuteilen, und empfand doch auch Furcht vor der erhabnen Gestalt, die sich ihr näherte, und in der ihre Furcht, obwohl ihr Auge sie noch nie erschaut hatte, sie doch sofort die Person erkennen ließ, die sie wirklich war. Amy war von ihrem Sitze aufgestanden in der Absicht, die Dame anzureden, die allein und – wie sie zuerst dachte – zu so gelegner Stunde die Grotte betrat. Aber als sie daran dachte, daß Leicester immer mit größter Unruhe davon gesprochen hatte, die Königin könne einmal von ihrer heimlichen Ehe etwas erfahren, und als sie immer mehr die Ueberzeugung gewann, daß die Person, die sie vor sich sah, Elisabeth selber sei – da blieb sie stehen – einen Fuß vor und einen zurückgesetzt, Arme, Haupt und Hände völlig regungslos und die Wange so bleich wie die Alabastersäule, an der sie lehnte. Auch als Elisabeth bis auf ein paar Schritte herangekommen war, blieb sie noch im Zweifel, ob sie sich nicht getäuscht habe. Sie blieb daher stehen und heftete auf die interessante Erscheinung ihr fürstliches Auge so fest und scharf, daß das Erstaunen, das Amy in Regungslosigkeit hatte verharren lassen, der Furcht wich und sie unter dem gebietenden Blick der Fürstin allmählich den Blick niederschlug und das Haupt senkte. Bei dieser tiefen und langsamen Neigung des Hauptes blieb aber doch ihre Gestalt sonst ohne Bewegung und ihr Mund ohne Laut. Die Kleidung und das Kästchen, das sie instinktiv in der Hand hielt, brachten Elisabeth natürlich auf die Vermutung, die Person, die sie erblickte, sei eine Darstellerin in einem Maskenspiele, wie deren schon verschiedne zu ihrer Huldigung veranstaltet worden waren, und das arme Mädchen hätte, aus Furcht vor ihrer Nähe, entweder ihre Rolle vergessen oder den Mut verloren, sie zu spielen. Sie sagte daher im Tone herablassender Güte: »Wie, Du schöne Nymphe dieser Grotte, hat Dich ein Zauber im Bann oder bist Du von dem bösen Hexenmeister, den die Menschen Furcht nennen, mit Taubheit geschlagen?« Anstatt zu antworten, fiel die unglückliche Gräfin vor der Königin auf die Knie, ließ ihr Kästchen aus der Hand fallen, schlug die Hände ineinander und sah zu der Königin empor, mit einem Ausdruck der Angst und der flehentlichen Bitte, der Elisabeth sichtlich rührte. »Was soll das bedeuten,?« sagte sie. »Du bist in größrer Erregung, als dem Anlaß entspräche. Steh auf, Mädchen – was willst Du von Uns?« »Schutz, hohe Frau,« stammelte die unglückliche Bittstellerin. »Den genießt jede Tochter Englands, solange sie seiner würdig ist,« versetzte die Königin; »aber Dein Unglück scheint eine tiefere Wurzel zu haben als die vergessne Rolle. Warum und in welcher Sache begehrst Du Unsern Schutz?« Amy bemühte sich, schnell darüber klar zu werden, was sie am besten sagen würde, um sich vor den drohenden Gefahren zu schützen, die sie umgaben, ohne ihren Gemahl, zu gefährden, aber in dem Chaos, das ihr Gemüt bedrückte, fand sie keinen klaren Gedanken und konnte, auf die wiederholte Frage der Königin nur antworten: »Ach! ich weiß es nicht!« »Das ist Torheit, Mädchen,« sagte Elisabeth ungeduldig. »Wir find nicht gewöhnt, so oft Fragen zu stellen, ohne eine Antwort zu erhalten.« »Ich bitte – ich flehe um Schutz –« stammelte die unglückliche Gräfin, »um Euern huldvollen Schutz gegen – gegen einen gewissen Varney.« Sie würgte an dem verhängnisvollen Wort, das die Königin sofort aufgriff. »Was Varney? – Ritter Richard Varney – der Diener Lord Leicesters? – was, Mädchen, seid Ihr ihm? was ist er Euch?« »Ich – ich – war seine Gefangne – und er trachtet mir nach dem Leben – und ich bin geflüchtet...« »Um Euch unter meinen Schutz zu begeben, ohne Frage,« sagte Elisabeth. »Du sollst ihn haben, – das heißt, wenn Du dessen würdig bist, denn wir wollen dieser Sache auf den Grund gehen. – Du bist,« fügte sie und heftete auf die Gräfin einen Blick, der ihr bis ins Tiefste der Seele dringen zu sollen schien, »Du bist Amy, die Tochter des Ritters Sir Hugh Robsart von Lidcotehall?« »Vergebt mir, vergebt mir, meine huldvolle Fürstin!« sagte Amy und fiel abermals auf die Knie. »Was sollte ich Dir vergeben, törichtes Mädchen?« fragte Elisabeth, »daß Du die Tochter Deines Vaters bist? Du bist nicht recht klar im Kopfe, wie mir scheint. Na, ich sehe, ich muß die Geschichte stückweis aus Dir herausholen. Du hast Deinen alten, ehrenwerten Vater betrogen ... Dein Blick gesteht es ... Du hast Junker Tressilian hintergangen ... Dein Erröten bekennt es ... und hast eben diesen Varney geheiratet.« Amy sprang auf und unterbrach die Königin rasch: »Nein, hohe Frau, nein – so wahr ein Gott über uns ist, ich bin nicht die Frau dieses verächtlichen Sklaven – dieses ausgemachten Schurken! Ich bin nicht die Frau Varneys! Eher möchte ich die Braut des Todes selber sein.« Ihrerseits bestürzt durch Amys Heftigkeit, stand die Königin einen Augenblick still und sagte dann: »Nun, Gott erbarme sich, Weib! – ich sehe, Dein Mundwerk ist flott genug, wenn das Thema Dir zusagt! Sage mir, Weib – denn bei Gottes Tage, ich will es wissen – wessen Weib oder Maitresse bist Du? – Sprichs aus und sei geschwind – Du möchtest eher mit einer Löwin spielen können als mit Elisabeth.« Durch diesen harten Befehl getrieben, wie durch unwiderstehliche Gewalt zu dem Abgrund gezogen, den sie sah, aber nicht vermeiden konnte, – stammelte Amy schließlich in größter Verzweiflung: »Der Graf von Leicester weiß alles.« »Der Graf von Leicester!« rief Elisabeth in höchstem Erstaunen, – »der Graf von Leicester!« wiederholte sie, und ihr Zorn entfachte sich. »Weib, Du bist dazu gedungen worden – Du verleumdest ihn – er gibt sich nicht mit solchen Frauenzimmern ab, wie Du eins bist. Du bist erkauft worden, den edelsten Lord und den wahrherzigsten Edelmann Englands zu verunglimpfen. Aber wenn er auch Unsre rechte Hand oder Uns noch teurer wäre, Du sollst Gehör finden, und zwar in seinem Beisein. Komm mit mir – komm augenblicklich mit mir!« Entsetzt wich Amy zurück – eine Bewegung, die die in Zorn entflammte Königin als Schuldbewußtsein auslegte. Elisabeth trat rasch zu ihr, faßte sie am Arme und eilte mit fliegenden, langen Schritten aus der Grotte heraus und die Hauptallee des Lustgartens entlang, die entsetzte Gräfin hinter sich herziehend, die sie noch immer am Arme hielt und die bei der größten Anstrengung nur knapp mit der empörten Königin Schritt halten konnte. Leicester stand in diesem Augenblick inmitten einer glänzenden Gruppe von Lords und Ladys, die unter einem Säulengange am Ende der Allee sich versammelt hatte. Die Gesellschaft war hier zusammen gekommen, um die Befehle der Königin vor Beginn der Jagd entgegenzunehmen, und man kann sich ihr Erstaunen denken, als sie Elisabeth statt in ihrem gewohnten, gemessen würdevollen Schritte in solcher Hast unter sie treten sahen, daß sie in ihrer Mitte stand, ehe sie sie noch gewahr geworden waren. Sie sahen mit Furcht und Ueberraschung, daß ihr Gesicht von Zorn und Aufregung gerötet war, daß ihr Haar bei dem raschen Gange sich aufgelöst hatte und daß ihre Augen wild flammten. Nicht weniger erstaunt waren sie über die Erscheinung der blassen, erschöpften, halb toten und doch liebreizenden Frauensperson, die die Königin mit starkem Griff bei der Hand hielt, während sie mit der andern Hand die Lords und Ladys zur Seite winkte, die auf sie zudrängten in dem Glauben, sie sei plötzlich irre geworden. »Wo ist Mylord von Leicester?« fragte sie in einem Tone, der die umstehenden Lords mit Schauder erfüllte. »Tretet vor, Mylord von Leicester.« Wenn mitten am heitersten Sommertage, wenn alles in der Runde hell und lachend dreinschaut, ein Donnerkeil vom blauen Himmelsgewölbe herunterfiele und die Erde zu den Füßen eines sorglosen Spaziergängers zerrisse, so könnte der die rauchende Kluft, die unerwartet vor ihm gähnte, nicht mit halb so jähem Erstaunen und Grausen betrachten, wie Leicester bei dem Anblick empfand, der sich ihm so plötzlich darbot. Er hatte eben die halb ausgesprochnen, halb angedeuteten Glückwünsche der Höflinge zu der großen Gunst, die die Königin ihm erwiese, entgegengenommen, und er hatte in politischer Ziererei so getan, als streite er ab, was sie zu verstehen gaben, oder als verstünde er es nicht, und während noch ein gedämpftes, doch stolzes Lächeln um seine Lippen spielte, schoß die Königin in wildestem Ingrimm in den Kreis hinein; mit der einen Hand stützte und hielt sie, anscheinend ohne geringste Anstrengung, die bleiche, sinkende Gestalt seines halbtoten Weibes, und mit dem Finger der andern Hand deutete sie auf das verzerrte Gesicht und fragte mit einer Stimme, die in den Ohren der bestürzten Staatsmänner wie die Trompete des jüngsten Gerichts erklang: »Kennst Du dieses Weib?« Wie beim Trompetenstoß des jüngsten Gerichts die Schuldigen zu den Bergen rufen werden, daß sie über ihnen zusammenstürzen sollen, so flehte in seinen innersten Gedanken Lord Leicester zu dem prächtigen Bogen empor, den er in seinem Stolze erbaut hatte, er möge sein festes Gefüge sprengen und sie alle unter seinen Trümmern begraben. Aber das Bauwerk stand fest, und der stolze Herr selber ließ sich vor Elisabeth, wie von unsichtbarer Hand niedergedrückt, auf ein Knie nieder und senkte den Blick tief auf die Marmorsteine, auf denen sie stand. »Leicester,« sagte Elisabeth mit vor Leidenschaft zitternder Stimme, »könnte ich glauben, daß Du mich hintergangen hast – mich, Deine Königin, – mich, Deine vertrauensvolle, Dir nur zu sehr geneigte Herrin – könnte ich glauben, Du hättest mir den gemeinen und undankbaren Betrug angetan, den Deine Verwirrung vermuten läßt, – bei allem, was heilig ist, Dein Haupt sollte fallen!« Leicester hatte zwar kein Bewußtsein der Unschuld, das ihn stützen konnte, aber er hatte doch Stolz, er erhob langsam Stirn und Gesicht und antwortete: »Mein Haupt kann nur fallen durch Urteil meiner Peers – und an sie will ich mich wenden, nicht an eine Fürstin, die mir meine treuen Dienste so vergilt.« »Was! Mylords!« sagte Elisabeth und sah sich um. »Man bietet uns wohl gar Trotz – Trotz in demselben Schlosse, das Wir diesem stolzen Manne verliehen haben? – Mylord von Shrewsbury, Ihr seid Marschall von England, verhaftet ihn wegen Hochverrats.« »Wen meint Eure Majestät?« fragte Shrewsbury höchst erstaunt, denn er war eben erst hinzugekommen. »Wen sollt ich meinen, als den Verräter Dudley, Grafen von Leicester! Vetter von Hunsdon, laßt sofort Eure Wache ins Gewehr treten und nehmt ihn auf der Stelle in Gewahrsam. – Hört Ihr, Schurke, beeilt Euch!« Hunsdon, ein rauher, alter Soldat, der mit den Boleyns verwandt war und sich daher mehr erlauben konnte, als mancher andre, erwiderte: »Und vielleicht wirft Eure Majestät mich morgen in den Tower, wenn ich mich gar zu sehr beeilte. Ich ersuche Euch, habt Geduld!« »Geduld?« rief die Königin. »Gottes Leben! Nennt mir das Wort nicht! Du weißt nicht, wessen er schuldig ist!« Amy, die jetzt ein wenig zu sich gekommen war und erkannte, daß ihr Gatte von dem Zorne der gekränkten Herrscherin auf das schwerste bedroht war, vergaß augenblicklich das erlittne Unrecht und die eigne Gefahr, warf sich der Königin zu Füßen, umarmte ihre Knie und rief: »Er ist schuldlos, hohe Frau – er ist schuldlos – niemand kann dem Grafen von Leicester etwas zur Last legen.« »Ei, Du Affe,« antwortete die Königin, »hast Du nicht selber gesagt, der Earl of Leicester wisse um Deine ganze Geschichte?« »Sagt ich so?« wiederholte die unglückliche Amy, »wenn ich es tat, so hab ich ihn schändlich verleumdet. So Gott mein Richter ist, er hat nie daran gedacht, mir ein Leid zuzufügen.« »Weib!« sagte Elisabeth, »ich will wissen, wer Dich hierzu gebracht hat, oder mein Zorn – und der Zorn von Königen ist ein loderndes Feuer – soll Dich verzehren wie Reisig im Ofen!« Als die Königin diese Drohung aussprach, rief der gute Engel in Leicester seinen Stolz zu Hilfe und hielt ihm die gänzliche Verworfenheit vor, die er in alle Ewigkeit auf sich lüde, wenn er sich so weit erniedrigte, unter der edelsinnigen Fürsprache seiner Frau Schutz zu suchen und sie an seiner Statt der Rache der Königin zu überliefern. Er hatte schon das Haupt erhoben, um mit der Würde eines Ehrenmannes seine Ehe zu bekennen und selber als Beschützer der Gräfin aufzutreten – da stürzte Varney – der, wie es schien, dazu geboren war, der böse Genius seines Herrn zu sein, – in die Versammlung hinein, mit allen Zeichen der Verwirrung und Bestürzung in Antlitz und Gebärde. »Was drängt Ihr Euch so unanständig hervor?« fragte Elisabeth. Mit der Miene eines von Schmerz und Verwirrung völlig niedergeschmetterten Mannes warf sich Varney ihr zu Füßen und rief: »Vergebung, meine Königin, Vergebung! – oder laßt wenigstens Eure gerechte Strafe auf mich fallen, der sie verdient hat, aber verschont meinen edeln, meinen großmütigen, meinen unschuldigen Gönner und Herrn!« Amy, die noch immer kniete, sprang auf, als sie den Mann, den sie am tiefsten haßte, so dicht neben sich erblickte, und wollte zu Leicester flüchten, aber die Unsicherheit und Furchtsamkeit, die seine Miene wieder angenommen hatte, als das Erscheinen seines Vertrauten eine neue Wendung herbeizuführen schien, scheuchte sie zurück und sie stieß einen schwachen Schrei aus und bat Ihre Majestät, sie im tiefsten Verließ des Schlosses einzukerkern, sie wie den schlimmsten Verbrecher zu behandeln, – »nur erspart mir, was mich noch vollends um den Verstand bringen wird, den Anblick dieses unsagbar schlechten, schamlosen Schurken!« »Und warum, Püppchen?« fragte die Königin, »was hat dieser falsche Ritter, wie Du ihn nennst, Du getan?« »O, Schlimmres, als Leid, hohe Frau, und Schlimmres als Beleidigung – er hat Zwietracht gesät, wo Friede sein sollte. Ich werde wahnsinnig, wenn ich ihn noch länger sehe.« »Mich dünkt, Du bist, schon geistesgestört,« antwortete die Königin. »Mylord von Hunsdon, nehmt Euch des armen Weibes an und haltet sie in sicherm, aber ehrenvollem Gewahrsam, bis wir sie zu sehen begehren.« Der Ritter führte die Unglückliche fort, die keinen Widerstand leistete, halb ohnmächtig, wie sie war. Die Königin sah ihr nach – mit der ihr eignen, Selbstbeherrschung, unter den Vorzügen eines Monarchen einer der ersten, hatte sie schon jeden äußern Schein von Gemütserregung verwischt und schien alle Erinnerung an ihren leidenschaftlichen Ausbruch tilgen zu wollen. Sie lächelte huldvoll und ließ die Blicke umherschweifen, um denen des Grafen von Leicester zu begegnen. Doch fand sie ihn noch nicht in der Stimmung, das nahegelegte Anerbieten einer Versöhnung anzunehmen. Sein Blick war auch mit verspäteter Reue der hingesunknen Gestalt gefolgt, die Hunsdon eben weggebracht hatte; jetzt haftete sein Auge finster auf dem Boden, aber mehr – so wenigstens kam es Elisabeth vor – mit dem Ausdruck eines, der eine ungerechte Kränkung erfahren hat, als voller Schuldbewußtsein. Sie wandte ärgerlich das Gesicht von ihm ab und sagte zu Varney: »Sprecht, Ritter Richard, und erklärt diese Rätsel – Ihr seid bei Vernunft und habt auch noch den Gebrauch Eurer Zunge – was wir sonst hier vergebens zu suchen scheinen.« Bei diesen Worten warf sie Leicester einen verdrießlichen Blick zu, wahrend der verschlagne Varney sich beeilte, sein Märchen vorzubringen. »Eurer Majestät scharfes Auge,« sagte er, »hat bereits die grausame Krankheit meiner geliebten Frau entdeckt. Unglücklich, wie ich bin, wollte ich nicht ein ärztliches Attest darüber ausgestellt sehen, da ich zu verbergen strebte, was nun in um so fatalerer Weise doch offenbar geworden ist.« »So ist sie geisteskrank?« fragte die Königin, »in der Tat, wir haben das selber vermutet – Ihr ganzes Benehmen verriet es. Aber wie ist sie hierher gekommen? Warum habt Ihr sie nicht in sicherm Gewahrsam gehalten?« »Meine huldvolle Königin,« sagte Varney, »der würdige Herr, unter dessen Obhut ich sie gelassen habe, Anton Foster, ist soeben erst hier angekommen, so schnell Mann und Pferd reisen können, um mich von ihrer Flucht in Kenntnis zu setzen, die sie mit der, vielen solchen Kranken eignen Schlauheit ins Werk gesetzt hat. Er ist hier, wenn er gehört werden soll.« »Laßt das auf ein andermal,« sagte die Königin. »Aber Ritter Richard, wir beneiden Euch nicht um Euer häusliches Glück, Eure Lady schalt garstig auf Euch und schien bei Euerm Anblick in Ohnmacht fallen zu wollen.« »Es liegt in der Natur dieser geisteskranken Personen,« erwiderte Varney, »daß sie in ihrem Wahn sich am erbittertsten gegen die kehren, die sie in ihren lichtern Momenten am meisten lieben.« »Wir haben das allerdings auch schon gehört,« sagte Elisabeth, »und glauben, was Ihr sagt.« »Möge es denn Eurer Majestät gefallen,« sagte Varney, »zu befehlen, daß meine unglückliche Frau unter die Obhut ihrer Freunde zurückgebracht werde.« Leicester fuhr jetzt auf, aber er zwang sich, ruhig zu bleiben, wahrend Elisabeth scharf antwortete: »Ihr seid etwas zu eilig, Varney. Wir wollen uns erst einen Bericht über den Gesundheits- und Geisteszustand der Dame von unserm Leibarzt Masters abstatten lassen und dann bestimmen, was zu geschehen hat. Ihr sollt jedoch Erlaubnis haben, sie zu sehen, so daß – wenn ein ehelicher Zwist zwischen Euch bestehen sollte, – das soll ja auch bei einem Liebespaar mal vorkommen, soviel Wir gehört haben – Euch versöhnen könnt, ohne weitern Skandal für unsern Hof und ohne weitre Schererei für uns.« Varney verneigte sich tief und antwortete nichts weiter. Elisabeth sah wieder auf Leicester und sagte in einem Tone der Herablassung, der nur aus herzinnigster Anteilnahme kommen konnte: »Zwietracht findet ihren Weg sogar in friedliche Klöster wie in enge Familien, und Wir fürchten, unsre Wachen und Türhüter können sie schwerlich von unserm Hofe fernhalten. Mylord von Leicester, Ihr zürnt uns, und Wir haben ein Recht, auch Euch zu zürnen. Wir wollen die Rolle eines Löwen übernehmen und der erste sein, der vergibt.« Es kostete Leicester einige Mühe, eine glatte Stirn zu zeigen, aber er sagte, er habe nicht das Glück zu vergeben, denn die, die ihn dazu auffordre, stünde zu hoch, als daß er sich je von ihr beleidigt fühlen könne. Elisabeth schien mit dieser Antwort zufrieden und gab Befehl zum Beginn der Jagd. Neunzehntes Kapitel Die Rückkehr der Königin nach Kenilworth erfolgte erst nach einer langen und höchst erfolgreichen Frühjagd, an die sich ein Festmahl schloß, das nicht minder lange dauerte; und erst nach Schluß desselben konnte sich Leicester unter vier Augen mit Varney treffen. Aus seinem Munde erfuhr er die sämtlichen Einzelheiten der Flucht der Gräfin, wie sie nach Kenilworth durch Foster berichtet worden waren, der sich, in seiner Angst vor den Folgen selbst nach dem Schlosse auf den Weg gemacht hatte. Da Varney sich in seiner Darstellung weislich hütete, von jenen Praktiken ein Wort zu sagen, die gegen die Gesundheit der Gräfin unternommen worden waren, und deren Kenntnis sie zu dem verzweifelten Schritte getrieben hatte, war Leicester, der infolgedessen nur annehmen konnte, sie habe so gehandelt bloß aus maßloser Ungeduld, sich die ihrem Range gebührenden Ehren zu verschaffen, nicht wenig erregt über den Leichtsinn, mit dem sich seine Gemahlin über die von ihm gegebnen Anordnungen hinweg- und sich selbst dem Zorne der Königin ausgesetzt hatte. »Wir werden,« suchte Varney ihn zu beruhigen, »über das alles noch leidlich hinwegkommen, wenn Mylady sich bestimmen läßt, die Rolle anzunehmen, die die Zeit befiehlt.« »Das trifft allerdings nur zu sehr zu, Sir Richard,« erwiderte Leicester. »Es gibt hier tatsächlich kein andres Heilmittel. Ich habe sie in meiner Gegenwart als Deine Frau anreden hören, ohne zu widersprechen. Sie muß den Namen tragen, bis sie von Kenilworth weg ist.« »Und hernach auch noch lange, meine ich,« erwiderte Varney, und sogleich setzte er hinzu: »denn ich kann nur hoffen, daß es noch lange dauern möge, bis sie den Titel einer Lady Leicester fühlen wird ... ich fürchte, vielleicht so lange, wie die Königin leben wird. ... Aber Eure Herrlichkeit ist am besten Richter, denn Ihr allein wißt doch, wie Ihr mit der Königin daran seid.« Leicester seufzte und schwieg eine Weile, ehe er Antwort gab. »Varney, Du bist, wie ich denke, mir treu, und ich will Dir alles sagen. So fest, wie ich stand, stehe ich nicht mehr. Ich habe bei Elisabeth ... unter welch wahnsinnigem Impulse, weiß ich nicht ... über ein Thema gesprochen, das sich nicht aufgeben läßt, wenn nicht jedes weibliche Gefühl auf das empfindlichste getroffen werden soll, und das ich doch weder weiter verfolgen kann, noch verfolgen will. Die Königin kann mir niemals, niemals verzeihen, daß ich sie bestimmt habe zu solcher Nachsicht gegen menschliche Schwächen, und daß ich Zeuge dieser Nachsicht gewesen.« »Wir müssen etwas tun, Mylord, und zwar rasch,« sagte Varney. »Es läßt sich nichts tun unsrerseits,« antwortete Leicester in großer Verlegenheit, »ich gleiche jemand, der lange gestrebt hat, einen gefährlichen Abhang zu erklimmen, und der knapp vor dem Gipfel, wenn er bloß noch den letzten schlimmen Schritt zu machen hat und nicht mehr zurück kann, sich jäh im Lauf gehemmt sieht. Ueber mir sehe ich den Gipfel und unter mir den Abgrund, in den ich stürzen muß, sobald mich Schwindel packt und es mir nicht mehr möglich ist, auf meinem gefahrvollen Standpunkte mich zu halten.« »Denkt besser von Eurer Lage, Mylord,« erwiderte Varney, »probieren wir das Mittel, mit dem Ihr Euch eben einverstanden erklärtet. Halten wir Eure Heirat geheim vor Elisabeth, und es kann sich alles ganz gut machen. Ich will sogleich selbst zu unsrer Dame gehen. Ich bin ihr verhaßt, weil sie richtig argwöhnt, daß ich Eurer Herrlichkeit im Punkte jener Rechte, die sie für sich beanspruchen zu dürfen meint, zum Widerspruch geraten habe. Aber ich schere mich nicht darum, ob sie mich haßt oder nicht; bloß hören soll sie mich und zeigen will ich ihr, aus welchen Gründen sie sich dem Drucke der Zeit fügen muß! und es ist mir nicht im geringsten zweifelhaft, daß ich Euch ihr Einverständnis mit allen Maßregeln, die ergriffen werden müssen, bringen werde.« »Nein, Varney,« sagte Leicester, »darüber, was zu geschehen hat, habe ich selbst schon nachgedacht, und ich werde persönlich mit Amy sprechen.« Jetzt kam die Reihe, Furcht für die eigne Person zu empfinden, an Varney. Bisher hatte er seine Rolle, nur um seines Gönners willen Furcht zu empfinden, äußerst geschickt gespielt. »Eure Herrlichkeit wird doch nicht selbst mit der Dame reden?« »Es ist mein fester Vorsatz,« erwiderte Leicester; »hol mir einen von den Dienerschaftsmänteln; die Schildwache soll mich für einen Eurer Diener halten. Du hast ja das Recht, zwanglos bei ihr zu verkehren.« »Aber, Mylord!« ... »Ich mag kein Aber hören,« versetzte Leicester, »so soll es sein und nicht anders. Hunsdon schläft meines Wissens im Sankt Lowes-Turm. Von diesen Räumen aus können wir zu ihr gelangen, ohne Gefahr, von jemand getroffen zu werden. Zudem ist Hunsdon wohl eher auf meiner als auf andrer Seite und schwerfällig genug, um alles für richtig zu nehmen, was ich ihm sage. ... Hol mir auf der Stelle den Mantel!« Varney blieb nichts andres übrig, als zu gehorchen. Binnen wenigen Minuten stand Leicester in den Dienermantel gehüllt da, zog die Mütze über die Stirn und folgte Varney durch den geheimen Gang, der das Schloß mit Hunsdons Gemächern verband, wo kaum Gefahr bestand, jemand zu begegnen, und der auch düster genug war, um alle Neugierde illusorisch zu machen. Sie gelangten zu einer Pforte, durch die sie schritten, und die sie hinter sich abschlossen. »Nun steh uns bei, ehrlicher Teufel, wenn es solch einen gibt,« sagte Varney vor sich hin, »und hilf Deinem Sohne aus der Patsche, denn mein Boot fährt in der Brandung.« Gräfin Amy saß mit aufgelöstem Haar und losem Gewande auf einem Ruhebett. Tiefer Kummer stand auf ihrem Gesicht, und jäh schreckte sie empor, als die Tür aufging. Jäh wandte sie sich um, und als sie Varney sah, rief sie: »Elender, kommst Du, eine neue Bosheit zu vollführen?« Leicester fiel ihr in die Rede. »Mit mir, Madame, habt Ihr zu sprechen,« rief er in einem Tone, der mehr zürnend als liebevoll klang, indem er den Mantel abwarf und einen Schritt vortrat. »Wie auf einen Zauberschlag wandte sich Amys Blick und Wesen, als sie diese Stimme hörte. »Dudley!« schrie sie, »Dudley! kommst Du endlich?« Wie ein flinkes Reh war sie an seiner Seite, umschlang seinen Hals mit den Armen und überhäufte ihn, Varneys Anwesenheit nicht achtend, mit den innigsten Liebkosungen. Leicester meinte ihr zürnen zu müssen, aber sein Zorn verflog, als er das herrliche Weib ansah, wie Spreu vor dem Winde. Als der erste Freudenrausch vorüber war, sah sie ihn schärfer an, und nun sah sie die Wolken, die auf seiner Stirn lagerten. »Dudley,« rief sie voller Angst, »Dudley, bist Du krank?« »Nicht körperlich ... aber, Amy, ach, Amy!« sprach er, »Du hast mich ins Verderben gestürzt!« »Dudley,« rief sie erschreckt, »ich Dich ins Verderben? wie sollte ich Dir Leid antun können, da ich Dich doch mehr liebe als mich selbst.« »Ich möchte Dich nicht schelten, Amy,« erwiderte der Graf, »aber hast Du nicht all meine Befehle mißachtet? ... und setzt Deine Anwesenheit in diesem Orte nicht Dich und mich in ernste Gefahr?« »Wirklich? ist dies der Fall, Mylord?« rief sie ängstlich; »o, warum bin ich dann noch hier? Ach, wüßtet Ihr, Dudley, welche Angst und Pein mich von Cumnor-Place weggetrieben! doch ich will nichts sagen von mir ... bloß eins, daß ich nicht gern wieder dorthin möchte, wenn es sich irgendwie vermeiden ließe ... nein, nicht wieder dorthin! nicht wieder dorthin – doch wenn es Eure Sicherheit notwendig machen sollte ...« »Wir wollen uns auf einen andern Aufenthalt für Euch besinnen,« erwiderte Leicester, »Ihr sollt Euch auf eins meiner Schlösser im Norden begeben, Amy ... als – – nun, Amy, es wird notwendig sein, doch nur auf wenige, sehr wenige Tage – – als Varneys Frau.« »Wie, Mylord of Leicester!« rief die Lady, sich aus seiner Umarmung frei machend ... »Ihr stellt Eurer Gattin, Eurem Eheweib vor Gott, das Ansinnen, das entehrende Ansinnen, sich als die Frau eines andern Mannes auszugeben? und gar eines Menschen, wie dieses Varney?« »Madame, ich spreche im Ernst – Varney ist mein getreuer Diener, mein erprobter und ehrlicher Diener, der in meine tiefsten Geheimnisse eingeweiht ist ... Besser, ich verlöre meine rechte Hand, als seine Dienste in solcher Zeit wie dieser! Ihr habt keine Ursache, ihn so zu schelten, wie Ihr jetzt tut.« »Ich könnte jemand anschuldigen, Mylord,« versetzte die Gräfin, »und ich sehe ihn erbeben, diesen jemand, so fest und sicher er sich stellt. Aber jemand, der Euch so nötig ist, wie die rechte Hand, ist frei jedweder Anschuldigung durch mich. Möge er Euch treu sein, möge er wahr gegen Euch sein! und damit er sich so erweise, vertraut ihm nicht allzu viel! Doch genug! verlaßt Euch, Mylord, daß ich mit ihm nicht gehe, außer Ihr treibt mich mit Gewalt ... und daß ich ihn nie, nie als meinen Gemahl weder erkenne noch nenne, und wenn alles, alles sich gegen mich ...« »Es ist ja nur ein zeitweiliger Behelf ...« sagte Leicester, verdrießlich über ihre Weigerung, »aber notwendig zu unser beider Sicherheit, die gefährdet worden ist durch Euch, durch Eure Launen, durch Euren vorzeitigen Wunsch, eine Stellung zu bekleiden, zu der ich Euch erhoben, doch nur unter der Bedingung, daß unsre eheliche Verbindung eine Zeitlang verborgen bleiben sollte. Mißfällt Euch mein Vorschlag, dann ruft Euch ins Gedächtnis, daß Ihr selbst die Veranlassung dazu geschaffen habt. Es gibt kein andres Mittel ... Ihr müßt tun, was Eure ungeduldige Torheit selbst notwendig gemacht hat ... ich befehle es Euch.« »Ich vermag Euren Befehl, Mylord,« erwiderte die Gräfin, »mit denen der Ehre und des Gewissens nicht in Einklang zu bringen, und werde Euch in diesem Falle nicht gehorchen! Ihr mögt die eigne Ehre weiter aufs Spiel setzen, bis zur Ehrlosigkeit, dem Ende, zu welchem solche krumme Wege immer führen ... ich aber will und werde nichts tun, was meine eigne Ehre im geringsten gefährden könnte! Wie möchtet Ihr mich je als Eure Gattin anerkennen wollen, wenn ich im Lande herumziehen wollte als das Weib eines ... Subjektes wie dieses Varney?« »Mylord,« mischte hier sich Varney ein, »Mylady ist leider von zu feindseliger Gesinnung gegen mich erfüllt, als daß sie Vorschlägen zustimmen könnte, die aus meinem Munde kommen; immerhin finden sie doch vielleicht eher ihren Beifall als die, die sie jetzt vernommen hat. Mylady hat viel Vertrauen zu Herrn Tressilian; ich glaube, sie könnte ihn leicht dazu bestimmen, sie zurück nach ihrem väterlichen Herrensitze zu führen; in Libcote-Hall könnte sie doch ganz gut die Zeit verweilen, die verstreichen muß, bis das Geheimnis verlautbart werden darf.« Leicester schwieg, stand aber da und schaute gespannten Blickes auf Amy ... Argwohn und Unwillen erglühten zugleich in seinem Blicke. Die Gräfin sprach nichts weiter als: »O, wollte Gott, ich wäre in meines Vaters Hause! ... als ich den Fuß hinaussetzte, da dachte ich kaum, daß ich die Ruhe meines Gemüts und meine Ehre hinter mir lassen würde!« Varney fuhr in einem Tone, der verriet, daß er sich seiner Sache sicher fühlte, fort: »Zweifelsohne wird solcher Schritt es notwendig machen, daß gewisse fremde Personen Einblick in die Angelegenheiten Mylords gewinnen – – doch dürfte die Frau Gräfin ohne Frage für Junker Tressilians Schweigen ebenso einstehen, wie für dasjenige ihres Vaters und ihrer andern Angehörigen ...« »Still, Varney!« rief Leicester, »mein Dolch soll Dir in die Geweide fahren, wenn Du noch einmal Tressilian als Träger meiner Angelegenheiten nennst!« »Und weshalb nicht?« fragte die Gräfin ... »sie müßten denn in seiner Hand nicht anders ruhen denn in den Händen dieses Menschen! ... doch kenne ich Junker Tressilian als einen Mann von unbefleckter Ehre ... Mylord, Mylord, blickt mich nicht so finster an ... es ist die Wahrheit, und mein Mund ists, aus dem sie Euch klingt ... Um Euretwillen tat ich Tressilian einst weh ... ich mag nicht weiter unrecht an ihm tun dadurch, daß ich schweige, wenn seine Ehre in Betracht steht. ... Ich kann es unterlassen,« setzte sie hinzu mit einem Blick auf Varney, »der Heuchelei die Maske wegzureißen, aber ich werde nicht zugeben, daß Tugend in meiner Gegenwart geschmäht werde.« Eine Totenstille trat jetzt ein. Leicester stand verdrießlich, aber unschlüssig da, der schwachen Füße, auf denen seine Sache stand, sich mehr als bewußt, während Varney mit erheucheltem Schmerze und erheuchelter Demut die Blicke zum Erdboden niederschlug. Ruhigen Schrittes, mit edler Würde im Blick und im Wesen, trat Amy auf den Grafen zu. ... Umsonst rang ihre starke Liebe mit ihrer Festigkeit, die ihr Wahrhaftigkeit und Rechtsbewußtsein liehen, zu gunsten des geliebten Mannes. »Ihr habt Eure Meinung ausgesprochen, Mylord,« sagte sie, »in einem Falle von solcher heiklen Art, daß ich mich leider außer stande sehe, Euch zu Willen zu sein. Dieser Edel ... Mensch, will ich sagen ... hat einen andern Ausweg angedeutet, gegen den ich nichts zu sagen wüßte, außer daß er Euch mißfällt. Gefällt es Eurer Lordschaft, anzuhören, was ein junges, schüchternes Weib, doch Euer Euch in innigster Liebe zugetanes Weib in diesem Falle schlimmer Bedrängnis rät?« Leicester schwieg, aber er neigte vor der Gräfin das Haupt, wie zum Zeichen, daß sie nicht behindert werde, fortzufahren. »Zu all diesem Herzeleid hat bloß eines geholfen, das ist die Unwahrhaftigkeit, die geheimnisvolle Doppelzüngigkeit, in die Euch zu hüllen, Ihr verleitet worden seid. Befreit Euch mit einem einzigen Ruck aus diesen unwürdigen Netzen, Mylord! Seid ein echter englischer Edelmann, Ritter und Graf, der Wahrheit als das Fundament aller Ehre ansieht und aufrecht hält und dem diese Ehre so teuer ist wie der Atem seiner Lungen. Nehmt Euer von Unglück geschlagnes Weib an der Hand, tretet mit ihr vor den Thron Eurer Königin ... bekennet, daß Ihr in einem Augenblick des Rausches, bewogen durch ihre vermeintliche Schönheit, von der jetzt wohl niemand mehr auch nur die Trümmer zu erkennen vermöchte ... Amy Robsart Eure Hand zum Bunde fürs Leben gegeben habt! ... Damit werdet Ihr mir Gerechtigkeit verschaffen, Mylord, und Eurer Ehre desgleichen; und sollte alsdann Gesetz oder Gewalt von Euch fordern, daß Ihr Euch von mir lossagt, so werde ich mich dem nicht widersetzen ... weil ich mich dann, wenn auch gebrochnen Herzens, mit Ehren in jenen Schatten zurückbegeben kann, wohin Ihr mich weiset. ... Dann, Mylord, habt bloß ein Weilchen noch Geduld .... und Amy wird Euch nicht lange mehr im Wege stehen ... weder Euch noch Eurer strahlenden Zukunft!« Dem Grafen schienen die Schuppen von den Augen zu fallen ... wie erschüttert stand er da ob dieses Uebermaßes von Würde, das aus diesen Worten der edlen Frau zu ihm sprach ... »Ich bin Deiner, Amy, nicht würdig,« sprach er; »wie konnte ich alles, was Ehrgeiz zu bieten vermag, einsetzen gegen ein Herz wie Deines? Eine schwere Buße harrt meiner, da ich vor meinen höhnischen Feinden und meinen verblüfften Freunden alle Maschen meiner trügerischen Gelbsucht aufdecken muß. ... Und die Königin? ... Doch mag sie mir das Haupt vom Rumpfe schlagen lassen, wie sie gedroht hat!« »Euer Haupt, Mylord?« sagte die Gräfin; »weil Ihr Euch jene Freiheit nahmt, die jedem britischen Untertan gehört, ein Weib Euch zu nehmen, wie es Eurem Herzen gefiel? ... Pfui! eben dieses Mißtrauen gegen die Gerechtigkeit der Königin, diese Furcht vor einer eingebildeten Gefahr ist es, was Euch abgelenkt hat von dem Pfade der Wahrheit, der immer sowohl der beste wie auch der sicherste ist.« »Ach, Amy, Du weißt wenig!« sagte Dudley, aber sogleich tat er sich Einhalt und fügte hinzu: »Doch sie soll in mir kein wehrloses, bequemes Opfer ihrer Rache finden gleich Norfolk ... nein! ich habe Freunde, habe Verbündete ... Amy! sei ohne Furcht! Du sollst Dudley würdig sehen des Namens, den er trägt! ... Laß mich gehen; ich muß mich auf der Stelle in Verkehr setzen mit jenen Freunden, auf die ich mich am festesten verlassen kann; denn wie die Dinge zurzeit stehen, könnte ich leicht Gefangner werden in meinem eignen Schlosse!« »O, mein lieber Lord,« flehte Amy. »Erhebt nicht die Fahne des Aufruhrs in friedlichem Staate! Es gibt keinen Freund, der Euch bessern Dienst leisten könnte, als Eure eigne Wahrheitsliebe und Gerechtigkeit, als Eure eigne Ehre! Nehmt bloß sie zu Hilfe, und Ihr seid sicher vor Neid und Bosheit! Verzichtet auf sie, und alle Verteidigung wird Euch nichts nützen. ... Wahrheit, mein edler Lord, kennt in der Malerei keine Waffen!« »Aber Weisheit, Amy, trägt schwere Rüstung!« erwiderte Leicester. »Rechte nicht mit mir über die Mittel, die ich gebrauchen werde, meine Beichte abzulegen ... denn so muß ich sagen. ... Bei aller Vorsicht, die ich walten lassen werde, wird es mir an Gefahr nicht fehlen ... Varney, wir müssen fort! Amy, lebe wohl! ich will Dich mein nennen um einen Preis und eine Gefahr, deren einzig und allein Du wert und würdig bist! ... Du sollst bald weiter von mir hören!« Er umschlang sie innig, wickelte sich in seinen Mantel wie vorhin und begleitete Varney aus dem Gemache. Der letztere, als er den Fuß hinaussetzte, verbeugte sich tief und blickte, als er sich aufrichtete, die Gräfin mit merkwürdigem Ausdruck an, wie wenn er sehen wollte, bis zu welchem Grade er selbst in die Versöhnung einbezogen sei, die zwischen seinem Gönner und der Gräfin eben stattgefunden hatte. Die Gräfin aber sah auf die Stelle, wo er stand, nicht als ob er dort stünde, sondern als ob statt seiner die Luft dort wäre. ... »Sie hat mich aufs Aeußerste gebracht,« zischte er, ... »sie oder ich! Noch immer hat mich was ... obs Furcht war oder Mitleid ... bestimmt, das Aeußerste zu meiden ... jetzt ists entschieden ... sie oder ich muß fallen!« Dieweil er so sprach, ward er zu seinem Staunen eines Jungen ansichtig, den die Schildwache zu Leicester geführt hatte, und mit dem jetzt Leicester sprach. Varney war einer von jenen Politikern, die auch die geringfügigste Ursache nicht ohne Erwägung lassen. Er fragte die Wache, was der Junge gewollt habe, und bekam zur Antwort, daß ihr der Junge ein Kästchen habe geben, das sie aber nicht habe annehmen wollen, weil es der Gräfin habe gebracht werden sollen. Seine Neugierde wurde vollauf befriedigt, denn als er jetzt zu dem Grafen trat, hörte er ihn zu dem Jungen sagen: »Gut, Junge, das Paket wird besorgt werden.« Darauf erreichten Leicester und Varney raschen Schrittes das Gemach des Grafen, auf demselben Wege, der sie nach dem Sankt Lowes-Turme geführt hatte. Zwanzigstes Kapitel Kaum angelangt in seinem Kabinett, nahm Leicester seine Schreibblätter aus der Tasche und begann, halb zu Varney gewandt, halb zu sich selbst sprechend, die folgenden Zeilen zu Papier zu bringen: »Von den vielen Männern Englands, die eng mit mir verbunden sind, vornehmlich jenen, die in hohem Amt und hohen Würden sind, sodann den vielen andern, die, wenn sie die Blicke rückwärts lenken und der Dienste gedenken, die ich ihnen erwiesen, anderseits vorwärts auf die Gefahren, die ihnen wohl selbst winken, werden meiner Ansicht nach etwelche sein, die mich im Kampfe nicht im Stiche lassen. ... Jedenfalls sei meinerseits alles, Personen und Verhältnisse, sorgsam erwogen. Hätten gegen diese Grundregel alles Handelns mein Vater und mein Großvater nicht gefehlt, so hätten sie ihr Haupt nicht auf den Block zu legen brauchen. ... Aber, Varney, warum so traurig? Gibt Euch der neue Rang, der neue Geist der Ritterschaft nicht kräftigere Impulse, wenn ein edler Kampf begonnen werden soll? ... Oder bedeutet Dein Seufzer, daß Du es vorziehen möchtest, diesem Kampf den Rücken zu wenden? ... Dann sag es rund heraus, es steht Dir nichts im Wege, das Schloß zu verlassen, und, sofern Dir dies das Liebere ist, Dich meinen Feinden anzuschließen.« »Nicht also, Mylord,« erwiderte sein Vertrauter, »Varney wird an Eurer Seite fechten oder sterben. Jedoch vergebt mir, wenn ich aus Liebe zu Euch in stärkerm Grade, als Euer edles Herz es Euch erlaubt, die unentrinnbaren Schwierigkeiten sehe, von denen Ihr umgeben seid. Ihr seid stark, Mylord, und mächtig; aber, vergönnt mir dies Wort, ohne Euch dadurch gekränkt zu fühlen, Ihr seid beides nur durch den Abglanz königlicher Gnade! So lange Ihr Elisabeths Günstling seid, so lange seid Ihr alles, bis auf das Wort, gleich einem wirklichen Souverän. Aber laßt sie die Ehren, die sie auf Euch gehäuft, von Euch nehmen, so wird der Kürbis des Propheten nicht rascher vertrocknen, als Eure Macht und Eure Größe dahinschwinden werden. ... Gedenket jener, die vor Euch einen schlimmen Ausweg fanden! ... Vergeßt nicht, daß dieser Thron nicht ist wie andre, die durch ein Komplott mächtiger Edelleute gestürzt werden konnten; die breiten Fundamente, die ihn stützen, sind die wahre, tiefe Liebe des Volkes zu seinen Herrschern, die unausrottbare Anhänglichkeit und hohe Achtung, die im Volksherzen zum angestammten Throne wohnt. Ihr könnt ihn teilen mit Elisabeth, sofern Ihr wollt; doch weder Eure noch eine andre Macht, gleichviel ob einheimisch oder fremd, wird ihn stürzen oder nur erschüttern.« Er hielt inne und Leicester schleuderte seine Schreibblätter auf die Erde. Eine Pause trat ein, die endlich durch Varney aufgehoben wurde, der in folgender Weise fortfuhr: »So ist es denn zu jenem Punkte gekommen, den ich immer gefürchtet habe. Ich muß entweder gleich einem undankbaren Stück Vieh den Sturz des besten und gütigsten aller Herren mit ansehen, oder ich muß reden und sagen, was ich in tiefste Vergessenheit hätte begraben oder durch einen andern Mund als meinen künden lassen mögen.« »Was redest Du? oder was willst Du sagen?« versetzte der Graf. ... »Wir haben keine Zeit, um Worte zu vergeuden, denn der Augenblick drängt zum Handeln.« »Was ich sagen will, ist bald gesagt, Mylord,« antwortete Varney, »gäb Gott, es wär so schnell beantwortet! ... Die einzige Ursache zum drohenden Bruche mit der Königin ist Eure Ehe mit Amy ... ists so oder nicht?« »Du weißt, daß es so ist,« erwiderte Leicester ... »wozu also die fruchtlose Frage?« »Verzeiht, Mylord, die Nutzanwendung folgt. Es wagt ein Mann sein Land und Leben, um einen reichen Edelstein zu wahren; doch wärs zuerst nicht klug zu prüfen, ob nicht ein Flecken daran haftet?« »Was soll die Rede?« fragte Leicester, die Augen scharf auf seinen Parteigänger gerichtet, »von wem wagst Du zu sprechen?« »Von wem? nun, von der Gräfin ... von Lady Amy, Mylord ... von der ich zu meinem Unglück sprechen muß und sprechen werde, sollten mir auch Eure Herrlichkeit meinen Eifer mit dem Tode lohnen.« »Der kann Dir von meiner Hand sicher sein,« erwiderte der Graf; »doch sprich weiter, anhören will ich Dich.« »Dann, Mylord, will ich kühn sein, will für mein Leben reden wie für das Eurige. Mir behagt das Getue und Gehabe dieser Dame mit diesem ewigen Edmund Tressilian schon lange nicht. Ihr kennt ihn, Mylord. Ihr wißt, daß er früher sich für sie interessiert hat. Ihr wißt, daß es Eurer Lordschaft nicht so leicht wurde, ihn bei ihr auszustechen. Ihr kennt den Eifer, mit welchem er die Sache dieser Dame wider mich betrieben hat, während er doch die Absicht verfolgte, Eure Lordschaft zu einem Einbekenntnis dessen, was ich Eure unglückliche Heirat nennen muß, zu treiben ... derselben Sache also, zu der Euch ohne Rücksicht auf jede persönliche Gefahr Eurer Lordschaft auch diese Dame drängt.« Leicester lächelte gezwungen. »Du meinst es gut, mein wackrer Sir Richard! und möchtest, dünkt mich, die eigne wie jedes andern Ehre opfern, um mich vor dem zu bewahren, was Du für einen so gräßlichen Schritt hältst. Aber laß nicht aus den Augen,« ... diese Worte sprach er mit furchtbarer Strenge, ... »daß Du von der Gräfin Leicester sprichst.« »Das halte ich wohl im Auge,« versetzte Varney; »doch ich spreche zur Wohlfahrt des Grafen von Leicester. Meine Rede steht aber erst im Anfang. Ich muß alles Ernstes glauben, daß dieser Tressilian, seit er für die Sache der Gräfin eingetreten, mit ihr in ständiger Beziehung gewesen ist.« »Aus Dir spricht Wahnsinn, Varney,« rief Leicester, »dieweil Du das Gesicht eines Pfaffen zeigst ... . Wo oder wie hätten sie zusammenkommen können?« »Mylord,« erwiderte Varney, »unseligerweise kann ich darüber nur allzu genau berichten. Kurz vorher, ehe in Tressilians Namen die Bittschrift an die Königin gelangte, traf ich ihn, zu meiner namenlosen Verwunderung, an der Hinterpforte, die aus dem Herrenhause nach Cumnor-Place führt.« »Du trafst ihn? Schurke! und warum schlugst Du ihn nicht nieder?« schrie Leicester. »Ich zog mein Schwert, und er auch, Mylord; und wäre nicht mein Fuß ausgeglitten, so wäre der Junker vielleicht kein Anstoß mehr auf dem Pfade Eurer Lordschaft.« Leicester schien vor Staunen sprachlos. Endlich antwortete er: »Was für andre Beweise hast Du, Varney, außer Deiner eignen Behauptung?.... denn wie ich schrecklich strafen will, so will ich kalt und nüchtern prüfen. Beim heiligen Himmel! ... doch nein, nein! ich will kalt und nüchtern, kalt und nüchtern prüfen.« Er wiederholte diese Worte mehr als einmal, als läge in ihrem Klange eine besonders sänftigende Wirkung; dann preßte er die Lippen aufeinander, wie wenn er fürchtete, es könne ihm irgend ein heftiges Wort enteilen ... und dann fragte er zum andern Male: »Was hast Nu weiter für Beweise?« »Genug, Mylord,« antwortete Varney, »und mehr! . . . Ich wünschte, ich besäße sie allein, denn bei mir lägen, sie begraben für ewig. Aber mein Diener Lambourne war Zeuge des ganzen Vorgangs und die eigentliche Ursache, daß Tressilian nach Cumnor-Place kam. Eben darum habe ich ihn in meine Dienste genommen und auch im Dienste behalten, trotzdem er ein Lüdrian ist.« Er unterbreitete nun Lord Leicester, wie leicht es sei, durch das Zeugnis von Anthony Foster, dem noch die bekräftigenden Aussagen all der in Cumnor-Place befindlichen Nebenpersonen zur Seite stünden, den Beweis für die Zusammenkunft der Gräfin mit Tressilian zu erbringen. In seiner ganzen Erzählung ließ er sich auf keinerlei Fabel ein, sondern hielt sich an den Sachverhalt, wie er sich zugetragen, bloß daß er durchblicken ließ, die Unterredung zwischen der Gräfin und Tressilian könne wohl langer als ein paar Minuten gedauert haben, wenn es auch in Wahrheit nicht der Fall war. »Wie kannst Du zweifeln, daß diese Zusammenkunft nicht in allen Ehren stattfand? Mich dünkt, die Gattin des Earl of Leicester dürfe wohl kurze Zeit mit einem Edelmanne wie Tressilian zusammen sein, ohne daß es mich beleidigen müsse oder mein Ansehen benachteiligen könne?« »Allerdings, Mylord, und wenn ich gemeint hatte, es könne sich anders in dieser Hinsicht verhalten, so würde ich nicht Hüter des Geheimnisses gewesen sein. Aber hier liegt der Hase im Pfeffer! Tressilian verläßt das Schloß nicht, ohne mit einem armen Menschen, dem Gastwirt im Dorfe, einen schriftlichen Verkehr zu verabreden, dessen Zweck kein andrer ist, als Mittel und Wege zu vereinbaren, die Lady von dort wegzuschaffen. Er schickt einen Boten hin, als Hausierer verkleidet, dem es gelingt, sich im Schlosse einzuschleichen; es gelingt dem Boten, die Lady zu sehen und zu sprechen ... und sie fliehen miteinander und erreichen auch dieses Schloß, wo die Gräfin Leicester Zuflucht fand ... ich darf nicht sagen, wo?« »Rede! ich befehle es Dir!« rief Leicester streng; »sprich, so lange ich noch Verstand besitze, Dich anzuhören!« »Wenn es denn sein muß,« erwiderte Varney, »nun, die Dame ist sogleich zu Herrn Tressilian geeilt und dort, teils in seiner Gesellschaft, teils allein, mehrere Stunden geblieben. Ich erzählte Euch, Tressilian habe eine Liebste bei sich, ... ließ mir aber wenig träumen, wer diese Liebste sei ...« »Amy, wolltest Du sagen? wie?« antwortete Leicester, »aber es ist gelogen! es ist falsch! es stinkt nach Höllenqualm!« schrie Leicester, wie außer sich ... »Nimmermehr!! Nimmermehr!! ... Beweise, Beweise! gib mir Beweise!« »Carrol, der Hausverwalter, hat sie gestern nachmittag auf eignes Begehren dorthin geführt ... Lambourne und der Schließer fanden sie heute morgen dort ...« »War Tressilian bei ihr?« fragte Leicester wild. »Nein, Mylord,« entgegnete Varney ... »Eure Lordschaft erinnert sich wohl, daß Tressilian gewissermaßen Stubenarrest hatte unter Obhut von Nikolaus Blunt ...« »War es Carrol und den andern Kerlen bekannt, wen sie vor sich hatten?« fragte Leicester. »Nein, Mylord,« versetzte Varney, »Carrol und der Schließer hatten die Gräfin nie zuvor gesehen, und Lambourne hat sie in ihrer Verkleidung nicht erkannt; aber als er sie hindern wollte, das Gemach zu verlassen, blieb ein Handschuh in seiner Hand zurück, den Eure Lordschaft, meine ich, wohl wiederkennen wird ...« Er gab den Handschuh dem Grafen; er trug das gräfliche Wappen mit dem Bären und dem Knotenstock in Perlen gestickt. »Ja, den Handschuh erkenne ich als den der Gräfin,« sagte Leicester, »waren sie doch ein Geschenk von mir! der andre saß auf ihrem Arm, den sie heute morgen um meinen Hals legte ...« und wilde Erregtheit sprach aus diesen Worten. »Eure Lordschaft kann ja die Lady selbst befragen,« fuhr Varney fort, »ob, was ich berichte, auf Wahrheit beruht.« »Nicht nötig, nicht nötig!« rief der Graf, der, wie auf die Folter gespannt, tief aufstöhnte ... dann rief er: »Wie mit feuriger Schrift steht es vor meinen Augen und blendet mich! Ich sehe ihre Schande ... ich kann nichts andres sehen ... und, grundgütiger Himmel! um dieses schändlichen Weibes willen stand ich im Begriff, das Leben so vieler Freunde in Gefahr zu setzen! das Fundament eines geheiligten Thrones zu erschüttern! ein friedliches Land mit Feuer und Schwert zu überziehen! ... der gnädigen Fürstin, die mich zu dem gemacht hat, was ich bin, Gram und Herzeleid zu bereiten! ... und das alles um eines Weibes willen, das mit meinen Feinden unter einer Decke steckt ... das mich hintergeht mit meinem schlimmsten Widersacher! ... Und Du, Schurke, warum hast Du Dein Maul nicht früher aufgetan?« »Mylord! eine Träne hätte wohl alles gut gemacht ...« meinte mit leisem Hohne Varney. ... »Und doch,« klagte der Graf, »so jung, so schön! so wunderschön! so liebevoll, so innig kosend! und so falsch! so falsch!« ... der Graf schlug die Hände vor das Gesicht ... dann schrie er: »Ha! ich sehe alles! alles! den Stand und Titel des ehrlichen Narren mochte sie nicht missen, der sie geheiratet hat! und wenn mich mein Wahnsinn dazu getrieben hätte, Aufruhr ins Land zu bringen ... wenn mein Haupt, wie die Königin heute morgen gedroht hat, auf dem Block gefallen wäre, dann wäre das reiche Wittum ihr in den begehrlichen Schoß gefallen ... dann wäre der bettelarme Tressilian reich und glücklich gewesen. ... Darum, bloß darum wollte sie mich in Gefahr jagen, weil doch alles nur ausfallen konnte nach ihrem Wunsche, nach ihrem Plane! ... Varney, kein Wort mehr von ihr! ... Rede mir nichts von Verzeihung! ... sie ist gerichtet! bloß ihr Blut kann meine Schmach abwaschen ... ihr Blut will ich ... ihr Blut!« Mit diesem Schrei stürzte er aus dem Zimmer, dessen Tür er hinter sich abschloß und verriegelte. Einundzwanzigstes Kapitel Man erinnerte sich später oft, daß während der Schlußfestlichkeiten an diesem ereignisvollen Tage Lord Leicester und Sir Varney die Rollen gewechselt zu haben schienen. Varney, der sonst immer nur als Mann für Rat und Tat, für ernste Verhandlungen und kühne Pläne gegolten hatte, und sich von geselligen Freuden gewissermaßen aus Prinzip fernzuhalten pflegte, war der ausgesprochne »Ladiesman« geworden, der dem Gotte des Frohsinns in so ungebundner Weise huldigte, daß er es dreist mit dem lustigsten Kameraden hätte aufnehmen können, und daß alle Welt sich vor Staunen ob solcher Gemütswandlung gar nicht zu fassen vermochte; aber Varney war nun einmal ein Mann der vielseitigsten Fähigkeiten, der sicher das Zeug in sich gehabt hätte, eine hervorragende Erscheinung seines Zeitalters zu werden, wäre nicht der Hang zur Schlechtigkeit und zu gemeiner Intrige so eigentümlich stark bei ihm ausgeprägt gewesen. In völlig anderm Lichte zeigte sich Lord Leicester, der sonst als galanter Höfling allabendlich den Sieg davontrug über die gesamte elegante Herrenwelt, die gleich ihm die Damen umschwirrte; Lord Leicester, der immer fröhliche, immer lustige und immer dienstbeflissne »Galanthomme« sprach und bewegte sich schwerfällig und mühsam, gleich ob sein Wille alle Kraft verloren hätte über seine schöne Gestalt und seinen schönen Geist. Die seltsame Wirkung, die diese Gemütswandlung auf sein Benehmen und Wesen und auf die Unterhaltung ausübte, entging begreiflicherweise jener Fürstin nicht, die als die klügste und gebildetste ihrer Zeit galt. So klar es auch am Tage lag, daß sich Elisabeth bemühte, die Ursache hierzu in der Heftigkeit der Zurechtweisung zu suchen, die sie dem Grafen am Morgen dieses Tages erteilt hatte, und so beflissen sie sich zeigte, ihm Zeit und Gelegenheit zur Sammlung zu geben, statt eine schon des öftern bemerkte Unaufmerksamkeit und Vernachlässigung zu strafen, wozu sie sich sonst wahrlich nicht nötigen ließ, ... so ließ sich nichtsdestoweniger voraussehen, daß Elisabeth endlich doch die Geduld ausgehen und daß sie dem unhöflichen Benehmen des Höflings mit Strenge ein Ziel setzen werde, ... da wurde der Graf in ein Nebenzimmer gerufen mit dem Bescheide, daß Varney dort auf ihn warte. Zweimal ließ er sich rufen, ehe er aufstand, um der Aufforderung zu folgen; als er, wie instinktiv, jäh inne hielt und sich dann umdrehte, die Königin um Erlaubnis, sich zu entfernen, bittend. »Geht, geht, Mylord,« sprach diese; »Wir wollen Uns wohl denken, daß Unsre Gegenwart mancherlei plötzliche und unvermutete Zwischenfälle veranlassen mag, die augenblickliche Abhilfe erheischen. Indessen möchten Wir doch, sofern Ihr darauf rechnet, daß Wir noch länger Euer Gast bleiben, den Wunsch aussprechen, künftighin Eure Aufmerksamkeit weniger auf Unsre Bewirtung gerichtet zu halten als darauf, daß Ihr Uns ein freundliches Gesicht zeigt, ... was Wir leider heute recht sehr vermißt haben ...« Leicesters ganze Antwort auf diese Rüge war eine stumme Verbeugung. An der Tür des Nebengemachs erwartete ihn Varney, der ihn hastig auf die Seite zog und ihm zuraunte: »Mylord, alles steht gut.« »Hat Masters sie gesehen?« fragte der Graf. »Ja, Mylord! seine Meinung ist, sie leide an Gehirnaffektion und werde am besten aufgehoben sein bei ihren Angehörigen. Die Gelegenheit, sie unserm Plane gemäß fortzuschaffen, ist also da.« »Aber Tressilian!« sagte Leicester. »Er soll erst später hören, daß sie fort ist,« erwiderte Varney; »heute abend soll sie reisen und morgen wollen wir uns mit ihm befassen.« »Nein, bei meiner Seele!« rief Leicester, »ich will mich rächen an ihm mit eigner Hand!« »Ihr, Mylord, an solch unbedeutendem Menschen wie Tressilian? ... Nein, Mylord, es ist schon lange sein Wunsch, sich fremde Länder anzusehen. Ueberlaßt ihn mir! Ich will Sorge tragen, daß er den Heimweg nicht mehr finde, daß es ihm vergehe, den Klatschbruder zu spielen.« »Nicht so, beim Himmel! Varney, nicht so!« rief Leicester ... »unbedeutend nennst Du einen Feind, der im stande war, mich so tief zu verletzen, daß mein ganzes Leben hinfort eine Kette von Jammer und Reue sein wird? ... Nein! ehe ich mich des Rechtes der Rache an ihm begebe, werfe ich mich vor den Thron und bekenne der Königin die ganze Wahrheit, auf daß sie mich räche an diesem Elenden!« Varney bemerkte mit Unruhe diesen maßlosen Grimm des Lords gegen den Junker, der erwarten ließ, daß dieser Entschluß zur Tat werden könne, wenn ihm nicht nachgegeben würde. Aber in diesem äußersten Augenblick der Bedrängnis kam Varney der Gedanke zu einem verwegnen Beginnen, zu einem rücksichtslosen Versuche, auch jetzt noch die Gewalt über den Lord in den Händen zu behalten. Er führte den Grafen vor einen Spiegel mit den Worten: »Mylord, betrachtet Euer Bild, ob ein Mann, dessen Züge von solcher Leidenschaft verzerrt sind, in solcher höchsten Bedrängnis im stande ist, einen Entschluß für sich zu fassen.« »Was soll das heißen, Mensch?« herrschte der Graf ihn an, »was machst Du aus mir?« und entsetzt über die Wandlung, die mit ihm vorgegangen, empört über die Verwegenheit seines Untergebnen, fuhr er mit der Hand nach dem Schwerte. ... »Bin ich Dein Untergebner? bin ich der Diener meines Dieners?« »Nein, Mylord!« erwiderte Varney fest und bestimmt; »aber seid Herr über Euch selbst und über Eure Leidenschaft! ... ich, Mylord, geboren als Euer Diener, schäme mich Eures kläglichen Verhaltens bei solch rasendem Wettersturm ... gehet hin zu Elisabeth, werfet Euch zu ihren Füßen, bekennt Eure Heirat! beschuldigt Euer Weib und ihren Liebsten des Ehebruchs, und nennt Euch selbst vor allen Grafen und Großen des Reiches als den Narren, den Tropf, den Esel, der eine Landpomeranze geheiratet hat und von ihr und ihrem Gimpel Hörnerschmuck bekommen hat. ... Geht, geht, Mylord! aber nehmt vorerst Abschied von Richard Varney und all den Wohltaten, die Ihr auf ihn gehäuft. ... Er diente dem edeln, stolzen, hochherzigen Leicester, aber dem kleinmütigen Lord, den jede Widerwärtigkeit erschüttert, der sich in seinen Entschlüssen von jeder Leidenschaft leiten läßt, dem dient kein Richard Varney! über solchem Leicester steht ein Varney so hoch an Sinn, wie er dem Range nach ihm untergeordnet ist!« Dem Lord ward es zu Mute, als wenn seine letzte Stütze von ihm weiche; dieses Uebermaß erheuchelter Größe überwand seinen ruhigen Sinn ... er streckte die Hände nach Varney aus und rief: »Varney! Varney! verlaß mich nicht; geh nicht von mir! was begehrst Du, daß ich tue?« »Sei wieder Leicester, mein edler Herr,« sagte Varney, indem er die Hand des Grafen an seine Lippen führte; »sei wieder, was Du warst! gebiete jenen Stürmen der Leidenschaft, die niedrige Gemüter zu Boden werfen! ... Seid Ihr der erste, dem sein Weib Hörner aufsetzte? ... wollt Ihr solcher Bagatelle wegen den Verstand verlieren? weil Ihr nicht weiser waret als der größte Weltweise? ... Denkt, sie habe nicht existiert, löscht ihr Bild aus Eurem Gedächtnis, als unwürdig ihres Platzes dort! ... Bleibt bei Eurem kraftvollen Entschlusse von heute morgen, den ich mit Eifer und Mut ausführen will ... laßt sie sterben! sie hat den Tod verdient!« Während Varney so sprach, hielt ihn der Graf an der Hand fest, biß die Lippen aufeinander und zog die Stirn in finstre Falten ... aber es dauerte noch eine geraume Zeit, nachdem Varney ausgeredet hatte, bis Leicester im stande war, mit fester Stimme, ruhig und sicher zu sagen: »Es sei, wie Du sprichst! sie sterbe! doch ... eine Träne ... sie sei mir vergönnt!« »Nein, Mylord,« fiel ihm Varney ins Wort ... denn an den zuckenden Wimpern erkannte er, daß der Graf einer heftigen Erregung sich überlassen wollte ... »nein! keine Träne! zum Flennen ist jetzt der Moment nicht geeignet ... denken wir nun an Tressilian!« »Wahrlich, das ist ein Name, geeignet, Tränen in Blut zu verwandeln! Varney, ich habe mir den Fall noch einmal überdacht und bin entschlossen, fest entschlossen ... Tressilian gehört mir ... Tressilian fällt nur durch meinen Arm!« »Das ist hirnverbrannt, Mylord! indessen Lord Leicester ist zu mächtig mir gegenüber, als daß ich es zu hindern vermöchte ... daß ich Euch den Weg der Rache versperren könnte ... Meinetwegen also ... doch wartet Zeit und Gelegenheit ab!« »Hast Du noch weitres zu sagen, Varney?« fragte der Graf. »Um Euern Siegelring muß ich Euch bitten,« erwiderte Varney finster, »zum Beweise meiner Vollmacht der Dienerschaft gegenüber.« Leicester gab ihm den Ring, mit dem er gewöhnlich Befehle unterzeichnete, mit einem geisterhaften Blicke, und leise, mit einem gräßlichen Tone, sagte er zu ihm: »Varney, was Du vollbringen willst, vollbringe schnell!« Mittlerweile hatte die lange Abwesenheit des Schloßherrn im Saale Verwunderung und Unruhe erregt, und als sie ihn jetzt wieder eintreten sahen als den alten, elastischen und liebenswürdigen Earl, wie sie ihn bisher immer gekannt hatten, da war die Freude allgemein. Und Leicester war der Mahnung seines Vasallen eingedenk und machte den kühnen Worten desselben Ehre. Der Königin gegenüber erwies er sich wieder ganz als derjenige ihrer Höflinge, der ihren Charakter am tiefsten studiert hatte. Er nahm sich in acht, die Düsterkeit seines Wesens überschnell abzulegen, sondern ließ in ihrer Nähe eine sanfte Schwermut zu Tage treten. Elisabeth lauschte seinen Worten wieder wie bezaubert, ihre Eifersucht schwand, ihr Entschluß, aller Geselligkeit zu entsagen und sich einzig und allein der Sorge um ihre Untertanen und den Regierungsgeschäften zu widmen, wurde wankend ... und Dudleys Stern stand noch einmal hoch am Himmel höfischer Gunst.... Zweiundzwanzigstes Kapitel »Ich wünschte mit Euch unter vier Augen zu sprechen.« Die Worte waren an sich einfach, aber Lord Leicester war in so fieberhafter Erregung, daß er hinter den alltäglichsten Ereignissen Unheil witterte. Er wandte sich hastig zu dem Manne, der ihn ansprach. Er hatte nichts Absonderliches an sich, trug ein Wams von schwarzer Seide, einen kurzen Mantel und eine schwarze Maske vorm Gesicht. »Wer seid Ihr, und was wollt Ihr von mir?« fragte Leicester. »Nichts Böses, Mylord,« antwortete die Maske, »sondern nur etwas, was zum Guten und zur Ehre gedeihen kann, wenn Ihr nur meine Absicht recht versteht. Aber ich muß mit Euch ganz allein sprechen.« »Ich kann mit keinem namenlosen Fremden sprechen,« antwortete Leicester, von einem geheimen Entsetzen vor dem Verlangen des Fremden erfüllt, »und die mich kennen, müssen sich eine andre gelegnere Zeit zu einer Unterredung aussuchen.« Er wollte hinwegeilen, aber die Maske hielt ihn zurück. »Wer mit Eurer Lordschaft von dem spricht, was Eure Ehre erheischt, hat ein Recht über Eure Zeit zu verfügen, was für Beschäftigungen Ihr auch um seinetwillen aufschieben müßt.« »Wie! Meine Ehre? Wer wagts, sie anzutasten?« sagte Leicester. »Euer eignes Benehmen könnte Gründe, sie anzuklagen, an die Hand geben, Mylord, und gerade darüber wollte ich mit Euch reden.« »Ihr seid unverschämt,« sagte Leicester, »und mißbraucht die Freiheit, die die Gastlichkeit allen hier gewährt. Ich will Euern Namen wissen.« »Edmund Tressilian von Cornwallis,« antwortete die Maske. »Meine Zunge ist vierundzwanzig Stunden lang durch ein Versprechen gebunden gewesen – die Zeit ist um – ich spreche jetzt und erweise Eurer Lordschaft die Gerechtigkeit, mich zuerst an Euch zu wenden.« Das jähe Erstaunen, das Leicesters innerstes Herz durchdrang, als er diesen Namen von der Stimme des Mannes genannt hörte, den er am meisten haßte und von dem er sich so tief beleidigt wähnte, zwang ihn für einen Augenblick in starre Regungslosigkeit hinein – gleich darauf aber wich es einem so heißen Durst nach Rache, wie der Pilger in der Wüste nach Wasser empfindet. Ihm blieb nur noch so viel Verstand und Geistesgegenwart, dem dreisten Schurken nicht auf der Stelle ins Herz zu stoßen, der ihn ins Verderben gebracht hatte und nun auch noch mit so frecher Stirn sein Spiel mit ihm trieb.... Aber er war entschlossen, für den Augenblick sich seine wilde Erregung nicht merken zu lassen, um Tressilians Vorhaben ganz zu durchschauen und sich seine eigne Rache zu sichern – daher antwortete er mit erzwungner Ruhe: »Und was begehrt Junker Edmund Tressilian von mir?« »Gerechtigkeit, Mylord,« antwortete Tressilian, ruhig aber fest. »Gerechtigkeit,« sagte Leicester, »alle Menschen haben Anspruch darauf, Ihr vor allen, Junker Tressilian, und seid versichert, sie soll Euch werden.« »Ich erwarte nichts weniger von Eurem Edelsinn,« antwortete Tressilian, »aber die Zeit drängt, und ich muß Euch heute abend sprechen. Darf ich Euch auf Eurem Zimmer aufsuchen?« »Nein,« versetzte Leicester barsch, »nicht unter einem Dach – und gar unter meinem eignen Dache – wir wollen uns unterm freien Himmelsgewölbe treffen.« »Ihr seid verstimmt, Mylord, oder schlecht auf mich zu sprechen,« erwiderte Tressilian, »doch liegt kein Anlaß vor, weshalb Ihr mir grollen solltet. Der Ort gilt mir gleich, so Ihr mir nur eine halbe Stunde ungestörter Rücksprache gönnt.« »Es wird eine kürzere Zeit genügen, glaub ich,« antwortete Leicester. »Trefft mich im Lustgarten, wenn die Königin sich auf ihr Zimmer begeben hat.« »Einverstanden,« sagte Tressilian und zog sich zurück, während durch Leicesters Seele eine Art Entzücken ging. »Der Himmel,« sagte er zu sich selber, »ist mir wenigstens günstig und gibt mir den Elenden in die Hand, der mich in diese tiefe Schande gestürzt hat!« An Elisabeths Seite fuhr Leicester fort, seine Rolle geistreich zu spielen, so schwere Seelenangst auch auf ihm lastete. Elisabeth fühlte sich in seiner Gesellschaft so wohl, daß die Schloßglocke Mitternacht schlug, ehe sie sich zurückzog, ein bei ihrer ruhigen und regelmäßigen Zeiteinteilung ungewöhnlicher Vorfall. Ihr Aufbruch war natürlich das Zeichen zu allgemeinem Abschluß des Festtages, und die Gesellschaft begab sich an die verschieden Ruheplätze, um von der Kurzweil des verwichnen oder von den Freuden des morgenden Tages zu träumen. Der unglückliche Schloßherr und Gastgeber des rauschenden Festes zog sich in ganz andern Gedanken zurück. Er befahl dem Diener, der ihm aufwartete, auf der Stelle Varney zu ihm zu schicken. Der Diener kam zurück und meldete, Sir Richard Varney hatte das Schloß durch die Hinterpforte mit drei andern Personen, von denen eine in einer von Pferden getragnen Sänfte sich befunden habe, verlassen. »Ich glaubte, er werde bis Tagesanbruch warten,« sagte Leicester; »ist keiner von den Dienern zurückgeblieben?« »Michael Lambourne, Mylord,« sagte sein Kammerdiener, »war nicht zu finden, als Ritter Richard Varney aufbrach; sein Herr war sehr erzürnt, daß er nicht zur Stelle war. Eben sah ich, daß er sein Pferd sattelte, um ihm nachzugaloppieren.« »Heiß ihn sofort hierherkommen,« sagte Leicester, »er soll etwas an seinen Herrn bestellen.« Der Diener verließ das Zimmer und Leicester schritt ein Weilchen in tiefem Sinnen hin und her. »Varney ist übereifrig,« sagte er, »er hat es allzu eilig. Er liebt mich – aber er verfolgt auch seine eignen Zwecke dabei – und verfolgt sie unerbittlich. – Wohl! sie soll bestraft werden, aber es soll mit mehr Besonnenheit geschehen. Ich fühle schon die Ahnung, übergroße Eile würde die Flammen der Hölle in meinem Busen entfachen. Nein! – ein Opfer ist genug auf einmal, und dieses Opfer harrt meiner schon.« Er ergriff das Schreibzeug und warf in Eile die Worte hin: »Ritter Richard Varney! – Wir haben uns entschlossen, die Eurer Sorgfalt anvertraute Angelegenheit, aufzuschieben und befehlen Euch aufs strengste, in Beziehung auf die Gräfin nichts weiter vorzunehmen, bis unsre nähern Befehle einlaufen werden. Wir befehlen ferner Eure augenblickliche Rückkehr nach Kenilworth, sobald Ihr die Euch Anvertraute sicher untergebracht habt. Sollte Euer derzeitiger Auftrag Euch länger zurückhalten, als wir denken, so gebieten wir, uns Siegelring zurückzuschicken durch einen zuverlässigen Eilboten, denn wir brauchen ihn dringend. Strengen Gehorsam in diesen Dingen von Euch fordernd und Euch Gottes Huld anempfehlend, verbleiben wir Euer guter Freund und Herr R. Leicester.« Gegeben auf unserm Schlosse Kenilworth, am 10. Juli im Jahre des Heils 1575. Als Leicester diese Order geschrieben und gesiegelt hatte, trat Michael Lambourne, vom Diener eingelassen, herein, gestiefelt und gespornt, mit einem Reitmantel, einem breiten Gürtel und einer Filzkappe, ganz wie ein Kurier.« »Was für Dienst hast Du zu versehen?« fragte der Earl. »Ich bin Stallmeister beim Stallmeister Eurer Lordschaft,« antwortete Lambourne mit seiner gewohnten Unverschämtheit. »Zügle Deine kecke Zunge, Bursche,« sagte Leicester; »wie bald kannst Du Deinen Herrn eingeholt haben?« »In einer Stunde, Mylord, wenn Mann und Pferd stand halten,« sagte Lambourne, indem er an Stelle seiner mißglückten Vertraulichkeit die tiefste Ehrfurcht annahm. »Bring diesen Brief rasch und zuverlässig in Ritter Richard Varneys Hände!« »Reicht mein Auftrag nicht weiter?« fragte Lambourne. »Nein,« antwortete Leicester, »aber es liegt mir sehr viel daran, daß er sorgfältig und rasch vollzogen werde.« »Ich will es weder an Sorgfalt fehlen lassen, noch Pferdefleisch schonen,« antwortete Lambourne und verabschiedete sich sogleich. »Das ist also das Ende meiner Privataudienz, von der ich so viel erhofft habe!« brummte er vor sich hin, als er durch den langen Gang ging und die Treppe hinunter stampfte. »Gott verdamm mich! ich hatte darauf gerechnet, daß der Graf sich in irgend einem geheimen Anschlag meiner bedienen wollte – und die ganze Sache ist weiter nichts wie die Bestellung eines Briefes. Na, gemacht werden solls trotzdem, Das Kind muß kriechen, ehe es laufen kann, und der Neuling im Hofdienst auch. Ich will doch aber mal einen Blick in den Brief hineinwerfen, den er so nachlässig gesiegelt hat.« Als er es getan hatte, schlug er die Hände zusammen und rief entzückt: »Die Gräfin! die Gräfin! – Nun hab ich das Geheimnis, das mein Glück machen oder mich ruinieren soll!« Lambourne und der Kammerdiener hatten kaum das Zimmer verlassen, so begann Leicester seine Kleidung gegen ein ganz schlichtes Gewand umzutauschen, warf den Mantel um, ergriff eine Lampe und ging durch den geheimen Verbindungsgang nach einer kleinen Hinterpforte, die in den Hof führte, ganz in der Nähe des Eingangs zum Lustgarten. Der Vollmond warf jetzt sein Licht herab, daß es fast tageshell war. Die weißen Marmorstatuen glänzten in dem blassen Licht, wie weiß verhüllte, den Gräbern entstiegne Geister, und die Springbrunnen sandten ihre Wasserstrahlen empor, als trachteten sie, ihr Wasser von dem Mondlicht bestrahlen zu lassen, ehe sie in Schauern von funkelndem Silber in ihre Becken niedersanken. An ganz andre Dinge als an Mondlicht und Wasserfall denkend, schritt der erhabne Leicester langsam von einem Ende der Terrasse zum andern, dicht in den Mantel gehüllt, das Schwert unterm Arme. Endlich erblickte er eine männliche Gestalt, die langsam auf ihn zukam. Als sie sich gegenüber standen, machte Tressilian eine tiefe Verbeugung, die der Earl mit stolzem Kopfnicken erwiderte, wobei er begann: »Ihr habt mich um eine Unterredung gebeten, Herr, hier bin ich und bin ganz Ohr.« »Mylord,« sagte Tressilian, »es ist mir so sehr ernst um das, was ich zu sagen habe, und es liegt mir soviel daran, ein geduldiges, nein, günstiges Ohr zu finden, daß ich mich dazu bereit finde, mich gegen all das zu verteidigen, weshalb Euer Lordschaft mir unfreundlich gesonnen sein möchte. Ihr haltet mich für Euern Feind?« »Habe ich dazu nicht triftigen Grund?« antwortete Leicester, da er sah, daß Tressilian innehielt und auf eine Antwort wartete. »Ihr tut mir unrecht, Mylord. Ich bin wohl ein Freund des Earls of Sussex, doch mit nichten ein Anhänger seiner Partei, und seit einiger Zeit kümmre ich mich um das Hofleben und seine Intrigen nicht mehr, da sie weder meinem Temperament noch meinem Geiste zusagen.« »Glaubs gern,« antwortete Leicester; »es gibt andre Beschäftigungen, die eines Gelehrten würdig sind – und für einen solchen hält ja die Welt den Junker Tressilian. Schließlich hat, wie der Ehrgeiz, auch die Liebe ihre Intrigen.« »Ich bemerke, Mylord,« entgegnete Tressilian, »Ihr legt noch immer großes Gewicht auf mein früheres Verhältnis zu der unglücklichen jungen Dame, von der ich sprechen will, und Ihr denkt vielleicht, ich nähme mich ihrer Sache mehr aus Eifersucht als aus bloßem Gerechtigkeitssinne an.« »Einerlei, was ich denke,« sagte der Earl, »fahrt fort. Ihr habt bisher nur von Euch selber gesprochen – ohne Zweifel – – ein wichtiges und würdiges Thema, das aber doch am Ende mich nicht so tief interessieren kann, daß ich mir deshalb die Nachtruhe soll entgehen lassen. Erspart mir weitre Vorreden, Herr, und kommt zur Sache, wenn Ihr in der Tat etwas zu sagen, habt, was mich angeht. Wenn Ihr fertig seid, habe ich meinerseits ein Wörtchen zu reden.« »So will ich denn ohne weitres zur Sache kommen, Mylord,« antwortete Tressilian; »und da es Eurer Lordschaft Ehre betrifft, werdet Ihr Eure Zeit nicht für vergeudet achten, indem Ihr mir zuhört. Ich habe ein Gesuch an Eure Lordschaft wegen der unglücklichen Amy Robsart, deren Geschichte Euch nur zu wohl bekannt ist. Ich bedaure es tief, daß ich nicht von vornherein gleich diesen Weg eingeschlagen und Euch zum Richter zwischen mir und dem Schurken aufgerufen habe, von dem sie beleidigt worden, geschändet worden ist. Mylord, sie hat sich selber aus einer widerrechtlichen und mit Gefahren für sie verbundnen Einkerkerung befreit im Vertrauen auf den Eindruck, den ihr persönlicher Widerspruch auf ihren unwürdigen Ehemann machen würde, und sie hat mir ein Versprechen abgenommen, daß ich nicht zu ihren Gunsten mich einmischen wolle, in dem Bemühen, ihre Rechte geltend zu machen.« »Ha!« sagte Leicester, »denkt daran, mit wem Ihr sprecht.« »Ich spreche von ihrem unwürdigen Mann, Mylord,« wiederholte Tressilian, »und bei aller Hochachtung kann ich nicht geringre Worte brauchen. Die unglückliche junge Frau ist jetzt versteckt worden, wohin weiß ich nicht, aber jedenfalls an irgend ein einsames Versteck, wo sich besser schlimme Pläne ausführen lassen. Das muß geändert werden, Mylord, – ich sage das als Bevollmächtigter ihres Vaters – und diese unglückselige Heirat muß vor der Königin anerkannt und nachgewiesen werden, die Dame muß von jedem Zwange befreit und ihr wieder volle Selbständigkeit eingeräumt werden. Und erlaubt mir zu sagen, daß an der Erfüllung dieser höchst gerechten Forderungen die Ehre Eurer Lordschaft in hervorragendem Maße, mehr als die irgend eines andern unter den Beteiligten, interessiert ist.« Der Graf stand wie versteinert, als er den Mann, von dem er sich so tief beleidigt wähnte, mit so großer Gelassenheit die Sache seiner strafbaren Geliebten verfechten hörte, als wäre sie ein unschuldiges Weib und er der uneigennützige Fürsprecher. Es nahm ihn im höchsten Maße wunder, daß Tressilian mit solcher Wärme den Rang für sie forderte, den sie entehrt hatte, die Vorteile für sie in Anspruch nahm, die sie ohne Zweifel mit dem Liebhaber teilen sollte. Tressilian hatte ein Weilchen schon geschwiegen, ehe der Graf sich von seiner Verblüffung erholte. »Ich habe Euch angehört, Junker Tressilian,« sagte dieser jetzt, »ohne Euch zu unterbrechen, und ich danke Gott, daß meine Ohren noch nie zuvor von den Worten eines so dreisten, abgefeimten Schurken geklungen haben. Freilich kommt es eher der Geißel eines Henkers zu, Euch zu züchtigen, als dem Schwerte eines Edelmannes, doch trotzdem – Schurke, zieh und wehr Dich Deines Lebens!« Mit diesen Worten ließ er den Mantel fallen, versetzte Tressilian mit dem noch in der Scheide steckenden Degen einen heftigen Stoß, zog blank und ging sofort in Fechterstellung. Die wilde Wut seiner Rede erfüllte zuerst Tressilian seinerseits mit ebenso großem Erstaunen, wie es Leicester über seine Worte empfunden hatte. Aber das Erstaunen wich auf der Stelle dem Zorn, als den unverdienten Beleidigungen ein Schlag folgte, der sofort jeden andern Gedanken, als den an augenblicklichen Zweikampf verjagte. Tressilians Schwert war im Nu aus der Scheide, und wenn er vielleicht auch im Gebrauch der Waffe Leicester nicht gewachsen war, so verstand er doch sie so gut zu führen, daß der Kampf mit hohem Mute begann, um so mehr, als er vorderhand der ruhigere von beiden war, – denn er konnte nicht umhin, Leicesters Verhalten aus tatsächlichem Wahnsinn oder einer schweren Täuschung zu erklären. Ein paar Minuten kämpften sie mit gleicher Gewandtheit und gleichem Glück, bis bei einem heftigen Ausfall, den Leicester erfolgreich parierte, Tressilian sich eine Blöße gab. Der Graf schlug ihm den Degen aus der Hand und streckte ihn zu Boden. Mit einem grimmigen Lächeln hielt er die Spitze seines Rapiers seinem gefallnen Gegner an die Kehle, stellte ihm den Fuß auf die Brust und hieß ihn die an ihm verübten bübischen Schandtaten bekennen und sich zum Tode bereiten. »Ich habe keine Schandtaten, nicht einmal ein Unrecht zu bekennen, das ich an Euch verübt hätte,« antwortete Tressilian, »und bin besser zum Tode bereitet als Ihr. Braucht Euern Vorteil, wie Ihr wollt, und möge Gott Euch vergeben! Ich habe Euch hierzu keine Veranlassung gegeben.« »Keine Veranlassung!« rief der Graf aus, »keine Veranlassung! – doch warum rede ich erst noch mit solch einem Sklaven? – Stirb als Lügner, der Du Dein Leben lang gewesen bist!« Er hatte den Arm zurückgezogen, um den Todesstoß zu tun – da wurde er plötzlich von hinten festgehalten. Voller Wut drehte der Earl sich um, das unerwartete Hindernis abzuschütteln, und sah zu seiner Verwunderung, daß ein seltsamer Knabe ihm in den Arm gefallen war und ihn mit solcher Hartnäckigkeit festhielt, daß er ihn nur mit großer Anstrengung von sich abwehren konnte. Inzwischen hatte Tressilian sich erhoben und seine Waffe wieder ergriffen. Leicester wandte sich mit einem Ausdruck ungeschwächter Wildheit gegen ihn, und der Kampf hätte mit größrer Verzweiflung auf beiden Seiten wieder begonnen, hatte nicht der Junge sich an Leicesters Knie geklammert und ihn in schrillem Tone beschworen, ihn nur einen Augenblick anzuhören, ehe er weiter föchte. »Steh auf und laß mich los!« sagte Leicester, »sonst beim Himmel durchstoß ich Dich mit diesem Rapier! Wie kommst Du dazu, meiner Rache in den Weg zu treten!« »Ich muß! ich muß!« rief der unerschrockne Knabe. »Meine Torheit hat ja den Anlaß zu diesem blutigen Streite zwischen Euch herbeigeführt. Und vielleicht gar noch schlimmeres Unheil. O, wenn Ihr je wieder den Frieden eines unschuldigen Gemüts zu genießen hofft, wenn Ihr je wieder in Ruhe und ohne die Qual der Gewissensbisse zu schlummern hofft, dann nehmt Euch nur soviel Zeit, diesen Brief zu lesen, und dann handelt, wie Ihr es für gut haltet.« Mit diesen Worten, die er in ernstem, dringendem Tone vorbrachte, und die durch das Mienenspiel seines absonderlichen Gesichtes einen gespenstischen Nachdruck erhielten, hielt er Leicester ein Päckchen hin, das mit einer langen Flechte von schönem, hellbraunem Frauenhaar zugebunden war. Außer sich vor Ingrimm, ja fast blind vor Wut, seine geplante Rache so seltsam vereitelt zu sehen, konnte doch der Earl of Leicester diesem absonderlichen Bittsteller nicht widerstehen. Er riß ihm den Brief aus der Hand, sah die Aufschrift und erblaßte – löste mit zitternder Hand den Knoten, der das Schreiben zusammenhielt, – überflog den Inhalt und taumelte zurück und wäre hingestürzt, hätte nicht ein Baumstamm ihm Halt gegeben. Hier lehnte er ein Weilchen, das Auge auf den Brief geheftet, die Schwertspitze gegen den Boden gekehrt, als habe er ganz die Gegenwart eines Gegners vergessen. Tressilian indessen erkannte in dem Knaben seinen alten Bekannten Nickie, dessen Gesicht niemand so bald vergaß, der es einmal gesehen hatte; aber wie er hierher kam in einem so kritischen Moment, warum er in so energischer Weise eingegriffen hatte, und vor allem, wie es kam, daß seine Einmischung einen so mächtigen Eindruck auf Leicester machte, das waren Fragen, die er nicht enträtseln konnte. Aber der Brief war an sich mächtig genug, noch wunderbarere Wirkung zu tun. Es war derselbe, den die unglückliche Amy an ihren Gatten geschrieben hätte, in welchem sie ihm erklärte, aus welchem Grunde und in welcher Weise sie aus Cumnorplace geflüchtet war, ihm mitteilte, daß sie nach Kenilworth gekommen sei, um sich seines Schutzes zu erfreuen, und ferner die Umstände anführte, die sie gezwungen hätten, in Tressilians Zimmer Zuflucht zu suchen, ihn gleichzeitig ernstlich bittend, ihr unverzüglich ein passenderes Obdach anzuweisen. Der Brief schloß mit den ernsthaftesten Versicherungen innigster Liebe und gänzlicher Unterwerfung unter seinen Willen in allen Dingen und mit der flehentlichen Bitte, nicht wieder unter die Obhut oder in die Gewalt Varneys gegeben zu werden. Der Brief entfiel Leicester, als er ihn gelesen hatte. »Nehmt meinen Degen,« sagte er, »Tressilian, und durchbohrt mir das Herz, wie ich eben jetzt das Eure habe durchbohren wollen.« »Mylord,« sagte Tressilian, »Ihr habt mir schweres Unrecht getan, aber etwas in meiner Brust hat mir stets zugeflüstert, daß es aus grundsätzlichem Irrtum geschah.« »Ja, aus Irrtum in der Tat!« rief Leicester und reichte ihm den Brief. »Man hat mich dahin gebracht, daß ich einen Ehrenmann für einen Schurken hielt und das reinste, beste Geschöpf für eine falsche, verworfne Metze! – Unglücksknabe, woher kommt dieser Brief jetzt erst, und wo hat der Ueberbringer sich herumgetrieben?« »Ich getrau mich nicht, es Euch zu sagen, Mylord,« sagte der Junge und zog sich zurück, wie um sich seinem Bereich zu entziehen. – »Aber hier kommt der Bote selber.« In diesem Augenblick kam Wieland herbei, und von Leicester befragt, berichtete er in Eile über die Flucht mit Amy, – die bübischen Taten, die sie zur Flucht getrieben hatten, – ihr dringendes Verlangen, sich unter den Schutz ihres Mannes selber zu begeben. »Die Schurken!« rief Leicester. »Doch o! der schlimmste von allen, Varney! – und eben jetzt ist sie in seiner Gewalt!« »Doch nicht – ich hoffe es zu Gott,« fiel Tressilian ein, »mit irgendwelchen Befehlen gefährlicher Art?« »Nein, nein, nein!« rief der Earl rasch. »Ich sagte wohl etwas im Wahnsinn, aber ich habe es widerrufen, voll widerrufen durch einen Eilboten – und sie ist jetzt – sie muß jetzt in Sicherheit sein.« »Ja,« sagte Tressilian, »sie muß in Sicherheit sein, und ich muß davon überzeugt sein, daß sie es ist. Mein Streit mit Euch ist beendet, Mylord; aber es hat ein andrer zu beginnen mit dem Verführer Amy Robsarts, der sein Verbrechen unter dem Mantel des schändlichen Varney versteckt hat.« »Mit dem Verführer Amys?« wiederholte Leicester mit Donnerstimme. »Sagt, mit ihrem Gatten! – mit ihrem mißleiteten, blind gemachten, unwürdigen Gatten! Sie ist so gewiß Gräfin von Leicester, wie ich Graf bin. Gerechtigkeit soll ihr werden in jeder Weise.« »Mylord,« entgegnete Tressilian ruhig, »ich will Euch nicht beleidigen und bin weit entfernt, Streit mit Euch zu suchen. Aber meine Pflicht gegen Sir Hugh Robsart zwingt mich, diese Sache unverzüglich vor die Königin zu bringen, damit der Rang der Gräfin in ihrer Gegenwart anerkannt werde,« »Das werdet Ihr nicht nötig haben, Herr,« versetzte der Graf hochmütig. »Erdreistet Euchs ja nicht, Euch da hineinzumischen. Nur Dudleys Stimme soll Dudleys Schmach verkünden. – Elisabeth selber will ich es sagen, und dann nach Cumnorplace – es geht um Leben und Tod!« Mit diesen Worten eilte er davon. »Nehmt mich mit, Herr Tressilian,« sagte der Knabe, als auch dieser sich zum Gehen anschickte, »meine Geschichte ist noch nicht zu Ende, und ich bedarf Eures Schutzes.« Unterwegs gestand der Junge mit tiefer Zerknirschung, daß er, um sich an Wieland zu rächen, weil ihm dieser das Geheimnis der Lady nicht offenbart hatte, diesem den Brief entwendet hatte, den er in Amys Auftrag an den Grafen von Leicester hatte abgeben sollen. Er hatte ihn eigentlich bloß bis zum Abend behalten wollen, da er darauf rechnete, dann Wieland wiederzusehen, der ja bei dem Festspiele den Arion hatte spielen sollen. Wieland aber war nicht gekommen, da er ja inzwischen von Lambourne zum Schlosse hinausgejagt worden war. Er hatte weder Wieland noch Tressilian finden können, und da er einen Brief bei sich trug, der an keine geringre Person als den Grafen von Leicester gerichtet war, so begann er ernstlich zu befürchten, sein Streich möchte böse Folgen haben. Ein paarmal hatte er versucht, bei Leicester vorgelassen zu werden, allein sein schnurriges Gesicht und seine unscheinbare Erscheinung bewirkten stets, daß die unverschämten Diener ihn wieder abwiesen. Einmal aber hätte er doch bald das Glück, gehabt, als er beim Umherirren in der Grotte das Kästchen gefunden hatte, das, wie er wußte, der unglücklichen Gräfin gehörte – denn er hatte es auf der Reise in ihren Händen gesehen. Vergebens hatte er es versucht, es Tressilian oder der Gräfin zurückzugeben, und schließlich hatte er es Leicester selber in die Hand gegeben, den er in der Verkleidung unglücklicherweise nicht erkannt hatte.« Endlich hatte der Knabe gehofft, sein Ziel zu erreichen, als er den Grafen nach dem Ausgang der Halle hatte gehen sehen. Er hatte ihn eben anreden wollen, als Tressilian ihm zuvorkam, und der Knabe hatte nun gehört, daß sie sich verabredet hatten, sich im Lustgarten zu treffen. So hatte er sich entschlossen, auch dorthin zu gehen, weil er darauf rechnete, dem Grafen beim Hin- oder Rückweg den Brief in die Hand drücken zu können. Zu seiner großen Verwunderung hatte er während des Festspiels auch Wieland unter der Menge erblickt, zwar tief verkleidet, aber doch nicht geschickt genug, daß das scharfe Auge Dickies ihn nicht hätte erkennen sollen. Sie gingen miteinander und schütteten ihr Herz gegeneinander aus. Wer Junge gestand Wieland den ganzen Sachverhalt ein, und der Schmied erzählte ihm, wie sehr er um die unglückliche Dame besorgt sei und daß er in seiner Angst zurückgekehrt sei, weil er erfahren habe, daß Varney und Lambourne Kenilworth in der Nacht verlassen hätten. So waren nun beide in den Lustgarten geeilt, und der schnellfüßige Dickie war vorweg gelaufen und kam gerade zur rechten Zeit, um Tressilian das Leben zu retten. Er war mit seinem Bericht gerade fertig, als sie am Galerieturm anlangten. Dreiundzwanzigstes Kapitel Elisabeth ging in heftiger Erregung auf und nieder, die zu verhehlen sie sich keinerlei Mühe gab, während einige ihrer klügsten und vertraulichsten Berater ängstliche Blicke miteinander austauschten, aber sich still verhielten, bis ihr Zorn verraucht wäre. Vor dem leeren Staatssessel, in dem sie gesessen hatte und der halb beiseite geschoben worden war, so heftig war sie aufgesprungen, kniete Leicester mit gekreuzten Armen und zu Boden gesenktem Blick, still und regungslos wie ein Steinbild auf dem Grabmal. Neben ihm stand Lord Shrewsbury, zurzeit Marschall von England, den Amtsstab in der Hand – der Degen war dem Grafen abgenommen und lag vor ihm auf dem Boden. Dieses Bild bot sich den Augen des halb verwunderten, beklommnen Tressilian, als er, von Ihrer Majestät herbefohlen, in die große Halle trat. »So, Herr!« rief die Königin und ging dicht auf Tressilian zu, auf den Boden stampfend, ganz in der Art ihres Vaters, »Ihr habt um diese saubre Geschichte gewußt – Ihr seid ein Helfershelfer bei diesem Betrug gewesen, der mir angetan worden ist – Ihr seid vor allem daran schuld, daß Wir unrecht getan haben!« Tressilian ließ sich vor der Königin auf ein Knie nieder, denn sein Verstand ließ ihn erkennen, wie gefährlich es sei, der gereizten Fürstin gegenüber sich jetzt zu verteidigen. »Seid Ihr stumm?« fuhr sie fort. »Habt Ihr von dieser Sache gewußt – Ihr wißt von dieser Sache – oder etwa nicht?« »Nicht, gnädige Fürstin, daß diese arme Dame Gräfin von Leicester war.« »Noch soll sie jemand als solche kennen,« sagte Elisabeth. »Tod meines Lebens! Gräfin von Leicester! – Frau Amy, Dudley, sag ich – und froh soll sie sein, wenn sie nicht bald Ursache hat, sich die Witwe des Verräters Dudley zu nennen.« »Majestät,« sagte Leicester, »verfahrt mit mir, wie Ihr wollt, doch seid nicht ungerecht gegen diesen Mann, – er hat es in keiner Weise verdient.« »Und wird es besser um ihn stehen, da Du ein Wort für ihn einlegst?« sagte die Königin, verließ Tressilian, der langsam sich erhob, und stürzte auf Leicester zu, der noch immer kniete, »wird es deshalb besser um ihn stehen, Du doppelt Falscher – Du doppelt Meineidiger? – weil Du ein Wort für ihn einlegst, dessen Schandtat mich lächerlich gemacht hat vor meinen Untertanen und mir selber verhaßt? Ich könnte mir die Augen zerreißen, daß sie so blind gewesen sind!« Burleigh wagte hier einzusprechen. [William Cecil, Lord Burleigh, der größte Staatsmann dieses Zeitalters, auf dessen Willen vor allem die Größe und die bleibenden Verdienste der Regierung Elisabeths zurückzuführen sind. Er ist trotz des Wankelmutes und der Launenhaftigkeit der Königin auf Grund seiner staatsmännischen Einsicht und Unentbehrlichkeit vierzig Jahre lang leitender Minister geblieben.] »Hohe Frau,« sagte er, »bedenkt, daß Ihr eine Königin seid – Königin von England – Mutter Euers Volkes. Gebt Euch nicht diesem wilden Sturm der Leidenschaft preis!« Elisabeth wandte sich zu ihm um, während wirklich eine Träne in ihrem stolzen, zornigen Auge blitzte. »Burleigh,« sagte sie, »Du bist ein Staatsmann – Du kannst nicht begreifen, was für Schmach, was für Unglück dieser Mann, auf mich gehäuft hat!« Mit äußerster Behutsamkeit – mit tiefster Ehrfurcht faßte Burleigh sie bei der Hand, da, er sah, daß in diesem Augenblick ihr Herz zum Zerspringen voll war, und führte sie von den andern weg an ein Fenster. »Hohe Frau,« sagte er, »ich bin ein Staatsmann, aber ich bin auch ein Mensch und ein Mann – ein Mann, in Euerm Dienst ergraut, der keinen Wunsch auf Erden hat, als Euer Glück und Euern Ruhm – ich bitte Euch, faßt Euch.« »Ah, Burleigh,« sagte sie, »Du weißt nicht –« Und Tränen fielen ihr auf die Wangen. »Ich weiß – ich weiß, verehrte Fürstin, doch hütet Euch, daß Ihr nicht andern einen Anlaß gebt, zu vermuten, was sie nicht wissen.« »Ha!« sagte Elisabeth und hielt inne, als wenn eine neue Gedankenreihe ihr plötzlich durch den Kopf ginge. »Burleigh, Du hast recht, – Du hast recht – alles andre, nur nicht die Schande – alles andre, nur keine Schwäche eingestehen – alles andre lieber, als die Genasführte – die Hintergangne – Gottes Tod! das nur zu denken, macht verrückt!« »Seid nur Ihr selber, meine Königin,« sagte Burleigh, »und erhebt Euch hoch über eine Schwäche, der nie ein Engländer seine Elisabeth für fähig halten wird, wenn sie nicht selber im Ungestüm ihrer Enttäuschung ihn auf den Gedanken bringt.« »Was für eine Schwäche, Mylord?« versetzte Elisabeth hochmütig. »Wollt auch Ihr mir zu verstehen geben, daß die Gunst, die ich diesem stolzen Verräter dort erwies, aus einer tiefern Quelle entsprungen sei ...« Aber hier vermochte sie den stolzen Ton nicht länger beizubehalten und setzte in weichem, traurigem Tone hinzu: »Doch was sollte ich mich bemühen, selbst Dich zu täuschen. Du mein guter und weiser Diener!« Burleigh neigte sich und küßte ihr die Hand voll Zärtlichkeit – und – ein in den Annalen der Höfe seltner Vorfall – eine Träne wahrer Sympathie fiel aus dem Auge des Ministers auf die Hand der Königin. Elisabeth wandte sich von Burleigh ab und durchmaß mit festen Schritten ein paarmal die Halle, bis ihre Züge die gewohnte Würde und ihre Haltung die ihr eigne Erhabenheit wiedergewonnen hatten. Dann näherte sie sich Leicester und sagte voller Ruhe: »Mylord von Shrewsbury, Wir erklären Euern Gefangnen für frei. – Mylord von Leicester, erhebt Euch und nehmt Euer Schwert auf – eine Haft von einer Viertelstunde unterm Gewahrsam unsers Marschalls, Mylord, erachten wir für keine zu schwere Ahndung für solche monatelang uns erwiesne Falschheit. Wir wollen nun hören, was weiter aus dieser Sache geworden ist.« Dann setzte sie sich in ihren Sessel und sagte: »Ihr, Tressilian, tretet vor und sagt, was Ihr wißt.« Tressilian erzählte seine Geschichte freimütig – er unterdrückte nach Möglichkeit alles, was für Leicester nachteilig war, und verschwieg ihren Zweikampf ganz. Sie schwieg, als Tressilian geendet hatte. »Wir wollen diesen Wieland,« sagte sie, »in Unsre Dienste nehmen und den Knaben zur Lehre in Unser Sekretariat geben, daß er künftig mit Briefen diskret umzugehen weiß. Ihr, Tressilian, habt unrecht getan, daß Ihr uns nicht die ganze Wahrheit mitgeteilt habt, und Euer Versprechen, dies nicht zu tun, war unklug und pflichtvergessen. Da Ihr aber nichtsdestoweniger der unglücklichen Dame Euer Wort gegeben hattet, so gehörte es sich für Euch als Mann und Edelherrn natürlich, es auch zu halten, und alles in allem sprechen Wir Euch Unsre Hochachtung aus für Euer charaktervolles Verhalten in dieser Sache. – Mylord von Leicester, nun ist die Reihe an Euch, Uns die Wahrheit zu sagen – es wird Euch Mühe kosten, denn es ist Euch letzterzeit zu fremd geworden.« Durch eine Reihe von Fragen entzog sie ihm nun die ganze Geschichte, wie sein Verhältnis mit Amy Robsart begonnen – wie sie sich geheiratet hatten – wie die Eifersucht ihn ergriffen hatte – aus welchen Gründen – und noch viele Einzelheiten. Die Beichte – denn so ließ es sich nennen – wurde Leicester stückweis abgerungen, war aber im ganzen der Wahrheit entsprechend, abgesehen davon, daß er von seinem stillschweigenden Einverständnis mit den Anschlägen Varneys auf das Leben der Gräfin nichts erwähnte. Aber wenn er gehofft hatte, recht bald von der Königin entlassen zu werden, um nach Cumnorplace eilen zu können, so hatte er die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Allerdings war seine Gegenwart Galle und Wermut für seine ihm sonst so wohlgesonnene Gebieterin. Da sie aber auf keine andre Weise sich an ihm rächen konnte und doch wohl bemerkte, daß sie ihrem falschen Verehrer durch ihr genaues Verhör Qualen bereitete, so fuhr sie darin fort und achtete des Schmerzes, den sie selber dabei empfand, ebensowenig, wie der Wilde sich drum kümmert, wie seine eignen Hände von den glühenden Zangen versengt werden, mit denen er seinem gefangnen Feinde das Fleisch zerreißt. ... Endlich gab, wie ein gehetztes Wild, das sich zum Widerstande wendet, der hochmütige Lord zu erkennen, daß seine Geduld erschöpft sei. »Hohe Frau,« sagte er, »ich habe schweren Tadel verdient – mehr als selbst Euer gerechter Zorn ausgesprochen hat. Doch, hohe Frau, laßt mich sagen, daß meine Schuld wohl unverzeihlich, doch nicht grundlos gewesen ist. Wenn Schönheit und entgegenkommende Würde das schwache Herz eines menschlichen Wesens bezwingen konnten, so darf ich dies wohl als Ursache dafür anführen, daß ich mein Geheimnis vor Eurer Majestät verborgen habe.« Die Königin war über diese Antwort, die Leicester in leisem nur für sie hörbaren Tone vorbrachte, so verblüfft, daß sie für den Augenblick schwieg, und der Graf hatte die Kühnheit, seinen Vorteil zu verfolgen. »Eure Gnade, die schon so viel verziehen hat, wird mir auch, wenn ich um Eure königliche Barmherzigkeit flehe, die Worte verzeihen, an denen Ihr gestern doch kaum Anstoß genommen habt.« Die Königin heftete die Augen auf ihn und erwiderte: »Nein, beim Himmel, Mylord, Eure Frechheit übersteigt die Grenzen der Möglichkeit und der Geduld. Aber es soll Euch nichts nützen! – Hollah, Ihr Herren, kommt alle herbei und hört die Neuigkeit! Mylord von Leicesters heimliche Heirat hat mich um einen Gemahl und England um einen König gebracht. Seine Lordschaft sind patriarchalisch in Ihren Neigungen – ein Weib auf einmal ist nicht genug, und so hat er Uns die Ehre, ihm an die linke Hand angetraut zu werden, zugedacht. Nun, ist dies nicht zu unverschämt? – kaum ein paar Zeichen der Hofgunst habe ich ihm erwiesen, und schon maßt er sich an, zu denken, meine Hand und unsre Krone lägen für ihn nur zum Zugreifen da! – Ihr aber, denkt besser von mir, und ich kann diesen ehrgeizigen Mann bemitleiden, wie ein Kind, dem eine Seifenblase in den Händen zerplatzt. Wir gehen in den Audienzsaal. Mylord von Leicester, Wir gebieten Euch, in Unsrer nächsten Nähe zu bleiben.« Alles war in gespannter Erwartung, und wie groß war das Erstaunen, als die Königin zu ihrer nächsten Umgebung sagte: »Die Feste in Kenilworth sind noch nicht beendet, Mylords und Ladies, wir haben noch die Hochzeit des edeln Besitzers zu feiern.« Allgemeine Verwunderung tat sich kund. »Es ist wahr, bei Unserm königlichen Wort,« sagte die Fürstin, »er hat dieses Geheimnis sogar vor uns geheim gehalten, bloß um uns an diesem Ort und zu dieser Stunde damit zu überraschen. Ich sehe, Ihr sterbt vor Neugierde, die glückliche Braut kennen zu lernen. Es ist Amy Robsart, dieselbe, die in dem festlichen Mummenschanz von gestern als Gattin seines Dieners Richard Varney aufgetreten ist.« »Um Gotteswillen, Majestät,« sagte der Graf und näherte sich ihr mit einer Mischung von Demut, Groll und Scham, indem er so leise sprach, daß kein andrer es hörte, »nehmt mein Haupt, wie Ihr in Euerm Zorn drohtet, aber erspart mir diesen Hohn! – Martert einen zu Grunde gerichteten Mann nicht – tretet nicht einen zermalmten Wurm!« »Einen Wurm, Mylord?« erwiderte die Königin im selben Tone, »nein, eine Schlange, das ist ein edleres Reptil und paßt auch besser zum Gleichnis – die erfrorene Schlange, die, wir Ihr ja auch wißt, an einem gewissen Busen erwärmt worden ist ...« »Um Euretwillen – um meinetwillen, hohe Frau,« flüsterte der Graf, »solange noch eine Spur Vernunft mir erhalten bleibt.« »Sprecht laut, Mylord,« sagte Elisabeth, »und tretet ein wenig weiter weg, so es Euch gefällt – Ihr habt einen so heißen Atem, daß unsre Halskrause darunter leidet. – Was habt Ihr uns zu fragen?« »Ich bitte um Erlaubnis,« sagte der unglückliche Earl demütig, »nach Cumnorplace zu reiten.« »Wohl, um Eure Braut heimzuholen? Nun ja, das ist nur in der Ordnung – denn wie Wir gehört haben, ist sie dort nicht eben in guter Obhut. Aber, Mylord, Ihr geht nicht in Person dorthin – Wir haben damit gerechnet, ein paar Tage in Euerm Schlosse Kenilworth zu verleben, und es wäre gegen die Höflichkeit, Uns hier ohne Wirt zu lassen. Tressilian soll an Eurer Statt nach Kenilworth gehen, und mit ihm ein Herr, der auf Unsern Dienst vereidigt ist, damit Mylord von Leicester nicht wieder auf seinen alten Nebenbuhler eifersüchtig wird. Wen möchtet Ihr mithaben?« Tressilian nannte Raleigh. »Ei ja,« sagte die Königin, »da habt Ihr eine gute Wahl getroffen. Er ist ein junger Ritter, und eine Dame aus einem Gefängnis zu befreien, ist ein ganz passendes, ernstes Abenteuer. – Cumnorplace ist nämlich nicht viel besser als ein Gefängnis, müßt Ihr wissen, Mylords und Ladies. Außerdem sind ein paar Missetäter dort, die Wir gern in sicherm Gewahrsam hätten. Es soll ein Haftbefehl gegen Richard Varney und den Ausländer Alasko ausgestellt werden. Nehmt ausreichende Begleitschaft mit, Ihr Herren! bringt die Lady in allen Ehren her – und verliert keine Zeit – Gott mit Euch!« Sie verneigten sich und verließen den Saal. Wer soll beschreiben, wie der Rest dieses Tages in Kenilworth verbracht wurde? Die Königin, die nur zu dem Zwecke dageblieben zu sein schien, um den Earl of Leicester zu peinigen und zu verspotten, zeigte in dieser weiblichen Kunst der Rache ebenso viel Geschick, wie in der Wissenschaft, ihr Volk weise zu regieren. Die Gesellschaft der Höflinge paßte sich dieser neuen Stimmung schnell an, und während der Graf inmitten seiner eignen festlichen Vorbereitungen einherschritt, lernte der Lord von Kenilworth schon das Los eines in Ungnade gefallnen Höflings kennen in der geringen Achtung und dem kalten Benehmen der rasch entfremdeten Freunde und in dem schlecht verhohlnen Triumph der anerkannten offnen Feinde. Sussex, bei dem militärischen Freimut seiner Natur, Burleigh und Walsington in ihrer scharfsinnigen und weitblickenden Umsicht, und einige von den Namen waren die einzigen, die gegen ihn noch das gleiche Benehmen, wie am Morgen, zeigten. So sehr war Leicester gewöhnt gewesen, Hofgunst als sein eigentliches Lebenselement zu betrachten, daß alle andern Empfindungen einstweilen in dem Schmerze versanken, den sein hochmütiger Geist über die kleinlichen Kränkungen und ausgesuchten Vernachlässigungen empfand, die ihm jetzt zuteil wurden. Als er aber sich für die Nacht in sein Zimmer zurückgezogen hatte, fiel ihm die lange, schöne Haarflechte ins Auge, mit der einst Amy ihren Brief zugebunden hatte, und wie ein Gegenzauber rief sie alle edlern und natürlicheren Gefühle in seinem Herzen wach. Er küßte sie tausendmal und fühlte sich im stande, sich über die Rache, die Elisabeth an ihm zu üben geruhte, hoch hinwegzuheben, indem er sich in würdevolle, ja fürstliche Abgeschiedenheit mit der schönen und geliebten Gefährtin seines künftigen Lebens zurückzöge. Am folgenden Tage zeigte sich denn auch der Graf in so würdevoller Gleichmütigkeit, er war so besorgt, daß es seinen Gästen an nichts fehlen sollte, es schien ihm dabei aber doch so gleichgültig, wie sie sich gegen ihn benahmen, und er hielt sich in so respektvoller Entfernung von der Königin, deren quälende Mißgunst er aber so geduldig ertrug, daß Elisabeth ihr Benehmen gegen ihn änderte. Sie blieb zwar kalt und unnahbar, verschonte ihn aber mit direkten Schmähungen. Kurz, binnen vierundzwanzig Stunden hatten die Dinge sich so sehr geändert, daß erfahrerere und scharfblickendere Höflinge es für sehr wahrscheinlich hielten, daß Leicester wieder in Gnade aufgenommen werden würde und demgemäß ihr Betragen gegen ihn einrichteten. Es ist indessen an der Zeit, diesen Intrigen jetzt den Rücken zu kehren und Tressilian und Raleigh auf ihrer Reise zu folgen. Die Truppe bestand aus sechs Personen: denn außer Wieland hatten sie einen königlichen Gerichtsvollzieher und zwei stämmige Diener mit. Alle waren wohlbewaffnet und ritten, so schnell er bei möglichster Rücksicht auf die Pferde irgend ging. Sie versuchten, über Varney und seine Reisebegleitung Erkundigungen einzuziehen, konnten aber nichts erfahren, da Varney bei dunkler Nacht gereist war. In einem kleinen Dorfe, zwölf englische Meilen von Kenilworth, kam ein armer Geistlicher, der Seelsorger des Oertchens, aus einer Hütte heraus und fragte, ob einer von den Herren etwas von der Medizin verstünde, um nur schnell einmal einen Mann zu untersuchen, der im Sterben läge. Der in Hausmitteln kundige Wieland versprach, sein Bestes zu tun, und während der Pfarrer ihn an den Ort führte, erfuhr er, der Mann sei auf der Landstraße gefunden worden und der Pfarrer hätte ihn in seinem Hause aufgenommen. Er hätte eine Schußwunde, die offenbar tödlich sei; ob er sie aber in einem Kampfe oder von Räubern empfangen habe, hätte er noch nicht von ihm erfahren können, da er im Fieber läge und nur unzusammenhängendes Zeug spräche. Wieland hatte kaum das dunkle, niedrige Gemach betreten, und kaum hatte der Pfarrer den Vorhang zurückgezogen, so erkannte er in den verzerrten Zügen des Kranken das Gesicht Michael Lambournes. Unter dem Vorwand, er müsse noch etwas holen, was er brauche, benachrichtigte Wieland rasch seine Reisegefährten von dem seltsamen Vorfall, und voll böser Ahnungen eilten Tressilian und Raleigh in das Haus des Pfarrers, den Sterbenden zu sehen. Der Elende lag schon im Todeskampf, aus den ihn auch ein tüchtigerer Arzt als Wieland nicht mehr hätte erretten können, denn die Kugel war ihm gerade durch den Leib gegangen. Er war aber teilweise bei Bewußtsein, denn er erkannte Tressilian und machte Zeichen, daß er sich über sein Bett neigen möchte. Tressilian tat es, und nach undeutlichem Gemurmel, in welchem die Namen Varney und Lady Leicester allein verständlich waren, hieß Lambourne ihn sich beeilen, sonst würde er zu spät kommen. Dann schien er in Delirien zu verfallen, und es war nichts mehr aus ihm herauszubekommen, als daß er noch bat, Giles Gosling, dem Wirt vom »Schwarzen Bären«, seinem Oheim, die Nachricht zu bringen, er wäre schließlich doch »nicht in seinen Schuhen« gestorben. [in seinen Schuhen sterben bedeutet im englischen Sprachgebrauch soviel wie gehängt werden. A.d.Ü.] Letztes Kapitel Mit der Vollmacht des Grafen und der Erlaubnis der Königin versehen, sich vor einer Entdeckung seines Betruges zu sichern, indem er die Gräfin von Kenilworth wegbrachte, hatte Varney erst am frühen Morgen aufbrechen wollen, dann aber war ihm eingefallen, daß der Graf vielleicht wieder andern Sinnes werden und noch eine Unterredung mit der Gräfin nachsuchen könne; und er beschloß, durch sofortigen Aufbruch jeder Möglichkeit einer Aenderung, die dann wahrscheinlich zu seiner Entdeckung und seiner Vernichtung hätte führen können, vorzubeugen. Die Gräfin war ohne Widerstreben in die Sänfte gebracht worden. Sie sah zu ihrer Beruhigung, daß Foster und ein andrer Diener neben der Sänfte herritten, während der gefürchtete und verabscheute Varney sich mehr im Hintergrunde hielt. Als der Weg um den See herumging, bemühte sie sich, die stattlichen Türme, die ihren Gatten Herrn nannten, im Auge zu behalten; als aber dies infolge der Richtung des Weges nicht länger möglich war, sank sie in die Sänfte zurück und befahl sich dem Schütze der Vorsehung. Als Varney sich im Hintergrunde hielt und schließlich ein Stück zurückblieb, verfolgte er dabei nicht bloß den Zweck, die Gräfin nicht zu beunruhigen, sondern er wollte mit Lambourne allein und ohne Zeugen sprechen, sobald dieser sie eingeholt hätte. Er kannte diesen Mann als flink, entschlossen, habgierig und frei von Furcht selbst vor Blutvergießen und hielt ihn für den passendsten Helfershelfer in seinen ferneren Plänen. Aber zehn englische Meilen hatten sie zurückgelegt, ehe sie den hastigen Hufschlag hinter sich hörten und von Lambourne eingeholt wurden. Varney empfing seinen verworfnen Diener mit heftigen Vorwürfen. »Besoffner Schurke,« rief er, »Deine Faulheit und blödsinnige Völlerei werden Dir noch einen Strick drehen, und mir sollts recht sein, wenn es bald geschähe.« Lambourne, dem der Kamm geschwollen war, nicht nur von einem gewaltigen Humpen Wein her, sondern vor allem seit seinem vertraulichen Auftrag in Leicesters geheimen Angelegenheiten, nahm diesen Schimpf nicht mit der gewohnten Demut hin. – Er wolle sich keine Frechheiten gefallen lassen, meinte er, nicht von dem besten Ritter, der je Sporen getragen hätte. Lord Leicester habe ihn in wichtiger Angelegenheit zurückbehalten, und das müsse Varney genügen, der selber nur ein Diener wäre wie er. Varney war nicht wenig überrascht, als er diesen unverschämten Ton hörte. Aber er schrieb ihn dem Schnaps zu und tat so, als achte er gar nicht darauf. Wann begann er Lambourne auszuhorchen, ob er wohl zur Mithilfe bereit sei, ein Hindernis auf dem Wege des Earl of Leicester zu den höchsten Würden wegzuräumen, der dann seinen treuen Anhängern jeden Wunsch erfüllen würde. Und als Michael Lambourne sich so stellte, als verstünde er nicht, was er meinte, sagte er deutlich, »die in der Sänfte da« sei das Hindernis, das er aus dem Wege geräumt wissen möchte. »Sehr Ihr, Ritter Richard und so weiter,« sagte Michael, »einer ist klüger, wie der andre, das ist eins, und der eine ist schlechter, als der andre, das ist noch eins. Ich weiß besser als Ihr, wie Mylord über diese Sache denkt – denn er hat mir in dieser Sache volles Vertrauen geschenkt. Hier sind seine Befehle, und seine letzten Worte waren: Michael Lambourne, denn Seine Lordschaft spricht zu mir wie ein echter Edelmann und gebraucht nicht Worte, wie besoffner Schurke oder solche Gemeinheiten, wie sie Leute in den Mund nehmen, die sich noch nicht in ihre neuen Würden hineingefunden haben, – Varney, sagte er, muß meiner Gräfin die höchste Ehrerbietung erweisen – ich vertrau es Euch an, Lambourne, sagte Seine Lordschaft, sich darum zu kümmern, und Ihr müßt mir meinen Siegelring von ihm auf alle Fälle zurückbringen.« »Ah,« versetzte Varney, »hat er das wirklich gesagt? Ihr wißt also um alles?« »Alles – alles – den ganzen Betteltanz, – und das Gescheiteste für Euch wäre, Ihr machtet Mich Euch zum Freunde, solange noch schönes Wetter zwischen uns herrscht.« »Und war niemand weiter zugegen, als Mylord sprach?« fragte Varney. »Kein lebendes Wesen,« erwiderte Lambourne, »meint Ihr, Mylord würde so wichtige Dinge einem andern noch anvertrauen, als einem so erprobten Mann der Tat wie mir?« »Sehr wahr,« sagte Varney, und er machte eine Pause und sah vor sich hin auf den mondhellen Pfad. Sie ritten über eine weite, offne Heide. Die Sänfte war wenigstens eine englische Meile von ihnen, so daß sie von dort aus nicht gesehen und gehört werden konnten. Er sah hinter sich, und soweit die Strahlen des Mondes die Ferne erhellten, war kein menschliches Wesen in Sicht. Dann sprach er weiter: »Und wollt Ihr nun Euch gegen Euern Herrn wenden, der Euch doch in diese Laufbahn der Hofgunst sozusagen gebracht hat – dessen Lehrling Ihr gewesen seid, Michel – durch den Ihr die Tiefen und Klippen der Hofintrige kennen gelernt habt?« »Laßt nur das Gemichel, verstanden!« sagte Lambourne. »Vor meinen Namen läßt sich ebenso gut ein »Herr« setzen, wie vor jeden andern, und wenn ich ein Lehrling gewesen bin, so ist meine Lehrzeit jetzt um, und ich bin entschlossen, mich selbständig zu machen.« »So nimm erst Dein Handgeld, blödsinniger Wicht!« rief Varney und schoß mit einer Pistole, die er seit einiger Zeit in der Hand gehalten hatte, Lambourne durch den Leib. Der Elende fiel vom Pferde ohne einen Laut, und Varney sprang ab, durchsuchte seine Taschen und zog das Futter nach außen, daß es aussehen sollte, als wäre er von Räubern überfallen worden. Er nahm das Päckchen des Grafen an sich, worum ihm vor allem zu tun war, aber er nahm auch Lambournes Börse, die noch ein paar Goldstücke enthielt. Er hielt sie in der Hand, bis er an einen kleinen Fluß kam, der den Weg kreuzte, und hier schleuderte er sie ins Wasser, so weit sein Arm schleudern konnte. Ein solcher sonderbarer Bodensatz von Gewissen bleibt schließlich doch, wenn es auch gänzlich abgestorben scheint, und so hätte auch dieser grausame und gewissenlose Mensch sich für erniedrigt gehalten, hätte er die wenigen Goldstücke des Elenden, den er so ohne alle Umstände kalt gemacht hatte, zu sich gesteckt. Der Mörder säuberte den Lauf und das Schloß seines Pistols von den Spuren des Schusses und lud es von neuem, dann ritt er gemächlich hinter der Sänfte her. – Er beruhigte, sich damit, daß er einen lästigen Zeugen seiner Ränke – den Ueberbringer von Befehlen, die zu befolgen er nicht gewillt war, und die er daher auch gar nicht erhalten haben wolle, aus dem Wege geräumt hatte. Nach einer Weile holte Varney die Sänfte ein. »Was macht sie?« fragte er. »Sie schläft,« sagte Foster, »ich wollte, wir wären daheim – ihre Kräfte sind erschöpft.« »Ruhe wird ihr gut tun,« antwortete Varney, »sie soll bald fest und lang schlafen. Wir dürfen sie nicht wieder in ihre Zimmer bringen, sondern in die feste Kammer, wo Du Dein Gold aufbewahrst.« »Mein Gold?« rief Anton höchst bestürzt. »Was soll ich denn für Gold haben? Gott helfe mir, ich habe kein Gold!« »Nun, Du stumpfsinniges Vieh, wer denkt denn an Dein Gold? Wenn mir was dran gelegen wäre, hätte ich nicht hundert bessre Wege, dazu zu gelangen? Mit einem Worte, Dein Schlafzimmer, das Du so trefflich mit Sicherheitsvorkehrungen versehen hast, muß vorderhand ihr Aufenthaltsort sein, und dafür sollst Du, Du Sklave, auf ihren Daunen schlafen. Ich sage Dir, der Graf wird keinen Pfifferling mehr nach dem reichen Mobiliar der vier Zimmer fragen.« Diese letzte Bemerkung machte Foster gefügig, und er bat nur um Erlaubnis, vorauszureiten, um alles herzurichten. Als sie in Cumnorplace anlangten, fragte die Gräfin angelegentlich nach Jeannette, und war sehr betrübt, als sie vernahm, daß sie auf die Dienste dieses lieben Mädchens von nun an verzichten müsse. »Sie ist bei ihrer Tante,« sagte Foster grob, »meine Tochter ist mir lieb und wert, gnädige Frau, und ich will sie vor Hofskandalen bewahren – sie hat davon schon zuviel gesehen,« Die erschöpfte Gräfin gab keine Antwort und drückte nur den Wunsch aus, sich auf ihr Zimmer zurückzuziehen. »Ja, ja, das ist nur vernünftig,« murmelte Foster, »aber mit Verlaub, Ihr kommt nicht in Eure hübschen Puppenstübchen da – heute nacht sollt Ihr in sichrerem Gewahrsam schlafen.« »Ich wollt, es war in meinem Grabe,« sagte die Gräfin. Foster nahm ein Licht und führte Amy in einen Teil des Gebäudes, wo sie noch nie gewesen war. Eines von den alten Weibern schritt mit einer Lampe voran. Sie stiegen eine sehr hohe Treppe hinan, überschritten eine kurze Galerie aus schwarzem Eichenholz, die sehr eng war und an deren Ende eine starke, eichne Tür in das Gemach des Geizhalses führte, das in seiner Einrichtung äußerst primitiv war und in allem bis auf den Namen einem Gefängnis glich. Foster blieb an der Tür stehen und gab der Gräfin die Lampe, die alte Frau ließ er nicht herein. Die Gräfin nahm sie rasch, riegelte die Tür zu und versicherte sie. Varney hatte unterdessen unten gelauert; als er aber hörte, daß sie die Tür verschlossen hatte, kam er auf den Zehenspitzen herauf, und Foster winkte ihm zu und zeigte ihm mit großer Selbstgefälligkeit eine versteckte Mechanik, mittels deren mit großer Leichtigkeit und ganz geräuschlos ein Teil der hölzernen Galerie wie eine Zugbrücke herabzulassen war, so daß zwischen der Tür des Schlafzimmers und der Treppruhe der hohen Stiege, die zu ihm hinaufführte, jede Verbindung abgeschnitten war. Das Tau, an dem diese Mechanik geführt wurde, war in der Regel in das Gemach hineingeleitet, da es ja Fosters Zweck war, sich vor einem Einbruch von außen zu sichern. Jetzt aber, wo es darauf ankam, die Gefangne völlig abzuschneiden, war das Tau nach der Treppruhe hinübergeführt und wurde dort festgemacht, nachdem Foster die unvermutete Falltür herabgelassen hatte. Varney betrachtete diese Mechanik mit großer Aufmerksamkeit und sah mehrmals in den Abgrund hinab, der unten gähnte. Es war ein schwarzes und anscheinend sehr tiefes Loch, und ging, wie Foster seinem Gefährten flüsternd mitteilte, fast bis in die tiefsten Gewölbe des Schlosses. Varney warf noch einmal einen langen, starren Blick in den Schlund und folgte dann Fostern in den bewohntern Teil des Herrenhauses. Varney ersuchte Foster, etwas zu essen und einen guten Wein zu bringen. »Ich will Alasko holen,« sagte er. »Wir haben Arbeit für ihn und müssen ihn bei guter Laune halten.« Foster seufzte, aber er widersprach nicht. Das alte Weib versicherte, Alasko hätte, seit ihr Herr fort sei, kaum etwas gegessen oder getrunken, er halte sich fortwährend in seinem Laboratorium eingeschlossen. Varney ergriff ein Licht und ging, um den Alchimisten zu holen. Er kehrte nach ziemlich langer Abwesenheit zurück, kreidebleich, aber mit seinem gewohnten Grinsen. »Unser Freund,« sagte er, »ist futsch.« »Was sagt Ihr, ist er tot?« rief Anton Foster. »Mausetot,« sagte Varney. »Und schon hübsch angeschwollen im Gesicht und am ganzen Leibe. Er hatte eine seiner Teufelsmedizinen gemischt, und dabei ist ihm die Glasmaske, die er immer trug, vom Gesicht gefallen, und so ist ihm das feine Gift ins Gehirn gedrungen und hat ihm den Garaus gemacht.« »Sankta Maria!« rief Foster. »Ich meine, Gott in seiner Barmherzigkeit, bewahre uns vor Habsucht und Todsünde!« »Es war ein Anblick zum Gruseln!« sagte Varney. »Er sah aus, wie ein Kadaver, der schon drei Tage auf dem Rade gelegen hat. – Prr! gib mir einen Becher Wein! Mir ist der Appetit verdorben von dem Gestank. Ich habe das Fenster aufgebrochen und die Luft hereingelassen – es roch nach Schwefel und es war ein erstickender Dunst, als wenn der Teufel dagewesen wäre.« »Und kann es nicht wirklich der Teufel selber gewesen sein?« sagte Foster. »Ich habe gehört, er ist mächtig bei solchen Leuten.« »Du aber bist völlig sicher vor ihm, sei getrost,« antwortete Varney. »Denn der Satan hat in letzter Zeit zwei gute Happen gekriegt.« »Wieso zwei Happen?« fragte Foster. »Wie meint Ihr das?« »Das werdet Ihr rechtzeitig erfahren,« sagte Varney, »und dann ist noch ein andrer Bissen – denn Du wirst doch denken können. Sie wird ein ganz ausgezeichneter Leckerbissen für den Gaumen des bösen Feindes sein – sie wird mit Psalmen und Harfen und Seraphim empfangen werden.« »Gott! Sir Richard! muß denn das geschehen?« »Freilich, Anton, sonst bekommst Du im Leben kein Freigut,« erwiderte sein unbeugsamer Gefährte. »Ich habe immer vorhergesehen, daß es noch darauf hinauslaufen würde,« sagte Foster. »Aber wie denn, Sir Richard, wie denn? nicht um die ganze Welt zu gewinnen. Möchte ich Hand an sie legen.« »Ich kann Dich nicht tadeln,« sagte Varney, »ich würde es selber nur mit Widerstreben vollziehen – es fehlt uns jetzt Alasko und sein Mannah bitter, ja, und der Hund Lambourne obendrein.« »Ja, wo bleibt Lambourne nur?« »Frage nicht weiter,« sagte Varney, »Du wirst ihn eines Tages schon noch sehen, wenn Dein Glaube zutrifft. Aber zu unsrer wichtigen Angelegenheit. Ich will Dich lehren, wie man einen Vogel fängt – die Falltür von Dir da oben – der feine Mechanismus von Dir da – der sieht doch von außen ganz fest und ungefährlich aus, wenn auch unter ihm die Stützen weggenommen find, was?« »Gewiß,« sagte Foster, »solange niemand drauftritt.« »Aber wenn die Dame darüber weg zu entfliehen versuchte,« versetzte Varney, »so würde Ihr Gewicht die Falle zum Einstürzen bringen?« »Dazu genügt schon das Gewicht einer Maus,« sagte Foster. »Ei, dann stirbt sie bei einem Fluchtversuch, und wie könntet Ihr, ehrlicher Tony, oder ich es ändern? Laßt uns zu Bett, morgen wollen wir unsern Plan ausführen.« Am folgenden Tage rief mit Anbruch des Abends Varney seinen, Spießgesellen zur Ausführung des Planes herbei. Der aus Kenilworth mitgebrachte Mann und Fosters alte Diener wurden mit einem erfundenen Auftrag weggeschickt, und Foster selber besuchte erst noch einmal die Gräfin in ihrem Kerker. Sie hatte sich mit so großer Sanftmut und Geduld in ihre Einsamkeit gefügt, daß sein Herz gerührt wurde und er ihr ernsthaft anempfahl, ja nicht, aus welchem Anlaß es auch sei, die Schwelle ihres Gemaches zu überschreiten, ehe Lord Leicester da sei. Amy versprach es, und Foster kehrte zu seinem hartgesottnen Kumpan zurück; er hatte sein Gewissen um die Hälfte der gefährlichen Last, die darauf lag, erleichtert. Er ließ die Tür der Gräfin von außen unverschlossen und zog unter Varneys Aufsicht die Stützen weg, die die Falltür hielten. Dann gingen sie, unten den Erfolg ihres Beginnens abzuwarten. Aber sie warteten lange vergebens, und endlich rief Varney aus: »In der Tat, noch nie hat ein Weib eine so günstige Gelegenheit zur Flucht unbenutzt gelassen.« »Vielleicht ist sie entschlossen,« sagte Foster, »auf die Rückkehr ihres Mannes zu warten.« »Gewiß, gewiß!« sagte Varney und stürzte hinaus. »Daran hatte ich nicht gedacht.« Gleich darauf hörte Foster den Tritt eines Pferdes im Schloßhof und ein Pfeifen, ähnlich dem gewöhnlichen Signal des Grafen – einen Augenblick später öffnete sich die Tür zum Zimmer der Gräfin und im selben Augenblick wich die Falltür. Es ging ein Geräusch, als wenn ein Körper tief fällt, – ein schwaches Stöhnen – und alles war vorüber. Zur gleichen Zeit rief Varney zum Fenster herein in einem Tone, der ein unbeschreibliches Gemisch von Grausen und Scherz war: »Ist der Vogel gefangen – ist die Tat getan?« »O Gott vergebe uns!« rief Anton Foster. »Ei, Du Esel,« sagte Varney. »Deine Arbeit ist beendet und der Lohn Dir sicher; sieh in das Gewölbe – was siehst Du?« »Nur einen Haufen von weißen Kleidern, wie eine Schneewehe,« sagte Foster; »o, Gott! sie bewegt den Arm!« »Wirf irgendwas auf sie hinunter! Deine Goldkiste, Tonichen, die ist ja schwer.« »Varney, Du bist der eingefleischte Satan!« versetzte Foster. »Es braucht nichts weiter – sie ist tot. O, wenn es Gerechtigkeit gibt im Himmel, Du wirst Deiner Strafe nicht entgehen! – Du hast sie zu grunde gerichtet, indem Du Dich gerade einer Regung ihrer reinen Liebe bedient hast! das heißt das Kind mit der Milch der Mutter vergiften!« »Du bist ein fanatischer Esel,« erwiderte Varney. »Laß uns daran denken, wie wir die Sache bekannt machen – der Leichnam hat zu bleiben, wo er ist.« Aber ihrer Verruchtheit war ein Ziel gesetzt; denn während sie sich noch berieten, stürzten Tressilian und Raleigh herein, nachdem sie von dem alten Diener eingelassen worden waren, dessen sie sich in dem Dorfe versichert hatten. Anton Foster flüchtete bei ihrem Eintritt, und da er jeden Winkel und jeden Gang in den verschlungnen Gewölben des alten Hauses kannte, entging er jeder Verfolgung. Aber Varney wurde auf dem Fleck festgenommen, und anstatt Zerknirschung über seine Untat zu bekunden, schien es ihm noch ein teuflisches Vergnügen zu bereiten, ihnen die Ueberreste der ermordeten Gräfin zu zeigen, während er sie gleichzeitig herausforderte, ihm zu beweisen, daß er an ihrem Tode schuldig sei. Der verzweifelte Schmerz Tressilians beim Anblick der zermalmten Reste eines vor kurzem noch so liebreizenden und geliebten Wesens war so tief, daß Raleigh sich gezwungen sah, ihn mit Gewalt von der Stelle zu bringen, während er selbst alles, was geschehen sollte, anordnete. Bei einem zweiten Verhör machte Varney gar kein Geheimnis aus dem Verbrechen und seinen Beweggründen. Aus seinen weitern Aeußerungen glaubte man vermuten zu sollen, daß er Selbstmord begehen wolle, und man nahm ihm daher alles ab, was ihm zur Ausführung dieses Vorsatzes hätte dienen können. Aber er trug beständig ein sehr starkes Gift bei sich, das ihm wohl Alasko bereitet haben mochte. Dies nahm er über Nacht zu sich und am andern Morgen fand man ihn tot in seiner Zelle. Er schien keine Todesqual gelitten zu haben, denn sein Gesicht zeigte noch den Ausdruck von grinsendem Sarkasmus, den es im Leben zur Schau getragen hatte. Was aus seinem Spießgesellen geworden war, blieb lange unbekannt. Cumnorplace wurde gleich nach dem Morde verlassen, denn in der Nähe der sogenannten Lady-Dudley-Kammer behaupteten die Diener Stöhnen und Geschrei und unnatürliche Laute zu hören. Nach einiger Zeit wurde Jeanette, als immer noch nichts von ihrem Vater verlautete, Besitzerin seines Besitztums und übertrug dies mit ihrer Hand an Wieland den Schmied, der jetzt ein Mann in fester Stellung war und im Haushalt der Königin Elisabeth einen guten Posten hatte. Aber als sie schon ein paar Jahre lang tot waren, stellte ihr ältester Sohn und Erbe Nachforschungen in der Gegend von Cumnorplace an und entdeckte einen geheimen, von einer eisernen Tür verschlossnen Gang, der hinter dem Bett der Lady-Dudley-Kammer anfing und in eine Zelle hinunterführte. Hier fand er eine eiserne Kiste voll Gold und ein menschliches Gerippe, das darüber gestreckt war. Nun war es klar, was aus Anton Foster geworden war. Er hatte sich in diese Höhle geflüchtet, aber er hatte den Schlüssel der Springfeder vergessen, und da er nicht wieder hatte entkommen können, nachdem er das Gold gerettet hatte, um das er sein Seelenheil verkauft hatte, war er jämmerlich umgekommen. Ohne Frage war das Gestöhn und Geschrei, das die Diener vernommen hatten, nicht bloß eingebildet, sondern kam von diesem Elenden, der in seiner Todesangst um Rettung und Hilfe schrie. Die Nachricht von dem entsetzlichen Schicksal der Gräfin gebot den Festlichkeiten zu Kenilworth jähen Einhalt, Leicester zog sich vom Hofe zurück und überließ sich eine Zeitlang ganz seiner Reue. Da aber Varney in seiner letzten Erklärung darauf bedacht gewesen war, nichts dem Grafen Nachteiliges zu sagen, so wurde Leicester von allen bemitleidet. Endlich rief die Königin ihn an den Hof zurück, und er war noch einmal ausgezeichnet als Staatsmann und Günstling. Seine fernere Laufbahn ist geschichtlich bekannt. Aber in seinem Tode schien doch eine Art Vergeltung zu liegen, denn dem allgemeinen Gerücht nach starb er am Genuß eines Giftes, das ihm von einer andern Person zugedacht war. Sir Hugh Robsart starb bald nach seiner Tochter und vermachte sein Besitztum Tressilian. Aber weder die Aussicht, auf dem Lande ein unabhängiges Leben zu führen, noch die Versprechungen höfischer Gunst rissen ihn aus seiner tiefen Schwermut heraus. Wohin er auch ging, überall glaubte er den entstellten Körper seiner jungen und einzigen Geliebten zu sehen. Endlich begleitete er seinen Freund Raleigh auf einer Expedition nach Virginien, und jung an Jahren, doch alt an Leid, ist er vorzeitig in diesem fremden Lande gestorben. Ende Der Pirat Seeroman in zwei Bänden Übersetzt von Erich Walter The Pirate Edinburgh 1821 Erster Band Erstes Kapitel Die lange, schmale, unregelmäßige Insel, gewöhnlich als weitgrößte der ganzen Inselflur, Festland von Shetland genannt, endigt, wie den Seeleuten in diesem das Thule des Altertums umflutenden stürmischen Meeren sattsam bekannt ist, in einer Klippe von furchtbarer Höhe, Sumburgh-Head genannt, die, von wilder Brandung umtost, gegen Süd-Osten die äußerste Spitze der Insel, den Roost [in diesen Gegenden Name für Strömungen solcher Art] von Sumburgh bildet. Auf der Landseite ist das Vorgebirge mit kurzem Grase bedeckt und läuft steil in eine schmale, von vielen kleinen Buchten zerrissene Landzunge aus. Ein norwegischer Häuptling oder nach andern Nachrichten, wie der Name Jarlshof schließen läßt, ein alter Graf von den Orkney-Inseln, hatte diese Landzunge zu seinem Wohnsitz gewählt, der aber schon lange verlassen ist. Trieb-Sand hat die Trümmer begraben. Zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts stand jedoch ein Teil des Grafenschlosses noch und war sogar in bewohnbarem Zustande; es war ein rohes Gebäude aus unbehauenen Steinen mit einigen kleinen, ohne alle Regelmäßigkeit eingefügten Fenstern. Die früher vorhanden gewesenen Wirtschaftsgebäude mit den Räumen für Gefolge und Dienerschaft waren aber verfallen, die Balken zu Brennholz oder anderen Zwecken verbraucht; die Mauern stellenweise eingestürzt. In geringer Entfernung vom Schlosse, in geringerer noch vom Meeresufer, wo die Bucht sich zu einem primitiven Hafen breitet, in welchem drei bis vier Fischerboote lagen, standen ein paar elende Hütten, von den Jarlshofer Bauern bewohnt, die den ganzen Bezirk von dem Gutsherrn unter ziemlich drückenden Bedingungen gepachtet hatten. Der Grundherr selbst, ein ehrlicher, gerader shetländischer Edelmann von leidenschaftlichem Temperament, ein großer Freund von Geselligkeit, doch frei und offen, großmütig gegen seine Untertanen und wohlwollend gegen Fremde, wohnte in einem anderen, freundlicheren Teile der Insel und besuchte Sumburgh-Head nur selten. Er stammte von einer alten, edlen norwegischen Familie ab, was ihn bei den niedern Klassen um so beliebter machte, als sie meistens gleichen Ursprungs sind, während die Lairds oder Grundeigentümer in der Regel Schotten sind, und damals noch als fremde Eindringlinge, die sich des Landbesitzes zu Unrecht erfreuten, angesehen wurden. Magnus Troil, der jetzige Grund- und Schloßherr, der seine Abstammung von dem Gründer von Jarlshof herleitete, vertrat diese Anschauung in ganz besonderem Maße. Die jetzigen Bewohner Jarlshofs hatten mancherlei Wohlwollen von seiner Seite erfahren, und Herr Mertoun, der jetzt in dem alten Schlosse wohnte, war, als er ein Paar Jahre vor dem Beginn dieser Geschichte nach Shetland kam, von ihm mit all der herzlichen Gastfreundschaft empfangen worden, die der ganzen Inselflur eine hohe Berühmtheit schafft. Woher er käme, wohin er ginge, warum er hierher käme, wie lange er bleiben würde, danach fragte ihn niemand. Völlig fremd kam er her, und doch wurde er von allen Insulanern zu Gaste geladen, und in jedem Haus konnte er bleiben, so lange er wollte, lebte darin wie ein Mitglied der Familie, bis er es für gut hielt, ein anderes Haus mit seiner Gegenwart zu beglücken. Wohl möglich, daß mancher Shetländer gern gewußt hätte, wie es um seinen Gast stand, aber zu fragen hätte jeder als Verstoß wider die Gebote der Gastfreundschaft angesehen; der Gast selbst aber tat nicht das geringste, solche Neugierde, wo sie vorhanden war, zu befriedigen. Was wirklich von ihm bekannt war, läßt sich kurz zusammenfassen: Mertoun war nach Lerwick, das sich zu dieser Zeit zu entwickeln anfing, aber noch nicht zur Hauptstadt der Inselflur erklärt worden war, auf einem holländischen Schiffe gekommen, in Begleitung eines hübschen Knaben von ungefähr vierzehn Jahren, der für seinen Sohn galt. Mertoun selbst mochte über vierzig Jahre alt sein; der holländische Schiffer, mit dem er kam, hatte ihn bei einigen Bekannten eingeführt, von denen er gegen Wacholder und Gewürze shetländische Ochsen, geräucherte Gänse und Strümpfe von Schafwolle einhandelte, und obgleich Mynheer nur sagen konnte: »Dat Mynheer syne Passagie wie een Gentleman betalt heft, en heft eenen Kruitz-Dollar außerdem aan het Schepsvolk gegeven,« so hatte das doch vollauf genügt, den Fremden einzuführen, und der Kreis, in welchem er Zugang gefunden, erweiterte sich um so schneller, je schneller man sich überzeugte, daß der fremde Ankömmling im Besitz bedeutender Kenntnisse sei. Zumeist freilich sah man ihn düster und in sich gekehrt. Vor geräuschvoller Fröhlichkeit floh er augenblicklich, und selbst Anlässe von stillerer Freude übten in der Regel keine andere Wirkung auf ihn, als daß sie seine trübe Stimmung erhöhten. Frauen wohnt gemeinhin eine besondere Sucht inne, Geheimnisse auszuspionieren und Kummer zu lindern, vornehmlich wenn es sich um einen Mann von leidlichem Aeßern und in den besten Jahren handelt. Es darf mithin wohl angenommen werden, daß sich unter den blondlockigen und blauäugigen Töchtern von Thule recht wohl eine gefunden hätte, den geheimnisvollen, träumerischen Fremdling mit ihrem Troste zu beglücken, hätte er nur irgendwie merken lassen, daß ihm an solchem Liebesdienste was gelegen sei; leider schien er aber von Personen jenes Geschlechts, dessen Trost und Mitgefühl wir sonst in jeder Bedrängnis, geistiger oder leiblicher Art, gern in Anspruch nehmen, nicht allein nichts wissen zu wollen, sondern sogar alle Berührung mit ihnen zu meiden. Abgesehen von diesen Eigenheiten, hatte Mertoun noch eine, die seinem wichtigsten Freunde und Gönner unangenehmer als alle übrigen waren. Der shetländische Magnat war nämlich der Meinung, ein Glas Genever sei ein Spezifikum gegen Sorgen und Trübsal aller Art. Zu solchen Mitteln nahm aber Herr Basil Mertoun nie seine Zuflucht, denn er beschränkte sich ausschließlich auf Quellwasser und ließ sich weder durch Bitten noch durch Ueberredung bestimmen, ein stärkeres Getränk zu kosten. Solche Gewohnheit hielt aber Magnus Troil für einen Verstoß gröbster Art gegen die alten nordischen Geselligkeitsregeln, die er seinerseits so gewissenhaft beobachtete, daß es sich, wenn er auch, seiner Rede nach, noch nie betrunken zu Bette gegangen war, doch schwerlich hätte beweisen lassen, daß er an einem einzigen Tag im Jahre sich in wirklich nüchternen Zustande schlafen gelegt hätte. Die Frage, was an dem Fremden für das Mißvergnügen, das seine Sittenstrenge und Enthaltsamkeit hervorriefen, schadlos halten konnte, wäre mithin nicht ungerechtfertigt gewesen: erstlich einmal hatte er das ganze Wesen eines Menschen, der nicht zur Durchschnittssorte gehört, und wenn auch nichts die Meinung weckte, daß er reich sei, so ließ sich doch aus seiner Lebensweise schließen, daß er kein armer Schlucker sei. Zudem besaß er eine hübsche Unterhaltungsgabe, sobald er, wie schon bemerkt, Lust hatte, sie zu entfalten; was aber hauptsächlich an ihm fesselte, war das undurchdringliche Geheimnis, das ihn umschwebte, und das durch eine gewisse Rätselhaftigkeit seiner äußern Erscheinung verstärkt wurde. Bestehen aber blieb trotz allem, daß sein Charakter von dem seines Wirtes so grundverschieden war, daß Magnus Troil nichts weniger als unangenehm überrascht wurde, als eines Abends, nach einem zweistündigen Beisammensein, wobei nichts gesprochen, aber Branntwein und Quellwasser getrunken worden, der Gast seinen Wirt darum anging, den verlassenen Jarlshof unterhalb von Sumburgh als Pächter beziehen zu dürfen. Magnus dachte bei sich, daß er auf diese Weise den Pachthof, der ihm lästig genug war, zugleich mit dem verdrießlichen Temperenzlergesicht, das ihm noch lästiger war, los würde, meinte aber, ihm der Höflichkeit halber vorstellen zu sollen, daß er sich dort nicht bloß mit sehr kümmerlicher Einrichtung behelfen, sondern auch darein werde finden müssen, außer Möwen und Schreigänsen keine lebende Seele meilenweit um sich zu haben und sich an sauren Kohlrüben satt zu essen. »Verehrter Freund,« antwortete Mertoun, »was Besseres hätten Sie mir als Empfehlung des von mir erkorenen Wohnsitzes gar nicht sagen können; ein Obdach für mich und den Knaben ist alles, was ich suche. Nennt also den Pachtschilling, den Ihr fordert, Herr Troil!« »Pachtschilling?« entgegnete der Shetländer, »na, der kann für ein altes Haus, das seit meiner Mutter, Gott hab' sie selig, leer gestanden, so groß nicht sein, und was das Obdach betrifft, so sind die Mauern dick genug und halten wohl noch manches Unwetter aus. Aber der Himmel behüt Euch, Herr Mertoun; bedenkt, was Ihr vorhabt. Selbst für unsereinen wäre es schon ein sonderbarer Entschluß, in Jarlshof zu wohnen; aber nun gar für Euch, der Ihr doch anders woher seid, ob nun aus England, Schottland oder Irland.« »Das tut auch nichts zur Sache,« sagte Mertoun kurz. »Nein, natürlich nicht, keine Heringsschuppe,« versetzte der Laird; »nur will ich sagen, daß Ihr mir um so lieber seid, weil Ihr kein Schotte seid, – wofür ich Euch nun einmal nicht halte ... Die kommen hergeschwärmt wie die Bratgänse; wer nur etwas dort ist, der bringt eine ganze Kumpanei mit und setzt sich fest bei uns, denn keiner mag nach seinen dürren Hoch- oder sumpfigen Unterlanden zurück, wenn er erst einmal unser shetländisches Rindfleisch gekostet und unsere schönen Buchten und Seen gesehen hat. Nein, Sir,« fuhr Magnus mit Wärme fort, von Zeit zu Zeit einen derben Schluck zu sich nehmend, doch nur als Mittel, den Zorn gegen die Eindringlinge zu stärken – »nein, Sir, mit der alten Zeit ist's vorbei und mit Brauch und Sitte auf dieser Inselflur nicht minder, die wir Troils lange vor der Zeit des Turf-Einar bewohnten, der zuerst die Kunst gelehrt hat, Torf statt Holz zu brennen, und dessen Name die dankbare Nachwelt mit der Entdeckung selbst verknüpft hat.« Mertoun nahm mit Vergnügen wahr, daß sich der Herr über Jarlshof jetzt im richtigen Fahrwasser befand – wußte er doch im voraus, daß er nun der Mühe überhoben sei, zur Unterhaltung beizusteuern, und seinen eigenen düsteren Gedanken nachhängen könne. Als Magnus Troil jedoch in der Schilderung dieser »glücklicheren alten Zeit« zu dem betrübsamen Schlusse gekommen war, »wie sehr wahrscheinlich es sei, daß im nächsten Jahrhundert kaum ein Mark, ja kaum ein Ure von Land mehr im Besitze der norwegischen Einwohner, der wahren Udallers von Shetland, [Allodial-Besitzer von Shetland, die ihren Grund und Boden noch nach altem norwegischen Rechte inne haben, nicht nach dem später eingeführten schottischen Lehnsrechte] sein würde,« fiel ihm plötzlich ein, daß er selbst es mit einem Ausländer zu tun habe, und er hielt plötzlich inne.. »Wenn ich das sage,« suchte er sich zu verbessern, »geschieht's nicht, weil ich etwas dawider hätte, daß Ihr Euch auf meinem Gute niederlassen wollt, Mertoun, – aber was Jarlshof betrifft – so kann ich bloß wiederholen, daß es dort sehr unwirtlich und unwohnlich ist – besonders für einen Mann wie Euch, der aus besserm Klima kommt ... Bedenkt, daß nicht einmal Shetländer dort hausen mögen ... Aber Mertoun, dies Glas auf Eure Gesundheit!« – »Aus dem Klima, Herr,« antwortete Mertoun, »mache ich mir nichts, wenn nur Luft genug da ist, meine Lungen zu füllen; ob es welche von Arabien oder von Lappland ist, darnach frage ich nicht.« – »Luft könnt Ihr genug haben,« erwiderte Magnus, »sie ist zwar etwas feucht, wie Fremde meinen; wir aber wissen, was dagegen gut ist – Eure Gesundheit, Mertoun! – Trinken müßt Ihr schon noch lernen und eine Pfeife rauchen auch; aber wenn Ihr dies beides könnt, dann werdet Ihr shetländische Luft für besser als arabische finden. Habt Ihr denn schon Jarlshof gesehen?« – Der Fremde schüttelte den Kopf, – »Nun,« sagte Magnus, »dann habt Ihr auch keinen Begriff von dem, was Ihr unternehmt. Von einer bequemen Lage, wie hier am Ufer eines Salzwassersees, wo Euch die Heringe bis vor die Tür schwimmen, dürft Ihr dort nichts erwarten. Dort seht Ihr nichts als wilde Wellen über kahle Felsen stürzen, und die Strömung von Sumburgh, die in einer Stunde fünfzehn Knoten macht.« – »Um so weniger wird man dann was vom Strome menschlicher Leidenschaft dort spüren,« sagte Mertoun. – »Außer Gekrächz von Kormoranen und Seemöwen hört Ihr dort nichts von Tagesanbruch bis zu Sonnenuntergang.« – »Das lasse ich mir lieber gefallen, Freund,« erwiderte der Fremde, »als Geschwätz von Weiberzungen.« – »Aha,« meinte der Normanne, »Ihr hört wohl grade meine kleine Gesellschaft, Minna und Brenda, mit Eurem Mordaunt im Garten singen? Nun, ihre Stimmchen höre ich doch noch lieber als die Feldlerche, die ich einst in Caithneß gehört, oder die Nachtigall, von der ich gelesen habe ... Was werden die Mädchen bloß angeben, wenn ihr Spielkamerad nicht mehr da ist?« – »Sie müssen sich behelfen, Freund,« antwortete Mertoun, »an Spiegefährten fehlt's doch Frauenzimmer nie im Leben, und an solchen, die sie an der Nase führen können, erst recht nicht – doch die Frage ist, Troil, wollt Ihr mir Jarlshof in Pacht überlassen?« – »Gern, da Ihr doch einmal auf das öde Nest versessen seid!« – »Und der Pachtschilling?« fragte Mertoun weiter. »Der Pachtschilling?« wiederholte Magnus, »hm – ja, Ihr müßt halt noch das Fleckchen haben, das mal als Garten galt, und seinen Anteil an Seathold und für einen Sixpenny Mark Landes, damit die Bauern für Euch fischen können; ich meine, acht Pfund Butter und acht Schillinge bar im Jahre dürften Euch nicht zu hoch erscheinen?« Mertoun ging diese billigen Bedingungen ohne weiteres ein und nahm nun seinen Wohnsitz auf dem einsamen Schlosse, das wir zu Anfang dieses Kapitels beschrieben haben, und fand sich auch, allem Anschein nach, ganz gut darin zurecht. Zweites Kapitel Die wenigen Bewohner von Jarlshof vernahmen die Kunde, daß sich ein Herr von höherem Range in dem alten Gebäude niederlasse, das sie noch immer das Schloß nannten, nicht ohne Besorgnis; denn damals war, – im Gegensatze zu jetzt – die Anwesenheit eines Vornehmen im Lande fast unausbleiblich mit schweren Lasten verknüpft, wofür die sogenannten Lehensrechte der Vorwände genug boten. Die Leute fanden indes bald heraus, daß Basil Mertoun zu jenen gefürchteten Erpressern nicht gehörte, sondern sich mit seinem Vermögen, mochte es nun gering oder bedeutend sein, einrichtete, was ihm um so leichter fiel, als er sich einer höchst mäßigen Lebensweise befleißigte. Bücher und physikalische Instrumente, die er hin und wieder von London erhielt, schienen auf gewissen Reichtum zu deuten, wie man ihn in dieser Inselflur nicht kannte; anderseits aber war der Tisch in Jarlshof um nichts besser gedeckt, als bei den andern shetländischen Grundbesitzern. Die Dörfler kümmerten sich wenig um ihren Schloßpächter, sobald sie gemerkt hatten, daß ihre Verhältnisse sich durch seine Gegenwart eher verbesserten als verschlechterten; und befaßten sich jetzt nur noch mit der Frage, wie sie ihn am besten betrügen und übervorteilen könnten, – was sich der Fremde eine Zeitlang mit wahrer philosophischer Gleichgültigkeit gefallen ließ. Ein Vorfall, der sich zutrug, zeigte aber seinen Charakter bald in einem neuen Lichte, und tat aller Betätigung auf diesem Boden mit einemmal Einhalt. In der Küche des Schlosses gab es nämlich eines Tages Streit zwischen einer alten Dame, die Mertoun als Haushälterin eingesetzt hatte, und Sweyn Erikson, einem so echten Shetländer, wie je einer ein Boot auf offener See gerudert hat, und dieser Streit drang bis zu Mertouns Ohren, der gerade mit Auspacken von Büchern beschäftigt war, auf die er länger, als gerechnet, hatte warten müssen. Unwillig stieg er die Treppe hinab und nahm zu dem Zank so entschiedene Stellung, daß die Parteien, trotz aller Ausflüchte, die Ursache desselben schließlich nicht verheimlichen konnten, obgleich er darüber entstanden war, was der Wirtschafterin von dem Betrage zufallen sollte, den der Fischer für nach Jarlshof gelieferten Kabliau forderte. Mertoun blickte erst die beiden Gauner mit der äußersten Verachtung an; dann sagte er zu der Haushälterin: »Du verläßt auf der Stelle Jarlshof, nicht weil Du eine Lügnerin und undankbare Person bist – denn diese Eigenschaften kleben Dir an wie der Name Weib – sondern weil Du in meinem Hause lauter zu sein Dich erfrechst, als es die Not erfordert. – Und Du, elender Wicht, meinst wohl, einen Fremden so leicht übers Ohr zu hauen, wie Du einem Wale die Haut von den Rippen streifst, denkst aber nicht daran, daß ich sehr wohl weiß, welche Rechte mir Dein Herr, Magnus Troil, über Dich eingeräumt hat. Aber zu Deinem Schaden sollst Du erfahren, daß ich Dich in Deiner Ruhe ebenso leicht stören kann, als Du mich in meiner Muße. Nicht einen unter euch soll es geben, der sich freuen soll, mich um mein Geld betrogen zu haben – aber noch weniger einen, der sich sollte rühmen können, mit seinem nordischen Geschrei, das sich abscheulicher anhört als Möwengekrächz, mich in meiner Muße gestört zu haben.« Sweyn meinte seine Ungehörigkeit am besten durch die demütige Bitte gut zu machen, der gnädige Herr möge den Kabeljau umsonst behalten und die Sache auf sich beruhen lassen; Mertoun aber warf in hellem Zorne dem Fischer erst sein Geld an den Kopf, dann ihn selbst samt seinen Fischen zum Jarlshofe hinaus. Der Fischer ließ sich nicht Zeit, Geld oder Fische aufzuheben, sondern rannte spornstreichs nach dem kleinen Dorfe, um seinen Kameraden zu erzählen, wie es ihm mit Mertoun ergangen, und sie vor allem, was nach Uebervorteilung aussehe, ernstlich zu warnen, da sie sonst Gefahr liefen, von ihm ohne Rechtsspruch gehängt oder geköpft zu werden. Ins Dorf hinunter kam auch die vom Jarlshof gejagte Haushälterin, um mit ihren Verwandten, (denn sie stammte aus dem Dorfe) Rücksprache zu nehmen, wie sie sich zu verhalten hätte, die einträgliche Stelle wieder zu bekommen. Aber aller Weisheit reichte hierzu nicht aus, und Swertha, so hieß die Person, – nahm in ihrer Not Zuflucht zu Mordaunt, bei dem sie sich durch ihre Kenntnis alter nordischen Balladen und grauer Mären von den Troils oder Zwergen in Gunst gesetzt hatte, mit denen die abergläubische Vorzeit so manche einsame Höhle und manches dunkle Tal in Dunrochneß, wie jeden andern Distrikt in Shetland, bevölkerte ... »Swertha,« sagte der Jüngling zu ihr, »viel werde ich wohl kaum für Dich tun können, wohl aber magst Du für Dich selbst sprechen. Meines Vaters Zorn gleicht dem der alten Kämpen, von denen Du manchmal singst.« – »Ja, ja, Fisch meines Herzens« – rief die Alte in weinerlichem Pathos – »die Berserker! – Die Berserker! Sie lebten vor der gepriesenen Zeit des heiligen Olaf und rannten sich, wenn sie in Raserei waren, Schwerter, Speere, Harpunen in den Leib, waren aber, wenn der Grimm verraucht war, schwach und wandelbar wie Wasser.« »Vater denkt auch nicht mehr an seinen Zorn, sobald er verraucht ist, und hat viel von einem Berserker an sich,« sagte Mordaunt hierauf. »So aufgebracht er heute gewesen, morgen weiß er schon nichts mehr davon! Daß er aber noch keine andere Frau für Dich genommen, weiß ich, und daß wir noch keinen Bissen warmes Essen genossen, seit Du weggegangen, sondern nur von dem kalten Zeug gelebt haben, das gerade noch da war, weiß ich auch. Verlaß Dich darauf, Swertha, wenn Du dreist aufs Schloß gehst und Deine Arbeit wie gewöhnlich verrichtest, wird Vater Dir nicht ein Wort sagen.« Swertha hatte anfangs keine Lust, sich diesem kühnen Rate gemäß zu verhalten, war ihr doch Herr Basil Mertoun in seinem Zorne schier vorgekommen wie der höllische Feind; der Sohn sprach ihr aber Mut zu, und so entschloß sie sich endlich, in ihrer Haustracht, auf die Herr Mertoun so viel hielt, ins Schloß zurückzuschleichen und ihre Arbeit wieder zu verrichten, ganz so, als ob sie den Dienst keine Stunde verlassen hätte. Am ersten Tage ließ sich Swertha mit keinem Blicke vor dem Schloßherrn sehen, machte aber mit aller ihr zu Gebote stehenden Kunst, eine warme Schüssel zurecht, die ihrer Meinung nach die beste Empfehlung für sie nach dreitägigem Fasten sein müßte. Als ihr nun Mordaunt sagte, der Vater hätte von einer Veränderung im Essen scheinbar gar nichts bemerkt, und als sie nun gar sah, daß der Herr, wenn er an ihr vorbeikam, sie gar nicht zu beachten schien, kam sie auf den Gedanken, daß die ganze Sache dem Herrn und Gebieter schon aus dem Gedächtnis entschwunden sein müsse. Als sie aber am dritten oder vierten Tage mit der andern Magd in Disput geriet und dabei laut zu wettern anfing, kam der Herr, wie zufällig, vorbei, warf ihr einen bedeutungsvollen Blick zu und sprach mit einem Tone, der Swerthas Zunge wochenlang im Zaume hielt, nichts weiter als: »Nimm Dich in acht!« So eigentümlich Mertoun seinen Haushalt zu führen schien, genau so verfuhr er bei der Erziehung seines Sohnes. Nur selten zeigte er ihm väterliche Zuneigung, und doch schien es, als wenn ihm Mordaunts Erziehung das wichtigste Geschäft seines Lebens wäre. Bücher, ihm den gewöhnlichen Wissensunterricht zu geben, besaß er genug, und an Kenntnissen dazu fehlte es ihm auch nicht; auch war er die Ruhe selbst, forderte aber von seinem Zöglinge Aufmerksamkeit und Fleiß – ohne welche beiden Eigenschaften kein gedeihlicher Unterricht möglich ist. Ließ es Mordaunt daran fehlen, so geriet sein Vater bald in jene böse Stimmung, die seine Umgebung als »seine schwarze Stunde« zu bezeichnen liebte. Dann zog er sich, um seinen Aerger mit sich zu verarbeiten, in ein abgelegenes Gemach zurück, das selbst Mordaunt nicht betreten durfte, und wo er dann tage-, selbst wochenlang in Abgeschiedenheit zubrachte, bloß sich zeitweilig sehen ließ, um das Nötigste zu essen oder, in einen dunklen Schiffermantel gehüllt, am stürmischen Gestade oder auf öder Heide, wo er sicher war, niemandem zu begegnen, seinen düstern Gedanken nachzuhängen. Je älter Mordaunt wurde, desto mehr Verständnis gewann er für solche Verzweiflungsanfälle und für die Mittel und Wege, seinem unglücklichen Vater vor unzeitiger Störung, die ihn zur Wut reizen konnte, zu bewahren. Mordaunt merkte, daß die Anfälle bei weitem länger dauerten, wenn er ihm zufällig vor die Augen kam, und daß es das klügste für ihn war, dann Jarlshof und den Bezirk ganz zu verlassen, bis die finstere Stunde vorüber war. Oft zog er an solchen Tagen mit jüngeren Männern aus dem Dorfe auf Unternehmungen aus, gegen die das gefährliche Gewerbe eines Meerfenchelsammlers ein Spaziergang auf ebener Erde ist – oder er beteiligte sich an mitternächtlichen Ausflügen auf die Abhänge der steilen Klippen, um Eier oder Junge von Seevögeln auszunehmen, und legte hierbei eine Gewandtheit und Geistesgegenwart an den Tag, die bei einem so jungen, nicht im Lande geborenen Manne selbst alte Leute in Staunen setzte. Zu anderen malen zog er mit Sweyn und anderen Fischern auf hohe See, lernte unter ihrer Leitung das Boot führen, während ihm von den alten Seebären, die unter sich noch die alte Nornensprache redeten, alte norwegische Sagas erzählt wurden von Seekönigen, Zwergen, Riesen und Zauberern, die nach Mordaunts Meinung den klassischen Geschichten des Altertums um nichts nachstanden, wenn sie nicht gar Vorzüge von ihnen hatten. Oft bezeichneten ihm die Fischer die Gegend um ihn her, die Bucht, in der sie eben fuhren, die oft der Schauplatz blutiger Seegefechte gewesen, als den Schauplatz dieser wilden Dichtungen, oder einen kaum sichtbaren Steinhaufen, der sich auf einem weit in die See hinausragenden Vorgebirge erhob, als Dun oder Schloß eines hochgebietenden Grafen oder mächtigen Piraten, – oder den einsamen Stein auf wüstem Moor als das Grab eines Volkshelden, – oder eine wild umtoste Höhle, in der eine große Zauberin gehaust hatte. Auch der Ozean mit seinen grundlosen Tiefen und geheimnisvollen Höhen barg nach den Erzählungen Sweyns und anderer, in den Sagen und Legenden bewanderten Schiffer seltsame Wunder und Geheimnisse, die neuere Schiffahrer geringschätzig ignorieren, deren Wirkung aber durch das düstre Dämmerlicht, in das die Inseln den größten Teil des Jahres über gehüllt waren, um kein geringes vermehrt wurde. In der vom Monde beleuchteten Bucht, an deren Ufer die Wellen sich kräuselten, huschte noch immer das Meerfräulein im Mondlicht hin, hörte man es nach wie vor mit seiner dem klagenden Winde sich vermählenden Stimme von unterirdischen Wundern singen oder künftige Ereignisse künden. In der Tiefe des nördlichen Ozeans ruhte noch immer der Kraken, dieses gewaltigste aller lebenden Ungetüme, und oft, wenn eine Nebelwand das Meer in der Ferne bedeckte, sah der Blick des erfahrenen Bootsmannes die Fühlhörner des ungeheuren Leviathan in den Nebelwolken schwanken, und setzte dann Ruder ein und Segel auf, um nicht von der wilden Strömung, die von der gewaltigen Masse im Meere hervorgerufen ward, wenn sie hinunter in die Tiefe ging, mit seinem gebrechlichen Nachen in den Bereich der Fangarme des Ungeheuers verstrickt zu werden. Auch die Seeschlange, die aus der Tiefe des Meeres emporstieg, und ihren ungeheuren, mit einer Mähne, wie die eines Streitrosses, bedeckten Hals bis zu den Wolken hinaufreckte, die sich, mit ihren großen glänzenden Augen mastenhoch emporragend, nach Beute oder Opfern umsah, war ihnen wohlbekannt. Bei den gemächlicheren Zerstreuungen der fröhlichen, wenn auch strengen Winterzeit, in welcher hier alle Arbeit ruht, dagegen die menschliche Tugend der Geselligkeit erstaunliche Vielseitigkeit entfaltet, war niemand froher und heiterer als der junge Mertoun, der, sobald seines Vaters Gemütszustand ihm Abwesenheit rätlich erscheinen ließ, von Haus zu Haus ging, überall gern gesehen und sich niemals nötigen ließ, weder zu Gesang noch zu Tanz oder Sport ... Ein Boot oder – wie es sich oft traf bei ungünstigem Wetter – ein Pferd aus den herumirrenden Herden, die hier zu jedermanns freiem Gebrauch sind, trug ihn von einer gastlichen Wohnung zur andern. Es gab keinen auf der ganzen Inselflur, der es ihm in dem kriegerischen Schwerttanz zuvortat, einer Art sportlicher Uebung, die noch von den alten Norwegern stammte. Auf dem Gue und der gewöhnlichen Geige verstand er all die melancholischen und leidenschaftlichen Weisen zu spielen, an denen die Bewohner von Shetlands Inseln so überreich sind, und denen er, um die Einförmigkeit zu mildern, oft frischere Sänge aus dem schottischen Norden einflocht, in deren Vortrag er kein geringer Meister war. Auch das Amt des Skudder oder Anführers übernahm er immer willig und mit hohem Geschick, wenn es galt, einem Laird oder Udaller als »Guizards» in Masken und Larven einen Ausflugsbesuch zu machen. Dann brachte er von Haus zu Haus, wohin er kam, Freude, und ließ Bedauern zurück beim Scheiden. So wurde Mordaunt überall bekannt und wußte sich beliebt zu machen, wohin er kam. Am häufigsten war er Gast im Hause von Magnus Troil, dem Wirte und Gönner seines Vaters. Daß es aber nicht bloß die freundliche Weise des alten Recken war, die ihn hierher zog, daß er nicht bloß gern dem braven Udaller guten Tag sagte, dessen Stimme so mächtig dröhnte, daß sie in grauer Vorzeit zur Feier der Wiederkehr des Yue, des größten Festes der Goten, Staat hätte machen können – sondern daß ihn noch anderes Metall kräftiger anzog aus jüngeren Herzen, deren Willkommen, wenn auch nicht so laut, doch ebenso freundlich war wie das des Udallers – das ist ein Thema, dessen Behandlung sich für keinen Kapitelschluß schickt. Drittes Kapitel Der beiden Töchter Magnus Troils, Minna und Brenda mit Namen, haben wir schon erwähnt. Ihre Mutter hatte das Zeitliche vor vielen Jahren gesegnet. Sie waren inzwischen zu stattlichen Mädchen herangewachsen, von denen die ältere achtzehn Jahre alt, also etwa zwei Jahre jünger als Mordaunt Mertoun war, die zweite siebzehn Jahre zählte. Sie waren die Freude des Vaters und das Licht seiner Augen, und wenn er ihnen auch auf so nachsichtige Weise Freiheit und Willen ließ, daß seiner Ruhe leicht hätte Gefahr entstehen können, so hatte doch bisher die grenzenlose Liebe, mit der sie ihm anhingen, jeglichen Anlaß hierzu im Keime erstickt. So verschieden sie ihrem Gemüt und ihrer Gestalt nach waren, war doch die Familienähnlichkeit nicht zu verkennen. Die Mutter der Mädchen war eine Schottin, aus den Hochlanden von Sutherland, und Tochter eines edlen Häuptlings, der während der Fehden des 17. Jahrhunderts aus seinem Lande vertrieben wurde und Schutz auf diesen friedlichen Inseln gefunden hatte, wo, trotzdem Armut das Erbteil und Abgeschiedenheit das Los der Bewohner war, doch Hader und Zwietracht fremde Gäste waren. Dem alten Saint-Clair – so hieß der Häuptling – ging der Verlust seiner heimatlichen Burg mit ihren Clansleuten und allen ritterlichen Ehren tief zu Herzen, so daß er bald, nicht lange nach seiner Ankunft in Shetland, in das Grab stieg. Die Schönheit seiner Tochter hatte Magnus Troil in Fesseln geschlagen. Er fand Gehör, und sie wurde die Seine, starb jedoch schon im fünften Jahre ihrer glücklichen Ehe. Minna hatte von der Mutter die hohe Gestalt und die dunklen Augen, die rabenschwarzen Locken und die feingeschwungenen Brauen geerbt: Merkmale dafür, daß sie nach einer Seite hin mit dem alten Blut von Thule nicht in Verwandtschaft stand. Auf ihrer Wange – weiß, doch nicht bleich – lag ein so leiser, zarter Hauch von rosiger Röte, daß bei vielen die Rede ging, sie erinnere zu stark an die Lilie. Aber in dieser Vorherrschaft der blassern Blume,lag nichts von Krankhaftigkeit, sondern es war die wahre, natürliche Farbe der Gesundheit, die zu den Gesichtszügen, aus denen ein hochsinniger Geist sprach, so recht zu passen schien. Brenda, die jüngere, war eine andere, aber ebenso liebliche, ebenso reine, unschuldige Schönheit. Ihre reichen Locken hatten jenes lichte Braun, dem der vorübergehende Sonnenstrahl einen Goldglanz verleiht, das aber sogleich wieder verdunkelt, sobald der Strahl verschwunden ist. Ihre Augen, ihr Mund, die schönen Zähne, die frische, doch nicht zu dunkle Glut einer jugendlichen Gesundheit, welche ihre schneeweiße Haut färbte, gaben Zeugnis von ihrer echt skandinavischen Abkunft. Ihre feenhafte Gestalt, nicht zu hoch, wie die ihrer Schwester, aber von größerem Ebenmaß, ein sorgloser, kindlich-leichter Schritt, ein Auge, das auf jedem Gegenstand wahrer Fröhlichkeit mit Freude weilte, waren Vorzüge, die jene der Schwestern – trotzdem dieselben wahrlich nicht geringer waren – doch in Schatten stellten. Bei aller Verschiedenheit der Gemütsart dieses lieblichen Schwesternpaares konnte aber in der Liebe zum Vater keine der andern den Vorrang streitig machen. Brendas Frohsinn übertrug sich auf jede Verrichtung, auf jedes Vorkommnis des täglichen Lebens, während die stillere Art der Schwester eher dazu neigte, dem Vergnügen und der Freude, wenn nicht Einhalt zu tun, so doch nicht Förderung angedeihen zu lassen. Bücher waren ihr liebere Freunde als Menschen, und ihre Kenntnisse gingen über ihre Sphäre; Shetland bot damals nur geringe Gelegenheit, sich Wissen anzueignen, und Magnus Troil war, wie wir ihn beschrieben haben, nicht der Mann, in dessen Hause sich die Mittel zum Erwerbe desselben fanden. Aber das Buch der Natur, dieses edelste der Bücher, das der Mensch immer anstaunen und bewundern muß, selbst wenn er es nicht versteht, lag vor Minna offen dar. Die Pflanzen dieser wilden Gegenden, die Muscheln an der Küste und die an Gattungen überreiche gefiederte Welt, die diese Klippen und Horste bewohnt, waren Minna Troil ebenso bekannt, wie dem erfahrensten Jäger. Sie hatte eine scharfe Beobachtungsgabe, ein sehr gutes Gedächtnis und ließ sich von anderen Gefühlen nicht ablenken, wenn sie sich mit etwas Bestimmtem befaßte. Für die einsame düstere Naturschönheit der shetländischen Inselwelt hatte sie eine tiefe Empfindung. Das Meer in all seinen Gestaltungen erhaben-grauser und doch wieder heilig-stiller Art; die von dem endlosen Wogengebraus widerhallenden furchtbaren Klippen; das Schnarren, Krächzen, Schreien und Quieken der Seevögel hatte fast in jedem Wechsel der Jahreszeit für Minna besonderen Reiz; in der dem romantischen Geschlechte, aus dem ihre Mutter entsprossen, eigentümlichen Schwärmerei gestaltete sich die Liebe zur Natur bei ihr zu einer Leidenschaft, die nicht allein ihre Seele auszufüllen, sondern zuzeiten in die stärkste Begeisterung versetzen konnte ... Was ihre Schwester nur mit momentanem Schauer oder einem geringen Grade von dauernder Erregung ergriff, beschäftigte Minnas Phantasie tage- und wochenlang, und zwar nicht allein in dem Stillschweigen der Nacht, sondern auch in den der Unterhaltung geweihten Stunden, so daß sie mit ihren Gedanken, wenn sie, wie ein schönes Marmorbild, in ihrem häuslichen Kreise dasaß, in weiter Ferne, an der wilden Seeküste und in den noch wilderen Bergen ihrer Inselflur schweifte. Und dabei verstand sie es doch, wie nur wenige, die Unterhaltung eigentümlich lebendig zu gestalten, so daß man ihr unwillkürlich, wenn auch vielleicht nicht so ungeteilte Liebe, wie ihrer jüngeren fröhlichen, lieblichen Schwester, so doch eine hohe Achtung, unter ihrer schlichten Umgebung fast Ehrfurcht, entgegenbrachte. So waren Minna und Brenda nicht allein aller Bekannten Lust und Freude, sondern der Stolz der ganzen Inselflur, deren Bevölkerung durch die Abgeschiedenheit ihrer Lage und die schöne Sitte der Gastfreiheit zu einer echten Gemeinschaft mit biblischem Sinne vereinigt war. Lord Byron hätte seine herrlichen Verse Sie wallt in Schönheit, gleich der Nacht, Wenn am reinen Himmel blinkt Sternenlicht, Des Schattens Reiz, des Lichtes Pracht Vereint sich in ihrem schönen Gesicht. Sie hat, was die Nacht so zauberisch macht, Den sanften Schein, der dem Tage gebricht. auf Minna Troil dichten können. Der Vater liebte beide Mädchen so zärtlich, daß niemand zu sagen vermocht hätte, welche von beiden er lieber hätte, es sei denn, daß er auf Spaziergängen die ernstere Tochter lieber um sich hatte, sein fröhlicheres Kind dagegen lieber am häuslichen Herde sah; oder daß er Minnas Gesellschaft vorzog, wenn er traurig, Brendas, wenn er fröhlich war. Seltsamer aber war es noch, daß Mordaunt Mertoun seine Neigung mit derselben Unparteilichkeit, wie der Vater, zwischen den zwei lieblichen Schwestern zu teilen schien. Von seinem Knabenalter an war er, wie oben erzählt, ein häufiger Gast in Magnus Troils Haus in Burgh Westra, obgleich es an zwanzig Stunden vom Jarlshof entfernt war. Die Gegend zwischen diesen beiden Orten war hügelig und teilweis von lockerem, weichem Moor bedeckt, auch häufig von Buchten oder Meresarmen zerrissen, die auf beiden Seiten in die Insel einschnitten, so daß der Weg in der späteren Jahreszeit sehr beschwerlich, ja gefährlich war; dennoch konnte man, sobald es seines Vaters Gemütszustand ihm zum Bedingnis machte, sicher sein, Mordaunt am nächsten Tage in Burgh Westra zu finden, wohin er seinen Weg in weit kürzerer Zeit zurücklegte, als der flinkste Eingeborene gebraucht hätte. So gewöhnte man sich auf Shetland, ihn für einen Verehrer einer der Töchter Magnus Troils anzusehen, und wenn man erwog, mit welcher Liebe der alte Udaller an dem Jüngling hing, so konnte niemand zweifeln, daß er ihm eine seiner Töchter zur Frau geben würde, mit soviel Grund und Boden, felsigem Moorland und Küstenfischereien, als ihr an Mitgabe zufiele, mit Aussicht bei seinem Ableben auf das halbe Barvermögen des alten Hauses Troil, eine Beigabe, die gewiß nicht zu verachten war, so daß sich niemand dagegen verschloß, eine sehr vernünftige Spekulation darin zu erblicken. Aber den Hauptpunkt, für welche der beiden Jungfrauen Mordaunt sich eigentlich erklären werde, konnten auch die scharfsinnigsten Köpfe nicht ausfindig machen, schien er sich doch im allgemeinen nicht anders gegen sie zu benehmen wie ein zärtlicher und liebevoller Bruder gegen zwei gleich liebe Schwestern. Viertes Kapitel Der Frühling war weit vorgerückt, als Mordaunt nach einer in Burgh Westra lustig verlebten Woche sich unter Darlegung der Notwendigkeitsgründe für seine Rückkehr nach Jarlshof von der Familie verabschiedete. Diese Notwendigkeit wurde aber von den Mädchen und noch entschiedener von Magnus Troil selbst in Frage gestellt, mit dem Bemerken, daß, wenn ihn sein Vater sehen wolle, was übrigens nicht glaubhaft sei, dieser sich ja nur in Sweyns Boot zu werfen oder, wenn er die Landkreise vorziehe, – auf einen Gaul zu setzen brauche, und dann nicht allein seinen Sohn, sondern zwanzig andere Leute noch herzlicher erfreuen würde dadurch, daß er sich endlich mal wieder sehen ließe. Mordaunt ließ das alles gern gelten, meinte aber, daß sein Vater sich nun einmal mit andern Leuten nicht zurechtfände, und daß es schon darum nicht angehe, länger zu bleiben; zumal man, wenn man warten wollte, bis sein Vater nach Burgh Westra käme, wohl eher erleben würde, Kap Sumburgh zu sehen als ihn. – »Oho, das dürfte wohl ein beschwerlicher Gast sein,« sagte Magnus; »aber wollt Ihr nicht wenigstens heute noch mit uns zu Mittag essen? Die Familien von Muneß-Quendale und Therelivoe kommen, und wohl auch sonst noch mancher, außer den dreißig, die vergangene Nacht in unserem Hause waren, so daß wir Strohschütten werden legen müssen, um allen eine Unterkunft zu bieten. – Und bei dem allen wollt Ihr fehlen?« – »Und abends gibt's Tanzvergnügen,« fügte Brenda in neckischem Tone hinzu; »und die jungen Leute von Paba sollen den Schwertertanz tanzen; wer soll mit ihnen, Schottland zur Ehre, ringen, wenn Ihr fehlt?« – »Es gibt noch manchen guten Tänzer auf dem Festlande, Brenda,« antwortete Mordaunt, »und wo es die gibt, da wird Brenda nach wie vor den Besten finden. Ich muß mich nun schon heute abend in die Wildnis von Dunrochneß trollen.« – »Tue es nicht, Mordaunt,« sagte Minna, die inzwischen ängstlich aus dem Fenster geblickt hatte; »geh heut nicht durch die Wildnis von Dunrochneß.« – »Und warum gerade heute nicht?« fragte Mordaunt lachend. »Der Frühnebel liegt schwer über der Inselflur. Noch haben wir seit Tagesanbruch Fitful-Head [hohes Vorgebirge an der Spitze der Fitful-Bergkette] nicht sehen können. Die Vögel fliegen unruhig zur Küste, die Fuchsgans sieht im Nebel so groß aus wie der Kormoran, und die Erd- und Stoßmöwen flüchten sich zwischen die Klippen.« – »Und die halten, weiß Gott! einen Sturm besser aus als eine Fregatte,« sagte der Vater; »wenn die so stechen und fischen, Mordaunt, setzt's schlimmes Wetter.« – »Bleib also hier,« sagte Minna. »Sieh, obgleich die Jahreszeit noch nicht weit vorgerückt ist, ist die Luft doch schwül und drückend, dabei so ruhig, daß sich kein Halm auf der Heide rührt. Bleibe bei uns, Mordaunt; denn alles läßt auf ein so schlimmes Wetter schließen, wie wir es lange nicht erlebten.« – »Desto eher muß ich gehen,« behauptete Mordaunt, dessen scharfem Blicke diese Anzeichen auch nicht entgangen waren. »Wird's zu arg, so kehr' ich nachts in Stourbourgh ein.« – »Wie,« sagte Magnus: »Ihr wollt uns verlassen, und bei des neuen Kämmerlings neuem schottischen Substituten bleiben, der uns shetländische Wilde neue Sitten lehren soll? Wenn Du aus dem Tone pfeifst, Junge, dann geh in Gottes Namen!« – »Nein,« sagte Mordaunt, »ich bin nur neugierig, die neuen Ackerbauwerkzeuge zu sehen, die er mit herübergebracht hat,« – »Ja, ja, Wunderdinge machen Narren stutzen. Mich soll's wundern, was er mit seinem neuen Pfluge gegen unsre shetländischen Felsen ausrichten wird.« – »Ich will meinen Weg über Stourbourgh nehmen,« fagte der Jüngling, um den Vorurteilen seines Gönners gegen alle Neuerungen nicht allzu schroff gegenüber zu treten; »wegblasen wird mich der Sturm wohl nicht, und wenn's Regen gibt, was wohl wahrscheinlich ist, werde ich wohl auch nicht zu Wasser werden.« – »So nimm Dich wenigstens recht in acht, da Du doch einmal gehen willst,« sagten beide Schwestern zugleich. Aller Warnungen ungeachtet, nahm Mordaunt Abschied, doch außer stande, einen schmerzlichen Seufzer zu unterdrücken, als er auf die Behaglichkeit ringsumher zurückblickte, den dicken Rauch aus den Schornsteinen steigen sah und dann die unfreundliche, einsame Behausung in Jarlshof und die düstre Schwermut seines Vaters mit der traulichen Wohnstätte und Herzlichkeit der lieben Menschen in Parallele stellte, von denen er eben den Fuß hinweg setzen wollte. Die Zeichen für das Einsetzen des Sturmes mehrten sich. Mordaunt war noch keine drei Stunden gegangen, als die Luft, die am Morgen bleischwer gewesen war, auf einmal in wilde Bewegung geriet, und bald tobte und brüllte der Sturm mit aller Wut eines nordischen Orkanes; mit furchtbarer Gewalt schlug er gegen die Hügel und Felsen und in Strömen goß der Regen nieder, eine förmliche Wand bildend, die es dem Wanderer unmöglich machte, die Richtung seines Weges zu verfolgen, gab es doch von gebahnten Straßen noch nicht die leiseste Spur, und wurde die Wegstrecke doch von Seen, Morästen, Pfühlen und Fenns fortwährend unterbrochen. Die Bäche waren zu Strömen angeschwollen, deren Fluten vom Sturme hochgepeitscht wurden und die Luft mit einem Gestöber von Salzwasser erfüllt, das ihm ins Gesicht schlug und als Zeichen dafür gelten mußte, daß Springfluten vom rasenden Meere herüber sich mit den Wassermengen der inländischen Seen und Ströme vermischt hatten. In diesem grausen Aufruhr der Elemente bahnte sich Mordaunt kühn den Weg. Er fühlte, daß sein Leben in der schwersten Gefahr stand, daß er alle Kraft und Klugheit daran setzen müsse, es zu retten; aber er fühlte auch den stolzen Triumph, den jedes Aufgebot von Kraft, um schwere Gefahr zu überwinden, in der menschlichen Seele weckt ... »Sie sollen in Burgh Westra von mir nicht hören,« dachte er bei sich »wie von des alten albernen Ringan Ewerson Boot, das zwischen Reede und Hafendamm verloren ging.« So schritt er mutig weiter, bauend auf dem ihm eigenen Scharfblick für alle Kennzeichen der Naturvorgänge, denn alle örtlichen Merkmale, wie Feld, Berg und Vorgebirge waren in Nebel und Dunkelheit gehüllt; aber lange Bekanntschaft mit diesen wilden Gegenden hatte ihn selbst den kleinsten Gegenstand ins Auge fassen gelehrt, der ihm unter solchen Umständen zur Richtschnur dienen konnte. Und doch drohte all seine Erfahrung und Entschlossenheit an den wilden Umständen seiner Lage zu scheitern, da er, trotz äußerster Anstrengung, nur langsam durch die ausgetretenen Bäche und doppelt tiefen Moräste, die ihn zu häufigen Umwegen zwangen, vorwärts kommen konnte. Aber er bestand den schweren Kampf mit Sturm, Regen und Ungemach, und sah, nur ein einziges Mal vom Wege abgekommen, endlich das Haus von Stourbourgh oder Hafra vor sich, mit welchem Namen man den Aufenthaltsort des Herrn Triptolemus Yellowley bezeichnete, des erwählten Abgeordneten des Kämmerlings von Orkney und Shetland, eines sehr klugen und weitsichtigen Mannes, der in das Ultima Thule der Römer einen Geist des Fortschrittes zu verpflanzen gedachte, wie er sich in dieser früheren Zeit kaum in Schottland selbst zu äußern anfing. Das Haus des würdigen Mannes war auf einige Meilen weit der einzige Zufluchtsort, den Mordaunt vor dem wütenden Sturme zu finden hoffen durfte, und als er nun im vollsten Vertrauen, hier Einlaß zu finden, auf die Tür zuschritt und diese nicht allein eingeklinkt, (was das Wetter entschuldigen konnte), sondern sogar verriegelt fand, – ein, wie Magnus Troil schon erwähnt hatte, auf den Inseln beinahe unbekannter Fall – war er nicht erstaunt (denn der Ausdruck war zu gelind), sondern verblüfft. Er klopfte, rief, schlug gegen die Tür, warf mit Steinen dagegen – alles umsonst: Die Tür blieb verschlossen. Minute auf Minute verrann, ohne daß er aufhörte, seiner Ungeduld durch Lärm Luft zu machen, und ohne daß ihm irgend eine Antwort zu teil wurde – und diese Zeit wollen wir benutzen, den Leser über Triptolemus Yellowley, und darüber, wie er zu diesem sonderbaren Namen kam, zu unterrichten. Der Vater von Triptolemus, der alte Jasper Yellowley, war, obgleich am Fuße des Roseberry-Gipfels geboren, von einem schottischen Grafen bewogen worden – da der Ort für den pfiffigen Yorkshirer selbst zu weit nördlich lag – einen Pachthof in den Mearns zu übernehmen; aber hier bot der rüstige Pächter umsonst alle Anstrengung und wirtschaftlichen Kenntnisse auf, dem kalten Boden und feuchten Klima Erfolge abzuringen. Gelungen wäre es ihm schließlich trotz allem, wenn ihn nicht die Lage seines Pachthofes an der Grenze vom Grampian-Gebirge unaufhörlich den Einfällen der »Plaid-Leute« ausgesetzt hätte, die im Bereiche desselben wohnten, und darüber geriet Jasper Yellowley bald in Armut. Aber seine roten Wangen unb sein kräftiger Körperbau führten ihm das Herz der Jungfer Barbara Clinkscale zu: der Tochter des verstorbenen und Schwester des jetzt lebenden Mannes dieses Namens. Da das Haus Clinkscale immer schottischen Stolz gewahrt und sich durch schottische Sparsamkeit ausgezeichnet hatte, wurde dieser Ehe in der Gegend nichts weniger als Beifall gezollt. Aber Jungfer Baby besaß ein Vermögen von 2000 Mark, über das sie schalten und walten konnte, war resoluten Sinnes und seit wenigstens zwanzig Jahren (so versicherte wenigstens der Notar, der den Kontrakt aufsetzte), major [mündig] und sui juris [rechtsständig] und heiratete, allen Vor- und Nachreden zum Trotz, den wackern Freisassen aus Yorkshire. Ihr Bruder und ihre engern Verwandten kehrten sich von ihr nicht bloß verdrossen ab, sondern sagten sich fast vollständig von ihr los. Aber Haus Clinkscale hatte, wie damals jede schottische Familie, noch viele andere Verwandte – die nicht so heikel waren – Vettern im zehnten und sechzehnten Grade, die nicht nur Baby Yellowley nach wie vor als ihre Verwandte anerkannten, sondern sich auch herabließen, Bohnen und Speck mit ihrem Manne zu essen, ein Gericht, das die Schotten damals ebenso verabscheuten wie die Juden. Ja sie hätten ihre Freundschaft sogar gern durch ein Darlehen noch enger mit ihm geknüpft, hätte sich nicht seine wackere Ehehälfte, die sich, wie kaum eine Frau in den Mearns, kein X für ein U machen ließ, strikte dagegen ausgesprochen. Ebenso hatte sie die Gastfreundschaft, die der junge Deelbelicket und der alte Dougald Baresword, Laird von Bandybrawl, und andere in Anspruch zu nehmen sich erdreisteten, klugerweise nicht geweigert, sondern vielmehr dazu benutzt, Unterhandlungen mit den händelsüchtigen Leuten jenseits des Eairn anzuknüpfen, die, sobald sie inne wurden, daß Yellowleys, die sie sonst ungestraft geplündert, jetzt mit »wohlbekannten und in der Kirche und auf dem Markte begrüßten Leuten« verwandt seien, sich sofort mit einer mäßigen Abfindungssumme für Raub und Ueberfall einverstanden erklärten. Durch diesen glücklichen Erfolg wurde Jasper mit dem Pantoffelregiment seiner Frau ausgesöhnt, trotzdem sich dasselbe noch sehr verschärfte, als sich fand, daß sie guter Hoffnung sei. In diesem gesegneten Zustande hatte Frau Jellowley nämlich einen merkwürdigen Traum: bei schwangeren Müttern vor der Geburt bekanntlich ein häufiges Vorkommnis. Sie träumte, daß sie glücklich von einem Pfluge entbunden worden, der von drei Joch Ochsen aus Angushire gezogen wurde; natürlich setzte sie sich flugs mit drei Gevatterinnen hin, um zu beraten, was solcher Traum wohl bedeuten möchte. Der alte Jasper wagte nach langem Zögern und unter vielem Stocken und Stottern sich dahin zu äußern, daß sich solch Traumgesicht wohl mehr auf vergangene Begebenheiten beziehe als auf vorhandene zu deuten sei – und wohl darauf zurückzuführen sein möge, daß die Nerven seiner Frau dadurch in Aufruhr geraten seien, daß sie seinem eigenen großen Pfluge mit den sechs Ochsen begegnete. Aber die drei Gevatterinnen erhoben gegen solche Auslegung solches Geschrei, daß Jasper die Finger in die Ohren stecken und aus der Stube laufen mußte. »Da hör ihn einer« sagte eine Alte aus Nord-Schottland, »seine Ochsen sind ihm seine Götzen wie das Kalb von Bethel! Nein, nein – kein irdischer Pflug ist's, hinter dem der Knabe (denn ein Knabe wird's) hergehen wird, sondern ein geistiger Pflug, – den der Knabe einst auf der Kanzel führen wird.« »Ihr seid des Teufels mit Euren überspannten Ideen,« sagte die alte Frau Glenprosing: »er soll sich wohl um seinen Kopf predigen, wie James Guthrie der Gottesmann? Nein, nein, davon darf keine Rede sein! er soll einen sichern Lebenspfad wandeln.« – Der Meinungszwist zwischen den beiden Sibyllen wurde mit jedem Augenblick heftiger (wobei das kreisende Zimmtwasser wie Oel auf die Flamme wirkte), als Jasper mit der Pflugreute hereinkam und auf eine Weile Stille schuf. Ich weiß nicht, ob aus Ungeduld, ein dem Anschein nach zu einem hohen, geheimnisvollen Berufe bestimmtes Wesen an das Licht der Welt zu bringen, geschah, was nun folgte – oder ob die arme Frau Yellowley sich über den Lärm entsetzt hatte, der in ihrer Gegenwart entstand: genug, es befiel sie ein plötzliches Unwohlsein, und bald ging die Rede, daß sie sich bei weitem schlechter befinde, als sich – wie die Redensart immer lautet – »den Umständen nach erwarten ließe,« Sie nahm, da sie noch ihr Bewußtsein hatte, diesen Zufall wahr, um von ihrem mitfühlenden Gatten zwei Versprechen zu erhalten, erstens: daß er den Knaben, dessen Geburt ihm dem Anschein nach so teuer zu stehen kommen sollte, einen Namen beilege, der mit ihrem Traum im Einklang stehe, und zweitens: daß er den Knaben für die geistliche Laufbahn bestimmte. Der kluge Yorkshirer, in der Meinung, daß die Frau unter so bewandten Umständen allerdings ein Recht zu Vorschriften habe, willigte in alles. Wirklich kam auch ein Knabe zur Welt; aber die Mutter war mehrere Tage lang so schwach, daß sie sich nicht darum bekümmern konnte, ob ihren Wünschen gewillfahrt worden sei oder nicht. Als sie sich zu erholen anfing, wurde ihr mitgeteilt, daß das Kind in der Taufe, die man schnell vornehmen zu müssen für geraten erachtet hatte, den Namen Triptolemus bekommen habe, da der Pfarrer, ein in den Klassikern belesener Herr, sich dahin geäußert habe, daß dieser Name die von ihr gestellte Bedingung erfülle, indem er auf Pflug und dreifaches Ochsengespann deute – aber Frau Yellowley war mit der Art, wie man ihrem Wunsche gerecht geworden, nicht so ganz zufrieden; da aber Brummen hier wenig half, ließ sie sich den heidnischen Namen gefallen und suchte die Wirkungen, die er auf Geschmack und Ansichten des Täuflings hervorbringen könnte, durch eine Erziehung aufzuheben, die ihm alle Gedanken an Pflugeisen, Pflugsterze und dergleichen mit dem sklavischen Pflugplacke in Bezug stehende Dinge fernhalten sollte. Jasper, der weise Yorkshirer, lachte sich aber ins Fäustchen, denn er meinte, der kleine Trip werde wohl kaum zu jenen »Aepfeln gehören, die weit vom Stamme fielen,« vielmehr eher nach ihm, als dem wackeren Freisassen, arten, als in das zwar edle, aber scharfe Blut des Hauses Clinkscale schlagen, und nahm mit heimlicher Freude wahr, daß das bekannteste Wiegenlied nach der Melodie des Liedes: »Der Landmann hat viel Freude«, gesungen wurde, und daß die ersten Worte, die das Kind lallte, die Namen seiner drei Ochsen waren; ja daß der Knabe Hausbier gern trank und schottisches ausspuckte, – und daß, wenn kein anderes Mittel, ihn zur Ruhe zu bringen, mehr anschlagen wollte, ein Zaum, mit dem man ihm vor dem Ohre klingelte, die gewünschte Wirkung nie versagte. Auf diese Anzeichen hin verschwor er sich hoch und heilig, sein Junge würde ein echter Yorkshirer werden, und der Mutter, wie ihrer Clinkscaler Sippschaft, ein derbes Schnippchen schlagen. Ein Jahr nach des Trips Geburt gab Frau Yellowley einer Tochter das Leben, die nach ihr Barbara getauft wurde, und schon in frühester Kindheit durch die spitzige Nase und dünnen Lippen erkennen ließ, daß sie eine echte Clinkscale werden würde, auch in der späteren Kindheit diese Erwartung durch die Gier noch rechtfertigte, mit der sie nach allem, besonders aber ihres Brüderchens Spielsachen, griff, wie auch durch die Neigung, bei der geringsten oder auch gar keiner Veranlassung zu beißen, zu kneifen oder zu kratzen. – Der junge Triptolemus bekam vom Pfarrer soviel Unterricht, wie dieser geben konnte, und wurde, als Zeit und Stunde kam, nach Saint-Andrews zur Vollendung seiner Studien gesandt. Wohl zog er dorthin, nahm aber wehmütige Erinnerungen mit an Vaters Pflug, Vaters Eierkuchen und Vaters Hausbier, wofür ihm das Dünnbier des »College,« wie schon dessen Spottname »Dünnpfiff« andeutete, nur schwachen Ersatz bot. Indessen machte er Fortschritte in der Wissenschaft, wobei sich aber eine bestimmte Vorliebe bei ihm für diejenigen alten Schriftsteller, die sich den Ackerbau zur Domäne ihrer Kunst erkoren, nicht verkennen ließ. So war die »Bucolica« des Virgil sein Lieblingsbuch, und dessen »Georgica« wußte er sogar auswendig – aber die »Aeneide« konnte er nicht ausstehen und haßte besonders die berühmte Zeile, die einen Angriff der Reiterei malt, weil er das darin vorkommende Wort »putrem« [Quadrupedumque putrem sonitu quatit ungula campum] so auslegte, daß die Reiterei in ihrer grimmen Hitze über ein frisch gedüngtes und gepflügtes Feld hinweggaloppiert sei. Unter den Helden und Philosophen des Altertums war der römische Zensor Cato sein ausgesprochener Liebling, doch nicht wegen seiner Sittenstrenge, sondern wegen seiner Abhandlung » de re rustica.« So hatte er auch immer die Cicero-Worte im Munde: jam neminem antepones Catoni. Von Palladius und Terentius Varro hielt er wohl was, aber Calumella kam nie aus seiner Tasche. Ebenso interessierten ihn auch in den Kalendern der Gegenwart nicht die eitlen Prophezeihungen politischer Ereignisse, sondern bloß die Nachrichten über praktischen Bodenbau, über diejenigen Düngemethoden, die eine gute Ernte erwarten ließen, über die beste Zeit zum Säen und über die Wetteraussichten für die einzelnen Monate, wie z. B. daß es, wenn es dem Himmel gefällt, im Januar schneien werde, und daß der Verfasser seinen Ruf verpfänden wolle, daß es im Juli viel Sonnenschein geben werde. Obgleich der Rektor von St.-Leonard mit dem ruhigen, fleißigen Triptolemus zufrieden war und ihn seines viersilbigen Namens mit der lateinischen Endung nicht eben für unwürdig hielt, mochte ihm seine allzu große Vorliebe für die Ackerbauschriftsteller durchaus nicht gefallen, schmeckte sie ihm doch, wie er sagte, gar zu sehr nach Erde, wenn nicht nach etwas noch Aergerem. Aber Triptolemus Yellowley beharrte eigensinnig bei seiner Richtung, so daß ihm beispielsweise die Schlacht von Pharsalia nicht deswegen merkwürdig war, weil sie über die Freiheit der Welt entschied, sondern weil ihm die reiche Ernte vorschwebte, die die emathischen Gefilde im nächsten Jahre zufolge des starken Blutdungs gegeben haben müßten. Nie war er dahin zu bringen, von vaterländischer Dichtkunst auch nur eine einzige Zeile zu lesen, ausgenommen den alten Tusser, dessen »hundert Regeln« über gute Landwirtschaft er auswendig wußte, sowie Piers, des Pflügners »Vision«, die er, durch den Titel angezogen, begierig von einem Hausierer kaufte, aber schon nach den ersten zwei Seiten als eine freche, sich unangemessenen Namens bedienende Schmähschrift ins Feuer warf. Aus der ganzen Gottesgelahrtheit interessierten ihn bloß die Bibelworte, daß der Mensch sein Brot im Schweiße des Angesichtes zu essen verdammt sei – und dieses Bibelwort bestimmte ihn auch zu dem Entschlusse, streng danach zu handeln, fleißige Arbeit mit seinen Händen zu tun und auf geistige Grübelei zu verzichten. So kam es denn mit der Zeit, daß seine Fortschritte in der Gelehrsamkeit, und die Art, wie er die erworbenen Kenntnisse verwerten zu wollen schien, den ehrgeizigen Hoffnungen der Mutter nicht eben schmeichelten. Freilich erhob er keinen Widerspruch gegen die Zumutung, Geistlicher zu werden; nur stellte er Gewährung freien Wortes zur Bedingung und daß er sechs Tage in der Woche das Feld bauen dürfe, mithin bloß jeden siebenten zu predigen brauche, wie daß er nach der Predigt mit irgend einem fetten Vogt oder Laird zu Mittag essen, nach dem Tische eine Pfeife rauchen, einen Krug Bier trinken und dann sich insgeheim über das unerschöpfliche Thema: »Quid faciat laetas segetes,« verbreiten dürfe. Hierzu gehörte aber, abgesehen von dem Besitz einer Pfarre, die keiner erlangen konnte, der sich nicht in die Lehren der bischöflichen Kirche und andere Greulichkeiten der Zeit fügte, Geld und andere Förderung, und ob, wenn sich Trips brave Mutter – wenn er die Förderung fand – wirklich entschlossen hätte, sich von dem Gelde zu trennen, oder ob ihr schließlich Geld doch wichtiger gewesen wäre als aller Presbyterianismus, bleibt wohl für alle Zeiten fraglich insofern, als es dem Schicksal gefiel, ihren Eifer nicht auf eine so harte Probe zu stellen. Sie starb nämlich, ehe ihr Sohn seine Studien vollendet hatte: ein Verlust, der ihren Gatten tiefer betrübte, als man erwarten konnte. Der erste Schritt, den der alte Jasper nach endlich erlangter Haus-Autonomie tat, war, daß er den Sohn von St.-Andrews heimrief, damit er ihm bei seinen häuslichen Arbeiten zur Hand gehe. Nun hätte man meinen sollen, daß Triptolemus, der nun in die Praxis übertragen sollte, was er in der Theorie so emsig studiert, sich (um ein Gleichnis zu brauchen, das er gewiß für sehr treffend gehalten hätte) wie ein Füllen auf der Weide vorkommen würde. Doch was sind Gedanken, was sind Hoffnungen beim Geschlechte des Menschen! Ein lachender Philosoph, der Demokrit unserer Zeit, hat einmal das menschliche Leben mit einer arg durchlöcherten Tafel verglichen, bei der für jedes Loch ein genau passender Stift vorhanden sei. Da aber diese Stifte schnell und ohne Bedacht in die Löcher gesteckt würden, bliebe dem Zufall ein so freies Spiel, daß es zu den seltsamsten Mißgriffen käme. – »Denn,« schließt der Philosoph mit kräftigem Pathos, »wie oft sehen wir nicht, daß ein runder Mensch in einem dreieckigen Loche steckt?« Diese neue Erklärung der Zufallslaunen erregte bei jedem Anwesenden ein krampfhaftes Gelächter, einen fetten Gemeindevorstand ausgenommen, der, den Fall persönlich nehmend, versicherte, mit solcher Sache sei nicht zu spaßen. Um nun dies treffliche Gleichnis weiter zu führen, muß ich sagen, daß es mir vorkommt, als sei Triptolem aus dem Sacke mit Stiften wenigstens um ein Jahrhundert zu früh ins Leben geschüttet worden. Hätte er zu unseren Lebzeiten die Weltbühne betreten, d. h. während der letzten dreißig bis vierzig Jahre, geblüht, so wäre er sicher stellvertretender Vorsitzender irgend einer großen Ackerbau-Gesellschaft geworden. Eine solche Stelle hätte ihm nicht entgehen können, und wäre von ihm auch gerecht ausgefüllt worden, denn in der Materie selbst war er gründlich zu Hause – besser als mancher Herzog oder Lord, den man zum wirklichen Vorsitzenden macht, obgleich er manchmal kaum zu unterscheiden weiß zwischen einem Karrengaul und einem Gaul mit Karren, Aber ach! Triptolemus Yellowley war, wie schon bemerkt, wenigstens um ein Jahrhundert zu früh auf die Welt gekommen, und statt in einen bequemen Fauteuil mit bequemen Armstützen gesetzt zu werden, damit er, mit dem Hammer in der Faust und einem Glase Portwein vor sich, einen Spruch ausbringe »auf Ackerbau, Viehzucht und verwandte Zweige«, wurde er von seinem Vater an den Pflug gestellt und mußte Ochsen führen, deren Rücken er aber, statt mit der Peitsche, viel lieber mit dem Tranchiermesser bearbeitet hätte. Der alte Jasper führte bald bittere Klage, daß sein gelahrter Sohn (den er »im abgekürzten Verfahren« immer nur »Tolimus« nannte) wohl die herrlichsten Reden über Gemeindeweiden, Koppel und Wechselwirtschaft, Freizucht und Inzucht zu halten wisse, daß aber unter seinen Händen gar nichts gedeihen wolle. Schlimmer aber wurde es in dieser Hinsicht noch, als Vater Jasper nach einigen Jahren durch das Alter gezwungen wurde, dem akademischen Jünger die Zügel zu überlassen. Als ob die Natur einen untilgbaren Groll gegen ihn hegte, hatte er eine der schlechtesten, undankbarsten Pachtungen in den »Mearns« bekommen, einen Fleck tatsächlich, der alles hervorzubringen schien, nur nichts von all dem, was ein Landmann braucht. Disteln, die dürres, Farnkräuter, die sumpfiges Land, Nesseln, die Kalkboden verraten sollen, – wuchsen in Hülle und Fülle – Furchen und Steine gab es im Ueberfluß; und auch an Quellen mangelte es nicht, bloß brachen sie nur überall dort aus der Erde, wo sie wenig oder gar nicht am Platze waren. Vergebens mühte sich der arme Triptolemus, bald nach diesem bald nach jenem Rezepte, den Boden, nach Maßgabe seiner Eigenschaft, zu bewirtschaften. Aber er gewann weder die Butter aufs Brot, noch das Brot zur Butter – und abgesehen von einem halben hundert Morgen eingehegten Landes, auf das schon sein Vater all seine Arbeitskraft und Arbeitslust beschränkt hatte, gab es kaum noch einen Winkel in der ganzen Pachtung, der zu etwas anderem gut war, als Geräte darauf zu zerbrechen, oder Vieh darauf zu Tode zu schinden. Was einkam, ging für Unterhaltungskosten der Pachtung und mit Experimenten drauf, zu denen sich Triptolemus nie nötigen ließ. Hätte er in unserer Zeit gelebt, so hätte es mit ihm gar bald ein Ende gehabt. Ein sogenannter Bank-Kredit, hinter dem ein kurzer Wechselkredit, im Verein mit einem Leben in dulce jubilo gekommen wäre, hätte da Hof, Ernte und Viehstand bald unter Sequester gebracht. Zur damaligen Zeit aber ging es mit dem Zugrunderichten noch nicht so geschwind. In dieser Hinsicht standen nämlich sämtliche schottische Pächter so ziemlich auf der gleichen Stufe, so daß es ebenso schwer war, in die Höhe zu kommen wie sich den Hals zu brechen; sie befanden sich eben durchweg in jener Situation, worin es keinen Kredit, also an allen Ecken Not und Jammer gibt, worin aber, da keiner Schulden machen, auch keiner bankerott werden, also höchstens eben verhungern kann. Was Triptolemus, trotz aller Experimente, noch leidlich vorm letzten Radikalmittel bewahrte, waren die Ersparnisse, die seine Schwester Barbara durch ihre beispiellose Praxis im Haushalt und durch ihren unverwüstlichen Fleiß machte: Eigenschaften, die jenem Philosophen, der den Satz predigte: Schlaf sei nur ein Begriff und Essen eine Gewohnheit, – als lebendige Beweismittel hätten gelten können. Barbara Yellowley war früh auf, ging spät schlafen und stand bei ihren mit Arbeit überlasteten Mägden in dem Rufe, es an Wachsamkeit mit jedem Hunde, ja jeder Katze aufzunehmen. Satt zu werden schien sie an Luft – und vermißte diese leibliche Tugend zu ihrem größten Aerger an ihrem Bruder und ihrem Instvolk. Aber nie wäre es ihr einmal eingefallen, ein Stück Vieh zu schlachten, um dem Bruder einen frohen Tag zu machen: ein Glück, daß derselbe nachgiebigern Sinnes war und sich leicht lenken ließ, mithin sich bald an diese immerwährende Karenz gewöhnte und sich schon glücklich schätzte, wenn er zu seinem Haferkuchen ein Stückchen Butter bekam und, da die Wohnung an den Ufern des Esk lag, dem schlimmen Zwange entging, an den sieben Tagen der Woche immer sechs Lachse essen zu müssen. Trotzdem nun Barbara alle Ersparnisse zu der Wirtschaftsmasse schlug und der Brautschatz der Mutter nach und nach mit draufging, näherte sich doch endlich der Augenblick, wo es unmöglich schien, den Kampf gegen die »ungünstigen Gestirne des Triptolemus« (wie er selbst immer die natürliche Folge seiner unvernünftigen Spekulationen nannte) weiterzuführen. Zum Glück für Triptolemus und Barbara stieg im bösesten dieser bösen Momente ein Gott zu ihrem Beistand vom Himmel nieder, oder – um nüchtern zu sprechen, – dem edlen Lord, dem die Pachtung gehörte, gefiel es in seinem, von sechs Läufern bedienten Sechsspänner sich im vollen Prunk des siebzehnten Jahrhunderts nach seinem Landsitze kutschieren zu lassen. Dieser Standesherr war der Sohn jenes Edelmannes, der den alten Jasper aus Yorkshire von den »Mearns« weg und hierher gelockt hatte, und, gleich seinem Vater ein Mann voller Pläne und Entwürfe. Er hatte aber im Zeitenlaufe insofern gut für sich gesorgt, als er sich auf eine gewisse Reihe von Jahren die selbständige Verwaltung der entfernten Orkney- und Shetland-Inseln gegen Entrichtung eines geringen Pachtgroschens, mit der Befugnis den Titel eines Lord-Kämmerlings zu führen, zu verschaffen gewußt hatte. Seine Herrlichkeit meinte nun, und zwar ganz richtig, daß zu solchem Titel auch Mittel gehörten, und daß die Mittel erst reichlich fließen könnten, wenn der Anbau der Kronländereien aus den Orkney-Inseln und auf Shetland melioriert würde – er blies also mit unserem Freunde Triptolemus in das gleiche Horn, und da ihm Triptolemus auch sonst einigermaßen bekannt war, kam ihm der Einfall, seine Pläne durch diesen in die Praxis zu überführen. Er ließ ihn also nach dem Herrenhause holen und war mit der Art, wie unser Freund das Thema erfaßte, so zufrieden, daß er keine Minute säumte, sich solches wichtigen Beistandes zu versichern. Die Bedingungen, die er Triptolemus einräumte, der durch langjährige Erfahrung einen dunklen Begriff bekommen hatte, daß es bei aller Geschicklichkeit schließlich doch besser sei, wenn Mühe und Gefahr auf Kosten eines Unternehmers gingen, stellten denselben willig zufrieden. Dafür wußte Trip die Aussichten auf Profit so rosig zu malen, daß dem Lord-Kämmerling alle Lust, seine Beamten auf Teilnahme am Gewinn zu stellen, – abhanden kam, weil er nämlich, nach Abzug des guten Gehalts für seinen Verwalter, alles selbst zu schlucken für vorteilhafter fand. Barbara wäre, als sie von dem glücklichen Abkommen Kunde bekam, am liebsten an die Decke gesprungen, wenn sich solche Motion mit ihren Ansichten von Sittsamkeit vertragen hätte. Triptolemus seinerseits war nun, während er die nötigen Ackerbauwerkzeuge bestellte, die bei dem Inselvolk eingeführt werden sollten, eine Zeitlang Stammgast in jedem Wirtshause. Heutzutage würden sich dieselben freilich gar wunderlich ausnehmen, aber alles ist nun einmal relativ, und die schwere Karrenladung, die man den alten schottischen Pflug nennt, wäre einem schottischen Pächter jener Zeit nicht minder schnurrig vorgekommen, als Helm und Harnisch eines Soldaten aus der Zeit des Cortez den Regimentern unsrer Armee. Dennoch eroberte Cortez Mexiko, und der alte Schottenpflug wäre für den Ackerbau in Thule keine unwesentliche Verbesserung gewesen. Weshalb Triptolemus den Aufenthalt in Shetland dem auf den Orkney-Inseln vorzog, ist nie bekannt geworden. Vielleicht hat er die Bewohner dieser Infelflur für simpler und fügsamer gehalten, als sie es sind: vielleicht hat er auch Haus und Pachtung – die in der Tat leidlich waren – denen vorziehen zu sollen gemeint, die er auf Pomona hätte wählen können. In Hafra – oder, wie es dann und wann, nach den Ueberbleibseln einer Piktenfeste, die fast dicht beim Wohnhause lagen, auch hieß, Stourbourgh – nahm des Lord-Kämmerlings Substitut in der Fülle seiner Machtvollkommenheit sein Domizil, mit dem festen Entschlusse, seinem Namen dadurch Ehre zu machen, daß er die Shetlander durch Vorschrift und Beispiel einer besseren Kultur entgegenführte. Fünftes Kapitel Wir können nur hoffen, daß den freundlichen Leser der letzte Teil des vorigen Kapitels nicht gelangweilt haben möge – soviel aber dürfen wir als gewiß annehmen, daß seine Ungeduld nicht so groß gewesen sein kann, wie die des jungen Mertoun, der – während Blitz auf Blitz folgte, der Wind, von einem Punkte der Windrose zum andern laufend, mit der Gewalt eines Orkans wehte, und der Regen in Strömen floß – an das Tor von Stourbourgh donnerte, dabei rief und schrie, ohne zu begreifen, wie man einem Fremden bei so furchtbarem Wetter den Eintritt wehren könne. Zuletzt aber wurde er inne, daß alles Lärmen unnütz sei, und nun trat er soweit vom Hause zurück, daß er die Schornsteine genau sehen konnte; und was sah er da zu seinem namenlosen Entsetzen? daß keine Spur von Rauch aufstieg, obgleich es nahe an Mittag war, damals die Essenszeit auf dieser Inselflur. Jetzt trat nun an Stelle der Ungeduld Teilnahme und Besorgnis; denn an die unbedingte Gastfreiheit der shetländischen Inseln gewöhnt, konnte er keine andere Erklärung für den Fall finden, als daß die Familie, die hier ihren Sitz hatte, von einem schweren, unerklärbaren Unglück heimgesucht worden sei. So sah er sich nun nach einem Platze um, von wo aus sich in das Haus eindringen lasse, um über die Lage der Bewohner Klarheit und für sich selbst Obdach und Unterkunft zu gewinnen. Aber seine Bekümmernis war ebenso grund- und zwecklos wie seine Hast, denn Triptolemus und seine Schwester hatten sein Klopfen und Rufen recht gut gehört und sich schon geraume Zeit heftig darum gezankt, ob sie das Tor öffnen sollten oder nicht. Barbara oder, wie sie von Triptolemus genannt wurde, Baby Yellowley wollte von Gastfreundschaft nichts wissen, war vielmehr von Cauldshouters, ihrem Pachthof in den »Mearns«, her allem vagierenden Volk in der schlimmsten Erinnerung; kein Bettler, Hausierer oder Kesselflicker, selbst der verschlagenste nicht, konnte sich rühmen, die Klinke des Tors dort offen gefunden zu haben. Das folgende Gespräch zwischen Bruder und Schwester wird über die Gründe, die zum Zank zwischen ihnen führten, Aufschluß geben können. »Der Himmel gebe seinen Segen,« sagte Triptolemus, in der alten Schulausgabe seines Vergil blätternd; »das ist 'mal wieder ein Tag, um Gerste zu säen; sagte nicht schon der weise Mantuaner: ventis surgentibus? Wie es im Gebirge heult – wie es von den Küsten schallt! Aber – Baby, wo sind die Wälder? Wo finde ich nemorum murma hier in unsrem neuen Wohnsitze?« »Was hast Du wieder für dummes Zeug im Kopfe?« rief Baby, den Kopf aus einem finstern Loch in der Küche hervorsteckend, wo sie irgend ein häusliches Geschäft verrichtet hatte. Triptolemus, mehr aus Gewohnheit als Absicht das Wort an sie richtend, hatte kaum ihre spitze, rote Nase, ihre funkelnden grauen Augen und scharfen Züge erblickt, als ihm auch schon beifiel, daß ihr solche Frage kaum recht kommen würde, und es ihm rätlicher bedünkte, sich lieber einer neuen Flut von Scheltworten auszusetzen, als das Gespräch von neuem zu beginnen, »Nun, Yellowley,« sagte Baby, in die Mitte der Stube tretend, »warum denn solch Geschrei nach mir? Du solltest doch wissen, daß ich noch mitten in der Arbeit stecke.« »Ach, ich habe eigentlich gar keinen Grund, Baby, Dich zu behelligen; ich dachte nur, an Meer und Wind und Regen fehlte es uns freilich nicht – wohl aber an Holz! Wo ist das Holz, Baby? he! sag es nur, wo ist das Holz?« »Das Holz?« wiederholte Baby, – »ginge ich damit nicht haushälterischer um als Du, Bruder, dann gebe es in der Nähe wohl bald kein Holz weiter als den Klotz, den Du als Kopf auf Deinen Schultern trägst. – Meinst Du aber das Treibholz, das gestern angeschwommen, so sind zwölf Lot davon heute früh auf Deine Suppe gegangen – ich freilich meine, daß sich jeder sparsame Mensch statt mit Suppe auch mit Drammock [Mehl mit kaltem Wasser eingerührt] einrichten könnte, statt daß man zum Mehl auch noch Feuerung wegen des bißchens Frühstücks verbrauchen muß.« »Du meinst Baby,« sagte Triptolemus, der nach seiner Weise auch einmal, wenn auch nur trocken, scherzen konnte, »wer Feuer hat, soll nicht essen, und wer zu essen hat, soll kein Feuer anmachen, da beides zu viel des Guten für einen Tag sei? Nun, daß Du uns vor Kälte und Hunger nicht unice contextu umkommen lassen willst, freut mich wenigstens; aber wenn ich Dir die Wahrheit gestehen soll, so habe ich mir mein Lebtag aus rohem Mehl in kaltem Wasser nichts gemacht – ich lobe mir nun einmal was Warmes.« »Schlimm und dumm genug von Dir,« sagte Baby. »Könntest Dir mit der warmen Suppe auch Sonntags genügen lassen und in der Woche Drammock essen – wozu die Schleckerei? es ist doch bloß ein kurzes Stück, wo's gut schmeckt! und dann gibt's manchen, der ganz anders aussieht wie Du, und sich doch alle Finger nach einem Teller Suppe lecken würde.« »Da sei Gott vor, Schwester!« erwiderte Triptolemus; »dann braucht' ich doch weder Feld zu bestellen, noch den Pflug zu spannen, sondern könnt mich ruhig hinlegen und auf den Tod warten; denn soviel, daß ganz Shetland sich ein Jahr an Mehl satt essen könnte, haben wir im Hause – und Du willst mir nicht einmal einen Teller warmer Suppe gönnen, trotzdem ich Dir doch über jeden Pfennig Rechenschaft ablegen muß?« »Still! halte Deine geschwätzige Zunge,« sagte Baby, indem sie einen scheuen Blick durch die Stube warf; »wahrhaftig, Du bist gerade der Rechte, davon zu sprechen, was wir im Hause haben, und alles zusammenzuhalten und über allem die Augen zu halten! – Horch! So wahr ich lebe, draußen klopft jemand.« »Dann geh und mach auf, Baby,« sagte der Bruder, froh, daß sich ein Umstand fand, der dem Gespräch ein Ende machte. »Gehen und aufmachen?« wiederholte Baby, böse, erschrocken und schadenfroh zu gleichen Teilen – »so? gehen und aufmachen? Ich soll wohl Räuber ins Haus lassen, damit sie uns das bißchen noch wegschleppen, was wir haben?« »Räuber?« fragte Triptolemus, »ei, Baby, in Shetland gibt's ihrer kaum oder gerade soviel, als Weihnachten Lämmer. Ich hab's Dir doch schon oft genug gesagt, daß es hier keine Hochländer gibt, die uns in Angst setzen könnten. In Shetland herrschen Ruhe und Ehrlichkeit. O, fortunati nimium!« »Und was soll Dir Sankt Ninian nützen, Triptolemus?« sagte die Schwester, sein Zitat für die Anrufung eines Landes-Heiligen haltend. »Es gibt hier ebenso böse Leute wie im Hochlande; erst gestern ist ein halb Dutzend verdächtiger Kerle um unser Haus geschlichen, mit allerhand seltsamem Werkzeug in den Händen, Walfischmessern, wie sie sagten, aber Hirschfängern so ähnlich, wie ein Ei dem andern. Ehrliches Volk führt doch solche Geräte nicht!« Das Klopfen und Rufen draußen wurde immer deutlicher; die Geschwister sahen einander erschrocken und ängstlich an. »Wenn sie von unserm Silber was gehört haben,« sagte Baby, deren rote Nase blau vor Schrecken wurde, »so sind wir verlorene Leute.« »Und wer spricht jetzt, wo er still sein sollte?« sagte Triptolemus. »Geh ans Schiebfenster und sieh nach, wieviel es ihrer sind, während ich die alte Entenflinte lade; – aber geh wie auf Eiern.« Baby schlich ans Fenster und meldete, es sei nur einer draußen zu sehen, ein junger Mensch, der aber lärmte und schrie, als ob er toll wäre ... Wieviel noch im Hinterhalt lägen, könne sie nicht sagen. »Im Hinterhalt? – Dummes Zeug!« sagte Triptolemus und legte den Ladestock, den er mit zitternder Hand ergriffen hatte, weg ... »Ich stehe dafür, daß keiner weiter zu sehen und zu hören ist; wer soll's denn sein, als irgend ein armer Schelm, den der Sturm überfallen hat und der ein Obdach sucht? Mach auf, Baby, Du tust ein christliches Werk.« »Tut er aber ein christliches Werk, so zum Fenster hereinzukommen?« sagte Baby und schrie jämmerlich auf, als Mordaunt, der ein Fenster eingeschlagen hatte, jetzt mit einem Satze in die Stube sprang, am ganzen Leibe triefend wie ein Flußgott. Triptolemus legte die Flinte an, die er noch nicht geladen hatte, – da aber rief der Fremde: »Halt! halt! halt! – Was soll das heißen, bei einem Wetter, wie es draußen tobt, die Tür zu verriegeln und die Flinte auf Menschen anzulegen, als ob es Seehunde wären?« »Und wer seid Ihr, Freund, und was wollt Ihr?« fragte Triptolemus, das Gewehr absetzend. »Was ich will,« sagte Mordaunt; »alles mögliche! Essen, trinken, Feuer, ein Bett für die Nacht, und morgen einen Klepper, mich nach Jarlshof zu bringen.« »Und Du sagst, es gebe keine Räuber oder Freibeuter auf Shetland?« fragte Baby schnippisch den Bruder ... »Hat jemals so ein Plaidmann von Lochnaben freier herausgeschrieen, was er verlange? Ohne Umstände, Freund,« fügte sie hinzu, sich an Mordaunt wendend: »zieht Euer Schild ein und geht Eurer Wege! Dieses Haus gehört dem Verwalter Seiner Herrlichkeit und ist keine Herberge, sei es für Bekannte, sei es für Freibeuter.« Mordaunt lachte ihr ins Gesicht ... »O, gehen,« sagte er, »in solchem Wetter? Wofür haltet Ihr mich? Etwa für eine Solandsgans oder einen Kormoran, daß ich mich, weil ihr in die Hände schlagt und wie eine Besessene schreit, aus dem Hause und wieder in das Wetter hinausscheuchen lassen soll?« »Und so wollt Ihr wirklich, junger Mann,« sagte Triptolemus im vollsten Ernste, nolens volens, d. h. ob mit, ob ohne unseren Willen, in unserem Hause bleiben?« »Wollen?« wiederholte Mordaunt; »welches Recht hab ich, hier etwas zu wollen? Hört Ihr nicht den Donner? Hört Ihr nicht den Regen? Seht Ihr nicht den Blitz? Und wißt Ihr nicht, daß dies auf viele Meilen in der Runde das einzige Haus ist? Hört einmal, guter Herr, und Ihr, gute Frau, das mag wohl schottischer Spaß sein, aber ich versichere Euch, in shetländischen Ohren klingt er sehr übel. Das Feuer habt Ihr auch ausgehen lassen, und meine Zähne klappern vor Kälte im Munde. Aber das will ich bald in Ordnung bringen.« Mit diesen Worten ergriff er die Feuerzange, scharrte die glühende Asche auf dem Herde zusammen, brachte den Torf, der, wie die sparsame Hauswirtin gerechnet hatte, noch mehrere Stunden Glut halten sollte, erblickte in einem Winkel den Vorrat von Treibholz, den Baby unzenweis zu verbrauchen gedachte, schleppte ein paar Blöcke heran und warf sie in den Herd, der über eine so ungewohnte Zubuße so lustig wurde, daß er dicke Rauchwolken, wie man sie seit vielen Tagen in Hafra nicht gesehen, zum Schornstein heraussspie. Während der ungebetene Gast sich benahm, als ob er zu Hause sei, trieb Baby den Bruder in einem fort, ihn zum Hause hinauszujagen. Aber Triptolemus fühlte hierzu weder Mut noch Neigung; zumal die muskelhaften Glieder Mordaunts, die in dem Matrosen-Anzuge doppelte Stärke verrieten, keinen günstigen Ausgang eines etwaigen Kampfes zu versprechen schienen. – Mordaunts dunkles, blitzendes Auge, sein schön geformter Kopf, seine muntern Gesichtszüge, sein dichtgelocktes dunkles Haar, seine kühnen, freien Blicke bildeten einen auffallenden Gegensatz zu dem Wirte, in dessen Nähe er sich so selbständigerweise begeben. Triptolemus war ein kurzer, plumper, watschelbeiniger Schüler der Ceres, mit aufgestülpter, an der Spitze von Kupfer gefärbter Nase, die auf gelegentlichen Verkehr mit Gott Bacchus hinzuweisen schien; sonst ein ehrlicher, gutmütiger Wicht, der von seinem Gast rasch die Meinung gewann, daß ihn keinerlei schlimme Absicht herführe. Die Schwester hätte noch soviel hetzen können, so wäre es ihm doch schwerlich eingefallen, einem Jünglinge von so einnehmendem Aeußern ein so vernünftiges, durch die Not so tiefbegründetes Verlangen nicht zu erfüllen – und so überlegte er nur, wie er sich am besten, statt als rauher Schirmherr seiner Burg gegen unbefugten Zuspruch, als gastfreien Wirt aufspielen könne – als Baby, vor Staunen über Mordaunts unerhörten Freimut im Tun und Reden ganz außer sich, wieder zum Worte griff ... »Wahrhaftig, Bursche,« sagte sie zu Mordaunt, »blöde bist Du nicht, ein solches Feuer anzuzünden, und noch dazu vom besten Holze; Dir ist wohl Torf nicht einmal gut genug?« »Euch hat's ja doch nicht viel gekostet,« erwiderte Mordaunt munter – »und was Euch das Wasser umsonst bringt, solltet Ihr dem Feuer nicht vorenthalten – die stattlichen Eichenklötze haben hienieden den letzten Dienst getan zu Lande und Wasser, denn sie konnten unter den braven Leuten, mit denen das Boot bemannt war, nicht mehr zusammenhalten.« »Das mag wohl sein,« erwiderte Baby, etwas milder gestimmt, »es muß ja auf dem Meere schrecklich gehaust haben. Setzt Euch und wärmt Euch, da das Holz nun doch einmal brennt.« »Ja, ja,« sagte Triptolemus, »solch helles Feuer zu sehen, wärmt einem Herz und Leib. Seit ich von Culdacres fort bin, hab ich keins wieder gesehen von solcher Art.« »Und sollst es auch so bald nicht wiedersehen,« sagte Baby, »es müßte denn sein, daß das Haus in Brand geriete oder eine Kohlengrube entdeckt werde.« »Und warum sollte keine Kohlengrube entdeckt werden?« rief der Verwalter triumphierend. »Warum in Shetland nicht, so gut wie in Fife, da der Kümmerling jetzt einen umsichtigen, besonnenen Mann meines Wissens an Ort und Stelle hat, die nötigen Nachforschungen anzustellen? Beides sind ja doch Fischerplätze!« »Ich muß Dir nun sagen, Triptolemus,« antwortete seine Schwester, die freilich triftige Gründe hatte, vor brüderlichen Spekulationen auf der Hut zu sein, »daß, wenn Du dem Lord gar so viele schöne Aussichten eröffnest, unseres Bleibens hier wahrscheinlich nicht lange sein wird. Versprechen bedingt halten, mein Lieber.« »Und warum sollte ich nicht halten, was ich verspreche,« versetzte Triptolemus. »Dir ist freilich wohl noch nie in den Kopf gekommen, daß es auf Orkney eine Gegend gibt, die Ophir, oder so ungefähr, heißt; warum könnte nicht Salome seine Schiffe und Sklaven dahin geschickt haben, um vierhundert und fünfzig Talente zu holen? Ich sollte meinen, daß dieser weise König über Juda am besten hat wissen müssen, wohin er sich zu wenden hatte; und an die Bibel, Baby, glaubst Du doch hoffentlich noch?« Baby wurde durch die Berufung auf die Heilige Schrift – so wenig am Platze sie auch sein mochte, – zur Ruhe verwiesen und brummte bloß noch ein ungläubiges, verdrossenes Hm hm! – während Triptolemus, zu Mordaunt gewendet, fortfuhr: »Ja, Ihr sollt sehen, was selbst in einem so kümmerlich bedachten Lande wie dem unsrigen, alles anders werden kann, wenn Bargeld hineingesteckt wird – von Kupfer oder Eisenstein habt Ihr auf diesen Inseln wohl noch nie was vernommen?« Mordaunt sagte, seines Wissens gäbe es Kupfer in der Nähe der Klippen von Kings-Bourgh. »Ja, und Kupferschaum auch auf dem Loch Swana, junger Mann! Aber von Euch jungem Volk ist ja der dümmste, Eures Wissens, noch immer klüger als Männer von meinem Alter und Schlage.« Baby, die den Jüngling die ganze Zeit über aufmerksam im Auge behalten, trat ihm jetzt auf eine dem Bruder gänzlich unerwartete Weise zu Hilfe. »Es wäre wohl gescheiter, Trip,« sagte sie, »dem jungen Menschen trockene Kleider und etwas Essen zu geben, als ihm solchen Wind vorzumachen, für den doch das Wetter schon zur Genüge gesorgt hat. – Auch einen Schluck möcht er wohl nehmen, wenn Du ihm einen anbötest?« – Triptulemns, ganz verwundert über solches Ansinnen, ging mit sich zu Rate, kam aber zu dem gleichen Schlusse und führte den Jüngling in eine andere Stube, gab ihm dort Kleider von sich und ließ ihn allein, sich umzuziehen, während er selbst nach der Küche zurückkehrte, außer stande, für die ungewöhnliche Anwandlung von Gastfreundschaft bei der Schwester eine Erklärung zu finden ... »Das ist doch kurz vor ihrem Tode,« sagte er, immerhin ein wenig ängstlich, »und wenn ich auch bei ihrem Ableben Erbe ihres mütterlichen Vermögens werde, sollte es mir doch leid um sie sein, denn sie hält das Hauswesen gut in Ordnung, wenn auch das Wort auf ihr Regiment zutrifft: je straffer der Gurt, desto fester der Sattel.« In der Küche angelangt, fand Triptolemus neue Nahrung für seine Ahnungen, denn Barbara war eben damit beschäftigt, eine geräucherte Gans, die mit anderen ihres Geschlechtes schon lange im Schornstein gehangen, in einen Kochtopf zu hängen ... »Einmal muß sie doch gegessen werden,« hörte er sie nun gar murmeln, »warum sollte also der arme Mensch sie nicht verzehren?« »Schwester,« rief Triptolemus, »Topf und Backschüssel zugleich am Herde? »Was haben wir denn für einen Tag heut?« – »Einen Tag, wie ihn die Israeliten bei den Fleischtöpfen Aegyptens hatten, Triptolemus; aber Du weißt ja nicht, wen Du an diesem gesegneten Tage in Deinem Hause als Gast siehst!« »Nein, das weiß ich freilich nicht,« sagte Triptolemus; »so wenig als ich ein Pferd kennen würde, das ich nie vorher gesehen. Ich hätte den Burschen für einen Hausierer gehalten, aber er hat kein Bündel bei sich und ist von guter Art und Sitte.« »Du weißt wahrhaftig keinen Deut mehr als Deine Ochsen,« eiferte Baby. »Kennst Du Tronda Dronsdaughter nicht?« – »Tronda Dronsdaughter?« wiederholte Triptolemus; »die muß ich doch kennen, wenn ich ihr täglich zwei Pfennige schottisch für Arbeit in unserm Hause bezahle? trotzdem sie freilich arbeitet, als ob sie sich die Finger dabei verbrennte! Wahrhaftig, lieber gäbe ich einem schottischen Mädchen einen Grot englisches Silbergeld.« »Das erste kluge Wort, das Du an diesem gesegneten Morgen gesprochen! Nun, Tronda kennt den Burschen und hat mir oft von ihm erzählt. Den stillen Mann von Sumbourgh nennt man seinen Vater; aber trotzdem soll er, heißt's, ein boshafter Kerl sein.« »Still – dummes Zeug! Mit dergleichen Geschwätz sind die Leute gleich bei der Hand, wenn sie arbeiten sollen – da finden sie immer schnell was heraus, das ihnen nicht paßt.« »Schon gut, Bruder; mußt bloß nicht denken, Du seiest allein gescheit, weil Du in St.-Andrews Lateinisch gelernt,« sagte Baby; »kannst mir aber mit all Deiner Weisheit wohl nicht sagen, was der Bursch um den Hals hat?« »Ein Barcelona-Halstuch!« rief Baby, lauter als bisher; dann aber schnell wieder die Stimme senkend, als fürchte sie, belauscht zu werden; »eine goldene Kette hat er um, sage ich Dir!« »Eine goldene Kette!« rief Triptolemus. »Gewiß, Freund, und wie gefällt Dir das? Bei den Leuten heißt's, wie Tronda erzählt, der Zwerg-König hätte sie dem stillen Manne von Sumbourgh gegeben.« »Entweder rede vernünftig oder spiele die stille Frau,« versetzte anspielend Triptolemus. »Aus all Deinen Worten geht für mich weiter nichts hervor, als daß der Bursche des fremden Mannes Sohn ist; und aus all Deinem Tun ersehe ich nichts andres, als daß Du ihm die Gans gibst, die bis zu Michaelis aufbewahrt werden sollte.« »Je nun, Bruder, wir müssen doch was tun, uns Freunde zu machen; und der Bursche,« setzte Baby hinzu (denn auch sie war nicht ganz der Vorliebe ihres Geschlechts für ein hübsches Aeußere ledig) – »hat wirklich ein hübsches Gesicht.« »Du hättest,« sagte Triptolemus, »wohl sein, wie manches andere hübsche Gesicht ungetröstet an Deiner Tür vorbei gehen lassen – wenn nicht die goldene Kette wäre.« »Gewiß, gewiß!« antwortete Barbara; »oder sollt ich unser bißchen Hab und Gut jedem Bettler und Landstreicher an den Hals werfen, den sein Weg an einem Regentag bei uns vorüberführt? Der Bursche hier hat aber einen guten Namen im ganzen Lande, und Tronda sagt, er würde eine Tochter des reichen Udallers Magnus Troil heiraten, und der Hochzeitstag solle gleich festgesetzt werden, sobald er sich eins von den beiden Mädchen ausgesucht habe – und was sollte wohl werden, wenn wir ihn nicht ordentlich bewirten wollten, trotzdem wir ihn nicht eingeladen haben?« »Der beste Grund,« sagte Triptolemus, »einen Menschen ins Haus zu lassen, ist immer, daß man sich nicht getraut, ihm zu sagen, daß er gehen soll. Da wir indes hier einen Mann von Stand vor uns haben, soll er auch wissen, mit wem er in meiner Person zu hat.« Und so ging er an die Tür und rief: »Heus tibi, Dave«! »Adsum!« antwortete der Jüngling, in die Stube tretend. »Hm!« sagte der gelehrte Triptolemus, »also in humanioribus nicht unbewandert? Ich will ihm aber weiter auf den Zahn fühlen. – Versteht Ihr was vom Landbau, junger Mann?« »Nein, Herr, denn ich lernte nur das Meer pflügen und auf Klippen ernten.« »Das Meer pflügen?« sagte Triptolemus; »Meer ist eine Furche, die der Egge wenig bedarf, und was Eure Ernte auf den Klippen betrifft, so, glaube ich, meint Ihr die jungen Möwen, oder wie Ihr sie nennt? Das ist aber eine Ernte, die der Vogt verbieten sollte, denn nirgends kann sich ein ehrlicher Mensch den Hals leichter brechen! Ich gestehe, für das Vergnügen, zwischen Himmel und Erde an einem Seile zu schweben, habe ich kein Verständnis, es sei denn, der Galgen käme in Betracht.« »Nun, versuchen könntet Ihr es immerhin einmal,« antwortete Mordaunt; »ich für mein Teil kann mir kaum etwas Großartigeres denken, als in freier Luft zwischen Klippe und Ozean zu schweben, an einem Seile, das kaum dicker als ein Seidenfaden erscheint, und mit dem Fuß auf einem Steine knapp so groß, daß eine Möwe drauf nisten könnte, einzig angewiesen auf Eure behenden Glieder und Euren klaren Kopf – mit der Zuversicht, verloren zu sein, wenn Euch Kopf und Glieder verlassen – das bedeutet wohl etwa soviel, als frei von der Erde sein, die Euer Fuß berührt.« Triptolemus schüttelte zu dieser begeisterten Schilderung eines Zeitvertreibs, der so geringen Reiz für ihn besaß, bedenklich den Kopf, aber seine Schwester, des Jünglings funkelndes Auge und selbstbewußte Haltung würdigend, rief nicht ohne Wärme: »Ei, Du bist wirklich ein braver Junge!« »Ein braver Junge!« wiederholte Yellowley, »ein braver Ganter, meine ich, sei ein besserer Name für jemand, der in der Luft herumtost, während er ruhig auf terra firma bleiben könnte. . . . Aber nun kommt, hier ist zwar kein Ganter, sondern eine Gans, die uns, sofern sie gut gekocht ist, besser munden soll. Gib uns Teller und Salz, Baby – zwar, an Salz wird's der Gans nicht fehlen – aber ein schöner Bissen ist's doch, und ich denke, die Shetländer sind die einzigen Leute in der Welt, die sich solchen Gefahren aussetzen, um Gänse zu fangen und nachher, wenn sie sie haben, zu kochen.« »Allerdings,« sagte seine Schwester, – und das war das einzige, worin sie an diesem Tage übereinstimmten, – »einer Hausfrau in Angus oder auf den Mearns möchte es wunderlich vorkommen, eine Gans kochen zu sollen, solange es noch Bratspieße auf Erden gibt . . . Aber was ist denn das wieder?« rief sie, mit lebhaftem Unwillen zur Tür hin blickend; »weiß Gott! die Türen dürfen bloß offen sein, so kommen auch Hunde – und wer hat Dem da hereingewinkt?« »Ich,« antwortete Mordaunt; »es kann doch Euer Wille nicht sein, einen armen Kerl in solchem Wetter vor der Tür stehen zu lassen? – Aber hier ist was, das Feuer zu schüren,« rief er, den eichenen Riegel von der Tür wegziehend und auf den Herd werfend, von dem ihn aber Jungfrau Baby mit beispiellosem Grimme wegriß, keifend: »Es ist Treibholz, von bester Art, und er hantiert damit, als ob es Kienspan wäre! – Ei, und wer seid Ihr denn, wenn's beliebt?« – setzte sie hinzu, sich zu dem Fremden wendend, der jetzt an den Herd trat; »weiß Gott, ein Bettelwicht, wie mir sobald keiner vor die Augen gekommen.« »Ich bin ein Jagger, zu Befehl,« – versetzte der ungebetene Gast, ein kleiner, stämmiger Mann von gewöhnlichem Aussehen, der in der Tat viel von einem Hausierer an sich hatte, die man auf dieser Inselflur »Jagger« nennt – »und nie bin ich an einem böseren Tage unterwegs gewesen, – Dem Himmel sei Dank für Feuer und Obdach!« Mit diesen Worten zog er einen Schemel zum Feuer und setzte sich ohne weiteres nieder. Jungfer Baby schnitt ein Gesicht, ähnlich dem eines Falken, der auf seine Beute schießt, und wollte ihrem Aerger gerade in grimmigen Worten Luft machen, als eine alte, halb verhungerte Dienerin – die oben erwähnte Tronda, die bis jetzt in einem fernen Winkel des Hauses gesteckt hatte, in die Stube gehinkt kam und Rufe ausstieß, die zu neuer Unruhe Anlaß zu geben schienen. »Ach, gnädiger Herr!« – »ach, gnädige Herrin!« weiter konnte sie im ersten Augenblicke nichts über die Lippen bringen: dann kamen noch die abgebrochenen Worte: »Das Beste im Hause! Das Beste auf den Tisch! Und doch wird alles nicht reichen; denn die alte Norna vom Fitful-Head kommt, das schrecklichste Weib auf den Inseln!« »Wo mag sie bloß herumgeirrt sein?« – fragte Mordaunt, nicht erschrocken wie die alte Magd, aber im höchsten Grade verwundert – »doch wozu diese Frage? je schlimmer das Wetter, desto sicherer ist die Norna auf der Landstraße zu finden.« »Was für eine Landstreicherin kommt uns da wieder auf den Hals?« rief Baby, durch diese Menge von Gästen schier um den Verstand gebracht, in heller Verzweiflung – »aber sie sollen bald aufhören, mich zu scheren, falls mein Bruder noch einen Funken Raison im Leibe hat – und wenn's auch nur ein Halseisen noch in Galloway gibt.« »Das Eisen, das die Norna von Fitful halten soll, hat nie den Amboß gesehen,« sagte die Magd; »sie kommt – sie kommt – um Gottes willen, seid freundlich zu ihr, oder wir bekommen keinen Haspel Garn mehr glatt.« Eine Frau, so groß, daß sie mit der Haube fast bis znr Tür reichte, setzte den Fuß über die Schwelle und machte das Zeichen des Kreuzes. Dann sprach sie mit feierlicher Stimme: »Der Segen Gottes und des heiligen Ronald sei mit der offenen Tür, aber beider Fluch und mein Fluch treffe den Geizigen!« »Wer seid Ihr, daß Ihr in anderer Leute Haus so laut Fluch und Segen sprecht? Was ist das für ein Land, wo die Leute keine Viertelstunde ruhig sitzen und dem Himmel dienen können, ohne daß Landstreicher und Landläufer und Bettelvolk einander jagen, wie eine Flucht wilder Gänse?« Die Worte kamen, wie der Leser errät, aus Barbaras Munde; von welcher Wirkung sie aber auf die Fremde waren, ließe sich höchstens vermuten, denn die Magd, wie auch Mordaunt wandten sich, um einen Ausbruch ihres Unwillens zu verhüten, gleichzeitig zu ihr – die Magd auf norwegisch, Mordaunt auf englisch – mit den Worten: »Es sind Fremde, Norna, die Dich weder dem Namen noch dem Wesen nach kennen – auch sind ihnen die Gebräuche unseres Landes fremd, und wir müssen ihnen darum Mangel an Gastfreundschaft nachsehen.« »Ich weiß nichts von solchem Mangel, junger Mann,« sagte Triptolemus. » Miseris succurrere, disco – die Gans, die bis zu Michaelis im Schornsteine räuchern sollte, kocht jetzt für Euch im Topfe; und hätten wir zwanzig Gänse, so fänden wir auch, merke ich, Mägen für sie; aber das muß alles besser werden.« »Was alles muß besser werden, schmutziger Sklav?« sagte die Fremde, sich mit einem Tone an ihn wendend, der ihn erschreckte – »bring nur Deine neugestalteten Pflugeisen, Spaten und Eggen her, und vernichte die Werkzeuge unserer Väter, von der Pflugschar bis zur Mäusefalle; aber vergiß nicht darüber, daß Du in einem Lande bist, das einst von den blondhaarigen Kämpen des Nordens erobert wurde; in einem Lande, wo das Gastrecht als heilig gilt. – Hüte Dich, sage ich Dir, vor Norna, denn so lange sie noch von der Spitze des Fitful-Head auf das unermeßliche Gewässer hinausschaut, erinnert noch immer etwas an die einstige Stärke und Macht des edlen Geschlechtes, von welchem wir stammen ... und wenn auch die Männer von Thule aufgehört haben, Kämpen zu sein und den Raben für Fressen zu sorgen, so haben doch die Weiber die Künste nicht vergessen, die ihre Ahnfrauen zu Königinnen und Seherinnen machten.« Die Frau, die diese seltsamen Worte sprach, setzte durch ihre Erscheinung in nicht geringere Verwunderung als durch ihre Anmaßung und den selbstbewußten Klang ihrer Stimme. Dem letztern, wie ihrer Gestalt und ihrem Gesicht, nach hätte sie Wohl als Bonduca der Briten, oder als Belleda oder Aurinia der alten Goten auf jeder Bühne gelten können; wenn auch ihre edlen, scharfen Züge durch die. strenge Witterung des Landes, der sie sich beständig aussetzte, stark gelitten hatten. Alter, wohl auch Kummer hatten das Feuer ihres dunkelbraunen Auges, dessen Farbe sich fast schon dem Schwarz näherte, gemildert und ihr jetzt von der Gewalt des Sturmes arg zerzaustes Haar mit weißgrauem Schnee bestreut. Ihr Oberkleid aus grobem, dunkelfarbigem Kleide, »Wadmaral« genannt, damals auf den shetländischen Inseln wie auch in Island und Norwegen in starkem Gebrauch, triefte von Wasser. Als sie es von sich warf, kam ein kurzes Wams aus dunkelblauem Samt, mit Figuren bedruckt, zum Vorschein; die dazu gehörige Unterjacke war von hochroter Farbe und mit verblichener Silber-Stickerei besetzt; ihr Gürtel war mit Silber-Zieraten, die Gestalt der Himmelszeichen nachahmend, benäht, und ihre blaue Schürze, mit ähnlichen Zeichen bestickt, bedeckte einen Rock von hochrotem Tuche. Starke, dicke Schuhe von halb gegerbtem Leder, wie man sie anders auf der shetländischen Inselflur nicht kannte, waren mit Riemen, wie die der römischen Kothurne, über Strümpfen aus scharlachroter Wolle festgemacht: in dem Gürtel trug sie eine Waffe seltsamen Aussehens, die als Opfermesser oder Dolch gelten konnte, je nachdem sie dem, der sie betrachtete, als Priesterin oder Zauberin galt. In der Hand hielt sie einen auf allen vier Seiten gleichen eckigen Stab mit eingegrabenen römischen Schriftzügen und Bildern, einen der immerwährenden Kalender darstellend, dessen sich die alten Skandinavier bedienten, der aber von abergläubischen Menschen eher für einen Zauberstab gehalten wurde. So sah sie aus, die Norna vom Fitful-Head, von fast allen Insulanern mit Scheu, von nicht wenigen mit Ehrfurcht betrachtet, und in keinem andern Teile Schottlands, – wo damals ein krasser Hexenglaube wütete, – Ware sie den grausamen Richtern entronnen, die oft mit absoluter Machtvollkommenheit ausgerüstet waren, um alle, die,der Zauberei angeklagt waren, zu prozessieren, zu foltern und den Flammen zu überliefern, Shetland bildete eben noch eine kleine Welt für sich, wo von dem alten norwegischen Aberglauben nur das übrig geblieben war, was den Hauptteil des alten skandinavischen Glaubens ausmachte, Wenn hiernach die Eingeborenen von Thule auch zugaben, daß Zauberer ihre Wunder zum Teil durch einen Bund mit dem Satan verrichten, so herrschte doch auch der frömmere Glaube, daß es Zauberer gäbe, die mit Geistern von weniger schlimmer Art zusammen hausten: mit den allen Zwergen, die in Shetland Trows oder Brows hießen, wie auch mit Feen jüngeren Datums. Zu denen, die mit solch wesenlosen Geistern verkehrten, gehörte auch Norna, die von einer Familie stammte, die seit undenklicher Zeit den Ruf genoß, im Besitz übernatürlicher Gaben zu stehen, und nach einer der Schicksalsschwestern, die den Faden des menschlichen Lebens spinnen, genannt wurde. Sechstes Kapitel Kurz vor Nornas Eintritt hatte sich der Sturm einigermaßen gelegt; sonst wäre es ihr wohl nicht möglich gewesen, den Weg hierher zu finden. Kaum jedoch hatte sie unvermuteterweise die Gesellschaft vemehrt, die der Zufall in Triptolemus' Wohnung geführt, als auch der Sturm von neuem einsetzte, ja noch rasender tobte als vordem und so wild um das Gebäude raste, daß die Bewohner jeden Augenblick unter ihren Trümmern begraben zu werden fürchteten. Baby-Barbara machte ihrer Furcht durch laute Ausrufungen Luft: »Gott schütze uns – der jüngste Tag bricht an – solch ein Land, wo es bloß Hexen und Zauberer gibt! – – Und Du, Schafskopf!« fügte sie hinzu, ihren Bruder meinend – denn ihr Grimm machte sich immer in Anwandlungen von Bosheit Luft – »Du mußt die schönen Mearns verlassen und hierher ziehen, wo man nichts im Hause hat als freches Bettlervolk und draußen nichts als des Himmels Zorn!« »Schwester Baby,« antwortete der gekränkte Landwirt, »alles wird anders und besser werden; bloß nicht,« fügte er halblaut hinzu – »die üble Laune einer bösen Sieben, deren Mundwerk selbst bei solchem Sturm nicht Ruhe halten kann.« Magd und Hausierer überboten sich unterdes, Norna gut zuzureden, doch in Worten, von denen der Hausherr nichts verstand, da sie der norwegischen Sprache angehörten. Norna hörte sie an, aber stolz, ohne auch nur mit einer Wimper zu zucken; dann sagte sie laut auf englisch: »Ich will nicht! Und wenn dies Haus morgen in seinen Trümmern läge, was würde die Welt einbüßen an dem wirren Pläneschmied und an dem Knauservolk, das jetzt darin haust? Sind sie hergekommen, unsere shetländischen Sitten zu wandeln, so mögen sie auch kosten, was shetländischer Sturm ist. – Wer nicht mit untergehen will, der verlasse dies Haus.« Der Hausierer nahm sein Bündel und warf es auf den Rücken; die Magd nahm den Mantel um die Schultern; und beide schienen das Haus verlassen zu wollen. Triptolemus Yellowley, auf den dies Verhalten nicht ohne Eindruck blieb, fragte Mordaunt schüchtern und mit vor Furcht zitternder Stimme: ob er glaube, daß wirklich Gefahr im Spiele sei? »Ich kann's nicht sagen,« versetzte der Jüngling, »aber solchen Sturm habe ich noch nie erlebt. Norna kann uns am besten Auskunft geben, wann er sich legen wird, denn auf dieser Inselflur versteht sich niemand besser auf die Witterung als sie.« »Und sonst traust Du ihr nichts zu, der Norna?« antwortete die Sybille; »doch wisse, daß ihre Macht sich nicht auf so engen Kreis beschränkt! Höre mich, Mordaunt, Jüngling aus fremdem Lande, aber mit wohlwollendem Herzen – gedenkst Du, die dem Verderben geweihte Stätte mit denen zu verlassen, die sich jetzt dazu anschicken, oder nicht?« »Nein, Norna, ich werde den Fuß nicht hinweg setzen,« erwiderte Mordaunt; »ich kenne die Gründe nicht, die Dich bestimmen, mich zu solchem Entschlusse zu bringen, und auf Deine dunklen Drohungen hin aus einem Hause zu gehen, in dem man mich bei solchem Unwetter gastfreundlich aufgenommen, steht mir nicht nach dem Sinne.« »Er ist doch wirklich ein braver Junge,« sagte Baby, die bei aller engherzigen, neidischen Gemütsart noch immer nicht aller höheren Empfindung bar, wenn auch im Augenblicke durch die gespenstischen Drohungen der Hexe eingeschüchtert war – »er verdiente gut und gern, wenn ich sie nur hätte, ein ganzes Dutzend Gänse, gekocht oder gebraten. Er ist sicherlich aus edlem Geschlecht, und Bauernblut fließt nicht in seinen Adern.« »Junger Mordaunt, höre auf meine Worte,« rief Norna, »und geh von hinnen! Das Schicksal verfolgt Großes mit Dir. Bleib nicht in dieser Hütte, um unter ihren kläglichen Trümmern, mit ihren noch kläglicheren Bewohnern, begraben zu werden, deren Leben so gering ist wie Hauslauch auf ihrem Dache.« »Ich – ich – ich werde gehen,« sagte Yellowley, der sich zwar bis hierher als Weiser und Gelehrter benommen, aber um den Ausgang dieses Abenteuers sich zu ängstigen anfing, zumal das Haus alt war und unter den Stößen des Windes in allen Fugen krachte. »Und warum?« fragte die Schwester; »der Fürst der Finsternis hat hoffentlich noch nicht soviel Macht über die, die nach Gottes Ebenbild geschaffen sind, daß ein gutes Haus über ihren Häuptern zusammenbrechen sollte, weil ein Bettelweib, wie diese,« – (hier warf sie einen furchtbaren Blick auf Norna) – »uns mit ihren frechen Worten gebieten zu können glaubt, als ob wir Hunde wären, die zu ihren Füssen kröchen.« »Ich wollte,« sagte Triptolemus, sich seiner Furcht schämend ... »bloß nach der Gerste sehen, die der Sturm doch ganz umgelegt haben muß; aber wenn die ehrliche Frau bei uns bleiben will, so wäre es wohl das beste, wir setzten uns alle zusammen ruhig nieder, bis das Wetter die Arbeit wieder gestattet.« »Ehrliche Frau!« wiederholte Baby; »spitzbübische Hexe, sag lieber« – dann sich direkt gegen Norna wendend, rief sie: »Hinweg, Abscheuliche! hinweg aus einem ehrlichen Hause, oder Schande möge mich treffen, wenn ich nicht den Hammer nach Dir werfe!« Norna warf ihr einen Blick tiefster Verachtung zu, trat zum Fenster und schien sich in tiefe Betrachtungen des Himmels zu versenken. Tronda, die alte Magd, aber trat zu ihrer Gebieterin und bat sie um alles dessen willen, was einem Manne oder einer Frau teuer sei, Norna vom Fitful-Head nicht zu erzürnen ... »Auf dem Festlande von Shetland,« sagte sie, »gibt's keine Frau, die, gleich ihr, auf einer der Wolken dort so sicher reiten kann, wie ein Mann auf einem Pferde.« »Hoffentlich sehe ich sie noch auf einer Teertonne reiten,« sagte Baby-Barbara, »die sicher das beste Roß für sie abgäbe.« Noch einmal warf Norna der grimmen Baby Yellowley einen Blick unaussprechlichen Hohnes zu; dann trat sie zu dem gegen Nordwesten, woher der Wind jetzt zu kommen schien, liegenden Fenstern, stand eine Zeitlang mit gekreuzten Armen da, den Blick zu dem bleifarbigen, von wildem Gestöber verfinsterten Himmel gerichtet, und sah dem Kampfe der Elemente zu, wie jemand, dem derselbe nichts Neues ist, wie der Kabbalist auf den Geist blickt, den er zwar gerufen hat, der aber, wie er wohl weiß, nichtsdestoweniger seinem Worte gehorchen muß. Die Anwesenden standen in verschiedenen Stellungen, wie sie den Empfindungen entsprachen, die ihre Herzen füllten, um sie her; Mordaunt, obgleich nicht gleichgültig gegen die Gefahr, in der er sich befand, weniger angstvoll als erwartungsvoll, hatte er doch von Nornas Gewalt über die Elemente schon vernommen und erhoffte sich jetzt eine Gelegenheit, sich selbst ein Urteil darüber, ob dies Gerücht wahr oder unwahr sei, zu bilden; – Triptolemus Jellowley, eigentlich mehr erschrocken als neugierig, sicherlich aber betroffen über diese die Grenzen seiner Philosophie weit überschreitenden Wahrnehmungen, – Baby-Barbara, seine Schwester, weder neugierig noch erschrocken, vielmehr noch erboster als bisher, denn aus ihren scharfen Augen und von ihren dünnen, Zusammengepreßten Lippen sprühte der wildeste Zorn; – der Hausierer und die alte Tronda, beide von dem festen Glauben beherrscht, daß das Haus nicht einstürzen würde, solange die gefürchtete Norna unter seinem Dache weilte, aber bereit, es auf der Stelle mit ihr zu verlassen. Nachdem Norna eine Zeitlang, ohne sich zu rühren, im tiefsten Schweigen den Himmel betrachtet hatte, streckte sie auf einmal, mit langsamer, majestätischer Gebärde, ihren Stab von schwarzem Eichenholz gegen die Himmelsgegend aus, aus welcher der Sturm am stärksten wehte, und erhob ihre Stimme, umtobt von seinem wildesten Gebrüll, zu einer norwegischen Beschwörung, die sich noch jetzt auf der Insel Nist unter dem Namen des Gesanges der Reim-Kennar erhalten hat. Kühner Aar aus fernem Nordwest, Der in der Kralle führt den Donnerkeil, Du, des rauschende Flügel zur Wut den Ozean treiben, Vernichter der Herden, Zerstörer der Schiffe, – Gleicht dein Gekreisch auch dem Schrei erliegenden Volkes, Deiner Flügel Rauschen dem Getös von zehntausend Wogen, Dennoch höre in deinem Zorn, deiner Hast – Höre die Stimme der Reim-Kennar! Du trafst die Fichten von Drontheim; Gebrochen liegen die grünen Häupter neben den Stämmen. Du trafst den Wanderer auf dem Meere, Die schlanke, starke Barke des furchtlosen Ruderers, Und gestrichen hat sie ihr Segel von dir, Das vor keiner Königsflotte sich hätte geneigt; – Du trafst den Turm, der in die Wolken streckt sein Haupt, Den starken festen Turm der Earle aus der Vorzeit, Und der Schlußstein des Turmes Liegt auf dem gastlichen Herd. Doch auch du sollst innehalten, stolzer Bezwinger der Wolken, Wenn du hörest die Stimme der Reim-Kennar. Genug des Wehs hast auf dem Meer du gestiftet. – Die Witwe ringt die Hände an der Bucht; – Genug des Wehs hast dem Land du gebracht, und Verzweifelnd kreuzt der Landmann die Arme; – Endige das Schlagen deiner Flügel, Laß das Meer ruhn in seiner finstern Kraft; Endige das Blitzen deiner Augen, Laß den Donnerkeil still in der Rüstkammer Odins. – Sei still auf mein Geheiß, Renner nordwestlichen Himmels, Schlafe auf Nornas, der Reim-Kennar, Ruf! Mordaunt liebte, wie schon bemerkt, die romantische Dichtkunst des norwegischen Landes und die romantischen Begebenheiten; es wird darum niemand wundern, daß er dem wilden Sänge der Seherin mit Begeisterung lauschte, der dem wildesten Winde der Windrose gesungen wurde. Wohl hatte er in dem Lande, wo er so lange gewohnt, von runischen Reimen und nordischen Zaubersprüchen schon viel vernommen; und doch hätte ihm der Glaube, der Sturm, der eben noch so wild geweht, werde wirklich vor Nornas Versen schweigen, sicherlich gefehlt! Nichtsdestoweniger konnte er sich der Wahrnehmung nicht verschließen, daß die Gewalt des Sturmes nachließ, daß die furchtbare Gefahr, mit der er drohte, überstanden zu sein schien – zwar glaubte er nicht an übernatürliche Gaben der seltsamen Frau, aber für wahrscheinlich hielt er es, daß sie den Ausgang schon seit einiger Zeit aus Zeichen erkannt hatte, die den Augen solcher, die noch nicht lange im Lande lebten, oder die auf Naturerscheinungen wenig oder gar nicht achteten, verschlossen bleiben mußten. Die übrigen Anwesenden waren der Meinung eines übernatürlichen Zusammenhanges der Dinge zugänglicher – Tronda und der Hausierer waren von Nornas Macht über die Elemente längst überzeugt; Triptolemus und Barbara starrten einander verwundert und erschrocken an, besonders als während der Pausen, die Norna in ihrem Beschwürungssange machte, der Sturm zusehends nachließ. Auf die letzten Strophen folgte lange Stille; dann setzte Norna, doch mit weicherer Modulation von Stimme und Melodie, von neuem ein: Aar der fernen nördlichen Gewässer, Du vernahmst der Reim-Kennar Gesänge. Rafftest auf ihr Wort dein weites Segel, Faltetst friedlich es an deinen Seiten. Segen ruh' auf deinem Pfade! Wenn du auf aus deinem Horste steigst, Sei dein Schlummer sanft in schwarzen Meeres Höhle! Ruhe, bis das Fatum dich erwecke, Aar der fernen nordischen Gewässer, Du vernahmst der Reim-Kennar Gesänge. »Das wäre ein Lied, das Korn zu bewahren,« flüsterte der Landwirt der Schwester zu, »wir müssen ihr zureden, Baby – vielleicht lehrt sie uns das Geheimnis für hundert Pfund schottisch.« »Für hundert schottische Tröpfe,« erwiderte Baby; »biete ihr fünf Mark klingende Münze! Alle Hexen, die ich gekannt, waren arm wie Hiob.« Norna, als ob sie ihre Gedanken erriete, – was vielleicht auch der Fall war, – blickte wieder verächtlich über sie hinweg, trat zu dem Tische, den Barbara zu dem kargen Mahle hergerichtet, füllte aus dem irdenen Kruge eine hölzerne Schale mit Hausbier, brach von einem Gerstenkuchen ein winziges Stück und wandte sich, als sie gegessen und getrunken, zu ihren unfreundlichen Wirten. »Für die Erfrischung, die ich zu mir genommen, sage ich Euch kein Dankeswort,« rief sie, »denn Ihr habt sie mir nicht angeboten, und Dank, einem Geizhals erstattet, gleicht dem Himmelstau, der auf steinige Klippen fällt. Beide können nichts dort finden, was sie erfrischen könnte. Aber,« fügte sie hinzu, einen ledernen Beutel, der groß und schwer zu sein schien, aus der Rocktasche ziehend, »bezahlen will ich Euch mit dem, was Euch lieber sein, was Euch mehr gelten wird als die Dankbarkeit aller Leute von Hialtland. Der Norna vom Fitful-Head sollt Ihr nicht nachreden, sie habe von Eurem Brote gegessen und aus Eurem Becher getrunken, und Euch dann in Sorge ums Geld, daß sie Euch schuldig wurde, verlassen.« Bei diesen Worten legte sie eine kleine alte Münze, auf der halb verwischt das Bildnis irgend eines alten nordischen Königs zu erkennen war, auf den Eßtisch nieder. Die Geschwister verwahrten sich mit Eifer gegen diese Zumutung; Triptolemus sagte, »er hätte kein Wirtshaus,« und Barbara: »Ist das Weib von Sinnen? wer hätte je gehört, daß Clincscalter Leute sich Speise und Trank bezahlen ließen?« »Oder anders gegeben hätten, als um Gottes willen« – brummte ihr Bruder vor sich hin; »bleib dabei, Schwester, bleib dabei!« »Was schwatzest Du da wieder, Tropf?« sagte die liebreiche Schwester; »gib dem Weib die Münze wieder und freu Dich so heil davonzukommen; morgen ist sie vielleicht ein Stück Schiefer oder etwas Aergeres geworden.« Der ehrliche Triptolemus nahm die Münze vom Tische, um sie der Sibylle wiederzugeben, konnte aber seines Staunens nicht Herr werden, als er das Gepräge darauf sah. Mit zitternder Hand reichte er sie der Schwester. »Ja,« sprach die Seherin abermals, als ob sie die Gedanken des erstaunten Paares auf ihren Gesichtern zu lesen vermöchte: »Ihr habt die Münze schon früher gesehen – gebt wohl acht, wie ihr sie braucht! – Geizigem Volk und Leuten kleinlicher Gesinnung bringt sie keinen Segen. Sie ward, wenn auch in Gefahr, so doch mit Ehren gewonnen, und ist gespendet worden, freigebig und in Ehren. Der Schatz, der unter kaltem Herde liegt, wird dereinst, gleich dem vergrabenen Talent, Zeugnis ablegen wider seine habsüchtigen Besitzer.« Diese letzte dunkle Anspielung schien die Angst und Verwunderung der Geschwister auf den Höhepunkt zu steigern. Der Bruder stammelte etwas, das sich wie eine Einladung anhörte, Norna möge in ihrem Hause übernachten oder doch wenigstens zum »Mittagessen«, oder, wie Barbara sich, als sie die große Gesellschaft und den kargen Inhalt im Topfe erwog, verbesserte, zu einem »Imbiß« bleiben ... »Ich esse nicht hier, und ich schlafe nicht hier,« versetzte Norna; »ja, ich enthebe Euch nicht allein meiner Gegenwart, sondern werde Euch auch von Euren unwillkommenen Gästen befreien. – Mordaunt,« fügte sie hinzu, an den Jüngling sich wendend, »die schwarze Stunde ist vorüber, und Dein Vater erwartet Dich am Abend.« »Führt Dich Dein Weg dorthin?« fragte Mordaunt; »ich will nur einen Bissen essen und Dir dann auf dem Wege Stütze sein, gute Mutter. Die Bäche müssen ausgetreten, die Wege werden voller Gefahren sein.« »Unsere Wege liegen nach verschiedener Richtung,« versetzte die Sibylle, »und Norna bedarf auf ihrem Wege keines sterblichen Armes als Stütze. Gen Osten ziehe ich –zu Menschen, die meine Bahn zu ebnen wissen. Du aber, Bryce Snailsfoot,« wandte sie sich zu dem Hausierer, »eile nach Sumbourgh; der Roost wird Dir reiche Ernte, des Einbringens wohl wert, bereitet haben; es wird viel gute Ware auf neuen Eigentümer warten, und der einst in banger Sorge war, schläft ruhig im Meer und läßt Ballen und Kisten ans Ufer treiben.« »Nun, gute Mutter,« antwortete Snailsfoot, »mir zuliebe wünsche ich niemand den Tod und bin der Vorsehung schon dankbar, wenn sie meinem geringen Gewerbe geringes Gedeihen schenkt. Aber freilich, des einen Verlust ist des andern Gewinn, und da Stürme das Land zerschellen, ist's nur recht und billig, daß die See uns segnet. So will ich denn, wie Ihr Mutter, ein Stück Brot und einen Schluck dazu nehmen, den guten Leuten hier guten Tag sagen und danken, und mich dann, Eurem Rate gemäß, auf den Weg nach Jarlshof machen.« »Ha,« sagte die Seherin, »wo Aas ist, sammeln sich die Adler, und wo ein Wrack am Ufer liegt, kommt der Hausierer eilends daher, wie der Haifisch, der auf die Kadaver lauert.« Bryce Snailsfoot, der Hausierer, verstand den Vorwurf – wenn ein solcher in den Worten der Seherin lag – nicht recht; denn sein Geist befaßte sich schon mit dem Profit, der ihm winkte; und während er nach Quersack und Elle griff, fragte er mit einer, in einem von der Kultur noch unbeleckten Lande nicht auffälligen Familiarität den jungen Mordaunt, ob er ihn begleiten wollte. »Ich will noch bei Herrn Yellowley zu Mittag essen und also erst in einer halben Stunde aufbrechen.« »So will ich immer gehen,« sagte der Hausierer, murmelte einen kurzen Segen, nahm, wie Babys scharfe Augen richtig schätzten, ungefähr zwei Drittel von dem Brote, tat einen langen Zug aus dem Bierkruge, schob eine Handvoll kleiner Fische, in Shetland »Silloch« genannt, die die Magd eben auf den Tisch gesetzt, in die Tasche und verließ hierauf die Stube. »Fürwahr,« sagte Barbara, entrüstet ob solcher Plünderung, »Hausierermagen kann viel vertragen; schade, schade, daß hierzulande die Gesetze gegen die Landstreicherei so milde gehandhabt werden ... Daß man seine Tür anständigen Leuten nicht verschließen würde,« sagte sie, den Blick auf Mordaunt richtend, »besonders nicht, wenn ein Wetter haust, als sollte das jüngste Gericht anbrechen, versteht sich von selbst ... Aber da steht ja die arme Gans noch immer auf dem Tische.« Mordaunt lachte über dieses Mitleid mit einem Wesen, das schon geraume Zeit in der Räucherkammer gehangen, rückte einen Sessel heran und sah sich nach Norna und dem Hausierer um, die aber beide verschwunden waren, »Gut, daß sie fort ist, das böse Weib,« sagte Baby; »hat sie uns doch, zur ewigen Schande, das Geldstück dagelassen!« »Still, um Himmels willen,« rief Tronda Dronsdaughter, »wer weiß, wo sie im Augenblicke sein mag: wenn wir sie auch nicht sehen, so hört sie uns doch vielleicht!« Barbara sah sich erschrocken um, gewann aber auf der Stelle die Herrschaft wieder über sich, denn, wenn sie auch heftigen Sinnes war, so gebrach es ihr doch an Beherztheit und Mut nicht. – »Ich hab sie gehen heißen,« sagte sie, »und tue auch jetzt nicht anders, – mag sie mich hören oder sehen oder schon weit weg sein über Block und Stein. Und Du, einfältiger Tropf,« fuhr sie den Bruder an, »stehst da und glotzest? – willst in St.-Andrews studiert haben? lateinische Humanität, wie Du es nennst? und fürchtest Dich vor dem Gewäsch eines alten Bettelweibs? Sprich Dein bestes Dankgebet aus dem Kollegium, Trip, und mag sie eine Hexe sein oder nicht, das Mittagessen soll sie uns nicht verderben; und daß wir uns an ihrem Gelde bereichert hätten, soll niemand uns nachsagen können. Ich will es einem Armen geben, das heißt nach meinem Tode vermachen, bis dahin aber als Heckpfennig verwahren; das heißt doch nicht, es wie gewöhnliches Geld brauchen! Sag also Dein bestes Tischgebet her, Trip, und laß uns essen und trinken.« »Weit besser wär es, Ihr betetet zu St.-Ronald und würfet einen Sixpence über die linke Schulter, Herr,« sagte Tronda. »Damit Du ihn aufnehmen könntest, he?« rief die ewig schnippische Barbara; »denn bis Du auf andere Weise so viel verdientest, möcht's wohl sein Weilchen dauern. – Setz Dich, Trip, und laß das alberne Ding schwatzen!« »Ob albern oder klug,« antwortete Yellowley beklommen; »sie weiß doch mehr, als mir lieb ist; und dann, was sie über den Herd sagte; – ich kann wahrlich nicht umhin, Schwester, zu denken« – »Wenn Du nicht umhin kannst, zu denken,« erwiderte Baby, wieder schnippisch, »dann halte wenigstens den Mund – das wirst Du wohl können?« Trip erwiderte hierauf nichts, sondern setzte sich zu dem kärglichen Mahle, verhielt sich aber als Wirt aufs herzlichste gegen seinen Gast, den ersten, der ungebeten gekommen, und den letzten, der sie verließ. Fische und Gans verschwanden so schnell, daß Tronda an dem Gerippe, das für sie bestimmt war, kaum noch etwas zum Knabbern fand. Triptolemus langte zum Abschluß des Mahles die Branntweinflasche aus dem Schrankwinkel; aber Mordaunt, mäßig wie sein Vater, sprach ihr wenig oder gar nicht zu, zumal die Begegnung mit Norna, und was er aus ihrem Munde vernommen, sein Verlangen, nach Hause zu gelangen, heftig erregt hatte, und ihm das Haus, trotz aller jetzt in solchen Flor getretenen Gastfreundlichkeit, keine Lust zu längerem Verweilen machte. Er nahm deshalb das Anerbieten seines Wirtes, dessen Kleider anzubehalten, mit dem Versprechen an, sie gegen die seinigen abholen zu lassen, und nahm freundlichen Abschied von Wirt und Wirtin, welch letztere sich über den Verlust ihrer Gans damit tröstete, daß sie wenigstens einem schmucken Jüngling zu gute gekommen war. Siebentes Kapitel Zwischen Stourbourgh und Jarlshof lagen zehn »stramme Meilen schottisch« – und wenn auch dem jungen Wanderer nicht, all jene Hindernisse in den Weg traten, die Tam–o'–Shanter auf seinem berühmten Rückmarsch vom Ayr begegneten, – so brauchte er doch soviel Zeit, die, die er fand, zu überwinden, daß er erst gegen elf Uhr nachts Jarlshof erreichte. – Rings um das Haus war alles still und finster, und er bekam erst Antwort, als er ein paarmal unter Swerthas Fenster gepfiffen hatte. »Wer klopft denn zu solcher nächtlichen Stunde?« fragte sie, nachdem sie beim ersten Tone noch traumumfangen gemeint hatte, der junge Walfischfahrer sei es wieder, der einst vor vierzig Jahren bei ihr »gefensterlt« und sich immer durch Pochen gemeldet hatte – beim zweiten Schlag munter geworden war – und beim dritten sich erinnerte, daß Johnie Fraja schon viele, viele Jahre unter Grönlands Eise begraben liege. – »Ich bin's,« antwortete der Jüngling. »Und warum kommt Ihr nicht herein? Die Tür ist ja nur eingeklinkt, und im Herde glimmt Torf und ein Span liegt auch daneben.« »Ganz gut und schön,« versetzte Mordaunt, »aber ich wollte wissen, wie es dem Vater geht.« »Wie immer geht's – gefragt hat er nach Euch, der brave Herr – Ihr solltet doch nicht so weite und lange Spaziergänge machen, junger Herr.« »Die finstere Stunde ist vorüber, Swertha?« fragte er. »Jawohl, Herr Mordaunt,« antwortete die Haushälterin, »der Vater ist sogar recht vernünftig und gutmütig. Ich habe gestern zweimal mit ihm gesprochen; zuerst gab er die höflichste Antwort; dann sagte er, ich möchte ihn in Ruhe lassen, und da sagte ich mir, aller guten Dinge seien doch immer drei – und versuchte es noch einmal, aber da schalt er mich einen schwatzhaften alten Drachen.« »Genug, Swertha, genug,« rief Mordaunt, »nun steh aber auf und schaffe mir etwas zu essen, denn ich habe sehr schlecht heute zu Mittag gegessen.« »Dann seid Ihr gewiß bei den neuen Leuten in Stourbourgh gewesen, denn ich wüßte sonst kein Haus auf all unsern Inseln, wo man Euch nicht das Beste vom Besten gäbe. Habt Ihr Norna vom Fitful-Head gesehen? Sie ging heute früh nach Stourbourgh, ist aber am Abend zurückgekommen.« »Zurückgekommen? Also hier? Aber wie hat sie drei reichliche Meilen in so kurzer Zeit zurücklegen können?« »Wer kann denn sagen, wie sie Wege zurücklegt?« antwortete Swertha. – »Aber gehört hab ich's mit eigenen Ohren, wie sie es dem Ranzelmann sagte, sie ginge heute nach Burgh-Westra, um mit Minna Troil zu sprechen, daß sie aber in Hafra – denn Stourbourgh nennt sie es nie – was gesehen hätte, das sie wieder hierher zurückzukommen bestimmte. Aber geht nur herein, Ihr sollt schon was zu essen finden.« Mordaunt ging nach der Küche, und Swertha sorgte für ein reichliches, wenn auch einfaches Mahl, das ihn für die karge Stourbourgher Kost schadlos hielt. Frühzeitig stand Mordaunt auf, aber doch, da er sich etwas erschöpft fühlte, später als gewöhnlich, so daß er, was sonst nicht der Fall war, seinen Vater bereits in dem Zimmer fand, wo sie zu essen pflegten. »Du bist gestern nicht dagewesen, Mordaunt,« sagte der Vater, denn der Sohn wartete ehrfurchtsvoll, bis er angesprochen wurde – er war über acht Tage abwesend gewesen, hatte aber wiederholt bemerkt, daß seinem Vater, wenn er in seiner trüben Stimmung war, der richtige Zeitbegriff abhanden kam. Er sagte also einfach »Ja« auf die Frage des Vaters. »Bist in Burgh-Westra gewesen, nicht wahr?« fragte der Vater wieder. »Ja!« antwortete Mordaunt wieder. Der Vater ging eine Zeitlang schweigend auf und ab – mit einem Gesicht so düster, wie wenn er wieder in seine Trübnis verfallen wollte. Plötzlich aber wandte er sich gegen seinen Sohn mit der Frage: »Magnus Troil hat zwei Töchter, – sie müssen schon erwachsen sein und gelten für schön; nicht wahr?« »Ja, Vater, man hört so,« sagte Mordaunt, verwundert, daß der Vater sich nach Angehörigen eines Geschlechtes erkundigte, dem er im allgemeinen nicht wohlgesinnt war – aber seine Verwunderung wuchs noch bei der weitern Frage aus Vaters Munde, die ebenso kurz wie die erste gestellt wurde ... »Und welche hältst Du für die schönere?« »Ich, Vater,« antwortete der Sohn, nicht ohne Verlegenheit; »wahrhaftig! darüber kann ich nicht urteilen; ich habe noch keinmal darüber nachgedacht – sind doch beides hübsche Mädchen.« »Du weichst der Frage aus, Mordaunt, und doch habe ich vielleicht Gründe, die es mir wünschenswert erscheinen lassen, Deinen Geschmack zu kennen. Unnütze Worte mache ich nicht gern. Ich frage Dich noch 'mal, welche von Magnus Troils Töchtern hältst Du für die schönere?« »Aber, Vater« – antwortete Mordaunt – »Sie stellen mir solche Frage doch nur aus Scherz?« »Junger Mensch,« entgegnete Mertoun, dessen Augen ungeduldig zu rollen anfingen, »ich frage nie zum Scherz, verlange aber Antwort auf meine Frage.« »Ja, da wird mir die Antwort schwer, Vater, wenn nicht unmöglich,« sagte Mordaunt, »denn, wie gesagt, sie sind beide hübsch, jede auf ihre Art – doch sich durchaus nicht ähnlich – Minna ist dunkel und ernster als ihre Schwester, aber nicht grämlich oder gar düster.« »Hm,« sagte der Vater: »Du bist ernst gezogen; also gefällt Dir Minna am besten?« »Nein, Vater, ich kann ihr keinen Vorzug vor Brenda, ihrer Schwester, geben, die fröhlich ist wie ein Lamm am Frühlingsmorgen; nicht so groß wie ihre Schwester, doch ebenso schön gebaut und eine vortreffliche Tänzerin.« »Die sich am besten schickte, einen jungen Menschen, dem bei seinem trübsinnigen Vater zu Hause die Zeit lang wird, aufzuheitern,« sagte Mertoun. Mordaunt war es an seinem Vater gewöhnt, daß er ein Thema, das seiner Gedankenrichtung wenig entsprach, nach allen Seiten hin ausspann; er begnügte sich deshalb noch einmal, zu sagen, daß die beiden Mädchen Muster von Schönheit seien, daß er sie aber nie miteinander in Parallele gestellt habe, und daß mithin manch anderer vielleicht besser auf solche Frage Antwort geben könnte als er, zumal er bei keiner eine auszeichnende Eigenschaft zu nennen wüßte, die nicht durch eine andere Eigenschaft der andern aufgewogen würde. Wohl möglich, daß die Ruhe, mit der Mordaunt diese Antwort gab, dem Vater die gewünschte Befriedigung nicht brachte; Swertha trat aber jetzt mit dem Frühstück ein, und Mordaunt langte trotz der späten Stunde so kräftig zu, daß der Vater bald einsehen lernte, die Fragen, die er ihm gestellt, gälten ihm weit geringer. Die Hand über die Augen haltend, sah er dem Jüngling unverwandt zu; keine Bewegung desselben verriet indes Befangenheit oder das Bewußtsein, beobachtet zu werden; alles vielmehr an ihm war frei, ungezwungen, offen... »Sein Gemüt ist noch rein und lauter,« sagte Mertoun vor sich hin; »seltsam, daß ein hübscher, munterer, junger Mensch in seinen Verhältnissen Schlingen entgangen sein sollte, in denen sich doch die ganze Welt fängt.« Nach beendigter Mahlzeit hieß der Vater nicht, wie es sonst bei ihm Gewohnheit war, den Sohn zu diesem oder jenem Studium greifen, sondern nahm Hut und Stock, forderte Mordaunt auf, mit ihm aufs Vorgebirge hinauszuwandern, da er sich das Meer ansehen wolle, das von dem Sturme des vorigen Tages noch in großer Bewegung sein müßte. Mordaunt, noch in dem Alter, wo der Mensch alle sitzende Arbeit gern mit Beschäftigung im Freien vertauscht, sprang sogleich auf, des Vaters Befehl zu gehorchen; und nach wenigen Minuten schon stiegen sie den Hügel hinan, der von der Landseite her einen langen, steilen, mit Gras bestandenen Abhang bildete, vom Gipfel aber zum Meere hinunter in einem schroffen, grausigen Schlunde abstürzte. Es war ein wunderschöner Tag – die Luft ging nur leise noch, so daß sich die Wölkchen, die noch am Himmel sichtbar waren, kaum bewegten – über der kahlen endlosen Landschaft lag etwas wie ein Zauber, der – eine Wirkung des Wechsels zwischen Licht und Schatten, – ihr zeitweilig etwas von der Mannigfaltigkeit eines wohlausgebauten Kulturbodens lieh, und doch war alles bloß wildes Moor, und Felsen und Buchten breiteten sich immer weiter vor ihnen aus, je höher sie hinanklommen. Der Vater blieb oft stehen und sah sich um – eine Zeitlang glaubte der Sohn, in der Absicht, die Schönheit des Bildes zu genießen, während des Steigens aber ward er inne, daß des Vaters Atem kürzer und seine Schritte schwank und schwer wurden; nicht ohne Unruhe erkannte er, daß ihn das Bergsteigen stärker angriff als ehedem. Ohne ein Wort zu sprechen, reichte er ihm den Arm, und schweigend nahm der Vater die dargebotene Hilfe, indes nur einige Minuten; denn plötzlich, beinahe rauh, stieß er den Sohn von sich, und als ob ihm irgend ein Gedanke, der ihm einfiel, doppelte Kräfte liehe, stieg er mit so großen und schnellen Schritten weiter hinauf, daß es dem Sohne schwer wurde, ihm zur Seite zu bleiben. Er kannte den Vater zur Genüge und wußte, daß ihn derselbe, trotz aller Fürsorge, die er auf seine Erziehung wandte, eigentlich nicht liebte – der Vater aber schien den garstigen Eindruck nicht zu bemerken, den seine Unfreundlichkeit auf die Empfindungen seines Sohnes hervorbrachte. Sie hatten inzwischen den Kamm erreicht. Hier blieb der Vater stehen und sagte in einem gleichgültigen Tone, der sich nicht natürlich anhörte: »Mordaunt, da Dir so wenig daran liegt, auf diesen wilden Inseln zu bleiben, hast Du wohl schon daran gedacht, Dich einmal in der Welt umzusehen?« »Ich könnte nicht sagen, Vater,« erwiderte Mordaunt, »daß mir solcher Einfall schon einmal gekommen wäre.« »Und warum nicht, Junge?« fragte der Vater; »ich dächte, in Deinem Alter wäre er nur natürlich. Mir wenigstens konnte, als ich so alt war wie Du, das schöne lachende England kaum genügen, geschweige denn solches Torfmoor wie dieses.« »Shetland zu verlassen, Vater, ist mir nie in den Sinn gekommen,« versetzte Mordaunt, »ich fühle mich hier wohl und glücklich und habe Freunde. Und auch Dir, Vater, möchte ich wohl zuweilen fehlen ...« »Daß Du aus Liebe zu mir hier bleibst oder bleiben wollest,« erwiderte der Vater barsch, »wirst Du mir doch nicht einreden wollen?« »Warum nicht, Vater?« sagte Mordaunt ruhig – »ich hielt es für Kindespflicht und habe, wie ich hoffe und wünsche, bis jetzt nicht dagegen verstoßen.« »Ja so,« wiederholte der Vater in gleichem Tone, »Deine Pflicht – Deine Kindespflicht – ist's ja auch Hundespflicht, an demjenigen Diener vom Hause zu hängen, der ihn füttert.« »Und tut er nicht immer so?« sagte Mordaunt. »Ja doch,« sagte der Vater, den Kopf abwendend, »aber zu wedeln pflegt er nur bei Leuten, die ihn liebkosen.« »Ich kann mich nicht besinnen,« sagte der Sohn, »daß ich es an Liebe hätte fehlen lassen.« »Nichts mehr davon,« rief Mertoun kurz; »wir haben beide lang füreinander getan, was sein mußte, und – wir müssen uns nun trennen, – brauchen wir Linderung im Trennungsschmerze, mag dieser Gedanke sie uns geben.« »Ich werde nie ermangeln, Ihren Wünschen gerecht zu werden,« sagte Mordaunt, mit der Aussicht, die Welt zu sehen, nicht unzufrieden; »ich soll doch sicher mit einer Walfischfahrt den Anfang machen?« »Walfischfahrt?« wiederholte der Vater: »ei, das wäre der rechte Weg, die Welt zu sehen; aber Du redest, wie Du es verstehst – lassen wir die Sache! Wo hast Du in dem Sturme gestern Unterkommen gefunden?« »In Stourbourgh, beim neuen Verwalter aus Schottland,« »Ein pedantischer, überspannter Pläneschmied,« sagte Mertoun; »und wen trafst Du dort?« »Seine Schwester,« erwiderte Mordaunt; »und die alte Norna vom Fitful-Head.« »Was! die Norna? die soviel Zaubersprüche kennt?« versetzte Mertoun mit höhnischem Lächeln, »die den Wind wenden kann, wenn sie ihr Kopftuch auf die Seite zieht, wie König Erich, wenn er die Mütze wendete? Die Frau macht große Touren – wie geht es ihr? Hat sie schon Reichtümer damit erworben, daß sie denen, die in den Hafen einlaufen wollen, günstigen Wind verkauft?« »Ich weiß es nicht, Vater,« sagte Mordaunt, den gewisse Erinnerungen abhielten, auf diese Stimmung einzugehen. »Du meinst, die Sache sei zu ernst für Scherze, vielleicht auch die Ware zu gering, sich darum zu härmen,« fuhr Mertoun mit dem gleichen Spott fort, »besinne Dich aber genauer! Wird nicht alles in der Welt gekauft und verkauft; warum nicht der Wind, wenn der Kaufmann Käufer dafür finden kann? Die Erde ist verpachtet, von ihrer Oberfläche bis zu den Bergwerken in ihrem Innersten; das Feuer und die Mittel, es zu nähren, werden gekauft und verkauft; die Armen, die das wilde Meer mit ihren Netzen durchschiffen, bezahlen das Vorrecht des Ertrinkens mit einem Zoll . . . Weshalb sollte die Luft von dem allgemeinen Handel ausgeschlossen bleiben? Alles über der Erde hat seinen Preis, seine Käufer, seine Verkäufer. In vielen Läden verkaufen Dir die Priester einen Teil des Himmels, – in allen Ländern sind die Menschen bereit, die Hölle zu kaufen für Gesundheit, Reichtum, Gewissensfreiheit: warum sollte Norna nicht auch den Handel treiben, der ihr paßt?« »Ich wüßte keinen Grund dagegen,« versetzte Mordaunt, »nur meine ich, es wäre besser, sie schlüge ihre Ware in kleinen Mengen los. Gestern trieb sie Großhandel, und wer sich mit ihr einließ, bekam für sein Geld zu viel.« »So ist es,« sagte der Vater, am Rande des wilden Vorgebirges stehen bleibend, das sie erreicht hatten; »die Spuren davon sind noch sichtbar!« Als Vater und Sohn von der aus weichem, bröckligem Sandstein bestehenden Höhe auf das Meer hinunterschauten, schlug die Flut noch dröhnend wider das Ufer, und das Auge schwindelte, wenn es in die Wogen hinabblickte, die allem, was in ihre Gewalt geriet, mit jäher Zerstörung drohten. Der Anblick der Natur in ihrer Pracht, in ihrer Schönheit, oder in ihrem Schrecken hat immer etwas Ueberwältigendes, dessen Eindruck selbst die Gewohnheit nicht schwächen kann; und Vater und Sohn setzten sich auf die Klippe, dem ungemessenen Kampf der Wogen, die noch immer gegen den Schlund des Ufers rasten, zuzuschauen. Auf einmal sprang Mordaunt, dessen Auge schärfer, dessen Aufmerksamkeit wahrscheinlich reger war, als die seines Vaters, empor und rief: »Gott im Himmel, ein Fahrzeug im Rooft!« Mertoun blickte nach Nordwesten und sah einen Gegenstand in der schäumenden Flut... »Es zeigt kein Segel,« sagte er, und gleich darauf, als er durch sein Fernglas gesehen hatte, fügte er hinzu: »Es ist entmastet und liegt als Wrack auf dem Wasser.« »Und treibt auf Sourbourgh-Head zu,« rief Mordaunt entsetzt, »ohne jede Hilfe, das Vorgebirge zu umschiffen.« »Es liegt tot,« sagte der Vater, »wahrscheinlich ist es von der Mannschaft verlassen.« »An einem Tage, wie gestern,« sagte Mordaunt, »in einem Sturm wie gestern, wo kein offenes Boot die See halten konnte, müßten alle, auch die besten Leute, die je ein Ruder geführt, in die Tiefe gegangen sein.«, »Sehr wahrscheinlich,« erwiderte sein Vater mit ernster Fassung, »aber später oder früher hätten doch alle untergehen müssen. Was liegt daran, ob der große Vogelsteller, dem nichts entrinnt, sie auf einmal oder einzeln in seine Krallen bekam? Was liegt daran? Schiffsdeck und Schlachtfeld haben nicht mehr Gefahr für uns als Tisch und Bett, und der Mensch entgeht dem einen nur, um, bis er im andern stirbt, ein armseliges Dasein weiter zu fristen. Ich wollte, die Stunde wäre auch für mich schon da! ... Kind, Du wunderst Dich über solche Betrachtungen, weil Dir das Leben noch neu ist; doch auch mit Deinen Gedanken werden sie, ehe Du mein Alter erreichst, verwachsen sein.« »Ein solcher Widerwille gegen das Leben,« erwiderte Mordaunt, »ist doch nicht eine notwendige Folge vorgerückten Alters?« »Für solche, die Verstand genug besitzen, es nach dem wirklichen Werte zu schätzen, doch!« antwortete Mertoun; »solche wie Magnus Troil, die infolge ihrer tierischen Neigungen Geschmack an der Sinnesbefriedigung finden, werden vielleicht, wie die Tiere, schon durch das Dasein an sich satt.« Mordaunt gefiel weder Rede noch Beispiel. Er war der Ansicht, daß ein Mann, der seine Pflichten gegen andere so redlich erfüllte wie der gute alte Udaller, auf seinen Platz an der Sonne ganz ebensoviel, wenn nicht größeres Anrecht habe als andere, die mit Fühllosigkeit prunkten. Aber er wußte, daß Disputieren den Vater aufbrachte; deshalb schwieg er und wendete seine Aufmerksamkeit abermals auf das Wrack. Mehr als Wrack war es wohl kaum, was jetzt in der Mitte der Strömung trieb, dem Fuße der Klippe zu, an deren Rand sie standen. Aber geraume Zeit verging noch, bis sie das Ding wirklich erkennen konnten, das sie zuerst nur als schwarzen Fleck im Wasser gesehen hatten – das, näher kommend, Aehnlichkeit mit einem Walfisch aufwies, der bald die Rückenflosse über das Wasser hebt, bald seine große schwarze Seite zeigt, – das aber jetzt deutlich die Gestalt eines Schiffes zeigte, das von den gewaltigen Wogen, die es der Küste zutrugen, bald über den Spiegel des Meeres gehoben, bald in seine Tiefen hinuntergerissen wurde. Es war ein Schiff von zwei- bis dreihundert Tonnen, zur Verteidigung eingerichtet, denn man konnte die Stückpforten sehen; in dem Sturme am vorigen Tage mochte es die Masten verloren haben, und trieb nun voll Wasser auf den Wellen, eine Beute ihrer Wut. Die Mannschaft schien die Unmöglichkeit, das Schiff zu lenken oder durch Pumpen zu retten, erkannt und in den Booten Zuflucht gesucht zu haben, ihr Schiff seinem Schicksal überlassend ... Und doch konnten Mertouns, Vater und Sohn, nicht ohne ein Gefühl von Beklommenheit dies Schiff betrachten, jenes seltene Meisterstück menschlichen Geistes, das den Sohn der Erde zum Herrn über die Welt macht, das ihn in stand setzt, mit Wind und Sturm auf den Wogen zu kämpfen, und doch jeden Augenblick in Gefahr setzt, von ihnen zerschellt und verschlungen zu werden. Jetzt kam sie heran, die große, schwarze Masse, mit jeder Fadenlänge an Größe wachsend, auf einer mächtigen Woge getragen, die jetzt samt ihrer Last gegen den Felsen prallte; die Elemente hatten über das Werk von Menschenhand den Sieg errungen – noch einmal trat das zertrümmerte Schiff in seiner vollen Größe in Sicht, als es wider die Wand getragen wurde – als aber die Woge zurück von der Wand prallte, trug sie kein Schiff mehr, nur Balken, Planken, Tonnen, Trümmer ... Da war es Mordaunt mit einem Male, als sähe er auf einer Planke oder einem Fasse einen Menschen abwärts von der Hauptströmung auf eine seichtere Stelle zu treiben, wo sich die Wellen mit geringerm Ungestüm brachen ... »Er lebt noch – er kann noch gerettet werden!« rief der Jüngling – in der andern Sekunde schwang er sich von der Platte auf einen Vorsprung, – mehr einem Sturze glich der Schwung als einem Sprunge – und, die Spalten, Risse, Zacken des Felsens benutzend, klomm er hinunter in die Tiefe. »Halt, unbesonnener Knabe!« rief der Vater, »dieses Wagestück bringt Dir den Tod .. Halt, ich befehle es Dir – und nimm den sichern Pfad zur Linken.« Aber Mordaunt war schon zu weit vorwärts gedrungen, um noch zurück zu können ... »Und warum sollte ich ihn hindern?« sagte der Vater, dessen strenge Denkweise keine Sorge aufkommen ließ. »Fände er jetzt den Tod in dem edlen großen Gefühle, durch Aufgebot seiner besten Kräfte die Rettung eines Mitmenschen versucht zu haben – fände er jetzt den Tod: entrönne er dann nicht Menschenhaß, Gewissensbissen, Alter, und der Empfindung der von Seele und Leib schwindenden Kraft? – Aber den Blick muß ich von dem Vorgange abwenden – denn ich kann nicht Zeuge sein, wie diese jugendliche Flamme jäh verlischt.« Er trat von dem Abhange zurück, in eine Spalte zur Linken, »Erichs Stufen« genannt, die zwar weder sicher noch bequem, aber der einzige Pfad war, den die Bewohner von Jarlshof einschlugen, wenn sie an den Fuß des Felsens gelangen wollten. Lange vor Mertoun, der nun das obere Ende des Pfades erreichte, hatte sein kühner, gewandter Sohn das gefahrvolle Unternehmen vollführt, das er begonnen – alle Schwierigkeiten, die er auf der Höhe nicht geahnt, bis zur grausen Tiefe hinunter besiegend – mehr denn einmal glitt sein Fuß auf der weichen, bröckligen Masse; Blöcke, auf denen er fußen wollte, rutschten mehr denn einmal und rollten in das Meer oder stürzten ihm nach, als ob sie ihn mit sich reißen wollten ... Sieben lange, bange Minuten, – dann stand er am Fuße der Klippe auf einem kleinen, von Steinen, Sand und Kies gebildeten Vorsprung, der sich in die See, die den Fuß der Klippe bespülte, hinausstreckte, – bis hin zu dem Fuße zur Linken, den »Erichs-Stufen«, auf denen sein Vater den Abstieg versuchte. Als das Schiff zerschellte, hatte das Meer alles verschlungen, was nach dem letzten Stoße noch auf den Wellen trieb, ein paar Trümmer ausgenommen, die ein starker Strudel dort an das Land geworfen hatte, wo Mordaunt jetzt stand. Darunter entdeckte sein scharfes Auge bald das Ding, das zuerst seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen, und das er jetzt in der Nähe wirklich für einen Menschen in verzweifeltster Lage erkannte – der die Arme krankhaft um den Pfosten geschlungen hielt, an den er sich im Augenblick des Ertrinkens geklammert hatte, – dem das Bewußtsein fehlte, – der keiner Bewegung mehr fähig war – und dessen Tod jetzt unvermeidlich schien. Mordaunt sah es – Mordaunt sah die Woge nahen, die den Unglücklichen ins Meer hinaus führen mußte, wenn sie ihn beim Rückprall von der Felswand faßte – und im andern Momente rang Mordaunt mit der Brandung um den Körper; aber die Stärke der zurückrollenden Wogen war größer, als er gerechnet hatte, er mußte einen harten Kampf bestehen für sein eigenes und des Fremden Leben, um nicht in das offene Meer hinausgetrieben zu werden, wo er, trotzdem er ein gewandter Schwimmer war, von der Flut unrettbar entweder zerschmettert oder in die Tiefe hinunter gerissen worden wäre .. doch Mordaunt hielt stand mit übermenschlicher Kraft – und entrang der Flut den Leib; denn ehe die zweite Welle zum Angriff wiederkehrte, hatte er Leib und Planke auf den Streifen trocknen Sandes gezogen, der ihm am Fuße der Klippe als erster Standort gedient hatte ... Wie aber den Funken des verlöschenden Lebens festhalten – wie ihn anfachen – wie den Unglücklichen, den fast schon Todesstarre befallen, – an einen sicheren Ort schaffen? Das waren Fragen, auf die Mordaunt keine Antwort fand. Er blickte zur Spitze der Klippe hinauf, wo er den Vater zurückgelassen, und rief diesen um Beistand an; sein Auge aber konnte ihn nicht entdecken, und nur Geschrei von Seevögeln gab ihm Antwort ... Noch einmal blickte er den Schiffbrüchigen an; er trug ein nach der Art jener Zeit reich mit Tressen besetztes Kleid, feines Linnen und Ringe an den Fingern: Dinge, welche bewiesen, daß es ein Mann von hohem Range sei; sein bleiches, entstelltes Gesicht zeigte Jugend und Anmut; er atmete noch, aber so schwach, daß man kaum eine Spur von Hauch bemerken konnte; das Leben schien nur noch an einem dünnen, dünnen Faden zu hängen, der zu zerreißen drohte, wenn er nicht bald Halt fand oder verstärkt würde. Ihm die Halsbinde lösen, das Gesicht gegen den Wind drehen, ihn mit den Armen stützen, war alles, was Mordaunt zu seinem Beistande tun konnte, während er sehnlichst nach jemandem ausschaute, der ihm hälfe, den Unglücklichen an einen sichern Platz zu schleppen ... Da sah er einen Mann langsam und vorsichtig am Ufer entlangkommen. Im ersten Augenblick meinte er, es sei sein Vater; doch gleich darauf fiel ihm ein, daß dieser den weiteren Weg, den er genommen, noch nicht zurückgelegt haben könnte; er sah nun auch, daß der Mann kleiner war; und bald erkannte er nun den Hausierer, den er tags vorher in Hafra getroffen und schon bei frühern Gelegenheiten kennen gelernt hatte. »Holla, Bryce! hierher, Bryce!« rief er, so laut er konnte – der Hausierer aber dachte nur an Trümmer, die er aus dem Meere fischen könne – und schien der Rufe nicht zu achten; als er aber endlich Mordaunt nahe genug war, daß er dessen Rufe nicht mehr ungehört verhallen lassen konnte, hob er nicht die Hand zur Hilfe, sondern öffnete den Mund, um Mordaunt zu schmähen ... »Seid Ihr toll?« rief er; »habt Ihr darum solange auf Shetland gelebt, daß Ihr es wagen wollt, einen Ertrinkenden zu retten? Wißt Ihr nicht, daß er Euch gewiß ein Leid zufügt, wenn Ihr ihn wieder ins Leben zurückbringt? – Kommt, Mordaunt, und leiht mir Eure Hilfe zu besserer, klügerer Tat! Laßt uns ein Paar von den Kisten am Ufer bergen, ehe andere sie uns wegfischen, und teilen, was Gott uns spendet, und ihm danken für seine Gnade.« Mordaunt, mit dem sonderbaren Aberglauben nicht unbekannt, der in früheren Zeiten wirklich unter den niederen Shetländern herrschte, und vielleicht um so mehr Anhänger fand, als er zum Vorwand dienen konnte, unglücklichen Opfern des Meeres Beistand zu versagen, während man ihre Güter plünderte, – Murdaunt folgte dem Blicke des ehrlichen Handelsmannes und sah nun eine große, starke Schiffskiste, die aus fremdem, scheinbar indischem Holze gezimmert und das Meisterwerk irgend eines Zimmermanns in fernen Landen zu sein schien; denn ihr durch Messingplatten wohlverwahrtes starkes Schloß widerstand allen Anstrengungen des kleinen Mannes, dem es inzwischen gelungen war, sie aus dem Meere ans Land zu ziehen, und allerhand Versuche machte, sie zu öffnen, bis er zuletzt Hammer und Meißel aus seinem Sacke langte und die Haspen loszuschlagen anfing. Mordaunt, außer sich über die Selbstsucht und Unbarmherzigkeit Snailsfoots, griff nach einem neben ihm treibenden Querholz, bettete den Schiffbrüchigen sanft auf den Sand und trat mit drohender Miene auf den Hausierer zu... »Auf der Stelle hilfst Du mir, den Unglücklichen ins Leben zurückrufen, oder ich zerschlage Dir nicht bloß alle Knochen im Leibe, sondern zeige Dich Unmenschen bei Magnus Troil als Strandräuber an, damit er Dich auspeitschen lasse und von Shetland verbanne.« Eben hatte sich der Deckel von der Kiste gelöst, und allerhand schöne Sachen, zu Lande wie auf See gut brauchbar – Hemden einfach und mit Spitzen-Manchetten, ein silberner Kompaß, ein Degen mit silbernem Griffe, und andere Gegenstände von Wert, – traten vor die gierigen Augen des Hausierers, der sich über ihren Handelswert keine Sekunde im Zweifel befand – da drang ihm Mordaunts Drohung in die Ohren – und fuchswild, sich über solch schöner Beute gestört zu sehen, wollte er eben aufspringen und seinen Degen ziehen, der zugleich Stoß und Hiebdegen war – schon hatte Mordaunt seine Drohung, grimmiger als zuvor, wiederholt und den Hausierer, der zwar klein, aber ein starker vierschrötiger Wicht war und noch in der Vollkraft der Jahre stand, zudem besser bewaffnet war als er, von neuem aufgefordert, ihm bei der Bergung des Schiffbrüchigen zu helfen – schon hatte Bryce Snailsfoot, nach trotziger Antwort, daß er sich das Fluchen verbiete und nicht Hand an sich legen lasse, eher dem jungen Grünschnabel einen Denkzettel geben wolle, an dem er von heute bis Weihnachten zu knabbern haben solle – schon war Mordaunt im Begriff, es darauf ankommen zu lassen und den Mut des Hausierers auf die Probe zu stellen, – als plötzlich hinter ihm eine Stimme ein lautes »Halt!« rief. Es war die Stimme der Norna vom Fitful-Head ... Unbemerkt von dem in Streit geratenen beiden Männern, hatte die Seherin sich ihnen genähert. Laut wiederholte sie »Halt!« und wandte sich drohend an Bryce Snailsfoot: »Leiste dem jungen Mordaunt den Beistand, den er begehrt; denn ich sage Dir, daß Dir besserer Vorteil daraus erwachsen wird als aus der Beute, die Deine Augen blendet.« »Es ist Leinwand von feinstem Gewebe,« sagte der Hausierer, der schon eins der Hemden mit jener Kennermiene befühlt hatte, mit der Frauen und Sachverständige ein Gewebe taxieren; »stark wie Doppelleinwand. Immerhin will ich Euch, Mutter, zu Willen sein; hätt ich ja auch schon dem jungen Herrn seinen Willen getan,« setzte er hinzu, seinen bisherigen Trotz aufgebend und einen dienstwilligen Ton anschlagend, wie er ihn gegen seine Kunden brauchte, »hätte er bloß nicht gar so gotteslästerliche Flüche ausgestoßen.« Eine Flasche aus der Tasche ziehend, näherte er sich dem Schiffbrüchigen ... »Branntwein von bester Sorte,« sagte er, »und wenn ihn der nicht wieder ins Leben ruft, so weiß ich nicht, was wir machen sollen.« Als wenn er den heilsamen Trank auf seine Güte hin erst noch einmal erproben wolle, setzte er zunächst die Flasche an die eigenen Lippen und wollte eben dem Manne ein Paar Tropfen einträufeln, als er auf einmal mit der Hand zurückfuhr und sagte: »Norna, Ihr bürgt mir für alles, was mir durch ihn und seinetwegen geschehen könnte, wenn ich ihm helfe? – Ihr wißt selbst am besten, Mutter, was für Rede bei den Leuten umgeht.« Statt einer Antwort nahm ihm Norna die Flasche aus der Hand und rieb dem Schiffbrüchigen Schläfe und Hals, während sie Mordaunt sagte, wie er ihm den Kopf halten müsse, damit er das geschluckte Seewasser von sich geben könne. Eine Weile sah der Hausierer, ohne ein Hand zu rühren, der Arbeit der beiden zu; dann sagte er: »Na, die schlimmste Gefahr ist ja hinter mir, da er ja nicht mehr im Wasser, sondern am Ufer liegt; am meisten zu fürchten haben ja immer die, die einen Schiffbrüchigen zuerst anfassen. Aber man kann doch nicht mit ansehen, wie dem armen Menschen die Ringe in die Finger schneiden; seine Hand ist ja schon blau, wie ein Krabbenbuckel vorm Kochen.« Mit diesen Worten nahm er eine der kalten Hände, deren Zittern eine Spur von zurückkehrendem Leben verriet, und machte sich an sein Werk der Barmherzigkeit, die Ringe, die ihm von Wert Zu sein schienen, dem Ohnmächtigen von den Fingern zu ziehen. »Wenn Dir dein Leben lieb ist, laß ab,« rief Norna, ernst die Hand aufhebend, »oder ich gebe Dir was zu kosten, das Dir das Wandern auf unserer Inselflur versalzen soll.« »Um Gottes willen, Mutter, kein Wort mehr,« antwortete der Hausierer. »Ich will ja alles tun, was Ihr fordert. Es wäre gar zu großes Unglück für mich, wenn ich nicht meinen Handel weiter treiben könnte, der mir mein ehrliches Brot bringt und auch mir sichert, was uns die Vorsehung an die Küste treibt.« »Dann sei ruhig,« erwiderte die Frau; »und nimm den Mann auf Deine breiten Schultern. An seinem Leben ist viel gelegen, und Dein Lohn soll Dir werden.« »Lohn tut freilich not,« versetzte der Hausierer, dessen Blicke wieder auf der Kiste und ihrem reichen Inhalt ruhten; »denn ich habe heute mehr eingebüßt, als ich gebraucht hätte, um für den Rest meines Lebens ein Mann zu werden, der sich sehen lassen könnte. Statt dessen muß nun alles hier liegen bleiben, bis es die nächste Flut in die Strömung reißt, hinter denen her, die gestern noch Herren darüber waren.« »Sei unbesorgt,« sagte Norna »zu statten kommen wird's schon jemand! Sieh, da kommen schon die Aasvögel, die kein minder scharfes Auge haben als Du.« Der Hausierer sah, tief aufseufzend, Leute aus Jarlshof zum Strande rennen, die sich ihren Anteil an der Beute sichern wollten, die der Sturm ihnen beschert hatte ... »Ja, ja,« sagte er, »die Jarlshofer werden bald aufgeräumt haben, sind sie doch weit und breit bekannt dafür, daß sie keine verweste Ratte zurücklassen – dabei hat keiner von ihnen eine Bohne Verstand für die Ware, die ihm in den Schoß fällt, wie zum Beispiel der alte Ranzelmann Neil Ronaldson, der keinen Fuß zur Predigt hebt, aber zehn Meilen weit humpelt, wenn er hört, daß sein Schiff auf den Strand geraten.« Norna schien aber solche Gewalt über den Hausierer zu besitzen, daß er nicht mehr zauderte, den Mann, der jetzt deutliche Spuren von zurückkehrendem Leben gab, auf die Schultern zu nehmen, und mit Mordaunts Hilfe am Strande entlangtrug. Einen Moment lang schlug der Fremde die Augen auf, hob die Hand, um auf die Kiste zu zeigen, und schien etwas stammeln zu wollen, worauf Norna sagte: »Schon gut, schon gut! sie soll nicht abhanden kommen,« An den Erichs-Stufen, die sie hinansteigen mußten, trafen sie die Leute von Jarlshof, die in entgegengesetzter Richtung gekommen waren und Norna ehrerbietig, zum Teil auch scheu und ängstlich, Platz machten. Kaum ein paar Schritte waren sie hinter ihnen, als Norna sich umdrehte und dem Ranzelmanne, der sich – trotzdem die Angelegenheit mehr in Brauch und Sitte, als auf gesetzlichem Boden fußte, – den Leuten aus dem Orte angeschlossen hatte, zurief: »Neil Ronaldson, höre, was ich dir sage: Von dem Kasten dort, dessen Deckel eben abgesprengt worden, wird nichts genommen! Du stehst mir dafür, daß er unversehrt nach Deinem Hause in Jarlshof gebracht wird. Des Todes ist, der einen Blick hineintut!« »Euer Wille soll unser Gesetz sein, Mutter,« sagte Ronaldson; »ich stehe dafür ein, daß alles geschehen soll, wie Ihr es wünschet,« Weit hinter den andern aus dem Dorfe her kam eine Greisin gehumpelt, im lauten Selbstgespräch ihre Gebrechlichkeit verwünschend, aber mit aller Kraft, deren ihr Körper noch fähig war, dem Strande zustrebend, um sich ihrem Teil an der Beute zu sichern. Zu seinem nicht geringen Erstaunen erkannte jetzt Mordaunt in ihr seines Vaters alte Haushälterin ... »Ei, ei, Swertha,« rief er; »was willst Du so weit vom Hause?« »Ich wollte bloß nach dem alten Herrn sehen und nach Euer Gnaden,« antwortete Swertha, betreten wie eine arme Sünderin, die auf frischer Tat ertappt worden – sie hatte wohl auch Ursache zu Furcht, denn Mordaunts Vater hatte sich wiederholt sehr mißfällig über den Brauch geäußert, dem auch sie jetzt frönte. Aber Mordaunt war zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, als daß er sich lange mit ihr hätte aufhalten sollen. – »Hast Du meinen Vater gesehen, Swertha?« fragte er. »Ja,« antwortete diese. »Der Herr wollte die Erichs-Stufen hinunterklettern – was aber sein Tod gewesen wäre, denn das ist kein Weg für Leute von seinem Alter. Er ist meinem Rate gefolgt und heimgegangen – und um Euch zu sagen, junger Herr, daß Ihr Euch in das Herrenhaus begebt, und nach ihm seht – bin ich hier.« »Ist Vater nicht wohl?« rief Mordaunt, sich jetzt der Schwäche erinnernd, die er auf dem Frühgange mit dem Vater an ihm bemerkt hatte. »Gar nicht wohl – gar nicht wohl,« ächzte Swertha, wehleidig den Kopf schüttelnd. – »Kreideweiß hat er ausgesehen – und da fällt's ihm noch ein, die Riva hinabzusteigen!« »Geh heim, Mordaunt,« – sagte Norna, die das Gespräch mit angehört hatte. – »Ich werde dafür sorgen, daß dem Schiffbrüchigen alle Pflege zuteil werde. Du triffst ihn, wenn Du ihn sehen willst, beim Ranzelmann; mehr als Du für ihn getan, kannst Du ja doch nicht tun!« Mordaunt fühlte die Wahrheit dieser Worte und eilte, Swertha befehlend, mitzukommen, schnellen Schrittes nach Hause. Die Greisin humpelte unwillig hinter ihrem Herrn her; kaum aber war er aus Sehweite, so machte sie Kehrt, vor sich hin brummend: »Was? die beste Gelegenheit, die mir seit Jahren geboten worden, zu einem neuen Mantel und Rock zu kommen, sollte ich mir rauben lassen? – Nein, da sei Gott vor! So reich gesegnet ist unser Strand nicht! Wir haben ja solch Schiff nicht mehr zerschellen sehen seit König Karls Zeiten.« So schnell die Beine sie tragen wollten, und von dem willigen Geist gestützt, der ihr schwaches Fleisch besiegte, hatte sie bald den Strand erreicht, wo der Ranzelmann, sich selbst die Taschen füllend, die andern mahnte redlich zu teilen und auch der Armen und Blinden zu gedenken, damit Gott, wie er andächtig bemerkte, ihre Küste auch weiter segne. – Achtes Kapitel Mordaunt hatte den Jarlshof bald erreicht. Hastig trat er ein und schweren Herzens, denn was er am Morgen am Vater wahrgenommen, konnte die Besorgnis, die Swertha durch ihre Worte wachgerufen, nicht verringern. Er fand den Vater in seiner Stube, erschöpft wohl, aber nicht krank – und bald wußte er, daß Swertha ihn bloß in Angst versetzt hatte, um ihn loszuwerden. »Wo ist der Schiffbrüchige, an dessen Rettung Du Dein Leben wagtest?« fragte der Vater. »Norna hat ihn in Obhut, Vater,« antwortete Mordaunt; »sie weiß Bescheid in solchen Fällen und mit solchen Kranken.« »Also Quacksalberin und Hexe zugleich?« sagte der Vater; »desto besser! da brauchen sich andere nicht zu bemühen; Swertha sagte, der Mensch habe alle Glieder gebrochen – drum ging ich heim, um Verbandzeug zu holen.« Mordaunt wußte, daß der Vater den Gegenstand nicht weiter verfolgen werde, und da es weder nützlich noch rätlich war, es mit Swertha zu verderben, oder dem Vater neuen Grund zu einer seiner trüben Stimmungen zu schaffen, nahm er sich vor, reinen Mund zu halten, der Haushälterin aber unter vier Augen strenge Vorhaltungen zu machen. Es war schon spät, als Swertha, ein großes Bündel schleppend, das ihren Beuteteil bergen mochte, stark ermüdet heimkam, Mordaunt suchte sie sogleich auf, um sie wegen der falschen Mitteilungen zu schelten, mit denen sie den Vater und ihn hintergangen, allein die würdige Alte blieb ihm die Antwort nicht schuldig, »Das Verbandzeug,« sagte sie, »hätte sie nicht für den Schiffbrüchigen, sondern für den jungen Herrn selbst vom Herrn Vater holen lassen; es sei ihr ganz grün und blau vor Augen geworden, als sie ihn wie eine wilde Katze an den Klippen habe klimmen sehen – es wäre ihr nicht anders gewesen, als daß sie ihn schon mit zerschmetterten Gliedern am Strande hätte liegen sehen – und daß der Vater seinerseits nicht wohl gewesen und kreideweiß ausgesehen habe, lasse sich doch auch jetzt noch nicht in Abrede stellen.« »Aber, Swertha,« sagte Mordaunt, sobald sie ihn zu Worte kommen ließ, »wie kamst Du heute morgen zu den Erichs-Stufen? Du solltest doch daheim am Spinnrade sitzen! Und doch machst Du Dir um meinen Vater und mich alle diese unnötige Mühe? Was ist denn in dem Bündel, Swertha? Du hast gewiß wider das Gesetz gesündigt und bist an den Strand gelaufen, um aus dem Schiffbruche Beute zu holen?« »Der Himmel behüte Euer Antlitz, und der Segen des heiligen Ronald sei mit Euch!« sagte Swertha in einem Tone, halb schmeichelnd, halb mutwillig: »Ihr werdet einem armen Geschöpfe doch nicht verargen, wenn es sich was Gutes antun kann – werdet auch nicht haben wollen, daß soviel Gut auf dem Sande vermodern soll? ... Was hab ich denn groß für meine Mühe? Ein paar Ellen Kammertuch und ein Paar Stück grobes Zeug – die Starken und Dreisten nehmen ja immer in der Welt das meiste und beste für sich!« »Freilich, Swertha,« sagte Mordaunt, »und für Dich ist's insofern noch schlimmer, als Du in dieser ebensogut wie in jener Welt Deine Strafe dafür bekommst, daß Du arme Seeleute geplündert, statt ihnen zu helfen!« »Wer wird denn aber ein altes Weib, wie mich, um ein paar Lumpen willen strafen? Vom Grafen Patrick ist viel Böses gesagt worden, aber das Strandrecht hat er streng geschützt und scharfe Gesetze dagegen erlassen, daß Schiffern, die in die Brandung gerieten, Beistand und Hilfe geleistet werde. Seevolk verliert doch, – wie Bryce, der Hausierer, sagt – alles Recht von dem Augenblick an, da ihr Kiel den Sand streift; außerdem sind sie mausetot, die armen Leute, und haben keinen Anteil mehr an irdischem Hab und Gut – nicht mehr, fürwahr, als die Grafen und Könige des Meeres zu den Zeiten der Norweger, die ihre Schätze in Gräbern und Grabstätten verscharrten. Habe ich Euch schon von Olaf Trygarson erzählt, der fünf goldene Kronen mit ins Grab nahm?« »Nein, Swertha,« sagte Mordaunt, dem es jetzt zur Freude gereichte, die verschlagene alte Diebin zu quälen; »davon hast Du mir noch kein Wort erzählt; aber ich sage dagegen Dir, daß der Fremde, den Norna mit ins Dorf genommen hat, morgen wohl frisch genug sein dürfte sich nach seinem Schiffsgut umzusehen.« »Wer wird ihm dann sagen, Kind, wohin es gekommen?« erwiderte Swertha, ihm schlau ins Gesicht sehend – »ich habe noch – wie ich Euch sagen will – ein schönes Stück Seidenzeug übrig, aus dem sich für die Festlichkeit, die Ihr vorhabt, eine schöne Weste schneidern läßt.« Mordaunt konnte sich des Lachens über die List nicht länger enthalten, mit der die Alte ihn zu ködern suchte; er hieß sie das Mittagessen herrichten und begab sich zum Vater zurück, den er noch auf demselben Platze fast in derselben Stellung, wie er ihn verlassen, fand. Sobald sie gegessen hatten, sagte Mordaunt, »er wolle ins Dorf gehen, um sich nach dem Schiffbrüchigen zu erkundigen.« Der Vater nickte beifällig. »Er mag es kaum bequem dort unten haben, Vater,« meinte Mordaunt – und der Vater erwiderte mit nichts darauf, außer daß er zum zweitenmal nickte. – »Dem Aeußern nach,« fuhr Mordaunt fort, »muß es ein Mann von guter Herkunft sein; aber wenn auch die armen Leute unten getan haben werden, was in ihren Kräften steht, so wär's doch bei seinem schwachen Zustande gut, man ...« – »Ich weiß, was Du sagen willst,« unterbrach ihn der Vater; »Du meinst, wir sollten etwas zu seiner Hilfe tun? Nun, so geh zu ihm und frag' ihn, ob ihm mit Geld gedient sei? Was er fordert, soll er haben; aber den Fremden in mein Haus nehmen und Verkehr mit ihm pflegen, das kann ich nicht und mag ich nicht. Wozu habe ich mich auf die äußerste Grenze der britischen Inseln geflüchtet? weil ich keine Menschen mehr sehen will, weil mich kein Mensch mehr belästigen soll weder mit seinem Glück noch mit seinem Unglück. So, und nun geh, – warum bleibst Du noch? Sorge, daß der Mann aus der Gegend kommt; ich will niemand um mich sehen als die Gesichter dieser Bagage hier, von der ich recht gut weiß, daß und wie sie mich betrügt – was ich aber hinnehme als ein Uebel, das zu klein ist, um mich darüber zu ärgern.« Mit diesen Worten warf er dem Sohne seine Börse hin und winkte ihm, sich schnell zu entfernen. Mordaunt war bald unten im Dorfe und in der düstern Hütte Neil Ronaldsons, des Ranzelmanns, wo er den Schiffbrüchigen auf derselben Kiste, die des frommen Hausierers Raubgier wachgerufen, sitzen sah. Der Ranzelmann selbst war nicht zu Hause, sondern wieder am Strande, die Beute gerecht unter die Bewohnerschaft zu verteilen – wobei es natürlich Klagen über Klagen ob ungleicher Verteilung setzte, zu deren Schlichtung die weise, wohlbedächtige Magistratsperson all ihre Umsicht aufbieten mußte. Margery Bimbister, des Ranzelmannes würdige Ehehälfte, führte Mordaunt zu ihrem Gaste. »Hier ist der junge Mertoun,« sagte sie ohne irgendwelche Umstände, »vielleicht nennt Ihr ihm Euren Namen, den Ihr uns so hartnäckig verschwiegt. Uebrigens hätten wir, wäre er nicht gewesen, wohl kaum etwas von Euch gehört.« Der Fremde stand auf, schüttelte Mordaunt die Hand und sagte, daß er schon gehört habe, daß er ihm Leben und Kiste zu verdanken hätte ... »Das übrige fliegt wohl schon in der weiten Welt herum,« setzte er hinzu, »denn die Jarlshofer Leute sind, wie ich merke, flinker hinter Beute her als der Teufel beim Sturme!« »Und wozu hat Eure Steuermannskunst Euch genützt, wenn Ihr Euer Schiff nicht vom Sumburgh-Head abhalten konntet?« sagte Margery; »daß Sumburgh-Head zu Euch gekommen wäre, habt Ihr gewiß nicht gerechnet.« »Laß uns einen Augenblick allein, Margery,« sagte Mordaunt; »ich habe mit dem Herrn zu reden.« »Herrn!« wiederholte Margery mit eigentümlicher Betonung; »nicht als ob der Mann nicht gut genug aussehe« – fügte sie hinzu, ihn abermals von oben bis unten musternd – »ich sehe bloß nicht viel von einem Herrn an ihm.« – Mordaunt aber gewann, als er den Fremden jetzt musterte, eine andere Meinung – es war ein Mann von mehr als Mittelgröße und von kräftigem, stattlichem Wuchs, und an seinem kecken, sonnverbrannten schönen Gesichte meinte Mordaunt, – so wenig er auch bislang von der Welt gesehen, – den Seemann zu erkennen, der schon manchen Himmelsstrich befahren ... Mordaunt erkundigte sich nach seinem Befinden, und der Fremde sagte fröhlich und guter Dinge, ein paar Stunden ruhigen Schlafes würden ihn schon wieder herstellen; aber voll Erbitterung sprach er von der Habsucht und Neugier des Ranzelmanns und seiner Ehehälfte. »Dieses geschwätzige Weib,« sagte er, »hat mich von früh bis spät mit Fragen gequält nach meinem Namen, nach dem Schiffsnamen, und nach was weiß ich sonst noch! Ich dächte, sie könnte zufrieden sein mit dem, was auf sie gekommen. Ich war der eigentliche Herr des gescheiterten Schiffes und habe kaum mehr behalten als meine Kleider. Gibt es denn gar keine Obrigkeit hier in diesem wüsten Lande, die einem beispränge in solcher Not?« Mordaunt nannte Magnus Troil, den vornehmsten Grundbesitzer, auch Faud, den Bezirksrichter, als die Personen, von denen sich am ehesten Hilfe erwarten ließe – indem er seinerseits bedauerte, daß ihn seine Jugend, seinen Vater aber die Eigenschaft eines in Zurückgezogenheit lebenden Fremden verhindere, ihm zu dem gewünschten Schutz zu helfen. »Ihr habt mehr als genug getan,« versetzte der Seemann; »hätte ich aber noch fünf von den vierzig handfesten Kerlen, die jetzt den Fischen zur Speise geworden, so sollte mich der Teufel nicht dahin bringen, da um Gerechtigkeit zu betteln, wo ich sie mir durch eigne Kraft verschaffen könnte.« »Vierzig Mann!« wiederholte Mordaunt; »für ein Schiff von der Größe des Eurigen eine starke Bemannung!« »Aber doch nicht so stark, wie sie hätte sein sollen! Wir führten zehn Kanonen, die Jagdstücke ungerechnet. Unser Kreuzzug auf dem großen Ozean hatte aber unsere Mannschaft geschwächt und uns mit Gütern überladen. Sechs von unsern Kanonen waren als Ballast am Bord ... Hätte ich noch Leute genug gehabt, so wäre dieses Pech nicht über mich gekommen! So aber war alles durch die Arbeit an den Pumpen erschöpft, stürzte auf die Boote und ließ mich auf dem Schiffe im Stiche; nun, ihren Lohn dafür haben sie schon, und ich brauche ihnen ihre Schlechtigkeit nicht mehr nachzutragen. – Die Boote kippten, und alle ersoffen – mich aber, mich rettete das Schicksal – durch Eure Hand!« »Ihr kommt von Norden? Von Westindien?« »Ja wohl, das Schiff war »die gute Hoffnung«, von Bristol, ein Kaper, hatte auf dem spanischen Meere Glück sowohl im Handel als bei bei der Kaperei, aber mit dem Schiffe ist auch das Glück futsch! – Mein Name ist Clement Cleveland; ich war Kapitän und, wie schon gesagt, Miteigentümer des Schiffes, bin aus Bristol gebürtig, wo mein Vater auf dem Zollhause eine bekannte Figur war – der alte Wem Cleveland von College-Green.« Mordaunt, obgleich er aus diesen Auskünften die gewünschte Befriedigung nicht fand, meinte doch zu weiterer Frage kein Recht zu haben – aus dem Benehmen des Fremden sprachen Trotz und Rauheit, wozu ihn freilich die Umstände berechtigten, war er doch von seiten der Inselbewohner stark geschädigt worden; Mordaunt aber hatte ihm das Leben gerettet – und doch schien der Fremde seine Vorwürfe auch gegen ihn zu richten; ungewiß, ob er besser täte, sich zu entfernen, statt ihn wiederholt seines guten Willens zu versichern, saß er schweigend Cleveland gegenüber, der seine Gedanken zu erraten schien, denn er fügte augenblicklich in einem entschuldigenden Tone hinzu: »Ich bin ein schlichter Mann, Mertoun, – denn wie ich höre, ist das Euer Name, – und zugrunde gerichtet obendrein, und so etwas gibt den Menschen eben kein besseres Wesen. Aber Ihr habt freundlich an mir gehandelt, und so will ich Euch, ehe ich gehe, meine Jagdflinte schenken; sie schießt einem Hochländer auf achtzig Schritte hundert Schrotkörner durch die Mütze, und auf hundertundfünfzig Yards hab ich 'mal einen Stier damit niedergeknallt, denn sie läßt sich auch mit Kugeln laden. Ich hab der Flinten noch mehr; drum nehmt diese als Andenken von mir.« »Das hieße ja, mich am Strandgute bereichern,« meinte Mordaunt lachend. »Keineswegs!« sagte Cleveland, einen Kasten öffnend, worin mehrere Flinten und Pistolen lagen; »Ihr seht, ich habe meine Gewehrschatulle gerettet, wie meine Kleider; und das habe ich der großen alten Frau in der dunklen Takelage zu danken. Unter uns gesagt,« fügte er mit gedämpfter Stimme, und nachdem er sich vorsichtig umgesehen, hinzu, »dies wiegt alles auf, was ich verloren habe; denn wenn ich in Gegenwart dieser Landgauner von Ruin rede, so ist das nicht buchstäblich zu nehmen. Nein, hier ist noch etwas, womit man mehr tun kann, als Seevögel schießen.« Hierbei zog er einen groben Schrotbeutel hervor, auf dem mit großen Buchstaben die Worte »grobes Schrot« standen, und zeigte Mordaunt, daß er mit spanischen Pistolen und Portugalesen (wie man damals die großen Portugiesischen Goldstücke nannte) bis an den Rand gefüllt war ... »Nein, nein,« fügte er mit schlauem Lächeln hinzu; »ich habe noch Ballast genug, mein Schiff wieder in See zu bringen. Und nun, wollt Ihr das Gewehr nehmen?« »Da Ihr es mir geben wollt,« erwiderte Mordaunt lachend, »von Herzen gern. Ich wollt Euch gerade in meines Vaters Namen« – fügte er hinzu, die Börse vorweisend, »fragen, ob Ihr von solchem Ballast, wie Ihr sagt, etwas brauchen könnt.« »Ich danke Euch, aber Ihr seht, ich bin versorgt damit – nehmt meine alte Gefährtin mit dem Wunsche, daß sie Euch so gut diene, wie mir; aber eine so gute Reise, wie ich, werdet Ihr wohl nie mit ihr machen! Ihr könnt doch schießen?« »Einigermaßen,« sagte Mordaunt, die Flinte – ein schönes spanisches Rohr, mit Gold ausgelegt, von kleinem Kaliber und ungewöhnlicher Länge – mit Bewunderung betrachtend. »Schrot,« sagte der Kapitän, »hält keine Flinte besser zusammen, und mit der Kugel könnt Ihr einen Seehund im Meere auf zweihundert Yards von der starren Küste aus schießen. Aber ich wiederhole es, die Dienste, die sie mir geleistet, wird sie Euch schwerlich je leisten.« »Ich werde sie wohl auch nicht so geschickt brauchen können,« meinte Mordaunt. »Hm, vielleicht nicht,« sagte Cleveland; »aber darüber wollen wir nicht reden. – Was sagt Ihr dazu, daß ich mit ihr den Mann vom Steuerrade schoß, gerade als wir einen Spanier enterten? Ha! das war der Mühe wert; eine starke Brigantine war's, el Sante Francisco – und nach Portobello mit Gold und Negern unterwegs; das kleine Stückchen Blei brachte zwanzigtausend Pistolen ein.« »Ich habe solch Wildbret bislang noch nicht erlegt,« sagte Mordaunt. »Nun, alles zu seiner Zeit, man kann nicht die Anker lichten, so lange Ebbe ist. Aber Ihr seid ein rüstiger, schmucker, reger Bursche! Möcht's Euch was schaden, 'mal eine Fahrt nach solchem Zeug zu machen?« Dabei griff er nach seinem vollen Geldbeutel. »Mein Vater meint, ich solle mir die Welt ansehen,« sagte Mordaunt, dem solche Einladung von einem Manne, den er für einen echten Seemann hielt, nicht wenig schmeichelte. »Die Absicht zeugt von klugem Sinne,« erwiderte der Kapitän, »und ehe ich die Anker lichte, will ich nicht unterlassen, ihm meinen Besuch zu machen. Ich habe noch einen Kameraden in diesen Gewässern und brenne drauf, ihn zu sehen. Der Sturm hat uns auseinander getrieben; sein Schiff wird mich wohl aufsuchen; es müßte denn ebenfalls zu David Jones eingegangen sein. – Aber es war in besserem Stande als wir, und hatte keine so schwere Fracht – dürfte also den Sturm ausgehalten haben. Ihr sollt eine Hängematte an Bord haben, und auf einer einzigen Fahrt will ich Euch zum tüchtigen Seefahrer machen,« »Ich hätte nichts dawider,« antwortete Mordaunt, der gern mehr von der Welt gesehen hätte, als was er bisher davon kannte – »die Entscheidung aber gehört meinem Vater.« »Vater? Bah!« rief Kapitän Cleveland; »aber Ihr habt recht,« fügte er hinzu, sich schnell zusammennehmend; »ich bin eben schon so lange zur See, daß ich mir gar nicht vorstellen kann, daß außer Kapitän und Steuermann noch jemand das Recht habe, zu denken. Aber Ihr habt recht. Ich will auf der Stelle zu dem alten Herrn gehen und mit ihm reden. Er wohnt wohl in dem schönen, neumodischen Hause, etwa eine Viertelmeile von hier, wie?« »In der alten Ruine, die kaum noch Haus genannt zu werden verdient, wohnt er allerdings,« sagte Mordaunt, »nimmt aber keine Besuche an.« »Dann müßt Ihr selbst die Sache ausmachen, denn ich kann unter dieser Breite nicht länger bleiben. Euer Vater ist, wie ich merke, keine obrigkeitliche Person, und so muß ich mich wohl zu dem Magnus – wie heißt er? – bemühen, der zwar nicht Sheriff ist, ihn aber vertritt, oder so was – nicht? Dieses Strandgesindel hat mir ein Paar Dinge geraubt, die ich wiederhaben muß – das andere mögen sie ins Teufels Namen behalten! Wollt Ihr mir, nur als Ausweis, einen Brief an diesen Magnus mitgeben?« »Das wird nicht nötig sein,« sagte Mordaunt; »Euer Schiffbruch wird Euch Ausweis genug sein, und Appell an Hilfe ist dort nie umsonst. – Aber ein paar Worte kann ich Euch schon mitgeben.« »Hier ist Schreibzeug,« sagte der Seemann, verschiedenes Gerät aus seiner Kiste nehmend – »ich will inzwischen, da einmal zu löschen angefangen worden, die Luken vernageln und die Ladung sichern,« Während Mordaunt seinem alten Freunde Magnus Troil die Umstände kurz auseiauandersetzte, unter denen Kapitän Cleveland an die Küste der Insel geworfen worden, griff dieser – nachdem er soviel Kleidungsstücke und Wäsche, nebst einigen andern unentbehrlichen Dingen aus der Kiste genommen, als ein Ranzen fassen konnte – zu Hammer und Nägel, vernagelte die Kiste auf kunstgerechte Weise und schnürte sie noch mit einem festen Stricke, den er nach Seemannsart drehte und knotete. »Ich lasse das alles unter Eurer Aufsicht,« sagte er, »alles bis auf das hier,« indem er auf Hirschfänger und Pistole Zeigte, »was vielleicht die Gefahr, mich von meinen Portugalesern trennen zu sollen, vorbeugen könnte.« »Kapitän Cleveland,« erwiderte Mordaunt, »Waffen werdet Ihr schwerlich hierzulande brauchen, denn mit einem Beutel voll Geld könnte jedes Kind von Sumbourgh-Head nach Unst auf dem Festlande hinübergehen, ohne daß ihm jemand was zuleide täte.« »Eine dreiste Rede, Jüngling,« hohnlachte der Kapitän – »in Betracht der Vorgänge draußen!« »O,« sagte Mordaunt, nicht ohne Verlegenheit, »was mit der Flut an das Land kommt, hält man hier für rechtmäßiges Eigentum.« »Nun,« erwiderte der Kapitän lachend – »keine so üble Meinung, zu der man sich gegebenfalls auch bekennen könnte. Sollten Eure braven Insulaner aber denken, Festland möchte sie ebenso, wie die See, mit billigem Eigentum zu versorgen haben, so werde ich Hirschfänger und Pistole zu brauchen wissen. . . Meine Kiste also hebt Ihr bei Euch auf, bis Ihr von mir hört?« »Wollt Ihr zu Wasser fort oder zu Lande?« fragte Mordaunt. »Zu Wasser?« rief Cleveland, »in solcher Nußschale? Nein, nein! zu Lande – immer zu Lande – sobald ich Schiff und Strich und Mannschaft nicht kenne.« Hierauf schieden sie: Cleveland bekam einen Führer nach Burgh-Westra, und seine Kiste ließ Mordaunt nach Jarlshof bringen. Neuntes Kapitel Am andern Morgen ließ sich Mordaunt leichter bereit finden, auf seines Vaters Fragen über den schiffbrüchigen Seemann Antwort zu geben. Aber nur weniges war nötig gewesen, um den Vater dahin zu bringen, daß er sich mit finsterm Gesicht vom Sessel erhob, ein paarmal die Stube auf und ab schritt und sich in das innere Zimmer begab, in welchem er immer dann Zuflucht suchte, wenn ihn seine trüben Stimmungen befielen. Gegen Abend ließ er sich aber wieder sehen, und zwar ohne alle Spur eines Anfalls, und Mordaunt natürlich nahm sich in acht, den Gegenstand, der ihn so heftig ergriffen hatte, aufs neue zu berühren. Mordaunt mußte sich also seine Meinung über den neuen Bekannten, den ihm das Meer zugesendet, selbständig bilden, – und war begreiflicherweise nicht wenig erstaunt, zu einem Resultat zu gelangen, das für den Fremden durchaus nicht günstig ausfiel. Es kam ihm vor, als läge in dem ganzen Wesen des Mannes etwas Abstoßendes. Leugnen ließ sich freilich nicht, daß er ein schöner Mann war mit freiem, einnehmendem Wesen; was aber Mordaunt nicht behagte, war die Anmaßung, die aus jeder Miene, jeder Gebärde sprach, aus jedem Worte herausklang. Auch an dem Besitz der Jagdflinte konnte er, trotzdem er ein eifriger Jäger war und sich viel mit ihr befaßte, so rechte Freude nicht gewinnen, da er sich gewisser Bedenklichkeiten über die Art, wie er zu ihr gelangt war, nicht erwehren konnte, zumal es ihm so vorkam, als möchte der Kapitän sie als eine Art Trinkgeld ansehen für den Dienst, den der Zufall ihm leisten ließ. Ein glücklicher Jagdtag söhnte ihn indessen mit dem Besitz der Flinte aus; die Empfindung aber, daß es eine recht simple und verächtliche Sache sei, Möwen und Seehunde zu erlegen, wenn man sich an Franzosen und Spanier wagen, Schiffe entern und Steuermänner wegschießen konnte, wollte ihn freilich nicht verlassen. Sein Vater hatte davon gesprochen, daß er die Inseln verlassen sollte, und in seiner Unkenntnis des Lebens wußte er von keiner andern Betätigung für seine Kraft als derjenigen, die ihm das ihm von Kindheit an vertraute Meer bot. Früher hatte sein Ehrgeiz nach nichts Höherem gestrebt, als an den Mühsalen und Gefahren eines grönländischen Fischfangs teilzunehmen, denn solche Fahrt war für Shetländer der Inbegriff aller Lebensweisheit, In neuerer Zeit, wo der Krieg wieder ausgebrochen war, hatten die Taten eines Francis Drake, Kapitäns Morgan und anderer kühner Abenteurer, deren Geschichten er von Bryce Snailsfoot in Heften kaufte, tiefen Eindruck auf sein Gemüt gemacht, und Clevelands Anerbieten, ihn mit zur See zu nehmen, ging ihm öfter wieder durch den Kopf, wenn auch die Freude über solche Aussicht durch den Zweifel einigermaßen gedämpft wurde, ob er auch lange mit seinem künftigen Befehlshaber auskommen werde, denn darüber, daß er kein umgänglicher Herr, sondern vielmehr ein recht schlimmer Tyrann sein möchte, hegte er keinerlei Zweifel, Und doch malte er sich in lebhaften Farben die Freude aus, mit der er sich einschiffen würde, wenn er vom Vater die Erlaubnis bekäme – was er alles von neuen Ländern, Menschen, Dingen sehen, wieviel Abenteuer er bestehen, wieviel Heldentaten er verrichten werde, wie stolz Magnus Troil von Burgh-Westra und dessen liebliches Töchterpaar auf ihn sein würde! Oft stand Mordaunt auf dem Punkte, seinem Vater die Unterredung mitzuteilen, die er mit Cleveland gehabt, ihm die Vorschläge auseinanderzusetzen, die ihm der Seemann gemacht habe; allein die kurze, allgemeine Auskunft, die er am ersten Morgen über den Lebensgang des Mannes gegeben, war von so nachteiligem Eindruck auf das Gemüt des Vaters gewesen, daß Mordaunt den Mut nicht mehr fand, darauf zurückzukommen, sondern so lange zu warten sich vornahm, bis das andere Schiff ankäme, von dem der Kapitän gesprochen hatte. Aber Tage wurden zu Wochen, Wochen zu Monaten, und noch immer verlautete nichts wieder von Cleveland; bloß von Bryce Snailsfoot hörte er gelegentlich einmal, daß Cleveland in Burgh-Westra sei und dort wie zur Familie gehörig angesehen werde. Diese Kunde hatte ihn, trotzdem die auf den Inseln übliche Gastfreiheit es bei Magnus Troils Vermögen und Neigung als etwas ganz Natürliches erscheinen ließ, daß der Kapitän bei der Familie blieb, bis er sich für etwas anderes entschied, nicht wenig in Verwunderung gesetzt, zumal es ihm nicht recht erklärlich war, weshalb Cleveland nicht nach einer der nördlichen Inseln gegangen, um sich nach jenem andern Schiffe zu erkundigen, oder seinen Aufenthalt nicht lieber in Lerwick nähme, wohin Fischerboote oft Nachrichten von den Küsten und Häfen von Schottland und Holland brachten. Und warum ließ er die Kiste nicht holen, die er in Jarlshof zurückgelassen? Und dann, meinte Mordaunt, wäre es doch der Höflichkeit angemessen gewesen, wenn der Fremde ihm, wenn auch nur kurzen, Bescheid hätte zukommen lassen zum Beweise dafür, daß er sich seiner noch erinnere. Dazu kamen noch andere, nicht minder unangenehme Betrachtungen, zu denen sich ebenfalls kein Schlüssel finden ließ. Bis zur Ankunft des fremden Mannes war nicht eine Woche vergangen, ohne daß Mordaunt einen freundlichen Gruß oder ein Andenken von Burgh-Westra erhielt, und es hatte nie an einem Vorwande seitens der Schwestern, den Verkehr aufrecht zu erhalten, gefehlt, wie auch der biedre alte Udaller für ihn immer einen Gruß, wenn nicht gar eine kleine Spende, übrig gehabt oder ihn hatte einladen lassen, so bald wie möglich nach Burgh-Westra zu kommen und so lange wie möglich in Burgh-Westra zu bleiben. Das war in den letzten Wochen alles anders geworden, und kein Bote mehr war von Burgh-Westra nach Jarlshof gekommen, Mordaunt hatte diese Veränderung schmerzlich empfunden und hatte es schließlich nicht verwinden können, Bryce Snailsfoot auszufragen, – allerdings mit Gleichgültigkeit und Kälte – was es Neues im Lande gäbe. »Viel, gar viel,« versetzte der Gefragte, »und gar Großes, Wichtiges! Der verrückte Kerl, der neue Verwalter, will andre Bismars und Ließpfunde [Gewichte norwegischen Ursprungs, noch jetzt in Shetland üblich] einführen, aber Magnus Troil, unser würdiger Vogt, hat geschworen, ehe er sie gegen die Schnellwage eintauschte, lieber den Verwalter vom Brassa-craig in die Tiefe zu schleudern.« »Weiter nichts?« fragte Mordaunt teilnamhslos. »Nun, ich dächte, das wäre genug,« rief der Hausierer. »Wie sollen die Leute kaufen und verkaufen, wenn sich die Gewichte ändern?« »Freilich,« sagte Mordaunt; »aber von fremden Schiffen an der Küste habt Ihr nichts gehört?« »Sechs holländische Dogger liegen vor Brassa, und, wie ich höre, eine Art von Galliote, mit hohem Verdeck und Obergaffsegel, wahrscheinlich aus Norwegen, in der Bucht von Scalloway.« »Keine Kriegsschiffe oder Schaluppen?« »Nein, nicht daß ich wüßte,« sagte der Hausierer, »seitdem das Transportschiff, der Geier, mit den gepreßten Leuten unter Segel gegangen ist,« »Gibt es in Burgh-Westra nichts Neues? Ist die Familie wohlauf?« »Alles wohl und munter; es scheint sogar, manchmal zu munter, denn mit dem fremden Kapitän, der vor einiger Zeit in Sumbourgh-Head auf den Sand geriet – wo es ihm wohl nicht so lustig zu Mute gewesen sein mag, – nimmt der Jubel kein Ende – und das Tollen und Tanzen die ganze Nacht nicht!« »Tollen und Tanzen die ganze Nacht!« wiederholte Mordaunt, und es überkam ihn nicht eben die rosigste Laune – »und mit wem tanzt der Kapitän?«, »Ei, ich denke, mit wem's ihm paßt,« antwortete lachend der Hausierer; »tanzt doch jeder dort nach seiner Pfeife! Ich freilich kann nicht viel davon reden, denn mir ginge es wider mein Gewissen, Tanz und Spiel lange mit anzusehen. Die Leute sollten doch bedenken, daß alles Leben nur an dünnem Faden hängt . . . Aber,« lenkte er ein, »ich sollte wohl auch nicht vergessen, daß Ihr selbst jung seid, und selbst gern tanzt und spielt, Herr Mertoun? Ich bin nun einmal ein alter Mann und muß mein Gewissen rein halten. Aber bei dem Tanze, den es am Johannis-Abend in Burgh-Westra geben wird, seid Ihr wohl dabei – wie? und ohne einigem Zierat wird's dabei dann wohl nicht abgehen – he? ich meine, Beinkleider, Westen und dergleichen. Ich habe Zeug aus Flandern!« und damit legte er seinen Kram auf den Tisch und fing an auszupacken. »Tanz?« wiederholte Mordaunt; »am St.-Johannis-Abend? Sollt Ihr etwa mich einladen, Bryce?« »Daß ich nicht wüßte,« fagte der Hausierer –, »aber Ihr wißt ja, daß Ihr dort immer willkommen seid. Der Kapitän macht den Vortänzer, wie sie es nennen, den Rädelsführer sozusagen.« »Hol' ihn der Teufel!« sagte Mordaunt, zornig auffahrend. »Alles zu seiner Zeit,« sagte der Hausierer; »nur nichts übereilen; der Teufel kommt schon an die Reihe – laßt's nur gut sein! Aber wenn Ihr auch so ungebärdig dabei ausseht wie eine Wildkatze – wahr bleibt's doch, was ich sage. Hat mir der Kapitän doch – – ich weiß nicht recht, wie er heißt – schon eine Weste abgekauft, von einer Sorte, die ich Euch zeigen will, Purpur mit goldenem Paspel, und schön gestickt; und für Euch hätte ich ein Stück, das dazu paßt, mit grünem Grunde; und wenn Ihr neben ihm Euch sehen lassen wollt, dann müßt Ihr gerade so etwas kaufen, denn das Gold glänzt, selbst jetzt noch, am meisten in den Augen der Mädchen. Seht einmal her,« fügte er hinzu, »wie es im Lichte aussieht; ... kommt direkt von Antwerpen... und ist doch billig – kostet nur vier Taler; dem Kapitän gefiel das Zeug so, daß er mir einen Jakobsd'or hinwarf mit den Worten, ich möchte den Rest nur in Teufels Namen behalten!« Mordaunt wandte ihm den Rücken, schlug die Arme übereinander und ging im Zimmer auf und ab ... »Nicht einmal eingeladen,« sprach er vor sich hin, »und ein Fremder als König des Festes....« Er sprach die Worte so oft und so laut, daß Bryce den Sinn wohl oder übel erraten mußte. »Na, die Einladung, Herr Mordaunt, wird wohl noch kommen,« meinte er. »Es ist also gesprochen worden von mir?« fragte Mordaunt, »Ganz bestimmt sagen kann ich's nicht,« versetzte Bryce, »aber warum den Kopf so finster wegwenden wie ein Seehund, wenn er vom Ufer geht? Ich hab doch deutlich gehört, daß alles junge Volk aus der Gegend dort sein wird – da werden sie doch Euch alten, wohlbekannten Freund und leichtfüßigsten Tänzer nicht zurücklassen? Ich glaube bestimmt, daß Ihr so gut als eingeladen seid! Versorgt Euch nur mit einer Weste, denn schmuck und stattlich wird dort sicher alles sein, – der Herr sei der Gesellschaft gnädig!« Mit seinen grünen, gläsernen Augen folgte er allen Bewegungen Mordaunts, der, in tiefes Nachdenken versunken, auf und ab schritt. Der Hausierer mochte wohl mit Claudio denken, daß der meiste Grund zu Kummer im Leben Geldmangel sei, und sagte deshalb nach einer abermaligen Pause: »Ihr braucht deshalb nicht den Kopf hängen zu lassen, Herr Mordaunt, denn, wenn mir auch der Kapitän gezahlt hat für die Ware, was sein mußte, so werde ich es doch mit Euch als einem guten Freunde und Kunden nicht so scharf nehmen, sondern den Preis nach Eurem Beutel einrichten, wenn's sein muß, mit der Bezahlung auch bis St. Martin oder Lichtmeß warten, Leben und leben lassen, Herr Mordaunt, – der Himmel bewahre mich davor, jemand zu drücken, am wenigsten einen, der mich auch schon hat verdienen lassen. Schließlich könnt Ihr mir ja für den Wert auch Federn oder Otternhäute oder Pelzwerk liefern; versteht es doch niemand besser als Ihr, dergleichen aufzutreiben. Vielleicht habt Ihr auch von dem Schießpulver noch, das ich Euch vor ein paar Jahren verkaufte? Es war von der besten Marke, und ich verkaufe es nur an gute Schützen. Wenn Ihr also etwas habt, das Ihr gegen die Weste geben wollt, so bin ich zum Tauschen bereit; werdet Ihr doch gewiß auf St.-Johannis nach Burgh-Westra geladen und dann nicht schlechter aussehen wollen als der Kapitän. Das schickte sich wenigstens nicht recht.« »Dort sein will ich wenigstens, ob ich geladen werde oder nicht,« sagte Mordaunt, plötzlich stehen bleibend und dem Hausierer das Stück Zeug aus der Hand reißend – »und wie Ihr ganz richtig sagt, Ehre will und muß ich dort schon einlegen!« »Nur sachte, Herr Mordaunt,« rief der Hausierer; »Ihr geht ja mit dem feinen Seidenzeuge um, als ob es ein Stück grober Wadmoral wäre! Dabei kostet's vier Taler; soll ich's ankreiden?« »Nein!« rief Mordaunt heftig, nahm seine Börse heraus und warf Bryce Snailsfoot das Geld hin. »Der Himmel segne Euch das Zeug und mir das Silber,« sagte der Hausierer, vergnügt sein Geld einstreichend, »und bewahre uns beide vor irdischer Eitelkeit und Begierde!..... Aber, Herr! – warum drückt Ihr denn das Seidenzeug so zusammen wie ein Heubündel?« In diesem Augenblick trat Swertha herein, und Mordaunt, als ob er das gekaufte Zeug schnell wieder los sein wolle, warf es ihr nachlässig hin und hieß sie es wegpacken, nahm aus der Ecke seine Jagdflinte, riß sein Jagdzeug von der Wand und stürzte aus dem Zimmer, ohne dem Hausierer, der noch Seehundsfell, »so Weich wie Rehleder, aus dem sich Riemen und Futteral zu der Flinte fertigen ließe,« anpreisen wollte, noch einen Blick zu schenken. Mit seinen grünen blinzelnden Augen sah der Hausierer dem unwirschen Jüngling eine kurze Weile nach . . Auch Swertha war verwundert, daß er so wild hinausstürmte, und meinte, »der junge Herr müsse nicht recht bei Sinnen sein!« »Nicht recht bei Sinnen?« wiederholte der Hausierer, »der wird noch so wild werden wie sein Vater nur je gewesen . . . Das merkt man doch wohl schon, wenn jemand mit einem Stück Zeug, das vier Taler kostet, so herumwirft, als wenn es Quark wäre!« »Vier Taler der grüne Lappen?« rief Swertha, den Händler bei dem Worte fassend, das ihm so unversehens entschlüpft war; »Na, da habt Ihr Euer Heu ja herein! Da weiß man wirklich nicht, über wen man sich mehr wundern soll, über den Betrogenen oder über den Betrüger.« »Ich habe ja nicht gesagt, daß es ihn ganze vier Taler kostet,« sagte Bryce, »und wenn auch nun, so ist es doch, meine ich, dem jungen Herrn sein Geld, und alt genug, um sich zu kaufen, was ihm gefällt, ist er, meine ich, auch – zudem ist das Zeug unter Brüdern wert, was er dafür gegeben, und mehr.« »Nun, nun,« versetzte Swertha kaltblütig, »der Vater ist ja auch noch da – wollen doch 'mal hören, was der dazu sagt.« »Hoffentlich tut Ihr mir so etwas nicht an, Frau Swertha,« rief, klein beigebend, der Händler – »das wäre zum wenigsten ein schlimmer Dank für den schönen Oberrock, den ich Euch von Lerwick mitgebracht habe.« »Und für den Ihr gewiß einen schönen Batzen fordern werdet,« sagte Swertha; »was Ihr mit schönen Worten und guten Werken im Schilde führt, weiß man ja doch!« »Na, gebt mir dafür, was Euch recht scheint – oder wir lassen's anstehen, bis Ihr 'mal etwas für die Wirtschaft oder den gnädigen Herrn zu kaufen habt, dann kann ja alles auf eine Rechnung kommen.« »So will ich's mir gefallen lassen, Bryce Snailsfoot;« sagte Swertha, »zumal wir bald neues Tischzeug brauchen werden; denn da keine Frau im Hause ist, können wir nicht spinnen, mithin auch nicht eigenes Zeug fertigen.« »Das heißt man,« sagte der Hausierer, »nach den Worten leben: »Gehet zu denen, die da kaufen und verkaufen« – Bibeltexte haben doch immer guten Nutzen.« »Und mit einem klugen Manne, der aus allem sein Pfeifchen zu schneiden weiß, im Verkehr zu sein, ist, – wenn nicht von Nutzen, doch eine Freude,« erwiderte lachend die Hausverwalterin; »und wenn ich mir das Westenzeug genauer ansehe – na, so möcht ich jetzt selber sagen, daß es seine vier Taler wohl wert ist.« Zehntes Kapitel Inzwischen stürmte Mordaunt, dem verwundeten Hirsche gleich den Schmerz, den ihm der Pfeil bereitet, durch schnellen Lauf zu ersticken suchend, über die Heide und durch das wilde Moor, in seinem Stolze durch das, was er vom Hausierer vernommen, auf das tiefste verletzt – um so tiefer als es durch die Zweifel, die durch das unfreundliche Stillschweigen der Leute von Burgh-Westra in ihm geweckt worden, volle Bestätigung erhielt. Er, in seinen eigenen Augen von der Höhe herabgesunken, auf welcher er als erster unter der Jugend der Insel gestanden, fühlte aber nicht bloß Demütigung, sondern Kränkung und Beleidigung: die beiden schönen Schwestern, um deren Lächeln alle buhlten, mit denen er auf so freundlichem Verkehrsfuß gestanden, daß man ihn schon auf der ganzen Inselflur für einen Freier gehalten – auch sie schienen seiner vergessen zu haben? auch ihnen bedeutete er auf einmal so wenig, daß er nicht einmal mehr als gewöhnlicher Bekannter galt? Selbst der alte Udaller, dessen biederes, aufrichtiges Wesen ihn immer so angeregt und angezogen hatte, schien ebenso wandelbar und veränderlich zu sein wie seine Töchter! Ach, der arme Mordaunt hatte mit dem Lächeln seiner Huldinnen auch die Wohlgeneigtheit seines eifrigen Gönners, des mächtigsten auf der ganzen Inselflur, verloren! Ohne auf den Weg zu achten, eilte Mordaunt, getrieben von dem Verlangen, diesen peinvollen Gedanken zu entrinnen, mit verdoppelten Schritten durch eine Gegend weiter, wo weder Hecken, noch Mauern, noch Zäune den Wanderer aufhielten, bis der Weg ihn an eine einsame Stätte führte, wo zwischen steilen, mit Heidekraut bewachsenen Hügeln, die sich jäh bis zum Wasserrande hinunterzogen, einer der kleinen Sühwasserseen lag, deren es auf den shetländischen Inseln so viele gibt, und deren Ufer die Quellen und Bäche und Flüßchen bilden, die das Land bewässern und die kleinen Mühlen bewegen, auf denen die Inselbewohner ihr Korn mahlen. Es war ein milder Sommertag; die Strahlen der Sonne wurden, wie es in Shetland nicht zu den Seltenheiten gehört, durch einen silbernen Nebel, der den starken Gegensatz von Licht und Schatten in der Atmosphäre aufhebt und selbst dem Mittag die ruhige Färbung der Abenddämmerung leiht, gebrochen und gemildert. Der kleine See, kaum dreiviertel Stunden im Umkreise, lag in tiefer Ruhe; kein Hauch kräuselte seine Fläche, die nur gestört wurde, wenn einer der vielen Wasservögel, die über ihr strichen, beutesuchend tauchte. Die Tiefe gab dem Wasser die blaugrüne Farbe, die dem See den Namen des »grünen« gab, – und in diesem Augenblick bildete er einen so vollkommenen Spiegel für die Hügel ringsherum, daß sich das Wasser von dem Lande kaum unterscheiden ließ; ia, die Dämmerung die der dünne Nebel verbreitete, hätte einen Fremden schwerlich vermuten lassen, daß ein Wasserspiegel vor ihm lag. Die ungemeine Heiterkeit des Wetters, die durch die Ruhe der Atmosphäre und das tiefe Schweigen der Elemente noch erhöht wurde, lieh der ganzen Szenerie einen seltsamen Reiz, und ein einsameres Stück Erde wäre kaum auffindbar oder nur denkbar gewesen; neigten sich doch selbst die Wasservogel, in so großer Menge sie hier auch weilten, in tiefer Ruhe über die schweigende Flut. Ohne zu zielen, ohne irgend etwas zu bezwecken, ja fast ohne zu wissen oder zu denken, was er tat, legte Mordaunt die Flinte an die Wange und schoß über den See. Der grobe Schrot kräuselte die stille Fläche wie Hagelschauer; von den Hügeln schallte der Knall zurück; die Wasservögel schwirrten, unregelmäßige Kreise ziehend, zu engeren Schwärmen zusammen, und tausendfältig verschiedenes Geschrei, vom tiefen Baß der weißen Sturmmöwe bis zu den klagenden Lauten der Winter- und isländischen Möwen, erfüllte die Luft. »Ja, ja,« rief Mordaunt, den lärmenden Tieren mit einem Gefühl von Erbitterung nachschauend, das er, so geringen Zusammenhang es auch mit ihr auswies, gern auf die gesamte Natur übertragen hätte; – »taucht, schreit, lärmt, soviel ihr wollt, weil euch was der Quere kam, das eure Ruhe störte – weil ein Ton euch schreckte, den ihr nicht gewöhnt seid! Ja, ja, auf diesem runden Erdenball gibt's viele wie euch; aber ihr sollt wenigstens lernen,« fügte er hinzu, die Flinte wieder ladend, »daß mit einem fremden Anblick, fremden Klange und fremder Bekanntschaft zuweilen auch Gefahr verbunden ist. – Doch, warum Zorn an harmlosen Tieren auslassen?« setzte er nach einer kurzen Pause hinzu, »mit den Freunden, die mich vergaßen, mich vergessen konnten, haben doch sie nichts zu schaffen! Ach, und ich liebte sie alle so innig, – und nun müssen sie mich um des ersten besten Fremden willen, den ein Zufall an die Küste wirft, aus ihrer Erinnerung streichen – müssen sie mich so bald aufgeben und im Stiche lassen?« Er stand, auf seine Flinte gestützt, versunken in diese schmerzvollen Betrachtungen, als er plötzlich eine Hand auf seiner Schulter fühlte. Sich umdrehend, erblickte er die Norna vom Fitful-Head, in ihren dunklen weiten Mantel gehüllt. Vom Hügel aus hatte sie ihn gesehen, und war zum See durch eine kleine Felsschlucht herabgestiegen, die sie seinen Blicken entzog – war ihm mit unhörbaren Schritten so nahe gekommen, daß sie ihn berühren konnte. Mordaunt war von Natur weder furchtsam noch abergläubisch, auch für sein Alter belesener, als man gewöhnlich findet; aber es wäre doch einem Wunder nahe gekommen, zumal auf Shetland und ausgangs des siebzehnten Jahrhunderts, wenn er schon jene Philosophie besessen hätte, die selbst in Schottland erst zwei Generationen später Eingang fand. Wohl fühlte er Zweifel an der Möglichkeit übernatürlicher Gaben, wohl hielt er Norna für kein anderes als menschliches Wesen mit menschlichen Schwächen und Tugenden – aber vom Zweifel zum Unglauben stieg auch er nicht; auch ihm galt Norna, trotz aller Vorbehalte seiner Vernunft, als eine Frau, begabt mit einer seltenen Geistesstärke und, dem Anscheine nach, enthoben aller Rücksicht auf irdischen Zwang. Von Jugend auf in dieser Meinung befangen, konnte er dieses geheimnisvolle Wesen, das jetzt so jäh vor ihm auftauchte und ihn so finster und ernst betrachtete, wie die Schicksals-, ihre Namens-Schwestern, die jungen Kämpen betrachteten, die sie auserwählt hatten, das Gastmahl Odins zu teilen, – nicht anders als mit banger Unruhe anstarren; und manch anderer als er, an seiner Stelle hier an dem einsamen Strande des grünen Seees, hätte gebebt und gezittert angesichts solcher bösen Prophetin, die ihm als ein Anzeichen des Unglücks erscheinen mußte. »Ich bringe Dir kein Unglück, Mertoun,« sagte sie, denn sie mochte in den Blicken des jungen Mannes wohl etwas, wie abergläubische Ahnungen, lesen – »Ich habe Dir nie welches zugefügt und werde Dir nie welches zufügen.« »Das fürchte ich nicht,« entgegnete Mordaunt, einer Besorgnis Herr zu werden suchend, deren unmännliche Art er schmerzlich fühlte – »und warum sollte ich, Mutter, mich fürchten? Weiß ich denn nicht, daß Ihr mir immer freundlich gesinnt wart!« »Und doch, Mordaunt, bist Du kein Shetländer, kein Mann von unserer Flur – aber selbst denen nicht, Mordaunt, die um Magnus Troils Herd herum sitzen, selbst jenen nicht vom Blute des edlen Abkömmlings der alten Jarls von Orkney – will ich wohler als Dir, wackerer, hochherziger Jüngling ... – Als ich Dir die Zauberkette um den Hals hing – die, wie auf den Inseln alle wissen, von keiner irdischen Hand verfertigt wurde, sondern von den Draus in den geheimen Werkstätten ihrer Höhlen – zähltest Du kaum fünfzehn Jahre, und standest doch schon auf der Jungfrauen-Klippe von Northmaven, die vor Dir nur der gehäutete Fuß der Sturmmöwe betrat, – hattest Deinen Nachen doch schon in die tiefste Höhle von Brinnastir gelenkt, wo der Haafefisch [Der große Seehund oder das Seekalb, das die einsamsten Schluchten zu seinem Aufenthalt wählt] vorher in Finsternis schlummerte. Darum, Mordaunt Mertoun, gab ich Dir jenes edle Geschenk, damit Dich jedes Auge auf diesen Inseln als seinen Sohn oder Bruder betrachte, hochbegabt vor allen andern Jünglingen, und als den Günstling jener Frau, deren Stunde der Macht erscheint, wenn Tag und Nacht sich vermählen.« »Ach, Mutter,« sagte Mordaunt, »Eure freundliche Gabe mag mir wohl Gunst verschafft haben, aber sie hat sie mir nicht zu erhalten vermocht, wenn ich selbst nicht schuld trage an ihrem Verluste – aber was ist gelegen an Menschengunst? Ich will lernen, mich ebensowenig auf andere zu stützen, wie sie auf mich. Mein Vater sagt, ich solle diese Inseln bald verlassen, darum Mutter Norna, will ich Euch Eure Zauberkette zurückgeben, die einem andern wohl besseres und dauernderes Glück bringen mag als mir.« »Verachte die Gabe nicht, wenn sie auch stammt vom namenlosen Geschlecht,« sagte Norna zürnend, ging aber sogleich aus dem Mißmut, der sie erfüllte, zu wehmütigem Ernst über und setzte hinzu: »Verachte sie nicht, Mordaunt, doch vergöttere sie auch nicht! Setz Dich auf jenen grauen Stein! und ich will, so viel ich vermag, ablegen, was mich von der großen Menge scheidet, und zu Dir reden wie eine Mutter zu ihrem Kinde.« Das Zittern ihrer Stimme, verursacht durch den Kummer, der ihr Herz erfüllte, im Verein mit der erhabenen Weise ihrer Sprache und ihrer Haltung, konnte nicht anders, als Mordaunts Gemüt tief ergreifen; er setzte sich auf den Felsblock, auf den sie gezeigt hatte, und der zusammen mit andern von gleicher Größe von dem Felshange, an dessen Fuße er lag, bis an den Wasserrand geschleudert worden war. Norna setzte sich ihm gegenüber, knapp drei Fuß von ihm entfernt, auf einen andern Block, legte ihren Mantel so über den Kopf, daß fast nur Stirn, Augen und eine Locke ihres grauen Haares sichtbar blieben, und nahm nun in einem Tone, aus dem jene eingebildete Wichtigkeit, worin sich verworrene Geister so oft gefallen, aber auch ein ungewöhnlicher tief eingewurzelter Seelenschmerz sprach, wieder das Wort... »Ich war,« hub sie an, »nicht immer, was ich jetzt bin; war nicht immer die Weise, Mächtige, Gebietende, vor der die Jugend Scheu, das Alter Achtung hegt. Es hat auch eine Zeit gegeben, wo Frohsinn nicht verstummte, wenn ich mich zeigte – wo ich der menschlichen Leidenschaften, menschlicher Freude und menschlichen Kummers, teilhaftig war – eine Zeit, da auch mir Beistand und Hilfe lieb und wert war – da ich Freude fand an müßigem Tand, an müßigem Lachen und müßigem Weinen – ach! was gäbe die Norna vom Fitful-Head darum, wieder das glückliche, harmlose Mädchen zu sein, das sie in jenen Tagen war! Mordaunt, sei nachsichtig mit mir; denn Du hörst Klagen aus meinem Munde, die nie ein sterbliches Wort vernahm, die kein sterbliches Ohr wieder vernehmen soll...« Und ihren magern, verdorrten Arm ausstreckend, rief sie: »Ha! Ich will sein, wozu die Göttin des Schicksals mich bestimmte: Königin und Schirmherrin über diese wilden, vernachlässigten Inseln, – ich will Norna sein, deren Fuß keine Woge netzen darf, ohne ihre Erlaubnis, deren Gewand der Wirbelwind schont, während er die Dächer von den Sparren reißt. Mordaunt Mertoun, sei mir Zeuge! – Du vernahmst meine Worte in Hafra – Du sahst, wie der Sturm vor ihnen wich, Mordaunt, sprich und sei mir Zeuge!« Ihr zu widersprechen, jetzt, wo die höchste Begeisterung sie zu dem höchsten Begriffe von ihrer Höhe trug, wäre Mordaunt, selbst wenn er noch fester, als tatsächlich, überzeugt gewesen, daß nicht eine mit übernatürlicher Gewalt begabte, sondern eine von Wahnsinn geschlagene Frau vor ihm stände, nicht möglich gewesen, weil es ihm zu hart, zu grausam bedünkt hätte. Drum antwortete er: »Ja, Norna – ich hörte Deinen Sang und sah, wie der Sturm sich legte.« »Wie der Sturm sich legte?« rief Norna aus, mit ihrem Stab aus schwarzem Eichenholz ungeduldig den Boden stampfend – »Mordaunt, Du sprichst nur halbe Wahrheit; der Sturm schwieg plötzlich – schwieg in kürzerer Zeit als das Kind, das die Wärterin beschwichtigt. Indessen, – Mordaunt – Du kennst wohl meine Macht, weißt aber nicht, und kein Sterblicher weiß es und soll es je erfahren, welchen Preis diese Macht mich kostete! Nein, Mordaunt, nicht um der hohen Gewalt willen, die die alten Norweger besaßen, als ihre Banner noch von Nordlands Bergen bis Palästina wehten, nicht um all dessen willen, was der gesamte Erdball birgt, vertausche Deinen Seelenfrieden gegen solche Größe, wie sie Norna eigen!« Bei diesen Worten setzte sie sich wieder auf den Felsen, zog den Mantel über das Gesicht, stützte den Kopf auf die Hand und schien, nach den krampfhaften Bewegungen ihrer Brust zu schließen, bitterlich zu weinen. »Norna, Mutter,« rief Mordaunt, hielt aber inne, denn er wußte nicht, was er zum Tröste der unglücklichen Frau sagen sollte, – »gute Norna,« hub er wieder an, »sollte auf Eurem Gemüte Schweres lasten, das Euch beunruhigt, – wäre es dann nicht besser, Ihr ginget zu dem Pfarrer von Dunroßneß? Die Leute sagen, Ihr seiet seit vielen Jahren in keiner christlichen Gemeinde gewesen, – das ist nicht gut und nicht recht, Norna! – Ihr seid um Eurer Kunst willen, körperliches Leid zu heilen, auf der ganzen Inselflur bekannt; wenn aber die Seele krank ist, dann sollen wir uns auch an den Seelenarzt wenden.« Norna hatte sich langsam aus der gebückten Stellung, in der sie bisher gesessen, aufgerichtet, warf jetzt den Mantel zurück und rief mit schäumender Lippe, blitzendem Auge und weit ausgestrecktem Arme – in einem Tone, der keiner menschlichen Stimme, sondern dem Schrei eines geängstigten Tieres glich: »Ich soll zu einem Priester gehen? mit einem Priester sprechen? ... Soll denn der fromme Mann vor Schrecken des Todes sein? Soll, wenn ich in eine christliche Gemeinde trete, das Dach auf sie niederstürzen? soll ihr Blut sich mit ihrer Andacht mischen?« Die ungewöhnliche Heftigkeit der Unglücklichen brachte Mordaunt auf einen in diesem abergläubischen Lande, zu jener abergläubischen Zeit allgemein verbreiteten Glauben... »Unglückselige!« rief er, »Hast Du Dich wirklich mit den Mächten der Finsternis verbündet, warum solltest Du nicht bereuen können? Doch tue, was Du willst, als Christ kann und darf ich nicht länger in Deiner Nähe weilen. Da, nimm Deine Gabe wieder zurück,« setzte er hinzu, indem er ihr die Kette wiedergeben wollte; »ist mir vielleicht auch nicht Böses schon durch sie entstanden, – auf Gutes werde ich nie durch sie rechnen dürfen!« Norna hatte, vielleicht durch den Ausdruck des Schreckens, der aus Mordaunts Gesicht sprach, ihre Ruhe wieder gefunden ... »Törichter Knabe,« sprach sie, »höre, was ich Dir jetzt sage – zu denen, die mit dem Freunde des Menschengeschlechtes einen Bund geschlossen oder durch seine Hilfe Wissen und Macht erhalten, gehöre ich nicht – und obgleich die überirdischen Mächte durch ein Opfer gewonnen wurden, das die menschliche Zunge nie aussprechen kann, so ist doch, Gott weiß es, meine Schuld an diesem Ort nicht größer als die des Blinden, der von dem Abhang stürzt, den er weder sehen, noch meiden konnte. Mordaunt Mertoun, verlaß mich nicht in dieser schwachen Stunde! Bleibe bei mir, bis die Versuchung gewichen ist, oder ich stürze mich in jenen See, um meiner Gewalt und meinem Elende zugleich ein Ende zu machen.« Mordaunt, der dieses seltsame Weib nie anders als – zufolge des Wohlwollens, das sie ihm schon früh erwiesen – mit Zuneigung betrachtet hate, ließ sich leicht bestimmen, ihr weiter zuzuhören, hoffte er doch, daß sie ihrer Bewegung nach und nach Herr werden würde! Und diese Hoffnung sollte ihn nicht trügen, denn früher, als er gedacht, schien sie den Sieg über sich errungen zu haben und redete jetzt wieder in ihrer sonstigen festen, gebietenden Weise. »Nicht von mir, Mordaunt, wollte ich mit Dir sprechen, als ich von dem Gipfel jenes grauen Felsens dort zu Dir herniederstieg, steht doch mein Schicksal unabänderlich fest in Freud und Leid – habe ich für mich selbst doch wenig noch zu wünschen oder hoffen: aber für die, die sie liebt, hegt Norna vom Fitful-Head noch immer die Empfindungen, die sie an das Menschengeschlecht ketten. Höre mich, ich kenne einen Adler, den stolzesten, der in luftigen Höhen baut, und in dieses Adlers Horst hat sich ein Otter geschlichen... Willst Du den Wurm zertreten und die edle Brut des Gebieters der nordischen Himmel retten?« »Du mußt deutlicher sprechen, Norna, wenn ich Dich verstehen soll,« sagte Mordaunt. »Denn Rätsel kann ich nicht lösen.« »Wohl denn, ohne Gleichnis – Du kennst die Familie von Burgh-Westra – die lieblichen Töchter des wackern alten Udallers – Minna und Brenda – meine ich. Du kennst und liebst sie...« »Ich kenne sie, Mutter,« erwiderte Mordaunt; »und ich habe sie geliebt, niemand weiß das besser als Ihr.« »Sie einmal gekannt haben,« sagte Norna mit Wärme, »heißt, sie immer gekannt haben; und wer sie einmal geliebt hat, der liebt sie für immer.« »Sie einmal geliebt haben, Mutter, heißt, ihnen Gutes für immer wünschen,« erwiderte der Jüngling; »nichts weiter. Wenn ich offen mit Dir reden soll, Norna, so haben mich die Leute von Burgh-Westra jüngst völlig vernachlässigt. Aber gib mir Mittel, ihnen zu helfen, und ich will Dir beweisen, wie dankbar ich bin für erwiesenes Wohlwollen, wie rasch ich Kälte vergesse, die auf das Wohlwollen folgte.« »Wohl gesprochen,« sagte Norna; »und ich will Dich auf die Probe stellen; Magnus Troil nährt eine Schlange an seinem Busen, und seine lieblichen Töchter werden den Künsten eines Niederträchtigen zur Beute fallen.« »Ihr meint den Fremden – den Cleveland?« fragte Mordaunt. »Ich meine den Fremden, der sich diesen Namen gibt, den Fremden, den wir wie ein Bündel Seetang am Fuße des Vorgebirgs von Hafra fanden. Mir sagte die Stimme meines Herzens, ich solle ihn der Flut lassen – Du ersticktest die Stimme in mir – jetzt aber bereue ich, ihr nicht Folge geleistet zu haben.« »Ich aber,« sagte Mordaunt, »kann nicht bereuen, meine Schuldigkeit als Christ getan zu haben. Und welches Recht hätte ich zu wünschen, daß die Sache anders läge, als sie liegt? Wenn Minna, Brenda, Magnus und die übrigen den Fremden lieber haben als mich, so habe ich kein Recht, mich dadurch gekränkt, zu fühlen; wollte ich mich mit ihm vergleichen, verdiente ich ausgelacht zu werden.« »Gut; ich glaube, sie sind Deiner uneigennützigen Freundschaft trotz allem auch wert.« »Ich aber, Mutter, sehe bei dem allen nicht,« fuhr Mordaunt fort, »worin ich den Leuten nützlich sein kann. Eben habe ich von Bryce Snailsfoot erfahren, daß dieser Cleveland in Burgh-Westra alles gilt. Wo ich nicht willkommen bin, möchte ich mich weder eindrängen, noch mein bescheidenes Verdienst dem eines andern Mannes an die Seite stellen. Er kann ihnen von Schlachten erzählen, ich nur von Vogelnestern – er kann ihnen sagen, wieviel er Franzosen erschossen hat, ich nur, wieviel Seehunde – er trägt prächtige Kleider und hat ein männlich-schönes Gesicht; ich gehe schlicht und sehe schlicht aus.« »Du tust Dir unrecht,« sagte Norna; »Dir selbst, und noch größeres den beiden Mädchen, Minna und Brenda; verlaß Dich nicht auf des Hausierers Rede, denn er ist wie der gierige Walfisch und taucht um der kleinsten Münze willen, die ein Fischer in das Meer wirft, unter. Gewiß ist aber, daß dieser schlimme Mensch daran schuld ist, daß Du bei Magnus Troil nicht mehr so gut angeschrieben stehst, wie früher. Er mag sich aber in acht nehmen, denn ich lasse ihn nicht außer acht!« »Und warum,« – fragte Mordaunt – »sagt Ihr Magnus Troil nicht das, was Ihr mir soeben gesagt habt?« »Weil die,« erwiderte Norna, »welche sich selbst weise dünken, nur durch Erfahrung klug werden. Erst gestern hab ich mit Magnus gesprochen, und was hat er mir zur Antwort gegeben? Gute Norna,du wirst alt! – Und das hab ich mir von jemand anhören müssen, der durch so viel so enge Bande an mich gefesselt ist –, hab's anhören müssen von dem Abkömmlinge der alten Norwegsgrafen – von Magnus Troil – und das hat er jemand zuliebe gesagt, den das Wasser wie Seegras ausspie! Da er den Rat der Alten verschmäht, mag er sich raten lassen von den Jungen; es ist aber nur recht und in Ordnung, daß er seiner eigenen Torheit nicht überlassen wird... Geh also an des Täufers Fest, wie sonst, nach Burgh-Westra.« »Man hat mich nicht geladen – denkt nicht an mich – sieht mich vielleicht gar nicht einmal an, wenn ich komme; und doch war ich, Mutter, wenn ich die Wahrheit sagen soll, dorthin unterwegs.« »Es war ein guter, vernünftiger Einfall von Dir,« sagte Norna; »wir besuchen den Freund, wenn er körperlich leidet; warum sollten wir ihn unbesucht lassen bei seelischem Leide? Geh hin nach Burgh-Westra! geh! Vielleicht treffen wir uns dort; jetzt aber scheiden sich unsere Wege... Gott befohlen! doch sprich zu niemandem von dieser Begegnung.« Sie trennten sich. Mordaunt, die Augen auf Norna gerichtet haltend, blieb an dem See stehen, bis ihre hohe, dunkle Gestalt sich in den Krümmungen des Tales, das sie durchschritt, verlor; dann kehrte er, willens einen Rat zu befolgen, der mit seinen Wünschen in so völligem Einklänge stand, nach dem Vaterhause zurück. Elftes Kapitel Der festliche Tag nahte, und noch immer war keine Einladung nach Burgh-Westra gekommen für denjenigen Gast, ohne den noch vor kurzer Zeit auf der Insel kein Fest hätte begangen werden können. Dagegen war überall von nichts anderm die Rede als von dem Gerücht, daß Kapitän Cleveland bei den Leuten von Burgh-Westra in höchste Gunst gelangt sei: ein Wandel, über den die alte Haushälterin mit dem alten Ranzelmann den Kopf um die Wette schüttelte. Sie sowohl als er gaben Mordaunt durch Winke und Fingerzeige zu verstehen, daß er an diesem Wandel ganz allein schuld trage, da er nicht nötig gehabt hätte, den Fremdling auf Gefahr des eignen Lebens von der Klippe zu retten, von der ihn die nächste Flut doch weggespült hätte ... »Es hat noch niemand Segen gebracht,« sagte Swertha, »dem Meere wider Willen zu sein; aber,« wandte sie sich an den Ranzelmann, »was sagt Ihr zu dem Kerl, dem Cleveland, der unserm Mordaunt so im Lichte steht? und zu Magnus Troil, der unserm Mordaunt noch am letzten Pfingsttage für die Zierde von Shetland erklärte?« »Es kann ihm nicht von Vorteil sein, dieser Unbestand,« meinte der Ranzelmann mit weiser Miene; »es kommt mir aber vor, Swertha, daß auch die Klügsten – (und dazu rechne ich mich doch auch) – wie richtige Strohköpfe handeln und Sachen machen, ganz ebenso unnütz und überflüssig, als wenn ich versuchen wollte, über die Spitze vom Sumbourgh zu klettern. Es ist mir selbst im Leben ein paarmal so gegangen – aber was dabei herauskommt, werden wir bald sehen – was Gutes, wie gesagt, wird's schwerlich sein.« »Nein, nein, was Gutes kann's nicht sein – da habt Ihr recht.« Diese schlimmen Weissagungen, die sich von Zeit zu Zeit mit ziemlicher Regelmäßigkeit wiederholten, blieben auf Mordaunt nicht ohne Einfluß. Wenn er auch nicht meinte, daß die unliebsame Situation, in der er sich jetzt befand, seinem Liebeswerke unbedingt hätte folgen müssen, so war es ihm doch zu Mute, als ob ein Zauber von ungekannter Art und Macht auf ihm laste, als ob eine Gewalt, der er nicht gebieten könne, auf sein Schicksal in herber Weise einwirke. Trotzdem stand sein Entschluß, zum Johanis-Abend nach Burgh-Westra zu wandern, um so fester, als er die Ueberzeugung hatte, daß sich dort etwas Ungewöhnliches, mit seinen künftigen Aussichten und Lebensplänen in unmittelbarem Zusammenhange Stehendes ereignen müsse. Da es sich aber traf, daß sein Vater zurzeit von seinen trüben Stimmungen verschont war, mußte Mordaunt ihn von dem Gange, den er nach Burgh-Westra vorhatte, benachrichtigen. Der Vater verlangte den Grund zu wissen, der ihn dazu bestimmte. »Alles Inselvolk wird dort versammelt sein,« erwiderte der Jüngling. »Und Du willst bei der Zahl der Narren und Toren nicht fehlen? Nun, dann geh, aber nimm Dich auf dem Wege, den Du vorhast, in acht. Ein Sturz von den Klippen von Fula könnte nicht gefährlicher sein.« »Darf ich nach dem Grund solcher Warnung fragen?« versetzte Mordaunt, indem er die Schranken der Zurückhaltung durchbrach, die zwischen ihm und seinem sonderbaren Vater lagen. »Magnus Troil hat zwei Töchter. Junge Leute Deines Alters betrachten solch flatterhafte Beigabe zum menschlichen Leben im selben Verhältnis der Neigung wie der Verwünschung in spätern Tagen. Ich sage Dir, nimm Dich in acht vor ihnen. So gewiß, wie Sünde und Tod durch das Weib in die Welt kamen, so gewiß sind auch ihre süßen Worte und ihre noch süßeren Blicke das Verderben und der Untergang derjenigen, die darauf bauen.« Der Widerwille des Vaters gegen das weibliche Geschlecht war für Mordaunt nichts Neues; aber noch nie bisher hatte er den Vater auf solche bestimmte, kräftige Weise sich darüber äußern hören. Er sagte drauf, »daß Magnus Troils Töchter ihm nicht mehr gälten als alle übrigen Frauenzimmer auf den Inseln, zumal sie ohne alle Ursache die Freundschaft mit ihm abgebrochen hätten.« »Und um sie wieder anzuknüpfen, gehst Du hin?« fragte der Vater. »Unbedachte Mücke, Du hast einmal die Kerze umschwärmt, ohne Dir die Flügel zu verbrennen, und bist nicht zufrieden? fühlst Dich nicht wohl in diesem gefahrlosen Dunkel? sondern mußt zur Flamme zurück, damit sie Dich doch verzehre? ... Aber wozu Worte verlieren? Das Schicksal ist unabwendlich. Also geh, wohin es ruft!« Am andern Tage, dem nächsten vor dem Feste, machte Mordaunt sich auf den Weg, im Geiste bald mit dem Rate der greisen Norna, bald mit den Warnungen des Vaters, bald mit den bösen Weissagungen Swerthas und Ronaldsons befaßt – und außer stande, sich des Trübsinns zu erwehren, mit dem die Zusammenwirkung dieser drei Faktoren ihn zu umnachten drohte. Es war ein recht schönes, ruhiges Wetter. Mordaunt setzte seine Wanderung mit einer körperlichen Leichtigkeit und Frische fort, die zu seiner seelischen Mühsal in einem höchst auffälligen Gegensatz stand – in einem auffälligeren aber noch zu den schlimmen Strapazen seiner letzten Wanderung in umgekehrter Richtung zwischen den beiden Oertlichkeiten – nichtsdestoweniger fiel der Vergleich nicht zu Gunsten der jetzigen aus. »Letztmals,« sagte er zu sich selbst, »war meine Brust dem Winde bloßgestellt, das Herz darin war aber heiter und glücklich. Wie glücklich wollte ich sein, wenn ich jetzt dasselbe unbefangene Gefühl wieder hätte! was früge ich nach einem neuen Kampf mit dem Sturme?« Gegen Mittag langte er in Hafra an, der Wohnung, wie sich der Leser erinnern wird, des geistreichen Triptolemus Yellowley. Diesmal hatte Mordaunt sich so eingerichtet, daß er die Gastfreundschaft dort – um derentwillen das Haus auf der ganzen Insel nicht wenig berüchtigt war, nicht in Anspruch zu nehmen brauchte. Um aber der Höflichkeit Genüge zu tun, vielleicht auch, um sich auf andere Gedanken zu bringen, sprach Mordaunt in dem Hause vor und fand es zu seiner nicht geringen Verwunderung in der lebhaftesten Aufregung. Triptolemus polterte in großen Reiterstiefeln die Treppe auf und ab und schrie seiner Schwester und seiner Magd Tronda Fragen zu, die von den beiden Frauen mit lautem Gekreisch beantwortet wurden. Endlich erschien Jungfer Baby selbst, in ein weites Gewand gehüllt, das man als »Josephskittel« zu nennen liebte, und das einst grün gewesen war, jetzt aber durch Flecken und Flicken dem Kittel des Patriarchen, in welchem er als Knabe von seinen Brüdern nach Aegypten verschachert wurde, so ähnlich geworden war wie ein Ei dem andern. Dazu trug sie einen Hut mit kirchturmartigem Deckel auf dem Kopfe – wahrscheinlich vor langen Jahren in einem Augenblicke gekauft, als Eitelkeit den Sieg über die Habsucht davontrug, – mit einer Feder drauf, die soviel Wind und Regen ausgehalten zu haben schien, als hätte sie einer Seemöwe als Fittich gehört, – vollendete ihren Anzug, wozu noch eine mit Silber beschlagene altmodische Peitsche kam, die sie in der Hand trug. Der Anzug und eine beispiellose Aufregung in Haltung und Wesen verrieten die Absicht zu einer Reise oder Ortsveränderung ... Baby-Barbara war auch die erste, deren Mordaunt ansichtig wurde doch begrüßte sie ihn augenscheinlich mit sehr gemischten Gefühlen ... »Gott steh uns bei!« rief sie, »ist das nicht der muntere Bursch mit der Kette um den Hals, der unsere Gans verschlang wie eine Seelerche?« Der goldenen Kette, die damals auf ihr Gemüt so tief eingewirkt, galten ihre ersten Worte; dem frühen Hinübergange der Räuchergans die zweite Hälfte ihrer Rede – den Schluß derselben bildete die Bemerkung: »Leben und Seligkeit möcht ich drauf wetten, daß er den gleichen Weg mit uns geht.« »Ich will nach Burgh-Westra, Jungfer Yellowley,« sagte Mordaunt. »Uns soll es nur lieb sein, wenn Ihr Euch uns anschließt,« versetzte sie; »zum Essen ist's wohl noch zu früh? Gerstenkuchen und Hausbier könnt Ihr haben. Mit vollem Magen wandern ist zwar nicht gut, – und den Appetit für das Fest, wo doch alles vollauf sein wird, verdirbt man sich durch vorherige Mahlzeit auch.« Mordaunt holte seinen eigenen Mundvorrat aus seinem Ränzel, versicherte, sie nicht abermals belästigen zu wollen, bat sie vielmehr bei ihm zuzulangen. Der arme Triptolemus, der nur selten ein halb so gutes Mittagessen bekam, als seines Gastes Imbiß war, fiel über die appetitlichen Speisen her, wie Sancho Pansa über den Schaum von Gamachos Kessel, und selbst Barbara konnte der Versuchung, einen Kosthappen zu nehmen, nicht widerstehen; was sie damit zu rechtfertigen suchte, daß sie um der Reise willen und weil man mit Holz in einem so kalten Lande haushälterisch umgehen müßte – es nicht erst für nötig gehalten hätte, Feuer anzumachen, deshalb aber mit Essen »heute« ein wenig knapp dran sei – anderseits doch einmal sehen möchte, ob man im schottischen Norden das Fleisch ebenso pökle wie hier. Als dieser »Imbiß aus dem Stegreif« verspeist war, drang Triptolemus darauf, die Reise anzutreten, und jetzt wurde es Mordaunt klar, daß die Freundlichkeit, mit der ihn Jungfer Baby begrüßt, nichts weniger als frei von eigennützigen Regungen war; denn weder sie noch ihr gelehrter Bruder mochten sich gern in die Wildnis Shetlands ohne Führer wagen, und dangen sie auch nur einen Taglöhner dazu, so ging dabei – außer dem Trinkgeld, um das sie nicht herumgekommen wären – auch noch ein voller Tagelohn verloren. Mordaunt kam ihnen mithin höchst gelegen, denn als Spender solchen Imbisses obendrein mußte er so willkommen erscheinen wie nur je ein Gast an ihrer Tür, die sich ja sonst am liebsten jedem verschloß; Herr Yellowley freute sich außerdem darauf, in seinem jungen Begleiter einen willigen Hörer für all die »Melilvrationspläne« zu finden, mit denen er sich in Gedanken trug. Da Verwalter und Schwester nicht wandern, sondern reiten wollten, galt es nun, auch ihren Führer beritten zu machen, was aber keinerlei Schwierigkeit bot, denn in Shetland laufen der rauhhaarigen Gäule mit kurzen Beinen und langem Rücken genug frei auf den Mooren herum – wie schon einmal bemerkt, frei zu jedermanns Gebrauch – ja die Sache bot um so weniger Schwierigkeiten, als zwei solche Gäule schon für das Geschwisterpaar eingefangen und reisefertig gemacht worden waren. Der eine, dazu ersehen, die süße Bürde von Jungfer Baby zu tragen, hatte einen gewaltigen Quersattel von hohem Alter, eine Masse von Kisten und Polstern, unter der auf allen Seiten eine Schabracke aus alten Teppichen herabhing, die,ursprünglich für ein Pferd von normaler Größe bestimmt, den kleinen Shetland-Klepper von den Ohren bis zum Schweife und vom Widerrist bis zum Hufe bedeckte, so daß nichts frei blieb als der Kopf, der aus diesen Umhüllungen keck hervorblickte, wie der Löwe auf einem Wappen aus einem Busch. Mordaunt hob die schöne Jungfer nach Rittersitte auf den Gaul, und mit einiger Anstrengung gelang es ihm auch, sie wohlbehalten auf den Gipfel des bergartigcn Sattels zu setzen. Inzwischen hatte ihr Bruder Triptolemus sich auf seinen Gaul, wenn auch nicht geschwungen, so doch hinauf »gekrabbelt« – und da er, des heitern Wetters ungeachtet, einen großen Mantel über seine andern Kleidungsstücke geworfen hatte, war sein Klepper fast noch dichter verhüllt als der seiner Schwester, leider aber so wild und widerspenstig, daß er unter dem Gewicht seines Reiters, in völliger Mißachtung der Yorkshirer Abstammung desselben, Lust bekam zu allerhand Kapriolen und Courbetten, die Triptolemus zu keinem festen Sitze in seinem Sattel kommen ließen; da nun das Pferd selbst nur bei genauem Hinsehen zu entdecken war, konnte man sich in einigem Abstande zu dem Wahn versucht fühlen, seine Sprünge als die freiwilligen Bewegungen des Reiters, die er mit seinen eigenen, ihm von der Natur verliehenen Beinen machte, anzusehen – was aber zusammen mit dem verzweifelten Gesichtsausdruck von dem armen Triptolemus einen so lächerlichen Eindruck gab, als Sancho Panso neben Don Quixote nur je gemacht haben dürfte. Mordaunt, dem weder zur Klepperwahl noch zur Beschaffung von Reitzeug Zeit blieb, der statt des letztern sich gar mit einem bloßen Stricke begnügen mußte, hielt trotzdem wacker Schritt mit dem würdigen Geschwisterpaar, und Triptolemus Jellowley, außer sich vor Freude, seinen Führer so schnell beritten zu sehen, nahm sich im stillen vor, diesen rohen Gebrauch, Reisenden zu einem Pferde zu verhelfen, ohne dabei den Eigentümer um Erlaubnis zu fragen, nicht eher abzuschaffen, als bis er selbst eine Herde Pferde besäße – und man also an ihm das Recht der Vergeltung ausüben könnte. Weniger nachsichtig aber bewies sich Triptolemus gegen andere Bräuche auf den Inseln; in der wilden, bergigen Gegend, durch die ihn Mordaunt führte, gab es tatsächlich keinen Platz, der in seiner lebendigen Einbildungskraft nicht Verbesserungsideen geweckt hätte. Bald wollte er durch eine kaum gangbare Schlucht, in der die zuverlässigen Gäule, die sie ritten, kaum einen Fuß vor den andern setzen konnten, eine Fahrstraße legen; an die Stelle der aus Lehm und aus trockenem Gestein errichteten Skios oder Hütten, in denen die Eingeborenen ihre Fische einsalzten, bessere Häuser setzen; bald wollte er das alte Shetländer Hausbier durch gutes Ale ersetzen oder Wälder pflanzen wo nie ein Baum wuchs, oder nach ergiebigen Bergwerken suchen an Stellen, wo ein paar dänische Schildlinge schon als halbes Vermögen galten. Von all diesen Reformen und manch andern mehr sprach er mit dem größten Vertrauen und erhoffte sich das Beste von der Unterstützung und dem Beistande, den er von den höhern Klassen, und namentlich von Magnus Troil, dazu erwartete. »Ehe wir einige Stunden älter geworden,« sagte er, »will ich dem Manne meine Ansichten auseinandergesetzt haben, und Ihr sollt sehen, mit welchem Danke er sich gegen einen Mann äußern wird, der den Schatz seiner Kenntnisse dergestalt mehren hilft.« »Ich würde Euch doch raten, nicht allzufest darauf zu bauen,« sagte Mordaunt; »Magnus Troil geht gern seinen eigenen Weg und zwar auf den hier zu Lande gewohnten Bahnen. Ich meine, ehe Ihr Magnus bewegen könnt, norwegische gegen schottische Sitten zu vertauschen, lehrt Ihr eher ein Pferd wie einen Seehund unter Wasser gehen; und doch ist er vielleicht bei aller Anhänglichkeit an alte Gebräuche in seiner Freundschaft eben so wandelbar wie andre.« » Heus, tu inepte!« rief der Student von St.-Andrews; »anhänglich oder nicht, was will das sagen? Stehe ich nicht hier an meinem Platze, und habe ich nicht die Gewalt? Möchte sich ein Vogt herausnehmen, mit mir, dem Vertreter des Kämmerlings der Orkney- und Shetlandsinseln, über Gründe zu disputieren?« »Nichtsdestoweniger,« versetzte Mordaunt, »möchte ich raten, nicht zu rasch gegen die Vorurteile dieses Mannes ins Feld zu rücken; hat doch Magnus Troil von Geburt an bis zu diesem Tage keinen größern Mann als sich, und keinen über sich gesehen! hat auch nie in seinem Leben Geduld gehabt, lange Auseinandersetzungen anzuhören; daher ist es möglich, daß er Euren Reform-Ideen den Krieg erklärt, ehe Ihr Zeit gefunden habt, ihn von ihren Vorteilen zu überzeugen.« »Wie meint Ihr das, junger Mann?« fragte Triptolemus; – »sollte es wirklich jemand hier geben, verblendet genug, seine Augen gegen die beklagenswerten Mängel des Ackerbaus, wie er hier getrieben wird, zu verschließen? . . . Kann ein Mensch,« fügte er, die Stimme verstärkend, hinzu, »oder auch nur ein Vieh ein Ding ansehen, das die Leute hier Kornmühle nennen, ohne daß einen das Korn erbarmt, das einem so elenden Werkzeuge anheimfällt? Wozu wenigstens fünfzig solcher Mühlen nötig sind, dazu genügte eine einzige schöne, stattliche Mühle, deren Klappern durch das ganze Land gehört würde, und die das Mehl zu Viertelmetzen auf einmal zum Mahlloche herausschüttete.« »Ja, ja, Bruder,« sagte seine Schwester, »Du redest klug wie immer: Recht viel Kosten, recht viel Ehre, – das sind so Deine Worte! Aber kommt es Dir denn nie in den Sinn, Mensch, daß hier jeder seine Handvoll Mehl mahlt, ohne sich um Wind- und Wasser- und was sonst für Mühlen zu kümmern? Wie oft hast Du mit Leuten über Mahlgroschen und Mahlgedinge herumgestritten, ohne daß Du was erzieltest? – Wie sollen denn die armen Leute hier soviel Geld aufbringen, sich andere Mühlen zu bauen, als sie brauchen?« Der Landwirt wollte seiner Schwester nochmals allerhand weise Worte über die Mängel und Schwächen der auf Shetland üblichen Mahlmethode sagen, als sein Klepper unruhig zu werden anfing... »Der Teufel muß in dem Biest stecken!« brummte Triptolemus – »das Biest« aber steckte jetzt – vielleicht weil es sich über die geringschätzige Weise verdroß, wie sein Herr sich über die Inseln äußerte – den Kopf zwischen die Beine, warf seinen Reiter in den kleinen Bach, der die von ihm geschmähte kleine Maschine trieb, entwand sich dem Mantel, worin er mit steckte, und rannte mit zornigem Gewieher, und in einem fort ausschlagend, in sein wildes Moor zurück. Mordaunt, über den Unfall herzlich lachend, half dem alten Manne auf die Füße, während ihm seine Schwester spöttisch gratulierte, daß er nur in einen seichten shetlandischen Bach, und in keinen tiefen schottischen Mühlgraben, gefallen sei. Triptolemus, den Spott keiner Antwort würdigend, rief, sobald er wieder auf den Füßen stand, sich geschüttelt und davon überzeugt hatte, daß ihn die Falten seines Mantels in dem wasserarmen Bache vor Nässe geschützt hatten: »Ich will Hengste aus Lanarckshire, Zuchtstuten aus Ayrshire kommen lassen, und nicht eine von diesen verwünschten Mißgeburten soll mir auf den Inseln bleiben, ehrlichen Leuten die Hälse zu brechen; verlaß Dich drauf, Baby, die Inseln säubere ich von diesem Plunderzeug!« »Gescheiter wär's,« antwortete Baby, »Du wändest das Wasser aus Deinem Mantel!« Mordaunt gab sich die größte Mühe, aus einer Herde, die in einiger Entfernung graste, ein anderes Pferd zu fangen – zum Glück fand er eins von ruhigerem Temperament als das entwichene. Aus Binsen drehte er schnell einen Strick zusammen, der dem verdutzten Triptolemus als Zügel dienen mußte – dann setzte er Triptolemus auf den langen Rücken seiner neuen, kurzbeinigen Rosinante. Ein Gutes hatte das Abenteuer aber für Triptolemus gehabt: es hatte niederschlagend auf seinen Geist gewirkt, so daß er auf ganzen fünf Meilen kaum ein Wort sprach, trotzdem seine Schwester Barbara in allen Tonarten über den Verlust des schönen Reitzeugs jammerte, das ganze achtzehn Jahre gehalten habe und nun wohl nie wieder zu sehen sein werde – ja ihm schließlich sogar eine lange Predigt über die Sparsamkeit hielt, zu der sie ihn – um den Schaden wieder hereinzubringen – anhalten wollte. Mordaunt, – der jetzt, wo er Burgh-Westra immer näher kam, sich mit den beiden Mädchen mehr befaßte als mit den Auseinandersetzungen der alten Jungfer darüber, ob Dünnbier gesünder sei als starkes Ale, und ob, wenn ihr Bruder sich bei seinem Falle den Knöchel verletzt habe, Schwarzwurzel mit Butter wirksamer sei als alle Doktoren-Tropfen der Welt, – unterbrach sie nur selten. Indessen wichen nun die traurigen Moore, über die der Weg bis jetzt geführt, einer lieblichern Szenerie: ein See, oder vielmehr ein weit ins Land hinein laufender Meeresarm, von ebenen, fruchtbaren Getreidefeldern umschlossen, wie sie Triptolemus Vellowley auf Shetland noch nicht gesehen, kam in Sicht, – und inmitten dieses kleinen, shetländischen Eden oder Goschen stand, gegen Norden und Osten durch eine Reihe von mit Heidekraut bedeckten Hügeln wohlgeschützt, das Herrenhaus von Burgh-Westra, von dem aus sich eine prächtige Aussicht auf den See und das Meer, wie auf die Inseln und fernen Berge bot. Dicke Rauchsäulen, die aus dem Schornsteine desselben, wie auch aus denen der Hütten im Dorfe aufstiegen, verrieten, daß die Zurüstungen zu dem Feste im vollsten Gange waren und sich nicht bloß auf Magnus Troils Wohnstätte, sondern auf die ganze Nachbarschaft erstreckten. Zwölftes Kapitel Wenn schon der Geruch, der aus den Essen zu den öden Hügeln rings um das Herrenhaus herum emporstieg, – (nach Baby-Barbaras Meinung) – die Hungrigen hätte speisen können, so hätte der in der Gegend herrschende Lärm ebenso sicher Tauben das Gehör wiedergeben können. Scharen von Bekannten und Freunden trafen ein – die Gäule wurden freigelassen und rannten wieder nach allen Richtungen hinaus auf die Moore, auf die bekannten Weidestellen. Die in Booten von fernern Inseln herkamen, gingen in einem kleinen bequemen Hafen, der sich bis zu dem Dorfe und dem Hause hinzog, vor Anker. Da sie, um sich guten Tag zu sagen, oft stehen blieben, konnte Mordaunt jeden einzelnen auf dem Wege zum Herrenhause, das, allem Reichtum und aller Gastfreiheit seines Besitzers zum Trotz, für die vielen Gäste kaum groß genug schien, eingehend mustern. Aus den wirren Tönen der Freude und des Willkommens, mit denen jede neue Gruppe begrüßt wurde, glaubte Mordaunt lautes Lachen aus dem Munde des Hausherrn herauszuhören; doch fragte er sich mit wachsender Beängstigung, ob ebensolch herzlicher Empfang, wie den andern Gästen, auch ihm zuteil werden würde. Bald drangen nun auch Geigenklänge zu ihnen – die Spieler probten und stimmten ihre Instrumente, unruhig dem Anfange der Festlichkeit entgegensehend – der Koch und seine Gehilfen schrieen durcheinander, eifrig in der Bereitung dessen, was die Gäste erfreuen und laben sollte. Mittlerweile waren die drei neuen Gäste, jeder von seinen eigenen Gedanken erfüllt, vor dem Herrenhaus angekommen. Was Mordaunt beschäftigte, das wissen wir; – Baby-Barbara ging ganz in dem Kummer und Staunen auf darüber, daß wirklich der Speisen so viele bereitet worden, wie zur Sättigung der vielen Menschen nötig seien, die sie um sich her so laut lärmen hörte, – daß wirklich soviel Geld dafür bereit sei, und dafür ausgegeben werden könne, und gern dafür ausgegeben würde – und sie mußte sich Zwang antun, daß ihr beim Anblick solcher Verschwendung nicht unwohl werde; – ihr Bruder dagegen, da sie nun mitten auf dem Hofe des Herrenhauses standen, wo all das primitive Gerät umherlag, dessen der Shetländer Landmann sich damals noch bediente: der einsterzige Pflug der Twixar zum Stechen des Torfs und der Frachtschlitten, der zu allerhand Transport benutzt wurde – kurz, alles das, was Gewohnheit und Leben Shetland von Schottland scheidet – Triptolemus geriet ob des Anblicks solcher Urwüchsigkeit in Hitze, dem kühnen Krieger gleich, dessen Blut zu wallen anfängt, wenn er die Waffen und Feldzeichen des Feindes sieht, mit dem er kämpfen soll. Seines großen Vorhabens eingedenk, die Sitten auf dieser Inselflur zu verfeinern, den Landbau ihrer Bevölkerung zu meliorieren, neue Werkzeuge anstatt der alten einzuführen – kurz, – neuen Geist hierher zu tragen – fühlte Triptolemus den Hunger – die erklärliche Folge solch weiten Rittes – kaum und sah dem Mittagsmahle, trotzdem es so beschaffen sein würde, wie er es kaum im Leben genossen, – mit einem nur matten Interesse entgegen. » Jacta est alea,« brummte er vor sich hin, »dieser Tag soll mir zeigen, ob die Shetländer meiner Anstrengungen wert, oder ob ihre Gemüter des weitern Anbaues gleich unfähig sind, wie ihre Torfmoore. Aber wir wollen vorsichtig zu Werke gehen und die passende Zeit abwarten, bevor wir das Thema anschneiden. Ein paar Bissen von dem appetitlichen Rostbraten, der uns winkt, werden die schickliche Einleitung zu meinem Plane, die Zucht des Tiers, von dem es stammt, zu bessern, abgeben,« Mittlerweile waren die Gäste an der niedrigen, aber langen Front des Herrenhauses, dessen Ausbau in verschiedene Jahre zu fallen schien, je nachdem die Familie seines Besitzers größere Räume zum Bedingnis machte, angelangt. Unter einem breiten, großen Vorbau, der mit zwei starken, mit Schnitzwerk verzierten Säulen getragen wurde, von Schiffen stammend, die an der Küste gestrandet waren, stand, die zahlreichen Gäste zu empfangen und zu bewillkommnen, die nach und nach eintrafen, Magnus Troil in dem weiten, blauen, altväterischen Rocke, der, mit Scharlach abgefüttert, und mit goldenen Tressen auf den Nähten und an den großen Aufschlägen besetzt, zu seiner kernhaften Figur mit dem derben, männlichen, wettergebräunten Gesicht so trefflich paßte. Ehrwürdiges Silberhaar, in reicher Fülle unter dem goldenen Tressenhut hervorwallend, hinten leicht durch ein Band gehalten, wies auf sein vorgerücktes Alter. Eine leichte Wolke des Mißvergnügens schien über seine Stirn zu fliegen, als er die kleine Gruppe sah, die wir vom Sumbourgh-Head hierher begleitet haben; und als er Triptolemus Yellowley entgegentrat, schien er zu doppelter Größe zu wachsen. »Seid willkommen, Herr Yellowley,« sprach er den Verwalter des Lord-Kämmerlings an, freundlich wohl, und doch nicht ganz mit der Herzlichkeit, die er andern Gästen gegenüber gezeigt hatte – »willkommen in Westra! Der Wind hat Euch an eine rauhe Küste verschlagen, und wir Eingeborenen müssen bemüht sein, Euch die Meinung, die Ihr von ihr habt, zu bessern ... Ach! wohl Eure Schwester? Jungfrau Barbara Yellowley? Nun, Ihr vergönnt mir wohl die Gunst eines nachbarlichen Grußes?« und mit einer kecken, eigenmächtigen Höflichkeit, die man in unserer überfeinen Zeit vergeblich suchen würde, drückte er auf die verwelkte Wange der Jungfrau einen Willkommsgruß, der von ihr mit jüngferlich-schüchternem, doch mildem Lächeln hingenommen wurde. Dann fiel sein starrer Blick auf Mordaunt, und ohne ihm die Hand zu bieten, sprach er in einem Tone, der eine tiefe Bewegung verriet: »Auch Ihr sollt willkommen sein, Herr Mordaunt.« Mordaunt, durch die Kälte solchen Empfangs gekränkt, versetzte: »Hätte ich mich des Gegenteils versehen zu müssen gemeint, so wäre ich nicht gekommen; immer ist es es, wenn ich mich darin geirrt habe, noch Zeit zur Umkehr.« »Junger Mann,« sagte Magnus; »daß vor dieser Tür niemand umkehren darf, ohne den Eigentümer zu beleidigen, wißt Ihr besser als jeder andere; drum bitte ich, daß Ihr die Fröhlichkeit meiner Gäste nicht durch unzeitige Empfindlichkeit stört. Magnus Troils Willkommen gilt allen, die seiner Stimme Klang – und er reicht weit – vernehmen. Kommt herein, Ihr werten Gäste, und laßt uns sehen, welchen Empfang die Frauen im Hause uns bereiten werden.« Indem er sein weiteres Verhalten nun so einrichtete, daß Mordaunt sich weder zurückgesetzt noch bevorzugt dünken konnte, geleitete er seine Gäste in die beiden großen Vorhallen, die in seinem Hause die Stelle eines Salons vertraten und mit Gästen aller Art schon angefüllt waren. Das einfache Mobiliar trug das Gepräge der Eigentümlichkeit dieser wilden Inseln. Magnus Troil, gleich den meisten aus der besseren Klasse der shetländischen Grundbesitzer ein Freund aller Bedrängten, hatte wiederholt Gut und Ansehen eingesetzt, Schiffbrüchige zu beschützen – leider aber war Unglück zur See an dieser gefahrvollen Insel so häufig, daß auch dem aufopferungsfreudigsten Menschen Lust und Mut dazu hätten ausgehen können; es wurde aber auch soviel herrenloses Gut an den Strand dabei getrieben, daß mancher Ersatz für die Mühsal sich mit den Jahren angefunden hatte. Die Stühle z.B., manche darunter von fremder Arbeit, wiesen deutlich auf frühere Verwendung in Schiffskabinen hin; auch die Spiegel und Schränke, unter den letzteren welche aus einem Holze, das niemand auf den Inseln kannte, waren offenbar zum Schiffsgebrauch angefertigt; selbst die Scheidewand zwischen den beiden Zimmern schien aus der Querwand eines großen Fahrzeuges zu stammen und von einem tischlernden Inselbewohner plump eingeschoben worden zu sein. Für einen Fremden wären diese Wahrzeichen menschlichen Elends ein zu starker Gegensatz gegen den frohen Anlaß gewesen, der die Leute heute hier zusammenführte; diese selbst aber waren mit der Ursache solches Elends zu innig vertraut, um sich in ihrem Taumel dadurch stören oder beirren zu lassen. Der jüngere Teil der Gesellschaft war über Mordaunts Eintritt vor Freude schier außer sich. Alle gaben ihrer Verwunderung darüber, daß er sich so lange nicht habe sehen lassen, unverhohlenen Ausdruck, aber keiner war – wie man recht gut sah – der Meinung, daß der Grund dazu in irgendwelchen Differenzen zwischen ihm und der Familie läge. Hierdurch wurde dem Jüngling die Sorge um wenigstens einen Punkt, wenn nicht genommen, so doch gemildert. Mochten die Leute von Burgh-Westra noch so tiefe Vorurteile gegen ihn gefaßt haben, so hatte er wenigstens nicht den Kummer, in den Augen der Gesellschaft an Ansehen eingebüßt zu haben, und er brauchte sich, wenn eine Auseinandersetzung nötig war, mit einer solchen nur auf die Familie zu beschränken. Trotz alledem sah er noch immer dem Augenblick mit Bangen entgegen, der ihn dem Schwesternpaare gegenüber führen würde – den beiden Mädchen, denen er in so inniger Freundschaft angehangen hatte. Nachdem er sich von seiner Reisegesellschaft, die wie Kletten an ihm hing, dadurch frei gemacht, daß er sie mit einigen Familien in Beziehung setzte, und andern Bekannten gegenüber sein langes Wegbleiben durch den Gesundheitszustand seines Vaters erklärlich gemacht, bahnte er sich einen Weg durch die verschiedenen Gruppen zur Tür eines kleinen Zimmers, das Minna und Brenda nach ihrem eigenen Geschmack eingerichtet hatten und als ihr besonderes Besitztum betrachteten. Mordaunt hatte nicht geringen Anteil an der besonderen Ausstattung dieses Raumes, der ihm während seines letzten Aufenthaltes in Burgh-Westra eben so offen gestanden, wie den Eigentümerinnen selbst. Jetzt aber hatten die Zeiten sich dermaßen geändert, daß er den Finger auf der Klinke hielt, unschlüssig, ob er ihn aufdrücken solle, oder nicht, bis endlich Brenda: »Nur herein!« rief in einem Tone, der sich anhörte, als ob sie am liebsten den Besuch, der sich mit Klopfen meldete, gar nicht sähe oder schnell los sein möchte. Indes trat Mordaunt auf diesen Ruf ein. Minna und Brenda saßen zusammen mit Cleveland, dem fremden Kapitän, und einem behenden alten Männchen, dessen Auge noch all die Geistesfrische verriet, die ihn in tausenderlei Schicksalen eines wechselvollen schwankenden Lebens aufrecht erhalten hatte und seine treue Begleiterin im hohen Alter geblieben war. In der Neugierde, mit der er, während er jetzt bescheiden zur Seite trat, Mordaunts Begegnung mit dem lieblichen Schwesternpaare beobachtete, lag ein gewisser Grad von Schlauheit und Pfiffigkeit. Abgesehen davon, daß die beiden Mädchen die Beklommenheit über die veränderten Umstände, unter denen sie sich wiedersahen, nicht so gut verbergen konnten wie Magnus Troil, sondern vielmehr, als sie sich zur Begrüßung erhoben, lebhaft erröteten, ließ sich kaum ein Unterschied zwischen ihrem und des Vaters Wesen merken; Mordaunt unterließ es, sowohl die Hand zum Gruße zu heben, als – wie es die damalige Zeit, wenn nicht forderte, doch erlaubte, – die Wange zum Kusse zu reichen; und so fand die Begegnung förmlich und kalt statt, wie unter flüchtigen Bekannten. Das leichte Rot, das die Wange der ältern Schwester gefärbt hatte, war so schnell wieder verschwunden wie der flüchtige Gedanke, der es hervorgerufen. Ruhig und kalt stand sie im andern Augenblicke vor Mordaunt, die gewöhnlichen, artigen Redensarten, die derselbe verlegen stotterte, mit besonnener Zurückhaltung erwidernd. Brenda, die jüngere, schien, wenigstens den äußern Merkmalen nach, tiefer ergriffen. Ueber ihr Gesicht flog eine tiefere Röte, die sich auf Hals und auch den obern Teil ihres schön geformten Busens übertrug: zwar versuchte sie es nicht, die verlegenen Worte zu erwidern, die Mordaunt an sie besonders richtete; aber sie sah ihn mit Augen an, aus denen Verdruß und etwas wie wehe Erinnerung an frühere Zeiten sprachen. Mordaunt fühlte auf der Stelle, daß er der ältern Schwester gleichgültig geworden, daß es ihm aber noch möglich sei, die mildergesinnte Brenda sich freundlich gestimmt zu erhalten: und so wunderlich beschaffen ist das Menschenherz – während er bisher den beiden Mädchen mit gleicher Liebe zugetan war, schien ihm jetzt an der Gunst der ältern, eben weil sie sich von ihm wandte, mehr zu liegen als an der jüngern, die sich ihm freundlicher zeigte. Aus diesen Gedanken wurde er durch Cleveland gerissen, der ihn mit militärischer Verve als seinen Lebensretter bewillkommte – nachdem er, wie er sagte, mit Erfüllung dieser Pflicht nur solange gewartet, wie ihm nötig erschienen, um die Begrüßung mit den beiden Töchtern des Hauses vorbeizulassen. Er trat Mordaunt mit solcher Freundschaft entgegen, daß es diesem nicht möglich war, – trotzdem er sich nicht verhehlte, daß niemand anders als der Kapitän schuld an der Verstimmung zwischen ihm und den Leuten von Burgh-Westra sei – anders als höflich zu erwidern. Da trat das alte Männchen, dessen wir oben erwähnten, auf Mordaunt zu, nahm ihn bei der Hand, küßte ihn auf die Stirn und sagte – seinen Fragen gleich selbst die Antworten gesellend: »Wie die Zeit in Burgh-Westra dahineilt! Fragst Du so, mein Fürst der Felsen und Klippen? Nun, wie sollte sie anders vergehen als auf den leichten Flügeln, die Schönheit und Freiheit ihr leihen?« »Und Witz und Gesang mit, mein guter Freund,« versetzte Mordaunt, halb im Ernst, halb im Schmerz, des Greises Hand herzlich schüttelnd – »wie könnten sie fehlen, wo Claudius Halcro weilt?« »Spotte nicht, lieber Gesell,« versetzte das Männchen – »ist Dein Fuß erst einmal so schwer und müde, Dein Witz so schal wie meiner, Deine Kehle so verstimmt wie meine ...« »Wie könnt Ihr Euch selbst nur solches Unrecht antun, guter Meister?« antwortete Mordaunt, seines alten Freundes Wunderlichkeiten zu dem Versuch einer Unterhaltung benutzend, die der Spannung dieser seltsamen Zusammenkunft ein Ende machen und Zeit zur Aufklärung schaffen sollte, ehe er eine Erklärung über das veränderte Betragen der Familie forderte. – »Sprecht nicht so,« fuhr er fort, »die Zeit, Freund, legt nur leise ihre Hand auf die Barden. Hab ich nicht öfter schon aus Eurem Munde vernommen, daß der Sänger die Unsterblichkeit seines Sanges teile?« »Was uns jetzt mehr interessiert, lieber Halcro,« bemerkte der Kapitän lächelnd, »ist das Lied, das wir einstudieren sollen, und das Ihr uns noch einmal vorspielen müßt.« »Das Lied können wir jetzt doch nicht mehr brauchen,« sagte Halcro; »nachdem unser Mordaunt da ist, der erste Sänger auf unseren Inseln – wär's im Chor oder Solo. Wenn Mordaunt Mertoun nicht mitsingt, rühr' ich den Bogen nicht mehr an. Wie ist denn Deine Ansicht, meine schöne Nacht? Und deine, süße Dämmerung?« setzte er hinzu, die beiden Mädchen meinend, denen er schon lange diese allegorischen Namen beigelegt hatte. »Herr Mordaunt Mertoun,« sagte Minna, »ist zu spät gekommen, um an unserem Chor bei dieser Festlichkeit noch teilzunehmen – schade, aber ändern läßt sich nichts mehr daran.« »Wie? Was?« erwiderte Halcro hastig, »Zu spät? und ihr habt euer ganzes Leben Musik zusammen gemacht? Glaubt mir, Kinder, die alten Weisen sind die besten, und alte Freunde die zuverlässigsten. Herr Cleveland hat einen schönen Baß, keine Frage; aber über eine von den zwanzig hübschen Arien, die ihr singen könnt, und in denen sich Mordaunts Tenor so lieblich mit euren eigenen Zauberstimmen vereinigt, geht doch nichts – Meine liebliche Dämmerung ist gewiß mit mir der gleichen Meinung?« »Vater Halcro,« sagte Brenda, deren Wangen sich, weniger vor Scham als aus Unwillen, abermals röteten – »in einem ärgern Irrtum als diesem habt Ihr Euch in Eurem ganzen Leben nicht befunden!« »Aber was geht denn bloß vor?« sagte das alte Männchen, plötzlich innehaltend und von einem zum andern blickend. – »Was soll das heißen? Eine bewölkte Nacht und ein feuerroter Morgen? Das deutet auf schlimm Wetter! Sagt mir doch, ihr jungen Frauenzimmer, auf welcher Seite liegt die Beleidigung? Ich muß fast fürchten, bei mir selbst, wird den Alten doch gemeinhin die Schuld am Zwiste der Jungen beigemessen!« »Euch, Vater Halcro, trifft keine Schuld,« sagte Minna, indem sie aufstand und die Schwester beim Arme nahm, »wenn sich von Schuld überhaupt sprechen läßt,« »So muß ich fürchten, Minna,« rief Mordaunt, indem er den Ton leichten Scherzes anzuschlagen suchte, »daß der neue Gast das Aergernis ins Haus gebracht hat?« »Wenn man kein Aergernis nimmt,« versetzte Minna mit ihrem gewohnten Ernst, »so kann auch die Rede nicht davon sein, wer es gegeben!« »Aber, Minna,« rief Mordaunt, »kannst Du wirklich so mit mir sprechen? Und Du, Brenda, willst mich auch verurteilen, ohne mir zu ehrlicher, offener Rechtfertigung Zeit zu lassen?« »Wir dürfen denen, die uns so zu tun befohlen,« versetzte Brenda fest, wenn auch mit gedämpfter Stimme, »den Gehorsam nicht weigern, denn sie müssen am besten wissen, was sich für uns schickt . . . Schwester, wir sind, meine ich, schon zu lange hier und werden anderswo vermißt werden. Herr Mertoun wird es uns nicht verübeln, daß wir gehen – hat solcher Tag für uns der Lasten doch gar viel!« Die Schwestern standen auf und legten ihre Arme ineinander. Halcro suchte umsonst sie zurückzuhalten, indem er in theatralischer Pose rief: »Nun, Tag und Nacht, das ist doch wunderseltsam!« Dann drehte er sich zu Mordaunt herum und rief: »Auch sie sind dem Geiste der Veränderlichkeit unterworfen; und auch sie bezeugen, daß Meister Spenser recht hat, wenn er sagt: »Bei allem, was da lebt, mehr oder minder, Herrscht Wandel und behält das Feld.« »Kapitän Cleveland, wißt Ihr, was diese beiden Heldinnen verdrossen haben könnte?« wandte er sich nun an diesen. »Wer an solche Untersuchung seine Zeit setzt, wird sich ebenso verrechnen,« erwiderte Cleveland, »wie einer, der begründen wollte, warum der Wind von einem Strich zum andern umsetzt. Wäre ich an Herrn Mordaunts Stelle, so vergönnte ich den stolzen Dingern keine weitere Frage mehr.« »Ein freundschaftlicher Rat, Kapitän,« versetzte Mordaunt, »und mir nicht weniger wert, weil er ungefragt erteilt wurde. Doch eine Frage erlaubt mir: warum seid Ihr selbst so gleichgültig gegen die Meinung Eurer Freundinnen, wie ich es sein soll?« »Was meint Ihr? doch mich nicht?« rief der Kapitän mit unbefangener Gleichgültigkeit. »Ich habe noch kein Frauenzimmer gesehen, das wert gewesen wäre, sich seiner zu erinnern, nachdem der Anker gelichtet war; – am Lande ist's ein ander Ding, am Lande lach' ich, tanz' und lieble ich, mit zwanzig Mädchen, wenn sie wollen, möchten sie auch nur halb so hübsch sein wie die, die uns eben verlassen haben, und scher mich den Geier drum, wenn sie den Kurs ändern mit jedem Bootsmannspfiff. Schön ist's ja nicht, aber wetten möcht ich drauf, daß ich genau so schnell umsetzte wie sie!« An dem Troste, daß das Uebel, woran man leide, nicht viel an sich habe, findet man als Patient niemals recht Trost. Mordaunt verspürte Lust, es dem Kapitän übel zu nehmen, daß er seine Verlegenheit bemerkte und seine Meinung ihm aufdringen wollte; drum versetzte er auch scharf: »daß solche Weise sich für solche schicke, denen die Kunst zu eigen sei, sich überall beliebt zu machen, gleichviel wohin der Zufall sie verschlüge, und die dreist an einem Ort verlieren könnten, weil sie sicher wären, an einem andern wieder zu gewinnen...« Das war ironisch gesagt; allein, die Wahrheit zu gestehen, der Mann, dem die Rede galt, besaß eine größere Weltkenntnis und wußte recht gut, was sein Äeußeres wert sei – und gerade der Umstand, daß er sich seines äußeren Verdienstes bewußt war, machte, daß seine Dazwischenkunft doppelt unangenehm wirkte, ja im höchsten Maße verdroß. Jung, hübsch und keck, stand ihm die Maske seemännischer Derbheit vortrefflich und schickte sich vielleicht besonders gut zu den einfachen Sitten des abgelegenen Landes, in welchem er sich aufhielt . . . So begnügte er sich auch bei dieser Gelegenheit, über Mordaunts sichtbare Verstimmung gutmütig zu lächeln ... »Ihr grollt mir, Freund,« sagte er; »aber daß ich noch einmal böse auf Euch würde, dazu bringt Ihr es nicht – hätten mich doch aller hübschen Frauen Hände, die ich im Leben gedrückt, nicht aus dem Roost von Sumburgh aufgefischt! Scheltet mich also nicht, denn Halcro ist mein Zeuge, daß ich Flagge und Marssegel gestrichen habe, und, wenn Ihr mir auch eine volle Lage geben solltet, mit keinem einzigen Schusse erwidern kann.« »Stimmt, Mordaunt, stimmt,« sagte Halcro; »und Du mußt Dich schon mit Kapitän Cleveland aussöhnen. Um Weibergrillen sich mit einem Freunde zu veruneinigen, ist nie geraten ... und wären Weiber immer gleicher Laune, wo, zum Geier! kämen dann die vielen Lieder auf sie her?« »Aber Euer Lied, Halcro, Euer Lied,« rief, ihm schnell ins Wort fallend, Kapitän Cleveland. »Das Lied?« fragte Halcro, den Kapitän am Kopfe fassend, denn, da ihm während seiner Märchen die Leute gern wegliefen, war er immer auf der Suche nach einem Halte, sie daran zu verhindern. »Das Lied? Nun, Ihr sollt es hören, wenn Ihr einen Augenblick still halten wollt, und Du mit, Mordaunt Mertoun; hab' ich doch fast ein halbes Jahr lang kein Wort von Dir gehört – oder willst Du mir etwa auch weglaufen?« Und flugs hielt er ihn auch mit der andern Hand fest. »Nun,« sagte der Seemann, »jetzt hat er uns beide ins Schlepptau genommen; nun müssen wir ihn schon zu Ende hören, und wenn er gleich einen Faden spinnt, zäher als ein alter Matrose auf Mitternachtswache.« »Aber nun still, und laßt bloß einen von uns das Wort allein reden,« sagte der Dichter in befehlendem Tone, während seine beiden Zuhörer sich resigniert in die unvermeidliche Notwendigkeit fügten, die Erzählung, die nun kommen mußte, anzuhören. »Ich werde es euch haarklein erklären,« fuhr Halcro fort. »Durch die Welt geworfen ward ich wie viele andere junge Burschen, den Lebensunterhalt zu verdienen; aber ich wußte mich, Gottlob, mit allem zu behelfen, blieb auch den Musen zugetan und schlug mich durch, bis mein Vetter, der alte Laurence Linklutter, starb und mir ein Stückchen Insel hinterließ, nackt und bloß wie der Parnassus selbst. – Was tut's – habe ich doch einen Pfennig auszugeben, einen andern noch in meinem Geldbeutel, einen Pfennig den Armen mitzuteilen, und ein Bett und eine Flasche für einen Freund, wie Ihr erfahren sollt, wenn Ihr nach Beendigung der Festlichkeit mit mir kommen wollt. – Aber wo bin ich denn in meiner Geschichte stehen geblieben?« »Nahe beim Hafen, hoffe ich,« antwortete Cleveland; aber Halcro erzählte viel zu gern, als daß ihn selbst der deutlichste Wink hätte zurückschrecken sollen. »Ach, ja,« fuhr er mit dem selbstzufriedenen Gesicht eines Mannes fort, der den Faden seiner Erzählung wiedergefunden zu haben glaubt; »ich war in meiner Wohnung in Russel-Street, bei dem alten Timotheus Thimblethwaite, damals der berühmteste Schneidermeister in der ganzen Stadt. Er arbeitete für alle geistreichen Männer und für die dummen Glückspilze obendrein, und ließ die einen für die anderen bezahlen. Nie schlug er einem witzigen Kopf Kredit ab, außer im Scherz oder um eine geistreiche Antwort von ihm zu erhalten; auch stand er mit allem, was der Bekanntschaft in der Stadt wert war, in Briefwechsel. Zu mir hatte er besonderes Zutrauen, und ich habe für das Zimmer, das ich bei ihm bewohnte, zwei Monate lang in der Kreide gestanden. Zwar zeigte ich mich ihm auch gefällig, nicht etwa, daß ich für ihn zugeschnitten oder genäht hätte, was für einen Mann aus guter Familie nicht anständig gewesen wäre, aber ich – je nun, ich zog ihm seine Rechnungen aus – hielt seine Bücher in Ordnung und ...« »Und trug den Kunden die Kleider zu, und bekam Wohnung dafür, nicht wahr?« unterbrach ihn Cleveland. »Nein, nein, Gott bewahre! nichts dergleichen,« erwiderte Halcro. »Aber Ihr bringt mich ganz aus meiner Geschichte heraus, wo bin ich denn gleich stehen geblieben?« »Möge der Teufel Euch wieder auf das Fahrwasser helfen,« rief der Kapitän, seinen Rockknopf gewaltsam aus der Hand des Erzählers befreiend, »ich habe keine Zeit länger zuzuhören,« und eilte zum Zimmer hinaus. »Ein alberner Mensch, dem alle Erziehung fehlt,« sagte Halcro, ihm nachblickend; »was Magnus Troil und die albernen Dirnen Großes an ihm finden, möchte ich wirklich wissen, – von den langen Geschichten von Abenteuern und Seegefechten ist jedes Wort ohne Zweifel eine Lüge . . . aber ich sehe, auch Du bist ungeduldig, das Ende von meiner Erzählung zu vernehmen – nun, wo bin ich denn stehen geblieben?« »Ich fürchte, wir müssen es bis nach Tische aussetzen, lieber Meister,« sagte Mordaunt, der ebenfalls auf seinen Rückzug bedacht war, ihn aber auf anständigere Weise zu bewerkstelligen suchte als Cleveland. »Nein, nein, guter Junge!« entgegnete hierauf besorgt der Greis, »laufe nicht auch Du mir davon, – sieh, ich habe schon manchen sauren Gang in meinem Leben getan, aber meine Schritte wurden immer leichter, wenn ich mich auf den Arm eines alten Freundes, wie Du mir einer bist, stützen konnte.« So sprechend, ließ er das Kleid des Jünglings fahren, und seine Hände in seinen Arm lehnend, suchte er ihn noch fester an sich zu ziehen; Mordaunt aber, der seine Poesie mehr liebte als seine Prosa, erinnerte ihn an jenes Lied, das er gedichtet haben wollte, als er den Inseln zum erstenmal Lebewohl sagte! Halcro aber, der ihn nicht fortlassen mochte, ging gern darauf ein, griff – denn er war auch ein halber Musikus – jetzt zu einer Art von Laute und sprach: »Ich lernte sie spielen von demselben Mann, der sie den ehrlichen Shadwell lehrte, von eben dem, den man den dicken Tom nannte; Du wirft Dich seiner wohl noch erinnern, Mordaunt? Aber was war es denn, was ich singen wollte? – ach, richtig! Den Abschied an das Mädchen von Northmaven – an die arme Betsy Stimbister, die ich in den Versen Mary genannt.« So sprechend, sang er nach einem kurzen Vorspiel, mit leidlicher Stimme und nicht ohne Geschmack: Lebewohl Dir, Nortmäven, Hoch, Hillswick, auch Dir! Der Ruhe Deiner Häfen, Deiner Stürme Revier – Jedem Lüftchen, wie's immer Die Küste umzieht; Dir, Mary, die nimmer Mein Auge mehr sieht. Euch Wogen, die mächtig Einst Hakon gezähmt, Ob schäumend ihr prächtig Die Felswand verbrämt. – Mag schau'n doch hinüber Schon Mary Dein Blick, Dein Herzinnig-Lieber Kehrt nimmer zurück. Deine Schwüre, sie dringen Nicht mehr in mein Ohr. Kannst, Falsche, sie singen Den Seefrauen vor. Laß schallen sie fleißig Auf Fels und auf Meer, Doch einen, den weiß ich, Der hört sie nicht mehr. O, gäb's eine Insel. Ob wüst und verheert, Wo Weibergewinsel Den Mann nicht betört! – Zu stark war die Lockung Für sterblichen Sinn; Den Anker der Hoffnung, Dort senk ich ihn hin. »Ich sehe, Du bist bewegt, mein junger Freund,« sprach Halcro, als er sein Lied geendet, »ja, ja, so ging es fast allen, die es hörten. Worte und Musik, beide sind von mir, und ohne viel von dem Geist zu sprechen, liegt doch darin eine gewisse Einfachheit, eine Wahrheit, die den Weg zu dem Herzen finden müssen. Selbst Dein Vater vermag ihnen nicht zu widerstehen, und der hat doch ein Herz, so gepanzert gegen Poesie, daß selbst Apollo nur vergeblich einen Pfeil dagegen abdrückte. Aber er hat gewiß in seiner Jugend viel Unglück mit den Weibern gehabt, denn das geht deutlich aus dem Groll hervor, den er gegen sie hegt. – Keinen gibt's unter uns, den nicht einmal eine ähnliche Wunde geschmerzt hätte. – Aber, komm jetzt, guter Junge! Schon versammeln sie sich in der Halle, Männer und Weiber, – ob sie gleich Plagen für uns sind, kämen wir doch schlecht ohne sie zurecht: aber da tönt die verwünschte Glocke schon wieder. Wir müssen gehen – tut nichts – heute gegen Abend wird sich schon irgendwo ein ruhiger Winkel finden, wo ich Dir dann alles übrige erzählen werde.« Dreizehntes Kapitel Die reichbesetzte Tafel im Herrenhause, die Unzahl von Gästen, die sich in der Halle gütlich taten, ,die weit größere Zahl von minder angesehenen Freunden, Bekannten und Dienern aller Art, die draußen bewirtet wurden, wie auch die Menge von ärmeren, weniger beachteten Besuchern, die von allen Ortschaften auf zwanzig Meilen in der Runde herbeigeströmt waren, um sich von dem alten Udaller bewirten zu lassen – dies alles setzte Triptolemus Yellowley in Erstaunen und weckte in ihm Zweifel, ob es auch geraten sei, dem gastfreien Spender aller dieser Herrlichkeiten eine gänzliche Umwandlung der Sitten und Gebräuche seines Landes in Vorschlag zu bringen. Freilich war er klug genug, sich zu sagen, daß ihm all die anwesenden Gäste, den freigebigen Wirt nicht ausgenommen, dessen übertriebene Gastfreundschaft, nach Yellowleys Ansicht, für praktischen Sinn nicht sonderlich sprach, »das Wasser nicht reichen« konnten. Aber jeder Amphitryon übt, so lange man bei ihm speist, eine gewisse Herrschaft über die Gemüter seiner Gäste, und lassen Speise und Trank nichts zu wünschen, so muß man zu seinem Verdrusse, wenn nicht seiner Demütigung wahrnehmen, daß weder Gelehrtheit noch Kunst, ja nicht einmal äußerer Rang solchem Spender gegenüber die gewohnte und auch natürliche Herrschaft geltend machen können – wenigstens nicht früher, als bis der Kaffee serviert worden ist, Triptolemus fühlte das recht wohl; nichtsdestoweniger ließ es ihm keine Ruhe, die großen Worte, die er seiner Schwester und seinem Reisegefährten gegenüber gebraucht hatte, wenigstens einigermaßen zu ihrem Rechte zu verhelfen, hatte er sie doch immer schon verstohlen von der Seite angeguckt, um zu ermitteln, ob er nicht in ihrer Achtung schon dadurch, daß er seine verheißene Strafpredigt über die auf Shetland noch vorhandene Rückständigkeit in allen Dingen noch immer nicht hielte, gesunken wäre. Aber Baby-Barbara hatte viel zu viel zu rechnen und zu überschlagen, was bei solchem Mahle, wie sie es wahrscheinlich noch nie gesehen, vergeudet würde, und viel zu viel sich zu verwundern über die Gleichgültigkeit des Wirtes gegen die beispiellosen Verstöße, die seine Gäste sich gegen alle Regeln der Höflichkeit zu Schulden kommen ließen, indem sie bald Wein über Wein, bald allerhand neue Schüsseln, die sehr gut für den Abendtisch hätten bleiben können, verlangten, zudem mit der größten Ungeniertheit, als ob schon ein halbes Dutzend andere Gäste darüber her gewesen wäre. Was die sparsame Schwester ebenfalls nicht wenig verdroß, war, daß sich kein Mensch – auch der Wirt nicht – darum kümmerte, ob die Schüsseln auch wirklich leer, die Teller auch richtig abgegessen würden – usw. – kurz, Baby-Barbara war von diesen ihrem Sinne näher liegenden Dingen, die in ihren Augen nicht bloß aller häuslichen, sondern auch aller gesellschaftlichen Sitte Hohn sprachen, so alteriert, daß sie sich nicht darum scherte, ob ihr Bruder die Aufgabe, die er sich gestellt hatte, in ihrer ganzen Größe, und jetzt oder später, durchführen werde oder nicht. Auch Mordaunt Mertoun hatte ganz andere Dinge im Kopfe, als Abschaffung shetländischer Rückständigkeit, Einführung neuer Pflugmethoden usw. Er saß zwischen zwei schönen Mädchen von Thule, die ohne Groll darüber, daß er erst vor kurzem noch den Töchtern des Udallars den Hof gemacht, sich königlich darüber freuten, daß er ihnen jetzt mehr Aufmerksamkeit erwies als jenen, daß er sich beim Essen als ihren Ritter aufspielte, und daß sie mit aller Wahrscheinlichkeit rechnen durften, von ihm am Abend zu Tanze geführt zu werden. Mordaunt indessen ließ, während er seinen schönen Nachbarinnen alle Aufmerksamkeit erwies, zu denen gesellschaftliche Pflichten nötigten, die ihm abspenstig gewordenen Freundinnen, wenn er es sich auch nicht merken ließ, nicht aus dem Auge, so wenig wie ihren Vater. Allein, wenn er auch in den Gesichtszügen Minnas wie Brendas manches zu lesen meinte, was ihm Anlaß zu peinlichen Betrachtungen gab, so zeigte der alte Udallar keinerlei Unterschied gegen früher, es sei denn, daß man in seiner Fröhlichkeit ein gewisses lärmendes Uebermaß hätte finden wollen. Kapitän Cleveland saß zwischen den beiden Schwestern und überbot sich in Aufmerksamkeiten gegen sie; Mordaunt seinerseits saß so, daß er alles bemerken konnte, was zwischen ihnen vorging, auch manches von dem hören konnte, was zwischen ihnen gesprochen wurde. Zumeist schien aber Cleveland sich um die ältere Schwester zu bemühen, was der jüngeren, deren Auge, und zwar sichtlich wiederholt mit einem Ausdrucke von Bedauern, wenn nicht gar wehmütiger Erinnerung an frühere, freundlichere Tage, nach der Stelle hin schweifte, wo Mordaunt saß, vielleicht nicht so recht auffiel, während es diesen mit Staunen und Verdruß erfüllte, daß gerade die ältere, ernstere Schwester, die Freundin der Einsamkeit und des Wissens, die so gern allein durch die stillen Täler wandelte, die aller lauten, seichten Fröhlichkeit so abhold war, deren Charakter, um es kurz zu fassen, im schroffen Gegensatze zu einem Manne, wie diesem kecken, rauhen, oberflächlichen Kapitän Cleveland stand, ihm trotzdem nicht allein Auge und Ohr lieh, während er neben ihr bei Tische saß, sondern dies mit einem so ungeteilten Interesse tat, daß Mordaunt, der ihr Wesen und ihre Art doch recht gut kannte, sich der Vermutung, daß der Fremde sich ihrer Gunst in hohem Maße erfreue, nicht länger verschließen konnte... Grimm und Haß gegen den Mann, der ihn aus diesem Herzen verdrängt hatte einerseits, Zorn über den Unbedacht des Mädchens anderseits, entflammten sein Herz. Und doch waren beide Empfindungen so scharf-subjektiver Art, daß sie nicht als unbedingt gerecht bestehen konnten; denn als Nebenbuhler urteilte er zu streng über den Kapitän. War auch sein Verhalten zu ungezwungen, um nicht zu sagen ungeschliffen, so hatte dies bei so einfachen Leuten, wie den damaligen Bewohnern der Shetlandsinseln, wenig auf sich; anderseits waren die derbe Offenheit bei diesem Seemanne, sein natürlicher Scharfsinn, sein absonderlicher Humor und das blinde Vertrauen auf sich selbst, Eigenschaften, die bei dem schönen Geschlecht gemeinhin Glück machen. Weit mehr aber irrte er noch in der Ansicht, daß ein solcher Mann einem Mädchen wie Minna Troil wegen der Widersprüche, die ihrer beider Charakter aufwies, zuwider sein müßte. Bei einer größern Dosis von Weltkenntnis hätte er sich vielmehr gesagt, daß Sympathien keimen nicht bloß zwischen Personen von scharf abweichender Gesichtsfarbe und Gestalt, sondern vielleicht noch öfter zwischen Personen von abweichenden Anschauungen, anderer Geschmacksrichtung, anderer Beschäftigung, anderer Sinnesart – ja, ich meine nicht über das Ziel hinauszuschießen, wenn ich behaupte, daß zwei Dritteile der menschlichen Ehen zwischen Individuen geschlossen werden, die – a Priori zu urteilen, – durchaus nichts aufweisen können, was sie für einander geschaffen erscheinen ließe. Es wird nicht schwer halten, einen sittlichen Grund für dieses scheinbare Mißverhältnis in der weisen Einrichtung der Vorsehung aufzufinden, deren Absicht es ohne Zweifel ist, in der menschlichen Gesellschaft im allgemeinen ein Gleichgewicht von Witz, Gelehrsamkeit und liebenswürdigen Eigenschaften aller Art aufrecht zu erhalten. Denn was wäre die Welt, wenn sich nur Verstand mit Verstand, Gelehrsamkeit mit Gelehrsamkeit, Liebenswürdigkeit mit Liebenswürdigkeit, ja Schönheit nur mit Schönheit paarten. Springt es nicht in die Augen, daß, wenn die auf niedrigeren Stufen stehenden Mitglieder der menschlichen Gesellschaft: als Toren, Unwissende, Pöbelhafte und Mißgestalten (beiläufig gesagt, bei weitem der größere Teil) zu einer ausschließlichen Verbindung untereinander verdammt wären, diese sowohl dem Innern, als dem Aeußern nach, endlich zu Orang-Utans herabsinken würden? – Wenn wir also Strenges mit Zartem sich Paaren sehen, dürfen wir allerdings das Schicksal des leidenden Teils bedauern, müssen aber darum nicht weniger das geheimnisvolle Wirken einer weisen Vorsehung bewundern, die das moralische Gute und Böse im Leben gleichmäßig verteilt, die einer durch die Sinnesart ihres Oberhauptes unglücklichen Familie durch die Frau einen Zusatz von edlerem Blute spendet, um den Nachkommen wenigstens von einer Seite jene Sorgfalt und Liebe zu sichern, die den Gesetzen der Natur nach von beiden Teilen ausgeübt werden sollten. Ohne diese häufigen Verbindungen, – in welchem Mißverhältnis sie uns auch auf den ersten Blick erscheinen mögen, könnte die Welt das nicht sein, wozu sie von der ewigen Weisheit bestimmt ward: ein Ort der Prüfungen und der Leiden, wo selbst die ärgsten Uebel gemildert werden durch Palliative, die sie für geduldige und demutsvolle Seelen erträglich machen; hingegen auch die höchsten Segnungen von einer unentbehrlichen Mischung von Bitterkeit nicht frei bleiben. Kein Sterblicher, selbst in der glücklichsten Ehe und im Besitz eines wirklich geliebten Gegenstandes, findet alle die Eigenschaften vereint, deren Besitzes er sich vermutet hatte; sondern gelangt zuletzt immer zu der Ueberzeugung, daß er allzuhohen Hoffnungen Raum gegeben und das Luftschloß seines Glücks auf einem Regenbogen erbaut hatte, der sein Dasein nur der augenblicklichen Beschaffenheit der Atmosphäre verdankte. So hätte auch Mordaunt, wäre er mit der Welt und mit dem Lauf menschlicher Dinge mehr bekannt gewesen, sich wenig darüber gewundert, daß ein Mann wie Cleveland, hübsch, kühn und lebhaft, – ein Mann, der viele Gefahren bestanden hatte und doch nur wie im Scherze davon erzählte, einem Mädchen von Minnas phantasiereichem Gemüt als das Ideal eines Mannes erscheinen mußte; zumal die derbe Offenheit seines Wesens, wenn auch fern von Feinheit, doch auch ebenso entfernt von Heuchelei zu sein schien und ihm, trotzdem sein Sinn von äußerem Zwange keineswegs eingeengt zu sein schien, doch natürlicher Verstand und Lebensart genug eigen zu sein schienen, den guten Eindruck, den er einmal hervorgebracht, wenigstens, was das Aeußere betraf, aufrecht zu erhalten. Da wir nun einmal eine gewisse Vorliebe fühlen für die dunkelgelockte Schönheit, von der hier die Rede, so haben wir uns diese Abschweifung erlaubt, um eine Weise zu rechtfertigen, die, wie wir gern zugeben, in einer Erzählung wie der vorliegenden, nicht recht natürlich scheinen mag, obgleich sie im allgemeinen Leben häufig genug getroffen wird – Minnas scheinbare Ueberschätzung nämlich der Talente und Vorzüge eines hübschen jungen Mannes, der ihr seine ganze Zeit und Aufmerksamkeit widmete, und dessen Huldigung ihr den Neid fast aller ledigen weiblichen Wesen ihrer Kreise eintrug. Jedenfalls trifft, wenn Leser oder Leserin den Charakter des Mädchens trotz all dem hier Gesagten, noch immer nicht anders als im Widerspruch zur Natur finden sollten, nicht uns die Schuld, die wir die Tatsachen nur berichten, wie wir sie finden, und erheben keinen Anspruch auf die Befugnis des Erzählers, Vorgänge, die von der Natur abzuweichen scheinen, derselben näher zu bringen oder das unbeständigste aller in der Schöpfung vorhandenen Dinge, das Herz eines schönen und bewunderten weiblichen Wesens beständig zu machen. Die Notwendigkeit, jene Lehrmeisterin aller freien Künste, kann uns auch zu Schülern in der Verstellungskunft machen; und Mordaunt, obgleich noch Neuling im Leben, ließ sich nicht nötigen, aus ihrem Unterricht Nutzen zu ziehen. Es lag klar am Tage, daß er, um das Benehmen derjenigen, auf die seine Aufmerksamkeit gerichtet war, beobachten zu können, sein eigenes im Zaume halten und sich, wenn auch nur zum Schein, mit seinen beiden Nachbarinnen so angelegentlich unterhalten müsse, daß Minna und Brenda die Ueberzeugung gewannen, er sei gegen alles, was ihn sonst umgab, völlig gleichgültig. Das offene, heitere Wesen der beiden Mädchen Maddie und Clara Greatsettars, die als reiche Erbinnen auf der Insel bekannt waren und sich glücklich schätzten, den wachsamen Augen ihrer alten Tante, der Lady Glowrowrum, entronnen zu sein, kamen Mordaunts Bemühen, sich zu amüsieren, auf halbem Wege entgegen, und bald war man in einer lustigen Unterhaltung begriffen; dabei unterließ Mordaunt, soviel Witz er auch den jungen Damen gegenüber aufbot, nicht, von Zeit zu Zeit, wenn auch nur verstohlene, Blicke hinüber nach den Töchtern von Magnus Troil zu senden, – und immer noch schien es, als ob Minna, ausschließlich mit ihrem Nachbar Cleveland beschäftigt, für nichts anderes um sie her Aug und Ohr habe, Brenda hingegen, je mehr seine Aufmerksamkeit sich von ihnen abwandte, desto schwermütiger und ängstlicher auf die Gruppe schaute, zu der Mordaunt jetzt gehörte. Die Verlegenheit und Unruhe, die er in diesen Blicken bemerkte, rührten sein Herz, und er nahm sich vor, jede Gelegenheit wahrzunehmen, die sich ihm zu einer Verständigung mit ihr bot. Fiel ihm doch auch ein, was ihm Norna gesagt, daß die beiden liebenswürdigen Mädchen in Gefahr schwebten, den Ränken des kühnen, unternehmenden Fremden zum Opfer zu fallen – und diese Erinnerung führte ihn zu dem Entschlüsse, alles an die Entlarvung dieses Menschen und die Rettung der Freundinnen zu setzen. Während er noch mit solchen Gedanken beschäftigt war, wurde das Zeichen gegeben, das den weiblichen Teil der Gesellschaft von der Tafel entfernte. Minna neigte, mit der ihr eignen Anmut und edlen Haltung, ihr Haupt gegen die Gesellschaft im allgemeinen, fügte aber einen freundlichern und besondern Ausdruck hinzu, als ihre Blicke Cleveland begegneten. Brenda machte mit einem Erröten, das, wenn sie den Augen anderer ausgesetzt war, jede, selbst die unbedeutendste ihrer Bewegungen zu begleiten pflegte, eine ähnliche, durch ihre Verlegenheit aber ungeschickter ausfallende Verbeugung, und wieder glaubte jetzt Mordaunt zu bemerken, daß ihr Auge ihn in der Mitte dieser zahlreichen Gesellschaft suchte; zum erstenmal wagte er es, ihrem Blicke zu begegnen, ja ihn zu erwidern; ein Unterfangen, das die Glut auf den Wangen des Mädchens Wohl zu steigern, aber einen Anflug von Mißvergnügen darüber zu breiten schien. Die Männer gaben sich den Freuden des Bechers mit allem Eifer hin, den die Sitte jener Zeit verlangte. Magnus Troil munterte durch Lehre und Beispiel auf, die Zeit zu benutzen, da man ja, sagte er, bald von den Frauen zum Tanze gerufen werden würde. Zugleich winkte er einem alten grauköpfigen Diener in Schifferstracht, der neben anderen Geschäften auch das eines Kellners versah ... »Erik Scambester,« sagte er zu ihm, »hat der muntere Seemann von Canton seine Ladung an Bord?« – »Bis unter Deck, Herr!« antwortete der Ganymed von Burgh-Westra, »mit gutem Branntwein, Jamaikazucker, portugiesischen Zitronen, Muskatnüssen, Schiffszwieback und Quellwasser.« Eine Lachsalve begrüßte diesen regelmäßig wiederkehrenden Scherz zwischen Udaller und Kellermeister, die ständige Vorrede und Einleitung zu einer Punsch-Bowle von ungewöhnlicher Größe, vor Jahren gestiftet von einem Kapitän der westindischen Kompagnie, der auf der Heimfahrt von China durch widrigen Wind nach Norden und in die Bucht von Lerwick verschlagen worden war, wo er, ohne es mit den Abgaben dafür allzu genau zu nehmen, einen Teil der Ladung losgeschlagen hatte. Für mancherlei Gefälligkeit, die Magnus Troil dem Kapitän erwiesen hatte, war ihm von diesem bei der Abfahrt die mächtige Bowle zum Präsent gemacht worden, unter deren Last der alte Erik Scambester zu erliegen drohte, bei deren Anblick aber allgemeiner Jubel erschallte. Gästen, die sich in der Nähe dieses Punschmeeres befanden, wurde ihr Anteil von der gastfreien Hand des Udallars in großen Pokalen dargereicht, während die entfernteren, ihre Becher vermittels einer köstlichen silbernen Schale füllten, scherzweise die »Schaluppe« genannt, die dann und wann herumgereicht wurde und durch ihre Reisen zu manchen Spaßen Anlaß gab. Der Handel der Shetländer mit fremden und aus Westindien zurückkehrenden Schiffen hatte längst bei ihnen den allgemeinen Gebrauch des trefflichen Getränkes eingeführt, mit dem jetzt »der muntere Seemann von Canton« so reich beladen war; auch verstand kein Mann von der Inselgruppe von Thule besser die reichen Ingredienzien zu mischen als der alte Erik Scambester, bekannt auf der ganzen Inselflur unter dem Namen »der Punschmacher.« Das edle Getränk begann seine »illuminierende« Wirkung zu äußern, so daß es nicht lange mehr dauerte, bis allerhand alte nordische Trinkgesänge angestimmt wurden, aus denen sich erkennen ließ, daß die Shetländer, wenn auch infolge mangelnder Uebung der kriegerischen Tugenden verlustig, die ihre Ahnen in so hohem Maße auszeichneten, wenigstens noch immer an jenen Freuden Walhallas regen und kräftigen Anteil nehmen konnten, die durch den übermäßigen Genuß von Met und Hausbier geweckt und durch Odin denen verheißen wurden, die mit ihm sein skandinavisches Paradies teilten. Auch der Schüchterne fand schließlich beim Klang der Becher und Lieder Mut, und der Wortkarge wurde geschwätzig, bis zuletzt niemand mehr zuhörte, sondern alle durcheinander schwatzten. Jeder ritt sein Steckenpferd und ließ sich als fescher und schneidiger Reiter bewundern: so der kleine Barde, der sich dicht an unsern Freund Mordaunt drängte, in der offenkundigen Absicht, ihn über all seine Bekanntschaft mit den großen Geistern der Zeit zu unterrichten – so auch Triptolemus Yellowley, dessen Courage wuchs, als er die Scheu überwunden hatte, in die ihn Magnus Troils Reichtum und die Ehrerbietung, die ihm von allen Gästen bezeugt wurde, versetzten – und der es nun unternahm, mit all den Meliorationsideen, mit denen er sich unterwegs seinem Reisegefährten gegenüber gebrüstet, hervorzutreten, ohne an der verwunderten Miene des Udallars Anstoß zu nehmen. Diese Ideen aber, wie auch die Aufnahme, die ihnen von seiten Magnus Troils zuteil wurde, müssen wir in das nächste Kapitel verweisen. Vierzehntes Kapitel Wir verließen die Gesellschaft bei dem Zechgelage, in wilder Ausgelassenheit. Mordaunt, der wie sein Vater den Becher mied, nahm keinen Teil an der Fröhlichkeit, die der »muntre Seemann« mitsamt der »Schaluppe« verbreitete, bildete aber in seiner Trübnis ein um so willigeres Objekt für den redseligen Halcro, der sich an ihn anklammerte, wie die der Beute sichre Nebelkrähe an das sieche Lamm. Aber wie alles in der Welt, hätte auch Halcros Bericht über seinen freundlichen Schneiderwirt in Russel-Street mit allen Anhängseln über Kleidung und Moden und den Lebensbeschreibungen von fünf seiner engern Verwandten sein Ende gefunden, wäre er nicht durch Magnus Troils überlaute Stimme kurz vorher jäh unterbrochen worden .... »Was hat denn bloß unsern alten Magnus so in Hitze gebracht? Man sollte schier meinen, als wolle er seine Stimme gegen einen Sturm aus Nordwest versuchen!« meinte Halcro bei sich, Ueberlaut schrie er freilich, der alte Udaller, als ihm die Geduld riß bei den Meliorationsplänen, die ihm der Lord-Kämmerlings-Substitut jetzt rücksichtlos aufdrängen wollte... »Bäume, Herr Kämmerlingsknecht,« rief er: »kein Wort mag ich davon hören... wir fragen den Teufel danach und wenn kein einziger auf der Insel wächst, hoch genug, daß ein Narr daran baumeln könnte. Wir wollen bloß Bäume haben, wie sie in unseren Häfen wachsen – Raaen aus Zweigen und Tauwerk als Blätter,« »Aber die Austrocknung des Braebaster-Sees, von der ich sprach, Magnus Troil,« versetzte der beharrliche Verwalter, »und die meiner Ansicht nach von äußerster Wichtigkeit ist? ... Es gäbe zwei Wege, sie zu bewirken: die Ableitung des Wassers ins Linklater-Tal oder durch Stauung des Scalmester-Baches . . .« »Ich wüßte noch einen dritten Weg, Herr Yellowley,« fiel ihm Magnus Troil ins Wort. »Ich nicht, beim besten Willen nicht,« entgegnete Triptolemus mit einer Harmlosigkeit, wie sie kein Spaßvogel sich besser bei jemand wünschen kann, den er abtrumpfen will; »weil doch der Braebaster-Hill gegen Süden, die Anhöhe gegen Norden aber, deren Namen ich nicht behalten kann –« »Nichts von Hügeln und Höhen, Herr Yellowley,« unterbrach ihn Magnus Troil, »einen dritten Weg noch gibt es, den See abzuleiten, und kein anderer soll, so lange ich lebe, versucht werden. Der Lord Kämmerer und ich, sagt Ihr, wären die gemeinschaftlicher Besitzer davon – mag sein! – Seht, jeder von uns braucht nur eine gleiche Quantität Branntwein, Zitronensaft und Zucker in den See zu tun, – ein Paar Schiffsladungen reichten hin dazu – und wenn wir dann alle muntern Udallars rund herum zu Gaste bitten, so wird, ich stehe Euch dafür, in vierundzwanzig Stunden trockner Grund und von dem Braebaster keine Spur mehr zu sehen sein.« Ein lautes Beifallsgelächter antwortete auf diesen für Zeit und Ort so gut gewählten Scherz und brachte Triptolemus zum Schweigen. Eine lustige Gesundheit ward ausgebracht, ein munteres Lied angestimmt – das »Schiff« lud wieder aus – die »Schaluppe« machte ihre Runde, – das Duett zwischen Magnus Troil und Triptolemus, das durch seine überwiegende Lautheit die Aufmerksamkeit der Gesellschaft während eines Augenblickes ausschließlich beschäftigt hatte, ging in dem allgemeinen Gesprächschaos unter, und der, Poet Halcro suchte sich der Ohren seines jungen Freundes Mordaunt wieder zu bemächtigen. »Wo blieb ich denn?« fragte er in einem Tone, der seinem ermüdeten Zuhörer deutlicher verkündetem, als Worte es zu tun vermocht hätten, wieviel von seiner Geschichte noch zu erzählen übrig sei ... »Ach ja, ich weiß schon – wir standen gerade vor der Tür des Kaffeehauses der hitzigen Köpfe – damals hielt es ein gewisser – – – Aber die Schwerenot!« rief er ärgerlich, »hier kann man kein vernünftiges Wort mehr sprechen, – hol' der Henker den Kerl aus Schottland! Er liegt sich schon wieder mit Magnus Troil in den Haaren.« So war es in der Tat ... Fragen und Antworten, Bemerkungen und Erwiderungen wurden so lebhaft gegen einander ausgetauscht, daß der Disput einem Musketenfeuer nicht unähnlich war. »Ei, so nehmt doch Vernunft an, Herr!« rief der Udallar, »und wenn Vernunft nicht zulangt, so wollen wir Euch mit Reimen dienen – Heda, kleiner Freund Halcro!« Der kleine Sänger, mitten in dem zweiten Anfang seiner Erzählung gestört, fuhr bei dem Rufe auf, schnitt ein schlaues Gesicht, schlug mit der Hand auf den Tisch und markierte seine Bereitwilligkeit, seinem Wirte, wie es einem wohlgezogenen Gaste geziemt, den Rücken zu decken. Triptolemus erschrak ob dieser Verstärkung seines Gegners, hielt wie ein vorsichtiger General mit dem Angriff inne, den er auf Shetlands Rückständigkeit unternommen, und schwieg, bis er durch die beleidigende Frage des alten Udallars gereizt wurde: »Wo sind denn nun Eure Gründe, Herr Yellowley, womit Ihr mich vor einem Augenblick noch taub zu machen bemüht wart?« »Nur Geduld,« versetzte der Ackerbauer, »was in der Welt könnt Ihr oder sonst jemand zur Verteidigung des Dinges sagen, das Ihr in diesem verblendeten Lande Pflug nennt? Selbst die wilden Hochländer in Caithreß und Sutherland können mit ihrem armseligen Werkzeuge mehr ausrichten!« »Aber was habt Ihr denn daran auszusetzen, Herr!« fragte der Udallar, »laß mich Euren Tadel hören. Er pflügt unser Land, was verlangt Ihr mehr?« »Nur einen Stiel hat er,« antwortete Triptolemus. »Und wer zum Teufel,« rief der Poet, indem er sich bemühte, schlau dabei auszusehen, »wird zwei Stelzen nehmen, wenn er mit einer fortkommen kann?« »Oder sagt,« fuhr Magnus Troil fort, »wie wäre es dem armen Neil aus Lupneß, der bei einem Sturz von der Klippe von Neckbreckan einen Arm verlor, möglich, einen zweistieligen Pflug zu regieren?« »Das Geschirr ist von rohem Seehundsfell,« sprach Triptolemus weiter. »So spart man das verarbeitete Leder,« entgegnete Magnus Troil. »Er wird von vier armseligen Ochsen gezogen, die nebeneinander gespannt sind, und zwei Weiber müssen hinterdrein gehen, um die Furchen mit Schaufeln vollends zu stande zu bringen.« »Trinkt einmal drauf, Herr Yellowley,« erwiderte der Udallar, »und laßt's Euch nicht verdrießen. – Unser Vieh ist zu mutig, als daß man eins hinter das andere spannen könnte; unsere Männer sind zu wohlerzogen, als daß sie die Feldarbeit ohne ihre Weiber verrichten möchten; unser Pflug pflügt unser Land – unser Land trägt uns Gerste; wir brauen unser Bier, essen unser Brot, und heißen Fremde dazu willkommen. Auf Euer Wohlsein, Herr Yellowley!« Dies wurde in einem Tone gesprochen, der den Streit als beendigt zu erklären schien, und sogleich flüsterte auch Halcro seinem Freunde Mordaunt ins Ohr: »Die Sache ist abgemacht, und wir können nun wieder zu unserm Thema zurückkehren. – Ach richtig! wo blieb ich denn gleich? – Tim Timblethwaite schritt durch die Menge, kühn wie ein Löwe, und ich hinterher, ein kleines Päckchen unter meinem Arm, das ich zu tragen übernommen hatte, teils um meinem Hauswirt gefällig zu sein, denn der Ladendiener war gerade nicht bei der Hand, teils aber auch, daß ich um so sicherer eingelassen würde, denn nicht jedermann hatte Zutritt, wie begreiflich.« – Aber schon wieder wurde die Erzählung durch die laute Stimme des alten Udallars abgebrochen ... »Ich will nichts weiter davon hören, Verwalter,« rief er. »So möchte ich doch wenigstens noch etwas über die Pferdezucht sagen,« versetzte Triptolemus in einem fast um Gnade flehenden Tone ... »Eure Pferde hier, mein werter Herr! gleichen an Größen den Katzen und an Wildheit den Tigern,« »Was ihre Größe betrifft,« erwiderte Magnus, »so kann man um so leichter auf und ab kommen –« (wie Triptolemus diesen Morgen selbst erfahren, dachte Mordaunt) »wem sie zu wild sind, der braucht sie ja nicht zu besteigen.« Selbstbewußtsein verhinderte Yellowley, hierauf etwas zu erwidern. Er richtete einen kläglichen Blick auf Mordaunt, wie wenn er ihn bitten wollte, seinen Sturz von heute früh geheim zu halten; und der Udaller, seinen Vorteil gewahrend, ob ihm gleich die Ursache desselben nicht bekannt war, setzte ihm zu wie ein Mann, der sein ganzes Leben hindurch nicht gewohnt gewesen, Widerstand zu begegnen oder gar zu dulden.« »Beim Blute St. Magnus des Märtyrers,« rief er aus, »Ihr seid ein schlauer Gesell, Herr Verwalter! Da kommt Ihr zu uns her aus einem fremden Lande, kennt weder unsere Gesetze, unsere Sitten, noch unsere Sprache, und doch wollt Ihr das Land regieren und uns alle zu Euren Sklaven machen.« »Zu meinen Schülern nur, werter Herr!« sagte Yellowley, »und das allein zu Eurem eigenen Vorteil,« »Wir sind zu alt, um in die Schule zu gehen,« antwortete der Shetländer. »Noch einmal laßt Euch sagen, wir wollen unser Korn säen und ernten, wie es unsere Väter getan – unser Brot essen, und unsere Türen offen halten wie sie. Fehlt's noch irgendwo in unseren Sitten, so werden wir das schon bei Zeit und Gelegenheit richtig ausgleichen. – Aber des gesegneten Täufers Feiertag wurde für fröhliche Herzen und flinke Beine geschaffen. Wer noch ein Wort von Gründen, wie Ihr es zu nennen beliebt, oder von ähnlichen Dingen spricht, soll ein Maß Seewasser verschlucken, – mein Wort drauf! – Und nun hier das gute Schiff, der muntere Seemann von Canton, noch einmal gefüllt zum Nutzen derer, die ihm treu bleiben! den andern sei es überlassen, sich nach dem Fiedelbogen der Geiger zu drehen, die uns da eben lustig aufgefordert haben. Allen Mädchen brennt's schon unter den Füßen, dafür stehe ich. – Nun, Herr Yellowley, ein freundlich Gesicht! – wie! spürt Ihr etwa die Wirkung »des munteren lustigen Seemanns,« – (und in der Tat zeigte Triptolemus etwas Unsicherheit in seinen Bewegungen, als er aufstand, um seinen Wirt zu begleiten) – »aber schadet nicht, wir wollen Euer schwaches Untergestell doch zum Tanzen bringen; – komm, komm, faß mich an, Triptolemus, – sonst trippelst Du, alter Triptolemus, ha, ha ha ha!« Und nun segelte der mächtige, von Wind und Wetter mitgenommene Rumpf des Udallers, wie ein Kriegsschiff, das hundert Stürmen getrotzt, mit seinem Gaste im Schlepptau davon. Der größere Teil der Gesellschaft folgte ihrem Führer mit lautem Jubel; und nur einige, dem Becher sehr ergebene Trinker blieben zurück, die Wahl, die ihnen ihr Wirt gelassen, benutzend, um den muntern Seemann seiner neuen Ladung zu entledigen und die Becher fleißig zu leeren aufs Wohl des abwesenden Wirtes und auf das seines Hauses, was nebst andern freundlichen Wünschen als eine Apologie für den immer neu gefüllten Becher angesehen werden konnte. Die übrigen erreichten bald den Tanzraum, einfach wie die Sitte der Zeit und des Landes. Gesellschafts- und Tanzsäle, außer in den Häusern der Adeligen, waren selbst in Schottland noch unbekannt; um so mehr war dies in Shetland der Fall; aber ein langes, niedriges, unregelmäßiges Gemach, dann und wann als Waren-Niederlage oder als Aufbewahrungsort für allerhand Gerät benutzt, war der ganzen Jugend von Dunroßneß als der Schauplatz jener fröhlichen Tänze bekannt, die bei Magnus Troils Festlichkeiten immer unter Freude und Jubel stattfanden. Der erste Anblick dieses Raumes hätte eine Tanzgesellschaft der Gegenwart sicher zurückgeschreckt. Es war, wie gesagt, ein niedriger Raum, spärlich durch Lampen, Lichter, Schiffslaternen und ähnliche verschiedenartige Beleuchtungsanstalten erhellt, die nur ein dämmerndes Licht, sowohl auf den inneren freien Raum als auf die rund umher aufgehäuften Waren und Gerätschaften, Erntefrüchte, für den Wintervorrat angesammelt, oder Gegenstände warfen, die Neptun auf Kosten verunglückter Schiffe gezollt hatte, oder im Tausch gegen Fische oder andere Produkte seiner Besitzungen dem Hausherrn zugefallen waren, der, wie die meisten Eigentümer damaliger Zeit, zugleich Kaufmann und Landwirt war. Alle diese Kisten, Kasten und Ballen waren nun beiseite geschoben und aufeinander gehäuft worden, um Platz für die tanzenden Paare zu schaffen, die leicht und froh, als wäre ihnen der glänzendste Saal im Kirchspiel von St. James eingeräumt gewesen, ihre Nationaltänze mit liebenswürdigster Grazie aufführten. Die dem Tanze zuschauende Greisengruppe mit ihren stark knochigen, durch den Kampf mit den Elementen verhärteten Gesichtern, dem rauhen Haar und Bart, den viele noch nach altnorwegischem Brauch trugen, sah ganz aus wie eine Schar ältlicher, die Spiele der Seenymphen belauschenden Tritonen. Die jungen Leute dagegen waren ungemein hübsch, schlank und wohlgebaut; die Männer mit langem, schönem Haar und von frischer roter Gesichtsfarbe, die bei dem weiblichen Teil in ein Kolorit voll unendlicher Zartheit überging. Bei ihrem guten musikalischen Gehöre begleiteten sie das Spiel eines Musikchors, dessen Klänge sich wohl anhörten, aufs genaueste, während die Alten entweder kritische Betrachtungen über die Tänzer anstellten, oder auch, von dem noch immer umherkreisenden Becher belebt, mit den Füßen den Takt traten. Mordaunt blickte auf die Szene allgemeiner Freude mit schmerzlichem Gedanken an die bevorzugte Stelle eines Vortänzers, die ihm früher immer zugefallen war und die jetzt dem Kapitän Cleveland gehörte. Bemüht indessen, diese Kränkung sich nicht merken zu lassen, trat er jetzt zu seinen niedlichen Nachbarinnen, die ihn bei Tische so gern gesehen hatten, in der Absicht, eine von ihnen zum Tanz aufzufordern; aber die strenge alte Tante, die schon erwähnte Lady Glowrowrum, war durchaus nicht geneigt, die bei Tische geführte Unterhaltung weiter spinnen zu lassen, sondern erklärte Mordaunt, nachdem sie ihm für seine Artigkeit gedankt, daß ihre beiden Nichten, die mißvergnügt und schweigend neben ihr saßen, schon für den ganzen Abend versagt seien; was er aber bald als Ausflucht erkannte, denn die beiden Schwestern nahmen gleich darauf an dem Tanze teil mit den ersten besten Tänzern, die sie dazu aufforderten. Erbittert über diese offenbare Feindschaft, und nicht willens, sich einer zweiten solchen Kränkung auszusetzen, zog sich Mordaunt vom Tanze zurück, mischte sich unter die Zuschauer am untern Ende und versuchte dort, den Beobachtungen anderer entzogen, das Gefühl seiner Kränkung mit aller Philosophie seines Alters, nämlich gar keiner, – zu bekämpfen. Fünfzehntes Kapitel Der Jüngling, sagt Moralist Johnson, kümmert sich nicht um das Steckenpferd des Knaben, der Mann nicht um die Geliebte des Jünglings; und Mordaunt, da er sich von dem fröhlichen Tanze ausgeschlossen sah, mag manchem Leser lächerlich erscheinen, und dennoch würde sich derselbe in einer ähnlichen Stimmung befinden, wenn er sich in einem geselligen Kreise, freilich anderer Art, plötzlich von dem gewöhnlichen Platze, den er in demselben behauptete, verdrängt sähe. Es fehlte indes auch nicht an Unterhaltung für solche Gäste, die entweder dem Vergnügen des Tanzes abhold oder so unglücklich gewesen waren, keine Tänzerin nach ihrem Gefallen zu finden. Halcro, jetzt vollkommen in seinem Elemente, hatte ein Auditorium um sich versammelt, dem er seine Dichtungen, mit dem ganzen Enthusiasmus des alten ruhmgekrönten, von ihm vergötterten Dryden vordeklamierte, und von dem er dagegen all jene Lobsprüche entgegennahm, die dem Rezitator eigener Gedichte wenigstens so lange, als seine Ohren sich noch im Bereich der Kritik befinden, gespendet zu werden pflegen. Halb zuhörend, halb in seine eigenen Betrachtungen versunken, stand Mordaunt Mertoun nahe der Zimmertür und in der äußersten Reihe des kleinen Kreises, der sich um den alten Halcro gebildet hatte, während dieser – nach einer dumpfen, wilden, einförmigen Weise, die nur zuweilen durch die Bemühung des Sängers, gewissen Stellen eine größere Anziehungskraft oder Nachdruck zu geben, Veränderung erlitt – die folgende Nachahmung eines nordischen Kriegsgesanges vortrug: Blutrot sieht man die Sonne aufgeh'n, Bang, drückend ist des Windes Weh'n; Von Klippen steigt der Aar empor, Der Wolf kommt aus der Kluft hervor; Es späht der Hund aus dem Versteck, Der Rabe lauscht auf seinem Fleck; Man hört nur Kreischen, Krächzen, Stöhnen, Und jedes sagt in wilden Tönen: Ei, bald zum Totenmahl es geht! Des blonden Harold Flagge weht! Die Mähne fliegt im Winde wild, Es glänzt der Helm, es blitzt der Schild, Und mancher Arm die Streitaxt schwingt, Die durch den Wald von Lanzen dringt. Der Rosse Wiehern, Waffenklang Tönt durch die dichten Reih'n entlang; Führer rufen, Cymbeln klingen, Laut hört man den Barden singen: Kommt, Ihr Tapfern, Mann bei Mann; Norweger! kommt zum Kampf heran! Denkt nicht an Schlummer, nicht ans Mahl, Erwäget Vorteil nicht, noch Zahl; Muntre Schnitter, kommt, zu mäh'n Die Halm' im Tal und auf den Höh'n; Dicht oder dünn, hart oder weich, Fall' alles unter Eurem Streich. Vorwärts mit der breiten Schneide, Bringt der Ernte blut'ge Beute! Vorwärts, Fußvolk, – Reitersmann! Auf, Norweger! – Mutig dran! Die Ihr gewählet Kampf und Schlacht, Euch Odins Tochter treu bewacht, Hört, was sie Euch prophezeit: Sieg und Reichtum, Herrlichkeit Und Walhallas rauschend Heil Wird Euch Tapfern dann zu Teil; Der Tafel und des Kampfes Freuden Wird Euch die Ewigkeit bereiten: Zum Angriff, Fußvolk, Reiterei; Kämpft wie Norweger, sterbet frei! »Die armen, unglücklichen, verblendeten Heiden,« sagte Triptolemus mit tiefem Seufzer, »da sprechen sie von ihren ewig gefüllten Metkrügen, und ich zweifle, ob sie auch nur ein Stückchen Landes bearbeiten könnten!« »Um so gescheitere Gesellen sind's gewesen, Nachbar Yellowley,« erwiderte der Poet, »wenn sie Bier ohne Gerste zu brauen verstanden.« »Gerste! hilf Himmel!« rief der Ackerbauer, »wer hörte je von Gerste hierzulande? Vierzeiliges armseliges Zeug ist alles, was sie haben, und ein Wunder ist's, daß sie je eine Aehre davon sahen. Da pflügt ihr das Land mit einem winzigen Dinge, das ihr einen Pflug nennt, – ebensogut könntet ihr es mit den Zähnen eines Kammes aufwühlen; ja, wenn man so einen echt schottischen Pflug sieht, mit einem Kerl wie Simson zwischen den Stielen, der ein Gewicht darauf legt, stark genug, einen Berg niederzudrücken, und mit zwei stattlichen Ochsen und eben so vielen breitbrüstigen Pferden bespannt, wer so etwas gesehen, kann von andern Dingen schwatzen, als von diesen alten Geschichten von Krieg und Blutvergießen, dessen die Welt schon zuviel gesehen hat.« »Ketzerei ist es,« rief der kleine Poet, sich aufblähend, als ob die Verteidigung der ganzen Inselflur auf seinen Schultern ruhe, »sein Vaterland nennen zu hören, wenn man nicht zu seiner Verteidigung bereit ist. Es gab eine Zeit, wo wir, wenn wir auch nicht gutes Bier und guten Aquavit zu brauen verstanden, doch gar wohl wußten, wo wir sie für uns bereits fertig fanden. Aber jetzt sind die Abkömmlinge von Seekönigen, Kämpen und Berserkern nicht mehr imstande, ihre Schwerter zu gebrauchen, gerade als ob es lauter Weiber waren.« »Gesprochen wie ein Engel! Du edelster aller Poeten!« rief Cleveland, der sich während einer kleiner Tanzpause dem kleinen Kreise genähert hatte, der dieses Gespräch führte, – »Die alten Kämpen, von denen Ihr uns gestern abend erzähltet, waren kräftige Gesellen, Freunde der See, und Feinde von allem, was darauf schiffte – Männer, deren Taten Stoff für die Harfe boten . . Ihre Schiffe mögen plump gewesen sein, aber wenn es wahr ist, daß sie damit bis nach der Levante segelten, so haben sicher seit Menschengedenken bessere Burschen wohl nie ihre Segel aufgezogen.« »Ja, ja,« versetzte Halcro, »in jenen Tagen konnte niemand sein Leben und sein Eigentum sein nennen, war sein Wohnsitz nicht wenigstens zwanzig Meilen von der blauen See entfernt. Wurden doch in allen Kirchen Europas öffentliche Gebete gehalten für die Befreiung vom Joch der Normannen. Und nun soll nicht einmal unsere Gerste ohne schottischen Beistand wachsen« – (bei diesen Worten warf er einen sarkastischen Blick auf den Verwalter) – »ich wollte, ich sähe die Zeit kommen, wo wir wieder unsere Waffen wider die Welt kehren können.« »Fürwahr, gesprochen wie ein Held,« sagte Cleveland. »Ja, ja,« fuhr der kleine Barde fort, »ich wollte, unsere Barken, einst die Meerdrachen der Welt, glitten noch einmal mit der rabenschwarzen Flagge über die Fluten, die Verdecke von glänzenden Waffen starrend, statt mit Stockfischen bedeckt, – mit unsern furchtlosen Händen dasjenige erringend, was der geizige Boden verweigert – jeden alten Groll, jede neue Beleidigung vergeltend – ernten, wo wir nicht gesäet, einsammeln, wo wir nimmer gepflanzt – froh und lachend durchs Leben ziehend, selbst dann noch lächelnd, wenn wir von hinnen gerufen werden.« So sprach Claus Halcro in einer gewiß ganz nüchternen Stimmung, seufzte doch sein ohnehin nicht zu den stärksten gehörendes Gehirn unter der Last von fünfzig gut eingetrichterten Gesängen nebst fünf Pokalen »Usquebaugh« und Branntwein. Cleveland klopfte ihm, halb im Ernste, halb im Scherze, wieder auf die Schulter, und wiederholte sein: »Gesprochen wie ein Held.« »Gesprochen wie ein Narr, so ist meine Meinung,« rief Magnus Troil, dessen Aufmerksamkeit durch die Heftigkeit des kleinen Poeten ebenfalls rege gemacht worden war, – »wo wollt Ihr denn kreuzen und gegen wen? wir alle, denke ich, sind Untertanen Eines Reiches, und ich gebe Euch zu bedenken, daß Euer Zug Euch leicht an den Galgen bringen könnte. Ich mag die Schotten nicht – nehmt's nicht übel, Herr Yellowley – das heißt, ich möchte sie ganz gut leiden, wenn sie ruhig in ihrem eigenen Lande blieben und uns mit unsern Sitten und Gebräuchen zufrieden ließen – dann sollten sie bis zum jüngsten Tage vor mir Ruhe haben. Mit dem, was uns, wie das Sprichwort sagt, die See spendet und das Land spendet, und was ehrliche Nachbarn uns verzehren helfen, sind wir, beim heiligen Magnus! meiner Meinung nach, fast zu glücklich.« »Ich weiß, was der Krieg ist,« nahm ein alter Mann das Wort, »und ich möchte ebenso lieb durch den Roost von Sumbourgh in einer Muschelschale oder einem noch armseligern Fahrzeug schiffen, als mich noch einmal hineinwagen.« »Und welche Kriege sahen Eure Tapferkeit?« fragte Halcro, der, ob er gleich aus Achtung seinem Wirte nicht widersprechen mochte, doch aber nicht der Mann war, so schnell seinen Satz aufzugeben. »Ich wurde gepreßt,« antwortete der alte Triton, »um unter Montrose zu dienen, als er ums Jahr 1651 hierher kam, und einen Teil von uns, mir nichts dir nichts, hinwegführte, damit uns in den Wildnissen von Strathnavern die Kehlen abgeschnitten würden. – Nie werde ich es vergessen, wie schlimm wir mit Lebensmitteln daran waren, – was hatte ich nicht gegeben für einen Mundvoll von Burgh-Westras Roastbeef – oder für ein Gericht saure Fische? – Wenn unsere Hochländer so eine Trift Ochsen einbrachten, machten wir keine Umstände damit, schossen und schlugen drauf los, jagten das Fell ab, brieten und rösteten, so wie es jedem zur Hand kam, bis wir, gerade wenn unsere Bärte am fettesten waren, plötzlich – Gott sei bei uns – ein Pferdegetrappel hörten – dann fielen einige Schüsse –eine ganze Salve folgte, – und wenn uns dann die Offiziere zu stehen geboten, die meisten von uns aber sich nach dem Wege umsahen, auf dem sie am leichtesten davon laufen konnten, brachen sie plötzlich herein, zu Pferde und zu Fuß, den alten John Urry oder Hurry, wie sie ihn nannten, an ihrer Spitze, – und jagten uns; und wir fielen, dicht wie die Stiere, die vor fünf Minuten unter unsern Schüssen und Schlägen dahinstürzten.« »Und Montrose,« fragte die sanfte Simme der reizenden Minna, »und was ward aus Montrose, und wie benahm er sich?« »Wie ein Löwe, der mit dem Jäger kämpft,« erwiderte der Alte, »aber ich blickte nicht zweimal nach seinem Wege, denn der meine lag hinter den Hügeln.« »Ihr verließet ihn also?« fragte Minna mit einem Tone tiefster Verachtung. »Es war nicht meine Schuld,« entgegnete der Alte, etwas außer Fassung; »auch war ich dort nicht aus freier Wahl; überdies, was hätte ich auch ausrichten können? liefen doch alle übrigen wie Schafe davon.« »Ihr hättet mit ihm in den Tod gehen müssen,« sagte Minna. »Um mit ihm in unsterblichen Liedern, bis in alle Ewigkeit zu leben,« fügte Claud Halcro hinzu. »Ich danke Euch, Miß Minna,« erwiderte der einfache Shetländer; »und auch Euch, alter Freund Claud! – Aber ich mag doch lieber Eure Gesundheit lebendig in diesem Becher trinken, denn als Toter von Euch besungen werden um der Ehre willen, daß ich vierzig oder fünfzig Jahre früher starb. – Aber was half es auch? Kampf oder Flucht war alles eins; – sie fingen Montrose, trotz seiner Heldentaten, und auch mich, der durchaus keine Heldentaten vollbrachte; er, der arme Teufel wurde gehangen, mich aber« – »Euch peitschten sie doch und salzten Euch ein,« rief Cleveland, dem bei der Erzählung des feigen Shetländers der Geduldsfaden riß. »Ei was, Pferde peitscht man und salzt Rindfleisch ein,« sagte Magnus. »Ihr glaubt doch nicht etwa, mit Eurer Schiffsherrnmiene unserm guten alten Nachbar Haagen die Schamröte ins Gesicht zu jagen, weil er froh ist, daß er nicht vor vierzig oder fünfzig Jahren totgeschlagen ward? Ihr habt zwar auch dem Tode ins Antlitz geschaut, mein mutiger junger Freund! aber mit den Augen eines jungen Mannes, der sich gern berühmt machen wollte; wir aber sind ein friedfertiges Volk, – friedfertig, so lange jemand friedfertig sein kann, das heißt, bis jemand unverschämt genug ist, uns oder unsern Nachbarn unrecht zu tun; geschieht das aber, so dürfte sich vielleicht das Blut in unsern Adern nicht viel kühler zeigen als das der alten Skandinavier, denen wir unsere Namen und unsere Abkunft verdanken. – Fort also jetzt zum Schwerttanz, damit sich die Fremden, die sich in unserer Mitte befinden, überzeugen, daß unsere Schwerter und unsere Hände einander durchaus nicht fremd geworden sind.« Aus einer alten Waffenkiste wurde jetzt ein Dutzend Säbel vorgeholt, deren Rostfarbe bewies, wie selten sie ihre Schneiden verließen. Damit bewaffnete sich eine gleiche Zahl junger Shetländer, an die sich unter der Anführung von Minna Troil, sechs junge Mädchen anschlossen. Das Musikchor stimmte sofort eine Melodie an, derjenigen der alten Kriegstänze gleich, wie sie vielleicht noch jetzt auf diesen entlegenen Inseln gebräuchlich sind. Der Anfang war anmutig und majestätisch; die Jünglinge hielten ihre Schwerter erhoben, ohne sonderliche Bewegung; aber die Musik und die damit übereinstimmenden Gebärden der Tänzer wurden allmählich immer belebter; sie schlugen mit ihren Schwertern taktmäßig gegeneinander, mit einer Gewalt, die diese Uebung in den Augen des Zuschauers als höchst gefährlich erscheinen ließ; obgleich die Sicherheit und die Genauigkeit, mit der die Tänzer im Takt blieben, die Gefahrlosigkeit der Schwertschläge verbürgten. Der am meisten bewunderte Teil der Darstellung aber war der Mut der Tänzerinnen, die, von den Schwertmännern umgeben, bald den Sabinerinnen in der Gewalt der Römer glichen; bald aber auch wieder, sich unter den stählernen Bogengang bewegend, den die Jünglinge gebildet, indem sich ihre Schwerter über den Häuptern ihrer schönen Tänzerinnen kreuzten, – jenen Amazonen glichen, die sich zuerst in dem phyrrischen Tanze den Begleitern des Theseus anschlossen. Aber am vorteilhaftesten zeichnete sich unstreitig Minna Troils Gestalt aus, die ganz dazu geschaffen schien, und daher von Halcro schon längst »Schwertkönigin« genannt worden war. Als letzte von allen blieb sie, als die Musik verklungen war, der Tanzregel gemäß, einen Augenblick lang auf dem Schauplatze, während die übrigen Tänzer und Tänzerinnen, die jetzt von ihrer Seite wichen, die Leibwache einer Fürstin zu sein schienen, die, sich auf ihren Wink entfernend, sie auf eine Weile in Einsamkeit läßt. Tief errötend, als schäme sie sich, der Gegenstand ungeteilter und allgemeiner Aufmerksamkeit gewesen zu sein, reichte sie mit vielem Anstande dem Kapitän Cleveland die Hand, der, obgleich er an dem Tanze keinen Anteil genommen, dennoch jetzt seine Pflicht erfüllte und sie zurück zu ihrem Sitze geleitete. Als sie an Mordaunt vorübergingen, glaubte dieser zu bemerken, daß Cleveland seiner schönen Gefährtin etwas ins Ohr flüsterte, und daß ihre eilige Antwort von einer noch größeren Verwirrung begleitet war als sie noch vor kurzem, wo sie den Blicken der ganzen Gesellschaft ausgesetzt war, an den Tag gelegt hatte. Mordaunts Argwohn wurde dadurch ungemein geweckt, denn er kannte Minnas Charakter gar wohl und wußte recht gut, mit welcher Gleichgültigkeit sie bei anderen Gelegenheiten Schmeicheleien aufzunehmen pflegte, die ihr bei ihrer Schönheit und ihrer Lage ungemein häufig gespendet wurden. »Wäre es möglich? Sollte sie wirklich diesen Fremden lieben?« war der erste trübe Gedanke, der jetzt in Mordaunts Gemüt emporstieg; – »und wenn dem so ist, was geht es mich an?« war der zweite, dem auf der Stelle die Betrachtung folgte, daß, obgleich er nie andere Rechte als die eines Freundes begehrte, die ihm jetzt entzogen schienen, er dennoch in Rücksicht auf dieses frühere Verhältnis Grund habe, über sie traurig und gegen sie aufgebracht zu sein, daß sie ihre Neigung an einen Menschen wegwerfe, den er derselben nicht würdig hielt. Es mochte ungefähr um Mitternacht sein, als ein Pochen an der Pforte des Herrenhauses, von Musik begleitet, die Ankunft neuer Gäste verkündete, denen, der gastfreien Sitte dieses Landes gemäß, sofort die Türen geöffnet wurden. Sechzehntes Kapitel Die neuen Ankömmlinge waren, wie es bei solchen Festlichkeiten häufig, fast durch die ganze Welt zu geschehen pflegt, unter einer Art von Maskentracht versteckt, in der Absicht, jene Tritonen und Meermädchen vorzustellen, mit denen die alten Sagen und der Volksglaube die nördlichen Gewässer bevölkert. Die ersteren, von den Shetländern jener Zeit Schaupeltins genannt, wurden von jungen, grotesk gekleideten Männern, mit falschem Haar und langen Bärten von Flachs, dargestellt; sie trugen Kränze von Schilf, mit Muscheln und andern Seeerzeugnissen verziert, mit denen auch ihre hellblauen und grünlichen Mäntel, von grobem selbstgemachten Zeuge, geschmückt waren. Sie hielten Fischspeere und andere sinnbildliche Zeichen ihrer vorgeblichen Abkunft in den Händen, unter denen der klassische Geschmack von Claud Halcro, von dem dieser Zug geordnet wurden, die Muschelhörner keineswegs vergessen hatte, die zum großen Verdruß derjenigen, die in der Nähe standen, dann und wann von einigen der Seegötter laut und heiter geblasen wurden. Die Nereiden und Wassernymphen dieses Aufzugs zeigten wie gewöhnlich etwas mehr Geschmack hinsichtlich ihrer Kleidung und ihres Schmucks, als bei ihren männlichen Begleitern sichtbar war. Ein phantastischer Putz von grüner Seide und ähnlichen kostbaren Gegenständen war ersonnen worden, um dem Begriff, den man von den Seebewohnern hegte, so viel wie möglich zu entsprechen, zugleich aber auch, um die Gestalten der schönen Darstellerinnen in dem vorteilhaftesten Lichte zu zeigen; die Bänder von Muscheln, die Nacken, Arme und Knöchel der Jungfrauen schmückten, waren hie und da mit echten Perlen verziert, und das Ganze bot einen Anblick dar, der selbst dem Hofe der Amphitrite nicht zur Unzierde gereicht hätte, zumal ihm die langen vollen Locken, die blauen Augen, das schöne Kolorit und die lieblichen Gesichtszüge der Mädchen von Thule noch wesentlich zu statten kamen. Claud Halcros Muse, immer tätig bei solchen Gelegenheiten, hatte für einen passenden Gesang gesorgt, der abwechselnd von den Nereiden oder Meermädchen und von den Meermännern oder Tritonen gesungen wurde. 1. Das Meermädchen. Klaftertief aus Meeresnacht, Wo wir Perlenkränze schlingen, Und was kühn der Held vollbracht Gern in unsern Liedern singen, Wo wir hausen, und die Winde Leis in unser Ohr nur wehn, Wie die Seufzer, die so linde Um der Teuren Liebe flehn. Kinder Thules! dorther steigen Wir aus dunkler Flut empor, Einend uns mit Eurem Reigen, Und mit Eurem Freudenchor! 2. Der Triton. Vom Bänd'gen wilder Rosseschar, Deren Wut die Woge hebt, Wo vor unserm Wink sogar Selbst des Ozeans Schlange bebt; Wo, wenn Hai- und Walfisch streiten, Unser Muschelhorn erklingt, Wo wir Grabesglocken läuten, Wenn der Seemann untersinkt. Kinder Thules! dorther zogen Wir zu Eurem Lustverein, Unser Zug schnitt in die Wogen Pfluggleich tiefe Furchen ein! 3. Das Meermädchen und die Tritonen Eure Jubeltöne klingen, Bis in unsre dunkle Nacht. Denn der Wonne Klänge dringen Selbst durch wilde Wogenmacht. Ob wir in der Tiefe schweben, Ist doch Freude unser Ziel, Euren Frohsinn zu beleben, Sind wir hier mit Sang und Spiel. Kinder Thules, seht, wir steigen Aus der Meeresnacht empor, Einen uns mit Euren Reigen Und mit Eurem Freudenchor! Der Schlußchor wurde von sämtlichen Tänzern gesungen, diejenigen ausgenommen, die Muschelhörner bliesen. Dichtung sowohl als Vortrag fand bei allen, die von solchen Dingen Kenner zu sein glaubten, großen Beifall, vor allem aber bei Triptolemus Yellowley, dessen Ohr seine Lieblingsworte »Pflug und Furche« aufgefangen hatte und bei seiner Voreingenommenheit nur nach ihrer buchstäblichen Bedeutung begreifen konnte. Er erklärte daher laut und rief Mordaunt zum Zeugen: daß, obgleich es Sünde sei, so viel Flachs in Bärten und Perücken zu verschwenden, dieser Gesang dennoch die einzigen vernünftigen Worte enthalte, die er den ganzen langen Tag über gehört habe. Mordaunt aber hatte keine Zeit, dieser Aufforderung Genüge zu leisten, denn er war beschäftigt, mit größter Aufmerksamkeit die Bewegungen einer der weiblichen Masken zu beobachten, die ihm beim Eintritt ein Zeichen gegeben, und obgleich er nicht wußte, wer sie sein könnte, war er sich doch sofort klar, daß er eine Mitteilung von Wichtigkeit von ihr zu erwarten hatte. Die Sirene, die seinen Arm berührt und ihn dabei scharf angesehen hatte, war mit weit größerer Sorgfalt als alle übrigen gekleidet und in einen weiten, ihre Gestalt völlig verbergenden Mantel gehüllt, ihr Gesicht aber durch eine seidene Larve bedeckt. Mordaunt bemerkte, wie sie sich nach und nach von den übrigen Masken absonderte und endlich, gleichsam um Luft zu schöpfen, an die offenstehende Türe trat, dort wieder ernst auf ihn blickte und dann, in einem Augenblick, wo die ganze Aufmerkfamkeit der Gesellschaft mit den übrigen Masken beschäftigt war, schnell das Gemach verließ. Mordaunt säumte nicht, seiner geheimnisvollen Führerin zu folgen, die jetzt einen Augenblick lang still stand, um ihn den Weg, den sie nahm, erkennen zu lassen, dann schnellen Schrittes dem Seearm zueilte, der jetzt vor ihnen lag, und dessen kleine Sammetwellen im vollen Mondschein kräuselnd plätscherten. Der Glanz desselben, vereint mit dem starken, in der Tag- und Nachtgleiche des Sommers in diesen Regionen gewöhnlichen Zwielicht, ließ die Abwesenheit der Sonne nicht vermissen, deren Untergang auf den Wellen noch sichtbar war, während gegen Osten der Morgen schon zu dämmern begann. Mordaunt fand daher keine Schwierigkeit, seine verkleidete Führerin im Auge zu behalten, die leichten Fußes über Höhen und Tiefen voraneilte und, sich zwischen den Felsen durchwindend, den Weg nach einem einsamen Plätzchen einschlug, das, zur Zeit seines frühern Verkehrs auf Burgh-Westra, durch ihn selbst angelegt worden und von den Töchtern Magnus Troils bei günstiger Witterung gern als Aufenthalt benutzt wurde. Hier also sollte die Erklärung stattfinden; denn die Maske hemmte ihre Schritte und ließ sich nach kurzem Zögern hier nieder. Anfangs hatte er unter der Maske Norna vermutet, aber die hohe Gestalt und ihr langsamer majestätischer Gang waren von dem Wuchs und Wesen der schöner geformten Sirene völlig verschieden, die ihm mit so leichten Schritten vorangeeilt war, als sei sie tatsächlich eine Nereide, die zu lange auf dem Lande verweilt hatte und, jetzt Amphitritens Unwillen fürchtend, eilig in die Fluten zurückzukehren bemüht war. Da es nicht Norna war, konnte es, so dachte er, niemand anders als Brenda sein; und als sie Platz genommen und ihr Gesicht von der Larve befreit hatte, sah er, daß es wirklich Brenda war. Mordaunt hatte wahrlich nichts verbrochen, weshalb er ihre Gegenwart zu fürchten gehabt hätte, und dennoch, so stark ist der Einfluß der Schamhaftigkeit auf die unverdorbene Jugend beider Geschlechter, fühlte er jetzt ganz die Verlegenheit eines Menschen, der sich plötzlich vor einer, von ihm wirklich gekränkten Person befindet. Brenda zeigte nicht weniger Verwirrung. Da sie aber diese Zusammenkunft veranlaßt und die Ueberzeugung hatte, daß sie nur von kurzer Dauer sein konnte, war sie selbst wider Willen genötigt, die Unterredung zu beginnen. »Mordaunt,« begann sie zaudernd, »Sie werden erstaunt sein, Herr Mertoun! daß ich mir diese ungewöhnliche Freiheit genommen.« Erst seit heute morgen, Brenda,« erwiderte Mordaunt, »konnte irgend ein Beweis von Freundschaft und Vertraulichkeit, von Dir oder Deiner Schwester, mir seltsam erscheinen. Weit mehr war ich darüber verwundert, von Dir ohne Grund so lange gemieden zu werden, als daß es mich in Erstaunen setzen könnte, wenn Du mir jetzt eine Unterredung erlaubst. Sprich, in des Himmels Namen, Brenda, womit habe ich Dich beleidigt, und weshalb stehen wir auf diesem ungewöhnlichen Fuße?« »Reicht es denn nicht hin,« antwortete Brenda, vor sich niederblickend, »wenn ich sage, daß es mein Vater so will.« »Nein, nein,« rief Mertoun, »das reicht nicht hin – Dein Vater kann nicht so plötzlich seine Meinung von mir und sein Betragen gegen mich, ohne irgend eine schreckliche Täuschung geändert haben. Ich beschwöre Dich, mir darüber Aufschluß zu geben, denn ich will in Eurer Achtung weniger gelten als der elendste Bursche auf diesen Inseln, wenn ich nicht beweise, daß dieser Wandel Eurer Meinung nur durch irgend einen schändlichen Betrug oder durch ein außerordentliches Mißverständnis veranlaßt wurde.« »Es mag so sein,« sagte Brenda – »ja, ich hoffe, daß dem so ist – und daß ich es hoffe, möge diese, von mir veranlaßte, geheime Zusammenkunft beweisen. Aber es ist schwer, – ja es ist mir unmöglich, die Ursache der schlimmen Meinung meines Vaters aufzuklären. Norna hat darüber kühn mit ihm gesprochen; sie gingen, wie ich fürchte, unzufrieden auseinander, und dazu konnte wahrlich den Anlaß nicht eine unbedeutende Ursache geben.« »Ich habe bemerkt,« entgegnete Mordaunt, »daß Dein Vater ungemein viel auf Nornas Rat hält, und nachgiebiger gegen ihre Eigenheiten als gegen die anderer ist. – Ich habe es bemerkt, obgleich er den übernatürlichen Kräften, die sie sich anmaßt, eben keinen Glauben beimißt.« »Sie sind weitläufig verwandt,« antwortete Brenda, »und waren Jugendfreunde, – ja man hat sogar, wie ich gehört habe, gemeint, daß sie einander heiraten würden. Aber Nornas Sonderbarkeiten zeigten sich gleich nach dem Tode ihres Vaters; und so war die Sache zu Ende, wenn wirklich etwas dran war. Gewiß aber ist es, daß mein Vater noch immer große Sympathie für sie hegt; und so ist es, wie ich fürchte, ein sicheres Zeichen, wie tief seine Vorurteile gegen Dich eingewurzelt sein müssen, daß sie in dieser Rücksicht gewissermaßen in Streit geraten sind.« »Segen über Dich, Brenda, daß Du selbst sie Vorurteile nanntest, « rief Mertoun mit Wärme und Innigkeit – »Tausendfacher Segen über Dich!« – stets hattest Du ein sanftes Herz, und selbst den Schein der Unfreundlichkeit konntest Du nicht lange zur Schau tragen.« »Nur ein Schein war es in der Tat,« sagte Brenda, nach und nach in den Ton der Vertraulichkeit übergehend, in dem sie sich von Kindheit an zu unterhalten gewohnt waren; »nie konnte ich denken, Mordaunt – nie ernstlich glauben, daß Du von mir oder von Minna unfreundlich gesprochen.« »Und wer wagt es, zu behaupten, daß ich es getan?« rief Mordaunt, der ganzen Lebhaftigkeit seines Charakters Raum gebend; »wer wagt es, ohne zu fürchten, daß ich ihm die Zunge ausreiße? Beim heiligen Magnus, dem Märtyrer, ich will die Habichte damit füttern!« »Nicht so,« entgegnete Brenda, »Deine Heftigkeit ängstigt mich und wird mich zwingen, Dich zu verlassen.« »Mich verlassen,« erwiderte Mordaunt, »ohne mir die Lästerung und den Namen des schändlichen Verleumders zu nennen?« »Ach, mehrere sind's,« sagte Brenda, »die meinem Vater eine Meinung beigebracht haben – von der ich selbst Dir nichts sagen kann – aber mehr als einer behauptet« – »Und wären ihrer hundert, Brenda, es soll ihnen sämtlich geschehen, wie ich gesagt – heiliger Märtyrer! mich anzuklagen, daß ich unfreundlich von denjenigen gesprochen hätte, die ich auf der Erde am meisten achte und schätze. – Zurück ins Haus will ich in diesem Augenblick, und Dein Vater soll mir vor aller Welt Gerechtigkeit widerfahren lassen.« »Geh nicht, um des Himmels willen, geh nicht!« sagte Brenda, »willst Du mich nicht zu dem elendsten Geschöpf auf dieser Welt machen.« »So sage mir wenigstens,« antwortete Mordaunt, »ob ich recht rate, wenn ich diesen Cleveland als einen jener Menschen nenne, die mich verleumdeten?« »Nein, nein!« rief Brenda lebhaft, »Du rennst von einem Irrtum in einen andern, noch gefährlichern; Du sagst, Du seist mein Freund; – auch ich bin bereit, Deine Freundin zu sein: – sei nur einen Augenblick ruhig, und höre, was ich Dir zu sagen habe; – unsere Unterredung hat schon zu lange gewährt, und jeder neue Moment bringt neue Gefahr.« »So sage mir denn,« sprach Mordaunt, dessen Hitze sich durch die Angst und den Kummer des Mädchens abkühlte, »was verlangst Du von mir? Sei überzeugt, daß Du nichts fordern kannst, was ich nicht nach allen meinen Kräften zu erfüllen bereit wäre.« »Höre also – der Kapitän, dieser Cleveland« – »Also der, beim Himmel, dacht' ich's doch!« rief Mordaunt, »eine Stimme in meinem Innern rief mir zu, daß dieser Elende, auf eine oder die andere Weise, die Ursache aller dieser Mißverständnisse sei!« »Wenn Du nicht auf einen Augenblick ruhig und geduldig sein kannst,« erwiderte Brenda, »so muß ich Dich auf der Stelle verlassen; – was ich sagen wollte, hat keinen Bezug auf Dich – aber auf jemand anders – mit einem Wort, auf meine Schwester Minna. – Ueber ihre Abneigung gegen Dich habe ich nichts zu sagen, aber von den Aufmerksamkeiten, die er ihr bezeigt, muß ich eine ängstliche Geschichte erzählen.« »Diese Aufmerksamkeiten springen in die Augen,« sagte Mordaunt, »und wenn meine Augen mich nicht trügen, sind sie auch willkommen, wenn sie nicht etwa gar erwidert werden.« »Das ist eben die Ursache meiner Angst,« antwortete Brenda; »auch auf mich hatten das Aeußere, das offene Wesen und die romantische Unterhaltung dieses Mannes Eindruck gemacht.« »Sein Aeußeres!« fiel Mordaunt ein; »zwar ist er wohlgebaut und seine Gesichtszüge sind wohlgestaltet; aber, Mädchen, ich habe schönere Gesichter auf Borough-Moor hängen sehen. Nach seinem Benehmen mag er Kapitän eines Freibeuters, und seiner Unterredung nach, der Trompeter seines eigenen Puppenspiels sein; denn er spricht fast von nichts anderm als von seinen eigenen Taten.« »Du irrst,« erwiderte Brenda; »nur zu gut erzählt er von dem, was er gesehen und erfahren hat; überdies war er wirklich in vielen fernen Ländern und bei mancher kühnen Tat, und er weiß davon mit eben so vielem Geiste, als großer Bescheidenheit zu sprechen. Man glaubt den Blitz zu sehen und den Donner der Kanonen zu hören. Auch versteht er noch von andern Dingen zu reden: von den herrlichen Früchten und Bäumen anderer Gegenden, und wie die Menschen dort das ganze Jahr hindurch eine Kleidung tragen, kaum halb so warm als unsre Sommertrachten.« »Auf mein Wort, er versteht die Kunst, junge Mädchen zu unterhalten,« erwiderte Mordaunt. »Allerdings,« sagte Brenda mit großer Schlichtheit; »anfangs, glaube es mir, gefiel er mir besser als meiner Schwester; aber wenn sie auch weit klüger ist als ich, habe ich dagegen mehr Welterfahrung als sie; denn ich habe mehrere Städte gesehen, einmal schon war ich in Kirckwall und dreimal in Lerwick, als die holländischen Schiffe dort vor Anker lagen – und so irre ich mich nicht so leicht in Menschen.« »Und was, Brenda,« fragte Mordaunt, »ließ Dich denn weniger vorteilhaft von dem jungen Manne denken, dessen Wesen so einnehmend schien?« »Ei,« entgegnete Brenda nach kurzem Besinnen, »er war sonst munterer, und seine Erzählungen nicht so schwermütig und schrecklich; auch lachte und tanzte er mehr.« »Und tanzte wohl damals mehr mit Brenda als mit ihrer Schwester?« fügte Mordaunt hinzu. »Das weiß ich nicht mehr so recht,« sagte Brenda ausweichend, »aber die Wahrheit zu sagen, ich hatte keinen Argwohn gegen ihn, so lange er uns beiden gleiche Aufmerksamkeiten bewies, denn damals konnte er uns nicht mehr sein als Du, Mordaunt, oder der junge Swaraster oder sonst irgend ein junger Mann auf der Insel.« »Aber warum,« fragte Mordaunt, »kannst Du denn nicht geduldig ihn in ein näheres Verhältnis mit Deiner Schwester treten sehen? – Er ist reich, oder scheint es wenigstens zu sein. Du sagst, er sei gebildet und angenehm; was kannst Du von einem Liebhaber Minnas mehr verlangen?« »Mordaunt, Du vergißt, wer wir sind!« sprach das Mädchen, sich ein Ansehen von Wichtigkeit gebend, das ihrem einfachen Wesen ebenso lieblich stand, wie der Ton, in dem sie bisher gesprochen; »dieses Shetland hier ist unsre eigne kleine Welt, vielleicht, wenigstens wie die Fremden behaupten, kleiner als andere Teile der Erde, aber es ist unsre eigene Welt; und wir, die Töchter von Magnus Troil, behaupten den ersten Rang darin. Schlecht nur stünde es uns, meiner Meinung nach, wollten wir uns, die wir von Seekönigen und Jarls abstammen, an den ersten besten Fremden wegwerfen, der, dem Eidervogel gleich, im Frühling an unsere Küste fliegt und sie im Herbst wieder verläßt, ohne daß wir wissen, von woher er gezogen kam, noch wohin er seinen Weg wieder genommen.« »Und dennoch vielleicht einen shetländischen Goldvogel mit hinweglockt,« fügte Mordaunt hinzu. »Ich will keinen Scherz über solche Dinge,« antwortete Brenda unwillig, »Minna ist, wie ich, die Tochter von Magnus Troil, dem Beschützer der Fremden, aber dem Vater von Hialtland. Er spendet ihnen die Gastfreiheit, deren sie bedürfen, aber selbst der stolzeste von ihnen mag sich nicht einbilden, daß es ihm gelingen würde, sich mit Troils Hause zu verbinden.« Sie sprach dies in einem ungemein lebhaften Tone, den sie indes sogleich milderte, als sie fortfuhr: »Nein, Mordaunt, glaube nicht, daß Minna fähig wäre, das, was sie ihrem Vater und dem Blute desselben schuldig ist, so weit zu vergessen, daß sie auch nur dächte, sich mit diesem Cleveland zu vermählen – aber sie könnte ihm vielleicht ihr Ohr so lange leihen, als hinreichend wäre, ihr künftiges Glück zu zertrümmern. Ihr Gemüt ist von der Art, daß gewisse Gefühle tief in dasselbe eindringen. – Erinnere Dich, wie Ulla Storlson Tag für Tag den Gipfel vom Voßdale-Head bestieg, um nach dem Schiff ihres Geliebten auszuschauen, das nimmer wiederkehren sollte. Wenn ich an ihre langsamen Schritte denke, an ihre bleiche Wange, an ihr Auge, das, einer Lampe gleich, der es an Oel gebricht, immer mehr und mehr erlosch – wenn ich mich erinnere, mit welchen Blicken voll flüchtiger Hoffnung sie jeden Morgen die Klippe hinanstieg, und wie sich tiefe Verzweiflung auf ihrer Stirn gelagert hatte, wenn sie heimkehrte – wenn ich an alles dieses denke, kann es Dich wundern, wenn ich für Minna fürchte, deren Herz geschaffen ist, mit einer ähnlichen, tief eingewurzelten Treue eine Liebe zu nähren, die hineingepflanzt werden möchte?« »Ich wundere mich nicht länger,« rief Mordaunt, an der Angst des armen Mädchens innigen Anteil nehmend; denn außer dem Zittern ihrer Stimme ließ ihn auch das Dämmerlicht eine Träne erblicken, die ihrem Auge entperlte, als sie jenes Bild entwarf, in dem ihre Phantasie das zukünftige Schicksal ihrer Schwester zeigte. »Ich wundere mich nicht, daß Du fühlst und fürchtest, wie es Dir die reinste Zuneigung gebietet, und wenn Du mir nur anzugeben vermagst, wie und auf welche Weise ich Deiner Schwesterliebe zu dienen vermag, so sollst Du mich bereit finden, mein Leben, wenn es not tut, eben so leicht daran zu wagen, als ich bereitwillig war, die Klippe zu erklimmen, um für Euch die Eier der Seevögel heranzuholen; und glaube mir, was auch immer Deinem Vater oder euch beiden, gesagt worden, daß auch nur der geringste Gedanke von Nichtachtung und Unfreundlichkeit in Rücksicht auf Euch bei mir geherrscht habe, ist falsch, falsch wie der Böse es nur ersinnen konnte.« »Ich glaube Dir,« sagte Brenda und reichte ihm ihre Hand; »ich glaube Dir, und meine Brust ist leichter, jetzt, da sich mein Vertrauen zu einem so vieljährigen Freunde erneuert hat; wie Du uns helfen kannst, weiß ich nicht; aber auf den Rat Nornas, ja ich kann wohl sagen, auf ihr Gebot, war es, daß ich diese Mitteilung gewagt habe; und ich wundere mich fast selbst,« fuhr sie fort, »daß ich den Mut dazu gefunden. Du weißt nun alles, was ich Dir von der Gefahr, in der Minna schwebt, zu erzählen vermag. Beobachte diesen Cleveland – aber hüte Dich vor Streit mit ihm, denn gegen ihn, den erfahrenen Krieger, würdest Du unfehlbar den kürzeren ziehen.« »Daß dies ausgemacht sei, will mir nicht einleuchten,« rief der Jüngling. »Mit gesunden Gliedern, einem Herzen voll Mut, den mir Gott verliehen, und in einer guten Sache obendrein, fürchte ich mich vor keinem Streite, den Cleveland mit mir anfangen könnte.« »Wenn also nicht um Deinetwillen,« erwiderte Brenda, »doch um Minnas Wohl – meines Vaters und meinetwegen, vermeide jeden Zwist mit ihm und begnüge Dich damit, ihn zu beobachten und womöglich zu erforschen, wer er eigentlich ist, und was seine Absichten gegen uns sein mögen. Er sprach davon, sich nach den Orkney-Inseln begeben zu wollen, um sich nach seinem zweiten Schiffe umzusehen, aber Tage vergehen und Wochen, und noch immer macht er keine Anstalt zu seiner Abreise, und während er meinem Väter bei der Flasche Gesellschaft leistet und Minna mit romantischen Geschichten von fremden Völkern und fernen Kriegen in wilden unbekannten Gegenden unterhält, eilt die Zeit hin, und der Fremde, von dem wir nichts wissen, als daß er ein Fremder ist, schließt sich nach und nach immer vertraulicher und enger unserm Kreise an. – Und nun Lebewohl! Norna hofft den Frieden zwischen meinem Vater und Dir zustande zu bringen, und wünscht, Du solltest Burgh-Westra morgen noch nicht verlassen, wie kalt auch immer mein Vater und Minna gegen Dich sich verhalten mögen. Auch ich,« fuhr sie fort, ihm ihre Hand hinreichend, »darf dem unwillkommenen Gaste nur ein kaltes Gesicht zeigen; aber im Herzen sind wir einander immer Freund, Brenda und Mordaunt. Und nun trennen wir uns, denn wir dürfen nicht zusammen gesehen werden.« Noch einmal bot sie ihm ihre Hand, schnell aber zog sie diese lächelnd und errötend mit einiger Verwirrung zurück, als der Jüngling von einem natürlichen Gefühl hingezogen ward, sie an seine Lippen zu drücken. Einen Augenblick lang bemühte er sich, sie zurückzuhalten, denn diese Zusammenkunft hatte für ihn einen großen Zauber, den er früher, so oft er auch schon mit Brenda allein gewesen, noch nie empfand; aber sie machte sich von ihm los, und indem sie ihm noch ein Lebewohl zuwinkte, bezeichnete sie ihm einen andern Pfad als den, den sie einzuschlagen im Begriff stand, und dem Hause zueilend, verschwand sie hinter den Anhöhen. Mordaunt blickte ihr in einem ihm bis jetzt fremd gebliebenen Seelenzustande nach: die zweifelhafte neutrale Straße zwischen Liebe und Freundschaft mag jemand lange in Sicherheit wandeln, bis jählings die Aufforderung, die Oberherrschaft der einen oder der andern Macht anzuerkennen, an ihn herantritt. Da trifft es sich denn nicht selten, daß, wer sich jahrelang für einen bloßen Freund gehalten, sich jählings in einen Liebhaber umgewandelt sieht. – Daß sich eine solche Wendung von diesem Tage an in Mordaunts Gefühlen vollzog, wenn er auch ihre Natur nicht genau unterscheiden konnte, ließ sich erwarten. Er sah sich plötzlich mit argloser Offenheit von einem liebenswürdigen und reizenden Mädchen ins Vertrauen gezogen, von dem er sich noch vor kurzer Zeit verachtet und zurückgesetzt glaubte; und wenn etwas diesen an sich selbst schon so wunderbaren und erfreulichen Wandel noch berauschender machen konnte, so war es die harmlose Schlichtheit Brendas, die über alles, was sie sagte und tat, einen unwiderstehlichen Zauber verbreitete. Auch der Schauplatz, auf welchem sich die Handlung abspielte, mochte seine Wirkung geäußert haben, obgleich es seiner Hilfe eigentlich nicht bedurfte. Immerhin nimmt ein liebliches Gesicht sich im Schimmer des Mondes noch lieblicher aus, und eine süße Stimme klingt in dem Raunen und Lispeln einer Sommernacht noch süßer. Mordaunt, der unterdessen ins Haus zurückgekehrt war, befand sich demnach in der schicklichen Stimmung, mit ungewöhnlicher Geduld und Gefälligkeit einer enthusiastischen Deklamation, wie Claud Halcro, dessen Feuer für diesen Gegenstand, durch einen kurzen Gang in freier Luft – zu dem Zweck unternommen, Alkoholdunst, der sein Hirn umnebelte, verdunsten zu lassen – geweckt worden war, sie jetzt an den Mond richtete, mit aufmerksamem Ohr zu lauschen. »Die Sonne, mein Sohn!« sprach er, »ist jedes armseligen Taglöhners Taglaterne, – da steigt sie glänzend im Osten auf, um eine ganze Welt zur Arbeit und zum Elende zu wecken, während der heitere Mond zur Freude und Liebe winkt.« »Und zur Narrheit, sofern man ihn nicht verleumdet,« entgegnete Mordaunt, um doch etwas zu sagen. »Mag sein,« erwiderte Halcro, »treibt er doch nicht zur melancholischen Narrheit. Die Bewohner dieser mühseligen Welt, junger Freund, sind viel zu ängstlich bemüht, ihr bißchen Verstand zusammenzuhalten. Oft bin ich ein Simpel genannt worden, und bin doch durch die Welt gekommen, als hätte ich doppelt soviel Verstand gehabt. Aber – halt, wo blieb ich denn? ja, ja, ganz recht, beim Monde, – er ist die wahre Seele der Liebe und der Poesie. Ich frage: mag es wohl je einen Verliebten gegeben haben, der nicht in einem Sonnett sein: »O, Du!« zu seinem Lobe ertönen ließ?« »Der Mond,« nahm der Verwalter, dessen Junge nachgerade auch zu lallen anfing, das Wort, »reift das Korn, wie die alten Leute sagen, auch füllt er die Nüsse, was aber von geringerer Bedeutung ist – sparge nuces, pueri.« »Bravo, bravo,« rief Magnus Troil, der jetzt sein volles Maß hatte, »der Verwalter spricht Griechisch! Bei den Gebeinen meines heiligen Namensvetters St. Magnus, er soll unsre Schaluppe voll Punsch ganz allein leeren, wenn er uns nicht gleich auf der Stelle ein Lied zum besten gibt.« »Zuviel Wasser tut dem Müller Schaden,« antwortete Triptolemus, »mein Gehirn bedarf des Austrocknens weit eher als einer noch größeren Zufuhr geistiger Getränke.« »So singt denn,« rief der Hauswirt in gebietender Weise, »denn hier darf niemand eine andre Sprache reden, als ehrlich Norwegisch, lustig Holländisch oder Dänisch, oder wenn es nicht anders sein kann, allenfalls breit Schottisch. Also die Schaluppe her, Erik Scambester, und fülle sie bis zum Rande, als Ersatz für den Aufschub!« Aber bevor das Schiffchen den Ackerbauer erreichen konnte, der es unterwegs und in kurzen Wendungen auf sich los lavieren sah, (denn auch Scambester steuerte bereits nicht mehr in gerader Richtung), machte dieser den verzweiflungsvollen Versuch, ein Yorkshirer Erntelied zu singen oder vielmehr zu krähen, das sein Vater hin und wieder, wenn er ein wenig angetrunken war, anzustimmen pflegte; die klägliche Miene des Sängers und die Mißtöne seiner Stimme bildeten zu der Fröhlichkeit der Worte und der Melodie einen so großartigen Kontrast, daß der ehrliche Triptolemus seinen Zuhörern fast den gleichen Spaß gewährte, wie ein lustiger Kopf, wenn er an irgend einem Jubeltage im Sonntagskleide seines Großvaters erscheinen wollte. Dieser Scherz beschloß den Abend, denn selbst der rüstige Magnus, der viel vertragen konnte, unterlag der Macht des Schlummergottes. Die Gäste Zogen sich zurück, so gut sie konnten, jeder in die für ihn bestimmte Schlafstelle, und nach kurzer Zeit ruhte das Herrenhaus von Burgh-Westra, noch vor wenigen Augenblicken der Schauplatz lärmenden Jubels, in tiefster Stille. Siebzehntes Kapitel Gewöhnlich mangelt dem Morgen nach einer Festlichkeit, wie wir sie soeben beschrieben haben, etwas von der Würze, die den Jubel des verwichenen Abschieds erhöhte. In den sogenannten feinen Zirkeln werden diese langsam hinschleichenden Momente von den Gästen gemeinhin auf ihren Zimmern verlebt. Daß auf Burgh-Westra keine solche Verkehrspause stattfand; daß vielmehr schon drei Stunden, nachdem man auseinandergegangen war, die Mädchen mit ihren etwas bleichern Wangen, der ältere Teil der weiblichen Gesellschaft aber gähnend und sich die Augen reibend, aufgefordert wurden, sich wieder in den Kreis der Manner zu mischen, die sämtlich etwas wie einen Brummschädel sich geholt hatten, wird man uns wohl ohne besondere Versicherung glauben. Erik Scambester hatte alles getan, was nur ein Mann tun konnte, die Langeweile des Morgenmahls zu verscheuchen. Die Tafel seufzte fast unter der Last des nach shetländischer Weise zubereiteten Rauchfleisches, – zu dem sich Pasteten und allerhand Gebackenes, desgleichen Fische, auf jede erdenkliche Art zugerichtet, gesellten; ja selbst an ausländischen Delikatessen, wie Tee, Kaffee, Schokolade fehlte es nicht; denn durch ihre Lage waren die Inseln, wie wir bereits anderswo erwähnten, frühzeitig mit allerhand fremden Luxusartikeln bekannt geworden, von denen man damals kaum in Schottland etwas wußte. Auch an allerhand geistigen Getränken herrschte kein Mangel: Da war der starke irländische Usquebaugh, der echte Nautz, veritabler Schiedam, Aquavit von Chaitneß und Goldwasser von Danzig; Rum von ehrwürdigem Alter, nebst Herzstärkungen von den westindischen Inseln, des selbstgebrauten Ale, der deutschen Mumme und des Braunbiers gar nicht zu erwähnen. Daß aber der Anblick all dieser guten Dinge den Appetit der ermüdeten Gäste reizte und ihren Geist auffrischte, wird kaum als Wunder gelten. Die jungen Männer begannen sogleich ihre Gefährtinnen vom vorigen Abend aufzusuchen und die leichte Unterhaltung wieder aufzunehmen, bei welcher die Nacht so schnell geschwunden war; während Magnus von seinen rüstigen alten norwegischen Verwandten unterstützt, den ältern und ernstern Teil der Gäste durch Wort und Beispiel aufforderte, mit all den guten Dingen, die vor ihnen die Tafel füllten, gehörig aufzuräumen und selbst mit dem besten Beispiel voranging. Aber trotz allem blieb bis zum Mittagessen noch eine große Zeitspanne, denn selbst das längste Frühstück kann doch nicht gut länger als eine Stunde währen, und es war zu befürchten, daß Claud Halcro bemüht sein möchte, die Leere des Vormittags mit einem poetischen Vortrage auszufüllen. Der Zufall befreite jedoch die Gäste von Burgh-Westra von dieser drohenden Gefahr, indem er ihnen einen Stoff zu ihrer Unterhaltung sandte, völlig für ihren Geschmack und ihre Sitten geeignet. Mit Eilschritten nämlich und funkelnden Augen schien jetzt Erik Scambester, mit einer Harpune in der Hand, und verkündete der Gesellschaft, daß ein Walfisch am Ufer sei. Allgemeiner Jubel erschallte, und im Nu waren die mutigen Söhne von Thule auf den Beinen, dem Ungeheuer, das ihnen die See zu so gelegner Zeit Zur Unterhaltung gesandt hatte, »den Wind abzufangen.« Die zahlreichen Vorratskammern von Burgh-Westra wurden eilig nach Harpunen, Säbeln, Piken und Hellebarden durchwühlt; andere mußten sich mit Heugabeln, Spießen oder was sonst an spitzen und scharfen Dingen vorhanden war, begnügen. So in aller Schnelligkeit bewaffnet, eilte eine Schar unter dem Befehl des Kapitäns Cleveland, die in dem kleinen Hafen liegenden Boote zu bemannen, während die übrigen zu Lande nach dem Kriegsschauplatz strömten. Triptolemus wurde hierdurch in einem Angriffsplane unterbrochen, den auch er auf die Geduld der Shetländer entworfen hatte, und der in einer Vorlesung über Ackerbau und die Bodenbeschaffenheit der Inseln bestehen sollte: daß er nur sehr geringen Anteil an der Lustbarkeit nahm, die seinen gelehrten Vortrag so plötzlich störte, wird man sich denken können, und er hätte sich selbst nicht einmal dazu verstanden, dem Vorgänge zuzuschauen, wäre er nicht dazu von seiner Schwester Baby angetrieben worden. »Ei, so troll Dich doch, Faulpelz!« rief die alle Vorteile berechnende Person, – »wer weiß, ob das Fett nicht frisch ganz gut schmeckt, und ob man so nicht die Butter sparen kann?« Ob die Aussicht, frischen Walfischtran statt Butter zu genießen, den Eifer des gelehrten Triptolemus spornte, wissen wir nicht; da es nun aber einmal nicht anders sein konnte, schwang er seine ländliche Waffe und schritt dem Ufer zu, um auch an dem Kampfe mit dem Walfische teilzunehmen. Die Lage, in die sein Mißgeschick den ungetümen Herrn gebracht, war für das Unternehmen der Inselbewohner vorzüglich günstig. Eine Flut von ungewöhnlicher Höhe hatte den Wal über eine breite Sandbank in die Bucht getragen, in der er jetzt lag. So wie das Wasser flacher zu werden begann, hatte er allerhand verzweiflungsvolle Experimente gemacht, über die seichte Stelle hinweg tieferes Wasser zu gewinnen; aber seine Lage war durch dieses Bemühen eher schlimmer als besser geworden. In diesem Augenblick nahte sich ihm der Feind. Die ersten Glieder bestanden aus den jungen, kühnen, auf mannigfaltige Weise bewaffneten Männern, während, ihren kühnen Mut anzuspornen, die jungen Mädchen und ältern Personen beider Geschlechter ihre Plätze zwischen den Felsen nahmen, die über den »Kriegsschauplatz« hinaushingen. Da die Boote ein kleines Vorgebirge zu umschiffen hatten, bevor sie an die Mündung der Bucht herankommen konnten, lag denen, die zu Lande marschierten, die Aufgabe ob, Stärke und Lage des Feindes, dem man zugleich zur See und zu Lande an den Leib gehen wollte, zu rekognoszieren. Dieses Amt wollte der mutige, erfahrene General keinem andern überlassen; auch machten ihn äußere Erscheinung und Klugheit zu diesem Ehrenposten vorzüglich geeignet. Statt des goldumtreßten Hutes trug er jetzt eine Mütze von Bärenfell, den blauen Rock, mit rotem Futter und Borden und Troddeln besetzt, hatte er mit einem Wams aus rotem Flanell, an dem sich Knöpfe von schwarzem Horn befanden, vertauscht; darüber trug er eine Art Hemd aus Seehundsfellen, wie sie bei den Eskimos, und zuweilen auch bei den grönländischen Walfischjägern gebräuchlich sind. Wasserstiefel von gewaltigem Umfange vollendeten seinen Anzug; ein mächtiges Walfischmesser schwang er in der Hand, und doch mußte er sich bei näherer Untersuchung sagen, daß die Jagd, zu der er seine Freunde geführt, in so großem Einklange sie auch mit dem Umfange seiner Gastfreiheit stehen mochte, dennoch leicht von besonderen Gefahren und Schwierigkeiten begleitet sein könne. Das Tier, mehr als sechzig Fuß lang, hatte sich in eine Vertiefung der Bucht hineingewälzt, worin es die Rückkehr der Flut abzuwarten schien, die ihm wahrscheinlich sein Instinkt verbürgte. Erfahrene Haupunierer hielten einen Kriegsrat, worin beschlossen wurde, ihm ein Tau um den Schwanz zu befestigen, wodurch man hoffen durfte, seine Flucht, wenn die Flut eher wiederkehren sollte, als man mit ihm fertig geworden, zu verhindern. Drei Boote wurden zu diesem nicht eben leichten Stück Arbeit bestimmt; eins wollte der alte Udallar selbst befehligen, während Cleveland und Mertoun die beiden andern führen sollten. Alles eilte nun zum Strande, die Ankunft der Boote erwartend. Während dieser Pause hatte Triptolemus Yellowley den ungeheuren Umfang des Walfischs mit scharfem Auge taxiert ... Nach seiner Meinung, sagte er, könnte kein Gespann von sechs oder wenn man die kleinen Tiere dieser Insel nähme, von sechzig Ochsen solche gewaltige Masse ans Ufer ziehen. So unbedeutend wie diese Betrachtung an sich erscheinen mag, lag doch etwas darin, was das Blut des alten Udallars in Bewegung setzte. Er warf einen jähzornigen Blick auf Triptolemus und fragte: »Was zum Teufel kommt's drauf an, und wenn hundert Ochsen das Tier nicht ans Land schaffen könnten?« Herrn Yellowley gefiel freilich der Ton nicht, in welchem die Frage gestellt wurde; dennoch meinte er, es seiner Würde und seinem Nutzen schuldig zu sein, die folgende Antwort darauf zu geben: – »Ei, wißt Ihr doch ebensogut wie ich selbst, Herr Magnus Troil, und wie jedermann, der auch nur das Geringste von solchen Dingen versteht, daß ein Wal, den man mit sechs Ochsen nicht ans Land ziehen kann, ein Eigentum des Admirals wird? und daß diese Würde sich eben jetzt in den Händen jenes edlen Lords befindet, der auch zugleich Lord-Kämmerer dieser Inseln ist, dürftet Ihr wohl ebensogut wissen wie ich!« »Und ich sage Euch, Herr Triptolemus Yellowley!« erwiderte der Udallar, – »wie ich es Eurem Herrn sagen würde, wenn er zur Stelle wäre, – daß jedermann, der sein Leben wagt, den Fisch ans Ufer zu bringen, gleichen Anteil bei der Teilung haben soll, wie es unsere alten und löblichen norwegischen Gebräuche wollen; ja selbst, wenn nur ein Weib das Tau berührt, soll es teil daran haben, und was mehr ist, ihr ungebornes Kind, wenn sie anders sich zu einem solchen bekennt.« Dieser strenge Grundsatz von Unparteilichkeit verursachte unter den Männern ein lautes Gelächter, unter den Weibern leichte Verlegenheit. Der Verwalter hielt es aber unvereinbar mit seiner Würde, sich sogleich gefangen zu geben ...» Suum cuique tribuito, ich muß auf Mylords und meine eigenen Rechte sehen,« sagte er. »So, müßt Ihr das?« entgegnete Magnus. »Nun denn, bei den Gebeinen des Märtyrers, hier soll kein anderes Teilungsgesetz gelten als das von Gott und St.Olav eingesetzte, das hier herrschte, lange bevor wir von Admiral, Kämmerer oder dergleichen zu hören bekamen. Jedermann soll teil haben, der Hand anlegt, sonst niemand! – Also auch Ihr, Herr Verwalter, sollt arbeiten wie andre, und Euch glücklich schätzen, mit den andern zu teilen . . . Hinein ins Boot mit Euch!« (denn die bemannten Boote hatten jetzt das Vorgebirge umschifft) – »und ihr, junge Burschen da vorn, macht Platz für den Verwalter, – er soll, beim Himmel, den ersten Speerwurf tun!« Die laute gebieterische Stimme des alten Udallars litt keinen Widerspruch, und Triptolemus, obgleich ihm die Geschichte so jählings auf den Hals kam, sah ein, daß er sich werde fügen müssen; noch immer aber versuchte er mit einer Stimme, aus der man den durch Furcht gedämpften Verdruß heraushörte, die Sache ins Lächerliche zu ziehen, als ihm die Schwester ins Ohr tuschelte: – »Wie? Du willst den Anteil fahren lassen, da der lange shetländische Winter vor der Tür ist, wo der hellste Tag im Dezember nicht so klar ist als eine mondlose Nacht in den Mearns?« Diese wirtschaftliche Weisheit, im Verein mit der Scheu vor der Gefahr, sich ins Licht eines Feiglings zu setzen, brachte den Ackerbauer in Hitze, so daß er seine Mistgabel schwang und mit einem Satze ins Boot sprang, an Neptun mit dem Dreizack erinnernd. Die drei zu diesem gefährlichen Dienst bestimmten Boote, nahten sich jetzt der schwarzen Masse, die sich ohne jedes Lebenszeichen wie eine kleine Insel in einer Vertiefung der Bucht emporhob. Schweigend und mit aller Vorsicht, die das gefährliche Abenteuer forderte, gelang es den mutigen Jägern nach ein paar mißlungenen Versuchen, das Kabeltau um den Körper des noch immer betäubt scheinenden Ungeheuers zu schlingen und die Enden ans Ufer zu schaffen, wo hundert Hände bereit waren, dieselben in Sicherheit zu bringen. Aber noch ehe diese Arbeit vollbracht war, begann die Flut zu steigen, und der Udallar rief: »Ans Werk, ans Werk! sonst macht die Wassertiefe den Wal flott und führt ihn in offene See – der Verwalter soll die Ehre des ersten Wurfes haben.« Der tapfere Triptolemus, dem die Geduld, mit der sich der Wal das Tau um den Schweif werfen ließ, keine sonderlich große Meinung von seiner Stärke und Gefährlichkeit beigebracht, erlaubte sich die Rede, »der Wicht besitze nicht mehr Griebs und wohl auch nicht mehr Behendigkeit als eine schwarze Ackerschnecke,« und meinte auf gar kein ferneres Angriffssignal warten zu sollen, sondern schleuderte seine Mistgabel mit aller Kraft nach dem unglücklichen Tier, von dem sich die Boote noch nicht so weit entfernt hatten, als zu ihrer Sicherheit nötig war. Magnus Troil, der nur mit dem Verwalter gescherzt, aber die Absicht hatte, den ersten Wurf einer geschickten Hand anzuvertrauen, hatte kaum Zeit zu rufen: »Rührt euch, Jungens, oder wir werden alle fortgespült!« als das Ungeheuer, von dem Wurfe des Verwalters aus seiner Untätigkeit aufgejagt, mit einem Getöse ähnlich dem Geräusch einer Dampfmaschine einen gewaltigen Wasserstrom in die Luft blies und die Wellen mit seinem Schwanze zu peitschen begann. Das Boot, worin Magnus saß, wurde von einem Regenschauer von Seewasser überschüttet, und Triptolemus, der seinen vollen Anteil davon bekam, wurde von den Folgen seiner Heldentat so in Staunen und Schrecken versetzt, daß er rücklings unter die Füße der Bootsmannschaft purzelte. Mehrere Minuten lag er unter den Füßen seiner Gefährten, bis diese endlich ihre Ruder beilegten, um das Wasser aus dem Boot zu schöpfen. Hierauf gebot er ihnen, ans Land zu steuern und den unbedachten Menschen, der die ganze Jagd in solche zweifelhafte Bedingungen gestürzt, ans Land zu setzen. Unterdes hatten die andern Boote sich in sichere Position gebracht, und von dort, so wie vom Lande aus, wurden nun auf den ungetümen Bewohner der Tiefe Wurfpfeile, Harpunen und Speere geschleudert, Gewehre abgeschossen und alle möglichen Mittel gebraucht, seine Kräfte in fruchtloser Wut zu erschöpfen. Sobald das Tier merkte, daß es von Untiefen eingeschlossen und das um seinen Körper geschlungene Tau ihn in seinen Bewegungen hemmte, sandte es Ströme über Ströme in die Luft, die aber bereits mit Blut gemischt waren und die Wellen hochrot zu färben begannen. Unterdes verdoppelten die Leute ihre Anstrengungen, dem in seiner Todesangst furchtbaren Ungetüme die tiefste Wunde beizubringen. Der Kampf schien seinem Ende zu nahen; wohl machte das Tier noch wütende Versuche, sich zu befreien; doch seine Kräfte schienen schon so erschöpft, daß man hoffen durfte, es in Besitz zu bringen, da es auch mit Wahrnehmung der schon bedeutend gestiegenen Flut nicht mehr werde entkommen können. Magnus Troil gab nun das Signal, dem Walfisch zu Leibe zu gehen ... »Drauf nun, ihr Jungens,« rief er, »er ist schon zahm. – Und Ihr, Herr Verwalter, schaut Euch nach dem Wintervorrat für Eure Lampen in Hafra um! – Dichter heran, Bursche!« Aber schon waren die beiden ersten Boote seinem Willen zuvorgekommen; und Mordaunt, von dem Verlangen beseelt, Cleveland zu übertreffen, hatte mit Aufwand aller Kraft einen Speer in den Körper des Wales gebohrt. Dieser aber, gleich einer Nation, deren Quellen durch allerhand Unglück erschöpft zu sein scheinen, raffte alle ihm übrige Kraft zu einer einzigen furchtbaren Anstrengung zusammen, sandte noch einen starken, mit Blut vermischten Strom in die Luft, sprengte das dicke Tau, das seinen Körper umschlungen hielt, wie einen Faden, warf mit einem Schlage seines Schweifes Mordaunts Boot um, schoß über die von der Flut nun hochbedeckte Sandbank und gewann, mit einem ganzen Walde von Speeren und Harpunen, eine blutige Spur hinter sich ziehend, die hohe See. »Da geht Euer Oelkrug hin, Yellowley,« rief Magnus; »Ihr müßt nun Hammeltalg brennen oder im Dunkeln zu Bett gehen.« »Aber wo ist denn Mordaunt?« fragte Halcro mit lauter Stimme; und alsbald sah man, daß der Jüngling, von dem umschlagenden Boote betäubt, nicht wie seine Gefährten das Ufer erreicht hatte, sondern bewegungslos in den Wellen trieb. Wir haben des seltsamen, unmenschlichen Vorurteils schon Erwähnung getan, das die Shetländer abhielt, Menschen, die sich in Gefahr des Ertrinkens befanden, Beistand zu leisten. Drei Männer waren jedoch über diesen Aberglauben erhaben: Claud Halcro, der sich sogleich von einer niedrigen Klippe hinab in die Wellen stürzte, ohne – wie er späterhin versicherte – daran zu denken, daß er des Schwimmens unkundig sei, und der sich, als ihm dies einfiel, sogleich bemühte, die Klippe wiederzugewinnen, von der er herabgesprungen war, und herzlich froh war, nach einem einzigen Tauchversuch wieder auf trockenem Lande zu sein; – Magnus Troil, aus dessen redlichem Gemüt, als er die Gefahr des Jünglings bemerkte, aller Groll im Nu wich und der sich ebenfalls ins Wasser stürzen wollte, aber von Erich Scambester zurückgehalten wurde... »Halt, Herr! – halt!« rief der treue Diener, »da hat ihn Kapitän Cleveland beim Kragen; laßt die beiden Fremden sich nur einander helfen, und wartet ruhig das Ende ab! Das Licht dieses Landes soll nicht in Gefahr kommen, für seinesgleichen zu verlöschen. Halt, Herr! sage ich, die See ist keine Punschbowle, aus der man einen Menschen, wie ein Stück geröstetes Brot, mit einem Löffel herausfischen kann.« Diese Warnung wäre aber bei Magnus vergeblich gewesen, hätte er nicht bemerkt, daß Cleveland tatsächlich aus dem Boote gesprungen war und Mordaunt schon über Wasser hielt. Aber sowie die Gefahr vorüber war, erstarb auch des ehrlichen Udallars Trieb, Hilfe zu leisten; und sich der wirklichen oder vermeintlichen Ursache seiner Kälte gegen Mordaunt wieder erinnernd, machte er sich von seinem Kellermeister los, wandte sich unmutig von dem Ufer und schalt Erik einen alten Narren, daß er glauben könne, es läge ihm was daran, ob der junge Bursche niedersinke oder nicht. Trotz dieser scheinbaren Gleichgültigkeit aber konnte Magnus doch nicht umhin, einen Blick über die Köpfe des Kreises zu werfen, der sich um Mordaunt, als er ans Ufer gebracht wurde, bildete, emsig bemüht, ihn wieder ins Leben zu rufen; und nicht eher vermochte er den Schein völliger Sorglosigkeit anzunehmen, als bis der Jüngling sich langsam wieder aufrichtete. Nun erst, nachdem er noch diejenigen, die dem Jüngling ein Glas Branntwein gereicht, ausgescholten hatte, schritt er mürrisch von dannen, als sei ihm das Schicksal desselben völlig gleichgültig. Die Weiber, die wie immer bemüht waren, ihren Empfindungen Luft zu machen, aber auch diejenigen ihrer Genossinnen zu kontrollieren, sahen recht gut, daß Minna Troil bleich war wie der Tod und hörten recht gut, daß Brenda lautes Schreckensgeschrei ausstieß; aber wenn auch mancherlei Winke und Anspielungen fielen, daß alte Freunde nicht so leicht vergessen werden könnten, so herrschte doch allgemein die Meinung unter ihnen, daß weniger als solche Beweise von Teilnahme nicht zu erwarten gewesen seien angesichts der Lebensgefahr, in der sich der Gespiele ihrer Jugend befunden. Aber auch ihre Teilnahme ließ nach, als sich Mordaunt zu erholen begann und sein Bewußtsein völlig wiedergewonnen hatte, so daß er, als er die Augen aufschlug, bloß Claud Halcro und ein paar andere Mitglieder der Gesellschaft um sich sah. Zehn Schritte von ihm stand Cleveland, Haar und Kleider durchnäßt, mit einem so seltsamen Ausdruck im Gesichte, daß Mordaunts Aufmerksamkeit auf der Stelle rege wurde. Sein Mund verzog sich zu einem unterdrückten Lächeln, und in seinen Augen lag ein stolzer Blick, der zugleich Freude über die Befreiung von einer drückenden Last und ein Gemisch von gesättigtem Haß zu verkünden schien. Claud Halcro unterließ nicht, Mordaunt zu sagen, daß er Cleveland sein Leben verdanke; worauf der Jüngling, alle andern Gefühle erstickend, aufsprang, auf seinen Retter zueilte und als Beweis seiner wärmsten Erkenntlichkeit die Hand ihm entgegenstreckte. Aber erstaunt blieb er stehen, als Cleveland, ein paar Schritte zurücktretend, die Arme übereinanderschlug und ihm seine Hand weigerte. Auch Mordaunt trat jetzt zurück und sah voll Verwunderung auf dieses unziemliche Benehmen und auf die fast beleidigenden Blicke, mit denen der Seemann, der bisher eher eine freimütige Herzlichkeit oder doch wenigstens ein offenes Wesen gezeigt hatte, jetzt, nachdem er ihm einen so wichtigen Dienst leistete, seinen Dank abweisen zu wollen schien. »Es ist genug,« sagte Cleveland, Mordaunts Ueberraschung gewahrend, »und unnötig wäre es, mehr davon zu reden. Ich habe meine Schuld zurückgezahlt. Wir sind nun quitt.« »Wir sind nicht quitt, Kapitän,« antwortete Mertoun, »Sie haben Ihr Leben gewagt, um das für mich zu tun, was ich für sie ohne Gefahr unternahm; außerdem«, fuhr er fort, gleichsam in der Absicht, dem Gespräch eine lustigere Wendung zu geben, »habe ich ja Ihre Jagdflinte schon bekommen.« »Der Feigherzige nur,« antwortete Cleveland, »bringt Gefahr in Anschlag. Mir war sie eine stete Begleiterin im Leben, und oft ist sie mit mir auf schlimmerer Fahrt gewesen; – Gewehre hab ich überdies genug; und wenn Sie wollen, so können Sie sich leicht darüber belehren, wer sie am besten zu gebrauchen versteht!« In seinem Tone lag etwas, was Murdaunt ungemein auffiel: die Vorbedeutung des Bösen, wie Hamlet sagt. Cleveland nahm sein Erstaunen wahr, trat dicht zu ihm heran und sagte, doch mit leiserer Stimme: »Auf Deiner Hut, junger Mann! Bei uns Glücksrittern herrscht, wenn wir ein und dasselbe Wild verfolgen und einer dem andern den Wind wegnimmt, der Brauch, sechzig Schritte am Ufer hinzugehen mit einem Paar gezogener Läufe, die immer auf und dabei sind, Streit zu schlichten.« »Ich verstehe Sie nicht, Kapitän Cleveland,« sagte Mordaunt. »Das glaube ich gern,« antwortete der Kapitän, indem er ihm mit einem fast spöttischen Lächeln den Rücken kehrte. Mordaunt sah, wie er sich unter die übrigen Gäste mischte, und gleich darauf an Minnas Seite war, die ihm mit heißem Blick für seine mutige Tat zu danken schien, trat. »Wäre es nicht um Brendas willen,« dachte Mordaunt, »so möchte ich fast wünschen, er hätte mich in den Wellen gelassen; denn niemand scheint sich viel darum zu kümmern, ob ich lebe oder tot bin. – Zwei Gewehre sechzig Schritt am Ufer entlang, – wäre es so gemeint? Nun, er soll mich bereit finden, aber nicht an dem Tage, an dem er mein Leben mit Gefahr seines eigenen rettete.« Während er so dastand und sann, flüsterte Scambester dem Poeten ins Ohr: »Wenn die Burschen einander kein Leid zufügen, gibt es keinen alten Glauben mehr. Mordaunt zog Cleveland aus der Flut, – nun ja! – Cleveland hat zum Dank dafür den ganzen Sonnenschein von Burgh-Westra auf sich gezogen; und denkt einmal, was das heißt, die Gunst in einem Hause zu verlieren, wo der Punschkessel nimmer kalt wird! – Nun aber, da Cleveland wiederum ein solcher Narr war, den Mordaunt aus den Wellen zu ziehen, gebt acht, ob er ihm nicht kleine Schillochs für Stockfisch verkaufen wird ... Na, schaden kann's ihm nicht!« »Und warum,« fragte Halcro, »wünscht Ihr dem guten, jungen Manne Böses, der fünfzigmal mehr wert ist als der andere?« »Jeder hat seine Meinung,« erwiderte Erik; »Mordaunt trinkt bloßes Wasser, wie sein Haifisch von Vater; Cleveland aber greift nach seinem Glase wie ein ordentlicher Kerl!« »Recht geschlossen, nach Deiner Weise,« sagte Halcro, und die Unterredung abbrechend, schritt er dem Herrenhause von Burgh-Westra zu, wohin auch die sämtlichen Gäste jetzt zurückkehrten, die lebhaft diskutierten über die verschiedenen Zufälle der Walfischjagd, denn der Unmut darüber, daß das Tier dennoch ihren Angriffen entgangen, war begreiflicherweise sehr lebhaft. »Hoffentlich,« sagte Magnus, »erfährt Kapitän Donderdrecht von Rotterdam nie etwas von dieser Geschichte, sonst würde er Donner und Blitz darauf schwören, daß wir nur Flundern zu fischen verstehen.« Achtzehntes Kapitel Fortuna, die auch zuweilen ein Gewissen zu haben scheint, war dem gastfreien Udallar einigen Ersatz schuldig und vergütete demnach an Burgh-Westra das Mißgeschick der verunglückten Walfischjagd, indem sie noch am Abend desselben Tages, an dem dieser Vorfall sich abspielte, niemand Geringeres als den Hausierer oder reisenden Handelsmann, wie er sich selbst zu nennen pflegte, Bryce Snailsfoot, seinen Weg dahin nehmen ließ. Mit großem Pomp langte er an, er selbst auf einem Klepper, und sein Warenpack, fast doppelt so groß als gewöhnlich, auf einem zweiten, der von einem barfüßigen und barhäuptigen Jungen geführt wurde. Bryce wurde, da er sich als den Ueberbringer wichtiger Neuigkeiten ankündigte, in das Speisezimmer geleitet, wo man ihm – (denn man rechnete damals noch nicht so wie heute mit dem persönlichen Ansehen) – den Platz an einem Seitentische anwies und ihm Speise und Trank reichlich vorsetzte. Ohne zuvor seinen Hunger und Durst zu stillen, berichtete er mit jener Wichtigkeit, die weite Reisen zu verleihen pflegen, daß er erst gestern von Kirckwall, der Hauptstadt der Orkney-Inseln, nach Lerwick, aber schon gestern bis hierher marschiert wäre, wenn es nicht vom Fitful-Head her stark gestürmt hätte. »Hier hatten wir keinen Wind,« sagte Magnus. »Ich weiß jemand, der da nicht geschlafen hat,« erwiderte der Hausierer, »und ihr Name fängt mit einem R. an, aber Gott wacht über uns alle.« »Aber die Neuigkeiten von Orkney, Bryce, statt da viel von einer Handvoll Wind zu schwätzen!« »Solche Neuigkeiten,« entgegnete Bryce, »sind hier nicht seit dreißig Jahren gehört worden, – nicht seit Cromwells Zeit.« »Es ist doch nicht eine neue Revolution dort im Werk?« fragte Halcro. »Wie? Ist vielleicht König Jakob zurückgekommen, wie weiland der muntere König Karl?« »Neuigkeiten sind's,« antwortete der Hausierer, »mehr wert als zwanzig Könige und zwanzig Königreiche obendrein; brachten uns Staatsveränderungen je was Gutes? und doch haben wir schon ein Dutzend bald große, bald kleine, erlebt.« »Ist etwa ein Indienfahrer nordum gekommen?« fragte Magnus Troil. »Ihr kommt dem Dinge schon näher, Herr!« sagte der Hausierer; »aber ein Indienfahrer ist es nicht, sondern ein trefflich bewaffnetes Schiff, bis unter das Deck mit Waren gefüllt, die so wohlfeil weggehen, daß ein bescheidener Mann, wie ich, seinen Kunden rund im Lande recht billige Preise stellen kann; und das werdet Ihr selbst sehen, wenn ich meinen Pack geöffnet haben werde, den ich leichter hinwegzuführen hoffe, als ich ihn hergebracht.« »Ihr müßt gar wohlfeil eingekauft haben, Bryce, wenn Ihr billige Preise stellt,« sagte der Udaller; »aber was für ein Schiff war es denn?« »Darüber kann ich keine genaue Auskunft geben, denn ich habe mit niemandem gesprochen als dem Kapitän, der ein verschwiegener Mann war; aber es kommt von den spanischen Besitzungen, denn es hat Seide, Atlas, Tabak und Wein an Bord; und Zucker, und mancherlei schöne Dinge von Silber und Gold, und Goldstaub obendrein.« »Und von welcher Bauart ist's?« fragte Cleveland, der sehr aufmerksam zu werden schien. »Ein großes Schiff ist's,« antwortete der Handelsmann, »wie ein Schoner gebaut und bemastet, segelt wie ein Delphin, sagt man, und führt zwölf Kanonen.« »Habt Ihr den Namen des Kapitäns vernommen?« fragte Cleveland in leiserem Tone weiter, als er gewöhnlich zu sprechen pflegte. »Ich hab ihn schlechtweg Herr Kapitän tituliert,« erwiderte Bryce, »denn es ist Gesetz bei mir, Leute, mit denen ich Geschäfte treibe, nie mit Fragen zu belästigen; freilich gibt's manchen Kapitän, mit Eurer Erlaubnis, Kapitän Cleveland, dem es nicht behagt, wenn man seinen Namen seinem Titel anhängt; aber, sobald man weiß, welchen Handel man schließt, braucht man dann den Namen des Verkäufers kennen?« »Bryce Snailsfoot ist ein vorsichtiger Mann,« bemerkte der Udallar lachend; »er weiß, daß ein Narr mehr fragen kann, als ein kluger Mann zu beantworten Lust hat.« »Ich habe in meinem Leben schon manchen schönen Handel gemacht,« entgegnete der Hausierer, »und weiß nicht, welchen Nutzen es bringen kann, immer gleich mit dem Namen der Leute herauszuplatzen; aber ich kann den Kapitän jenes Schiffes als einen braven und auch freundlichen Befehlshaber rühmen, und sein Schiffsvolk hält er in strammer Disziplin, läßt kaum einen Mann ans Land, ohne daß der Bootsmann dabei ist, aber das ist ein Brummbär, rauher als je einer das Verdeck betrat; das ganze Schiffsvolk hat vor ihm genau soviel Furcht, wie vor dem Kapitän selbst.« »Das muß Hawkins sein oder der Teufel,« sagte Cleveland. »Meinetwegen, Herr Kapitän!« erwiderte der Hausierer, »der oder der, vielleicht auch von beiden etwas. Wollt Euch aber erinnern, daß Ihr, und nicht ich, ihm diesen Namen beigelegt habt.« »Kapitän Cleveland,« nahm der Udallar das Wort, »sollte das wohl das andere Schiff sein, von dem Ihr spracht?« »Dann muß ihm das Glück günstig gewesen sein, seitdem wir uns verließen. – Sprach das Schiffsvolk etwa vom Verlust eines andern?« »Das allerdings,« sagte Bryce, »sie haben etwas von einem Gefährten geredet, der in diesen Gewässern zu David Jones hinabgestiegen sei.« »Und teiltet Ihr ihnen denn mit, was Euch davon bekannt?« fragte der Udallar. »Ja, daß ich ein Narr gewesen wäre,« erwiderte der Hausierer. »Hätten sie gewußt, was aus dem Schiffe geworden, wäre ihre zweite Frage ohne Zweifel nach der Landung gewesen, und da hätte ich leicht ein bewaffnetes Schiff an die Küste ziehen können, entschlossen, die armen Leute hier mit Nachforschungen über die armseligen Dinge zu quälen, die die See ans Ufer warf!« »Das ungerechnet, was etwa in Eurem eigenen Pack davon gefunden worden wäre,« sagte Magnus Troil, eine Bemerkung, die ein allgemeines Gelächter hervorbrachte ... Ihr mögt immerhin lachen, meine Freunde,« fuhr er nach einer Weile mit ungewöhnlich ernstem Tone fort: »Aber es bleibt dennoch eine Sache, die dem Lande Schimpf und Schande bringt; und bis wir gelernt haben werden, die Rechte derjenigen, die durch Wind und Wellen leiden, zu respektieren, verdienen wir allen Plack von seiten der Fremden, die uns regieren.« Alles ließ ob dieser Zurechtweisung die Köpfe hängen. Bei einigen, selbst aus der bessern Klasse, rührte sich vielleicht das Gewissen; Cleveland aber erwiderte in lustigem Ton: »Wenn es meine Kameraden sind, so stehe ich dafür, daß sie Euch hier nicht um einiger Kisten, Hängematten und ähnlicher Lumpereien wegen beunruhigen werden, die der Strom aus meinem armen Wrack ans Land gespült haben mag. Was kümmert es sie, ob der Plunder dem Hausierer hier oder dem Meeresgrund oder dem Teufel anheimfiel? Also aufpaßt Bryce, und den Frauen Deine Ladung gezeigt! vielleicht findet sich einiges drunter, was ihnen gefällt.« »Es kann nicht das andere Schiff sein,« flüsterte Brenda ihrer Schwester zu, »er zeigte sonst mehr Freude über die Nachricht.« »Es muß das seine sein,« antwortete Minna, »denn ich sah seine Augen funkeln, wie wenn er gedacht haben mag, daß er nun wieder mit den Genossen seiner Gefahren vereint sein werde.« »Vielleicht,« sprach die Schwester etwas leiser, »hat er auch gedacht, daß er Shetland bald wieder verlassen könne? Herzensempfindungen nach Blicken zu beurteilen, ist immer schwer.« »So urteile wenigstens nicht unfreundlich über Empfindungen eines Freundes,« sagte Minna, »und irrst Du Dich dann, so trifft Dich keine Schuld,« Während dieses Gesprächs war der Hausierer beschäftigt, die reichlich sechs Yards lange, durch Knoten und Schnallen sorgfältig verwahrte, aus gegerbten Seehundsfellen bestehende Hülle von seinem Pack zu lösen: eine Arbeit, in der er durch Fragen über das Schiff durch den Udallar und andere des öftern unterbrochen wurde. »Waren die Offiziere oft am Lande? und wie wurden sie von den Bewohnern von Kirckwall aufgenommen?« fragte Magnus Troil. »Sehr gut,« antwortete der Handelsmann, »auch waren der Kapitän und einige seiner Leute zu etlichen Festlichkeiten und Tänzen geladen, die in der Stadt abgehalten wurden; dort aber sind Worte gefallen, über den Zoll, über königliche Rechte und dergleichen, und einige der vornehmein Einwohner, die sich als Obrigkeitspersonen oder dergleichen vorstellten, gerieten in Wortwechsel mit dem Kapitän, der von all dergleichen nichts hören wollte; seitdem spricht er davon, sein Schiff nach Stromneß oder Langhope bringen zu wollen, denn es lag gerade unter den Kanonen der Batterie von Kirkwall. Aber vor Ende des Sommermarkts wird's mit der Abfahrt wohl nichts werden.« »Die Leute auf Orkney,« bemerkte Magnus, »legen es ja schon immer drauf an, das schottische Joch sich selbst schwerer zu machen. Nicht genug, daß wir Schätzung und Steuer bezahlen, wie es unter unfrei alten norwegischen Regierung Sitte und Gebrauch war, sie wollen uns auch noch Zölle und Königssporten auferlegen. Ein ehrlicher Mann muß gegen dergleichen Unwesen ankämpfen; ich habe es mein ganzes Leben lang getan, und will es auch bis an mein Ende nicht anders halten.« Ein lauter Jubel und Beifallsruf ertönte von seiten der Gäste, die wenigstens Zum Teil mit ihrem vaterländisch denkenden Wirte inbetreff der öffentlichen Abgaben zufriedener schienen als mit seinem Vorbehalte inbetreff des Strandgutes. Minna aber, in ihrem weiblichen Sinne über die Meinung des Vaters hinausgehend, flüsterte ihrer Schwester zu, bloß der allzu nachgiebige Geist der Inselbewohner sei Ursache gewesen, daß die Gelegenheit, sich von dem schottischen Joche zu befreien, zu der ein Zufall erst vor kurzem noch günstigen Anlaß gegeben hätte, ungenützt geblieben sei, »Warum,« fuhr sie fort, – und Cleveland hörte, was sie sagte, recht gut – »sollten wir nicht, unter den mannigfachen Veränderungen der jüngsten Zeit, bemüht gewesen sein, unter die Herrschaft von Dänemark, unserm eigentlichen Vaterlande, zurückzukehren? Dazu wäre es jetzt noch Zeit, wenn sich nicht die angesehnern Familien von Orkney durch Freundschafts- und Verwandtschaftsbande mit diesen arroganten Fremdlingen vermischt und hierdurch die Stimme des altnordischen Bluts, das in ihren Adern rollt, erstickt hätten.« Die letzten Worte dieser patriotischen Rede hatten das Ohr unseres Freundes Triptolemus erreicht, der gegen ein protestantisches Regiment solche Voreingenommenheit hegte, daß er fast unwillkürlich rief: »Ja, ja, wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen – aber bitte recht sehr um Verzeihung, Jungfer Minna, wenn ich hiermit etwas spreche, was Euch mißfällt ... Ein gar musterhaftes Land muß es aber sein, wo sich der Vater gegen die Sporteln und die Tochter gar gegen den Thron des Königs erklärt. So etwas kann, meiner Meinung nach, nur am Baum und Stricke enden.« »Bäume, Herr Verwalter, sind bei uns selten,« erwiderte Magnus, »und was wir an Tauen und Stricken haben, brauchen wir für unsere Fahrzeuge, können also nichts davon für Hemdkragen entbehren.« »Und wer sich unterfängt,« nahm Kapitän Cleveland das Wort, »an den Worten dieser jungen Dame Aergernis zu nehmen, täte klüger, Ohren und Zunge auf andere, weniger gefährliche Weise zu beschäftigen.« »Ja, ja,« sprach Triptolemus, »Wahrheit liegt dem Stolzen immer so schwer im Magen wie nasser Klee der Kuh; zumal in einem Lande, wo junge Burschen immer die Hand am Messer haben, sobald ein Mädchen nur ein schiefes Gesicht macht. Doch was läßt sich auch von Leuten anders erwarten, die nicht einmal einen ordentlichen Pflug haben.« »Hört einmal, Herr Yellowley,« erwiderte der Kapitän lächelnd, »hoffentlich rechnen Sie meine Art und Weise nicht zu den Mißbräuchen, die Sie hier abschaffen wollen? Das wäre ein gefährliches Experiment!« »Auch wohl ein schwieriges,« fügte Triptolemus trocken hinzu; »aber habt vor meinen Reformen keine Angst, Kapitän Cleveland; sie richten sich bloß gegen die Menschen und Dinge auf festem Lande. Um die Seeverhältnisse schere ich mich nicht.« »So laß uns Freunde sein, alter Schollenkleber,« rief der Kapitän ... »Und nun heran, Freund Bryce, – mach Dein Tau los – und heran ihr alle und laßt uns sehen, ob sich etwas in seiner Ladung befindet, der Mühe wert, daß man es sich ansieht.« Mit stolzem, zugleich aber auch schlauem Lächeln packte der listige Hausierer allerhand Waren aus von weit besserer Qualität, als sie sonst in seinem Warenballen zu stecken pflegten, wie vornehmlich Stoffe und Stickereien von ungemeiner Schönheit und Seltenheit, die mit einer Pracht und Kunst nach fremdem Arabeskenmustern gewebt waren, daß sie recht wohl verwöhntere Augen, als der einfachen Bewohner Thules hätten blenden können. Alles schaute und bewunderte, während Jungfer Baby-Barbara die Hände zusammenschlug, beteuernd: es sei ja schon Sünde, auf solchen Luxus die Augen zu heben – geschweige denn sich nach dem Preise solcher Dinge zu erkundigen. Andere ließen sich dadurch aber nicht abschrecken, mit dem Hausierer zu handeln, und was er für seine Ware forderte, bewegte sich in so mäßigen Grenzen, daß man wirklich vermuten durfte, er müsse sehr wohlfeil eingekauft haben. Infolgedessen und weil man in Shetland, wie überall, der klugen Menschen genug hat, die mehr, um sich einen guten Handel nicht entgehen zu lassen, als aus wirklichem Bedarf kaufen, fand der Hausierer schnell Kunden über Kunden. So erstand die Lady Glowrowrum allein sieben Unterröcke und ein Dutzend Brusttücher, und mehrere andere der anwesenden Matronen folgten diesem weisen Sparsamkeits-Exempel. Auch der greise Udallar zeigte sich als reger Käufer; der beste Kunde von allen aber, zumal in Artikeln, die bei den Schönen Gefallen wecken konnten, war Kapitän Cleveland, der in dem Warenballen des Hausierers aufräumte, mit seinen Präsenten die gesamte Weiblichkeit, vorzüglich aber des Udallars Töchterpaar bedenkend. »Ich fürchte,« sagte Magnus Troil, »daß Eure Freigebigkeit uns nötigen dürfte, mit Eurem baldigen Verlust zu rechnen.« »Darauf kann ich nichts sagen,« erwiderte nicht ohne Verlegenheit der Mann, dem diese Worte galten – »kann ich doch aus der Ferne nicht beurteilen, ob das angekommene Schiff meine Kameraden gebracht hat oder nicht. – Ich muß nach Kirckwall hinüber, zu sehen, wie es sich verhält; rechne aber bald wieder hier zu sein, um – wenn es nicht anders sein kann – Euch allen Lebewohl zu sagen.« »Ich muß zum Markte hin, um mit den Kaufleuten den letzten Fischfang abzurechnen,« erwiderte nach kurzem Ueberlegen der Udallar, »Und habe meinen Kindern schon lange versprochen, sie einmal zur Marktzeit mit nach Kirckwall zu nehmen. Da könnt Ihr ja mit uns hinfahren. Vielleicht haben Eure Kameraden, oder wenn sie es nicht sein sollten, die fremden Seefahrer Waren an Bord, die mir anstehen? In meiner Brigg soll eine Hängematte für Euch bereit sein.« Cleveland war hierüber so erfreut, daß er die Schätze, die der Hausierer bei sich führte, mit freigebigen Händen unter die Gesellschaft verteilte. Jungfer Baby konnte, ob dieser »Verschwendung« – wie sie solche Freigebigkeit auffaßte – nicht umhin, ihrem Bruder ins Ohr zu flüstern, daß der junge Herr, wenn er mit dem Geld so um sich werfen könne, in seinem zerschellten Schiff eine bessere Reise gemacht haben müsse als alle Schiffer von Dundee wahrend der vollen letzten zwölf Monate. Aber ihre grillige Laune wurde ungemein gemildert, als Cleveland, dessen Absicht es an diesem Abend zu sein schien, sich bei jedermann in das beste Licht zu setzen, sich ihr mit einem Kleidungsstück näherte, das dem Schnitte nach aussah wie ein schottischer Mantel, aber ein so feines Gewebe zeigte, daß man Eiderdaunen zu berühren glaubte. Er nannte es eine Mantilla, die von den spanischen Damen getragen würde, und der Jungfer Baby, da sie ihr vortrefflich stünde, bei den starken Nebeln auf Shetland recht dienlich sein würde. Jungfer Baby nahm mit aller Süßigkeit, deren ihr Gesicht fähig war, das Präsent nicht nur an, sondern räumte dem Spender sogar das Recht ein, es ihr über die hohen, spitzen Schultern zu hängen; von denen, wie Claud Halcro meinte, der Mantel wie von zwei Kleiderpflöcken gehalten wurde. Während der Kapitän diesen Höflichkeitsakt zur allgemeinen Belustigung der Gesellschaft vollzog, erstand Mordaunt ein goldenes Kränzlein, das er Brenda bei schicklicher Gelegenheit einzuhändigen dachte. Auch Claud Halcro zeigte Verlangen, eine silberne Dose von antiker Form für Schnupftabak einzuhandeln, von dem er ein starker Konsument war. Aber der Sänger verfügte nie viel über courante Münze und hatte auch auf seiner Lebenswanderung nur wenig Gelegenheit gehabt, solche zu sammeln; Bryce aber, der bisher nie anders als gegen bares Geld verkauft hatte, versicherte, daß der geringe Verdienst bei diesen seltenen und ausgewählten Waren es ihm nicht erlaube, Kredit zu geben. Mordaunt erriet aus ihrem Flüstern, – wobei der Barde sehnsuchtsvoll den Finger nach der in Rede stehenden Dose ausstreckte, auf die der vorsichtige Hausierer aber die ganze Hand drückte, wie wenn er befürchtete, sie mochte Flügel bekommen, um in Claud Halcros Tasche zu fliegen, – um was sich beider Reden drehten, und legte, als er dies bemerkte, um seinem alten Bekannten eine Freude zu machen, – den für die Dose geforderten Preis auf den Tisch mit den Worten, daß er nicht zugeben würde, daß Halcro die Dose bezahle, da er sich vorgenommen habe, ihm ein Präsent damit zu machen. »Ei, ich will Dich nicht berauben, junger Freund,« versetzte der Poet, »aber wenn ich die Wahrheit sagen soll, so erinnert die Dose mich ungemein an die meines ruhmgekrönten Kollegen John Dryden, aus der ich einmal die Ehre hatte, eine Prise zu bekommen: weshalb ich auch meinen Zeigefinger und Daumen an der rechten Hand höher achte als sonst einen Teil meines Körpers; nur darfst Du nichts dawider haben, daß ich Dir das Geld Zurückzahle, wenn meine Erkaster Stockfische zu Markte kommen.« »Macht das unter euch ab, ihr Herren, wie ihr wollt,« sagte der Hausierer, indem er Mordaunts Geld einstrich, »die Dose ist verkauft und bezahlt,« »Und wie könnt Ihr noch einmal verkaufen, was Ihr schon verkauft habt?« mischte sich Cleveland Plötzlich in das Gespräch. Alle staunten über diese ganz unerwartete Dazwischenkunft Clevelands, der – als er sich von Jungfer Baby abwandle, nicht ohne sichtlichen Groll bemerkte, welche Artikel Bryce soeben losschlug. Auf diese kurze, heftige Frage erwiderte der Hausierer, der einem so guten Kunden nicht zu widersprechen wünschte, nur: »Gott sei mein Zeuge, daß er niemand habe zu nahe treten wollen.« »Wie, nicht zu nahe treten?« rief der Seemann, »und doch über mein Eigentum verfügen?« So sprechend, streckte er seine Hand nach den in Rede stehenden Gegenständen aus ... »Auf der Stelle zahlt dem jungen Manne das Geld zurück, und haltet ein andermal Euren Kurs mehr auf der Mittagslinie der Ehrlichkeit.« Verwirrt und zögernd zog der Hausierer seinen ledernen Geldbeutel hervor, um Mordaunt das Geld wiederzugeben, das er vor einem Augenblick von ihm empfangen hatte; aber der Jüngling war damit nicht zufrieden. »Die Ware,« sagte er, »ist verkauft und bezahlt, – das waren. Eure eigenen Worte, hier in Herrn Halcros Gegenwart, und ich werde nicht dulden, daß weder Ihr noch sonst jemand Hand an mein Eigentum lege.« »Ihr Eigentum, junger Mann?« fragte Cleveland, »es ist das meinige, – ich sprach mit Bryce darüber einen Augenblick, bevor ich mich vom Tische entfernte,« »Ich – ich – ich hatte nicht recht gehört,« sagte Bryce, dem es sehr daran lag, keine von den beiden Parteien zu beleidigen. »Kommt, kommt,« rief der alte Udaller, »wir wollen keinen Streit um solche Narrenspossen; man ruft uns ohnehin bald in die Tanzstube, und dorthin wollen wir alle in guter Laune kommen – Bryce soll die Sachen bis morgen behalten; ich werde dann bestimmen, wem sie gehören sollen.« Der Udaller war in seinem Hause unumschränkter Gebieter; die beiden jungen Männer mußten sich, mit so finsteren Blicken sie einander auch betrachteten, darein fügen, verließen aber in verschiedener Richtung den Raum. Selten nur gleicht der zweite Tag eines verlängerten Festes dem ersten. Geist und Körper, gleich ermüdet, stehen zu der erneuten Lust und Beweglichkeit in keinem Verhältnis; und so wurde auch der Tanz in Burgh-Westra heut mit weit weniger Lebhaftigkeit aufgeführt als gestern. Noch war es eine ganze Stunde bis Mitternacht, als der alte Magnus Troil unter Klagen über die schlimme Zeit und dem Wunsche Worte leihend, auf die Shetländer »von heute« etwas von der eignen Kraft übertragen zu können, das Signal zum allgemeinen Aufbruch geben mußte. Gerade in diesem Augenblick zog Halcro seinen Freund Mordaunt beiseite, um ihm zu sagen, daß er von Cleveland etwas an ihn auszurichten habe. »Eine Herausforderung ohne Zweifel!« rief Mordaunt, und sein Herz begann stürmisch zu pochen. »Eine Forderung!« wiederholte Halcro, »wer hörte je von einer solchen auf diesen ruhigen Inseln? Sehe ich aus wie ein Bote solcher Kundschaft? und gar an Dich? Nein – ich glaube, dem Kapitän steht der Sinn nur nach den Dingen, die Du ausgesucht hast.« »Er soll sie nicht haben, das schwöre ich Euch,« rief Mordaunt, »Höre mich an,« erwiderte Halcro, »es scheint, daß er sie nach den darauf befindlichen Zeichen und Wappen als sein einstiges Eigentum wiedererkannt hat. Solltest Du mir nun diese Dose geben, wie Du versprochen, so würde ich, wie ich Dir unumwunden sage, sie ihrem Eigentümer zurückgeben,« »Und Brenda würde vielleicht dasselbe tun,« dachte Mordaunt, aber schnell entgegnete er: »Ich habe mich eines Bessern bedacht, alter Freund! Cleveland soll die Dinge haben, auf die er einen so großen Wert setzt, aber nur unter einer Bedingung.« »Du wirst noch alles mit Deinen Bedingungen verderben,« sagte Halcro. »Hört mich geduldig an. Meine Bedingung ist, daß er die Sachen in Tausch für die Jagdflinte nimmt, die ich von ihm erhielt, so daß jede gegenseitige Verbindlichkeit aufgehoben wird,« sagte Mordaunt. »Ich sehe, wohin Du willst; Du magst also dem Hausierer sagen, daß er die Sachen an Cleveland ausfolge; die Bedingungen soll dieser schon durch mich erfahren; sonst möcht der ehrliche Bryce zu zweimaliger Bezahlung kommen, statt einer, und ich glaube, sein Gewissen würde ziemlich ruhig dabei sein.« Mit diesen Worten ging Halcro zu Cleveland, wahrend Mordaunt zu dem Hausierer trat, der sich als eine gewissermaßen privilegierte Person unter die Menge am Ende des Gemachs gemischt hatte und ihm den Auftrag gab, die streitigen Gegenstände Cleveland auszufolgen, sobald sich eine Gelegenheit dazu böte. »Ihr habt recht, Herr Mordaunt,« erwiderte Bryce, »Ihr seid ein kluger, verständiger junger Mann, – eine ruhige Antwort wendet den Verdruß ab, – und ich meinerseits will Euch gern wieder gefällig sein, wo ich es irgend kann; denn zwischen dem Udaller von Burgh-Westia und Kapitän Cleveland ist man, wie zwischen Teufel und See, wenn auch der erstere Eure Partei vielleicht zuletzt genommen hätte, denn er ist ejn Mann, der die Gerechtigkeit liebt.« »Aus der Ihr Euch nicht viel zu machen scheint, Bryce,« sagte Mordaunt, »sonst hätte es zu gar keinem Streite kommen können, denn das Recht war auf meiner Seite, und Ihr hättet nur die Wahrheit zu bezeugen brauchen.« »Ich muß allerdings gestehen, Herr Mordaunt,« sagte der Hausierer, »daß Ihr einen Schatten von Recht für Euch hattet; aber die Gerechtigkeit, mit der ich zu schaffen habe, betrifft nur meinen Handel; meine Elle hat die gehörige Länge; auch verkaufe ich alles nach rechtem Maß und Gewicht. Aber mit der Gerechtigkeit zwischen Menschen und Menschen habe ich nichts zu schaffen, etwa wie ein Vogt oder sonst eine Obrigkeitsperson.« »Das verlangt auch niemand von Euch, aber ein Zeugnis hättet Ihr nach Eurem Gewissen ablegen sollen,« antwortete Murdaunt, weder mit dem Benehmen des Hausierers während des Streits, noch mit den Rechtfertigungsgründen seines Betragens zufrieden. Bryce Snailsfoot war jedoch im Antworten nicht verlegen ... »Mein Gewissen, Herr Mordaunt,« erwiderte er, »ist so zart, wie es nur bei einem Manne meiner Art sein kann, aber etwas schüchterner Natur.« »Ihr seid auch nicht gewohnt, sonderlich auf seine Stimme zu achten, nicht wahr?« »Eure eigne Brust beweist das Gegenteil,«,versehte Bryce in zuversichtlicherm Tone. »Meine Brust?« fragte Mordaunt etwas verdrießlich, »was hat die mit Euch zu tun?« »Ich spreche nur von Eurer äußern Brust, Herr Mordaunt. Wer die schöne Weste sieht, die Ihr tragt, muß sich doch sagen, daß sie Euch um vier Taler nur ein gewissenhafter, billiger Mann verkaufen konnte. Drum fülltet Ihr nicht so böse auf mich sein, weil ich in Eurem törichten Zank mit dem Kapitän einen Mund voll Atem gespart habe.« »Ich böse auf Euch,« wiederholte Mordaunt verächtlich, »seid ruhig, mit Euch suche ich keine Händel,« »Nun, das freut mich,« versetzte der Wanderer, »ich suche mit niemandem Differenz, am wenigsten mit einem alten Kunden; und wenn Ihr meinem Rate folgen wollt, so fangt keinen mit Kapitän Cleveland an. Er sieht ganz so aus, wie einer von den Haudegen und Eisenfressern, die da nach Kirckwall gekommen sind, und die einen Menschen eben so leicht totschlagen, wie wir einen Walfisch schnellen.« Die Gesellschaft war inzwischen auseinander gegangen. Mordaunt, den vorsichtigen Rat des Hausierers belächelnd, wünschte ihm gute Nacht und begab sich nach seiner Schlafstelle, die ihm von Erik Scambester, der neben dem Amte eines Kellersmeisters auch das eines Kämmerers versah, in einem der äußeren Gebäude angewiesen wurde, wo man in einem Zimmer oder vielmehr in einem Kämmerchen, eine Hängematte für ihn bereitet hatte. Neunzehntes Kapitel Die beiden Schwestern bewohnten dasjenige Zimmer im Hause, das vor dem Tode ihrer Mutter das Schlafzimmer ihrer Eltern gewesen, ihrem Vater aber durch den frühen Heimgang seiner Gattin verleidet worden war. Sie hatten sie nach ihrem eignen Geschmack hergerichtet und ausgeschmückt, wie es der Sitte der Inseln entsprach, und seit ihrer Kindheit war es ihnen die vertraute Stätte gewesen, wo sie ihre Gedanken und Pläne einander vertraut, wo sie gelebt und gewebt hatten. Erst seitdem Cleveland sich im Herrenhause aufhielt, war hierin Wandel eingetreten; denn seitdem waren Gedanken bei ihr eingekehrt, die der Mensch für sich behält. Minna hatte, was andern weniger interessierten Beobachtern vielleicht entgangen war, gar wohl bemerkt, daß Brenda von Cleveland keine so hohe Meinung hatte wie sie; und Brenda ihrerseits hielt dafür, daß Minna die Vorurteile, die jetzt gegen Mordaunt in ihres Vaters Herzen wohnten, zu schnell zu den ihrigen gemacht habe. Seitdem hatten die beiden Schwestern die Empfindung, daß sie einander nicht mehr das seien, was sie sich gewesen waren, und wenn sie sich auch alle Mühe gaben, sich hierüber hinwegzutäuschen, so konnten sie einander nicht verhehlen, daß das alte Vertrauen erschüttert, wenn nicht gar auf immer zerstört war. Die Reise nach Kirckwall, noch dazu während des Marktes, da Menschen aus alten Schichten der Inseln dorthin strömten, war eine so wichtige Begebenheit in ihrem sonst so einfachen, einförmigen Leben, daß sie noch vor wenigen Monaten die halbe Nacht durchwacht hätten, um über alles zusammen zu plaudern, was sich dort erwarten ließe, was sich dort ereignen könnte. Jetzt aber fand der Fall kaum Erwähnung, ganz als ob man Furcht hätte, das Thema könnte Zwist unter ihnen veranlassen, oder zu einer offneren Aussprache führen, als man beiderseits wünschte – zumal jede der Schwestern edel genug war, sich die Schuld an dieser Entfremdung beizulegen. In der Nacht, von der wir hier berichten, wurden beide. Schwestern von Träumen heimgesucht, die, obgleich verschieden, wie ihr Charakter und Gemüt, dennoch von einer seltsamen Aehnlichkeit waren: Minna träumte, sie befände sich an dem einsamsten abgelegensten Ort vom Ufer, Swartaster genannt, wo die rastlose Arbeit der Wellen in einem talkartigen Felsen eine jener unterirdischen Höhlen, von den Inselbewohnern »Halier« genannt, gegraben hatte, wohin die Flut ab und zu strömte. Viele von diesen Höhlen senken sich zu unergründlicher Tiefe und sind sichere Zufluchtsorte für Seehunde und Wasserraben. Unter ihnen war die Höhle von Swartaster, für die unzulänglichste gehalten ihrer vielen scharfen Winkel und Krümmungen, wie auch der darin versunkenen Felsstücke halber. Aus dem grauenvollen Schlunde dieser Höhle glaubte Minna in ihrem Traum eine Seefrau hervorschweben zu sehen, mit Kamm und Spiegel in der Hand, die mit ihrem langen schuppigen Schwanze die Wogen um sich her peitschte, und Minna zu sich zu winken schien, während die wilden Töne ihrer Stimme wie in prophetischen Klängen Unheil und Weh verkündeten. Brendas Traum war von ganz anderer, wenn auch nicht minder schwermütiger Art. Sie saß, wie es ihr vorkam, in ihrem Lieblingsgemach, umgeben von ihrem Vater und einem Teil ihrer liebsten Freunde, unter denen Mordaunt Mertoun nicht fehlte. Sie wurde aufgefordert zu singen und bemühte sich, den Kreis um sich her mit einem muntern Lied zu unterhalten, das sie mit einem solchen Erfolge vortrug, daß lautes Lachen und Beifallrufen ihr lohnte. Da aber schien ihr die Stimme plötzlich versagen zu wollen, und es war ihr, als ob dieselbe ihr selbst zum Trotz in jene melancholischen Tone übergehen wollte, in denen Norna vom Fitful-Head zuweilen ein Runenlied anstimmte, ähnlich denen, die von Priestern der grauen Heidenzeit bei ihren grauen Opfermahlen Odins oder Thors Schreckensaltar gesungen wurden. Zuletzt schreckten die Schwestern fast im gleichen Augenblick aus dem Schlafe, mit einem lauten Schrei der Furcht schlugen sie die Arme fest umeinander. Ihre Phantasie aber hatte sie nicht getauscht; ähnliche Töne, wie sie sie zu hören geglaubt hatten, waren wirklich erklungen, und wohlbekannt war ihnen die Stimme; ihr Schrecken und Staunen war darum kaum geringer, als sie Norna vom Fitful-Head am Kamin erblickten, in welchem während des Sommers eine eiserne, wohlgefüllte Lampe stand, die zur Winterzeit einer wärmenden Holz- oder Torfglut Platz machen mußte. Sie war in ihren langen, weiten Mantel gehüllt und bewegte ihren Körper langsam hin und her gegen die bleiche Flamme der Lampe, wobei sie in einem dumpfen, trauervollen und fast überirdischen Tone die folgenden Verse sang: Viel Meilen weit in die See entlang, Durch Strom und Brandung zog ich her; Was Meer hört meinen Runensang, Und seine Woge braust nicht mehr. Wie unterm Hammerschlag das Erz, Sinkt auf mein Wort die Woge hin, Doch das weit wild're Menschenherz Gehorcht allein dem Eigensinn. Nur eine Stund' im Jahr ist mein, Wo ich mein Leid verkünden kann; Wenn hier erlöscht der Lampenschein, Auch ihre kurze Frist verrann. Ihr Töchter Magnus, drum entsteigt Dem Lager Eurer nächt'gen Ruh'; Zu Ende bald das Licht sich neigt, Erwacht, hört meiner Rede zu! Norna war, wie gesagt, zwar beiden Schwestern wohlbekannt, dennoch aber konnten sie eine, obgleich verschiedenartige Gemütsbewegung bei ihrem so unerwarteten Anblick in dieser nächtigen Stunde nicht unterdrücken. Im Glauben an Nornas übernatürliche Kräfte wichen sie ungemein voneinander ab. Minna war, obgleich sie geistig ihrer Schwester überlegen sein mochte, mit einer außerordentlich reichen Phantasie begabt und Erzählungen von Wundern und übernatürlichen Vorgängen leichter zugänglich; – Brenda hingegen hatte bei allem Frohsinn einen schwachen Hang zur Satire, der sie oft in Versuchung setzte, über Dinge, die Minna zu Traumgebäuden fügte, zu lächeln; auch ließ sie sich gleich allen muntern Gemütern nicht leicht durch großtuerisches Wesen imponieren, hingegen, da ihre Nerven schwächer und reizbarer waren als die ihrer Schwester, zuweilen von der Sucht verleiten, Ideen zu hegen, die ihre Vernunft verwarf. Bei solchen Gelegenheiten pflegte dann Claud Halcro, wenn die Rede auf Sagen kam, die um Burgh-Westra herum spielten, zu sagen: Minna glaube daran, ohne zu zittern, Brenda aber zittere davor, ohne daran zu glauben. Unter dem Einflusse so verschiedenartiger Gefühle wollte Minna, als der erste Schreck vorüber war, von ihrem Lager aufspringen, um Norna zu begrüßen; Brenda aber, die in Norna, wenn nicht eine Geisteskranke, doch eine rätselhafte Erscheinung sah, hielt die Schwester zurück, und flüsterte ihr zu, daß sie um Hilfe rufen wolle. Aber Minnas Gemüt war, unter dem Eindruck, daß das Schicksal der Schwestern einer Krisis zutreibe, in zu großer Erregung, als daß sie den furchtsamen Aeußerungen ihrer Schwester hätte Folge leisten mögen; sie entwand sich ihren Armen, warf ein leichtes Nachtgewand über, schritt mutig durch das Gemach, mehr von Erwartung als Furcht beherrscht, und redete die seltsame Besucherin auf folgende Weise an: »Wenn Eure Sendung uns betrifft, Norna, wie Eure Worte zu verkünden scheinen, so ist wenigstens eine von uns bereit, Eure ehrfurchtsvolle und furchtlose Zuhörerin zu sein.« »Norna, liebe Norna,« flehte mit zitternder Stimme Brenda, – die der Schwester, weil sie sich allein auf ihrem Lager nicht mehr sicher glaubte, gefolgt war und die jetzt hinter ihrer Schwester stand, das Gewand derselben mit beiden Händen festhaltend, – »Norna, liebe Norna,« fuhr sie fort, »was Du auch zu sagen vorhast, laß es bis morgen. Ich will Euphane Fea, die Haushälterin, rufen, daß sie Dir ein Lager für die Nacht bereite.« »Ich brauche kein Lager,« antwortete die nächtliche Besucherin, »meine Augen schließen sich nicht; sie wachten, wenn Sandbänke und Felsenmassen zwischen Burgh-Westra und Orkney sich erhoben und verschwunden – sie sahen wie die Klippe von Hoy in das Meer hinabstürzte, und wie der Felsen Hengcliff daraus emporstieg, und dennoch schloß der Schlummer sie nicht, und nimmer wird er sie schließen, bis mein Geschäft vollendet. Setze Dich also, Minna, und auch Du, furchtsame Brenda, setz Dich, während ich die Flamme meiner Lampe anfache. – Legt Eure Kleider an, denn die Erzählung ist lang, und noch bevor sie zu Ende sein wird, werdet Ihr vor Schlimmerem als Kälte zittern.« »Ach, um Gottes willen, liebe Norna!« bat Brenda, »laß es, bis es Tag geworden ... Bald muß es ja zu dämmern beginnen. Ist's etwas Grauenvolles, was Du sagen willst, so erzähle es bei Tage, doch nicht beim Dämmerschein der blauen Lampe.« »Ruhig, Du Törin!« gebot der nächtliche Gast: »nicht bei Tag kann Norna eine Geschichte erzählen, vor der selbst die Sonne am Himmel erlöschen würde, und mit der alle Hoffnungen jener Hunderte von Booten, die noch vor Mittag dieses Ufer verlassen werden, um die Tiefe des Meeres nach Fischen zu durchwühlen, wie auch die ihrer Familien, die vergebens ihre Rückkehr erwarten, untergehen müßten. Der böse Geist, den meine Worte wecken werden, muß, wenn er seinem Felsen entsteigt, um sich an den Schreckenstönen zu lechzen, die ihm Wonne und Entzücken sind, seine schwarzen Schwingen über ein schiff- und bootfreies Meer bewegen.« »Nehmt Rücksicht auf Brendas Furcht, gute Norna,« sprach die ältere Schwester, »oder verschiebt wenigstens Eure schreckliche Mitteilung bis zu einer geeigneteren Zeit und Stunde.« »Nein, Mädchen,« erwiderte Norna ernst, »nein, was ich zu erzählen habe, taugt nicht für ein Tageslicht, sondern muß noch erzählt werden, so lange noch diese Lampe brennt, die aus dem Galgenseilen des grausamen Lords von Woodensvoe, der seinen Bruder ermordete, geformt wurde... Seht, sie brennt schon dunkler, und doch darf meine Erzählung nicht länger währen als ihre Flamme. Setzt Euch dorthin, ich nehme meinen Platz Euch gegenüber und stelle die Lampe in unsere Mitte, denn den Bereich ihres Schimmers darf kein böser Geist überschreiten.« Die Schwestern gehorchten; Minna warf einen schnellen, scheuen, aber doch festen Blick um sich, wie wenn sie das Wesen, das Nornas Worten zufolge in ihrer Nähe hausen sollte, suchte, während Brendas Furcht mit Verdruß und Ungeduld gemischt schien. Norna schenkte ihrem Benehmen keine Aufmerksamkeit, sondern begann ihre Erzählung mit folgenden Worten: »Ihr wißt, meine Töchter, daß wir Blutsverwandte sind, aber in welchem Grade, ist Euch unbekannt; denn früher schon herrschte Feindschaft zwischen Eurem Großvater und dem Manne, der das Unglück hatte, mich Tochter zu nennen. Ich will ihn Erlend, bei seinem Taufnamen, nennen; denn den, der unsere Verwandtschaft bezeichnet, darf ich ihm nicht beilegen. Euer Großvater Olau war Erlends Bruder. Als aber die weitläufigen Besitzungen ihres Vaters Rolf Troil, eines der reichsten und mächtigsten Abkömmlinge des alten norwegischen Stammes, unter den Brüdern verteilt wurden, erhielt Erlend die Güter seines Vaters auf Orkney, Olav aber diejenigen, die auf Hialtland gelegen waren. Hierüber entstand Uneinigkeit zwischen den Brüdern; denn Erlend glaubte, ihm sei unrecht geschehen; und als das obere Gericht [Lawthing der höchste Gerichtsort des Landes, welcher noch jetzt auf den Orkney- und Shetlands-Inseln besteht und, seiner Verfassung nach, das rohe Bild eines Parlaments bietet] die Teilung bestätigte, ging er zornig nach Orkney, verwünschte Hialtland und seine Bewohner, – verfluchte seinen Bruder und sein Blut. Aber die Liebe zu den Klippen und Felsen war noch immer in Erlends Seele herrschend, und er schlug seinen Wohnsitz auf, nicht etwa auf den freundlichen Hügeln von Orphir oder in den grünen Ebenen von Gramesay, sondern auf der wilden und felsenreichen Insel Hoy, deren Klippen sich wie die von Foulah und Feroe bis in die Wolken erheben. Dem unglücklichen Erlend waren alle Legenden und Sagen bekannt, die die Skalden und Barden hinterlassen haben; und mich in dieser Wissenschaft, die uns beiden so teuer zu stehen kommen sollte, zu unterrichten, war die hauptsächlichste Beschäftigung seiner alten Tage. Ich lernte jeden einsamen Hügel, jeden Steinhaufen besuchen, wußte die Geschichten zu erzählen, die mit ihnen zusammenhängen, und verstand mit Versen zu seinem Lobe den Geist des zornigen Kriegers zu besänftigen. Mir waren die Orte bekannt, wo man einst dem Thor und Odin geopfert; ich kannte die Opfersteine, wo das Blut vergossen war, wo die finstern Priester standen und die stolzen Häuptlinge, die den Willen des Götzenbildes vernahmen, und die Menge untergeordneter Anbeter, die mit Schrecken zuschauten. Jene Orte, die der furchtsame Landmann am meisten scheute, hatten keine Schrecken für mich; ich wagte mich in ihren Zauberkreis; ich traute mich, bei der magischen Quelle gut zu schlummern. Zu meinem Unglücke aber fühlte ich mich besonders zu dem Zwerggestein hingezogen, einer Reliquie des Altertums, auf die die Fremden mit Neugierde, die Eingeborenen aber mit Entsetzen blicken. Ein ungeheures Bruchstück eines Felsens ist es, das in einem wilden Tal voll Steinen und Abgründen an einem einsamen Orte unten am Fuße des Ward-Felsens von Hoy liegt. Sein Inneres bietet zwei Ruhestätten dar, von keiner irdischen Hand ausgehauen, und ein schmaler Gang trennt beide. Der Eingang liegt Wind und Wetter offen; daneben aber liegt noch jener ungeheure Stein, der, den Aushöhlungen nach, die noch am Eingänge sichtbar sind, einst dazu gedient hat, diesen seltsamen Wohnsitz zu öffnen und zu verschließen, und den jener mächtige Zwerg der nordischen Sagen, Trolld mit Namen, zu seiner Lieblingsresidenz erbaute. »Mir graute vor Trollds Erscheinung nicht, wie den Schäfern, die diesen Ort noch immer meiden, denn mein Herz und meine Hand, Minna, waren kühn und schuldlos wie die Deinen. Aber in meinem kindischen Mut war ich zu anmaßend, und der Durst nach unerreichbaren Dingen trieb mich, wie unsere Stammmutter, die Erkenntnis selbst auf verbotenen Wege zu suchen. Mich verlangte nach der Macht der Voluspae, jener begabten Frauen unseres Geschlechts: gleich ihnen wünschte ich den Elementen gebieten und die Geister längst entschlafener Höhlen hervorrufen zu können, um von ihnen den Bericht ihrer kühnen Taten und Kunde von ihren verborgenen Schätzen zu erhalten. Oft wenn ich bei dem Zwerggestein weilte, die Augen auf den Ward-Felsen gerichtet, der sich über dieses grauenvolle Tal erhebt, sah ich in der Mitte des dunklen Gesteins jenen wundervollen Karfunkel, der wie rote Glut demjenigen erscheint, der von unten hinaufsieht, aber sogleich dem unsichtbar wird, dessen kühner Fuß es wagt, die Höhe zu erklimmen, der er seinen Glanz verdankt. [An der Westseite des Zwerggesteins nämlich erhebt sich ein ungemein hoher, steiler Felsen, Ward Hill genannt, nahe an dessen Gipfel in den Monaten Mai, Juni und Juli gegen Mitternacht etwas Glänzendes und Schimmerndes sichtbar wird, das man oft selbst in weiter Entfernung bemerken kann. In früherer Zeit war sein Glanz stärker als jetzt, und obgleich schon mancher Fuß den Felsen erkletterte, um dem schimmernden Gegenstände nachzuspüren, ward doch noch nie etwas dergleichen gefunden. Der gemeine Mann spricht wie von einem zaubervollen Karfunkel davon; ich aber halte es für ein über die Felsenfläche weggleitendes Wasser, das, wenn es von der Sonne zu solcher Zeit beschienen wird, einen so wundervoll glänzenden Widerschein von sich gibt] Meine eitle Jugendbrust verlangte nach der Entschleierung dieses und hundert anderer Geheimnisse, die mir in den Sagen, die ich von Erlend erlernte, mehr angedeutet als erklärt wurden; und in meinem übermütigen Sinne forderte ich den Herrn des Zwerggesteins auf, Mir zur Erreichung jener, für bloß Sterbliche unzugänglichen Kenntnisse Beistand zu leisten.« »Und der böse Geist vernahm Euren Ruf?« fragte Minna, der während dieser Erzählung das Blut zu starren begann. »Still,« gebot Norna mit gedämpfter Stimme, »erzürne ihn nicht durch Vorwürfe, – er ist bei uns – eben jetzt hört er uns,« – Brenda stand erschrocken auf. – »Ich will nach Euphanens Kammer,« rief sie, »mögt Ihr beide Eure Geschichten von Kobolden und Zwergen, so viel Ihr Luft habt, weiter erzählen; ich fürchte mich zu keiner andern Zeit vor ihnen, aber um Mitternacht und bei diesem bleichen Lampenschimmer mag ich nichts davon hören.« Schon wollte sie das Zimmer verlassen, als Minna aufsprang und sie zurückhielt. »Ist das Brendas Mut,« sprach Minna, »Brenda, die allen Sagen unserer Väter von übernatürlichen Wundern mit Unglauben begegnet? Was Norna mitzuteilen hat, betrifft vielleicht das Schicksal unsres Vaters und seines Hauses! – wenn ich zuhören kann, im Vertrauen darauf, daß Gott und meine Unschuld jeden bösen Einfluß von mir abwenden, hast Du, Brenda, die Du an keinen solchen Einfluß glaubst, um so weniger Ursache zu zittern. Glaube mir, der Schuldlose braucht sich nimmer zu fürchten.« »Gefahr mag immerhin nicht vorhanden sein,« erwiderte Brenda, unfähig ihren natürlichen Hang zur Munterkeit zu unterdrücken, »aber wie jenes alte Scherzbuch sagt, große Furcht ist doch dabei. Minna,« fuhr sie flüsternd fort, »ich will doch lieber bei Dir bleiben, als Dich mit der furchtbaren Alten allein lassen; auch müßte ich über eine dunkle Treppe und über einen langen Gang, um bis zu Euphanen zu kommen, sonst hätte ich sie hierher geschafft, noch ehe fünf Minuten vergangen wären.« »Rufe niemand her, Mädchen, bei Gefahr Deines Lebens,« rief Norna, »und unterbrich meine Geschichte nicht, noch einmal, denn nicht weiter erzählen darf ich sie, sobald das magische Licht hier erloschen sein wird.« »Nun, Gott sei gedankt,« flüsterte Brenda vor sich hin, »die Flamme brennt nur noch matt in der Lampe; ich hätte wohl Lust, ihr den Rest zu geben, aber dann würde Norna mit uns im Dunkeln allein sein, und das wäre noch schlimmer.« So sprechend, ergab sie sich in ihr Schicksal und nahm ihren Platz wieder ein, entschlossen, Nornas fernerer Geschichte mit allem nur erdenklichen Gleichmut zuzuhören. Norna aber begann auf folgende Weise wieder: »An einem heißen Sommertag, gerade als ich gegen Mittag bei dem Zwerggestein weilte, meine Blicke auf den wundervollen Karfunkel gerichtet haltend, der seinen geheimnisvollen Glanz vom Wardfelsen zu mir herabsandte, beklagte ich mehr als je das unzulängliche menschlicher Wissenschaft, und wie unwillkürlich sprach ich die Worte einer alten Sage aus: »Seid, Felsenbewohner, dem Rufe hold, Haims der Weise, mächt'ger Trolld, Die Ihr das schwache Weib oft geehrt, Jenen Zauberstab, den ihr gewährt Mit gebietender Hand zu schwingen, Weises und Starkes kühn zu vollbringen, Und des Sturmes Wut zu empören Und des Ozeans Welle zu wehren; Ruhig noch? fehlt Euch die Macht, Die Euch einst eigen um Mitternacht? Seid Ihr nicht die Starten mehr, Wie, verkläng Eu'r Name leer? Schwand er leicht hin durch die Luft Wie des Morgens Nebelduft?« »Ich hatte,« fuhr Norna fort, »kaum diese Worte ausgesprochen, als der Himmel, der bisher ungewöhnlich heiter gewesen war, sich plötzlich so verdunkelte, daß es eher Mitternacht als Mittag zu sein schien. Ein einziger Blitzstrahl zeigte mir die wüste Landschaft, von Gestein, Heidekraut, Morästen und Abgründen rund um mich her; und ein einziger furchtbarer Donnerschlag rief alle Echos des Wardfelsens wach, die den Schall rastlos widerhallten, so daß es schien, als ob ein von dem Schlage losgerissenes Felsstück über Klippen und Felsen in das Tal hinabrollte. In demselben Augenblick begann der Regen so heftig zu strömen, daß ich mich, um Schutz davor zu, finden, durch die niedrige Oeffnung in das Innere des geheimnisvollen Gesteins flüchten mußte. Ich setzte mich auf das größere Steinlager am obern Ende der Felsenhöhle und versank, die Augen auf den kleinern Ruhesitz mir gegenüber richtend, in tiefes Sinnen über Ursprung und Art meiner seltsamen Zuflucht. War es wirklich, wie die Skalden berichten, das Werk jenes mächtigen Trollds? Oder, das Grabmal irgend eines skandinavischen Häuptlings, der hier mit seinen Waffen und Reichtümern, ja vielleicht mit seinem geopferten Weibe begraben ward, auf daß alles, was er im Leben am liebsten hatte, auch im Tode nicht von ihm getrennt würde? Oder der Wohnort eines frommen Eremiten aus späterer Zeit? Öder vielleicht das Werk irgend eines wandernden Künstlers, vom Zufall oder einer Grille zu diesem Unternehmen geführt? Ich schildere Euch die Gedanken, die damals meine Seele durchflogen, damit Ihr Euch überzeugt, daß dasjenige, was nun folgt, nicht die Vision einer in Vorurteilen befangenen, erregten Einbildungskraft, sondern eine ebenso wirkliche als schreckensvolle Erscheinung war. ... Der Schlaf war während meiner Betrachtungen nach und nach auf mich herabgesunken, als mich ein zweiter Donnerschlag plötzlich aus meinem Schlummer aufschreckte, und als ich meine Augen aufschlug, sah ich bei dem Dämmerlicht, dem die obere Oeffnung Zugang ließ, die unförmige und undeutliche Gestalt Trollds des Zwerges, mir gegenüber auf dem kleineren Steinlager, das sein viereckiger, mißgestalteter Körperklumpen ganz auszufüllen schien. Ich war bestürzt, aber nicht erschrocken, denn das Blut des alten Geschlechts von Lochlin floß warm in meinen Adern. Er sprach, aber seine Worte waren so altnorwegisch, daß nur wenige, außer meinem Vater und mir, ihren Inhalt verstanden hätten, – Worte, wie sie auf diesen Inseln gesprochen wurden, noch bevor Olav das Kreuz auf die Ruinen des Heidentums pflanzte. Auch ihr Sinn war dunkel und unverständlich, wie der, den die heidnischen, Priester im Namen ihrer Götzenbilder von dem Helga-Fels [Geheiligte Berge, von den skandinavischen Priestern zu ihrem Gottesdienste gebraucht] herab vor der versammelten Menge auszusprechen pflegten. Er lautete, wie folgt: Zehn Säcula schon sah ich fliehen, Seitdem ein Gast den Felsensäulen Genaht, um meine Macht zu teilen. – Besucher mein, Sollst mir willkommen sein; Hochherzige Maid, Vernimm den Bescheid: Macht, von Dir begehrt, Ueber Woge und Wind, Sie sei Dir gewährt, Du mutiges Kind; Auf Felsen und Buchten, I n bergigen Schluchten, Auf jeglichen Höh'n, Wo Winde nur wehn, An jeglichem Strand Im nordischen Land, Doch hemmt so lange noch tatlose Ruh' Dein Heldenbemühn, Bis Deinem Lebensspender Du Genommen, was er Dir verlieh'n! »Ich antwortete ihm ungefähr auf dieselbe Weise, denn der Geist der alten Skalden unseres Geschlechts ruhte auf mir, und weit entfernt, das Gespenst zu fürchten, mit dem ich mich in einem so engen Raum eingeschlossen befand, fühlte ich ganz jenen hohen Mut, der die alten Kämpen und Druiden zum Kampf gegen die unsichtbare Welt beseelte, wenn sie der Meinung waren, daß die Erde ihnen fortan seine Feinde mehr darbieten könne, würdig von ihnen bezwungen zu werden. Ich antwortete ihm also folgendes: »Dunkel sind Deine Worte, Du, der Du häufest im Stein, Doch wer Dich sucht an diesem Orte, Nennt Furcht nicht sein. Mag immerhin werden Das Schlimmste mein Teil, Die Qual ist auf Erden, Im Tod nur ist Heil!« »Der Dämon schielte nach mir, wie bestürzt und zugleich überwältigt, dann hüllte er sich in einen dicken, schwefelartigen Dampf und war vor meinen Augen verschwunden. Bis zu diesem Augenblick hatte ich nichts von Furcht gefühlt, nun aber ergriff sie mich, und ich eilte hinaus in die freie Luft, wo der Sturm vorüber und alles wieder heiter war. Nach einer kurzen atemlosen Pause flog ich heim, über die Worte der Erscheinung nachsinnend, die ich, wie es zuweilen zu gehen pflegt, damals nicht so deutlich in mein Gedächtnis zurückrufen konnte als späterhin. Es mag seltsam erscheinen, daß ein solcher Vorfall mit der Zeit, wie ein kurzer nächtlicher Traum, aus meiner Seele entschwinden konnte, – aber dennoch war dem so. Ich überredete mich selbst, es sei nur ein Spiel meiner Phantasie gewesen, – ich glaubte, zuviel in der Einsamkeit gelebt und mich zu sehr den durch meine Lieblingsstudien veranlaßten Empfindungen überlassen zu haben. Ich gab meine bisherigen Beschäftigungen einige Zeit lang auf und mischte mich unter die Jugend meines Alters. Bei einem Besuch in Kirckwall lernte ich Euren Vater kennen, den Geschäfte dorthin geführt hatten. Leicht wurde es ihm, in dem Hause der Verwandten wo ich mich aufhielt, Zutritt zu erhalten; man wünschte dort, wo möglich unsere Familien auszusöhnen. Euren Vater, Mädchen, hat die Zeit im Grunde mehr gestählt, als verändert. Es war dieselbe männliche Gestalt, dieselbe altnordische Offenheit der Sitte und des Herzens; derselbe redliche Mut und dasselbe ehrliche Wesen, vereint mit dem jugendlichen Scharfsinn, dem Wunsche zu gefallen, der Lust an allem und der Lebhaftigkeit des Geistes, die nie den Frühling unseres Daseins überlebt. Aber obgleich er der Liebe wert war, und ob auch Erlend schriftlich seine Neigung billigte, gab er dennoch einer andern – einer Fremden, Minna, einer unheilbringenden Fremden, – mit einem einnehmenden Wesen, und mit Künsten begabt, die den einfachen Sitten Deines Vaters unbekannt waren, den Vorzug. – Ja, so war's, und er wandelte in unserer Mitte wie ein Wesen aus einem erhabnem Geschlecht. – Ihr staunt mich an, gleichsam als sei es seltsam, daß sich die Aufmerksamkeit eines solchen Liebhabers auf mich lenken konnte; Wohl bietet Nornas Gestalt jetzt nichts mehr, was an die Reize von Ulla Troil erinnern könnte. – Der Wandel des belebten Körpers zum Leichnam ist kaum furchtbarer und schärfer, als der, den ich erfahren habe, die ja noch auf Erden wandelt. Schaut mich an, Mädchen – schaut mich an bei diesem dämmernden Lampenschein, – könnt Ihr glauben, daß diese widerwärtigen, vom Wetter verwüsteten Gesichtszüge – diese Augen, die durch das Anschauen von Schreckensgebilden fast zu Stein geworden, – diese graue Locke, die sich nur noch wie der Wimpel eines untersinkenden Schiffes bewegt, – daß sie, und die, der sie angehören, einst der Gegenstand zärtlicher Liebe sein konnten? – Aber die sinkende Flamme beginnt zu verlöschen, während ich meine Schande verkünde! – Wir liebten uns heimlich – wir sahen uns heimlich, bis ich ihm den letzten Beweis von unheilbringender, schuldiger Liebe gab! – Und nun wirf Deinen magischen Schimmer – breite noch einen Augenblick Deinen im Verlöschen so mächtigen Schein – gebiete ihm, der in unserer Nähe schwebt, halte seine dunklen Schwingen von dem Kreise fern, den Du beleuchtest – nur einen Augenblick leuchte noch, bis das Schlimmste erzählt ist, und dann sinke, wenn Du willst, in ein Dunkel zurück, schwarz wie die Nacht meines Kummers und meiner Schuld.« Während sie so sprach, regte sie die verlöschende Flamme der Lampe wieder an und fuhr dann mit hohler Stimme und abgebrochenen Worten fort: »Ich darf keine Zeit mit Worten verlieren. – Meine Liebe Wurde entdeckt, aber nicht meine Schuld. Erlend langte zornig auf Pomona an und führte mich in unsere einsame Wohnung auf der Insel Hoy. Er gebot mir, meinen Geliebten nicht wiederzusehen und Magnus, dem er die Beleidigungen meines Vaters verzeihen wollte, als meinen Gatten zu empfangen. Ach, ich verdiente leider nicht mehr seine Zuneigung – mein einziger Wunsch war, der Wohnung meines Vaters zu entfliehen und meine Schande in den Armen meines Geliebten zu verbergen. Ich muß ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen, – er war treu – nur allzu treu – seine Untreue hätte mich den Verstand kosten können; die unglücklichen Folgen seiner Treue kosteten mich zehnfach mehr.« Sie hielt inne; nach einer kurzen Pause aber fuhr sie im wilden Tone des Wahnsinns fort: »Sie hat mich zu der mächtigen, verzweiflungsvollen Herrscherin über Meer und Wind gemacht!« Wieder hielt sie inne und fügte gefaßter hinzu: »Mein Geliebter kam heimlich nach Hoy, um mit mir über die Mittel zu meiner Flucht zu beraten; ich versprach ihm eine Zusammenkunft, um den Zeitpunkt zu verabreden, wann sein Schiff in die Meerenge einlaufen sollte. Ich verließ das Haus um Mitternacht.« Hier schien sie kaum Atem schöpfen zu können, und nur langsam, fuhr sie in ihrer Erzählung fort: »Ich verließ das Haus um Mitternacht – mein Weg führte mich bei meines Vaters Stube vorüber; ich sah die Tür offen, – ich glaubte, er bewache uns, und damit das Geräusch meiner Schritte ihn nicht aus seinem Schlummer wecke, schloß ich die unglückselige Tür – eine unbedeutende Handlung – aber Gott im Himmel, welche Folgen hatte sie! – Am Morgen war das Gemach mit einem erstickenden Dampfe angefüllt – mein Vater war tot – tot durch mich! – tot durch meinen Ungehorsam, tot durch meine Schande! – Alles, was jetzt folgt, ist Nacht und Finsternis – ein gräßlicher, erstickender, furchtbarer Nebel hüllte alles ein, was ich tat und sprach, alles was getan und gesprochen wurde, bis ich überzeugt war, daß mein Schicksal erfüllt sei, und ich nur einherschritt als das kalte schreckensvolle Wesen, das Ihr jetzt in mir erblickt, die Gebieterin der Elemente, – die Teilnehmerin an der Macht jener Wesen, denen der Mensch und seine Leidenschaften eine Lust gewähren, derjenigen vergleichbar, die der Fischer bei dem Schmerze des Haifisches empfindet, wenn er ihm die Augen ausbohrt, und ihn noch einmal seinem Elemente überläßt, um in Blindheit und Todesangst die Wellen noch einmal zu durchschneiden. Sie, die Ihr vor Euch seht, Mädchen, ist von den Torheiten frei, deren Spiel Eure Herzen sind. – Ich bin es, die das Opfer brachte – ich bin es, die ihrem Lebensspender dasjenige raubte, was er ihr gab. – Das dunkle Wort ist durch meine Tat ausgelegt, und ich bin der Menschheit entnommen worden, um an Macht, aber auch an Jammer und Elend bevorzugt zu sein vor anderen.« Als sie dieses sprach, flammte die Lampe, die bisher nur geglimmt hatte, plötzlich noch einmal hell auf, dann schien sie verlöschen zu wollen ... »Nichts mehr nun,« rief Norna, sich selbst unterbrechend, – »er kommt – er kommt. – Genug, daß Ihr mich kennt und das Recht, das mir zusteht, Euch Zu raten und Euch zu gebieten. – Nahe Dich jetzt, stolzer Geist! wenn Du willst.« So sprechend, löschte sie die Lampe aus und verließ mit dem ihr eigentümlichen feierlichen Ernste, wie Minna aus dem abgemessenen Schall ihrer Schritte wahrzunehmen meinte, den Raum. Ende des ersten Bandes. Zweiter Band Erstes Kapitel Minna, durch diese grause Erzählung, die mancherlei auf Norna bezüglichen Winken aus ihres Vaters oder anderer Mund Deutung gab, in argen Schrecken gesetzt, saß eine Weile wie versteinert, so daß sie nicht einmal die Schwester anzureden vermochte. Als sie sich endlich dazu aufraffte, erhielt sie keine Antwort, und als sie die Hand der Schwester nahm, fühlte sie, daß sie kalt war wie Eis. In schreckliche Angst versetzt, stieß sie Fenster und Fensterläden auf, um der frischen Luft und dem bleichen Schein einer nördlichen Sommernacht Zutritt zu schaffen. Nun sah sie, daß ihre Schwester in Ohnmacht lag. Alle Gedanken an Norna, ihre Erzählung, ihre geheimnisvolle Verbindung mit der unsichtbaren Welt, alles, alles schwand im Nu aus ihrer Seele. Ohne auch nur einen Augenblick zu fürchten, daß ihr auf dem langen dunklen Gange irgend eine Erscheinung in den Weg treten könne, eilte sie ins Hausinnere, die alte Haushälterin zum Beistand zu holen, die auch gleich allerhand Mittel anwandte, das arme Mädchen wieder zu sich zu bringen: aber ihr Nervensystem war so erschüttert worden, daß sie, aus ihrer Ohnmacht wieder erwacht, trotz aller Anstrengung ruhig zu bleiben, wieder und wieder in krampfhafte Zufälle sank, die eine Zeitlang anhielten. Aber hierüber siegte die Erfahrung der alten Euphan-Fea, die in der einfachen Arzneikunde der Shetländer aufs beste bewandert war und der Kranken einen aus allerhand Kräutern bereiteten Trank reichte, der diese auch bald in Schlummer versenkte. Minna suchte nun auch ihr Lager auf, aber der Schlummer schien ihre Augen zu fliehen; und wenn sie auch hin und wieder in Schlaf zu sinken schien, glaubte sie immer die Stimme der Vatermörderin zu hören und fuhr erschreckt von ihrem Lager in die Höhe. Die frühe Stunde, zu der sie aufzustehen gewohnt waren, fand die beiden Schwestern in einem weit andern Zustande als er sich nach den Erlebnissen der letzten Nacht hätte vermuten lassen. Ein gesunder Schlaf hatte Brenda wieder gekräftigt und ihrer lachenden Wange die Rosenfarbe wiedergegeben; die vorübergehende Unpäßlichkeit hatte in ihren Zügen so wenig eine Spur zurückgelassen, wie die phantastische Erzählung einen tiefen dauernden Eindruck auf ihre Phantasie. – Minnas Blick dagegen war schwermütig, und sie senkte das von Wachen und Angst ermattete Auge. Anfangs sprachen sie nur wenig miteinander, gleich als scheuten sie sich einen Gegenstand zu berühren, der, wie jener in letzter Nacht, Schrecken über Schrecken für sie brachte. Erst als sie ihr gewohntes Morgengebet verrichtet hatten, gewahrte Brenda Minnas Blässe; als sie sich durch einen Blick in den Spiegel überzeugt hatte, daß ihr Gesicht nicht gleiche Spuren der Unruhe zeige, küßte sie Minnas Wange und sprach liebevoll: »Claud Halcro hatte recht, liebe Schwester, als er uns in seiner überschwenglichen Weise Nacht und Tag nannte.« »Und warum fällt Dir das gerade jetzt ein?« fragte Minna. »Weil,« erwiderte Brenda, »eine jede von uns zu der Zeit am regsten und lebensvollsten ist, nach der er uns zu nennen liebte. Habe ich mich doch in der letzten Nacht fast zu Tode geängstigt, über Dinge, die Du mit Festigkeit anhören konntest. Nun aber, beim hellen Tage, kann ich ganz ruhig daran denken, während Du bleich aussiehst, wie ein Geist, der von dem Aufgang der Sonne überrascht wurde.« »Du bist glücklich, Brenda!« antwortete ihre Schwester ernst, »daß Du eine solche Szene des Schreckens und Wundervollen so schnell vergessen kannst.« »Ihre Schrecken,« sagte Brenda, »können nie vergessen werden, man müßte denn annehmen dürfen, dem unglücklichen Weibe habe erregte Phantasie nur eingebildetes Verbrechen angedichtet.« »Du glaubst also,« fragte Minna, nichts von jener Erscheinung am Zwerggestein, jenem wundersamen Orte, von dem man so manche Sagen erzählt, und der seit Jahrhunderten als das Werk eines Dämons und als seine Behausung betrachtet wird?« »Ich halte unsere unglückliche Verwandte,« erwiderte Brenda, »für keine Lügnerin, – und darum glaube ich, daß sie sich während eines Gewitters am Zwerggestein befunden hat, daß sie hineingegangen, um Schutz vor dem Sturm zu suchen, und daß sie, während einer Ohnmacht oder vielleicht auch während eines Schlummers, einen Traum hatte, der mit den Volkssagen zusammenhing, mit denen sie sich rastlos beschäftigte; aber mehr kann ich davon nicht glauben.« »Bloß traf die Begebenheit,« unterbrach sie Minna, »völlig mit dem finstern Spruche der Erscheinung überein.« »Nimm es mir nicht übel, Minna,« erwiderte Brenda, »ich glaube, die Erscheinung hätte gar nicht stattgefunden, oder sie sich ihrer wenigstens nicht erinnert, wäre nicht die Begebenheit eingetroffen, Sie selbst sagte uns ja, daß sie die furchtbare Szene fast vergessen gehabt hätte bis nach dem so schrecklichen Tode ihres Vaters, und wer steht uns dafür, daß das, wessen sie sich zu erinnern glaubte, kein bloßes Werk ihrer Einbildungskraft ist, die durch den schrecklichen Vorfall in Unordnung kommen mußte?« »Brenda,« antwortete Minna, »Du hörtest ja unseren guten Pfarrer in der Kreuzkirche sagen: menschliche Weisheit sei schlimmer als Torheit, wenn sie in Geheimnisse dringen wolle, die über ihre Sphäre hinausgehen, und daß, wenn wir nicht mehr glauben wollten, als wir begreifen könnten, wir die Beweise unserer eigenen Stimme verleugnen müßten, die uns mit jedem Augenblick Gegenstände zeigten, die eben so wirklich vorhanden als unerklärbar wären.« »Du bist zu gelehrt, Schwester,« erwiderte Brenda, »daß Du zu dem Beistande des guten Pfarrers Deine Zuflucht zu nehmen brauchtest; seine Lehre, glaube ich, hatte nur Bezug auf die Geheimnisse unserer Religion, die wir allerdings ohne Zweifel und Einrede zu glauben verpflichtet sind, – aber bei Vorfällen des gewöhnlichen Lebens können wir, da uns Gott Vernunft gegeben hat, unmöglich unrecht tun, wenn wir Gebrauch davon machen. Du aber, meine liebe Minna, hast eine lebhaftere Phantasie als ich und bist geneigt, all diese wundervollen Geschichten für wahr zu halten, weil Du gern an Zauberer, Zwerge und Wassergeister denken magst, und gern selbst einen kleinen dienstbaren Geist mit einem grünen Gewande und glänzenden Flügelpaar, buntfarbig wie das Gefieder des Stars, um Dich hättest. Aber Du holst ja so tief Atem, Minna?« »Ich seufzte nur,« antwortete Minna nicht ohne Verwirrung, »weil ich mich wunderte, wie es Dir möglich sei, mit dem Unglück dieses merkwürdigen weiblichen Wesens Deinen Scherz zu treiben?« »Ich treibe keinen Scherz damit, da sei Gott vor,« erwiderte Brenda nicht ohne Verdruß. »Du bist es Minna, die alles, was ich in Güte und Freundlichkeit zu Dir spreche, zum Strengen und Bösen wandelt. Ich betrachte Norna wie ein mit außerordentlichen Fähigkeiten begabtes Weib, denen sich aber oft ein starker Anflug von Wahnsinn beigesellt; auch halte ich sie für die beste Wetterkundige von ganz Shetland. Aber an eine Macht ihrerseits über die Elemente glaube ich ebensowenig, wie an die Ammenmärchen des Königs Erich, der den Wind dorther wehen ließ, wohin er seine Mütze drehte.« Minna, leicht gereizt durch die Hartnäckigkeit ihrer Schwester, erwiderte mit einiger Herbheit: »Und dennoch, Brenda, – dieses Weib – dieses halb wahnsinnige Weib, diese Erzbetrügerin ist eben dieselbe Person, von der Du in diesem Augenblicke in Deiner vorzüglichsten Herzensangelegenheit Rat begehrst!« »Ich weiß nicht, was Du meinst,« antwortete Brenda, hoch errötend, und versuchte sich den Händen ihrer Schwester zu entziehen, die aber, ohne ihr Zeit zu weiterer Rede zu lassen, mit etwas milderem Tone hinzusetzte: »Ist es nicht seltsam, Brenda, daß Du, trotzdem Dich dieser Fremde, dieser Mordaunt, hintergangen, trotzdem er sich – ohne eingeladen zu sein – wieder hierher gefunden hat, ihm freundlich entgegentrittst, ihn freundlich ansehen, ja freundlich mit ihm reden kannst? ... Sollte Dir nicht gerade das beweisen, daß es wirklich Zauberei gibt und daß Du selbst ihre Macht empfindest? Nicht umsonst trägt Mordaunt jene Zauberkette, – denke daran, Brenda, und nimm Dich in acht!« »Ich habe nichts mit Mordaunt zu schaffen,« erwiderte Brenda kurz. »Auch kümmere ich mich nicht darum, was er oder andere junge Männer um den Hals tragen. Ich könnte alle goldnen Ketten der Beamten in Edinburg sehen, von denen Lady Glowrowrum so viel zu erzählen pflegt, ohne für irgend einen der Träger Neigung zu empfinden.« Und nachdem sie so die allgemeine Frauenregel beobachtet hatte, sich auf solche Anklage nicht schuldig zu bekennen, fuhr sie in einem veränderten Tone fort: »Aber sieh, die Wahrheit zu sagen, Minna, ich glaube, Du und Ihr alle habt diesem jungen Freunde, der so lange Zeit unser vertrauter Gespiele war, zu schnell das Urteil gesprochen. Sei überzeugt, Mordaunt ist mir nicht mehr, als er Dir ist – Du weißt ja selbst am besten, daß er keinen Unterschied zwischen uns beiden machte, daß er mit uns wie ein Bruder mit seinen Schwestern umging; und doch kannst Du Dich sogleich von ihm abwenden, weil ein abenteuerlicher Seemann, von dem wir nichts wissen, und ein herumziehender Krämer, der uns allen als Lügner, Schelm und Betrüger bekannt ist, Nachteiliges über ihn berichten. Nie werde ich glauben, daß er sich gerühmt habe, er brauche nur eine von uns zu wählen, und daß er nur abwarten wolle, wer von uns Burgh-Westra und den Bredneß-See erhalten solle. – Ich kann mir es nicht denken, daß er davon sprach – ja daß er daran dachte, je zwischen uns zu wählen.« »Vielleicht,« entgegnete Minna kalt, »war es Dir bereits bekannt, daß seine Wahl schon getroffen sei?« »Ich will dergleichen nicht hören,« rief Brenda, ihrer gewöhnlichen Lebhaftigkeit Raum gebend, »selbst von Dir, Minna, nicht. Du weißt, daß ich mein ganzes Leben hindurch die Wahrheit gesprochen habe, weißt, daß, ich die Wahrheit liebe, und so sage ich Dir denn, daß Mordaunt nie einen Unterschied zwischen uns machte, bis ...« Hier stockte sie, weil ihr etwas einzufallen schien, was nicht im vollen Einklange zu stehen schien mit dem, was sie auf der Zunge hatte, und ihre Schwester fragte mit leisem Lächeln: »Und bis wann denn, Brenda? – Ich glaube, Deine Wahrheitsliebe scheint vor dem, was Du sagen wolltest, zurückzuschrecken?« »Wenn ich es doch einmal sagen soll, Schwester, bis Du – bis Du aufhörtest,« entgegnete Brenda entschlossen, »ihm die Gerechtigkeit, die er verdiente, widerfahren zu lassen; daß er seine Freundschaft gegen Dich, die Du so gering achtest, nicht lange mehr wegwerfen wird, scheint mir freilich nicht zweifelhaft.« »Immerhin,« sagte Minna, »werde ich Deine Nebenbuhlerin weder in seiner Liebe noch in seiner Freundschaft sein. – Aber erinnere Dich, Brenda! – Hier ist von keiner Lästerung Clevelands die Rede – der überhaupt einer solchen unfähig ist – auch von keiner Verleumdung des Hausierers – denn alle unsere Freunde und Bekannte behaupten ja, daß es allgemein auf der Insel heiße, die Töchter von Magnus Troil warteten nur darauf, welche von beiden für sich auszusuchen Mordaunt belieben werde ... Mordaunt Mertoun, der weder was ist in der Welt, noch was hat in der Welt, wenn es seinem Vater einfällt, die Hand von ihm abzuziehen! ... Will es sich geziemen, daß solche Rede über uns, die Abkömmlinge eines norwegischen Jarls, die Töchter des angesehensten Udallers dieser Inseln, gesprochen werde? Wäre es sittig und mädchenhaft, sich solchem Gerede zu unterwerfen, selbst dann, wenn wir nur armselige Mägde wären?« »Solches Geschwätz von Toren schmerzt nicht,« versetzte Brenda mit Wärme, »ich werde nie meine eigene gute Meinung von einem schuldlosen Freunde dafür aufgeben, ist's doch leicht, selbst der unschuldigsten Handlung einen bösen Grund unterzuschieben.« »Aber so höre doch,« unterbrach sie Minna,, »was unsere Freunde sagen; höre nur Lady Glowrowrum; höre nur Maddie und Klara Greatsettars.« »Wenn ich auf Lady Glowrowrum hören sollte,« erwiderte Brenda fest, »so würde ich mir die boshafteste Zunge von ganz Shetland anhören, und Maddie und Klara Greatsettars waren doch überglücklich, Mordaunt vorgestern neben sich bei Tische zu sehen, wie Du es wohl selbst bemerkt hättest, wäre Dein Ohr nicht besser beschäftigt gewesen.« »Dagegen waren Deine Augen um so weniger bei uns, Brenda,« erwiderte die ältere Schwester, »sondern immer nur auf den jungen Mann gerichtet, von dem jedermann, ich ausgenommen, überzeugt ist, daß er uns mit kränkender Anmaßung behandelte. Selbst wenn er unschuldig angeklagt wäre, meinte Lady Glowrowrum, sei Dein Verhalten unschicklich von Dir gewesen, da es solchem Geschwätz, wie Du zu sagen liebst nur Nahrung und Stütze gäbe.« »Ich werde meine Blicke dorthin senden, wohin ich es für gut finde,« erwiderte Brenda mit steigender Wärme. »Lady Glowrowrum soll weder meine Gedanken, meine Worte, noch meine Blicke beherrschen. Ich halte Mordaunt für unschuldig an allem, was ihm schlimme Zungen nachgeredet haben, und wenn ich nicht mit ihm spreche und mich anders wie sonst gegen ihn verhalte, so tue ich es nur aus Gehorsam gegen meinen Vater, nicht aber darum, weil ich irgend welchen Wert auf das Gerede einer Lady Glowrowrum und ihrer Nichten, – und wenn sie deren zwanzig, statt zwei hätte, – lege – denn das ist Gerede über Dinge, die diese Leute nicht angehen und die diese Leute nicht verstehen.« »Ach, Brenda,« sagte Minna ruhig, »Du sprichst mehr, als zur Verteidigung eines Freundes nötig wäre! – Sei auf Deiner Hut! – Auch der, welcher Nornas Lebensfrieden störte, war ein Fremder; auch sie hatte ihm ihre Liebe gegen den Willen ihrer Familie geschenkt.« »Er war ein Fremder,« rief Brenda mit Nachdruck, »nicht bloß der Geburt, sondern auch den Sitten nach. Sie war nicht von Jugend an mit ihm erzogen, – eine Vertraulichkeit von vielen Jahren hatte ihr nicht das Offene und Edle seines Wesens gezeigt. Ein Fremder war er in der Tat, was Charakter, Temperament, Geburt, Sitten und Benehmen angeht – ein herumstreifender Abenteurer vielleicht, den der Zufall oder ein Sturm auf die Insel geworfen hatte, und der ein trugvolles Herz unter einer offnen, freien Stirn zu verbergen verstand. Die Warnung, die Du mir gibst, darf auch Dir gelten, Schwester; denn es gibt auf Burgh-Westra noch andere Fremde als den armen Mordaunt Mertoun.« Minna schien durch diese schnelle Antwort ihrer Schwester momentan außer Fassung zu geraten, aber ihr natürlicher hoher Sinn setzte sie bald instand, ihr die folgende Antwort zu erteilen: »Wenn ich Dir, Brenda, so geringes Zutrauen schenken wollte, wie Du mir, so könnte ich erwidern, daß Cleveland mir nicht mehr sei, als mir Mordaunt war; oder als es mir der junge Swaraster oder Lawrence Erichson, oder sonst jeder gern gesehene Gast unseres Vaters noch jetzt ist. Aber ich verachte jeden Betrug und mag meine Gedanken nicht verbergen, – ich liebe Clement Cleveland.« – »Sprich nicht so, liebe Schwester,« rief Brenda, den Ton der Bitterkeit, den dieses Gespräch anzunehmen begonnen hatte, von sich werfend; und die Arme um ihre Schwester schlingend, fuhr sie mit dem Ausdruck inniger Liebe fort: »sprich nicht so, liebe Schwester, ich beschwöre Dich! aufgeben will ich Mordaunt Mertoun, – schwören will ich, nie wieder ein Wort mit ihm zu sprechen; aber wiederhole mir nur nicht, daß Du Cleveland liebst!« »Und warum sollte ich,« fragte Minna, sich sanft der Umarmung ihrer Schwester entwindend, »ein Gefühl nicht aussprechen, auf welches ich stolz bin? Die Kühnheit und die Kraft seines Charakters, – dem das Gebieten angeboren und die Furcht unbekannt ist, – diese Eigenschaften, welche Dich für mein Glück zittern machen, sind mir gerade die Bürgen desselben. Erinnere Dich, Brenda, daß, wenn Dein Fuß das sanfte, ruhige Ufer der Sommersee liebte, der meinige am liebsten an den Abgründen wandelte, wenn die Wellen sich in ihrer Wut empörten.« »Das ist eben, was mich beben macht,« versetzte Brenda: »eben dieser Hang zum Abenteuerlichen ist es, der Dich jetzt an einen weit fürchterlichern Abgrund führt, als je einer von den brandenden Wogen bespült war. Dieser Mann – runzle die Stirn nicht, – ich will nichts Böses von ihm sagen, aber hältst Du ihn nicht in Deiner eigenen unparteiischen Meinung für stolz und übermütig: des Gebietens gewohnt, wie Du sagst, aber aus eben diesem Grunde auch dort befehlend, wo er kein Recht dazu hat, und anordnend, wo ihm das Befolgen weit besser anstehen würde? sich in Gefahren stürzend, mehr seiner selbst, als um anderer willen? Und magst Du daran denken, mit einem so unsteten und stürmischen Geiste verbunden zu sein, dessen Leben bisher nur dem Tode und den Gefahren geweiht war, und der, selbst wenn er neben Dir weilt, die Ungeduld nicht verbergen kann, sich aufs neue hineinzustürzen? Ein Liebhaber sollte, so denke ich, seine Geliebte mehr als sein eigenes Leben lieben; der Deine aber, liebe Minna, liebt sie weniger als die Freude, andern den Tod zu geben.« »Das ist es eben, warum ich ihn so liebe,« rief Minna lebhaft, »ich bin eine Tochter der alten norwegischen Heldinnen, die ihre Liebhaber mit einem Lächeln in die Schlacht entließen und sie mit ihren eigenen Händen erschlugen, wenn sie entehrt zurückkehrten. Mein Geliebter muß die Armseligkeiten verachten, durch die das jetzige entartete Geschlecht sich auszuzeichnen bestrebt, oder sie wenigstens nur zum Scherz oder in Ermangelung anderer edlerer Gefahr treiben. Walfischjagd und das Ausnahmen von Vogelnestern genügt mir nicht, mein Geliebter muß ein Seekönig oder etwas sein, was die neuere Zeit, diesem erhabenen Charakter ähnlich, darzubieten hat.« »Ach, liebe Schwester,« unterbrach sie Brenda, »jetzt muß ich in allem Ernste an Zauberei glauben. Erinnere Dich des spanischen Geschichtenbuchs, das Du mir vor langer Zeit wegnahmst, weil ich meinte, daß Deine Bewunderung der Vorzeit Skandinaviens mit dem überspannten Wesen des Helden jenes Buchs wetteifere. – Ach, Minna! die Glut auf Deinem Gesichte verrät, daß Dein Gewissen spricht und Dich an das Buch erinnert, das ich meine. – Ist es denn weiser, eine Windmühle für einen Riesen zu halten, als den Häuptling eines armseligen Kaperschiffs für einen Helden oder für einen Seekönig?« Minna errötete in der Tat vor Verdruß über diese Bemerkung, deren Wahrheit sie vielleicht einigermaßen fühlen mochte. »Du hast ein Recht, mich zu beleidigen,« sprach sie, »denn Du bist Mitwisserin meines Geheimnisses.« Brendas sanftes Herz konnte dieser Unfreundlichkeit gegenüber nicht stand halten; sie beschwor die Schwester, ihr zu verzeihen, und Minnas natürliche Gutmütigkeit vermochte dem Flehen ihrer Schwester nicht zu widerstehen. »Wir sind unglücklich,« sprach sie, die Tränen ihrer Schwester trocknend, »daß wir nicht mit den gleichen Augen sehen können, – wir wollen unsere Lage nicht durch gegenseitige Kränkungen verschlimmern. – Du weißt mein Geheimnis – vielleicht wird es bald nicht mehr ein solches sein – denn meinem Vater soll das Vertrauen werden, das er zu fordern berechtigt ist, sobald nur gewisse Umstände mir erlauben, es ihm zu offenbaren. Ich wiederhole Dir, Du hast mein Geheimnis, und es ist mehr als Vermutung, wenn ich glaube, dagegen das Deine zu besitzen, wenn Du mir es auch nicht gestehen willst.« »Wie könnte ich, Minna,« entgegnete Brenda, »Gefühle für irgend jemand eingestehen, wie die, auf die Du anspielst, noch bevor dieser Jemand auch nur ein Wort gesprochen, das ein solches Bekenntnis rechtfertigen könnte?« »Das nicht, aber ein verborgenes Feuer wird ebenso leicht durch die Hitze, die es verbreitet, als durch seine Flamme verraten.« »Du verstehst Dich auf diese Zeichen, liebe Minna,« erwiderte Brenda, indem sie ihr Köpfchen senkte und sich vergeblich Mühe gab, die Versuchung zu einer Antwort auf die Bemerkungen ihrer Schwester zu unterdrücken; »aber nur so viel kann ich Dir sagen, daß, wenn ich überhaupt je lieben werde, es nicht anders geschehen wird, als bis ich wenigstens ein paarmal dazu aufgefordert worden bin, was mir bis jetzt noch nicht begegnet ist. Aber laß uns unsern Streit nicht wieder anknüpfen, sondern lieber drüber nachdenken, warum uns wohl Norna jene schreckenvolle Erzählung mitgeteilt, und was sie darunter beabsichtigt.« »Es wird eine Vorsicht gewesen sein,« erwiderte Minna, – »die ihr in unserer Lage und, ich will es nicht leugnen, zumal in der meinen, ihr vielleicht nötig erscheinen mochte, – aber ich bin gleich stark durch meine eigene Unschuld, wie durch Clevelands Ehre.« Brenda hätte gern geantwortet, daß sie auf Clevelands Ehre nicht so sehr vertraue, als auf Minnas Unschuld; aber sie vermied es, das Thema wieder aufzunehmen und bemerkte nur: »wie es doch seltsam sei, daß Norna nicht mehr von ihrem Liebhaber gesagt habe, der sie doch unfehlbar in dem Elende, in das sie durch ihn gestürzt worden, nicht verlassen haben könne?« »Es mag Angst und Kummer geben,« entgegnete Minna nach einer Pause, »wo die Seele so sehr mit sich im Streite ist, daß sie aufhört, selbst diejenigen Gefühle zu empfinden, die sie am meisten erfüllten; – möglich, daß die Sorge um ihren Geliebten in Schrecken und Verzweiflung unterging.« »Oder er entfloh vielleicht von diesen Inseln aus Furcht vor der Rache unseres Vaters,« bemerkte Brenda. »Wenn er aus Furcht oder aus Schwäche des Herzens,« nahm Minna, zum Himmel aufblickend, das Wort, »fähig war, dem Elend zu entfliehn, das er angerichtet hatte, so wird ihm, dies hoffe ich zu Gott, längst jene Strafe geworden sein, die die Vorsehung für den niedrigsten Verrat und für die allerschändlichste Feigheit aufbewahrt. – Komm, Schwester; man wartet schon auf uns beim Frühstück.« Und Arm in Arm, mit größerm Vertrauen, als seit einiger Zeit unter ihnen geherrscht, gingen sie fort; der kleine Zwist, der soeben zwischen ihnen bestanden, hatte wie ein plötzlicher kurzer Windstoß die kleinen Nebelwolken, die sich zwischen ihnen gelagert, zerstreut und schönes Wetter gebracht. Auf dem Wege zur Frühstücksstube kamen sie überein, daß es unnötig, ja unvorsichtig wäre, ihren Vater mit den Umständen ihres nächtlichen Besuches bekannt zu machen oder ihn überhaupt wissen zu lassen, daß sie jetzt von Nornas schwermütiger Geschichte mehr wußten als bisher. Zweites Kapitel Als die Schwestern in die Stube traten, um das Frühstück, eben so reichlich wie am vergangenen Morgen, zu nehmen, und wegen ihres späten Erscheinens vom Vater mit scherzhaftem Verweis empfangen wurden, fanden sie die Gesellschaft, die zum Teil schon mit dem Frühstück fertig war, mit einem ähnlichen alten norwegischen Spiel beschäftigt, wie wir ihrer bereits beschrieben haben. Es schien aus jenen Geschichten der Skalden entlehnt zu sein, in denen oft Kämpen und Heldinnen dargestellt wurden, wie sie sich, um ihr künftiges Schicksal zu erfahren, an Zauberer oder Wahrsagerinnen wandten. Eine alte Sibylle, die schon früher erwähnte Haushälterin, Euphane Fea, mußte sich in die Vertiefung eines breiten Fensters begeben, die mit Bärenfellen und andern Decken verhängt war, so daß das Ganze einer lappländischen Hütte nicht unähnlich sah. Eine wie in einem Beichtstuhl angebrachte Oeffnung gestattete der dahinter befindlichen Person jede gestellte Frage zu hören, ohne den Fragenden dabei zu sehen. Hier weilte die Voluspa oder Sibylle, um aus dem Stegreif sogleich Antwort auf jede Frage zu geben. Man nahm an, daß der Vorhang sie verhindere, zu wissen, wer diese oder jene Frage getan, und der absichtliche oder zufällige Bezug, den die Antworten unter solchen Umständen haben mußten, bot oft Stoff zum Gelächter, zuweilen aber auch Ursache zu ernster Betrachtung. Zur Sibylle wählte man gewöhnlich eine Person, die in der altnorwegischen Poesie zu Hause war und zu improvisieren verstand; keine seltene Fähigkeit in einem Lande, wo das Gedächtnis der Bewohner mit alten Versen angefüllt, und wo die Regeln der Metrik nur auf ungemein einfachen Grundsätzen beruhten. Die Fragen wurden gleichfalls in Versen vorgelegt; da aber die Kunst, aus dem Stegreife zu reimen, obwohl ziemlich allgemein, doch nicht jedem geläufig war, war es erlaubt, sich eines Dolmetschers zu bedienen, der den Frager bei der Hand faßte und dem alsdann das Geschäft oblag, den Inhalt der Frage in Verse zu übertragen und sie laut auszusprechen. Bei dieser Gelegenheit hatte man zum Dolmetscher einstimmig Claud Halcro gewählt, der auch nach kurzem Kopfschütteln und einigem Zögern zur Uebernahme des Amtes sich bereit erklärte. Gerade aber als das Spiel beginnen sollte, fand plötzlich eine Rollenveränderung statt. Norna vom Fitful-Head, die jedermann, mit Ausnahme der beiden Schwestern, viele Meilen weit entfernt wähnte, trat plötzlich ein und schritt, ohne jemand zu grüßen, langsam und majestätisch auf das Gezelt von Bärenfellen zu, wo sie der dort sitzenden Sibylle ein Zeichen gab, das Heiligtum zu verlassen. Die alte Euphane kam zum Vorschein, schüttelte ihr Haupt und schien von Angst überwältigt; auch gab es in der Tat nur wenige in der Gesellschaft, die bei der plötzlichen Ankunft der allgemein gefürchteten Norna ihre völlige Fassung behielten. Sie stand einen Augenblick am Eingange des Zeltes still, blickte, indem sie das Bärenfell hob, hinauf nach Norden, gleich als erflehe sie, von dort Beistand und Eingebung, und nachdem sie den überraschten Gästen ein Zeichen gegeben, einer nach dem andern näher zu treten, schritt sie in das Gezelt und war vor aller Augen verschwunden. Jetzt aber schien es eine andere Unterhaltung werden zu wollen, als die Gesellschaft früher beabsichtigt hatte, und da die meisten fürchteten, sie würde mehr als Scherz darbieten, zeigte niemand eine große Bereitwilligkeit das Orakel zu befragen, Nornas Charakter und Wesen waren, so glaubten fast alle Anwesenden, zu ernst für die Rolle, die sie übernommen, die Männer flüsterten miteinander, und die Frauen versinnlichten, wie Claud Halcro meinte, das alte Dichterwort: »Zu einem Haufen nur trieb sie die Schreckensangst.« Diese Pause ward aber durch die laute, männliche Stimme des alten Udallars unterbrochen. »Nun, und warum ist das Spiel gestört, meine Herren?« rief er, »fürchtet ihr euch etwa, weil meine Verwandte gekommen ist, die Voluspa zu spielen? Freundlich ist es von ihr, diese Rolle zu übernehmen, zu der niemand auf den Inseln besser als sie geeignet ist; wir wollen unsern Scherz dadurch nicht stören lassen, sondern ihn um so lustiger fortsetzen.« Noch immer währte das Schweigen der Gesellschaft, und Magnus fuhr fort: »Nimmer soll es heißen, daß meine Verwandte in ihrem Winkel gesessen habe, als sei sie eine unsrer alten Bergriesinnen, und daß man bloß aus Furcht sie nicht befragt hätte. Ich selbst will der Erste sein, – aber der Vers geht mir jetzt schwerer von der Zunge als früher vor einigen zwanzig Jahren; Ihr müßt mir zur Seite stehen, Claud Halcro.« Hand in Hand nahten sie sich darauf dem Gezelt, und nach einer augenblicklichen Beratung miteinander sprach Halcro die Frage seines Gönners aus, der, wie eben die meisten angesehenen Shetländer, sich von Jugend auf mit Fischerei und Handel beschäftigt und jetzt über den Ausgang seiner Walfischjagd durch den Barden eine Frage an die Sibylle richten ließ. »Finstre Mutter, Wohl und Weh Kündest Du von Fitful-Höh. Mutter, deren Auge schauet, Dorthin wo kein Dunkel grauet, – Jetzt nach Grönlands frost'gem Strand Sei Dein Seherblick gesandt; An dem eisumstarrten Riff Jagt den Walfisch dort ein Schiff. Dunkle Mutter, sag uns an, Hat es guten Fang getan?« Das Spiel schien eine ernsthafte Wendung zu nehmen, als alle, ihre Köpfe hinwendend, der Antwort Nornas horchten, die, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, aus ihrem verborgenen Winkel heraus folgendes erwiderte: Stets richtet der Greis den rastlosen Sinn, Auf Fischen und Pflügen und eitlen Gewinn, Doch, glückt ihm auch beides in trefflicher Art, Benetzen doch Tränen den greisigen Bart. – Hier machte sie eine kurze Pause, während welcher Triptolemus Zeit hatte, vor sich hin zu flüstern: »Und wenn auch zehn Hexen und ebensoviel Wahrsagerinnen es beschwören wollten, so würde ich doch nimmermehr glauben, daß ein vernünftiger Mann sich oder seinen Bart in Tränen baden konnte, so lange es gut mit seinem Ackerbau geht.« Aber die Stimme in dem Zelte nahm ihren einförmigen Ton wieder auf, und seine fernern Betrachtungen unterbrechend, fuhr sie fort: Das Schiff, beladen voll und schwer, Gräbt Furchen in das Inlands-Meer. Nach Shetland weht's ein günst'ger Wind, Er regt der Krone Prachtgewind', Es hängen die Barten allzumal, Auf sieben stieg der Fische Zahl, Für Lerwick zwei, für Kirckwall zwei, Für Westra Burgh die besten drei. 1) Eine künstliche Krone von Bändern, von den Mädchen gewunden, welche Anteil an dem Schiffe oder dessen Mannschaft nehmen, prangt gewöhnlich an dem Takelwerk der Walfischjäger und wird während der Reise sorgsam aufbewahrt 2) Die Barten oder Kinnbacken des Walfisches, die den vorzüglichen Tran liefern, werden, um sie auszuleeren, an den Masten aufgehängt »Nun, so sei uns der Himmel gnädig,« rief Bryce Snailsfoot, »mehr als Weiberwitz hat das herausgeklügelt. Ich sprach Leute zu North Ronaldsha, die die Barke »Olav von Lerwick« zu Gesicht bekamen, an der unser werter Patron einen so großen Anteil hat, daß man sie sein Eigentum nennen könnte; die Barke hat ihnen ein Signal gegeben, und sie schwören darauf, daß sie, so gewiß wie Sterne am Himmel sind, sieben Fische am Bord haben, gerade wie es uns Norna in Reimen vorgetragen.« »Wie, gerade sieben Fische?« fragte Cleveland, »und das hörtet Ihr zu North Ronaldsha? vielleicht habt Ihr es als große Neuigkeit ausgeplaudert, als Ihr kamt?« »Es ist kein Wort davon über meine Lippen gekommen,« erwiderte der Hausierer: »habe ich doch, seit ich wieder in Dunroßneß bin, mit keinen drei Menschen davon gesprochen, daß der Olav seine volle Ladung habe.« »Aber wenn auch nur einer von den dreien die Sache weiter gebracht hat, und zwei gegen eins ist zu wetten, daß das geschehen, – so hatte die alte Hexe leicht prophezeien.« Aber Clevelands Worte, an Magnus Troil gerichtet, fanden keinen Beifall, auch bei dem Udaller nicht, dessen Vaterlandsliebe und Teilnahme an seiner unglücklichen Verwandten dazu zu groß waren. ... »Norna, seine Verwandte,« meinte er, indem er Nachdruck auf das letzte Wort legte, »halte keine Gemeinschaft mit Bryce Snailsfoot oder dessen Bekannten; er mache freilich nicht Anspruch, erklären zu wollen, wie sie zu dieser Nachricht gekommen sei, doch habe er immer bemerkt, daß die Shetländer und überhaupt die Fremden, wenn sie nach Shetland kämen, nach wie vor beflissen seien, Dinge, deren Grund allen Eingeborenen seit Jahrhunderte in Dunkel gehüllt sei, als unwahr oder unhaltbar zu erklären.« Cleveland verstand den Wink und verbeugte sich, aber ohne jeden Versuch, seine eigene Ungläubigkeit verteidigen zu wollen. »Und nun vorwärts, Kinder,« fuhr der Udaller fort, »möge Euch allen ein eben so guter Bescheid werden, wie mir; drei Walfische geben – wart' einmal, wieviel Tonnen?« – Nichtsdestoweniger herrschte bei den Gästen noch immer offenbarer Widerwille, das Orakel zu befragen. »Gute Nachrichten sind manchem willkommen, selbst wenn sie vom Gottseibeiuns kämen,« sagte Jungfer Yellowley zu Lady Glowrowrum, mit der sie, da ihre Ansichten in mancher Beziehung übereinstimmten, sich schon mehrfach unterhalten hatte, »aber es ist doch wohl zuviel Zauberkram dabei, als daß christlich gesinnte Frauen, wie Ihr und ich, sich darein finden sollten.« »Es mag allerdings an Euren Worten etwas sein,« erwiderte Lady Glowrowrum; »aber wir Shetländer sind nicht ganz wie andere Leute, und wenn Norna wirklich eine Hexe ist, so ist sie doch auch unseres Vogts und Wirts nahe Verwandte, und da möchte es übel aufgenommen werden, wenn wir uns nicht auch wahrsagen ließen; mögen deshalb auch meine Nichten, wenn die Reihe an sie kommt, kein Aergernis daran nehmen. Ihr Unrecht zu bereuen, wenn anders Böses dabei ist, wird Ihnen ja, menschlicher Voraussicht nach, reichlich Zeit bleiben.« Während manch andere unsrer Gäste von ähnlicher Ungewißheit und Furcht zurückgehalten wurden, erklärte Halcro, dem die Runzeln auf Magnus Troils Stirn nicht entgingen, jetzt in seinem eigenen Namen, und nicht als Dolmetscher für andere, die Sibylle befragen zu wollen. Er besann sich einen Augenblick – ordnete seine Reime, und sprach dann: »Finstre Mutter, Wohl und Weh Kündest Du von Fitful-Höh. Manchen Reim hast Du geseh'n Mit dem Strom der Zeit verweh'n. – Sprich, wird man mein Lied einst singen, Wie noch Hakons Verse klingen? Sag, wird eine Melodie Meines Spiels, die Phantasie Von John Dryden wohl erringen?« Die Stimme der Seherin erwiderte sogleich aus ihrem Heiligtume: »Das Klapperspiel ergötzt das Kind, Der Greis, ein zwiefach Kind, er sinnt Auf Spielwerk auch, nur tönt die Lust Verschieden in der beiden Brust. Der Adler steigt zum Sonnenlicht; Die Embergans, sie fliegt ja nicht. Und muß deshalb zufrieden sein, Kann sie ihr Lied den Robben weihn. Claud Halcro biß sich in die Lippen, zuckte mit den Achseln, gewann aber schnell seine gute Laune wieder und entgegnete, mutig improvisierend, wie es ihm lange Gewohnheit leicht gemacht hatte: »Sei ich der Embergans auch gleich, Nur eine Höhe sei mein Reich; Entgeh' ich dort des Schützen Pfeil, Fall' ich der Kugel nicht zu Teil. – Vergnügt, wenn, was ich prunklos sang, Verschönt durch Thules Wellenrauschen, Den Ohren, die mir freundlich lauschen, Wie Zauberharmonie erklang.« Als der kleine Poet mit kühnem Schritt und zufriedener Miene zurücktrat, folgte ein einstimmiger Beifall der geistreichen Weise, mit der er dem Urteilsspruch, der ihn mit einer Embergans verglichen hatte, begegnet war. Trotzdem aber fühlte kein anderer Gast den Mut, die gefürchtete Norna zu befragen. »Ei, über euch feigherzige Narren!« rief der Udaller, »fürchtet Ihr Euch etwa auch, Kapitän Cleveland, mit einer alten Frau zu sprechen? – So befragt sie doch um etwas – fragt sie, ob das Zwölf-Kanonenschiff zu Kirkwall Euer Gefährt sei oder nicht?« Cleveland blickte auf Minna, und da er zu bemerken glaubte, daß sie seine Antwort auf die Aufforderung ihres Vaters ängstlich erwarte, besann er sich schnell und erwiderte nach kurzem Bedenken: »Ich habe mich nie, weder vor Männern noch vor Weibern gefürchtet. – Ihr habt die Frage gehört, Halcro, die ich nach dem Wunsche unseres Wirtes tun soll, – fragt in meinem Namen auf Eure Weise, denn ich erhebe eben so wenig Anspruch auf Dichtkunst als auf Hexerei.« Halcro ließ sich nicht zweimal dazu auffordern, sondern die Hand des Kapitäns mit der seinigen fassend, wie es die Sitte des Spiels gebot, sprach er die Frage, die der Udaller dem Fremden vorgeschrieben, in folgenden Worten aus: »Finst're Mutter, Wohl und Weh Kündest Du von Fitful-Höh. Eine Barke voll und schwer Liegt zu Kirkwall, ferne her. Viel Geschütz mehrt ihre Fracht, Glänzend ist der Mannschaft Tracht. Gold und Seid' aus fremdem Land Füllen sie bis an den Rand. Mutter, sprich, hat dieser Mann Auch wohl einen Teil daran?« Eine Pause von ungewöhnlicher Länge trat ein, ehe das Orakel eine Antwort gab, und als diese erfolgte, geschah es in einem dumpferen, aber eben so entscheidenden Tone als bisher: »Gold ist herrlich, hell und schön, Blut ist dunkel anzuseh'n, Nach der Bai schaut' ich hinaus, Dort hält ein Falk, nach wildem Strauß Fest seine Beute mit höhnischer Wut; Krallen und Federn, sie triefen von Blut; Schaue der Frager die Hände nur an, Färbte sie Blut, hat teil er daran.« Cleveland, dessen Mund ein verächtliches Lächeln umzog, streckte seine Hand hin. – »Wenige nur,« sprach er, »sind so oft wie ich an der spanisch-amerikanischen Küste gewesen, ohne mehr denn einmal mit Küstenwache in Konflikt zu kommen, aber nie hat es einen Blutflecken an meiner Hand gegeben, den nicht ein nasses Tuch auf der Stelle fortgebracht hätte.« »Ja, ja mit den Spaniern unterhalb der Linie gibt es keinen Frieden,« fügte Magnus Troil bei, »hundertmal haben mir das Seeleute, wie der alte Kommodore Rummelaer, gesagt, der bis in die Honduras-Bai hinunter gekommen ... Ich hasse alle Spanier, seitdem sie 1558 auf der Fair-Insel alle Lebensmittel geraubt haben. Davon hat mir mein Großvater genug erzählt; hier im Hause liegt auch noch irgendwo eine alte holländische Chronik, in der zu lesen steht, wie sie vor langer Zeit in den Niederlanden gehaust haben.« »Recht, recht, mein würdiger Freund,« erwiderte Cleveland, »eifersüchtig sind sie auf ihre indischen Besitzungen wie ein alter Mann auf seine junge Braut, – und wenn sie einem nur ankommen können, heißt es gleich: auf Lebenszeit in die Bergwerke! – Und so bekriegen wir sie auf Leben und Tod, mit festgenagelter Flagge.« »Das ist der rechte Weg,« rief der Udaller, »die alte britische Flagge darf nicht gesenkt werden. Denke ich an die hölzernen Wälle, möchte ich fast selbst ein Engländer sein, wenn ich nicht dann unsern Nachbarn, den Schotten zu ähnlich würde. – Aber genug – niemand soll beleidigt werden, – hier ist jedermann gut Freund und willkommen. – Nun, wir wollen das Spiel fortsetzen. Brenda, an Dir ist die Reihe; Du weißt ja, wie uns allen bekannt ist, nordischer Reime die Menge.« »Aber keine, die sich zu diesem Spiele eignen, Vater,« sagte Brenda, zurücktretend, »Dummes Zeug,« entgegnete ihr Vater, sie vorwärts drängend, während Halcro ihre abwehrende Hand ergriff, – »laß nicht falsche Scham unsere harmlose Freude stören; sprecht Ihr für Brenda, Halcro,– Euer Geschäft ist's ja, die Gedanken der Mädchen auszulegen.« Der Sänger neigte sich zu der liebenswürdigen Jungfrau mit der Ehrfurcht eines Poeten und der Galanterie eines Weltmannes, und nachdem er ihr flüsternd bemerkte, daß sie ja auf keine Weise für das, was er spräche, verantwortlich wäre, blickte er auf, lächelte, als ob ihm plötzlich eine Idee gekommen, und sprach dann: »Finst're Mutter, Wohl und Weh Kündest Du von Fitful-Höh. Sprich jetzt aus, was schüchtern still Nicht die Schönheit fragen will. Tauch' Dein Wort in Milch und Wein, Hüll' es sanft in Seide ein, Sag', wird dieses Herz, so rein, Glücklich in der Liebe sein?« Die Seherin antwortete fast im nämlichen Augenblick aus ihrem Gezelt heraus: »Wer Jungfrau Brust, noch nicht erfüllt Von Liebe, ist das Ebenbild Von jenem glänzend reinen Schnee Auf Ronas fels'ger Wolkenhöh'. – Doch von dem Sonnenstrahl berührt, Wird er dem Späherblick entführt. Und träufelnd in den Talgrund nieder Erweckt er Gras und Kräuter wieder, Tränkt Herden mild, ruft Blumen wach Und schmückt des Schäfers Laubendach.« »Gut gesprochen,« rief der Udaller und hielt die errötende Brenda, die hinwegeilen wollte, bei der Hand, – »schäme Dich nicht, Mädchen, die Hausfrau eines ehrlichen Mannes und Mittel eines alten Norweger Namens zu sein, Nachbarn Glück zu bringen, Armen beizustehen und Fremden Hilfe zu leisten, denn solches ist das ehrenvollste Los, das einem jungen Mädchen werden kann, und ich wünsche es einer jeden, die hier zugegen ist.« »Nun, an wem ist jetzt die Reihe? Hier gilt's gute Männer zu bekommen, – Maddie Greatsettar – und Du, meine hübsche Klara, wollt Ihr nicht auch Euren Teil davon?« Lady Glowrowrum schüttelte mit dem Kopfe und meinte, sie wisse nicht, ob sie einwilligen könne – – – – – »Genug – genug! unterbrach sie Magnus, »keinen Zwang! aber das Spiel soll fortgehen, bis wir dessen überdrüssig werden. Hierher, Minna, Du stehst unter meinem Kommando. Tritt näher, Mädchen; es gibt mancherlei, dessen man sich weit mehr schämen müßte als solches alten, unschuldigen Spieles. Komm, komm, ich selbst will für Dich sprechen – weiß ich freilich nicht, ob mir auch noch Verse genug dazu einfallen werden.« Eine leichte Röte flog über Minnas Wange; schnell aber gewann sie die Fassung wieder, stand ruhig bei dem Vater, wie erhaben über den kleinen Scherz, zu dem sie durch ihre augenblickliche Lage den Anlaß gab, und sah zu, wie der Vater, nachdem er sich die Stirn gerieben und andere Mittel angewandt hatte, seinem Gedächtnisse zu Hilfe zu kommen, endlich zu dem die Seherin verhüllenden Gezelte trat ... Auf weniger galante Weise als Halcro sprach nun der Udaller: »Dunkle Mutter, sag' uns an, Hier die Maid will einen Mann, Sag' uns, wird sie zeitig frei'n, Und was wird Ihr Los dann sein?« Ein tiefer Seufzer wurde hinter dem Gezelt gehört, wie wenn der Gegenstand, über den sie das Urteil aussprechen sollte, das Mitleid wecke; dann gab sie wie früher die Antwort: »Des Mädchens Herz, noch unerfüllt Von Liebe, ist ein Ebenbild Von jenem unschuldsgleichen Schnee Auf Ronas riesger Wolkenhöh'; Von jeder Erdenfarbe rein. Scheint er ein Himmelsteil zu sein. – Doch von des Sturmes wilder Kraft Wird schleunig er hinweggerafft, Und nur zerstörend stürzt die Flut, Vom Fels herab mit grimm'ger Wut.« Den Udaller erfüllte diese Antwort mit großem Zorn... »Beim Gebein des Märtyrers,« rief er aus, und sein kräftiges Gesicht färbte sich dunkelrot, »das nenn ich Höflichkeit mißbrauchen, und hätte es irgend wer anders als Ihr gewagt, den Namen Meiner Tochter mit Zerstörung zusammenzubringen, hätte er besser getan, seiner Zunge einen Zaum anzulegen! doch komm nur heraus, Du schwarzgallige Hexe,« fügte er gleich mit gutmütigem Lächeln hinzu, »ich hätte eben bedenken sollen, daß Du nicht lange Freude an einer Sache haben kannst, die nach Fröhlichkeit schmeckt. Nun, Gott helfe Dir.« Seine Aufforderung erhielt aber keine Antwort, und deshalb fuhr er nach einer kurzen Weile fort: – »Sei nicht böse auf mich, gute Norna, wenn ich auch ein barsches Wort gesprochen – Du weißt, ich meine es gut mit jedermann und zumal mit Dir, – komm, komm, wir wollen Frieden machen! – Kein Wort hätt ich verloren und wenn Du mir Schiffsunglück oder schlimmen Fang vorgesagt hättest; aber Minna und Brenda, weißt Du, gehen mich näher an. – Noch einmal, komm heraus, gib mir die Hand und laß die Sache aus sein.« Norna gab indes auf keine seiner Aufforderungen Antwort, und die Gäste blickten einander schon verwundert an; da hob der Udaller den Vorhang und sah plötzlich, daß der Raum leer sei. In das Staunen der Anwesenden mischte sich nun Furcht; denn daß Norna aus ihrem verborgenen Winkel entweichen konnte, ohne von der Gesellschaft gesehen zu werden, schien ein Ding der Unmöglichkeit – und doch war sie fort. Der Udaller ließ nach kurzem Besinnen den Vorhang wieder hinab. »Wir kennen, meine Freunde,« sprach er mit heiterm Gesicht, »meine Muhme ja sämtlich lange genug, um zu wissen, daß ihre Wege nicht die der gewöhnlichen Menschen auf Erden sind. Aber sie meint es gut mit Shetland und liebt mich und mein Haus wie eine Schwester, und keiner von meinen Gästen braucht Böses von ihr zu fürchten, noch sich beleidigt zu glauben! zur Mittagszeit wird sie ohne Zweifel wieder bei uns sein.« »Nun, Gott behüte uns,« rief Jungfer Baby Yellowley, zu Lady Glowrowrum gewandt, »ich mag solche alten Weiber nicht, die da kommen und gehen können wie ein Sonnenstrahl oder wie ein Wirbelwind.« »Sprecht leiser, leiser,« warnte Lady Glowrowrum, »und laßt uns Gott danken, daß die Alte die Wand nicht mit sich fortgenommen hat. Ihresgleichen hat schon tollere Streiche gemacht, und auch sie hat es nicht daran fehlen lassen.« Gemurmel durchflog die Gesellschaft, bis des Udallers Stentorstimme die Gäste aufforderte, ihm zur Bucht zu folgen, wo die Boote bereit lägen, zum Fischfang in hohe See zu gehen. »Den Wind haben sie,« sagte er, seit Sonnenaufgang zurückgehalten; nun aber sei er günstig, und es soll nicht länger mit der Ausfahrt gesäumt werden.« Drittes Kapitel Lebt wohl, muntre Mädchen, mit Spiel und Gesang, Eure Burschen, sie schiffen das Meer nun entlang, Nur Hunger und Mühe wird Losung uns sein, Eh' wir uns zum fröhlichen Tanz wieder reih'n. Wir tanzen in Booten aus nordischem Baum Jetzt lustig mit Robben auf wogendem Raum: Mag pfeifen das Lüftchen, nur pfeif es gescheit. Die Möwe sie sei unsere Sängerin heut. Sing lustig, mein Vogel, wir jagen voll Mut Die wellen-durchschneidende schwimmende Brut; Und zogen der Fische erst viel wir heraus. Sing lauter, mein Vogel, auch Dein ist der Schmaus. Drum rührt Euch, Gesellen mit mutigem Blick, Wir kehren dann schneller zum Tanz auch zurück, Denn, freudenleer, ist ja das Leben nur Tod, Und Arbeit und Jubel heißt Magnus' Gebot. Unter den Klängen dieses Liedes stachen die Boote in See, und noch lange erklang die rauhe Melodie im Verein mit dem Wehen des Windes und dem Geplätscher der Wogen, und die Boote schwebten, kleiner und kleiner werdend, zuletzt wie schwarze Punkte, noch lange auf der Oberfläche des Ozeans, aber noch immer waren die Stimmen der Fischer zwischen denen der Elemente, wenn auch schwächer und schwächer, zu vernehmen. Die Fischerfrauen blickten noch lange den forteilenden Segeln nach, dann kehrten sie langsam, mit niedergeschlagenen Blicken, in die Hütten zurück, um dort Vorbereitungen zum Trocknen der Beute zu treffen, mit welcher sie ihre Gatten und Freunde bald wohlbeladen heimkehren zu sehen hofften. Die Gäste, die bisher sowohl der Ausrüstung und Einschiffung der kleinen Flotte zugeschaut, als sich mit den zurückgebliebenen Frauen unterhalten hatten, begannen nun in verschiedenen Gruppen nach allen Richtungen hin, und wie es ihnen die Laune eingab, am Strande sich zu zerstreuen, um sich an dem seltsamen Helldunkel eines shetländischen Sommertages zu laben, der, obgleich ihm jener glänzende Sonnenschein abgeht, der während der schönen Jahreszeit andere Gegenden belebt, dennoch ein merkwürdig angenehmes und mildes Gepräge trägt und das Oede, Nackte der einförmigen Landschaft gewissermaßen belebt. An einem der einsamsten Orte am Ufer, wo, wie wir schon früher erwähnt, der Felsen ausgespült war und die Flut in die Höhle von Swartaster ungehindert einströmen konnte, wandelte Minna Troil mit Kapitän Cleveland. Ohne Zweifel hatte sie gerade diesen Weg gewählt, weil hier weniger als anderswo Störung zu befürchten war, denn, abgesehen davon, daß die hier sehr starke Strömung die Boote fernhielt, stand die Gegend im Rufe, daß hier eine jener Seefrauen hause, denen norwegischer Aberglaube zauberhafte und unheilbringende Eigenschaften beilegt. Eine kleine Strecke von milchweißem Sande, die unter einer der die Bucht einschließenden, steilen Felshöhen hinlief, bot Raum für einen vielleicht hundert Schritte langen Spaziergang bis zu einem dunklen Wasserstriche, der, kaum vom Winde bewegt, glatt und eben wie Glas da lag, inmitten von zwei riesigen Felsblöcken, die den Eingang der Bucht bildeten und sich oben gegeneinander neigten, gleich als wollten sie sich über dem schwarzen Strome, der sie von einander schied, zusammen schließen. Am andern Ende fand der Spaziergang seinen Abschluß durch eine riesige, fast unerklimmbare Klippe, auf der Hunderte von Seevögeln nisteten; unter ihr gähnte der Rachen jener Meereshöhle, die sich in einem Abgrund von unermeßlicher Tiefe und Ausdehnung verlor. Der Eingang zu diesem furchtbaren Schlunde bestand nicht, wie gewöhnlich, in einer einzigen, sondern in zwei gewölbten Oeffnungen, getrennt durch eine natürliche Felsensäule, die aus der Tiefe bis ganz oben in die Höhle hinaufsteigend, das gewölbte Dach zu tragen schien und so zu einem doppelten Portal der Höhle wurde, dem die Fischer und Landleute den rauhen Namen: »Satans Naslöcher« beigelegt haben. An diesem wilden, einsamen Orte, dessen Stille nur von dem Geschrei der Seevögel gestört ward, hatte Cleveland Minna Troil schon mehr als einmal getroffen, war es doch ein Lieblingsgang für sie, da er so recht mit ihrem Hange zum Wilden, Schwermütigen und Wundervollen übereinstimmte. Aber die Unterredung, in die sie vertieft waren, zog sowohl ihre Aufmerksamkeit, als auch die ihres Begleiters von dem sie umgebenden Schauplatze ab. »Nicht leugnen läßt sich,« sprach sie, »daß Ihr dem jungen Menschen gegenüber Empfindungen Raum gegeben habt, die von Vorurteil und Heftigkeit nicht frei sind – und während Euer Vorurteil kaum erklärlich ist, läßt Eure Heftigkeit, hauptsächlich Ihres Unbedachts halber, sich in keiner Weise rechtfertigen.« »Ich hätte geglaubt,« erwiderte Cleveland, »daß der Dienst, den ich dem jungen Menschen gestern geleistet, mich von solchen Vorwürfen frei halten sollte; nicht jeder möchte sich wenigstens so nah an das furchtbare Tier gewagt haben, um einer Person willen, die ihn gar nichts angeht.« »Es ist wahr, nicht jeder hätte so gehandelt,« erwiderte Minna ernst, »aber jeder hatte es getan, den Mut und Großmut auszeichnet, ja, auch der unbesonnene Halcro, käme die Kraft bei ihm dem Mute gleich, – und auch mein Vater, obgleich er so gerechte Ursache zum Zorn gegen den jungen Mann hat, der auf so eitle, prahlerische Weise die ihm von uns bewiesene Gastfreundschaft gemißbraucht hat. Rühmt Euch also nicht zu sehr Eurer Tat, Freund, denn ich könnte auf die Vermutung geraten, daß sie Euch gar zu schwer geworden sei. Ich weiß, Ihr haltet nichts auf Mordaunt Mertoun, obgleich Ihr Euer Leben wagtet, das Seine zu retten.« »Wollt Ihr mir es denn für nichts anrechnen,« fragte Cleveland, »daß ich so lange schon den Schmerz ertrug, darüber, daß dieser unbärtige Vogelsteller zwischen mir und Minna Troil gestanden?« Er sprach in einem leidenschaftlichen, schmeichlerischen Tone, mit einer Freiheit in Wesen und Sprache, die zu dem gewöhnlichen Benehmen des schlichten Seemanns in auffallendem Kontrast standen, aber dem Mädchen galt keins von beiden als Entschuldigung. »Vielleicht,« sagte sie, »gewinnt Ihr bald und fest die Überzeugung, wie wenig Ihr zu fürchten hattet – wenn Ihr anders wirklich gefürchtet habt, daß Mordaunt Mertoun oder irgend ein anderer Interesse bei Minna Troil erwecken könnte. Ich will weder Dank noch Beteuerungen; ich würde es als den besten Beweis Eurer Erkenntlichkeit ansehen, wenn Ihr Euch mit diesem Jüngling aussöhnen oder wenigstens jeden Streit mit ihm vermeiden wolltet.« »Daß wir Freunde werden sollten, Minna, ist unmöglich,« erwiderte Cleveland, »selbst meine Liebe zu Euch, die mächtigste Leidenschaft, die je mein Herz erfüllte, kann kein solches Wunder bewirken.« »Und weshalb nicht, bitte?« fragte Minna, »es ist ja nichts Böses zwischen Euch vorgefallen, nur habt Ihr Euch gegenseitig einen wertvollen Dienst geleistet – warum könnt Ihr also nicht Freunde sein? – ich für meine Person habe mehr als einen Grund zu diesem Wunsche.« »Wie? und die Geringschätzung, mit der er von Brenda, von Euch selbst und von dem Hause Eures Vaters gesprochen, könntet Ihr vergessen?« »Ich kann alles verzeihen,« erwiderte Minna; »und Ihr nicht auch? trotzdem Euch im Grunde genommen keine Beleidigung zugefügt worden?« Cleveland blickte vor sich hin und schwieg einen Augenblick; dann sah er auf und entgegnete: »Leicht wäre es mir, Euch zu täuschen, Euch zu versprechen, was, wie mir mein Inneres sagt, ewig Unmöglichkeit bleiben wird; aber ich bin leider zu oft genötigt, andere zu betrügen, und mag solch Unrecht nicht an Euch tun. Ich kann nicht Freund mit diesem jungen Menschen sein; – eine natürliche Abneigung – ein instinktmäßiger Widerwille – ein gewisses Etwas zwischen uns und in uns macht uns einander verhaßt. Fragt ihn nur selbst – er wird Euch sagen, daß ihn die gleiche Antipathie beherrscht. Die Schuld gegen ihn hat meinen Gefühlen gegen ihn einen Zaum angelegt; aber dieser Zwang hat mich so erbittert, daß ich an dem Gebiß genagt hätte, bis mir die Lippen bluteten.« »Ihr habt Eure sogenannte Eisenmaske,« erwiderte Minna, »solange getragen, daß Eure Züge ihre rauhen Spuren auch noch dann zeigen, wenn Ihr sie abgenommen.« »Ihr tut mir unrecht, Minna,« antwortete Cleveland, »und zürnt auf mich, weil ich ehrlich und aufrichtig bin. Aber ehrlich und aufrichtig muß ich dennoch dabei bleiben, daß ich nie Mertouns Freund sein kann, daß es aber nur seine eigene Schuld und nicht die meine sein wird, wenn ich sein Feind werde. Ich trachte nicht danach ihm zu schaden, aber verlangt auch nicht, daß ich ihn lieben soll; und seid überzeugt, daß ein solcher Versuch von meiner Seite auch nur vergebliche Bemühung wäre; denn so wie ich mich seinem Vertrauen nähern wollte, würde ich nur seinen Argwohn und seine Abneigung wecken. Ueberlaßt uns unsern natürlichen Gefühlen, die, da sie uns ohne Zweifel so weit wie möglich voneinander entfernt halten werden, am leichtesten jeden persönlichen Zwist verhindern können. – Genügt Euch das?« »Es muß,« erwiderte Minna, »weil Ihr mir sagt, daß es nicht anders sein kann. – Und nun sprecht, warum saht Ihr so ernst aus, als Ihr die Ankunft Eures zweiten Schiffes vernahmt? denn das zu Kirkwall ist Euer Gefährte, ich zweifle nicht daran.« »Ich fürchte,« antwortete Cleveland, »daß die Ankunft dieses Schiffes und seiner Mannschaft meine liebsten Hoffnungen zerstören wird. Schon hatte ich die Gunst Eures Vaters gewonnen, und mit der Zeit hätte ich mich sicher darin gefestigt; nun aber langen Allured und Hawkins an, meine Aussichten auf immer zu vernichten. Ich sagte Euch, unter welchen Umständen wir uns verließen. Damals befehligte ich ein Schiff, stärker und besser als das ihre, mit einer Mannschaft, die auf meinen leisesten Wink selbst mit einem Heer von Teufeln angebunden hätte, und wären sie auch mit ihren eigenen feurigen Elementen bewaffnet gewesen; jetzt aber stehe ich allein, ein einzelner, aller Mittel beraubt, sie zu überwältigen oder im Zaum zu halten; und sie werden nun unverzüglich ihren Hang zur Zügellosigkeit dergestalt an den Tag legen, daß ihr und mein Ruin die unausbleiblichen Folgen davon sein werden.« »Seid deswegen unbesorgt,« erwiderte Minna, »mein Vater wird nie so ungerecht sein, Euch für Beleidigungen anderer verantwortlich zu machen.« »Aber was wird Magnus Troil zu einer Kränkung durch mich selbst sagen, schöne Minna?« fragte Cleveland. »Mein Vater,« entgegnete Minna, »ist ein Norweger, ein Mann aus unterdrücktem Stamme; gleichviel wird es ihm sein, ob Ihr gegen die Spanier, die Tyrannen der neuen Welt, oder gegen die Engländer und Holländer fochtet, die ihre usurpierte Herrschaft ererbten. Seine eigenen Vorfahren hielten die Freiheit der See in jenen mutigen Barken aufrecht, deren Wimpel der Schrecken von Europa waren.« »Nichtsdestoweniger fürchte ich,« antwortete Cleveland lächelnd, »daß der Abkömmling eines Seekönigs eben nicht sehr geneigt sein dürfte, den Räuber der neuern Zeit für eine passende Bekanntschaft zu halten. Ich habe Euch nicht verborgen, daß ich Ursache habe, die englischen Gesetze zu fürchten, und Magnus, obgleich er ein großer Feind von Auflagen, Taxen und dergleichen, dehnt doch diese freie Denkweise nicht auf Punkte von allgemeinem Charakter aus; – er würde bereit sein, selbst einen Strick für den unglücklichen Buccaneer zu liefern.« »Glaubt das nicht,« sagte Minna, »er selbst leidet zuviel durch die Unterdrückung unserer stolzen Nachbarn, der Shetländer; bald, hoffe ich, wird er selbst im stande sein, zum Widerstande gegen sie aufzustehen. Die Feinde – so will ich sie nennen – sind unter sich selbst uneins, und jedes Schiff von ihrer Küste bringt Nachrichten von neuen Unruhen, – die Hochländer streiten gegen die Leute im Unterland, – Anhänger Wilhelms gegen die Jakobs, – die Whigs gegen die Tories, mit einem Worte, das Königreich von England gegen das von Shetland. Was verhindert uns, wie es auch Claud Halcro richtig genug bemerkte, die Uneinigkeit dieser Räuber zu benutzen, um die Unabhängigkeit, die man uns stahl, wiederzugewinnen?« »Und die rabenschwarze Standarte auf dem Schlosse von Scalloway aufzupflanzen,« fuhr Cleveland, in ihre Rede einfallend fort, »und Euren Vater als Graf Magnus der Erste zu proklamieren!« »Graf Magnus der Siebente, wenn es Euch gefällt,« erwiderte Minna, »denn schon sechs seines Stammes trugen die Grafenkrone vor ihm. – Ihr lacht über meinen Eifer – aber was könnte alledem entgegentreten?« »Nichts,« erwiderte Cleveland, »weil es nie versucht werden wird! Mancherlei aber könnte es verhindern, was an Macht einem englischen Kriegsschiffe gliche.« »Ihr blickt mit Verachtung auf uns,« antwortete Minna, »doch sollte Euch selbst ja bekannt sein, was einige weniger entschlossene Männer zu tun vermögen.« »Aber sie müssen bewaffnet sein, Minna!« fügte Cleveland, »und auch bereit sein, Ihr Leben in dem ersten besten verzweiflungsvollen Abenteuer aufs Spiel zu setzen. – Denkt nicht an solche Dinge! – Dänemark ist zu einem Königreiche vom zweiten Range herabgesetzt und unfähig gemacht worden, nur eine einzige volle Ladung mit England zu wechseln; auf diesen Inseln ist die Liebe zur Unabhängigkeit durch lange Unterjochung vernichtet worden und zeigt sich nur noch in halblautem Gemurmel bei Bowle oder Flasche. – Und wären ihre Männer ebenso mutige Krieger wie ihre Vorfahren, was vermöchte die unbewaffnete Schar einiger wenigen Fischerboote gegen die britische Seemacht? – Wie gesagt, denkt nicht mehr daran, schöne Minna, – es ist ein Traum, und ich muß es so nennen, obgleich der Gedanke daran Euer Auge belebt und Euren Schritt beflügelt.« »Ja, ja, es ist ein Traum,« erwiderte Minna, die Blicke senkend, »und schlecht nur steht es einer Tochter Hialtlands an, wie ein freies Weib zu denken und zu handeln, – unsere Augen dürfen nur auf dem Boden ruhen, und unsere Schritte müssen nur langsam und zögernd sein, wie die eines Menschen, der einem Zuchtmeister gehorcht.« »Es gibt Länder,« sagte Cleveland, »wo das Auge frei auf Palmen und Kokoswäldern schauen darf, wo sich der Fuß wie eine segelnde Galliote über mit Blumen durchwirkte Fluren und durch aromatisch duftende Auen leicht bewegen kann; wo jede Unterwerfung unbekannt ist, außer der des Tapfersten, und der aller unter die Gewalt der Schönheit.« Minna zögerte einen Augenblick, ehe sie antwortete. »Nein, Cleveland,« versetzte sie dann, »mein rauhes Vaterland hat, so wüst wie Ihr es auch denken mögt und so unterdrückt wie es tatsächlich ist, dennoch Reize für mich, die mir kein anderes Land auf Erden zu bieten vermöchte. Vergebens bemühe ich mich, mir jene Bäume und Wälder vorzustellen, die mein Auge nie gesehen hat, aber meine Phantasie kann sich keinen erhabnern Anblick denken als diese Wellen, wenn der Sturm sie peitscht, und keinen lieblichern, als wenn sie, wie jetzt, in ungetrübter Ruhe, ans Ufer heranrollen. Nicht die herrlichste Szene in einem fremden Lande – nicht der glänzendste Sonnenstrahl, der je die köstlichste Landschaft beschien, könnte meine Gedanken, selbst nur auf einen Augenblick, von den erhabnen Klippen, den nebelumhüllten Felsen und dem weit hinaus wogenden Ozean abziehen. – Hialtland ist das Land meiner Vorfahren, das Land meines noch lebenden Vaters; auf Hialtland will ich leben und sterben.« »Dann will auch ich auf Hialtland leben und sterben,« rief Cleveland. »Ich begebe mich nicht nach Kirkwall, denn meine Gefährten sollen von meinem Dasein nichts erfahren, konnte ich mich ihnen anderwärts doch kaum entziehen. Euer Vater liebt mich, Minna; wer weiß, ob stete Aufmerksamkeit und Fürsorge ihn nicht endlich bestimmen könnten, mich in seine Familie aufzunehmen. Wer möchte wohl die Länge der Reise scheuen, wenn das Ende Glückseligkeit verheißt?« »Träumt nicht von einem solchen Erfolge, er ist unmöglich,« sagte Minna, »so lange Ihr in dem Hause meines Vaters wohnt, – so lange Ihr seinen Beistand empfangt und sein Mahl teilt, werdet Ihr ihn immer als einen großmütigen Freund und herzlichen Wirt erblicken, aber berührt nur etwas, was auf seinen Namen und seine Familie Bezug hat, und der freimütige Udaller wird augenblicklich vor Euch dastehen als der stolze Abkömmling eines norwegischen Jarls. Ein augenblicklicher Verdacht ist auf Mordaunt Mertoun gefallen, und er hat den Jüngling aus seiner Gunst verbannt, den er noch vor kurzem wie einen Sohn liebte. Nur einer wird sich mit seinem Hause verbinden, der von untadelhafter nordischer Abkunft ist.« »Das kann bei mir sehr wohl der Fall sein, wenigstens so weit mir etwas davon bekannt ist,« erwiderte Cleveland. »Wie? Ihr von nordischer Abkunft?« fragte Minna. »Ich habe Euch ja schon gesagt,« antwortete Cleveland, »daß ich von meiner Familie gar nichts weiß; ich verlebte meine früheste Jugend auf einer einsamen Pflanzung auf dem Schildkröteneiland unter Aufsicht meines Vaters, der damals ein ganz anderer Mann war, als er späterhin wurde. Wir wurden von Spaniern beraubt, und gerieten in solche Armut, daß mein Vater in seiner Verzweiflung und seinem Rachedurst die Waffen ergriff und als Häuptling einer kleinen Schar, die sich in demselben Verhältnis befand, Flibustier wurde, wie man diese Aufwiegler gegen spanisches Joch nannte – und mit wechselndem Glück gegen Spanien kreuzte, bis er, als er den Gewalttätigkeiten seiner Gefährten Einhalt tun wollte, unter ihren Händen fiel. Aber woher mein Vater stammte und wie sein Geburtsland hieß, weiß ich nicht, schöne Minna, noch habe ich je mich darum gekümmert.« »Er war also Wohl ein Brite, Euer unglücklicher Vater?« fragte Minna. »Ich zweifle nicht daran,« erwiderte Cleveland; »sein Name, zu furchtbar, um ihn öffentlich zu nennen, lautet englisch; und seine Kenntnis der englischen Sprache und Literatur sowie die Mühe, die er sich in früherer Zeit gab, mich darin zu unterrichten, sind mir Bürgschaft für seine englische Abkunft. Und allein meinem Vater verdanke ich jene besseren Gefühle und Grundsätze, die mich Eurer Aufmerksamkeit und Eures Beifalls einigermaßen würdig machen. Bei dem allen scheint es mir aber oft, als wohnten mir zwei verschiedene Charaktere inne, denn es kommt mir fast unglaublich vor, daß ich ein und derselbe sei, wenn ich mich hier an dem einsamen Strande mit Minna Troil sehe, dem lieblichsten Mädchen, das je mein Auge sah und ihr mein Herz ausschütten darf – mit dem unerschrockenen Anführer jener kühnen Bande, deren Name dem Sturmwind gleich Furcht und Angst verbreitete.« »Solch kühne Sprache gegen die Tochter von Magnus Troil wäre Euch nicht erlaubt, wäret Ihr nicht der tapfere, unerschrockene Anführer, der mit so geringen Mitteln seinen Namen so furchtbar machte. Mein Herz kann, wie bei den Jungfrauen früherer Tage, eben nicht durch schöne Worte, sondern nur durch mutige Taten gewonnen werden.« »Ach, dieses Herz!« rief Cleveland; »was kann ich tun – was kann ein Mann tun, seine Teilnahme zu erwecken?« »Begebt Euch zu Euren Freunden – verfolgt Euer Glück und überlaßt das übrige dem Schicksale,« antwortete Minna; – »wenn Ihr einst wiederkehrt als der Befehlshaber einer mächtigen Flotte, wer weiß, was geschehen kann?« »Und wer steht dafür, daß, wenn ich wiederkehre – überhaupt je zurückkehre – Minna Troil nicht die Braut oder Gattin eines andern ist? – Nein, Minna, nicht der Laune des Schicksals will ich den einzigen Gegenstand anvertrauen, den ich auf meinem stürmischen Lebenspfade erstrebenswert fand.« »Hört mich an, »sagte Minna; »ich will mich, wenn Ihr anders ein solches Verhältnis eingehen könnt, durch das Versprechen Odins, jenen heiligsten der alten nordischen Gebräuche, der noch unter uns aufrecht erhalten wird, an Euch binden und Euch geloben, nie einem andern meine Gunst zu schenken, bis Ihr etwa selbst auf die Ansprüche verzichten solltet, die ich Euch eingeräumt habe. – Wird Euch das genügen? – Mehr kann ich – mehr will ich nicht geben.« »So bin ich,« antwortete Cleveland nach einer Pause, »gezwungen, damit zufrieden zu sein, aber erinnert Euch, daß Ihr selbst mich in ein Leben zurückjagt, das die Gesetze des Königreichs England als Verbrechen brandmarkten – zu einem Gewerbe zurücktreibt, das durch die kühnen Männer, die es ausübten, mit Schimpf und Schande bedeckt ward.« »Ich bin über solche Vorurteile erhaben,« erwiderte Minna, »im Kriege gegen England betrachte ich ihre Gesetze nur, als ob Ihr gegen einen Feind kämpftet, der in der Fülle seines Stolzes und seiner Macht erklärte, seinem Gegner keine Gnade zugestehen zu wollen ... Ein braver Mann wird darum nicht schlechter, und Missetaten Euer Gefährten können Eurem Rufe nicht zum Schaden sein.« Cleveland blickte sie mit staunender Bewunderung an, in die sich aber auch ein Lächeln über ihre Einfalt zu stehlen schien. »Ich hätte nicht geglaubt,« sprach er, »daß ein so hoher Mut mit solcher Unkenntnis der Gegenwart vereint zu finden sei. Und hinsichtlich meines Betragens werden die, die mich am besten kennen, gerne bekennen, daß ich auf Gefahr meines Einflusses, ja meines Lebens hin, stets alles mögliche getan habe, die Wildheit meiner Gefährten im Zaume zu halten; aber wie kann man Menschen Menschlichkeit lehren, die vor Rache gegen eine Welt glühen, die sie ausgestoßen hat? Wie kann man sie zur Mäßigung in den Freuden bewegen, die der Zufall ihnen in den Weg streut zur Abwechslung in einer Lebensbahn, die sonst nur eine fortgesetzte Reihe von Gefahren und Mühseligkeiten wäre? Aber dieses Versprechen, der einzige Lohn meiner treuen Anhänglichkeit – laßt es mich wenigstens ohne Verzug empfangen.« »Nicht hier, nur in Kirkwall kann ich es ablegen. – Wir müssen zum Zeugen unseres Bündnisses den Geist anrufen, der über dem alten Ringe von Stennis schwebt; doch vielleicht fürchtet Ihr Euch, den Namen des greisen Vaters der Erschlagenen, den Namen des Ernsten und Schrecklichen, zu nennen?« Cleveland lächelte,. »Seid wenigstens so gerecht, mir einzuräumen, Minna, daß ich selbst von Furcht vor wirklichen Schrecken so gut wie nichts kenne, und daß Furcht vor Geistern keinen Eindruck auf mich macht.« »Ihr glaubt also nicht daran,« sprach Minna, »und eignet Euch also besser zu einem Liebhaber für Brenda als für mich.« »An alles will ich glauben, woran Ihr selbst nur glaubt,« erwiderte Cleveland; »alle Bewohner Walhallas, von dem Ihr Euch so oft mit dem alten Narren Halcro unterhaltet, – sie alle sollen für mich zu lebendigen und wirklichen Wesen werden. Aber, Minna, verlangt nicht von mir, daß ich mich vor ihnen fürchte!« »Furcht! nein – sie fürchten, nein!« entgegnete die Jungfrau; »denn weder vor Thor noch vor Odin, wenn sie mit all ihren Schrecken naheten, wichen wir zurück. Aber mit solchen prahlerischen Worten bietet Ihr einem Gegner Trotz, wie Euch noch keiner entgegentrat.« »Nicht in dieser nördlichen Breite, wo wir bisher nur Engel begegneten,« antwortete ihr Geliebter mit einem Lächeln, »aber ich habe mit den Dämonen der Linie zu schaffen gehabt, die wir Räuber für eben so mächtig und boshaft halten, wie die des Nordens.« »Habt Ihr denn jene Wunder erblickt, die über der sichtlichen Welt erhaben sind?« fragte Minna mit einem Anflug von Furcht. Cleveland nahm ein ruhiges Gesicht an und erwiderte: – »Kurze Zeit vor dem Tode meines Vaters wurde mir, obgleich ich damals noch sehr jung war, der Befehl über eine Schaluppe anvertraut, mit dreißig der entschlossensten Kerle bemannt, die je die Muskete führten. Wir kreuzten lange mit schlechtem Erfolg, denn wir nahmen nichts als armselige Fahrzeuge, die entweder auf Schildkrötenfang auszogen oder nur mit andern erbärmlichen Dingern beladen waren. Endlich verloren wir die Geduld und beschlossen, bei einem Dorfe ans Land zu gehen, wo wir auf die mit Schätzen beladenen Maultiere eines spanischen Gouverneurs treffen sollten. Wir nahmen den Platz, aber während ich bemüht war, die Bewohner der Wut meiner Gefährten zu entreißen, entflohen die Maultiere mit ihrer köstlichen Ladung in den nahen Wald. Dieser Vorfall nahm mir ganz die Gunst meiner Untergebenen; längst schon mit mir unzufrieden, brachen sie in völligen Aufruhr aus. In einer feierlichen Beratung ward ich meines Amtes entsetzt und, als zu menschlich für unser Gewerbe, verurteilt, an eine jener kleinen, buschigen Inseln ausgesetzt zu werden, die in Westindien unter dem Namen Kays bekannt sind und nur von Schildkröten und Seevögeln bewohnt werden. Auf vielen von ihnen sollen Dämonen Hausen, auf andern Geister von indianischen Häuptlingen, die von den Spaniern, um ihnen das Geständnis ihrer verborgenen Schätze abzupressen, zu Tode gefoltert wurden. Mein Verbannungsort, Coffin-Kay genannt, ungefähr anderthalb Meilen südöstlich von Bermudas gelegen, war als Wohnsitz übernatürlicher Bewohner dergestalt berüchtigt, daß ich überzeugt bin, nicht Mexikos ganzer Reichtum hätte einen einzigen der Bösewichter, die mich ans Land setzten, bewegen können, dort bei hellem Tage auch nur eine einzige Stunde allein zu bleiben. Und hier ließen sie mich nun auf einem dürren, sandigen Flecke zurück, mitten im unbegrenzten atlantischen Meere und, ihrem Wahne nach von schlimmen Dämonen gepeinigt.« »Und was geschah?« fragte Minna lebhaft, »Ich fristete mein Leben,« antwortete der Abenteurer, »von Seevögeln, die dumm genug waren, mich soweit herankommen zu lassen, daß ich sie mit meinem Stecken totschlagen konnte, und von Schildkröteneiern, als die Vögel gescheiter wurden und meine Nähe flohen.« »Und die Dämonen, von denen Ihr spracht?« unterbrach ihn Minna. »Ich hatte eine geheime Furcht vor ihnen,« sagte Cleveland, »bei hellem Tage oder in völliger Dunkelheit zwar nicht, aber in der Nebeldämmerung des Morgens, oder wenn der Abend zu grauen anfing, sah ich in den ersten Wochen viel dunkle undeutliche Gespenster: bald an einen Spanier im weiten Mantel mit dem breiten Hut, bald an einen holländischen Matrosen mit der rauhen Kappe und in den Pluderhosen, bald an einen Indianer mit Federkrone und Rohrlanze erinnernd.« »Und Ihr habt nie versucht, sie anzusprechen?« »Ich trat jedesmal näher,« erwiderte der Seemann; »aber, immer – es tut mir leid, Eure Erwartung täuschen zu müssen, schöne Freundin, – wurde das Gespenst entweder zu einem Busch oder einem Stück Treibholz oder einem Nebelkreis oder irgend einem andern harmlosen Dinge; bis ich mich nicht länger durch solche Gebilde quälen ließ, und mich vor Gespenstern so wenig auf meiner Insel fürchtete, wie in der Kajüte eines Schiffes, im Kreise meiner Gefährten.« »Aber wie lange bliebt Ihr denn auf der Insel?« sagte Minna. »Vier Wochen lang habe ich dort ein elendes Dasein geführt,« antwortete Cleveland, »als ich endlich durch Fischer, die an der Insel anlegten, um Schildkröten, zu fangen, erlöst wurde. Aber die Zeit war mir nicht fruchtlos verstrichen, denn auf dem dürren Sandfleck fand ich die Eisenmaske, die mir seitdem zur Schutzwehr gegen Verräterei und Aufruhr geworden ist. Dort reifte der Entschluß in mir, das Uebergewicht, das mir Erziehung und Kenntnis gaben, das mich aber meinen Kameraden verhaßt machte, auf die roheste Weise in Geltung zu setzen, mir durch gefühllose Härte Einfluß zu sichern. Kurz, ich lernte, daß sich Herrschaft nur behaupten lasse, wenn ich wenigstens dem Aeußern nach denjenigen gleiche, über die ich sie ausüben wollte. Da traf mich die Kunde von dem Schicksal meines Vaters und entflammte mich. zu Zorn und Rache, denn er war als Opfer seines höheren Geistes und seiner bessern Sitten gefallen; bei seinen Leuten hieß er immer nur der vornehme Herr, und nur weil sie meinten, daß er auf eine günstige Gelegenheit warte, um sich auf ihre Kosten mit der besseren Gesellschaft auszusöhnen, gaben sie ihm den Tod. Bald stand ich wieder an der Spitze einer Schar von Abenteurern: doch nicht diejenigen suchte ich, die mich ausgesetzt, sondern die Schurken, die meinen Vater verraten hatten, und meine Rache war so schrecklich, daß alle, die mich früher gekannt, den mit mir vorgegangenen Wandel den Dämonen zuschrieben, die ihrer Meinung nach auf dem Sande vom Coffin-Kay ihr Wesen trieben: ja manche waren abergläubisch genug, zu sagen, daß ich ein Bündnis mit denselben eingegangen sei.« Er hielt inne, fuhr aber, da Minna still blieb, nach einer Pause fort: »Ihr schweigt, Miß Troil, und ich mag mir wohl durch meine Offenherzigkeit bei Euch geschadet haben; in Wahrheit aber kann ich behaupten, daß meine natürlichen Anlagen durch diese unheilvollen Verhältnisse, wenn auch unterdrückt, doch nicht erstickt wurden.« »Ich bin ungewiß,« entgegnete Minna nach kurzem Besinnen, »ob Ihr so offenherzig gewesen wäret, hättet Ihr nicht gewußt, daß ich bald Eure Kameraden sehen und durch sie erfahren würde, was Ihr sonst vielleicht gern verborgen gehalten hättet.« »Ihr tut mir Unrecht, Minna! grausames Unrecht! Von dem Augenblick an, wo Ihr mich als Abenteurer, Flibustier oder, wenn Ihr das rechte Wort verlangt, Seeräuber kanntet, durftet Ihr nicht weniger erwarten, als ich Euch erzählt habe.« »Ihr sprecht nur zu wahr,« versetzte Minna, »als daß ich anderes hätte erwarten sollen, und ich weiß nicht, wie ich es anders erwarten konnte. Aber es schien mir, als schlösse der Krieg gegen die grausamen und abergläubischen Spanier etwas Erhabenes in sich, das dem furchtbaren Gewerbe, dem Ihr soeben seinen rechten Namen beigelegt, einen Hauch von edler Art verleihe – als müßten die Helden der westlichen Meere den Söhnen des Nordens gleichen, die in langen Gallioten an so manchen Küsten die Sünden des entarteten Roms zu rächen wußten. So dachte ich, so träumte ich – schmerzlich fühlte ich, daß ich erwacht und enttäuscht bin. Aber ich lege Euch den Irrtum meiner Phantasie nicht zur Last. Lebt wohl. Wir müssen uns jetzt trennen.« »So sagt mir wenigstens,« antwortete Cleveland, »daß Ihr nicht mit Entsetzen auf mich blickt, weil ich die Wahrheit redete.« »Ich muß Zeit zur Ueberlegung haben,« sagte Minna, »muß wägen können, was Ihr gesprochen, bevor ich meine Gefühle völlig begreifen kann. So viel aber kann ich schon jetzt sagen, daß der Mann, der mit Grausamkeit dem elenden Seeräuberhandwerk obliegt, der seine Gewissensbisse unter einer rohen Außenseite zu verbergen suchen muß, nie der Geliebte sein kann, den Minna Troil in Cleveland zu finden meinte – und daß, wenn sie ihn dennoch liebt, sie ihn nur noch als Büßer, nicht aber als Helden mehr lieben kann.« Nach diesen Worten entwand sie sich ihm, – (denn noch immer suchte er sie zurückzuhalten), – und winkte ihm gebieterisch, ihr nicht zu folgen. – – – »Da geht sie,« sprach Cleveland, ihr nachblickend, »ungestüm und launenvoll, wie sie ist – ha! darauf war ich nicht vorbereitet. Sie erschrak nicht, als ich ihr mein gefährliches Handwerk nannte, aber die schlimmen Seiten desselben überraschten sie; und nun ist mein ganzes Verdienst, einem nordischen Kämpen oder einem Seekönig zu gleichen, auf einmal verloren, weil eine Seeräuberbande keine Aehnlichkeit mit einer Heiligenschar aufweist... Ich wollte, Nackam, Hawkins und alle andern lägen tief unten im Schlunde von Portland ... Ich wollte, das Pentland-Haff hätte sie an den Strand der Hölle gespült statt nach Orkney hinauf... Aber ich will die Jagd auf diesen Engel nicht aufgeben, was auch jene Teufel unternehmen können... Ich will – ich muß nach Orkney, bevor der Udaller dort anlangt; denn unser Zusammentreffen möchte selbst seinen rohen Verstand in Schrecken setzen; obgleich man, Gott sei Dank! in diesem rauhen Lande uns nur von Hörensagen, durch unsre alten Freunde, die ehrlichen Holländer kennt, die sich gar wohl in acht nehmen, schlecht von Leuten zu reden, durch die sie Geld verdienen. – Stände Fortuna mir jetzt bei diesem schwärmerischen Weibe zur Seite, nie wollte ich ihr Glücksrad ferner auf den Wellen verfolgen, sondern hier – hier unter diesen Felsen mich ruhig niederlassen, so glücklich, als wären es eben so viele Bananen- und Palmenhaine.« Unter solchen Betrachtungen kehrte Cleveland, der Seeräuber, nach dem Herrenhause von Burgh-Westra zurück. Viertes Kapitel Wir wollen nicht bei den Festlichkeiten dieses Tages verweilen, von denen wir nichts zu berichten wüßten, was die besondere Teilnahme unserer Leser erregen könnte. Die Tafel seufzte unter dem gewöhnlichen Ueberfluß – die Punschbowle ward mit dem gewöhnlichen Eifer gefüllt und geleert – die Männer zechten, die Weiber lachten – Claud Halcro reimte und sang, und der Udaller trank und sang, und der Abend endete wie gewöhnlich in dem Tanzraume. Dort war es, wo Cleveland zu dem zwischen seinen Töchtern sitzenden Hausherrn trat und diesem seine Absicht mitteilte, sich nach Kirkwall in einer kleinen Brigg zu begeben, die Bryce Snailsfoot, der mit seinem Warenlager unglaublich schnell aufgeräumt, gedungen hatte, um neuen Vorrat zu holen. Magnus Troil, hierdurch nicht eben angenehm berührt, fragte Cleveland in scharfem Tone, seit wann er die Gesellschaft des Hausierers der seinigen vorzuziehen gelernt habe. Cleveland antwortete mit seiner derben Offenheit: »daß Zeit und Flut auf niemand warte, und daß er seine eigenen Gründe habe, sich früher als der Udaller nach Kirkwall zu begeben, – daß er aber hoffe, ihn mit seinen Töchtern dort zur bevorstehenden Marktzeit zu treffen und dann vielleicht in ihrer Gesellschaft nach Shetland zurückzukehren.« Unterdes hielt Brenda den Blick fest auf ihre Schwester gerichtet und bemerkte, daß deren bleiche Wangen noch bleicher wurden, daß sie die Lippen zusammenpreßte und die Brauen leicht verzog, so sehr sie sich auch bemühte, diese Zeichen einer gewaltsamen innern Bewegung zu unterdrücken. Aber sie sprach nicht, und als Cleveland dem Udaller Lebewohl gesagt und sich, der Sitte gemäß, auch ihr näherte, hörte sie seine Abschiedsworte an, ohne etwas darauf zu erwidern. Aber auch ihrer Schwester stand eine Prüfung bevor, denn Mordaunt Mertoun, einst der besondere Günstling ihres Vaters, nahm jetzt Abschied, ohne auch nur einen einzigen freundlichen Blick von ihm zu erhalten; ja es lag in dem Ton, mit dem Magnus dem Jüngling eine glückliche Reise wünschte und ihm empfahl: »wenn er unterwegs ein hübsches Mädchen treffen sollte, nicht gleich zu denken, sie sei in ihn verliebt, wenn er sie lächeln sähe« – ein solcher Spott, daß Mertouns Wangen erglühten; aber er dachte an Brenda und nahte sich, die Kränkung hinnehmend, den Schwestern, um Abschied von ihnen zu nehmen. Minna, jetzt milder gegen ihn gestimmt, nahm sein Lebewohl nicht ohne Teilnahme auf; Brenda aber verriet ihre freundlichen Gesinnungen gegen ihn durch eine Träne so deutlich, daß es selbst dem alten Udaller nicht entging, der halb verdrießlich ausrief: »Was, soll das heißen, Mädchen? das mag alles gut sein, denn er war ein alter Bekannter; aber Du kennst meinen Willen und weißt, daß er es nicht länger sein soll.« Mordaunt, langsam aus dem Hause tretend, hatte die neue Kränkung zwar nur halb vernommen und wandte sich um, in der Absicht, etwas darauf zu erwidern; gab aber, als er sah, daß Brenda das Gesicht mit dem Schnupftuch bedeckte, um ihre Bewegung zu verbergen, seinen Vorsatz auf – denn der Gedanke, daß sie über seinen Weggang bekümmert sei, tilgte im Nu jeden Groll an die Unfreundlichkeit des Vaters. Er ging, die andern Gäste folgten seinem Beispiel; und viele von ihnen nahmen, wie Cleveland und er, noch an diesem Abend Abschied, um am nächsten Morgen sich nach den heimatlichen Hütten zurück zu begeben. Minna und Brenda, deren Kummer zwar das verschlossene Wesen, das sich zwischen sie eingedrängt hatte, nicht ganz entfernen konnte, aber doch das Eis ihrer Herzen schmolz, hielten sich umschlungen und weinten bitterlich – und wenn auch keine von ihnen sprach, so wurden sie einander doch mit jedem Augenblick teurer; denn sie fühlten, daß die Tropfen, die ihren Augen entquollen, aus einer und derselben Ursache flossen. Und wenn auch Brendas Tränen reichlicher strömten, so war Minnas Gram dennoch tiefer, denn lange nachdem sich die Jüngere an dem Busen ihrer Schwester, einem Kinde gleich, in den Schlaf geseufzt, lag Minna noch wachend, vertieft in die kummervollen Gedanken, die noch immer Tränen aus ihren Augen lockten. Da vernahm sie zu ihrer nicht geringen Verwunderung plötzlich die Töne einer nahen Musik unter ihrem Fenster. Anfangs hielt sie es für eine Grille von Claud Halcro, dessen Uebermut sich dann und wann in solchen Serenaden äußerte. Aber es war nicht die Geige des alten Sängers, sondern eine Guitarre, deren Töne ihr Ohr berührten, ein Saitenspiel, das auf diesen Inseln niemand als Cleveland zu spielen verstand, der während seines Umganges mit den südamerikanischen Spaniern dieses Instrument mit ungemeiner Fertigkeit zu handhaben gelernt hatte. Vielleicht hatte er dort auch das Lied gelernt, das er jetzt unter dem Fenster eines thulischen Mädchens sang, und das besser in jenen als diesen so nördlichen rauhen Himmelsstrich zu passen schien, denn es sprach von irdischen Freuden, die hier in, diesem wilden Klima unbekannt waren: 1. Deckt Schönheit Schlummer, Wacht Liebeskummer, Und singt sein Klagelied allein. Laß Harmonie, Die Melodie, Sanft wie ihr Ruhelager sein. 2. Durch Palmengebüsche Haucht Balsamfrische, Belebend ringsum die Natur, Her durch die Luft Trägt Zauberduft Der reichen Blumenbeete Spur. 3. Darum erwache, Nur leise, schwache Gebilde ruft ein Traum hervor. Dein Schlaf enteile. Am Fenster weile, Und leih dem Liebesklang Dein Ohr! Clevelands Stimme war weich, voll und männlich und stimmte vortrefflich mit der spanischen Melodie überein, die zu den Worten, vermutlich eine Uebertragung aus derselben Sprache, gesetzt worden war. Seine Aufforderung wäre ohne Zweifel nicht fruchtlos geblieben, hätte Minna ihr Lager verlassen können, ohne ihre Schwester zu erwecken. Aber das war unmöglich; denn Brenda, welche, wie wir bereits erwähnt haben, vor ihrem Entschlummern bitterlich geweint hatte, ruhte jetzt an der Brust ihrer Schwester, und hatte den einen Arm um sie geschlagen, wie ein Kind, welches sich, seine Wärterin umschlingend, in den Schlaf weint. Es war daher Minna unmöglich, sich ihrem Arm zu entwinden, wenn es auch im ersten Augenblick ihre Absicht war, ihr Nachtgewand umzuwerfen und an das Fenster zu eilen, um mit Cleveland zu sprechen, welcher, wie sie nicht zweifelte, zu diesem Mittel gegriffen habe, um eine Unterredung mit ihr herbeizuführen. Dieser Zwang war allerdings ärgerlich; denn es war mehr als wahrscheinlich, daß ihr Geliebter gekommen sei, ihr sein letztes Lebewohl zu sagen; aber daß Brenda, welche jetzt feindselig gegen Cleveland gesinnt schien, erwachen und Zeuge dabei sein sollte, war ein unerträglicher Gedanke. Eine kurze Pause fand statt, in welcher Minna mehr als einmal versuchte, den Arm ihrer Schwester so sanft wie möglich von sich los zu machen, aber jedesmal, wenn sie den Versuch wagte, murmelte die Schlummernde, wie ein Kind, das man in seinem Schlafe stört, ein paar verdrießliche Töne, bis Minna sich überzeugte, daß die Schwester, wenn sie sie nicht in Ruhe ließe, wieder munter werden würde. Zu ihrem größten Verdruß sah Minna sich also genötigt, still und ruhig zu liegen; während ihr Geliebter, dem Anschein nach entschlossen, ihr Ohr durch Musik zu gewinnen, folgendes Bruchstück aus dem Liede eines Seemanns anstimmte: Lebwohl, lebwohl, Dein soll, o Leben! Mein letzter sanfter Ton noch sein, Der nächste stimmt, mit rauhem Streben, Bald in den Lärm des Seevolks ein. Die Stimme, die, Dein Auge schauend, Nur stammelte von Liebesqual, Gibt bald, den Sturmwind überschreiend, Nur roher Mannschaft das Signal. Das Auge, das emporzublicken Kaum wagte, schaut nun kühn bald auf, Und muß, dem Feind den Tod zu schicken, Scharf richten den Kanonenlauf. Das Erdenglück, das mir geboten, Der Lieb' und Hoffnung Sonnenlicht, Ich rechn' es fortan zu den Toten, Nur Deiner, ach, vergeh ich nicht. Wieder schwieg er, und aufs neue versuchte Minna, der die Serenade galt, sich aus den Armen ihrer Schwester zu winden, ohne diese zu erwecken. Es war unmöglich, und ihr blieb jetzt nur noch der traurige Gedanke, daß Cleveland, der trotz seines feurigen Temperaments sich ihrem Willen so unverdrossen fügte, in seiner Verzweiflung forteilen würde, ohne ein einziges Wort von ihr vernommen zu haben. Ach, hätte sie sich doch nur einen Augenblick wegstehlen können, um ihm Lebewohl zu sagen – um ihn vor neuem Streit mit Mordaunt Mertoun zu warnen – um ihn zu beschwören, daß er sich von den furchtbaren Gefährten losmache; – ach, wäre ihr dieses nur möglich gewesen, welche heilsamen Folgen hätten solche Ermahnungen beim Abschied auf seinen Charakter, ja, sein ganzes zukünftiges Leben haben können? Von diesem Gedanken dem Tantalus gleich gefoltert, war Minna eben im Begriff, noch einen entscheidenden Versuch zu ihrer Befreiung zu machen, als sie plötzlich Stimmen unter ihrem Fenster vernahm, die, wie sie zu unterscheiden glaubte, Cleveland und Mertoun angehörten. Es wurde ein heftiger Wortwechsel geführt, gleichsam als fürchteten sie gehört zu werden, in gedämpftem Tone. Schrecken erfaßte sie, und ihr Verlangen, aufzustehen, wurde so heftig, daß es ihr endlich gelang, sich aus Brendas Armen loszumachen, ohne die Schläferin zu wecken. Schnell und still warf sie einen Teil ihrer Kleidung über, in der Absicht, sich ans Fenster zu schleichen. Aber ehe sie dies Vorhaben noch zu Ende führen konnte, verstummten die Stimmen, und Minna vernahm nur ein heftiges Ringen und Schlagen; gleich darauf war alles still, und nur ein tiefer Seufzer drang zu ihr herauf. Hierdurch aufs höchste erschreckt, flog Minna zum Fenster und versuchte es zu öffnen, denn der Kampf hatte so dicht an der Mauer stattgefunden, daß sie nichts hätte sehen können, ohne den Kopf hinauszustecken. Der eiserne Riegel war verrostet und wollte nicht weichen, und die Eile, mit der sie ihn fortschieben wollte, erschwerte, wie es bei solchen Gelegenheiten zu gehen pflegt, die Arbeit; als es ihr endlich gelang und sie fast mit dem halben Körper zum Fenster hinaus lag, war in dem hellen Mondschein von Männern, die den Lärm bewirkt hatten, nichts als der Schatten eines um eine Ecke biegenden Körpers in langsamer Fortbewegung zu sehen: dem Anscheine nach der eines Mannes, welcher einen andern auf seinen Schultern trug: ein Umstand, der Minnas Herzensangst aufs höchste steigerte. Das Fenster war nicht über acht Fuß vom Boden entfernt; nicht einen Augenblick besann sie sich, hinabzuspringen und dem Schatten, der sie in solchen Schrecken gesetzt hatte, zu folgen. Aber als sie die Ecke erreichte, um die sie den Schatten hatte biegen sehen, zeigte sich keine Spur, welchen Weg die beiden Gestalten genommen, und nach kurzer Ueberlegung mußte sie sich sagen, daß jeder Versuch, die Verfolgung fortzusetzen, ebenso ungewiß wie fruchtlos sein müsse. Außer den zahlreichen Vorsprüngen und Vertiefungen des winkelreichen Herrenhauses und seiner vielen Nebengebäude, – außer den verschiedenen Kellern, Vorratskammern, Ställen und ähnlichen Gegenständen, die sich ihr in den Weg stellten, zog sich auch noch bis zu dem kleinen Hafen eine niedere Bergreihe hin, die eigentliche Fortsetzung der Felskette, die die Schutzwehr des Hafens bildete. In diesen Klippen waren mannigfache Höhlen, Schluchten und Vertiefungen, in denen sich der Körper, dem der Schatten angehörte, mit seiner Unglückslast leicht verbergen konnte; denn ein Unglück, davon war sie überzeugt, mußte vorgefallen sein. Minnas nächster Gedanke war, die Ihrigen wach zu rufen; aber was konnte sie ihnen mitteilen, und über wen? – Anderseits aber war dem Verwundeten, dem, ach vielleicht gar tödlich Verwundeten! – Hilfe und Beistand nötig, und von diesem Gedanken mächtig erfaßt, wollte sie eben ihre Stimme erheben, als sie diejenige Claud Halcros vernahm, der dem Anschein nach auf dem Rückweg vom Hafen begriffen war und ein Bruchstück eines alten norwegischen Liedes sang Einst sollst Du, was von mir Dir blieb, Verteilen, Mutter mein, Dem Hungrigen und Durst'gen gib, Das Weißbrot und den Wein. Und meiner Rosse große Zahl Verteil sie, Mutter mein, Und meine Güter allzumal Und meiner Schlosse neun. Doch teile meine Rache nicht, Laß ruhen jede Schuld; Den Körper laß der Erdenschicht, Die Seel' in Gottes Huld. – Der seltsame Anklang dieser Zeilen auf die Lage, in der sie sich befand, erschien Minna wie eine Warnung vom Himmel. Unsere Erzählung spielt in einem Lande des Aberglaubens und der Ahnungen; wir werden daher von Lesern kaum verstanden werden, deren nüchterne Einbildungskraft nicht fassen kann, wie mächtig solche Vorstellungen auf den menschlichen Geist einwirken; im siebzehnten Jahrhundert, und am Hofe von England, wurde eine zufällig in einem Dichter aufgeschlagene Verszeile als Verkünderin künftiger Begebenheiten betrachtet; es ist daher wohl kein Wunder, daß ein Mädchen auf den entlegenen, rauhen Shetland-Inseln Verse als eine Eingebung vom Himmel ansah, die zufälligerweise einen auf ihre Lage bezüglichen Sinn trugen. »Den Körper laß der Erdenschicht, Die Seel' in Gottes Huld« wiederholte sie leise vor sich hin, »aber,« schloß sie, »ich will schweigen und meine Lippen verschließen.« – »Wer spricht hier?« rief Claud Halcro, nicht ganz ohne Furcht; denn selbst sein langer Aufenthalt in fremden Ländern hatte seinen Aberglauben nicht völlig vertilgen können. Von Schrecken und Angst ergriffen, war Minna unfähig, auch nur eine Silbe zu antworten, und Halcro, seine Augen fest auf die große weibliche Gestalt gerichtet, die er nur undeutlich sah, denn sie stand im Schatten des Hauses, und der Morgen war trübe und nebelig, begann sie in altnorwegischen Versen zu beschwören, die ihm als gerade passend für die Gelegenheit einfielen, und die in ihrer Ursprache etwas Wildes und Ueberirdisches hatten... Sankt Magnus gebeut Dir zu weichen sofort, Sankt Ronald befiehlt Dir's mit Weisheit und Wort. Bei der Messe Sankt Martins, bei Mariens Gewalt, Verlaß diesen Ort, Du Unglücksgestalt. Willst Du Gutes, heilige Dich; Willst Böses, verschlinge die Erde Dich; Entstiegst Du der Luft, umwölke Dich, Gebar Dich die Erde, begrabe Dich. Den Zauberkreis suche als Fee, Als Nixe die See; – Doch warst Du auf Erden hier Kummersklave einst wie wir. Hast vielleicht auch Du getragen, Einst des Lebens herbe Plagen, Kehr in die Gruft, denn Dein Sarg harrt auf Dich, Dein Gespiele, der Wurm, erwartet Dich; – Fort, unsteter Geist, die Erde berge Dich! – Nur der Posaune Schall erwecke Dich! – Hinweg von hier, des Kreuzes Zeichen Gebeut Dir, eilig zu entweichen! – »Ich bin es, Halcro,« erwiderte Minna, aber in einem so leisen Tone, daß es für die Antwort eines Geistes hätte gelten können. »Du, Du?«, fragte Halcro, dessen Furcht plötzlich in das größte Staunen überging, »bei bleichem Mondschein, – wer hätte denken können, Dich, meine liebenswürdige Nacht, so in ihrem eigenen Elemente herumwandern zu sehen? – Aber Du sähest sie gewiß so gut als ich – kühn genug von Dir, daß Du ihnen folgtest.« »Wem? – Wem? –« rief Minna, in der Hoffnung, über den Gegenstand ihrer Furcht und ihrer Angst Näheres zu erfahren. »Die Totenlichter, die um den Hafen tanzten, bedeuten nichts Gutes; ich stehe dafür. Weißt Du nicht, was das alte Lied sagt:– Wenn Lichterkranz Verbreitet Glanz, – Ob's helles Tageslicht, Ob Nacht die Welt umflicht – Fehlt's auch an Leichen nicht. Ich bin schon halb bis zum Hafen gewesen, aber sie waren verschwunden; doch schien es mir, als ob ein Boot abstieße, ein Fischerboot vielleicht. –Wollte ich doch, wir hätten erst gute Nachrichten von der Fischerei – Norna verließ uns im Zorn – und jetzt diese Totenlichter! – Nun, Gott helf uns! ich bin ein alter Mann und kann nur wünschen, daß alles glücklich vorüber wäre. – Aber wie, meine schöne Minna, Tränen in Deinen Augen? Und, wie ich beim hellen Mondenschein sehe, barfuß? Gab's denn, beim heiligen Magnus, keine shetländische Wolle, weich genug für diese allerliebsten Füßchen, die so lieblich in Lunas Strahlen glänzen? Wie, Du schweigst? vielleicht böse über mein Geplauder?« fügte er mit ernstem Tone hinzu, »schäme Dich, albernes Mädchen! Bedenke, ich bin alt genug, Dein Vater sein zu können, und stets habe ich Dich wie mein Kind geliebt.« »Ich bin nicht böse,« sagte Minna, sich zum Reden zwingend, – »aber hörtet Ihr denn nichts? sie müssen an Euch vorüber gekommen, sein.« »Sie, sie? von wem sprichst Du denn?« fragte Claud Halcro, »meinst Du etwa die Totenlichter? – Nein, bei mir sind sie nicht vorüber gekommen, aber, wie ich fast vermute, bei Dir, denn Du siehst ja bleich aus wie der Tod. – Komm, komm, Minna,« fügte er hinzu, indem er eine Seitentür des Gebäudes öffnete, »solche Spaziergänge im Mondenschein taugen besser für alte Poeten als für junge Mädchen, – Und wie leicht Du gekleidet bist, Mädchen, Mädchen! Du solltest sorgsamer sein in einer shetländischen Nacht, sie ist reicher an Rasse als an Düften. – Hinein mit Dir, Mädchen, denn wie John Dryden, der ruhmgekrönte Dichter sagt, – oder, wie er nicht sagt – denn ich kann mich nicht recht erinnern, wie seine Verse klingen – wie ich vielmehr in einem niederländischen Liede sagte, als meine Muse noch in ihrer Kindheit war: Sittsame Maid sich dann erst erhebt, Wenn vom Frühstrahl die Erde belebt; Bis er den Kuß der Rose geschenkt, Bleibe die seidene Wimper gesenkt. Mägdleins Füßchen, zart und fein, Darf vom Tau benetzt nicht sein. Bis der Tag die Blumen erschlossen Und sie den Balsamduft ergossen. »Halt, was kommt doch jetzt? laßt sehen.« – Wenn der Geist des Rezitierens sich auf Claud Halcro herabsenkte, vergaß er Zeit und Ort, und hätte recht wohl seine Gefährtin eine halbe Stunde lang in der Nachtluft zurückhalten können, um ihr dichterisch zu beweisen, weshalb sie eigentlich um diese Zeit schon zu Bett sein müsse. Aber sie unterbrach ihn, indem sie sich, wie um sich vorm Hinfallen zu schützen, zitternd an ihn hielt und mit kaum hörbarer Stimme fragte: »Seht Ihr denn niemand in dem Boote, das soeben in See stieß?« »Wie hätte ich denn etwas unterscheiden können?« antwortete Halcro, »da die Entfernung und das Dämmerlicht mir kaum zu erkennen erlaubten, daß es ein Boot und kein Raubfisch war.« »Aber es muß doch jemand in dem Boote gewesen sein,« fuhr Minna fort, kaum sich dessen bewußt, was sie sprach. »Ohne Zweifel,« antwortete der Poet, »Boote gehen nicht von selbst gegen den Wind an: aber komm, komm, hier länger zu bleiben ist Torheit, und also – wie die Königin in einem alten, von dem wackern Will D'Aoenant wieder auf die Bühne gebrachten Trauerspiele sagt: »Zu Bett – zu Bett – zu Bett.« Sie trennten sich. Minna schleppte sich mühsam über mehrere weitläufige Gänge in ihr Zimmer zurück, wo sie vorsichtig ihren Platz neben der noch immer sanft schlummernden Schwester wieder einnahm. – Ihre Seele war von unendlicher Angst gefoltert. Daß sie Cleveland gehört hatte, davon war sie überzeugt, – die Tenorstimme ließ in dieser Hinsicht keinen Zweifel. War sie auch nicht ebenso fest überzeugt, die Stimme des jungen Mordaunt Mertoun, im heftigen Streit mit ihrem Geliebten begriffen, erkannt zu haben, so machte doch diese Vermutung einen gewaltigen Eindruck auf ihre Seele. Der schwere Seufzer, mit dem der Streit zu endigen schien, – die furchtbare Vorstellung, daß der Sieger den leblosen Körper seines Opfers fortgeschleppt habe, – alles dieses schien ihr zu beweisen, daß der Kampf ein schreckliches Ende genommen. Wer aber von den beiden unglücklichen Männern war gefallen? – wer hatte den unheilvollen blutigen Sieg erfochten? Das waren Fragen, auf die die leise Stimme ihrer innern Ueberzeugung erwiderte, daß, Charakter, Temperament und Gewandtheit recht erwogen, aller Wahrscheinlichkeit nach Cleveland den Zwist überlebt habe. Zwar flößte ihr diese Zuversicht einen unwillkürlichen Trost ein,; fast mit Abscheu aber wies sie ihn ebenso schnell von sich, als sie an Brenda dachte, die durch Clevelands Schuld vielleicht auf alle Zeit unglücklich geworden sei! »Arme unglückliche Schwester!« sprach sie zu sich selbst, »bist Du doch zehnfach besser als ich, und so anspruchslos und schuldlos! Wie kann ich je von Schmerz erlöst werden, den doch nur ich in Deine Brust gepflanzt!« Unter dem Eindruck dieser martervollen Gedanken konnte sie sich nicht erwehren, die Schwester so fest an sich zu drücken, daß sie mit einem tiefen Seufzer erwachte. »Bist Du es, Minna?« fragte sie. – »Mir träumte, ich läge an einer der Denksäulen, von denen uns Claud Halcro erzählte; solche Marmorgestalt, träumte ich, läge mir zur Seite und bekäme plötzlich Leben und Beweglichkeit, mich an ihre kalte Brust zu drücken. – Du bist es, Minna, und wirklich so kalt! – Du bist krank, Schwester? um Gottes willen, laß mich aufstehen und Euphane Fea rufen. – Was fehlt Dir? Ist etwa Norna wieder hier gewesen?« »Rufe niemand her,« erwiderte Minna, sie zurückhaltend, »mir fehlt nichts, das sich durch Hausmittel bessern ließe – nichts quält mich als die Ahnung eines Unheils, schrecklicher als Norna prophezeien könnte. Aber Gott wacht über uns alle, liebe Brenda; ihn laß uns anflehen, daß Er, der es allein vermag, das Böse zum Guten wende.« Vereint wiederholten sie nun ihr gewöhnliches Gebet um Kraft und Schutz von oben her und suchten dann, als ihre Andachtsverrichtung zu Ende war, den Schlummer wieder, ohne daß andere Worte, als der fromme Zuruf »Gott sei mit Dir!« unter ihnen ausgetauscht wurde. Brenda schlief bald ein, und auch Minna gelang es, die schrecklichen Vorstellungen zu bekämpfen und endlich den Schlummer zu finden ... Der Sturm, auf den Halcros Worte hingedeutet hatten – ein Unwetter, mit Regen und Wind gemischt; wie es in diesen Gegenden, selbst in der besten Jahreszeit häufig eintritt, begann sich mit Tagesanbruch zu erheben. Rund um das Herrenhaus von Burgh-Westra heulten die Schornsteine und klapperten die Fenster; die Stützen und Balken an den obern Teilen des Gebäudes, fast sämtlich Ueberreste gestrandeter Schiffe, seufzten und stöhnten, gleich als fürchteten sie, aufs neue eine Beute des Sturms zu werden. Weiber und Kinder lagen in den Hütten auf den Knieen und beteten für die auf dem Meere befindlichen Männer und Väter. Aber Magnus Troils Töchter schlummerten sanft und ruhig fort, und erwachten erst, als das Wetter ausgetobt hatte und die Sonnenstrahlen durch das vom Winde verjagte Gewölk brachen und hell durch die Fensterläden schienen. Minna ließ die Begebenheiten der Nacht wieder an ihrer Seele vorüberziehen, im Zweifel, ob nicht alles, was sie erlebt zu haben glaubte, nicht doch nur Eingebung eines Traumes, der vielleicht von Klängen und Tönen von außen her erregt, gewesen wäre, »Ich will sogleich Claud Halcro aufsuchen,« sprach sie bei sich selbst; »vielleicht weiß auch er etwas von dem seltsamen Lärm, da er doch um dieselbe Zeit draußen war.« Sie sprang vom Lager auf, hatte aber kaum den Boden berührt, als Brenda ängstlich rief: »Um Gottes willen, Minna, was hast Du an den Füßen?« Minna blickte hin und sah nun zu ihrem nicht geringen Schrecken, daß ihre beiden Füße dunkelrot aussahen, gleich als hafte getrocknetes Blut daran. Ohne Brenda eine Silbe zu erwidern, flog sie an das Fenster und warf einen verzweiflungsvollen Blick auf den Rasen unten, in der Meinung, daß dort die verhängnisvolle Stelle sein müsse, wo sie ihre Füße mit Blut befleckt habe. Aber von dem Regen, der nachts sowohl vom Himmel, wie von den Dachrinnen niedergeströmt war, war, wenn ein solcher Schuldzeuge dort vorhanden gewesen, jegliche Spur davon weggewaschen worden. Alles war dort frisch und schön, und die Grashalme, mit Regentropfen übersäet, glänzten in den Strahlen der Morgensonne wie Diamanten. Während Minna mit ihren schönen schwarzen Augen hinunterstarrte, hing Brenda sich an sie und fragte sie eindringlich und flehentlich, wo und wann sie sich solchen Leibesschaden zugefügt habe. »Ich muß in Glas getreten sein, ohne es zu fühlen,« erwiderte Minna, die Notwendigkeit einer Ausrede einsehend. »Sieh doch nur, wie es geblutet hat,« fuhr ihre Schwester fort, ein nasses Tuch erfassend; »laß mich das Blut abwaschen, Minna, die Wunde ist vielleicht schlimmer, als Du glaubst.« Aber als sie Hand anlegen wollte, wehrte ihr Minna freundlich, aber heftig, und Brenda, die sich keiner Kränkung der Schwester bewußt war, trat ein Paar Schritte zurück und sah auf Minna mit Blicken, aus denen mehr Staunen und gekränkte Liebe, als Unmut über die Abweisung ihrer Dienste sprachen. »Schwester,« sprach sie, »ich glaubte, wir hätten uns noch in der letzten Nacht versprochen, daß, was uns auch begegnen möchte, wir nimmer aufhören wollen, einander zu lieben.« »Viel kann sich zwischen Nacht und Morgen begeben,« versetzte Minna – eine Antwort, mehr durch ihre Lage aus ihr herausgepreßt, als daß sie willkürliche Dolmetscherin ihrer Gedanken gewesen wäre. »Viel mag sich allerdings in einer so stürmischen Nacht begeben haben,« entgegnete Brenda; »sieh einmal, wie die Schutzwehr um Euphanens Küchengarten umgeweht wurde; unsere Liebe aber, Minna, soll weder Wind, Regen, noch irgend sonst etwas umstürzen.« »Aber der Zufall kann es,« erwiderte Minna, »er kann sie dennoch wandeln, – wandeln in« ... Den übrigen Teil ihrer Rede sprach sie so leise, daß er ihrer Schwester unverständlich blieb, wobei sie zugleich sich das Blut von den Füßen wusch, Brenda, die sie aus knapper Entfernung nach wie vor im Auge behielt, bemühte sich vergebens einen Ton anzuschlagen, der Vertrauen und Freundlichkeit in ihre Mitte zurückführen könne. »Du hattest recht, Minna,« sprach sie »keine andere Hand die kleine Wunde reinigen Zu lassen, – von hier aus ist sie kaum zu sehen.« »Die gefährlichsten Wunden sind die, die man von außen nicht sehen kann,« erwiderte Minna; »meinst Du wirklich, eine Wunde an meinem Fuße zu sehen?« »Allerdings,« entgegnete Brenda, ihre Antwort so einrichtend, wie solche ihrer Meinung nach der Schwester am besten gefallen mußte, »aber es scheint nur eine kleine Verletzung zu sein. Zieh den Strumpf darüber; ich sehe nichts mehr.« »Nein, Du siehst nichts,« fügte Minna in verstörter Weise; »aber ach, bald wird die Zeit kommen, wo man alles sehen und wissen wird.« So sprechend, zog sie sich schnell an, und eilte ihrer Schwester voran in das Frühstückszimmer, wo sie ihren Platz unter den Gästen einnahm, wo aber ihr bleiches, verstörtes Gesicht, ihre schwankende Stimme und ihr erschüttertes Wesen die Aufmerksamkeit der ganzen Gesellschaft und die ängstliche Sorge ihres Vaters, Magnus Troil, augenblicklich erregten. Mannigfach waren die Vermutungen der Anwesenden über das, dem Anschein nach mehr seelische als körperliche Unwohlsein. Einige meinten: Minna sei von einem bösen Blick getroffen worden und murmelten etwas von Norna vom Fitful-Head, andere spielten auf die Abreise des Kapitäns Cleveland an und flüsterten: »Es sei doch eine Schande für ein junges Mädchen, sich an solchen Landstreicher zu hängen, von dem niemand etwas wisse!« in diese Meinung stimmte Jungfer Jellowley ein, während sie gerade den »schönsten Mantel« (wie sie ihn nannte), den ihr der Kapitän geschenkt, um ihren welken Hals schlug. Die alte Lady Glowrowrum hatte ihre eigenen Gedanken, die sie der Jungfer Yellowley, – mit der sie sich inzwischen angefreundet hatte – ausführlich mitteilte, nachdem sie dem lieben Gott herzinnig dafür gedankt, daß ihre Verwandtschaft mit der Familie auf Burgh-Westra von der Mutter der Mädchen herstammte, die wie sie selbst eine ehrliche Shetländerin gewesen sei. »Denn diese Troils, Jungfer Yellowley,« sprach sie, »so hoch sie auch die Nasen tragen, sollen dennoch, wie Leute sagen, die es wissen können, nicht so ganz richtig unter ihren Mützen sein; und diese Norna, wie sie sie nennen, denn es soll nicht ihr rechter Name sein, ist ganz sicher oftmals nicht ganz recht bei Sinnen – die die Ursache wissen, meinen, der Voigt habe dabei mit die Hand im Spiele gehabt, denn er duldet ja heute noch nicht, daß man ihr nur ein böses Wort nachsagt. Ich war damals nicht in Shetland, sonst würde ich den wahren Grund wissen, so gut wie andere. Es soll aber niemand sagen können, daß ich Böses von einem Hause rede, dem ich so nahe verwandt bin. Aber was ich, Jungfer Yellowley, Euch gesagt, daß unsere Verwandtschaft nur von den Sinclairs, und nicht von den Troils herstammt, das vergeßt nicht, bitte; denn die Sinclairs sind weit und breit als gescheite Leute bekannt. – Aber da, sehe ich, geht der Abschiedsbecher herum.« »Was das übermütige Frauenzimmer nur mit ihrer hinten Jungfer, vorne Jungfer will,« sagte Baby Yellowley zu ihrem Bruder, sobald Lady Glowrowrum ihr den Rücken gewandt hatte; »ist das Blut der Clinkscale etwa nicht eben so edel wie daß der Glowrowrum?« Unterdessen nahmen die Gäste Abschied, und so endigte unter Angst und Sorgen das Fest des heiligen Johannis, das man um diese Zeit auf Burgh-Westra zu feiern pflegte. Fünftes Kapitel Tag für Tag verstrich und von Mordaunt Mertoun war noch immer nichts in Sumburgh-Head zu hören. Zu jeder andern Zeit hätte solches Ausbleiben über die vermutete Frist hinaus vielleicht Neugier, aber keine Besorgnis herbeigeführt; denn die alte Swertha, die es auf sich genommen, über den kleinen Haushalt von Mordaunts Vater zu wachen, hätte nicht anders gemeint, als daß der Jüngling sich bei einer Lustpartie länger als die übrigen Gäste aufgehalten habe. Aber sie wußte, daß Mordaunt seit kurzem nicht mehr in Gunst bei Magnus Troil stehe, sie wußte, daß er sich vorgenommen, wegen der Gesundheit seines Vaters, nur kurze Zeit auf Burgh-Westra zu bleiben, und das alles machte sie ängstlich, zumal Mordaunts gutmütiges, freundliches Wesen auf ihr welkes, von Eigennutz beherrschtes Herz einen gewissen Eindruck nicht verfehlt hatte. Die Situation verschärfte sich für sie insofern, als Mordaunts Vater, wie schon mehrfach bemerkt, bei seinem verschlossnen und, ungeselligen Wesen durchaus nicht leiden konnte, außer in besonders dringenden Fällen angesprochen zu werden, und daß sie es deshalb so einzurichten suchen mußte, daß nicht sie, sondern er selbst die Rede auf den Fall mit seinem Sohne brächte ... Um dieses Ziel zu erreichen, legte sie eines Tages, als sie den Tisch für Herrn Mertouns einfaches und einsames Mahl bereitete, zwei Gedecke auf und traf allerhand andere kleine Vorbereitungen, als ob ein Gast oder Teilnehmer bei der Mahlzeit zu erwarten sei. Diese List gelang; denn kaum sah Mertoun, als er aus seinem Arbeitszimmer trat, den für zwei Personen gedeckten Tisch, als er auch sogleich Swertha fragte: ob Mordaunt von Burgh-Westra zurück sei? »O nein, gnädiger Herr,« versetzte sie mit vielleicht nicht ganz aufrichtiger Angst, »noch ist an unserer Pforte nicht geklopft worden, und noch ist Herr Mordaunt, das liebe, gute Kind, nicht glücklich, wieder heimgekehrt.« »Warum legst Du albernes Geschöpf dann ein Gedeck für ihn auf den Tisch?« fragte Mertoun in einem Tone, der berechnet schien, jedem fernern Worte der Alten Einhalt zu tun. Aber sie erwiderte mutig: »daß es ihrer Meinung nach doch anderer Leute Sache wäre, sich um Herrn Mordaunt zu bekümmern, und sie doch eben nichts weiter tun könne, als Stuhl und Teller für den jungen Herrn bereit zu halten, wenn er eintreffen solle; aber das arme gute Kind bleibe ihrer Meinung nach zu lange aus, als daß man nicht befürchten müsse, er käme überhaupt nicht wieder.« »Furcht, Furcht, Altweiber-Furcht!« rief Mertoun, während seine Augen flammten, wie immer, wenn sein heftiges Temperament loszubrechen drohte, »was geht mich Deine alberne Furcht an, alte Hexe!« Swertha aber hielt stand und versetzte mit einer Kühnheit, über die sie sich später selbst oft wunderte: »jeder andere Vater, als der gestrenge Herr, hätte sicher schon Nachforschungen nach dem armen Jungen angestellt, der nun schon seit acht Tagen von Burgh-Westra fort sei, ohne daß jemand wisse, was aus ihm geworden.« Mertoun stutzte, verwies die Alte aber im andern Augenblick durch finsteres Stirnrunzeln zur Ruhe; Swertha aber blieb dabei, »daß der gestrenge Herr ein bitter Unrecht tue, wenn er sich nicht um den besten jungen Herrn der ganzen Insel kümmere, dem doch unbedingt Schlimmes zugestoßen sein müsse.« »Was kann ihm denn Schlimmes passiert sein, alte Törin?« versetzte Mertoun; »wer seine Zeit, wie er, mit Tändeleien verschwendet, hat auf viel Ernst von keiner Seite zu rechnen!« »Ja doch, ich bin eine alte Törin,« rief sie, – »aber wenn nun Herr Mordaunt in den Roost geraten wäre, wo bei dem Sturm vor mehreren Morgen ja mehr als ein Boot den Untergang gefunden? Oder wenn er auf seinem Heimweg in einem der Landseen seinen Tod gefunden hätte, – oder wenn nun sein Fuß auf irgend einer Klippe ausgeglitten wäre, – alle Inseln kennen ihn als einen Wagehals – wer,« fragte Swertha, »wäre dann töricht? ich, oder er, oder Ihr? – Gott mag das arme, mutterlose Kind beschützen! denn wenn er eine Mutter hätte, so hätte man sich um ihn schon lange gekümmert!« Die letzten Worte der Alten ergriffen Mertoun gewaltig, – seine Lippen bebten, Totenblässe überzog sein Gesicht, und murmelnd gebot er Swertha, in sein Arbeitszimmer zu gehen – das sie fast nie betreten durfte – um ihm eine von den Flaschen zu holen, die dort ständen. »Ho, ho,« dachte Swertha, den erhaltenen Befehl eilig ausführend, »der Herr hat seine geheime Trostquelle?« In der Tat stand im Arbeitszimmer eine Kiste mit Flaschen, wie man sie gemeinhin zur Aufbewahrung geistiger Getränke zu gebrauchen pflegt, aber die sie umhüllenden Spinnengewebe bewiesen, daß sie jahrelang nicht berührt worden. Mit einer Gabel, denn Korkzieher gab es damals noch nicht, zog Swertha nicht ohne Schwierigkeit, den Stöpsel aus einer Flasche, und, nachdem sie sich erst durch den Geruch – dann, um sicher zu gehen, noch durch einen tüchtigen Schluck überzeugt hatte, daß in der Flasche gutes Barbadoes-Wasser enthalten sei, brachte sie es ihrem Herrn, der noch immer gegen eine Ohnmacht anzukämpfen schien. Besorgt, daß jemand, der an starke Getränke nicht gewöhnt sei, sich durch eine größere Portion leicht schaden könne, goß sie nur wenig in das ihr zunächst stehende Glas; aber Mertoun, gab ihr ungeduldig zu verstehen, daß er das Glas gefüllt haben wolle, und stürzte es mit einem Zuge hinunter. »Nun, Gott und die Heiligen mögen uns schützen!« dachte Swertha, »nun wird er doch gewiß trunken und toll zugleich – und wer wird ihn dann im Zaume halten?« Aber Mertoun fand nicht bloß den Atem wieder, auch sein Gesicht belebte sich – und von Trunkenheit zeigte sich keine Spur – ja, Swertha versicherte späterhin oft, daß sie von einem Schluck Branntwein zwar immer die beste Meinung gehegt habe, daß ihr aber noch keiner vorgekommen sei, der ein solches Wunder bewirkt hätte; denn der gnädige Herr hätte weit vernünftiger gesprochen, als es, seit sie in seinen Diensten gestanden, der Fall gewesen sei. »Swertha,« sagte er, »dieses Mal hast Du recht, und ich habe unrecht. – Geh' hinunter zum Gemeindevorstand und sage ihm, er solle augenblicklich heraufkommen; ich hätte mit ihm zu sprechen; er solle mir genauen Bescheid bringen, wieviel Boote und Mannschaft er aufbringen könne; sie sollen alle auf Kundschaft ausfahren und reichlich dafür abgelohnt werden.« Swertha eilte, so schnell es ihre sechzig Jahre ihr gestatteten, in das Dörfchen, richtete dort ihren Auftrag aus, unterließ aber nicht, sich an dem Verdienst, der der Bewohnerschaft auf solche Weise zuteil wurde, sich ihren Anteil zu sichern, und eilte dann nach dem Herrenhause zurück, von Neil Ronaldson begleitet, den sie unterwegs so gut wie möglich mit den Sonderbarkeiten ihres Herrn bekannt machte. »Vor allen Dingen,« sagte sie, »laßt ihn nie auf Antwort warten, und sprecht laut und verständlich, so, als wenn Ihr ein Boot anruft, denn er mag nicht zweimal über eine Sache sprechen, wenn er nach den Entfernungen fragt, so mögt Ihr aus halben Stunden immerhin Stunden machen, denn er weiß nichts von dem Grund und Boden, auf dem er wohnt; wenn er aber vom Lohne spricht, so könnt Ihr dreist Taler statt Schillinge fordern, denn er achtet Geld nicht höher als Kiesel.« Unter dem Eindruck solcher Belehrung wurde Neil Ronaldson vor Mertoun geführt, war aber nicht wenig betroffen, recht bald inne zu werden, daß sich dem Herrn von Sumburgh auch nicht das kleinste X für ein U machen ließe, weder über den Lohn für die Boote und Leute, noch über die Entfernung von einem Ort zum andern, noch über die Schiffahrtsbedingungen dieser Inselflur. Ueber alles sprach er mit einer Sachkunde, die um so mehr in Erstaunen setzte, als man ihn bisher nie darüber hatte sprechen hören. Dagegen schnitt er alle Besorgnis, die Neil Ronaldson infolgedessen gekommen, daß es mit dem Lohne wohl nicht weither sein werde, dadurch ab, daß er freiwillig weit mehr zu zahlen versprach, als Neil zu fordern gewagt hätte, ja auch noch eine Prämie aussetzte, wenn sie mit der freudigen Nachricht, daß sein Sohn wohl und gesund sei, zurückkehren sollten. Neil Ronaldson begann hierauf als gewissenhafter Mann, ernstlich über die verschiedenen Orte Erwägungen anzustellen, wo sich Nachsuchungen über den Verbleib des jungen Mannes anstellen ließen, und erklärte, »daß, wenn der gestrenge Herr es nicht übel nehmen wollte, er daran erinnern möchte, daß, sofern sich jemand fände, eine gewisse Person zu befragen, und diese Person Lust haben sollte Antwort zu geben, wohl niemand als sie, bessere Auskunft über Herrn Mordaunt Mertoun werde erteilen können. Wen ich meine, Swertha, wißt Ihr – die Person, die noch heute früh unten am Hafen war.« – So schloß er mit einem geheimnisvollen Blick auf Swertha, die seine Frage mit einem vielsagenden Nicken erwiderte. »Wen meint Ihr?« fragte Mertoun, »sagt es frei heraus – von wem sprecht Ihr?« »Er meint Norna vom Fitful-Head,« antwortete Swertha, »sie ist heute früh nach der St. Ringans-Kirche gegangen und, wie sie sagte, in eigenen Geschäften.« »Was könnte dieses Weib von meinem Sohne wissen?« entgegnete Mertoun, »sie ist doch meines Wissens nicht recht bei Sinnen und streift als Betrügerin durch diese Inselflur.« »Wenn sie umherstreift,« erwiderte Swertha, »so tut sie es nicht, weil ihr eine Heimat fehlt; denn es ist bekannt genug, daß sie Hab und Gut genug besitzt, ganz abgesehen davon, daß der Vogt ihr es an nichts fehlen ließe.« »Aber was hat mein Sohn mit all diesen Dingen zu schaffen?« fragte Mertoun ungeduldig, »Ei, ich weiß nur, daß sie, seitdem sie den jungen Herrn zum erstenmal gesehen, auch viel von ihm gehalten und ihm mancherlei schöne Sachen geschenkt hat, wie z. B, die güldene Kette, die er um den Hals trägt und von der die Leute sagen, sie sei von Zaubergold, – Ich verstehe mich nicht darauf, aber Bryce Snailsfoot der Hausierer meint, sie sei an hundert Pfund englisch wert, und das ist doch, mein Seel', keine taube Nuß.« »Geht, Ronaldson,« sagte Mertoun, »oder laßt das Weib von jemand herholen, wenn Ihr glaubt, wir können durch sie etwas über das Schicksal meines Sohnes erfahren.« »Sie weiß,« antwortete Ronaldson, »alles was auf den Inseln vorgeht, früher und besser, als sonst irgend ein anderer, das ist wahr und gewiß. Aber in die Kirche gehen oder sie auf dem Kirchhof aufzusuchen, dazu wäre kein Mensch in Shetland weder aus Not noch durch Geld zu bewegen, – und das ist eben so wahr und gewiß wie das andere.« »Furchtsame, abergläubische Toren,« rief Mertoun; »gib mir meinen Mantel, Swertha, dieses Weib war auf Burgh-Westra, sie ist mit der Troilschen Familie verwandt, vielleicht kann sie mir etwas über Mordaunts Ausbleiben sagen. Ich will sie aufsuchen: in der Kreuzkirche, meint Ihr, werde ich sie finden?« »Nein, nein, nicht in der Kreuzkirche,« rief Swertha, »in der alten St. Ringans-Kirche; ein verdächtiger Ort ist's und gar nicht geheuer; wenn der gestrenge Herr meinen Rat hören wollte, so bliebe er hier, bis sie zurückkäme, und unternähme es nicht, sie dort zu stören, wo sie, nach allem was man davon weiß, mehr mit den Toten als mit den Lebenden zu schaffen hat.« Mertoun gab keine Antwort, sondern nahm den Mantel um; denn es war neblig, und Regenschauer stürzten dann und wann herab. Das öde Herrenhaus von Jartshof verlassend, schlug er, schneller ausschreitend als gewöhnlich, den Weg nach der Kirchenruine ein, die, wie ihm wohl bekannt war, etwa anderthalb Stunden von seiner Wohnung entfernt lag. Swertha und Neil Ronaldson blickten ihm schweigend nach, bis er sich außer dem Bereich ihrer Stimmen befand; dann sahen sie einander ernsthaft an, schüttelten bedenklich die Köpfe und gaben den Empfindungen, die sie erfüllten, gemeinsam in einem und demselben Augenblicke Ausdruck: »Narren sind immer gleich bei der Hand,« rief Swertha, und Neil Ronaldson fügte hinzu: »Der entgeht seinem Schicksal nicht! Solche dem Tode geweihten Menschen kann man nicht aufhalten.« Swertha erinnerte ihn, daß er nach dem Hafen gehen müsse, die Boote zu besorgen: »Einmal halte ich viel von dem guten Jungen, und dann fürchte ich auch, er möchte auf eigne Hand zurückkehren, noch bevor Ihr in See wäret; auch ist der Herr, wie ich Euch schon oft gesagt habe, nur mit Güte zu leiten, duldet gar keinen Ungehorsam, und wenn Ihr seine Befehle nicht erfüllt und nicht in See stecht, werdet Ihr nun und nimmermehr den ausbedungenen Lohn von ihm bekommen.« »Ja, ja, Ihr habt recht,« antwortete Neil, »wir wollen hinaus, so schnell wie möglich. Zum Glück liegen Elawson und Peter Grots Boote noch im Hafen; denn als sie heute früh an Bord wollten, sprang ihnen ein Kaninchen vorüber, und da kamen sie als kluge Leute sogleich zurück, weil sie wohl denken konnten, daß ihnen anderes Tagwerk winken werde.« Sechstes Kapitel Die verfallene Kirche von St. Rinian oder – wie der gemeine Mann sie nannte – St. Ringan, hatte sich zu jener Zeit des Aberglaubens einer großen Berühmtheit zu erfreuen; und Shetland besaß in den katholischen Zeiten seine Heiligen. Die Kirche war dicht am Meeresufer gelegen, und von allen Richtungen aus sichtbar, so daß sie gewissermaßen als Wahrzeichen für die Inselflur galt. Sie war jedoch auch im Laufe der Jahrhunderte zu einer solchen Stätte des Irrglaubens geworden, daß die Kirchenbehörde es für ratsam erachtet hatte, sie als eine entheiligte Stätte zu erklären und die öffentlichen Andachtsübungen nach einer andern Kirche zu verlegen; daraufhin war das Bleidach von dem kleinen alten Gebäude abgenommen und das Gemäuer den Elementen zum Spiel überlassen worden. Die Stürme, die vom Meere her über lange Dünen heranheulten – (denn die Gegend glich durchaus derjenigen in Jarlshof) – zerstörte gar bald Schiff und Gänge und häufte an der Nordwestseite, die den Stürmen am meisten ausgesetzt war, Wälle von Treibsand, die die Mauer bis zur Hälfte überdeckten. So verfallen aber auch das Kirchlein sein mochte, so haftete ihm noch immer kein geringer Rest von jener Ehrfurcht an, die sie ehedem eingeflößt hatte – und die rauhen, unwissenden Fischer von Dunroßneß verabsäumten noch immer nicht, wenn ihre Boote in Gefahr schwebten, dem St. Ringan eine Gabe zu geloben und, wenn die Gefahr vorüber war, einzeln und im geheimen nach dem alten Gebäude zu wandern, ihr Gelübde zu lösen. Zu diesem in Trümmern liegenden Andachtsorte lenkte Herr Mertoun die Schritte, wenn auch in keiner frommen oder durch Aberglauben bestimmten Absicht. Immerhin konnte er, als er sich dem Strande nahte, wo die Ruine gelegen war, nicht umhin, einen Augenblick die Schritte hemmend, sich zu sagen, daß kaum ein Ort besser zu einem Gotteshause passen könne als der hier dazu gewählte. Vor ihm lag die See, zu der hinaus zwei Vorgebirge die äußersten Punkte der Bai bildend, ihre gigantischen, finsteren Felsmassen streckten, von deren Höhen die Möwen und andere Seevögel wie Schneeflocken herabglänzten, während weiter unten ganze Reihen von Wasserraben sich wie Soldaten nebeneinander aufgestellt hatten. Sonst aber war hier kein lebendes Wesen zu schauen. Hier hatte sich an dem Tage, an welchem Mertoun die Schritte herlenkte, eine tiefe dichte Wolkenschicht gebildet, durch die kein menschliches Auge dringen konnte, so daß der Blick über den weiten Ozean unmöglich war; da der Weg steil hinauf führte, ließ er auch keine Aussicht nach dem Innern des Landes, und so schien die Gegend eine völlige Oedenei zu sein, wo dürres Heidekraut und schilfartiges Gras die einzigen Vertreter des Pflanzenreichs waren, die sich den Blicken zeigten. Auf einer von der Natur geschaffenen kleinen Anhöhe, gerade in der Mitte der Bucht, und ein wenig von der See entfernt, so daß sie sich außer dem Bereich der Wellen befand, erhob sich die halb begrabene Ruine, von einer wüsten, halb in Schutt liegenden Mauer umgeben, die, obgleich an mehreren Stellen durchbrochen, doch noch immer den Bereich des Kirchhofs bezeichnete. Die Seefahrer, die der Zufall in diese einsame Bai geführt hatte, behaupteten: daß die Kirche dann und wann hell erleuchtet sei, und meinten, daß dieser Umstand Schiffbruch und Untergang auf der See verkünde. Als Mertoun sich der Kapelle näherte, traf er, vielleicht durchaus ohne Vorbedacht, Maßregeln, um ungesehen zu bleiben, und gelangte so zufälligerweise zuerst an die Seite der Mauer, wo sich der Begräbnisplatz befand, von dem, wie früher schon erwähnt, der Wind den Sand stellenweise fortgetragen hatte. Als er nun durch eine von der Zeit geschaffne Oeffnung auf diese Stätte schaute, sah er diejenige Person, die er hier suchte, neben einem rauhen Grabmal knien, an dessen einer Seite der rohe Umriß eines Ritters sichtbar war, während sich an der andern ein dem neuern Brauche zuwider schräg aufgehängtes Schild zeigte, dessen Wappen selbst aber nicht mehr kenntlich war. An dem Fuße des Grabmals ruhten, wie Mertoun früher schon gehört hatte, die Gebeine von Ribolt Troil, einem durch allerhand Heldentaten berühmten Vorfahren von Magnus Troil, der im fünfzehnten Jahrhundert gelebt hatte. Norna räumte von dem Grabe des Kriegers den Sand weg: ein leichtes Stück Arbeit, da der Sand nur lose und locker dalag. Sie sang dazu, und zwar ein Zauberlied, denn ohne Runen ging es nun einmal beim nordischen Aberglauben nicht ab: Kämpe, hochberühmt im Norden, Ribolt, bist Du stumm geworden? Sand und Staub und Kieselstein, Räum ich jetzt von dem Gebein. Als Du lebtest, war's verwegen, An Dein Lager Hand zu legen. Jetzt vermag selbst Kindesstreben, Deine Decke aufzuheben. Störe, was ich hier beginne, Nicht durch Blendwerk meiner Sinne. Nicht will ich Dein Grab entehren, Frevelnd Deinen Schlummer stören. Deine Leiche ruhe still, Leicht gewählt ist, was ich will. Nur von der Umhüllung Dein, Sei ein einz'ges Stückchen mein. Noch genug bleibt, vor den Stürmen Rauhen Wetters Dich zu schirmen. Meine Klinge nahet schon! – Hast, o mut'ger Heldensohn, Lebend nicht so still gelegen, Trat die Schärfe Dir entgegen, Schau, die Hülle trenn ich nun, Magst erwachen oder ruh'n. – So, nun ist die Tat erfüllt; Mein der Preis, mein Wunsch gestillt. Habe Dank, die Wellen sollen Reichen Lohn dafür Dir zollen; Und wenn fern sie schäumend streiten, Sanft an Deinem Grabe gleiten. – Habe Dank, wenn Stürme wüten, Sollen sie auf mein Gebieten, – Ob sie heulend hierher dringen – Nur ein Schlummerlied Dir singen. Sie, das Weib von Wohl und Wehe! Norna von der Fitful-Höhe, Mächtig, ob es Tag ob Nacht, Elend doch in ihrer Macht. Ob Verzweiflung auch ihr Los, Dennoch immer hehr und groß. Was gelobend sie verspricht, Daran, Ribolt, zweifle nicht. Während Norna die ersten Strophen dieses Liedes sang, befreite sie den bleiernen Sarg des alten Kämpen vom Sande und löste behutsam, mit sichtlicher Ehrfurcht, ein Stück Metall davon. Dann warf sie so, daß nichts mehr verriet, daß sie den Sarg berührt, den Sand wieder darüber. Mertoun blickte ihr, ohne seine Gegenwart zu verraten, nicht etwa aus Achtung vor ihr oder der Arbeit, die sie vorhatte, sondern weil er sich sagte, daß man eine Irre, wenn man Auskunft erhalten wolle, in ihrem Vorhaben nicht stören dürfe. Inzwischen hatte er Zeit genug, ihre Gestalt zu betrachten; denn ihr Gesicht wurde durch ihr aufgelöstes Haar und die Kapuze ihres dunklen Mantels verdeckt. Mertoun hatte schon früher von Norna gehört, ja sie wohl auch schon dann und wann gesehen, war sie doch, seit er in Jarlshof weilte, mehr denn einmal in dieser Gegend umhergewandert. Die abergläubischen Geschichten aber, die über sie im Umlaufe waren, hatten sie ihm in keinem andern Lichte als dem einer Betrügerin oder Wahnsinnigen oder als beides erscheinen lassen. Jetzt aber, da die Umstände ihn unwillkürlich auf sie hinführten, konnte er nicht als sich sagen: daß sie entweder eine echte Schwärmerin sein, oder wenigstens ihre Rolle mit so bewunderungswürdigem Geschick spielen müsse, daß keine Pythia der alten Zeit sie hätte übertreffen können. Kaum aber war ihre seltsame Arbeit verrichtet, als er auch, freilich nicht ohne mancherlei Beschwerde und Mühe, über die zertrümmerte Mauer stieg und in das Innere des Kirchhofs trat. Ohne irgendwelche Bestürzung zu zeigen oder über sein Erscheinen an der einsamen Stätte das geringste Erstaunen zu bezeigen, fragte sie ihn in einem Tone, der zu beweisen schien, daß sie ihn erwartet habe: »Also habt Ihr mich doch endlich aufgesucht?« – »Und auch gefunden,« erwiderte Mertoun, in der Meinung, die Frage, die er zu stellen habe, am besten dadurch einzuleiten, daß er in einem mit dem ihrigen übereinstimmenden Tone spräche. »Ja!« antwortete sie, »Ihr habt mich gefunden, und zwar da, wo sich alle Menschen begegnen müssen, in der Behausung der Toten.« »Wohl finden wir uns hier alle endlich zusammen,« entgegnete Mertoun, einen Blick auf den wüsten Schauplatz um sich her werfend, wo kaum etwas anders als halb mit Sand bedeckte, teils noch mit Inschriften und Sinnbildern der Sterblichkeit geschmückte Denksteine sichtbar waren: »hier in dem Haufe der Toten, wo glücklich diejenigen, die bald in den ruhigen Hafen gelangten.« »Wer es wagt, nach diesem Hafen zu verlangen,« antwortete Norna, »der muß auf der Fahrt durchs Leben einen geraden Kurs gesteuert haben. Ich darf auf solch ruhigen Ankerplatz nicht hoffen; Du aber, der Du ihn begehrst, darfst Du ihn erwarten? und hat der Lauf, den Du steuertest, ihn verdient?« »Nicht darauf zu antworten, bin ich hier,« erwiderte Mertoun, »sondern um Euch zu fragen, ob Ihr Nachricht über das Schicksal meines Sohnes, Mordaunt Mertoun, habt?« »Ein Vater,« entgegnete Norna, »befragt eine Fremde über Nachrichten von seinem Sohne! Wie könnte ich etwas von ihm wissen? Der Wasserrabe fragt nimmer den wilden Enterich, wo weilt meine Brut?« »Deckt Euch nicht vor mir mit dieser Geheimniskrämerei,« sagte Mertoun, »sie mag beim gemeinen Volk ihre Wirkung tun, bei mir bleibt sie fruchtlos. Die Leute von Jarlshof haben mir gesagt, daß Ihr etwas von Mordaunt wißt oder wissen könnt, der von den Johannis-Festlichkeiten im Hause Eures Verwandten Magnus Troil nicht zurückgekehrt ist. Gebt mir Auskunft über ihn, wenn Ihr es könnt, und Ihr sollt belohnt werden.« »Das weite Rund der Erde,« antwortete Norna, »hat nichts aufzubieten, was ich als eine Belohnung für ein einziges, an ein sterbliches Ohr weggeworfenes Wort betrachten könnte... Willst Du aber Deinen Sohn lebendig wiedersehen, dann finde Dich auf dem nächsten Markt zu Kirkwall auf Orkney ein.« »Und warum gerade da?« fragte Mertoun, »ich weiß, er hatte dort nichts zu schaffen.« »Wir alle treiben auf dem Strome des Schicksals, obgleich ohne Steuer und Ruder,« erwiderte Norna, »auch Du hattest heute früh noch nichts mit der Kirche St. Ringans zu schaffen und bist doch hier; – noch vor einem Augenblick hattest Du nichts in Kirkwall zu tun, und dennoch wirst Du Dich dorthin begeben.« »Nicht ohne über den Grund bessere Aufklärung zu haben. Ich bin keiner von den Toren, die Euch übernatürliche Kräfte zugestehen.« »Du sollst an sie glauben, noch ehe wir scheiden,« antwortete Norna. »Nur wenig weißt Du bis jetzt von mir, auch sollst Du über mich nicht mehr erfahren. Ich aber kenne Dich, und daß ich Dich kenne, vermag Dir ein einziges Wort aus meinem Munde zu beweisen.« »Nun, so überzeuge mich,« rief Mertoun, »denn ohne solchen Beweis bestünde nur geringe Hoffnung, daß ich Deinen Rat befolge.« »Gib wohl acht, was ich Dir über Deinen Sohn zu sagen habe. Was Dich selbst angeht, bleibe für später, denn es möchte Dir jeden andern Gedanken vertreiben. Begieb Dich nach Kirkwall und warte am fünften Marktage mittags im äußeren Flügel der Kirche von Magnus; dort wirst Du jemand finden, der Dir Nachricht von Deinem Sohne geben soll.« »Du mußt deutlicher sein, Weib!« entgegnete Mertoun verächtlich, »wenn Du willst, daß ich Deinem Rate folgen soll. Oft schon bin ich von Weibern hintergangen worden, nie aber noch auf so gröbliche Weise, wie Du mich zu betrügen willens scheinst.« »Nun, so gib acht!« unterbrach ihn die Alte, »das Wort, das ich jetzt sprechen werde, wird das tiefste Geheimnis Deines Herzens enthüllen und Dir durch Mark und Bein dringen.« – Und nun flüsterte sie Mertoun ein Wort ins Ohr, – ein einziges – das aber wie ein Zauberschlag auf ihn zu wirken schien. Bewegungslos und starr vor Staunen, blieb er stehen, während Norna, die Arme wie im Triumph erhebend, von ihm hinweg schritt und um eine Ecke der Ruine herum schnell aus seinen Augen verschwand. Mertoun machte keinen Versuch, ihrer Spur zu folgen: »Vergebens bemühen wir uns, unserm Schicksal zu entfliehen!« sprach er zu sich selbst, als er seine Besinnung wiedergewann; und schnell wandte er der wüsten Ruine und dem Kirchhof den Rücken. Als er von dem letzten Punkte, von wo aus die Kirche noch sichtbar war, zurückblickte, sah er Nornas Gestalt, in ihren weiten Mantel gehüllt, auf der höchsten Spitze der Ruine stehen, und mit einem weißen Wimpel aufs Meer hinauswehen. Ein Gefühl von Schrecken, demjenigen vergleichbar, das bei ihrem letzten Worte durch seine Nerven zuckte, befiel von neuem seine Seele, und schnellen Schrittes eilte er vorwärts, bis er die Kirche von St. Ringan mit ihrer sandigen Bucht weit hinter sich gelassen hatte. Als er den Fuß wieder nach Jarlshof setzte, zeigte sein Gesicht eine so auffallende Veränderung, daß Swertha ernstlich die Rückkehr eines seiner melancholischen Zufälle fürchtete. Diese Befürchtung erfüllte sich aber nicht; Mertoun machte sie nur mit seinem Entschlüsse, sich nach Kirkwall zu begeben, bekannt, – was eine solche Abweichung von seiner gewöhnlichen Lebensweise bedeutete, daß die Haushälterin ihren Ohren nicht trauen wollte. Bald darauf kamen die Leute wieder, die er zur See und zu Lande auf Kundschaft nach seinem Sohne gesandt, sämtlich unverrichteter Sache, aber er hörte, sie ruhig, fast gleichmütig an; was aber Swertha in ihrer Ueberzeugung, daß ihm von Norna solcher Ausgang prophezeit worden, nur bestärkte. Noch mehr aber erstaunten die Bewohner des Dörfchens, als Herr Mertoun plötzlich Anstalten traf, sich zum Markt nach Kirkwall zu begeben, da er doch bisher alle öffentlichen Versammlungen sorgfältig gemieden hatte. Swertha zerbrach sich den Kopf nicht wenig, ohne jedoch den Schlüssel des Rätsels finden zu können; aber ihr Kummer fand erhebliche Linderung durch eine Summe Geldes, die Mertoun in ihre Hände legte, und die ihr ein Schatz dünkte. Siebentes Kapitel Kein Gram wirkt so schwer auf das Gemüt wie der, den wir in unser Herz verschließen, über den wir Aussprache weder suchen noch wünschen. Bedrückt nun gar das Geheimnis einer fremden Schuld eine schuldlose Brust, dann ist es kein Wunder, wenn die Gesundheit leidet. Den Freunden und Bekannten kam Minnas Wesen und Temperament so gänzlich verändert vor, daß manche sich versucht fühlten, an den Einfluß eines bösen Zaubers zu glauben, während andere einen Anfall von Wahnsinn darin zu erkennen meinten. Die Einsamkeit, in welcher sie früher gelebt, war ihr jetzt unerträglich; aber wenn sie Gesellschaft aufsuchte, so bezeigte sie weder Teilnahme, noch gab sie acht auf das, was um sie her vorging. Fast immer erschien sie in traurigem, selbst trübsinnigem Hinbrüten, aus dem sie nur dann plötzlich aufschreckte, wenn etwa zufällig die Namen Cleveland und Mordaunt Mertoun genannt wurden. Ihr Benehmen gegen die Schwester war noch immer so garstig oder doch unfreundlich, daß man sie allgemein für krankhaft hielt. Oft fühlte Minna den Trieb, die Gesellschaft der Schwester aufzusuchen; wenn ihr dann aber einfiel, wie schwer Brenda, ihrer Meinung nach, durch Cleveland gelitten, war es ihr nicht möglich, in ihrer Nähe zu bleiben oder Trost aus ihrem Munde zu hören. Dann rannte sie, wie von einem Dämon gejagt, aus der Stube und flüchtete in die Einsamkeit der Felsen. Die Wirkungen dieser schweren Gemütserschütterung wurden bald an ihrer Gestalt und ihrem Antlitz sichtbar; sie wurde bleich und welkte hin; ihr Auge verlor den festen, ruhigen Blick, den Glück und Unschuld leihen; ihre Gesichtszüge veränderten sich und ihre Stimme, sonst sanft und ruhig, verlor entweder allen Ausdruck ober nahm einen heftigen, schneidenden Klang an. In Gesellschaft mit andern sank sie in trübsinnige Stimmung; wenn sie allein war, hörte man sie viel mit sich selbst reden. Umsonst nahm Minnas besorgter Vater die Heilkundigen der Insel in Anspruch, umsonst suchte er Hilfe bei der ihm verwandten Norna vom Fitful-Head, die jetzt am Strande nahe bei dem Vorgebirge weilte, dessen Namen man dem ihrigen anzuhängen pflegte, und, obgleich Erik Scambester selbst die Botschaft übernahm, es rundweg ablehnte, nach dem Herrenhaus zu kommen oder auch nur Bescheid zu geben. Magnus geriet hierüber wohl in Zorn, aber seine Angst um Minna bestimmte ihn, denselben niederzukämpfen und Norna selbst aufzusuchen. Aber er hielt seinen Plan geheim, sagte seinen Kindern nur, daß er eine Reise zu Verwandten vorhabe, die er seit langer Zeit nicht gesehen habe, und zu der sie ihn begleiten sollten. Nicht gewohnt, nach der Ursache seines Willens zu fragen, auch von der Hoffnung erfüllt, daß Bewegung und Ortsveränderung günstig auf die Schwester wirken würden, traf Brenda, auf der jetzt allein die Sorge für den Haushalt ruhte, alle Anstalten, und am nächsten Morgen schon trabten sie über das öde Meer zwischen Burgh-Westra und dem nordwestlichen Ende der Insel Mainland, die, wie gegen Südosten in dem Vorgebirge von Sumburgh, gegen Nordwesten hin in dem von Fitful endigt. Der Udaller saß auf einem starken, vierschrötigen Klepper von norwegischer Rasse, während Minna und Brenda, als treffliche Reiterinnen bekannt, zwei mutige Shetlandsklepper ritten. Unterwegs wurde wenig gesprochen; gegen Mittag wurde die erste Rast gemacht; und nachdem der Vater sich durch ein Paar kräftige Schlucke gestärkt hatte, wurde er redseliger. »Wohlan, Kinder!« rief er, »wir haben jetzt nur noch etwa zwei Stunden bis zu Nornas Wohnung, und werden bald sehen, wie uns die alte Zaubermutter empfangen wird.« Minna unterbrach ihren Vater mit einem schwachen Ausruf, während Brenda im höchsten Grade des Erstaunens fragte: »Also Norna wollen wir einen Besuch machen.? – Nun, der Himmel bewahre uns!« »Und wovor?« entgegnete der Udaller, die Stirn runzelnd, »Du bist nicht recht klug, Brenda, wer soll Deiner Schwester besser helfen können als sie? Da ist Deine Schwester doch klüger ... Sieh mich an, Minna! Du hast ihre Geschichten und Lieder immer gern gehört, hast Dich zu ihr gesetzt und sie geliebkost, wenn die kleine Brenda schrie und von ihr floh, wie ein spanischer Kauffahrer vor einem holländischen Kaper.« »Möchte sie mich heute nicht auch in Furcht und Flucht jagen, Vater!« erwiderte Brenda, bemüht, ihrer Schwester das Schweigen zu erleichtern dadurch, daß sie den Vater beschäftigte; »ich habe soviel von ihrer Behausung gehört, daß mir vor dem Gedanken graust, sie uneingeladen zu besuchen.« »Du bist nicht gescheit,« entgegnete Magnus, »wenn Du glaubst, daß ein Besuch von Verwandten je einem wackern Shetländer-Herzen unwillkommen sein könnte. – Und nun wahrlich, jetzt fällt's mir ein, ja, ja, ja, deshalb hat sie Erik Scambester nicht sprechen wollen. Lange Zeit ist's her, seitdem ich ihren Schornstein rauchen gesehen, und noch nie habe ich Euch dorthin geführt, – sie hat wirklich recht, mich unfreundlich zu nennen. Aber ich will ihr die Wahrheit gestehen – und die ist: daß ich es nicht für hübsch und anständig halte, einer in der Einsamkeit lebenden Frau schwer oder lästig zu fallen.« »Wir brauchen uns doch davor nicht zu fürchten, Vater,« erwiderte Brenda, »denn ich habe von allem, was uns not tun kann, reichlichen Vorrat mitgenommen: Fische und Speck, gesalzenes Hammelfleisch und geräucherte Gänse, mehr als wir in einer Woche verzehren können – und überdem auch stärkende Getränke für Dich, Vater.« »Recht, recht, meine Tochter!« unterbrach sie der Udaller, »ein wohl ausgerüstetes Schiff macht auch eine muntere Reise. Und so brauchen wir nur Nornas gastfreies Dach und ein wenig Bettzeug für Euch, denn was mich betrifft, so sind mir mein Seemantel und ein Paar gute norwegische Bretter lieber, als Eure Kissen und Eiderdaunen und Matratzen. Norna wird die Freude haben, uns bei sich zu sehen, ohne auch nur für einen Stüber Wert durch uns in Kosten versetzt zu werden.« »Hoffentlich nennt sie es eine Freude,« antwortete Brenda. »Nun, beim heiligen Märtyrer! was heißt das wieder, Mädchen!« rief der Udaller, »glaubst Du etwa, meine Verwandte sei eine Heidin und würde sich nicht freuen, ihr eignes Fleisch und Blut zu sehen? – Wäre ich doch einer guten Fischerei eben so gewiß! – Nein, nein, nur daß wir sie nicht zu Hause finden möchten, fürchte ich; denn sie wandert oft umher, in Gedanken über Dinge, die nun doch nicht abzuändern sind.« Minna seufzte tief, als ihr Vater diese Worte sprach, und dieser fuhr fort: »Du seufzest, Mädchen? – Ja, ja, daran krankt die halbe Welt – möge es nicht auch Deine Krankheit sein oder werden!« Ein zweiter Seufzer verriet, daß diese Warnung schon zu spät kam. »Ich glaube, Du fürchtest Dich vor meiner Verwandten ebenso, wie Brenda?« sprach der Udaller, ihr bleiches Gesicht musternd; »ist dem so, dann sprich nur ein Wort, und wir kehren zurück, als ob wir günstigen Wind hätten und fünfzehn Meilen in einer Stunde machten.« »Um Gottes willen, laß uns zurückkehren, Schwester!« rief Brenda flehend; »Du weißt ja – Du wirst Dich erinnern – Du mußt überzeugt sein, daß Norna Dir nicht helfen kann.« »Das ist nur zu wahr,« erwiderte Minna mit gedämpfter Stimme; »aber vielleicht kann sie mir eine Frage beantworten, die nur von einer, die im Elend ist, an eine andere solche getan werden kann.« »Meine Verwandte ist weder arm noch elend,« antwortete der Udaller, der Minnas leise Rede nur halb gehört hatte. »Sie hat gute Einkünfte, sowohl auf Orkney als hier und manches Lispfund Butter muß ihr entrichtet werden. Aber die Armen erhalten den größten Teil davon, und Schande dem Shetländer, der sie darum beneidet; das übrige gibt sie, ich weiß selbst nicht wie, auf ihren Wanderungen durch die Inseln aus. Aber Ihr werdet lachen, wenn Ihr ihr Haus und Nick Strumpher sehen werdet, den sie Pacolet nennt, – Viele glauben, Nick sei der Teufel, aber er hat Fleisch und Blut, wie einer von uns – sein Vater lebt in Graemsay – freuen werde ich, mich, den Nick wiederzusehen.« Als der Udaller so sprach, überlegte Brenda, die zum Ersatz für eine lebhafte Phantasie, wie sie ihrer Schwester eigen war, eine reiche Dosis gesunden Menschenverstandes hatte, bei sich hin und her, welchen Einfluß dieser Besuch auf den Gesundheitszustand ihrer Schwester haben könne. Endlich gelangte sie zu dem Entschluß, bei der ersten Gelegenheit, die sich dazu auf der Reise darbieten würde, mit ihrem Vater heimlich zu sprechen und ihm alle Umstände von Nornas nächtlichem Besuch mitzuteilen, dem sie, im Verein mit andern gemütbewegenden Ursachen, Minnas Gemütskrankheit vorzüglich zuschrieb; und es ihm dann zu überlassen, ob er auf dem Besuch bei einem so seltsamen Wesen bestehen wolle oder es für ratsam halte, Minna keiner weitern Erschütterung auszusetzen. Während die Klepper wieder gesattelt wurden, gelang es Brenda, nicht ohne Schwierigkeit, ihrem Vater ihre Absicht begreiflich zu machen, dessen Erstaunen darüber, wie man denken kann, nicht gering war, aber noch größer wurde, als er, nachdem er absichtlich mit Brenda ein Stück zurückgeblieben, von dieser die ganze Geschichte von Nornas Besuch auf Burgh-Westra und von dieser Mitteilung erfuhr, durch die sie damals seine Töchter in Schrecken gesetzt hatte. Eine Weile konnte er nichts hervorbringen als einzelne Worte; dann aber verwünschte er seine Verwandte tausendmal, daß sie seinen Töchtern eine solche Schreckensmär erzählt habe. »Oft hab ich schon gehört,« rief er aus, »daß sie, trotz all ihrer Weisheit und Wetterkunde, wahnsinnig sein solle, und, bei den Gebeinen des heiligen Märtyrers Magnus, ich glaube es wirklich selbst. Nicht mehr zu steuern weiß ich, gleichsam als wäre mir der Kompaß verloren gegangen. Hätte ich das früher gewußt, so wären wir zu Hause geblieben; nun aber, da wir so weit gekommen sind, und da uns Norna erwartet –« »Uns erwartet, Vater!« unterbrach ihn Brenda, »wie wäre das möglich?« »Wie, weiß ich nicht, –« erwiderte der Udaller, »da sie aber vorhersagen kann, woher der Wind weht, wird sie auch wissen, welchen Weg wir reiten. Wir dürfen sie nicht erzürnen. Vielleicht hat sie meiner Familie dies Unheil zugefügt, wegen des Wortwechsels, den ich mit ihr über den Burschen hatte; wenn dem so ist, kann sie es wieder gut machen; – und das soll sie, oder ich will wissen, warum nicht. – Aber zuvor will ich es mit guten Worten versuchen.« Hierauf bemühte sich Brenda, zunächst von ihrem Vater zu erfahren, ob Nornas Erzählung auf Wahrheit gegründet sei oder nicht. Dieser schüttelte sein Haupt, seufzte tief und bestätigte mit wenigen Worten den ganzen Vorgang, soweit er auf ihr Verständnis mit dem Fremden Bezug hatte; auch der Tod ihres Vaters, dessen zufällige und gewiß unschuldige Ursache sie geworden, war eine traurige, doch nicht abzuleugnende Wahrheit... »Was aber ihr Kind anbelange,« sagte er, »so habe er nie erfahren können, was aus demselben geworden.« »Ihr Kind!« unterbrach ihn Brenda, »sie sprach ja kein Wort von einem Kinde!« »So wollte ich, meine Zunge hätte geschwiegen!« rief der Udaller. – »Jung oder alt, seh ich, kann der Mann ein Geheimnis vor Euch Weibern nicht besser bergen, als ein Aal in seinem Hinterhalt zu bleiben vermag, wenn ihn die Schlange von Pferdehaaren gefangen hält; früh oder spät zieht ihn doch der Fischer heraus!« »Aber das Kind, mein Vater!« fuhr Brenda fort, begierig die nähern Umstände dieser außerordentlichen Geschichte zu erfahren; »was ist aus dem Kinde geworden?« »Fortgeführt ward es, wie ich glaube, von dem elenden Vaughan,« antwortete der Udaller in verdrießlichem Tone, der deutlich bewies, wie sehr es ihm zuwider war, von der Sache zu reden. »Von Vaughan?« fragte Brenda, »von dem Liebhaber Nornas, ohne Zweifel? was war dies für ein Mann, Vater?« »Ein Mann, wie ein anderer, denk ich,« erwiderte der Udaller; »ich meinerseits habe ihn nie gesehen. – Er hielt sich zu den schottischen Familien in Kirkwall, ich aber blieb bei den guten alten Norwegern. – Ja, ja, wenn Norna sich nur immer an ihre eigenen Verwandten gehalten und nicht mit den Schottländern Bekanntschaft gemacht hätte, so hätte sie auch nicht von dem Vaughan gewußt, und manches wäre anders gekommen. – Dann aber hätte ich auch nichts von Deiner guten seligen Mutter gewußt, und das, Brenda,« – hier zeigte sich eine Träne in seinem großen blauen Auge, »hätte mir eine kurze Freude geraubt und einen langen Kummer erspart.« »Norna hätte als Gefährtin und Freundin, Vater, Dir die Stelle meiner Mutter nicht ersetzen können, so viel ich nämlich davon weiß,« entgegnete Brenda mit einigem Zögern. Magnus aber, durch die Erinnerung an seine entschlafene Gattin weicher gestimmt, antwortete ihr milder, als sie erwartet hatte. »Mir wär's recht gewesen,« sagte er, »wenn ich damals Norna hätte heiraten können. Ein alter Familienzwist wäre beseitigt – eine alte Wunde geheilt worden. Alle unsere Verwandten wünschten es, und da ich damals Deine gute Mutter noch nicht kannte, war ich wohl geneigt, ihren Wunsch zu erfüllen. – Du mußt von Norna und mir nicht nach unserm jetzigen Aussehen urteilen. Sie war jung und schön, ich gewandt wie ein Hirsch; und nur wenig kümmerte ich mich darum, auf welchen Hafen ich lossteuerte, denn mehr als einen glaubte ich unter meinem Winde zu haben. Norna aber zog jenen Vaughan vor, und das war, wie bereits gesagt, vielleicht der beste Dienst, den sie mir leisten konnte.« »Arme Verwandte,« klagte Brenda; »aber, Vater, glaubst Du denn auch an die hohe Macht, deren sie sich rühmt, – an die geheimnisvolle Erscheinung des Zwerges – an die – – –« »Ich glaube, Brenda,« versetzte Magnus, sichtlich verdrossen, »was meine Vorfahren glaubten, – ich begehre nicht weiser zu sein, als sie es ihrer Zeit waren – und sie alle waren überzeugt, daß bei tiefem irdischen Kummer die Vorsehung das Auge der Seele eröffne und dem Dulder den Blick in die Zukunft gestatte. Nornas Boot hält, mit Erlaubnis zu reden, nur kein Gleichgewicht,« hier berührte er seinen Hut ehrfurchtsvoll; »trotz dem Wechsel ihres Ballastes aber ist sie dennoch so schwer beladen, als es je die Jolle eines Orkneyfischers war, der auf Seehundfang auszog – sie hat des Schmerzes noch mehr als genug an Bord, die Gaben aufzuwiegen, die sie in ihrem Unglück empfing. Sie sind ihrer armen Seele so qualvoll, wie eine Dornenkrone es ihrem Haupte wäre. – Suche Du, Brenda, also auch nicht weiser zu sein als Deine Väter.« »Arme Norna!« wiederholte Brenda; »und ihr Kind – ist es nie wiedergefunden worden?« »Was weiß ich von ihrem Kinde,« entgegnete der Udaller, mürrischer denn zuvor; »sie war sehr krank vor und nach der Geburt, obgleich wir sie so gut wie möglich aufzuheitern suchten. – Das Kind war vor der Zeit in die so geräuschvolle Welt gekommen, und so ist es wahrscheinlicherweise längst schon tot. – Das alles aber geht Dich nichts an, Brenda, und so laß mich gehen, närrisches Mädchen, und lege mir nicht ferner Fragen vor, die sich für Dich nicht schicken.« So sprechend, gab der Udaller seinem munteren Klepper die Sporen, und rasch befand er sich wieder an der Seite der schwermütigen Minna. Brenda, auf diese Weise verhindert, ihre Unterredung mit ihm fortzusetzen, behielt nur noch den einen Trost, daß Norna bei ihrem übersinnlichen Wesen vielleicht Mittel gegen Minnas Krankheit, die ihren Sitz in der Einbildung zu haben schien, finden werde. Ihr Weg hatte sie bis jetzt nur durch Sumpf und Moor geführt und oft genötigt, Umwege um die zahlreichen Salzwasserseen zu machen, die in das Land in Menge hineinströmten. Nun aber nahten sie sich dem nordwestlichen Ende der Insel und ritten an einer ungeheuren Felsenkette entlang, die seit Jahrhunderten der Wut des nördlichen Ozeans und allen Stürmen Trotz bot. Endlich rief der Udaller seinen Töchtern zu: »Dort liegt Nornas Wohnung! – Blicke auf, Minna! wenn dieser Anblick hier Dich nicht zum Lachen bringt, so vermag es nichts auf der Welt. – Sahst Du wohl je ein Geschöpf, den Seeadler ausgenommen, das sich ein solches Nest baute? – Bei den Gebeinen meines heiligen Namensvetters! in einem ähnlichen Dinge hat noch kein lebendes Wesen gehaust!« Achtes Kapitel Nornas Behausung war von Magnus Troil nicht unpassenderweise mit dem Horst eines Seeadlers verglichen worden. Sie war sehr klein und aus einem jener Gebäude ausgebaut, die auf Shetland Burgen und Piktenhäuser, in Schottland und auf den Hebriden Duns heißen und die ersten Versuche der Baukunst zu sein schienen – jene Uebergänge von Fuchsbauten im losen Steinhaufen zur menschlichen Wohnung aus dem gleichen Material ohne Verwendung weder von Kalk noch von Lehm oder Bauholz. Die vielen Ueberreste dieser Wohnungen, von denen man Ruinen auf jedem Vorgebirge, auf jedem Inselchen und an jedem Punkte findet, der den Einwohnern Mittel zu ihrer Verteidigung darbieten konnte, liefern den Beweis, daß jenes uralte Inselvolk, das diese Burgen erbaute, eine weit größere Seelenzahl aufgewiesen hat, als nach andern Umständen zu schließen sein dürfte. Die Burg, von der wir hier erzählen, war in späteren Zeiten ausgebaut worden, vermutlich von irgend einem kleinen Despoten oder Seeräuber, der die Sicherheit ihrer Lage auf einer vorspringenden Felsenspitze, von dem Hauptlande durch eine Spalte oder Kluft getrennt, erkannte und würdigte. Das Innere zeigte Kalk und Lehmbewurf, auch Fensteröffnungen, um Licht und Luft Einlaß zu gewähren; vermittels Balken von gestrandeten Schiffen war sie in Stockwerke eingeteilt worden, so daß das Ganze einem pyramidenförmigen Taubenschlage nicht unähnlich sah, dessen dicke Mauer immer noch jene Galerie enthielt, die allen festen Schlössern dieser frühern Bauart eigen ist, und ihre eigentliche Schutzwehr gebildet zu haben scheint. Diese seltsame Behausung seit Menschenalter der Gewalt der Elemente ausgesetzt, war grau und hatte vom Wetter gelitten, wie der Felsen, auf dem sie gegründet war, und von dem man sie kaum zu unterscheiden vermochte. Minnas bisherige Gleichgültigkeit gegen alles, was seit kurzem um sie her vorging, wurde auf einen Augenblick durch den Anblick dieser menschlichen Wohnung aufgehoben, die zu einer andern und glücklichern Zeit ihres Lebens bei ihr Neugierde und Staunen rege gemacht hätte, jetzt aber nur vorübergehendes Mitleid in ihrem Herzen wachrief. Brenda aber überrieselte ein Schauer, wenn sie auf die Felswohnung blickte, zu der sie jetzt auf einem schwierigen, gefahrvollen Pfade hinanritten, der sie zu ihrem Schrecken oft so nahe an den Rand des jähen Abgrunds führte, daß sie, obgleich Shetländerin, und von der Zuverlässigkeit ihres Kleppers überzeugt, doch kaum einen Anfall von Schwindel unterdrücken konnte, besonders als sie, den Blick zurücklenkend, sah, wie Minna, den Zügel fallen lassend, die Arme, sogar den Körper über den Abgrund hinausbeugte, an den Wildschwan erinnernd, der, seine Schwingen auseinander breitend, sich von der Klippe hinabsenkt. In diesem Augenblick fühlte Brenda sich von unaussprechlichem Entsetzen erfaßt, das selbst dann noch ihre Nerven schwer bedrohte, als der Klepper der Schwester die scharfe Felsenecke gleichfalls umschritt und die Versuchung, wenn eine solche vorhanden gewesen, von ihr nahm. Jetzt erreichten sie einen ebnern und offnern Pfad, den flachen Gipfel eines hervorspringenden Felsens, der aber auf einem Punkte wieder schmaler ward und in der Schlucht endigte, die den Felsen, auf dem Nornas Behausung lag, von der übrigen Klippenreihe trennte. Diese von der Natur gebildete Kluft, offenbar das Werk irgend einer Erschütterung derselben, war tief, dunkel und unregelmäßig, enger gegen die Tiefe hin, die der Blick nicht zu ergründen vermochte, und am weitesten nach oben zu, wo der Teil der Klippe, auf dem Nornas Behausung lag, sich von dem Hauptfelsen losgerissen zu haben schien, denn er neigte sich von diesem ab, wie wenn er sich samt dem Bau auf ihm jeden Augenblick ins Meer stürzen wolle. Ohne sich um solche Schrecken zu bekümmern, ritt der Udaller auf den Turm zu, schwang sich von seinem Pferde, half seinen Töchtern von ihren Kleppern und schritt auf die Pforte zu, vor der sich ehedem eine rohe Zugbrücke, von der noch Ueberreste vorhanden waren, befunden hatte. Jetzt bildete sie nur noch einen Weg für Fußgänger, schmal und ohne Geländer, von einer Art Bogen aus Walfischbarten getragen. Ueber diese Schreckensbrücke ging nun der Udaller festen Schrittes, gefolgt von seinen Töchtern, und bald standen die Reisenden vor dem niedrigen, unförmlichen Eingang zu Nornas Behausung. »Wenn sie doch vielleicht nicht zu Hause wäre?« sagte der Udaller, wiederholt an die Tür aus schwarzem Eichenholz schlagend – »gleichviel; dann wollen wir wenigstens einen Tag auf ihre Rückkehr warten und uns an Hausbier und Branntwein bei Nick Strumpher schadlos halten.« Aber schon öffnete sich die Tür; ein vierschrötiger Zwerg, vier Fuß fünf Zoll hoch, mit einem Kopfe von beträchtlichem Umfange und häßlichem Gesicht, mit ungeheurem Munde, großen aufwärts geschlitzten Naslöchern, plumpen dicken Lippen und großen Walfischaugen, glotzte ihnen, ohne ein Wort zu sprechen, entgegen, zu Brendas Schreck und Minnas Staunen, die beide kaum reden konnten vor Angst, jener Troild, dessen Norna in ihrer Erzählung erwähnte, stände leibhaftig vor ihnen. Magnus Troil aber redete die wunderliche Gestalt mit jener herablassenden Freundlichkeit an, die Leute höheren Ranges gegen solche niedrigern Standes anzunehmen pflegen, wenn sie augenblicklichen Grund zur Höflichkeit gegen sie zu haben meinen. »Ei, sieh da, Nick!« rief er, »noch immer munter und wohl wie St. Nicolas, Dein Namensvetter, wenn er, mit Axt oder Beil ausgehauen, an einem holländischen Schiffe prangt. Wie geht es Dir, Nick, oder Pacolet, wenn Du Dich so lieber nennen hörst; sieh, Nicolas! da sind meine beiden Töchter, fast so hübsch wie Du, wie Du siehst.« Nick grinste sie an und machte eine plumpe Verbeugung, wich aber mit seiner klumpenförmigen Gestalt um keinen Schritt von der Tür. »Kinder,« fuhr der Udaller fort, der seine Gründe haben mochte, den Cerberus freundlich zu stimmen, – »seht, Mädchen, das ist Nick Strumpher, von seiner Herrin Pacolet genannt; ein schmucker Zwerg, wie Ihr seht, geheimer Rat von seiner Herrin, der aber noch nie im Leben ein Geheimnis von ihr ausgeschwatzt hat.« Der garstige Zwerg grinste noch ärger als zuvor, warf, wie um die Aussage des Udallers zu bekräftigen, den Kopf zurück und zeigte, als er seine ungeheuren Kinnbacken voneinander riß, daß sich in der unermeßlichen Tiefe seines Schlundes nur noch die eingeschrumpften Ueberreste einer Zunge befanden, vielleicht noch ausreichend zum Verschlingen von Nahrung, nicht aber, um menschliche Töne hervorzubringen. Ob dieses Organ durch Krankheit verstümmelt oder gewalttätig verkürzt worden, ließ sich nicht erraten; daß aber das unglückliche Wesen nicht von Geburt stumm war, ging aus seinem Gehör hervor. Nachdem er diesen schrecklichen Anblick gezeigt, vergalt er den Scherz des Udallers mit lautem, mißtönendem Gelächter, um so gräßlicher anzuhören, als es das eigene Elend zu höhnen schien. Die Schwestern blickten sich einander furchtsam an, und selbst der Udaller schien etwas außer Fassung gebracht, fuhr aber fort: »Und wann hast Du Deinen Schlund, der an Weite dem Pentland-Haff nichts nachgibt, zuletzt mit einem Glas Branntwein gewaschen? Ich führe solches Zeug bei mir, Nick, vortreffliches Zeug!« Der Zwerg zog die dicken Brauen zusammen, schüttelte den mißgestalteten Kopf und zeigte mit dem Daumen seiner rechten Hand über die Schulter rückwärts. »Wie! meine Muhme sollte darüber verdrießlich werden?« sagte der Udaller, das Zeichen verstehend: »nun, nun, Alter, Du sollst eine Flasche davon hier behalten, um Dir ein Gütchen damit anzutun, wenn sie fern ist.« Der Zwerg fletschte schmunzelnd die Zähne. »Und nun, Pacolet!« rief der Udaller, »aus dem Wege, und laß mich meine Töchter zu meiner Muhme führen. Bei den Gebeinen des heiligen Magnus! es soll Dein Schaden nicht sein, – Nun, schüttele nur Deinen Kopf nicht, Alter; wenn meine Muhme zu Hause ist, wollen und müssen wir sie sehen.« Der Zwerg gab durch seine Winke von neuem zu verstehen, daß das unmöglich sei, worauf der Udaller zornig zu werden anfing. »Was da, was da!« rief er, »quäle mich nicht mit Deinem Kauderwelsch und geh aus dem Wege! Ich nehme alle Schuld auf mich.« Mit diesen Worten legte Magnus Troll seine kräftige Hand an den Wamskragen des Zwerges, schob ihn mit einem derben Stoß beiseite und trat ein, von seinen beiden Töchtern gefolgt, die sich, von allem was sie rings um sich sahen, entsetzt, dicht an ihn anschlossen. Ein krummer, dunkler Gang, durch den jetzt Magnus voranschritt, wurde durch eine Schießscharte, die mit dem Innern des Gebäudes in Verbindung stand, und ursprünglich dazu bestimmt sein mochte, den Eingang zu verteidigen, nur matt erhellt. Je weiter sie gingen, desto dunkler wurde es um sie her, und als Brenda jetzt aufblickte, den Grund hiervon zu erforschen, bebte sie zusammen vor dem bleichen, nur im Halbdunkel sichtbaren Antlitz Nornas, die, ohne ein Wort zu sprechen, auf sie niedersah, mit einem so starren, schrecklichen Ernst, daß jeder freundliche Empfang ausgeschlossen zu sein schien. Vater und Schwester kamen langsam hinter ihr her und hatten die Erscheinung ihrer seltsamen Wirtin nicht bemerkt. Neuntes Kapitel »Hier muß die Treppe sein,« rief der Udaller, als er in der Dunkelheit gegen ein paar unregelmäßige Stufen stieß, »sofern mich nicht mein Gedächtnis trügt! Ei, und da sitzt sie ja schon,« fuhr er fort, als er vor einer halboffenen Tür still stand, »mit ihrer ganzen Takelage um sich, und beschäftigt, ohne Zweifel wie der Teufel beim Sturm.« Mit solch unehrbietigem Vergleiche trat er, von seinen Töchtern gefolgt, über die Schwelle des halbdunklen Zimmers, worin Norna saß, von wirr umher liegenden Büchern aus verschiedenen Sprachen, Pergamentrollen, Tafeln und Steinen mit den eckigen Zeichen der Runenschrift umgeben, wie mancherlei anderen Dingen, die der gemeine Mann mit Ausübung verbotener Künste in Verbindung zu bringen liebt. Ueber dem rohen, nachlässig angelegten Kamin hing ein altes Panzerhemd nebst zugehörigem Kopfstück, Streitaxt und Lanze; auf einem Gesimse lagen in großer Ordnung mehrere jener seltsamen, aus grünem Granit geformten Streitäxte, die sich häufig auf diesen Inseln finden, und vom gemeinen Mann »Donnerkeile« genannt und als Schutzwehr gegen Blitzstrahl betrachtet werden. Daneben ein Opfermesser, an dem vielleicht einst Menschenblut klebte, sowie ein paar jener ehernen Werkzeuge, »Celts« genannt, über deren Zweck sich schon mancher Altertumsforscher den Kopf zerbrochen hat. In einem Winkel auf einem Haufen von welkem Seegrase, ruhte ein Ungetüm, das man auf den ersten Blick für einen großen mißgestalteten Hund halten konnte, dann aber als einen zahmen Seehund erkannte, und der jetzt, als er die fremden Leute sah, wachsam wie ein gewöhnlicher Haushund aufsprang – während Norna, ohne sich zu rühren, hinter einem Tisch aus rohem Granit sitzen blieb, den plumpe, aus dem gleichen Gestein roh gefügte Füße trugen. Außer dem Buche, worin sie zu lesen schien, lag neben einem mit Wasser gefüllten Kruge ein Stück von jenem groben, ungesäuerten Brote, das der arme norwegische Bauer zu essen pflegt. Magnus Troil stand einen Augenblick da, den Blick schweigend auf seine Muhme gerichtet; Brenda war von maßloser Furcht erfüllt, und Minna schien für den Augenblick gar nicht zu fassen, wo sie weilte. Endlich wurde das Schweigen von dem Udaller unterbrochen, der einerseits seine Muhme nicht beleidigen mochte, anderseits ihr aber zeigen wollte, daß ihn dieser seltsame Empfang nicht in Verwirrung setzte ... »Guten Abend, Muhme Norna!« rief er, »ich bin mit meinen Töchtern weit hergekommen, um Euch zu besuchen.« Norna hob die Augen von dem Buche, blickte starr auf ihre Besucher, dann wieder ruhig auf das Blatt. »Nun, laßt Euch nicht stören, Muhme,« fuhr der Udaller fort, – »wir können ja warten, bis Ihr Zeit für uns findet! Schau her, Minna, die herrliche Aussicht auf das Vorgebirge, kaum eine Viertelmeile von hier; sieh, wie sich die Wellen mastlos daran brechen. Ach, und den niedlichen Seehund, den unsere Muhme hat! ... Komm her, Tierchen, komm, komm!« Der Seehund erwiderte aber diesen Versuch, Bekanntschaft mit ihm anzuknüpfen, mit dumpfem Gebrumm. »So gut gezogen,« fuhr Magnus in leichtem, scheinbar gleichgültigem Tone fort, »wie der vom alten Peter Mac Raws, dem Pfeifer von Storneway, der mit dem Schwanze den Takt zu einem Liede schlug, ist er nun freilich nicht; aber, Base,« fuhr er fort, als er sah, daß Norna das Buch zuklappte, »wollt Ihr uns denn nun willkommen heißen, oder müssen wir uns in einem andern Hause, als dem unserer Blutsverwandten, um Nachtquartier umsehen, jetzt, wo der Abend mit starken Schritten naht?« »Ihr trägen, hartherzigen Seelen!« erwiderte Norna, »die Ihr taub seid wie die Natter für die Stimme des Zauberers, – was führt Euch zu mir? – Jede Warnung, die ich Euch gab, habt Ihr von Euch gestoßen, und nun, da das Unglück über Euch hereingebrochen, sucht Ihr meinen Rat, der Euch jetzt nichts mehr helfen kann?« »Hört einmal, Muhme,« entgegnete der Udaller in seinem gewöhnlichen, derben und offenen Wesen; »ich muß Euch gestehen, daß Euer Empfang ziemlich unhöflich und kalt ist. Zwar habe ich noch nie eine Natter gesehen, weil es hier zu Lande keine gibt, nach meinen Begriffen von einem solchen Tiere aber taugt es zu keinem passenden Vergleich mit mir oder mit meinen Töchtern; und das mögt Ihr in der Folge bedenken. Aus alter Bekanntschaft, und auch aus gewissen andern Gründen nur, verlaß ich Euer Haus nicht auf der Stelle; da ich aber höflich und in aller Freundschaft zu Euch gekommen, bitte ich Euch uns auch auf gleiche Weise aufzunehmen, oder wir ziehen wieder von dannen und lassen Eure ungastliche Schwelle schmachbeladen hinter uns.« »Wie dürft Ihr, fragte Norna, »eine so kühne Sprache in einem Hause wagen, von dessen Besitzerin jedermann, wie jetzt auch Ihr, Rat und Hilfe begehrt? Wer mit der Reimkundigen spricht, muß seine Stimme vor ihr beugen, vor ihr, deren Gebot Wind und Wellen gehorchen.« »Wind und Wellen mögen das immerhin tun, wenn sie wollen,« antwortete der Udaller, »ich aber will's nicht. In den Häusern meiner Freunde bin ich gewöhnt, wie bei mir zu Hause zu reden und streiche vor niemand meine Segel.« »Und hofft Ihr, mich auf solche Weise zur Antwort auf Eure Fragen zu zwingen?« fragte Norna. »Hört einmal, Muhme,« entgegnete Magnus Troil, »ich weiß zwar nicht so viel wie Ihr von den alten nordischen Sagen, aber soviel weiß ich, daß, wenn vor Zeiten die wackern Kämpen Sibyllen und Wahrsagerinnen aufsuchten, sie mit der Axt auf der Schulter und mit gezogenem Schwerte anlangten, die Antwort zu erzwingen, die sie begehrten.« »Vetter!« erwiderte Norna, indem sie von ihrem Sitze sich erhob und auf ihn zuschritt: »Du hast wohl gesprochen, und zu rechter Zeit für Dich und Deine Töchter; nie hätte Euch die Morgensonne wieder beschienen. Die Geister, die mir dienen, sind argwöhnisch und wollen zu nichts gebraucht sein, was der Menschheit nützen kann, bis sie von unerschrockenem Mut dazu gezwungen werden. Und nun sprich, was begehrst Du von mir?« »Die Gesundheit meiner Tochter,« antwortete Magnus, »die kein Heilmittel wieder herzustellen vermochte.« »Die Gesundheit Deiner Tochter,« fragte Norna; »und was fehlt dem Mädchen?« »Der Arzt muß ihre Krankheit nennen,« entgegnete Troil; »alles was ich darüber sagen kann, ist –« »Genug,« rief Norna, ihn unterbrechend, »ich weiß alles, was Du von mir sagen kannst, und mehr noch weiß ich als Du selbst. Setzt euch nieder, ihr alle – Du aber, Minna, setz Dich hier auf diesen Stuhl;« – sie zeigte auf den Stuhl, den sie eben verlassen hatte – »einst war er der Sitz der Giervada, auf deren Gebot die Sterne ihre Strahlen einzogen und der Mond verblich.« Langsamen Schrittes begab sich Minna zu dem rohen Steinsessel, der von der ungeschickten Hand irgend eines gotischen Künstlers die ungefähre Gestalt eines Stuhles erhalten hatte. Brenda, die sich so nah wie möglich an ihren Vater schmiegte, setzte sich mit ihm auf eine Bank, in kurzem Abstande von Minna, und hielt ihre Blicke, aus denen ein Gemisch von Furcht, Mitleid und Angst sprach, unbeweglich auf die Schwester gerichtet. Die Gefühle, von denen dieses liebenswürdige Mädchen in diesem Moment bestürmt war, zu enträtseln, würde wohl seine Schwierigkeit haben. Mit schwächerer Einbildungskraft begabt, als Minna, infolgedessen für übernatürliche Dinge weniger empfänglich, konnte sie sich doch einer gewissen Furcht vor der Szene, die jetzt statthaben sollte, nicht verschließen; diese Regung ging aber bald in der Sorge für Minna unter, die mit ihrem geschwächten Körper und einer erschöpften, für die Dinge um sie her nur zu empfänglichen Seele jetzt in Sinnen vertieft saß, der Behandlung eines Wesens preisgegeben, das durch seine Rücksichtslosigkeit leicht von den schädlichsten Folgen für sie sein konnte. Brenda blickte auf Minna, die in dem dunklen Steinsessel saß, zu dessen mächtigen und unregelmäßigen Winkeln ihre liebliche zarte Gestalt den seltsamsten Kontrast bildete; ihre Wangen und Lippen waren bleich wie der Tod, und aus ihren emporgehobenen Augen sprach Ergebung und Begeisterung, beide ihrem Charakter und ihrer Krankheit eigentümlich. Dann sah die jüngere Schwester auf Norna, die, leise und eintönige Worte vor sich hinmurmelnd, von einem Winkel des Gemachs zum andern schritt und allerhand Dinge herbeiholte, die sie dann nebeneinander auf den Tisch legte. Endlich beobachtete Brenda auch noch ihren Vater, um womöglich aus seinen Gesichtszügen zu erraten, ob auch er einiges von ihrer Furcht empfinde. Aber er schien dergleichen nicht zu fühlen, sondern blickte mit ernster Ruhe auf Nornas Vorbereitungen, und schien das Ergebnis derselben mit der Fassung eines Mannes abzuwarten, der im Vertrauen auf die Geschicklichkeit des Arztes dessen Vorbereitungen zu einer ernsten, schmerzvollen Operation mit Ruhe zusieht. Norna fuhr unterdes in ihrer Arbeit fort, bis sie auf den Tisch verschiedene Dinge gelegt und gestellt hatte, unter denen sich auch eine kleine, mit Holzkohlen gefüllte Kohlenpfanne, ein Schmelztiegel und ein dünnes Stückchen Blei befanden. Dann sprach sie laut: »Es ist gut, daß ich Euren Besuch vorher wußte, – lange vorher, eh' er von Euch selbst beschlossen ward, – wie könnte ich sonst auf dasjenige, was jetzt geschehen muß, vorbereitet sein? – Mädchen!« fuhr sie dann zu Minna gewendet fort, »wo liegt Dein Nebel?« Die Kranke legte als Antwort ihre Hand auf die linke Brust. »Ja, ja,« entgegnete Norna, »das ist der Platz von Wohl und Weh. – Du aber, ihr Vater und Du, ihre Schwester, glaubt nicht, daß ich nur aufs Geratewohl spreche – kann ich das Uebel nennen, so bin ich vielleicht im stande, es zu mildern; es ganz zu heilen aber nicht. Das Herz – ja, wenn das Herz getroffen wird, verdunkelt sich das Auge, der Puls beginnt wirr zu klopfen, der Blutumlauf wird gestört, die Glieder welken hin, wie das Seegras in der Sommersonne, unsere frohen Lebensansichten schwinden; und was zurückbleibt, ist nur der Traum eines verlorenen Glücks, die Furcht vor einem unvermeidlichen Elend. – Aber die Heilkundige muß an ihr Geschäft – wohl mir, daß ich Anstalt dazu traf!« Sie warf ihren dunkelfarbigen Mantel von sich und stand nun vor ihnen, in ihrem lichtblauen Wams, mit einer ähnlichen, mit schwarzem Samt phantastisch geschmückten Schürze, die mit einer Kette, oder vielmehr einem mit seltsamen Zeichen gezierten Gürtel an ihrer Jacke befestigt war. Norna löste nun zunächst das Netz, das ihr graues Haar zusammenhielt, und ihr Haupt heftig hin und her bewegend, warf sie es in unordentlicher Fülle über Antlitz und Schultern, so daß ihre Gesichtszüge fast gänzlich verhüllt wurden. Dann stellte sie den kleinen Schmelztiegel auf die kleine Kohlenpfanne, – ließ aus einer Phiole ein paar Tropfen auf die Holzkohlen fallen, deutete auf sie mit dem welken Zeigefinger, den sie ebenfalls, doch aus anderem Fläschchen, benetzt hatte, und sprach mit tiefer Stimme: »Feuer, tue deine Pflicht!« Kaum waren diese Worte gesprochen, als plötzlich, vermutlich durch irgend eine chemische, von den Zuschauern nicht bemerkte Ursache, die Holzkohlen unter dem Schmelztiegel sich langsam zu entzünden begannen, während Norna, gleichsam wie über den Verzug ungeduldig, eilig das um ihr Haupt flatternde Haar aus dem Gesichte strich, und stark in die Flamme blies, deren Glut sich auf ihren Wangen spielte, während ihre Augen unter ihrem Haar hervorfunkelten, wie die eines wilden Tieres aus seiner Höhle. Jetzt hielt sie einen Augenblick inne, und nachdem sie vor sich hingemurmelt hatte, daß jetzt dem Geiste des Elements gedankt werden müsse, rezitierte sie in ihrer gewöhnlichen, monotonen und dennoch wilden Weise die folgenden Verse: »Du, der Furcht und Segen bringt, Der die roten Flügel schwingt, Dessen geist'ges Zauberweh'n Heißt den Nord vom Schlaf ersteh'n, Der da wärmt der Hütte Herd Und Paläste wild zerstört; Glanzumstrahlter, dessen Macht Wohl und Weh oft angefacht; Auf der Runenreime Schwingen Mög mein Danklied zu Dir dringen. Dann nahm sie ein Stückchen von dem Blei, das auf dem Tische lag, warf es in den Schmelztiegel und sang, indem es schmolz: Jetzt gibt auch der Kunst zum Heil Mutter Herta ihren Teil; Sie, die spendend uns erfreut, Nahrung allem Leben beut ... Aus der tiefen Grub' im Norden st das Blei gehoben worden, Einst bestimmt, um unter Stein Eines Helden Sarg zu sein. – Meinem Zauber hilft es hier; Mutter Herta, Dank dafür! Nun goß sie aus ihrem Kruge Wasser in einen großen Becher, und während sie es langsam mit dem Ende ihres Stabes rührte, sang sie: Gürtel, der sein Silberband Schlingt um unser Vaterland, Deiner Woge Sturmgewühl Treibt mit Belgiens Küste Spiel. Aber unsere Klippenschanze Trotzet Deinem Wellentanze. – Gürtel, tu jetzt Deine Pflicht, Norna ist's, die zu Dir spricht. Als sie diesen Vers geendet, hob sie mit einer Zange den Schmelztiegel von der Kohlenpfanne und goß das nun völlig geschmolzene Blei in das Wasser, wobei sie langsam sprach: »Elemente, die sich einen, Lassen Kraft und Macht erscheinen.« Das geschmolzene Blei zischte, als es das Wasser berührte, und formte sich in mannigfache Gestalten, wie allen denen bekannt sein wird, die sich in ihrer Kindheit mit dem Spiele beschäftigten. Norna untersuchte das Blei jetzt mit großer Aufmerksamkeit und löste es voneinander, ohne dem Anschein nach dasjenige zu finden, was sie suchte. Endlich murmelte sie, mehr vor sich hin, als an ihre Gäste gerichtet: »Erm, der Unsichtbare, will nicht übergangen sein, – seinen Tribut will er, selbst in einem Werke, zu dem er nichts tut. – Wolkenbezwinger, auch Dir soll die Stimme der Reimkundigen ertönen.« So sprechend, warf Norna das Blei noch einmal in den Schmelztiegel, wo es, siedend und zischend, so wie das Metall die glühenden Seiten des Gefäßes berührte, schnell wieder flüssig wurde. Die Sibylle hatte sich unterdessen in einen Winkel des Gemachs begeben; dort öffnete sie ein Fenster, das nach Nordwesten hinausging, und ließ den Glanz der Sonne hereinschimmern, die jetzt über einer großen Masse roten Gewölks schwebte, das, nahen Sturm kündend, den Rand des Horizonts umzogen hielt und gleichsam über den Wellen des grenzenlosen Ozeans zu brüten schien. Sich gegen jene Seite wendend, woher ein hohler, klagender Windhauch blies, redete Norna jetzt den Geist des Windes mit Tönen an, die den seinigen nicht unähnlich klangen: Du, der über Wellenbreite Gibst dem Schiffer das Geleite: Du, der ihn durch Meereswüste Führest an die sich're Küste; Der, ob hoch die Woge strebt, Leicht ihn über Klippen hebt. Mächtiger! Du zürnst, weil ich Meine Brüder pries, nicht Dich? Sieh' die Handvoll graues Haar Bring ich Dir als Sühne dar. Oft schon hat Dein Sturmestoben Meine Locken wild gehoben. Magst sie jetzt auf Deinen Schwingen Hin zu fernen Wolken bringen; Deinen Teil nimm, zürne nicht, Norna ist's, die zu Dir spricht. Norna begleitete diese Worte mit der Handlung, die sie beschrieben, indem sie eine Locke von ihrem Haupte riß und in den Wind streute. Dann schloß sie das Fenster und versetzte den Raum wieder in jenes Dämmerlicht, das für ihren Charakter und ihre Rolle so trefflich geeignet war. Das geschmolzene Blei wurde noch einmal in das Wasser geworfen, und die wunderlichen Figuren, die es bildete, wurden aufs neue sorgfältig von der Sibylle untersucht, die endlich durch Worte und Gebärde zu verkünden schien, daß ihr Zauber gelungen sei. Sie nahm nun von dem Metall ein Stückchen, von der Größe einer Nuß, das ganz wie ein menschliches Herz gestaltet war, näherte sich Minna und sprach: Wer oft am Zauberbrunnen wacht, Wird untertan der Nixe Macht; Und der Sirene Allgewalt Fühlt, wer am Ufer einsam wallt. Wer zu dem Zauberkreis tritt hin, Dem droht die Feenkönigin, Und wer dem Zwerggestein sich naht, Der ladet auf sich schwere Tat. Zum Brunnen, zum Kreise, zum einsamen Strand Hat Minna die zagenden Schritte gewandt; Und doch stieg das Leiden, das jüngst sie erkor Zum Opfer, aus tieferer Quelle hervor. Minna, deren Aufmerksamkeit von der Ursache ihres Kummers einigermaßen geweckt worden war, erinnerte sich jetzt ihrer plötzlich wieder und blickte eifrig zu Norna auf, ganz so, wie wenn sie aus ihren Reimen etwas zu erfahren erwarte, was für sie von großem Interesse sein müsse. Die nordische Sibylle fuhr indessen fort, das wie ein Herz geformte Blei zu durchbohren, und einen Golddraht hindurchzuziehen, mit dem es sich an einer Kette oder einem Halsband befestigen ließ. Als dies geschehen war, sprach sie weiter: Dich bindet eines Dämons Macht, Der Größeres als Trolld vollbracht. Sirenengleich weiß er zu singen, Mit Feenzauber zu umschlingen. Kein Elfe kann des Herzens Pochen, Wie er, nach Willkür unterjochen; Wie er, die Rosenwange bleichen, Den Glanz des Augenlichts verscheuchen, – Doch sprich, noch eh' wir weiter geh'n, Kannst Du der Rede Sinn versteh'n?« Minna erwiderte auf die rhythmische Weise, die von den alten Skandinaviern oft im Scherz oder Ernst in Anwendung gebracht wurde. – »Dein Zeichen versteh' ich, Deine Blicke, Dein Wort, Fahr in Deinem Rätsel, o Mutter, nur fort.« »Und die letzten sind's, die sie in Monaten sprechen wird,« entgegnete Norna, über die Unterbrechung erzürnt, »wenn Du ferner die Wirkung meines Zaubers störst. Wendet Euer Gesicht der Wand zu und schaut nicht her, bei der Strafe meines Zornes; Du, Magnus, wegen Deines harten Sinnes; und Du, Brenda, wegen Deines eitlen Unglaubens; ihr beide seid nicht wert, dem geheimnisvollen Werke zuzuschauen; die Blicke eurer Augen schwächen die Kraft des Zaubers; denn die Mächte dulden keinen Argwohn.« Ungewohnt, auf solch entschiedene Weise angesprochen zu werden, hätte Magnus fast eine heftige Antwort gegeben, aber in Rücksicht auf Minnas Gesundheit und Nornas schweres Leid bekämpfte er seinen Unmut, neigte sein Haupt, zuckte mit den Schultern und nahm, sein Gesicht gegen die Wand kehrend, die Stellung an, die ihm Norna befohlen. Auf seinen Wink folgte Brenda seinem Beispiel, und so saßen beide in tiefem Schweigen da. Norna wandte sich wieder zu Minna mit folgenden Worten: Merk auf mein Wort, und länger nicht Deck Totenblässe Dein Gesicht. Dies Herz von Blei, nur klein an Wert, Als Sinnbild sei es Dir beschert. Trag es in tröstender Ruh und Frieden, Hoffend, daß dann Deine Krankheit geschieden. Wenn blutroter Fuß die blutrote Hand Auf Orkney im Flügel des Märtyrers fand. Hohe Röte färbte Minnas Wangen bei den letzten Worten, denn diese schienen ihr deutlich zu verkünden, daß Norna mit der Ursache ihres Kummers völlig bekannt sei; dieselbe Ueberzeugung bewog das arme Mädchen auch, auf den glücklichen Erfolg zu hoffen, auf den die Wahrsagerin hindeutete; und da sie nicht wagte, ihre Gefühle auf eine verständlichere Weise an den Tag zu legen, drückte sie mit Wärme und Innigkeit Nornas welke Hand an ihre Brust und benetzte sie mit Tränen. Menschlicher fühlend, als sonst ihre Art war, zog Norna die Hand weg, und nun flossen Minnas Tränen unaufhaltsam. Freundlicher denn zuvor befestigte Norna das bleierne Herz an einer goldenen Kette, hing sie Minna um den Hals und sang dazu den letzten Teil ihres Zauberliedes: Geduld, nur Geduld; denn Geduld schirmt mit Kraft, Wie der Mantel, der Schutz uns beim Unwetter schafft. Nichts Besseres vermag ich Dir, Mädchen, zu spenden Als hier diese Gabe aus Zauberers Händen. Das Herz und die Kette, sie sollen Dir beide Verbürgen, was Norna Dir gab zum Bescheide. Doch soll sie nicht schauen, was lieb Dir und nah, Bis das, was ich kündete, wirklich geschah.« Während sie diese Verse sprach, hatte sie der Kranken die Kette sorgfältig um den Hals gewunden, und die Kranke konnte sie in ihrem Busen bergen; und so endete diese Zauberhandlung – die übrigens wohl noch heute auf Shetland geübt wird, wo jede Erkrankung, deren Ursache nicht klar am Tage liegt, von der niedern Klasse dem Einfluß eines bösen Geistes zugeschrieben wird, der dem leidenden Leibe das Herz gestohlen: der Gebrauch, dem Kranken statt dieses aus dem Leibe gestohlenen Herzens ein bleiernes umzuhängen, ist auch heute noch nicht erloschen. Nochmals mahnte Norna die Kranke, nicht von der Zaubergabe zu sprechen, da sonst die Kraft derselben sogleich verloren wäre. Dann löste sie noch einmal Minnas Halskrause und zeigte ihr ein Glied der goldnen Kette, das Minna auf der Stelle überzeugte, daß es dieselbe sei, die Norna einst Mordaunt Mertoun geschenkt. Dieses schien ihr zu beweisen, daß er noch am Leben und unter Nornas Schutz sei, und mit lebhafter Neugier blickte sie nun auf die seltsame Greisin, die aber, als gebiete sie Schweigen, den Finger auf die Lippen legte, dann noch einmal die Kette unter jene Falten barg, die sittsam und züchtig einen der schönsten und sanftesten Busen des Erdenrunds verhüllten. Norna löschte sodann die brennenden Kohlen aus und gebot, als das Wasser zischend die Glut berührte, Magnus und Brenda, ihnen sich wieder zuzukehren, da ihr Geschäft nun vollendet sei. Zehntes Kapitel Norna schien wirklich vollen Anspruch auf die Dankbarkeit des Udallers zu haben, denn der Gesundheitszustand seiner Tochter hatte sich im Handumdrehen gebessert. Die Sibylle öffnete noch einmal das Fenster, Minna näherte sich mit liebevollem Zutrauen dem Vater, umschlang ihn und bat ihn um Verzeihung wegen der vielen Sorge, die sie ihm seit kurzem verursacht. Auch in die Arme der Schwester warf sie sich, gab aber ihr gegenüber der Reue, die sie fühlte, wegen des seltsamen Benehmens, das sie seit kurzem ihr gegenüber gezeigt, mehr durch Tränen und Küsse, als durch Worte Ausdruck. Der Udaller hingegen hielt es für höflich, seiner Wirtin, deren Geschicklichkeit sich so ungemein bewährt hatte, für die geleisteten Dienste zu danken. Kaum aber hatte er begonnen: »Liebwerte Muhme, seht, ich bin nur ein alter gerader Normann,« – als sie ihn auch schnell unterbrach, indem sie die Finger auf die Lippen legte. »Wesen gibt es um uns,« sprach sie, »die keine sterbliche Stimme hören, und die nicht Zeugen von einem, dem menschlichen Gefühle dargebrachten Opfer sein dürfen. – Auch Augenblicke gibt es, wo sie sich selbst gegen mich, ihre mächtige Gebieterin, empören, weil mich noch die menschliche Hülle umgibt. Fürchte sie daher und schweige! Ich – nur ich, die durch Taten sich aus dem niedrigen Tale des Lebens und über Deine galligen Gebrechen emporhob; – ich, die dem Spender ihres Lebens die Gabe raubte, die er ihr verlieh, und die nun einsam und allein dasteht auf einer Klippe von unermeßlicher Höhe, losgerissen von der ganzen Erde außer dem unbedeutenden Punkte, den ihr armseliger Fuß betritt – ich allein bin bestimmt, mit diesen finstern Genossen zu unterhandeln. Fürchte Dich deshalb nicht, sei aber auch nicht zu kühn. Verbringe diesen Fasten mit Deinen Töchtern im Gebet!« Der Udaller, schon vorher nicht willens, dem Gebot der Sibylle zuwider zu handeln, hatte jetzt, nachdem sie ihm solchen Dienst geleistet, hierzu noch weniger Lust, sondern setzte sich schweigend und griff nach einem neben ihm liegenden Buche in einem verzweifelten Versuche, die Langeweile zu vertreiben, denn noch nie hatte er in einer andern Absicht seine Zuflucht zu einem Buche genommen. Der Zufall spielte ihm eins in die Hände, das für ihn, wäre es nicht in lateinischer Sprache abgefaßt gewesen, recht viel Interesse hätte haben können, denn es stammte von Olaus Magnus und handelte von den Sitten der alten Nationen des Nordens. So mußte er sich begnügen, die Belehrung, die er im Text nicht fand, in den beigegebenen schönen Kupfern zu suchen. Die beiden Schwestern sahen unterdessen wie zwei Blumen am selben Stengel, und hielten sich innig umschlungen, als fürchteten sie, daß eine neue Veranlassung zur Kälte sich wieder zwischen sie drängen möchte, um das kaum wiederhergestellte harmonische Verhältnis zu trüben. Norna saß ihnen gegenüber, in dem großen Pergamentbande blätternd, vor dem sie sie bei ihrem Eintritt getroffen hatte; und dann wieder auf die Schwestern mit Blicken schauend, deren freundlicher und ungewöhnlich gütiger Ausdruck die strenge und ernste Feierlichkeit ihrer Gesichtszüge milderte. Alles war still und stumm wie der Tod, und selbst Brenda hatte in ihrer Gemütsbewegung noch nicht Zeit gewonnen, zu überlegen, ob es recht sei, die übrige Tageszeit auf gleiche Weise hinzubringen; da wurde die tiefe Stille plötzlich durch den Eintritt des Zwerges unterbrochen. Norna warf einen verdrießlichen Blick auf den Störenfried, der, dem Anschein nach, um seine Zudringlichkeit zu entschuldigen, die Hände emporhielt und einen klagenden Ton hervorstieß; dann aber schnell wieder zu seiner gewöhnlichen Ausdrucksweise zurückkehrte und eine Menge Zeichen mit seinen Fingern beschrieb, die von seiner Gebieterin mit eben so großer Gewandtheit wie Schnelligkeit erwidert wurden, so daß die beiden jungen Mädchen, die nie etwas von einer solchen Kunst gesehen oder gehört hatten, solche Verständigung unter zwei Menschen fast für Zauberei zu halten geneigt waren. Als die wunderliche Zwiesprach zu Ende war, wandte Norna sich wieder, und zwar nicht ohne Stolz, an Magnus Troil und sprach: »Wie, Vetter, konntet Ihr Euch so vergessen, irdische Nahrung in die Behausung der Reimkundigen zu bringen und Anstalten zu Lustbarkeiten und Tafelfreuden darin zu treffen? – So redet nicht – antwortet mir nicht; der Erfolg meines Heilungsversuchs hängt von Eurem Schweigen und Gehorsam ab – wechselt Ihr nur ein Wort, ja auch nur einen einzigen Blick mit mir, so wird es um das arme Mädchen bald noch schlimmer stehen als zuvor.« Diese Drohung war ein wirksamer Zauber auf die Zunge des Udallers, den es nicht wenig danach verlangte, sie zu seiner Rechtfertigung in Bewegung Zu sehen. »Folgt mir, ihr alle!« fuhr Norna fort, zu der Tür des Zimmers schreitend, »und keiner schaue hinter sich – wir lassen dieses Gemach nicht leer zurück, obgleich wir, die Kinder der Sterblichkeit, uns daraus hinweg begeben.« Sie schritt hinaus, und der Udaller winkte seinen Töchtern, ihrem Gebete zu gehorchen. Schneller als ihre Gäste eilte die Sibylle die rauhe Stiege hinab, die zu dem unteren Raume führte. Dort waren die beiden Dienstboten, die Magnus Troil mitgebracht, gerade dabei, den Mundvorrat aus den Mantelsäcken zu packen und aufzutischen, und standen nun, starr vor Furcht und Erstaunen, als Norna mit dem Zwerge ein Stück von den Lebensmitteln nach dem andern nahm und zu der Oeffnung, die das Fenster ersetzte, über die hohe Klippe hinweg, auf der sich die Burg erhob, hinab in den Ozean, der tief unten wogte und schäumte, schleuderte – mit solcher Geschwindigkeit, daß der alte Udaller kaum noch seinen alten silbernen Becher retten konnte, denn schon flog die große lederne Branntweinflasche, die sein Lieblingsgetränk enthielt, den Speisen hinterher, begleitet von einem boshaften Grinsen des Zwerges, der damit Magnus Troil zu verstehen geben wollte, daß ihm an seinem Aerger doch noch mehr gelegen sei als an dem ganzen Inhalt der Flasche, Darüber riß aber dem Udaller der Geduldsfaden ... »Ei, was, Muhme,« rief er grimmig, »das ist ja tolle Verschwendung; wo und was sollen wir dann zu Nacht essen?« »Wo ihr wollt,« antwortete Norna, »und was ihr wollt; aber weder sollt ihr essen in meiner Behausung, noch sollt ihr das essen, womit ihr meine Behausung entheiligt habt. Reizt ihn, den Unsichtbaren, nicht länger, sondern fort mit euch allen, – zu lange schon habt ihr hier geweilt, als daß es mir und wohl auch euch gut sein könnte.« »Wie, Muhme,« entgegnete Magnus, »Ihr wollt uns doch hinauswerfen in dieser späten Stunde? – Bedenkt, daß es eine Schande wäre für unsern Stamm, wenn Ihr uns zwänget, unser Tau zu kappen und ohne Proviant in See zu stechen.« »Schweigt, und macht, daß ihr fortkommt,« erwiderte Norna, »seid zufrieden, daß euch dasjenige ward, weshalb ihr zu mir kamt. Ich habe keine Herberge für sterbliche Gäste, keinen Vorrat, menschlichen Bedürfnissen abzuhelfen. Tief unten an der Klippe ist ein Ufer von feinstem Sande, ein Strom, rein und klar wie die Quelle von Kildingui, und die Felsen tragen Löffelkraut, gesund und heilsam wie das von Guiydin. Wohl wißt ihr, daß der Quell von Kildingui und das Kraut von Guiydin vor jeder Krankheit außer vor dem schwarzen Tode schützen.« »Und das weiß ich auch,« sagte der Udaller, »daß ich lieber verdorbenes Seegras, wie ein Eisbock, oder gesalzenes Seehundfleisch, wie die geringen Leute von Burraforth, oder Muscheln aller Art, wie die armen Schelme von Stroma, zu mir nehmen wollte, als weißes Brot zu brechen und roten Wein zu trinken, in einem Hause, wo man scheel dazu sieht. Und doch,« fuhr er sich besinnend fort, »tue ich unrecht, Muhme, schweres Unrecht, so zu Euch zu sprechen, denn weit eher sollte ich Euch danken für das, was Ihr getan, als Euch Vorwürfe machen, daß Ihr Euren eigenen Weg geht. Aber Ihr werdet ungeduldig – wie ich sehe, – nun, nun, wir wollen uns gleich aufmachen. – Und Ihr, Bursche,« fuhr er, zu seinem Diener gewandt, fort, »habt's ein andermal nicht so eilig, Speisen aufzutischen, sondern wartet, bis Euch was aufgetragen wird. Hinaus mit Euch, die Klepper zu holen; denn ich sehe schon, wir müssen für die Nacht auf einen andern Hafen lossteuern, wollen wir nicht mit leerem Magen und auf einem harten Lager schlafen.« Schon war der Udaller mit seinen Töchtern am Arm, hinter seinen beiden Dienstboten her, bis zur Tür gelangt, als Norna ihnen plötzlich mit einem emphatischen Tone: »Halt!« zurief; sie gehorchten und wandten sich wieder zu ihr. Sie hielt Magnus ihre Hand entgegen, die der gutmütige Mann ohne Zögern erfaßte. »Magnus,« sagte sie, »wir trennen uns aus Notwendigkeit; aber, wie ich hoffe, nicht im Zorn!« »Nein, nein, gewiß nicht,« antwortete der Udaller mit Wärme, »ganz gewiß nicht; ich will keinem Menschen Böses, am wenigsten aber einer Verwandten, deren Rat mich schon durch manche böse Flut gesteuert hat.« »Genug!« erwiderte Norna, »und nun lebt wohl! aller Segen, den ich spenden kann, begleite Euch! – Kein Wort mehr! – Kommt näher, Ihr Mädchen,« fuhr sie dann fort, »und laßt mich Eure Stirnen küssen.« Minna gehorchte mit Ehrerbietung, Brenda mit Bangen; die eine überwältigt von der Wärme ihrer Einbildungskraft, die andere unter dem Druck der natürlichen Aengstlichkeit ihres Temperaments, Norna wandte sich nun von ihnen, und nach wenigen Minuten schon befanden sich Vater und Töchter jenseits der Brücke, auf dem platten Gipfel des Felsens, vor der Burg, die von diesem seltsamen Weibe bewohnt wurde. Die Nacht, denn sie war jetzt hereingebrochen, war ungewöhnlich heiter; ein helles Zwielicht, das weit über die Oberfläche des Sees hinschimmerte, ersetzte die kurze Abwesenheit der Sommersonne, und die Wellen schienen unter seinem Einflusse zu schlummern, so schwach und leise war der Ton, mit dem eine nach der andern sich gegen den Fuß der Klippe bewegte, auf deren Gipfel sie standen. Hinter ihnen erhob sich die rauhe Burg, in dem einförmig grauen Ton der Atmosphäre, alt und formlos, wie der Felsen, auf dem sie erbaut war. Nichts verriet dem Auge und Ohr, daß hier die Wohnung eines Menschen sei, als der aus einer unförmlichen Schießscharte dringende Schimmer einer schwachen Lampe, der in das herrschende Zwielicht nur einen einzigen dünnen Lichtstrahl warf. Nornas Gäste, auf so jähe, unvermutete Weise von dem Obdache gewiesen, das ihnen für die Nacht Unterstand währen sollte, standen ein paar Augenblicke schweigend da, jeder in seine eigenen Gedanken versunken und noch immer von Staunen über das Verhalten des seltsamen Weibes beherrscht. Brenda war die erste, welche Worte fand und die Frage aufwarf, wohin man nun die Schritte lenken und wo die Nacht zubringen solle. Hatte aus Brendas Worten Schmerz und Bangen geklungen, so behielt für den Udaller die Situation nur eine komische Seite; er lachte, daß ihm die Augen übergingen, die Felsen rund um ihn widerhallten und die schlummernden Seevögel aufgeschreckt wurden, bis die armen Mädchen endlich besorgt wurden, es möchte mit ihm nicht mehr ganz richtig sein. Endlich aber erschöpfte sich die Lachlust des alten Normannen, und nachdem er tief Atem geschöpft und die Augen getrocknet, sprach er, nicht ohne Neigung zur Wiederholung seines Fröhlichkeitsausbruches zu bekunden: »Nun, bei den Gebeinen St. Magnus, meines Ahnherrn und Namensvetters! Wer sollte denken, daß man lachen könnte, wenn man nächtlicherweile aus dem Hause geworfen wird, worin man Zuflucht erhoffte? – Meiner Sixen! und dabei scheint's fast, als ob kaum was anderes übrig bliebe, als durch das Zwielicht gerade auf Burgh-Westra zu steuern. Nur Euretwegen tut's mir leid, Mädchen! ich meinerseits habe schon manchen ganz anderen Kreuzzug mitgemacht. Hätten wir nur einen Bissen für Euch und einen Schluck für mich, dann wollten wir uns über nichts beklagen.« Aber die beiden Schwestern versicherten ihrem Vater, daß sie gar keinen Hunger spürten. »Nun, – ein Glück, ein wahres Glück!« entgegnete Magnus, »und so will ich mich auch über meinen eigenen Appetit nicht beschweren, obgleich er stärker ist als sonst... Ha! wie der Schurke, der Niklas Strumpher, höhnisch grinste, als er den guten Schnaps in die salzige Flut schleuderte! Wäre es nicht um meiner Muhme, um Nornas willen gewesen, so hätte ich den mißgestalteten Dickkopf meiner guten Flasche nachgeschickt, so wahr als St. Magnus' Gebeine zu Kirkwall ruhen.« Unterdes waren die beiden Diener mit den Kleppern zurückgekehrt, die sich leicht hatten einfangen lassen, zumal sie wenig Weide gefunden hatten. Die Aussichten besserten sich für die obdachlosen Leute erheblich durch die Nachricht, daß ein kleiner Korb Nornas Grimm und Pacolets Eifer glücklich entgangen und von einem der Diener beiseite gebracht worden war, der auch in kaum zweistündiger Entfernung, am Strande, eine verlassene Fischerhütte bemerkt hatte, in der sich bequem übernachten ließ. Wer Udaller, froh, für seine Töchter solche Zuflucht zu wissen, gab seinem Gaule die Sporen und sang nun, lustig und guter Dinge, als habe er die nächtliche Reise ganz aus freier Wahl unternommen, von Brenda begleitet, kräftige Normannenlieder; Minna war zwar solcher Anstrengung noch unfähig, gab sich aber alle Mühe, Anteil an dem Gesange zu nehmen, und schien ganz im Gegensatz zu der Stimmung, die sie seit jenem schrecklichen Morgen, der den Festlichkeiten von Burgh-Westra folgte, beherrscht hatte, für alles was um sie her vorging, empfänglich zu sein, ja gab bereitwillig und freundlich auf die Fragen Antwort, die ihr Vater über ihre Gesundheit an sie richtete. Bei weitem glücklicher und zufriedener, als am vergangenen Morgen, ritten sie nun in die Nacht hinein, Schutz und Obdach für die Nacht in der Fischerhütte erhoffend, die sie öde und verlassen wähnten. Aber Magnus Troil war es heute beschieden, mehr denn einmal in seinen Erwartungen getäuscht zu werden. »Wo liegt denn nun Deine Kajüte, Laurie?« fragte der Udaller denjenigen seiner beiden Diener, welcher die Hütte ausgekundschaftet hatte, »Dort muß sie liegen,« antwortete Laurence Scholen, »dort am See; aber meiner Sixen! wenn ich recht sehe, sind Leute darin ... Gebe Gott und St. Ronan, daß es gute Gesellschaft sei!« Und wirklich! durch die Ritzen und Spalten der Schindeln, aus denen die Hütte erbaut war, schimmerte Licht! und abergläubische Gedanken erfüllten im Nu die Gemüter der auf die Hütte zutretenden Leute. »Das sind Zwerge!« – »Nein, nein, Hexen!« – »Oder Seejungfrauen,« so riefen Herrschaft und Diener .... »Hört doch nur ihre wilden Gesänge!« Man lauschte gespannt – und wirklich, von der Hütte her erschallte Musik, die Brenda mit zitternder Stimme für Geigentöne erklärte. »Geige oder Satan!« rief der Udaller, der, wenn er auch vielleicht an nächtliche Erscheinungen glaubte, sich doch nicht vor ihnen fürchtete, »mich soll der Henker holen, wenn ich mich von einer Hexe noch einmal um mein Abendbrot prellen lasse!« Im Nu war er aus dem Sattel, faßte seinen treuen Reiseknüttel und schritt auf die Hütte zu, nur von Laurie gefolgt, denn die beiden andern Diener blieben am Strande bei seinen Töchtern und den Pferden zurück. Elftes Kapitel Je näher sie der Hütte kamen, desto deutlicher schallte ihnen Geigenklang entgegen, und Laurie Schoten, der sich dicht hinter seinem Herrn hielt, flüsterte jetzt: »Helfe mir der und jener, Herr, wenn der Geist, der so wacker die Geige streicht, ein anderer ist als Claud Halcro; denn noch nie hat jemand dieses Lied gespielt außer ihm.« Der Udaller, der gleichen Meinung, winkte nun den Seinigen näher zu kommen und rief ein lustiges Hallo; das kleine Dichtermännchen trat nun auch auf die Schwelle, und der Udaller fragte ihn nach freundlicher Begrüßung: »wie er dazu käme, seine Lieder hier, an einem so wüsten Orte, zu singen, der Eule vergleichbar, die zu dem Mond hinaufschriee?« »Sagt Ihr mir, lieber Vogt!« entgegnete Elaud Halcro, »wie Ihr daher kommt in den Bereich meiner Töne? – und noch dazu mit Euren lieblichen Töchtern? – Schöne Minna und Brenda, willkommen hier auf diesem gelben Sande, – wie kamet Ihr hierher, zweien Schwänen gleich, das Dämmerlicht in Tag, und alles, was Eure Füße betreten, in Silber verwandelnd?« »Ihr sollt alles erfahren,« antwortete Magnus, »wen aber habt Ihr da bei Euch in der Hütte? mir deucht, ich höre jemand sprechen?« »Niemand,« erwiderte Elaud Halcro, »als den armen Kerl, den Verwalter, und meinen kleinen Teufel von Jungen, den Giles. – Aber kommt doch herein – kommt herein, wir hungern hier ganz nach Bequemlichkeit – kein Mundvoll saurer Sillochs ist weder für Geld noch gute Worte zu haben.« »Dem kann halbwegs abgeholfen werden,« versetzte der Udaller, »denn obgleich das Beste von unserm Abendbrot über die Fitful-Klippe zu den Seehunden und Haifischen gesteuert ist, haben wir doch noch einiges vom Untergang gerettet. – Her mit dem Rauchfleisch, Laurie!« »Jokul [»Ja mein Herr«, altnorwegischer Ruf], Jokul! rief der Diener freudig, und lief, den Korb zu holen, während die übrigen in die Hütte traten. In ihrem vom Rauche geschwärzten Innern, wo es gewaltig nach getrockneten Fischen roch, fanden sie, neben einem spärlichen Feuer, Triptolemus Yellowley, den Substituten des Lords-Kämmerlings, in Gesellschaft eines barfüßigen, flachshaarigen Burschen, der dann und wann Claud Halcro die Geige trug, den Klepper sattelte oder ähnliche Dienste leistete. Auf den armen Ackerbauer, dessen Gesicht die hellste Verzweiflung kündete, schien die Ankunft des Udallers und seiner Gesellschaft erst Eindruck zu machen, als alles sich um das Feuer geschart hatte und der Korb geöffnet wurde, dessen Inhalt aus Gerstenbrot und gedörrtem Rindfleisch, auch einer Flasche Branntwein bestand, und mithin Aussicht auf eine leidliche Mahlzeit eröffnete; da erst fing Triptolemus an, aufzutauen, zu grinsen, zu kichern und sich die Hände zu reiben und sich nach allen Freunden und Bekannten auf Burgh-Westra zu erkundigen. Nachdem man sich – was allen gut tat – einigermaßen gestärkt und erfrischt hatte, richtete der Udaller wiederholt die Frage an Halcro und den Verwalter, wie es käme, daß er sie zu solch nächtlicher Stunde in solch entlegenem Winkel träfe. »Ich möchte nicht, Herr Magnus,« entgegnete Triptolemus, als ein zweiter Trunk ihm Mut gegeben, seine Leidensgeschichte zu erzählen, »ich möchte nicht, daß Ihr von mir glaubtet, unbedeutende Dinge konnten mich außer Fassung bringen. Ich bin von derbem Schrot und Korn, und so leicht schüttelt mich der Wind nicht. Schon oft habe ich Martini und Pfingsten erlebt, die gefährlichen Tage für Leute meines Gewerbes, und habe sie immer gut überstanden; aber in diesem Euren verwünschten Lande – Gott verzeihe mir, daß ich fluche; aber böse Gesellschaft verdirbt gute Sitten – soll ich, scheint's mir, elendiglich zu Grunde gehen.« »Nun, Gott sei uns gnädig!« rief Magnus Troil, »was ist Euch denn widerfahren? Wollt Ihr mit Eurem Pfluge ein neues Land ackern, so müßt Ihr darauf gefaßt sein, dann und wann auf einen Stein zu stoßen – Ihr müßt uns mit Geduld vorangehen, nachdem Ihr hierher gekommen, alles zu meliorieren, wie Ihr zu sagen liebt.« »Der Teufel hat mir die Füße gelenkt, als ich dies unternahm,« entgegnete der Verwalter. »Aber was ist Euch denn begegnet,« fragte der Udaller, »und worüber beklagt Ihr Euch?« »Ueber alles,« antwortete Yellowley, »was mir zugestoßen, seit dem Augenblick, wo ich den Fuß an diese Insel setzte, die, wie ich glaube, vom Beginn der Schöpfung an verflucht und Spitzbuben, Gaunern, Landstreichern, liederlichem Weibsvolk – (mit Erlaubnis der jungen Damen) – und Hexen und bösen Geistern zur Wohnstätte bestimmt worden.« »Nun, ein treffliches Wortregister,« meinte der Udaller, »zu jeder andern Zeit hätte ich nur bei der Hälfte mich nötigen lassen, selbst die Rolle des Reformers zu übernehmen, und Euch mit meinem Knüttel gute Sitte beizubringen.« »Habt Geduld, Herr Voigt oder Herr Udaller, oder wie man Euch sonst nennen mag,« versetzte Triptolemus; »da Ihr die Gewalt habt, so laßt's auch an Gnade nicht fehlen, sondern nehmt Rücksicht auf das unglückliche Los, das jeden armen Teufel erwartet, der sich auf diesem Euren Erdenparadiese niederläßt. Wenn er trinken will, bringt man ihm saure Molken, – Euren Schnaps, Udaller, ausgenommen, der alles Lob verdient – wenn er essen will, gibt's saure Fische, an denen sich der Satan die Zähne zerbeißen mag. – Ruft man die Leute zur Arbeit, so heißt's: heute ist St. Magnus- oder St. Ronans-Tag, oder eines Heiligen der Hölle – Tag – – Der eine ist mit dem verkehrten Fuß zuerst aus dem Bette gekommen, der andere hat eine Eule gesehen, dem dritten ist ein Kaninchen über den Weg gelaufen, oder er hat von einem gerösteten Pferde geträumt – kurz, es wird keine Hand gerührt; wenn's aber heißt: es geht zum Tanze, dann fliegen die Beine nur so!« »Und warum sollte es auch anders sein,« fiel Claud Halero ein, »solange es Geiger gibt, ihnen aufzuspielen.« »Ja, ja,« entgegnete Triptolemus, seinen Kopf schüttelnd, »Ihr seid gerade der Rechte, die Leute in solchem Unfug zu bestärken.« »Aber das ist doch keine Antwort auf meine Frage,« erwiderte der Udaller, »wie, zum Teufel, kommt es, daß ich Euch hier vor Anker finde?« »Geduld, werter Herr, Geduld,« entgegnete der bekümmerte Verwalter, »und hört, was ich zu sagen habe, denn ich denke, es wird am besten sein, Euch das Ganze zu erzählen.... Ihr sollt also wissen, daß ich glaubte, es sei mir so eine kleine Gottesgabe gesandt worden, die mich hier alles leichter ertragen ließe.« »Wie, eine Gottesgabe? Meint Ihr ein Wrack, Herr Verwalter? « rief Magnus, »Pfui, schämt Euch, Ihr solltet doch andern ein besseres Beispiel geben!« »Es war kein Wrack,« antwortete der Verwalter, »aber da Ihr es doch einmal wissen müßt, so hört: Als ich aus einem Kamin in einem der alten Räume zu Stourburgh einen Stein ausheben wollte, den ich brauchte, um Gerste zu stampfen, stieß ich auf ein Horn voll alter Münzen, meistens von Silber, doch auch hier und da mit einer goldenen untermischt. Ein willkommener Glücksfall! dachte ich, und so auch meine Schwester, und, froh des Ortes, wo es solche Nesteier gibt – legten wir sorgsam den Stein wieder über dies Horn des Ueberflusses, und die Schwester wie auch ich betraten den Raum nun wohl zwanzigmal, um uns zu vergewissern, daß kein anderer den Schatz höbe.« »Eine amüsante Beschäftigung,« bemerkte Claud Halcro, »nach der eigenen Barschaft so oft zu sehen! Mir ist solch Glück noch nie beschert gewesen!« »Aber Ihr vergeßt, lieber Claud,« fiel der Udaller ein, »daß der Verwalter das Geld nur für seinen Herrn den Lord Kämmerling überzählte. Da er so streng auf die Rechte seines Herrn beim Walfischfange und bei den Strandungsfällen hält, wird er seiner beim Auffinden solches Schatzes gewiß nicht vergessen haben.« »Ei – ei – ei nun!« entgegnete Triptolemus, wie von einem plötzlichen Husten befallen, – »ohne Zweifel wären Mylords Rechte aufs strengste beobachtet worden, liegen sie doch in den ehrlichsten Händen! Aber hört nur, was geschah! Als ich eines Tages wiederum hinaufging, um nachzusehen, ob alles noch sicher und wohlverwahrt sei, sah ich einen garstigen, mißgestalteten Zwerg, dem nur der Pferdefuß und die Hörner fehlten, um ein vollkommener Satan zu sein, neben dem Horne kauern und den Schatz zählen. Ich bin kein Hasenfuß, Vogt, aber der Argwohn, daß Teufelsspuk im Spiele sei, wäre auch andern gekommen als mir – und so redete ich den Zwerg auf lateinisch an und beschwor ihn in nomine usw. in Worten, wie sie mir der Augenblick eingab... Nun, der Zwerg war anfangs bestürzt, wie jemand, der etwas hört, was er nicht erwartet, sammelte sich aber schnell, glotzte auf mich mit seinen grauen Augen wie eine wilde Katze, riß seinen an Größe einem Backofen ähnlichen Mund auf und zeigte mir ein mißgestaltetes Ding von Zunge – kurz, spielte sich dermaßen als Bullenbeißer auf, daß ich zurückfuhr, die Schwester zu rufen, die weder Hund noch Satan fürchtet, wenn von Geld die Rede ist. Und wirklich sprang sie auch kampfbereit auf, wie die Lindsays und Ogilvies, wenn Donald Mac Donnoch oder seinesgleichen vom Hochlande kamen, die Gefilde von Islay zu verwüsten, aber ein altes, unnützes Geschöpf, Tronda Drons Tochter genannt, vertrat meiner Schwester den Weg, und heulte und schrie wie eine ganze Generation von Hunden; als wir ihrer endlich Herr geworden und die Treppe hinauf eilten, dem Gelaß zu, wo ich den Zwerg oder Satan gesehen, waren Zwerg, Horn und Schatz – verschwunden, und der Raum so leer, als habe die Katze ihn rein geleckt. Hier hielt Triptolemus in seiner seltsamen Erzählung inne, während die übrigen sich einander voll Erstaunen anblickten, und der Udaller murmelte: »Allem Anschein nach ist das entweder der Satan selbst, oder Nicolas Strumpher gewesen, und wenn er es wirklich war, so hat er mehr von einem Kobold, als ich glaubte. Habt Ihr denn nicht gesehen, wie der Zwerg verschwand?« »Nein,« erwiderte Triptolemus, scheu um sich blickend, »weder ich noch Baby, die doch mehr Herr ihrer Sinne war, denn sie hatte ja die fürchterliche Erscheinung nicht gesehen – haben irgend eine Spur von ihm entdecken können. Nur Tronda behauptete steif und fest, sie habe ihn auf einem Drachen durch die Luft fliegen sehen. Da aber der Drache ein fabelhaftes Tier ist, muß ich glauben, daß ihre Aussage nur auf Gesichtstäuschung beruhe.« »Aber erkundigen dürfen wir uns wohl,« fragte Brenda, begierig, so viel wie möglich von dem Zwerg ihrer Muhme zu erfahren, »wie das alles auf Herrn Yellowley dergestalt einwirkte, daß wir ihn hier zu dieser unpassenden Stunde treffen?« »Passend war sie sehr, Jungfer Brenda, denn, sie brachte uns in Eure angenehme Gesellschaft.« meinte Claud Halcro, dessen Quecksilbergehirn der Fassungskraft des Verwalters weit voraus eilte und der schon vor Ungeduld, so lange schweigen zu müssen, verging: »Die Wahrheit zu sagen, so führte mich der Zufall in das Haus unseres Freundes Yellowley, gerade als der Unfall sich dort zugetragen, und da habe ich ihm nun geraten, unserer Freundin auf Fitful-Head einen Besuch zu machen. Und so seht Ihr uns hier, wenn auch nicht zu Lande, denn Herr Jellowley mag von unseren Kleppern nichts mehr wissen.« »Teufel sind's und keine Klepper,« unterbrach ihn Triptolemus, und murmelte vor sich hin: »wie jedes lebende Wesen, das ich hier in Shetland gefunden.« Halcro aber fuhr fort: »Wenn auch, wie gesagt, nicht zu Lande, so doch in einem kleinen Boote, und Herr Triptolemus selbst wird Euch erzählen, wie echt seemännisch ich ihn in den kleinen, nur eine Viertelmeile von Nornas Wohnung gelegenen Hafen brachte.« »Wollte der Himmel, Ihr hättet mich so wohlbehalten wieder zurückgeführt.« rief der Verwalter. »Ja, ja,« entgegnete der Minnesänger, »ich bin, wie der ruhmgekrönte John Dryden sagt: Ein kühner Seemann, bei des Meeres Wut, Wenn himmelan die Riesenwellen steigen; Doch steur' ich leicht, wenn ruhig nur die Flut, Dem Sand zu nur um meine Kunst zu zeigen.« »Ich aber zeigte keine Klugheit, als ich mich Eurer Führung anvertraute,« unterbrach ihn Triptolemus, »und auch Ihr legtet keine an den Tag, als Ihr das Boot am Schlunde des Seearms, wie Ihr es nennt, umkipptet, obgleich der arme Junge da, der schon mehr als halb ertrunken war, Euch aufmerksam machte, daß zuviel Segel aufgezogen wären; aber Ihr hattet das Segeltau an die Bank festgebunden, damit Ihr Eure Hände frei hattet, Eure Geige zu streichen.« »Nie!« rief der Udallar, »das Segeltau festgebunden an die Bank? Eine ganz unseemännische Weise ist's, Claud Halcro!« »Und der Erfolg war,« fuhr der Landbebauer fort, »daß der nächste Windstoß, – und die Pflegen hier zu Lande nicht lange auf sich warten zu lassen, – uns in die See tauchte. Herr Halcro bekümmerte sich um nichts als um die Rettung seiner Geige. Der arme Junge da schwamm wie ein Pudel, und ich kämpfte hart um mein Leben, so gut ich konnte, mit Hilfe eines Ruders; und – nun, da wurden wir – auf einen Mund groben Schiffszwiebacks angewiesen, der mehr nach Terpentin als sonst was schmeckte.« »Mag Euch freilich schlimm angekommen sein und schlimm ankommen,« nahm jetzt Magnus Troil das Wort, »aber lieber wäre mir schon, Ihr sagtet, was Norna zu Eurem Geschäft bei ihr meinte?« »Ja, das war eine andere saubere Geschichte,« antwortete Triptolemus, »sie wollte nichts von uns sehen noch hören: unsern Bekannten hier, Herrn Halcro, plagte sie mit einer Menge Fragen über Euch, Herr Magnus Troil, und Eure Familie; und als sie ihn ganz ausgeholt hatte, schien sie nicht wenig Lust zu haben, ihn wie eine leere Hülse über die Klippe zu werfen.« »Und wie erging es Euch?« fragte der Udaller. »Sie wollte nichts von meiner Geschichte hören, noch mich zu Worte kommen lassen,« erwiderte der Verwalter, »und das mögen sich diejenigen zur Lehre dienen lassen, die Hexen und Geisterbeschwörer befragen wollen.« »Ihr hättet nicht nötig gehabt, Eure Zuflucht zu Nornas Weisheit zu nehmen, Herr Verwalter!« sagte Minna, vielleicht in der Absicht, den auf die Freundin, die ihr eben einen so großen Dienst geleistet, gemünzten Worten die Spitze abzubrechen, »das kleinste Kind auf Orkney hätte Euch sagen können, daß Zauberschätze, wenn sie nicht weise zum Besten anderer oder zum eigenen Nutzen verwendet werden, nicht lange in den Händen ihrer Besitzer weilen.« »Ei, schönen Dank, Jungfer Minna, schönen Dank für den Wink,« entgegnete Triptolemus, – »und herzlich freut es mich, daß sich Euer Verstand – wollte sagen, Eure Gesundheit, wiedergefunden hat, – Was aber den Schatz betrifft, so habe ich ihn weder gebraucht, noch gemißbraucht, was auch, wie es jedem, der im Hause meiner Schwester bekannt ist, einleuchten wird, schwer gewesen wäre.« »Der Verwalter,« sagte Halcro, vielleicht nicht abgeneigt, sich an Triptolemus wegen der abfälligen Reden über seine Seemannskunst zu rächen, »war so gewissenhaft, den Schatz selbst vor seinem Herrn, dem Lord-Kämmerer, geheim zu halten; jetzt aber, da die Sache laut geworden, kann er von diesem leicht zur Rechenschaft gezogen werden um dessen willen, was sich nicht mehr in seinen Händen befindet; denn der Lord-Kämmerer wird sich wohl kaum sehr beeilen, dieser Mär von einem Zwerge Glauben beizumessen. Auch meine ich –« (hier winkte er dem Udaller) – »Norna hat ihr ebensowenig geglaubt; und das ist auch ohne Zweifel der Grund gewesen zu dem kalten Empfange, den sie uns bereitete. Vielleicht hat sie gar gewußt, daß unser Freund, Herr Triptolem, für seinen Schatz einen andern heimlichen Winkel gefunden und die Mär mit dem Zwerge nur erfunden hat? Ich wenigstens verschließe mich dem Glauben, daß es einen Zwerg gibt, wie ihn Herr Yellowley beschrieben, solange bis ich mich mit meinen eigenen Augen von seiner Existenz überzeugt habe.« »Das könnt Ihr auf der Stelle,« rief Triptolem, »denn beim« – (hier murmelte er eine kurze Beschwörungsformel, indem er voll Schrecken aufsprang) »dort steht er leibhaftig vor uns!« Alle richteten die Augen auf die Stelle, wohin er zeigte, und erblickten Pacolets greuliche Gestalt, dessen Augen sie durch den Rauch hindurch anglotzen. Unbemerkt war er während ihrer Unterhaltung herzugeschlichen, bis ihn Triptolemus' Augen mit Entsetzen gewahrt hatten. In seiner jähen und unvermuteten Erscheinung lag etwas so geisterartiges, daß selbst Magnus Troil, dem doch seine Gestalt nicht fremd war, einige Bestürzung nicht unterdrücken konnte. – Aergerlich, sich solche, wenn auch nur geringe Blöße gegeben zu haben, und ergrimmt auf den Zwerg, die Veranlassung dazu gewesen zu sein, fragte Magnus denselben ernst, welches Geschäft ihn hierher führe? Pacolet gab Antwort auf diese Frage, indem er mit ein paar unverständlichen Tönen dem Udaller einen Brief zu lesen gab. »Keine leichte Arbeit hier bei solch düsterer Flamme,« sagte Magnus, »aber es kann Minna betreffen, und so muß ich es schon versuchen.« Brenda bot ihren Beistand an, aber der Udaller entgegnete: »Nein, nein, Mädchen! Nornas Briefe dürfen nur von denen gelesen werden, an die sie gerichtet sind. – Gebt unterdes dem Niklas Strumpher einen Schluck, obgleich er ihn heute eben nicht um mich verdient hat.« »Wollt Ihr dem Herrn den Becher kredenzen, oder soll ich Ganymed sein, Freund Yellowley?« fragte Halcro leise den Verwalter, während Magnus die Brille aus dem großen Futteral zog und auf die Nase setzte, um Nornas Brief zu lesen. »Ich möchte ihn weder berühren, noch nahe an ihn herantreten,« erwiderte der Ackerbauer, dessen Furcht keineswegs verschwunden war, obgleich er sah, daß die übrigen den Zwerg wie ein Wesen von Fleisch und Blut behandelten; »aber tut mir die Liebe und fragt, was er mit meinem Horn voll Münzen angefangen?« Der Zwerg, der die Frage hörte, warf den dicken Kopf zurück, riß den ungeheuren Schlund von Mund auf und zeigte mit dem Finger hinein. »Ja, wenn er es verschlungen hat, bleibt freilich nichts zu sagen,« meinte der Verwalter; »nur soll es ihm dann so gut bekommen, wie den Kühen der nasse Klee. Er steht in Nornas Diensten – nun ja, wie der Herr, so das Gescherr! Wenn aber Diebe und Hexen hierzulande ungestraft ihr Wesen treiben können, da mag sich der Lord Kämmerer einen anderen Verwalter suchen; ich bin gewohnt, in einem Lande zu leben, wo eines Mannes irdisches Gut vor Diebstahl, und seine unsterbliche Seele vor den Klauen des Satans geschützt sind.« – Herr Yellowley ließ seinen Beschwerden vielleicht darum freien Lauf, weil Magnus Troil, der inzwischen Claud Halcro in einen andern Winkel der Hütte gezogen hatte, sie nicht hören konnte. »Sagt mir aufrichtig, Freund Halcro!« fragte er, »was hat Euch nach Fitful-Head geführt? Das bloße Vergnügen, mit dem närrischen Kerle von Substitut zu reisen, ist doch der Grund nicht gewesen?« »Nun denn, Vogt! wenn Ihr die Wahrheit wissen wollt,« erwiderte Halcro, »ich wollte mit Norna über Eure Angelegenheiten reden.« »Ueber meine Angelegenheiten?« fragte der Udaller, »und über welche?« »Ei nun, über den Gesundheitszustand Eurer Tochter. Ich hörte, daß Norna Euren Boten abgewiesen habe, und in der Hoffnung, mehr bei Norna auszurichten – sind doch Skalden und weise Frauen von jeher gewissermaßen verwandt – unternahm ich die Reise.« »Recht freundlich von Dir, gutherziger Claud,« sagte der Udaller, dem Sänger die Hand kräftig schüttelnd, – »Hab ich doch immer gesagt, daß Du Dein altnorwegisches Herz bei allem Geklimper und aller Torheit noch immer auf dem rechten Flecke behalten. Oho, zucke nicht die Achsel, sondern freue Dich vielmehr, daß Dein Herz besser ist als Dein Kopf. – Nun, und nicht wahr! Dir ward von Norna keine Antwort?« »Nein, wenigstens keine rechte,« antwortete Halcro, »aber sie fragte mich über Minnas Krankheit aus; ich erzählte ihr, wie ich sie am frühen Morgen nach dem St. Johannisfeste bei eben nicht gutem Wetter im Freien getroffen, und wie ihre Schwester Brenda mir erzählt habe, daß sie sich den Fuß verletzt; – kurz, ich sagte ihr alles, was ich wußte.« »Und etwas mehr noch, wie es scheint,« bemerkte der Udaller; »denn ich wenigstens habe noch mit keinem Worte gehört, daß Minna sich verletzte.« »Bloß eine Schmarre,« erwiderte der kleine Mann; »ich fürchtete, es möchte sie ein giftiges Tier gebissen haben.« »Und was sagte Norna?« fragte der Udaller. »Sie hieß mich gehen und sagte, auf dem Markt in Kirkwall würde ich Näheres erfahren; und gleiches sagte sie auch zu dem Einfaltspinsel von Verwalter – das war alles, was wir von unserer Mühe und Arbeit hatten.« »Seltsam!« entgegnete Magnus, »in diesem Briefe schreibt mir meine Muhme, daß ich mich mit meinen Töchtern ebenfalls dorthin begeben solle. Der Markt geht ihr arg im Kopfe herum, – man sollte meinen, sie wollte dort selbst Markt halten, und doch hat sie, so viel ich weiß, weder etwas zu kaufen noch zu verkaufen. Ihr ginget also nicht klüger fort, als Ihr hinkamt, und schluget bei der Mündung des Seearms mit dem Boote um?« »Ja, dem war nicht abzuhelfen,« antwortete der Poet, »ich hatte den Jungen ans Steuer gesetzt, und da der Windstoß plötzlich vom Lande kam, blieb mir nicht Zeit, das Tau zu lösen, denn ich strich die Geige. Aber was tut's? Salzwasser schadet keinem Shetländer, wenn er nur wieder herauskommt. Gottlob! das Wasser war kaum mannshoch, und da wir die Hütte fanden, ward uns Schutz und Feuer, jetzt aber sind wir weit besser daran, da wir uns Eurer Gesellschaft und Eures Proviants erfreuen. – Aber es wird spät, und wir werden gut tun, uns zur Ruhe zu begeben; in der Kammer riecht's zwar etwas nach Fischen, aber der Geruch ist gesund.« Am andern Morgen, nach einem ruhigen gesunden Schlafe, zog jeder seines Weges; aber Magnus Troil nahm Claud Halcros Versprechen mit, ihn nach Kirkwall zu begleiten. Zwölftes Kapitel Jetzt müssen wir die Szene von Shetland nach Orkney verlegen, in die Ruinen eines vornehmen, wenngleich alten Gebäudes, der Grafenpalast genannt, das drei Seiten eines länglichen Vierecks bildet und noch immer das treue Bild eines vornehmen, massiven Gebäudes darstellt mit dem Charakter eines alten Feudalschlosses. Eine große Banketthalle, die mit mehreren weitläufigen Gemächern oder vorspringenden runden Türmchen in Verbindung stand, mit ungeheuren Kaminen rechts und links, legte Zeugnis ab von der altnordischen Gastfreiheit der Grafen von Orkney, Ihr Licht erhielt die stolze Halle durch ein schönes gotisches, aus Steinen geformtes Fenster; zu ihr hinauf führte eine geräumige Treppe, die sich aus steinernen Stufen in drei Absätzen zusammensetzte. Mit übereinandergeschlagenen Armen und niedergesenkten Blicken schritt in der vom Zahne der Zeit verwüsteten, von uns eben beschriebenen Halle der Pirat Cleveland langsam auf und ab in einer Tracht, die sehr verschieden war von der, die er auf Shetland getragen; es schien eine Art Uniform zu sein, reich mit Tressen und Stickereien besetzt, ein Federhut und ein kleiner zierlich ausgelegter Degen, damals die beständigen Begleiter aller Männer von Range, verrieten, daß er nicht den gewöhnlichen Ständen angehörte. Dagegen schien sein Gesundheitszustand gelitten zu haben. Er war bleich, seine Augen hatten ihr Feuer, seine Schritte ihre Festigkeit verloren, und sein ganzes Wesen verriet Schwermut und körperliches Leid, wenn nicht eine Mischung von beidem. Während Cleveland in der alten Ruine auf und ab schritt, sprang ein junger, wohlgebauter Mann in einem Gewande, das wohl stattlich und elegant, trotz allem aber geschmacklos war, und dessen Gesicht mit den kecken Zügen den Wüstling jener Zeit verriet, die Stiege hinauf, trat in die Halle und begrüßte Cleveland, der ihm zunickte, aber den Hut noch tiefer ins Gesicht zog und sich in seinem verdrossenen Spaziergange nicht stören ließ. Der fremde Ankömmling setzte seinen Hut wieder auf, nickte abermals, nahm aus einer kostbaren goldenen Dose eine Prise, bot auch Cleveland eine an und schob, als dieser kalt mit dem Kopfe schüttelte, die Dose wieder zu sich, schlug die Arme übereinander, und stand da, aufmerksam die Bewegungen des Mannes verfolgend, dessen Einsamkeit er gestört hatte. Endlich stand Cleveland still, wie wenn es ihn verdrösse, der Gegenstand solcher dauernden Beobachtung zu sein, und fragte kurz: »Kann man nicht eine halbe Stunde allein sein? Was, Teufel, gibt es schon wieder?« »Schön, sehr schön, daß Ihr sprecht!« antwortete der Fremde, »weiß man nun doch, ob Ihr wirklich Clement Cleveland seid, oder bloß Clements Geist; Geister aber sollen, wie man sagt, niemals zuerst reden – und so weiß ich nun, daß Ihr es selbst leibhaftig seid. Aber was habt Ihr Euch hier für ein Domizil gewählt? Das taugt ja für Eulen zum Tagesversteck.« »Gut, gut,« entgegnete Cleveland, »sagt ernstlich, was Ihr von mir wollt.« »Kapitän Cleveland,« erwiderte der andere, »Ihr haltet mich hoffentlich für Euren Freund.« »Ich lasse mir an der Vermutung genügen,« sagte Cleveland, »Ich dächte, über Vermutungen wären wir beide hinaus.« antwortete der junge Mann; »daß ich Euer Freund bin, habe ich, dächt ich, bewiesen, hier und anderswo.« »Nun ja, lassen wir's gelten, Du bist immer ein freundlicher Bursch gewesen, – und was nun?« »Und was nun – was nun?« wiederholte der andere, »ein kurzer Weg sich zu bedenken! Seht, Kapitän, Benson, Barlowe, Dick Fletcher und noch ein paar von uns, die Euch wohl wollen, haben Euren alten Kameraden, Kapitän Goffe, in diesen Gewässern hier zurückgehalten, um uns nach Euch umzuschauen, obgleich er und Hawkins, und der größte Teil der Mannschaft, lieber zur spanisch-amerikanischen Küste gesegelt wäre, um dort unser Handwerk wieder zu beginnen.« »Wünschte ich doch, ihr alle wäret wieder an euer Geschäft gegangen, und hättet mich meinem Schicksal überlassen,« antwortete Cleveland. »Das hätte geheißen, prozessiert und gehängt zu werden, Kapitän, sowie einer von jenen holländischen oder englischen Schurken, denen Ihr die Ladung abnahmt, Euch erkannt hätte, und nirgend können Seefahrer leichter zusammentreffen als auf diesen Inseln. Um Euch vor solcher Gefahr zu schützen, haben wir unsere kostbare Zeit hier verschwendet; bis die Leute argwöhnisch geworden sind, – und wenn wir weder Güter noch Geld mehr zu verschenken haben, werden sie unser Schiff anhalten wollen.« »Nun, und warum geht Ihr denn nicht in See ohne mich?« fragte Cleveland. – »Wir haben richtig geteilt und jeder hat das Seinige empfangen, – mag nun auch jeder tun, was er will. Ich habe mein Schiff verloren, und da ich einmal Kapitän war, will ich weder unter Goffes noch irgend eines andern Befehl in See gehen, Ueberdem weißt Du, daß er sowohl wie Hawkins scheel auf mich sieht, weil ich sie anhielt, die spanische Brigg mit den armen Teufeln von Negern an Bord zu versenken.« »Was zum Henker! ist mit Dir vorgegangen?« unterbrach ihn sein Gefährte. »Bist Du Clement Cleveland, unser alter treuherziger Clem von Cleugh? und sprichst von Furcht vor Hawkins, Goffe und zwanzig andern, wenn Du mich selbst, und Barlowe, und Dick Fletcher hast als Rückendeckung? Haben wir Dich je, wenn es auf Rat oder Tat ankam, verlassen, daß Du jetzt an unserer Treue zweifelst? Und was den Dienst unter Goffe betrifft, so ist es doch nichts Neues, wenn Glücksritter hin und wieder ihre Anführer wechseln. Laß das nur unsere Sorge sein; Kapitän sollst Du schon werden; denn der Tod lulle mich in Schlaf, wenn ich länger unter diesem Goffe diene, der ein Bluthund ist, wie je einer war – nein, nein, gehorsamer Diener! Mein Kapitän muß wenigstens den Anstrich von einem Kavalier haben. Ueberdem wart Ihr es ja, der zuerst meine Hände in das schmutzige Wasser tauchte, und aus einem herumziehenden Schauspieler auf dem Lande einen Räuber zur See machte« »Ach, armer Bunce,« entgegnete Cleveland, »Du bist mir dafür wenig Dank schuldig!« »Ei nun, wie man es nimmt,« meinte der andere, »ich meinerseits sehe kein Unrecht darin, wenn man vorm Publikum so oder so Kontributionen erhebt. Aber vergeßt doch bloß den Namen Bunce, und nennt mich Altamont, wie ich Euch oft gebeten habe. Ein Ritter vom Seeräuberhandwerk hat, denk ich, wohl eben so viel Recht, seinen Namen zu verändern als ein Schauspieler, und nie habe ich die Bühne betreten, ohne mich wenigstens Altamont zu nennen.« »Nun also, Jack Altamont, weil es denn einmal Altamont sein soll,« erwiderte Cleveland. »Ja, ja, Altamont ist das Wort,« unterbrach ihn sein Gefährte, »aber Jack Altamont? – das ist ein Samtrock mit papierner Tresse. – Laßt es Federigo sein – das paßt zu Altamont. »Nun gut denn, Federigo, mir auch recht,« erwiderte Cleveland; »welcher von Euren Namen wird wohl am besten klingen vor der letzten Rede, der Beichte, den Sterbeworten usw., wenn Du wegen Räuberei auf offener See an die Raa geknüpft wirst?« »Die Frage kann ich wirklich nicht beantworten, Kapitän, ohne einen Becher Grog zu leeren; wenn Ihr also mit mir hinunter gehen wollt zu Betahldanas am Strande, will ich die Sache mit einer Pfeife von echtem Trinidado überlegen. Wir wollen die große Bowle mit den besten Dingen füllen, die Ihr je geschmeckt habt, und ein Paar hübsche Dirnen sollen uns helfen sie zu leeren. Wie, Ihr schüttelt den Kopf? Ihr seid nicht bei Laune. – Nun gut, ich will bei Euch bleiben, denn, meine Hand darauf, Clem, Du wirst mich nicht los. Ich will Dich aus dieser Steinhöhle heraus in die freie Luft und in den Sonnenschein treiben. – Wohin wollen wir?« »Wohin Du willst,« antwortete Cleveland, »nur unsern Schurken von Gefährten und andern aus dem, Wege.« »Gut denn,« entgegnete Bunce; »wir wollen hinauf auf den Berg von Whiteford, von wo aus man die Stadt überschauen kann, und ruhig und ernst dahinschreiten wie ein paar ehrliche Advokaten.« Als sie das verfallene Schloß verließen, blickte Bunce noch einmal zurück und sprach, zu seinen Gefährten gewandt: »Hört einmal, Kapitän, wißt Ihr, wer diesen alten Hühnerstall zuletzt bewohnte?« »Ein Graf von Orkney, sagt man,« erwiderte Cleveland. »Und wißt Ihr, woran er starb?« fragte Bunce; – »an einer zu engen Halskrause, an einem sogenannten Galgenfieber oder dergleichen, hörte ich sagen.« »Die Leute hier behaupten,« entgegnete Cleveland, »daß Seine Herrlichkeit vor einigen hundert Jahren das Unglück hatten, mit einer Schlinge und einem Luftsprunge Bekanntschaft zu machen.« »Ja so,« sagte Bunce, »zu jener Zeit war es noch eine Ehre, in so würdiger Gesellschaft gehängt zu werden.« »Und was mögen denn Seine Herrlichkeit verbrochen haben, um solche Beförderung zu verdienen?« »Er soll die Lehnsleute geplündert, sie getötet und verwundet, auf die Flagge Seiner Majestät gefeuert haben usw.« erwiderte Cleveland, »Nah also mit einem Herrn vom Raube verwandt,« sagte Bunce, indem er eine theatralische Verbeugung gegen das alte Gebäude machte, »und deshalb bitte ich Euch, mein mächtiger, stolzer, ehrenwerter Herr Graf, um Erlaubnis, Euch meinen lieben Vetter zu nennen, und ein recht herzliches Lebewohl zuzurufen. Ich lasse Euch in einer guten Gesellschaft von Ratten, Mäusen usw. zurück und nehme einen wackern Kavalier mit mir, der, seit kurzem nicht herzhafter als eine Maus, jetzt wie eine Ratte seinen Freunden und seinem Handwerk entlaufen will, also ein ganz schicklicher Bewohner von dem Palast Eurer Herrlichkeit wäre.« »Ich möchte Dir raten, nicht so laut zu sprechen, Federigo Altamont oder John Bunce,« erwiderte Cleveland; »als Du noch auf der Bühne warst, mochtest Du immerhin deklamieren nach Herzenslust; in Deinem jetzigen Gewerbe aber, von dem Du soviel hältst, spricht einer nur immer unter Furcht vor dem Quermast und der Schlinge.« Die beiden Gefährten verließen nun schweigend die kleine Stadt Kirkwall und erstiegen den Berg von Whiteford, der seine braune, mit Heidekraut umkränzte Stirn nördlich von der alten Burg von St. Magnus emporhebt. Die Ebene am Fuße des Berges war bereits zahlreich mit Menschen angefüllt, die ihre Vorbereitungen zu dem St. Olavs Markt trafen, der am andern Tag abgehalten werden sollte und als ein Zielpunkt der Bewohnerschaft aller benachbarten Inseln galt, ja auch noch von weiter entlegenen Inseln besucht ward. Er stammt von früherer Zeit her und führt seinen Namen von Olaus, Olave, Ollaw, dem berühmten Beherrscher Norwegens, der durch die Schärfe seines Schwertes statt anderer Gründe das Christentum auf dieser nordischen Inselflur einführte. Es lag aber nicht in Clevelands Absicht, sich unter die Menschenschar zu mischen, die sich hier sammelte. Er wandte sich links und stieg mit seinem Kameraden in ungestörte Einsamkeit hinauf, wo nur Scharen von Haselhühnern, vielleicht zahlreicher auf Orkney als auf irgend einer andern britischen Besitzung, vor ihnen aufstiegen und fortflogen. Als sie fast den Gipfel des kegelförmigen Hügels erreicht hatten, wandten sich beide, wie auf einen Wink, um sich an der Aussicht zu ihren Füßen zu ergötzen. Das bunte Gewühl zwischen dem Fuße des Berges und der Stadt gab diesem Teil der Szene Leben und Bewegung; nicht minder auch die Stadt selbst, ans der sich die alte Kirche von St. Magnus erhob, erbaut im schwerfälligsten arabischen Baustil, dabei aber erhaben, feierlich und stattlich anzuschauen, das Werk einer längst verflossenen Zeit und eines mächtigen Armes. Auch der Strand mit seinen Schiffen belebte die Szene, und nicht nur die ganze schöne Bucht, die die Vorgebirge von Inganeß und Quanterneß trennt, und in deren Hintergrund Kirkwall gelegen ist, sondern das ganze Meer, so weit man es überblicken konnte, und vorzüglich die ganze Straße zwischen der Insel Shapinscha und Pomona oder Mainland, war mit einer Menge von Fahrzeugen aller Gattung bedeckt, die von fernen Inseln her befrachtet Waren, um Menschen oder Waren nach dem Kirkwaller Markte zu führen. Jeder dieser beiden Fremden zog hier auf Seemannsweise sein Fernglas hervor; aber ihre Aufmerksamkeit schien auf verschiedenen Gegenständen zu ruhen, Bunce oder Altamont, wie er sich lieber nennen hörte, blickte unverwandt auf die bewaffnete Schaluppe, die mit ihren hohen Masten und ihrem breiten Tauwerk wie der Flagge Britanniens, die sie aus Vorsicht aufgezogen, und wehendem Wimpel unter den handeltreibenden Schiffen dalag, sich durch ihr schmuckes Aeußere von ihnen unterscheidend, wie ein Soldat unter Bauern. »Da liegt sie nun,« sagte Bunce, »wünschte ich doch,, sie läge in der Bai von Honduras! – Ihr unser Kapitän, ich Euer Leutnant, Fletcher Euer Quartiermeister, und fünfzig rüstige Burschen unter uns – nichts gäbe ich dann darum, diese verwünschten Heiden und Felsen je wiederzusehen! – Kapitän sollt Ihr bald sein! Das alte Vieh, der Goffe, trinkt sich alle Tage toll und voll, poltert, pocht und schilt mit der Mannschaft; hat auch schon mit den Leuten hier einen so verdammten Lärm angefangen, daß sie bald kaum Lebensmittel und Wasser an Bord lassen werden und daß täglich ein offener Bruch mit ihnen zu erwarten steht.« Als Bunce keine Antwort erhielt, wandte er sich schnell, und da er die Augen seines Gefährten anderswohin gerichtet sah, rief er aus: – »Was zum Henker ist denn das mit Euch, und was könnt Ihr da an dem Plunder von Kähnen schauen, die nur mit Stockfisch und Kabeljau, mit geräucherten Gänsen und Butter beladen sind, die ärger noch als Talg schmeckt? – Ist der ganze Lumpenkram dort doch keinen Pistolenschuß wert. – Da lob ich mir ein Wild, wie wir es von der Insel St. Trinidad kommen sahen: Euren Don, die Wellen durchschneidend wie ein Nordkaper, schwer beladen mit Rum, Zucker und Tabak, Barren, Münzen und Goldstaub; – dann setzt alle Segel bei – die Luken auf – auf die Posten! – hinauf mit der schwarzen Flagge [das Zeichen der Piraten]. Wir nahen – wir finden ihn gut bemannt und bewaffnet.« »Zwanzig Kanonen im untern Deck,« fiel Cleveland ein. »Vierzig, wenn Ihr wollt,«, entgegnete Bunce, »wir haben nur zehn im Gange, – aber tut nichts. – Der Don gibt eine Salve, – schadet auch noch nichts, ihr Jungen! – zur Seite hin an Bord, – An die Arbeit mit Euren Granaten, Enterbeilen, Säbeln und Pistolen. – Der Don schreit Miserikordia, und wir teilen die Ladung ohne licencio Seignior.« »Mein Seel',« rief Cleveland, »Du sprichst mit einer Lust von dem Gewerbe, daß es jedermann einleuchten muß, wie an Dir kein ehrlicher Kerl verloren ging, als Du Seeräuber wurdest. Aber Du sollst mich dennoch nicht dazu bewegen, ferner mit Dir des Teufels Schlund zu befahren; Du weißt, was er verleiht, verschwindet, wie es kam – in einer Woche oder höchstens einem Monat geht es mit unserm Rum und Zucker zu Ende, der Tabak ist in Rauch aufgegangen, Münzen, Barren und Goldstaub sind aus unsern Händen in die der ehrlichen, ruhigen und gewissenhaften Leute von Port-Royal. oder anderer Orte gewandert, – die unserm Gewerbe durch die Finger sehen, so lange wir Geld haben, aber keinen Augenblick länger. Nur kalt sieht man noch auf uns, und vielleicht hat gar der Oberrichter schon einen Wink bekommen; denn wenn unsere Taschen leer sind, mühen sich unsere ehrlichen Freunde, Nutzen aus unsern Köpfen zu ziehen. Dann erscheint der hohe Galgen, der kurze Strick, und die Geschichte des Seeräubers ist aus. Ich sage Dir, ich will diesem Gewerbe entsagen, und wenn ich so mit meinem Glase jene Barken mustere, gibt es keine noch so elende darunter, die ich nicht lieber auf Lebenslang rudern, als meine bisherige Lebensweise fortsetzen wollte.« »Und wo wird Eure Ehrlichkeit ihren Wohnsitz aufschlagen?« fragte Bunce. »Ihr habt die Gesetze aller Länder verletzt, und die Hand der Gerechtigkeit wird Euch finden und zermalmen, wo immer Ihr weilt, – Cleveland, ich spreche zu Euch ernster, als ich's gewohnt bin. Auch ich habe meine Betrachtungen angestellt, sie waren trübe und bitter genug; obgleich sie nur Minuten währten, raubten sie mir doch meinen Frohsinn auf Wochen! Aber was bleibt uns anders übrig, als den Weg fortzusetzen, den wir einschlugen, wenn wir nicht anders geradezu den Galgen schmücken wollen?« »Wir können die Begnadigung für diejenigen in Anspruch nehmen,« erwiderte Cleveland, »die zurückkehren und sich selbst überliefern.« »Hm!« antwortete sein Gefährte trocken, »jene Gnadenzeit ist längst vorüber, und die Gerichte können jetzt nach Willkür strafen oder verzeihen. Wäre ich an Eurer Stelle, ich würde meinen Hals nicht so aufs Spiel setzen.« »Andere sind noch vor kurzem zu Gnaden wieder aufgenommen worden,« meinte Cleveland; »warum sollte man sie mir nicht angedeihen lassen?« »Ei nun ja,« erwiderte sein Gefährte, »Harry Glasby und ein paar andere sind allerdings begnadigt worden; aber Glasby leistete, wie man zu sagen pflegt, gute Dienste, denn er verriet seinen Kameraden, und dazu wäret, wie ich glaube, Ihr nicht der Mann, selbst Euch an dem rohen Goffe zu rächen.« »Lieber wollt ich tausendmal sterben,« antwortete Cleveland. »Darauf wollte ich schwören,« rief Bunce; »und die andern waren nur gemeine Matrosen – Diebe und erbärmliches Gesindel, kaum des Galgens wert. Euer Name aber steht in der Liste der Glücksritter zu hoch, als daß Ihr so leichten Kaufs davon kämet. Ihr seid der Leithirsch der Herde und werdet auch demgemäß ausgezeichnet werden.« »Und weshalb?« sagte Cleveland, »Jack!« »Federigo, wenn es beliebt,« verbesserte ihn Bunce. »Der Teufel hole Deine Torheit,« rief Cleveland, »laß allen Scherz beiseite und sei einen Augenblick lang ernsthaft.« »Einen Augenblick – nun ja!« antwortete Bunce, »aber ich fühl's, wie der Geist Altamonts über mich kommt, – länger als zehn Minuten schon bin ich ernst gewesen.« »Nun, so sei es auch noch etwas länger,« entgegnete Cleveland; »ich weiß, Jack, daß Du mich wirklich liebst; und da wir uns einmal in diese Sache so weit vertieft haben, will ich mich Dir ganz vertrauen.– Sprich, weshalb sollte man mir die Begnadigung verweigern? Ich habe, wie Du weißt, ein wildes Leben geführt, kann aber nötigenfalls eine Anzahl Leben aufweisen, die ich rette, eine, Menge von Eigentum nennen, das ich seinen rechtmäßigen Eignern, denen es ohne mein Zutun verloren gegangen wäre, zurückgab.« »Daß Ihr ein edler Dieb wäret, wie Robin Hood selbst, könnt Ihr freilich beweisen,« unterbrach Bunce, »und ich, Fletcher und die Bessern von uns lieben Euch deshalb als einen Mann, der unser Handwerk vor gänzlicher Verworfenheit schützte. – Nun, angenommen, man begnadigte Euch, was wollt Ihr beginnen? Welche Klasse der menschlichen Gesellschaft würde Euch aufnehmen? Wer sich mit Euch verbinden? Der alte Drake, zu Elisabeths Zeit, konnte Peru und Mexiko plündern, ohne auch nur durch eine Zeile dazu ermächtigt zu sein, und doch ward er, Ehre sei ihrem Angedenken, bei seiner Heimkehr dafür zum Ritter geschlagen. Aber damit ist's jetzt vorbei, – einmal Pirat, und ausgestoßen für immer! Kein ehrlicher Mann spricht mit ihm, – kein rechtliches Mädchen reicht ihm die Hand.« »Du siehst zu schwarz, Jack!« fiel ihm Cleveland ins Wort; »es gibt Mädchen – eine wenigstens gibt es, die ihrem Geliebten treu bliebe, selbst wenn es mit ihm so bestellt wäre, wie Du sagst.« Bunce schwieg einen Augenblick und blickte, starr auf seinen Freund: »Mein Seel'!« rief er endlich, »ich fange an, mich für einen Zauberer zu halten. Dachte ich doch gleich, daß hier ein Mädchen im Spiele sein müsse ... Ha, ha, ha!« »Lache, soviel Du willst,« entgegnete Cleveland, »es bleibt dennoch wahr; – ein Mädchen gibt es hier, die mich liebt, ob ich gleich ein Seeräuber bin; und offen will ich Dir gestehen, daß, wenn ich auch schon oft unser Räuberleben verabscheute, ich es dennoch ohne dieses Mädchen kaum aufgegeben hätte – was jetzt, um ihretwillen, unwiderruflich bei mir feststeht.« »Nun, so sei Gott gnädig!« rief Bunce, »einem Wahnsinnigen kann man nicht Vernunft predigen, und Liebe bei einem von unserm Gewerbe, Kapitän, ist wenig besser als Tollheit, Die Dirne muß ein rarer Bissen sein, da ein gescheiter Kerl ihretwegen den Kopf wagen will. Aber hört, spukt es nicht ebenfalls bei ihr ein wenig wie bei Euch? – Und war hier nicht vielleicht Sympathie im Spiel? Sie ist, wie ich vermute, ein Mädchen von Erziehung und Charakter.« »Beides liegt ebenso außer Zweifel, als daß sie das schönste, bezauberndste Geschöpf ist, das je menschliche Augen sahen,« erwiderte Cleveland. »Und sie liebt Euch, und weiß, daß Ihr der Befehlshaber einer Schar jener Glücksritter seid, die der gemeine Haufen Seeräuber nennt?« »So ist es,« antwortete Cleveland. »Nun denn,« entgegnete Bunce, »so ist sie, wie ich zuvor sagte, nicht recht bei Troste, oder sie weiß noch nicht, was das Wort Seeräuber sagen will.« »Im letzten Punkt hast Du recht,« versetzte Cleveland. »Sie ist in einer solchen Einfalt und einer so gänzlichen Unbekanntschaft mit dem, was böse heißt, erzogen worden, daß sie unser Tun mit dem der alten Normänner vergleicht, die See und Häfen mit ihren siegreichen Flaggen füllten, Kolonien anlegten, Länder eroberten und sich Seekönige nannten.« »Das ist wahrlich nicht viel besser als Seeräuberei und läuft mit dieser fast auf eins hinaus,« bemerkte Bunce, »Es muß aber eine mutige Dirne sein! – Warum brachtet Ihr sie nicht an Bord?« »Meinst Du,« entgegnete Cleveland, »ich hätte einen Engel an Schönheit und Tugend mit jener Hölle bekannt machen sollen, die dort aus der satanischen Barke uns entgegengähnt? – Freund, durch diese Tat allein hätte ich das Maß meiner Sünden verdoppelt; solch eine Schändlichkeit hätte sie alle überwogen.« »Nun, und warum denn, Kapitän?« entgegnete sein Vertrauter; »eine Torheit war's überhaupt,, hierher zu kommen. Die Nachricht wäre doch einmal bekannt geworden, daß der berühmte Pirat, Kapitän Cleveland, mit seiner Schaluppe »die Rache« an der Küste von Mainland strandete und mit Mann und Maus unterging. Dann wäret Ihr hier vor Freund und Feind verborgen geblieben, und hättet Eure hübsche Shetländerin heiraten, Eure Schärpe in ein Fischernetz, Euren Säbel in eine Harpune verwandeln können, und statt nach Gulden hattet Ihr fortan auf dem Meere nur nach Fischen gejagt.« »Das war auch mein Wille,« erwiderte der Kapitän; »aber da kam ein Kerl von Hausierer nach Shetland und brachte Nachricht von Eurer Ankunft, und da war ich genötigt, mich hierher zu begeben, um zu erfahren, ob Ihr jene Gefährten wäret, von denen ich erzählt hatte, lange bevor ich den Entschluß faßte, dem Seeräuberhandwerk zu entsagen.« »Ja, so weit hattet ihr recht,« antwortete Bunce: »denn so wie Euch unsere Ankunft zu Kirkwall zu Ohren kam, hätten auch wir Euren Aufenthalt auf Shetland erfahren; und manche von uns aus Freundschaft, andere aus Haß, noch andere aber vielleicht aus Furcht, Ihr möchtet es machen wie Glasby, hätten ohne Zweifel Euch aufgesucht, um Euch wieder in unsern Kreis zu ziehen.« »Das fürchtete ich,« entgegnete Cleveland, »und mußte das höfliche Anerbieten eines Freundes, der mich hierher begleiten wollte, zurückweisen. Ueberdem fiel mir ein, daß, wie Du auch früher selbst bemerktest, Begnadigungen nicht ohne Geld zu erlangen, und bei meiner Börse schien Ebbe eintreten zu wollen; – kein Wunder, weißt Du doch, daß ich nie zu geizen verstand. Und so ....« »Nun, und so kamt Ihr, um Euren Anteil an den Piastern zu holen,« fiel sein Gefährte ein; »das war gescheit und wir teilten ehrlich – insoweit hat Goffe unsere Gesetze allerdings beobachtet. Aber haltet den Entschluß, ihn zu verlassen, ja geheim; denn ich fürchte, er möchte Euch einen Schelmenstreich spielen. Ohne Zweifel sah er Euren Anteil schon als den seinigen an, und wird es Euch schwerlich verzeihen, daß Ihr wieder lebendig wurdet.« »Ich fürchte ihn nicht,« erwiderte Cleveland, »und das ist ihm bekannt; wollte ich doch, ich wäre eben so sicher vor den Folgen der Kameradschaft, als ich mich vor denen seines bösen Willens geschützt glaube. – Ein andrer unangenehmer Schlag aber kann mich treffen, – ich habe einen jungen Burschen, der mich eine Zeitlang schikaniert hat, in einem Streit an eben dem Morgen, an dem ich Shetland verließ, verwundet.« »Ist er tot?« fragte Bunce; »hier ist es mit so etwas ernster bestellt als auf den Bahama-Inseln, wo man ein Paar solcher Kerle alle Morgen totschießen kann, ohne daß man sich dabei mehr als um Holztauben bekümmerte; hier aber ist es anders, und so hoff' ich, daß Ihr Euren Freund nicht unsterblich gemacht habt?« »Hoffentlich nicht!« antwortete Cleveland, »obgleich mein Zorn schon bei geringerem Anlaß bösere Folgen hatte. Aber die Wahrheit zu sagen, es tat mir nichtsdestoweniger um den Burschen leid, zumal ich ihn der Aufsicht einer Wahnsinnigen, überlassen mußte.« »Einer Wahnsinnigen?« fragte Bunce; »wie meint Ihr das?« »Zuerst mußt Du wissen,« erwiderte sein Freund: »daß der junge Bursche zu mir trat, als ich gerade bemüht war, Minna zu einer geheimen Unterredung zu bestimmen, in der ich ihr noch vor meiner Abreise meine ferneren Pläne mitteilen wollte. Nun so in diesem Augenblicke gestört Zu werden von dem wilden Burschen« – – – – »– verdiente nach allen Gesetzen der Ehre und Liebe den Tod,« unterbrach ihn Bunce. »Zum Henker mit Deinem Spaß, Jack, gib acht auf meine Worte! – Der mutige Bursche hielt es für gut, zu bleiben, als ich ihm zu gehen gebot. Ich bin, Du weißt es, nicht sehr geduldig und gab ihm einen derben Puff, den er mir nicht schuldig blieb. Nun rangen wir miteinander, bis ich endlich, um seiner um jeden Preis los zu werden, mit meinem Dolche nach ihm stieß, den ich, wie Du weißt, aus alter Gewohnheit, immer bei mir trage. Kaum aber war dieses geschehen, als ich meine Tat auch sogleich bereute; aber es war jetzt nicht Zeit, an etwas anders zu denken als an Flucht und Geheimhaltung; denn wenn Lärm im Hause entstand, so war ich verloren; der feurige alte Mann, das Haupt der Familie, hätte an mir Gerechtigkeit geübt und wäre ich sein Bruder gewesen. Schnell lud ich also den Körper auf meine Schultern und eilte damit dem Seeufer zu, um ihn in eine Riva oder tiefe Kluft zu werfen, wo er lange hätte liegen können, ehe man ihn gefunden. Dann dachte ich in ein bereit liegendes Boot zu springen und nach Kirkwall zu steuern. Aber als ich mit meiner Last am Strande ankam, seufzte der arme Bursche und ich erkannte, daß mein Dolchstoß nicht tödlich gewesen. Der Gedanke, mein Verbrechen zu vollenden, kam mir kein einziges Mal; ich legte vielmehr den jungen Mann auf den Boden und tat, was ich konnte, sein Blut zu stillen, als plötzlich ein altes Weib vor mir stand. Ich hatte sie schon oft auf Shetland gesehen, wo man sie für eine Zauberin hält. Sie begehrte, ich solle ihr den Verwundeten lassen, und mich drängte die Zeit Zu sehr, um ihrem Verlangen zu widerstehen. Noch mehr wollte sie mir sagen, als wir die Stimme eines albernen, zu der Familie gehörigen alten Mannes vernahmen, der in einiger Entfernung von uns sang. Schnell legte sie nun den Finger auf den Mund, als geböte sie Schweigen, pfiff leise, und als darauf plötzlich ein mißgestalteter Zwerg erschien, trugen sie den Verwundeten in eine jener dort so zahlreichen Höhlen, und ich stach so schnell wie möglich in See. Mir aber gab die alte Hexe einen recht intimen Beweis ihrer Kunst, denn selbst die westindischen Tornados, die wir zusammen erlebt haben, machten kein größeres Gerassel als der Sturm, der jetzt losbrauste und mich so weit aus meinem Fahrwasser trieb, daß ich, ohne Hilfe meines Taschenkompasses, die Fair-Insel nie wiedergefunden hätte, von wo aus mich eine Brigg hierher brachte ... Aber ob es das alte Weib nun schlimm öder gut mit mir meinte, genug, wir kamen endlich glücklich hier an, und hier bin ich nun, von mannigfacher Angst und Pein gefoltert.« »Hol' der Teufel Sumburgh-Head, oder wie sie sonst die Klippe nennen, an der Ihr unsre liebe kleine »Rache« auf den Strand warft!« rief Bunce. »Rede nicht solchen Unsinn,« erwiderte Cleveland; »habe ich Dir nicht schon fünfzigmal gesagt, daß, wenn die Kerle nicht trotz meiner Vorstellungen in die Boote gesprungen wären, das Schiff noch jetzt auf den Wellen schwämme? Wären sie bei mir geblieben, so wäre ihr Leben gerettet gewesen wie das meine; wäre ich ihrem Beispiel gefolgt, so hätte ich den Tod gefunden wie sie. Wer fügt mir, was für mich das Wünschenswertere gewesen wäre?« »Nun gut!« antwortete sein Freund, »ich weiß jetzt alles und kann nun um so besser helfen und raten. Ich will treu sein, Cleveland, wie die Klinge dem Griff; aber ich mag nicht daran denken, daß Ihr uns verlassen wollt. Kommt! heut müßt Ihr auf jeden Fall mit uns an Bord!« »Ich habe keinen andern Zufluchtsort,« antwortete Cleveland mit schwerem Seufzer; dann richtete er die Blicke noch einmal auf die Bucht, blickte noch einmal mit seinem Fernglase hinaus auf das Meer, ohne Zweifel in der Hoffnung, Magnus Troils Fahrzeug zu entdecken, und folgte dann schweigend seinem Gefährten den Berg hinab. Dreizehntes Kapitel Ihr habt die Verwundung des jungen Burschen Euch mehr zu Herzen genommen, als nötig wäre, Kapitän!« sagte Bunce, als er mit Cleveland den Fuß des Berges erreicht hatte; »ich merkte schon, wie Ihr darüber nachsannet.« »Je nun, Jack,« antwortete Cleveland; »der Bursche hatte mir das Leben gerettet, und wenn ich ihm auch den Dienst vergalt, so hätten wir uns doch nicht auf solche Weise begegnen sollen. Aber hoffentlich ist ihm Hilfe geworden von dem alten Weibe, das ohne Zweifel gar wohl mit der Arzneikunst umzugehen weiß.« »Und mit leichtgläubigen Menschen,« fiel Bunce ein, »zu dieser Klasse muß ich auch Euch rechnen, wenn Ihr noch lange an diese Sache denkt. Daß Euch ein junges Ding den Kopf verwirrt machte, ei nun! solch ein Unglück erlebt mancher ehrliche Mann; aber Euch nun gar den Kopf über die Mummereien einer Alten zu zerbrechen, ist doch zu große Torheit. Sprecht mir von Eurer Minna, so viel Ihr wollt, aber mit Eurer zahnlosen Zauberin laßt Euren treuen Diener ungeschoren. – Hier sind wir nun wieder unter den Buden und Zelten. Laßt uns sehen, ob wir hier nicht einigen Zeitvertreib finden.« Als Bunce so sprach, fielen Clevelands Blicke auf ein Paar prächtige Kleidungsstücke, die nebst andern Dingen zum Verkauf in einer Bude ausgekramt waren. Davor prangte ein Zettel, auf welchem die verschiedenen Waren verzeichnet standen, die der Eigentümer, Bryce Snailsfoot, zu billigen Preisen feilbot. Aber kaum hatte derselbe einen Blick auf den Kapitän geworfen, als er mit zitternder Hand ein paar andere Kleidungsstücke beiseite schob, die er, da der Verkauf erst mit dem nächsten Tage anfing, vermutlich nur ausgekramt hatte, um sie zu lüften oder um die Bewunderung der Zuschauer darauf zu lenken. »Mein Seel!« flüsterte Bunce seinem Gefährten zu, »Ihr müßt den Kerl da schon einmal unter Euren Klauen gehabt haben, und er fürchtet sich jetzt vor einem neuen Griff Eurer Kralle. Seht einmal, wie schnell er seine Ware beiseite packte, als er Euch erblickte.« »Seine Ware?« fragte Cleveland, genauer hinblickend; »beim Himmel! meine Kleider sind's, die ich in jener Kiste in Jarlshof zurückließ, als mein Schiff dort verloren ging. – Heda, Bryce Snailsfoot, Du Schelm und Dieb, was soll das heißen? Hast Du durch wohlfeilen Kauf und teuren Verkauf nicht schon genug von mir verdient, daß Du noch Hand an meine Kiste und meine Kleidungsstücke legtest?« Bryce Snailsfoot, der sich nach einer Unterredung mit dem Kapitän eben nicht sehr gesehnt hatte, war jetzt durch die Lebhaftigkeit des Angriffs genötigt, seine Aufmerksamkeit auf ihn zu richten. Schnell und leise hieß er den kleinen Burschen, der ihn, wie wir bereits erwähnten, zu begleiten pflegte, auf das Rathaus eilen und dort melden, daß es bei seinem Verkaufsstande Lärm zu geben drohe, und daß er deshalb um ein paar Mann Hilfe bäte. Kaum war der Junge weg, so wandte sich Bryce Snailsfoot zu seinem alten Bekannten ... »Gott sei Dank,« rief er aus, »unser würdiger Kapitän Cleveland, um den wir alle in so großer Sorge waren, ist wieder da zu unserer Herzensfreude. Wie habe ich mich doch um Euch geängstigt,« – (hier wischte sich Bryce die Augen) – »und wie freue ich mich, Euch jetzt Euren bekümmerten Freunden wiedergegeben zu sehen.« »Meine bekümmerten Freunden, Du Schurke!« rief Cleveland; »im Nu will ich Dir Ursache zu ernsterem Kummer geben, als Du je meinetwegen empfunden haben dürftest – wenn Du mir nicht auf der Stelle gestehst, wie und wo Du diese meine Kleider gestohlen hast.« »Gestohlen?« wiederholte Bryce, zum Himmel aufblickend: »nun, Gott helf uns! der arme Herr hat bei jenem furchtbaren Sturm seinen Verstand verloren.« »Unverschämter Wicht,« rief Cleveland, seinen Stock aufhebend, »meinst Du mich mit Deiner Frechheit zu übertölpeln? Noch einmal also, willst Du heile Knochen unter Deiner Haut behalten, so bekenne augenblicklich, wie und wo Du meine Sachen gestohlen?« Bryce Snailsfoot rief aufs neue: »Gestohlen? Nun, Gott steh uns bei!« richtete aber zugleich, besorgt, der Kapitän mochte seine Drohung ohne Verzug in Ausführung bringen, einen ängstlichen Blick auf die Stadt, in der Erwartung, den erbetenen Sukkurs heranrücken zu sehen. »Ich will eine augenblickliche Antwort,« fuhr der Kapitän mit gehobener Waffe fort, »oder ich prügle Dich tot und werfe Deinen ganzen Trödelkram aufs Feld.« Inzwischen hielt John Bunce, der die Sache nur als einen Spaß und keinen schlechten ansah, Cleveland am Arme fest, weniger jedoch in der Absicht, ihn an der Ausführung seiner Drohung zu verhindern, als um eine unterhaltsame Sache möglichst zu verlängern. »Ei, so hört doch den ehrlichen Mann an, Kamerad!« sagte er; »hat er doch eine so schelmische Fratze, als je eine auf den Schultern eines Schurken saß; er versteht's sich durch Schwatzen die Zeit zu verschaffen, die er braucht, den Läufer um ein paar Zoll zu begaunern. Bedenkt doch, daß Ihr beide ein und dasselbe Gewerbe treibt, er mißt die Ballen mit der Elle, Ihr mit dem Schwerte, und daher will ich ihn nicht in Stücke gehauen wissen, bis ihm freies Spiel geworden.« »Du bist ein Narr!« entgegnete Cleveland, bemüht, sich von seinem Freunde loszumachen. – »Beim Himmel, ich will ihm zu Leibe.« »Haltet ihn fest,« rief der Hausierer, »bester Herr, um Gottes willen, haltet ja fest!« »Nun, so sprich etwas zu Deiner Verteidigung,« entgegnete Bunce; »aber kein großes Gerede! sonst, beim Henker! laß ich ihn auf Dich los.« »Er behauptet, ich habe die Sachen gestohlen,« erwiderte Bryce, der nun einsah, daß er um die Antwort auf die Anschuldigung nicht herumkam... »Sagt selbst: wie hätte ich die Ware stehlen können, da ich sie doch durch ehrlichen Kauf an mich brachte?« »Kauf? Kauf? Du diebischer Landstreicher!« rief Cleveland; »von wem hast Du meine Kleider kaufen können? wer konnte frech genug sein, sie zu verkaufen?« »Die würdige Frau Swertha, Haushälterin auf Jarlshof, die Euren Nachlaß verwaltete und um Euch sehr bekümmert war,« entgegnete der Hausierer. »Und die sich, zum Trost für ihren Kummer, die Taschen füllen wollte,« fiel ihm der Kapitän ins Wort; »wie konnte sie Dinge zu verkaufen wagen, die ihr zur Aufbewahrung übergeben worden? »Ei, sie hat gemeint, zu Eurem Besten so zu handeln, die gute Frau!« sagte der Hausierer, bemüht, den Streit hinzuziehen, bis sein Sukkurs heranrückte; »und wenn Ihr Vernunft annehmen wollt, bin ich gern bereit, mich mit Euch über die Kiste und den Inhalt zu verständigen.« »Nun, so sprich!« rief Cleveland, »aber ohne alle Umschweife; zeigst Du mir nur einigermaßen guten Willen, ehrlich zu sein, so sollst Du von meinen Schlägen verschont bleiben.« »Nun, so seht, weiter Herr Kapitän!« begann der Hausierer – und murmelte dann vor sich hin: »Hol' der Henker Petersons lahmes Bein! sie werden mit dem unnützen Kerl nicht fortkommen können. – Seht! – das Land ist in großer Bestürzung. Ihr wurdet vermißt, ein Mann, den groß und klein liebte! – keine Spur war von Euch zu wittern – Ihr wart verloren – tot – verschwunden.« »Du sollst mich wieder lebendig gefunden haben, zu Deinem Unheil, Du Schurke,« fiel ihm Cleveland ins Wort. »Nun, so gebt doch Geduld! Ihr laßt einen ja nicht zu Worte kommen,« entgegnete der Hausierer, »von einer Klippe, wie man vermutet, ins Meer gestürzt – er, war ja immer ein Wagehals! – Manches Geschäft habe ich mit ihm gemacht in Fellen und Federn, die er bei mir gegen Pulver, Schrot und dergleichen tauschte, – nun ist er dahin – verschwunden wie das letzte Wölkchen aus der Tabakspfeife eines alten Weibes.« »Aber was hat das alles mit den Kleidern des Kapitäns, zu schaffen, Freundchen!« unterbrach ihn Bunce; »ich werde Euch wohl selbst noch ein paar Püffe versetzen mögen, um Euch in das rechte Fahrwasser zu bringen?« »Nun, nun! – Geduld, Geduld!« fuhr Bryce fort, mit der Hand abwehrend; »Ihr sollt alles schon früh genug erfahren. Nun, wie gesagt, zwei Menschen waren verschwunden, und überdem Jungfer Minnas Kränklichkeit ....« »Bringe ihren Namen nicht mit in Dein Geschwätz, Bursche!« rief Cleveland in einem Tone, zwar leiser, aber tiefer zusammengepreßt, als er ihn bisher angeschlagen ... »wenn Du nicht Deine Ohren einbüßen willst.« »Hä, hä, hä!« grinste der Hausierer, »das könnte schlimm für mich werden; aber ich sehe. Ihr habt Lust, zu scherzen. Nun, wenn ich nichts von Burgh-Westra sagen soll, so wollen wir uns vom Jarlshofer Alten erzählen, von Mordaunts Vater, dem Herrn Mertoun, von dem kein Mensch geglaubt, daß er den Fuß von seinem Sumburgh-Head setzen werde – nun, auch der ist weg, – weg, wie der Bursche, von dem ich vorhin sprach ... Und nun sah man Magnus Troil, den ehrsamen Vogt, Pferde, und Claud Halcro, den schlechtesten Steuermann auf ganz Shetland, ein Boot nehmen ... und auch der Lord-Kämmerlings-Substitut hat sich in Bewegung gesetzt, der doch sonst immer nur von Deichen, Gräben und ähnlichem dummen Zeuge schwatzt ... und so kann man mit Recht sagen, die eine Hälfte der Einwohner von Shetland ist futsch, und die andere unterwegs, nach ihr zu suchen... Schreckliche Zeit das! Schreckliche Zeit!« Cleveland hatte seinen Grimm bezwungen und den vielen Worten des Hausierers zwar mit Ungeduld, aber nicht ohne Hoffnung, etwas über sich selbst zu erfahren, zugehört; sein Gefährte aber fing jetzt an, seine Ruhe zu verlieren ... »Nun aber die Kleider, die Kleider!« rief er aus, sein Rohr dabei schwingend, daß die Spitze desselben das Ohr des Hausierers streifte, der darüber bis in das Mark seiner Knochen erbebte und fortwährend rief: »Nick, Geduld – Geduld – so hört doch, werter Herr! – ja, ja, die Kleider? – ja seht, – da fand ich die gute alte Frau in großer Angst um ihren alten Herrn und ihren jungen Herrn; um den würdigen Kapitän Cleveland; um das Schicksal der Leute von Burgh-Westra und um den Vogt selbst und den Verwalter und um Claud Halcro und um noch mancherlei anderes. Nun, da haben wir uns zusammengesetzt und unsere Herzen ausgeschüttet und haben Ronaldson, den Gemeindevorsteher, holen lassen, um mit ihm zu beraten. – Ein würdiger Mann, der Ronaldson, der in gar gutem Rufe steht.« Hier streifte Bunces Rohr das Ohr des Hausierers um ein paar Linien dichter, daß es schon leicht zu wackeln anfing. Da fuhr her Hausierer mit einem einzigen Sprunge zwei Ellen weit von seinem Stande zurück – und nun troff ihm die Wahrheit, oder was er dafür auszugeben geneigt war, vom Munde wie der Inhalt einer endlich vom Kork befreiten sprudelnden Flasche. »Aber, werter Herr Kapitän!« erwiderte der ehrliche Hausierer, »was sollten wir armen Leute denn anders tun? Ihr wart fort, als Eigentümer der Sachen, und Herr Mordaunt, der sie in Verwahrung hatte, war auch fort, und die Sachen waren so fest gepackt und wären doch verdorben und –« »Und darum verkaufte sie dies spitzbübische Weib, und Ihr habt Euch ihrer erbarmt, um sie vor Schaden zu bewahren,« unterbrach ihn Cleveland. »So ist's,« erwiderte der Handelsmann, »so und nicht anders! und ich denke, mein werter Herr Kapitän ...« »Nun laß Dir sagen, frecher Schurke,« rief der Kapitän; »ich mag meine Hände nicht mit Dir besudeln, auch hier keinen Lärm verursachen.« »Eure guten Gründe dazu mögt Ihr wohl haben,« antwortete der Hausierer mit schlauem Lächeln. »Die Knochen zerschlage ich Dir, wenn Du mich noch einmal unterbrichst,« rief Cleveland. »Gib acht! ich mache billige Bedingungen, – gib mir die schwarzlederne Brieftasche und den Beutel mit den Dublonen, und ein paar von den Kleidungsstücken, die ich brauche, zurück, und das übrige sollst Du behalten in Teufels Namen.« »Dublonen!« wiederholte der Hausierer mit einer Stimme, so laut, als sei ihm darum zu tun, seines Staunens auch andere teilhaftig zu machen. »Was weiß ich von Dublonen? ich hab Wämser eingehandelt, aber nicht Dublonen – waren welche dabei, so wird sie Swertha ohne Zweifel für Euch aufbewahrt haben, denn Staub und Zeit tun ja, wie Ihr wißt, dem Gelde keinen Schaden.« »Gib mir meine Brieftasche und mein Geld, schurkischer Dieb!« rief Cleveland, »oder ich schlage Dich auf der Stelle nieder!« Der schlaue Hausierer sah sich um und sah den erbetenen Sukkurs heranziehen, der aus sechs Beamten bestand; denn mancherlei Streitigkeiten zwischen den Bewohnern des Städtchens und der Mannschaft des Piraten hatten den Magistrat von Kirkwall bestimmt, die Zahl der Polizisten zu vermehren. »Ihr hättet das Wort Dieb für Euch selbst behalten können, würdiger Herr Kapitän,« entgegnete der Hausierer, jetzt mutig gemacht; »denn wer weiß, wie Ihr zu den schönen Dingen und Kostbarkeiten gekommen seid.« Er sprach's mit einem so herausfordernden Ton im Blick und Wesen, daß Cleveland ihn ohne weiteres beim Kragen packte, über seinen Verkaufsstand zog, der mit allen daraufliegenden Waren unter der Last, für die er nicht berechnet war, zusammenbrach, und mit seinem Stock derb auf ihn losprügelte. Das ging alles so schnell vor sich, daß der Hausierer, ein sonst ziemlich rüstiger Mann, so überrumpelt wurde, daß er keinen Versuch zu seiner Rettung machte, sondern nur laut wie ein Kalb um Hilfe blökte. Inzwischen war der Sukkurs herangerückt, und den vereinten Kräften der Büttel gelang es bald, den Hausierer aus den Fäusten seines Angreifers zu befreien. Da es nun zwischen den Stadtleuten und der Mannschaft des Piraten schon wiederholt zu Streitigkeiten gekommen war, ließen sich die Büttel nicht nötigen, Händel mit Cleveland zu suchen, der, trotzdem ihm sein Kamerad kräftig beistand, und trotzdem er sich tapfer wehrte, der Uebermacht erlag und zu Boden geworfen wurde. Seinem Kameraden dagegen glückte es, sich durch die Flucht zu retten, weil er, sobald er sah, daß die Sache schlecht für sie ausfallen müßte, sich nicht besann, den Strand zu gewinnen; Cleveland dagegen wurde, so sehr er sich auch sträubte, als Gefangener in die Stadt geschleppt und unter dem Geschrei des Volks, auf das Rathaus geführt, wo die hohe Obrigkeit eben versammelt saß. Jetzt verwünschte er es, daß er zu der Schelmerei des Krämers nicht geschwiegen, sondern sich durch sein heftiges Temperament in solche gefährliche Lage versetzt hatte. Als sie sich aber dem Tore des in der Mitte des Städtchens gelegenen Rathauses näherten, wurde die Lage durch einen unerwarteten Zufall jäh geändert. Clevelands Kamerad Bunce, dem es nicht bloß darum zu tun war, sich durch seinen Rückzug selbst in Sicherheit zu bringen, sondern mehr noch, seinem Freunde zu nützen, war zum Hafen geeilt, wo das Schiff des Räubers lag, und hatte Bootsmann und Mannschaft zu Hilfe gerufen. Jetzt erschienen sie, desperate Kerle, ganz wie es ihr Gewerbe mit sich brachte, mit wilden, von der tropischen Sonne tiefgebräunten Gesichtern, stürzten sich mitten durch die Volksmenge bis zu Cleveland vor, entrissen ihn mit Blitzesschnelle den Händen der auf solchen Ueberfall nicht vorbereiteten Büttel und führten ihn im Triumph dem Strande zu. Da sie bis an die Zähne bewaffnet waren, wichen die Stadtleute scheu vor ihnen zurück, und selbst die Büttel wagten keine Gegenwehr. Also geschah es, daß Cleveland der Seeräuber wieder unter seine Kameraden geriet, von denen er sich für immer zu trennen so fest entschlossen gewesen war. Vierzehntes Kapitel Wir hatten Mordaunt Mertoun schwer verwundet verlassen und finden ihn jetzt als Genesenden wieder, zwar noch bleich und schwach, infolge von bedeutendem Blutverlust und starkem Wundfieber; da die Waffe aber, an der Rippe abgleitend, keine edlen Teile berührt hatte, war die Wunde unter der Hand der weisen Norna vom Fitful-Head so gut wie ganz geheilt. Die weise Frau hatte ihren Kranken auf eine entlegene Insel gebracht, wo er jetzt, in einem ziemlich gut eingerichteten Raume, ein Buch in der Hand haltend, in welches er von Zeit zu Zeit mit einem Ausdruck von Ungeduld und Langeweile blickte, vor dem Kamin saß. Jetzt nahm die unangenehme Stimmung, die ihn beherrschte, so überhand, daß er das Buch auf den Tisch schleuderte. Norna, die ihm gegenüber saß, mit Zubereitung von Heilmitteln und Salben beschäftigt, sprang ängstlich auf, eilte zu ihm, faßte seinen Puls und fragte besorgt: ob er etwa Schmerzen fühle und wo? Mordaunt antwortete auf ihre Frage mit Worten, die von der Dankbarkeit, die er gegen seine Pflegerin fühlte deutlichen Beweis ablegte; und versicherte ihr, daß er sich durchaus wohl fühle; seine Antworten schienen indes der Wahrsagerin nicht zu genügen. »Undankbarer Knabe,« rief sie aus, »bist Du meiner schon so müde, daß Du die Sehnsucht nicht zurückhalten kannst, schon die ersten, Dir durch mich wiedergeschenkten Lebenstage fern von mir zu verschwenden?« »Ihr tut mir unrecht, teure Frau!« antwortete Mordaunt, »ich bin Eurer Gesellschaft durchaus nicht müde, aber es rufen mich Pflichten in die Welt zurück.« »Pflichten!« wiederholte Norna; »und welche Pflichten können der Dankbarkeit Eintrag tun, die Du mir schuldig bist? – Pflichten! Deine Gedanken verlangen nach Deiner Jagdflinte, Du möchtest die Klippen wieder nach Seevögeln absuchen. Dazu sind Deine Kräfte aber noch nicht stark genug.« »Und meine Sohnespflicht rechnest Du für nichts?« »Was hat Dein Vater an Dir getan,« rief Norna, »daß er solche Rücksicht von Dir verdiente? War er es nicht, der Dich jahrelang fremden Händen überließ, ohne zu fragen, ob Du noch am Leben seiest oder nicht? Der Dir von Zeit zu Zeit Unterstützung sandte, wie man einem Bettler aus der Entfernung ein Almosen zuwirft? Der Dich in den letzten Jahren zum Gefährten seines Elends machte? bald Dein Schulmeister, bald Dein Tyrann, nie aber, Mordaunt, Dir ein Vater war?« »In Euren Worten liegt allerdings manches Wahre,« erwiderte Mordaunt, »mein Vater ist nicht zärtlich, aber gütig war er stets gegen mich. Der Mensch hat sein Temperament nicht in seiner Gewalt, und es ist Kindespflicht, für die empfangene Wohltat sich dankbar zu beweisen, auch wenn sie ihm kalt erwiesen worden. Mein Vater hat meinen Geist gebildet, und liebt mich, davon bin ich überzeugt; er ist unglücklich, und selbst wenn er mich nicht liebte.« »Er liebt Dich nicht,« unterbrach ihn Norna rasch, »nie hat er jemand in dieser Welt außer sich selbst geliebt. – Er ist unglücklich, doch ist sein Elend verdient – aber Deine Mutter, Mordaunt – Deine Mutter – sie liebt Dich wie ihr Herzblut!« »Ich habe keine Mutter mehr,« erwiderte Mordaunt, »längst schon starb sie; – Eure Worte, Norna, verlieren an Klarheit.« »O nein, nein!« rief Norna in einem Ausbruch tiefster Gefühle. »Du hast eine Mutter! – die Unglückliche ist nicht tot – wollte Gott, sie wäre es! aber sie ist es nicht. Deine Mutter allein liebt Dich, und – ich – ich – Mordaunt,« hier warf sie sich an seinen Hals, »bin diese unglückliche, und doch so glückliche Mutter!« Sie preßte ihn fest und krampfhaft an ihre Brust, und Tränen, die ersten, die sie seit vielen Jahren vergossen, entströmten ihren Augen, als sie an seinem Halse schluchzte. Erstaunt über solche Kunde, gerührt durch ihre starke Gemütserschütterung, aber den leidenschaftlichen Erguß für einen Ausbruch von Wahnsinn haltend, bemühte sich Mordaunt vergebens, die Seele dieser außerordentlichen Frau zu beruhigen. »Undankbarer Knabe!« rief sie aus; »wer anders wie eine Mutter hätte so über Dich gewacht? Von dem Moment an, als ich Deinen Vater wiedersah, der keine Ahnung hatte, von wem er erkannt worden, – Jahre sind seitdem dahin geschwunden – aber nur allzu gut kannte ich ihn; und unter seiner Obhut sah ich Dich, damals ein Kind, und laut sprach die Natur in meiner Brust: das ist Blut von Deinem Blut, und Bein von Deinem Bein, Erinnere Dich, wie oft Du mich mit Staunen, und wenn Du am wenigsten darauf rechnetest, an Deinen Vergnügungsorten und Spielplätzen erblicktest! Bedenke, wie oft mein Auge über Dir wachte an schwindelerregenden Abgründen. Gab ich Dir nicht zur Sicherheit jene goldne Kette um den Hals, die ein Elfenkönig unserm Stammvater schenkte? Hätte ich diese teure Gabe Wohl jemand anders als dem Sohn meines Herzens verliehen? – Mordaunt, ich beschwor mitternachts die Meerfrau, daß sie Deine Barke auf der tiefen See unter ihren Schutz nähme! ich gebot dem Winde Schweigen, damit Du Deiner Jagd auf den Klippen gefahrlos nachhängen konntest!« Mordaunt entging es nicht, daß ihre Rede stürmischer zu werden anfing, und war auf eine Antwort bedacht, welche ihre Phantasie zu besänftigen vermöchte. »Gute Norna,« sprach er, »ich habe freilich Ursache genug, Euch Mutter zu nennen, denn Ihr habt Wohltat über Wohltat auf mein Haupt gehäuft, und nimmer will ich es an Beweisen der Liebe und Dankbarkeit fehlen lassen. Aber die Kette, von der Ihr spracht, ist von meinem Halse verschwunden – ich sah sie nicht wieder, seitdem mich jener Raufbold niederstieß.« »Wie magst Du in diesem Augenblick daran denken?« fragte Norna in einem kummervollen Ton, – »so wisse denn; ich war es, die sie von Deinem Halse nahm und derjenigen um den Hals hing, die Dir am teuersten ist, zum Zeichen dafür, daß Eure Verbindung, – der einzige, irdische Wunsch, den ich noch hegen darf – in Erfüllung gehen wird – und wenn die Hölle dazwischen träte!« »Ach,« rief Mordaunt, tief aufseufzend, »Ihr vergeßt die Ungleichheit unserer Verhältnisse, – ihr Vater ist reich und aus altem Stamm.« »Nicht reicher, als es einst Nornas Erbe sein wird,« antwortete die Wahrsagerin, – »und nicht von besserem oder älterem Blute, als dasjenige, welches in Deinen Adern rollt und von Deiner Mutter herstammt, der Sprossin eben derselben Grafen und Seekönige, von denen Magnus zu stammen sich rühmt. – Oder glaubst Du, wie jene pedantischen und fanatischen Fremden wie jene pedantischen, dünkelhaften Fremdlinge, Dein Blut sei schlechter, weil meine Ehe mit Deinem Vater nicht durch Priesterhand gesegnet wurde?– Wisse, daß wir vermählt waren nach der alten Sitte der Norweger, – wir reichten uns die Hände im Kreise Odins mit so innigen Schwüren ewiger Treue, daß selbst die unsere Inseln erobernden Schotten sie dem Segen vor dem Altare gleichgestellt hätten. Gegen den Sprößling solcher Verbindung kann Magnus nichts einwenden. Ich war schwach – aber die Geburt meines Sohnes wurde dadurch nicht entehrt.« »Und glaubt Ihr wirklich, Mutter – »so wollt Ihr ja, daß ich Euch nennen soll,« sagte Mordaunt, dem ihre Worte, wenn er ihr auch noch keine Sohnesliebe zollen konnte, doch von neuem zu Herzen geführt hatten, daß er in ihr seine größte Wohltäterin erblickte – »daß der stolze Magnus sich bewegen lassen könnte, die Abneigung, die er seit kurzem gegen mich an den Tag legt, aufzugeben und meiner Bewerbung um Brenda sein Ohr zu leihen?« »Brenda!« wiederholte Norna, – wer spricht von Brenda?« – von Minna war die Rede.« »Ich aber dachte nur an Brenda,« erwiderte Mordaunt; »nur an sie denke ich, und nur an sie allein werde ich ewig denken.« »Unmöglich, mein Sohn,« entgegnete Norna! »Du kannst nicht so engherzig, nicht so arm an Geist sein, daß Du das lachende Wesen und die hausmütterliche Einfalt der jüngern Schwester dem tiefen Gefühl und der erhabnen Seele der ältern vorziehen solltest. Wer möchte sich nach dem niedern Veilchen bücken, wenn er die herrliche Rose pflücken kann?« »Manche meinen: die niedrigsten Blumen duften am lieblichsten, und in diesem Glauben will ich leben und sterben.« »Solche Worte ziemen Dir nicht,« entgegnete Norna stolz; schnell aber den Ton wieder ändernd, fuhr sie liebevoll fort: – »Du mußt nicht, Du sollst nicht so sprechen, mein teurer Sohn! – Du wirft nicht das Herz einer Mutter in der ersten Stunde brechen wollen, wo sie ihr Kind umarmte! – Antworte mir nicht, aber höre mich, Minna muß Deine Gattin werden – ich habe ihren Hals mit einem Amulett geschmückt, von dem Euer beiderseitiges Glück abhängt, Minna muß die Braut meines Sohnes werden!« »Aber ist Euch denn Brenda nicht gleich lieb und teuer?« rief Mordaunt. »Eben so nahe verwandt,« antwortete Norna, »doch nicht so teuer, nein, nein! nicht halb so teuer. Minnas sanftes und doch so erhabenes, sinniges Gemüt macht sie zu der Gefährtin eines Wesens geeignet, dessen Wege, wie die meinigen, nicht die gewöhnlichen dieser Welt sind. Brenda gehört dem gemeinen Leben an, ist eine lachende Spötterin, die alles dasjenige ins Lächerliche zieht, was außer dem Bereich ihrer seichten Begriffe liegt.« »Sie ist freilich weder abergläubisch, noch schwärmerisch,« entgegnete Mordaunt, »und deshalb liebe ich sie um so mehr. Zudem bedenkt, Mutter, daß Brenda mich wieder liebt, während Minna jenem Menschen aus der Fremde, Cleveland, ihr Herz geschenkt hat.« »Nein, nein! das darf sie nicht, das kann sie nicht,« rief Norna, »auch darf er ihr nicht weiter nachstellen. Als er zuerst nach Burgh-Westra kam, sagte ich ihm, daß ich sie für Dich bestimmte.« »Und dieser allzu raschen Kunde,« unterbrach sie Mordaunt, »verdanke ich seine Feindschaft, – meine Wunde – und fast den Verlust meines Lebens. Seht, Mutter, wohin Euer Zwischenspiel uns schon gefühlt hat.... um des Himmels willen, setzt es nicht weiter fort!« Es schien, als ob dieser Vorwurf Norna mit der Gewalt und Schnelligkeit des Blitzes träfe; denn sie schlug sich mit der Hand vor die Stirn und schien nahe daran, zu Boden zu sinken. Mordaunt, heftig erschrocken, eilte, sie aufzufangen, und stammelte, da er nicht wußte, was er sagen sollte, nur ein Paar unverständliche Worte, »Schone meiner, o Himmel, schone meiner!« waren die ersten Worte, die das arme Weib wieder hervorbrachte; »laß mein Verbrechen nicht durch ihn gerächt werden! – Ja, junger Mann!« begann sie nach einer Pause, »Du wagtest jetzt Worte, die ich mir selbst nicht zu sagen wagte; Worte, die, wenn sie zutreffen, das Ende meines Lebens bedeuten.« Mordaunt bemühte sich vergebens, sie durch die Versicherung zu beruhigen, daß er nicht wisse, wie er sie beleidigt oder gekränkt habe, Und daß es ihn unendlich schmerze, wenn solches unwillkürlich geschehen. Sie fuhr mit wilder, zitternder Stimme fort: »Du hast den finstern Argwohn berührt, der das Gefühl meiner Macht vergiftet – die einzige Gabe, die ich zum Ersatz für Unschuld und Seelenfrieden empfing! Deine Stimme vereint sich mit der des Dämons, der selbst in dem Moment, wenn mich die Elemente als ihre Gebieterin anerkennen, mir zuflüstert: »Norna, nur Täuschung ist's – Deine Macht beruht nur auf dem Aberglauben der einfältigen, durch Kunstgriffe von Dir getäuschten Menge.« – So spricht Brenda, so möchtest auch Du sprechen; schone wenigstens Du meiner, mein Sohn!« fuhr sie in flehendem Tone fort; »die Herrschaft, der mich Deine Worte berauben wollen, ist kein beneidenswertes Gut. Wenigen nur möchte es gelüsten, über Geister und Stürme zu gebieten. Mein Thron ist eine Wolke, mein Zepter ein Meteor, mein Reich nur mit Phantasiegebilden bevölkert; aber ich muß entweder aufhören zu sein oder das mächtigste und doch elendeste Wesen dieser Inselflur bleiben!« »Sprecht nicht so finstere Worte, meine teure unglückliche Wohltäterin,« unterbrach sie Mordaunt, tiefbewegt. »Ich will von Eurer Macht glauben, was Ihr wollt; aber um Eurer selbst willen schlagt einen andern Weg ein. Wendet Eure Gedanken von solchen gemütsbewegenden Dingen ab und richtet sie auf andere, bessere; dann wird das Leben wieder Reiz für Euch haben und die Religion Euch Trost gewähren.« Sie aber schüttelte das Haupt und erwiderte: »Es kann nicht sein – ich muß die Gefürchtete – die Geheimnisvolle – die Reimkundige, die Beherrscherin der Elemente bleiben, oder ich muß aufhören zu sein. Ich habe keine andere Wahl, keinen Mittelweg! Meine Stätte ist dort oben auf jener riesigen Klippe, wo nie ein anderer Menschenfuß als der meinige stand, – oder tief auf dem Grunde des unermeßlichen Ozeans, dessen weiße Wellen dann über meinem fühllosen Körper schäumen. Die Vatermörderin soll nicht noch zur Betrügerin werden!« »Die Vatermörderin!« rief Mordaunt, schreckenvoll zurückbebend. »So ist's, mein Sohn!« entgegnete Norna mit finsterer Ruhe, die noch schrecklicher war als ihre frühere Heftigkeit, »in diesen Schreckensmauern fand mein Vater seinen Tod – durch mich! Dort in jenem Zimmer wurde sein Leichnam gefunden. – Drum hüte Dich vor kindlichem Ungehorsam, denn also reifen seine Früchte.« Sie stand auf und verließ das Gemach, Mordaunt allein zurücklassend, in Gedanken über die außerordentlichen Mitteilung gen, die ihm geworden waren. Er selbst hatte von seinem Vater gelernt, den Aberglauben der Shetländer zu verachten, aber jetzt sah er, daß Norna, wie geschickt sie auch andern Respekt einzuflößen verstand, über Selbsttäuschung nicht erhaben war: ein starker Beweis dafür, daß sie nicht wahnsinnig sei; anderseits aber schien die Selbstanklage des Vatermordes so furchtbar und unwahrscheinlich, daß Mordaunt zu ihren andern Behauptungen kein großes Vertrauen gewinnen konnte. Er hatte Muße genug, über seine letzten Erlebnisse nachzusinnen, denn niemand nahte sich diesem einsamen Eilande, das außer Adlern und andern Raubvögeln, die auf seinen Klippen horsteten, nur von Norna, ihrem Zwerge und ihm bewohnt wurde und einen wüsten und öden Anblick bot, die wenigen Stellen ausgenommen, wo Zwergbirken, Haselnußstauden und wilde Johannisbeerbüsche wuchsen, kümmerlich zwar, aber doch einiges Leben in die Landschaft bringend. Die Aussicht vom Strande, Mordaunts Lieblingsweg, seit er so weit genesen war, daß er wieder gehen konnte, bot hingegen Reize, die den wilden Charakter des Innern sattsam wett machten. Eine breite, schöne Wasserstraße trennte das Eiland von der großen Insel Pomona, und in der Mitte dieses Sundes lag, wie ein Täfelchen von Smaragd, das liebliche grüne Eiland von Graemsay. Auf dem fernen Mainland sah man das Dörfchen Stromneß, in dessen trefflichem Hafen stets Schiffe in Menge ankerten. Hier konnte Mordaunt stundenlang wandern, und hier reifte der Entschluß in ihm, die Insel zu verlassen, sobald es ihm seine Gesundheit erlaubte. Da es ihm aber widerstrebte, die Dankbarkeit zu verletzen, die er Norna schuldete, für deren Pflegesohn er sich hielt, wenn er sich auch nicht überzeugen konnte, ihr wirklicher Sohn zu sein, so drang er in sie, ihn zum bevorstehenden St. Olavsmarkte nach der Hauptstadt von Orkney mitzunehmen, was sie ihm unter der Bedingung versprach, daß er sich streng nach ihrem Willen verhalte. Fünfzehntes Kapitel Als Cleveland sich wieder an Bord seines Piratenschiffes befand, dessen Mannschaft ihm halb mit Hallo, halb mit dumpfem Schweigen entgegentrat, während manche nicht unterließen, ihm die Hand zu drücken und zu seiner Rettung Glück zu wünschen, sollte er schneller, als er gerechnet hatte, herbe Ursache finden, den Verlust seines Schiffes »Die Rache« von neuem zu beklagen. Finster und verdrossen auf den Jubel horchend, mit welchem die jüngere Schiffsmannschaft, mit Bunce an der Spitze, Cleveland begrüßte, saß auf dem Achterdeck, rittlings auf einem Geschütz, Kapitän Goffe, von welchem Bunce seinem Kameraden auf dem Wege nach Kirkwall manches erzählte. Es war ein Mann zwischen vierzig und fünfzig Jahren, kaum von Mittelgröße, aber robust und stark, daß ihn seine Mannschaft mit einem abgedeckten Linienschiff von 64 Kanonen zu vergleichen pflegte. Sein schwarzes Haar, sein kurzer, dicker, plumper Nacken und seine buschigen Augenbrauen, seine plumpe Kraft und wilden Gesichtszüge standen in krassem Gegensatze zu der männlichen Gestalt und dem offenen Antlitz Clevelands, aus welchem das rohe Gewerbe, dem er oblag, eine gewissen Anmut und Großmut nicht hatte verwischen können. Die beiden Seeräuber blickten einander eine Weile schweigend an, während ihre Parteigänger – die ältern um Goffe, die jüngern um Cleveland – Aufstellung nahmen. Endlich brach Goffe das Schweigen. – »Willkommen am Bord, Kapitän Cleveland! – All mein Takelwerk soll brechen, wenn ich nicht glaube, daß Ihr Euch noch als Commodore dünkt; aber damit ist's vorbei, beim Teufel, seit Euer Schiff zum Satan fuhr.« Cleveland erwiderte, daß es ihn nicht nach solcher Würde gelüste, aber auch nicht danach, unter ihm zu dienen, daß er Goffe vielmehr nur um ein Boot ersuche, das ihn an eine andere Insel hinüberbringe. »Und weshalb wollt Ihr nicht unter meinem Befehl dienen, Kamerad?« fragte Goffe streng; »haltet Ihr Euch etwa zu gut dafür mit Eurem Käseröster und Eurer naseweisen Manier? ich dächte, es ständen genug ältere und bessere Seeleute unter meinem Befehl!« »Ich möchte wissen,« antwortete Cleveland kaltblütig, »welcher von Eurem tüchtigen Seevolk so gescheit war, das Schiff hier unter die sechs Kanonen Batterie zu legen, die es in Grund bohren kann, noch bevor Ihr das Ankertau kappen oder fahren lassen könntet? Aeltere und bessere Seeleute als ich, mögen immerhin unter einem solchen Grobian und Tolpatsch dienen; ich aber danke dafür – weiter hab' ich Euch nichts zu sagen.« »Beim Satan! ich glaube, Ihr seid beide toll!« fiel Hawkins der Bootsmann ein; »ein Rekontre mit Pistolen und Säbeln mag zuweilen ein rechter Teufelsspaß sein, wenn es gerade nichts Besseres zu tun gibt; aber wer von uns wird, wenn er anders seine fünf Sinne beisammen hat, Streit mit Kameraden anfangen, und diesem schwimmfüßigen Insulanerpack Gelegenheit geben, uns sämtlich auf den Kopf zu klopfen?« »Gut gesprochen, Hawkins!« rief Derrick, der Quartiermeister, unter diesen Räubern ein Offizier von bedeutendem Einflusse; »wie gesagt, wollen die beiden Hauptleute nicht friedlich beisammen leben, und Kopf und Herz verbinden, um das Schiff zu verteidigen, ei, zum Teufel! da setzt sie beide ab und wählt einen dritten an ihrer Stelle!« »Euch vielleicht, nicht wahr, Quartiermeister?« unterbrach ihn Bunce, »aber daraus wird nichts, – wer Kavalieren gebieten will, muß, denke ich, selbst ein Kavalier sein; und so gebe ich meine Stimme ab für Kapitän Cleveland, einen so mutigen und wohlgezogenen Mann, wie nur je einer der Welt eine Nase gedreht hat.« »Was? Ihr nennt Euch Kavalier?« rief Derrick; »aus dem ersten besten Fetzen Eurer Theaterlumpen flickt jeder Schneider einen besseren zurecht – eine Schande ist's für mutige Burschen, solch naseweise Vogelscheuche an Bord zu haben!« Jack Bunce griff nach seinem Säbel, aber Zimmermann und Bootsmann traten dazwischen; der erstere schwang die breite Axt und schwor, er wolle dem ersten, der die Hand zum Streit höbe, die Hirnschale zerschmettern; der letztere erinnerte daran, daß ihre Schiffsgesetze allen Zwist, zumal an Bord, streng verböten. »Ich suche mit niemandem Streit,« rief Goffe finster, »Kapitän Cleveland hat auf den Inseln gelungert und seinem Vergnügen nachgelebt! Wir aber haben Zeit und Eigentum verschwendet, auf ihn zu lauern, während wir zwanzig bis dreißigtausend spanische Taler zu unserer Kasse hätten schlagen können.... Ist das aber den übrigen Herrn recht, nun, so will auch ich nicht darüber murren!« »Ich schlage vor,« nahm der Bootsmann wieder das Wort, »in der Kajüte, wie unsere Gesetze es wollen, darüber zu beraten, welchen Kurs wir in dieser Sache zu steuern haben.« Der Vorschlag wurde mit Beifall aufgenommen; denn bei solchem Rate kam jeder auf seine Rechnung, da jeder stimmberechtigt war und der Schnaps dabei in unbeschränkten Portionen getrunken werden durfte. Cleveland nahm zuerst das Wort und wiederholte, daß er nur um ein Boot bitte, um auf irgend eine Insel in einigem Abstande von Kirkwall ans Land zu gehen, wo man ihn seinem Schicksal überlassen möge. Der Bootsmann lehnte sich heftig hiergegen auf. »Jeder Bursche,« sprach er, »kennt unsern Cleveland und baut auf seine Seemannskunst und seinen Mut; zudem läßt er den Grog nie die Oberhand gewinnen und hält immer alles in solcher Ordnung, daß es keinem Schiffe so leicht beikommt, den Kampf mit ihm aufzunehmen. Unser wackerer Kapitän Goffe aber,« fuhr der Bootsmann fort, »ist ja ein so rüstiger Seemann als je einer Zwieback aß, aber vor jedermann halt ich's aufrecht – hat er zuviel Grog an Bord genommen – seht, ich sag's ihm geradezu ins Gesicht – da treibt er so verdammte Späße, daß fast kein Auskommen mit ihm ist.« »Soll heißen, Ihr möchtet den wackern Kapitän Goffe auf die Weide jagen, nicht wahr?« nahm ein alter, in Sturm und Wetter ergrauter einäugiger Pirat das Wort, »hat er gleich so seine eigenen Launen und putzte er mir auch in seinem Spaß das eine Auge aus, bleibt er doch bei alledem ein so wackerer Seemann, als je einer das Deck beschritt; und so bleibe ich ihm denn, Gott verdamme mich! zur Seite, so lange noch meine andere Laterne leuchtet,« »Ihr laßt mich ja nicht aussprechen,« entgegnete Hawkins, »hört nur meinen Vorschlag: Cleveland soll Befehlshaber sein von ein Uhr nachmittags bis fünf Uhr morgens, denn in dieser Zeit ist Goffe stets betrunken.« Der Kapitän, von dem er sprach, legte den klarsten Beweis von der Wahrheit dieser Worte an den Tag, denn er stieß ein unverständliches Gebrüll hervor und versuchte, sein Pistol gegen den Vermittler Hawkins aufzuheben. »Nun, seht Ihr wohl,« rief Derrick, »da liegt er während der Beratung trunken da, wie einer der gemeinsten unserer Mannschaft!« – »Ja, ja!« rief Bunce, »wie Davids Sau auf freiem Felde, im Gesicht des Heers und des Senats!« »Aber dennoch,« fuhr Derrick fort, »wird es nimmer gut tun, zwei Hauptleute zugleich an einem Tage zu haben. Ich meine, wenn sie wöchentlich wechselten, wäre es besser – denn Cleveland könnte dann den Anfang machen.« »Hier gibt es noch manche, die so gut sind als beide,« sagte Hawkins, »doch ich habe nichts gegen Kapitän Cleveland, und glaube, er kann uns wieder auf das Fahrwasser helfen so gut wie ein anderer.« »Ja, ja!« rief Bunce, »und besser als irgend ein anderer wird er es verstehen, die Kirckwaller dort in Ordnung zu bringen, besser als sein nüchterner Vorgänger! – Hoch also, Kapitän Cleveland!« »Halt, ihr Herren,« rief Cleveland, der bis jetzt geschwiegen hatte, »Ich hoffe doch, ihr werdet mich nicht ohne meine Einwilligung zum Anführer wählen?« »Beim blauen Gewölbe des Himmels, das wollen wir; denn es ist pro bono publico!« entgegnete Bunce. »So hört mich wenigstens an!« sagte Cleveland – »ich willige ein, den Befehl des Schiffes zu übernehmen, weil Ihr es wünscht, und weil ich sehe, daß Ihr ohne mich hier nicht herauskommen werdet!« »Hoch also Cleveland für immer!« jubelte Bunce. »Ruhe! guter Bunce, ehrlicher Altamont,« gebot der Kapitän, – »ich übernehme den Befehl unter der Bedingung, daß, wenn ich das Schiff zu seiner Reise mit Proviant usw. versorgt habe, Ihr den Kapitän Goffe wieder in sein Amt ein- und mich irgendwo ans Land setzt, wie ich zuvor begehrte. – Ihr werdet dann überzeugt sein, daß ich Euch nicht hinter das Licht führen kann, denn ich werde bis zum Moment der Landung bei Euch bleiben.« »Ei, und noch länger als bis zum letzten Augenblick, beim blauen Himmelsgewölbe! oder ich verstehe mich schlecht darauf!« murmelte Bunce vor sich hin. Die Stimmen wurden jetzt gesammelt, und ein solches Vertrauen hatte die Mannschaft in Cleveland, daß die einstweilige Absetzung Goffes selbst unter seinen Anhängern nur geringen Widerspruch fand, die vernünftig genug waren, zu bemerken, daß er doch wenigstens hatte nüchtern bleiben sollen, um auf seine eigenen Angelegenheiten acht zu haben. Als aber der nächste Morgen kam und der trunkene Teil des Schiffsvolkes erfuhr, was man im Rate beschlossen hatte, von dem sie als Teilnehmer angesehen wurden, legten sie eine solche Ueberzeugung von Clevelands Verdiensten an den Tag, daß Goffe, so mürrisch und unzufrieden er auch war, es für ratsam hielt, für den Augenblick seine zornigen Gefühle zu unterdrücken, bis sich eine passendere Gelegenheit böte, sie laut werden zu lassen. Cleveland dagegen übernahm mutig, und ohne Zeit zu verlieren, das Geschäft, seine Gefährten aus der gefährlichen Lage zu ziehen, in der sie sich befanden. Zu diesem Ende ließ er ein Boot aussetzen, um ihn selbst, nebst zwölf der rüstigsten Burschen der Mannschaft, ans Land zu bringen. Sie waren sehr stattlich gekleidet, denn ihr schändliches Gewerbe setzte sie dazu vollauf in stand, auch waren sie mit Säbel und Pistolen, einige sogar mit Enterbeilen und Dolchen bewaffnet. Cleveland selbst trug ein blaues, mit karmesinroter Seide gefüttertes und mit Tressen besetztes Kleid, eine rote Damastweste und ebensolche Unterkleider, eine reich gestickte Sammetmütze mit weißer Feder; Schuhe mit roten Absätzen und weißseidene Strümpfe vollendeten seinen Anzug; dazu eine goldene Kette, an der, als Zeichen der Oberherrschaft, eine Pfeife von gleichem Metall hing. Außer einigen Pistolen im Gürtel trug er noch ein paar kleinere von feinster Arbeit in einer über die Schultern hängenden karmesinroten Schlinge oder Schärpe, Sein Säbel stimmte an Pracht mit seiner übrigen Kleidung überein, und seine schöne Gestalt paßte so vortrefflich zu dem Ganzen, daß er, als er auf dem Verdeck erschien, mit lautem Jubel von der Mannschaft empfangen wurde. Cleveland nahm in seinem Boote auch seinen Vorgänger Goffe mit, der ebenfalls reich gekleidet, aber mit einem weniger vorteilhaften Aeußern als Cleveland, wie ein bäurischer Tölpel in der Tracht eines Hofmannes oder fast mehr noch wie ein gemeiner Straßenräuber aussah, der sich mit dem Gewande des von ihm Ermordeten behängt hat. Das Kommando des Schiffes war unterdessen dem John Bunce übertragen worden, auf dessen Treue Cleveland, wie er wußte, bauen konnte, und dem er geheime Instruktionen für etwaige unerwartete Vorfälle gegeben hatte. Hierauf stieß das Boot ab. Als sie dem Hafen nahe waren, zog Cleveland eine weiße Flagge auf und sah nun deutlich, daß ihre Ankunft großen Lärm am Strande verursachte. Die Leute, fast sämtlich bewaffnet, liefen hin und her. Die Strandgeschütze wurden eilig bemannt und die englische Flagge entfaltet. Das waren höchst beunruhigende Zeichen, um so mehr, als Cleveland wußte, daß es in Kirkwall nicht an Matrosen fehlte, die sicher im Notfall auch den Dienst bei den Kanonen versehen konnten. All diese Dinge und Vorgänge scharf im Auge behaltend, steuerte Cleveland dem Ufer zu; vermutlich waren aber die dort versammelten Leute noch nicht recht über die Maßregeln einig, die sie ergreifen wollten; denn als das Boot den Strand erreicht hatte, traten diejenigen, die ihm gerade gegenüber standen, zurück und ließen ihn mit seinen Gefährten landen, ohne ihm Hindernisse in den Weg zu legen. Die Mannschaft ließ Cleveland am Strande Aufstellung nehmen bis auf zwei, die in dem Boote blieben. Die Kirkwaller aber, ihrem altnordischen Sinn treu, standen am Kai mit geschulter Waffe, den Räubern den Weg zur Stadt abschneidend. »Was bedeutet das, Bürger von Orkney?« rief Cleveland, »seid ihr Hochländer geworden, daß ihr so früh am Morgen schon sämtlich bewaffnet seid? Oder seid ihr am Strande postiert, mir zu salutieren, weil ich das Kommando über das Schiff übernommen?« Die Bürger sahen einander an, und einer entgegnete: »Wer Ihr seid, wissen wir nicht, der andere dort,« – dabei zeigte er auf Goffe – »war sonst als Kapitän am Lande.« »Mein Steuermann ist's; er führt das Kommando in meiner Abwesenheit,« antwortete Cleveland; – »aber wozu die Auseinandersetzung? Ich habe mit Eurem Stadtoberhaupt, oder wie Ihr ihn sonst nennt, zu reden.« »Das Stadtkollegium ist im Rathause versammelt,« erwiderte der Wortführer. »Um so besser.« rief Cleveland; »Platz gemacht, ihr Herren; ich will mit meinen Leuten dorthin.« Die Kirkwaller steckten flüsternd die Kopfe zusammen, manche unschlüssig, ob sie sich mit wilden Männern in einen vielleicht nutzlosen Kampf einlassen sollten, andere wohl dazu geneigt, doch der Einsicht nicht verschlossen, daß die Fremden viel leichter im Rathause oder in den engen Gassen, durch die der Weg führte, zu überwältigen seien als hier am Ufer, wo sie volle Bewegungsfreiheit hätten. Sie kamen also überein, ihrem Marsche zum Rathause nichts in den Weg zu legen. Dort aber drängten sie sich vorwärts, um sich unter die Piraten zu mischen und möglichst viele abzuschneiden und einzeln gefangen zu nehmen. Cleveland hatte solche Absicht aber vorausgesehen, und bevor er durch das Tor eintrat, ließ er vier von seinen Leuten, zur Straße hin, zu beiden Seiten desselben Posten fassen und die doppelte Anzahl unter die Bürgerschaft treten, um Ruhe unter ihr zu halten. Vor den wilden, sonnverbrannten Gesichtern und den gezückten Waffen der furchtbaren Gesellen wichen die Bürger zurück, und Cleveland trat mit dem Reste seiner Mannschaft in die Ratsstube, wo die Stadtobrigkeit, nur von wenigen Fronen umgeben, versammelt war. So jäh von der Bürgerschaft getrennt, die ihrer Befehle harrten, befanden sie sich eigentlich mehr in Clevelands Gewalt als dieser in der ihrigen. Die Stadtobrigkeit schien die Fährlichkeit ihrer Situation auch zu fühlen, denn in einiger Verwirrung steckten die ihr angehörigen Männer die Köpfe zusammen, als Cleveland sie wie folgt, anredete: »Guten Morgen, ihr Herren, – ich darf Wohl auf Friede und Freundschaft rechnen? Ich komme nur, um mit euch über den Proviant für mein Schiff zu sprechen, – ohne Mundvorrat können wir doch nicht in See stechen!« »Euer Schiff?« fragte der königliche Unterrichter, ein mutiger und verständiger Mann, »wie können wir wissen, ob Ihr der Kapitän seid?« »Seht mich an,« versetzte Cleveland, »und wenn Ihr noch Zweifel habt, so dürften sie zerstieben.« Der Richter musterte ihn, gelangte aber zu dem Ergebnis, daß es doch nötig sei, weitere Fragen zu stellen, und so fuhr er fort: »Nun, wenn Ihr wirklich der Kapitän seid, woher kommt Euer Schiff, und wohin geht es? Ihr habt zuviel von einem kriegerischen Seemann, als daß Ihr Kapitän eines Kauffahrers sein könntet, und doch wissen wir, daß Ihr nicht der britischen Marine angehört.« »Auch andere als britische Kriegsschiffe durchschneiden die See,« erwiderte Cleveland; »als Freifahrer aber bereit, Tabak, Branntwein, Wacholder und dergleichen gegen Salzfische und Felle einzutauschen, verspüre ich keinerlei Verlangen, mich so behandeln und mir für mein Geld Proviant verweigern zu lassen, wie es den Kirkwallern beliebt.« »In solchen Dingen allzu gewissenhaft zu sein,« sagte der Stadtschreiber, »ist unsre Sache nicht; denn wenn Leute unseres Schlages uns besuchen, machen wir es am besten wie der Köhler, als er auf den Teufel stieß – nämlich – lassen sie in Ruhe, solange sie uns in Ruhe lassen; – dort der Herr,« – hier zeigte er auf Goffe – »der vor Euch Kapitän war und es vielleicht nach Euch sein wird,« – (der Hasenfuß mag recht haben, murmelte Goffe) – »er weiß, wie freundlich wir uns benahmen, bis er und seine Leute wie eine Teufelsbande die Stadt zu durchstreifen begannen. – Dort steht einer! – Derselbe ist's, der meine Magd auf der Straße anhielt, als sie auf dem Heimwege die Laterne vor mir hertrug, und sie vor meinen Augen schlug.« – »Wenn es Euer Ehren beliebt,« sagte Derrick, auf den der Stadtschreiber gezeigt hatte; »ich war's nicht, der die Laterne beidrehte – das war ein andrer.« »Nun wer?« fragte der Richter. »Je nun,« entgegnete Derrick, indem er durch ein paar seemännische Verbeugungen den würdigen Stadtschreiber zu kopieren suchte – »ein ältlicher Mann war's – von holländischem Schnitt – wohlbeleibt – mit einer weißen Perücke und roten Nase, – Euer Gnaden ungemein ähnlich,« und zu einem seiner Kameraden gewandt, fuhr er fort: »Nicht wahr, Jack, der Bursche, der das hübsche Mädchen mit der Laterne küssen wollte, sah ganz aus wie der gestrenge Herr dort?« »Mein Seel', Tom Derrick, ich glaube, es ist ein und derselbe,« antwortete der Befragte. »Solche Unverschämtheit,« rief der Richter empört, »kann Euch teuer zu stehen kommen, Mann! Ihr habt Euch hier betragen, als befändet Ihr Euch auf Madagaskar oder in irgend einem Dorfe von Hinterindien. Ihr selbst, Kapitän, wenn Ihr anders Kapitän seid, habt noch gestern einen Auflauf veranlaßt. Proviant werdet Ihr nicht von uns empfangen, bis wir wissen, mit wem wir es zu tun haben. Hofft nicht, uns in Furcht zu setzen; wenn ich mit dem Schnupftuch zu dem Fenster neben mir hinauswinke, wird Euer Schiff in den Grund geschossen; vergeßt nicht, daß es unter den Kanonen unserer Batterie liegt!« »Und wie viele von Euren Kanonen sind in gutem Stande?« versetzte Cleveland aufs Geratewohl, überzeugte sich aber schnell von der betroffenen Miene des Richters, daß sich die Artillerie von Kirkwall tatsächlich nicht im besten Zustande befinden müsse. »Bitte, bitte, Herr Richter! wir lassen uns so wenig in Furcht jagen wie Ihr. Eure Kanonen möchten den armen Matrosen, die sie bedienen, mehr Schaden zufügen als unserer Schaluppe; wenn aber wir Eurer Stadt eine volle Ladung geben sollten, dann könnte das Küchengerät Eurer Weiber leicht in Gefahr geraten. Und was nun Eure Beschwerde betrifft, daß unsere Leute etwas lustig am Lande waren, ei nun! wann ist das je anders? Man hat mir gesagt, Ihr wäret ein verständiger Mann, und darum bin ich überzeugt, daß wir beide die Sache in fünf Minuten abmachen könnten, wenn wir uns allein besprächen.« »Nun gut denn,« erwiderte der Richter, »ich will hören, was Ihr zu sagen habt.« Cleveland folgte ihm in ein kleineres, inneres Gemach und redete ihn dort folgendermaßen an: »Ich will meine Pistolen beiseite legen, wenn Ihr Euch fürchtet.« »Verschont mich mit solchem Gerede,« entgegnete der Richter, »ich habe meinem Könige gedient und fürchte Pulverdampf so wenig wie Ihr.« »Dann um so besser,« sagte Cleveland, »denn Ihr werdet mich – um so kaltblütiger anhören, – Also angenommen, wir wären wirklich, was Ihr argwöhnt, oder sonst etwas Aehnliches, was anders als Schläge und Blutvergießen, um des Himmels willen, könnt Ihr dabei gewinnen, wenn Ihr uns zurückhaltet? Glaubt mir, in dieser Hinsicht sind wir besser verproviantiert als Ihr. Unser Verhältnis ist ja einfach genug. Ihr wollt uns los sein – wir wollen fort von hier, also gebt uns die Mittel dazu, und wir verlassen Euch auf der Stelle.« »Hört, Kapitän!« antwortete der Richter, »mich dürstet nach keines Menschen Blut. Ihr seid ein wackerer Gesell, wie ich zu meiner Zeit schon manchen Bukkanier gefunden, – aber deswegen wünschte ich Euch ein besseres Gewerbe. Unsere Magazine sollten Euch für Euer Geld offen stehen, wenn Ihr Euch aus diesen Gewässern entfernen wolltet; aber da steckt der Knoten. Die Fregatte Halkyon wird unverzüglich hier erwartet: wenn sie von Euch hört, wird sie Euch auf den Hals kommen. Denn auf nichts machen die Weißen Rabatten [die Uniform der englischen Seeoffiziere] lieber Jagd als auf Piraten. Träfen sie nun aber unsere gute Stadt Kirkwall im Einklang mit den Feinden des Königs, dann könnten wir uns auf eine tüchtige Buße gefaßt machen, und mir als dem Stadtoberhaupte ginge es unbedingt an den Kragen.« »Haha, ich sehe, wo Euch der Schuh drückt,« versetzte Cleveland; »wenn ich nun aber herum nach Stromneß lenkte? Da könnten wir alles, was wir gebrauchen, an Bord nehmen, ohne daß jemand was davon wüßte; und käme je etwas heraus, würde Eure Schwäche unserer überlegenen Macht gegenüber wohl Entschuldigungsgrund genug sein.« »Möglich!« antwortete der Richter, »wenn ich Euch aber anderswohin fahren lasse, so muß ich Sicherheit haben, daß Ihr dort kein Unheil anrichtet.« »Und wir,« versetzte Cleveland, »müßten Bürgschaft haben, daß Ihr uns nicht etwa hinhalten wollt, bis die Fregatte anlangt. Ich meinerseits bin bereit, als Geißel am Lande zu bleiben, wenn Ihr mir Euer Wort gebt, mich nicht zu verraten, und wenn Ihr dagegen eine Magistratsperson oder sonst einen Mann von Bedeutung an Bord sendet als eine Bürgschaft für uns.« Der Richter schüttelte den Kopf und meinte: es würde schwierig sein, jemanden zu finden, der sich in solche gefährliche Lage begeben wolle, er wolle aber mit denjenigen seiner Amtskollegen, denen sich ein so wichtiger Fall anvertrauen lasse, in Beratung treten. Sechzehntes Kapitel Als Cleveland mit dem Unterrichter in die Ratsstube zurückkehrte, erblickte er zu seiner nicht geringen Verwunderung unter den dort anwesenden Personen Triptolemus Yellowley, der, eben in Kirkwall anwesend, als Substitut des Lord-Kämmerers vom Rate aufgefordert worden war, der Sitzung beizuwohnen. Ohne sich aber dadurch in Verwirrung setzen zu lassen, erneuerte er sogleich die in Burgh-Westra mit ihm geschlossene Bekanntschaft, und fragte ihn, was ihn nach Orkney führe. »Meine eigenen kleinen Projekte, Kapitän. Ich mag mich mit den Wilden zu Ephesus nicht länger herumschlagen und wollte einmal sehen, wie es mit dem Acker steht, den ich ein paar Stunden von hier vor etwa Jahresfrist angelegt habe, und ob die Bienen fortkommen, von denen ich neun Körbe eingeführt habe, um Heidekraut in Wachs und Honig umsetzen zu lassen. »Aber,« fügte er, einen Blick um sich werfend, hinzu, »was ist's mit dem Gerede von Piratenvolk hier in der Stadt?« Die Wiederkehr des Richters enthob Cleveland der Antwort. »Wir haben beschlossen, Kapitän,« begann er, daß Euer Schiff nach Stromneß oder Scalpafleu herumlegen soll, um Proviant einzunehmen, damit kein weiterer Lärm zwischen den Marktleuten und der Mannschaft entstehe. Und da Ihr am Lande zu bleiben wünscht, um den Markt zu sehen, so wollen wir eine achtungswerte Person an Bord senden, die Euer Schiff durch das schwierige Fahrwasser steuern soll.« »Gesprochen wie ein verständiger Mann, und wie ich erwartet habe,« erwiderte Cleveland. – »Und welcher Ehrenmann wird sich statt meiner an Bord meines Schiffes begeben?« »Auch darüber sind wir einig,« sagte der Richter, »Ihr werdet leicht begreifen, daß schließlich manchem von uns, nach einer so angenehmen Reise in so guter Gesellschaft verlangt; aber zur Marktzeit hat jeder von uns vollauf zu tun – ich selbst kann mein Amt nicht im Stiche lassen – die Frau meines ältesten Kollegen liegt im Kindbett – der zweitälteste kann die See nicht vertragen, – zwei andere leiden an Podagra, – zwei sind abwesend, – und die übrigen fünfzehn Ratsmitglieder sind so dringend beschäftigt, daß sie unter keinen Umständen abkommen können.« »Ich habe darauf nichts zu erwidern, Herr Stadthauptmann,« sagte Cleveland, »als daß ich erwarte – –« »Einen Augenblick Geduld, Kapitän, mit Verlaub,« fiel ihm der Richter ins Wort – »aus all den Gründen, die ich nannte, sind wir zu dem Beschlusse gelangt, daß der würdige Herr Triptolemus Yellowley, Verwalter des Lord-Kämmerers dieser Inseln, als offizielle Person die Ehre und das Vergnügen Eurer Begleitung haben soll.« »Ich!« rief Triptolemus verblüfft, »was Teufel habe ich mit Euren Seeaffären zu schaffen, – mein Beruf hält mich auf trockenem Lande!« »Die Herren brauchen einen Steuermann,« flüsterte der Richter, »und solchen dürfen wir ihnen nicht verweigern.« »Still, still!« sagte der Richter, »Pate Sinclair soll Euch begleiten und zur Hand gehen; Ihr selbst sollt nichts weiter zu tun haben, als essen, trinken und guter Dinge sein.« »Essen und Trinken, das ist ganz schön und gut,« erwiderte Yellowley, außerstande zu begreifen, weshalb ihm dieses Amt so eifrig aufgedrungen wurde, aber auch nicht im stande, sich der ihm von den klügeren Richtern gelegten Schlinge zu entwinden ... »aber ich bin nicht seefester als Euer Kollege und habe zu Lande immer bessern Appetit.« »Still, still,« gebot der Richter aufs neue, »wollt Ihr Euer Ansehen ganz vernichten? ein Substitut des hochedlen Lord-Kämmerers von Orkney und Shetland, der die See nicht vertragen kann, wäre dasselbe wie ein Hochländer, der keinen Branntwein schlucken kann.« »Ihr müßt zum Schlusse kommen, ihr Herren,« fiel Kapitän Cleveland ein, »die Zeit drängt. – »Wollt ihr uns mit Eurer Gegenwart beehren, Herr Triptolemus Yellowley?« »Ich würde mich recht wohl dazu bereit erklären,« begann Yellowley – – – – – »bloß ...« »Er erklärte sich bereit, meine Herren,« schnitt ihm der Richter das Wort ab – und der gesamte Magistrat wiederholte dieselben Worte... Erstaunt und verwirrt, und noch immer außer stande zu begreifen, was um ihn her vorging und wie er zu solcher Rolle käme, blieb dem Lord-Kämmerlings-Substituten doch nichts weiter übrig, als sich zu fügen; und so wurde er von Cleveland der Schiffsmannschaft mit dem strengen Befehl übergeben, ihn mit aller Auszeichnung und Ehrerbietung zu behandeln. Goffe und die übrigen führten ihn unter allgemeinem Jubel ab; an der Tür aber versuchte der arme Kerl, als er sah, daß Cleveland, zu dem er noch immer das meiste Vertrauen hatte, zurückblieb, noch einmal Einspruch zu tun: – »Nicht doch, Herr Richter!« rief er aus, »nicht doch, ihr Herren; wenn Kapitän Cleveland nicht mit an Bord geht, so gilt der Handel nicht, und ich gehe nicht an Bord, wenn man mich nicht mit Stricken hinzieht.« Sein Einspruch ging aber in dem Chorus der Ratspersonen unter, die ihm für seinen Gemeingeist dankten, glückliche Reise wünschten und um seine baldige Rückkehr zum Himmel flehten; und auf solche Weise zum Schweigen gebracht, zudem einsehend, daß Fremde und Bekannte gewillt zu sein schienen, gemeinschaftliche Sache gegen ihn zu machen, ließ sich Triptolemus ohne weiteren Widerstand auf die Straße führen, wo die Mannschaft des Bootes einen Kreis um ihn schloß und langsam dem Strande zu sich in Bewegung setzte. Triptolemus fand nun Zeit, seine Begleiter zu mustern, deren Gesichter ihm nicht nur wilde Roheit, sondern finstere Rachsucht zu verraten schienen. Vor allem der alte Goffe, der seinen Arm wie in einem Schraubstock hielt und ihn von der Seite anschielte, wie der Adler seine Beute, wenn er sie mit dem Schnabel zerfleischen will, flößte ihm schreckliche Angst ein; endlich aber gewann seine Furcht so sehr die Oberhand, daß er seinem greulichen Führer in weinerlichem Tone zuflüsterte: »Wollt Ihr mich morden gegen alle göttlichen und menschlichen Gesetze?« »Verhaltet Euch still, wenn Ihr klug seid,« versetzte Goffe, der guten Grund hatte, die Angst seines Gefangenen zu steigern ... »ein ganzes Vierteljahr sind wir keinem Menschen zu Leibe gegangen ... weshalb erinnert Ihr uns daran?« . »Ihr spaßt hoffentlich nur, werter Herr Kapitän,« sagte Triptolemus, am ganzen Leibe zitternd; »das ist ja weit schlimmer noch als die Affäre mit der Hexe, dem Zwerge und den Dublonen; was um Himmels willen hattet. Ihr davon, mich zu morden?« »Ei nun, Spaß doch wenigstens,« antwortete Goffe. – »Da schaut einmal die Burschen an und sagt, ob einer darunter ist, der nicht danach aussähe, als schlüge er lieber einen Menschen tot, als daß er ihn laufen ließe? Doch mehr davon, wenn Ihr in unserm spanischen Bocke steckt, dem Ihr nicht anders entgehen werdet als durch Loskauf mit einer Handvoll spanischer Taler.« »Ach, gestrenger Herr Kapitän,« sagte Triptolemus bebend, »der mißgestaltete Zwerg hat mein ganzes Horn voll Silber mitgenommen.« »Die neunschwänzige Katze wird's Euch schon finden lehren,« brummte Goffe. »Kapitän,« erwiderte Triptolemus kräftig, »ich habe kein Geld – Erfindern und Reformern fehlt es gewöhnlich daran. – – Wir wandeln Weide in Acker um, Gerste in Weizen, Heideboden in Gartenland und Torfmoor in Grasland, selten aber ziehen wir Vorteil für unsere eigenen Tasche heraus.« »Gut, gut,« erwiderte Goffe. »Wenn Ihr wirklich so ein armer Teufel seid, als Ihr vorgebt, so will ich Euer Freund sein,« und das Haupt neigend, so daß Triptolemus' Ohr erreichen konnte, der angstvoll seiner Worte harrte, flüsterte er ihm zu: »Besteigt nicht das Boot mit uns, wenn Euch Euer Leben lieb ist.« »Wie aber soll ich fortkommen? Ihr haltet mich ja gepackt, so daß ich mich nicht losmachen konnte, selbst wenn die ganze Ernte von Schottland auf dem Spiele stände.« »Nun, dann hört, Ihr Simpel,« fuhr Goffe fort, »sind wir am Ufer und springen dann die Burschen ins Boot, um ihre Ruder zu nehmen, dann schleicht Euch herum, – ich lasse Euren Arm los – und Ihr rennt hinweg, als hättet Ihr Feuer unter den Sohlen.« Triptolemus tat, wie ihm geraten wurde; Goffe lockerte, wie versprochen, den Griff seiner Faust, und wie ein von einem Spieler mit Wucht geschleuderter Ball sauste der Lord-Kämmerlings-Substitut dem Städtchen zu, mit einer Geschwindigkeit, die ihn selbst und alle Zuschauer in Staunen setzte, die treue Versinnbildlichung des alten Sprichwortes: »Furcht macht Beine.« Er wurde auch nicht verfolgt; und wenn auch ein Paar Musketen angelegt wurden, ihm einen bleiernen Boten nachzusenden, so stellte doch Goffe, hier zum erstenmal in seinem Leben Friedensstifter, die Gefahren, die solcher Friedensbruch hervorbringen könne, so eindringlich vor, daß sich die Bootsmannschaft dazu verstand, von aller Gewalttätigkeit abzustehen und so schnell als möglich dem Schiffe zuzurudern. Die Bürger, die Triptolemus' Flucht als einen Triumph ihrer Sache ansahen, riefen dem Boote ein spöttisches Halloh nach, während der Magistrat über die augenscheinlichen Folgen dieses Bruchs der Uebereinkunft in große Besorgnis geriet; Cleveland aber, den der Magistrat in scharfer Haft hielt, um sich für jeden Schaden, den die Piraten anstiften möchten, schadlos zu halten, durchschaute leicht, daß Goffe keinen andern Grund, die Geißel laufen zu lassen, hatte, als ihm die volle Verantwortung für alle Folgen zuzuschieben; nicht im Irrtum darüber, daß er sich allein noch auf die Anhänglichkeit und Klugheit seines Freundes Jack Bunce oder Altamont verlassen durfte, sah er den kommenden Dingen nicht ohne Besorgnis entgegen. Siebzehntes Kapitel Magnus Troils stattliche Brigg hatte, außer ihrem Eigentümer, dessen liebenswürdiges Töchterpaar und den munteren Claud Halcro an Bord, der aus Freundschaft, und aus der, seinem poetischen Berufe eigentümlichen Liebe zur Schönheit, sie nach der Hauptstadt von Orkney begleitete, wohin sie Norna, um ihnen die volle Deutung ihrer Orakelsprüche zu geben, beschieden hatte. In knapper Entfernung von dem einsamen Endpunkt, die Fair-Insel genannt, die gleich fern von jeder Inselgruppe in dem Orkney von Shetland scheidenden Gewässer liegt, gelangten sie nach kurzem Aufenthalt durch widrige Winde bis zu dem Vorgebirge von Sanda, wo sie eine starke Strömung ziemlich weit von ihrem Kurs drängte, so daß sie sich genötigt sahen, sich an der Ostseite der Insel Stronsa zu halten und nachts im Papa-Sund beizulegen. Erst am andern Morgen setzten sie die Fahrt unter günstigern Aussichten fort und segelten um das Vorgebirge Lambhead auf Kirkwall zu. Eben hatte sich ihnen die herrliche Bai zwischen Pomona und Shavinsha eröffnet, und die Schwestern bewunderten die massive Kirche St. Magnus, die sich hoch über die andern Gebäude der Stadt erhob, als Magnus und Claud Halcros Blicke plötzlich von einem Gegenstand angezogen wurden, der größeres Interesse für sie hatte: einer bewaffneten Schaluppe, die mit vollen Segeln den Ankerplatz verlassen hatte und mit vollem Winde herantrieb, »Ein derbes Ding, bei den Gebeinen meiner Vorfahren!« rief der Udaller, »aber was für ein Landsmann es ist, darüber bin ich mir noch nicht klar, denn er zeigt keine Flagge. Spanische Bauart ist's, wie mich dünkt.« »Ja, ja,« entgegnete Claud Halcro, »so scheint's; die Schaluppe segelt mit dem Winde, gegen den wir kämpfen müssen; der gewöhnliche Lauf der Dinge!« Von der Schaluppe fielen, statt daß sie die Flagge gezogen oder angerufen hätten, zwei Schüsse, von denen der eine am Vorderteil des shetländischen Schiffes vorbeistrich, während der andere das große Segel traf. Magnus griff nach dem Sprachrohr und rief die Schaluppe an, wer sie sei, und was solcher Angriff zu bedeuten habe ... Als Antwort kam der ernste Befehl herüber: »Nieder mit dem Bramsegel – und mit Eurem großen Segel zum Mast. – Wer wir sind, sollt Ihr bald erfahren.« Gehorsam zu weigern, den eine volle Ladung im Nu erzwungen hätte, lag außer dem Bereich der Möglichkeit, und unter banger Furcht der Schwestern und des Sängers, unter Zorn und Staunen hingegen des Udallers, legte die Brigg bei, dem Gebote des Kapers gehorchend. Die Schaluppe setzte ein Boot aus, das mit sechs bewaffneten Männern, Bunce an der Spitze, auf die Prise losruderte. Als sie näher kamen, flüsterte Claud Halcro dem Udaller zu: »Wenn es wahr ist, was man von Bukkaniern gehört, so sehen jene Burschen mit den seidenen Westen und Schärpen ihnen ganz ähnlich.« »Meine Töchter! Ach, meine Töchter!« jammerte Magnus Troil mit aller Angst, die ein Vater zu empfinden vermag. – »Hinab mit euch, ihr Mädchen und verbergt euch, während ich...« Er schleuderte sein Sprachrohr fort und griff nach einer Pike, seine Töchter aber, mehr um ihn als um sich besorgt, hingen sich an ihn und flehten, bloß keinen Widerstand zu leisten. Claud Halcro vereinte seine Bitten mit den ihrigen und fügte hinzu: »daß es besser sei, die Bursche mit guten Worten zu besänftigen. Es könnten ja,« meinte er, »Dünkirchner oder sonst eine freche Kriegsbande sein, die sich einen lustigen Tag mache.« »Nein, nein!« entgegnete Magnus, »die Schaluppe ist's, von der der Hausierer gesprochen ...« Es blieb ihm nicht Zeit, zu sagen, was er sonst vorhabe, denn schon sprang Bunce, von seinen Leuten gefolgt, an Bord, schlug mit dem Säbel auf die Kajütenleiter und erklärte das Schiff für seine Prise. »Und mit welchem Rechte haltet Ihr uns auf offener See an?« fragte Magnus. »Mit dem Recht unserer Pistolen,« entgegnete Bunce, auf seinen Gürtel zeigend – »sucht Euch eine davon aus, alter Herr, und sie wird Euch sogleich unser Recht demonstrieren.« »Das heißt, Ihr überfallt uns räuberisch,« erwiderte Magnus; »nun, mag es sein; wir haben keine Mittel, es zu verhindern; betragt Euch wenigstens manierlich gegen die Frauen und nehmt von dem Schiffe, was Euch beliebt. – Viel an Wert ist nicht vorhanden, aber wenn Ihr uns gut behandelt, so kann und will ich ihn mehren.« »Höflich mit den Frauen?« fiel Fletcher ein, der sich unter der Schar befand; »versteht sich! und freundlich dazu – da schau mal her, Jack Bunce, was für ein kleines nettes Ding das ist! Beim Satan! sie soll einen Kreuzzug mit uns machen, mag aus dem Alten werden, was wolle.« Mit diesen Worten nahm er Brenda bei der einen Hand und schob frech mit der andern die Kappe des Mantels zurück, in den sie sich gehüllt hatte. »Hilf, Vater! – hilf, Minna!« rief das Mädchen, im Augenblick völlig vergessend, daß beide unfähig waren, ihr Beistand zu leisten, Magnus hob noch einmal die Pike, aber Bunce faßte seine Hand: »Ruhig, Alter!« gebot er, »oder Ihr brockt Euch eine schlechte Suppe ein. – Und Du, Fletcher, laß das Mädchen los!« »Und warum, beim Teufel, soll ich sie laufen lassen?« fragte Fletcher. »Weil Du es mit mir zu tun hast, wenn Du Dich weigerst,« antwortete Bunce. »Und nun, ihr schönen Mädchen, sagt mir, ist etwa eine unter euch, die den heidnischen Namen Minna trägt, für den ich eine gewisse Achtung hege? Zieht eure Kappen von den Gesichtern, ihr Schönen; niemand soll euch hier Leid zufügen. – Mein Seel', zwei herrliche Dirnen! – Hört ihr, Mädchen, welche von euch möchte sich wohl in der Hängematte eines Piraten schaukeln?« Die erschrockenen Schwestern klammerten sich fest aneinander und wurden blaß ob der frechen Worte des Wüstlings. »Nun, nun, fürchtet euch nicht,« fuhr Bunce fort, »keine soll unter Altamont dienen, wenn nicht aus freier Wahl. Bei uns Glücksrittern gilt kein Zwang. Schaut mich nicht so scheu an, als spräche ich von Dingen, an die ihr früher nie gedacht hättet. Eine von Euch wenigstens kennt Kapitän Cleveland den Piraten!« Brenda wurde noch bleicher, der armen Minna aber stieg das Blut in die Wangen, als sie den Namen ihres Geliebten so plötzlich nennen hörte. »Ich sehe, wie die Sachen stehen,« sagte Bunce mit vertraulichem Kopfnicken; »und werde demgemäß steuern. Ihr braucht nichts zu fürchten, Alter!« fuhr er, zu Magnus gewandt, fort, »habe ich mir gleich von manchem hübschen Mädchen schon Tribut zahlen lassen, so sollen die Euren doch ans Land kommen, ohne Kränkung oder Lösegeld.« »Wenn Ihr mir das versprecht,« sagte Magnus, »so heiße ich Euch zu dieser Brigg und ihrer Ladung ebenso willkommen, als es mir je ein Mann zu einer Bowle Punsch war.« »Eine Bowle Punsch ist nicht zu verachten,« rief Bunce, »hätten wir hier nur jemand, ihn zu bereiten.« »Ich will es in dieser Kunst,« rief Claud Halcro, »mit jedem aufnehmen, der Zitronen quetschte – Erik Scambester, den Punschbrauer von Burgh-Westra, allein ausgenommen.« »Den könnt ihr herumreichen, Mädchen,« sagte der Udaller, »steigt hinab und schickt uns den Alten mit der Punschbowle.« »Mit der Punschbowle?« wiederholte Fletcher; »mit dem Punscheimer, wollt Ihr sagen. Von Bowlen sprecht in der Kajüte eines armseligen Kauffahrers, nicht aber zu Piraten.« »Die Mädchen sollen auf dem Verdeck bleiben und mir die Kanne füllen,« sagte Bunce; »solche Dienstleistung soll mir wenigstens für meine Großmut werden.« »Und auch mir sollen sie den Krug füllen,« sagte Fletcher, »bis an den Rand, und einen Kuß will ich für jeden Tropfen, den sie verschütten.« »Daraus wird nichts, soviel sage ich Dir,« entgegnete Bunce, »verdammt will ich sein, wenn irgend jemand Minna küssen soll als ein einziger, – aber von uns beiden ist's keiner, und ihre kleine Gefährtin da soll, der Gesellschaft wegen, auch frei mit durchkommen, bereitwillige Dirnen auf Orkney gibt's doch genug' drum meine ich, wird es besser sein, wenn sich die Mädchen in die Kajüte begeben und einriegeln, während wir den Punsch auf Deck trinken al fresco, wie der alte Herr den Vorschlag machte.« »Hört, Jack,« fiel Fletcher ein, »seit zwei Jahren bin ich nun Euer Kamerad und habe immer zu Euch gehalten! aber Launen habt Ihr doch wie ein Affe. Womit, zum Henker, sollen wir uns die Zeit vertreiben, wenn Ihr die Dirnen wegschickt?« »Ei, der Punschbrauer,« antwortete Bunce, »soll Toaste ausbringen und Lieder singen. – An die Segel und Taue jetzt, ihr andern! die Brigg umgelegt – und Du, Steuermann hältst sie unter dem Hinterteil der Schaluppe! Versuchst Du es, uns einen Streich zu spielen, Kerl, so spalte ich Dir den Kopf wie einen Kürbis.« Das Schiff wurde demgemäß umgelegt und strich langsam hinter der Schaluppe her, die, wie man leicht begreifen wird, nicht zurück nach Kirkwall, sondern zu einem durch ein Vorgebirge einige Stunden östlich von Kirkwall gebildeten trefflichen Ankerplätze, Inganeß-Bai genannt, steuerte, wo die Schiffe sicher vor Anker liegen konnten, während die Räuber mit der Stadtobrigkeit neuerdings unterhandelten. Unterdes hatte Claud Halcro sein möglichstes getan, einen Eimer voll Punsch für die Piraten zu bereiten, den sie aus großen Kannen tranken, die sowohl das gemeine Volk, als auch Bunce und Fletcher, zurzeit die Seeoffiziere, ohne weitere Umstände in den Eimer tauchten, wenn sie wieder gefüllt werden sollten. Magnus war über die Mengen, die diese Desperados von dem Punsche zu sich nahmen, ohne daß es sie irgendwie zu stören schien, dermaßen erstaunt, daß er nicht umhin konnte, seiner Verwunderung darüber gegen Jack Bunce Ausdruck zu geben, der bei aller Verwegenheit und Wildheit doch am bescheidensten von allen zu sein schien. »Bei den Gebeinen St. Magnus!« rief er, »ich glaubte, bisher auch meine Kanne leeren zu können, wie ein tüchtiger Kerl; gegen euch alle aber komme ich mir vor wie ein Waisenknabe.« »Doch nun Euer Toast, Freund!« rief Bunce zu Halcro gewandt, »oder vielmehr Euer Lied ohne Toast, – ich habe so meinen eigenen; gut Glück allen Räuberklingen, und Trotz allen ehrlichen Leuten!« »Ich würde, wenn ich es verweigern könnte, solchen Toast um keinen Preis mittrinken,« sagte Magnus Troil. »Wie? Ihr rechnet Euch wohl gar zu den ehrlichen Leuten,« rief Bunce – »nennt mir Euer Gewerbe, und ich will Euch sagen, was ich davon denke. In Eurem Punschbrauer habe ich auf den ersten Blick einen Schneider erkannt, der also keine Ansprüche darauf hat, als ehrlich zu gelten; Euch aber halte ich für einen holländischen Schiffer, der in Japan das Kreuz mit Füßen tritt und seine Religion für ein Tagelohn verleugnet.« »Ihr irrt,« antwortete der Udaller, »ich bin ein alter Edelmann aus Shetland.« »Ei,« rief Bunce, »so seid Ihr aus dem gelobten Lande, wo die Flasche Wacholder nur vier Heller kostet und wo es nimmer Nacht wird.« »Zu Diensten, Kapitän,« entgegnete der Udaller, die Lust, den gegen sein Vaterland gerichteten Spott zu ahnden, mühsam bekämpfend. »Zu meinen Diensten!« wiederholte Bunce, »ja, liefe von einem Wrack ein Tau ans Land, da würdet Ihr zu meinen Diensten sein und es kappen, um das Strandrecht geltend zu machen, wenn Ihr mir nicht vielleicht gar den Schädel mit einer Axt einschlüget ... und das nennt Ihr ehrlich? Aber macht nichts, hier gilt mein Toast! – und Ihr, Meister Zwirn, singt mir ein Lied, doch sorgt, daß es an Güte Eurem Punsch gleiche.« »Mädchen, schön wie Sommerrose, Lausche meinem Versgekose,« stimmte Halcro an, zu seinem Genossen Arion flehend, daß er ihm helfe, das Gemüt des Piraten zu besänftigen. »Ich will weder von Mädchen noch von Rosen hören,« unterbrach ihn Bunee, »denn das erinnert mich an die Ladung, die wir an Bord haben, und ich will, beim Gottseibeiuns! Kameraden und Kapitän treu bleiben, so lange ich es kann, – drum will ich auch heut nicht mehr Punsch trinken – die letzte Kanne stieg mir schon zu Kopf, und ich habe nicht Lust, heute nacht den Cassio zu spielen, – trinke ich aber nicht mehr, so soll auch sonst niemand mehr trinken.« Mit diesen Worten stieß er den noch halbvollen Punscheimer um, sprang von seinem Sitze auf, schüttelte sich, rückte den Hut aufs Ohr und gab, gravitätisch auf und ab schreitend, durch Worte und Zeichen den Befehl, die Schiffe vor Anker zu legen. Der Udaller besprach sich unterdessen mit Claud Halcro über ihre Lage. »Die Sache steht schlimm genug,« begann der alte Normann, »das sind heillose Gesellen, aber ich würde sie dennoch nicht fürchten, wäre es nicht der Mädchen wegen. Der junge Luftikus, der das Kommando führt, scheint mir aber kein eingefleischter Teufel zusein.« »Er hat seltsame Launen,« meinte Claud Halcro, »und ich wollte, wir wären erst wieder aus seinen Händen. Einen Eimer halbvoll des besten Punsches, der je gebraut wurde, umzustoßen und mich in dem besten Liede zu unterbrechen, das je gedichtet wurde; – wahrlich, ich kann mir nicht denken, was er jetzt noch beginnen wird – ein solches Benehmen grenzt ja an Wahnsinn.« Aber auch Bunce und Fletcher bereiten über die Botschaft, die sie den Philistern zu Kirkwall senden wollten, und sie kamen über den folgenden Wortlaut überein: »Dem Stadtoberhaupt und der übrigen Obrigkeit von Kirkwall! Da ihr Herren, eurem gegebenen Versprechen entgegen, uns die Geißel nicht gesandt habt, die für die Sicherheit unseres am Lande zurückgebliebenen Kapitäns bürgen sollte, diene euch zur Nachricht, daß wir so nicht mit uns spielen lassen. Wir haben bereits eine Brigg in Besitz genommen, auf der sich als Eigentümer und Passagiere eine vornehme Familie von eurer Insel befindet; und so wie ihr mit unserm Kapitän verfahrt, werden auch wir in allen Hinsichten diese Familie behandeln. Doch soll dies nicht der letzte Tort sein, den wir eurer Stadt und eurem Handel spielen, sofern ihr nicht unverzüglich unsern Kapitän uns an Bord sendet und der Uebereinkunft gemäß uns mit Proviant versorgt. Gegeben am Bord der Brigg »Die Meergans« von Burgh-Westra, vor Anker in der Inganeßbai, und mit unserer Handschrift unterzeichnet.« Er unterschrieb Federigo Altamont und reichte den Brief dem Kameraden, der Bunces Unterschrift mühsam entzifferte und, von Bewunderung erfüllt für den wohllautenden Namen darauf schwor, daß er fortan auch einen andern Namen führen wolle, denn Fletcher klinge ganz abscheulich. Er unterschrieb demnach »Timotheus Tugmutton.« »Wollt Ihr nicht ein paar Zeilen hinzufügen für die Philister?« fragte Bunce, zu Magnus gewandt. »Nein!« antwortete der Udaller, selbst in so dringender Not unwandelbar in seinen Begriffen von Recht und Unrecht. »Der Stadthauptmann von Kirkwall wird seine Pflicht kennen, und wäre ich an seiner Stelle –« aber die Erinnerung, daß seine Töchter sich in der Gewalt der Räuber befänden, milderte den Trotz in seinen Blicken wie seinen Redefluß. »Hört, alter Herr,« rief Bunce, leicht begreifend, was in der Seele seines Gefangenen vorging, »Ihr habt da eine Halsstarrigkeit an Euch, für die manch anderer von meinem Gewerbe Euch die Ohren abschnitte und mit Paprika zum Mittagfraße röstete. Aber so grausam mag ich nicht sein. Widerfährt Euch aber oder den Mädchen schlechte Behandlung, so trifft die Schuld die Kirkwaller und nicht mich. Deshalb wär's gescheit von Euch, sie von Eurer Lage und Euren Verhältnissen zu unterrichten.« Magnus griff nun zur Feder, versuchte auch zu schreiben, aber die Hand versagte ihm den Dienst. »Ich kann's nicht,« rief er, »ich kann keinen Brief zustande bringen, und wenn unser aller Leben davon abhinge.« Zum Glück war Claud Halcro imstande, das Geschäft zu verrichten, zu dem sein Patron unfähig war. Er nahm die Feder und stellte mit wenigen Worten die Lage dar, in der sie sich befanden. Bunce überlas das Schreiben, das zum Glück seinen Beifall fand; als er aber den Namen Claud Halcro las, rief er voll Erstaunen: »Wie, Ihr wärt der kleine Kerl, der bei der Truppe des alten Gadabout zu Hogs-Norton die Geige strich? Ist mir doch Eure Redensart vom alten ruhmgekrönten John noch immer im Gedächtnis.« Augenblicklich erinnerte sich Claud Halcro, den die Entdeckung einer Goldmine nicht mehr beglückt hätte als dieses Wiedererkennen des jungen hoffnungsvollen Schauspielers, der als Don Sebastian in dem Stücke auftrat, worin er als erster (und, wie er hätte beifügen sollen, einziger) Geiger gewirkt hatte. »Ja, ja,« entgegnete Bunce, »ich hätte mich auf der Bühne wohl auch ausgezeichnet; aber ich war« (hier stampfte er mit dem Fuße auf das Verdeck) »vom Schicksal ersehen, andere Bretter zu betreten... Nun, alter Freund, ich will etwas für Euch tun – kommt her zu mir, ich will Euch solo haben.« – Sie lehnten sich über das Geländer, und Bunce sprach leise, mit mehr Ernst aber als gewöhnlich, zu dem Poeten: »Ich bin besorgt um die alte ehrliche norwegische Tanne, und nicht minder um seine Töchter, vornehmlich um das Schicksal der einen; und wenn ich auch ein wilder Geselle bin bereitwilligen Dirnen gegenüber, so spiele ich doch bei tugendhaften und unschuldigen Geschöpfen gern immer den Scipio in Numantia oder den Alexander im Zelte des Darius« Er zitierte die Namen mit solcher Salbung, daß Claud Halcro nachgerade fürchtete, er möge dem Punsche zu stark zugesprochen haben – und den Händedruck seines alten Bekannten deshalb nur sentimental erwiderte, ein nicht minder sentimentales »Ach!« dazu hervorstoßend. »Ihr habt recht, Freund,« fuhr Bunce fort, »das alles sind nur eitle Phantasiegebilde, und dem unglücklichen Altamont bleibt nichts übrig, als einem alten Bekannten jetzt Lebewohl zu sagen. Aber ich will Euch und die beiden Mädchen unter Fletchers Schutz ans Land setzen lassen: also ruft sie, und macht, daß sie fortkommen, eh' bei mir oder einem andern unserer Leute der Teufel an Bord steigt. Ihr selbst sollt dem Stadtoberhaupte mein Schreiben behändigen, seinen Inhalt mit Eurer Beredsamkeit unterstützen und die wohllöbliche Kirkwaller Obrigkeit zu versichern, daß, wenn sie Cleveland auch nur ein Haar krümmen, der Satan los gehen soll.« Mit stark erleichtertem Herzen stieg Halcro, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Kajütentreppe hinab, und an die Tür klopfend, konnte er vor Freude kaum Worte finden, seinen Auftrag auszurichten. Die Schwestern vernahmen mit unsäglicher Freude, daß sie ans Land gesetzt werden sollten, hüllten sich in ihre Mäntel und eilten, als sie hörten, daß das Boot bereit liege, auf das Verdeck, wo sie nun, aber zu ihrem großen Schrecken, vernahmen, daß ihr Vater in der Gewalt der Piraten an Bord zurückbleiben sollte. »Wir wollen auf alle Gefahr hin bei ihm aushalten,« sagte Minna, – »wir können ihm doch einigen Beistand leisten, wenn auch nur auf Augenblicke – leben wollen wir und sterben mit ihm,« – »Wir werden ihm nützlicher sein,« bemerkte Brenda, ihre Lage besser als ihre Schwester begreifend, »wenn wir die Leute in Kirkwall dazu bestimmen, in die Forderungen dieser Herrn zu willigen.« »Gesprochen wie ein verständiger und schöner Engel,« fiel Bunce ein; »und nun fort mit Euch, denn Gott verdamm mich, das hier ist ein ärgeres Ding als eine brennende Lunte in der Pulverkammer. Sprecht Ihr noch ein einziges Wort, weiß ich mein Seel' nicht, wie ich es anfangen soll, Euch fortzulassen.« »Geht in Gottes Namen, meine Töchter,« tröstete Magnus, »ich stehe in Gottes Hand, und wenn ich nur euch in Sicherheit weiß, werde ich meiner selbst wegen nur wenig besorgt sein. – So lange ich aber lebe und denken kann, werde ich sagen, der Herr da sei eines besseren Gewerbes wert! Geht nun, geht, macht, daß ihr fortkommt.« »Haltet euch nicht lange mit Küssen auf,« rief Bunce, »sonst mochte ich auch meinen Teil fordern. Hinein ins Boot mit euch – doch halt, noch einen Augenblick.« Er zog die drei Gefangenen beiseite – »Welcher wird für die übrigen einstehen; wer aber bürgt uns für ihn? wahrlich ich weiß kein anderes Mittel, als Herrn Halcro hier diese kleine Sicherheitsmaßregel anzuvertrauen.« Damit reichte er dem Poeten ein kleines doppelläufiges Pistol hin, das, wie er sagte, mit zwei Kugeln geladen sei: Minna bemerkte, wie Halcros Hand zitterte. »Mir gebt sie, Herr!« rief sie, die Hand nach der Waffe ausstreckend, »überlaßt es mir, mich und meine Schwester zu verteidigen.« »Bravo, bravo!« jubelte Bunce, »das ist eine Dirne, wert Clevelands, des Königs der Räuber!« »Cleveland!« wiederholte Minna, »kennt Ihr denn Cleveland, dessen Namen Ihr schon zweimal nanntet?« »Ob ich ihn kenne?« fragte Bunce; »lebt wohl ein Mensch, der den rüstigsten Seemann, der je das Verdeck betrat, besser kennte als ich? Wenn er erst wieder frei sein wird, so hoffe ich Euch bald am Bord als die Königin aller Meere zu sehen, die wir durchschneiden werden. – Ohne Zweifel versteht Ihr den kleinen Sicherheitsbürgen zu gebrauchen? Beträgt sich welcher schlecht gegen Euch, dann zieht mit dem Daumen das kleine eiserne Ding da auf, so! – und läßt er trotzdem nicht ab, so braucht Ihr nur mit Eurem hübschen Zeigefinger so zu machen, ... und ich bin um einen meiner besten Gefährten ärmer; aber er verdient auch, beim Teufel! den Tod, wenn er meinen Befehlen nicht Gehorsam leistet. Und nun ins Boot – doch halt, einen Kuß um Clevelands willen!« Brenda ertrug diese Galanterie mit Todesangst; aber Minna trat mit stolzem Blick zurück und reichte ihm die Hand. Bunce lachte, drückte mit theatralischem Anstände einen Kuß darauf . , . und nun gelangten die Schwestern hinter Halcro her endlich in das Boot, das unter Fletchers Kommando mit ihnen davon ruderte. Bunce sah ihnen eine Weile schweigend nach, sich an dem Gedanken werdend, daß es doch recht gut sei, auch einmal eine gute Tat ausgeübt zu haben, wäre es auch nur der Seltenheit wegen. Dann, sich zu Magnus wendend, fuhr er fort: »Meiner Sixen, schmücke Dinger sind's, Eure Töchter; die älteste machte selbst auf den Londoner Brettern ihr Glück! Mit welcher Verve sie das Pistol erfaßte! – und dann wieder das andere kleine, scheue, zitternde Wesen! fürwahr, ein treffliches Schauspiel hätten die beiden, Claud Halcro und ich, aufführen können ... ein Tor, daß ich nicht früher daran dachte!« Inzwischen verfolgte der Udaller, der Worte des Seeräubers nicht achtend, mit dem Fernrohr die Fahrt seiner Töchter zum Strande. Er sah sie landen und, von Halcro und einem andern Manne (vermutlich Fletcher) begleitet, die Höhe hinan die Straße nach Kirkwall einschlagen, ja er bemerkte sogar, daß Minna, die sich ohne Zweifel als Beschützerin ihrer Schwester betrachtete, von den andern sich ein Stück entfernt hielt, vermutlich um ihr wachsames Auge überall zu haben. Endlich, als der Udaller sie schon langsam aus dem Gesichte verlor, nahm er noch zu seiner Freude wahr, wie der Pirat sie nach kurzem Abschiede verließ und langsam zum Strande zurückkehrte. Der Vorsehung hierfür dankend, ergab sich der würdige Udaller demütig in sein Schicksal. Achtzehntes Kapitel Aber Fletcher hatte sich von Magnus Trolls Töchtern und ihrem Begleiter nicht sowohl freiwillig als vielmehr darum verabschiedet, weil von Kirkwall her ein Trupp Bewaffneter auf sie zuschritt. Das hatte Magnus Troil von seinem Standorte nicht sehen können, weil eine Anhöhe dazwischen lag: daraufhin aber hatte sich die von ihm bemerkte kurze Abschiedsszene abgespielt. »Halt!« rief sie, »ich befehle es Euch! – Sagt Eurem Anführer von mir, daß, wie auch immer die Antwort von Kirkwall lauten möge, er sein Schiff nach Stromneß segeln solle; und dort vor Anker soll er ein Boot nach Kapitän Cleveland ans Land senden, sobald er von der Brücke von Breisgar eine Rauchsäule emporsteigen sieht.« Fletcher hatte, wie sein Gefährte Bunce, wenigstens einen Kuß für seine Mühe begehren wollen, und vielleicht hätte weder die Annäherung der bewaffneten Kirkwaller noch Minnas Waffe seine Unverschämtheit im Zaum gehalten. Aber der Name seines Kapitäns, noch mehr aber Minnas gebieterisches Wesen hielten ihn in Schranken, und mit einer linkischen seemännischen Verbeugung kehrte er an Bord seines Bootes zurück. Halcro aber eilte mit den Schwestern den bewaffneten Männern entgegen, die ihrerseits, vermutlich um sie zu beobachten, auch stehen geblieben waren. Brenda, von Fletchers Gegenwart bisher in Schrecken gehalten, rief jetzt: »Barmherziger Gott, Minna, in welchen Händen haben wir unsern teuren Vater zurückgelassen!« »In den Händen tapferer Männer,« entgegnete Minna, »ich fürchte nichts für ihn.« »Tapfer immerhin,« fiel Claud Halcro ein, »aber darum nicht weniger gefährlich. – Ich kenne diesen Altamont, wie er sich nennt, als einen so ausschweifenden Wüstling, wie je einer die Bretter betrat.« Gleichviel!« entgegnete Minna, »je wilder die Wellen, desto mächtiger die Stimme, die ihnen gebietet. Der Name Cleveland allein reicht hin, den Kühnsten unter ihnen zu zähmen.« »Es tut mir leid um Cleveland, daß er solche Gefährten hat,« meinte Brenda, – »aber er kümmert mich wenig, wenn ich für meinen Vater besorgt sein muß.« »Spare Dein Mitleid für die, die seiner bedürfen,« erwiderte Minna, »und fürchte nicht für unsern Vater! – Gott weiß es, jedes Silberhaar auf seinem Haupte ist mir teurer als eine Goldmine; aber ich bin überzeugt, daß er auf jenem Schiffe in Sicherheit ist, und bald wieder wohlbehalten am Lande sein wird.« »Wollte Gott, wir wären erst so weit,« entgegnete Claud Halcro, »aber ich fürchte, die Kirkwaller werden Cleveland für dasjenige halten, was er ist, und es nicht wagen, ihn gegen den Udaller auszuwechseln. Die Shetländer haben auch gegen Hehler strenge Gesetze.« »Aber wer sind denn die dort auf der Landstraße?« fragte Brenda, »und warum mögen sie Halt gemacht haben?« »Eine Miliz-Patrouille ist's,« antwortete Halcro; »halten wohl, weil sie uns aus der Ferne für Männer aus der Schaluppe ansehen – aber jetzt – da sie Eure Weiberkittel erkannt haben, schreiten sie wieder vorwärts.« Die Patrouille kam heran. Wie Claud Halcro vermutet, sollte sie die Landung der Piraten verhindern. Nach kurzer herzlicher Begrüßung gab sie Halero und Magnus Troils Töchtern Geleit nach Kirkwall. Dort erfuhren sie, daß eine Fregatte, Halkyon mit Namen, vor der Duncansbai gesichtet worden sei. Das Schwesternpaar begab sich auf der Stelle zur Stadtobrigkeit, die Befreiung ihres Vaters zu fordern. »Herr Magnus Troil von Burgh-Westra,« antwortete das Stadtoberhaupt, »besitzt gewiß unser aller Wertschätzung in hohem Maße – und doch,« setzte er hinzu, »würde ich den Gesetzen verfallen, wenn ich dem Kapitän solches verdächtigen Schiffes deshalb die Freiheit gäbe, weil ein einzelnes Individuum durch Gefangenhaltung gefährdet wird. Wir wissen jetzt, daß dieser Mann Herz und Seele dieser Piraten ist, wie kann ich ihn also frei an Bord senden, damit er das Land plündere, oder wohl gar des Königs Schiffe bekriege? Frechheit genug besitzt er zu allem.« »Mut genug, Herr Richter, wollen Sie sagen,« erwiderte Minna, außerstande, ihren Unmut über solche Rede zu verschließen. »Nennt es, wie Ihr wollt, Jungfer Troil,« antwortete der Unterrichter, »nach meiner Meinung ist solcher Mut um nichts besser als Freiheit.« »Aber unser Vater?« rief Brenda, »unser Vater – der Freund, ja, ich kann sagen, der Vater seines Landes – wollt Ihr tatsächlich ihm die Hilfe versagen, indem Ihr einen unglücklichen Mann in Gefangenschaft haltet, statt ihn seinem Geschick zu überlassen, das ihn doch einmal ereilt?« Der Richter beschränkte sich auf den gleichen Bescheid wie vorher, »daß er keinem Individuum zuliebe, so ehrenwert es auch sei, seine Pflicht gegen den Staat verletzen könne.« »Du vergißt, Brenda,« sagte hierauf Minna sarkastisch, »daß Du Dich über die Sicherheit eines armen shetländischen Udallers mit keiner geringern als der ersten Magistratsperson der Hauptstadt von Orkney unterhältst. – Kannst Du verlangen, daß ein so wichtiger Mann sich herablassen solle, an solche Kleinigkeit zu denken? Der Herr wird reiflich in Erwägung ziehen, ob er die ihm vorgelegten Bedingungen anzunehmen habe oder nicht, und dazu gehört soviel Zeit, bis die Kirche von St. Magnus zusammengeschossen sein wird.« »Ihr mögt uns immerhin zürnen, schönes Mädchen!« entgegnete der gutmütige Mann, »aber die Kirche von St. Magnus hat schon manchen Tag gestanden und wird, so denk ich, Euch und mich, und gewiß auch jene Schar von Galgenvögeln überleben, die sich in so maßloser Weise erfrechen, unsere Inselflur zu bedrohen. Da Euer Vater so halb und halb zu Orkney gehört und hier Besitzungen und Verwandte hat, würde ich, mein Wort darauf, für ihn alles tun, was irgendwie in meinen Kräften stünde; aber meinem guten Willen sind Grenzen gesteckt, über die ich nicht hinaus darf. Wollt Ihr Eure Wohnung in meinem Hause aufschlagen, so werde ich mit meiner Frau Euch zeigen, daß Ihr in Kirkwall so willkommen seid, wie nur irgendwer in Lerwick oder Scalloway.« Minna würdigte die Einladung keiner Antwort, Brenda aber wies sie höflich zurück, da sie bei einer ihrer Verwandten, die sie bereits erwartete, absteigen müßten. Halcro machte noch einen Versuch, des Richters Sinn zu bewegen, dieser aber erklärte kurz und bündig, sich mit der Sache nicht weiter befassen zu können, da ein anderer Fall seine Aufmerksamkeit in Anspruch nähme. Ein gewisser Mertoun auf Jarlshof habe gegen den Hausierer Bryce Snailsfoot Klage erhoben, weil er einer Dienstmagd von ihm behilflich gewesen sei, Dinge von Wert zu unterschlagen, die ihm vom wirklichen Eigentümer anvertraut worden seien. Bis auf den Namen Mertoun hatte der Bericht für die Schwestern nicht das geringste Interesse; dieser aber traf Minnas Herz, als sie der Umstände gedachte, unter denen Mordaunt Mertoun verschwunden war, wie ein Dolchstich, während er in Brendas Seele tiefe Trauer weckte. Aber es erhellte bald, daß das Stadtoberhaupt nur von dem Vater des Jünglings sprach, und da Minna und Brenda an ihm nur geringen Anteil nahmen, verabschiedeten sie sich, um sich zu ihrer Verwandten zu begeben. Dort angelangt, bemühte sich Minna, so weit es, ohne Argwohn zu erregen, geschehen konnte, Erkundigungen über Clevelands Schicksals einzuziehen, dessen Lage, wie sie bald erfuhr, sehr bedenklich war. Zwar hatte ihn die Obrigkeit nicht, wie Claud Halcro anfangs vermutete, in engen Gewahrsam bringen lassen, aber er wurde unter scharfer Bewachung im sogenannten Königskastell gehalten, und durfte sich nur auf dem äußern Flügel der Kirche von St. Magnus, deren Ostseite jetzt allein noch für den Gottesdienst geeignet war, täglich eine Stunde ergehen. Unter trüben Gedanken, seiner Lage wie seinem Leben gewidmet, schritt Cleveland hier auf und ab; hatte sich seine Lage durch die Heftigkeit seines Temperaments doch so schlimm gestaltet, daß seinem Leben allem Anschein nach, obgleich es noch in seiner Blüte stand, ein gewaltsames, schmachvolles Ende drohte ... »Zu diesen Toten,« sprach er, auf die Gräber zu seinen Füßen blickend, »werde auch ich bald zählen – aber kein geweihter Priester wird seinen Segen über mich sprechen, – keine freundliche Hand eine Grabschrift fertigen, – kein stolzer Nachkömmling wird das Grab des Piraten Cleveland mit Wappenschildern schmücken. Meine modernden Gebeine werden in dem Galgeneisen, an irgend einem Strande oder auf einem einsamen Vorgebirge baumeln, und Strand und Vorgebirge werden meinethalben gefürchtet, gemieden, verflucht sein. Der alte Seemann wird, wenn er vorüberfährt, das Haupt schüttelnd, seine jüngern Gefährten warnend, von meinen Taten erzählen... Minna aber, Minna! was wirst Du denken, wenn Du dieses alles vernimmst? – Wollte Gott, die Nachricht davon sänke unter im tiefsten Strudel zwischen Kirkwall und Burgh-Westra, ehe sie Dein Ohr erreichte! – Hätten wir uns doch nicht erst noch begegnet, da wir uns nie mehr begegnen sollen!« Er erhob seine Augen, als er so sprach, und Minna Troil stand vor ihm. Ihr Gesicht war bleich, und ihr Haar hing in losen Locken herab; aber ihr Blick war ruhig und fest, und trug wie gewöhnlich das Gepräge erhabner Schwermut. Noch immer war sie in den weiten Mantel gehüllt, wie damals, als sie das Schiff verließ. Clevelands erste Empfindung war Erstaunen, sein nächstes ein von Angst nicht freies Entzücken. Er wollte aufschreien, sich ihr zu Füßen werfen; sie aber gebot ihm Schweigen und Ruhe. »Seid vorsichtig,« sprach sie, »denn wir werden beobachtet – draußen sind Menschen. – nicht ohne Mühe erhielt ich Einlaß. Ich darf hier nicht lange verweilen – man würde denken, – sie könnten glauben – ach, Cleveland! ich habe alles gewagt, Euch zu retten!« »Mich zu retten?« entgegnete Cleveland, »ach, arme Minna! unmöglich ist's, – Wohl mir, daß ich Euch noch einmal sah, wäre es auch nur, Euch auf immer Lebewohl zu sagen!« »So ist es; wir müssen uns Lebewohl sagen,« rief Minna; »das Schicksal und Eure Schuld haben uns auf immer getrennt. – Cleveland, ich sah Eure Genossen – brauche ich Euch mehr zu sagen, – muß ich Euch noch sagen, daß ich jetzt die Piraten kenne?« »Wie? Ihr wäret in der Gewalt jener Wüstlinge?« rief Cleveland, von Todesangst geschüttelt, – »wagten sie es etwa –« »Sie wagten nichts,« antwortete Minna, – »Euer Name wirkte auf sie wie ein Zauberspruch, seine Macht allein erinnerte mich an jene Eigenschaften, die ich einst an Cleveland schätzte.« »Ja,« rief Cleveland, »mein Name hat Gewalt über sie und soll sie auch ferner behalten. Hätten sie Euch auch nur durch ein einziges böses Wort gekränkt, sie sollten – aber was träume ich denn – ich bin ja Gefangener!« »Ihr sollt es nicht mehr lange sein,« entgegnete Minna; »Eure Sicherheit, meines Vater Sicherheit – alles, alles verlangt Eure augenblickliche Freiheit. Ich habe Pläne zu Eurer Rettung gemacht, die nicht fehlschlagen können. Der Tag beginnt sich zu neigen – hüllt Euch in meinen Mantel, und Ihr werdet ungehindert durch die Wachen schreiten, – ich habe ihnen die Mittel verschafft, beim Becher lustig zu sein, und jetzt eben sind sie fleißig dabei. Eilt zu dem See von Stennis, und verbergt Euch dort, bis der Tag anbricht; dann laßt eine Rauchsäule aufsteigen auf dem Punkte, wo das Land sich aus beiden Seiten in den See hineinstreckt und ihn bei der Brücke von Breisgar in zwei Hälften scheidet. Euer Schiff liegt nicht fern und wird ein Boot ans Land senden, – aber zögert keinen Augenblick.« »Aber Ihr, Minna! – wenn auch dieser kühne Plan gelänge, was wird dann aus Euch werden?« »Meinen Anteil an Eurer Flucht,« antwortete das Mädchen, »wird die Redlichkeit meiner Absicht vor den Augen des Himmels, die Befreiung meines Vaters aber, dessen Schicksal vom Eurigen abhängt, vor den Augen der Menschen rechtfertigen.« Sie erzählte ihm nun kurz die Geschichte ihrer Gefangennahme. Cleveland schlug die Augen empor und hob die Hände zum Himmel, für die Rettung der Schwestern aus den Händen seiner furchtbaren Genossen dankend; Ihr habt recht, Minna! fliehen muß ich um jeden Preis, um Eures Vaters willen. Hier also trennen wir uns, doch hoffe ich, nicht auf immer.« »Auf immer!« erklang da eine Stimme, dumpf wie aus einem Grabgewölbe hervor, Ihr Blut gerann, sie blickten sich um und starrten einander an. Es schien, als hätten die Echos des alten Gebäudes Clevelands Worte wiedergegeben, ein so feierlicher Klang wohnte ihnen inne, »Ja, auf immer!« wiederholte Norna vom Fitful-Head, hinter einer der alten Säulen vortretend, die das Gewölbe der Kathedrale trugen. »Der blutrote Fuß begegnete der blutroten Hand, – Wohl euch beiden, daß die Wunde geheilt ward, aus der jenes Blut floß – wohl für euch beide, doch am besten für den, der es vergoß! – Hier also sähet ihr euch wieder, und zum letztenmal!« »Nein, nein!« rief Cleveland, im Begriff, Minnas Hand zu erfassen, »mich von Minna zu trennen, so lange ich noch unter den Lebenden weile, vermag nur ihr Wille allein!« »Fort!« unterbrach ihn Norna, zwischen sie tretend, »fort mit solch törichtem Beginnen! – gebt keinen eitlen Träumereien von fernerem Wiedersehen Raum, – Ihr trennt Euch hier, und auf immer, – Der Habicht darf sich nicht mit der Taube paaren, – die Unschuld sich nicht mit der Schuld verbinden, Minna Troil, Du siehst diesen kühnen Verbrecher zum letztenmal, – Cleveland, nie erblickst Du Minna wieder!« »Und bildet Ihr Euch ein,« rief Cleveland empört, »daß Eure Mummerei mich zu täuschen imstande wäre, und daß ich zu jenen Toren gehöre, die Eure vorgebliche Kunst für mehr als Betrug halten?« »Haltet ein, Cleveland, haltet ein,« rief Minna, deren angeborene Ehrfurcht vor Norna durch das plötzliche Erscheinen derselben noch erhöht worden war. »Sie ist mächtig – allzu mächtig. – Und Ihr, Norna, bedenkt, daß meines Vaters Wohl von Clevelands Rettung abhängt.« »Ein Glück für Cleveland, daß ich daran denke,« entgegnete Norna – »und daß ich, zum Wohl des einen, hier bin, beide zu retten. Du aber, die Du kindisch meintest, seinen mächtigen Körper unter Deinem Mantel zu verbergen, sprich, welchen anderen Erfolg hätte solches Unternehmen haben können, als augenblickliche Kettenlast? Ich will ihn retten, will ihn sicher an Bord seiner Barke bringen. Aber diese Ufer muß er meiden und die Schrecken seiner finstern Flagge und seines noch schwärzeren Namens in andere Gegenden tragen; denn steigt die Sonne zum zweitenmal am Himmel auf und findet ihn noch vor Anker, so komme sein Blut über sein Haupt. – Blickt Euch noch einmal an und sagt Euch dann, wenn Ihr es könnt, Lebewohl auf immer.« »Gehorcht ihr,« stammelte Minna, »widersprecht nicht, – gehorcht ihr!« Cleveland faßte heftig Minnas Hand, und sie inbrünstig küssend, sprach er, aber so leise, daß nur sie es hören konnte: »Leb Wohl, Minna, aber nicht auf immer.« »Und nun fort, Mädchen!« rief Norna, »das übrige bleibe der Reimkundigen überlassen!« »Nur ein Wort noch,« sagte Minna, »und ich gehorche Eurem Gebote – sagt mir, habe ich den Sinn Eurer Worte recht verstanden? ist Mordaunt Mertoun gerettet und wiederhergestellt?« »Gerettet und wiederhergestellt; wehe sonst der Hand, die sein Blut vergoß,« sagte Norna. Minna schritt langsam zur Kirchenpforte, dann und wann hinter sich schauend auf die schattenähnlichen Umrisse Nornas und die stattliche soldatisch-seemännische Gestalt Clevelands, Als sie sich zum andernmal umsah, folgte Cleveland der Greisin, die langsam und feierlich auf einen Seitenflügel zuschritt. Als sie zum drittenmal sich umsah, waren ihre Gestalten verschwunden. Der Pforte an der Ostseite zueilend, durch die sie eingetreten war, horchte sie einen Augenblick und hörte, daß die Wachen außen miteinander schwatzten. »Das shetländische Mädchen,« sprach einer, »bleibt lange drinnen bei dem räuberischen Burschen. Hoffentlich haben sie sich über nichts anders zu besprechen als über ihres Vaters Auslösung.« »Ja, ja,« fiel ein zweiter ein, »hübsche Dirnen haben mehr Mitleid mit einem jungen behenden Piraten als mit einem sichern Bürger.« Hier wurde das Gespräch durch die Person unterbrochen, um die es sich drehte, und wie auf schlimmer Tat ertappt, rissen sie die Hüte vom Kopfe und verneigten sich ehrfurchtsvoll, sichtlich nicht ohne Verwirrung. Minna kehrte in ihre Wohnung zurück, zwar tief bewegt, aber im ganzen doch mit dem Erfolg ihres Ganges zufrieden, der, wie sie jetzt hoffen durfte, ihren Vater außer Gefahr setzte, sie selbst aber über Clevelands und Mordaunts Rettung beruhigt hatte. Sie eilte, Brenda von allem Nachricht zu geben, die sich mit ihr zu einem Dankgebet vereinigte. Spät abends kam Claud Halcro zu ihnen, um ihnen mit wichtiger, aber auch ängstlicher Miene zu berichten, daß der Pirat Cleveland aus der Sankt-Magnus-Kirche verschwunden sei und daß der Stadthauptmann wohl bald bei ihnen sein werde, um Minna zu befragen, was sie mit ihrem Besuche bei dem gefangenen Piraten bezweckt habe, und ob es auf Wahrheit beruhe, daß sie ihm zur Flucht verholfen. Minna hielt dem würdigen Herrn gegenüber damit hinter dem Berge, daß sie sich über Clevelands Flucht freue, weil sie darin das einzige Mittel sähe, ihren Vater zu retten, stellte aber mit aller Entschiedenheit in Abrede, daß sie irgend welchen unmittelbaren Anteil an seiner Flucht habe, sondern räumte nur ein, daß sie Cleveland in der Kirche vor mehr als drei Stunden in Gesellschaft einer dritten Person verlassen habe, deren Namen bekannt zu geben sie aber kein Recht habe. »Es liegt kein Anlaß für uns vor, Fräulein Minna, erwiderte der Richter, »auf einer genaueren Antwort zu bestehen, »denn obgleich wir heute niemand als Euch und den Kapitän Cleveland in die Sankt-Magnus Kirche haben gehen sehen, wissen wir doch recht gut, daß Eure Base, die alte Ulla Troil, von Euch Shetländern Norna vom Fitful-Head genannt, See und Land und Luft durchkreuzt hat, zu Boot, zu Pferde, und wer weiß, ob nicht vielleicht auch auf dem Besenstiel; auch ihren stummen Zwerg hat man umherschleichen sehen. Daraus schließe ich ohne weiteres, daß es die alte Norna war, die Ihr in der Kirche bei dem rebellischen Haudegen zurückließt; und ist dem so, dann mag ihn einfangen, wer Lust hat. Das wenigste, was Ihr, Eure Base und Vater jetzt noch tun könnt, besteht darin, Euren Einfluß auf den wilden Burschen geltend zu machen, daß er sich so bald wie möglich entferne, ohne der Stadt und unserm Handel Schaden zuzufügen. Gott weiß, ich will dem armen Jungen nicht ans Leben, und wenn seine Gefangenschaft den würdigen Magnus Troil von Burgh-Westra ins Unglück brächte, gäbe es wohl kaum jemand, der das tiefer bedauerte als ich.« »Ich merke, worum es Euch am meisten zu tun ist, Herr,« fiel Claud Halcro ein, »und ich kann für meinen Freund Troil wie für mich selbst einstehen, daß wir alles tun wollen, was in unsern Kräften steht, diesen Cleveland unverzüglich von der Küste weg zu bringen.« »Und ich,« sagte Minna, »will, wenn uns Halcro begleitet, morgen früh mit meiner Schwester nach Stennis hinüber, um meinen Vater, so wie er ans Land kommt, mit Euren Wünschen bekannt zu machen und mit ihm zusammen jenen Unglücklichen zum sofortigen Aufbruch zu bewegen.« Der Richter betrachtete sie mit einiger Verwunderung ... »Nicht jedes junge Mädchen,« sagte er, »möchte sich einer Piratenbande auf acht Stunden nähern.« »Wir laufen keine Gefahr,« fiel Claud Halcro ein, »das Haus von Stennis ist stark, und meine Base, der es gehört, hält Diener und Waffen drinnen – die jungen Mädchen sind dort ebenso sicher wie in Kirkwall; viel Gutes aber kann aus dieser baldigen Zusammenkunft des Udallers mit seinen Töchtern erwachsen. Und so freut es mich denn, auch hier die Worte des ruhmgekrönten John bewährt zu sehen: Nach hartem Kampf hat doch der Mensch den Richter überwunden.« Der Stadthauptmann lächelte, nickte und versicherte, daß er sich sehr glücklich schätzen werde, wenn der Glücksritter mit seinem wilden Haufen Orkney ohne weitere Gewalttätigkeit verließe; ihre Verproviantierung, sagte er, dürfe er nicht anordnen, aber zu Stromneß würde man ihnen, sei es aus Furcht oder weil man ihnen unter die Arme greifen wolle, gewiß mit Vorräten aufwarten. Darauf verabschiedete er sich von Halcro und den Mädchen, die sich am nächsten Morgen nach Stennis, das am gleichnamigen Seearme, etwa vier Stunden von der Rhede von Stromneß, wo das Piratenschiff ankerte, gelegen war, begaben. Neunzehntes Kapitel Norna war nach dem Wahrsagespiel zu Burgh-Westra durch eine geheime Wandtür entwichen, die außer ihr nur Magnus kannte, und auch Cleveland fand jetzt Gelegenheit, ihre Klugheit, Umsicht und Beschlagenheit zu bewundern. Auf einen starken Druck ihrer Hand tat sich unter dem reichen hölzernen Schnitzwerk in der Wand, die den östlichen Flügel von dem übrigen Teil der Kathedrale trennt, eine Tür auf, die in einen engen, gewundenen Gang führte. Sie winkte Cleveland ihr zu folgen und die Tür hinter sich zufallen zu lassen. Er gehorchte und schritt in der Dunkelheit schweigend hinter ihr her, bald ein paar Stufen hinab, deren Zahl ihm Norna zuvor nannte, bald wieder Stufen hinauf und um zahlreiche Ecken herum. Die Luft war frischer, als sich hätte erwarten lassen, infolge zahlreicher unsichtbarer Luftlöcher, die in die Wände des Ganzen geschlagen waren. Endlich schob Norna eine Bretterwand beiseite, und nun traten sie in ein altes, armseliges Gelaß, das nur ein Gitterfenster und eine hölzerne Sparrendecke hatte. Was von Gerät darin vorhanden gewesen, war völlig zerstört; ein paar verblichene Bänder, wie sie zum Aufputz für Schiffe von Walfischjägern benutzt werden, auf der einen und ein Schild mit Wappen und Grafenkrone auf der andern Seite bildeten den einzigen Schmuck. Hacke und Grabscheit in einer Ecke, und ein alter Mann in ärmlicher schwarzer Tracht, der an einem Tische saß und in einer alten Scharteke las, ließen darauf schließen, daß sie sich in der Wohnung des Totengräbers befanden. Der alte Mann stand auf, als er Norna und Cleveland eintreten sah, und zog ehrfurchtsvoll, doch nicht verwundert, den Hut von den dünnen, grauen Locken. Unbedeckten Hauptes, mit einem Ausdruck tiefer Demut, stand er vor Norna da. »Sei treu,« sprach diese zu ihm, »und hüte Dich, irgend einem Sterblichen diesen geheimen Pfad zu zeigen.« Der Greis verbeugte sich zum Zeichen des Gehorsams; mit zitternder Stimme gab er der Bitte Ausdruck, Norna möge seines Sohnes gedenken, der sich auf einer Fahrt nach Grönland befinde, damit er glücklich und wohlbehalten zurückkehre wie im vorigen Jahr. »Mein Kessel soll sieden, und meine Reime für ihn ertönen,« antwortete Norna, »ist Pacolet mit den Pferden draußen?« Der Alte nickte. Darauf schritt Norna, Cleveland winkend, durch eine Hintertür des Gelasses in ein Gärtchen, das die gleiche Zerstörung aufwies wie das Gelaß, das sie eben verlassen hatten. Durch eine niedrige, zerfallene Mauer gelangten sie in einen größern, aber ebenfalls wüsten Garten, von wo eine Pforte in eine enge, lange Gasse führte, die sie, nachdem Norna ihrem Gefährten zugeflüstert, daß hier allein Gefahr drohen könne, passierten. Es war inzwischen dunkel geworden, und die Bewohner der an beiden Seiten gelegenen armseligen Hütten hatten schon das Innere aufgesucht. Nur ein Weib sahen sie in einer Tür stehen; aber es schlug ein Kreuz und verschwand eilig, als es Nornas ansichtig wurde. Der Gang führte auf freies Feld, wo Nornas Zwerg hinter der Mauer einer verlassenen Hütte mit drei Pferden auf sie wartete. Norna schwang sich auf das eine, Cleveland auf das zweite, während Pacolet auf dem dritten folgte. Nach einstündigem Nachtritt unter Nornas Führung hielten sie vor einer Hütte, die aber so verfallen war, daß sie eher wie ein Stall als wie eine menschliche Wohnung aussah. »Hier müßt Ihr bis zum Morgen warten, damit Euer Signal vom Schiffe gesehen werden kann,« sagte Norna, die Pferde dem Zwerge in Obhut gebend, und trat in die armselige Hütte, steckte die kleine Eisenlampe an, die sie gewöhnlich bei sich führte, und sagte: »Ein elender, aber sicherer Zufluchtsort. Falls man uns bis hierher verfolgen sollte, würde die Erde sich öffnen und uns in ihrem Schlunde aufnehmen, noch bevor man Hand an Euch legen könnte. Wißt, daß dieser Boden hier den Göttern von Alt-Walhalla geweiht ist! Und nun sprich, Mensch des Unheils und des Blutvergießens, bist Du Freund oder Feind von Norna vom Fitful-Head, der einzigen Priesterin dieser jetzt verachteten Gottheiten?« »Wie könnte ich Euer Feind sein?« entgegnete Cleveland, – »Dankbarkeit –« »Dankbarkeit,« unterbrach ihn Norna, »ist nur ein Wort und Worte sind Münzen, mit der sich Toren von Schurken bezahlen lassen; Norna aber fordert Taten – Norna begehrt Opfer –« »Sagt, was Ihr fordert, Mutter!« »Ich fordere das Versprechen von Euch,« antwortete Norna, »nie einen Versuch zum Wiedersehen mit Minna Troil zu machen, sondern diese Küste in vierundzwanzig Stunden zu verlassen.« »Das ist unmöglich,« versetzte Cleveland, »die Schaluppe läßt sich so schnell nicht verproviantieren.« »Und doch ist dies der Fall! Ich werde Euch selbst mit allem versorgen; Caithneß und die Hebriden liegen nicht fern von hier – und so könnt Ihr fort, sobald Ihr wollt.« »Und weshalb muß ich, wenn ich nicht will?« fragte der Kapitän. »Weil,« antwortete Norna, »längerer Aufenthalt anderen Gefahren bringt und Euch selbst zu Grunde richten würde. Von dem ersten Augenblick an, da ich Euch leblos am Strande unter der Klippe vom Sumburgh-Head liegen sah, las ich in Eurem Antlitz Zeichen, die Euch mit mir und denen, die mir teuer, verband; ob aber zum Guten oder zum Bösen, lag meinem Auge verborgen. Ich half Euer Leben retten – Euer Eigentum bewahren, – Ich half auf diese Weise demselben Jüngling, dessen heiligsten Empfindungen Ihr durch Klatsch und Verleumdung zu nahe tratet.« »Wie? ich hätte Mordaunt verleumdet,« rief der Kapitän. »Beim Himmel, sein Name ist auf Burgh-Westra, wenn Ihr anders dahin zielt, kaum über meine Lippen gekommen. Der Landstreicher Bryce Snailsfoot hat, wohl um sich bei mir einzuschmeicheln, dem alten Udaller Dinge hinterbracht, die dann von der ganzen Insel Bestätigung fanden. Ich aber habe in ihm kaum einen Nebenbuhler erblickt, sonst hätte ich einen ehrenvollern Weg eingeschlagen, seiner los zu werden.« »Suchtet Ihr den ehrenvollem Weg vielleicht mit Eurem Dolche?« fragte Norna mit tiefem Ernste. Cleveland schlug das Gewissen; bestürzt schwieg er einen Augenblick, ehe er erwiderte: »Damals tat ich unrecht, aber er ist, Gott sei Dank, hergestellt und soll eine ehrenvolle Genugtuung erhalten.« »Cleveland!« unterbrach ihn die Wahrsagerin, »der Böse, der Euch zu seinem Werkzeuge gebraucht, ist mächtig; aber vor mir soll er sich hüten. Ihr besitzt jenes finstere Temperament, das den dunklen Gewalten von nöten, jenen grenzenlosen Hochmut, den Euresgleichen Ehre nennen. Und wie Ihr selbst, so war Euer Lebenslauf: unaufhaltsam, unbändig, blutig und stürmisch. Von mir aber soll er in andere Bahn gelenkt werden,« fuhr sie fort, ihren Stab gebieterisch ausstreckend; »selbst wenn der Dämon, der über ihn herrscht, sich in diesem Augenblick in all seinen Schrecken zeigt.« Cleveland lachte verächtlich ... »Gute Mutter,« sprach er, »bewahrt solche Worte für die Matrosen auf, die von Euch günstigen Wind begehren, oder für den armen Fischer, der um guten Fischfang fleht. Furcht und Aberglauben bin ich unzugänglich; ruft Euren Dämonen hervor, wenn Ihr einem solchen gebietet, und stellt ihn mir gegenüber. Der Mann, der jahrelang mit eingefleischten Teufeln lebte, kriecht vor keinem körperlichen Satan ins Mauseloch.« Mit hohler, zitternder Stimme fragte sie erschüttert: »Und wofür haltet Ihr mich, wenn Ihr die Macht bestreitet, die ich so teuer erkaufte?« »Ich glaube, daß Ihr auf dem Strome der Begebenheiten zu steuern versteht, aber ich leugne Eure Macht, seinem Laufe zu gebieten. Verliert darum keine Worte, Schrecken auszumalen, gegen die ich fühllos bin, sondern sagt mir lieber, weshalb Ihr meine Entfernung verlangt?« »Weil ich nicht will, daß Ihr Minna wiedersehen sollt,« antwortete Norna trotzig, – »weil Minna dem Jüngling als Braut bestimmt ist, der vor den Menschen den Namen Mordaunt Mertoun führt .. und weil Euch, wenn Ihr nicht binnen vierundzwanzig Stunden von hinnen seid, Verderben erfassen wird. In diesen schlichten Worten liegt keine übernatürliche Täuschung – doch eben so schlicht sei Eure Antwort.« »In schlichten Worten also gesagt,« versetzte Cleveland, »lautet mein Bescheid: ich will diese Inseln nicht verlassen, wenigstens nicht, bis ich Minna Troil wiedergesehen habe; und nie, so lange ich lebe, soll Euer Mordaunt sie besitzen.« »Höre ihn an, Mächtiger,« rief Norna; »höre, wie ein Sterblicher die Mittel zur Lebensrettung verwirft – höre, wie ein sündhaftes, verbrecherisches Wesen sich weigert, die Zeit zu nützen, die ihm das Schicksal zu Reue und Rettung bietet!« »Mutter,« antwortete Cleveland fest, aber nicht ohne einen Schimmer von Rührung, »zum Teil verstehe ich Eure Drohungen. Mehr als ich wißt Ihr von dem Kurs der Fregatte Halkyon; vielleicht habt Ihr die Mittel, ihren Lauf hierher zu leiten; und doch will ich selbst auf diese Gefahr hin auf meinem Vorsatz beharren. Kommt die Fregatte her, so haben wir noch Untiefen genug, auf die wir uns verlassen können, und ich denke, mit Booten werden sie uns nicht angreifen, als ob wir eine spanische Schebecke wären. Deshalb bin ich entschlossen, noch einmal die Flagge aufzuziehen, unter der ich kreuzte; noch einmal die tausend Zufälle zu benutzen, die uns schon aus größerer Not retteten, das Schiff zu verteidigen bis auf den letzten Mann und, wenn dennoch alles verloren, das Pistol in die Pulverkammer zu feuern, um so zu sterben, wie wir gelebt haben.« Totenstille herrschte in der Pause, die Cleveland jetzt machte; dann fuhr er in sanfterem Tone fort: »Ihr habt meine Antwort gehört, Mutter; laßt uns nicht weiter streiten, sondern in Frieden scheiden. Gern möchte ich Euch ein Andenken zurücklassen, damit Ihr des armen Jungen nicht vergäßet, dem Eure Dienste von Nutzen waren und der, wie feindlich Ihr auch gegen ihn gestimmt seid, nicht unfreundlich von Euch scheidet. Schlagt es mir nicht ab, die Kleinigkeit hier anzunehmen,« – mit diesen Worten versuchte er, Norna jene kleine silberne Dose aufzudringen, die einst Anlaß zum Streit zwischen ihm und Mordaunt gegeben; »das bißchen Metall hat keinen Wert, nur eine Erinnerung soll sie Euch sein an den, dessen Fahrten und Züge in manchem Seemannsgarn versponnen werden dürften, wenn wir beide längst nicht mehr auf Erden wandeln.« »Ich nehme Eure Gabe an als einen Beweis, daß, wenn ich in Euer Schicksal eingriff, ich es nur als willenlose Handlangerin anderer Mächte tat. Wohl hattet Ihr recht, dem Strom der Begebenheiten, der uns vorwärts treibt, steuern wir nimmer; gleich wie die Wogen und Wellen, trotz Steuer und Ruder, mit dem mächtigsten Schiffe nur gewaltsames Spiel treiben! – Pacolet,« rief sie lauter, »halloh, Pacolet!« Ein großer Stein, der neben der Wand der Hütte lag, hob sich, und zu Clevelands Erstaunen wand sich der mißgestaltete Zwerg wie ein ungeheurer Wurm aus einem unterirdischen Gange hervor, dessen Eingang der Stein bedeckt gehalten hatte. »Solcher unterirdischen Pfade,« sprach Norna, »finden sich viele auf unserer Inselflur, – sie waren die Zufluchtsorte der einstigen Bewohner vor den Normannen, den Piraten jener Tage. Sollten Eure Verfolger bis hierher dringen, so könnt Ihr Euch entweder im Innern der Erde verbergen, bis die Gefahr vorüber ist, oder durch den Eingang am See entfliehen, durch den Pacolet zu uns kam. – Und nun, lebt wohl, gedenkt dessen, was ich zu Euch sprach! So gewiß Ihr noch jetzt atmet, so gewiß ist Euch das Ziel gesteckt, wenn Ihr nicht binnen vierundzwanzig Stunden die Klippe von Burgh-Westra umschifft habt.« »Lebt Wohl, Mutter!« antwortete Cleveland, während sie ihn mit einem Blick verließ, der im Schein der Lampe ein Gemisch von Kummer und Unwillen zeigte. Diese Zwiesprach hinterließ selbst bei Clem Cleveland, an so schreckliche Gefahren und furchtbare Szenen er auch gewöhnt war, einen mächtigen Eindruck und vergebens bemühte er sich, ihn von sich zu schütteln. Tausendmal beklagte er, daß er die Ausführung des oft gefaßten Entschlusses, sein furchtbares Gewerbe zu verlassen, bis jetzt verschoben habe, und fest stand nun bei ihm, sobald er Minna Troil noch einmal gesehen, wäre es auch nur, um ihr ein letztes Lebewohl zu sagen, der Vorsatz, die Schaluppe zu verlassen, so bald seine Gefährten aus ihrer gefahrvollen Lage befreit wären, und beim König Begnadigung nachzusuchen, um sich auf einer ehrenvolleren Laufbahn auszuzeichnen. Dieser Entschluß wirkte beruhigend auf sein wilderregtes Gemüt; und in seinen Mantel gehüllt, genoß er endlich eine Zeitlang jenen unvollkommenen Schlummer, den die erschöpfte Natur als ihren Tribut selbst von denjenigen fordert, die sich auf dem Gipfel der furchtbarsten Gefahr befinden. Als Cleveland erwachte, war die graue Morgendämmerung in das Zwielicht einer orkadischen Sommernacht übergegangen. Er stand am Rande einer herrlichen Wasserfläche, die nicht fern von dem Orte, wo er geruht, fast in zwei gleiche Hälften durch zwei Erdzungen getrennt wurde, die sich von beiden Seiten in die See hineinstreckten und gewissermaßen durch die Brücke von Breisgar vereint wurden. Der Brücke gegenüber erhob sich jener merkwürdige Halbkreis von mächtigen, aufrecht stehenden Steinen, der bis auf jenes unvergleichliche Monument zu Stonehenge, selbst in Britannien keinen Nebenbuhler hat, viele aber der mächtigen Blöcke, von denen ein jeder wenigstens zwölf, viele vierzehn bis fünfzehn Fuß hoch waren, standen in grauer Morgendämmerung rund um den Piraten her, gleich Geistergestalten von Riesen, die vor der Sündflut gelebt und jetzt bei dem bleichen Lichte die Erde wieder aufsuchten, über die sie durch schwere Sünden endlich die Rache des langmütigen Himmels herbeigezogen hatten. Cleveland wurde so weniger von diesem Denkmal grauen Altertums, als von dem fernen Anblick von Stromneß angezogen. Er verlor keine Zeit, mit seinem Pistol Feuer zu schlagen und nasses Farnkraut in Brand zu setzen, um das verabredete Zeichen zu geben. Auf der Schaluppe hatte man desselben mit Sehnsucht gewartet; denn Goffes Unfähigkeit trat mehr und mehr zu Tage, und selbst seine eifrigsten Anhänger hielten es für geraten, sich unter Clevelands Befehl zu stellen. Bunce, der mit dem Boote kam, den Freund abzuholen, sang, sprang und jubelte vor Freude; »mit Verproviantierung,« rief er, »sei schon der Anfang gemacht, und man wäre schon weiter damit, wenn nicht der alte Trunkenbold Goffe immer nur für seinen Grog Sinn gehabt hätte.« Clevelands erste Handlung an Bord war, dem greisen Udaller durch Bunce zu verkünden, daß er mit seiner Brigg frei sei, – ja, daß ihm für die Störung und den Aufenthalt jeder Schadenersatz gewährt werden solle, der in der Macht der Piraten stände. Der Udaller entließ Bunce mit der Antwort: »Sagt Eurem Kameraden, daß es mir lieb sein solle, wenn jedermann, den er auf offener See anhielte, nicht schlechter behandelt werde als ich; sagt ihm auch, daß wir, wenn wir Freunde bleiben wollen, es nur von ferne sein können; denn ich liebe den Schall seiner Kanone zur See ebensowenig, wie er zu Lande den Pfiff einer Kugel aus meiner Büchse; kurz, sagt ihm, daß es mir leid täte, mich in ihm geirrt zu haben, und daß er besser getan hätte, den Spaniern zur Last zu fallen als seinen Landsleuten.« »Und das ist Eure ganze Antwort, alter Hitzkopf?« fragte Bunce, – »hol mich der Teufel, wenn ich nicht große Lust habe, Euch einen Denkzettel zu geben und Respekt für uns Glücksritter beizubringen; – aber ich will es unterlassen, und zwar um Eurer hübschen Töchter willen, auch um meines alten Freundes Claud Halcro willen, dessen Gesicht mich wieder ganz an die Kulissen und Lampenlicht erinnerte. Und so lebt wohl, Gevatter Seehundsmütze! alles zwischen uns ist nun im reinen.« Kaum war das Boot fort, als Magnus seine Brigg unter Segel brachte, und da der Wind mit dem Aufsteigen der Sonne günstiger und stärker wurde, ließ er alle Segel nach Scalpaflow aufziehen, in der Absicht, sich von dort zu Lande nach Kirkwall zu begeben, wo er seine Töchter und Claud Halcro zu finden hoffte. Zwanzigstes Kapitel Die Sonne stand hoch am Himmel, und die Boote waren emsig beschäftigt, vom Ufer den versprochenen Proviant herbeizuschaffen; alles arbeitete mit gutem Willen, denn alle, Cleveland ausgenommen, sehnten sich, von einer Küste wegzukommen, wo die Gefahr für sie mit jedem Augenblick wuchs und wo, was sie noch für ein größeres Unglück ansahen, keine Beute mehr zu gewinnen war. Bunce und Derrick hatten die Sorge für alles übernommen, während Cleveland, in sich verschlossen, auf dem Verdeck auf und ab schritt, nur dann und wann ein paar unbedingt nötige Befehle erteilend. Er gehörte zu jenen unglücklichen Menschen, die zu bösen Handlungen mehr durch äußere Umstände als eigene Neigung verleitet werden. Seine Seele war jetzt von Reue und Erinnerung an Minna erfüllt. Aber als sein Blick auf seine Kameraden fiel, so kam ihm doch, so verworfen und roh sie auch waren, nicht eine Sekunde der Gedanke, sie ihrem Schicksal zu überlassen. »Nein!« rief er, »wir werden mit eintretender Ebbe unter Segel gehen; weshalb soll ich sie ins Unglück stürzen? weshalb sie zurückhalten, bis die Stunde der Gefahr naht, die das seltsame Weib verkündet hat? – Ihre Berichte, woher sie sie auch haben mochte, trafen immer ein – und sie warnte mich, wie eine Mutter ihrem verirrten Sohne Vorwürfe über seine Vergehen macht und ihm die nahe Strafe verkündet! – Welche Hoffnungen habe ich denn auch, Minna wiederzusehen? Sicher weilt sie noch in Kirkwall, und dorthin meinen Kurs zu nehmen, hieße geradezu auf eine Klippe lossteuern. Nein, nein! ich will die armen Burschen nicht in Gefahr stürzen, – sondern will mit der Ebbe unter Segel gehen. An den öden Hebriden oder an der nordwestlichen Küste von Irland will ich das Schiff verlassen und in Verkleidung hierher zurückkehren, – aber,« hielt er plötzlich inne, »warum zurückkehren? um Minna als Mordaunts Braut wiederzusehen? Nein, nein! möge das Schiff unter Segel gehen ohne mich; ich will hier bleiben und mein Schicksal erwarten.« An dieser Stelle wurde er in seinen Betrachtungen durch Jack Bunce unterbrochen, der mit der Meldung kam, daß man, sobald es ihm gefiele, unter Segel gehen könne. »Sobald es Dir gefallen wird, Bunce,« versetzte er, »Dir will ich das Kommando übergeben und dann zu Stromneß ans Land gehen.« »Beim Himmel! das soll nicht sein,« rief Bunce; »wie zum Teufel könnte ich unser Volk in Gehorsam halten? Ihr wißt recht gut, daß wir uns ohne Euch in einer halben Stunde sämtlich bei den Gurgeln hätten. Zudem gibt's schwarze Dirnenaugen überall und fernerhin habe ich Euch seltsame Nachrichten mitzuteilen.« »Und die wären?« fragte Cleveland. »Die Stromneßer Fischer,« antwortete Bunce, »wollen sich weder ihre Mühe noch ihren Vorrat bezahlen lassen.« »Und weshalb nicht?« fragte Cleveland, »das wäre das erste Mal in meinem Leben, daß ich Geld in einem Seehafen zurückweisen sähe.« »Der Eigentümer der Brigg, die wir schon im Schlepptau hatten,« erwiderte Bunce, »der Vater Eurer schönen Imanda, hat den Zahlmeister gemacht, zum Dank für die höfliche Behandlung, die wir seinen Töchtern haben angedeihen lassen.« »Das sieht dem biedern Udaller ähnlich,« antwortete Cleveland; »aber weilt er denn noch zu Stromneß? ich glaubte ihn schon nach Kirkwall unterwegs.« »Seine Absicht war's,« entgegnete Bunce, »aber kaum war er ans Land getreten, als sich auch eine alte Hexe bei ihm einfand, die sich auf diesen Inseln in jedermanns Brei mischen soll; auf ihren Rat änderte er seinen Plan, ließ Kirkwall links und liegt jetzt vor Anker bei jenem weißen Hause, das Ihr dort den See hinauf durch Euer Fernrohr sehen könnt. Die Alte, hörte ich, hat auch Anteil an der Bezahlung unseres Proviants; wie sie dazu kommt, kann ich nicht begreifen, sie müßte denn als Hexe wie die Teufel zu unsern guten Freunden gehören.« »Von wem hast Du das alles erfahren?« fragte Cleveland, ohne weder zum Fernrohr zu greifen, noch durch die Nachrichten so in Anspruch genommen zu werden, wie sein Kamerad erwartete. »Je nun,« erklärte Bunce, »ich habe heute früh einen Abstecher ans Land gemacht und war im muntersten Geplauder mit einem alten guten Bekannten, den Herr Troil an mich gesandt mit dem Auftrage, nach dem Nötigsten zu sehen.« »Und wer ist Eure Auskunftsquelle?« fragte Cleveland; »hat er denn keinen Namen?« »Ein alter Geiger ist's, Claud Halcro mit Namen, den Ihr kennen müßt,« antwortete Bunce. »Halcro,« wiederholte Cleveland, und seine Augen funkelten vor Staunen. – »Claud Halcro? – der ist ja mit Minna und ihrer Schwester zu Inganeß ans Land gegangen; was ist aus ihnen geworden?« »Darüber eben hielt ich Auskunft für unnötig,« erwiderte sein Vertrauter. »Aber hol' mich der Teufel, unterlassen kann ich es doch nicht! He? das hat gewirkt? – Ja, ja, – dort stecken sie – ich will es nur gestehen, – und unter leichter Bedeckung. Die alte Hexe hat ein paar Leute von ihrer Berginsel, Hoy genannt, geschickt und der alte Herr ein paar Burschen unter Waffen gestellt! – Aber das macht alles nichts, Kapitän! Befehlt nur, und wir holen heute nacht die Dirnen weg – bergen sie unter den Luken – und mit Tagesanbruch Segel auf und vorwärts!« »Schweig von solch schändlichem Plane,« unterbrach ihn Cleveland, sich von ihm wendend. Nachdem er aber in tiefem Sinnen ein paarmal auf und abgeschritten, trat er zu Bunce zurück, faßte ihn bei der Hand und sagte: »Jack! Ich muß sie noch einmal sehen, noch einmal, um zu ihren Füßen mein unheilbringendes Gewerbe abzuschwören und meine Vergehen.« »Am Galgen zu büßen, nicht wahr?« fiel ihm Bunce ins Wort. »Nun, in Gottes Namen! – beichten und gehängt werden, ist ja ein ganz frommes Sprichwort.« »Aber, Jack! –« sagte Cleveland. »Ei was,« antwortete dieser, »steuert immerhin Euren eigenen Kurs – ich hab's satt, für Euch zu denken und zu handeln. Aber,« lenkte er ein, »was hat im Grunde eine Flut mehr oder weniger zu bedeuten? Wir können morgen ebensogut unter Segel gehen wie heute.« Cleveland seufzte, denn Nornas Warnung stieg in seiner Seele auf; die Gelegenheit aber, Minna noch einmal zu sehen, war zu verführerisch. »Ich will sogleich ans Land, wo sie alle beisammen sind,« rief Bunce; »die Zahlung für den Proviant soll mir als Vorwand dienen, und einen Brief von Euch oder eine Botschaft an Minna werde ich dabei mit der Gewandtheit eines Kammerdieners überbringen.« »Doch sie haben bewaffnete Männer um sich! Du könntest in Gefahr kommen,« bemerkte Cleveland. »Ist nicht zu fürchten,« entgegnete Bunce; »ich schützte die Dirnen, als sie in meiner Gewalt waren; ihr Vater, ich steh' Euch dafür, wird nicht zugeben, daß man mir ein Leid zufüge.« »Du hast recht,« erwiderte Cleveland, »ich will sogleich schreiben und um eine letzte Zusammenkunft bitten.« Während er in die Kajüte eilte, diese Absicht auszuführen, begab sich Bunce zu seinem Satelliten Fletcher, auf den er bei jeder Gelegenheit rechnen durfte, und trat mit ihm zu Hawkins dem Bootsmann, der sich mit Derrick dem Zimmermann nach den Mühen des Tages bei einer Kanne Grog gütlich tat. »Der da wird es uns sagen können,« rief Derrick ihm entgegen. – »Sprecht, Herr Leutnant, denn so müssen wir Euch jetzt nennen; wann wird es heißen: Anker auf!« »Wenn es dem Himmel gefallen wird, Quartiermeister,« antwortete Bunce; »ich weiß nicht mehr davon als ein Schiffsbalken.« »Nun, geht's denn, beim Satan, nicht fort mit der heutigen Ebbe?« fragte Derrick. »Oder doch wenigstens mit der morgigen?« fiel der Bootsmann ein, – »warum hätten wir sonst die Leute geplagt, den Proviant so schnell an Bord zu schaffen?« »Ihr sollt wissen, ihr Herren,« antwortete Bunce, »daß Cupido bei unserm Kapitän an Bord gestiegen und seinen Verstand unter die Luken gesteckt hat.« »Was das alles für Schauspielertratsch ist,« sagte der Bootsmann mürrisch; »wenn Ihr uns etwas zu sagen habt, so braucht Worte, die jeder vernünftige Mann versteht.« »Nun, nur Geduld,« entgegnete Bunce, »Kapitän Cleveland ist verliebt, hofft sein Mädchen morgen noch einmal zu sprechen, und das führt, wie wir alle wissen, zu einer zweiten Zusammenkunft, und die zu einer dritten und so fort, bis uns die Fregatte Halkyon auf den Hals kommt.« »Beim dreibeinigen Teufel!« rief der Bootsmann, »wir meutern und lassen ihn nicht ans Land, nicht wahr, Derrick?« »Ja, ja, das würde am besten zum Ziele führen,« stimmte dieser bei. »Was meint Ihr dazu, Jack Bunce?« fragte Fletcher, in dessen Ohren dieser Rat hochweise klang, dessen Blicke aber nichtsdestoweniger scharf auf seinen Gefährten gerichtet waren, »Nun denn, ihr Herren,« nahm Bunce das Wort, »von Meuterei kein Wort, aber Tod dem, der solche anzettelt.« »Nun, so will ich auch keine,« stimmte Fletcher bei;»aber was ist sonst anzufangen?« »Maul zu halten,« fuhr Bunce ihn an. »Seht, Bootsmann, halb und halb bin ich ja Eurer Meinung, daß der Kapitän durch eine gewisse heilsame Gewalt zur Räson gebracht werden müsse. Aber ihr alle wißt, daß ihn der Mut eines Löwen beseelt, und daß er nichts unternimmt, als wenn er seinen eigenen Kurs steuern kann. Ich will also ans Land und alles folgendermaßen einrichten. Das Mädchen erscheint morgen beim Stelldichein, der Kapitän geht ans Land – eine gute Bootsmannschaft nehmen wir mit, um gegen den Strom anzurudern; heißt das: um bereit zu sein, auf ein Signal ans Land zu springen und Kapitän und Mädchen wegzuführen, mag's ihnen recht sein oder nicht ... dann lichten wir die Anker, ohne Befehl von ihm abzuwarten, und sorgen dafür, daß er zur Vernunft kommt und seine Freunde kennen lernt.« »Das läßt sich hören, Derrick,« fiel Hawkins ein. »Jack Bunce hat immer recht,« bemerkte Fletcher, »der Kapitän aber wird bei der Gelegenheit ein paar von uns niederknallen, so viel ist sicher.« »Halt's Maul, Dick,« gebot Bunce, »kann's uns nicht gleich sein, niedergeschossen oder aufgehängt zu werden? – Aber wir wollen unversehens über ihn herfallen, so daß er nicht Zeit haben soll, zu Pistolen oder Säbel zu greifen; und aus Liebe zu ihm will ich der erste sein, der zupackt ... Mit dem Schiffchen, auf das der Kapitän Jagd macht, segelt eine kleine niedliche Pinasse – und ist die Gelegenheit günstig, schnapp ich die für meine eigene Rechnung weg. Ans Land will ich also, um alles einzurichten; stempelt Ihr unterdes einige von unsern Gesellen, die noch nüchtern genug sind, zur Teilnahme.« Bald darauf landete das Boot, kaum ein paar hundert Yards vom alten Herrenhause von Stennis entfernt. Bunce sah sofort, daß man Verteidigungsmaßregeln getroffen hatte. Die niedern Fenster waren verrammelt, doch waren Schießlöcher offen gelassen; eine Schiffskanone deckte den Eingang, der überdies von zwei Schildwachen bewacht wurde. Bunce begehrte Einlaß, der ihm aber rundweg verweigert wurde, mit dem Bedeuten, sich fortzuscheren, bevor ihm Schlimmes begegne. Da er aber auf dem Verlangen bestand, es handelte sich um eine dringende Angelegenheit, erschien endlich Claud Halcro, der, verdrießlicher als es sonst seine Art war, seinen alten Bekannten ob seiner Halsstarrigkeit zu Rede stellte. »Nehmt eines Narren Rat an,« sagte Halcro, »geht auf der Stelle oder sagt mir kurz und bündig, was Ihr wollt, denn hier kann Euch kein anderer Willkommen entgegenschallen, als der aus einer Kugelbüchse. Wir sind hier zahlreich genug. Auch Mordaunt Mertoun kam zu uns von Hoy herüber, derselbe, den Euer Kapitän fast um die Ecke gebracht hätte.« »Ruhig, Alter,« fiel Bunce ein, »er hat ihm bloß etwas naseweises Blut abgezapft.« »Wir brauchen hier keinen solchen Aderlaß,« erwiderte Claud Halcro; »überhaupt wird der Genesende uns bald näher verwandt sein, als man hätte glauben sollen, und so werdet Ihr leicht begreifen, wie wenig willkommen hier Euer Kapitän oder einer von seinen Leuten sein kann.« »Gut, gut,« antwortete Bunce, »wenn ich aber nun Geld für den an Bord gesandten Proviant brächte?« »Behaltet es, bis man es von Euch begehrt,« versetzte Halcro; »zwei schlechte Zahler gibt's, der eine, der zu früh, der andere, der gar nicht zahlt.« »Nun, so laßt mich wenigstens dem Geber danken,« fuhr Bunce fort. »Behaltet Euren Dank ebenfalls, bis er verlangt wird,« antwortete der Poet. »Ist das die Art, wie Ihr Euren alten Bekannten willkommen heißt?« fragte Bunce. »Was könnte ich denn für Euch tun,« entgegnete Halcro, – »wäre es nach dem Willen des jungen Mordaunt gegangen, hätte er Euch mit seiner Büchse begrüßt. Um Gottes willen also macht, daß Ihr fortkommt; sonst heißt's in der Rolle: die Wache tritt auf und nimmt Altamont gefangen.« »Ich will Euch hier keine solche Mühe machen, sondern sogleich abtreten. – Aber wartet, fast hätte ich vergessen, daß ich da ein Briefchen für eins von Euren Dirnen habe, für Minna – ja, ganz recht, Minna heißt sie. – Ein Lebewohl ist's von Kapitän Cleveland; Ihr dürft Euch nicht weigern, es zu übergeben.« »Ach, armer Bursche!« sagte Halcro, »ja, ja, ich versteh ... Nun, Minna soll das Schreiben erhalten, aus alter Bekanntschaft, Herr Altamont ... Ein Abschiedsbrief kann ja keinen Schaden stiften.« »Lebt wohl denn, Alter, auf ewig und immer!« rief Bunce, und des Poeten Hand erfassend, drückte er sie so kräftig, daß Halcro noch lange nachher die Faust schüttelte wie ein Hund die Pfote, wenn zufällig eine glühende Kohle darauf fiel. Während Bunce zu seinem Schiff zurückkehrte, hielt die Familie von Burgh-Westra drinnen im Stenniser Herrenhause Rat... Mordaunt Mertoun war von Magnus Troil mit großer Freundlichkeit aufgenommen worden, als er zu seinem Beistande mit einer kleinen Schar von Nornas Anhängern, erschien. Der Udaller ward jetzt leicht zu überzeugen, daß Mordaunt vom Hausierer und von Cleveland nur boshaft verleumdet worden, und nahm ihn wieder völlig in Gnaden auf, und war nicht wenig erstaunt über die Ansprüche, die Norna auf ihn erhob, und daß sie gewillt sei, auf ihn das beträchtliche, von ihrem Vater ererbte Vermögen zu übertragen. Einundzwanzigstes Kapitel Mordaunt hatte die Schildwachen, die seit Mitternacht auf dem Posten standen, noch vor der Morgendämmerung ablösen lassen, und sich in ein kleines Vorzimmer zurückgezogen, wo er sich, mit den Waffen neben sich, einem kurzen Schlummer überlassen wollte. Da fühlte er sich plötzlich am Mantel gezogen, in den er sich gehüllt hatte, »Wie? schon Sonnenaufgang?« rief er, sich rasch erhebend, und sah die ersten Strahlen flach am Horizonte. »Mordaunt,« sprach eine Stimme, deren Ton sein Herz durchdrang. Er schlug die Augen auf ... und siehe, Brenda Troil stand vor ihm; aber er erschrak heftig über den Ausdruck von Kummer und Angst, den ihre blassen Wangen, ihre bebenden Lippen und tränenschweren Augen zeigten, und die Worte erstarben ihm auf der Zunge... »Mordaunt,« sprach sie, »Du mußt mir und Minna einen Dienst erweisen, – mußt uns erlauben, das Haus zu verlassen, ohne daß es jemand gewahr werde; denn wir müssen uns zu den aufrechten Steinen von Stennis begeben.« »Welche Grille, Brenda?« rief Mordaunt, über ihr Verlangen höchlich erstaunt, – »Zeit und Stunde sind zu gefährlich und Eures Vaters Gebot zu strenge, als daß ich Euch ohne seine Einwilligung hinauslassen könnte. Bedenke, liebe Brenda! ich bin Soldat, bin auf dem Posten, und meiner Ordre muß ich gehorchen.« »Mordaunt,« entgegnete Brenda, »es ist jetzt nicht Zeit zu scherzen, Minnas Verstand, ja ihr Leben hängt davon ab, daß Du uns diese Erlaubnis erteilst.« »Und in welcher Absicht will sie dorthin?« fragte Mordaunt. »Sie will sich dort mit Cleveland treffen,« antwortete Brenda kurz und bündig. »Mit Cleveland?« rief Mordaunt, nach seiner Büchse greifend, »wagt sich der Elende ans Land, so soll er mit einem Kugelregen begrüßt werden.« »Sein Tod brächte Minna zum Wahnsinn,« entgegnete Brenda, »und auf den, der Minna kränkt, wird Brenda nie mehr mit freundlichen Blicken schauen.« »Aber es ist ja Tollheit!« rief Mordaunt, – »bedenkt doch Eure Ehre, Eure Pflicht!« »Nichts kann ich bedenken, als die Gefahr, in der Minna schwebt,« antwortete Brenda, in eine Flut von Tränen ausbrechend; »ihr früherer Zustand ist nichts im Vergleich zu dem, was sie diese Nacht gelitten. In ihrer Hand hält sie seinen Brief, mit flammenden Worten geschrieben, worin er sie um eine letzte Zusammenkunft beschwört, wenn sie anders wünsche, einen sterblichen Körper und eine unsterbliche Seele zu retten, – er bürge für ihre Sicherheit, würde aber unter keiner Bedingung die Küste verlassen, bis er sie noch einmal gesehen. – Du mußt uns hinaus lassen.« »Unmöglich,« erwiderte Mordaunt in maßloser Verlegenheit, »an Schwüren fehlt's dem Raufbold wohl nie, aber welche Bürgschaft hat er sonst zu bieten? – Ich kann Euch nicht hinauslassen.« »Ich vermute fast,« entgegnete Brenda vorwurfsvoll, »daß was Norna über Dich und Minna äußerte, auf Wahrheit beruht, und daß Du auf den Elenden zu eifersüchtig bist, um ihm vor seiner Abreise noch eine Zusammenkunft mit Minna zu gestatten.« »Du bist ungerecht,« sprach Mordaunt, den ihr Argwohn kränkte, ihm aber auch wieder schmeichelte, »Du weißt, daß Minna mir nur als Deine Schwester teuer ist. Sprich, aber aufrichtig, Brenda, wenn ich Euch hinauslasse – traust Du der Versicherung des Piraten?« »Allerdings habe ich Mißtrauen gehegt,« antwortete Brenda, »ist er doch wild und unglücklich; aber in dieser Rücksicht, glaube ich, können wir ihm vertrauen.« »Soll die Zusammenkunft bei den Steinen bei Tagesanbruch stattfinden?« fragte Mordaunt weiter. »So ist es, und die Zeit ist da,« entgegnete Brenda; »um des Himmels willen, laßt uns hinaus!« »Ich selbst,« fuhr Mordaunt fort, »will die Schildwache an der Vordertür auf einige Minuten ablösen und Euch den Ausgang gestatten. – Hoffentlich werdet Ihr diese schlimme Zusammenkunft tunlichst abkürzen?« »Das wollen wir allerdings,« sagte Brenda, »und Du Deinerseits wirst gewiß den Umstand, daß sich der Unglückliche hierher wagte, nicht benutzen wollen, ihm zu schaden oder ihn zu ergreifen?« »Niemand soll ihm etwas anhaben, auf Ehre!« entgegnete Mordaunt, »sofern er sich ruhig verhält.« »Ich rufe also meine Schwester!« rief Brenda und eilte hinaus. Mordaunt überdachte einen Augenblick lang die Lage; dann trat er zu der Schildwache an der Vordertür und schickte sie auf die Hauptwache mit der Weisung an den dortigen Führer, seine ganze Mannschaft unter Waffen treten zu lassen. Kaum hatte sich die Schildwache entfernt, als die Vordertür leise geöffnet wurde, und Minna und Brenda in ihre Mäntel gehüllt erschienen. Schweigend, Minna mit gesenkten Augen, schritten sie vorüber... Die Schwestern waren ihm bald aus dem Gesicht gekommen; Minna, deren Schritte bisher schwach und schwankend gewesen, richtete sich jetzt auf und eilte so schnell vorwärts, daß Brenda kaum zu folgen vermochte, aber umsonst die Bitte an sie richtete, ihre Kräfte nicht zur Unzeit zu erschöpfen. »Keine Bange, Schwester,« versetzte Minna: »nur niedergesenkten Hauptes und schwankenden Schrittes konnte ich einhergehen, so lange noch ein Mann mich sehen konnte, der nur mit Mitleid oder Verachtung auf mich blicken kann. Aber Du weißt es, Brenda, und auch Cleveland soll es wissen, daß meine Liebe zu dem Unglücklichen rein war wie die Strahlen der Sonne, die ich zu Zeugen rufe, daß ich ihm, winkte mir nicht die Hoffnung, ihn von seinem furchtbaren Gewerbe abzubringen, um keinen Preis der Welt diese Zusammenkunft bewilligt hätte.« Sie waren jetzt auf der Höhe angelangt, die den Blick auf die hohe See eröffnet, und sahen nun, jenseits des staunenerregenden Denkmals der aufrechten Steine aus grauer Vorzeit, zu ihren Füßen, unfern der sogenannten Brücke von Breisgar, ein wohlbemanntes Boot, und am Strande eine in einen Seemantel gehüllte Mannsfigur... »Es sind ihrer viele, und alle sind bewaffnet,« flüsterte Brenda, »Fürchte keine Verräterei von ihm,« sagte Minna, »einer solchen ist er nicht fähig.« Bald erreichten sie nun die Mitte des Kreises, der von hohen Säulen aus rund umher aufrecht stehenden Steinen gebildet wurde. Brenda, von unaussprechlicher Furcht und Angst überwältigt, blieb ein Paar Schritte zurück, hielt ängstlich Clevelands Bewegungen im Auge, hatte aber für nichts rings umher Augen, als für ihn und ihre Schwester. Cleveland trat bis auf zwei Schritte zu Minna heran, den Blick auf den Boden gesenkt haltend. Totenstille herrschte, bis Minna in einem festen, aber schwermütigen Tone begann: »Unglücklicher, weshalb diese neuen Schmerzen? Ziehe hin in Frieden! möge Dich der Himmel fortan einen bessern Pfad führen, als Du bisher wandeltest.« »Der Himmel wird mich nicht leiten, außer durch Deine Stimme,« entgegnete Cleveland, – »wild und roh kam ich her, kaum ahnend, daß mein Gewerbe, so gefürchtet es ist, in den Augen von Gott und Menschen verbrecherischer sei, als das Eure durch Gesetz geschützten Kaper, Ich war in dem Gewerbe geboren, und wäre wohl auch ohne Dich darin gestorben, kühn und entschlossen, wie es meinem Temperament entspricht. Darum stoße mich nicht von Dir! Denn ich will gut machen, was ich verbrach – laß Dein gutes Werk mich ganz vollenden!« »Cleveland,« rief Minna, »ich will Euch nicht vorenthalten, daß Ihr meine Unerfahrenheit mißbrauchtet, die Euer schändliches Gewerbe in Einklang setzte mit den Taten unserer alten Helden. Ach, als ich Eure Genossen sah, da zerstiebte dieser Wahn wie Spreu! – Geht, Cleveland, macht Euch los von Euren elenden Gefährten; seid überzeugt, daß, wenn der Himmel Euch die Gnade verleihen sollte, das gutzumachen, was Ihr gesündigt habt, auf diesen einsamen Inseln Augen, die jetzt nur Kummerzähren vergießen, Freudentränen weinen werden.« »Und wäre das alles?« fragte Cleveland; »darf ich nicht hoffen, wenn ich mich von meinen Kameraden trenne – wenn ich um meine Begnadigung gekämpft, mich rühmen kann, meine Sünden gut gemacht zu haben, – darf ich dann nicht hoffen, daß Minna vergeben wird, was mir Gott und Vaterland verziehen?« »Nie, Cleveland, nie,« entgegnete Minna fest und bestimmt; »auf dieser Stelle trennen wir uns – und zwar auf immer und ohne Zögern. Gedenkt meiner wie einer Toten, wenn Ihr bleibt, was Ihr seid; schlagt Ihr aber, wozu Euch Gott seine Gnade verleihen möge, einen andern Lebensweg ein, dann gedenkt meiner wie einer Freundin, deren Morgen- und Abendgebete für Euer Glück Zum Himmel emporsteigen, ob sie gleich das Ihrige für immer verlor, – Lebt Wohl, Cleveland, lebt wohl!« Er kniete nieder, von seinen eigenen bittern Gefühlen überwältigt, um die Hand zu ergreifen, die sie ihm entgegenhielt; da sprang plötzlich sein Kamerad Bunce mit nassen Augen hinter einer der Steinsäulen hervor ... »Nie,« rief er, »sah ich auf der Bühne eine so rührende Abschiedsszene; aber mich soll der Teufel holen, wenn Ihr abtretet, wie Ihr es Euch vorgenommen!« Und noch ehe Cleveland Widerstand leisten, ja ehe er sich aus seiner knieenden Stellung erheben konnte, warf ihn Bunce rücklings zu Boden, während ihn zwei andere bei Armen und Beinen packten und zum Strande hin schleppten. Minna und Brenda schrien laut auf und wollten entfliehen; Derrick aber packte Minna, wie ein Habicht die Taube, während Bunce mit einem Fluche, der seiner Meinung nach beruhigend wirken sollte, Brenda auf die Arme hob, und nun eilten sie, von den übrigen Piraten gefolgt, dem Boote zu––– sie sollten aber ihr schändliches Vorhaben nicht glücklich zu Ende führen; denn Mordaunt hatte die Wache nicht zwecklos unter Gewehr treten lassen, sondern in der Absicht, die Schwestern zu beschützen. Die Bewegungen der Piraten waren ihm nicht entgangen, und als er sie in so großer Zahl ihr Boot verlassen und zu dem Orte der Zusammenkunft hinschleichen sahen, witterte er Verrat und warf sich unbemerkt durch einen Hohlweg zwischen Piraten und Strand. Mit der Wut eines Tigers stürzte er jetzt auf Bunce, der seine Beute nicht lassen mochte, aber unfähig, sich mit seiner Last zu verteidigen, sich so wandte, daß Brenda den Hieben ausgesetzt war, mit denen Mordaunt ihn bedrohte. Nach kurzer Weile lag er aber, von Mordaunts Gewehrkolben getroffen, bewußtlos auf dem Boden. Die Piraten, die Cleveland hielten, ließen ihn los, um sich selbst zu verteidigen oder zurückzuziehen. Dadurch aber vermehrten sie die Zahl ihrer Feinde, denn Cleveland, Minna in Derricks Armen erblickend, entriß sie dem Raufbold mit der einen Hand, während er mit der andern sein Pistol auf ihn abdrückte. Noch andere Piraten fielen oder gerieten in Gefangenschaft, die übrigen eilten zu dem Boote und stießen ab. Mordaunt aber traf, sowie er die Mädchen dem Hause zueilen sah, mit gezogenem Säbel auf Cleveland zu. Der Pirat hielt ihm sein Pistol entgegen ... »Mordaunt,« rief er, »nie noch fehlte ich mein Ziel!« dann schoß er es in die Luft ab und schleuderte es in die See, zog seinen Säbel, schwang ihn um sein Haupt und schleuderte ihn der Pistole nach. Mordaunt, auf ihn zutretend, stellte ihm die Frage, ob er sich gefangen geben wolle. »Ich ergebe mich nicht,« antwortete der Piratenkapitän; »aber Ihr seht, ich habe meine Waffen von mir geworfen.« Auf der Stelle ward er nun von einigen Orkadiern ergriffen, ohne daß er irgendwie Widerstand leistete. Mordaunts Dazwischenkunft aber verhinderte, daß er rauh behandelt oder gebunden wurde. Man brachte ihn in eine sichre Oberstube des Stenniser Hauses und stellte eine Schildwache vor die Tür; Bunce und Fletcher wurden ebenfalls dorthin gebracht, die beiden Gemeinen aber in den Keller gesteckt. Magnus Troil war über die Rettung seiner Töchter und die Gefangennahme der Feinde so außer sich vor Freude, daß er ganz vergaß, nach den Umständen zu fragen, die seine Kinder in diese neuerliche Gefahr gesetzt hatten, sondern nur Mordaunt innig und wiederholt an sein Herz drückte und bei den Gebeinen des heiligen Magnus schwor, daß, wenn er auch tausend Töchter hätte, ein so mutiger Bursche und treuer Freund die Wahl unter ihnen allen haben solle, möchten die alte Glowrowrum und die ganze Insel schwätzen, was sie wollten. Eine Szene ganz anderer Art fand unterdes in dem Gemach des unglücklichen Cleveland und seiner Kameraden statt. Cleveland saß am Fenster, den Blick auf die See gerichtet. Jack Bunce begann zu begreifen, daß die Rolle, die er gegen seinen Kapitän gespielt habe, so gut auch die Absicht war, weder gut ausgefallen sei, noch Beifall finden werde; Fletcher dagegen lag, dem Anschein nach in halbem Schlummer, auf einem Rollbett und verzichtete auf jegliche Teilnahme an der Unterredung, die jetzt stattfand. Aber so sprecht doch mit mir, Cleveland,« begann der reuige Leutnant, »wäre es auch nur, um mich über meine Dummheit zu schelten.« »Ich bitte Dich, schweig und laß mich in Ruh,« entgegnete Cleveland, »ist's nicht genug, daß Du mich durch Deine Verräterei zu Grunde richtest? willst Du mich auch noch mit Deinem Geschwätz stören? Nie hätte ich geglaubt, Jack, daß Du auch nur einen Finger gegen mich aufheben konntest; Dir traute ich allein von allen Männern und Teufeln in jener Hölle dort.« »Ich einen Finger gegen Euch aufheben?« sagte Bunce. »Wenn ich es tat, geschah es aus Liebe zu Euch, und um Euch zu dem glücklichsten Kerl zu machen, der je das Verdeck beschritt. Euer Herzliebchen neben Euch und fünfzig rüstige Burschen unter Eurem Befehl! Da, Dick Fletcher könnte bezeugen, daß alles in guter Absicht geschah, wenn er nicht daläge wie ein holländisches Kuff, das auf den Strand gezogen worden, repariert zu werden. Auf, Dick, und führe das Wort für mich! Nun, willst Du nicht?« »Je nun, Jack Bunce,« antwortete Fletcher mit matter Stimme und erhob sich mit großer Schwierigkeit; »ich möchte Wohl, wenn ich nur könnte – ich weiß, Du sprachst und handeltest immer für das Beste – jetzt aber ist es für mich recht schlimm ausgefallen – denn sieh her, ich verblute mich.« »Du wirst doch kein solcher Esel sein,« rief Jack Bunce, ihm zu Hilfe eilend, und Cleveland folgte seinem Beispiel, aber menschliche Hilfe kam zu spät, – Fletcher sank auf sein Lager zurück, wandte sein Gesicht ab und verschied, ohne noch einen Seufzer hören zu lassen. »Ich hielt ihn immer für einen verdammten Narren,« sagte Bunce, aus seinen Augen eine Träne wischend, »aber nicht für einen so ausgemachten Dummkopf, sich so leicht auf die Leimrute locken zu lassen... Nun, mein bester Kamerad ist hin!« Cleveland sah nieder auf den Toten, dessen rauhe Gesichtszüge von der Todesangst keine Veränderung erlitten... »Ein Bullenbeißer,« sprach er, »von der besten Rasse; besser geraten, hätt's einen bessern Kerl gegeben.« »Das könnt Ihr auch von andern Leuten sagen,« rief Bunce, »wenn Ihr ihnen sonst Gerechtigkeit widerfahren lassen wollt.« »Das könnte ich allerdings, und zumal in Bezug auf Dich, entgegnete Cleveland. »Nun, so sprecht: Jack, ich verzeihe Dir,« fuhr Bunce fort, »ein kleines Wort nur ist's, und leicht gesprochen.« »Ich vergebe Dir von ganzem Herzen,« sagte Cleveland, der wieder seine Stellung am Fenster eingenommen hatte; »um so mehr, da Deine Torheit nur wenig zu sagen hatte, – der Morgen ist gekommen, der uns allen Verderben bringen muß.« »Wie? gedenkt Ihr etwa noch der Prophezeiung des alten Weibes, von der Ihr spracht?« fragte Bunce. »Sie wird bald in Erfüllung gehen,« antwortete Cleveland. »Tritt hierher! Wofür hältst Du jenes große, breit aufgetakelte Schiff, das dort im Osten das Vorgebirge umschifft und in die Bai von Stromneß steuert?« »Ich weiß nicht so recht, was ich davon zu halten habe,« sagte Bunce, »der alte Goffe drüben scheint zu glauben, es sei ein Westindienfahrer mit Rum und Zucker beladen; schaut hin, er kappt, Gott verdamm mich! das Ankertau und macht Jagd darauf.« »Statt die Untiefen zu suchen, seine einzige Schutzwehr,« fiel Cleveland ein. – »Der Narr, der trunkene Dummkopf! ihm wird heiß genug eingeschenkt werden, denn da drüben ist die Halkyons-Fregatte. – Schau hin, sie zieht die Flagge auf und gibt ihm eine volle Ladung. Bald wird's mit dem Piratenschiff zu Ende sein! – Hoffentlich werden sie es bis auf die letzte Planke verteidigen; der Bootsmann ist ein tüchtiger Kerl, und das ist auch Goffe, wenn auch sonst ein eingefleischter Teufel. – Nun rennen sie auf und davon mit allen Segeln. Das ist vernünftig.« »Sie ziehen die schwarze Flagge auf, mit dem Totenkopf und Stundenglas. Das zeugt von Mut.« »Auch unser Stundenglas ist gestellt, Jack, auch unser Sand verrinnt! – Frisch zugefeuert jetzt, ihr rüstigen Burschen; lieber tiefe See und blaue Luft als Strick und Galgen!« Eine kurze Totenstille trat ein; die Schaluppe, obgleich hart bedrängt, hielt noch immer stand, endlich kamen die beiden Schiffe dicht aneinander, und man sah deutlich, daß das königliche Schiff die Schaluppe entern, nicht aber in den Grund bohren wollte, vermutlich um das geraubte Gut, das sich im Piratenschiff befinden könne, vor Untergang zu retten. »Jetzt dran, Goffe und Bootsmann!« rief Cleveland, so als ob seine Befehle auf seinem Schiffe hörbar seien ... »jeder Mann an seinen Posten – gebt volle Ladung, so wie ihr unter ihrem Bauche liegt; auf und davon dann, wie eine Wildgans! – Dummköpfe ihr, – die Segel flattern, sie sind aus dem Winde gekommen, und die Mannschaft der Fregatte entert!« Und so war es; in überwältigender Ueberzahl sah Cleveland die Mannschaft der Fregatte an Bord der Schaluppe springen, sah ihre blanken Säbel in der Sonne blitzen ... da hüllte plötzlich eine dichte schwarze Rauchwolke, die vom Bord des genommenen Schiffes aufstieg, alles in Finsternis. »Exeunt omnes,« sprach Bunce mit gefalteten Händen. »Und dahin ist Schiff und Mannschaft!« setzte Cleveland hinzu. Doch der Rauch verteilte sich, und es trat zu Tage, daß das Werk nur halb vollbracht war, daß Mangel an Pulver das verzweiflungsvolle Unternehmen der Piraten, Schaluppe und Fregatte in die Luft zu sprengen, vereitelt hatte. Der Kampf war vorüber. Fregatt-Kapitan Weatherport sandte einen Offizier mit ein paar Mann nach Stennis hinüber, die Auslieferung der dort gefangenen Piraten, insonderheit Clevelands und Bunces, des Kapitäns und des Leutnants, fordernd. Gegen solche Forderung gab es keinen Widerspruch, so sehr auch Magnus Troil vielleicht wünschen mochte, daß das Dach, unter dem er weilte, wenigstens Cleveland eine Freistatt gewährte. Aber der Offizier hatte gemessene Befehle, Kapitän Weatherports Absicht sei, auch die übrigen Gefangenen ans Land zu setzen und sämtlich nach Kirckwall zu transportieren, wo sie von der Zivilobrigkeit, bevor man sie nach London vor das Admiralitätsgericht brächte, verhört werden sollten. Magnus blieb nur übrig, um gute Behandlung für Cleveland zu bitten, was ihm der Offizier versprach. Gern hätte der redliche Udaller Cleveland ein paar trostreiche Worte gesagt, aber er konnte keine Worte finden .... »Alter Freund,« sagte Cleveland, »Ihr mögt über manches Klage zu führen haben, – aber Ihr habt Mitleid mit mir, statt mir zu grollen; um der Euren und um Euretwillen werde ich keinem menschlichen Wesen mehr ein Leid antun, auch mir nicht! Nehmt meine letzte Hoffnung, meine letzte Versuchung!« – Bei diesen Worten zog er ein Taschenpistol aus seinem Busen und reichte es dem Udaller hin ... »Gedenkt meiner bis – aber nein – vergeßt mich alle! alle! – Ich bin Euer Gefangener, Herr!« sprach er dann, zu dem Offizier gewandt. »Ich auch,« fügte Bunce hinzu; »und ein theatralisches Wesen annehmend, deklamierte er mit freilich unsichrer Stimme: Benehmt Euch, Hauptmann, wie ein Mann von Ehre, Entfernt den Pöbel, daß ich Raum gewinne Zu sterben, wie es einem Helden ziemt. Zweiundzwanzigstes Kapitel Die Nachricht von der Gefangennahme der Räuber langte um die Mittagszeit zu Kirkwall an und erfüllte alles mit Staunen und Freude. Im Nu war der Markt leer, denn alles, jung und alt, strömte den Gefangenen entgegen. Im Sonnenschein blinkten bald aus der Ferne die Bajonette, und näher und näher kam der finstere Zug der Gefangenen, die paarweis zusammengebunden waren. Viele davon waren verwundet und mit Blut bedeckt, andere vom Pulver geschwärzt und versengt. Die meisten schienen mürrisch und verstockt, einige beklommen und zaghaft, andere aber brüllten freche Lieder. Der Bootsmann und Goffe, die zusammengebunden waren, machten sich einander nach Noten schlecht: der Bootsmann warf Goffe Mangel an Seemannskunst vor, und Goffe schalt den andern, daß er ihn verhindert habe, Feuer an das im Vorderteil des Schiffes befindliche Pulver zu legen. Zuletzt kamen Cleveland und Bunce, denen es gestattet worden war, fessellos nach Kirkwall zu marschieren. Clevelands taktvolles, wenn auch schwermütiges so doch mannhaftes Wesen stand in seltsamem Gegensatz zu dem großtuerischen Benehmen des armen Jack. Während man Cleveland mit Teilnahme begegnete, blickte man auf Jack verächtlich, auf alle übrigen aber voll Schrecken und Abscheu. Ein Mensch aber lebte noch in Kirkwall, der von dem Schauspiel, das alle Blicke auf sich zog, nicht allein nichts sah, sondern von der Begebenheit, die die ganze Stadt in Bewegung setzte, nicht einmal etwas wußte: das war der ältere Mertoun, der sich nun schon ein paar Tage zu Kirkwall aufhielt, um seine Klage gegen Bryce Snailsfoot in Gang zu bringen. Clevelands Kiste nebst den darin befindlichen Papieren und andern Dingen war nach einigen Verhandlungen Mertoun als dem einstweiligen Besitzer zugestellt worden, bis der wirkliche Eigentümer seine Rechte darauf geltend machen könnte. Mertoun hatte die Sorge hierfür den Gerichten überlassen wollen; nachdem er aber einiges von den Papieren gelesen, hatte er plötzlich seinen Entschluß geändert und die Stadtobrigkeit ersucht, die Kiste nach seiner Wohnung bringen zu lassen. Kaum zu Hause angelangt, hatte er sich eingeriegelt, um die seltsamen Berichte, die ihm der Zufall in die Hände geführt, ungestört zu lesen und zu überdenken. Unsere Leser werden sich erinnern, daß Norna in der Zwiesprache mit ihm auf dem Kirchhofe zu St. Rinian ihn auf den fünften Markttag mittags nach dem äußeren Flügel der St. Magnus-Kirche befohlen hatte, wo ihm über Mordaunts Schicksal Kunde werden sollte. – »Sie hat sich selbst damit gemeint,« sprach er vor sich hin; »wie ich sie aber früher auffinden soll, weih ich nicht; geratener ist's jetzt, wo ich ihrer so dringend bedarf, lieber einige Stunden zu warten, als sie zu kränken dadurch, daß ich mich ihr früher aufdränge.« Lange noch vor Mittag, – um vieles früher als die Stadt durch die Nachricht des Kampfes in Alarm gesetzt wurde, schritt Mertoun in dem einsamen Flügel der Kirche auf und ab, Nornas Mitteilungen angstvoll harrend. Die Glocke schlug zwölf – keine Tür tat sich auf – kein Fuß betrat die Kirche; kaum aber hatte der letzte Schlag in dem Gewölbe ausgetönt, als auch Norna, aus einem Seitenflügel herschreitend, vor ihm stand. Mertoun, ohne sich mit der geheimnisvollen Art ihres Erscheinens zu befassen, eilte auf sie zu .... – »Ulla – Ulla Troil,« rief er, »sei mir behilflich, unsern unglücklichen Sohn zu retten!« »Den Namen Ulla Troil kenne ich nicht,« sagte Norna; »ich übergab ihn den Winden in jener Nacht, die mich um meinen Vater brachte.« »Sprich nicht von jener Nacht des Schreckens,« sagte Mertoun; »wir bedürfen jetzt unserer ganzen Vernunft. – Laß uns nicht Erinnerungen wecken, die uns die Vernunft rauben könnten; hilf mir lieber, wenn Du es vermagst, unsern unglücklichen Sohn zu retten!« »Baughan,« entgegnete Norna, »er ist bereits gerettet, – längst schon gerettet. – Meinst Du, eine Mutter – und zumal eine Mutter, wie ich – würde auf Deinen zögernden Beistand warten? Nein, Baughan – der Triumph über Dich, das ist die einzige Rache, welche Norna für das an Ulla Troil verübte Unrecht suchte und jetzt gefunden hat.« »Hast Du ihn wirklich gerettet – gerettet von der mörderischen Schar? – Sprich! – Sprich die Wahrheit! – Ich will alles glauben, – alles, was Du verlangst! – nur beweise mir, daß er entkommen und gerettet ist!« »Entkommen und gerettet,« erwiderte Norna, – »gerettet und glücklich in der Hoffnung einer freudvollen Verbindung. Ja, Du Ungläubiger! – Du überkluger Treuloser voll Eigendünkel! Sieh, das ist Nornas Werk! Seit Jahren so schon hatte ich Dich erkannt; nie aber hätte ich mich Dir zu erkennen gegeben außer mit dem sieghaften Bewußtsein, das Schicksal beherrscht zu haben, das meinem Sohne drohend entgegentrat .... Welcher Ungläubige unter den Sterblichen oder welcher verstockte Dämon wird fortan meine Macht leugnen?« »Wären Deine Ansprüche weniger erhaben und Deine Rede einfacher, würde ich über die Sicherheit meines Sohnes ruhiger sein,« antwortete Mertoun, auf den die wilde Schwärmerei, die aus den Worten der Seherin klang, den Eindruck von wirklichem Wahnsinn machte. »Zweifle immerhin, eitler Skeptiker,« entgegnete Norna. – »Wisse denn, daß nicht nur unser Sohn gerettet ist, sondern daß mir auch Rache ward, obgleich ich sie nicht suchte – Rache an dem Werkzeuge der finstern Gewalten, das oft meine Pläne durchkreuzte und das Leben meines Sohnes in Gefahr brachte. – Ja, nimm es als eine Bürgschaft für die Wahrheit meiner Worte, daß Cleveland – der Pirat Cleveland – eben jetzt als Gefangener in Kirkwall eingeführt und bald mit seinem Leben büßen wird, daß er Blut vergoß, das von Norna stammte.« »Wer, sagst Du, sei gefangen?« fragte Mertoun mit donnernder Stimme, – »wer, meinst Du, Weib, soll seine Verbrechen mit dem Tode büßen?« »Cleveland – der Pirat Cleveland!« antwortete Norna, »durch mich, deren Rat er verachtet, ward er seinem Schicksal entgegengeführt.« »Elendes Weib!« knirschte Mertoun zwischen den Zähnen, – »Du hast Deinen Sohn gemordet, wie einst Deinen Vater!« – »Meinen Sohn! – welchen Sohn – wen meinst Du? Mordaunt ist Dein Sohn – Dein einziger Sohn!« – rief Norna, »ist dem nicht also, dann sprich – sprich – ohne Zaudern!« »Mordaunt ist allerdings mein Sohn,« entgegnete Mertoun, – »die Gesetze wenigstens erkennen ihn als solchen, – aber Cleveland, o unglückliche Ulla – Cleveland ist Dein Sohn wie der meine – Blut von unserm Blut, Bein von unserm Bein! – und hast Du ihn dem Tode übergeben, so will auch ich mein elendes Dasein mit ihm enden.« »Halt ein, Vaughan,« rief Norna, »noch bin ich nicht überzeugt; beweise mir die Wahrheit von dem, was Du sprachst, und ich werde Hilfe finden, selbst wenn ich die Hölle in Anspruch nehmen müßte! – Aber Beweise will ich, sonst vermag ich Deinen Worten nicht zu glauben.« »Hilfe, Du armes, eingebildetes Weib! – Wohin haben nicht schon Deine Berechnungen – Deine eitlen Gebilde des Wahnsinns Dich geführt? – Aber dennoch will ich Dich für vernünftig, ja für mächtig halten. – Vernimm denn die Beweise, die Du forderst, und leiste Hilfe, wenn Du kannst.« »Als ich aus Orkney entfloh,« – fuhr er nach einer Pause fort, »fünfundzwanzig Jahre schwanden seitdem dahin – nahm ich das unglückliche Kind, dem Du das Leben gabst, mit mir. Eine Deiner Verwandten sandte es mir mit dem Bericht von Deiner Krankheit, dem bald darauf die Nachricht von Deinem Tode folgte. Es ist unnütz, von dem elenden Zustande zu sprechen, in dem ich Europa verließ. Ich fand Zuflucht in Hispaniola, wo eine schöne junge Spanierin, Luisa, meine Trösterin ward. Sie ward mein Weib und Mutter jenes Jünglings Mordaunt Mertoun.« »Sie ward Dein Weib?« fragte Norna mit vorwurfsvollem Tone. »So ist es, Ulla,« antwortete Mertoun, »aber Du wurdest gerächt. Sie ward treulos, aber ihre Untreue ließ mich im Zweifel, ob das Kind, das sie gebar, ein Recht hatte, mich Vater zu nennen. – Aber auch mir ward Rache!« »Wie? Du ermordetest sie?« rief Norna, furchtbar aufschreiend. »Ich beging,« entgegnete Mertoun, ohne eine bestimmtere Antwort zu geben, »eine Tat, die meine augenblickliche Flucht von Hispaniola nötig machte. Deinen Sohn nahm ich mit mir nach Tortuga, wo wir eine kleine Besitzung hatten; ich hatte Mordaunt Mertoun, ungefähr drei bis vier Jahre jünger als unser Kind, in Port-Royal seiner Erziehung wegen zurückgelassen. Ich wollte ihn nie wiedersehen, doch nach wie vor unterstützen. – Unsere Besitzung wurde von den Spaniern geplündert, als Cleveland kaum fünfzehn Jahre zählte; – Mangel gesellte sich zur Verzweiflung, und beides zu einem bösen Gewissen. Ich wurde Korsar und führte Cleveland in das schreckliche Gewerbe ein. Gewandtheit und Mut verschafften ihm sehr früh ein eigenes Kommando; und als wir nach ein paar Jahren in verschiedenen Gegenden kreuzten, empörte sich meine Mannschaft gegen mich und ließ mich als tot am Strande auf einer der bermudischen Inseln zurück. Ich erholte mich indes wieder, und als ich nach einer langen Krankheit genas, war meine erste Frage nach Clement. Auch gegen ihn hatte sich, wie ich vernahm, sein Schiffsvolk empört und ihn an einer wüsten Insel ausgesetzt, wo er, wie ich glaubte, den Tod gefunden.« »Und was berechtigt Dich zu glauben, daß dem nicht so sei?« fragte Norna; »und was beweist, daß Cleveland und Vaughan ein und derselbe sei?« »Solche Veränderung der Namen ist bei den Piraten nicht ungewöhnlich,« antwortete Mertoun, »und Cleveland hatte vermutlich gefunden, daß der Name Vaughan zu bekannt geworden – dieser Umstand aber hinderte mich, irgend eine Kunde über ihn zu erhalten. Nun erfaßte mich Reue, und alle Menschen hassend, zumal das Geschlecht, zu dem Luisa gehörte, beschloß ich, für den Rest meines Lebens auf den wilden shetländischen Inseln Buße zu tun. Eine schwerere aber leibliche Buße legte ich mir auf, indem ich beschloß, den unglücklichen Mordaunt mit mir zu nehmen, als lebendige Erinnerung an mein Elend und meine Schuld. Und nun – um mich zum völligen Wahnsinn zu treiben, – erstand mein Cleveland – mein unbestreitbarer Sohn von den Toten wieder auf, um durch die Ränke seiner leiblichen Mutter ein schmachvolles Ende zu nehmen!« »Hinweg, hinweg!« rief Norna, laut auflachend, als sie die Geschichte zu Ende gehört hatte; »ein Märchen ist's, geschmiedet von dem alten Piraten, um meine Teilnahme für seinen schuldigen Kameraden zu wecken. Wie hätte ich Mordaunt für meinen Sohn halten können, da beider Alter so verschieden ist?« »Seine dunkle Gesichtsfarbe und seine männliche Gestalt mögen an dieser Täuschung schuld sein,« sagte Basil Mertoun, »lebhafte Phantasie hat das ihrige getan.« »Aber Beweise, Beweise! – Gib mir Beweise, daß Cleveland mein Sohn ist, und glaube mir, diese Sonne soll eher im Osten untergehen, eh' sie ein Haar auf seinem Haupte krümmen.« »Diese Papiere, dieses Tagebuch,« entgegnete Mertoun, ihr eine Brieftasche hinreichend. »Ich kann jetzt nicht lesen,« sprach Norna, »der Kopf schwindelt mir.« »Clement besaß auch noch Dinge, deren Du Dich erinnern wirst,« fuhr Mertoun fort, »sie aber sind wohl eine Beute seiner Sieger geworden. Eine silberne Dose war es, mit einer Runenschrift, die ich einst von Dir erhielt, – ein goldener Kranz –« »Eine Dose,« unterbrach ihn Norna, »vor kurzem noch gab mir Cleveland eine solche – noch habe ich sie nicht angesehen.« Eilig zog sie sie jetzt hervor, – eifrig untersuchte sie die Schrift, und dann rief sie: – »Mit Recht heiße ich hinfort die Reimkundige, denn aus diesem Reime wird mir kund, daß ich meinen Sohn mordete, wie meinen Vater!« Die Ueberzeugung von der Täuschung, der sie sich hingegeben, wirkte so gewaltsam, daß sie am Fuße einer der Säulen niedersank. – Mertoun schrie um Hilfe, obgleich er an einer solchen fast verzweifelte; der Totengräber erschien indes, und auf keinen Beistand von Nornas Seite hoffend, eilte der unglückliche Mann von dannen, um womöglich das Schicksal seines Sohnes zu erfahren. Dreiundzwanzigstes Kapitel Kapitän Weatherport war inzwischen selbst zu Kirkwall angelangt, wo er mit großer Freude von der Stadtobrigkeit aufgenommen wurde, die sich zu diesem Zwecke versammelt hatte. Der Stadthauptmann gab seiner Freude Ausdruck, wie sehr man der Vorsehung zu danken habe, daß die Fregatte in dem Augenblick erschienen sei, wo das Piratenschiff nicht mehr habe entfliehen können. Hierüber schien der Kapitän etwas erstaunt: »Dafür,« sprach er, »mögt Ihr den Berichten danken, die ich von Euch selbst empfing.« »Von mir?« fragte der Richter verwundert. »Allerdings,« entgegnete der Kapitän, »wenn ich anders mit Gurge Torfe rede, dem Stadthauptmann von Kirkwall, der diesen Brief hier sandte.« In äußerster Bestürzung nahm der Stadthauptmann das an Kapitän Weatherport, Fregatte Halkyon, adressierte Schreiben, worin von der Ankunft des Piratenschiffes, seiner Größe, Mannschaft usw. Bericht erstattet wurde; mit dem Beifügen, daß die Piraten die Ankunft der Fregatte erfahren und beschlossen hätten, sich in die Untiefen zu flüchten, wohin die Fregatte ihnen nicht folgen könnte; ja daß im schlimmsten Falle die Piraten die Schaluppe auf den Strand setzen und in die Luft sprengen wollten, wodurch für die Sieger reiche Beute verloren gehen würde. In dem Briefe wurde deshalb geraten, mit der Fregatte zwischen Duncansbai-Head und Kap-Wrath ein paar Tage lang zu kreuzen, um die Piraten in Sicherheit zu wiegen, zumal dem Schreiber dieses Briefes bekannt sei, daß die Piraten, sobald die Fregatte die Küste verlassen hätte, in die Stromneß-Bai einlaufen wollten, um dort, einer notwendigen Reparatur wegen, ihre Kanonen ans Land zu bringen. Das Schreiben schloß mit der Versicherung, daß Kapitän Weatherport, wenn er die Fregatte am Morgen des 24. Augusts in die Stromneß-Bai bringen könne, gegen die Piraten gutes Spiel haben werde – geschähe es aber früher, so würden sie ihm wahrscheinlich entgehen. »Dieser Brief ist nicht von mir, auch ist das nicht meine Unterschrift, Kapitän Weatherport,« nahm der Richter das Wort; »ich hätte nun und nimmer den Rat gewagt, Eure Herkunft zu verschieben.« Jetzt war die Reihe des Staunens am Kapitän. »Ich kann nur sagen, daß ich den Brief in der Bai von Thurse erhielt und der Bootsmannschaft, die ihn brachte, fünf Taler zahlte, weil sie das Pentland-Haff bei gar stürmischem Wetter durchschifft hatte. Ein stummer Zwerg war dabei als Bootsmann, der garstigste, den je meine Augen erblickten.« »Gut, daß es so gekommen ist,« entgegnete der Richter; »aber es ist die Frage, ob die Person, die das Schreiben sandte, nicht vielleicht doch wünschte, Ihr hättet das Nest leer und den Vogel ausgeflogen gefunden.« Dabei reichte er Magnus den Brief, der ihn mit Lächeln, aber ohne Bemerkung zurückgab, vermutlich mit unsern Lesern überzeugt, daß Norna ihre eigenen Gründe gehabt, die Fregatte auf den bestimmten Tag einlaufen zu lassen. Ohne sich weiter über einen Umstand den Kopf zu zerbrechen, der ihm unerklärlich schien, drang der Kapitän auf den Beginn des Verhörs, und Cleveland und Bunce wurden demgemäß zuerst vorgeführt. Kaum aber hatte es angefangen, als nach einem kurzen Wortwechsel mit dem Beamten an der Tür Basil Mertoun hineingestürzt kam mit dem Rufe: »Nehmt das alte Opfer für das junge! – Ich bin Basil Vaughan, allzu bekannt auf den westindischen Gewässern, – nehmt mein Leben und schont meines Sohnes!« Alle waren erstaunt, niemand aber mehr als Magnus Troil, der dem Stadthauptmann nun erklärte, daß dieser Mann schon seit Jahren friedlich auf Shetland gelebt habe. »Dann habe ich nichts weiter hiermit zu tun,« sagte der Kapitän, »denn zwei Begnadigungen lauten zu seinen Gunsten; und, bei meiner Seel'! wenn ich da beide in solcher Umarmung sehe, wünschte ich, ich könnte gleiches von dem Sohne sagen.« »Aber wie kann das sein?« fragte der Stadthauptmann, »wir haben den Alten ja immer Mertoun und Jungen Cleveland genannt. Jetzt aber scheint es, als hießen sie beide Vaughan.« »Vaughan,« sagte Magnus, »ist ein Name, der mir in mancherlei Erinnerung steht, und nach Mitteilungen, die ich kürzlich von meiner Muhme Norna erfuhr, hat der alte Mann hier das Recht, ihn zu tragen.« »Und der junge Mann ebenfalls, wie ich glaube,« fiel der Kapitän ein, nachdem er einige Papiere durchblättert hatte. »Hört einen Augenblick,« fügte er hinzu, zu dem jungen Vaughan gewandt, den wir bisher Cleveland nannten. »Euer Name ist Clement Vaughan – seid Ihr derselbe, der, ein Knabe noch, eine Schar Räuber befehligte, die vor acht oder neun Jahren das an der spanisch-amerikanischen Küste gelegene Dorf Quempoa plünderte, in der Absicht, dort Schätze zu finden?« »Wozu es leugnen?« antwortete der Gefangene. »Euer Geständnis kann Euch nützlich sein,« entgegnete Kapitän Weatherport. »Die Maultiere kamen mit den Schätzen davon, während Ihr, auf Gefahr Eures eigenen Lebens hin, die Ehre zweier spanischen Frauen gegen Eure wilden Genossen in Schutz nahmt. Erinnert Ihr Euch dessen?« »Genau weiß ich es,« nahm Jack Bunce das Wort, »setzten wir doch unsern Kapitän drum auf einer Insel aus, und wurde mir doch, weil ich ihm Beistand geleistet, der Rücken verbläut und gepökelt.« »Werden diese Umstände erwiesen,« fügte Kapitän Weatherport, »dann ist Vaughans Leben gerettet – die Frauen, die er beschützte, waren die Töchter des Gouverneurs der Provinz, und längst schon hat der dankbare Spanier bei unserer Regierung ein Fürwort für ihren Retter eingelegt. Als ich vor sechs Jahren in den westindischen Gewässern gegen die Piraten kreuzte, geschah es mit besonderen Instruktionen betreffs Clement Vaughans. Aber der Name war dort verschwunden, und ich hörte statt seiner von Cleveland reden. Ob aber Cleveland oder Vaughan, genug, Kapitän, ich glaube Euch Euren Pardon in London zusichern zu können.« Cleveland verbeugte sich, und das Blut stieg ihm in die Wangen. Mertoun fiel auf die Knie und hob dankend die Hände zum Himmel. Unter allgemeiner Teilnahme der Anwesenden wurden sie beide abgeführt. »Und nun, Leutnant, was habt Ihr Zu Eurer Entschuldigung vorzubringen?« fragte Kapitän Weatherport, sich an den vormaligen Jünger Thaliens wendend. »Ach, wenig oder nichts, werter Herr!« antwortete dieser, »außer daß ich wünschte, Ihr fändet noch meinen Namen unter denen, die auf Pardon zu rechnen haben; denn ich stand zu Quempoa dem Kapitän wacker bei.« »Federigo Altamont heißt Ihr,« fragte Kapitän Weatherport, »einen solchen Namen finde ich nicht; aber einen Jack Bonne oder Bunce hat die dankbare Spanierin aufgezeichnet.« »Ei, das bin ich – in Person, Kapitän, und kann es beweisen – und bin jetzt entschlossen, obgleich der Name gemeiner klingt, fortan lieber als Jack Bunce zu leben, denn als Federigo Altamont am Galgen zu hängen.« »So kann ich Euch einige Hoffnung geben,« sprach der Kapitän, mit der Hand winkend. Bunce Altamont dankte und wurde abgeführt. – Gegen Goffe und die übrigen Piraten aber gab es keine Milderungsumstände. Die Fregatte segelte darauf schon nach zwei Tagen mit den Gefangenen nach London ab. Während seiner Haft in Kirkwall wurde Cleveland von dem Kapitän der Fregatte gut behandelt, und sein alter Bekannter, Magnus Troil, der insgeheim erfahren hatte, wie nah er seinem Blute verwandt sei, überhäufte ihn mit Aufmerksamkeiten aller erdenklichen Art. Norna, deren Teilnahme an dem unglücklichen Gefangenen begreiflicherweise die aller andern übertraf, war von dem Totengräber ohnmächtig auf dem Boden gefunden worden; als sie sich wieder erholte, war aber ihr Geist völlig zerstört, so daß sie unter wachsamer Pflege gehalten werden mußte. Von den Schwestern von Burgh-Westra hörte Cleveland nur, daß sie infolge des ausgestandenen Schreckens erkrankt wären, bis ihm am Abend, ehe die Fregatte unter Segel ging, ein Briefchen folgenden Inhalts zugesteckt wurde: – »Lebt wohl, Cleveland, wir trennen uns auf immer, es muß so sein – seid tugendhaft, seid glücklich! Gedenket meiner, als weilte ich nicht mehr unter den Lebenden, Ihr müßtet denn Ehren im gleichen Maße auf Euch häufen, wie bisher Unehre; in diesem Falle gedenkt meiner dann wie eines Mädchens, das sich Eurer freuen wird, wenn sie Euch auch nie wiedersehen darf!« – Das Schreiben war M. T. unterzeichnet, und Cleveland las es mit tiefer Bewegung, die sogar Tränen in seine Augen führte, wieder und wieder. Auch Mordaunt Mertoun empfing ein Schreiben und zwar von seinem Vater, das aber ganz anderer Art war. Sein Vater sagte ihm auf immer Lebewohl und entband ihn aller Kindespflicht, da er ihm, wie er sagte, trotz langjährigen Mühens, sein Herz zu wandeln, Vaterliebe doch nie habe schenken können. Der Brief bezeichnete auch einen verborgenen Winkel in Jarlshof, wo sich eine beträchtliche Summe verwahrt fände, mit der sein Sohn wie mit seinem Eigentum schalten und walten dürfe. »Du brauchst nicht zu befürchten,« so hieß es in dem Briefe, »Dir dadurch eine Verpflichtung gegen mich aufzulegen, oder teil an geraubtem Gute zu nehmen. Was ich Dir jetzt übergebe, ist das Eigentum Deiner verstorbenen Mutter, Luisa Gonzago, und kommt Dir also mit allem Rechte zu. Verzeihen wir uns beide einander,« lautete der Schluß, »wie Menschen, die sich nie wieder treffen sollen.« – Und so geschah es auch; sie trafen einander nie wieder; denn der Vater, der überhaupt nicht unter Anklage gestellt wurde, verschwand, gleich nachdem über Clevelands Schicksal die Entscheidung gefällt worden, und zog sich, wie man allgemein vermutete, in ein fernes Kloster zurück. Clevelands Schicksal geht aus nachstehendem Briefe deutlich hervor, den Minna acht Wochen nach Abfahrt der Fregatte Hakyon von Kirkwall bekam. Die Familie saß gerade auf Burgh-Westra beisammen, mit Mordaunt, der ihr jetzt als Mitglied angehörte, wie auch mit Norna, die sich zufolge der unermüdlichen Pflege, die ihr Minna angedeihen ließ, von ihrer Geistesabwesenheit nach und nach zu erholen anfing. »Minna,« so lautete der Brief, »lebe wohl auf immer! Glaube mir, nie wollte ich Dich kränken. – Von dem Augenblick an, da ich Dich kennen lernte, beschloß ich, mich von den mir verhaßten Gefährten zu trennen, und entwarf tausend Pläne, die nach Verdienst vereitelt wurden; – denn wie hätte auch das Schicksal einer liebenswürdigen, reinen, unschuldsvollen Seele mit dem eines Schuldbefleckten vereint werden können? – Von diesen Träumen aber will ich nicht mehr sprechen. – Die ernste Wirklichkeit meines Geschicks ist milder, als ich erwarten durfte; das wenige Gute, das ich vollbracht, hat in den Augen ehrenwerter und barmherziger Richter meine vielen bösen und verbrecherischen Taten aufgewogen. Nicht nur bin ich dem schmachvollen Tode entgangen zu dem mehrere meiner Genossen verurteilt wurden; sondern Kapitän Weatherport, den neue Kriegswirren an die spanisch-amerikanische Küste rufen, hat für mich und einige meiner Kameraden die Erlaubnis erwirkt, ihn auf dieser Expedition zu begleiten wegen unserer genauen Kenntnis dieser Küsten. Wir dürfen also hoffen, all unsere Kraft jetzt dem Vaterlande zu weihen .... Minna, Du wirst meinen Namen ehrenvoll, oder nie mehr, nennen hören. – Kann Tugend Glückseligkeit verleihen, so brauche ich sie Dir nicht zu wünschen, denn Du besitzest sie dann schon im vollen Maße. Minna – lebe wohl!« Minna weinte über den Brief so bitterlich, daß Nornas Aufmerksamkeit rege wurde. Sie entriß das Schreiben den Händen ihrer Nichte und überlas es anfangs mit wirren Blicken, als sei ihr nichts darin verständlich – dann schien ihr der Inhalt gewissermaßen aufzudämmern, – und endlich ließ sie den Brief, mit einem Ausdruck von Freude und Kummer, ihren Händen entsinken. Von diesem Augenblick an schien Nornas Charakter sich zu wandeln; ihre Tracht wurde schlichter, und ihr Zwerg wurde, für alle Zukunft reichlich versorgt, entlassen. Sie sehnte sich nicht mehr nach ihrer herumschweifenden Lebensweise, sondern ließ ihr Heim auf Fitful-Head niederreißen, legte den Namen Norna ab und wollte fortan nur Ulla Troil heißen. Aber die wichtigste Veränderung mit ihr ging erst später vor sich. Seit dem durch sie herbeigeführten Tode ihres Vaters hatte sie sich wie ein von der göttlichen Gnade ausgeschlossenes Wesen betrachtet und sich nur wenig mit der Bibel beschäftigt. Jetzt wurde das heilige Buch nur selten von ihr beiseite gelegt, und wenn arme Leute zu ihr kamen, um wie früher ihre Macht über die Elemente in Anspruch zu nehmen, gab sie ihnen den Bescheid: »Er hält den Wind in seinen Händen.« Gegen Mordaunt zeigte sie nach wie vor rege Teilnahme; vielleicht hauptsächlich aus Gewohnheit; auch ließ sich nicht leicht ermitteln, inwieweit sie sich noch der verwickelten Begebenheiten erinnerte, bei denen sie eine so große Rolle gespielt hatte. Als sie ungefähr vier Jahre nach den letzterzählten Vorfällen starb, stellte sich heraus, daß sie über ihr sehr beträchtliches Vermögen zugunsten Brendas verfügt hatte. Ungefähr zwei Jahre vor Nornas Tode wurde Brenda Mordaunts Gattin; es hatte einige Zeit gewährt, bevor der alte Magnus, trotz aller Liebe für seine Tochter und aller Zuneigung für Mordaunt, sich zur Einwilligung zu diesem Ehebund entschließen konnte. Mordaunts Wesen aber war so ganz nach des Udallers Sinne, daß sein altnorwegisches Blut den Empfindungen seines Herzens endlich nachgab. Der joviale alte Mann lebte bis an das äußerste Ziel irdischer Laufbahn, mit der glücklichen Aussicht auf eine zahlreiche Nachkommenschaft seiner jüngern Tochter; seine Tafelfreuden mehrte er abwechselnd durch Claud Halcros Melodien und Triptolemus Yellowleys gelehrte Abhandlungen, der, nachdem er seine hohen Ansprüche beiseite gelegt, nun besser mit der Insel bekannt und, eingedenk seiner frühern unglücklichen Melioriationsversuche, ein rechtschaffener nützlicher Substitut seines Herrn geworden und froh war, wenn er sich dann und wann der sparsamen Küche seiner Schwester Barbara entziehen und zur gastfreien Tafel des Udallers eilen konnte. Minna fand das Glück des Lebens nicht, wohl aber verfolgte sie Clevelands weitere Laufbahn mit frommer Ergebung und vernahm nach Jahren, nicht ohne eine Empfindung wehmütigen Trostes, durch seinen treuen Kameraden Bunce, daß er bei einem ruhmvollen Unternehmen den Ehrentod gefunden habe. Ende Quentin Durward Historische Erzählung Erster und zweiter Band Übersetzt von Erich Walter Quentin Durward. Edinburgh 1823 Erster Band Erstes Kapitel Im letzten Drittel des fünfzehnten Jahrhunderts bereiteten sich alle jene Ereignisse vor, die das Königreich Frankreich in den Besitz jener starken Macht setzen sollten, die jahrhundertelang für die übrigen europäischen Staaten zu einem wichtigen Eifersuchtsobjekt werden sollte. Vor dem Beginn dieses Zeitabschnitts war Frankreich um seinen Bestand in lange Kriege mit England verwickelt, das einen Teil seiner schönsten Provinzen an sich gerissen hatte, und es bedurfte der äußersten Anstrengungen seines Königs und seiner Untertanen, das, was ihm noch gehörte, zu erhalten. Es drohte aber für Frankreich auch andere Gefahr. Durch die Erfolge der Engländer übermütig gemacht, hielten sich auch die Fürsten, die im Besitz der großen Kronlehen waren, namentlich die Herzoge von Burgund und der Bretagne, nicht mehr an ihre Lehnsverträge, sondern scheuten nicht davor zurück, die Waffen gegen ihren Lehns- und Oberherrn, den König von Frankreich, zu erheben, sobald ihnen irgend ein Anlaß oder eine Gelegenheit dazu geboten wurde. In Friedenszeiten führten sie in ihren Provinzen ein völlig unumschränktes Regiment, und das im Besitze von Burgund und des schönsten und reichsten Teils von Flandern befindliche Herzogshaus Burgund besaß eine so bedeutende Macht, daß es der Königskrone Frankreichs weder an Reichtum noch an Streitkräften unterlegen war. Und wie die großen Vasallen es machten, machten die kleinen es auch; ein jeder von ihnen suchte sich soviel Macht und Unabhängigkeit zu verschaffen, wie er irgend behaupten konnte, und machte sich der schlimmsten Gewalttätigkeit und Grausamkeit schuldig. So war allein in der Auvergne ein Verzeichnis von weit über 300 Adeligen aufgestellt worden, die sich der Blutschande, des Raubes und Mordes, fast immer sogar im Rückfalle, schuldig gemacht hatten. Was aber zu diesen Uebelständen noch als erheblich verstärkend hinzutrat, das war die aus den langwierigen Kriegen mit England hervorgegangene Zerrüttung aller wirtschaftlichen Verhältnisse des Königreiches. In Frankreich hatte sich der Auswurf aller Länder in dieser wilden Zeit angesammelt, eine Menge von verwegenen Abenteurern hatte Banden gebildet und plünderte in Stadt und Land; sie boten ihre Schwerter demjenigen, der am besten bezahlte, oder führten, wenn sie einen guten Zahler nicht fanden, Krieg auf eigene Faust, bemächtigten sich der Burgen und Festungen, benützten sie als Schlupfwinkel, nahmen Reiche gefangen, um Lösegeld zu erpressen, und sogen die Ortschaften, die noch einigermaßen wohlhabend waren, vollständig aus. Trotz all diesen Schrecknissen und ohne die geringste Rücksicht auf das im Lande herrschende Elend trieben die niederen Adligen einen unerhörten Luxus, der kaum von demjenigen der Fürsten des Landes übertroffen werden konnte, und ihre Dienerschaft vergeudete auf unverschämte Weise das dem Volke abgepreßte Gut. Gebessert wurden diese Verhältnisse nicht im geringsten dadurch, daß im Umgange der beiden Geschlechter eine gewisse Galanterie herrschte, die noch auf die romantischen Gepflogenheiten der Ritterzeit zurückzuführen war; denn dafür machte sich eine grenzenlose Zügellosigkeit geltend, die aller Moral geradezu ins Gesicht schlug. Von dem reinen Geiste ehrbarer Zuneigung und frommer Uebungen, die die Gesetze des Rittertums einschärften, wußte man längst nichts mehr, wenn auch die Sprache der fahrenden Ritter noch immer im Brauche war und die Ordensregeln noch nicht als abgeschafft galten. Turniere wurden noch immer abgehalten, und die damit verbundenen Lustbarkeiten führten nach wie vor eine Menge von Abenteurern nach Frankreich, und keiner von ihnen unterließ es, seinen kecken Mut durch Handlungen zu beweisen, für die ihm sein glücklicheres Geburtsland keine Schranken öffnete. In dieser Zeit bestieg den wankenden Thron ein König, dessen Charakter im Grunde genommen schlecht war über alle Begriffe, der aber gerade hierdurch das Zeug in sich hatte, das im Lande herrschende Unglück zu bekämpfen und im bedeutenden Maße zu verringern, ähnlich gewissen Gegengiften, denen nach alten medizinischen Werken die Kraft innewohnen soll, die Wirkung von Giften aufzuheben. Dieser König war Ludwig der Elfte. Von jener romantischen Tapferkeit, oder dem aus ihr entspringenden Stolze, der für die Ehre zu fechten bereit war, wenn der Nutzen schon längst eingeheimst war, besaß Ludwig keinen Schimmer, wohl aber war er kühn genug, jeden nur irgendwie nützlichen Zweck in der Politik mit Zähigkeit zu erfassen und zu verfolgen. Er war ein Mann der ruhigen Ueberlegung, der kalten Berechnung, des klugen Besinnens, immer auf seinen Vorteil bedacht und niemals geneigt, dem Stolz und der Leidenschaft, wenn sie mit seinem Vorteil kollidierten, ein Opfer zu bringen. Er verstand, sich mit erstaunlichem Geschick zu beherrschen und seine wirkliche Gesinnung vor allen, mit denen er in Berührung trat, auf das peinlichste verborgen zu halten. Das Wort, daß ein Fürst, der sich nicht zu verstellen verstünde, nicht zu herrschen verstünde, und »daß er selbst seine Kappe, wenn er denken müsse, sie sei hinter seine Geheimnisse gekommen, vom Kopfe reißen und ins Feuer schmeißen würde,« führte er sehr oft im Munde. Zu keiner Zeit hat ein Mensch gelebt, der die Schwächen seiner Mitmenschen so auszunützen verstanden hat, wie dieser König Ludwig, und dabei doch zu vermeiden, daß es irgend den Anschein hatte, als ob er sich andern gegenüber, auch denen, die ihm Nachsicht schenkten, in Vorteil zu setzen suche. Von Natur rachsüchtig und grausam in so hohem Grade, daß es ihm eine besondere Freude machte, der Vollstreckung eines von ihm befohlenen Todesurteils anzuwohnen, reizte ihn doch kein Rachegefühl je zu voreiliger Hitze, weil in seinem Herzen kein Funke von Mitleid wohnte, der ihn hätte bestimmen können, Schonung walten zu lassen, wenn er mit Sicherheit verdammen konnte. In der Regel fiel er über seine Beute erst her, wenn er sie fest in seinen Klauen hatte, und wenn von irgend einem Zufall, sich zu befreien, keine Rede mehr sein konnte. Er verstand es meisterhaft, jede seiner Bewegungen so sorgfältig zu verbergen, daß im allgemeinen die Welt erst durch den Erfolg erfuhr, welchen Zweck er verfolgt hatte. Wenn ihm darum zu tun war, den Günstling oder Minister eines fürstlichen Nebenbuhlers für sich zu gewinnen, kannte seine Verschwendung keine Grenzen. Wohl war er ein Freund von Zügellosigkeit, aber weder Weib noch Jagd, so sehr er für beides entflammt war, vermochten ihn jemals den Staatsgeschäften abtrünnig zu machen. Er besaß eine Menschenkenntnis von erschreckender Tiefe, war stolz und hochmütig von Person, und hatte doch niemals Bedenken, Menschen aus den untersten Ständen emporzuheben und mit den wichtigsten Aemtern zu bekleiden, und verstand seine Wahl immer so geschickt zu treffen, daß er sich kaum ein einzigesmal in seinem Leben in den Eigenschaften, die er ihnen beimaß, geirrt hat. Die Ansichten, die in den verschiedenen Kreisen der bürgerlichen Gesellschaft seines Königreiches herrschten, galten ihm gleich Null. Aber kein Mensch bleibt sich immer vollständig gleich, und so bestanden auch in der Natur dieses klugen und gewandten Herrschers von Frankreich Widersprüche. Aus seiner Eigenschaft des falschesten und verlogensten aller Menschen ergaben sich die größten Irrtümer seines Lebens, und zwar insofern als er in die Ehre und Rechtlichkeit derjenigen, mit denen er Beziehungen hatte, zu schnell Vertrauen setzte, sobald ihm darum zu tun war, sie zu überlisten. Im allgemeinen dagegen war er eifersüchtig und argwöhnisch wie nur je ein Tyrann. Um die Schilderungen des fluchwürdigen Charakters dieses Herrschers von Frankreich zu vervollständigen, der sich unter den rohen, ritterlichen Monarchen seines Zeitalters als der Tierbändiger hervortut, der die Gewalt über die Bestien nur durch alle Mittel scharfer Dressur in die Hände bekommen hat, unter denen Hunger und Prügel nicht die gelindesten sind, und der, um von ihnen nicht zerrissen zu werden, vor keinem Mittel, das ihm seine Gewalt erhält, zurückschrecken darf, müssen wir noch zwei weiterer Eigenschaften gedenken, die er andern Herrschern voraus hatte, und zwar seines hochgradigen Aberglaubens, der sein Gemüt der tröstenden Segnungen der Religion fast vollständig verschloß, und seines Hanges zu geheimen Ausschweifungen und zu Zerstreuungen gemeiner Natur. Durch diesen klugen oder wenigstens schlauen, mit hoher Macht ausgerüsteten, aber in seinem Charakter so unlauteren Herrscher setzte der über Staaten wie über Individuen waltende Himmel das große französische Volk wieder in den Besitz der Vorteile einer geordneten Regierung, die ihm vor seinem Regierungsantritt fast ganz abhanden gekommen war. Dabei bestieg er den Thron unter keineswegs günstigen Auspizien; denn er hatte in seinem bisherigen Lebenslaufe wenig Talent und Tüchtigkeit, wohl aber großen Hang zum Laster offenbart. Seine erste Gemahlin, Margarete von Schottland, wurde durch einen von ihm eingesetzten Gerichtshof zum Tode verurteilt, und ohne sein Dazutun wäre es doch keinem Beisitzer dieses Tribunals eingefallen, auch nur ein einziges schlimmes Wort gegen diese liebenswürdigste und aufs schändlichste mißhandelte Fürstin zu äußern! Als Sohn war er undankbar und aufrührerisch gegen den eigenen Vater gewesen und sogar mit dem Gedanken umgegangen, sich der Person desselben zu bemächtigen, nur um früher die Herrschaft an sich zu reißen. Ja er hatte es soweit getrieben, daß sich zwischen dem Vater und ihm ein richtiger Krieg entspann. Um des ersten Vergehens willen war er in die Dauphiné verbannt, um des letztern willen des Landes verwiesen worden. Damals hatte er sich zu dem Herzog von Burgund flüchten müssen, der Gnade und Barmherzigkeit desselben anheimgegeben, und war solange dessen Gast gewesen, bis ihm des Vaters Tod die Rückkehr nach England wieder gestattet hatte. Er hatte kaum den Thron bestiegen, als sich die großen Vasallen Frankreichs, mit dem Herzog von Burgund an der Spitze, zu einem Bunde gegen ihn zusammentaten, mit einem großen Heere vor Paris rückten und das französische Königreich an den Rand des Verderbens brachten. Ludwig hatte in der ihm vor den Wällen von Paris, bei Montl'héry, gelieferten Schlacht keinen geringen Grad von persönlicher Tapferkeit bewiesen. Immerhin blieb der Ausgang unentschieden. Wie es aber in solchen Fällen die Regel zu sein pflegt, daß dem klügeren der beiden Streiter, wenn auch nicht der Ruhm, so doch die Frucht in den Schoß fällt, so auch hier: Ludwig verstand es meisterhaft, Eifersucht zwischen seinen Widersachern zu erwecken und hierdurch die Oberhand über sie zu gewinnen. Dann traf es sich günstig für ihn, daß in England der lange Zwiespalt zwischen den beiden Rosen entbrannte und ihn von der »englischen Gefahr« befreite, und nun begann er, als geschickter, aber gefühlloser Arzt die Wunden seines Reiches zu heilen, bald durch gelinde Mittel, mehr aber durch Feuer und Schwert die Geschwüre zu entfernen, die an demselben fraßen. Die Räubereien der Freischaren, die Plackereien des Adels konnte er freilich nicht mit Stumpf und Stiel ausrotten, aber es gelang ihm, sie erheblich einzuschränken, gleichwie er seinen Vasallen gegenüber das königliche Ansehen durch unentwegte Wahrung und Mehrung der Interessen der Königskrone zu stärken wußte. Nichtsdestoweniger schwebte Ludwig in ständiger Furcht und Gefahr, denn den Bund der Thronvasallen zu vernichten, wollte ihm nicht gelingen, er blieb eine Natter an seinem Busen, die ihn fortwährend mit ihren Giftzähnen bedrohte. Noch eine weit schlimmere Gefahr für ihn war jedoch die in ständigem Wachstum befindliche Macht des Herzogs von Burgund, damals eines der mächtigsten Fürsten Europas, und trotz seines Vasallenverhältnisses zu Frankreich diesem an Rang kaum unterlegen. Der burgundische Herzogshut saß damals auf dem Haupte Karls mit dem Beinamen des Kühnen oder vielmehr Verwegnen, denn sein Mut wurde durch seine Tollkühnheit noch übertroffen, und er strebte nach nichts Geringerem, als seinen Herzogshut mit einer Königskrone zu tauschen. Sein Charakter stand zu dem Ludwigs des Elften im schroffsten Gegensatze. Ludwig war ruhig, bedacht und pfiffig, ließ sich nie auf ein verzweifeltes Unternehmen ein, gab aber auch niemals eins auf, das Aussicht auf Erfolg, wenn auch erst in geraumer Zeit, hatte. Herzog Karl hingegen stürzte sich in Gefahren, weil er Gefahren liebte, und bot Hindernissen Trotz, weil er Hindernisse verachtete. Ludwig opferte seiner Leidenschaft niemals sein Interesse, Karl dagegen ließ seiner Leidenschaft ohne Rücksicht auf jedes Interesse die Zügel schießen. Sie waren eng verwandt zusammen und Ludwig hatte, als er von dem Vater des Landes verwiesen worden war, bei dem Vater Karls in der Dauphiné jahrelang Zuflucht und Obdach gefunden, hatte von Karls Vater wie von ihm selbst Unterstützung und Beistand aller Art erhalten, und doch wollten beide Männer nicht allein nichts voneinander wissen, sondern verachteten und haßten einander bitter. Auf Ludwigs Gesinnung gegen Karl war seine Habsucht von nicht geringem Einfluß, denn er mißgönnte seinem Vetter die reichen Besitzungen seiner Herzogskrone, die strenge Disziplin, die unter den kriegerischen Bewohnern der burgundischen Lande herrschte, hielt ihn in ständiger Furcht, und die zahlreiche Bevölkerungsmenge derselben weckte seinen Neid. Ludwig verstand es nur allzu gut zu ermessen, was ihm von diesem allezeit kampflustigen und kampfsüchtigen Burgundervolke für Gefahren drohten, wenn er sich mit dem unbändigen Herzoge vollständig verfeindete. Darum war er eben zu dem Entschlusse gekommen, den entgegenkommenden Schritt zu tun, den er getan hatte, indem er den Weg nach dessen Besitzungen nahm, unter Wahrnehmung des Waffenstillstandes, der um das Jahr 1468, zu einer Zeit, als ihre Fehden den höchsten Gipfel erreicht hatten, gerade eingetreten war. Und das ist die Zeit, zu welcher auch unsere Erzählung einsetzt. Zweites Kapitel Es war an einem wunderschönen Sommermorgen. Die Sonne hatte von ihrer sengenden Kraft noch nichts verloren. Der Tau kühlte noch die Luft und füllte sie an mit süßem Dufte. Da näherte sich ein Jüngling von Nordosten her der Furt eines Baches, der sich unweit des Schlosses Duplessis in den Cher ergießt. Von weiten Wäldern umringt, ragen die düstern Baulichkeiten des Schlosses hoch über die Gipfel der hohen Bäume. Am andern Bachufer standen zwei Männer, in eine tiefe Unterhaltung versunken, die sich hin und wieder nach dem Wanderer drüben umsahen. Da das Ufer, auf dem sie standen, erheblich höher lag als das andere, konnten sie ihn schon aus ziemlicher Weite beobachten. Er mochte etwa neunzehn Jahre alt sein, oder zwischen dem neunzehnten und zwanzigsten stehen; aber daß er nicht aus der Gegend, auch nicht aus Frankreich stammte, verriet sein Aeußeres auf den ersten Blick. Er trug einen kurzen, grauen Rock und ebensolche Beinkleider. Das deutete mehr auf niederländische Mode als auf französische, hingegen war die spitz zulaufende blaue Mütze mit dem Stechpalmenzweige weder in Frankreich noch in den Niederlanden, sondern nur in Schottland heimisch. Er war ein recht schmucker Bursch und von hübscher Figur. Auf dem Rücken trug er ein Ränzel, das ein paar Habseligkeiten zu enthalten schien, über der linken Faust trug er einen Falkenierhandschuh, obgleich kein Falke drauf saß, und in der rechten einen derben Jagdstock. Ueber seiner linken Schulter hing eine gestickte Schärpe, an der wieder eine kleine Tasche hing, von scharlachrotem Sammet, wie sie damals gern von den Falkenieren getragen wurde, um das Futter für diese immer hungrigen Vögel bei sich zu führen, hin und wieder wohl auch andere Dinge, wie sie zu dem damals in schönster Blüte befindlichen Sport gebraucht wurden. Ueber die Schärpe fiel von der andern Schulter herab ein Bandelier, in dem ein Jagdmesser steckte. Statt der damals üblichen Jagdstiefel trug er leichte Halbstiefel aus halbgegerbtem Leder. Der Jüngling war noch nicht völlig ausgewachsen, aber schon recht groß und stattlich. Sein munterer Schritt verriet, daß ihm das Wandern mehr ein Genuß denn ein Verdruß war. Seine Gesichtsfarbe wies einen bräunlichen Teint auf, die Folge von langem Aufenthalt in der frischen Luft, war aber nichtsdestoweniger schön. Seine Züge waren frei und offen und gefällig, wenn auch nicht streng regelmäßig. Zwischen den von einem muntern Lächeln leicht geöffneten Lippen traten zwei Reihen blendend weißer Zähne zum Vorschein, und aus seinem hellblauen Auge, das einen eigentümlich zu Herzen gehenden Blick hatte, sprach frohe Laune, leichter Sinn und rasche Entschlossenheit. Die beiden Männer auf dem andern Ufer hatten ihn, wie schon gesagt, längst gesehen. Als er aber, flink wie ein Reh, das zur Quelle eilt, die Uferkante zum Wasser hinunter sprang, stieß der jüngere von ihnen den andern an und meinte: »Ei! das ist unser Mann! der Zigeuner! Wenn er sich's etwa einfallen läßt, durch die Furt zu waten, so ist er verloren, denn das Wasser ist hoch, und die Furt unpassierbar,« – »Dahinter mag er nur von selbst kommen, Gevatter!« erwiderte der ältere; »wer weiß, ob wir auf diese Weise nicht einen Strick sparen.« – »Ich richte mich bloß nach seiner blauen Mütze in der Taxierung seiner Person,« erwiderte der andere; »denn sein Gesicht kann ich nicht sehen. Aber, aufgepaßt! er ruft uns, wahrscheinlich will er wissen, ob das Wasser tief ist oder nicht.« – »Es geht im Leben nichts über die eigne Erfahrung,« sagte der andere; »mag er's doch probieren, wie's im Bache aussieht.« Der Jüngling zauderte nicht lange, sondern zog sich die Stiefel von den Füßen und ging in das Wasser hinein. Es verdroß ihn augenscheinlich, daß er von den beiden Männern keine Antwort erhielt. Da rief ihm der ältere derselben zu, er möge sich in acht nehmen, mit dem Bache sei nicht zu spaßen, raunte aber gleich darauf seinem Begleiter die weiteren Worte zu: »Mort Dieu! Du hast Dich schon wieder geirrt, Gevatter! der junge Mensch ist nicht unser schwatzhafter Zigeuner.« Die Warnung kam indessen zu spät an die Ohren des Jünglings, oder er hatte sie überhaupt nicht vernommen, weil er schon mitten in der rauschenden Strömung war, in welcher ein minder couragierter und des Schwimmens nicht in dem vorzüglichen Maße wie er bewanderter Mensch sicher umgekommen wäre, denn der Bach hatte nicht allein eine sehr starke Strömung, sondern auch Wirbel und Untiefen. »Bei unserer heiligen Anna!« meinte der ältere der beiden Männer wieder, »das ist ein strammer Junge! lauf, Gevatter, und mach Deine Sünde wieder gut, indem Du ihm nach besten Kräften beistehst. Gehört er doch zu Deinem Kaliber, von dem das Wasser, wie es in dem alten Sprichworte heißt, nichts wissen will, weil es ihm zu leicht ist.« – Wirklich schwamm auch der Jüngling so leicht und flott, daß er trotz der Gewalt, die die Strömung an dieser Stelle hatte, ziemlich genau an dem üblichen Landungsplatze das Ufer erreichte. Mittlerweile eilte der jüngere der beiden Männer zum Ufer hinunter, um dem Schwimmer Beistand zu leisten, während der ältere langsamen Schrittes hinterher folgte, unterwegs bei sich sprechend: »Hm, ich hab's doch gewußt, daß der Kerl nicht ersäuft. Meiner Seelen! er ist schon am Ufer und greift nach seinem Stocke. Wenn ich mich nicht tummle, so ist er imstande, mir den Gevatter durchzuwamsen für den einzigen Liebesdienst, den ich ihm zeit meines Lebens einem Mitmenschen habe erweisen sehen.« Zu solcher Befürchtung war nun freilich einiger Grund vorhanden, denn der kräftige Jüngling drang auf den hilfreichen Samariter mit der zornigen Rede ein: »Du unhöflicher Hund! Warum gibst Du keine Antwort, wenn Dich ein Mensch manierlich fragt, ob der Bach passierbar ist oder nicht? Der Teufel soll mir die Suppe versalzen, wenn ich Dich nicht Mores lehre, wie Du Dich künftighin anständigen Menschen gegenüber zu verhalten hast!« Dabei schwang er den Stock in seiner Faust, daß er sich wie ein Windmühlenflügel im Kreise drehte. Der andere aber griff, als er sich solchermaßen bedroht sah, zum Schwerte, denn er gehörte zu jenem Schlage Menschen, der lieber handelt, als viel Worte macht. Aber da trat der ältere, der auch der Höhersituierte zu sein schien, hinzu und hieß ihn sich ruhig verhalten; dann wandte er sich zu dem Jüngling, schalt ihn einen unvorsichtigen, voreiligen Menschen, sich in einen so sehr geschwollenen Bach zu wagen und mit dem Manne, der ihm zu Hilfe geeilt sei, mir nichts dir nichts Händel anzufangen. Als sich der Jüngling so derb von einem weit älteren Manne derart zur Rede stellen hörte, brachte er auf der Stelle seinen Knotenstock in Ruhe und sagte, es solle ihm sehr leid sein, wenn er sich in ihnen geirrt hätte. Es käme ihm aber ganz so vor, als wenn sie ihn, statt ihn rechtzeitig zu warnen, hätten in der Gefahr umkommen lassen wollen, was doch unter Christen kein Brauch sei ... »Lieber Junge,« sagte darauf der ältere der beiden Männer, »nach Deiner Rede und Deinem Aussehen zu schließen, bist Du nicht aus unserm Lande. Da wär's doch am Platze, Du rechnetest damit, daß wir Dich nicht so schnell verstehen können, wie Du sprichst.« – »Na, lassen wir's gut sein, Herr Vater,« sagte darauf der Jüngling, »ich seh es auf ein bißchen Paddeln im Wasser nicht gerade an, und will's auch nicht weiter anrechnen, daß Euch wohl ein Teil von der Schuld mit trifft. Aber dafür müßt Ihr mich nun schon an einen Ort weisen, wo ich meine Sachen trocknen kann, denn ich habe kein zweites Wams, sondern bloß das, was ich auf dem Leibe trage. Auch muß ich darauf sehen, daß das noch seine Weile aushält.« – »Na, für was für Leute hältst Du uns denn, mein Sohn?« fragte der ältere auf die Zumutung hin. – »Nun, für ehrsame Bürgersleute,« erwiderte der Jüngling, »und darin irre ich mich wohl auch nicht? oder,« setzte er hinzu, als wenn ihm plötzlich eine andre Meinung käme, »seid Ihr etwa ein Geldwechsler oder Getreidehändler, und Euer Kamerad ein Schlächter oder Viehhändler?« – »Halb und halb hast Du's ja erraten, was wir sind, mein Sohn,« versetzte der ältere lächelnd, »meine Arbeit besteht allerdings darin, soviel Geld zu wechseln, wie sich irgend auftreiben läßt, und meines Gevatters Beruf steht in einiger Verwandtschaft zu dem eines Schlächters. Was nun Dein Anliegen anbetrifft, Dir einen Ort anzuweisen, wo Du Dein Wams trocknen kannst, so wollen wir zusehen, was sich tun läßt. Aber da muß ich doch zuerst wissen, wes Geistes Kind Du bist, denn in der jetzigen Zeit hat's nicht gerade Mangel auf den Landstraßen an Wandervolk, bei dem alles andre eher zu finden und zu vermuten ist, als Ehrlichkeit und Gottesfurcht.« Der Jüngling maß den Mann, der diese Worte an ihn gerichtet hatte, mit einem scharfen, durchdringenden Blicke, dann sah er, aber weniger scharf, auf den andern Mann hinüber, wie wenn er sich seinerseits nicht recht klar darüber sei, ob sie selbst seines Vertrauens würdig seien, und er kam dabei zu folgendem Schlusse: der ältere der beiden, der der besser Gekleidete war und auch in Aussehen und Haltung dem andern sichtlich überlegen war, zeigte ganz den Habitus eines Kaufmanns oder Krämers jener Zeit; sein Wams und sein Beinkleid war von der gleichen, dunklen Farbe, aber schon recht abgetragen, woraus der Schotte weiter folgerte, der Mann müsse entweder sehr reich und knickrig oder sehr arm sein – wahrscheinlich sei indes das erstere der Fall. Der Umstand, daß ihm die Sachen eher zu eng als zu weit, und vor allem die Hosen eher zu kurz als zu lang waren, bestärkte ihn hierin, denn sich so zu tragen, galt damals nicht einmal unter dem Bürgerstande für anständig, denn es wurden allgemein weite, lange Röcke getragen, zumeist solche, die bis über die Knie herunterfielen. Der Gesichtsausdruck des Mannes war nicht sowohl einnehmend als abstoßend. Die groben Züge, wie die eingefallenen Wangen und tiefliegenden Augen deuteten auf einen gewissen Grad von Pfiffigkeit und Humor, der dem Jünglinge nicht eben unsympathisch war. Die Augen waren von dichten, schwarzen Brauen überschattet und hatten einen gebieterischen Ausdruck, der in gewissem Maße unheimlich wirkte. Die tief über die Stirn hereingezogene Pelzmütze verringerte durch den Schatten, der auf die Augen fiel, diesen Eindruck nicht, sondern erhöhte ihn vielmehr nicht unwesentlich. Soviel steht fest, daß der junge Wanderer den Blick dieses Auges mit der unscheinbaren Kleidung, die der Mann trug, nicht recht zusammenreimen konnte. Was ihm weiter auffiel, war, daß die Pelzmütze, die der Mann trug, nicht, wie es sonst bei besser situierten Leuten Mode war, mit Gold oder Silber geputzt, sondern nur mit geringen Bleibildern behangen war, die Jungfrau Maria darstellend, wie sie von armem Pilgervolk aus Loretto mit heimgebracht wurden. Der Kamerad dieses wunderlichen Alten war ein kräftiger Mann mittleren Wuchses, der wohl an die zehn Jahre jünger sein mochte als der andere. Er hielt das Gesicht immer der Erde zugewandt, mit einem Lächeln, das nichts Gutes bedeutete, aber er zeigte dieses Lächeln dem Anschein nach immer nur dann, wenn er seinem Kameraden auf gewisse heimliche Zeichen zu antworten hatte, die von Zeit zu Zeit zwischen ihnen ausgetauscht wurden. Dieser andere Mann trug ein Schwert und einen Dolch. Der Jüngling bemerkte auch, daß er unter seinem einfachen Oberkleide ein Panzerhemd aus metallenen Ringen trug, und diese weitere Wahrnehmung bestärkte den Jüngling in der Meinung, einen Schlächter oder Viehhändler in dem Manne vor sich zu sehen, denn wegen der Unsicherheit, die damals auf den Landstraßen herrschte, wurden solche Panzerhemden auch gern von Leuten getragen, die viel auf der Landstraße sein mußten und auch immer viel Geld bei sich führten. Nachdem der Jüngling mit seinen Betrachtungen zu diesem Ergebnisse gelangt war, wozu er freilich ein bißchen viel Zeit gebraucht hatte, erwiderte er auf die zuletzt an ihn gerichteten Worte des ältern der beiden Männer: »Es ist mir zwar nicht bekannt, an wen ich das Wort zu richten die Ehre habe,« – diese höfliche Wendung verstärkte er durch eine leichte Verneigung – »das hat aber weiter nichts auf sich. Ich bin Schotte und komme, nach dem in unserm Lande heimischen Brauche, nach Frankreich herüber in der Absicht, hier mein Glück zu suchen, oder – was anderes dafür zu finden, je nachdem.« – »Beim Ewigen! das ist eine recht manierliche Sitte,« erwiderte hierauf der ältere Mann wieder, »Ihr scheint mir ein braver Junge, und obendrein gerade in dem Alter, in welchem der Mensch sein Glück machen kann, nicht bloß bei Männern, sondern auch bei Weibern. Wie denkt Ihr darüber? Ich bin Kaufmann und brauche einen Burschen, der mir bei meinen Geschäften an die Hand geht. Mir kommt's bloß so vor, als ob Ihr die Nase ein bißchen zu hoch trügt, um Euch zu solchen mechanischen Plackereien herzugeben.« – »Mein Herr,« antwortete darauf der junge Schotte, »wenn Ihr Euer Anerbieten im Ernste macht, was mir indessen noch ein wenig zweifelhaft ist, so bin ich Euch dafür zu recht großem Danke verpflichtet. Ich fürchte nur, Ihr werdet mich nicht so recht brauchen können?« – »Ich möchte freilich wetten, daß Du Dich besser drauf verstehst, den Bogen zu spannen, als mit einem Ballen Ware im Lande herumzulaufen; auch dürftest Du die Feder schwerlich so gut zu führen wissen, wie Dolch oder Schwert ... stimmt's, was ich sage?« »Mein Herr,« erwiderte der Jüngling, »ich bin allerdings Bogenschütze von Stande, aber ich habe auch eine Zeitlang in einem Kloster gelebt, und dort haben mich die frommen Väter im Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichtet, und ich soll, wie sie mir oft gesagt haben, der schlechteste unter ihren Schülern gerade nicht gewesen sein.« – »Sapperment! das trifft sich ja vorzüglich,« rief der scheinbare Kaufmann, »Du bist ja, bei unsrer Frau von Embrun! das richtige Wunderkind.« – »Ach, laßt doch solchen Spaß beiseite!« erwiderte der Jüngling, der über die Scherze seines neuen Bekannten nicht sonderlich erfreut war, »sagt mir lieber, wo ich mein Wams und mein Beinkleid trocknen kann, denn ich habe keine sonderliche Lust, noch lange pitschnaß hier zu stehen und müßige Antwort auf müßige Frage zu geben.« Darüber stimmte der Kaufherr ein noch lauteres Lachen an wie bisher ... »Sapperment! das Sprichwort: stolz wie ein Schotte, lügt doch nicht, aber komm nur, junger Freund! Ich halte was auf das Land, aus dem Du stammst; denn ich habe eine Zeitlang auch mit Schottland Geschäfte gehabt. Ein recht braver Menschenschlag, dieses Gebirgsvolk! Komm mit uns ins Dorf hinunter, und wenn's Dir recht ist, so will ich Dir dort ein Glas Branntwein und ein Frühstück geben lassen als Entschädigung für das kalte Wasser, in das Du hast tauchen müssen. Aber, Sapperment! was tut denn der Jagdhandschuh auf Deiner linken Faust? Weißt Du nicht, daß in den königlichen Gehegen alle Jagd verboten ist?« – »Das hab ich schon erfahren von einem hundsföttischen Försterknechte des burgundischen Herzogs,« erwiderte der Jüngling, »ich hab meinen Falken, den ich von Schottland mit herübergebracht, und mit dem ich mir recht große Ehre einzulegen dachte, in der Gegend von Peronne bloß auf einen Reiher steigen lassen, und sans façon blitzt mir dieser freche Wicht meinen schönen Falken mit einem Pfeile weg!« – »Und wie hast Du Dich da verhalten?« erwiderte der Kaufmann. – »Tüchtig durchgewamst hab ich den Kerl,« rief der Jüngling; »und zwar so, daß ihm wohl eine Weile Hören und Sehen vergehen wird ... aber totgeschlagen hab ich ihn nicht, denn sein Blut wollt ich nicht des Galgens wegen auf mein Gewissen laden.« – »Weißt Du auch, daß Dich der Burgunder an die erste beste Haselstaude hätte aufknüpfen lassen, wenn Du ihm in die Hände gefallen wärst?« – »Ja, er soll ja mit solchen Sachen genau so flink sein, wie der König von Frankreich. Aber ich hab den Jägersknecht unweit von Péronne durchgewamst und war flink über die Grenze, als seine Mannen sich sehen ließen, und hab sie von dort aus mitsamt ihrem Herzog weidlich ausgelacht,« – und nach einer kleinen Pause setzte er hinzu: »Wäre der Burgunder Herr übrigens nicht gar so flink mit seinen Drohungen gewesen, so hätte es mir wohl beikommen können, mich um einen Dienst bei ihm zu bewerben.« – »Na, vermissen wird er solchen Paladin wie Euch ganz gewiß ungern,« erwiderte der Kaufmann mit einem Seitenblick auf seinen Kameraden, »besonders wenn der Waffenstillstand aufgekündigt werden sollte!« und während dieser wieder sein seltenes Lächeln zeigte, bloß vielleicht noch düsterer als vordem, rückte der junge Schotte die Mütze über sein rechtes Auge wie jemand, dem es nicht recht ist, daß über ihn gespottet wird, und erwiderte mit fester Stimme: »Ich möchte den beiden Herren, besonders aber Euch als dem ältern und mithin auch wohl klügern, ein für allemal sagen, daß es mir nicht eben klug zu sein scheint, auch wohl nicht recht anständig, sich auf meine Kosten einen billigen Spaß zu machen. Mir liegt an solcher Unterhaltungsweise überhaupt nicht viel. Hab ich einen Tadel verdient, so nehme ich ihn gern hin, besonders von einem Manne, der älter ist; auch wohl, wenn er nicht gerade beleidigt, einen Spaß; aber mich als Jungen behandelt zu sehen, das will mir nicht zu Sinne gehen, denn ich fühle mich schließlich doch eben Mannes genug, es mit Euch beiden aufzunehmen, falls es einem oder beiden von Euch belieben sollte, mich herauszufordern.« Ueber diese Reden des Jünglings lachte der ältere der beiden Männer, daß er fast erstickte, während sein Kamerad mit der Hand nach den Schwerte fuhr. Das bemerkte der Jüngling, und gab ihm ohne Besinnen einen so derben Schlag mit der Faust auf die Hand, daß er sie nicht mehr zu rühren vermochte. Die Heiterkeit des ältern wurde hierdurch nicht wenig erhöht ... »Ruhe gehalten, Herr Schotte!« rief er, sich mit Gewalt das weitere Lachen verhaltend, »um Deines eignen Vaterlandes willen! Und Ihr, Gevatter! die Hand vom Schwerte und kein solch bärbeißiges Gesicht mehr! wir wollen uns in Ruhe zusammen verständigen. Der junge Mensch ist naß geworden, und Ihr habt was auf die Finger bekommen: also seid Ihr zusammen quitt. Euch aber, junger Mensch,« setzte der Kaufmann hinzu mit düster-ernster Miene, »sage ich ein für allemal, laßt's Euch nicht noch einmal einfallen, Euch solche Gewalttätigkeit herauszunehmen. Das ist bei mir nicht am rechten Orte! sagt mir, wer Ihr seid! mein Gevatter hat, wie Ihr seht, mehr als genug von Eurem Schlage.« – »Auf eine höfliche Frage bin ich nie karg mit einer höflichen Antwort,« versetzte der Jüngling, dem der Ernst des andern, wenn auch wider Willen, Achtung abnötigte, »zudem werde ich Eurem Alter die gebührliche Achtung nie vorenthalten, vorausgesetzt daß Ihr meine Geduld durch Euren Spott und Hohn auf keine zu scharfe Probe stellt. Seit ich den Fuß nach Frankreich und Flandern gesetzt habe, nennen mich die Leute den Musje mit der roten Samttasche; wegen des Falkenbeutels, den ich an der Seite trage. In meiner Heimat führe ich aber den Namen Quentin Durward.« »Durward?« wiederholte der ältere Mann. »Ist das ein Edelmannsname?« – »In unserer Familie lebt er fort im fünfzehnten Grade,« erwiderte der Jüngling, »und ebendarum fühle ich zu keinem andern Berufe Neigung, als zum Waffenhandwerk.« – »Ein echter Schotte! voll Blut und voll Stolz, aber dafür ohne Dukaten im Sack ... na, Gevatter,« wandte er sich zu seinem Begleiter, »geh nur voraus und bestell ein gutes Frühstück für uns, dort beim Maulbeerbusche, hörst Du? Ich denke mir, der junge Mensch wird sich wohl ebenso dran halten, wie die verhungerte Maus ans Käsebrot in der Küche der Hausfrau. Was endlich den Zigeuner anbetrifft ...« Der Gevatter, wie der ältere Mann mit Vorliebe seinen Kameraden nannte, zeigte wieder sein düsteres Lächeln, entfernte sich aber mit schnellen Schritten. Der andere aber wandte sich wieder an Durward: »Wir wollen miteinander gehen und können unterwegs im Walde, in der Hubertuskapelle, gleich eine Messe mitanhören. An fleischliche Dinge zu denken, ehe man die Seele gestärkt hat, ist nicht eben christlich.« Hiergegen hatte Quentin Durward als guter Katholik nichts einzuwenden, wenn ihm auch der Wunsch, die nassen Kleider vom Leibe zu bekommen, näher liegen mochte. Den Kameraden mit dem zur Erde gewandten Gesicht hatten sie bald aus den Augen verloren, trotzdem sie den gleichen Weg mit ihm gingen, bis sie den Fuß in einen ziemlich dichten Wald setzten, der von langen Alleen durchschnitten wurde, über die man hüben und drüben das Wild so ruhig hinziehen sah, als ob es sich hier unter ganz besonderem Schutze wüßte. – »Ihr fragtet, ob ich guter Bogenschütze sei?« nahm der junge Schotte das Wort; »nun, so gebt mir doch einen Bogen und ein paar Pfeile, und Ihr sollt im Handumdrehen ein Stück Wildbret haben.« – »Sapperlot, junger Mensch!« erwiderte der Kaufmann, »da nehmt Euch doch ein bißchen in acht – aufs Wild hat mein Gevatter ein ganz besonderes Augenmerk, und läßt in dieser Hinsicht mit sich nicht spaßen.« – »Der sieht doch weit mehr aus wie ein Fleischer als wie ein Weidmann!« rief Durward, »ich kann mir wahrhaftig nicht denken, daß solch ein hündischer Kriecher wie der, einen guten Jäger abgeben könnte?« – »Laßt nur gut sein, junger Mensch,« entgegnete sein Begleiter, »mein Gevatter sieht freilich auf den ersten Blick nichts weniger als einladend aus, aber ich habe noch von keinem, der mit ihm umgeht, über ihn klagen hören.« In dem Tone, mit welchem das gesagt wurde, fand Quentin Durward etwas so Abstoßendes, daß er nicht umhin konnte, den Kaufmann schärfer zu beobachten, und da kam es ihm vor, als ob er in dem halben Lächeln, das dessen Lippen umspielte, wie auch in dem kecken Blicke von dessen schwarzen Augen einen gewissen Ausdruck gewahrte, der seine nicht eben angenehme Verwunderung zu begründen schien. Es ist mir, dachte er bei sich, manches über Räuber und Wegelagerer zu Ohren gekommen, die sich auf allerlei Weise an allein unterwegs befindliche Wanderer heranwagen; wie, wenn der Mensch dort ein Mörder, der alte Schurke hier aber sein Helfershelfer wäre? Ich will doch lieber auf meiner Hut sein. Mehr als eine tüchtige Tracht schottischer Senge sollen sie, so wahr mir Gott helfe, nicht vorfinden! Während dieses Selbstgesprächs gelangte er unter dem Geleit seines Führers an eine Stelle, wo die großen Bäume weiter auseinander standen, und wo der Boden unter ihnen, von Unterholz und Gebüsch befreit, einen Rasenteppich vom sanftesten Grün zeigte, das vor den sengenden Sonnenstrahlen geschützt hier besser fortzukommen schien als irgendwo anders in Frankreich. Die Bäume, die hier standen, waren meist Buchen und Ulmen, aber von solcher Größe, daß sie Baumhügeln glichen, die in die Luft emporstiegen. In ihrer Mitte, an der offensten Stelle der Lichtung stand eine kleine Kapelle und unfern von ihr floß ein Bächlein geräuschlos entlang, nebst einer Hütte, in welcher der einsame Priester, der hier den Gottesdienst versah, hauste. Ueber dem gewölbten Portale der Kapelle stand ein steinernes Bild des heiligen Hubertus, mit einem Jagdhorn um den Hals und zu Füßen eine Koppel Hunde. Hierher lenkte Durwards Führer seine Schritte, und kaum waren sie auf die Lichtung hinausgetreten, als auch schon der Einsiedler in seiner Kutte aus seiner Hütte trat, um sich in die Kapelle zu begeben. Durward verneigte sich tief vor dem frommen Manne, wie es die gute Sitte erheischte, während sein Begleiter, dem Anschein nach von noch tieferer Frömmigkeit erfüllt, sich auf ein Knie niederließ, den Segen des frommen Mannes zu empfangen, und ihm dann demütigen Schrittes und in einer Haltung, die auf tiefe Zerknirschung hinwies, in das Gotteshaus folgte. Das Innere desselben war dem Heiligen, der hier verehrt wurde, auf das engste angepaßt, denn es entsprach durchaus seinem Berufe, da er noch auf Erden wandelte. An Stelle von Teppichen und Vorhängen sah man nur Felle von Jagdtieren, und überall an den Wänden waren Verzierungen angebracht von Hörnern, Bogen, Köchern und andern Jagdsymbolen und Jagdgerätschaften; und selbst die Messe zeigte durch ihre abgekürzte Form, daß es eine sogenannte »Jagdmesse« war, wie sie vor Edlen und Mächtigen gehalten zu werden pflegte, die ja in der Regel, wenn sie sich in eine Kirche zum Gottesdienste begeben, ihrem Sport mit Ungeduld entgegensehen. Durwards Begleiter schien jedoch während der kurzen feierlichen Handlung die gespannteste Aufmerksamkeit zu entfalten; und der schottische Jüngling sah zu seinem lebhaften Bedauern ein, daß er dem alten Herrn das bitterste Unrecht angetan habe, als er sich von seinem Charakter solche ungeheuerliche Vorstellung gemacht hatte, wie, daß er ein Räuber und Wegelagerer sein oder wenigstens zu solchem Gesindel halten könne. Jetzt fiel es ihm im Gegenteil schwer, ihn nicht für einen Heiligen zu halten. Sobald der Gottesdienst zu Ende war, verließ der alte Herr mit dem Jünglinge die Kapelle. »Es ist nicht mehr weit bis zum Dorfe,« sagte der erstere, »Ihr könnt nun Euer Fasten mit Ruhe brechen, ohne eine Sünde befürchten zu müssen. Folgt mir also!« Er wandte sich nach diesen Worten rechts und schritt einen Pfad entlang, der langsam zu steigen schien; als er ein Stück weit gegangen war, riet er seinem Begleiter, sich ja scharf in der Mitte zu halten, und als Durward fragte, warum denn das notwendig sei, gab er die Antwort: »Hm, Ihr seid nun in der Nähe des Hofes, und es ist doch eine andre Sache, ob Ihr auf königlichem Boden oder in Euren Bergwildnissen wandelt. Den Weg ausgenommen, auf dem Ihr Euch jetzt befindet, ist jeder Zoll hier ungangbar gemacht durch Schlingen und Fußangeln; sie stehen mit Sicheln im engsten Kontakt, die dem unvorsichtigen Wanderer die Beine so glatt wegsäbeln, wie eine Gartenschere die Schößlinge von den Bäumen wegputzt. Es liegen auch Eisen hier verstreut, die einem jeden, der sie berührt, die Füße durch und durch stechen; auch in Gruben könnt Ihr geraten, die tief genug sind, Euch für alle Ewigkeit zu begraben. Wie gesagt, es wird gut sein, Ihr haltet Euch dicht neben mir, denn wir wandeln jetzt auf königlicher Domäne, und werden nun bald auch die Vorderseite des Schlosses sehen,« – »Wäre ich der König von Frankreich,« erwiderte der junge Mann, »so gäbe ich mir solche Mühe mit Fußangeln und dergleichen schon lange nicht, sondern versuchte statt dessen lieber, ein so gütiges Regiment zu üben, daß keiner meiner Untertanen Ursache hätte, mir anders als in freundlicher Absicht zu nahen; und was solche Leute anbetrifft, die sich meiner Domäne ohne Fehl und Arg näherten, nun, dann sollte es mir bloß lieb sein, wenn ihrer recht viele kommen wollten.« – »Pst, Pst!« machte sein Begleiter, indem er ihn mit unruhigen Blicken musterte, »Ihr seid ein bißchen vorlaut, Patron mit der Samttasche! ich hätt Euch schon längst sagen sollen, daß hier alle Blätter sozusagen Ohren haben. Es empfiehlt sich also, die Zunge zu wahren, denn hier kommt jeder Laut im Nu zu den Ohren des Königs.« – »Was frage ich danach?« erwiderte Durward, »in meinem Halse hängt eine schottische Zunge, die sich nicht sträuben wird, dem Könige Ludwig, den übrigens Gott segnen möge! alles ins Gesicht zu sagen, was ich denke. Was aber die Ohren angeht, die, wie Ihr sagtet, hier alle Blätter haben, nun, so laßt's Euch gesagt sein, daß ich sie an einem menschlichen Kopfe schwerlich sehen könnte, ohne daß die Lust mich überkäme, sie auf der Stelle mit meinem Weidmesser abzusäbeln.« Drittes Kapitel Von dem Saume des Waldes, an welchem Durward mit seinem seltsamen Begleiter stehen geblieben war, um sich das königliche Schloß Plessis-les-Tours anzusehen, zog sich eine offne Esplanade, die, von einer völlig verwitterten, aber mächtig hohen Eiche abgesehen, die in ihrer Mitte stand, frei von Bäumen und Strauchwerk war, um die Festungswerke herum, hinter denen sich das eigentliche Schloß erhob. Drei Außenwälle, einer immer höher als der andre, in allen Ecken mit Türmen und Basteien gesichert, zogen sich um die Baulichkeiten desselben. Vor ihnen lag ein dreifacher Graben von annähernd zwanzig Fuß Tiefe, der durch einen Kanal aus dem Flusse Cher oder vielmehr von einem Arme desselben gespeist wurde, und dessen innerer Rand mit starken Pallisaden besetzt war, die die Stelle der »spanischen Reiter« der neuern Befestigungskunst vertraten. Diese Pallisaden waren scharf gespitzt, so daß es ein sehr schwieriges, wenn nicht gar unmögliches Stück Arbeit gewesen wäre, über sie hinweg zu steigen. Hinter der innersten Wallmauer erhob sich das Schloß selbst mit seinen aus verschiedenen Zeitaltern stammenden Bauten, die im engen Zusammenhange standen mit dem alten, schauerlichen Kerkerbau, dem ältesten von allen, der sich wie ein schwarzer Riese in die Luft hinaufreckte, aller Fenster entbehrend und nur mit einer Reihe unregelmäßiger Schießscharten versehen, die unwillkürlich den Eindruck weckten, als ob man einem Blinden gegenüberstände. Die andern Gebäude schienen ebenso jeglicher Annehmlichkeit zu entbehren, wenigstens zeigten auch sie an ihrer Vorderfront keine Spur eines Fensters, und waren auch in dieser Hinsicht Bestandteilen eines Kerkers weit ähnlicher als eines königlichen Palastes. Zu diesem unfreundlichen Schlosse konnte man bloß durch ein einziges Tor gelangen, das sich, wie Durward bemerkte, in der Mitte der ersten äußern Ringmauer befand, zwischen zwei hohen, dicken Türmen, den gewöhnlichen Bollwerken von Schloßportalen der damaligen und wohl auch späterer Zeiten. Dort war auch das Fallgitter und die Zugbrücke zu bemerken; ersteres niedergelassen, letzteres aufgezogen. Wer ins Schloß hinein gelangen wollte, mußte etwa 30 Ellen lang zwischen dem ersten und zweiten Walle entlang gehen; kam er als Feind, so war er den Wurfgeschossen von beiden Wällen ausgesetzt; hatte er die zweite Ringmauer passiert, so mußte er neuerdings die gerade Linie verlassen, um zu dem Portale der dritten und innersten Ringmauer zu gelangen; so daß er, bevor er den äußeren Hof, der sich längs der Vorderseite des Schlosses hinzog, erreichte, durch zwei enge, gefahrvolle Hohlwege hindurch mußte, die von Kanonen bestrichen wurden, und obendrein noch drei für die damalige Zeit außerordentlich starke Türme stürmen mußte. Durwards Staunen über alles, was sich seinen Blicken hier bot, wurde noch vermehrt durch die beispiellose Menge von Schlingen, Fußangeln und Fallgruben, auf die ihn sein Begleiter auch hier aufmerksam machte, und die dem Unglücklichen, der sich ohne Führer hierher wagte, mit Verderben drohten, wie ferner durch eine Reihe von Ausguckkäfigen auf dem Simse der Mauern, bekannt unter der Bezeichnung »Schwalbennester«, die von Schildwachen bei Tag und Nacht besetzt waren, so daß niemand ungesehen in das Schloß eindringen konnte, der nicht im Besitze der Tagesparole war, sofern er nicht Gefahr laufen wollte, von der ersten Schildwache, an der er vorbeikam, aus solchem Käfige niedergeschossen zu werden. Diese Schildwachen rekrutierten sich ohne alle Ausnahme aus den schottischen Bogenschützen der königlichen Leibwache, und erhielten für ihren angestrengten Dienst im Schlosse nicht bloß reichlichen Sold und kostbare Uniform, sondern genossen auch sonst besondere Vorteile und Ehren. »Na, junger Mensch,« wandte sich der ältere Mann an den Jüngling, »nun sagt mir doch: habt Ihr je eine Burg gesehen, die so fest wäre wie diese hier? und glaubt Ihr, daß es Männer auf Gottes Erdboden gibt, die es auf sich nehmen möchten, sie zu stürmen?« – »Es ist ja ein ungemein festes Schloß,« erwiderte Durward, nachdem er die Bauten nochmals mit scharfen Blicken gemustert hatte, »und bewacht scheint es ja auch sehr scharf zu werden; indessen,« setzte er nach einer kurzen Pause hinzu, »dem Tapfern ist kein Ding unmöglich.« – »Gäbe es in Eurem Vaterlande, Jüngling, Leute, die sich zu solcher Unternehmung bereit finden ließen?« fragte der ältere Mann wieder, mit unverkennbarer Verachtung im Tone. – »Behaupten kann ich's nicht,« erwiderte der Jüngling, »aber in meiner Heimat fehlt's nicht an tausenden, die eine kühne Tat nicht scheuen, wenn's eine gute Sache gilt.« – »So so?« meinte der andere; »und zu der Sorte gehört Ihr wohl auch?« – »Wollte ich prahlen, wenn keine Gefahr vorhanden ist, möchte ich mich einer Sünde schuldig machen,« versetzte Durward, »aber mein Vater hat manche Tat vollbracht, zu der kein geringerer Grad von Verwegenheit gehörte; und ein Bastard bin ich meines Wissens nicht.« – »Hm,« meinte der andre wieder, »bei solchem Versuche würdet Ihr Euer Stück Arbeit und auch ein gut Teil von Landsleuten, vielleicht sogar Verwandte, finden; denn unter König Ludwigs Leibwache stehen dreihundert schottische Bogenschützen, und darunter sind Adelinge vom besten Blute Schottlands.« – »Und wenn ich König Ludwig wäre,« rief der Jüngling, »so vertraute ich mich diesen Söhnen Schottlands an, ließe Burg und Wälle niederreißen, die sumpfigen Gräben ausfüllen und versammelte meine Pairs und Paladine um mich zu prächtigen Turnieren und festlichen Mahlen, ohne mich von Feinden mehr beirren zu lassen, als vom Gesumme einer Fliege.« Der Begleiter des Jünglings lächelte wieder in seiner absonderlichen Weise, wandte hierauf dem Schlosse, dem sie bereits ziemlich nahe gekommen waren, wieder den Rücken und begab sich wieder in den Wald, wählte aber jetzt einen breitern und augenscheinlich auch betreteneren Pfad, als auf dem sie zum Schlosse gelangt waren. »Auf diesem Wege gelangen wir ins Dorf hinein, Plessis, wie man es in der Gegend nennt. Dort werdet Ihr gute und anständige Bewirtung finden. Etwa zwei Meilen von hier liegt die Stadt Tours, nach welcher die schöne, reiche Landschaft den Namen führt. Aber im Dorfe findet Ihr Unterkommen ebensogut, nur erheblich billiger.« – »Ich danke Euch bestens für gütige Auskunft,« sagte der Jüngling, »aber meines Bleibens hier wird nicht lange sein. Außer einem Bissen Fleisch und einem Trunk, der um ein weniges besser ist als Wasser, stelle ich an das von Euch empfohlene Dorf keine Ansprüche.« – »Ich war der Meinung,« wandte der andere ein, »Ihr hattet vor, einem Bekannten hier guten Tag zu sagen?« – »Das wohl,« antwortete Durward, »einem Bruder meiner Mutter, einem gar stattlichen Mann, wie nur selten einer den Fuß auf die Heide von Angus gesetzt hat.« – »Wie heißt er denn?« fragte der andere; »wir können ja Nachfrage nach ihm halten, denn Euch möchte ich es nicht eben raten, ohne weiteres den Fuß nach dem Schlosse zu setzen: man könnte Euch nämlich dort leicht für einen Spion halten,« – »Bei meines Vaters Hand!« rief der Jüngling, »mich für einen Spion? wer mir solchen Schimpf antäte, sollte flugs Bekanntschaft mit meinem kalten Eisen machen! Mein Oheim heißt, da Ihr danach fragt, Lesley. Und des Namens braucht sich, wie ich wohl sagen kann, kein Schotte zu schämen.« – »Darein setze ich ja keinen Zweifel,« erwiderte der andere, »aber unter der schottischen Garde stecken meines Wissens drei des Namens Lesley?« – »Mein Oheim heißt Ludwig,« antwortete Durward. – »Von den drei Lesleys bei der Garde,« erwiderte der andere, »führen zwei den Vornamen Ludwig.« – »Mein Oheim heißt wohl auch Ludwig, der Genarbte,« versetzte Durward, »die Familiennamen sind bei uns so allgemein, daß wir den einzelnen durch einen Zunamen zu kennzeichnen pflegen, sofern er sich nicht durch seinen Besitz an sich schon unterscheidet.« – »Oho, den kenn ich gut,« sagte der andere, »es ist ein braver und tapferer Mann, auch ein tüchtiger Soldat. Hoffentlich kann ich Euch dazu helfen, mit ihm in einen Diskurs zu kommen; schaden möcht's Euch nicht, das kann ich wohl sagen, wenn Ihr ihn anhörtet, denn er gehört zu jenen Edelleuten, die streng auf den Dienst halten und nicht oft den Fuß aus der Garnison setzen, außer die Pflicht ruft ihn zum Könige. Aber nun gebt mir, bitte, noch auf eine Frage Antwort, junger Mann. Ich möchte darauf wetten, daß es Euch drum ginge, an Eures Oheims Seite Dienst in der königlichen Garde zu nehmen. Wenn Ihr hiernach strebt, so habt Ihr, wie ich wohl sagen darf, Großes im Sinne.« – »Daran gedacht habe ich wohl einmal,« bemerkte Durward gleichgültig, »aber das war ein Traum, der lange vorbei ist.« – »Wieso ein Traum?« fragte der andre strengeren Tones als bisher, »erscheint Euch ein Dienst, den die besten Eures Landes für eine Ehre halten möchten, als solche Lappalie, daß Ihr Euch bloß im Traume damit befaßt?« – »Aufrichtig gesprochen: der Dienst beim Könige von Frankreich wäre mir schon recht; aber was schert mich seine Uniform und guter Sold, wenn ich mich in solchen finstern Kasten oder gar in solches Schwalbennest einsperren lassen soll? da lobe ich mir die frische, freie Gottesluft! Zudem,« setzte er leiser hinzu, »ist mir ein Schloß, wo die Bäume dergleichen Eicheln tragen, wie man sie dort sieht, nicht sonderlich angenehm.« – »Ich kann mir denken, was Ihr meint; aber es wäre schon besser, wenn Ihr Euch ein bißchen deutlicher aussprächet.« »Nun, wenn Ihr's denn durchaus deutlich hören wollt,« sagte Durward, »so danke ich schön für Eichen, an denen Menschen in grauen Wämsern baumeln von der Art, wie ich eins auf dem Leibe habe.« – »So so!« rief der andere, »nun, das muß ich sagen: es geht doch nichts über ein Paar gute, scharfe Augen! Ich habe wohl auch was dort hin und her schaukeln sehen, hab aber gedacht, es sei ein Rabe, der sich auf einem Zweig niedergelassen hat. So etwas gehört aber keineswegs hier zu den Raritäten. Wenn der Herbst herankommt, so könnt Ihr dort oft ein halbes Dutzend oder mehr vom selben Schlage hängen sehen ... Was stört Euch denn dabei? es sind doch bloß Fahnen, die die Galgenvögel verscheuchen sollen; und wer solchen Kerl dort baumeln sieht, der sagt doch eben höchstens, daß es einen Halunken weniger gibt, und daß das Volk im Lande wieder ein bißchen freier aufatmen kann. Solche Rechtspflege liebt nun einmal unser König.« – »Ich an seiner Statt hätte sie aber lieber ein bißchen weiter von meinem Schlosse,« sagte der Jüngling; »bei uns in Schottland werden tote Raben dort aufgehängt, wo lebendige nisten, nicht aber in unsern Gärten oder Taubenhäusern. Pfui Teufel! der Verwesungsgestank dringt ja schon bis hierher!« – »Seid Ihr ein redlicher Diener Eures Fürsten, junger Bursche,« sagte der Mann, »dann werdet Ihr wohl kaum einen Geruch für angenehmer halten als den, der von dem Aase eines toten Verräters herüberzieht.« – »Aber darüber den Geruch und das Gesicht einzubüßen, könnte mir doch eben auch nicht passen,« antwortete der Schotte. »Zeigt mir einen Verräter lebendig, und ich will ihn greifen mit meinem Arme, und niederschlagen mit meiner Waffe; aber wessen Leben dahin ist, gegen den sollte es auch keinen Haß mehr geben ... Doch wenn ich nicht irre, so sehen wir bereits drüben das Dorf. Dort sollt Ihr sehen, daß mir weder Nässe noch Gestank den Appetit heute verderben kann. Drum so schnell wie möglich in den Gasthof! Bevor ich aber von Eurer Gastfreundschaft Gebrauch mache, wollt Ihr mir, bitte, sagen, wer Ihr seid, und wie ich Euch anzureden habe.« »Gemeinhin heiße ich Meister Peter,« gab der andere zur Antwort, »von Titeln bin ich kein Freund. Mit dergleichen lasse ich mir nicht gern kommen. Ich bin ein freier Mann und lebe von dem, was ich habe und mir verdiene. Das ist mein Titel.« – »Dagegen läßt sich nichts sagen, Meister Peter,« versetzte der Schotte, »und ich danke es dem günstigen Zufall, der mich hierher geführt hat, daß er mich mit Euch zusammengebracht hat. Für einen guten Rat, der mir immer recht ist, und auch not tut, werdet Ihr mich zu aller Zeit dankbar finden.« Unterdessen war der Kirchturm in Sicht gekommen, und bald waren sie auch in der Nähe des Dorfeinganges; aber Meister Peter, von dem Wege, der auf die offene Heerstraße führte, ein wenig abbiegend, meinte jetzt, der Gasthof, wohin der Schotte gehen wolle, sei ein wenig abgelegen und nehme auch nur bessere Reisende auf ... »Meint Ihr damit solche, die mit einer gutgespickten Börse reisen,« versetzte der Schotte, »dann gehöre ich nicht dazu, sondern will's lieber versuchen mit jenen andern, die, statt in Gasthöfen, auf offener Heerstraße plündern.« – »Mohrenelement! das muß man sagen,« rief der andere, »Ihr Schotten seid vorsichtiges Volk! Der Engländer rennt ins erste beste Gasthaus hinein und macht eine Zeche, wie es ihm gerade paßt, ohne früher an die Rechnung zu denken, als bis ihm der Magen voll ist. Ihr vergeßt aber, Meister Quentin, und Ouentin ist doch wohl Euer Name wie? daß ich Euch ein Frühstück schuldig bin für das Bad im Bache, das Ihr durch meinen Irrtum habt nehmen müssen. Diese Buße muß ich schon auf mich nehmen für die Euch zugefügte Kränkung.« – »Ach, ich denke an das bißchen Wasser und an den Verdruß, den ich von Euch erlitten, schon lange nicht mehr,« antwortete Quentin, »meine Sachen hab ich mir ja schon wieder trocken gelaufen; da aber meine Mahlzeit heut ein bißchen karg war, will ich Euer Anerbieten nicht von der Hand weisen. Wenn ich mich nicht irre, so seid Ihr ein schlichter, ehrsamer Bürger, und ich sehe nicht ein, warum ich Euch ein Abendessen abschlagen sollte.« Inzwischen waren sie einen schmalen Abhang, von großen Ulmen umschattet, hinabgestiegen, an dessen Ende sie durch einen Torweg in den Hofraum eines Gasthauses von ungewöhnlicher Größe gelangten. Es hatte ganz das Aussehen, als ob es Edelleuten mit ihrem Gefolge als Herberge diene, die in dem benachbarten Schlosse zu tun hatten, wo Ludwig XI. nur selten, und bloß in Fällen, wo es sich gar nicht umgehen ließ, seinen Hofleuten Gemächer einräumte. Ein Schild mit der Lilie hing über dem Haupttor; allein man bemerkte weder auf dem Hofe noch in den Zimmern Anzeichen lebhaften Verkehrs. Meister Peter öffnete, ohne jemand zu rufen, eine Seitentür und trat mit seinem Begleiter in ein großes Gemach, wo ein Bündel Reisig auf dem Herd brannte und alle Anstalten zu einem kräftigen Frühstück getroffen waren. »Mein Gevatter ist schon dagewesen,« sagte der Franzose zu dem Schotten; »Ihr müßt frieren, und da habe ich ein Feuer bestellt; Ihr müßt hungern, und da sollt Ihr ein gutes Frühstück haben.« Er pfiff, und der Wirt trat sogleich herein, beantwortete den Gruß des andern mit einer Verbeugung, zeigte aber in keiner Hinsicht die Geschwätzigkeit, die französischen Gastwirten zu allen Zeiten eigen gewesen ist. »Ich dachte, ein Herr hätte hier ein Frühstück bestellt,« sagte Meister Peter; »ist das nicht der Fall?« Statt zu antworten, verbeugte sich der Wirt und trug ein gutes Mahl auf, sagte aber zum Lobe desselben, trotzdem er alle Ursache dazu gehabt hätte, nicht ein einziges Wort. Viertes Kapitel Das Frühstück des jungen Schotten bestand aus einer Perigord-Pastete, über der ein Gastronom Verwandte, Vaterland und alle gesellschaftlichen Bande hätte vergessen können; aus einem höchst schmackhaften Ragout mit recht viel Knoblauch, den die Gascogner lieben und die Schotten nicht hassen; aus einem köstlichen Schinken mit feinstem Weißbrot in kleinen, runden Laiben, dessen Rinde so einladend war, daß es, selbst in Wasser getaucht, ein Leckerbissen gewesen wäre, und einem Quart der herrlichsten Burgundermarke. Durward, der in den letzten Tagen außer halbreifem Obst und einer mäßigen Portion Gerstenbrot nichts genossen hatte, fiel über das Ragout her, und die Schüssel war auf der Stelle leer; hierauf griff er die mächtige Pastete an, fiel über den Schinken her und würzte dies Mahl gelegentlich durch einen Becher Wein, kehrte aber zum Erstaunen des Wirtes und zur Belustigung des Meisters Peter immer wieder zu der Schüssel zurück, bis er sie vollständig leer gekratzt hatte. Der Letztgenannte schien, wahrscheinlich weil er fand, daß er eine menschenfreundlichere Handlung verübt hatte, als es in seiner Absicht gelegen, sich über die Eßlust des jungen Schotten recht zu ergötzen, und als er endlich merkte, daß derselbe satt zu werden anfing, versuchte er ihn mit Konfekt und allerhand Naschwerk zur Fortsetzung seiner Mahlzeit zu reizen. Unterdes zeigte sich auf dem Gesicht des Meisters Peter eine gewisse gute Laune, die fast bis zum Wohlwollen stieg, und mit seinem gewöhnlichen scharfen, beißenden und strengen Charakter einen lebhaften Kontrast bildete. Quentin Durward wurde es mit der Zeit sonderbar, allein essen zu sollen, und er machte Meister Peter Vorwürfe, daß er ihn über seinen starken Appetit auslache, selbst aber nichts genösse. – »Ich muß fasten!« sagte Meister Peter, »und kann vormittags nichts genießen als etwas Backwerk und ein Glas Wasser! Laßt mir's doch durch Eure Frau herbringen!« setzte er hinzu, sich zu dem Wirt wendend. Während dieser das Zimmer verließ, fuhr Meister Peter fort: »Nun, hab ich Wort gehalten betreffs des Frühstücks?« – »Ich habe keine bessere Mahlzeit genossen, seit ich Schottland den Rücken gewandt,« versetzte der Jüngling. »Jenun, die königlichen Bogenschützen können sich solch Frühstück immer leisten,« sagte Meister Peter; »warum wollt Ihr denn nicht hier in Dienste treten, junger Mann? Euer Oheim könnte Euch schon einschieben, sobald eine Stelle vakant würde. Hört mal! Ich habe selbst eine Art Interesse bei der Sache, und kann Euch behilflich sein. Ihr könnt doch ebensogut reiten, wie den Bogen spannen, wie?« »Unser Stamm zählt gewiß so gute Reiter wie je einer einen eisernen Schuh in einen stählernen Steigbügel gesetzt haben mag, und ich weiß nicht – am Ende möchte ich Euer freundliches Anerbieten annehmen. Aber seht nur! Nahrung und Sold sind zwar nötige Dinge; allein in meinem Falle denkt man auch an Ehre, Beförderung und tapfere Kriegstaten. Euer König Ludwig aber – Gott segne ihn! denn er ist ja Schottlands Freund und Bundesgenosse, – nun, der liegt hier in seinem Schlosse und gewinnt Städte und Provinzen durch politische Gesandtschaften, statt sie in offnem Kampfe zu erobern. Ich halt's schon lieber mit den Douglas, die stets im Felde stehen, weil sie lieber eine Lerche singen, als eine Maus quieken hören.« – »Junger Mann,« sagte Meister Peter, »urteilt nicht voreilig über die Handlung der Fürsten. Ludwig sucht das Blut seiner Untertanen zu schonen, und sorgt nicht um das eigene. Zu Montl'hery hat er sich als mutiger Mann gezeigt.« – »Nun ja,« versetzte der Jüngling, »allein das ist schon ein Dutzend Jahre her, wenn nicht länger; ich möchte lieber einem Herrn dienen, der seine Ehre immer so rein und glänzend erhält wie seinen Schild und in dem Schlachtgewühl sein Glück versucht.« »Warum habt Ihr denn da nicht einen Versuch gemacht, in Brüssel bei dem Herzog von Burgund anzukommen? Der hätte Euch schon Gelegenheit gegeben, jeden Tag den Hals zu brechen, und Ihr hättet Euch sicher nicht umsonst bemüht, wenn er gehört hätte, daß Ihr seinen Förster durchgewamst habt.« »Wohl wahr!« sagte Quentin; »mein unglückliches Geschick hat mir diese Tür verschlossen.« – »Je nun, Wagehälse, bei denen die Jugend den Hals brechen kann, gibt's da draußen noch in Menge,« erwiderte sein Ratgeber. »Was denkt Ihr zum Beispiel von Wilhelm von der Mark?« – »Was sagt Ihr?« entgegnete Durward; »dem mit dem Barte sollt ich dienen? Dem wilden Eber der Ardennen? Einem Räuberhauptmann und Anführer von Mördern, der einem das Leben nimmt um eines großen Kittels wegen, und Priester und Pilgrime erschlägt, als wären's Lanzenknechte und Reisige? Das wär ein ewiger Schandfleck auf dem Schilde meines Vaters.« – »Wohlan, junger Hitzkopf,« sagte Meister Peter, »warum folgt Ihr dann nicht dem jungen Herzog von Geldern?« – »Eher wollt ich dem bösen Feinde folgen!« erwiderte Quentin. »Im Vertrauen gesagt, er ist eine zu schwere Bürde für die Erde; die Hölle verschlingt ihn gewiß. Wie man sagt, hält er seinen eigenen Vater gefangen und hat ihn sogar geschlagen. – Könnt Ihr Euch so was denken?« »Nach der Art, wie Ihr den Charakter der Fürsten und Häuptlinge wägt,« entgegnete Meister Peter, der über den Abscheu des Jünglings, mit dem er von kindlichem Undank sprach, ein wenig erregt zu sein schien, »wär's besser für Euch, wenn Ihr selbst ein Feldherr geworden wäret; denn wo soll ein so weiser Jungbursch einen Anführer finden, der sich zum Befehlshaber für ihn schickte?« – »Ihr lacht mich aus, Meister Peter,« sagte der Jüngling heiter, »und könnt recht haben; allein Ihr habt einen Mann nicht genannt, der ein wackrer Anführer ist, und eine tapfere Truppe hier zusammenhält, unter dem schon jemand Dienste suchen könnte.« – »Ich kann nicht erraten, wen Ihr meint.« »Wen denn anders, als den, der zwischen den beiden Magneten hängt? den man weder Franzosen noch Burgunder nennen kann, der aber die Wage zwischen beiden zu halten weiß; vor dem sich beide fürchten, und ihm zugleich dienen, so große Fürsten sie auch immer sind.« – »Ich kann nicht darauf fallen, wen Ihr meint,« sagte Peter, nachsinnend. – »Wen sollt ich meinen, als den edlen Ludwig von Luxemburg, den Grafen von St.-Paul und Großconnetable von Frankreich? Der behauptet seinen Platz mit seinem kleinen, tapferen Heere und trägt das Haupt so hoch, wie König Ludwig oder Herzog Karl, und schwebt doch zwischen beiden, wie der Knabe, der in der Mitte eines Brettes steht, während zwei andere sich an den beiden Enden auf- und abschwingen.« – »Er läuft aber Gefahr, am schlimmsten von allen dreien zu fallen,« sagte Meister Peter. »Im Vertrauen gesagt, junger Freund, wißt Ihr denn, daß Euer Graf von St.-Paul der erste war, der das Beispiel gab, das Land in Kriegszeiten zu verheeren?« Da ging die Tür auf, und ein Mädchen, eher über als unter fünfzehn Jahren, trat herein, mit einem Präsentierteller, auf dem eine kleine Schale stand mit getrockneten Pflaumen, die der Stadt Tours seit je zu gutem Ruf verholfen haben. Allein der Anblick des Mädchens, das sie trug, fesselte Durwards Aufmerksamkeit in weit höherem Grade, denn ihr junges und liebenswürdiges Gesicht war ernster, als es sonst der Schönheit der Jugend eigen zu sein pflegt, und er zog mit der romantischen Einbildungskraft der Jugend sehr rasch den Schluß, daß über ihrem Schicksal ein romantischer Schleier liegen möchte. »Nun, Jacqueline,« sagte Meister Peter, als das Mädchen ins Zimmer trat, »was ist denn das? Ich wünschte doch, daß Frau Perette mich bedienen sollte. Dünkt sie sich etwa zu gut dazu?« – »Meine Mutter ist nicht wohl,« versetzte Jacqueline eilig, doch demütig; »sie muß das Zimmer hüten.« – »Hoffentlich allein!« sagte Meister Peter mit einem Nachdrucke; »ich gehöre nicht zu denen, die erdichtete Krankheiten als Entschuldigung gelten lassen.« Jacqueline wurde bleich und zitterte bei Meister Peters Antwort, dessen Stimme und Blick, stets rauh, stechend und unfreundlich, in Fällen, wo er Zorn oder Verdacht ausdrückte, eine sehr düstere Färbung annahmen. Quentin Durward aber eilte Jacqueline entgegen, um ihr die Last, die sie trug, abzunehmen. Sie ließ sie ihm auch willig, aber beobachtete mit schüchternem, ängstlichem Blick das Gesicht des zornigen Bürgers. Es war unmöglich, dem durchdringenden, um Mitleid flehenden Ausdruck ihrer Blicke zu widerstehen, und Meister Peter fuhr nun, nicht bloß mit vermindertem Groll, sondern mit Artigkeit fort: »Ich tadle Dich nicht, Jacqueline, denn Du bist zu jung, um das schon zu sein, was Du einst – ich denke nur mit Schmerz daran – werden mußt, ein falsches, verräterisches Wesen, wie alle Deines wankelmütigen Geschlechts. Niemand erreicht das eigentliche Mannesalter, ohne daß sich ihm Gelegenheit geboten hätte, Euch alle kennen zu lernen. Hier ist ein schottischer Kavalier, der wird Dir dasselbe sagen.« Jacqueline blickte augenblicklich den jungen Fremden an, so, als wollte sie nur Meister Peter gehorchen; allein so flüchtig der Blick auch war, so schien es Durward doch, als ob darin eine Aufforderung zu Unterstützung und Teilnahme liege, und mit der Schnelligkeit, die sein jugendliches Gefühl ihm eingab, sowie mit der durch seine Erziehung ihm eingeflößten romantischen Verehrung des weiblichen Geschlechts antwortete er: er wolle sogleich seinen Handschuh jedem hinwerfen, der zu behaupten wage, dies Wesen, dem er jetzt ins Auge schaue, sei nicht von den reinsten und aufrichtigsten Gesinnungen beseelt. Das junge Mädchen wurde totenbleich und warf einen mißtrauischen Blick auf Meister Peter, der über die Prahlerei des galanten Jünglings nur verächtlich lächelte. »Ihr seid ein törichter Mensch,« sagte er zu dem Schotten, »und versteht Euch ebensowenig auf die Weiber, als auf die Fürsten, deren Herzen« – hier schlug er andächtig ein Kreuz – »Gott in seiner rechten Hand hält.« – »Und wer hält denn die Herzen der Weiber?« fragte Quentin, entschlossen, sich von dem Uebergewichte dieses seltsamen alten Mannes nicht weiter in die Enge treiben zu lassen. – »Da müßt Ihr schon in einem andern Quartier vorfragen,« sagte Meister Peter mit Ruhe. Quentin war abermals abgetrumpft, jedoch nicht völlig aus der Fassung gebracht. Während er aber noch bei sich dachte, daß er dem alten Manne zu viel Ehre wegen des Frühstücks antue, und daß er doch ein schottischer Edelmann mit Stammbaum und Wappenrock bleibe diesem Handwerker von Tours gegenüber, streichelte dieser Jacquelinens lange Haarflechte und sagte mit Lächeln: »Der junge Mann da wird mich bedienen, Jacqueline; Du kannst wieder gehen. Ich werde es Deiner nachlässigen Mutter sagen, daß sie sehr übel daran tut, Dich so unnötigerweise jungen Gaffern auszusetzen.« – »Ich wollte Euch ja nur aufwarten,« sagte das Mädchen, »und hoffentlich werdet Ihr deshalb nicht böse sein auf Eure Verwandte, denn« – »Mohrenelement!« rief der Kaufmann, indem er ihr, obgleich nicht mit Rauheit, ins Wort fiel, »Du willst Dich doch nicht in einen Wortkampf mit mir einlassen, oder bleibst Du am Ende, um den jungen Mann recht zu betrachten? Geh nur! Es ist ein Edelmann und seine Bedienung ist hinreichend für mich.« Jacqueline verschwand, und Quentin Durward nahm so großen Anteil an diesem plötzlichen Verschwinden, daß er darüber den Faden seiner Betrachtungen verlor und ganz mechanisch gehorchte, als Meister Peter, sich nachlässig in den großen Armstuhl werfend, mit dem Tone eines Mannes, der zu befehlen gewohnt ist, sagte: »Setze den Teller hier neben mich!« Der Kaufmann senkte jetzt seine dunklen Augenbrauen über die scharfen Augen, so daß man die letzteren kaum noch sah, oder schoß dann und wann einen lebhaften Blick darunter hervor, gleich Sonnenstrahlen hinter dunklem Gewölk. Je öfter und fester er ihn jetzt betrachtete, um so stärker ward seine Neugier, zu erfahren, wer und was der Mann eigentlich wäre, den er in seinen Gedanken wenigstens für einen Syndikus oder eine hohe obrigkeitliche Person von Tours, oder doch für jemand, der in der einen oder andern Art gewohnt war, Achtung und Auszeichnung zu fordern und zu empfangen, hielt. Unterdessen schien der Kaufmann abermals in tiefes Sinnen verloren, aus dem er sich bloß erhob, um entweder das Zeichen des Kreuzes zu machen, oder etwas von den gedörrten Früchten nebst einem Stückchen Zwieback zu sich zu nehmen. Dann winkte er Quentin, ihm den Becher zu reichen, und als er den Wein, mit Wasser vermischt, ausgetrunken hatte, zog er einen großen, aus Seeotterfell verfertigten Beutel hervor und schüttete eine Menge kleiner Silbermünzen in den Becher, bis er über die Hälfte voll sein mochte. »Ihr hättet wohl Ursache, dankbarer zu sein, junger Mann,« sagte Meister Peter, »sowohl Eurem Patron Saint-Quentin, wie dem heiligen Julian, als Ihr es, dem Anschein nach, seid. Ich möcht Euch raten, in ihrem Namen Almosen zu verteilen. Bleibt indes in diesem Gasthause, bis Ihr Euren Verwandten, Ludwig mit der Narbe, gesprochen habt; er wird nachmittags von der Wache abgelöst. Ich will's ihn wissen lassen, daß Ihr hier seid; denn ich habe Geschäfte im Schlosse.« Durward wollte sich entschuldigen, daß er die Freigebigkeit seines neuen Freundes nicht anzunehmen wage; allein Meister Peter sagte, indem er seine dunkeln Augenbrauen zusammenzog und seine gebückte Gestalt mit einer Würde, die Durward noch gar nicht an ihm bemerkt hatte, emporrichtete, in einem gebieterischen Tone: »Keinen Einwand, junger Mensch! Tu, was Dir befohlen wird!« Mit diesen Worten verließ er das Gemach, Quentin durch einen Wink begreiflich machend, daß er ihm nicht folgen solle. Dieser blieb verwundert zurück und wußte durchaus nicht, was er von der Sache denken solle. Sein erster und natürlichster, wenn auch eben nicht der würdigste Antrieb war, in den silbernen Becher zu gucken, der über die Hälfte mit Geldstücken angefüllt war, die sich wohl auf einige Dutzend belaufen konnten, während Quentin in seinem ganzen Leben noch keine zwanzig besessen hatte. Ließ es sich aber auch mit der Würde eines Edelmanns vereinigen, das Geld von dem reichen Plebejer anzunehmen? Das war freilich eine bedenkliche Frage; denn wenn er auch ein gutes Frühstück zu sich genommen hatte, so hatte er doch eben keine großen Hilfsquellen, um entweder nach Dijon zurückzureisen, falls er es wagen sollte, sich dem Zorn des Herzogs von Burgund auszusetzen, oder um sich nach Saint-Quentin zu begeben, wenn er sich für den Connetable Saint-Paul entschied. Vielleicht faßte er unter diesen Umständen den klügsten Entschluß, indem er sich vornahm, sich der Leitung seines Oheims anzuvertrauen. Er steckte einstweilen das Geld in den samtnen Falkenbeutel und rief den Wirt des Hauses, um ihm den Becher wieder zurückzugeben und sich über den freigebigen und verschwenderischen Kaufmann bei dieser Gelegenheit zu erkundigen. Der Wirt zeigte sich, wenn auch nicht mitteilsam, doch gesprächiger als vorhin. Er weigerte sich unbedingt, den silbernen Becher zurückzunehmen, da er nicht ihm, sondern dem Meister Peter gehöre, der ihn seinem Gaste geschenkt habe. »Aber ich bitt Euch,« rief Durward, »sagt mir bloß, wer dieser Meister Peter ist, der Fremden so beträchtliche Geschenke macht?« – »Meister Peter?« sagte der Wirt, die Worte dabei so langsam aus seinem Munde fallen lassend, als ob er sie destillieren wolle. – »Ja doch!« wiederholte Durward schnell und bestimmt; »wer Meister Peter ist, frage ich, und warum er mit seinen Geschenken in dieser Weise um sich wirft? und dann, wer der Kerl ist, der einem Fleischer ähnlich sieht und der das Frühstück bestellen mußte?« – »Da hättet Ihr ihn selbst fragen sollen, den Meister Peter; was aber den Herrn betrifft, der das Frühstück bei mir bestellt hat, so mag uns Gott vor seinem nähern Umgange bewahren!« – »Dahinter steckt ein Geheimnis!« sagte der junge Schotte; »Meister Peter hat mir gesagt, er sei ein Kaufmann.« – »So? na dann ist er auch sicher ein Kaufmann.« – »Mit was für Ware handelt er denn?« – »O, mit allerhand, besonders aber hat er Seidenmanufakturen hier angelegt, die ganz ebenso schöne Sachen liefern, wie die Venetianer aus Indien und Kathai bringen. Habt Ihr nicht die Reihen von Maulbeerbäumen gesehen, als Ihr hierher kamt? Die sind alle auf Meister Peters Befehl angepflanzt worden, zur Nahrung für die Seidenwürmer.« – »Allein das junge Mädchen, das die gedörrten Pflaumen hereinbrachte, wer ist denn die, guter Freund?« fragte der Gast. – »Sie wohnt bei mir, Sir, mit ihrer Aufseherin, wohl einer Base, wenn ich nicht irre!« versetzte der Gastwirt. – »Aber ist es denn bei Euch Sitte, daß Eure Gäste sich gegenseitig aufwarten?« fragte Durward. »Denn ich hab's doch bemerkt, daß Meister Peter nichts aus Eurer Hand oder aus den Händen Eurer Leute nehmen wollte.« – »Reiche Leute haben nun so ihre Launen; denn sie können's bezahlen!« sagte der Wirt; »das ist nicht das erstemal, wo Meister Peter Mittel und Wege gefunden hat, vornehme Leute nach seinem Wink tanzen zu lassen.« Der junge Schotte fühlte sich durch diese Aeußerung einigermaßen gekränkt, verbarg aber seinen Verdruß und fragte, ob er hier für sich auf einen Tag, vielleicht auf noch längere Zeit, ein Zimmer bekommen könne. – »Das versteht sich,« sagte der Gastwirt; »solange es Euch beliebt, Ihr habt nur zu befehlen.« – »Darf ich den Damen meine Aufwartung machen, da ich nun doch unter einem Dache mit ihnen wohnen werde?« Der Gastwirt wußte nicht, was er darauf antworten sollte. Endlich erwiderte er: sie gingen nicht aus und empfingen auch zu Hause keinen Besuch. – »Mit Ausnahme Meister Peters, nicht wahr?« fragte Durward. – »Es kommt mir nicht zu, Ausnahmen anzuführen,« entgegnete der Wirt fest, aber achtungsvoll. Quentin, durch die Antwort des Gastwirts neuerdings verletzt, verlangte in sein Zimmer geführt zu werden. Der Gastwirt ging eine Wendeltreppe hinauf, dann eine Galerie entlang, auf die viele Türen führten, blieb an ihrem äußersten Ende stehen, suchte einen Schlüssel aus dem großen Schlüsselbunde hervor, den er an seinem Gürtel trug, öffnete eine Tür und wies seinem Gast ein zwar kleines, aber reinliches und trauliches Turmzimmer, das mit einem Feldbette und einigem Hausrat versehen, in guter Ordnung war und ihm, im ganzen genommen, wie ein kleiner Palast erschien. »War das ein glücklicher Gedanke, so vom Flecke weg in den Bach zu springen!« rief Quentin Durward, als der Wirt sich entfernt hatte, und machte einen Freudensprung; »nie ist mir das Glück in einer bessern Gestalt erschienen.« Er trat an das kleine Fenster, von wo aus man, da der Turm beträchtlich aus der Hauptlinie des Gebäudes hervortrat, nicht nur in einen hübschen, ziemlich geräumigen Garten hinab sah, sondern auch eine freundliche Anpflanzung von Maulbeerbäumen überschauen konnte. Wenn man aber von diesen entfernten Gegenständen das Auge hinwegwandte und längs der Mauer hinsah, so bemerkte man einen andern Turm gegenüber mit einem ebensolchen kleinen Fenster wie das, an welchem jetzt Quentin stand. Nun würde es aber einem, der zwanzig Jahre älter wäre als Quentin, schwer begreiflich sein, warum diese Oertlichkeit ihn mehr interessierte, als der schöne Garten oder die freundliche Maulbeerpflanzung; aber auf der einen Seite der Fenstervertiefung hing eine Laute, zum Teil von einem leichten seegrünen Schleier bedeckt; und eine Laute sich ohne eine Sängerin zu denken, war bei Durwards jugendlichem Alter ausgeschlossen; weiter läßt sich leicht vermuten, daß Durward von der Besitzerin der Laute und des Schleiers mehr zu erfahren wünschte, wenigstens darf man voraussetzen, daß es ihn interessierte, dahinter zu kommen, ob es etwa dieselbe Person sei, die Meister Peter so demütig aufgewartet hatte; und soweit ist es wohl begreiflich, daß er sich nicht der vollen Länge und Breite nach in seinem eigenen Fenster zeigte. Nein! unser Durward verstand sich besser auf die Kunst, Vögel zu fangen; er wußte sich geschickt auf einer Seite des Fensters zu verbergen, und bloß durch den Laden guckend, hatte er das Vergnügen, einen schönen, runden, weißen Arm zu erblicken, der eben die Laute herabnahm, worauf auch seine Ohren für sein geschicktes Verhalten ihren Lohn empfingen. Das Mädchen in dem kleinen Turm, mit der Laute und dem Schleier, sang eins von jenen kleinen Liedern, wie sie von den Lippen der Edelfrauen zur Zeit des Rittertums flossen, bei denen Ritter und Minnesänger lauschten und seufzten. In den Worten lag weder so viel Sinn, Geist und Phantasie, um die Aufmerksamkeit von der Musik abzulenken, noch zeigte diese soviel Kunst, um alle Empfindungen von den Worten abzuziehen. Das eine schien bloß für das andere da zu sein, und wäre der Gesang ohne die Noten rezitiert, oder die Musik ohne die Worte gespielt worden, so würde keins von beiden etwas wert gewesen sein. Aber auf Quentin übte beides eine mächtige Wirkung, zumal die Gestalt der Sängerin nur teilweise und nicht deutlich sichtbar war, so daß sich ein geheimnisvoller Zauberschleier über das Ganze breitete. Beim Schluß des Liedes konnte der Lauscher nicht umhin, sich kühner zu zeigen als bisher, um vielleicht mehr zu sehen, als er bisher hatte entdecken können. Allein die Musik hörte augenblicklich auf, das Fenster wurde geschlossen und eine dunkle, von innen vorgezogene Gardine setzte allen weiteren Beobachtungen des Nachbars im Turme eine Grenze. Fünftes Kapitel Der Ritter, der auf Quentin Durward in dem Zimmer wartete, wo derselbe gefrühstückt hatte, gehörte jenem berühmten Bogenschützenkorps der schottischen Leibgarde an, die von Karl VI., Ludwigs Vorgänger, errichtet worden war, und in dessen Händen, wie man dreist sagen konnte, das Schicksal Frankreichs lag, denn ihm war die unmittelbare Wache über die Person des Königs anvertraut. Es waren verschiedene Umstände, die diesen frühern König von Frankreich zu diesem Schritt bestimmt hatten, vor allem die schwankende, unsichre Treue des Lehnsadels, der wohl die Oberherrschaft des Königs anerkannte, sonst aber in einem fort bestrebt war, seine besonderen Rechte nicht bloß zu behaupten, sondern möglichst zu mehren. Solchem Adel seine Person zum Schutz zu überantworten, wäre unpolitisch und auch gefährlich gewesen. Dagegen war das schottische Volk gewissermaßen der Erbfeind Englands und demzufolge Frankreichs alter und, wenigstens dem Anschein nach, auch natürlicher Bundesgenosse. Es war ein armes, aber mutiges und treues Volk, und da kein andres Volk in Europa so reich war an kühnen und tapfern Abenteurern, ließ sich damit rechnen, daß sich solche Garde immer aus seinen Söhnen neu rekrutieren ließe. Da ferner der schottische Adel sehr alt war und fast durchgängig bis zum Alter der Kreuzzüge, wenn nicht noch höher, hinaufreichte, stand ihm ein besonderes Anrecht darauf zu, näher an die Person des Monarchen herangezogen zu werden, als jeder andre Adel, den französischen nicht ausgeschlossen. Und was schließlich auch noch, und zwar nicht zum geringsten, in Betracht kam bei den damals so äußerst unruhigen Zeiten, war der Umstand, daß ihre geringe Zahl sie verhinderte, sich in Meuterei einzulassen und Gelüste zur Herrschaft zu bekommen, wo sie nur Anspruch auf eine dienende Rolle hatten. Jeder Bogenschütze hingegen stand an Rang und Ehre den Edelleuten des Landes gleich, und ihre ständige Berührung mit dem Landesherrscher verlieh ihnen in jedermanns Augen einen gewissen Nimbus, der durch die prächtige Tracht, die sie trugen, und die vortreffliche Bewaffnung, sowie das Recht, sich einen Knappen, einen Diener, einen Pagen und einen oder auch ein paar Trabanten zu halten, nicht wenig erhöht wurde. Kein Wunder, daß solcher Bogenschütze als eine Respektsperson galt, und da die in dem Korps frei werdenden Stellen nie anders ausgefüllt wurden, als aus den Reihen der Pagen oder Knappen, so geschah es nicht selten, daß vornehme schottische Geschlechter ihre jüngern Söhne zu einem befreundeten oder verwandten Angehörigen dieses Korps sandten, in dessen Diensten er dann solange blieb, bis eine Vakanz eintrat, in die er dann eintreten konnte. Quentin Durwards Oheim, Ludwig Lesley, oder wie er im Laufe dieser Erzählung nach der ihn kennzeichnenden Narbe zumeist genannt werden wird, Balafré, war ein Mann von annähernd 6 Fuß Länge, und von muskulöser, untersetzter Gestalt. Seine an sich rauhen Gesichtszüge wurden durch die erwähnte große breite Narbe, die von der Stirn zum rechten Auge hinunter und an diesem entlang, über den von ihr bloßgelegten Backenknochen bis zum Ohrläppchen hinlief, bald scharlach-, bald purpurrot, bald blau aussehend, ja nicht selten sich dem Schwarz nähernd, noch erheblich verunschönt und verdüstert. Diesen Eindruck konnte auch die kostbare Rüstung nicht mildern, die er trug, und die aus Halskragen, Armstücken und Handschuhen aus feinstem Stahl, kunstvoll mit Silber ausgelegt, aus einem funkelnden Panzerhemd, darüber einem weiten Oberkleid aus blauem Samt bestand, das, an den Seiten wie ein Heroldsgewand offen, nach vorn und hinten zu durch ein großes, weißes, in Silber gesticktes Kreuz geteilt wurde. Knie und Schenkel waren durch eiserne Beinschienen geschützt, die sich in Stahlschuhen fortsetzten; an der rechten Seite seines Panzerhemds hing ein starker, breiter Dolch, »der Gottsgnadendolch« genannt, über der Schulter das Wehrgehänge seines zweihändigen Schwertes, ebenfalls reich gestickt, und auf dem Haupte trug er die schottische Nationalmütze, die mit einem Federbusche und einem Bilde der Jungfrau Maria aus gediegenem Silber verziert war. Quentin Durward, von Jugend auf nach schottischem Brauche an die Führung der Waffen gewöhnt, stand trotzdem unter dem Eindruck der Meinung, einen Kriegsmann mit solch mustergültiger Ausrüstung und Bewaffnung noch nie vor Augen gehabt zu haben, wie diesen Oheim von mütterlicher Seite, und vor dem grimmigen Gesicht, mit dem ihn derselbe willkommen hieß, schreckte er im ersten Augenblick förmlich zurück. Erst als ihn der bärbeißige Mann nach Neuigkeiten von Schottland fragte, verschwand bei dem Jüngling die unangenehme Empfindung, die dieser erste Eindruck bei ihm geweckt hatte. »Viel Gutes, Herr Oheim, wüßte ich da leider nicht zu melden,« erwiderte Quentin Durward auf diese Frage; »aber gefreut hat's mich, von Euch so schnell erkannt worden zu sein.« – »Junge, ich hätte Dich auf der Stelle zwischen den Heiden von Bordeaux herausgekannt,« erwiderte der Krieger mit der Narbe, »wenn ich Dich dort als Storch auf Stelzen hätte laufen sehen. Aber setz Dich doch! Hast Du was Trauriges zu berichten, so steht Wein hier, der wird's uns tragen helfen. Heda, Alter! noch einen Humpen vom besten! aber gleich!« Im Nu stand eine Flasche der besten Champagner-Marke vor ihnen, denn in den Schenken von Plessis kannte man die Bogenschützen zu gut, um sie auch nur eine Sekunde warten zu lassen. Quentin nippte jedoch, weil er heut morgen schon einmal Wein getrunken hatte, an dem Humpen, während der Oheim einen derben Zug daraus tat ... »Säß Deine Schwester an Deiner Statt hier, dann möcht ich solche Entschuldigung gelten lassen,« erwiderte Balafré, »so aber rate ich Dir, vor einem Weinkruge Dich nicht so zimperlich zu benehmen, denn ich denke doch, Du willst auch mal einen Bart bekommen und ein tapfrer Soldat werden. Also flink heran! das Felleisen herunter! und dann los mit den Neuigkeiten, die Du von unserm Glenhulakin weißt. Was macht meine Schwester?« – »Die ist gestorben, lieber Ohm!« – »Was? gestorben,« wiederholte Balafré, mehr im Tone der Verwunderung als des Mitgefühls, »wie kann das sein? sie war doch fünf Jahre jünger als ich, und wohler als sie hab ich mich doch mein Lebtag nicht befunden ... Soso! gestorben also ist sie? also hat sich doch Dein Vater schon wieder verheiratet?« Ehe aber der Jüngling noch eine Antwort auf diese weitere Frage gefunden hatte, fiel ihm der Oheim schon mit der Frage dazwischen: »Was? nicht wieder verheiratet? Ich lese Dir die Antwort ja in den Augen, Junge! und ich hätte doch Gott weiß was wetten mögen, daß Allan Durward nicht ohne Frau werde leben können ... Ordnung in seinen vier Pfählen ging ihm doch über alles, und ein hübsches Weib hatte er immer gern vor den Augen. Wie kann er das haben, ohne verheiratet zu sein? Ich mach mir dagegen aus all den Bequemlichkeiten nicht sonderlich viel, sehe wohl auch ganz gern mal ein Frauenzimmer, aber deshalb gleich ans Sakrament der Ehe zu denken, ist nicht mein Fall. Dazu fehlt's mir an der nötigen Heiligkeit.« – »Aber, lieber Oheim, die Mutter war ja schon ein ganzes Jahr Witwe, denn die Ogilvies waren in Glenhulakin eingefallen, und dabei ist der Vater mit den beiden Oheimen und meinen beiden ältern Brüdern, auch noch sechs von unsern Leuten, dem Harfner und dem Arbeitsvogt, umgekommen. Bei uns in Glenhulakin raucht kein Herd mehr, und kein Stein steht mehr auf dem andern.« – »Beim Kreuze des heiligen Andreas!« rief Balafré, »das muß ja bös hergegangen sein! so eine Niederlage ist ja bald noch nicht dagewesen. Freilich, die Ogilvies waren immer schlimme Nachbarn. Du, sage mal, wann ist denn die unglückliche Affäre passiert?« – Als ihm der Neffe sagte, es sei am Sankt-Judasfeste gewesen, nahm Balafré einen tüchtigen Schluck und schüttelte dann mit großem Ernste das Haupt ... »Da siehst Du's, Neffe,« sagte er, »es ist nun mal im Kriege alles Zufall. Bald hat's an dem, bald an dem gelegen. Ich bin am selben Tage mit zwanzig Berittnen gegen Schloß Rochenoir ausgezogen und hab's mit Sturm genommen, und hatte es mit einem gar schlimmen Gegner zu tun, mit Amaury, dem Eisenarme, von dem Du doch sicher schon gehört haben wirst. Den hab ich vorm Portale niedergehauen und hab in dem Schlosse soviel Gold erbeutet, daß ich mir die güldene Kette hab schmieden lassen, die noch zweimal so lang war, wie jetzt ... da fällt mir übrigens ein, daß ich einen Teil davon auf ein frommes Gelübde verwenden muß. He, Andreas! Andreas!« Sein Trabant dieses Namens trat in die Stube, fast genau wie der Bogenschütze selbst gekleidet, bloß die Beinschienen fehlten ihm, und die Rüstung war weit gröber gearbeitet, auf der Mütze fehlte der Federstutz und sein Oberkleid war weniger weit, und statt aus Samt nur aus Sersche und grobem Tuch. Balafré nahm die Goldkette vom Halse, biß mit seinen unverwüstlichen Zähnen etwa zwei Zoll davon ab und gab das Stückchen dem Trabanten. »Da, Andreas! trag das zu meinem Gevatter, dem fidelen Pater Bonifaz, nach Sankt-Martins hinüber, bestell ihm einen Gruß und sag ihm, ich trüg ihm nicht weiter mehr nach, daß er nach unserer letzten Kneiperei ohne Adieu sich von mir gedrückt hätte. Dann sag ihm auch, mein Bruder und meine Schwester und die ganze Glenhulakiner Sippe seien tot, und er solle so gut sein, für ihre Seele ein paar Messen zu lesen. Was ich ihm durch Dich von meiner goldnen Kette schickte, würde schon als Kirchenlohn für das bißchen Messelesen ausreichen. Sag ihm auch, meine Sippe in Glenhulakin hätte immer einen gottesfürchtigen Wandel geführt, und wenn er daraufhin vielleicht meinte, sie könnten schon ohne Messe aus dem Fegefeuer heraus sein, so soll er das Geld auf einen Fluch gegen das hundsföttische Gesindel dieser Ogilvies verwenden ... auf welchem Wege, soll ihm überlassen bleiben, aber er soll denjenigen wählen, auf dem ihnen am besten beizukommen ist ... Verstanden, Halunke?« – Der Trabant nickte. »Hüte Dich aber,« rief Balafré noch, »daß sich ja nicht etwa ein Glied von dem abgebissenen Kettenstück ins Wirtshaus verirre! denn dann machst Du Bekanntschaft mit Steigriemen und Sattelgurt, und zwar solange, bis Deine Haut aufspringt ... Ich merke schon, Kerl, Du hast schon wieder mal Durst? Na, dann nimm einen tüchtigen Schluck, ehe Du Dich auf den Weg machst.« Mit diesen Worten reichte er ihm einen vollen Humpen. Der Trabant leerte ihn auf die Neige. Dann entfernte er sich, um dem Pater den Auftrag zu bestellen. »So, Neffe,« wandte sich nun Balafré wieder an Quentin Durward, »nun sag mir, wie Du eigentlich bei der Affäre mit blauem Auge davongekommen bist?« – »Ich stand mit den älteren und stärkeren zusammen in Reih und Glied gegen die feindlichen Ogilvies,« erwiderte Durward, »und hab mitgekämpft, bis wir schließlich unterlagen. Ein böser Schlag streckte mich nieder, und ich trug eine schlimme Wunde davon.« – »Das ist mir vor 10 Jahren nicht besser gegangen,« erwiderte der Oheim, »wie sie mich damals herausgeputzt haben, das kannst Du mir ja heute noch ansehen.« Bei diesen Worten wies er auf die dunkelrote, tiefe Furche, die sein Gesicht in der Quere schnitt; »dergleichen Risse hat noch kein Schwert eines Ogilvie gezogen!« – »Zerrissen haben die Ogilvies gerade genug,« versetzte Quentin, »aber sie hatten schließlich ihren Blutdurst gestillt und gaben mich auf Bitten meiner Mutter los. Es war gerade ein Mönch von Aberbrothock in der Nähe, und dem erlaubten sie, mich zu verbinden; ich mußte jedoch, zusammen mit der Mutter, geloben, Mönch zu werden.« – »Du, und Mönch?« rief Balafré, »so was ist ja noch nicht dagewesen! Mich hat noch nie jemand, auch im Traume nicht, in eine Mönchskutte zu stecken gewagt; daß ich wenigstens nicht wüßte! . . und doch muß ich mich eigentlich, wenn ich darüber nachdenke, wundern, denn ich hätte doch ganz sicher keinen schlechten Pater abgegeben. Aber mag es drum stehen, wie es wolle, mir hat's bis jetzt niemand zugemutet, einen solchen Berufswechsel vorzunehmen; und Dir ist das zugemutet worden, Neffe? Warum denn bloß, um alles in der Welt?« »Damit unser ganzes Geschlecht aus der Welt getilgt werde!« erklärte Quentin Durward, »wenn nicht im Grabe, so doch im Kloster!« – »Hm, nun verstehe ich,« erwiderte Balafré, »diese Ogilvies sind doch ganz infame Halunken! und doch hätten sie sich damit betrügen können! wie war's denn mit dem Probste Robsart? der fällt mir gerade ein! er hatte doch auch die Weihen bekommen, war aber dann aus dem Kloster gewichen und Hauptmann bei einer Freikompagnie geworden. Der hat sich ein allerliebstes Kebsweib genommen und mit ihr drei Jungen gezeugt. Dem Mönchsvolk, lieber Neffe, ist nun mal nicht über den Weg zu trauen, ein Mönch wird Soldat und Vater von Kindern, ehe man sich's versieht. Aber erzähle weiter von Deinen Glenhulakiner Geschichten!« – »Da gibt's nicht viel mehr zu erzählen, Oheim,« antwortete Durward, »ich mußte eben ins Kloster, wurde Novize, mußte nach den Klosterregeln leben und sogar lesen und schreiben lernen.« – »Lesen und schreiben, sagst Du?« rief Balafré, der zu den Leuten gehörte, die alle Kenntnisse, die das Maß des eignen Wissens übersteigen, für Wunderdinge ansehen, »so was ist ja noch nicht dagewesen! Das kann man doch nicht glauben! welcher Durward hätte wohl vor Dir seinen Namen schreiben können? und ein Lesley doch auch nicht! ich bin der letzte von den Lesleys und kann so wenig schreiben wie fliegen! Aber, beim heiligen Ludwig! wie haben sie es denn bloß angestellt, daß sie Dir das beigebracht haben?« – »In der ersten Zeit war's freilich ein bißchen schwer,« sagte Durward, »dann ist's aber leichter geworden. Wie bei allem im Leben, kommt's hier eben auf die Uebung an. Ich war infolge des starken Blutverlustes schwach zum Umfallen, und wollte meinem Retter, dem Pater Peter, kein Herzeleid bereiten. Drum gab ich mir auch alle Mühe, aufzupassen, und dann ist die Mutter auch krank geworden und gestorben, und da hat sich's in einem günstigen Augenblick mal gefügt, daß ich's dem Pater gestehen konnte, daß ich zum Mönchsstande gar keine Neigung hätte, sondern lieber in die Welt hinaus möchte, mein Glück zu versuchen, und so wurde denn vereinbart, daß es den Anschein haben sollte, als wenn ich aus dem Kloster geflohen wäre, damit den Ogilvies nicht ein Grund geboten würde, ihre Rache an meinem Wohltäter zu kühlen; und aus diesem Grunde habe ich auch den Falken des frommen Paters mit auf den Weg genommen. Entlassen aber bin ich unter der Hand in aller Form Rechtens aus dem Kloster, wie ja das Siegel und die Handschrift des Abtes beweisen.« »Na, das ist ja im Grunde auch besser,« meinte Balafré, »wenn auch schließlich König Ludwig nicht viel danach früge, ob Du gemaust hast oder nicht, so kann er es doch nicht leiden, wenn sich einer gegen ein Kloster vergangen hat. Darauf kann ich aber wetten, Junge, daß Dir alles mögliche fehlt zu einem anständigen Unterhalte?« – »Nun, ja Oheim,« erwiderte der Jüngling, »Dir kann ich's ja gestehen: dazu ist mir weiter nichts nötig, als das nötige Kleingeld.« – »Eine schlimme Sache, wenn die Dinge so stehen,« meinte Balafré, »ich spare ja auch nichts vom Solde, denn so leicht ist's eben auch nicht, mit Ehren solchen Stand zu wahren; aber was ich brauche, habe ich schließlich doch immer, und wenn es mal Matthäi am letzten wird, na, sieh, dann muß eben mal die goldne Kette herhalten. Du wirst aber fragen, Neffe, wie ich zu solchen schönen Dingen komme? Na, sie wachsen ja freilich nicht wie die Narzissen auf dem Felde, aus denen die Bauerndirnen sich Ketten drehen; aber Du kannst sie Dir ganz ebendort her holen wie ich, nämlich vom guten Könige von Frankreich! denn wer Schätze zu suchen ein Herz hat, der findet sie dort, wenn auch hie und da mit Lebensgefahr; aber er findet sie eben doch!« – »Ich dächte aber, die Leute hätten mir gesagt,« erwiderte Quentin, »der Herzog von Burgund hielte einen bessern Hofstaat als der König von Frankreich? und unter seiner Fahne sei mehr Ehre zu gewinnen?« – »Du redest wie ein Tor, Neffe,« sagte darauf Balafré, »aber man kann's Dir nachsehen, denn als ich den Fuß nach Frankreich gesetzt hatte, redete ich gerade so dumm und albern wie Du; ich hatte auch keine andre Vorstellung von einem König als einem höhern Wesen, das den ganzen Tag unter einem Thronhimmel säße, mit seinen obersten Paladinen von früh bis spät schmause, die goldne Krone nie vom Haupte nähme, oder an der Spitze seiner Truppen dem Feinde entgegenrücke, wie etwa Robert Bruce oder der Wilhelm in unsrer eignen Vaterlandsgeschichte. Im Vertrauen gesagt, Neffe! Politik ist die richtige Kunst, die sich für die Könige schickt, und diese Kunst hat der König Ludwig von Frankreich so recht eigentlich für sich gepachtet, die versteht er wie kein andrer Monarch in ganz Europa! Du darfst mir, weiß Gott! glauben, Ludwig ist der klügste von allen Fürsten, der je den Purpur trug! und doch habe ich ihn noch kaum ein einziges Mal auf seinen Schultern gesehen, so lange ich schon in seinem Dienste bin. Viel öfter aber habe ich ihn herumlaufen sehen in seinem Schlosse und seinem Lande in einer Kleidung, wie sie sich kaum für unsereinen schicken möchte!« – »Aber, Oheim,« wandte der Jüngling ein, »Ihr erwidert ja gar nichts auf meinen Einwand? wenn ich einmal in fremdem Lande dienen muß, so möchte ich es doch gern da tun, wo mir der größte Vorteil winkt, wo ich mich am ehesten und hervorragendsten auszeichnen könnte!« – »Das verstehe ich schon, lieber Neffe,« versetzte Balafré, »aber es fehlt Dir in solchen Dingen noch am richtigen Urteil. Der Burgunder Herzog ist ein Brausekopf, ein eisenfester Wagehals, der sich an der Spitze seiner Mannen selbst ins Gefecht stürzt, und wenn wir, Du oder ich, uns bei ihm befänden, meinst Du, wir könnten's dort weiter bringen, als er selber und alle seine Adelinge? wollten wir nicht gleichen Schritt mit ihnen halten, dann wäre doch sicher der Herr burgundische Generalprofoß nicht weit von uns, und täten wir's anderseits ihnen gleich, nun, dann wär's eben gut, und es hieße, wir hätten eben unsern Sold verdient. Höchstens hieße es einmal, wenn wir was ganz Besonderes verrichtet hätten, aus herzoglich burgundischem Munde: Ha! brav gemacht! sehr brav – gebt ihm einen Gulden, Seneschall, daß er mal auf unser Wohl einen guten Schluck trinken kann! Aber von Rang, Land oder Schätzen kommt in seinem Dienste an einen, der nicht Burgunder ist, kein Tüttelchen: das laß Dir gesagt sein, denn was der zu verschenken hat, kommt bloß an Landeskinder!« – »Dann sagt mir aber, Ohm,« erwiderte Quentin, »wohin soll ich mich um einen Dienst wenden?« »Zu demjenigen Fürsten,« antwortete Balafré, »der die Landeskinder fein säuberlich zur Arbeit anhält und Schotten einstellt, sie und ihr Land zu schützen, und ihnen dafür keine andern Lasten aufbürdet, als für ihren Sold aufzukommen! ... Franzosen, sagt König Ludwig, eignen sich nun einmal nicht zur Kriegführung, das haben die Tage von Crécy und Azincourt bewiesen, und wer ihm was gegen seine Ansicht sagen will, dem kommt er gleich mit diesen beiden Schlachten entgegengerückt, die für die französischen Ritter in so großem Maße unglücklich verliefen. Na, siehst Du nun ein, lieber Neffe, wo unser Weizen blüht, und wo Du, wenn Du reich werden willst, schließlich noch die allerbesten, wenn nicht die einzigen Aussichten dazu hast?« – »Ich glaube, den Sinn Eurer Worte richtig zu erfassen, Oheim,« versetzte Quentin Durward, »aber mir scheint, viel Ehre ist bei diesem Könige denn doch nicht zu holen! denn ich sehe nicht ein, wo es bei ihm Gefahren gibt. Mir kommt der Dienst bei ihm, verzeiht mir den Ausdruck, Ohm, so recht vor wie ein Schlaraffendienst. Was hat denn ein alter Mann, dem doch niemand was zu leide tut, soviel Wachen vonnöten? wem kann denn was dran liegen, Sommer und Winter auf seinen Festungswerken herumzulungern oder in einem eisernen Käfige zu stecken? ist das etwa viel Ehre, unter dem ewigen Verdachte des Ausreißers zu stehen? Ich komme mir da wirklich nicht anders vor, wie ein Falke, der auf seiner Stange hocken muß, ohne nur ein einziges Mal auffliegen zu dürfen.« »Na, das muß man sagen,« rief Balafré, »Mut und Feuer stecken in dem Jungen; es steckt was von Lesleyschem Geist in ihm; so war ich selber, und keinen Deut anders. Aber jetzt heißt meine Parole: Vivat König Ludwig! lang lebe der König von Frankreich! denn bei ihm vergeht fast kein Tag, an welchem es nicht einen Auftrag gibt, bei dessen Ausführung was für unsereinen kleben bleibt! Meine bloß nicht, als ob die schwierigsten Stückchen immer bei hellem Tage ausgeführt würden! ich könnte Dir manches erzählen, wie Schlösser gestürmt, Gefangene eingebracht wurden, und wo einer, wenn auch keinen großen Namen, so doch größere Gunst zu gewinnen vermag, als all die Wagehälse zusammengenommen im Dienste des wagehalsigen Herzogs von Burgund! und wenn es unserm Könige beliebt, sich im Hintergrunde aufzustellen und uns bei unserm Tun zu beobachten, so hat er doch ganz gewiß bessere Gelegenheit zu gerechtem Abwägen von jedes einzelnen Verdienste, als wenn er sich selbst mit in dem Kampfe getummelt hätte. Nein, nein! da hilft kein Redens! König Ludwig ist ein gar scharfblickender Herr! und ein politischer Herrscher, wie wir keinen andern haben neben ihm!« Quentin Durward schwieg eine Weile, dann sagte er, minder laut als bisher, aber nicht minder ausdrucksvoll: »Der gute Pater Peter meinte hin und wieder zu mir, es sei freilich durch manche Tat, bei der nicht viel Ehre zu holen sei, mancherlei Vorteil zu gewinnen; und ich brauche Euch wohl nicht zu sagen, Oheim, daß meines Vermutens solche geheim erteilten und heimlich auszuführenden Aufträge nicht immer besonders ehrenvoll sein mögen.« – »Wofür, Neffe, hältst Du mich denn?« fragte Balafré finster; »ich bin allerdings in keinem Kloster erzogen worden, kann auch weder lesen noch schreiben; aber ich bin ein ehrlicher Lesley und bin der Bruder Deiner seligen Mutter. Meinst Du, ich wollte Dir etwa Unwürdiges aussinnen? Der beste Ritter Frankreichs, Guesclin selbst, könnte, wenn er noch am Leben wäre, stolz sein auf solche Taten, wie ich sie vollführt habe.« – Ihr seid der einzige Ratgeber, Oheim,« sagte Quentin Durward, »den mir ein unseliges Geschick aufbewahrt hat, und Zweifel in Eure Worte zu setzen, steht mir wahrhaftig nicht zu. Aber trifft es denn zu, was gerüchtweise verlautet, daß der König von Frankreich hier in Plessis solch dürftigen Hof halte? es soll keiner von seinen Edeln hier sein, keiner von seinen großen Vasallen und Hofleuten in seiner Nähe weilen, kein Kronbeamter zu seiner Verfügung sein? außer ein paar einsamen Ausflügen, an denen bloß die Leibdiener teilnehmen, außer ein paar geheimen Sitzungen, zu denen bloß geringe Personen zugezogen werden, wie beispielsweise sein Barbier, soll nichts hier vorgehen, was an eine königliche Hofführung erinnert? wenn sich das wirklich so verhält, dann scheint mir doch wenig von den Bräuchen und Sitten jenes edlen Königs Karl, seines Vaters, auf König Ludwig übergegangen zu sein, und dabei hatte doch bereits dieser das zur Hälfte von England eroberte Königreich wieder durch Krieg an sich gebracht!« »Du schwatzest wie ein Kind,« erwiderte Balafré, »und leierst wie ein Kind die alten Noten auf neuen Saiten. Wenn König Ludwig seinen Barbier Oliver Dain zu Dingen braucht, die dieser besser versteht, als alle Pairs in seinem Lande, hat nicht dann sein Königreich den Gewinn davon? und wenn er seinem martialischen Generalprofossen Befehl gibt, den oder jenen aufrührerischen Bürger in Haft zu nehmen oder den oder jenen Edelmann beiseite zu schaffen, dann geschieht's doch eben ohne viel Federlesens. Aber nicht der Fall wäre es, wenn er solchen Auftrag einem Herzog oder Pair seines Landes erteilen wollte, da könnte er sich von hundert in neunzig Fällen darauf gefaßt machen, daß er den Auftrag mit einer Herausforderung zurückbekäme, auf die Ausführung aber fein säuberlich warten könnte. Oder spricht's etwa nicht von königlicher Weisheit, wenn Ludwig Balafré mit einem Auftrag bedacht wird, der beim Großconnetable vielleicht ganz und gar nicht in den richtigen Händen gewesen wäre? Ist solcher Monarch nicht gerade für Leute wie uns der richtige? ... Du kannst mir schon glauben, Neffe, König Ludwig versteht's, sich die rechten Leute für seine Befehle auszusuchen, und mißt, wie man wirklich sagen kann, jedem genau zu, was er tragen kann. Aber, höre! da schlägt die Glocke von Sankt Martins! die ruft mich zurück ins Schloß. So leb denn wohl und nimm Dich recht zusammen! sei um acht Uhr früh an der Zugbrücke und frage die Schildwache nach mir! aber sieh Dich vor, daß Du nicht vom richtigen Wege abgerätst, sobald Du Dich dem Portale näherst, denn es könnte Dich, wenn Du das außer acht läßt, leicht ein Glied von seinem Leibe kosten, und das büßt doch niemand gern ein! Ich sage Dir, Neffe, Du sollst den König Ludwig sehen, und sollst dann selbst über ihn urteilen. Na, und nun Adjes für heute!« Mit diesen Worten eilte Ludwig Balafré hinweg und vergaß in der Eile, den Wein zu bezahlen, den er bestellt hatte. Bei Personen seines Kalibers ist solche Vergeßlichkeit keine Seltenheit, und der Wirt mochte sich vor dem wehenden Federbusch nicht getrauen, ihn aufmerksam zu machen. Von Quentin Durward hätte man nun, als er sich allein sah, erwarten können, daß er sich wieder in sein Turmzimmer begeben hätte, um den süßen Tönen weiter zu lauschen, die seine Morgenstunde so herrlich aufgeheitert hatten. Aber sein Oheim hatte ihn zu derb vor die Wirklichkeit gestellt, und so hatte er jetzt keinen Sinn mehr für Romantik, sondern unternahm einen Spaziergang an dem Ufer des wild strömenden Cher, hatte sich aber zuvor noch sorgsam erkundigt bei dem Herbergswirte, ob in dieser Gegend etwa auch Fußangeln gelegt seien, die zu besonderer Vorsicht nötigten. Der Wirt hatte ihm nach dieser Richtung hin die beruhigendsten Versicherungen geben können, und so suchte er nun am Ufer des wilden Flusses seine wirren Gedanken zu sammeln und Pläne für sein zukünftiges Leben zu schmieden, das ihm durch die Unterhaltung mit seinem Oheim nach mancher Seite hin zweifelhaft geworden war. Sechstes Kapitel Die Art von Durwards Erziehung hatte weder sein Herz bilden, noch sein sittliches Gefühl stärken können. Er war zur Jagd angehalten und gelehrt worden, den Krieg als einzige ernste Beschäftigung, zugleich aber auch für die größte Lebenspflicht zu halten und erlittenes Unrecht an jedem Feinde aufs grimmigste zu rächen. Nichtsdestoweniger fühlte sich Quentin durch die Gleichgültigkeit verletzt, womit sein Oheim die Nachricht von der Ausrottung der ganzen Familie seines Schwagers aufgenommen hatte; auch konnte er nicht umhin, sich zu verwundern, daß ein so naher Anverwandter ihm nicht eine Unterstützung aus seinem Beutel anbot, die er doch ohne Meister Peters Freigebigkeit notgedrungen hätte in Anspruch nehmen müssen. Gleichwohl tat er seinem Oheim unrecht, daß dieser Mangel an Aufmerksamkeit auf seine wahrscheinlichen Bedürfnisse von wirklichem Geiz herrührte. Da er selbst in diesem Augenblicke des Geldes nicht benötigt war, war es Balafré auch nicht eingefallen, daß sich sein Neffe in dringender Verlegenheit befinden könne; denn er hielt außerdem einen nahen Verwandten zu sehr für einen Teil seiner selbst, als daß er nicht ebenso für das Wohl seines Neffen hätte Sorge tragen sollen, wie er es für das seiner verstorbenen Schwester ihres Gatten getan hatte. Allein, was auch immer der Beweggrund sein mochte, so war diese Vernachlässigung dem jungen Durward durchaus nicht angenehm, und er hegte mehr als einmal den Wunsch, in die Dienste des Herzogs von Burgund getreten zu sein, ehe es ihm an Gelegenheit gefehlt hatte, über Meister Peter mit Balafré zu sprechen, denn vielleicht hätte er doch nähere Auskunft über diesen Mann von ihm erhalten; allein bei dem Oheim hatte eine Frage die andere gejagt, und die Mahnung der großen Glocke von St. Martins hatte ihr Gespräch schnell abgebrochen. Er sagte sich, der alte Mann sei wohl finster und unfreundlich, scharf und spottend, aber doch edelmütig und freigebig gewesen, und ein altes, schottisches Sprichwort sagt: »Besser ein freundlicher Fremder, als ein fremder Blutsfreund!« – »Ich muß den Mann ausfindig machen,« dachte er bei sich selbst, »und das kann doch kein so schweres Unternehmen sein, wenn er so reich ist, wie mein Wirt ihn geschildert hat. Wenigstens wird er mir hinsichtlich meines fernern Verhaltens einen guten Rat erteilen können, und wenn er sich in fremde Länder begibt, wie's viele tun, so ist das, denk ich, ebenso gut ein Dienst, wobei etwas zu gewinnen ist, als bei König Ludwigs Leibwache.« Während Quentin diesen Gedanken nachhing, begegneten ihm zwei Männer von würdigem Ansehen, allem Vermuten nach Bürger von Tours, vor denen er respektvoll die Mütze zog. Dann bat er sie, ihm doch Meister Peters Haus zu zeigen. »Wessen Haus, lieber Sohn?« fragte der eine. – »Meister Peters Haus, des großen Seidenhändlers, der die Maulbeerbäume dort in den Park gepflanzt hat,« entgegnete Durward. – »Junger Mensch,« sagte der von den Fremdlingen, der ihm am nächsten stand, »Ihr habt Euer nichtsnutziges Gewerbe ein wenig zu früh angefangen.« – »Und Euch an die unrechten Leute gewendet, um Späße anzubringen!« versetzte der andere noch mürrischer. »Der Syndikus von Tours ist nicht gewohnt, sich von herumziehenden Spaßmachern aus fremden Ländern Nasen drehen zu lassen.« Quentin war so erstaunt über das, was er hörte, daß er darüber vergaß, über die Unhöflichkeit der beiden Männer böse zu werden, und ihnen starr nachblickte, wie sie mit schnellen Schritten davon eilten, als wünschten sie, ihn so bald als möglich aus dem Gesichte zu verlieren. Nicht lange danach begegnete er einem Trupp Winzer, und stellte die nämliche Frage an sie. Als Antwort wünschten sie zu wissen, ob er Meister Peter den Schulmeister, oder Meister Peter den Zimmermann, oder Meister Peter den Büttel, oder auch ein halbes Dutzend anderer »Meister Peter« meine. Als aber keiner von diesen allen der Beschreibung glich, die er von der Person, die er suchte, gab, beschuldigten ihn die Bauern, er wolle sich einen plumpen Spaß mit ihnen machen, und drohten ihn tüchtig durchzuprügeln. Indes sagte ihnen der älteste, der in einigem Ansehen bei den übrigen zu stehen schien, sie sollten sich aller Gewalttätigkeit lieber enthalten. »Ihr könnt's ja an seinen Reden und an seiner Narrenkappe sehen, daß er einer von den fremden Marktschreiern ist, die jetzt ins Land kommen. Laßt ihn also in Ruhe seines Weges gehen. Ihr aber, Freund, wenn Ihr was Böses im Sinne habt, geht still und ruhig davon und behelligt uns nicht weiter mit Eurem Meister Peter; es ist am Ende doch wohl nur ein anderer Name für den Teufel!« Der Schotte sah ein, daß er hier offenbar die schwächere Partei war, und hielt es fürs klügste, still seinen Weg fortzusetzen. Auf einer kleinen Anhöhe, die sich über dem reißenden Cher in der Richtung seines Weges erhob, bildeten ein paar Wallnußbäume eine schone Gruppe. Neben ihr standen ein paar Landleute, starr und bewegungslos, die Augen aufwärts gerichtet, dem Anschein nach auf einen unter den Zweigen befindlichen Gegenstand. Neugierig, wie ja die Jugend immer ist, eilte Quentin dorthin und sollte nun das schrecklichste Schauspiel mitansehen, das sich einem menschlichen Auge bieten kann. An einem der Baumäste hing der Körper eines Mannes, dessen Züge die Todesangst verzerrte. »Warum schneidet Ihr denn den armen Kerl nicht ab?« rief der junge Schotte den Leuten zu; denn ebenso, wie er immer bereit war, seine Ehre zu behaupten, so ließ er sich auch nie nötigen, Menschen, die in Not waren, Beistand und Hilfe zu leisten. Einer von den Bauern sah ihn mit einem völlig entgeisterten Gesicht an, wies mit der Hand, ohne ein Wort über die Lippen zu bringen, auf ein in der Baumrinde befindliches Zeichen, das mit einer Lilie eine gewisse Aehnlichkeit hatte, aber von verschiedenen unverständlichen Kritzeleien umzogen war. Durward, der weder dies Zeichen kannte, noch es zu entziffern verstand oder zu entziffern Lust hatte, kletterte auf den Baum, langte aus dem Gurte den jedem Hochländer unentbehrlichen »Skene Dhu« oder zweischneidigen Dolch, rief den Bauern zu, den Körper aufzufangen, und schnitt den Strick, an dem der Unglückliche hing, mit einem kräftigen Schnitt mitten entzwei. Aber die Bauern hatten wenig Sinn für menschliche Empfindung, die den jungen Schotten leitete. Statt Durward auch nur den geringsten Beistand zu leisten, ergriffen sie vielmehr, sichtlich entsetzt über diesen Eingriff des jungen Menschen in andre Rechte, das Hasenpanier, ohne sich weder um ihn, noch um den Körper, den er losgeschnitten hatte, und der nun vom Baume herunterfiel, zu kümmern. Aber Quentin, trotzdem er sah, daß infolge des Sturzes aus der nicht unbeträchtlichen Höhe der letzte Lebensfunke aus dem Körper des Gehenkten gewichen war, gab seinen humanen Vorsatz, demselben zu helfen, nicht auf, sondern löste die schreckliche Schlinge von seinem Halse, knöpfte ihm das Wams auf, bespritzte ihm das Gesicht mit Wasser und bot alles mögliche auf, ihn wieder ins Leben zurückzubringen. Da ertönte auf einmal ein wildes Stimmengewirr um ihn her in einer ihm völlig unbekannten Mundart, und kaum hatte er die nötige Zeit gefunden, sich umzudrehen, als er sich ziemlich unsanft am Arme gepackt fühlte und ein Messer blitzen sah, das auf seine Brust gezückt wurde. »Elender Sklave von Eblis!« schrie ihm ein Mann zu, der von andern Männern, Weibern und Kindern umringt wurde, die alle wild durcheinander schrien, aber in einem gräßlichen Kauderwelsch, »willst Du den Menschen, den Du ermordet hast, auch noch berauben? Dafür sollst Du büßen!« Grimmige, verzerrte Gesichter starrten ihm entgegen, und von allen Seiten erhoben sich Messer gegen ihn. Aber den jungen Schotten verließ seine Geistesgegenwart nicht, und er wehrte sich die ihm zunächst Stehenden mit einem kräftigen Rucke vom Leibe! dann rief er: »Was wollt Ihr von mir, Leute? Wenn Ihr in dem Unglücklichen einen Kameraden oder Freund zu beklagen habt, so laßt Euch sagen, daß ich ihn eben vom Baume losgeschnitten habe, und gar nicht daran denke, mich an seinem bißchen Habe zu bereichern. Besser wär's, statt Euch an mir zu reiben, Ihr versuchtet, ihn wieder ins Leben zurückzurufen. Wären die Bauern nicht so erbärmlich weggelaufen, so hätte der arme Kerl wohl noch ein bißchen Leben in sich; aber durch den Sturz scheint ihm das letzte davon abhanden gekommen zu sein,« Inzwischen hatten sich die Weiber über den Leib des Unglücklichen hergemacht und alles mögliche versucht, wieder Leben in ihn zu bringen; aber mit ebenso geringem Erfolge, wie vor ihnen Durward. Auch sie sahen das Vergebliche ihrer Bemühungen ein, erhoben nach orientalischer Sitte ein klägliches Geschrei und rauften sich die langen Haare, während die Männer ihre Kleider zerrissen und Straßenstaub auf ihr Haupt zu schütten anfingen. Jetzt erst betrachtete Durward sich die Gestalten genauer, denn es befaßte sich keiner von den seltsamen Menschen mehr mit ihm, nachdem sie sich durch die Umstände ohne Zweifel von seiner Unschuld sattsam überzeugt hatten. Es wäre nun freilich für Durward das gescheiteste gewesen, sich nicht weiter um den wilden Haufen zu bekümmern, sondern stumm und still seiner Wege zu gehen; aber er war nun einmal daran gewöhnt, Gefahren ohne Rücksicht auf die Folgen zu trotzen, und auch von einiger Neugierde befallen, was wohl hinter diesen merkwürdigen Menschen stecken möchte, die so krause schwarze Bärte hatten und von so dunkelbrauner Hautfarbe waren, daß sie ganz aussahen wie Afrikaner. Ein paar von ihnen, augenscheinlich die Anführer der Horde, trugen seltsamen Zierat um den Hals: ganze Ketten von Silbermünzen, und ebenso in den Ohren, dazu gelbe, hellgrüne und scharlachrote Schärpen um den Leib. Außer den langen Messern, mit denen sie ihn eben bedroht hatten, bemerkte Quentin keinerlei Waffen bei ihnen, bloß einer von ihnen trug eine Art Krummsäbel oder Maurenschwert an der Seite, an das er des öftern die Hand legte; dabei überbot er die andern an Ausbrüchen von schmerzlichem Geheul, wie von Drohungen, durch die er die andern zur Rache anfeuern zu wollen schien. Plötzlich ertönte von der andern Seite her Pferdegetrappel, und die Leute, in denen Quentin Sarazenen zu erblicken meinte, sahen sich, eben als sie den Leichnam ihres toten Kameraden auf die Schultern heben wollten, von einer Reiterschar angegriffen. Auf der Stelle ließen sie den Leichnam wieder fallen, ihre Klagen wandelten sich in Ausrufe wilden Schreckens, und die meisten von ihnen wandten sich kurz entschlossen zur Flucht, ohne sich an die gegen sie gerichteten Lanzen zu kehren. Bis auf zwei gelang es ihnen auch, sich durch die Reiter hindurch zu schlagen! und von diesen beiden, die in die Hände der Reiter fielen, war einer derjenige, der vorhin mit dem Krummsäbel so wild hantiert hatte. Der nächste, der von den Reitern ergriffen und ungeachtet allen Einspruchs gebunden wurde, war Quentin Durward. An der Gewandtheit, mit der sich die Soldaten dieser Verrichtung entledigten, ließ sich erkennen, daß sie keineswegs Neulinge in dieser Polizeitätigkeit waren. Quentin, der sich bestürzt nach dem Anführer der Reiterschar umsah, wußte nicht, ob er sich freuen oder sorgen sollte, als er in ihm den Gefährten Meister Peters erkannte, der den Blick immer zur Erde gerichtet hielt. Welches Verbrechens nun aber diese Fremdlinge beschuldigt sein mochten, so mußte dieser Beamte doch aus der Geschichte des Morgens wissen, daß Durward in keinerlei Verbindung mit ihnen stehen konnte; allein schwieriger war die Antwort auf die andere Frage, ob dieser finstre Mann für ihn ein günstiger Richter oder williger Zeuge sein werde, und ob er seine Lage verbessern möchte, wenn er sich geradezu an ihn wendete. Aber es blieb wenig Zeit zum Nachdenken übrig. »Trois-Echelles und Petit-André!« sagte der Mann mit dem zu Boden gesenkten Blick zu zweien seiner Truppe; »die Bäume hier stehen gerade recht bequem. Ich will dies ungläubige, diebische Gesindel lehren, mit des Königs Gerechtigkeit zu spaßen, wenn sie einen von der verruchten Rasse erwischt hat. – Steigt ab, Kinder, und tut ohne weiteres Eure Schuldigkeit!« Trois-Echelles und Petit-André standen augenblicklich auf den Füßen, und Quentin bemerkte, daß jeder von ihnen am Schwanzriemen und Sattelknopf seines Pferdes ein Bund Stricke befestigt hatte, die sie schleunigst ablösten und zu der verhängnisvollen Schleife knüpften, die dann für solche, die gehenkt werden sollen, den letzten Halsschmuck bildet. Eiskalt rann das Blut durch Quentins Adern, als er sah, daß man drei Stricke auswählte, offenbar in der Absicht, einen davon um seinen Hals zu schlingen. Er erinnerte den Mann mit lauter Stimme an ihr Zusammentreffen am Morgen, machte sein Recht als freigeborner Schotte in befreundetem Lande geltend, und behauptete, daß er weder die Personen kenne, in deren Gesellschaft er gefangen worden, noch wisse, was sie eigentlich verbrochen hätten. Der Mann würdigte ihn aber kaum eines Blicks, sondern wandte sich ohne weiteres zu ein paar Bauern, die jetzt zum Vorschein kamen, entweder um gegen die Gefangenen auszusagen oder aus Neugier; und er fragte kurz: »War der junge Mensch da bei den Vagabunden?« – »Allerdings war er dabei, Sir,« antwortete einer der Bauern, »und mit Ew. Edlen des Herrn Generalprofoß Erlaubnis, wie wir schon gesagt haben, er war der erste, der den Schurken abschnitt, den Se. Majestät Gerechtigkeit verdientermaßen hatte aufknüpfen lassen.« – »Ich kann's bei Gott und dem heiligen Martin von Tours beschwören,« sagte ein anderer, »daß ich ihn mit ihnen gehen sah, als sie unsere Meierei plünderten.« – »Ja, aber der Heide war doch schwarz, Vater!« sagte ein Knabe, »und der hier ist weiß; der hatte ganz kurzes, krauses Haar und der hier hat schöne, lange Haare.« – »Das ist wohl wahr, Junge,« versetzte ein Bauer; »jener hatte auch einen grünen Mantel, und dieser hat ein graues Wams. Aber Ew. Edlen der Herr Profoß wissen ja selbst, daß diese Halunken ihr Gesicht wechseln können wie ihre Jacke, so daß ich doch immer noch der Meinung bin, es sei derselbe,« – »Es genügt,« sagte der Mann mit dem zu Boden gesenkten Blick, »daß Ihr gesehen habt, wie er sich bemüht hat, einen gerichteten Verbrecher ins Leben zurückzurufen. Trois-Echelles und Petit-André, macht Euch fertig!« – »Haltet ein, Herr Offizier!« rief der Jüngling in Todesangst; »hört mich an und laßt mich nicht schuldlos sterben! Mein Blut wird von Euch gefordert werden durch meine Landsleute in dieser Welt und durch die Gerechtigkeit des Himmels in der künftigen!« – »Ich werde meine Handlungen hier und dort zu verantworten wissen!« sagte der Profoß kaltblütig, indem er mit der linken Hand den Scharfrichtern ein Zeichen gab. Dann zeigte er mit boshaftem Lächeln auf seinen rechten Arm, den er in einer Binde trug, wahrscheinlich infolge des Schlages, den er am Morgen von Durward erhalten hatte. – »Elender, rachsüchtiger Bube!« rief Quentin, nunmehr überzeugt, daß er von ihm kein Mitleid zu erwarten habe. – »Der arme Junge ist nicht bei Sinnen!« sagte der Profoß: »sprich ihm doch ein tröstliches Wort zu, Trois-Echelles, ehe sein Hintritt erfolgt. Du stellst ja in dergleichen Fällen Deinen Mann, wenn es an einem Beichtvater fehlt. Nur eine Minute erteil ihm geistlichen Rat und Zuspruch und dann fort mit ihm! Ich muß jetzt die Runde machen – Soldaten, folgt mir!« Der Profoß eilte nun mit seiner Wache fort, ein paar Mann ausgenommen, die zurückgeblieben, um bei der Hinrichtung behilflich zu sein. Der unglückliche Jüngling sah ihm verzweifelt nach und glaubte mit jedem verhallenden Hufschall die Möglichkeit einer Rettung schwinden zu sehen. Er schaute sich voll Todesangst um und sah zu seinem großen Erstaunen, daß seine Mitgefangenen in stoischer Gleichgiltigkeit verharrten. Anfangs hatten sie sämtlich Furcht gezeigt und zu fliehen gesucht; nachdem sie aber allem Anschein nach dem unvermeidlichen Tode entgegengingen, erwarteten sie ihr Schicksal mit unerschütterlichem Gleichmut. Die beiden Scharfrichter hatten Quentin zu dem Baume geschleppt und legten ihm die Schlinge um den Hals. Mit verstörtem Blick sah er sich ringsum. »Gibt es denn keinen guten Christen hier,« sagte er, »der es dem Ludwig Lesley von der schottischen Leibwache, hier zu Lande Balafré genannt, hinterbringen möchte, daß man hier seinen Neffen schändlich umbringt?« Diese Worte waren zur rechten Zeit gesprochen; denn ein Bogenschütze von der schottischen Garde, den die Zurüstungen zur Hinrichtung herbeigelockt hatten, stand mit ein paar anderen zufälligen Passanten da, um zu sehen, was hier geschähe. – »Nehmt Euch in acht!« sagte er; »ist der junge Mensch hier vielleicht ein Schotte von Geburt, so solltet Ihr nicht solchen schlechten Spaß mit ihm treiben!« – »Gott behüt uns, Herr Reiter!« versetzte Trois-Echelles; »aber wir müssen tun, was man uns befohlen hat!« – »Das kürzeste Spiel ist immer das beste!« sagte Petit-André und wollte Quentin aufheben. Der aber hatte die tröstlichen Worte kaum vernommen, als er seine ganze Kraft aufbot und die beiden Schergen des Gesetzes auf die Seite warf und mit gebundenen Händen dem schottischen Bogenschützen entgegenlief. – »Steh mir bei, Landsmann!« sagte er in seiner Muttersprache, »um Schottlands und des heiligen Andreas willen! Ich bin unschuldig – bin Dein Landsmann! Steh' mir bei, wenn Du es nicht dereinst am jüngsten Tag zu verantworten haben willst!« – »Beim heiligen Andreas!« rief der Bogenschütze; »sie sollen nicht an Dich kommen, so lang ich lebe!« Mit diesen Worten zog er sein Schwert. – »Mach mich von den Stricken frei!« sagte Quentin, »und ich will mir schon allein helfen.« Das war schnell geschehen, und Quentin sprang auf einen von der Wache des Profoßen los und entriß ihm die Hellebarde ... »Und nun,« rief er, »kommt heran, wenn Ihr es wagt!« – »Reite Du dem Generalprofoß nach!« sagte Trois-Echelles zu seinem Gefährten, »ich will sie einstweilen hier aufhalten. Soldaten von der Wache des Profoßen! Ergreift die Waffen!« Petit-André bestieg sein Pferd und verließ den Schauplatz. Die übrigen Leute von dem Gefolge des Profoßen zogen sich auf Trois-Echelles Befehl eilig zusammen; bei der daraus entstandenen Verwirrung entschlüpften die beiden Gefangenen. »Sagt mir doch,« wandte sich der Bogenschütze an den Scharfrichter, »was hat der junge Mensch denn eigentlich verbrochen?« – »Er hat sich unterfangen, den toten Körper eines Verbrechers abzunehmen, trotzdem der Baum, an dem ich ihn aufgehängt hatte, mit der Lilie bezeichnet war.« – »Junger Mann?« sagte der Bogenschütze, »wie kommt Ihr dazu, solche Ungebühr zu verüben?« – »So wahr ich Euren Schutz wünsche,« antwortete Durward, »will ich Euch die Wahrheit sagen, wie meinem Beichtiger. Ich sah einen Mensch an dem Baume zappeln und schnitt ihn ab, aus bloßer Menschenliebe. Ich habt weder an die Lilie noch sonst eine Blume gedacht, oder gar, daß ich dadurch den König von Frankreich, oder unsern heiligen Vater, den Papst beleidigte.« »Aber zum Henker, was ging Dich denn der tote Körper an? Wohin der Herr hier den aussetzt, dort wirst Du dergleichen immer wie Aepfel an den Bäumen hängen sehen, und Du hättest wahrscheinlich hier zu Lande viel zu tun, wenn Du hinter dem Henker eine Aehrenlese halten wolltest. – Ein Wort, Herr Gerichtsmann! Es ist ein Mißverständnis, wie Ihr seht. Ihr solltet Mitleid haben mit einem so jungen Reisenden. In unsrem Lande, zu Hause, ist er nicht gewohnt gewesen, dergleichen schnelle Prozeduren, wie die Euren und die Eures Meisters sind, zu sehen.« – »Weil sie dort etwa nicht nötig wären? Nein! Herr Bogenschütze!« sagte Petit-André, der in diesem Augenblicke zurückkehrte. »Nicht gewankt, Trois-Echelles! Da kommt der Generalprofoß. Wir werden's gleich sehen, wie er's anfangen wird, daß ihm das Werk aus der Hand genommen worden, eh' es noch vollendet war.« – »Da kommen ja auch noch zu gelegener Zeit ein paar von meinen Kameraden!« versetzte der Bogenschütze. Wirklich nahten, als der Profoß Tristan mit seiner Patrouille auf der einen Seite des Hügels, der der Schauplatz des Streits war, heraustritt, vier oder fünf Bogenschützen auf der andern mit Balafré an ihrer Spitze. In dieser dringlichen Lage zeigte Lesley keineswegs Gleichgültigkeit gegen seinen Neffen; denn kaum hatte er bemerkt, daß derselbe in peinlicher Not war, als er rief: »Cunningham, ich danke Dir! Kameraden! Steht mir bei! Es ist ein junger schottischer Edelmann, mein Neffe – Lindesay! Guthrie! Tyrie! Zieht und haut ein!« Nun war alle Aussicht zu einem verzweifelten Kampfe zwischen beiden Parteien da, die zwar an Zahl nicht gleich waren; allein die besseren Waffen der Schotten konnten ihnen doch vielleicht zum Siege verhelfen. Aber der Generalprofoß, entweder weil er den Ausgang des Gefechts fürchtete, oder weil er sorgte, es möchte dem König unangenehm sein, daß es zwischen seinem Profoßen und seiner Leibgarde zu Blutvergießen gekommen, gab seinem Gefolge ein Zeichen, keine Gewalt zu gebrauchen, stellte aber Balafré die Frage, was denn er, als ein Ritter von der königlichen Leibwache damit bezwecke, sich der Hinrichtung eines Verbrechers zu widersetzen? – »Ich leugne, daß dem so ist!« versetzte Balafré. »Beim heiligen Martin! es ist doch ein Unterschied zwischen der Hinrichtung eines Verbrechers und der Ermordung meines eigenen Neffen!« – »Euer Neffe kann ebensogut ein Verbrecher sein, wie jeder andere!« sagte der Generalprofoß; »und jeder Fremde ist den Gesetzen Frankreichs unterworfen.« – »Ja, aber wir haben Privilegien, wir schottischen Bogenschützen,« sagte Balafré; »ist dem nicht so, Kameraden?« – »Allerdings, allerdings!« riefen alle zugleich. »Privilegien – Privilegien! Lang lebe der König Ludwig! Und Tod allen, die uns unsere Vorrechte schmälern wollen!« – »Aber seid doch nur vernünftig, Ihr Herren!« sagte der Generalprofoß; »und bedenkt meinen Auftrag!« – »Von Euch nehmen wir keine Vernunft an!« entgegnete Cunningham, »unsere eigenen Offiziere sollen uns Vernunft lehren. Wir wollen gerichtet sein von des Königs Gnaden, oder durch unsern eigenen Kapitän, da jetzt der Großkonnetable nicht zugegen ist.« »Und von niemand gehängt werden,« sagte Lindesay, »als von Sandie Wilson, dem alten Profoß von unserm eigenen Korps.« – »Aber so hört doch nur!« sagte der Generalprofoß: »der junge Mensch tat ja Euch gar nichts an und kann keine Ansprüche machen auf das, was Ihr Eure Privilegien nennt.« – »Er ist mein Neffe,« sagte Balafré mit triumphierender Miene. – »Aber soviel ich weiß, kein Bogenschütze von der Leibwache,« versetzte Tristan l'Hermite. Die Bogenschützen sahen zweifelhaft einander an ... »Nur standhaft, Vetter,« flüsterte Cunningham Balafré zu, »sprich, er sei bei uns angeworben.« – »Beim heiligen Martin! Du hast recht, Vetter!« entgegnete Lesley, und mit lauter Stimme schwur er nun, daß er diesen Tag seinen Verwandten als Gefolgsmann angenommen habe. Diese Erklärung war ein entscheidender Beweisgrund, und Profoß Tristan, der des Königs Besorgnis vor einem Zwiste unter seiner Leibwache kannte, brach mit seinen Leuten auf, indes die Bogenschützen zurückblieben und eilig beratschlagten, was nun zunächst zu tun sei. »Vor allen Dingen,« hieß es, »müssen wir die Sache unserm Kapitän Crawford berichten und dann den Namen des jungen Menschen in unsere Liste eintragen lassen.« »Aber, werte Freunde und Retter,« sagte Quentin, wie wenn er nicht recht mit der Sprache herauswollte, »ich habe mich ja noch gar nicht entschieden, ob ich bei Euch überhaupt in Dienste treten will oder nicht.« – »Dann mußt Du darüber eins werden, ob Du's tun oder hängen willst,« versetzte sein Oheim; »denn sonst, lieber Neffe, bleibt Dir wohl kaum ein Ausweg aus dieser Klemme übrig.« Das war ein unwiderleglicher Beweisgrund, der Quentin in die Notwendigkeit versetzte, sich in eine Verpflichtung zu fügen, in die er sonst nicht gern gewilligt hätte. »Jetzt zum Schlosse!« sagte Balafré; »unterwegs soll uns mein Neffe erzählen, wie er sich den Generalprofoß auf den Hals gehetzt hat, damit wir wissen, wie wir unsern Bericht an Crawford einzurichten haben.« Siebentes Kapitel Als sie näher an das Schloß heran kamen, öffnete sich das kleine Pförtchen im Tore, und die Zugbrücke fiel. Einer nach dem andern ritt hinein; die Schildwachen aber kreuzten ihre Piken vor Quentin und befahlen ihm, Halt zu machen, während von den Wällen Bogen gegen ihn gespannt und Arkebusen auf ihn gerichtet wurden – trotzdem der Jüngling in Begleitung des nämlichen Korps einritt, das die Schildwachen, die auf dem Posten standen, gestellt hatte. Balafré war seinem Neffen zur Seite geblieben und gab die nötigen Erklärungen; endlich wurde der Jüngling unter starker Bedeckung in Begleitung Balafrés und Cunninghams nach der Wohnung Crawfords gebracht. Dieser schottische Edelmann war einer der letzten Ueberreste jenes tapfern Stammes schottischer Lords und Ritter, der Karl dem Sechsten so lang und treu in den blutigen Kriegen gedient hatte, durch welche die Unabhängigkeit der französischen Krone und die Vertreibung der Engländer entschieden worden war. Schon als Knabe hatte er unter Douglas und Buchanan gefochten, hatte unter der Fahne der Johanna d'Arc gestanden und war vielleicht einer der letzten der schottischen Ritterschaft gewesen, die so willig ihre Schwerter für die Lilie der Bourbonen gegen ihren alten englischen Erbfeind gezogen hatte. Lord Crawford war schlank, schon bejahrt und ziemlich hager und dürr. Indes hatten seine Glieder, wenn auch nicht die Geschmeidigkeit, so doch die Kraft der Jugend behalten, und er konnte das Gewicht seiner Rüstung noch immer so gut tragen, wie der jüngste Mann in seinem Gefolge. Seine Züge waren etwas grob, sein Gesicht mit Narben bedeckt und von der Sonne stark gebräunt. Sein Blick, der dem Tod in dreißig großen Schlachten ins Angesicht geblickt hatte, drückte mehr gutmütige Verachtung der Gefahr als den wilden Söldnermut aus. Seine hochaufgerichtete Gestalt war eben in einen weiten Schlafrock gehüllt, den ein büffellederner Gürtel umschloß, an dem ein mit kostbarem Griffe versehener Dolch hing. Um den Hals trug er die Kette und das Zeichen des St. Michaels-Ordens. Er saß auf einer Art von Kanapee, das mit einer Wildhaut bedeckt war, und las, eine Brille auf der Nase – damals eine neue Erfindung – mit Anstrengung ein großes Manuskript, »le Rosier de la guerre« genannt – ein Gesetzbuch für militärische und bürgerliche Polizei, das Ludwig zum besten seines Sohnes, des Dauphins, hatte zusammentragen lassen und worüber er die Meinung des erfahrenen schottischen Kriegers zu hören wünschte. Lord Crawford legte sein Buch etwas verdrießlich beiseite, als der unerwartete Besuch eintrat, und fragte in seinem breiten Dialekt: »Was ins Teufels Namen wollt Ihr denn?« Balafré schilderte nun umständlich die Lage, in der sich sein Neffe befand, und bat demütig um Schutz für ihn. Crawford hörte aufmerksam zu und konnte nicht umhin, über die Einfalt zu lächeln, womit der Jüngling sich des Verbrechers angenommen hatte; allein er schüttelte den Kopf bei dem Berichte über den Streit zwischen den schottischen Bogenschützen und der Wache des Generalprofoßen. »Wie oft,« sagte er, »werdet Ihr mir noch solche Knäuel zu entwirren bringen? Wie oft soll ich's Euch wiederholen, Ludwig Lesley und Archie Cunningham, daß sich die fremden Truppen bescheiden und anständig benehmen sollen gegen das Volk des Landes, sofern sie nicht alle Hunde der Stadt an ihren Fersen haben wollen? Immerhin ist mir's lieber, daß Ihr mit dem Profoß, als jemand anders in Streit geraten seid. Zudem war es natürlich von Euch, Eurem Verwandten beizuspringen, denn der einfältige Bursche konnte in arge Verlegenheit geraten. Langt mir die Musterrolle der Kompagnie von dem Gesims; wir wollen seinen Namen gleich auf die Liste setzen.« »Wenn Ew. Herrlichkeit erlauben« – hub Durward an – »Ist der Bursche toll?« rief sein Oheim. »Will er etwa mit Seiner Lordschaft sprechen, ohne daß er gefragt worden ist!« – »Geduld, Ludwig!« sagte Lord Crawford; »wir wollen doch hören, was der Bursche zu sagen hat.« »Mit Ew. Herrlichkeit Erlaubnis,« versetzte Quentin, »ich habe meinem Oheim früher gesagt, ich hätte einige Bedenken, in diesen Dienst zu treten. Jetzt aber kann ich wohl sagen, daß sie gehoben sind, seit ich den edlen und erfahrenen Befehlshaber gesehen habe, unter dem ich dienen soll; in Euren Blicken, Ew. Herrlichkeit, liegt Ehrfurchtgebietendes.« »Wohlgesprochen, Bursche!« sagte der alte Lord, nicht unempfänglich für solche Artigkeit; »Gott hat uns einige Erfahrung verliehen, und wir lassen es uns angelegen sein, sie zum besten unseres Königs auszunützen und zu mehren ... Ihr steht also nun unter unserm würdigen Korps der schottischen Leibgarde, als Knappe Eures Oheim und unter seiner Lanze dienend. Ich denke, Ihr sollt's gut haben; denn Ihr müßt ein tüchtiger Kämpfer werden, da Ihr aus einem edlen Stamme entsprossen seid. Ludwig, sorge dafür, daß Dein Verwandter fleißig den Waffenübungen beiwohnt; denn wir werden wohl, denk' ich, in diesen Tagen ein Lanzenstechen haben.« – »Das freut mich, bei meinem Degenknopf! denn der faule Friede macht uns alle zu feigen Memmen.« – »Ich hab ein Vöglein pfeifen hören,« sagte Lord Crawford, »daß das alte Banner wieder im Felde flattern werde.« – »Nun, bei dem Ton,« sagte Balafré, »tu ich schon heut abend einen herzhaften Schluck!« – »Das tust Du ja bei jedem Ton,« entgegnete Lord Crawford; »ich fürchte, Ludwig, Du wirst einmal einen bittern Schluck von Deinem eignen Gebräu trinken.« Lesley, ein wenig beschämt, erwiderte, daß er schon mehrere Tage sehr mäßig gelebt habe, allein Se. Herrlichkeit kenne ja selbst die Sitte der Kompagnie: dem neuen Kameraden zu Ehren ein Gelage zu halten und auf sein Wohlsein anzustoßen. »Du hast recht,« sagte der alte Befehlshaber, »ich hatte das vergessen. Ich will Euch zu Eurem Schmause ein paar Maß Wein schicken, aber mit Sonnenuntergang soll das Fest zu Ende sein. Im Vertrauen gesagt, seht zu, daß die Soldaten, die den Dienst haben, sorgfältig ausgemustert werden, und daß keiner von ihnen an dem Gelage teilnehme.« – »Ew. Herrlichkeit Befehl soll pünktlich befolgt werden,« sagte Ludwig; »wir werden schuldigermaßen auf Eure Gesundheit trinken.« »Es kann sein, daß ich selbst auf ein paar Minuten zu Eurem Feste komme,« versetzte Lord Crawford, »und wär's auch nur, um mich zu überzeugen, daß alles maßvoll zugeht.« Jetzt kam es darauf an, den Jüngling so schnell wie möglich in die Uniform der Leibwache zu stecken und zu bewaffnen. Bei dem Bankett selbst ging es sehr lustig zu, und die Gäste ließen ihrer Nationalneigung freien Lauf. Es wurden alte schottische Lieder gesungen, alte Geschichten aus der Heldenzeit Schottlands erzählt; die stolzen Taten der Ahnen und die Ereignisse, bei denen sie eine Rolle gespielt hatten, kehrten in ihre Erinnerung wieder, und auf eine Zeitlang gewann die Ebene der Touraine geistige Verwandtschaft mit dem öden Hochlande Schottland. Als die Begeisterung auf den höchsten Gipfel gestiegen war, erschien Lord Crawford, der schon lange bei dem Mahle des Königs, dessen Gast er, wie immer, war, wie auf Kohlen gesessen hatte, um sich zu dem kleinen Feste seiner Leibgarde begeben zu können. Am obersten Ende der Tafel war eine Art Ehrenplatz für ihn hergerichtet worden, denn nach der Sitte des Zeitalters und gemäß der innern Verfassung des Bogenschützen-Korps war es dem Kapitän desselben nicht verwehrt, an einem und demselben Tische mit den Untergebenen zu sitzen und sich an festlichen Gelagen in ihrer Mitte zu zeigen. Mithin vergab sich auch Lord Crawford in seiner Kapitänswürde nichts durch seine Gegenwart. Indessen lehnte er es heute ab, sich auf den für ihn bestimmten Ehrenplatz zu setzen. Er richtete ein paar freundliche Begrüßungsworte an die versammelten Bogenschützen, bat sie, sich in ihrem Vergnügen nicht stören zu lassen, und wohnte stehend dem weitern Verlaufe desselben bei; auf seinem Gesicht malte sich aber unverkennbar die Freude, die er an seinem Bogenschützenkorps hatte. Er unterließ auch nicht, auf das Wohl des neu eingestellten Kameraden zu trinken, was begreiflicherweise ein helles Jubelgebraus hervorrief. Sodann machte er dem Korps Mitteilung, daß der König, infolge Fürsprache des Meisters Oliver, dem Generalprofoßen Befehl erteilt habe, jegliches Verfahren gegen Quentin Durward einzustellen und die Privilegien der schottischen Leibgarde, wie in jedem andern, so besonders auch in diesem Falle unversehrt zu halten. Hierüber erklang abermaliges Jubelgeschrei aus aller Kehlen, die Becher kreisten von neuem; dann wurde von Balafré auf Lord Crawfords und von diesem auf die Gesundheit König Ludwigs angestoßen, dann zog Lord Crawford den jungen Schotten ins Gespräch und ließ sich von ihm über die alte Heimat und die unter den dortigen Geschlechtern bestehenden Verhältnisse berichten und betonte, daß die Liebe zu Geselligkeit und für Tafelfreuden nicht die schlechteste unter den Bräuchen der Schottländer sei, daß aber junge Leute nichtsdestoweniger gut täten, beides mit einem gewissen Grade von Vorsicht zu üben, weil sie gar zu leicht in ein bedenkliches Uebermaß dabei verfielen, usw.; indessen hinderten den edlen Lord diese weisen Worte nicht, jeden Satz durch einen kräftigen Schluck zu befeuchten und bei jedem Becher, den er leerte, den jungen Schotten zum »Nachkommen« zu animieren. Allmählich wurde ihm dann die Zunge zu schwer, und als dies Cunningham und Balafré bemerkten, hielten sie den rechten Augenblick für gekommen, die Versammlung zum Jubeltoast auf die Oriflamme, das königliche Banner von Frankreich, und auf ihre baldige Entfaltung aufzufordern ... »In burgundischer Luft, wohlverstanden!« ergänzte Lindesay den Toast der beiden Kameraden, und Lord Crawford nahm das Wort zu folgender Ansprache: »Mit ganzer Seele und aller Geisteskraft, über die dieser morsch gewordene Leib noch gebietet, stimme ich in den Spruch der Kameraden ein, und hoffe, so alt ich nun auch bin, die Oriflamme Frankreichs noch einmal flattern zu sehen. Kameraden und treue Diener der Krone Frankreichs! warum sollte ich Euch vorenthalten, daß gestern vom Herzog Karl eine Gesandtschaft hier eingetroffen ist, die eine höchst schlimme Botschaft überbracht hat?« Einer von den Bogenschützen, Gutherie, sprang auf ... »Unten im Gasthofe bei der Maulbeerhecke halten die Rosse des Grafen von Crevecoeur, der Graf selbst mit Gefolge soll sich beim Könige bereits gemeldet, der König aber soll ihm die Audienz verweigert haben.« – »Na, soll ihm der Himmel nur eine recht ungnädige Antwort mit auf den Heimweg geben!« rief Balafré ... »aber mit welcher Beschwerde ist er denn hergekommen?« – »Ueber allerhand Dinge,« erwiderte Crawford, »die an der Grenze vorgefallen sein sollen; zuletzt aber darüber, daß unser König einer Dame, die aus Dijon geflüchtet sei, einer jungen burgundischen Gräfin, seinen Schutz habe angedeihen lassen, während der Herzog sie als seine Pflegetochter an den Grafen de Campobasso habe verkuppeln wollen.« – »Ist denn die Dame ganz allein nach Frankreich hinübergekommen?« fragte Lindesay. – »Ganz allein nicht,« erwiderte Lord Crawford, »sondern mit einer älteren Verwandten, auch einer Gräfin, die sich in dieser Angelegenheit dem Willen der jüngeren gefügt und die Reise mit ihr zusammen unternommen hat.« »Aber wird sich denn der König als Lehnsherr des Herzogs in solchen Streit zwischen ihm und seinem Mündel einlassen?« fragte Cunningham, »der Herzog hat doch über sie das gleiche Recht, das dem Könige nach dem Ableben des Herzogs zustände?« – »Der König wird sich wohl in diesem Falle, wie immer, von den Regeln der Politik bestimmen lassen,« bemerkte Crawford, »und bekannt ist Euch wohl, daß er die beiden Gräfinnen nicht offiziell empfangen, sondern unter den Schutz seiner Tochter, der Madame von Beaujeu, oder der Prinzessin Johanna zu stellen geruht hat.« – »Der Burgunder will von Politik aber nie was wissen,« meinte Gutherie, »und so kann's wohl sein, daß sie mal aneinander geraten.« – »Mag der heilige Andreas dazu helfen!« riefe Balafré; »ich hab's mir schon seit zwanzig Jahren prophezeit, daß ich das Glück meines Hauses noch einmal durch eine Heirat mache. Wer weiß, was passiert, wenn wir noch einmal für Ehre und Frauenliebe in den Kampf ziehen, nach dem Motto der alten Romanzen und Rittergesänge?« – »Du willst noch von Frauenliebe faseln mit Deiner Narbe über der Nase?« spottete Gutherie. – »Halt, Kameraden!« rief Crawford, »hier ist der Ort nicht, um mit scharfen Waffen zu fechten oder auch nur einander mit bitterm Spott zu regalieren. Hier sind wir alle zusammen gute Freunde, und was die junge Dame anbetrifft, so ist sie für einen armen schottischen Lord viel zu reich, sonst möchte ich mich schließlich trotz meiner sechzig Jahre selbst um ihre Hand bewerben. Indessen eins können wir tun, nämlich einen Humpen leeren auf ihre Gesundheit! denn sie soll, wie es heißt, ein wahres Lumen von Schönheit sein.« – »Ich dürfte sie,« sagte ein andrer der Bogenschützen, »heut morgen gesehen haben, als ich auf Barrierenwache war. Aber sie sah da mehr aus wie eine dunkle Laterne statt wie ein Licht; denn man trug sie in geschlossener Sänfte nach dem Schlosse.« – Lord Crawford erhob verweisend die Hand und rief, zu dem Sprecher gewandt: »Was sind das für Reden, Arnot? Schämt Euch! welcher Soldat spricht wohl darüber, was er auf seinem Posten sieht? Zudem könnt Ihr doch gar nicht wissen,« setzte er hinzu, »ob sich da grade die Gräfin Isabella in der Sänfte befunden hat?« – »Nun, Mylord,« erwiderte Arnot, »ich kann bloß sagen, daß mein Trabant grade die Pferde im Dorfe herumführte, und dabei dem Eseltreiber Donquin in den Weg lief, der die Sänften wieder nach dem Gasthofe brachte, weil sie dem Lilienwirte gehörte, und da sah ich, wie der Donquin sich einen Humpen Wein vom Wirt geben ließ und den Saunders Steed bat, ihm als alter Bekannter Bescheid zu tun, und der Saunders Steed machte gar keine Umstände, sondern tat ihm auf der Stelle Bescheid ...« – »Auf der Stelle,« wiederholte Lord Crawford, »aber das sage ich Euch, meine Herren! so etwas kommt mir nicht wieder vor, sondern ich verlange, daß es anders in dieser Hinsicht mit Euch werden muß! Eure Trabanten und Burschen sind viel zu schnell bei der Hand, mit jemand ein Glas zu leeren. In Kriegszeiten ist das aber eine gar nicht so ungefährliche Sache! Indessen meine ich, lieber Arnot, wir machen Eurem Berichte, der sich ein wenig in die Länge zu ziehen droht, durch einen kräftigen Schluck ein schnelles Ende. Der Gräfin Isabelle von Croye soll's gelten! und den Wunsch wollen wir damit verbinden, daß es ihr vom Schicksal beschieden sein möge, einen bessern Gatten zu bekommen als den elenden, italienischen Schurken Campobasso. Und nun, Kamerad Arnot, was hat denn der Eseltreiber zu Deinem Trabanten gesprochen?« – »Mit Eurer Herrlichkeit Verlaub,« erwiderte Arnot; »die beiden Damen, die er in den Sänften ins Schloß getragen habe, sagt er, seien gar große Damen gewesen und hätten sich ein paar Tage inkognito im Hause seines Herrn aufgehalten, und der König habe sie auch mehr denn einmal mit seinem Besuche beehrt und ihnen immer große Aufmerksamkeiten erwiesen. Seiner Meinung nach hätten sie sich in das Schloß geflüchtet aus Furcht vor dem Grafen Crevecoeur, dem Gesandten des Burgunders, dessen Ankunft soeben durch einen vorausgeeilten Kurier gemeldet worden wäre.« »Was Du sagst, Kamerad!« rief da Gutherie, »da sollte man doch meinen, daß es niemand anders als die Gräfin Isabelle gewesen sei, die zur Laute sang, als ich über den Hof ging! Die Musik kam aus den Nebenfenstern des Dauphinturms, und etwas so Liebliches ist wohl im Schlosse Plessis noch nie vernommen worden. Meiner Treu! ich habe gedacht, die Musik käme von niemand als von der Fee Melusine ... Ich hab, trotzdem ich wußte, daß der Tisch für uns schon gedeckt sei, mich wahrhaftig nicht vom Flecke weg rühren können, sondern stand da, wie ... wie ...« – »Wie ein Esel, mein lieber Guthrie,« fiel ihm Lord Crawford ins Wort, »Du hast die Mahlzeit mit Deiner langen Nase gerochen, und die Musik gehört mit Deinen langen Ohren, aber Dein kurzer Verstand hat nicht ausgereicht, Dir zu sagen, wofür Du Dich entscheiden sollst ... Doch schallt da nicht die Glocke von der Kathedrale zur Vesper herüber? es kann doch, weiß der Herr! noch nicht Vesperzeit sein? Da muß der Küster ja um eine ganze Stunde zu zeitig geläutet haben!« – »Nicht doch,« rief Cunningham, »die Glocke erklingt schon zur rechten Zeit! an der westlichen Seite der herrlichen Ebene geht ja schon die Sonne unter.« – »Du hast recht, Cunningham,« erwiderte Lord Crawford; »na, Bursche! wir müssen uns mehr an regelmäßiges Leben halten, denn im Guten kommt man am weitesten ... und ein gutes, altes Sprichwort sagt: langsames Feuer dörrt das Malz recht. Also zum Schluß noch einen vollen Humpen auf Altschottlands Wohl! Dann jeder wieder auf seinen Posten!« Der Abschiedstrunk! wurde geleert, dann entfernten sich die Soldaten; unter dem Vorwande, ihm ein paar Weisungen noch für seinen Neffen zu geben, in Wahrheit aber, um seinen wankenden Gang geschickt zu verheimlichen, nahm der greise Lord Balafrés Arm und schritt in höchst zeremoniöser Haltung über die beiden Höfe, die seine Behausung von dem Bankettsaale trennten. Aber mit wuchtigen Worten empfahl er vorm Auseinandergehen dem Oheim die gewissenhafteste Fürsorge für den Neffen, besonders da, wo Wein und Weiber in Betracht kämen ... Dem Neffen dagegen war von den Worten, die über die schöne Gräfin Isabelle gesprochen worden waren, nicht das geringste entgangen, und kaum war er in die kleine Zelle getreten, die er hinfort als Page seines Oheims beziehen sollte, so versank er in tiefes Sinnen; und wenn der Leser sich vorstellt, daß er allerhand Luftschlösser gebaut habe in der Annahme, die Dame im Turme, deren Gesänge er mit so großer Teilnahme gelauscht habe, sei einunddieselbe mit der schönen Mundschenkin des Meisters Peter, die vor den Nachstellungen eines verhaßten, von einem tyrannischen Vormunde gehätschelten Liebhabers geflohen sei und sich nun als Gräfin entpuppte, so tut er wahrlich dem jungen Schotten nicht das geringste Unrecht. Daß auch Meister Peter in diesem Luftschloß in einem Zwischensspalte auftrat und eine Rolle darin spielte, die nicht eben nett war, wird nicht weiter befremden, auch wenn sie im Zusammenhange stand mit dem Henkerstricke, dem Ouentin kaum erst mit heiler Haut entgangen war ... Endlich aber wurde der Jüngling aus seinen Träumen gerissen durch den kleinen Will Harper, seinen Stubenkameraden, der ihm die Weisung seines Oheims brachte, sich nun endlich aufs Ohr zu legen und Kräfte für den andern Tag zu sammeln, an welchem er seinen Dienst anzutreten habe. Achtes Kapitel Kaum hatte die Sonne den Weg in die kleine Zelle gefunden, so war auch Durward von seinem Lager aufgesprungen, um in die stattliche Tracht zu fahren, die er hinfort als Page seines Oheims Balafré tragen sollte, und auf die er auch mit allem Recht stolz sein durfte, denn sie war vom Oheim auf das vornehmste und reichlichste bemessen worden ... »Na, Junge,« rief Balafré, sich lustig die Hände reibend, »zeigst Du Dich ebenso treu und tapfer, wie sich Dein Aussehen nett und schmuck macht, dann werde ich an Dir den prächtigsten Pagen des ganzen Korps haben! Aber nun folge mir ins königliche Vorzimmer, doch halte Dich immer mir zur Seite!« Mit diesen Worten nahm er seine wuchtige, und doch kunstvoll verzierte Partisane und gab seinem Neffen eine leichtere, aber sonst der seinigen völlig gleiche Waffe derselben Art in die Hand. Dann begaben sie sich in den inneren Palasthof, woselbst ihre Kameraden, denen die Wache in den inneren Gemächern oblag, bereits Aufstellung genommen hatten. Auf einen Wink setzten die Garden sich unter Balafrés Befehl – der bei solchen Anlässen Offiziersdienst verrichtete, – in Marsch nach dem Audienzgemache, in welchem der König selbst erwartet wurde. So neu auch Quentin dergleichen Auftritte waren, so fand er sich doch durch das, was er jetzt erblickte, in seinen Erwartungen empfindlich getäuscht, denn er hatte sich von einem Königshofe eine ganz andere Vorstellung gemacht. Freilich waren reichkostümierte Offizianten des königlichen Haushaltes anwesend; auch an vorzüglich bewaffneten Wachen war kein Mangel; was er aber nicht erblickte, das waren die Berater der Krone, die alten Reichsräte, die hohen Kronbeamten; was er nicht hier hörte, waren die Namen der Adelinge und Ritter, der Feldherrn und Kommandanten, der jungen, nach Ehre und Ruhm dürstenden Söhne des Vaterlands. Diese strahlenden Kreise hielt des Königs eifersüchtige Natur, seine Zurückhaltung, seine künstliche Politik von seinem Throne fern; bloß bei ganz besonders festlichen Anlässen wurden sie entboten, aber gleich wieder entlassen, wenn die Ursache geschwunden war, der sie ihr Aufgebot verdankten, und keinem tat es leid darum, denn sie zogen alle wieder erleichterten Sinnes von dannen, wie die Tiere in der Fabel, die dem Löwen in seiner Höhle ihre Aufwartung machen müssen, aber froh sind, wenn sie wieder hinaus dürfen. Die wenigen Männer, die Quentin Durward an diesem Königshofe in der Würde eines Rates der Krone zu bemerken Gelegenheit bekam, waren von niedrigem Aussehen, hatten Gesichter, aus denen nicht selten gemeine Verschlagenheit sprach, und verrieten durch ihre Manieren, daß sie aus niedriger Sphäre in einen Kreis gezogen worden waren, wohin sie, sowohl ihrer Erziehung, wie ihrer früheren Lebensweise nach, ganz und gar nicht paßten. Balafrés Dienst war hier so streng nicht, daß er sich nicht hätte erlauben dürfen, seinen Neffen mit den Namen derjenigen bekannt zu machen, die ihm vor allem in die Augen fielen: Mit Lord Crawford, der in seiner reichen Uniform ebenfalls zugegen war und in seiner Rechten einen schweren silbernen Stab trug, war Quentin Durward an dem zu seinen Ehren veranstalteten Gelage bekannt gemacht worden. Unter den anderen, die einen höheren Rang inne zu haben schienen, war Graf Dunois der bemerkenswerteste: der Sohn jenes berühmten Dunois, der als »Bastard von Orleans« unter den Fahnen der Johanna D'Arc an Frankreichs Befreiung von englischem Joche teilgenommen hatte. Der Sohn verstand es geschickt, den Ruhm des Vaters zu behaupten, und Ludwig der Elfte mied ihn ungern, im Kronrate sowohl wie in seiner persönlichen Gesellschaft. Er war in allen ritterlichen Künsten damaliger Zeit wohlgeübt, besaß auch alle ritterlichen Tugenden, war aber von Gestalt nichts weniger als ein schöner, stattlicher Herr, und auf keinen Fall ein Muster fränkischer Eleganz. Er war wohl stark und kräftig, aber von ziemlich kleiner Gestalt; seine Beine hatten die häßliche Form des lateinischen O, waren also besser geeignet für einen Reiter als einen Fußsoldaten. Seine Schultern waren breit, sein Haar schwarz, seine Gesichtsfarbe dunkelbraun, seine Arme ungewöhnlich lang und nervig. Seine Gesichtszüge waren nicht regelmäßig, sogar häßlich; indessen lag doch in seinem ganzen Wesen ein Ausdruck von Selbstgefühl und Adel, der auf den ersten Blick den hochgeborenen Mann und den unerschrockenen Krieger zu erkennen gab. Seine Haltung war kühn und aufrecht, sein Schritt frei und männlich, und das Rauhe in seinen Zügen gewann durch den Adlerblick und die Löwenstimme des Mannes eine ganz besondere Würde. Sein Anzug bestand in einem Jagdkleide, das mehr kostbar als schön war. Gestützt auf Dunois' Arm, erschien Ludwig, Herzog von Orleans, mit langsamem und schwerem Schritte. Dieser Prinz, der eifersüchtig bewachte Gegenstand von Ludwigs Argwohn, im Falle des Fehlens männlicher Nachkommenschaft des Königs Thronerbe, durfte sich nicht vom Hofe entfernen, und doch ward ihm, während er sich dort aufhielt, jede Anstellung und jeder Einfluß verweigert. Die Niedergeschlagenheit, welche sein entwürdigender, einer Gefangenschaft ähnlicher Zustand natürlich über das ganze Wesen dieses unglücklichen Prinzen verbreiten mußte, ward noch im hohen Grade dadurch vermehrt, daß der König mit einer der grausamsten, ungerechtesten Handlungen umging. Er wollte ihn nämlich zwingen, der Prinzessin Johanna von Frankreich, mit der er in seiner Kindheit verlobt worden war, seine Hand zu reichen. Das Aeußere dieses unglücklichen Prinzen zeichnete sich in keiner Hinsicht vorteilhaft aus; allein er hatte einen Ausdruck von Sanftmut, Milde und Wohlwollen, der sich selbst unter dem Schleier der äußersten Niedergeschlagenheit, mit dem sein Charakter umhüllt war, nicht verkennen ließ. Ganz verschieden von letzterem war das Benehmen des stolzen Kardinals und Prälaten, Johann von Balue, des damals begünstigten Ministers Ludwigs. Ludwig hatte diesen Minister aus dem niedrigsten Stande zu der Würde, oder wenigstens dem Genusse der Pfründe eines Großalmoseniers von Frankreich erhoben, ihn mit Wohltaten überhäuft und ihm sogar den Kardinalshut verschafft. Der Kardinal war durch diese Auszeichnung dem Irrtume derer nicht entgangen, die aus einer niedrigsten Sphäre zu Macht und Ehre erhoben werden, und lebte damals der Ueberzeugung, daß seine Talente ihn zu jederlei Angelegenheiten befähigten, selbst zu solchen, die seinem Stande und seinen Studien auch noch so fern lägen. Groß und plump, wie er war, befliß er sich dennoch einer gewissen Galanterie und Bewunderung für das schöne Geschlecht. Irgend ein Schmeichler oder eine Schmeichlerin hatten ihm in einer unglücklichen Stunde in den Kopf gesetzt, daß ein Paar plumpe, unförmliche Beine, die von seinem Vater, einem Fuhrmanne von Limoges, als Erbstück auf ihn übergegangen waren, eine besondere Schönheit in ihren Umrissen verrieten. Diese Idee hatte ihn dergestalt betört, daß er seinen Kardinalsrock beständig auf einer Seite etwas aufgehoben trug, damit sein plumper Gliederbau dem Auge ja nicht entgehen könne. – »Weiß es der König,« fragte Dunois den Kardinal, »daß der burgundische Gesandte auf eine unverzügliche Antwort dringt?« – »Ja, er weiß es,« antwortete der Kardinal, – »und hier kommt eben der allgenügsame Oliver Dain, um uns mit dem Willen Sr. Majestät bekannt zu machen.« Als er so sprach, trat der merkwürdige Mann, der damals die Gunst Ludwigs mit dem stolzen Kardinal teilte, aus dem inneren Gemache, aber ohne sich die wichtigtuende, bedeutsame Miene zu geben, die der aufgeblasene, übermütige Diener der Kirche annahm. Im Gegenteil war dies ein kleines, blasses, schmächtiges Männchen, dessen schwarzseidenes Jäckchen und Beinkleid, ohne Oberkleid, Mantel oder Ueberwurf, wenig geeignet waren, eine ganz gewöhnliche Gestalt etwas zu ihrem Vorteil herauszuheben. Er trug ein silbernes Becken in der Hand und ein über den Arm geworfenes Handtuch deutete seinen niedrigen Beruf an. Sein Blick war durchdringend und scharf, obgleich er diesen Ausdruck aus seinen Gesichtszügen zu verbannen suchte, indem er die Augen beständig zu Boden schlug, während er mit dem verstohlenen, leisen Tritt einer Katze mehr durch das Zimmer hinschlich als ging. Nachdem er auf ein paar Augenblicke angelegentlich mit dem Grafen Dunois gesprochen hatte, verließ dieser sogleich das Zimmer, und der Barbier schlich wieder in das königliche Gemach zurück, während er Ludwig Lesley ein Wörtchen ins Ohr flüsterte, daß seine Angelegenheit günstig beigelegt wäre. Gleich nachher erhielt er die Bestätigung dieser angenehmen Nachricht; denn Tristan l'Hermite, Generalprofoß der königlichen Hofhaltung, trat ein und ging gerade auf Balafré zu. Der reiche Anzug dieses furchtbaren Beamten hatte bloß die Wirkung, das Finstere, Unheilweissagende seines Gesichtes, sowie das Unangenehme seiner Miene noch mehr herauszuheben; auch war der Ton seiner Stimme, in die er etwas Versöhnliches zu legen meinte, ungefähr so, wie das Brummen eines Bären. Der Inhalt der Worte war jedoch freundlicher als die Stimme, mit der sie gesprochen wurden. Er bedauerte nämlich, daß das erwähnte Mißverständnis am vorigen Tage zwischen ihnen stattgefunden, und bemerkte, daß es einzig daher käme, daß Herrn Balafrés Neffe nicht die Uniform des Korps getragen, noch sich als demselben zugehörig angekündigt habe, was allein die Ursache des Irrtums gewesen sei, wegen dessen er um Verzeihung bitte ... Ludwig Lesley gab hierauf den gebührenden Bescheid, und sobald Tristan den Rücken gewandt hatte, machte er seinem Neffen bemerklich, daß sie von nun an die Ehre genössen, in der Person dieses furchtbaren Beamten einen Todfeind zu haben. – »Aber ein Soldat,« setzte er hinzu, – »der seine Pflicht tut, lacht über den Generalprofoß.« Quentin konnte nicht umhin, seines Oheims Meinung zu teilen, denn als Tristan l'Hermite den Rücken wandte, tat er es mit dem grimmigen Blick eines verwundeten Bären. In der Tat sprach aus seinem tückischen Auge, auch wenn er minder aufgeregt war, eine Bosheit, die jeden, der seinem Blicke begegnete, schaudern machte, und das Gefühl des Abscheus war bei dem jungen Schotten um so tiefer, als er immer noch an seinen Schultern den Griff der todbringenden Helfershelfer dieses gräßlichen Beamten zu fühlen glaubte. Die Flügeltüren öffneten sich alsbald, und König Ludwig trat in das Audienzzimmer. Gleich allen andern richtete Quentin seine Augen auf ihn und schrak so plötzlich zurück, daß ihm fast seine Waffe entfallen würde, als er in dem König von Frankreich jenen Seidenhändler, Meister Peter, erkannte, der ihn auf seiner Morgenwanderung begleitete hatte. Sonderbare Ahnungen über den wahren Stand dieses Mannes hatten sich ihm mehrmals aufgedrungen, allein die Wirklichkeit übertraf seine kühnsten Vermutungen. Der strenge Blick seines Oheims, der sich über diesen Verstoß gegen das, was der Anstand des Dienstes erforderte, höchlich ärgerte, brachte ihn bald wieder zur Besinnung, aber wie erstaunte er, als der König, dessen geübter Blick ihn sogleich herausgefunden, gerade auf ihn zukam, ohne sonst von irgend jemand Kenntnis zu nehmen. – »Ich habe gehört, junger Mann,« sagte er, »daß Ihr gleich bei Eurem Eintritt in die Touraine Händel angefangen, aber ich verzeihe Euch, da es doch hauptsächlich die Schuld des alten Kaufmanns war, der törichterweise dachte, Euer kaledonisches Blut müßte schon früh des Morgens durch Beaune-Wein erwärmt werden. Wenn ich ihn auffinden werde, so will ich an ihm ein Exempel statuieren, daß er meine Garden zu Ausschweifungen verleitet. – »Balafré,« fuhr er dann fort, »Euer Neffe ist ein feuriger, aber wackrer Junge. Wir mögen Leute von solcher Gemütsart wohl leiden, und gedenken, die tapferen Männer, welche uns umgeben, höher zu heben, als wir es jemals taten. Laßt Jahr, Tag und Stunde seiner Geburt aufzeichnen und es Oliver Dain zustellen.« Balalfré verbeugte sich tief und nahm dann seine aufrechte, kriegerische Haltung wieder ein, wie jemand, der durch sein Benehmen seine Bereitwilligkeit zeigen will, zum Kampf für seinen König oder dessen Verteidigung das Schwert zu führen. Quentin, der sich unterdessen von seinem Erstaunen erholt hatte, bemühte sich jetzt, das Aeußere des Königs genauer zu studieren, und fand mit Verwunderung, wie ganz verschieden der Eindruck war, den die äußere Erscheinung des Königs auf ihn machte, als er ihn zum erstenmale gesehen hatte. In seiner Kleidung bemerkte er keine große Veränderung, denn Ludwig, immer ein Verächter des äußeren Prunkes, trug auch bei dieser Gelegenheit ein altes dunkelblaues Jagdkleid, das nicht viel besser war, als die Bürgerkleidung am vorigen Tage, und einen großen Rosenkranz von Ebenholz. Statt der Mütze mit einem einzigen Bilde trug er jetzt einen Hut, dessen Rand mit wenigstens einem Dutzend kleiner bleierner Heiligenbilder umgeben war. Aber diese Augen, die nach Quentins Eindruck nur Gewinnsucht hatten erblicken lassen, bekamen jetzt, da sie einem talentvollen, mächtigen Fürsten angehörten, einen durchdringenden, scharfen Blick; und die Runzeln auf der Stirn, die, wie er geglaubt hatte, die Wirkung eines unter kleinlichen Handelsplänen zugebrachten Daseins waren, schienen jetzt Furchen, welche langes, scharfsinniges Nachdenken über das Schicksal von Nationen gebildet hatte. Unmittelbar nach der Erscheinung des Königs traten die Prinzessinnen von Frankreich nebst den Damen ihres Gefolges ins Zimmer. Die älteste war schlank, ziemlich hübsch, besaß Beredsamkeit und Talente und viel von ihres Vaters Scharfsinn, der auch viel Vertrauen in sie setzte, und sie vielleicht in solchem Grade liebte, wie er nur irgend jemand lieben konnte. Die jüngere Schwester, die unglückliche Johanna, verlobt an den Herzog von Orleans, ging schüchtern an der Seite ihrer Schwester einher. Sie war blaß, mager und von kränklichem Aussehen; ihre Taille neigte sich sichtbar nach einer Seite hin, und ihr Gang war so schwankend, daß sie für lahm gelten konnte. Schöne Zähne und schöne Augen voll melancholischen Ausdrucks, Sanftmut und Entsagung, nebst einer Fülle lichtbrauner Locken waren das einzige, was sogar Schmeichelei gegen die gänzliche Häßlichkeit ihrer Figur in die Wagschale legen konnte. Der König, der sie nicht liebte, schritt, als sie eintrat, hastig auf sie zu. – »Nun, was ist das, Tochter,« sprach er, »bist Du immer noch die Weltverächterin? – Hast Du Dich heute zur Jagd oder zur Messe gekleidet? Sprich, antworte!« – »Zu allem, was Eure Hoheit befiehlt, Sire,« antwortete die Prinzessin mit kaum hörbarer Stimme. – »Ja, ohne Zweifel willst Du mich glauben machen, es sei Dein Begehr und Wunsch, den Hof zu verlassen, und der Welt, samt ihren Eitelkeiten, ein Lebewohl zu sagen. – Ha! Mädchen, denkst Du denn, daß wir, der erstgeborene Sohn der heiligen Kirche unsere Tochter dem Himmel vorenthalten wollen, wenn sie des Altars würdig wäre? – Nein, liebe Tochter,« fuhr er fort, »ich und ein anderer kennen Eure wahren Gesinnungen besser. – Nicht wahr, mein schöner Vetter von Orleans? Nähert Euch und führet diese unsere Jungfrau zu ihrem Pferde!« Orleans erschrak bei den Worten des Königs und eilte ihm zu gehorchen, aber mit solcher Hast und Verwirrung, daß Ludwig ausrief: »Nun, Vetter, mäßigt Eure Galanterie und seht Euch vor! – Was doch Liebende oft für Streiche machen? – Beinahe hättet Ihr Annens Hand statt der ihrer Schwester ergriffen. – Muß ich selbst Johannas Hand Euch reichen?« Der unglückliche Prinz blickte auf und schauderte wie ein Kind zusammen, das etwas zu berühren gezwungen wird, vor dem es einen natürlichen Abscheu hat; dann aber sich ermannend, faßte er die Hand der Prinzessin, welche ihm dieselbe weder gab noch vorenthielt. Wie sie so dastanden, ihre kalten, feuchten Finger in seiner zitternden Hand, beide mit zur Erde gesenktem Blicke, wäre es schwer gewesen, zu bestimmen, welches von diesen beiden jugendlichen Wesen grenzenloser unglücklich sei – der Herzog, der sich an den Gegenstand seiner Abneigung durch die Bande gefesselt fand, die er nicht zu zerreißen wagte, oder das unglückliche Mädchen, das nur zu deutlich sah, wie sie dem ein Gegenstand des Abscheus war, dessen Zärtlichkeit sie mit ihrem Leben erkauft hätte. »Und nun zu Pferde, meine Damen und Herren! – Wir selber wollen unsere Tochter Beaujeu führen,« sprach der König, »und Gottes und des heiligen Hubertus' Segen auf die heutige Jagd!« – »Ich fürchte,« sprach Graf Dunois, »Sie unterbrechen zu müssen. – Der Gesandte von Burgund steht vor den Toren des Schlosses und verlangt eine Audienz!« – »Verlangt eine Audienz?! – Dunois,« versetzte der König, »habt Ihr ihm denn nicht, wie wir Euch durch Oliver wissen ließen, geantwortet, daß wir keine Zeit hätten, ihn heute zu sehen, daß morgen das Fest des heiligen Martin wäre, wo wir, so Gott will, unsere Andacht nicht durch irdische Gedanken stören lassen wollen, und daß wir tags darauf nach Amboise reisen, daß wir aber nicht ermangeln werden, ihm nach unserer Rückkehr, sobald es unsere dringenden Geschäfte gestatten, eine Audienz zu bewilligen?« – »Dies alles sagte ich,« antwortete Dunois, »aber dennoch, Sire.« – »Pasquedieu! Mann, was ist's, das Dir so im Schlunde steckt?« sagte der König, »die burgundischen Redensarten müssen recht schwer zu verdauen sein!« – Dann fuhr er fort: »Ich kehre mich an seine polternden Gesandtschaften nicht mehr denn die Türme dieses Schlosses sich an das Pfeifen des Nordostwindes kehren, der von Flandern kommt, gleich diesem Prahlhanse von einem Gesandten!« – »So wißt denn, Sire,« versetzte Dunois, »daß Graf Crevecoeur mit seinem Gefolge von Herolden und Trompetern unten hält und erklärt, da Euer Majestät über die dringendsten Angelegenheiten eine Audienz verweigere, die er nach den Befehlen seines Herrn verlangen soll, so wolle er hier bis Mitternacht warten und Ew. Majestät anreden, zu welcher Stunde es Euch gefallen möge, sich aus dem Schlosse, sei es zu Geschäften, zum Vergnügen oder Gottesdienst, zu verfügen; keine Rücksicht als offene Gewalt, werde ihn von diesem Entschlusse abbringen.« – »Er ist ein Tor,« sprach der König mit großer Ruhe; »glaubt denn der hitzige Hennegauer, es sei für einen Mann von Verstand ein Büßung, vierundzwanzig Stunden in seinen Mauern zu bleiben, wenn die Angelegenheiten seines Reiches ihn beschäftigen? Diese ungeduldigen Narren denken, alle Leute müssen sich gleich ihnen unglücklich fühlen, wenn sie nicht im Sattel und Steigbügel sitzen. Laßt die Hunde wieder loskoppeln und wohl versorgen, edler Dunois. – Wir wollen heute Rat halten, statt zu jagen.« – »Mein Gebieter,« antwortete Dunois, »auf diese Weise werdet Ihr Euch Crevecoeurs nicht entledigen; denn seines Herrn Befehle gehen dahin, wofern Ihr ihm die verlangte Audienz nicht bewilliget, seinen Handschuh an die Pallisaden vor dem Schlosse zum Zeichen der Herausforderung auf Leben und Tod von seiten seines Herrn anzunageln, des Herzogs Lehnstreue gegen Frankreich aufzukündigen und den Krieg sogleich zu erklären.« – »So!« sprach Ludwig, ohne eine merkliche Veränderung der Stimme, runzelte aber die Stirn dergestalt, daß seine durchdringenden schwarzen Augen unter den buschigen Brauen beinahe unsichtbar wurden, »steht es so? spricht unser alter Vasall in solchem Tone mit uns, behandelt uns unser lieber Vetter so unfreundlich? – Nun denn, Dunois, so lassen wir die Oriflamme wehen und rufen: Denis Montjoye!« – »Amen!« sprach der kriegerische Dunois, »und in der unglücklichsten Stunde.« Die Garden in der Halle, unvermögend, demselben Drange zu widerstehen, rührten sich gleichfalls auf ihrem Posten, so daß ein dumpfer, aber vernehmbarer Waffenklang entstand. Stolz warf der König den Blick umher, und auf einen Moment glich er seinem heldenmütigen Vater. Allein diese augenblickliche Aufwallung wich bald politischen Bedenklichkeiten, die unter den gegebenen Umständen einen offenen Bruch mit Burgund äußerst gefährlich machten. Eduard VI., ein tapferer und siegreicher König, der persönlich dreißig Schlachten geschlagen, hatte jetzt den Thron von England bestiegen, war ein Bruder der Herzogin von Burgund und wartete, wie es sich leicht denken läßt, nur auf einen Bruch zwischen seinem nahen Verwandten und Ludwig, um jene Waffen, die in den Bürgerkriegen obgesiegt hatten, auf den Grund von Frankreich durch das immer offene Tor von Calais zu tragen. Zu dieser Bedenklichkeit kamen noch die ungewisse Treue des Herzogs von Bretagne und mancherlei andere wichtige Gründe. Als daher Ludwig nach einer tiefen Pause wieder das Wort nahm, sprach er zwar noch in demselben Tone, aber in verändertem Sinne: »Behüte der Himmel, daß etwas anderes, als nur die äußerste Not uns, den allerchristlichsten König, vermöchte, Christenblut zu vergießen, wenn noch etwas, außer Unehre, diese Trübsal abwenden kann. Das Glück und die Wohlfahrt unserer Untertanen schlagen wir höher an als die Beleidigung, die unserer eigenen Würde durch die Roheit eines ungeschliffenen Gesandten widerfahren mag, der vielleicht die Vollmacht, die er bekommen, überschritten hat. Man lasse daher den Gesandten von Burgund vor uns erscheinen.« Gleich darauf verkündete das Schmettern der Trompeten auf dem Hofraume die Ankunft des burgundischen Grafen. Alle, die sich im Audienzgemache befanden, traten schnell nach ihrem Range in Ordnung, während der König und seine Töchter in der Mitte der Versammlung blieben. Graf Crevecoeur, ein berühmter und unerschrockener Kriegsmann, trat nun in den Saal und erschien gegen den Gebrauch bei Gesandten befreundeter Mächte, das Haupt ausgenommen, völlig bewaffnet, in einer glänzenden Rüstung von trefflicher mailändischer Arbeit in Stahl mit Gold ausgelegt, und nach dem damaligen phantastischen Geschmacke der Arabeske verziert. Um seinen Nacken und über den spiegelblanken Harnisch herab hing seines Herrn Orden vom goldenen Vließe, einem der ehrenvollsten Ritterorden, die man damals in der Christenheit kannte. Ein schöner Page trug ihm den Helm nach, vor ihm her schritt ein Herold mit dem Beglaubigungsschreiben, das er, auf ein Knie sich niederlassend, dem König überreichte, während der Abgesandte in der Mitte des Saales stehen blieb, als ob er allen Zeit geben wollte, seinen stolzen Blick, seine ehrfurchtgebietende Gestalt, sowie die kühne Haltung seines ganzen Wesens zu bewundern. Sein übriges Gefolge wartete im Vorgemach oder auf dem Hofraume. »Tretet näher, Graf Crevecoeur,« sprach Ludwig, nachdem er einen flüchtigen Blick auf seine Vollmacht geworfen hatte, »es bedurfte dieses Schreibens unsers Vetters nicht, einen so wohlbekannten Krieger einzuführen, noch uns des wohlverdienten hohen Vertrauens zu versichern, worin Ihr bei Eurem Herrn steht. Wir leben der Hoffnung, daß Eure schöne Gemahlin, in deren Adern auch Blut von unsern Ahnherren fließt, bei guter Gesundheit ist. Hättet Ihr sie hierher gebracht, Herr Graf, so hätten wir gedacht, Ihr trüget Eure Rüstung bei dieser ungewohnten Gelegenheit, um die Überlegenheit ihrer Reize gegen die verliebte Ritterschaft Frankreichs zu behaupten. So aber vermögen wir nicht zu erraten, aus welchem Grunde Ihr in diesem vollständigen Waffenschmucke vor Uns erscheinen möget.« – »Sire,« erwiderte der Gesandte, »Graf Crevecoeur muß sein Mißgeschick bedauern und um Vergebung bitten, daß er bei dieser Gelegenheit die königliche Artigkeit, womit Eure Majestät ihn beehrt hat, nicht mit der gebührenden demütigen Unterwürfigkeit verehren kann. Allein obgleich es bloß die Stimme Philipp Crevecoeurs von Cordes ist, die da spricht, so müssen doch die Worte, die er vorbringt, die seines gnädigsten Herrn und Souveräns sein.« – »Und was hat Crevecoeur zu sagen in den Worten Burgunds?« sprach Ludwig, indem er den Ausdruck königlicher Würde annahm. »Doch halt! erinnert Euch, daß in diesem Augenblick Graf Crevecoeur zu dem spricht, den er seines Herrn Souverän nennen muß.« – »König von Frankreich, der mächtige Herzog von Burgund sendet Euch nochmals eine geschriebene Nachweisung der Unbilden und Bedrückungen, die Euer Majestät Besatzungen und Beamte an seinen Grenzen sich zuschulden kommen ließen, und der erste Punkt seiner Anfrage ist, ob es der Wille Euer Majestät ist, ihm für diese Beeinträchtigungen Genugtuung zu geben?« Der König warf einen flüchtigen Blick auf die Denkschrift, die ihm der Herold kniend überreichte, und sprach: »Diese Angelegenheiten sind schon lange von unserm geheimen Rate eingesehen worden. Was die Beeinträchtigungen betrifft, über die man Klage führt, so sind einige nur Widervergeltung derjenigen, die meine Untertanen erlitten haben, andere wieder durch des Herzogs Besatzungen und Soldaten erwidert worden. Sollten aber noch einige übrig sein, die nicht zu den genannten zu rechnen wären, so sind Wir als christlicher Fürst nicht abgeneigt, Genugtuung für Unrecht zu geben, das Unsere Nachbarn erlitten haben, obgleich es nicht allein ohne Unser Zutun, sondern sogar gegen Unsern ausdrücklichen Befehl verübt worden ist.« – »Ich werde Eurer Majestät Antwort,« erwiderte der Gesandte, »meinem gnädigsten Gebieter überbringen; erlaubt mir jedoch zu bemerken, daß sie in keiner Hinsicht von den früheren ausweichenden Antworten verschieden ist, die ihm bereits auf seine gerechten Beschwerden zugekommen sind, und daß ich darum nicht hoffen kann, sie werde dazu beitragen, Frieden und Freundschaft zwischen Frankreich und Burgund wiederherzustellen.« – »Sei dem, wie ihm wolle,« erwiderte der König. »Nicht aus Furcht vor den Waffen Eures Gebieters, sondern einzig um des Friedens willen gebe ich eine so gemäßigte Antwort auf seine beleidigenden Vorwürfe. Doch fahret fort mit Eurem Auftrage.« – »Meines Gebieters nächste Forderung,« fuhr der Gesandte fort, »geht dahin, daß Eure Majestät aufhöre, geheime Einverständnisse mit seinen Städten Gent, Lüttich und Mecheln zu unterhalten. Er verlangt, daß Eure Majestät die geheimen Unterhändler zurückberufe, die unter seinen guten Bürgern von Flandern Unzufriedenheit anfachen, und daß die verräterischen Flüchtlinge, die nach ihrer Flucht von dem Schauplatze ihrer Umtriebe nur zu willige Aufnahme in Paris, Orleans, Tours und andern französischen Städten gefunden haben, aus Euern Landen ausgewiesen oder vielmehr ihrem Lehnsherrn zur wohlverdienten Bestrafung überantwortet werden.« »Sagt dem Herzog von Burgund,« versetzte der König, »daß ich von solchen geheimen Umtrieben, deren er mich beschuldigt, nichts wisse; daß meine französischen Untertanen mit den guten Städten Flanders nur in Handelsverkehr stehen, dessen Unterbrechung sowohl seinem als meinem Interesse zuwiderliefe; daß ferner viele Flamänder in meinem Königreiche wohnen und den Schutz meiner Gesetze genießen, keine aber, soviel mir bekannt sei, um Verrat oder Meuterei gegen den Herzog von Burgund anzuzetteln. Fahret fort mit Eurer Botschaft! Meine Antwort auf das Bisherige habt Ihr vernommen.« »Mit Bedauern, wie zuvor, Sire,« erwiderte Graf Crevecoeur, »denn sie ist nicht so bestimmt und ausführlich, wie sie mein Herr, der Herzog, als Genugtuung für eine lange Reihe von Machinationen, die um nichts weniger gewiß sind, ob sie gleich Eure Majestät in Abrede zu stellen belieben, zu erhalten gewünscht hätte. Aber ich fahre fort mit meiner Botschaft. – Der Herzog verlangt demnächst von dem Könige von Frankreich, daß er ohne Verzug und unter sicherm Geleit in seine Lande zurücksende die Gräfin Isabelle von Croye, nebst ihrer Verwandten und Beschützerin, der Gräfin Hameline von derselben Familie, in Anbetracht, daß besagte Gräfin Isabelle zufolge der Gesetze des Landes und des Lehnsverbandes ihrer Güter Mündel des besagten Herzogs von Burgund, aus seinen Landen entwichen ist und sich dessen Obhut, die er als sorgsamer Fürst ihr angedeihen lassen wollte, entzogen hat, jetzt aber insgeheim hier von dem Könige von Frankreich zurückgehalten und in ihrer Widerspenstigkeit gegen den Herzog, ihren natürlichen Herrn und Vormund, allen göttlichen und menschlichen Rechten zuwider, die in dem ganzen zivilisierten Europa anerkannt sind, bestärkt wird ... Ich erwarte auch hierauf die Antwort Euer Majestät.« »Ihr habt wohlgetan, Graf Crevecoeur,« entgegnete der König zornig, »Eure Botschaft bei guter Tageszeit zu beginnen, denn wenn Ihr die Absicht habt, mich für jeden Vasallen, den Eures Herrn heftige Leidenschaft aus seinen Landen vertrieb, zur Rechenschaft zu ziehen, so wird die Litanei vor Sonnenuntergang nicht zu Ende sein. Wer kann behaupten, daß die beiden Damen sich in meinem Gebiete befinden? wer will behaupten, daß ich, wenn dem so wäre, ihnen zur Flucht behilflich war oder sie unter Zusicherung meines Schutzes aufgenommen habe?« – »Sire,« versetzte Crevecoeur, »Eure Majestät halten zu Gnaden, ich hatte für diese Tatsache einen Zeugen, der die flüchtigen Damen in dem Gasthause zur Lilie sah, der Eure Majestät in ihrer Gesellschaft, obgleich unter der ungeziemenden Verkleidung eines Bürgers von Tours getroffen hat, einen Zeugen, der von ihnen in Eurer königlichen Gegenwart Aufträge und Briefe an ihre Freunde in Flandern empfing, die er alle dem Herzog von Burgund unter eingehendem mündlichem Bericht in die Hände lieferte.« – »Bringt den Zeugen her,« sagte der König, »stellt ihn mir gegenüber, den Mann, der solche handgreiflichen Unwahrheiten zu behaupten wagt.« – »Ihr sprecht so triumphierend, Sire, denn wohl wißt Ihr, daß dieser Zeuge nicht mehr lebt. Man nannte ihn, als er noch lebte, Zamet Magraubin; er war von Geburt Zigeuner. Wie ich in Erfahrung gebracht habe, ist er gestern von den Leuten des Generalprofoßen Eurer Majestät hingerichtet worden, wahrscheinlich um zu verhindern, daß er hier auftrete, um das zu bestätigen, was er über diesen Gegenstand dem Herzog von Burgund angesichts seines geheimen Rates und meiner Wenigkeit ausgesagt hat.« – »Nun, bei Unserer lieben Frau von Embrun!« entgegnete der König, »diese Anschuldigungen sind abgeschmackt, und mein Gewissen ist so frei von allem, was mit solcher Tatsache in Verbindung stehen kann, daß ich, bei meiner königlichen Ehre, darüber eher lachen als zürnen muß. Meine Polizeiwache bringt pflichtmäßig alle Diebe und Landstreicher vom Leben zum Tode; und was immer diese Diebe und Landstreicher Unserm heißblütigen Vetter von Burgund und seinem weisen Rate hinterbracht haben mögen, es ist Verleumdung meiner Krone. Ich bitte Euch, meinem lieben Vetter zu sagen, daß er am besten täte, wenn er solche Gesellschaft liebe, sie doch lieber in seinem Lande zu behalten, denn hier wird ihnen doch nur, wenn man sie trifft, eine kurze Beichte und ein festes Stück Hanfstrick bewilligt.« – »Mein Herr bedarf keiner solchen Untertanen, Herr König,« erwiderte der Graf in einem minder ehrfurchtsvollen Tone, als dem, in welchem er bisher gesprochen hatte, »denn der edle Herzog pflegt nicht Hexen, herumstreichende Zigeuner und derlei Volk über das künftige Schicksal und die Bestimmung seiner Nachbarn und Verbündeten zu befragen.« »Wir haben bis jetzt Geduld genug, ja nur zuviel gehabt,« unterbrach ihn der König, »und werden, da der Zweck Deiner Sendung nur der gewesen zu sein scheint, Uns zu beleidigen, jemand in Unserm Namen an den Herzog von Burgund senden – überzeugt, daß Du in Deinem Benehmen gegen Uns die Grenzen Deines Auftrages überschritten hast.« »Im Gegenteil,« sprach Crevecoeur, »ich habe mich meines Auftrages noch nicht vollständig entledigt. Höret denn, Ludwig von Balois, König von Frankreich, hört mich, Ihr Edle und Herren, die Ihr etwa zugegen seid, höret mich, all Ihr guten und getreuen Leute – und Du, Toison D'Or« (hier wandte er sich an den Herold) »verkündige mir nach! ich, Philipp Crevecoeur von Cordes, Reichsgraf und Ritter des ehrenfesten und fürstlichen Ordens vom Goldenen Vließe, im Namen des sehr mächtigen Herrn und Fürsten, Karls von Gottes Gnaden, Herzogs von Burgund und Lothringen, von Brabant und Limburg, von Luxemburg und Geldern, Grafen von Flandern und Artois, Pfalzgrafen von Hennegau, Holland, Seeland, Namur und Zütphen, Markgrafen des heiligen römischen Reiches, Herrn von Friesland, Salins und Mecheln, tue Euch, König Ludwig von Frankreich, hiermit öffentlich kund und zu wissen, daß Er sich, da Ihr Euch geweigert habt, den mancherlei Beschwerden und Unbilden und Beeinträchtigungen, die durch Euch oder durch Euer Anstiften Ihm und seinen lieben Untertanen zugefügt worden sind, sich durch meinen Mund von aller Lehnsverbindlichkeit und Treue gegen Eure Krone und Würde lossagt, Euch für falsch und treulos erklärt und Euch als Fürsten und Mann in die Schranken fordert. Hier liegt mein Handschuh zum Zeugnis dessen, was ich gesprochen.« Mit diesen Worten zog er den Handschuh von seiner Rechten und warf ihn auf den Boden des Saales hin. Bis zu diesem höchsten Grade von Verwegenheit hatte in dem königlichen Gemache während dieser außerordentlichen Szene das tiefste Schweigen geherrscht; allein der Schall des niedergeworfenen Handschuhs, begleitet von dem Ausrufe des burgundischen Herolds: »Es lebe Burgund!« wurde kaum vernommen, so erhob sich unter den Anwesenden ein allgemeiner Aufruhr. Während Dunois, Orleans, der alte Lord Crawford und einige andre, die ihr Rang zu einer Einmischung berechtigte, sich darum stritten, wer den Handschuh aufheben dürfe, schrien die andern im Saale: »Nieder mit ihm! haut ihn in Stücke! kommt er her, den König von Frankreich in seinem eignen Palaste zu beschimpfen?« Der König besänftigte den Aufruhr, indem er mit donnernder Stimme rief: »Ruhe, Ruhe, meine Getreuen! lege keiner Hand an diesen Mann, noch berühre er diesen Handschuh ... Und Ihr, Herr Graf, woraus besteht denn Euer Leben, daß Ihr es auf einen so gefährlichen Wurf setzt? oder ist Euer Herzog aus einem andern Metall, als die übrigen Fürsten, daß er seine vermeintlichen Ansprüche auf solch ungewöhnliche Weise geltend macht?« »Allerdings ist er von andrem, edlerm Metall, denn alle übrigen Fürsten Europas,« sprach der unerschrockene Graf; »denn da kein anderer es wagte, Euch – Euch, König Ludwig, Schutz zu geben – als Ihr aus Frankreich verbannt waret, verfolgt von dem Grimme väterlicher Rache, und all der Macht des Reiches, da war Er es, der Euch wie einen Bruder aufnahm und beschützte, und Ihm habt Ihr seinen Edelmut so schlecht vergolten! – Lebt wohl, Sire, mein Auftrag ist ausgerichtet.« Mit diesen Worten verließ Graf Crevecoeur plötzlich den Saal. »Ihm nach – ihm nach – hebt den Handschuh auf und ihm nach!« rief der König. »Ich meine Euch nicht, Dunois, auch nicht Euch, Mylord Crawford; Ihr dünkt mir für einen solchen Strauß zu alt; noch Euch, Vetter Orleans; Ihr seid zu jung dazu ... Herr Kardinal, Herr Bischof von Auxerre – Euer heilig Amt ist es, Frieden zu stiften unter Fürsten; hebt Ihr den Handschuh auf und stellt Graf Crevecoeur die Sünde vor, die er begangen hat, indem er einen großen Fürsten an seinem eignen Hofe also höhnte und ihn zwang, die Drangsale des Krieges über sein und seines Nachbars Land zu bringen.« Auf diese persönliche Aufforderung trat Kardinal Balue vor, den Handschuh aufzuheben; doch tat er es mit solcher Behutsamkeit, als müßte er eine Natter berühren, so groß war sein Abscheu vor diesem Sinnbilde des Krieges – und augenblicklich verließ er das königliche Gemach, dem Herausforderer nachzueilen. Ludwig schwieg und blickte rund in dem Kreise seiner Hofleute umher, von denen die meisten, außer denen, die wir bereits bezeichnet haben, Leute von niederm Stande, und zu dem hohen Range an des Königs Hofe durch andre Eigenschaften als durch Mut und Waffentaten erhoben waren. Diese sahen einander bloß an, indem sie sichtbar einen höchst unerfreulichen Eindruck von dem Auftritte, der soeben vorgefallen, erhalten hatten. Ludwig blickte sie mit Verachtung an und sagte dann mit lauter Stimme: »Obgleich der Graf ein anmaßender, übermütiger Herr ist, so muß ich doch gestehen, daß der Herzog an ihm einen so kühnen Diener hat, wie nur je einer eine Botschaft für einen Fürsten übernahm. Ich möchte gern wissen, wo ich einen Gesandten finden könnte, der ihm ebenso treu meine Antwort überbrächte.« – »Sire, Ihr tut den Edeln Eures Reiches unrecht,« nahm Dunois das Wort, »nicht einer von Ihnen bedächte sich, auf seines Schwertes Spitze dem Burgunder eine Herausforderung zu überbringen.« – »Sire,« bemerkte der alte Crawford, »auch den schottischen Adeligen, die Euch dienen, tretet Ihr zu nahe. Ich und jeder meiner Untergebenen von erforderlichem Range nähme nicht einen Augenblick Anstand, den stolzen Grafen zur Rechenschaft zu ziehen; mein eigner Arm ist hierzu noch stark genug, wenn mir Eure Majestät die Erlaubnis hierzu geben wollen.« – »Aber Eure Majestät,« nahm wieder Dunois das Wort, »wollen nun einmal uns zu keinem Dienste verwenden, wo wir uns selbst Ihrer Majestät und Frankreichs Ehre gewinnen könnten.« – »Sagt lieber,« versetzte der König, »daß ich der ungestümen Leidenschaft nicht Raum gebe, auf eine eitle Ehrengrille hin, Euch, den Thron und Frankreich aufs Spiel zu setzen. Keiner unter Euch ist, der nicht recht gut wüßte, wie kostbar jede Stunde Freuden für Frankreich ist, wie not es tut, die Wunden des zerrütteten Reiches zu heilen; und doch ist jeder von Euch augenblicklich bereit, auf die Erzählung eines wandernden Zigeuners hin oder zugunsten eines irrenden Dämchens, deren Ehre vielleicht es kaum verlohnt, sich in einen Krieg zu stürzen. – Doch hier kommt der Kardinal und, wie Wir hoffen, mit friedlicheren Nachrichten. – Nun, habt Ihr den Grafen zur Vernunft und Mäßigung gebracht?« – »Sire,« antwortete Balue, »mein Geschäft hat viel Schwierigkeiten gehabt. Ich stellte dem stolzen Grafen vor, daß der anmaßende Vorwurf, mit dem er seine Botschaft abgebrochen, von Eurer Majestät so angesehen werden müsse, als komme er nicht von seinem Herrn, sondern von seiner eignen unziemlichen Art sich zu benehmen, her, und daß er dadurch der Willkür Eurer Majestät zu beliebiger Bestrafung verfallen sei.« – »Da habt Ihr gut gesprochen,« erwiderte der König; »und wie lautete seine Antwort? Vermochtet Ihr ihn, nach zu bleiben?« »Noch vierundzwanzig Stunden, und mittlerweile den Fehdehandschuh wieder an sich zu nehmen,« antwortete der Kardinal; »er ist im Gasthofe zur Lilie abgestiegen.« – »Sorget dafür, daß er auf unsere Kosten anständig bedient und bewirtet werde,« befahl der König, »denn solcher Diener ist ein Juwel in eines Fürsten Krone ... Vierundzwanzig Stunden?« fuhr er fort, vor sich hinmurmelnd, indem er die Augen dabei so weit öffnete, als wollte er in die Zukunft schauen; »eine kurze Frist! doch zweckmäßig und mit Geschick verwendet, mögen sie ein Jahr in den Händen eines trägen und unbeholfenen Unterhändlers aufwiegen ... Gut! ... Jetzt hinaus in den Wald! in den Wald!« rief er; »die Eberspieße zur Hand! Euren Speer, Dunois! nehmt meinen, denn er ist zu schwer für mich ... Zu Roß, zu Roß, meine Herren!« Und die Jagdgesellschaft ritt davon. Neuntes Kapitel So groß auch die Kenntnis war, die der Kardinal von dem Gemüte seines Herrn zu besitzen meinte, so hinderte sie ihn bei der gegenwärtigen Gelegenheit doch nicht daran, in einen argen politischen Irrtum zu verfallen. Seine Eitelkeit bewog ihn anzunehmen, er sei weit glücklicher gewesen, den Grafen Crevecoeur zu einem längern Aufenthalt in Tours zu vermögen, als es bei jedem andern Vermittler, den der König hätte gebrauchen können, aller Wahrscheinlichkeit nach der Fall gewesen wäre; und da er wußte, von welcher Wichtigkeit es für Ludwig war, einem Kriege mit Burgund auszuweichen, so konnte er nicht umhin, es merken zu lassen, welch großen und willkommenen Dienst er hiermit dem Könige geleistet zu haben meinte. Er drängte sich darum näher zu der Person des Königs heran, als er es sonst zu tun gewohnt war, und suchte ihn zu einem Gespräch über die Vorgänge des Morgens zu veranlassen. Hingerissen, wie es auch dem Vorsichtigsten zuweilen geschieht, von seiner selbstgenügsamen Stimmung, ritt der Kardinal immer dem Könige zur Rechten und lenkte, so oft es möglich war, die Unterhaltung auf Crevecoeur und dessen Sendung, – ein Gegenstand, der den König zwar im Augenblick am meisten beschäftigen mochte, über den er aber am wenigsten geneigt war, sich in eine Unterhaltung einzulassen. Endlich gab Ludwig, der ihm zwar mit Aufmerksamkeit zugehört, allein auf keine Weise zur Fortsetzung des Gesprächs beigetragen hatte, dem nicht weit von ihm reitenden Dunois ein Zeichen, an die andre Seite seines Pferdes zu kommen. »Wir sind der Jagd und des Vergnügens halber hierher gekommen,« sagte er. »Allein der ehrwürdige Vater möchte gar zu gern einen Staatsrat abhalten. Was sagt denn Ihr, Dunois, zu Unsers Vetters Begehr?« – »Ich will Euch, Sire, darauf antworten, wenn Ihr mir aufrichtig sagen wollt, ob Ihr Krieg oder Frieden braucht,« antwortete Dunois mit einer Freimütigkeit, die, weil sie aus der ihm angeborenen Offenheit und Unerschrockenheit seines Wesens entsprang, ihn von Zeit zu Zeit zu einem großen Lieblinge Ludwigs machte, der gleich allen schlauen und verschmitzten Menschen die Herzen anderer in demselben Grade zu ergründen wünschte, in welchem er das seinige verschlossen hielt ... – »Bei meiner Ehre, Dunois,« sagte der König, »ich möchte Dir das von Herzen gern sagen, wenn ich es nur selbst erst genau wüßte. Aber gesetzt, ich erklärte mich für Krieg, was sollte ich mit jener reichen, jungen und schönen Erbin anfangen? angenommen, sie befände sich auf meinem Gebiete?« – »Sie einem Eurer eignen, tapfern Diener vermählen, der ein Herz hat, sie zu lieben, und einen Arm, sie zu beschützen, erwiderte Dunois. – »Dir zum Beispiel? hahaha!« lachte der König. »Sapperlot! Du bist bei all Deiner Offenherzigkeit staatsklüger als selbst ich geglaubt hätte.« – »Nein, Sire, ich mag alles andre eher sein, nur nicht staatsklug. Bei unserer lieben Frau von Orleans, ich gehe gerade auf mein Ziel los, wie ich mein Pferd beim Ringelreiten auf den Ring zureite. Eure Majestät ist dem Hause Orleans doch wenigstens eine glückliche Heirat schuldig, sollte ich meinen.« – »Und diese Schuld, Graf, will ich bezahlen!« rief der König; »seht Ihr nicht dort das schöne Pärchen?« Er wies dabei auf den unglücklichen Herzog von Orleans und die Prinzessin, die, weil sie weder in zu großer Entfernung hinter dem Könige zurückbleiben, noch sich vor seinen Augen zu trennen wagten, zwar zusammen ritten, jedoch mit einem Zwischenraume von reichlich zwei Ellen, den weder Schüchternheit auf der einen, noch Abneigung auf der andern Seite zu schmälern vermochten, den man aber auf beiden Seiten auch nicht zu erweitern sich getraute ... Dunois sah nach der vom Könige bezeichneten Richtung hin, mußte aber, obgleich er dem heuchlerischen Despoten keine unmittelbare Antwort zu geben wagte, unwillkürlich mit dem Kopfe schütteln. Ludwig schien seine Gedanken zu erraten. »Es wird einen geruhsamen Ehestand geben,« meinte er, »nicht eben gestört durch viel Kinderlärm! wenigstens bedünkt es mich so. Kinder sind ja auch nicht allemal ein Segen.« Vielleicht war es die Erinnerung an die eigne Undankbarkeit gegen den Vater, die den König veranlaßte, eine Pause zu machen, und das höhnische Lächeln, das auf seiner Lippe zitterte, in etwas umwandelte, das einem Ausdrucke von Zerknirschung glich. Allein augenblicklich fuhr er in einem andern Tone fort: »Aber, frei heraus, Dunois, mir wäre schon lieber, so viel Ehre ich auch dem heiligen Sakramente der Ehe zolle« (hier bekreuzte er sich) »das Haus Orleans zeugte mir solche tapfern Krieger wie Deinen Vater und Dich, die vom königlichen Blute Frankreichs abstammen, ohne auf seine Rechte Anspruch zu erheben; statt daß das Reich gleich England durch Kriege von Verwandten zerrüttet werde, die ihre Rechte an die Krone in Geltung setzen. Der Löwe sollte eben nie mehr als ein Junges haben.« – »Da Eure Majestät,« erwiderte Dunois, nachdem er erst eine Weile geschwiegen hatte, weil er wußte, daß ein Widerspruch gegen den Despoten bloß den Interessen seines Verwandten schaden, ihm selbst aber nie von Nutzen sein könnte ... »einmal angespielt haben auf meines Vaters Geburt, muß ich allerdings gestehen, daß er, die Schwachheit seiner Eltern beiseite gesetzt, vielleicht als der Sohn ungesetzlicher Liebe glücklicher zu preisen war, als wenn er im ehelichen Hasse gezeugt worden wäre.« – »Dunois,« sagte der König, »Du bist ein rechtes Lästermaul, daß Du Dir herausnimmst, in solcher Weise von der heiligen Ehe zu sprechen. Aber, zum Teufel mit all dem Geschwätz! der Eber ist aufgescheucht. Im Namen des heiligen Hubertus! laßt die Hunde los! Haha! tralala! lirala lirala!« und das Horn des Königs schallte fröhlich durch die Felder, während er vorwärts sprengte, begleitet von einigen Leuten seiner Leibwache, unter denen sich auch unser Freund Quentin befand. Hier müssen wir eine kleine Episode einflechten, die aus der Vorliebe des Königs, seinen Spott mit dem Kardinal Balue zu treiben, entsprang. Es gehörte nämlich zu den Schwächen dieses Staatsmannes, wie wohl schon angedeutet wurde, sich einzureden, er sei, wenn auch von niederem Stande und von mangelhafter Erziehung, dennoch geschickt und fähig, den Hofmann und Kavalier zu spielen. Ritt er auch nicht in die Schranken wie Beckett und warb er auch nicht Soldaten wie Wolsey, so war doch der Dienst bei den Damen sein Lieblingsfach, und ebenso gab er sich mit Vorliebe für einen großen Freund der Weidmannskunst aus. Allein soviel Glück er auch hin und wieder bei gewissen Damen hatte, bei denen für die Mängel seiner äußeren Erscheinung und seiner Sitten sein Reichtum und sein Einfluß als Staatsmann als Ersatz galten, so waren doch die stattlichen Rosse, für die ihm kein Preis zu hoch war, für die Ehre, einen Kardinal zu tragen, völlig unempfindlich und zollten ihm keinen größeren Respekt, als sie seinem Großvater, dem Schneider, mit dem er sich etwa in der Reitkunst messen durfte, gezollt hatten. Der König wußte das, und indem er sein Pferd bald antrieb, bald anhielt, brachte er das Roß des Kardinals, den er immer dicht sich zur Seite zu halten wußte, in einen solchen Zustand der Widerspenstigkeit gegen seinen Reiter, daß es offenbar schien, beide könnten nicht mehr lange friedlich nebeneinander herlaufen; und während nun das Kardinalroß stutzte, sprang, sich bäumte und hinten ausschlug, brachte der königliche Plagegeist den Reiter selbst noch dadurch in Verwirrung, daß er sich mit ihm über allerhand Staatsgeschäfte unterhielt und ihm ziemlich deutlich zu verstehen gab, er wolle die jetzt grade so günstige Gelegenheit nicht vorbeigehen lassen, ihn mit den Staatsgeschäften vertraut zu machen, die der Kardinal noch vor so kurzer Zeit um alles in der Welt gern in Erfahrung gebracht hätte. Das Roß gewann auf solche Weise allmählich völlig die Herrschaft über den Kardinal und flog eine lange Allee entlang, überholte die Hunde, die dicht hinter dem Eber her waren, rannte ein paar Pikeniere und Bauern, die sich solchen Ueberfalls von hinten nicht versehen hatten, über den Haufen und brachte die Jagd in die äußerste Verwirrung. Durch das Geschrei und die Drohungen der Jäger noch mehr außer sich gebracht, rannte es mit dem auf den Tod bestürzten Kardinal an dem furchtbaren Eber vorbei, der selbst in rasender Wut, mit Schaum bedeckt, entlang schoß, und Kardinal Balue, als er sich auf einmal in solcher Nähe desselben sah, stieß einen jämmerlichen Angstschrei aus, der zusammen mit dem Anblick des Ebers das Pferd in solchen Schreck jagte, daß es auf die Seite sprang und den geistlichen Herrn, der schon lange bloß darum noch im Sattel geblieben war, weil es immer gerade ausgegangen war, ziemlich unsanft auf den Grund setzte. Wäre der Eber nicht so lebhaft von sich selbst in Anspruch genommen gewesen, so hätte es wohl geschehen können, daß dem Kardinal seine Nachbarschaft verderblich wurde; er kam jedoch mit dem bloßen Schrecken davon und kroch, so schnell es irgend anging, den Jägern und Hunden aus dem Wege, so daß er die ganze Jagd an sich vorbeistürmen sah, ohne daß es jemand einfiel, ihm zu Hilfe zu kommen, denn damals ließen sich die Jägersleute bei solchen Unglücksfällen ebensowenig wie zu unserer Zeit von Mitleid rühren. Im Vorbeireiten sagte der König zu Dunois: »Dort unten liegt Seine Eminenz tief genug. Als Weidmann taugt er nicht viel; aber als Fischer könnt er's dreist mit Sankt Petrus aufnehmen, wenn es sich ums Fischen von Geheimnissen dreht. Vorderhand wird er wohl auf ein Weilchen die Nase voll haben.« Wenn der Kardinal die Worte auch nicht hörte, so ließ ihn doch der höhnische Blick, von dem sie begleitet waren, ihren Inhalt vermuten. Solche Gelegenheiten wählt, hört man öfter sagen, der Teufel dazu aus, Gemüter zu verbittern! und so verhielt es sich hier. Der Schreck war bei dem Kardinal rasch vorbei, sobald er inne wurde, daß der Fall ohne nachteilige Folgen für ihn war; allein verletzte Eitelkeit und Erbitterung gegen seinen Herrn und König übten auf seine Gefühle einen desto längeren Einfluß aus. Als die Jagd vorbeigezogen war, kam ein einzelner Kavalier, der mehr Zuschauer als Teilnehmer der Jagd zu sein schien, mit ein paar Begleitern dahergeritten und drückte keinen geringen Grad von Verwunderung aus, den Kardinal hier auf seinen eigenen Füßen, ohne Roß und Gefolge und in einer derartigen Beschaffenheit zu finden, daß über die Art des ihm zugestoßenen Unfalls keinerlei Zweifel obwalten konnte. Absteigen und ihm seine Hilfe unter solchen Umständen anbieten, einen seiner Diener absitzen heißen und ihm dessen frommen und ruhigen Zelter zum Gebrauch überlassen, ein Befremden über die am französischen Hofe herrschenden Sitten äußern, die es erlaubten, den weisesten Staatsmann solcherweise den Gefahren der Jagd preiszugeben und in seinen Nöten zu vergessen: das waren die natürlichsten Hilfeleistungen und Trostgründe, die ein so seltsames Zusammentreffen dem Grafen Crevecoeur von selbst an die Hand gab; denn niemand anders als der burgundische Gesandte war es, der dem gefallenen Kardinal zu Hilfe kam. Er fand ihn zur glücklichen Stunde und in der glücklichsten Stimmung, um sich hinsichtlich seiner Treue die erwünschten Beweise zu holen. Wie die argwöhnische Gemütsart Ludwigs richtig ahnte, war am Morgen schon mehr zwischen ihnen vorgegangen, als der Kardinal seinem gestrengen Herrn hätte mitzuteilen vermögen. Aber obgleich er schon damals mit Wohlgefallen angehört hatte, welch hohen Wert nach Crevecoeurs Versicherungen der Herzog von Burgund auf seine Person und Talente legte, auch ein Gefühl von Versuchung nicht unterdrücken konnte, als der Graf einige Winke über die Freigebigkeit seines Gebieters und die reichen Pfründen in Frankreich fallen ließ, so brachte ihn doch erst der erwähnte Vorfall wegen verletzter Eitelkeit zur Unglücksstunde zu dem Entschlusse, zu zeigen, daß kein Feind so gefährlich werden kann wie ein beleidigter Freund und Vertrauter. Er bat indessen für den Augenblick Crevecoeur aufs dringlichste, sich von ihm zu entfernen, damit sie nicht beobachtet würden, bestimmte ihm aber auf den Abend eine Zusammenkunft in der Abtei Sankt Martins in Tours, und dies in einem Tone, der dem Burgunder deutlich zu erkennen gab, daß sein Herr einen Vorteil gewonnen, auf den er kaum gehofft hätte. Mittlerweile hatte Ludwig, zwar der staatsklügste Fürst seiner Zeit, doch, wie bei andern Gelegenheiten auch hier seiner Leidenschaften nicht vollkommen Herr, die Eberjagd, die nun den anziehendsten Punkt erreicht hatte, mit Eifer weiter betrieben. Es war nämlich der Fall eingetreten, daß ein junger Eber die Fährte des alten, dem eigentlich die Jagd galt, gekreuzt hatte, und daß alle Hunde, mit Ausnahme von ein paar Koppeln alter, eingehetzter Doggen, nebst dem größten Teile der Jagdleute dessen Spur gefolgt waren. Mit innerlichem Behagen nahm der König wahr, daß die andern alle, und mit ihnen Dunois, auf diesen Irrtum anbissen, und weidete sich schon im voraus an dem Triumphe über diesen vollendeten Künstler von Weidmann. Ludwig war wohlberitten und folgte den Hunden auf dem Fuße, so daß dem Eber, als er sich in seiner äußersten Not in einen Morast rettete, niemand näher war als der König selbst. Mit aller Unerschrockenheit und Erfahrung eines geübten Weidmanns, ohne Rücksicht auf die Gefahr, sprengte der König auf das furchtbare Tier, das sich wütend gegen die Hunde wehrte, los und verwundete es mit seinem Jagdspieße. Da aber das Pferd scheute, hatte der Stoß nicht Kraft genug, ihm den Garaus zu machen. Es war unmöglich, das Pferd zu einem zweiten Angriffe zu bewegen, so daß der König abstieg und zu Fuß auf das rasende Tier losging, das kurze scharfe Schwert in der Faust, dessen sich die Jäger bei solchen Gelegenheiten bedienen. Der Eber ließ auf der Stelle von den Hunden ab, um sich gegen seinen menschlichen Feind zu wenden; der König seinerseits faßte festen Fuß und hielt das Schwert vor, um es ihm neben dem Schlüsselbein in die Brust zu stoßen. Aber auf dem schlüpfrigen Grunde glitt der König aus und zwar gerade in demselben Augenblicke, als das gefährliche Manöver hätte ausgeführt werden sollen; die Spitze des Schwertes traf bloß den Borstenpanzer an der äußeren Seite der Schulter, glitt von da ab, und Ludwig fiel platt auf den Boden. Es war ein Glück für ihn, daß er auf diese Weise zu Falle kam, denn der Eber verfehlte infolgedessen ebenfalls sein Ziel und streifte mit seinen Hauern bloß das Jagdkleid des Königs, statt daß es ihm sonst mit tödlicher Sicherheit den Schenkel aufgerissen hätte. Wohl schoß der Eber in seiner Wut ein ganzes Stück geradeaus weiter, schwenkte indessen, als er seinen Irrtum gewahr wurde, um und wiederholte seinen Angriff gerade, als der König sich von der Erde aufrichtete. Ludwigs Leben war in schwerer Gefahr. Da sprengte Quentin Durward heran, der zwar zufolge der Langsamkeit seines Pferdes von der Jagd abgekommen war, aber das Hifthorn des Königs nichtsdestoweniger herausgehört hatte, und bohrte den Eber mit seinem Spieße nieder. Mittlerweile hatte der König festen Fuß gefaßt und stach nun dem Eber, seinerseits Durward zu Hilfe tretend, sein Schwert in die Brust. Ehe er aber Durward eines Wortes würdigte, maß er die Größe des Tieres durch Schritt und Fuß und trocknete sich den Schweiß von der Stirn und das Blut von den Händen. Dann nahm er seinen Jagdhut ab, hing ihn an einen Busch und verrichtete vor den kleinen, bleiernen Bildern seine Andacht. Endlich warf er einen Blick auf Durward und sagte: »Ei, bist Du es, mein junger Schotte? Du hast Dein Weidwerk wacker begonnen, und Meister Peter ist Dir eine ebensogute Mahlzeit schuldig, wie er Dir eine in der Lilie vorsetzen ließ ... Warum sagst Du nichts? Mir scheint, während andere bei Hofe keck und munter werden, ist bei Dir weit eher das Gegenteil der Fall.« Quentin, der in Schottland sich den Wind tüchtig hatte um die Ohren pfeifen lassen, hütete sich weislich, diese Aufforderung, aus sich herauszugehen, für ernst zu nehmen; er antwortete vielmehr mit ein paar wohlgesetzten Worten, daß er vor allen Dingen, wenn er es wagen dürfe, sich an Seine Majestät zu wenden, um geeignete Rücksicht bitten müsse wegen der ungeschlachten Weise, wie er sich gegen den Herrscher benommen habe, als ihm dessen Rang und Eigenschaft noch nicht bekannt gewesen seien. »Kein Wort weiter, Mann!« erwiderte der König, »Deine Grobheit sei Dir verziehen um Deiner Pfiffigkeit willen. Wundern mußte es mich ja, wie nahe Du mit Deinem Witze an meines Gevatters Handwerk streiftest. Wie mir zu Ohren gekommen, bist Du ja näher damit bekannt geworden. Aber laß Dir sagen, daß es klug ist, sich vor dem Kerl in acht zu nehmen: er treibt einen zu ausgedehnten Schacher mit groben Armbändern und engen Halskrausen ... Hilf mir aufs Pferd, Mann! Du gefällst mir, Patron, und ich will sehen, was sich für Dich tun läßt. Baue auf keines Menschen Gunst, sondern bloß auf die meinige; auch nicht auf die von Deinem Oheim oder Lord Crawford, und erzähle niemand etwas von dem Dienst, den Du mir zu so rechter Zeit erwiesen hast hier auf der Eberjagd; denn wer sich dick damit tut, daß er einem König aus solcher Gefahr herausgehauen hat, muß sich gemeinhin mit seiner Dicktuerei als bezahlt ansehen.« Der König stieß in sein Horn. Dunois und andre von seinem Gefolge eilten herbei und legten dem König ihre Glückwünsche zu seinem Jagdglück zu Füßen; unbedenklich sich einen weit größeren Teil an der Erlegung des edlen Tieres beimessend, als ihm nach Recht und Verdienst davon gebührte, befahl er Dunois, den erlegten Keiler den Brüdern von Sankt-Martin in Tours als Festbraten zu übersenden mit dem Ansuchen an sie, dafür des Königs bei ihren Andachtsübungen mit zu gedenken ... – »Aber hat denn niemand unsern lieben Kardinal Balue gesehen?« fragte Ludwig; »es geht doch unmöglich an und vertrüge sich weder mit unserer Christenpflicht, noch wäre es für unsern Respekt vor der heiligen Kirche ein schickliches Zeugnis, wollten Wir die Eminenz im Walde zu Fuße herumirren lassen.« – »Mit Verlaub, Majestät,« sprach Quentin, als er sah, daß niemand das Wort nahm, »ich habe Seine Herrlichkeit aus dem Walde reiten sehen.« »Nun also,« rief der König, »sorgt der Himmel nicht allezeit für seine Diener? ... Vorwärts, meine Herren! heut morgen ist's aus mit der Jagd. Knappe, hol mir mein Weidmesser: es ist mir dort auf dem großen Platze aus der Scheide gefallen. Dunois, reitet voraus! ich folge auf der Stelle.« Ludwigs geringste Bewegungen waren häufig scharf wie Kriegslisten berechnet; er gewann auch jetzt die nötige Zeit, um an Ouentin die heimliche Frage zu richten: »Du hast, wie ich sehe, ein scharfes Auge, lieber Schotte! aber wer unserm lieben Kardinal auf ein Roß verholfen hat, kannst Du mir wohl nicht sagen? es muß unbedingt ein Fremder gewesen sein, denn da ich an ihm vorbeigeritten bin, ohne mich um ihn zu bekümmern, dürfte es schwerlich einem vom Hofe beigekommen sein, ihm solchen Dienst zu erweisen.« – »Sire, ich sah die Herren, die Seiner Eminenz auf einen Gaul verhalfen, bloß einen Augenblick,« erwiderte Quentin; »denn ich war leider von der Jagd abgekommen und hatte begreiflicherweise Eile, sie wieder zu erreichen. Aber ich glaube mit Bestimmtheit sagen dürfen, daß es der burgundische Gesandte mit seinen Leuten war, der Seiner Eminenz diesen Dienst erwies.« – »Aha!« rief Ludwig; »nun denn, sei ihm so ... Frankreich wird wohl noch imstande sein, ihnen die Spitze zu bieten.« Darauf kehrte der König mit seinem Gefolge nach dem Schlosse zurück, und es ereignete sich nichts Bemerkenswertes weiter auf diesem Jagdzuge. Zehntes Kapitel Quentin war kaum auf seinem Kämmerchen angelangt, um die nötigen Veränderungen in seinem Anzuge zu treffen, als sein würdiger Oheim alle Umstände zu erfahren begehrte, die sich mit ihm auf der Jagd zugetragen hätten. Der Jüngling, welcher nicht umhin konnte, nach allem seines Oheims Arm für stärker als seinen Verstand zu halten, trug Sorge, bei seiner Erzählung den König im vollen Besitz des Sieges zu lassen, den er sich so eifrig anzueignen geschienen hatte. Balafré setzte hierauf mit vieler Ausführlichkeit auseinander, um wieviel besser er sich bei solchen Umständen benommen haben würde, und ließ einen sanften Tadel über die Saumseligkeit seines Neffen mit einfließen, daß er dem Könige nicht zu Hilfe geeilt sei, da sich dieser in so drohender Gefahr befunden habe. Der Jüngling war klug genug, sich aller weitern Rechtfertigung seines Benehmens zu enthalten, außer daß er sagte, er halte es den Regeln der edeln Weidmannskunst zuwider, sich mit einem Stücke Wild zu befassen, das von einem andern Jäger angegriffen sei, sofern er nicht ausdrücklich von diesem zur Unterstützung aufgefordert werde. Diese Erörterung war kaum vorüber, als Quentin Gelegenheit bekam, sich Glück zu wünschen, daß er gegen seinen Verwandten etwas zurückhaltend war. Ein leises Klopfen an bei Tür kündigte einen Besuch an. – Sie öffnete sich, und herein trat Oliver Dain, auch le Mauvais oder le Diable (der Böse oder Teufel) genannt, denn unter allen diesen Namen war er bekannt. Dieser gewandte, aber gewissenlose Mann ist nach seinem Aeußern bereits beschrieben worden. In seinen Bewegungen und seinem Benehmen hatte er vielleicht die meiste Ähnlichkeit mit einer Hauskatze, die, während sie in einem anscheinenden Schlummer liegt, oder mit leisen, verstohlenen und furchtsamen Schritten durch das Zimmer schleicht, entweder den Schlupfwinkel einer unglücklichen Maus belauscht, oder mit scheinbarer Vertraulichkeit und verstellter Gutmütigkeit sich an denen streicht, von denen sie geliebkost sein will, gleich darauf aber sich auf ihre Beute wirft, oder vielleicht gar den Gegenstand ihrer Liebkosungen kratzt. Er trat mit gekrümmtem Rücken und mit demütigem und bescheidenem Blick ein, und wußte einen solchen Grad von Höflichkeit in seine Anrede an Herrn Balafré zu legen, daß jeder, der bei dieser Zusammenkunft zugegen gewesen wäre, geglaubt hätte, er komme, den schottischen Bogenschützen um irgend eine Gefälligkeit zu bitten. Er wünschte Lesley Glück zu dem trefflichen Benehmen seines jungen Verwandten bei der heutigen Jagd, das, wie er bemerkte, des Königs besondere Aufmerksamkeit erregt habe. Hier hielt er inne mit auf den Boden gesenktem Blick, um eine Antwort zu erwarten, und warf nur ein paarmal verstohlene Seitenblicke auf Quentin. Balafré antwortete hierauf: daß es für Se. Majestät ein unglückliches Geschick gewesen sei, statt seines Neffen nicht ihn selbst zur Seite gehabt zu haben – er würde sogleich herbeigeeilt sein und das Tier niedergestoßen haben, was Quentin, wie er hörte, Sr. Majestät eigenen Händen überlassen habe. Aber es wird Zeitlebens eine Lehre für Seine Majestät sein,« sagte er, »einem Manne von meinem Kaliber ein besseres Pferd geben zu lassen; denn wie konnte mein Klotz von flämischem Karrengaul mit Sr. Majestät normannischem Renner gleichen Schritt halten? Ich bin gewiß, ich habe ihm die Rippen aufgefurcht, – aber umsonst. – »Man hat das gar nicht beachtet, Meister Oliver, aber Ihr müßt es Sr. Majestät vorstellen.« Meister Oliver beantwortete diese Bemerkung bloß dadurch, daß er auf den kühnen, prahlerischen Sprecher einen jener langsamen, zweifelhaften Blicke warf, die, begleitet von einer leichten Bewegung der Hand und einem leichten Herabsenken des Kopfes nach der einen Seite, entweder als eine stillschweigende Zustimmung zu dem Gesagten, oder als eine vorsichtige Ablehnung, den Gegenstand des Gespräches weiter zu verfolgen, gedeutet werden können. Einen kühneren, mehr forschenden Blick warf er auf den Jüngling, indem er mit einem zweideutigen Lächeln sagte: »So, junger Mann, ist es also Sitte in Schottland, Eure Fürsten in Umständen, wie die heutigen waren, aus Mangel an Beistand in Gefahr geraten zu lassen?« – »Es ist Sitte bei uns,« antwortete Quentin, entschlossen, kein weiteres Licht über den Gegenstand zu verbreiten, »sie bei ehrenvollem Zeitvertreib nicht mit unserer Hilfe zu belästigen, wenn sie sich selbst helfen können. Wir halten dafür, daß ein Fürst auf der Jagd so gut wie ein anderer sein Glück versuchen muß, und daß er sich dahin auch bloß in dieser Absicht begibt. Was wäre auch das edle Weidwerk ohne Beschwerde und Gefahr?« – »Da hört einmal den Teufelsjungen,« sagte sein Oheim, »so macht er es immer; auf alles hat er eine Antwort, einen Grund in Bereitschaft, woher er nur das alles haben mag, – ich habe meine Lebtage keinen Grund für etwas angeben können, außer fürs Essen, wenn mich hungerte, oder für die Musterung meiner Leute, und andere Dinge, die meines Dienstes sind.« – »Aber sagt mir einmal, werter Herr,« sprach der königliche Bartkünstler, indem er unter seinen Augenwimpern ihn anblinzelte, »was war denn wohl der Grund, Eure Soldaten zu mustern?« – »Weil's der Hauptmann befahl,« antwortete Balafré. »Beim heiligen Aegidius, ich kenne keinen andern Grund! Hätt er's dem Tyrie oder Cunningham befohlen, sie hätten das nämliche tun müssen.« – »Ein echt soldatischer Entscheidungsgrund!« sprach Oliver. – »Aber, Herr Balafré, Ihr werdet ohne Zweifel erfreut sein, zu vernehmen, daß Se. Majestät, weit entfernt, mit Eures Neffen Benehmen unzufrieden zu sein, ihn vielmehr auserlesen hat, diesen Nachmittag einen besonderen Dienst zu übernehmen.« – »Ihn auserlesen?« fragte Balafré mit großem Erstaunen; – »mich auserlesen, wolltet Ihr ohne Zweifel sagen.« – »Ich meine genau das, was ich sage,« versetzte der königliche Barbier mit mildem, aber entschiedenem Tone; – »der König will Euerm Neffen einen Auftrag zur Vollziehung anvertrauen.« »Wie, warum, aus welchem Grunde?« fragte Balafré. »Warum wählt er den Jungen und nicht mich?« – »Ich muß auf Euren eigenen letzten Grund zurückkommen, Herr Balafré; so lautet Sr. Majestät Befehl. Aber,« fuhr er fort, »wenn ich eine Vermutung wagen darf, so wird Se. Majestät etwas zu tun haben, das besser für einen jungen Mann paßt, wie Euer Neffe ist, als für einen erfahrenen Krieger, wie Ihr, Herr Balafré! – Also, junger Mann, legt Eure Waffen an und folget mir. Nehmt Euer Feuergewehr mit, denn Ihr müßt Schildwache stehn.« – »Schildwache!« versetzte der Oheim. – »Seid Ihr auch sicher, daß Ihr recht gehört habt, Meister Oliver? Die innern Wachen sind immer bloß von solchen bezogen worden, die, gleich mir, ihre zwölf Jahre in unserm ehrenwerten Korps gedient haben.« – »Ich bin des Willens Sr. Majestät ganz gewiß,« sagte Oliver, »und darf nicht länger säumen, ihn zu vollstrecken. Habt die Güte und geht Euerm Neffen an die Hand, damit er bald zum Dienste bereit ist.« Balafré, der von Natur weder böse noch mißgünstig war, schickte sich sogleich an, den Anzug seines Neffen in Ordnung zu bringen, und gab ihm Lehren, wie er sich unter den Waffen zu benehmen habe, konnte sich aber nicht enthalten, Ausrufungen des Erstaunens mit einfließen zu lassen, wie doch dem jungen Manne ein solches Glück so früh zuteil geworden sei ... »Das fand noch nie statt bei der schottischen Garde,« sagte er, »auch nicht bei mir selbst! Aber ganz gewiß soll er Wache stehen bei den Papageien und indianischen Pfauen, die der venetianische Gesandte kürzlich dem Könige zum Geschenk gemacht hat. Anders kann es nicht sein, und solch ein Dienst schickt sich denn freilich einzig nur für einen bartlosen Jungen« (hier strich er sich seinen ungeheuern Knebelbart), »und ich bin im ganzen froh, daß das Los auf meinen guten Neffen gefallen ist.« Lebendig, scharfsichtig und mit glühender Einbildungskraft begabt, sah Quentin in dieser so schnellen Entbietung zum Könige Dinge von höherer Wichtigkeit im Geiste voraus und sein Herz schlug hoch im Vorgenuß der Empfindung baldiger Auszeichnung. Er nahm sich vor, das Benehmen und die Sprache seines Führers genau zu studieren, denn er argwöhnte bereits, daß man sie wenigstens in gewissen Fällen im entgegengesetzten Sinne zu verstehen habe, gleichwie die Wahrsager die Deutung der Träume finden sollen. Er wünschte sich Glück, daß er über die Vorfälle der Jagd das strengste Stillschweigen beobachtet hatte, und faßte den für einen jungen Menschen sehr klugen Entschluß, so lange er die Luft dieses abgeschiedenen und geheimnisvollen Hofes atmete, seine Gedanken tief in sich verschlossen, und seine Zunge unter der strengsten Zucht zu halten ... Sein Anzug war bald vollendet, und die Hakenbüchse auf der Schulter (denn obgleich die schottische Garde immer noch Bogenschützen genannt wurden, so hatten sie doch sehr früh ihren langen Bogen, in dessen Gebrauch sich ihre Nation nie besonders auszeichnete, mit dem Feuergewehr vertauscht,) folgte er Meister Oliver aus der Kaserne. Lange sah ihm sein Oheim nach, mit einer Miene, in der sich halb Erstaunen, halb Neugier aussprachen; beschlichen auch weder Neid noch die bösartigen Gesinnungen, die er geweckt hatte, sein ehrliches Gemüt, so blieb doch ein gewisses Gefühl verwundeten und gedrückten Selbstgefühls zurück, das sich in Freude über den glücklichen Dienstanfang seines Neffen verwandelte. Er schüttelte bedenklich den Kopf, öffnete einen geheimen Schrank, nahm eine große Flasche starken alten Weins heraus, rüttelte sie, um zu untersuchen, wie weit der Inhalt schon geschmolzen wäre, füllte einen Becher und tat einen derben Trunk; hierauf nahm er halb sitzend, halb liegend in dem großen eichenen Armsessel Platz, und nachdem er wieder langsam den Kopf geschüttelt, empfand er von dieser Bewegung eine so wohltätige Wirkung, daß er sie, gleich dem Mandarin, womit die Kinder spielen, so lange fortsetzte, bis er in einen Schlummer sank, aus welchem ihn erst das Zeichen zum Mittagessen weckte. Indes Ouentin Durward seinen Oheim diesen erhabenen Betrachtungen überließ, folgte er seinem Führer, Meister Oliver, der ihn, ohne einen der Haupthöfe zu berühren, teils durch geheime, der Luft ausgesetzte Gänge, hauptsächlich aber über ein Labyrinth von Treppen, Gängen und Galerien führte, die miteinander durch verborgene Türen in Verbindung standen, bis sie eine große, geräumige, vergitterte Galerie erreichten, die man vermöge ihrer Breite füglich hätte einen Saal nennen dürfen. Sie war mit mehr altväterischen denn schönen Tapeten und mit einigen wenigen jener steifen, kalten, geisterhaft aussehenden Gemälde behangen, die der ersten Morgenröte der Kunst angehörten, ehe die Sonne in ihrem Glanze über ihr aufging. Sie stellten die Paladine Karls des Großen vor, die in der romantischen Geschichte Frankreichs eine so ausgezeichnete Rolle spielen, und weil die riesenhafte Gestalt des berühmten Roland die hervorstechendste Figur bildete, so hatte das Gemach davon den Namen der Rolandshalle oder der Rolandsgalerie erhalten. »Hier sollt Ihr Wache stehen,« flüsterte Oliver in einem so leise lispelnden Tone, als hätten die rohen Abbildungen der Monarchen und Krieger umher durch eine stärkere Erhebung der Stimme beleidigt werden können, oder als fürchtete er, das in den Kreuzgewölben und gotischen Steinmassen dieses großen und öden Gemaches lauernde Echo zu wecken. – »Was habe ich auf meinem Posten zu tun, und was ist das Losungswort?« fragte Quentin in demselben leisen Tone. – »Ist Euer Gewehr geladen?« versetzte Oliver, ohne auf seine Frage zu antworten. – »Das ist bald getan,« antwortete Ouentin, schickte sich an, sein Gewehr zu laden, und zündete eine Lunte (mit der es losgebrannt werden mußte) an der glühenden Asche eines Herdfeuers an, das in dem ungeheuren Kamin der Halle dem Verglimmen nahe war, einem Kamine, der an und für sich schon so geräumig war, daß man ihn für ein gotisches Kabinett oder eine zur Halle gehörige Kapelle hätte nehmen können. Als dies geschehen war, sagte ihm Oliver, daß er noch eines der hohen Privilegien seines Korps nicht wisse, welches nur vom Könige in Person, oder vom Großkonnetable von Frankreich, statt von seinen Offizieren, Befehle annehme. »Ihr stehet,« setzte Oliver hinzu, »auf Sr. Majestät ausdrücklichen Befehl auf diesem Posten, junger Mann, und werdet nicht lange hier verweilen, bis Ihr erfahret, warum Ihr da seid. Mittlerweile möget Ihr in dem Zimmer auf und ab gehen. Ihr dürft auch stehen bleiben, wie es Euch gefallt, aber nicht niedersitzen, noch die Waffe beiseite legen. Laut singen oder pfeifen dürft Ihr gleichfalls nicht; aber Ihr möget, wenn's Euch gefällt, kirchliche Gebete hersagen, oder sonst etwas Anständiges vor Euch hinmurmeln. Lebt wohl denn, und haltet gute Wache.« »Gute Wache!« dachte der junge Soldat, als sein Führer mit dem ihm eigenen geräuschlosen, schleichenden Schritte sich hinwegstahl und durch eine Seitentür hinter den Tapeten verschwand. – »Gute Wache! aber über wen und gegen wen? – denn mit was anderem, außer Fledermäusen und Ratten, gibt es hier zu kämpfen, wenn nicht diese grimmigen, alten Menschenbilder ins Leben treten, um meine Wache zu beunruhigen? – Dem sei nun, wie ihm wolle, es ist einmal meine Pflicht, und ich muß sie erfüllen.« Mit dem kräftigen Vorsatze, seiner Pflicht nach aller Strenge zu genügen, suchte er sich durch das Singen einiger Lieder, die er in dem Kloster, worin er nach dem Tode seines Vaters Zuflucht gefunden, gelernt hatte, die Zeit zu vertreiben, indem er bei sich selbst dachte, daß, die Vertauschung des Novizenkleides gegen einen reichen militärischen Anzug abgerechnet, sein jetziger kriegerischer Spaziergang in der Galerie des Königs von Frankreich mit denen, welche ihn in der klösterlichen Abgeschiedenheit von Aberbrothock so gelangweilt hatten, sehr viel Aehnliches habe. Als wollte er sich selbst davon überzeugen, daß er jetzt nicht mehr der Zelle, sondern der Welt angehöre, sang er nicht lauter, als ihm verstattet war, einige von den alten, rauhen Balladen für sich hin, welche ihn der alte Familienharfner gelehrt hatte, über die Niederlage der Dänen vor Aberlemno und Forres, so wie über die Ermordung des Königs Duffus zu Forfor. Darüber verging ihm eine geraume Zeit; und es waren denn zwei Stunden des Nachmittags vorüber, als Quentin durch seine Eßlust erinnert wurde, daß die guten Väter von Aberbrothock, obgleich sie ihn strenge zur Beobachtung der Andachtsstunden anhielten, ihn doch gleichfalls auf die Stunde hin in das Speisezimmer abriefen, während man hier im Innern eines königlichen Palastes, nachdem er den lieben langen Morgen sich hatte herumtummeln müssen und sich einen guten Teil des Mittags im Dienste erschöpft hatte, es nicht natürlich finden wollte, daß er sich ungeduldig nach dem Mittagessen sehnte. In sanften Tönen wohnt indessen ein Zauber, der auch die natürlichen Gefühle, von denen jetzt Quentin heimgesucht ward, in Schlaf zu lullen vermag. An den entgegengesetzten Enden der langen Halle oder Galerie befanden sich zwei große, mit schweren Architraven verzierte Türen, die wahrscheinlich in verschiedene Zimmerreihen führten, denen die Galerie zur wechselseitigen Verbindung diente. Als nun unsere Schildwache zwischen diesen zwei Eingängen, welche die Grenze seines Wachpostens bildeten, einsam hin und her ging, wurde er plötzlich von einer Tonweise überrascht, die sich dicht an einer dieser Türen hören ließ, und wenigstens in seiner Einbildungskraft eine Vereinigung derselben Laute und Stimme war, welche ihn tags zuvor in so hohem Grade bezaubert hatte. Alle Träume des gestrigen Tages, so sehr sie auch durch die Vorgänge, die indessen sein Gemüt in Anspruch genommen hatten, in den Hintergrund getreten sein mochten, erwachten mit neuer Lebendigkeit in seiner Seele, und eingewurzelt auf der Stelle, von der aus sein Ohr am bequemsten diese Töne einsaugen konnte, blieb Quentin, das Gewehr auf der Schulter, den Mund halb offen, Augen und Seele nach dem Orte gewandt, mehr als ein Gemälde einer Schildwache denn als ein belebtes Wesen stehen – ohne einen andern Gedanken, als den, so es möglich war, ja keinen Laut dieser himmlischen Melodie zu verlieren. Diese entzückenden Töne konnten jedoch nur teilweise vernommen werden; sie wurden schwächer, zitternder, und erstarben endlich ganz; nur von Zeit zu Zeit erneuerten sie sich wieder in unbestimmten Zwischenräumen. Aber auch die Musik wird, gleich der Schönheit, oft nur um so entzückender, oder wenigstens um so anziehender, wenn sie ihre Reize nur teilweise enthüllt, und es der Einbildungskraft überlassen bleibt, das zu ergänzen, was wir aus der Ferne nur unvollkommen hören; so hatte denn Quentin Muße genug, seine Träumereien während der Zwischenräume der Bezauberung sich auszumalen. Nach dem, was er aus dem Munde der Kameraden seines Oheims vernommen, und dem Auftritt, der diesen Morgen in dem Audienzzimmer stattgefunden hatte, blieb ihm kein Zweifel mehr, daß die Sirene, welche sein Ohr also bezauberte, nicht, wie er freventlich geglaubt, die Tochter oder Verwandte eines elenden Schenkwirts, sondern die verkappte unglückliche Gräfin sei, um derentwillen Könige und Fürsten auf dem Punkte standen, sich in den Harnisch zu werfen und die Lanzen einzulegen. Hundert wilde Träume, wie sie die romantische, abenteuernde Jugend in einem romantischen, abenteuerlustigen Zeitalter nur zu gern näherte, entrückten seinem Auge die wirkliche vor ihm liegende Szene, und schoben dafür ihre eigenen irren Täuschungen unter, als sie auf einmal und zwar ziemlich unsanft verscheucht wurden durch einen gewaltsamen Griff an seine Waffe und eine rauhe Stimme, die ihm ins Ohr zurief: »Ha! Pasques-dieu! Herr Knappe, mich dünkt, Ihr haltet hier schlafende Wache!« Die Stimme war die klanglose, aber ausdrucksvolle und ironische Meister Peters, und Quentin, der plötzlich zu sich selbst kam, sah mit Beschämung und Furcht, daß er, in seine Träume versunken, Ludwig selbst, der wahrscheinlich durch eine geheime Tür eingetreten und an der Wand oder hinter den Tapeten hingeschlichen war, sich so nahe hatte kommen lassen, daß er sich beinahe seiner Waffe bemeistert hätte. Das erste, was er in seiner Ueberraschung tat, war, daß er sein Gewehr durch einen heftigen Ruck frei zu machen suchte, wodurch der König in den Saal zurücktaumelte. Seine nächste Besorgnis aber war, er möchte, indem er dem animalischen Instinkt, wie man es nennen kann, folgte, der den tapfern Mann antreibt, jedem Versuche zu einer Entwaffnung zu widerstehen, durch einen persönlichen Kampf mit dem Könige dessen Mißfallen über seine Nachlässigkeit im Dienste noch gesteigert haben; und von diesem Eindruck ergriffen, riß er sein Gewehr, ohne zu wissen, was er tat, wieder an sich, schulterte, und stand bewegungslos vor dem Monarchen, den er, wie er allen Grund zu haben glaubte, tödlich beleidigt hatte. Ludwig, dessen tyrannisches Wesen weniger aus angeborener Wildheit oder Grausamkeit entsprang als aus kaltblütiger Politik und mißtrauischem Argwohn, hatte dennoch eine starke Zugabe kaustischer Strenge, die ihn auch zum Despoten im gewöhnlichen Umfang gemacht haben würde, und schien sich immer an der Verlegenheit anderer bei Gelegenheiten, wie die gegenwärtige war, zu weiden. Doch trieb er seinen Triumph nicht weiter, sondern begnügte sich, zu sagen: »Der Dienst, den Du uns diesen Morgen geleistet hast, hat bereits einige Nachlässigkeit bei einem jungen Soldaten vergütet. Hast Du zu Mittag gegessen?« Quentin, der eher geglaubt hätte, zum Generalprofoß gesandt, als auf solche Art angeredet zu werden, antwortete mit einem demütigen »Nein!« – »Armer Junge,« sprach Ludwig in einem sanfteren Tone, als er gewöhnlich pflegte, »der Hunger hat ihn lässig gemacht. – Ich weiß, Dein Appetit ist ein Wolf,« fuhr er fort; »und ich will Dich von einem wilden Tiere befreien, wie Du mir heute bei einem andern getan. Du hast Dich klug bei der Sache benommen, und ich weiß Dir Dank dafür. Kannst Du's noch eine Stunde ohne Nahrung aushalten?« – »Noch vierundzwanzig, Sire,« erwiderte Durward, »oder ich wäre kein echter Schotte.« – »Aber da wollte ich auch nicht um ein zweites Königreich die Pastete sein, die Dir nach solch einer Wache in die Hände fiele,« sagte der König; »allein es handelt sich jetzt nicht um Dein Mittagessen, sondern um das meinige. Ich habe heute insgeheim den Kardinal Balue und diesen Burgunder, diesen Grafen Crevecoeur, zu Tische; und wer kann wissen, was sich da zuträgt – der Teufel ist niemals geschäftiger, als wenn Feinde auf freundlichem Fuße zusammentreffen.« Er hielt inne, und schwieg mit einem tiefen, düstern Blicke. Als der König sich nicht beeilte fortzufahren, wagte es endlich Quentin, ihn zu fragen: Was nun in diesem Falle seine Obliegenheit wäre? – »Beim Schenktische mit geladenem Gewehr zu stehen,« sagte Ludwig, »und wenn es Verrat gibt, den Verräter sogleich niederzuschießen.« – »Verrat! Sire, und in diesem wohlbewachten Schlosse!« rief Durward aus. – »Du hältst das für unmöglich,« sagte der König, nicht beleidigt, wie es schien, durch diese Freimütigkeit. »Aber unsere Geschichte hat gelehrt, daß Verrat sich durch ein Bohrloch einschleicht. – Verrat durch Wachen ausgeschlossen! – o einfältiger Junge! – quis custodiat ipsos custodes? [wer bewacht die Wächter selbst?] wer bürgt mir dafür, daß nicht eben diese Wächter an mir zu Verrätern werden?« – »Ihre schottische Ehre,« sagte Durward kecklich. – »Wahr, sehr wahr – Du gefällst mir,« sagte der König freundlich; »die schottische Ehre hat sich zu jeder Zeit bewährt, und ich baue auf sie. Aber Verrat!« Hier verfiel er wieder in seine vorige düstere Stimmung und ging im Zimmer mit ungleichen Schritten auf und ab; – »er sitzt bei unsern Festen, perlt in unserem Becher, trägt den Bart unserer Räte, lacht in der Miene des Höflings, schallt in dem wilden Gelächter des Hofnarren – vor allem aber liegt er hinter der freundlichen Miene eines versöhnten Feindes verborgen. Ludwig von Orleans traute Johann von Burgund – er ward in der Straße Barbette ermordet. Johann von Burgund traute der Orleansschen Partei – und wurde auf der Brücke von Montereau ermordet. Ich traue niemandem – niemandem. Höre! ich werde ein scharfes Auge auf diesen übermütigen Grafen haben; ja – auch auf den geistlichen Herrn, dem ich ebenfalls nicht allzusehr traue. Wenn ich sage, Ecosse, enavant [Schotte, vorwärts], so schießt Du den Grafen Crevecoeur nieder.« – »Es ist meine Pflicht,« sagte Ouentin, »wenn Ew. Majestät Leben in Gefahr ist.« »Gewiß – nicht anders mein' ich's auch,« sagte der König. »Was hätt ich wohl davon, wenn ich diesen ungeschlachten Soldaten aus der Welt schaffte? – Ja, wäre es der Großkonnetable aus Saint-Paul!« Hier machte er wieder eine Pause, gleich als ob er glaubte, ein Wort zu viel gesagt zu haben, fuhr aber dann lächelnd fort – »unser Schwager von Schottland, Euer Jakob, Quentin – der erdolchte den Douglas bei einem gastfreundlichen Besuche auf seinem eigenen Schlosse Skirling.« »Stirling,« entgegnete Quentin, »wenn Ew. Majestät zu Gnaden halten; es war eine Tat, von der wenig Gutes kam.« »Stirling nennt Ihr das Schloß?« fügte der König, indem er die letzten Worte Quentins überhört zu haben schien. – »Gut, also Stirling – der Name tut nichts zur Sache. Ich aber will diesen Männern nichts zuleide tun. – Es würde mir zu nichts dienen. Sie sind freilich nicht gut gegen mich gesinnt. – Ich verlasse mich auf Deine Waffe.« »Ich werde bereit sein auf das Losungszeichen,« sagte Quentin, »aber –« »Du hast noch etwas auf dem Herzen,« fragte der König. »Sprich es aus – ich gebe Dir volle Erlaubnis. Leute, wie Du, geben oft Winke, die sich wohl der Rede verlohnen.« »Ich wollte mir nur die Freiheit nehmen, zu bemerken,« versetzte Quentin, »daß, da Ew. Majestät Gründe hat, diesem Burgunder nicht zu trauen, ich mich wundere, wie Ihr ihn Euch so nahe kommen laßt, und noch dazu in so kleiner Gesellschaft.« »Laßt das gut sein, Herr Knappe,« sagte der König. »Es gibt Gefahren, die, wenn man ihnen trotzt, verschwinden, wenn man aber Furcht vor ihnen zeigt, gewiß und unvermeidlich werden. Gehe ich dreist auf einen knurrenden Bullenbeißer zu und liebkose ihn, so wett ich zehn gegen eins, daß ich ihn in gute Laune bringe; zeige ich Furcht vor ihm, gleich ist er mir auf dem Leibe und reißt mich in Stücke. Ich will frei mit Dir sprechen. – Es liegt mir alles daran, daß dieser Mann nicht in gereizter Stimmung zu seinem hitzköpfigen Herrn zurückkehrt; und deswegen setze ich mich einiger Gefahr aus. Nie hab ich mich bedacht, für meines Reiches Wohl mein Leben aufs Spiel zu setzen. – Folge mir!« Ludwig führte seinen jungen Trabanten, für den er eine besondere Vorliebe gefaßt zu haben schien, durch die Seitentür, durch die er selbst eingetreten war, und sagte, auf sie hindeutend: »Wer am Hofe fortkommen will, muß alle geheimen Pförtchen und verborgenen Treppen, ja alle Fußschlingen und Fallgruben des Palastes sowohl, als die Haupteingänge, Flügeltüren und Portale kennen.« Nach vielen Wendungen und Gängen trat der König in ein kleines, gewölbtes Gemach ein, wo eine Tafel mit drei Gedecken zum Mittagessen in Bereitschaft stand. Der ganze Hausrat, sowie die ganze Einrichtung des Gemaches war äußerst einfach, ja beinahe dürftig. Auf einem beweglichen Schenktische mit einem Aufsatze zum Zusammenlegen standen einige wenige Gefäße aus Gold und Silber – die einzigen Stücke, in dem Zimmer, die einigermaßen wenigstens das Ansehen von etwas Königlichem hatten. Hinter diesem Schenktische nun, und ganz von ihm verdeckt, war der Posten, den Ludwig Quentin anwies; und nachdem er sich von verschiedenen Seiten her überzeugt hatte, daß er dort durchaus nicht gesehen werden konnte, gab er ihm noch schließlich seine Verhaltungsbefehle. – »Gedenke der Worte: Ecosse, en avant! Sobald ich diese Worte ausspreche, wirfst Du den Schirm um, kehrst Dich nicht an Becher oder Schalen, und zielst gut auf Crevecoeur. – Versagt Dir Dein Gewehr, so wirfst Du Dich auf ihn und bedienst Dich Deines Messers – Oliver und ich wollen dann schon mit dem Kardinal fertig werden.« Als er so gesprochen, pfiff er laut, und Oliver, der sowohl erster Kammerdiener als Barbier war und alle persönlichen Dienstleistungen bei dem Könige versah, trat in Begleitung zweier alter Männer, der einzigen Diener oder Aufwärter bei der königlichen Tafel, in das Zimmer ein. Sobald der König seinen Platz eingenommen hatte, wurden die Gäste eingelassen; und Quentin, obgleich selbst ungesehen, konnte alle Einzelheiten dessen, was unter ihnen vorging, genau beobachten. Der König hieß seine Gäste mit einer Herzlichkeit willkommen, die Quentin sehr schwer vereinigen konnte mit den Befehlen, die er soeben noch bekommen hatte, sowie mit der Absicht, um deren willen er hinter dem Schenktische mit seiner tödlichen Waffe in Bereitschaft stand. Der König schien nicht allein ganz frei von aller Besorgnis zu sein, sondern man hätte auch glauben sollen, daß die Gäste, denen er die hohe Ehre erwies, sie an seine Tafel zu ziehen, gerade diejenigen wären, denen er aufs rücksichtsloseste vertrauen könnte, und die er am liebsten ehrte. Nichts konnte würdiger und zugleich verbindlicher sein, als sein Betragen gegen sie. Während alles um ihn her, selbst seine eigene Kleidung, weit unter dem stand, was der unbedeutendste Fürst seines Reichs bei Festlichkeiten zur Schau trug, waren seine Sprache und sein Benehmen die eines mächtigen Herrschers in seiner herablassendsten Stimmung. Quentin war versucht, zu glauben, daß entweder die ganze vorhergegangene Unterhaltung mit Ludwig ein Traum gewesen sei, oder daß das ehrerbietige Benehmen des Kardinals, sowie die freie, offene, ritterliche Haltung des burgundischen Edelmannes des Königs Verdacht gänzlich entfernt habe. Während indessen die Gäste auf das Ersuchen des Königs an der Tafel Platz nahmen, warf Se. Majestät einen durchdringenden Blick auf beide und richtete ihn dann sogleich auf Quentins Posten. Alles dies war ein Werk eines Augenblicks; allein in diesem Blicke lag soviel Zweifel und Haß gegen seine Gäste, und ein so bestimmter Befehl an Quentin, auf alles wachsam und stets zur Vollstreckung seines Willens bereit zu sein, daß ihm kein Zweifel mehr übrig blieb, die Gesinnungen des Königs seien noch die nämlichen, und seine Besorgnisse ungemindert. Er war deshalb mehr denn je darüber erstaunt, wie dieser Fürst die Anregungen seines Argwohns und Mißvertrauens in einen so dichten Schleier verhüllen konnte. Gleich als hätte er völlig vergessen, welche Sprache Crevecoeur gegen ihn angesichts Ludwigs und des ganzen Hofes geführt hatte, unterhielt sich der König mit ihm über die alten Zeiten und die Vorfälle, die sich während seiner Verbannung auf dem burgundischen Gebiete begeben hatten, und erkundigte sich nach allen Edelleuten, mit denen er damals Umgang gepflogen hatte, als ob jene Zeit die glücklichste seines Lebens gewesen wäre, und als ob er gegen alle, die dazu beigetragen, ihm das Harte seiner Verbannung zu mildern, die wohlwollendsten und dankbarsten Gefühle hegte. »Den Gesandten einer andern Nation würde ich mit mehr Prunk empfangen haben; aber einem alten Freunde, der auf dem Schlosse Gemappes mein Tischgenosse war, wünschte ich mich zu zeigen, wie ich es am liebsten habe, als den alten Ludwig von Valois, schlicht und einfach. Indessen habe ich doch befohlen, ein besseres Mahl für Euch, Herr Graf, zu bereiten. Was den Wein betrifft, so wißt Ihr wohl, daß er der Gegenstand alter Eifersucht zwischen Frankreich und Burgund ist, aber wir wollen's heute ausgleichen! – ich trinke Euch in Burgunder zu, und Ihr, Herr Graf, tut mir in Champagner Bescheid. – Hier, Oliver, reicht mir einen Becher Auxerre! Herr Graf, ich trinke auf das Wohl des edlen Herzogs von Burgund, unsers freundlichen und geliebten Vetters. – Oliver, fülle jenen goldenen Becher mit Goldperle und reiche ihn kniend dem Grafen – er vertritt unsern lieben Bruder. – Herr Kardinal, Euch füllen wir den Becher selbst.« »Ihr habt es ja schon getan, bis zum Ueberfließen,« sprach der Kardinal mit der demütigen Miene eines Günstlings gegen seinen nachsichtigen Gebieter. »Wir wissen aber auch, daß Ew. Eminenz ihn mit fester Hand führen kann,« sagte Ludwig. »Auf welche Seite schlagt Ihr Euch denn in diesem edlen Streit – Sillery oder Auxerre, Frankreich oder Burgund?« »Ich will da neutral bleiben, Sire,« sprach der Kardinal, »und meinen Becher mit Auvergner füllen.« »Der Neutrale hat immer einen schweren Stand,« versetzte der König; allein als er bemerkte, daß der Kardinal sich etwas entfärbte, ging er von dem Gegenstande ab und fügte hinzu: »Ihr zieht vielleicht den Auvergner vor, weil er so edel ist, daß er kein Wasser verträgt. – Aber Ihr, Herr Graf, zögert, Euern Becher zu füllen. Ich hoffe, Ihr habt keine Nationalbitterkeit auf dem Boden gefunden?« »Ich wünschte, Sire,« entgegnete Graf Crevecoeur, »es könnten alle Nationalstreitigkeiten so freundlich abgemacht werden, wie der Wettstreit zwischen unsern Weinbergen.« »Mit der Zeit, Herr Graf – mit der Zeit – soviel Zeit, als Ihr Euch genommen habt, diesen Champagnertrunk zu tun. Jetzt aber, da dies geschehen ist, tut mir den Gefallen, den Becher zu Euch zu stecken und ihn als Zeichen unserer Wertschätzung anzunehmen. Nicht jedem würden wir ihn überlassen haben. Er gehörte vor Zeiten dem Schrecken Frankreichs, Heinrich V. von England, und ward erbeutet, als Rouen wieder genommen ward und die Insulaner durch die vereinten Waffen von Frankreich und Burgund aus der Normandie vertrieben wurden. Er kann in keine besseren Hände kommen, als in die eines edlen, tapferen Burgunders, der wohl weiß, daß von der Vereinigung dieser beiden Nationen die Fortdauer der Unabhängigkeit des Festlandes vom englischen Joche abhängt.« Der Graf gab eine passende Antwort, und Ludwig überließ sich nun ganz seiner satirischen Lustigkeit, die manchmal die dunkleren Seiten seines Charakters erhellte. Er gab natürlicherweise in der Unterhaltung den Ton an; seine Bemerkungen waren immer fein und beißend, oft wirklich witzig, aber selten gutmütig, und die Schwänke, mit denen er sie erläuterte, zeugten oft mehr von guter Laune, als von Zartgefühl, aber mit keinem Worte, keiner Silbe, keinem Zuge verriet er den Gemütszustand eines Mannes, der, Meuchelmord befürchtend, einen bewaffneten Soldaten mit geladenem Gewehr im Zimmer versteckt hält, um die Tat entweder zu verhindern oder ihr zuvorzukommen. Graf Crevecoeur ging ganz unbefangen in des Königs muntre Laune ein, während der geschmeidige, glattzüngige Priester jeden Scherz belachte und jede schlüpfrige Anspielung aufgriff, um sie noch weiter auszumalen, ohne irgend eine Scham über Ausdrücke an den Tag zu legen, welche dem jungen, unerfahrenen Schotten sogar in seinem Schlupfwinkel die Schamröte ins Gesicht trieben. Nach ungefähr anderthalb Stunden ward die Tafel aufgehoben, und nachdem der König seine Gäste höflich verabschiedet hatte, gab er das Zeichen, daß er allein zu sein wünsche. Sobald sich alle, auch Oliver, zurückgezogen hatten, rief er Quentin aus seinem Verstecke hervor, allein mit so schwacher Stimme, daß der Jüngling kaum glauben konnte, daß es die nämliche sei, die soeben noch den Scherzen solche Frische, den Erzählungen soviel Würze verliehen hatte. Als er näher trat, bemerkte er auch in seinem Gesichte die gleiche Veränderung. Das Feuer erkünstelter Lebhaftigkeit war in seinen Augen erloschen, das Lächeln von seinen Lippen verschwunden, und er verriet ganz die Ermattung eines berühmten Schauspielers, wenn er die erschöpfende Darstellung einer Lieblingsrolle vollendet hat. »Deine Wache ist noch nicht vorüber,« sagte er zu Quentin, »nimm indessen einige Erfrischungen zu Dir – jener Wandtisch dort beut Dir die Mittel dazu. – Ich werde Dich dann weiter unterrichten, was Du zu tun hast. – Einem hungrigen Magen ist nicht gut predigen.« Damit warf er sich in seinen Sessel zurück, bedeckte seine Augen mit der Hand und schwieg. Elftes Kapitel Mit einer Geduld, welche die meisten andern Fürsten unter ihrer Würde gehalten hätten, und nicht ohne im stillen sich daran zu weiden, erwartete Frankreichs Monarch, bis sein Leibgardist seine starke jugendliche Eßlust befriedigt hatte. Man darf jedoch voraussehen, daß Quentin Verstand und Einsicht genug besaß, die königliche Geduld auf keine zu lange und ermüdende Probe zu stellen; er wollte auch wirklich zu mehreren Malen seine Mahlzeit beschließen, ehe Ludwig es ihm gestattete. »Ich lese in Deinen Augen,« sagte er, »daß Dein Mut noch nicht zur Hälfte gebrochen ist. Vorwärts – bei Gott und dem heiligen Denis! – noch einmal angegriffen! Ich sage Dir, Essen und Messe« (hier bekreuzte er sich) »sind noch nie einem guten Christen bei seinem Berufe hinderlich gewesen. Vergiß auch das Trinken nicht, aber sei vorsichtig mit der Weinflasche – das ist ein Fehler Deiner Landsleute und der Engländer, die, diese Schwachheit abgerechnet, die besten Soldaten sind, die je eine Rüstung trugen. Und nun wasche Dich schnell – vergiß nicht Dein Benedicite, und folge mir.« Quentin gehorchte und folgte dem Könige durch verschiedene labyrinthartige Gänge in die Rolandshalle. »Merke Dir's,« sprach der König in einem gebieterischen Tone, »Du hast diesen Posten nicht zu verlassen! Laß dies Deine Antwort an Deinen Oheim und Deine Kameraden sein, – und um Dir dies recht ins Gedächtnis zu prägen, gebe ich Dir diese goldene Kette« (er warf ihm eine solche von bedeutendem Werte über den Arm). »Wenn ich mich auch selbst nicht schmücke, so haben doch die, denen ich vertraue, die Mittel, es mit den Besten aufzunehmen. Sollten aber dergleichen Ketten eine schwatzhafte Zunge zu fesseln imstande sein, so hat mein Gevatter Tristan ein Amulett für die Kehle, ein Heilmittel, das seine Wirkung nie verfehlt. Nun höre weiter! – Kein Mann, außer Oliver oder mir selbst, betritt diesen Abend dies Gemach; aber Damen werden entweder von dem einen oder dem andern Ende der Galerie, vielleicht von beiden, hierherkommen. Wenn sie Dich anreden, kannst Du antworten; da Du aber Dienst hast, so müssen Deine Antworten kurz sein; Du selbst darfst sie nichts fragen, noch Dich in ein längeres Gespräch mit ihnen einlassen. Aber horche auf das, was sie sagen. Deine Ohren, sowie Deine Arme gehören mir jetzt an, – ich habe Dich mit Leib und Seele erkauft. Hörst Du etwas von einem Gespräch, so mußt Du es im Gedächtnis behalten, bis es mir mitgeteilt worden, und dann vergessen. Doch jetzt fällt mir etwas Besseres ein! Es wird am klügsten sein, Du stehst für einen schottischen Rekruten, der gerade vom Gebirge kommt, und unsere allerchristliche Sprache noch nicht versteht. – Recht so! wenn sie Dich dann anreden, so antwortest Du nicht; das überhebt Dich so aller Verlegenheit und veranlaßt sie, ohne Rücksicht auf Deine Gegenwart, sich miteinander zu unterhalten. Du verstehst mich, leb wohl. Sei klug, und Du hast einen Freund.« Der König hatte kaum ausgesprochen, als er hinter den Tapeten verschwunden war, Quentin seinen Gedanken über das Geschehene und Gehörte überlassend. Der Jüngling war in einer von jener Lagen, in welcher man lieber vorwärts als rückwärts schaut; denn der Gedanke, daß er gleich einem Schützen, der im Dickicht dem Hirsch auflauert, aufgestellt gewesen war, um im Notfall dem Grafen Crevecoeur das Leben zu nehmen, hatte eben nicht viel Ehrenvolles in seinen Augen. Des Königs Maßregel war allerdings nur zur Vorsicht und Verteidigung genommen, aber wer stand ihm dafür, daß er nicht im nächsten Augenblick Befehl erhielt, sich über einen seiner Mitmenschen herzumachen? Er kehrte jedoch seine Gedanken von diesem Gegenstande mit dem weisen Troste ab, zu dem so oft die Jugend bei drohenden Gefahren ihre Zuflucht nimmt, daß es noch Zeit sei, zu bedenken, was zu tun wäre, wenn der Fall wirklich einträte, und daß da jeder Tag seine eigne Plage habe. Quentin überließ sich dieser beruhigenden Betrachtung um so lieber, als ihn die letzten Befehle des Königs an etwas Angenehmeres als seine eigene Lage denken ließ. Die Dame mit der Laute war sicherlich eine von denen, welchen seine Aufmerksamkeit gewidmet sein sollte; und er nahm sich im Geiste vor, dem einen Teile des königlichen Befehls aufs genaueste nachzukommen, auf jedes Wort nämlich, das über ihre Lippen käme, zu lauschen, damit er sich überzeugen könne, ob der Zauber ihrer Unterhaltung dem ihrer Musik gleich käme. Allein ebenso aufrichtig gelobte er sich auch, daß kein Teil ihrer Rede dem Monarchen hinterbracht werden sollte. Indessen war nicht mehr zu besorgen, daß er auf seinem Posten einschlummern würde. Jede Zugluft, die durch das offene Gitterfenster strich und die alte Tapete bewegte, klang ihm wie die Annäherung des schönen Gegenstandes seiner Erwartung. Kurz, er fühlte all die geheimnisvolle Unruhe, die sehnsuchtsvolle Ungeduld, die stets die Begleiterin der Liebe ist und zuweilen großen Anteil an ihrem Entstehen hat. Endlich knarrte und pfiff eine Tür (denn damals drehten sich selbst in den Palästen die Türen nicht so geräuschlos, wie heutzutage), aber leider nicht von der Seite, von welcher die Laute gehört worden war. Sie öffnete sich und herein trat eine weibliche Gestalt, begleitet von zwei andern, welchen sie ein Zeichen gab, zurückzubleiben, während sie selbst weiter vor in die Halle trat. An dem wankenden, ungleichen Gang, durch den sie sich nicht zum besten ausnahm, als sie durch die lange Galerie hinschritt, erkannte Quentin sogleich die Prinzessin Johanna, und mit der ihrem Stande ziemenden Ehrfurcht stellte er sich in Positur und senkte, salutierend, sein Gewehr. Sie dankte für diese Höflichkeit durch ein huldvolles Kopfnicken, und er bekam Gelegenheit, ihr Gesicht genauer zu betrachten, als er es diesen Morgen vermocht hatte. Es lag wenig in den Zügen dieser unglücklichen Prinzessin, das für die Mängel in Gestalt und Gang hätte entschädigen können. Ihr Gesicht war an und für sich nicht unangenehm, ermangelte aber eigentlicher Schönheit, und ein sanfter Ausdruck leidender Hingebung lag in den großen, blauen Augen, die sie gewöhnlich auf den Boden heftete. Allein außerdem hatte sie eine äußerst blasse Gesichtsfarbe, ihre Haut war von kränklichem Gelb; und obgleich ihre Zähne weiß und regelmäßig waren, so waren ihre Lippen schmal und blaß. Die Prinzessin hatte eine Fülle blonden Haars, aber von so lichter Farbe, daß es beinahe ins Bläuliche spielte; und ihre Kammerfrau, die die reichen Flechten wahrscheinlich als eine Schönheit betrachtete, hatte die Sache eben nicht dadurch besser gemacht, daß sie dieselben rund um ihr blasses Gesicht in Locken ordnete, so daß sie ihm einen beinahe geisterhaften Ausdruck gaben, Um das Ganze noch schlimmer zu machen, hatte sie ein blaßgrünes, seidenes Kleid gewählt, wodurch sie im ganzen ein unheimliches und gespensterhaftes Ansehen erhielt. Während Quentin diese sonderbare Erscheinung mit Augen verfolgte, in denen eine Mischung von Neugier und Mitleid lag, denn jeder Blick und jede Bewegung der Prinzessin schien letztere Empfindung hervorzurufen, traten von dem obern Ende des Gemaches zwei Damen ein. Die eine von diesen war die junge Dame, die ihn auf Ludwigs Geheiß mit Früchten bedient hatte, als Quentin sein merkwürdiges Frühstück im Gasthof »zur Lilie« einnahm. Angetan mit all der geheimnisvollen Würde, die der Nymphe vom Schleier und von der Laute gebührte, und überdies, wenigstens Quentins Ueberzeugung nach, nunmehrige hochgeborene Erbin einer reichen Grafschaft, machte sie durch ihre Schönheit einen zehnmal tieferen Eindruck auf ihn denn damals, als er in ihr noch die Tochter eines elenden Dorfwirts und die Aufwärterin eines reichen und launenvollen Bürgers erblickte. Er wunderte sich nun, durch welch einen Zauber ihm ihr wahrer Stand habe verborgen bleiben können. Ihr Anzug war beinahe so einfach, wie früher, und bestand in einem Kleide tiefer Trauer ohne allen weiteren Schmuck. Als Kopfputz diente ihr bloß ein Kreppschleier, ganz nach hinten zurückgeschlagen, so daß man ihr Gesicht vollständig sehen konnte, und einzig die Kenntnis ihres eigentlichen Ranges war es, die Quentin in ihrer Gestalt neue Zierlichkeit, in ihrem Gange eine vorher unbeachtete Würde erblicken ließ, sowie er in der Regelmäßigkeit ihrer Züge, ihrer blendenden Gesichtsfarbe, in ihren bezaubernden Augen ein Bewußtsein eignen Adels fand, das ihre Schönheit noch zu erhöhen schien. Und hätte Todesstrafe darauf gestanden, so hätte Durward dieser Schönheit und ihrer Begleiterin dieselbe Ehrenbezeugung erweisen müssen, die er der königlichen Prinzessin dargebracht hatte. Sie nahmen sie mit einer Miene an, als wären sie an die Unterwürfigkeit geringerer Leute gewöhnt, und erwiderten sie mit Artigkeit; allein er glaubte zu bemerken, – vielleicht nur mit den Augen verliebter Jugend – daß die Dame leicht errötete, die Augen zu Boden schlug und unmerklich verlegen ward, als sie seine kriegerische Begrüßung erwiderte. Dies konnte nur darin seinen Grund haben, daß sie sich des vermessenen Fremdlings in dem benachbarten Türmchen in dem Gasthofe »zur Lilie« erinnerte; aber drückte diese Verlegenheit nicht Mißfallen aus? Diese Frage vermochte er sich nicht zu beantworten. Die Begleiterin der jungen Gräfin, ebenso einfach und gleich dieser in tiefe Trauer gekleidet, stand in dem Alter, in welchem die Frauen noch am meisten den Ruf einer Schönheit zu erhalten suchen, mit der es schon seit Jahren auf die Neige geht. Indessen waren immer noch Reste genug vorhanden, um zu zeigen, wie groß die Macht ihrer Reize einst gewesen sein mußte, und deutlich sah man aus der Art ihres Benehmens, daß sie, früherer Triumphe sich erinnernd, immer noch ihre Ansprüche auf künftige Eroberungen geltend zu machen suchte. Sie war schlank und anmutsvoll, obgleich etwas stolz in ihrem Benehmen, und erwiderte Quentins Gruß mit einem Lächeln gnädiger Herablassung, wobei sie im nächsten Momente ihrer Nachbarin etwas ins Ohr flüsterte. Darauf wandte diese sich gegen den Krieger, als ob es auf eine Weisung der älteren Dame geschähe, jedoch ihr antwortete, ohne ihre Augen aufzuschlagen. Quentin konnte nicht umhin, zu vermuten, daß diese der jungen Dame zugeflüsterte Bemerkung sich auf sein gutes Aeußere bezöge; und er war (ich weiß nicht, warum) entzückt bei dem Gedanken, daß die fragliche Partei nicht für nötig fand, ihn nochmals anzuschauen, um sich von der Wahrheit der gemachten Bemerkung zu überzeugen. Wahrscheinlich dachte er, daß sich zwischen ihnen bereits eine Art geheimnisvollen Wechselgefühls, das der unbedeutendsten Kleinigkeit Gewicht verlieh, auszubilden beginne. Diese Bemerkung war indessen das Werk eines Augenblicks; denn seine Aufmerksamkeit wurde sogleich von dem Zusammentreffen der Prinzessin mit diesen fremden Damen in Anspruch genommen. Sie war bei ihrem Eintreten stehen geblieben, um sie zu empfangen, vielleicht weil sie wußte, daß ihre Haltung im Gehen ihr nicht vorteilhaft anstehe. Da sie etwas Verlegenheit zeigte in der Art, wie sie den Gruß der Damen empfing und erwiderte, so veranlaßte dies die ältere Fremde, die den Rang derjenigen, an die sie sich wandte, nicht kannte, sie so zu begrüßen, als ob sie durch diese Unterredung mehr Ehre erzeigte, als empfinge. »Es freut mich,« sprach sie mit einem Lächeln, das zugleich Herablassung und Ermutigung ausdrücken sollte, »daß es uns endlich vergönnt ist, die Gesellschaft einer so achtbaren Person, wie Ihr zu sein scheint, genießen zu dürfen. Ich muß sagen, daß meine Nichte und ich eben nicht viel Ursache haben, dem Könige Ludwig für seine Gastfreundschaft vielen Dank zu wissen. Ei, Nichte, so zupft mich nur nicht am Aermel! – Ich bin gewiß, – ich lese in den Augen dieser Dame Mitgefühl für unsere Lage. Seitdem wir hierher gekommen, schöne Dame, wurden wir um weniges besser, denn als Gefangene behandelt, und nach tausend Aufforderungen, unsere Sache und unsere Personen unter den Schutz Frankreichs zu stellen, hat uns der allerchristliche König eine elende Dorfschenke zu unserem Aufenthalt, und nun einen Winkel seines verwitterten Palastes angewiesen, aus dem wir erst gegen Sonnenuntergang hervorkriechen dürfen, als ob wir Fledermäuse oder Eulen wären, deren Erscheinung beim Tageslicht für eine üble Vorbedeutung gehalten wird.« – »Es tut mir leid,« sprach die Prinzessin, verlegen ob der unangenehmen Lage, in welche die Unterhaltung sie versetzte, »daß wir bisher nicht imstande waren, Euch nach Würden aufzunehmen. – Eure Nichte ist, wie mir scheint, etwas mehr zufriedengestellt.« – »Mehr, – mehr, als ich auszudrücken vermag,« antwortete die junge Gräfin. »Ich suchte bloß Schutz und habe Einsamkeit und Zurückgezogenheit zumal gefunden. Die Abgeschiedenheit unseres früheren und die noch größere Einsamkeit des uns jetzt angewiesenen Aufenthalts erhöhen in meinen Augen noch die Gnade, die der König uns Unglücklichen angedeihen ließ.« – »Schweig, einfältiges Mühmchen,« entgegnete die ältere Dame, »und laß uns sprechen, wie wir's fühlen, da wir endlich mit einer Person unsers Geschlechts allein sind. – Ich sage allein, denn der schöne, junge Soldat ist ja eine bloße Bildsäule, da ihm der Gebrauch seiner Glieder, und wie man mir auch sagte, auch der seiner Zunge, wenigstens in einer gebildeten Sprache zu fehlen scheint. – Da uns also niemand, als diese Dame zu verstehen vermag, so gestehe ich offen, daß ich nichts so sehr bedaure, als hierher nach Frankreich gereist zu sein. Ich erwartete einen so glänzenden Empfang, Tourniere, Ringelrennen, Bankette und Festlichkeiten, und fand statt dessen lediglich Abgeschiedenheit und Verborgenheit; und die beste Gesellschaft, die der König bei uns einführte, war bis jetzt noch ein herumstreichender Zigeuner, durch den wir mit unseren Freunden in Flandern in Briefwechsel treten sollten. – Vielleicht,« fuhr die Dame fort, »ist es gar sein Plan, uns hier absterben zu lassen und beim Erlöschen des alten Hauses von Croye sich unserer Lande zu bemächtigen. Der Herzog von Burgund war nicht so grausam; er bot meiner Nichte einen Gemahl an, wenn's gleich ein schlechter war.« – »Ich dächte,« sprach die Prinzessin, die mit Mühe Gelegenheit fand, ein Wort dazwischen zu sprechen, »einem schlechten Ehegemahl müßte der Schleier immer vorzuziehen sein.« – »Man will wenigstens die Wahl haben, Madame,« versetzte die redselige Dame. »Der Himmel weiß es, ich spreche nur für meine Nichte; was mich betrifft, so habe ich es längst aufzugeben, mich mit dem Gedanken an die Möglichkeit der Veränderung meiner Lage zu befassen. Ich seh Euch lächeln, aber bei allem, was heilig ist, ich rede reine Wahrheit; – allein dies entschuldigt den König nicht, dessen Benehmen, wie sein Aufzug, mehr dem des alten Michaud, des Geldmaklers zu Gent, als dem Nachfolger Karls des Großen gleicht.« – »Still!« sprach die Prinzessin, »bedenkt, daß Ihr von meinem Vater sprecht!« – »Von Eurem Vater!« erwiderte die burgundische Dame erstaunt. – »Von meinem Vater,« wiederholte die Prinzessin mit Würde. »Ich bin Johanna von Frankreich. – Aber seid ohne Furcht, Madame,« fuhr sie in dem ihr eigenen milden Tone fort, »Ihr habt keine Beleidigung zur Absicht gehabt, und ich habe auch keine gefunden. Verfügt über meinen Einfluß, Euch und dieser liebenswürdigen jungen Dame Euer Exil erträglicher zu machen. Leider vermag ich nur wenig; allein, was ich vermag, steht Euch gerne zu Diensten.« Tief und demütig war die Verbeugung, womit die Gräfin Hameline von Croye – so hieß die ältere Dame – das verbindliche Anerbieten der Prinzessin annahm. Sie hatte lange an Höfen gelebt, war der Sitten, die man sich dort aneignet, völlig mächtig und hielt die von den Hofleuten aller Zeiten befolgte Regel hoch, die, wenn sie auch die Fehler und Schwächen ihrer Gebieter, sowie etwa erlittene Beleidigungen und Hintansetzungen zum Gegenstand ihrer Privatunterhaltung machen, doch in Gegenwart des Fürsten oder seiner Familie niemals auch nur einen diesbezüglichen Wink fallen lassen würden. Die Dame war deshalb über den Mißgriff, in Gegenwart der Tochter Ludwigs so unziemlich gesprochen zu haben, äußerst beschämt. Sie hätte es an Entschuldigungen und Abbitten sicher nicht fehlen lassen, hätte die Prinzessin ihr nicht Stillschweigen auferlegt und sie beruhigt, indem sie sie in dem freundlichsten Tone, der aber in dem Munde einer Tochter von Frankreich das volle Gewicht eines Befehls hatte, bat, nichts Weiteres mehr zur Entschuldigung oder Rechtfertigung vorzubringen. Die Prinzessin Johanna nahm sich dann mit einer Würde, die ihr wohl anstand, einen Sessel und nötigte die beiden Damen, sich zu ihren Seiten zu setzen, was denn auch die jüngere mit ungekünstelter, achtungsvoller Schüchternheit, die ältere aber mit großem Aufgebot von tiefer Ehrfurcht und Demut tat. Sie sprachen zusammen, aber in so leisem Tone, daß die Schildwache nichts von ihrem Gespräche verstehen konnte. Die Unterredung hatte noch keine Viertelstunde gedauert, als am andern Ende der Halle die Tür sich öffnete und ein Mann, in einen Reitermantel gehüllt, eintrat. Eingedenk der Befehle des Königs, und entschlossen, sich nicht zum zweiten Male lässig finden zu lassen, schritt Quentin sogleich auf den Eintretenden zu, stellte sich zwischen ihn und die Damen und forderte ihn auf, sich sogleich wieder zu entfernen. »Auf wessen Befehl?« fragte der Fremde im Tone hochmütiger Verwunderung. – »Auf Befehl des Königs,« erwiderte Quentin mit Festigkeit, »ich stehe hier, ihn zu vollstrecken.« – »Nicht gegen Ludwig von Orleans,« sprach der Herzog, seinen Mantel abwerfend. Der junge Mann zögerte einen Augenblick, aber wie sollte er den Befehl gegen den ersten Prinzen von Geblüt, der dem allgemeinen Gerüchte zufolge im Begriff stand, mit des Königs Familie selbst in Verwandtschaft zu treten, geltend machen? »Ew. Hoheit Willen,« sprach er, »vermag ich nichts entgegen zu setzen. Ich hoffe, Ew. Hoheit wird es mir bezeugen, daß ich meine Schuldigkeit getan habe, soweit es Euer Wille mir erlaubt hat.« – »Laß es gut sein, junger Mann, es soll Dir nichts zur Last gelegt werden,« sagte Orleans und begrüßte, einen Schritt vortretend, die Prinzessin mit einem Ausdruck von Gezwungenheit, der jedesmal, so oft er sich an sie wandte, bei ihm bemerklich wurde. – »Er habe,« sagte er, »bei Dunois gespeist, und wie er da gehört, daß in der Rolandshalle Gesellschaft sei, habe er gewagt, die Zahl der Mitglieder durch seine Gegenwart um eins zu vermehren.« Die Röte, welche die bleichen Wangen der unglücklichen Johanna überzog und ihren Zügen für den Augenblick einen gewissen Reiz verlieh, zeugte davon, daß dieser Zuwachs der Gesellschaft ihr keineswegs gleichgiltig war. Sie stellte den Prinzen sogleich den beiden Gräfinnen von Croye vor, die ihn mit der seinem hohen Range gebührenden Ehrerbietung empfingen, und ersuchte ihn, auf einen Sessel deutend, an ihrer Unterhaltung teilzunehmen. Der Herzog lehnte das Anerbieten ab, in solcher Gesellschaft einen Sessel einzunehmen, zog dagegen ein Kissen von einem der Sessel, legte es zu den Füßen der schönen Gräfin von Croye und ließ sich auf dasselbe nieder. Anfangs schien es, als ob dieses Benehmen die ihm bestimmte Braut mehr freute als kränke. Sie munterte den Herzog in seinen Artigkeiten gegen die schöne Fremde auf und schien sie als eine ihr selbst erwiesene Gefälligkeit anzusehen. Aber der Herzog, obgleich gewohnt, dem strengen Joche seines Oheims, des Königs, sich in dessen Gegenwart zu fügen, hatte doch fürstlichen Sinn genug, um seinen Neigungen zu folgen, wenn dieser Zwang nicht vorhanden war, und da sein hoher Rang ihm ein Recht gab, sich über die gewöhnlichen Förmlichkeiten hinwegzusetzen und sogleich in einen vertrauteren Ton überzugehen, wurde sein Lob der Schönheit der Gräfin Isabelle am Ende so feurig und floß mit so rücksichtsloser Freiheit von den Lippen, vielleicht unter besonderem Einflusse des Weins, den er bei Dunois, der eben kein Feind des Bacchusdienstes war, in zu reichlichem Maße zu sich genommen hatte, daß er zuletzt ganz in Leidenschaft geriet und die Anwesenheit der Prinzessin so gut wie ganz vergessen hatte. Der Ton der Schmeichelei, den er sich erlaubte, gefiel indes nur einer einzigen Person in dem Kreise; denn die Gräfin Hameline sah schon im Geiste eine glänzende Verbindung des ersten Prinzen von Geblüt mit ihrer Nichte voraus, deren Geburt, Schönheit und große Besitzungen solch einen ehrgeizigen Plan keineswegs unmöglich machten, wenn die Pläne Ludwigs XI. hätten außer Berechnung bleiben dürfen. Die jüngere Gräfin hörte des Herzogs Schmeicheleien mit Aengstlichkeit und Verlegenheit an und warf dann und wann einen bittenden Blick auf die Prinzessin, als wollte sie dieselbe ersuchen, ihr zu Hilfe zu kommen. Allein die Empfindsamkeit und Schüchternheit Johannas von Frankreich ließen es zu keinem Versuch kommen, der Unterhaltung eine allgemeinere Richtung zu geben. Aber ich darf nicht vergessen, daß noch eine dritte Person, die unbeachtete Schildwache, zugegen war, die ihre schönen Träume wie Wachs an der Sonne schmelzen sah, als der Herzog in dem warmen Tone seiner leidenschaftlichen Aeußerungen ungestört fortfuhr. Endlich machte die Gräfin Isabelle von Croye einen entschlossenen Versuch, einem Gespräche, das ihr, und zwar besonders dadurch, daß das Benehmen des Herzogs die Prinzessin sichtbar kränkte, unerträglich wurde, ein Ende zu machen. Sie wandte sich an letztere und sagte bescheiden, aber mit einiger Festigkeit, daß die erste Gnade, welche sie von dem ihr versprochenen Schutz erbitten müßte, die sei, daß sie den Herzog von Orleans zu überzeugen suchen möchten, daß die Damen von Burgund, obgleich sie an Geist und gefälligen Sitten denen von Frankreich nachständen, doch nicht so ausgemachte Törinnen seien, um an keiner andern Unterhaltung, als an ausschweifenden Lobeserhebungen, Geschmack zu finden. »Es tut mir leid, Madame,« versetzte der Herzog, einer Antwort der Prinzessin zuvorkommend, »daß Ihr in einer und derselben Rede der Schönheit der Damen von Burgund und der Aufrichtigkeit der Ritter Frankreichs spottet. Wenn wir zu leidenschaftlich und auf übertriebene Art unsre Bewunderung an den Tag legen, so kommt dies daher, daß wir lieben, wie wir fechten, ohne kalter Berechnung Raum zu geben, und uns ebenso schnell der Schönheit ergeben, als wir den Tapfern bekämpfen.« »Die Schönheit unserer Landsmännin,« sagte die junge Gräfin mit einem schärferen Tone, als sie sich bisher gegen ihren erlauchten Verehrer erlaubt hatte, »ist nicht imstande, auf solche Triumphe Anspruch zu machen, so wenig, als die Tapferkeit der Burgunder sie einzuräumen fähig ist.« »Ich ehre Eure Vaterlandsliebe,« entgegnete der Herzog, »und will den letzten Teil Eures Satzes solange nicht bestreiten, bis ein burgundischer Ritter die Lanze einlegt, um ihn gegen mich zu verfechten. Was aber die Ungerechtigkeit betrifft, die Ihr gegen die Reize, die Euer Vaterland spendet, begeht, so appelliere ich von Euch an Euch selbst. – Schaut her,« fuhr er fort, auf einen großen Spiegel deutend (ein Geschenk der Republik Venedig, und zur damaligen Zeit von der höchsten Seltenheit und Kostbarkeit), »und sagt mir, wo ist das Herz, das den Reizen widerstände, die sich hier im Abbilde zeigen?« Die Prinzessin, unfähig, die Vernachlässigung ihres Geliebten länger zu ertragen, sank in ihren Sessel zurück mit einem Seufzer, der auf einmal den Herzog aus dem Lande der Schwärmerei zurückrief und die Gräfin Hameline veranlaßte, zu fragen, ob sich Ihre Hoheit nicht wohl befände. »Ein plötzlicher Kopfschmerz ergriff mich,« erwiderte die Prinzessin, indem sie zu lächeln versuchte, »doch wird es bald vorübergehen.« Ihre zunehmende Blässe indessen widersprach ihren Worten, und Gräfin Hameline rief um Hilfe, denn die Prinzessin war wirklich im Begriff, ohnmächtig zu werden. Der Herzog biß sich in die Lippen und verwünschte die Torheit, seine Zunge nicht im Zaume gehalten zu haben; dann eilte er, die Frauen der Prinzessin, die sich im Nebenzimmer befanden, herbeizurufen; und als sie mit den gewohnten Belebungsmitteln herzukamen, konnte er als Kavalier und Mann von Ehre nicht umhin, zu ihrer Unterstützung seinen Beistand anzubieten. Seine durch das Mitgefühl und die Vorwürfe, die er sich machte, beinahe zärtlich gewordene Stimme war das kräftigste Mittel, die Prinzessin wieder zu sich zu bringen; und gerade in dem Augenblicke, in welchem die Schwäche vorüber war, trat der König selbst in das Zimmer. Zwölftes Kapitel Als Ludwig in die Halle trat, zog er auf seine eigene, schon früher beschriebene Art die Brauen zusammen und warf unter dem buschigen, finstern Schatten derselben einen scharfen Blick rings in der Runde herum: so klein, so feurig und durchdringend, wie die einer Natter, wenn sie aufgeschreckt durch das Buschwerk blickt, in dem sie zusammengerollt liegt. »Ihr hier, mein schöner Vetter?« fragte er, sich zuerst an den Herzog wendend und setzte, an Quentin sich wendend, in finsterm Tone hinzu: »Was hatt' ich Dir befohlen?« – »Vergebt dem jungen Mann, Sire,« sagte der Herzog, »er tat, was seines Dienstes war, aber man sagte mir, die Prinzessin sei in dieser Galerie.« »Und ich wette, Ihr wolltet Euch nicht abweisen lassen, ihr den Hof zu machen,« sagte der König, der in seiner abscheulichen Heuchelei sich immer noch den Anschein geben wollte, als glaubte er, der Herzog teile die Leidenschaft, die seine unglückliche Tochter für ihn fühlte; »und dazu verführt Ihr mir die Wachen meiner Garde, junger Mann? Allein, was läßt sich nicht einem Liebhaber verzeihen, der einzig nur seiner Liebe lebt!« Der Herzog erhob das Haupt, als wollte er die in des Königs Bemerkung liegende Meinung berichtigen, aber die instinktmäßige Ehrerbietung oder vielmehr Furcht, unter der er aufgewachsen war, fesselte ihm die Zunge. »Und Johanna war unwohl?« fragte der König. »Gräme Dich darüber nicht, Ludwig; das geht vorüber; gib ihr den Arm und geleite sie auf ihr Zimmer, indes ich diese fremden Damen in das ihrige zurückführen werde.« Die Weisung wurde in einem Tone gegeben, der sie zum Befehl machte, und Orleans ging demnach mit der Prinzessin nach dem einen Ende der Galerie zu, während der König, seinen rechten Handschuh ausziehend, höflich die Gräfin Hameline und ihre Nichte in ihr Gemach auf die entgegengesetzte Seite geleitete. Er machte eine tiefe Verbeugung, als sie eintraten, blieb dann etwa eine Minute, nachdem sie verschwunden waren, an der Türschwelle stehen, verschloß langsam die Tür, durch die sie sich entfernt hatten, mit einem großen Schlüssel, zog denselben ab und steckte ihn in seinen Gürtel. Mit langsamen, nachdenklichen Schritten, die Augen zu Boden geschlagen, ging Ludwig auf Quentin zu, der, seinen Teil an des Königs Mißfallen erwartend, ihn mit nicht geringer Angst herannahen sah. – »Du hast Dich schwer vergangen,« sprach der König, die Augen aufschlagend und fest auf Quentin heftend, als er noch einige Schritte von ihm entfernt war, – »und verdienst den Tod. – Sprich kein Wort zu Deiner Verteidigung! – Was kümmerten Dich Herzoge oder Prinzessinnen? – Was überhaupt was anderes außer meinem Befehl?« – »Ew. Majestät halten zu Gnaden,« entgegnete der junge Soldat, »was konnt ich tun?« – »Was Du tun konntest, als man vor Deinem Posten mit Gewalt vorüberging?« fragte der König verächtlich. »Wozu hast Du das Gewehr auf der Schulter? Du hättest anlegen, und hätte sich der Rebell nicht im Augenblick zurückgezogen, ihn in dieser Halle über den Haufen schießen sollen! – Geh – begib Dich in jenes Zimmer! In dem ersten findest Du eine breite Treppe, die Dich in den inneren Hofraum bringt; dort findest Du Oliver Dain. Sende ihn zu mir – und dann begib Dich in Dein Quartier! – Wenn Dir Dein Leben lieb ist, laß Deiner Zunge nicht so freien Lauf, als heute Dein Arm säumig war.« Herzlich froh, so leichten Kaufs davonzukommen, obgleich innerlich empört über die kaltblütige Grausamkeit, die der König von ihm in der Erfüllung seiner Pflicht zu fordern schien, schlug Durward den von ihm bezeichneten Weg ein, eilte die Treppe hinab und machte Oliver, der in dem nahen Hofe wartete, mit dem königlichen Willen bekannt. Der verschmitzte Bartscher verbeugte sich, seufzte und lächelte, als er mit einer noch sanfteren Stimme als gewöhnlich dem jungen Manne guten Abend wünschte. Sie trennten sich; Quentin ging nach seinem Quartier, und Oliver, um dem König seine Aufwartung zu machen. Als der begünstigte Diener in die Rolandshalle eintrat, fand er den König in Gedanken vertieft auf dem Sessel sitzen, den seine Tochter vor ein paar Minuten verlassen hatte. Wohlbekannt mit der Gemütsart seines Herrn, schlich er mit geräuschlosem Schritte herbei, bis er die Gesichtslinie des Königs kreuzte, und diesen dadurch von seiner Anwesenheit in Kenntnis setzte. Hierauf zog er sich wieder bescheiden aus dem Gesichte des Monarchen zurück, bis er aufgefordert würde, zu sprechen oder zu hören. Des Königs erste Anrede war nicht sehr erfreulich: »Nun, Oliver, Deine schönen Pläne schmelzen ja wie der Schnee vor dem Südwinde! – Unsere liebe Frau von Embrun möge verhüten, daß sie nicht, gleich den Lawinen, von denen die Schweizer erzählen, über unsere Köpfe herabrollen.« – »Ich habe mit Bedauern vernommen, daß nicht alles so ist, wie es sein sollte, Sire,« antwortete Oliver. – »Nicht wie es sein sollte!« rief der König aus, indem er aufstand und hastig in dem Saale auf und nieder ging. »Alles steht schlecht, Mann – so schlecht, wie es nur irgend stehen kann; – das kommt von Deinem saubern, romantischen Rate, daß ich mich zum Beschützer bedrängter Weiber aufwerfen solle! Ich sage Dir, der Burgunder rüstet sich und steht auf dem Sprunge, ein Bündnis mit England zu schließen. Eduard, der zu Hause freie Hand hat, will mit seinen Tausenden durch das unglückliche Tor von Calais über uns herfallen. Ständen sie einzeln – ja, da würde ich sie mit Schmeicheleien abspeisen oder auch wohl im Kampfe mit ihnen fertig werden! – aber vereint, vereint – und dann die Unzufriedenheit des schändlichen Saint-Paul dazu! – Das ist alles Deine Schuld, Oliver, denn Du hast mir geraten, die Weiber aufzunehmen und mich jenes verwünschten Zigeuners zum Ueberbringer der Botschaften an ihre Vasallen zu bedienen.« – »Ihr kennt ja meine Gründe, Sire,« sprach Oliver. »Der Gräfin Besitzungen liegen zwischen den Grenzen von Burgund und Flandern, ihr Schloß ist beinahe unüberwindlich. Ihre Ansprüche auf die benachbarten Staaten sind von der Art, daß sie, wenn sie gehörig unterstützt werden, bei Burgund große Besorgnis erregen, wenn nur die Dame mit jemand vermählt wäre, der es redlich mit Frankreich meinte.« – »Wahr ist's, es ist ein lockender Köder,« versetzte der König; »und hätten wir ihr Hiersein verborgen halten können, es hätte sich leicht gegeben, daß eine solche Heirat für die reiche Erbin zustande gekommen wäre. – Aber der verdammte Zigeuner – wie konntest Du auch nur solch einen heidnischen Hund zu einem Auftrage empfehlen, bei dem Treue so nötig war?« – »Geruhe Ew. Majestät,« sprach Oliver, »sich zu erinnern, daß Ihr selbst es waret, der ihm viel, viel mehr vertraute, als ich riet. Einen Brief würde er treu genug an den Verwandten der Gräfin überbracht haben, um diesen zu vermögen, das Schloß solange zu halten, bis Hilfe käme; aber Ew. Majestät mußte auch seine prophetischen Gaben auf die Probe stellen; und so kam er denn in den Besitz von Geheimnissen, die sich des Verrats gar wohl verlohnten.« – »Ich schäme mich, ich schäme mich,« sagte Ludwig; »und doch, Oliver, man sagt ja, daß dieses heidnische Volk von den weisen Chaldäern abstamme, die in den Ebenen von Schiras die Geheimnisse der Zukunft in den Steinen lesen.« Oliver, der wohl wußte, wie sehr sein Gebieter bei all seinem Scharfsinn und seiner Klugheit geneigt war, sich von Wahrsagern, Sterndeutern, Zauberern, und wie die Leute alle heißen, hinters Licht führen zu lassen, überdies selbst einige Kenntnisse in diesen Künsten zu haben meinte, verfolgte diesen Punkt nicht weiter und bemerkte nur noch, daß der Zigeuner in seiner eigenen Sache ein schlechter Prophet gewesen sei, sonst würde er sich wohl gehütet haben, nach Tours zurückzukehren und solchergestalt dem wohlverdienten Galgen zu verfallen. »Es trifft sich oft,« versetzte Ludwig sehr ernst, »daß solche, die mit prophetischer Weisheit begabt sind, nicht die Macht haben, in Angelegenheiten, die sie selbst angehen, einen Blick in die Zukunft zu tun.« – »Mit Ew. Majestät Erlaubnis,« erwiderte der Vertraute; »das kommt mir gerade so vor, als ob jemand bei dem Schein des Lichts, das er hält, seine eigene Hand nicht sehen könnte, während er doch sonst alles sehen kann.« – »Er sieht sein eigen Gesicht nicht bei dem Lichte, das ihm der andern Lüge zeigt,« entgegnete Ludwig; »dies dürfte wohl ein treffendes Beispiel für unsern Fall sein. Doch dies gehört jetzt nicht zur Sache, – Der Zigeuner hat seinen Teil, und Friede sei mit ihm. – Aber diese Damen? Der Burgunder bedroht uns mit Krieg, weil wir sie beherbergt, und überdies droht ihre Anwesenheit auch, meine Pläne in meiner eigenen Familie zu vereiteln. Mein einfältiger Vetter Orleans hat dieses Dämchen gesehen, und ich prophezeie, daß ihr Anblick ihn in Hinsicht seiner Verbindung mit Johanna weit weniger fügsam macht,« – »Ew. Majestät,« antwortete der Ratgeber, »kann ja die Gräfinnen von Croye zurück nach Burgund senden und so mit dem Herzog Frieden machen. Viele zwar mögen im stillen dies für eine unrühmliche Tat erklären; allein wenn die Notwendigkeit dies Opfer heischt« – »Ja, wenn Vorteil das Opfer heischte, Oliver, so brächte ich es unbedenklich,« antwortete der König. »Ich bin ein alter, erfahrener Lachs, und schnappe nicht nach des Anglers Haken, weil er mit einer Feder, Ehre genannt, aufgestutzt ist. Aber schlimmer als Verlust der Ehre ist, daß wir, wenn wir diese Damen nach Burgund zurücksenden, alle Aussichten auf Vorteil aufgeben müssen, die uns doch eigentlich bewogen, ihnen einen Zufluchtsort bei uns zu gestatten. Es wäre sehr schade, wenn wir die Gelegenheit fahren lassen müßten, uns einen Freund, und für Burgund einen Feind so recht in das Herz seiner Staaten, und so nahe den unzufriedenen Städten Flanderns zu setzen. Oliver, ich kann die Vorteile nicht aufgeben, die unser Plan, das Mädchen mit einem Freunde unseres Hauses zu vermählen, uns von ferne zeigt.« – »Ew. Majestät,« sprach Oliver, nach augenblicklichem Nachsinnen, »könnte ja ihre Hand einem recht treuen Freunde geben, der alle Schuld auf sich nimmt und Euch im stillen dient, indessen Ihr ihn öffentlich verleugnet.« – »Und wo find' ich einen solchen Freund?« fragte Ludwig. »Gebe ich sie einem von unseren aufrührerischen, unzufriedenen Edelleuten, so heißt das ihn vollends unabhängig machen, und war es nicht seit Jahren das Streben meiner Politik, dies auf alle Weise zu verhindern? – Dunois – ja der, der allein! dem könnte ich wohl trauen, er würde für die Krone Frankreichs fechten, in welcher Lage er sich auch immer befände. Aber Ehre und Reichtümer – wie oft haben sie schon der Menschen Herz umgewandelt! Auch Dunois trau ich nicht.« »Ew. Majestät könnte noch andere finden,« sagte Oliver in einem Tone, der einschmeichelnder war als der, dessen er sich sonst bei seinen Unterhaltungen mit dem Könige, der ihm bedeutende Freiheit ließ, zu bedienen pflegte; »Leute, die ganz von Eurer Gnade und Gunst abhängen und ohne Euern gnädigen Blick ebensowenig leben können, als ohne Sonne oder Luft – Männer, die ihre Kraft mehr im Kopfe als im Arme haben – Männer, die –« »Männer, die Dir gleichen,« sagte König Ludwig. »Nein, Oliver, meiner Treu, der Pfeil war zu rasch abgeschossen. – Wie? weil ich Dich mit meinem Vertrauen beehre und Dich zum Lohn dann und wann meine Vasallen necken lasse, glaubst Du Dich dazu gemacht, der Gemahl dieses reizenden Geschöpfes und obendrein ein Graf vom höchsten Range zu werden? Du – Du, sag' ich, der niedrig Geborene, noch niedriger Erzogene, dessen Weisheit im höchsten Falle eine Art Verschmitztheit, und dessen Mut mehr denn zweifelhaft ist?« »Ew. Majestät zeihen mich hier einer Anmaßung, deren ich nie fähig gewesen bin,« entgegnete Oliver. »Es freut mich, dies zu vernehmen,« erwiderte der König; »in Wahrheit, ich traute Dir auch immer mehr gesunden Menschenverstand zu, als daß Du Dir so etwas träumen ließest. Allein Dein Ton hatte etwas so Sonderbares, als Du auf dieses Kapitel kamst. – Nun, es sei! zur Sache also. – Ich darf diese Schönheit keinem meiner Untertanen zukommen lassen. – Sie darf nicht nach Burgund zurück. – Ich wage es nicht, sie nach England oder Deutschland bringen zu lassen, wo sie leicht einem Manne zuteil werden würde, der sich lieber an Burgund, als an Frankreich anschlösse, der geeigneter wäre, mir meine ehrlichen Trotzköpfe in Gent und Lüttich einzuschüchtern, als ihnen jene heilsame Haltung zu geben, welche Karl den Kühnen zu zügeln vermag, ohne daß er sich zu weit aus seinem Gebiete zu entfernen braucht, und einen solchen Rückhalt an einem kriegerischen Grafen von Croye! – Oliver! – das Plänchen ist zu kostbar, als daß man es ohne Widerrede nur so geradezu aufgeben sollte. – Kann nicht Dein erfinderischer Kopf irgend eine Auskunft ersinnen?« Oliver schwieg ziemlich lange, endlich erwiderte er: »Wie wär's, wenn ein Ehebündnis zwischen Isabelle von Croye und dem jungen Adolph, Herzog von Geldern, zustande kommen könnte?« »Wie?« rief der König erstaunt, »sie aufopfern, ein solch liebenswürdiges Geschöpf einem elenden Wüterich opfern, der seinen eigenen Vater absetzte, einkerkerte und oft schon mit dem Tode bedrohte! Nein, Oliver, nein! das wäre zu unaussprechlich grausam, sogar für Dich und mich! Ueberdies ist er zu fern von uns, und wird verabscheut von dem Volke von Gent und Lüttich. Nein, nein – nichts von Adolph von Geldern. – Nenne mir einen andern.« »Meine Erfindungskraft ist erschöpft, Sire,« versetzte der Ratgeber; »ich kann mich auf niemand besinnen, der als Gemahl der Gräfin von Croye Ew. Majestät Absichten entspräche. Er muß gar zu verschiedene Eigenschaften in sich vereinigen, muß ein Freund Ew. Majestät, ein Feind Burgunds und klug genug sein, um sich mit den Gentern und Lüttichern gut zu stellen, zugleich aber auch hinlängliche Tapferkeit besitzen, um sein kleines Gebiet gegen die Macht Herzog Karls zu verteidigen. – Außerdem soll er, wie Ew. Majestät ausdrücklich verlangt, von hoher Geburt und obendrein von trefflichem, tugendhaftem Charakter sein.« »Nein, Oliver,« sagte der König, »auf den Charakter lege ich kein Gewicht – das heißt, nicht so sehr viel Gewicht; aber mich dünkt, Isabellens Bräutigam sollte nicht so öffentlich und allgemein verabscheut sein, wie Adolph von Geldern. – Zum Beispiel, um nur selbst einen anzuführen, – wäre nicht Wilhelm von der Mark der Mann dazu?« »Heilige Jungfrau!« sprach Oliver, »nun darf ich mich nicht mehr darüber beklagen, daß Ihr es auf einen zu strengen Tugendhelden abgesehen habt, wenn der wilde Eber der Ardennen Euch schon genügt. Wilhelm von der Mark! Ha! ha! ha! der ist der verrufenste Räuber und Mörder auf der weiten Grenze – vom Papste wegen tausend Verbrechen in den Kirchenbann getan.« »Wir wollen ihn lossprechen lassen, Freundchen, – die heilige Kirche ist gnadenreich.« »Beinahe vogelfrei,« fuhr Oliver fort, »und unter der Acht des Reiches, durch das Urteil des Reichskammergerichts zu Regensburg.« – »Wir lassen die Acht aufheben, Freund Oliver,« fuhr der König in demselben Tone fort, »das Reichskammergericht wird Vernunft annehmen.« »Und zugestanden, daß er von edler Geburt sei,« sagte Oliver, »so hat er doch die Sitten, die Züge und das Aeußere sowie das Herz eines flämischen Schlächters. – Sie wird ihn nicht zum Gemahl annehmen,« »Seine Art zu freien,« entgegnete Ludwig, »wenn ich mich anders recht auf ihn verstehe, wird ihr die Wahl wohl überflüssig machen.« – »Fürwahr, ich hatte fehl unrecht, wenn ich Ew. Majestät wegen so großer Bedenklichkeit tadelte,« versetzte der Ratgeber, »so wahr ich lebe, Adolphs Verbrechen sind noch Tugenden gegen die dieses Wilhelm von der Mark! Und dann, wie sollt er denn mit seiner Braut zusammentreffen? – Ew. Majestät ist ja bekannt, daß er außer seinem Ardennenwald sich nirgends blicken lassen darf.« »Dafür muß gesorgt werden,« sprach der König »zuvörderst muß man den beiden Damen unter der Hand beibringen, daß sie nicht länger an diesem Hofe bleiben können, wenn nicht zwischen Frankreich und Burgund ein Krieg ausbrechen soll, und daß ich, da ich sie nicht gerne meinem schönen Vetter von Burgund überantworte, es äußerst gerne sähe, wenn sie insgeheim meine Lande verließen.« – »So werden sie verlangen, nach England geleitet zu werden,« entgegnete Oliver; »und wir werden das Vergnügen haben, sie von dorther an der Hand eines Insel-Lords, so eines runden Milchsuppengesichts in langen, braunen Locken, hinter den dreitausend Bogenschützen hermarschierend, zurückkehren zu sehen.« »Nein – nein,« sprach der König, »wir dürfen's nicht wagen – Ihr versteht mich schon – unsern schönen Vetter von Burgund zu beleidigen, daß wir sie nach England ziehen ließen. Das würde seinen Unwillen ebenso erregen, wie wenn wir sie hier behielten. Nein, nein! Dem Schutze der Kirche allein will ich sie anvertrauen; und das Aeußerste, was wir im vorliegenden Falle tun könnten, wäre, die Gräfinnen Hameline und Isabelle von Croye verkleidet und unter einem geringen Geleite an den Hof des Bischofs von Lüttich abziehen zu lassen, der die schöne Isabelle einstweilen unter den Schutz eines Klosters stellen mag.« »Und wenn dies Kloster sie vor Wilhelm von der Mark schützt, falls dieser einmal von Ew. Majestät günstigen Gesinnungen Wind bekommen hat, so habe ich mich in diesem Manne getäuscht.« »Nun ja,« antwortete der König, »dank unsern geheimen Geldzuschüssen – Wilhelm von der Mark hat jetzt eine hübsche Handvoll so unbedenklicher Leute beisammen, als nur irgendwo geächtet worden ist, mit denen er sich auch in den Wäldern so gut zu behaupten weiß, daß er sich beiden, dem Herzog, wie dem Bischof von Lüttich, furchtbar macht. Ihm fehlt nichts, als etwas Land, das er sein nennen kann, und da die Gelegenheit so günstig ist, sich dies durch eine Heirat zu erwerben, so denk ich, Pasques-Dieu! braucht es für ihn nur einen Wink von meiner Seite, so wirbt und freit er. Der Herzog von Burgund wird dann einen solchen Dorn in seiner Seite haben, den ihm keine Lanzette in unsern Tagen herausziehen soll. Wenn dann der Eber der Ardennen, den er für vogelfrei erklärt hat, durch den Besitz der Ländereien, Schlösser und Herrschaften dieser schönen Dame verstärkt sein und vollends an der Spitze der mißvergnügten Lütticher stehen wird, die unter solchen Umständen nicht abgeneigt sein werden, ihn zu ihrem Hauptmanne und Anführer zu wählen, – dann laßt ihn an Krieg mit Frankreich denken, wenn er Lust hat; er mag aber eher dem Himmel danken, wenn Frankreich nicht selbst mit ihm Krieg anfängt. – Nun, Oliver, wie gefällt Dir dieses Plänchen, hm?« »Vortrefflich,« erwiderte Oliver, »das Urteil ausgenommen, nach welchem diese Dame dem wilden Eber der Ardennen zuteil wird. – Heilige Jungfrau, mit etwas mehr äußerem Anstrich von Galanterie wäre der Generalprofoß Tristan am Ende noch der bessere Bräutigam von beiden.« »Und eben schlugst Du mir noch Meister Oliver, den Barbier, vor,« sprach Ludwig; »aber Freund Oliver und Gevatter Tristan sind mir liebwerte Leute, wenn es gilt, Rat zu schaffen oder einen Plan ins Werk zu setzen, nur sind sie nicht der Stoff, aus dem man Grafen macht. Weißt Du denn nicht, daß die Bürger von Flandern edle Geburt hoch anschlagen, und zwar eben deswegen, weil sie ihnen selbst abgeht? Der Pöbel sucht immer adelige Anführer; und Wilhelm von der Mark stammt aus dem Blute der Fürsten von Sedan. – Doch nun zur Sache. Ich muß die Gräfinnen von Croye zu schleuniger und geheimer Flucht unter sicherem Geleit zu bestimmen suchen. Das wird nicht schwer sein, wenn man verlauten läßt, man müßte sie im Weigerungsfall dem Burgunder überliefern. Du wirst Mittel finden, dem Wilhelm von der Mark von ihren Bewegungen Kunde zu geben und ihn dann Zeit und Ort, wo er seine Bewerbung anzubringen gedenkt, selber bestimmen lassen. – Ich kenne jemand, der sich ganz dazu eignet, sie zu begleiten.« »Darf ich fragen, wem Ew. Majestät einen so wichtigen Posten anvertraut?« fragte der Barbier. »Einem Fremden,« antwortete der König, »einem, der in Frankreich weder Verwandte noch Verbindungen hat, um die Ausführung meines Planes zu hintertreiben, und der zu wenig das Land und seine Fraktionen kennt, um von meinen Plänen mehr zu vermuten, als ich ihm zu sagen für gut finde. – Mit einem Worte, ich gedenke den jungen Schotten dazu zu gebrauchen, durch den ich Euch hierher entbieten ließ.« Oliver schwieg eine Weile, mit einer Miene, als ob er die Zweckmäßigkeit dieser Wahl in Zweifel zu ziehen schiene, dann setzte er hinzu: »Ew. Majestät hat diesem fremden Burschen viel früher, als es sonst Eure Gewohnheit ist, Ihr Vertrauen geschenkt.« »Ich habe meine Gründe,« antwortete der König. – »Du kennst meine Verehrung gegen den gebenedeiten St. Julian« (hier bekreuzte er sich). »Ich hatte in der vorletzten Nacht spät noch meine Gebete an diesen Heiligen gerichtet und ihn demütig angefleht, er möchte meinen Haushalt mit solchen wandernden Ausländern vermehren, die am besten imstande wären, in unserm Königreiche eine unbedingte Unterwürfigkeit unter unsern Willen zu begründen; und ich gelobte dagegen dem guten Heiligen, daß ich sie in seinem Namen aufnehmen, unterstützen und erhalten wolle.« »Und da sandten denn der heilige Julian,« sagte Oliver, »Euch auf Euer Gebet diesen langbeinigen Schotten ins Land?« Obgleich der Barbier wohl wußte, daß sein Gebieter statt der ihm fehlenden Religion eine gute Dosis Aberglauben besaß, und daß man in solchen Fällen ihn leicht beleidigen konnte – obgleich, sage ich, er diese Schwäche des Königs wohl kannte und daher diese Frage in dem sanftesten, unbefangensten Tone tat, so fühlte Ludwig doch das Beißende, das in ihr lag, und warf einen unwilligen Blick auf den Sprecher. »Schurke,« sprach er, »mit Recht heißest Du Oliver der Teufel, da Du Deines Herrn und der gebenedeiten Heiligen also zu spotten wagst. Wärest Du mir nur um einen Gran weniger notwendig, so hätte ich Dich schon längst an der Eiche dort vor dem Schlosse baumeln lassen, allen zum warnenden Beispiel, die sich vermessen, mit den Heiligen ihren Spott zu treiben!« Mit diesen Worten nahm der König seinen Hut ab und wählte aus den kleinen, bleiernen Figuren, womit derselbe verziert war, diejenige heraus, die den heiligen Julian vorstellte, setzte sie vor sich hin auf den Tisch, wie er oft zu tun pflegte, wenn irgend eine besondere Hoffnung in ihm aufstieg oder vielleicht Gewissensbisse ihn anwandelten, kniete nieder und betete mit anscheinender tiefer Andacht: »Heiliger Julian, erhöre unser Gebet! Bitte, bitte für uns!« Während er so beschäftigt war, sah sein Günstling ihn mit einem Ausdrucke sarkastischer Verachtung an, die er kaum zu verhehlen suchte. Es war eine der Eigentümlichkeiten dieses Mannes, daß er in seinem Benehmen gegen den König jene katzenartige, süßliche Dienstfertigkeit und Demut, wodurch er sich gegen andere auszeichnete, völlig beiseite setzte; und wenn er noch einige Ähnlichkeit mit einer Katze behielt, so war es die, wenn das Tier auf seiner Hut ist, wachsam, lebendig, und zu plötzlichem Angriffe bereit. Der Grund dieser Umwandlung mochte bei Oliver in der Ueberzeugung liegen, daß sein Gebieter selbst ein zu großer Heuchler sei, um die Heuchelei anderer nicht zu durchschauen. »Die Züge des Jünglings glichen also, wenn ich fragen darf,« sagte Oliver, »den Zügen dessen, den Ihr im Traume saht?« »Aufs Haar hin,« versetzte der König, dessen Einbildungskraft, wie es bei allen abergläubischen Leuten zu gehen pflegt, ihn selbst täuschte. – »Ich habe durch Galeotti Martivalle sein Horoskop stellen lassen und erkannte durch seine Kunst und meine eigene Beobachtung ganz genau, daß dieser allein in der Welt stehende Jüngling in mancher Hinsicht mit mir unter gleicher Konstellation steht.« Was auch immer Oliver von den Gründen halten mochte, die Ludwig mit so vieler Zuversicht gab, so wagte er es doch nicht, fernere Einwendungen zu machen. »Hoffentlich,« sagte er deshalb nur, »ändert er sich mit der Zeit nicht?« »Wir werden Sorge tragen, daß er keine Gelegenheit bekommt, sich anders zu betragen; denn er soll nichts erfahren, als daß er abgeschickt ist, die Gräfinnen von Croye in die Residenz des Bischofs von Lüttich zu begleiten. Von der wahrscheinlichen Dazwischenkunft Wilhelms von der Mark erfährt er so wenig, als jene. Niemand soll um das Geheimnis wissen, als der Wegweiser; und Tristan oder Du müssen mir jemand ausfindig machen, der zu unsern Absichten taugt.« »Aber in diesem Falle,« sagte Oliver, »wird sich der junge Mann, nach seinem Vaterlande und seinem Aeußern zu schließen, wohl zur Wehr setzen, sobald der wilde Eber auf sie losstürzt, und möchte wohl dessen Hauern nicht so leicht entkommen, wie diesen Morgen denen Tristans.« – »Wenn es ihm ans Leben geht,« sagte Ludwig ruhig, »so wird der heilige Julian, – gebenedeit sei sein Name, – mir einen andern an seine Stelle senden. Unterdessen müssen wir Anstalten zur Reise der Damen treffen und dann den Grafen Crevecoeur überreden, sie habe ohne ihr Zutun stattgefunden.« »Der Graf ist vielleicht zu klug, und sein Gebieter zu sehr gegen Euch eingenommen, um das zu glauben.« »Heilige Mutter Gottes!« entgegnete Ludwig, »wie könnte ein Christ so ungläubig sein! Nein, Oliver, sie sollen uns glauben müssen. Wir wollen in unser ganzes Benehmen gegen unsern lieben Vetter, den Herzog Karl, ein so unbegrenztes Zutrauen legen, daß er ärger denn ein Ungläubiger sein müßte, wenn er nicht glaubte, daß wir's in jeder Hinsicht redlich mit ihm meinten. Ich sage Dir, ich bin so überzeugt, daß ich Karl von Burgund jede beliebige Meinung von mir beibringen könnte, daß ich, um alle seine Zweifel zu beschwichtigen, wenn's nötig wäre, unbewaffnet auf einem Saumrosse ihn in seinem Zelt besuchen wollte, ohne ein anderes Geleit, als Deine Wenigkeit, Freund Oliver.« »Und ich wollte,« sprach Oliver, »obgleich ich mich nicht rühmen kann, daß ich mit einem andern Stahl, als meinem Schermesser, umzuspringen weiß, lieber gegen ein Bataillon Schweizerlanzen zu Felde ziehen, als Ew. Majestät auf einem solchen Freundschaftsbesuche begleiten! denn der Herzog hat der Gründe zuviele, um versichert zu sein, daß Ew. Majestät nichts als Haß und Feindschaft gegen ihn im Herzen trägt.« »Du bist ein Narr, Oliver,« sagte der König – »und das bei allen Deinen Ansprüchen auf Weisheit; Du siehst nicht, daß gerade tiefe Politik zuweilen die Larve der größten Einfalt annimmt, sowie Mut oft hinter bescheidener Schüchternheit sich birgt. Wenn's nötig wäre, so wäre nichts gewisser, als daß ich tun würde, was ich eben sagte, – wenn die Heiligen unser Vorhaben segneten, und die himmlischen Konstellationen in ihrem Laufe für solch ein Unternehmen die gehörige Stellung eingenommen hätten.« Er entließ seinen geheimen Rat und begab sich sogleich auf das Zimmer der Gräfinnen von Croye. Es brauchte außer seiner bloßen Erlaubnis wenig Ueberredens, um ihre Entfernung von dem französischen Hofe auf den ersten Wink zu bewirken, daß er vielleicht nicht imstande sein würde, sie fernerhin gegen den Herzog von Burgund zu schützen; aber nicht so leicht war es, sie zu bestimmen, Lüttich zu ihrem Zufluchtsort zu wählen. Sie baten aufs angelegentlichste, man möchte sie nach Bretagne oder Calais begleiten, wo sie unter dem Schutz des Herzogs von Bretagne oder des Königs von England solange in Sicherheit verweilen wollten, bis der Herzog von Burgund von seinem harten Vorhaben gegen sie zurückgekommen wäre. Allein keiner dieser Zufluchtsörter wollte in die Pläne Ludwigs passen, und am Ende gelang es ihm, sie zur Annahme desjenigen zu bestimmen, der damit übereinkam. Daß der Bischof von Lüttich sie zu schützen imstande sei, konnte nicht in Zweifel gezogen werden; denn seine geistliche Würde gab ihm die Mittel an die Hand, die Flüchtlinge gegen alle Fürsten der Christenheit zu verteidigen, während auf der andern Seite seine weltliche Macht, wenn auch eben nicht beträchtlich, doch wenigstens hinreichend war, seine Person sowie alle, die unter seinem Schutze standen, vor plötzlicher Gewalttat sicher zu stellen. Die einzige Schwierigkeit war noch, wie sie den kleinen Hof des Bischofs in Sicherheit erreichen könnten; aber dafür versprach Ludwig zu sorgen, daß er ein Gerücht verbreitete, die Gräfinnen von Croye wären aus Furcht vor einer Auslieferung an die burgundische Gesandtschaft bei Nacht aus Tours entflohen, und hätten ihren Weg in der Richtung nach Bretagne genommen. Er versprach ihnen gleichfalls ein kleines, aber treuergebenes Gefolge nebst Briefen an die Befehlshaber der auf ihrem Wege liegenden Städte und Festungen mit der Weisung beizugeben, daß diese ihnen auf ihrer Reise jeden möglichen Beistand zu leisten hätten. Die Gräfinnen von Croye waren, obgleich sie die ungroßmütige und unhöfliche Art, womit er sie der zugesicherten Freistätte an seinem Hofe beraubte, tief empfanden, doch so weit entfernt, sich gegen die vorgeschlagene schleunige Abreise zu setzen, daß sie seinem Verlangen mit der Bitte entgegenkamen, noch in dieser Nacht abreisen zu dürfen. Gräfin Hameline war bereits eines Aufenthalts überdrüssig, wo es weder bewundernde Höflinge noch Festlichkeiten gab, bei denen man glänzen konnte; Isabelle dagegen glaubte, genug gesehen zu haben, um zu dem Schlusse berechtigt zu sein, daß, wenn die Versuchung nur um weniges stärker würde, Ludwig XI., nicht zufrieden, sie von seinem Hofe zu vertreiben, sie am Ende sogar ohne Bedenken an ihren erbitterten Lehnsherrn, den Herzog von Burgund, ausliefern würde. Ludwig willigte in ihren Entschluß, sogleich abzureisen, um so williger, als er sehnlichst wünschte, den Frieden mit dem Herzog von Burgund nicht zu stören. Dreizehntes Kapitel Beschäftigung und Abenteuer schienen auf den jungen Schotten mit der Gewalt einer Springflut einzuströmen, denn er wurde eiligst auf das Zimmer seines Hauptmanns beschieden, wo er zu seinem großen Erstaunen den König selbst gegenwärtig fand. Nach einigen Worten über die Ehre und das in ihn gesetzte Vertrauen, die Quentin schon fürchten ließen, man möchte ihm wieder eine Wache zumuten, wie die bei Graf Crevecoeur, oder vielleicht eine seinen Gefühlen von Ehre und Rechtlichkeit noch mehr zuwiderlaufende Pflicht, fühlte er sich nicht nur gar sehr erleichtert, sondern hocherfreut, als er hörte, daß man ihn, nebst vier unter seinen Befehl gestellten Gefährten, von denen einer der Führer war, auserwählt habe, die Gräfinnen von Croye an den kleinen Hof ihres Verwandten, des Bischofs von Lüttich, und zwar auf möglichst geheime Weise zu geleiten. Er wurde hinreichend mit Verhaltungsbefehlen versehen über das, was er zu tun und zu sagen habe, um die Rolle eines Haushofmeisters »zweier englischer Damen von Rang« zu spielen, die sich auf einer Wallfahrt zu dem heiligen Martin von Tours befänden und jetzt willens wären, die heilige Stadt Köln zu besuchen und die Reliquien der Weisen aus dem Morgenlande anzubeten; denn in dieser Eigenschaft sollten die Gräfinnen von Croye reisen. Ohne sich über die Ursache seines Entzückens genaue Rechenschaft geben zu können, schlug Quentin Durwards Herz hoch vor Freude bei dem Gedanken, daß er nun der Schönheit vom Türmchen so nahe kommen und in ein Verhältnis zu ihr gesetzt werden sollte, das ihn zu ihrem Vertrauen berechtigte, da ihr Schutz nur größtenteils seinem klugen Benehmen und seinem Mute anvertraut war. Es kam ihm gar kein Zweifel, ob er sie auch glücklich durch die Wagnisse und Fährlichkeiten geleiten könnte. Die Jugend denkt selten an Gefahren, und in Freiheit, Furchtlosigkeit und Selbstvertrauen aufgewachsen, dachte Quentin nur an Gefahren, um ihnen die Spitze zu bieten. Er sehnte sich aus der drückenden Nähe des Königs, um den Gefühlen von Freude freien Lauf zu lassen, womit ihn diese unerwartete Kunde erfüllte, und die er in dieser Gesellschaft durchaus nicht auslassen konnte. Allein der König gab ihn noch nicht frei. Dieser vorsichtige Monarch mußte sich noch mit einem Ratgeber ganz anderen Schlags, als Oliver »dem Teufel«, besprechen, mit einem, von dem man glaubte, daß er seine Weisheit aus überirdischen, himmlischen Quellen schöpfte, dahingegen die Leute, welche nach den Früchten urteilen, geneigt waren, zu glauben, daß Olivers Ratschläge dem bösen Feinde selbst ihr Entstehen verdankten. Ludwig ging voran, und der ungeduldige Quentin folgte ihm in einen einzeln stehenden Turm des Schlosses Plessis. Hier hauste mit nicht geringer Bequemlichkeit und mit Glanz, der berühmte Sterndeuter, Dichter und Weltweise Galeotti Marti, oder Martius, oder Martivalle, von Nervi in Italien gebürtig. Er hatte mit Auszeichnung an dem Hofe des berühmten Mathias Corvinus, Königs von Ungarn, gelebt, von welchem er durch Ludwig hinweggelockt wurde, der diesen Monarchen um die Gesellschaft und Ratschläge eines Weisen beneidete, dem der Ruf solche Geschicklichkeit in der Enthüllung der Beschlüsse des Himmels beilegte. Martivalle war keiner jener asketischen, abgelebten, blassen Bekenner mystischer Weisheit, die in mitternächtlichen Stunden ihre Augen am Schmelzofen verderben und ihre Körper bei der Beobachtung des großen Bären abmagern. Er nahm teil an allen Lustbarkeiten des Hofes und zeichnete sich, bevor er beleibt wurde, in allen kriegerischen Belustigungen und Leibesübungen, sowie auch im Gebrauche der Waffen aus. Die Gemächer des höfischen und zugleich kriegerischen Weisen waren weit glänzender ausgestattet, als irgend eines, das Quentin in dem königlichen Palaste gesehen hatte. Das Schnitzwerk und die Verzierungen an seinem Bücherschrank sowohl, als die Pracht, die sich in den Tapetenbehängen kundtat, zeugten von dem feinen Geschmack des gelehrten Italieners. Von seinem Studierzimmer führte eine Tür in sein Schlafgemach, eine andere in das Türmchen, das ihm zur Sternwarte diente. Eine große eichene Tafel mitten im Zimmer war mit einem kostbaren türkischen Teppich bedeckt. Auf dem Tische lagen eine Menge von mathematischen und astrologischen Instrumenten, alle von dem reichsten Material und trefflich gearbeitet. Sein Astrolabium von Silber war ein Geschenk des deutschen Kaisers und sein Jakobstab von Elfenbein, mit Gold beschlagen und künstlich eingelegt, war ein Zeichen der Achtung von seiten des Papstes. Galeotti Martivalle, ein großer, starker, ungeachtet seiner Körperfülle stattlicher Mann, war längst über die Mittagshöhe des Lebens hinaus. In seiner Jugend hatte er starke Leibesübungen gehalten, die er zwar jetzt noch gelegentlich fortsetzte, die aber dennoch eine natürliche Anlage zur Wohlbeleibtheit nicht bekämpfen konnten. Seine Gesichtszüge, wenngleich etwas stark gezeichnet, hatten einen Ausdruck von Würde und Hochsinn, und ein türkischer Heiliger hätte ihn um die Fülle des schwarzen, weit herabfließenden Bartes beneidet. Er trug einen Schlafrock vom reichsten Genueser Sammt mit weiten Aermeln, die mit goldenen Spangen zusammengehalten wurden und mit Zobel gefüttert waren. Um die Mitte des Leibes hielt ihn ein breiter Gürtel von Jungfernpergament, auf dem ringsherum die Zeichen des Tierkreises in hochroten Charakteren dargestellt waren. Er stand auf und verbeugte sich gegen den König, jedoch mit einer Miene, als ob ihm eine so hohe Gesellschaft nicht ungewohnt wäre. »Ihr seid beschäftigt, Vater,« sprach der König, einen Blick auf den Tisch heftend, auf welchem ein Buch aufgeschlagen lag, das durch die eben erfundene Druckkunst hergestellt war, »und wie mir deucht, mit der neuerfundenen Weise, durch Anwendung von Maschinen die Handschriften zu vervielfältigen? Können so mechanische und irdische Dinge die Gedanken jemands in Anspruch nehmen, vor dem der Himmel das Buch seiner erhabenen Geheimnisse entfaltet?« »Mein Bruder,« erwiderte Martivalle, denn also muß der Bewohner dieser Zelle selbst den König von Frankreich nennen, wenn sich dieser herabläßt, ihn als Schüler zu besuchen, – »glaubt mir, daß ich, wenn ich die Folgen dieser Erfindung erwäge, in ihr ebenso sicher, wie durch die Stellung der Himmelskörper, die gewaltigsten und erstaunenswürdigsten Umwandlungen lese. Wenn ich betrachte, wie langsam und dürftig der Quell des Wissens bisher für uns floß; wie schwer selbst es denen ward, die so glühend darnach dürsteten: kann ich wohl ohne Verwunderung und Erstaunen auf das Los der kommenden Geschlechter hinblicken, auf welche die Erkenntnis gleich dem Frühregen und Spätregen herabströmen wird, ununterbrochen, ungehemmt das eine Land befruchtend, das andere überflutend; das ganze gesellige Leben neu gestaltend, Religionen bald gründend, bald umstürzend, und Königreiche hier stiftend, dort zerstörend.« »Halt, Galeotti,« fiel Ludwig ein, – »weiden diese Veränderungen in unsern Zeiten sich zutragen?« »Nein, mein königlicher Bruder,« antwortete Martivalle, »diese Erfindung mag mit einem jungen Baume verglichen werden, der erst noch gesetzt wurde, aber für kommende Geschlechter Früchte tragen wird, ebenso verderbliche wie köstliche, wie die im Garten Eden – die Erkenntnis nämlich des Guten und des Bösen.« Ludwig antwortete nach einer augenblicklichen Pause: »Mag die Zukunft sehen, wie sie damit auskommt – wir sind Männer dieses Zeitalters, und auf dieses wollen wir unsere Sorgfalt beschränken. Jeder Tag hat seine eigene Plage. – Sagt mir, seid Ihr weitergekommen auf dem Horoskop, das ich Euch sandte, und worüber Ihr mir schon einigen Bericht erstattetet? Ich habe den Menschen mitgebracht, damit Ihr, wenn es Euch beliebt, an ihm Eure Handwahrsagekunst versuchen könnt. Die Sache hat Eile.« Der wohlbeleibte Weise stand von seinem Sitze auf, heftete, als er sich dem jungen Krieger genähert hatte, seine großen, schwarzen Augen auf ihn, als wollt' er jeden seiner Züge und Lineamente entziffern und zerlegen. – Errötend und niedergedrückt durch eine so strenge Untersuchung von seiten eines Mannes, dessen Aeußeres so ehrwürdig und gebietend war, schlug Quentin seine Augen zu Boden, und erhob sie auch nicht eher, als bis ihm der Astrolog mit lauter Stimme befahl: »Blick auf und fürchte Dich nicht, sondern halte mir Deine Hand her.« Nachdem Martivalle die Fläche seiner Hand nach den Regeln der geheimen Künste, die er ausübte, betrachtet hatte, führte er den König beiseite. – »Mein königlicher Bruder,« sprach er dann, »die Gesichtszüge des jungen Mannes, zusammengenommen mit den Linien in seiner Hand, bestätigen auf eine wundervolle Art den Bericht, den ich auf sein Horoskop gründete, sowie auch das Urteil, das Ihr vermöge Eurer eigenen Kenntnisse in unsern erhabenen Künsten über ihn zu fällen imstande wäret. Alles verspricht, daß dieser Jüngling tapfer und glücklich sein wird.« »Und treu?« fragte der König; »denn Tapferkeit und Glück sind nicht immer mit Treue gepaart.« »Und treu,« sprach der Sterndeuter; »denn es liegt Männlichkeit in Blick und Auge, und seine Lebenslinie ist tief und deutlich gezeichnet, was eine treue und aufrichtige Anhänglichkeit an diejenigen bedeutet, die ihm Wohltaten erweisen oder Vertrauen schenken. Indessen –« »Nun?« fragte der König, »warum schweigt Ihr plötzlich, Vater Galeotti?« »Die Ohren der Könige,« sagte der Weise, »gleichen dem Gaumen verwöhnter Patienten, der die zu ihrer Genesung erforderliche bittere Arznei nicht vertragen kann.« »Meine Ohren und mein Gaumen sind empfindlich,« versetzte der König, »laßt mich immer guten Rat hören und die heilsame Arznei verschlucken. Ich mache mir aus der Strenge des einen so wenig, als aus der Bitterkeit des andern. Ich bin nicht durch Ueppigkeit oder zu große Nachsicht verwöhnt worden, habe vielmehr meine Jugend in Verbannung und unter Leiden zugebracht. Meine Ohren sind an strengen Rat gewöhnt und nehmen keinen Anstoß daran.« »Also frei heraus, Sire,« erwiderte Galeotti, »wenn Ihr bei Euerm Auftrage etwas habt, das – nun kurz – das ein bedenkliches Gewissen stutzig machen könnte – so vertraut es nicht diesem Jüngling an – wenigstens nicht eher, als bis ihn einige Jahre in Euerm Dienst ebenso unbedenklich, wie die andern, gemacht haben.« »Und dies war es, was Ihr zu sagen Euch scheutet, guter Galeotti? Dadurch glaubt Ihr mich zu beleidigen?« antwortete der König. »Ach, gewiß seht Ihr ein, wie der Pfad königlicher Politik mit den reinen Grundsätzen der Religion und Moral (wie das im Privatleben unabänderlich sein muß) nicht immer übereinstimmen kann. Warum stiften wir Fürsten Kirchen und Klöster, stellen Wallfahrten an und legen uns Büßungen auf, wenn's nicht geschieht, weil uns das allgemeine Beste und die Wohlfahrt unseres Königreiches zu Maßregeln zwingen, die unser Gewissen, als Christen, verdammt? Aber der Himmel ist barmherzig – die Kirche ein unversiegbarer Quell von Verdiensten, und die Fürsprache unserer lieben Frau von Embrun und der gebenedeiten Heiligen ist dringend, dauernd und allmächtig.« Hier setzte er seinen Hut auf den Tisch, und andächtig vor den Bildern an seinem Hutrande sich niederlassend, wiederholte er im ernstesten Tone: »Heiliger Hubert, heiliger Julian, heiliger Martin, heilige Rosalie, ihr Heiligen alle, die ihr zugegen seid, bittet für mich armen Sünder!« Hierauf schlug er an seine Brust, setzte seinen Hut wieder auf und fuhr fort: »Seid versichert, guter Vater, daß, wenn auch in unserm Auftrage etwas der Art läge, wie Ihr angedeutet habt, so soll die Ausführung diesem Jüngling nicht anvertraut werden, noch soll er von diesem Teil unseres Vorhabens Kunde bekommen.« »Darin,« sprach der Sterndeuter, »mein königlicher Bruder, werdet Ihr weise handeln. – Etwas möchte wohl von der Unbesonnenheit des jungen Mannes zu besorgen sein; ein Fehler, der Leuten von lebhaftem Temperament immer eigen ist. Allein ich halte dafür, daß, soviel ich nach den Regeln der Kunst erforschen konnte, dies eben nicht viel bedeutet in Vergleichung mit den andern Eigenschaften, die in seinem Horoskop und sonst entdeckt worden sind.« »Ist wohl die nächste Mitternacht eine günstige Stunde, um eine gefährliche Reise anzutreten?« fragte der König. – »Seht, hier sind Eure Ephemeriden – Ihr seht hier die Stellung des Mondes dem Saturn gegenüber und das Aufsteigen des Jupiters – das sollte doch, dünkt mich, ohne jedoch Eurer bessern Einsicht vorgreifen zu wollen, dem, der Zu solcher Stunde die Unternehmung beginnt, Glück prophezeien?« »Dem wohl, der sie absendet,« sprach der Sterndeuter nach einer Pause, »verspricht diese Stellung Glück; aber sie droht, deucht mir, da Saturn der Sonne so nah ist, Gefahr und Unglück dem Abgesandten, woraus ich schließe, daß die Reise für die, welche sie antreten, gefährlich, ja vielleicht tödlich ist. Gewalttat und Gefangenschaft werden, dünkt mich, durch diese ungünstige Konjunktur angedeutet,« »Gewalttat und Gefangenschaft für die, welche ausgesandt werden,« erwiderte der König, »aber Glück für den Absender. – War es nicht so, mein gelehrter Vater?« »So ist's,« erwiderte der Sterndeuter. Der König schwieg eine Weile, ohne weitere Auskunft zu geben, inwiefern diese Weissagung (die wahrscheinlich der Astrolog auf gut Glück hingeworfen hatte, weil er wußte, daß der Auftrag sich auf irgend einen gefährlichen Plan bezog) zu seinen Absichten Passe, die, wie der Leser bereits weiß, keine anderen waren, als die Gräfin Isabelle von Croye den Händen Wilhelms von der Mark zu überliefern, der, ein Mann vor vornehmer Herkunft, sich an die Spitze eines Heeres gestellt hatte, das sich durch wilde Tapferkeit und ungezügelte Raubsucht auszeichnete. – Dann zog er ein Papier aus der Tasche und sagte, ehe er es Martivalle gab, mit einem Tone, der dem einer Entschuldigung glich: »Gelehrter Galeotti, erstaunt nicht, wenn ich so oft versucht bin, mich Eurer Geschicklichkeit in solchen Zweifelfällen und Schwierigkeiten zu bedienen, die jeden Fürsten bedrängen, der mit Aufständen im eigenen Lande und mit mächtigen und erbitterten Feinden von außen zu kämpfen hat.« »Als mir die Ehre Eurer Einladung, Sire,« sprach der Philosoph, »zuteil ward und ich den Hof von Ofen mit dem von Plessis vertauschte, geschah dies mit dem Entschlusse, alle meine Kunst dem Dienste meines königlichen Gebieters zu widmen.« »Genug, guter Martivalle, ich bitte Dich, gib nun aufmerksam auf folgende Frage acht.« – Er las nun von dem Papiere, das er in der Hand hatte, folgendes ab: »Es wünscht jemand, der in eine wichtige Streitigkeit verwickelt ist, die entweder auf dem Wege der Unterhandlungen oder durch Waffen entschieden werden muß, dieselbe für jetzt in einer persönlichen Zusammenkunft mit einem Gegner gütlich beizulegen. Er wünscht zu wissen, welcher Tag der Ausführung dieses Planes günstig sei; ferner, was der Erfolg dieser Unterhandlungen sein werde, und ob der Gegner geneigt sei, dem in ihn gesetzten Vertrauen mit Dankbarkeit und Wohlwollen zu entsprechen, oder ob er nicht vielmehr die ihm durch eine solche Zusammenkunft sich darbietende Gelegenheit und deren Vorteile mißbrauchen könnte?« – »Das ist eine Frage von Wichtigkeit,« versetzte Martivalle, als der König mit dem Lesen zu Ende war, »und erfordert, daß ich mein Planetarium zu Rate ziehe und das Ganze in reifliche Erwägung nehme.« »Tut das, mein gelehrter Vater, und Ihr sollt sehen, was es heißt, sich einem König von Frankreich zu verpflichten. Wir sind entschlossen, wenn die Konstellationen es nicht verbieten, auf persönliche Gefahr hin etwas zu wagen, um diesen unchristlichen Kriegen ein Ziel zu setzen.« »Mögen die Heiligen Ew. Majestät frommes Beginnen fördern,« sprach der Sterndeuter, »und Eure geheiligte Person beschützen.« – »Dank, gelehrter Vater! – Hier einstweilen etwas, Eure seltene Büchersammlung zu bereichern.« Damit schob er unter einen der Bände einen kleinen Beutel mit Gold, denn, selbst bei Befriedigung seines Aberglaubens auf Sparsamkeit bedacht, glaubte Ludwig den Sterndeuter durch den ihm ausgesetzten Gehalt hinlänglich an seinen Dienst gefesselt und hielt sich um einen mäßigen Preis für berechtigt, auch für wichtige Fälle sich seiner Geschicklichkeit zu bedienen. Nachdem Ludwig so dem Astrologen eine erfrischende, aufmunternde Belohnung hatte zufließen lassen, wandte er sich von ihm an Durward. – »Folge mir, mein guter Schotte, Du bist vom Schicksal und einem Monarchen erkoren, ein kühnes Abenteuer zu bestehen. Alles muß bereit sein, daß Du in dem Augenblicke, wo auf Sankt Martin die Glocke zwölf schlägt, den Fuß in den Bügel setzest. Eine Minute früher oder später würde die Konstellation, die Deinem Abenteuer günstig ist, verrücken.« Mit diesen Worten verließ der König das Gemach, und ihm folgte sein Leibgardist. Sie hatten sich nicht sobald entfernt, als der Sterndeuter Gefühlen Raum gab, die ganz verschieden von denen waren, welche ihn in Gegenwart des Königs beseelt zu haben schienen. »Der knickrige Filz,« rief er aus, als er die Börse in der Hand wog, denn ein Mann, der soviele Ausgaben machte wie er, hatte immer Geld nötig, – »der elende, schmutzige Geizhals! – Eines Bootsmanns Weib hätte mehr gegeben, um zu erfahren, ob ihr Mann glücklich die Meerenge überschifft habe. – Er hätte einen Schatten von Wissenschaft? ja, wenn stehlende Füchse und heulende Wölfe Musikanten werden. Er will das glänzende Wappenschild des Firmaments deuten? – ja, wenn schmutzige Maulwürfe Luchse werden! – nach sovielen schönen Versprechungen, um mich vom Hofe des prachtliebenden Mathias wegzulocken, wo Hunnen und Türken, Christen und Ungläubige, der Zar von Moskau und der Khan der Tartarei mich um die Wette mit Geschenken überhäuften, – da denkt er, ich lasse mich gleich einem Dompfaffen in einen Käfig einsperren und singe, so oft's ihm zu pfeifen beliebt, und das alles um das liebe tägliche Brot? Nein, so stehen wir nicht – entweder finde ich einen Weg, oder ich bahne mir ihn. – Der Kardinal ist staatsklug und freigebig. – Diese Frage gelangt an ihn, und es soll Sr. Eminenz eigene Schuld sein, wenn die Steine anders sprechen, als er es haben will.« Er ergriff die verschmähte Börse und wog sie nochmals in der Hand. »Es ist doch möglich,« sprach er zu sich, »daß so ein Juwel oder eine Perle in dieser ärmlichen Behausung ist! er kann, wie ich gehört habe, freigebig sein bis zur Verschwendung, wenn's seine Laune oder sein Interesse will.« Er leerte die Börse, in der sich nicht mehr und nicht weniger als zehn Goldstücke befanden. Der Unwille des Sterndeuters stieg aufs höchste. »Denkt er denn, ich solle um so ärmlichen Lohn die himmlische Kunst ausüben? Nein, beim Himmel! – er soll durch seine eigene Unwissenheit zu Grunde gehen. Zehn Goldstücke! – ein Lumpengeld, das ich mich schämte, Antoinetten anzubieten, um sich neue Spitzen an ihren Brustlatz zu kaufen.« Bei diesen Worten ließ indes der aufgebrachte Philosoph die verachteten Goldstücke in einen großen Beutel gleiten, den er an seinem Gürtel trug, und den Antoinette und andere, die ihn zum Verschwender machten, schneller zu leeren wußten, als ihn der Philosoph mit all seiner Kunst zu füllen vermochte. Vierzehntes Kapitel Ohne sich mit jemand in ein Gespräch einzulassen, – denn so lautete sein Befehl, – beeilte sich Quentin Durward, einen starken aber einfachen Panzer mit Arm- und Beinschienen anzulegen und den Kopf mit einer guten Stahlhaube ohne Visier zu bedecken. Dazu kam ein schöner Waffenrock von Gemsleder, fein gegerbt und am Rande mit einiger Stickerei verziert, wie es einem Oberbeamten in einem vornehmen Haushält zukommen mochte. Dieses alles ward von Oliver auf sein Zimmer gebracht, der ihm mit seinem still einschmeichelnden Lächeln meldete, daß sein Oheim beordert worden, auf die Wache zu ziehen, damit er wegen dieser geheimen Zurüstungen keine Nachforschungen anstelle. »Man wird Euch bei Eurem Oheim entschuldigen,« sagte Oliver, abermals lächelnd, »und wenn Ihr, lieber Sohn, von der Ausführung dieses angenehmen Auftrags wohlbehalten zurückkehrt, so zweifle ich nicht, daß Ihr einer Beförderung befunden weidet, die Euch überhebt, von Eurem Tun und Lassen andern Rechenschaft zu geben, während sie Euch an die Spitze von solchen stellt, die Euch für ihre Handlungen Rede stehen müssen.« Also sprach Oliver le Diable, indem er wahrscheinlich bei sich berechnete, daß das Los des jungen Mannes, dem er, während er sprach, freundlich die Hand drückte, bei diesem ihm gegebenen Auftrage notwendigerweise Tod oder Gefangenschaft sein müßte. Wenige Minuten vor Mitternacht begab sich Quentin, seinem Befehl gemäß, in den zweiten Hofraum und hielt unter dem Dauphinturme, der, wie der Leser weiß, den Gräfinnen von Croye zum einstweiligen Aufenthalt angewiesen war. Er fand an diesem Ort die Mannschaft und die Pferde, die zum Gefolge der Reisenden bestimmt waren, nebst zwei bereits mit dem Gepäcke beladenen Saumtieren und drei Zeltern für die zwei Gräfinnen und eine vertraute Kammerfrau, sowie einem stattlichen Streitrosse für sich selbst, dessen mit Stahl belegter Sattel im blassen Mondschein glänzte. Kein Wort gegenseitiger Erkennung ward gewechselt. Die Männer saßen bewegungslos in ihren Sätteln; und bei dem unvollkommenen Lichte sah Quentin mit Vergnügen, daß sie alle bewaffnet waren und lange Lanzen in den Händen hielten. Es waren ihrer bloß drei; aber einer von ihnen flüsterte Quentin in derber gaskognischer Mundart zu, daß ihr Führer in der Nähe von Tours zu ihnen stoßen würde. Mittlerweile erblickte man hin und wieder Lichter an den Gittern des Turmes, als ob die Bewohner desselben in Unruhe und mit Zurüstungen beschäftigt wären. Endlich öffnete sich eine kleine Tür, die aus dem Innern des Turmes auf den Hof führte, und es erschienen drei Frauen in Begleitung eines in einen Mantel gehüllten Mannes. Stillschweigend bestiegen sie die Zelter, die für sie bereit standen, während ihr Begleiter voranging und den wachthabenden Posten, an welchem sie nacheinander vorüberkamen, die nötigen Paßworte und Losungszeichen gab. So gelangten sie endlich vor diese furchtbaren Schutzwehren hinaus. Hier hielt der Mann zu Fuß, der bisher ihren Führer gemacht hatte, und sprach in leisem, aber ernstem Tone mit den zwei voranreitenden Damen. »Möge Euch der Himmel segnen,« sprach eine Stimme, deren Laut in Quentins Ohr drang, »und Euch vergeben, wenn Eure Absichten auch selbstsüchtiger sein möchten, als es Eure Worte vermuten lassen! Mein höchster Wunsch ist bloß der, unter den Schutz des guten Bischofs von Lüttich gestellt zu werden.« Der Mann, an den sie diese Worte richtete, murmelte einige unhörbare Laute zur Antwort und zog sich durch das äußere Tor zurück, während Quentin beim Mondschein in ihm den König zu erkennen glaubte, den seine ängstliche Sorge für die Abreise seiner Gäste vermutlich veranlaßt hatte, durch seine Gegenwart allen Bedenklichkeiten, die sich entweder ihrerseits oder von seiten der Schloßwache erheben konnten, zu begegnen. Als sie außerhalb des Schlosses waren, war es einige Zeit notwendig, mit vieler Vorsicht zu reiten, um die Fallgruben, Fußangeln und ähnliche Vorkehrungen, die zur Sicherheit gegen feindliche Angriffe getroffen waren, zu vermeiden. Der Gaskogner besaß indes den untrüglichen Faden zu diesem Labyrinth, und nachdem sie eine Viertelstunde geritten waren, befanden sie sich außerhalb der Grenzen des Parks von Plessis, und nicht mehr weit von der Stadt Tours entfernt. Der Mond, der soeben aus den Wolken hervorgetreten war, die ihn eingehüllt hatten, goß nun ein herrliches Lichtmeer über eine ebenso herrliche Landschaft hin. Sie sahen die königliche Loire ihre majestätischen Fluten durch die fruchtbarste Ebene Frankreichs dahinrollen und zwischen Ufern sich hinwinden, welche mit Türmen und Terrassen, mit Oelgärten und Weinbergen geschmückt waren. Vor ihnen erhoben sich die Mauern der alten Stadt der Touraine mit ihren Tortürmen und Verschanzungen im weißen Mondlichte, während innerhalb ihres Umkreises der unermeßliche, gotische Bau sichtbar war, den die Frömmigkeit des heiligen Bischofs Perpetus errichtet und der Eifer Karls des Großen und seiner Nachfolger mit einem architektonischen Glänze ausgestattet hatte, der diese Kirche zur prachtvollsten in Frankreich machte. So bedenklich auch die Lage war, in die sich der junge Schotte versetzt sah, so hinderte sie ihn, der an die öden, aber großartigen Landschaften der heimischen Gebirge und an die Unfruchtbarkeit des Bodens gewohnt war, keineswegs, einen Schauplatz mit Bewunderung und Entzücken zu betrachten, den Natur und Kunst wetteifernd mit ihrem höchsten Glänze ausgestattet hatten. Doch bald wurde er durch die Stimme der ältern Dame, die wenigstens eine Oktave höher klang als jene sanften Töne, die König Ludwig den Abschied zugerufen hatten, an seine Pflicht erinnert. Sie verlangte nämlich den Führer des Zuges zu sprechen. Sein Pferd sogleich vorwärts spornend, stellte sich Quentin den Damen in jener Eigenschaft ehrerbietig vor und mußte sich so einem Verhöre der Gräfin Hameline unterwerfen. Sie fragte ihn zuvörderst: »Wie er heiße, und welchen Posten er bekleide.« Er beantwortete beides. »Ob er des Wegs vollkommen kundig sei?« »Dies könne er,« war seine Antwort, »eben nicht behaupten, allein er sei mit vollständigen Instruktionen versehen und erhalte auf ihrem ersten Ruheplätze einen Führer, der ihnen für ihre weitere Reise in jeder Hinsicht genügen werde. Indes werde ihnen ein Reiter, der soeben zu ihnen gestoßen sei, bis auf die erste Station zum Führer dienen.« »Und warum seid Ihr, junger Mann, zu diesem Dienste erwählt worden?« fragte die Dame. »Wenn ich nicht irre, seid Ihr der nämliche, der kürzlich in der Halle Wache stand, in welcher wir mit der Prinzessin von Frankreich zusammenkamen. Ihr scheint zu jung und unerfahren für einen solchen Auftrag, – überdies ein Fremder, und sprecht die Sprache auch als Ausländer.« »Ich bin verpflichtet, den Befehlen des Königs zu gehorchen, Madame, ohne mir ein Urteil darüber zu erlauben,« antwortete der junge Krieger. »Seid Ihr von edler Geburt?« fragte die Dame weiter. »Das darf ich mit Recht behaupten, Madame,« erwiderte Quentin. »Und seid Ihr nicht,« fragte die jüngere Dame, die ihn jetzt, wiewohl mit schüchternem Tone anredete, »der nämliche, den ich sah, als ich gerufen wurde, in jenem Wirtshaufe dem König aufzuwarten?« Mit gedämpfter, schüchterner Stimme bejahte Quentin die Frage. »Dann glaub ich, liebe Muhme,« sagte Fräulein Isabelle, sich an Gräfin Hameline wendend, »dürfen wir uns getrost dem Geleite des jungen Mannes anvertrauen; er sieht wenigstens nicht aus, als ob man ihm die Ausführung eines verräterischen Plans gegen hilflose Frauen anvertrauen könne.« »Auf meine Ehre, meine Dame,« sagte Durward, »bei dem guten Namen meines Hauses, bei den Gebeinen meiner Ahnen, ich könnte, und wenn Frankreich und Schottland zusammen in der Wage lägen, mich keines Verrates gegen Euch schuldig machen.« »Gut gesprochen, junger Mann,« sagte Gräfin Hameline; »allein wir sind gewohnt, von dem Könige von Frankreich und seinen Vertrauten schöne Redensarten zu hören. Diese waren es, die uns verleiteten, zu einer Zeit, da wir den Schutz des Bischofs von Lüttich, oder des Wenzeslaus von Deutschland oder Edwards von England noch mit weniger Gefahr, als jetzt, hätten erhalten können, unsere Zuflucht nach Frankreich zu nehmen. Aber auf was liefen die Versprechungen des Königs hinaus? Darauf, daß er uns in ein elendes Dorfwirtshaus unter falschen Namen versteckte. Während wir sonst, wie Du weißt, Marthon (indem sie sich an ihre Dienerin wandte), unsern Kopfputz nie anders als unter einem Baldachin und auf einem Thronsessel mit drei Stufen ordnen ließen, sollten wir uns jetzt, auf dem bloßen Boden stehend, wie zwei Mägde, ankleiden.« Marthon bekannte, daß ihre Gebieterin eine sehr traurige Wahrheit ausgesprochen habe. »Das wäre nicht das geringste Uebel gewesen, liebe Muhme,« versetzte Fräulein Isabelle; »ich hätte gern alles Prunkes entbehrt.« »Aber Gesellschaft nicht,« entgegnete Hameline; »die, liebes Mühmchen, hätten wir unmöglich länger entbehren können.« »Ich hätte auf alles verzichtet, teuerste Muhme,« antwortete Isabelle mit einer Stimme, die ihrem jungen Geleiter und Beschützer ins Innerste drang, »auf alles, um eine sichere und eine ehrenvolle Zurückgezogenheit. Ich wünsche nicht, und habe es, Gott weiß es, nie gewünscht, die Veranlassung zu einem Kriege zwischen Frankreich und meinem Geburtsland zu werden, oder daß meinetwegen auch nur ein Menschenleben aufgeopfert würde. Ich flehte bloß um die Erlaubnis, mich in das Kloster von Marmoutier oder an einen andern heiligen Ort zurückziehen zu dürfen.« »Ihr sprecht töricht, Nichte,« entgegnete die ältere Gräfin, »und nicht wie die Tochter meines edeln Bruders. Es ist gut, daß noch jemand lebt, der etwas von dem Geiste des edeln Hauses von Croye in sich trägt. Wie sollte sich denn auch das hochgeborene Fräulein von dem sonnenverbrannten Milchmädchen unterscheiden, als dadurch, daß für die eine Lanzen, und für die andere nur Haselstöcke gebrochen werden? Ich sage Dir, Mädchen, daß in meiner ersten Jugendblüte, als ich kaum älter war, als Du, das berühmte Kampfspiel zu Haflinghem mir zu Ehren gehalten wurde; der Ausforderer waren vier, und der Gegner nicht weniger als zwölf. Ja, hättet Ihr nur zur Hälfte die Gesinnungen Eurer edeln Vorfahren, Ihr würdet schon Mittel finden, an einem Hofe, wo noch Frauenliebe und Waffenruhm etwas gelten, ein Turnier zu erhalten, wo Eure Hand der Preis sein müßte, wie es bei Eurer Urgroßmutter, gesegneten Andenkens, bei dem Speerrennen der Fall war; und dann würdet Ihr die beste Lage in Europa gewinnen, um die Rechte des Hauses Croye gegen die Unterdrückung Burgunds und die Politik Frankreichs zu behaupten.« »Aber, liebe Muhme,« entgegnete die jüngere Gräfin, »meine alte Amme erzählte mir, daß, obgleich der Rheingraf auf dem Turniere zu Straßburg die beste Lanze führte und so die Hand meiner Urgroßmutter gewann, die Ehe doch nicht glücklich war und daß er meine Urgroßmutter, gesegneten Andenkens, oft gescholten, zuweilen sogar geschlagen habe.« »Und warum sollte er das nicht?« fragte die ältere Gräfin in ihrer romanhaften Begeisterung für das Rittertum; »warum sollte dieser siegreiche Arm, gewohnt, draußen tüchtige Streiche zu führen, zu Haufe seiner Tatkraft Schranken setzen? Tausendmal lieber wollt ich mich des Tags zweimal schlagen lassen von einem Manne, dessen Arm von anderen ebenso wie von mir gefürchtet wäre, als die Frau eines Feiglings zu sein, der weder gegen sein Weib, noch gegen sonst jemand die Hand zu erheben wagte.« »Ich würde Euch zu solch einem Ehegemahl viel Glück wünschen, liebe Muhme,« antwortete Isabelle, »ohne Euch eben zu beneiden; denn wenn man sich auch auf einem Turniere gebrochene Glieder gefallen läßt, so ist dies doch nichts Einladendes für das Frauengemach.« »Ja, aber Schläge sind ja nicht gerade die notwendigen Folgen der Vermählung mit einem Ritter von großem Waffenruhme; – es ist freilich wahr, unser Ahnherr, der Rheingraf Gottfried, hatte eine etwas rauhe Gemütsart und war dem Genuß des Rheinweins sehr ergeben. – Der vollkommene Ritter ist ein Lamm unter Frauen und ein Löwe unter Lanzen. Da war Tibault von Montigny, – Gott sei mit ihm! – der war die beste Seele von der Welt, und war nicht nur nie so unartig, gegen seine Gattin die Hand zu erheben, sondern, bei unserer lieben Frau! er, der alle Feinde außer dem Hause schlug, fand innerhalb desselben eine schöne Feindin, die ihm viel zu schaffen machte. – Nun, das war seine eigene Schuld, – er war einer der Aufforderer bei dem Speerrennen zu Haflinghem und hielt sich da so wacker, daß er, hätte es dem Himmel und Deinem Großvater gefallen, eine Frau von Montigny gefunden haben würde, die ihn bei seiner Sanftmut sanftmütiger behandelt hätte.« Die Gräfin Isabelle, die allen Grund hatte, sich vor diesem Speerrennen zu Haflinghem zu fürchten, da dies ein Gegenstand war, bei dem die Muhme immer sehr redselig wurde, ließ das Gespräch fallen. Durward, der als ein wohlerzogener junger Mann besorgte, seine Gegenwart möchte ihrer Unterhaltung einen Zwang anlegen, ritt voraus zu dem Führer, als ob er über den Weg an ihn einige Fragen tun wollte. Indessen ritten die Damen schweigend fort oder unterhielten sich über unbedeutende Gegenstände bis zum Anbruche des Tages; da sie nun mehrere Stunden zu Pferde gewesen waren, besorgte Quentin, sie möchten ermüdet sein, und wollte wissen, wie weit sie noch von dem nächsten Ruheort entfernt wären. »In einer halben Stunde,« antwortete der Führer, »werde ich ihn Euch zeigen.« »Und dann überlaßt Ihr uns eines andern Führung?« fragte Quentin weiter. »Ja, Herr Bogenschütze,« erwiderte der Mann; »meine Reisen sind immer kurz und geradeaus. Während Ihr und andere den Bogen nehmt, greife ich immer nach dem Stricke.« Der Mond war längst untergegangen, und das Tagesgestirn begann glänzend und mächtig im Osten sich zu verbreiten und auf dem Spiegel eines kleinen Sees zu schimmern, an dessen Rande sie eine kurze Zeit angeritten waren. Quentin warf einen Blick auf den neben ihm reitenden Mann, und unter dem Schalten eines schlechten niedergekrempten Hutes, der dem Sombrero eines spanischen Bauern glich, erkannte er das lustige Gesicht des nämlichen Petit-André, dessen Finger noch vor kurzem in Gemeinschaft mit denen seines finstern Bruders, Trois-Echelles, so unbehaglich ihm um den Hals gespielt hatten. – Angetrieben durch seine Abneigung, die nicht ganz ohne Beimischung von Furcht war (denn in seinem Vaterlande wird der Nachrichter mit einem beinahe abergläubischen Abscheu betrachtet) lenkte Durward instinktartig den Kopf seines Pferdes zur Rechten und machte, indem er ihm den Sporn in die Seite drückte, eine halbe Wendung, die ihn wenigstens acht Fuß weit von seinem verhaßten Begleiter entfernte. »Ho! ho! ho!« rief Petit-André aus, »bei unserer lieben Frau von Grêve, unser junger Soldat erinnert sich unsrer noch. Nun, Kamerad, Du hegst doch keinen Groll, hoff ich – jedermann verdient sein Brot hier zu Lande, so gut er kann. Es braucht sich keiner zu schämen, durch meine Hände gegangen zu sein, denn ich nehme es mit jedem auf, der je etwas Lebendiges an einen toten Baum geknüpft hat. – Und Gott ist mein Zeuge, daß ich allemal dabei ein lustiger Geselle war. – Ha! ha! ha! – Ich könnt Euch da Späße erzählen, die ich auf dem Wege von dem Fuße der Leiter bis an den Galgen oben gemacht habe, daß ich, bei meiner Seele, genötigt war, meine Arbeit in Eile abzutun, sonst hätten die Kerle sich noch vorher zu Tode gelacht.« Mit diesen Worten lenkte er sein Pferd seitwärts, um den Raum, den der Schotte zwischen ihnen gelassen hatte, wieder auszufüllen, und sagte zu gleicher Zeit: »Kommt, Herr Bogenschütze, laßt allen Groll zwischen uns fahren! – Ich für meinen Teil tue immer meine Pflicht ohne Groll und leichten Herzens, und liebe einen Menschen nie mehr, als wenn ich ihm meinen knappen Strick um den Hals geschlungen habe, um ihn zu einem Ritter vom heiligen Patibularius zu schlagen, wie der Kaplan des Profoßen, der würdige Vater Baconeldiablo, den Schutzheiligen der Profossenschaft zu nennen pflegt.« »Zurück, Elender!« rief Quentin aus, als der Vollstrecker der Gesetze sich ihm abermals zu nähern suchte, »oder ich möchte versucht werden, Dich den Abstand kennen zu lehren, der zwischen Leuten von Ehre und einem Auswurfe der Menschheit, wie Du bist, stattfinden muß.« »Nun seht einmal, was Ihr doch gleich für ein Hitzkopf seid,« sagte der Kerl; »hättet Ihr gesagt: ehrliche Leute, so wäre doch auch noch etwas Wahres daran gewesen; – aber Leute von Ehre – mit diesen lieber Himmel! stehe ich tagtäglich in so engen Verhältnissen, als es beinahe bei Euch der Fall gewesen wäre. – Aber Friede sei mit Euch, wählt Eure Gesellschaft, wie Ihr wollt, – Wir hätten eine Flasche Auvergnat zusammen getrunken, um allen Groll hinunterzuspülen – aber Ihr verschmäht meine Höflichkeit. – Seid daher so grob, als Ihr wollt, – ich zanke mich nie mit meinen Kunden, meinen lustigen Tänzern, wie Jakob der Schlächter seine Schöpse nennt, kurz mit solchen, die wie Ew. Herrlichkeit die Buchstaben St. R. A. N. G. auf der Stirne tragen. Nein, nein, mögen sie mir's machen, wie sie wollen, sie sollen doch am Ende von mir noch gut bedient werden, und Ihr selbst sollt sehen, wie Petit-André, wenn Ihr wieder in seine Hände kommt, so leicht Beleidigungen vergessen kann.« Nach diesen Worten warf Petit-André noch einen höhnischen Blick auf Durward, schnalzte mit der Zunge, um sein Pferd anzutreiben, und ritt wieder auf die andere Seite, indem er es dem Jüngling überließ, die Spottreden, die er ihm aufgetischt hatte, zu verdauen, so gut es sein stolzer schottischer Magen vermochte. Quentin hatte große Lust, ihn mit dem Schafte seiner Lanze solange zu bearbeiten, als dieser halten mochte, aber er bezwang seine Leidenschaft, da er bedachte, daß Händel mit solch einem Menschen ihm zu keiner Zeit und an keinem Orte Ehre brächten, und daß ein Streit, von welcher Art er auch wäre, unter den gegenwärtigen Umständen eine Pflichtverletzung sein würde und von den verderblichsten Folgen werden könnte. Er verschluckte seinen Unwillen über die übelangebrachten Handwerksspäße Petit-Andrés und tröstete sich mit der Hoffnung, daß sie die Ohren seiner Schutzbefohlenen nicht erreicht haben würden, die von einem Manne, der solche Spöttereien verdiente, eben keine große Meinung hätten fassen können. Allein aus diesen Gedanken ward er durch den gleichzeitigen Ruf beider Damen gerissen: »Seht Euch um! Ums Himmels willen, nehmt Euch und uns in acht – wir werden verfolgt!« Quentin sah sich eiligst um und bemerkte, daß ihnen zwei Bewaffnete folgten und so scharf ritten, daß sie in kurzem sie einholen mußten. »Es können bloß Leute von der Polizeiwache sein, die ihre Runde in dem Forste machen. – Sieh einmal hin,« sprach er zu Petit-André, »wer sie wohl sind.« Petit-André tat, wie ihm befohlen, und, indem er sich possierlich in dem Sattel herumdrehte, erwiderte er: »Das, lieber Herr! sind weder Eure noch meine Kameraden, weder Bogenschützen noch Leute von der Polizeiwache – denn mir deucht, sie tragen Helme mit niedergelassenen Visieren und Ringkrägen. Hol der Henker diese Ringkrägen und all das Rüstzeug! Ich habe schon oft eine ganze Stunde an den Dingern herumklauben müssen, ehe ich die Nieten losmachen konnte.« »Edle Damen!« sprach Durward, ohne auf Petit-André zu hören, »reitet vorwärts, doch nicht so schnell, daß man meinen könnte, ihr fliehet, aber schnell genug, daß euch das Hindernis, welches ich den beiden uns verfolgenden Männern in den Weg legen werde, zustatten komme.« Die Gräfin Isabelle sah ihren Führer an und flüsterte dann ihrer Muhme etwas zu, worauf diese zu Quentin sagte: »Wir setzen volles Vertrauen in Euch, guter Bogenschütze, und wollen uns lieber jeder Gefahr in Eurer Gesellschaft aussetzen, als daß wir mit diesem Manne, dessen Miene nicht viel Gutes verspricht, unsern Weg fortsetzen.« »Es geschehe, wie ihr wollt, meine Damen,« sagte der Jüngling, »es sind ihrer nur zwei, die hinter uns herkommen, und ob es gleich, nach ihren Waffen zu urteilen, Ritter sind, so sollen sie doch, wenn sie etwas Böses im Schilde führen, erfahren, wie ein Schotte zur Verteidigung solcher Damen, wie ihr seid, seine Schuldigkeit tun kann. – Wer von euch,« fuhr er, an die unter seinem Befehle stehende Sicherheitswache sich wendend, fort, »hat Lust, sich an mich anzuschließen und mit jenen Kämpen eine Lanze zu brechen?« Zwei von ihnen schienen unschlüssig zu sein; aber der dritte, Bertrand Guyot, schwor, er wolle, cap de Diou, zur Ehre von Gaskogne sich mit ihnen messen, und wären es auch Ritter von König Arthurs Tafelrunde. Indes er so sprach, erreichten die beiden Ritter, denn nichts Geringeres schienen sie zu sein, den Nachtrab des Zuges, wo Quentin sich mit seinem handfesten Genossen aufgestellt hatte. Sie waren in voller, glänzender Rüstung von poliertem Stahl ohne irgend ein Wappenzeichen, an dem man sie hätte erkennen können. Als sie nahe genug waren, rief einer von ihnen Quentin zu: »Macht Platz, Herr Knappe, wir kommen, Euch von einem Posten abzulösen, der über Euern Rang und Stand geht. Ihr werdet wohl tun, die Damen unserem Schutze zu überlassen: wir sind geeigneter zu diesem Dienste, um so mehr, da wir wissen, daß sie unter Eurer Obhut nicht viel besser als Gefangene sind.« »Als Antwort auf euer Ansinnen, ihr Herren,« versetzte Durward, »diene euch zuerst, daß dieser Auftrag mir von meinem Gebieter, dem König von Frankreich, gegeben ward, und dann, daß, wie unwürdig ich auch dessen sein mag, die Damen unter meinem Schutze zu bleiben wünschen.« »Wie, Bursche,« rief einer der Kämpen, »Du heimatloser Bettler, willst Dich Männern, die mit dem Ritterschwert geschmückt sind, widersetzen?« »Ja, das will ich,« versetzte Quentin, »ich will gegen euern ungesetzlichen Angriff mich zur Wehr setzen; und wenn zwischen uns, was ich jedoch noch nicht weiß, eine Ungleichheit des Ranges stattfindet, so hat sie eure Unhöflichkeit ausgeglichen. – Ziehet euer Schwert, oder nehmt, wollt ihr die Lanze lieber brauchen, euern Anlauf.« Während die Ritter ihre Pferde umwandten und auf eine Entfernung von hundertfünfzig Ellen zurückritten, beugte sich Quentin, nach den Damen hinblickend, bis auf seinen Sattelknopf, als wünschte er einen beifälligen Blick; und als sie nun zum Zeichen der Aufmunterung ihre Tücher wehen ließen, hatten die zwei Angreifenden die für den Anlauf nötige Entfernung erreicht. Durward rief dem Gaskogner zu, sich mannhaft zu halten, setzte dann sein Streitroß in Bewegung, und die vier Reiter trafen in vollem Laufe in der Mitte des Raumes aufeinander. Dem armen Gaskogner war dieser Angriff verderblich; denn da sein Gegner die Lanze gegen sein Gesicht gerichtet hatte, das durch kein Visier geschützt war, stach er ihm diese durch das Auge in das Gehirn, so daß er tot vom Pferde stürzte. Quentin trug ebenfalls kein Visier zu seinem Schutze, wußte sich aber so geschickt in dem Sattel zu wenden, daß ihm die feindliche Lanze nur leicht die Wange ritzte und über seine rechte Schulter hinfuhr, während sein eigner Speer seinen Gegner gerade vor die Brust traf und auf den Grund setzte. Quentin sprang vom Pferde, um dem Gefallenen den Helm abzunehmen; allein der andere Ritter schwang sich, da er seines Gefährten Mißgeschick sah, noch schneller als Durward, vom Pferde, stellte sich vor seinen bewußtlos daliegenden Freund hin und rief: »Im Namen Gottes und des heiligen Martin, steig auf Dein Pferd, guter Freund, und mach Dich mit Deiner Weiberware aus dem Staube! – Ventre-Saint-Gris, sie haben diesen Morgen schon Unheil genug angerichtet!« »Mit Euerm Verlaub, Herr Ritter,« sagte Quentin, dem der drohende Ton, mit dem diese Weisung gegeben wurde, nicht behagen wollte, »erst will ich sehen, mit wem ich es zu tun gehabt habe, und erfahren, wer mir für den Tod meines Kameraden verantwortlich ist.« »Das sollst Du in Deinem Leben nie erfahren,« entgegnete der Ritter. »Zieh in Frieden Deines Weges, guter Freund. Wenn wir so töricht waren, Eure Reise zu unterbrechen, so sind wir hinlänglich dafür bestraft, denn Du hast mehr Unheil angerichtet, als Dein Leben und das Leben Deines ganzen Haufens je wieder gut machen können. Nun, wenn Du es denn so haben willst,« sprach er, als er Durward sein Schwert ziehen und auf ihn eindringen sah, »so nimm es denn hin!« Mit diesen Worten gab er dem Schotten einen so gewaltigen Streich über den Helm, wie dieser bisher, obgleich in einem Lande aufgewachsen, wo tüchtige Streiche nichts Seltenes sind, bloß in Romanen gelesen hatte. Er fuhr wie ein Blitzstrahl herab, schlug das Schwert, welches der junge Soldat, sein Haupt zu decken, erhoben hatte, nieder und spaltete seinen tüchtigen Helm dergestalt, daß er den Kopf traf, ohne jedoch weitern Schaden zu tun. Durward aber sank schwindelnd und betäubt auf ein Knie und befand sich einen Augenblick in der Gewalt des Ritters. Geschah es indes aus Mitleid mit der Jugend Quentins oder aus Bewunderung seines Mutes, oder aus edelmütiger Liebe zu rechtlichem Kampfe – genug, der Ritter enthielt sich, einen solchen Vorteil zu benützen. Quentin aber sammelte sich wieder, sprang auf und griff seinen Gegner mit dem Ungestüm eines Mannes an, der entschlossen ist, zu siegen oder zu sterben, und zugleich mit all der Geistesgegenwart, die erforderlich ist, um den Kampf mit Benutzung aller Vorteile durchzufechten. Entschlossen, sich nicht zum zweitenmal einem zu furchtbaren Streiche auszusetzen, bediente er sich des Vorteils überwiegender Gewandtheit, die noch durch die verhältnismäßig größere Leichtigkeit seiner Rüstung gesteigert wurde, um seinen Gegner zu ermüden, indem er ihn von allen Seiten mit solcher Schnelligkeit angriff, daß es dem Ritter schwer ward, sich in seiner gewichtigen Rüstung ohne große Ermüdung und Anstrengung zu verteidigen. Vergeblich rief ihm sein edelmütiger Gegner zu, »daß kein Grund zu weiterem Kampfe zwischen ihnen vorhanden sei, und es ihm leid wäre, ihm mehr zu tun.« Einzig nur den Eingebungen seines leidenschaftlichen Verlangens, die Schande seiner augenblicklichen Niederlage abzuwaschen, Gehör gebend, fuhr Durward fort, ihn mit Blitzesschnelle anzugreifen, indem er ihn bald mit der Schärfe, bald mit der Spitze des Schwertes bedrohte und zugleich die Bewegungen seines Gegners, von dessen überlegener Stärke er einen furchtbaren Beweis erhalten hatte, scharf bewachte, so daß er stets bereit war, den Streichen seiner gewaltigen Waffe bald seitwärts, bald rückwärts auszuweichen. »Ei, so hole doch der Henker den hartnäckigen, anmaßenden Toren,« sprach der Ritter halblaut vor sich hin; »er kann nicht ruhen, bis er eins vor den Kopf bekommen hat.« Mit diesen Worten veränderte er seine Fechtart, sammelte sich wieder, als ob er sich nur verteidigungsweise halten wollte, und schien sich damit zu begnügen, die Streiche, mit denen ihm Quentin unaufhörlich zusetzte, zu parieren, ohne sie zu erwidern, jedoch in seinem Innern entschlossen, sobald Erschöpfung oder ein falscher unbedachter Schritt des jungen Soldaten ihm eine Blöße darböte, dem Kampfe mit einem einzigen Streich ein Ende zu machen. Wahrscheinlich wäre ihm auch diese Kriegslist gelungen; allein das Schicksal hatte es anders beschlossen. Der Zweikampf war am hitzigsten, als ein zahlreicher Reitertrupp mit dem Rufe heransprengte: »In des Königs Namen, haltet ein!« Beide Kämpfer traten zurück, und Quentin sah zu seinem Erstaunen seinen Hauptmann, Lord Crawford, an der Spitze der Bewaffneten, die seinen Zweikampf mit dem Ritter unterbrochen hatten. Auch war Tristan l'Hermite nebst zwei oder drei seiner Leute dabei, so daß es in allem zusammen etwa zwanzig Pferde sein mochten. Fünfzehntes Kapitel Die Ankunft Lord Crawfords und seiner Wache machte dem eben beschriebenen Kampfe sogleich ein Ende. Der Ritter nahm seinen Helm ab und übergab dem alten Lord sein Schwert mit den Worten: »Crawford, ich ergebe mich. – Aber hier – ein Wort im Vertrauen – um Gotteswillen, rettet den Herzog von Orleans!« – »Wie? – was? Den Herzog von Orleans?« rief der schottische Befehlshaber aus, – »wie kam das, ins Teufels Namen? – Das muß den Anstifter dieser Tat für immer bei dem Könige in Ungnade bringen.« – »Fragt nicht weiter,« sprach Dunois, denn kein anderer, als dieser war es; »ich bin an allem schuld. – Aber seht, es ist noch Leben in ihm. Ich kam her, mir eines der Dämchen dort wegzufangen und so zu Weib und Land zu kommen – und seht, was draus entstanden ist. Laßt die Kerls zurücktreten – es soll ihn niemand erkennen.« Mit diesen Worten öffnete er dem Herzoge das Visier und spritzte ihm Wasser aus dem nahen See ins Gesicht. Quentin Durward stand wie vom Donner gerührt; so schnell stürmten Abenteuer über Abenteuer auf ihn ein. Die bleichen Züge seines Gegners überzeugten ihn jetzt, daß er den ersten Prinzen von französischem Geblüt zu Boden gestreckt und sich mit seinem besten Kämpen, dem berühmten Dunois, gemessen hatte; – beides an und für sich höchst ehrenvolle Taten; allein ob er damit auch dem Könige einen Dienst geleistet hatte, war eine Frage. Der Herzog war wieder zu sich gekommen und imstande, auf das, was zwischen Dunois und Crawford vorging, acht zu geben; der erstere behauptete nämlich sehr eifrig, es sei nicht nötig, in der ganzen Sache auch nur den Namen des edeln Herzogs zu erwähnen, indem er bereit sei, alle Schuld auf sich zu nehmen und zu erklären, daß der Herzog ihm aus bloßer Freundschaft hierher gefolgt sei. Mit gesenktem Blicke hörte ihm Crawford zu, seufzte von Zeit zu Zeit und zuckte die Achseln. Endlich erwiderte er, indem er aufblickte: »Du weißt, Dunois, daß ich sowohl um Deines Vaters als um Deiner selbst Willen Dir gern einen Dienst erweisen würde.« – »Ich verlange nichts für mich,« antwortete Dunois. »Du hast mein Schwert, und ich bin Dein Gefangener – was braucht es mehr? Es ist mir bloß um diesen edeln Prinzen zu tun, – Frankreichs einzige Hoffnung, wenn der Himmel den Dauphin zu sich nehmen sollte. Er kam nur mir zu Gefallen hierher – um – mein Glück zu machen – wozu mich gewissermaßen der König selbst aufgemuntert hatte.« – »Dunois,« erwiderte Crawford, »hätte mir sonst jemand gesagt, Du habest um eigenen Vorteils willen den edlen Prinzen in diese Gefahr gebracht, ich hätte ihn Lügen gestraft. Nun aber Du selbst es tust, kann ich kaum glauben, daß Du die Wahrheit sagst.« »Edler Crawford,« fiel Orleans ein, der sich indessen von seiner Ohnmacht wieder gänzlich erholt hatte, »Euer Charakter gleicht dem Eures Freundes Dunois zu sehr, als daß Ihr ihm nicht Gerechtigkeit widerfahren lassen solltet. Ich war es, der ihn gegen seinen Willen in dieses unbesonnene, unsinnige Unternehmen mit fortriß. Seh mich an, wer da will,« setzte er hinzu, indem er sich zu den Soldaten wandte. – »Ich bin Ludwig von Frankreich und bereit, die Strafe für meine Torheit zu büßen. Hoffentlich wird der König, wie es recht und billig ist, seine Ungnade auf mich allein beschränken. – Indessen darf ein Sohn Frankreichs sein Schwert niemandem, auch Euch nicht, wackrer Crawford, übergeben – so fahre denn wohl, guter Stahl!« – Mit diesen Worten zog er sein Schwert aus der Scheide und schleuderte es in den See. Es zuckte durch die Luft wie ein Blitzstrahl, und fiel plätschernd in das Wasser, das sich schnell über ihm schloß. – Alle standen unentschlossen und erstaunt umher, so hoch war der Rang, so allgemein geachtet der Charakter des Schuldigen; jeder mußte es sich jedoch sagen, daß die Folgen dieses unbesonnenen Unternehmens in Betracht der Absichten, die der König mit ihm hatte, wahrscheinlich mit seinem gänzlichen Verderben enden würden. Dunois nahm zuerst wieder das Wort, und in dem zürnenden Tone eines durch Mangel an Zutrauen gekränkten Freundes sprach er! »Ew. Hoheit findet also für gut, Euer bestes Schwert an demselben Morgen wegzuwerfen, an dem ihr kein Bedenken trugt, die Gnade des Königs zu verscherzen und Dunois' Freundschaft zu verschmähen?« – »Teuerster Vetter,« sprach der Herzog, »wie konnte ich Deine Freundschaft verschmähen wollen? Doch nicht dadurch, daß ich die Wahrheit sagte, wo ich sie Deiner Sicherheit und meiner Ehre schuldig war?« – »Was ging Euch denn meine Sicherheit an, fürstlicher Vetter, das möcht ich wissen?« sagte Dunois kurz; – »was in aller Welt kann es Euch verschlagen, wenn ich Lust habe, mich hängen oder erdrosseln, in die Loire werfen, oder erdolchen oder rädern, oder in einem eisernen Käfig einsperren, oder in einem unterirdischen Burgverließ lebendig begraben, oder sonst auf irgend eine Art aus der Welt schaffen zu lassen, wie es König Ludwig über seine getreuen Untertanen zu verhängen für gut finden mag? Ihr habt nicht nötig, mir zuzuwinken, die Stirne zu runzeln und auf Tristan l'Hermite zu deuten, ich sehe den Schuft so gut wie Ihr. – Aber so wär' es mir wohl nicht ergangen. – Soviel inbetreff meiner Sicherheit. Und was Eure Ehre anbelangt – bei dem Erröten der heiligen Magdalene! die wäre, dächt' ich, gerettet worden, wenn man das Unternehmen von diesem Morgen ganz unterlassen hätte, oder wenn Ihr dabei Euch nicht hättet blicken lassen. Da ist nun Eure Hoheit von einem wilden, schottischen Burschen aus dem Sattel gehoben wurden.« – »Still, still!« entgegnete Lord Crawford, »ich lese Eure Handschrift auf dieser gespaltenen Sturmhaube da. Man nehme sie dem Jungen ab, und gebe ihm meine Mütze, die ihm mit ihrem Stahlfutter den Kopf besser schützen wird als das zerbrochene Ding da. – Und nun, Dunois, muß ich Euch und den Herzog von Orleans ersuchen, aufzusitzen und mich zu begleiten, da ich Vollmacht und Auftrag habe, Euch an einen Ort zu führen, der, leider! sehr verschieden ist von dem, den ich Euch gern anweisen möchte.« – »Darf ich nicht noch ein Wort mit jenen schönen Damen dort sprechen, Lord Crawford?« fragte der Herzog von Orleans. – »Nicht eine Silbe,« antwortete Lord Crawford; »ich bin zu sehr Freund Ew. Hoheit, als daß ich eine solche Unbesonnenheit zulassen sollte.« Dann wandte er sich an Quentin und sagte: »Ihr, junger Mann, habt Eure Schuldigkeit getan. Fahrt fort, den Euch gewordnen Auftrag auszuführen.« – »Mit Erlaubnis, Mylord,« sprach Tristan mit seinem gewöhnlichen, rauhen Wesen, »der junge Mann muß sich einen andern Führer suchen. Ich kann Petit-André nicht entbehren, da sich leicht Geschäfte für ihn finden möchten.« – »Der junge Herr,« sprach Petit-André, der jetzt wieder zum Vorschein kam, »braucht nur den Weg, der gerade vor ihm liegt, zu verfolgen, und er wird an den Ort gelangen, wo er den Mann finden wird, der ihm zum Wegweiser bestimmt ist. Nicht um tausend Dukaten wollte ich mich heute von der Seite meines Vorgesetzten entfernen. Ich habe schon manche Ritter und Knappen, reiche Schöppen und Bürgermeister gehenkt – sogar Grafen und Marquis schon zu bedienen gehabt – aber, hm, hm,« – hier sah er den Herzog an, als wollte er sagen, »es fehlt nur noch ein Prinz von Geblüt! – Ho, ho, ho! Petit-André, man wird von Dir noch in der Chronik lesen.« – »Erlaubt Ihr Euern Schuften, in solcher Gegenwart eine solche Sprache zu führen?« sagte Crawford, indem er einen ernsten Blick auf Tristan warf. – »Warum weist Ihr ihn nicht selbst zurecht, Mylord?« entgegnete Tristan tückisch. – »Weil Deine Hand die einzige in der ganzen Gesellschaft ist, die ihn züchtigen kann, ohne durch eine solche Handlung entehrt zu werden,« versetzte Crawford. – »So haltet denn Eure eignen Leute in Ordnung, Mylord, und ich will für die meinigen verantwortlich sein,« sprach der Generalprofoß. Lord Crawford schien im Begriff, ihm eine leidenschaftliche Antwort zu geben, allein als ob er sich eines Bessern besonnen hätte, kehrte er Tristan rasch den Rücken zu und ersuchte den Herzog von Orleans und Dunois, ihm zur Seite zu reiten, gab den Damen ein Abschiedszeichen und sagte zu Quentin: »Gott segne Dich, mein Kind; Du hast Deinen Dienst tapfer begonnen, obgleich in einer unglücklichen Sache.« Als er im Begriff war, sich aufzumachen, hörte Quentin noch, daß Dunois dem Lord zuflüsterte: »Führt Ihr uns nach Plessis?« »Nein, mein unglücklicher, unbesonnener Freund!« antwortete seufzend Lord Crawford; »nach Loches.« – »Nach Loches!« Der Klang dieses Namens, noch mehr gefürchtet als Plessis selbst, schallte wie ein Donnerschlag in des jungen Schotten Ohr. Er hatte Loches als einen Ort schildern hören, der zur Ausübung jener geheimen Handlungen der Grausamkeit bestimmt war, womit selbst Ludwig das Innere seines Wohnsitzes zu beflecken sich schämte. An diesem Orte des Schreckens befanden sich Kerker auf Kerker, von denen einige sogar den Gefangenenwärtern unbekannt waren: Gräber für Lebendige, in denen diese für ihr ferneres Leben außer Wasser und Brot zu ihrem Unterhalt und dem Einatmen einer verpesteten Luft nichts weiter zu hoffen hatten. In diesem furchtbaren Schlosse waren auch jene schrecklichen Gefängnisse, »Käfige« genannt, in denen die unglücklichen Gefangenen weder aufrecht stehen, noch sich ausstrecken konnten: eine Erfindung, wie man sagte, des Kardinals Balue. Als er sich wieder an der Spitze des kleinen Haufens befand und den ihm bezeichneten Weg weiter verfolgte, nahm Gräfin Hameline Gelegenheit, ihn anzureden. »Mich dünkt, junger Mann, Ihr bedauert den Sieg, den Eure Tapferkeit zu unserem Schutze erfochten hat?« Es lag etwas in dem Tone dieser Frage, das wie Spott klang, aber Quentin hatte Schicklichkeitsgefühl genug, um einfach und treuherzig zu antworten: »Ich bedaure nichts, was ich im Dienste solcher Damen, wie ihr seid, getan habe; aber hatte es mit eurer Sicherheit bestehen können, so wollte ich, glaub ich, lieber durch das Schwert eines so guten Kriegers, wie Dunois, gefallen sein, als daß ich so die Veranlassung zur Einsperrung dieses berühmten Ritters und seines unglücklichen Gebieters, des Herzogs von Orleans, in jene furchtbaren Gefängnisse geworden bin.« – »So war es also doch der Herzog von Orleans?« sagte die ältere Dame zu ihrer Nichte. »Selbst in der Entfernung, in der wir dem Kampfe zusahen, erkannte ich ihn dafür. Ihr seht, Nichte, was aus uns hätte werden können, wenn uns der hinterlistige, habsüchtige Monarch gestattet hätte, an seinem Hofe aufzutreten. Der erste französische Prinz von Geblüt und der ritterliche Dunois, dessen Name ebenso weltberühmt ist, als der seines heldenmütigen Vaters! – Dieser junge Mann tat seine Schuldigkeit tapfer und gut; aber mich dünkt, es ist schade, daß er nicht ehrenvoll unterlegen ist, da seine unzeitige Tapferkeit sich zwischen uns und die erlauchten Befreier gestellt hat.« Die Gräfin Isabelle erwiderte in festem und fast unwilligem Tone, mit einer Energie, welche Quentin noch nicht an ihr bemerkt hatte: »Madame, wenn ich nicht wüßte, daß Ihr scherzet, so müßt ich sagen, daß Eure Aeußerung großen Undank gegen unsern tapfern Verteidiger, dem wir mehr verdanken, als Ihr vielleicht glaubt, an den Tag legt. Wäre es den Rittern gelungen, unser Gefolge zu überwältigen, so ist es offenbar, daß wir ihre Gefangenschaft hätten teilen müssen. Was mich betrifft, so fließen dem tapfern Mann, der für uns gefallen ist, meine Tränen, und ich werde Seelenmessen für ihn lesen lassen! der Ueberlebende aber wird,« dies setzte sie in einem mehr schüchternen Tone hinzu, »meinen innigen Dank nicht verschmähen.« Als Quentin sie anblickte, um ihr etwas Passendes zu erwidern, bemerkte sie, daß das Blut an seiner Wange herabströmte, und rief im Tone tiefen Gefühls aus: »Heilige Jungfrau, er ist verwundet! er blutet! Steigt ab und laßt Eure Wunde verbinden.« Trotz allem, was Quentin über das Unbedeutende seiner Verletzung sagen mochte, mußte er absteigen, sich auf einem Felsstück niederlassen und dann den Helm abnehmen. Die Gräfinnen von Croye, die, einer damals noch nicht abgekommener Sitte zufolge, auf einige Kenntnis in der Heilkunde Anspruch machen konnten, wuschen ihm die Wunde aus, suchten das Blut zu stillen und verbanden die Wange mit dem Taschentuch der jüngeren Dame, um die Einwirkung der Luft zu verhindern, so wie ihnen die Erfahrung gebot. Wir haben bereits bemerkt, daß der Patient ausnehmend hübsch war. Als er nun seinen Helm oder vielmehr seine Sturmhaube abnahm, umflossen seine gelockten Haare ein Gesicht, aus dem sicher der Frohsinn der Jugend, verbunden mit dem Erröten der Bescheidenheit die Schönheit nur noch anmutiger malte. In die Gefühle der jüngeren Gräfin, die das Taschentuch auf die Wange halten mußte, während ihre Muhme im Gepäcke nach einem Wundheilmittel suchte, mischte sich eine gewisse zarte Scheu und Verlegenheit; Mitleid für den Verwundeten und eine Regung der Dankbarkeit gaben in ihren Augen seinem schönen Aeußern und seinen edlen Zügen nach mehr Anziehendes. Mit einem Worte, das Schicksal schien diesen Vorfall herbeigeführt zu haben, um den geheimen Seelenverein zu vollenden, der durch mehrere unbedeutende und dem Anschein nach zufällige Umstände zwischen zwei Personen begonnen hatte, die, wenngleich verschieden durch Rang und Glücksgüter, dennoch durch Jugend, Schönheit und die romantische Zärtlichkeit liebender Gemüter innig verwandt waren. Es war daher kein Wunder, daß von diesem Augenblick an die Gedanken an die Gräfin Isabelle, mit denen Quentins Einbildungskraft schon so vertraut war, sich seiner ganzen Seele zu bemächtigen anfing, und daß, wenn auch des Mädchens Gefühle einen minder entschiedenen Charakter hatten, soweit sie sich nämlich derselben bewußt war, sie an ihren jungen Beschützer, dem sie einen so interessanten Gegendienst erwiesen hatte, mit mehr Anteil dachte als an irgend einen aus der Menge hochgeborner Edeln, die sie seit zwei Jahren mit ihren Huldigungen verfolgt hatten. Vor allem erschien ihr, wenn sie an Campobasso, den unwürdigen Günstling Herzog Karls, mit seiner heuchlerischen Miene, seiner niederträchtigen, verräterischen Gemütsart, seinem schiefen Halse und seinen schielenden Augen dachte, sein Bild noch scheußlicher und abschreckender als jemals; und sie faßte bei sich den festen Entschluß, daß keine Tyrannei sie je zur Eingehung einer solchen Verbindung vermögen sollte. Sei es nun, daß die gute Gräfin Hameline von Croye männliche Schönheit noch ebenso bewunderte und zu würdigen wußte, als wie in ihrem fünfzehnten Jahre (denn die Gräfin war, wenn die Nachrichten dieses edlen Hauses die Wahrheit sprechen, wenigstens fünfunddreißig Jahre alt), oder daß sie glaubte, sie habe ihrem jungen Beschützer bei der anfänglichen Beurteilung seiner Dienste weniger Gerechtigkeit widerfahren lassen, als er verdiene, genug – er begann Gnade auch in ihren Augen zu finden ... »Meine Nichte,« sagte sie, »hat Euch ein Tuch geschenkt, um Eure Wunde zu verbinden; empfanget hier eines zur Belohnung für Eure Tapferkeit und zur Ermutigung, auf dem Pfade des Rittertums also fortzuschreiten.« Mit diesen Worten gab sie ihm ein blauseidenes, reich mit Silber gesticktes Tuch, zeigte auf die Satteldecke ihres Zelters und die Federn ihres Reithutes und machte ihm bemerklich, daß sie von gleicher Farbe wären. Die Sitte der Zeit schrieb genau die Art vor, wie man eine solche Gunstbezeugung anzunehmen habe; Quentin befolgte sie auch, indem er das Tuch um seinen Arm band. Er bezeigte ihr jedoch seinen Dank auf eine linkischere und weniger galante Weise, als es vielleicht zu einer andern Zeit und in andrer Gegenwart der Fall gewesen wäre; denn obgleich ein solches Damengeschenk als bloße Artigkeit anzusehen war, so hätte er sich doch lieber des Rechts bedient, das Tuch um den Arm zu tragen, das auf der ihm von Dunois' Schwert geschlagenen Wunde lag. Mittlerweile setzten sie ihre Wallfahrt fort; Quentin ritt den Damen zur Seite, in deren Gesellschaft er stillschweigend aufgenommen zu sein schien. Er sprach jedoch nicht viel; denn ihn erfüllte das Bewußtsein jener stillen Glückseligkeit, das sich scheut, seinen Empfindungen eine zu laute Sprache zu leihen. Gräfin Isabelle sprach noch weniger, so daß die ganze Unterhaltung auf Gräfin Hameline beruhte, die auch keine Lust bezeigte, sie fallen zu lassen; denn um den jungen Bogenschützen, wie sie sagte, in die Grundsätze und Sitten des Rittertums einzuweihen, erzählte sie ihm den ganzen Hergang des Speerrennens zu Haflinghem, wo sie die Preise unter die Sieger verteilt hatte. Quentin, der, wie ich mit Bedauern sagen muß, an der Schilderung kein großes Interesse fand, fing an besorgt zu werden, ob er nicht vielleicht schon über den Ort hinaus sei, wo der Führer zu ihm stoßen sollte – ein ernster Unfall, der, wenn er sich wirklich zugetragen hatte, die schlimmsten Folgen befürchten ließ. Während er mit sich zu Rate ging, ob es nicht besser wäre, einen Begleiter zurückzuschicken, um zu ermitteln, ob seine Furcht gegründet sei, vernahm er den Klang eines Horns, und als er die Augen in die Richtung wandte, woher dieser kam, sah er einen Reitersmann eilig gegen sie heransprengen. Das kleine, wilde, langhaarige Tier erinnerte Quentin an die Gebirgspferde seines Vaterlandes; allein dieses war feiner gebaut, und bei gleicher Ausdauer, wie es schien, ungleich rascher in seinen Bewegungen; der Kopf besonders, der bei schottischen Kleppern oft plump und unförmlich ist, war klein und stand in schönem Verhältnis zu seinem Halse; dabei hatte das Tier dünne Kinnladen, feurige, volle Augen und weite Nasenlöcher. Noch sonderbarer als das Aussehen des Pferdes, das er ritt, das übrigens mit den französischen Pferden nicht die geringste Ähnlichkeit hatte, war das des Reiters. Er lenkte zwar seinen Klepper mit vieler Gewandtheit, seine breiten, schaufelförmigen Steigbügel aber waren so kurz geschnallt, daß seine Knie mit dem Sattelknopfe ziemlich die gleiche Höhe erreichten. Er trug einen kleinen roten Turban mit einer schmutzigen Feder, die mit einer silbernen Schnalle befestigt war; sein Leibrock war von grüner Farbe und flitterhaft mit Gold besetzt; er trug sehr weite, ziemlich beschmutzte Beinkleider, die um die Knie befestigt waren; seine schwarzbraunen Beine waren ganz nackt bis auf die Bänder, die seine Sandalen an die Füße befestigten. Er trug keine Sporen, denn die Ecken seiner breiten Steigbügel waren scharf genug, das Pferd auf eine sehr empfindliche Weise anzutreiben. In einem karmesinroten Gürtel hatte dieser sonderbare Reiter auf der rechten Seite einen Dolch stecken, an seiner linken hing ein kurzes, gekrümmtes, maurisches Schwert, und an einem schmutzigen Wehrgehänge das Hifthorn, das seine Annäherung verkündigt hatte. Er hatte ein schwärzliches, sonnenverbranntes Gesicht, einen schwachen Bart, schwarze, durchdringende Augen, einen wohlgebildeten Mund und Nase; auch seine übrigen Züge hätten für hübsch gelten können, wenn ihm nicht sein schwarzes, struppiges Haar, das unordentlich um den Kopf hing, und der wilde Ausdruck seiner abgezehrten Gestalt mehr das Ansehen eines Wilden als das eines zivilisierten Menschen gegeben hätten. »Wieder ein Zigeuner!« sagten die Damen zueinander; »heilige Jungfrau, schenkt denn der König immer noch solchen verworfenen Menschen sein Vertrauen?« – »Wenn ihr es wünscht,« sagte Quentin, »werde ich den Mann befragen und mich, so gut ich kann, seiner Treue versichern.« Durward sowohl, als die Gräfinnen von Croye, hatten in dem Anzug und dem Aeußern dieses Mannes das Benehmen und die Manieren jener Landstreicher erkannt, mit denen er bei Trois-Echelles und Petit-Andrés raschem Verfahren beinahe verwechselt worden wäre, und hegte daher sehr natürliche Besorgnisse über die Gefahr, einem von diesem fahrenden Volk Vertrauen zu schenken. »Kamst Du hierher, um uns aufzusuchen?« war seine erste Frage. – Der Fremde nickte bejahend. – »Und in welcher Absicht?« – »Um Euch nach dem Palaste von Lüttich zu geleiten.« – »Des Bischofs?« Der Zigeuner nickte abermals. – »Welches Zeichen kannst Du mir geben, daß wir Dir glauben dürfen?« – »Kein anderes, als den alten Reim,« antwortete der Zigeuner. »Der Page den wilden Eber schlug, Davon der Pair die Ehre trug.« »Ein richtiges Zeichen,« sprach Quentin; »reite voraus, guter Bursche – ich werde sogleich weiter mit Dir sprechen.« Hierauf begab er sich zu den Damen zurück und sagte ihnen: »Ich bin überzeugt, dieser Mann ist der Führer, den wir erwarten; denn er hat mir ein Paßwort gegeben, das, wie ich glaube, nur dem Könige und mir bekannt ist. Allein ich will mich noch weiter mit ihm besprechen, um zu erfahren, inwieweit ihm tatsächlich zu trauen ist.« Sechzehntes Kapitel Während Quentin mit den Damen sprach, bemerkte er, daß der Mann nicht allein seinen Kopf zurückbog, um nach ihnen hinzusehen, sondern sich auch mit außerordentlicher Gewandtheit, die mehr der eines Affen denn eines Menschen glich, auf dem Sattel so herumdrehte, daß er beinahe seitwärts auf dem Pferde saß, um, wie es schien, desto genauer beobachten zu können. Quentin, dem diese Bewegung nicht besonders wohlgefiel, ritt auf den Zigeuner zu und sagte, als er plötzlich wieder seinen gehörigen Sitz auf dem Pferde einnahm: »Mich dünkt, Freund, Ihr werdet nur ein blinder Führer sein, wenn Ihr mehr nach dem Schweife als nach den Ohren des Pferdes seht.« – »Und wäre ich auch blind,« erwiderte der Zigeuner, »so wollt ich Euch doch durch jede Gegend des Königreichs Frankreich oder der Nachbarstaaten führen.« – »Ihr seid aber doch kein geborner Franzose,« versetzte der Schotte. – »Nein,« antwortete der Führer. – »Was für ein Landsmann seid Ihr denn?« fragte Quentin. – »Ich bin aus keinem Lande,« erwiderte der Zigeuner. – »Aus keinem Lande?« – »Nein,« sprach der Zigeuner. »Ich bin ein Zingaro oder Zigeuner, oder Aegypter, oder wie immer die Europäer unser Volk nennen mögen; ich habe kein Vaterland.« – »Seid Ihr ein Christ?« fragte der Schotte. – Der Zigeuner schüttelte den Kopf. – »Hund,« sagte Quentin (denn in dem Geiste damaliger Zeit lag wenig Toleranz), »so verehrst Du also Mahommed?« – »Nein,« war die gleichgültige und bündige Antwort des Führers, der durch des jungen Mannes Heftigkeit weder überrascht noch beleidigt zu sein schien. – »Seid Ihr denn ein Heide, oder was seid Ihr?« – »Ich habe keine Religion,« antwortete der Zigeuner. Durward fuhr zurück; denn ob er gleich von Sarazenen und Götzendienern gehört hatte, so war es ihm doch noch nie in den Sinn gekommen, zu glauben, daß es irgend eine Menschenseele gebe, die gar keine Gottesverehrung kenne. Als er sich wieder von seinem Erstaunen erholt hatte, fragte er seinen Führer, wo er gewöhnlich wohne. »Wo ich gerade bin,« erwiderte der Zigeuner. »Ich habe keine Heimat.« – »Wie bewahrt Ihr Euer Eigentum?« – »Außer den Kleidern, die ich trage, und dem Pferde, das ich reite, habe ich kein Eigentum.« – »Und doch seid Ihr stattlich gekleidet und wohl beritten,« sagte Durward. »Wovon lebt Ihr?« – »Ich esse, wenn mich hungert, trinke, wenn mich dürstet, und habe keine andern Mittel für meinen Unterhalt, als die mir der Zufall in den Weg wirft,« erwiderte der Landstreicher. – »Unter wessen Gesetzen lebt Ihr?« – »Ich leiste niemand Gehorsam, außer insoweit es mir gefällt,« sagte der Zigeuner. – »Wer ist Euer Anführer und befehligt Euch?« – »Der Vater unsres Stammes, wenn ich für gut finde, ihm zu gehorchen,« antwortete der Führer, »sonst habe ich niemand, von dem ich Befehle annehme.« – »So geht Euch also,« fuhr voll Verwunderung der Fragende fort, »alles das ab, was andere Menschen verbindet? – Ihr habt kein Gesetz, keinen Anführer, keinen festen Erwerbszweig, kein Haus und keine Heimat. Ihr habt, der Himmel erbarme sich Eurer, kein Vaterland, und, möge der Himmel Euch erleuchten und vergeben, keinen Gott! Was bleibt Euch noch übrig, wenn Ihr keine Regierung, keine häusliche Glückseligkeit und keine Religion habt?« – »Die Freiheit!« sagte der Zigeuner, »Ich beuge mich vor niemand, gehorche niemand, achte niemand. Ich gehe, wohin ich will, lebe, wie ich kann, und sterbe, wenn meine Stunde schlägt.« – »Ihr könnt aber plötzlich hingerichtet werden, wenn es dem Richter gefällt.« – »Dem sei so,« erwiderte der Zigeuner, »so sterb ich um so früher.« – »Ihr könnt auch eingekerkert werden,« sagte der Schotte, »und wo ist dann Eure gepriesene Freiheit?« – »In meinen Gedanken,« sprach der Zigeuner, »die durch keine Bande gefesselt werden können, während die Eurigen, auch wenn Eure Glieder frei find, durch Eure Gesetze, Euern Aberglauben, Eurer phantastischen Träume von Anhänglichkeit an den heimatlichen Boden und bürgerliche Zucht gefesselt bleiben. Leute, wie ich, sind frei, auch wenn unsere Glieder Fesseln drücken, – Euer Geist ist gefangen, wenn auch Eure Körper sich in voller Freiheit befinden.« – »Aber die Freiheit Eurer Gedanken,« versetzte der Schotte, »erleichtert den Druck der Fesseln an Euern Gliedern nicht.« – »Eine kurze Zeit läßt sich das schon ertragen: und wenn ich dann mich nicht selbst losmachen oder von meinen Kameraden befreit werden kann, so kann ich immer sterben, und der Tod ist die vollkommenste Freiheit.« Es herrschte eine Weile tiefe Stille, die Quentin endlich durch weitere Fragen unterbrach. »Wie ist Dein Name?« fragte Durward. – »Mein eigentlicher Name ist bloß meinen Brüdern bekannt; die Leute jenseits unserer Zelte nennen mich Hayraddin Maugrabin, das ist: Hayraddin, der afrikanische Mohr.« – »Du sprichst zu gut für einen, der immer unter Deiner schmutzigen Horde gelebt hat,« sagte Durward. – »Ich habe einiges von den Wissenschaften dieses Landes gelernt,« versetzte Hayraddin. – Als ich noch ein kleiner Knabe war, wurde unser Stamm gejagt von den Jägern nach Menschenfleisch. Ein Pfeil flog meiner Mutter durch den Kopf und sie starb. Ich hing in Windeln gewickelt ihr auf dem Rücken und ward von den Verfolgern mit fortgenommen. Ein Priester erbat sich meine Person von den Bogenschützen des Profosses und erzog mich zwei oder drei Jahre in fränkischer Gelehrsamkeit.« – »Und wie wurdet Ihr wieder voneinander getrennt?« fragte Durward. – »Ich stahl ihm Geld – den Gott selbst, den er anbetete,« erwiderte Hayraddin mit der größten Gleichgültigkeit; – »er entdeckte es und schlug mich; ich stieß ihn mit meinem Messer nieder, floh in die Wälder und kam so wieder zu meinem Volke.« – »Elender!« rief Durward, »und Du konntest Deinen Wohltäter morden?« – »Wer hieß ihn seine Wohltaten aufdringen? Der Zigeunerknabe war kein im Hause auferzogener Hund, um seinem Herrn auf den Fersen zu folgen, und sich um der wenigen Bissen Brotes willen unter seinen Schlägen zu krümmen. Er war ein junger, eingefangener Wolf, der bei der ersten Gelegenheit seine Ketten zerbrach, seinen Herrn zerriß und wieder in seine Wildnis zurückkehrte.« Es entstand abermals eine Pause; dann fragte der junge Schotte, um mit dem Charakter und den Absichten dieses verdächtigen Führers noch näher bekannt zu werden, Hayraddin wieder: ob es denn wahr sei, daß sein Volk, bei all seiner Unwissenheit, doch eine Kenntnis der Zukunft zu besitzen glaube, die den Weisen, Philosophen und Gottesgelehrten gebildeter Völker nicht verliehen sei?« – »Das behaupten wir,« versetzte Hayraddin, »und zwar mit Recht.« – »Wie mag es denn aber kommen, daß eine so hohe Gabe einem so verworfenen Geschlecht zuteil ward?« fragte Quentin. – »Weiß ich das selbst?« antwortete Hayraddin – »erklärt zuvor, warum der Hund die Fußstapfen eines Menschen aufspürt, indes der Mensch, das edlere Tier, nicht imstande ist, die eines Hundes zu verfolgen? Dies Vermögen, das Euch so wunderbar erscheint, ist instinktmäßig bei unserem Geschlecht. Aus den Linien des Gesichts und der Hand können wir das zukünftige Schicksal derer, die uns befragen, ebenso gewiß vorhersagen, als Ihr an der Blüte des Baumes im Frühling erkennt, welche Früchte er im Herbste tragen wird.« – »Ich bezweifle Eure Kenntnis und fordere Euch zu einer Probe auf.« – »Tut das nicht, Herr Knappe,« sagte Hayraddin; »ich könnte Euch sonst sagen, trotz allem, was Ihr von Eurer Religion behaupten mögt, daß die Göttin, welche Ihr anbetet, in unserer Gesellschaft reitet.« – »Still!« rief Quentin erstaunt; »bei Deinem Leben nicht ein Wort weiter, als was ich Dich frage. Kannst Du treu sein?« – »Ich kann's – alle Menschen können's,« sprach der Zigeuner. – »Aber willst Du es auch sein?« – »Werdet Ihr mir mehr glauben, wenn ich darauf schwöre?« versetzte Margrabin lächelnd. – »Dein Leben ist in meiner Hand!« sagte der junge Schotte. – »Stoß zu! und sieh, ob ich zu sterben fürchte,« antwortete der Zigeuner. – »Kann Geld Dich zu einem treuen Führer machen?« – »Wenn ich es nicht ohne dasselbe bin, nein,« entgegnete der Heide. – »Was kann Dich also binden?« fragte der Schotte. – »Liebe,« erwiderte der Zigeuner. – »Soll ich schwören, sie Dir zu erweisen, wenn Du uns auf dieser Pilgerfahrt ein treuer Führer sein willst?« – »Nein,« versetzte Hayraddin, »das hieße ein so seltenes Gut töricht verschwenden, und Dir bin ich schon verpflichtet.« – »Wie denn das?« rief Durward noch mehr verwundert aus. – »Erinnere Dich der Kastanienbäume an den Ufern des Cher! Das Schlachtopfer, das Du dort abschnittst, war mein Bruder Zamet Maugrabin.« – »Und dennoch,« sagte Quentin, »finde ich Dich in Verbindung mit eben diesen Unterbeamten, durch die Dein Bruder ums Leben kam; denn es war einer von ihnen, der mir angab, wo ich Dich finden sollte – derselbe ohne Zweifel, der Dich zum Führer jenen Damen bestellte.« – »Was können wir tun?« antwortete Hayraddin mit düstrer Miene – »diese Menschen verfahren mit uns wie die Schäferhunde mit den Schafen: sie beschützen uns eine Weile, treiben uns nach ihrem Belieben bald dahin, bald dorthin, und endigen immer damit, uns zur Schlachtbank zu führen.« Durward verließ den Führer und wandte sich zu dem übrigen Gefolge, eben nicht sehr zufrieden mit dem Charakter Hayraddins und wenig vertrauend den Beteuerungen der Dankbarkeit gegen seine Person, die er ihm gemacht hatte. Er begann, die beiden andern, ihm zu Begleitern gegebenen Männer auszuholen, und fand zu seinem Verdrusse, daß sie dumm und ebenso unfähig waren, ihm mit gutem Rate an die Hand zu gehen, als sie sich bei dem letzten Angriffe abgeneigt gezeigt hatten, von ihren Waffen Gebrauch zu machen. »Um so besser,« sprach Quentin bei sich selbst, indem sein Mut sich bei den gefürchteten Schwierigkeiten seiner Lage hob; »diese liebenswürdige junge Dame soll alles einzig nur mir zu verdanken haben. Was ein Arm und ein Kopf vermögen, darauf, denk ich, kann ich mich kühn verlassen. Ich habe meines Vaters Haus in Feuer, ihn und meine Brüder tot in den Flammen gesehen, und ich bin keinen Fuß breit gewichen, sondern habe gefochten, bis alle umgekommen waren. Jetzt bin ich zwei Jahre älter und habe die beste und schönste Aufforderung, die je eines braven Mannes Brust entflammte, mich wacker zu halten.« Auf diese Weise reisten sie länger als eine Woche auf Nebenstraßen durch unbesuchte Gegenden und auf Umwegen, um große Städte zu meiden. Es stieß ihnen nichts Merkwürdiges auf, obgleich sie hin und wieder herumziehenden Zigeunerbanden begegneten, die sie unangetastet ließen, da sie unter der Führung eines von ihrem Stamme reisten; auch zerstreute Soldaten oder vielmehr Banditen trafen sie, die ihren Trupp für zu stark hielten, um einen Angriff darauf zu machen, auch wohl Abteilungen der Maréchaussee, wie man die jetzt nennen würde, welche Ludwig, der die Wunden des Staates mit Feuer und Schwert zu heilen suchte, zur Aufhebung der zügellosen Banden, die das Land unsicher machten, gebrauchte. Die letztern ließen sie unangefochten ihres Weges ziehen, sobald Quentin das Losungswort aussprach, das ihm vom Könige selbst mitgeteilt worden war. Ihre Ruheplätze waren vornehmlich Klöster, von denen die meisten vermöge ihrer Ordensregel verpflichtet waren, Pilgrime, in welcher Eigenschaft die Damen reisten, gastfrei, und ohne belästigende Nachfrage nach Rang und Stand aufzunehmen, weil die meisten Personen bei Vollziehung ihrer Gelübde solches zu verbergen wünschten. Am zehnten oder zwölften Tage ihrer Reise, nachdem sie Flanderns Grenze betreten, näherten sie sich der Stadt Namur. Alle Anstrengungen Quentins, die Folgen des Aergernisses, das sein heidnischer Führer gab, abzuwenden, waren fruchtlos gewesen. Der Schauplatz war ein Franziskanerkloster von sehr strenger und erneuerter Observanz, und der Prior ein Mann, der nachmals im Geruche der Heiligkeit starb. Nachdem die gewöhnlichen Bedenklichkeiten gegen die Beherbergung des Zigeuners überwunden waren, hatte derselbe endlich in einem Außengebäude, das ein Laienbruder bewohnte, ein Unterkommen gefunden. Die Damen hatten sich in ihre Gemächer zurückgezogen, und der Prior, der zufällig einige entfernte Verwandte und Freunde in Schottland hatte und gern Fremde von ihrer Heimat erzählen hörte, lud Quentin, dessen Aeußeres und Benehmen ihm zu gefallen schien, zu einem einfachen, klösterlichen Mahle in seine Zelle ein. Da Quentin in dem Pater einen einsichtsvollen Mann fand, so war ihm diese Gelegenheit erwünscht, indem er sich mit dem Stande der Dinge im Lütticher Lande bekannt machen konnte. »Das Volk von Lüttich,« sagte der Prior, »bestehe aus reichen Bürgern, die feist und stolz geworden wären. Durch den großen Reichtum und ihre Privilegien übermütig geworden, hätten sie mit dem Herzog von Burgund, ihrem Lehnsherrn, über Abgaben und Freiheiten schon mehrere Streitigkeiten angefangen, die zu wiederholten Malen in offenen Aufruhr ausgebrochen wären; deshalb sei der Herzog, ein Mann von hitzigem und feurigem Temperament, so gegen sie aufgebracht, daß er beim heil. Georg geschworen habe, bei dem nächsten Anlaß die Stadt Lüttich gleich Babylon und Tyrus zu zerstören und sie zum Gespötte und zur Schmach für ganz Flandern zu machen. »Und er ist, nach allem, was man hört, ein Fürst, der Wort zu halten weiß,« sagte Quentin; »die Lütticher werden daher wohl auf ihrer Hut sein müssen, um ihm dazu keine Veranlassung zu geben.« »Das steht offen,« sagte der Prior, »und ist auch der Wunsch aller Guten im Lande, die nicht wollen, daß Menschenblut wie Wasser vergossen werde, und daß sie als Auswürflinge umkommen mögen, bevor sie noch ihren Frieden mit dem Himmel gemacht. Der gute Bischof arbeitet auch Tag und Nacht an Erhaltung des Friedens, wie es einem Diener des Altars geziemt; denn es heißt in der Schrift: Selig sind die Friedfertigen, aber« – hier stockte der gute Prior mit einem tiefen Seufzer. Quentin machte ihm mit Bescheidenheit bemerklich, wie wichtig es für die Damen, die er geleite, sei, einige zuverlässige Auskunft über den innern Zustand des Landes zu bekommen, und wie es ein Werk christlicher Liebe sein würde, wenn der würdige und verehrte Vater ihnen über diesen Gegenstand einige Aufklärung geben wollte. »Das ist ein Punkt,« versetzte der Prior, »über den niemand gern spricht; denn das Ueble, das man selbst innerhalb der vier Wände von den Mächtigen redet, kann leicht Flügel finden und vor ihre Ohren gelangen. Indessen will ich Euch, der Ihr ein gutdenkender Mann zu sein scheint, und Euern Damen, die als fromme Seelen auf seiner Pilgerfahrt begriffen sind, alle die geringen Dienste erweisen, die in meiner Macht stehen, und ganz offen mit Euch sprechen.« Er sah hierauf behutsam rings um sich her und sprach dann, als ob er fürchte, behorcht zu werden, mit gedämpfter Stimme: »Die Lütticher werden zu ihren häufigen Meutereien insgeheim durch Belialsbuben aufgehetzt, die, wie ich indes hoffe, fälschlich vorgeben, von unserem allerchristlichsten König dazu beauftragt zu sein, der seinen Namen wohl besser zu verdienen wissen wird, als damit, daß er den Frieden in einem Nachbarstaate stören sollte. Aber wahr ist es, daß die, welche die unzufriedenen Lütticher aufreizen und unterstützen, seinen Namen unverhohlen zur Schau tragen. Ueberdies haust hier im Lande noch ein Adeliger von hoher Abkunft und großem Kriegsruhme; sonst aber, sozusagen ein Stein des Anstoßes für die Lande Burgund und Flandern. Sein Name ist Wilhelm von der Mark.« »Genannt Wilhelm mit dem Barte,« fiel der junge Schotte ein, »oder der Eber der Ardennen.« »Und mit Recht, mein Sohn,« versetzte der Prior; »weil er ganz dem wilden Eber des Forstes gleicht, der alles mit seinen Klauen zertritt und mit seinen Hauern zerreißt. Er hat eine Bande von mehr als tausend Mann um sich versammelt, alle, wie er selbst, Verächter bürgerlicher und geistlicher Gewalt; er hält sich unabhängig von dem Herzoge von Burgund und ernährt sich und seinen Anhang durch Raub und Unrecht, das er ohne Unterschied an Weltlichen und Geistlichen verübt. Er hat seine Hände gelegt an die Gesalbten des Herrn, uneingedenk des Wortes, das da geschrieben steht: »Tut meinen Propheten kein Leid.« Selbst von unserem armen Hause verlangte er Summen Goldes und Silbers, als Lösegeld für unser Leben und das unserer Brüder; allein wir haben ihm eine lateinische Bittschrift zurückgesandt, worin wir ihm unsere Unfähigkeit vorstellten, sein Begehren zu erfüllen, und ihn mit den Worten des Predigers ermahnten: »Trachte nicht Böses gegen Deinen Freund, wenn er Zutrauen zu Dir hat.« Gleichviel erwiderte dieser Wilhelm von der Mark, ebenso unerfahren in humanioribus, als in der Humanität selbst, daß er sich daran nicht kehren, sondern uns den Hahn aufs Dach setzen wolle, wenn wir nicht blechen wollten.« »Es nimmt mich Wunder,« sagte Quentin, »daß der Herzog von Burgund, der ein so mächtiger und gewaltiger Fürst ist, diesen Eber nicht hetzt, von dessen Verheerungen ich schon soviel vernommen habe.« – »Ach, mein Sohn,« versetzte der Prior, »er ist jetzt in Peronne und versammelt seine Hauptleute von Hunderten und von Tausenden, um gegen Frankreich Krieg zu führen, und so wird, während der Himmel Zwietracht in die Herzen dieser mächtigen Fürsten säet, das Land von solchen untergeordneten Unterdrückern gequält. Aber zur bösen Stunde vernachlässigt der Herzog die Heilung dieses innerlichen Krebsschadens; denn dieser Wilhelm von der Mark ist noch ganz kürzlich in offene Gemeinschaft mit Rouslaer und Pavillon, den Häuptern der Unzufriedenen in Lüttich, getreten, und es ist zu fürchten, daß er sie bald zu einem verzweifelten Unternehmen aufreizen wird.« – »Aber der Bischof von Lüttich,« fragte Quentin, »hat doch wohl noch Macht genug, diesen unruhigen, aufrührerischen Geist zu beschwören, nicht wahr, guter Vater? – An Eurer Antwort auf diese Frage liegt mir viel.« – »Der Bischof, mein Kind,« versetzte der Prior, »hat sowohl das Schwert, als die Schlüssel des heiligen Petrus. Er hat Gewalt als ein weltlicher Fürst und genießt des mächtigen Schutzes des Hauses von Burgund; als Prälat ist er im Besitz geistlicher Autorität, und beides unterstützt er mit einer ansehnlichen Truppenmacht. Dieser Wilhelm von der Mark ward an des Bischofs Hofe erzogen und ist ihm durch manche Wohltaten verpflichtet. Allein auch dort ließ er seiner grausamen, blutdürstigen Gemütsart freien Lauf und ward wegen eines Todschlags, verübt an einem der ersten Hausbeamten des Bischofs, vom Hofe desselben verwiesen. Seit dieser Zeit nun ist er stets ein unversöhnlicher Feind desselben gewesen, und jetzt, es tut mir leid, es zu sagen, hat er seine Lenden gegen ihn gegürtet und sein Horn gegen ihn gewetzt.« – »Ihr haltet demnach die Lage des würdigen Prälaten für gefährlich?« fragte Quentin sehr besorgt. – »Ach, mein lieber Sohn,« erwiderte der gute Franziskaner; »was oder wer ist in dieser betrübten Zeit nicht mit Gefahr bedroht? Aber der Himmel behüte, daß ich behaupten sollte, dem ehrwürdigen Prälaten sei die Gefahr so nahe schon. Er hat ansehnliche Schätze, treue Ratgeber und tapfere Soldaten; und überdies hat ein Bote, der gestern ostwärts hier durchging, ausgesagt, daß der Herzog auf Ansuchen des Bischofs hundert Bewaffnete abgesandt habe, welche mit dem zu jeder Lanze angehörigen Gefolge stark genug sein werden, es mit Wilhelm von der Mark, – dessen Name verflucht sei – aufzunehmen! Amen.« Hier ward ihre Unterhaltung durch den Sakristan unterbrochen, der mit einer vor Zorn fast erstickten Stimme den Zigeuner anklagte, daß er sich die abscheulichsten Verführungskünste unter den jüngern Brüdern erlaubt habe. Er habe beim Abendessen in ihre Becher berauschende Tropfen getan, zehnmal stärker als der allerstärkste Wein, deren Genuß auch mehrere Brüder unterlegen seien, und obgleich er, der Sakristan, ziemlich kräftig sei, um der Wirkung derselben noch widerstehen zu können, so möge man es doch an seinem erhitzten Gesichte und der schweren Sprache bemerken, daß auch er, der Ankläger, von diesem unheiligen Getränke einigermaßen angegriffen sei. Ueberdies habe der Zigeuner Lieder voll weltlicher Eitelkeit und unreiner Lust gesungen, habe den Strick des heiligen Franziskus verspottet, mit seinen Wundertaten Spott getrieben, seine Geweihten Narren und elende Tagediebe genannt. Endlich habe er noch aus der Hand gewahrsagt und dem jungen Pater Cherubim prophezeit, er werde von einer schönen Dame geliebt, die ihn zum Vater eines schmucken Jungen machen werde. Der Vater Prior hörte diese Klagen einige Zeit schweigend an, als ob das ungeheure Verbrechen in ihm einen stummen Schauder errege. Als der Sakristan geendet hatte, erhob er sich, stieg in den Klosterhof hinab und befahl den Laienbrüdern unter Androhung der härtesten Strafen, falls sie nicht Gehorsam leisteten, Hayraddin mit ihren Besenstielen und Karrenpeitschen aus den heiligen Mauern auszutreiben. Der Urteilsspruch wurde sogleich in Gegenwart Quentin Durwards vollzogen, der, so unangenehm ihm auch der Vorfall war, doch wohl einsah, daß seine Vermittlung hier nicht mehr helfen könnte. Die über den Verbrecher verhängte Strafe war jedoch, ungeachtet der Ermahnungen des Superiors, mehr belustigend als furchtbar. Der Zigeuner rannte auf dem Hofe hin und her unter dem Geschrei von Stimmen und dem Geräusche der Schläge, von denen die meisten ihn gar nicht trafen, weil man absichtlich fehlschlug; anderen, die seiner Person wohl bestimmt waren, entging er durch seine Gelenkigkeit und Schnelligkeit, und die wenigen, die auf seinen Rücken und seine Schultern fielen, nahm er ohne Klage und Widerrede hin. Der Lärm und der Aufruhr waren um so größer, als die unerfahrenen Strafvollstrecker, zwischen denen Hayraddin gleichsam Spießruten lief, öfter sich selbst als ihn schlugen, ja daß endlich der Prior, um einem mehr ärgerlichen als erbaulichen Schauspiele ein Ende zu machen, das Pförtchen am Tore öffnen ließ, durch welches der Zigeuner mit Blitzesschnelle entschlüpfte; um bei dem Scheine des Mondlichts auf und davon zu laufen. Während dieses Auftritts drang sich Durward ein schon früher gefaßter Verdacht mit vermehrter Stärke auf. – Hayraddin hatte ihm an dem nämlichen Morgen gelobt, sich bescheidener und anständiger zu betragen, als es bisher der Fall gewesen war, wenn sie auf ihrer Wanderung in einem Kloster einkehrten, und doch hatte er sein gegebenes Versprechen nicht gehalten, ja sich widerspenstiger als jemals gezeigt. Etwas lag wahrscheinlich darunter verborgen; denn, was auch immer die Fehler des Zigeuners sein mochten, an Verstand, und wenn er wollte, auch an Selbstbeherrschung fehlte es ihm nicht. War es also nicht denkbar, daß er entweder mit seiner eigenen Horde oder mit sonst jemand Rücksprache nehmen wollte, woran er den Tag über durch die Wachsamkeit Quentins verhindert war, und daß er zu dieser List seine Zuflucht genommen hatte, um aus dem Kloster zu entkommen? Dieser Verdacht war nicht sobald in Quentins Seele aufgestiegen, als er schnell, wie er in allem war, was er unternahm, beschloß, seinem durchgeprügelten Führer so heimlich wie möglich nachzugehen und zu beobachten, was er nun beginnen würde. Als demnach, wie schon erwähnt, der Zigeuner aus dem Klosterpförtchen entwischt war, setzte Quentin in Eile dem Prior die Notwendigkeit auseinander, daß er auf seinen Führer ein wachsames Auge haben müßte, und folgte ihm auf dem Fuße nach. Siebzehntes Kapitel Als Quentin das Kloster verließ, konnte er noch sehen, wie eilig der Zigeuner davonlief, dessen dunkle Gestalt fern im Mondlichte zu sehen war. Wie ein gepeitschter Hund schoß er dahin durch die Gasse des kleinen Dorfes und über die Wiese, die dahinter lag. – »Mein Freund hat Eile,« sprach Quentin bei sich selbst, »aber er muß noch schneller rennen, wenn er dem schnellsten Fuße, der jemals Glenhulakins Heide betrat, entkommen will.« – Da der schottische Bergsohn zu gutem Glücke ohne Mantel und Rüstung war, konnte er ungehindert seinem Laufe eine Schnelligkeit geben, die selbst in seinen heimischen Tälern nicht ihresgleichen hatte, und mit der er den Zigeuner trotz seiner schnellen Flucht bald eingeholt haben würde. Er wurde dazu umsomehr bestimmt, je beharrlicher der Zigeuner bei seinem Laufe eine bestimmte Richtung verfolgte; und daß er diese auch dann nicht veränderte, als durchaus kein Grund zu weiterer Flucht mehr vorhanden war, schien anzudeuten, daß sein Lauf einen bestimmteren Zweck habe, als sich von jemand vermuten ließ, der, unerwartet aus einem guten Quartier vertrieben, um Mitternacht sich einen neuen Ruheplatz zu suchen hatte. Er sah sich kein einziges Mal um, so daß Durward ihm unbemerkt folgen konnte. Als er endlich die Wiese hinter sich hatte und an dem mit Erlen und Weiden bedeckten Ufer eines Baches angelangt war, sah ihn Quentin still stehen und hörte, wie er leise ins Horn stieß, worauf in einiger Entfernung ein Pfeifen ertönte. »Das ist ein Stelldichein,« dachte Quentin; »aber wie soll ich nahe genug herankommen, um zu hören, was vorgeht? Aber beschleichen will ich sie, beim heiligen Andreas, als wenn sie Damhirsche wären – sie sollen erfahren, daß ich nicht umsonst die Weidmannskunst erlernt habe. Dort treffen sie zusammen – es sind ihrer zwei, ich sah es an den Schatten – zwei gegen einen – ich bin verloren, wenn ich entdeckt werde, falls ihre Absicht feindlicher Natur ist, was nicht zu bezweifeln steht. Dann aber verliert die Gräfin Isabelle ihren armen Freund! aber hab ich nicht mein Schwert gegen Dunois, den besten Ritter Frankreichs, versucht, und sollte mich vor solchem Landstreichergesindel fürchten? – Pah – Mit Gott und dem heiligen Andreas – sie sollen mich tapfer, aber auch vorsichtig finden.« Mit diesem Entschlusse und einer Behutsamkeit, die ihn sein Jagdleben gelehrt hatte, stieg unser Freund in das Bett des Baches hinab, dessen Wasser ihm bald bloß den Fuß bedeckte, bald bis an seine Knie reichte. So schlich er den Bach unbemerkt hinab, da seine Gestalt durch das überhängende Gesträuch gedeckt war und seine Tritte wegen des rauschenden Wassers nicht gehört werden konnten. Auf diese Weise war der junge Schotte unbemerkt so nahe gekommen, daß er die Stimmen derer, die er belauschen wollte, deutlich vernehmen konnte, ohne indes ihre Worte verstehen zu können. Er schwang sich behutsam auf den Stamm einer Trauerweide und konnte von diesem Platze aus, ziemlich sicher vor einer Entdeckung, bemerken, daß die Person, mit der sich Hayraddin unterhielt, ein Mann von gleichem Stamme war, wie dieser, ward aber zu gleicher Zeit zu seinem Verdrusse gewahr, daß sie ihr Gespräch in einer ihm völlig unbekannten Sprache führten. Plötzlich ließ sich in der Ferne ein abermaliges Pfeifen vernehmen, das Hayraddin wiederum mit ein paar gedämpften Stößen in sein Horn beantwortete. Gleich darauf erschien ein großer, starker Mann von kriegerischem Wesen, dessen stämmige, muskulöse Gestalt gegen die kleinen, zartgebauten Zigeuner einen starken Kontrast bildete. An einem über seine Schulter hängenden Wehrgehänge trug er ein Schwert, das beinahe quer über seinen ganzen Körper reichte; seine Beinkleider hatten viele Schlitze, in denen Seidenzeug von verschiedenen Farben puffenartig angebracht war; sie waren an das knappe büffellederne Wams, auf dessen rechtem Aermel er einen silbernen Eberkopf, das Wappen seines Anführers, trug, mit mehr denn fünfhundert Bandschleifen gebunden. Ein kleiner Hut saß ihm schelmisch auf dem Kopfe, von dem eine Fülle krauser Haare an dem breiten Gesichte herabfloß, um sich mit einem ebenso breiten, etwa vier Zoll langen Barte zu vermischen. Er hielt eine Lanze in der Hand; und seine ganze Ausstaffierung kündigte einen jener deutschen Abenteurer an, die, unter dem Namen Lanzknechte bekannt, einen furchtbaren Teil des Fußvolks der damaligen Zeit bildeten. Diese Söldlinge waren ein übermütiges, raublustiges Soldatenkorps; und da unter ihnen die Sage ging, daß ein Lanzknecht wegen seiner Frevel und Verbrechen nicht in den Himmel, und wegen seines Hanges zu Händeln, Meuterei und Zügellosigkeit nicht in der Hölle zugelassen werde, so handelten sie auch ganz so, als ob sie weder jenen suchten, noch diesen fürchteten. »Donner und Blitz!« war seine erste Begrüßung, in einer Art von deutsch-französischem Kauderwelsch, das sich nicht wohl nachahmen läßt, »warum habt Ihr mich diese drei Nächte vergebens warten lassen?« – »Ich konnte Euch nicht eher sehen, mein Herr,« antwortete Hayraddin sehr demütig; »da ist ein junger Schotte, der hat ein Auge auf mich, wie eine wilde Katze, und belauert meine kleinsten Bewegungen. Er hat bereits Verdacht, und sollte er diesen bestätigt finden, ich wäre auf der Stelle ein Mann des Todes, und er führte die Weiber wieder nach Frankreich zurück.« – »Was, Henker!« sagte der Lanzknecht, »wir sind unserer drei, – wir greifen sie morgen an und entführen die Weiber, ohne ihnen länger zu folgen. Ihr sagtet, die zwei Diener wären Memmen – die könnt Ihr und Euer Kamerad schon auf Euch nehmen, und der Teufel soll mich holen, wenn ich nicht mit Eurer schottischen Wildkatze fertig werde.« – »Da werdet Ihr ein hartes Stück Arbeit finden,« versetzte Hayraddin; »denn abgesehen davon, daß wir uns eben nicht zum besten aufs Fechten verstehen, hat dieser Fant sich mit dem besten Ritter Frankreichs gemessen und ist mit Ehren davon gekommen – ich habe Leute gesehen, die Augenzeugen waren, wie er dem Dunois hitzig zu Leibe ging.« – »Hagel und Wetter! Eure Feigheit spricht aus Euch,« versetzte der andere; »aber fechten ist einmal nicht meine Sache. – Wenn Ihr Euch da einstellt, wo es verabredet ist, so ist es gut; wo nicht, geleite ich sie sicher in den Palast des Bischofs, und wenn Wilhelm von der Mark nur halb so stark ist, als er vor einer Woche noch zu sein behauptete, so mag er sich ihrer dort mit Leichtigkeit bemächtigen.« – »Potz tausend!« sagte der Soldat, »wir sind so stark und noch stärker; aber wir hören von hundert Lanzen aus Burgund – das macht – seht Ihr – fünf Mann auf die Lanze, fünfhundert Mann, und dann, hol mich der Teufel, tun sie besser daran, uns aufzusuchen, als wir sie; denn der Bischof hat selbst eine hübsche Mannschaft auf den Beinen – – ja, wahrhaftig!« – »Es muß also beim Hinterhalte am Kreuze der drei Könige bleiben, oder Ihr müßt das Abenteuer ganz aufgeben,« sprach der Zigeuner. – »Aufgeben – das Abenteuer mit der reichen Braut für unseren edlen Hauptmann aufgeben – Teufel! ich wollte es eher mit der Hölle selbst aufnehmen! Meiner Seel! wir werden alle noch Prinzen und Herzöge, die man hier Ducs nennt! da gibt's genug Schnaps im Keller, und alte französische Kronentaler die schwere Menge und schmucke Dingerchen noch obendrein, wenn der mit dem Barte ihrer überdrüssig ist.« – »Es bleibt also beim Hinterhalt am Kreuze der drei Könige?« sagte der Zigeuner. – »Mein Gott, ja doch! Ihr schwört mir, sie dahin zu bringen; wenn sie dann auf den Knien vor dem Kreuze liegen, und von den Pferden runter sind, wie alle Leute tun, außer schwarzen Heiden, – dann über sie her, und sie sind unser.« – »Ja; aber ich versprach diesen Streich notwendiger Schurkerei bloß unter einer Bedingung,« sagte Hayraddin. »Dem jungen Manne darf kein Haar gekrümmt werden. Wenn Ihr mir dies bei Euern drei toten Männern zu Köln schwört, so schwör ich Euch bei den sieben nächtlichen Wanderern, daß ich Euch im übrigen treulich dienen will. Brecht Ihr diesen Eidschwur, so sollen die sieben nächtlichen Wanderer Euch sieben Nächte lang zwischen Nacht und Morgen aus dem Schlafe wecken, und in der achten erwürgen und verschlingen.« – »Aber Donner und Hagel, was liegt Dir denn soviel an dem Leben dieses Burschen, der doch weder Dein Verwandter noch von seinem Stamme ist?« fragte der Deutsche. – »Tut nichts, ehrlicher Heinrich; manche Leute finden Vergnügen daran, Hälse abzuschneiden und andern sie sitzen zu lassen. – So schwöre mir denn, ihm kein Leid zu tun, weder am Leben noch an Gliedern, oder – bei dem glänzenden Stern Aldeboran, es soll weiter nichts in dieser Sache geschehen. – Schwöre bei den drei Königen von Köln, wie Du sie nennst. – Ich weiß schon, aus einem andern Schwure machst Du Dir nichts.« – »Du bist ein komischer Kerl,« sagte der Lanzknecht, »so schwör ich denn.« – »So nicht,« fiel der Zigeuner ein – »den Kopf herum, braver Lanzknecht, und nach Osten geschaut! Sonst möchten Dich die Könige nicht hören.« Der Soldat leistete den Eid auf die vorgeschriebene Weise und erklärte dann, daß er zur Hand sein wolle, wobei er bemerkte, der Ort sei gut gelegen, da er kaum fünf Meilen von ihrem jetzigen Lager entfernt sei. »Aber wäre es nicht sicherer, ein Fähnlein auf der andern Landstraße links vom Wirtshause aufzustellen, für den Fall, daß sie jenen Weg nehmen sollten?« Der Zigeuner besann sich einen Augenblick und erwiderte dann: »Nein – die Erscheinung dieser Truppen könnte die Besatzung von Namur in Alarm bringen und dann würde es ein zweifelhaftes Gefecht statt eines sicheren Erfolges geben. Ueberdies sollen sie auf dem rechten Ufer der Maas hinziehen; und ich kann sie führen, welchen Weg ich will; so pfiffig auch sonst dieser Bergschotte ist, so hat er doch über den Weg noch niemand außer mir gefragt. Ohne Zweifel ward ich ihm von meinem zuverlässigen Freund empfohlen, dessen Worten niemand mißtraut, bis man ihn ein wenig näher kennen lernt.« »Hört, Freund Hayraddin,« sagte der Soldat, »ich wollt Euch noch etwas fragen. Ihr und Euer Bruder gebt Euch für große Sterndeuter und Geisterseher aus. – Wie, zum Henker, kam es denn, daß Ihr nicht voraussähet, daß er gehangen werden würde?« – »Das will ich Euch gleich sagen, Heinrich,« versetzte Hayraddin; »wenn ich gewußt hätte, daß mein Bruder ein solcher Tor sein würde, Ludwigs Anschläge dem Herzoge von Burgund zu verraten, so hätte ich ihm seinen Tod ebenso gewiß vorhersagen können als schönes Wetter im Monat Juli. Ludwig hat Ohren und Hände am Hofe von Burgund, und Karls Räte lieben den Klang des französischen Goldes ebenso sehr, wie Du das Geklapper der Weinflaschen. – Nun aber lebe wohl, und sei pünktlich zur Stelle. – Ich muß meinen frühwachen Schotten einen Bogenschuß weit außerhalb des Eingangs zu der Höhle des faulen Schweins dort erwarten, sonst würde er mich im Verdacht haben, daß ich auf einer Streiferei begriffen sei, die dem Erfolge seiner Reife eben nicht besonderes Glück weissage.« – »Erst einen Trunk zur Herzensstärkung,« fügte der Lanzknecht, ihm eine Flasche hinhaltend, »doch ich vergesse, daß Du dumm genug bist, nichts als Wasser zu trinken, wie alle die elenden Sklaven von Mohammed und Termagaunt.« – »Du selbst bist ein Sklave der Weinkanne,« entgegnete der Zigeuner, »ich wundere mich nicht, daß man Dir das gewaltsame, blutige Geschäft der Ausführung dessen überträgt, was bessere Köpfe ausgedacht haben. Wer die Gedanken anderer erraten und die seinigen verbergen will, darf keinen Wein trinken. Doch warum predige ich Dir, der ja einen ewigen Durst hat, wie die Sandhügel Arabiens? – Leb denn wohl! – Nimm meinen Kameraden Tuisko mit Dir! seine Erscheinung in der Nähe des Klosters könnte Verdacht erregen.« Die zwei Ehrenmänner trennten sich nun, nachdem sie sich gegenseitig nochmals angelobt hatten, bei dem Stelldichein am Kreuze der drei Könige sich pünktlich einzufinden. Quentin wartete, bis sie ihm aus dem Gesichte waren, und stieg dann aus seinem Verstecke herab, indem ihm das Herz bei dem Gedanken schlug, daß er und seine schöne Schutzbefohlene mit genauer Not einem so tief angelegten Plane von Schurkerei entgangen wären, wenn dies ihnen andern noch gelingen sollte. Da er fürchtete, bei seiner Rückkehr nach dem Kloster auf Hayraddin zu stoßen, so machte er einen langen Umweg auf rauhen Pfaden und gelangte auf einer ganz andern Seite wieder an das Kloster. Unterwegs ging er ernstlich mit sich zu Rate, was nun für ihn am klügsten und sichersten wäre. Als er zuerst Hayraddin seine Verräterei gestehen hörte, hatte er den Entschluß gefaßt, ihn, sobald die Unterredung beendigt wäre und seine Gefährten sich entfernt hatten, zu töten; da der Zigeuner aber sich so sehr für die Rettung seines Lebens bemühte, fühlte er, daß es ihm schwer werden würde, die Strafe, die seine Verräterei verdient hatte, in ihrer ganzen Strenge an ihm zu vollziehen. Er beschloß deshalb, sein Leben zu schonen und sich, soviel wie möglich, noch seiner Dienste als Wegweiser zu bedienen, jedoch mit Beobachtung aller Vorsichtsmaßregeln, damit die Sicherheit seiner ihm so teuren Schützlinge, deren Erhaltung er sein ganzes Leben zu widmen bereit war, nicht gefährdet werde. Aber wohin sollten sie sich wenden? – Die Gräfinnen konnten weder Zuflucht hoffen in Burgund, aus dem sie geflohen, noch in Frankreich, aus dem sie gewissermaßen verstoßen waren. Die Heftigkeit des Herzogs Karl in dem einen Lande war kaum mehr zu fürchten als die kalte, tyrannische Politik König Ludwigs in dem andern. Nach reiflichem Hin- und Herdenken konnte Durward keinen besseren und sicherern Plan für ihre Rettung finden, als mit Umgehung des Hinterhalts den Weg nach Lüttich am linken Ufer der Maas einzuschlagen und sich, wie es die Damen anfänglich beabsichtigt hatten, unter den Schutz des Bischofs von Lüttich zu begeben. Das Ergebnis aller dieser Betrachtungen Quentins, die, wie gewöhnlich, nicht ohne einige Beziehung auf selbstsüchtige Zwecke blieben, war, daß er, den Ludwig kaltblütig dem Tode oder der Gefangenschaft preisgegeben hatte, dadurch aller Verbindlichkeiten gegen die Krone von Frankreich enthoben sei, weswegen er sich auch gänzlich von demselben lossagen wolle. Der Bischof von Lüttich, so beschloß er, brauche doch auch Soldaten, und durch die Verwendung seiner schönen Freundinnen, die ihn, besonders die ältere Gräfin, mit vieler Vertraulichkeit behandelten, könne er vielleicht eine Befehlshaberstelle oder wohl gar den Auftrag erhalten, die Gräfinnen von Croye an irgend einen sichereren Ort zu bringen, als es die Nachbarschaft von Lüttich war. Endlich hatten die Damen, wenngleich fast nur im Scherz, davon gesprochen, der Gräfin Vasallen aufzubieten und, wie andere in jenen stürmischen Zeiten taten, ihr Schloß dergestalt in Verteidigungszustand zu setzen, daß er jedem Angriffe trotzen konnte; sie hatten im Scherz Quentin gefragt, ob er das gefährliche Amt ihres Seneschalls übernehmen wolle, und als er es mit Freudigkeit und Eifer zusagte, in derselben Stimmung ihm erlaubt, ihnen für die Ernennung zu dieser, großes Vertrauen voraussetzenden, ehrenvollen Anstellung die Hand zu küssen. Ja er glaubte sogar bemerkt zu haben, daß die Hand der Gräfin Isabelle, eine der wohlgebildetsten und schönsten, die je von einem Vasallen geküßt ward, ein wenig zitterte, als seine Lippen einen Augenblick länger auf ihr verweilten, als die Zeremonie es sonst zu erfordern schien, und daß, als sie solche zurückzog, auf ihren Wangen und in ihren Augen einige Verwirrung sichtbar ward. Etwas konnte aus dem allen doch hervorgehen; und welcher brave Mann in Quentins Alter hätte nicht gerne bei den Gedanken, die dadurch erweckt wurden, verweilen und dadurch zu Betrachtungen veranlaßt werden sollen, die auf seine Handlungen einen bestimmten Einfluß äußern mußten? Nachdem er über diesen Punkt ins reine gekommen war, hatte er zu überlegen, inwieweit er von der ferneren Führung des treulosen Zigeuners Gebrauch machen sollte. Er war von seinem ersten Gedanken, ihn in dem Walde zu töten, zurückgekommen; nahm er aber einen andern Führer, und ließ er diesen leben, so würde er dadurch den Verräter in Wilhelm von der Marks Lager gesandt und diesen von allen ihren Bewegungen in Kenntnis gesetzt haben. Er dachte auch daran, den Prior in sein Geheimnis zu ziehen und ihn zu ersuchen, den Zigeuner mit Gewalt solange festzuhalten, bis sie Zeit gewonnen hätten, das Schloß des Bischofs zu erreichen. Allein bei reiflichem Nachdenken wagte er es nicht, ihm einen solchen Vorschlag zu machen; denn er war ein furchtsamer alter Mann und ein Mönch dazu, für den die Erhaltung und Sicherheit seines Klosters die wichtigste Pflicht sein mußte, und der schon bei dem bloßen Namen des Ebers der Ardennen zitterte. Endlich entwarf Durward einen Operationsplan, auf dessen Gelingen er besser rechnen durfte, da die Ausführung einzig nur von ihm selbst abhing; und im gegenwärtigen Falle fühlte er sich zu allem fähig; und gerade als er mit diesem Manne im reinen war, erreichte er das Kloster. Auf ein leises Klopfen am Tore wurde ihm durch einen Bruder, den der Prior ausdrücklich dahin gestellt hatte, das Tor geöffnet und zugleich gemeldet, daß sich die Brüder sämtlich bis zu Tagesanbruch im Chore befänden, um den Himmel anzuflehen, daß er der Brüderschaft die mancherlei Aergernisse vergeben möchte, die an diesem Abend in ihrer Mitte stattgefunden hätten. Der ehrwürdige Bruder erteilte Quentin die Erlaubnis, an ihrer Andacht teilzunehmen; aber seine Kleider waren so durchnäßt, daß er diese Einladung ablehnen und um die Erlaubnis bitten mußte, sich an das Küchenfeuer niederzusetzen. Es war ihm besonders daran gelegen, daß der Zigeuner, wenn sie wieder mit ihm zusammenträfen, keine Spuren von seiner nächtlichen Streiferei an ihm entdeckte. Der Klosterbruder gestattete ihm nicht nur sein Gesuch, sondern leistete ihm sogar Gesellschaft, was denn auch Quentin sehr erwünscht war, da er über die zwei Straßen, deren der Zigeuner in seinem Gespräch mit dem Lanzknechte erwähnt hatte, gern genauere Auskunft erhalten hätte. Der Mönch, dem oft Geschäfte außerhalb des Klosters aufgetragen wurden, konnte ihm die gewünschte Auskunft geben; doch machte er ihm bemerklich, daß die Damen, die Durward geleitete, als echte Pilgrime verpflichtet wären, ihren Weg nach dem rechten Ufer der Maas, bei dem Kreuze der drei Könige vorbei, zu nehmen, wo die gebenedeiten Reliquien Kaspars, Melchiors und Balthasars (wie die katholische Kirche die drei Weisen nennt, die mit ihren Gaben aus dem Morgenlande nach Bethlehem kamen) viele Wunder getan hätten. Quentin erwiderte, die Damen wären entschlossen, alle diese heiligen Andachtsorte mit der größten Pünktlichkeit zu besuchen, und würden unfehlbar entweder auf ihrer Hinreise nach Köln oder, von da zurückkehrend, an dem Kreuze ihre Andacht verrichten, allein sie hätten in Erfahrung gebracht, daß die Straße auf dem rechten Ufer des Flusses gegenwärtig durch die Soldaten des wilden Wilhelm von der Mark unsicher gemacht würde. »Möge der Himmel verhüten,« sprach Vater Franziskus, »daß der wilde Eber der Ardennen wieder so nahe bei uns sein Lager nimmt! – Indessen wird die breite Maas in diesem Falle zwischen ihm und uns eine gute Scheidewand bilden.« »Aber zwischen meinen Damen und diesem Räuber bildet sie keine Scheidewand, wenn wir über den Fluß gehen und auf dem rechten Ufer desselben unsere Reise fortsetzen,« sagte der Schotte. »Der Himmel wird die Seinen schützen, junger Mann,« versetzte der Bruder; »denn es ist kaum zu glauben, daß die Könige dort in der gebenedeiten Stadt Köln, die nicht einmal gestatten, daß ein Jude oder Ungläubiger die Ringmauern ihrer Stadt betritt, es zulassen sollten, daß ihre Verbrecher, die als treue Pilger zu ihrem Schreine kommen, von einem solchen ungläubigen Hunde, wie diesem Eber der Ardennen, geplündert und mißhandelt werden.« So sehr auch Quentin, als guter Katholik, auf den besonderen Schutz Melchiors, Kaspars und Balthasars vertrauen mochte, so hielt er es doch für klüger, die Damen so schnell als möglich aus jeder Gefahr zu bringen. In der Einfalt seines Glaubens gelobte er selbst eine Pilgerschaft zu den drei Königen von Köln, wenn diese vernünftigen, königlichen und heiligen Personen seine Schützlinge das ersehnte Ziel sicher erreichen ließen. Um jedoch diese Verpflichtung mit aller Feierlichkeit zu übernehmen, ersuchte er den Klosterbruder, ihn in eine der verschiedenen Kapellen zu weisen, in welche man von dem Hauptgebäude der Klosterkirche trat, und wo er auf seinen Knien mit inbrünstiger Andacht das Gelübde bekräftigte, das er in seinem Innern getan hatte. Daß der Gegenstand der Andacht Quentins nicht der rechte war, war nicht seine Schuld; und da ihr Zweck rein und lauter gewesen, so läßt sich wohl annehmen, daß sie der Gottheit wohlgefällig war, der die aufrichtige Andacht eines Heiden lieber ist, als die scheinheilige Heuchelei des Pharisäers. Nachdem Quentin sich und seine hülflosen Gefährtinnen dem Schutze der Heiligen und dem Beistande der Vorsehung anbefohlen hatte, begab er sich endlich zur Ruhe und verließ den Klosterbruder, sehr erbaut durch die Inbrunst und Aufrichtigkeit seiner Andacht. Achtzehntes Kapitel Schon bei Tagesanbruch hatte Quentin Durward seine kleine Zelle verlassen, die schläfrigen Reitknechte geweckt und Sorge getragen, daß alles zur bevorstehenden Reise sich imstande befände. Er untersuchte Gurte, Zäume, das ganze Pferdegeschirr, selbst die Hufeisen mit eigenen Augen, um soviel wie möglich allen den Unfällen vorzubeugen, die, so unbedeutend sie auch scheinen, nicht selten eine Reise unterbrechen oder unmöglich machen. Die Pferde wurden unter seiner Aufsicht gehörig gefüttert, um eine so lange Tagereise aushalten zu können oder im Falle der Not auch zu einer schnellen Flucht geeignet zu sein. Quentin begab sich hierauf auf sein Zimmer, waffnete sich mit ungewöhnlicher Sorgfalt und gürtete sein Schwert um, in der Ahnung nahender Gefahr und mit dem festen Entschlusse, ihr bis aufs äußerste Trotz zu bieten. Diese hochherzigen Gefühle gaben seinem Gange etwas Stolzes und seinem Benehmen eine Würde, welche die Gräfinnen von Croye noch nicht an ihm bemerkt hatten. Er gab ihnen zu verstehen, es möchte nötig sein, daß sie sich diesen Morgen etwas früher als gewöhnlich zur Reise anschickten; sie verließen daher sogleich nach dem Morgenimbiß das Kloster, wofür, sowie für die übrigen Beweise von Gastfreiheit, die Damen ihre Erkenntlichkeit durch eine Gabe auf den Altar bezeigten, die mehr ihrem Range, als ihrem äußeren Ansehen entsprach. Doch erregte dies keinen Verdacht, da man sie für Engländerinnen hielt und jene Inselbewohner damals schon in dem Rufe großen Reichtums standen. Der Prior gab ihnen, als sie zu Pferde stiegen, den Segen und wünschte Quentin zur Entfernung seines heidnischen Führers Glück; »denn,« sagte der ehrwürdige Manne, »es ist besser, auf seinem Pfade zu straucheln, als sich an dem Arme eines Diebes oder Räubers aufrecht zu halten.« Quentin war nicht ganz seiner Meinung, denn so gefährlich auch der Zigeuner war, so glaubte er doch seiner Dienste sich bedienen und zu gleicher Zeit seine verräterischen Absichten, da er nun deutlich ihre Zwecke kannte, vereiteln zu können. Allein seine Besorgnis in dieser Hinsicht war bald gehoben; denn der kleine Zug war noch keine hundert Schritte vom Kloster und dem Dorfe entfernt, als Maugrabin wieder auf seinem kleinen muntern und wilden Klepper sich ihm anschloß. Ihr Weg führte sie den nämlichen Bach entlang, wo Quentin die geheimnisvolle Beratung des vorigen Abends angehört hatte, und Hayraddin war noch nicht lange bei ihnen, so ritten sie unter derselben Weide hin, die Durward zum Versteck gedient hatte, als er unbemerkt belauschte, was zwischen dem treulosen Wegweiser und dem Lanzknechte verhandelt wurde. Die Erinnerungen, welche der Ort in sein Gedächtnis zurückrief, veranlaßten Quentin auf einmal, ein Gespräch mit seinem Führer zu beginnen, mit dem er bis dahin kein Wort gesprochen hatte. »Wo hast Du ein Nachtlager gefunden, gottloser Bube?« fragte der Schotte. »Eure Weisheit mag es erraten, wenn Ihr meine Schabracke anseht,« versetzte der Zigeuner, auf seine Kleidung deutend, die mit Heu bedeckt war. »Ein guter Heuschober,« sagte Quentin, »ist ein passendes Bett für einen Sterndeuter, und besser noch, als ein heidnischer Verräter unserer heiligen Religion und ihrer Diener verdient.« »Mein Klepper war besser daran, als ich,« sagte Hayraddin, indem er sein Pferd auf den Hals klopfte; »denn er hatte Futter und Obdach zugleich. Die alten kahlköpfigen Narren hatten ihn hinausgejagt, als ob eines klugen Mannes Pferd ein ganzes Kloster voll Esel mit Witz und Scharfsinn hätte anstecken können. Zum Glücke kennt der Klepper meinen Pfiff und folgt mir so treu wie ein Hund, sonst hätten wir uns wohl nicht wieder zusammengefunden, und Ihr hättet Eurerseits vergebens nach einem Wegweiser pfeifen mögen.« »Ich habe Dir mehr denn einmal gesagt,« erwiderte Durward ernst, »Du solltest Deine böse Zunge im Zaume halten, wenn Du in Gesellschaft rechtlicher Leute bist, was Dir wohl früher selten geschehen sein mag; und ich sage Dir, wenn ich Dich für einen ebenso treulosen Führer hielte, als Du ein elender ungläubiger Schurke bist, mein schottisches Schwert und Dein Heidenherz hätten schon längst nähere Bekanntschaft gemacht, obgleich eine solche Handlung ebenso unwürdig wäre, als wenn ich ein Schwein abschlachtete.« »Ein wilder Eber ist doch ein naher Verwandter des Schweins,« versetzte der Zigeuner, ohne vor dem scharfen Blicke, den Quentin auf ihn heftete, die Augen niederzuschlagen, oder die schneidende Gleichgültigkeit, die er in seiner Sprache anzunehmen pflegte, im mindesten zu verändern, »und viele Leute,« fügte er hinzu, »setzen einen Stolz darein, und finden Vergnügen und Vorteil dabei, sie zu erstechen.« Erstaunt über des Mannes Dreistigkeit, und ungewiß, ob er nicht mehr von seiner eignen Geschichte und seinem Gemütszustande wisse, als ihm angenehm sein durfte, brach Quentin sein Gespräch ab, in dem er keinen Vorteil über Maugrabin gewonnen hatte, und zog sich auf seinen gewohnten Posten zur Seite der Damen zurück. Wir haben schon früher bemerkt, daß ein hoher Grad von Vertraulichkeit zwischen ihnen eingetreten war. Die ältere Gräfin behandelte ihn, als sie gewiß war, daß er von Adel sei, als einen Begünstigten ihresgleichen; und wenn auch ihre Nichte ihr Interesse für ihren Beschützer weniger unverhohlen an den Tag legte, so glaubte doch Quentin bei aller ihrer Verschämtheit und Scheu vollkommen versichert zu sein, daß seine Gesellschaft und Unterhaltung ihr keineswegs gleichgültig seien. Quentin hatte bisher auf der ganzen Reise seine schönen Schutzbefohlenen gar sehr vergnügt durch lebhafte Unterhaltung und durch Gesänge und Sagen seines Heimatlandes. An diesem bedenklichen Morgen aber ritt er stumm den Gräfinnen von Croye zur Seite, und sie konnten nicht umhin, in seinem Stillschweigen etwas Ungewöhnliches zu finden. »Unser junger Kämpe hat einen Wolf gesehen,« sagte Gräfin Hameline, auf einen alten Aberglauben anspielend, »und hat seine Sprache darüber verloren.« »Richtiger wäre es, daß ich einem Fuchse auf die Spur gekommen sei,« dachte Quentin, ohne jedoch diese Bemerkung laut werden zu lassen. »Ist Euch wohl, Herr Quentin?« fragte Gräfin Isabelle in einem so teilnehmenden Tone, daß sie selbst darüber errötete, indem sie fühlte, dieser Ton verriete etwas mehr Interesse, als der Anstand zwischen ihnen erlaubte. »Er hat gewiß mit den lustigen Brüdern gezecht,« meinte Gräfin Hameline; »den Schotten geht's doch wie den Deutschen, die ihre ganze Lustigkeit bei dem Rheinweine verschwenden, mit schwankenden Schritten zum Abendtanze kommen und ihr Kopfweh des Morgens in das Zimmer der Frauen mitbringen.« »Nein, edle Damen,« entgegnete Quentin, »ich verdiene Eure Vorwürfe nicht. Die guten Brüder brachten fast die ganze Nacht im Gebete zu; und was mich betrifft, so habe ich nichts als einen Becher ihres schwächsten Weines getrunken.« »Dann hat ihn vielleicht seine schlechte Bewirtung übler Laune gemacht,« meinte Gräfin Isabelle. »Laßt Euch das nicht verdrießen, Herr Quentin; kommen wir je zusammen nach meinem alten Schlosse Bracquemont, dann sollt Ihr einen Becher trefflichen Weines haben, desgleichen nie auf Hochheims oder Johannisbergs Weinbergen wuchs, und ich selbst will Euer Mundschenk sein.« »Ein Glas Wasser von Eurer Hand, edle Gräfin,« – weiter konnte Quentin nichts sagen, seine Stimme bebte; und Isabelle fuhr fort, als ob sie die zärtliche Betonung der Anrede gar nicht bemerkt hätte: »Den Wein hat schon mein Großvater, der Rheingraf Gottfried, in den tiefen Gewölben von Bracquemont einlegen lassen,« »Der die Hand ihrer Großmutter,« fiel Gräfin Hameline ein, »dadurch gewann, daß er auf dem Turnier zu Straßburg sich als den Sohn des Rittertums bewies; zehn Ritter wurden in den Schranken erschlagen. Aber diese Zeiten sind vorüber, und niemand denkt mehr daran, einer Gefahr Ehren halber, oder zur Rettung bedrängter Schönheit, die Stirn zu bieten.« »Noch ist jene Ritterlichkeit nicht erstorben,« entgegnete Quentin, »und sollte sie auch überall schlummern, so wacht sie noch in dem Busen schottischer Edelleute, und binnen kurzem muß es sich ausweisen, inwieweit Ihr Euch darauf verlassen könnt, so unbedeutend auch derjenige ist, der Euch nichts weiter als Bürgschaft für Eure Sicherheit anbieten kann.« »Ihr sprecht in Rätseln – Ihr wißt wohl von einer nahen und dringenden Gefahr?« fragte Gräfin Hameline. »Ich habe es schon seit einer Stunde in seinen Augen gelesen,« rief Gräfin Isabelle aus, ihre Hände faltend. »Heilige Jungfrau, was wird aus uns werden?« »Nichts, hoff ich, als was Ihr wünscht,« antwortete Durward, »und nun sehe ich mich genötigt, Euch zu fragen – edle Damen, könnt Ihr mir vertrauen?« »Ich meinesteils,« sagte Gräfin Isabelle, »vertraue Euch blindlings und unbedingt; und wenn Ihr uns täuschen könnt, so glaube ich, daß es keine Treue mehr unter der Sonne gibt.« »Edle Jungfrau,« erwiderte Durward, höchlich erfreut, »Ihr laßt mir nur Gerechtigkeit widerfahren. Meine Absicht ist, unsern Weg zu verändern, indem wir auf dem linken Ufer der Maas auf Lüttich zugehen, statt Namur zu berühren. Dies läuft allerdings den Befehlen König Ludwigs und den unserem Führer gegebenen Anweisungen zuwider. Ich hörte aber in dem Kloster von Räubern, die sich auf dem rechten Ufer der Maas zeigen, sowie von burgundischen Soldaten, die gegen sie anrückten, um sie zu Paaren zu treiben. Beide Umstände machen mich für Eure Sicherheit besorgt. Habe ich Eure Erlaubnis, daß ich insoweit von der vorgeschriebenen Reiseroute abgehen darf?« »Ihr habt meine volle und unbedingte Erlaubnis,« sagte die jüngere Dame. »Nichte,« sagte Gräfin Hameline, »ich glaube mit Euch, daß es der junge Mann gut mit uns meint; – aber bedenkt, wir überschreiten die ausdrücklichen Verhaltungsbefehle König Ludwigs.« »Und was haben wir auf seine Verhaltungsbefehle zu achten?« fragte Gräfin Isabelle. »Ich bin, dem Himmel sei Dank, nicht seine Untertanin, und da ich als eine Schutzbittende mich an ihn wandte, hat er das in ihn gesetzte Vertrauen gemißbraucht. Ich möchte den jungen Mann da nicht so entehren, daß ich gegen seinen Vorschlag die Vorschriften jenes hinterlistigen, selbstsüchtigen Despoten auch nur einen Augenblick in die Wagschale legte.« »Nun denn,« sprach Quentin erfreut, »Gott lohne Euch diese Worte und wenn ich mich Eures Vertrauens unwürdig zeigen sollte, dann wäre es noch viel zu wenig für mein Vergehen, wenn ich lebendig von Pferden zerrissen oder ewigen Martern preisgegeben würde.« Mit diesen Worten gab er seinem Pferde die Sporen und gesellte sich wieder dem Zigeuner zu. Dieser Ehrenmann schien ein sehr verträglicher Mensch zu sein. Beleidigungen oder Drohungen schienen nicht lange in seinem Gedächtnis zu haften; und er ging auf das Gespräch, das Durward mit ihm begann, so unbefangen ein, als ob diesen Morgen kein unfreundliches Wort zwischen ihnen gewechselt worden wäre. »Der Hund,« dachte der Schotte, »zeigt mir jetzt die Zähne nicht, weil er seine Rechnung mit mir mit einemmal abzumachen gedenkt, wenn er mich an der Gurgel gefaßt hat; aber wir wollen sehen, ob wir ihn nicht mit seinen eigenen Waffen schlagen. Hayraddin,« sagte er, »Du bist denn doch nun schon zehn Tage mit uns gereist und hast uns noch kein Pröbchen Deiner Geschicklichkeit im Wahrsagen gegeben. So gib mir denn jetzt einen Beweis Deiner Kunst.« Und Quentin zog den Handschuh aus und hielt seine Hand dem Zigeuner hin. Sorgfältig betrachtete Hayraddin alle Linien, welche sich auf der flachen Hand des Schotten durchkreuzten, sowie auch die kleinen Erhöhungen und Vertiefungen an den Fingerwurzeln, von denen man damals glaubte, sie ständen in Verbindung mit der Stimmung, den Neigungen und dem Schicksale des Betreffenden. »Das ist eine Hand,« sagte Hayraddin, »in der sich viel von überstandenen Mühseligkeiten und Gefahren kundgibt. Auch lese ich eine frühere Bekanntschaft mit dem Schwerte, und doch zeigt sie auch an, daß Euch das Gebetbuch nicht fremd geblieben ist.« »Dies betrifft mein früheres Leben, das kannst Du anderswo erfahren haben,« versetzte Quentin. »Von der Zukunft sollst Du mir etwas sagen.« »Diese Linie von dem Venusberge,« fuhr der Zigeuner fort, »die nicht so plötzlich abbricht, sondern der Lebenslinie zur Seite hinläuft, verkündet großes Glück durch Heirat. Der Glückliche wird dadurch unter die Zahl der Reichen und Edeln erhoben.« »Solche Versprechungen machst Du wohl allen, die Dich zu Rate ziehen,« sagte Quentin; »sie gehören mit zu Deiner Kunst.« »Was ich Euch sage, ist ebenso gewiß,« sagte Hayraddin, »als daß Ihr in kurzem von großer Gefahr werdet bedroht werden, was ich aus dieser glänzenden, blutroten Linie folgere, welche die Lebenslinie durchschneidet und auf Schwertstreiche und andere Gewalttaten hindeutet, denen Ihr einzig und allein durch die Anhänglichkeit eines treuen Freundes entgehen werdet.« »Durch Dich selbst wohl? Ha!« fragte Quentin, unwillig, daß der Wahrsager seine Leichtgläubigkeit so dreist mißbrauchen wollte. »Meine Kunst,« versetzte der Zigeuner, »lehrt mich nichts von dem, was mich selbst betrifft,« »So übertreffen denn darin die Seher bei mir zu Lande Eure gerühmte Weisheit,« sagte Quentin; »denn ihre Kunst läßt sie auch die Gefahren voraussehen, von denen sie selbst bedroht sind. Ich habe meine Berge nicht verlassen, ohne meinen Anteil an der Gabe des doppelten Gesichts mit mir zu nehmen, und ich will Dir für diese Deine Handwahrsagerei da ein Pröbchen davon geben. Hayraddin, die Gefahr, die mich bedroht, liegt auf dem rechten Ufer des Flusses. Ich will ihr dadurch aus dem Wege gehen, daß ich auf dem linken Ufer meinen Weg nach Lüttich nehme.« Der Führer hörte ihm mit einer Gleichgültigkeit zu, die dem Schotten, da er die Umstände kannte, ganz unverständlich blieb. »Wenn Ihr Euer Vorhaben ausführt,« sagte der Zigeuner, »so geht die Gefahr von Euch auf mich über.« »Sagtest Du nicht eben, Du könntest Dein eigenes Schicksal nicht vorhersagen?« entgegnete Quentin. »Nicht in der Art, wie ich Euch das Eurige vorhergesagt habe,« antwortete Hayraddin; »allein man darf Ludwig von Valois nur wenig kennen, um vorauszusagen, daß er Euern Führer hängen lassen wird, weil es Euch gefiel, von dem Wege, den er empfohlen, abzugehen.« »Wenn wir das Ziel unserer Reise glücklich erreichen, so wird er uns auch eine kleine, den Zweck der Reise fördernde und sichernde Abweichung von der vorgeschriebenen Reiseroute nicht verübeln.« »Ja,« antwortete der Zigeuner, »wenn Ihr der Absicht des Königs gewiß seid, daß die Pilgerfahrt so enden sollte, wie er Euch glauben ließ.« »Und wie konnte er etwas anderes dabei gewollt haben, als er in seinen Instruktionen aussprach?« fragte Quentin. »Ganz einfach deswegen,« versetzte der Zigeuner, »weil denen, welche den allerchristlichsten König nur etwas kennen, bekannt sein muß, daß er das, was ihm am Herzen liegt, am wenigsten laut werden läßt. Laßt unsern gnädigen König zwölf Gesandtschaften schicken, und ich verschreibe meinen Hals dem Galgen ein Jahr früher, als er ihm anheimfällt, wenn nicht elfe derselben anders instruiert sind, als ihr Beglaubigungsschreiben ausweist.« »Was gehen mich Eure schändlichen Vermutungen an?« erwiderte Quentin; »mein Auftrag lautet klar und einfach dahin, die Damen sicher nach Lüttich zu geleiten, und ich nahm mir heraus, zu glauben, daß ich mich dessen am besten entledige, wenn ich von der vorgeschriebenen Reiseroute abgehe und den Weg auf dem linken Ufer der Maas einschlage. Es ist auch die gerade Straße nach Lüttich. Wenn wir über den Fluß gehen, verlieren wir unnützerweise Zeit und ermüden uns ohne Zweck – und wozu das?« »Einzig deswegen, weil Pilgrime, die nach Köln wallfahrten, – und dafür wollen sie doch gelten,« entgegnete Hayraddin, »gewöhnlich nicht so weit an der Maas hinabgehen; und weil man so den Weg, den die Damen nehmen, mit ihrer angeblichen Bestimmung im Widerspruch finden wird.« »Werden wir darüber zur Rede gestellt,« sagte Quentin, »so sagen wir, daß uns beunruhigende Gerüchte von dem gottlosen Herzog von Geldern oder von Wilhelm von der Mark oder von den Ecorcheurs und Landsknechten auf dem rechten Ufer des Flusses vermocht hätten, uns lieber auf dem linken zu halten.« »Wie Ihr wollt, guter Herr,« antwortete der Zigeuner. – »Ich für mein Teil führe Euch ebenso gern an der linken, als an der rechten Seite der Maas hinab – bei Eurem Herrn mögt Ihr Euch dann selbst entschuldigen.« Quentin, obgleich hierüber sehr erstaunt, freute sich indessen sehr über Hayraddins bereitwilliges Einverständnis; denn er bedurfte seiner als Führer und hatte gefürchtet, daß die Vereitelung seines beabsichtigten Verrats ihn aufs äußerste treiben würde. Ihn aus ihrer Gesellschaft zu entfernen, wäre der geradeste Weg gewesen, Wilhelm von der Mark, mit dem er in Verbindung stand, auf ihre Spur zu bringen; dahingegen Quentin, wenn er bei ihnen blieb, es wohl so einrichten zu können glaubte, daß Hayraddin mit niemand Gemeinschaft pflegen konnte. Man gab daher jeden Gedanken an ihre ursprüngliche Reiseroute auf, und der kleine Zug verfolgte jetzt den Weg auf dem linken Ufer der Maas so eilig und so glücklich, daß sie schon am nächsten Morgen frühzeitig das Ziel ihrer Reise erreichten. Schluß des ersten Bandes. Zweiter Band Erstes Kapitel Der Bischof von Lüttich befand sich seiner Gesundheit wegen, wie er sagte, oder, was wahrscheinlicher war, um einen Ueberfall von seiten der zahlreichen und aufrührerischen Volksmenge der Stadt zu vermeiden, auf seinem anmutigen Schlosse Schönwald, etwa eine Meile von Lüttich. Gerade als sie sich dem Schlosse näherten, sahen sie den Prätaten in einer langen Prozession aus der nahen Stadt zurückkehren, wo er ein feierliches Hochamt gehalten hatte. Er befand sich an der Spitze eines glänzenden Zugs von Geistlichen, Beamten und Kriegern. Als aber unsere Reisenden näher kamen, fanden sie, daß rings um das Schloß her Sicherheitsmaßregeln getroffen waren, die dem Pompe und der Macht sehr widersprachen, von deren Entfaltung sie soeben Zeugen gewesen waren. Starke Wachen bischöflicher Soldaten waren rings um die Wohnung und in ihrer nächsten Umgebung aufgestellt, und das kriegerische Ansehen dieses geistlichen Hofes verkündigte, daß der ehrwürdige Prälat Gefahren fürchtete, die es notwendig machten, sich mit allen kriegerischen Verteidigungsmaßregeln zu umgeben. Die Gräfinnen von Croye wurden, nachdem sie von Quentin angemeldet worden, ehrerbietig in die große Halle geführt, wo der Bischof an der Spitze seines kleinen Hofes ihnen entgegentrat und sie aufs herzlichste empfing. Ludwig von Bourbon war in der Tat ein edelmütiger, gutherziger Fürst, dessen Leben sich freilich nicht immer innerhalb der Grenzen seiner geistlichen Würden gehalten, der aber nichtsdestoweniger den offenen und ehrenwerten Charakter des Hauses Bourbon, von welchem er abstammte, jederzeit behauptet hatte. Er war beliebt unter den benachbarten Fürsten als ein edler geistlicher Herr, freisinnig und prachtliebend. Doch regierte er mit einer bequemen Sorglosigkeit, welche seine wohlhabenden und aufrührerischen Untertanen in ihren rebellischen Anschlägen mehr anspornte als zügelte. Der Bischof war mit dem Herzog von Burgund intim befreundet, so daß letzterer in dem Bistume desselben beinahe ebenso unumschränkt waltete; der Herzog pflegte zu sagen, er betrachte Lüttich als sein Eigentum und den Bischof als seinen Bruder (wofür er auch wirklich gelten konnte, weil der Herzog des Bischofs Schwester auch in erster Ehe zur Gemahlin gehabt hatte) und daß, wer Ludwig von Bourbon etwas zuleide tue, es mit Karl von Burgund zu tun habe. Der Prälat versicherte, wie schon bemerkt, die Gräfinnen von Croye seines ganzen Einflusses am Hofe zu Burgund. Er versprach ihnen auch allen Schutz, der in seiner Macht stehen würde; allein ein Seufzer, der diese Zusicherung begleitete, schien zu gestehen, daß seine Macht weit unbedeutender sei, als er füglich mit Worten eingestehen dürfe. Getrennt von der Gräfin Isabelle, deren Blicke so viele Tage sein Leitstern gewesen waren, fühlte Quentin eine seltsame Leere und Beklommenheit des Herzens, die er in allen seinen bisherigen Lebensverhältnissen noch nie empfunden hatte; und sein stolzes Herz empörte sich bei dem Gedanken, daß man ihn gleich einem gewöhnlichen Postillon oder einem Geleitsmann, der sich nun seiner Obliegenheit entledigt habe, verabschiedete; der Gram hierüber entlockte seinen Augen insgeheim eine Träne über die Trümmer von Luftschlössern, die seine Einbildungskraft ihm während dieser so interessanten Reife vor sein geistiges Auge gezaubert hatte. Er machte einen männlichen, obwohl anfangs vergeblichen Versuch, diese Niedergeschlagenheit des Geistes zu überwinden; und unter der Last von Empfindungen, die er nicht unterdrücken konnte, setzte er sich nieder in eine der Fenstervertiefungen der großen, gotischen Halle von Schönwald und sann hier über das harte Schicksal nach, das ihm weder Rang noch Reichtum genug verliehen hatte, um seine kühne Bewerbung durchzuführen. Da wurde er durch einen leichten Schlag auf die Schulter in seinem Sinnen unterbrochen, und als er sich umsah, sah er den Zigeuner hinter sich stehen. Hayraddin, nie ein willkommener Anblick für ihn, hatte sich ihm seit seiner letzten Verräterei vollends verhaßt gemacht, und Quentin fragte ihn deshalb in ernstem Tone, »wie er dazu komme, einen Christen von Stand und Ehre zu berühren?« – »Bloß deshalb,« erwiderte der Zigeuner, »weil ich wissen wollte, ob der christliche Edelmann sein Gefühl ebenso verloren habe, wie seine Augen und Ohren. Ich stehe nun schon fünf Minuten hier und spreche zu Euch, und Ihr habt immer auf das Blatt gelben Pergaments hingestarrt, als hätte es die Zauberkraft, Euch in eine Bildsäule zu verwandeln, und schon halb seine Wirkung vollendet.« – »Nun, was begehrst Du? sprich und geh Deiner Wege!« – »Ich begehre, was alle Leute begehren, obgleich wenige damit zufrieden sind,« sagte Hayraddin; »ich begehre meinen Lohn, meine zehn Goldkronen, dafür, daß ich die Damen hierher geleitet habe.« – »Mit welcher Stirn willst Du noch einen Lohn verlangen, außer dem, daß ich Deines unwürdigen Lebens geschont habe?« fragte Quentin entrüstet; »Du weißt, daß es Deine Absicht war, sie auf dem Wege zu verraten.« – »Aber ich habe sie doch nicht verraten,« sagte Hayraddin; »hätt ich's getan, so wollt ich weder Euch noch sie um den Lohn angegangen haben, sondern den, dem ich dadurch, daß wir auf dem rechten Ufer gereist wären, einen Dienst geleistet hätte. Diejenigen, denen ich gedient habe, müssen auch bezahlen.« – »So fahre denn Dein Lohn samt Dir dahin, Verräter!« sagte Quentin, indem er das Geld hinzählte; denn er hatte als Haushofmeister eine Summe zur Bestreitung solcher Ausgaben erhalten. »Geh nun zum Eber der Ardennen oder zum Teufel; nur komm mir nimmer unter die Augen, damit ich Dich nicht vor Deiner Zeit zu ihm befördere.« »Zum Eber der Ardennen!« wiederholte der Zigeuner mit einem stärkeren Ausdruck von Erstaunen, als sich gewöhnlich in seinen Zügen auszudrücken pflegte; »so war es also keine leere Vermutung, kein allgemeiner Verdacht, der Euch darauf bestehen ließ, Euern Weg zu verändern? Wäre es möglich – gibt es in andern Ländern zuverlässigere Wahrsagerkünste als die unserer wandernden Stämme? Der Weidenbaum, unter dem wir sprachen, konnte doch nichts weiter erzählen. Doch nein, nein, nein! welch ein Dummkopf ich doch war! – Ich hab's! Der Weidenbaum an dem Bache bei dem Kloster dort, ich sah wohl, Ihr blicktet nach ihm hin, als wir vorüberzogen, eine halbe Meile von jenem wilden Bienenstock – der konnte freilich nicht hören, aber jemand verbergen, der Ohren hatte! Ich werde mich hinfort auf offenem Felde mit andern treffen – kein Distelbusch soll in der Nähe sein, unter dem ein schottischer Lauscher sich verbergen könnte. – Ha, ha! der Schotte hat den Zigeuner mit seiner eigenen Waffe geschlagen. Aber wißt denn, Durward, dadurch, daß Ihr meine Pläne vereitelt habt, habt Ihr Euer eigen Glück zerstört. – Ja! das Glück, das Euch aus den Linien Eurer Hand weissagte, wäre ohne Euern Eigensinn nicht überschwenglich gewesen.« »Heiliger Andreas!« versetzte Quentin, »Deine Unverschämtheit bringt mich wider meinen Willen zum Lachen. Wie oder worin hätte Dein schändlicher Verrat, wäre er gelungen, mir genützt? Ich hörte in der Tat, daß Du die Sicherheit meines Lebens zur Bedingung machtest – eine Bedingung, die Deine saubern Verbündeten gewiß schnell vergessen hätten, wär es einmal zu Schlägen gekommen – und wozu mir Dein Verrat der Damen genützt hätte, als mich gewissem Tod oder gewisser Gefangenschaft zu überliefern, das ist etwas, was wohl kein menschlicher Verstand erraten möchte.« – »So denkt nicht weiter daran,« sagte Hayraddin, »denn ich bin willens, Euch durch meine Dankbarkeit zu überraschen. Hättet Ihr mir meinen Lohn vorenthalten, so hätt ich geglaubt, wir seien quitt, und ich hätt Euch Euch selbst überlassen. – So aber bleib ich Euer Schuldner wegen jener Geschichte an den Ufern des Cher.« – »Mich dünkt, ich habe Euch durch Flüche und Schimpfreden bereits bezahlt gemacht,« versetzte Quentin. – »Harte oder freundliche Worte,« sagte der Zigeuner, »das ist gleichviel; sie sind nur Wind, der nichts in der Wagschale wiegt. Hättet Ihr mich geschlagen, statt nur zu drohen, ja dann – –« »Nun, es könnte leicht dahin kommen, daß ich mich auf solche Art bezahlt mache, wenn Du mich noch ferner reizest.« – »Das wollt ich Euch denn doch nicht raten,« sagte der Zigeuner; »denn solche Behandlung von zu raschen Händen könnte die Schuld übersteigen und die Wagschale so zu Eurem Nachteile neigen, daß ich es nicht leicht vergessen und vergeben möchte. Und nun lebt wohl, aber nicht auf lange Zeit – ich gehe, um mich bei den Gräfinnen von Croye zu verabschieden.« – »Du?« fragte Quentin erstaunt. – »Du meinst, bei den Gräfinnen vorgelassen zu werden, gar hier noch, wo sie wie aus Klausnerinnen unter dem Schutze der Schwester des Bischofs, einer edlen Kanonissin, leben? Es ist nicht möglich.« »Gleichviel wartet Marthon bereits auf mich,« versetzte der Zigeuner mit höhnischem Lächeln, »um mich zu ihnen zu führen, und ich muß um Verzeihung bitten, wenn ich Euch etwas schnell verlasse.« Er wandte sich um, als ob er gehen wollte, kam aber augenblicklich zurück und sagte in einem ernsten, nachdrücklichen Tone: »Ich kenne Eure Hoffnungen – sie sind kühn, aber nicht eitel, wenn ich Euch helfe. – Ich kenne Eure Besorgnisse – sie sollen Euch klug, nicht schüchtern machen. Jedes Weib kann gewonnen werden. Der Grafentitel ist ein bloßer Beiname, der sich vor Quentin ebensogut setzen läßt, als der des Herzogs vor Karl, oder der des Königs vor Ludwig.« Ehe Durward antworten konnte, hatte der Zigeuner die Halle verlassen. Quentin folgte ihm augenblicklich, aber besser als der Schotte bekannt mit den Gängen des Hauses, hatte Hayraddin schon einen Vorsprung gewonnen, und Quentin verlor ihn aus dem Gesichte, als er eine kleine Treppe hinabeilte. Immer noch folgte ihm Durward, ohne sich selbst sagen zu können, warum er es tat. Die Treppe führte an eine Tür, die auf eine Gartenallee hinausging, wo er den Zigeuner abermals einen krummen Gang hinuntereilen sah. Auf zwei Seiten war der Garten von den Gebäuden des Schlosses umgeben, eines alten, schwerfälligen Bauwerks, nach Art der Schlösser zum Teil mit Zinnen versehen, zum Teil einem geistlichen Gebäude gleichend, dessen andere beiden Seiten durch eine hohe, zur Verteidigung eingerichtete Mauer gebildet wurden. Hayraddin durchkreuzte die Baumgänge des Gartens, die nach einer andern Seite des Gebäudes hinliefen, wo sich hinter einem großen, massiven, mit Efeu überwachsenen Schwibbogen eine Hintertür öffnete. Hier blickte er nochmals zurück und winkte seinem Verfolger ein triumphierendes Lebewohl zu, der in der Tat sehen mußte, wie das Pförtchen von Marthon geöffnet und der schändliche Zigeuner in die Gemächer der Gräfinnen von Croye eingelassen wurde. Quentin biß sich vor Unwillen in die Lippe und machte sich bittere Vorwürfe, daß er die Gräfinnen nicht von der ganzen Schändlichkeit Hayraddins und dessen Anschlägen gegen ihre Sicherheit in Kenntnis gesetzt hatte. Die Anmaßung, mit der der Zigeuner versprochen hatte, seine Bewerbung zu begünstigen, erhöhte noch seinen Aerger und Unwillen, und es war ihm, als ob die Hand der Gräfin Isabelle entehrt würde, wenn sie durch solch eine Verwendung gewonnen werden sollte. »Allein es ist lauter Trug,« sprach er bei sich – »eine seiner elenden Gauklerkünste! Er hat sich gewiß unter irgend einem falschen Vorwand und in böslicher Absicht Zutritt bei den Damen verschafft. Es ist gut, daß ich auf diese Weise erfuhr, wo sie wohnen. Ich will mir durch Marthon Zutritt bei den Damen auszuwirken suchen, wäre es auch nur, sie zu warnen, daß sie vor diesem Zigeuner auf ihrer Hut sein sollten. Es ist hart, wenn ich mich solcher Künste und Umwege bedienen muß, indes ein solcher Mensch öffentlich und ohne Bedenken Zugang erhält. Sie sollen finden, daß, obgleich ich aus ihrer Gesellschaft verbannt bin, Isabellens Sicherheit doch noch immer der Hauptgegenstand meiner Wachsamkeit ist.« Indes der jugendliche Liebhaber sich mit diesen Gedanken beschäftigte, trat ein bejahrter Hofbeamter des Bischofs durch dasselbe Tor, durch das er in den Garten gekommen war, auf ihn zu und machte ihm mit der größten Höflichkeit bemerklich, daß der Garten nicht öffentlich, sondern zum besonderen Gebrauch des Bischofs und seiner Gäste vom höchsten Range bestimmt sei. Quentin mußte sich diese Weisung zweimal wiederholen lassen, ehe er den eigentlichen Sinn derselben verstand; dann fuhr er wie aus einem Traum auf, verbeugte sich und eilte aus dem Garten. Der Hofbeamte folgte ihm und überhäufte ihn mit Entschuldigungen, daß er seine Pflicht hätte erfüllen müssen; ja so sehr war es ihm darum zu tun, den Eindruck der Kränkung, die er Quentin zugefügt zu haben glaubte, zu verwischen, daß er sich erbot, ihm Gesellschaft zu leisten. Aber Quentin, ärgerlich über diese Höflichkeit, befreite sich von ihm durch die Ausflucht, er wünsche die nahe Stadt in Augenschein zu nehmen, und eilte so schnell hinweg, das; dem Zeremonienmeister bald alle Lust verging, ihn weiter als bis an die Zugbrücke zu geleiten. In wenigen Minuten war Quentin innerhalb der Tore Lüttichs, damals einer der reichsten Städte Flanderns, und somit der ganzen Welt, und in wenigen Minuten war Quentins Aufmerksamkeit durch die Mannigfaltigkeit von Gegenständen so in Anspruch genommen in den geräuschvollen Straßen von Lüttich, als wenn weder eine Gräfin Isabelle noch ein Zigeuner jemals für ihn auf der Welt gewesen wären. Am tiefsten bewunderte er die vielen Ströme und Kanäle, die, aus der Maas abgeleitet und mit ihr in Verbindung stehend, die Stadt in verschiedenen Richtungen durchschnitten und jedem Stadtviertel alle Bequemlichkeit zu Wasser gewährten. Ebenso ermangelte er nicht, in der altehrwürdigen St.-Lambertskirche eine Messe zu hören. Als er jedoch diese heilige Stätte verließ, fiel ihm auf, daß er von mehreren Gruppen wohlhabend aussehender Bürger aufmerksam betrachtet wurde, die sich in der Absicht versammelt zu haben schienen, ihn bei seinem Austritt aus der Kirche zur Rede zu stellen. Es erhob sich ein dumpfes Gemurmel, das sich schnell von einer Gruppe zur andern verbreitete; die Anzahl der Neugierigen vermehrte sich zusehends, und alles schien ihn mit Teilnahme und Neugierde, auch mit einem Grad gewisser Achtung zu betrachten. Endlich sah er sich in der Mitte einer großen Volksmenge, die ihm jedoch, sowie er vorwärts schritt, Platz machte, während diejenigen, die ihm folgten oder Schritt mit ihm hielten, alles zu vermeiden suchten, was den Schein wecken konnte, ihn zu drängen oder seine Bewegungen zu hindern. Seine Lage ward ihm jedoch zu peinlich, als daß er sie lange hätte ertragen können, ohne einen Versuch zu machen, sich aus dieser herauszufinden und Aufklärung über sie zu erhalten. Quentin sah rings um sich her, und indem er seine Augen auf einem freundlichen, ehrsam aussehenden, wohlgenährten Bürger haften ließ, den er in seinem Samtmantel und seiner goldenen Kette für eine Obrigkeit halten mußte, fragte er ihn, ob denn an seiner äußern Erscheinung etwas sei, was die öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen vermöchte? oder ob es Sitte der Lütticher sei, sich so um Fremde zu drängen, die der Zufall in ihre Stadt gefühlt habe? – »Keineswegs, guter Herr,« antwortete der Bürger, »die Lütticher treibt weder so müßige Neugier, daß eine solche Sitte bei ihnen aufkäme, noch liegt in Eurem Anzug und Aeußern etwas, das nicht dieser Stadt äußerst willkommen wäre.« – »Das klingt recht artig, werter Herr,« fügte Quentin, »aber beim Kreuze des heiligen Andreas, ich weiß nicht, was Ihr damit meint?« – »Euer Schwur,« versetzte der Handelsmann von Lüttich, »sowie Euer Akzent überzeugen mich, daß wir uns in unserer Vermutung nicht betrogen haben.« – »Bei meinem Schutzheiligen St. Quentin!« sagte Durward, »ich verstehe Euch immer weniger.« – »Nun,« versetzte der Lütticher, indem er ihn bei diesen Worten sehr zuversichtlich, aber fein und verständig ansah. »Es kommt uns freilich nicht zu, werter Herr, zu wissen, was Ihr zu verhehlen für gut findet. Aber warum schwört Ihr bei St. Quentin, wenn Ihr mir damit nicht etwas zu verstehen geben wollt? – Wir wissen, daß der gute Graf von Saint-Paul, der jetzt in der Stadt dieses Namens liegt, unserer Sache wohl will.« – »So wahr ich lebe,« sprach Quentin. »Ihr täuscht Euch, – ich weiß nichts von Saint-Paul.« – »Nun, wir fragen Euch gar nicht aus,« versetzte der Bürger, »doch hört, ein Wort im Vertrauen – ich heiße Pavillon.« – »Und was geht mich das an, Herr Pavillon?« fragte Quentin. – »Nichts, gar nichts – ich meine nur, dies sollte Euch genug sein, um zu wissen, daß man mir trauen kann. – Hier ist auch mein Kollege Rouslaer.« Rouslaer trat vor, ein wohlgenährter Würdenträger, dessen ziemlich runder Bauch wie ein Mauerbrecher das Gedränge vor ihm durchbrach. Mit geheimnisvollem Flüstern empfahl er seinem Nachbarn Vorsicht und sagte im Tone des Vorwurfs zu ihm: »Ihr vergesset, mein guter Kollege, daß der Platz hier zu öffentlich ist; der Herr wird so gütig sein, sich mit uns nach Eurem oder meinem Hause zu begeben, wo wir dann bei einem Glase Rheinwein mehr von unserm Freunde und Verbündeten hören wollen, dem wir mit unsern ehrlichen flamändischen Herzen aufrichtig zugetan sind.« – »Ich bringe Euch keine Nachrichten,« entgegnete Quentin mit Ungeduld; »ich trinke keinen Rheinwein und ersuche Euch bloß, als Männer von Gewicht und Ansehen, den müßigen Haufen zu zerstreuen und einem Fremden zu gestatten, daß er Eure Stadt so ruhig verlassen darf, wie er sie betreten hat.« – »Nun denn, mein Herr,« sagte Rouslaer; »wenn Ihr so sehr auf Eurem Inkognito besteht, und noch dazu gegen uns, die wir vertraute Männer sind, so laßt mich geradezu fragen, warum tragt Ihr denn das Abzeichen Eures Korps, wenn Ihr in Lüttich unbekannt bleiben wollt?« – »Welches Abzeichen, und welches Korps?« fragte Quentin, »Ihr seht doch wie ehrenwerte Männer und achtbare Bürger aus, und doch, bei meiner Seele, seid Ihr entweder Narren, oder wollt Ihr mich zu einem machen.« – »Sapperment!« rief der andere Bürger, »dieser junge Mann brächte wahrhaftig den heiligen Lambert selbst zum Fluchen! Wer in aller Welt trägt denn Mützen mit dem St. Andreaskreuz und der Lilie, als die schottischen Bogenschützen von König Ludwigs Leibwache?« – »Und gesetzt auch, ich wäre ein Bogenschütze von der königlichen Leibwache, wie könnte es Euch wundern, wenn ich das Abzeichen meiner Kompagnie trüge?« fragte Quentin ungeduldig. – »Er hat's eingestanden!« riefen Rouslaer und Pavillon, indem sie sich mit allen Zeichen der Freude, mit emporgehobenen Armen und Händen und vor Freude strahlenden Gesichtern an die versammelten Bürger wandten. »Er hat's eingestanden, daß er ein Bogenschütze von der Leibwache Ludwigs ist – Ludwigs, des Beschützers der Freiheiten Lüttichs!« Ein allgemeiner Freudenruf erhob sich jetzt aus der Menge, woraus man deutlich die Worte hören konnte: »Lange lebe Ludwig von Frankreich! Lange lebe die schottische Garde! Lange lebe der tapfere Bogenschütze! Unsere Freiheiten, unsere Privilegien, oder der Tod! Lange lebe der tapfere Eber der Ardennen! Nieder mit Karl von Burgund! und Verderben über Bourbon und sein Besitztum!« Halb betäubt durch den Lärm, der, sobald er auf einer Seite aufhörte, auf der andern wieder begann, fallend und steigend gleich den Wellen der See, und vermehrt durch Tausende von Stimmen, die im Chor von entfernteren Straßen und Marktplätzen erschallten, hatte Quentin doch Zeit, sich über die Ursache des Tumults seine Vermutungen zu bilden und einen Entschluß über sein weiteres Benehmen zu fassen. Er hatte vergessen, daß nach seinem Strauße mit Orleans und Dunois einer seiner Kameraden auf Lord Crawfords Befehl ihm statt seines vom Schwerte des letzteren gespaltenen Helms eine der stahlgefütterten Mützen aufgesetzt hatte, die einen Teil der eigentümlichen, wohlbekannten Rüstung der schottischen Leibwache ausmachten. Daß jemand von diesem Korps, das immer unmittelbar Ludwigs Person umgab, in den Straßen einer Stadt erschien, deren bürgerliche Unruhen durch dieses Königs Agenten gesteigert wurden, galt in den Augen der Bürger Lüttichs sehr natürlich als ein Entschluß von seiten des Königs, sich ihrer Sache nun öffentlich anzunehmen; und die Erscheinung eines einzelnen Bogenschützen wurde sogleich für das Unterpfand unmittelbaren, tätigen Beistandes von seiten Ludwigs genommen, ja sogar als ein sicherer Beweis, daß seine Hülfstruppen bereits auf einer oder der andern Seite – wo, konnte man nicht angeben – in die Stadt einrückten. Quentin sah bald, daß es unmöglich sei, eine so allgemein verbreitete Ueberzeugung zu widerlegen, ja daß jeder Versuch, Leute, die hartnäckig bei derselben beharrten, aus ihrem Irrtum zu reißen, mit persönlicher Gefahr verbunden sein würde, was in dem gegebenen Falle von gar keinem Nutzen sein konnte. Er beschloß deswegen, sogleich Zeit zu gewinnen und sich dann, so gut er könnte, aus der Sache zu ziehen. Dieser Entschluß ward in ihm rege, während man ihn nach dem Stadthause geleitete, wo sich die angesehensten Bürger der Stadt eiligst versammelten, um die Nachrichten zu vernehmen, die er, wie man vermutete, überbracht habe, und ihn mit einem glänzenden Mahle zu bewirten. Trotz aller Widerrede, die man für Bescheidenheit nahm, ward er von allen Seiten von den Beweisen der Volksgunst umgeben, deren unschmackhafte Flut ihn jetzt umwogte. Seine beiden Freunde, welche Schöppen oder Stadtsyndizi waren, hatten ihn unter beide Arme gefaßt; vor ihm her ging Nikkel Block, der Obermeister der Fleischerinnung, den man eiligst von den Fleischbänken abgerufen hatte, und schwang sein todbringendes, noch von Blut und Hirn beflecktes Beil mit einem Mut und Anstand, den nur Branntwein einflößen konnte. Hinter ihm schritt einher die lange, hagere, knochige Gestalt des betrunkenen Patrioten, Klaus Hämmerlein, Vorstehers der Innung der Eisenarbeiter; ihm folgten wenigstens tausend ungewaschene Arbeiter dieser Klasse. Weber, Nagelschmiede, Seiler und Handwerker jeder Profession drängten sich aus den engen und finstern Gassen herbei, um sich an den Zug anzuschließen. Jeder Versuch, zu entrinnen, würde ein ebenso gefährliches als unmögliches Unternehmen gewesen sein. In dieser Verlegenheit wandte sich Quentin an Rouslaer, der ihn an einem Arme hielt, und an Pavillon, der sich des andern bemächtigt hatte, und die ihn so an der Spitze dieses Triumphzuges führten, dessen Hauptgegenstand er so unerwartet geworden war. Er eröffnete ihnen in Eile, daß er die Mütze der schottischen Leibwache gedankenlos aufgesetzt habe, da die Stahlhaube, die er auf der Reise zu tragen willens gewesen, zufälligerweise beschädigt worden sei; er bedauerte, daß dieser Umstand, und der Scharfblick, womit die Lütticher auf seinen Stand und den Zweck seiner Sendung geschlossen, die Sache aufgedeckt hätten, und gab zu verstehen, wenn er nach dem Stadthause geführt werde, so sehe er sich genötigt, den versammelten Notabeln gewisse Dinge mitzuteilen, die er eigentlich auf Befehl des Königs bloß den trefflichen Gevattern, Rouslaer und Pavillon von Lüttich, insgeheim hätte veröffentlichen sollen. Dieser letzte Wink wirkte mit Zauberkraft auf die zwei Bürger, welche die vornehmsten Anführer der mißvergnügten Stadtbewohner waren und so, gleich allen Demagogen ihrer Art, die Leitung der Dinge soviel wie möglich in ihrer Hand zu behalten suchten. Sie wurden daher gleich darüber einig, daß Quentin vor der Hand die Stadt verlassen, nachts nach Lüttich zurückkehren und in Rouslaers Hause, das nahe an dem Stadttor gegen Schönwald lag, mit ihnen zusammenkommen sollte. Quentin trug kein Bedenken, ihnen zu sagen, daß er gegenwärtig in dem bischöflichen Palaste wohne, unter dem Vorwande, Depeschen von dem französischen Hofe zu überbringen, obgleich seine eigentliche Sendung, wie sie richtig geschlossen hätten, an die Bürger von Lüttich ginge. Diese Art, auf Umwegen Verbindung zu unterhalten, sowie der Charakter und der Rang der Person, der das Geschäft anvertraut war, stimmten so sehr mit dem Charakter Ludwigs überein, daß man sich darüber keineswegs wunderte, noch die Wahrheit des Vorgebens bezweifelte. Gleich nach der Eröffnung langte der Zug vor der Tür von Pavillons Hause an, das zwar in einer der Hauptstraßen lag, von hinten aber durch einen Garten, sowie durch eine weitläufige Anlage von Lohgruben und andere Einrichtungen zur Zubereitung von Häuten (denn der patriotische Bürger war ein Gerber) mit der Maas zusammenhing. Es war natürlich, daß Pavillon dem vermeinten Abgesandten Ludwigs in seinem Hause einige Ehre erwies, und das Verweilen vor seinem Hause konnte vor der Menge nichts Auffallendes haben; sie brachte vielmehr Herrn Pavillon ein schallendes Lebehoch, als er seinen vornehmen Gast hineinnötigte. Quentin vertauschte sogleich seine auffallende Mütze mit der eines Gerbers und warf einen Mantel über seinen übrigen Anzug. Pavillon versah ihn dann mit einem Passe, mit dem er nach Gefallen bei Tag und Nacht zu den Stadttoren aus- und eingehen konnte, und übergab ihn der Fürsorge seiner Tochter, einer hübschen, lachenden Flamänderin; indes er selbst zu seinem Kollegen zurückeilte, um ihre Freunde auf dem Stadthause durch die besten Entschuldigungen, die sie für das Verschwinden des Gesandten Ludwigs aufbringen konnten, zu beschwichtigen. Der ehrwürdige Bürger hatte sich nicht sobald entfernt, als sein rundes Trudchen unter manchem Erröten und mit manchem versteckten Lächeln, das zu den kirschroten Lippen, den freundlichen, blauen Augen und der reinen, durchsichtigen Haut recht gut stand, den schönen Fremdling durch die dunkeln Baumgänge in Herrn Pavillons Garten nach dem Wasser hinunterführte und ihn dort ein Boot besteigen ließ, das zwei handfeste Flamänder in ihren Pumphosen, ihren Pelzmützen und vielknöpfigen Wämsern so eilfertig in Bereitschaft gesetzt hatten, als es nur immer ihrer niederländischen Natur möglich war. Da das hübsche Trudchen nichts als Flämisch sprach, wußte Quentin – unbeschadet seiner aufrichtigen Ergebenheit gegen die Gräfin von Croye – seinen Dank einzig nur durch einen Kuß auf die kirschroten Lippen auszudrücken, der mit der größten Artigkeit gegeben und mit der bescheidensten Dankbarkeit angenommen wurde; denn junge Herren mit einer Gestalt und einem Gesicht, wie unser schottischer Bogenschütze, kamen unter der Lütticher Bürgerschaft nicht alle Tage vor. Indes das Boot auf den trägen Gewässern der Maas dahinruderte und bei den Festungswerken der Stadt vorüberfuhr, hatte Quentin Zeit, zu überlegen, welchen Bericht er bei seiner Rückkehr in den bischöflichen Palast zu Schönwald von seinem Abenteuer in Lüttich geben sollte; und da er ebensowenig jemand, der, wenngleich irrigerweise, ihm sein Vertrauen geschenkt hatte, verraten, noch auch dem gastfreien Bischof die aufrührerische Stimmung seiner Hauptstadt verbergen wollte, beschloß er, seinen Bericht so allgemein wie möglich zu halten, damit er den Bischof in den Stand setzen möchte, auf seiner Hut zu sein, ohne dadurch irgendjemand seiner Rache bloßzustellen. Er stieg eine Meile vom Schlosse ans Land und belohnte die Ruderer mit einem Gulden, und so kurz auch der Weg nach dem Schlosse war, den Quentin vor sich hatte, so hatte doch die Abendglocke bereits zum Essen geläutet; auch fand er überdies, daß er sich dem Schlosse von einer, dem Haupteingange gegenüberliegenden Seite genähert hatte, und daß, wenn er herumgehen wollte, seine Ankunft sich bedeutend verzögern müßte. Er richtete daher seinen Weg gerade nach der ihm zunächst gelegenen Seite, die, wie er vernahm, von einer befestigten Mauer, wahrscheinlich der des schon erwähnten kleinen Gartens, umgeben war. Sie war mit einem Pförtchen versehen, zu welchem er vermittelst eines daneben liegenden Schiffchens, wenn er jemand träfe, der ihn auf seinen Ruf über den Graben setzte, zu gelangen hoffte. Indem er sich näherte, trat jemand aus der Hintertür, sprang in das Boot, nahm seinen Weg zu einer entferntern Seite des Grabens und stieß mit einer langen Stange das Fahrzeug nach der Stelle zurück, wo er eingestiegen war. Als er näher kam, erkannte Quentin in ihm den Zigeuner, der, ihn vermeidend, was nicht schwer war, einen andern Weg nach Lüttich einschlug und ihm sogleich aus dem Gesichte war. Dies war ein neuer Gegenstand des Nachdenkens für ihn. Hatte dieser heidnische Landstreicher die ganze Zeit bei den Gräfinnen von Croye zugebracht? und weswegen konnten sie ihm solange Gehör geschenkt haben? – Gequält von diesen Gedanken, entschloß sich Durward umsomehr, hierüber Aufklärung von ihnen zu verlangen, und nahm sich vor, ihnen mit einemmale die Verräterei Hayraddins aufzudecken. Mit diesem Entschlusse trat Quentin zum Haupttor ein, wo er in der großen Halle den Hofhalt des Bischofs mit Einschluß seiner geistlichen Diener, der Hausbeamten und Fremden, die nicht zum hohen Adel gehörten, bereits an der Tafel fand. Am obern Ende des Tisches war jedoch neben dem Hauskaplane des Bischofs ein Platz freigelassen, der den Fremden mit dem alten Scherze: »Wer zu spät kommt, erhält die Knochen« bewillkommnete, zugleich aber Sorge trug, seinen Teller mit Leckerbissen zu beladen, die seinen gutmütigen Spaß würzen sollten. Um sich von dem Verdachte schlechter Lebensart zu reinigen, beschrieb Quentin kurz den Auflauf, den seine schottische Mütze verursacht, und suchte seiner Erzählung dadurch eine scherzhafte Wendung zu geben, daß er sagte, mit Mühe habe er sich von dem Gewirr vermittelst eines wohlbeleibten Bürgers und dessen schöner Tochter losgemacht. Allein die Gesellschaft nahm zu großen Anteil an der Erzählung, als daß der Scherz an seinem Orte gewesen wäre. Alle Bewegungen am Tische waren gehemmt, als Quentin zu erzählen begann, und als er geendet hatte, erfolgte eine feierliche Pause, die nur durch den Haushofmeister unterbrochen wurde: »Wollte Gott, wir hätten schon hundert Lanzen von Burgund!« »Was sollte Euch denn gerade an ihnen soviel gelegen sein?« fragte Quentin, – »Ihr habt soviele Soldaten hier, denen das Kriegshandwerk Beruf ist, während Eure Gegner aus dem Pöbel einer meuterischen Stadt bestehen, der bei dem ersten Wehen des Banners von Bewaffneten die Flucht ergreifen wird.« »Da kennt Ihr die Lütticher Bürger nicht,« versetzte der Kaplan, »von denen man wohl behaupten darf, daß sie die ungestümsten und unbändigsten Leute in ganz Europa sind. Möge nur Gott alles zum besten wenden! Allein ich fürchte, es wird einen blutigen Kampf setzen; ich wollte lieber, mein trefflicher, gütiger Herr hätte einen sicheren, wenn auch minder ehrenvollen Sitz; denn seine Bischofsmütze ist, statt mit Hermelin, mit Dornen gefüttert. Dies alles sage ich Euch, Herr Fremder, um Euch aufmerksam zu machen, daß Schönwald, wenn Eure Geschäfte Euch nicht drin festhalten, ein Ort ist, den jeder vernünftige Mann sobald als möglich verläßt. Ich glaube, Eure Damen sind derselben Meinung, denn sie haben einen der Reitknechte, die sie bisher begleiteten, mit Briefen an den Hof von Frankreich zurückgeschickt, ohne Zweifel, um melden zu lassen, daß sie die Absicht haben, einen sichreren Aufenthaltsort aufzusuchen.« Zweites Kapitel Nach aufgehobener Tafel führte der Kaplan den jungen Schotten, an dessen Gesellschaft er ein besonderes Interesse gefunden zu haben schien, in ein Nebengemach, dessen Fenster auf einer Seite in den Garten gingen. Als er sah, daß sein Begleiter verlangende Blicke dahin warf, schlug er ihm vor, hinunter zu gehen und die merkwürdigen Gewächse in Augenschein zu nehmen, mit denen der Bischof seine Blumenbeete bereichert hatte. Quentin entschuldigte sich, daß er wegen der ihm am Morgen widerfahrenen Unbill die Einladung ablehnen müßte. Der Kaplan lächelte und fügte: »es bestehe allerdings ein altes Verbot hinsichtlich des bischöflichen Gartens, allein,« setzte er lächelnd hinzu, »dies galt nur damals, als unser ehrwürdiger Vater ein fürstlicher, junger Prälat von nicht mehr denn dreißig Jahren war, und viele schöne Damen, um geistliche Tröstung zu suchen, auf das Schloß kamen; und da war es,« schloß er mit niedergeschlagenen Augen und einem halb einfältigen, halb klugen Lächeln, »allerdings notwendig, daß diese schönen Büßerinnen, die sich bei uns aufhielten, einen Raum hatten, wo sie Luft schnappen konnten, ohne von der Zudringlichkeit profaner Blicke belästigt zu werden; allein in spätern Jahren wurde dieses Verbot, wenngleich nicht förmlich zurückgenommen, doch ganz und gar nicht beachtet und spuckt nur noch in dem Gehirn des alten Zeremonienmeisters. Wenn es Euch gefällt, so gehen wir sogleich hinab und sehen, ob der Ort geheuer ist oder nicht.« Nichts konnte Quentin angenehmer sein als die Aussicht, mit dem Gegenstande seiner Zärtlichkeit in Verbindung zu treten oder ihn wenigstens zu Gesicht zu bekommen, sei es nun von einem Turmfenster oder Balkon oder einem ähnlichen vorteilhaften Plätzchen aus, wie es in dem Gasthof zur Lilie bei Plessis oder in dem Dauphinsturme des Schlosses Plessis selbst der Fall war. Isabelle schien nun einmal bestimmt, allenthalben, wo sie sich aufhielt, die Dame vom Turme zu sein. Der geistliche Herr entschuldigte sich jedoch, kaum daß sie im Garten waren, bei seinem neuen Freunde, daß ihn sein Dienst anderswohin rufe, gab ihm aber von neuem die Versicherung, daß er sich bis zum Abendessen ungestört in dem Garten ergehen könnte. Man kann sich leicht vorstellen, daß Quentin den Garten recht aufmerksam musterte, und daß ihm ein Fenster in der Nähe der kleinen Haustür nicht entging, durch die seiner Meinung nach Hayraddin von Marthon in die Gemächer der Gräfinnen geführt worden war; allein nichts regte oder zeigte sich, was die Erzählung des Zigeuners zu widerlegen oder zu bestätigen schien, bis es endlich dunkel wurde. Quentin beschlich allmählich, er wußte selbst nicht warum, die Furcht, daß sein langes Verweilen im Garten Mißfallen oder Verdacht erregen möchte. Gerade als er beschlossen hatte, sich zu entfernen, und zum letztenmale unter den Fenstern, die eine so große Anziehungskraft für ihn hatten, umher ging, hörte er über sich ein leises, behutsames Gähnen, als ob seine Aufmerksamkeit, von andern unbemerkt, erregt werden solle. Wie er in freudiger Ueberraschung aufblickte, öffnete sich das Fenster und eine weibliche Hand ließ ein Billett herabfallen, das in einen Rosmarinstock am Fuße der Mauer fiel. Es aufraffen, in den Busen stecken und in einer Felsgrotte verschwinden, die in der Nähe lag, war das Werk eines Augenblicks. »Lest dies insgeheim,« begann das Briefchen, und der Inhalt war folgender: »Was Eure Augen zu kühn ausgesprochen haben, haben die meinigen vielleicht zu schnell verstanden, aber ungerechte Verfolgung macht ihre Opfer kühn, und besser ist's, mich der Dankbarkeit eines hinzugeben, als der Gegenstand der Nachstellung für viele zu sein. Das Glück thront auf einem Felsen, aber der Tapfere scheut sich nicht, ihn zu erklimmen; getraut Ihr Euch, etwas für ein weibliches Wesen, das in Gefahr ist, zu wagen, so kommt morgen früh zur Stunde der Frühmesse in diesen Garten und tragt auf Eurer Mütze eine blaue und weiße Feder; erwartet aber keine andere Mitteilung. Euer Stern hat Euch, sagt man, zur Größe bestimmt, und Euer Herz der Dankbarkeit geöffnet. – Lebt wohl, seid treu, pünktlich und entschlossen, und zweifelt nicht an Euerm Glücke.« In diesem Briefe lag ein Ring mit einem Tafeldiamant, in den das altertümliche Wappen des Hauses Croye geschnitten war. Die erste Empfindung Quentins bei dieser Gelegenheit war ungemischtes Entzücken, ein Stolz und eine Wonne, die ihn zu den Sternen zu erheben schienen, ein Entschluß zu siegen oder zu sterben, der ihn alle die tausend Hindernisse verachten ließ, die sich zwischen ihn und das Ziel seiner Wünsche stellten. In diesem Zustande des Entzückens unfähig, eine, wenn auch nur augenblickliche Zerstreuung zu ertragen, die seine Gedanken von einem so beglückenden Gefühle abwenden konnte, zog sich Durward sogleich in das Innere des Schlosses zurück, schützte wie früher Kopfschmerzen vor, um nicht mit dem Hofstaate des Bischofs sich beim Abendessen einfinden zu müssen, zündete seine Lampe an und begab sich auf das ihm angewiesene Zimmer, um das kostbare Billett zu lesen und wieder zu lesen und den nicht minder köstlichen Ring tausendmal zu küssen. Zur Stunde der Frühmette, ja eine Stunde früher schon, trotzdem er eine sehr unruhige Nacht gehabt, war er in dem Schloßgarten, wo sich jetzt niemand seinem Eingang oder Verweilen widersetzte, mit einem Federbusch von der bezeichneten Farbe auf der Mütze, so gut er ihn in der Eile verschaffen konnte. Zwei ganze Stunden ward von seiner Anwesenheit keine Kenntnis genommen; endlich hörte er einige Lautentöne, und sogleich öffnete sich das Fenster gerade über dem kleinen Pförtchen, durch das Hayraddin eingelassen worden, und Isabelle erschien in jungfräulicher Schönheit, halb schüchtern, errötete hoch bei der tiefen, bedeutungsvollen Verbeugung, mit der er ihren Gruß erwiderte – verschloß das Fenster wieder und verschwand. Das helle Tageslicht ließ ihn nichts weiter entdecken. Die Echtheit des Billetts war nun erhoben – es fragte sich bloß, was darauf folgen sollte, und darüber hatte ihm die schöne Briefstellerin keinen Wink gegeben. Indessen drohte keine unmittelbare Gefahr; die Gräfin befand sich in einem festen Schlosse unter dem Schutze eines Fürsten, dessen weltliche Macht ebenso bedeutend wie sein geistliches Ansehen war. Auch bot sich weder Veranlassung noch Gelegenheit für den unternehmenden Schildknappen, in die Angelegenheit selbst einzugreifen; es war hinreichend für ihn, wenn er sich bereit hielt, Befehle zu vollziehen, sobald ihm solche zukamen. Allein das Schicksal hatte beschlossen, ihn früher als er glaubte, in Tätigkeit zu setzen. Es war die vierte Nacht nach seiner Ankunft in Schönwald, als Quentin Maßregeln getroffen hatte, am folgenden Morgen den Reitknecht, der ihn auf der Reise begleitete, an den Hof Ludwigs zurückzusenden, und zwar mit den Briefen von ihm an seinen Oheim und Lord Crawford, worin er den französischen Dienst aufsagte; denn der Verrat, dem er durch Hayraddins geheime Instruktionen ausgesetzt worden war, rechtfertigte diesen Schritt aus Gründen sowohl der Ehre als der Klugheit. Und nun legte er sich zu Bette, mit allen den rosenfarbenen Gedanken, die das Lager eines innig liebenden Jünglings umgaukeln, der seine Liebe aufrichtig erwidert glaubt. Allein Quentins Träume, welche anfangs die Farbe der lieblichen Bilder hatten, unter denen er eingeschlafen war, begannen allmählich einen furchtbaren Charakter anzunehmen. Er wandelte nämlich mit Gräfin Isabelle das Gestade eines spiegelglatten Landsees entlang, dem ähnlich, der eine Haupteigentümlichkeit in der Landschaft seines heimatlichen Bergtales ausmachte, und sprach mit ihr von seiner Liebe, ohne an die vielen Hindernisse zu denken, die sich derselben entgegenstellten. Sie errötete und lächelte, indem sie ihm zuhörte, gerade wie er es nach dem Inhalte des Briefes erwarten konnte, der ihm Tag und Nacht am Herzen ruhte. Allein plötzlich ging die Szene vom Sommer in den Winter über, von der Ruhe und Stille zum Sturme; Winde und Wellen erhoben sich mit solchem Ungestüm, als ob die Geister des Wassers und der Luft um ihre Herrschaft stritten. Schwellende Gewässer schienen sie weder vorwärts noch rückwärts lassen zu wollen, der wachsende Sturm, der sie gegeneinander warf, ihr längeres Verweilen an diesem Orte unmöglich zu machen, und die stürmischen Gefühle, durch die anscheinend dringende Gefahr erregt, erweckten endlich den Träumer. Er erwachte; allein obgleich das Traumgesicht verschwunden war und der Wirklichkeit Raum gegeben hatte, ertönte dennoch das Geräusch, welches wahrscheinlich den Traum veranlaßt hatte, noch immer an seinen Ohren fort. Quentins erste Bewegung war, sich im Bette aufzurichten und mit Verwunderung auf die Töne zu horchen, die einen furchtbaren Sturm verkündeten. Einen Augenblick darauf überzeugte er sich, daß der Aufruhr nicht von der Wut der Elemente, sondern der Menschen hervorgebracht wurde. Er sprang vom Bette auf und schaute zum Fenster seines Zimmers hinaus; allein es ging auf den Garten, und auf dieser Seite war alles ruhig. Da wurde seine Aufmerksamkeit plötzlich auf ein Pochen an der Tür seines Zimmer gerichtet. Als er nicht sogleich antwortete, wurde die Tür, die nicht besonders stark war, gesprengt, und herein trat ein Mann, den er an seiner besonderen Sprache sogleich als den Zigeuner Hayraddin Maugrabin erkannte. Eine Pistole, die er in der Hand hielt und mit einer Lunte berührte, brachte sogleich eine düsterrote Flamme hervor, an der er eine Lampe, die er aus dem Busen zog, anzündete. »Das Horoskop Eurer Schicksale,« sprach er zu Durward mit Nachdruck, ohne ihn weiter zu begrüßen, »hängt jetzt von der Entscheidung eines Augenblicks ab.« – »Schurke!« sprach Quentin hierauf, »hier ist Verrat; und wo Verrat ist, mußt Du immer die Hand im Spiele haben.« – »Ihr seid toll,« antwortete Maugrabin; »ich habe nie jemand verraten, wenn es mir keinen Nutzen brachte; und warum sollt' ich Euch verraten, da für mich bei Eurer Rettung mehr als bei Eurem Untergange zu gewinnen ist? Gebt nur für einen Augenblick, wenn es Euch möglich ist, der Vernunft Gehör, ehe sie durch den Todesklang des Verderbens in Euer Ohr gerufen wird. Die Lütticher sind im Aufstande und Wilhelm von der Mark führt sie an; gäbe es auch Mittel zum Widerstande, ihre Zahl und ihre Wut würden sie besiegen! Allein es sind keine vorhanden. Wollt Ihr die Gräfin und Eure eigene Hoffnung retten, so folgt mir im Namen derjenigen, die Euch den Tafeldiamant mit den drei Leoparden darauf sandte!« – »Zeigt mir den Weg,« sagte Quentin eilig – »auf diesen Namen hin trotze ich jeglicher Gefahr.« – »Wie ich Euch leiten werde,« sagte der Zigeuner, »ist keine Gefahr dabei, wenn anders Ihr Eure Hand von einem Kampfe, der Euch nichts angeht, zurückhalten könnt, denn was geht es Euch im Grunde an, ob der Bischof, wie sie ihn heißen, seine Herde, oder die Herde den Schäfer schlachtet! Ha! ha! ha! – Folgt mir, aber mit Vorsicht und Geduld; bändigt Euren Mut, und überlaßt Euch meiner Klugheit – meine Schuld der Dankbarkeit ist dann bezahlt, und Ihr habt eine Gräfin zur Gemahlin – folgt mir.« – »Ich folge,« versetzte Quentin, sein Schwert ziehend; »aber in dem Augenblick, wo ich das geringste Zeichen von Verrat entdecke, liegen Dein Haupt und Dein Rumpf drei Ellen voneinander.« Ohne weiter ein Wort zu wechseln, eilte der Zigeuner, da er sah, daß Quentin nun ganz bewaffnet und gerüstet war, die Treppen vor ihm hinab und wandte sich schnell durch verschiedene Seitengänge, bis sie endlich den kleinen Garten erreichten. Kaum ein Licht war auf dieser Seite zu sehen, kaum hörte man im Hause ein Geräusch, aber Quentin war nicht sobald ins Freie getreten, als das Getöse an der entgegengesetzten Seite des Schlosses zehnmal furchtbarer sich vernehmen ließ und er deutlich die verschiedenen Losungsworte: »Lüttich! der Eber! der Eber!« von den Stürmenden rufen hörte, indes der schwächere Ruf: »Die heilige Jungfrau für den Fürstbischof!« mit matter und sinkender Stimme von seiten derer erklang, die, obwohl überfallen und im Nachteil, zur Verteidigung auf die Mauern geeilt waren. Ungeachtet des kriegerischen Charakters, den Quentin Durward besaß, war ihm doch der Ausgang des Gefechts gleichgültig, wenn er an das Schicksal der Gräfin Isabelle von Croye dachte, das, wie er allen Grund zu fürchten hatte, schrecklich sein mußte, wenn sie nicht aus der Gewalt dieses ausschweifenden und grausamen Freibeuters, der eben, wie es schien, im Begriff war, die Schloßtore zu sprengen, befreit wurde. Er versöhnte sich mit dem Gedanken an die Hilfe des Zigeuners und folgte ihm durch den Garten hin, in der Absicht, sich solange von ihm leiten zu lassen, bis er Spuren von Verrat entdeckte; dann aber wollte er ihm das Herz durchbohren oder den Kopf vom Leibe hauen. Hayraddin schien selbst einzusehen, daß seine Sicherheit an einem Haare hänge; denn er vergaß, sobald sie ins Freie kamen, aller seiner gewohnten Scherze und Schwänke und schien ein Gelübde getan zu haben, sich mit Bescheidenheit, Mut und Tüchtigkeit zu benehmen. An der zu den Gemächern der Damen führenden Tür erschienen auf ein leises Zeichen Hayraddins zwei Frauen, in schwarze seidene Schleier gehüllt, wie sie schon damals, wie noch heute, von den niederländischen Frauen getragen wurden. Quentin bot einer von ihnen den Arm an, und sie faßte ihn mit so zitternder Heftigkeit und hing sich so fest daran, daß, wäre ihr Gewicht größer gewesen, ihre Flucht dadurch sehr hätte gehindert werden müssen. Der Zigeuner, der die andere führte, nahm den Weg gerade auf die Hinterpforte der Gartenmauer zu, bei der dicht das kleine Boot lag, worin Quentin ihn schon einmal hatte vom Schlosse abfahren sehen. Während sie übersetzten, schien das Geschrei der Stürmenden und der Sieger anzudeuten, daß sie im Begriff waren, das Schloß zu erstürmen, und so widrig drang dieser Ton in Quentins Ohren, daß er sich nicht enthalten konnte, laut zu beteuern: »Wäre nicht mein Blut unwiderruflich der Erfüllung meiner gegenwärtigen Pflicht geweiht, ich wollte auf die Mauer zurückeilen, dem gastfreundlichen Bischof treulich Beistand leisten und einige dieser Schurken in die Hölle befördern, deren Mund so voll von Meuterei und Raublust ist.« Die Dame, deren Arm in dem seinigen lag, schien ihm durch einen leisen Druck zu verstehen zu geben, daß sie nähere Ansprüche auf seine Ritterlichkeit habe als die Verteidigung von Schönwald; der Zigeuner aber rief laut genug, um verstanden zu werden: »Nun, das nenne ich doch einen echt christlichen Wahnsinn, zum Kampfe zurückkehren zu wollen, wenn Liebe und Glück uns zur Flucht auffordern. Fort! fort! so eilig, als Ihr könnt. – Es warten Pferde unserer dort in jenem Weidengebüsche.« – »Es sind aber nur zwei Pferde da,« sprach Quentin, der sie beim Mondlicht erblickte. – »Mehr konnte ich nicht auftreiben, ohne Verdacht zu erregen, und außerdem ist's auch genug,« versetzte der Zigeuner. »Ihr zwei müßt nach Tongres zu reiten, ehe der Weg unsicher wird. – Marthon bleibt bei den Weibern unserer Horde, deren alte Bekannte sie ist. Wisset, sie ist eine Tochter unseres Stammes und blieb nur unter Euch, um unsere Pläne, wenn es Gelegenheit gab, zu fördern.« – »Marthon!« rief die Gräfin mit einem Schrei aus, indem sie auf die Verschleierte hinblickte; »ist dies nicht meine Nichte?« – »Es ist nur Marthon,« versetzte der Zigeuner. »Verzeiht mir diesen kleinen Betrug; ich durfte dem Eber der Ardennen nicht beide Gräfinnen entreißen.« – »Schurke,« rief Quentin heftig – »aber ist es nicht – es soll nicht zu spät sein. Ich eile zurück, die Gräfin Hameline zu retten.« – »Hameline,« flüsterte die Dame im Tone der Bestürzung, »hängt an Deinem Arme, um Dir für ihre Rettung zu danken.« – »Ha! Was ist das?« rief Quentin, indem er sich von ihr losriß, und zwar mit weniger Artigkeit, als er sich sonst gegen eine Dame vom Stande erlaubt hätte, – so ist denn Gräfin Isabelle zurückgeblieben? – Lebt wohl – lebt wohl!« Als er sich umwandte, um nach dem Schlosse zurückzueilen, hielt ihn Hayraddin zurück: »Aber so hört doch nur! – Ihr rennt da in Euern Tod. – Warum, beim Teufel, tragt Ihr denn die Farben der Alten? So will ich doch nie mehr blau und weißer Seide trauen! – Aber sie hat fast eine ebenso reiche Mitgift – hat Juwelen und Gold – und selbst Ansprüche auf die Grafschaft.« Während der Zigeuner also sprach und sich bemühte, Quentin zurückzuhalten, legte dieser endlich die Hand an seinen Dolch, um sich mit Gewalt von ihm loszumachen. »Nein, wenn es so gemeint ist,« versetzte Hayraddin, ihn loslassend, »so geht, und der Teufel, wenn es einen gibt, geleite Euch.« Der Schotte aber eilte, sobald er sich frei fühlte, mit Windesschnelle zum Schlosse zurück. Jetzt wandte sich Hayraddin zur Gräfin Hameline zurück, die vor Scham, Furcht und Aerger über ihre vereitelten Hoffnungen zu Boden gesunken war. »Hier hat ein Mißverständnis obgewaltet,« sagte er; »auf, Gräfin, und kommt mit mir – ich will Euch, bevor der Morgen kommt, für einen weit galanteren Mann sorgen, als dieser unbärtige Laffe ist, und wenn Euch einer nicht genügt, so sollt Ihr deren zwanzig haben!« Gräfin Hameline war ebenso heftig in ihren Leidenschaften, als eitel und schwach am Verstande. Wie manche andere, wußte sie sich bei den gewöhnlichen Vorfällen im Leben ganz gut zu helfen, aber in einem so bedenklichen Falle, wie der gegenwärtige war, war sie ganz unfähig, irgend etwas anderes zu tun, als Klagen auszustoßen, Hayraddin einen Dieb, einen elenden Sklaven, einen Betrüger und Mörder zu schelten. »Nennt mich einen Zigeuner,« erwiderte er, »und Ihr habt alles auf einmal gesagt.« – »Ungeheuer! Du sagtest, die Sterne hätten unsere Verbindung beschlossen, und Du bewogst mich, ihm zu schreiben – O Törin, die ich war!« rief die unglückliche Gräfin aus. – »Ja, sie hatten auch Eure Verbindung beschlossen,« sagte Hayraddin, »wenn beide Teile zufrieden gewesen wären. Glaubt Ihr denn, die himmlischen Konstellationen könnten jemand zum Heiraten zwingen wider seinen Willen? – Mich haben Eure verwünschten christlichen Galanterien, Eure einfältigen Bänder und Gunstbezeugungen, zu dem Irrtum verführt. – Der junge Mann zieht nun aber Kalbfleisch dem Kuhfleisch vor, das ist alles. Nun kommt und folget mir, und wißt, daß ich weder das Weinen noch das Ohnmächtigwerden leiden kann.« – »Ich gehe nicht von der Stelle,« entgegnete hartnäckig die Gräfin. – »Beim glänzenden Firmament, Ihr sollt doch mit mir fort!« rief Hayraddin aus; »ich schwöre Euch bei allem, woran Toren je geglaubt haben, Ihr habt es mit einem zu tun, der sich wenig daraus machen würde, Euch bis aufs Hemd auszuziehen, an einen Baum zu binden, und so Eurem Schicksale zu überlassen!« – »Nein,« sagte Marthon, dazwischen tretend, »ich leide das nicht! ich lasse sie nicht mißhandeln! Ich trage ein Messer so gut wie Ihr und weiß es zu brauchen – sie ist ein gutes Weib, wenn gleich eine Törin. Und Ihr, Madame, steht auf und folgt uns jetzt – hier hat ein Irrtum stattgefunden, aber es heißt schon was, Leib und Leben gerettet zu haben. In jenem Schlosse dort wird es wohl manchen geben, der alle Schätze der Welt darum bieten würde, wenn er da stände, wo wir jetzt sind.« Als Marthon so sprach, erschallte ein Geschrei, indem sich der Siegesruf mit dem Geheul des Schreckens und der Verzweiflung mischte, vom Schlosse Schönwald her zu ihren Ohren. »Hört Ihr's, Dame?« sprach Hayraddin, »dankt es dem Himmel, daß Ihr nicht Euern Diskant in jenes Konzert dort mischen müßt. Glaubt mir, ich werde ehrlich für Euch sorgen, die Sterne halten gewiß Wort, und Ihr findet einen guten Ehemann.« So wie das Tier des Waldes, erschöpft durch Schrecken und Anstrengung, sich seinem Dränger überliefert, so überließ sich Gräfin Hameline der Leitung ihrer Führer und ließ sich geduldig bringen, wohin sie wollten; ja so groß war ihre Betäubung, daß das saubere Paar, das sie halb trug, halb führte, seine Unterhaltung fortsetzte, ohne daß die Gräfin ein Wort davon verstand. »Ich hab's immer gedacht, daß Dein Plan töricht war,« sagte Marthon. »Hättest Du die jungen Leute zusammenbringen können, ja, da hätten wir auf ihre Dankbarkeit rechnen dürfen; wie ließ sich aber denken, daß ein so hübscher, junger Mann die alte Törin da heiraten würde?« »Rizpa,« versetzte Hayraddin, »Du hast den Namen einer Christin geführt und in den Zelten dieses betörten Volkes gewohnt, bis Du selbst ihre Torheiten angenommen hast. Wie konnte ich mir träumen lassen, daß er sich an einigen Jahren mehr oder weniger stoßen würde, da die Vorteile der Heirat so in die Augen sprangen? Du weißt ja, daß es uns nicht so leicht geworden wäre, jenes schüchterne Jüngferchen zu einem so dreisten Schritte zu vermögen, als diese mannssüchtige Gräfin da, die jetzt wie ein Wollsack an unsern Armen hängt. Auch war ich dem Jungen wirklich gut und wollte ihm eine Gefälligkeit erweisen; ihn mit dieser Alten da verheiraten, hieß ihm zu seinem Glücke verhelfen; eine Verbindung mit Isabellen hätte den von der Mark, den Burgunder, sowie Frankreich, die alle bei der Verfügung über ihre Hand ein Wort mitsprechen wollten, uns auf den Hals gehetzt, und da dieses einfältigen Weibes Reichtum hauptsächlich in Geld und Juwelen besteht, so hätten wir auch unsern Anteil daran bekommen, allein die Bogenschnur ist gerissen, und der Pfeil hat nicht getroffen. Fort mit ihr! wir bringen sie zu Wilhelm dem Bärtigen; hat er sich nur erst in Völlerei übernommen, so wird er die alte Gräfin von der jungen nicht mehr zu unterscheiden wissen. Fort also, Rizpa, – faß' Dir ein Herz, das glänzende Gestirn Aldeboran waltet noch immer über dem Geschick der Kinder der Wüste.« Drittes Kapitel Die überraschte und bestürzte Besatzung des Schlosses Schönwald hatte geraume Zeit den Platz gegen die Angriffe der Stürmenden verteidigt; allein die unermeßlichen Haufen, die aus der Stadt Lüttich, gleich Bienen, zum Sturme heranströmten, teilten ihre Aufmerksamkeit und schwächten ihren Mut. Auch herrschte unter den Verteidigern selbst, wenn nicht Verräterei, doch wenigstens Mißvergnügen; denn einige riefen, man solle sich ergeben, andere suchten, ihre Posten verlassend, aus dem Schlosse zu entkommen. Viele stürzten sich von den Mauern in den Graben, und diejenigen, welche nicht ertranken, warfen ihre Feldzeichen weg und retteten sich dadurch, daß sie sich unter die Angreifenden mengten. Einige wenige, die der Person des Bischofs persönlich ergeben waren, versammelten sich um ihren Gebieter und fuhren fort, in dem großen befestigten Turme, wohin er sich geflüchtet hatte, sich zu verteidigen; andere, ungewiß, ob man ihnen Pardon geben würde, oder angetrieben von dem Mute der Verzweiflung, hielten sich in einzelnen Bollwerken und Türmen des weitläufigen Gebäudes. Allein die Angreifenden hatten sich in den Besitz der Höfe und der untern Teile des Gebäudes gesetzt, verfolgten die Besiegten und suchten nach Beute, während ein einzelner, als ob er den Tod suche, vor dem alle flohen, sich einen Weg mitten durch das Getümmel und die Zerstörung zu bahnen versuchte, gequält von Besorgnissen, die vor seiner Einbildungskraft noch schrecklicher erschienen, als die Szene um ihn her seinen Sinnen sein mußte. Da er sich Schönwald auf der nämlichen Seite näherte, auf der er es verlassen hatte, traf der Jüngling auf mehrere Flüchtlinge, die dem Walde zueilten und ihm als einem Feinde auswichen, da er aus einer, der ihrigen entgegengesetzten Richtung daherkam. Als er sich nun noch mehr näherte, sah er Leute von der Gartenmauer in den Schloßgraben springen, und erblickte andere, die von den Zinnen durch die Angreifenden hinabgestürzt wurden. Sein Mut wurde auch nicht einen Augenblick erschüttert. Es war jetzt keine Zeit, sich nach dem Boote umzusehen, und wenn es auch möglich gewesen wäre, sich seiner zu bedienen, so wäre es vergeblich gewesen, der Hintertür zu dem Garten sich zu nähern, da sie immer von Flüchtlingen angefüllt war, die, sowie sie von innen herausgedrängt wurden, in den Schloßgraben stürzten, über den sie nicht entkommen konnten ... Da warf sich Quentin selbst in den Graben, in der Nähe des sogenannten kleinen Schloßtors, wo sich eine noch aufgezogene Zugbrücke befand. Nur mit Mühe vermochte er den nach ihm gerichteten Griffen der Sinkenden zu entgehen, und indem er nach der Zugbrücke schwamm, faßte er eine der herabhängenden Ketten, schwang sich mit der größten Anstrengung aus dem Wasser und erreichte so glücklich die Plattform, wo die Brücke befestigt war. Als er nun mit Händen und Knien sich bestrebte, festen Fuß zu gewinnen, kam ein Landsknecht mit blutigem Schwert in der Hand auf ihn zu und erhob seine Waffe zu einem Hiebe, der ihm wohl das Leben gekostet hätte. »Was soll das?« rief Quentin in einem gebieterischen Ton, »ist das die Art, einem Kameraden beizuspringen? – Reich mir die Hand.« Schweigend und nicht ohne Zögern reichte ihm der Soldat die Hand und half ihm auf die Plattform. Der Schotte aber fuhr, ohne ihm Zeit zum Nachdenken zu lassen, in dem nämlichen Tone fort: »Nach dem westlichen Turme, wenn Ihr reich werden wollt! – Des Priesters Schätze liegen dort.« »Nach dem westlichen Turme, nach dem westlichen Turme!« hallte es rund umher von Mund zu Mund, und alle, welche dies Geschrei vernahmen, schlugen gleich einer Herde wütender Wölfe die Richtung ein, die dem Orte entgegengesetzt war, den Quentin auf Tod und Leben zu verfolgen beschlossen hatte. Als wäre er nicht einer der Besiegten, sondern der Sieger, bahnte er sich einen Weg in den Garten, eilte mit schnellen Schritten und klopfendem Herzen hin und empfahl sich den himmlischen Mächten, die ihn in den zahllosen Gefahren seines Lebens beschützt hatten, mit dem kühnen Entschlusse, sein Ziel zu erreichen, oder sein Leben in dieser verzweifelten Unternehmung zu lassen. Ehe er indes das Ende des Gartens erreichte, drangen drei Männer mit eingelegten Lanzen auf ihn ein und riefen: »Lüttich, Lüttich!« – »Frankreich, Frankreich, Lüttichs Freund!« antwortete er, sich zur Wehr setzend. »Es lebe Frankreich!« riefen die Bürger von Lüttich und zogen weiter. Eben dieses Losungswort bewährte sich als ein Talisman, der die Waffen von vier bis fünf Kriegern Wilhelms von der Mark von ihm abwandte, die in dem Garten umherstreiften und ihn mit dem Rufe: »Der Eber!« anfielen. Mit einem Worte, Quentin begann zu hoffen, daß er in der Eigenschaft eines Abgesandten Ludwigs, des geheimen Anstifters der Lütticher Empörungen und des verborgenen Beschützers Wilhelms von der Mark, vielleicht glücklich die Gefahren dieser Schreckensnacht überstehen würde. Als er an dem Türmchen ankam, schauderte er, da er fand, daß die kleine Seitentür, aus der Gräfin Hameline und Marthon kurz vorher zu ihm geeilt waren, jetzt durch mehr als einen toten Körper versperrt war. Zwei derselben zog er eiligst auf die Seite und war im Begriff, über den dritten hinwegzuschreiten, um in die Tür zu treten, als ihn der vermeintliche Tote an seinem Mantel faßte und bat, ihm aufzuhelfen. Quentin war schon im Begriff, wie er so zur Unzeit in seinen Fortschritten gehemmt wurde, unsanfte Mittel anzuwenden, um sich loszumachen, als der zu Boden Gefallene ihm zurief: »Ich ersticke hier in meiner eigenen Rüstung! Ich bin der Syndikus Pavillon von Lüttich! Seid Ihr auf unserer Seite, so will ich Euch reich machen – seid Ihr auf der andern, so will ich Euch beschützen; aber laßt mich nur nicht ersticken wie ein Schwein.« Mitten in dieser Szene des Blutvergießens und der Verwirrung hatte Quentin noch Geistesgegenwart genug, um zu bedenken, daß dieser Beamte wohl Mittel besitzen könnte, seinen Rückzug zu erleichtern. Er half ihm auf die Füße und fragte ihn, ob er verwundet wäre. – »Nein, ich bin nicht verwundet, wenigstens glaub ich's nicht, aber ich kann nicht zu Atem kommen,« antwortete der Bürger. – »So setzt Euch auf diesen Stein und erholt Euch,« sagte Quentin, »ich werde gleich wieder bei Euch sein.« – »Für wen seid Ihr?« fragte der Bürger, ihn immer noch zurückhaltend. – »Für Frankreich, für Frankreich!« antwortete Quentin, indem er sich loszumachen suchte. – »Wie, mein muntrer junger Bogenschütze?« sagte der würdige Syndikus. »Nun wenn ich in dieser furchtbaren Nacht das Glück hatte, einen Freund zu finden, so will ich ihn auch nicht verlassen, das versprech' ich Euch. Geht, wohin Ihr wollt, und ich folge Euch; kann ich nur einige von den wackern Burschen unserer Gilde zusammenbringen, so werde ich vielleicht imstande sein, Euch Gegendienste zu leisten; aber sie sind alle umher zerstreut wie die Erbsen. – O! es ist eine furchtbare Nacht.« Unterdessen schleppte er sich hinter Quentin her, der, die Wichtigkeit des Beistandes eines Mannes von solchem Einflusse erkennend, langsamer ging, um ihn zu stützen, obgleich er im Herzen das Hindernis verwünschte, das seine Schritte verzögerte. Auf der obersten Treppe befand sich ein Vorgemach voll von erbrochenen Kisten und Truhen. Eine verglimmende Lampe, die auf dem Kamin stand, warf einen dürftigen Schein auf einen toten oder besinnungslosen Menschen, der quer über dem Herde lag. Wie ein Windhund von der Leine des Jägers, riß sich Quentin von Pavillon los, und zwar mit solch heftigem Ruck, daß er ihn beinahe über den Haufen geworfen hätte, rannte durch ein zweites und drittes Zimmer, von denen das letzte das Schlafzimmer der Gräfinnen von Croye gewesen zu sein schien, und rief, da keine lebende Seele darin zu sehen war, den Namen der Gräfin Isabelle, erst leise, dann lauter, und endlich mit dem Tone der Verzweiflung; aber keine Antwort erfolgte. Er rang die Hände, zerraufte sein Haar und stampfte verzweiflungsvoll auf den Boden. Endlich gewahrte er einen schwachen Lichtschimmer, der durch eine Spalte in der getäfelten Holzbekleidung des Schlafgemachs drang und hinter dem Tapetenumhang irgend einen Schlupfwinkel vermuten ließ. Quentin untersuchte genauer, und fand wirklich eine verborgene Tür, die jedoch jeder Anstrengung, sie zu öffnen, widerstand. Nicht achtend die vielleicht ihm drohende Gefahr, rannte er endlich mit der ganzen Kraft und dem ganzen Gewichte seines Körpers gegen die Tür und bahnte sich beinahe über Kopf und Hals den Weg in ein kleines Betzimmer, wo eine weibliche Gestalt in verzweiflungsvoller, bittender Stellung vor dem Heiligenbilde gelegen hatte und nun durch das nahende Getöse vor Schrecken zu Boden sank. Schnell hob er sie vom Boden auf, und Wonne über Wonne! sie war es, die er zu retten kam; es war Gräfin Isabelle. Er drückte sie an seine Brust, beschwor sie, zu erwachen, und hieß sie guten Mutes sein, da sie sich jetzt unter dem Schutze eines Mannes befinde, der Herz und einen Arm besitze, um sie gegen die ganze Herde zu verteidigen. »Durward!« sprach sie, als sie endlich zur Besinnung kam, »seid Ihr es wirklich? – dann ist noch einige Hoffnung übrig. Ich glaubte schon, alle lebenden und verstorbenen Freunde hätten mich meinem Schicksal überlassen. – Verlaßt mich nicht wieder! – »Niemals, niemals!« sprach Durward; »was auch immer kommen möge – welche Gefahr sich auch nahe! Ich will aller Wohltaten verlustig werden, die mir jenes Bild des Gekreuzigten verkündigt, wenn ich Euer Schicksal nicht solange teile, bis es sich wieder zum Glücke gewendet hat.« – »Sehr pathetisch und rührend in der Tat!« rief eine rauhe, gebrochen keuchende Stimme hinter ihnen – »ein Liebeshandel, wie ich sehe; und meiner Seel', das arme Geschöpf tut mir so leid, als wenn es mein eignes Trudchen wäre.« – »Ihr müßt mehr tun, als uns bemitleiden,« versetzte Quentin, sich an ihn wendend; »Ihr müßt uns beistehen, uns beschützen, Herr Pavillon. Seid versichert, diese Dame wurde von Eurem Verbündeten, dem König von Frankreich, unter meinen besonderen Schutz gestellt; und wenn Ihr mir nicht helft, sie vor jeder Mißhandlung und Gewalttat sicher zu stellen, so wird Eure Stadt der Gunst Ludwigs von Balois verlustig werden. Vor allen Dingen muß sie aber vor den Händen Wilhelms von der Mark gesichert werden.« – »Das wird schwer sein,« versetzte Pavillon, »denn diese Schelme von Landsknechten sind wahre Teufel, um den Mädchen aufzuspüren; – aber ich will mein Bestes tun. Wir wollen in ein anderes Gemach gehen, dort will ich überlegen – die dahinführende Treppe ist schmal, und Ihr könnt die Tür mit einer Pike verteidigen, indes ich zum Fenster hinaussehe und einige von meinen wackern Jungen von der Lütticher Lohgerbergilde zusammenbringe, die ebenso treu sind, als die Messer, die sie in den Gürteln tragen. Aber vor allen Dingen macht mir diese Schnalle los; denn ich habe diesen Koller seit der Schlacht von Saint-Tron nicht mehr getragen, und ich bin seitdem gewiß an die sechzig Pfund schwerer geworden, wenn anders das holländische Maß und Gewicht nicht trügen.« Als Herr Pavillon von der eisernen Hülle befreit war, in die er mehr aus Rücksicht auf Lüttichs Wohl, als weil er sie zu tragen wußte, sich hatte stecken lassen, fühlte er große Erleichterung. Später ergab es sich, daß er von seiner Kompagnie, als sie zum Angriff eilte, unwillkürlich mit fortgerissen, über die Mauern gehoben, dann aber, ohne nur ein Wort hervorbringen zu können, bald dahin, bald dorthin verschlagen worden war, wie es die Ebbe und die Flut des Sturmes mit sich brachte. So war er am Ende wie ein Stück Treibholz, das die See im Sturme an die Küste spült, vor dem Eingang zu den Gemächern der Gräfinnen von Croye zu Boden gestürzt, wo die Last seiner eigenen Rüstung, sowie das Gewicht zweier am Eingange erschlagenen Männer, die auf ihn fielen, ihn wahrscheinlich ziemlich lange festgehalten hätten, wenn er nicht von Durward erlöst worden wäre. Dieselbe Leidenschaftlichkeit, die Herrn Pavillon zu einem hitzköpfigen, alles Maß verkennenden Eiferer in der Politik machte, hatte aber auch die sehr gute Folge, daß er im Privatleben ein gutmütiger, wohlwollender Mann war, der, wenn auch zuweilen ein wenig mißleitet durch Eitelkeit, doch immer es redlich und gut mit jedermann meinte. Er forderte Quentin auf, für die artige arme Jungfrau doch ja recht Sorge zu tragen, und nach dieser unnötigen Ermahnung begann er aus dem Fenster zu rufen: »Lüttich, Lüttich! die wackern Kürschner- und Gerbergesellen herbei!« Ein paar von seinen unmittelbaren Begleitern erschienen sogleich auf diesen Ruf, und auf den Innungspfiff – gleich den andern Innungen hatte auch die der Gerber ihr eigenes Signal, bildete sich alsbald unter dem Fenster vor dem Ausgangspförtchen eine Wache. Jetzt schien eine gewisse Ruhe auf dem Schlosse eingetreten zu sein. Aller Widerstand hatte aufgehört, und die Anführer der verschiedenen Abteilungen ergriffen Maßregeln, einer allgemeinen Plünderung vorzubeugen. Die große Glocke wurde geläutet, um einen Kriegsrat zusammen zu berufen, und da ihre eiserne Zunge der Stadt Lüttich die siegreiche Einnahme Schönwalds verkündete, wurde darauf mit allen Glocken der Stadt geantwortet, deren starke Stimmen aus der Ferne »Heil den Siegern!« zu rufen schienen. Es wäre natürlich gewesen, wenn Mynheer Pavillon seine feste Stellung verlassen hätte; allein entweder aus achtsamer Sorge für die, die er unter seinen Schutz genommen hatte, oder vielleicht um seiner eigenen Sicherheit willen, begnügte er sich damit, Boten über Boten an seinen Leutnant Peterkin Geislaer abzusenden, er solle sich sogleich bei ihm einfinden. Peterkin kam endlich zu seinem großen Troste, eine stämmige, plumpe Gestalt, mit breitem Gesichte und dicken, schwarzen Brauen, die auf einen hartnäckigen Sinn schließen ließen. Der ganze Mann war, sozusagen, ein Ratgeber aus dem ff. Er trug ein büffelledernes Wams, einen breiten Gürtel und ein kurzes Schwert an seiner Seite, auch eine Hellebarde in der Hand. »Peterkin! lieber Leutnant!« rief sein Befehlshaber, »dies war ein ruhmvoller Tag – eine ruhmvolle Nacht, sollt' ich sagen – ich hoffe, Ihr seid doch diesmal zufrieden?« – »Es hat mir recht wohlgefallen,« erwiderte der mannhafte Leutnant, »obgleich ich nicht gedacht hätte, daß Ihr Euern Sieg, wenn Ihr ihn so nennen wollt, in dieser Dachstube da oben feiern würdet, während man Eurer im Kriegsrate bedarf!« – »Bedarf man meiner wirklich dort?« fragte der Syndikus. – »Ei freilich bedarf man Eurer; Ihr sollt die Rechte Lüttichs dort vertreten, die mehr als je in Gefahr sind,« antwortete der Leutnant. – »Ei was, Peterkin!« antwortete sein Vorgesetzter, »Du bist immer so ein Brummbär.« – »Brummbär! nein, das bin ich nicht,« entgegnete Peterkin; »was andern Leuten gefällt, gefällt auch mir. Ich möchte nur nicht gern, daß wir den Storch, statt des Klotzes, zum Könige bekämen, wie in der Fabel steht, die uns der Pfarrer von St. Lambert aus Meister Aesops Buche vorgelesen hat.« – »Ich kann nicht erraten, was Du da meinst, Peterkin,« sagte der Syndikus. – »Nun denn, so will ich's Euch sagen, Meister Pavillon. Dieser Eber oder Bär scheint Schönwald zu seiner Höhle machen zu wollen, und wird wahrscheinlich ein ebenso schlimmer, wo nicht noch schlimmerer Nachbar für uns werden, als der alte Bischof war. Da hat er nun die ganze Herrschaft an sich gerissen und ist nur noch im Zweifel, ob er sich Fürst oder Bischof taufen lassen will, – und es ist eine Schande anzusehen, wie sie den alten Mann mißhandelt haben.« – »Das leide ich nicht, Peterkin,« erwiderte Pavillon aufbrausend, »die Bischofsmütze war mir zuwider, aber nicht das Haupt, das sie trug. Wir sind zehn gegen einen im Felde, Peterkin, und wollen solche Dinge nicht geschehen lassen.« – »Ja, zehn gegen einen im Felde, aber Mann gegen Mann auf dem Schlosse; zudem haben sich Nickel Block, der Schlächter, und der ganze Pöbel der Vorstädte zu Wilhelm von der Mark geschlagen, teils um in Saus und Braus zu leben (denn er hat alle Biertonnen und Weinfässer anzapfen lassen), teils aus altem Neide gegen uns, die wir Handwerker sind und unsere Vorrechte haben.« – »Peterkin,« sagte Pavillon, »wir wollen auf der Stelle nach der Stadt aufbrechen; ich bleibe nicht länger in Schönwald.« – »Aber die Brücken sind aufgezogen, Meister,« entgegnete Geislaer, »die Tore sind verschlossen und von den Landsknechten bewacht; und wenn wir versuchen wollten, uns mit Gewalt den Weg zu bahnen, so möchten diese Kerle, deren tägliches Geschäft der Krieg ist, uns ordentlich zu Schanden hauen.« – »Aber warum hat er denn die Tore schließen lassen?« fragte der bestürzte Bürger; »wie kann er ehrliche Leute gefangen halten?« – »Das kann ich Euch nicht sagen,« versetzte Peterkin, »man sagt sich, die Gräfinnen von Croye seien während der Erstürmung des Schlosses entschlüpft; das brachte zuerst den Mann mit dem Barte außer sich vor Aerger, und jetzt ist er durch das Trinken vollends ganz vom Verstande gekommen.« Der Bürgermeister warf einen trostlosen Blick auf Quentin und schien nicht recht zu wissen, wozu er sich entschließen sollte. Durward, dem nicht ein Wort von der Unterredung entgangen war, die ihn in nicht geringe Bestürzung setzte, sah nichtsdestoweniger wohl ein, daß ihre einzige Hoffnung darauf beruhte, daß er selbst seine Geistesgegenwart nicht verlöre, und daß Pavillon bei gutem Mut erhalten werde. Er mischte sich daher kühn in die Unterhaltung, als hätte er ein Recht, bei der Beratung mitzustimmen – »Ich bemerke mit Bedauern, Herr Pavillon,« sagte er, »daß Ihr noch unschlüssig seid, was in dem vorliegenden Falle zu tun sei. Tretet hin vor Wilhelm von der Mark und verlangt von ihm, daß er Euch, nebst Eurem Leutnant, Eurem Knappen und Eurer Tochter gestatte, das Schloß zu verlassen. Er kann Euch hier unter keinem Vorwand gefangen halten.« – »Ich und mein Leutnant – das wäre ich und Peterkin, gut, aber wer ist mein Knappe?« – »Das bin ich für jetzt,« versetzte der unerschrockene Schotte. – »Ihr?« fragte der verlegene Bürger, – »aber Ihr seid ja der Abgesandte König Ludwigs von Frankreich.« – »Wohl wahr; aber meine Sendung geht an den Magistrat von Lüttich, und in Lüttich allein will ich mich ihrer entledigen. Wollte ich diese meine Eigenschaft vor Wilhelm von der Mark geltend machen, müßte ich da nicht mit ihm in Unterhandlung treten? Und höchstwahrscheinlich würde er mich dann zurückhalten. Ihr müßt mich also insgeheim als Euren Knappen aus dem Schlosse schaffen.« – »Gut, mein Knappe! – aber Ihr spracht da von meiner Tochter – meine Tochter ist hoffentlich gesund und wohl zu Hause in Lüttich, wo ich von ganzem Herzen und ganzer Seele wünsche, daß ihr Vater auch wäre.« – »Diese Dame hier,« sprach Durward, »wird Euch Vater nennen, solange wir an diesem Ort weilen.« – »Und mein ganzes Leben lang nachher!« sagte die Gräfin, indem sie sich dem Bürger zu Füßen warf und seine Knie umfaßte; »nie soll ein Tag vergehen, an dem ich Euch nicht Beweise der Liebe und Achtung geben und für Euch beten werde, wie eine Tochter für ihren Vater; nur verlaßt mich nicht in dieser schrecklichen Lage. – O! seid nicht hartherzig! Denkt, Eure Tochter knie so vor einem Fremden und flehe zu ihm um Schutz für Ehre und Leben! Daran denkt; und laßt mir den Schutz zuteil werden, den Ihr wünschet, daß sie erhalten möchte.« »Wahrhaftig,« sagte der gutmütige Bürger, sehr gerührt durch diese pathetische Anrede – »mich dünkt, Peter, dies hübsche Mädchen hat etwas von unseres Trudchens sanftem Blicke; es kam mir gleich anfangs so vor; und der junge Bursche hier, der mit seinem Rate so flink bei der Hand ist, hat sehr viel von Trudchens Bräutigam. Ich wette einen Stüber, hier ist eine Liebschaft im Spiel, und es wäre Sünd' und Schande, wenn man solcher nicht allen Vorschub täte.« – »Freilich, das wäre Sünd' und Schande,« fiel Peter ein, ein Flamänder, der bei all seinem Eigendünkel äußerst gutherzig war und, während er dies sagte, sich mit dem Aermel seines Wamses die Augen wischte. – »So soll sie denn meine Tochter sein,« sagte Pavillon, »doch muß sie sich dicht in ihren schwarzseidenen Schleier hüllen, und wenn es nicht genug wackre Lohgerber gibt, sie als die Tochter ihres Syndikus zu schützen, so sind sie nicht wert, jemals wieder eine Haut zu verarbeiten. Aber hört einmal, man muß sich auch gefaßt machen, auf etwaige Fragen zu antworten, – was hat meine Tochter hier bei einem solchen Sturme zu tun?« – »Was hatte die Hälfte der Weiber von Lüttich hier zu tun, als sie uns bis zum Schlosse folgten?« fragte Peter. »Ist dies der einzige Ort, an den sie kommen, ohne gerufen zu werden? Euer Jungfer Trudchen ist nun etwas weiter gegangen als die übrigen – das ist alles.« »Unvergleichlich gesprochen,« sagte Quentin, »seid nur dreist, Herr Pavillon, und folgt dem Rate dieses wackern Herrn, dann werdet Ihr, ohne daß es Euch viel Mühe macht, die schönste Tat tun, die seit Karls des Großen Zeit geschehen ist. – Hier, teure Dame, hüllt Euch dicht in diesen Schleier« – (es lag allerhand weiblicher Putz zerstreut im Zimmer umher) »habt nur Vertrauen, und in wenigen Minuten seid Ihr geborgen und in Sicherheit. Also vorwärts, edler Mann,« setzte er, an Pavillon sich wendend, hinzu. »Halt! – Halt einen Augenblick,« sagte Pavillon, »es ahnt mir nichts Gutes. Dieser Wilhelm von der Mark ist ein Wüterich, ein wahrer Eber, seiner Natur, sowie seinem Namen nach; wenn nun diese junge Dame eine von den Gräfinnen von Croye wäre? – und er sie entdeckte, und in Wut geriete?« – »Und wenn ich auch wirklich eine von diesen unglücklichen Frauen wäre,« unterbrach ihn Isabelle, indem sie sich abermals ihm zu Füßen werfen wollte, »könntet Ihr mich deswegen in diesem Augenblicke der Verzweiflung von Euch stoßen? O! daß ich wirklich Eure Tochter wäre oder die des ärmsten Bürgers!« – »Wir sind nicht so arm, junge Dame; wir zahlen, wie wir gehen,« versetzte der Bürger. – »Verzeiht mir, edler Herr,« fiel das unglückliche Mädchen von neuem ein. – »Weder edel, noch Herr,« versetzte der Syndikus; »ich bin ein schlichter Bürger von Lüttich, der seine Wechsel in klingenden Gulden zahlt. Aber das tut nichts zur Sache; wenn Ihr auch wirklich eine Gräfin wäret, so will ich Euch dennoch beschützen.« – »Ihr seid zu ihrem Schutze verpflichtet, und wäre sie eine Herzogin!« sagte Peter, »denn Ihr habt einmal Euer Wort gegeben.« – »Recht, Peter, ganz recht! es ist ja unser altes niederländisches Sprichwort: ein Mann, ein Wort, und nun laßt uns ans Werk gehen. Wir müssen von diesem Wilhelm von der Mark Abschied nehmen, und doch ahnt mir nichts Gutes, wenn ich an ihn denke.« »Wäre es nicht besser, da Ihr doch einmal Leute beisammen habt, gerade auf das Tor loszugehen und die Wache zu überfallen?« fragte Quentin; allein Pavillon und sein Ratgeber erklärten sich sogleich beide gegen solchen tollkühnen Angriff auf die Soldaten, ihre Bundesgenossen. Man beschloß also, sich kühn in den großen Saal des Schlosses zu begeben, wo, wie sie vernahmen, der wilde Eber der Ardennen sein Festmahl hielt, und um freien Ausgang für den Syndikus von Lüttich und dessen Begleiter zu bitten: ein Verlangen, das, wie es schien, zu billig war, um verweigert zu werden. Der gute Bürgermeister seufzte indessen noch immer tief auf, wenn er seine Gefährten ansah, und sprach zu seinem treuen Peter: »Sieh nur, was es heißt, ein zu kühnes und gefühlloses Herz zu haben! Ach, Peterkin, was haben Mut und Menschlichkeit mich nicht schon gekostet! Wie teuer werden mich meine Tugenden noch zu stehen kommen, ehe der Himmel uns aus diesem verdammten Schlosse Schönwald erlöst!« Als sie über den mit Sterbenden und Toten bedeckten Hof gingen, flüsterte Quentin der Gräfin, während er sie durch diese Schreckensszene geleitete, Mut und Fassung zu und bat sie, zu bedenken, daß ihre Rettung einzig nur von ihrer Festigkeit und Geistesgegenwart abhänge. – »Nicht von der meinigen,« entgegnete sie, »von der Eurigen allein. – O! entgehe ich nur dieser furchtbaren Nacht, nie werd' ich den vergessen, der mich rettete. Doch um eine Gunst flehe ich noch zu Euch, sie mir zu gewähren!« – »Was könntet Ihr verlangen, das ich verweigern möchte?« flüsterte Quentin ihr zu. – »Stoßt mir den Dolch ins Herz,« sprach sie, »ehe Ihr mich in den Händen dieses Ungeheuers als Gefangene laßt.« Quentins einzige Antwort war ein Druck der Hand der jungen Gräfin, von dessen Erwiderung sie nur der Schrecken zurückzuhalten schien. An ihren jungen Beschützer sich lehnend, trat sie in die furchtbare Halle. Voran gingen Pavillon und sein Leutnant, und ihnen folgten ein Dutzend Leute aus der Kürschnergilde, die den Syndikus als Ehrenwache begleiteten. Als sie sich der Halle näherten, schien das lautgellende Geschrei und das wilde Gelächter, das ihnen entgegenschallte, mehr ein Festmahl schwelgender Höllengeister, die irgend einen Triumph über das Menschengeschlecht feiern, als eine Versammlung menschlicher Wesen zu verkündigen, denen ein kühnes Unternehmen gelungen ist. Eine krampfhafte Stimmung des Gemüts, die nur die Verzweiflung geben konnte, hielt den erkünstelten Mut der Gräfin Isabelle aufrecht. Unerschütterliche Herzhaftigkeit, die mit der Größe der Gefahr wächst, beseelte Durward, indes Pavillon und sein Leutnant aus der Not eine Tugend machten und wie Bären standen, die, an einen Pfahl gebunden, notwendig die Gefahren der Jagd bestehen müssen. Viertes Kapitel Kaum ließ sich eine ungewöhnlichere und schrecklichere Veränderung denken, als diejenige war, welche in der Schloßhalle von Schönwald stattgefunden, seitdem Ouentin dort am Mittagsmahle teilgenommen hatte. Das Ganze stellte in der Tat in den grellsten Zügen das Elend des Krieges dar, besonders wie er von diesen unbarmherzigsten aller Werkzeuge, den Söldlingen eines barbarischen Zeitalters, geführt wurde – Menschen, die durch Gewohnheit und Gewerbe mit allem dem, was dies Gewerbe Grausames und Blutiges hat, vertraut geworden waren, während ihnen ebensowohl Vaterlandsliebe als der romantische Geist des Rittertums abgingen. Statt des ordentlichen, anständigen, etwas förmlichen Mahles, zu welchem sich bürgerliche und geistliche Beamte noch wenige Stunden vorher in dem nämlichen Gemache eingefunden hatten, wo bei allem Ueberfluß an Speise und Wein doch Anstand herrschte, wenn auch ein erkünstelter, bot sich jetzt eine Szene wilder, tobender Völlerei dar, die selbst der böse Feind, hätte er Ordner des Festes sein wollen, nicht satanischer hätte schaffen können. Am obern Ende der Tafel saß im bischöflichen Thronsessel, der eiligst von dem großen Ratszimmer hierher gebracht worden war, der gefürchtete Eber der Ardennen, der diesen schrecklichen Namen nur allzusehr verdiente. Er hatte den Helm abgenommen, trug aber seine schwere, glänzende Rüstung, die er nur selten ablegte. Ueber seinen Schultern hing ein dicker Ueberwurf, aus der Haut eines ungeheuern wilden Ebers verfertigt, dessen Hauer und Klauen von gediegenem Silber waren. Die Haut des Kopfes war so zugerichtet, daß sie, wenn der Mann in voller Rüstung war, über seinen Helm, oder auch als Kapuze über sein bloßes Haupt gezogen werden könnte. Der obere Teil seines Gesichts strafte beinahe den Charakter dieses Haudegens Lügen; denn obgleich sein Haar, wenn es unbedeckt war, den rauhen, wilden Borsten der Kapuze glich, die er darüber gezogen hatte, so lag doch in seiner offenen, hohen, männlichen Stirn, den breiten, fleischigen Wangen, großen, glänzenden Augen, samt der Adlernase, etwas Tapferes und Großartiges; allein der Ausdruck dieser einnehmenden Züge ward gänzlich verwischt durch die Gewöhnung an Gewalttat und Grausamkeit, die, verbunden mit Schwelgerei und Unmäßigkeit, seinen Zügen einen Charakter gaben, der mit der rauhen Tapferkeit des Mannes in gänzlichem Widerspruche stand. Aus angeborenem Hange zur Völlerei waren die Muskeln seiner Wangen, insbesondere die Umgebungen der Augen geschwellt. Seine Augen selbst waren getrübt, und das Weiße derselben gerötet, so daß das Ganze dem Gesichte alle die scheußliche Aehnlichkeit mit dem Ungeheuer gab, dem der furchtbare Baron zu gleichen so sehr sich bemühte. Allein aus seltsamem Widerspruchsgeiste suchte Wilhelm von der Mark, indem er in anderer Rücksicht sich das Ansehen eines Ebers zu geben suchte, doch durch einen langen, dicken Bart das zu verbergen, was ihm ursprünglich jene Benennung zugezogen hatte. Dies war nämlich die ungewöhnliche Dicke des hervorstehenden Mundes und der oberen Kinnbacken; verbunden mit den gewaltigen hervorstehenden Seitenzähnen hatten sie ihm jene Aehnlichkeit mit der Tiergattung gegeben, die, nebst dem Vergnügen, das Wilhelm von der Mark darin fand, im Ardennenwalde zu jagen, ihm den Namen des Ebers der Ardennen zugezogen hatte. Der breite, krause und ungekämmte Bart vermochte jedoch weder den schrecklichen Ausdruck des Gesichts zu verbergen, noch seiner tierischen Roheit einige Würde zu verleihen. Die Soldaten und Offiziere saßen rund um die Tafel her, untermischt mit Lüttichern, von denen einige aus der Hefe des Volks waren; unter ihnen Nickel Block, der Schlächter, der dicht an der Seite Wilhelms von der Mark saß und sich durch seine aufgestreiften Aermel und seine mit Blut gefärbten Arme, sowie auch durch ein vor ihm liegendes blutiges, großes Messer kennzeichnete. Die Soldaten hatten meistens gleich ihrem Anführer sehr lange, krause Bärte. Ihre Haare waren aufwärts gekämmt, so daß dadurch die natürliche Wildheit ihres Aeußeren noch mehr erhöht wurde; die Reden, die sie führten, die Lieder, die sie sangen, waren so unzüchtig und lästerlich, daß Quentin Gott dankte, daß sie bei dem gewaltigen Lärmen von seiner Begleiterin nicht gehört und verstanden werden konnten. Als der Syndikus Pavillon bei dieser wilden Gesellschaft angemeldet wurde, versuchte er kraft seines Ansehens und seines Einflusses einen Ausdruck von Wichtigkeit und Gleichmut anzunehmen. Aber es wollte ihm nicht recht gelingen, ihn zu finden. Ungeachtet der Ermahnungen Peters, der ihm nicht ohne merkliche Bestürzung ins Ohr flüsterte: »Mut gefaßt, Meister, oder wir sind alle verloren!« behauptete der Syndikus jedoch seine Würde, so gut er konnte und gratulierte der Gesellschaft zu dem großen Siege, den sie vereint gewonnen hätten. – »Ja,« antwortete Wilhelm von der Mark spöttisch, »wir haben endlich das Wild zum Schuß gebracht; aber, Herr Bürgermeister, Ihr erscheint ja hier wie der Kriegsgott mit der Schönheit zur Seite. Wer ist diese Holde? Hinweg mit dem Schleier! – Kein Weib soll diese Nacht ihre Schönheit ihr Eigentum nennen!« – »Es ist meine Tochter, edler Feldherr!« antwortete Pavillon, »und ich bitte, ihr zu erlauben, daß sie verschleiert bleibt. Sie hat deshalb ein Gelübde getan zu den heiligen drei Königen.« – »Ich will sie dessen sogleich entbinden,« versetzte Wilhelm von der Mark; »denn ich will mich mit dem Streiche eines Schlächterbeils zum Bischof von Lüttich machen; und ich sollte doch glauben, ein lebender Bischof wiegt drei tote Könige auf.« Ein Schauder ergriff die Gäste, denn die Lütticher Bürgerschaft und sogar einige der rohen Soldaten verehrten wenigstens die Könige von Köln, wie sie gewöhnlich genannt wurden, wenn sie auch sonst vor gar nichts Furcht hatten. – »Nun, ich habe auch nicht die Absicht, einen Hochverrat an den verstorbenen Majestäten zu begehen,« sprach Wilhelm, »ich will bloß Bischof werden. Ein Fürst, der zugleich weltlich und geistlich ist, der Macht hat, zu binden und zu lösen, paßt doch am besten für eine Bande von Bösewichten, wie Ihr seid; denn kein anderer würde Euch die Absolution erteilen. – Aber kommt hierher, edler Herr Bürgermeister, setzt Euch an meine Seite, Ihr sollt sehen, wie ich für meine eigene Beförderung Platz machen werde. Man führe unsern Vorgänger auf dem heiligen Stuhle hierher.« Ein Aufruhr entstand in der Halle, als Pavillon, den angebotenen Ehrenplatz ablehnend, sich fast an das untere Ende der Tafel setzte. Seine Begleiter schlossen sich dicht hinter ihn an, nicht unähnlich einer Herde von Schafen, die sich zuweilen hinter einen alten Leithammel drängt, dem sie seines Amts und seines Ansehens halber mehr Mut als sich selbst zutraut. Nahe dabei saß ein hübscher Jüngling, ein natürlicher Sohn, wie man sagte, des wilden von der Mark, gegen den er zuweilen eine große Zuneigung und selbst Zärtlichkeit blicken ließ. Die Mutter des Jungen, eine schöne Beischläferin, war von dem wilden Häuptlinge in einem Anfall von Trunkenheit oder Eifersucht durch einen Schlag, den er ihr versetzte, umgebracht worden; und eine Zuneigung zu der überlebenden Waise mochte zum Teil in den Gewissensbissen ihren Grund haben, die der Wüterich von Zeit zu Zeit über diese Untat fühlte. Quentin, der diesen Charakterzug des Häuptlings von dem alten Priester erfahren hatte, stellte sich, so nahe er konnte, hinter diesen Jüngling, entschlossen, ihn auf die eine oder die andere Weise zu seiner Geißel oder zu seinem Beschützer zu machen, wenn alle anderen Rettungsmittel fehlschlagen sollten. Während alle in gespannter Erwartung dastanden, flüsterte einer von Pavillons Begleitern Peter zu: »Nannte nicht unser Herr das Mädchen seine Tochter? Das kann doch unmöglich unser Trudchen sein. Dies schmucke Mädchen ist gewiß zwei Zoll größer, und dort guckt auch eine schwarze Locke unter ihrem Schleier hervor. Bei St. Michael auf dem Marktplatze! Ebensogut könnte man eine schwarze Ochsenhaut für eine weiße Kuhhaut nehmen.« – »Still! still!« sprach Peter mit einiger Geistesgegenwart – »wenn nun unserm Meister die Lust ankäme, ein Stück Hochwildbret aus des Bischofs Park hier zu stehlen, ohne daß die gute Frau zu Hause etwas davon erführe, ziemte es dann Dir oder mir, den Spion bei ihm zu machen?« – »Bei Leibe nicht, Bruder,« antwortete der andere, »obgleich ich nicht gedacht hätte, daß er in seinen Jahren noch ein solcher Wilddieb werden würde. Sapperment! Wie furchtsam das schöne Ding da ist! Sieh mal, wie sie sich hinter den Sessel dort verkriecht, im Rücken der Leute, um den Blicken der Märker zu entgehen. – Aber halt, halt! was wollen sie denn mit dem alten Bischof machen?« Als er so sprach, ward der Bischof von Lüttich, Ludwig von Bourbon, von den rohen Soldaten in den Saal seines eigenen Palastes geschleppt, in einem Zustande, der deutlich die schlimme Behandlung verriet, die der Unglückliche bereits erfahren hatte. Zu gutem Glücke, wie Quentin glauben mußte, stand die Gräfin Isabelle an einem Platze, wo sie weder hören noch sehen konnte, was vorging, denn sonst hätte sie sich in ihrer Entrüstung über solchen Frevel sicher verraten, und um dies zu verhindern, stellte Durward sich absichtlich so vor sie hin, daß sie weder selbst die Vorgänge beobachten, noch von den Anwesenden leicht bemerkt werden konnte. Der Auftritt, der sich nun abspielte, war kurz und schrecklich. Als der unglückliche Prälat vor den Stuhl des wilden Häuptlings gebracht wurde, legte er, obgleich er sich in seinem früheren Leben nur durch Sanftmut und Freundlichkeit ausgezeichnet hatte, in diesem entscheidenden Augenblicke ein Bewußtsein seiner Würde und edeln Abstammung an den Tag, das des vornehmen Geschlechts, aus dem er entsprossen, vollkommen würdig war. Sein Blick verriet Fassung und Unerschrockenheit; seine Bewegungen waren, als die rohen Hände, die ihn hergeschleppt hatten, von ihm abließen, edel und zugleich voll Ergebung; und sein Benehmen hielt die Mitte zwischen der Haltung eines Lehnsfürsten und eines Märtyrers. Selbst auf Wilhelm von der Mark machte die feste Haltung seines Gefangenen, sowie die Erinnerung an frühere Wohltaten, die er von ihm empfangen hatte, einen solchen Eindruck, daß er unentschlossen die Augen niederschlug; erst nachdem er einen großen Becher Weins geleert hatte, nahm er seine hochfahrende Frechheit in Blick und Benehmen wieder an. – »Ludwig von Bourbon,« sagte der Wüterich, indem er tief Atem holte, die Fäuste ballte, die Zähne zusammenbiß und auf jede Weise seine natürliche Wildheit aufzuregen und zu behaupten suchte, – »ich suchte Eure Freundschaft, – Ihr habt die meinige verworfen. Was würdet Ihr wohl jetzt darum geben, daß es anders gewesen wäre? – Nickel, halte Dich bereit!« Der Schlächter stand auf, ergriff seine Waffe, schlich sich hinter Wilhelms Sessel und stand nun, das Beil mit seinen nackten, nervigen Armen erhebend, da. – »Schau diesen Mann an, Ludwig von Bourbon!« sprach von der Mark wieder. »Was bietest Du mir, um dieser gefahrvollen Stunde zu entgehen?« – Der Bischof warf einen schwermütigen, aber festen Blick auf den gräßlichen Helfershelfer, der bereit schien, den Willen des Tyrannen zu vollstrecken, und sprach dann mit unerschrockenem Mute: »Höre mich, Wilhelm von der Mark, und alle ihr guten Leute, wenn deren da sind, die diesen Namen verdienen, hört die einzigen Bedingungen, die ich diesem Bösewicht anbieten kann! – Wilhelm von der Mark, Du hast eine kaiserliche Stadt zum Aufruhr verleitet, hast den Palast eines Fürsten des heiligen römischen Reiches erstürmt, hast sein Volk erschlagen, seine Besitztümer geplündert, seine Person mißhandelt; – dafür bist Du dem Bann des Reiches verfallen und hast verdient, geächtet und für land- und rechtlos erklärt zu werden. Aber Du hast noch mehr getan als alles dies. Höhere als menschliche Gesetze hast Du gebrochen, mehr als menschliche Rache hast Du verdient. Eingebrochen bist Du in das Heiligtum des Herrn, hast frevelhaft die Hand an einen Vater der Kirche gelegt, hast das Haus Gottes mit Blut und Raub befleckt, wie ein kirchenräuberischer Frevler gehandelt.« – »Bist Du zu Ende?« fragte von der Mark, voll Wut ihn unterbrechend und mit den Füßen stampfend. – »Nein,« antwortete der Prälat, »denn ich habe die Bedingungen noch nicht gesagt, die Du von mir zu hören verlangtest.« – »Nun, so fahre fort,« sagte Wilhelm von der Mark, »und mach, daß Deine Bedingungen mir besser gefallen als Deine Einleitung, sonst wehe Deinem grauen Haupte!« und damit warf er sich in den Sessel zurück, biß die Zähne übereinander, bis der Schaum von seinen Lippen, wie von den Hauern des wilden Tieres floß, dessen Namen und Haut er trug. – »Dies sind Deine Verbrechen,« fing der Bischof mit ruhiger Entschlossenheit wieder an: »nun höre die Bedingungen, die ich als gnädiger Fürst und christlicher Prälat, der alle persönliche Beleidigung und Mißhandlung beiseite setzt und vergibt, Dir anzubieten mich herablasse: Wirf seinen Kommandostab von Dir, entsage seinem Oberbefehl, gib Deine Gefangenen frei, erstatte Deinen Raub, verteile, was Du von Gütern besitzest, zum Besten derer, die Du zu Waisen und Witwen gemacht hast, tue Buße in Sack und Asche, nimm den Pilgerstab in die Hand und wallfahre nach Rom, und wir selbst wollen für Dich bei dem kaiserlichen Kammergericht zu Regensburg für Dein Leben, und bei dem heiligen Vater, dem Papst, für Deine arme Seele Fürsprache einlegen.« Während Ludwig von Bourbon diese Bedingungen in einem so festen, entschiedenen Tone vortrug, als ob er noch auf seinem bischöflichen Throne säße, der Wüterich aber gebunden ihm zu Füßen läge, erhob sich dieser langsam auf seinem Stuhle; das Erstaunen, das ihn anfangs ergriffen hatte, ging allmählich in Wut über, und als der Bischof zu reden aufgehört hatte, warf er dem Schlächter Nickel Block einen Blick zu und erhob seinen Finger, ohne ein Wort zu sprechen. Der Bösewicht schlug zu, als ob er sein gewöhnliches Geschäft im Schlachthause verrichtete, und der ermordete Bischof sank, ohne einen Laut von sich zu geben, an dem Fuße seines eigenen bischöflichen Stuhls nieder. Die Lütticher, auf einen so schrecklichen Ausgang nicht vorbereitet, sprangen insgesamt mit einem Schrei der Verwünschung und des Abscheus auf, in dem sich Drohungen von Rache mischten. Wilhelm von der Mark aber erhob seine furchtbare, den Tumult übertönende Stimme, schüttelte seine geballte Faust und seinen ausgestreckten Arm und rief: »Wie, ihr Schweine von Lüttich, die ihr euch wälzt im Schlamme der Maas, ihr wagt es, euch mit dem wilden Eber der Ardennen zu messen? Auf denn, Eberbrut!« (ein Ausdruck, womit er selbst und andere seine Soldaten zu nennen pflegte) »laßt diese flamändischen Schweine eure Hauer sehen!« Auf diesen Befehl sprangen alle seine Begleiter auf, und da sie mit ihren bisherigen Bundesgenossen vermischt gesessen hatten und auf solche Ueberraschung wohlvorbereitet waren, faßte jeder im Augenblick seinen nächsten Nachbar beim Kragen, während seine Rechte einen breiten Dolch schwang, der im Lampenschein und Mondlicht schimmerte. Jeder Arm war gehoben, aber keiner stieß zu; denn die Schlachtopfer waren zu sehr überrascht, um Widerstand zu leisten, und vermutlich war von der Marks Absicht bloß, seinen städtischen Verbündeten Schrecken einzujagen. Allein Quentin Durward, über seine Jahre schnell entschlossen, und überdies in diesem Augenblicke durch den Anblick dessen, was hier vorgekommen war, aufs höchste aufgeregt, gab der Szene eine neue Wendung. Nachahmend, was die Leute von der Marks taten, sprang er auf den jugendlichen Sohn ihres Anführers los, überwältigte ihn mit leichter Mühe, hielt ihm den Dolch an die Kehle und rief: »Ist das Euer Spiel? nun so spiele ich ebenfalls mit.« – »Halt! halt!« rief von der Mark aus, »es ist ja nur Scherz! – Glaubt Ihr denn, ich wollte meinen guten Freunden und Verbündeten, den Bürgern von Lüttich, etwas zuleide tun? – Soldaten, laßt los; setzt euch! Schafft dieses Aas hinweg,« (dabei gab er dem Leichnam des Bischofs einen Tritt mit dem Fuße), »das solchen Streit unter Freunden veranlaßt hat, und laßt uns alle Unfreundlichkeit in einem neuen Gelage ersäufen.« Alle ließen los, und die Bürger und Soldaten sahen einander an, als ob sie nicht recht wüßten, ob sie Freunde oder Feinde wären. Quentin Durward benützte diesen Augenblick. »Hört mich, Wilhelm von der Mark,« sprach er, »und ihr, Bürger und Einwohner von Lüttich! – und Ihr, junger Herr, verhaltet Euch ruhig,« (der junge Eberssohn hatte einen Versuch gemacht, seinen Händen zu entschlüpfen)! »Euch soll kein Leid geschehen, wofern nicht wieder einer von diesen gefährlichen Scherzen aufgetischt wird.« – »Wer bist Du, ins Teufels Namen?« fragte von der Mark erstaunt, »der Du hierher kommst, uns Bedingungen vorzuschreiben, und von uns in unserem eigenen Wildlager Geißeln nimmst?« – »Ich bin ein Diener König Ludwigs von Frankreich,« sprach Quentin mit Kühnheit, »ein Bogenschütze aus seiner schottischen Leibwache, wie Ihr aus meiner Sprache und meiner Kleidung ersehen könnt. Ich bin hier, um Euer Verfahren zu beobachten und darüber zu berichten, und sehe mit Verwunderung, daß es eher Heiden als Christen, eher Tollhäuslern als Menschen, die ihrer Vernunft mächtig sind, gleicht. Die Heere Karls von Burgund werden sogleich gegen Euch in Bewegung sein, und wenn Ihr Frankreichs Beistand wünscht, so müßt Ihr Euch anders benehmen. – Euch aber, ihr Männer von Lüttich, rate ich, sogleich in eure Stadt zurückzukehren, und wollte jemand eurem Abzug ein Hindernis in den Weg legen, so erkläre ich diejenigen, die dieses tun, für Feinde meines Herrn, des allerchristlichsten Königs von Frankreich.« – »Frankreich und Lüttich! Frankreich und Lüttich!« riefen Pavillons Begleiter und mehrere andere Bürger, deren Mut bei Quentins kühner Sprache zu wachsen begann. »Frankreich und Lüttich! lange lebe der tapfere Bogenschütze! wir wollen leben und sterben mit ihm!« Die Augen Wilhelms von der Mark funkelten. Er griff nach seinem Dolch, um ihn dem kühnen Sprecher ins Herz zu stoßen; als er aber seine Blicke umherwarf, las er in denen seiner Soldaten etwas, was er selbst zu achten genötigt war. Manche von ihnen waren Franzosen, und alle wußten, daß Wilhelm aus diesem Reiche insgeheim an Geld und Leuten Unterstützung erhielt; ja einige von ihnen waren über den soeben verübten Mord aufs äußerste entsetzt. Der Name Karl von Burgund, von dem man erwarten konnte, daß er die Taten dieser Nacht aufs blutigste rächen würde, und die große Unklugheit von der Marks, zu gleicher Zeit mit den Lüttichern Händel anzufangen und den Monarchen von Frankreich herauszufordern, machten einen höchst niederschlagenden Eindruck auf ihre Gemüter, so wenig sie auch im Augenblicke des Gebrauchs ihrer Verstandskräfte mächtig waren. Kurz, von der Mark sah, daß er auch von seiner eigenen Bande bei weiterer Gewalttätigkeit nicht unterstützt werden würde; er mäßigte sich daher und erklärte, daß er nicht im geringsten Schlimmes gegen seine guten Freunde, die Lütticher, im Schilde führe, und daß es allen frei stehe, Schönwald nach Belieben zu verlassen, obgleich er gehofft hätte, sie würden zu Ehren ihres Sieges wenigstens eine Nacht mit ihm verschmausen. Mit mehr als gewöhnlicher Ruhe setzte er hinzu: er sei bereit, entweder am nächsten Tage, oder sobald sie es wünschten, wegen der Teilung der Beute und der zu ergreifenden Verteidigungsmaßregeln sich mit ihnen zu verständigen; indessen hoffe er, der schottische Herr werde sein Fest dadurch ehren, daß er die Nacht über noch in Schönwald bleibe. Der junge Schotte dankte und sagte: er habe sich nach Pavillon zu richten, an den er, seiner Weisung gemäß, sich hauptsächlich anschließen müsse; unfehlbar aber werde er diesen bei der Rückkehr in das Hauptquartier des tapferen Wilhelm von der Mark begleiten. – »Wenn Ihr Euch nach mir zu richten habt,« versetzte Pavillon hastig, »so werdet Ihr Schönwald wahrscheinlich ohne Verzug verlassen, und wenn Ihr nur in meiner Gesellschaft wieder nach Schönwald kommen wollt, so werdet Ihr es sobald nicht mehr sehen.« Den letzten Teil seiner Rede sprach der ehrliche Bürger still vor sich hin, aus Furcht vor den Folgen, wenn er seine Gesinnungen laut werden ließe, die er jedoch nicht ganz zu unterdrücken imstande war. »Schließt euch dicht an mich an, meine wackern Kürschnergesellen,« sagte er zu seiner Leibgarde, »damit wir so schnell wie möglich aus dieser Diebeshöhle entkommen.« Die meisten Lütticher der besseren Klasse schienen gleicher Meinung mit ihrem Syndikus zu sein und hatten sich nicht so sehr über die Einnahme von Schönwald gefreut, als sie über die Aussicht frohlockten, dasselbe wieder mit heiler Haut zu verlassen. Sie zogen aus dem Schloß, ohne daß man ihnen irgend ein Hindernis in den Weg legte, und Quentin war herzlich froh, als er diese furchtbaren Mauern hinter sich hatte. Jetzt fragte er die junge Gräfin zum erstenmal, seitdem sie diese schreckliche Halle betreten hatten, wie sie sich befinde. – »Recht wohl,« antwortete sie in fieberischer Hast. »Verliert keine Zeit mit Fragen! Laßt uns fliehen, laßt uns fliehen!« Während sie sprach, versuchte sie ihre Schritte zu beschleunigen; aber es gelang ihr so wenig, daß sie vor Erschöpfung zu Boden gesunken wäre, hätte nicht Durward sie gehalten. Mit der Zärtlichkeit einer Mutter, die ihr Kind einer Gefahr entreißt, nahm der junge Schotte die kostbare Bürde auf seine Arme, und indes sie seinen Nacken mit einem der ihrigen umschlang, keinem andern Gedanken Raum gebend, als dem Verlangen nach Rettung – da sagte er sich, daß er um keinen Preis die im Laufe dieser Nacht bestandenen Gefahren missen möchte, da sie ein solches Ende nahmen. Der ehrliche Bürgermeister wurde seinerseits von seinem treuen Ratgeber Peterkin und einem seiner Gesellen unterstützt und vorwärts gezogen; und so gelangten sie in atemloser Hast an das Ufer des Flusses, indem sie manchem Haufen von Bürgern begegneten, die begierig waren, den Ausgang der Belagerung zu erfahren, und ob das Gerücht begründet sei, daß die Sieger unter sich selbst uneinig geworden seien. Sie suchten ihnen, so gut sie konnten, auszuweichen, und den Bemühungen Peters und anderer Begleiter gelang es endlich, ein Boot für die Gesellschaft aufzutreiben, das sie zum Garten des Bürgermeisters trug. Als sie dort landeten, verwandelte sich der mißvergnügte, verdüsterte Demagoge von Bürgermeister im Nu in einen wackern, gütigen, freundlichen und gastfreien Wirt um. Er rief laut nach seinem Trudchen, die auch sogleich erschien; denn Furcht und Angst ließen nur wenige während dieser verhängnisvollen Nacht in Lüttichs Mauern eines ruhigen Schlafes genießen. Trudchen erhielt den Auftrag, für die schöne, halb ohnmächtige Fremde aufs beste Sorge zu tragen, und entledigte sich der jungen Dame gegenüber aller Pflichten edler Gastfreundschaft mit dem Eifer und der Liebe einer Schwester. Fünftes Kapitel Trotz der Mischung von Freude und Furcht, von Zweifel und Angst, und andern sein Gemüt bewegenden Leidenschaften, waren doch die erschöpfenden Anstrengungen des verflossenen Tages mächtig genug, den jungen Schotten in einen tiefen Schlaf zu versenken, aus dem er erst am andern Morgen erwachte, als sein würdiger Wirt in sein Schlafgemach trat. Mit besorgten Blicken setzte sich derselbe neben seinen Gast auf das Bett und begann nun eine lange und verworrene Rede über die Pflichten des ehelichen Lebens, besonders aber über das Uebergewicht und den Vorrang, welchen verheiratete Männer überall behaupten müßten, wenn sie verschiedener Meinung mit ihren Weibern wären. Quentin hörte ihm mit einiger Aengstlichkeit zu. Er wußte, daß Ehemänner gleich andern kriegführenden Mächten zuweilen geneigt sind, mehr zur Verheimlichung einer Niederlage, als zur Feier eines Sieges ein Te Deum zu singen, und eilte daher, der Sache näher auf den Grund zu kommen, indem er äußerte, er wolle nicht annehmen, daß ihre Ankunft der guten Hausfrau irgend eine Unbequemlichkeit verursacht habe. »Unbequemlichkeit? – Nein,« antwortete der Bürgermeister, – »keine Hausfrau kann von einer Ueberraschung so wenig getroffen werden wie eine Madame Mabel. Sie freut sich nur, Freunde bei sich zu sehen, hält immer ein hübsches Zimmer und ein gutes Mahl für sie bereit. An Tisch und Betten fehlt's, Gott sei Dank, nicht; keine Frau in der Welt ist so gastfrei – schade nur, daß sie manchmal ihre besonderen Launen hat.« – »Unser Aufenthalt hier ist ihr unangenehm, nicht wahr?« sagte der Schotte, sprang aus dem Bette und begann sich umzukleiden. »Wäre ich nur sicher, daß Gräfin Isabelle nach den Schrecken der vorigen Nacht reisen könnte, so wollten wir Euch gewiß keinen Augenblick länger beschwerlich fallen.« – »Nun,« sagte Pavillon, »gerade dasselbe hat die junge Dame selbst zur Mutter Mabel gesagt, und Ihr hättet nur sehen sollen, welche Röte ihr Gesicht überflog, als sie das sagte; ein Milchmädchen, das seine fünf Meilen gegen den Nordwind zu Markte gegangen ist, sieht wie eine Lilie dagegen aus. Ich wundere mich nicht, wenn Mutter Mabel, die arme, gute Seele, ein bißchen eifersüchtig ist.« – »Hat denn Fräulein Isabelle schon ihr Gemach verlassen?« fragte der Jüngling, indem er seinen Anzug noch eiliger zu vollenden suchte. – »Ja,« erwiderte Pavillon, »und sie erwartet Eure Ankunft mit vieler Ungeduld, um sich über die Weiterreise klar zu werden, da Ihr nun einmal entschlossen dazu seid, weiter zu reisen. Indessen werdet Ihr hoffentlich zuvor ein Frühstück einnehmen.« – »Aber warum sagtet Ihr mir das nicht früher?« fragte Durward ungeduldig. – »Gemach,« sagte der Syndikus, »ich habe es Euch nur zu früh gesagt, glaub' ich, da es Euch in solche Eile versetzt. Jetzt hätte ich aber noch andere Dinge für Euer Ohr, wenn ich wüßte, daß Ihr Geduld genug hättet, mir zuzuhören.« – »Sprecht, werter Herr, sobald und schnell, als Ihr nur könnt, – ich höre aufmerksam zu.« – »Wohlan denn,« fing der Bürgermeister wieder an, »ich habe Euch nur ein Wort zu sagen, und das ist, daß Trudchen, die sich so ungern von jener Dame trennt, als ob sie ihre Schwester wäre, darauf besteht, daß Ihr irgend eine Verkleidung wählt; denn es geht die Sage in der Stadt, die Gräfinnen von Croye durchzögen das Land in Pilgerkleidern, von einem schottischen Bogenschützen aus der französischen Leibwache begleitet. Man sagt sich ferner, daß eine von ihnen in der vergangenen Nacht von einem Zigeuner nach Schönwald gebracht worden sei, nachdem wir es verlassen hätten, und der Zigeuner habe Wilhelm von der Mark versichert, Ihr wäret mit keinem Auftrag weder an ihn, noch an das Volk von Lüttich versehen; Ihr hättet die junge Gräfin entführt und reistet jetzt als Liebhaber mit ihr. Alle diese Neuigkeiten sind heute morgen von Schönwald gekommen und uns und den andern Ratsherren mitgeteilt worden, die nun nicht wissen, was sie tun sollen; denn obgleich nach unserer Meinung Wilhelm von der Mark mit dem Bischof sowohl, als mit uns selbst ein wenig zu hart umgegangen ist, so glaubt man doch allgemein, daß er im Grunde ein gutes Herz hat, das heißt, wenn er nicht betrunken ist, und daß er allein in der Welt der Mann dazu ist, uns gegen den Herzog von Burgund anzuführen; – und in der Tat, so wie die Sachen stehen, ist es zum Teil auch meine Ansicht, daß wir es nicht mit ihm verderben dürfen; denn wir sind schon zu weit gegangen, um zurück zu können.« »Eurer Tochter Rat ist gut,« sagte Quentin Durward, indem er sich aller Vorwürfe oder Ermahnungen enthielt, die, wie er wohl sah, ganz fruchtlos sein würden, um einen Entschluß zu erschüttern, den die würdige Magistratsperson sowohl aus Nachgiebigkeit gegen seine Partei, als auch in Übereinstimmung mit dem Willen seiner Frau gefaßt zu haben schien. – »Eure Tochter hat recht – wir müssen fort, verkleidet, und zwar augenblicklich. Wir werden hoffentlich auf die nötige Verschwiegenheit von Eurer Seite und auf gehörige Mittel zur Flucht uns verlassen dürfen?« – »Vollkommen, vollkommen,« sprach der ehrliche Bürger, der, mit der Würde seines eigenen Benehmens nicht sehr zufrieden, mit Freuden irgend eine Aussicht ergriff, dasselbe wieder gut zu machen. »Ich kann es nicht vergessen, daß ich Euch in der letzten Nacht mein Leben zu verdanken hatte, da Ihr den verdammten Stahlharnisch aufschnalltet und mir aus der andern Patsche halfet, die noch ärger war; denn jener Eber und seine Brut sehen ja mehr wie Teufel, als wie Menschen aus. Darum will ich so treu bei Euch halten wie die Klinge bei dem Hefte, wie unsere Schwertfeger – die besten von der Welt – zu sagen pflegen. So kommt nun, da Ihr fertig seid, und folget mir. Ihr sollt sehen, wie groß mein Vertrauen zu Euch ist.« Der Syndikus führte ihn aus seiner Schlafkammer auf sein Kontor, wo er seine Geldgeschäfte zu machen pflegte. Nachdem er die Tür verschlossen und sich vorsichtig umgesehen hatte, öffnete er einen verborgenen Verschlag hinter dem Tapetenbehang, in dem mehrere eiserne Kisten standen. Er schloß eine derselben auf, die voller Goldstücke war, und sagte zu Quentin, er solle daraus nehmen, soviel er für sich und seine Gefährtin nötig zu haben glaube. Da das Geld, das Quentin bei seiner Abreise von Plessis erhalten hatte, beinahe ausgegeben war, bedachte er sich nicht lange, die Summe von zweihundert Gulden anzunehmen, worüber Herr Pavillon sehr froh war; denn dieser betrachtete das Anlehen, das er auf solche Weise seinem jungen Freunde aufzwang, als einen Ersatz für den Bruch der Gastfreundschaft, zu dem ihn mehrere Rücksichten gewissermaßen genötigt hatten. Nachdem der reiche Flamänder seine Schatzkammer wieder sorgfältig verschlossen hatte, führte er seinen Gast in das Wohnzimmer, wo er die Gräfin im vollen Besitz ihrer geistigen und körperlichen Kräfte, obgleich etwas blaß, und in dem Anzuge eines flamändischen Mädchens vom Mittelstande fand. Niemand war zugegen als Trudchen, die eifrig damit beschäftigt war, den Anzug der Gräfin zu ordnen und sie zu unterrichten, wie sie sich zu benehmen habe. Isabelle reichte ihm ihre Hand, und als er sie ehrerbietig küßte, sagte sie: »Herr Quentin, wir müssen unsere Freunde verlassen, wenn ich nicht einen Teil des Elends, das mich seit meines Vaters Tod verfolgt hat, auch über sie bringen will; Ihr müßt Eure Kleider wechseln und mich begleiten, wenn anders nicht auch Ihr müde seid, Euch eines so unglücklichen Wesens anzunehmen.« – »Ich? – ich sollte müde sein, Euch zu begleiten? – Bis ans Ende der Welt begleit' ich Euch! aber Ihr, Ihr selbst, werdet Ihr dem Unternehmen, das Ihr vorhabt, gewachsen sein? – Könnt Ihr nach den Schrecknissen der vergangenen Nacht – –« »Ruft sie mir nicht ins Gedächtnis zurück,« fiel die Gräfin ein, »sie schweben mir noch vor, wie die Bilder eines verworrenen, schrecklichen Traums! – Ist der gute Bischof entkommen?« – »Er ist hoffentlich in Freiheit,« versetzte Quentin, indem er Pavillon, der im Begriff zu sein schien, in die Einzelheiten des schrecklichen Vorganges einzugehen, zu schweigen winkte. – »Wird es uns möglich sein, zu ihm zu gelangen? Hat er irgend eine Macht beisammen?« fragte die Gräfin. – »Für ihn gibt's keine Hoffnung, als im Himmel,« sagte der Schotte, »aber wohin Ihr auch zu gehen wünscht, ich stehe Euch als ein entschlossener Führer und Beschützer zur Seite.« – »Wir wollen es überlegen,« sagte Isabelle; und nach einer augenblicklichen Pause setzte sie hinzu: »Hätte ich zu wählen, ich ginge am liebsten in ein Kloster, aber auch dies, fürchte ich, würde mir gegen meine Verfolger nur einen schwachen Schutz gewähren.« – »Hm! hm!« sagte der Syndikus, »ich könnte Euch in dem ganzen Bezirk von Lüttich nicht wohl ein Kloster empfehlen, weil der Eber der Ardennen, wenngleich im allgemeinen ein tapferer Anführer, ein treuer Bundesgenosse und ein Mann, der unserer Stadt wohlwill, dessenungeachtet rauhe Sitten und nur wenig Achtung vor Mönchs- und vor Nonnenklöstern und dergleichen hat. Man sagt, es zögen eine Menge Nonnen, das heißt, solche Frauenzimmer, die Nonnen waren, mit seiner Kompagnie.« – »Macht Euch schnell fertig, Herr Durward,« unterbrach ihn Isabelle, »denn Eurer Treue muß ich mich nun ganz vertrauen.« Sobald ihre Gäste fort waren, ergriff auch Mutter Mabel die Gelegenheit, ihrem Trudchen eine lange Predigt über die Torheiten des Romanlesens zu halten, wodurch die Dämchen am Hofe so kühn und unternehmend würden, daß sie, anstatt daheim die ehrbaren Künste einer Hausfrau zu lernen, lieber als irrende Jüngferchen durch die Welt ritten, ohne einen andern Begleiter, als einen müßigen Schildknappen, einen ausschweifenden Pagen oder einen tollkühnen Bogenschützen aus fremden Landen, zum größten Nachteil ihrer Gesundheit, ihres Vermögens und ihres guten Rufes. Alles dies hörte Gertrud stillschweigend an, ohne das mindeste darauf zu erwidern; doch läßt sich, wenn man ihren Charakter erwägt, bezweifeln, ob sie daraus den praktischen Nutzen zog, den sich ihre Mutter davon versprach. Mittlerweile hatte Quentin in der Tracht eines flamändischen Bauern mit der ähnlich verkleideten Gräfin das östliche Stadttor erreicht, nachdem sie durch mehrere Haufen Volks geritten waren, die glücklicherweise mit den politischen Ereignissen und den Tagesneuigkeiten zu sehr beschäftigt waren, als daß sie einem Paare, das in seinem Aeußern so wenig Auffallendes hatte, ihre Aufmerksamkeit geschenkt hätten. So kamen sie auch, vermöge einer durch Pavillon besorgten, aber im Namen seines Kollegen Rouslaer ausgewirkten Erlaubnis bei den Wachen vorüber, und nahmen da von Peter Geislaer einen kurzen, aber freundlichen Abschied. Gleich darauf gesellte sich ein kräftiger junger Mann zu ihnen, der einen hübschen Grauschimmel ritt und sich sogleich als Hans Glover, Trudchens Liebhaber, zu erkennen gab. Es war ein schmucker Bursche, mit einem gutmütigen flamändischen Gesichte, aus welchem nicht großer Verstand, wohl aber Frohsinn und Gutherzigkeit sprachen. Nachdem er die Gräfin ehrerbietig begrüßt hatte, fragte er in flamändischer Sprache, welchen Weg sie geführt zu werden wünsche? »Zur nächsten Stadt an der Grenze von Brabant.« – »Ihr habt Euch also über Ziel und Zweck Eurer Reise entschieden?« fragte Quentin, indem er zu Isabellen hinritt, in französischer Sprache, die ihr Wegweiser nicht verstand. – »Allerdings,« erwiderte die junge Dame, »in der Lage, in welcher ich mich befinde, würde es mir nachteilig sein, wenn ich meine Reise verlängerte, und sollte auch das Ende derselben strenge Gefangenschaft sein.« – »Gefangenschaft?« fragte Quentin. – »Ja, mein Freund, Gefangenschaft; aber ich will Sorge tragen, daß Ihr sie nicht teilen müßt.« – »Sprecht nicht von mir, denkt nicht an mich,« rief Quentin; »weiß ich nur Euch gerettet, so ist an mir wenig gelegen.« – »Sprecht nicht so laut,« sagte Gräfin Isabelle; »Ihr möchtet unsern Führer in Verlegenheit bringen. Ihr seht, er ist bereits etwas vorausgeritten.« – In der Tat hatte der gutmütige Flamänder sie der lästigen Gegenwart eines Dritten überhoben, sobald Quentin sich der Dame näherte. »Ja,« fuhr sie fort, als sie sich unbeobachtet sah, »Euch, meinem Beschützer – denn warum sollte ich mich schämen, Euch so zu nennen, da der Himmel Euch dazu gemacht hat – muß ich sagen, daß mein Entschluß gefaßt ist, nach meinem Vaterlande zurückzukehren und mich der Gnade des Herzogs von Burgund anheimzugeben. Es war ein schlimmer, wenn auch vielleicht gut gemeinter Rat, der mich verleitete, mich seines Schutzes zu begeben.« – »Ihr seid also entschlossen, die Braut des Grafen von Campobasso zu werden?« »Nein! Durward, nein!« sagte die Gräfin Isabelle, indem sie sich in ihrem Sattel aufrichtete, »zu einem so verhaßten Schritte vermag alle Macht Burgunds nicht eine Tochter des Hauses Croye zu erniedrigen. Burgund kann meine Lande und Lehen in Besitz nehmen und mich in ein Kloster sperren, aber das ist das schlimmste, was ich zu erwarten habe, und Schlimmeres noch wollte ich erdulden, als meine Hand an Campobasso geben.« – »Das schlimmste!« rief Quentin aus, »und was kann es Schlimmeres geben als Plünderung und Gefangenschaft? O, bedenkt, solange Ihr noch Gottes freie Luft um Euch fühlt und einen Mann zur Seite habt, der sein Leben daran setzen wird, Euch nach England, nach Deutschland, selbst nach Schottland zu geleiten, wo Ihr überall großmütige Beschützer finden werdet; – o, solange dies der Fall ist, entschließt Euch nicht zu voreilig, auf die Mittel Eurer Freiheit, der schönsten Himmelsgabe, zu verzichten!« – Nach einer kurzen Pause erwiderte sie mit schwermütigem Lächeln: »Nur dem Manne ist Freiheit beschieden, das Weib muß sich immer einen Beschützer suchen, da die Natur sie einmal unfähig gemacht hat, sich selbst zu verteidigen. Und wo finde ich einen? – in dem Wollüstling Eduard von England oder in dem trunkliebenden Wenzeslaus von Deutschland? – in Schottland? – ach, Durward, wäre ich Eure Schwester, und könntet Ihr mir einen Zufluchtsort in einem jener Gebirgstäler versprechen, die Ihr so gern beschreibt; könntet Ihr mir den Schutz einer ehrsamen, geachteten Matrone des Landes, eines Edeln, dessen Herz so treu wie sein Schwert wäre, zusichern, ja dann wäre eine Aussicht vorhanden, für die es sich lohnte, sich der Gefahr eines bösen Leumundes auszusetzen.« Es lag in dem bebenden Tone, womit Gräfin Isabelle dies sprach, eine Zärtlichkeit, die Quentin mit Freude erfüllte und ihm zugleich das Herz zerschnitt. Er zögerte einen Augenblick, ehe er eine Antwort gab, indem er bei sich bedachte, ob es wohl möglich sei, ihm in Schottland einen Zufluchtsort zu verschaffen; allein die traurige Wahrheit, daß es unedel und grausam sein würde, wenn er ihr ein Ziel zeigte, wo er auch nicht entfernt die Mittel hätte, ihr einen ruhigen Aufenthaltsort zu sichern, drang sich ihm ebenso bald in all ihrer Stärke auf. – »Fräulein,« sagte er endlich, »ich würde gegen Ehre und Rittereid handeln, wenn ich Euch sagen wollte, ich besäße in Schottland Macht genug, Euch einen andern Schutz zu gewähren, als den meines Armes, ich weiß kaum, ob mein Blut noch in den Adern eines andern außer mir in meinem Heimatlande fließt.« »Ach!« rief die Gräfin, »so gibt es keinen Winkel auf der Erde, der frei von Unterdrückung wäre?« – »Es ist eine traurige Wahrheit, die ich nicht zu bestreiten wage,« versetzte der Schotte, »daß unsere feindlichen Clans dieselbe Rolle in Schottland spielen, wie von der Mark und seine Räuber in diesem Lande.« – »Nichts mehr von Schottland dann,« sagte Isabelle, »ich erwähnte es ja auch nur im Scherze, um zu sehen, ob Ihr mir wirklich das zerrüttetste Land Europas als Ruheort anempfehlen würdet. Ich freue mich, daß ich mich auf Euch verlassen kann, auch da, wo die Vorliebe für Euer Heimatland mit im Spiele ist; so will ich denn an keinen andern Schutz denken, als an den des Herzogs von Burgund.« – »Aber warum wollt Ihr Euch nicht lieber in Eure eignen Lande und auf Euer festes Schloß begeben, wie es zu Tours Eure Absicht war?« fragte Quentin; »warum versammelt Ihr nicht die Vasallen Eures Vaters um Euch und schließt nicht lieber einen Vertrag mit Burgund, anstatt Euch sogleich ihm zu ergeben?« – »Ach!« versetzte die Gräfin, »dieser Plan, den der hinterlistige Ludwig an die Hand gab, und der, wie alle, die er je ersonnen hat, nur auf seinen Vorteil berechnet war, ist unausführbar geworden, seitdem er durch den doppelten Verräter Zamet Hayraddin an Burgund verraten worden ist. Mein Verwandter wurde ins Gefängnis gesetzt und eine Besatzung in meine Schlösser gelegt; ein Versuch von meiner Seite hieße meine Vasallen der Rache Herzog Karls preisgeben. Nein, ich will mich meinem Lehnsherrn als getreue Vasallin in allen Dingen unterwerfen, die meine persönliche Wahlfreiheit unangetastet lassen, und das umsomehr, da ich glaube, daß meine Verwandte, die Gräfin Hameline, die meine Flucht zuerst anriet und betrieb, bereits diesen weisen und ehrenvollen Schritt getan hat.« – »Eure Verwandte?« wiederholte Quentin, an Dinge denkend, von denen die junge Gräfin nichts wußte und die durch die Ereignisse, die ihn näher angingen, aus seinem Gedächtnisse verdrängt worden waren. – »Ja, meine Muhme, die Gräfin Hameline von Croye,« versetzte Gräfin Isabelle, »wißt Ihr etwas von ihr? Ich hoffe, sie befindet sich unter dem Schutze des burgundischen Banners. Ihr schweigt – wißt Ihr etwas von ihr?« Die letzte Frage wurde mit so ängstlicher Besorgnis gestellt, daß Quentin ihr wohl oder übel berichten mußte, was ihm von den Schicksalen der Gräfin bekannt war: auf ihre Flucht von Lüttich die Entdeckung, als er mit ihr den Wald erreicht hatte, daß sich Gräfin Isabelle nicht bei ihr befinde; wie er ins Schloß zurückgekehrt sei und unter welchen Umständen er sie gefunden habe. Doch verschwieg er die unverkennbare Absicht, womit Gräfin Hameline das Schloß Schönwald verlassen habe, sowie auch das Gerücht, daß sie in die Hände Wilhelms von der Mark gefallen sei. Sie ritt lange still neben ihm her, dann sagte sie kalt und verdrossen: »So habt Ihr meine unglückliche Muhme in einem öden Walde verlassen, wenn nicht der Willkür eines schändlichen Zigeuners und eines verräterischen Dienstboten preisgegeben? Arme Muhme! und Du sprachst immer nur Gutes von diesem Jüngling und seiner Treue!« »Hätte ich nicht so gehandelt, Fräulein,« entgegnete Quentin, mit Recht beleidigt, daß man seine Ritterlichkeit so falsch deuten konnte, »was wäre dann das Schicksal derjenigen gewesen, zu deren Dienst ich weit mehr verpflichtet war? Hätte ich Gräfin Hameline v. Croye nicht der Fürsorge und Obhut derjenigen überlassen, welche sie sich selbst zu ihren Leitern und Ratgebern erwählte, so würde Gräfin Isabelle wahrscheinlich die Braut Wilhelms von der Mark, des wilden Ebers der Ardennen, sein.« – »Ihr habt recht,« versetzte Isabelle in ihrem gewöhnlichen Tone; »und ich habe mich schwarzen Undanks gegen Euch schuldig gemacht. Aber ach! meine unglückliche Muhme! und die elende Marthon, die ihr volles Vertrauen besaß, und es so wenig verdiente! wie wird ihr es gehen? was wird ihr Schicksal sein?« Um Isabellens Gedanken von diesem traurigen Gegenstande abzulenken, erzählte ihr Quentin offen die ganze Verräterei Maugrabins, die er in dem Nachtquartier bei Namur entdeckt hatte und die auf sein Abkommen zwischen dem Könige und Wilhelm von der Mark schließen ließ. Isabelle schauderte vor Schrecken; bald aber erholte sie sich und sagte: »Ich bin beschämt und habe mich an den Heiligen versündigt, daß ich nur einen Augenblick an ihrem Schutze zweifeln und glauben konnte, ein so grausamer, unaussprechlich niederträchtiger und schändlicher Plan könnte gelingen, solange noch das Auge des Himmels erbarmungsvoll auf das menschliche Elend herniederschaut. Nun sehe ich deutlich ein, warum diese heuchlerische Marthon den Samen kleiner Mißverständnisse zwischen meiner armen Muhme und mir zu nähren suchte; warum sie immer diejenige von uns beiden, die gerade anwesend war, mit Schmeicheleien überhäufte und alles vorbrachte, was sie gegen die andere einnehmen konnte. Nie hätte ich mir aber träumen lassen, daß sie soweit gehen könnte, meine sonst so liebevolle Muhme zu bereden, mich allein in Schönwald zurückzulassen, als sie selbst zu entkommen suchte.« – »Sagte Euch denn Eure Muhme Hameline nichts von ihrer beabsichtigten Flucht?« fragte Quentin. – »Nein,« erwiderte die Gräfin, »sie spielte bloß auf eine Mitteilung an, die Marthon mir machen würde. Meiner armen Muhme war durch die geheimnisvollen Reden des elenden Hahraddin, mit dem sie an diesem Tage eine lange und geheime Unterredung gehabt hatte, der Kopf dergestalt verdreht, daß – kurz – daß ich in dieser Stimmung nicht weiter in sie dringen mochte, mir eine nähere Erklärung zu geben. Aber es war grausam von ihr, daß sie mich zurückließ.« – »Ich muß Gräfin Hameline gegen solche Lieblosigkeit in Schutz nehmen,« entgegnete Quentin; »denn die Unruhe des Augenblicks und die Dunkelheit der Nacht waren so groß, daß ich glaubte, Gräfin Hameline war ebenso sicher davon überzeugt, daß ihre Nichte sie begleite, als ich zu derselben Zeit, getäuscht durch Marthons Anzug und Benehmen, voraussetzte, daß ich mich in Gesellschaft beider Damen von Croye befände; – und besonders derjenigen,« setzte er mit leiser, aber entschiedener Stimme hinzu, »ohne welche alle Schätze der Welt mich nicht vermocht hätten, Schönwald zu verlassen.« Isabelle senkte den Kopf und schien die Worte des jungen Schotten kaum zu hören. Allein sie wandte ihr Auge wieder ihm zu, als er von der Politik Ludwigs zu sprechen begann; und es wurde ihnen durch gegenseitige Mitteilung nicht schwer, herauszubringen, daß die Zigeunerbrüder nebst der mitschuldigen Marthon die Werkzeuge jenes hinterlistigen Fürsten gewesen waren, wenngleich Zamet, der ältere Bruder, mit der seinem Stamme eigenen Treulosigkeit versucht hatte, eine doppelte Rolle zu spielen, und dafür denn auch gehörig bestraft worden war. Unterdessen setzten die Reisenden ihren Weg mehrere Stunden fort und hielten nur an, um ihre Pferde in einem abgelegenen Dorfe oder Weiher füttern zu lassen, wohin sie von Hans Glover geführt wurden, der sich in jeder Hinsicht als ein Mann von Verstand und Bescheidenheit erwies. Die künstliche Scheidewand, die die beiden Liebenden (denn so dürfen wir sie jetzt nennen) voneinander trennte, schien durch die besonderen Umstände, in denen sie sich befanden, gänzlich beseitigt zu sein; denn wenn auch die Gräfin sich eines höheren Ranges rühmen konnte und durch ihre Geburt auf ein ungleich größeres Vermögen Anspruch hatte als der Jüngling, dessen Einkommen bloß auf seinem Schwerte beruhte, so war sie doch im gegenwärtigen Augenblicke ebenso arm als er, und verdankte Sicherheit, Ehre und Leben einzig nur seiner Geistesgegenwart, Tapferkeit und Ergebenheit. Sie sprachen nicht von Liebe, aber an Liebe nicht zu denken, war auf beiden Seiten unmöglich, und so standen sie in einem Verhältnisse zueinander, wo Empfindungen mehr angedeutet als ausgesprochen werden, und wo die Freiheit, die solches Verhältnis gestattet, und die Ungewißheit, wovon es begleitet ist, oft die entzückendsten Stunden menschlichen Daseins herbeiführen; ebenso oft folgen ihnen auch Stunden, die durch getäuschte Erwartungen, Unbeständigkeit und alle Qualen verstörter Hoffnungen und unerwiderter Zuneigung getrübt werden. Es war um zwei Uhr nachmittags, als die Reisenden durch ihren Führer, der mit bleichem Gesichte voll Entsetzen auf sie zueilte, mit der Nachricht aufgeschreckt wurden, daß sie von einer Abteilung von Wilhelm von der Marks schwarzen Reitern verfolgt würden. Diese Soldaten oder vielmehr Banditen waren in Niederdeutschlands Kreisen geworben und glichen in allen Stücken den Landsknechten. Um ihren Feinden desto größeren Schrecken einzujagen, ritten sie gewöhnlich auf schwarzen Streitrossen und trugen schwarze Waffen und Rüstungen. Quentin blickte zurück und sah auf der langen ebenen Straße, auf welcher sie dahingeritten kamen, eine dichte Staubwolke sich nahen; ein Paar Reiter sprengten mit rasender Eile voran. »Teuerste Isabelle,« sagte Quentin, »ich habe keine Waffen als mein Schwert; kann ich aber nicht für Euch fechten, so will ich mit Euch entfliehen. Können wir nur das Gehölz, das vor uns liegt, erreichen, bevor sie uns nahe kommen, so finden wir leicht Mittel, ihnen zu entgehen!« – »So sei es, mein einzig mir gebliebener Freund,« sagte Isabelle, ihr Pferd in Galopp setzend; »und Du, braver Bursche,« setzte sie, an Hans Glover sich wendend, hinzu, »schlage einen andern Weg ein, damit Du nicht Gefahr und Unglück mit uns teilen mußt.« – Der ehrliche Flamänder antwortete kopfschüttelnd auf ihre großmütige Aufforderung: »Nein, nein! das geht nicht!« – Alle drei eilten nun so schnell, als es ihre ermüdeten Pferde vermochten, dem schützenden Walde zu, verfolgt von den schwarzen Reitern, die, als sie die Absicht der andern erkannten, um so schneller ritten. Ungeachtet der Ermüdung der Pferde hatten jedoch die Flüchtlinge, da sie unbewaffnet waren und folglich leichter ritten, einen beträchtlichen Vorsprung vor ihren Verfolgern, und waren nur noch eine Viertelmeile von dem Walde entfernt, als ein Trupp Bewaffneter unter dem Banner eines Ritters aus dem Walde hervorbrach und ihnen den Weg zur Flucht abzuschneiden schien. »Sie haben eine glänzende Rüstung,« sprach Isabelle; »es müssen Burgunder sein. Mögen sie aber sein, wer sie wollen, lieber ergeben wir uns ihnen als den schändlichen Bösewichtern, die uns verfolgen.« – Einen Augenblick nachher rief sie, nachdem sie das Banner näher betrachtet hatte, aus: »Ich erkenne das gespaltene Herz darauf! Es ist der Wappenschild des Grafen Crevecoeur, eines edeln Burgunders – ihm will ich mich ergeben.« Quentin Durward seufzte; aber welche andere Wahl blieb übrig? Bald erreichten sie Crevecoeurs Fähnlein, und die Gräfin verlangte den Anführer zu sprechen, der seinen Trupp Halt machen ließ, um die schwarzen Reiter zu rekognoszieren. Als er sie zweifelnd und ungewiß anblickte, sprach sie: Edler Graf, Isabelle von Croye, die Tochter Eures alten Waffengefährten, des Grafen Reinhold von Croye, ergibt sich Euch und fordert von Eurer Tapferkeit Schutz für sich und die Ihrigen.« – »Den sollst Du haben, meine schöne Cousine, und wäre es gegen ein ganzes Heer – meinen Oberlehnsherrn von Burgund ausgenommen. Aber jetzt ist nicht Zeit, davon zu sprechen! Diese schmutzigen Teufelskinder haben Halt gemacht, als wollten sie es auf eine Probe mit mir ankommen lassen. – Beim heiligen Georg von Burgund, sie rücken wohl gar gegen Crevecoeurs Banner an! – Wie? sind die Kerle verrückt – Damian, meine Lanze – das Banner vor – legt Eure Speere ein, – Crevecoeur zur Befreiung!« Mit diesem Feldgeschrei sprengte er an der Spitze seiner Bewaffneten rasch vorwärts, den schwarzen Reitern entgegen. Sechstes Kapitel Das Scharmützel hatte kaum fünf Minuten gedauert, da waren die schwarzen Reiter von den burgundischen Mannen, die ihnen an Bewaffnung, Pferden und kriegerischem Geiste bei weitem überlegen waren, in die Flucht geschlagen worden. In noch kürzerer Zeit kam Graf Crevecoeur, sein blutiges Schwert, bevor er es in die Scheide steckte, an der Mähne seines Pferdes abwischend, nach dem Saume des Waldes zurück, wo Gräfin Isabelle zurückgeblieben war. »Eine Schande ist's,« sprach der Graf, »daß sich die Waffen von Rittern und Adelingen mit dem Blute dieser rohen Schweine beflecken müssen.« Mit diesen Worten steckte er sein Schwert in die Scheide und setzte hinzu: »Ein ziemlich rauhes Willkommen in Eurer Heimat, mein schönste Cousine; aber irrende Prinzessinnen müssen schon auf solche Abenteuer gefaßt sein, und ich bin noch zur rechten Zeit gekommen, denn glaubt mir, die schwarzen Reiter haben vor einer Grafenkrone so wenig Respekt, wie vor der Haube eines Bauernmädchens; und Euer Gefolge scheint mir zu großem Widerstande nicht sonderlich geeignet?« – »Herr Graf,« sprach Fräulein Isabelle, »laßt mich ohne weitere Vorrede wissen, ob ich eine Gefangene bin, und wohin Ihr mich zu führen gedenkt.« – »Ihr wißt, einfältiges Kind,« antwortete der Graf, »wie ich diese Frage beantworten würde, wenn es auf mich ankäme. Allein Ihr habt samt Eurer törichten Muhme mit ihren Eheprojekten und Heiratsjägereien kürzlich einen so freien Gebrauch von Euern Flügeln gemacht, daß ich fürchte, Ihr müßt Euch schon gefallen lassen, sie eine kleine Weile lang in einem Käfige zu schwingen; was mich betrifft, so ist es meine traurige Pflicht, Euch an den Hof des Herzogs nach Peronne zu geleiten, denn ich vermute, daß Euch ein bißchen warme Fürsprache dort nichts schaden dürfte. Drum mag den Befehl über diese kleine Streife lieber mein Neffe Stephan übernehmen. Hoffentlich wird der junge Wildfang seine Pflicht mit Klugheit erfüllen.« – »Lieber Oheim,« versetzte Graf Stephan, »wenn Ihr an meiner Fähigkeit zweifelt, die Krieger anzuführen, so bleibt nur selbst bei ihnen, und ich will Diener und Beschützer der Gräfin Isabelle von Croye sein.« – »Ohne Zweifel, lieber Neffe,« antwortete der Oheim, »wäre das eine schöne Verbesserung meines Plans; aber ich denke, er gefällt mir doch am besten, wie ich ihn ursprünglich entworfen habe. Merke Dir daher fürs erste nur, daß es hier nicht Dein einziges Geschäft ist, jene schwarzen Säue zu hetzen und abzustechen, wozu Du soeben eine ganz besondere Vorliebe empfunden zu haben scheinst, sondern mir zuverlässige Nachricht von all dem zu bringen, was im Lütticher Lande vorgeht. Ein paar Dutzend Lanzen sollen mir folgen, die übrigen mit einem Banner unter Deinen Befehlen zurückbleiben.« – »Noch einen Augenblick, Vetter Crevecoeur,« sprach Gräfin Isabelle, »laßt mich, indem ich mich Euch selbst als Gefangene ergebe, wenigstens für die Sicherheit derjenigen sorgen, die sich meiner in meinem Unglück als Freunde angenommen haben. Erlaubt diesem guten Menschen, meinem treuen Führer, ungehindert nach seiner Vaterstadt Lüttich zurückzukehren.« – »Mein Neffe,« sagte Crevecoeur, indem er einen scharfen Blick auf Glovers breites Gesicht warf, »soll diesen guten Burschen, soweit er in das Lütticher Land vorrücken wird, mit sich nehmen und ihn dann gehen lassen, wohin er will.« – »Grüßet die gute Gertrud von mir,« sprach die Gräfin zu ihrem Wegweiser, und eine Perlenschnur unter ihrem Schleier hervorziehend, setzte sie hinzu: »Bitte sie, dies zum Andenken an ihre unglückliche Freundin zu tragen.« Der ehrliche Glover nahm die Perlenschnur und küßte mit linkischer Gebärde, aber mit aufrichtiger Gutmütigkeit die schöne Hand, die auf eine so zarte Weise seine eigenen Bemühungen und Gefahren zu belohnen wußte. »Hm! Zeichen und Freundschaftspfänder!« sagte der Graf, »habt Ihr noch andere Anliegen, meine schöne Cousine? – Es ist Zeit, daß wir uns auf den Weg machen.« – »Ich wünsche bloß noch,« begann die Gräfin mit Anstrengung, »daß Ihr diesem – diesem jungen Manne da Euer Wohlwollen schenken möget.« – »Hm!« versetzte Crevecoeur, indem er denselben durchdringenden Blick auf Quentin, wie früher auf Glover, warf, jedoch, wie es schien, mit minder günstigem Erfolge, »ja das ist schon eine Klinge von anderem Stahl. Darf man wissen, meine schöne Cousine, was dieser – dieses junge Blut getan hat, um in Euch eine solche Fürbitterin zu finden?« – »Er hat mein Leben und meine Ehre gerettet,« sagte die Gräfin, vor Scham und Unwillen zugleich errötend. Auch Quentin errötete vor Zorn, allein er sah ein, daß er an sich halten müsse, wenn er die Sache nicht noch schlimmer machen wollte. »Leben und Ehre? – Hm!« sagte Graf Crevecoeur wiederum, »mich dünkt, es wäre doch wohl besser gewesen, meine schöne Cousine, wenn Ihr Euch nicht in die Notwendigkeit solcher Verpflichtungen gegen den jungen Mann gesetzt hättet. – Doch laßt das gut sein! der junge Mensch kann in unserem Gefolge mitreiten, wenn es ihm sein Stand erlaubt, und ich will darauf sehen, daß ihm nichts zuleide getan wird, – nur will ich jetzt selbst die Pflicht übernehmen, der Beschützer Eures Lebens und Eurer Ehre zu sein, und werde vielleicht für ihn ein passenderes Geschäft finden, als – hm! den Leibknappen irrender Damen abzugeben.« – »Herr Graf,« sagte Durward, unfähig länger zu schweigen, »damit Ihr nicht etwa von einem Fremden auf eine geringschätzigere Weise sprecht, als Ihr in der Folge für schicklich halten möchtet, nehme ich mir die Freiheit, Euch zu sagen, daß ich Quentin Durward heiße und ein Bogenschütze von der schottischen Leibwache bin, in welche, wie Euch bekannt sein wird, nur Edelleute und Männer von Ehre aufgenommen werden.« – »Ich danke Euch für Eure Belehrung und küsse Euch die Hände, Herr Bogenschütze,« sagte Graf Crevecoeur, noch immer im Tone des Spottes. »Habt die Güte, mit mir an die Spitze des Haufens zu reiten.« Als Quentin auf den Befehl des Grafen, der jetzt, wenn auch nicht das Recht, doch die Macht über ihn hatte, sich in Bewegung setzte, gewahrte er, daß Gräfin Isabelle ihm einen Blick voll besorgter, schüchterner Teilnahme zuwarf, der ihm fast Tränen in die Augen lockte. Er bedachte jedoch, daß er sich vor Crevecoeur als Mann betragen müsse, da dieser unter allen französischen und burgundischen Rittern vielleicht am wenigsten sich eignete, die Darlegung des Kummers treuer Liebe anders aufzunehmen, als mit Spott und Hohn. Er entschloß sich daher, nicht dessen Anrede abzuwarten, sondern das Gespräch in einem Tone zu eröffnen, der seine Ansprüche auf gute Behandlung und größere Achtung rechtfertigen möchte, als der Graf, der sich vielleicht beleidigt fand, daß ein Mann von so untergeordnetem Range in so hohem Grade das Vertrauen seiner vornehmen und reichen Muhme besaß, ihm beweisen zu wollen schien. »Herr Graf von Crevecoeur,« sprach er in einem gemäßigten aber festen Tone, »darf ich Euch, ehe wir weiter zusammen reisen, fragen, ob ich frei bin, oder ob ich mich als Euren Gefangenen zu betrachten habe?« – »Eine verfängliche Frage,« erwiderte der Graf, »die ich Euch vorderhand nur durch eine andere beantworten kann. Was meint Ihr, sind Frankreich und Burgund miteinander im Frieden oder im Kriege?« – »Das,« erwiderte der Schotte, »solltet Ihr, Herr Graf, wohl besser wissen als ich, denn ich bin vom französischen Hofe schon seit einiger Zeit abwesend und habe deshalb keine Nachrichten mehr von dorther.« – »Da seht Ihr nun,« versetzte der Graf, »wie leicht es ist, Fragen vorzulegen, und wie schwer, sie zu beantworten. Ich selbst bin diese ganze Woche und noch länger um den Herzog von Peronne gewesen, kann mithin ebensowenig wie Ihr das Rätsel lösen, und doch, Herr Knappe, hängt von der Lösung desselben die Frage ab, ob Ihr ein Gefangener oder frei seid. Für jetzt muß ich Euch für das erstere halten, – nur wenn Ihr meiner Verwandten in der Tat und auf ehrenhafte Weise gedient habt, und Ihr aufrichtig auf die Fragen, die ich an Euch tun werde, antwortet, können Eure Angelegenheiten eine bessere Wendung nehmen.« – »Die Gräfin von Croye,« sagte Quentin, »kann es am besten beurteilen, ob ich ihr einige Dienste geleistet habe, und auf sie verweise ich in dieser Hinsicht. Ueber meine Antworten mögt Ihr selbst urteilen, wenn Ihr mich fragt.« – »Hm! hm! – stolz genug,« brummte Graf Crevecoeur, »ganz wie einer, der die Bandschleife einer Dame an seinem Hute trägt und nun meint, er müsse einen hohen Ton annehmen, um dem köstlichen Fetzen von Seide und Flittergold Ehre zu machen. – Nun, ich glaube, es wird Eurer Würde keinen Eintrag tun, wenn Ihr sagt, wie lange Ihr um Gräfin Isabelle von Croye gewesen seid.« – »Graf Crevecoeur,« versetzte Quentin Durward, »wenn ich auf Fragen antworte, die an mich in einem Tone, der an Beleidigung grenzt, gemacht werden, so geschieht dies bloß deswegen, damit nicht aus meinem Stillschweigen über jemand, dem wir beide Gerechtigkeit widerfahren zu lassen schuldig sind, nachteilige Schlüsse gezogen werden können. Ich habe Gräfin Isabelle begleitet, seit sie Frankreich verlassen hat, um sich nach Flandern zu begeben.« – »Ho! ho!« rief der Graf, »das heißt also, seitdem sie aus Plessis geflohen ist, – Ihr, ein Bogenschütze von der schottischen Leibwache, habt sie also auf ausdrücklichen Befehl des Königs begleitet?« So wenig auch Quentin sich dem Könige von Frankreich verpflichtet fühlte, der bei dem beabsichtigten Ueberfalle der Gräfin Isabelle von seiten Wilhelms von der Mark wahrscheinlich darauf gerechnet hatte, daß der junge Schotte bei Verteidigung derselben umkommen würde, so hielt er sich doch befugt, das Vertrauen, das Ludwig, wenn auch vielleicht bloß dem Anschein nach, in ihn gesetzt hatte, zu täuschen, und erwiderte daher auf die Vermutung des Grafen Crevecoeur, es habe ihm genügt, zu dem, was er getan habe, von dem ihm vorgesetzten Offiziere Befehl erhalten zu haben, und weiteres Nachforschen sei nicht seine Sache. – »Das ist auch vollkommen hinreichend,« sagte der Graf, »denn wir wissen, daß der König seinen Offizieren nicht gestattet, die Bogenschützen seiner Leibwache als Paladine irrender Damen einher stolzieren zu lassen, ohne daß er irgend einen politischen Zweck damit verbindet. Es wird dem König Ludwig schwer fallen, hinfort noch so dreist zu behaupten, daß er von der Entweichung der Gräfinnen von Croye aus Frankreich nichts wisse, da sie durch einen Bogenschützen von seiner Leibwache begleitet wurden. Und wohin, Herr Bogenschütze, ging denn Euer Weg?« – »Nach Lüttich, Herr Graf,« antwortete der Schotte, »wo die Damen sich unter den Schutz des ehemaligen Bischofs begeben wollten.« – »Des ehemaligen Bischofs?« rief Graf Crevecoeur aus; »ist Ludwig von Bourbon tot? – Nicht ein Wort von seinem Uebelbefinden kam dem Herzog zu Ohren. – Woran starb er?« – »Er schläft in einem blutigen Grabe, Herr Graf, – das heißt, wenn anders seine Mörder seinen irdischen Ueberresten ein Grab vergönnt haben.« – »Seine Mörder!« rief Crevecoeur wieder; »heilige Mutter Gottes! – das ist nicht möglich, junger Mann.« – »Vor meinen Augen geschah die Tat und noch manches Schauderhafte außerdem.« – »Du sahst sie, eiltest aber nicht dem guten Prälaten zu Hilfe?« rief der Graf aus, »setztest nicht das ganze Schloß gegen die Mörder in Bewegung? Weißt Du nicht, daß solche Tat mit ansehen, ohne Widerstand zu leisten, strafbarer Frevel ist?« – »Ehe die Tat geschah, war schon das Schloß von dem blutdürstigen Wilhelm von der Mark mit Hilfe der empörten Lütticher erstürmt,« erwiderte Durward. – »Ich bin wie vom Donner gerührt,« sprach Crevecoeur; »Lüttich im Aufstand! Schönwald genommen! der Bischof ermordet! Unglücksbote! nie hat ein Mann soviele Hiobsposten gebracht! Sprich! wußtest Du um den Sturm, diesen Aufstand, diesen Mord? Du bist einer von Ludwigs vertrauten Bogenschützen, und er ist es, der diesen schmerzlichen Pfeil abgeschossen hat? Sprich, oder ich lasse Dich von wilden Pferden zerreißen!« – »Und würde ich so zerrissen, so würdet Ihr doch nichts aus mir bringen, was einem schottischen Edelmann zu sagen nicht geziemte. Ich weiß von diesen Schändlichkeiten nichts weiter als Ihr und war soweit entfernt, daran teilzunehmen, daß ich mich ihnen vielmehr aufs äußerste widersetzt hätte, hätten meine Mittel nur zum zwanzigsten Teile meinem Willen entsprochen. Aber was war zu tun? Einer gegen Hunderte? Meine einzige Sorge ging also dahin, Gräfin Isabelle zu retten, und dazu half mir mein Glück.« – »Ich glaube Dir, junger Mann,« sprach der Graf, »Du bist weder in dem Alter noch von der Art, daß man Dich zu solch einem blutigen Werke anstellen könnte, wenn Du auch geschickt genug sein magst, der Knappe von Damen zu sein. Aber ach! so mußte dieser wohlwollende edelmütige Prälat an seinem eigenen Herde gemordet werden, wo er so oft den Fremdling mit christlicher Milde und fürstlicher Güte bewirtete, – und das von einem Schurken! einem Ungeheuer! einer Ausgeburt von Blutdurst und Grausamkeit, auferzogen in derselben Halle, in der er seine Hände mit dem Blute seines Wohltäters besudelte! Aber ich müßte Karl von Burgund nicht kennen, ja an der Gerechtigkeit des Himmels verzweifeln, wenn die Rache nicht so grimmig, furchtbar und schnell sein sollte, wie diese Abscheulichkeit beispiellos ist. Wenn auch niemand anders den Mörder verfolgt,« – hier hielt er inne, griff nach seinem Schwert, ließ den Zaum fahren und schlug beide mit Panzerhandschuhen bedeckten Hände auf der Brust übereinander, so daß der Harnisch rasselte, hob sie dann zum Himmel auf, und sprach in feierlichem Tone: »Ich, ich, Philipp Crevecoeur von Cordès, gelobe zu Gott, dem heiligen Lambert und den drei Königen von Köln, daß ich an alle weltlichen Geschäfte nicht eher denken will, bis ich vollkommene Rache an den Mördern des edlen Ludwig von Bourbon genommen habe; möge ich sie finden im Walde oder auf dem Felde, auf Bergen oder in der Ebene, an dem Hofe des Königs oder im Gotteshaus; und darauf verpfände ich Land und Leute, Freund und Vasallen, Leben und Ehre! So wahr mir Gott helfe und der heilige Lambert von Lüttich und die drei Könige von Köln!« – Als Graf Crevecoeur dieses Gelübde abgelegt hatte, schien sein Gemüt einigermaßen von der Last des Kummers und Staunens erleichtert, womit er die Kunde jenes furchtbaren Trauerspiels in Schönwald angehört hatte. Plötzlich richtete er an Durward die Frage, gleich als ob er sich an etwas erinnerte, das seinem Gedächtnisse entfallen, was denn aus Hameline geworden sei und warum sie sich nicht bei ihrer Nichte befinde? – »Nicht,« setzte er verächtlich hinzu, »als ob ich ihre Abwesenheit für einen Verlust für die Gräfin Isabelle hielte; denn wenn sie auch ihre Muhme war und im ganzen es wohl mit ihr meinte, so kann es doch selbst am Hofe von Cocagne im Schlaraffenlande nie eine größere Törin gegeben haben; und ich bin überzeugt, daß ihre Nichte, die ich sonst immer als ein bescheidenes, ordentliches Mädchen gekannt habe, zu der abgeschmackten Torheit, aus Burgund nach Frankreich zu fliehen, nur durch diese abenteuerliche, unbesonnene, alte Heiratsstifterin und Heiratsjägerin verleitet worden ist!« Mehr besorgt daher, ein Gegenstand des Spottes als des Zornes zu werden, beschränkte Durward, obgleich mit Mühe, seine Antwort auf einen unbestimmten Bericht, daß Gräfin Hameline noch vor dem Angriff auf das Schloß entflohen sei; ein unbestimmtes Gerücht sei ihm freilich zu Ohren gekommen, daß Gräfin Hameline wieder in die Hände Wilhelms von der Mark gefallen sei. »Ich hoffe zum heiligen Lambert, daß er sie heiraten wird,« sagte Crevecoeur, »was er wahrscheinlich ihrer Geldsäcke wegen tun wird; und ebenso wahrscheinlich ist es, daß er ihr, sobald er die Säcke hat, oder spätestens wenn sie geleert sind, eins vor den Kopf geben wird.« Am Abend erreichten sie die Stadt Charleroi an der Sambre, wo Graf Crevecoeur Gräfin Isabelle zu verlassen hatte, denn Schrecken und Anstrengung verboten ihr, weiter zu reisen. In einem Zustande großer Erschöpfung übergab er sie der Aebtissin des Zistercienserklosters in Charleroi, auf deren Klugheit und Herzensgüte er vertrauen konnte. Dann setzte er, nachdem er für sich und sein Gefolge frische Pferde besorgt hatte, seinen Weg nach Peronne fort und entschuldigte sich spöttisch bei Quentin Durward, daß er ihn von seiner schönen Gesellschaft trennen müsse, aber dabei hoffe, einem den Damen so ganz ergebenen Knappen werde ein nächtlicher Ritt bei Mondschein ganz angenehm sein. Quentin, ohnehin schon betrübt darüber, daß er sich von Isabelle trennen mußte, hätte diesen Spott gern mit einer zornigen Herausforderung beantwortet; allein überzeugt, daß der stolze Graf nur über seinen Aerger lachen und seine Herausforderung verachten würde, beschloß er eine Gelegenheit abzuwarten, wo er Rache an dem Manne nehmen könnte, der ihm, wenngleich aus ganz andern Gründen, beinahe ebenso verhaßt geworden war, wie der wilde Eber der Ardennen. Er ließ sich daher Crevecoeurs Vorschlag, den er nicht wohl ablehnen konnte, gefallen; und so setzten sie gemeinschaftlich den Weg von Charleroi nach Peronne fort. Siebentes Kapitel Quentin hatte den ersten Teil dieses nächtlichen Rittes mit jenem bittern Seelenschmerz zu kämpfen, den Jünglinge empfinden, wenn sie, und wahrscheinlich, auf immer von der Geliebten scheiden müssen. Angespornt durch den Drang des Augenblicks und Crevecoeurs Ungeduld, durcheilten sie die fruchtbaren Ebenen des Hennegaus, geleitet vom Lichte des hellen herbstlichen Mondes, der mit seinen blassen Strahlen reiche und fette Weiden, Waldungen und Kornfelder beleuchtete, von denen die Landleute die Ernte heimbrachten. Als aber die kalte Mitternachtsstunde vorüber war, begannen trotz seines Liebeskummers die ungemeinen Anstrengungen, denen Quentin die beiden vorhergehenden Tage ausgesetzt war, eine Wirkung auf ihn zu äußern, die ihm bisher unbekannt an sich war. Seine Gedanken wurden nach und nach durch die Tätigkeit seiner Sinne, die durch die übermäßige Abspannung erschöpft waren, so wenig in Schranken gehalten, daß die Traumgesichter seiner Einbildungskraft alles, was ihm die geschwächten Organe des Gehörs und Gesichts aufdrangen, verschoben und verwandelten, und er bloß seines wachen Zustandes durch die Anstrengungen inne ward, die er im Gefühl des Gefährlichen seiner Lage gelegentlich machte, um zu verhindern, daß er nicht in einen tiefen, todähnlichen Schlaf versinke. Dann und wann rief ihn ein Bewußtsein der Gefahr, von oder mit seinem Pferde zu stürzen, zu neuer Anstrengung und Lebendigkeit zurück; aber es dauerte nicht lange, so wurden seine Augen wieder durch ineinanderfließende Schatten und Farbenmischungen aller Art verdunkelt, die vom Mond beleuchtete Landschaft schwamm vor seinen Blicken, und er war dermaßen erschöpft, daß Graf Crevecoeur zweien seiner Leute befehlen mußte, Durward zur Seite zu reiten, damit er nicht vom Pferde falle. Als sie endlich die Stadt Landrecy erreicht hatten, gestattete der Graf aus Mitleid mit dem Jüngling, der seit drei Nächten beinahe gar nicht geschlafen hatte, sich und seinem Gefolge einen Aufenthalt von vier Stunden Ruhe und Erholung. Tief und fest war Quentins Schlummer, bis er durch den Schall der Trompete und den Ruf der Furiere und Ouartiersmeister unterbrochen wurde: »Auf! auf! ihr Herren! auf den Weg, auf den Weg!« So unwillkommen ihm auch anfangs diese Töne waren, so erwachte er doch als ein anderer Mensch an Kraft und Stärke. Vertrauen auf sich selbst und sein Schicksal kehrte mit seinen neugestärkten Lebensgeistern und der aufgehenden Sonne in sein Gemüt zurück. Er dachte nicht mehr an seine Liebe wie an einen eiteln, ausschweifenden Traum, sondern wie an ein hohes, belebendes Prinzip, ein Gefühl, das er in seinem Herzen nähren sollte, wenn er gleich nie hoffen konnte, bei all den Schwierigkeiten und Hindernissen, die ihm drohten, seine Herzensangelegenheit zu einem glücklichen Ziel zu führen. In dieser Stimmung fühlte sich Quentin eher in der Lage, die Scherze des Grafen Crevecoeur hinzunehmen, und wußte ihm so glücklich und mit vieler Ehrerbietung darauf zu antworten, daß der alte Krieger schließlich nicht umhin konnte, in ihm einen netten jungen Mann zu finden, aus dem sich schon noch etwas machen ließe, und ihm ziemlich deutlich zu verstehen gab, daß er es auf sich nehmen wolle, ihm einen ehrenvollen Platz unter den Haustruppen des Herzogs von Burgund zu verschaffen und für sein weiteres Fortkommen zu sorgen. Obgleich Quentin mit schuldigem Danke diese Gnade für jetzt ablehnte, bis er erst wüßte, inwiefern er sich über seinen bisherigen Gebieter, König Ludwig, zu beklagen habe, blieb er doch in gutem Einvernehmen mit Graf Crevecoeur, und so setzte die kleine Gesellschaft einmütiger als am vergangenen Tage ihren Weg fort, bis sie endlich zwei Meilen von der berühmten und festen Stadt Peronne hielt, in deren Nähe das Heer des Herzogs von Burgund ein Lager bezogen hatte. Ludwig XI. hingegen hatte eine bedeutende Macht bei St. Maxence zusammengezogen, in der Absicht, seinen übermächtigen Vasallen durch eine Schlacht zur Vernunft zu bringen. Graf Crevecoeur nahte sich nebst seinem Gefolge und seinem Gefangenen gegen drei Uhr nachmittags der Festung, als sie in den angenehmen Schattengängen eines großen, nach Osten sich fast bis an die Festung erstreckenden Waldes zwei vornehmen Männern, wie sich aus ihrem zahlreichen Gefolge schließen ließ, begegneten, die eine in Friedenszeiten damals gewöhnliche Kleidung trugen und, nach den Falken, die sie auf den Händen hatten, wie nach der Anzahl der Wachtel- und Windhunde, die ihnen folgten, zu urteilen, sich auf der Jagd befanden. Als sie aber Crevecoeurs ansichtig wurden, ritten sie ihm sogleich entgegen. »Neuigkeiten, Neuigkeiten, Graf Crevecoeur!« riefen beide zusammen. »Bringt Ihr welche, oder wollt Ihr welche wissen? oder wollt Ihr einen ehrlichen Tausch darauf eingehen?« – »Gern wollte' ich mit euch tauschen, meine Herren,« sagte Crevecoeur, nachdem er höflich gegrüßt hatte, »wenn ich nur wüßte, ob eure Neuigkeiten die meinigen aufwiegen.« Die beiden Jäger blickten einander lächelnd an, und der größere von ihnen, eine feine stattliche Gestalt, von bräunlicher Gesichtsfarbe, mit einem traurigen Ausdruck, wandte sich an seinen Gefährten und sagte: »Crevecoeur kommt aus dem Lande des Handels und hat alle Kunstbegriffe der Brabanter gelernt; es wird uns schwer werden, einen vorteilhaften Tausch mit ihm zu treffen.« – »Meine Herren,« sagte Crevecoeur, »vor dem Herzog muß ich allerdings zuerst meine Waren auskramen, da der Landesherr seinen Zoll erhebt, ehe der Markt beginnt. Aber sagt mir, sind eure Nachrichten trauriger oder fröhlicher Art?« Der, an den er sich vorzüglich wandte, war ein kleiner munterer Mann mit lebendigem Auge, dessen Feuer aber durch einen gewissen Zug von Ernst und Nachdenken um den Mund und die Oberlippe gemildert wurde, so daß das Ganze seiner Gesichtsbildung einen Mann verkündigte, der mehr zum Rat als zur Tat geschaffen war, der alles schnell durchschaute und beurteilte, aber mit weiser Bedachtsamkeit seine Entschlüsse faßte und seine Meinung aussprach. Dies war der berühmte Herr von Argenton, mehr bekannt unter den Geschichtsschreibern unter dem ehrwürdigen Namen Philipp des Comines, der damals am Hofe Herzogs Karls des Kühnen sich aufhielt und einer seiner angesehensten Räte war. Er beantwortete Crevecoeurs Frage inbetreff der Beschaffenheit der Neuigkeiten, in deren Besitz er und sein Begleiter, der Freiherr v. Hymbercourt, waren, indem er sagte: »Sie gleichen den Farben des Regenbogens und wechseln in ihrem Schimmer, je nach dem Standpunkte, von dem aus man sie betrachtet; sie stehen zwischen der schwarzen Wolke und dem blauen Himmel; solch ein Regenbogen ist nie in Frankreich oder Flandern seit Noahs Arche gesehen worden.« – »Meine Neuigkeiten,« entgegnete Crevecoeur, »sind, wie ein Komet, düster und furchtbar an sich, und man mag sie als Vorläufer von noch größeren und noch schrecklicheren Nebeln ansehen, die da kommen sollen.« – »Wir müssen unsern Ballen öffnen,« sagte Argenton zu seinem Begleiter, »oder unser Markt wird uns durch Neuankommende verdorben, denn unsere Nachrichten sind eigentlich öffentliches Gut; mit einem Worte, hört und verwundert Euch, König Ludwig ist in Peronne.« – »Wie!« fragte der Graf voll Erstaunen, »hat sich der Herzog ohne eine Schlacht zurückgezogen, und bleibt Ihr hier in Friedenskleidern, während die Stadt von den Franzosen belagert wird? Denn ich kann nicht glauben, daß sie genommen ist.« – »O nein,« versetzte Hymbercourt, »Burgunds Fahnen sind keinen Fuß breit gewichen, und dennoch ist der König Ludwig hier.« – »Nun, so ist offenbar Eduard von England mit seinen Bogenschützen über die See gekommen,« meinte Crevecoeur, »und hat, wie sein Vorfahre, eine zweite Schlacht bei Poitièrs gewonnen.« – »Auch das nicht,« versetzte Argenton, – »kein französisches Banner hat sich sehen lassen, und kein Segel ist von England herübergekommen, wo sich Eduard viel zu sehr mit Londner Bürgersfrauen belustigt, als daß er daran denken sollte, die Rolle des schwarzen Prinzen zu spielen. So vernehmt denn die außerordentliche Neuigkeit! Als Ihr uns verließet, waren, wie Euch bekannt ist, die Unterhandlungen zwischen Frankreich und Burgund ohne allen Anschein einer Wiederaufnahme abgebrochen worden.« – »Ja; und wir träumten von nichts denn Krieg.« – »Was nun erfolgt ist, sieht einem Traume so ähnlich,« versetzte Argenton, »daß ich immer glaube, ich müsse erwachen und es so finden. Es ist kaum einen Tag her, daß sich der Herzog so entschieden gegen allen ferneren Aufschub erklärte, daß beschlossen ward, dem Könige eine förmliche Kriegserklärung zuzusenden und sogleich nach Frankreich zu marschieren; als der französische Herold, Montjoie, in unser Lager einritt. Wir glaubten nicht anders, als daß Ludwig uns mit einer Kriegserklärung zuvorkomme, und fingen schon an zu überlegen, wie der Herzog diejenigen seinen Zorn fühlen lassen würde, die ihm abgeraten hatten, den Krieg zuerst zu erklären. Aber wie groß war unsere Verwunderung, als der Herold uns meldete, daß Ludwig, König von Frankreich, kaum eine Stunde hinter ihm sei und in der Absicht komme, den Herzog mit einem kleinen Gefolge zu besuchen, um die obwaltenden Mißverständnisse in einer persönlichen Zusammenkunft auszugleichen.« »Ich erstaune, meine Herren,« sagte Crevecoeur, »wieviel weniger, als Ihr vielleicht erwarten möchtet; denn als ich zum letztenmal in Plessis les Tours war, gab mir der in alles eingeweihte Kardinal Balue, aufgebracht gegen seinen Herrn und im Herzen den Burgundern zugetan, einen Wink, daß er Ludwigs schwache Seite benützen wolle, um ihn in eine Stellung gegen Burgund zu bringen, so daß der Herzog die Friedensbedingungen in seiner Hand haben solle. Allein ich hätte es doch nie gedacht, daß ein so alter Fuchs wie Ludwig sich verleiten lassen sollte, in eine solche Falle zu gehen. Was sagte denn der geheime Rat dazu?« – »Wie Ihr leicht denken könnt,« versetzte Hymbercourt, »wurde viel gesprochen von Treu und Glauben, die man halten müsse, und nur wenig von den Vorteilen, die dadurch erreicht werden könnten. Indessen war es klar, daß man größtenteils an das letztere dachte und sich bloß Mühe gab, einen Weg ausfindig zu machen, bei dem man den besten Schein beobachten könne.« – »Und Ihr gingt dem König entgegen?« fragte Graf Crevecoeur. »Es geschehen wirklich Wunder auf Erden! Wer war in seinem Gefolge?« – »Bloß ein paar Dutzend von seiner schottischen Leibwache,« antwortete Hymbercourt; »und ein paar Ritter und Edle seines Hofes, unter denen sein Sterndeuter Galeotti noch die glänzendste Rolle spielte.« – »Dieser Mensch,« versetzte Crevecoeur, »hält es mit dem Kardinal Balue; es sollte mich daher nicht wundern, wenn er auch Anteil daran hätte, daß der König diesen Schritt zweifelhafter Politik tut. Ist kein höherer Adel dabei?« – »Der Herzog von Orleans und Dunois,« erwiderte Argenton. – »Aber man sagte ja, sie wären im Gefängnis?« – »Sie saßen auch beide gefangen im Schlosse von Loches, jenem herrlichen Ruheplätzchen für den französischen Adel,« sagte Hymbercourt; »aber Ludwig hat sie freigelassen, um sie mit hierher zu nehmen, vielleicht weil er Orleans nicht gern zurücklassen wollte. Unter seinen andern Begleitern sind, glaub' ich, sein Gevatter, der Henkermarschall und sein Barbier Oliver, die bedeutendsten Personen. Das Ganze sieht so ärmlich aus, daß der König auf Ehre eher einem alten Wucherer gleicht, der, begleitet von einem Trupp Häscher, schlimme Ausstände eintreiben will.« – »Und wo ist er abgestiegen?« fragte Crevecoeur. – »Ja, das ist,« erwiderte Argenton, »noch das Wunderbarste von allem. Unser Herzog erbot sich, ein Stadttor und eine Schiffbrücke über die Somme mit seiner schottischen Wache besetzen zu lassen, Ludwig selbst aber das daranstoßende Haus, das einem reichen Bürger, Giles Orthen, gehört, zur Wohnung anzuweisen. Als indes der König sich dahin begeben wollte, bemerkte er die Paniere von de Lau und Pencil de Rivière, die er aus Frankreich verbannt hatte, und erschreckt, wie es schien, durch den Gedanken, Flüchtlingen und Unzufriedenen aus seinen eigenen Landen so nahe zu sein, verlangte er, im Schlosse von Peronne selbst einquartiert zu werden, und dort hat er nun jetzt seinen Aufenthalt.« – »Nun wahrhaftig!« rief Crevecoeur aus, »das heißt nicht allein sich in des Löwen Höhle wagen, sondern ihm noch den Kopf in den Rachen stecken. Freunde, edle Ritter, reitet dicht zu mir heran: und wenn ich nun Euch erzähle, was sich im Bistum Lüttich zugetragen hat, so werdet Ihr mit mir der Meinung sein, daß König Ludwig ebensogut eine Wallfahrt nach der Unterwelt hätte anstellen können, als diesen unzeitigen Besuch in Peronne zu machen.« Die beiden Edelleute ritten dicht zu dem Grafen heran und hörten nun mit tiefster Verwunderung und Teilnahme seine Erzählung der Vorgänge in Lüttich und Schönwald an. Achtes Kapitel Karl von Burgund, der ungestümste, ungeduldigste, ja der unbesonnenste Fürst seiner Zeit, fühlte sich gleichwohl innerhalb des magischen Kreises gebannt, den die tiefste Ehrerbietung gegen Ludwig, als seinen Souverän und Oberlehnsherrn, um ihn zog, da dieser ihm, seinem Kronvasallen, die ausgezeichnete Ehre eines persönlichen Besuchs erwiesen hatte. Eingehüllt in seinen herzoglichen Mantel und begleitet von den vornehmsten Rittern und Beamten seines Hofes, war er in glänzendem Zuge Ludwig XI. entgegengeritten. Sein Gefolge strotzte von Gold und Silber; denn während der Reichtum des englischen Hofes durch die Kriege zwischen York und Lancaster erschöpft war und die Sparsamkeit des Beherrschers von Frankreich alle Ausgaben gar sehr beschränkte, war der Hof von Burgund damals der prachtvollste in ganz Europa. Ludwigs Gefolge war dagegen sehr klein und von verhältnismäßig ärmlichem Aussehen. Die Erscheinung des Königs selbst in seinem abgetragenen Kleide, mit dem simplen, von Heiligenbildern eingefaßten Hute, bildete einen umso auffallenderen Kontrast. Als nun der Herzog mit Krone und Staatsmantel sich von seinem prächtigen Streitrosse schwang und, auf ein Knie sich niederlassend, den Steigbügel halten wollte, indes Ludwig von seinem kleinen Zelter sprang, grenzte die Wirkung, die das Ganze hervorbrachte, fast ans Groteske. Die gegenseitige Bewillkommnung der beiden Herrscher war, wie es sich von selbst versteht, ebenso voll von angenommenem Wohlwollen, als ihr alle Aufrichtigkeit abging. Die Gemütsart des Herzogs machte es diesem schwer, in Stimme, Rede und Benehmen den nötigen äußern Anstand zu beobachten, während bei dem Könige jede Art von Verstellung und Heuchelei so sehr in seiner Natur zu liegen schien, daß auch die, welche ihn am genauesten kannten, Schein und Wahrheit nicht unterscheiden konnten. An der unsicheren Stimme, dem gezwungenen Benehmen und den abgebrochenen Gebärden des Herzogs mochte der König wohl gewahren, daß er ein bedenkliches Spiel spiele, und bereute es wahrscheinlich mehr als einmal, auf diesen Gedanken gekommen zu sein; allein die Reue kam zu spät, und alles, was ihm übrig blieb, war jene unnachahmliche Gewandtheit im Benehmen, die vielleicht nie jemand im höheren Grade besaß, als er. Sein Benehmen gegen den Herzog war von der Art, daß es der Ueberwallung eines wohlwollenden Herzens im Augenblicke aufrichtiger Versöhnung mit einem wertgehaltenen, aber von Prüfungen heimgesuchten Freunde glich, von dem er durch Umstände, die ebenso bald vergessen als hinweggeräumt worden, entfremdet worden war. Er machte sich selbst Vorwürfe, daß er nicht früher schon diesen entscheidenden Schritt getan und seinen guten, lieben Vetter durch einen solchen Beweis des Vertrauens, wie er ihm jetzt gebe, überzeugt habe, daß die Mißhelligkeiten, die zwischen ihnen stattgefunden, in seiner Erinnerung nichts wären im Vergleich mit der Liebe, die er, während seiner Verbannung aus Frankreich und mit der Ungnade seines königlichen Vaters belastet, von ihm und seinem Vater, dem »guten« Herzog Philipp, empfangen habe. Die Gesichtszüge des Herzogs von Burgund waren von Natur rauh und streng; und als er versuchte, zu lächeln, zum Beweise, daß er glaube, was der König erzähle, so war die Gebärde, die er machte, wahrhaft teuflisch zu nennen. »O, Du Erzheuchler,« sprach er bei sich selbst, »ich wollte, ich könnte Dir schicklicherweise zu Gemüte führen, wie Du alle die Wohltaten unseres Hauses vergolten hast!« – »Wenn aber auch,« fuhr der König fort, »die Bande der Blutsfreundschaft und der Dankbarkeit nicht hinreichend wären, uns aneinander zu knüpfen, lieber Vetter, so haben wir noch die der geistlichen Verwandtschaft; denn ich bin der Pate Eurer schönen Tochter Maria, die mir so teuer ist, als eins meiner eigenen Mädchen; und als die Heiligen – (gebenedeiet sei ihr Name!) – mir einen kleinen Sprößling schenkten, der innerhalb dreier Monate wieder verwelkte, da war es Euer fürstlicher Vater, der ihn zur Taufe hielt, und die Feierlichkeit mit größerer, stolzerer Pracht beging, als es in Paris selbst hätte geschehen können. Nie werde ich den tiefen, unauslöschlichen Eindruck vergessen, den die Großmut Herzog Philipps, sowie die Eurige, mein teuerster Vetter, auf das halbgebrochene Herz eines armen Verbannten machte.« – »Ew. Majestät,« entgegnete der Herzog, indem er sich zwang, etwas zu erwidern, »erkennt diese geringe Verbindlichkeit in Ausdrücken an, welche alles, was Burgund tun konnte, um sich für die Ehre erkenntlich zu zeigen, die Ihr seinem Beherrscher bewieset, weit übertreffen.« – »Ich entsinne mich wohl der Worte, die Ihr meint, guter Vetter,« sagte der König lächelnd, »ich denke, sie lauteten also: Daß ich zur Vergeltung der mir an diesem Tage erwiesenen Wohltaten, als ein armer Wandersmann, nichts anzubieten hätte, als mich selbst, mein Weib und mein Kind. Nun, ich denke, ich habe mein Pfand ziemlich gut eingelöst.« – »Ich will, was Ew. Majestät zu behaupten geruht, nicht in Abrede ziehen,« versetzte der Herzog, »aber –« – »Aber Ihr fragt,« unterbrach ihn der König, »wie denn meine Handlungen mit meinen Worten übereingestimmt, haben? – Offenbar so: Die Gebeine meines Kindes Joachim ruhen in burgundischer Erde – meine eigene Person habe ich heute morgen unbedingt in Eure Gewalt gegeben, – und was meine Gemahlin betrifft, so denke ich, lieber Vetter, Ihr werdet in Betracht der vielen indessen verflossenen Jahre nicht so streng darauf bestehen, daß ich auch in diesem Punkte mein Wort halten soll. Sie ist an Maria Verkündigung« (hier bekreuzte er sich und murmelte ein Gebet, »fünfzig Jahre alt, allein befindet sich nicht weiter von hier als Rheims, und wenn Ihr auf der buchstäblichen Erfüllung meines Wortes besteht, so soll auch sie Euch hier unverweilt ihre Aufwartung machen.« So ergrimmt auch der Herzog von Burgund darüber war, daß der König auf solch schamlose Weise einen Ton der Freundschaft und Vertraulichkeit gegen ihn annahm, so konnte er sich doch über diese sonderbare Aeußerung des Königs des Lachens nicht wehren, und sein Lachen war ebenso schneidend, als die abgebrochenen, leidenschaftlichen Laute, in denen er oft zu sprechen pflegte. Nachdem er länger und lauter gelacht, als es damals oder jetzt für Zeit und Ort schicklich erachtet werden mochte, antwortete er in demselben Tone, indem er geradezu die Ehre des Besuchs der Königin ablehnte und dagegen erklärte, daß er sich den der ältesten Tochter des Königs (sie war wegen ihrer Schönheit weit und breit berühmt) gern würde gefallen lassen. »Ich bin erfreut, lieber Vetter,« sagte der König mit jenem zweideutigen Lächeln, das man sehr oft an ihm bemerkte, »daß Euer Wohlgefallen nicht meine jüngere Tochter Johanna sich ausersehen hat; denn in diesem Falle hättet Ihr mit meinem Vetter Orleans eine Lanze zu brechen gehabt, und wäre ein Unglück daraus entstanden, so müßt ich auf der einen oder andern Seite einen wohlwollenden Freund und geliebten Verwandten verlieren.« – »Nein! nein! mein königlicher Herr,« sprach Herzog Karl, »der Herzog von Orleans soll von meiner Seite keine Hindernisse auf dem Wege finden, den er par amour eingeschlagen hat. Wenn ich je eine Lanze mit Orleans brechen soll, so muß es in einer schöneren und geraderen Sache geschehen.« Ludwig war weit entfernt, diese rohe Anspielung auf die Mißgestalt und Häßlichkeit der Prinzessin Johanna übel zu nehmen; es machte ihm im Gegenteil Vergnügen, daß der Herzog an solch derben Späßen Gefallen fand, in denen er selbst Meister war. Er bemühte sich, die Unterhaltung in einem solchen Tone zu führen, daß Karl, obgleich er sich unfähig fühlte, die Rolle eines versöhnten Freundes gegen einen Monarchen zu spielen, der ihm schon soviel Uebles zugefügt hatte, es nicht schwer fand, den herzlichen Wirt gegen einen witzigen Gast zu spielen. So wurde denn der Mangel wechselseitiger, aufrichtiger Zuneigung und Liebe durch den beiden sympatischen Ton eines vertraulichen Gesprächs zwischen zwei lustigen Zechbrüdern ersetzt. Glücklicherweise waren beide Fürsten imstande, während eines Banketts auf dem Stadthause zu Peronne den nämlichen Ton der Unterhaltung beizubehalten, wobei sie sich wie auf neutralem Boden begegneten. Indessen bemerkte Ludwig doch mit großer Unruhe, daß der Herzog mehrere jener vornehmen, französischen Edelleute, die seine eigene Strenge oder Ungerechtigkeit aus Frankreich vertrieben hatte, in ansehnlichen und wichtigen Aemtern um sich hatte; und es geschah bloß, um sich vor den möglichen Folgen ihres Unwillens und ihrer Rache zu sichern, daß er, wie schon bemerkt worden, sich ausbat, in dem Schlosse oder der Zitadelle von Peronne und nicht in der Stadt wohnen zu dürfen, worein der Herzog ohne Bedenken willigte. Als aber der König behutsam die Frage stellte, ob die schottischen Bogenschützen seiner Leibwache während seines Aufenthalts in dem Schlosse zu Peronne, statt des Stadttores, wie der Herzog selbst, angeboten hatte, das Schloß bewachen könnten, versetzte Karl in seinem gewohnten ernsten Tone und auf die absprechende Weise, die noch beunruhigender wurde durch seine Gewohnheit, während des Sprechens entweder seinen Knebelbart zu streichen oder mit seinem Schwerte und Dolche zu spielen: »Heiliger Martin! nein, mein Lehnsherr, das geht nicht an, Ihr seid im Lager und in der Stadt Euers Vasallen – so nennen mich die Leute in Beziehung auf Ew. Majestät – mein Schloß, meine Stadt und meine Leute sind Euer; es ist also gleichgültig, ob sie oder Eure schottischen Bogenschützen das Stadttor oder die Verteidigungswerke des Schlosses bewachen. – Nein, beim heiligen Georg! Peronne ist eine jungfräuliche Festung und soll ihren Ruf nicht durch eine Nachlässigkeit von meiner Seite verlieren. Man muß auf Jungfrauen ein wachsames Auge haben, mein königlicher Vetter, wenn sie anders ihren guten Ruf behalten sollen.« – »Ganz richtig, guter Vetter, darin bin ich völlig Eurer Meinung,« sagte der König, »da mich der gute Ruf der kleinen Stadt noch näher angeht als Euch – denn Peronne ist, wie Ihr wißt, lieber Vetter, eine der Städte an der Somme, die Eurem Vater, seligen Andenkens, für ein Darlehen verpfändet wurde, und kann mithin wieder eingelöst werden; und um offen mit Euch zu reden, lieber Vetter, ich komme wie ein ehrlicher Schuldner, geneigt, meine Verbindlichkeit jeder Art zu erfüllen, und habe zu dem Ende einige Maultiere mit Silber zur Einlösung mitgebracht – es wird wahrscheinlich hinreichend sein, Euren fürstlichen und königlichen Haushalt, mein guter Vetter, auf mehr denn drei Jahre zu unterhalten.« – »Nicht einen Pfennig nehm' ich davon an,« entgegnete der Herzog, seinen Knebelbart streichend, »der Tag der Einlösung ist verstrichen, mein königlicher Vetter; auch war es wohl nie ernstlich die Absicht, das dieses Recht ausgeübt werden sollte; denn diese Städte waren die einzige Entschädigung, die mein Vater dafür empfing, daß er sich in einer für Frankreich glücklichen Stunde gefallen ließ, die Ermordung meines Großvaters zu vergessen, statt mit England sich mit Eurem Vater zu verbinden. Heiliger Georg! Hatte er das nicht getan, so würde Ew. Majestät selbst, weit entfernt, Städte an der Somme zu besitzen, kaum noch die jenseits der Loire haben behaupten können. Nein, nein! – keinen Stein davon werde ich zurückgeben, und sollte mir auch jeder davon mit Gold aufgewogen werden.« »Gut, lieber Vetter,« antwortete der König in demselben ruhigen und sanften Tone wie zuvor, und ohne durch die lauten, heftigen Aeußerungen des Herzogs beunruhigt zu werden; »ich sehe, Ihr seid ein so guter Freund von Frankreich, daß Ihr Euch nur ungern von etwas ihm angehörigen trennen mögt; allein wir werden eines Vermittlers in dieser Angelegenheit bedürfen, wenn wir sie im Staatsrate verhandeln wollen. Was sagt Ihr zu St. Paul?« – »Weder St. Paul noch St. Peter, noch irgend ein Heiliger in dem Kalender,« versetzte der Herzog von Burgund, »soll mich aus dem Besitz von Peronne herauspredigen.« – »Nein, Ihr versteht mich falsch,« sprach König Ludwig lächelnd; »ich meine Ludwig von Luxemburg, unsern treuen Connetable, den Grafen von St. Paul. Ach, heilige Maria von Embrun! wir bedürfen bloß seines Kopfes bei unserer Konferenz! Der ist der beste Kopf in Frankreich und würde zur Herstellung vollkommener Einigkeit zwischen uns sehr viel beitragen können.« – »Beim heiligen Georg von Burgund!« sagte der Herzog. »Ich wundere mich, Ew. Majestät so von einem Manne reden zu hören, der sich sowohl an Frankreich als Burgund falsch und treulos bewiesen, einem Manne, der stets bemüht war, unsere häufigen Mißhelligkeiten zur Flamme anzufachen und zwar in der Absicht, sich das Ansehen eines Vermittlers zu geben. Aber ich schwöre es bei dem Orden, den ich trage, daß seine Sümpfe ihn nicht länger schützen sollen.« – »Nicht so hitzig, Vetter,« sagte der König lächelnd und mit halblauter Stimme, »wenn ich den Kopf des Connetable wünschte, als ein Mittel, unsere unbedeutenden Zwistigkeiten auszugleichen, so erstreckte sich dieser Wunsch nicht auf seinen Leib; der könnte füglich in St. Quentin bleiben.« – »Ho! ho! jetzt verstehe ich Euch, mein königlicher Vetter,« sagte Karl mit demselben mißtönenden Lachen, das ihm einige von des Königs derben Späßen abgenötigt hatten. »Ich gestehe,« fügte er hinzu, indem er mit der Ferse auf den Boden stampfte, »in diesem Sinne möchte der Kopf des Connetable zu Peronne recht nützlich sein!« Diese und andere Gespräche, in denen der König Winke über ernsthafte Angelegenheiten unter scherzhafte und unterhaltende Reden zu mischen wußte, folgten nicht ununterbrochen aufeinander, sondern sie wurden während des Banketts auf dem Stadthause und während einer Zusammenkunft in des Herzogs Zimmer geführt, sowie die Gelegenheit sie gerade zur Sprache brachte. So unbesonnen sich aber auch Ludwig in eine Lage versetzt hatte, die des Herzogs ungestüme Gemütsart und die zwischen beiden herrschende eingewurzelte Feindschaft bedenklich und gefahrvoll machte, so benahm sich vielleicht noch nie ein Steuermann an einer unbekannten Küste mit größerer Klugheit und Festigkeit. Mit der größten Gewandtheit und Bestimmtheit schien er die Tiefen und Untiefen in dem Charakter und der Gemütsart seines Nebenbuhlers zu sondieren, und er legte weder Zweifel noch Furcht an den Tag, wenn ihn seine Beobachtungen nur unter der Wasserfläche versunkene Felsen und gefährliche Klippen statt Ankergrund entdecken ließen. So endete ein Tag, der für Ludwig wegen der unausgesetzten Anstrengung, Wachsamkeit und Aufmerksamkeit, die seine Lage erforderte, ebenso ermüdend gewesen sein mußte, wie für den Herzog, der sich genötigt sah, die heftigen Empfindungen zu unterdrücken, denen er gewöhnlich freien Lauf ließ. Der letztere hatte kaum nach einem förmlichen Abschied sich für diese Nacht von dem Könige beurlaubt und in sein eigenes Gemach zurückgezogen, als er seinen lange unterdrückten Leidenschaften gründlich Luft machte und, wie sein Hofnarr, le Glorieux, sagte, manche Flüche und manches schimpfliche Beiwort diese Nacht Leuten an den Kopf warf, für die sie nicht gemünzt waren. Diese Späße hatten indes die Wirkung, den Zorn des Herzogs zu besänftigen. Er lachte laut, warf dem Narren ein Goldstück hin, ließ sich ruhig entkleiden, leerte einen großen Becher gewürzten Weins, ging zu Bette und fiel in einen festen Schlaf. Ludwig wurde durch die Kämmerlinge des Herzogs nach der von ihm selbst gewählten Wohnung im Schlosse Peronne geführt und am Eingänge derselben von einer starken Wache von Bogenschützen und andrer Bewaffneten empfangen. Als er vom Pferde stieg, um auf einer Zugbrücke über einen Graben von ungewöhnlicher Breite und Tiefe zu gehen, sah er die Schildwachen an und äußerte zu Argenton, der ihn mit andern burgundischen Edeln begleitete: »Sie tragen Andreaskreuze, aber nicht die meiner schottischen Bogenschützen.« – »Ihr werdet sie ebenso bereit finden, in Eurer Verteidigung das Leben zu lassen, Sire,« sagte Argenton, dessen feines Ohr in dem Tone der Rede des Königs den Ausdruck eines Gefühls entdeckte, den Ludwig gewiß nur ungern hatte merken lassen. »Sie tragen Andreaskreuze als Zubehör zu der Kette vom goldenen Vließe, dem Orden meines Herrn, des Herzogs von Burgund.« – »Nun, das weiß ich!« sagte Ludwig, auf die Ordenskette zeigend, die er selbst aus Artigkeit gegen seinen Wirt trug; »es ist eines von den teuren Banden der Brüderlichkeit, die zwischen mir und meinem geliebten Bruder bestehen. Wir sind nämlich Brüder im Rittertume, wie in geistlicher Verwandtschaft, Vettern durch Geburt, und Freunde durch jedes Band wohlwollender Gefühle und guter Nachbarschaft. Nicht weiter, als bis in den Vorhof, meine edeln Herren! Ich kann Eure Begleitung nicht weiter annehmen, Ihr habt mir Ehre genug erwiesen.« – »Wir sind vom Herzog beauftragt,« sagte Hymbercourt, »Ew. Majestät nach Eurer Wohnung zu begleiten. Wir hoffen, Ew. Majestät werde uns erlauben, unseres Gebieters Befehle zu vollziehen.« – »In dieser unwichtigen Angelegenheit,« entgegnete der König, »werdet Ihr, unbeschadet Eurer Untertanenpflicht, zugeben, daß mein Befehl den seinigen überwiegt. Ich fühle mich etwas unwohl, meine Herren. Große Freude hat ihre Beschwerden, wie großes Leiden. Morgen, hoff ich, eure Gesellschaft besser genießen zu können, insbesondere die Eurige, Herr Philipp von Argenton. Ihr seid, wie man mir sagte, der Annalist unserer Zeiten. Wir, die wir einen Namen in der Geschichte zu haben wünschen, müssen Euch also gute Worte geben; denn man sagt, Eure Feder habe mitunter eine scharfe Spitze. Gute Nacht denn, meine Herren und Ritter, euch allen samt und sonders!« Die burgundischen Edelleute entfernten sich, erfreut über das leutselige Benehmen Ludwigs. Der König blieb nun allein mit einigen persönlichen Begleitern unter dem Bogengänge des Vorhofes zum Schlosse von Peronne und blickte empor zu dem ungeheuren Turme, der eine der Ecken des Gebäudes einnahm und zum Hauptverließe des Platzes diente. Dieses hohe, düstere und schwerfällige Gebäude hatte Mauern von furchtbarer Dicke, die Fenster waren klein und mit Eisengittern versehen, und die ungeheure plumpe Masse warf einen düstern starken Schatten über den ganzen Hofraum hin. »Da soll ich doch nicht wohnen?« sagte der König mit einem Schauder, der etwas Ahnungsvolles hatte. – »Nein!« erwiderte der grauköpfige Seneschall, der ihn mit entblößtem Haupte begleitete, »Gott behüte, Ew. Majestät Gemächer sind in den niedlichen Gebäuden dicht daneben hergerichtet. Es sind dieselben, wo König Johann zwei Nächte vor der Schlacht von Poitiers schlief.« – »Hm, das ist eben keine glückliche Vorbedeutung!« murmelte der König vor sich hin, »aber was hat es denn mit dem Turme für eine Bewandtnis, alter Freund? Warum bittet Ihr den Himmel, daß ich hier nicht wohnen möge?« – »Je nun, gnädiger Herr,« erwiderte der Seneschall, »ich weiß eigentlich nichts Böses von dem Turme zu sagen; nur versichern die Schildwachen, man sehe darin nachts Licht und höre ein sonderbares Geräusch. Der Grund davon ließe sich wohl erklären, denn er diente vor Zeiten zu einem Staatsgefängnisse, und es laufen allerlei Sagen umher, die darin vorgefallen sind.« Ludwig mochte nicht weiter fragen, denn niemand hatte stärkere Ursache als er, die Geheimnisse eines Gefängnisses zu achten. An der Tür der zu seinem Gebrauche bestimmten Gemächer, die, wenngleich neuer als der Turm, immer noch alt und düster genug waren, stand ein kleiner Posten seiner eignen Leibwache, ihren alten treuen Befehlshaber an der Spitze. »Crawford!« sprach der König, »wo hast Du denn heute verweilt? Sind die edlen Herren von Burgund so ungastlich, daß sie einen der wackersten und edelsten Ritter, die jemals einen Hof betraten, so sehr vernachlässigen konnten? Ich sah Euch ja nicht bei dem Bankett.« »Ich vermied es absichtlich, mein Gebieter,« sagte Crawford. »Es gab eine Zeit, wo ich es wagen durfte, mit dem besten Manne von Burgund um die Wette zu zechen, aber jetzt steigen mir schon vier Pinten zu Kopfe, und ich glaube, Ew. Majestät Dienste erfordern es, daß ich meinen Leuten ein Beispiel gebe.« – »Du bist immer sehr vorsichtig,« sagte der König. »Hier hast Du jedoch nicht viel zu tun, da Du nur so wenige Leute zu befehligen hast, und dann sind wir doch hier, um zu feiern, nicht aber zu kämpfen.« – »Je weniger Leute ich zu befehligen habe,« entgegnete Crawford, »desto mehr hab' ich es nötig, die Burschen in gehöriger Ordnung zu erhalten, und ob dies alles am Ende auf Festlichkeiten oder auf ernsthaften Kampf hinauslaufen wird, das weiß Gott und Ew. Majestät besser als der alte Johann Crawford.« – »Ihr fürchtet doch nicht etwa Gefahr?« fragte der König hastig, aber leise. – »Das eben nicht,« antwortete Crawford, »aber ich wollte, ich tät's; denn gegen Gefahren, die man ahnt, kann man sich schützen. Die Parole für die Nacht, wenn Ew. Majestät geruhen wollen.« – »Burgund! zur Ehre unseres Wirtes und eines Trunks, dem Ihr nicht abhold seid, Crawford!« – »Ich habe weder gegen den Herzog noch gegen seinen Wein was einzuwenden,« sagte Crawford, »vorausgesetzt, daß beide echt und rein sind. Ich wünsche Ew. Majestät eine gute Nacht.« – »Gute Nacht, mein ehrlicher Schotte,« sagte der König und begab sich in seine Gemächer. An der Tür seines Schlafzimmers stand Balafré Schildwache. »Folgt mir,« sagte der König im Vorübergehen, und der Bogenschütze schritt gleich einer Maschine, die der Künstler in Bewegung setzt, hinter ihm in das Zimmer und harrte dort schweigend und bewegungslos der Befehle des Königs. »Habt Ihr von dem irrenden Paladin, Eurem Neffen, etwas gehört?« fragte der König, »er ist uns verloren gegangen, seitdem er uns wie ein junger Ritter, der auf sein erstes Abenteuer auszieht, zwei Gefangene als die ersten Früchte seiner Ritterlichkeit heimgesandt hat.« – »Ich hörte etwas von der Sache, gnädigster Herr,« sprach Balafré, »und Ew. Majestät wird hoffentlich überzeugt sein, daß, wenn er unrecht gehandelt hat, meine Gebote und Beispiel auf keine Weise daran schuld sind; denn ich bin nie ein so kühner Esel gewesen, irgend ein Mitglied Eures erlauchten Hauses vom Pferde zu stechen; da kannte ich meine Verhältnisse besser – und –« »Schweigt über diesen Punkt,« versetzte der König; »Euer Neffe hat in der Sache seine Schuldigkeit getan.« – »Das hat er von mir,« fuhr Balafré fort. »Quentin, sagte ich zu ihm, wie es auch kommen mag, bedenke, daß Du zu der schottischen Schützenwache gehörst, und tue Deine Schuldigkeit, es komme, wie es wolle.« – »Ich zweifle nicht, daß er an Euch einen trefflichen Lehrmeister gehabt haben wird,« sprach Ludwig; »aber jetzt beantwortet mir vor allen Dingen meine Frage. Habt Ihr kürzlich von Eurem Neffen etwas gehört? Tretet zurück, meine Herren,« fügte er, an seine Hofleute sich wendend, hinzu, »denn dies gehört nur für meine Ohren.« – »Allerdings, wenn Ew. Majestät zu Gnaden halten wollen,« erwiderte Balafré, »erst diesen Abend noch sprach ich den Reitknecht Charlot, den mein Neffe von Lüttich oder einem nahe dabei gelegenen Schlosse des Bischofs absandte, wohin er die Gräfinnen von Croye in Sicherheit gebracht hatte.« »Nun, unsere liebe Frau sei dafür gepriesen!« rief der König aus; »bist Du aber auch Deiner Sache gewiß? Sind diese guten Nachrichten auch zuverlässig?« – »So sicher wie nur irgend etwas in der Welt!« sprach Balafré »der Bursche hat, denk' ich, von den Gräfinnen Briefe an Ew. Majestät.« – »Hol' mir sie eilig herbei,« sagte der König. »Gib Dein Gewehr einem von diesen Leuten da, Oliver, oder einem andern. Nun, unsere liebe Frau von Embrun sei gepriesen und der Schrein um ihren Hochaltar soll ganz von Silber werden!« In dieser Anwandlung von Dankbarkeit und Frömmigkeit nahm Ludwig wie gewöhnlich den Hut ab, wählte aus den Bilderchen, womit dieser besetzt war, sein Lieblingsbild, die heilige Jungfrau, stellte es auf einen Tisch, kniete nieder und wiederholte ehrfurchtsvoll das soeben getane Gelübde. Der Reitknecht, der erste Bote, den Durward von Schönwald abgesandt hatte, wurde nun mit den Briefen hereingeführt, die von den Damen von Croye an den König gerichtet waren. Sie dankten ihm darin in ziemlich kalten Ausdrücken für die Artigkeit, die er ihnen bewiesen hatte, und etwas wärmer für die Erlaubnis, in Sicherheit sein Gebiet wieder verlassen zu dürfen; – Ausdrücke, über die Ludwig herzlich lachte, statt darüber in Zorn zu geraten. Er fragte darauf Charlot mit sichtbarer Teilnahme, ob sie auf ihrer Reise nicht beunruhigt oder angegriffen worden seien. Charlot, ein einfältiger Mensch, und eben deswegen vom Könige hierzu ausersehen, gab einen sehr verwirrten Bericht über den Kampf, worin sein Gefährte, der Gaskogner, getötet worden war; weiter wußte er nichts. Ludwig fragte ihn nun genau und umständlich über den Weg, den die Reisegesellschaft nach Lüttich genommen, und schien sehr vielen Anteil zu nehmen, als er erfuhr, daß sie in der Nähe von Namur die gerade Straße nach Lüttich am rechten Ufer der Maas, statt auf dem linken, wie ihnen vorgeschrieben war, eingeschlagen hätten. Der König ließ sodann dem Boten ein kleines Geschenk geben und entließ ihn, indem er sich stellte, als habe seine ängstliche Besorgnis bloß die Sicherheit der Gräfinnen von Croye zum Gegenstände gehabt. Ludwig atmete tief auf, wie jemand, dessen Brust von einer schweren Last befreit ist, murmelte mit frommer Miene inbrünstig Dankgebete, schlug die Augen gen Himmel und entwarf in Eile neue ehrsüchtige Pläne. Dann ließ er seinen Sterndeuter Martius Galeotti rufen, der mit seiner gewöhnlichen, würdevollen Miene, jedoch nicht ohne eine gewisse Aengstlichkeit auf seinem Gesichte, als habe er sich keines ganz guten Empfanges von seiten des Königs zu versehen, in das Gemach trat. Ludwig war indes sehr gnädig, ja benahm sich wärmer als je, nannte ihn seinen Freund und väterlichen Lehrer und schob ihm zu guter Letzt einen Ring von beträchtlichem Werte an den Finger. Galeotti, unkundig der Tatsachen, die ihn so schnell in Ludwigs Achtung gehoben hatten, verstand sein Gewerbe jedoch zu gut, als daß er diese Ungewißheit hätte merken lassen. Er nahm mit würdevoller Bescheidenheit die Lobsprüche Ludwigs an, die, wie er sagte, einzig nur dem Adel der Wissenschaft, die er ausübe, gebührten, einer Wissenschaft, die umso mehr Bewunderung verdiene, da sie durch ein so schwaches Werkzeug, wie er, solche Wunder wirke. Hierauf trennte sich der König von ihm, und beide waren diesmal sehr miteinander zufrieden. Kaum war der Astrolog fort, als sich Ludwig in einen Sessel warf. Er schien sehr erschöpft und entlieh seine übrige Dienerschaft, Oliver ausgenommen, der mit dienstfertiger Geschäftigkeit und geräuschlosem Tritte umherschlich und ihm bei den Vorbereitungen zur Nachtruhe behilflich war. Der König war gegen seine Gewohnheit so still und untätig, daß seinem Diener diese ungewöhnliche Veränderung in seinem Benehmen höchst auffallend war. Die schlechtesten Menschen haben oft eine gute Seite; Banditen sind ihrem Hauptmann treu ergeben, und auch ein Beschützer und beförderter Günstling hat mitunter einen Funken wahrhafter Teilnahme für den Fürsten empfunden, dem er seine Größe verdankt. Oliver le Diable war indessen kein so vollkommener Satan, daß er nicht die Anwandlung von Dankbarkeit gegen seinen Herrn in dieser besonderen Lage gefühlt hätte, wo, wie es schien, sein Schicksal eine sehr bedeutende Wendung nahm, und seine Kraft derselben zu unterliegen schien. Nachdem er eine kurze Zeit bei dem Könige seine gewöhnlichen Dienste als Kammerdiener verrichtet hatte, fühlte er sich endlich versucht, mit der Freimütigkeit, die ihm die Nachsicht seines Gebieters unter ähnlichen Umständen gestattete, zu sagen: »Sapperment, Sire, Ihr tut ja, als ob Ihr eine Schlacht verloren hättet, und dennoch sah ich Euch nie ein Schlachtfeld so tapfer behaupten wie heute früh.« – »Ein Schlachtfeld?« rief Ludwig, aufblickend, mit seiner gewohnten beißenden Schärfe im Tone. »Freund Oliver, sage lieber, ich habe in einem Stiergefechte den Kampfplatz behauptet; denn ein blinderes, verstockteres, unlenksameres Tier als unsern Vetter von Burgund hat es wohl noch nie gegeben. Nun, sei es! ich bin ihm tüchtig zu Leibe gegangen Aber, Oliver, freue Dich mit mir, daß meine Pläne in Flandern nicht in Erfüllung gegangen sind, weder in Beziehung auf die zwei umherirrenden Prinzessinnen von Croye, noch auch in Lüttich – Du verstehst mich schon.« – »In Wahrheit, ich verstehe Euch nicht, Sire,« versetzte Oliver; »ich kann Ew. Majestät unmöglich zum Mißlingen Eurer Lieblingspläne Glück wünschen, wenn Ihr mir nicht einen Grund für die Veränderung Eurer Wünsche und Ansichten angebt.« – »Nun,« erwiderte der König, »im allgemeinen betrachtet, ist weder in diesen noch in jenen eine Veränderung vorgegangen; aber, mein Freund! heute habe ich den Herzog Karl näher kennen gelernt, als ich ihn bisher kannte. Als er noch Graf von Charleroi war, zur Zeit des alten Philipps, seines Vaters und meiner Verbannung, da tranken, jagten, schwärmten wir zusammen und hatten manches lustige Abenteuer; damals hatte ich ein entschiedenes Uebergewicht über ihn, wie es immer der stärkere Geist über den schwächeren behauptet, aber er hat sich seit der Zeit bedeutend geändert – ist ein sauertöpfischer, anmaßender, streitsüchtiger Mensch geworden, der den sichtlichen Hang hat, alles aufs äußerste zu treiben, wenn er das Spiel in den Händen zu haben glaubt. Ich mußte so behutsam jeden mißfälligen Gegenstand zu vermeiden suchen, als ob ich ein glühendes Eisen zu berühren hätte; ich ließ nur einen Wink über die Möglichkeit fallen, daß diese irrenden Gräfinnen von Croye, ehe sie Lüttich erreichten (denn dorthin gestand ich offen, wären sie nach meinem besten Wissen gegangen), in die Hände irgend eines wilden Schnapphahns auf der Grenze gefallen sein könnten, und man hätte glauben sollen, ich hätte eine Gotteslästerung ausgestoßen, so wild wurde er, und keinen Heller hätte ich für meinen Kopf hergeben mögen, wenn in diesem Augenblick die Kunde gekommen wäre, daß Deinem Freund Wilhelm mit dem Barte Dein sauberes Projektchen, seine Umstände durch eine Heirat zu verbessern, gelungen sei.« »Nicht, mein Freund, wenn Ew. Majestät zu Gnaden halten will,« sagte Oliver, »weder der Freund noch der Plan sind mein.« – »Ganz richtig, Oliver,« antwortete der König, »Dein Plan ging freilich dahin, einen solchen Bräutigam hübsch ordentlich zu barbieren; auch fiel Deine Wahl auf keinen bessern, als auf Dich selbst. Indessen, Oliver, glücklich ist der zu preisen, der sie nicht bekommt! denn hängen, rädern, vierteilen – war noch das gelindeste, was unser guter Vater demjenigen zudachte, der die junge Gräfin, seine Vasallin, ohne seine herzogliche Einwilligung heiraten würde.« – »Und ohne Zweifel ist er ebenso eifersüchtig auf Unruhen, die in der guten Stadt Lüttich entstehen könnten?« fragte der Günstling. – »Allerdings, und noch mehr, als Du Dir vielleicht einbildest, Oliver; allem, seit ich mich entschlossen habe, hierher zu kommen, sind meine Boten in Lüttich gewesen, um für den Augenblick wenigstens jede Regung zur Empörung zu unterdrücken, und meine rastlosen unruhigen Freunde, Ruslaer und Pavillon, haben Befehl erhalten, bis die Zusammenkunft zwischen meinem Vetter und mir glücklich vorüber ist, sich mäuschenstill zu verhalten.« – »Nach Ew. Majestät Reden zu schließen,« sagte Oliver trocken, »wäre also das höchste, das sich von dieser Zusammenkunft hoffen ließe, daß Euer Zustand dadurch nicht verschlimmert würde? Das ist ja ungefähr wie beim Kranich, der seinen Kopf in des Fuchses Hals steckte und von Glück sagen durfte, daß er ihm vom Fuchse nicht abgebissen wurde; und doch schien Ew. Majestät soeben von dem weisen Philosophen ungemein verpflichtet, daß er Euch aufmunterte, ein hoffnungsvolles Spiel zu übernehmen.« – »Man muß an keinem Spiel verzweifeln,« versetzte der König mit scharfem Tone, »als bis es ganz verloren ist, und ich habe keinen Grund, anzunehmen, daß dies bei mir der Fall sein werde. Im Gegenteil, wenn nichts eintritt, wodurch die Wut dieses rachsüchtigen Tollhäuslers angefacht wird, so bin ich meines Sieges gewiß, und in der Tat bin ich dem Einfall nicht wenig Dank schuldig, zum Führer der Gräfinnen von Croye einen jungen Mann zu wählen, dessen Horoskop mit dem meinigen insofern übereinstimmte, als er selbst durch Ungehorsam gegen meine Befehle, indem er einen Weg einschlug, auf dem er Wilhelms Hinterhalt entgehen mußte, mich von der Gefahr befreite.« – »Ew. Majestät,« sagte Oliver, »wird Agenten genug finden, die Euch unter diesen Bedingungen dienen mögen.« – »Ja, ja, Oliver,« sagte Ludwig ungeduldig, »zwar sah ich nicht das Mißlingen von Wilhelms Unternehmen voraus, wohl aber, daß die Sendung jenes schottischen Bogenschützen glücklich für mich enden würde. Doch warum spreche ich über die Geheimnisse mit Dir, Oliver? denn Du bist insofern noch ärger als der Teufel, Dein Namensbruder, als der doch glaubt und zittert; Du aber bist ein Ungläubiger sowohl in Hinsicht der Religion als der Wissenschaft, und wirst es auch bleiben, bis sich Dein Geschick, wie Dein Horoskop und Deine Gesichtszüge mich lehren, am Galgen erfülle.« – »Und wenn es wirklich so sein soll,« erwiderte Oliver im Tone der Ergebung, »so würde es deswegen geschehen, weil ich ein zu dankbarer Diener war, um die Befehle meines königlichen Gebieters unvollstreckt zu lassen.« Ludwig brach in sein gewöhnliches, sardonisches Lachen aus: »Du hast Deine Lanze ritterlich mit mir gebrochen, Oliver; und bei unserer lieben Frau, Du warst befugt dazu, denn ich forderte Dich heraus. Aber ich bitte Dich, sage mir ernstlich, entdeckst Du in den Maßregeln dieser Leute gegen uns etwas, woraus man auf böse Absichten schließen könnte?« – »Mein Gebieter,« erwiderte Oliver, »Ew. Majestät sowie jener gelehrte Philosoph, lesen die Zukunft in den Sternen und in den Zeichen des Himmels. Ich meinerseits bin nur ein elender Erdenwurm und betrachte bloß die Dinge, die mit meinem Berufe in Verbindung stehen, aber mir deucht, ich bemerke, daß man es hier an jener emsigen und sorgfältigen Aufmerksamkeit für Ew. Majestät fehlen läßt, die man sonst einem willkommenen Gaste bezeugt, der von einem so erhabenen Range ist wie Ew. Majestät. Der Herzog schützte diesen Abend Müdigkeit vor, begleitete Ew. Majestät nicht weiter als bis auf die Straße und überließ es seinen Hofbeamten, Euch nach Eurer Wohnung zu bringen. Diese Zimmer sind in Eile und höchst oberflächlich hergerichtet; die Tapeten hängen schief und auf einer derselben stehen, wie Ihr bemerken könnt, die Figuren auf den Köpfen, indes die Wurzeln der Bäume nach oben wachsen.« – »Pah! bloßer Zufall,« sagte der König; »wann hast Du gesehen, daß ich mir aus solchen Kleinigkeiten je etwas gemacht hätte?« – »An und für sich,« sagte Oliver, »sind sie freilich nicht beachtenswert, aber sie deuten doch wenigstens den Grad von Achtung an, in welchem nach der Meinung der Hofbeamten Ew. Majestät bei dem Herzog steht. Glaubt mir, wär's sein aufrichtiger Wunsch gewesen, daß es Eurer Aufnahme in keiner Hinsicht an etwas fehlen solle, so würde dies Volk in Minuten getan haben, was sonst das Werk von Tagen ist, – und wann,« setzte er, auf das Waschbecken und die Gießkanne deutend, hinzu, »waren die Gerätschaften auf Ew. Majestät Nachttische von anderm Metall als von Silber?« – »Nun, diese letzte Bemerkung, Oliver,« sagte der König mit erzwungenem Lächeln, »steht in zu genauer Verbindung mit Deiner eigenen besonderen Beschäftigung, als daß sie jemand bestreiten sollte. – Wahr ist es, als ich nur ein Flüchtling und Verbannter war, sah ich auf Befehl des nämlichen Herzogs kein anderes als goldenes Geschirr, weil er Silber für den Dauphin von Frankreich zu schlecht achtete, und jetzt scheint es, daß er Silber zu kostbar für den König von Frankreich hält. – Wir gehen zu Bett, Oliver! Unser Entschluß ist einmal gefaßt und ausgeführt, und es bleibt uns nichts mehr übrig, als das Spiel mannhaft durchzuspielen, in das wir uns eingelassen haben. Ich weiß, mein Vetter von Burgund schließt, wie andere wilde Stiere, die Augen, wenn er Anlauf nimmt; ich brauche nur gleich den Stierkämpfern, die wir zu Burgos sahen, diesen Augenblick zu erspähen, und sein Ungestüm muß ihn mir in die Hände liefern.« Neuntes Kapitel Nach diesem Rückblick auf das zwischen dem König von Frankreich und dem Herzog von Burgund bestehende Verhältnis zur Zeit, als Ludwig wohl nicht zum wenigsten durch seinen Glauben an die Macht der Gestirne, vielleicht aber auch durch das Bewußtsein seiner geistigen Ueberlegenheit über Karl bewogen, den außerordenlichen, auf andere Weise durchaus unerklärlichen Entschluß gefaßt hatte, sich selbst der Treue und dem Glauben eines stolzen und erbitterten Feindes zu überantworten, wollen wir dem weiteren Gange unserer Erzählung folgen. Herzog Karl, von Natur rauh, stolz, ungestüm und hart, fand es nicht für nötig, dem Könige mehr Höflichkeit zu erweisen, als die Gesetze der Gastfreundschaft ausdrücklich forderten; andererseits aber legte er auch durchaus keine Absicht an den Tag, ihre geheiligten Schranken zu verletzen. Am nächsten Morgen nach des Königs Ankunft wurde eine allgemeine Heerschau der burgundischen Truppen veranstaltet, die so zahlreich und so trefflich ausgerüstet waren, daß es ihm vielleicht ganz recht war, sie seinem großen Nebenbuhler vorzuführen. Während er seinem Souverän das Vasallenkompliment machte, daß diese Truppen nicht ihm, sondern dem Könige gehörten, verriet das Zucken seiner Oberlippe und der stolze Blick seines Auges, daß diese Worte bloße Höflichkeit seien, und daß dieses schöne stattliche Heer auf seinen Befehl direkt gegen Paris vorrücken werde, ohne sich im geringsten an den König von Frankreich zu kehren. Das mußte Ludwig um so angenehmer berühren, als er unter den Burgundern allerhand französische Fähnlein erblickte, die aus mancherlei Gründen des Mißvergnügens mit dem Herzog von Burgund gemeinschaftliche Sache gemacht hatten. Seinem Charakter getreu, schien indes Ludwig von diesen Reisläufern aus seinen Provinzen kaum Notiz zu nehmen, während er hin und her auf Mittel dachte, wie er sie Burgunds Fahnen abwendig machen und sie seinen eigenen wieder einverleiben könnte. Zu diesem Behufe beschloß er, durch Oliver und andere Agenten insgeheim die Gesinnung der Vornehmsten unter ihnen ausforschen zu lassen. Er selbst bestrebte sich angelegentlich, jedoch mit großer Vorsicht, sich unter den vornehmsten Beamten und Räten des Herzogs beliebt zu machen, und während einer Eberjagd fand Ludwig, ungehindert durch Karls Gegenwart, der in diesem Sport so völlig aufging, daß er für nichts andres Sinn hatte, Mittel und Wege, einzeln und insgeheim sich mit manchen von Karls Edeln zu besprechen, unter welchen Hymbercourt und Argenton nicht vergessen wurden. Einen einzigen Mann vermißte der König, den er vor allen andern gern für sich gewonnen hätte, nämlich Graf Crevecoeur, dessen Festigkeit als Abgesandter in Plessis, weit entfernt, Ludwigs Unwillen zu erregen, ihm vielmehr lebhaft imponiert hatte. Es war ihm nicht besonders angenehm, zu hören, daß der Graf an der Spitze von hundert Lanzen an die Grenzen von Burgund aufgebrochen sei, um den Bischof gegen Wilhelm von der Mark zu unterstützen. Der Hof speiste, wie es bei allen großen Jagdpartien Brauch war, im Forste; was diesmal dem Herzog besonders angenehm war, da er sich der formellen Feierlichkeit, womit er den König Ludwig sonst hätte empfangen müssen, enthoben sah. Indessen mußte die Abendmahlzeit infolgedessen mit desto größerer Feierlichkeit gehalten werden, und bei der Rückkehr nach Peronne fand König Ludwig ein Bankett mit einem Glanze und einer Pracht zubereitet, wie man es bei dem Reichtum eines gefürchteten Vasallen, der im Besitze der ganzen Niederlande, damals des reichsten Landes in Europa, sich befand, nur immer erwarten konnte. Oben an der langen Tafel, die unter der Last des goldnen und silbernen Tischgeräts fast brach und bis zum Ueberfluß mit den ausgesuchtesten Leckerbissen besetzt war, saß der Herzog, ihm zur Rechten auf einem etwas höheren Sitze sein königlicher Gast. Hinter ihm stand auf einer Seite der Sohn des Herzogs von Geldern, als sein Obervorschneider, auf der andern Seite sein Hofnarr le Glorieux, der ihm selten von der Seite kam; denn, wie die meisten Leute von seiner heftigen und rohen Gemütsart, trieb Karl den allgemeinen Geschmack dieses Zeitalters an Hofnarren und Possenreißern aufs äußerste und fand an ihrer Sonderbarkeit und ihren wunderlichen Einfällen ein Vergnügen, das sein schärfer blickender Nebenbuhler freilich nicht teilte. Heute versäumte Ludwig jedoch nicht, dem Lieblingsnarren des Herzogs seine Aufmerksamkeit zu widmen und seinen Einfällen Beifall zu schenken. Tiel Wetzweiler, gemeiniglich le Glorieux genannt, war übrigens durchaus nicht ein Spaßmacher von der gewöhnlichen Art, sondern ein großer, wohlgebildeter Mann, der sich in manchen Leibesübungen auszeichnete, die sich mit geistiger Minderwertigkeit insofern nicht vertragen hätten, als zu ihrer Uebung Geduld und Ausdauer nötig waren. Er folgte dem Herzoge gewöhnlich sowohl auf der Jagd als in die Schlacht, und als dieser bei Monthlery in großer persönlicher Gefahr schwebte, war er dem Ritter, der seinen Herzog bedrohte, gar kraftvoll zu Leibe gegangen und hatte nicht eher geruht, als bis er ihn aus dem Sattel geworfen hatte. Bei dieser Gelegenheit erwarb er sich auf die Dauer seines Lebens den Beinamen »le Glorieux« (Prahlhans). An diese wichtige Person des burgundischen Hofes wandte sich Karl und nach seinem Beispiele auch Ludwig zu wiederholten Malen während des Mahles, und beide schienen durch ein herzliches Lachen ihre Freude an seinen Antworten an den Tag zu legen. »Für wen sind jene leeren Sitze dort bestimmt?« fragte Karl den Spaßmacher. – »Einer davon wenigstens sollte vermöge des Rechts der Erbfolge mir gehören,« antwortete der Narr. – »Wieso, närrischer Kerl?« fragte Karl. – »Sie sind für die Herren Hymbercourt und Argenton bestimmt, die, um ihre Falken fliegen zu lassen, sich soweit entfernt haben, daß sie ihr Abendessen darüber vergaßen. Wer lieber einen Habicht in der Luft, als einen Fasanen auf der Schüssel sieht, ist der Gevatter des Narren, und er sollt' ihnen auf ihrem Stuhle am Tische, als einem Teil ihrer beweglichen Habe, succedieren dürfen.« – »Das ist ein schaler Witz, Freund Tiel,« sprach der Herzog, »aber – Narren oder Weise – hier kommen die Säumigen,« Wie er so sprach, traten Argenton und Hymbercourt in das Gemach und nahmen, nachdem sie den beiden Fürsten ihre Ehrfurcht bezeigt hatten, stillschweigend die für sie leer gelassenen Plätze ein. – »Nun, ihr Herren,« rief ihnen der Herzog zu, »eure Jagd muß entweder sehr gut oder sehr schlecht gewesen sein, da sie euch so weit führte und so lange ausbleiben ließ. Herr Philipp von Comines, Ihr seid ja recht niedergeschlagen, – hat etwa Hymbercourt gegen Euch eine bedeutende Wette gewonnen? – Ihr seid doch aber Philosoph und dürft Euch ein Unglück nicht so zu Herzen nehmen ... Beim heiligen Georg, Hymbercourt sieht ganz ebenso sauer drein als Ihr ... Was soll das, meine Herren? Habt ihr kein Wild gefunden, oder sind euch eure Falken drauf gegangen? Bei meiner Ehre, ihr seht aus, als ob ihr zu einem Leichenzuge und nicht zu einem Feste kämet ...« Aller Augen waren auf Hymbercourt und Argenton gerichtet, denn man war von ihnen nicht gewöhnt, sie so zu sehen. »Was bedeutet euer Stillschweigen, meine Herren?« fragte der Herzog, seine von Natur rauhe Stimme verschärfend; »wenn ihr kein vergnügtes Gesicht schneiden könnt, so wäre es klüger gewesen, im Sumpfe zu bleiben und Reiher oder Schnepfen und Nachteulen zu pirschen.« – »Gnädigster Herr!« sagte Argenton, »gerade als wir aus dem Forste heraustraten, trafen wir den Grafen Crevecoeur.« – »Wie?« sagte der Herzog, – »ist er schon aus Brabant zurück? Er hat doch alles gut angetroffen?« »Der Graf wird Euer Gnaden sogleich Bericht erstatten,« sagte Hymbercourt, »wir haben ihn nur deshalb gehört.« – »Aber wo bleibt denn der Graf?« fragte der Herzog. – »Er wechselt bloß die Kleider, um Ew. Hoheit aufzuwarten,« antwortete Hymbercourt. – »Mord und Brand!« rief der ungeduldige Fürst. »Was gehen mich seine Kleider an? ich glaube, ihr habt euch verschworen, mich toll zu machen!« – »Oder vielmehr, um es gerade herauszusagen,« fiel Argenton ein, »er läßt Euch bitten, was er zu melden hat, Euch in Privataudienz zu melden.« – »Teufel auch, mein Herr König,« rief Karl, »so machen es unsere Räte mit uns, – wenn sie etwas haben, das sie als recht wichtig für unsere Ohren erachten, so sehen sie so ernsthaft drein und sind so stolz auf ihre Last, wie der Esel auf einen neuen Packsattel ... Graf Crevecoeur soll sogleich vor uns erscheinen; er kommt von der Lütticher Grenze, wo wir wenigstens (er legte auf das Wort wieder einigen Nachdruck) keine Geheimnisse haben, die wir nicht der ganzen Welt offenbaren dürfen.« Der Herzog, dessen ungestümer Sinn durch den vielen Weingenuß erheblich gesteigert worden war, blickte unaufhörlich nach der Tür, als ob er das, was da kommen sollte, nicht erwarten könnte, und die Gäste hefteten beklommen die Augen auf die Tafel, als ob sie ihre Neugier und ihre Aengstlichkeit zu verbergen suchten. Ludwig allein behielt seine vollkommene Fassung und setzte abwechselnd mit dem Obervorschneider und dem Spaßmacher seine Unterhaltung fort. Endlich trat Crevecoeur ein, von seinem Herrn mit der hastigen Frage empfangen: »Nun, Herr Graf, was gibt's Neues in Lüttich und Brabant? Das Gerücht von Eurer Ankunft hat Lust und Freude von unserer Tafel verscheucht. Eure Gegenwart wird sie uns hoffentlich wieder zurückbringen.« – »Mein Herr und Gebieter,« antwortete der Graf in einem festen, aber schwermütigen Tone, »die Neuigkeiten, die ich bringe, eignen sich mehr für eine Ratsversammlung als für eine festliche Tafel.« – »Heraus damit, Mann, und kämen sie vom Antichrist,« rief der Herzog, »aber ich kann sie schon erraten – die Lütticher sind wieder im Aufstande begriffen.« – »Allerdings, mein Gebieter,« antwortete Crevecoeur sehr ernst.« – »Seht doch, ich habe es gleich erraten, was Du so ungern mir mitteilen wolltest. Aber das paßt sich ja insofern gut, als uns Herr Ludwig, unser Oberlehnsherr, sagen kann, wie man mit solchen Meuterern am besten umspringt. Hast Du noch mehr Neuigkeiten in Deinem Bündel? Heraus damit, und dann verantworte Dich, warum Du nicht vorgerückt bist, um dem Bischof beizustehen?« – »Mein Fürst, es wird schwer, Euch die weitern Nachrichten mitzuteilen, die Euch sehr erschüttern werden. – Weder ich noch die ganze lebende Ritterschaft hätte dem trefflichen Bischof helfen können. Wilhelm von der Mark hat in Verbindung mit den empörten Lüttichern sein Schloß Schönwald genommen und ihn in seiner eigenen Halle ermordet.« »Ermordet!« wiederholte der Herzog mit tiefer, gedämpfter Stimme, die man jedoch von einem Ende der Halle bis zum andern vernehmen konnte. »Du hast Dich von irgend einem schrecklichen Gerüchte täuschen lassen, Crevecoeur – es ist nicht möglich!« – »Leider, gnädigster Herr!« versetzte der Graf, »hab ich es aus dem Munde eines Augenzeugen, eines Bogenschützen von der schottischen Garde des Königs von Frankreich, der in der Halle war, als der Mord auf Wilhelm von der Marks Befehl verübt wurde.« – »Und der ohne Zweifel bei dieser schrecklichen und gotteslästerlichen Tat den Helfershelfer und Aufreizer machte,« sagte der Herzog, indem er aufsprang und mit solcher Wut mit dem Fuße stampfte, daß er den Schemel vor ihm in Stücke zertrat. »Verriegelt die Saaltüren, Ihr Herren, verschließt die Fenster, – laßt keinen Fremden bei augenblicklicher Todesstrafe sich von der Stelle bewegen! – »Ihr meine Hofkavaliere, zieht Eure Schwerter!« Und nun wandte er sich zu Ludwig und legte die Hand langsam und entschlossen an den Griff seines Schwertes, indes der König, ohne die mindeste Furcht zu zeigen oder sich zur Wehr zu setzen, bloß die Worte sprach: »Diese Neuigkeiten, mein lieber Vetter, haben Euren Verstand verwirrt.« – »Nein!« rief der Herzog in einem furchtbaren Tone, »aber sie haben ein gerechtes Gefühl der Rache in mir erweckt, das ich nur zu lange durch eitle Rücksicht auf Ort und Umstände in mir habe unterdrücken lassen. Mörder Deines Bruders! Rebell gegen Deinen Vater! Tyrann gegen Deine Untertanen! Verräterischer Bundesgenosse! Meineidiger König! Mann ohne Ritterehre! Du bist in meiner Gewalt und ich danke Gott dafür!« – »Dank's vielmehr meiner Torheit,« sprach der König; »denn als wir uns unter gleichen Verhältnissen bei Monthlery trafen, dünkt mich, wünschtet Ihr Euch viel weiter von mir entfernt, als wir jetzt sind.« Der Herzog hielt die Hand noch immer am Griffe seines Schwertes, aber ohne es aus der Scheide zu ziehen, weil sich Ludwig auf keine Weise zum Widerstande rüstete. Im Saale herrschte ein beispielloser Wirrwarr. Die Türen waren auf des Herzogs Befehl verschlossen worden, und einige von dem französischen Adel sprangen von ihren Sitzen auf und rüsteten sich zur Verteidigung ihres Gebieters. Ludwig hatte weder mit Orleans noch mit Dunois ein Wort gesprochen, seit sie aus ihrer Haft in Loches entlassen worden waren. Gleichwohl war Dunois' Stimme die erste, die das Getümmel übertönte. »Herr Herzog,« rief er, »habt Ihr vergessen, daß Ihr ein Vasall von Frankreich seid, und daß wir, Eure Gäste, Franzosen sind? Erhebt Ihr Eure Hand gegen unsern Monarchen, werden wir uns ebenso in Burgunds Blute sättigen, wie wir's in seinem Weine getan haben ... Mut, Herr Herzog von Orleans! ... und ihr, Ritter und Edle Frankreichs, sammelt euch um Dunois, und tut, was er tut!« In einem solchen Augenblick kann ein König erkennen, auf wen er sich verlassen darf. Die wenigen unabhängigen Edeln und Ritter in Ludwigs Begleitung, die fast sämtlich nur Beweise von Kälte und Ungnade von ihm erhalten hatten, scharten sich, ohne sich durch die unendlich überlegene Macht im geringsten schrecken zu lassen, um Dunois und drängten sich unter seiner Leitung nach dem obern Ende der Tafel, wo die beiden streitenden Fürsten saßen. An ihrer Spitze stand der ehrwürdige Lord Crawford, der sich mit einer Gewandtheit, die niemand von seinen Jahren erwartet hätte, zwischen den König und den Herzog warf, seine Mütze, unter der sein weißes Haar in aufgelösten Flechten herabfloß, auf die Seite rückend, während sich seine bleichen Wangen und seine welke Stirn färbten. Sein altes Auge sprühte noch ganz das Feuer eines jungen Kriegers, der eine verzweifelte Tat vollbringen will; sein Mantel hing über die Schultern und seine Bewegungen deuteten an, daß er bereit sei, ihn zum Schutze um den linken Arm zu wickeln, indes er mit der Rechten sein Schwert entblößte. »Ich habe für seinen Vater und für seinen Großvater gefochten!« rief er, »und beim heiligen Andreas, die Sache ende, wie sie wolle, ich verlasse ihn nicht in dieser Not!« Der Herzog von Burgund, noch immer mit der Hand am Schwerte, schien jeden Augenblick das Zeichen zu einem allgemeinen Angriff geben zu wollen, der notwendigerweise mit der Niedermetzelung des schwächeren Teils endigen mußte; da drang plötzlich Crevecoeur vor und rief mit einer Stimme, laut wie eine Trompete: »Mein Lehnsherr von Burgund, bedenkt, was Ihr tut! Dies ist Eure Halle – Ihr seid des Königs Vasall, – vergießt nicht das Blut Eures Gastes an Eurem Herde! nicht das Blut Eures Souveräns an dem Throne, den Ihr ihm selbst errichtet habt und den er unter Eurem Geleite bestiegen hat. Um der Ehre Eures Hauses willen, rächt nicht einen schrecklichen Mord durch einen zweiten noch schrecklicheren!« – »Aus dem Wege, Crevecoeur!« rief der Herzog, »laß meiner Rache freien Lauf! Aus dem Wege, sag' ich! Der Zorn der Könige ist furchtbar, wie der des Himmels!« »Nur dann, wenn er, wie der des Himmels, gerecht ist,« antwortete Crevecoeur mit Entschlossenheit; »laßt Euch bitten, mein Gebieter, die Heftigkeit Eures Gemüts zu bezähmen, wenn Ihr auch mit allem Rechte Euch beleidigt fühlt ... Und Ihr, Ihr französischen Kavaliere, vergeßt, wo Widerstand nichts helfen kann, alles, was zu Blutvergießen führen möchte.« – »Er hat recht,« sagte Ludwig, dessen Kaltblütigkeit ihn auch in diesem furchtbaren Augenblick nicht verließ; »Vetter Orleans, lieber Dunois, und Ihr, mein treuer Crawford, führt nicht durch voreilige Erbitterung Verderben und Blutvergießen herbei! Unser Vetter, der Herzog, ist durch die Nachricht von dem Tode eines nahen und geliebten Freundes entrüstet, dessen Ermordung wir ebenso tief beklagen, als er. Aeltere und unglücklicherweise auch neuere Mißverständnisse verleiten ihn zu dem Verdacht, als hätten wir einem Verbrechen Vorschub getan, das unser Herz verabscheut. Sollte unser Gastfreund uns auf dieser Stelle ermorden – uns, seinen König und Verwandten, auf die Beschuldigung hin, als hätten wir bei dieser unglücklichen Geschichte mitgewirkt, so wird unser Schicksal durch Euern Widerstand nicht erleichtert, sondern im Gegenteil nur noch verschlimmert werden. – So tretet denn zurück, Crawford! – und wäre es mein letztes Wort, ich spreche es als König zu seinem Offizier und verlange Gehorsam – tretet zurück und gebt, wenn es verlangt wird, Eure Schwerter ab. Ich befehle Euch, also zu tun, und Euer Eid legt Euch Gehorsam auf.« »Wahr, sehr wahr, mein Gebieter,« sprach Crawford, indem er zurücktrat und die halbgezogene Klinge in die Scheide zurückstieß, »das mag alles ganz wahr sein, aber bei meiner Ehre, ständ ich an der Spitze von siebenzig meiner braven Leute, statt mit ebenso vielen Jahren belastet zu sein, so wollt ich versuchen, ob ich nicht gegen diese Herren da mit ihren goldenen Ketten und verbrämten Mützen, mit den bunten Farben und Sinnsprüchen daran, Recht erhalten könnte.« Der Herzog stand lange Zeit, die Augen auf den Boden geheftet, da und sprach endlich im Tone bittern Spotts: »Ihr habt recht, Crevecoeur, und unsere Ehre fordert es, daß wir unsere Verpflichtungen gegen diesen großen König, gegen unsern geehrten und lieben Gast, nicht so schnell aus den Augen setzen, als wir es im ersten Ausbruch unseres Zornes beschlossen hatten. Wir wollen so handeln, daß ganz Europa die Gerechtigkeit unseres Verfahrens anerkennen soll, – »Ihr Herren aus Frankreich, ihr müßt eure Waffen meinen Offizieren abgeben! Euer Herr hat den Waffenstillstand gebrochen und kann fernerhin keine Ansprüche auf dessen Wohltaten machen. Indes aus Rücksicht auf euer Ehrgefühl, – und aus Achtung für den Rang, den er entehrt hat, fordern wir unserm Vetter Ludwig sein Schwert nicht ab.« – »Keiner von uns wird seine Waffen abgeben,« rief Dunois, »oder diese Halle verlassen, bis uns wenigstens zugesichert wird, daß unserem Könige an Leib und Leben kein Leid geschieht.« – »Auch kein Mann von der schottischen Leibwache legt die Waffen nieder, wenn nicht der König von Frankreich oder sein Großconnetable es befiehlt,« rief Crawford. »Wackerer Dunois,« sprach Ludwig, »und Ihr, mein treuer Crawford! Euer Eifer wird mir mehr schaden als nützlich sein ... Ich vertraue,« setzte er mit Würde hinzu, »mehr meiner gerechten Sache als vergeblichem Widerstand, der nur meinen besten und wackersten Untertanen das Leben kosten würde. – Gebt eure Schwerter ab! Ich befehle es euch!« So zeigte Ludwig in diesem furchtbaren Moment jenen Scharfblick, der allein sein Leben retten konnte. Er vermied es zwar, den Zorn des Herzogs bis zur tobenden Wut zu steigern, allein er ließ sich weder zu Bitten herab, noch schien er den Zorn zu fürchten, sondern blickte dem Herzoge fortwährend fest und ruhig ins Auge, wie ein wackerer Mann, die drohenden Gebärden eines Wahnsinnigen betrachtet, überzeugt, daß Festigkeit und Fassung unmerklich, aber mächtig, auch die Wut der Tollheit hemmen. Crawford warf auf des Königs Befehl Crevecoeur sein Schwert hin mit den Worten: »Nehmt es! und möge es Euch der Teufel segnen – es ist für den rechtmäßigen Besitzer keine Schande, es abzugeben, denn es galt keinen rechtlichen Kampf.« »Halt, ihr Herren!« rief der Herzog mit schwerer Zunge, wie wenn ihn die Leidenschaft deren Gebrauchs beraubt hätte, »behaltet eure Schwerter! Mir genügt euer Versprechen, sich ihrer nicht zu bedienen, – Ihr aber, Ludwig von Balois, müßt Euch als mein Gefangener betrachten, bis Ihr Euch von dem Verdachte gereinigt habt, Mord und Schändung des Heiligtums angestiftet zu haben. Bringt ihn nach dem Schlosse – nach dem Hubertusturm; er soll sechs Herren seines Gefolges zu seiner Bedienung haben, die er sich selbst wählen mag. – Lord Crawford, Eure Wache muß das Schloß verlassen und soll anderswo ehrenvoll untergebracht werden. – Zieht alle Zugbrücken auf und laßt die Schutzgatter herab. – Laßt die Stadttore dreifach besetzen, – die schwimmenden Brücken auf das rechte Ufer bringen. – Meine schwarzen Wallonen umringen das Schloß, und die Schildwachen werden auf jedem Posten verdreifacht! Ihr, Hymbercourt, sorgt dafür, daß Streifwachen zu Pferde und zu Fuß, während der Nacht halbstündlich, und stündlich am folgenden Tage, um die Stadt die Runde machen, falls noch nach Tagesanbruch eine solche Bewachung nötig sein sollte; denn wir gedenken, die Sache schnell zu Ende zu bringen. Habt acht auf die Person Ludwigs, so lieb Euch Euer Leben ist!« Hier erhob er sich voll Zorn und Unmut von der Tafel, warf einen Blick tödlicher Feindschaft auf den König und stürmte aus dem Gemache. »Ihr Herren,« sprach der König, indem er mit Würde um sich blickte, »der Kummer über den Tod seines Bundesgenossen hat eurem Fürsten den Verstand verwirrt. Ihr kennt hoffentlich eure Pflicht als Ritter und Edle besser, als daß ihr ihn in seiner verräterischen Gewalttat an der Person seines Lehnsherrn unterstützen solltet.« In diesem Augenblicke hörte man auf den Straßen Trommelschlag und Hörnerklang, die die Soldaten nach allen Richtungen hin auf ihre Posten riefen. – »Wir sind Untertanen von Burgund,« versetzte Grevecoeur, der das Marschallamt an des Herzogs Hofe versah, »und müssen als solche tun, was unseres Dienstes ist; unsere Hoffnungen und Bitten, sowie alle unsere Bemühungen sollen dahin gehen, Friede und Eintracht zwischen Ew. Majestät und unserm Lehnsherrn zu stiften. Vor der Hand müssen wir seinen Befehlen Gehorsam leisten. Diese andern Herren und Ritter werden es sich zur Ehre rechnen, für die Bequemlichkeit des erlauchten Herzogs von Orleans, des tapfern Dunois und des wackern Lord Crawford, Sorge zu tragen. Ich selbst muß Ew. Majestät Kämmerer sein und Euch nach Euern Zimmern begleiten, die anders beschaffen sind, als ich wohl wünschen möchte, wenn ich Eurer Gastfreiheit zu Plessis gedenke. Ihr habt freie Wahl Eurer Diener, deren Zahl des Herzogs Befehl auf sechs beschränkt hat.« – »Nun denn,« sprach der König, indem er umherblickte und sich einen Augenblick bedachte – »so wünsche ich Oliver le Dain, einen Mann meiner Leibwache, Balafré genannt, der, wenn Ihr wollt, unbewaffnet sein mag, Tristan l'Hermite nebst zweien seiner Leute, und meinen ergebenen, treuen Philosophen, Martius Galeotti, bei mir zu haben.« – »Ew. Majestät Wille soll in allen Stücken erfüllt werden,« versetzte Crevecoeur; »Galeotti,« setzte er hinzu, »speist, wie ich höre, jetzt eben in einer lustigen Gesellschaft zu Nacht; es soll aber gleich nach ihm geschickt werden. Die übrigen werden auf der Stelle zu Eurer Majestät Befehlen sein.« – »Nun, vorwärts denn, nach der neuen Wohnung, die die Gastfreundschaft unseres Vetters für uns bereit hat,« sagte der König. »Sie ist, wie wir wissen, fest, und wir wollen bloß hoffen, daß sie ebenso sicher sein möge.« »Habt Ihr die Wahl gehört, die König Ludwig unter seinen Leuten getroffen hat?« fragte le Glorieux beiseite den Grafen Crevecoeur, als sie Ludwig aus der Halle begleiteten. – »Allerdings, mein lustiger Gevatter,« versetzte der Graf, »was hast Du denn da dagegen einzuwenden?« – »Nichts, gar nichts! Ich bewundere nur die seltene Wahl! – Ein spitzbübischer Barbier, – ein gedungener, schottischer Gurgelabschneider, – der oberste Krawattenschneider nebst seinen beiden Adjutanten und ein diebischer Marktschreier. – Ich will mit Euch gehen, Crevecoeur, und eine Lektion in der Schurkerei nehmen, wie auch Eure Geschicklichkeit bei Einführung dieser Schufte in ihre Wohnung beobachten. Der Teufel selbst hätte keine bessere Synode zusammengebracht, noch einen besseren Präsidenten dabei abgeben können.« Der Possenreißer, der sich alles erlauben durfte, faßte demzufolge vertraulich Graf Crevecoeur und ging ihm zur Seite, während dieser den König unter starker Bedeckung, ohne jedoch gegen die Ehrerbietung zu verstoßen, nach seiner neuen Wohnung geleitete. Zehntes Kapitel Vierzig Bewaffnete, von denen die einen nackte Schwerter, die andern brennende Fackeln trugen, dienten dem König Ludwig zur Bedeckung oder vielmehr zur Wache auf seinem Wege von der Halle des Stadthauses von Peronne bis zu dem Schlosse; und als er in diese dunkle, finstere Wohnung trat, war es ihm, als riefe ihm eine Stimme die Dantesche Warnung ins Ohr: »Ihr, die Ihr eintretet, laßt alle Hoffnung draußen!« In diesem Augenblicke hätten vielleicht Gewissensbisse den König ergreifen können, wenn er an die Hunderte, ja Tausende gedacht hätte, die er ohne Grund oder auf den leisesten Verdacht hin in den Kerker geworfen hatte, wo sie, aller Hoffnung auf Freiheit beraubt, selbst das Leben verwünschten, woran doch jedes Geschöpf instinktartig hängt. Der breite Glanz der Fackeln, heller als der im Abnehmen begriffene Mond, und der rote, halb vom Rauch verdunkelte Schein, den sie rings um das alte Gebäude warfen, gaben dem gewaltigen Hubertusturme ein düsteres Ansehen. Auf dem Schloßhof lagen ein paar Leichen, über die man in der Eile Soldatenmäntel geworfen hatte. Es waren schottische Bogenschützen, die sich dem Befehle, den Posten vor des Königs Gemächern zu verlassen, widersetzt hatten; hierüber war es zwischen ihnen und der wallonischen Leibwache des Herzogs zum Handgemenge gekommen. »Meine treuen Schotten!« rief der König, in den traurigen Anblick versunken; »wäre Mann gegen Mann gestanden, ganz Flandern und Burgund hätte ihnen keine gleichen Kämpfer entgegenstellen können.« – »Mit Ew. Majestät Erlaubnis,« sprach Balafré, der dicht hinter dem König herschritt, »viele Hunde sind des Hasen Tod; wenig Männer können es mit mehr als zweien zugleich aufnehmen.« – »Bist Du auch da, alter Freund?« fragte der König, sich umblickend. »Nun, so hab' ich doch noch einen treuen Untertanen bei mir.« – »Und auch einen treuen Diener, sowohl bei Euern Beratungen, als bei dem Dienste um Eure königliche Person,« flüsterte Oliver le Dain ihm zu. – »Wir sind alle treu,« sprach Tristan l'Hermite mürrisch, »denn sollten sie Ew. Majestät das Leben nehmen, so würden sie auch uns nicht lange mehr am Leben lassen, wenn wir auch Lust dazu hätten.« – »Nun, das nenne ich eine echt leibliche Bürgschaft für die Treue,« sagte der burgundische Hofnarr, der sich in ihre Gesellschaft eingedrängt hatte. Mittlerweile bemühte sich der eiligst herbeigerufene Seneschall, den gewichtigen Schlüssel umzudrehen, der das widerstrebende Tor des gewaltigen gotischen Gebäudes schloß, sah sich aber genötigt, einen von Crevecoeurs Leuten zu Hilfe zu nehmen. Hierauf schritten sechs Männer mit Fackeln durch das Tor und einen engen krummen Gang entlang, der auf verschiedenen Punkten von Schießscharten, die man in den Wölbungen und Fenstern der massiven Mauern angebracht hatte, bestrichen wurde. Am Ende dieses Ganges erhob sich eine Treppe von ebenso plumper Bauart, die aus gewaltigen Steinblöcken bestand, und von ungleicher Höhe mit dem Hammer aus dem Groben gearbeitet war. Auf ihr gelangte man durch eine starke, mit Eisen beschlagene Tür in das Gemach, das man die große Turmhalle nannte. Sie war auch am Tage nur spärlich erleuchtet; denn die Oeffnungen in der dicken Mauer glichen mehr Spalten als Fenstern, so daß ohne den Schein der Fackeln dichte Finsternis in der Halle geherrscht haben würde. Ein paar Fledermäuse flogen gegen die Lichter. Der Seneschall entschuldigte sich mit großer Förmlichkeit bei dem Könige, daß die Staatshalle nicht in Ordnung gebracht worden sei, allein der Befehl sei ihm zu eilig gekommen und das Gemach sei seit zwanzig Jahren nicht mehr gebraucht worden, überhaupt nur selten, wie er gehört habe, seit den Zeiten König Karls des Einfältigen. »König Karls des Einfältigen!« wiederholte Ludwig, »nun fällt mir die Geschichte des Turmes bei; – hier wurde er von seinem verräterischen Vasallen, dem Grafen Herbert von Vermandois, ermordet, wie unsere Jahrbücher berichten.« – »Nicht eigentlich auf dieser Stelle, mit Ew. Majestät Erlaubnis,« sagte der alte Seneschall, indem er mit der geschäftigen Eile eines Cicerone, der die Merkwürdigkeiten eines Platzes zu zeigen hat, weiter ging; »nicht hier, sondern in dem Seitenzimmer etwas weiterhin, das an Ew. Majestät Schlafgemach stößt.« Er öffnete schnell eine kleine Tür am obern Ende der Halle. Sie führte in ein Schlafzimmer, das, wie man es in solchen alten Gebäuden häufig trifft, sehr klein, aber eben darum auch heimlicher war als die weite Halle, durch die sie soeben gegangen waren. Man hatte hier in der Eile einige Anstalten zu des Königs Bequemlichkeit getroffen: Tapeten aufgehangen, in dem rostigen Kamine ein Feuer angezündet und ein Feldbett für diejenigen Leute aufgeschlagen, die nach damaliger Sitte die Nacht in dem königlichen Schlafzimmer zubringen sollten. »Wir werden für Euer übriges Gefolge in der Halle Betten herrichten lassen – wär' es Ew. Majestät gefällig, einen Blick auf das kleine Pförtchen hinter der Tapete zu werfen? es führt zu dem kleinen Kabinett, wo Karl ums Leben gebracht wurde. Hier ist ein geheimer Zugang von unten, durch den die Leute heraufkamen; Ew. Majestät Augen sind hoffentlich noch besser als die meinigen, so daß sie die Blutflecken auf dem eichenen Boden noch sehen können, obgleich schon fünfhundert Jahre seit diesem Ereignisse verflossen sind.« Dabei tappte er umher, das Pförtchen zu öffnen, bis der König sagte: »Laß es gut sein, alter Mann; warte noch ein Weilchen, dann kannst Du vielleicht eine neuere Geschichte erzählen und frischere Blutflecken aufzuweisen bekommen. Was meint Ihr, Herr Graf Crevecoeur?« – »Ich kann Euch bloß versichern, Sire, daß diese zwei inneren Gemächer ebenso zu Ew. Majestät Verfügung sind, wie die in Eurem eigenen Schlosse zu Plessis, und daß Crevecoeur, ein Name, der nie durch Verräterei oder Meuchelmord befleckt ward, mit der äußeren Wache beauftragt ist.« – »Aber der geheime Gang in das Kabinett, von dem der alte Mann spricht?« fragte König Ludwig in leisem, ängstlichem Tone, indem er mit der einen Hand Crevecoeurs Arm ergriff und mit der andern auf das Pförtchen deutete. – »Das hat Mornay geträumt,« sagte Crevecoeur, »oder es ist eine alte abgeschmackte Sage von dem Orte; – aber wir wollen die Sache untersuchen.« Er wollte eben die kleine Tür öffnen, als Ludwig ihn mit den Worten zurückhielt: »Nein, Crevecoeur, nein! – Eure Ehre ist mir hinlänglich Bürge. – Allein was will Euer Herzog mit mir vornehmen, Crevecoeur? Er wird mich doch nicht lange gefangen halten wollen? Mit einem Wort – saget mir Eure Meinung hierüber, Crevecoeur.« – »Sire!« versetzte der Graf, »wie der Herzog von Burgund diese schreckliche, an seinem nahen Verwandten und Verbündeten verübte Greueltat aufnehmen muß, kann Ew. Majestät selbst beurteilen; mit welchem Rechte er sie durch Euch oder vielmehr Eure Sendlinge angestiftet wähnt, könnt nur Ihr wissen. Mein Gebieter besitzt indessen ein edles Gemüt und ist selbst im heftigsten Zorne jeder hinterlistigen Handlung unfähig; – was er auch immer tun mag, er wird es am hellen Tageslicht und angesichts der beiden Nationen tun, und ich kann nur hinzufügen, daß es der Wunsch aller seiner ihn umgebenden Räte – einer vielleicht ausgenommen – ist, daß er in dieser Angelegenheit mit Milde und Großmut sowie mit Gerechtigkeit verfahren möge.« – »Ach, Crevecoeur,« sagte Ludwig, indem er seine Hand faßte, als werde er von peinlichen Erinnerungen bestürmt, »wie glücklich ist doch der Fürst, der Ratgeber um sich hat, die ihn gegen die Ausbrüche der eigenen Leidenschaften bewahren! O, wäre es mir vom Schicksal vergönnt gewesen, Männer, wie Du bist, um mich zu haben!« – »Es wäre ja immer Ew. Majestät Bestreben, solche Männer schnell wieder los zu werden,« bemerkte der Hofnarr. – »Aha! ist die Weisheit auch da?« sagte Ludwig, indem er sich umwandte und den pathetischen Ton, in welchem er mit Crevecoeur gesprochen hatte, plötzlich mit einem humoristischen vertauschte; – »Bist Du uns hier gefolgt?« – »Ja, Sire,« antwortete le Glorieux, »die Weisheit muß in bunter Narrentracht folgen, wo die Torheit in Purpur vorangeht.« – »Wie soll ich das verstehen, Herr Salomo?« antwortete Ludwig, – »willst Du mit mir tauschen?« – »Nein, bei allem was heilig ist,« sprach le Glorieux, »und wolltet Ihr mir auch noch fünfzig Kronen in Kauf geben.« – »Wie, warum denn nicht? – mich dünkt, wie die Fürsten heutzutage sind, könnte ich wohl zufrieden sein, Dich zu meinem Könige zu haben.« – »Ja, Sire,« erwiderte le Glorieux, »aber die Frage ist die, ob ich, nach Ew. Majestät jetziger Wohnung zu urteilen, mich nicht schämen müßte, einen so dummen Narren zu haben.« – »Schweig, Bursche,« sagte Graf Crevecoeur, »Deine Zunge geht mit Dir davon.« – »Laßt ihn gewähren,« sagte der König; »ich kenne keinen besseren Gegenstand des Spottes, als die Torheiten derer, die bessere Einsicht haben sollten. – Hier, mein kluger Freund, nimm diese Geldbörse und mit ihr meinen Rat, niemals ein so großer Narr zu sein, daß Du Dich weiser dünkst als andere Menschenkinder. Jetzt aber sei so gut und erkundige Dich nach meinem Sterndeuter Martius Galeotti. Sobald Du ihn gefunden, schicke ihn zu mir.« – »Auf der Stelle, gnädigster Herr,« antwortete der Spaßmacher; »ich wette zehn gegen eins, der sitzt beim Jan Doppelthur; denn Philosophen wissen so gut wie Narren, wo man den besten Wein feil hat.« – »Vergönnt gefälligst diesem hochgelehrten Manne den freien Zutritt zu mir, Graf Crevecoeur,« sagte Ludwig. – »Sein Zutritt zu Euch hat keine Schwierigkeiten,« antwortete der Graf, »aber es tut mir leid, hinzufügen zu müssen, daß ich, meinen Instruktionen gemäß, niemand gestatten kann, Euer Majestät Gemächer wieder zu verlassen. – Ich wünsche Ew. Majestät eine gute Nacht und werde sogleich in der äußeren Halle Anstalten treffen lassen, um den Herren, die sie bewohnen sollen, größere Bequemlichkeit zu verschaffen.« – »Gebt Euch deshalb keine Mühe, Herr Graf,« erwiderte der König, »sie sind gewohnt, mit Beschwerlichkeit sich abzufinden, zudem möchte ich außer Galeotti heute nacht niemand um mich sehen.« Graf Crevecoeur beurlaubte sich, und kurz darauf konnte man das Geräusch der Schildwachen vernehmen, die auf ihre Posten zogen. Endlich war alles still, so daß nur das leise Gemurmel der unter den Mauern des Schlosses träge schleichenden Somme zu hören war. »Geht in die Halle, Freunde,« sagte Ludwig zu seinem Gefolge, »aber legt euch nicht zum Schlafe nieder. Haltet euch bereit, denn es gibt heute nacht noch Arbeit für euch, und zwar augenblicklich!« Oliver und Tristan zogen sich demzufolge in die Halle zurück, wo Balafré mit den beiden Unterbeamten des Generalprofoßen geblieben war, hüllten sich in ihre Mäntel und warfen sich auf die Dielen. Mittlerweile empfand ihr Gebieter in der Abgeschiedenheit seines einsamen Schlafgemachs Qualen, die man als Strafe für all das Ungemach ansehen konnte, das er anderen so oft schon zugefügt hatte. Mit kurzen, ungleichen Schlitten wandelte er in dem Zimmer auf und nieder, stand oft still, schlug die Hände zusammen und gab sich einer Gemütsstimmung hin, die er vor den Augen der Welt meisterhaft zu verbergen gewußt hatte. Endlich blieb er, die Hände ringend, vor dem Pförtchen stehen, das ihm der alte Mornay als Eingang zu dem Schauplatz der Ermordung eines seiner Vorfahren bezeichnet hatte, und machte allmählich seinen Empfindungen in einem abgebrochenen Selbstgespräche Luft ... »Karl der Einfältige! – Karl der Einfältige! – Wie wird die Nachwelt Ludwig XI. nennen, dessen Blut wahrscheinlich die Flecken des seinigen auffrischen wird? Ludwig der Tor – der Alberne – Ludwig der Betörte – alles Ausdrücke, noch viel zu schwach, meine grenzenlose Dummheit zu bezeichnen! – Dieser Blödsinn, die hitzköpfigen Lütticher, denen Empörung so notwendig ist als das tägliche Brot, würden ruhig bleiben; – dieser Irrwahn, das wilde Tier der Ardennen lasse sich auch nur einen Augenblick in seiner viehischen Mordlust hemmen – diese Narretei, bei Karl von Burgund würden irgend einmal Gründe der Vernunft und Klugheit anschlagen, dreifacher Tor, der ich war! – Aber der niederträchtige Martius soll mir nicht entschlüpfen! – Er ist an allem schuld – er und der schändliche Priester, der verabscheuungswürdige Balue! Sollt ich je wieder dieser Gefahr entkommen, so will ich ihm den Kardinalshut vom Kopfe reißen, und sollt' auch das Gehirn dran hängen bleiben! Allein den andern Verräter hab ich in den Händen. – Noch bin ich König genug, um an einem Quacksalber, einem lügenhaften Sterngucker, einem schändlichen Betrüger Strafe zu nehmen, der mich mit einemmal zum Narren und zum Gefangenen gemacht hat! Die Konjunktur der Konstellationen – ja, die Konjunktur! Unsinn schwatzt er, der kaum einen dreifach gesottenen Schafskopf hinters Licht geführt hätte, und ich muß Narr genug sein, mir einzubilden, ich verstände ihn! Allein wir wollen bald sehen, was die Konjunktur der Konstellationen wirklich bedeutet! – Doch zuvor muß ich meine Andacht verrichten.« Ueber der kleinen Tür befand sich, vielleicht zur Buße der Untat, die hinter ihr verübt worden, eine kleine Nische, in der ein in Stein gehauenes Kruzifix angebracht war. Auf dieses Bild heftete der König sein Auge, wie wenn er niederknien wollte; aber plötzlich hielt er inne, als hielte er es für unbesonnen, sich dem Bilde zu nähern, ehe er sich der Fürsprache irgend eines ihm günstigen Heiligen versichert hätte, wandte sich von dem Kruzifix ab und wählte von den Bildern um seinen Hut das der heiligen Jungfrau von Clery aus, kniete vor ihm nieder und betete: »Süße Frau Clery! gebenedeite Mutter der Gnaden, die Du allmächtig bist mit dem Allmächtigen, habe Mitleid mit mir armen Sünder! Zwar hab ich Dich oft verabsäumt über Deiner gebenedeiten Schwester von Embrun; allein ich bin der König, – meine Macht ist groß, mein Reichtum unermeßlich. Wäre es auch anders, eher würde ich meinen Untertanen doppelte Kopfsteuer auflegen, als daß ich Euch beiden meine Schuld nicht abtragen sollte. Zerbrich diese eisernen Türen – fülle sie aus, diese furchtbaren Gräben und leite mich, wie eine Mutter ihr Kind leitet, aus dieser drohenden Gefahr! Hab ich Deiner Schwester den Oberbefehl über meine Garden gegeben, so soll die große, reiche Provinz Champagne Dein sein, und ihre Weinberge sollen ihren Ueberfluß in Deine Klöster ergießen. Zwar hatte ich die Champagne meinem Bruder Karl versprochen; aber der ist, wie Du weißt, jetzt tot – vergiftet von dem schändlichen Abte von Angely, den ich, wenn ich das Leben behalte, zur Strafe ziehen will! Ich versprach Dir dies schon einmal, aber diesmal will ich gewiß Wort halten. Wenn ich Kenntnis von diesem Verbrechen hatte, so glaube, teuerste Schutzfrau, daß es bloß deshalb verübt wurde, weil ich keine bessere Art und Weise kannte, die Unruhen in meinem Reiche zu dämpfen. Rechne mir also die alte Schuld nicht heute zu, sondern sei, wie Du immer warst, mild, wohlwollend und zur Versöhnung geneigt. Süßeste Frau, bitte für mich bei Deinem Sohne, daß er mir alle vergangenen Sünden vergebe, und eine – eine kleine Tat, die ich diese Nacht noch begehen muß – eine Sünde ist es nicht, teuerste Frau von Clery, – keine Sünde, sondern eine im stillen vollzogene Handlung der Gerechtigkeit; denn der Bösewicht ist der größte Betrüger, der je einem Fürsten Falschheit ins Ohr geflüstert hat. Er ist Deines Schutzes nicht würdig; denn er ist ein Heide! überlaß ihn mir und betrachte das, was ich vor habe, als ein gutes Werk. Sieh! Hier knüpf ich mein königliches Siegel an Dein Bild, zum Zeichen, daß ich betreffs der Grafschaft Champagne Wort halten werde, und daß ich Dich wegen einer Blutschuld nie wieder angehen will, da ich weiß, daß Du ein so mildes, sanftes und weiches Herz hast.« Als der König solchermaßen sein Gewissen erleichtert oder vielmehr gleich einem Grabe übertüncht hatte, steckte er seinen Kopf zur Tür hinaus und rief Balafré ins Zimmer. »Mein wackrer Krieger,« sagte er, »Du hast mir lange gedient und Du bist nur wenig befördert worden. Heute handelt es sich hier für mich um Leben und Tod; aber ich möchte doch nicht gern als Undankbarer sterben und einen Freund unbelohnt, wie einen Feind ungestraft zurücklassen. Nun habe ich einen Freund zu belohnen – und das bist Du – und einen Feind gebührendermaßen zu züchtigen, und das ist der schändliche, verräterische Martius Galeotti, der mich durch seine Betrügereien und Vorspiegelungen hierher in die Gewalt meines Todfeindes gebracht hat, mit dem festen Vorsatze, mich zu verderben, wie ein Fleischer ein Stück Vieh zur Schlachtbank treibt.« – »Dafür will ich ihn zum Zweikampf herausfordern,« versetzte Balafré, »und Ihr sollt sehen, wie ich für Euer Recht fechten und an diesem Philosophen Rache nehmen will.« – »Ich lobe Deine Tapferkeit und Dienstergebenheit,« sagte der König, »aber dieser verräterische Bube weiß auch die Waffen gut zu führen, und ich möchte nicht gern Dein Leben aufs Spiel setzen, tapferer Krieger.« – »Mit Ew. Majestät Erlaubnis, ich wäre wohl kaum ein tapferer Krieger,« sagte Balafré, »wenn ich nicht wagte, es mit einem Manne, wie diesem, aufzunehmen.« – »Und dennoch,« sagte der König, »ist es nicht unser Wille, Dich einer Gefahr auszusetzen. Der Verräter kommt auf unsern Befehl hierher. Wir wünschen, daß Du, sobald Du Gelegenheit finden kannst, Dich an ihn machst und ihm eins unter die fünfte Rippe versetzest. – Verstehst Du mich?« – »Wohl versteh ich Euch,« antwortete Balafré; »aber mit Ew. Majestät Erlaubnis, auf solche Sache verstehe ich mich gar nicht. Ich könnte keinen Hund töten, der mich nicht selbst angefallen hätte.« – »Du wirst doch nicht auf Zartgefühl Anspruch machen?« sagte der König; »nachdem Du bei Sturm und Belagerung immer der erste gewesen?« »Gnädigster Herr,« antwortete Balafre, »nie habe ich, das Schwert in der Hand, Eure Feinde gescheut noch geschont. Ein Sturm ist ein verzweifelt Ding und bringt Gefahren mit sich, die einem das Blut erhitzen, daß es, beim heiligen Andreas, immer ein paar Stunden zur Abkühlung braucht. Doch Gott wird armen Soldaten gnädig sein, denen die Gefahr den Kopf verrückt, und die dann der Sieg vollends gar von Sinnen bringt. Allein was Ew. Majestät verlangt, liegt außer meinem Wege; drum laßt den Sterndeuter, wenn er ein Verräter ist, den Tod eines Verräters sterben – aber damit mag ich nichts zu tun haben. Ew. Majestät hat hierfür den Generalprofoß, der taugt besser dazu, diese Sache abzumachen, als ein schottischer Edelmann von meiner Herkunft.« – »Du hast recht,« sagte der König, »laß das also ruhen. Sobald aber hinter Galeotti sich die Tür geschlossen hat, so trittst Du unter Waffen und bewachst den Eingang des Zimmers. Laß keinen Menschen herein, – das ist alles, was ich von Dir verlange. So gehe, schicke mir den Generalprofoß.« Balafré verließ das Zimmer, und Tristan l'Hermite trat sogleich ein. »Willkommen, Gevatter,« sagte der König, »was hältst Du von unserer Lage?« – »Was ich von Leuten halte, die dem Tode geweiht sind,« versetzte der Generalprofoß, »wenn nicht noch einiger Aufschub von dem Herzog kommt,« – »Aufschub oder nicht! Der uns in die Falle gelockt hat, soll uns als Fourier vorangehen in die andere Welt, um dort Quartier für uns zu machen,« versetzte der König mit hämischem, grinsendem Lächeln. »Tristan, Du hast schon manchen Akt der Gerechtigkeit für mich vollzogen – Du mußt mir bis ans Ende treu bleiben.« – »Das will ich auch, gnädigster Herr,« sagte Tristan; »ich bin zwar nur ein schlichter, einfacher Mensch, aber ich bin dankbar. Ich werde meine Schuldigkeit innerhalb dieser Wände so gut tun, als anderswo; und solange ich lebe, soll Ew. Majestät leisestes Wort ebenso kräftig ein Todesurteil sprechen, und dasselbe ebenso buchstäblich erfüllt werden, als säßet Ihr noch auf Eurem eignen Throne. Mögen sie in der nächsten Stunde mit mir machen, was sie wollen, das gilt mir gleich.« – »So habe ich's von Dir erwartet, lieber Gevatter,« sagte Ludwig, »aber hast Du denn auch Leute, die Dir an die Hand gehen? – Der Verräter ist stark und gewandt und wird ohne Zweifel um Hilfe rufen. – Der Schotte will nichts weiter tun, als die Tür bewachen, und ich war froh, daß ich ihn hierzu durch Schmeichelei und gute Worte vermochte. Oliver taugt zu nichts, als zum Lügen, Schmeicheln und gefährliche Pläne schmieden; und ich glaube, er kommt wohl einst leichter selbst dazu, den Strick zu verdienen, als daß er ihn einem andern anlegen sollte. Glaubst Du Leute und Mittel genug zu haben, um ein sicheres Werk zu vollenden?« »Ich habe Trois-Echelles und Petit-André bei mir,« sagte er – »Leute, die ihr Geschäft gut verstehen. Aber wen haben wir, mit Ew. Majestät Erlaubnis, diesmal zu bedienen? Ich bin immer gern meines Mannes sicher; denn Ew. Majestät geruht mitunter, mich daran zu erinnern, daß ich dann und wann den Verbrecher verfehlt und an seiner Statt einen ehrlichen Landmann habe aufknüpfen lassen, der Ew. Majestät nichts zuleide getan hatte.« – »Sehr wahr,« sprach der König. »So wisse denn, Tristan, daß der Verurteilte niemand anders ist, als Martius Galeotti. Du staunst, und doch ist es so, wie ich sage. Der Bube hat uns alle durch falsche, verräterische Vorspiegelungen hierher gelockt, um uns wehrlos in die Hände des Herzogs von Burgund zu liefern.« – »Aber nicht ungerächt!« sprach Tristan, »und wäre es die letzte Handlung meines Lebens; mein Stich soll ihn treffen, und sollt ich auch im nächsten Augenblicke in Stücke zertreten werden.« – »Ich kenne Deine treue Seele,« versetzte der König, »und weiß, daß Du, wie andere Leute, in der Erfüllung Deiner Pflicht Dein Vergnügen findest. So gehe und halte die Priester bereit, denn das Opfer naht.« – »Wollt Ihr es in Eurer eignen Gegenwart abgetan sehen, gnädigster Herr?« fragte Tristan. Ludwig lehnte das Anerbieten ab, trug aber dem Generalprofoß auf, alles zur pünktlichen Vollziehung seiner Befehle für den Augenblick in Bereitschaft zu halten, wenn der Sterndeuter sein Gemach verlassen würde; »denn,« fügte er hinzu, »ich will den Bösewicht noch einmal sehen, bloß um zu erfahren, wie er sich gegen seinen Herrn, den er in solches Unglück gebracht hat, benehmen wird.« Der Generalprofoß verließ das Gemach und berief seine Gehilfen in eine Fenstervertiefung der großen Halle, wo Trois-Echelles eine Fackel an die Wand gestellt hatte, um ihnen zu leuchten. Sie flüsterten zusammen, unbeobachtet von Oliver Dain, der in Niedergeschlagenheit versunken dasaß, sowie von Balafré, der fest eingeschlafen war. »Kameraden,« sprach der Profoß zu seinen Helfershelfern, »Ihr dachtet vielleicht, unser Beruf habe seine Endschaft erreicht, oder daß wir jetzt wahrscheinlicher andern Arbeit machen, als unsererseits noch etwas zu schaffen finden würden. Aber Mut gefaßt, Kameraden, unser gnädigster Herr hat uns noch ein Stück Arbeit aufgespart, und dabei müssen wir rüstig Hand anlegen, als Männer, die in der Geschichte einen Namen haben wollen.« – »Ha! ich errate schon, wo es hinaus will!« sagte Trois-Echelles, »unser Herr will es mit den alten römischen Kaisern halten, die im Drange der Umstände, oder wenn es mit ihnen, wie wir sagen würden, an den Fuß der Leiter kam, sich aus ihren eigenen Dienern der Gerechtigkeit irgend einen erfahrenen Mann zu wählen pflegten, der ihren geheiligten Personen die linkischen Versuche eines Neulings oder Stümpers in unseren Geheimnissen ersparte. Dies war für die Heiden eine recht hübsche Sitte, aber als guter Katholik würde ich doch meine Bedenken haben, an den allerchristlichsten König Hand anzulegen.« – »Ei, Bruder, Du bist immer gar zu bedenklich,« versetzte Petit-André. »Wenn er Befehl oder Vollmacht zu seiner Hinrichtung gibt, so seh ich nicht ein, wie uns da irgend ein Aber kommen darf. Wer zu Rom lebt, der muß dem Papst gehorchen' die Leute des Profoßen müssen den Willen ihres Meisters tun, und dieser den seines Herrn.« – »Still, ihr Schelme!« sprach der Generalprofoß, »hier handelt es sich nicht um des Königs Person, sondern bloß um die des christlichen Ketzers, des heidnischen, muhammedanischen Hexenmeisters, Martius Galeotti.« – »Galeotti! ei, das kommt mir sehr natürlich vor. Ich habe von diesen Gauklern, die, sozusagen, ihr ganzes Leben lang auf dem Seile tanzen, noch keinen gekannt, der nicht am Ende noch gebaumelt hätte.« – »Mein einziger Kummer ist,« sagte Trois-Echelles, den Blick gen Himmel gewandt, »daß der arme Schelm ohne Beichte sterben muß.« – »Ei was!« versetzte der Generalprofoß, »er ist ein Erzketzer und Schwarzkünstler! Eine ganze Priestersynode könnte ihn nicht von der verdienten Verdammnis lossprechen. Uebrigens hast Du ja die Gabe, ihm, wenn er Lust dazu bekäme, mit geistlichem Beistande zu dienen, Trois-Echelles. Doch, was mehr zur Sache gehört, Kameraden, ich fürchte, ihr werdet eure Dolche brauchen müssen, denn ihr habt hier nicht alles bei der Hand, was zur Ausübung eures Geschäftes nötig ist.« – Nun, das wolle unsere liebe Frau von Paris verhüten,« sagte Trois-Echelles, »daß des Königs Befehle mich nicht im Besitze meiner Werkzeuge finden sollten! Ich trage immer den Strick des heiligen Franziskus vierfach um den Leib geschlungen, mit einer ordentlichen Schlinge am Ende; denn ich gehöre zur Brüderschaft des heiligen Franziskus und kann noch seine Kapuze tragen, wenn ich in extremis bin, – Gott und den heiligen Vätern von Saumur sei Dank dafür.« – »Und was mich betrifft,« sagte Petit-André, »so führe ich immer einen tüchtigen Kolben mit einer starken Schraube in der Tasche, um ihn zu befestigen, wo ich Lust habe, falls wir wo reisen sollten, wo es wenig Bäume gibt, oder wo die Aeste zu hoch vom Boden sind. Ich habe das immer sehr bequem gefunden.« – »Nun, das wird uns jetzt zustatten kommen,« sagte der Generalprofoß, »Ihr dürft nur Euren Kolben an jenem Balken über der Tür befestigen und den Strick darüber ziehen. Ich werde den guten Mann dicht an der Stelle im Gespräch halten, bis Ihr ihm die Schlinge unter das Kinn bringt, und dann ...« – »Dann aufwärts mit ihm,« sprach Petit-André, »und unser Sterndeuter ist insofern im Himmel, als er keinen Fuß mehr auf der Erde hat.« – »Aber diese Herren dort,« sprach Trois-Echelles, indem er nach dem Kamin hinblickte, »leisten uns vielleicht Beihilfe, um sich ein Handgeld in unserm Berufe zu verdienen?« – »Hm! nein,« antwortete der Profoß, »der Bartscher sinnt nur Unheil und läßt es andere anrichten, und der Schotte bewacht die Tür, wenn die Tat geschieht, ... jeder bleib bei seinem Leisten!« Mit ungemeiner Gewandtheit und mit einem gewissen Vergnügen, das ihnen das Gefühl ihrer eignen mißlichen Lage milderte, befestigten die würdigen Vollzieher der Befehle des Profoßen Strick und Kolben, um das Urteil in Kraft zu setzen, das der gefangene Monarch gegen Galeotti ausgesprochen hatte, – sehr zufrieden, daß ihre letzte Handlung mit ihrem vergangenen Leben also im Einklang stehe. Tristan l'Hermite sah ihren Vorbereitungen mit Wohlgefallen zu, während Oliver sie unbeachtet ließ, Ludwig Leslie dagegen die Sache auffaßte, als ob sie mit seiner Dienstpflicht in gar keinem Zusammenhange stehe, ihn also auch keine Verantwortung dafür treffe. Elftes Kapitel Als le Glorieux, der Narr, Ludwigs Wunsch – denn zu befehlen war der König von Frankreich nicht mehr in der Lage, – Martius Galeotti zu ihm zu schicken, erfüllte, hatte er weiter nichts nötig, als sich nach der besten Schenke in Peronne zu begeben, die er selbst ziemlich oft besuchte. Dort fand er den Sterndeuter in einer Ecke in vertrautem Gespräch mit einem Weibe begriffen, das eine sonderbare, einer maurischen oder asiatischen Tracht ziemlich ähnliche Kleidung trug und, als er herantrat, in der Absicht, sich zu entfernen, aufstand. »Auf diese Nachrichten,« sagte die Fremde, »könnt Ihr Euch vollkommen verlassen.« Und mit diesen Worten verschwand sie unter der Menge von Gästen, die an verschiedenen Tischen umhersaßen. »Gevatter Philosoph,« richtete der Narr das Wort an den Sterndeuter, »der Himmel löste keine Schildwache ab, ohne eine andere zu senden, die ihren Platz einnehmen soll. Ein Narr geht, der andere kommt, um Euch in die Gemächer Ludwigs von Frankreich zu führen.« – »Und Du bist der Bote?« sagte Martius, indem er ihn argwöhnisch anblickte und gleich für den, der er war, erkannte. – »Ja, Herr,« antwortete le Glorieux, »mit Verlaub Eurer Weisheit. Wenn die Macht die Narretei absendet, um die Weisheit herbeizuholen, so ist dies ein sicheres Zeichen, wo den Patienten der Schuh drückt.« – »Wie aber, wenn ich mich zu kommen weigere, da ich zu so später Stunde und von einem solchen Boten geholt werde?« fragte Galeotti. – »In diesem Falle werden wir Euch führen,« versetzte le Glorieux. »Ich habe ein halbes Dutzend handfester Burgunder vor der Tür, die mir Graf Crevecoeur mit auf den Weg gegeben hat. Denn wisse, mein Freund Karl und ich haben unserm Vetter Ludwig die Krone, die er eselhafterweise in unsere Gewalt gegeben, nicht ganz genommen, sondern nur ausgefeilt und beschnitten. Kurz und gut, er ist noch immer Herr und Gebieter über seine eigenen Leute, Euch selbst mit eingeschlossen, und allerchristlichster König über den großen Eßsaal auf dem Schloß zu Peronne, wohin Ihr Euch, als sein Untertan, unverzüglich verfügen werdet.« – »Ich folge Euch,« erwiderte Galeotti und machte sich mit dem Narren auf den Weg, da er vielleicht sah, daß kein Entrinnen möglich sei. – »Da tut Ihr wohl daran,« sagte der Narr auf dem Wege zum Schlosse, »denn wir behandeln unsern Vetter, wie man einen alten ausgehungerten Löwen in seinem Käfig behandelt, dem man von Zeit zu Zeit ein Kalb hinwirft, damit er seine alten Kinnbacken in Uebung erhält.« – »Glaubt Ihr denn,« fragte Martius, »daß der König mir nach dem Leben zu trachten im Sinne hat?« – »Ei, das werdet Ihr besser erraten können als ich,« erwiderte der Possenreißer, »denn wenngleich der nächtliche Himmel etwas umwölkt ist, so wette ich doch, Ihr könnt die Sterne durch den Nebel sehen. Ich verstehe mich nicht auf die hohen Dinge; meine Mutter sagte aber, man müsse einer alten Ratte, die in der Falle sitzt, nicht zu nahe kommen, denn da beißen sie immer am ehesten.« Der Sterndeuter stellte keine weiteren Fragen, und der Narr fuhr fort, nach der Sitte seines Schlags, sich in regellosen Sarkasmen und drolligen Späßen zu ergehen, bis er den Philosophen an die Wache am Schloßtor zu Peronne abgeliefert hatte, wo dieser von Posten zu Posten gebracht und endlich in den Hubertusturm eingelassen wurde. Die Winke des Spaßmachers waren für Galeotti nicht verloren gegangen, und als er von Tristan mit einer düstern, unglückverheißenden Miene in das Schlafgemach des Königs geführt wurde, fiel ihm auch der Kolben mit dem Stricke sogleich ins Auge. Er bot nun all seinen Scharfsinn auf, der ihm drohenden Gefahr zu entgehen, mit dem Entschlusse, wenn dies ihm unmöglich würde, sich gegen jeden, der ihm zu nahe käme, aufs äußerste zu verteidigen. In solcher Stimmung trat Martius vor Ludwig. »Mögen alle guten Planeten Ew. Majestät gnädig sein!« sprach er mit einer Verbeugung, wie sie tiefer kein Orientale vor seinem Herrscher hätte machen können, »und alle bösen Konstellationen dem Sterne meines königlichen Gebieters fern bleiben!« – »Mich dünkt,« erwiderte der König, »wenn Ihr Euch in diesem Gemach umseht, und bedenkt, wo es liegt, und wie es bewacht wird, so kann es Eurer Weisheit nicht entgehen, daß meine günstigen Gestirne sich untreu bewiesen und daß die schlimmen Konstellationen bereits bei bester Arbeit sind. Schämst Du Dich nicht, Martius, mich hier als Gefangenen zu sehen, wenn Du an die Versicherungen denkst, die mich hierher gelockt haben?« – »Und schämst Du Dich nicht, mein königlicher Gebieter,« entgegnete der Sterndeuter, »trotz aller Fortschritte in der Wissenschaft vor dem ersten finstern Blick des Schicksals zurückzubeben wie ein Feigling vor dem ersten Waffengeklirr?« – »Schamloser Mensch!« rief der König, »ist dies nur Einbildung? – Sind die Wachen des Herzogs von Burgund, deren Waffen Du an der Tür klirren hörst, Schatten? Was sind dann wahre Uebel, Verräter, wenn nicht Gefangenschaft, Entthronung und Lebensgefahr?« – »Unwissenheit, mein Bruder, und Vorurteil!« versetzte der Weise mit Festigkeit, »das sind die einzig wahren Uebel. Glaube mir, daß Könige im Vollgenusse ihrer Macht, wenn sie in Unwissenheit und Vorurteil versinken, weit unfreier sind, als Weise im Kerker. Zu dieser wahren Glückseligkeit Dich zu führen, ist mein Beruf.« – »Ich wollte,« rief der König im Tone bittern Hohns, »Du hättest mich zu Plessis gelehrt, daß die mir so freigebig versprochene Herrschaft sich allein über meine Leidenschaften erstreckte; daß der glückliche Erfolg, dessen Du mich versichertest, sich nur auf meine Fortschritte in der Philosophie bezöge, und daß ich so gelehrt und weise werden müßte, wie ein heimatloser italienischer Marktschreier, und zwar auf Kosten der schönsten Krone der Christenheit und um einer Behausung im Schloßturme zu Peronne willen! So geh denn hin und entgehe der wohlverdienten Strafe nicht! – Es gibt einen Himmel über uns!« – »Ich überlaß Euch nicht Eurem Schicksal,« versetzte Martius, »bis ich in Euren Augen, so verdunkelt sie auch jetzt sind, jenen Ruf gerettet habe, der ein glänzender Edelstein ist, als der glänzendste in Eurer Krone, und den die Welt noch nach Jahrhunderten anstaunen wird, wenn Capets ganzes Geschlecht in der Gruft von Saint-Denis längst vermodert ist.« – »Sprich,« sagte der König, »Deine Schamlosigkeit kann weder meine Vorsätze noch meine Meinung ändern – doch da ich vielleicht nie wieder als König ein Urteil fällen werde, so will ich Dich nicht ungehört verdammen.« »Kennst Du denn,« erwiderte kühn der Sterndeuter, »den geheimen Einfluß jener gesegneten Himmelslichter? Du sprichst ihnen den Einfluß auf die Gewässer ab und weißt doch nicht, daß selbst der schwächste, weil er unserer armen Erde am nächsten, nicht bloß solch ärmliche Ströme, wie diese Somme hier, sondern die Fluten des mächtigen Ozeans unter seiner Herrschaft hält, die, je nachdem sich seine Scheibe füllt oder abnimmt, sich senken und heben und auf seinen Einfluß harren, wie eine Sklavin auf den Wink der Sultanin wartet? Und nun, Ludwig von Valois, antworte einmal auf dies mein Gleichnis! – Bekenne! Gleichst Du nicht dem törichten Reisenden, der dem Lotsen zürnt, daß er das Schiff nicht in den Hafen bringen kann, ohne es der Gewalt widriger Winde und Strömungen auszusetzen? Ich konnte Dir allerdings den wahrscheinlichen Ausgang Deiner Unternehmungen als glücklich verkündigen, allein dem Himmel blieb es vorbehalten, Dich zum Ziele zu geleiten; und wenn der Pfad rauh und gefährlich ist, stand es in meiner Macht, ihn zu ebnen und sicherer zu machen? Wo ist denn Deine Weisheit von gestern geblieben, die Dich mit Grund erkennen ließ, daß die Wege des Schicksals, wenn sie auch unseren Wünschen zuwiderlaufen, uns doch oft zu unserm Heile führen?« – »Du erinnerst mich – Du erinnerst mich,« fiel der König hastig ein, »namentlich an eine Deiner Falschheiten. Du sagtest mir, jener Schotte würde seinen Auftrag zu meinem Vorteil und meiner Ehre beendigen; und Du weißt doch, es hat sich so geendigt, daß nichts in der Welt für mich verderblicher sein konnte, als der Eindruck, den die Sache, wie sie jetzt steht, auf das erhitzte Gehirn des tollen Stiers von Burgund machen wird. Dies ist eine unleugbare Falschheit! – Hier kannst Du mir nicht entschlüpfen – kannst Dich nicht auf eine entfernte günstige Wendung von Ebbe und Flut berufen, auf die ich ruhig warten soll, wie ein dummer Teufel am Ufer, bis das Wasser abgelaufen. – Hier ließ Dich Deine List im Stiche. – Du warst schwach genug, eine bestimmte Weissagung zu wagen, die sich nun geradezu als falsch bewiesen hat.« – »Und die sich als wahr und richtig erweisen wird,« erwiderte der Sterndeuter zuversichtlich. »Ich möchte mir keinen größeren Triumph der Kunst über die Unwissenheit wünschen, als diese Weissagung und ihre Erfüllung mir gewähren wird. – Ich sagte Dir, daß der Schotte bei Erfüllung eines jeden ehrenvollen Auftrages treu befunden werden würde – traf es nicht zu? – Ich sagte Dir, er würde Bedenken tragen, zu irgend einem bösen Anschlage seine Hand zu leihen – war dem nicht so? Zweifelst Du noch daran, so frage den Zigeuner Hayraddin Maugrabin.« – Der König erglühte vor Scham und Aerger. – »Ich sagte Dir,« fuhr der Sterndeuter fort, »daß die Konjunktur der Planeten, unter welchen er abreiste, für seine Person Gefahr bedeute – ist nicht sein Pfad mit Gefahren umringt gewesen? Ich sagte Dir, seine Reise verspreche dem Absender Vorteil, und diesen Vorteil wirst Du bald ernten.« – »Den Vorteil ernten?« rief der König aus; »ist nicht das Resultat Schmach und Gefangenschaft?« – »Nein,« antwortete der Sterndeuter, »das Ende ist noch nicht da. Ueber ein kleines soll Deine eigene Zunge bekennen, welch eine Wohltat Dir durch die Art und Weise zuteil geworden ist, wie der Bote seine Sendung ausrichtete.« – »Diese Frechheit geht zu weit,« rief der König, »einen in einem Atem so betrügen und verhöhnen wollen! – Aber fort mit Dir! – Allein ich glaube nicht, daß, was Du an mir verschuldet hast, so ungerächt Dir hingehen soll! – Es gibt einen Himmel über uns!« – Galeotti wandte sich um, um sich zu entfernen. – »Bleib! Du hast Deine Betrügerei wacker durchgeführt. – Antworte mir nur noch auf eine Frage; aber überlege wohl, ehe Du sprichst. – Kann Dir Deine vorgebliche Weisheit die Stunde Deines Todes verkündigen?« – »Nur in Beziehung auf das Schicksal eines andern,« erwiderte Galeotti. – »Ich verstehe Deine Antwort nicht,« sagte der König. – »So wisse denn, o König,« sprach Martius, »daß ich nur mit Gewißheit von meinem Tode sagen kann, daß er genau vierundzwanzig Stunden vor dem Deinigen erfolgen wird.« – »Ha! Was sagst Du?« rief Ludwig, die Farbe wechselnd. – »Halt – halt, – geh noch nicht – warte noch einen Augenblick. – Mein Tod, sagtest Du, werde so schnell dem Deinen folgen?« – »Innerhalb vierundzwanzig Stunden,« wiederholte Galeotti mit Festigkeit; »sofern nur ein Funke Wahrheit in jenen glänzenden, geheimnisvollen Verkündigern wohnt, die ohne Zunge zu uns sprechen. – Ich wünsche Ew. Majestät eine gute Nacht!« »Halt – halt – geh nicht,« rief der König, ihn unter dem Arme fassend und von der Tür zurückführend. »Martius Galeotti, ich bin stets ein gütiger Herr gegen Dich gewesen, habe Dich bereichert, habe Dich zu meinem Freunde, zu meinem Gesellschafter, zum Lehrer in meinen Studien gemacht. – Sei offen gegen mich, ich bitte Dich darum. Ist etwas Wahres an dem, was Deine Kunst weissagt? Soll dieses Schotten Sendung in der Tat mich zu einem guten Ende führen? Martius, nicht wahr? Du wolltest mir nur einen Streich spielen. – Gestehe, ich bitte Dich, ich bin bei Jahren – bin ein Gefangener – werde, nach allem zu schließen, ein Königreich verlieren; – in meiner Lage ist Wahrheit Königreiche wert, und von Dir, teurer Martius, muß ich dies unschätzbare Kleinod erwarten.« – »Und ich habe es Ew. Majestät dargereicht,« antwortete Galeotti, »und zwar auf die Gefahr hin, daß Ihr in wilder Leidenschaft Euch gegen mich wenden und mich vernichten könntet.« – »Wer? Ich, Galeotti?« fragte der König mild; »ach, Du verkennst mich! Bin ich nicht gefangen, und sollte ich nicht geduldig sein, da mein Zorn nur meine Ohnmacht offenbaren kann? Sag mir also aufrichtig – Du hast mich zum besten gehabt, oder ist Deine Wissenschaft redlich, und sagst Du mir Wahrheit?« – »Ew. Majestät wird mir verzeihen,« erwiderte Martius Galeotti, »wenn ich hierauf antworte, daß nur die Zeit – die Zeit und der Erfolg den Unglauben besiegen können. Wenn Ihr mir nicht glauben wollt, so kann ich Euch bloß auf den Verlauf der Ereignisse verweisen. Ein paar Tage Geduld wird bewahrheiten oder widerlegen, was ich in Hinsicht des jungen Schotten behauptet habe; und ich will auf dem Rade sterben und mir Glied für Glied zerbrechen lassen, wenn nicht das unerschrockene Benehmen Quentin Durwards Ew. Majestät einen wichtigen Dienst leisten wird.« Ludwig hielt noch immer Galeotti am Kleide, als er ihn nach der Tür führte, und sprach, indem er sie öffnete, mit lauter Stimme: »Morgen sprechen wir davon. Geht in Frieden, mein gelehrter Vater – geht in Frieden, geht in Frieden!« Er wiederholte diese Worte dreimal und führte den Sterndeuter in die Halle, ihn fest beim Gewande haltend, als ob er fürchte, er könne ihm entrissen und vor seinen Augen umgebracht werden. Der Generalprofoß betrachtete, während seine Leute sich nach der Entfernung des Königs zur Ruhe anschickten, die stattliche Gestalt des Sterndeuters mit dem Blicke eines Bullenbeißers, der ein Stück Fleisch, das der Koch ihm aus den Zähnen gerissen, mit den Augen verfolgt, während seine Gehilfen ihren Gedanken in kurzen Sätzen Luft machten. So verfloß die Nacht in dem Hubertusturme des Schlosses zu Peronne. Als der erste Strahl des Tages in das alte gotische Gemach drang, rief der König Oliver zu sich, der den Monarchen in seinem Schlafrocke sitzend fand und über die Veränderung erstaunte, die eine Nacht, in Todesangst zugebracht, in den königlichen Gesichtszügen hervorgebracht hatte. Er wollte eben seine Besorgnisse hierüber äußern, allein der König gebot ihm Stillschweigen und setzte ihm die verschiedenen Wege auseinander, die er versucht hatte, sich am Hofe von Burgund Freunde zu erwerben, und die Oliver, sobald ihm gestattet würde, auszugehen, weiter verfolgen sollte. Nie aber war dieser schlaue Minister über die Einsicht des Königs und seine Bekanntschaft mit allen Triebfedern menschlicher Handlungen erstaunter, als während dieser merkwürdigen Unterredung. Zwei Stunden darauf erhielt Oliver vom Grafen Crevecoeur die Erlaubnis, auszugehen und die Aufträge auszurichten, die ihm sein Herr und Meister anvertraut hatte. Ludwig ließ dann den Sterndeuter wieder holen, dem er aufs neue sein volles Vertrauen zu schenken schien, und hielt mit ihm ebenfalls eine lange Beratung, woraus er allem Anschein nach mehr Mut und Vertrauen schöpfte, als er anfangs gezeigt hatte. Zwölftes Kapitel Wie Ludwig, so hatte, nur in noch höherem Grade, auch Karl von Burgund, denn er besaß durchaus nicht die gleiche Herrschaft über seine Leidenschaften, die Nacht in Angst und Unruhe verbracht. Nach der Sitte der Zeit brachten zwei seiner vornehmsten Räte, Hymbercourt und Argenton, die Nacht im Zimmer des Fürsten zu, auf Lagerstätten, die dicht am Bett ihres Gebieters für sie bereitet waren. Ihre Gegenwart war auch nie notwendiger als in dieser Nacht, wo des Herzogs Gemüt, zerrissen von Kummer, Leidenschaft, Begierde nach Rache und Ehrgefühl, einem Vulkan in seinem Ausbruche glich, der die verschiedenen Stoffe, die der Berg in sich verschließt, in eine Masse verschmolzen, auswirft. Er mochte sich weder auskleiden noch zu Bett legen, sondern brachte die Nacht in leidenschaftlichster Erregtheit zu. In Anfällen von Wut sprach er unaufhörlich und so verworren und schnell, daß die beiden Adelinge befürchteten, er möchte den Verstand verlieren; er sprach von den Verdiensten und der Herzensgüte des ermordeten Bischofs von Lüttich, und rief sich dabei alle die Beweise wechselseitiger Freundschaft, Zuneigung und Vertraulichkeit ins Gedächtnis, bis sich endlich sein Schmerz so gesteigert hatte, daß er sich mit dem Gesicht aufs Bett warf; dann sprang er auf, schritt in dem Zimmer auf und ab, stieß unzusammenhängende Drohungen aus und verschwor sich beim heiligen Andreas und wen er sonst noch für heilig hielt, daß er blutige Rache an dem von der Mark, dem Volke von Lüttich und an demjenigen nehmen werde, der der Urheber des Ganzen sei. In anderen Augenblicken, wenn seine Wut erschöpft war, saß er unbeweglich mit starrer, düsterer Miene da, als wenn er über einer verzweifelten Tat brüte, zu der er sich aber noch nicht entschließen könne. Unstreitig hätte es nur eines hinterlistigen Winkes von seiten eines seiner Räte bedurft, um ihn zu einem verzweifelten Schritte zu vermögen. Allein die Edeln Burgunds stimmten aus Ehrfurcht gegen die geheiligte Person des Königs, ihres Oberlehnsherrn, und aus Achtung für Treue und Glauben, sowie für die Ehre ihres Herzogs, die auf dem Spiele stand, weil Ludwig im Vertrauen darauf sich in seine Gewalt begeben hatte, einmütig für mildere Maßregeln. Am dritten Tage langte Graf Campobasso an, und es war sehr gut für Ludwig, daß dieser rachsüchtige Italiener nicht schon da war, als der Herzog noch in seiner ersten Wut war. Unmittelbar nach seiner Ankunft wurden die Räte zu einer Sitzung berufen, um über die zu ergreifenden Maßregeln zu beraten. Campobasso gab seine Meinung in Form der Fabel vom Wanderer, der Otter und dem Fuchse ab. Er erinnerte den Herzog an den Rat, den Reinecke dem Manne gab, seinen tödlichen Feind, der durch Zufall in seine Gewalt geraten, zu zertreten. Argenton beeilte sich geltend zu machen, daß Ludwig an der zu Schönwald verübten blutigen Tat unbeteiligt sein könnte, daß er sich von der Anschuldigung reinigen könnte, daß er für die Unbilden, die der Herzog auf sein Anstiften in seiner und seiner Verbündeten Besatzung erlitten habe, Genugtuung geben könnte. Er äußerte ferner, daß eine an dem König verübte Gewalttat unfehlbar für Frankreich und Burgund die unglücklichsten Folgen haben müßte, worunter nicht die letzte wäre, daß die Engländer die Erschütterungen und bürgerlichen Zwistigkeiten, die sich notwendig ergeben müßten, wahrnehmen würden, sich wieder in den Besitz der Normandie und Guyennes zu setzen und alle die furchtbaren Kriege zu erneuern, die mit Mühe und einzig nur durch die Vereinigung von Frankreich und Burgund gegen den gemeinschaftlichen Feind beendigt worden seien. Der Herzog hörte diese Vernunftgründe mit gesenkten Blicken an, seine Augenbrauen zogen sich so fest zusammen, daß sie zu einer buschigen Masse wurden. Als aber Crevecoeur behauptete, er glaube nicht, daß Ludwig Teilnehmer oder auch nur Mitwisser der in Schönwald verübten Greueltat sei, erhob Karl sein Haupt, warf einen stolzen Blick auf seinen Rat und rief: »Habt auch Ihr, Crevecoeur, französisches Geld klimpern hören?« – »Mein gnädigster Herr,« entgegnete Crevecoeur, »meine Hand ist immer mit Stahl, selten mit Gold vertraut gewesen; und daß Ludwig die Unruhen in Flandern veranlaßt hat, steht so fest bei mir, daß ich ihn noch vor kurzem in Gegenwart von seinem ganzen Hofe des Treubruchs beschuldigte und ihn in Eurem Namen in die Schranken forderte. Allein ich glaube keineswegs, daß er die Ermordung des Erzbischofs gutgeheißen, denn ich weiß, daß sogar einer seiner Abgesandten förmlich sich dagegen erklärte, und könnte Euch den Mann zur Stelle schaffen, wenn es Ew. Gnaden gefällig ist.« – »Wir wollen Ludwig von Frankreich selbst sprechen,« erklärte der Herzog, »und selbst die Genugtuung namhaft machen, die wir erwarten und verlangen. Wird er als unschuldig an diesem Morde befunden, so wird die Buße für andere Unbilden leichter werden. Ist er aber schuldig, wer sollte dann nicht behaupten, daß ein Leben, der Buße in einem abgelegenen Kloster gewidmet, eine wohlverdiente und dabei gnädige Strafe sei? Wir wollen uns vormittags auf das Schloß begeben. Einige Artikel sollen aufgesetzt werden, die er annehmen muß, oder wehe seinem Haupte! Die Sitzung ist aufgehoben, und Ihr seid entlassen. Euer Zeuge, Crevecoeur, soll vor uns erscheinen.« Darauf stand er auf und verließ das Gemach. »Ludwigs Sicherheit, und, was noch schlimmer ist, die Ehre Burgunds hängt an einem Haare,« sagte Hymbercourt zu Crevecoeur und Argenton. »Eile auf das Schloß, Argenton – Du kannst besser reden als Crevecoeur oder ich. Sage Ludwig, welch ein Sturm gegen ihn im Anzuge ist – er wird am besten zu steuern wissen. Hoffentlich sagt sein Leibgardist nichts aus, was ihm zum Schaden gereicht.« – »Der junge Mann,« sagte Crevecoeur, »scheint zwar keck, aber klüger und besonnener, als sich von seinen Jahren erwarten läßt. In allem, was er mir sagte, schonte er den Charakter des Königs, als des Herrn, dem er dient. Ich bin überzeugt, er wird in Gegenwart des Königs ebenso handeln. Ich muß fort, um ihn, wie auch die junge Gräfin von Croye, aufzusuchen.« – »Die Gräfin! Sagtet Ihr uns nicht, Ihr hättet sie in dem St. Brigittenkloster gelassen?« – »Ja, aber ich mußte sie,« sagte der Graf, »auf des Herzogs ausdrücklichen Befehl durch einen Eilboten hierher entbieten lassen; und man hat sie, da sie nicht anders reisen konnte, auf einer Sänfte hergebracht. Sie war äußerst bekümmert, sowohl wegen der Ungewißheit über das Schicksal ihrer Verwandten, der Gräfin Hameline, als auch über das, was ihr bevorsteht, da sie sich dem Schutze ihres Lehnsherrn, des Herzogs Karl, entzogen hat, der unter allen Leuten auf der Welt eine Beeinträchtigung seiner oberherrlichen Rechte am wenigsten nachsieht.« Die Nachricht, daß sich die junge Gräfin in Karls Händen befinde, gab Ludwigs Betrachtungen einen neuen Dorn. Er besprach sich über die Gegenstände mit großem Ernst mit Herrn von Argenton, dessen Scharfsinn und politische Talente dem Könige weit mehr zusagten, als der offene, militärische Freisinn Crevecoeurs oder der Vasallenhochmut Hymbercourts. Argenton, ein hellsehender Mann, fühlte sich durch den Beifall des scharfsinnigsten Fürsten in Europa geschmeichelt und konnte sein innerlichstes Wohlgefallen nicht so verbergen, daß nicht Ludwig den auf ihn gemachten Eindruck hätte wahrnehmen sollen ... »Einen solchen Diener wünscht' ich zu haben,« sagte Ludwig, »dann wäre ich nicht in dieser unglücklichen Lage.« Argenton erwiderte, daß die Fähigkeiten, die er besitze, Sr. allerchristlichsten Majestät zu Diensten ständen, soweit er nicht seine Pflichttreue gegen den Herzog Karl von Burgund, seinen rechtmäßigen Herrn, dadurch verletze. »Und ich sollte der Mann sein, der Euch von dieser Pflicht verlockt?« sprach Ludwig pathetisch. »Droht mir nicht eben jetzt Gefahr, weil ich zu großes Vertrauen auf meinen Vasallen gesetzt habe? Nein, Philipp von Comines, fahrt fort, Karl von Burgund zu dienen, und am besten tun werdet Ihr es, wenn Ihr ihn zu einem billigen Vergleich mit Ludwig von Frankreich bewegt. Bewirkt Ihr dies, so leistet Ihr uns beiden einen Dienst, und einer wenigstens wird dafür dankbar sein. Ich bin ein schlichter Mann, Herr von Argenton, und ich bitte Euch, mir zu sagen, was erwartet Euer Herzog von mir?« – »Ich bin kein Ueberbringer von Vorschlägen, Sire,« sagte Comines; »der Herzog wird Euch bald seine Willensmeinung selbst eröffnen; indes fallen mir einige Punkte bei, die den Vorschlägen wohl zugrunde gelegt werden dürften. So zum Beispiel, die gänzliche Abtretung der Städte hier an der Somme.« – »Das erwartete ich,« versetzte Ludwig. – »Daß Ihr Euch lossagt von den Lüttichern und Wilhelm von der Mark.« – »Ebenso gern, als von der Hölle und dem Satan,« sagte Ludwig. – »Man wird hinlängliche Sicherheit durch Geißeln, Besetzung von Festungen oder auch andere Weise verlangen, damit Frankreich sich in Zukunft enthalte, unter den Flamändern Aufruhr und Empörung anzustiften.« – »Es ist etwas neues,« antwortete der König, »daß ein Vasall von seinem Lehnsherrn Unterpfänder fordert; doch sei es drum. Ist das Verzeichnis Eurer Winke nun zu Ende?« – »Noch nicht ganz,« antwortete der Ratgeber; »es wird auf jeden Fall gefordert, daß Ew. Majestät dem Herzog von Bretagne, wie dies erst kürzlich geschah, nicht länger beschwerlich falle und ihm nicht länger das Recht streitig mache, das ihm, wie allen großen Lehensträgern, zusteht, Münzen zu schlagen und sich Herzog und Fürst von Gottes Gnaden zu nennen.« – »Mit einem Wort, Könige aus meinem Vasallen zu machen! Wollt Ihr, Herr Philipp, daß ich ein Brudermörder werden soll? – Ihr erinnert Euch wohl noch meines Bruders Karl – kaum war er Herzog von Guyenne, als er starb. Was bleibt den Nachkommen Karls des Großen übrig, wenn sie diese reichen Provinzen weggegeben haben, als sich zu Rheims mit Oel salben zu lassen und unter einem Thronhimmel ihr Mittagsmahl einzunehmen?« – »Wir wollen Ew. Majestät Besorgnis hierüber mindern, indem wir Euch einen Genossen bei dieser einsamen Erhöhung geben,« sprach Philipp von Comines. »Obgleich der Herzog von Burgund jetzt noch nicht auf den Titel eines unabhängigen Königs Anspruch macht, so wünscht er dennoch, für die Zukunft von den herabwürdigenden Zeichen der Unterwürfigkeit gegen die Krone Frankreichs befreit zu sein.« – »Und wie kann der Herzog von Burgund, laut seinem Eide Vasall Frankreichs,« rief der König in ungewöhnlicher Gemütsbewegung aufspringend – »seinem Oberherrn Bedingungen vorzuschlagen wagen, die nach allen Gesetzen in Europa die Verwirkung seines Lehens zur Folge haben müssen?« »Die Strafe der Verwirkung möchte im vorliegenden Falle schwer vollstreckbar sein,« antwortete Argenton ruhig; »denn Ew. Majestät weiß, daß die buchstäbliche Auslegung des Lehensrechtes, selbst im heiligen römischen Reiche, außer Brauch zu kommen anfängt, und daß Lehnsherr und Vasall ihre Lage gegenseitig zu verbessern suchen, sowie sich Macht und Gelegenheit dazu bieten. Ew. Majestät Verbindungen mit des Herzogs Vasallen in Flandern werden das Verhalten meines Herrn entschuldigen, wenn er darauf bestehen sollte, daß durch Erweiterung seiner Unabhängigkeit Frankreich für die Zukunft eines jeden Vorwands, sich auf gleiche Weise gegen ihn zu verhalten, überhoben werde.« – »Argenton!« rief Ludwig aus, indem er abermals aufstand und gedankenvoll im Zimmer auf und ab schritt, »Ihr haltet mir eine furchtbare Vorlesung über den Text: Wehe den Besiegten! Es kann doch wohl nicht Eure Meinung sein, daß der Herzog auf allen diesen harten Bedingungen bestehen sollte?« – »Wenigstens wünschte ich, Ew. Majestät hielte sich bereit, solche sämtlich zu erörtern.« – »Aber Mäßigung, Argenton, Mäßigung im Glück, ist – niemand weiß es besser, als Ihr – notwendig, um alle Vorteile sich zu sichern.« – »Mit Ew. Majestät Erlaubnis, das Verdienst der Mäßigung wird, wie ich schon oft zu bemerken Gelegenheit hatte, stets am meisten von dem verlierenden Teile hervorgehoben. Der gewinnende Teil achtet die Klugheit höher, die ihn auffordert, keine Gelegenheit unbenützt zu lassen.« – »Nun, wir wollen's überlegen,« erwiderte der König; »aber nun bist Du doch wohl mit Deines Herzogs unvernünftigen Forderungen zu Ende? Es kann nichts mehr übrig sein – oder wenn es der Fall ist, wie ich in Deinen Blicken lese – was ist es – was kann es sein – wenn es nicht meine Krone ist, die, wenn ich alle diese Forderungen bewilligte, all ihren Glanz verlöre?« – »Was ich Euch, Sire, noch sagen wollte,« versetzte Argenton, »steht zum Teil – und zwar zum größten Teil – in des Herzogs eigener Macht, allein er wünscht doch, Ew. Majestät Einwilligung dafür zu haben, denn es geht Euch in Wahrheit sehr nahe an.« »Was ist es? Sprecht, Herr Philipp,« rief der König voll Ungeduld, »welche Schmach hat er mir noch zugedacht?« – »Keine Schmach, Sire; aber da Ew. Majestät Vetter, der erlauchte Herzog von Orleans ...« – »Ha!« rief der König; aber Argenton fuhr fort, ohne sich unterbrechen zu lassen – – »seine Neigung der jungen Gräfin, Isabelle von Croye, zugewandt hat, so erwartet der Herzog, Ew. Majestät werde von Ihrer Seite sowie er von der seinigen, die Einwilligung zu dieser Verbindung geben und das edle Paar mit einer solchen Apanage ausstatten, die, verbunden mit den Gütern der Gräfin, einem Sohne Frankreichs ein anständiges Auskommen zusichert.« – »Nimmermehr,« rief der König mit einer Heftigkeit, die er nur mit Mühe bisher unterdrückt hatte, und indem er mit großen Schritten und mit einer Hast im Zimmer auf und ab ging, die den grellsten Kontrast zu seiner sonstigen Selbstbeherrschung bildete; »laßt das Kloster oder das Grab vor mir sich auftun – laßt sie glühende Eisen bringen, um mir die Augen auszubrennen – Beil oder Schierling – was man will – aber Orleans soll nie meiner Tochter die geschworene Treue brechen, oder eine andere heiraten, solange sie am Leben ist.« – »Ew. Majestät wird aber,« versetzte Argenton, »bevor Ihr Euch so bestimmt gegen diesen Vorschlag erklärt, bedenken, daß es nicht in Eurer Macht steht, es zu verhindern. Jeder weise Mann wird, wenn er ein Felsstück weichen sieht, von dem fruchtlosen Versuch abstehen, den Sturz desselben verhindern zu wollen.« – »Aber ein tapferer Mann,« entgegnete Ludwig, »wird wenigstens sich unter ihm begraben. – Argenton, betrachte den großen Verlust – den gänzlichen Untergang, dem eine solche Heirat mein Reich entgegenführen muß. Bedenke, daß ich nur einen einzigen schwächlichen Knaben habe, und daß dieser Orleans der nächste Erbe ist. Erwäge, daß die Kirche in seine Verbindung mit Johanna gewilligt hat, wodurch das Interesse beider Zweige meiner Familie so glücklich vereinigt wird – bedenke alles dies, und rechne dazu, wie diese Verbindung der Lieblingsplan meines ganzen Lebens gewesen ist – wie ich darauf gesonnen, dafür gewacht, gefochten, gebetet – ja gesündigt habe! Philipp von Comines, ich will, ich kann ihn nicht aufgeben! Bedenke, Mann, bedenke! Erbarme Dich meiner in dieser Not – Dein erfindungsreicher Kopf wird gewiß bald irgend ein Ersatzmittel für dieses Opfer ersonnen haben. Habt Mitleid mit mir, Philipp! Ihr wenigstens solltet wissen, daß für den, der mit Ueberlegung in die Zukunft blickt, die Vereitlung eines Plans, über dem er lange gebrütet, um den er sich lange abgemüht hat, unaussprechlich bitterer ist als der Kummer gewöhnlicher Menschen, die ihre Befriedigung in irgend einer vorübergehenden Leidenschaft finden.« – »Mein Herr und König!« erwiderte Argenton, »ich nehme Anteil an Eurem Schmerz, insoweit die Pflicht gegen meinen Gebieter –« – »Erwähnt ihn nicht!« sagte Ludwig, wirklich oder scheinbar einem unwiderstehlichen Antriebe weichend, der seine gewöhnliche Vorsicht bemeisterte. »Karl von Burgund ist Eurer Anhänglichkeit nicht wert. – Hat er nicht seine Räte beschimpft und geschlagen – hat er nicht dem weisesten oder treuesten unter ihnen den schimpflichen Beinamen »Stiefelkopf« gegeben?« Philipp von Comines hatte, trotz seiner großen Klugheit, doch einen hohen Begriff von persönlicher Wichtigkeit und war über die Worte, die dem Könige gleichsam in der Hitze der Leidenschaft entschlüpft waren, so betroffen, daß er nur das Wort »Stiefelkopf!« wiederholen konnte. – »Es ist unmöglich,« sagte er endlich, »daß mein Herr, der Herzog, einen Diener so genannt haben kann, der ihm, seitdem er ein Roß besteigen lernte, immer zur Seite war – und zwar in Gegenwart eines fremden Monarchen? – Nein, das kann nicht sein, kann unmöglich sein!« Ludwig bemerkte augenblicklich den Eindruck, den er bewirkt hatte, und erwiderte einfach, aber mit Würde: »Mein Unglück läßt mich all meiner Höflichkeit vergessen; denn sonst hätte ich eine Aeußerung nicht getan, die Euch unangenehm zu hören ist. Aber Ihr habt mir in Eurer Antwort Schuld gegeben, ich hätte Dinge gesprochen, die nicht möglich seien; und das greift meine Ehre an. Wenn ich Euch nicht die Umstände erzählen wollte, unter denen dieses beleidigende Wort gefallen ist, so bliebe dieser Vorwurf auf mir sitzen. Die Sache trug sich folgendermaßen zu. Ihr wart auf einer Jagdpartie mit Eurem Herrn, dem Herzog von Burgund, und als er vom Pferde gestiegen, verlangte er, Ihr solltet ihm die Stiefel ausziehen. Da er in Euern Blicken Empfindlichkeit über diese herabwürdigende Zumutung gelesen haben mochte, erwies er Euch denselben Dienst, den er von Euch empfangen hatte. Aber beleidigt darüber, daß Ihr ihn so wörtlich verstanden hattet, hatte er Euch kaum einen Stiefel ausgezogen, als er ihn Euch zornig um den Kopf schlug, bis das Blut herabfloß, und dabei Euch unverschämt schalt, daß Ihr als Untertan die Anmaßung hattet, einen solchen Dienst von der Hand Eures Gebieters anzunehmen; seitdem pflegte er und sein privilegierter Narr, le Glorieux, Euch den abgeschmackten Beinamen Stiefelkopf zu geben, der nun einer der gewöhnlichsten Späße geworden ist.« Während Ludwig so sprach, hatte er den doppelten Genuß, nicht nur denjenigen, zu dem er sprach, auf das empfindlichste zu verwunden, was ihm immer Vergnügen machte, auch wenn er nicht, wie im vorliegenden Falle, die Entschuldigung hatte, daß er bloß ein Vergeltungsrecht übe – sondern auch den, daß er in Argentons Charakter einen verwundbaren Punkt gefunden hatte, der ihn allmählich dahin bringen konnte, das Interesse Burgunds aufzugeben und sich für das von Frankreich zu entscheiden. Allein obgleich der tiefe Unwille, den der beleidigte Hofmann gegen seinen Gebieter faßte, ihn in der Folge wirklich bewog, Karls Dienste mit denen König Ludwigs zu vertauschen, begnügte er sich doch für jetzt damit, einige Winke über seine freundlichen Gesinnungen gegen Frankreich fallen zu lassen, von denen er wohl wußte, daß der König sie richtig deuten würde, und zwang sich, über die von Ludwig soeben erzählte Anekdote zu lachen. »Ich hätte nie gedacht, daß ein so unbedeutender Scherz dem Herzog solange im Gedächtnis bleiben würde, daß er ihn des Wiedererzählens für wert hielt,« erwiderte er nach einer Weile; »etwas Wahres ist ja an dieser Geschichte; und Ew. Majestät weiß, daß der Herzog einen derben Spaß liebt; allein er hat sie sehr aufgebauscht. Doch, lassen wir das!« – »Ja, lassen wir das!« sagte auch der König; »es wäre eine Schande, wenn wir uns länger dabei aufhalten sollten. Und jetzt, Herr Philipp, hoffe ich, seid Ihr französisch genug gesinnt, um mir in dieser schwierigen Lage nach Eurem besten Wissen zu raten. Ihr habt, wie ich wohl weiß, den Faden zu diesem Labyrinth, wenn Ihr ihn mir nur mitteilen wollt.« – »Ew. Majestät hat über meinen besten Rat und meine Dienste zu befehlen,« erwiderte Argenton; »unbeschadet jedoch der Pflichten, die ich gegen meinen Gebieter habe.« Dies war so ziemlich dasselbe, was der Hofmann schon vorhin erklärt hatte; allein diesmal sprach er es in einem ganz andern Tone, so daß Ludwig, wenn er aus der ersten Erzählung abnehmen mußte, daß die vorbehaltene Treue gegen Burgund die einzige in Betracht kommende Rücksicht war, jetzt fand, daß er mehr Nachdruck auf den versprochenen Rat, als auf den Vorbehalt legte, der nur der Form und Schicklichkeit wegen beigefügt zu sein schien. Der König nahm seinen Sitz wieder ein und nötigte Argenton, Platz zu nehmen. In der Unterhaltung, die sich nun entspann, lieh Ludwig diesem Staatsmann mit einer Aufmerksamkeit sein Ohr, als ob seine Worte Orakelsprüche wären. Argenton sprach in dem leisen, eindringlichen Ton, der zugleich Aufrichtigkeit und große Vorsicht andeutet, dabei aber so langsam, als ob der König jedes einzelne Wort so abwägen und beachten solle, als habe es einen besondern und bestimmten Sinn. »Das, was ich Ew. Majestät zur Erwägung vorgelegt habe, hat, so hart es in Euren Ohren tönen mochte, doch nur weit schlimmere Vorschläge verdrängt, die im Staatsrate des Herzogs zur Sprache gebracht wurden. Ich brauche wohl Ew. Majestät nicht in Erinnerung zu bringen, daß gerade die bösesten Ratschläge bei unserm Gebieter das geneigteste Gehör finden, der immer kurze, gefahrvolle Maßregeln mehr liebt als solche, die zwar sicherer, aber umständlicher sind.« – »Ja, ich erinnere mich,« versetzte der König, »daß ich ihn einst über einen Fluß mit Gefahr des Ertrinkens schwimmen sah, ob er gleich zweihundert Schritte davon über eine Brücke hätte reiten können.« – »Jawohl, Sire; und wer sein Leben an die augenblickliche Befriedigung einer ungestümen Leidenschaft setzt, der wird bei derselben Anregung die wesentliche Vermehrung seiner Macht nicht achten, wenn er nur seinen Willen durchsetzen kann.« – »Sehr wahr,« erwiderte der König; »ein Tor wird immer mehr nach dem Scheine als nach der Wirklichkeit des Ansehens haschen; ich weiß, daß alles dies bei Karl von Burgund zutrifft. Aber, Freund Argenton, was folgert Ihr aus diesen Vordersätzen?« – »Weiter nichts, gnädigster Herr,« antwortete Argenton, »als daß es klug sein möchte, wenn Ihr dem Herzog in denjenigen Stücken nachgebt, auf die er nach seinen Begriffen von Ehre und Rachgier erpicht ist.« – »Ich verstehe, Herr Philipp; aber an welchen von seinen trefflichen Stücken hängt Euer Herzog so, daß Widerspruch ihn nur aufbringen und unfügsam machen würde?« – »Ew. Majestät sollte, um meines vorigen Gleichnisses mich zu bedienen, auf der Hut sein und doch immer bereit, dem Herzoge, wenn er in einem Anfalle von Wut fortschießt, hinlänglich Schnur frei zu lassen. Sein Ungestüm ist schon bedeutend geschwächt und wird sich von selbst aufreiben, wenn er keinen Widerstand findet, und Ihr werdet bald sehen, daß er biegsamer und gefälliger wird.« – »Es müssen aber doch,« sagte der König nachsinnend, »unter den Vorschlägen, die mir mein Vetter macht, einige sein, die ihm vor andern am Herzen liegen. Wenn ich nur erst diese wüßte, Herr Philipp –« »Ew. Majestät kann die unbedeutendsten Forderungen in seinen Augen zu den wichtigsten machen, wenn Ihr Euch denselben widersetzt,« sagte Argenton; »doch kann ich, gnädigster Herr, soviel mit Gewißheit sagen, daß von irgend welchem Vertrag nicht im geringsten die Rede sein wird, wenn Ew. Majestät nicht Wilhelm von der Mark und die Lütticher aufgibt.« – »Ich habe bereits gesagt, daß ich mich von ihnen lossagen will,« sagte der König, »und sie haben es auch um mich verdient; die Schufte begannen ihren Aufruhr in einem Augenblicke, in welchem es mir leicht das Leben hätte kosten können.« – »Herzog Karl wird mehr als bloße Lossage verlangen; er wird auf Ew. Majestät Beistand zur Unterdrückung des Aufstandes und auf Eurer Gegenwart als Zeuge der über die Aufrührer verhängten Strafe bestehen.« – »Das wird sich schwerlich mit unserer Ehre vertragen, Argenton,« sagte der König. – »Es zu verweigern, wird sich aber kaum mit Ew. Majestät Sicherheit vertragen,« erwiderte Comines. »Karl ist entschlossen, dem Volke von Flandern zu zeigen, daß ihnen keine Hoffnung auf Beistand und Hilfe von seiten Frankreichs gegen den Zorn und die Rache Burgunds bleibt.« – »Aber, Argenton, um offen zu sprechen,« entgegnete der König, »sollten die Lütticher Schelme, wenn wir nur die Sache etwas aufschieben könnten, sich nicht gegen Herzog Karl halten können? Sie sind zahlreich und mutvoll.« – »Mit Hilfe der tausend französischen Bogenschützen, die Ew. Majestät ihnen versprach, hätten sie schon etwas ausrichten können: aber –« »Die ich ihnen versprochen?« fragte der König; »nein, guter Herr Philipp, Ihr tut mir wahrlich sehr unrecht.« – »Aber was können die Bürger ohne diese Unterstützung,« fuhr Argenton fort, ohne sich an die Worte zu kehren, »von einer Verteidigung ihrer Stadt erhoffen, in deren Mauern die großen Breschen, die Karl nach der Schlacht bei St. Trond gerissen, noch immer nicht ausgebessert sind, so daß die Lanzen von Hennegau, Brabant und Burgund zwanzig Mann hoch zum Angriffe anrücken können?« »Die unvorsichtigen Dummköpfe!« rief der König – »wenn es ihnen so wenig um ihre eigene Sicherheit zu tun war, so verdienen sie auch meinen Schutz nicht. Fahrt fort – ich will mir ihretwegen keine Ungelegenheit machen.« – »Der nächste Punkt, fürchte ich, wird Ew. Majestät näher zu Herzen gehen,« sagte Comines. – »Ach!« rief der König, »Ihr meint die unselige Heirat! Ich werde nun und nimmermehr der Auflösung des Vertrages zwischen meiner Tochter Johanna und meinem Vetter Orleans meine Einwilligung geben; das hieße mir und meinen Nachkommen das Zepter von Frankreich aus den Händen winden; denn mein schwächlicher Knabe, der Dauphin, ist ein taube Blüte, die abfällt, ohne jemals Früchte zu tragen. Diese Verbindung zwischen Johanna und Orleans ist mein Gedanke bei Tag und mein Traum bei Nacht gewesen. Ich sage Dir, Argenton, ich kann sie nicht aufgeben! Ueberdies ist es unmenschlich, von mir zu verlangen, daß ich mit eigner Hand mein eigenes politisches Gebäude und zugleich das Lebensglück eines von Jugend auf füreinander erzogenen Paares zerstören soll.« – »Haben sie denn wirklich solche Zuneigung zueinander?« fragte Argenton. – »Von der einen Seite ist dies wenigstens der Fall,« versetzte der König, »und gerade von der Seite, die mir die meiste Sorge zur Pflicht macht. Aber Ihr lächelt, Herr Philipp – Ihr glaubt nicht an die Macht der Liebe.« – »Im Gegenteil,« sagte Argenton, »ich bin, mit Eurer Erlaubnis, in dieser Hinsicht so strenggläubig, daß ich Euch eben fragen wollte, ob Euch nicht die Versicherung, daß die Neigung der jungen Gräfin sich einem andern zugewandt habe, so daß es wahrscheinlich nie zu besagter Heirat kommen wird, bestimmen könnte, in die Vermählung des Herzogs von Orleans mit Isabelle von Croye zu willigen?« König Ludwig seufzte. – »Ach, mein teurer Freund,« sprach er dann, »aus welchem Grabe habt Ihr solchen Trost für Tote geholt? – Ihre Neigung, ja freilich! – Wenn, in Wahrheit zu reden, Orleans auch meine Tochter Johanna verabscheute, so hätte er ohne dieses unselige Gewebe von Mißgeschick sie auf jeden Fall ehelichen müssen. Daraus könnt Ihr nun wahrnehmen, wie wenig Hoffnung vorhanden ist, daß dieses Jungferchen unter gleichem Zwange seine Hand ausschlagen wird, zumal er ein Sohn Frankreichs ist. – Nein, nein, Philipp! – es ist Wohl nicht zu besorgen, daß sie gegen die Bewerbungen eines solchen Freiers lange standhalten werde.« »Ew. Majestät möchte im vorliegenden Falle den halsstarrigen Mut dieser jungen Gräfin doch zu gering anschlagen. Sie stammt aus einem eigenwilligen Geschlecht; und ich habe von Crevecoeur erfahren, daß sie eine romantische Neigung zu einem jungen Schildknappen hegt, der ihr allerdings auf der Reise manche Dienste geleistet hat.« – »Ha!« rief der König, »ein Bogenschütze meiner Garde, Quentin Durward?« – »Ich denke, ja!« sagte Argenton; »er wurde mit der Gräfin gefangen genommen, als er fast ganz allein mit ihr reiste.« – »Nun, gelobt sei Jesus Christ!« rief der König, »und Lob und Ehre dem gelehrten Galeotti, der in den Sternen las, daß dieses jungen Mannes Geschick mit dem meinigen verbunden sei! Ist das Mädchen ihm so zugetan, daß sie dadurch gegen Burgunds Willen sich widerspenstig zeigt, so ist dieser Quentin mir von großem Nutzen gewesen.« – »Nach dem, was mir Crevecoeur berichtet hat, ist allerdings einige Hoffnung vorhanden, daß sie auf ihrem Sinne beharren werde; überdies wird ohne Zweifel der edle Herzog ungeachtet der von Ew. Majestät geäußerten Vermutung schwerlich die Ansprüche auf die Hand seiner schönen Muhme, mit der er schon so lange verlobt ist, so bereitwillig aufgeben wollen.« – »Hm!« versetzte der König – »Ihr habt meine Tochter Johanna noch nie gesehen. – Eine Vogelscheuche, Mann! eine wahre Nachteule ist sie, deren ich mich schäme! Aber wenn er nur so klug ist, sie zu heiraten, so mag er meinetwegen sich bis über die Ohren in das schönste Kind in Frankreich verlieben. – Und nun, Philipp, habt Ihr Euch mit allen Falten des Gemüts Eures Gebieters vertraut gemacht?« »Ich habe Ew, Majestät mit allem bekannt gemacht, worauf er zu bestehen jetzt willens ist. Allein Ew. Majestät weiß, daß des Herzogs Stimmung einem brausenden Gießbach gleichkommt, der nur dann in seinem Bette bleibt, wenn er keinen Widerstand findet; was aber noch sich zeigen könnte, ihn aufs neue in Wut zu bringen, läßt sich schwer berechnen. Würden sich noch nähere Beweise für Ew. Majestät Intriguen – verzeiht mir diesen Ausdruck, da jetzt so wenig Zeit für Zeremonien ist – mit den Lüttichern und Wilhelm von der Mark herausstellen, dann könnte es allerdings noch schlimmer werden. Es sind seltsame Nachrichten aus jener Gegend hier eingelaufen, – man erzählt sich, Wilhelm von der Mark habe Hameline, die ältere Gräfin von Croye, geheiratet.« – »Die alte Törin war ja so heiratslustig, daß sie des Satans Hand nicht ausgeschlagen hätte,« versetzte der König, »aber daß der von der Mark, so roh er auch ist, sie geheiratet haben sollte, würde mich noch mehr in Erstaunen setzen.« – »Ferner geht die Sage,« fuhr Comines fort, »daß ein Abgesandter oder Herold von seiten Wilhelms von der Mark unterwegs nach Peronne sei; – ein Umstand, der schon allein hinreichend wäre, den Herzog zur Raserei zu bringen – hoffentlich hat er nicht Briefe oder dergleichen von Ew. Majestät aufzuweisen?« – »Ich sollte an den wilden Eber schreiben?« antwortete der König. »Nein, nein, Herr Philipp, solcher Tor, Perlen vor die Schweine zu werfen, war ich nie; – mein geringer Verkehr mit dem wilden Tiere wurde durch Landstreicher und gemeines Gesindel gefühlt, deren Zeugnis nicht einmal bei einem Hühnerdiebstahl gelten möchte.« – »So kann ich denn Ew. Majestät nur noch empfehlen,« sagte Argenton, sich beurlaubend, »auf der Hut zu sein und vor allen Dingen Worte oder Beweise zu meiden, die mehr Eurer Würde, als Eurer jetzigen Lage angemessen sein dürften.« »Wenn meine Würde,« versetzte der König, »mir einen Spuk machen will – was selten der Fall ist, wenn ich an höhere Interessen zu denken habe, – so habe ich ein sicheres Mittel, zu verhindern, daß sie mir nicht das Herz aufbläht. – Ich brauche dann nur in das zerstörte Kabinett einen Blick zu werfen, Herr von Comines, und an den Tod Karls des Einfältigen zu denken; dies heilt mich, wie ein kaltes Bad das Fieber, – Und jetzt, mein Freund und Warner, mußt Du gehen? Wohl denn, Herr Philipp, es wird ja eine Zeit kommen, wo Du es müde werden wirst, dem Stier von Burgund Vorlesungen über Staatspolitik zu halten. – Wenn Ludwig von Valois dann noch lebt, so findest Du einen Freund an Frankreichs Hofe. Ich sage Dir, es wäre ein Segen für mein ganzes Reich, wenn ich Dich gewinnen könnte, denn bei aller tiefen Einsicht in die Politik hast Du noch ein Gewissen, Recht und Unrecht zu fühlen und zu unterscheiden. So wahr mir Gott helfe, Oliver und Balue haben Herzen so hart, wie Mühlsteine, und mein Leben ist mir durch Gewissensbisse und Reue über Verbrechen verbittert worden, zu denen sie mir rieten. Du aber, Philipp, vereinigst die Weisheit der Gegenwart und der Vergangenheit, Du kannst mich lehren, wie man groß wird, ohne Tugend zu verabsäumen!« »Eine schwere Aufgabe, die nur wenige zu lösen wußten,« sagte Comines; »doch ist sie Fürsten, die nach ihr streben wollen, noch immer erfüllbar. Vor der Hand, Sire, haltet Euch bereit, denn der Herzog wird gleich hier erscheinen, um mit Euch zu unterhandeln.« Ludwig sah Philipp lange nach, als er das Zimmer verließ, und brach endlich in bitteres Lachen aus. »Er dünkt sich tugendhaft, weil er die Börse nicht nahm, sondern sich mit Schmeicheleien, Versprechungen und dem Genuß abspeisen ließ, für gekränkte Eitelkeit Rache nehmen zu können! Nun, er ist um so viel ärmer, da er das Geld ausgeschlagen hat – und nicht um ein Jota ehrlicher. Gleichviel muß er mein sein, denn er ist der schlaueste Kopf unter allen. – Jetzt geht es an ein edleres Wild! Jetzt hab ich's mit dem Leviathan Karl zu tun. Gleich dem furchtsamen Schiffsmann muß ich ihm eine Tonne zum Spiel über Bord weisen, aber ich werde schon noch eines Tages die Gelegenheit erwischen, ihm eine Harpune in die Eingeweide zu bohren.« Dreizehntes Kapitel An dem Vormittag, welcher der wichtigen und nicht minder gefahrvollen Zusammenkunft zwischen den beiden Fürsten im Peronner Schlosse vorausging, war Oliver Le Dain seinem Herrn der geschäftigste, gewandteste Unterhändler, den König Ludwig sich nur irgend wünschen konnte. Er gewann ihm überall Freunde und Förderer, bald durch Geschenke, bald durch Versprechungen; wie schon in der Nacht vorher, schlich er von Zelt zu Zelt, von Behausung zu Behausung, und wie es von andern politischen Agenten geheißen hat, »war sein Finger in jedermanns Hand und sein Mund in jedermanns Ohr« – kurz und gut, er sorgte dafür, daß die Ansicht Oberwasser bekam, daß man nicht allzu lebhaftes Interesse hätte, sich aus dem Regen selbst in die Traufe zu bringen, und daß es der Burgunder Herzog wohl um so weniger an despotischem Gelüst fehlen lassen möchte, wenn er »allein Hahn im Korbe wäre«; daß es also in ihrem eigenen Interesse läge, nicht den einen Herrscher völlig zu ducken, um den andern allein auf den Schild zu heben, sondern daß sie besser dabei fahren würden, wenn sie nach wie vor darauf hielten, einen gegen den andern ausspielen zu können. Und so erreichte denn Oliver von dem Grafen Crevecoeur, wenn auch mit einiger Mühe, die Erlaubnis, in Gegenwart Balafrés und mit Einverständnis Lord Crawfords, des Korpskommandanten, eine Unterredung mit Quentin Durward zu führen, der seit seiner Rückkehr nach Peronne in einer Art von Ehrenhaft gehalten wurde. Um nun diese Erlaubnis zu erhalten, mußten allerdings Privatsachen herhalten; indes ist es doch nicht so unwahrscheinlich, daß sich Graf Crevecoeur, aus Besorgnis, sein Herr und Gebieter mochte sich durch seine Leidenschaftlichkeit zu irgend einer unverantwortlichen Handlung gegen Ludwig hinreißen lassen, ganz gern dafür entschied, Lord Crawford mit dem jungen Schotten verhandeln zu lassen, weil er annehmen durfte, daß es dabei ohne nützliche Verhaltungswinke für den letzteren nicht abgehen werde. Die beiden Landsleute waren äußerst erfreut über dieses Wiedersehen, und Lord Crawford strich dem jüngern Freunde zärtlich mit der Hand durch das lange, blonde Haar. »Du bist doch wirklich ein wunderlicher Jüngling,« hub er an, »Du hast ja bei allem, was Du unternimmst, mehr Glück, als wenn Du mit einer Glückshaube zur Welt gekommen wärest,« – »Das kommt doch einfach bloß daher,« bemerkte Balafré zur Sache, . . »weil er als solch junger Grünschnabel schon in unser Korps eingestellt worden ist. Von mir ist nicht halb soviel die Rede, trotzdem ich schon über ein Vierteljahrhundert dabei bin.« – »Du warst aber auch das richtige Ungeheuer von Page, meiner lieber Ludwig,« erwiderte Crawford, »hattest einen Bart wie ein Jude, der sich drei Jahre lang nicht hat scheren lassen, und einen Rücken so breit wie ein Keiler.« – »Leider werde ich wohl nicht mehr lange Anspruch auf diese Ehre, Bogenschütze Seiner allerchristlichsten Majestät zu sein, erheben dürfen,« erwiderte Quentin mit zu Boden gesenktem Blicke .. »denn ich werde mich wohl entschließen müssen, diesen Dienst zu quittieren.« Der Oheim Balafré war außer sich vor Erstaunen, und aus den Zügen des alten Lords sprach das tiefste Mißfallen... »Was fällt Dir ein,« rief endlich Balafré, »Du willst Deinen Dienst quittieren? wer hätte sich dergleichen träumen lassen? mir könnte das nicht passieren, und wenn ich Aussicht hätte, Großkonnetable von Frankreich zu werden,« – »Ruhig, Ludwig!« sprach Lord Crawford, »der Jüngling weiß besser als wir, wie man nach dem Winde steuern muß, denn ihm ist mehr Wind um die Ohren gestrichen, und wir fangen an, zum alten Register zu gehören. Auf seiner Tour wird er wohl manches über König Ludwig vernommen haben, was ihm nicht recht behagt; und wenn er daraufhin burgundisch wird und der Meinung ist, mehr herausschlagen zu können, wenn er den Herzog davon in Kenntnis setzt, nun, so läßt sich unsererseits doch nichts dagegen tun.« – »Wenn das seine Gedanken wären, Lord Crawford,« rief Balafré, »so schnitte ich ihm selber die Kehle durch, gleichviel ob er meiner Schwester Kind ist.« »Aber ohne zuvor zu untersuchen, ob ich solche Behandlung auch verdiene,« sagte Quentin Durward, »würdet Ihr mich solcher Prozedur doch Wohl nicht unterziehen, Ohm? Und Ihr, Mylord, wißt wohl, daß sich die Rolle eines Zuträgers für mich nicht schickt. Möchte mir während meines Dienstes bei König Ludwig auch das Schlimmste zu Ohren gekommen sein, so könnt's doch keine Folter über meine Lippen zerren! Insoweit weiß ich, was ich meinem Diensteide schuldig bin. Aber ich habe keine Lust, in einem Dienste zu verbleiben, in welchem ich nicht bloß den Streichen meiner Feinde im offenen Kampfe, sondern auch den verräterischen Tücken meiner Freunde ausgesetzt bin.« – »Wenn das der Fall sein sollte,« nahm Valafré das Wort, indem er auf seinen Kommandanten einen kummervollen Blick heftete, »dann muß ich freilich fürchten, Mylord, daß kein Rat mehr mit ihm sein wird. Ich hab ja selbst ein paar Dutzend Male gegen solche Hinterlist ankämpfen wollen, die leider unserm König nicht abzugewöhnen ist, denn sie bildet nun einmal seine beliebteste Kriegsmanier.« – »Freilich, Ludwig, freilich!« pflichtete ihm Lord Crawford bei, »aber schweigen wir lieber, kommt es mir doch so vor, als ob Du der Sache mehr auf den Grund blicktest als ich.« – »Aber trotzdem kann ich's nur schwer verwinden, Mylord,« sagte Balafré, »daß ich mir sagen muß, meiner Schwester Sohn habe Dampf vor Türken und Hinterhalten.« »Mein Sohn,« wandte sich nun Lord Crawford an Quentin Durward, »ich glaube den Sinn Deiner Worte zu erraten: Du bist auf der Reise, die Du auf Befehl unternommen, hinter Dinge gekommen, die Dir als Verrat erscheinen, und als Urheber davon vermutest Du nun Deinen König?« – »Allerdings hat der König mir nachgestellt, während ich für ihn unterwegs war. Aber ich bin so glücklich gewesen, diesen Anschlägen zu entgehen. Wie Seine Majestät solches Verhalten vor Gott und seinem Gewissen verantworten kann, das mag ihm überlassen bleiben. Er hat mich gespeist, als ich hungrig war, hat mich beherbergt, als ich ein irrender Fremdling war. In seinem Unglück ihn mit Anschuldigungen zu belasten, soll mir nie beikommen, denn es könnte sein, daß das, was mich dabei nicht persönlich angeht, nicht völlig auf Wahrheit beruht. Die Quellen, aus denen ich schöpfen mußte, sind schließlich nicht die allerreinsten.« – »Mein wackrer Sohn!« rief da Lord Crawford, den Jüngling in die Arme schließend, »das nenn' ich gesprochen, wie es eines echten Schotten würdig ist! Du denkst wie einer, der sich nur des Guten von dem Menschen erinnert, den er schon mit dem Rücken am Henkerpfahle stehen sieht.« – »Nun, da Mylord meinem Neffen solch herzliche Ehre antut,« rief Balafré, »hab ich wohl nicht nötig, sie ihm vorzuenthalten . . immerhin, Junge, solltest Du wissen, daß dem Soldaten der Dienst im Hinterhalt so wichtig ist und so nötig wie dem Priester sein Meßbuch.« – »Still, Ludwig!« wehrte ihm Lord Crawford, »Du weißt nicht, wie dankbar Du dem Himmel sein mußt, daß er Dir diesen wackern Burschen gesandt hat. Du aber, Quentin, sage mir, ob der König um Deine mannhafte, christliche Gesinnung weiß? es sollte dem unglücklichen Herrscher doch nicht vorenthalten bleiben, auf wen er in seinen Nöten bauen darf. Ach, hätte er doch nur sein ganzes Leibgardekorps mit hergeführt! Aber wer kann gegen Gottes Willen? Wie gesagt, Quentin, weiß der König um Deinen Entschluß?« »Das zu sagen, Mylord, bin ich außerstande,« versetzte Quentin, »aber seinem Sterndeuter Galeotti habe ich die Versicherung gegeben, daß es mein fester Wille sei, über alles, was dem Könige nachteilig werden könnte, tiefstes Stillschweigen zu wahren gegenüber dem Herzoge von Burgund. Was mir als besonders verdächtig erschienen ist,« setzte er hinzu, »werde ich übrigens auch Euch nicht mitteilen, Mylord, und umsoweniger habt Ihr also Grund zu der Annahme, ich hätte Lust haben können, dem Philosophen mein Inneres zu erschließen.« – »Brav, mein Sohn! brav!« rief der Lord, »mir fällt ein, daß Oliver gesagt hat, der Galeotti habe prophezeit, wie Ihr Euch verhalten würdet; da bin ich nun freilich froh, daß er die Kunde aus einer sichereren Quelle geschöpft hat als aus einem Gestirn . . aber, Ludwig! wir müssen Deinen Neffen nun verlassen und wollen zu unsrer lieben Frau beten, daß sie ihn in seinem guten Sinne auch fürderhin bestärke, denn es liegt hier ein Fall vor, wo ein einziges ungeschicktes Wort größeres Unheil stiften könnte, als das ganze Parlament von Paris wieder gut zu machen vermöchte . . Nimm also meinen Segen, mein Sohn, und den Rat: beeile Dich nicht zu sehr, unser Korps zu verlassen, denn es wird bald tüchtige Wamse bei hellem Tage setzen, und nicht mehr in Hinterhalten.« – »Und meinen Segen, Junge, will ich Dir nicht vorenthalten,« sagte Ludwig Lesley, »denn wenn mein edler Hauptmann zufrieden mit Dir ist, dann darf ich keine Ursache mehr zur Unzufriedenheit finden.« »Noch eine kurze Weile verzeiht, Mylord,« sagte Quentin, indem er den Korpskommandanten beiseite nahm, »ich darf nicht unerwähnt lassen, daß es noch jemand in der Welt gibt, der über die näheren Umstände von mir aufgeklärt worden ist, die jetzt um der Sicherheit des Königs Ludwig willen verschwiegen bleiben müssen. Diese Person dürfte vielleicht meinen, daß ihr nicht die gleiche Verpflichtung, zu schweigen, obliegt, wie mir als Dienstmann Ludwigs ...« – »Ihr, sagt Ihr?« rief Lord Crawford, »o weh! wenn's ein Frauenzimmer ist, die drum weiß, dann sei uns Gott gnädig! da säßen wir ja wieder ganz gehörig in der Tinte!« – »Das braucht Ihr nicht zu meinen, Mylord!« versetzte Durward, »doch macht Euren Einfluß bei dem Grafen Crevecoeur geltend, daß er mir eine Unterredung mit Gräfin Isabelle gestatte. Denn sie allein ist's, die um das Geheimnis weiß, und ich zweifle nicht, daß es mir gelingen werde, sie in gleicher Weise zum Stillschweigen zu bestimmen, wie das mir meinem eignen Ich gegenüber gelungen ist.« Der alte Soldat stand einen Augenblick überlegend da, dann richtete er den Blick bald auf die Dielen, bald zur Decke hinauf, dann schüttelte er den Kopf – dann sagte er: »Weiß der Himmel! aber hinter dieser ganzen Geschichte steckt noch etwas, das ich nicht verstehe . . Gräfin Isabelle von Croye? und mit der wolltest Du Springinsfeld schottischer Herkunft eine Unterredung haben? mit einer Dame von ihrer Geburt, von ihrem Rang und Reichtum? Entweder hast Du zu hohes Vertrauen in dich, mein Sohn, oder Du hast unterwegs Deine Zeit vermaledeit gut verwendet! Immerhin will ich mit Crevecoeur in dieser Sache reden, und da er tatsächlich fürchtet, sein hitzköpfiger Herr könnte sich zu etwas Verdrießlichem von seiner Leidenschaft hinreißen lassen, so wird er wohl, denke ich, in Dein Begehren willigen, so seltsam und absonderlich es ihm auch, meiner Sixen, erscheinen wird.« Hierauf verließ der Lord das Zimmer, achselzuckend und in Begleitung Balafrés, der nichts Besseres wußte, als ebensolche geheimnisvolle Miene aufzusetzen wie sein Kommandant. Es dauerte nicht lange, so kehrte Lord Crawford wieder zurück, aber ohne seinen Schatten Balafré, und mit weit heitrerer Miene als vorhin. Ja er lachte und kicherte in sich hinein, auf eine Art, wie sie gar nicht recht zu seinem rauhen, runzligen Gesicht passen mochte. Dann wieder schüttelte er den Kopf, wie über eine Sache, die wohl seinen Tadel verdiente, die ihm aber nichtsdestoweniger außerordentlich albern vorkam. »Wirklich, Landsmann!« sagte er endlich, »blöde seid Ihr nicht, und aus Schüchternheit werdet Ihr sicherlich keine Schöne einbüßen. Crevecoeur kam mir vor wie einer, der Essig schluckt, als er Euren Vorschlag vernahm, und bei allen Heiligen Burgunds verschwor er sich, Euch keinen Schritt zu der Gräfin vergönnen zu wollen, wenn nicht gerade die Ehre der beiden Fürsten und der Friede der beiden Reiche auf dem Spiele stünde! Wäre er nicht schon verheiratet, so hätte ich, weiß Gott! gedacht, er wolle um der schönen Isabelle Hand selbst noch eine Lanze brechen! aber er denkt vielleicht an seinen Neffen, den Grafen Stephan? Seh einer an! Aber auf die Unterredung, das sage ich Euch, darf viel Zeit nicht verloren gehen, denn sonst möchte dem Grafen Crevecoeur die Geduld reißen! Hahaha! schmälen kann ich mit Euch, weiß Gott! nicht ob solcher Anmaßung, aber lachen, herzlich lachen muß ich darüber!« Scharlachrot im Gesicht ob dieser Worte des alten Kriegers, aber schweigend, weil er sich sagte, daß jedes Wort die Sache nur verschlimmern würde, folgte Durward seinem Kommandanten in das Kloster, worin die Gräfin Zuflucht genommen hatte. Dort traf er im Sprechzimmer den Grafen Crevecoeur. . »Also, junger Schwerenöter,« sprach dieser in gemessenem Tone, »wie es scheint, müßt Ihr die holde Partnerin Eurer romantischen Spritzfahrt durchaus noch einmal sehen?« – »Allerdings, Herr Graf,« antwortete Durward kalt, aber fest, »und was noch mehr ins Gewicht fallen dürfte, ich muß sie unter vier Augen sehen und sprechen.« – »Das wird nimmermehr der Fall sein,« versetzte entschieden der Graf, »urteilt selbst, Lord Crawford! die junge Dame ist die Tochter meines ältesten und wertgeschätztesten Waffengefährten, dabei die reichste Tochter der burgundischen Lande, und sie hat zugegeben, daß sie eine – na, wie soll ich sagen? – na, eine Törin ist, Euer Kriegsmann dort aber ein anmaßender junger Geck . . kurz und gut, unter vier Augen dürfen sie einander nicht sehen . . auf keinen Fall!« . . »Nun, dann werde ich eben in Eurer Gegenwart kein Wort mit der Gräfin reden,« versetzte Quentin; »Ihr habt mir ja mehr bekannt gegeben, als ich bei aller mir eigentümlichen Anmaßung zu hoffen mich getraut hätte.« – »In Wahrheit, Freund,« nahm jetzt Lord Crawford das Wort, »Ihr seid mit Euren Reden nicht vorsichtig genug gewesen. Da Ihr Euch aber auf mich beruft, so möchte ich meinen, daß im Sprechzimmer ja doch ein ziemlich starkes Gitter den Klosterinsassen von dem Besucher absperrt. Ich denke, daraufhin könntet Ihr doch wohl ruhig es darauf ankommen lassen, was sie mit ihren Jungen anfangen werden? Wenn das Leben eines Königs und vieler seiner Edeln und Untertanen von der Unterredung solches jungen Menschen mit einer jungen Dame in gewissem Grade abhängt, dann meine ich, sollte man sie zusammen in aller Ruhe schwatzen lassen.« Mit diesen Worten zog Lord Crawford den Grafen aus dem Zimmer. Er folgte, wenn auch nicht ohne Widerstreben, dem klügeren Greise, konnte aber nicht umhin, den jungen Bogenschützen noch mit recht zornigen Blicken zu messen. Gleich darauf trat Gräfin Isabelle ein, und zwar von der anderen Seite des Gitters. Kaum hatte sie den jungen Schotten allein in dem Sprechzimmer erblickt, als sie stehen blieb und ein paar Sekunden lang die Augen zu Boden geschlagen hielt ... »Aber warum sollte ich undankbar sein?« sagte sie schließlich? »weil andre mich mit ungerechtem Argwohn verfolgen? ... Mein Freund, mein – Retter, denn so muß ich Euch nennen – da ich von allen Seiten von Verrat umringt war – mein einzig treuer und aufrichtiger Freund!« Sie reichte ihm durch das Gitter die Hand und ließ sie in der seinen ruhen, ja, sie ließ es zu, daß er sie mit Küssen bedeckte.. Dann aber sagte sie: »Quentin Durward! sollten wir uns jemals wiedersehen, so würde ich diese Torheit Euch nie erlauben!« – Dann entzog sie ihm ihre Hand, trat einen Schritt vom Gitter weg und fragte Durward in einem ziemlich verlegenen Tone: was er eigentlich von ihr wolle? »Denn daß Ihr mich um etwas bitten wollt, hat mir der alte schottische Lord gesagt, der mit dem Grafen Crevecoeur bei mir war. Aber um eins möchte ich bitten: sprecht nichts, was uns beiden, denn es ist wohl anzunehmen, daß wir belauscht werden, zum Nachteil gereichen könnte.« – »Seid ohne Furcht, edles Fräulein,« erwiderte Quentin besorgt; »blickt nicht zurück, sondern vorwärts, standhaft vorwärts! wie alle tun müssen, die auf gefahrvollem Pfade wandeln, und höret mich an! König Ludwig hat es um Euch nicht besser verdient, als daß er öffentlich als hinterlistiger Ränkeschmied erklärt werde. Im gegenwärtigen Augenblick würde es aber, wenn nicht seinen Tod, so doch den Verlust seiner Krone bedeuten, wenn er angeklagt würde als derjenige, der Euch zu Eurer Flucht geraten, ja der den Plan ersonnen hat, Euch dem Eber von der Mark in die Hände zu liefern; und ganz ohne Zweifel dürfte feststehen, daß es infolge solcher öffentlichen Brandmarkung des Königs Ludwig zum blutigen Kriege zwischen Frankreich und Burgund kommen müßte.« »Solches Herzeleid soll niemals durch mich über diese beiden herrlichen Länder gebracht werden,« erklärte Gräfin Isabelle in festem, doch freundlichem Tone, »sofern es sich irgend verhindern läßt. Dazu würde mich die leiseste Bitte aus Eurem Munde vermögen, denn ich bin nicht rachsüchtig. Also sagt mir, was ich tun soll? wenn mich der Burgunder Herzog vor sich ruft, soll ich schweigen oder die Wahrheit sagen? das erstere wäre Widerspenstigkeit, und das andere Lüge. Und dazu mich zu erniedrigen, werdet Ihr mir doch nicht zumuten?« – »Ganz gewiß nicht, edle Gräfin,« erwiderte Durward, »aber beschränkt Eure Aussage über König Ludwig auf das wenige, von dessen Wahrheit Ihr fest überzeugt seid . . und wenn Ihr erwähnt, was andre Euch berichtet haben, so tut es nur in dem Sinne, wie man sich Gerüchten gegenüber verhält, und nehmt Euch in acht, Dinge, die Ihr selbst nicht erlebt habt, als wahr unter Eurem Zeugnis zu sagen. Mag mithin, was Euch selbst nicht so bekannt ist, daß Ihr es auf Euer Zeugnis nehmen könnt, durch andre Beweismittel als bloße Gerüchte erhärtet werden.« »Ich glaube, den Sinn Eurer Rede zu verstehen,« erwiderte die Gräfin. – »Ich will mich noch deutlicher auszudrücken suchen,« sagte Quentin und schickte sich eben an, das Gesagte noch weiter auszuführen, als die Klosterglocke erklang . . »Das ist das Zeichen,« sagte die Gräfin, »daß wir uns zu trennen haben . . zu trennen für immer! . . Aber vergeßt mich nicht, Durward . . denn ich werde Euch ... Eure treuen Dienste auch nimmer vergessen!« – Weiter konnte sie nicht sprechen, aber sie reichte ihm noch einmal die Hand und noch einmal drückte er sie an die Lippen, und ich weiß nicht, wie es kam, aber die Gräfin trat, als sie ihm ihre Hand zu entziehen suchte, so dicht an das Gitter heran, daß Quentin den Mut fand, ihr einen Abschiedskuß auf die Lippen zu drücken . . und sie schalt ihn deshalb nicht, vielleicht war keine Zeit mehr dazu – denn Graf Crevecoeur und Lord Crawford, die, wenn nicht Ohren-, so doch Augenzeugen, und zwar durch einen günstig gelegenen Spalt, vom ganzen Vorgange gewesen waren, stürzten in den Raum, der erstere wild vor Zorn, der andere berstend vor Lachen und umsonst bemüht, den andern in den Schranken der Vernunft zu halten. »Auf Euer Zimmer, meine Dame!« rief der Graf der Gräfin zu, die ihren Schleier über das Gesicht zog und sich eilig entfernte, »und ich will Sorge tragen, daß Ihr es mit einer Zelle bei Wasser und Brot vertauscht. Ihr seiner Musje dagegen, Ihr werdet wohl demnächst in Verhältnisse kommen, wo das Interesse von Königen und Ländern nicht mehr von Euren Kenntnissen abhängig ist. Dann soll Euch die Strafe für solche Frechheit, Euer Bettlerauge zu einer Gräfin von Burgund zu erheben, noch hinterher zuteil werden!« – »Herr Graf,« nahm darauf Lord Crawford das Wort, »das sind der Worte von Eurer Seite nun wahrlich genug; Ihr dagegen, Quentin, verhaltet Euch still! ich befehl's Euch, verstanden? Graf Crevecoeur soll es durch mich erfahren, daß Ihr ein Edelmann seid so gut wie er, so gut wie der König, wenn auch nicht, wie es in Spanien heißt, so reich wie er . . Aber von einer Strafe zu reden Euch gegenüber, dazu hat er kein Recht! weiß Gott nicht! weiß Gott nicht!« »Mylord,« erwiderte der Graf, »die Frechheit dieser Mietstruppen im französischen Lande ist schier zum Sprichwort geworden, und Ihr tätet wahrlich besser, sie nicht zu züchten, sondern einzudämmen.« – »Ich bin nun an fünfzig Jahre Kommandant des Bogenschützenkorps, Herr Graf,« erwiderte Lord Crawford, »ohne daß ich den Rat eines Franzosen, geschweige eines Burgunders gebraucht habe, um zu wissen, wie ich mich dabei zu verhalten habe . . und wenn Ihr nichts dawider habt, so denke ich es in Zukunft in dieser Hinsicht auch nicht anders zu halten.« – »Meinetwegen, Mylord,« versetzte Graf Crevecoeur, »beleidigen wollte ich Euch nicht; Rang und Alter geben Euch ja einiges Vorrecht, Euch gehen zu lassen, und was die beiden jungen Menschen angeht, nun, so will ich insofern mal fünf gerade sein lassen, als ich ja hinfort dafür Sorge tragen werde, daß sie einander nicht mehr vor die Augen kommen.« – »Darauf möcht ich an Eurer Statt denn doch lieber keinen bindenden Eid ablegen,« erwiderte der alte Schotte mit Lächeln, »so gut, wie Berge aufeinander zurücken, so können's menschliche Geschöpfe doch auch, zumal sie doch Beine haben, und Lust und Liebe, sie in Bewegung zu sehen, auch. Mir ist's wenigstens so vorgekommen, als sei es ein recht herzhafter Schmatz gewesen, den wir mitangehört haben; und so was, weißt's doch immer, vergißt sich im Leben nicht.« »Lord Crawford,« antwortete Crevecoeur, »Ihr wollt abermals meine Geduld auf die Probe stellen, allein gelingen soll's Euch nicht! Doch da läutet die Glocke auf dem Schlosse . . da wird's eine wichtige Versammlung setzen, und was sie bringt, das weiß allein Gott! – »Was sie bringen wird,« sagte Lord Crawford, »will ich Euch voraussagen: der König wird, wenn ihm Gewalt angetan werden sollte, und mag er noch so wenig Freunde haben, mag er von Feinden noch so dicht umringt sein, nicht allein fallen, und auch nicht ungerächt fallen . . ich beklage nur, daß seine unmittelbaren Befehle es mir unmöglich gemacht haben, meine Maßregeln zu treffen und mich auf einen solchen Ausgang des tollen Einfalles beizeiten zu rüsten.« »Mylord Crawford,« erwiderte der Burgunder, »solchem Uebel kommt man am sichersten zuvor, wenn man es herbeiführt. Gehorcht den Befehlen Eures königlichen Gebieters, und gebt keinen voreiligen Anstoß zu Gewalttaten, dann werdet Ihr finden, daß der Tag friedlicher endigen wird, als Ihr zurzeit vermutet.« Vierzehntes Kapitel Beim ersten Klange der Glocke, die die burgundischen Edlen mit den wenigen französischen Pairs, die zugegen waren, in die Versammlung rief, trat Herzog Karl, von einem Teil seines bewaffneten Gefolges begleitet, in die Halle des Herbertturms im Peronner Schlosse ein. König Ludwig, der diesen Besuch erwartet hatte, stand auf, trat dem Herzog ein paar Schritte entgegen und blieb dann mit einem würdevollen Anstande stehen, den er, wenn er es nötig fand, wohl anzunehmen wußte. Der Herzog hingegen trat ungestüm ein und wechselte, obgleich er sich zwang, im Aeußern und auch in der Sprache eine gewisse Höflichkeit anzunehmen, doch jeden Augenblick seine Farbe; seine Stimme stockte, die Stirn zog er in Falten und biß sich in die Lippe, bis sie blutete: kurz, jeder Blick, jede Bewegung deutete an, daß der leidenschaftlichste Fürst, der jemals lebte, unter der Herrschaft eines der heftigsten Anfälle von Wut stand. Der König sah diesem Kampfe der Leidenschaft ruhig zu; las er auch in den Blicken des Herzogs die bitterste Ankündigung des Todes, den er als sterblicher und sündhafter Mensch gleich sehr fürchtete, so war er dennoch entschlossen, sich gleich einem vorsichtigen, geschickten Steuermann weder durch Besorgnisse außer Fassung bringen zu lassen, noch auch vom Steuerruder zu weichen, so lange noch die Möglichkeit, das Schiff zu retten, vor»Händen blieb. »Ich komme,« sprach der Herzog, »Ew. Majestät zu hohem Rate einzuladen. Dinge von hoher Wichtigkeit, die Wohlfahrt Frankreichs und Burgunds betreffend, sollen verhandelt werden. Ihr werdet Euch daher sogleich dahin verfügen – sofern es Euch beliebt natürlich ...« – »Lieber Vetter,« erwiderte der König, »treibt Eure Höflichkeit nicht so weit, daß Ihr um das bittet, was Ihr befehlen dürft ... also zur hohen Versammlung, wenn es Ew. Hoheit so beliebt! Wir sind,« fügte er mit einem Blick auf die wenigen hinzu, die sich zu seiner Begleitung anschickten, »in unserm Gefolge etwas geschmälert worden – drum, lieber Vetter, müßt Ihr für uns beide glänzen.« Unter Vorantritt des ersten Herolds von Burgund, Toison d'Or, verließen die Fürsten den Herbertturm und traten in den Schloßhof, der mit des Herzogs Leibwache in prachtvoller Rüstung angefüllt war. Ueber den Hof gelangten sie in den Versammlungssaal, der in einem neueren Teile des Gebäudes sich befand. Zwei Prunksessel standen unter einem Thronhimmel; der für den König bestimmte zwei Stufen höher als derjenige für den Herzog. Ungefähr zwanzig Mitglieder des hohen Adels saßen der Reihe nach zu beiden Seiten, so daß, als sie Platz genommen hatten, König Ludwig, über den der hohe Rat zu Gericht sah, den Vorsitz zu führen schien. Herzog Karl machte nun eine leichte Verbeugung vor dem König und eröffnete die Versammlung hastig mit den Worten: »Meine treuen Vasallen und Räte! Es ist Euch nicht unbekannt, welche Unruhen in Unseren Landen zu Lebzeiten meines Vaters, sowie unter Unserer Regierung durch den Aufstand von Vasallen gegen ihre Lehnsherren, von Untertanen gegen ihre Fürsten, stattgefunden haben. So haben wir erst kürzlich den schrecklichsten Beweis gehabt, bis zu welcher Höhe dieses Uebel bei Uns gestiegen ist, durch die schändliche Flucht der Gräfin Isabelle von Croye und ihrer Muhme, der Gräfin Hameline, um bei einer fremden Macht Schutz zu suchen, wodurch sie ihre Lehenspflicht verletzt und ihre Lehen verwirkt haben; und einen andern, noch furchtbarerern Fall erlebten Wir durch die ruchlose Ermordung Unseres geliebten Bruders und Bundesgenossen, des Bischofs von Lüttich, wie durch die Empörung der verräterischen Stadt. Wir haben Uns berichten lassen, daß diese traurigen Ereignisse nicht sowohl in dem Leichtsinn und der Torheit von Weibern oder in der Anmaßung übermütiger Bürger, sondern in den Umtrieben einer fremden Macht und der Einmischung eines mächtigen Nachbarn ihren Grund haben, von dem doch Burgund nichts als die aufrichtigste, treueste Freundschaft hätte erwarten sollen. Sollte dies alles als wahr befunden werden,« sagte der Herzog, indem er mit den Zähnen knirschte und mit dem Fuße auf den Boden stampfte, »welche Rücksicht sollte Uns abhalten, – da Wir die Mittel in den Händen haben, – diejenigen Maßregeln zu ergreifen, die die Quelle aller dieser Uebel, die in jedem Jahre Uns treffen, an ihrem Ursprünge verstopfen?« Der Herzog hatte mit Ruhe zu sprechen begonnen, aber seine Stimme gegen das Ende derselben erhoben und die letzten Worte in einem Tone gesprochen, vor dem alle seine Räte erzitterten und selbst König Ludwig erblaßte. Der letztere sammelte sich jedoch gleich wieder und wandte nun seinerseits sich mit einer Anrede an die Versammlung, in welcher so viel Unbefangenheit und Fassung lagen, daß der Herzog, obgleich er oft versucht schien, ihn zu unterbrechen und dem Laufe seiner Rede Einhalt zu tun, dennoch keine schickliche Ursache dazu finden konnte. Nach einer Weile indes fiel er ihm ungeduldig in die Rede ... »Gräfin Isabelle soll eintreten!« befahl er rauh. Als die Gräfin, unterstützt von der Gräfin Crevecoeur und von der Aebtissin der Ursulinerinnen, hereintrat, rief Karl barsch: »Nun, schöne Prinzessin – Was denkt Ihr denn von dem sauber« Werke, das Ihr zwischen zwei großen Fürsten und mächtigen Ländern angerichtet habt?« Die Gräfin von Crevecoeur, eine Dame gleich geistvoll wie hochgeboren, hielt es für nötig, für die vor Schreck fast ohnmächtige Jungfrau das Wort zu nehmen. »Herr Herzog,« sprach sie, »meine schöne Cousine steht unter meinem Schutze. Ich weiß besser, als Ew. Gnaden, wie Frauen behandelt werden müssen, und wir werden uns sogleich entfernen, wenn Ihr nicht eine Sprache führen wollt, die unserm Geschlecht und unserm Range angemessener sind.« Der Herzog brach in ein lautes Gelächter aus. »Crevecoeur,« sprach er, »Dein zahmes Wesen hat ja Deine Gemahlin zu einer recht herrischen Frau gemacht, allein das kümmert mich wenig! gebt dem einfältigen Mädchen einen Sessel: ich bin weit entfernt, feindselig gegen sie gesinnt zu sein; ich will nur, daß das Fräulein uns mit Muße erzählt, welcher böse Feind in sie gefahren ist, daß sie aus ihrem Heimatlande fliehen und ein irrendes Dämchen werden mußte.« Mühsam und oft stecken bleibend, bekannte Isabelle, daß sie gegen eine ihr vom Herzoge angesonnene Heirat eine entschiedene Abneigung gehabt und an dem französischen Hofe habe Schutz suchen wollen ....« Bei dem französischen Monarchen,« fragte Karl, »fühltet Ihr Euch also sicherer?« – »Allerdings,« antwortete Gräfin Isabelle, »sonst hätte ich einen so entscheidenden Schritt nicht getan.« Hier warf Karl einen Blick auf den König mit unaussprechlich bitterm Lächeln, den dieser aber mit Festigkeit aushielt... »Aber meine Nachrichten über die Gesinnungen König Ludwigs gegen uns,« fuhr die Gräfin nach einer kleinen Pause fort, »rührten hauptsächlich bloß von meiner unglücklichen Muhme, der Gräfin Hameline, her, und ihre Meinung baute sie auf Einflüsterungen von Leuten, in denen ich nachher niederträchtige Verräter und treulose Wichte gefunden habe.« – Sie erzählte nun in aller Kürze, was sie von Marthons und Hayraddins Verräterei erfahren hatte. Es entstand eine Pause; dann fuhr die Gräfin fort, alles von ihrer Flucht aus Burgund bis zur Erstürmung des Schlosses Schönwald zu erzählen. Alles blieb still, als sie geendigt hatte; der Herzog aber heftete seine flammenden Augen auf den Boden, als suche er einen Vorwand, seiner Leidenschaft freien Lauf zu lassen, ohne jedoch einen zu finden. »Ich möchte nun doch von König Ludwig wissen,« sagte er endlich, den Blick wieder aufhebend, »warum er die Damen an seinem Hof behielt, wenn sie nicht auf seine Einladung dahin gekommen waren?« – »Lieber Vetter,« antwortete der König, »aus Mitleid nahm ich sie insgeheim in einem Privathause auf, sorgte aber dafür, sie unter den Schutz des verewigten Bischofs, Eures Bundesgenossen, zu bringen, der, Gott hab' ihn selig! besser beurteilen konnte als ich oder irgend ein weltlicher Fürst, wie sich der Schutz, den man Flüchtlingen schuldig ist, mit den Pflichten vereinigen läßt, die ein König seinem Verbündeten schuldig ist, aus dessen Lande sie geflohen waren. Ich fordere diese Dame auf, zu erklären, ob ihr Empfang herzlich gewesen oder ob er nicht vielmehr von der Art war, daß die Damen bedauerten, meinen Hof zum Zufluchtsorte gewählt zu haben?« – »Er war so ganz aller Herzlichkeit bar,« versetzte die Gräfin, »daß ich zweifeln mußte, ob Ew. Majestät selbst wirklich die Einladung habe ergehen lassen, wie uns von denen, die sich für Eure Agenten ausgaben, versichert worden.« »Mich dünkt, schone Dame,« sagte der Herzog, »Ihr habt bei Eurer Erzählung gewisse Liebesabenteuer vergessen. – Ei, ei! Ihr errötet ja schon? Ich meine gewisse Ritter vom Walde, die Eure Ruhe auf einige Zeit zu stören wagten. – Sagt, König Ludwig, wäre es nicht wohlgetan, ehe diese wandernde Helena von Croye noch mehrere Könige gegeneinander hetzt, eine passende Partie für sie ausfindig zu machen?« König Ludwig wußte zwar, welch unangenehmer Vorschlag jetzt zur Sprache kommen würde. Allein Isabellens Mut war inzwischen aufs neue erwacht. Sie entwand sich dem Arme der Gräfin Crevecoeur, auf den sie sich bis jetzt gestützt hatte, kniete schüchtern, jedoch mit würdevollem Anstand, am Throne des Herzogs nieder und redete ihn also an: »Edler Herzog von Burgund, mein gnädigster Lehensherr! ich erkenne meinen Fehltritt, ohne Eure Erlaubnis mich aus Euren Landen entfernt zu haben, und unterwerfe mich in Demut jeder Strafe, die Ihr über mich zu verhängen für gut findet. Ich bitte einzig um die Gnade, daß Ihr um meines Vaters willen dem letzten Sprößling aus dem Stamme Croye ein mäßiges Einkommen bewilligen wollet, damit ich für den Rest meines Lebens in einem Kloster Aufnahme finde.« – »Was dünkt Euch, Sire, von dem Antrage dieser Person?« fragte der Herzog, sich an Ludwig wendend. – »Ich denke,« erwiderte der König, »es ist eine fromme demütige Bitte, der man nicht zuwider handeln soll.« – »Nun, wer sich selbst erniedrigt, soll erhöhet werden,« sprach der Herzog. »Erhebt Euch denn, Gräfin Isabelle! – Wir meinen es besser mit Euch, als Ihr selbst. Wir wollen weder Eure Güter einziehen, noch Eure Ehre schmälern, – im Gegenteil beides bedeutend erhöhen und mehren.« – »Ach, gnädigster Herr!« sagte die Gräfin, immer noch knieend, »eben diese wohlgemeinte Güte ist es, die ich mehr fürchte, als Ew. Hoheit Mißfallen, da sie mich nötigt –« – »Heiliger Georg von Burgund!« rief Herzog Karl, »soll denn jeden Augenblick Unserem Willen widersprochen und Unseren Befehlen zuwider gehandelt werden? Steh' auf, sag' ich, Püppchen, und entferne Dich für jetzt! – Wenn Wir Zeit haben, wieder an Dich zu denken, so werden Wir's schon so ordnen, daß Du entweder Uns gehorchen oder Dich noch schlechter befinden sollst.« Gräfin Crevecoeur hob ihre junge Freundin auf und führte sie aus der Halle. Jetzt wurde Quentin Durward vor den Rat gefordert. Er erschien in der Bogenschützen-Uniform mit jenem freien Blicke, der, ebenso entfernt von schüchterner Zurückhaltung als von zudringlicher Dreistigkeit, einem edelgeborenen und wohlerzogenen Jünglinge geziemte. Seine große Jugend nahm alle Räte um so mehr zu seinem Vorteil ein, je weniger sie voraussetzen konnten, daß der scharfsinnige Ludwig einen so jungen Mann zum Vertrauten seiner politischen Händel gemacht haben sollte; und so genoß der König hier wie in andern Fällen einen bedeutenden Vorteil durch die seltsame Wahl seiner Bevollmächtigten, die er oft in einem Alter und in Ständen wählte, wo man es am wenigsten vermutet hätte. Auf die Aufforderung des Herzogs, die Ludwig bekräftigte, begann Quentin die Erzählung seiner Reise mit den Gräfinnen von Croye bis in die Nähe von Lüttich, indem er der Verhaltungsbefehle des Königs voraus erwähnte, die dahin gingen, daß er die Damen wohlbehalten nach dem Schlosse des Bischofs zu geleiten habe. »Und Ihr seid also meinen Befehlen getreulich nachgekommen?« fragte der König. – »Ja, Sire,« war die Antwort des Schotten. – »Ihr übergeht einen Umstand,« sagte der Herzog. »Ihr wurdet ja in dem Walde von zwei irrenden Rittern angefallen.« – »Es kommt mir nicht zu, mich dieses Vorfalls zu erinnern, noch ihn namhaft zu machen,« sagte der Jüngling, bescheiden errötend. – »Aber mir kommt es zu, auf ihm zu bestehen,« sagte der Herzog von Orleans. »Dieser Jüngling entledigte sich mannhaft seines Auftrags und tat seine Pflicht auf eine Art, die mir noch lange im Andenken bleiben wird. – Komm auf mein Zimmer, Bogenschütze, wenn diese Angelegenheit abgetan ist, und Du sollst finden, daß ich Dein tapferes Benehmen nicht vergessen habe, da ich nun sehe, daß Deine Bescheidenheit Deinem Mute gleicht.« – »Komm auch zu mir,« sprach Dunois. »Ich habe einen Helm für Dich; denn ich glaube, daß ich Dir einen solchen schuldig bin.« Quentin verbeugte sich tief, und das Verhör begann aufs neue. Aufgefordert vom Herzog Karl, wies er die geschriebenen Verhaltungsbefehle vor, die er hinsichtlich seiner Reise bekommen hatte. »... Befolgtet Ihr diese Verhaltungsbefehle buchstäblich, Soldat?« fragte der Herzog. – »Nein, gnädigster Herr,« antwortete Quentin. »Ich sollte ihnen zufolge bei Namur über die Maas gehen, hielt mich aber auf dem linken Ufer, das mir einen näheren, sicherern Weg nach Lüttich bot.« – »Und warum diese Abänderung?« fragte der Herzog. – »Weil mir die Treue meines Führers verdächtig ward,« antwortete Quentin. – »Merke jetzt auf die Fragen, die ich an Dich tun werde,« sprach der Herzog. »Beantwortest Du sie der Wahrheit gemäß, so fürchte Dich vor keines Menschen Zorn. Antwortest Du aber ausweichend und zweideutig, so werde ich Dich lebendig an einer eisernen Kette am Turme des Rathauses aufhängen lassen.« Tiefes Stillschweigen folgte diesen Worten. Endlich verlangte der Herzog von Durward Auskunft, wer sein Führer gewesen, wer ihm solchen verschafft, und was ihn veranlaßt habe, gegen dessen Treue Verdacht zu schöpfen? Auf die erste dieser Fragen nannte Quentin Hayraddin Maugrabin, den Zigeuner; auf die zweite antwortete er, Tristan l'Hermite habe ihm den Führer zugewiesen, und als Antwort auf den dritten Punkt erzählte er das, was sich im Franziskanerkloster bei Namur zugetragen, wie der Zigeuner aus dem heiligen Haus ausgetrieben worden, wie er, sein Benehmen beargwöhnend, seine Zusammenkunft mit einem von den Landsknechten des Wilhelm von der Mark belauscht und mit angehört habe, wie sie einen Plan geschmiedet hätten, die seinem Schutze anvertrauten Damen zu überfallen. »Nun höre weiter,« sagte der Herzog, »und bedenke abermals, daß Dein Leben von der Wahrheit Deiner Aussage abhängt. Erwähnten diese Bösewichter, daß sie von dem König – ich meine den König Ludwig von Frankreich, – beauftragt seien, die Bedeckung zu überfallen und die Damen zu entführen?« – »Wenn solche schändlichen Subjekte auch etwas von der Art gesagt hätten,« versetzte Quentin, »so hätte ich es ihnen nicht glauben können, da ihre Worte den ausdrücklichen Befehlen des Königs entgegen lauteten.« Ludwig, der bisher mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zugehört hatte, konnte sich nicht enthalten, bei Durwards Antwort tief Atem zu holen, als ob er sich auf einmal von einer schweren Last befreit fühlte. Der Herzog blickte abermals verstört und finster drein; dann begann er wieder und fragte Quentin noch genauer, »ob er nicht aus dem heimlichen Gespräch jener Leute so viel verstanden habe, daß ihre Pläne wenigstens König Ludwigs Genehmigung hätten.« – »Ich wiederhole, daß ich nichts hörte, was mich ermächtigen könnte, dies zu bejahen,« antwortete der junge Mann; denn obgleich er für sich die Ueberzeugung hatte, daß der König um die Verräterei Hayraddins wußte, so hielt er es doch für pflichtwidrig, seinen Verdacht hierüber laut werden zu lassen; »und wenn ich auch dergleichen Aeußerungen von solchen Leuten gehört hätte, so hätte ich doch ihrer Aussage gegen die bestimmten Verhaltungsbefehle, die mir der König erteilt hatte, kein Gewicht beigemessen.« – »Du bist ein treuer Bote,« sagte der Herzog mit höhnischem Lachen; »und ich wette, daß Du, indem Du so des Königs Befehlen nachkamst, seine Erwartungen auf eine Weise getäuscht hast, die Dir vielleicht teuer zu stehen gekommen wäre, wenn nicht nachfolgende Ereignisse Deine blinde Treue hätten als guten Dienst erscheinen lassen.« – »Ich verstehe Euch nicht, gnädigster Herr,« antwortete Durward; »alles, was ich weiß, ist, daß mein Gebieter, der König von Frankreich, mich zum Schütze dieser Damen aussandte und daß ich diesen Auftrag sowohl auf der Reise nach Schönwald als während der nachherigen Auftritte erfüllt habe.« »Aber höre, Bogenschütze, was waren das für Instruktionen, vermöge deren Du, wie einige unglückliche Flüchtlinge von Schönwald berichteten, in den Straßen von Lüttich an der Spitze der Meuterer einherstolziertest, die nachmals ihren weltlichen Herrn und geistlichen Vater ermordeten? Und was war das für eine Rede, die Du hieltest, nachdem der Mord begangen war, in der Du Dir herausnahmst, als Agent Ludwigs aufzutreten und Dir eine Gewalt über die Bösewichter anzumaßen, die eben ein großes Verbrechen verübt hatten?« »Herr Herzog,« erwiderte Quentin, »es fehlt nicht an Leuten, die bezeugen können, daß ich mich in der Stadt Lüttich keineswegs für einen Agenten von Frankreich ausgab, sondern daß das beharrliche Geschrei des Volks, das durchaus sich nicht vom Gegenteil überzeugen lassen wollte, mich dazu gestempelt hat. Dies erzählte ich auch den Leuten des Bischofs, als ich aus der Stadt entkommen war, und empfahl ihnen Aufmerksamkeit auf die Sicherheit des Schlosses, wodurch vielleicht das Unglück und die Schrecknisse der folgenden Nacht abgewendet worden wären. Freilich ist es wahr, daß ich in der äußersten Gefahr mich des Einflusses, den mir mein vermeintlicher Charakter gab, bediente, um die Gräfin Isabelle zu retten und, soweit es mir möglich war, der Mordlust zu steuern, die sich bereits in einer so schrecklichen Handlung kund gegeben hatte. Ich wiederhole und kann mit meinem Leben dafür haften, daß ich von dem König von Frankreich keinen Auftrag hatte.« – »Und hierin,« fiel Crevecoeur ein, der nicht länger schweigen konnte, »hat mein junger Waffengefährte mit ebenso viel Mut als Besonnenheit gehandelt, und daß er es getan, kann König Ludwig nicht zum Vorwurf gemacht werden.« Ein Gemurmel des Beifalls ließ sich unter den versammelten Edeln vernehmen, das freudig zu Ludwigs Ohr klang, indes es höchst widrig in Karls Ohren widertönte. Sein Auge rollte vor Zorn; und diese so allgemein ausgesprochenen Gesinnungen mancher seiner mächtigsten Vasallen und weisesten Ratgeber hätten ihn vielleicht nicht verhindert, sich der ganzen Heftigkeit seines despotischen Gemüts zu überlassen, hätte nicht Argenton, die Gefahr voraussehend, plötzlich einen Herold aus der Stadt Lüttich angekündigt. »Ein Herold von Webern und Nagelschmieden,« rief der Herzog aus, – »man lasse ihn gleich eintreten! Bei unserer lieben Frau! Ich will von diesem Herold mehr herausbekommen, als dieser französisch-schottische Bogenschütze zu sagen Lust zu haben scheint.« Fünfzehntes Kapitel Die Anwesenden verrieten keine geringe Neugierde, den Herold zu sehen, den die aufrührerischen Lütticher an einen so stolzen Fürsten, wie der Herzog von Burgund, abzusenden wagten, während dieser in so hohem Grade gegen sie aufgebracht war. Er war mit einem Wappenrock angetan, gestickt mit dem Wappen seines Herrn, auf dem der Eberkopf sich besonders hervorhob. Seine übrige Tracht war mit Borden und Verzierungen aller Art überladen, und der Federbusch, den er trug, so hoch, als ob er damit die Decke des Zimmers abfegen wollte. Kurz, der gewöhnliche Flitterstaat der Heroldskleidung war hier durch Uebertreibung zur Karikatur geworden. »Wer bist Du ins Teufels Namen?« war der Gruß, womit Karl der Kühne diesen sonderbaren Abgesandten empfing. – »Ich bin der rote Eber,« antwortete der Herold, »Wappenträger Wilhelms von der Mark, von Gottes Gnaden und durch die Wahl des Kapitels Fürstbischof von Lüttich.« – »Ha!« fuhr Karl plötzlich auf, gab ihm aber, seine leidenschaftliche Aufwallung bekämpfend, ein Zeichen, fortzufahren. – »Und kraft der Rechte seiner Gemahlin, der edlen Gräfin Hameline von Croye, Graf von Croye und Herr von Bracequemont.« Das Erstaunen Herzog Karls über die grenzenlose Frechheit, mit der diese Titel in seiner Gegenwart angekündigt wurden, schien ihm die Sprache geraubt zu haben; der Herold aber fuhr fort, seine Botschaft auszurichten: »Ich tue Euch kund, Karl von Burgund und Graf von Flandern, im Namen meines Herrn, daß er vermöge einer Dispensation unseres heiligen Vaters zu Rom, die zur Stunde erwartet wird, willens ist, zugleich das Amt eines Fürstbischofs von Lüttich zu übernehmen und seine Rechte als Graf von Croye auszuüben.« Der Herzog von Burgund stieß bei dieser und anderen Pausen in der Rede des Herolds bloß ein »Ha!« oder einen ähnlichen Ausruf aus, ohne zu antworten; und der Abgesandte fuhr daher kühn und unerschrocken fort: »Im Namen des Fürstbischofs von Lüttich und Grafen von Croye fordere ich Euch, Herzog Karl, hiermit auf, Euch aller Ansprüche und Beeinträchtigungen zu begeben, die Ihr Euch gegen die freie kaiserliche Stadt Lüttich im Einverständnis mit dem verstorbenen Ludwig von Bourbon, dem unwürdigen Bischof derselben, erlaubt habt, und Wilhelm von der Mark als gesetzlich im freien Kapitel gewählten Fürstbischof anzuerkennen.« »Ha!« rief der Herzog, »seid Ihr zu Ende?« – »Noch eins!« fuhr der Herold fort, »hiergegen ist der edle und hochwürdige Fürst und Graf entschlossen, wenn alle Streitigkeiten zwischen Burgund und Lüttich beseitigt sind, der Gräfin Isabelle eine ihrem Stande gebührende Apanage auszusetzen.« – »Sehr groß»mutig und wohlbedacht,« sprach der Herzog. »Nun, bei dem Gewissen eines armen Gauchs,« sprach Narr Glorieux beiseite zu dem Grafen Crevecoeur, »ich möchte lieber in der Haut der schlechtesten Kuh stecken, die je an der Seuche gestorben ist, als in dem buntscheckigen Rocke des Menschen dort! Dem armen Manne geht es wie einem Trunkenbold, der immer nur nach dem nächsten Kruge sieht und nicht auf die Zeche, die der Wirt hinter der Tür anschreibt.« »Seid Ihr nun fertig?« fragte der Herzog den Herold. – »Nur ein Wort noch,« antwortete der rote Eber, »von meinem vorbesorgten edlen und hochwürdigen Gebieter in Betreff seines würdigen und treuen Bundesgenossen, des allerchristlichsten Königs.« – »Ha!« rief der Herzog, heftiger als bisher auffahrend, sich aber sogleich bezwingend. – »Welches allerchristlichsten Königs erhabene Person, wie die Sage geht, Ihr, Karl von Burgund, ganz gegen Eure Pflicht, als Vasall der Krone Frankreichs, und der Treue und dem Glauben zuwider, die zwischen christlichen Fürsten statthaben, in Gefangenschaft haltet. Deshalb verlangt mein besagter edler, hochwürdiger Gebieter durch meinen Mund von Euch, seinen königlichen allerchristlichsten Verbündeten von Stund an in Freiheit zu setzen oder die Aufforderung anzunehmen, die ich Euch zu erklären beauftragt bin.« »Seid Ihr nun fertig?« sprach der Herzog. – »Ich bin's!« antwortete der Herold, »und erwarte Ew. Gnaden Antwort, – in der Hoffnung, daß sie von der Art sein werde, daß kein Christenblut vergossen wird.« – »Nun, beim Heiligen Georg von Burgund!« rief der Herzog. – Bevor er aber fortfahren konnte, erhob sich Ludwig und fiel mit einem so gebietenden Tone ein, daß Karl ihn nicht unterbrechen konnte ... »Mit Eurer Erlaubnis, lieber Vetter, Wir machen selbst Unser Vorrecht geltend, diesem schamlosen Menschen zu antworten. – Vernimm denn, Herold, oder was Du sonst bist, und bringe dem geächteten Wilhelm von der Mark die Botschaft, daß der König von Frankreich alsbald vor Lüttich erscheinen wird, um den frevelhaften Mörder seines geliebten Verwandten, Ludwigs von Bourbon, zu züchtigen und für die Unverschämtheit, daß er sich seinen Bundesgenossen nennt und seinen königlichen Namen durch den Mund eines niedrigen Boten entehrt, lebendig an den Galgen hängen zu lassen.« »Setzt von meiner Seite alles übrige hinzu,« sprach Karl, »was ein Fürst einem gemeinen Diebe und Mörder schicklicherweise zu sagen haben kann. – Und nun fort! – Aber halt! – Nie hat ein Herold den Hof von Burgund anders verlassen, als mit der ihm zukommenden Ehrengabe ... Man peitsche diesen Hund bis auf die Knochen!« – »Nicht doch, wenn Ew. Gnaden erlauben,« riefen Crevecoeur und Hymbercourt zugleich, »er ist ein Herold und als solcher unverletzlich.« – »Seid Ihr so blöde, zu meinen,« entgegnete der Herzog, »der bunte Rock mache den Herold aus? Ich sehe an seinem buntscheckigen Anzüge, daß er ein Betrüger ist. Laßt Toison d'Or vortreten und ihn befragen!« Der Abgesandte des wilden Ebers der Ardennen erblaßte sichtlich. Toison d'Or, der Oberherold des Herzogs, trat mit aller seinem Amte schuldigen Feierlichkeit vor und fragte den andern, auf welcher hohen Schule er die Wissenschaft erlernt habe, zu der er sich bekenne. »Zu Regensburg als Heroldsknappe,« antwortete der rote Eber, »ward ich erzogen und empfing von der dortigen gelehrten Brüderschaft das Diplom eines Ehrenherolds.« – »Ihr konntet es aus keiner würdigeren Quelle schöpfen,« antwortete Toison d'Or, sich noch tiefer als vorher verbeugend, »aber,« fuhr er fort, indem er ein Stück Pergament aus der Tasche zog, »hier ist eine Rolle, worauf ich zu gewissem Zwecke, soweit es meine geringe Kunst vermochte, ein altes Wappen gezeichnet habe. Ich Dieser Scherz erregte Gelächter, und das kam dem roten Eber insofern zustatten, als es Toison d'Or, der über die Mißdeutung seiner Zeichnung unwillig wurde, zu der Erklärung bewog, es sei das Wappen, das Gildebert, König von Frankreich, angenommen hätte, nachdem er Gandemar, den König von Burgund, zum Gefangenen gemacht, und stelle eine Tigerkatze hinter einem Gitter vor als Sinnbild eines gefangenen Fürsten, nämlich »einen schreienden Tiger im goldenen Felde.« – »Bei meiner Narrenkappe!« versetzte Glorieux, »wenn die Katze Burgund vorstellen soll, so steht sie heutzutage auf der rechten Seite des Gitters.« »Getroffen, Freund!« rief Ludwig lachend, während die übrigen Anwesenden, Karl nicht ausgenommen, verlegen zu sein schienen: »Du sollst ein Goldstück dafür haben, daß Du eine Sache, die wie bittrer Ernst aussah, in einen Spatz verwandelt hast, worauf es, denk ich, hinauslaufen wird.« – »Still, Glorieux,« sagte der Herzog; »und Ihr, Toison d'Or, tretet ab, denn Ihr seid zu gelehrt, um verständlich zu bleiben. Der Schuft soll vortreten. – Höre, Schurke,« sprach er in seinem rauhesten Tone, »kennst Du den Unterschied zwischen einem silbernen und goldnen Felde?« – »Bloß für den gegenwärtigen Fall,« antwortete der Entlarvte. – »Nun, beim heiligen Georg!« sagte der Herzog, indem er Ludwig von der Seite ansah, »Uns ist kein König, ja kein Edelmann, außer einem, bekannt, der die edle Wissenschaft, auf der Königtum und Adel beruhen, also herabgewürdigt hätte, den König ausgenommen, der an Eduard von England einen Lakaien, als Herold verkleidet, absandte.« – »Eine solche List konnte man sich bloß an einem Hofe erlauben,« sprach Ludwig, »an dem es damals noch keine Herolde gab, und die Sache hatte Eile. Aber wenn dies auch noch bei einem plumpen, kurzsichtigen Insulaner anging, so würde doch niemand, der nicht so durchaus verrückt wie ein wilder Eber ist, darauf gekommen sein, dem gebildeten Hofe von Burgund einen solchen Streich zu spielen.« – »Mag ihn senden, wer da will,« entgegnete der Herzog zornig, »er soll ihm ordentlich heimgeschickt werden. – He da! – schleppt ihn auf den Marktplatz! – peitscht ihn mit Hundekarbatschen, bis ihm der Wappenrock in Fetzen vom Leibe fällt! – Auf also! auf den roten Eber! – Hallo! Hallo!« – Ein halbes Dutzend Hunde nahm den wohlbekannten Ruf auf, womit der Herzog schloß, und fing zu heulen und zu bellen an, als ob der Eber wirklich vor ihnen aus dem Lager aufgetrieben wäre. – »Beim heiligen Kreuze!« rief der König Ludwig, in seines Vetters gefährliche Laune einstimmend, »da der Esel die Eberhaut umgehängt hat, möchte ich ihn auch mit den Hunden wieder aus ihr heraushetzen.« »Vortrefflich!« rief Herzog Karl, dem der Einfall in seiner jetzigen Laune gelegen kam, »das soll geschehen! – man kopple die Hunde los! Heda, Talbot! heda! Beaumont! – wir wollen ihn vom Schloßtor bis zum östlichen Stadttor hetzen!« – »Ich denke, Ew. Gnaden werden mich dann auch wie ein ordentliches Jagdwild behandeln,« sprach der Bursche, zum bösen Spiel eine gute Miene machend, »mir also das Jagdrecht gestatten?« – »Du bist ein Wurm,« sagte der Herzog, »und hast kein Recht, die Weidmannsrechte anzusprechen; indessen sollst Du einen Vorsprung von hundertundsechzig Fuß haben, und wäre es auch nur um Deiner beispiellosen Unverschämtheit willen. Fort, fort, meine Herren! – wir wollen uns die Jagd mit ansehen!« – Und alle beeilten sich, die beiden Fürsten ihnen voran, um das vom König Ludwig angeregte menschenfreundliche Schauspiel voll zu genießen. Der rote Eber spielte seine Rolle vortrefflich; vom Schrecken beflügelt, und gehetzt von zehn grimmigen Eberhunden, die durch Hörnerschall und Weidruf der Jäger noch wütender gemacht wurden, floh er mit Sturmeseile dahin und würde, hätte ihn sein Heroldsrock, die schlechteste Tracht, die es für einen Läufer geben kann, nicht gehindert, vielleicht wohlbehalten den Hunden entkommen sein; auch machte er mehr als einmal zur großen Zufriedenheit der Zuschauer einen Widerlauf; endlich vermochte ihn seine Schnelligkeit aber nicht länger vor den Fängen seiner Verfolger zu retten: sie packten ihn, rissen ihn zu Boden und hätten ihn wahrscheinlich in Stücke zerrissen, hätte nicht der Herzog gerufen: »Stock dazwischen! macht sie los von ihm! – Er hat sich so wacker im Laufen gezeigt, daß, obgleich die rechte Jagd noch nicht angefangen, Wir ihn doch nicht drauf gehen lassen wollen.« Mehrere Hofbeamte waren sogleich beschäftigt, die Hunde von ihm loszureißen; man sah, wie sie einige zusammenkoppelten und andere verfolgten, die, durch die Straße laufend, die Fetzen des gestickten Wappenrocks, den der unglückliche Mann zur bösen Stunde angelegt hatte, im Triumph herumschleppten. In diesem Augenblicke und während der Herzog mit dem, was vor seinen Augen vorging, zu sehr beschäftigt war, als daß er hätte darauf achten können, was hinter ihm geschah, schlich sich Oliver le Dain hinter den König und flüsterte ihm ins Ohr: »Es ist der Zigeuner Hayraddin Maugrabin! Es wäre nicht gut, wenn er mit dem Herzog zu sprechen käme.« – »Er muß sterben,« antwortete Ludwig in demselben Tone. »Tote sagen nichts.« Einen Augenblick später trat Tristan l'Hermite, welchem Oliver einen Wink gegeben hatte, vor den König und den Herzog und sprach mit dem ihm eigenen Tone: »Mit Ew. Majestät und Ew. Hoheit Wohlvernehmen, dies Stück Wildbret ist mein – ich mache Anspruch darauf – er trifft mein Zeichen – die Lilie ist ihm auf der Schulter eingebrannt, wie jedermann sehen kann. Er ist ein bekannter Bösewicht, hat königliche Untertanen erschlagen, Kirchen beraubt, Jungfrauen geschändet, Wild in dem königlichen Tiergarten erlegt –« »Genug, genug,« fiel Herzog Karl ein, »er ist aus vielen Gründen meines königlichen Vetters Eigentum. Was will Ew. Majestät mit ihm vornehmen?« – »Wenn er zu meiner Verfügung steht,« sagte der König, »so will ich ihm bloß eine Lektion in der Wappenkunde geben, in der er so unerfahren ist – ihm nur erklären, und zwar praktisch, was ein Kreuzbalken mit herabhängender Schleife zu bedeuten hat.« – »Den er nicht tragen, sondern der ihn tragen soll – laßt ihn unter Eurem Gevatter Tristan die Stufen nehmen, – er ist ein gründlicher Lehrer in solchen Geheimnissen.« So rief der Herzog mit einem grinsenden Gelächter über seinen eigenen Witz; und Ludwig stimmte so herzlich ein, daß sein Nebenbuhler sich nicht enthalten konnte, ihn freundlich anzusehen und zu sagen: »O Ludwig, Ludwig, wollte Gott, Du wärst ein ebenso zuverlässiger Monarch, als Du ein lustiger Gesellschafter bist! Ich muß mich oft noch der fröhlichen Zeit erinnern, die wir zusammen verlebten.« – »Die könnt Ihr wieder zurückbringen, wenn Ihr wollt,« sagte Ludwig; »ich will Euch so gute Bedingungen gewähren, als Ihr in meiner gegenwärtigen Lage nur immer von mir verlangen könnt, und will Euch die Erfüllung auf die heilige Reliquie schwören, die ich immer bei mir trage als ein Fragment des wahren Kreuzes.« Hier zog er ein kleines goldenes Reliquienkästchen hervor, das er an einer goldenen Kette von seinem Halse herab gleich über dem Hemd hängen hatte, küßte es andachtsvoll und sagte dann: »Nie ward ein falscher Eid auf diese heiligste Reliquie geschworen, ohne daß er noch in demselben Jahre gerächt worden wäre.« »Wohl denn, Vetter,« antwortete der Herzog, »wollt Ihr mit mir ausziehen, den Mörder von der Mark und die Lütticher zu züchtigen?« – »Ich will,« sagte Ludwig, »mit dem Bann von Frankreich und wehender Oriflamme.« – »Nein, nein,« sagte der Herzog, »das ist mehr, als nötig oder rätlich sein dürfte. Eure schottische Leibwache und zweihundert auserlesene Lanzen dürften hinreichen; ein großes Heer möchte –« – »Mich frei machen, wollt Ihr sagen, lieber Vetter?« sagte der König. »Wohl, Ihr sollt die Zahl meines Gefolges bestimmen.« – »Und um die schöne Unheilstifterin uns vom Halse zu schaffen, so willigt Ihr ein, daß sie sich mit dem Herzog von Orleans vermählt?« – »Lieber Vetter,« sagte der König, »Ihr seht meine Nachgiebigkeit auf eine harte Probe. Der Herzog ist der verlobte Bräutigam meiner Tochter Johanna. Seid großmütig – gebt diesen Punkt auf, und laßt uns lieber von den Städten an der Somme sprechen.« »Darüber wird mein Rat mit Ew. Majestät Rücksprache! nehmen; mir selbst liegt eine Gebietserweiterung weniger am Herzen, als erlittene Unbilden wieder gut zu machen. Ihr habt Einverständnis mit Vasallen unterhalten, und es muß Ew. Majestät zum Vergnügen gereichen, über die Hand einer burgundischen Mündel verfügen zu können. Vermählt sie denn mit einem Mitgliede Eurer eignen Familie, da Ihr Euch einmal in die Sache gemischt habt – dann sind wir wieder Vettern und Freunde; andernfalls sind unsere Verhandlungen angebrochen.« – »Danken wir dem Himmel!« sagte Ludwig, »der die Herzen der Fürsten lenkt, sie gnadenvoll zum Frieden und zur Milde hinneigt und das Vergießen von Menschenblut abwendet. – Oliver,« raunte er beiseite seinem Günstling zu, »sage Tristan, er solle mit dem Zigeuner schnell zu Ende kommen!« Sechzehntes Kapitel »Gott sei gelobt, daß er uns Kraft verlieh, zu lachen und andre mit unserm Lachen anzustecken, und Schimpf und Schande über den Tropf, der das Amt des Narren verachtet! da haben wir nun mal einen Jux, wenn auch gerade keinen großartigen! aber er mag hingehen, denn er hat zwei Fürsten amüsiert! – und es ist ihm doch besser als tausend Gründen der hohen Politik gelungen, einem Kriege zwischen Frankreich und Burgund vorzubeugen.« So Narr Glorieux! und zwar in dem Augenblicke, als er die burgundischen Wachen von Peronne abziehen sah, nachdem die Versöhnung erfolgt war und der König aus dem verhängnisvollen Hubertusturme wieder ausziehen durfte . . Ja, die Freundschaft war, wenigstens nach außen, zwischen dem Herzoge Karl von Burgund und seinem Oberlehnsherrn wieder hergestellt; immerhin bemerkte der letztere, wenn er auch mit zeremonieller Ehrerbietung behandelt wurde, recht gut, daß er nach wie vor ein Gegenstand des Argwohns blieb, aber er besaß Klugheit genug, es nicht merken zu lassen und sich völlig unbefangen zu benehmen. Mittlerweile sollte es eine der bei dieser Komödie mitwirkenden Nebenpersonen verspüren, daß es immer eine schlechte Sache ist, für große Herrn die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Das war Hayraddin Maugrabbin, der von den herzoglichen Beamten dem königlichen Generalprofoßen überantwortet wurde, um ihn ohne Verzug vom Leben zum Tode zu bringen. Es dauerte nicht lange, so wurde eine Eiche ausfindig gemacht, die, wie Petit-André sich witzig ausdrückte, solche Eichel ganz gut zu tragen vermöge. Der Unglückliche mußte sich auf eine Bank setzen, während der Profoß mit seinen beiden Gehilfen die zur letzten Katastrophe notwendigen Anstalten traf. Da warf Hayraddin einen Blick auf die umherstehende Menge und begegnete Quentin Durwards Augen, der in den Zügen des entlarvten Verbrechers diejenigen seines treulosen Führers wiederzufinden meinte und sich dem Zuge angeschlossen hatte, um Zeuge von der Hinrichtung zu sein und sich von der Identität des Wichtes zu überzeugen... Als die beiden Henker ihm sagten, es sei nun alles bereit, er möchte sich auf die letzten Augenblicke vorbereiten, da bat sie der Delinquent noch um eine letzte Gefälligkeit ... »Was sich mit unserer Pflicht verträgt, mein Sohn,« antwortete ihm Trois-Echelles, »das soll Dir werden.« – »Sehr gütig,« erwiderte der Zigeuner. – »Wir riskieren freilich, daß wir deshalb einen Wischer bekommen,« meinte Petit-André, »aber darauf soll's nicht ankommen. Für solchen fixen Kerl, der sich mit einem Schwung aus dem Leben befördert, könnt ich fast selber mein Leben lassen.« – »Solltet Ihr etwa einen Beichtvater wünschen,« meinte Trois-Echelles. – »Oder einen Pfiff Schnaps oder Vinum bonum ...« ergänzte Trois-Echelles' spaßiger Kamerad. – »Nichts von dem, meine dienstwilligen Freunde,« sagte der Zigeuner, »sondern ich möchte bloß ein paar Augenblicke mit dem schottischen Bogenschützen dort reden, wenn das nicht wider die Regeln verstößt.« Einen Augenblick lang besann sich das Henkerpaar. Dann fiel dem einen ein, daß Quentin Durward sich der besonderen Gunst König Ludwigs zu erfreuen hätte, und er sagte zu seinem Kollegen, daß dem Wunsche unter solchen Umständen sehr wohl willfahrt werden könne. So wurde Quentin Durward benachrichtigt, und er näherte sich dem Verbrecher, jedoch nicht ohne eine Empfindung herben Mitgefühls. Was von seinem Heroldsausputz von den Fängen der Doggen und den Griffen der Schergen, die ihn den Doggen entrissen hatten, noch übrig war, gab ihm ein ebenso wunderliches wie jämmerliches Aussehen. Sein Gesicht war durch Schminke entstellt, wie auch durch die Reste des falschen Bartes, durch den er sich noch unkenntlicher zu machen gesucht hatte. Auf seinen Wangen stand Todesblässe, und seine Lippen waren kreideweiß, aber er befaß die ganze Standhaftigkeit seiner Rasse im Ertragen von Leid und Schmerz, und so schien er mit seinen spähenden Augen und dem verzerrten Lächeln, das seinen Mund umspielte, dem Tode, den er erdulden sollte, zu trotzen. »Nur flotter heran, Herr Bogenschütze!« rief Petit-André, da Quentin sich, von Schauder wie auch von Mitleid ergriffen, zaghaft näherte, »viel Muße, auf Euch zu warten, hat der Herr nicht mehr. Ihr geht wie auf Eiern, und habt doch feste Steine unter den Sohlen.« – »Ich muß unter vier Augen mit ihm reden,« sagte der Delinquent mit gebrochener Stimme. – »Das wird sich nun freilich mit unserer Pflicht nicht recht vertragen, mein kleiner Spring-in-die-Luft,« erwiderte Petit-André, »denn wir wissen ja noch von anno dazumal, was für ein glatter Aal Ihr seid.« – »Ihr habt mich doch an Händen und Füßen gebunden,« sagte der Delinquent, »könnt mich doch auch aus gewissem Abstande unter Augen behalten. Bloß anhören sollt Ihr nichts von dem, was ich dem Schützen sagen werde, der ja übrigens beim Könige so gut angeschrieben steht, wie kaum Ihr beide. Außerdem will ich Euch gern zehn Gulden geben ...« »Hm, wenn wir sie auf Messen verwenden,« meinte Trois-Echelles, »dann könnten sie seiner armen Seele noch zugute kommen.« – »Und in Wein oder Schnaps angelegt, werden sie meinen armen Leichnam stärken,« setzte Petit-André hinzu, »also heraus mit dem Mammon, Du Galgenvogel!« – »Durward,« sagte Hayraddin zu dem Bogenschützen, »gebt den beiden Bluthunden das Geld, denn mir haben sie den letzten Stüber abgeluchst, und ich sage Euch, Ihr sollt nicht dadurch in Schaden kommen!« – »Also so weit hat´s mit Dir kommen müssen?« sagte Quentin, nachdem er den beiden Schergen das Geld gegeben hatte, »so weit?« – »Ja doch,« versetzte Hayraddin, »dazu hab' ich weder Sterndeuter gebraucht noch Wahrsager. Das ist nun mal das Los meiner Familie!« – »Ein frühes Ende nach langer Reihe von Verrat und Missetat,« sagte Quentin. – »Nein, beim flammenden Aldeboran und seinen Lichtbrüdern!« erwiderte der Zigeuner, »bloß meine Torheit hat mich hierher gebracht, die Torheit nämlich, zu glauben, eines Franken blutdürstige Grausamkeit ließe sich in Schranken halten durch das, was er am heiligsten hält. Da hätte mir freilich ein Pfaffenkittel mehr genützt als dieses Heroldskostüm, so heilig auch Eure Beteuerungen von Gottesfurcht und Rittersinn sein mögen!« – »Ihr verschwendet Eure Zeit, Hahraddin,« sagte Quentin, »sofern Ihr mir noch etwas zu sagen habt, sagt's schnell, und dann tragt für Eure arme Seele Sorge!« – »Für meine Seele?« erwiderte der Zigeuner mit gräßlichem Lachen, »denkt Ihr, ein Aussatz, der zwanzig Jahre alt ist, sei im Handumdrehen zu kurieren? Falls ich ein solches Ding besitze, das Ihr Seele nennt, so ist sie von meinem zehnten Jahre ab so scharf in Atem gehalten worden, daß ich wenigstens vier Wochen brauchte, um mich auf alles das zu besinnen, was ich damit verbrochen habe ... und dann nochmal vier Wochen, sie zu beichten ... und sollte man mir solche Galgenfrist lassen, dann würde ich sie ganz gewiß zu ganz was anderem brauchen.« – »Lästere nicht, Du verstockter Bösewicht!« sagte Quentin Durward, »sage mir, weshalb Du mich hast rufen lassen, und dann überlasse ich Dich Deinem Schicksale.« »Ich will Euch bloß um einen Dienst bitten, Euch aber zuvor dafür bezahlen, denn ich weiß ja, wie es von Euch heißt: kein Stüber, kein Schotte ...« – Durward fiel ihm ins Wort: »Spare Deine Stüber! Denn sie helfen Dir nichts. Sag', was Du von mir willst. Ich habe ja der Dienste bereits genug von Dir.« – »Nun, ich hab' immer was auf Euch gehalten, Durward,« sagte Hayraddin, »seit der Geschichte am Cher, und hätt' Euch gern zu einer reichen Frau verholfen ... habt Ihr doch ihre Schärpe bereits getragen! Aber das hat mich irre geführt, und ich habe wirklich gedacht, Hameline würde mit ihrem flüssigen Reichtum einen besseren Marktpfennig abgeben, als das unflügge Küchlein mit seinem Hühnerhaus in Bracquemont, das Herzog Karl in den Klauen hält, und wahrscheinlich auch halten wird.« – »Verliere doch Deine Zeit nicht mit hohlem Geschwätz!« mahnte ihn Durward. »Du siehst doch, daß die beiden Schergen schon ungeduldig werden.« – »Gebt ihnen weitere zehn Gulden für weitere zehn Minuten,« sagte Hayraddin; »Ihr dürft mir's wirklich glauben, Durward, daß ich es gut mit Euch meinte, und Hameline hätte sich Euch ganz gewiß auch als willige, fügsame Gattin erwiesen. Verträgt sie sich doch sogar mit dem wilden Ardennen-Eber, dessen Art, zu freien, doch gewiß rauh und unritterlich ist! Aber sie thront jetzt in ihrem Schweinekoben, als hätte sie ihr Lebtag weiter nichts gefressen als Kleie und Eicheln!« – »Halt' ein mit Deinen rohen Späßen, oder ich überlasse Dich Deinem Schicksale, ohne mich darum zu kümmern, was Du mir sagen wolltest.« »Ihr habt recht,« erwiderte Hayraddin nach kurzer Pause, »aber dem, was sich nicht vermeiden läßt, muß man eben entgegensehen. Nun, so wisse denn, daß ich in dieser verwünschten Verkleidung bloß hergekommen bin, weil mir Mark eine gewaltige Belohnung verhieß, und weil ich von König Ludwig auf eine noch weit größere rechnete, nicht allein, um die Ausforderung zu bringen, von der Ihr wohl gehört habt, sondern auch, um dem Könige ein nicht unwichtiges Geheimnis in die Hände zu liefern.« – »Das hieß freilich viel gewagt!« sagte Durward. – »So ist es auch ausgegangen,« erwiderte Hayraddin. »Wilhelm von der Mark wollte erst durch Marthon sich mit dem Könige in Beziehung setzen, aber sie konnte, scheint's, bloß bis zum Sterndeuter gelangen, dem sie alles erzählte, was sich unterwegs und in Schönwald zugetragen hatte ... an Ludwig sind die Nachrichten aber sicher bloß in Gestalt von Prophezeiungen gelangt. Nun aber hört Ihr mein Geheimnis! Es ist wichtiger als alles, was sie ihm sagen konnte. Wilhelm von der Mark hat in Lüttich eine starke Truppenmacht zusammengebracht und mehrt sie täglich, just durch die Schätze des alten Kardinals. Aber er will es nicht auf eine Schlacht gegen die burgundischen Reiter ankommen lassen, auch will er keine Belagerung in der Stadt aushalten, sondern will den Burgunder Hitzkopf vor der Stadt ruhig Fuß fassen lassen und nächtlicher Weile einen Ausfall gegen ihn unternehmen. Er will viele Mannen aus dem Hennegau unter seiner Schar halten, die sollen in französischer Rüstung und mit dem französischen Schlachtrufe in die Schlacht rücken. Auf diese Weise will er Verwirrung unter die Burgunder bringen, und wenn dann König Ludwig ihn mit seiner Leibwache und seinem Gefolge unterstützt, so rechnet er, daß ihm der Sieg beschieden sein werde. So, nun wißt Ihr mein Geheimnis! Verkauft's, so hoch, wie Ihr wollt, an König Ludwig oder an den Burgunder, ganz, wie es Euch paßt, je nachdem Ihr den oder den verderben wollt! Mir tut's bloß leid, daß ich die Mine nicht hab' so springen lassen können, daß sie alle beide auf einmal zum Teufel gegangen sind!« »Nun rede,« sagte Durward, »was ich Dir tun kann für dies Geheimnis, das allerdings sehr wichtig ist.« – »Na, das ist nicht eben viel verlangt,« versetzte der Zigeuner. »Eine Meile etwa von hier werdet Ihr meinen Klepper finden: bei einer verlassenen Köhlerhütte, drüben im Walde ... es ist das einzige lebende Wesen, das mich vermissen wird. Wenn Ihr mit diesem Pfiffe ruft (er pfiff ein paar Mal ein besonderes Signal), ihn auch mit dem Namen »Biest« anredet, wenn er herankommt, dann legt ihm den Zaum hier an. Ein Glück, daß ihn die Hunde nicht auch zerfetzt haben, denn Biest leidet keinen anderen Zaum. Nehmt das Tier mit und gebt ihm sein Futter! Wenn auch nicht um meinetwillen, sondern bloß darum, weil ich Euch das Geheimnis überantwortet habe ... verlassen wird Euch »Biest« nie, darauf könnt Ihr Euch verlassen ... in keiner Not, bei keinem Wetter ... dem Biest ist's ganz gleich, ob er unter winterlichem Himmel oder im warmen Stalle kampieren muß ... also sagt: wollt Ihr Euch des Kleppers annehmen?« – »Das gelobe ich Euch,« erwiderte Quentin, durch diesen Zug von Anhänglichkeit bei dem verstockten Menschen tief gerührt. – »Na, dann adieu!« sagte der Zigeuner, »doch halt, noch eins! Unhöflich gegen eine Dame will ich doch nicht vor meinem Ende noch sein. Das Briefchen hier hat mir die gnädige, wenn auch recht dämliche Gemahlin des wilden Ebers von der Mark übergeben: Ich sollt's ihrer Nichte einhändigen. In Euren Blicken kann ich ja lesen, daß Ihr's gern besorgen werdet. Im Polster meines Sattels werdet Ihr auch eine schwere Geldkatze finden. Der Inhalt kostet mich mein Leben, aber ich hab's gewußt, daß die Summe nicht leicht zu verdienen war ... nehmt sie, Ihr habt hundertfältigen Ersatz für die Gulden, die Ihr den Henkern dort gegeben habt, um noch zweimal zehn Minuten mit mir zu schwatzen. Ihr sollt mein Erbe sein!« – »Ich will das Geld zu Messen für Euer Seelenheil verwenden,« sagte Quentin. Da verzog sich das Gesicht des Zigeuners zu einer schrecklichen Fratze, und er zischte wütend: »Redet mir bloß nicht solchen Pafel, Mensch! Solchen Krempel gibt's nun doch einmal nicht! Kann's nicht geben und darf's nicht geben! Das ist weiter nichts als Ausgeburt von pfiffigem Pfaffengeschmeiß!« – »Unglücklicher Mensch!« sagte Durward, »willst Du wirklich ohne Buße zur Hölle fahren?« – »Wohin ich fahre,« erwiderte der Atheist, indem er seine gefesselten Arme gegen die Brust preßte, »das überlaßt mir! Ich kann's abwarten, und werd's mit ansehen! Das geheimnisvolle Gewebe, Mensch genannt, löst sich wieder einmal auf in die allgemeine Masse der Natur, um in anderer Gestalt wieder zu erscheinen, als täglicher Ersatz für das tägliche Verschwinden. Was Wasser ist, geht über in Regen, was Erde ist, wird wieder zu Erde, was Luft ist, fliegt auf, und was Feuer ist, nährt den Glanz Aldeborans und seiner Brüder. In diesem Glauben habe ich gelebt, und in diesem Glauben will ich sterben! Hinweg nun von mir! Störe mich nicht weiter! Das letzte Wort, das aus meinem Munde zu menschlichen Ohren dringen wird, habe ich gesprochen!« Tief ergriffen von dem Schrecken der Lage dieses Unglücklichen, sah Quentin nichtsdestoweniger ein, daß es eitle Hoffnung gewesen wäre, ihn zur Erkenntnis seines grausigen Zustandes zu bringen. Deshalb nahm er Abschied von ihm, und zwar so kurz und schnell wie möglich; der Unglückliche aber erwiderte ihm mit düsterem Nicken, wie jemand, der sich von einer Gesellschaft, die seine Gedanken zerstreut, in tiefes Hinbrüten verloren, verabschiedet; dann richtete Quentin die Schritte nach dem Walde zu, ohne Mühe den Ort findend, wo der Klepper weidete. Das Tier kam auf seinen Ruf heran, mochte sich aber anfangs nicht fangen lassen, sondern sprang und schnob, wenn sich Quentin nähern wollte. Endlich gelang es ihm aber, es am Zügel zu fassen. Sein Herr aber war lange, bevor Quentin nach Peronne zurückkehrte, schon dahingegangen, wo die Nichtigkeit seines furchtbaren Glaubens sich erproben mußte: eine grausige Probe für den, der weder Reue über die Vergangenheit noch Furcht vor der Zukunft hatte blicken lassen. Siebzehntes Kapitel Als Quentin Durward in Peronne wieder eintraf, war dort eben ein geheimer Rat versammelt, der über die Dinge beschließen sollte, die für ihn wichtiger sein sollten, als er ahnen konnte. Und doch saßen so vornehme Herrschaften zu Rate, daß sich kaum hätte glauben lassen, ein junger Mann von Quentins Stande könne in Beziehungen zu ihnen stehen. König Ludwig, der nach Wilhelms Zwischenspiel keine Gelegenheit versäumt hatte, das gute Vernehmen mit dem Herzog zu fördern, hatte dessen Meinung darüber eingeholt, wie viele und was für Truppen gegen Lüttich ins Feld rücken sollten, und ging Crevecoeurs Rat zufolge bereitwillig auf alles ein, was der Herzog vorschlug, ermangelte indessen nicht, sich für seine Nachgiebigkeit durch Rache an Balue zu entschädigen, dessen Rat ihn verleitet hatte, ein so überschwengliches Vertrauen auf den Herzog von Burgund zu setzen. Tristan, der den Befehl zum Aufbruche der Hilfsvölker überbrachte, hatte auch den Auftrag, den Kardinal nach Loches zu bringen und ihn dort in einen der Käfige einzusperren, die König Ludwig selbst ersonnen haben soll. Vielleicht hoffte Ludwig, durch seine schnelle Bereitwilligkeit unangenehmeren Bedingungen zu entgehen, von denen der Herzog ihre Versöhnung abhängig gemacht hatte. Aber wenn er solche Hoffnungen hegte, so mißkannte er die Denkungsart seines Verwandten völlig; denn es konnte wohl niemand mehr auf seinem Sinne bestehen, als Karl von Burgund, der sich so leicht nicht hätte willens erklärt, von einer Bedingung abzulassen, die er aus Verdruß über eine vermeintliche Beleidigung oder aus Rachsucht gestellt hatte. Die nötigen Eilboten waren kaum unterwegs, die Truppen zu beordern, als der König von ihm aufgefordert ward, öffentlich seine Zustimmung zu der Vermählung des Herzogs von Orleans mit der Gräfin Isabelle zu geben. Mit schwerem Seufzer erfüllte der König dies Begehren, erklärte aber gleich darauf, daß es wohl doch nötig sei, den Herzog von Orleans um seine Wünsche hierbei zu befragen. »Sie sind nicht außer acht gelassen worden,« erwiderte der Herzog, »Crevecoeur hat mit Monseigneur Orleans gesprochen, ihn aber, – sonderbar genug, – so gleichgiltig gegen die Ehre, eine königliche Braut heimzuführen, gefunden, daß er sich mit Gräfin Isabellens Hand so willig einverstanden hat, als ob ihm gar kein besserer Vorschlag von einem Vater gemacht werden könnte.« – »Desto undankbarer von ihm,« sagte Ludwig, »allein es soll alles geschehen, wie Ihr wollt, Vetter, wenn Ihr nur die Zustimmung beider Teile erhalten könnt. – »Darüber seid unbesorgt,« sagte der Herzog; und wenige Minuten später wurden der Herzog von Orleans und die Gräfin von Croye, letztere wieder in Begleitung der Gräfin Crevecoeur und der Aebtissin der Ursulinerinnen, vor die Fürsten geladen. Aus dem Munde Karls von Burgund vernahmen sie ohne einen Einwurf von seiten Ludwigs, daß die Vereinigung ihrer Hände nach der Weisheit beider Fürsten beschlossen sei, um das unauflösliche Bündnis zu besiegeln, das zwischen Frankreich und Burgund sich gründen sollte. Der Herzog von Orleans hatte alle Mühe, die Freude zu unterdrücken, die er über diesen Vorschlag empfand, denn es widerstrebte ihm, sie in Gegenwart Ludwigs laut werden zu lassen. »Lieber Vetter Orleans,« sagte Ludwig mit finsterem Ernst, »da ich bei einer so unangenehmen Veranlassung zu Euch sprechen muß, ist es unnötig, Euch daran zu erinnern, daß Euer Verdienst allein mich veranlaßt hatte, Euch eine Verbindung mit meiner eigenen Familie vorzuschlagen. Allein da mein Vetter von Burgund glaubt, daß eine andere Verfügung über Eure Hand das sicherste Pfand der Freundschaft zwischen seinen Staaten und den meinigen sei, so bringe ich meine eigenen Hoffnungen und Wünsche gern zum Opfer.« – Der Herzog von Orleans warf sich ihm zu Füßen, und küßte – zum ersten Male mit aufrichtiger Zuneigung – die Hand, die ihm der König mit abgewandtem Gesichte hinhielt. Karl wandte sich nun an die junge Gräfin und kündigte ihr rund heraus die beabsichtigte Verbindung als eine Sache an, die weder Aufschub noch Verzögerung zulassen. »Herr Herzog und Lehensherr,« sprach Isabelle, ihren ganzen Mut zusammennehmend, »ich achte Ew. Hoheit Befehle und unterwerfe mich ihnen.« – »Genug, genug,« fiel der Herzog ein, »das übrige wollen wir schon machen. Ew. Majestät,« fuhr er fort, sich an den König Ludwig wendend, »hat diesen Morgen eine Eberjagd gehabt, – wie wär's, wenn wir nachmittags einen Wolf jagten?« Die junge Gräfin erkannte die Notwendigkeit eines entscheidenden Schrittes. »Ew. Gnaden mißverstehen mich,« sprach sie in schüchternem Tone, jedoch laut und entschieden genug, um des Herzogs Aufmerksamkeit zu erregen. »Meine Unterwerfung,« sagte sie, »erstreckt sich bloß auf die Ländereien und Besitzungen, die Ew. Gnaden Vorfahren den meinigen verliehen haben, und die ich dem Hause Burgund zurückgebe, wenn mein Oberherr glaubt, mein Ungehorsam in dieser Sache habe mich des Besitzes derselben unwürdig gemacht.« – »Ha, beim heiligen Georg!« rief der Herzog, indem er wütend auf den Boden stampfte, »weiß die Törin denn, vor wem sie steht, – und zu wem sie spricht?« – »Gnädigster Herr,« erwiderte sie, immer noch unverzagt, »ich stehe vor meinem Souverän und glaube, vor einem gerechten Souverän! Wenn Ihr mich meiner Besitzung beraubt, so nehmt Ihr mir alles das, was Eure Vorfahren uns gegeben haben, und zerreißt die einzigen Bande, die uns verknüpften. Aber Ihr habt mir weder diese arme Gestalt, noch viel weniger den Geist gegeben, der mich beseelt, – und diese, bin ich entschlossen, dem Himmel in dem Kloster der Ursulinerinnen unter Leitung dieser heiligen Mutter Aebtissin zu weihen!« Die Wut und das Erstaunen des Herzogs lassen sich kaum denken; man müßte ihn denn mit einem Falken vergleichen, dem eine Taube ihre Flügel zum Kampfe entgegenspreizt. »Wird die heilige Frau Euch ohne alles Besitztum aufnehmen?« fragte er mit zorniger Stimme. – »Wenn sie ihr Kloster auch anfangs dadurch in Schaden setzt,« entgegnete die Gräfin Isabelle, »so versehe ich mich doch der Milde der edlen Freunde unseres Hauses, die eine Waise des Hauses Croye nicht hilflos lassen werden.« – »Das ist falsch!« sagte der Herzog, »ist bloß ein elender Vorwand, irgend eine geheime, unwürdige Leidenschaft zu verbergen. Herr Herzog von Orleans, sie soll die Eurige werden, und müßte ich sie mit eigenen Händen zum Altare schleppen!« Die Gräfin von Crevecoeur, eine Frau von hohem Geist, die volles Vertrauen auf ihres Gemahls Verdienste und Gunst setzte, konnte nicht länger schweigen. »Gnädigster Herr,« sprach sie, »Eure Leidenschaften reißen Euch zu einer höchst unwürdigen Sprache hin. Keines edelgeborenen Weibes Hand kann mit Gewalt vergeben werden.« – »Und es streitet gegen die Pflicht eines christlichen Fürsten,« fiel die Aebtissin ein, »den Wünschen einer frommen Seele zu widerstreben, die, der Sorgen und Verfolgungen der Welt müde, eine Braut des Himmels werden will.« – »Auch kann mein Vetter Orleans,« sprach Dunois, »keinen Vorschlag annehmen, gegen den die Dame sich so öffentlich erklärt hat.« – »Wäre mir vergönnt,« fiel Orleans ein, auf den die Schönheit Isabellens einen tiefen Eindruck gemacht hatte, »eine Zeitlang zu versuchen, meine Bewerbungen vor der Gräfin in einem günstigeren Lichte zu zeigen, so – –« »Herr Herzog von Orleans,« versetzte Isabelle, deren Festigkeit nun durch die Ermunterung verstärkt wurde, die sie von allen Seiten erhielt, »das würde Euch nichts helfen, denn ich bin fest entschlossen, diese Verbindung abzulehnen, wie weit sie auch über mein Verdienst geht.« – »Auch ich hab' nicht Zeit,« sprach Herzog Karl, »zu warten, bis diese Grillen sich mit dem Mondwechsel geändert haben werden, – Orleans, sie soll in dieser Stunde lernen, wie notwendig es für sie ist, Gehorsam zu lernen.« – »Aber nicht meinetwegen, Sire,« antwortete der Prinz, der wohl fühlte, daß er von dem Eigensinne des Herzogs nicht mit Ehren Vorteil ziehen konnte, »einmal offen und bestimmt abgewiesen zu werden, ist genug für einen Sohn Frankreichs. Er kann seine Bewerbung nicht weiter fortsetzen.« Der Herzog warf einen wütenden Blick auf Orleans, einen anderen auf Ludwig; und als er in dem Gesichte des letzteren trotz aller Anstrengung, seine Gefühle zu verbergen, einen Ausdruck geheimen Triumphes las, geriet er vor Wut außer sich. »Schreibt,« sagte er zu seinem Sekretär, »unser Urteil gegen dieses ungehorsame, freche Geschöpf nieder! Sie soll ins Zuchthaus zu den gemeinen Kreaturen, mit denen sie an Frechheit wetteifert.« Da erhob sich ein allgemeines Murren. »Herr Herzog,« sprach Graf Crevecoeur, indem er für die übrigen das Wort ergriff, »das muß reiflich bedacht werden. Wir, Eure getreuen Vasallen, können nicht zugeben, daß dem Adel und der Ritterschaft Burgunds solcher Schimpf angetan werde. Hat die Gräfin unrecht gehandelt, so mag sie bestraft werden, – aber auf eine Weise, die sich für ihren Rang und den unsrigen geziemt, die wir mit ihrem Hause durch Bande des Blutes und der Verwandtschaft verbunden sind.« Der Herzog hielt einen Augenblick inne und sah seinem Ratgeber mit dem Blicke eines Stiers in das Gesicht, der, wenn ihn der Hirt von dem Wege treibt, den er gehen will, überlegt, ob er gehorchen oder auf den Hirten losstürmen und ihn in die Luft schleudern soll. Die Klugheit trug indessen über die Wut den Sieg davon. Er sah, daß die Stimmung in seinem Rate allgemein gegen ihn war, und fürchtete die Vorteile, die Ludwig daraus ziehen möchte, wenn er Uneinigkeit unter seinen Vasallen bemerkte; und wahrscheinlich, – denn er war eher von roher und heftiger denn von bösartiger Gemütsart, – schämte er sich selbst seines unehrenhaften Vorhabens. »Ihr habt recht, Crevecoeur,« versetzte er, »ich war zu vorschnell. Ihr Schicksal soll nach den Regeln des Rittertums entschieden werden. Ihre Flucht nach Lüttich hat das Zeichen zur Ermordung des Bischofs gegeben. Wer diese Untat am ehesten rächt und uns das Haupt des wilden Ebers der Ardennen bringt, soll berechtigt sein, ihre Hand von uns zu fordern.« – »Wie?« sagte die Gräfin, »bedenkt, daß ich die Tochter des Grafen Reinhold, – Eures alten, treuen Dieners, – bin. Wollt Ihr mich als einen Preis aussetzen für den, der die beste Klinge führt?« – »Eure Ahnfrau,« entgegnete der Herzog, »ward in einem Turnier gewonnen, und um Euch soll in offener Feldschlacht gefochten werden. Nur soll, um Graf Reinholds willen, ob reich, ob arm, der Ritter, der den Preis sich holt, ein Edelmann von untadelhafter Geburt und fleckenlosem Wandel sein. Das schwöre ich bei dem heiligen Georg, bei meinem Fürstenhut und dem Orden, den ich trage!« Die Einrede der Gräfin wurde durch den jubelnden Beifall übertäubt, der sich von allen Seiten erhob und mehr als alles dazu beitrug, das Blut des ungestümen Brausekopfes zu besänftigen. »Sollen wir, denen das Schicksal schon Frauen gegeben hat,« sagte Crevecoeur, »müßige Zuschauer bei diesem Kampfe sein? Dies verträgt sich nicht mit meiner Ehre; denn ich habe selbst noch ein Gelübde zu lösen auf Kosten dieses Stück Viehes mit seinen Hauzähnen, des Keilers von der Mark.« – »Schlage nur immer drein, Crevecoeur!« sagte der Herzog, »gewinnst Du sie, und kannst sie nicht behalten, so gib sie, wenn Du willst – dem Grafen Stephan, Deinem Neffen.« – »Großen Dank, gnädigster Herr!« sagte Crevecoeur, »ich will mein Bestes tun, und sollte ich so glücklich sein, den Sieg davonzutragen, so mag Stephan seine Beredsamkeit gegen die Frau Aebtissin versuchen.« – »Die französische Ritterschaft,« sagte Dunois, »wird doch hoffentlich von diesem Kampfe nicht ausgeschlossen sein?« »Behüte der Himmel, wackerer Dunois,« antwortete der Herzog, »und wäre es auch nur, um zu erproben, wie Ihr Euer Aeußerstes tun werdet. Aber,« setzte er hinzu, »obgleich ich nichts dawider habe, wenn sich die Gräfin Isabelle mit einem Franzosen vermählt, so wird es doch nötig sein, daß der künftige Graf von Croye ein burgundischer Untertan werde.« – »Genug, genug,« sagte Dunois, »ich will als Franzose leben und sterben. Aber wenn ich auch die Ländereien preisgebe, für die Dame versuche ich den Kampf.« – »Niemand denkt an mich,« sprach le Glorieux, »und doch bin ich gewiß, Euch allen den Preis vor der Nase wegzuschnappen.« – »Ganz recht, weiser Freund,« sagte Ludwig, »wo ein Weib im Spiele ist, dort ist der Narr immer am ehesten Hahn im Korbe!« Achtzehntes Kapitel Wenige Tage waren vergangen, seit Ludwig die Nachricht erhalten hatte, sein Günstling und Ratgeber, Kardinal Balue, sitze in einem jener eisernen Käfige, die so eingerichtet waren, daß der arme Gefangene nur im Sitzen ruhen oder schlafen, sich also nicht ausstrecken konnte. Die vom Herzog verlangten Hilfstruppen waren angelangt; und ob er gleich das Unwürdige seiner Lage fühlte, daß er mit seinen edelsten Pairs unter den Fahnen seines eigenen Vasallen gegen ein Volk, dessen Sache er unterstützt hatte, ziehen sollte, ließ er sich doch durch diese Umstände vor der Hand nicht niederdrücken, in dem festen Vertrauen, daß die Zukunft ihn dafür reichlich entschädigen werde. Mit solchen Empfindungen bestieg der König an einem schönen Tage in der letzten Hälfte des Erntemonats sein Pferd, und ohne sich darum zu kümmern, daß er eher jemand glich, der zum Triumphzuge eines Siegers gehört, als einem unabhängigen Fürsten, umgeben von seinen Garden und seiner Ritterschaft, ritt er aus dem gotischen Tore von Peronne, um zu dem burgundischen Heere zu stoßen, das zu gleicher Zeit seinen Zug gegen Lüttich begann. Die meisten Damen, die sich in der Festung befanden, zeigten sich in ihrem besten Putze auf den Zinnen und Brustwehren des Tores, um den Zug der tapferen Krieger, die sich zu dieser Unternehmung in Bewegung setzten, mit anzusehen. Hierher hatte nun Gräfin Crevecoeur auch Isabelle geführt, die ihr nur ungern gefolgt war; allein es war Karls ausdrücklicher Befehl, daß die Dame, die dem Sieger im Turniere die Palme reichen sollte, auch den Rittern sichtbar sei, die um ihre Hand in die Schranken treten wollten. Als sie sich aus dem Bogen des Tores hervordrängten, erblickte man manches Fähnlein und manchen Schild mit neuen Wahlsprüchen; und darunter befand sich einer, der es wagte, der Gräfin Isabelle ein Zeichen der Bekanntschaft zu geben, was selbst keiner der edelsten unter dem französischen Adel versucht hatte: und das war Quentin Durward, der, als er der Reihe nach bei den Damen vorüberritt, der Gräfin Isabelle an der Spitze seiner Lanze den Brief ihrer Muhme überreichte. »Nun, bei meiner Ehre,« sagte Graf Crevecoeur,« das ist doch zu frech von solch einem unwürdigen Abenteurer!« – »Nennt ihn nicht so, Crevecoeur,« sagte Dunois, »ich habe guten Grund, seine Ritterlichkeit zu verbürgen – besonders in Beziehung auf diese Dame.« – »Ihr macht Worte um nichts,« sagte Isabelle, indem sie vor Scham und Unwillen errötete, »es ist ein Brief von meiner unglücklichen Muhme. Sie schreibt heiter, obgleich ihre Lage schrecklich sein muß.« – »Laßt hören, was die Ebersbraut schreibt!« sprach Crevecoeur. Gräfin Isabelle las den Brief, worin ihre Muhme willens zu sein schien, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und sich über die Eilfertigkeit ihrer Vermählung durch das Glück zu trösten, mit einem der tapfersten Männer seiner Zeit vermählt zu sein, der soeben durch seinen Mut ein Fürstentum erkämpft habe. Sie beschwor ihre Nichte, ihren Wilhelm (so nannte sie ihn) nicht nach den Berichten anderer zu beurteilen, sondern zu warten, bis sie ihn persönlich kennen lerne. Er besitze vielleicht Fehler, allein es seien doch nur solche, wie sie Charakteren, die sie immer verehrt habe, eigen zu sein pflegen. Wilhelm sei dem Weine ergeben, allein das sei ja auch der tapfere Gottfried, ihr Großvater, gewesen. Er sei etwas heftig und blutdürstig; sei dies aber nicht auch ihr Bruder Reinhold gesegneten Andenkens gewesen? Er sei derb in seinen Reden; diesen Fehler teile er aber mit den meisten Deutschen. Er sei eigensinnig und durchgreifend, allein sie glaube, daran lasse es kein Mann fehlen ... Sie schloß mit der Hoffnung und Bitte, Isabelle möchte mit Hilfe des Ueberbringers dem Tyrannen von Burgund zu entrinnen suchen und an den Hof ihrer lieben Muhme nach Lüttich kommen, wo sich alle Streitigkeiten über ihre Erbfolgerechte heben ließen, wenn sie Karl Eberson heirate, – einen Bräutigam, der zwar jünger sei als die Braut, wogegen sie aber (Gräfin Hameline), vielleicht aus Erfahrung sagen könne, daß solche Ungleichheit sich weit leichter ertragen lasse, als Isabelle sich es vorstellen möchte. Hier hielt die Gräfin inne; denn Graf Crevecoeur brach in die Worte aus: »Ei, über die verführerische Hexe! Dieser Rat riecht so ranzig wie gerösteter Käse in einer Rattenfalle! Pfui über die alte Kupplerin!« Indem nun Isabelle den Brief ihren Freunden vorlas, hielt sie es nicht für nötig, eine Nachschrift mitzulesen, worin sie mitteilte, daß sie ihrem Manne einen Waffenrock sticke, mit den verschlungenen Wappen der Häuser Croye und von der Mark, weil sich ihr Mann aus Klugheitsgründen entschlossen habe, in dem ersten Gefechte andere in seinen Waffenrock zu kleiden und das Wappen von Orleans mit dem schiefen Balken, mit anderen Worten das von Dunois, mitzunehmen. Auf einem besonderen Stück Papier, dessen Inhalt die Gräfin ebenfalls nicht mitzuteilen für nötig fand, standen von anderer Hand folgende Worte: »Wenn Ihr nicht bald von mir hört, und zwar durch die Trompete der Fama, so schließt, daß ich gestorben, aber nicht unwürdig gestorben bin!« Ein Gedanke, den sie bisher als unglaublich zurückgedrängt hatte, trat nun mit doppelter Lebendigkeit vor Isabellens Seele. Da es dem weiblichen Scharfsinne selten an Mitteln fehlt, so wußte sie es auch einzurichten, daß, ehe die Truppen in vollem Marsche begriffen waren, Quentin Durward von unbekannter Hand das Billett der Gräfin Hameline erhielt, mit drei Kreuzen der Nachschrift gegenüber, wo bloß folgende Worte standen: »Er, der das Wappen der Orleans nicht fürchtete, als es auf der Brust seines tapferen Eigentümers sich befand, wird sich auch nicht fürchten, wenn er es auf der eines Tyrannen und Mörders findet.« Tausend und abertausend Mal drückte der junge Schotte diese Zeilen an seine Brust und küßte sie; denn sie zeigten ihm den Weg, wo Ehre und Liebe ihm den Lohn entgegenhielten und setzten ihn in den Besitz eines Geheimnisses, das keiner kannte, wodurch er aber denjenigen herausfinden konnte, dessen Tod allein seine Hoffnungen zu beleben vermochte. Durward sah indessen die Notwendigkeit ein, sich betreffs der Nachricht, die ihm Hayraddin mitgeteilt hatte, ganz anders zu benehmen, da der von Wilhelm von der Mark beabsichtigte Ausfall, wenn man dagegen nicht sorgfältig auf der Hut war, die Vernichtung des gesamten Belagerungsheeres zur Folge haben konnte; so schwer war es, bei der unordentlichen Art, zu damaliger Zeit Krieg zu führen, sich gegen einen nächtlichen Ueberfall zu sichern. Nachdem er sich die Sache reiflich überlegt hatte, entschloß er sich, nur persönlich, und zwar nur beiden Fürsten zusammen die Nachricht mitzuteilen; denn er besorgte, daß ein so wohlangelegter und vielversprechender Plan den König Ludwig leicht verleiten möchte, den beabsichtigten Ueberfall eher zu unterstützen, als zu hintertreiben. Er entschloß sich daher, eine schickliche Gelegenheit abzuwarten, wo er Ludwig und Karl beisammen träfe, die aber, da sie sich nicht gern Zwang antaten, vielleicht lange auf sich warten lassen mochte. Unterdessen bewegte sich der Zug fort, und die Verbündeten betraten bald das Gebiet von Lüttich, marschierten, ohne ernstlichen Widerstand zu finden, durch das üppige Maastal und rückten vor die große, dicht bevölkerte Stadt Lüttich an. Das Schloß Schönwald war geschleift, da Wilhelm von der Mark sich mit seiner ganzen Heeresmacht in die Stadt geworfen hatte, entschlossen, ein Zusammentreffen mit der Reiterei von Burgund und Frankreich in offenem Felde zu vermeiden. Ein Teil des burgundischen Vortrabes, in der Meinung, es brauche bloß durch die Breschen in die Stadt einzuziehen, drang mit dem Rufe: »Burgund! Burgund! Schlagt tot! Denkt an Ludwig von Bourbon!« in eine der Vorstädte. Aber im Nu brach ein starker Haufe aus der Stadt und richtete ein großes Blutbad unter ihnen an. Als Herzog Karl diese Nachricht erhielt, geriet er außer sich vor Wut und hätte sich auf der Stelle an die Spitze seiner Mannen gestellt, wenn nicht Hymbercourt und Crevecoeur ihn dringend ersucht hätten, diesen Posten eilig zu verlassen. Die beiden berühmten Anführer trieben die Lütticher alsbald zurück und machten nicht weniger als achthundert Mann Gefangene. Hymbercourt ließ, um weitere Ausfälle zu verhüten, zwei Feldschlangen vor dem Tore auffahren und kehrte dann zu dem zahlreichen burgundischen Heere zurück, das er aber in großer Unordnung traf. Das Hauptkorps und der Nachtrab desselben war nämlich fortwährend vorgerückt, indes der Vortrab infolge dieses Renkontres auf dem Rückzuge begriffen war, und so waren beide in großer Verwirrung aufeinandergestoßen. Hymbercourts Abwesenheit, dem alle Geschäfte eines Generalquartiermeisters oblagen, vermehrte noch die Unordnung: zudem brach eine rabenschwarze Nacht herein, es fiel ein starker Regen, und der Boden, auf welchem sich das Belagerungsheer notgedrungen bewegen mußte, war sumpfig und von vielen Kanälen durchschnitten. So hatte Hymbercourt bei seiner Rückkehr unglaubliche Schwierigkeiten vor sich, die ihm durch die Vorwürfe des Herzogs verbittert wurden, der die weit dringlichere Pflicht, die Hymbercourt eben zu erfüllen gehabt hatte, nicht berücksichtigen wollte; endlich machte der tapfere Krieger seinem Grolle über diese unbilligen Vorwürfe Luft, durch den verdrießlichen Ausruf: »Ich habe eben unter dem Vortrab leidliche Ordnung geschaffen, und finde nun das Hauptkorps unter Eurer Hoheit eigener Führung in einem Zustande, daß sich weder Fronte noch Flanke noch Nachtrab unterscheiden läßt.« »Um so ähnlicher sind wir einem Fäßchen Heringe,« versetzte Narr Glorieux, »und das ist das natürlichste Bild für ein flamändisches Heer.« Des Narren Rede brachte den Herzog zum Lachen und verhinderte eine weitere Diskussion zwischen ihm und seinem General. Mit großer Anstrengung wurde ein kleines Lusthaus eines reichen Lütticher Bürgers in Besitz genommen und für den Herzog und seine unmittelbare Begleitung hergerichtet; und Hymbercourts und Crevecoeurs Ansehen gelang es endlich, in der Nähe eine Wache von vierzig Waffenleuten aufzustellen. Ein wenig links von diesem Häuschen, zwischen ihm und der Vorstadt, die, wie schon bemerkt, dem Stadttore gegenüber lag und von dem burgundischen Vortrabe besetzt war, stand ein zweites Lusthaus, von einem Garten und Hofraum umgeben. Hier schlug der König von Frankreich sein Hauptquartier auf. Ein Teil seiner schottischen Leibwache wurde im Hofe untergebracht, der Rest im Garten. Dunois und Crawford, unterstützt von Offizieren und Soldaten, unter denen sich Balafré hervortat, suchten die Verbindung der Truppen unter sich den obwaltenden Umständen gemäß zu erleichtern; indessen hielt es der König für ratsam, sich in das Quartier des Herzogs zu begeben, um sich nach dem Operationsplane zu erkundigen, bei dem seine Mitwirkung erwartet wurde. Ein Kriegsrat war die Folge seines Erscheinens, und Karl hatte sich von der Art desselben wohl nichts träumen lassen. Jetzt bat nämlich Quentin Durward um Gehör, weil er den beiden Fürsten eine Sache von großer Wichtigkeit zu eröffnen hätte, und König Ludwig erstaunte nicht wenig über den Plan Wilhelms von der Mark, unter französischer Verkleidung und französischen Fahnen einen Ausfall aus der Stadt zu machen; wahrscheinlich wäre es ihm ja lieber gewesen, von dieser wichtigen Nachricht unter vier Augen Kenntnis zu erhalten; da nun aber die ganze Sache schon öffentlich vorgebracht worden, bemerkte er bloß, daß solchem Berichte, ob er nun wahr oder falsch sei, die ernstlichste Beachtung gewidmet werden müsse. »Nach meiner Meinung ganz und gar nicht,« erwiderte der Herzog sorglos. »Wäre so etwas im Schilde, so wäre es mir sicher durch jemand anders als durch einen schottischen Bogenschützen gemeldet worden.« – »Wie dem auch sei,« erwiderte Ludwig, »so bitte ich Euch, lieber Vetter, beachten zu wollen, daß ich, um alle widrigen Folgen eines solchen Angriffes zu meiden, meine Soldaten veranlassen werde, über ihren Rüstungen weise Schärpen zu tragen, das Einvernehmen unseres Vetters vorausgesetzt.« – »Ich habe nichts dawider,« versetzte der Herzog, »wenn Eure Reiterei künftig als Schärpenritter gelten will.« – »Das wäre gar kein schlechter Titel, Freund Karl,« fiel der Narr ein, »denn Schärpen werden von Frauen getragen, und eine Dame soll ja der Preis des Tapfersten sein!« – »Schön geredet, Salomo,« sagte Ludwig. »Aber nun gute Nacht, Vetter, ich muß meine Rüstung ablegen. Was würdet Ihr denn sagen, wenn ich die Gräfin mit eigener Hand gewönne?« – »Dann müßte eben Eure Majestät,« erwiderte der Herzog in verändertem Tone, »ein treuer Flamänder werden.« – »Ich bin es doch bereits im vollsten Maße,« erwiderte Ludwig, »nur schade, daß Ihr's nicht glauben wollt!« Der Herzog wünschte ihm hierauf gute Nacht, aber in einem Tone, der sich anhörte, als ob ein scheues Pferd schnaubte, das sich die Liebkosungen des Reiters, der eben aufsitzen will, nicht gefallen lassen mag. »Ich würde ihm schließlich seine Zweideutigkeiten nachsehen,« sagte der Herzog zum Grafen Crevecoeur, »aber eines kann ich ihm nicht verzeihen, daß er mich für einen törichten Narren hält, der sich durch seine Versicherungen blenden lassen könnte.« Ludwig rief, sobald er zurückgekehrt war, seinen Barbier zu sich. »Du, Oliver,« sagte er, »dieser schottische Jüngling ist ein Gemisch von Pfiffigkeit und Einfalt, so daß ich wirklich nicht weiß, was ich aus ihm machen soll. Denke Dir bloß die unverzeihliche Dummheit, den Plan des grimmigen Wilhelm von der Mark vor den Ohren des Herzogs und seiner Höflinge zu enthüllen, statt ihn mir ins Ohr zu raunen und mir wenigstens die Wahl zu lassen zwischen Ja und Nein!« – »Es ist besser so, Majestät,« sagte Oliver, »denn es befinden sich in Eurem Gefolge nicht wenige, die sich nicht bedenken würden, den Burgunder ohne vorherige Forderung zu überfallen oder sich mit dem Eber der Ardennen zu verbinden.« – »Du magst recht haben, Oliver! Die Narren in der Welt sterben eben nicht aus, und uns fehlt es jetzt an der Zeit, gegen Narrheiten Eigensucht auszuspielen. Für jetzt müssen wir schon den geraden Weg gehen, Oliver, und uns bestreben, als ehrliche Genossen des Burgunders zu gelten, wenigstens doch für heute nacht. Mit der Zeit spielen wir schon wieder ein besseres Spiel!« Neunzehntes Kapitel Bald herrschte Totenstille über dem großen Heere, das im Lager von Lüttich stand. Eine Zeitlang tönte noch das Rufen der Soldaten, die ihre Signale wiederholten oder sich bemühten, zu ihren Fahnen zu stoßen. Endlich aber drängten sich die zerstreuten Soldaten, durch die Anstrengungen des Tages erschöpft, unter das nächste beste Obdach zusammen, und wer keines finden konnte, sank an einer Mauer oder an einem Zaune nieder, um dort den Anbruch des Morgens zu erwarten, den viele von ihnen nie begrüßen sollten. Ein totenähnlicher Schlaf befiel fast alle, die herzoglichen und königlichen Wachen allein ausgenommen, und keiner gedachte vor Ermattung und Abspannung des hohen Preises, der jedem winkte, der den ermordeten Bischof am ehesten rächte. Nicht so Quentin Durward. Die Zuversicht, daß er allein die Zeichen kenne, woran Wilhelm von der Mark im Kampfe zu unterscheiden sei, die Erinnerung, durch wen er zu dieser Kenntnis gekommen, und die Vorbedeutung, die in dem Umstande lag, daß eben sie es war, durch welche er die Kenntnis gewonnen hatte, – dies alles scheuchte den Schlaf von seinen Augen und stählte seine Nerven mit einer Kraft, die aller Ermüdung Trotz bot. Auf des Königs ausdrücklichen Befehl auf den äußersten Posten zwischen den französischen Quartieren und der Stadt gestellt, eine gute Strecke rechts von der oben befindlichen Vorstadt, schärfte er das Auge, die vor ihm befindliche Masse zu durchdringen, und spitzte er das Ohr, den leisesten Ton zu vernehmen, der eine Bewegung in der belagerten Stadt andeuten könne. Allein schon hatten ihre gewaltigen Glocken drei Uhr nach Mitternacht verkündet, und alles war noch still und schweigend wie das Grab. Endlich, als er fast schon glaubte, der Angriff sei bis zum Tagesanbruch verschoben, meinte er, in der Stadt ein Summen zu vernehmen, wie von aufgestörten Bienen, die sich zur Verteidigung ihrer Zellen rüsten. Er horchte – das Geräusch dauerte fort; allein es war so unbestimmter Art, daß kein besonderer Ton sich unterscheiden ließ. Infolgedessen fand sich Quentin bewogen, nicht gleich Lärm zu schlagen. Als aber das Geräusch lauter ward und sich nach seinem Posten hinzog, hielt er es für seine Pflicht, seinen Oheim zu rufen, der den kleinen, zu seiner Unterstützung bestimmten Trupp Bogenschützen befehligte. Alle waren im Augenblick auf den Beinen. In weniger als einer Minute stand Lord Crawford an der Spitze und sandte einen Bogenschützen ab, um den König und sein Gefolge zu alarmieren; dann zog er sein Häuflein in einigen Abstand hinter das Wachfeuer zurück, so daß sie von dessen Lichtschein nicht getroffen werden konnten. Jetzt hörte man deutlich den schweren, wenn auch fernen Tritt eines großen Haufens, der sich der Vorstadt näherte. »Die faulen Burgunder sind auf ihrem Posten eingeschlafen,« flüsterte Crawford, »eile nach der Vorstadt, Cunningham, und wecke die Ochsen auf.« – »Halte Dir ja, wenn Du gehst, den Rücken frei,« sagte Durward, »denn ohne Zweifel hat sich ein starkes Korps zwischen uns und die Vorstadt geschoben!« – »Sehr richtig, Quentin,« sagte Crawford, »Du bist ein Soldat über Deine Jahre. Der Haufen macht bloß Halt, bis die anderen heran sind ... Ich wollte, wir wüßten, wo sie wären!« – »Ich will mich vorwärts schleichen, Mylord,« sagte Quentin, »und Euch Nachricht zu bringen suchen.« – »Tue das, mein Junge; Du hast scharfe Augen und Ohren, und guten Willen dazu, aber nimm Dich in acht, – ich würde Dich ungern verlieren.« Quentin hatte schnell die Büchse instand gesetzt und stahl sich vorwärts auf dem Boden, den er in dem Zwielicht des vorigen Abends sorgfältig rekognosziert hatte, bis er nicht nur gewiß wußte, daß er sich in der Nähe eines sehr bedeutenden Korps befinde, das zwischen dem königlichen Hauptquartiere und den Vorstädten Posten gefaßt hatte, sondern auch, daß ein einzelner, kleiner Haufe sich noch weiter vorgeschoben habe und dicht neben ihm stehe. Sie schienen einander zuzuflüstern, als ob sie unschlüssig wären, was sie zunächst zu tun hätten. Ohne sich zu besinnen, feuerte Quentin seine Büchse ab – ein Schrei, dann Schüsse längs der ganzen Kolonne, deren Stärke sich dadurch verriet ... aber Quentin erreichte unversehrt die Königswache wieder. »Gut gemacht, Junge,« sagte Crawford. »Jetzt, Kinder, in den Hofraum zurück, – sie sind zu stark, als daß wir es mit ihnen im offenen Felde aufnehmen konnten!« Im Hofe und im Garten trafen sie alles in bester Ordnung, den König aber im Begriffe, zu Pferde zu steigen ... »Wohin, Sire?« fragte Crawford; »Ihr seid am sichersten bei Euren eigenen Landsleuten.« – »Nein,« versetzte Ludwig, »ich muß zum Herzog. Er muß in diesem entscheidenden Momente von unserer Treue versichert sein, oder wir bekommen Burgunder und Lütticher zusammen auf den Hals.« – Er schwang sich aufs Pferd, gab Dunois den Befehl über die französischen Truppen, Crawford den über die Bogenschützenwache, befahl ihnen, zwei Feldschlangen und einige Falkonets auffahren zu lassen, die etwa eine halbe Meile zurückgeblieben waren, unterdes aber ihren Posten gut zu verteidigen, jedoch unter keinerlei Bedingung weiter vorzudringen, so glücklich sich auch das Gefecht für sie wenden sollte. Dann ritt er zum Quartiere des Herzogs. Durward, der dem Könige gefolgt war, fand den Herzog in äußerst aufgeregter Stimmung, und doch war Ruhe und Sicherheit jetzt mehr nötig denn je. Eben hatte eine dritte, noch stärkere Kolonne Lütticher sich durch Gassen, Weingärten und ihr allein bekannte Durchgänge auf den rechten Flügel des burgundischen Heeres geworfen. Die Ankunft des Königs, der nur von Balafré, Durward und einem halben Dutzend Bogenschützen begleitet war, stimmte den Herzog ruhiger. Hymbercourt, Crevecoeur und andere burgundische Anführer, deren Namen damals der Stolz und Schrecken der Krieger waren, stürzten sich blindlings ins Gefecht. Die Vorstadt stand in Brand, die furchtbare Feuersbrunst hemmte den Kampf um die brennenden Trümmer nicht. Im Mittelpunkte unterhielten die französischen Truppen, von großer Ueberzahl bedrängt, ein ununterbrochenes, lebhaftes Feuer. Zur Linken wogte die Schlacht mit abwechselndem Glücke hin und her, je nachdem neue Verstärkungen aus der Stadt hervorbrachen oder von dem Nachtrabe des burgundischen Heeres herangezogen kamen. Drei schreckliche Stunden dauerte der Kampf mit immer gleicher Wut, bis endlich der von den Belagerern so sehr ersehnte Morgen anbrach. »Auf!« sagte der König zu Balafré und Quentin, als von dem Platze herüber, wo die Bogenschützen standen, Kanonenschläge dröhnten. »Die Feldschlangen und Falkonets sind da! Gepriesen sei die heilige Jungfrau! Sagt Dunois, er solle mit allen unseren Mannen näher an die Stadt rücken und sich zwischen sie und die dickköpfigen Lütticher werfen.« Oheim und Neffe sprengten zu Dunois und Crawford, die, der Defensive lange überdrüssig, mit Freuden den Befehlen gehorchten und an der Spitze eines tapferen Haufens von zweihundert Mann französischer Edelleute, die Schildknappen und den größten Teil der Bogenschützen ungerechnet, quer übers Feld hin zogen, über Verwundete und Tote weg, bis sie einen Haufen von Lüttichern in die Flanke bekamen, der dem rechten Flügel der Burgunder heftig zu Leibe gerückt war. Und noch immer rückten Truppen aus der Stadt hervor, um die Schlacht auf diesem Punkte fortzusetzen. »Beim Himmel!« sprach Crawford zu Dunois, »wüßte ich nicht, daß Du hier an meiner Seite rittest, so würd' ich sagen, ich sähe Dich unter jenen Banditen mit Deinem Streitkolben, – nur bist Du, wenn Du das dort wirklich bist, etwas dicker als gewöhnlich. Weißt Du gewiß, daß der Anführer dort nicht Dein Doppelgänger ist?« – »Mein Doppelgänger!« rief Dunois, »ich weiß nicht, was Du meinst! Aber dort ist ein Schurke, der mein Wappen auf Helm und Schild führt, den ich sogleich für seine Unverschämtheit züchtigen werde.« – »Bei allem, was edel ist, Herr, überlaßt die Rache mir!« rief Quentin. – »Dir, junger Mann?« fragte Dunois, »eine recht bescheidene Bitte! Aber in solchen Fällen gibt es keine Stellvertretung.« Mit diesen Worten wandte er sich im Sattel und rief seiner Umgebung zu: »Edle Frankreichs! Legt Eure Lanzen ein! Laßt die Strahlen der aufgehenden Sonne durch die Scharen dieser Lütticher Schweine und Ardennen-Eber scheinen, die unsere alten Wappenröcke nachäffen!« – Die Gewaffneten antworteten mit dem lauten Rufe: »Dunois! Dunois! Lang lebe der kühne Bastard!« und mit ihrem Führer an der Spitze sprengten sie in gestrecktem Galopp auf den Feind. Sie fanden keinen zaghaften Gegner. Das starke Korps, das sie angriffen, bestand, einige berittene Offiziere abgerechnet, aus Fußvolk, das ihnen einen Widerstand entgegensetzte, wie der Igel seinem Feinde. Nur wenige konnten sich durch diese Eisenmauer Bahn brechen; aber unter den wenigen war Dunois, der seinem Rosse die Sporen gab und mit einem kühnen Satze auf den Gegenstand seines Hasses losstürmte. Erstaunt, Quentin, immer Quentin, neben sich und in einer Reihe mit sich kämpfen zu sehen, nahm er plötzlich den Eberskopf mit seinen Hauern wahr und rief, von jähem Edelsinn ergriffen, Quentin zu: »Du bist würdig, die Waffen Orleans' zu rächen! Ich überlasse Dir dies Geschäft! Balafré, steht Eurem Neffen bei; aber niemand mische sich in Dunois' Eberjagd!« In diesem Augenblicke hatte jedoch die Kolonne, zu deren Unterstützung Wilhelm von der Mark heranrückte, die während der Nacht gewonnenen Vorteile eingebüßt und war zum Rückzuge gezwungen worden. Da sie sich nun auf die französischen Waffenleute warfen, die mit ihnen im Handgemenge waren, geriet das Ganze in einen Strom hinein, der zu der Bresche zurückflutete, aus welcher die Lütticher hervorgebrochen waren. Quentin machte übermenschliche Anstrengungen, den wilden Eber zu erreichen, der ihm immer im Auge blieb und durch Stimme und Beispiel die Schlacht zum Stehen zu bringen suchte, kräftig unterstützt durch eine auserlesene Zahl Landsknechte. Balafré und einige seiner Kameraden schlossen sich Quentin an, der Bewunderung über die außerordentliche Tapferkeit voll, die von einem so jungen Krieger entwickelt wurde. Dicht an der Bresche gelang es dem Eber – denn kein anderer als er war es – einige der Vordersten zurückzudrängen. Vor seinem eisernen Streitkolben schien alles zu Boden zu sinken. Er war so mit Blut bedeckt, daß das Wappen auf seinem Schilde nicht mehr zu erkennen war. Quentin fand ihn aber leicht heraus; dicht am Fuße der Bresche sprang er vom Pferde, ließ das edle Tier ledig durch das Getümmel laufen und stieg die Trümmer hinauf, um sich im Schwertkampfe mit dem Eber der Ardennen zu versuchen. Dieser wandte sich, mit hocherhobenem Streitkolben, gegen ihn, als ein furchtbares Triumphgeschrei, mit verzweifelten Rufen und wildem Getümmel vermischt, verkündete, daß die Belagerer auf einer anderen Seite in die Stadt gedrungen und denen, die die Bresche verteidigten, im Rücken waren. Da sammelte von der Mark durch Stimme und Hifthorn die verzweifelten Gefährten um sich her, verließ die Bresche und suchte seinen Rückzug nach einem Teile der Stadt zu bewerkstelligen, aus dem er vielleicht auf die andere Seite der Maas zu entkommen hoffte. Seine unmittelbaren Begleiter bildeten einen dichten Haufen kriegsgeübter Streiter um ihn her, die, da sie nie Pardon gegeben hatten, auch jetzt entschlossen waren, keinen anzunehmen. Sie hielten sich in dieser Stunde der Verzweiflung in solcher Ordnung zusammen, daß ihre Front die ganze Breite der Straße einnahm, durch die sie langsam sich zurückzogen. Wahrscheinlich wäre auf diese Weise Wilhelm von der Mark entkommen, da seine Verkleidung ihn vor denen verbarg, die mit seinem Kopfe Ehre und Hoheit zu erringen hofften, wenn ihm nicht Quentin, Balafré und einige Kameraden unablässig zugesetzt hätten. Bei jedem Halt, den die Landsknechte machten, kam es zu einem wilden Ringen zwischen ihnen und den Bogenschützen, immer suchte Quentin den Eber zu stellen; allein dieser, einzig nur auf den Rückzug bedacht, schien seinen Plan, ihn zu einem Zweikampfe zu bringen, immer vereiteln zu wollen. Nach jeder Richtung hin herrschte allgemeine Verwirrung. Das Geschrei und Geheul der Weiber, das Gejammer der bestürzten Einwohner, die nun allen Ausbrüchen kriegerischer Zügellosigkeit preisgegeben waren, schrillte furchtbar durch das Getöse der Schlacht. Gerade in dem Augenblicke, als von der Mark sich durch diese Höllenszene hindurcharbeitete und an das Portal einer Kapelle gelangte, verkündigte ihm der Ruf: »Frankreich! Frankreich! Burgund! Burgund!«, daß ein Teil der Belagerer von dem entgegengesetzten und schmaleren Ende der Straße eindrang und ihm den Rückzug abschnitt. »Konrad,« sagte er, »nimm alle Leute mit Dir! schlagt Euch durch, wenn Ihr könnt – mit mir ist es vorbei! Ich bin Manns genug, um, aufs äußerste gehetzt, einige dieser landstreicherischen Schotten zur Hölle zu senden!« Sein Leutnant gehorchte und eilte mit den noch übrig gebliebenen Landsknechten nach dem äußersten Ende der Straße, in der Absicht, sich durch die vorrückenden Burgunder einen Weg zu bahnen. Ungefähr sechs der besten Leute des von der Mark blieben bei ihrem Herrn, um mit ihm zu sterben, und stellten sich den Bogenschützen, deren Zahl nicht viel größer war, entgegen. – »Der Eber! Der Eber! Holla! Ihr schottischen Edelleute!« rief er, seine Keule schwingend. »Welchen von euch gelüstet es, eine Grafenkrone zu gewinnen? Wer führt den Streich nach des Ebers Haupte? Ihr, junger Mann, deucht mir, habt große Lust dazu, – allein Ihr müßt sie erst gewinnen, ehe Ihr sie tragen könnt!« Quentin hörte diese Worte nur undeutlich, da sie zum Teil in der Wölbung des Helmes verklangen; allein schon sprang von der Mark wie ein Tiger auf ihn los, indem er mit der Keule einen wuchtigen Hieb nach ihm führte, der einen Ochsen zu Boden gestreckt hätte; Quentin aber, behend und scharfblickend, wie er war, entging dem Streiche durch einen Sprung zur Seite. Zwar fielen nun die Streiche des verzweifelten Räubers wie die Schläge des Hammers auf den Amboß, aber dem jungen Bogenschützen gelang es weiter, ihnen durch seine schnellen Bewegungen und die geschickte Führung des Schwertes zu entgehen und sie mit der Spitze seiner zwar minder geräuschvollen, aber gefährlicheren Waffe zu erwidern. Das tat er so oft und mit solcher Wirksamkeit, daß die Riesenkraft seines Gegners zu ermatten begann, als der Boden, auf dem er stand, ganz mit Blut getränkt war. Immer noch focht er mit ungeschwächtem Arm und mit derselben Geisteskraft wie zuvor. Sein Sieg schien noch immer zweifelhaft und fern, als eine weibliche Stimme hinter ihm seinen Namen nannte und schrie: »Hilfe! Hilfe! Um der gebenedeiten Mutter Gottes willen!« Er wandte sich um und erkannte auf den ersten Blick Gertrude Pavillon, wie sie, den Mantel von den Schultern gerissen, von einem französischen Soldaten mit Gewalt fortgeschleppt wurde. »Wartet einen Augenblick!« rief Quentin dem Eber zu und eilte seiner Wohltäterin nach, um sie aus einer Lage zu befreien, deren Gefahr er sich recht gut vorstellen konnte. – »Ich warte auf niemand,« sagte von der Mark, seinen Rückzug antretend, ohne Zweifel froh, auf so bequeme Weise von einem so gefährlichen Gegner befreit zu sein. – »Ihr sollt, mit Verlaub, doch wohl so lange warten, bis ich komme!« sprach Balafré, »denn so lasse ich meinem Neffen nicht mitspielen!« Mit diesen Worten ging er dem Eber mit seinem zweihändigen Schwerte zu Leibe. Gertruds Räuber, von seinen Kameraden unterstützt, weigerte sich, von seinem Raube zu lassen, und während Durward mit Hilfe einiger Landsleute ihn zu bezwingen suchte, sah er den Vorteil, den der Zufall ihm zu Glück und Reichtum so gründlich in die Hände gegeben, schwinden: und als er endlich mit dem befreiten Mädchen auf der Straße stand, war niemand mehr zu sehen. Der hilflosen Lage des Mädchens gänzlich vergessend, stand er im Begriffe, dem Eber nachzueilen, wie der Windhund die Spur des Wildes verfolgt, als sich Gertrud verzweiflungsvoll au seinen Arm hing und rief: »Um Eurer Mutter Ehre willen, laßt mich nicht hier! So wahr Ihr ein Edelmann seid, geleitet mich sicher nach dem Hause meines Vaters, das einst Euch und Gräfin Isabelle Schutz gewährte! Um ihretwillen verlaßt mich nicht!« Ihr Ruf klang wie der einer Sterbenden, aber er war unwiderstehlich. Mit unaussprechlich bitterem Gefühl allen frohen Hoffnungen Lebewohl sagend, führte Quentin, wie ein Geist, der mit Widerwillen einem Zauberer gehorcht, Gertrud nach Pavillons Haus und kam eben noch recht an, um es gegen die Wut der zügellosen Soldaten zu schützen. Der König und der Herzog zogen indessen durch eine der Breschen in die Stadt ein. Beide waren vollständig gewappnet; der Herzog aber, vom Helmbusch bis zu den Sporen mit Blut bedeckt, trieb sein Streitroß wütend die Bresche hinauf, während Ludwig bedächtig wie ein Mönch, der eine Prozession anführt, folgte. Sie gaben Befehl, mit der Plünderung einzuhalten und die zerstreute Truppe zu sammeln. Dann begaben sie sich nach der Hauptkirche, teils um die vornehmeren Einwohner zu schützen, die sich dorthin geflüchtet hatten, teils, um nach der Anhörung der Messe Kriegsrat zu halten. Gleich anderen Offizieren seines Ranges beschäftigt, die unter seinen Befehlen stehende Truppe zu sammeln, begegnete Lord Crawford, indem er um die Ecke bog, die nach der Maas führte, Balafré, der gemächlich dem Flusse zuschritt, ein menschliches Haupt an den blutigen Haaren haltend. »Nun, Ludwig,« fragte der Lord, »was willst Du mit diesem Aase machen?« – »Das ist alles, was von einem Stück Arbeit übrig geblieben ist, das sich mein Neffe ausgesucht hatte und womit er auch selbst zu Ende gekommen wäre; ich brauchte nur die letzte Hand anzulegen,« sagte Balafre. »Es war ein tüchtiger Bursche, den ich ins Jenseits spedierte; er hat mich noch gebeten, seinen Kopf in die Maas zu weisen!« – »Und Ihr wollt den Kopf auch in die Maas werfen?« fragte Crawford, dieses grause Haupt näher ins Auge fassend. – »Allerdings,« sagte Ludwig. »Wenn Ihr einem Sterbenden die letzte Bitte versagt, so werdet Ihr von seinem Geiste geplagt; und ich schlafe nachts gern ruhig!« – »Ihr müßt es schon mit dem Geiste aufnehmen, Freund!« sagte Crawford. »Es liegt, meiner Seel, an dem toten Dinge weit mehr, als Ihr Euch träumen laßt. Kommt mit mir – kein Wort mehr! Kommt nur, kommt!« – »Nun, wenn's an dem ist,« sagte Balafré, »ich hab's ihm ja eigentlich nicht versprochen; denn in Wahrheit, ich hatte ihm schon den Kopf heruntergehauen, ehe er mit dem Gesuche zu Ende kam.« Als das Hochamt in der Kathedralkirche von Lüttich vorüber war und die geängstigte Stadt wieder einiger Ruhe genoß, schickten sich Ludwig und Karl, von ihren Großen umgeben, an, die Ansprüche derer zu vernehmen, die im Verlaufe der Schlacht besondere Dienste geleistet hatten. Diejenigen, welche die Grafschaft Croye und ihre schöne Gebieterin betrafen, kamen zuerst an die Reihe; und zum großen Mißvergnügen mehrerer Bewerber, die sich im Besitz der schönen Beute geglaubt hatten, schienen ihre Ansprüche Zweifeln und Ungewißheit zu unterliegen. Crevecoeur zeigte eine Eberhaut vor, wie sie von der Mark zu tragen pflegte; Dunois einen zerspaltenen Schild, mit seinem Wappen bezeichnet; und mehrere andere, die sich das Verdienst aneigneten, den Mörder des Bischofs in die andere Welt befördert zu haben, brachten ähnliche Zeichen zum Vorschein, – denn der reiche Preis, der auf Marks Kopf gesetzt war, hatte allen, die in Anzug und Rüstung mit ihm einige Ähnlichkeit hatten, den Tod gebracht. Es entstand ein heftiger Lärm und Streit unter den Bewerbern, und Karl (der bereits das rasche Versprechen bereute, das die Hand und die Besitzungen seiner schönen Vasallin solchem Zufalle preisgegeben hatte) rechnete schon damit, all dieser widerstreitenden Ansprüche los zu werden, als sich Crawford in den Kreis drängte und Balafré hinter sich herzog, der ungeschickt und verdutzt, wie ein Jagdhund an einer Leine, folgte. »Hinweg,« rief sein Führer, »mit Euren Tatzen, Häuten und Eurem bemalten Eisen! Keiner als der, welcher den Eber selbst erschlagen hat, vermag seine Hauer aufzuweisen!« Mit diesen Worten warf er das blutige Haupt auf den Boden, das man schnell an der sonderbaren Bildung der Kinnbacken für den Kopf Wilhelms von der Mark erkannte. Es lag wirklich eine Ähnlichkeit mit denen jenes Tieres darin, dessen Namen er trug, und alle, die Wilhelm gesehen hatten, gestanden, daß hier keine Täuschung stattfinde. »Crawford,« sagte Ludwig, während Karl in sich gekehrt und in düsteres, mißmutiges Erstaunen versunken dasaß, »ich wette, es ist einer meiner treuen Schotten, der diesen Preis gewonnen hat.« – »Ludwig Lesly ist's, den wir Valafré nennen,« antwortete der alte Krieger. – »Ist er aber auch von edlem Geschlechte?« fragte der Herzog. »Stammt er nicht aus adligem Blute, so sind Wir Unseres Versprechens quitt.« – »Er ist freilich ein aus dem Groben gearbeitetes Stück Holz,« sagte Crawford, indem er auf die lange, unbeholfene Gestalt des Bogenschützen hinsah, »aber ich bin gut dafür, daß er bei all dem ein Zweig des großen Stammes der Rothes ist, und die sind so edel, als nur irgend ein Haus in Frankreich oder Burgund.« »So ist denn nicht mehr zu helfen,« sagte der Herzog, »die reichste, schönste Erbin in Burgund muß das Weib eines rohen Mietssoldaten werden oder ihre Tage im einsamen Kloster beschließen, und gleichwohl ist sie das einzige Kind unseres treuen Reinhold von Croye! Ich habe zu voreilig gehandelt!« Eine düstere Wolke legte sich auf seine Stirn, zum großen Erstaunen seiner Pairs, die ihn selten auch nur das geringste Zeichen von Reue über einen einmal gefaßten Entschluß hatten von sich geben sehen ... – »Halt, noch einen Augenblick!« sagte Lord Crawford, »die Sache ist wohl besser, als Ew. Hoheit vermutet. Hört nur, was dieser Kavalier hier zu sagen hat. Sprich, Freund – daß Dich die Pest –« raunte er Balafré zu. Allein der tölpelhafte Soldat mochte sich wohl noch dem Könige, an dessen Vertraulichkeit er gewöhnt war, verständlich machen, aber im gegenwärtigen Falle war es ihm rein unmöglich, seinen Entschluß vor einer so glänzenden Versammlung kund zu tun. – »Ew. Majestät und Ew. Hoheit halten zu Gnaden,« sagte Crawford, »ich sehe schon, ich muß für meinen Landsmann und alten Kameraden das Wort nehmen. Ihr müßt wissen, daß ihm durch einen Seher seines Vaterlandes prophezeit worden ist, daß das Glück seines Hauses durch eine Heirat gemacht werden würde, nun aber geht's ihm wie mir – er ist über diese Zeiten hinüber, – und sitzt lieber im Weinhaus, als bei einer Dame im Sommergemach, – kurz und gut, er hat seine wunderlichen Eigenheiten und Gelüste, die ihm seine neue Hoheit nur unbehaglich machen würde, und hat sich deshalb meinem Rate gefügt und verzichtet auf die Ansprüche, die er durch Erlegung Wilhelms von der Mark erworben hat, zugunsten dessen, durch den der wilde Eber der Ardennen eigentlich zu Fall gebracht worden ist, und das ist kein andrer denn sein Neffe mütterlicherseits.« »Ich kann den guten Diensten und der Klugheit dieses Jünglings das Wort reden,« sagte Ludwig, hocherfreut, daß das Schicksal diesen schönen Preis jemandem zuteil werden ließ, auf den er einigen Einfluß zu haben glaubte. »Ohne seine Klugheit und Wachsamkeit wären wir heute verloren gewesen, – er war es, der uns auf den nächtlichen Ausfall aufmerksam machte.« – »So bin ich ihm,« sagte der Herzog, »einige Entschädigung dafür schuldig, daß ich an seiner Wahrhaftigkeit gezweifelt habe.« – »Und ich kann seine Tapferkeit als Waffenmann bezeugen,« sagte Dunois. – »Aber,« unterbrach ihn Crevecoeur, »wenn auch sein Oheim schottischer Edelmann ist, so macht das doch nicht seinen Neffen dazu.« – »Er ist aus dem Hause Durward,« sprach Crawford, »und stammt von Allen Durward ab, Oberkämmerer von Schottland.« – »Ja, wenn es der junge Durward ist,« sagte Crevecoeur, »so schweige ich. Fortuna hat sich zu seinen Gunsten erklärt, und mit so einer launenhaften Dame lasse ich mich in keinen Streit ein.« – »Wir haben nur zu untersuchen,« sagte Karl nachdenklich, »wie die schöne Dame diesem glücklichen Abenteurer gesinnt ist.« – »Beim heiligen Meßopfer!« sagte Crevecoeur, »ich habe nur zu viel Grund, zu denken, daß Ew. Hoheit sie diesmal weit gehorsamer und unterwürfiger finden wird als früher. Aber warum sollte ich dem jungen Manne sein Glück nicht gönnen? Geht doch aus allem hervor, daß Verstand, Festigkeit und Tapferkeit ihn in den Besitz von Reichtum, Rang und Schönheit gesetzt haben!« Mag eines besseren Barden Mund besingen, Wie zu Bracquemont die Tore aufgingen, Wie dem Schotten die holde Gebieterin Gab Schönheit und Grafschaft zu eigen hin! – Ende – Die Verlobten Roman aus der britischen Vorzeit in zwei Bänden Übersetzt von Erich Walter Tales of the Crusaders. Bd. I-II: The Betrothed Edinburgh 1825 Erster Band Erster Teil Erstes Kapitel In den Chroniken, woraus diese Geschichte geschöpft wurde, wird uns versichert, daß in dem langen Zeitraume, während dessen die Walliserfürsten um ihre Unabhängigkeit rangen, vor allen anderen sich das Jahr 1187 als günstig für den Frieden zwischen ihnen und ihren fehdelustigen Nachbarn, den »Herren der Marken«, erwiesen habe. Diesen gehörten die mächtigen Burgen an den Grenzen der alten Briten, deren Trümmer noch heute jeder mit Staunen betrachtet, den sein Weg in diese Landstrecken führt. Es war die Zeit, da Balduin, Erzbischof von Canterbury, in Gemeinschaft mit Giraldus de Barri, Bischof von St.-David, von Burg zu Burg, von Ort zu Ort zum Kreuzzuge nach dem heiligen Grabe rief. Die britischen Häuptlinge hätten freilich unter all den Völkern, die von diesem fanatischen Prediger für solch gefahrvolle Unternehmung in so ferne Lande geworben wurden, gewiß die beste Ursache, sich fernzuhalten, gehabt, und zwar eben in ihren ständigen Grenzfehden mit den normannischen Rittern, die im Jahre 1066 unter Wilhelm dem Eroberer sich in ihren alten Gebieten festgesetzt hatten und sie durch fortgesetzte Raubzüge jahrhundertelang drangsalierten, ihnen ein Stück Land nach dem andern entrissen und dort Burgen über Burgen bauten, um das Gewonnene festzuhalten. Wohl vergalten es ihnen die Briten durch grimmige Gegeneinfälle, die sich den Wogen der rückstauenden Flut vergleichen ließen, rasend und tosend, vernichtend und zerstörend sich über ihr verlorenes Eigentum ergossen, aber bei jedem Rückprall ihren Feinden neuen Boden in den Fäusten ließen; denn die Einigkeit unter den Britenkönigen hielt nie lange stand. Kaum waren sie aus einem Krieg gegen den gemeinsamen Landesfeind heimgekehrt, so verfielen sie wieder in ihre Stammesfehden, die sie mit nicht schärferer Erbitterung führten. Ein Kreuzzug war aber für ein Volk von so kampflustigem Temperament so verlockend, daß sich viele seiner Ritter, ohne auf die Folgen für ihr eigenes Land, das sie von Verteidigern entblößten, Rücksicht zu nehmen, zur Heerfolge verpflichteten und unter Balduins Banner stellten. Zu ihnen gehörte Gwenwyn, noch immer Herr über einen großen Teil des Powy-Landes, trotzdem sich die Geschlechter der Mortimer, Quarine, Latimer, Fitz-Allan und andere normännische Edle unausgesetzt bemühten, ihn gleich seinen Nachbarn zu unterjochen, und trotzdem es ihnen unter allerhand Vorwänden bereits gelungen war, große Strecken dieser einst ausgedehnten, unabhängigen Herrschaft abzulösen und an sich zu bringen, die, als Wales zu seinem Unglück nach Roderik Mawrs Ableben in drei Teile zerstückelt wurde, seinem jüngsten Sohne Mervyn anheimfiel. Gwenwyn, der grimme Abkömmling dieses alten Fürstengeschlechts, war der Liebling der ganzen Walliser Ritterschaft, und sein Name allein führte Scharen derselben dem Kreuzzuge zu. Als die Zugbrücke seiner Burg hinter ihm niederfiel, entging es seinem treuen Barden Cadwallon freilich nicht, daß er unwillkürlich zusammenschauderte; dem erfahrenen Ritter, der den Charakter seines Herrn so genau kannte, war es keine Minute zweifelhaft, daß sich Befürchtungen in ihm regten, seine Feinde möchten in seiner Abwesenheit, um sich endlich seines Landes zu bemächtigen, selbst vor einem Treubruch nicht zurückschrecken. Beim Abschiedsessen, das er seiner Ritterschaft gab, hatte Gwenwyn zum erstenmale Eveline Berenger gesehen, das einzige Kind des normannischen Schloßherrn von Garde Douloureuse, die Erbin von dessen Landgütern und sonstigem Vermögen, ein Mädchen von erst sechzehn Jahren, das aber als das schönste Fräulein in der Walliser Gemarkung galt. Mancher Speer war schon um ihretwillen gebrochen worden, und der ritterliche Hugo de Lacy, Connetable von Chester, einer der gefürchtetsten Kriegshelden jener Zeit, hatte zu ihren Füßen den Ehrenpreis niedergelegt, den er in einem großen Turniere gewann, das bei der alten Stadt Chester gehalten worden war. Gwenwyn hatte ihr Anblick so berauscht, daß er trotz der langen Feindschaft, in der er mit ihrem Vater lebte, trotz allem Haß zwischen Briten und Normannen, und trotzdem er sich sagen mußte, daß seine Parteigänger in solcher Werbung einen Abfall von ihrer Sache erblicken durften, den Gedanken um sie zu freien, nicht los wurde. Daß er vom Vater des Mädchens, mit dem er jahrelang in Blutfehde lag, abgewiesen werden könnte, damit rechnete er keinen Augenblick, da er als Herrscher über hundert Berge nur den Mund aufzutun brauche, um den »normännischen Kastellan«, dessen Rang unter dem Grenzadel nicht einmal die erste Stelle behauptete, zum Glücklichsten aller Sterblichen zu machen, wenn er um die Hand seiner Tochter anhielte. Freilich gab es noch ein anderes Hindernis, das zu spätern Zeiten von großem Gewicht gewesen wäre – Gwenwyn war schon verheiratet. Aber Brengwain, sein Weib, war kinderlos, und regierende Herren – zu denen sich Gwenwyn ja rechnete – vermählen sich doch zu dem Zwecke, Nachkommen zu erhalten; mithin ließ sich wohl annehmen, daß der Papst keine Bedenken haben würde, sich durch einen Scheidespruch einem Fürsten verbindlich zu zeigen, der mit so großem Eifer das Kreuz genommen hatte. Von solcher Absicht erfüllt, verlängerte Gwenwyn seinen Aufenthalt in Berengers Burg von Weihnachten bis zum Heiligen Drei-Königstage und fügte sich in die Gegenwart der normännischen Edlen, die zu den gastlichen Hallen Raymonds gehörten und sich durch ihren Rang als Ritter den mächtigsten Regenten gleichgestellt wähnten, daher sich auch wenig aus der uralten Abkunft des Walliser Fürsten machten, der in ihren Augen nur der Häuptling einer halb barbarischen Provinz war. Er hingegen achtete sie kaum höher als eine Art privilegierter Räuber, und nur mit der größten Anstrengung hielt er sich zurück, seinen Haß offen zu zeigen, wenn er sie bei ihren ritterlichen Uebungen daher sprengen sah, da eben diese beständigen Uebungen sie zu so furchtbaren Feinden seines Vaterlandes machten. Endlich war die Zeit der Festlichkeiten vorbei; Ritter und Knappen verließen das Schloß, das nun wieder das Aeußere einer einsamen, wohlbewachten Burg annahm. Aber der Fürst von Powy-Land, während er der Jagd in seinen eigenen Bergen und Tälern oblag, fand nur zu bald, daß weder die größere Menge des Wildes noch die Erlösung von dem Untergange der normannischen Ritterschaft, die es sich herausnahm, ihn als ihresgleichen zu betrachten, ihm nichts wäre, da die leichte und schöne Gestalt Evelinens auf ihrem weißen Zelter aus dem Zuge der Jäger verwiesen war. Kurz, er zögerte nicht länger, zog seinen Kaplan ins Geheimnis, einen geschickten und verschlagenen Mann, dessen Stolz durch die Mitteilung seines Patrons sich geschmeichelt fand, und nebenbei in der ihm vorgelegten Sache irgend einen zufälligen Vorteil für sich und seinen Orden finden konnte. Nach seinem Rate wurden die Schritte zur Scheidung Gwenwyns unter günstigen Aussichten getan, und die unglückliche Brengwain wurde in ein Nonnenkloster gesteckt, das ihr vielleicht eine freundlichere Wohnung erschien als die einsame Abgeschiedenheit, in welcher sie vernachlässigt ihre Tage zugebracht hatte, seitdem Gwenwyn der Hoffnung entsagt hatte, Erben von ihr zu sehen. Auch mit den Häuptern und Aeltesten des Landes unterhandelte Pater Hugo und stellte ihnen die Vorteile vor, welche in künftigen Kriegen durch den Besitz von Garde Doloureuse ihnen gewiß wären, welches seit länger als einem Jahrhundert einen bedeutenden Landesstrich gedeckt und geschützt hatte, ihr Vorrücken erschwert, ihren Rückzug gefährlich gemacht, mit einem Worte sie verhindert hatte, bis an die Zone von Shrewsbury vorzudringen. Was die Verbindung mit dem sächsischen Fräulein selbst anbeträfe, möchten diese Fesseln (gab der Pater mit zu verstehen) nicht fester sein als die, welche Gwenwyn an ihre Vorgängerin geknüpft hätten. Diese Gründe, vermischt mit andern, den Absichten und Wünschen der verschiedenen Individuen angemessen, waren so siegreich, daß der Kaplan in Zeit von wenigen Wochen imstande war, seinem fürstlichen Patron zu berichten, daß seine Verbindung keinen Widerspruch von den Aeltesten und Edlen seiner Besitzungen zu befürchten habe. Ein goldnes Armband, sechs Unzen schwer, war auf der Stelle die Belohnung für des Priesters Geschicklichkeit und Unterhandlungen, und Gwenwyn trug ihm auch auf, solche Vorschläge zu Papier zu bringen, welche, wie er nicht zweifelte, die Burg von Garde Doloureuse, trotz ihres melancholischen Namens, in einen Freudentaumel versetzen würden. Mit einiger Schwierigkeit gelang es dem Kaplan über seinen Patron, daß nichts in diesem Briefe von dem einstmaligen Plan eines Konkubinats gesagt wurde, welches, wie er weise urteilte, von Evelinen und ihrem Vater als eine Beleidigung angesehen werden möchte. Die Scheidung selbst stellte er als fast gänzlich abgemacht vor und schmückte noch den Brief mit einer moralischen Nutzanwendung aus, in welcher viele Anspielungen auf Vasthi, Esther und Ahasverus vorkamen. Nachdem der britische Fürst diesen Brief mit einem schnellen und zuverlässigen Boten abgeschickt hatte, eröffnete er mit aller Feierlichkeit das Osterfest, welches während dieser äußern und innern Unterhandlungen herangekommen war. Die Gemüter seiner Untertanen sich günstig zu stimmen, wurden sie gegen die Zeit des Festes in großer Anzahl eingeladen, an einer fürstlichen Festlichkeit teilzunehmen, in Castel Coch oder dem Roten Kastell, wie es damals genannt wurde, seitdem mehr gekannt unter dem Namen von Powys Castle, späterhin der fürstliche Sitz des Herzogs von Beaufort. Die architektonische Pracht dieses edlen Wohnsitzes war ein Werk viel späterer Zeit als der Gwenwyns, dessen Palast in dem Zeitraume, von welchem wir reden, in einem langen Gebäude bestand mit niedrigem Dache, von roten Steinen aufgeführt, woher der Name des Schlosses entstand. Ein Graben und Palisaden waren, nächst der festen erhabenen Lage, die wichtigsten Deckungen desselben. Zweites Kapitel Die Feste der alten britischen Fürsten zeigten gewöhnlich all den rohen Glanz und die freigebige Fülle der Gastfreiheit unter den Gebirgsbewohnern, und Gwenwyn war bei dieser Gelegenheit recht ängstlich bemüht, sich selbst durch eine ganz ungewöhnliche Verschwendung Popularität zu verschaffen. Denn er fühlte nur zu gut, daß die Verbindung, welche er vorhatte, von seinen Untertanen und Anhängern, wenn geduldet, doch nicht gebilligt werden möchte. Der folgende, an sich geringfügige Umstand bestätigte seine Befürchtungen. Als er eines Abends, als es beinahe schon finster war, vor den offenen Fenstern einer Wachstube vorbeiging, in welcher sich einige seiner besten Krieger, die sich in der Bewachung des Palastes ablösten, gewöhnlich aufhielten, hörte er, wie Morgan durch Stärke, Mut und Wildheit ausgezeichnet, vor dem Wachfeuer sitzend, zu seinem Kameraden sagte: »Gwenwyn ist zum Pfaffen oder Weibe geworden; wann war, außer diesen letzten drei Monaten, einer seiner Leute genötigt, das Fleisch von den Knochen rein zu nagen, wie ich es hier mit den Bissen in meiner Hand tun muß?« »Warte nur noch ein wenig,« erwiderte sein Kamerad, »bis die normannische Heirat zustande gekommen. So schmal wird dann die Beute sein, die wir von den sächsischen Bauernkerlen auftreiben werden, daß wir schon zufrieden sein werden, wie hungrige Hunde die Knochen selbst zu verschlingen.« Mehr vernahm Gwenwyn von ihrem Gespräche nicht; aber dies war genug, seinen Stolz als Krieger, seinen Argwohn als Fürst zu erregen. Er wußte, daß das Volk, welches er beherrschte, zugleich wankelmütig in seiner Zuneigung, ungeduldig bei langer Ruhe, und voll von Haß gegen die Nachbarn war, und er fürchtete gar sehr die Folgen der Untätigkeit, welche ein langer Waffenstillstand veranlassen mußte. Bei alledem war das Wagestück begonnen, und so schien denn eine mehr als gewöhnliche Gastfreiheit der beste Weg zu sein, die wankende Liebe seiner Untertanen zu gewinnen. Ein Normanne würde die barbarische Pracht eines Gastmahls verachtet haben, welches aus unzerlegt gebratenen Kühen und Schafen, aus dem in der Tiere eigenem Felle gesottenem Fleisch von Ziegen und Wildbret bestand. Die Normänner hielten mehr auf die Beschaffenheit als auf die Menge ihrer Speisen, und lieber delikat als überladen essend, spotteten sie des gröbern Geschmacks der Briten, obwohl diese bei ihren Banketten weit mäßiger waren als die Sachsen. Ebensowenig konnten sich die Ströme von Erw [ein eigentümliches Getränk der Walliser oder vielmehr der alten Briten] und Met, welche gleich einer Sündflut die Gäste überschwemmten, nach ihrer Ansicht mit dem feinern und kostbarern Getränke vergleichen lassen, das sie im Süden Europas lieb gewonnen hatten. Milch, auf verschiedene Weise zubereitet, bot einen andern Teil der Erfrischungen dar, welches nicht der Normannen Beifall erhalten hatte, obwohl dieses Nahrungsmittel unter den alten Briten den Mangel aller andern zu ersetzen pflegte, deren Land reich an Schaf- und Rinderherden, aber arm an Erzeugnissen des Ackerbaues war. Die Tafel war in einer langen, niedrigen Halle errichtet, von unbearbeitetem Holze erbaut und mit Schindeln bedeckt. Ein großes Feuer brannte an jedem Ende, wovon der Rauch, unvermögend, durch die unvollkommenen Oeffnungen im Dach einen Ausgang zu finden, wie aufgetürmte Wolken über die Häupter der Schmauser sich wälzte, die absichtlich, den erstickenden Dämpfen zu entgehen, auf niedrigen Sitzen saßen. Gebärde und das Aeußere der hier Versammelten waren wild, und selbst in der geselligen Stunde sehr schreckhaft. Ihr Fürst selbst hatte die gigantische Haltung und das stolze Auge, geeignet, ein ungeregeltes Volk zu beherrschen, das seine Freude nur auf dem Schlachtfelde findet. Der lange Schnurrbart, welchen er und die meisten seiner Kämpen trugen, vermehrte die furchtbare Würde seiner Gegenwart. Gleich den meisten der Gegenwärtigen war Gwenwyn in eine einfache Tunika von weißem leinenen Zeuge gekleidet, ein Ueberbleibsel der Tracht, welche die Römer in die britische Provinz einführten; ihn zeichnete nur die Gudorchawa aus, eine Kette von ineinander geflochtenen goldenen Ringen, womit die keltischen Stämme [Die Briten gehörten ursprünglich zu dem großen keltischen Volksstamme des nordwestlichen Europa.] ihre Häuptlinge schmückten. Dieser Halsschmuck fand nun zwar auch unter den Häuptlingen geringeren Standes statt, mehrere von ihnen trugen ihn vermöge ihrer Geburt oder hatten ihn durch Kriegstaten erworben; aber ein goldener Ring, der sich um das Haupt wand, schimmerte durch Gwenwyns Haar, denn er behauptete noch immer seine Ansprüche auf den Rang eines der drei gekrönten Fürsten, und seine Arm- und Knöchelbänder, von demselben Metall, waren dem Prinzen von Powys als einem unabhängigen Regenten eigen. Zwei Schildknappen, welche seinem Dienste ihre ganze Aufmerksamkeit widmeten, standen hinter dem Fürsten; zu seinen Füßen stand ein Page, dessen Geschäft es war, sie durch Reiben und Einhüllen in seinem Mantel warm zu erhalten. Eben das oberherrliche Recht, welches Gwenwyn das goldene Diadem zugestand, befugte ihn zum Gebrauch eines solchen Fußwächters oder eines solchen jungen Menschen, der auf der Matte lag, und das Geschäft hatte, in seinem Schoß oder Busen des Fürsten Füße zu wärmen. Ungeachtet der beständigen kriegerischen Stellung der Gäste gegeneinander und der Gefahr, welche die vielen unter ihnen obwaltenden Fehden herbeiführen konnten, trugen wenige der Gäste eine Verteidigungswaffe, den leichten, ziegenledernen Schild ausgenommen, welcher hinter dem Sitz eines jeden hing. Doch waren sie auf der andern Seite mit einem Vorrat von Angriffswaffen wohl versehen; das breite, scharfe, kurze, zweischneidige Schwert war ebenfalls ein Vermächtnis der Römer; viele fügten noch ein Jagdmesser oder einen Dolch hinzu. Auch gab es da eine Menge von Wurfspießen aller Art, Bogen und Pfeilen, Piken und Hellebarden, dänische Aexte und Walliser krumme Aexte und Messer, so daß, wenn während des Mahles böses Blut entstand, es nicht an Waffen gebrach, Unheil anzurichten. Wiewohl nun das Aeußere des Festes ein wenig unordentlich aussah, und die Schmauser nicht durch die strengen Regeln der guten Lebensart, welche die Gesetze des Rittertums auflegten, in Zaum gehalten wurden, so besaß doch das Osterbankett Gwenwyns durch die Anwesenheit von zwölf der ausgezeichnetsten Barden eine Quelle des edelsten Vergnügens, in einem weit höheren Grade, als die stolzen Normannen sich rühmen konnten. Wahr ist's, auch sie hatten ihre Minstrels, eine Klasse von Menschen, die zur Betreibung der Poesie des Gesanges und der Musik ganz eigentlich gebildet waren. Obgleich aber diese Kunst hoch geehrt war, und einzelne dieser Künstler, wenn sie zu einer ausgezeichneten Höhe gelangten, oft reichlich belohnt wurden, so ward doch der Stand des Minstrels als ein solcher sehr gering geachtet, da die, welche dazu gehörten, sehr unwürdige liederliche Herumtreiber waren, die sich dieser Kunst gewidmet hatten, sich dem Zwange der Arbeit zu entziehen und Mittel zu haben, ein wanderndes, herumschweifendes Leben zu führen. So hat man von jeher über den Beruf derer geurteilt, welche sich dem öffentlichen Vergnügen widmen; die wenigen, welche sich unter ihnen durch eine persönliche Vortrefflichkeit auszeichnen, werden zuweilen in der Gesellschaft sehr hochgestellt, während die Mehrzahl dieser Künstler auf die niedrigste Stufe hinabgesunken bleiben. Aber dieses war nicht der Fall mit dem Orden der Barden in Wales, welche, Druiden in ihrer Würde folgend, unter welchen sie ursprünglich eine untergeordnete Brüderschaft bildeten, manche Gerechtsame besaßen, der höchsten Achtung und Ehrerbietung genossen und einen großen Einfluß auf ihre Landsleute ausübten, Ihre Gewalt über die öffentliche Meinung wetteiferte selbst mit der der Priester, mit welchem sie in der Tat einige Aehnlichkeit hatten; denn nie trugen sie Waffen, sie wurden in ihren Orden durch geheime mystische Feierlichkeiten eingeweiht, und Ehrfurcht wurde ihrem »Awen« oder dem Strome ihrer poetischen Begeisterung dargebracht, als ob wirklich etwas Göttliches in derselben wäre. So im Besitz der Macht und des Einflusses, fehlte es auch nie den Barden an Willen, ihre Vorrechte auszuüben, und oft hatte ihre Art und Weise, es zu tun, das Gepräge des grillenhaftesten Eigensinnes. Dies war vielleicht bei Cadwallon, dem vornehmsten Barden Gwenwyns, der Fall, von welchem man es doch hätte erwarten sollen, daß er in der gastlichen Halle seines Fürsten vorzüglich den Strom des Gesanges dahin fließen lasse. Aber weder die bange, atemlose gespannte Erwartung der versammelten Häuptlinge und Ritter, – weder die Totenstille, welche die lärmende Halle verstummen ließ, als die Harfe ehrerbietig von seinem Diener vor ihm gestellt ward, ja weder die Befehle noch die Bitte des Fürsten selbst – vermochten Cadwallon, mehr als ein kurzes und abgebrochenes Vorspiel auf dem Instrumente abzuschwingen, dessen Töne sich von selbst in eine unaussprechlich traurige Weisen fügten, und dann hinabstarben in tiefes Schweigen, Finster blickte der Fürst auf den Barden hin, der selbst zu tief in düstere Gedanken versunken war, um irgend eine Entschuldigung hervorzubringen, ja nur dessen Unwillen zu merken. Von neuem entlockte Cadwallon einige wilde Töne, und den Blick aufwärts richtend, schien er nun recht im Begriff, in einen Strom des Gesanges auszubrechen, ähnlich denen, mit welchem die Meister in seiner Kunst gewöhnt waren, die Zuhörer zu bezaubern: aber umsonst war seine Anstrengung; er erklärte, seine rechte Hand sei gelähmt, und stieß das Instrument von sich. Ein Murmeln ging durch die Versammlung; Gwenwyn las es in ihren Gesichtern, daß sie das ungewöhnliche Stillschweigen Cadwallons bei dieser hochwichtigen Gelegenheit für eine böse Vorbedeutung hielten. Er rief einen jungen und ehrgeizigen Barden, Caradox von Menwygent, dessen immer steigender Ruf ihn bald schon mit dem gegründeten Ruf Cadwallons gleichzustellen schien, und forderte ihn auf, einen Gesang anzustimmen, welcher ihm den Beifall seines Herrn und den Dank der Gesellschaft erwerbe. Der junge Mann war ehrgeizig und in der Kunst eines Höflings wohl bewandert; er begann ein Gedicht, in welchem er, unter erdichtetem Namen, ein hochpoetisches Gemälde von Evelinen von Berenger entwarf, daß Gwenwyn ganz davon hingerissen ward; und während alle die, welche das schöne Original gesehen hatten, sogleich die Ähnlichkeit erkannten, sprachen die Augen des Fürsten sowohl seine Leidenschaft für den Gegenstand als seine Bewunderung des Dichters aus. Die Bilder der keltischen Dichtkunst, schon selbst voll hoher Phantasie, genügten kaum dem ehrgeizigen Enthusiasmus des ehrgeizigen Barden, der immer höher stieg, je mehr er die Gefühle bemerkte, welche er erregte. Das Lob des Fürsten vermischte sich mit dem Lobe der normannischen Schönheit, »und,« sang der Dichter, »wie der Löwe sich nur leiten läßt von der Hand einer keuschen und schönen Jungfrau, so kann ein Fürst nur die Herrschaft der tugendhaftesten und liebenswürdigsten ihres Geschlechts über sich erkennen. Wer fragt die Mittagssonne, in welcher Gegend der Welt sie geboren ist? Und wie sollte man solche Reize, wie die ihrigen, befragen, welchem Lande sie ihre Geburt verdanken.?« Begeistert für das Vergnügen wie für den Krieg und mit einer Einbildungskraft begabt, welche dem Anklange ihrer Dichter so leicht entgegenkam, vereinten sich alle welschen Häupter und Führer in lauten Beifallsrufen; und rascher gelang es dem Gesange des Barden, die geplante Verbindung des Fürsten dem Volke gefällig zu machen, als alle ernstern Gründe des geistlichen Unterhändlers bewirkt hatten. Im Uebermaß des Vergnügens riß Gwenwyn seine goldne Armbänder ab, um sie einem Barden zu erteilen, dessen Gesang eine so ernst erwünschte Wirkung gehabt hatte, und sprach, auf den schweigenden, finstern Cadwallon blickend: »die schweigende Harfe ward nie mit goldenen Saiten bezogen,« »Fürst,« entgegnete der Barde, dessen Stolz mindestens dem Gwenwyns gleichkam: »Ihr verdreht das Sprichwort des Talissin – die schmeichelnde Harfe ist es, der es nie an goldenen Saiten mangelt.« Sich mit strengem Blick gegen ihn wendend, war Gwenwyn eben im Begriff, ihm eine zornige Antwort zu geben, als die plötzliche Erscheinung Jorworths, des Boten, den er an Raymond geschickt hatte, ihn zurückhielt. Dieser rohe Abgesandte trat in die Halle, mit bloßen Beinen, nur Sandalen von Ziegenleder an den Füßen, einen Mantel von gleichen Fellen über der Schulter, und einen kurzen Wurfspieß in seiner Hand. Der Staub auf seiner Kleidung und die Glut im Gesichte zeigten, mit welcher hastigen Eile er seinen Auftrag ausgeführt hatte, Gwenwyn fragte ihn begierig: »Was für Nachrichten von Garde Doloureuse, Jorworth ap Jevan?« »Ich trage sie in meinem Busen,« sagte der Sohn des Jevan, und mit einer tiefen Verbeugung übergab er dem Fürsten ein Päckchen, welches mit Seide zugebunden war und mit einem Siegel, worauf ein Schwan zu sehen als altes Anzeichen des Hauses von Berenger, Gwenwyn, selbst des Schreibens und Lesens unkundig, reichte mit ängstlicher Eile den Brief Cadwallon, welcher gewöhnlich den Sekretär machte, wenn der Kaplan, wie jetzt eben, nicht gegenwärtig war, Cadwallon sah auf den Brief und entgegnete kurz: »Ich lese kein Latein! – Schlecht gehe es dem Normann, der an einen Fürsten von Powys in einer andern Sprache als in der der Briten schreibt. Das war wohl eine glückliche Zeit, als diese allein von Tintadgel bis Cairloil gesprochen wurde!« Gwenwyn antwortete nur mit einem zornigen Blicke. »Wo ist Pater Hugo?« fragte der ungeduldige Fürst. »Er hat den Dienst in der Kirche,« sagte einer der Dienenden, »denn es ist das Fest des heiligen –« »Und wäre es das Fest des heiligen Davids selbst,« sagte Gwenwyn, »und wäre die Monstranz in seiner Hand, er muß hierherkommen, augenblicklich!« Einer der ersten Diener sprang auf, ihn herbeizurufen. Gwenwyn heftete indessen die Augen auf den Brief, welcher das Geheimnis seines Schicksals enthielt und nur eines Dolmetschers bedurfte, so sehnsüchtig und begierig, daß Caradoc, von dem früheren Erfolg ermutigt, einige wenige Akkorde dazwischenwarf, um womöglich seines Gebieters Gedanken in der Zwischenzeit zu beschäftigen. Eine leichte und heitere Weise, mit einer scheinbar zitternden Hand den Saiten entlockt, wie die demütige Stimme einer Untergebenen fürchtet, des Herrn Gedanken zu unterbrechen, begleitete einige wenige auf den Gegenstand sich beziehende Stanzen. »Was ist es, o Blatt?« so sang er, die Worte an den Brief richtend, der auf dem Tisch vor seinem Gebieter lag, »daß Du in der Sprache der Fremden sprichst? Hat nicht der Kukuck einen rauhen Ton, und doch kündet er uns die grünenden Knospen und die hervorsprossenden Blumen? Wie? Ist auch Deine Sprache die des Priesters in der Stola, ist es nicht auch dieselbe, welche Herzen und Hände zusammenknüpft vor dem Altar? Und wie? Obwohl Du zögerst, Deine Schätze mitzuteilen, werden nicht alle Freuden am süßesten erhöht durch die Erwartung? Was wäre die Jagd, wenn das Tier zu unsern Füßen niederstürzt in dem Augenblick, da es von seinem Lager aufgeschreckt wird? Oder welchen Wert hätte die Liebe der Jungfrau, wäre sie ohne schüchterne Zögerung gewährt?« Der Gesang des Barden wurde hier durch den Eintritt des Priesters unterbrochen, der, in Eile, dem Befehle seines ungeduldigen Herrn nachzukommen, sich nicht einmal Zeit gelassen hatte, die Stola abzulegen, welche er beim Gottesdienst getragen hatte; und viele der Aeltesten sahen es nicht für ein gutes Zeichen an, daß ein Priester in diesem Gewand bei einem Festgelage und unter weltlicher Sängerschaft erscheinen mußte. Der Geistliche öffnete den Brief des normannischen Barons, und höchst erstaunt über den Inhalt, hob er den Kopf schweigend empor. »Leset ihn!« rief der ungestüme Gwenwyn. »Wenn es Euch gefällt,« erwiderte der vorsichtige Kaplan, »es wäre wohl schicklich, keinen Kreis von Zuhörern zu haben.« »Leset ihn laut,« rief der Fürst in gesteigertem Tone, »hier sitzt keiner, der nicht die Ehre seines Fürsten achtet oder der nicht sein Vertrauen verdient. Leset ihn, sage ich, laut! und beim heiligen David, wenn Raymond der Normann es gewagt hat« – Er brach kurz ab, und auf seinen Sitz sich zurücklehnend, warf er sich in eine aufmerksame Stellung; leicht aber konnten seine Anhänger den Ausruf vollenden, den seine Klugheit abgebrochen hatte. Die Stimme des Kaplans ward leise und unsicher, als er den folgenden Brief las: »Raymond Berenger, der edle normannische Ritter, Seneschall von den Garde Doloureuse, sendet an Gwenwyn, Fürsten von Powys (möge Frieden zwischen ihnen sein!) Glück und Heil! Euer Brief, welcher die Hand meiner Tochter Eveline erbittet, ward uns wohlbehalten durch Euren Diener Jorworth ap Jevan überliefert, und wir sind Euch herzlich verbunden für die guten Gesinnungen, welche darin gegen uns und die Unsrigen an den Tag gelegt sind. Aber bei uns die Verschiedenheit des Bluts und der Abkunft, verbunden mit den Hindernissen und dem Unheil, das oft schon in dergleichen Fällen entstanden ist, erwägend, halten wir es für geratener, unsere Tochter mit einem Gatten ihres Volkes zu vermählen. Dieses soll aber auf keinen Fall eine Beleidigung für Euch sein, sondern nur allein zu Eurem Wohl, dem unsrigen, und unsrer Umgebung dienen, welche um desto sichrer vor der Gefahr eines Zwistes, unter uns sein werden, wenn wir nicht versuchen, die Bande unserer Freundschaft enger zu ziehen, als es sich geziemt. Schafe und Ziegen weiden zusammen in Frieden auf gleicher Weide; aber sie vermischen sich nicht an Blut und Geschlecht miteinander. Überdies ist unsrer Tochter Eveline Hand von einem edlen und mächtigen Lord der Marken, Hugo de Lacy, Connetable von Chester, begehrt worden, dessen ehrenvoller Werbung wir eine günstige Antwort erteilt haben. Demnach ist es uns unmöglich, Euch das Geschenk zu gewähren, um welches Ihr uns ersucht; sonst aber sollt Ihr uns zu allen Zeiten, bei andern Veranlassungen, willig finden, Euch gefällig zu sein. Des nehmen wir zu Zeugen Gott und die heilige Jungfrau, und St. Maria Magdalene zu Quotford, deren Schutze wir Euch von Herzen empfehlen. Geschrieben auf unsern Befehl in unsrem Schlosse von Garde Doloureuse, in den Marken von Wales durch einen wohlehrwürdigen Geistlichen, den Vater Aldrovand, schwarzen Mönch aus dem Kloster von Wenlock; welchem wir unser Siegel beigefügt haben, am heiligen Abend des gesegneten Märtyrers St. Alphegius, welchem sei Ruhm und Ehre!« Die Stimme des Paters Hugo stockte, und das Blatt, das er in seiner Hand hielt, zitterte, als er am Schlusse des Briefes war, denn wohl wußte er, daß viel geringere Beleidigungen, als das kleinste Wort in diesem Briefe Gwenwyn erscheinen mußte, sicher jeden Tropfen seines britischen Blutes in die heftigste Bewegung setzten. Auch unterblieb das nicht. Der Fürst hatte sich nach und nach aus der ruhenden Stellung aufgerichtet, in welcher er den Brief anhören mußte; aber als er zu Ende war, sprang er auf die Füße wie ein aufgeschreckter Löwe und schleuderte im Aufstehen den Fußträger von sich, daß er weit auf den Boden hinrollte. »Pfaffe!« sagte er, »hast Du die verfluchte Schrift treu gelesen? Denn hast Du nur ein Wort, einen Buchstaben hinzugesetzt oder abgenommen, so will ich Deine Augen so handhaben, daß sie nie mehr einen Brief lesen sollen!« Der Mönch antwortete zitternd, denn er wußte wohl, daß die geistliche Würde nicht allgemein von den leicht zu reizenden Walisern geachtet wurde: Bei dem Eide meines Ordens, mächtiger Fürst, ich las Wort für Wort, Buchstabe für Buchstabe.« Stille ward es auf einen Augenblick, während die Wut Gwenwyns über diesen unerwarteten Schimpf, ihm angetan in der Gegenwart aller seiner Uckelwyr [Edle Häupter, buchstäblich Männer von hoher Gestalt] , zu stark für jeden Ausdruck schien; da ward das Stillschweigen durch einige wenige Klänge von der bisher stummen Harfe Cadwallons unterbrochen. Der Fürst blickte anfangs um sich her, unwillig über die Unterbrechung; denn er war eben im Begriff, zu sprechen. Aber als er sah, wie der Barde mit einer Art von Begeisterung sich über seine Harfe hinneigte, und mit beispielloser Kunst die wildesten und zugleich die erhabensten Töne in einen Eingang verflocht, ward er selbst ein Zuhörer statt Sprecher, Cadwallon, nicht der Fürst, schien jetzt ein Mittelpunkt der Versammlung zu sein, auf den aller Augen gerichtet waren, zu dem jedes Ohr mit atemloser Aufmerksamkeit sich wandte, als ob seine Saiten Aussprüche eines Orakels wären. »Wir knüpfen nicht Ehen mit Fremden,« so entströmte der Gesang den Lippen des Dichters, »Vortiger [Durch die Ehe dieses Häuptlings der Briten mit der Tochter des Angelsachsen Hengist oder Horst sollen diese beiden Brüder im Jahre 449 zuerst festen Fuß in Britannien gefaßt haben.] schloß die Ehe mit der Fremden; da kam das erste Wehe über Britannien und ein Schwert über seine Edlen und ein Donnerkeil über seinen Palast. Wir vermählen uns nicht mit den Sklaven gewordenen Sachsen der freiförstliche Hirsch sucht sich nicht zur Braut auf die Färse, deren Nacken das Joch getragen hat. Wir vermählen uns nicht mit den räuberischen Normannen – der edele Hund verschmäht es, sich eine Gefährtin aus der Herde gefräßiger Wölfe zu suchen. Seit wann hörte man, daß die Kymerier, die Abkömmlinge des Brute [nach alten, unerwiesenen Sagen] , die echten Kinder des Bodens vom schönen Britannien, geplündert, unterdrückt, ihres Geburtsrechtes beraubt und selbst in ihren letzten Zufluchtsorten beschimpft wurden? Wann, als weil sie ihre Hand freundlich dem Fremden reichten, und die Tochter des Sachsen an ihre Brust schlossen? – Welches von beiden fürchtet man? Das leere Wasserbette im Sommer oder die Tiefe des wild hinstürzenden Winterstroms? Ein Mädchen belächelt den versiegten Sommerbach, indem sie hinüberspringt; aber Roß und Reiter scheuen sich, dem Strom der Winterflut entgegenzuringen. Die Männer von Monthraval und Powys sind die gefürchtete Flut des Winters! Gwenwyn, Sohn des Cyverliok! Dein Federbusch sei die erste ihrer Wogen.« Alle Gedanken an Frieden, Gedanken, welche an sich dem Herzen der kriegerischen Briten fremde waren, verschwanden vor dem Gesänge Cadwallons wie der Staub vor dem Wirbelwind, und mit einstimmigem Aufruf beschloß die Versammlung augenblicklichen Krieg. Der Fürst aber selbst sprach nicht, sondern sah stolz um sich her, streckte weit seinen Arm aus, als einer, der seine Scharen zum Angriffe treibt. Der Priester hätte gerne, wenn es zu wagen gewesen wäre, Gwenwyn daran erinnert, daß das Kreuz, welches er auf seine Schulter geheftet, seinen Arm zu dem heiligen Kriege eingeweiht und jede Verwicklung im weltlichen Streit ausgeschlossen hätte. Aber die Aufgabe war zu gefährlich für Pater Hugos Mut, und er schlich sich aus der Halle in die Einsamkeit seines Klosters. Auch Caradoc, dessen kurze Stunde der Volksgunst vorüber gegangen war, zog sich mit demütigen niedergeschlagenen Blicken zurück, doch nicht ohne einen Blitz des Unwillens auf seinen triumphierenden Nebenbuhler zu werfen, der so bedacht die Entfaltung seiner Kunst für das Thema des Krieges aufgespart hatte, welches den Zuhörer immer am meisten ansprach. Die Häupter nahmen ihren Sitz wieder ein, aber nicht mehr um dem Mahle obzuliegen, sondern auf die gewohnte eilige Weise dieser allzeit fertigen Krieger nur den Ort festzusetzen, wo sie ihre Macht vereinigen wollten, wozu bei solcher Gelegenheit fast alle kampffähigen Männer des Landes gewählt wurden – denn alle, Priester und Barden ausgenommen, waren Krieger; – ferner die Art und Weise ihres Zuges zu bestimmen gegen die zum Angriffe bestimmten Grenze, wo sie sich vornahmen, durch eine allgemeine Verheerung ihren Zorn über den Schimpf, welchen ihr Fürst durch diese zurückgewiesene Bewerbung erlitten hatte, an den Tag zu legen. Drittes Kapitel Als Raymond die Sendung an den Fürsten von Powys abgefertigt hatte, war er, wenn auch nicht ohne Furcht, doch nicht ohne Ahnung ihres Erfolgs. Er sandte Boten zu den verschiedenen Vasallen aus, welche ihre Lehne unter der Bedingung des Hornblasens (cornage) besaßen, mit der Verwarnung, wachsam zu sein, damit er auf der Stelle Nachricht von der Annäherung des Feindes bekäme. Diese Vasallen bewohnten nämlich die zahlreichen Türme, welche, wie eben so viele Falkennester, die Grenzen zu decken an den schicklichsten Punkten erbaut waren, und waren verpflichtet, bei den Einfällen der Wälschen, ein Signal durch Blasen ihrer Hörner zu geben. Diese Töne von Turm zu Turm, von Posten zu Posten beantwortet, gaben das Zeichen zur allgemeinen Verteidigung. Aber obwohl Raymond diese Vorsichtsmaßregeln, wegen des schwankenden und ungewissen Charakters seiner Nachbarn, auch als Pflicht des Feldherrn für notwendig hielt, so war er doch weit entfernt, die Gefahr für so nahe drohend zu halten. Denn obwohl die Vorbereitungen der Walliser zum Kriege ausgedehnter als je waren, so wurden sie doch ebenso versteckt betrieben, als der Entschluß dazu rasch gefaßt worden war. Schon am zweiten Morgen nach dem merkwürdigen Feste zu Castell Coch brach das Ungewitter an der normannischen Grenze aus. Ein einziger, langer, schneidender Hörnerstoß gab die erste Kunde der Annäherung des Feindes; sogleich hallten die Alarmsignale wider von jeder Burg, jedem Turm an den Grenzen von Shropshire, wo jede Wohnung damals eine Festung war. Feuerbecken brannten auf allen Felsen und Hügeln, Glockengeläute ertönte in allen Kirchen und Städten, und sehr eifrige Aufforderungen zu den Waffen verkündeten eine Größe der Gefahr, welche die Bewohner dieser oft beunruhigten Gegend noch nie gekannt hatten. Während dieses allgemeinen Tumults beschäftigte Raymond Berenger sich selbst damit, seine wenigen, doch tapferen Krieger und Anhänger zu ordnen und alle Ritter, die in seinen Diensten standen, aufzubieten, um Nachrichten von der Bewegung und Stärke des Feindes einzuziehen; endlich bestieg er den Wachtturm des Kastells, die Gegend umher zu beobachten, die schon an mehreren Stellen von Rauchwolken verdunkelt ward, welche das Vorschreiten und die Verheerung der Feinde bezeichneten. Bald sah er auch seinen Lieblingsknappen sich zur Seite, bei welchem der ungewohnte Trübsinn in seines Gebieters Blicken Erstaunen erregte, da sein Auge sonst nur fröhlich in der Stunde der Schlacht zu sein pflegte. Der Squire hielt in seiner Hand des Gebieters Helm, denn, das Haupt ausgenommen, war Sir Raymond schon völlig bewaffnet. »Dennis Morolt,« sagte der alte Krieger, »sind unsere Vasallen und Lehensmänner schon alle gemustert?« »Alle, edler Herr! Die Flamländer ausgenommen; diese sind noch nicht angelangt.« »Die trägen Hunde! was säumen sie?« sagte Raymond, »es ist eine ganz falsche Verwaltung, diese schwerfälligen Naturen in unsre Grenzen zu verpflanzen. [Schon damals hatten die Auswanderungen der Niederländer aus ihrem bevölkerten Vaterlande begonnen, und sie wurden selbst dazu eingeladen, weil sie allenthalben als fleißige und gewerbetreibende Menschen, besonders in Webereien gerne gesehen wurden. So hatte sich sogar in diese entfernte Gegenden von Wallis eine Kolonie verpflanzt.] Sie sind, wie ihre Stiere, geeigneter den Pflug zu ziehen, als Dinge zu tun, wozu Feuer gehört.« »Mit Eurer Erlaubnis,« entgegnete Dennis, »die Burschen können dessenungeachtet gute Dienste leisten. Da ist Wilkin Flammock von der Au da; der kann Streiche führen wie die Hämmer seiner Walkmühle.« »Er wird sich wohl schlagen, glaube ich, wenn er es nicht vermeiden kann,« sagte Raymond, »aber er hat keinen Geschmack für dergleichen, und ist so faul und hartnäckig wie ein Maulesel.« »Eben deswegen sind seine Landsleute recht gemacht gegen die Walliser,« erwiderte Dennis Morolt, »weil ihr fester, unbeugsamer Charakter eine recht passende Wehr gegen die wilden und tollköpfigen Anstalten unserer gefährlichen Nachbarn sind, gerade wie die rastlosen Wogen an dem unerschütterlichen Felsen den besten Widerstand finden. – Horcht, Sir! Ich höre Wilkin Flammocks Fuß auf der Turmtreppe, er steigt so bedächtig, als der Mönch zur Frühmesse schreitet.« Schritt für Schritt nahte sich der schwerfällige Ton, bis endlich die Gestalt des gewaltigen wohlbeleibten Flamländers durch die Turmtür auf die Terrasse vordrang, wo diese Unterredung stattfand. Wilkin Flammock war bewaffnet und in glänzender Rüstung; diese war mit der außerordentlichen Sorgfalt gescheuert, welche die Sauberkeit seiner Nation mit sich brachte, und ungewöhnlich schwer und dick; aber der Sitte der Normänner entgegen, ganz einfach, ohne Gravierung, Vergoldung oder irgend eine andere Verzierung. Die Haube oder Stahlkappe hatte kein Visier und ließ, offen hingestellt, ein breites Angesicht sehen, mit groben unbeweglichen Zügen, die ganz den Charakter seines Temperaments und seines Verstandes aussprachen. Er führte eine schwere Keule in der Hand. »So, Herr Flamländer,« sagte der Kastellan, »Ihr scheint, wie mich dünkt, nicht in Eile, Euch auf dem Sammelplatze einzufinden.« »Wenn Ihr erlaubt,« sagte der Flamländer, »wir waren gezwungen, uns aufzuhalten, um unsre Wagen mit unsern Tuchballen und anderm Besitztum zu beladen.« »Ha, Wagen! – Wie viele Wagen habt Ihr denn mitgebracht?« »Sechs, edler Herr!« erwiderte Wilkin. »Und wieviel Mann?« fragte Raymond Berenger. »Zwölf, wackrer Herr!« antwortete Flammock. »Nur zwei Mann bei jedem Bagagewagen? Mich wundert, daß Ihr Euch mit so vielem Gepäck beschwert,« sagte Berenger. »Wiederum mit Eurer Erlaubnis, Sir,« erwiderte Wilkin, »nur der Wert, den ich und meine Kameraden auf unsere Güter legen! er ist es ja, der mich geneigt macht, sie mit Leib und Seele zu verteidigen. Wären wir gezwungen worden, unser Zeug den plündernden Klauen jener Vagabunden zurückzulassen, so hätte ich ja gar schlechte Politik darin gesehen, hier stille zu halten, und ihnen Gelegenheit zu geben, Mord dem Raube hinzuzufügen. Glocester wäre dann mein erster Haltpunkt gewesen.« Der normännische Ritter starrte den flamländischen Handwerker, denn das war Wilkin Flammock, mit einer Mischung von Verwunderung und Verachtung an, so daß der Unwille nicht Platz fand. »Ich habe vieles gehört,« sagte er, »aber dieses ist das erstemal, daß ich einen Mann mit dem Barte sich selbst für eine Memme bekennen höre.« »Auch hört Ihr das jetzt nicht,« antwortete der Flamländer mit der größten Gelassenheit. »Ich bin immer bereit, mich zu schlagen für Leben und Eigentum; und, daß ich in diese Gegend gezogen bin, wo beides in beständiger Gefahr ist, zeigt, daß ich nicht große Sorge trage, wie oft ich es tue. Aber ein gesundes Fell ist doch immer besser als ein zerfetztes, bei alledem!« »Gut,« sagte Raymond Berenger, »schlage Dich nach Deiner Weise, wenn Du nur recht kräftig mit Deinem langen Leibe da Dich schlagen willst. Sehr leicht wird's not sein, alles zu tun, was wir tun können. – Saht Ihr denn schon etwas von diesen Walliser Schuften? – Haben sie Gwenwyns Banner unter sich?« »Ich sah es mit seinem Weißen Drachen flattern. Ich mußte es ja wohl erkennen' es ward ja in meinem eigenen Webstuhle gestickt.« Raymond vernahm diese Kunde mit so ernstem Angesicht, daß Dennis Morolt, der nicht wollte, daß der Flamländer es bemerken sollte, es für nötig erachtete, seine Aufmerksamkeit abzulenken. »Ich kann Dir sagen,« sprach er zu Flammock, »wenn der Connetable von Chester mit seinen Lanzen zu uns stößt, sollt Ihr Eurer Hände Arbeit schneller nach Hause fliegen sehen, als das Weberschifflein flog, das den Drachen webte.« »Er muß fliehen, ehe der Connetable erscheint, Dennis Morolt,« sagte Berenger, »oder er fliegt triumphierend über unsere Leichen.« »Im Namen Gottes und der heiligen Jungfrau,« sagte Dennis, »was meint Ihr dabei, Herr Ritter? Nur ja nicht, daß wir uns mit den Wälschen eher in Gefechte einlassen, bis der Connetable sich mit uns vereinigt,« – Er hielt ein. – Dann den festen, aber melancholischen Blick wohl verstehend, mit welchem allein sein Gebieter die Frage beantwortete, fuhr er mit noch eindringlicherem Ernst fort: »Ihr könnt das nicht meinen, Ihr könnt nicht den Vorsatz haben, dieses Schloß zu verlassen, welches wir so oft gegen sie zu halten wußten, und im offenen Felde zu kämpfen mit zweihundert Mann gegen tausend. Bedenkt es besser, mein geliebter Herr, und laßt nicht die Raschheit des alten Kriegers den Ruf der Klugheit und Kriegskunst entkräften, den Euer früheres Leben so herrlich errang.« »Ich zürne Dir nicht, Dennis, daß Du meinen Vorsatz tadelst,« entgegnete der Normann, »denn ich weiß, Du tust es aus Liebe für mich und die meinigen. Aber, Dennis Morolt, es muß also sein, – wir müssen uns innerhalb drei Stunden mit den Wälschen schlagen, oder der Name Raymond Berenger muß aus der Ahnentafel seines Hauses gelöscht werden.« »Nun, so wollen wir – wir wollen den Kampf mit ihnen eingehen,« sagte der Knappe; »fürchte keinen kalten Rat von Dennis Morolt, wo Kampf das Wort ist. Aber wir wollen hier unter den Wällen des Schlosses mit ihnen fechten, wo der ehrliche Wilkin Flammock mit seinen Bogenschützen vom Wall her unsere Flanke decken und so ein Gleichgewicht gegen die große Ueberzahl sein kann.« »Nicht also,« antwortete sein Gebieter, »im offenen Felde müssen wir sie bekämpfen, oder Dein Herr wird zum meineidigen Ritter. Wisse, als ich jenen arglistigen Wilden um Weihnachten in meinen Hallen bewirtete, und der Wein um uns her floß, warf Gwenwyn einige Lobsprüche hin über die Festigkeit und Stärke meiner Burg, aber auf eine Weise, welche zu verstehen gab, diese Vorteile allein hätten mich in früheren Kriegen der Niederlage und der Gefangenschaft entzogen. Ich antwortete, obwohl es besser gewesen wäre, zu schweigen, denn wozu diente mein törichtes Prahlen als zu einer Fessel, die mich zu einer Tat zwingt, die an Tollheit grenzt? Sollte ich, sagte ich, ein Fürst der Kymrer, wieder feindlich vor Garde Douloureuse erscheinen, so laß ihn seine Standarte in der Ebene bei der Brücke hinpflanzen, und auf mein gutes Ritterwort und so wahr ich ein Christ bin, wird Raymond Berenger sich ihm ebenso gern stellen, mögen ihrer viel oder wenig sein, oder alle Walliser zusammen!« Mit sprachlosem Schrecken vernahm Dennis ein so rasches, verhängnisvolles Wort, aber er besah nicht die Wortkunst, welche seinen Gebieter von den Fesseln entbinden konnte, die ihm sein unvorsichtiges Selbstvertrauen angelegt hatte. Anders verhielt es sich mit Wilkin Flammock. Er staunte – er lachte beinahe, ungeachtet der schuldigen Achtung gegen den Kastellan und seiner eigenen Unempfindlichkeit für das Lächerliche. »Und das ist alles?« sagte er, »wenn Euer Gnaden sich durch irgend etwas verpflichtet hätten, einem Juden oder einem Lombarden [Die Lombardei war damals voll Handel und Gewerbe und in reger Verbindung mit Juden; daher dem ironischen Niederländer Jude und Lombarden fast synonym erscheinen. – Auch wanderten sie, selbst in England, wie Hausierer herum.] hundert Floren zu zahlen, so müßt Ihr den Zahlungstag halten, oder Ihr habt Euer Pfand verloren; aber wahrlich, ein Tag ist so gut wie der andere, einen versprochenen Kampf auszufechten, und der Tag paßt wohl am besten, wenn der Versprecher der Stärkere ist. Und nach allem, was bedeutet ein Versprechen bei der Weinflasche?« »Es bedeutet ebensoviel als jedes andere Versprechen, wo es gegeben sei. Der Versprecher,« sagte Berenger, »entgeht der Sünde des Wortbruches nicht, weil er ein trunkner Prahler war.« »Was die Sünde anbetrifft,« sagte Dennis, »da bin ich wohl sicher, daß, ehe Ihr eine solche unheilbringende Tat vollführt, Euch der Abt von Glastonburg für einen Gulden die Absolution erteilt,« »Aber was mag die Schande auslöschen?« sagte Berenger, »wie soll ich es wagen, mich wieder in der Mitte der Ritter zu zeigen, wenn ich das zum Kampf verpfändete Wort aus Furcht vor einem Walliser und seinen nackten Wilden gebrochen hätte? Nein, Dennis Morolt, sprich davon nicht mehr! Sei es zum Wohl oder Wehe, wir fechten mit ihnen heute, und zwar dort auf jenem offenen Felde,« »Es kann doch sein,« sagte Flammock, »daß Gwenwyn jenes Versprechen vergessen hat, und folglich ist es verfehlt, auf der verabredeten Stelle zu erscheinen, denn, wie wir gehört haben, hatten Eure französischen Weine auch sein wälsches Gehirn recht tüchtig übergossen.« »Er spielte des Morgens darauf wieder an,« sagte der Kastellan, »glaube mir, er wird das nicht vergessen, was ihn in den glücklichen Fall bringt, mich auf immer aus seinem Wege zu räumen,« Indem er so sprach, bemerkten sie, daß große Staubwolken, welche man bis dahin an verschiedenen Stellen der Landstraße erblickt hatte, sich gegen das jenseitige Ufer des Flusses hinzogen, über welchen eine alte Brücke zu dem verabredeten Kampfplatze führte. Leicht errieten sie die Ursache; es war klar, daß Gwenwyn die einzelnen Abteilungen, welche verschiedene Orte schon verheerten, zusammenzog und mit seiner ganzen Macht gegen die Brücke und die Ebene jenseits der Brücke vorrückte. »Laßt uns eilig hinunter und den Paß besetzen,« rief Dennis, »wir sind ihnen einigermaßen gleich durch den Vorteil, daß wir die Brücke verteidigen. Euer Wort bindet Euch an die Ebene als Schlachtfeld, aber es kann Euch nicht verpflichten, Euch solche Vorteile entgehen zu lassen, als ihr Uebergang über die Brücke Euch gewährte. Unsere Leute, unsere Pferde stehen bereit, – Lasset unsere Bogenschützen die Ufer besetzen, – und mein Leben für den glücklichen Ausgang!« »Als ich versprach, mich mit ihnen in jenem Felde zu stellen, so meinte ich,« erwiderte Raymond Berenger, »den Wälschen jenen Vorteil des gleichen Platzes zu gewähren. So meinte ich es. So verstand er es. Und was hilft es, wenn ich mein Wort dem Buchstaben nach halte, und breche es dem Sinne nach? Wir ziehen nicht, bis der letzte Walliser die Brücke überschritten hat, und dann –« »Und dann,« sagte Dennis, »ziehen wir in unsern Tod! – Möge uns Gott unsre Sünden vergeben! – aber« – »Aber? Was?« sagte Berenger, »da liegt Dir noch etwas auf der Seele, was einen Ausgang haben will.« »Meine junge Herrin, Eure Tochter, Lady Eveline,« »Ich habe ihr gesagt, was vor ist. Sie soll im Schlosse bleiben, in welchem ich einige auserlesene Veteranen zurücklasse, und Euch, Dennis, als ihren Befehlshaber. In vierundzwanzig Stunden muß die Belagerung aufgehoben sein, und länger haben wir die Burg mit geringerer Besatzung verteidigt. Dann soll sie zu ihrer Tante, der Aebtissin der Benediktinerinnen. Du, Dennis, sollst dafür sorgen, daß sie mit allen Ehren und in Sicherheit dorthin kommt, und meine Schwester wird für ihre Zukunft sorgen, wie es ihre Klugheit am geratensten halten wird.« »Ich Euch in dieser Klemme verlassen?« sagte Dennis Morolt, »ich sollte mich in Mauern einsperren, wenn mein Herr in den letzten Kampf reitet? – Ich der Diener einer Dame werden, selbst wenn es Lady Eveline ist, indes er tot unter seinem Schilde liegt! Raymond Berenger, dazu habe ich Dir so oft Deinen Harnisch zugeschnallt?« Die Tränen stürzten aus des alten Kriegers Augen so heftig, wie sie das Mädchen vergießt, das um den Geliebten weint. Raymond nahm ihn freundlich bei der Hand und fügte mit besänftigendem Tone: »Glaube nicht, mein guter alter Diener, daß ich Dich von meiner Seite entfernen würde, wenn es Ehre zu gewinnen gäbe. Dies aber ist ein wildes, unbesonnenes Tun, zu welchem mein Geschick oder meine Torheit sich verpflichtet halten. Ich sterbe, meinen Namen vor Entehrung zu schützen, aber der Vorwurf der Unbesonnenheit wird mein Andenken begleiten.« »Laßt mich Eure Unbesonnenheit mit Euch teilen, teuerster Herr,« sagte Dennis Morolt eindringlich, »dem armen Knappen liegt nichts daran, für klüger gehalten zu werden als sein Gebieter. In so manchem Kampfe erhielt dadurch meine Tapferkeit einen kleinen Ruf, weil sie teilnahm an den Taten, die Euren Ruhm begründeten. Versagt mir nicht das Recht, auch den Tadel zu teilen, der Euer Wagestück treffen mag. Laßt nicht sagen, so unbesonnen war sein Unternehmen, daß selbst seinem alten Waffenträger nicht erlaubt ward, daran teilzunehmen. Ich bin ein Teil von Euch selbst – es ist ein Mord für jeden andern, den Ihr mit Euch nehmet, wenn Ihr mich zurücklaßt.« »Dennis,« sagte Berenger, »Du läßt mich nur um desto bitterer die Torheit fühlen, in die ich mich eingelassen habe. Ich möchte Euch Euer Gesuch gewahren, so traurig es ist – aber meine Tochter« – »Herr Ritter,« sagte der Flamländer, der diesem Gespräche mit etwas geringerer Apathie als gewöhnlich zugehört hatte, »es ist nicht mein Vorsatz, heute dieses Schloß zu verlassen: nun, wenn Ihr auf meine Treue bauen wollt, zum Schutze für Mylady Eveline alles zu tun, was ein schlichter Mann vermag« – »Wie, Bursche,« sagte Raymond, »Ihr habt nicht den Vorsatz, das Schloß zu verlassen? Wer gibt Euch das Recht, hier Euch etwas vorzunehmen, bis mein Wille bekannt ist?« »Es sollte mir leid tun, Streit mit Euch zu haben, Herr Kastellan,« sagte der nicht aus der Fassung zu bringende Flamländer, – »aber ich habe hier in dieser Umgebung verschiedene Mühlen, Pächtereien, Bleichen und dergleichen, dafür muß ich meinen Mannsdienst leisten, durch die Verteidigung des Schlosses von Garde Douloureuse, und dazu bin ich bereit. Aber wenn Ihr mich auffordert, mich von hier zu entfernen, das Schloß verteidigungslos zu lassen und mein Leben in einer Schlacht zu wagen, die Ihr selbst verzweifelt nennt, so kann ich nicht umhin zu sagen, meine Pacht verpflichtet mich nicht. Euch zu gehorchen.« »Elender Handwerker,« sagte Morolt, legte seine Hand an den Dolch und bedrohte den Flamländer. Aber Raymond Berenger trat mit Hand und Mund dazwischen, – »Füge ihm kein Leid zu, Morolt, und tadle ihn nicht! Er fühlt, was Pflicht ist, nur nicht auf unsere Weise, und er und seine Leute werden am besten unter Mauern fechten. Sie sind, diese Flamländer, nach der Weise ihres Vaterlandes tüchtig in Angriffen und Verteidigungen ummauerter Städte und Festungen, und ganz besonders geschickt in Behandlung der Steinschleuder und der andern Kriegswerkzeuge. Außer seinen eigenen Begleitern gibt es noch mehrere seiner Landsleute in der Burg. Es ist mein Vorsatz, sie zurückzulassen, und ich denke, sie werden ihm lieber gehorchen als irgend einem andern außer Dir. Was denkst Du? Ich weiß, Du wirst nicht eines übelverstandenen Ehrpunktes wegen oder aus blinder Liebe zu mir, diesen wichtigen Platz und die Sicherheit Evelinens unsichern Händen anvertrauen.« »Wilkin Flammock ist zwar nur ein flämischer Bauer, edler Herr!« antwortete Dennis, überfreudig, als ob er den größten Vorteil errungen hätte, »aber ich muß es allerdings sagen, er ist zuverlässig und treu wie einer, dem Ihr trauen wollt. Ueberdies wird es ihm sein eigener gesunder Verstand sagen, daß mehr durch die Verteidigung eines solchen Schlosses zu gewinnen ist als durch dessen Uebergabe an Fremde, welche nicht leicht die Bedingungen erfüllen möchten, wie lockend sie sich auch anbieten würden,« »So steht's denn fest,« sagte Raymond Berenger, »Du, Dennis, gehst also mit mir, und er soll zurückbleiben. – Wilkin Flammock,« sagte er, den Flamländer feierlich anredend: »Ich rede nicht zu Dir in der Sprache der Ritter, von welcher Du nichts weißt; aber so wahr Du ein ehrlicher Mann bist, und ein echter Christ, so fordere ich Dich auf, festzustehen in der Verteidigung dieses Schlosses. Laß durch kein Versprechen des Feindes Dich zu einem niedrigen Vergleich locken, durch keine Drohung zur Uebergabe, Entsatz muß sehr bald ankommen. Haltet Ihr Treue mir und meiner Tochter, so wird Euch Hugo de Lacy reichlich belohnen.« »Herr Ritter!« sagte Flammock, »es ist mir doch lieb, daß Ihr so ganz Euer Vertrauen auf einen schlichten Handwerksmann setzet. Was die Walliser anbetrifft, – ich komme aus einem Lande, wo wir gezwungen sind, jedes Jahr gezwungen sind, mit dem Meere zu kämpfen, und die, welche mit den Wogen im Sturm zurechtkommen, brauchen nicht ein ungeschlachtet Volk in seiner Wut zu scheuen. Eure Tochter soll mir so teuer sein wie meine eigene; in diesem Glauben mögt Ihr nur dreist drauf losgehen, wenn Ihr doch nicht lieber als ein kluger Mann daheim bleiben, Tore zu, Fallgitter hinab, Eure Bogen- und meine Armbrust-Schützen den Wall lassen und den Schuften zeigen wollt, Ihr seiet nicht der Tor, für den sie Euch halten.« »Guter Freund, das kann nicht sein,« fügte der Ritter. »Ich höre meiner Tochter Stimme,« setzte er eilig hinzu; »ich mag sie nicht noch einmal sehen, um noch einmal mich zu trennen. Der Obhut des Himmels empfehle ich Dich, ehrlicher Flamländer – folge mir, Dennis Morolt.« Der alte Kastellan stieg die Treppe des südlichen Turmes eilig hinab, eben als seine Tochter Eveline die des östlichen Turmes bestieg, um sich noch einmal zu seinen Füßen zu werfen. Ihr folgte Pater Aldrovand, ihres Vaters Kaplan, ferner ein alter, fast invalider Jäger, dessen Dienste, einst tüchtig im Felde und auf der Jagd, seit einiger Zeit sich auf die Oberaufsicht über des Ritters Hundestall und besonders die Pflege seiner Lieblingshunde beschränkte; endlich Rose Flammock, Wilkins Tochter, ein blauäugiges flämisches Mädchen, rund, voll und scheu, wie ein Rebhuhn, der man seit einiger Zeit gestattet hatte, dem hochgeborenen normannischen Fräulein zur Gesellschaft zu dienen, und zwar in der schwankenden Stellung zwischen einer untergebenen Freundin und einer höheren Dienerin. Eveline eilte auf die Zinnen, ihre Haare aufgelöst, ihre Augen schwimmend in Tränen, und fragte dringend den Flamländer, wo ihr Vater sei. Flammock machte eine plumpe Verneigung und versuchte, eine Antwort zu geben; aber die Stimme schien ihm zu versagen. Ohne Umstände kehrte er Evelinen den Rücken zu, und ohne auf die ängstlichen Fragen des Jägers und des Kaplans zu achten, rief er seiner Tochter schnell in seiner Landessprache zu: »Toll Ding! Toll Ding! Gib acht auf das arme Mädchen Rosichen. – Der alte Herr ist verrückt [So das Deutsche im Original] .« Ohne weitere Worte stieg er die Treppe hinab und setzte ununterbrochen seinen Weg fort bis zum Speisegewölbe. Hier rief er gleich einem Löwen, nach dem Aufseher dieser Regionen unter den verschiedenen Namen Kammeder, Kallermaster [so im Original] usw., worauf der alte Reinold, ein betagter normannischer Knappe, nicht antwortete, bis der Niederländer sich endlich glücklich des englischen Titels Buttler erinnerte. Dieses, der ordnungsgemäße Titel seines Amtes, ward der Schlüssel zur Kellertüre, und der alte Mann erschien sogleich, in seinem grauen Leibrock und den hochaufgekrempelten Hosen, mit einem gewichtigen Schlüsselbunde an einer silbernen Kette, von dem breiten ledernen Gürtel hinabhängend, der er in Betracht dessen, was diese Zeit fordern könnte, zum Gegengewicht auf der linken Seite einen gewaltigen Pallasch gegeben hatte, wohl zu gewichtig, als daß sein greiser Arm ihn hätte schwingen können. »Was begehrt Ihr, Herr Flammock?« sagte er, »oder was sind Eure Befehle, da es meinem gnädigen Herrn gefällt, daß sie auf eine Zeit für mich Gesetze sein sollen?« »Nur einen Becher Wein, guter Kellermaster – Buttler, wollte ich sagen.« »Ich freue mich, daß Ihr Euch des Namens meines Amtes erinnert,« sagte Reinold mit der kleinlichen Empfindlichkeit eines herabgesetzten Domestiken, welcher glaubt, daß wider alle Ordnung ein Fremder ihm vorgesetzt worden ist. »Eine Flasche Rheinwein, wenn Ihr mich lieb habt,« antwortete der Flamländer, »denn das Herz ist mir so niedergeschlagen und matt, daß ich notwendig recht vom Besten trinken muß.« »Und trinken sollt Ihr,« entgegnete Reinold, »wenn Trinken Euch vielleicht den Mut geben kann, der Euch vielleicht fehlt,« – Er stieg hinab zu den abgesonderten Gewölben, deren Wächter er war, und kehrte zurück mit einer silbernen Flasche, welche ungefähr ein Quart enthalten konnte, – »Hier ist ein solcher Wein,« sagte Reinold, »wie Du ihn selten gekostet haben wirst.« Damit wollte er ihn in einen Becher gießen. »Nein, die Flasche! die Flasche, Freund Reinold! Ich muß einen tiefen, recht feierlichen Zug tun, wenn wichtige Sachen vor sind,« sagte Wilkin. Demzufolge ergriff er die Flasche, nahm erst einen vorläufigen Schluck, und hielt dann inne, als wollte er die Kraft und den Geruch des edlen Trankes erproben. Wahrscheinlich genügte ihm beides, denn er nickte beifällig dem Kellerer zu. Nun führte er noch einmal die Flasche zum Munde, langsam und nach und nach brachte er den Boden des Gefäßes parallel mit der Decke des Zimmers, ohne einen einzigen Tropfen seines Inhalts sich entwischen zu lassen. »Das schmeckt, Herr Kellermaster,« sagte er, indem er inzwischen Luft schöpfte, nach einem so langen Anhalten des Atems, »aber vergebe es Euch der Himmel, daß Ihr wähnt, es sei das Beste, was ich je gekostet habe. Ihr kennt nicht die Keller von Gent Ypern.« »Was kümmern die mich,« sagte Reinold, »die Leute von edlem normannischen Blute ziehen die Weine von Gascogne und Frankreich, so edel und leicht und herzstärkend, weit vor dem sauren Getränke vom Rhein und Neckar.« »Das ist Geschmackssache,« sagte drauf der Flamländer, »aber hör an, gibt's noch viel von diesem Wein im Keller?« »Mir kam es vor, er hätte Eurem leckern Gaumen nicht geschmeckt,« sagte Reinold. »Nicht doch, nicht doch,« erwiderte Wilkin, »ich sagte, er schmeckt. – »Ich habe wohl einmal etwas Besseres getrunken, aber dieser ist recht gut, wo man Besseres nicht haben kann. – Noch einmal, wieviel hast Du davon?« »Ein ganzes Faß,« erwiderte Reinold, »ich zapfte ein frisches für Euch.« »Gut,« sagte Flammock, »bringt ein Quartmaß herbei, christlich gemessen! windet das Faß hier in das Speisegewölbe hinauf, und laßt jedem Krieger in dem Schlosse hier einen Becher, wie ich ihn geleert, empfangen. Ich fühle, es hat mir recht gut getan. Das Herz sank mir, als ich den schwarzen Rauch vor meiner Walkmühle da aufsteigen sah. – Laßt jeden Mann da ein völlig Quart erhalten, Schlösser verteidigt man nicht bei dünnem Getränke.« »Ich muß tun, was Ihr verlangt, guter Wilkin Flammock,« sagte der Kellerer, »aber bedenkt, daß nicht alle Leute gleich sind. Was Eure flamländischen Herzen nur erwärmt, setzte normannisches Gehirn in Feuer und Flammen, und was Euren Landsleuten nur den Mut gibt, den Wall zu verteidigen, würde die unsrigen über die Zinnen hinüberschleudern,« »Gut, Ihr kennt die Beschaffenheit Eurer Landsleute am besten, gebt Ihnen nach Eurem Gutdünken Wein und Maß – nur laßt jeden Flamländer ein volles Quart Rheinwein erhalten. – Aber was wollt Ihr mit den englischen Knollen anfangen, von denen eine gute Menge uns zurückgelassen ist?« Der alte Kellerer schwieg und rieb seine Stirne. »Das wird eine arge Menge Wein kosten,« sagte er, »und doch kann ich nicht leugnen, die Not rechfertigt den Aufwand. Aber was die Englischen anbetrifft, die sind, wie Ihr wißt, eine gemischte Art, sie haben viel von Eurer deutschen Schläfrigkeit, aber auch zugleich ein gutes Maß von dem heißen Blut jener wälschen Furien da. Leichte Weine setzen sie nicht in Bewegung, und starkes, schweres Getränke würde sie tot machen. Was meint Ihr zum Bier, ein kraftgebendes, stärkendes Getränke, welches das Herz erwärmt, ohne das Gehirn zu erhitzen?« »Bier!« sagte der Flamländer, »Hm – Ha! Ist Euer Bier kräftig, Herr Kellner? – ist es Doppelbier?« »Zweifelt Ihr an meine Kunst,« sagte Reinold, »März und Oktober sind meine Zeugen, so wie sie herankommen, seit dreißig Jahren, wie ich mit der besten Gerste in Shrosphire umzugehen weiß – urteilt selbst!« Er füllte aus einem großen Oxhoft in der Nähe des Spießgewölbes die Flasche, welche der Flamländer eben geleert hatte, und kaum war sie voll, so hatte sie auch schon Wilkin bis auf den Boden geleert. »Gute Ware, Herr Kellermeister,« sagte er, »starke aufregende Ware. Die englischen Kerle werden wie die Teufel danach fechten. – So laß ihnen bei ihrem Rindfleisch und schwarzem Brot reichlich Bier reichen. Und nun, nachdem ich für Euer Amt Euch die gehörigen Aufträge gegeben habe, lieber Reinold, ist es Zeit, daß ich auf mein eigenes Amt sehe.« Wilkin Flammock verließ das Gewölbe, und Gesicht und Verstand gleich ungestört von den tiefen Zügen, in welchen er eben geschwelgt hatte, wie von den verschiedenen Gerüchten von dem, was außerhalb vorging, machte er die Runde in der Burg und den Außenwerken, musterte die kleine Besatzung, wies jedem seinen Posten an, doch überließ er seinen eigenen Landsleuten den Dienst mit der Armbrust und die Handhabung der Kriegsmaschinen, welche die stolzen Normänner erfunden hatten, und deren Art die unwissenden Engländer oder eigentlich Angelsachsen nicht begreifen konnten, während sie seine geschickteren Landsleute mit der größten Gewandtheit behandelten. Die Eifersucht, sowohl der Engländer als der Normannen, darüber, daß sie zu dieser Zeit einem Flamländer untergeordnet wären, verlor sich allmählich vor der kriegerischen und selbst mechanischen Geschicklichkeit, die er entfaltete, und selbst vor dem Gefühl der dringenden Not, die mit jedem Augenblick größer wurde. Viertes Kapitel Die Tochter Raymond Berengers verweilte noch immer mit ihren Begleitern, deren wir erwähnten, auf den Zinnen von Garde Doloureuse, trotz der Ermahnungen des Geistlichen, daß sie besser tun würde, den Ausgang dieser furchtbaren Stunde in der Kapelle bei gottesdienstlicher Feier abzuwarten. Er bemerkte endlich, daß sie aus Gram und Furcht nicht imstande war, seinen Rat zu hören oder zu verstehen. Er setzte sich also zu ihr, indessen der Jäger und Rose Flammock ihr zur Seite standen, und bestrebte sich, ihr Trostgründe vorzutragen, da er wohl kaum selbst Trost fühlte. »Es ist wohl nur ein Ausfall Eures edlen Vaters,« sagte er, »und wenn er auch den Anschein eines großen Wagestückes hat, wer hat es je in Zweifel gezogen, daß Raymond Berenger wisse, was im Kriege geraten sei? Er ist immer geheimnisvoll und entschlossen bei seinen Entwürfen. Ich merkte es wohl, er wäre nicht ausgerückt, hätte er nicht gewußt, daß der edle Graf von Arundal oder der mächtige Connetable von Chester schon in der Nähe seien.« »Glaubt Ihr das gewiß, guter Vater? – Geh, Raoul – geh, meine liebe Rose – schaue nach Osten, gebt acht, ob Ihr nicht Fahnen oder Staubwolken gewahr werden könnt, – Horch! Horch! Hört Ihr nicht Trompeten von jener Seite her?« »Ach, Mylady,« sagte Raoul, »selbst den Donner des Himmels würde man nicht vernehmen können vor dem Geheul jener Walliser Wölfe.« Bei diesen Worten wandte sich Eveline um, und als sie zur Brücke hinsah, bot sich ihr ein schreckenerregendes Schauspiel dar. Der Fluß, der von drei Seiten den Fuß der stolzen Anhöhe umspült, auf welchem das Schloß lag, krümmt sich von der Burg und dem damit zusammenhängenden Dorfe auf der Westseite hinaus, und der Hügel sinkt hier zu einer ausgedehnten Höhe hinab, welche so außerordentlich flach ist, daß sie gar deutlich eine ursprüngliche Anschwemmung anzeigt. Ganz unten, am äußersten Ende der Ebene, wo wieder die Ufer des Flusses sich zeigen, befanden sich die Häuser der wackern, gewerbtreibenden Flamländer, welche jetzt in hellen Flammen aufloderten. Die Brücke, von hohen, enge verbundenen ungleichen Bogen errichtet, lag ungefähr eine halbe Meile (engl.) von der Burg rechts im Mittelpunkt der Ebene. Der Strom selbst nahm seinen Lauf in einem tiefen, felsigen Bette, er war oft gar nicht und stets sehr schwer zu passieren; daher er einen beträchtlichen Vorteil den Verteidigern der Burg gewährte, welche bei andern Gelegenheiten manch teuren Tropfen Blutes zur Verteidigung dieses Passes verspritzt hatten, den jetzt zu verlassen, sich Raymond Berenger durch seine phantastischen Skrupel verleiten ließ. Die Walliser ergriffen diesen Vorteil mit der Gier, mit welcher man eine unerwartete Gabe zu erfassen sucht; sie ballten sich fest zusammen auf den hohen steilen Bogen, während neue Rotten von verschiedenen Punkten her auf dem jenseitigen Ufer sich versammelten, den fortgesetzten Strom der Krieger anschwellend, welche, nachdem sie in guter Muße ungestört hinübergegangen waren, nun ihre Schlachtlinie der Burg gegenüber aufstellten. Anfangs beobachtete Pater Adlrovand ihre Bewegungen ohne große Sorge, ja mit dem verächtlichen Lächeln, womit man den Feind im Begriffe sieht, in die Falle zu gehen, welche höheres Wissen ihm legte, Raymond Berenger mit seinem kleinen Häuflein zu Fuß und zu Pferde war auf der Anhöhe zwischen der Burg und der Ebene, welche von der ersten zur letzteren sanft emporstieg, aufgestellt. Ganz klar schien es dem Dominikaner, welcher im Kloster seine früheren Kriegskenntnisse noch nicht ganz vergessen hatte, es sei des Ritters Vorsatz, den noch untergeordneten Feind anzugreifen, sobald eine gewisse Anzahl den Strom überschritten habe, und die andern noch in dem langsam und gefährlichen Uebergang begriffen seien. Als aber große Massen der weißbemäntelten Walliser ohne Störung eine solche Stellung auf der Ebene einnehmen durften, als ihre Art zu kämpfen es mit sich brachte, da begannen die Züge des Mönches, obgleich er noch immer die erschreckte Jungfrau aufzumuntern strebte, sich zu ändern und ängstlicher zu werden, und mächtig kämpfte die ihm sonst schon zur Gewohnheit gewordene Resignation mit dem alten militärischen Feuer. »Fasse Geduld, meine Tochter,« sagte er. »Sei guten Mutes! Deine Augen sollen die Niederlage jenes barbarischen Feindes schauen. Laß nur noch eine Minute verlaufen, und Du sollst sie zerstreut sehen, wie der Staub. – Heiliger Georg! Gewiß werden sie gleich, gleich Deinen Namen ausrufen, jetzt oder nie!« Des Mönchs Rosenkranz glitt währenddessen schnell durch seine Finger, aber mancher Ausdruck kriegerischer Ungeduld mischte sich von selbst unter seine Gebete. Er konnte die Ursachen nicht finden, warum es einem Zuge der Bergbewohner nach dem andern, mit ihren verschiedenen Bannern unter Anführung ihrer Häupter, gestattet wurde, ohne Störung den schwierigen Paß zu überschreiten und sich in Schlachtordnung auf dieser Seite der Brücke aufzustellen, während die englische oder vielmehr anglonormannische Reiterei auf dem Flecke blieb, selbst ohne einmal die Lanzen einzulegen. Noch, dachte er, blieb eine Hoffnung übrig – nur die eine vernünftige Erklärung dieser sonst unbegreiflichen Untätigkeit dieses freiwilligen Aufgebens solches Terrainvorteils, da das Uebergewicht der Anzahl so entsetzlich von seiten des Feindes war. Pater Aldrovand schloß nämlich, der Succurs des Connetable von Chester und anderer Lords der Marken müsse unmittelbar in der Nähe sein, und den Wälschen würde darum ohne Widerstand der Weg über den Fluß gestattet, damit ihre Rückkehr um desto sicherer abgeschnitten, und ihre Niederlage, den tiefen Fluß im Rücken, um so verderblicher werden müßte. Aber während er sich dieser Hoffnung ganz hingab, sank ihm doch das Herz, als er nach jener Richtung, woher die erwartete Hilfe kommen sollte, das Auge wendend, auch nicht das geringste Zeichen ihrer Annäherung sehen, noch hören konnte. In einer Gemütsstimmung, die näher der Verzweiflung als der Hoffnung war, fuhr der alte Mann fort, abwechselnd seinen Rosenkranz abzubeten, sorgenvoll um sich herzuschauen und einige Worte des Trostes in abgerissenen Redensarten seiner jungen Lady zuzurufen, bis das allgemeine Kriegsgeschrei der Wälschen, von den Ufern des Flusses bis zu den Zinnen der Burg hinübertönend, eben durch diesen Jubel es ihm ankündigte, daß der Letzte der Briten den Paß überschritten habe, und daß ihre ganze furchtbare Reihe, zum Angriff bereit, diesseits des Flusses sei. Dieses gellende und grausenerregende Geschrei, zu welchem jeder Wälsche seine Stimme hergab mit herausfordernder Wut, mit Kampfdurst und Siegeshoffnung, ward endlich von dem Ton der normannischen Trompeten erwidert, dem ersten Zeichen der Anwesenheit Raymond Berengers. Aber so mutig sie schmetterten, dennoch klangen die Trompeten im Vergleich mit dem Schlachtgebrüll, das sie beantworteten, nur gleich dem Pfeifen des kräftigen Seemanns mitten im Geheule des Sturmes. Im gleichen Augenblick als die Trompeten erklangen, gab Berenger den Schützen das Zeichen, ihre Pfeile abzuschießen, und den Reisigen unter einem Hagelschauer von Pfeilen, Wurfspießen und Steinen, geschossen, geworfen, geschleudert von den Wälschen, gegen ihre stahlbedeckten Angreifer vorzurücken. Und Raymonds Veteranen, von manchen siegreichen Erinnerungen gespornt, dem Talent ihres ausgezeichnet erfahrenen Führers trauend, und durch ihre verzweifelte Lage noch nicht entmutigt, warfen sich auf die Masse der Walliser, mit ihrer gewöhnlichen entschlossenen Tapferkeit. Es war ein schöner Anblick, die kleine Reiterschar zum Angriff hinstürzen zu sehen, die Federn über den Helmen wogend, mit eingelegten Lanzen, die sechs Fuß vor der Brust ihrer Feinde hervorragten; die Schilder von ihrem Nacken hängend, damit die linke Hand frei sei, das Pferd zu lenken, und die ganze Schar hinsprengend in einer Linie, und zwar mit einer Schnelligkeit, die mit jedem Augenblick zunahm. Ein solcher Angriff hätte solche nackten Menschen – (denn als solche waren die Walliser gegenüber den fest eingepanzerten Normännern anzusehen) über den Haufen werfen müssen; aber den alten Briten erregte es keinen Schrecken, welche schon lange ihren Ruhm darein setzten, ihre bloße Brust im weißen Leibrock den Lanzen und Schwertern der Gewappneten mit solchem Vertrauen entgegenzustellen, als wären sie unverwundbar geboren. Zwar vermochten sie es nicht, dem Gewicht des ersten Anlaufs zu widerstehen, welches ihre Linie durchbrach, so dicht wie sie aufeinander standen, und die gewappneten Rosse mitten in das Zentrum des Heeres trieb, ganz nahe dem verhängnisvollen Banner, welchem Raymond Berenger, von seinem unseligen Gelübde gebunden, heute einen so vorteilhaften Boden eingeräumt hatte. Aber sie wichen wie die Wellen, welche zwar dem kühnen Schiffe Platz machen, aber nur, um dessen Seiten zu bestürmen, und sich hinten auf dessen Spur wieder zu vereinigen. Mit wildem, gräßlichem Geschrei schlossen sie ihre Reihen rings um Berenger und seine hingebungsvollen Treuen, und der Todesauftritt des heftigsten Kampfes und Gegenkampfes erfolgte. Die besten Krieger von Wales stießen jetzt zur Standarte Gwenwyns; die Pfeile der Männer von Gwentland, deren Geschicklichkeit im Bogenschießen fast der normannischen gleichkam, rasselten auf den Helmen der Reisigen; und die Speere des Volkes von Delenbarth, berühmt durch die Schärfe und Härte ihrer Stahlspitzen, wurden gegen die Kürasse gebraucht nicht ohne nachteilige Wirkung, trotz des Schutzes, den diese dem Reiter gewährten. Umsonst war es, daß die Bogenschützen in der kleinen Truppe Raymonds, wackere Einsassen, welche größtenteils ihre Ländereien auf Bedingung von Kriegsdiensten besaßen, ihre Köcher auf das breite Ziel leerten, das ihnen das wälsche Heer darbot. Es ist wahrscheinlich, daß jeder Pfeil eines Walliser Leben auf der Spitze davon trug; aber um der Reiterei, welche jetzt enge und ohne Ausgang eingeschlossen war, entscheidende Hilfe zu gewähren, hätte das Gemetzel wenigstens zwanzigmal größer sein müssen. Die Walliser indessen, voll Aerger über das unaufhörliche Schießen, erwiderten es mit einem Pfeilregen ihrer Schützen, deren größere Zahl ihre geringere Geschicklichkeit ersetzte, und die noch durch eine Menge von Lanzenwerfern und Schleuderern unterstützt wurden. So waren die normannischen Schützen, welche mehr als einmal versucht hatten, aus ihrer Stellung hinabzusteigen, um eine Diversion zugunsten Raymonds und seiner geopferten Schar zu machen, so gedrängt auf ihrer eigenen Fronte beschäftigt, daß sie alle Gedanken an eine solche Bewegung aufgeben mußten. Indessen trachtete nun der ritterliche Anführer, welcher anfangs nur auf einen ehrenvollen Tod gehofft hatte, mit allen seinen Kräften danach, sein schlimmes Schicksal dadurch weit zu machen, daß er in dasselbe den wälschen Fürsten als Urheber des Krieges mit verwickelte. Sorgsam vermied er daher die Erschöpfung seiner Kraft durch Einhauen in die Briten; aber mit dem Stoß des wohlabgerichteten Rosses trieb er die Menge, die ihn drängte, auseinander und, den großen Haufen dem Schwerte seiner Leute überlassend, erhob er laut sein Kriegsgeschrei und brach sich Bahn zu der verhängnisvollen Standarte Gwenwyns, neben welcher der Fürst selbst, zugleich die Pflicht eines geschickten Anführers und eines wackern Soldaten erfüllend, Stand genommen hatte. Raymond, wohlbekannt mit dem Charakter der Wälschen, in welchem die Leidenschaft bald in der höchsten Flut, bald wieder in plötzlicher Ebbe sich zeigte, hatte einige Hoffnung, daß ein glücklicher Angriff auf diesen Punkt, der den Tod oder die Gefangenschaft des Fürsten und den Sturz des Banners zur Folge hätte, einen solchen panischen Schrecken verbreiten würde, daß er leicht das fast verzweifelte Schicksal des Tages umändern könnte. Der greise Krieger ermunterte demnach seine Kameraden zum Angriffe durch Wort und Beispiel, und trotz allen Widerstandes erzwang er sich Schritt für Schritt seinen Weg vorwärts. Aber Gwenwyn, umgeben von seinen besten und edelsten Kämpen, bot ihm, so unerschrocken der Angriff war, in Person einen ebenso hartnäckigen Widerstand. Umsonst wurden sie von den gepanzerten Rossen niedergetreten oder von den unverwundbaren Reitern niedergehauen, verwundet, übergeritten, umsonst setzten die Britischen ihren Widerstand fort, klammerten sich um die Füße der normannischen Rosse, um ihr Fortschreiten zu verhindern, während andere mit dem Stock der Pike jede Fuge und Ritze der Rüstung zu treffen suchten, oder, sich anhängend an die Reiter, sich bemühten, mit all ihrer Kraft sie vom Pferde zu reißen oder sie mit ihren Aexten und wälschen Krummhacken niederzuschlagen. Wehe denen, welche durch diese verschiedenen Mittel aus dem Sattel gehoben wurden, denn die langen scharfen Messer der Walliser durchbohrten sie zugleich mit hundert Wunden und schonten nur, wenn die erste schon tödlich war. So stand der Kampf und hatte schon mehr als eine halbe Stunde gewährt, als Berenger mit seinem Pferde bis auf zwei Speerlängen von dem britischen Banner vorgedrungen war. Jetzt waren er und Gwenwyn so nahe aneinander, daß sie sich schon Zeichen einer gegenseitigen Aufforderung geben konnten. »Hierher wende Dich, Wolf von Wales,« rief Berenger, »und erwarte, wenn Du es wagst, den Hieb von eines guten Ritters Schwerte! Raymond Berenger speiet Dich und Deine Banner an!« »Falscher, normannischer Schuft!« rief Gwenwyn, eine Keule von ungeheurem Gewicht, schon mit Blut befleckt, um sein Haupt schwingend. »Dein eisernes Kopfstück soll Dir schlecht Deine Zunge decken, mit welcher ich heute die Raben füttern will,« Raymond gab ferner keine Antwort, sondern spornte sein Pferd gegen den Fürsten, welcher mit gleicher Bereitwilligkeit ihm entgegentrat. Aber ehe ihre Waffen sich erreichen konnten, weihte sich ein wälscher Krieger, gleich jenen Römern, die so dem Elefanten des Pyrrhus Einhalt taten, dem Tode. Da er merkte, daß die Rüstung von Raymonds Pferde den wiederholten Stößen seines Speers widerstand, warf er sich selbst unter das Tier und stieß ihm sein langes Messer in den Bauch. Das edle Tier bäumte sich und stürzte und erdrückte mit seinem Gewicht den Briten, der es verwundet hatte. Der Helm des Ritters, dessen Spangen im Sturz sich lösten, rollte von seinem Haupte hinweg und ließ seine edlen Züge und seine grauen Haare sehen. Wiederholt strengte er sich an, sich von dem gefallenen Pferde heraufzuarbeiten, aber ehe es ihm gelang, empfing er den Todesstreich von der Hand Gwenwyns, der nicht anstand, ihn in dem Augenblick, da er sich aufrichten wollte, mit seiner Keule niederzuschmettern. Während der ganzen Zeit dieses blutigen Tages hatte Dennis Morolts Pferd Schritt für Schritt und sein Arm Schlag für Schlag neben seinem Gebieter gehalten. Es schien, als ob zwei verschiedene Körper durch einen Willen bewegt würden. Er zügelte seine Kraft oder ließ sie los, gerade wie er sah, daß es sein Ritter tat, und bei seiner letzten tödlichen Anstrengung war er dicht an seiner Seite. In jenem entscheidenden Augenblick, als Raymond Berenger auf den Häuptling hinstürzte, bahnte der brave Knappe sich den Weg zu dem Banner, und es fest fassend, rang er um den Besitz mit einem gigantischen Briten, dessen Sorge es anvertraut ward, und der nun seine äußerste Kraft brauchte, es zu verteidigen. Aber selbst in diesem tödlichen Handgemenge verließ das Auge Morolts kaum seinen Herrn, und als er ihn fallen sah, schien sympathetisch auch ihn die Kraft zu verlassen, und der britische Kämpfer hatte nun keine Mühe mehr, auch ihn unter die Erschlagenen niederzustrecken. Der Sieg der Briten war jetzt vollständig. Nach dem Falle ihres Anführers wären die Krieger Raymonds gern geflohen oder hätten sich ergeben; aber das erste war unmöglich, so enge waren sie eingeschlossen, und in den grausamen Kriegen der Walliser auf ihren Grenzen war für die Ueberwundenen von Pardon gar keine Rede. Nur wenige von den Reitern waren glücklich genug, sich aus dem Getümmel herauszuwickeln, und ohne den geringsten Versuch, sich in die Burg zu werfen, flohen sie in verschiedenen Richtungen, ihre eigene Furcht unter die Grenzbewohner zu bringen, indem sie den Verlust der Schlacht und das Schicksal des weitberühmten Berenger verkündeten. Die Bogenschützen des gefallenen Führers, welche zuvor nicht so tief in den Kampf verwickelt waren, den hauptsächlich die Reiterei geführt hatte, traf jetzt die Reihe, der einzige Gegenstand für den Angriff des Feindes zu sein. Aber als sie die Menge gleich einem brüllenden Meer mit all seinen Wellen eindringen sahen, so verließen sie die Anhöhe, welche sie bisher trefflich gehalten hatten, und begannen einen regelmäßigen Rückzug zum Kastell in so guter Ordnung, wie sie konnten, als das einzige Mittel, welches ihnen blieb, ihr Leben zu sichern. Einige wenige der Feinde, die leicht zu Fuß waren, versuchten, während dieses klugen Manövers sie abzuschneiden, indem sie ihnen in ihrem Marsche zuvoreilten und sich in den Hohlweg warfen, der zum Kastell führte, um sich dort ihrem Rückzuge zu widersetzen. Aber die Kaltblütigkeit der englischen Bogenschützen, gewohnt an Gefahren jederzeit, unterstützte sie auch bei dieser Gelegenheit; während ein Teil von ihnen die Walliser mit Schwertern und Aexten aus dem Hohlwege verjagte, machten die andern in der entgegengesetzten Richtung Front, und in Stellungen, wechselweise Halt machend und retirierend, behaupteten sie sich so, daß sie die Verfolgung zurückwiesen und jedes Pfeilgeschoß den Wälschen zurückgaben, wodurch von beiden Seiten viele litten. Endlich, nachdem sie mehr als zwei Drittel ihrer tapferen Gefährten zurückgelassen hatten, erreichten die Freisassen den Punkt, der, beherrscht von den Bogen und Maschinen auf den Zinnen, jetzt verhältnismäßig sicher genannt werden konnte. Ein Regen von großen Steinen und viereckigen Bolzen von mächtiger Größe und Härte tat auch der ferneren Verfolgung wirksamen Einhalt: die Anführer zogen ihre flüchtige Schar zurück in die Ebene, wo unter Jubeln und Jauchzen ihre Landsleute beschäftigt waren, die Beute des Schlachtfeldes in Sicherheit zu bringen, während einige, getrieben durch Haß und Rache, die Glieder der erschlagenen Normannen, auf eine ihrer Sache und ihres eigenen Mutes unwürdige Weise zerhieben und zerstückelten. Das furchtbare Geheul, mit welchem dieses gräßliche Werk vollbracht ward, erfüllte das Gemüt der kleinen Besatzung von Garde Douloureuse mit Grausen, flößte ihnen auch zugleich den Entschluß ein, lieber die Festung bis aufs äußerste zu verteidigen, als sich der Gnade dieses so rachsüchtigen Feindes zu unterwerfen. Fünftes Kapitel Der unglückliche Ausgang der Schlacht ward bald den angsterfüllten Zuschauern auf den Wachtürmen von Garde Douloureuse klar, welchen Namen die Burg an diesem Tage gar Wohl verdiente. Mit Mühe vermochte der Beichtiger seiner eigenen Bewegung Meister zu werden, um die der Frauen, welchen er beistehen sollte, zu beherrschen, wozu noch mit ihrem Jammergeschrei mehrere andere kamen – Frauen, Kinder, schwache Greise, die Angehörigen der in den unglücklichen Kampf verwickelten Krieger. Diese hilflosen Wesen waren in der Burg zu ihrer Sicherheit aufgenommen worden und hatten sich jetzt zu den Zinnen hingedrängt, von welchen Pater Aldrovand sie vergebens zu entfernen suchte, in der Besorgnis, daß ihr Anblick auf den Türmen, wo sich nur Bewaffnete aufgestellt zeigen sollten, den Belagerern nur eine Aufmunterung mehr zu ihren Anstrengungen sein würde. So drang er also in Lady Eveline, diesen Haufen von hilflosen Trauernden, mit denen sich doch nichts anfangen ließe, ein Beispiel zu geben. Selbst in diesem Uebermaß des Kummers die Fassung, welche die Sitte jener Zeit erheischte, behauptend oder wenigstens zu behaupten strebend–denn der Rittergeist hatte seinen Stoizismus so gut wie die Philosophie–entgegnete Eveline mit einer Stimme, der sie gerne Festigkeit erteilt hätte, aber welche trotz dessen zitternd wurde: »Ja, Vater, Ihr habt recht, hier ist nichts mehr für Mädchen zu schauen, der Preis, des Krieges ehrenvolle Tat, alles versank, als jener weiße Federbusch den Boden berührte. Kommt, Mädchen, hier gibt es nichts mehr für uns zu schauen, – zur Messe – zur Messe! das Turnier ist beendigt!« Etwas Wildes lag in ihrem Tone, und als sie sich erhob, als wolle sie sich an die Spitze einer Prozession stellen, wankte sie und würde ohne die Stütze des Beichtigers niedergesunken sein. Hastig hüllte sie ihr Haupt in ihren Mantel, als schämte sie sich, den maßlosen Schmerz zu zeigen, den sie nicht unterdrücken konnte, dessen Uebermaß jedoch ihr Schluchzen und die leise wimmernden Töne verrieten, welche aus den ihr Gesicht verhüllenden Falten hervordrangen, und überließ es dem Pater Aldrovald, sie zu führen, wohin er wollte. »Unser Gold,« sagte er, »hat sich in Kupfer verwandelt, unser Silber in Schlacken, unsre Weisheit in Torheit – sein Wille ist es, der den Rat der Weisen zu schanden macht, und den Arm des Mächtigen verkürzt! – Zur Kapelle! zur Kapelle, Lady Eveline! und statt unnützen Jammers laßt uns Gott und die Heiligen bitten, ihren Zorn von uns zu wenden, und die schwachen Ueberbleibsel vor den Zähnen des zerreißenden Wolfes zu schützen!« Mit diesen Worten führte er halb, halb trug er Eveline, welche in diesem Augenblicke gleich unfähig zum Denken und Handeln war, nach der Schloßkapelle, wo, vor dem Altar niedersinkend, sie wenigstens die Stellung der Andacht annahm, wiewohl ihre Gedanken trotz der frommen Worte, welche ihre Zunge mechanisch stammelte, draußen auf dem Schlachtfelde neben dem Leichnam ihres erschlagenen Vaters waren. Die übrigen Leidtragenden ahmten ihrer jungen Herrin nach in der andächtigen Stellung sowohl wie in der Abwesenheit ihrer Gedanken. Da sie überdies wußten, daß so viele von der Besatzung durch Raymonds unvorsichtigen Ausfall aufgerieben waren, so trat zu ihren Sorgen noch das Gefühl der persönlichen Unsicherheit, vergrößert durch die Grausamkeiten, welche nur zu oft der Feind auszuüben pflegte, der wie es hieß, in der Hitze des Sieges weder Geschlecht noch Alter verschone. Der Mönch bediente sich indessen unter ihnen des Ansehens, das seine Würde ihm gab, und machte ihnen Vorwürfe über ihr Wehklagen und nutzloses Gewimmer, und als er glaubte, daß er in ihrem Gemüte die Stimmung hervorgebracht hatte, die sich besser für ihre Lage geziemte, überließ er sie ihren Andachtsübungen, um einer ängstlichen Besorgnis nachzugehen und zu erforschen, wie es mit der Verteidigung der Burg stehe. Auf den äußern Wällen fand er den Wilkin Flammock, der, nachdem er den Dienst eines guten und geschickten Befehlshabers besonders im Gebrauch der Artillerie erfüllt und, wie wir gesehen haben, den vorgerückten Feind zurückgeschlagen hatte, nun mit eigener Hand der kleinen Besatzung erstaunliche Rheinweinrationen austeilte. »Sieh Dich wohl vor, guter Wilkin,« sagte der Pater, »daß Du darin nicht zu viel tust. Wein ist, wie Du weißt, wie Feuer und Wasser, ein vortrefflicher Diener, aber ein schlechter Herr.« »Das hat wohl eine Weile, ehe die dicken und starken Schädel meiner Landsleute davon überfließen,« sagte Wilkin Flammock. »Unser flamländischer Mut ist wie unsere flandrischen Pferde – diese bedürfen des Spornes, und jener muß einen Zug aus dem Weinkruge tun. Aber glaubt mir, Vater, es ist eine ausdauernde Zucht, die nicht einläuft in der Wäsche. Und wahrlich, wenn ich auch den Burschen einen Becher zuviel geben sollte, so wäre es auch noch kein Unglück, da sie wahrscheinlich bald eine Schüssel weniger bekommen.« »Wie meint Ihr das?« rief erschrocken der Mönch, »ich hoffe doch zu allen Heiligen, für Vorrat ist gesorgt,« »Nicht so gut wie in Eurem Kloster, guter Vater,« erwiderte Wilkin mit dem immer unbeweglichen Ernst im Gesicht. »Wir haben, wie Ihr wißt, zu lustig über Weihnachten gelebt, um fette Ostern zu haben. Jene wälschen Hunde, die uns halfen unsern Vorrat verzehren, können nun leicht, infolge des Mangels hier, in unser Versteck hineinkommen.« »Du sprichst lauter Unsinn,« antwortete der Mönch, »noch gestern abend erteilte unser Herr (dessen Seele Gott gnädig sein möge) den Befehl, von den Ländereien umher die nötigen Vorräte herbeizuschaffen.« »Jawohl, aber die Walliser rückten zu flink heran, als daß wir gemächlich heute morgen das vollführen konnten, was seit Wochen und Monaten hätte geschehen sollen. Unser hingeschiedener Herr, wenn er wirklich hingeschieden ist, war einer von denen, welcher sich ganz auf die Schärfe ihres Schwertes verlassen, – und so hat es denn so kommen müssen, wie wirs nun haben! zu Armut, statt zu einem wohlverproviantierten Schloß! – Ihr seht blaß aus, mein guter Vater. Ein Becher Wein würde Euch stärken.« Der Mönch wies unberührt den Becher zurück, den Wilkin ihm mit etwas plumper Höflichkeit aufdringen wollte. »Wir haben nun in der Tat,« setzte er hinzu, »keine weitere Zuflucht als das Gebet.« »Wohl wahr, guter Vater,« erwiderte der Flamländer ganz gelassen, »betet daher so viel, als Ihr wollt. Ich will mich mit dem Fasten begnügen, das kommen wird, ich mag wollen oder nicht.« – In dem Augenblick ward ein Horn vor dem Tore vernommen. – »Gebt acht auf das Fallgitter und das Tor, Ihr Burschen! – Was gibts Neues, Neil Hansen?« »Ein Bote von den Wälschen hält auf dem Mühlenberge, gerade in Armbrust-Schußweite. Er hat eine weiße Fahne und begehrt Einlaß.« »Laß ihn nicht ein, bei Deinem Leben! bis wir uns zu seinem Empfange bereitet haben,« sagte Wilkin. »Richte die dicke Steinschleuder nach dem Orte hin und schießet auf ihn, wenn er sich von der Stelle wagt, wo er steht, bis wir alles bereitet haben, ihn zu empfangen,« sagte Flammock in seiner Landessprache. – »Und Neil, Du Hundsfott [so im Original Houndsfoot], rühre Dich, laß jede Pike, Lanze und Spieß in der Burg auf die Zinnen stecken und durch die Schießscharten hervorgucken – zerschneide irgend eine Tapete in die Form von Fahnen, und laß sie von den höchsten Türmen wehen. – Halte Dich bereit, wenn ich das Signal gebe, die Racker [so im Original für Trommel, engl. drum] zu schlagen, und Trompeten zu blasen, wenn wir welche haben, wo nicht, so einige Kuhhörner, – was es ist, nur Lärm zu machen. – Und horch auf, Neil Hansen, geht Ihr oder vier oder fünf von Euren Kameraden in die Rüstkammer und werft Euch da in Panzer: unsere niederländischen Kürasse erschrecken nicht so. Dann laßt dem wälschen Dieb die Augen binden und bringt ihn unter uns – Ihr haltet Euch gerade und schweigt – laßt mich allein mit ihm reden – nur sorgt dafür, daß kein englischer bei uns sei!« Der Mönch, der auf seinen Reisen einiges von der flamländischen Sprache aufgefaßt hatte, war nahe dabei aufzufahren, als er den letzten Punkt in den Aufträgen Wilkins an seinen Landsmann vernahm. Doch faßte er sich, obwohl nicht wenig erstaunt, sowohl über diesen verdachterregenden Umstand, als über die Fertigkeit und Geschicklichkeit, womit der ungehobelte Flamländer seine Anordnungen nach den Regeln der Kriegskunst und einer gesunden Umsicht einzurichten wußte. Wilkin seinerseits war nicht ganz gewiß, ob der Mönch von dem, was er seinem Landsmann gesagt hatte, nicht mehr gehört und verstanden hatte, als er wünschte. Um nun jeden Argwohn, den Pater Aldrovand fassen konnte, einzuschläfern, wiederholte er im Englischen das meiste der Befehle, die er gegeben hatte, hinzufügend: »Nun, guter Vater, was meint Ihr davon?« »Ganz vortrefflich,« erwiderte der Pater, »als hättet Ihr den Krieg von Eurer Wiege an mitgemacht, statt Zeug zu weben.« »Nun ja, spart Eure Späße nicht, Pater,« antwortete Wilkin, »ich weiß recht gut, daß Ihr Engländer meint, die Flamländer hätten nichts in ihrem Gehirnkasten als gesottenes Fleisch und Kohl: aber Ihr seht, Wissenschaft und Handel gehen hier Hand in Hand zusammen.« »Recht so, Wilkin Flammock,« antwortete der Pater, »aber, guter Flamländer, willst Du mir wohl sagen, was Du auf die Aufforderung des Walliser Ersten für Antwort geben wirst?« »Ehrwürdiger Vater, sagt mir nur erst, worin diese Aufforderung bestehen wird,« erwiderte der Flamländer. »Die Burg augenblicklich zu übergeben,« antwortete der Mönch. »Was wird Eure Antwort sein?« »Meine Antwort wird sein. – Nein! es sei denn unter guten Bedingungen.« »Wie, Herr Flamländer, wagt Ihr Bedingung und Schloß von Garde Duloureuse in einen Satz zu bringen?« sagte der Mönch. »Nicht, wenn ich etwas Besseres tun kann!« antwortete der Flamländer. »Oder wünschen ehrwürdiger Pater, daß ich zaudern soll, solange, bis unter der Besatzung die Frage entsteht, ob ein feister Priester oder ein fetter Flamländer das beste Fleisch zur Schlächterei darbieten?« »Pah,« erwiderte Pater Aldrovand, »an solche Narrenpossen ist nicht zu denken, Entsatz muß spätestens innerhalb vierundzwanzig Stunden kommen, Raymond Berenger erwartete ihn bestimmt zu dieser Zeit.« »Sofern es mit dem Entsatze nicht geht wie mit dem, der ihn erhoffte.« »Hör, Flanderchen,« antwortete der Mönch, dessen Abgeschiedenheit von der Welt nicht ganz und gar seine militärischen Gewohnheiten und Neigungen erstickt hatte. »Ich rate Dir, wenn Dir Dein eigenes Leben lieb ist, ehrlich und rechtlich in dieser Angelegenheit zu handeln, denn trotz der heutigen Niederlage leben hier noch Engländer genug, die flamländischen dicken Frösche in den Burggraben zu schleudern, sollten sie Ursache haben zu glauben, daß Du, in Rücksicht auf die Bewahrung des Schlosses und der Verteidigung von Lady Eveline, Falsches im Sinne hast,« »Laß Ew. Hochwürden keine unnötige und törichte Furcht beunruhigen,« erwiderte Wilkin Flammock. »Ich bin Kastellan in diesem Hause, auf Befehl seines Herrn, und was ich in meinem Amte für vorteilhaft erachte, das werde ich tun.« »Aber ich,« sagte der erzürnte Mönch, »bin ein Diener des Papstes, der Kaplan dieses Schlosses, mit der Macht, zu binden und zu lösen. Ich fürchte, Du bist nicht ein echter Christ, Wilkin Flammock, sondern neigst Dich zu der Ketzerei der Bergbewohner, Du hast es abgeschlagen, das heilige Kreuz zu nehmen, Du hast gefrühstückt, Bier und Wein getrunken, ehe Du die Messe gehört hast. Du bist kein Mann, dem man trauen kann, und ich will Dir nicht trauen. – Ich verlange, gegenwärtig zu sein bei der Unterhandlung mit den Wälschen.« »Das kann nicht sein, guter Vater,« sagte Wilkin mit demselben schwerfällig lächelnden Angesicht, welches er bei allen Gelegenheiten, auch den dringendsten, beibehielt. »Es ist wahr, was Du sagst, guter Vater, daß ich meine eigenen Gründe habe, für jetzt nicht ganz so weit, als bis zu den Toren vor Jericho zu wandern; und glücklich war es, daß ich solche Gründe hatte, sonst wäre ich nicht hier gewesen, das Tor von Garde Douloureuse zu verteidigen. Es ist ebenfalls wahr, daß ich zuweilen genötigt gewesen bin, meine Mühle früher zu besuchen, als den Kaplan sein frommer Eifer zum Altar rief, und daß mein Magen nicht die Arbeit verträgt, als bis er das Frühstück trägt. [Im Englischen ein Wortspiel mit brook working und breakfast.] Aber dafür habe ich Ew. Hochachtbaren Ehrwürden selbst eine Geldstrafe erlegt, und ich sollte denken, da es Euch gefällig ist, Euch meiner Beichte so genau zu erinnern, daß Ihr auch der Buße und Absolution nicht vergessen solltet.« Der Mönch hatte durch die Anspielung auf die Geheimnisse des Beichtstuhls die Regeln des Ordens und der Kirche überschritten. Des Flamländers Antwort beschämte ihn, und da er sah, daß der Vorwurf der Ketzerei gar keinen Eindruck auf ihn machte, so konnte er nur mit einiger Verwirrung antworten: »So weigert Ihr Euch also, mich zu Eurer Unterredung mit dem Walliser zuzulassen?« »Ehrwürdiger Vater,« sagte Wilkin, »sie betrifft ganz und gar nur weltliche Dinge. Sollte etwas von Religionssachen dazwischen kommen, sollt Ihr ohne Verzug herbeigerufen werden.« »Ich werde doch dabei sein. Dir zum Trotz, Du flämischer Ochs,« murmelte der Mönch, doch so leise, daß keiner der Umstehenden es vernehmen konnte, und damit verließ er die Zinnen. Wenige Minuten nachher stieg Wilkin Flammock, nachdem er zuvor nachgesehen, ob auf den Zinnen alles so geordnet worden, um einen großen Begriff von Stärke zu geben, die nicht da war, in ein kleines Wachzimmer hinab, zwischen dem äußern und innern Tore gelegen, wo ihn ein halbes Dutzend seiner Landsleute versteckt in der normannischen Rüstung, welche sie in der Rüstkammer gefunden hatten, erwarteten. Ihre starken großen und massiven Gestalten und ihre regungslose Stellung gab ihnen mehr das Ansehen von Trophäen einer vergangenen Zeit, als wirklich noch lebender Krieger. Von diesen gewaltigen und unbeseelten Bildsäulen in einem kleinen Gemache, wohinein fast kein Tageslicht drang, umringt, empfing Flammock den wälschen Abgesandten, welcher mit verbundenen Augen von zwei Flamländern hereingeführt, aber absichtlich nicht so sorgfältig bewacht ward, daß er nicht hätte auf die Zinnen hinschielen können, auf denen, hauptsächlich, um ihn zu täuschen, solche Vorbereitungen gemacht waren. In derselben Absicht ließ sich von Zeit zu Zeit ein Waffengeklirr hören, Stimmen vernahm man, als ob Offiziere die Runde machten, und Töne von Geschäftigkeit mancherlei Art schienen eine zahlreiche und reguläre Garnison anzukündigen, die sich vorbereitete, einen Angriff abzuwarten. Als die Binde von Jorworths Augen abgenommen ward, denn eben derselbe, welcher früher Gwenwyns Anerbieten eines Bündnisses hierher trug, brachte jetzt die Aufforderung zur Uebergabe – blickte er stolz um sich her und fragte, an wen er die Befehle seines Herrn, Gwenwyns, Sohn des Cyvelic, Fürsten von Powys, abzugeben hätte. »Seine Hoheit,« antwortete Flammock mit seiner gewöhnlichen schmunzelnden Gleichgültigkeit, »muß sich begnügen, zu unterhandeln mit Wilkin Flammock von den Waldmühlen, bestalltem Befehlshaber der Garde Douloureuse,« »Du, bestallter Befehlshaber!« rief Jorworth aus, »Du, ein gemeiner bäurischer Weber! – es ist unmöglich! – Wie niedrig sie sein mögen, diese Engländer, können sie nicht so tief gesunken sein, daß sie sich von Dir befehlen lassen. – Diese Männer scheinen Engländer zu sein, ihnen will ich meine Botschaft entrichten.« »Ihr mögt es tun, wenn Ihr wollt,« entgegnete Wilkin, »aber wenn sie Euch anders antworten als durch Zeichen, so sollt Ihr mich einen Schelm nennen.« »Ist das wahr,« sagte der wälsche Abgesandte, auf die Bewaffneten hinblickend, die Flammock zur Seite standen. »Seid Ihr wirklich bis dahin gekommen? Ich sollte glauben, daß schon das bloße Geborensein auf britischem Boden, wenn Ihr auch Kinder von Plünderern und Unterdrückern seid, Euch so viel Stolz eingeflößt haben sollte, nicht das Joch eines niedrigen Handwerkers zu tragen. Oder, wenn Ihr nicht den Mut habt, solltet Ihr doch nicht auf Eurer Hut sein? – Wohl sagt das Sprichwort: Wehe dem, welcher dem Fremden vertraut. – Noch immer stumm – noch immer schweigend? – Antwortet mir durch ein Wort oder Zeichen. – Nennt ihr und erkennt Ihr ihn wirklich als Euren Führer?« Die Männer in der Rüstung nickten einmütig mit ihren Helmen zur Antwort auf Jorworths Frage, und blieben dann bewegungslos wie vorher. Der Wälsche, mit dem seinem Volke eigentümlichen Scharfsinn, vermutete, daß hier etwas im Spiele sei, was er nicht begreifen konnte; doch indem er sich vornahm, wohl auf seiner Hut zu sein, fuhr er folgendermaßen fort: »Sei dem, wie ihm wolle, ich bekümmere mich nicht darum, wer die Sendung meines Souverains vernimmt, weil sie Vergebung und Gnade den Bewohnern von Castel on Cary bringt, welches Ihr Garde Douloureuse nennt, um die gewaltsame Besitznahme dieser Gegend durch die Veränderung des Namens zu verdecken. Wird diese Burg dem Fürsten von Powys nebst ihren Ländereien, mit den Waffen, welche sie enthält, und mit der Jungfrau Eveline Berenger übergeben, so sollen alle im Schlosse sich unangetastet entfernen und sicheres Geleit haben, wohin sie sich außerhalb der Grenzen der Kymerier begeben wollen.« »Und was, wenn wir diesen Anforderungen nicht Genüge leisten?« sagte der sich immer gleich bleibende Flammock. »Dann soll Euer Teil sein mit Raymond Berenger, Eurem letzten Anführer,« erwiderte Jorworth, dessen Augen, wie er sprach, mit der rachsüchtigen Wildheit funkelten, welche ihm seine Antwort eingab. »So viele Fremde hier unter Euch sind, so viele Leichen den Raben, so viele Häupter den Galgen! Lang ist es her, daß die Geier nicht einen solchen Schmaus von nichtswürdigen Flämingern und falschen Sachsen gehabt haben.« »Freund Jorworth,« sagte Wilkin, »wenn das Dein ganzer Auftrag ist, so bringe diese meine Antwort Deinem Gebieter zurück, daß kluge Leute nicht den Worten andrer die Sicherheit vertrauen, die sie sich selbst durch ihre eigenen Taten verschaffen können. Wir haben Mauern hoch und stark genug, tiefe Graben, vollauf Munition und Bogen und Armbrust. Wir wollen das Schloß halten in der Hoffnung, daß es uns halten wird, bis Gott uns Hilfe sendet,« »Setzt nicht Euer Leben an solch eine Erwartung,« sagte der Walliser Abgesandte und begann Flämisch zu reden, welches er gelegentlich durch Umgang mit Leuten dieser Nation in Pembrokeshire gelernt hatte und fließend sprach, und dessen er sich jetzt bediente, um den Inhalt seiner Rede den vermeintlichen Engländern im Zimmer zu verbergen. »Höre mich an, guter Flamländer,« fuhr er fort, »weißt Du nicht, daß der, auf den Ihr Euch verlaßt, der Connetable de Lucy, durch sein Gelübde gebunden ist, sich in keine Fehde einzulassen, bis er das Meer durchkreuzt hat, und daß er, ohne meineidig zu werden, Euch nicht zu Hilfe kommen kann. Er und die andern Herrn von den Grenzen haben ihr Angesicht weit gegen den Norden [so die Weltgegend im Original bezeichnet] gekehrt, sich mit den Heeren der Kreuzfahrer zu vereinigen. Was wird es Euch helfen, uns Mühe und Arbeit einer langen Belagerung zu verursachen, wenn Ihr keinen Entsatz zu erhoffen habt?« »Und was würde es mir mehr helfen,« erwiderte Wilkin auch in seiner Landessprache, und blickte scharf auf den Wälschen hin, doch mit einem Gesicht, aus welchem aller Ausdruck absichtlich verbannt schien, und dessen sonst leidliche Züge jetzt eine merkwürdige Mischung von Einfalt und Dummheit zu Schau trugen. »Was soll es mir helfen, ob Eure Mühe groß oder klein ist?« »Komm, Freund Flammock,« sagte der Walliser, »stelle Dich selbst nicht ungelehriger, als die Natur Dich schuf. Eine Schlucht ist finster, aber ein Sonnenstrahl kann doch ein Ende derselben erleuchten. Deine größten Anstrengungen können nicht dem Fall des Schlosses vorbeugen; aber Du kannst ihn beschleunigen, und das soll Dir viel einbringen.« Mit diesen Worten trat er dicht zu Wilkin hinan, und zu einem leisen Flüstern ward seine Stimme, als er sagte: »Nie wird das Wegschieben eines Riegels oder das Hinaufziehen eines Fallgitters einem Flamländer so viel Vorteil gebracht haben, als es Dir gewähren kann, wenn Du es willst.« »Ich weiß nur,« sagte Wilkin, »daß das Vorschieben des einen und das Hinablassen des andern mir mein ganzes irdisches Gut gekostet.« »Flamländer! Es soll Dir im vollen Ueberfluß ersetzt werden. Die Freigebigkeit Gwenwyns ist wie der Sommerregen.« »Aber meine Mühlen und Gebäude sind diesen Morgen bis auf den Grund niedergebrannt worden.« »Du sollst tausend Mark Silber zum Ersatz für Deine Güter haben,« sagte der Walliser; aber der Flamländer fuhr fort, als ob er ihn nicht hörte, seine Verluste aufzuzählen. »Meine Aecker sind abgemäht, zwanzig Kühe fortgetrieben, und –« »Sechzig sollen sie Dir ersetzen,« unterbrach ihn Jorworth, »die glattesten von der Beute.« »Aber meine Tochter – aber Lady Eveline,« sagte der Flamländer mit einer kleinen Abänderung seiner monotonen Stimme, welche Zweifel und Verlegenheit auszudrücken schien – »Ihr seid grausame Eroberer, und« – »Nur denen, die uns Widerstand leisten, sind wir furchtbar,« sagte Jorworth, »nicht denen, welche durch Uebergabe Gnade verdienen. Gwenwyn wird die Beschimpfungen Raymonds vergessen und seine Tochter zur höchsten Ehre unter den Töchtern der Kymerier hinaufheben. Was Dein eigenes Kind anbetrifft, sprich nur einen Wunsch für sie aus, und er soll im größesten Maße erfüllt werden. – Nun, Flamländer, wir verstehen uns einander.« »Ich mindestens verstehe Dich,« antwortete Flammock. »Und ich Dich, hoffe ich,« sagte Jorworth, indem er sein scharfes, wildes blaues Auge auf das dumme, ausdruckslose Antlitz des Niederländers heftete, wie ein lernbegieriger Student irgend einen geheimen und verborgenen Sinn in einer Stelle sucht, deren gerader Sinn gemein und trivial erscheint. »Ihr denkt, daß Ihr mich versteht,« sagte Wilkin, »aber daran liegt eben die Schwierigkeit – wer von uns soll dem andern trauen?« »Wagst Du das zu sagen?« entgegnete Jorworth, »ziemt es Dir oder Deinesgleichen, die Anträge des Fürsten von Powys in Zweifel zu ziehen?« »Ich kenne sie nicht anders, guter Jorworth, als durch Dich; aber wohl weiß ich, Du bist nicht der Mann danach, Deinen Handel scheitern zu lassen, weil es Dir an ein wenig Hauch aus Deinem Munde fehlt.« »So wahr ich ein Christenmensch bin,« sagte Jorworth, Beteuerung auf Beteuerung häufend, – »bei der Seele meines Vaters – bei dem Glauben meiner Mutter – bei dem schwarzen Kreuze von –« »Halt, guter Jorworth, Du häufst Deine Eide zu dicht aufeinander, als daß man ihren Wert recht beurteilen könnte,« sagte Flammock, »das, was so leicht verpfändet wird, ist oft nicht des Auslösens wert. Ein Teil von dem versprochenen Lohne schon in der Hand, wäre hundert Eide wert.« »Du argwöhnischer Schuft, wagst Du es, mein Wort in Zweifel zu ziehen?« »Nein, auf keine Weise,« antwortete Wilkin, »doch würde ich Deiner Tat viel lieber glauben.« »Zur Sache, Flamländer,« sagte Jorworth, »was verlangst Du von mir?« »Laßt mich gleich etwas von dem Gelde, das Du mir versprochen hast, erblicken; und ich will Deinen übrigen Vorschlägen nachdenken.« »Elender Geldmäkler!« antwortete Jorworth, »denkst Du, der Fürst von Powys habe soviel Geldsäcke, als die Kaufleute in Deinem Tausch- und Handelslande? Er sammelt Schätze durch seine Eroberungen ein, wie die Wasserhose das Wasser durch ihre Kraft aufsaugt, aber nur, um sie unter seinen Anhängern zu verbreiten, wie die Wolkensäule ihren Inhalt der Erde und dem Ozean wiedergibt. – Das Silber, welches ich Dir verspreche, muß noch erst aus den Kasten der Sachsen zusammengebracht werden, ja die Schatulle Berengers muß erst durchwühlt werden, um die Zahl voll zu machen.« »Das, dächte ich, könnte ich selbst tun, da ich volle Gewalt im Schlosse habe, und Euch eine Mühe ersparen,« sagte der Flamländer. »Allerdings,« antwortete Jorworth, »es käme dabei nur auf die Kosten von einem Strick oder einer Schlinge an; die Walliser mögen die Burg nehmen und die Normannen sie entsetzen, – die ersten würden ihre Beute ganz erwarten, die andern, daß ihres Landmanns Schätze ihnen unvermindert überliefert werden.« »Das will ich nicht bestreiten,« sagte der Flamländer. »Gut, wenn ich nun aber sage, ich will zufrieden sein und Euch trauen, wenn Ihr mir mein Vieh wiedergebt, das Ihr in Händen habt, und worüber Ihr schalten könnt? Wenn Ihr mir nicht zum voraus in etwas gefällig sein wollt, was kann ich hinterher von Euch verlangen?« »Ich wollte Euch noch in größern Dingen gefällig sein,« antwortete der gleichfalls argwöhnische Walliser. »Doch was kann es Dir helfen, Dein Vieh innerhalb der Festung zu haben? Es kann besser für dasselbe in der Ebene unten gesorgt werden.« »Wahrlich,« erwiderte der Flamländer. »Du hast wieder recht; es würde uns hier zur Last sein, da wir schon so vieles Vieh für die Besatzung im Vorrat haben. – Aber doch, wenn ich es genauer betrachte, so haben wir auch wieder Courage genug, alles was wir haben, und noch mehr, zu halten. – Dann sind meine Kühe von ganz besonderer Rasse von den reichen Weiden in Flandern hergebracht, und ich wünsche mich wohl in ihrem Besitz zu sehen, ehe Eure Aexte und Beile sich über ihr Fell gemacht haben.« »Ihr sollt sie haben, diese Nacht mit Fell und Horn,« sagte Jorworth, »es ist nur ein kleines Handgeld; der große Lohn folgt nach.« »Vielen Dank für Eure Freigebigkeit,« sagte der Flamländer. »Ich bin ein einfältiger Mann und beschränke meine Wünsche auf die Wiedererlangung meines Eigentums.« »Du wirst also bereit sein, dann die Burg zu übergeben?« sagte Jorworth. »Davon wollen wir morgen mehr sprechen,« sagte Wilkin Flammock. »Wenn diese Engländer und Normannen auch nur den Gedanken ahnen sollten, da würden wir böses Spiel haben. – Die müssen erst alle voneinander sein, ehe ich über diese Sache ferner unterhandeln kann. – Indessen bitte ich Dich, mach, daß Du schnell wegkommst, und zwar, als seiest Du tief beleidigt durch den Inhalt unseres Gespräches.« »Doch möchte ich gern etwas Festeres und Bestimmteres wünschen,« sagte Jorworth. »Unmöglich, unmöglich!« sagte der Flamländer, »seht Ihr nicht, wie jener große Bursche dort schon anfängt mit seinem Dolch zu spielen? – Geh fort in Eile und ärgerlich, – und vergiß nicht die Kühe.« »Ich werde sie nicht vergessen,« sagte Jorworth, »aber wenn Du nicht Wort hältst –« Mit diesen Worten verließ er das Zimmer mit drohender Gebärde, die teils in allem Ernst Wilkin galt, teils auf dessen Rat angenommen ward. Flammock antwortete in englischer Sprache, als ob alle rings umher verstehen sollten, was er sagte: »Tue Dein Aergstes, Herr Wälschmann, ich bin ein ehrlicher Kerl, ich trotze allen Vorschlägen zur Uebergabe, und will dieses Schloß halten, zu Deiner und Deines Gebieters Schimpf und Schande! – Her da! verbindet ihm wieder die Augen, und laßt ihn in Sicherheit zu seinen Begleitern draußen zurückkehren. Der nächste Wälsche, welcher vor den Toren der Garde Douloureuse erscheint, soll schärfer empfangen werden.« Dem Walliser wurden die Augen verbunden, und er wurde abgeführt; als aber Wilkin Flammock selbst die Wachstube verließ, trat einer von den scheinbaren Reisigen, welche der Unterredung beiwohnten, zu ihm, und flüsterten ihm auf englisch ins Ohr: »Ihr seid ein falscher Verräter, Flammock, und sollt eines Verräters Tod sterben.« Ueberrascht hätte der Flamländer den Mann gern weiter befragt, aber er war verschwunden, sowie er die Worte geäußert hatte. Dieser Umstand setzte Flammock in große Verlegenheit, da er ihm bewies, seine Unterredung mit Jorworth sei beobachtet, sein Vorsatz erkannt oder vermutet, und zwar von jemanden, der, nicht in sein Vertrauen eingeweiht, leicht seine Absichten durchkreuzen konnte. Sehr bald erfuhr er, daß dieses der Fall war. Sechstes Kapitel Die Tochter des erschlagenen Raymond war von der Höhe, von welcher sie das Schlachtfeld überschaut hatte, hinabgestiegen, im Herzen den tödlichen Schmerz, der einem Kinde natürlich ist, dessen Augen den Tod eines geehrten und geliebten Vaters gesehen hatten. Aber ihre Stellung und die Grundsätze des Rittertums, worin sie aufgewachsen war, gestatteten ihr nicht, sich einem fortdauernden, unnützen Kummer hinzugeben. Wenn der Geist dieser sonderbaren Verfassung die Jungen und Schönen des weiblichen Geschlechts zu dem Range von Prinzessinnen oder besser Göttinnen erhob, so verlangte er von ihnen, als Erwiderung, einen Charakter und ein Benehmen, höher als das natürliche menschliche Gefühl gestattet, ja demselben einigermaßen widersprechend. Die Heldinnen glichen oft Bildern, in einem künstlichen Lichte gezeigt, welches, sehr hell strahlend, die Gegenstände, auf welche hin es gerichtet wird, sehr hervorgehoben darstellt; aber sie haben dann immer etwas von einem fremdartigen Glanze, welcher, verglichen mit dem des Tageslichts, zu blendend und übertrieben erscheint. Es war der Waise von Garde Douloureuse, der Tochter einer Reihe von Helden, deren Ursprung aus dem Geschlechte der Tor, Balder, Odin und anderer zu Götter erhobner Krieger des Nordens sich herleiteten, deren Schönheit das Thema von hundert Minstrels geworden, und deren Augen der Leitstern der halben Ritterschaft auf den kriegerischen Marken von Wallis war, – es war ihr nicht erlaubt, ihren Vater zu betrauern mit den unwirksamen Tränen eines Landmädchens. So jung, wie sie war, und so schrecklich das Ereignis, wovon sie in diesem Augenblicke Zeugin gewesen, so war es doch auf keine Weise so voll Entsetzens für sie, als es für ein Mädchen gewesen wäre, dessen Auge nicht oft an die rauhen und tödlichen Spiele der Ritter gewöhnt, und dessen Wohnsitz nicht zwischen Helden und Männern gewesen, dessen Einbildungskraft nicht vertraut geworden mit wilden und blutigen Erscheinungen, oder das endlich nicht erzogen war, einen »ehrenvollen Tod unter dem Schilde«, wie man den Tod auf dem Schlachtfelde nannte, für ein wünschenswerteres Ende von dem Leben eines Kriegers zu halten, als das zögernde und unrühmliche Schicksal, welches langsam herbeischleicht, die unlustige und hilflose Untätigkeit des hohen Alters zu enden. Während Eveline um ihren Vater weinte, fühlte sie ihren Busen glühen, wenn sie sich erinnerte, daß er in dem höchsten Glanze seines Ruhmes, mitten unter Haufen von ihm erschlagener Feinde starb; dachte sie aber an das, was ihre Lage jetzt heischte, so geschah es mit dem festen Entschluß, durch jedes Mittel, welches der Himmel in ihrer Macht ihr gelassen hatte, die eigene Freiheit zu verteidigen und ihres Vaters Tod zu rächen. Die Hilfe der Religion wurde nicht vergessen, und der Sitte der Zeit und der Lehre der römischen Kirche gemäß strebte sie die Gunst des Himmels sowohl durch Gelübde als durch Gebete zu gewinnen. In einer kleinen Betkapelle, welche an die größere stieß, hing über dem Altarstück, auf welchem beständig eine Lampe brannte, ein kleines Gemälde der Jungfrau Maria, verehrt als eine besondere Schutzgöttin und Hausheilige der Familie Berenger; einer ihrer Ahnherren hatte es von einer Pilgerfahrt aus dem gelobten Lande mitgebracht. Es war aus den letzten Zeiten des römischen Kaisertums, eine griechische Malerei, nicht ungleich denen, welche in katholischen Ländern dem Evangelisten Lucas zugeschrieben werden. Die Betkapelle, in welcher es aufgestellt war, wurde für ungemein heilig gehalten, ja es wurde behauptet, es hätten sich hier wunderbare Kräfte geäußert; und Eveline hatte sich durch die Blumenkränze, welche sie hier täglich darbrachte, und die frommen Gebete, womit sie sie begleitete, als eine »unseren Frauen von Garde Douloureuse,« so war das Bild genannt, besonders Geweihte dargestellt. Jetzt von den andern abgesondert, allein und insgeheim, sank sie in der Tiefe ihres Schmerzes von der Blende ihrer Patronin nieder, erflehte den Schutz der ihr verwandten Göttlich-Reinen zur Verteidigung ihrer Freiheit und Ehre und rief sie um Rache an gegen den wilden, verräterischen Häuptling, der ihren Vater erschlagen hatte und jetzt ihre Feste belagerte. Sie gelobte nicht nur dem Heiligtum ihrer Beschützerin, deren Hilfe sie anflehte, ein reiches Geschenk an Ländereien, sondern selbst der Eid entfloh ihren Lippen (wiewohl sie bebten und etwas in diesem Gelübde ihr sich widersetzte), daß, welchen begünstigten Ritter unsere Frau von Garde Douloureuse auch zu ihrer Rettung brauchen möchte, dieser von ihr zum Lohn jeden Preis erhalten sollte, den sie nur mit Ehren reichen können, wäre es auch ihre jungfräuliche Hand am heiligen Altar. Durch die Beteuerungen so vieler Ritter, daß eine solche Hingabe der höchste Preis sei, welchen der Himmel verleihen könne, gewöhnt, solches auch zu glauben, schien es ihr, als entrichte sie eine Dankespflicht, wenn sie sich ganz der Willkür der reinen und gesegneten Schutzpatronin, auf deren Hilfe sie baute, hingab. Vielleicht lauerte in dieser Hingebung auch wohl eine irdische Hoffnung, deren sie sich kaum selbst bewußt war, was sie aber mit dem so ganz unbedingten Opfer versöhnte, welches sie freiwillig gebracht hatte. Die heilige Jungfrau, diese schmeichelnde Hoffnung mochte sich eingeschlichen haben, diese gütigste und wohlwollendste unter allen Patroninnen, werde mitleidig sich der Macht bedienen, die sich ihr überließ, und er werde der begünstigtste Marienritter sein, dem ihre Geweihte am willigsten ihre Gunst schenken werde. Doch es gab eine solche Hoffnung, wie denn oft etwas Selbstsüchtiges sich in unsre reinsten und edelsten Empfindungen mischt; unbewußt enstand solche Hoffnung in Evelinen; wenngleich sie in der Ueberzeugung des unbedingten Glaubens, auf das Bild ihrer Heiligen das Auge heftend, in welchem das dringendste Flehen, das demütigste Vertrauen mit unwillkürlichen Tränen kämpften, jetzt vielleicht schöner erschien als damals, da sie, als sie jung war, auserkoren wurde, den Preis der Ritterschaft in den Schranken von Chester zu verteilen. So war es kein Wunder, daß in einem solchen Augenblicke der höchsten Begeisterung, in Andacht hingeworfen vor einem Wesen, dessen Macht sie zu beschützen, und ihr diesen Schutz durch ein sichtbares Zeichen zu versichern, sie nicht bezweifelte, Lady Eveline sich wirklich einbildete, sie sähe mit ihren eigenen Augen die Annahme ihres Gelübdes. Als sie auf das Bild hinsah mit einem Auge, in Tränen gebadet, und einer durch Enthusiasmus erhitzten Einbildungskraft, schien sich der Ausdruck der groben Umrisse des griechischen Malers zu verändern; die Augen schienen beseelt zu werden und mit Blicken des Mitleids das Flehen der Gelobenden zu erwidern; der Mund gestaltete sich sichtbar zu einem unaussprechlich süßen Lächeln! ja es schien ihr sogar, als ob das Haupt sich freundlich neigte. Von übernatürlicher Scheu ergriffen bei einer Erscheinung, an deren Wahrheit ihr Glaube keinen Zweifel gestattete, kreuzte Lady Eveline die Arme über der Brust und warf sich mit der Stirn zur Erde, als die geziemendste Stellung, eine göttliche Mitteilung zu empfangen. Aber so weit erstreckte sich die Vision nicht – da war kein Ton, keine Stimme; und als sie nach einigen furchtsamen Blicken in der Kapelle umher, wieder zu dem Bilde unserer Frauen ihr Auge erhob, so schienen die Züge wieder genau die Gestalt angenommen zu haben, die der Maler ihnen gegeben hatte, ausgenommen, daß in Evelinens Einbildung sie noch immer einen erhabenen, selbst huldreichen Ausdruck behielten, den sie zuvor nie darin bemerkt hatte. Mit scheuer, fast zur Furcht gesteigerter Ehrerbietung, doch getröstet, und selbst durch die Erscheinung, deren sie gewürdigt worden war, erhoben, wiederholte die Jungfrau wieder und immer wieder die Gebete, welche sie dem Ohre ihrer Wohltäterin am angenehmsten erachtete; endlich stand sie auf, zog sich rückwärts zurück, wie aus der Gegenwart eines Herrschers, bis sie die äußere Kapelle erreicht hatte. Hier knieten noch einige Frauen vor den Heiligen, welche an den Wänden und in den Nischen zur Anbetung aufgestellt waren; aber die andern von den in Furcht gejagten Andächtigen, zu beunruhigt, ihre Gebete zu verlängern, hatten sich durch die Burg zerstreut, Kunde von ihren Angehörigen einzuziehen, sich einige Erfrischung oder wenigstens irgend einen Ruheplatz für sich und die ihrigen zu schaffen. Ihr Haupt beugend und ein Ave vor jedem Heiligen flüsternd, so wie sie an seinem Bild vorbeiging (denn drohende Gefahr macht aufmerksam auf die Pflichten der Andacht) hatte Lady Eveline fast die Tür der Kapelle erreicht, als ein Reisiger, wie er es zu sein schien, hastig hereintrat und mit einer lautern Stimme als sich für den heiligen Ort schickte, wenn nicht die dringendste Not es erheischte, nach Lady Evelinen fragte. Noch voll von den frommen Empfindungen, welche der letzte Auftritt in ihr erregt hatte, wollte sie ihm eben einen Verweis über seine militärische Rauheit geben, als er wieder sprach und zwar mit ängstlicher Eile: »Tochter, wir sind verraten!« – und wiewohl die Gestalt und die Rüstung, welche sie einhüllte, die eines Kriegers war, so war es doch nur die Stimme nach Pater Aldrovand, der, hitzig und ängstlich zugleich, seine eiserne Kopfbedeckung abriß und sein Angesicht zeigte. »Vater,« sagte sie, »was soll das? Habt Ihr das Vertrauen auf den Himmel vergessen, welches Ihr sonst zu empfehlen pflegt, daß Ihr andre Waffen tragt, als Euer Orden Euch anweist?« »Dahin kann es kommen in kurzem,« sagte Pater Aldrovand, »denn ich war eher Soldat als Mönch. Aber jetzt habe ich diesen Harnisch abgetan, Verräterei zu entdecken – nicht Gewalt mit Gewalt zu vertreiben. Ach! meine geliebte Tochter – wir sind traurig daran – Fremde draußen – Verräter drinnen! der falsche Flamländer Wilkin Flammock unterhandelt wegen Uebergabe der Burg.« »Wer wagt das zu sagen?« rief eine Verschleierte, welche unbemerkt in einem abgesonderten Winkel der Kapelle kniete, aber jäh aufsprang und kühn zwischen Eveline und den Mönch trat. »Mach Dich fort, Du naseweises Ding,« sagte der Mönch, erschrocken über die kühne Unterbrechung. »Es geht Dich nichts an!« »Aber es geht mich wohl an,« sagte das Mädchen, indem sie ihren Schleier wegwarf und das jugendliche Gesicht Roses zeigte, der Tochter des Wilkin Flammock. Ihre Augen blitzten, ihre Wangen glühten vor Zorn, dessen Heftigkeit einen sonderbaren Kontrast zu dem recht hübschen Gesicht und den fast noch kindischen Zügen der Redenden bildete, deren ganze Gestalt und Größe die eines Mädchens war, welches kaum der Kindheit erwachsen, deren sonstiges Benehmen ebenso anmutig und schüchtern war, als sie jetzt kühn, leidenschaftlich und unerschrocken sich zeigte. – »Geht es mich nicht an,« sagte sie, »daß meines Vaters ehrlicher Name mit Verrat befleckt wird? Geht es den Fluß nicht an, wenn seine Quelle getrübt ist? Es geht mich an, und ich will den Urheber dieser Verleumdung wissen.« »Mädchen,« sagte Eveline, »bezähme Deine unnütze Heftigkeit, der gute Pater kann doch nicht absichtlich Deinen Vater verleumden wollen, er spricht vielleicht, weil ihm falsch berichtet worden.« »So wahr ich ein unwürdiger Priester bin,« sagte der Pater, »ich spreche nach dem Bericht meiner eigenen Ohren. Bei dem Eide meines Ordens! Ich habe selbst gehört, wie dieser Wilkin Flammock mit dem Wälschmann gehandelt hat wegen der Uebergabe von Garde Douloureuse. Mit Hilfe dieser Halsberge und eisernen Kappe schaffte ich mir Zutritt zu der Unterredung, wobei er keine englischen Ohren vermutete. Zwar sprachen sie flamländisch zusammen, aber ich kenne jenes Kauderwelsch seit Alters her.« »Das Flämische,« sagte das zornige Mädchen, deren aufbrausende Heftigkeit sie antrieb, zuerst auf die letzte Beleidigung zu antworten, »ist kein Kauderwelsch, wie Euer buntscheckiges Englisch, halb normannisch, halb englisch, sondern eine edle gotische Sprache, gesprochen von den braven Kriegern, welche gegen die römischen Kaiser fochten, als die Britannier ihnen ihren Nacken beugten – und was er da sagt von Wilkin Flammock,« fuhr sie fort, als sie ihre Gedanken besser sammelte, »glaubt es nicht, meine teuerste Lady, sondern so wahr Euch die Ehre Eures edlen Vaters lieb ist, vertraut auf die Rechtlichkeit des meinigen wie aufs Evangelium!« Dieses sprach sie mit einem flehenden Tone, untermischt mit Schluchzen, als wollte ihr Herz brechen. Eveline gab sich Mühe, ihre Dienerin zu besänftigen, »Rose,« sagte sie, »in dieser bösen Zeit kann Verdacht auch den besten Mann treffen, und Mißverständnisse können unter den besten Freunden entstehen. Lasset uns hören, was der gute Pater gegen Deinen Vater vorzubringen hat. Fürchte nicht, daß wir nicht seine Verteidigung anhören werden, Du bist ja sonst gewohnt, ruhig und vernünftig zu sein.« »Dabei kann ich weder ruhig noch vernünftig sein,« sagte Rose mit verdoppeltem Unwillen, »und es ist nicht recht von Euch, Lady, daß Ihr auf die falschen Anklagen dieses hochehrwürdigen Vermummten hört, der weder ein rechter Geistlicher noch ein rechter Soldat ist. Aber ich will einen holen, der ihm vors Auge treten soll, sei er im Helm oder in der Kutte!« Mit diesen Worten verließ sie eilig die Kapelle, worauf der Mönch nach einigem pedantischen Hin- und Herreden die Lady Eveline mit dem bekannt machte, was er von der Verhandlung zwischen Jorworth und Wilkin angehört hatte. Er schlug vor, die wenigen Englischen, welche in der Burg waren, zusammenzuziehen und sich in dem innern viereckigen Turm festzusetzen: ein Werk, welches in den gotischen Festungen zur Zeit der Normannen so gelegen war, daß es noch einem bedeutenden Widerstand leisten konnte, wenn auch die äußern Werke der Burg, welche es beherrschte, schon in der Hand des Feindes waren. »Vater,« sagte Eveline, noch immer der Vision vertrauend, wovon sie Zeuge gewesen, »Das wäre ein guter Rat für die äußere Not, aber sonst hieße es nur, das Uebel hervorbringen, welches wir fürchten, die Garnison unter sich selbst uneins zu machen. Ich setze ein festes und nicht unverbürgtes Vertrauen, Vater, in unsere gesegnete Frau von Garde Douloureuse, sie wird uns zugleich Rache gegen unsre barbarischen Feinde und Rettung aus unserer gegenwärtigen Fährlichkeit erteilen. Ich rufe Euch zum Zeugen des Gelübdes, welches ich getan habe, daß demjenigen, welchen unsere Frau gebrauchen wird, uns Hilfe zu leisten, ich nichts verweigern wolle, wäre es meines Vaters Erbe und die Hand seiner Tochter.« »Ave Maria! Ave Regina Coeli!« rief der Priester aus, »auf keinen sichren Felsen konntet Ihr Euern Glauben bauen. Aber, Tochter,« fuhr er nach diesem geziemenden Stoßseufzer fort, »habt Ihr nie davon gehört, oder einen Wink erhalten, daß schon über Eure Hand zwischen unserm höchst verehrten Herrn, dessen wir so grausam beraubt worden sind, (Gott sei seiner Seele gnädig!) und dem großen Hause von Lacy eine Uebereinkunft abgeschlossen worden sei?« »Etwas mag ich wohl davon gehört haben,« sagte Eveline, die Augen niederschlagend, indem eine leichte Röte ihre Wangen überzog, »doch ich überlasse mich ganz der Bestimmung unserer Frau der Rettung und des Trostes.« Während sie sprach, trat Rose mit derselben Heftigkeit, mit welcher sie die Kapelle verlassen hatte, wieder ein, an der Hand ihren Vater führend, dessen schleppender, doch fester Schritt, nichtssagendes Gesicht und schwerfällige Haltung den strengsten Kontrast gegen die Schnelligkeit ihrer Bewegungen und die feurige Lebendigkeit ihres Eintrittes bildeten. Ihr Streben, ihn vorwärts zu ziehen, konnte den Zuschauer leicht an jene Monumente erinnern, auf welchen oft ein kleiner Cherub, seiner Aufgabe durchaus nicht gewachsen, dargestellt wird, wie er gleich zu dem Empyreon hinauf die fleischige Masse irgend eines gewichtigen Grabbewohners windet, deren unverhältnismäßige Schwere die wohlwollenden geistigen Anstrengungen des schwebenden Führers zu überwiegen droht. »Röschen, mein Kind, was betrübt Dich?« sagte der Niederländer, indem er der Gewalt seiner Tochter mit einem Lächeln nachgab, welches auf seinem Gesichte als Vater mehr Ausdruck und Gefühl verriet, als sonst auf seinen Lippen zu verweilen pflegte. »Hier steht mein Vater,« sagte das ungeduldige Mädchen, »jetzt beschuldige ihn des Verrates, wer es kann und wer es mag. Hier steht Wilkin Flammock, Sohn des Dieterick, des Kramers von Antwerpen. – Laß die ihn ins Angesicht anklagen, die ihn im Rücken beschimpften.« »Sprecht, Vater Aldrovand,« sagte Eveline, »wir sind noch jung in unserer Herrschaft, und ach! in böser Stunde ward uns dieses Amt auferlegt. Doch wir wollen, so möge Gott und unsere Frau uns helfen, mit all unserer Macht Eure Anklage hören und Urteil sprechen.« »Dieser Wilkin Flammock,« sagte der Mönch, »wie dreist er auch schon in der Bosheit geworden, wagt es nicht, zu leugnen, daß ich ihn mit meinen eigenen Ohren die Uebergabe des Schlosses habe verhandeln hören.« »Schlagt ihn nieder, Vater!« rief die empörte Rose. »Schlagt den Vermummten da! die stählerne Halsberge darf der Streich treffen, nicht des Mönchs Kittel. – Schlag ihn, oder laß ihn sagen, daß er schändlich lügt.« »Ruhig, Röschen, Du bist närrisch,« sagte ihr Vater ärgerlich, »in dem Mönch ist mehr Wahrheit als Vernunft, und ich wollte, seine Ohren wären weit weg gewesen, als er sie in Dinge steckte, die ihn nichts angingen.« Rosens Haltung sank zusammen, als sie hörte, daß ihr Vater ohne Umschweife die verräterische Handlung gestand, deren sie ihn unfähig gehalten hatte. Sie ließ die Hand sinken, mit welcher sie ihn in die Kapelle gezerrt hatte, und starrte Lady Eveline an, mit Augen, die aus ihren Höhlen hervorzutreten schienen, und einem Gesicht, aus welchem alles Blut, welches dasselbe eben so hoch rötete, in das Innerste ihres Herzens sich zurückgezogen hatte. Eveline sah auf den Angeklagten mit einem Gesichte, auf welchem Sanftmut und Würde sich mit Kummer mischte. »Wilkin,« sagte sie, »das hätte ich nicht geglaubt, wie? an dem Todestag des Dir vertrauenden Wohltäters selbst konntest Du Dich mit seinen Mördern einlassen, dieses Schloß zu übergeben und Deine Treue zu brechen? – Aber ich will Dir keine Vorwürfe machen. – Ich entsetze Dich des Amtes, welches einem so unwürdigen Manne anvertraut war, und weise Dich in Verwahrsam im westlichen Turm, bis Gott uns Erlösung sende. Alsdann kann es sein, daß Deiner Tochter Verdienste Dein Vergehen ausgleichen und Dich weiterer Strafe entziehen. – Laß unsere Befehle sogleich vollzogen sein!« »Ja – ja – ja!« rief Rose aus, ein Wort nach dem andern so schnell und heftig hervorstoßend, als es nur die Zunge vermochte. – »Laß uns gehen – laß uns gehen in den tiefsten Kerker – Finsternis schickt sich für uns besser als Licht.« Der Mönch dagegen, welcher bemerkte, daß der Flamländer keine Bewegung machte dem Verhaftungsbefehle zu folgen, trat vorwärts auf eine Art, die mehr seinem ehemaligen Stande und seiner jetzigen Verkleidung als seiner geistlichen Würde geziemte, und mit den Worten: »Ich verhafte Dich, Wilkin Flammock, wegen eingestandenen Verrats gegen Eure Lehnsherrin!« würde er Hand an ihn gelegt haben, wäre nicht der Flamländer zurückgetreten und hätte in einer drohenden und entschlossenen Stellung ihn zurückgewiesen mit den Worten: »Ihr seid toll – all Ihr Engländer seid toll, wenn es Vollmond ist, und mein albernes Mädchen da ist auch von der Krankheit angesteckt – Lady, Euer verehrter Vater trug mir das Amt auf, welches ich zum Besten aller Parteien auszuführen gesonnen bin, und Ihr als Unmündige könnt mich nicht nach bloßem Belieben davon absetzen. – Vater Aldrovand! ein Mönch kann nicht gesetzlich in Verhaft nehmen. – Tochter Röschen, sei Du stille und trockne Deine Augen; Du bist eine Närrin.« »Ich bin's – ich bin's,« sagte Rose, schnell ihre Augen trocknend und ihre Schnellkraft wiedergewinnend, – »ich bin in der Tat eine Närrin und schlimmer als das, da ich einen Augenblick an meines Vaters Rechtlichkeit zweifeln konnte. – Traut ihm, teuerste Lady, er ist weise, obgleich etwas schwerfällig; er ist freundlich, wiewohl geradezu und ungebildet im Sprechen. Sollte er falsch sein, so wird er am schlimmsten dabei fahren, – dann stürze ich mich von der höchsten Spitze des Wachturmes in den Graben, und er soll seine eigene Tochter verlieren, wenn er die seines Herrn verrät.« »Das ist alles Wahnsinn,« sagte der Mönch. »Wer traut überwiesenen Verrätern? – Hierher, Normann, Engländer, zum Beistand Eurer Lehnsherrin! – Bogen und Aexte – Bogen und Aexte!« »Spart doch Eure Kehle für die nächste Predigt, guter Vater!« sagte der Niederländer, »oder Ihr müßt auf gut Flämisch rufen, da Ihr es ja versteht, denn auf keine andere Sprache werden die da in der Nähe antworten.« Er näherte sich darauf der Lady Eveline mit einer wahren oder angenommenen plumpen Freundlichkeit, und einem Benehmen, das der Höflichkeit so nahe kam, als seine Züge und Manieren nur vermochten. Er wünschte ihr gute Nacht, und mit der Versicherung, daß er schon alles aufs beste machen würde, verließ er die Kapelle. Der Mönch wollte von neuem in Schelten ausbrechen, aber Eveline, klüger als er, tat seinem Eifer Einhalt. »Ich kann nicht anders,« sagte sie, »als hoffen, daß dieses Mannes Absichten rechtlich sind.« »Nun, Gottes Segen über Euch, Lady, allein für dieses Wort!« sagte Rose, sie feurig unterbrechend und ihre Hand küssend. »Aber sollten die Absichten trotzdem verdächtig sein,« fuhr Eveline fort, »so werden wir ihn nicht durch Vorwürfe zu einem bessern Entschluß bringen. Guter Vater! habt ein wachsames Auge auf die Vorbereitungen zum Widerstande und seht darauf, daß nichts vergessen werde, was unsere Kräfte zur Verteidigung der Burg erlauben!« »Fürchte nicht, meine teure Tochter,« sagte Aldrovand, »es gibt noch immer unter uns englische Herzen, und wir wollen eher diese Flamländer totschlagen und aufessen, als die Burg übergeben.« »Das Futter wäre gefährlicher zu erlangen als Bärenwildbret,« antwortete Rose bitter, noch immer in Hitze darüber, daß der Mönch ihre Nation mit Argwohn und Schimpf behandelte. Jetzt trennte sich alles. Die Frauen gingen, ihrer geheimen Sorge und Furcht nachzuhängen, oder sie in stiller Andacht zu erleichtern; der Mönch, die wahren Absichten Wilkin Flammocks zu ergründen, und wenn sie Verrat anzeigen sollten, ihnen womöglich entgegenzuhandeln. Aber obwohl sein Auge durch einen starken Argwohn geschärft war, so sah es doch nichts, was seine Furcht verstärken konnte, außer daß der Flamländer mit großer militärischer Einsicht die Hauptposten der Burg seinen eigenen Landsleuten übergeben hatte; weshalb ein jeder Versuch, ihn seiner gegenwärtigen Macht zu berauben, schwer und gefährlich gewesen sein würde. Endlich zog sich der Mönch zurück, weil sein Amt ihn rief, den Abendgottesdienst zu halten, doch mit dem Vorsatz, morgen, mit Anbruch des Tages, wieder da zu sein. Siebentes Kapitel Treu seinem Entschlüsse und, um nicht Zeit zu verlieren, seinen Rosenkranz im Gehen betend, begann Aldrovand seine Runde in der Burg, sobald der erste Schimmer des Tageslichtes am östlichen Horizont sich zeigte. – Ein natürlicher Instinkt führte ihn zuerst zu den Ställen, welche, wäre die Festung hinlänglich für eine Belagerung verproviantiert worden, mit Vieh hätten gefüllt sein sollen. Und wie groß war sein Erstaunen, als er mehr wie zwanzig fette Kühe und junge Ochsen an dem Platze fand, der in der vorigen Nacht ganz leer war. Eins dieser Tiere war bereits zur Schlachtbank abgeführt, und einige Flamländer, welche bei dieser Gelegenheit die Schlächter spielten, waren beschäftigt, für den Koch das Tier zu zerlegen. Der gute Pater war nahe daran, laut Wunder umher zu schreien; aber um nicht voreilig zu sein, schränkte er sein Entzücken auf einen stillen Ausruf ein zum Preise unserer Frauen von Garde Douloureuse. »Wer spricht von Mangel an Vorrat? – Wer spricht jetzt von Uebergabe?« sagte er, – »Hier ist genug, uns zu halten, bis Hugo de Lacy anlangt, und sollte er auch von Cypern herbeisegeln, uns zu befreien. Ich nahm mir vor, diesen Morgen zu fasten, sowohl um Lebensmittel zu sparen als aus Andacht; aber der Segen der Heiligen soll nicht verschmäht werden.– Herr Koch, laßt mir ein tüchtiges Stück gekochtes Rindfleisch zukommen; laßt den Bäcker mir ein Semmelbrot und den Kellerer mir ein Glas Wein schicken. Ich will im Herumgehen ein Frühstück auf den Zinnen zu mir nehmen.« An diesem Orte, welcher ungezweifelt der schlechteste Punkt von Garde Douloureuse war, fand der gute Vater nun Wilkin Flammock, der recht angelegentlich hier die notwendigsten Verteidigungsanstalten übersah. Er grüßte ihn höflich, wünschte ihm Glück zu dem Vorrat an Lebensmitteln, womit die Burg während der Nacht versehen worden war, und fragte nach, wie es möglich gewesen sei, sie so glücklich mitten durch die wälschen Belagerer hereinzubringen, als Wilkin ihn unterbrach: »Von allem diesen ein andermal, Vater, ein andermal. Jetzt aber wünsche ich, ehe wir etwas anders reden, Dich über eine Sache zu fragen, die mein Gewissen drückt und zugleich gar sehr mein irdisches Wohl betrifft.« »Sag an, mein vortrefflicher Sohn!« sagte der Pater, welcher hoffte, so den Schlüssel zu Wilkins wahren Gesinnungen zu erhalten, »O, ein zartes Gewissen ist ein Juwel und dem, welcher nicht darauf hören will, wenn gesagt wird: »Schütte aus Deine Zweifel in das Ohr des Priesters!« wird dereinst sein schmerzliches Angstgeschrei Feuer und Schwefel ersticken. Du hattest immer ein zartes Gewissen, Sohn Wilkin, obwohl Dein Benehmen rauh und gemein ist,« »Nun gut denn,« sagte Wilkin, »Ihr müßt wissen, guter Vater, ich habe da ein Geschäft gehabt mit meinem Nachbarn, Jan Vanwelt, meine Tochter Rose betreffend, und er hat mir einige Gulden gezahlt unter der Bedingung, daß ich sie ihm zur Frau gebe.« »Pah, pah, mein guter Sohn,« sagte der getäuschte Beichtvater, »der Spaß kann beiseite gelegt werden. Jetzt ist nicht Zeit, zu freien oder freien Zu lassen, wenn wir alle in Gefahr sind, ermordet zu werden.« »Gut, aber doch hört mich an, guter Vater,« sagte der Flamländer, »diese Gewissenssache betrifft den gegenwärtigen Fall mehr, als Ihr glaubt, Ihr müßt wissen, ich habe gar nicht Lust, Rose diesem Vanwelt zu geben, der alt und von kränklicher Konstitution ist, und nun wollte ich von Euch wissen, ob ich gewissenhaft meine Einwilligung verweigern kann.« »Wahrlich,« sagte Aldrovand, »Rose ist ein nettes Mädchen, wiewohl etwas zu heftig, und ich denke. Ihr könnt mit allen Ehren Eure Einwilligung zurücknehmen, aber in alle Wege nur, wenn Ihr die Gulden zurückzahlt, die Ihr empfangen habt.« »Aber da liegt eben die Klemme, guter Vater,« sagte der Flamländer, »die Zurückzahlung dieses Geldes wird mich in die größte Armut stürzen. Die Walliser haben meinen Wohlstand zerstört, und diese Handvoll Geld ist alles, Gott helf mir! womit ich mein Leben von neuem anfangen muß.« »Nichtsdestoweniger, Sohn Wilkin,« sagte Aldrovand, »Du mußt Dein Wort halten, – denn was sagt die Schrift? Quis habitatit in tabernacolo, quis requiescet in monte sancto? – Zu, zu, mein Sohn! brich nicht Dein verpfändetes Wort eines kleinen schmutzigen Gewinnes wegen. Besser ist ein leerer Magen und ein hungriges Herz mit einem reinen Gewissen, als ein fetter Ochs mit Ungerechtigkeit und Wortbruch. – Sahst Du nicht unsern verstorbenen edlen Herrn – (Seiner Seele gehe es ewig wohl!) – welcher lieber den Tod wählte im ungleichen Kampf, wie ein wackrer Ritter ihn einem Leben als Meineidiger vorzog, obgleich er nur ein rasches Wort zu einem Wälschen bei der Weinflasche gesprochen hatte.« »Ach, das ist's,« sagte der Flamländer, »das habe ich eben gefürchtet. So müssen wir also das Schloß übergeben oder dem Wälschmann Jorworth das Vieh zurückstellen, vermittels dessen ich mir das Plänchen gemacht hatte, das Schloß zu verproviantieren und zu verteidigen.« »Wie? Weshalb? Was meinst Du?« rief der Mönch voll Erstaunen. »Ich spreche mit Dir von Rose Flammock und Jan Van – Teufel, oder wie Ihr ihn da nennt, und Du erwiderst mir ein Geschwätz von Vieh und Feste [die Alliteration Annäherung zu dem englischen Wortspiel cattle und castle] und ich weiß nicht was.« »Mit Eurer Erlaubnis, heiliger Vater! Ich sprach nur in Parabeln. Diese Burg war die Tochter, deren Uebergabe ich versprochen hatte – der Walliser ist Jan Vanwelt – und die Gulden waren das Vieh, das er hereingeschickt hat, vor der Hand als Zahlung auf Abschlag meines Lohnes.« »Parabeln!« sagte der Mönch, rot vor Aerger über den ihm gespielten Streich. »Was hat ein Bauer, wie Du, mit Parabeln zu tun? – doch ich verzeih Dir – ich verzeih Dir.« »So muß ich also dem Walliser das Schloß übergeben oder ihm sein Vieh zurückschicken?« »Eher übergib Deine Seele dem Satan,« erwiderte der Mönch. »Ich fürchte doch, eins von beiden wird sein müssen,« sagte der Flamländer. »Nach dem Beispiele Deines hochverehrten Herrn –« »Das Beispiel eines hochverehrten Narren« – antwortete der Mönch, doch fügte er auf der Stelle hinzu: »Unsere Frau sei mit ihrem Knechte! Dieser Bauer mit dem holländischen Gehirn macht, daß ich alles vergesse, was ich sagen will.« »Ja, und dann die heilige Schrift, welche Euer Hochwürden mir angeführt haben,« – fuhr der Flamländer fort. »So geh doch,« sagte der Mönch, »was bildest Du Dir ein, über die heilige Schrift nachdenken zu können? – Weißt Du nicht, daß der Buchstabe der Schrift tötet, aber die Deutung macht lebendig. – Bist Du nicht dem gleich, der zu einem Arzte kommt, aber ihm die Hälfte der Symptome der Krankheit verschweigt? – Ich sage Dir, Du närrischer Flamländer, die Schrift redet nur von Versprechungen unter Christen, und in den Rubriken [Lat. rubrica heißen die Anweisungen, besonders in den liturgischen Büchern, die ursprünglich mit roter Tinte bezeichnet waren.] befindet sich eine ganz eigene Ausnahme für die Versprechungen, die den Wälschen geleistet werden.« Bei diesen Worten grinste der Flamländer mit so offenem Munde, daß er seinen ganzen Kasten voll breiter, starker, weißer Zähne zeigte. Auch Pater Aldrovand grinste aus Sympathie mit, und fuhr dann fort: »Kommt, kommt, ich sehe schon, wie es steht. Du hast Dir eine kleine Rache ersonnen, weil ich Deine Treue bezweifelte, und wahrlich! Du hast das witzig genug gemacht. Aber warum hast Du mich nicht gleich ins Geheimnis gezogen? Ich sag's Dir, ich hatte bösen Argwohn gegen Dich.« »Wie?« sagte der Flamländer, »war es möglich, daß ich daran denken konnte, Ew. Hochwürden in ein kleines Stück von Betrug zu verwickeln? Dazu hat mir wahrlich der Himmel zu viel Sitten und Anstand gegeben, – Horch! ich höre Jorworths Horn am Tore!« – »Er bläst wie ein städtischer Schweinhirt!« sagte Aldrovand verächtlich. »Also Ew. Hochwürden befehlen nicht, daß ich ihm das Vieh zurückgebe?« sagte Flammock. »Ja, so ungefähr. Ich bitte Dich, schicke ihm geradewegs über die Mauern einen solchen Zuber siedendes Wasser, daß es seinem Ziegenfellmann die Haare abbrüht. Und höre Du, versuche Du zuerst die Temperatur des Kessels mit Deinem Zeigefinger, und das soll Deine Buße für den Streich sein, den Du mir gespielt hast.« Der Flamländer antwortete wieder mit einem breiten Grinsen, und sie begaben sich nach dem äußern Tore, dem sich Jorworth allein genähert hatte, Wilkin Flammock stellte sich an das Pförtchen, welches er jedoch sorgfältig verriegelt hielt, und durch eine kleine Oeffnung sprechend, welche zu solchem Behufe sich dort befand, fragte er den Walliser, was sein Begehren sei? »Deinem Versprechen gemäß, die Uebergabe der Burg zu fordern,« sagte Jorworth. »Ei, und zu solchem Geschäfte bist Du ganz allein gekommen?« sagte Wilkin. »Nein, wahrlich nicht,« sagte Jorworth, »ich habe einige Dutzend Mann hinter jene Büsche versteckt.« »Dann tust Du am besten, sie schnell abzuführen,« antwortete Wilkin, »ehe unsere Schützen ein Bündel Pfeile unter sie schicken.« »Wie, Schurke, denkst Du nicht, Dein Versprechen zu halten?« sagte der Walliser. »Ich gab Dir keines,« sagte der Flamländer, »ich versprach Dir bloß, das zu erwägen, was Du sagtest. Das habe ich getan, habe mich auch mit meinem Beichtvater beraten, und der will schlechterdings nichts davon hören, daß ich Deine Vorschläge eingehe.« »Und Du willst,« sagte Jorworth, »das Vieh behalten, welches ich so ehrlich auf den Glauben an unsere Abmachung in die Burg schickte?« »Ich will ihn in den Bann tun und dem Satan übergeben,« sagte der Mönch, der die phlegmatische, zögernde Antwort des Flamländers nicht abwarten konnte, »wenn er nur ein Horn, Klaue oder Haar von ihnen einem solchen unbeschnittenen Philister überantwortet, als Du und Dein Herr es sind.« »Schon gut, Du geschorener Pfaffe,« antwortete Jorworth im höchsten Zorn. »Aber versteh mich, hoffe nicht, daß Deine Kutte Dich auslösen soll. Wenn Gwenwyn diese Burg eingenommen hat, die nicht lange ein solches Paar treuloser Verräter beschützen wird, so will ich sehen, wie ein jeder von Euch, eingenäht in die Haut einer dieser Kühe, derentwillen Euer Beichtkind meineidig geworden ist, dahin geworfen wird, wo Wolf und Adler Eure einzige Gesellschaft sein werden,« »Du magst Deinen Willen ins Werk setzen, wenn Deine Macht ihm gleich kommt,« erwiderte gelassen der Niederländer. »Falscher Wälscher, wir trotzen Dir in Deine Zähne!« antwortete in einem Atem mit ihm der reizbare Mönch. »Ich hoffe, es noch zu sehen, daß die Hunde eher an Deinen Gliedern nagen, bevor der Tag kommt, von welchem Du prahlerisch sprichst.« Beiden zugleich Antwort zu erteilen, zog Jorworth den Arm mit seinem eingelegten Wurfspieß zurück, und den Schaft schüttelnd, bis er eine schwingende Bewegung erhielt, schleuderte er ihn mit gleicher Kraft und Gewandtheit gegen die Oeffnung in dem Pförtchen. Er zischte durch die Oeffnung, auf welche er gezielt ward, und flog, wiewohl unschädlich, zwischen den Köpfen des Mönchs und des Flamländers hindurch. Der erste fuhr zurück, während der andere mit einem Blick auf den Wurfspieß, der in der Tür der Wachstube noch zitternd steckte, sagte: »Das war gut gezielt und glücklich gefehlt.« Jorworth eilte, sobald er seinen Spieß geworfen hatte, zu seinem Hinterhalt, und gab seinen Mannen Zeichen und Beispiel zu einem schnellen Rückzug, den Hügel hinab. Pater Aldrovand wollte ihnen gern einen Pfeilregen nachschicken lassen, aber der Flamländer bemerkte, daß ihre Munition zu kostbar sei, um sie an wenige Flüchtlinge zu verschwenden. Vielleicht erinnerte er sich, daß sie einigermaßen auf sein Wort hin in die Gefahr einer solchen Begrüßung geraten waren. Als das Geräusch des eiligen Rückzugs Jorworths und seiner Gefährten sich ganz verloren hatte, folgte eine Totenstille, wohl übereinstimmend mit der Kühle und Ruhe einer frühen Morgenstunde. »Das wird nicht lange dauern,« sagte Wilkin in einem Tone ahnungsvollen Ernstes, welcher in des Paters Brust ein Echo fand. »Es wird nicht und kann nicht,« antwortete Aldrovand, »wir müssen einen wilden Angriff erwarten, den ich weniger achten würde, wäre nicht ihre Zahl so groß und die unsrige klein, die Ausdehnung der Mauern so beträchtlich und die Hartnäckigkeit dieser wälschen Teufel fast ihrer Wut gleich. Aber wir wollen unser Bestes tun. Ich eile zur Lady Eveline – sie muß sich selbst auf den Zinnen zeigen. Sie ist schöner, als einem Manne meines Standes geziemt, davon zu sprechen, und sie hat daneben einen Anhauch von ihres Vaters stolzem Geist. Blick und Wort einer solchen Frau gibt einem Manne doppelte Kraft in der Stunde der Not.« »Das kann wohl sein,« sagte der Flamländer, »aber ich will doch gehen und sehen, daß das gute Frühstück, welches ich bestellt habe, jetzt aufgetragen werde; meinen Flamländern wird das mehr Kraft geben als der Anblick der zehntausend Jungfrauen – möge ihre Hilfe um und bei uns sein! – wären sie alle auf freiem Felde aufgestellt.« Achtes Kapitel Die Morgensonne hatte kaum ihre Strahlen gänzlich verbreitet, als Eveline Berenger, den Rat ihres Beichtigers befolgend, ihre Runde auf den Mauern und Zinnen der belagerten Burg begann, um durch ihre persönlichen Aufmunterungen den Sinn der Tapfern zu stärken und die Furchtsamen zur Hoffnung und Anstrengung zu erheben. Sie trug einen reichen Halsschmuck und Armbänder, Zierden, welche ihren hohen Rang und ihre Abkunft anzeigten; ihre Tunika, nach der Sitte der Zeit, zog sich um ihren schlanken Leib durch einen Gürtel zusammen, der mit Edelsteinen besetzt und durch eine große goldene Schnalle befestigt war. Auf der einen Seite des Gürtels hing eine Tasche oder Beutel, prächtig geziert mit Stickerei; auf der andern Seite trug sie einen kleinen Dolch von auserlesener Arbeit. Ein Mantel von dunkler Farbe, als ein Sinnbild ihres umwölkten Geschickes gewählt, floß lose um sie her, und die Kappe, davon herübergezogen, beschattete zwar, aber verdeckte nicht ihr schönes Antlitz. Ihre Augen hatten zwar den hohen und begeisterten Ausdruck verloren, den die geglaubte Offenbarung ihnen gegeben hatte, aber sie hatten einen sorgenvollen und milden, doch entschlossenen Charakter. Und in ihren Anreden an die Krieger war eine Mischung von Drohungen und Befehl, jetzt sich in ihren Schutz werfend, jetzt ihre Hilfe als den gebührenden Tribut ihrer Lehnspflicht fordernd. Die Garnison war, mit militärischer Einsicht, in verschiedenen Haufen auf den Punkten verteilt, die sich am besten zum Angriff eigneten, oder von welchen dem angreifenden Feinde am meisten geschadet werden konnte. Und gerade diese unvermeidliche Zertrennung ihrer Macht in kleine Abteilungen war es, welche die Ausdehnung der Mauer im Vergleich mit der Zahl ihrer Verteidiger in ein so nachteiliges Licht setzte. Wiewohl nun Wilkin Flammock mancherlei Mittel ersonnen hatte, diesen Mangel an Macht dem Feinde zu verbergen, so konnte er doch die Verteidiger der Burg damit nicht täuschen, welche traurige Blicke auf die langen Zinnen hinabwarfen, die, einige Schildwachen ausgenommen, unbesetzt blieben, und dann auf das unglückliche Schlachtfeld, angefüllt mit den Leichnamen derer, welche ihre Kameraden in dieser Stunde der Gefahr hätten sein sollen. Evelinens Gegenwart trug viel dazu bei, die Besatzung aus dieser niedergeschlagenen Stimmung zu erwecken. Von Posten zu Posten, von Turm zu Turm der alten Feste glitt sie dahin, wie ein Lichtstrahl über die von Wolken beschattete Landschaft, der, sie nach und nach auf verschiedenen Strichen berührend, sie in ihrer Schönheit und wahren Gestalt hervortreten läßt. Sorgen und Furcht machen oft die Leidenden beredt. Sie führte gegen jede der verschiedenen Nationen, aus welchen die kleine Garnison zusammengesetzt war, die ihnen angemessene Sprache. Zu den Engländern sprach sie als Kindern des Bodens – zu den Flamländern als Männern, welche durch Gastfreiheit Angebürgerte geworden waren – zu den Normännern als Abkömmlingen des siegreichen Stammes, dessen Schwert sie zu Edlen und Oberherrn jedes Landes gemacht hatte, wo seine Schärfe verursacht worden war. Gegen sie brauchte sie die Sprache des Rittertums, nach dessen Gesetzen der kleinste von dieser Nation seine Handlungen regelte oder zu regeln sich stellte. Die Engländer erinnerte sie an die feste Treue und Redlichkeit ihres Herzens; zu den Flamländern sprach sie von der Zerstörung ihres Besitztums, den Früchten ihrer ehrbaren Betriebsamkeit. Alle munterte sie auf, den Tod ihres Führers und seiner Getreuen zu rächen – allen empfahl sie Vertrauen auf Gott und unsere Frau von Garde Douloureuse; und sie wagte es, allen die Versicherung zu geben, daß starke und siegreiche Scharen schon zu ihrem Entsatze herbeirückten. »Werden die wackern Kreuzesritter,« sagte sie, »daran denken, ihr Vaterland zu verlassen, während die Wehklagen der Weiber und Waisen sie erfüllen? Das hieße ihren frommen Vorsatz in eine Todsünde verwandeln, und verunglimpfen den hohen Ruhm, den sie so herrlich gewonnen. – Ja, fechtet brav, und vielleicht, ehe eben diese Sonne, welche jetzt langsam emporsteigt, ins Meer sinkt, werdet Ihr ihre Strahlen von Shrewsbury und Chester leuchten sehen. – Wann wartete der Walliser es ab, den Klang ihrer Trompeten, das Rauschen ihrer seidenen Banner zu hören? – Fechtet tapfer – fechtet rühmlich, nur eine Weile. – Unser Schloß ist fest – unsere Munition im Ueberfluß – Eure Herzen sind gut – Eure Arme kraftvoll – Gott ist uns nahe – und unsere Freunde sind nicht fern! So fechtet denn im Namen von allem, was gut und heilig ist. – Fechtet für Euch selbst, für Eure Weiber, für Eure Kinder, für Euer Eigentum – und ach! fechtet für eine verwaiste Jungfrau, welche keine andern Verteidiger hat, als die, welche die Mitempfindung ihres Kummers, die Erinnerung an ihren Vater, in Euch erwecken kann!« – Solche Reden machten einen gewaltigen Eindruck auf die Männer, an welche sie gerichtet waren, welche ohnedies durch Gewohnheit und Sinnesart gegen das Gefühl der Gefahr abgehärtet waren. Die ritterhaften Normannen schworen auf das Kreuz ihres Schwertes, bis auf den letzten Mann zu streiten, ehe sie ihren Posten übergäben. – Die derberen Angelsachsen schrien: »Schande über den, welcher ein solches Lamm, wie Eveline, den wälschen Wölfen überlassen wollte, so lange er seinen Körper zu ihrem Bollwerk machen kann!« – Selbst die kalten Flamländer fingen einen Funken von dem Enthusiasmus auf, der die andern belebte, und flüsterten sich einander Lobsprüche über der jungen Lady Schönheit zu, und kurze aber redliche Entschlüsse, ihre Verteidigung aufs beste zu bewirken. Rose Flammock, welche ihre Lady mit einigen Dienerinnen auf ihrer Runde begleitete, schien aus dem überreizten Zustande, in welchen sie der Verdacht gegen ihres Vaters Charakter gestürzt, in den milderen eines furchtsamen Mädchens zurückgekehrt zu sein. Sie trippelte dicht, aber ehrfurchtsvoll hinter Evelinen her und horchte auf alles, was sie von Zeit zu Zeit sagte, mit jener Achtung und Bewunderung, mit der ein Kind auf seinen Aufseher horcht, indem bloß ihr feuchtes Auge ausdrückte, wie sie die Größe der Gefahr und die Kraft der Ermahnungen fühlte. Doch gab es einen Augenblick, in welchem des jungen Mädchens Auge glänzender, ihr Schritt zuversichtlicher, ihre Blicke stolzer wurden. Dies geschah, als sie sich der Stelle näherten, wo ihr Vater, nachdem er den Pflichten eines Befehlshabers Genüge geleistet, jetzt die eines Ingenieurs erfüllte, und große Geschicklichkeit sowohl als wundervolle persönliche Stärke entwickelte bei der Aufstellung und Richtung einer gewaltigen Steinschleuder auf einer Stelle, welche ein sehr ausgesetztes Tor beherrschte, das von der westlichen Seite der Burg in die Ebene führte, und wo natürlich ein ernstlicher Angriff zu erwarten war. Der größte Teil seiner Rüstung lag ihm zur Seite, aber bedeckt von seinem Rocke, um sie vor dem Morgentau zu schützen, während er in seinem ledernen Wams, mit den Armen entblößt bis zu den Schultern, und einen ungeheuren Schmiedehammer in der Hand, den Handwerkern, welche nach seiner Anordnung arbeiteten, ein treffliches Beispiel gab. Bei langsamen und ernsten Naturen findet man gewöhnlich einen Anflug von Blödigkeit und Empfindlichkeit bei der Verletzung kleiner Sitten. Wilkin Flammock war fast bis zur Unempfindlichkeit ruhig gewesen bei der kürzlich ihm widerfahrenen Beschuldigung des Verrates; aber er wurde rot und ward verlegen, während er schnell seinen Rock über sich warf und sich bemühte, die nachlässige Kleidung zu verbergen, in welcher Lady Eveline ihn überraschte. Nicht so seine Tochter. Stolz auf ihres Vaters Eifer, strahlte ihr Auge von ihm zu ihrer Herrin mit einem Blick voll Triumph, welcher zu sagen schien: »Und dieser treue Diener ist der, welchen man des Verrats verdächtig hielt!« Eveline machte sich in ihrem eigenen Herzen denselben Vorwurf, und sorglich bemüht, den einen Augenblick gehegten Zweifel an seiner Treue wieder gut zu machen, bot sie ihm einen Ring von Wert an: »eine kleine Buße,« sagte sie, »für ein Mißverständnis eines Augenblicks.« »Das ist nicht nötig,« sagte Flammock mit seiner gewöhnlichen Derbheit, »es müßte mir denn erlaubt sein, meinem Mädel den Flitter zu geben, denn ich denke, sie hat sich genug über das betrübt, was mich wenig rührte. – Und weshalb sollte es auch?« »Gebiete darüber, wie Du willst,« sagte Eveline; »der Stein darin ist so echt wie Deine Treue.« Eveline schwieg, und den Blick auf die weit ausgedehnte Ebene zwischen der Burg und dem Strome richtend, machte sie die Bemerkung, wie schweigend und still der Morgen über dem Schauplatz aufgehe, der kurz zuvor weit und breit mit Moor erfüllt gewesen wäre. »So wird es nicht lange bleiben,« antwortete Flammock, »wir werden Lärm genug haben, und das näher unsern Ohren als gestern.« »In welcher Gegend liegt der Feind?« sagte Eveline; »mich dünkt, ich kann weder Zelte noch Pavillons gewahr werden.« »Sie brauchen keine, Lady,« antwortete Wilkin Flammock, »der Himmel hat ihnen die Gnade und das Wissen versagt, genug Linnen zu solchem Behufe zu weben. – Dort liegen sie auf beiden Seiten des Flusses, nur mit ihren weißen Mänteln bedeckt. Sollte man denken, daß eine Schar von Dieben und Halsabschneidern dem lieblichsten Dinge in der Natur so ähnlich sehen könnte – einer schön bedeckten Bleiche? – Horch! horch! die Wespen beginnen zu summen; bald werden sie ihren Stachel ausrecken.« In der Tat hörte man in dem wälschen Heere ein leises und undeutliches Murmeln, wie Bienen aufgeregt im Stock sich waffnen. Entsetzt über den hohlen drohenden Ton, welcher mit jedem Augenblicke lauter wurde, hängte sich Rose, die alle Reizbarkeit eines gefühlvollen Temperaments besaß, in ihres Vaters Arm und flüsterte erschrocken: »Es gleicht dem Getöse des Meeres, die Nacht vor der großen Überschwemmung.« »Und es zeigt rauhes Wetter an, daß die Frauen nicht draußen bleiben können,« sagte Flammock. »Geht in Euer Zimmer, Lady Eveline! wenn es Euch gefällig ist – und auch Du gehe, Röschen – Gott sei mit Dir – Ihr macht nur, daß wir hier faul sind.« Und Eveline, sich bewußt, daß sie alles getan hatte, was ihr oblag, und voll Furcht, der kalte Schauer, der ihr Herz überlief, könnte auch andere anstecken, befolgte ihres Vasallen Rat und zog sich langsam nach ihrem Gemach zurück, oft ihre Augen auf den Platz zurückwerfend, wo die Walliser jetzt hervortraten und unter Waffen ihre Schlachthaufen vorrückten, gleich den Wogen der herannahenden Flut. Der Fürst von Powys hatte mit großer Kriegskenntnis einen Plan zum Angriff entworfen, der dem feurigen Geiste seiner Krieger am angemessensten war, und gedachte, die schwache Besatzung auf jedem Punkte zu beruhigen. Die drei Seiten der Burg, welche der Strom verteidigte, wurden von einer zahlreichen Schar Briten beobachtet, die Befehl hatten, sich nur auf den Gebrauch ihres Bogens zu beschränken, bis daß ein günstiger Augenblick zum nähern Angriff sich darbieten würde. Aber der bei weitem größere Teil von Gwenwyns Macht, aus drei sehr starken Kolonnen bestehend, rückte längs der Ebene auf die Westseite der Burg an und bedrohte mit einem verzweifelten Sturm die Mauern, welche auf dieser Seite des Schutzes vom Flusse beraubt worden waren. Die erste dieser furchtbaren Massen bestand einzig aus Bogenschützen, welche sich dicht vor dem belagerten Platze zerstreuten, und jeden Busch oder jede Erhöhung des Bodens, die sie decken konnte, benützten; dann spannten sie ihre Bogen und sandten einen Regenschauer von Pfeilen auf die Zinnen und Schießscharten, obgleich sie bei weitem mehr Schaden erlitten, als anrichteten, da die Besatzung in verhältnismäßig größerer Sicherheit und ruhigerer Ueberlegung ihre Schüsse erwiderte. Indessen versuchten, unter der Bedeckung ihrer Pfeile, zwei andere sehr starke Korps, die äußersten Werke der Burg mit Sturm wegzunehmen. Sie führten Aexte mit sich, die Palissaden, damals Barrieren genannt, zu zerstören, Reisigbündel, die äußern Graben auszufüllen, Fackeln, alles Brennbare, worauf sie stießen, in Feuer zu setzen, und vor allem Leitern, die Mauern zu besteigen. Diese Abteilungen stürzten mit einer unglaublichen Wut gegen den Angriffspunkt, trotz des hartnäckigen Widerstandes und trotz des großen Verlustes, den sie durch Wurfgeschütze aller Art erlitten; sie setzten den Sturm fast eine ganze Stunde fort, durch Verstärkungen unterstützt, die mehr als hinlänglich waren, ihre verminderte Anzahl zu ersetzen. Als sie endlich zum Rückzug gezwungen waren, schienen sie eine neue und doch mehr ermüdende Art von Angriff zu erwählen. Ein starkes Korps stürzte auf einen besonders ausgesetzten Punkt der Festung mit solcher Wut, daß so viele von den Belagerten, als an andern Orten gespart werden konnten, hierher gezogen werden mußten; sobald sich nun aber eine andere Stelle schwächer bemannt zeigte, als zu ihrer Verteidigung nötig war, so kam an diese die Reihe, wütend von einem besondern Korps angefallen zu werden. So glichen die Verteidiger von Garde Douloureuse dem verlegenen Reisenden, welcher bemüht ist, einen Schwarm von Hornissen zu verjagen, der, wenn er ihn von einer Seite hinwegtreibt, sich auf einer andern haufenweise fortsetzt, und ihn durch ihre Anzahl, Kühnheit und vervielfachten Angriffe in Verzweiflung bringt. Da das äußere Tor demzufolge der hauptsächlichste Angriffspunkt und der Gefahr am meisten ausgesetzt war, begab sich Pater Aldrovand, dessen Besorgnis ihm nicht gestattete, von den Mauern entfernt zu bleiben, und welcher, wo es nur die Schicklichkeit erlaubte, an der Verteidigung tätigen Anteil nahm, dorthin. Hier fand er den Flamländer gleich einem zweiten Ajax, gräßlich mit Staub und Blut bedeckt, mit eigener Hand die große Maschine dirigierend, welche er kurz zuvor aufrichten half, indem er zugleich ein wachsames Auge auf alles Erforderliche umher warf. »Was denkst Du von dem heutigen Tagewerk?« fragte flüsternd der Mönch. »Was nützte es, darüber zu schwatzen,« entgegnete Wilkin, »Ihr seid kein Kriegsmann und ich habe nicht Zeit zu Worten.« »Nicht doch! Schöpfe einmal Atem!« sagte der Mönch und schlug die Aermel seines Rockes in die Höhe; »ich will versuchen, Dir etwas zu helfen, – obwohl, unsere Frau erbarme sich meiner! ich nichts von diesen fremden Erfindungen, nicht einmal die Namen kenne. Aber unsere Regel befiehlt uns, zu arbeiten, es kann nichts Unrechtes sein, die Winde zu drehen, oder dieses Stück Holz mit dem stählernen Knopf gegen den Strick zu stemmen,« – (er tat immer zugleich, was er sagte) – auch sehe ich nichts Unkanonisches, darin, so den Hebebaum anzulegen, so diese Springfeder zu berühren.« Der gewaltige Bolzen zischte durch die Luft, als er sprach, und so erfolgreich ward er gezielt worden, daß er einen Walliser Häuptling von hohem Rang niederstreckte, dem Gwenwyn eben im Begriffe war, irgend einen wichtigen Auftrag zu geben. »Gut geworfen, Trebuchet – gut geflogen, Quarel, [Sollen normannische Benennungen von Steinschleuder und Bolzen sein.] schrie der Mönch, unfähig, sein Entzücken zu mäßigen, und er gab in seinem Triumph dem Werkzeuge und dem Wurfspieß die technischen Benennungen. »Und gut gezielt, Mönch,« setzte Flammock hinzu, »ich glaube, Du weißt mehr, als in Deinem Breviarium steht.« »Darum kümmere Du Dich nicht,« sagte der Vater, »und nun, da Du siehst, ich kann mit einem Geschütz umgehen, und da auch jene Schufte etwas abgekühlt sind, was denkst Du von unserer Lage?« »Gut genug für eine schlechte, wenn wir nur eiligst Succurs bekämen; aber der Mensch ist von Fleisch und nicht von Eisen, und wir können doch zuletzt durch die Menge mürbe werden. Ein Soldat auf zwölf Fuß Wall, das ist eine fürchterliche Ungleichheit, und die Schurken da merken es und setzen uns scharf zu.« – Hier ward die Unterredung durch die Erneuerung des Sturmes unterbrochen. Auch gestattete ihnen der tätige Feind bis zum Sonnenuntergange nicht viel Ruhe; denn sie auf diesen Punkten mit wiederholten Drohungen des Angriffs beunruhigend, indes sie auf andern Punkten wirklich furchtbare und wütende Stürme wagten, ließen sie ihnen keine Zeit, Atem zu schöpfen oder einen Augenblick sich zu erholen. Dennoch mußten aber auch die Walliser für ihre Kühnheit teuer büßen; denn, wenn auch nichts die Tapferkeit übertreffen konnte, mit welcher ihre Leute wiederholt zum Angriff schritten, so zeigten doch die, welche sie gegen das Ende des Tages versuchten, weniger von der erhitzten Tollkühnheit des ersten Anrückens; und es ist wahrscheinlich, daß das Gefühl des erlittenen großen Verlustes, wie die Furcht vor der Wirkung davon auf den Geist des Volks, den Einbruch der Nacht und die Unterbrechung des Kampfes, Gwenwyn ebenso willkommen machte wie der erschöpften Besatzung von Garde Douloureuse. Dennoch aber herrschte in dem Lager der Walliser Fröhlichkeit und Triumph, denn der Verlust des Tages wurde vergessen bei der Erinnerung an den ausgezeichneten Sieg, welcher der Belagerung vorangegangen war, und die entmutigte Besatzung konnte von ihren Mauern das Lachen und das Singen, das Harfenspiel und Lustigleben derer vernehmen, die im voraus den Triumph der anscheinend unausbleiblichen Uebergabe der Burg feierten. Die Sonne war schon seit einiger Zeit hinabgesunken, die Dämmerung verlor sich schon, und leise schloß sich die Nacht mit dem blauen wolkenlosen Himmel, an welchem die tausend Funken, die das Firmament schmückten, einen doppelten Schimmer von einem Frosthauch empfingen, indessen der blassere Planet, ihre Gebieterin, im ersten Viertel stand. Die Not der Besatzung wurde dadurch bedeutend erschwert, daß zu einer Zeit, die zu einem plötzlichen nächtlichen Anfall so günstig war, sehr strenge und sorgfältige Wache gehalten werden mußte, welches zu der schwachen Anzahl der Mannschaft so wenig paßte; und diese Pflicht war so dringend, daß selbst die am Tage nur leicht Verwundeten gezwungen waren, trotz ihrer Wunden daran teilzunehmen. Der Mönch und der Flamländer, die sich nun vollkommen einander verstanden, machten zusammen um Mitternacht die Runde, ermahnten die Schildwachen gut aufzumerken, und untersuchten mit eigenen Augen den Zustand der Festung. Als sie bei dieser Runde eine höhere Terrasse auf einer engen und ungleichen Treppe bestiegen, die dem Mönch etwas sauer ward, bemerkten sie auf der Höhe, zu welcher sie stiegen, statt des schwarzen Panzers der flämischen Schildwachen, welche hier ihren Posten hatten, zwei weiße Gestalten, deren Anblick Wilkin Flammock mit größerem Schrecken erfüllte, als er während aller zweifelhaften Ereignisse des Kampfes am vergangenen Tage gezeigt hatte. »Vater,« sagte er, »nehmt Euer Werkzeug zur Hand – es spukt – da gibt's Gespenster.« Der gute Vater hatte als Priester nicht gelernt, dem bösen Feinde zu trotzen, den er als Soldat mehr als den sterblichen Feind gefürchtet hatte. Aber er begann mit klappernden Zähnen die Beschwörung der Kirche: »Conjure vos omnes, spiritus maligni, magni atque parvi,« als er durch die Stimme Evelinens unterbrochen wurde, welche ihm zurief: »Seid Ihr es, Pater Aldrovand?« Mit leichterem Herzen, da sie fanden, daß sie nicht mit einem Geiste zu tun hatten, traten Wilkin Flammock und der Priester schnell auf die Terrasse, wo sie die Lady mit ihrer getreuen Rose fanden, die erste mit einer Halbpike in ihrer Hand, wie eine Schildwache auf dem Posten. »Was bedeutet das, Tochter?« sagte der Mönch. »Wie kommt Ihr hierher, und so bewaffnet? Und wo ist die Schildwache, der träge flämische Hund, der dessen Posten versehen sollte?« »Kann er nicht ein fauler Hund sein, ohne darum ein Flamländer zu sein, Vater?« sagte Rose, die jedes Wort aufregte, welches eine Bemerkung gegen ihr Vaterland enthielt; »mich dünkt, ich habe auch von solchen Kötern englischer Gattung gehört.« »So gehe doch, Rose, Du bist zu ungezogen für ein junges Mädchen,« sagte ihr Vater. »Noch einmal, wo ist Peterkin Vorst, der auf diesem Posten stehen soll?« »Lasset ihn meinen Fehler nicht entgelten,« sagte Eveline, indem sie auf einen Fleck deutete, wo die flämische Wache hinter den Zinnen fest eingeschlafen war, – »die Ermüdung hatte ihn überwältigt – er hatte tüchtig den Tag über gefochten, und als ich ihn hier schlafend fand, da ich hierherkam, einem wandernden Geiste gleich, der nicht Rast noch Nutze findet, da wollt ich ihm seine Ruhe nicht stören, die ich beneidete. So wie er für mich gefochten hatte, so, dachte ich, könnte ich wohl eine Stunde für ihn wachen. Ich nahm also seine Waffe in der Absicht, hier zu bleiben, bis ein anderer ihn ablösen käme.« »Ich will den Schelm ablösen, und zwar nachdrücklich,« sagte Wilkin Flammock und begrüßte den schlafenden und hingestreckten Wächter mit zwei Fußstößen, daß sein Küraß rasselte. Der Mann sprang auf seine Füße, nicht wenig erschreckt, und er würde die nächsten Schildwachen und dazu die ganze Besatzung durch das Geschrei, das die Walliser auf den Mauern wären, aufgebracht haben, hätte nicht der Mönch seinen breiten Mund mit der Hand bedeckt, eben als das Gebrüll hervorbrechen wollte. – »Schweig und mache, daß Du in den untersten Kerker kommst! Du verdienst nach alten Kriegsgesetzen den Tod, aber schau auf, Du Taugenichts, sieh, wer Dir Deinen nichtswürdigen Hals gerettet hat und Wache hielt, während Du von Schweinefleisch und Bierkrug träumtest.« Wiewohl noch im Schlafe, fühlte der Flamländer seine ganze Lage genugsam, so daß er ohne Antwort davonschlich, nach einigen linkischen Abschiedsverbeugungen gegen Eveline, wie gegen die, durch welche seine Ruhe so ohne alle Zeremonie unterbrochen worden war. »Er verdient, bei Kopf und Füßen aufgehängt zu werden, der Hundsfott,« sagte Wilkin, »aber etwas wollt Ihr dazu sagen, Lady? Meine Landsleute können nicht leben ohne Ruhe und Schlaf.« Bei diesen Worten gähnte er selbst mit so weitem Munde, als wollte er eins von den Türmchen verschlucken, womit die Ecken der Plattform, wo er stand, besetzt waren. »So ist es, guter Wilkin,« sagte Eveline. »Gönnt Euch daher selbst auch einige Ruhe und verlaßt Euch auf meine Wachsamkeit, wenigstens bis die Wachen abgelöst werden Ich kann nicht schlafen, wenn ich auch wollte; und ich will nicht, wenn ich es auch könnte.« »Schönen Dank, Lady,« sagte Flammock, »in Wahrheit, da dieser Platz so ziemlich in der Mitte ist und die Runde spätestens in einer Stunde hier vorbeikommen muß, so will ich denn wirklich mein Auge bis dahin schließen, denn meine Augenlider sind mir schon schwer wie eine Schleuse.« »O Vater, Vater!« rief Rose aus, ihres Vaters unschickliche Vernachlässigung alles Anstandes tief fühlend, – »bedenkt, wo und in wessen Gegenwart Ihr Euch befindet.« »Ja, ja, guter Flammock,« sagte der Mönch, »bemerkt, in Gegenwart eines edlen normannischen Fräulein geziemt es sich nicht, sich in den Mantel zu wickeln und die Nachtmütze aufzusetzen.« »So laßt ihn doch, Vater,« sagte Eveline, welche zu einer andern Zeit die Schnelligkeit belächelt haben würde, mit welcher Flammock sich in seinen großen Mantel hüllte, seine wohlbeleibte Gestalt auf der steinernen Bank ausstreckte und schon die sichersten Zeichen eines tiefen Schlafes hören ließ, als der Mönch noch nicht ausgesprochen hatte. – »Die äußern Sitten und Formen der Achtung,« fuhr sie fort, »gehören nur für Zeiten des Wohlseins, und wo man alles sehr genau nimmt; – aber in der Gefahr ist des Soldaten Schlafgemach da, wo er Muße zu einer Stunde Ruhe finden kann, und sein Speisezimmer, wo er etwas zu essen erhaschen kann. Setze Dich zu Rosen und mir, guter Vater, und halte uns irgend einen heiligen Vortrag, wobei uns diese Stunden des Kummers und der Ermüdung leichter verfließen werden.« Der Pater gehorchte, aber wiewohl willig, Trost mitzuteilen, gab ihm sein Geist und sein theologisches Wissen doch nichts Besseres ein, als das Hersagen der Bußpsalmen, worin er so lange fortfuhr, bis die Müdigkeit ihn überwältigte, indem er sich eben der Sünde wider das Decorum schuldig machte, worüber er den Wilkin Flammock gescholten hatte, und in der Mitte seiner frommen Beschäftigung fest einschlief. Neuntes Kapitel Die Ermüdung, welche Flammock und den Mönch erschöpft hatten, fand bei den beiden angstvollen Mädchen nicht statt, welche bald ihr Auge auf die dunkle Landschaft hinwendeten, bald auf die Sterne, welche sie schwach beleuchteten, als ob sie darin die Ereignisse lesen könnten, die der Morgen bringen würde. Es war ein stilles und melancholisches Schauspiel, Baum und Feld, Hügel und Ebene lag vor ihnen im zweifelhaften Lichte. In großer Entfernung konnte das Auge nur mit Mühe eine Paar Punkte unterscheiden, wo der Strom, den sonst überall Ufer und Bäume verbargen, seine mehr ausgedehnte Fläche vor den Sternen und der silbernen Mondsichel ausbreitete. Alles war still, nur das feierliche Rauschen des Wassers war zu hören und dann und wann ein schneidendes Harfengeklimper, welches aus einiger Entfernung durch die Stille der Mitternacht drang und anzeigte, daß einige der Walliser noch immer ihr Lieblingsvergnügen fortsetzten. Die wilden Töne, nur teilweise vernommen, glichen der Stimme vorübergehender Geister, und verbunden mit dem Gedanken an die stolze, unerbittliche Feindseligkeit, klangen sie in Evelinens Ohr, als weissagten sie Krieg und Wehe, Gefangenschaft und Tod. Die andern Töne, welche allein noch die tiefe Stille der Nacht unterbrachen, waren zuweilen das Hin- und Herschreiten einer Schildwache auf ihrem Posten, oder das Geheul der Eulen, welche den herannahenden Sturz der mondbeleuchteten Türme, in welchen sie ihre alternde Wohnung hatten, zu bejammern schienen. Die rings umher herrschende Ruhe schien einer Last gleich auf den Busen der unglückseligen Eveline zu drücken, und in ihm ein tieferes Gefühl des gegenwärtigen Kummers, eine angreifendere Furcht vor den künftigen Greueln zu erwecken, als während des Getöses, des Bluts und der Verwirrung am vergangenen Tage in demselben geherrscht hatten. Sie stand auf – sie setzte sich nieder – sie ging hin und her auf der Plattform, – sie blieb fest gebannt wie eine Bildsäule auf einer Stelle stehen – als ob sie durch die Abänderung ihrer Stellungen ihr inneres Gefühl von Furcht und Sorge zu zerstreuen suchte. Endlich auf den Mönch und den Flamländer hinblickend, wie sie fest schliefen hinter den Zinnen, konnte sie nicht umhin, ihr Stillschweigen zu brechen. »Die Männer sind glücklich,« sagte sie, »meine geliebte Rose! Ihre drückendsten Sorgen werden entweder durch angestrengte Arbeit zerstreut oder in der Abspannung, die darauf erfolgt, erstickt ... Wunden und Tod können sie treffen, aber wir sind es, die in ihrem Geiste eine schneidendere Qual empfinden, als der Körper kennt, und in der nagenden Empfindung des gegenwärtigen Nebels und der Furcht vor künftigem Elende, lebend einen Tod sterben, grausamer als der, welcher all unsern Schmerzen mit einmal ein Ende macht.« »Laßt Euch nicht so niederbeugen, meine edle Gebieterin,« sagte Rose, »seid lieber, was Ihr gestern waret, die hilfreich Sorgende für die Verwundeten, für die Betagten, für einen jeden, außer für Euch selbst – und dabei Euer teures Leben aussetzend unter dem Pfeilregen der wälschen Bogen, weil Ihr dadurch den anderen Mut einflößt; während ich zu meiner Scham nichts konnte, als zittern, schluchzen, und all das bißchen Verstand, das ich besitze, anstrengen mußte, nicht mein Geschrei mit dem wilden Geheul der Walliser zu vereinigen, oder mit denen unserer Freunde, welche um mich hinsanken, zu jammern und zu winseln.« »Ach, Rose!« antwortete ihre Gebieterin, »Ihr könnt nach Herzenslust Eurer Furcht nachhängen bis zum Gipfel der Verzweiflung – Ihr habt einen Vater, für Euch zu fechten, für Euch zu wachen. Der meinige, – mein zärtlicher, edler, verehrter Vater liegt auf jenem Feld, und alles was mir übrig bleibt, ist so zu handeln, als es sich für sein Andenken am besten schickt. Aber dieser Augenblick gehört wenigstens mir, an ihn zu denken und um ihn zu trauern.« Mit diesen Worten, überwältigt von dem langen unterdrückten Ausbruch ihres kindlichen Schmerzes, sank sie auf die Bank hin, welche längs der innern Seite der Brustwehr von der Plattform ablief und mit dem leisen Ausruf: »Er ist dahingegangen auf immer!« überließ sie sich dem ganzen Uebermaß ihres Grams. Eine ihrer Hände hielt unwillkürlich die Waffe, welche sie ergriffen hatte, und sie stützte ihre Stirn darauf, während die Tränen, die jetzt zuerst ihr Herz erleichterten, in Strömen von ihren Augen flossen, und ihr Schluchzen so krampfhaft schien, daß Rose fürchtete, ihr Herz werde brechen. Ihre Liebe und ihr Mitgefühl lehrte sie auch zugleich die mildeste Behandlung, welche Evelinens Zustand erlaubte. Ohne zu versuchen, den Strom ihres Schmerzes in seinem vollen Laufe aufzuhalten, setzte sie sich leise an die Seite der Trauernden, bemächtigte sich der einen Hand, welche bewegungslos ihr zur Seite hinabgesunken war, abwechselnd drückte sie sie an ihre Lippen, an ihren Busen, an ihre Stirn – jetzt bedeckten sie ihre Küsse, jetzt betauten sie ihre Tränen, und mitten unter diesen Zeichen der demütigst hingebungsvollen Teilnahme, wartete sie einen ruhigeren Augenblick ab, ihren kleinen Vorrat von Trost anzubieten. So schweigend und still saßen beide, daß das blasse Mondlicht, so wie es auf die beiden schönen Frauen fiel, mehr eine Gruppe von Bildhauerarbeit, das Werk eines ausgezeichneten Meisters zu beleuchten schien als Wesen, deren Augen noch weinten, und deren Herzen noch schlugen. Der glänzende Küraß des Flamländers, das schwarze Gewand des Paters Aldrovand, wie sie in einiger Entfernung auf den Steinen hingestreckt lagen, konnten dabei die Leichname derer darstellen, um welche die Hauptfiguren trauerten. Nach dem schweren Kampfe weniger Minuten schien es, daß der Gram Evelinens einen ruhigeren Charakter annahm; ihr krampfhaftes Schluchzen veränderte sich in lange, leisere, tiefere Seufzer, und der Strom ihrer Tränen, noch immer fließend, war milder und weniger heftig. Ihre freundliche Dienerin, diese milderen Zeichen benützend, suchte sanft den Speer aus ihrer Gebieterin Hand zu winden. »Laßt mich auf eine kleine Weile Schildwacht sein, meine süße Lady,« sagte sie. »Ich will gewiß lauter als Ihr aufschreien, wenn sich irgend eine Gefahr nähert!« – Sie wagte es, während sie sprach, ihre Wange zu küssen und ihre Arme um den Nacken Evelinens zu legen; aber eine stumme Liebkosung, welche nur ihr Gefühl der liebevollen Absicht des treuen Mädchens, ihrer Ruhe womöglich behilflich zu sein, aussprach, war ihre einzige Antwort. Sie blieben auf einige Minuten schweigend und in derselben Stellung – Eveline gleich einer hochaufstrebenden und schlanken Pappel – Rose, wie sie ihre Herrin mit ihren Armen umschlungen hielt, gleich der Waldweide, welche um sie her rankt. Endlich fühlte Rose plötzlich ihre junge Gebieterin in ihren Armen zusammenschaudern, und dann, wie Evelinens Hand ihren eigenen Arm hart anfaßte, mit dem leisen Flüstern: »Hörst Du nichts?« »Nein – nichts als das Geheul der Eule,« antwortete Rose zaghaft. »Ich hörte ein entferntes Geräusch,« sagte Eveline – »ich glaube, ich hörte es – horch! es kommt wieder – Blick' über die Zinnen hinaus, Rose, während ich den Priester und Deinen Vater aufwecke.« »Teuerste Lady,« sagte Rose, »ich wage das nicht – was kann das für ein Ton sein, den nur eines vernimmt? Euch täuscht das Rauschen des Flusses.« »Ich möchte nicht unnötigerweise die Burg aufschrecken,« sagte Eveline innehaltend, »oder, weil ich mir etwas einbilde, den so nötigen Schlummer Eures Vaters unterbrechen. – Aber, horch! – horch! – ich höre es wieder – es unterscheidet sich deutlich von den Tönen des rauschenden Wassers – ein leise zitternder Ton, vermischt mit einem Klimpern, wie Schmiede auf ihrem Amboß arbeiten.« Jetzt war Rose auf die Bank gesprungen, und ihre schönen Haarlocken zurückwerfend, hielt sie die Hand hinter das Ohr, um den entfernten Ton aufzufangen. – »Ich höre es,« rief sie, »und es nimmt zu – wecket sie auf, um Himmels willen – und das den Augenblick.« Eveline berührte demnach mit dem umgekehrten Ende ihrer Lanze die Schläfer, und als diese heftig auf ihre Füße sprangen, flüsterte sie ihnen schnell, aber vorsichtig zu: »Zu den Waffen! die Walliser rücken an,« »Was? – Wo?« sagte Wilkin Flammock – »wo sind sie?« »Lauscht nur, und Ihr werdet sie sich waffnen hören,« erwiderte sie. »Das Geräusch ist nur in Eurer Einbildung, Lady!« sagte der Flamländer, dessen Organe eben so schwerfällig wie seine Gestalt und seine Weise waren. »Ich wollte, ich hätte mich gar nicht zum Schlafen gelegt, wenn ich so früh aufgeweckt werden sollte.« »Horcht doch – horcht nur auf, guter Flammock, das Waffengeklirr kommt von Nordosten her.« »Die Walliser liegen nicht in jener Gegend, Lady,« sagte Wilkin, »und überdies tragen sie keine Rüstung.« »Ich höre es – ich höre es,« sagte Pater Aldrovand, der schon eine Zeitlang gelauscht hatte. »Gelobt sei St. Benedikt! – Unsere Frau von Douloureuse ist gnädig ihren Knechten gewesen wie immer. – Es ist Getrappel von Pferden – es ist Geklirr von Waffen – die Ritterschaft der Marken kommt uns zu Hilfe! – Kyrie eleison!« »Auch ich höre nun etwas,« sagte Flammock, »etwas wie das hohle Getöse der Nordsee, als sie in das Warenlager meines Nachbars Klinkermanns einbrach und seine Töpfe und Pfannen gegeneinander stieß. – Aber es wäre doch ein böser Mißgriff, Vater, wenn wir Feinde für Freunde hielten, – besser also, wir jagen die Leute auf.« »St! mir hier von Pfannen und Kesseln reden! – War ich nicht Leibknappe des Grafen Stephan Maleverer zwanzig Jahre lang, und kenne nicht das Getrampel von Streitrossen oder das Rasseln eines Panzers? – aber ruft die Leute auf die Mauer auf jeden Fall und laßt mich die besten vom Hofe zusammenziehen – wir können sie unterstützen durch einen Ausfall.« »Mit meinem Willen läßt sich das nicht so rasch tun,« murmelte der Flamländer, »aber zum Wall, wenn Ihr wollt, je eher je lieber. Haltet nur Eure Normänner und Englischen zum Schweigen an, Herr Geistlicher; ihre ungezähmte und lärmende Freude könnte das wälsche Lager aufwecken und sie auf ihre unwillkommenen Gäste vorbereiten.« Der Mönch legte die Finger an die Lippen zum Zeichen seiner Uebereinstimmung, und sie gingen in verschiedenen Richtungen davon, die Verteidigung des Schlosses aufzuwecken, die man sehr bald von allen Seiten hinziehen hörte, in einer ganz andern Stimmung, als sie dieselben am vergangenen Abend verlassen hatten. Da die äußerste Vorsicht angewandt war, Lärm zu verhüten, so wurden die Wälle ganz schweigend besetzt, und die Besatzung harrte in atemloser Erwartung auf den Ausgang, da die Truppen jetzt schnell sich zu ihrem Beistand näherten. Die Bedeutung der Töne, welche jetzt laut das Schweigen der still schwängern Nacht verscheuchten, konnte nicht länger mißverstanden werden. Sie waren sehr zu unterscheiden von dem Rauschen eines mächtigen Stromes oder von dem Gemurmel eines entfernten Donners, durch die scharfen und gellenden Töne, welche das Rasseln von den Rüstungen der Reiter, vermischt mit dem tiefen Baß der schnellen Roßtritte, hervorbrachte. Aus der langen Fortsetzung dieser Töne, ihrem lauten Schalle und der Ausdehnung ihres Landstriches, von welchem sie zu kommen schienen, wurden alle im Schlosse zu ihrer Zufriedenheit überzeugt, daß die herannahende Hilfe aus mehreren sehr starken Scharen zu Pferde bestehe. Plötzlich hörte der gewaltige Schall auf, als ob der Boden, auf welchem sie dahintrabten, die Geschwader verschlungen hätte, oder unfähig geworden wäre, das Stampfen der Rosse zu widerhallen. Die Verteidiger von Garde Doulourense schlossen also, daß ihre Freunde einen plötzlichen Halt gemacht hätten, etwa ihren Pferden Zeit zum Verschnaufen zu geben, das Lager ihrer Feinde auszukundschaften, und die Weise des Angriffs zu ordnen. Doch dauerte die Pause nur einen Augenblick. Die Briten, so schnell und behende, den Feind zu überfallen, befanden sich doch vielfältig selbst in der Lage, überfallen zu werden. Ihre Leute standen nicht unter strenger Zucht und waren oft sehr nachlässig in der Geduld fordernden Pflicht der Schildwachen: überdies hatten ihre Fouragiere und Streifpartien, welche den Tag zuvor die Gegend durchschwärmt hatten, dem Hauptkorps solche Nachrichten gebracht, welche sie in eine unglückliche Sicherheit einschläferten. Ihr Lager war daher sehr nachlässig bewacht, und sie hatten ganz und gar die militärische Pflicht verabsäumt, Patrouillen und Vorposten in angemessener Entfernung vom Hauptkorps anzuordnen. So hatte sich die Reiterei der Lords von den Marken, ungeachtet des Geräusches bei ihrem Vorrücken, sehr nahe dem britischen Lager genähert, ohne den geringsten Alarm zu erwecken. Aber während sie ihre Macht in abgesonderten Kolonnen verteilten, um den Angriff zu beginnen, verkündigte ein lautes und immer näher kommendes Getöse unter den Wallisern, daß sie endlich ihrer Gefahr inne geworden waren. Das gellende, mißtönende Geschrei, womit sie ihre Leute zusammen riefen, jeden unter das Banner seines Hauptes, hallte aus ihrem Lager wider. Aber dieses Rufen sich zu sammeln, verwandelte sich bald in wildes Geheul des Schreckens und des Verderbens, als der donnernde Angriff der gepanzerten Rosse und der schwer bewaffneten Reiterei der Anglo-Normannen ihr unverteidigtes Lager überfiel. Aber selbst unter so ungünstigen Umständen gaben die Abkömmlinge der alten Britonen ihre Verteidigung nicht auf oder entsagten nicht ihrem alten erblichen Vorrechte, die Tapfersten unter den Sterblichen genannt zu werden. Ihr Geschrei beim Herausfordern und beim Widerstande übertönte das Aechzen der Verwundeten, den Jubelruf der stürmischen Sieger und den allgemeinen Tumult der nächtlichen Schlacht. Erst als der Morgen anbrach, ward die Niederlage und die Zerstreuung der Macht Gwenwyns vollendet, und die »erschütternde Stimme des Sieges« erhob sich in ungestörter, ungemischter Kraft des Jubels. Jetzt schauten die Belagerten, wenn sie noch so genannt werden konnten, von den Türmen über die ausgebreitete Landschaft unter sich, aber sie wurden nur ein weit ausgedehntes Schauspiel von eiliger Flucht und unermüdeter Verteidigung gewahr. Daß den Wallisern gestattet worden war, sich in eingebildeter Sicherheit auf dem diesseitigen Ufer des Flusses zu lagern, machte jetzt ihre Niederlage um desto schrecklicher. Der einzige Uebergang, über welchen sie auf die andere Seite kommen konnten, war bald vollgepfropft von Flüchtlingen, in deren Rücken die Schwerter der siegreichen Normannen wüteten. Viele warfen sich in den Fluß in der ungewissen Hoffnung, das andere Ufer zu erreichen, kamen aber, einige wenige ausgenommen, die ungewöhnlich stark, gewandt und tätig waren, im Strudel und an den Felsen um; andere glücklichere entkamen durch geheime und versteckte Furchen; viele, einzeln versprengt oder in kleinen Haufen, flohen in besinnungsloser Verzweiflung auf die Burg zu, als ob die Feste, welche sie zurückschlug, da sie noch Sieger waren, ihnen in ihrem jetzigen verlorenen Zustande ein Zufluchtsort sein konnte; während andere wild auf der Ebene hin und her schwenkten, um nur der unmittelbaren augenblicklichen Gefahr zu entgehen, ohne zu wissen, wohin sie sollten. Die Normannen indessen, verteilt in kleine Haufen, verfolgten und erschlugen sie nach Lust, während, als zu einem Sammelplatze für die Sieger der Banner von Hugo de Lacy von dem kleinen Hügel wehte, auf welchem kurz zuvor Gwenwyn das seinige gepflanzt hatte, umgeben von einer zulänglichen Bedeckung zu Fuß und zu Pferde, welcher der erfahrene Baron auf keine Weise gestattet hatte, sich weit davon zu entfernen. Die übrigen, wie wir schon gesagt haben, verfolgten ihre Jagd mit dem Rufe des Jubels und der Rache, und die Zinnen hallten das Kriegsgeschrei wider: »Ha! St, Eduard – Ha! St. Dennis! – Schlagt! – Tötet! – Kein Pardon den wälschen Wölfen! – Denkt an Raymond Berenger!« Die Krieger auf den Mauern stimmten diesen rachvollen und siegreichen Ausrufen bei und schossen viele Bündel von Pfeilen auf jeden Flüchtling, der in seiner äußersten Not zu nahe der Burg kam. Gerne hätten sie einen Ausfall getan, um tätigen Anteil an dieser vernichtenden Arbeit zu nehmen, aber da nun die Verbindung mit dem Heere des Connetable von Chester offen war, so betrachtete Wilkin Flammock sich und die Besatzung unter den Befehl des berühmten Feldherrn gestellt, und wollte durchaus nicht auf die dringenden Vorstellungen des Paters Aldrovand hören, welcher so gern, trotz seiner priesterlichen Würde, selbst die Anführung des Ausfalls, den er in Vorschlag brachte, übernommen hätte. Endlich schien das Schauspiel des Mordens geschlossen zu sein, – zum Rückzuge wurde von vielen Hörnern geblasen, und Ritter hielten auf der Ebene, ihr persönliches Geleite um sich zu sammeln, sie unter ihrem eigenen Fähnlein zu mustern, und sie dann langsam zu dem großen Banner ihres Feldherrn zu führen, um welches sich wieder das Hauptkorps versammelte, wie die Wolken sich lagern um die Abendsonne, – ein phantastisches Gleichnis, welches sich jedoch weiter ausmalen ließe, in Hinsicht auf die langen Streifen eines düstern Lichtes, welche von diesen dunklen Scharen hinflossen, sowie die Strahlen von ihren glänzenden Harnischen abprallten. So war die Ebene bald von der Reiterei verlassen, und blieb nur bedeckt von den Leichnamen der erschlagenen Wälschen. Auch die Abteilungen, welche bis in einer größern Entfernung die Verfolgung fortgesetzt hatten, sah man nun zurückkehren, vor sich hertreibend oder nach sich schleppend die niedergeschlagenen unglücklichen Gefangenen, denen sie, nachdem ihr Blutdurst gelöscht worden war, Pardon gegeben hatten. Da geschah es, daß Wilkin Flammock, mit dem Wunsche, die Aufmerksamkeit der Befreier auf sich zu ziehen, befahl, alle Banner des Kastells wehen zu lassen, verbunden mit einem allgemeinen Beifallsruf derer, welche unter ihnen gefochten hatten. Er wurde mit einem allgemeinen Freudengeschrei von de Lacys Heer beantwortet, welches so weit umher klang, daß es selbst die von den wälschen Flüchtlingen aufgeschreckt haben möchte, die schon weit entfernt von dem unglücklichen Schlachtfelde für einen Augenblick etwas Rast gemacht hatten. Sogleich nach dieser gewechselten Begrüßung näherte sich ein einzelner Reiter von dem Heer des Connetable dem Schlosse und zeigte schon aus der Ferne eine ungewöhnliche Gewandtheit in der Reitkunst und eine Anmut in der Haltung. Sobald er an der Zugbrücke anlangte, ward sie augenblicklich zu einem Empfange hinabgelassen, und Flammock und der Mönch (denn dieser drängte sich, so viel es sich nur tun ließ, zu den ersten bei allen Handlungen des Oberbefehls) eilten, den Abgesandten ihres Befreiers zu empfangen. Sie fanden ihn, als er eben von seinem rabenschwarzen Rosse abgestiegen war, welches, hin und wieder von Blut und Schaum befleckt, noch von den Anstrengungen der Nacht keuchte, obwohl zur Erwiderung der liebkosenden Hand seines jungen Reiters es seinen Hals wölbte, sein stählernes Netz schüttelte, und schnaubend seinen ungebeugten Mut und unermüdete Kampflust zeigte. Des jungen Mannes Adlerblick verriet eben diese Anzeichen unermüdeter Tapferkeit, vermischt mit den Zeichen einer eben gehabten Anstrengung. Da sein Helm am Sattelbogen hing, so stellte sich sein schönes Antlitz dar, hoch gerötet, aber nicht erhitzt, welches aus einer reichen Fülle kastanienbrauner Locken hervorblickte. Und wiewohl seine Rüstung einfach, obwohl massiv war, so bewegte er sich doch in derselben mit solcher Geschmeidigkeit und Leichtigkeit, daß sie ein anmutiger Schmuck, nicht eine Last und Beschwerde zu sein schien. Ein verbrämter Mantel würde ihm nicht anmutiger gestanden haben als die schwere Halsberge, die sich jeder Bewegung seiner edlen Gestalt anschmiegte. Doch so jugendlich war noch sein Angesicht, daß nur der Flaum an der Oberlippe seine Annäherung an das Mannesalter zeigte. – Die Frauen, welche sich in den Hof drängten, den ersten Abgesandten ihrer Befreier zu sehen, konnten es nicht unterlassen, in ihre Segnungen seiner Tapferkeit Lobpreisungen seiner Schönheit einzumischen; und eine recht artige Frau von mittlerem Alter, besonders sich auszeichnend durch die Straffheit, mit welcher ihre scharlachroten Strümpfe eine wohlgeformte Wade und Knöchel zeigten, und die blendende Weiße ihrer Haube, drängte sich ganz nahe zu dem jungen Mann, und vorlauter wie die andern, verdoppelte sie den Karmin seiner Wangen durch den lauten Ausruf, daß unsere Frau von Garde Douloureuse die Nachricht von ihrer Erlösung durch einen Engel aus dem Allerheiligsten gesendet habe – eine Rede, die, obwohl Pater Aldrovand dabei den Kopf schüttelte, von ihren Gefährtinnen mit allgemeinen Beifallsrufen aufgenommen wurde, daß des jungen Mannes Bescheidenheit dadurch in große Verlegenheit geriet. »Ruhig, Ihr alle da!« sagte Wilkin Flammock, »kennt Ihr keinen Respekt, Ihr Weiber, oder habt Ihr noch nie einen jungen Mann gesehen, daß Ihr Euch um ihn hängt wie Fliegen um eine Honigwabe? Stellt Euch doch rückwärts, sage ich, – und laßt uns in Ruhe die Befehle unseres edlen Lords von Lacy anhören.« »Diese,« sagte der junge Mann, »kann ich nur in Gegenwart des hochedlen Fräuleins Eveline von Berenger ausrichten, wenn ich einer solchen Ehre würdig geachtet werde.« »Das weißt Du, edler Herr,« sagte dieselbe vorlaute Dame, welche vorher ihre Bewunderung so energisch ausgedrückt hatte. »Ich will es gegen jedermann behaupten, daß Du würdig ihrer Gegenwart und jeder andern Gunst bist, die eine Dame Dir erzeigen kann.« »Halte Deine unverschämte Zunge!« sagte der Mönch, während zur gleichen Zeit der Flamländer ausrief: »Denk an den Tauschschemel [eine Strafe für Frauen einer gewissen Art] , Frau Unhold!« und dabei den edlen Jüngling über den Hof führte. »Sorgt für mein braves Pferd,« sagte der junge Mann und gab die Zügel in die Hand eines Dieners, wodurch er einen Teil der weiblichen Umgebung los wurde, welche nun begann, das Pferd zu streicheln und zu loben wie zuvor den Reiter, und einige enthielten sich kaum im Ausbruch ihrer Freude, die Steigbügel und das Sattelzeug zu küssen. Aber Dame Gillian war nicht so leicht von ihrem Satz abzubringen wie einige ihrer Gefährtinnen, Sie fuhr fort, das Wort Tauschschemel zu wiederholen, bis der Flamländer sie nicht mehr hören konnte, und wurde dann umständlicher in ihren Scheltworten. – »Und warum der Tauschschemel? sagt doch, Herr Wilkin Butterfaß? Ihr seid wohl der Mann, einen englischen Mund mit einer flämischen Damastserviette zu verstopfen! – Ei seh mir doch eins meinen Vetter, den Weber! – Und weswegen der Tauschschemel, ich bitte? – weil meine junge Lady recht artig ist, und der junge Herr ein Mann voll Mut, mit Respekt gegen seinen Bart, der doch bald kommen wird! – Haben wir nicht Augen zu sehen, haben wir nicht einen Mund und eine Zunge?« »In der Tat, Dame Gillian, die tun euch unrecht, die daran zweifeln,« sagte Evelinens Amme, welche dabei stand, »aber ich bitte Dich, halte sie jetzt verschlossen, wäre es auch der weiblichen Sittlichkeit zu Ehren.« »Wie denn, meine manierliche Jungfer Margery,« sagte die unverbesserliche Gillian, »ist Euch das Herz so hoch gewachsen, weil Ihr unsre junge Lady vor fünfzehn Jahren auf dem Knie geschaukelt habt? – Laßt mich Euch sagen, die Katze findet schon ihren Weg zur Sahne, und wäre sie auch in dem Schoß einer Aebtissin aufgepflegt.« »Nach Hause, Frau! Nach Hause!« rief ihr Mann aus, der alte Jäger, welcher jetzt dieser öffentlichen Ausstellung seines häßlichen Zankteufels müde war, »nach Hause, oder ich will Dir meine Hundepeitsche zu kosten geben – da ist der Beichtvater und Wilkin Flammock, sie wundern sich über Deine Unverschämtheit.« »Wahrlich,« antwortete Gillian, »und sind nicht zwei Narren genug zum Verwundern, daß Ihr noch mit Eurer groben Hirnschale dazu kommt, um die Zahl drei voll zu machen?« Ein allgemeines Gelächter entstand auf Kosten des Jägers, während desselben er kläglich seine Frau abführte, ohne sich darauf einzulassen, den Zungenkampf fortzusetzen, in welchen sie eine so entschiedene Uebermacht bewiesen hatte. Dieser Zwist, so leicht ist der Wechsel im menschlichen Gemüte, besonders in der niedern Klasse, erweckte Ausbrüche der tollsten Lust unter Geschöpfen, welche soeben noch im Rachen der Gefahr, ja der gänzlichen Verzweiflung sich befanden. Zehntes Kapitel Während all dieses im Schloßhofe vorging, erhielt der junge Squire Damian Lacy Zutritt zu Eveline Berenger, wie er erbeten hatte. Sie empfing ihn in der großen Halle des Schlosses, sitzend unter dem Thronhimmel oder Baldachin, von Rosa und andern weiblichen Dienerinnen umgeben, von welchen jedoch die erstere allein das Recht hatte, sich eines Taburetts oder eines kleinen Stuhls in ihrer Gegenwart zu bedienen; so genau behaupteten die normannischen Jungfrauen vom Stande ihre Rechte auf hohen Rang und gewisse Observanzen dabei. Der Jüngling ward von dem Beichtiger und Flammock eingeführt, da die geistliche Würde des einen und das Amt, welches ihr verstorbener Vater dem andern anvertraut hatte, sie berechtigte, bei dieser Gelegenheit gegenwärtig zu sein. Sehr natürlich errötete Eveline, als sie zwei Schritt vortrat, den schönen jugendlichen Abgesandten zu empfangen; und ansteckend schien ihre Beschämtheit, denn auch bei Damian geschah es nicht ohne Verwirrung, bah er nach Gebrauch ihre Hand küßte, welche sie als Zeichen des Willkommens ihm entgegenstreckte. Es war notwendig, daß Eveline zuerst sprach. »Wir kommen Euch so weit entgegen, als unsere Grenzen es erlauben,« sagte sie, »mit unserm Dank den Boten zu begrüßen, welcher uns die Kunde von unserer Rettung bringt. Wir sprechen, wenn wir uns nicht irren, zu dem edlen Damian von Lacy?« »Zu den demütigsten unter Euren Dienern,« antwortete Damian, nur mit Mühe den höfischen Ton annehmend, den sein Auftrag und jetziges Amt erforderte, »der sich Euch nahet im Auftrag seines edlen Oheims, Hugo de Lacy, Connetable von Chester.« »Wird unser edler Befreier nicht in Person mit seiner Gegenwart den armen Ort beehren, den er gerettet hat?« »Mein edler Verwandter,« antwortete Damian, »ist jetzt Gottes Söldner und ist jetzt durch ein Gelübde verpflichtet, nicht unter ein Dach zu kommen, bevor er sich zum heiligen Lande einschifft. Durch meine Stimme wünscht er Euch Glück zur Niederlage Eurer wilden Feinde, und sendet Euch diese Zeichen, daß die Gefährten und Freunde Eures edlen Vaters seinen beklagenswerten Tod nicht viele Stunden ungerächt gelassen.« Mit diesen Worten zog er die goldenen Armbänder und den Endorchawy oder die Kette von goldenen Ringen hervor, welche den Rang des Walliser Fürsten bezeichnet hatte, und legte sie vor Evelinen hin. »So ist Gwenwyn gefallen?« sagte Eveline und ein natürlicher Schauder kämpfte mit ihr mit dem Gefühl der befriedigten Rache, als sie bemerkte, daß diese Trophäen mit Blut bespritzt waren – »der Mörder meines Vaters ist nicht mehr!« »Meines Verwandten Lanze durchbohrte den Briten, als er bemüht war, sein fliehendes Volk zu sammeln. – Er starb gräßlich unter der Waffe, welche mehr als eines Armes Länge durch seinen Körper gedrungen war, und wandte noch seine letzte Kraft Zu einem wütenden, aber wirksamen Streich mit seiner Keule an.« »Der Himmel ist gerecht,« sagte Eveline, »mögen die Sünden dem Manne des Bluts vergeben sein, da er gefallen ist durch einen so blutigen Tod, – Eine Frage möchte ich Euch vorlegen, edler Herr! – Meines Vaters Gebeine –-« Sie hielt inne, unfähig, fortzufahren. »Die nächste Stunde wird sie Eurer Verfügung anheimstellen, sehr verehrte Lady,« sagte der Squire in dem Tone des innigen Mitgefühls, welchen der Kummer einer so jungen und schönen Waise unwiderstehlich in ihm hervorrief – »Vorbereitungen, wie sie die Zeit erlaubt, wurden eben, als ich das Heer verließ, gemacht, das was sterblich ist von dem edlen Berenger, von dem Felde hierher zu bringen, wo wir ihn fanden, mitten auf einem Monument von Erschlagenen, welches sein eigenes Schwert sich errichtet hatte. Meines Verwandten Gelübde erlaubt ihm nicht, durch Euer Fallgatter zu gehen, aber mit Eurer Erlaubnis werde ich, wenn Ihr es vergönnt, seine Stelle bei dieser ehrenvollen Bestattung vertreten, wie ich von ihm dazu den Auftrag erhielt,« »Mein tapferer und edler Vater,« sagte Eveline und bemühte sich, ihre Tränen zurückzuhalten, »wird am besten durch den tapfern Squire betrauert werden.« Sie wollte fortfahren, aber die Stimme versagte ihr, und sie sah sich genötigt, sich plötzlich hinweg zu begeben, sowohl ihrem Schmerze freien Lauf zu gewähren, als auch für das Begräbnis soviel Feierlichkeiten anzuordnen, als die Umstände erlauben würden. Damian verbeugte sich vor der davonschreitenden Trauernden so demütig, als er es vor einer Gottheit getan haben würde; nun bestieg er sein Pferd und kehrte zu seines Oheims Heer, welches auf dem Schlachtfelde schnell ein Lager aufgeschlagen hatte. Die Sonne stand nun schon hoch, und die ganze Gefahr zeigte ein Getümmel, gleich verschieden von der Einsamkeit des frühen Morgens und dem Geheul und der Wut des darauffolgenden Gefechtes. Die Nachricht von Hugo de Lacys Sieg hatte sich allenthalben mit der Schnelligkeit des Triumphes verbreitet und hatte viele von den Bewohnern der Gegend, die vor der Wut des Wolfes von Plinlimmon geflohen waren, bewogen, zu ihren verwüsteten Wohnungen zurückzukehren. Auch eine Menge von den liederlichen Herumtreibern, welche in einem Lande, das öfter Kriegeswechsel unterworfen wird, gewöhnlich im Ueberfluß vorhanden sind, hatten sich hier gesammelt, teils Beute zu machen, teils ihre rastlose Neugierde zu befriedigen. Die Juden und die Lombarden, welche Gefahr nicht achteten, wo etwas zu gewinnen war, konnte man sehen, wie sie Getränke und Waren unter den siegreichen Kriegern mit den blutgefleckten goldenen Zieraten vertauschten, die noch kurz zuvor erschlagene Briten getragen hatten. Andere machten die Mäkler zwischen den wälschen Gefangenen und denen, welche sie gefangen genommen hatten, und wo sie auf die Mittel und die Ehrlichkeit der ersten sich verlassen konnten, sagten sie gut für sie oder schossen ihnen die zu ihrer Auslösung nötigen Summen in barem Gelde vor; während ein noch größerer Teil dieser Klasse von Menschen, selbst Käufer solcher Gefangenen wurden, die sich nicht gleich imstande sahen, sich mit ihren Siegern abzufinden. Damit ein so erworbenes Geld den Krieger nicht lange beschwerte und ihm den Mut zu ferneren Unternehmungen lähmte, waren die gewöhnlichen Mittel zur Verschwendung des im Kriege Erbeuteten auch zugleich zur Hand. Leichtfertige Dirnen, Gaukler, Taschenspieler, Minstrels, Volkssänger jeder Gattung, hatten den nächtlichen Zug begleitet, und auf den kriegerischen Ruf des weltberühmten de Lacy sich verlassend, waren sie ohne Furcht in einer kleinen Entfernung zurückgeblieben, bis die Schlacht gefochten und gewonnen war. Diese nahten sich jetzt in verschiedenen fröhlichen Gruppen, den Siegern Glück zu wünschen. Dicht an diesen Haufen, welche zum Tanze, zum Gesange, zur Erzählung auf dem noch immer blutigen Felde Anstalt machten, waren die Landleute zu der Absicht herbeigerufen, lange Gräben zu ziehen, um die Toten hineinzulegen. Aerzte sah man die Verwundeten verbinden – Mönche und Priester der Sterbenden Beichte hören – Soldaten die Körper der geehrteren Krieger unter den Erschlagenen davontragen – Landleute über ihre zerstampften Saaten und ihre ausgeplünderte Wohnung trauern – Witwen und Waisen unter den gemischten Leichnamen zweier Schlachten die Körper ihrer Männer und Väter suchen. – So mischte der Schmerz seine wildesten Töne mit denen des Jubels und Triumphes, und die Ebene von Garde Douloureuse lieferte ein wahres Bild von dem wechselvollen Labyrinth des menschlichen Lebens, wo Freude und Traurigkeit so wunderbar untereinander gemischt sind, und wo die Grenzen der Fröhlichkeit und des Vergnügens so oft die der Sorge und des Todes berühren. Um die Mittagszeit schwieg mit einemmale alles dieses Geräusch, und die Aufmerksamkeit der Fröhlichen wie der Trauernden wurde durch den lauten und trauervollen Ton von sechs Trompeten festgehalten, welche, weitschallend, ihre durchbohrenden Tone in eine graue, melancholisch dahinsterbende Note vereinigend, allen verkündigten, die Leichenfeier des tapfern Raymond Berenger beginne nunmehr. Aus einem Zelte, welches eilig zur Aufnahme des Körpers errichtet worden war, schritten zwölf schwarze Mönche, die Bewohner eines benachbarten Klosters, paarweise hervor, angeführt von ihrem Abte, welcher ein großes Kreuz trug und die erhabenen Töne des katholischen misere me Domine! donnernd erschallen ließ. Dann erschien eine auserwählte Schar Bewaffneter, ihre Lanzen mit zur Erde gekehrter Spitze nach sich schleppend; ihnen folgte die Leiche des tapfern Berenger, gewickelt in sein eigenes ritterliches Banner, welches, aus der Hand der Wälschen wiedergewonnen, nun dem edlen Eigentümer statt des Leichentuches diente. Die tapfersten Ritter aus dem Haushalt des Connetable (denn gleich andern Großen vom Adel in dieser Periode hatte er diesen auf einen Fuß eingerichtet, der dem königlichen sich näherte) schritten als Leidtragende oder als Stützen der Leiche, welche auf Lanzen getragen wurde, einher; und der Connetable selbst, allein und in völliger Rüstung das Haupt ausgenommen, folgte als Hauptleidtragender. Eine auserwählte Schar von Schildknappen, Reisigen und Pagen edler Abkunft machte den Schluß der Prozession; während die Trommeln und Trompeten von Zeit zu Zeit den melancholischen Gesang der Mönche mit ebensolchen Trauerklängen wiederholten. Der Freude Flug war gehemmt; aber auch die Sorge wandte sich für einen Augenblick von dem eigenen Schmerze ab, die letzten Ehrbezeigungen zu beschauen, die dem erwiesen würden, welcher während seines Lebens der Vater und Beschützer seiner Untergebenen war. Die traurige Prozession zog sich langsam durch die Ebene, welche in wenigen Stunden der Schauplatz so ganz verschiedener Ereignisse war; nun hielt sie still vor dem äußern Tore der Barriere und lud durch einen langgedehnten feierlichen Trompetenstoß die Festung ein, die Ueberbleibsel ihres tapfern Verteidigers aufzunehmen. Die Aufforderung wurde von des Turmwächters Horn beantwortet – die Zugbrücke sank – das Fallgitter stieg – und Pater Aldrovand erschien in der Mitte des Einganges, angetan mit seinem priesterlichen Gewande, und wenige Schritt hinter ihm stand das verwaiste Fräulein, in solchen Trauerkleidern, als die kurze Zeit es zuließ, unterstützt von ihrer Dienerin Rosa, und umgeben von dem weiblichen Teil ihres Haushalts. Der Connetable von Chester machte Halt auf der Schwelle des äußern Tores, und auf das Kreuz von weißem Zeuge auf seiner linken Schulter zeigend, verneigte er sich tief und übergab seinem Neffen Damian den Auftrag, die Ueberbleibsel von Raymond Berenger zur Schloßkapelle zu begleiten. Die Krieger Hugo de Lacys, von welchen die meisten dasselbe Gelübde mit ihm getan hatten, hielten auch außerhalb des Burgtores und blieben unter den Waffen, während das Totengeläute der Schloßglocke das innere Fortschreiten des Zuges verkündigte. Er wand sich durch die engen Eingänge, welche kunstgemäß angelegt waren, das Fortschreiten des Feindes, dem es gelungen sein sollte, das Außentor zu erstürmen, zu unterbrechen – und gelangte endlich in den großen Schloßhof, wo die meisten von den Bewohnern der Festung und die, welche unter den letzten Umständen ihre Zuflucht hierher genommen, sich aufgestellt hatten, um zum letzten Male ihren dahingeschiedenen Herrn zu sehen. Unter diese hatten sich auch viele von dem bunten Haufen draußen gemischt, welche Neugierde oder die Hoffnung einer Austeilung zum Schloßtor geführt hatte, und welche durch eine oder die andere Vorstellung von der Wache die Erlaubnis erhalten hatten, ins Innere hineinzugehen. Die Leiche wurde vor der Tür der Kapelle, deren alter gotischer Giebel die eine Seite des Schloßhofes bildete, niedergesetzt, so lange gewisse Gebete von den Priestern hergesagt wurden, von denen man voraussetzte, daß die Menge umher mit geziemender Ehrerbietung einstimmte. In diesem Zwischenraume geschah es, daß ein Mann, dessen Spitzbart, gestickter Gürtel und hoher grauer Filzhut ihm das Aussehen eines lombardischen Kaufmannes gaben, sich an Margery, die Amme Evelinens, wandte und ihr in einer fremden Aussprache zuflüsterte: »Ich bin ein reisender Kaufmann, gute Schwester, ich bin hierher gekommen, einen guten Handel zu machen – könnt Ihr mir nicht sagen, wo ich hier im Schlosse einen guten Kunden finde?« »Ihr seid zu einer schlechten Zeit gekommen, Herr Fremder – Ihr könnt es ja selbst sehen, daß hier ein Ort zum Trauern und nicht zum Handeln ist.« »Doch haben Trauerzeiten ihren eigenen Handel,« sagte der Fremde, sich noch näher an Margery andrängend und seine Stimme zu einem noch vertraulicheren Ton hinabstimmend: »ich habe schwarze Schleier aus persischer Seide – schwarze Korallen, womit eine Prinzessin einen verstorbenen Monarchen betrauern könnte – Trauerflor, wie er noch selten aus dem Morgenlande herkam – schwarzes Zeug aus Trauertapeten – alles, was Kummer, was Verehrung ausdrückte in Mode und Anzug – und ich weiß denen dankbar zu sein, die mir zu Kunden verhelfen, – Kommt, besinnt Euch, gute Dame – solche Dinge muß man ja haben. – Ich verkaufe gute Ware und so wohlfeil, wie ein andrer – und ein Mieder für Euch selbst oder, wenn's Euch lieber ist, ein Beutelchen mit fünf Florin soll der Lohn für Eure Gefälligkeit sein.« »Ich bitte Euch, laßt mich zufrieden, Freund,« sagte Margery, »und wählt eine bessere Zeit, Eure Waren anzupreisen – Ihr überseht hier Ort und Zeit, und hört Ihr nicht auf. Euch aufzudringen, so muß ich mit denen reden, die Euch zeigen werden, wie es draußen vor dem Tore aussieht. Ich wundere mich, daß die Wächter an einem solchen Tage Hausierer einlassen. Sie würden noch an dem Sterbebette ihrer Mutter Handel treiben, glaube ich.« – Mit diesen Worten wandte sie sich verächtlich von ihm. Während der Kaufmann so auf der einen Seite zornig abgewiesen war, fühlte er auf der andern, daß an seinem Rocke einmal über das andere Mal gezupft wurde, und als er auf dieses Zeichen sich umsah, ward er eine Frau gewahr, deren schwarzes Schleiertuch so künstlich geordnet war, einen Schein von feierlichem Ernst, leichtfertigen, lachenden Gesichtszügen zu geben, die in jüngern Jahren sehr einnehmend gewesen sein mußten, da sie noch, seitdem wenigstens vierzig Jahre über sie weggezogen sein mochten, noch manchen Reiz besaßen. Sie gab dem Kaufmanne einen Wink und berührte zugleich ihre Lippe mit dem Zeigefinger, ihm Stillschweigen und Geheimnis anzudeuten; dann schlüpfte sie aus dem großen Haufen, zog sich in einen kleinen Winkel zurück, den ein vorspringender Strebepfeiler der Kapelle bildete, gleichsam das Gedränge zu vermeiden, welches zu erwarten war, wenn die Bahre wieder aufgehoben wurde. Der Kaufmann verfehlte nicht, ihrem Beispiel zu folgen, und war bald an ihrer Seite, wo sie ihm nicht weiter Mühe machte, ihr sein Anliegen zu eröffnen, sondern die Unterredung selbst begann. »Ich habe gehört, was Ihr der Dame Margery gesagt habt – die manierliche Margery, wie ich sie nenne – wenigstens so viel gehört, daß ich das übrige erraten kann; denn ich habe ein Auge im Kopfe – dafür sage ich Euch gut.« »Sogar ihrer zwei, meine schöne Frau, und so glänzend wie die Tautropfen eines Maimorgens.« »Ach! Ihr sagt das, weil ich geweint habe,« sagte die scharlachbestrumpfte Gillian, denn sie war die Redende. »Und ganz gewiß, ich habe auch gute Ursache dazu; denn unser Herr war immer ein sehr guter Herr, und er faßte mich zuweilen unter das Kinn und nannte mich die schelmische Gillian von Croydon – nicht, daß der gute Herr je unhöflich gewesen wäre, er warf mir wohl dabei ein paar Silberpfennige in die Hand – o, was habe ich für einen Freund verloren, und ich habe auch oft Aerger seinetwegen gehabt. Ich habe den alten Raoul sauer wie Essig gesehen, und zu keiner Stelle besser geschickt, als in den Hundestall auf den ganzen Tag; aber, wie ich es ihm auch sagte, es geziemte doch nicht, unsern Herrn und einen großen Baron anzufahren, bloß eines Griffs an das Kinn oder eines Kusses oder etwas dem Aehnlichen wegen.« »Es ist kein Wunder, daß Ihr eines so freundlichen Herrn wegen traurig seid, Dame,« sagte der Kaufmann. »Kein Wunder, in der Tat,« erwiderte die Dame mit einem Seufzer, »und dann, was soll nun aus uns werden? Es ist sehr wahrscheinlich, daß unsere junge Gebieterin zu ihrer Tante geht – oder sie heiratet einen von diesen Lacys, wovon sie so viel reden – oder auf jeden Fall, sie wird das Schloß verlassen. Dann ist es sehr wahrscheinlich, daß der alte Raoul und ich mit des Lords alten Pferden auf die Weide gehen können. – Der Herr weiß es, sie mögen meinetwegen den Raoul mit den alten Hunden aufhängen, denn er ist weder zum Laufen mehr, noch zum Greifen zu gebrauchen, kurz, er taugt nichts mehr auf der Erde, so viel ich weiß.« »Eure junge Herrin ist die Lady da im Trauermantel,« sagte der Kaufmann, »welche soeben beinahe auf den Leichnam hingesunken war?« »Wohl ist sie das, Herr! und sie hat Ursache genug, niederzusinken. Ich bin gewiß, sie kann lange suchen, um einen solchen Vater wiederzufinden.« »Ich sehe, Ihr seid eine sehr verständige Frau, Gevatterin Gillian,« antwortete der Kaufmann. »Und jener junge Mann, der sie unterstützt, ist Ihr Bräutigam?« »Es tut Ihr wohl nötig, daß einer sie unterstützt,« sagte Gillian, »und so auch mir, denn was kann der arme alte rostige Raoul tun?« »Aber wie ist es mit der Hochzeit der jungen Lady?« sagte der Kaufmann. »Niemand weiß mehr davon, als daß solch ein Ding unterhandelt wurde zwischen unserm verstorbenen Herrn und dem großen Connetable von Chester, der gerade noch heute zur rechten Zeit ankam, die Walliser abzuhalten, daß sie nicht uns allen die Gurgeln abschnitten und, der Herr weiß, noch viel anderes Unheil anrichteten. – Aber von einer Heirat ist die Rede, das ist gewiß – und viele Leute meinten, es geht auf den glattbäckigen Knaben Damian, wie sie ihn nennen; denn obgleich der Connetable schon zum Bart gekommen ist, so ist doch schon zuviel graues darunter für ein Bräutigamskinn, – Ueberdies zieht er in den heiligen Krieg – der beste Platz für alle alternden Soldaten, ich wollte, er nähme den Raoul mit sich! – Aber was hat das alles mit dem zu schaffen, was Ihr vorhin über Eure Trauerwaren sagtet? – Es ist doch recht traurig, daß mein armer Herr dahingeschieden ist – doch, was ist zu tun? – Ei, nun, Ihr kennt das gute alte Wort: Kleider brauchen wir, Braten auch und Bier – Trägt man uns gleich tot von hier. Was nun Euren Handel anbetrifft, bin ich imstande, Euch ebenso mit einem guten Worte zu helfen wie die manierliche Margery, wenn Ihr was Artiges dafür bietet. Denn stehe ich auch nicht so bei der Lady in Gunsten, so kann ich den Haushofmeister mir doch um den Finger wickeln.« »Nehmt dies als einen Teil Eures Gewinns, meine hübsche Frau Gillian,« sagte der Kaufmann, »und wenn meine Waren ankommen, werde ich Euch reichlicher bedenken, falls ich durch Eure Empfehlung gute Geschäfte mache, – Aber wie soll ich wieder in die Burg hineinkommen? Denn, da Ihr eine so verständige Frau seid, so wünschte ich sehr, Euch zu Rate zu ziehen, ehe ich mein Gepäck hineinschleppe,« »Ei nun,« antwortete die gefällige Dame, »wenn unsere Englischen auf der Wache sind, so dürft Ihr nur nach Gillian fragen, da werden sie gleich einem einzelnen Mann das Pförtchen öffnen; denn wir Engländer stecken immer zusammen, wäre es auch nur den Normännern zum Trotz; – aber wenn ein Norman auf der Wache ist, so müßt Ihr nach dem alten Raoul fragen und vorschützen, Ihr hättet Hunde und Falken zu verkaufen, und ich bin Euch gut dafür, auf dem Wege bekommt Ihr mich auch zu sprechen. Ist die Schildwache ein Flamländer, so dürft Ihr bloß sagen, Ihr seid ein Kaufmann, und er läßt Euch, aus Vorliebe zum Handel, herein.« Der Kaufmann wiederholte die Versicherung seiner Dankbarkeit, schlich sich von ihrer Seite weg und mischte sich unter die Zuschauer; sie wünschte sich Glück, ihrer natürlichen Gesprächigkeit gefolgt zu sein und durch ihr Plaudern, das ihr sonst bei andrer Gelegenheit sehr teuer zu stehen gekommen war, einige Gulden gewonnen zu haben. Das Schweigen des dumpfen Geläutes von der Schloßglocke zeigte jetzt an, daß der edle Raymond Berenger in der Gruft seiner Väter aufgenommen worden sei. Der Teil der Leichenbegleiter, welche vom Heere de Lacys mitgekommen war, begab sich nun nach der Schloßkapelle, wo man mit Mäßigkeit die Erfrischungen genoß, welche als ein Leichenmahl ihnen dargeboten wurden. Unmittelbar darauf verließen sie, an ihrer Spitze der junge Damian, das Schloß auf dieselbe langsame und melancholische Weise, wie sie hineingezogen waren. Die Mönche blieben im Schlosse, um wiederholte Seelenmessen für den Verstorbenen und für die Treuen, welche um ihn her gefallen waren, zu lesen. Die letztern waren während und nach der Schlacht mit den Wallisern so verstümmelt worden, daß es fast unmöglich war, ein Individuum von dem andern zu unterscheiden, sonst würde gewiß der Körper von Dennis Morolt, wie seine Treue es wohl verdiente, die Ehre eines besonderen Begräbnisses erhalten haben. Elftes Kapitel Die religiösen Gebräuche, welche auf das Begräbnis Raymond Berengers folgten, währten ununterbrochen sechs Tage lang. In dieser Zeit wurden Almosen an die Armen ausgeteilt, und auf Kosten Lady Evelinens denen, welche durch den letzten Einfall gelitten hatten, Vergütungen dargereicht. Leichenmahle, wie man sie nannte, wurden ebenfalls zur Ehre des Verstorbenen gehalten. Aber die Lady selbst und die meisten von ihrer Aufwartung beobachteten strenge Fasten und Büßungen, welches den Normännern eine weit anständigere Art, ihre Achtung gegen die Toten zu beweisen, schien, als die sächsische und flämische Gewohnheit, bei solchen Gelegenheiten zu bankettieren und zechen. Indessen ließ der Connetable de Lacy ein starkes Korps seiner Truppen unter den Mauern von Garde Douloureuse ein Lager beziehen, um die Burg gegen irgend einen neuen Einfall der Walliser zu decken, während er mit den übrigen seinen Sieg benützte und Schrecken unter die Britischen durch viele wohlausgeführte Streifzüge verbreitete, die fast mit ebenso großen Verwüstungen begleitet waren, als die ihrigen. Unter den Feinden kam nun noch zu der Niederlage und den Einfällen das Unglück der Zwietracht hinzu; denn zwei entfernte Verwandte von Gwenwyn stritten um den Thron, den er besessen, und hierdurch, wie es auch manche andere Veranlassung dazu gab, litten die Briten ebensosehr bei ihrer innern Uneinigkeit vom Schwerte der Normannen. Auch ein schlechterer Politiker und ein weniger berühmter Kriegsheld als der scharfsichtige und siegreiche de Lacy war, hätte unter solchen Umständen nicht ermangelt, einen vorteilhaften Frieden zu unterhandeln, welcher, indem er Powys eines Teils seiner Grenzen und einiger wichtigen Engpässe beraubte, wo der Connetable sich vorgenommen hatte, Kastelle anzulegen, auch Garde Douloureuse mehr als vorher gegen einen plötzlichen Angriff ihrer stolzen, unruhigen Nachbarn sicherte. De Lacys Sorge ging auch dahin, die Ansiedler, welche aus ihren Besitzungen entflohen waren, wieder einzurichten und die ganze Herrschaft, welche nun einer unbeschützten Frau anheim gefallen war, in einen so vollkommenen Verteidigungszustand zu setzen, als ihre Lage an einer feindlichen Grenze nur möglich machte. Obwohl so sorgfältig bedacht in der Sache der Waise von Garde Douloureuse, mochte doch de Lacy während dieser Zeit nicht ihren kindlichen Kummer durch seine Dazwischenkunft stören. Noch ward sein Neffe freilich jeden Morgen sehr zeitig abgesandt, seines Oheims »devoirs,« so genannt in der hochtrabenden Sprache jener Zeit, zu Füßen zu legen und sie von den in ihren Geschäften unternommenen Schritten zu benachrichtigen. Zum schuldigen Lohn für die Dienste seines Oheims ward Damian stets bei Evelinen vorgelassen, und kehrte immer mit ihren eigenen Danksagungen und ihrer unbeschränkten Genehmigung alles dessen, was der Connetable zu ihrem Besten vorschlug, zu diesem zurück. Aber als die Tage der strengen Trauer vorüber waren, berichtete der junge de Lacy von seiten seines Verwandten, daß, da seine Verträge mit den Wallisern abgeschlossen und alles in dem ganzen Gebiete so eingerichtet wäre, als die Umstände es erlaubten, der Connetable von Chester sich jetzt vorgenommen hatte, in seine eigene Landschaft zurückzukehren, um seine dringenden Vorbereitungen für das heilige Land wieder vorzunehmen, welche die Pflicht, ihre Feinde zu züchtigen, auf einige Tage unterbrochen hätte. »Und will nicht der edle Connetable, bevor er von diesem Platze abzieht,« sagte Eveline mit einem Ausbruch der Dankbarkeit, welche die Sache gar wohl verdiente, »den persönlichen Dank derjenigen empfangen, die fast umgekommen wäre, als er so mutig ihr zu Hilfe sprang?« »Gerade über diesen Punkt habe ich Auftrag, zu sprechen,« erwiderte Damian. »Aber mein edler Verwandter fühlte eine gewisse Schüchternheit, das auszusprechen, was er doch so sehnlich wünscht – nämlich die Erlaubnis, mit Euch selbst sich über gewisse Dinge von der höchsten Wichtigkeit zu unterhalten, die er einem dritten anzuvertrauen nicht passend findet.« »Gewiß,« sagte das Mädchen errötend, »es kann nicht wider jungfräuliche Zucht sein, daß ich den edlen Connetable sehe, sobald es ihm Vergnügen macht.« »Aber sein Gelübde,« erwiderte Damian, »verpflichtet meinen Verwandten, unter kein Dach zu treten, bis er nach Palästina unter Segel gegangen ist. Um mit ihm zusammenzukommen, müßt Ihr so gnädig sein, ihn in seinem Pavillon zu besuchen – eine Herablassung, die er als Ritter und normannischer Edler kaum von einem Fräulein so hohen Ranges begehren kann.« »Und ist das alles?« sagte Eveline, die, in einem etwas entfernten Orte erzogen, nicht mit der Etikette bekannt war, die die Edelfräulein jener Zeit in Rücksicht auf das andere Geschlecht beobachteten. »Soll ich,« sagte sie, »meinen Dank nicht meinem Befreier zubringen dürfen, da er nicht herkommen kann, ihn entgegenzunehmen? Sagt dem edlen Hugo de Lacy, daß meine Dankbarkeit neben dem Segen des Himmels ihm und seinen braven Kriegsgefährten gebührt. Ich will zu seinem Zelt kommen wie zu einer Heiligenkapelle, ja, sollte ihm solche Huldigung gefallen, barfuß, und wäre der Weg bestreut mit Kieseln und Dornen.« »Meinen Oheim wird Euer Entschluß ehren und freuen,« sagte Damian, »aber er wird darauf bedacht sein, Euch alle unnötige Bemühung zu ersparen. In dieser Absicht soll sogleich ein Pavillon vor Eurem Schloßtor errichtet werden, der, sofern Ihr ihn mit Eurer Gegenwart beehren wollt, als Ort für die erwünschte Zusammenkunft gelten wird.« Eveline ging bereitwillig auf alles ein, was der Connetable als annehmbares Auskunftsmittel vorgeschlagen und durch Damian ausrichten ließ. Aber in der Einfachheit ihres Gemütes sah sie keinen Grund, warum sie nicht unter dem Schutze des letztern augenblicklich, und ohne weitere Umstände, die kleine, wohlbekannte Ebene überschreiten sollte, wo sie als Kind Schmetterlinge jagte und Feldblumen pflückte, und wo sie noch vor kurzem gewohnt war, ihren Zelter zu tummeln; denn das war ja der einzige, noch dazu so kleine Raum, der sie von dem Lager des Connetables trennte. Der junge Abgesandte, mit dessen Gegenwart sie schon vertraut geworden, zog sich nun zurück, seinen Verwandten und Herrn über den Erfolg seiner Mission zu unterrichten. Eveline empfand jetzt zum erstenmale Kummer und Sorge über ihr eigenes Geschick, seit Gwenwyns Niederlage und Tod es ihr erlaubten, ihre Gedanken dem Gram über den Verlust ihres edlen Vaters zu weihen. Aber jetzt, da dieser Kummer, wenn auch nicht völlig beruhigt, so doch durch das lange Sinnieren in Einsamkeit abgestumpft war – jetzt, da sie vor dem Helden erscheinen sollte, von dessen Ruhm sie so oft gehört, von dessen kräftigem Schutze sie eben erst wieder Beweis erhalten hatte, jetzt wandte sich ihr Geist unvermerkt auf die Natur und die Folgen dieser wichtigen Zusammenkunft. Sie hatte allerdings schon Hugo de Lacy auf dem großen Turnier zu Chester gesehen, wo sein Mut und seine Geschicklichkeit in aller Munde waren, und hatte die ihrer Schönheit erwiesene Huldigung, als er ihr den Preis überreichte, mit allem Frohsinn jugendlicher Eitelkeit entgegengenommen; aber von seiner Person und seiner Gestalt war ihr kein bestimmtes Bild geblieben, als daß er ein Mann von mittlerer Größe sei, eine ganz besonders reiche Rüstung getragen habe und dem Gesicht nach – soviel sie davon unter dem Schatten seines aufgeklappten Visiers sehen konnte – von dem gleichen Alter wie ihr Vater zu sein schien. Dieser Mann nun, dessen sie sich flüchtig erinnerte, war also das erwählte Werkzeug, das ihre Schutzherrin gebraucht hatte, sie von der Sklaverei zu erlösen und den Verlust ihres Vaters zu rächen, und sie war durch ihr Gelübde verpflichtet, ihn als den Gebieter über ihr Schicksal zu betrachten, wenn er es seiner für wert erachtete, das zu werden. Umsonst strengte sie ihr Gedächtnis an, sich seine Züge so weit zu vergegenwärtigen, daß sie sich ein ungefähres Urteil darüber bilden konnte, wie er sich ihr gegenüber benehmen und verhalten würde. Der vornehme Baron selbst schien ihrer Zusammenkunft einen hohen Grad von Wichtigkeit beizulegen, nach den feierlichen Vorbereitungen zu schließen, die er dazu treffen ließ. Eveline dachte nicht anders, als daß er in Zeit von fünf Minuten zu Pferde vor dem Schloßtor halten, oder, wenn es der Anstand durchaus bedänge, daß ihre Unterredung in einem Zelte stattfände, daß dann ein Zelt aus seinem Lager ans Tor gebracht werde, was doch in zehn Minuten geschehen sein könnte. Aber der Connetable schien mehr Form und Feierlichkeit bei ihrer Zusammenkunft für geboten zu halten, denn Damian de Lacy hatte das Schloß kaum eine halbe Stunde verlassen, so waren schon nicht weniger als zwanzig Soldaten und kunstverständige Leute, unter der Leitung eines Unterherolds, dessen Waffenrock mit den Emblemen des Hauses de Lacy geschmückt war, an der Arbeit, vor dem Tore von Garde Doulourense einen jener prächtigen Pavillons zu errichten, die bei Turnieren und andern öffentlichen Feierlichkeiten üblich waren. Er war von purpurseidner Farbe, die Umhänge mit Gold gestickt, die Stricke aus demselben reichen Stoffe. Der Eingang wurde von sechs Lanzen gebildet, deren Schaft mit Silber belegt und deren Spitzen aus demselben kostbaren Metall bestanden; diese waren paarweise in den Boden gepflanzt und kreuzten sich in der Spitze, so daß sie eine Art von Bogengang bildeten, bedeckt mit einer Draperie von seegrüner Seide, was einen prächtigen Kontrast zu dem Purpur und Gold bildete. Das Innere des Zeltes stand, nach der Meinung aller, die es besichtigten, seinem Aeußern an Pracht nicht nach. Orientalische Teppiche und Tapeten, von Gent und Brügge, schmückten Estrich und Wände, während der obere Teil des Pavillons von himmelblauer Seide das Firmament darstellte und reich mit Sonne, Mond und Sternen aus gediegenem Silber verziert war. Dieser berühmte Pavillon war für den weitgepriesenen Wilhelm von Ypern gebaut worden, der sich große Reichtümer als Söldner-Hauptmann des Königs Stephan erwarb und von ihm zum Grafen von Albemarle erhoben wurde. Aber nach einem jener furchtbaren Gefechte, deren so viele in dem Bürgerkriege zwischen Stephan von Blois und der Kaiserin Maude oder Mathilde vorfielen, hatte das Kriegsglück ihn in die Hände de Lacys gebracht. Nie erfuhr man, daß der Connetable davon Gebrauch gemacht hatte, denn Hugo de Lacy, obgleich reich und mächtig, trat bei den meisten Gelegenheiten sehr einfach und ohne Prunk auf, daher denen, die ihn kannten, sein gegenwärtiges Benehmen um so auffallender erscheinen mußte. – Um die Mittagszeit kam er auf einem edlen Roß vor das Tor der Burg, begleitet von einer kleinen Anzahl Diener, Pagen und Stallmeister in ihren reichsten Livreen; er hielt vor dem Pavillon und gab nun seinem Neffen den Auftrag, der Lady von Garde Douloureuse zu berichten, daß der demütigste ihrer Diener vor dem Tore auf die Ehre ihrer Gegenwart harrte. Bei manchen Zuschauern herrschte die Meinung, ein Teil der Pracht und des Glanzes, die den Pavillon und das Gefolge zierten, hätte sich besser auf die Person des Connetables selbst verwenden lassen, da seine Kleidung schlicht, wenn nicht gar schlecht, und seine Figur an sich durchaus nicht so stattlich war, daß sie es entbehren konnte, durch Kleidung und Schmuck gehoben zu werden. Diese Meinung nahm noch mehr zu, als er vom Pferde stieg, da bis dahin seine meisterhafte Behandlung des edlen Rosses seiner Person und Gestalt eine Würde gab, die er gleich verlor, sowie er aus dem Sattel stieg. Kaum erreichte der berühmte Connetable die mittlere Größe, und seinen Gliedern, so stark gebaut und gedrungen sie waren, fehlte es an Anmut und Leichtigkeit der Bewegung. Seine Beine waren ein wenig auswärts gekrümmt, was ihm als Reiter wohl einen Vorteil gewährte, zu Fuß aber nichts weniger als gut stand. Er hinkte, wiewohl nur schwach, als Folge eines schlecht ausgeheilten Beinbruchs beim Sturz eines Pferdes, und auch das war seiner äußern Erscheinung nicht von Vorteil. Wenn auch seine breiten Schultern, seine nervigen Arme und seine ausgedehnte Brust sattsam für die Stärke, die er oft bewiesen, Zeugnis ablegten, so hatte doch auch die Stärke etwas Plumpes und Ungefälliges. Sprache und Gebärde verkündeten einen Mann, der selten gewohnt war, sich mit seinesgleichen, noch seltner mit höher gestellten Personen zu unterhalten; er war kurz, schroff, hart. Nach dem Urteile der Leute, die sich in des Connetable beständigem Umgang befanden, paarten sich in seinem feurigen Auge und auf seiner breiten Stirn Würde und Milde: aber wer ihn zum erstenmale sah, urteilte weniger günstig und wollte eher einen grimmen, leidenschaftlichen Ausdruck dort entdecken, wiewohl sich nicht in Abrede stellen ließ, daß sein Gesicht im großen und ganzen einen kühnen, kriegerischen Zug verriet. Er war wirklich nicht älter als fünfundvierzig Jahre; aber Mühseligkeiten im Kriege und Wind und Wetter schienen noch zehn Jahre zugelegt zu haben. Bei weitem am einfachsten gekleidet im ganzen Zuge, trug er nun einen kurzen, normännischen Mantel über seinem engen Kleide von Gemsleder, das, wenn es auch die Rüstung fast überall bedeckte, doch mancherlei schadhafte Stellen aufwies. Ein brauner Hut, auf dem er ein Rosmarinreis als Abzeichen seines Gelübdes trug, war seine Kopfbedeckung. Sein gutes Schwert und ein Dolch hingen an seinem Gürtel aus Seekalbsfell. An der Spitze eines glänzenden Gefolges, das auf seinen leisesten Wink lauschte, erwartete der Connetable von Chester die Ankunft der Lady Eveline von Berenger am Tore von Garde Douloureuse. Trompeten von innen her kündigten ihr Nahen – die Brücke fiel – und geführt von Damian de Lacy in seiner glänzendsten Tracht, gefolgt von einem Zuge ihrer Frauen, ihren Vasallen und ihrem Hausgesinde, trat sie in all ihrer Liebenswürdigkeit aus dem massiven, antiken Portal ihrer väterlichen Behausung. Ohne allen Schmuck, in tiefe Trauer gekleidet, bildete sie einen strengen Gegensatz zu ihrem Führer, dessen kostbare Kleidung von Juwelen und Stickereien strahlte, dahingegen ihr Alter und ihre Schönheit in anderer Rücksicht eines zum lieblichsten Ebenbilde des andern machte. Dieser Umstand mochte es sein, der das frohe Beifalls-Gemurmel bei ihrer Erscheinung weckte, während die Rücksicht auf ihre tiefe Trauer laute Rufe hintanhielt. In dem Augenblick, als Evelinens schöner Fuß den ersten Schritt aus den Palisaden, die die äußere Barriere des Schlosses bildeten, getan hatte, trat der Connetable de Lacy ihr entgegen, und sein rechtes Knie zur Erde beugend, erbat er sich Verzeihung für die Unhöflichkeit, die sein Gelübde ihm abgedrungen hätte, indem er es zugleich aussprach, wie tief er die Ehre fühle, deren sie ihn jetzt würdige. Seine Stellung, wie die Rede, obwohl beide im Geiste der romantischen Galanterie jener Zeit, setzten Eveline in Verlegenheit, um so mehr, als diese Huldigung ihr in solcher Oeffentlichkeit widerfuhr. Sie bat den Connetable, aufzustehen und ihre Verwirrung nicht zu vermehren, da sie sich schon mehr als verlegen fühle, wie sie die schwere Schuld der Dankbarkeit abtragen solle, in der sie ihm gegenüber stehe. Der Connetable stand auf, nachdem er die ihm dargereichte Hand geküßt hatte, und ersuchte sie, in die ärmliche Hütte zu treten, die er zu ihrem Obdach bereitet habe, und ihm geneigtes Gehör zu gönnen. Ohne weitere Antwort, als eine Verbeugung, überließ ihm Eveline ihre Hand, und ihrem übrigen Gefolge gebietend, zurückzubleiben, winkte sie nur Rose Flammock, sie zu begleiten. »Lady,« sagte der Connetable, »die Dinge, über die ich gezwungen bin, so eilig mit Euch zu sprechen, sind geheimster Natur.« »Dieses Mädchen,« erwiderte Eveline, »ist meine Zofe und die Vertraute meiner verborgensten Gedanken. Ich ersuche Euch, ihre Gegenwart bei unserer Unterredung zu gestatten.« »Anders wäre es besser,« entgegnete Hugo de Lacy mit einiger Verlegenheit, »doch Eurem Willen bin ich gehorsam.« Er führte Eveline in das Gezelt und ersuchte sie, sich auf einen Polstersitz niederzulassen, der mit schwerer venetianischer Seide bedeckt war. Rose stellte sich hinter ihrer Gebieterin auf; alle Bewegungen des vollendeten Kriegs- und Staatsmannes, dessen Ruhm durch alle Lande ging, überwachend und sich seiner Verlegenheit freuend als eines Triumphs ihres Geschlechts, zumal sie eben nicht der Meinung war, daß sein gemsledernes Wams und seine viereckige Gestalt den Glanz des Auftritts erhöhen oder auch nur zu der fast engelhaften Schönheit Evelinens, seiner Partnerin, passen möchte. »Lady,« sagte der Connetable nach einigem Zaudern, »ich möchte gern das, was ich noch zu sagen habe, in solche Form kleiden, wie sie die Frauen am liebsten haben und wie sie Eurer ausgezeichneten Schönheit noch besonders würdig ist; aber ich habe zu lange Zeit im Felde und im Staatsrate verlebt, um meine Meinung anders als einfach und geradezu auszudrücken.« »Ich werde Euch um so leichter verstehen,« sagte Eveline zitternd, obwohl sie kaum wußte, weshalb. »Mein Vortrag also wird schlichter Natur sein. Es ist etwas vorgefallen zwischen Eurem verehrten Vater und mir, das auf eine Vereinigung unserer Häuser abzielt.« Er hielt inne, als wünschte oder erwartete er, daß Eveline etwas sage; aber da sie schwieg, fuhr er fort: »Ich wünschte bei Gott, der Himmel hätte gewollt, daß Euer Vater, wie er diese Verhandlung begonnen, sie auch mit seiner gewohnten Klugheit hätte durchführen und vollenden können! Doch was ist dabei zu tun? Er ist den Weg gegangen, den wir alle einmal gehen müssen.« »Eure Herrlichkeit hat den Tod Eures edlen Freundes edel gerächt.« »Lady, ich habe nur meine Pflicht getan als Ritter, eine bedrängte Jungfrau zu verteidigen – als Lord der Marken, die Grenzen zu decken – als Freund, den Freund zu rächen. Doch zur Sache! – Unser altes edles Haus neigt sich zu Ende. Von meinem entfernten Verwandten Randal Lavy will ich nichts sprechen, in ihm ist nichts Gutes oder was Hoffnung erregen kann, auch sind wir schon viele Jahre nicht zusammengekommen. Mein Neffe Damian gibt die schönsten Hoffnungen, ein würdiger Zweig unsers alten Stammes zu sein – aber er ist kaum zwanzig Jahre alt und hat noch eine lange Laufbahn voll Abenteuer und Gefahren zurückzulegen, bevor er mit Ehren die Pflichten des Haus- und Ehestandes übernehmen kann. Auch ist seine Mutter eine geborene Engländerin, ein kleiner Riß vielleicht in seinem Wappenschilds doch wären nur noch zehn Jahre mehr unter den Ehren eines Ritters ihm verlaufen, so würde ich Namian de Lacy zu dem hohen Glücke vorgeschlagen haben, nach welchem ich jetzt strebe.« »Ihr, Mylord, Ihr! Es ist unmöglich!« rief Eveline, bemühte sich aber zugleich, diesem Ausbruch ihrer Ueberraschung, den sie nicht unterdrücken konnte, alles, was sich wie Kränkung anhören könnte, zu nehmen. »Ich wundere mich nicht,« sagte der Connetable gelassen, denn da das Eis nun einmal gebrochen war, kehrte er zu der natürlichen Festigkeit seines Charakters zurück, »daß Ihr über diesen gewagten Vorschlag Erstaunen äußert. Ich besitze vielleicht nicht die Gestalt, die der Frauen Auge gefällt, und habe, falls ich sie je kannte, jene Worte und Redensarten vergessen, die der Frauen Ohr gefallen; aber, edle Eveline, die Gemahlin Hugos de Lacy wird eine der Ersten unter den Frauen Britanniens sein.« »Um so mehr wird es sich für diejenige, der eine so hohe Würde angeboten wird, schicken,« sagte Eveline, »es wohl zu überlegen, wie weit sie fähig ist, den Pflichten solch hohen Standes nachzukommen.« »O, davor bangt mir nicht,« sagte de Lach, »ein Mädchen, das eine so treffliche Tochter war, kann sich in keiner andern Lebenslage anders bewähren.« »Ich hege nicht das Vertrauen zu mir, Mylord,« entgegnete das Mädchen verlegen, »das Ihr so gütig in mir voraussetzt, drum muß ich mir – verzeiht mir – noch Zeit erbitten für andere Rücksichten als solche, die mich selbst betreffen.« »Eurem Vater, edle Lady, lag solche Verbindung sehr am Herzen. Diese Schrift, von ihm selbst unterzeichnet, ist der Beweis dafür ...« Das Knie beugend, überreichte er ihr das Papier .. »Die Gemahlin de Lacys wird, wie es die Tochter von Raymond Berenger verdient, den Rang einer Prinzessin, seine Witwe das Leibgedinge einer Königin haben.« »Spottet meiner nicht durch Eure Kniebeugung, Mylord, Während Ihr mir die väterlichen Beweise vorhaltet, die, verbunden mit andern Umständen –« sie hielt inne und seufzte tief – »meinem freien Willen vielleicht nur wenig Raum lassen.« Kühn geworden durch diese Antwort, erhob sich de Lacy, der bisher in seiner Kniebeuge verharrt war, nahm seinen Sitz neben Eveline und fuhr fort, mit seiner Bitte in sie zu dringen – zwar nicht in der Sprache der Leidenschaft, sondern aus der eines offen sprechenden Mannes, der mit einem gewissen Eifer eine Sache durchsetzen will, von der sein Wohlergehen abhängt. Die Erscheinung des Wunderbildes, muß man sich denken, schwebte vor allem dem Geiste Evelinens vor, die, durch das feierliche Gelübde gebunden, das sie bei jener Gelegenheit getan, sich zu ausweichenden Antworten gezwungen sah, während sie, wenn ihre Wünsche allein in Betracht gekommen wären, lieber ein ehrliches Nein gesagt hätte. »Ihr könnt,« sagte sie, »von mir nicht erwarten, Mylord, daß ich, kaum erst Waise, über eine Sache von so hoher Wichtigkeit so eilig einen Entschluß fassen soll. Euer edles Herz gebe mir Zeit, mich mit mir selbst zu beraten und meine Freunde zur Beratung zu ziehen.« »Ach! schöne Eveline,« sagte der Baron, »zürnet über mein heftiges Drängen nicht! Ich kann es nicht lange aufschieben, zu einer fernen und gefahrvollen Unternehmung aufzubrechen; die kurze Zeit, die mir für meine Bewerbung um Eure Gunst übrig bleibt, muß eine Entschuldigung für meine Zudringlichkeit sein.« »Und, edler Lacy, unter solchen Umständen wolltet Ihr Euch durch Familienbande fesseln?« »Ich bin Gottes Kriegsmann,« sagte der Connetable, »und er, für dessen Sache ich in Palästina kämpfe, wird mein Weib in England beschützen.« »Vernehmt denn meine gegenwärtige Antwort, Mylord,« sagte Eveline, von ihrem Sitz aufstehend, »morgen begebe ich mich in das Benediktinerinnenkloster zu Gloucester, wo meines verehrten Vaters Schwester als Aebtissin lebt. Ihrer Führung will ich mich in dieser Angelegenheit überlassen.« »Ein schöner Entschluß, der Jungfrau geziemend,« antwortete de Lacy, seinerseits dem Anschein nach nicht unzufrieden damit, daß die Unterredung abgebrochen wurde, »und, wie ich glaube, keineswegs ungünstig den Wünschen Eures demütig bittenden Freiers, denn die edle Frau Aebtissin ist schon seit langer Zeit meine verehrte Freundin.« – Dann wandte er sich zu Rose, die im Begriff stand, ihrer Lady zu folgen ... »Mein hübsches Mädchen,« sprach er, ihr eine goldene Kette reichend, »gönne diesem Schmuck einen Platz an Deinem Halse, und mir vergönne Deinen guten Willen.« »Mein guter Wille ist nicht verkäuflich, Mylord,« sagte Rose, das dargebotene Geschenk zurückweisend. »Schöne Worte sind leicht erkauft,« sagte Rose, nach wie vor die Kette zurückweisend, »aber selten des Kaufgeldes wert.« »Verachtet Ihr mein Geschenk, Jungfer?« sagte de Lach, »es hat den Nacken eines normannischen Grafen geschmückt.« »So schenkt es lieber einer normannischen Gräfin, Mylord,« sagte das Mädchen, »ich bin ja bloß Rose Flammock, eines Webers schlichte Tochter. Ich halte es mit meinen guten Worten so, daß sie mit meinem guten Willen Hand in Hand gehen, und eine messingne Kette wird mir nicht minder gut stehen als eine aus geschlagenem Golde.« »Still, Rose,« sagte ihre Gebieterin. »Du bist zu vorwitzig, solche Worte dem Lord Connetable zu bieten! Und Ihr, Mylord,« fuhr sie fort, »gestattet mir, mich zu entfernen, da Ihr jetzt meine Antwort auf Euren Antrag vernommen. Es tut mir leid, daß es sich um keine minder zarte Angelegenheit dabei handelt, denn ich hätte mich Euch gern dankbarer bewiesen.« Der Connetable führte die Lady mit der gleichen Feierlichkeit zurück, wie sie empfangen worden war, und sie betrat wieder ihre Burg, trüben und sorgenvollen Gemüts über die Folgen, die diese wichtige Unterredung für sie zeitigen könnte. Tief hüllte sie sich in ihren langen Trauerschleier, um die Veränderung in ihrem Gesicht nicht sehen zu lassen, vermied es sogar, sich gegen Pater Aldrovand auszusprechen, und zog sich alsbald in die Einsamkeit ihres Gemaches zurück. Zwölftes Kapitel Dorthin folgte ihr Rose, ohne auf Weisung ihrer Herrin zu warten, um ihr beim Ablegen des langen Trauerschleiers, den sie draußen getragen, zu helfen; aber die Lady wies sie zurück und sagte: »Tu bist recht vorschnell mit Deinen Diensten, Mädchen; warte doch, bis man sie begehrt.« »Ihr seid böse auf mich, Lady,« sagte Rose. »Nicht ohne Ursache,« erwiderte Eveline .... »Du kennst meine schwierige Lage – weißt, was meine Pflicht fordert – und doch, statt mir solches Opfer zu erleichtern, erschwerst Du es mir.« »Ach, wenn ich doch mehr Einfluß hätte, Euch auf einen gewissen Weg zu leiten,« sagte Rose; »Ihr solltet finden, daß es ein sanfter Weg ist – und ein ehrlicher und gerader überdies.« »Wie meinst Du das, Mädchen!« fragte Eveline. »Ich wollte,« antwortete Rose, »Ihr widerriefet die Aufmunterung – die Einwilligung, so möchte ich es fast nennen, die Ihr jenem stolzen Baron gegeben habt. Ihr steht zu hoch, um geliebt zu werden – er ist zu stolz, um Euch zu lieben, wie Ihr es verdient. Wenn Ihr ihn heiratet, so heiratet Ihr vergoldetes Elend, und es kann Euch ebensogut zur Schmach sein wie zur Unfreude.« »Vergiß die Dienste nicht, Mädchen, die er uns erwiesen!« »Seine Dienste?« wiederholte Rose, »Er wagte freilich sein Leben für uns, aber das tat auch jeder Soldat in seinem Heere. Und bin ich denn verpflichtet, jeden verschrumpften Gesellen unter ihnen zu heiraten, weil er sich schlug, sobald die Trompete schmetterte? Mich wundert nur, was eigentlich der Sinn von ihrem devoir ist, wie sie es nennen, wenn sie sich nicht schämen, auf den höchsten Lohn, den eine Frau gewähren kann, Anspruch zu machen, bloß weil sie ihrer Edelmannspflicht gegen ein bedrängtes Geschöpf genügten .... Edelmann sagte ich? – Der gröbste Bauer in Flandern würde kaum einen Dank erwarten.« »Aber meines Vaters Wünsche?« »Der würde sich ohne Zweifel nach der Neigung seiner Tochter richten! – Ich will meinem verewigten edlen Lord – Gott sei seiner Seele gnädig – nicht die Ungerechtigkeit antun, anzunehmen, daß er in dieser Sache hätte seinen Willen durchsetzen wollen, wenn er nicht mit Eurem freien Willen übereinstimmte.« »Dann mein Gelübde! mein unseliges Gelübde, wie ich es beinahe genannt hätte,« sagte Eveline. »Verzeih mir der Himmel meine Undankbarkeit gegen meine Schutzheiligen!« »Auch Euer Gelübde erschüttert mich nicht,« sagte Rose. »Ich kann es nun und nimmer glauben, daß unsere gnädige Gottesmutter als Buße für ihren Schutz von mir fordern könne, einen Mann zu heiraten, den ich nicht lieben kann ... Sie habe gelächelt, sagt Ihr – als Ihr zu ihr betetet? – Geht hin zu ihr, offenbart ihr, was Euch quält, und gebt acht, ob sie nicht wieder lächeln wird! Oder sucht Dispensation Eures Gelübdes, – sucht sie auf Kosten Eures halben Vermögens, – sucht sie auf Kosten Eures ganzen Eigentums. – Pilgert barfuß nach Rom – tut alles, alles – nur gebt nicht Eure Hand, wo Ihr nicht Euer Herz geben könnt.« »Du redest Dich warm, Rose,« sagte Eveline, bei diesen Worten tief aufseufzend. »Nicht ohne Grund, meine süße Lady! – Habe ich nicht einen Haushalt gesehen, in dem die Liebe fehlte? – in dem, bei allem Wert der Personen und allem guten Willen, der sie beseelte, trotz allem Ueberflusse, der dort herrschte, alles verbittert wurde durch ein Sehnen, das nicht allein unnütz, sondern gar strafbar war?« »Aber, Rose, dennoch will mir scheinen, als ob Empfindung dafür, was wir uns und andern schuldig sind, wenn wir darauf achten, uns selbst bei jenen Empfindungen, die Du geschildert hast, leiten und trösten könne?« »Es wird uns vor Sünde, nicht aber vor Kummer bewahren,« antwortete Rose; »und weshalb sollen wir uns mit offenen Augen in eine Lage stürzen, wo Pflicht mit Neigung kollidieren muß? Warum gegen Wind und Flut rudern, wenn Ihr Euch eben so leicht günstigen Windes bedienen könnt?« »Weil die Reise meines Lebens den Weg nimmt, wo Wind und Strom mir entgegen sind,« antwortete Eveline, »es ist mein Schicksal, Rose.« »Es ist nur dann Euer Schicksal, wenn Ihr es durch Wahl dazu macht,« entgegnete Rose. »O, hättet Ihr nur die bleichen Wangen, das eingesunkene Auge, die tiefe Niedergeschlagenheit meiner armen Mutter sehen können! – Aber ich habe schon zuviel gesagt!« – »Also war es Deine Mutter, von deren unglücklichen Ehe Du sprachest?« »Sie war es – ja, sie war es,« sagte Rose und brach in Tränen aus ... »Ich habe, um Euch von Kummer zu retten, Dinge offenbart, deren ich mich schäme. – Unglücklich war sie, obgleich durchaus ohne Schuld – so unglücklich, daß der Damm-Durchbruch und der Tod in der Flut ihr – allein die Erinnerung an mich ausgenommen – willkommener war, als die Nacht dem müden Arbeiter. Sie hatte ein Herz wie geschaffen für Liebe und Gegenliebe, und es ist nur eine Ehre für jenen stolzen Baron, wenn ich sage, er kommt meinem Vater gleich an Wert und Tugend. – Und doch war die Mutter tief unglücklich! – O meine süße Lady! Laßt Euch warnen und brecht diese unheildrohende Verbindung ab!« Eveline erwiderte den liebevollen Druck, mit dem das liebevolle Mädchen, ihre Hand erfassend, den wohlgemeinten Rat verschärfen wollte, und setzte mit tiefem Seufzer leise hinzu: »Rose, es ist zu spät!« »Niemals, niemals,« sagte Rose, sich scharf im Zimmer umherblickend; »wo ist das Schreibzeug? Laßt mich Pater Aldrovand holen und ihm Euren Willen kund tun – oder – halt! der fromme Vater hat selbst ein Auge auf den Glanz der Welt, die er verlassen zu haben wähnt – darum ist er kein verläßlicher Briefsteller! – Ich will selbst zum Lord Connetable gehen – mich kann sein Rang nicht blenden oder sein Reichtum bestechen, oder seine Macht einschüchtern. Ich will ihm sagen, daß er nicht ritterlich handelt, wenn er auf dem Vertrag mit Eurem Vater in solcher Stunde hilfloser Sorge besteht – daß er nicht fromm handelt, wenn er die Erfüllung seines Gelübdes aufschiebt, um zu heiraten oder zu verheiraten – daß er nicht edel handelt, wenn er sich einem Mädchen aufdrängt, dessen Herz nicht für ihn schlägt – daß er nicht weise handelt, wenn er sich eine Gattin wählt, um sie auf der Stelle wieder zu verlassen und entweder der Einsamkeit oder den Gefahren eines verderbten Hofes preiszugeben.« »Zu solcher Botschaft, Rose, hast Du den Mut nicht,« sagte ihre Gebieterin mit Tränen im Auge, trauervoll lächelnd über den Eifer ihrer jugendlichen Dienerin. »Nicht Mut dazu? und warum nicht? Stellt mich auf die Probe!« erwiderte das flämische Mädchen, gleichfalls lächelnd, »Ich bin weder ein Sarazene, noch ein Wälscher, seine Lanze und sein Schwert schrecken mich nicht ... ich habe nicht zu seiner Fahne geschworen – sein Kommando geht mich nichts an! Ich könnte, mit Eurer Erlaubnis, es ihm kühn ins Gesicht sagen, daß er ein selbstsüchtiger Mann sei, der unter schönen Vorwänden sein Streben nach Dingen verhehle, die nur seinen Stolz befriedigen sollen, und hohe Ansprüche auf Dienste gründe, die schon die allgemeine Menschlichkeit forderte ... Und weshalb dies alles? Fürwahr, der große de Lach braucht einen Erben für sein edles Haus, und sein schöner Neffe taugt nicht für ihn als Stellvertreter, weil seine Mutter von angelsächsischer Abkunft ist, der echte Erbe aber ein echter, rassereiner Normann sein muß. Und darum soll Lady Eveline Berenger in der Blüte ihrer Jugend an einen Mann verheiratet werden, der ihr Vater sein könnte, und der, nachdem er sie jahrelang schutzlos in der Heimat zurückgelassen, zurückkehren wird in einem Alter, daß man ihn für ihren Großvater halten wird.« »Da er so sehr viel hält auf rassereines Blut,« sagte Eveline, »denkt er vielleicht in letzter Stunde noch an einen Umstand, der einem so kundigen Heraldiker nicht unbekannt sein kann: daß ich ja selbst von sächsischer Abkunft bin durch meines Vaters Mutter.« »Oh!« erwiderte Rose, »den Flecken wird er der Erbin von Garde Douloureuse gern verzeihen.« »Pfui, Rose,« antwortete ihre Gebieterin, »Du tust ihm unrecht, ihn der Habsucht zu beschuldigen.« »Vielleicht,« sagte Rose, »aber unleugbar ist er ehrgeizig ... Und Habsucht, habe ich gehört, ist der Ehrsucht Stiefschwester, wenn auch Ehrgeiz sich dieser Verwandtschaft schämt.« »Du sprichst zu keck, Jungfer,« sagte Eveline, »und obwohl ich Deine Liebe erkenne, muß ich doch Deine Art, sie zum Ausdruck zu bringen, schelten.« »Ja! Redet Ihr in solchem Tone, dann habe ich ausgeredet,« sagte Rose; »zu Evelinen, die ich liebe und die mich liebt, kann ich frei sprechen, aber vor Lady von Garde Douloureuse, dem stolzen normannischen Fräulein, das Ihr gut vorzustellen wißt, wenn Ihr nur wollt, kann ich mich verneigen, wie meine Seele es gebeut, und darf sie nur so viel Wahrheit hören lassen, wie sie hören will.« »Du bist ein wildes und doch liebes Mädchen,« sagte Eveline; »wer Dich kennt, würde nicht glauben, daß dieses sanfte kindliche Aeußere solche Feuerseele einschließt. Deine Mutter muß in der Tat jenes empfindsame, leidenschaftliche Wesen gewesen sein, wie Du sie schilderst: denn Dein Vater – ja ja! halte nur nicht schon Deine Waffen fertig, ihn zu verteidigen, ehe er angegriffen ist! – ich will nur sagen, daß sein gesunder Menschenverstand und sein biederer Sinn die besten Eigenschaften an ihm sind.« »Und ich wünschte nur, Ihr wolltet diese Eigenschaften jetzt benützen, Lady,« sagte Rose. »In schicklichen Dingen will ich es; aber er wäre gerade ein unpassender Ratgeber in der Sache, die wir vorhaben,« sagte Eveline. »Ihr verkennt ihn,« antwortete Rose Flammock, »und schätzt ihn unter seinem Werte. Gesundes Urteil gleicht der geaichten Elle, die zwar gemeinhin bei allem groben Zeug angewandt wird, aber mit gleicher Genauigkeit das Maß von indischem Seidenzeug oder Goldbrokat angibt.« »Gut, gut! die Sache drängt ja nicht auf den Augenblick. Verlaß mich nun, Rose, und schicke mir Gillian, die Kammerfrau, her. – Ich will ihr das Nötige über meine Garderobe sagen.« »Diese Gillian ist in der letzten Zeit sehr in Gunst bei Euch gelangt,« sagte Rose; »es gab eine Zeit, da es anders war.« »Mir ist Ihre Art so wenig sympathisch wie Dir,« erwiderte Eveline, »aber sie ist des alten Raouls Frau, stand in gewisser Halbgunst bei meinem Vater, der, wie wohl auch andere Männer, sich vielleicht durch eben jenes kecke Wesen gewinnen ließ, das die Bessern unsers Geschlechts als ungeziemend finden – und dann gibt es im Schlosse keine andere, die so geschickt ist, Kleider einzupacken, daß sie nicht Schaden nehmen.« »Dieser letzte Grund allein,« sagte Rose lächelnd, »gibt ihr, wie ich gern gelten lasse, unwiderstehlichen Anspruch auf Gunst, und Dame Gillian soll Euch gleich aufwarten. Aber laßt Euch raten, Lady – laßt sie einpacken – sprecht aber mit ihr nicht von Dingen, die sie nichts angehen.« Mit diesen Worten verließ Rose das Zimmer, und ihre junge Lady sah ihr still nach; dann sprach sie zu sich selbst: »Rose liebt mich recht, liebt mich von Herzen, aber sie neigt dazu, mehr Herrin als Zofe zu sein; auch ist sie eifersüchtig auf jede andere Person, die sich mir naht. – Es ist doch sonderbar, daß ich Damian de Lucy seit meiner Unterredung mit dem Connetable nicht gesehen habe. Er denkt sich am Ende wohl gar schon in den Fall hinein, in mir eine gestrenge Tante zu haben?« Aber die Domestiken, die sich nun herbeidrängten, die Befehle für die auf den andern Tag festgesetzte Reise entgegenzunehmen, lenkten die Gedanken ihrer Gebieterin von ihrer eigentümlichen Lage ab, und da die Aussicht nichts Angenehmes bot, wies Eveline sie mit dem leicht beweglichen Geiste der Jugend bis auf weiteres von sich. Ende des ersten Teiles. Zweiter Teil Dreizehntes Kapitel Früh des andern Morgens verließ eine stattliche Gesellschaft, die aber durch die tiefe Trauer der Hauptpersonen einigermaßen trüb gefärbt war, die wohlverteidigte Burg von Garde Douloureuse, die vor kurzem der Schauplatz so merkwürdiger Ereignisse war. Eben begann die Sonne den Tau aufzusaugen, der während der Nacht gefallen war, und den dünnen grauen Nebel zu zerstreuen, der noch um die Türme und Zinnen schwebte, als Wilkin Flammock, mit sechs Bogenschützen zur Seite zu Pferde und ebenso viel Lanzenknechten zu Fuß, durch das gotische Tor hervor, über die dröhnende Zugbrücke sprengte. Nach diesem Vortrabe kamen vier wohlberittene Diener vom Hausgesinde, und nach ihnen ebenso viele von den niedrigen Dienerinnen, alle in Trauer, Darauf ritt die junge Lady Eveline selbst vor, die den Mittelpunkt des kleinen Zuges einnahm, und ihre langen schwarzen Gewänder bildeten einen auffallenden Kontrast gegen die Farbe ihres milchweißen Zelters. Ihr zur Seite auf einem Spanier, einem Geschenk ihres Vaters, – der ihn, seiner Tochter eine Freude zu machen, zu hohem Preise gekauft hatte – saß Rose Flammock, mit all dem jugendlich-schüchternen Wesen, das ihr Benehmen auszeichnete, und all dem tiefen Gefühl und scharfen Urteil in ihrem Denken und Handeln. Frau Margery folgte mit dem Zuge, in welchem sich Pater Aldrovand befand, dessen Gesellschaft sie offen aussuchte, gab sie sich doch gern den Schein einer Frommen, und war doch ihr Ansehen in der Familie als Evelinens Amme groß genug, sie zu einer nicht unschicklichen Gesellschaft für den Kaplan zu machen, sofern ihre Gebieterin nicht für sich selbst ihre Aufwartung forderte. Dann folgte der alte Raoul, der Jäger, dessen Frau und ein paar andere Hausoffizianten Raymond Berengers. Der Haushofmeister mit seiner goldenen Kette, seinem samtnen Leibrock und weißen Stabe, führte den Nachtrab an, den ein kleinerer Trupp Armbrustschützen und vier Reisige beschlossen. Die Bedeckung und selbst der größte Teil des Gefolges waren nur Zur Ehrenbegleitung ihrer jungen Gebieterin auf eine kurze Strecke vom Schlosse bestimmt, bis sie mit dem Connetable von Chester zusammenträfen, der sich vorgenommen hatte, mit einem Gefolge von dreißig Lanzen Evelinen bis Gloucester, dem Orte ihrer Bestimmung, zu begleiten. Unter seinem Schutze war keine Gefahr zu fürchten, auch wenn nicht schon die harte Niederlage, die die Walliser kürzlich erlitten, an und für sich hingereicht hatte, jedem Versuch dieser feindlichen Bergbewohner, die Ruhe der Marken zu stören, auf lange Zeit vorzubeugen. In Gemäßheit dieser Anordnung, die dem bewaffneten Teile von Evelinens Gefolge die Rückkehr zur Burg und zur Wiederherstellung der Ruhe im Gebiete derselben gestattete, hielt der Connetable bei der verhängnisvollen Brücke an der Spitze einer stattlichen Schar von auserwählten Reitern. Die beiden Züge machten, um sich gegenseitig zu begrüßen, Halt; da aber der Connetable bemerkte, daß Eveline ihren Schleier dichter zusammenzog, und sich hierbei des Verlustes erinnerte, den sie vor kurzem an dieser unglückseligen Stelle erlitten, bedünkte es ihm als richtiger, seinen Gruß auf eine bloße Verbeugung zu beschränken, die aber so tief ausfiel, daß die hohe Feder seines Helmes – denn er war in voller Rüstung – sich in die Mähne seines mutigen Rosses verirrte, Wilkin Flammock nahte jetzt der Lady mit der Frage, ob sie weitere Befehle für ihn hätte. »Nein, guter Wilkin, außer mir, wie immer, treu und wachsam zu sein.« »Die Eigenschaften eines guten Kettenhundes,« sagte Flammock, »roher Scharfblick und starke Hand statt eines Mauls voll starker Zähne: das ist alles, was ich noch dazu tun kann. – Ich werde mein Bestes versuchen. – Lebe wohl, mein Röschen! Du gehst unter Freunde – verlerne dort die Eigenschaften nicht, die Dich zu Hause als liebe Tochter erscheinen ließen. – Die Heiligen segnen Dich! – Lebe wohl!« Der Haushofmeister folgte ihm zunächst, um Abschied zu nehmen; doch wäre er beinahe recht übel dabei gefahren, Raoul, von Natur störrisch und dabei von Reißen geplagt, war auf den Einfall gekommen, sich ein altes arabisches Pferd auszusuchen, einst zur Zucht gebraucht, jetzt mager und lahm, wie er selbst, aber boshaft wie der Satanas, Zwischen Roß und Reiter herrschte dauernd Zwiespalt, für dessen Verschärfung Raoul durch Flüche, Reißen am Gebiß und grimme Sporenstöße, Mahound aber – (dies war des Pferdes Name) – durch Bocken, Bäumen und allerhand andre Anstrengung, den Reiter abzusatteln, oder Hufschläge gegen jeden, der ihm in die Nähe kam, eifrig sorgte. Viele von der Dienerschaft meinten, daß Raoul sich das boshafte, querköpfige Tier immer, wenn er in Gesellschaft seines Ehegesponses reisen mußte, darum mitnahm, um sich die Gelegenheit nicht entgehen zu lassen, daß es einmal diesem beschert sein möchte, mit seinen Hufen in Berührung zu kommen. Und nun, als der Haushofmeister seinem Klepper die Sporen gab, um seiner jungen Lady die Hand zu küssen und sich bei ihr zu beurlauben, kam es den Anwesenden so vor, als ob Raoul Zaum und Sporen absichtlich so anwandte, daß Mahound in dem Augenblicke wild ausschlug und sein Huf mit des Haushofmeisters Schenkel so zusammentraf, daß er ihn wie ein trocknes Rohr zersplittert hätte, wären sie ein paar Zoll näher aneinander gewesen. Aber auch so, wie es war, trug der Haushofmeister einen bedeutenden Schaden davon, und wer von den Anwesenden das Grinsen auf Raouls Essiggesichte bemerkte, hatte keinen Zweifel, daß Mahound mit seinem Hufe ein verdächtiges Nicken, Winken und Lächeln rächen sollte, das zwischen dem goldstrotzenden Offizianten und der kokettierenden Kammerfrau nach dem Ausritt vom Schlosse gewechselt worden war. Dieser Umstand verkürzte die peinliche Abschiedszeremonie zwischen Lady Evelinen und ihren Untergebenen und nahm zugleich ihrer Zusammenkunft mit dem Connetable, die eigentlich nichts anders war, als eine Flucht unter seinem Schuh, den allzu förmlichen Charakter. Hugo de Lacy, nachdem er sechs seiner Reisigen als Vortrab vorausgeschickt hatte, verweilte so lange, bis er den Haushofmeister auf einer Sänfte gebettet sah, und folgte dann mit seinen übrigen Begleitern in militärischer Ordnung, ungefähr dreihundert Fuß entfernt, Evelinen und ihrem Gefolge, ängstlich besorgt, nicht den Eindruck zu wecken, als ob er sich ihrer Gesellschaft aufdrängen wollte, so lange sie im Gebete lag, wozu der Ort ihres Zusammentreffens sie begreiflicherweise anregen mußte, vielmehr geduldig wartend, bis ihr jugendlicher Sinn sie zu einer Ablenkung der trüben Gedanken, mit denen sie der Ort erfüllte, bestimmen werde. Demgemäß näherte sich der Connetable nicht eher den Frauen, als bis der vorgerückte Morgen zu der Anzeige drängte, daß in der Nachbarschaft ein freundlicher Platz sich befände, wo er Vorbereitungen zum Ausgehen und zu Erfrischungen getroffen hätte. Sobald Lady Eveline einwilligte, von dieser Artigkeit Gebrauch zu machen, erschien auch schon der Platz in der Nähe einer alten Eiche, die ihre gewaltigen Zweige weithin ausdehnte, den Wanderer an den Baum zu Mamre erinnernd, unter der sich himmlische Wesen von dem frommen Patriarchen bewirten ließen, Ueber zwei weithervorragende Aeste war wie ein Baldachin eine Decke von rosafarbenem Taffet gezogen, die Strahlen der schon hochstehenden Morgensonne abzuhalten. Seidne Kissen, abwechselnd mit andern, die mit Jagdtier-Pelzen bedeckt waren, lagen auf dem Boden als Sitze ausgebreitet. Auf langen Tafeln hatte man ein Mahl hergerichtet, zu dem ein normannischer Koch das Aeußerste seiner Kunst aufgeboten hatte. Eine Quelle, die unfern unter einem breiten, mit Moos bedecktem Steine hervorsprudelte, erfrischte das Ohr mit ihrem Geriesel, die Zunge mit ihrem flüssigen Kristall, während sie gleichzeitig als Zisterne diente, die verschiedenen Flaschen Gascogner und Hippokras, damals ein notwendiges Erfordernis zu jedem Morgenimbiß, kühl zu halten. Als Eveline mit Rose, dem Beichtiger und – in schicklichem Abstande – der treuen Amme bei diesem schattigen Mahle saßen, dieweil die Blätter von leichtem Hauche säuselten, das Wasser im Hintergrunde sprudelte, die Vögel ringsumher zwitscherten und gedämpftes Plaudern und Lachen die Nähe ihrer Begleitung kündeten, konnte sie nicht umhin, dem Connetable einige verbindliche Worte über die glückliche Wahl dieses Ruheplatzes zu sagen. »Ihr erweist mir zuviel Ehre,« erwiderte der Baron, »nicht ich, sondern mein Neffe hat den Platz ausgesucht; der Bursche hat eine Phantasie wie ein Minstrel. Dergleichen Dinge auszusinnen, fiele mir zu schwer.« Rose blickte ihre Gebieterin an, als ob sie ihr in die innerste Seele dringen wollte' aber Eveline antwortete mit größter Unbefangenheit: »Und warum hat der edle Damian nicht auf uns gewartet, um dem Feste mit beizuwohnen, das er uns hergerichtet hat?« »Er will lieber,« sagte der Baron, »mit ein paar leichten Reitern voraneilen. Denn wenn auch jetzt keine wälschen Buben in Bewegung sind, findet man doch die Grenzen selten frei von Räubern und losem Gesindel; für einen Trupp wie dem unsrigen ist freilich nichts zu fürchten, aber Ihr sollt auch durch die leiseste Spur von Gefahr nicht erschreckt werden.« »Ich habe in der letzten Zeit freilich zu viel davon verspürt,« sagte Eveline und verfiel wieder in die melancholische Stimmung, von der sie die Neuheit der Szene auf einen Augenblick befreit hatte. Unterdessen hatte der Connetable mit Hilfe seines Knappen Helm und Handschuhe abgelegt und saß im leichten Panzerhemd, das die Hände frei ließ, in der bei den Rittern unter dem Namen » matier« beliebten Samtmütze, die ihm bequemer saß als der schwere Helm, an der Tafel, Seine Unterhaltung, schlicht, gediegen und männlich, drehte sich um die Zustände im Lande, um die Maßregeln, die zur Verteidigung einer so unruhigen Grenze notwendig waren, und war für Evelinen, deren wärmster Wunsch es war, den Vasallen ihres Vaters wirksamen Schutz zu schaffen, von nicht geringem Interesse. Auch Lach seinerseits schien außerordentlich befriedigt; denn so jung auch Eveline noch war, so zeigte sie doch in Frage und Antwort hohen Verstand, scharfe Fassungskraft und gründliche Orientierung. Kurz, es bildete sich eine so freundliche Stimmung zwischen ihnen, daß der Connetable schließlich nicht anders meinte, als daß sein rechter Platz an Evelinens Seite sei, und wenngleich sie über seine Nachbarschaft eigentlich nicht erfreut war, sondern den jungen Neffen lieber gesehen hätte, doch auch nicht Willens, ihn abzuweisen. Er dagegen war wohl kein heißer Liebhaber, so sehr ihn auch die Schönheit und Liebenswürdigkeit der holden Waise fesselte, aber doch keineswegs unzufrieden damit, als Begleiter zu gelten, und ließ es sich durchaus nicht angelegen sein, die Gelegenheit, die ihm diese Reife bot, zur Weiterführung der Unterredung vom vorigen Tage zu benützen. Um Mittag wurde wieder in einem kleinen Dorfe Halt gemacht, wo wiederum für alle Bequemlichkeit, namentlich für Evelinen, gesorgt war; aber zu ihrem erneuten Erstaunen blieb Damian auch hier unsichtbar. So interessant und belehrend auch die Unterhaltung des Connetable war, so darf es bei einem Mädchen in Evelinens Alter wohl kaum verwundern, wenn sie sich noch eine kleine Beigabe in der Person eines jüngeren, minder ernsthaften Begleiters wünschte. Und wenn Eveline sich an Damian Lacys bisher erwiesene Aufmerksamkeiten erinnerte, so mußte ihr freilich jetzt seine konsequente Abwesenheit recht auffallen. Doch konnte nur jemand, dem die vorhandene Gesellschaft nicht ganz behagte, vorübergehend auf den Gedanken kommen, daß sie sich nicht angenehm vermehren lassen solle. Sie lauschte geduldig der Schilderung, die ihr der Connetable vom Stammbaum eines edlen Ritters aus dem vornehmen Geschlecht der Herberte gab, auf deren Burg er das Nachtlager bestellt hatte – als einer vom Gefolge einen Botschafter der Lady von Baldringham meldete. »Meines verehrten Vaters Tante,« sagte Eveline, indem sie sich erhob, zum Zeichen der Achtung vor Alter und Verwandtschaft, die die Sitten der damaligen Zeit forderten. »Mir war es nicht bekannt,« sagte der Connetable, »daß mein edler Freund solche Verwandte hatte.« »Sie ist die Schwester meiner Großmutter,« antwortete Eveline, »eine edle, sächsische Frau; aber ihr mißfiel die Verbindung mit einem normännischen Hause, und sie sah ihre Schwester nach der Hochzeit nie wieder.« Sie brach ab, da der Bote, der ganz nach einem Haushofmeister eines vornehmen Herrn aussah, zu ihr herantrat und, ehrfurchtsvoll sein Knie beugend, einen Brief in ihre Hand legte, der vom Pater Aldrovand vorgelesen wurde und folgende Einladung, nicht in französischer, – damals der allgemeinen Schriftsprache unter Leute von Stande – sondern in der alten sächsischen Sprache, wenn auch mit manchen französischen Brocken durchsetzt, enthielt: »Wenn die Großtochter Aalfreids von Baldringham noch so viel altsächsisches Blut in sich hat, um eine greise Verwandte gern bei sich zu sehen, die noch im Hause ihrer Altvordern wohnt und nach deren Sitten lebt, so wird sie hierdurch eingeladen, ihre Nachtruhe zu nehmen in der Wohnung – von Ermengarde von Baldringham.« »Es wird Euch doch zweifelsohne gefällig sein, die angebotene Bewirtung abzuschlagen,« sagte der Connetable de Lach, »der edle Herbert erwartet uns und hat große Vorbereitungen gemacht.« »Eure Gegenwart, Mylord,« sagte Eveline, »wird ihn über meine Abwesenheit mehr als zufrieden stellen. Es geziemt sich und schickt sich nicht anders, als daß ich meiner Tante entgegenkommen muß, da sie sich herabgelassen hat, den ersten Schritt zur Versöhnung zu tun.« De Lachs Stirn umwölkte sich leicht, denn selten kam er in den Fall, daß etwas auch nur den Anschein eines Widerspruchs gegen seinen Willen hatte ... »Ich bitte zu überlegen, Lady Eveline,« sagte er, »daß Eurer Tante Haus wahrscheinlich ohne alle Verteidigung oder wenigstens recht unvollkommen bewacht ist. – Solltet Ihr wirklich nicht wünschen, daß ich meine schuldigen Dienste fortsetze?« »Darüber, Mylord, kann nur meine Tante in ihrem eigenen Hause urteilen, und da sie, wie mich dünkt, es nicht für nötig erachtet hat, sich die Ehre von Eurer Herrlichkeit Gegenwart zu erbitten, so würde sich für mich nicht die Erlaubnis schicken, Euch mit meinem Schutze zu belästigen. – Ihr habt schon zu viel Plage meinetwegen gehabt.« »Doch Eurer eigenen Sicherheit wegen, meine Dame!« sagte de Lach, der nicht gern sein Amt niederlegen wollte. »Meiner Sicherheit, Mylord, kann in dem Hause meiner so nahen Verwandten keine Gefahr drohen. Die Maßregeln, die sie zu ihrer eigenen Sicherheit nimmt, werden zweifelsohne auch vollkommen hinreichend für die meinige sein.« »Ich hoffe, daß sich das so finden möge,« sagte de Lach. »Ich will wenigstens zur Sicherheit eine Patrouille hinzutun, die während Eures Aufenthaltes daselbst rund um das Schloß herumgeht,« – Er hielt inne, um nach einer Weile, freilich mit einigem Stocken, seiner Hoffnung Ausdruck zu geben, daß Eveline bei dem Besuch einer Verwandten, deren Vorurteile gegen den normannischen Stamm allgemein bekannt wären, es für geraten ansehen werde, einigermaßen gegen die dort herrschenden Ansichten auf ihrer Hut zu sein. Eveline antwortete mit Würde, daß die Tochter eines Raymond Berenger wohl kaum auf Meinungen achten werde, die sich gegen Nation und Abkunft solch trefflichen Ritters ablehnend verhalten sollten, – Mit dieser Versicherung mußte der Connetable sich genügen, da es ihm nicht gelingen wollte, eine andre Zu erlangen, die ihm selbst und seiner Bitte günstiger gewesen wäre. Er dachte auch daran, daß die Burg Herberts nur knappe zwei Stunden von der Wohnung der Lady von Baldringham gelegen, und daß der Altersunterschied zwischen ihnen zu groß, wie daß es ihm an all jenen Vorzügen mangle, durch die sich ein weibliches Herz am leichtesten, wie man sagt, gewinnen läßt: diese Umstände ließen ihm selbst diese kurze Abwesenheit als eine Sache von höchster Bedenklichkeit erscheinen, so daß er den Nachmittag über fast immer schweigend an Evelinens Seite ritt, mehr darüber sinnend, was sich morgen zutragen würde, als daß er sich bemüht hätte, den Augenblick zu nützen. – In solch ungeselliger Weise wurde die Reise fortgesetzt, bis man den Punkt erreichte, wo man sich für diesen Abend trennen sollte. Es war eine Anhöhe, von der rechter Hand die Burg Amelot Herberts mit ihren gotischen Zinnen und Türmen auf der Höhe eines Hügels in Sicht trat, zur Linken, dicht umschattet von Eichwäldern, die rauhe, einsame Wohnstätte der Lady von Baldringham, wo noch immer die Sitte der Angelsachsen herrschte und Verachtung und Haß alle Neuerungen traf, die seit der Schlacht von Hastings [Im Jahre 1066 wurde Wilhelm der Eroberer Herr über England. Mit ihm beginnt die normannische Dynastie und zogen normannische Sitten im Lande ein.] aufgekommen waren. Nachdem der Connetable einem Teil seiner Leute Befehl gegeben, Evelinen bis zum Hause ihrer Tante das Geleit zu geben danach um das Haus herum, doch in solcher Entfernung, daß es der Familie weder anstößig werden, noch Unannehmlichkeiten verursachen können, auf Posten zu ziehen, drückte er auf Evelinens Hand einen respektvollen Abschiedskuß und zog sich dann mit Widerstreben zurück. Eveline verfolgte den wenig betretenen Pfad, der zu der dürftigen Wohnung führte. Auf den üppigen Weiden rings herum graste kräftiges Vieh von vorzüglicher Rasse. Hin und wieder sah man Damwild, das alle Scheu verloren zu haben schien, durch die Waldlichtung kreuzen, oder in kleinen Rudeln unter einer großen Eiche stehen oder liegen. Das Wohlbehagen, das sonst solches Bild ländlicher Ruhe bei Vorübergehenden weckt, wandelte sich bei Evelinen bald in ernstere Empfindungen, als eine plötzliche Wegbiegung sie mit einemmal vor die Front des Herrenhauses führte, von dem sie, seit sie es von jenem Platz erblickte, wo sie sich von dem Connetable trennte, nichts weiter gesehen hatte, und das sie mit einer gewissen Besorgnis zu betrachten jetzt mehr als einen Grund hatte. Das Haus, denn ein Schloß konnte man es nicht nennen, war nur zwei Stockwerke hoch, niedrig und massiv; Türen und Fenster zeigten den dicken Rundbogen, gewöhnlich »der sächsische« genannt – die Mauern überdeckten verschiedene Schlingpflanzen, die sich ungestört daran hinaufgerankt hatten, – selbst bis über die Schwelle, an der ein Büffelhorn an eherner Kette hing, wuchs Gras. Eine dicke Tür von Eichenholz schloß einen Torweg, der ganz wie das Portal eines verfallenen Grabgewölbes aussah. Keine Seele erschien, ihre Ankunft zu melden oder sie zu begrüßen. »Wäre ich an Eurer Stelle, Mylady Eveline,« sagte die zudringliche Dame Gillian, »so lenkte ich noch um, denn dieses alte Loch scheint nicht dazu geschaffen, Christenleuten Obdach oder Nahrung zu geben.« Eveline gebot ihrer unbescheidenen Dienerin Schweigen, obwohl sie selbst mit Rosen Blicke wechselte, die einige Zaghaftigkeit ausdrückten. Indessen winkte sie Raoul mit der Hand, in sein Horn am Tor zu stoßen ... »Ich habe gehört,« sagte sie, »meine Tante hinge den alten Sitten noch so an, daß es ihr zuwider sei, Dingen in ihrer Halle Aufnahme zu gewähren, die nicht aus den Zeiten Eduards des Bekenners [Der letzte angelsächsische König starb 1066 im Januar, falls nicht Harold, der bei Hastings am 14. Oktober gegen Wilhelm den Eroberer blieb, als der letzte angesehen werden soll.] herstammen.« Raoul verwünschte indes das rohe Instrument, das all seine Kunst zu schanden machte und keine regelrechte Aufforderung, sondern nur ein zitterndes, mißtönendes Gelärm von sich gab, das die alten Mauern, so dick sie waren, zu erschüttern schien. Er wiederholte seine Aufforderung dreimal, ehe sich das Tor öffnete, Eine zahlreiche Dienerschaft beiderlei Geschlechts erschien in der engen und finstern Halle, an deren oberem Ende ein mächtiges Holzfeuer seine Glut zu einem altertümlichen Kamin hinaufsandte, dessen Front, so breit wie jetzt eine Küche, reich mit Stukkatur verziert war, oben mit einer langen Reihe von Nischen, aus deren jeder das Bild eines sächsischen Heiligen hervorgrinste, dessen barbarischer Name im römischen Kalender kaum zu finden sein dürfte. Derselbe Bediente, der Evelinen die Einladung gebracht hatte, trat jetzt vor, ihr, wie sie wähnte, beim Absteigen vom Pferde behilflich zu sein; aber er kam nur, um es am Zügel zu nehmen und in die gepflasterte Halle, auf den »Dais«, wie die darin befindliche Rampe hieß, zu führen. An dessen äußerm Ende wurde ihr endlich gestattet, abzusteigen. Zwei betagte Matronen und vier junge Mädchen von guter Abkunft, durch Ermengard erzogen, erwarteten ehrerbietig die Ankunft ihrer Base. Eveline wollte nach ihrer Großtante fragen, aber die Matronen legten ehrfurchtsvoll ihren Finger auf den Mund, ihr dadurch Schweigen empfehlend: eine Gebärde, die, im Verein mit der Seltsamkeit ihres Empfanges, ihre Neugierde, die ehrwürdige Tante zu sehen, noch mehr erregte. Sie wurde bald befriedigt; denn durch ein paar Flügeltüren, die sich nicht weit von der Erhöhung auftaten, auf der sie stand, wurde sie in ein weites, niedriges Gemach geführt, mit Tapeten behangen, an dessen oberstem Ende unter einer Art Baldachin die alte Lady von Baldringham saß. Achtzig Jahre hatten den Glanz ihrer Augen noch nicht verlöscht, ihre stattliche Größe noch um keinen Zoll gebeugt! ihr graues Haar hatte noch immer eine solche Fülle, daß es, zusammengenommen, für einen Kranz von Efeublättern einen recht stattlichen Knoten bildete. Ihr langes, dunkles Gewand fiel in weiten Falten zur Erde, und der gestickte Gürtel, der es um ihren Leib zusammenfaßte, war mit einer goldenen, mit kostbaren Steinen besetzten Schnalle befestigt. Ihre Gesichtszüge, die einst schön oder vielmehr majestätisch gewesen sein mochten, trugen noch jetzt, wenn auch verwelkt und mit Runzeln bedeckt, das Gepräge melancholischer Erhabenheit, die mit ihrer Kleidung und Haltung in vorzüglichem Einklange stand. Sie hielt einen Stab von Ebenholz in der Hand; zu ihren Füßen ruhte ein großer, betagter Wolfshund, der die Ohren spitzte und den Hals in die Höhe streckte, als der Schritt einer fremden Person, – ein Ton, der so selten in diesen Hallen gehört wurde – dem Stuhle sich nahte, in dem seine Herrin bewegungslos saß. »Ruhig, Thryve,« sagte die ehrwürdige Frau, »und Du, Tochter des Hauses Baldringham, tritt näher und fürchte nicht seinen alten Diener!« Der Hund sank, als sie sprach, in seine liegende Stellung zurück und, den roten Glanz seiner Augen ausgenommen, hätte er ein hieroglyphisches Emblem darstellen können, liegend zu den Füßen einer alten Priesterin des Wodan oder der Freya; so ganz entsprach die Erscheinung Ermengards mit ihrem Stabe und Kranze den Gestalten des Heidentums. Aber mit solchem Vergleich hätte man eine große Ungerechtigkeit gegen die ehrwürdige christliche Matrone verübt, die so manche Hufe Landes der heiligen Kirche zu Ehren Gottes und des heiligen Dunstan geschenkt hatte. Der Empfang, den Ermengard Evelinen bereitete, war von derselben altertümlichen und feierlichen Art, wie ihr Wohnsitz und ihr Aeußeres. Sie erhob sich nicht gleich anfangs von ihrem Sitze, als das edle Fräulein sich ihr nahte, ja sie ließ sich nicht einmal zu dem Kusse herbei, den sie ihr reichen wollte, sondern legte ihre Hand auf Evelinens Arm, hielt sie zurück, als sie vortrat, und betrachtete ihr Gesicht ernst, ohne Schonung, mit peinlichster Aufmerksamkeit. »Berwine,« sprach sie zu ihrem Liebling unter den beiden Dienerinnen, »unsere Nichte hat Haut und Augen von sächsischer Farbe, aber Augenbrauen und Haare sind von der andern, der fremden, – sei demungeachtet in meinem Hause willkommen, Mädchen,« fügte sie hinzu, sich an Evelinen wendend, »besonders, wenn Du es anhören kannst, daß Du kein so unbedingt vollkommenes Geschöpf bist, wie zweifelsohne Deine Schmeichler Dich glauben lehrten.« Mit diesen Worten stand sie endlich auf und drückte ihrer Nichte zum Gruß einen Kuß auf die Stirn. Doch ließ sie ihren Arm noch nicht los, sondern übertrug nun die Aufmerksamkeit, die sie auf ihre Gesichtszüge verwandt hatte, auf ihre Kleidung. »Der heilige Dunstan schütze uns vor Eitelkeit,« sagte sie, »das also ist die neue Mode? und ehrsame Mädchen tragen solche Tunika wie diese hier? so offen, daß ihre ganze Gestalt zu erkennen? – Heilige Maria! beschütze uns! – Da sieht ja ein Mensch aus, als hätte er ganz und gar nichts auf dem Leibe! – Ach, und sieh nur, Berwine, diese Flitter um den Nacken, und den Nacken bloß bis zur Schulter – das sind die Moden, die die Fremden in das fröhliche England brachten! – Und diese Tasche, die mit dem Schurz eines Possenreißers auffallende Ähnlichkeit hat, wird, möchte ich wetten, in der Hauswirtschaft wohl nicht viel am Platze sein – und der Dolch da gemahnt an das Weib eines lustigen Spielmanns, das, in Manneskleider vermummt, um die Wette mit ihm reitet. Ziehst Du immer mit in den Krieg, Mädchen, daß Du solchen Stahl am Gürtel trägst?« Eveline, durch diese verächtliche Aufzählung ihres Anzuges überrascht und gekränkt, antwortete auf die letzte Frage nicht ohne Empfindlichkeit: »Die Mode mag sich geändert haben, Madame; ich trage nur die Kleidung, die jetzt von allen meinen Alters- und Standesschwestern getragen wird. Und was den Dolch anbetrifft, so ist es noch nicht viele Tage her, daß ich ihn als letzte Zuflucht vor Schande betrachten mußte.« »Das Mädchen redet wacker und kühn, Berwine,« sprach Dame Ermengard, »und trägt sich, wenn man diesen eitlen Trödelkram übersieht, wirklich noch recht anständig ... Dein Vater, hörte ich, fiel wie ein Ritter auf dem Blachfelde?« »So war es,« antwortete Eveline, und ob dieser Erinnerung an ihren schweren Verlust traten ihr Tränen in die Augen. »Ich habe ihn nie gesehen,« fuhr Dame Ermengard fort; »in seinem Herzen wohnte die alte normännische Verachtung unsers sächsischen Stammes, mit dem sie sich bloß vermählen, wenn sie Vorteil ziehen können, wie sich der Brombeerstrauch um die Ulme schlingt ... Nein, nein, sage nichts zu seiner Rechtfertigung,« fuhr sie fort, als sie merkte, daß Eveline sprechen wollte; »ich habe den normännischen Geist kennen gelernt, manches Jahr, früher, als Du geboren wurdest.« In diesem Augenblick trat der Haushofmeister ins Zimmer und erbat sich, nach einer tiefen Kniebeuge, Verhaltungsmaßregeln betreffs der normannischen Krieger, die sich außerhalb des Hauses aufhielten. »Normannische Krieger im Hause von Baldringham!« rief die alte Lady stolz; »wer führte sie hierher, und zu welcher Absicht?« »Sie kommen, wie ich glaube,« sagte er, »als Wache und Schutz für diese gnädige junge Lady.« »Wie, meine Tochter?« fragte Ermengard mit trübem Stimmklange, »getraust Du Dich nicht eine Nacht ohne Bedeckung im Schlosse Deiner Ahnen zuzubringen?« »Behüte Gott,« sagte Eveline, »aber diese Leute gehören mir nicht an und stehen nicht unter meinem Befehl. Sie bilden einen Teil vom Gefolge des Connetable de Lacy, der sie aus Furcht vor Räubern zur Bewachung des Schlosses zurückließ.« »Räuber,« sagte Ermengard, »haben dem Hause Baldringham nie geschadet, seit ein normannischer Räuber aus ihm den besten Schatz stahl, Deine Großmutter! – So bist Du also, armes Vögelchen, schon gefangen? – Ach! wie Du kläglich flatterst! – Doch das ist Dein Los; warum sollte ich mich darüber wundern oder es beklagen? Wo gab es jemals ein schönes Mädchen mit einem reichen Erbe, das nicht schon vor der Reife bestimmt ward, die Sklavin einer dieser kleinen Könige zu sein, die uns nichts als Eigentum vergönnen, was ihrer Leidenschaft gelüstet? – Ich kann Dir nicht helfen, Kind, denn ich bin nur ein armes, vernachlässigtes Weib, schwach durch Geschlecht und Alter. – Und welchem von diesen de Lacys bist Du bestimmt zum Hauspacktier?« Solche Frage aus dem Munde einer Frau, deren Vorurteile solch entschiedenen Charakter hatten, war nicht geeignet, Evelinen zum Eingeständnis ihrer wirklichen Lage zu bestimmen, da es ihr klar war, daß diese sächsische Verwandte ihr weder gesunden Rat noch nützlichen Beistand gewähren würde. Sie erwiderte daher nur kurz, daß, da die de Lacys, wie die Normänner überhaupt, in Baldringham unwillkommen wären, sie den Befehlshaber der Patrouille ersuchen wolle, sich aus der Nachbarschaft des Schlosses zu entfernen. »Nicht doch, meine Nichte!« rief die alte Lady. »Da wir der Nachbarschaft der Normänner nicht entgehen, auch nicht aus dem Bereich ihrer Abendglocke [Von Wilhelm dem Eroberer zum Zeichen dafür, daß Feuer und Licht auszulöschen sei, eingesetzt und an manchen Orten Englands um die Schlafenszeit bis vor 50 Jahren noch im Gebrauch.] kommen können, ist es gleichgültig, ob sie näher oder ferner unsern Mauern sind, sofern sie nur nicht hereinkommen. – Und, Bermine, laß Hundwolf diese Normänner in Getränken baden und mit Speisen vollstopfen – mit den besten Speisen und den stärksten Getränken! Es soll keiner von ihnen sagen, die alte sächsische Hexe sei wohl gastfreundlich, aber filzig ... Stecht ein frisches Faß Wein an, denn ihr vornehmer Magen, glaubt mir, verträgt kein Bier.« Berwine, mit dem klingenden gewaltigen Schlüsselbund an der Seite, ging hinaus, das Nötige anzuordnen, und kam alsobald wieder. Inzwischen fuhr Ermengard fort, ihre Nichte noch schärfer auszufragen. – »Willst Du mir nicht sagen, oder kannst Du es nicht, bei welchem de Lacy Du Leibeigene werden sollst? – Bei dem eingebildeten Connetable, der, in eine undurchdringliche Rüstung geschnürt, auf schnellem und starkem Pferde so unverwundbar, wie er sich damit bläht, nach Herzenslust und in voller Sicherheit den nackten, unberittenen Wälschen niederzureiten und niederzustoßen? – Oder ist es sein Neffe, der bartlose Damian? – Oder sollen Deine Besitzungen hingehen, den Riß im Vermögen des andern Vetters zu flicken – des verlumpten Schwärmers, der aus Mangel an Mitteln unter den liederlichen Kreuzfahrern nichts mehr durchdringen kann?« »Meine verehrte Tante,« entgegnete Eveline, über solche Reden begreiflicherweise unwillig, »bei keinem de Lacy und, ich versichere, bei keinem andern Sachsen oder Normann wird Eure Nichte Haussklavin sein. Vorm Tode meines verehrten Vaters ist zwischen ihm und dem Connetable eine Vereinbarung getroffen worden, die mich hindert, seine Aufmerksamkeiten rundweg abzuweisen; was aber das Ende davon sein wird, muß das Schicksal entscheiden.« »Aber, Nichte, schon heute kann ich Dir sagen, wohin des Schicksals Wage sich neigen wird,« sagte Ermengard mit leiser, geheimnisvoller Stimme; »wer mit uns durch das Blut verbunden ist, besitzt gewissermaßen das Vorrecht, über die Gegenwart hinauszuschauen und schon in der Knospe die Dornen oder Blumen zu erkennen, die einst das Haupt umwinden sollen.« »Was mich anbetrifft, edle Tante,« sagte Eveline, »so möchte ich solches Vorrecht ablehnen, selbst wenn es sich erlangen ließe, ohne die Gesetze der Kirche zu übertreten. Hätte ich vorhersehen können, was mir in diesen letzten unglücklichen Tagen begegnet ist, so wäre mir jeder frohe Augenblick in meinem Leben vergällt worden.« »Dessenungeachtet, meine Tochter,« sagte Lady von Baldringham, »mußt Du wie jede andere Deines Stammes Dich in diesem Hause nach dem Gesetze richten, eine Nacht im Zimmer des roten Fingers zuzubringen. – Berwine, laß es zum Empfange meiner jungen Nichte bereiten!« »Ich – ich habe wohl von diesem Zimmer gehört, gnädige Tante,« sagte Eveline ängstlich; »und wenn es Euch gefällig wäre, möchte ich eben jetzt nicht wünschen, dort die Nacht zu verbringen. Meine Gesundheit hat durch die Gefahren und Anstrengungen der letzten Tage sehr gelitten, und mit Eurem Verlaub will ich ein andermal dem Brauche gehorsamen, dem, wie ich höre, die Töchter aus dem Hause Baldringham sich unterwerfen müssen.« »Und dem Ihr, trotz allem, Euch gern entziehen möchtet,« sprach die alte Lady, unwillig ihre Stirn runzelnd, »Hat nicht solcher Ungehorsam Eurem Hause bereits Leid in Menge bereitet?«– »Verehrte, gnädige Frau!« sagte Berwine, die sich der Einmischung nicht länger enthalten konnte, trotzdem sie den harten Sinn ihrer Herrin sattsam kannte, »das Zimmer läßt sich kaum für Lady Eveline instand setzen; zudem sieht das edle Fräulein so blaß aus und hat doch eben erst so schwer gelitten, daß ich mit gütigem Verlaub den Rat geben möchte, die Ausführung dieser Absicht aufzuschieben.« »Du bist eine Närrin, Berwine,« sprach die Lady bitterernst: »meinst Du, ich solle Zorn und Unheil über mein Haus bringen dadurch, daß ich dem Mädchen gestatte, mein Haus zu verlassen, ohne dem roten Finger die übliche Huldigung darzubringen? – Nur zu! – Mach das Zimmer fertig! – Es wird weniges zur Herrichtung genügen, sofern sie nicht zu viel an normannischen Bequemlichkeiten hängt. – Keine Gegenrede, Berwine, sondern tue, was ich befehle! – Und Ihr, Eveline, seid Ihr des kühnen Geistes Eurer Vorfahren so entwöhnt, daß Ihr Euch nicht getraut, ein paar Stündchen in einem alten Zimmer zuzubringen?« »Ihr seid meine Wirtin, gnädige Frau,« versetzte Eveline, »und seid berechtigt, mir ein Zimmer anzuweisen, wie Ihr es schicklich für mich findet. – Mein Mut entspricht meiner Unschuld, wie meinem Stolz auf Blut und Geburt und ist in diesen letzten Tagen wohl zur Genüge auf die Probe gestellt worden. Doch da es Euch gefällt, und es in diesem Hause also Brauch ist, sollt Ihr mein Herz stark genug finden, allem zu trotzen, dem Ihr mich unterwerfen wollt.« Unmutig schwieg sie; denn sie konnte nicht anders, als empfindlich über solch unfreundliches und ungastliches Benehmen ihrer Tante sein. Und doch mußte sie, wenn sie über den Ursprung der Legende jenes Zimmers nachsann, sich eingestehen, daß die greise Lady von Baldringham allerdings hinlängliche Ursache zu ihrem Verlangen habe, das mit der Familientradition und dem Glauben jener Zeit, dem Eveline selbst anhing, in voller Übereinstimmung stand. Vierzehntes Kapitel Der Abend zu Baldringham wäre von unerträglicher Länge gewesen, wenn nicht eine drohende Gefahr die Zeit wesentlich abgekürzt hätte. Wenn auch Eveline wenig erbaut war von der Unterhaltung ihrer Tante mit Berwinen, die sich nur in langen Erörterungen über ihre Abkunft vom kriegerischen Horsa und Schilderungen der Großtaten sächsischer Kriegshelden, wie auch der Wundertaten sächsischer Mönche drehte, so war es ihr noch immer lieber, diesen Legenden ihr Ohr zu leihen, als sich im Geiste schon vorher mit ihrem Aufenthalt in jenem gefürchteten Zimmer, wo sie die Nacht zubringen sollte, zu quälen. Doch fehlte es keineswegs an lustiger Unterhaltung für den Abend, soweit sie das Haus von Baldringham darbieten konnte. Von einem ernsten alten sächsischen Mönche, dem Kaplan des Hauses, eingesegnet, wurde ein prächtiges Gastmahl, das ein Dutzend Hungrige hätte sättigen können, vor Ermengard und ihrer Nichte aufgetragen, an dem außer dem hochwürdigen Herrn auch Berwine und Rose Flammock teilnahmen. Eveline fühlte sich um so weniger geneigt, von dieser übertriebenen Gastfreiheit Gebrauch zu machen, als die Gerichte durchweg von jener groben, kräftigen Gattung waren, die die Sachsen bewunderten, die aber nicht zu ihrem Vorteil gegen die verfeinerte Kochkunst der Normannen abstachen, gleichwie der blinkende Becher leichten, blumigen, obendrein mit Wasser vermischten Gascogners nicht gegen das kräftige Bier, den würzigen Hippokras und andere starke Getränke, die nacheinander Hundwolf, der Haushofmeister, zu Ehren der Gäste von Baldringham auftischte, aufkommen konnte. Ebensowenig wie das überreiche, derbe Gastmahl, war auch die Abendunterhaltung mit der greisen Tante nach Evelinens Geschmack. Als die Gestelle und Tische, auf denen die Gerichte aufgetragen gewesen, aus dem Zimmer geschafft waren, begannen die Diener unter Anleitung des Haushofmeisters große Wachskerzen anzuzünden, deren Zahl ebenso viele Zeitabschnitte anzeigten, und zwar wurden dieselben angekündigt durch eherne Kugeln, die von der Kerze hinunter an Fäden hingen, wobei man genau berechnet hatte, wieviel Zeit der zwischen ihnen befindliche Raum zum Brennen brauche; so daß, wenn die Flamme den Faden erreichte, die Kugeln, der Reihe nach in ein darunter gestelltes ehernes Becken fallend, gewissermaßen das Amt der viel später erfundenen Schlaguhren verrichteten. [Eine Erfindung Alfreds des Großen (seit 801), also echt angelsächsischen Ursprungs.] Bei dieser Beleuchtung begann die Abendunterhaltung. Ermengards hoher, weiter Armstuhl wurde, alter Gewohnheit getreu, aus der Mitte des Zimmers auf die wärmste Seite eines breiten, mit Holzkohlen gefüllten Kamins gerückt, und ihr Gast erhielt ihr zur Rechten als Ehrenplatz seinen Sitz. Berwine stellte nun die weibliche Dienerschaft in gehörige Ordnung, und nachdem sie darauf gesehen, daß jede die ihr übertragene Arbeit vornahm, setzte sie sich selbst an die Spindel. In einem etwas entfernteren Kreise begannen die Männer, das Wirtschaftsgerät und die Werkzeuge auszubessern oder das Jagdgerät zu polieren, an ihrer Spitze Haushofmeister Hundwolf. Zur Aufheiterung der versammelten Familie sang ein alter Spielmann zu einer Harfe, die nur vier Saiten hatte, eine lange Legende religiösen Inhalts, die allem Anschein nach zu keinem Ende kommen konnte. Evelinen blieb der Gesang fast unverständlich durch die vom Dichter überreich gebrauchten Alliterationen, die für einen besonderen Schmuck der sächsischen Poesie gehalten wurden, aber nur auf Kosten der Musik gebraucht werden konnten. Dazu kam all die Dunkelheit, die durch Auslassungen, Abkürzungen und übertriebene Hyperbeln geschaffen wurde. Eveline war gut bekannt mit der sächsischen Sprache, lieh bald dem Sänger keine Aufmerksamkeit mehr, sondern dachte an die muntern Fabliaux und phantasiereichen Lais der normannischen Minstrels; dabei schweifte aber ihr Sinn mit banger Vorempfindung zu dem geheimnisvollen Zimmer hinüber, wo sie die Nacht zubringen sollte, und malte ihr die Erscheinung aus, die sie dort zu gewärtigen haben würde. Endlich nahte die Stunde der Trennung. Kurz vor Mitternacht fiel die Kugel, den Zeitpunkt, den die hinuntergebrannte Wachskerze angab, kündend, mit Geklirr in das eherne Becken. Der alte Spielmann hielt in seinem Gesang inne, und die Dienerschaft war im Nu auf das Signal hin auf den Beinen, mit Fackeln oder Lampen die Gäste in die ihnen zuerteilten Schlafzimmer zu geleiten. Mehreren Kammerfrauen fiel es zu, Evelinen zu bedienen, von der sich die Tante feierlich verabschiedete, ihr die Stirn bekreuzend und küssend, mit den ihr ins Ohr geflüsterten Worten: »Sei mutig und werde glücklich!« »Kann nicht meine Zofe Rose oder Raoul, meine Kammerfrau, die Nacht über bei mir mit im Zimmer bleiben?« fragte Eveline. »Rose-Raoul!« wiederholte Ermengard verächtlich; »ist Dein Haushalt so zusammengesetzt? Die Holländer bilden für Britannien das Lähmungs-, die Normannen das Jähzorns-Ferment!« »Und die armen Wälschen würden hinzusetzen,« sagte Rosa, deren Unwille die Achtung vor der alten Sächsin zu verscheuchen begann, »daß die Angelsachsen das Urübel seien und einer verheerenden Pestilenz gleichen.« »Sehr keck, mein Kind, sehr keck,« sagte Lady Ermengard, unter ihren schwarzen Brauen hervor Blitze auf das flämische Mädchen schleudernd; »und doch liegt Witz in Deinen Worten! Sachsen, Dänen, Normannen sind, jagenden Wogen gleich, über unser Land dahin gerollt; die Kraft, es sich zu unterjochen, hatte jeder, den Verstand, es zu bewahren, keiner! – Wann wird das anders sein?« »Wenn Sachse, Brite, Normann und Vlame,« antwortete Rosa, »lernen werden, sich mit gleichem Namen zu nennen und sich als gleiche Kinder des Landes zu fühlen, in welchem sie geboren wurden.« »Ha!« rief die greise Lady, halb erstaunt, halb zufrieden; dann sich zu ihrer Verwandten wendend, sagte sie: »Du hast Wort und Witz an dem Mädchen; gib acht, daß sie es brauche, aber nicht mißbrauche.« »Sie ist ebenso freundlich und treu, wie ehrlich und mit ihrem Witze fertig,« sagte Eveline. »Ich bitte Euch, teuerste Tante, vergönnt mir in dieser Nacht ihre Gesellschaft,« »Es kann nicht sein, es wäre gefährlich für beide. Allein müßt Ihr Euer Geschick erfahren, wie alle Frauen unsres Geschlechts, Deine Großmutter ausgenommen. Und was ist die Folge davon gewesen, daß sie die Gesetze ihres Hauses vernachlässigt hat? Da! Ihre Enkelin steht vor mir, eine Waise, in der Blüte ihrer Jugend!« »So will ich denn gehen,« sagte Eveline, ergeben in ihr Schicksal, doch tief aufseufzend; »nie soll man sagen, ich hätte, aus Scheu vor gegenwärtigem Schrecken, künftiges Weh veranlaßt.« »Eure Dienerinnen,« sagte Lady Ermengard, »können im Vorzimmer bleiben, wo Ihr sie immer rufen könnt. Berwine wird Euch das Zimmer zeigen – ich kann nicht; denn wir, die wir einmal hineingegangen sind, kehren nie wieder dorthin zurück. – Lebe Wohl, mein Kind, und möge der Himmel Dich segnen!« Mit einem größern Maße von Empfindung und Teilnahme, als sie bis jetzt gezeigt, küßte sie Evelinen noch einmal und winkte ihr, Berwinen zu folgen, die mit zwei Dienerinnen, die Fackeln trugen, ihrer wartete, sie in das gefürchtete Zimmer zu führen. Die Fackeln warfen ihren Schein auf die rohen Wände und die dunklen, gewölbten Decken mehrerer gewundenen langen Gänge, dann auf die Stufen einer Wendeltreppe, die sie hinabstiegen und die durch viele Höcker und rauhe Stellen ihr hohes Alter verriet. Endlich traten sie in ein ziemlich hohes Gemach des Unterstocks, dem ein paar alte Tapeten, ein flackerndes Herdfeuer, das durch ein Gitterfenster sich stehlende Mondlicht und die Zweige einer um das Fenster herum gewachsenen Myrte kein unfreundliches Ansehen gaben. »Dies,« sagte Berwine, »ist das Schlafgemach Eurer Dienerinnen.« – Dabei zeigte sie auf zwei Lagerstätten, die für Rosa und Frau Gillian bereit standen. – »Wir,« setzte sie hinzu, »gehen weiter.« Sie nahm der einen der beiden Dienerinnen, die vor Furcht zurückzuschaudern schienen, – worin ihnen Frau Gillian schnell nachahmte, ohne eigentlich zu wissen warum – die Fackel ab; Rose Flammock aber folgte, ohne sich zu bedenken, ihrer Herrin, die von Berwinen durch eine schmale, mit eisernen Nägeln beschlagene Tür am äußersten Ende des Zimmers in ein zweites, aber kleineres Vorgemach geführt wurde, an dessen Ende eine ähnliche Tür sich befand. Auch hier war das Fenster mit Immergrün umrankt, und es wurde, gleich dem ersten, von mildem Mondlicht erhellt. Hier blieb Berwine stehen und fragte, auf Rose deutend: »Warum folgt sie?« »Um alle Gefahr mit meiner Herrin zu teilen, komme, was da wolle,« antwortete Rose mit ihrer charakteristischen Freimütigkeit in Wort und Entschluß. – »Sprecht, meine teuerste Lady,« und ergriff Evelinens Hand, »Ihr werdet doch Eure Rose nicht von Euch stoßen? Wenn ich auch nicht so hochsinnig bin wie eine von Eurem vielgerühmten Stamme, so bin ich doch nicht ohne Mut und Geistesgegenwart, so lange es sich um ehrlichen Dienst handelt. – Ihr zittert wie Espenlaub – geht nicht in das Zimmer – laßt Euch nicht durch all diese geheimnisvollen, prunkenden Vorbereitungen täuschen! Trotzet diesem veralteten und, ich sollte denken, halb heidnischen Aberglauben!« »Lady Eveline muß gehen, Schätzchen,« antwortete Berwine ernsthaft, »und muß gehen ohne solch vorwitzige Ratgeberin oder Gesellschafterin, wie Ihr es zu sein scheint.« »Muß gehen? muß?« wiederholte Rose; »ist das eine Rede, die sich gegen eine freie, edle Jungfrau geziemt? Süße Lady, gebt mir nur den kleinsten Wink, daß es Euch recht ist, und ich will's drauf ankommen lassen, ob Ihr »muß gehen« die Probe besteht. Aus dem Fenster will ich den normännischen Reitern zurufen und ihnen erzählen, daß wir in eine Höhle von Hexen geraten sind, statt in ein gastliches Haus.« »Schweigt, Rasende,« sagte Berwine, und ihre Stimme bebte vor Aerger und Furcht, »Ihr wißt nicht, wer in dem nächsten Zimmer wohnt.« »Ich will mir schon jemand rufen, der das ermitteln soll,« sagte Rose und flog zum Fenster, als Eveline sie beim Arm ergriff und zurückhielt. »Ich danke Dir für Deine Liebe, mein Kind,« sagte sie, »aber sie kann mir hier nichts helfen, wer zu dieser Tür tritt, muß allein eintreten.« »Dann will ich an Eurer Stelle hineingehen, teuerste Lady,« sagte Rosa, »Ihr seid blaß, seid kalt – Ihr sterbt vor Schrecken, wenn Ihrs weiter treibt! Es mag hier eine übernatürliche Kraft, wenn nicht ein Betrug im Spiele sein – mich sollen sie nicht betrügen – oder verlangt irgend ein finsterer Geist ein Opfer – besser dann Rose als ihre Gebieterin.« »Laß das, laß das!« sagte Eveline und sprach sich selbst Mut zu. »Du machst, daß ich über mich selbst erröte. Das ist ein altes Gottesurteil, das die Frauen aus dem Hause Baldringham bis im dritten Gliede, und nur diese allein angeht. In meiner jetzigen Lage erwarte ich freilich nicht, mich ihm unterwerfen zu müssen; aber da die Stunde es fordert, will ich ihm so frei entgegentreten, wie jede andere meiner Vorfahren.« So sprach sie und nahm die Fackel aus Berwinens Hand, und ihr und Rosen gute Nacht wünschend, machte sie sich sanft von der letztern los und trat in das geheimnisvolle Zimmer. Rose drängte sich ihr so weit nach, um zu sehen, daß es ein Zimmer von mäßiger Größe war, ähnlich dem, durch welches sie gegangen waren, gleichfalls durch den Mond erleuchtet, der durch ein Fenster, in gleicher Reihe mit denen der Vorzimmer gelegen, hereinschien. Mehr konnte sie nicht sehen, denn auf der Schwelle drehte Eveline sich um und schob sie mit einem Kusse sanft in das kleine Zimmer zurück und den Riegel vor die Tür. Berwine forderte nun Rose auf, wenn ihr am Leben liege, sich in das erste Vorzimmer zurückzuziehen, wo die Betten bereit standen, und sich, wenn auch nicht dem Schlafe, so doch der Ruhe und dem Gebete zu überlassen; aber das treue flamländische Mädchen wies standhaft alle Vorstellungen zurück und widersetzte sich allen Befehlen. »Sprecht mir nicht von Gefahr,« sagte sie. »Hier bleibe ich, damit ich wenigstens hören kann, wenn meine Gebieterin in Gefahr ist – und wehe über die, die ihr Leid zufügen wollen! – Merkt's Euch – zwanzig normännische Speere umgeben diese ungastliche Wohnung, bereit, jede Beleidigung zu rächen, die der Tochter Raymond Berengers zugefügt wird.« »Spart Eure Drohungen für diejenigen auf, die sterblich sind,« flüsterte Berwine leise, aber eindringlich. »Der in jenem Zimmer dort haust, fürchtet sie nicht. – Lebe wohl! Bringst Du Gefahr über Dich, so komme sie über Dein Haupt!« Sie ging davon und ließ Rose, seltsam ergriffen durch alles, was vorgegangen war, und von ihren letzten Worten mit Entsetzen erfüllt, zurück. »Diese Sachsen,« sagte das Mädchen zu sich selbst, »sind eigentlich nur halbbekehrte Christen und halten noch an vielen ihrer höllischen Gebräuche fest, besonders in der Anbetung der Elementargeister. Ihre Heiligen selbst sind ganz ungleich den Heiligen in jedem andern Lande, und ihre Blicke haben gleichsam etwas Wildes und Teuflisches an sich. – Es ist ängstlich hier, allein zu sein– und still wie der Tod ist alles hier in dem Zimmer, wohin meine Gebieterin so seltsamerart gezwungen wird. – Ob ich die Gillian herbeirufe? Doch nein, sie hat weder Sinn, noch Mut, noch Vernunft, mir bei solchem Anlasse beizustehen – besser allein, als mit einem falschen Freunde zur Seite! – Ich will sehen, ob die Normänner auf ihren Posten sind, denn auf sie muß ich mich im Fall der Not verlassen.« Mit diesem Gedanken trat Rose an das Fenster des kleinen Zimmers, um sich von der Wachsamkeit der Posten zu überzeugen und über die Aufstellung der Wache zu unterrichten. Der Vollmond ermöglichte ihr, die Beschaffenheit der Gegend zu unterscheiden. Zuerst fand sie sich nicht wenig enttäuscht, als sie entdeckte, daß die Fensterreihe, statt dem Erdboden gleich zu sein, wie sie vermutet hatte, auf einen alten Graben hinaus führte, der sie von der drüber liegenden Ebene schied. Als Verteidigungsmittel mochte dieser Graben längst außer Gebrauch gesetzt sein; denn der Boden war ganz trocken und an vielen Stellen mit Gesträuch und Unterholz bedeckt, die sich an den Mauern des Schlosses emporrankten, und an denen man sich, wie es Rose vorkam, leicht bis zu den Fenstern heraufhelfen und in das Haus gelangen konnte. Von der jenseitigen Ebene war zunächst der Raum am Schlosse erhellt! das Mondlicht beschien den dichten Rasen, nur unterbrochen durch den langen Schatten der Türme und Bäume. Weiterhin schloß sich an diese Ebene waldiger Boden, wo ein paar riesenhafte Eichen längs dem Rande des breiten, finstern Waldes standen, gleich den einzelnen Kriegern, die vor der Front einer Schlachtlinie den Feind herausfordernd halten. Die sanfte Schönheit und Ruhe dieser lieblichen Szenerie, die Stille ringsumher und die ernsten Gedanken, die durch dies alles geweckt wurden, beschwichtigten die Besorgnisse einigermaßen, die die Ereignisse vom Abend eingeflößt hatten. »Bei alledem,« so überlegte sie, »warum sollte ich wohl für Lady Eveline so besorgt sein? Unter den stolzen Normannen und den mürrischen Sachsen ist kaum eine Familie von Bedeutung, die es nicht für notwendig erachtet, sich von den andern durch einen eigentümlichen Aberglauben zu unterscheiden, als ob sie es für eine Schande vom Himmel hielten, wie eine arme einfältige Flamländerin gleich mir einherzugehen. – Könnte ich nur eine normännische Schildwache gewahr werden, so wollte ich mich wegen der Sicherheit meiner Herrin beruhigen, – Ha dort! da wandert einer im Dunkeln, in seinen langen Weißen Mantel gehüllt, und der Mond versilbert die Spitze seiner Lanze. – Hier! Hei da! Herr Kavalier!« Der Norman« drehte sich um und näherte sich auf ihren Ruf dem Graben, – »Was ist Euer Begehr, Jungfer?« fragte er. »Im Zimmer nebenan weilt Eveline Berenger, die Ihr bewachen sollt. Haltet, bitte, diese Seite des Schlosses scharf im Auge!« »Seht keinen Zweifel in uns, Lady,« antwortete der Kavalier, und sich in seinen langen militärischen Wachmantel, Chappe genannt, wickelnd, zog er sich zu einem großen Eichbaum in einiger Entfernung zurück und stand hier mit ineinandergeschlagenen Armen, auf seine Lanze gelehnt, einer Waffentrophäe ähnlicher als einem lebenden Krieger. Durch das Bewußtsein, daß im Falle der Not Hilfe nahe zur Hand sei, kühn gemacht, zog sich Rose in ihr kleines Zimmer zurück, und nachdem sie sich durch Lauschen davon überzeugt hatte, daß alles in Evelinens Gemach ruhig sei, begann sie die nötigen Vorkehrungen zur eigenen Nachtruhe zu treffen. Zu diesem Zwecke begab sie sich in das äußere Vorzimmer, wo Dame Gillian von der Furcht vor der einschläfernden Wirkung eines kräftigen Schluckes von Lithe-alos, d. i. Ale von der besten und stärksten Sorte, dadurch erlöst worden war, daß sich ein so tiefer Schlaf auf ihre Lider gesenkt hatte, wie ihn dieses edle sächsische Getränk nur eben hervorbringen konnte. Ueber solche Trägheit und Gleichgültigkeit ihrem Unwillen Luft machend, trug Rose von dem leeren, für sie bestimmten Lager die obere Decke in das innere Vorzimmer und machte sich daraus und aus den Binsen, mit denen der Estrich bestreut war, ein kümmerliches Lager zurecht, auf dem sie, halb liegend, die Nacht im Wachen über das Wohl ihrer Gebieterin zuzubringen gewillt war, bis die aufsteigende Morgenröte sie von der Sorge um Evelinens Sicherheit befreien würde. Ihre Gedanken verweilten indessen bei der in Schatten gehüllten Welt jenseits des Grabes und bei der großen, vielleicht noch nicht entschiedenen Frage, ob die Trennung ihrer Bewohner von denen hienieden auch wirklich Gewißheit sei, oder ob sie nicht durch Gründe, in die wir nicht eindringen können, in einer Art von Schattengemeinschaft mit denen, die noch irdisch in Fleisch und Blut wandeln, fortleben. Das zu leugnen, hieß im Zeitalter der Kreuzzüge und Wunder die Schuld der Ketzerei auf sich laden; aber Rosens gesunder Verstand legte ihr wenigstens den Zweifel nahe, ob dergleichen übernatürlicher Verkehr auch wirklich häufig vorkäme; sie fand Trost in der Meinung, mit der sich freilich ihr unwillkürliches Aufschrecken, sobald sich nur ein Blättchen regte, nicht vertrug, daß Eveline sich keiner tatsächlichen Gefahr aussetze dadurch, daß sie sich dem althergebrachten Familien-Brauche unterwerfe. In dem Verhältnis, wie diese Ueberzeugung ihr Gemüt stärkte, verlor ihr Vorsatz, zu wachen, an Stärke – ihre Gedanken schweiften auf Dinge, auf die sie nicht eigentlich gerichtet waren, ähnlich wie Schafe sich der Aufsicht ihres Hirten entziehen – ihre Augen führten ihr kein deutliches Bild mehr von der großen runden silbernen Scheibe vor, auf die sie doch unaufhörlich hinblickten. Zuletzt schlossen sie sich, und sitzend auf der um sie geschlagenen Decke, mit dem Rücken an die Zimmerwand lehnend, die weißen Arme über die Brust zusammengeschlagen, sank Rose Flammock in einen festen Schlaf, der aber urplötzlich durch einen scharfen, durchdringenden Schrei aus Evelinens Zimmer unterbrochen wurde. Aufspringen und zur Tür fliegen, war das Werk eines einzigen Augenblicks für das edle Mädchen, das keine Furcht kannte, wenn es sich um Liebe und Pflicht handelte. Die Tür aber war verschlossen und verriegelt, und ein anderer schwächerer Schrei oder vielmehr ein Stöhnen schien zu sagen, daß nur schnelle Hilfe noch nützen könne. Rose flog zum Fenster und rief oder schrie vielmehr dem normännischen Krieger zu, der, durch den Weißen Wachmantel kenntlich, noch immer unter dem alten Eichbaume stand. Auf den Ruf »Hilfe! Hilfe! Lady Eveline wird ermordet!« bekam die scheinbare Bildsäule plötzlich Leben, eilte mit der Geschwindigkeit eines Wettrenners zum Grabenrande und war im Begriff, da in den Graben zu springen, wo Rose am offnen Fenster stand und ihn mit Worten und Gebärden zur äußersten Eile anspornte. »Nicht hier! Nicht hier!« rief sie atemlos, als sie sah, daß er zu ihr wollte. – »Das Fenster zur Rechten – erklimmt es um Gotteswillen und öffnet die Zwischentür!« Der Soldat schien sie zu verstehen. Ohne Zögern sprang er in den Graben und hielt sich an den Zweigen der Bäume, um nicht abzustürzen. Im einen Augenblick verschwand er in dem Gesträuch, im andern sah ihn Rose, wie er, sich an den Zweigen einer Eiche haltend, ihr schon zur Rechten war, in unmittelbarer Nähe von dem Fenster des unseligen Zimmers. Eine Furcht blieb noch: Das Fenster konnte gegen das Eindringen von außen her sicher sein; doch nein! es wich den Stößen des Normannen, und da Angeln und Klammern durch die Zeit verdorben waren, fiel es mit einem Gerassel ins Zimmer hinein, dem selbst der Dame Gillians Schlaf nicht zu widerstehen vermochte. Schrei auf Schrei ausstoßend, wie Narren und Memmen zu tun pflegen, stürzte sie aus dem Vorzimmer in das Kabinett, eben als die Tür von Evelinens Zimmer aufging und der Krieger sich zeigte, in seinen Armen die halb entkleidete leblose Gestalt des normannischen Fräuleins. Ohne ein Wort zu sprechen, legte er sie in Rosens Arme, und mit derselben Schnelligkeit, mit der er hereingekommen war, schwang er sich aus dem noch offenstehenden Fenster, aus welchem Rose ihn herbeigerufen hatte. Gillian, von Furcht und Schrecken halb verwirrt, häufte Ausrufungen auf Fragen, und Fragen mischte sie wieder mit Hilfsgeschrei, bis Rose sie ernstlich zurechtwies. Es gelang ihr, ihre zerstreuten Sinne wieder zu sammeln, und sie fand endlich Besonnenheit genug, eine brennende Lampe aus dem Zimmer herbeizuholen, aus dem sie eben getreten war, und alles zu tun, was irgend nützen könnte, der Ohnmächtigen das Bewußtsein wiederzugeben. Zuletzt gelang dies den vereinten Bemühungen beider Personen. Eveline schöpfte tief Atem und schlug die Augen auf, schloß sie jedoch auf der Stelle wieder, ließ ihr Haupt an Rosens Brust sinken und verfiel in ein krampfhaftes Frösteln, bis die treue Dienerin unter vielen Liebkosungen ihr nun Hände und Schläfen rieb und endlich ausrief: »Sie lebt! – Sie erholt sich – Gelobt sei Gott!« Das: »Gelobt sei Gott!« hallte in feierlichem Tone von dem Fenster des Zimmers wieder. Rose wandte sich erschrocken dahin um und erblickte, starr vor Staunen, das bewaffnete Haupt des Kriegsmannes, der in so gelegenem Augenblick ihr zu Hilfe gekommen war und sich, auf seinen Arm gestützt, zu dem Fenster emporgeholfen hatte, um in das Innere des Kabinetts sehen zu können. Rose eilte sogleich auf ihn zu: »Geht! – geht, guter Freund,« sagte sie, »der Lohn soll Euch zu anderer Zeit werden. – Geht! – Entfernt Euch! – Doch wartet! – Bleibt auf Eurem Posten, daß ich Euch rufen kann, falls es noch einmal not tut. – Und nun geht und seid treu und verschwiegen!« Ohne ein Wort zu erwidern, gehorchte der Kriegsmann, und Rose sah ihn in den Graben wieder zurücksteigen. Darauf kehrte sie zu ihrer Gebieterin zurück, die in Gillians Armen lag, leise wimmernd und unverständliche Ausrufungen ausstoßend, was darauf schließen ließ, daß sie, durch irgend eine tief erschütternde Ursache veranlaßt, mit den heftigsten Empfindungen kämpfte. Kaum hatte Dame Gillian ihre Kräfte wiedergefunden, als auch ihre Neugierde wieder rege wurde. – »Was bedeutet das alles?« fragte sie Rosen, »was ist zwischen Euch vorgegangen?« »Ich weiß es nicht,« erwiderte Rose. »Wenn Ihr es nicht wißt,« sagte Gillian, »wer soll es denn wissen? – Soll ich die andern Frauen rufen und das Haus in Alarm setzen?« »Bei Leibe nicht,« sagte Rose; »tun wir nichts, so lange nicht Mylady imstande ist, selbst Befehl zu geben – und so wahr mir der Himmel helfe, ich will alles daran setzen, die Geheimnisse jenes Zimmers zu erfahren! Unterstützt derweilen meine Gebieterin!« Mit diesen Worten nahm sie die Lampe in die Hand, schlug ein Kreuz auf der Stirn, überschritt kühn die geheimnisvolle Schwelle und blickte, das Licht hochhaltend, in das Gemach. Es war ein altes, gewölbtes Zimmer, von mäßigem Umfange. Im Winkel hing ein roh geschnitztes Bild der heiligen Jungfrau über einem sächsischen Wasserbecken von sonderbarer Arbeit. Auch zwei Sitze und ein mit grobem Teppich gedecktes Lager, auf dem Eveline geruht zu haben schien, befanden sich in dem Raume. Scherben von dem zerschmetterten Fenster lagen auf dem Boden; doch rührte diese Oeffnung vom gewaltsamen Eindringen des Soldaten her, und Rose sah keinen andern Eingang, durch den ein Fremder hätte ins Zimmer gelangen können, da die Tür verschlossen und verriegelt gewesen war. Jetzt empfand Rose selbst den Einfluß jener Schrecken, denen sie bisher stand gehalten hatte; geschwind warf sie ihren Rock über den Kopf, wie wenn sie ihre Augen vor einem schrecklichen Anblick zu bewahren suchte, und rannte ins Kabinett zurück, aber erheblich unsicheren Schrittes, als wie sie es verlassen hatte, und bat Dame Gillian um ihren Beistand, Evelinen in das nächste Zimmer zu führen. Sobald dieses geschehen, schloß sie sorgsam die Zwischentüren ab, um gleichsam eine Scheidewand zwischen sich und jeder drohenden Gefahr zu ziehen. Lady Eveline hatte sich soweit erholt, daß sie aufrecht sitzen konnte; sie versuchte zu reden, konnte aber kaum lallen: »Rose, ich habe sie gesehen – mein Urteil ist gefällt.« Rosen kam auf der Stelle der Gedanke, daß es unvorsichtig wäre, Gillian hören zu lassen. was ihre Gebieterin in solchem bangen Augenblicke weiter sagen möchte; schnell ging sie deshalb auf ihren vorhin abgewiesenen Vorschlag ein und bat sie, noch zwei andere Mädchen von der Dienerschaft ihrer Herrin herbeizuholen. »Und wo soll ich sie finden in einem Hause,« sagte Gillian »in welchem fremde Männer mitternächtlicher Weile umherlaufen, und Teufel oder was weiß ich, ihren Spuk treiben?« »Findet sie, wo Ihr könnt,« versetzte Rose heftig, »aber macht, daß Ihr wegkommt!« Gillian ging langsam hinaus, ein paar unverständliche Worte murmelnd. Kaum war sie verschwunden, so ließ Rose ihrer eigenen Liebe zu ihrer Gebieterin die Zügel schießen und bat sie in den zärtlichsten Ausdrücken, die Augen doch aufzuschlagen und ihr ein Wort zu vergönnen, ihrer Rose, die ja, wenn es sein müsse, jederzeit bereit sei, für ihre Gebieterin das Leben zu lassen. »Morgen, morgen, Rose,« flüsterte Eveline, »– ich kann jetzt nicht sprechen,« »Erleichtert nur Euer Gemüt durch ein einziges Wort – sagt, was Euch in Schrecken gesetzt hat – was für Gefahren Ihr fürchtet.« »Ich habe sie gesehen,« antwortete Eveline, »ich habe die Bewohnerin jenes Zimmers gesehen! die Erscheinung, verhängnisvoll für meinen Stamm! Bestürme mich nicht weiter, denn morgen sollst Du alles erfahren!« Als Gillian mit den beiden andern Dienerinnen eintrat, hieß Rose sie die Herrin in ein entfernteres Zimmer bringen und auf ein Bett legen. Rose entließ hierauf die Dienerinnen wieder und hielt bei Evelinen weiter Wacht. Eine Zeitlang blieb diese noch unruhig und aufgeregt; allmählich aber gewann die Ermüdung ihr Recht, und sie sank in tiefen Schlummer, aus dem sie nicht eher erwachte, als bis die Sonne schon hoch über den fernen Hügeln stand. Fünfzehntes Kapitel Als Eveline die Augen aufschlug, schien sie keine Erinnerung mehr an die Ereignisse der vorigen Nacht zu haben. Sie blickte sich in dem Zimmer um, das, für Domestiken bestimmt, gering und armselig möbliert war, und sagte mit Lächeln zu Rosen: »Unsre gute Tante macht sich mit ihrer alten sächsischen Gastfreiheit recht geringe Kosten, was wenigstens das Quartier anbetrifft. Ich hätte ihr gern das zu reichliche Mahl von gestern erlassen, wenn sie mir ein weicheres Bett gegeben hätte. Die Glieder tun mir so weh, als wäre ich auf einer Tenne mit Dreschflegeln geschlagen worden,« »Ich freue mich, Euch bei so guter Laune zu sehen,« antwortete Rose, mit klugem Bedacht jeden Bezug auf die nächtlichen Ereignisse vermeidend. Dame Gillian war nicht so bedenklich . . . »Euer Gnaden legten sich, wenn mich nicht alles irrt, zur Nacht auf einem bessern Bett nieder,« sagte sie, »und Rose Flammock, wie auch Ihr selbst, muß doch am besten wissen, warum Ihr es verließet.« Vermöchten Blicke zu töten, so wäre Dame Gillian in der tödlichsten Gefahr gewesen durch den Blick, den Rose zur Strafe für diese unbedachtsame Mitteilung auf sie schoß, Ihre Rede übte auf der Stelle die befürchtete Wirkung; Lady Eveline schien zwar anfangs nur überrascht und verwirrt; als aber die Erinnerung an das grausige Erlebnis in ihrer Seele wieder deutlicher erwachte, faltete sie die Hände, blickte zur Erde nieder und brach in krampfhaftes Weinen aus. Rose beschwor sie, sich zu beruhigen, und schlug ihr vor, den sächsischen Kaplan des Hauses herbeizurufen, damit er ihr einigen geistlichen Trost reiche, wenn ihr Gram irdische Hilfe verschmähe. »Nein, rufe ihn nicht,« sagte Eveline, das Haupt erhebend und ihre Tränen trocknend. »Ich habe übergenug von sächsischer Freundlichkeit. Wie konnte ich so töricht sein, von solch hartem, fühllosem Weibe Mitleid mit meiner Jugend zu erwarten? Rücksicht auf das schwere Herzeleid, das mich betroffen? Rücksicht auf mein Waisentum? Ich will ihr nicht den elenden Triumph über das normannische Blut der Berenger gönnen, daß sie es mir ansieht, wie schwer ich unter ihrer unmenschlichen Züchtigung gelitten habe! Aber fürs erste, Rose,« rief sie, »antworte mir aufrichtig: war irgend ein Hausgenosse von Baldringham Zeuge meiner Not in dieser Nacht?« Rose versicherte, daß sie nur von ihren eigenen Leuten, von ihr selbst, Gillian, Blanche und Ternotte bedient worden sei, und diese Versicherung schien sie zu beruhigen . . . »Hört mich an, Ihr beiden,« sagte sie, »und wenn Ihr mich liebt, und wenn Ihr mich fürchtet, dann leistet meinem Worte Folge. Laßt keine Silbe von dem, was heute nacht vorgefallen, über Eure Lippen kommen! Sagt's auch den andern Mädchen! Helft mir, Gillian, und auch Du, herzliebe Rose, diese häßliche Kleidung zu wechseln und mein aufgelöstes Haar zu ordnen! Es war eine elende Rache, die sie suchte, und alles nur meiner Abkunft wegen. Aber nicht die leiseste Spur von dem Herzeleid soll sie sehen, das sie mir verursacht hat.« Bei diesen Worten funkelte ihr Auge zornig, und der Zorn schien die Tränen zu trocknen, die vorher dort standen, Rose sah diese Wandlung in ihrem Benehmen halb mit Freude, halb mit Bangen, sah sie doch ein, daß jetzt bei ihr Stimmungen vorherrschen mußten wie bei einem verwöhnten Kinde, das von seiner Umgebung bisher mit Schonung und Nachsicht behandelt worden und sich auf einmal grob und unwirsch angefaßt sieht. »Gott weiß es,« sagte das treue Mädchen, »ich wollte lieber meine Hand in geschmolzenes Blei stecken als Tränen aus Euren Augen darauf fühlen. Und doch, meine süße Herrin, möchte ich Euch jetzt lieber traurig als zornig sehen! Diese alte Lady hat sich, allem Anschein nach, nur an einen alten abergläubischen Brauch ihrer Familie, die ja zum Teil auch die Eurige ist, gehalten: ihr Name steht in hoher Achtung um ihrer Lebensführung, wie ihrer Besitzungen willen; und da Ihr von den Normannen so hart bedrängt werdet, mit denen die Euch verwandte Priorin wohl einverstanden sein dürfte, so trug ich mich mit der Hoffnung, daß Ihr Schutz und Stütze bei der Lady von Baldringham finden möchtet.« »Niemals, Rose, niemals,« entgegnete Eveline, »Ihr wißt es ja nicht, und könnt es auch nicht ahnen, was sie mich hat leiden lassen – wie sie mich bösem Zauberwerk, ja dem bösen Feinde preisgegeben hat! Du selbst sagtest es, und Deine Worte waren wahr, Kind! daß die Sachsen noch immer halbe Heiden seien und weder christlichen Sinn, noch Bildung, noch Menschlichkeit besäßen.« »Ja, aber,« erwiderte Rose, »damals sagte ich es, um Euch vor Gefahr zu warnen – nun aber, da die Gefahr vorbei ist, urteile ich anders,« »Sprich nicht zu ihren Gunsten, Rose,« rief Eveline zornig, »noch nie ist ein unschuldigeres Opfer mit solcher Lieblosigkeit zum Altar eines Dämons hingezerrt worden, wie meines Vaters Verwandte mich hinzerrte – mich, eine Waise – die ihres natürlichen, mächtigen Schutzes beraubt ist! Mir ist ihre Grausamkeit verhaßt – mir ist ihr Haus verhaßt – ich hasse den Gedanken an alles, was hier vorgefallen ist – an alles, Rose, Deine beispiellose Treue und Anhänglichkeit ausgenommen. – Geh, Rose! Befiehl unserm Gefolge, auf der Stelle zu satteln. – Ich will auf der Stelle von hinnen – nein! ich mag mich nicht putzen,« rief sie und wies den Beistand, den sie eben erst verlangt hatte, von sich – »ich will kein Gepränge weiter – will mich mit keinem Abschied mehr aufhalten!« In dieser heftigen, erregten Weise ihrer Herrin erkannte Rose mit lebhafter Sorge eine andere Phase jener reizbaren, erregten Stimmung, die sich zuvor in Tränen und Ohnmächten kund getan hatte. Doch da sie zugleich merkte, daß Vorstellungen vergeblich sein mochten, erteilte sie dem Gefolge die nötigen Befehle zum Satteln und zur Herrichtung zur Abreise, in der Hoffnung, daß, wenn ihre Gebieterin erst von dem Schauplatze fern sein würde, wo ihr Gemüt solch starke Erschütterung erhalten, auch ihre Fassung sich nach und nach wieder einfinden werde. Frau Gillian war demzufolge eben damit befaßt, das Gepäck zu ordnen, und die übrige Dienerschaft war bei den Vorbereitungen zur schleunigen Abreise, als unter Vorantritt ihres Haushofmeisters, der zugleich eine Art von Hofmarschall abgab, auf ihre Vertraute Berwine gestützt und gefolgt von einigen ihrer Hausbeamten, mit dem Ausdruck des Unmuts auf ihrer greisen, doch hohen Stirn, Lady Ermengard ins Zimmer trat. Eveline war mit zitternden Händen und brennenden Wangen, und unter andern Zeichen innerer Erregung, selbst beim Packen mit tätig, als ihre Verwandte erschien; da zeigte sie plötzlich, zu Roses lebhaftem Erstaunen, die größte Selbstbeherrschung, unterdrückte jeden äußern Anschein von Verwirrung und trat ihrer Verwandten mit ruhigem, aber stolzem Wesen, gleich dem ihrigen, entgegen. »Ich will Euch, Nichte, nur einen guten Morgen sagen,« sprach Ermengard, zwar mit hartem Tone, aber doch, durch Evelinens Verhalten gezwungen, mit größerer Rücksicht, als sie erst willens sein mochte; »ich sehe, daß es Euch beliebt hat, das Zimmer, das wir Euch nach alter Sitte unseres Hauses anwiesen, zu verlassen, um Euch in das Zimmer eines Dienstboten zu begeben.« »Staunet Ihr darüber, Lady?« fragte Eveline ihrerseits, »oder seid Ihr unzufrieden, daß Ihr mich nicht als Leiche in jenem Zimmer wiederfindet, das Eure Gastfreiheit und liebevolle Rücksicht mir zuwiesen?« »So ist Euer Schlummer gestört worden?« fragte Ermengard und blickte Evelinen scharf an. »Da ich mich nicht beklage, Tante, kann die Unannehmlichkeit nicht übergroß gewesen sein. Was geschehen ist, ist vorbei, und Euch mit Worten darüber zu belästigen, ist nicht meine Absicht,« »Die mit dem roten Finger,« erwiderte Ermengard triumphierend, »liebt kein fremdes Blut.« »Noch weniger Ursache hatte sie bei Lebzeiten, Sachsenblut zu lieben,« versetzte Eveline, »sofern nicht die Legende falsch berichtet oder, wie ich argwöhne, Euer Haus, statt von der Seele der Toten, die in seinen Mauern litt, von bösen Geistern, die ja die Abkömmlinge von Hengist und Horsa noch insgeheim verehren sollen, besucht wird.« »Ihr beliebt zu scherzen, meine Tochter,« rief die alte Lady im hellen Zorn, »oder falls Eure Worte ernstlich gemeint sind, dann hat der Pfeil Eures Vorwurfs sein Ziel verfehlt. Ein Haus, gesegnet durch den heiligen Dunstan und den heiligen Bekenner, [Eduard der Bekenner, letzter angelsächsischer König, starb 1066 und wurde wegen seiner Frömmigkeit unter die Heiligen versetzt; den Namen Bekenner führte er, weil er ein großer Verehrer des Sakraments der Beichte war.] ist keine Wohnung für böse Geister.« »Das Haus von Baldringham,« erwiderte Eveline, »ist keine Wohnung für Menschen, die solche Geister fürchten, und da ich in aller Demut mich zur Zahl derselben bekenne, will ich es eben jetzt der Obhut des heiligen Dunstan überlassen.« »Doch nicht, bis Ihr das Frühstück eingenommen, will ich meinen,« sagte Lady von Baldringham; »solche Schmach werdet Ihr hoffentlich nicht meinen Jahren und unserer Verwandtschaft antun.« »Verzeiht mir, Madame,« erwiderte Lady Eveline, »wer Eure Gastfreiheit erlitt, hat wenig Grund, sich nach dem Frühstück zu sehnen ... Rose, sind denn die trägen Burschen noch immer nicht unten im Hofe? Liegen sie gar noch im Bette, den Schlaf nachzuholen, aus dem sie durch mitternächtlichen Lärm aufgeschreckt wurden?« Rose meldete gleich darauf, das Gefolge halte bereits im Hofe, worauf Eveline mit einer flüchtigen Verneigung an ihrer Verwandten vorbei aus dem Zimmer eilen wollte, Ermengard aber trat ihr mit grimmigen Blicken in den Weg, die auf ein wilderes Maß von Zorn schließen ließen, als sich mit dem dünnern Blut ihres hohen Alters vertragen mochte, ja sie erhob ihren Stab von Ebenholz, als wollte sie zu persönlicher Züchtigung greifen; aber sie änderte ihren Vorsatz und machte plötzlich Evelinen Platz, die nun, ohne weiter ein Wort zu verlieren, ging; wahrend sie über die Treppe hinunterstieg, die zur Haustür führte, hörte sie die Stimme ihrer Tante hinter sich her, gleich der Stimme einer betagten und beleidigten Sibylle, die Dünkel und Vermessenheit, Ach und Wehe prophezeite. »Stolz,« rief sie, »schreitet der Vernichtung vorher, und Hochmut kommt vor dem Falle. Die das Haus ihrer Altvordern verhöhnt, sollen nie des Alters hehre Silberlocken schmücken! Die einen Mann des Krieges und Blutes heiratet, soll weder in Frieden noch ohne Blut ihr Leben beschließen!« Um diesen und weitern Verwünschungen zu entgehen, flog Eveline aus dem Hause, schwang sich eilig auf ihr Roß und sprengte, umgeben von ihrem Gefolge, das, ohne Grund und Ursache zu erraten, mit unter den Bann des Schreckens geriet, in den Wald hinein, sich auf den mit der Gegend wohlbekannten Raoul als Führer verlassend. Tief erschüttert, daß sie das Haus einer so nahen Verwandten, statt mit ihrem Segen, mit ihrem Fluch beladen – verlassen mußte, galoppierte Eveline rastlos vorwärts, bis die hohen Eichen mit ihrem Geäst die unselige Behausung vor ihren Blicken verbargen. Bald hörte man Pferdegalopp. Es war die Patrouille, die der Connetable zur Bedeckung des Hauses zurückgelassen und die von ihren verschiedenen Posten herbeieilte, Lady Eveline auf ihrem eiligen Ritte nach Gloucester zu begleiten. Der gewöhnliche Weg dorthin führte durch den großen Wald von Darne, damals noch fast ein Urwald zu nennen, den die Eisenhütten der spätern Jahre freilich stark gelichtet haben. Die Reiter schlossen sich an Evelinens Gefolge; ihre Rüstungen blinkten in der Morgensonne, ihre Trompeten schmetterten lustig, ihre Rosse bäumten sich unter lautem Gewieher; auf ihren Lanzen flatterten die langen Fähnlein, luftig kündend von dem kecken Mute, der ihre Träger beseelte. Dieser kriegerische Charakter ihrer normannischen Landsleute erweckte in Evelinens Brust ein gewisses Gefühl der Sicherheit und des Triumphes, das dazu beitrug, ihre düstern Gedanken zu verjagen und die fieberhafte Erschütterung ihrer Nerven zu mildern. Auch die höher steigende Sonne – der Gesang der Vögel im Laube – das Blöken der Herden auf den Weiden, der Anblick der mit ihren Kälbchen durch die Lichtungen streifenden Rehe: dies alles trug das seinige bei, den Schrecken über die nächtliche Erscheinung, die sie erschaut, zu zerstreuen und den heftigen Zorn zu beschwichtigen, der ihren Busen beim Wegritt von Baldringham bewegte. Sie ließ ihr Pferd nun langsamer laufen und widmete ihrem Reitkleid und Kopfputz, die infolge der eiligen Abreise gar manches zu wünschen ließen, einige notwendige Aufmerksamkeit. Rose sah, wie von ihrer Wange die fliegende Zornesröte wich und einer auf Ruhe deutenden Blässe das Feld räumte – wie ihr Auge nicht länger mehr unstet, sondern fest und sicher auf ihren kriegerischen Begleitern ruhte, und hielt ihr – was bei andern Gelegenheiten kaum der Fall gewesen wäre – die lauten Lobreden auf ihre Heimat und Landsleute zugute. »Unter dem Schuh unsrer siegreichen Normänner,« sagte Eveline, »reisen wir sicher: sie beseelt der edle Zorn des reißenden Löwen, und bei aller Romantik, die sie umwebt, sind sie frei von Tücke und Niedertracht; sie kennen die Pflichten des Hauses nicht minder als die der Schlacht, und werden, selbst wenn sie als Krieger unterliegen sollten – was aber nur der Fall sein kann, wenn Plinlimmon von seiner Höhe gestürzt wird – immer durch Großmut und seine Sitte jedes andere Volk übertreffen.« »Ich kann diese Vorzüge nicht in dem Maße fühlen, als wenn ich von ihrem Blute wäre,« sagte Rose; »immerhin freue ich mich ihrer Anwesenheit in diesen Wäldern, in denen man Gefahren von mancherlei Art begegnen soll. Ja, ich muß gestehen, daß mir das Herz um so leichter ist, als ich nicht die geringste Spur mehr von jenem alten Herrensitze gewahre, in welchem wir eine so schlimme Nacht zubrachten, daß die Erinnerung daran mir ewig verhaßt bleiben wird.« Eveline sah sie scharf an ... »Sprich die Wahrheit, Rose! Du möchtest Dein bestes Mieder dafür opfern, wenn Dir volle Kenntnis meines grausigen Abenteuers würde?« »Das hieße nur zugestehen, daß ich Weib bin,« antwortete Rose; »und selbst als Mann, möchte ich behaupten, dürfte ich kaum weniger Neugierde, das zu erfahren, besitzen.« »Du rückst nicht andere Empfindungen, mein, Schicksal zu erfahren, in den Vordergrund,« sagte Eveline, »und doch, süße Rose, bin ich darum nicht weniger überzeugt, daß auch sie Dir nicht fehlen ... Glaube mir. Du sollst alles wissen, nur jetzt nicht, Kind, nur jetzt nicht!« »Ganz wie es Euch beliebt,« sagte Rose, »aber ich sollte doch denken, daß, so lange Ihr ein so schweres Geheimnis allein mit Euch herumtragt, die Last schier unerträglich sein müsse. Auf mein Stillschweigen könnt Ihr Euch doch so verlassen, wie wenn Ihr vor einem Heiligenbilde stündet. Zudem wird man um so vertrauter mit Dingen, je öfter man darüber spricht; und was einem vertraut ist, verliert zuletzt seine Schrecken.« »Du hast recht, meine kluge Rose, und wenn ich auf die stattliche Kriegerschar blicke, in deren Mitte mich, gleich einer Blüte auf dem Busch, mein wackrer Zelter trägt – wenn ich die balsamischen Lüfte atme, die uns umwehen, wenn ich die Blumen sehe, die um mich her sprießen, die Vöglein überall zwitschern höre und Dich an meiner Seite sehe – o Rose, dann sagt auch mir mein Herz, daß es jetzt die schicklichste Zeit ist. Dir anzuvertrauen, was Du so heiß zu wissen begehrst – und – ja, Rose! – Du sollst alles wissen! So sprich denn, Kind! Ist Dir bekannt, was die Sachsen hierzulande unter der Bezeichnung Bahrgeist verstehen?« »Verzeiht mir, Lady,« antwortete Rose, »mein Vater wollte es nie dulden, daß ich solchen Erzählungen mein Ohr lieh. Er meinte immer, es seien böse Wesen genug zu sehen, daß man sie nicht erst noch in der Phantasie zu sehen brauchte. Vom Bahrgeist habe ich wohl aus Gillians und anderer Sachsen Munde gehört; aber mir schien in dem Worte immer so etwas Unklares von Grausigkeit zu liegen, daß ich nie nach einer Erklärung gefragt, auch nie eine bekommen habe.« »So wisse, Kind,« sagte Eveline, »es ist ein Gespenst, gemeinhin das Bild eines Verstorbenen, der entweder um eines Unrechts willen, das ihm an einem bestimmten Orte bei Lebzeiten zugefügt worden oder wegen irgendwo verborgener Schätze oder aus irgend einem andern Grunde solcher Art, von Zeit zu Zeit sich eben da blicken läßt, an Menschen, die nach ihm dort wohnen, dauernd Anteil nimmt, bisweilen ihnen zum Segen, bisweilen auch ihnen zum Unsegen. Der Bahrgeist ist also manchmal ein guter Genius, manchmal ein rächender Teufel für alle die, mit denen er in Berührung tritt. Dem edlen Hause Baldringham ist es nun vom Schicksal bestimmt worden, den Heimsuchungen solches Wesens ausgesetzt zu sein.« »Darf ich nach der Ursache solcher Heimsuchungen fragen, falls sie bekannt ist?« fragte Rose, eifrig bemüht, die Gesprächigkeit ihrer jungen Herrin, die vielleicht nicht lange andauern möchte, wahrzunehmen. »Ich kenne die Sage nur obenhin,« sagte Eveline und fuhr, endlich ihrer Seelenangst Herrin geworden, mit Ruhe fort; »für gewöhnlich hört man sie so erzählen: Baldrick, ein sächsischer Held, der erste Herr über diesen Wohnsitz, verliebte sich in eine schöne Britin, die, wie es hieß, von den Druiden herstammte, deren die Walliser so oft erwähnen, und nicht unbekannt mit den Zauberkünsten gewesen sein soll, die hierzulande im Schwange waren zu der Zeit, da noch Menschenopfer dargebracht wurden. Nach etwa zweijähriger Ehe wurde Baldrick seiner Frau überdrüssig, so daß er den grausamen Entschluß, sie umzubringen faßte. Einige sagten, er habe an ihrer Treue gezweifelt, andre, die Kirche hätte darauf gedrungen, weil die Frau sich der Ketzerei verdächtig gemacht, noch andere, er habe sie aus dem Wege geschafft, um für eine reiche Frau Platz zu schaffen – aber in der Sache selbst stimmen alle überein. Er sandte zwei von seinen Leuten nach Baldringham, die unglückliche Wanda zu töten, und befahl ihnen, ihm zum Zeichen, daß sie seine Befehle vollzogen hätten, den Ring zu bringen, den sie am Hochzeitstage getragen. Unbarmherzig vollzogen sie ihren Auftrag und erdrosselten Wanda in jenem Gemache; da aber ihre Hand so geschwollen war, daß sie den Ring mit aller Gewalt nicht abziehen konnten, schnitten sie ihr den Finger ab. Aber lange schon vor der Rückkehr der grausamen Vollstrecker des blutigen Auftrags war der Schatten der Ermordeten ihrem Gemahl erschienen, reckte ihm die blutige Hand entgegen und kündete ihm auf so furchtbare Weise, wie schnell sein barbarischer Befehl erfüllt worden sei. Nachdem sie ihn in Krieg und Frieden, in Einsamkeit, am Hofe, im Lager gespenstisch verfolgt, bis er in Verzweiflung auf einer Pilgerfahrt nach dem heiligen Lande starb, wurde der Bahrgeist, wie hinfort der Geist der ermordeten Wanda hieß, dem Hause Baldringham so furchtbar, daß erst die Hilfe des heiligen Dunstan hinreichte, seinen Heimsuchungen ein Ziel zu setzen. Ja, als endlich dem gepriesenen Heiligen seine Beschwörungen gelangen, legte er zur Strafe für Baldricks Verbrechen allen Frauen seines Hauses bis ins dritte und vierte Glied die harte, ewige Buße auf, einmal in ihrem Leben und vor dem einundzwanzigsten Jahre eine einsame Nacht in dem Zimmer der ermordeten Wanda zuzubringen und dort Gebete sowohl für ihre eigne als für die Ruhe der im Fegfeuer leidenden Seele ihres Mörders zu verrichten. In dieser schreckensvollen Stunde, glaubt man allgemein, erscheint der Geist der Ermordeten derjenigen Frau, die diese fromme Nachtwache hält, und gibt ihr ein Zeichen von ihrem künftigen, ob guten oder bösen Schicksal. Ist es günstig, so erscheint sie mit einem lächelnden Angesicht und bekreuzt sie mit der unblutigen Hand; trauriges Schicksal aber zeigt sie mit der Hand an, der der Ringfinger fehlt, mit strengen Blicken, wenn sie den Nachkommen ihres Mörders seine herzlose Grausamkeit fühlen lassen möchte. Bisweilen soll sie auch sprechen. All diese Umstände erfuhr ich schon vor langer Zeit aus dem Munde einer alten Sächsin, der Mutter unserer Hausmeierin, die im Dienste meiner Großmutter stand und das Haus Baldringham verließ, als jene mit meinem Großvater aus ihm entfloh.« »Hat eure Großmutter je diese Nachtwache verrichtet,« fragte Rose, »die – mit Vergunst des heiligen Dunstan! – den Menschen in allzunahe Berührung mit einem Wesen zweifelhafter Natur zu setzen scheint?« »So dachte auch mein Großvater und erlaubte meiner Großmutter nie, nach der Heirat den Fuß nach Baldringham zu setzen. Daraus entstand die Zwietracht zwischen ihm und seinem Sohne einerseits, den Gliedern jenes Hauses anderseits. Mehrere Unglücksfälle und besonders den Verlust ihrer männlichen Erben, der sie zu dieser Zeit traf, schrieb man meiner Mutter zu, weil sie die übliche Wache beim Bahrgeist des Hauses nicht verrichtet hatte.« »Aber wie konntet Ihr, teuerste Lady,« sagte Rose, »da Ihr wußtet, daß die Baldringhams unter sich an solch gräßlicher Sitte festhielten, auch nur daran denken, die Einladung der Lady Ermengard anzunehmen? Was konnte Euch hierzu bestimmen?« »Kaum vermag ich hierauf zu antworten, Teils Entsetzen über meines Vaters unglückliches Geschick, von der Hand seines Todfeindes zu fallen, das ihm, wie ich aus seinem Munde hörte, von seiner Tante prophezeit worden – teils aber die unselige Hoffnung, daß man, wenn mich zu großer Schrecken befallen sollte, menschlich genug empfinden werde, mich nicht weiter in dem grausen Zimmer weilen zu lassen. Ihr habt gesehen, wie fest meine hartherzige Tante an dieser Gelegenheit hielt, und wie sie es mir unmöglich machte – trotzdem ich nicht bloß den Namen Berenger führe, sondern mich vom Geiste der Berengers erfüllt fühle, – aus dem Netze zu entrinnen, in das ich mich selbst verwickelt hatte.« »Nie hätte Rücksicht auf Stand und Namen mich verpflichtet,« erwiderte Rose, »mich an einen Ort zu begeben, wo schon die Furcht allein, ganz abgesehen von dem Schrecknis einer wirklichen Erscheinung, meine Vermessenheit mit Wahnsinn hätte strafen können. – Aber, im Namen Gottes, was sahet Ihr in jener grausigen Nacht?« »Ja, das eben ist die Frage,« sagte Eveline, die Hand an ihre Stirn legend, – »wie ich habe sehen können, was ich wirklich so deutlich sah, und doch noch Herr meiner Gedanken und meines Verstandes bleiben konnte! – Ich hatte die vorgeschriebene Andacht für den Mörder und sein Opfer verrichtet, mich auf mein Lager gesetzt und die Kleider abgelegt, die mir zu unbequem im Schlafe waren, – kurz, ich hatte den ersten Eindruck, den mir der Eintritt in das Zimmer machte, überwunden, und hoffte, unschuldigen Sinnes, wie ich war, die Nacht in sanftem Schlummer zu verbringen – sollte aber gräßlich enttäuscht werden. Ich kann nicht sagen, wie lange ich geschlafen hatte, als meine Brust durch eine Last von unheimlicher Schwere gedrückt wurde, die mir die Stimme zu rauben, den Schlag des Herzens zu hemmen und den Atem zu beklemmen schien; und als ich nun mühsam das Auge aufschlug, die Ursache dieses schrecklichen Alpdrucks zu erspähen, da stand die Gestalt der ermordeten Matrone an meinem Lager, in Ueberlebensgröße, gleich einem düstern Schatten, mit einem Gesicht, in welchem Züge von Würde und Schönheit mit dem stolzen Ausdruck der Rachlust sich vermengten. Sie hielt die Hand über mir, die das blutige Zeichen ihrer Ermordung trug und schien, das Kreuz über mich schlagend, dem Untergange mich zu weihen, während sie mit überirdischer Stimme die Worte hervorstieß: Verwitwete Gattin, jungfräuliche Ehe, Verlobet, verratend, verraten – Wehe! – Das Phantom beugte sich über mich, während es also sprach, und senkte seinen blutigen Finger, wie um mein Gesicht zu berühren, als mir Entsetzen die Kraft wieder lieh, die es mir vorher genommen – ich schrie laut auf – das Fenster wurde eingeschlagen – die Scheiben klirrten – doch wozu soll ich Dir das erzählen, Rose, da Deine Augen, das Zucken Deiner Lippen mir deutlich sagen, daß Du mich für eine kindische Träumerin hältst?« »Zürnet nicht, meine teure Lady,« sagte Rose, »ich glaube wirklich, daß die Hexe, die wir Nachtmahr nennen, Euch heimgesucht hat; aber sie wird von den Aerzten nicht für ein Phantom gehalten, das existiert, sondern für ein Gebilde unserer durch irgend ein leibliches Unwohlsein gestörten Phantasie.« »Du bist ein kluges Mädchen, Rose,« antwortete Eveline verdrießlich, »aber wenn ich Dir sage, daß mir mein guter Engel in menschlicher Gestalt zu Hilfe kam – daß infolge seines Erscheinens der böse Geist verschwand – und daß mein guter Engel mich auf den Armen aus dem Schreckenszimmer trug, dann, denke ich, mußt Du, als gute Christin mehr Glauben an meine Rede gewinnen.« »Gewiß, gewiß – meine liebe, liebe Herrin! aber,« erwiderte Rose, »ich kann's darum erst recht nicht! Gerade der Umstand mit dem Schutzengel bestimmt mich, das Ganze für einen Traum anzusehen. – Eine normannische Schildwacht, die ich selbst von ihrem Posten rief, um über Euch zu wachen, war es, die zu Eurem Beistande in Euer Zimmer brach und Euch im leblosen Zustande auf seinen Armen hinaustrug.« »Ein normännischer Soldat? Ha!« rief Eveline, blutrot werdend, »und wer war es, Mädchen, dem Du Auftrag zu geben wagtest, in mein Schlafzimmer einzubrechen?« »Eure Augen blitzen vor Zorn, meine Dame, aber tun sie auch recht? – Drang nicht Euer Todesgeschrei mir zu Ohren? Und sollte ich in solchem Augenblick von Rücksichten mich im Banne halten lassen? – So wenig, als wenn das Haus in Flammen gestanden hätte!« »Ich frage Dich noch einmal, Rose,« sagte ihre Gebieterin, noch immer ungehalten, wenn auch nicht mehr zornig, »wen Du zu mir ins Zimmer dringen hießest?« »Ich weiß es wirklich nicht, Lady,« antwortete Rose beklommen, »war er doch dicht in seinen Mantel gehüllt und war doch gar keine Zeit, ihm ins Gesicht zu sehen, selbst wenn es sich hätte ansehen lassen! Aber ich werde ihn bald entdecken und werde um so mehr bedacht sein, ihn zu finden, damit ihm die Belohnung zuteil werde, die ich ihm versprach – damit ich ihn warne, bescheiden zu schweigen.« »Das tue,« sagte Eveline, »und wenn Du ihn unter denen findest, die uns begleiten, so will ich mich an Deine Meinung halten und glauben, daß an dem Weh, das ich in dieser Nacht erduldete, meine Phantasie den größten Anteil hatte.« Rose gab ihrem Pferde einen leichten Hieb, und von ihrer Gebieterin begleitet, ritt sie zu Philipp Guarine, dem Squire des Connetable, der zurzeit das Kommando über die kleine Schar führte ... »Lieber Guarine,« sagte sie, »ich habe mit einem der heut nacht ausgestellten Posten von meinem Fenster aus gesprochen; er hat mir einen Dienst geleistet, für den ich ihm Belohnung versprach – wollt Ihr mir den Gefallen tun, Nachfrage unter Euren Reitern zu halten, damit ich meine Schuld entrichten kann?« »O gewiß, mein schönes Kind,« antwortete der Squire, »bin ich doch auch ihm eine Erkenntlichkeit dafür schuldig, daß er sich auf Lanzenweite dem Fenster näherte, Zwiesprach zu halten und den ihm erteilten gemessenen Befehl zu übertreten!« »Still! still! Ihr müßt's ihm mir zuliebe nachsehen!« rief Rose, »hätte ich doch beinah Euch selbst gerufen, wackerer Guarine, und es – ich stehe dafür – auch über Euch vermocht, unter mein Kammerfenster zu treten.« Guarine lachte und zuckte die Achseln ... »Freilich ist's wahr,« sagte er, »wo Weiber im Spiel sind, ist Kriegszucht in Gefahr.« Er hielt sogleich Nachfrage unter seiner Schar, kehrte aber mit der Beteuerung zurück, daß keiner derselben es wahr wissen sollte – obgleich er jeden einzelnen ins Verhör genommen – sich dem Schlosse Baldringham in der vergangenen Nacht auf Rufweite genähert zu haben. »Da siehst Du!« sagte Eveline zu ihrer Dienerin mit bedeutsamen Blicken. »Die armen Schelme fürchten sich vor ihres Hauptmanns Strenge,« antwortete Rose, »und trauen sich nicht mit der Wahrheit heraus! – Es wird schon einer zu mir kommen und insgeheim sich seinen Lohn abholen.« »Ich wollte, dies Vorrecht gehörte mir selbst, Jungfer,« sagte Guarine, »aber meine Burschen sind so zaghaft nicht, wie Ihr denkt, sondern nur allzubereit, sich ihrer Streiche zu rühmen, wenn sie auch wenig Entschuldigung verdienen ... Zudem versprach ich ihnen Straflosigkeit! ... Habt Ihr sonst noch etwas zu befehlen?« »Nichts, guter Guarine,« sagte Eveline, »nur die kleine Gabe hier zu Wein für Eure Mannschaft, damit sie die nächste Nacht lustiger zubringe als die vergangene ... So! nun ist er weg! und nun, Mädchen, sollst Du merken, daß das, was Du sahst, kein irdisches Wesen war!« »Ich muß meinen eigenen Augen und Ohren glauben, Herrin,« erwiderte Rose. »Das tue, erlaube aber mir das gleiche Recht,« sagte Eveline; »mein Retter – denn so muß ich ihn nennen – hatte die Züge eines Mannes, der nie in der Nachbarschaft von Baldringham gewesen oder hat sein können. Sage mir nur noch eins! Was denkst Du von der seltsamen Weissagung: Verwitwete Gattin, jungfräuliche Ehe, Verlobt, verratend, verraten, – Wehe! Du Wirst sagen, es sei nichts als eine Ausgeburt meines Gehirns, – nimm es aber einen Augenblick für den Spruch eines echten Propheten, was würdest Du dann dazu sagen?« »Daß Ihr wohl verraten werden könntet, teuerste Lady, nie aber Verräterin sein könntet,« antwortete Rose lebhaft. Eveline streckte ihrer Freundin die Hand entgegen, und Rosens Hand herzlich drückend, flüsterte sie ihr mit Wärme zu: »Ich danke Dir für Dein Urteil, das mein Herz bestätigt.« Eine Staubwolke verkündigte jetzt die Annäherung des Connetable und seines Gefolges, vermehrt durch die Begleitung seines Freundes, Sir William Herbert, und einiger andern, von dessen Nachbarn und Verwandten, die sämtlich erschienen, der Waise von Garde Douloureuse, unter welchem Namen Eveline in den Gegenden, durch die sie reiste, bekannt war, ihre Huldigung darzubringen.« Evelinen entging es nicht, daß de Lacy, als er sie begrüßte, mit Verdruß auf die Unordnung in ihrer Kleidung und ganzen Ausrüstung sah, die sich infolge ihrer eiligen Abreise von Baldringham notwendig gemacht hatte. Auch sie war durch einen Ausdruck in seinem Gesicht überrascht, der ihr zu sagen schien: »Mich als gewöhnlichen Menschen zu betrachten, den man ungestraft von oben herab behandeln darf, kann ich nicht gelten lassen.« – Zum erstenmale sah sie, daß des Connetables Gesicht, wenn es ihm auch an Anmut und Schönheit fehlte, heftige Leidenschaften recht wohl kraftvoll und lebendig auszudrücken vermochte, und daß, wer teil an seinem Range und Namen haben wolle, auch darauf rechnen müsse, auf allen persönlichen Willen zu verzichten und sich dem seinen als eigenmächtigen Herrn und Gebieter unbedingt unterzuordnen. Die Wolke verzog sich jedoch bald von der Stirn des Connetables, und Eveline bekam Gelegenheit, in seiner Unterhaltung mit Herbert und den übrigen Rittern und Edlen, die sie auf ihrer Reise teils nur begrüßten, teils eine Strecke weit begleiteten, die Überlegenheit seines Geistes zu bewundern, wie auch die Aufmerksamkeit und Ergebenheit zu bemerken, mit der von Männern, die selbst von hohem Range waren und in ihrem Stolze niemand ein Uebergewicht eingeräumt hätten, das nicht auf tatsächliches Verdienst sich gründete, auf jedes Wort aus seinem Munde gelauscht wurde. Frauen lassen sich in ihrem Urteil über einen Mann beeinflussen durch den Respekt, den er bei andern Männern genießt, und als Eveline die Reise zum Benediktinerkloster von Gloucester zurückgelegt hatte, konnte sie nicht anders, als voll Ehrerbietung des weitberühmten Kriegeshelden gedenken, dessen Geistesgaben ihn hoch über jeden, der sich ihr näherte, stellten. Als Gattin solches Mannes, dachte Eveline – und an Ehrgeiz mangelte es ihr nicht – müßte sich jede Frau, sofern sie nur auf gewisse Eigenschaften bei ihm verzichten wollte, die freilich im jugendlichen Alter die weibliche Phantasie am meisten fesseln, allzeit hochgeehrt und wertgehalten sehen und ein hohes Maß von Zufriedenheit, wenn auch nicht von romantischer Glückseligkeit, finden. Sechzehntes Kapitel Fast vier Monate verweilte Lady Eveline bei ihrer Tante, der Aebtissin des Benediktinerinnen-Klosters, unter deren Einfluß der Connetable seine Bewerbung gute Fortschritte machen sah, wie es wohl auch nicht anders der Fall gewesen wäre, wenn Raymond Berenger, Evelinens Vater, noch gelebt hätte. Freilich wohl läßt sich annehmen, daß, ohne den Glauben an jene Vision der heiligen Jungfrau und ohne das bei dieser Gelegenheit geleistete Gelübde, die bei einer so jugendlichen Person nur natürliche Abneigung gegen einen an Jahren ihr so ungleichen Mann ein schärferes Wort mitgesprochen hatte. In der Tat konnte sich auch Eveline, soviel Gerechtigkeit sie den Charaktereigenschaften und Fähigkeiten des Connetable widerfahren ließ, einer geheimen Scheu vor ihm nicht erwehren, und wenn sie seiner Bewerbung auch kein unbedingtes Nein entgegensetzte, empfand sie doch ein gewisses Gruseln bei dem Gedanken, daß ihm dieselbe schließlich doch noch glücken könnte. Die vorbedeutenden Worte »verratend und verraten« traten ihr dann vor die Seele, und als nun ihre Tante – sobald die eigentliche Trauerzeit vorüber war – einen Termin für ihre Verlobung festsetzte, schaute sie ihm mit einem geheimen Grauen entgegen, von dem sie sich selbst keine Rechenschaft abzulegen wußte, aber auch nicht, wie von dem schrecklichen Traume zu Baldringham, dem Pater Aldrovand in der Beichte etwas offenbarte. Es beruhte nicht auf Widerwillen gegen den Connetable, noch weniger darauf, daß sie einem andern Bewerber den Vorzug vor ihm gegeben hätte, sondern vielmehr auf einer jener instinktmäßigen Regungen und Empfindungen, durch die uns die Natur vor naher Gefahr zu warnen scheint, obwohl sie uns weder über ihre Natur noch die Mittel, ihr zu begegnen, Aufklärung gibt. Diese Anfälle von Scheu und Bange waren zuweilen so stark, daß, wären sie durch Rosens Vorstellungen wie vordem unterstützt worden, Eveline vielleicht noch jetzt zu einem dem Connetable ungünstigen Entschluß gelangt wäre. Aber eifriger für ihrer Lady Ehre als Glück besorgt, wehrte Rose sich streng gegen jeden Versuch, sie in ihrem Vorhaben zu erschüttern, nachdem sie einmal zu de Lacys Bewerbung sich beifällig ausgesprochen hatte; und was sie auch dachte und vorher über diese Heirat gesagt hatte, so schien sie doch jetzt auf diese Verbindung wie auf ein Ereignis zu blicken, gegen dessen notwendigen Vollzug sich nichts mehr tun lasse und niemand mehr etwas tun dürfe. De Lacy selbst, als er den hohen Wert des Preises, nach dem er strebte, kennen lernte, sah dieser Verbindung mit andern Empfindungen entgegen, als ihn Raymond Berengers Antrag gegenüber erfüllt hatten. Damals war es ihm nur ein Ehebund aus Interesse und Konvenienz, der einem stolzen, klugen Lehnsherrn als bestes Mittel zur Befestigung seiner Hausmacht und zur Fortpflanzung seines Geschlechts erschien. Selbst Evelinens strahlende Schönheit machte auf de Lacy nicht den Eindruck, wie auf den feurigen, leidenschaftlichen Geist der Ritter ihrer Zeit. Er war über das Alter hinweg, in welchem auch der weisere Mann sich durch die äußere Gestalt berücken läßt, und hätte nicht angestanden, der Wahrheit, daß er sich seine Braut, so schön sie sei, doch um einige Jahre älter, also zu seinem Wesen und seiner Denkweise passender, wünsche, die Ehre zu geben. Diese Anschauung änderte sich aber, als er beim wiederholten Beisammensein mit der ihm bestimmten Braut erkannte, wie fremd sie dem Leben sei und wie sehr sie sich sehnte, durch eine ihr überlegene Kraft geleitet zu werden; wie sie, obwohl begabt mit hohem Verstande, wie mit einem Gemüt, das allmählich seine natürliche Fröhlichkeit wiederfand, doch sanft und willig, dabei aber von festen Grundsätzen war, die dafür bürgten, daß sie den schlüpfrigen Pfad der Jugend, vornehmen Geburt und körperlichen Schönheit festen Schrittes und untadelhaft wandeln werde. In dem Verhältnis, wie sich sein Herz für Evelinen in Flammen setzte, wurde ihm die für den Kreuzzug eingegangene Verpflichtung lästig. Die Aebtissin, Evelinens natürlicher Vormund, bestärkte ihn hierin. Obgleich Nonne und von hoher Gottesfurcht beseelt, hielt sie doch den heiligen Stand der Ehe in nicht minder hohen Ehren und stellte nicht in Abrede, daß er dem wichtigen Zweck, zu dem er eingegangen würde, nicht dienen könnte, wenn zwischen dem verehelichten Paare das ganze Festland Europas läge. Bei einer Andeutung des Connetables, daß ihn seine junge Gattin in das sittenlose Lager der Kreuzfahrer begleiten könne, bekreuzte sich die gute Dame mit Abscheu und verbat sich jedes weitere Wort nach dieser Richtung hin auf das nachdrücklichste. Es war zudem für Könige, Fürsten und andere Personen von hohem Range nichts Ungewöhnliches, von dem Gelübde zur Befreiung Jerusalems entbunden zu werden, sofern man bei der Kirche in Rom nur gebührlich darum nachsuchte. Der Connetable befand sich in dem Vorteil, seines Souveräns Interesse dabei anführen zu können, war er unter dem Adel, dessen Tapferkeit und Klugheit König Heinrich hauptsächlich die Verteidigung der unruhigen Walliser Marken anvertraut hatte, doch keiner der Edelsten, und hatte er doch gewissermaßen ohne Erlaubnis desselben das Kreuz genommen. Zwischen der Aebtissin und dem Connetable kam es daraufhin zu dem geheimen Abkommen, daß in Rom und beim Päpstlichen Legaten in England ein Aufschub für die Ableistung des Gelübdes auf wenigstens zwei Jahre nachgesucht werden sollte. Daß solche Gunst einem Manne von seinem Stande und Range abgeschlagen werden könnte, ließ sich nicht annehmen, zumal das Gesuch mit den freigebigsten Anerbietungen von Beihilfe zur Befreiung des heiligen Landes unterstützt wurde, wie unter anderm, daß er, wenn ihm die persönliche Teilnahme erlassen würde, hundert Lanzen auf seine Kosten stellen wolle, jede Lanze in Begleitung von zwei Knappen, drei Bogenschützen und einem Stalljungen: die doppelte Geleitschaft also, die er für seine Person in Anspruch genommen hätte; des Weiteren erbot er sich, die Summe von zweitausend Byzantinern zu den allgemeinen Kosten des Zuges beizusteuern und all die Schiffe, die er für seine Ausfahrt instand gesetzt hatte und die zu seiner Einschiffung bereit lagen, dem christlichen Heere zu überlassen. Immerhin fürchtete der Connetable, daß seine Anerbietungen dem überaus strengen Kirchenfürsten Balduin nicht genügen möchten, der selbst den Kreuzzug gepredigt und den Connetable mit vielen anderen zu der heiligen Unternehmung gewonnen hatte, und nun zu seinem größten Verdruß sehen mußte, daß sein Werk in Gefahr geriete dadurch, daß ein so wichtiger Verbündeter sich von ihm abwendig machen wollte. Diesen Unmut soviel wie möglich zu besänftigen, erklärte sich der Connetable, falls ihm gewährt würde, in Britannien zu bleiben, noch dazu bereit, seinen Neffen Damian de Lucy als Führer seines Korps zu stellen, der schon Ruhm durch seine Rittertaten gewonnen hatte und, wenn dem Connetable Erben versagt blieben, als künftiges Haupt des alten Hauses zu gelten hätte. Freilich mußte er sich auch dann noch auf schwierige Verhandlungen mit dem stolzen und mächtigen Prälaten gefaßt machen, aber ebenfalls stolz und mächtig und von der Gunst seines Souveräns unterstützt, hoffte er auf einen günstigen Ausgang, zum mindesten auf keine Niederlage. Die Notwendigkeit, diese Angelegenheit vor allem erst zu ordnen, wie auch das kürzlich erfolgte Abscheiden von Evelinens Vater brachten es mit sich, daß der Connetable sich von Turnieren und andern Festlichkeiten fernhielt. Ebenso untersagte die Klosterregel alle weltlichen Unterhaltungen wie Tanz und Musik. Obwohl nun der Connetable durch die prächtigsten Geschenke die Liebe zu seiner Braut zu beweisen suchte, nahm die ganze Sache nach Ansicht der vielerfahrenen Dame Gillian doch mehr das schwerfällige Tempo einer Beerdigungsfeier an, statt das flotte einer bevorstehenden Hochzeit. Die Braut selbst hatte ähnliche Empfindungen, und wohl nicht ganz zufällig bloß geschah es, daß ihr Gedanken kamen, als könne alles einen fröhlichern Anstrich bekommen, wenn der junge Damian zur Stelle sei, dessen Alter zu dem ihrigen passe, dessen Temperament von dem seines ernsten Oheims so glücklich abstäche. Aber Damian kam nicht, und nach des Connetables Reden über ihn mußte sie glauben, daß die beiden nahverwandten Männer wenigstens auf gewisse Zeit Beschäftigung und Charakter vertauscht hätten. Der ältere de Lacy hielt zwar, wenn auch nur nominell, sein Gelübde weiter und wohnte in einem Pavillon vor den Toren von Gloucester; aber nur selten trug er jetzt seine Rüstung, und sein gemsledernes Kriegswams hatte köstlichem Damast und Seide weichen müssen; auch zeigte er in seinen vorgerückten Jahren größere Vorliebe für Prunk, als seine Altersgenossen selbst in der Jugend an ihm wahrgenommen hatten. Sein Neffe dagegen hielt sich fast immer an den Walliser Grenzen auf, die mannigfaltigen Wirren dort entweder gütlich oder mit bewaffneter Hand beizulegen, Eveline vernahm zu ihrer nicht geringen Verwunderung, daß sein Oheim ihn nur schwer dazu bestimmt hatte, bei ihrer Verlobung als Zeuge gewärtig zu sein. Der Connetable bemerkte wiederholt nicht ohne Besorgnis, daß Damian sich selbst für seine Jahre zu wenig Ruhe gönne, zu wenig schlafe und sich viel zu sehr anstrenge – daß seine Gesundheit darunter leide– ja daß ein gelehrter jüdischer Arzt, über ihn zu Rate gezogen, die Meinung geäußert habe, dem jungen Ritter dürfte ein südlicheres Klima zuträglicher sein, die alten Kräfte wiederzugewinnen, als der neblige Norden. Eveline vernahm diese Nachricht mit lebhaftem Bedauern, denn sie erinnerte sich Damians als des heilverkündenden Engels, der ihr die erste Nachricht von ihrer Errettung aus der Gewalt der Walliser brachte. Die Gelegenheit, bei der sie sich späterhin sahen, so traurig sie auch war, gewährte ihr doch in der Erinnerung Freude, denn der Jüngling hatte ein so vornehmes Benehmen, und hatte sie so warm zu trösten verstanden, daß sie ihn gern wiedergesehen hätte, um sich über die Natur seiner Krankheit selbst ein Urteil zu bilden, denn gleich andern Frauen jener Zeit war sie in der Heilkunst nicht ganz unerfahren und hatte vom Pater Aldrovand, der selbst kein unbedeutender Arzt war, aus Pflanzen und Kräutern die Heilkräfte für allerhand Krankheit zu gewinnen gelernt. So vernahm sie mit recht großer Freude, in die sich wohl auch einige Verlegenheit mischte, daß sie bei einem so jungen Kranken ärztliche Ratgeberin sein solle, die Nachricht aus Fran Gillians Munde, daß sie Lord Connetables Verwandter zu sprechen verlange. Schnell nahm sie den Schleier um, den sie, um sich in die Gebräuche des Hauses zu fügen, zu tragen pflegte, und begab sich mit eiligen Schritten in das Sprechzimmer, befahl zwar ihrer Gillian, sie zu begleiten, fand aber diesmal keine willige Dienerin in dieser sonst so treuen Seele. Als sie in das Zimmer trat, näherte sich ihr ein Mann, den sie vorher nie gesehen, ließ sich auf ein Knie nieder, und den Saum ihres Schleiers ergreifend, küßte er ihn mit dem Anschein tiefster Ehrfurcht. Erstaunt und beunruhigt trat sie zurück, obgleich der Fremde nichts an sich hatte, was Furcht rechtfertigen konnte. Er schien etwa dreißig Jahre alt zu sein, war groß, von edler, obwohl etwas verfallener Gestalt, und zeigte ein Gesicht, das die Spuren von Krankheit, wenn nicht Befriedigung frühzeitiger Leidenschaft trug. Sein Benehmen schien fast bis zum Uebermaße höflich. Evelinens Erstaunen entging ihm nicht: in stolzem Tone, doch mit innerer Bewegung sprach er: »Ich fürchte, mich geirrt zu haben, ist es mir doch, als ob mein Besuch als unwillkommene Zudringlichkeit angesehen werde.« »Steht auf, Sir,« antwortete Eveline, »und sagt mir Euren Namen und Euer Begehren. Man hatte mir einen Verwandten des Connetable von Ehester gemeldet.« »Und Ihr habt das Jüngelchen, den Damian, erwartet?« erwiderte der Fremde. »Aber die Vermählung, deren Ruf durch ganz England ertönt, wird Euch mit andern Gliedern dieses Hauses in Beziehung setzen, und unter diesen mit dem Unglücklichen – Randal de Lacy. Vielleicht,« fuhr er fort, »hat die schöne Eveline Berenger diesen Namen von den Lippen seines glücklicheren Verwandten noch nicht vernommen – glücklicher in jeder Rücksicht, aber am glücklichsten ob der herrlichen Aussichten, die sich ihm jetzt eröffnen.« Eine tiefe Verbeugung begleitete dies Kompliment, und Eveline stand da, fast außer sich vor Verlegenheit, was sie auf solche Höflichkeit erwidern sollte. Denn obgleich sie sich recht Wohl erinnerte, daß der Connetable eines Verwandten mit Namen Randal erwähnt hatte, als er von seiner Familie sprach, mit dem Bemerken, daß kein gutes Vernehmen unter ihnen herrschte, erwiderte sie jetzt doch seine Höflichkeit nur mit ein paar allgemeinen Dankworten für die Ehre seines Besuchs. In der Annahme aber, er werde sich nun entfernen, sollte sie sich doch getäuscht sehen, denn das war nicht seine Absicht. »Die Kälte,« sagte er, »mit der mich Lady, Eveline empfängt, ist mir ein Zeichen dafür, daß, was mein Verwandter auch von mir gesagt hat – wenn er mich überhaupt einer Erwähnung gewürdigt hat, nicht günstig für mich gewesen ist. Dennoch stand mein Name einst im Felde und an den Höfen so hoch wie der des Connetable. Oder ist es etwas Schimpflicheres noch, wiewohl kaum etwas anderes als größerer Schimpf gilt denn Armut, die mich jetzt hindert, auf Ehrenstellen und Ruhm Anspruch zu machen? Sind's vielleicht die Tollheiten meiner Jugend? Nun, so zahlreich sie gewesen, so habe ich dafür gebüßt mit dem Verlust meines Vermögens und meiner äußern Ehre! Hierin hätte nur mein glücklicher Verwandter, wenn es ihm gefiele, mir beistehen können – ich meine nicht, mit seiner Börse oder seinem Ansehen; denn so arm ich bin, so möchte ich doch nicht von Almosen leben, die ich aus widerstrebender Hand eines mir entfremdeten Freundes herauswinken müßte! Nein, seine Hilfe soll ihn nichts kosten, und insofern könnte ich Wohl eine Gunst von ihm erwarten.« »Darüber muß der Lord Connetable selbst urteilen,« sagte Eveline; »ich habe – bis jetzt wenigstens – kein Recht, mich in seine Familienangelegenheiten zu mischen, und wenn ich je ein solches Recht erlangen sollte, so wird es mir geziemen, mich seiner mit größter Vorsicht zu bedienen,« »Das heißt klug geantwortet,« erwiderte Randal. »Aber was ich von Euch erbitte, ist weiter nichts als, daß es Euch bei Eurer Güte belieben möchte, meinem Vetter ein Gesuch vorzutragen, wozu ich meine rauhe Zunge nicht zwingen kann, es mit hinlänglicher Unterwürfigkeit auszusprechen. Die Wucherer, deren Forderungen in meinem Vermögen wie ein Krebs um sich gefressen haben, bedrohen mich jetzt mit dem Kerker: eine Drohung, die sie nicht einmal munkeln, viel weniger auszuführen versuchen dürfen, sähen sie mich nicht als einen Ausgestoßenen an, dem aller Schutz versagt ist, als einen Vagabunden, ohne Freund und Verwandten, statt eines Abkömmlings aus dem mächtigen Hause de Lacy.« »Es sind das traurige Umstände,« erwiderte Eveline; »nur sehe ich nicht, wie ich Euch in dieser Not helfen kann.« »Sehr leicht,« sagte Randal de Lacy. »Wie ich höre, ist der Tag Eurer Verlobung festgesetzt, und Ihr habt das Recht, die Zeugen zu dieser Festlichkeit, die alle Heiligen segnen mögen, zu wählen! Jedem andern außer mir ist An- oder Abwesenheit dabei eine bloße Sache der Zeremonie; für mich bedeutet es Leben oder Tod. In meiner Lage würde ein so auffallender Beweis von Nichtachtung oder Geringschätzung, wie es meine Ausschließung von dieser Familien-Zusammenkunft wäre, als das Zeichen meiner gänzlichen Verstoßung aus dem Hause der de Lacy erscheinen. Tausende von Bluthunden werden dann ohne Gnade und Schonung über mich herfallen, die, Memmen wie sie sind, auch nicht der geringste Beweis von Rücksicht meines mächtigen Vetters gegen mich zwingen möchte, es auch nur beim Bellen zu lassen. – Doch warum soll ich durch dergleichen Reden Euch Eure Zeit rauben? – Lebt wohl, meine Dame! – Seid glücklich, und denkt nicht darum strenger von mir, weil ich auf einige Minuten Eure angenehmen Gedanken durch die aufgedrungene Schilderung meines Unglücks unterbrochen habe.« »Verweilt, Sir!« sagte Eveline, durch den Ton und die Weise des Bittstellers ergriffen, »Ihr sollt nicht sagen können, daß Ihr Evelinen Berenger Euer Leid geklagt habt, ohne all die Hilfe erlangt zu haben, die in ihrer Gewalt stand. Ich werde dem Connetable Euer Gesuch vortragen.« »Ihr müßt mehr tun, wenn Ihr wirklich mir beizustehen geneigt seid,« sagte Randal de Lacy, »Ihr müßt es zu Eurem eigenen Gesuch machen ... Ihr wißt nicht,« fuhr er fort mit festem, bedeutsamem Blicke, »wie schwer es ist, den Willen eines de Lacy zu ändern. – Ein Jährchen später werdet Ihr wahrscheinlich bessere Bekanntschaft mit der Unerschütterlichkeit unserer Entschließungen gemacht haben. Aber jetzt – was kann Euren Wünschen widerstehen, sobald Ihr sie auszusprechen geruht?« »Euer Gesuch, Sir, soll nicht aus Mangel meiner Empfehlung durch gute Worte und gute Wünsche fehlschlagen,« entgegnete Eveline; »aber Ihr dürft nicht vergessen, daß Gelingen oder Fehlschlagen einzig vom Connetable abhängt.« Randal de Lacy beurlaubte sich mit demselben Anschein tiefer Ehrerbietung, mit dem er eingetreten war; nur daß er, statt wie zuvor den Saum von Evelinens Gewand zu küssen, nun ihre Hand mit seinen Lippen berührte. Mit gemischten Empfindungen, in denen jedoch das Mitleid vorherrschte, sah sie ihn gehen, obwohl in seinen Klagen über des Connetables Unfreundlichkeit etwas Beleidigendes lag und das Geständnis seiner Torheiten mehr verwundeten Stolz als Reue auszudrücken schien. Sobald Eveline den Connetable wiedersah, erzählte sie ihm von Randals Besuch und von seiner Bitte; sie gab dabei auf seine Miene genau acht und bemerkte, daß bei der ersten Erwähnung des Namens seines Vetters Zornesglut sein Gesicht überflog. Doch unterdrückte er den Zorn bald, richtete den Blick auf den Boden, horchte genau auf den umständlichen Bericht Evelinens von diesem Besuch und auf ihre Bitte, daß Randal einer von den zu ihrem Verlöbnis eingeladenen Gästen sein möchte. Der Connetable schwieg einen Augenblick, als ob er überlegte, wie er diese Bitte abweisen sollte. Endlich antwortete er: »Ihr kennt den nicht, für den Ihr Euch verwendet, sonst würdet Ihr Eure Fürbitte unterlassen haben; ebensowenig ist Euch das volle Gewicht der Gunst selbst bekannt, aber mein verschmitzter Vetter weiß es sehr wohl, daß, wenn ich sie ihm gewähre, ich mich gleichsam noch einmal vor den Augen der Welt verpflichte – und das ist dann schon zum drittenmal, daß ich mich seiner Angelegenheiten annehme und sie so regle, daß er Mittel hat, sein gefallenes Ansehen wieder herzustellen und seine zahllosen Verirrungen wieder gut zu machen.« »Und warum nicht, Mylord?« sagte die großmütige Eveline. »Hat er sich nur durch Torheiten ins Unglück gebracht, so ist er ja jetzt in dem Alter, wo diese ihm nicht mehr Fallen legen werden. Wenn daher nur Herz und Hand gut sind, so kann er doch noch dem Hause de Lacy Ehre machen.« Der Connetable schüttelte den Kopf und sagte: »Wohl besitzt er Herz und Hand, aber Gott mag wissen, ob zum Guten oder zum Bösen. Doch nie soll es heißen, daß Ihr, meine schöne Eveline, irgend etwas von Hugo de Lacy begehrt hättet, was er nicht auf das möglichste zu erfüllen gesucht hätte. Randal soll bei unseren fiançailles [Verlöbnis] zugegen sein. Zu seiner Gegenwart ist um so mehr Grund, da ich fast fürchte, wir werden die unsers werten Neffen Damian entbehren müssen, dessen Krankheit mehr zu- als abnimmt und, wie ich höre, mit sonderbaren Symptomen ungewohnter Geisteszerrüttungen und heftiger Anwandlungen, denen nie ein Jüngling weniger als er unterworfen war, verbunden sein soll. Ende des ersten Bandes. Zweiter Band Erstes Kapitel Der Tag der Verlobung nahte nun heran, und es schien, daß weder ihr Stand noch ihre bisherige Lebensweise die Aebtissin davon abhalten konnten, das große Sprechzimmer des Klosters zu dieser Feierlichkeit zu erwählen, obwohl sie natürlich viele männliche Gäste in diesen jungfräulichen Bezirk einführen mußte, ja die Feierlichkeit an sich selbst einem Stande zustrebte, dem die Klosterdamen auf immer entsagt hatten. Der Aebtissin normännischer Stolz auf ihre Geburt und der wahre Anteil, den sie an der Standeserhöhung ihrer Nichte nahm, überwanden aber alle Bedenklichkeiten. Man konnte jetzt die hochwürdige Mutter bei ganz ungewohnten Beschäftigungen erblicken, z. B. wie sie dem Gärtner Befehle erteilte, das Zimmer mit Blumen auszuschmücken, oder der Kellermeisterin, der Vorlegerin und der Laienschwester in der Küche, ein glänzendes Mahl zuzubereiten; doch mischten sich in ihre Befehle über diese weltlichen Dinge gelegentlich Bemerkungen über deren Eitelkeit und Nichtsnutzigkeit; und dann und wann verwandelte sich die sorgenvoll geschäftige Miene, mit der sie diese Vorbereitungen betrachtete, in einen feierlichen Aufblick zum Himmel, wie wenn sie über den eitlen Erdenprunk, mit dessen Veranstaltung sie sich so viel Unruhe schuf, aus tiefstem Herzen seufzen müßte. Zu anderer Zeit wiederum konnte man die würdige Dame in eifriger Beratung mit dem Pater Aldroband finden über das bürgerliche, sowohl wie religiöse Zeremoniell, das bei einem für ihre Familie so wichtigen Feste beobachtet werden mußte. Nichtsdestoweniger hielt sie die Zügel der klösterlichen Zucht nach wie vor straff. Der äußere Hof des Klosters war wohl für diese Zeit dem männlichen Geschlecht geöffnet; aber die jüngern Schwestern und Novizen wurden sorgfältig in die inneren Gemächer des weitläufigen Gebäudes verwiesen, wo sie der Kontrolle einer alten mürrischen Nonne, die Novizenmeisterin genannt, unterstellt waren. Dort war es ihnen nicht vergönnt, sich an dem Anblick wallender Federn oder rauschender Mäntel zu weiden, und nur wenige Schwestern von gleichem Alter mit der Aebtissin waren in Freiheit gelassen, weil sie, um mit dem Ladenkaufmann zu reden, eben nur »Ware« waren, der die Luft keinen Schaden zufügte, und die deshalb unbedeckt auf der Ladentafel liegen bleiben könne. Diese Damen »vom alten Register« stellten sich wohl sehr gleichgiltig, waren aber im Grunde recht neugierig und suchten sich insgeheim über Namen, Kleidung und Putz alle nur mögliche Auskunft zu verschaffen, ohne den Anschein wecken zu wollen, als hätten sie irgendwelches Interesse an derlei Nichtigkeiten. Eine starke Schar von Lanzenträgern bewachte das Kloster und ließ in die heiligen Mauern nur die wenigen Leute mit ihrem Gefolge hinein, die bei der Feierlichkeit gegenwärtig sein sollten. Während man die erstern unter Beobachtung aller Formalitäten in die zu diesem Zweck dekorierten Gemächer führte, erhielt ihr Gefolge, das in dem äußern Hofe zurückbleiben mußte, die kräftigsten Erfrischungen und erfreute sich dabei noch des besonderen Genusses – der ja der dienenden Klasse so überaus angenehm ist – ihre Gebieter und Gebieterinnen auf dem Gange nach ihren Zimmern zu betrachten und zu bekritteln. Unter den Dienern, die sich hiermit die Zeit vertrieben, war auch der alte Raoul mit seiner munteren Ehehälfte – er fröhlich und sich brüstend in einem neuen Rock von grünem Sammt – sie anmutig und schmuck in einem Mieder von gelber Seide, mit Grauwerk besetzt, das nicht wenig gekostet hatte – beide betrachteten gleich aufmerksam das fröhliche Schauspiel. Im heftigsten Kriege gibt es von Zeit zu Zeit Waffenstillstand, in der rauhesten und ungestümsten Witterung Stunden von Wärme und Ruhe; so war es auch mit dem Ehestandshimmel dieses liebenswürdigen Paares, der gewöhnlich bewölkt war und nun sich auf eine kurze Zeit aufgeheitert hatte. In dem Glanze ihres neuen Anzuges, bei der Fröhlichkeit des Schauspiels um sie her, vielleicht auch nach dem Genuß eines Bechers Muskatwein, den Raoul hinuntergeschüttet, und eines Bechers Hippokras, den seine Frau genippt hatte, erschienen sie sich gegenseitig viel liebenswürdiger, als es sonst der Fall zu sein pflegte. Ein guter Schluck, ein leckerer Bissen sind in solchen Fällen das, was das Oel in einem rostigen Stoffe ist: ein Mittel, die Federn und Riegel glatt zu machen, die sonst entweder ganz und gar nicht ineinandergreifen oder durch Pfeifen und Knarren ihren Widerwillen, sich vereint zu bewegen, ausdrücken. Das Pärchen hatte sich in eine Art von Nische gedrückt, die, drei oder vier Stufen von der Erde hoch, eine kleine steinerne Bank enthielt, von wo herab ihre neugierigen Augen mit aller Gemächlichkeit jeden eintretenden Gast mustern konnten. Auf diesem Platze und in diesem Augenblick ihrer vorübergehenden Eintracht, stellte Raoul mit seinem frostigen Gesicht nicht ungeschickt den Januar oder, wie man hierzulande sagt, den Jänner vor, den rauhen Vater des Jahres, und wenn auch bei Gillian die Zarte Blüte des jugendlichen Mai vorüber war, so machte doch das schmelzende Feuer eines großen schwarzen Auges, die kräftige Glut der vollen roten Wange sie zu einem lebendigen Bilde des fruchtreichen, fröhlichen August. Dame Gillian pflegte sich dessen zu rühmen, daß sie jedermann von Ramyond Berenger an bis zu Robin, dem Stalljungen, mit ihrem Plaudern gefalle; wie nun eine gute Hausfrau, um ihre Hand in Uebung zu erhalten, sich zuweilen herabläßt, selbst eine Schüssel für den lieben Mann zuzubereiten, so fand sie es jetzt für gut, ihre Macht, zu gefallen, an dem alten Raoul auszuüben, und gar schön gelang es ihr, durch ihre treffenden, lustigen und satirischen Ausfälle nicht allein seinen etwas zynischen Murrsinn gegen alle Menschen, sondern auch sein besonders eigentümliches und abstoßendes Wesen gegen seine Gattin zu überwinden. Ihre Scherze, die ja auch danach waren, und die Koketterie, mit der sie sie vorbrachte, hatten eine solche Wirkung auf diesen Timon der Wälder, daß er seine zynische Nase rümpfte, seine wenigen, einzeln stehenden Zähne zeigte wie ein Kettenhund, der beißen will, und in ein so bellendes Gelächter ausbrach, daß man glaubte, einen seiner Hunde zu hören. Doch er hielt plötzlich inne, als wenn er sich erinnerte, daß er aus seiner Rolle falle; ja ehe er noch seine barsche Ernsthaftigkeit wieder annahm, warf er noch einen solchen Blick auf Gillian, daß seine Nußknackerkinnlade, seine gekniffenen Augen und seine zusammengezogene Nase keine geringe Aehnlichkeit mit einer jener phantastischen Fratzen hatten, wie sie das obere Ende einer alten Baßgeige zieren. »Ist das nicht besser, als Euer liebendes Weib die Peitsche fühlen zu lassen, als gehörte sie zu Eurem Hundestall?« sagte August zu Jänner. »Wohl ist es das,« antwortete Jänner in einem eiskalten Tone, »aber so ist es auch besser, als wenn sie sich solche hundsmäßigen Streiche herausnimmt, die eben bloß mit der Peitsche bestraft werden können.« »Hem!« sagte Gillian in einem Tone, als dächte sie, ihres Mannes Bemerkung lasse sich leicht bestreiten, doch plötzlich den Ton zärtlicher Klage anschlagend, fuhr sie fort: »Ach, Raoul, erinnert Ihr Euch wohl, wie Ihr mich einmal schlugt, weil unser verstorbener Herr – Unsere Frau sei seiner Seele gnädig! – meine karmoisinrote Brustschleife für eine Päonie ansah,« – »Ja, ja,« sagte der Jäger. »Ich erinnere mich wohl, unser guter, alter Herr tat zuweilen solche Mißgriffe.« – Aber wie konntest Du nur, teuerster Raoul, das Weib Deines Herzens so lange ohne Mieder lassen?« sagte seine Ehehälfte. – »Wie Du hast ja eins von unserer jungen Lady erhalten, das eine Gräfin tragen könnte?« sagte Raoul. »Wie viele Mieder willst Du denn haben? Nun gut! es ist hart, daß ein Mann nicht ein einzigesmal bei guter Laune sein kann, ohne gleich dafür zahlen zu müssen. Doch Du sollst ein neues Mieder zu Michaelis haben, wenn ich die Wildbeute dieses Jahres verkaufe. Schon das Gehörn soll heuer ein gutes Stück Geld einbringen.« – »Ja, ja,« sagte Gillian, »auf einem guten Markt sind die Hörner immer soviel wert wie die Haut.« Raoul drehte sich schnell herum, als hätte ihn eine Wespe gestochen. Man weiß nicht, was seine Antwort auf diese scheinbar unschuldige Bemerkung gewesen wäre, wenn nicht in eben dem Augenblick ein stattlicher Reiter in den Hof gesprengt wäre, der abstieg und sein Pferd einem Stallmeister übergab. Sein Anzug blitzte von Stickerei. – »Beim heiligen Hubert! ein seiner Reiter und ein Pferd für einen Grafen,« rief Raoul, »und Mylord Connetables Livree obendrein – doch kenn' ich den stattlichen Herrn nicht.« – »Aber ich kenne ihn,« sagte Gillian, »es ist Randal de Lach, des Connetables Verwandter, und ein so braver Herr, als je einer dieses Namens.« – »O, bei St. Hubert! von dem habe ich gehört. – Die Leute sagen, er ist ein lustiger Bruder, ein Raufbold und Verschwender.« – »Die Männer lügen dann und wann,« sagte Gillian trocken. »Und die Weiber auch,« erwiderte Raoul – »aber mir kam es so vor, als winkte er Dir eben zu.« – »Dein rechtes Auge sah nie mehr richtig, seit unser guter Herr – die heilige Maria schenk ihm die ewige Ruhe! – Dir einen Becher Wein ins Gesicht warf, weil Du zu kühn in sein Nebenzimmer drangst.« »Mich nimmt's doch Wunder,« sagte Raoul, als ob er sie nicht hörte, »daß jener Wüstling hierher kommt. Es ging einmal das Gerede, daß er dem Connetable nach dem Leben getrachtet habe, und sie sollen seit fünf Jahren sich nicht gesprochen haben.« – »Er kommt auf die Einladung der jungen Lady, das weiß ich am besten,« sagte Dame Gillian, »und weniger wahrscheinlich ist es, daß er dem Connetable ein Leid zufügt, als daß er welches von ihm empfängt, der arme Herr, wie es ihm schon zur Genüge widerfahren ist.« »Und wer hat Dir das alles erzählt?« fragte Raoul bitter. – »Gleichviel, wer; es war jemand, der die Sache ganz genau kannte,« sagte die Dame, die zu fürchten begann, daß sie, um mit ihrem bessern Wissen zu prahlen, viel zu viel gesagt hätte. – »Es muß der Teufel oder Randal selbst gewesen sein,« sagte Raoul, »denn kein anderer Mund ist groß genug für eine solche Lüge. – Aber seht doch, Dame Gillian, wer ist das, der sich jetzt vorwärts drängt wie ein Mensch, der kaum sieht, wie er den Fuß setzt?« – »Es ist ja eben Euer Engel des Lichts, mein junger Herr Damian,« fügte Dame Gillian. – »Es ist unmöglich,« sagte Raoul. »Nenne mich blind, wenn Du willst, aber nie habe ich einen Menschen gesehen, der sich in wenigen Wochen so verändert. Und seine Kleidung, so wild um sich geworfen, als trüge er eine Pferdedecke statt eines Mantels! – Was mag dem jungen Mann fehlen? – Da steht er mit einemmale an der Türe still, als sähe er etwas auf der Schwelle, das ihm den Eingang verrammelt. – Heiliger Hubert! er sieht ja aus, als hätten ihm die Elfen was angetan!« »Ihr hieltet ihn doch immer für einen so großen Schatz!« sagte Gillian, »und nun betrachtet ihn einmal, wie er dasteht zur Seite eines echten Edelmannes – wie er starrt und zittert, als ob er von Sinnen ist!« – »Ich will mit ihm sprechen,« sagte Raoul, und sein Hinken vergessend, sprang er von dem hohen Platz hinab – »ich will mit ihm sprechen – und, ist er unwohl, so habe ich Lanzette und Schnepper bei mir – und kann einem Menschen so gut wie einem Tier zur Ader lassen.« – »Ein recht passender Arzt für einen solchen Kranken,« murmelte Gillian. »Ein Hundearzt für einen träumerisch Verrückten, der weder seine Krankheit kennt noch das Mittel, sie zu heilen.« Indessen ging der alte Jäger auf den Eingang zu, wo Damian in scheinbarer Ungewißheit, ob er hineingehen sollte oder nicht, noch stehen geblieben war, ohne auf die Menge um ihn her zu achten, deren Blicke er durch sein sonderbares Benehmen auf sich zog. Raoul empfand ein ganz besonderes Wohlgefallen an Damian, wozu vielleicht der Hauptgrund darin lag, daß seine Frau seit kurzem sich gewöhnt hatte, von ihm in einem verächtlicheren Tone, als sonst von hübschen jungen Männern, zu sprechen. Ueberdies wußte er, daß der junge Mann ein zweiter Sir Tristram auf der Jagd in Wäldern und Flüssen war, und mehr war nicht nötig, Raouls Seele an ihn mit ehernen Fesseln zu ketten. Mit großem Unmut sah er deshalb, daß sein Benehmen, allgemein Aufsehen und Gelächter erregte. »Er steht,« sagte der Stadtpossenreißer, der sich in den lustigen Haufen gemischt hatte, »vor dem Tore wie Bileams Esel in der Bibel, da er mehr sieht, als andere Leute sehen können.« – Ein Hieb von Raouls allezeit fertiger Peitsche vergalt diese sonst glückliche Anspielung und schickte den Narren heulend davon, sich für seine Späße ein günstigeres Auditorium zu suchen. Zugleich drängte sich Raoul zu Damian, und mit einem Eifer, sehr verschieden von seiner gewöhnlichen trockenen Scharfe, bat er ihn um Gottes willen, sich nicht zum allgemeinen Schauspiel zu machen, indem er hier stehe, als ob der Teufel auf der Schwelle säße, sondern entweder hineinzutreten oder, was noch besser sein würde, sich zurückzuziehen und erst ein wenig Toilette zu machen, ehe er der Feierlichkeit, die sein Haus so nahe betreffe, beiwohnte, »Und was fehlt meiner Kleidung, alter Mann?« sagte Damian, sich heftig zum Jäger kehrend, wie einer, der plötzlich und unhöflich aus seinen Träumereien aufgeschreckt wird. – »Nur das eine, mit Respekt gegen Euer Gnaden,« antwortete der Jäger, »Man pflegt nicht alte Mäntel über neuen Wämsern zu tragen, und bei aller Untertänigkeit will es mir scheinen, daß der Eure hier weder mit Eurer übrigen Tracht übereinstimmt, noch sich für diese edle Versammlung schickt.« – »Du bist ein Narr,« antwortete Damian, »und so grün an Verstand, als grau an Jahren. Wißt Ihr nicht, daß in diesen Tagen das Junge und Alte sich miteinander paart – miteinander verlobt – miteinander verheiratet? – Und sollen wir größere Sorge dafür tragen, unsern Anzug übereinstimmender zu machen als unsere Handlungen?« – »Um Gottes willen, Mylord!« sagte Raoul, »enthaltet Euch dieser wilden und gefährlichen Worte! Sie könnten von anderen Ohren, wie den meinigen gehört und von boshaften Auslegern gedeutet werden. Eure Wange ist bleich, Mylord, Euer Auge blutrot. – Um Himmels willen, zieht Euch zurück!« »Ich will mich nicht zurückziehen,« sagte Damian, »bis ich Lady Eveline gesehen habe,« – »Um aller Heiligen willen!« rief Raoul aus. »Jetzt nicht, Ihr würdet meine Lady unglaublich beleidigen, wenn Ihr in diesem Zustande Euch in ihre Gegenwart drängen wolltet,« – »Meint Ihr das?« sagte Damian, auf den diese Bemerkung, wie ein beruhigendes Arzneimittel wirkte, das die verwirrten Sinne ordnet. »Meint Ihr das wirklich? – Ich wollte sie nur noch einmal sehen – doch nein! Ihr habt recht, alter Mann!« Er trat von der Tür, als wollte er sich entfernen; aber bevor er seinen Vorsatz ausführen konnte, wurde er noch bleicher als zuvor, wankte und fiel auf das Pflaster nieder. Die, welche ihn aufhoben, erstaunten, als sie entdeckten, daß seine Kleider mit Blut beschmutzt waren und daß die Flecken auf seinem Mantel, die Raouls Tadel erregten, aus gleicher Ursache herrührten. Ein Mann von wichtiger Miene, in einem dunklen Mantel, trat aus der Menge hervor. »Ich dachte wohl, daß es so kommen würde,« sagte er, »Ich ließ ihm diesen Morgen zur Ader und empfahl ihm Ruhe und Schlaf, nach den Aphorismen des Hippokrates; aber wenn junge Männer die Verordnung ihres Arztes vernachlässigen, so rächt sich die Kunst selbst. Es ist unmöglich, daß sonst die Bandagen und Ligaturen, die diese Finger anlegten, hätten aufgeben können.« »Was soll das Gewäsch?« ertönte die Stimme des Connetable, vor Welcher alle andern verstummten. Eben als die Feierlichkeit des Verlöbnisses vollzogen worden war, hatte man ihn, wegen der Verwirrung, die Damians Unfall veranlaßte, herbeigerufen; und jetzt gebot er dem Arzte sehr ernstlich, die Binden, die von seines Neffen Arm losgegangen waren, wieder anzulegen. Er selbst legte Hand an, den Kranken zu unterstützen, und betrachtete mit Besorgnis und Mitleid den nahen, mit Recht geachteten Verwandten, der bis jetzt allein der Erbe seines Ruhmes und seines Hauses war. »Was bedeutet das?« fragte er den Arzt sehr ernsthaft. »Ich schickte Euch diesen Morgen gleich auf die Nachricht von seiner Krankheit zu meinem Neffen und befahl ausdrücklich, daß er keinen Versuch machen sollte, bei der Feierlichkeit gegenwärtig zu sein, und doch finde ich ihn in diesem Zustande und auf dieser Stelle?« »Wenn es Ew. Herrlichkeit gefällt,« entgegnete der Arzt, mit einem Gefühl von Wichtigkeit, worin ihn selbst die Gegenwart des Connetable nicht beirrte. »Curatio est canonica non coacta; das heißt, Mylord, der Arzt unternimmt die Heilung nach, den Regeln der Kunst und Wissenschaft. Durch Rat und Vorsicht, aber nicht durch Macht und Gewalt zwingt er den Kranken, dem er nur dann helfen kann, wenn die Vorschriften willig befolgt werden.« – »Schweigt mit Eurem Kauderwelsch!« sagte de Lacy. »Wenn mein Neffe so gedankenlos war, in der Hitze der Fieberphantasie hierherzukommen, so hättet Ihr Verstand genug haben sollen, ihn abzuhalten, wäre es auch mit Gewalt geschehen.« »Vielleicht,« sagte Randal de Lacy, der sich in die um Damian versammelte Menge mischte, »war der Magnet, der unseren Verwandten hierherzog, stärker als alles, was der Arzt hätte tun können, ihn zurückzuhalten.« Der Connetable, noch immer mit seinem Neffen beschäftigt, blickte auf, als er Randal reden hörte, und als er fertig war, fragte er mit steifer Kälte: »Nun, werter Vetter, sagt doch, von welchem Magnet redet Ihr da?« – »Von welchem andern, als von Eures Neffen Liebe und Achtung gegen Ew. Herrlichkeit,« antwortete Randal. »Die hat ihn, ganz zu schweigen von seiner Ehrerbietung gegen Lady Eveline – hertreiben müssen, solange ihn noch seine Füße tragen konnten. – Hier kommt ja auch schon die Braut, ich denke, um ihm aus Barmherzigkeit für seinen Eifer zu danken?« »Was für ein unglücklicher Vorfall ist das!« sagte Lady Eveline, hinzueilend, ganz in Verwirrung über die Nachricht von Damians Gefahr, die man ihr so plötzlich mitgeteilt hatte. »Gibt es hier nichts, wobei mein geringer Dienst helfen kann?« – »Nichts, Lady,« sagte der Connetable, sich von der Seite seines Neffen erhebend und ihre Hand ergreifend. »Eure Güte ist hier zur Unzeit. Diese bunten Haufen, diese unziemliche Verwirrung ist nicht für Eure Gegenwart geeignet.« – »Ausgenommen, wenn ich mich nützlich machen könnte,« antwortete Eveline, mit Eifer. »Es ist Euer Neffe, der in Gefahr ist, – mein Befreier, – einer meiner Befreier, wollte ich sagen.« »Sein Wundarzt wird ihn schon bedienen, wie es sich gehört,« sagte der Connetable und führte seine widerstrebende Braut in das Kloster zurück, während der Arzt triumphierend ausrief: »Sehr richtig geurteilt von dem Lord Connetable, daß er seine edle Lady aus dieser Schar von Quacksalbern in Weiberröcken fortzieht, die den Amazonen gleich sich eindrängen und den kunstgemäßen Gang der ärztlichen Praxis mit ihren kecken Vorhersagungen, ihren gleich fertigen Rezepten, ihren Schlaftränken, ihren Amuletten, ihren Besprechungen in Unordnung bringen.« Darauf wandte sich der Wundarzt seinem Geschäfte zu, und ließ den jungen Damian in ein nahe gelegenes Haus bringen, wo sein Zustand sich noch zu verschlimmern schien und eiligst alle Geschicklichkeit und Aufmerksamkeit, deren der Arzt nur fähig war, in Anspruch nahm. Wie gesagt, die Unterschrift des Heiratskontrakts war soeben vollzogen worden, als die Versammlung durch die Nachricht von Damians Uebelbefinden unterbrochen wurde. Als der Connetable seine Braut aus dem Hofe in das Zimmer zurückführte, wo die Gesellschaft sich befand, verrieten ihre Züge Verwirrung und Unmut. Als die Braut bemerkte, daß die Hand des Bräutigams mit frischem Blut befleckt war, entriß sie ihm hastig die ihrige. »Was bedeutet dies?« rief sie, sich an Rosa wendend, »Ist es die Rache des blutigen Fingers; die jetzt schon beginnt?« Indessen hatte auch der Connetable bemerkt, daß bei seinem Eifer, seinem Neffen zu helfen, Spuren von dessen Blute von seiner Hand auf Evelinens Kleidung geraten waren. Er trat zu ihr, um sie dieserhalb zu beruhigen. »Schöne Lady,« sagte er, »das Blut eines echten de Lucy kann Euch nie etwas anderes als Freude und Glückseligkeit verkünden.« Eveline schien antworten zu wollen, aber nicht gleich Worte finden zu können. Die treue Rosa erwiderte, selbst auf die Gefahr hin, wieder als vorlaut gescholten zu werden: »Jede Jungfrau ist verpflichtet, das zu glauben, was Ihr sagt, mein edler Herr, da man weiß, wie bereitwillig Ihr dieses Blut immer vergösset, die Bedrängten zu beschützen, und noch letzthin zu unserer eigenen Errettung.« »Das war gut gesagt, Du Kleine!« erwiderte der Connetable, »Glücklich ist Lady Eveline, ein Mädchen zu besitzen, die ihre Rede so gut zu setzen weiß. Kommt, Lady,« fügte er hinzu, »laßt uns hoffen, daß dieser Unfall unseres Verwandten nur ein kleines Opfer ist auf dem Altar des Schicksals, das nun einmal auch über die heiterste Stunde immer einen Schatten fallen läßt. Damian, hoffe ich, wird bald hergestellt sein, und erinnern wollen wir uns, daß die Blutstropfen, die Euch beunruhigen, durch einen freundlichen Stahl vergossen und mehr Vorzeichen der Genesung als der Krankheit sind. – Kommt, teuerste Lady, Euer Schweigen macht unsere Freunde mutlos und erregt in ihnen Zweifel an der Aufrichtigkeit unseres Willkommens. – Laßt mich Euer Aufwärter sein,« sagte er, indem er ein silbernes Handbecken und eine Serviette von den reich mit Gerichten versehenen Schanktische nahm und es auf den Knien seiner Braut darreichte. Eveline suchte wenigstens äußerlich die Unruhe zu verscheuchen, in die sie der Zufall, daß der eben beschriebene Vorfall mit der Erscheinung Baldringhams zusammentraf, versetzt hatte; sie ging also auf ihres Verlobten Scherz ein und wollte ihn eben von der Erde erheben, als sie durch die eilige Ankunft eines Boten unterbrochen ward, der, ohne Umstände in das Gemach dringend, dem Connetable berichtete, sein Neffe wäre so äußerst elend geworden, daß, wenn er ihn noch lebend sehen wollte, er sich augenblicklich nach seiner Wohnung begeben müßte. Der Connetable sprang auf, nahm kurz Abschied von Eveline und den Gästen, die, über die neue Unglücksbotschaft erschrocken, eben Anstalt machten, sich gleichfalls zu entfernen, als ihm, da er sich der Tür näherte, ein Gerichtsdiener oder Vorlader des geistlichen Gerichts, entgegentrat, der auf Grund seiner Amtskleidung Zutritt in das Innere der Abtei erlangt hatte. »Deus vobiscum!« sagte der Gerichtsdiener. »Ich wünsche zu wissen, wer in dieser edlen Versammlung der Connetable von Chester ist.« –»Das bin ich,« antwortete der ältere de Lacy, »aber wenn Dein Geschäft nicht das allerdringendste ist, so kann ich jetzt nicht mit Dir sprechen. – Mich ruft eine Sache auf Leben und Tod.« – »Ich nehme alle Christen hier zu Zeugen, daß ich meiner Pflicht ein Genüge geleistet habe,« sagte der Gerichtsdiener und übergab dem Connetable ein Pergamentblatt. »Was soll das bedeuten, Bursch?« rief der Connetable, aufs höchste empört. »Für wen oder was hält mich Euer Gebieter, der Erzbischof, daß er auf eine so unhöfliche Weise mit mir verfährt und mich vorladet, vor ihm zu erscheinen wie ein Delinquent, nicht wie ein Freund oder Edelmann?« – »Mein gnädiger Herr,« erwiderte der Vorlader trotzig, »ist keinem als dem heiligen Vater, dem Papste, Rechenschaft über die Ausübung der Macht schuldig, die ihm die Canones der Kirche erteilen. – Eurer Herrlichkeit Antwort auf meine Vorladung?« – »Befindet sich der Erzbischof in der Stadt?« sagte der Connetable nach einigem Nachdenken. »Ich wußte nichts von seiner Reise hierher, noch weniger von seiner Absicht, außerhalb seiner Grenzen seine Gewalt auszuüben.« –»Mein gnädiger Herr, der Erzbischof,« sagte der Gerichtsbote, »ist soeben in der Stadt angekommen, von welcher er Metropolitan ist; überdies hat er vermöge apostolischen Auftrags eine vollkommene Jurisdiktion durch ganz England, und wer es wagt, auf seine Vorladungen nicht zu achten, wird es büßen, wie hoch sein Stand auch sei.« »Merk' es Dir, Bursch!« sagte der Connetable und blickte den Boten mit zornigem Gesicht an. »Hielten mich nicht gewisse Rücksichten ab, womit, ich gebe Dir mein Wort, Deine braune Kapuze wenig zu tun hat, so würdest Du besser getan haben, Deine Zitation zu verschlucken mit Siegel und allem, als sie mir mit so unverschämten Worten zu überreichen. Mache Dich fort und sage Deinem Gebieter, ich werde ihn in Zeit von einer Stunde sehen; solange bin ich aber genötigt, einen kranken Verwandten zu besuchen.« Der Gerichtsbote verließ mit mehr Demut das Zimmer und die versammelten Gäste, die schweigend und bange einander anblickten. Der Leser wird sich ohne Zweifel erinnern, wie streng das Joch der römischen Obergewalt sowohl auf der Geistlichkeit, wie auf den Laien in England während der Regierung Heinrichs II. lastete. Und gerade eben der Versuch dieses weisen, mutigen Monarchen, in der denkwürdigen Sache des Thomas a Becket die Unabhängigkeit des Thrones aufrecht zu erhalten, hatte einen so unglücklichen Ausgang, daß man, wie es bei einer unterdrückten Empörung geschieht, es für nötig erachtete, der Herrschaft der Kirche neue Kräfte zu verschaffen. Seit der Unterwerfung des Königs nach diesem unglückseligen Kampf hatte die Stimme von Rom aus, wo sie ertönte, eine doppelte Gewalt, und die kühnsten Großen von England hielten es für geraten, diesen gebieterischen Aussprüchen sich zu unterwerfen. So erfüllte die verächtliche Art, mit der der Connetable von dem Prälaten Balduin behandelt wurde, die zu Zeugen seines Verlöbnisses versammelten Freunde mit frostigem Schauder; und als er seinen stolzen Blick umherwarf, sah er viele, die sonst in jedem andern Kampfe ihm auf Leben und Tod zur Seite gestanden waren, jetzt bloß bei dem Gedanken an einen Zwist mit der Kirche erblassen. In Verlegenheit, aber auch zugleich erzürnt über ihre Zaghaftigkeit, eilte der Connetable, sie zu entlassen, mit der allgemeinen Versicherung, es werde alles gut gehen; seines Neffen Krankheit sei nur ein leichtes Unwohlsein, das ein eingebildeter Arzt übertreibe und das durch des Patienten eigene Sorglosigkeit vermehrt werde. Daß aber die Botschaft des Erzbischofs ihm ohne gehörigen Anstand übergeben worden, sei die Folge ihrer gegenseitigen freundschaftlichen Vertraulichkeit, die sie zuweilen veranlasse, scherzweise die gewohnten Formen des Umgangs zu vernachlässigen oder gar umzukehren. »Wenn ich mit dem Prälaten Balduin in irgend einem Geschäfte eilig zu sprechen hätte, so ist die Demut und Gleichgültigkeit gegen äußere Formen bei diesem würdigen Pfeiler der Kirche so groß, daß ich nicht fürchten würde, ihn zu beleidigen, schickte ich auch meinen geringsten Stallknecht zu ihm, Gehör bei ihm zu erbitten.« So sprach er wohl, es war aber etwas in seinen Gesichtszügen, was seine Worte Lügen strafte, und seine Freunde und Verwandten verließen die glänzende, fröhliche Festlichkeit seiner Verlobung mit ängstlichen Gedanken und niedergeschlagenen Augen, als ob sie sich von einem Leichenmahle entfernten. Randal war der einzige, der, als er das Haus verließ, sich seinem Vetter zu nahen und die Frage an ihn zu richten wagte, ob er ihm, nachdem ihre Freundschaft wiederhergestellt sei, keine Befehle zu erteilen habe?« Dabei sah er ihn mit einem Blicke an, der noch ausdrucksvoller, als seine Worte, die Versicherung enthielt, er solle ihn nicht fahrlässig in seinen Diensten finden. – »Ich habe nichts, wobei Ihr Euern Eifer betätigen könntet, mein lieber Vetter,« erwiderte der Connetable mit einer Miene, die die Aufrichtigkeit des Sprechers gar sehr zu bezweifeln schien, und die abweisende Handbewegung, mit der er diese Worte begleitete, ließ Randal keinen Vorwand, noch länger bei ihm zu bleiben, wie es eigentlich seine Absicht gewesen war. Zweites Kapitel Der sorgenvollste, unglücklichste Moment in Hugo de Lacys Leben war ohne Frage der, in welchem er durch die unter allen bürgerlichen und religiösen Gebräuchen vollzogene Verlobung mit Eveline sich dem zu nähern schien, was er seit einiger Zeit am innigsten gewünscht hatte. Der Besitz einer schönen liebenswürdigen Gattin, ausgestattet mit so vielen weltlichen Vorteilen, die seinem Ehrgeiz und seinen Neigungen ein Genüge leisten konnten, stand ihm nahe und gewiß bevor. Aber eben selbst in diesem glücklichen Augenblicke verdunkelte sich der Horizont um ihn her dermaßen, daß er nichts wie Sturm und Unwetter vor sich sah. In seines Neffen Wohnung hörte er, daß der Puls des Patienten noch heftiger schlüge, sein Delirium sich vermehrt hätte, alles um ihn her an seinem Aufkommen zweifelte, vielmehr befürchtete, er werde die schnell sich nähernde Krisis nicht überleben. Der Connetable schlich sich an die Tür des Zimmers, das zu betreten ihm eine Art von Schuldbewußtsein nicht gestattete, und lauschte auf die wahnwitzigen Reden, die der Kranke im Fieber tat. Es gibt nichts Traurigeres als anzuhören, wie der Geist in den gewöhnlichen täglichen Geschäften gleichsam weiterarbeitet, während der Körper in Schmerzen und Gefahren auf einem schweren Krankenlager hingestreckt liegt. Dieser Kontrast gegen den gewöhnlichen gesunden Zustand und dessen Freuden und Lasten macht die Hilflosigkeit des Kranken, vor dem diese Visionen emporsteigen, doppelt ergreifend, und wir fühlen um so regere Teilnahme für den Leidenden, dessen Gedanken so weit von seinem wahren Zustand abschweifen. Der Connetable fühlte dies bis ins Innerste, als er seinen Neffen das Kriegsgeschrei seines Hauses zu wiederholten Malen ausstoßen hörte, der, nach den Kommandoworten und Anordnungen zu urteilen, die er von Zeit zu Zeit erteilte, sich damit beschäftigt glaubte, seine Reisigen gegen die Walliser anzuführen. Dann murmelte er wieder Redensarten von der Reitschule, der Falkenbeize, der Jagd – er nannte dabei sehr oft seines Oheims Namen, als ob das Bild seines Verwandten mit seinen Kriegestaten, seinen Jagden aufs innigste verbunden sei. Es gab noch andere Laute, die er aber so leise flüsterte, daß sie durchaus unverständlich blieben. Zweimal legte der Connetable die Hand auf den Drücker der Tür, um in das Krankenzimmer zu treten, und zweimal zog er sie zurück, da seine Augen sich mit Tränen füllten, die er den Leuten drinnen nicht zeigen mochte. Zuletzt gab er den Vorsatz auf und verließ eilig das Haus, stieg zu Pferde, und nur in Begleitung von vieren seiner Diener ritt er dem bischöflichen Palast zu, wo der Erzbischof jetzt seinen Sitz aufgeschlagen hatte. Der Zug von Reitern, Handpferden und Packmaultieren, von weltlichen und geistlichen Dienern und Knechten, die das Tor des bischöflichen Wohnsitzes umringten, zugleich mit der gaffenden Menge von Einwohnern, die sich hinzudrängte, teils um das glänzende Schauspiel selbst zu sehen, teils um einen Anteil an der Segenssprechung des Prälaten zu erhaschen, war so groß, daß der Connetable nicht bis zum Tore des Palastes gelangen konnte. Als dieses Hindernis überwunden war, fand er ein anderes in der Hartnäckigkeit der erzbischöflichen Bedienten, die ihm, obgleich er Namen und Titel nannte, nicht erlaubten, über die Schwelle zu kommen, bis sie den ausdrücklichen Befehl ihres Herrn erhalten hätten. Der Connetable empfand das volle Gewicht dieses geringschätzigen Empfanges. Er war in der Gewißheit vom Pferde gestiegen, daß er wenigstens sogleich in den Palast gelassen würde, wenn auch nicht gleich vor den Prälaten selbst; und als er nun zu Fuß stand unter Knappen, Dienern, Stallknechten und geistlichen Herren, war ihm das so empörend, daß sein erster Gedanke der war, wieder zu Pferde zu steigen, zu seinem vor den Stadtmauern errichteten Zelt zurückzukehren und es dem Erzbischof zu überlassen, ihn hier aufzusuchen, wenn er wirklich eine Zusammenkunft mit ihm wünschte. Aber die Notwendigkeit, ihn sich geneigt zu machen, trat unmittelbar darauf vor seine Seele und unterdrückte den ersten Entschluß seines beleidigten Stolzes. »Wenn unser weiser König,« sagte er zu sich selbst, »einem Erzbischofe, als er lebte, die Steigbügel hielt, und sich, als er tot war, den erniedrigendsten Gebräuchen vor seinem Grabe unterwarf, so darf ich in der Tat nicht so bedenklich sei.,« Ein anderer Gedanke, den er sich selbst kaum zu sagen wagte, empfahl ihm denselben demütigen, unterwürfigen Gang. Er konnte sich nicht verhehlen, daß er durch seine Bemühung, von dem Gelübde als Kreuzfahrer entbunden zu werden, sich dem gerechten Tadel der Kirche preisgab, daher überließ er sich gern der Hoffnung, daß der kalte, verächtliche Empfang von Balduins Seite schon als ein Teil der Buße anzusehen wäre, die, wie sein Gewissen ihm sagte, sein Benehmen ihm zuziehen müßte. Nach kurzer Zeit wurde de Lacy endlich eingeladen in den bischöflichen Palast zu treten, um dort bei dem Primas von England Audienz zu erhalten. Aber nun gab es noch mehr als einen Aufenthalt in der Halle und dem Vorzimmer, ehe er endlich vor Balduin gelassen wurde. Der Nachfolger des berühmten Becket hatte weder die weitsichtigen Pläne noch den hochstrebenden Geist jenes berühmten Mannes, aber anderseits läßt sich bezweifeln, ob dieser, wiewohl er heilig gesprochen worden, für das Wohl der Christenheit halb so aufrichtig besorgt war, als der gegenwärtige Erzbischof. Balduin war in der Tat vollkommen wohlgeeignet, die Macht, die die Kirche gewonnen hatte, zu verteidigen, obwohl vielleicht sein Charakter zu aufrichtig und zu ehrlich war, um ihr zu noch weiterer Ausdehnung zu verhelfen. Die Beförderung des Kreuzzuges war die Hauptbeschäftigung seines Lebens, dessen Gelingen das Hauptziel seines Stolzes; und wenn das Bewußtsein, die Macht der Beredsamkeit zu besitzen und die Gemüter der Menschen nach seinem Willen lenken zu können, sich seinem religiösen Eifer beimischte, so hat doch sein ganzes Leben und später sein Tod vor Ptolomais bewiesen, daß die Befreiung des heiligen Grabes aus den Händen der Ungläubigen das aufrichtige Endziel aller seiner Bemühungen gewesen ist. Der Prälat, ein Mann von einer schönen, stattlichen Gestalt, mit Zügen, die zu strenge waren, um angenehm zu sein, empfing den Connctable mit allem Pomp der geistlichen Würde. Er saß auf einem reich mit gotischem Schnitzwerk versehenen Stuhle von Eichenholz, der auf einer Erhöhung des Zimmers in einer Nische stand. Er trug den reich gestickten bischöflichen Mantel, der sich vorne auf der Brust öffnete und ein Untergewand zeigte zwischen dessen Falten, als sei es nicht gut verdeckt, das Hemd von Haartuch hervorsah, das der Prälat auf bloßem Leibe unter allen seinen Prachtgewändern trug. Seine Bischofsmütze lag neben ihm auf einem eichenen Tische, an dem sein Hirtenstab lehnte, ein wirklicher Schäferstab von der einfachsten Gattung, der aber, geschwungen von der Hand des Thomas a Becket, sich mächtiger und furchtbarer denn Lanze oder Säbel erwiesen hatte. In einer geringen Entfernung kniete vor einem Pult ein Kaplan mit einem weißen Chorhemd und las aus einem buntbemalten Buche irgend einen theologischen Traktat vor, und Balduin schien so vertieft zu lauschen, daß er den eintretenden Connetable unbeachtet ließ, der, über diese neue Geringschätzung höchst empört, am Eingänge stehen blieb, unentschlossen, ob er den Vorleser unterbrechen und den Erzbischof anreden oder ohne weiteres sich wieder entfernen sollte. Ehe er aber mit sich selbst darüber einig werden konnte, kam der Kaplan an eine Stelle, wo die Vorlesung abgebrochen werden konnte, und der Erzbischof tat ihm mit den Worten Einhalt: »Satis est, mi fili!« Umsonst bemühte sich der stolze weltliche Große, die Verlegenheit zu verbergen, mit der er sich dem Prälaten nahte, der offenbar nur in der Absicht, ihn mit Scheu und Sorge zu erfüllen, diese Haltung angenommen hatte. Zwar versuchte er es, ein so unbefangenes Wesen zu zeigen, als bestehe noch ihre alte Freundschaft oder wenigstens eine stolze Gleichgiltigkeit, als ob er sich vollkommen ruhig fühle; aber beides gelang nicht, und seine Anrede verriet gekränkten Stolz, vermischt mit einem nicht geringen Grad von Verwirrung. »Ich bemerke,« sagte de Lacy, indem er seine Gedanken sammelte und sich darüber schämte, daß dies ihm schwer wurde, »daß eine alte Freundschaft sich hier aufgelöst hat. Ich sollte meinen, Hugo de Lacy hätte durch einen andern Boten zu dieser hochwürdigen Audienz beschieden werden und einen andern Empfang erwarten können.« Langsam erhob sich der Erzbischof in seinem Sessel und machte gegen den Connetable eine halbe Verbeugung, die dieser aus Verlangen nach Versöhnung gleichsam instinktmäßig tiefer erwiderte, als er selbst wollte oder diese karge Höflichkeit es verdiente. Zu gleicher Zeit gab der Prälat dem Kaplan ein Zeichen, worauf dieser aufstand und sich ehrerbietig zurückzog, ohne die Augen aufzuschlagen, die auf den Boden geheftet blieben, die Hände über der Brust gekreuzt. Sobald dieser stumme Diener verschwunden war, entwölkte sich zwar des Prälaten Stirn etwas, doch behielt sie noch immer einen finsteren Schatten ernsten Unmuts, und er antwortete auf de Lacys Anrede, noch immer ohne seinen Sitz zu verlassen. »Es kommt jetzt nicht darauf an, Mylord, dessen zu erwähnen, was der tapfere Connetable von Chester dem armen Geistlichen Balduin gewesen, oder mit welcher Liebe, mit welchem Stolz wir ihn das heilige Zeichen der Erlösung nehmen sahen, und wie er gelobte, sich zu Ehren dessen, durch den er selbst zu Ehre und Würden gelangt ist, der Befreiung des heiligen Landes zu weihen. Sehe ich nun noch diesen edlen Lord vor mir, mit demselben heiligen Entschlusse, so laßt mich diese freudenvolle Wahrheit wissen, und ich will Chorrock und Mitra ablegen und seines Pferdes warten wie ein Stallknecht, wenn es nötig sein sollte, durch einen solchen Knechtesdienst ihm die herzliche Achtung zu beweisen, die ich für ihn hege.« »Hochwürdiger Vater,« antwortete de Lacy mit einigem Stocken, »ich hoffte, daß die Vorschläge, welche Euch von meiner Seite durch den Dechant von Hereford gemacht wurden, Euch triftiger erscheinen würden.« Darauf sein natürliches Selbstvertrauen wiedergewinnend, fuhr er mit mehr Zuversicht in Sprache und Haltung fort, denn die kalten unbeweglichen Blicke des Erzbischofs reizten ihn auf. »Können diese Vorschläge noch verbessert werden, Mylord, so laßt es mich wissen, in welchen Stücken, und Euer Verlangen soll, wenn es möglich ist, erfüllt werden, selbst wenn es etwas unbillig sein sollte. Ich wünsche Frieden mit der heiligen Kirche, Mylord, und bin der letzte, der ihre Weisungen mißachten wollte. Das haben meine Taten im Felde, meine Ratschläge in der Staatssitzung bewiesen; und ich kann nicht glauben, daß meine Dienste kalte Blicke und kalte Sprache vom Primas Englands verdienen.« »Wollt Ihr der Kirche Eure Dienste vorhalten, eitler Mann!« sagte Balduin. »Ich sage Dir, Hugo de Lacy, was der Himmel durch Deine Hand für die Kirche tun ließ, hätte, wenn es dem göttlichen Willen so gefallen hätte, ebenso leicht auch durch den geringsten Pferdejungen in Deinem Heere geschehen können. Nur Du bist es, der geehrt worden ist, da Du zum Werkzeug erwählt wurdest, durch welches große Dinge in Israel geschahen. – Nein! unterbrich mich nicht. – Ich sage Dir, stolzer Baron, vor dem Angesicht des Himmels ist Deine Weisheit nichts als Torheit – Dein Mut, dessen Du Dich rühmst, nichts als die Zaghaftigkeit eines Dorfmädchens – Dein Speer eine Weidenrute und Dein Schwert eine Binse.« »Alles das weiß ich, heiliger Vater,« sagte der Connetable. »Und ich habe es wiederholt gehört, daß solche armen Dienste, wie ich sie geleistet habe, vorbei und abgetan sind. Jawohl, als man einer hilfreichen Hand bedurfte, da war ich der gütige Lord bei Priestern und Prälaten, ein Mann, der verehrt und angebetet werden müsse, wie die Schutzheiligen und Stifter der Kirche, die im Chor und unterm Hochaltar schlummern. Da war kein Gedanke, wahrlich! an Weide und Binse, wenn man mich darum anflehte, die Lanze einzulegen oder mein Schwert zu ziehen; nur wenn man ihrer nicht mehr nötig hat, gelten sie und ihre Besitzer nichts mehr. Wohl, mein hochwürdiger Vater! mag es so sein! Wenn die Kirche die Sarazenen aus dem heiligen Lande mit Stallknechten und Pferdejungen verjagen kann, warum predigt Ihr die Ritter und Edlen von ihrer Heimat und ihrem Vaterlande hinweg, das zu beschützen und zu verteidigen sie geboren sind?« Fest richtete der Erzbischof seinen Blick auf ihn, indem er folgendes erwiderte: »Nicht zum Besten ihres Fleisches stören wir Eure Ritter und Barone in ihren rohen Festgelegen und mörderischen Fehden, worunter Ihr die Verteidigung des Landes versteht, nicht darum, weil der Allmächtige zur Ausführung des großen Befreiungswerkes ihrer Hilfe bedarf – nein, bloß um ihres eignen Seelenheiles willen!« Ungeduldig schritt der Connetable auf und nieder, indem er vor sich hinmurmelte: »Das ist der luftige Lohn, für den Heere auf Heere aus Europa geschleppt wurden, den Sand von Palästina mit ihrem Blut zu tränken – das sind die eitlen Versprechungen, gegen die wir Vaterland, Güter und Leben austauschen sollen.« »Ist das Hugo de Lacy, der so spricht?« sagte der Erzbischof und er stand dabei von seinem Sitze auf. »Ist er es, der so herabwürdigend spricht von dem Namen eines Ritters – von der Tugend eines Christen – von der Vergrößerung seiner irdischen Ehre – von dem unberechenbaren Vorteil seiner unsterblichen Seele? – Ist er es, der nach einem solchen groben körperlichen Lohn an Land und Schätzen trachtet, indes ritterliche Ehre, der Glaube seiner Religion, sein Gelübde als Ritter, seine Taufe als Christ ihn zu einem ruhmvollen und gefährlichen Kampfe auffordern? – Ist es möglich? Ist es in der Tat Hugo de Lacy, der Spiegel der anglo-normännischen Ritterschaft, der solche Gedanken hegt, ja der sie aussprechen kann?« »Mit Schmeichelei und schönen Worten, schicklich gemischt mit Vorwürfen, Mylord,« antwortete der Connetable, wurde rot und biß sich auf die Lippen, »mögt Ihr bei andern etwas erreichen, aber ich bin zu festen Sinnes, um mich durch süße oder herbe Worte bestimmen zu lassen. Glaubt mir nur, der Charakter Hugo de Lacys, mag er nun den Kreuzzug mitmachen oder daheim bleiben, ist in Sachen des Muts nach wie vor ebenso untadelhaft, wie der des Erzbischofs Balbuin in Sachen der Heiligkeit.« »Möge er noch viel höher stehen,« sagte der Erzbischof, »als der Ruf, mit welchem Ihr ihn zu vergleichen geruht; aber eine Flamme kann so gut gelöscht werden wie ein Funke. Und ich sage es dem Connetable von Chester, daß der Ruhm, welcher seine Fahnen so viele Jahre umschwebte, in einem Augenblick davonflattern kann, ohne sich je wieder zurücklocken zu lassen.« »Wer wagt das zu sagen?« sagte der Connetable und zitterte für die Ehre, die er in so vielen Gefahren aufrecht erhalten hatte. »Ein Freund,« sagte der Prälat, »dessen Schläge als Wohltaten aufgenommen werden sollten, Ihr denkt an Zahlung, Herr Connetable, und an Lohn, als ob Ihr noch am Markte stündet und über den Preis Eures Dienstes feilschen dürftet. Ich sage Euch, Ihr seid nicht mehr Euer eigener Herr – Ihr seid durch das heilige Zeichen, das Ihr freiwillig genommen habt, ein Söldner Gottes selbst: wollt Ihr von Eurer Fahne fliehen, so träfe Euch eine Schmach, die selbst Neulinge und Troßknechte scheuen.« »Ihr verfahrt allzu hart mit uns, Mylord,« sagte Hugo de Lach und hielt in seinem unruhigen Umhergehen inne. »Ihr von der Geistlichkeit macht uns zu Packpferden in Euren eigenen Angelegenheiten und klettert zu Eurer ehrgeizigen Höhe auf unsern überladenen Schultern empor, – Aber alles hat seine Grenzen – Becket überschritt sie, und –« Ein finsterer, vielsagender Blick stimmte mit dem Tone überein, in dem er diesen abgebrochenen Satz aussprach, aber der Prälat, der wohl wußte, was er hatte sagen wollen, erwiderte mit fester, entschiedener Stimme: »Und – er ward ermordet! – das ists, was Ihr mir andeuten wollt – eben mir, dem Nachfolger dieses verherrlichten Heiligen – damit ich Eurem leichtsinnigen, selbstsüchtigen Wunsche, die Hand vom Pfluge zu ziehen, gefügiger sei. Ihr kennt den Mann nicht, gegen den Ihr diese Drohung braucht. Becket, ein heiliger Streiter auf Erden, gelangte auf dem blutigen Pfade des Märtyrertums zu der Würde eines Heiligen im Himmel; aber nicht weniger gewiß ist es, daß, um auch nur einen tausend Stufen niedrigeren Sitz als sein gesegneter Vorfahr zu erlangen, der unwürdige Balduin bereit ist, unter dem Schütze Unserer Frau sich allem zu unterwerfen, was auch der ärgste Bösewicht unter den gottlosen Menschen hienieden seiner sterblichen Hülle zufügen möge.« »Es bedarf nicht dieses Schaugepränges von Mut, hochwürdiger Vater,« sagte Lacy, sich sammelnd, »wo weder Gefahr ist, noch sein kann. Ich bitte, laßt uns über diese Sache gemäßigter sprechen. Nie habe ich den Vorschlag getan, meine Absichten auf das heilige Land aufzugeben, es ging mir darum, den Kreuzzug zu verschieben. Mich dünkt, mein Anerbieten war recht annehmbar, und ich sollte damit doch das erlangen, was andern in gleichen Fällen zugestanden wurde – einen kurzen Aufschub meiner Reise.« »Eine kleine Verzögerung von seiten eines solchen Anführers, wie Ihr, edler de Lacy,« antwortete der Prälat, »wäre der Todesstoß für unser heiliges, herrliches Unternehmen. Geringern Leuten mögen wir die Erlaubnis gegeben haben, zu heiraten oder zu verheiraten, aber Ihr, Mylord, seid ein Hauptpfeiler unseres Unternehmens, und werdet Ihr weggezogen, so stürzt das ganze Gebäude ein. Wer in England wird sich verpflichtet halten, einen Fuß vorwärts zu setzen, wenn Hugo de Lucy zurückweicht. Denkt, Mylord, weniger an die Braut, und mehr an Euern Schwur, und glaubt nicht, daß eine Verbindung je zu etwas Gutem führen kann, die Euerem gesegneten Unternehmen zur Ehre des Christentums hindernd in den Weg tritt.« Der Connetable geriet durch die Hartnäckigkeit des Prälaten in Verwirrung und begann, wenngleich widerstrebend, seinen Beweisen Raum zu geben, einzig, weil die Gewohnheiten und Meinungen der Zeit ihn keine wirksame Gegenrede finden ließen, er hätte sich denn aufs Bitten und Flehen legen mögen. »Ich erkenne an,« sagte er, »daß ich zum Kreuzzug verpflichtet bin, auch habe ich – ich wiederhole es – keinen weiteren Wunsch, als die kurze Frist zu erlangen, die nötig ist, meine wichtigen Geschäfte in Ordnung zu bringen, indessen meine Vasallen, angeführt von meinem Neffen –« »Versprich das, was in Deiner Gewalt ist,« sagte der Prälat. »Wer weiß, ob Gott nicht im Zorn darüber, daß Du andere Dinge suchst als Seine heilige Sache, Deinen Neffen von hinnen rufen wird, in diesem Augenblick, wo wir miteinander reden.« »Das verhüte Gott,« sagte der Baron und fuhr auf, als wollte er zu seinem Neffen fliegen, ihm zu helfen; dann plötzlich innehaltend, warf er auf den Prälaten einen scharfen, forschenden Blick. »Es ist nicht gut getan,« sagte er, »daß Ew. Hochwürden so mit den Gefahren tändeln, die mein Haus bedrohen. Damian ist mir seiner guten Eigenschaften wegen teuer – und dann auch als Sohn meines einzigen Bruders! – Gott verzeihe es uns beiden! Er starb, als wir miteinander entzweit waren. – Mylord! Sollen Eure Worte mir andeuten, daß mein Neffe leidet und in Gefahr schwebt um meiner Sünde willen?« Der Erzbischof bemerkte, daß er endlich den Punkt berührt hatte, der seinem widerspenstigen Büßenden am meisten zu Herzen ging. Er erwiderte mit Behutsamkeit, wohl wissend, mit wem er zu tun hatte: »Fern sei es von mir, daß ich mich erkühnte, die Ratschläge des Himmels zu deuten! Aber wir lesen in der Schrift, daß, wenn die Väter saure Trauben essen, die Zähne der Kinder davon stumpf werden. Was geht vernünftigerweise daraus hervor, als daß wir für unsern Stolz und unsere Halsstarrigkeit durch ein Urteil gestraft werden sollen, das ganz besonders darauf berechnet ist, diesen Geist des Eigendünkels niederzuschlagen und zu besänftigen? Ihr selbst wißt am besten, ob die Krankheit Euren Neffen überfiel, ehe Ihr daran dachtet, die Fahne des Kreuzes zu verlassen?« Hugo de Lacy rief sich schnell das Geschehene zurück und fand in der Tat, daß keine Veränderung in der Gesundheit seines Neffen bemerkbar gewesen war, bis er auf den Gedanken kam, Eveline zu heiraten. Sein Schweigen und seine Verwirrung entgingen dem schlauen Prälaten nicht. Er ergriff die Hand des Kriegers, als er so vor ihm stand, ganz in Zweifel vertieft, ob er denn wirklich dafür, daß er die Fortpflanzung seines Hauses der Befreiung des heiligen Grabes vorgezogen, durch die Krankheit, die das Leben seines Neffen bedrohte, gestraft werden sollte. – »Kommt,« sagte er, »edler de Lacy – die Strafe, die Ihr Euch durch einen Augenblick des Dünkels zugezogen habt, läßt sich ebenso durch Gebet und Buße wieder wenden. Nieder, nieder auf Deine Knie und zweifle nicht, Du kannst noch durch Beichte und Kasteiung Deinen Abfall von der Sache des Himmels wieder gut machen!« Durch die Vorschriften der Religion, in der er erzogen worden, und durch die Furcht, seines Neffen Krankheit und Gefahr sei die Strafe seines Zögerns, gleichsam niedergezogen, sank der Connetable auf die Knie vor dem Prälaten, dem er kurz zuvor Trotz geboten, beichtete als eine Sünde, die tief bereut werden müßte, seinen Vorsatz, die Abreise nach Palästina aufzuschieben, und unterwarf sich wenigstens mit Geduld, wenn auch nicht mit williger Ergebung, der ihm vom Erzbischof auferlegten Buße, die in dem Verbot bestand, die Vermählung mit Lady Eveline zu betreiben, ehe er von Palästina zurückgekehrt wäre, wo er kraft seines Gelübdes drei Jahre zu weilen hatte. »Und nun, edler de Lacy,« sagte der Prälat, »aufs neue mein geliebtester und geehrtester Freund – fühlst Du nicht Dein Herz erleichtert, nachdem Du Deine Schuld so edelmütig abgetragen und Deinen herrlichen Geist von dem selbstsüchtigen, irdischen Flecken gereinigt hast, der seinen Glanz trübte?« Der Connetable seufzte: »In diesem Augenblicke würde die Nachricht von der Besserung meines Neffen mein glücklichstes Gefühl erregen.« »Beunruhigt Euch nicht über das Los des edlen Damian, Eures hoffnungsvollen und tapferen Verwandten,« sagte der Erzbischof. »Ich hoffe, Ihr sollt in kurzem von seiner Heilung hören, oder sollte es Gott gefallen, ihn zu einer besseren Welt abzuberufen, so wird sein Uebergang so leicht und seine Ankunft in jenem Hafen der Seligkeit so schnell sein, daß es besser für ihn sein wird, gestorben zu sein, als zu leben.« Der Connetable sah ihn an, als wolle er in seinem Gesichte mehr Gewißheit von seines Neffen Schicksal lesen, als seine Worte in sich zu fassen schienen. Der Prälat aber, damit jener nicht weiter in ihn dränge, weil er fühlte, daß er sich selbst vielleicht zu weit verraten habe, schellte mit einer silbernen Glocke, die vor ihm auf dem Tische stand, und gebot dem hierauf eintretenden Kaplan, einen zuverlässigen Boten zur Wohnung von Damian de Lacy zu senden und genaue Nachricht von dessen Befinden einzuziehen. »Ein Fremder,« erwiderte der Kaplan, »ist eben aus dem Krankenzimmer des edlen Damian de Lacy angekommen und wartet, mit dem Mylord Connetable zu sprechen.« »Laßt ihn sogleich vor,« sagte der Erzbischof, »mein Herz sagt es mir, er bringt uns frohe Kunde. – Jederzeit ist solche demütige Buße, solche willige Aufopferung der eigenen Begierden, ein solches Verlangen, des Himmels Willen zu tun, hoch belohnt worden, ob schon hinieden oder erst im Himmelreich!« Während er so sprach, trat ein wunderlich gekleideter Mann ins Zimmer. Seine buntfarbige, auffallend geordnete Tracht war weder die neueste, noch die reinste, auch ziemte sie sich keineswegs vor der Gesellschaft, vor der er jetzt stand. »Was soll das, Bursche?« sagte der Prälat. »Seit wann ist es Sitte, daß Possenreißer und Minstrels sich in eine Gesellschaft wie die unsrige ohne Erlaubnis eindrängen?« »Wenn es Euch gefällig ist,« entgegnete der Mann, »ich komme nicht zu Ew. Hochwürden, sondern zum Lord Connetable, der, wie ich hoffen will, um meiner guten Nachrichten willen über mein schlechtes Aeußere hinwegsehen wird.« »Sprich, Bursche, lebt mein Verwandter noch?« fragte der Connetable begierig. »Und wird wohl leben bleiben, Mylord,« antwortete der Mann. »Eine günstige Krisis, wie die Aerzte es nennen, ist eingetreten, und er befindet sich außer aller Lebensgefahr.« »Nun, Gott sei gepriesen, der mir solche Gnade erwiesen hat!« sagte der Connetable, »Amen! Amen!« stimmte der Erzbischof feierlich ein. – »Um welche Zeit trat diese gesegnete Veränderung ein?« »Kaum vor einer halben Stunde,« sagte der Bote. »Ein sanfter Schlaf sank auf den kranken jungen Mann, wie der Tau auf ein ausgedörrtes Feld im Sommer – er atmete freier – die brennende Hitze ließ nach – und wie ich sagte, die Aerzte fürchten nicht länger für sein Leben.« »Bemerkt Ihr die Stunde, Mylord Connetable?« sagte der Bischof mit Begeisterung. »Gerade, als Ihr Euch demütigtet vor den Ratschlägen, die der Himmel durch den geringsten seiner Knechte Euch vorlegte. – Nur zwei Worte der Reue – nur ein kurzes Gebet – und irgend ein huldreicher Heiliger hat mit seiner Fürsprache augenblickliche Erhörung und vollste Bewilligung Deiner Bitte bewirkt. – Edler Hugo!« fuhr er fort, und ergriff seine Hand mit einer Art von Schwärmerei, »gewiß hat der Himmel beschlossen, große Dinge durch die Hand dessen auszuführen, dessen Fehler so bereitwillig vergeben, dessen Gebet so augenblicklich erhört worden ist. – Darum soll ein Tedeum laudamus in jeder Kirche und in jedem Kloster von Gloucester gesungen werden, ehe der Tag vergeht.« Der Connetable, nicht weniger voll Freude, doch vielleicht minder fähig, eine ganz besondere Vorsehung in seines Neffen Genesung zu entdecken, bewies dem Ueberbringer der frohen Nachricht seine Dankbarkeit, indem er ihm seine Börse hinwarf. »Ich danke Euch, edler Lord,« sagte der Mann. »Aber wenn ich mich bücke, diesen Beweis Eurer Güte aufzuheben, so geschieht es nur Euch die Habe zurückzureichen.« »Herr! was soll das!« sagte der Connetable. »Ich dächte Deine Jacke ist nicht so reich besetzt, daß Du Dir's leisten kannst, ein solches Geschenk von Dir zu stoßen.« »Wer Lerchen fangen will, Mylord,« sagte der Bote, »muß nicht sein Netz über Sperlinge auswerfen. – Ich habe einen größern Lohn von Eurer Herrlichkeit zu erbitten, und daher weise ich das gegenwärtige Geschenk von mir.« »Einen größern Lohn, ha!« sagte der Connetable. »Ich bin kein irrender Ritter, mich durch ein Versprechen zu binden, ehe ich seinen Inhalt kenne. Aber komme morgen zu meinem Zelte, und Du sollst mich nicht abgeneigt finden zu tun, was recht ist.« Mit diesen Worten verabschiedete er sich von dem Prälaten und kehrte nach Hause zurück, doch nicht ohne seinen Neffen im Vorbeigehen zu besuchen, wo er die angenehme Bestätigung der Nachricht erhielt, die ihm der Bote mit dem buntfarbigen Mantel überbracht hatte. Drittes Kapitel Die Ereignisse des verflossenen Tages waren ihrer Natur nach so ergreifend und zuletzt so anstrengend, daß der Connetable sich ermüdet fühlte wie nach einer schwer durchkämpften Schlacht, und fest schlief, bis die frühesten Morgenstrahlen ihn durch die Oeffnung des Zeltes begrüßten. Da begann er mit einem von Schmerz und Zufriedenheit gemischten Gefühl zu bedenken, wie sich seine Lage seit dem gestrigen Morgen verändert hatte. Gestern noch stand er auf als feuriger Bräutigam, nur besorgt, einen wohlwollenden Blick in den Augen seiner schönen Braut zu finden, und sorgsam bedacht auf seine Kleidung und jede andere Anordnung, als wäre er noch so jung an Jahren wie an seinen Hoffnungen und Wünschen. Das war nun alles vorbei, und nun lag vor ihm die schwere Aufgabe, seine Verlobte auf mehrere Jahre zu verlassen, bevor noch das Band der Ehe sie unauflöslich aneinander geknüpft hatte, und dabei immer denken zu müssen, daß sie allen den Gefahren ausgesetzt sei, von denen in einer solchen kritischen Lage die weibliche Treue bedroht ist. Als die unmittelbare Sorge um seinen Neffen gehoben war, fühlte er sich versucht zu denken, er habe ein wenig zu schnell den Vorstellungen des Erzbischofs sein Ohr geliehen, als er geglaubt hatte, Damians Tod oder Genesung hänge von der buchstäblichen ungezögerten Erfüllung seines Gelübdes für das heilige Land ab. »Wie viele Fürsten und Könige,« dachte er bei sich selbst, »haben das Kreuz genommen und die Fahrt aufgeschoben oder sich ganz losgesagt, und sie haben trotzdem gelebt und sind gestorben in Reichtum und Ehre, ohne eine solche Züchtigung zu erfahren, wie Balduin mir androhte. Und weshalb und wodurch verdienten diese Männer mehr Nachsicht als ich? Doch der Würfel ist gefallen, und wenig kann es jetzt nützen, nachzuforschen, ob mein Gehorsam gegen die Befehle der Kirche das Leben meines Neffen rettete, oder ob ich nicht, wie es den Laien gemeinhin im Streite mit der Geistlichkeit zu gehen pflegte, in die Falle geraten bin. Gebe Gott, es möge sich anders ausweisen, da ich ja als des Himmels Kämpe, um so sichrer auf den Schutz des Himmels für die rechnen kann, die ich unglücklicherweise zurücklassen muß.« Während diese Gedanken seinem Geiste vorschwebten, riefen die Wachen vor seinem Zelte jemand an, dessen sich nähernde Schritte er schon innen hören konnte. Der Kommende blieb auf ihren Anruf stehen, und gleich darauf hörte man den Ton einer Leier, einer kleinen Art von Laute, deren Saiten mit Hilfe eines kleinen Rades geschlagen wurden. Das Spiel verstummte jedoch alsbald, und Philipp Guarine trat herein, ihm zu melden, daß jemand, der auf das Geheiß des Connetables erschienen sei, um die Erlaubnis bäte, ihn zu sprechen. »Auf mein Geheiß?« sagte de Lacy, »laß ihn sogleich herein!« Der Bote des vergangenen Abends trat in das Zelt, in der einen Hand seine Mütze mit der kleinen Feder, in der andern die Leier haltend, auf der er eben gespielt hatte. Sein phantastischer Anzug bestand aus einem Wams von verschiedenen Farben, und zwar den glänzendsten, schreiendsten, die so aneinander gereiht waren, daß sie die grellsten Kontraste bildeten. – Das Obergewand war ein hellgrüner, normannischer Mantel, An dem gestickten Gürtel befanden sich statt der Waffen ein Tintenfaß mit Zubehör auf der einen und ein Tischmesser auf der andern Seite. Sein Haar war so verschnitten, daß es der geistlichen Tonsur ähnlich erschien, ein Kennzeichen, daß er zu einem gewissen Rang in seiner Kunst gestiegen war. Denn die fröhliche Wissenschaft (»Joyeuse science«), wie das Gewerbe der Minstrels genannt wurde, hatte ihre verschiedenen Stufen wie die Grade in der Kirche und der Ritterschaft. Die Züge und Manieren des Mannes schienen mit seinem Gewerbe und seiner Kleidung im Widerspruch zu stehen; denn so lustig und phantastisch diese waren, so hatten jene einen Anstrich von Ernst, beinahe von Strenge, der, wenn ihn nicht die Begeisterung bei seinen poetischen und musikalischen Leistungen entflammte, eher die Neigung zu tiefem Nachdenken zu verraten schien als die gedankenlose Lebendigkeit, die die meisten seiner Brüderschaft kennzeichneten. – Sein Antlitz, sonst nicht schön, hatte daher etwas Eindrucksvolles und Ergreifendes, das auch noch den Kontrast mit seinen buntscheckigen Farben und flatternden Gewändern erhöhte. Der Connetable fühlte sich instinktiv gesonnen, den Mann freundlich zu behandeln: »Guten Morgen, Bursch! Ihr hattet eine Belohnung von mir zu fordern. Macht schnell und sagt, was Ihr von mir verlangt. – Meine Zeit ist kurz.« »Es ist die Erlaubnis, Euch in das heilige Land zu begleiten, Mylord,« sagte der Mann. »Du forderst etwas, was ich schwerlich zugestehen kann, mein Freund!« antwortete de Lucy, »Du bist ein Minstrel; bist Du es nicht?« »Ein unwürdiger Meister der fröhlichen Wissenschaft, Mylord,« antwortete der Tonkünstler, »doch laßt es mich selbst sagen, daß ich es sogar mit dem Könige der Minstrels, Geoffrey Rudel, aufnehmen würde, obgleich der König von England ihm vier Landgüter für einen Gesang gab. Ich wollte mit ihm einen Wettkampf eingehen in der Romanze, im Lied und in der Fabel, und wäre König Heinrich selbst der Richter.« »Euer Wort mag ganz wahr sein, daran will ich nicht zweifeln,« sagte de Lacy, »demungeachtet, Herr Minstrel, gehst Du doch nicht mit mir. Am Kreuzzug nehmen schon so viele von Deiner unnützen Profession teil; willst Du ihre Zahl vermehren, so geschehe es nicht unter meinem Schutze. Ich bin zu alt, durch Deine Kunst bezaubert zu werden.« »Wer jung genug ist, die Liebe der Schönheit zu suchen und zu gewinnen,« sagte der Minstrel mit unterwürfigem Tone, als fürchte er, seine Dreistigkeit könne beleidigen, »der sollte sich nicht zu alt nennen, den Zauber der Minstrelkunst zu fühlen.« Der Connetable lächelte, nicht unempfindlich gegen die Schmeichelei, die ihm den Charakter eines jungen Liebhabers zusprach. »Du bist ein Spaßmacher,« sagte er. »Wenn Du Dich in die Ordnung eines so strenge geordneten Haushaltes, wie ich ihn führe, fügen kannst, so ist es möglich, daß wir wohl noch besser zusammenstimmen, als ich's dachte. – Wie ist Dein Name, was Dein Vaterland? Deine Sprache kommt mir etwas fremd vor.« – »Ich bin aus Armorika, Mylord, von den lustigen Küsten von Morbihan. Daher hat meine Aussprache noch einen Anklang von meinem heimischen Dialekt. Mein Name ist Renauld Vidal.« »Da sich die Sache so verhält, Renauld!« sagte der Connetable, »so sollst Du mich begleiten, doch werde ich meinem Haushofmeister Befehl erteilen, Dich zwar Deinem Geschäfte gemäß, aber doch ordentlicher, als Du jetzt erscheinst, zu kleiden. – Verstehst Du auch die Waffen zu führen?« »So leidlich, Mylord!« sagte der Armorikaner und nahm ein Schwert von der Wand, zog und führte damit einen Hieb so dicht vor dem Connetable, der auf dem Lager saß, daß dieser aufsprang und rief: »Schurke, was soll das?« »Seht Ihr, edler Herr,« erwiderte Vidal und neigte untertänigst die Spitze des Schwertes zur Erde, – »ich gab Euch eine Probe von meiner Gaukelkunst, die selbst Euch, den Erfahrenen, überraschte. Ich kann noch mit hundert andern aufwarten.« »Das mag sein,« sagte de Lacy, etwas beschämt, daß er sich durch den überraschenden, gewandten Streich des Gauklers hatte erschrecken lassen. »Aber ich liebe nicht das Spielen mit spitzigen Werkzeugen und habe genug zu tun mit Schwert und Schwerthieben im Ernst, um mit ihnen spielen zu wollen. Ich bitte Euch also, von dergleichen nichts mehr; aber ruft mir meinen Squire und meinen Kämmerling, ich will mich ankleiden und zur Messe gehen.« Nach geendigter Morgenandacht war es des Connetables Absicht, die Aebtissin zu besuchen und ihr mit der nötigen Vorsicht mitzuteilen, wie sich sein Verhältnis zu ihrer Nichte geändert hätte, nachdem er zu dem Entschluß gezwungen worden sei, zum Kreuzzuge aufzubrechen, bevor er nach dem bereits eingegangenen Vertrage seine Vermählung vollziehen könnte. Er wußte wohl, daß es schwer halten würde, die gute Lady mit dieser veränderten Sachlage zu versöhnen, und er ließ sich daher einige Zeit nachzudenken, auf welche Art er am besten diese unangenehme Mitteilung machen und mildern könnte. – Eine geraume Zeit nahm auch der Besuch seines Neffen hinweg, dessen Gesundheitszustand fortwährend günstig blieb, als wäre es in der Tat ein durch ein Wunder bewirkter Lohn dafür, daß der Connetable sich den Anweisungen des Erzbischofs gefügt hatte. Von der Wohnung Damians begab sich nun der Connetable ins Kloster zur Aebtissin. Aber ein früherer Besuch des Erzbischofs Balduin hatte sie schon mit allem, was er ihr mitteilen wollte, bekannt gemacht. Der Primas hatte das Amt eines Vermittlers übernommen, da er wohl wußte, daß der Sieg, den er tags zuvor über den Connetable errungen, diesen in eine sehr heikle Lage mit der Verwandten seiner Verlobten bringen mußte; er wollte also durch sein Ansehen und durch seine Beihilfe die Zwistigkeiten beilegen, die entstehen könnten. Vielleicht hätte er besser getan, Hugo de Lacy selbst seine Sache vertreten zu lassen. Denn die Aebtissin, wiewohl sie seine Mitteilung mit all der Ehrfurcht annahm, die dem höchsten Würdenträger der englischen Kirche gebührte, leitete aus des Connetables verändertem Entschluß Folgerungen, die der Primas nicht erwartete. Sie versuchte es durchaus nicht, de Lacy bei der Erfüllung seiner Gelübde Hindernisse in den Weg zu legen, aber sie erklärte rundheraus, daß nun der Ehekontrakt mit ihrer Nichte gänzlich aufgehoben und jedem Teil Freiheit gelassen sei, eine neue Wahl zu treffen. Umsonst versuchte der Erzbischof, die Aebtissin durch den künftigen hohen Ruhm zu blenden, den der Connetable im heiligen Lande davontragen würde, umsonst hielt er ihr vor, daß dieser Glanz sich nicht nur auf seine Gattin, sondern auf alle, die auf die entfernteste Weise mit ihr verwandt oder verbunden wären, verbreiten würde. Ohne Wirkung blieb seine Beredsamkeit, obwohl er sie bei einem solchen Lieblingsgegenstande aufs äußerste anstrengte. Wahr ist's, die Aebtissin schwieg einen Augenblick, nachdem er seine Gründe erschöpft hatte; doch es geschah bloß, um zu überlegen, wie sie es auf eine schickliche, ehrbare Weise anbringen könne, daß Kinder, ohne die das Haus ihres Bruders und Vaters aussterben würde, wohl schwerlich noch zu erwarten wären, wenn der Verlobung nicht die Vermählung folgte. Sie bestand also darauf, da der Connetable in diesem wichtigen Punkt seine Meinung geändert habe, so müßte die Verlobung gänzlich aufgehoben und vergessen sein, und sie forderte es von dem Primas, als eine Sache der Gerechtigkeit, daß, nachdem er den Bräutigam zur Aufgabe seines ursprünglichen Vorsatzes bestimmt hätte er jetzt seinen Einfluß gebrauchen solle, eine Verbindung, deren Voraussetzungen umgestoßen worden seinen, gänzlich rückgängig zu machen. Der Primas, im Bewußtsein de Lucy zum Bruch des Kontrakts veranlaßt zu haben, hielt sich durch Ehre und Gewissen für verpflichtet, den für seinen Freund so unangenhmen Folgen vorzubeugen und das Verlöbnis aufrecht zu erhalten. Er verwies der Aebtissin ihre fleischlichen, irdischen Ansichten, die sie über den Ehestand und das Interesse ihres Hauses hege. Er warf ihr sogar vor, daß es Selbstsucht sei, die Fortpflanzung des Hauses Berenger der Befreiung des heiligen Grabes vorzuziehen, und er kündigte ihr die Rache des Himmels an für die kurzsichtige, bloß menschliche Klugheit, die die Sache des ganzen Christentums dem Interesse einer einzelnen Familie nachsetze. Nach dieser strengen Predigt entfernte sich der Prälat und ließ die Aebtissin in sehr gereizter Stimmung zurück, wiewohl sie es klüglich vermied, auf seine väterliche Mahnung irgend eine unehrerbietige Antwort zu geben. In dieser Laune traf nun der Connetable die ehrwürdige Frau, als er mit einiger Verlegenheit begann, ihr die Notwendigkeit seiner schleunigen Abreise nach Palästina auseinander zusetzen. Mit finsterer Würde vernahm sie seine Erklärung. Ihr breites, schwarzes Gewand mit dem Skapulier schien sich in noch stolzere Falten zu legen, als sie ihn die edlen Gründe und die Geschehnisse berichten hörte, die ihn zum Aufschub seiner Vermählung zwängen, die, wie er bekenne, der teuerste Wunsch seines Herzens wäre, die aber doch erst nach seiner Rückkehr vom Kreuzzuge, den er auf der Stelle antreten müsse, erfolgen dürfe. »Mich dünkt,« erwiderte die Aebtissin mit vieler Kälte, »wenn diese Erklärung ernstlich gemeint ist – und die Sache eignet sich nicht zum Scherze – mich dünkt, dann hätte des Connetables Entschluß gestern uns bekannt gemacht werden sollen, ehe er und Eveline Berenger durch das Verlöbnis sich zu gegenseitiger Treue verpflichteten.« »Beim Worte eines Ritters und Edelmanns, ehrwürdige Frau! gestern hatte ich noch nicht den geringsten Gedanken daran, daß ich zu einem Schritte gezwungen würde, der mir ebensoviel Kummer macht, wie er Euch mißfällt.« »Kaum vermag ich doch,« erwiderte die Aebtissin, »die zwingenden Gründe zu begreifen, die doch schon gestern vorhanden sein mußten und dabei doch erst heute zur Geltung gekommen sein sollen.« »Ich gestehe,« sagte de Lacy, mit einem gewissen Sträuben, »daß ich zu leicht der Hoffnung Raum gegeben hatte, meines Gelübdes entbunden zu werden. Jedoch Mylord von Canterbury glaubte in seinem Eifer für des Himmels Dienst mir dies versagen zu müssen.« »Dann,« sagte die Aebtissin, ihren Zorn unter äußerster Kälte verbergend, »werdet Ihr uns wenigstens die Gerechtigkeit widerfahren lassen, uns in dieselbe Lage zurück zu versetzen, in der wir uns gestern morgen befanden. In Uebereinstimmung mit meiner Nichte und ihren Freunden fordere ich die Aufhebung des Ehekontrakts, dem Eure gegenwärtigen Absichten zuwiderlaufen. Gebt einer jungen Dame die Freiheit wieder, deren sie augenblicklich durch den Vertrag mit Euch beraubt ist.« »Ach, Madame,« sagte der Connetable, »was verlangt Ihr von mir? Und in welchem kalten, gleichgiltigen Tone begehrt Ihr, daß ich den teuersten Hoffnungen entsagen soll, die je mein Busen genährt hat?« »Mir ist die Sprache solcher Gefühle unbekannt, Mylord!« erwiderte die Aebtissin, »aber ich dachte, Aussichten, die so leicht auf Jahre verschoben werden, könnten wohl auch durch einen kleinen, sehr kleinen Zwang, den man sich selbst antut, auf immer aufgegeben werden.« Hugo de Lacy schritt, heftig bewegt, im Zimmer auf und nieder, auch antwortete er erst nach einer langen Pause: »Wenn Eure Nichte, Madame, die Meinung teilt, die Ihr soeben geäußert habt, so kann ich in der Tat, will ich gerecht gegen sie, ja vielleicht gegen mich selbst sein, nicht mehr das Anrecht auf ihr Herz beanspruchen, das unsere feierliche Verlobung mir zugestand. Aber ich muß mein Urteil von ihren eigenen Lippen hören; und wenn es so streng ist, wie Eure Aeußerungen mich fürchten lassen, so will ich nach Palästina ziehen und um so besser für den Himmel kämpfen, da ich dann wenig auf der Erde zurücklasse, was Wert für mich hat.« Ohne weitere Antwort rief die Aebtissin ihre Vorsängerin und trug ihr auf, ihre Nichte sogleich herbeizurufen. Die Vorsängerin verbeugte sich ehrfurchtsvoll und ging. »Darf ich so frei sein, zu fragen,« sagte de Lacy, »ob Lady Eveline schon die Umstände kennt, die mich zu dieser unglücklichen Veränderung meines Vorsatzes bewogen haben?« »Ich habe ihr, Punkt für Punkt, alles mitgeteilt,« entgegnete die Aebtissin, »genau so, wie es mir diesen Morgen vom Mylord von Canterbury auseinandergesetzt wurde (denn mit ihm sprach ich schon über diesen Gegenstand), und wie es mir jetzt durch Ew. Herrlichkeit eigenen Mund bestätigt wird.« »Ich bin dem Erzbischof wenig verbunden,« sagte der Connetable, »daß er mir hier vorgegriffen hat, wo es für mich von großer Wichtigkeit war, meine Verteidigung persönlich zu führen und freundliches Verständnis meines Handelns zu erzielen.« »Das,« sagte die Aebtissin, »habt Ihr mit dem Prälaten selbst abzumachen – uns geht's nichts an.« »Darf ich hoffen,« fuhr de Lacy fort, ohne sich von der Trockenheit im Benehmen der Aebtissin beleidigen zu lassen, »daß Lady Eveline diese höchst unglückliche Veränderung der Umstände ohne Bewegung – ich wollte sagen ohne Unwillen vernommen hat?« »Sie ist die Tochter Berengers, Mylord, und es ist unsere Gewohnheit, einen Wortbruch zu strafen oder zu verachten – nicht uns darüber zu grämen. – Was meine Nichte in diesem Falle tun wird, weiß ich nicht. Ich bin eine Dienerin der Kirche, abgeschieden von der Welt, und würde ihr raten, die unwürdige Behandlung, die ihr widerfuhr, christlich zu verzeihen. Aber sie hat Anhänger, Vasallen, Freunde und Ratgeber, die im blinden Trachten nach weltlicher Ehre ihr anempfehlen werden, sich eine solche Beleidigung nicht bieten zu lassen, sondern vor den König selbst zu gehen oder die Lehnsleute ihres Vaters zu den Waffen zu rufen und durch die Vernichtung des Kontrakts sich die Freiheit wieder zu verschaffen. – Doch hier erscheint sie, für sich selbst zu antworten.« Eveline trat in dem Augenblick ein, auf Roses Arm gelehnt. Sie hatte die Trauer seit der Verlobung abgelegt und trug ein weißes Unterkleid und darüber eine blaßblaue Robe. Ihr Haupt deckte ein Schleier von weißem Flor, so dünn, daß er sie umfloß wie eine durchsichtige Nebelwolke. Ihre Glieder zitterten, ihre Wangen waren blaß, die leichte Röte um ihre Augenlider verriet frische Tränen. Trotz dieser natürlichen Zeichen des Kummers und der Unruhe trugen ihre Züge den Ausdruck tiefster Erregung und des Entschlusses, ihre Pflicht zu erfüllen. Und so herrlich mischten sich diese entgegengesetzten Eigenschaften von Furcht und Entschlossenheit auf ihrer Wange, daß Eveline in der höchsten Pracht ihrer Schönheit nie bezaubernder als in diesem Augenblicke erschienen war; und Hugo de Lacy, bis dahin mehr ein Liebhaber ohne große Leidenschaft, stand vor ihr mit Gefühlen, als ob alle Uebertreibungen in den Romanzen in die Wirklichkeit getreten und seine Gebieterin ein Wesen aus höheren Sphären wäre, von deren Urteil Glückseligkeit oder Elend, Leben oder Tod abhinge. Von diesen Gefühlen beseelt, sank der Krieger auf ein Knie vor Evelinen nieder, ergriff die Hand, die sie ihm mehr ließ, als gab, drückte sie freudig an seine Lippen, und ehe er sich von ihr trennte, benetzte er sie mit einer der wenigen Tränen, die man ihn je vergießen sah. Aber, obgleich selbst überrascht und durch diese plötzliche Regung aus seiner Art gerissen, gewann er bald seine Fassung wieder, als er bemerkte, daß die Aebtissin seine Erniedrigung, wenn diese Gefühlsäußerung so genannt werden konnte, mit der Miene des Triumphes betrachtete. So begann er demnach seine Verteidigung vor Evelinen mit einem männlichen Ernst, zwar nicht ohne Wärme oder innere Bewegung, aber doch in einem festen, stolzen Ton, den er deswegen anzunehmen schien, um damit dem gleichen Tone der beleidigten Äbtissin entgegenzutreten. »Lady,« sagte er in seiner Anrede an Eveline, »Ihr habt von der hochwürdigen Aebtissin gehört, in welche unselige Stellung ich seit gestern durch die Strenge des Erzbischofs versetzt worden bin – ich sollte vielleicht besser sagen, durch seine gerechte, wiewohl zu genaue Auslegung meines Gelübdes für den Kreuzzug. Ich kann nicht zweifeln, daß alles dies die hochwürdige Frau Euch genau, der Wahrheit gemäß, vorgelegt hat; aber da ich sie nicht länger meine Freundin nennen darf, so laßt mich hören, ob sie mir auch Gerechtigkeit widerfahren ließ in ihrer Erläuterung der unglücklichen Umstände, die mich zwingen, sogleich mein Vaterland zu verlassen und damit die schönsten Hoffnungen, die je ein Mann in seiner Brust nährte, aufzugeben – im günstigsten Falle aufzuschieben. Die hochwürdige Frau macht es mir zum Vorwurf, daß ich selbst die Vollziehung des gestern abgeschlossenen Vertrages verschöbe und Euch dabei doch gerne auf eine unbestimmte Reihe von Jahren an den Vertrag gebunden sähe. Niemand entsagt gern solchen Rechten, wie mir der gestrige Tag verlieh, und um auch einmal ein prahlerisches Wort zu sprechen: ehe ich sie einem vom Weibe geborenen Manne abträte, wollte ich mit gewetztem Schwert und scharfem Speer, von Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang, drei Tag lang offenes Feld halten gegen alle, die da kommen wollten. Aber was ich mir erhalten wollte, und sollte es tausend Leben kosten, dem bin ich bereit zu entsagen, wenn es Euch nur einen einzigen Seufzer kosten würde. Wenn Ihr demnach glaubt, als die Verlobte de Lucys nicht glücklich bleiben zu können, so braucht Ihr von mir nur die Zustimmung zur Vernichtung des Kontrakts zu fordern, und Ihr dürft einen vom Schicksal begünstigteren Mann glücklich machen.« Er würde noch mehr gesagt haben, aber er fühlte die Gefahr, wieder von jenen zärtlichen Gefühlen überwältigt zu werden, die seinem festen Charakter so neu waren, daß er sich schämte, ihnen abermals Raum zu geben, Eveline schwieg noch immer, und die Aebtissin nahm das Wort. – »Ihr hört, Nichte,« sagte sie, »daß die Großmut oder die Gerechtigkeit des Connetable infolge seiner nahen Abreise zu einem entfernten und gefährlichen Unternehmen, Euch den Vorschlag macht, einen Kontrakt aufzuheben, bei welchem ausdrücklich vereinbart wurde, daß er zu seiner Vollziehung in England bleiben solle. Mir scheint, Ihr könnt nicht zögern, die Euch angebotene Freiheit mit Dank für seine Güte anzunehmen.« »Meine gnädige und hochwürdige Verwandte!« sagte Eveline, indem sie alle ihre Entschlossenheit sammelte, »und Ihr, edler Lord! verzeiht es mir, wenn ich Euch bitte, nicht durch heftige Empfindlichkeit Eure und meine schwierige Lage zu verschlimmern. Mylord, was ich Euch schuldig bin, werde ich nie abtragen können; denn ich danke Euch Glück, Leben und Ehre. Wisset, als ich von den Wallisern in meinem Schlosse Garde Douloureuse belagert wurde, habe ich in der Angst meines Herzens, der heiligen Jungfrau gelobt, daß ich, meine Ehre ausgenommen, dem völlig zu eigen sein wolle, den Unsere liebe Frau zum Werkzeuge brauchen würde, mich aus jener Stunde der Todesangst zu erretten. Indem sie mir einen Befreier gab, gab sie mir einen Herrn; und ich konnte keinen edleren finden als Hugo de Lacy.« »Gott verhüte, edle Lady!« rief der Connetable schnell, als fürchte er, sein Entschluß möchte sinken, ehe er bis zum Ende der Entsagung käme, »daß durch eine Fessel, die Ihr selbst Euch auf dem Gipfel der Not anlegtet, auch ich Euch an einen Entschluß binden sollte, der Euren Neigungen Gewalt antut.« Selbst die Aebtissin konnte nicht umhin, dieser Gesinnung Beifall zu zollen, und erklärte, das sei gesprochen, wie ein normannischer Edelmann; aber dennoch richteten sich ihre Augen auf ihre Nichte und schienen sie zu ermahnen, sich wohl zu bedenken, ehe sie de Lacys ritterliches Entgegenkommen ungenützt lasse. Aber Eveline, die Augen auf den Boden geheftet, während eine leichte Röte in ihre Wangen stieg, ließ sich durch kein Zwischenreden von ihrer Meinung abbringen. »Ich will es Euch bekennen, edler Herr,« sagte sie, »damals, als Eure Tapferkeit mich vom Untergange errettete, hätte ich – denn ich ehrte und achtete Euch nicht minder hoch als Euren Freund, meinen vortrefflichen Vater – wohl wünschen mögen, Ihr hättet einer Tochter Dienste von mir gefordert. Ich kann auch nicht behaupten, dieses Gefühl ganz besiegt zu haben, obwohl ich es als Undankbarkeit gegen meinen Retter wacker bekämpfte. Aber von dem Augenblicke an, da es Euch gefiel, mich durch die Bewerbung um meine geringe Hand zu beehren, habe ich sorgfältig meine Gesinnungen gegen Euch geprüft und sie soweit mit meiner Pflicht in Übereinstimmung gebracht, daß ich mich überzeugt halten kann, de Lacy wird in Eveline Berenger keine gleichgültige, viel weniger eine unwürdige Braut finden. Hierauf, Sir, könnt Ihr Euch verlassen, möge die Vereinigung, die Ihr herbeiwünscht, sogleich stattfinden oder auf eine lange Zeit aufgeschoben sein. – Noch mehr, ich muß bekennen, daß der Aufschub der Vermählung mir angenehmer ist, als ihre unmittelbare Vollziehung. Ich bin jetzt sehr jung und völlig unerfahren. Nach zwei oder drei Jahren werde ich, das glaube ich bestimmt, der Achtung eines Edelmannes noch würdiger sein.« Bei dieser Erklärung zu seinen Gunsten, so kalt und abgemessen sie auch war, mußte de Lacy sich ebenso sehr zusammenraffen, sein Entzücken zurückzuhalten, wie vorher, seine Bewegung zu mäßigen. »Ein Engel an Güte und Freundlichkeit!« rief er aus, kniete noch einmal nieder und ergriff ihre Hand. »Vielleicht sollte nur die Ehre gebieten, freiwillig jenen Hoffnungen zu entsagen, die Ihr mir nicht gewaltsam rauben wollt; aber wer ist einer solchen unerschütterlichen Seelengröße fähig? – Laßt mich hoffen, daß meine Anhänglichkeit – daß alles, was Ihr aus der Entfernung von mir hören werdet, Euren Empfindungen eine noch zärtlichere Wärme verleihen werde, als Ihr jetzt zeigt. Tadelt mich indessen nicht, daß ich unter jeder Bedingung, die Ihr mir jetzt stellen mögt, von neuem das Pfand Eurer Treue entgegennehme. Ich weiß es wohl, meine Bewerbung fängt in späten Jahren an, und ich darf nicht mehr die lebendige Erwiderung erwarten, die der jugendlichen Leidenschaft eigen ist. Tadelt mich nicht, wenn ich mit den sanfteren Empfindungen zufrieden bin, die das Leben glücklich machen, wenngleich sie nicht die Leidenschaft berauschen. – Eure Hand bleibt in der meinen, aber sie scheint meinen Druck nicht zu fühlen. – Sollte sie sich weigern, das zu bestätigen, was Eure Lippen aussprachen?« »Niemals, edler de Lacy!« sagte Eveline mit mehr Wärme, als sie bis jetzt gezeigt hatte; und durch diesen innigeren Ton ermutigt, zog der Bräutigam sie an sich und küßte sie auf die Lippen. Mit einem gewissen Stolz, vermischt mit Ehrfurcht, wandte sich de Lacy, als er dieses Pfand der Treue empfangen hatte, zur Aebtissin, die Beleidigte zu versöhnen und zu besänftigen. »Ich hoffe, hochwürdige Mutter,« sagte er, »daß Ihr Eure frühern gütigen Gesinnungen gegen mich annehmen werdet, die, wie ich überzeugt bin, nur durch Eure zärtliche Sorge für das Wohl derjenigen, die uns beiden am teuersten sein muß, gestört wurden. Laßt mich hoffen, daß ich diese schöne Blume unter dem Schutze der hochverehrten Frau zurücklassen darf, die ihre nächste Blutsverwandte ist, in Glück und Sicherheit, wie es ja nicht anders sein kann, wenn Sie auf Euren Rat hört und in diesen heiligen Mauern wohnt.« Aber die Aebtissin war zu ungehalten, um sich durch eine Schmeichelei versöhnen zu lassen, die vielleicht klüger bis zu einem günstigeren Augenblicke verschoben worden wäre. »Mylord,« sagte sie, »und Ihr, schöne Verwandte, Ihr solltet es doch bedenken, wie wenig mein Rat, den ich wohl nicht sehr oft da geben möchte, wo man so ungern drauf hört, denen nützlich sein kann, die so in weltlichen Trieben befangen sind. Ich habe mich der Religion, der Einsamkeit, der Abgeschiedenheit – kurz dem Dienste Unserer Frau und des heiligen Benedikts geweiht. Ich habe mir bereits den Tadel meines Vorgesetzten zugezogen, weil ich aus Liebe zu Euch, schöne Nichte, mich tiefer in weltliche Angelegenheiten hineingemischt habe, als es der Vorsteherin eines Nonnenklosters geziemt. Ich will mir keinen weitern Vorwurf in diesen Stücken zuziehen, und Ihr könnt das nicht von mir erwarten. Meines Bruders Tochter, ungefesselt von weltlichen Banden, ist mir willkommen gewesen, als sie meine arme Einsamkeit teilen wollte; aber dieses Haus ist zu geringe, um der verlobten Braut eines mächtigen Freiherrn zur Wohnung zu dienen; auch fühle ich mich in meiner Niedrigkeit und Unerfahrenheit unfähig, sie als solche in die gleiche Botmäßigkeit zu nehmen, zu der doch sonst jeder unter diesem Dache mir verpflichtet ist. Der ernste Gang unserer Andachtsübungen und die stillen Betrachtungen, denen die Frauen unseres Hauses obliegen,« fuhr die Aebtissin in wachsender Hitze und Heftigkeit fort, »sollen nicht meiner weltlichen Verbindungen wegen und durch die Einmischung einer Person gestört werden, deren Gedanken bei dem weltlichen Spielwerk von Liebe und Heirat weilen müssen.« »Ich glaube es in der Tat, hochwürdige Mutter,« sagte der Connetable, der nun auch seinem ganzen Unmut Raum gab, »daß ein reich begütertes Mädchen, die unverheiratet ist und wohl nicht heiraten wird, eine passendere und willkommenere Bewohnerin des Klosters wäre, als eine, die nicht von der Welt getrennt werden kann und deren Reichtum wahrscheinlich nicht des Hauses Einkünfte vermehren wird.« Die unangebrachte Bemerkung des Connetable bestärkte die Aebtissin in dem Entschluß, den sie bereits in ihrer Heftigkeit gefaßt hatte. »Möge der Himmel Euch, Herr Ritter,« erwiderte sie, »die ehrenrührigen Gedanken über eine Dienerin des Herrn vergeben! Es ist in der Tat zum Heil Eurer Seele hohe Zeit, daß Ihr im heiligen Lande Buße tut, da Ihr solche raschen Urteile zu bereuen habt. – Was Euch anbelangt, meine liebe Nichte, so kann es Euch an einer gastfreundlichen Aufnahme nicht gebrechen, die ich Euch nicht gewähren kann, ohne einen solchen ungerechten Verdacht wahrzumachen, oder mindestens den bösen Anschein zu erregen. Ihr habt in Euer Großtante von Baldringham eine weltliche Verwandte, die Euch fast so nahe steht wie ich, und die Euch ihre Tore öffnen kann, ohne sich dem unwürdigen Urteil auszusetzen, daß sie sich auf Eure Kosten bereichern wollte.« Der Connetable sah die Totenblässe, die bei diesem Vorschlag Evelinens Wangen überzog, und ohne die Ursache ihres Abscheus zu wissen, eilte er, sie von der Furcht zu befreien, die sie offenbar quälte. »Nein, hochwürdige Mutter,« sagte er, »da Ihr so hart die Sorge für Eure Verwandte ablehnt, so soll sie auch für keine ihrer Angehörigen eine Last sein. Solange Hugo de Lacy sechs stattliche Schlösser und viele Landgüter sein eigen nennt, die Feuer auf ihrem Herde haben können, soll seine verlobte Braut keinem die Ehre ihrer Gesellschaft zukommen lassen, der diesen Vorzug nicht zu schätzen weiß, und ich müßte mich für ärmer halten, als der Himmel mich gemacht hat, könnte ich nicht genug Freunde und Mannen aufbieten, ihr zu dienen, zu gehorchen, ihr Schutz zu sein.« »Nein, Mylord,« sagte Eveline und überwand den Kummer, in den die Unfreundlichkeit ihrer Verwandten sie versetzt hatte. »Da ein unglückliches Schicksal mir den Schutz der Schwester meines Vaters raubt, dem ich mich so zuversichtlich überlassen hätte, so will ich kein Obdach bei irgend einem feineren Verwandten suchen, noch das annehmen, was Ihr mir, Mylord, so großmütig anbietet. Täte ich das letztere, so würde dies harte, und ich bin überzeugt, unverdiente Vorwürfe derjenigen zuziehen, die mich zwang, einen weniger ratsamen Wohnsitz zu wählen. Mein Entschluß ist gefaßt. Wahr ist es, nur eine Freundin ist mir geblieben, aber eine mächtige, und sie ist imstande, mich sowohl gegen das besondere Unglück zu schützen, das mich zu verfolgen scheint, als auch gegen die gewöhnlichen Unfälle des menschlichen Lebens.« »Die Königin, meint Ihr, wie ich vermute,« sagte die Aebtissin, sie ungeduldig unterbrechend. »Die Königin des Himmels, hochwürdige Tante,« antwortete Eveline, »Unser Frau von Garde Douloureuse, immer gnädig unserm Hause, und noch vor kurzem meine besondere Hüterin und Beschützerin. Es scheint mir, da die Geweihte der Jungfrau mich zurückweist, so ist es die Schutzheilige selbst, deren Hilfe ich anrufen muß.« Die hochwürdige Frau, die sich dieser Antwort nicht versehen hatte, stieß bloß den Ausruf aus: »Hem!« aber in einem Tone, der sich besser für einen Bilderstürmer, als für eine katholische Aebtissin und eine Tochter aus dem Hause Berenger geschickt hätte. Allerdings hatte die erbliche Verehrung, die die Aebtissin für die Frau von Garde Douloureuse hegte, sich sehr verringert, seit sie die Wirkungen eines andern Wunderbildes kennen gelernt hatte, das im Besitz ihres Klosters war. Indessen beherrschte sie sich und schwieg, während der Connetable an die Nachbarschaft der Walliser erinnerte, die einen Aufenthalt zu Garde Douloureuse wieder gefährlich machen könnte, wie seine Braut ja schon einmal erfahren hätte. Diesem stellte aber Eveline die Stärke ihrer väterlichen Burg, die vielen Belagerungen, die sie abgeschlagen, und den wichtigen Umstand entgegen, daß sie bei der letzten Gelegenheit bloß darum in Gefahr geraten sei, weil eines Ehrenhandels wegen ihr Vater Raymond mit der Garnison ausgezogen wäre und zu seinem Nachteil sich vor den Wällen in einen Kampf eingelassen hätte. Ferner führte sie an, daß es für den Connetable leicht sein würde, aus seinen oder ihren Vasallen einen Seneschall auszuwählen, der klug und tapfer genug wäre, um für die Sicherheit des Platzes und der Braut hinlänglich sorgen zu können. Ehe de Lacy hier etwas erwidern konnte, stand die Aebtissin auf, indem sie sich für völlig unfähig erklärte, in weltlichen Dingen Rat zu erteilen, und hinzusetzte, daß die Regeln ihres Ordens sie nunmehr zu ihren klösterlichen Pflichten riefen. Mit diesen Worten verließ sie die Verlobten. Der Ausgang ihrer Unterredung schien beiden angenehm zu sein; und als Eveline Rosen erzählte, daß sie sogleich unter hinlänglicher Bedeckung nach Garde Douloureuse zurückkehren und dort während des Kreuzzuges bleiben würden, so geschah das im Ton einer so aufrichtigen Zufriedenheit, wie ihre Dienerin seit manchen Tagen nicht an ihr wahrgenommen hatte. Auch sprach Eveline mit großen Lobeserhebungen über die Bereitwilligkeit, mit der der Connetable sich ihren Wünschen gefügt hätte, und über sein ganzes Benehmen sprach sie mit einer so warmen Dankbarkeit, die fast an zärtlichere Empfindung grenzte. »Und dennoch, meine teuerste Lady,« sagte Rose, »wenn Ihr ohne Verstellung reden wollt, so müßt Ihr, davon bin ich überzeugt, zugestehen, daß Euch dieser Zeitraum von mehreren Jahren, der nun zwischen Verlobung und Vermählung liegt, gewissermaßen als Gnadenfrist sehr erwünscht ist.« »Ich gestehe dies,« sagte Eveline, »auch habe ich es meinem künftigen Herrn nicht verhehlt, daß dieses meine Empfindungen sind, so mißfällig sie auch erscheinen mögen. Aber Rose, meine Jugend ist es, meine große Jugend, die mir vor den Pflichten einer Gattin de Lacys Scheu einflößt. Auch liegen mir alle die üblen Vorbedeutungen am Herzen. Dem Leiden geweiht von meiner Verwandten, ausgestoßen fast aus dem Hause der andern, erscheine ich mir beinahe selbst als ein Geschöpf, das Unglück mit sich führt, wohin es tritt. Doch die jetzige bange Stunde und, was noch mehr ist, die Furcht vor der künftigen wird die Zeit hinwegräumen. Wenn ich das zwanzigste Jahr erreicht habe, Rose, so werde ich ein vollkommen erwachsenes Weib sein, das mit der starken Seele einer Berenger alle Zweifel und Aengste überwinden wird, die jetzt das Mädchen erschüttern.« Viertes Kapitel Wenn Lady Eveline de Lacy zufrieden und vergnügt verließ, so hatte die Freunde des Connetable einen höheren Grad des Entzückens erreicht, als er je zuvor empfunden hatte. Ein Besuch der Aerzte, welche seinen Neffen bedienten, erhöhte noch sein Vergnügen, da er von ihnen ausführlichen Bericht über dessen Krankheit und zugleich die Versicherung von seiner baldigen Wiederherstellung erhielt. Der Connetable ließ Almosen in den Klöstern und unter die Armen austeilen, Messen lesen, Kerzen anzünden. Er besuchte den Erzbischof und erhielt von ihm die Zusage, daß in Anbetracht seines schnellen Gehorsams sein Aufenthalt in dem heiligen Lande nur auf drei Jahre beschränkt werden sollte, wobei die zur Hin- und Rückreise erforderliche Zeit mit eingerechnet sein sollte. Kurz, da er den Hauptpunkt durchgesetzt hatte, so hielt es der Erzbischof für geraten, einem Manne vom Rang und Charakter des Connetables, dessen Teilnahme an der bevorstehenden Unternehmung für deren Erfolg von höchster Wichtigkeit war, alle weniger bedeutenden Zugeständnisse willig zu gewähren. So kehrte der Connetable zu seinem Zelte zurück, höchst zufrieden, daß er sich aus Schwierigkeiten befreit hatte, die am Morgen noch unüberwindlich schienen; und als seine Hausoffizianten sich um ihn versammelten, seinem Auskleiden beizuwohnen (denn die großen Lehnsherren hatten ihre Morgen- und Abendaudienzen, wie die souveränen Fürsten) verteilte er mehrere Geschenke unter sie und scherzte und lachte in einem frohern Humor, als sie je zuvor an ihm bemerkt hatten. »Was Dich anbetrifft,« sagte er, sich zu Vidal, dem Minstrel, wendend, der prachtvoll gekleidet unter den andern Hausbeamten stand, um auch seine Ehrerbietung zu zeigen, »Dir werde ich jetzt nichts geben; aber bleibe Du neben meinem Bette, bis ich einschlafe, dann werde ich morgen Deine Kunst belohnen, je nachdem sie mir gefallen hat.« »Mylord,« sagte Vidal, »ich bin schon belohnt durch die Ehre und durch die Livree, die sich mehr für einen königlichen Minstrel als für einen von meinem geringen Rufe schickt. Aber gebt mir einen Gegenstand auf, und ich will mein Bestes tun, nicht aus Gier nach künftigen Gaben, sondern aus Dankbarkeit für genossene Gunst.« »Schönen Dank, guter Gesell,« sagte der Connetable, »Guarine,« sagte er darauf zu seinem Squire, »laß die Wachen antreten, und Du bleibe im Zelt. – Strecke Dich dort auf die Bärenhaut hin und schlafe oder höre auf den Gesang, wie Du willst. Du hältst Dich, das habe ich wohl gehört, für einen Kenner von dem Zeuge da.« In diesen unsichern Zeiten war es etwas Alltägliches, daß ein treuer Diener die Nacht über im Zelte seines Herrn schlief, damit dieser im Notfalle nicht ohne Beistand und Schutz wäre. Demzufolge zog Guarine sein Schwert, behielt es in der Hand, und streckte sich auf den Boden, so daß er beim geringsten Lärm bewaffnet aufspringen konnte. Seine großen schwarzen Augen, in welchen der Schlaf mit dem Wunsche, den Gesang zu hören kämpfte, waren auf Vidal gerichtet, der sie im Widerschein einer silbernen Lampe blitzen sah wie die Augen eines Drachen oder Basilisken. Nach einigen einleitenden Gängen auf der Leier ersuchte der Minstrel den Connetable, ihm den Gegenstand zu nennen, über den er zum Beweise seiner Geschicklichkeit singen solle. »Die Treue der Weiber,« antwortete Hugo de Lacy und legte sein Haupt auf das Kissen. Nach einem kurzen Vorspiel gehorchte der Minstrel, indem er ungefähr folgendes sang: Frauentreue, Frauenpfand! – Schreibe die Züge in den Sand, Präge sie in die Welle hinein, Drücke sie in des Mondes Schein: Und wie schnell der Zug vergeht, Fester, länger er doch steht Und verlischt so schnelle nicht, Als, was dieses Wort ausspricht. – Ich zog Spinnefäden dort, Fester war's als Mädchenwort; Ich wog ab ein Körnchen Sand, Schwerer war's als Herzenspfand, Liebchen, das mir untreu war. Stellt' ich diese Bilder dar: Wiederum schwur sie mir Treue – Und ich glaubte ihr aufs neue. – »Wie das, Herr Schalk?« sagte der Connetable und hob sich auf den Ellenbogen empor, »Von welchem trunkenen Reimschmied hast Du dieses halbwitzige Spottgedicht gelernt?« »Von einem alten, lumpigen, runzligen Freund meiner Bekanntschaft, genannt Erfahrung,« antwortete Vidal. »Ich bitte zum Himmel, er mochte nie Ew. Herrlichkeit oder einen andern würdigen Mann unter seine Zucht nehmen.« »So geh doch, Bursche,« erwiderte der Connetable, »Du bist auch einer von den Weisheitsnarren, ich stehe dafür, der gern für witzig gehalten werden will, weil er seinen Spott mit Dingen treibt, die klügere Männer der größten Achtung für wert halten – die Ehre der Männer und die Treue der Frauen. Nennst Du Dich einen Minstrel und weißt keine Geschichten von weiblicher Treue zu erzählen?« »Ich habe deren recht viele gewußt, edler Herr, aber ich warf sie beiseite, als ich dem Scherz in der fröhlichen Wissenschaft entsagte. Dessenungeachtet, wenn es Ew. Herrlichkeit gefällt, darauf zu hören, kann ich Euch ein sehr beliebtes Lied über diesen Gegenstand singen.« De Lacy willigte durch ein Zeichen ein und legte sich wie zum Schlummer zurück, während Vidal eines von jenen fast zahllosen Abenteuern, das Muster aller treuen Liebenden, die schöne Ysolte betreffend, begann und von der beständigen ununterbrochenen Treue und Liebe sang, die sie in gar vielen schwierigen und gefährlichen Lagen ihrem Geliebten, dem schmucken Sir Tristram, auf Kosten ihres weniger begünstigten Eheherrn, des unglücklichen Königs Marke von Cornwall, bewahrte, dessen Neffe, wie alle Welt weiß, Sir Tristram war. Dies war nun gerade nicht das Lied von Liebe und Treue, das de Lacy sich gewählt hätte; aber ein Gefühl, der Scham ähnlich, verhinderte ihn, es zu unterbrechen, weil er den unangenehmen Empfindungen, die der Inhalt dieses Gesanges erweckt hatte, nicht weiter nachgeben wollte. Bald schlief er ein oder tat wenigstens so, und der Minstrel, der noch eine Zeitlang den monotonen Gesang fortsetzte, begann endlich selbst den Einfluß des Schlafes zu fühlen; seine Worte und die Töne, die er noch beim Saitenspiel anschlug, stockten, brachen ab und schienen nur noch schwer den Fingern und Lippen zu entfallen. Endlich hörten sie ganz auf, der Minstrel schien in tiefen Schlummer versunken zu sein, sein Haupt neigte sich auf die Brust, der eine Arm sank zur Seite, während der andere auf seiner Leier ruhte. Sein Schlaf währte jedoch nicht lange, und als er erwachte, und sich beim Schein der Nachtlampe im Zelte umsah, fühlte er eine schwere Hand, die seine Schulter berührte, um gleichsam seine Aufmerksamkeit zu erregen. Zu gleicher Zeit flüsterte die Stimme des wachsamen Philipp Guarine ihm ins Ohr: »Dein Geschäft für die Nacht ist beendigt – begieb Dich in Dein Quartier, und zwar so still wie möglich.« Ohne etwas zu erwidern, hüllte sich der Minstrel in seinen Mantel und ging, wenn auch nicht ohne Groll, so ohne alle Umstände weggeschickt zu werden. Fünftes Kapitel Der Gegenstand, der unsern Geist zuletzt beschäftigt hat, schwebt uns auch oft noch in der Nacht während des Schlummers vor, wenn die Einbildungskraft, ungeregelt durch die Sinne, ihr eigenes phantastisches Gewebe aus Ideen webt, die zufällig in buntem Wechsel in dem Schläfer erwachen. Es ist daher nicht zu verwundern, daß es de Lacy in seinen wirren Träumen so vorkam, als wäre er mit dem unglücklichen Marke von Cornwall einunddieselbe Person, und daß er aus solchen unangenehmen Bildern mit weniger heiterer Stirn erwachte, als er sich des Abends niedergelegt hatte. Er war still und schien in Gedanken verloren, als sein Squire bei seinem Lever ihn mit der Ehrfurcht bediente, die man jetzt nur den Fürsten zollt, »Guarine,« sagte er endlich, »kennt Ihr den stämmigen Flamländer, der sich so gut bei der Belagerung von Garde Douloureuse betragen haben soll, einen großen, dicken, kräftigen Mann?« »Allerdings, Mylord,« antwortete der Squire, »ich kenne Wilkin Flammock. – Ich sprach ihn noch gestern.« »Wirklich!« erwiderte der Connetable. – »Hier sagst Du? – Hier in der Stadt Gloucester?« »Gewiß, mein edler Herr. Er ist hierhergekommen teils seines Handels wegen, teils, denke ich, seine Tochter Rose zu sehen, die sich im Gefolge der gnädigen Lady Eveline befindet.« »Er ist ein tüchtiger Soldat, nicht wahr?« »Wie die meisten seiner Landsleute, – ein Wall für eine Burg, aber ein Sandhaufen im Felde,« sagte der normännische Knappe. »Treu auch, nicht wahr?« fuhr der Connetable fort. »Treu, wie die meisten Flamländer, solange Ihr ihre Treue bezahlen könnt,« erwiderte Guarine, sich ein wenig über den ungewöhnlichen Anteil wundernd, den sein Gebieter an einen seiner Meinung nach so niedrig stehenden Menschen nahm, aber nach einigen weiteren Fragen gebot der Connetable, sogleich den Flamländer herbeizurufen. Jetzt kamen andere Geschäfte des Morgens an die Reihe (denn seine schnelle Abreise verlangte noch manche schleunige Anordnungen), und als der Connetable noch mehreren Offizieren seiner Truppen Audienz gab, erschien schon die gewaltige Gestalt Wilkin Flammocks am Eingange des Zeltes. Er trug eine Jacke von weißem Zeuge, und seine einzige Waffe war ein Messer an der Seite. »Verlaßt das Zelt, meine Herren,« sagte de Lacy, »aber wartet in der Nähe auf mich; hier kommt jemand, mit dem ich allein zu sprechen habe.« Die Offiziere entfernten sich, und der Connetable war mit dem Flamländer allein. »Ihr seid Wilkin Flammock, der so wacker gegen die Walliser zu Garde Douloureuse focht?« »Ich tat mein Bestes, Mylord!« antwortete Wilkin. – »Ich war durch meinen Kaufbrief dazu verpflichtet, und ich hoffe, stets wie ein Mann von Treue und Glauben zu handeln.« »Mich dünkt,« sagte der Connetable, »daß Ihr mit einem so eisenfesten Körper und, wie ich höre, einem so kühnen Geiste den Blick wohl etwas höher, als auf dieses Euer Weberhandwerk, richten könnt.« »Keiner hat was dawider, seine Lage zu verbessern, Mylord!« sagte Wilkin. »Doch ich bin soweit entfernt, über die meinige zu klagen, daß ich sehr gern zufrieden sein würde, wenn sie auch niemals besser werden sollte, nur freilich müßte man mir auch die Versicherung geben, daß sie nie schlechter werden solle.« »Und dennoch, Flammock,« sagte der Connetable, »habe ich größere Dinge für Euch im Sinn, als Eure Bescheidenheit Euch ahnen läßt. – Ich gedenke Dich in einem Amte hier zu lassen, zu dem ich einen sehr zuverlässigen Mann brauche.« »Wenn es Tuchballen betrifft, Mylord, so soll keiner die Sache besser verrichten,« sagte der Flamländer. »Fort damit, Du denkst zu niedrig von Dir,« sagte der Connetable. – »Was meinst Du, wenn ich Dich zum Ritter schlage, wie Deine Tapferkeit wohl verdient hat, und Dich als Kastellan von Garde Douloureuse zurücklasse?« »Was die Ritterwürde anbetrifft, Mylord, da muß ich um Vergebung bitten, sie würde mir passen wie der Sau ein goldener Helm. Aber die Bewachung eines Schlosses oder einer Hütte, – ich glaube, das würde ich so gut verrichten wie ein anderer.« »Ich fürchte doch, Dein Rang muß etwas erhöht werden,« sagte der Connetable, indem er die unkriegerische Kleidung der Gestalt vor sich betrachtete, »in Deiner jetzigen niedrigen Stellung kannst Du nicht gut zum Beschützer und Hüter einer jungen Lady von Geburt und Rang gemacht werden.« »Ich der Hüter einer jungen Lady von Geburt und Rang!« sagte Flammock, und seine großen hellen Augen wurden bei diesen Worten noch größer und heller und drehten sich rascher als sonst. »Eben Du,« sagte der Connetable. »Lady Eveline will im Schlosse Douloureuse Aufenthalt nehmen. Ich habe es mir überlegt, wem ich die Obhut über sie und die Feste anvertrauen soll. Wollte ich irgend einen berühmten Ritter erwählen, wie ich deren mehrere in meinem Hofstaat habe, so würde er aus Lehnspflichten Taten gegen die Walliser verrichten wollen und sich in Unruhen einlassen, die die Sicherheit des Schlosses gefährden könnten; oder er würde die Feste verlassen, um sich an Ritterfesten, Turnieren, Jagdpartien zu beteiligen; oder er würde vielleicht gar dergleichen lockere Schauspiele vor den Wällen, ja Wohl gar in dem Schloßhofe veranstalten, und in dem einsamen stillen Aufenthalt, welcher sich für Evelinens Lage schickt, die Zügellosigkeit der ausgelassensten Gelage einführen. – Dir kann ich vertrauen – Du wirst fechten, wenn es erforderlich ist, aber nicht die Gefahr um ihrer selbst willen herausfordern. Deine Geburt, Deine Gewohnheiten werden Dich diese Lustbarkeiten vermeiden lassen, die, wie verführerisch sie auch für andere sein mögen, Deinem Geschmack durchaus nicht entsprechen. – Du wirst alles so pünktlich verwalten, wie ich Sorge dafür tragen werde, daß es Dir an nichts fehle. Deine Verwandtschaft mit ihrem Liebling Rose, wird Deine Obhut der Lady Eveline angenehmer machen, als wäre dazu einer ihres Ranges bestimmt. – Und, um mit Dir eine Sprache zu sprechen, die Euer Volksschlag rasch begreift. Dein Lohn, Flamländer, wenn Du dieses wichtige Amt ordentlich verwaltest, soll Deine schmeichelhaftesten Hoffnungen übertreffen.« Der Flamländer hatte den ersten Teil dieser Rede mit einem Ausdruck des Erstaunens angehört, das allmählich einem tiefen, besorgten Nachdenken Platz machte. Er starrte fest auf den Boden hin, und erst als der Connetable wohl eine Minute lang schon geschwiegen, riß er plötzlich die Augen auf und sagte: »Es ist unnütz, mich rundherum nach Entschuldigungen umzusehen. Das kann nicht Euer Ernst sein, Mylord – und wenn auch, so wird doch nichts daraus.« »Wie? und weshalb?« fragte der Connetable mit unwilligem Erstaunen. »Ein anderer mag nach Eurem Anerbieten gierig greifen und sich nicht weiter drum grämen, ob Ihr den gehörigen Gegenwert dafür erhaltet; aber ich bin ein ganz gerader Mann und will nicht Zahlung nehmen für Dienste, die ich nicht leisten kann.« »Aber ich frage noch einmal, warum kannst Du nicht, oder vielmehr warum willst Du nicht dieses Amt übernehmen?« sagte der Connetable. »Wahrlich, wenn ich dir ein solches Vertrauen schenken will, so solltest Du doch an Deinem Teile mir auch entgegenkommen.« »Ganz wahr, Mylord,« sagte der Flamländer, »aber mich dünkt, der edle Lord de Lacy sollte es fühlen, und der kluge Lord de Lacy sollte es vorhersehen, daß ein flamländischer Weber nicht der beste Hüter für eine verlobte Braut ist. – Denkt sie Euch nur einmal in jenem einsiedlerischen Kastell eingesperrt, unter so geringem Schutze, und überlegt wohl, wie lange es in diesem Lande der Liebe und der Abenteuer eine Einsiedelei bleiben würde. Da werden wir Minstrels haben, die zu Dutzenden unter unsern Fenstern Balladen singen und die Harfe klimpern werden, daß unsere Mauern in ihren Grundfesten zittern werden, wie die Geistlichen sagen, daß es zu Jericho geschah. – Da werden wir recht viel irrende Ritter um uns haben, wie zu Karls des Großen oder König Arthus Zeiten. – Gott sei mir gnädig! Eine feine, edle Einsiedlerin, in einen Turm gesperrt und von einem flamländischen Weber bewacht, so wird es heißen, und die halbe Ritterschaft von England wird sich um uns her versammeln, Lanzen zu brechen, Gelübde zu tun, Liebesfarben zur Schau zu tragen und was weiß ich der Narrheiten mehr zu treiben. – Denkt Ihr, daß solche galanten Herren, mit einem Blute, das durch ihre Adern wie Quecksilber fliegt, sich daran kehren würden, wenn ich ihnen geböte, uns zu verlassen?« »Riegel vor! Zugbrücke auf! Fallgitter nieder!« sagte der Connetable mit einem gezwungenen Lächeln. »Und glaubt Ew. Herrlichkeit, daß solche Galane sich um dergleichen Hindernisse kümmern? Das ist ja erst die rechte Würze der Abenteuer, die sie suchen. – Der Ritter des Schwanes wird durch den Graben schwimmen – der des Adlers über die Mauern fliegen – der des Donnerkeils die Tore sprengen.« »Laß Armbrust und Steinschleuder spielen!« sagte de Lacy. »Und laß Dich in aller Form belagern,« sagte der Flamländer, »wie das Kastell von Tintadges auf den alten Tapeten, alles aus Liebe zu einer schönen Dame! – Und dann die lustigen Frauen und Fräulein, die von Schloß zu Schloß auf Abenteuer ausziehen, von Turnier zu Turnier, mit bloßem Busen, wallenden Federn, Dolche an der Seite, Wurfspieße in den Händen, schnatternd wie die Elstern, flatternd wie die Dohlen, und zuweilen girrend wie die Tauben, – wie soll ich diese von Lady Evelinen fernhalten?« »Indem Du die Tore gut verschlossen hältst, sage ich Dir,« antwortete der Connetable, noch immer in dem Tone einer erzwungenen Scherzhaftigkeit, »dagegen dient schon ein hölzerner Riegel.« »So? aber wenn der flamländische Weber sagt: Zu! und die normannische Edle sagt: Auf! bedenkt einmal, wer sich da am sichersten Gehorsam verschaffen wird. Mit einem Wort, Mylord, – was eine solche Hüterschaft und dergleichen anbetrifft, da sage ich: Hände weg! Ich wollte es nicht unternehmen, der keuschen Susanne Hüter zu sein, lebte sie auch in einem bezauberten Schlosse, dem sich kein lebendes Wesen nähern könnte.« »Du sprichst und denkst wie ein gemeiner Wüstling, der über weibliche Beständigkeit lacht, weil er nur mit den Unwürdigsten des Geschlechts gelebt hat,« sagte der Connetable. »Aber Du solltest doch das Gegenteil kennen, da Du, wie ich weiß, eine so tugendhafte Tochter hast.« »Deren Mutter es nicht weniger war,« unterbrach Wilkin den Connetable etwas aufgeregter als sonst. »Aber das Gesetz, Mylord, verlieh mir die gebührende Gewalt, mein Weib zu beherrschen und zu behüten, wie auch Natur und Gesetz mir Macht und Pflicht gegen meine Tochter gaben. Was ich beherrschen kann, dafür kann ich verantwortlich sein; aber ob ich ebensogut meine Pflicht erfüllen kann, wo ich bloß ein Stellvertreter sein soll, das ist eine andere Frage. – Bleibt zu Hause, mein guter Lord,« fuhr der ehrliche Flamländer fort, da er merkte, daß seine Worte einigen Eindruck auf de Lacy machten, »laßt eines Narren Rat einmal dazu dienen, eines weisen Mannes Vorsatz zu ändern, den er, ich sage es dreist, nicht in einer weisen Stunde faßte. Bleibt in Eurem eigenen Lande – regiert Eure eigenen Vasallen – und schützt Eure Braut, Ihr allein könnt von ihr herzliche Liebe und bereitwilligen Gehorsam fordern; und ich bin gewiß, ohne daß ich mir anmaße, zu erraten, was sie, von Euch getrennt, tun wird, unter Euren eigenen Augen wird sie die Pflichten einer treuen, liebenden Gattin erfüllen.« »Und das heilige Grab?« fragte seufzend der Connetable, dessen Herz die Weisheit des Rates anerkennen mußte, den zu befolgen die Umstände ihm nicht gestatteten. »Laßt die, die das heilige Grab verloren, es wiederzugewinnen suchen, Mylord,« erwiderte Flammock. »Wenn jene Lateiner und Griechen, wie sie sie nennen, nicht bessere Leute sind, als ich gehört habe, so hat es nicht viel zu sagen, ob sie oder die Heiden das Land besitzen, das Europa schon soviel Blut und Schätze gekostet hat.« »Bei meiner Treu,« sagte der Connetable, »was Du sagst, hat Sinn. Doch warne ich Dich, es zu wiederholen, oder sie halten Dich für einen Ketzer oder Juden. Was mich anbetrifft, Wort und Schwur sind ohne Widerruf verpfändet; ich habe nur noch zu überlegen, wen ich am besten zu der wichtigen Stelle ernennen soll, die Du als vorsichtiger Mann, nicht ohne einen Schatten von Recht, ausschlägst.« »Es gibt keinen, dem Ew. Herrlichkeit so natürlich und so geziemend diese Stelle übertragen können,« sagte Flammock, »als dem nahen Verwandten, der so ganz Euer Vertrauen besitzt. Aber viel besser wäre es, Ihr brauchtet in dieser Sache überhaupt niemand.« »Wenn Ihr,« sagte der Connetable, »unter meinem nächsten Verwandten Randal de Lacy versteht, so mache ich mir nichts daraus, es Euch zu sagen, daß ich ihn für gänzlich unwürdig halte, ein ehrenvolles Vertrauen zu verdienen,« »Nein, ich meinte einen andern,« sagte Flammock, »der Euch noch näher steht durch die Bande des Bluts und, wenn ich mich nicht sehr irre, noch viel näher durch Zuneigung – Ich hatte Euren Neffen, Damian de Lacy im Sinne.« Der Connetable schrak zusammen, als hätte ihn eine Wespe gestochen; aber er antwortete zugleich mit gezwungener Fassung: »Damian sollte an meiner Stelle nach Palästina gehen – es scheint nun so, als müsse ich an der seinigen gehen. Denn seit dieser letzten Krankheit haben die Aerzte gänzlich ihre Meinung geändert und halten ein warmes Klima jetzt für so gefährlich, als sie es vorher für zuträglich hielten. Aber unsere gelehrten Aerzte müssen, wie unsere gelehrten Priester, immer recht haben, mögen auch ihre Meinungen sich ändern, wie sie wollen; wir armen Laien haben aber immer nur unrecht. Ich kann, das ist wahr, auf Damian mich mit der größten Zuversicht verlassen; aber er ist jung, Flammock – sehr jung – und gerade darin gleicht er nur allzusehr ihr, die ich sonst wohl seiner Fürsorge anvertrauen möchte.« »Dann noch einmal, Mylord! bleibt zu Hause, und seid selbst der Beschützer dessen, was Euch naturgemäß so sehr teuer ist.« – »Noch einmal wiederhole ich, ich kann nicht,« antwortete der Connetable. »Der Schritt, zu dem ich mich verpflichtet habe, mag vielleicht ein großer Irrtum sein – ich weiß nur, daß er unwiderruflich ist.« »So vertraut denn Eurem Neffen, Mylord, – er ist redlich, und treu, und es ist immer noch ein besserer Verlaß auf junge Löwen als auf alte Wölfe. Er kann vielleicht irren, aber nicht aus vorbedachter Verräterei.« »Du hast recht, Flammock,« sagte der Connetable, »vielleicht hätte ich Dich eher um Rat fragen sollen, derb wie er ist. Aber laß das, was zwischen uns vorgefallen, ein Geheimnis unter uns sein und besinne Dich auf etwas, womit ich Dir eine Gunst erweisen kann.« »Die Rechnung können wir bald aufsetzen, Mylord,« erwiderte Flammock, »denn ich hatte die Absicht, Ew. Herrlichkeit Fürsprache mir zu erbitten, um in jenem wilden Winkel, wohin wir Flamländer uns gezogen haben, eine gewisse Ausdehnung unserer Privilegien zu erhalten.« »Die soll Dir werden, wenn Du nichts Uebertriebenes forderst,« sagte der Connetable. Und der ehrliche Flamländer, unter dessen guten Eigenschaften ein ängstliches Zartgefühl nicht die erste war, beeilte sich bis auf das kleinste, alle Punkte seines Gesuchs auseinanderzusetzen, das schon früher vergebens vorgelegt worden war und nun durch diese Unterredung Erfüllung fand. Begierig, den einmal gefaßten Beschluß auszuführen, eilte der Connetable nun zur Wohnung Damians und verkündete seinem Neffen, zu dessen nicht geringem Erstaunen seinen veränderten Vorsatz. Er führte seine eigene beschleunigte Reise, Damians letzte und noch dauernde Krankheit, vereint mit dem für Eveline nötigen Schutz, als die Gründe an, weswegen sein Neffe notwendig zurückbleiben müsse, um während seiner Abwesenheit sein Stellvertreter zu sein, die Rechte des Hauses de Lacy und die Ehre der Familie zu beschützen – vor allem aber der Hüter der jungen, schönen Braut zu sein, die sein Oheim und Schutzherr eine Zeitlang zu verlassen gezwungen sei. Als ihm sein Oheim diese Veränderung seines Vorsatzes ankündigte, hütete Damian noch das Bett. Vielleicht war ihm dies nur angenehm, weil er in dieser Stellung leichter vor den Augen seines Oheims die mannigfaltigen Bewegungen verbergen konnte, die er nicht zu unterdrücken vermochte. Der Connetable dagegen, mit der Hast eines Mannes, der nur das eilig zu enden wünscht, was er über einen unangenehmen Gegenstand zu sagen hat, erörterte in großer Hast die Vorkehrungen, welche er schon getroffen hatte, damit sein Neffe die Mittel in Händen hätte, mit gehörigem Nachdruck sein wichtiges Geschäft auszuführen. Der Jüngling horchte wie auf eine Stimme im Traume, die zu unterbrechen ihm die Kraft fehlte, obgleich in ihm etwas war, das ihm zuflüsterte, daß Klugheit und Rechtlichkeit es erheischten, gegen den veränderten Entschluß seines Oheims Einwendungen zu machen. Sobald der Connetable schwieg, versuchte er deshalb auch wirklich etwas vorzubringen; aber er redete zu schwach, um einen zwar schnell, aber fest gefaßten Entschluß erschüttern zu können, zumal er einen Mann vor sich hatte, der nicht gewöhnt war, zu sprechen, ehe sein Vorsatz feststand, oder ihn zu ändern, wenn er ausgesprochen war. Auch wurden die Gegenvorstellungen Damians – wenn sie so genannt werden konnten – in so widersprechenden Ausdrücken vorgebracht, daß sie kaum verständlich waren. In dem einen Augenblick äußerte er seinen Schmerz, sich die Lorbeeren entrissen zu sehen, die er in Palästina zu sammeln gehofft hatte, und beschwor seinen Oheim, seinen Vorsatz nicht zu ändern, sondern ihm zu gestatten, seinen Fahnen dahin zu folgen; in der nächsten Wendung der Rede, erklärte er seine Bereitwilligkeit, Lady Eveline bis auf den letzten Tropfen Blutes zu verteidigen. De Lacy sah nichts Unzusammenhängendes in diesen Gefühlen, ob sie gleich für den Augenblick einander widersprachen. Es war natürlich, dachte er, daß ein junger Ritter ein Verlangen trug, Ehre zu gewinnen – aber auch natürlich, daß er gern ein so ehrenvolles und wichtiges Amt übernehmen wollte, mit welchem er ihn bekleiden wollte; und daher dachte er, es wäre nicht sehr zu verwundern, daß bei der willigen Uebernahme der neuen Pflicht der junge Mann zugleich einen Schmerz darüber fühle, die Aussicht auf ehrenvolle Abenteuer zu verlieren. Er lächelte daher nur zu den abgebrochenen Einwendungen seines Neffen, und seine Anordnungen noch einmal bekräftigend, verließ er den jungen Mann, damit er mit Muße über den Wechsel seiner Bestimmung nachdenken könnte. Er selbst begab sich zum zweitenmale in die Benediktinerabtei, um den gefaßten Entschluß der Aebtissin und seiner erwählten Braut mitzuteilen. Der Mißmut der ersteren Dame wurde durch diese Mitteilung nicht verringert, an der sie überhaupt sehr wenig Anteil zu nehmen schien. Sie betonte fortwährend ihre religiösen Pflichten und ihre geringe Kenntnis in weltlichen Angelegenheiten; im übrigen, meinte sie, wären bisher wohl immer noch die Beschützer der jungen Schönen ihres Geschlechts aus den Kreisen der reiferen Männer gewählt worden. »Eure eigene Unfreundlichkeit, Lady,« antwortete der Connetable, »hat mir keine bessere Wahl gelassen. Da Lady Evelinens nächste Freunde ihr den Aufenthalt unter ihrem Dache versagen, weil sie mich eines Anrechts auf ihren Besitz würdigt, so würde es von meiner Seite noch mehr als undankbar sein, wenn ich Ihr nicht den Schutz meines nächsten männlichen Erben zusicherte. Damian ist jung, aber er ist zuverlässig und achtungswert, und die ganze Ritterschaft Englands bietet mir keine bessere Wahl dar.« Eveline schien mit Staunen, ja fast mit Schrecken den so plötzlich ausgesprochenen Entschluß ihres Bräutigams zu vernehmen, und es traf sich vielleicht recht glücklich, daß die Bemerkung der Aebtissin eine Antwort des Connetables notwendig machte und ihn abhielt, zu bemerken, wie ihre Farbe mehr wie einmal von der Blässe zum höchsten Rot abwechselte. Rose, die von der Zusammenkunft nicht ausgeschlossen war, zog sich dicht zu ihrer Gebieterin, und indem sie sich stellte, als lege sie ihr den Schleier zurecht, drückte sie insgeheim recht innig ihre Hand und flößte ihr dadurch Mut ein, sich zu einer Antwort zu sammeln. Diese wurde kurz und mit einer Festigkeit ausgesprochen, die bewies, daß die Ungewißheit des Augenblicks verschwunden oder unterdrückt worden war. Im Falle einer Gefahr, sagte sie, würde sie nicht verfehlen, Damian de Lacy aufzufordern, zu ihrem Beistand zu eilen, wie er es schon früher getan; aber sie fürchte jetzt in ihrem eigenen sichern Schlosse von Garde Douloureuse keine Gefahr und wäre entschlossen, dort allein mit ihrem eigenen Haushalt zu verweilen. Sie wäre überdies entschlossen, fuhr sie fort, ihrer ganz eigentümlichen Lage wegen, dort in der strengsten Abgeschiedenheit zu leben, die, wie sie erwarte, auch selbst von dem edlen jungen Ritter, den sie zum Beschützer erhalten, nicht gestört werden würde; es sei denn, daß irgend eine Besorgnis ihrer Sicherheit wegen seinen Besuch unbedingt notwendig mache. Die Aebtissin stimmte, wiewohl sehr kalt, diesem Vorschlag, bei, den ihre Begriffe von Anstand billigten; und somit wurden denn schnelle Vorbereitungen zu Lady Evelinens Rückkehr in die Burg ihres Vaters getroffen. Zwei Zusammenkünfte, welche, noch ehe sie das Kloster verließ, stattfanden, waren ihrer Natur nach höchst peinlich. In der ersten wurde ihr Damian feierlich von seinem Oheim vorgestellt als der Bevollmächtigte, dem er die Aufsicht über sein Eigentum und, was ihm noch teurer sei, wie er versicherte, die Obhut über ihre Person anvertraut hatte. Kaum gestattete sich Eveline einen einzigen Blick; aber auch dieser einzige Blick erkannte schon all die Verwüstungen, welche Krankheit, mit Gram vereint, an der männlichen Gestalt und auf dem schönen Antlitz des Jünglings vor ihr angerichtet hatte. Sie empfing ihn ebenso verlegen, wie er sie verlegen begrüßte, und erwiderte, als er ihr stotternd seine Dienste angeboten, sie hoffe, während der Abwesenheit seines Oheims nur für seinen guten Willen ihm Dank schuldig zu werden. Ihr Abschied vom Connetable war die höchste Prüfung, der sie sich unterziehen mußte. Sie schieden nicht ohne Rührung, obwohl sie ihre bescheidene Fassung und de Lacy seinen ruhigen Ernst behauptete. Doch schwankte seine Stimme, als er zu äußern begann: Es sei ungerecht, daß sie auf immer durch eine Verpflichtung gebunden sein solle, welcher sie mit so ungemeiner Güte sich unterzogen habe. Drei Jahre wären die abgemachte Zeit, da der Erzbischof Balduin eingewilligt hätte, bis auf diese Dauer die Zeit seiner Abwesenheit abzukürzen. »Erscheine ich nicht, wenn diese Jahre verstrichen sind,« sagte er, »so mag Lady Eveline schließen, daß de Lacy das Grab umfängt, und sich einen glücklicheren Mann zu ihrem Gefährten aussuchen. Einen dankbareren wird sie nirgends finden, obgleich viele ihrer würdiger sein mögen als er.« Hiermit trennten sie sich. – Der Connetable schiffte sich sehr bald darauf ein, durchschnitt das schmale Meer bis zu den Küsten von Flandern, wo er seine Macht mit dem Grafen dieser reichen und kriegerischen Landschaft vereinigte, um dann mit ihm zusammen auf dem besten Wege, dem gemeinsamen Ziel zuzusteuern. Das breite Panier mit dem Wappen der de Lacys wallte auf dem Vorderteil des Schiffes, das ein günstiger Wind vorwärts trieb, und wenn man den Ruhm des Anführers und die Trefflichkeit seiner Krieger betrachtete, so war wohl noch nie eine tapfrere Schar zu einem Rachezuge wider die Sarazenen gen Palästina gesegelt. Nach einem kalten Abschiede von der Aebtissin trat nun auch Eveline die Rückreise nach dem väterlichen Schlosse an, wo ihr Haushalt so eingerichtet werden sollte, wie es der Connetable angegeben und sie gebilligt hatte. Dieselben Maßregeln, wie auf ihrer Reise nach Gloucester, waren auch jetzt zu ihrer Bequemlichkeit an jedem Platz, wo man Halt machte, getroffen worden, und eben wie damals, war der Mann unsichtbar, der das alles für sie befolgte, obwohl es ihr nicht schwer sein konnte, seinen Namen zu erraten. Für alle Bedürfnisse und Bequemlichkeiten, wie im größten Maße für ihre Sicherheit, war allenthalben auf dem ganzen Wege gesorgt; aber es waltete dabei nicht mehr die zarte, geschmackvolle Galanterie ob, welche verriet, daß diese Aufmerksamkeiten einer jungen schönen Dame galten. Nicht mehr wurde die reinste Quelle, der schattigste Hain zum Platz ihres Mittagsmahles erwählt; sondern das Haus irgend eines Landwirts oder ein kleines Kloster gewährte die erforderliche Gastfreundschaft. Alles war mit der strengsten Rücksicht auf Rang und Stand geordnet, – es schien, als ob eine Nonne irgend eines strengen Ordens, nicht ein junges Mädchen von hoher Geburt und großem Reichtum durch das Land reiste, und obwohl Eveline an dem Zartgefühl Wohlgefallen fand, mit dem auf ihre schutzlose, ganz eigentümliche Lage Rücksicht genommen wurde, so kam es ihr doch bisweilen unnötig vor, daß sie durch so manche indiskreten Andeutungen an das Sonderbare ihrer Lage erinnert wurde. Auch schien es ihr sonderbar, daß Damian, dessen Obhut sie so feierlich übergeben wurde, auch nicht einmal auf dem Wege ihr seine Aufwartung machte. Zwar flüsterte eine Stimme ihr zu, es sei ungeziemend, wohl gar gefährlich, öfters mit ihm zusammen zu sein; jedenfalls aber hätte es ihm die Pflicht als Ritter und Edelmann gebieten sollen, sich hin und wieder vor der unter seinen Schutz gestellten Jungfrau sehen zu lassen, wäre es auch nur geschehen, um sie zu befragen, ob sie mit den getroffenen Einrichtungen zufrieden sei oder ob sie einen besonderen Wunsch hätte, der noch zu erfüllen wäre. Allein der Verkehr zwischen beiden blieb darauf beschränkt, daß Amelot, Damian de Lacys junger Page, des Morgens und Abends erschien, Evelinens Befehle betreffs der ferneren Reise und der ihr gefälligen Ruhestunden zu vernehmen. Bei dieser Förmlichkeit wurde die Einsamkeit, in der sich Evelinens Rückreise vollzog, noch unausstehlicher, und hätte sie nicht Roses Gesellschaft gehabt, so wäre sie sich fast wie eine Gefangene vorgekommen. Sie wagte selbst gegen ihre Begleiterin einige Bemerkungen über das sonderbare Benehmen de Lacys, der doch das Recht habe, sich ihr zu nähern, und sich doch davor so sehr zu fürchten schien, als ob sie ein Basilisk wäre. Rose ließ die erste Bemerkung dieser Art vorübergehen, als ob sie sie nicht gehört hätte; aber als ihre Gebieterin eine zweite Bemerkung der gleichen Art machte, antwortete sie mit der gewohnten Offenheit und Freimütigkeit ihres Charakters, doch vielleicht mit weniger Klugheit wie sonst: »Damian de Lacy urteilt sehr richtig, edle Lady. Wem ein königlicher Schatz zur sichern Bewahrung anvertraut ist, der darf sich's nicht erlauben, zu oft die Blicke daran zu werfen.« Eveline errötete, wickelte sich fester in ihren Schleier und nannte während der ganzen Reise den Namen Damian de Lacys nicht wieder. Als am Abend des zweiten Tages die grauen Türme von Garde Douloureuse ihr Auge begrüßten und sie wiederum ihres Vaters Banner vom höchsten Wachturm zu Ehren ihrer Ankunft wehen sah, mischte sich tiefer Schmerz in ihre Empfindungen; doch blickte sie im ganzen auf die altertümliche Heimat als auf einen Zufluchtsort hin, wo sie über ihre neue Lage als Braut in der alten Umgebung nachdenken konnte, die ihr schon als Kind und Tochter lieb und wert gewesen war. Sie trieb ihren Zelter vorwärts, das altertümliche Portal so schnell wie möglich zu erreichen, und verneigte sich flüchtig gegen die wohlbekannten Gesichter, die sich auf allen Seiten zeigten; aber mit keinem sprach sie, bis sie vor der Kapelle vom Pferde gestiegen und zu dem Heiligtum geeilt war, worin das wundertätige Bild sich befand. Hingesunken auf den Boden, erflehte sie sich hier der heiligen Jungfrau Führung und Beschirmung in den verwickelten Verhältnissen, in die sie sich selbst gebracht hatte, um das Gelübde zu erfüllen, das einst sie in der Angst ihres Herzens vor dem heiligen Schrein tat. Sechstes Kapitel Der Haushalt Evelinens war zwar ihrem jetzigen und zukünftigen Range entsprechend eingerichtet, hatte aber doch auch etwas Einsiedlerisches, denn das Schloß sollte nicht nur ihre Residenz, sondern auch der unberührte Zufluchtsort sein, den ihre Lage erheischte, weil sie nicht mehr zu der Klasse der Mädchen gezählt werden konnte, deren Hand noch frei war, und doch auch nicht zu den Frauen gehörte, die unter dem unmittelbaren Schutze des ehelichen Namens stehen. Ihre nächsten weiblichen Dienerinnen, mit welchen der Leser bereits bekannt ist, bildeten fast ihre ganze Gesellschaft. Die Garnison des Schlosses, außer dem Hausgesinde, bestand aus Veteranen geprüfter Treue, den Gefährten Berengers und de Lacy, auf manchem blutigen Gefilde, denen die Pflicht der Wachsamkeit zur zweiten Natur geworden war, die dabei aber doch, durch Alter und Manneszucht gemäßigt, sich nicht leicht zu einem unbesonnenen Abenteuer oder einem vom Zaun gebrochenen Streit hinreißen ließen. Diese Leute hielten beständig und sorgsam Wache, befehligt durch den Haushofmeister, der obendrein unter der Aufsicht des Pater Aldrovand stand, da dieser neben seinen geistlichen Verrichtungen gern zuweilen noch sich an seinen alten kriegerischen Beruf erinnerte. Während diese Garnison gegen jeden plötzlichen Angriff von seiten der Walliser Sicherheit gewährte, lag eine starke Mannschaft fünf englische Meilen von Garde Douloureuse in Bereitschaft, beim geringsten Lärm vorzurücken, um den Platz gegen jeden Ueberfall der Feinde zu decken, falls diese, ungeschreckt durch Gwenwyns Schicksal, die Dreistigkeit haben sollten, eine förmliche Belagerung zu beginnen. Zu diesen Truppen, die unter Damians Oberbefehl beständig schlagfertig gehalten wurden, konnte im Notfall die ganze militärische Macht der Grenzen stoßen, die zahlreiche Menge der Flamländer und andere Ansiedler, denen unter der Bedingung, im Kriegsfalle Dienste zu tun, Grund und Boden überlassen worden war. Während die Festung so vor feindlicher Gewalt sicher war, floß das Leben ihrer Bewohner so gleichförmig und einfach dahin, daß man es einem Mädchen von Jugend und Schönheit nicht verübeln konnte, wenn es selbst auf einige Gefahr hin etwas Veränderung wünschte. In die Arbeiten der Nadel brachte höchstens ein Spaziergang entweder um die Wälle, wo Eveline, Arm in Arm mit Rose, von jeder Schildwache einen militärischen Gruß erhielt, oder im Schloßhofe, wo die Hüte und Mützen der Diener ihr dieselben Ehren erwiesen, etwas Abwechslung. Wünschte sie sich noch weiter ins Freie außerhalb des Tores zu begeben, so war es nicht damit abgetan, Tore zu öffnen und Brücken hinabzulassen; es mußte sogleich eine Bedeckung unter Waffen treten, die zu Fuß ober zu Pferde, wie es nötig war, für die Sicherheit Evelinens zu sorgen hatte. Ohne diese Bedeckung konnte sie nicht einmal zu den Mühlen gehen, wo der ehrliche Wilkin Flammock, seine kriegerischen Taten vergessend, sich mit den Arbeiten seines Gewerbes beschäftigte. Beabsichtigte man gar noch Ergötzungen in weiterer Entfernung, wollte die Lady von Garde Douloureuse der Jagd oder Falkenbeize einige Stunden widmen, so wurde ihre Sicherheit nicht einer so schwachen Bedeckung anvertraut, wie die Burg sie stellen konnte. Da war es nötig, daß Raoul am Abend vorher durch einen besonderen Boten Damian ihren Vorsatz bekannt machte, damit er Zeit hatte, vor Tagesanbruch die Gegend, in der sie sich dieses Vergnügen machen wollte, durch einige Leute der leichten Reiterei absuchen zu lassen; und so lange sie draußen blieb, wurden an allen verdächtigen Punkten Posten aufgestellt. Zwar versuchte sie in der Tat einmal oder zweimal, einen Ausflug zu wagen, ohne dies erst bekannt zu geben; aber alle ihre Pläne schien Damian eben so schnell, wie sie entstanden, zu erfahren, und kaum war sie draußen, so sah man Abteilungen von Bogenschützen und Reitern aus seinem Lager die Täler durchziehen und die Bergpässe besetzen, und Damians eigener Federbusch ragte gewöhnlich unter den entfernten Soldaten hervor. Die Förmlichkeit all dieser Maßregeln vergällte Evelinen so sehr das Jagdvergnügen, daß sie selten zu einem Zeitvertreib ihre Zuflucht nahm, die mit so großen Umständen verbunden war und so viele Menschen in Bewegung setzte. Wenn der Tag, so gut es gehen wollte, hingebracht war, pflegte Pater Aldrovand des Abends aus irgend einer heiligen Legende oder aus den Homilien eines verewigten Heiligen solche Stellen vorzulesen, wie er sie für diese seine kleine Gemeinde geeignet fand. Zuweilen las er auch und erklärte ein Kapitel aus der heiligen Schrift; aber dann war des guten Mannes Aufmerksamkeit so sonderbar auf den kriegerischen Teil der jüdischen Geschichte gerichtet, daß er nicht imstande war, sich von dem Buche der Richter oder der Könige und von den Siegen des Judas Maccabäus zu trennen, wiewohl seine Weise, die Siege der Kinder Israels zu schildern, ihm selbst mehr Vergnügen machte, als sie seine Zuhörerin erbaute. Zuweilen, doch selten, erhielt Rose Erlaubnis, einen wandernden Minstrel einzuführen, um mit seinem Sang von Liebe und Rittertaten eine Stunde auszufüllen; zuweilen vergalt ein Pilger, der von einem fernen Gnadenbilde kam, die in Garde Douloureuse genossene Gastfreundschaft mit langen Erzählungen von den Wundern, die er in andern Ländern gesehen hatte; zuweilen geschah es auch, daß auf Verwendung der Kammerfrau, die darin ihren Vorteil fand, reisende Kaufleute und Hausierer Zutritt erhielten, welche mit Gefahr ihres Lebens von Schloß zu Schloß ihre Stoffe zu reichen Kleidern oder andern weltlichen Schmuck herumtrugen. Die Ankunft von Bettlern, Taschenspielern und Gauklern darf bei dieser Aufzählung von Vergnügungen nicht vergessen werden, und selbst der Walliser Barde mit seiner großen, mit Pferdehaar bezogenen Harfe wurde zuweilen zugelassen, um die Gleichförmigkeit ihres einsamen Lebens zu unterbrechen, nur daß man wegen seiner Herkunft aus Feindesland ein scharfes Auge auf ihn hatte. Aber außer diesen Unterhaltungen und den regelmäßigen Andachten in der Kapelle, hätte das Leben unmöglich in langweiligerer Einförmigkeit dahinfließen können als auf der Burg Garde Douloureuse. Seit dem Tode des tapfern Besitzers, bei dem ein Festgelage mit zahlreichen Gästen ebenso zur Natur gehörte wie das Streben nach Ehre und Rittertaten, hätte man sagen mögen, die Finsternis eines Klosters umhülle den alten Wohnsitz von Raymond Berenger, wenn nicht die Gegenwart so vieler Wachen in Waffen, die auf den Zinnen auf und niedergingen, ihm vielmehr das Ansehen eines Staatsgefängnisses erteilt hätte. Auch nahm die Stimmung der Einwohner nach und nach den Charakter ihrer Wohnung selbst an. Besonders fühlte sich Eveline so niedergedrückt, daß ihr sonst so lebendiges Gemüt sich kaum aufrecht erhalten konnte. Je mehr sie sich ins Grübeln einließ, desto mehr verfiel sie in still beschauliche Stimmung, die so oft mit feurigem, schwärmerischem Wesen verbunden ist. Sie dachte tief über die früheren Vorfälle ihres Lebens nach, und da kann es nicht wundernehmen, daß ihre Gedanken immer auf zwei Zeitabschnitte zurückkamen, in denen sie eine übernatürliche Erscheinung erfahren hatte oder erfahren zu haben glaubte. Dann kam es ihr oft vor, als ob eine gute und eine böse Macht um die Herrschaft über ihr Geschick kämpften. Einsamkeit begünstigt das Gefühl eigner Wichtigkeit, und nur wenn sie allein und einzig mit dem Gedanken an ihr Ich beschäftigt sind, haben Fanatiker Träume, und vermeinte Heilige verlieren sich in Schwärmereien ihrer Einbildungskraft. Bei Evelinen gelangte nun zwar die Schwärmerei nicht zu solcher Höhe, doch kam es ihr in ihren nächtlichen Träumen so vor, als sähe sie bisweilen die Gestalt von Unserer Frau von Garde Douloureuse, die Blicke des Mitleids, des Trostes und des Schutzes auf sie richtete, bisweilen die Gestalt aus dem sächsischen Schlosse Baldringham, wie sie die blutige Hand als Zeugin des Unrechts, das ihr zugefügt worden, aufrecht hielt und dem Abkömmling des Mörders Rache drohte. Wenn sie aus solchen Träumen erwachte, dann kam sie auf den Gedanken, daß sie der letzte Zweig ihres Hauses sei, eines Hauses, das seit langen Jahren ganz besonders unter dem Schirm und Schutz des Wunderbildes, aber auch unter dem Einfluß und der Feindschaft der rachesüchtigen Vanda stand. Ihr kam es vor, als wäre sie der Preis, um dessen Besitz die milde Heilige und der rächende böse Geist jetzt ihr letztes und gewagtestes Spiel spielten. Voll von diesen Betrachtungen und wenig darin von äußern Zerstreuungen gestört, ward sie tiefsinnig, zerstreut, verlor sich in Betrachtungen, die ihr Augenmerk ganz von der nächsten Umgebung abwandten, und wandelte in der wirklichen Welt, als befände sie sich noch im Traum. Wenn sie an ihre Verpflichtung gegen den Connetable von Chester dachte, so geschah es mit Ergebung, aber ohne einen Wunsch, ja ohne, daß sie erwartet hätte, jemals in die Lage zu kommen, diese Verpflichtungen einhalten zu müssen. Sie hatte ihr Gelübde erfüllt, indem sie mit ihrem Befreier den Treuschwur wechselte, und wenn sie selbst sich entschlossen wähnte, ihr Wort zu lösen, und sich's nicht gestehen mochte, mit welchem Widerwillen sie daran dachte, es zu tun, – so hegte sie im Innersten doch, wenn sie sich dessen auch kaum bewußt war, die Hoffnung, Unsre Frau von Garde Douloureuse werde kein strenger Gläubiger sein, sondern, zufrieden mit dem guten Willen, nicht auf der Forderung in ihrer vollen Strenge bestehen. Nur die schwärzeste Undankbarkeit hätte wünschen können, daß ihrem tapferen Befreier, für den zu beten sie so viele Ursache hatte, einer von den Unglücksfällen zustoßen möchte, die im heiligen Lande schon so oft den Lorbeer in die Cypresse verwandelten; aber es hatte sich ja wohl manchmal schon ereignet, daß Menschen, die lange außerhalb des Landes waren, bewogen wurden, die Vorsätze zu ändern, mit denen sie die Heimat verlassen hatten. Ein wandernder Minstrel, der Garde Douloureuse besuchte, hatte zur Ergötzlichkeit der Lady und ihrer Umgebung, die berühmte Geschichte vom Grafen von Gleichen vorgetragen, der, schon verehelicht in seinem Vaterlande, im Morgenlande eine sarazenische Prinzessin, die die Mittel gefunden hatte, ihm seine Freiheit zu verschaffen, aus Dankbarkeit heiratete. Der Papst und sein Konsistorium bewilligten in diesem außerordentlichen Falle die Doppelehe, und der gute Graf von Gleichen teilte sein Bett zwischen zwei Frauen zu gleichem Rechte und schläft jetzt zwischen beiden unter demselben Monument. Die Bemerkungen der Schloßbewohner über diese Sage waren verschieden und widersprechend. Pater Aldrovand hielt diese Geschichte für durchaus unwahr und die Behauptung, der Papst würden dergleichen Gesetzwidrigkeiten gutheißen, für eine Lästerung des kirchlichen Oberhauptes. Die alte Marjory, mit dem zärtlichen Herzen einer alten Amme, weinte aus Mitleid bitterlich während der Erzählung, und es war ihr recht lieb, daß bei einer solchen Verwicklung von Liebesunfällen, aus denen kein Ausweg zu sein schien, eine so schöne Lösung gefunden worden war. Frau Gillian nannte es unbillig, daß, da einer Frau nur ein Ehemann erlaubt sei, einem Manne, unter welchen Umständen es auch sei, gestattet sein sollte, zwei Frauen zu haben; aber Raoul, ihr einen Blick wie Essig zuwerfend, nannte den Menschen albern, der nicht an einer Frau vollauf genug hätte. »Schweigt all ihr übrigen,« sagte Lady Eveline, »und sagt Ihr, meine treue Rose, Euer Urteil über den Grafen von Gleichen und seine beiden Frauen.« Rose errötete und erwiderte, sie wäre nicht gewöhnt, über solche Dinge nachzudenken, aber nach ihrer Ansicht hätte die Frau, welche sich nachher mit der halben Liebe ihres Mannes begnügen könnte, nie verdient, auch nur den kleinsten Teil derselben besessen zu haben. »Du hast im allgemeinen recht, Rose,« sagte Eveline. »Mir scheint es, die europäische Frau würde, als sie sich von der jungen, schönen Prinzessin überstrahlt sah, am besten ihrer Würde genügt haben, wenn sie ihrer Rechte entsagt hätte. Der heilige Vater würde gewiß, wie dies mehrfach schon stattgefunden hatte, ihre Ehe aufgelöst haben.« Sie sagte dies mit einer Art von gleichgiltigem, ja vergnügtem Wesen, woraus ihre treue Dienerin sah, daß es ihr selbst wenig Mühe gekostet, ein solches Opfer zu bringen. Doch lag darin auch eine Andeutung, daß es mit ihrer Liebe zum Connetable nicht sehr weit her sei. Es gab eben doch einen andern Mann, zu dem ihre Gedanken, wenn auch unwillkürlich, so doch öfter, als es klüglicherweise hätte geschehen sollen, zurückkehrten. Die Erinnerung an Damian de Lacy war schon zuvor nicht in Evelinens Seele erloschen. Nun wurde sie gar täglich an ihn erinnert, weil sie so oft seinen Namen nennen hörte und wußte, daß er fortwährend in ihrer Nähe sei und seine ganze Aufmerksamkeit auf ihre Bequemlichkeit, ihren Vorteil, ihre Sicherheit richtete. Doch er selbst ließ sich nie vor ihr sehen und befragte sie nie persönlich nach ihrem Willen, mochte es sich auch um die wichtigste Angelegenheit handeln. Eveline hätte gern den Zwang fallen lassen, der ihren Verkehr mit Damian beschränkte; Rosens Äußerung hatte auch sie auf den Gedanken gebracht, daß dieser Zwang zu einem herabwürdigenden Argwohn führen müßte. Warum sollte sie an ihrem Beschirmer nur durch die Dienste, die er ihr leistete, durch die Sorge, die er für ihre Sicherheit trug, durch den Mund anderer, die von seiner ritterlichen Gesinnung sprachen, erinnert werden, ohne daß sie sich jemals sahen, ganz als ob eins von ihnen mit der Pest oder sonst irgend einem ansteckenden Uebel befallen sei, das ihr Zusammenkommen dem andern gefährlich machen könnte. Wenn sie sich wirklich gelegentlich einmal sähen, was könnte die Folge sein, als daß die Sorge eines Bruders für seine Schwester, eines treuen und freundlichen Hüters für die verlobte Braut seines nahen Verwandten und verehrten Oberherrn die melancholische Abgeschiedenheit von Garde Douloureuse erträglicher für ein so junges Mädchen machen würde, das zwar jetzt durch die Umstände in gedrückter Stimmung, von Natur aber so fröhlichen Gemütes war. Obwohl nun eine solche Gedankenreihe der sich selbst überlassenen Eveline ganz folgerecht zu sein schien, so daß sie mehrmals ihre Ansicht Rose Flammock mitteilen wollte, so fürchtete sie doch, wenn sie in die klaren, ruhigen blauen Augen des flamländischen Mädchens blickte, im Herzen ihrer bis zur Grobheit aufrichtigen Dienerin einen Argwohn zu erwecken, von dem ihr eigenes Gewissen sie freisprach. Und ihr stolzer normannischer Geist empörte sich bei dem Gedanken, sich vor irgendwem rechtfertigen zu sollen, wo ihr eigenes Gewissen sich unschuldig wußte. »So mögen die Dinge bleiben, wie sie sind,« sagte sie, »und ich will lieber dieses langweilige Leben ertragen, das so leicht angenehmer gemacht werden könnte, als daß diese eifrige, aber fast zu streng denkende Freundin, die so zärtlich um mich besorgt ist, mich für fähig halten sollte, die Hand zu einem Verkehr zu reichen, der mißdeutet werden oder zu irgend welchem Argwohn Veranlassung geben könnte.« – Aber eben dieser Mangel an Ablenkung, dieses Schwanken im Entschluß, diente nur dazu, das Bild des schönen jungen Damian um so öfter vor Lady Evelinens Phantasie zu zaubern. Solchen Gedanken indessen überließ sie sich niemals lange; denn das Gefühl des sonderbaren Schicksals, das sie bisher betroffen, führte sie bald zu den melancholischen Betrachtungen zurück, aus denen nur auf eine kurze Zeit die Schwungkraft jugendlichen Geistes sie herausgerissen hatte. Siebentes Kapitel An einem hellen Septembermorgen war der alte Raoul in dem Hause beschäftigt, wo er seine Falken aufbewahrte. Er murrte in sich hinein, während er jeden Vogel einzeln untersuchte, und abwechselnd der Sorglosigkeit des Unterfalkoniers, der Lage des Gebäudes, dem Wind und dem Wetter, kurz allem um ihn her schuld daran gab, daß der Falkenbestand von Garde Douloureuse so arg gelitten hatte. In diesen unangenehmen Betrachtungen wurde er durch die Stimme seiner vielgeliebten Ehehälfte, Dame Gillian, unterbrochen, die sonst selten so früh aufstand und ihn noch seltener in seinem eigenen Herrschergebiet aufsuchte. »Raoul! Raoul! wo steckst Du, Mann? – Ewig muß man Dich suchen, wenn Du für Dich oder für mich was gewinnen kannst.« »Und was fehlt Dir, Frau!« rief Raoul, ärger kreischend, als die Seemöwe vor dem Regen. – »Die Pest hole Deine Stimme, sie reicht hin, jeden Falken von seiner Stange aufzuscheuchen.« »Falke!« antwortete Dame Gillian, »hier ist wohl Zeit, nach solchen kläglichen Falken zu sehen, wenn hierher zum Verkauf Falken von der edelsten Gattung gekommen sind, die je über See, Moor und Wiesen flogen, tüchtige Geierfalken mit breiten Nasenlöchern, starken Fängen und kurzen, etwas bläulichen Schnäbeln.« »Pah! mit Deinem Geschwätz! – Wo kommen sie her?« sagte Raoul; denn die Nachricht lockte ihn, er wollte nur seiner Frau nicht das Vergnügen machen, es sich merken zu lassen. »Von der Insel Man,« erwiderte Gillian. »Dann müssen sie wahrlich gut sein, obgleich ein Weib die Nachricht brachte,« sagte Raoul und lachte sauersüß über seinen eignen Witz. Dann verließ er den Falkenhof und fragte, wo der berühmte Falkenhändler anzutreffen sei. »Wo? Zwischen den Barrieren und dem inneren Tore,« erwiderte Gillian, »wo sonst noch andere Kaufleute zugelassen werben. – Wo sollte es wohl sein?« »Und wer ließ ihn herein?« fragte der argwöhnische Raoul. »Nun, der Herr Hofmeister, Du Eule!« sagte Gillian. »Er kam soeben nach meiner Stube und schickte mich hierher, Dich zu rufen.« »Aha! Der Haushofmeister! Der Haushofmeister! – Das hätte ich erraten können. Und er kam auf Deine Stube, ohne Zweifel, weil er nicht ebenso leicht hierher zu mir kommen konnte. – War es nicht so, süßes Herzchen?« »Ich weiß nicht, warum er lieber zu mir als zu Euch kam, Raoul,« sagte Gillian, »und wenn ich es wüßte, so würde ich es Euch doch vielleicht nicht sagen. – Nun fort! Macht Euren Handel oder macht ihn nicht, ich bekümmere mich nicht darum – der Mann wird nicht auf Euch warten, – er hat schon ein gutes Gebot vom Seneschall von Malpas und vom Walliser Lord von Dinevawr.« »Ich komme – ich komme,« sagte Raoul, der diese Gelegenheit, seine Falknerei zu verbessern, nicht ungenützt lassen wollte. Er eilte zum Tore, wo er den Kaufmann in Begleitung eines Dieners antraf, der in besonderen Käfigen drei Falken trug, die zum Verkauf ausgeboten wurden. Auf den ersten Blick überzeugte sich Raoul, daß sie zu der besten europäischen Gattung gehörten und nach guter Dressur selbst für eine königliche Falknerei kein schlechter Zuwachs gewesen wären. Der Kaufmann verfehlte nicht, sich über all ihre Vorzüge auszulassen, über die Breite ihrer Oberflügel, die Stärke ihres Schweifes, ihre großen und feurigen dunklen Augen, die Lebendigkeit, mit der sie ihre Federn putzten und sich schüttelten. Er ließ sich über die Schwierigkeiten und Gefahren aus, unter denen sie auf den Felsen von Ramsey gefangen wurden, wo ein Horst wäre, der selbst an den Küsten Norwegens nicht seinesgleichen hätte. Anscheinend hatte Raoul für alle diese Empfehlungen nur taube Ohren, »Freund Kaufmann,« sagte er, »ich kenne einen Falken so gut wie Du und will nicht leugnen, daß die Deinigen eine feine Sorte sind; aber wenn sie nicht sorgfältig zum Auffliegen und Zurückkommen abgerichtet sind, so wollte ich lieber einen Stockfalken auf meiner Stange haben, als den schönsten Falken, der je die Schwingen in die Luft hob.« »Wenn wir erst über den Preis einig sind, denn das ist die Hauptsache,« sagte der Kaufmann, »sollst Du die Vögel fliegen sehen. Dann magst Du sie kaufen oder nicht, wie Du willst. Ich will kein ehrlicher Kaufmann sein, wenn Du je Vögel so schön, wie diese stoßen sähest, sei es im Aufsteigen oder im Niederschießen.« »Das nenne ich billig,« sagte Raoul, »wenn nur der Preis auch danach ist.« »Er soll danach sein,« sagte der Falkenhändler. »Ich habe auf Erlaubnis des guten Königs von Man, Reginald, sechs Paar von dieser Insel gebracht, und ich habe schon jede Feder davon bis auf diese verkauft. Da ich nun so meine Käfige geleert und meinen Beutel angefüllt habe, so will ich mich mit dem Rest nicht lange schleppen, und wenn einem guten Kameraden und einem Kenner, wie Du zu sein scheinst, die Falken gefallen, nachdem er sie fliegen gesehen, so soll er den Preis selbst bestimmen.« »Nur zu,« sagte Raoul, »wir wollen nicht die Katz im Sack kaufen. Sind die Falken gut, so kann meine Gebieterin sie noch eher bezahlen, als Du sie wegschenken kannst. – Wird ein Byzantiner genug sein für das Paar?« »Ein Byzantiner, Herr Falkenier! – Bei meiner Ehre! Ihr bietet niedrig. – Doch verdoppelt Euer Gebot, und – ich will es überlegen.« »Wenn sich die Falken gut zurückrufen lassen,« sagte Raoul, »will ich Euch anderthalb Byzantiner geben, aber erst will ich sie auf einen Reiher stoßen sehen, ehe ich so rasch den Handel mit Euch abschließe.« »Gut denn,« sagte der Kaufmann, »ich tue besser, Euer Anerbieten anzunehmen, als sie lange auf dem Hals zu haben. Denn brächte ich sie nach Wales, könnte ich vielleicht noch schlechter mit einem ihrer langen Messer bezahlt werden. – Wollt Ihr sogleich zu Pferde?« »Allerdings,« sagte Raoul, »und wiewohl der Herbst besser für die Reiherbeize ist, so will ich Euch doch einen von diesen Froschvertilgern zeigen, wenn wir etwa eine Meile weit auf dieser Seite des Wassers reiten.« »Ich bin es zufrieden, Herr Falkenier,« sagte der Kaufmann. »Aber machen wir uns allein auf den Weg? Gibt es hier keinen Herrn, keine Dame im Schlosse, die Vergnügen daran fänden, einer solchen stattlichen Jagd beizuwohnen? Ich fürchte mich nicht, diese Falken einer Gräfin zu zeigen.« »Meine Gebieterin liebte sonst derlei Vergnügen sehr,« sagte Raoul, »aber ich weiß nicht, seit ihres Vaters Tode ist sie so betrübt und wie im Traum und lebt in ihrem schönen Schlosse wie eine Nonne im Kloster, ohne irgend einen Zeitvertreib und Jubel. – Jedoch, Gillian, Du vermagst etwas über sie. – Geh' hin, tue einmal etwas Gutes – und bringe sie dazu, sich aufzumachen und dieser Jagdlust beizuwohnen – Das arme Kind hat den ganzen Sommer über keine Zerstreuung gehabt.« »Das will ich tun,« sagte Gillian, »und was noch mehr ist, ich will ihr einen so schönen neuen Reithut zeigen, den kein Weib auf Erden ohne den Wunsch ansehen kann, ihn ein wenig im Winde umherflattern zu lassen.« Als Gillian so sprach, kam es ihrem eifersüchtigen Manne so vor, als ob Blicke zwischen ihr und dem Handelsmanne gewechselt würden, die ein größeres Einverständnis verrieten, als eine so kurze Bekanntschaft erwarten ließ. Wenn auch selbst bei Dame Gillians großer Dreistigkeit gar manches möglich war. Als er den Kaufmann schärfer ansah, kam es ihm auch vor, als ob dessen Gesichtszüge ihm nicht ganz unbekannt wären, er sagte ihm also ziemlich trocken: »Wir haben uns schon einmal gesehen, Freund, doch kann ich mich nicht mehr entsinnen, wo?« »Sehr wahrscheinlich,« sagte der Kaufmann. »Ich habe oft diese Gegend besucht und mag auch schon von Euch Geld für Ware erhalten haben. Wäre hier nur ein schicklicher Ort dazu, so möchte ich gerne eine Flasche Wein auf bessere Bekanntschaft spendieren.« »Nicht so schnell, Freund,« sagte der alte Jäger. »Ehe ich mit jemand auf bessere Bekanntschaft trinke, muß mir das, was ich bis dahin von ihm sah, sehr wohl gefallen haben. – Wir wollen Deine Falken stoßen sehen, und wenn ihre Zucht Deinem Prahlen entspricht, dann brechen wir vielleicht zusammen einer Flasche den Hals. – Aber siehe, da kommen Knechte und Stallmeister. – Meiner Treu! Meine Gebieterin hat eingewilligt zu erscheinen.« Die Veranlassung, diesem Vergnügen auf freiem Felde beizuwohnen, hatte sich Evelinen in dem Augenblicke dargeboten, als die erfreuliche Heiterkeit des Tages, die milde Luft und das fröhliche Treiben der Ernte rings um sie her die Versuchung, sich diese Bewegung zu erlauben, fast unwiderstehlich machten. Da sie auf dem diesseitigen Ufer bleiben wollten, ohne eine Brücke zu überschreiten, auf der sich beständig eine kleine Wache von Fußvolk befand, so verlangte Eveline keine weitere Bedeckung und nahm, ganz gegen die bisherige Gewohnheit, niemand mit sich, als Rose und Gillian, und ein paar Diener, welche die Hunde führten oder Jagdgerätschaften trugen. Raoul, der Kaufmann und ein Stallmeister begleiteten sie natürlich auch, jeder einen Falken auf der Faust, wobei gleich ausgemacht worden war, wie sie sie fliegen lassen sollten, um sich von ihren Kräften und von ihrer Abrichtung zu überzeugen. Als diese wichtigen Punkte gehörig verabredet worden waren, ritt die Gesellschaft den Fluß hinab, sorgfältig auf allen Seiten nach einem Wild für die Jagd ausspähend; aber keinen Reiher sah man auf dem Sand umherschreiten, obgleich sich ein sogenannter Reiherstand in geringer Entfernung befand. Wohl die verdrießlichste Enttäuschung ist die eines Jägers, der, reichlich versehen mit allem Jagdzubehör, auszieht, aber kein Wild antreffen kann; denn er sieht sich mit seinem vollen Schießbedarf und seiner leeren Jagdtasche dem Hohnlächeln jedes vorbeigehenden Bauern preisgegeben. Die Jagdgesellschaft der Lady fühlte alle die Unannehmlichkeit einer solchen Enttäuschung. »Ein schönes Land das,« sagte der Kaufmann, »wo man zwei Meilen weit an einem Fluß nicht einen armseligen Reiher finden kann.« »Das kommt von dem Geklapper der verdammten Flamländer, von ihren Wasser- und Walkmühlen,« sagte Raoul. »Sie zerstören gute Jagd und gute Gesellschaft, wohin sie nur kommen. Aber wenn meine Gebieterin nur Willens wäre, noch eine Meile und etwas darüber zum roten Teiche zu reiten, so will ich Euch einen solchen langbeinigen Burschen zeigen, der Eure Falken im Wirbel herumdrehen soll, bis ihr Gehirn ganz schwindlig wird.« »Der rote Teich,« sagte Rose, »Du weißt Raoul, das ist mehr als drei Meilen jenseits der Brücke und liegt gegen die Berge zu.« »Ja, ja,« sagte Raoul, »wieder eine flämische Grille, einem die Lust zu verderben. Sie sind nicht so selten hier auf den Märkten, die flamländischen Dirnen, daß sie sich zu fürchten brauchten, gebeizt zu werden von dem welschen wilden Falken.« »Raoul hat recht, Rose,« antwortete Eveline, »es ist albern, wie Vögel in einem Käfig eingesperrt zu sein, wenn alles um uns her so völlig ruhig ist. Ich bin entschlossen, ein für allemal diese Schranken zu durchbrechen und der Jagd einmal auf die alte Weise beizuwohnen, ohne immer mit Bewaffneten wie eine Staatsgefangene umgeben zu sein. Wir wollen lustig auf den roten Teich los, Mädchen, und auf Reiher jagen, wie freie Mädchen von den Marken.« »So laßt mich nur meinem Vater sagen, daß er zu Pferde steige und uns nachfolge,« bat Rose, denn sie befanden sich jetzt in der Nähe der wieder erbauten Mühlen des kräftigen Flamländers. »Mir ist es gleich, ob Du das tust,« entgegnete Eveline, »aber glaube mir, Mädchen, wir werden am roten Teich und wieder zurück sein, ehe Dein Vater sein bestes Wams anlegt, sein gewaltiges Schwert umgürtet und seinen starken flandrischen Elefanten von einem Pferde sattelt, das er sehr vernünftig Faultier nennt. Nein, runzle nicht die Stirne und beginne keine Lobrede auf Deinen Vater, benütze die Zeit lieber dazu, ihn herbeizurufen.« So ritt also Rose nach den Mühlen, wo Wilkin Flammock alsbald, dem Befehl seiner Lehnsherrin gemäß, sich beeilte, Stahlhaube und Halsberge anzulegen, und einem halben Dutzend seiner Verwandten und Knechte gebot, gleichfalls die Pferde zu besteigen. Rose blieb bei ihm, ihn zu größerer Eile zu ermahnen, da es seine Weise war, alles hübsch langsam der Reihe nach zu tun. Aber trotz all ihrer Mühe, ihn anzutreiben, hatte Lady Eveline schon länger als eine halbe Stunde die Brücke hinter sich, ehe diese Bedeckung gerüstet war, ihr zu folgen. Indessen sprengte, kein Unheil fürchtend, mit der Empfindung einer entflohenen Gefangenen, Eveline fröhlich auf dem lustigen Zelter dahin, leicht, wie die Lerche in der Luft! die Federn, mit denen Gillian ihren Reithut geschmückt hatte, flatterten im Winde; ihre Begleiter galoppierten hinter ihr her, mit Hunden, Taschen, Leinen und allem, was zur edlen Falkenjagd gehörte. Nachdem man über den Fluß geritten war, begann der wilde, grüne Wiesenpfad, den sie verfolgten, sich zwischen kleinen Anhöhen hinaufzuziehen, die bisweilen kahl und felsig, bisweilen mit Haselbüschen, Schlehdorn und anderm niedrigen Gesträuch bewachsen waren; endlich senkte er sich plötzlich hinab, und führte sie an den Rand eines Bergbaches, der wie ein spielendes Lamm lustig von Fels zu Fels hüpfte, als sei er ungewiß, welches Weges er rinnen sollte. »Dieses kleine Flüßchen war stets mein Liebling, Frau Gillian,« sagte Eveline, »und es kommt mir vor, als hüpfe es jetzt leichter, da es mich wiedersieht.« »Ach, Mylady,« sagte Dame Gillian, deren Unterhaltung in solchen Fällen sich niemals über einige Phrasen der gröbsten Schmeichelei zu erheben pflegte, »mancher schöne Ritter möchte schulterhoch springen, wenn er die Erlaubnis hätte, Euch so dreist anzuschauen, wie dieser Bach, besonders jetzt, da Ihr diesen Reithut aufgesetzt habt, der an ausgezeichnet schöner Empfindung nach meiner Meinung alles, was ich bisher erdachte, um eine Bogenschußweite übertrifft. – Was meinst Du dazu, Raoul?« »Ich denke,« antwortete ihr gutherziger Ehemann, »daß Weiberzungen dazu gemacht sind, alles Wild aus der Gegend zu vertreiben. – Hier kommen wir der Stelle näher, wo es uns gelingen muß; darum bitte ich, meine süßeste Gebieterin, seid jetzt hübsch still. Wir wollen uns am Ufer des Teiches entlangschleichen, unter dem Winde die Hauben unserer Falken losbinden und alles zum Auffliegen fertig machen.« Während sie so sprachen, ritten sie ein paar hundert Schritte an dem rauschenden Flusse hin, bis das kleine Tal, durch das er floß, eine ziemlich scharfe Biegung machte, worauf der rote Teich sich zeigte, der eben durch den kleinen Bach gebildet wurde. Dieser Bergsee oder Sumpf war ein tiefes Becken von ungefähr einer englischen Meile im Umfange, mehr länglich als rund. Auf der Seite, wo unsere Falkenjäger standen, erhob sich ein Felsrücken von einer dunklen Farbe, der dem See den Namen gab, da diese starke düstre Wand sich in ihm spiegelte und ihm ihre Farbe zu verleihen schien. An der entgegengesetzten Seite war ein Hügel, mit Heidekraut bedeckt, dessen herbstliche Blüten noch nicht ganz von der Purpurfarbe zum Dunkelbraun hingewelkt waren. Zwischen dem Heidekraut zeigten sich an manchen Stellen graue Klippen oder auch lose Steine von derselben Farbe, die einen Gegensatz zu der gegenüberliegenden roten Felsenwand bildeten. Ein von der Natur gebildeter schöner Sandweg am Ufer zog sich rings um den See und trennte sein Wasser auf der einen Seite von dem schroffen Felsen, auf der andern von dem steilen Hügel, und da er nirgends weniger als fünfzehn bis achtzehn Fuß breit, an mehreren Stellen sogar noch weit breiter war, so bot er in seinem ganzen Umfange Platz genug für einen Reiter, der sein Pferd tummeln und in Atem setzen wollte. Der Rand des Teiches an der Seite des Felsens war hin und wieder mit Blöcken von beträchtlicher Größe bedeckt, die sich oben von der Felsmasse losgerissen hatten. Viele von diesen Felsstücken, die im Sturz über den Rand weggerollt waren, lagen im Wasser, wie kleine Inselchen – und zwischen diesen entdeckte das scharfe Auge Raouls – den Reiher, den sie suchten. Auf einen Augenblick wurde Rat gepflogen, wie man am besten den ernsten, einsamen Vogel beschleichen könnte, der nicht ahnte, daß er selbst der Gegenstand eines furchtbaren Hinterhalts sei, während er bewegungslos auf einem Steine am Ufer stand und auf ein kleines Fischchen oder Wassertierchen lauerte, das sich seinem einsamen Standort nähern möchte. Ein kurzer Wortwechsel fand zwischen Raoul und dem Falkenverkäufer statt, die nicht einig miteinander waren, wie das Wild am besten aufzuscheuchen sei, so daß auch Eveline und ihre Begleiterin die Beize gut mitansehen könnten. Ob es am leichtesten sei, den Reiher »far jette« oder »jette ferré,« das heißt, auf dieser oder auf der andern Seite des Teiches – zu erlegen, das wurde, als handelte es sich um ein großes Unternehmen, so gewichtig und eifrig besprochen, daß sie fast außer Atem kam. Endlich wurden die beiden Sachverständigen einig, und die Gesellschaft näherte sich dem Wassereinsiedler, der sie jetzt gewahr wurde, sich in voller Höhe aufrichtete, seinen langen dünnen Hals emporstreckte, sein gewöhnliches helltönendes Geschrei ausstieß und, seine dünnen Beine hinter sich weisend, in die heitere Luft emporstieg. In diesem Augenblick warf der Kaufmann mit einem lauten Hussah den edlen Falken, den er trug, ab, nachdem er ihm erst die Haube abgezogen, damit er den Reiher sehen konnte. Hitzig, wie eine Fregatte auf der Jagd nach einer reichen Gallione, schoß der Falke auf den Feind zu. Der Reiher, der sich auf den Kampf vorbereitete, falls es ihm unmöglich sein sollte, durch die Flucht zu entrinnen, bot alle seine Schnelligkeit auf, einem so furchtbaren Jäger zu entgehen. Mit der unvergleichlichen Kraft seiner Schwingen stieg er in kleinen Kreisen immer höher und höher in die Luft, so daß der Falke keinen Punkt erreichte, von wo aus er mit Vorteil auf ihn stoßen konnte. Mit seinem spitzen Schnabel aber, der am Ende eines so langen Halses saß, konnte der Reiher im Umkreis von fast drei Fuß jeden Gegenstand nach jeder Richtung hin treffen. Jetzt wurde ein zweiter Falke aufgeworfen, um, durch das Halloh des Falkners ermuntert, sich mit seinem Kameraden zu vereinigen. Beide erhoben sich oder stiegen in die Luft, immerfort in kleinen Kreisen sich bewegend, und bemühten sich, die Höhe zu erreichen, in der der Reiher seinerseits sich zu behaupten trachtete, und zum auserlesensten Vergnügen der Zuschauer setzte sich dieser Wettkampf so lange fort, bis alle drei sich in leise gekräuselten Wolken verloren, von wo aus man nur zuweilen noch das scharfe klagende Geschrei des Reihers hörte, als ob er den Himmel, dem er sich näherte, gegen die mutwillige Grausamkeit seiner Verfolger anrufen wollte. Endlich war einer der Falken über den Reiher emporgestiegen, um nun auf ihn herabzustoßen; aber das Tier verteidigte sich so besonnen, daß es mit seinem Schnabel den Stoß auffing, den der Falke, mit voller Kraft herniederschießend, gegen seinen rechten Flügel richtete; so daß einer seiner Feinde, durch seine eigene Schwere von dem Schnabel durchbohrt, auf der von den Falkenieren abgelegenen Seite flatternd in den See stürzte und dort umkam. »Da wandert ein wackerer Falke zu den Fischen,« sagte Raoul. »Kaufmann! Dein Kuchen ist nicht gar!« Aber während er noch sprach, hatte der andere Vogel seinen Bruder gerächt. Das Glück, das der Reiher auf der einen Seite hatte, schützte ihn nicht vor einem Angriff von der andern Seite; der Falke stieß kühn auf ihn zu, und sich einkrallend oder wie es in der Falknerei heißt, »seine Beute bindend«, sanken beide aus der großen Höhe, sich untereinander wälzend, herunter. Es war nun keine kleine Mühe, so schnell wie möglich hinzuzueilen, damit der Falke nicht von dem Schnabel und den Klauen des Reihers verwundet würde. Die ganze Gesellschaft also, die Männer die Sporen einsetzend, die Frauen die Reitgerte schwingend, flog wie der Wind dahin über das schöne, weiche Ufer zwischen den Felsen und dem Wasser. Lady Eveline, die bei weitem besser beritten war als ihr Gefolge, und deren Lebensgeister, sich an dem Vergnügen und der schnellen Bewegung aufgefrischt hatten, erreichte weit früher, als die Leute ihrer Begleitung, den Flecken, wo der Falke und der Reiher, noch immer in tödlichem Kampfe begriffen, im Sumpfe lagen; dem letztern war durch den Stoß des erstern der Flügel gebrochen worden. In solchem entscheidenden Augenblicke war es die Pflicht des Falkners, hinzuzueilen und dem Falken beizustehen, indem er den Schnabel des Reihers in die Erde bohrte, ihm die Beine zerbrach und es dann dem Falken überließ, ihm mit leichter Mühe den Garaus zu geben. Auch eine Edeldame vom Range und der Zartheit Evelinens durfte nicht davor zurückschrecken, auf so grausame Weise dem Falken beizustehen; aber gerade als sie zu diesem Zweck vom Pferde gestiegen war, fühlte sie sich zum größten Schrecken von einer wilden Gestalt ergriffen, die in welscher Sprache ausrief, daß man Pfand von ihr begehre, weil sie auf dem Grunde von Dawfyd Falkenjagd triebe. Zu gleicher Zeit zeigten sich viele andere, mehr als zwanzig, hinter den Felsen und Gebüschen, alle mit Aexten oder welschen Krummhacken, langen Messern, Wurfspießen Bogen und Pfeilen bewaffnet. Eveline erhob ein Geschrei, die Ihrigen zu Hilfe zu rufen, zugleich redete sie die Fremden, so gut sie konnte, in welscher Sprache an; denn sie zweifelte nicht, daß es Walliser wären, in deren Gewalt sie geraten war. Als sie merkte, daß ihre Bitten unbeachtet blieben und jene sie als Gefangene behalten wollten, so würdigte sie sie weiter keiner Anrede, sondern verlangte nur, mit Achtung behandelt zu werden. Sie versprach ihnen in diesem Falle ein reichliches Lösegeld, drohte aber auch mit der Rache des Lords und besonders des Damian de Lacy, wenn sie ihr ein Leides täten. Die Männer schienen sie zu verstehen, und obwohl sie ihr eine Binde um die Augen legten und ihr die Arme mit ihrem eigenen Schleier fesselten, so beobachteten sie doch bei diesen gewalttätigen Handlungen eine gewisse Zartheit und Aufmerksamkeit, Anstand zu bewahren und ihr nicht wehe zu tun. Sie banden sie auf dem Sattel ihres Zelters fest und führten sie mit sich durch die Schluchten der Berge. Zu ihrem tiefsten Schmerze vernahm sie hinter sich das Getöse eines Kampfes und erkannte daran, daß ihr Gefolge sich vergebens bemühte, sie zu erretten. Erstaunen hatte zuerst die Jäger ergriffen, als sie von ferne ihre Jagdlust durch den gewalttätigen Angriff auf ihre Gebieterin unterbrochen sahen. Der alte Raoul setzte nun wieder die Sporen ein, rief den andern zu, ihm zu folgen, und sprengte wütend auf die Räuber los; aber da er keine andern Waffen, als seine Falkenstange und ein kurzes Schwert hatte, so wurden er und die ihm folgenden bei diesem tapfern, wenn auch nutzlosen Versuch leicht überwältigt. Raoul und ein paar der vordersten wurden jämmerlich zerschlagen, indem die Räuber ihre Knüttel gegen sie schwangen, bis sie in Splitter zerbrachen, wiewohl sie sich großmütig des Gebrauches gefährlicherer Waffen enthielten. Die übrigen des Gefolges, die allen Mut verloren hatten, ergriffen die Flucht, um Lärm zu machen; nur der Kaufmann und die Dame Gillian blieben am See und erfüllten die Luft mit unnützem Geschrei. Die Bösewichter sammelten sich indessen, sandten den Flüchtlingen einige Pfeile nach, doch mehr, um sie zu erschrecken, als um ihnen Schaden zuzufügen, und verließen zusammen den Platz, um zu ihren Gefährten zu stoßen, die mit der geraubten Lady Eveline vorausgezogen waren. Achtes Kapitel Solche Abenteuer, die jetzt nur in Werken bloßer Erdichtung geschildert werden, waren in jener Zeit des Faustrechts, wo Gewalt allgemein über das Recht ging, nichts Ungewöhnliches. Daraus folgte, daß die, deren Lage sie öftern Gewalttätigkeiten aussetzte, fertiger im Widerstande, aber auch geduldiger im Ertragen waren, als man sonst von Alter und Geschlecht hätte erwarten sollen. Lady Eveline fühlte, daß sie eine Gefangene war. Furcht beschlich sie freilich, wenn sie sich fragte, zu welchem Zwecke man sie geraubt hätte; aber weder ihre eigene Unruhe noch die Raschheit, mit der man sie fortführte, hinderten sie, ihre Sinne zusammenzunehmen und mit Geistesgegenwart alle Vorgänge zu beobachten. Aus dem lauten Hufeklappern um sie her schloß sie, daß der größte Teil der Räuber sich zu Pferde gesetzt hatte; dies stimmte, wie ihr bekannt war, mit dem Gebrauch der welschen Landstreicher überein, deren Pferde zwar schwach und klein und zum Dienste im Gefechte untauglich, aber doch schnellfüßig genug waren, ihre gewandten Reiter mit der notwendigen Eile am Schauplatz ihrer Taten auftauchen und dann wieder verschwinden zu lassen. Diese Tiere schritten auch ohne Schwierigkeit und unter der Last eines schweren Kriegers über die wilden Bergpfade, von denen die Gegend durchschnitten war, und auf deren einem Lady Eveline Berenger sich jetzt befand. Am Schritt ihres Zelters, der von jeder Seite durch einen Mann zu Fuß gehalten wurde, glaubte sie zu merken, daß er eben eine Anhöhe erklommen und nachher mit noch größerer Gefahr hinabzusteigen schien. In diesem Augenblicke wandte sich eine Stimme, die sie bisher noch nicht unter den andern gehört hatte, in anglo-normännischer Sprache zu ihr, fragte mit scheinbarer Teilnahme, ob sie auch sicher in ihrem Sattel säße, und erbot sich, wenn dem nicht so sei, alles zu ihrer Bequemlichkeit herzurichten. »Spottet nicht über meine Lage, daß Ihr von Sicherheit redet,« sagte Eveline, »Ihr könnt es nur immer glauben, daß ich nach solcher Gewalttat mich nicht sicher wähnen kann. Ist es Lösegeld, was Ihr begehrt, so nennt die Summe, und ich will Befehl geben, sie herbeizuschaffen, aber haltet mich nicht in Gefangenschaft, das kann mich nur beleidigen und Euch nichts helfen.« »Lady Eveline,« antwortete die Stimme, noch immer im Tone der Höflichkeit, der so schlecht mit der verübten Gewalttätigkeit übereinstimmte, »wird sehr bald erfahren, daß unsere Handlungen rauher sind als unsere Absichten.« »Wenn Ihr wißt, wer ich bin,« sagte Eveline, »so könnt Ihr nicht zweifeln, daß dieser Frevel gerächt werden wird. Ihr müßt wissen, wessen Banner jetzt meine Länder beschützt.« »De Lacys Banner,« antwortete die Stimme, sehr gleichgütig, – »Was weiter! – Ein Falke fürchtet nicht den andern.« In diesem Augenblick wurde Halt gemacht, und ein verworrenes Gemurmel erhob sich unter den Leuten um sie her, die bisher geschwiegen hatten, außer wenn sie zuweilen in welscher Sprache, und so kurz wie möglich, sich über den Weg verständigten oder einander zur Eile ermuntert hatten. Das Murmeln hörte auf, und ein Stillschweigen von einigen Minuten erfolgte. Endlich vernahm Eveline wieder die Stimme, die sich zuvor an sie gewandt hatte, und die jetzt Befehle austeilte, die sie nicht verstand. Darauf sprach der Mann zu ihr selbst: »Ihr werdet jetzt selbst sehen,« sagte er, »ob ich wahr sprach, wenn ich erklärte, daß ich Euch nicht gerne Fesseln anlegen ließ. Aber Ihr seid zugleich die Ursache des Kampfes und der Preis des Sieges. Für Eure Sicherheit muß demnach so gut gesorgt werden, als die Zeit es erlaubt. So befremdend auch die Art des Schutzes sein mag, dem wir Euch vertrauen wollen, so hoffe ich, daß der Sieger in dem bevorstehenden Kampfe Euch unverletzt wiederfinden wird.« »O, laßt doch nicht, um der heiligen Jungfrau willen, Kampf und Blutvergießen entstehen!« sagte Eveline. »Bindet mir lieber die Augen auf und laßt mich mit denen reden, deren Annäherung Ihr fürchtet. Sind es meine Freunde, wie es mir scheint, so will ich die Friedensvermittlerin zwischen Euch sein.« »Ich verachte den Frieden,« sagte der Fremde. »Ich habe ein so entschlossenes und gewagtes Abenteuer kühn unternommen und sollte nun, wie es ein Kind beim Spielen macht, bei dem ersten Gedanken, es könnte unglücklich ablaufen, die Hand davon ziehen? Habt die Güte, vom Pferde zu steigen, edle Lady! oder vielmehr nennt es nicht ungütig, daß ich Euch vom Sattel hebe und auf den Rasen niedersetze.« So wie er sprach, so fühlte sich auch Eveline vom Pferde gehoben und sorgfältig auf den Erdboden in sitzender Stellung niedergelassen. Den Augenblick darauf nahm ihr derselbe Mann, der sie vom Pferde herabgehoben hatte, den Hut ab, dieses Meisterstück der Dame Gillian, und dann den Mantel. »Ich muß Euch ferner ersuchen,« sagte der Banditenhauptmann, »auf Händen und Füßen in diese enge Oeffnung zu kriechen. Glaubt mir, es tut mir leid, daß ich Euch, der Sicherheit wegen, in eine so enge Festung bringen muß.« Eveline kroch vorwärts, wie ihr geheißen worden war, indem sie wohl begriff, daß Widerstand hier von keinem Nutzen wäre und daß dieser Mann, der in gebietendem Tone sprach, sie gegen die zügellose Wut der Welschen in Schutz nehmen würde. Von den Wallisern aber durfte sie nichts Gutes erwarten, weil sie an Gwenwyns Tod schuld war, und um ihretwillen die Britonen unter den Wällen von Garde Douloureuse eine schwere Niederlage erlitten hatten. Sie kroch durch einen engen, dumpfigen Gang, der zu beiden Seiten von unbehauenen Steinen gebildet und so niedrig war, daß man nur kriechend hineinkommen konnte. Als sie etwa neun Fuß vorwärts gedrungen war, dehnte sich dieser Durchgang zu einer Höhle oder Kammer aus, die sonst unregelmäßig und enge, dennoch hoch genug war, daß sie bequem darin sitzen konnte. Zu gleicher Zeit bemerkte sie an einem Geräusch hinter sich, daß die Räuber den Weg verrammelt hatten, durch den sie so in den Schoß der Erde gelangt war. Sie konnte ganz deutlich das Rasseln der Steine hören, womit sie den Eingang verschlossen, und sie merkte es, wie der frische Luftstrom, der zuvor durch die Oeffnung gedrungen war, allmählich aufhörte und die Atmosphäre dieses unterirdischen Gemaches immer dumpfiger, feuchter und drückender wurde. In diesem Augenblick drangen entfernte Töne von draußen zu ihrem Ohre, in denen Eveline Geschrei, starke Schläge, Pferdegetrappel, Flüche, Jauchzen und Heulen von Fechtenden unterschied, aber alles klang gedämpft durch die Felsenmauer ihres Gefängnisses, wie ein verworrenes, hohles Gemurmel. In so furchtbarer Lage durch Verzweiflung getrieben, arbeitete Eveline, fast mit der Kraft einer Wahnsinnigen, um sich zu befreien, so daß es ihr zum Teil gelang, ihre Arme aus den Banden herauszupressen. Aber dies allein genügte, sie zu überzeugen, daß eine Flucht unmöglich sei; denn als sie den Schleier wegriß, der ihr Haupt umhüllte, fand sie sich in der tiefsten Finsternis, und indem sie mit den Armen rasch umherfühlte, entdeckte sie, daß sie in einer unterirdischen, sehr engen Höhle eingesperrt war. Die Hände, mit denen sie umhertastete, fanden nur Stücke von verrostetem Metall, und noch etwas, das zu anderer Zeit ihr Entsetzen eingeflößt hätte, da es in der Tat nichts anders, als die Gebeine eines Toten waren. Jetzt konnte dieser Umstand kaum ihre Furcht vermehren, eingemauert wie sie sich wähnte, um eines gräßlichen Todes unter der Erde zu sterben, indes ihre Freunde und Befreier wahrscheinlich wenige Schritte von ihr entfernt waren. Wild streckte sie die Arme aus, um irgend eine Oeffnung zur Flucht zu finden, aber jeder Versuch, den sie machte, sich aus diesem lastenden Bau um sie her zu befreien, war so unwirksam, als hätte sie versucht, den Dom einer Kathedrale umzustoßen. Der Lärm, den sie zuerst vernommen, nahm immermehr zu, und einen Augenblick schien es, als ob die Decke des Gewölbes, unter dem sie sich befand, von Gestampf oder Stößen widerhalle. Unmöglich hätte ein menschliches Gehirn diese Schrecken überstehen können; aber glücklicherweise dauerte dieser höchste Grad der Angst nicht lange. Töne, die immer hohler wurden und endlich in der Ferne erstarben, ließen erkennen, daß einer oder der andere Teil sich zurückgezogen hatte; zuletzt war es still. Eveline konnte nun ihre schreckliche Lage ungestört erwägen. Das Gefecht war vorbei, und allem Anscheine nach waren ihre Freunde Sieger geblieben. Denn wäre es anders gewesen, so hätten die Sieger sie aus ihrem Gefängnisse befreit und ihre Gefangene mit sich genommen. Aber was konnte nun der Sieg ihrer treuen Freunde und Anhänger Evelinen nützen, die in einem verborgenen Winkel eingeschlossen war, wo sie niemand finden würde? Waren dann ihre Freunde abgezogen, so kehrten gewiß die Feinde zurück, und sie fiel ihnen aufs neue in die Hände, oder aber sie starb in Finsternis und Einsamkeit eines gräßlichen Todes. Daran konnte das unglückliche Mädchen nicht denken, ohne ein Gebet zum Himmel zu schicken, daß wenigstens ihre Todesangst abgekürzt werden möge. In dieser furchtbaren Stunde gedachte sie des Dolches, den sie trug, und der finstere Gedanke durchzuckte ihre Seele, daß, wenn jede Hoffnung des Lebens schwände, es wenigstens in ihrer Hand läge, sich einen schnellen Tod zu geben. Als ihre Seele bei diesem traurigen Troste zusammenschauerte, drängte sich plötzlich die Frage vor, ob sie diese Waffe nicht zu ihrer Befreiung benützen könnte, statt damit ihre Leiden auf einmal zu endigen? Sobald diese Hoffnung einmal gefaßt war, so zauderte auch die Tochter Raymond Berengers nicht, den Versuch zu machen, und es gelang ihr durch wiederholte Anstrengung, wiewohl mit großer Beschwerde, ihre Stellung zu verändern, so daß sie den Raum ihres Kerkers ringsumher umschauen und besonders den Gang finden konnte, durch den sie hereingekommen war, und nun wieder zum Tageslicht zurückzukehren versuchen wollte. Sie kroch bis zum äußersten Ende und fand, wie sie erwartete, die Oeffnung mit großen Steinen und Erde versperrt, die so zusammengestampft waren, daß gegenüber diesem Wall alle Hoffnung auf Flucht schwinden mußte. Doch war die Mauer sehr schnell errichtet worden, und Leib und Leben waren ja ein Preis, um den man alle Kräfte wohl aufbieten konnte. Mit ihrem Dolche schaffte sie die Erde und die Rasenstücke weg, und mit den Händen, die an solche Arbeit nicht gewöhnt waren, schob sie mehrere Steine fort, bis sie schließlich einen Schimmer von Licht sah und, was nicht weniger kostbar war, ein wenig frische Luft schöpfen konnte. Aber zu gleicher Zeit mußte sie erkennen, daß die Größe und Schwere eines gewaltigen Steines, der den Durchgang von außen schloß, ihr jede Hoffnung raubte. Hier konnten ihre Kräfte allein, ohne einen Beistand von außen, nichts mehr ausrichten. Doch war ihr Zustand jetzt wenigstens erträglich: denn sie hatte nun wenigstens Luft und Licht und konnte vielleicht auch jemand zur Hilfe rufen. Aber ein solches Geschrei um Hilfe stieß sie eine Zeitlang vergebens aus – wahrscheinlich lagen nur Tote oder Sterbende in der Nähe; denn leise, unverständliche Klagelaute waren einige Minuten lang die einzige Antwort, die sie erhielt. Endlich, als sie wiederholt rief, sprach eine schwache Stimme, wie die eines Menschen, der eben aus einer Ohnmacht erwacht, folgende Worte: »Edris aus dem unterirdischen Hause, rufst Du aus Deiner Gruft den Elenden, der zu seiner eigenen hinabeilt? – Sind die Schranken zerbrochen, die mich mit den Lebenden zusammenhielten? – Höre ich schon mit meinen leiblichen Ohren die schwachen Klagelaute der Toten?« »Es ist kein Geist, der hier spricht,« erwiderte Eveline überfroh, daß sie endlich einem lebenden Wesen sagen konnte, wo sie sich befand, »kein Geist, sondern ein sehr unglückliches Mädchen, namens Eveline Berenger, eingemauert in diesem dunklen Gewölbe und in Gefahr, gräßlich umzukommen, wenn Gott nicht Erlösung sendet.« »Eveline Berenger!« rief derjenige, zu welchem sie sprach, mit dem Tone der Verwunderung. – »Es ist unmöglich. – Ich sah ihren grünen Mantel – ihren Federhut, als die Feinde mit ihr davonjagten und ich nicht imstande war, sie zu retten.« »Getreuer Vasall, oder besser getreuer Freund, oder freundlicher Fremdling, oder wie ich Dich nennen soll,« erwiderte Eveline, »wisse, Du bist durch die List der Walliser Räuber getäuscht worden, Mantel und Hut Eveline Berengers haben sie in der Tat bei sich, aber sie haben sie nur gebraucht, meine treuen Freunde, die wie Du um mein Schicksal besorgt sind, irre zu führen. Deshalb, tapferer Herr, ersinne irgend eine Hilfe, wenn Du kannst, für Dich und mich. Denn ich fürchte, wenn die Räuber der Verfolgung entronnen sind, so kehren sie hierher zurück wie der Dieb zu dem Schlupfwinkel, in dem er das gestohlene Gut niedergelegt hat.« »Nun, die heilige Jungfrau sei gepriesen,« sagte der verwundete Mann, »daß ich mit dem letzten Atemzug noch Dir einen Dienst erweisen kann. Ich wollte zuvor nicht ins Horn stoßen, um niemand von den Verfolgern zurückzurufen, weil ich glaubte, sie könnten Dich retten. Gebe der Himmel, daß der Ruf jetzt gehört und meine Augen noch Lady Eveline in Freiheit und Sicherheit sehen mögen!« In so schwachem Tone auch diese Worte gesprochen wurden, so atmeten sie doch eine wahre Begeisterung, und nun folgte ein Stoß in ein Horn, das nur sehr schwach ertönte und keine Antwort als nur den Widerhall aus der Grube selbst erhielt. Jetzt wurde schärfer und lauter ins Horn gestoßen, doch brach der Ton so plötzlich ab, daß es schien, der Atem habe den Verwundeten mitten in der Anstrengung verlassen. – Ein sonderbarer Gedanke ging in diesem Augenblick der Ungewißheit und des Schreckens durch Evelinens Seele. – »Das,« sagte sie, – »war das Signal eines de Lacy. – Ihr seid doch nicht mein edler Verwandter, Sir Damian?« »Ich bin der unglückliche Elende, der den Tod dafür verdient, daß er für seine Schutzbefohlene so schlecht gesorgt hat. – Wie konnte ich nur unbekannten Boten trauen? – Ich hätte die Heilige, welche meinem Schutz übergeben war, stets mit wachsamem Blick anbeten sollen. Nirgends hätte ich verweilen sollen, als an Eurem Tore, länger davor wachen, als der glänzendste Stern am Himmel. Ungesehen und von keinem gekannt, hätte ich nie aus Eurer Nähe weichen sollen. Dann wärt Ihr nicht in die gegenwärtige Gefahr geraten, und Du, Damian de Lacy, wärst nicht als meineidiger, nachlässiger Schurke in die Gruft gefahren!« »Ach, edler Damian,« sagte Eveline, »brecht nicht mein Herz, indem Ihr Euch einer Unbesonnenheit wegen tadelt, die ganz meine Schuld ist. Eure Hilfe war immer nahe, sobald ich nur einen Wink gab, daß ich ihrer bedürfe; und es verbittert mein eigenes Unglück, daß meine Uebereilung die Ursache Eures Unfalles ist. Antwortet mir, teurer Verwandter, und laßt mich hoffen, daß die Wunden, die Ihr erhalten habt, geheilt werden können. – Ach! wieviel von Eurem Blute sah ich schon fließen, wie grausam ist doch mein Geschick! Stets muß ich Kummer über all diejenigen bringen, für welche ich gern mein eigenes Glück aufopfern wollte! aber laßt uns nicht die uns durch des Himmels Gnade gegönnten Augenblicke in fruchtloser Reue verbringen. –Versuche alles, was Du kannst, Dein Blut zu stillen, das so kostbar ist – für England – für Eveline – für Deinen Oheim.« Damian seufzte, als sie sprach und schwieg; während Eveline halb wahnsinnig bei dem Gedanken, er könne aus Mangel an Hilfe umkommen, ihre Anstrengungen verdoppelte, sich zum Heil ihres Verwandten und ihrer eigenen Rettung hinauszuarbeiten. Es war alles vergebens, verzweifelnd gab sie ihre Versuche auf, und von einem gräßlichen Gegenstande des Schreckens zum andern übergehend, lauschte sie mit geschärftem Ohr den sterbenden Seufzern des edlen Damians, als – welches Entzücken! – Pferdegetrappel schnell sich näherte. Doch wenn auch dieser freudvolle Ton ihr Erlösung aus dem Grabe verhieß, würde er ihr auch die Freiheit bringen? Es konnten ja die räuberischen Bergbewohner sein, die zurückkehrten, ihre Gefangene zu holen. Aber auch diese würden ihr erlaubt haben, die Wunden Damian de Lacys zu untersuchen und zu verbinden; denn es konnte ihnen weit mehr Vorteil bringen, ihn als Gefangenen zu behalten, als ihn zu töten. Ein Reiter kam herbei, Eveline rief ihn um Beistand an, und das erste Wort, das sie hörte, war ein flamländischer Ausruf des getreuen Wilkin Flammock – ein Ruf, den nur dieses Schauspiel höchst ungewöhnlicher Art dem phlegmatischen Manne entreißen konnte. Als er von Lady Eveline vernahm, in welcher Lage sie sich befände, und von ihr zugleich beschworen wurde, den Zustand Damian de Lacys genau zu untersuchen, begann er mit bewunderungswürdiger Fassung und einiger Sachkenntnis die Wunden des einen zu verbinden, während seine Begleiter einen Hebebaum herbeibrachten, welchen die Welschen bei ihrem Rückzuge zurückgelassen hatten, und bald imstande waren, an der Befreiung Evelinens zu arbeiten. Mit großer Vorsicht und unter der erfahrenen Leitung Flammocks wurde der Stein endlich so lange gehoben, daß man Eveline sehen konnte. Groß war das Entzücken aller, besonders ihrer treuen Rose, die ohne Rücksicht auf persönliche Gefahr um den Kerker ihrer Gebieterin herumflatterte, wie ein seiner Jungen beraubter Vogel um den Käfig, in den ein mutwilliger Bube sie gefangen hält. Große Vorsicht war notwendig, als man nun den Stein aufhob, weil er leicht nach innen fallen und die Lady beschädigen konnte. Endlich war das Felsenstück so hoch gelüftet, daß sie hinaus konnte, während ihre Leute aus Wut über ihre erlittene Einsperrung nicht aufhörten mit Stangen und Hebebäumen zu arbeiten, bis sie den schweren Block aus dem Gleichgewicht gebracht hatten. Nun stürzte der große Stein, der die Oeffnung des unterirdischen Ganges versperrt hatte, nach der Seite über und begann den steilen Abhang hinunterzurollen. Immer schneller kollerte und krachte und donnerte er den Berg hinab, mitten unter Feuerfunken, die er aus den Felsen schlug, unter Wolken von Rauch und Staub, bis er endlich in das Bett eines Waldbachs schlug, wo er in fünf große Stücke zerschellte, mit einem Gekrach, das wohl drei Meilen weit gehört werden konnte. Mit zerrissenen und beschmutzten Gewändern, mit aufgelöstem Haare, erschöpft von dem Aufenthalt in ihrem stickigen Kerker und von der Anstrengung, sich zu befreien, verwandte Eveline doch nicht eine Minute dazu, auf ihren eigenen Zustand zu achten; nein, mit dem Eifer einer Schwester, die ihrem einzigen Bruder zu Hilfe eilt, ließ sie es sich angelegen sein, die schweren Wunden Damians de Lacy zu untersuchen, den Bluterguß zu stillen und ihn aus seiner Ohnmacht zu wecken. Wir haben es anderswo gesagt, daß gleich andern Frauen jener Zeit Eveline in der Wundarzneikunst nicht unerfahren war, und jetzt entwickelte sie noch größere Kenntnisse, als man ihr zugetraut. In jeder ihrer Anordnungen lag Klugheit, Umsicht und Zartgefühl; und die Sanftmut des weiblichen Geschlechts, die nimmermüde Menschenliebe, die stets bereit ist, das Elend zu mildern, wo sie es findet, schien in ihr durch den Scharfsinn eines energischen Verstandes noch auf eine höhere, würdevollere Stufe gehoben. Nachdem Rose ein paar Minuten bewundernd die klugen, sinnreichen Anordnungen ihrer Gebieterin angehört hatte, schien es ihr plötzlich einzufallen, daß der Kranke nicht der ausschließlichen Sorge Evelinens allein überlassen werden dürfte; sie ging ihr daher zur Hand und leistete ihr Beistand, soviel sie konnte, wahrend die Diener eine Bahre anfertigten, auf der der verwundete Ritter nach dem Schlosse von Garde Douloureuse gebracht wurde. Neuntes Kapitel Der Platz, auf dem das Scharmützel sich abgespielt und Lady Evelinens Befreiung stattgefunden hatte, war eine wilde, abgelegene Stelle, eine kleine, ganz ebene Fläche zwischen zwei sehr rauhen Fußpfaden, von denen der eine sich längs des Flusses hinzog; der andere aber weiter emporführte. Von Bergen und Gehölz umgeben, war diese Stelle besonders reich an Wild, und in früheren Zeiten hatte ein Walliser Fürst, der durch seine allgemeine Gastlichkeit, seine Liebe zur Jagd berühmt geworden, hier ein Jagdhaus errichtet, wo er seine Freunde und Anhänger mit einer Verschwendung, die in Cambria ohne Beispiel war, zu bewirten pflegte. Die Phantasie der Barden, denen alle Pracht imponierte und die besondere Art von Verschwendung gefiel, die dieser Fürst betrieb, hatte ihm den Beinamen Edris von den Bechern gegeben, und sie erhoben ihn in ihren Gesängen mit so hohen Lobsprüchen, wie nur noch die Helden des weitberühmten Hirlas Horn gepriesen worden waren. Der so schwärmerisch besungene Zecher und Nimrod fiel endlich als ein Opfer seiner Schwelgereien, indem er bei einem Zwist, der nach einem wüsten Gelage ausbrach, erstochen wurde. Empört über dieses Ereignis begruben die versammelten Briten die Leiche des Fürsten an dem Ort, wo er starb, eben in jenem engen Gewölbe, in welchem Eveline eingekerkert war. Nachdem sie den Eingang der Grabesstelle mit Felsstücken gesperrt hatten, türmten sie darüber einen ungeheuren Cairn oder Steinhaufen als Grabhügel, auf dessen Spitze sie dem Mörder den Tod gaben. Aberglaube wob manche Schrecken um den Ort; viele Jahre blieb dieses Denkmal des Edris unverletzt, obgleich das Jagdhaus in Trümmer zerfallen und jede Spur davon erloschen war. In spätern Jahren hatte eine herumstreifende Bande welscher Räuber den geheimen Eingang entdeckt und ihn in der Absicht geöffnet, die Gruft nach Waffen und Schätzen zu durchwühlen, die in alten Zeiten oft mit den Toten begraben wurden. Sie täuschten sich und erhielten durch diese Entweihung des Grabes nichts weiter, als die Kenntnis dieser geheimen Stelle, die sehr gut zum Versteck geraubter Beute oder auch im Notfall einem Flüchtling als Zufluchtsort dienen konnte. Als die Begleiter Damians, fünf oder sechs an der Zahl, dem Wilkin Flammock mitteilten, was ihnen an diesem Tage zugestoßen, so ging daraus hervor, daß Damian Befehl gegeben, mit Tagesanbruch aufzusitzen, und zwar in viel größerer Anzahl, um, wie sie verstanden hatten, gegen eine Bande rebellischer Bauern aufzubrechen. Doch plötzlich habe er seine Meinung geändert, seine Mannschaft in kleinere Abteilungen getrennt und von ihnen mehrere Bergpässe zwischen Wales und den Marken in der Nähe von Garde Douloureuse durchsuchen lassen. Dies pflegte er so oft zu tun, daß niemand etwas Auffallendes darin fand. Oft wurden dergleichen Streifzüge von den kriegerischen Herren der Marken unternommen, um teils die Walliser allesamt, besonders aber die gesetzlosen Banden, die, keiner regelmäßigen Herrschaft untertan, diese wilden Grenzen beunruhigten, in Furcht zu erhalten. Es war ungefähr um die Mittagszeit, als Damian und seine Begleiter, weil es das gute Glück wollte, auf einen der flüchtigen Reitknechte stießen und die Nachricht von dem Unglück der Lady Eveline erhielten. Bei ihrer vollkommenen Kenntnis der Gegend waren sie imstande, den Räubern im Paß von Edris, wie er genannt wurde, durch den sie gewöhnlich ins Innere des Landes zurückkehrten, den Weg abzuschneiden. Wahrscheinlich hatten die Räuber nicht die geringe Zahl erkannt, an deren Spitze Damian stand, und da sie wußten, daß ihnen eine heiße Verfolgung bevorstand, war der Anführer auf den sonderbaren Gedanken gekommen, Evelinen in dem Grabmal zu verstecken, während einer von den Räubern Evelinens Hut und Mantel antun mußte, um die Angreifer zu täuschen und sie von der Stelle, wo sie wirklich verborgen war, hinwegzulocken. Dahin wollten dann die Räuber zurückkehren, sobald sie ihren Verfolgern entgangen wären. Demzufolge hatten sie sich zu einem regelmäßigen Rückzug vor dem Grabmal aufgestellt, von wo aus sie entweder einen zur Verteidigung geeigneten Platz finden, oder, wenn sie überwunden würden, ihre Pferde verlassen und sich zwischen den Felsen zerstreuen konnten, um den Angriffen der normannischen Reiterei zu entgehen. Ihr Plan wurde durch die Schnelligkeit Damians vereitelt, der, als er Evelinens Hut und Mantel unter den Fliehenden gewahrte, sie wütend angriff, ohne die geringste Rücksicht, auf ihre Ueberzahl oder auf seine leichte Rüstung zu nehmen, die einzig aus einem Helm und einem büffelledernen Wams bestand – gegen die welschen Messer und Spieße eine sehr unzulängliche Deckung. So wurde er beim Angriff schwer verwundet, und er wäre umgekommen, wenn seine Begleiter sich nicht aufs äußerste angestrengt, und die Walliser nicht gefürchtet hätten, daß, während sie von vorne den Kampf fortsetzten, sie im Rücken von Evelinens Vasallen angegriffen werden könnten, die jetzt wahrscheinlich schon alle unter den Waffen und auf dem Marsche wären. Sie zogen sich also zurück oder flohen vielmehr, und Damians Leute setzten auf Befehl ihres verwundeten Herrn ihnen nach, mit der ausdrücklichen Weisung, unter keiner Bedingung von der Verfolgung abzulassen, bis die gefangene Lady von Garde Douloureuse ihren Entführern entrissen sei. Dank ihrer genauen Kenntnis der Nebenwege und der Gewandtheit ihrer kleinen Pferde gelang es allen Wallisern, zu entkommen, zwei oder drei ausgenommen, die Damian bei seinem wütenden Angriff niederhieb. Von Zeit zu Zeit schossen sie Pfeile gegen die Verfolgenden ab und lachten über die nutzlosen Bemühungen der schwer bewaffneten Krieger, mit ihren gepanzerten Rossen sie einzuholen. Aber die Sachlage änderte sich, als Wilkin Flammock auf seinem mächtigen Streitrosse an der Spitze von Fußvolk und Reiterei erschien und den Bergpaß zu erklimmen begann. Die Furcht, sich abgeschnitten zu sehen, veranlaßte die Landstreicher, ihre Zuflucht zu ihrer letzten Kriegslist zu nehmen; sie ließen ihre welschen Klepper laufen, sie selbst flüchteten sich in die Felsen, und die Mehrzahl wußte sich, dank ihrer Schnellfüßigkeit und Gewandtheit im Klettern den Verfolgern zu entziehen. Doch nicht alle waren so glücklich, einige fielen Flammocks Leuten in die Hände, unter andern, der, den man mit Evelinens Hut und Mantel angetan hatte. Wie groß war die Ueberraschung derer, die gerade ihm auf den Fersen gefolgt waren, als sie nun nicht die Lady erblickten, die sie befreien wollten, sondern einen schön gelockten jungen Walliser, der, nach seinen wilden Blicken und unzusammenhängenden Reden zu schließen, nicht recht bei Verstande zu sein schien. Dies wäre jedoch kein Anlaß gewesen, ihn nicht auf der Stelle zu töten – wie es stets denen erging, die in solchen Scharmützeln gefangen genommen wurden, hätte nicht Damians schwacher Stoß ins Horn, dessen Leute zurückgerufen und Wilkin Flammock bewogen, Halt zu machen. In der allgemeinen Verwirrung, dem Hornruf so rasch wie möglich Folge zu leisten, kümmerten die Leute sich nicht um den Gefangenen, dem es nun glückte, zu entrinnen; auch hätten sie in der Tat wenig von ihm erfahren, wäre er auch imstande gewesen, ihnen etwas mitzuteilen. Alle waren indessen überzeugt, ihre Gebieterin sei einem Hinterhalt Dawfyds des Einäugigen, eines gefürchteten Freibeuters jener Zeit, in die Hände gefallen, der dieses kühne Unternehmen in der Hoffnung auf ein reiches Lösegeld gewagt hatte, und über diese kühne Frechheit höchst erbittert, weihten sie sein Haupt und seine Glieder dem Adler und dem Raben. All diese Einzelheiten teilten sich nun die Leute Flammocks und Damians gegenseitig mit. Als sie am roten Teiche entlang zurückkehrten, trafen sie mit Frau Gillian zusammen, die ihrer Freude über die glückliche Rettung ihrer Gebieterin und ihrem Schmerze über den unerwarteten Unfall Damians in lauten Rufen Luft machte. Sie erzählte dann den Kriegern, daß den Kaufmann, dessen Falken an all diesen Begebenheiten schuld wären, einige Walliser auf ihrem Rückzuge gefangen mit sich genommen hätten, und daß sie selbst und der verwundete Raoul das gleiche Schicksal erlitten haben würden, nur daß die Feinde kein Pferd übrig gehabt hätten, sie mitzunehmen. Von dem alten Raoul hätten sie sich wohl kein Lösegeld versprochen, und ihn zu erschlagen, mochten sie nicht der Mühe wert gehalten haben. Einer hätte zwar wirklich einen Stein nach ihm geworfen, aber unglücklicherweise, sagte die Dame, verfehlte er sein Ziel. »Es war nur ein kleines Kerlchen, der den Stein warf,« sagte sie. »Da war ein großer langer Mann unter ihnen; hätte der den Wurf getan, so wäre es mit Unserer Frauen Hilfe wohl anders gekommen.« Mit diesen Worten machte sie sich auf und ordnete ihre Kleidung, um sich wieder zu Pferde zu setzen. Der verwundete Damian wurde nun auf die aus Baumzweigen schnell zusammengesetzte Tragbahre gelegt und nebst den Frauen in die Mitte des kleinen Trupps genommen, an den sich die übrige Mannschaft des jungen Ritters anschloß, die sich nach und nach zusammenfand. Die vereinte Schar zog nun mit militärischer Ordnung ab und durchschritt die Pässe mit aller Vorsicht, stets darauf gefaßt, nochmals auf den Feind zu stoßen. Zehntes Kapitel Rose, von Natur eines der uneigennützigsten und liebevollsten Mädchen, überlegte schnell, in welcher eigentümlichen Lage ihre Gebieterin sich befand und wie große Zurückhaltung bisher zwischen ihr und ihrem jugendlichen Schirmvogt bestanden hatte. Sie stellte daher sogleich ihre Betrachtungen darüber an, was nun mit dem verwundeten Ritter geschehen sollte. Doch als sie zu Eveline heranritt, um ihr diese wichtige Frage vorzulegen, fehlte ihr fast der Mut dazu. Auch war Eveline von dem Abenteuer so angegriffen, daß es fast eine Grausamkeit gewesen wäre, ihr Augenmerk auf irgendwelchen Gegenstand der Sorge zu lenken, bevor sie Zeit gefunden, sich von der eben noch ausgestandenen Angst zu erholen. Ihr Angesicht war totenbleich, außer wo es mit Blutstropfen befleckt war: ihr Schleier war zerrissen und in Unordnung, beschmutzt mit Staub und geronnenem Blut; ihr wild zerzaustes Haar fiel in verwirrten Locken auf Stirn und Schulter; eine einzige zerknickte Feder war alles, was von ihrem Reithut übrig geblieben, und hatte sich in ihrem Haar verfangen, wo sie nun, mehr zum Spott als zum Schmucke, im Winde flatterte. Ihre Augen hefteten sich auf die Bahre, auf welcher Damian lag, sie ritt dicht an seiner Seite, ohne dem Anschein nach für irgend etwas anderes, als für die Gefahr dessen, der hier ausgestreckt lag, Sinn zu haben. Rose begriff, daß ihre Gebieterin in allzu aufgeregter Stimmung war, um sich über ihre Lage klar zu werden. Sie suchte allmählich ihre Aufmerksamkeit darauf zu lenken. »Teuerste Gebieterin,« sagte sie, »wäre es Euch nicht gefällig, meinen Mantel umzunehmen?« »Quäle mich nicht,« antwortete Eveline in einem etwas scharfen Tone. »In der Tat, meine Gebieterin,« sagte Dame Gillian, sich mit Geräusch hervordrängend, als ob sie fürchtete, man wolle ihrem Amte als Garderobemeisterin Eintrag tun. »In der Tat, meine Gebieterin, Rose Flammock hat recht, weder Euer Mieder noch Euer Rock sitzen, wie sie sollten. Wenn also nur Rose ihr Pferd ein wenig aus dem Wege lenken will, so werde ich mit ein paar Nadeln Euern Anzug wieder in Ordnung bringen.« »Was frage ich nach meinem Anzug?« erwiderte Eveline im selben Tone wie zuvor. »So fragt nach Eurer Ehre, nach Eurem Rufe,« sagte Rose, dicht an ihre Gebieterin reitend und es ihr ins Ohr flüsternd. »Bedenkt, und zwar schnell, wohin der verwundete junge Mann gebracht werden soll.« »Nach dem Schlosse,« antwortete Eveline ganz laut, als ob sie gleichsam die Ziererei des Geheimnisses verachte. »Führt uns zum Schlosse, und das auf dem kürzesten Wege!« »Warum nicht lieber in sein Lager oder nach Malpas?« sagte Rose; »teuerste Gebieterin, glaubt mir, das wird das beste sein.« »Warum nicht – warum nicht? – Warum ihn nicht lieber an der Landstraße liegen lassen, als willkommene Beute für das Messer eines Welschen oder den Zahn eines Wolfes? – Ein- Zwei-, dreimal ist er mein Retter gewesen. Wohin ich gehe, soll er gehen, und ich will nicht einen Augenblick früher in Sicherheit sein, als ich weiß, daß er es ist.« Rose sah, daß sie keinen Eindruck auf ihre Gebieterin machte, und ihre eigene Ueberlegung sagte ihr, des Verwundeten Leben könne gefährdet werden, wenn der Transport unnötig in die Länge gezogen wurde. Ein Ausweg fiel ihr ein, dem vorzubeugen; doch war es notwendig, deshalb ihren Vater zu befragen. Sie gab ihrem Zelter die Reitgerte, und in einem Augenblick war ihr winziges, aber schönes Figürchen und ihr feuriger, kleiner Zelter an der Seite des riesigen Flamländers und seines großen schwarzen Rosses, und sie ritt sozusagen in deren breitem Schatten. »Mein teuerster Vater,« sagte Rose, »die Lady hat die Absicht, Sir Damian nach dem Schloß bringen zu lassen, wo er dann wahrscheinlich sehr lange wird verweilen müssen. – Was denkt Ihr davon? – Wird das gut sein?« »Für den jungen Mann gewiß, Röschen;« antwortete der Flamländer, »er wird um so mehr der Gefahr des Fiebers entgehen.« »Wohl wahr! Ist es aber auch verständig von meiner Gebieterin?« fuhr Rose fort. »Verständig genug, wenn sie verständig verfährt. – Aber weshalb zweifelst Du an ihr, Röschen?« »Ich weiß nicht,« sagte Rose, die selber gegen ihren Vater ungern ein Wörtchen von Furcht und Zweifel wollte fallen lassen, »aber wo es böse Zungen gibt, da gibt's auch Böses zu erzählen. Sir Damian und meine Gebieterin sind sehr jung. – Es wäre wohl viel besser, lieber Vater, so denke ich, Ihr bötet dem verwundeten Ritter Eures Daches Schutz an, statt daß er nach dem Schlosse gebracht werde.« »Das werde ich nicht tun, Dirne,« antwortete der Flamländer etwas heftig. »Das werde ich nicht tun, wenn ich's vermeiden kann. Der Normann soll nicht über meine friedliche Schwelle kommen, der Engländer noch weniger, um sich über mein einfaches, sparsames Leben aufzuhalten und meinen Vorrat zu verzehren. Du kennst sie nicht, weil Du immer bei Deiner Lady und in ihrer Gunst bist. Aber ich kenne sie wohl, und das Beste, was ich noch von ihnen erlangen konnte, war ›fauler Flandersmann‹ und ›flämischer Tölpel‹ tituliert zu werden. – Ich danke allen Heiligen, daß sie seit des Welschen Gwenwyns Aufstand nicht mehr sagen können, ›flämische Memme‹.« »Ich habe stets geglaubt, mein Vater,« erwiderte Rose, »Ihr wäret zu verständig, um auf diese niedrigen Verleumdungen zu achten. Gedenkt, wir gehören zum Banner dieser Lady, sie ist stets meine liebevolle Gebieterin gewesen, und ihr Vater war Euer guter Herr; selbst dem Connetable seid Ihr verpflichtet, denn er hat Euer Privilegium erweitert. Mit Geld kann man Schulden bezahlen, aber Freundlichkeit kann man nur mit Freundlichkeit vergelten. Und ich sage es Euch vorher, Ihr werdet nie mehr eine solche Gelegenheit haben, dem Hause der Berenger und de Lacy Gutes zu erweisen, als wenn Ihr die Türe Eures Hauses dem verwundeten Ritter öffnet.« »Die Tür meines Hauses?« antwortete der Flamländer. »Weiß ich denn, wie lange ich dieses oder irgend ein Haus auf Erden mein eigen nennen kann? Ach! meine Tochter, wir zogen hierher, um der Wut der Elemente zu entfliehen, aber wer weiß, wie bald wir durch die Raserei der Menschen umkommen können.« »Ihr sprecht sonderbar, mein Vater,« sagte Rose. »Es stimmt nicht mit Eurer sonst so sichern Einsicht überein, aus dem plötzlichen Ueberfall eines welschen Freibeuters ein so allgemeines Unglück zu weissagen.« »Ich denke nicht an den einäugigen Räuber,« sagte Wilkin, »obgleich die wachsende Frechheit solcher Räuber wie Dawfyd kein gutes Zeichen für die Ruhe im Lande ist. Aber Du, die Du in jenen festen Mauern lebst, vernimmst nur wenig, was draußen vorgeht, und Euer Zustand ist daher sorgenloser. Du hättest auch diese Nachrichten nicht von mir erfahren, es sei denn, daß ich es für nötig gefunden, mich in ein anderes Land zu begeben.« »Euch wegbegeben, mein teuerster Vater, von einem Lande, wo Eure Betriebsamkeit und Sparsamkeit Euch ein so ehrenvolles Auskommen verschafft haben?« »Ja, und wo der Hunger von Bösewichtern, welche mir den Ertrag meiner Arbeit beneiden, mir leicht einen ehrlosen Tod bereiten kann. Es sind unter dem englischen Pöbel in mehr als einer Grafschaft Unruhen ausgebrochen, die Wut des Volkes richtet sich gerade gegen unsere Nation, als ob wir Juden oder Heiden wären und nicht bessere Christen und bessere Menschen als sie selbst. Zu York, Bristol und anderswo haben sie die Häuser der Flamländer gestürmt, ihr Gut geplündert, ihre Familien gemißhandelt, und selbst ermordet. Und warum? Wahrscheinlich nur deswegen, weil wir Künste und Gewerbe zu ihnen brachten, die sie vorher nicht kannten, und weil ein Wohlstand, den sie ohne uns nie in Britannien erblickt hätten, der Lohn für unsere Kunst und Mühe wurde. Röschen, dieser böse Geist verbreitet sich täglich mehr. Hier zwar sind wir sicherer als sonst irgendwo, weil wir eine ziemlich zahlreiche und starke Kolonie bilden. Aber ich traue unsern Nachbarn nicht, und wärest Du, Rose, nicht in Sicherheit gewesen, schon lange hätte ich dieses alles aufgegeben und Britannien verlassen.« »Alles aufgegeben, und Britannien verlassen!« Wundersam klangen diese Worte in den Ohren seiner Tochter, die am besten wußte, wie es ihrem Vater mit seiner Betriebsamkeit geglückt war, und wie es seinem festen und ruhigen Charakter gar nicht ähnlich sah, sichere und gegenwärtige Vorteile aus Furcht vor entfernter oder möglicher Gefahr aufzugeben. Endlich erwiderte sie: »Droht diese Gefahr wirklich, mein Vater, so scheint es mir, Euer Haus und Eigentum kann keinen bessern Schutz finden, als die Gegenwart dieses edlen Ritters. Wo lebt der Mann, der irgend eine Gewalttat gegen das Haus wagen wollte, welches Damian de Lacy beherbergt?« »Das weiß ich doch nicht!« sagte der Flamländer in demselben gesetzten, aber doch abweisenden Tone. »Möge der Himmel es mir vergeben, wenn es Sünde ist! aber ich sehe nichts wie Narrheit in diesen Kreuzzügen, die die Priester so erfolgreich gepredigt haben. – Da ist nun der Connetable fast drei Jahre schon abwesend, und wir erhielten keine sichere Nachricht, ob er lebt oder tot ist, ob er gesiegt hat oder eine Niederlage erlitt. Er zog aus, als ob er gesonnen sei, nicht eher abzuzäumen oder das Schwert einzustecken, bis das heilige Grab den Sarazenen entrissen wäre, und wir hören jetzt nichts davon, ob den Sarazenen auch nur ein Dorf genommen wurde. Während der Zeit wird das Volk zu Hause immer mißvergnügter – ihre Herren mit dem besten Teile ihres Geleites sind in Palästina, ob tot oder noch am Leben, ist schwer zu wissen – sie selbst werden unterdrückt und geschunden von Haushofmeistern und Stellvertretern, deren Joch nie so leicht ist und nie so leicht ertragen wird wie das des wirklichen Herrn. Die Bürgerlichen, die natürlich die Ritter und den Adel hassen, halten den Zeitpunkt für günstig, ihnen die Spitze zu bieten – ja, es gibt auch einige von edlem Blut, die sich nichts daraus machen, sie anzuführen, um ihren Teil an der Beute zu haben. Die Abenteuer in der Fremde und die Gewöhnung an ein liederliches Leben haben viele arm gemacht; und wer arm ist, wird für Geld den eigenen Vater morden. Ich hasse arme Leute, und ich wollte, der Teufel holte einen jeden, der sich nicht mit seiner Hände Arbeit ernähren kann!« Der Flamländer beschloß mit diesem charakteristischen Fluch eine Rede, die seiner Tochter eine so furchtbare Schilderung vom Zustande Englands gab, wie sie in der Einsamkeit von Garde Douloureuse noch nie zu vernehmen Gelegenheit gehabt hatte. »Sicherlich,« sagte sie, »sind derartige Gewalttätigkeiten nicht von denen zu befürchten, die unter dem Banner de Lacys und Berengers stehen!« »Berenger besteht nur noch dem Namen nach,« antwortete Wilkin Flammock, »und Damian, wiewohl ein wackerer junger Mann, steht an Charakter und Ansehen noch lange nicht so hoch wie sein Oheim. Auch beklagen sich seine Leute, daß sie unnütz geplagt werden, ein Schloß zu bewachen, das an sich uneinnehmbar ist und eine hinlängliche Besatzung hat. Sie führten hier ein tatenloses, unrühmliches Dasein und verlören alle Gelegenheit zu ehrenvollen Taten, wie sie es nennen, worunter sie aber nur Raufen und Plündern verstehen. Sie sagen, Damian, der Bartlose, war ein Mann, aber Damian mit dem Knebelbart ist nicht viel mehr als ein Weib, und die Jahre, die seine Oberlippe dunkel machten, haben zugleich seinen Mut gebleicht. – Und sie sagen noch mehr, aber es ist zu langweilig, davon zu reden.« »Gut! aber doch laßt mich wissen, was sie sagen! Laßt's mich wissen, um des Himmels willen!« anwortete Rose, »wenn es, wie es der Fall sein muß, meine treue Gebieterin betrifft.« »So ist es, Röschen,« antwortete Wilkin, »da gibt es viele unter den normannischen Kriegern, die erzählen sich's, so beim Weinkruge, daß Damian de Lucy ein Liebesverhältnis mit der Braut seines Oheims habe: ja, und daß sie miteinander verkehrten durch – Zauberkünste.« »Durch Zauberkünste! Wahrhaftig, so muß es sein,« sagte Rose, verächtlich lächelnd, »denn durch irdische Mittel stehen sie in keiner Gemeinschaft, das kann ich bezeugen,« »Demzufolge schreiben sie es der Zauberkunst zu,« sagte Wilkin Flammock, »daß de Lacy, sobald nur Mylady sich aus dem Schloßtor herausrührt, auch gleich mit seinen Leuten im Sattel ist, wiewohl sie es ganz genau wissen wollen, daß er weder durch einen Boten, noch durch einen Brief, noch auf sonst welchem gewöhnlichen Wege, Nachricht von ihrer Absicht erhalten hat. Auch waren sie jedesmal nur kurze Zeit in den Bergpässen herumgeritten, so hörten oder sahen sie auch schon, daß Lady Eveline außerhalb des Schlosses sei.« »Das ist mir nicht entgangen,« erwiderte Rose, »und Mylady hat bisweilen ihr Mißvergnügen gezeigt, daß Damian so sorgfältig sich Kenntnis von allen ihren Bewegungen zu verschaffen wüßte und sie dann mit einer so zudringlichen Pünktlichkeit beobachtete und beschützte. Der heutige Tag jedoch hat es bewiesen,« fuhr sie fort, »daß seine Wachsamkeit sehr am Platze ist. Da sie aber selbst bei solchen Gelegenheiten nie zusammenkamen, sondern sich immer in einer solchen Entfernung hielten, daß jede Möglichkeit, sich zu sprechen, ausgeschlossen war, so hätte ich denken sollen, daß auf beide kein Verdacht fallen könnte.« »Ach, Tochter Röschen,« erwiderte Wilkin, »man kann bisweilen auch die Vorsicht so weit treiben, daß eben dadurch Argwohn erregt wird. Warum, sagen die Reisigen, müssen sie denn immer so förmlich gegeneinander sein? Warum müssen sie sich immer so nahe sein und dürfen doch nie zusammenkommen? Wären sie sich gegenseitig nichts mehr als der Neffe und des Oheims Braut, so dürften sie öffentlich und frei miteinander umgehen; und sind sie anderseits heimliche Liebesleute, so ist doch anzunehmen, daß sie im geheimen zusammentreffen, obwohl sie dies sehr schlau zu verbergen wissen.« »Jedes Wort, das Ihr sprecht, mein Vater, macht es unumgänglich notwendig, daß Ihr den verwundeten jungen Mann in Euer Haus aufnehmt. Mögen die Uebel, die Ihr fürchtet, noch so groß sein, so könnt Ihr Euch doch darauf verlassen, sie werden nicht dadurch vermehrt, daß Ihr ihm und einigen wenigen seiner treuen Begleiter Obdach gewährt.« »Seinen Begleitern nicht!« sagte der Flamländer heftig, »Nicht einem von ihnen! Nur dem Pagen, der ihn bedient, und dem Arzt, der ihn behandelt.« »So kann ich also Euer Dach wenigstens den dreien anbieten?« sagte Rose. »Tu, was Du willst! Tu, was Du willst!« rief der sie so innig liebende Vater. »Bei meiner Treu, Röschen, es ist sehr gut, daß Du in allen Deinen Forderungen verständig und bescheiden bleibst, weil ich doch mal so närrisch bin, Dir alles gleich zuzugestehen. Das ist nun wieder einmal eine Deiner wunderlichen Regungen von Großmut und Ehre – mir gegenüber freilich stellst Du es als Klugheit und Rechtlichkeit hin. Ach, Rose, Rose, die, welche mehr noch als das Gute tun wollen, bringen zuweilen etwas hervor, was übler ist als das Böse. – Aber ich denke, ich werde diesmal mit der Furcht davonkommen, denn Deine Gebieterin, die, mit allem Respekt zu sagen, ein bißchen abenteuerlich veranlagt ist, wird schon eigensinnig auf das ritterliche Vorrecht bestehen, ihren Ritter in ihrem eigenen Gemach aufzunehmen und ihn in Person zu pflegen.« Der Flamländer hatte recht prophezeit. Kaum hatte Rose Evelinen den Vorschlag getan, den verwundeten Damian bis zu seiner Wiederherstellung in ihres Vaters Hause zu lassen, als ihre Gebieterin kurz und entschieden das Anerbieten verwarf. »Er ist mein Erretter gewesen,« sagte sie, »und gibt es ein Wesen, vor welchem die Tore von Garde Douloureuse von selbst aufspringen müßten, so ist es Damian de Lacy. – Nein, Jungfer, wirf nicht auf mich einen so argwöhnischen, bekümmerten Blick. – Wer über Verstellung erhaben ist, Mädchen, verachtet den Argwohn, Gott ist's und Unsere Frau, denen ich Rechenschaft schuldig bin, und vor ihnen liegt mein Herz offen!« Sie gelangten schweigend zu dem Burgtore, woselbst Lady Eveline Befehl erteilte, daß ihr Beschützer, wie sie mit Nachdruck Damian nannte, ihres Vaters Gemach bewohnen sollte; und mit der Klugheit eines reifern Alters gab sie die nötigen Anweisungen für die Aufnahme und Bequemlichkeit seiner Begleitung. Alles tat sie mit der größten Fassung und Geistesgegenwart, noch ehe sie ihre eigene, in Unordnung geratene Kleidung wechselte. Noch ein Schritt blieb ihr zu tun übrig. Sie eilte zu der Kapelle der Jungfrau, und sich vor ihrer heimlichen Beschützerin niederwerfend, brachte sie ihr Dank für ihre zweite Befreiung dar und flehte um ihren Schuh und durch ihre Fürsprache um den Beistand des allmächtigen Gottes in all ihren Zweifeln, wie sie fernerhin sich verhalten sollte. »Du weißt«, sagte sie, »daß ich nicht in übermütigem Vertrauen auf meine eigenen Kräfte mich in Gefahr begeben habe. O mache mich stark, wo ich am schwächsten bin! Laß meine Dankbarkeit und mein Mitleid nicht einen Fallstrick für mich sein, und während ich dahin strebe, die Pflichten zu erfüllen, die mein dankbares Herz mir auferlegt, errette mich von den bösen Zungen der Menschen – und rette mich – o, rette mich von den hinterlistigen Nachstellungen meines eigenen Herzens!« Mit andächtigem Eifer betete sie jetzt ihren Rosenkranz ab, dann begab sie sich in ihr Zimmer, rief ihre Frauen und ließ ihre Kleidung in Ordnung bringen. Elftes Kapitel In Gewändern von dunkler Farbe, wie in Trauer gekleidet, deren Schnitt mehr einer Matrone geziemte als ihrer Jugend, einfach bis zur Übertreibung, ohne allen Schmuck als ihren Rosenkranz, erfüllte nun Eveline die Pflicht einer Wärterin bei ihrem verwundeten Befreier, eine Pflicht, die die Sitte der Zeit nicht nur erlaubte, sondern gebieterisch erheischte. Rose und Dame Gillian waren ihr zur Seite; Maryorin, die sich in Krankenzimmern wie in ihrem Element befand, wurde in dem des jungen Ritters angestellt, um für alles, was sein Zustand erfordern könnte, Sorge zu tragen. Eveline trat in das Zimmer mit einem leisen Schritt, um nicht den Kranken zu stören. Sie hielt an der Tür still und sah sich um. Es war einst ihres Vaters Zimmer, und sie hatte es seit seinem gewaltsamen Tode nicht betreten. Längs den Wänden hing ein Teil seiner Rüstungen und Waffen, mit Falkenhandschuhen, Jagdstangen und anderm Jagdgeräte. Diese Reliquien riefen wie leibhaftig die stattliche Gestalt des Sir Raymond vor ihre Seele. »Runzle nicht die Stirn, mein Vater,« ihre Lippen bildeten die Worte, aber die Stimme sprach sie nicht aus. »Runzle sie nicht! Eveline wird Deiner nie unwürdig sein!« Pater Aldrovand und Amelot, Damians Page, saßen an seinem Bette und standen beim Eintritt Evelinens auf, und der Pater, der sich ein wenig mit der Heilkunde abgegeben, sagte zu Evelinen, der Ritter hätte ziemlich lange geschlafen und scheine eben jetzt zu erwachen. Zu gleicher Zeit trat Amelot vor und bat schnell und leise, daß Ruhe im Zimmer herrschen möge und alle Zuschauer entfernt werden möchten. »Mein Herr,« sagte er, »pflegt zuweilen seit seiner Krankheit zu Gloucester etwas wild zu reden, wenn er vom Schlafe erwacht, und würde mit mir unzufrieden sein, erlaubte ich irgend jemand, alsdann in seiner Nähe zu bleiben.« Demzufolge gebot Eveline den Frauen und dem Mönch, sich in das Vorzimmer zurückzuziehen, während sie in der Tür stehen blieb und ihren Namen von Damian nennen hörte, als er sich schmerzensvoll auf seinem Lager umwandte. »Ist sie in Sicherheit und unverletzt?« war seine erste Frage, und die Heftigkeit, in der er sie stellte, bewies, wie sehr ihm vor allem diese Sorge am Herzen lag. Als Amelot bejahend antwortete, seufzte er wie einer, dessen Brust von einer schweren Last befreit worden, und mit minder bewegter Stimme fragte er den Pagen, wo sie waren? – »Das Zimmer,« sagte er, »mit allem Geräte ist mir ganz fremd.« »Mein teuerster Herr,« sagte Amelot, »Ihr seid jetzt zu schwach, um Fragen vorzulegen und Erklärungen zu empfangen.« »Sei es, wo es sei,« sagte Damian, immer mehr zur Besinnung kommend. »Ich bin nicht an der Stelle, wohin mich meine Pflicht ruft. – Laßt meine Trompeten zu Pferde blasen – zu Pferde! – Und laß Ralph Genvil mein Banner tragen. – Zu Pferde! zu Pferde! Wir haben keinen Augenblick zu verlieren.« Der verwundete Ritter machte einige Versuche, sich aufzurichten, wurde aber bei seiner Schwäche von Amelot mit geringer Mühe zurückgelegt. »Du hast recht,« sagte er und sank in liegende Stellung nieder. »Du hast recht, – ich bin zu schwach – doch warum soll mir auch die Kraft bleiben, wenn die Ehre verloren ist?« Der unglückliche junge Mann bedeckte sein Gesicht mit den Händen und seufzte wie im Todeskampfe, doch schien der Schmerz mehr seine Seele als seinen Körper zu erschüttern. Eveline näherte sich seinem Bette mit schwankendem Schritte: sie fürchtete, sie wußte selbst nicht was, doch zeigte sie den innigsten Anteil an dem Schmerz des Leidenden. Damian blickte auf, wurde sie gewahr, und wiederum verhüllte er sein Angesicht mit seinen Händen. »Wozu diese heftige Leidenschaft, Herr Ritter?« sagte Eveline mit einer anfangs schwachen, bebenden Stimme, die aber allmählich mehr Festigkeit und Sicherheit erhielt. »Kann es Euch, die Ihr zu den Pflichten der Ritterschaft geschworen habt, so großen Schmerz erregen, daß der Himmel Euch schon zweimal zum Werkzeug erwählte, Eveline Berenger zu retten?« »O nein! nein!« rief er schnell aufeinander. »Da Ihr gerettet seid, ist alles gut – aber die Zeit drängt – ich muß sogleich aufbrechen – nirgends darf ich mich jetzt aufhalten – am allerwenigsten in diesem Schlosse – noch einmal, Amelot, laß die Leute aufsitzen!« »Nein, mein guter Lord,« sagte das Fräulein. »Das kann nicht geschehen. Als Eure Schutzbefohlene kann ich meinen Beschützer nicht so plötzlich abreisen lassen – als Euer Arzt kann ich meinem Patienten nicht erlauben, sich selbst zu verderben. – Ihr könnt unmöglich ein Pferd besteigen.« »Eine Trage – eine Bahre – einen Karren, den entehrten Ritter, den Verräter wegzuschleppen – alles noch zu gut für mich – ein Sarg wäre das beste von allem. Aber gib wohl acht, Amelot, daß er nur einer sei, wie für den geringsten Bauern, keine Sporen auf der Sargdecke – kein Schild mit dem alten Wappen der de Lacys, kein Helm mit dem ritterlichen Kamme darf den Leichenwagen dessen zieren, dessen Name entehrt ist.« »Ist sein Verstand zerrüttet?« sagte Eveline und blickte mit Schrecken von dem Verwundeten auf seinen Diener hin, »oder steckt ein furchtbares Geheimnis hinter diesen abgebrochenen Worten? – Ist es so, so sprecht es aus, und kann es wieder gut gemacht werden durch Leben und Eigentum, so soll meinem Befreier nichts Uebles widerfahren.« Mit niedergeschlagenem, traurigem Blick, sah Amelot sie an, schüttelte seinen Kopf und blickte dann auf seinen Herrn hin mit einer Miene, welche sagen wollte, daß er ihre Fragen in Damians Gegenwart nicht beantworten könnte. Lady Eveline bemerkte diesen Wink, schlich in das Vorzimmer und gab dem Amelot ein Zeichen, ihr zu folgen. Er gehorchte, nachdem er zuerst einen Blick auf seinen Herrn geworfen, der in derselben trostlosen Stellung verharrte, das Gesicht mit den Händen bedeckt, wie einer, der das Licht scheut und alles, was vom Licht beschienen wird. Als Amelot im Vorzimmer war, gab Eveline ihren Dienern ein Zeichen, sich bis ans äußerste Ende zurückzuziehen, und befragte ihn nun heimlich, worauf die Worte der Sorge und Verzweiflung, die sein Herr gesprochen, zurückzuführen seien. »Du weißt,« sagte sie, »daß ich Deinem Herrn zu helfen verpflichtet bin, sowohl aus Dankbarkeit, weil er mich mit Gefahr seines Lebens gerettet hat – als auch weil er mein Verwandter ist. Sage mir daher, wie es um ihn steht, daß ich ihm helfe, wenn ich es vermag – das heißt,« setzte sie hinzu, und ihre Wange färbte eine dunkle Röte, »wenn es sich für mich schickt, die Ursache seines Kummers zu hören.« Tief verneigte sich der Page; doch geriet er in so große Verlegenheit, als er zu sprechen begann, daß auch Eveline verwirrt und ratlos war. Demungeachtet drang sie in ihn, ohne Bedenken und Verzug zu sprechen, wenn nur das, was er zu sagen hätte, sich für sie schickte. »Glaubt mir, edle Lady,« sagte Amelot, »augenblicklich würde ich Eure Befehle erfüllt haben, fürchtete ich nicht meines Herrn Zorn, daß ich ohne seine Erlaubnis von seinen Angelegenheiten rede. Da ich aber weiß, er ehrt Euch höher, als irgend einen Menschen auf der Welt, so will ich auf Euren Befehl, soviel sagen: wenn er von den Wunden geheilt und sein Leben gerettet wird, so würden doch seine Ehre und Würde in noch größere Gefahr geraten, sofern der Himmel nicht selbst Hilfe sendet.« »Sprich weiter,« sagte Eveline, »und sei versichert, wenn Du Dich mir anvertraust, wirst Du Damian de Lacy keinen Nachteil bringen.« »Ich glaube es wohl, Lady,« sagte der Page. »So wißt denn, wenn es Euch nicht bereits bekannt ist, daß die Bauern und der Pöbel, die im Westen die Waffen gegen den Adel ergriffen haben, behaupten, sie würden bei ihrer Empörung nicht allein von Randal de Lacy, sondern auch von meinem Herrn Sir Damian unterstützt.« »Lügner sind es, die ihn eines so schändlichen Verrates gegen seinen eigenen Blutsfreund und seinen Landsherrn zu beschuldigen wagen,« sagte Eveline. »Wohl weiß ich, daß sie lügen,« sagte Amelot, »aber das hindert nicht, daß ihre falschen Behauptungen bei denen Glauben finden, die ihn nicht genau kennen. Mehr als ein Ausreißer von den Unsrigen hat sich zu diesem zusammengelaufenen Gesindel gesellt, und das macht das böse Gerücht noch wahrscheinlicher. Und dann sagen sie, – sagen sie – daß – mit einem Wort – daß mein Herr danach strebe, die Ländereien seines Oheims, welche er für ihn verwaltet, an sich zu reißen, und daß, wenn der alte Connetable – ich bitte um Verzeihung, Mylady! – von Palästina heimkehren sollte, es ihm schwer werden dürfte, sein Eigentum zurückzuerhalten.« »Diese elenden, niederträchtigen Menschen urteilen über andere nach ihren eigenen niedrigen Gesinnungen und glauben, daß solchen Versuchungen, denen sie selber nicht würden widerstehen können, auch edlere Naturen erliegen müßten. Aber sind denn wirklich die Empörer so vermessen und so mächtig? Wir haben von ihren Gewalttaten gehört, aber doch nur, als ob es ein kleiner Volksauflauf wäre?« »In der vergangenen Nacht erhielten wir die Nachricht, daß sie sich in großer Menge zusammengezogen und Wild Wenlock mit seinen Reisigen in einem ungefähr zehn englische Meilen von hier entfernten Dorfe eingeschlossen und belagert hätten. Er sandte zu meinem Herrn und bat ihn als seinen Verwandten und Waffenbruder um Hilfe. Wir saßen heute früh auf, zu seinem Beistand zu ziehen – als« – Er schwieg und schien nicht gern fortfahren zu wollen, Eveline nahm das Wort auf: »Als Ihr von der Gefahr hörtet, in der ich mich befand?« sagte sie. – »Ich wünschte, Ihr hättet lieber meinen Tod vernommen.« »Gewiß, edle Lady,« sagte der Page mit einem Blicke auf den Boden, »nur eine so dringende Ursache konnte meinen Herrn bewegen, seine Truppen halten zu lassen und ihre Mehrzahl gegen die welschen Bergbewohner zu führen, da die Lage seines umzingelten Landsmannes und die ausdrücklichen Befehle des königlichen Statthalters ihm doch vorschrieben, gegen die Aufrührer zu ziehen.« »Ich wußte es,« fügte sie, »ich wußte es, daß ich geboren ward zu seinem Verderben; aber mir scheint, das ist noch schlimmer, als wovon ich träumte. Ich fürchtete nur seinen Tod zu verursachen, nicht den Verlust seiner Ehre. – Um Gottes willen, Amelot, tu, was Du kannst, und das ohne Zeitverlust! – Auf der Stelle wirf dich aufs Pferd, und zu Deinen eigenen Leuten nimm so viel von den meinigen, wie Du zusammenbringen kannst! – Geh! sprenge fort, mein tapferer Jüngling, – zeige Deines Herrn Banner – zeige ihnen, daß seine Macht und sein Herz mit ihnen ist, wenn auch seine Person abwesend sein muß. – Eile – eile – kostbar ist die Zeit!« »Aber die Sicherheit des Schlosses? – aber Eure eigene Sicherheit?« sagte der Page, »Gott weiß, wie gerne ich alles tun möchte, seine Ehre zu retten. Ich kenne meines Herrn Sinn. Sollte Euch durch meine Entfernung von Garde Douloureuse irgend ein Leides widerfahren, und hätte ich ihm auch dadurch Land, Leben und Ehre gerettet, ich möchte wohl eher seinen Dolch als Dank und Lohn dafür kosten.« »Nichtsdestoweniger, teurer Amelot, mache Dich auf!« sagte sie, »sammle, was Du zusammenbringen kannst, und mache, daß Du davon kommst!« »Ihr spornt ein williges Roß,« sagte der Knappe, – und war schon auf dem Sprunge, »auch sehe ich in meines Herrn Lage nichts Besseres zu tun, als seine Banner wenigstens gegen diese Feinde zu tragen.« »Zu den Waffen denn!« rief Eveline mit Feuer, »zu den Waffen! und gewinne Dir die Sporen! Bringe mir die Gewißheit, daß Deines Herrn Ehre gerettet ist, und ich selbst will die Sporen Dir anschnallen. – Hier – nimm diesen geweihten Rosenkranz – befestige ihn an Deinem Helm – und möge der Gedanke an die heilige Jungfrau von Garde Douloureuse, die nie die Ihr Geweihten verließ, Dich stärken in der Stunde des Gefechts!« Sie hatte kaum geendet, als schon Amelot davon geflogen war, und so viel Pferde zusammenbrachte, als er konnte, von seines Herrn Leuten sowohl, als von dem Burg gehörigen Gesinde. So hielten bald vierzig Mann zu Pferde im Schloßhofe. – Aber obwohl bis dahin der Page willigen Gehorsam gefunden, als die Kriegsmänner hörten, daß sie zu einem gefährlichen Zuge aufbrechen sollten, wenngleich unter keinem andern Führer, als einem jungen Menschen von fünfzehn Jahren, so weigerten sie sich doch entschieden, das Schloß zu verlassen. Die alten Krieger de Lacys behaupteten, Damian selbst wäre noch zu jung, sie zu befehligen, und habe kein Recht, seine Gewalt nun gar einem Knaben zu übertragen; Berengers Leute sagten, ihre Gebieterin möchte zufrieden sein, daß sie am Morgen gerettet worden, statt nun noch die Besatzung des Schlosses zu vermindern und die Gefahr dadurch zu erhöhen. »Die Zeiten,« sagten sie, »sind stürmisch, und das klügste ist, ein steinernes Dach überm Kopf zu haben.« Je mehr die Krieger einander ihre Gedanken und Befürchtungen mitteilten, desto stärker wurde ihre Abneigung gegen das Unternehmen. Als nun Amelot, der inzwischen, nach Pagenart, sich darum kümmerte, daß sein Pferd gesattelt und vorgeführt würde, wieder in den Schloßhof zurückkehrte, sah er die Leute in wirren Gruppen stehen, einige zu Pferde, andere zu Fuß, alle in lautem Gespräch und in größter Unordnung, Ralph Genvil, ein Veteran, dessen Gesicht mit mancher Schramme gezeichnet war, stand abseits von den übrigen und hielt seines Pferdes Zaum in der einen Hand und in der andern den Fahnenschaft, um den das Banner de Lacys noch unentfaltet gewickelt war. »Was heißt das, Genvil?« fragte der Page ärgerlich, »warum besteigt Ihr nicht das Pferd und laßt das Banner wehen? – Und was veranlaßt diese Verwirrung?« »Fürwahr, Herr Page,« sagte Genvil, ganz gelassen, »ich bin nicht in meinem Sattel, weil ich einige Achtung vor diesem alten seidenen Lumpen habe, den ich mit Ehren getragen, und ich möchte ihn nicht gerne irgendwohin tragen, wohin die Männer ihm nicht folgen wollen.« »Heut wird nicht marschiert – heut wird nicht angegriffen – heut wird das Banner nicht entfaltet!« schrieen die Krieger, um der Rede des Fahnenträgers Nachdruck zu geben. »Wie, ihr Memmen, ist das Meuterei?« sagte Amelot und legte die Hand auf das Schwert. »Droht mir nicht, Herr Page!« sagte Genvil, »und fackelt mir nicht mit Eurem Schwerte vorm Gesicht herum. Ich sage Dir, Amelot, sollte mein Schwert mit dem Deinigen zusammenkommen, nie sollte ein Dreschflegel mehr Spreu um sich geworfen haben, als ich Splitter aus Deinem eben flügge gewordenen, vergoldeten Bratspieß machen wollte. Seht her, hier sind Graubärte, die nicht Lust haben, sich nach der Laune eines Knaben ins Weite führen zu lassen. Was mich anbetrifft, mir ist's einerlei, ob der eine oder andere Knabe das Kommando hat. Aber ich bin für jetzt de Lacys Mann, und ich bin mir nicht klar, ob de Lacy es uns danken wird, wenn wir Wild Wenlock zu Hilfe ziehen. Warum führte er uns nicht diesen Morgen dahin? Statt dessen ließ er uns in die Berge marschieren.« »Ihr wißt ja sehr gut, weshalb das geschah,« antwortete der Page. »Ja, wohl wissen wir's, oder wenn wir's nicht wissen, so können wir es erraten,« antwortete der Fahnenträger mit wieherndem Lachen, in das mehrere seiner Gefährten einstimmten. »Ich will diese Verleumdung in Deinen falschen Hals stopfen, daß Du daran erwürgst!« sagte der Page, zog sein Schwert und warf sich blindlings auf den Bannermann, ohne auf den gewaltigen Unterschied ihrer Kräfte Rücksicht zu nehmen. Genvil begnügte sich damit, seinen Angriff durch eine, wie es schien, ganz leichte Bewegung seines Riesenarmes zu parieren, wodurch er den Pagen zur Seite schob, indem er gleichzeitig einen Hieb mit dem Fahnenschaft auffing. Ein neues, lautes Gelächter erfolgte, und Amelot, der alle seine Anstrengungen vereitelt sah, warf sein Schwert von sich, und indem ihm aus Stolz und Aerger die Tränen in die Augen traten, eilte er zur Lady Eveline zurück, ihr seinen Mißerfolg zu berichten. – »Verloren ist alles,« sagte er – »die feigen Schufte sind aufsässig und wollen nicht ausrücken, und der Tadel ihrer Feigheit und Zaghaftigkeit wird auf meinen teuern Herrn fallen.« »Nie soll das geschehen,« sagte Eveline, »und sollte ich mein Leben aufopfern, es zu verhindern. – Folge mir, Amelot!« Sie warf eine scharlachrote Schärpe um ihre dunkle Kleidung und eilte in den Hof. Gillian folgte ihr unter lebhaften Gebärden des Erstaunens und Mitleids; Rose folgte gleichfalls, sorgfältig alle Aeußerungen der Gefühle unterdrückend, die ihr Herz bewegten. Eveline trat in den Schloßhof mit dem flammenden Auge und der glühenden Stirne, die ihre Vorfahren in Gefahr und Not zu zeigen pflegten, wenn ihre Seele gewaffnet war, dem Sturme die Spitze zu bieten. In diesem Augenblick schien sie größer als gewöhnlich, und mit klarer und fester Stimme, die dennoch die Zartheit des weiblichen Tons nicht verlor, redete sie die Meuterer also an: »Was ist das, Ihr Herren?« sagte sie – und indem sie sprach, zogen sich die breitschultrigen Gestalten der Krieger enger zusammen, als ob ein jeder für seine Person dem Vorwurf entgehen wollte. Sie glichen einer Gruppe plumper Wasservögel, wenn diese sich dicht aneinander schließen, dem Stoß des leichten, schönen Lerchenhabichts zu entgehen, die Ueberlegenheit seiner Natur und Zucht über ihre ungeschickte körperliche Kraft fürchtend. – »Was ist denn das?« fragte sie noch einmal, »denkt Ihr, es ist Zeit, Meuterei zu treiben, weil Euer Gebieter abwesend ist und sein Neffe und Stellvertreter auf dem Krankenbette liegt? – Haltet Ihr so Euren Eid? – Wollt Ihr so Eures Anführers Gewogenheit erlangen? – Schande über Euch, feige Hunde, die da zagen und den Rücken wenden, so wie sie den Jäger aus dem Gesicht verlieren!« Eine Pause folgte. – Die Krieger blickten einander, dann Eveline an, als schämten sie sich ihrer Meuterei, ohne daß es ihr Trotz zuließ, zur gewohnten Manneszucht zurückzukehren. »Ich sehe, was es ist, meine braven Freunde! – Euch mangelt ein Anführer – doch darauf sollt Ihr nicht lange warten. – Ich selbst will Euch anführen, und wenn ich gleich nur ein Weib bin, kein Mann unter Euch darf einen Schimpf befürchten, wo eine Berenger befehligt. – Rüstet meinen Zelter mit einem Stahlsattel aus,« rief sie, »und das im Augenblick!« – Sie hob des Pagen leichten Helm auf und warf ihn über ihr Haar, sie ergriff sein weggeworfenes Schwert und trat vor. – »Hier gelobe ich Euch meine ganze Kraft und meine Führung. Dieser Biedermann,« sie zeigte auf Genvil, »soll meinen Mangel an Kriegskenntnis ersetzen. Er sieht wie ein Mann aus, der schon manche Schlacht gesehen hat und wohl die junge Anführerin in ihrer Pflicht unterweisen kann.« »Gewiß,« sagte der alte Krieger, wider Willen zum Lächeln gezwungen und doch zugleich den Kopf schüttelnd, »viele Schlachten habe ich gesehen, aber nie focht ich unter einem solchen Befehlshaber.« »Demungeachtet,« sagte Eveline, als sie sah, wie aller Augen sich auf Genvil wandten, »werdet Ihr nicht – könnt Ihr nicht– wollt Ihr Euch nicht weigern, mir zu folgen. Ihr dürft's auch nicht als Soldat, denn meine schwache Stimme gibt Euch nur Eures eigenen Hauptmanns Befehle wieder. – Ihr könnt es auch nicht als Mann, denn eine Frau, eine verlorene, hart bedrängte Frau fleht Euch um Hilfe an – Ihr dürft's auch nicht als Engländer, denn Euer Vaterland verlangt Euer Schwert, und Eure Kameraden sind in Gefahr. – Laßt also das Banner wehen, und nun vorwärts!« »Bei meiner Seele, ich möchte es gerne tun, schöne Lady!« antwortete Genvil und tat, als wickle er schon das Banner auf, »auch Amelot könnte uns schon genug anführen, wenn er sich von mir unterweisen ließe; aber ich weiß nicht, ob Ihr uns da auf den rechten Weg schickt.« »Gewiß! Gewiß!« rief Eveline zuversichtlich, »der rechte Weg ist der, der Euch zur Befreiung Wenlocks und der Seinigen führt, die von den rebellischen Bauern belagert werden.« »Das ist mir nicht ganz klar,« sagte Genvil, noch immer zögernd, »unser Anführer hier, Sir Damian de Lacy, beschützt das Volk, einige sagen, er begünstigt sie sogar. Auch weiß ich, daß er einmal mit Wild Wenlock in Streit geriet über eine kleine Beleidigung, die jener der Frau des Müllers von Twinford zufügte. Wir werden schön wegkommen, wenn unser feuriger junger Anführer wieder auf den Beinen ist und erfährt, daß wir gegen die Partei kämpften, die er in Schutz nahm.« »Seid überzeugt,« sagte das besorgte Fräulein, »je mehr er den Bürgerstand gegen Unterdrückung beschützt, desto mehr würde er gegen ihn auftreten, wenn die Bürger wieder andere unterdrücken wollten. – Steig auf und reite – rette Wenlock und seine Mannen – jeder Augenblick entscheidet über Tod und Leben! – Ich will mit meinem Leben und Lande mich verbürgen, daß, was Ihr hier tut, de Lacy als guten Dienst aufnehmen wird. – Auf denn, folgt mir!« »Niemand kann sicherlich Sir Damians Absichten besser kennen als Ihr, schönes Fräulein,« antwortete Genvil. »Ja, auch hierin könnt Ihr ihn umstimmen, wie Ihr Lust habt. – So will ich denn mit den Leuten aufbrechen und dem Wenlock helfen, wenn es noch Zeit ist, wie ich's wohl hoffe; denn er ist ein wilder Eber, und wenn er sich wehrt, wird es die Bauern Blut genug kosten, ehe sie ins Horn blasen. – Aber bleibt Ihr in der Burg, schöne Lady! und verlaßt Euch auf Amelot und mich. – Komm, Herr Page, übernimm das Kommando, da es sein muß; wiewohl es, meiner Treu! schade ist, den Helm von dem schönen Kopf und das Schwert aus der schönen Hand zu nehmen. Beim heiligen Georg! Die Waffen da zu erblicken, gibt dem Soldatenhandwerk ein wahres Ansehen.« Die Lady übergab demnach dem Amelot die Waffen und ermahnte ihn mit wenigen Worten, die zugefügte Beleidigung zu vergessen und männlich seine Pflicht zu tun. Indessen rollte Genvil langsam seine Fahne auf, dann warf er sie aus, und ohne den Fuß in den Steigbügel zu setzen, half er sich nur ein wenig mit der Lanze und schwang sich in den Sattel, so schwer bewaffnet er war. »Wenn es Euer Jugendlichkeit gefällig ist,« sagte er zu Amelot, und während der Page den Haufen in Reih und Glied stellte, flüsterte er seinem nächsten Kameraden zu: »Ich meine, weit herrlicher wär's, wenn uns statt dieses Burschen im alten Kittel das hübsche Weib im gestickten Gewand anführte – es geht nichts über einen verbrämten Weiberrock. – Sieh einmal, Stephen Pontoys – ich kann es jetzt dem Damian vergeben, daß er seinen Oheim und seinen eigenen guten Ruf über dieser Dirne vergißt; denn bei meiner Treu, das ist so eine, in die ich bis auf den Tod vernarrt sein könnte, versteht sich, so par amours. – Mögen die Weiber zum Kuckuck fahren! – Sie beherrschen uns, Stephan, bei jeder Gelegenheit und in jedem Alter. Sind sie jung, dann locken sie uns mit freundlichen Blicken und gezuckerten Worten und süßen Küssen und Liebespfändern; sind sie in mittleren Jahren, so machen sie uns willfährig durch Geschenke und Artigkeiten, roten Wein und rotes Gold; und wenn sie alt sind, so besorgen wir ihnen nur zu gern alle Aufträge, um nur ihre alten ledernen Gesichter loszuwerden. – Wohl hätte der alte de Lacy zu Hause bleiben sollen, seinen Falken zu bewachen. Aber uns, Stephan, kann das alles gleich sein, und wir können heute vielleicht Beute machen, denn diese Bauern haben mehr wie ein Schloß geplündert.« »Ja, ja,« erwiderte Pontoys, »der Bauer geht auf Beute, damit der Soldat sie ihm abnimmt, ein recht kräftiges Sprichwort. Aber, ich bitte Dich, kannst Du mir nicht sagen, warum der Herr Page uns noch nicht abführt?« »Pah!« antwortete Genvil, »der Stoß, den ich ihm gab, hat sein Gehirn ausgeleert – oder vielleicht hat er noch nicht alle seine Tränen hinabgeschluckt – denn sonst ist es ein vorschnelles Hähnchen für seine Jahre, wo es gilt, Ehre zu gewinnen. – Sieh! jetzt setzen sie sich in Bewegung. – Es ist doch ein sonderbares Ding, Stephen, dieses edle Blut; ein Kind, das ich eben zurechtgesetzt habe wie einen Schulknaben, muß nun uns Graubärte hinführen, wo es uns den Kopf kosten kann, und das auf Befehl einer muntern Lady.« »Ich wette, Sir Damian ist Geheimschreiber bei meiner feinen Lady,« antwortete Stephen Pontoys, »so wie der Springinsfeld Amelot es bei Sir Damian ist; und so müssen wir armen Leute gehorchen und den Mund halten.« »Aber dabei die Augen aufmachen, Stephen Pontoys, vergiß das nicht.« Jetzt war man außerhalb der Tore des Schlosses und hatte den Weg nach dem Dorfe eingeschlagen, in welchem, nach der am Morgen erhaltenen Nachricht, Wenlock von einer überwiegenden Zahl der Rebellen belagert wurde. Amelot ritt an der Spitze der Schar, noch immer verdrossen über die in Gegenwart der Krieger empfangene Beleidigung und in Gedanken verloren, von wem er sich in seiner Unkenntnis sollte raten und helfen lassen. Früher hatte der Fahnenträger dies getan, und nun schämte er sich, eine Versöhnung mit ihm zu suchen. Aber Genvil, wiewohl stets ein Murrkopf, war nicht von Natur tückisch. Er ritt zu dem Pagen heran, machte ihm eine Verbeugung und fragte ihn mit allem Respekt, ob es nicht gut getan wäre, wenn einige ihrer am besten berittenen Leute vorauszögen, um auszukundschaften, wie es mit Wenlock stünde und ob es noch Zeit wäre, ihm Beistand zu leisten. »Mich dünkt, Fahnenträger,« erwiderte Amelot, »Ihr solltet die Führung des Zuges übernehmen, da Ihr genau wißt, was zu tun ist. Ihr mögt um so besser zum Befehlen taugen, weil Ihr – doch will ich Euch keinen Vorwurf machen.« »Weil ich so schlecht zu gehorchen weiß,« erwiderte Genvil, »das wollt Ihr sagen. Und meiner Treu, ich leugne es nicht, etwas Wahres steckt darin. Aber wir wollen eines närrischen Wortes oder einer übereilten Handlung wegen keine dummen Streiche machen. – Komm, laß Frieden unter uns sein!« »Von ganzem Herzen!« erwiderte Amelot, »ich will sogleich einige Leute vorausschicken, wie Du mir geraten hast.« »Nimm den alten Stephen Pontoys mit zwei von den Chester Speeren dazu. – Er ist so schlau wie ein alter Fuchs, und weder Hoffnung noch Furcht bringt ihn um eines Haares Breite weiter, als sein Scharfsinn gut heißt.« Amelot befolgte den Wink, und auf seinen Befehl sprengten Pontoys und zwei Lanzen voraus, den Weg zu untersuchen und die Lage derer auszukundschaften, zu deren Hilfe sie heranrückten. »Jetzt, da wir auf dem alten Fuße stehen, Herr Page,« sagte der Fahnenträger, »sage mir, wenn Du es kannst, liebt nicht jene schöne Lady unsern artigen Ritter ›par amours'‹?« »Das ist eine schändliche Verleumdung!« rief Amemlot voll Unwillen. »Seinem Oheim ist sie verlobt, und ich bin überzeugt, sie würde eher sterben, als einen solchen Gedanken hegen, und so auch mein Herr. Ich habe schon früher diesen ketzerischen Glauben bei Dir wahrgenommen, Genvil, und ich bat Dich, ihn zu verdammen. Du weißt ja auch, es kann nicht sein, denn Du weißt, daß sie fast gar nicht zusammenkommen.« »Wie sollte ich das wissen?« sagte Genvil, »und wie solltest Du es wissen? – Bewache sie auch noch so streng – viel Wasser schleicht durch die Mühle, das Müller Hob nicht gewahr wird. – Sie schreiben sich, das kannst Du nicht leugnen.« »Ich leugne es,« sagte Amelot, »so wie ich alles leugne, was ihre Ehre antastet!« – »Doch wie in des Himmels Namen erlangt er eine so genaue Kenntnis von allem, was sie beginnt? Erst heute morgen haben wir ein Beispiel dafür erlebt.« »Wie soll ich das erklären?« antwortete der Page. »Es gibt doch gewiß solche Wesen, die wir Heilige und gute Engel nennen, und lebt eines auf Erden, das ihres Schutzes würdig ist, so ist es Eveline Berenger.« »Wohl gesagt, Herr Geheimnisbewahrer,« erwiderte Genvil lachend, »aber das geht bei einem alten Reitersmann nicht durch. Heilige und Engel! Wahrhaftig! Ein sehr heiliges Treiben!« Der Page wollte seine Verteidigung fortsetzen, als Stephan Plontoys mit seinen Begleitern zurückkehrte. »Wenlock wehrt sich tapfer,« rief er aus, »obgleich ihn diese Bauern grausam in den Klauen haben! Die großen Armbrüste tun gute Dienste, und ich zweifle nicht, er wird sich halten können, wenn es Euch nur gefällig ist, etwas scharf zuzureiten. Sie haben die Barrieren gestürmt und hatten eben von neuem angegriffen, wurden aber wieder zurückgetrieben.« Die Schar ritt nun rascher weiter, und so erreichte man bald den Gipfel einer kleinen Anhöhe, an deren Fuß das Dorf lag, wo Wenlock sich verteidigen mußte. Die Luft hallte von Geschrei und dem Jubel der Aufrührer wider, die so zahlreich wie Bienen, mit dem verbissenen Mute, der dem Engländer eigentümlich ist, die Palisaden umschwärmten und sich bemühten, sie niederzureißen oder hinüberzuklettern, trotz des heftigen Hagels von Pfeilen und Steinen, durch den sie fast ebenso große Verluste erlitten wie durch die Schwerter und Streitäxte dort, wo es zum Handgemenge kam. »Wir kommen zur Zeit! wir kommen zur Zeit!« rief Amelot, ließ die Zügel fallen und schlug fröhlich in die Hände. – »Schwinge Dein Banner in die Luft, Genvil – laß es recht sichtbar wehen vor Wenlock und seinen Leuten. Kameraden! Halt! laßt Eure Rosse einen Augenblick verschnaufen. – Höre doch einmal, Genvil, wenn wir auf jenem breiten Fußweg uns auf die Wiese hinabzögen, wo dort das Vieh ist.« »Bravo! mein junger Falke!« antwortete Genvil, dessen Liebe zur Schlacht angesichts der Spieße und beim Schall der Trompete aufflammte. »Das gibt uns ein freies Feld zum Angriff auf jene Buben.« »Was für eine dicke, schwarze Wolke die Schufte machen!« sagte Amelot, »aber wir wollen das Tageslicht hineinbringen mit unsern Lanzen. – Sieh, Genvil, die Belagerten ziehen eine Flagge auf, um uns zu zeigen, daß sie uns gesehen haben.« »Für uns ein Zeichen!« rief Genvil aus. – »Beim Himmel, es ist die weiße Flagge – das Zeichen der Uebergabe. »Uebergabe! Das werden sie sich doch nicht einfallen lassen, da wir zur Hilfe kommen,« erwiderte Amelot, als zwei oder drei Trauertöne aus den Trompeten der Belagerten mit einem donnernden, lärmenden Jubelruf der Belagerten zusammenklangen und kein Zweifel mehr möglich war. »Wenlocks Fahne sinkt,« sagte Genvil, »und die Bauern dringen von allen Seiten in die Verschanzungen ein. Feigheit oder Verräterei ist das. Was ist nun zu tun?« – »Auf sie anrücken!« sagte Amelot, »den Platz wiedernehmen und die Gefangenen befreien. »Anrücken? Wirklich?« antwortete der Fahnenträger, »nach meinem Rat gehen wir nicht um eines Pferdes Länge weiter. Soviel Nagel in unserm Küraß sind, soviel Bogenschüsse bekommen wir, ehe wir noch den Hügel hinabgeritten sind. Und nachher den Platz stürmen – es wäre wahrer Unsinn!« »So komm doch ein wenig weiter mit mir vor,« sagte der Page, »wir finden vielleicht einen Weg auf, wo wir ungesehen hinabkommen können.« Demzufolge ritten sie ein klein wenig vorwärts, um den vordern Abhang des Hügels zu untersuchen, indem der Page noch immer an die Möglichkeit glaubte, mitten im Tumult hinunterzukommen, als Genvil ungeduldig antwortete: »Unbemerkt! – Ihr seid schon bemerkt worden – dort kommt ein Geselle, so schnell sein Pferd nur traben kann, auf uns zu.« Indem er noch so sprach, hatte sie der Reiter schon erreicht. Er war ein kleiner, untersetzter, dicker Bauer, in ganz gemeiner Jacke und Hose von Fries, eine blaue Mütze auf dem Kopfe, die er tief über die buschigen roten Haare gezogen hatte. Seine Hände waren voll Blut, und an seinem Sattelbogen hing ein leinener Sack, gleichfalls mit Blut befleckt. »Ihr gehört zu Damian de Lacys Haufen, nicht wahr?« sagte der rohe Bote, und als sie die Frage bejahten, fuhr er mit derselben plumpen Höflichkeit fort, »Hob, der Müller von Twinford, empfiehlt sich dem Damian de Lacy, und da er dessen Absicht kennt, die Unordnung im Gemeinwesen zu verbessern, so schickt er ihm hier Zoll von der Grütze, die er gemahlen hat,« und hiermit nahm er aus dem Sacke ein menschliches Haupt – und hielt es dem Amelot hin. »Es ist Wenlocks Haupt,« sagte Genvil, – »wie seine Augen starren!« »Sie werden nicht mehr nach Weibern starren,« sagte der Bauer. »Ich habe ihm das Gelüst versalzen.« – »Du?« rief Amelot entsetzt. »Ja, ich selbst,« erwiderte der Bauer, »ich bin Groß-Justitiarius der Gemeinden in Ermangelung eines Bessern.« »Groß-Henker willst Du sagen,« erwiderte Genvil. »Nennt es so, wie Ihr wollt,« erwiderte der Bauer, »wahrlich, es geziemt sich doch für Männer im Staate, ein gutes Beispiel zu geben. Ich heiße keinem Menschen was tun, was ich nicht auch bereit bin zu tun. Es ist ebenso leicht einen Menschen selbst aufzuhängen, als zu sagen, hängt ihn auf! Es soll keine Trennung der Aemter stattfinden in der neuen Welt, die jetzt glücklicherweise in Altengland erschaffen wird.« »Elender!« rief Amelot, »trage dieses blutige Geschenk dem zurück, der Dich geschickt hat. Wärst Du nicht auf gutes Vertrauen gekommen, ich hätte Dich mit meiner Lanze an die Erde genagelt. – Aber seid versichert, Eure Grausamkeit soll furchtbar vergolten werden. – Komm, Genvil, laß uns zu unsern Leuten zurückkehren; unser Weilen kann hier zu nichts weiter dienen.« Der Kerl, der einen ganz andern Empfang erwartet hatte, starrte ihnen einige Augenblicke nach, dann steckte er seine blutige Trophäe wieder in den Sack und ritt zurück zu denen, die ihn abgesandt hatten. »Das kommt davon, wenn man sich in Liebeleien mischt,« sagte Genvil. »Da mußte sich Sir Damian mit Wenlock zanken, weil jener mit der Frau des Müllers was vorgehabt hat, und nun glauben die Bauern steif und fest, unser Herr sei auf ihrer Seite. Es wäre noch alles gut, wenn nicht andere dieselbe Meinung hätten. – Ich wollte, wir wären aus all der Verwirrung hinaus, die einen solchen Verdacht uns auf den Hals ladet – ja, und sollte ich mein bestes Pferd darum geben – ich kann es ohnedies leicht in dem harten Dienst verlieren, und ich wünschte, das wäre noch das Schlimmste, was es uns kosten kann.« Mißmutig und ermüdet kehrten sie zur Burg von Garde Douloureuse zurück, und nicht ganz ohne Verlust, indem einige hin und wieder zerstreut zurückblieben, da die Pferde müde wurden, andere wieder diese Gelegenheit benutzten, zu den Banden der Aufrührer und Plünderer überzulaufen, die sich jetzt in verschiedenen Gegenden sammelten und durch solche liederlichen Ausreißer verstärkt wurden. Amelot fand bei seiner Rückkehr in das Schloß, daß der Zustand seines Herrn noch immer sehr bedenklich war, und daß Lady Eveline, obgleich schon sehr erschöpft, sich noch nicht zur Ruhe begeben hatte, sondern seine Rücklehr mit Ungeduld erwartete. Ihrem Befehl gemäß, wurde er sogleich zu ihr geführt, und mit schwerem Herzen berichtete er ihr den fruchtlosen Ausgang seines Unternehmens. »So mögen die Heiligen sich unser erbarmen!« sagte Lady Eveline. »Es scheint, als sei ich mit einer Seuche oder Pest behaftet, die alle die befalle, die sich meine Wohlfahrt angelegen sein lassen. Von dem Augenblick an, wo sie das tun, werden selbst ihre Tugenden für sie Fallstricke, und was in jedem andern Falle ihnen Ehre erwerben würde, bringt den Freunden Eveline Berengers Verderben.« »Fürchtet nichts, schöne Lady,« sagte Amelot. »Es gibt noch Männer genug in meines Herrn Lager, diese Störer der öffentlichen Ruhe zu unterdrücken. Ich will mich nur so lange verweilen, bis ich seine Befehle vernommen habe, und dann will ich morgen fort und eine hinreichende Macht zusammenziehen, um die Ruhe in diesem Teile des Landes wiederherzustellen.« »Ach, Ihr kennt doch das Schlimmste noch nicht,« erwiderte Eveline. »Seit Ihr fortzogt, erhielten wir Kunde, daß alle Soldaten in Sir Damians Lager schon längst des untätigen Lebens überdrüssig wären, das sie in letzter Zeit hier führen mußten. Durch die Nachricht von der Verwundung, ja vom Tode ihres Anführers völlig mutlos gemacht, hätten sie nun samt und sonders sich aufgemacht und wären verschwunden. Doch sei guten Mutes, Amelot!« sagte sie, »dies Haus ist fest genug, einen noch schwereren Sturm auszuhalten, und wenn alle Menschen Euren Herrn in Wunden verlassen, so ist es um so mehr die Sache Eveline Berengers, ihren Befreier zu pflegen und zu beschützen.« Zwölftes Kapitel Die schlimmen Nachrichten, mit denen das letzte Kapitel schloß, mußten wohl oder übel Damian de Lacy überbracht werden, da sie ihn hauptsächlich angingen. Lady Eveline selbst übernahm es, sie ihm mitzuteilen, und was sie sagte, vermischte sie mit Tränen, und wiederum unterbrach sie diese Tränen um Worte der Hoffnung und des Trostes zu sprechen, an die sie freilich selbst kaum glauben mochte. Der verwundete Ritter ließ die Augen unverwandt auf ihr ruhen und hörte die unselige Zeitung an, wie einer, den sie nur insoweit rührte, wie sie diejenige betraf, aus deren Munde er sie vernahm. Als sie geendet hatte, fuhr er fort, sie wie im Traume unverwandt anzusehen, so daß sie aufstand, um diesen Blicken zu entgehen, die sie in Verwirrung setzten. Da beeilte er sich, ihr zu antworten, um sie noch zurückzuhalten. »Was Ihr mir da gesagt habt, schöne Lady,« erwiderte er, »wäre aus jedem Munde hinreichend, mir das Herz zu brechen, denn es lehrt mich, daß die Macht und Ehre meines Hauses, die meinem Schutze so feierlich anvertraut wurden, infolge meines Unglücks verloren gegangen find. Aber wenn ich Euch sehe und Eure Stimme höre, so vergesse ich alles andere, nur das nicht, daß Ihr gerettet und hier in Ehre und Sicherheit seid. Eure Güte gewähre mir also die Bitte, mich von dem Schlosse, das Ihr bewohnt, irgend anderswohin bringen zu lassen. Ich bin in keiner Weise Eurer fernern Sorge würdig, da mir nicht länger die Schwerter anderer zu Gebote stehen und ich gegenwärtig durchaus unfähig bin, das meinige zu ziehen.« »Und wenn Ihr großmütig genug seid, nur an mich bei Eurem Unglück zu denken, edler Ritter,« antwortete Eveline, »glaubt Ihr denn, daß ich vergessen könnte, weswegen und bei wessen Errettung ihr diese Wunden empfingt? –Nein, Damian, sprecht nicht davon, daß ich Euch soll fortschaffen lassen. – Solange noch ein Türmchen von Garde Douloureuse steht, solange sollt Ihr in diesem Türmchen Obdach und Schutz finden. Dies würde, ich bin davon überzeugt, auch der Wille Eures Oheims sein, wäre er hier.« Es schien, als ob Damian einen plötzlichen Schmerz an seinen Wunden fühlte; denn die Worte wiederholend: »Mein Oheim!« kehrte er sich ganz um und wandte sein Gesicht von Evelinen ab; dann faßte er sich wieder und sprach: »Ach! wüßte mein Oheim, wie schlecht ich seinen Befehlen nachgekommen bin, er würde mich, statt mir den Schutz dieses Hauses zu gewähren, von den Zinnen hinabwerfen lassen!« »Fürchtet seine Unzufriedenheit nicht,« sagte Eveline, wiederum im Begriff hinauszugehen, »bemüht Euch vielmehr, durch ruhige Fassung Eures Gemütes die Heilung Eurer Wunden zu fördern; dann zweifle ich nicht, werdet Ihr imstande sein, die Ordnung im Gebiet des Connetables wiederherzustellen, noch lange vor seiner Rückkehr.« Sie errötete, als sie die letzten Worte aussprach, und verließ eilig das Zimmer. Als sie in ihre Kammer gelangt war, entließ sie ihre andern Dienerinnen und behielt nur Rose bei sich. »Was denkst Du von all dem, mein kluges Mädchen, meine Ermahnerin?« sagte sie. »Ich wollte,« sagte Rose, »dieser junge Ritter hätte nie das Schloß betreten – aber, da er einmal hier ist, er verließe es jetzt gleich – oder er könnte mit Ehren für immer hier bleiben!« »Was verstehst Du unter dem Hierbleiben für immer?« fragte Eveline scharf und schnell. »Laßt mich diese Frage mit einer andern beantworten. – Wie lange ist jetzt der Connetable von Chester von England abwesend?« »Drei Jahre auf den St. Klemenstag,« sagte Eveline. – »Was soll das hier?« »Nun, nichts als –« »Als was? – Ich will's, sprich aus!« »In wenigen Wochen werdet Ihr das Recht haben, über Eure Hand zu verfügen.« »Und denkst Du, Rose,« antwortete Eveline und erhob sich mit Würde, »daß es keine andern Bande gibt, als die, welche des Schreibers Feder aufsetzt? – Nur wenig wissen wir von des Connetables Schicksalen; doch wir wissen genug, um zu erraten, daß seine hochfliegenden Hoffnungen gescheitert und sein Schwert und sein Mut zu schwach gewesen sind, das Glück des Sultans Saladin zu ändern. Setze den Fall, er kehrte binnen kurzem zurück, aber, wie wir viele Kreuzfahrer zurückkommen sahen, arm und mit geschwächter Gesundheit – setze den Fall, er fände seine Güter verwüstet, seine Krieger durch die letzten Ereignisse zerstreut: wie würde es klingen, sollte er auch seine verlobte Braut als Gattin eines andern finden, als Frau seines Neffen, dem er am meisten vertraute? – Glaubst Du, ein solches Versprechen sei dem Pfande in der Hand eines Lombarden zu vergleichen, das auf Tag und Stunde eingelöst werden muß, oder es ist verfallen?« »Ich kann nichts weiter sagen, Mylady,« erwiderte Rose, »als daß die, welche sich an den Buchstaben ihres Vertrags halten, in unserm Lande darüber hinaus nicht gebunden sind.« »Das ist eine flämländische Sitte, Rose,« sagte ihre Gebieterin, »aber die Ehre eines Normanns begnügt sich nicht mit einer so engbegrenzten Pflichterfüllung. Wie? wolltest Du, daß meine Ehre, meine Neigung, meine Pflicht, alles, was für eine Frau Wert hat, von eben der Fortschreitung des Kalenders abhängen soll, auf die der Wucherer beständig sein Auge hat, um sich eines verfallenen Pfandes zu bemächtigen? – Bin ich nur eine Ware, daß ich dem einen gehören muß, wenn er vor Michaelis sein Anrecht geltend macht, – und dem andern, wenn jener zu spät hervortritt? – Nein, Rose! So legte ich mein Versprechen nicht aus, geheiligt, wie es war, durch die besondere Führung Unserer Frau von Garde Douloureuse.« »Das Gefühl ist Euer wert, meine teuerste Lady,« antwortete ihre Dienerin. »Aber Ihr seid noch so jung – so von Gefahren umgeben – so der Verleumdung bloßgestellt – daß ich allein deshalb gern auf die Zeit hinblicke, wo Ihr einen gesetzlichen Gefährten und Beschirmer habt, weil ich das als das einzige Mittel ansehe, Euch aus Zweifeln und Gefahren zu befreien.« »Denke daran nicht, Rose!« antwortete Eveline. »Setze Deine Gebieterin nicht mit den vorsichtigen Damen in eine Klasse, die, während der erste Gatte noch lebt, wiewohl alt und krank, sich klüglich damit beschäftigen, eine Verbindung mit einem andern anzuzetteln.« »Etwas wohl, meine teuerste Lady,« sagte Rose, »doch nicht ganz so. – Erlaubt mir nur noch ein Wort! Da Ihr entschlossen seid, Euch Eurer Freiheit nicht zu bedienen, selbst wenn die Zeit Eurer Verpflichtung abgelaufen ist, warum gestattet Ihr, daß dieser junge Mann unsere Einsamkeit teilt? – Er ist gewiß gesund genug, um nach einem andern sichern Ort gebracht zu weiden. Laßt uns unsere frühere abgeschlossene Lebensweise wieder annehmen, bis uns die Vorsehung bessere oder wenigstens sichrere Aussichten gewährt.« Eveline seufzte – blickte nieder – dann das Auge erhebend, öffnete sie noch einmal ihre Lippen, um ihre Bereitwilligkeit zu einem solchen vernünftigen Vorschlage zu erklären, als ein scharfer Trompetenton, der vom Tore her erklang, sie unterbrach, und Raoul, mit Angstschweiß auf der Stirn hereingehinkt kam, seiner Lady anzukünden, daß ein Ritter und ein Wappenherold in des Königs Farben, begleitet von einer starken Mannschaft, vor dem Schlosse hielten und Einlaß im Namen des Königs begehrten. Eveline schwieg einen Augenblick, ehe sie folgendes erwiderte: »Auch nicht auf des Königs Befehl soll das Schloß meiner Vorfahren geöffnet werden, bevor wir genau wissen, wer es fordert, und zu welchem Zwecke. Wir wollen selbst zum Tore, um zu vernehmen, was mit dieser Aufforderung gemeint sei. – Meinen Schleier, Rose – und rufe meine Frauen. – Noch einmal erschallt die Trompete – ach! sie tönt wie ein Zeichen des Todes und des Verderbens!« Die prophetische Furcht Evelinens war nicht falsch. Denn kaum hatte sie die Türe ihres Zimmers erreicht, als ihr der Page Amelot voll Schreckens entgegenstürzte. Das Knie vor Evelinen beugend, rief er: »Lady, edle Lady, rettet meinen teuern Herrn! – Ihr, Ihr allein, könnt ihn in dieser äußersten Not erretten!« »Ich?« rief Eveline mit höchstem Erstaunen. »Muß ich ihn retten, und von welcher Gefahr? – Gott weiß, wie gerne!« Hier brach sie kurz ab, als scheue sie sich, die Worte, welche auf ihren Lippen schwebten, auszusprechen. »Guy Monthermer, Lady, hält vor dem Tore mit einem Herold und dem königlichen Banner. Der Erbfeind des Hauses de Lacy in dieser Begleitung kommt zu nichts Gutem hierher. – Ich kenne nicht den ganzen Umfang des Unheils, aber zum Unheil kommt er. – Mein Herr erschlug seinen Neffen auf dem Schlachtfelde von Malpas, und deshalb –« – Ihn unterbrach ein neuer Trompetenstoß, der gellend die Ungeduld der draußen Harrenden durch die Gewölbe der alten Feste widerhallen ließ. Lady Eveline eilte zum Tore. Dort standen die Wachen und andere Leute, und sahen einander mit angstvollen Gesichtern an. Alle richteten die Blicke auf sie, als ob sie bei ihrer Gebieterin den Trost und Mut finden wollten, den sie einander nicht mitteilen konnten. Vor dem Tore hielt zu Roß und in voller Rüstung ein ältlicher stattlicher Ritter, dessen aufgezogenes Visier einen schon ergrauenden Bart zeigte. Neben ihm befand sich der Herold zu Pferde; das königliche Wappen war als Stickerei auf seinem Amtskleide, das ganze Gewicht der beleidigten Amtswürde lag auf dem Gesicht, das von einem dichten Bart und einem dreifachen Federbusch beschattet war. Etwa fünfzig Soldaten unter dem Panier von England begleiteten ihn. Als Lady Eveline an der Barriere erschien, fragte der Ritter nach einer leichten Verbeugung, die mehr äußere Höflichkeit als Freundlichkeit verriet, ob er die Tochter Raymond Berengers vor sich sehe. »Und,« fuhr er fort, als er eine bejahende Antwort erhalten hatte, »vor der Burg dieses bewährten und begünstigten Dieners vom Hause Anjou müssen König Heinrichs Trompeten dreimal ertönen, ohne daß die Bevollmächtigten des Herrschers Einlaß erhalten?« »Meine Lage,« entgegnete Eveline, »muß meine Vorsicht entschuldigen. Ich bin ein einsames Mädchen und wohne in einer Grenzfestung. Ich kann niemand einlassen, ohne nach seiner Absicht zu fragen, und muß erst gewiß sein, daß ich den Betreffenden einlassen kann, ohne die Sicherheit des Platzes und meine eigene Ehre zu gefährden.« »Da Ihr gar so ängstlich seid, Lady,« erwiderte Monthermer, »so vernehmt, daß bei dem gegenwärtig zerrütteten Zustand dieser Landschaft es Sr. Gnaden des Königs Wille ist, eine Truppenabteilung in Eure Festung zu legen, die dieses wichtige Schloß sowohl vor den rebellischen Bauern zu schützen vermag, als auch vor den Wallisern, die, wie zu erwarten ist, über die Grenzen einbrechen werden, da sie dies in unruhigen Zeiten stets getan haben. Oeffnet Euer Tor, Lady von Berenger, und laßt Seiner Hoheit Truppen ins Schloß hinein!« »Herr Ritter,« entgegnete die Lady, »die Burg, wie jede andere Festung in England, gehört gesetzlich dem Könige; aber gesetzlich bin auch ich deren Inhaber und Verteidiger. So besagt es die Lehnspflicht, nach der meine Vorfahren diese Länder zum Besitz erhielten. Ich habe Leute genug, Garde Douloureuse zu meiner Zeit zu halten, wie mein Vater und mein Großvater vor ihm es zu ihrer Zeit verteidigten. Der König ist zu gnädig, mir Hilfe zu schicken; aber ich habe die Hilfe von Mietlingen nicht nötig. Auch halte ich es nicht für sicher, solche Leute in mein Schloß zu lassen, die in dieser gesetzlosen Zeit sich selbst leicht zu gunsten eines andern und nicht der gesetzlichen Gebieterin zu Herren der Burg machen könnten.« »Lady,« erwiderte der alte Krieger, »der König kennt die Gründe sehr wohl, weshalb Ihr Euch ihm widersetzt. Es ist nicht die Furcht vor den königlichen Truppen, die Euch, eine Vasallin des Königs, zu so halsstarrigem Benehmen veranlaßt. Ich könnte auf Eure Weigerung hin sogleich vorgehen und Euch als eine Verräterin gegen die Krone ausrufen; doch der König erinnert sich der Verdienste Eures Vaters. So wißt denn, es ist uns nicht unbekannt, daß Damian de Lacy, der beschuldigt ist, den Aufstand angeregt und angeführt, seine Pflicht im Felde verlassen und einen edlen Streitgenossen dem Schwerte der unbarmherzigen Bauern preisgegeben zu haben, unter Eurem Dach Schutz gefunden hat, was Eurer Treue als Vasallin und Eurer Aufführung als edelgeborene Jungfrau wenig Ehre macht. Liefert ihn uns aus, so will ich diese Bewaffneten abführen und Euch, ob ich es gleich kaum verantworten kann, von der Besetzung des Schlosses freisprechen.« »Guy de Monthermer,« antwortete Eveline, »wer einen Flecken auf meinen Namen wirft, spricht falsch und unwürdig; was Damian de Lacy anbetrifft, so wird er selbst seinen guten Namen zu verteidigen wissen. Nur das eine laßt mich sagen, daß solange er im Schlosse der Verlobten seines Verwandten weilt, diese ihn keinem ausliefert, am wenigsten seinem wohlbekannten Feinde. – Laßt das Fallgitter nieder, Leute, und daß es nicht aufgezogen werde, ohne meinen ausdrücklichen Befehl.« Als sie noch sprach, fiel das Fallgitter schwirrend und rasselnd auf den Boden, und Monthermer, beschämt und voll Ingrimms, mußte draußen bleiben. »Unwürdige Lady,« begann er mit Heftigkeit, dann aber an sich haltend, sagte er ruhig zu dem Herold: »Ihr seid Zeuge, daß sie den Verräter in das Schloß gelassen hat – Ihr seid Zeuge, daß, gesetzlich aufgefordert, Eveline Berenger sich weigert, ihn auszuliefern. Nun tut Eure Pflicht, Herr Herold, nach üblichem Gebrauch!« Der Herold trat vor und verkündete in der bei solchen Gelegenheiten üblichen Form und Sprache, daß Eveline Berenger, nachdem sie dazu gesetzlich aufgefordert worden, sich geweigert habe, des Königs Truppen in ihre Burg einzulassen und den Leib eines falschen Verräters, genannt Damian de Lacy, auszuliefern, selbst der Strafe des Hochverrats verfallen sei, und mit ihr alle diejenigen, die ihr Hilfe oder Vorschub leisteten oder das Schloß Garde Douloureuse verteidigten. Wer also täte, sei des Treubruchs gegen Heinrich von Anjou schuldig. Sobald die Stimme des Herolds schwieg, bestätigten die Trompeten das Urteil, das er ausgesprochen hatte, durch ein langes, Unheil weissagendes Geschmetter, so daß die Raben und Eulen entsetzt aus ihren Nestern flatterten und mit ahnungsvollem Gekrächz antworteten. Die Verteidiger des Schlosses sahen einander mit bleichen, niedergeschlagenen Gesichtern an, während Monthermer, hoch seine Lanze hebend, indem er sein Pferd vom Tore abwandte, rief: »Wenn ich nächstens mich Garde Douloureuse nähere, so geschieht es nicht bloß, um den Befehl meines Souveräns zu verkünden, sondern auch, ihn auszuführen.« Während Eveline noch gedankenvoll dastand und, dem Rückzuge Monthermers und seiner Begleiter nachschauend, erwog, was in dieser dringenden Not zu tun sei, hörte sie einen Flamländer einen Engländer, der neben ihm stand, fragen, was eigentlich ein Verräter sei? »Wenn einer die Treue, auf die man sich verläßt, bricht – so ist er ein Verräter.« Diese Worte erinnerten Eveline an ihren prophetischen Traum, »Ach!« sagte sie, »die Rache des bösen Geistes ist der Vollendung nahe. Als Gattin – Witwe, und als Jungfrau! – Schon lange gehören mir diese Benennungen. – Verlobt! – Wehe mir! Es war der Schlußstein meines Unglücks. – Zur Verräterin bin ich jetzt erklärt, wiewohl ich, Gott sei Dank, von aller Schuld frei bin. – Nur eins ist übrig: daß ich verraten werde – und diese böse Prophezeiung wird bis auf den letzten Buchstaben erfüllt sein!« Dreizehntes Kapitel Mehr als drei Monate waren seit dem im letzten Kapitel erzählten Ereignis vergangen, doch war dies nur der Vorläufer von andern, noch wichtigern Begebenheiten gewesen, die sich im Verfolg unserer Erzählung entwickeln werden. Da wir aber nicht gesonnen sind, dem Leser einen genauen, ausführlichen Bericht von allen Umständen nach Folge und Datum zu geben, sondern nur eine Reihe von Gemälden, die die ergreifendsten Vorfälle dem Auge oder der Einbildungskraft derer, die daran teilnehmen, vorstellen sollen; so eröffnen wir jetzt eine neue Szene und bringen andere Schauspiele auf die Bühne. Durch eine sehr verwüstete Gegend, mehr als zwölf Meilen von Garde Douloureuse entfernt, in der Hitze eines Sommernachmittags, wo die Sonne ihre sengenden Strahlen in das schweigende Tal und auf die schwarzen Trümmer der Hütten warf, die es einst schmückten, wanderten langsam zwei Reisende. An ihrer Kleidung, dem Stab, den breitkrempigen Hüten, die vorn mit einer Jakobsmuschel geziert waren, und vor allem an dem Kreuz von rotem Zeuge auf der Schulter erkannte man zwei Pilgrime, die ihr Gelübde erfüllt hatten und jetzt von dem verhängnisvollen Lande zurückgekehrt waren, aus dem in jenen Tagen so wenige von den Tausenden heimkamen, die es aus Liebe zu Abenteuern oder aus heißer Andacht besuchten. Die Pilgrime waren schon seit dem Morgen durch einen Schauplatz von Verwüstung gezogen, der an Elend kaum den Stätten des Schreckens nachstand, die sie in den Schlachten des Kreuzzuges betreten hatten. Sie hatten Dörfer gesehen, die die ganze Wut des Krieges gelitten zu haben schienen. Die Häuser waren bis auf den Grund niedergebrannt, und oft stießen sie auf Leichname der unglücklichen Bewohner oder auf verstümmelte Gliedmaßen, die man am Galgen oder an Bäumen aufgehängt hatte. Kein lebendiges Wesen ließ sich sehen, außer jenen natürlichen Freibürgern, den wilden Tieren, die stillschweigend den wieder verwüsteten Landstrich einnahmen, aus dem die Zivilisation sie früher vertrieben hatte. Ihren Ohren bot sich ebensowenig Erfreuliches dar wie ihren Blicken. Die in Gedanken verlorenen Reisenden hörten das Gekrächze der Raben, die gleichsam zu beklagen schienen, daß hier schon die Schlachtbank abgeräumt sei, an der sie geschwelgt hatten; oder sie hörten dann und wann das klagende Geheul eines Hundes, der Haus und Herrn verloren hatte; aber kein Geräusch des Gewerbes oder der häuslichen Arbeit war zu vernehmen. Die schwarzen Gestalten, die mit müden Schritten über diesen Schauplatz der Verheerung und des Elends dahinwanderten, schienen mit ihrer Umgebung durchaus im Einklang zu stehen. Sie sprachen nicht miteinander – nur hielt sich der eine, der kleinere von beiden, immer einen halben Schritt vor seinem Gefährten – sie bewegten sich langsam wie Priester, die von eines Sünders Sterbebette kommen, oder noch besser wie Gespenster, die längs der Kirchhofsmauer hingleiten. Endlich erreichten sie einen Rasenhügel, auf dessen Gipfel eines von den Grabmälern alter britischer Häuptlinge stand, die aus unaufgerichteten Granitblöcken bestehen und so gestellt sind, daß sie einen Sarg von Steinen oder etwas Aehnliches bilden. Das Grabmal war schon früher von den siegreichen Sachsen zerstört worden, entweder aus Spott oder aus eitler Neugier, oder weil man glaubte, daß bisweilen Schätze an diesen Stellen niedergelegt wären. Der gewaltige platte Stein, der erst die Decke dieses Sarges gewesen, lag in zwei Stücke zerbrochen in einiger Entfernung vom Grabmal, und diese Trümmer, überwachsen mit Schlingkräutern und Gras, zeigten deutlich, daß der Deckel schon seit vielen Jahren geborsten war. Ein verknorpelter Eichbaum breitete noch seine Zweige über das offene, rauhe Mausoleum, als ob der Druiden Wahrzeichen und Sinnbild, zwar schon erschüttert und vom Sturme gebrochen, sich darum noch immer darüber neigte, um seinen Schutz den letzten Ueberbleibseln ihrer Verehrung zu gewähren. »Dies ist also der Kist-vaen,« sagte der kleinere Pilger, »hier müssen wir die Nachrichten von unserm Kundschafter erwarten. Aber, Philipp Guarine, welche Erklärung der Verwüstungen, durch die wir gegangen sind, steht uns bevor?« »Ein Einfall der welschen Wölfe, Mylord!« erwiderte Guarine, »und bei Unserer Frau, hier liegt ein armes, sächsisches Schaf, das sie zerrissen haben!« Der Connetable, denn er war der Pilger, der voranging, drehte sich bei diesen Worten nach seinem Squire um und sah den Leichnam eines Mannes im Grase, wo er so versteckt lag, daß er vorbeigegangen war, ohne das zu bemerken, was sein weniger in Gedanken versunkener Diener entdeckte. Das lederne Wams des Erschlagenen zeigte, daß er ein englischer Bauer gewesen, der Körper lag auf dem Gesichte, und die Ursache seines Todes, der Pfeil, steckte noch in seinem Rücken. Philipp Guarine zog mit der kalten Gleichgiltigkeit eines Mannes, der an einen solchen Anblick gewöhnt ist, so gelassen den Pfeil aus des Menschen Rücken, wie er ihn aus dem Körper eines Hirsches gezogen hätte. Mit ähnlichem Gleichmut gab der Connetable dem Waffenträger einen Wink, ihm den Pfeil zu geben – er betrachtete ihn genauer und sagte dann: »Du hast Dein altes Handwerk vergessen, Guarine, wenn Du das einen welschen Pfeil nennst. Glaube mir, er flog von einem normännischen Bogen. Aber wie er in den Leib eines englischen Bauers kommt, kann ich schlecht erraten.« »Irgend ein entlaufener Leibeigener, will ich wetten – irgend ein falschherziger Köter, der sich an die welschen Rudel von Hunden angeschlossen hat,« antwortete der Schildknappe. »Es könnte wohl sein,« sagte der Connetable, »aber ich schließe vielmehr auf einen Bürgerkrieg zwischen den Bauern und den Markherren selbst. Die Walliser zerstören die Dörfer und lassen nichts wie Blut und Asche zurück, aber hier scheint man auch Schlosser gestürmt und genommen zu haben. Möge Gott uns gute Nachrichten von Garde Douloureuse senden!« »Amen! erwiderte der Squire, »aber wenn Renault Vidal sie bringt, so ist es das erste Mal, daß er ein Vogel von guter Vorbedeutung ist.« »Philipp,« sagte der Connetable, »ich habe Dir schon oft gesagt, Du bist ein eifersüchtiger Narr. Wie oft hat Vidal seine Treue in zweifelhaften Umständen – seine Geschicklichkeit in schwierigen Lagen – seinen Mut in der Schlacht – seine Geduld im Leiden gezeigt.« »Das kann alles sehr wahr sein, Mylord,« erwiderte Guarine. »Dennoch – doch, was nützt das Reden? – ich gestehe, er hat Euch zuweilen sehr gute Dienste geleistet; aber nur ungern möchte ich Euer Leben und Eure Ehre in Renault Vidals Macht gegeben wissen.« »Im Namen aller Heiligen, Du grämlicher und argwöhnischer Narr, was hast Du denn zu seinem Nachteil anzuführen?« »Nichts, Mylord,« erwiderte Guariue, »als Verdacht und Abscheu aus Instinkt. Ein Kind, das eine Schlange sieht, weiß nichts von ihren üblen Eigenschaften, es wird ihr aber doch nicht nachstellen und sie haschen wie einen Schmetterling. So ist meine Abneigung gegen Vidal – ich kann mir nicht helfen. Ich könnte dem Menschen seine boshaften, düstern Seitenblicke, wenn er sich von niemand beobachtet glaubt, vergeben; aber sein höhnisches Lachen vergebe ich ihm nie; – er gleicht der Bestie, von der wir in Judäa hörten und die, wie man erzählt, erst lacht, dann zerreißt und umbringt.« »Philipp,« sagte de Lacy, »ich bin betrübt Deinetwegen – betrübt von ganzer Seele, daß eine so vorherrschende, grundlose Eifersucht im Gehirn eines so wackeren, alten Kriegers sitzt. Um von früheren Proben seiner Treue zu schweigen – hat er sie nicht hier bei unserm letzten Unglück vollauf bewiesen, als wir an der Küste von Wales Schiffbruch erlitten und man uns augenblicklich den Tod gegeben hätte, wenn die Cymries in mir den Connetable von Chester und in Dir seinen treuen Schildknappen, der seine Befehle so manchesmal an den Wallisern vollstreckt hat, erkannt hätten? »Ich gestehe es,« sagte Philipp Guarine, »der Tod wäre gewiß unser Los gewesen, wäre nicht dieser Mann auf den Einfall gekommen, uns für Pilgrime auszugeben, und hätte er nicht unsern Dolmetscher gespielt. Indem er uns zu dieser Verkleidung verhalf, entzog er uns aber auch alle Möglichkeit, uns von irgend jemand über die Lage der Dinge berichten zu lassen, während doch Ew. Herrlichkeit alles genau hätte erfahren müssen; denn wahrlich, schlimm genug sieht hier alles aus.« »Noch immer bist Du ein Tor, Guarine,« sagte der Connetable, »denn sieh, hätte Vidal es übel mit uns gemeint, so hätte er uns den Wallisern verraten oder es doch so einrichten können, daß wir durch die Kenntnis ihrer Gaunersprache, so viel Du und ich davon wissen, uns selbst verrieten.« »Gut, Mylord,« sagte Guarine, »Ich kann wohl zum Schweigen gebracht werden, aber ich bin doch nicht zufrieden gestellt. Trotz all der schönen Worte, die er reden kann – trotz all der schönen Weisen, die er singen kann – wird Renault Vidal in meinen Augen immer ein finsterer, verdächtiger Mann sein, dessen Gesichtszüge immer bereit sind, sich in die Form zu legen, die am besten Vertrauen zu erwecken vermag, dessen Zunge es versteht, zu einer Zeit die schmeichelhaftesten, angenehmsten Worte auszusprechen, zu einer andern verschmitzte Einfalt oder plumpe Ehrlichkeit zu äußern; dessen Auge aber, wenn er sich unbemerkt glaubt, jedem angenommenen Gesichtsausdruck, jeder Versicherung der Rechtlichkeit, jedem Worte der Höflichkeit und Herzlichkeit Hohn spricht. – Doch ich will über die Sache nicht mehr sprechen. – Ich bin ein alter Bullenbeißer von der echten Gattung – ich liebe meinen Herrn, aber ich kann einige von denen nicht ausstehen, die er begünstigt. – Aber dort, wie es mir scheint, kommt Vidal, um uns, wie ich vermute, nach Gutdünken über unsere Lage zu berichten.« Wirklich erblickte man einen Reiter, der in Eile sich dem Kist-vaen näherte. An seiner Kleidung, die ein wenig an morgenländische Mode erinnerte, verbunden mit dem gewöhnlichen phantastischen Anzuge der Männer von seiner Profession, erkannte der Connetable in dem rasch näherkommenden Manne den Minstrel. Obgleich Hugo de Lacy seinem Diener nicht mehr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen glaubte, als seine Dienste es verlangten, wenn er ihn gegen den Argwohn Guarines verteidigte; so hatte er doch im Grunde seines Herzens zuweilen diesen Argwohn selbst gehegt und war als gerechter und rechtlicher Mann oft über sich selbst unwillig, daß er auf das schwache Zeugnis von Blicken oder gelegentlichen Ausdrücken hin seine Treue in Zweifel ziehen konnte, die sich durch so viele Beweise von Eifer und Unbescholtenheit bewährt hatte. Als Vidal vom Pferde gestiegen war und herankam, um sich vor seinem Gebieter zu verneigen, eilte dieser, ihn mit freundlichen Worten zu begrüßen, als sei er sich bewußt, daß er Guarines ungerechtes Urteil gewissermaßen, schon indem er es anhörte, geteilt habe. »Willkommen, mein ehrlicher Vidal,« sagte er, »Du bist der Rabe gewesen, der uns in den Bergen von Wales gespeist hat, sei nun die Taube, die uns gute Nachrichten von den Grenzen bringt. – Du schweigst? – Was bedeuten diese niedergesenkten Blicke – dieses verlegene Betragen – diese in die Augen gedrückte Mütze? – Um Gottes willen, Mann! sprich! – Fürchte Dich nicht vor mir. – Ich kann Schlimmeres ertragen, als Menschen erzählen können. – Du hast mich in Palästinas Kriegen gesehen, als meine braven Streitgenossen fielen, Mann für Mann rings um mich her, und ich fast allein übrig blieb – und erblaßte ich damals? – Du sahst mich, als des Schiffes Kiel an dem Felsen zerkrachte und die Wellen schäumend über das Verdeck schlugen – erblaßte ich damals? – Nein, und auch jetzt werde ich es nicht.« – »Rühmt Euch nicht!« sagte der Minstrel und blickte scharf den Connetable an, als dieser die Haltung und Fassung eines edlen Mannes annahm, der dem Schicksal und seiner äußersten Bosheit Trotz bietet. – »Rühme Dich nicht und trau Dir nicht mehr zu, als Du zu tragen vermagst! Eine minutenlange Pause folgte, während die Gruppe ein eigentümliches Bild abgab. Der Connetable, der den Minstrel nicht zu fragen wagte und sich doch schämte, Furcht vor der schlimmen Kunde zu verraten, die er hören sollte, trat dem Boten gegenüber, hoch aufgerichtet, die Arme übereinander geschlagen, die Stirn frei und voll Entschlossenheit, während der Minstrel, seiner gewöhnlichen Ruhe und Gleichgültigkeit durch die Macht des Augenblicks entrissen, einen scharfen Blick auf seinen Gebieter heftete, als wollte er beobachten, ob sein Mut echt oder nur erkünstelt sei. Philipp Guarine dagegen, dem der Himmel zwar ein rauhes Aeußere gegeben, aber dabei Verstand und Beobachtungsgeist nicht versagt hatte, faßte seinerseits Vidal fest ins Auge, als suche er es aufzufinden, worin eigentlich der rege Anteil bestehe, der aus des Minstrels Augen sichtbar hervorleuchtete. Er war im Zweifel, ob es der eines treuen Dieners sei, den die schlechte Nachricht erschüttert hat, durch die er seinen Herrn unglücklich machen soll, oder eines Henkers, der sich mit dem Messer über sein Opfer beugt und nur zuzustoßen zögert, bis er die Stelle entdeckt hat, wo der Stoß am schmerzlichsten gefühlt werden möchte. Guarine, voreingenommen, wie er gegen den Minstrel war, traute ihm vielmehr das letztere zu, und es gelüstete ihn heftig, den Stab zu erheben und den Diener zu Boden zu strecken, der sich so an dem verlängerten Leiden ihres gemeinschaftlichen Meisters zu weiden schien. Endlich zeigte sich ein krankhaftes Zucken auf des Connetables Angesicht, und Guarine, der nun bemerkte, daß ein sardonisches Lächeln Vidals Lippen zu kräuseln begann, konnte nicht länger schweigen. »Vidal!« rief er, »Du bist ein –« »Ein Ueberbringer böser Zeitungen,« sagte Vidal, ihn unterbrechend, »und daher der Mißdeutung jedes Narren ausgesetzt, der keinen Unterschied zwischen dem Urheber des Bösen und dem, welcher es ungern hinterbringt, zu machen weiß.« »Wozu dieser Aufschub?« sagte der Connetable. »Kommt, Herr Minstrel, ich will Euch eine Qual ersparen. – Eveline hat mich verlassen und vergessen?« Der Minstrel bejahte mit einer Verbeugung. Hugo de Lacy ging einigemale vor dem steinernen Denkmal auf und nieder, indem er sich bemühte, der tiefen Erschütterung, die er empfand, Herr zu werden. »Ich vergebe ihr,« sagte er.– »Vergeben? sagte ich so? – Ach! ich habe nichts zu vergeben. – Sie hat sich nur des Rechts bedient, das ich in ihrer Hand ließ. – Ja – die Zeit unseres Verlöbnisses war abgelaufen. – Sie hat von meinen Verlusten gehört – von meinen Niederlagen – von der Zerstörung meiner Hoffnungen – von der Vernichtung meines Vermögens. Nun hat sie die erste Gelegenheit ergriffen, die ihr das strenge Recht zugestand, ihre Verpflichtung gegen den aufzuheben, der einen Bankerott an Glück und Ruhm erlitten hat. – Mehr als ein Mädchen würde so gehandelt haben – hätte vielleicht klüglicherweise so handeln müssen – aber dieses Mädchens Name hätte doch nicht Eveline Berenger lauten sollen.« Er lehnte sich auf seines Knappen Arm und ließ einen Augenblick das Haupt an dessen Schulter ruhen, mit einer so tiefen Rührung, wie Guarine noch nie an ihm gewahr wurde, und die er mit linkischer Teilnahme dadurch zu beschwichtigen suchte, indem er ihn ermahnte, »guten Mutes zu sein – er hätte ja nur ein Weib verloren.« »Ich sage das nicht aus Eigennutz, Philipp,« sagte der Connetable wieder mit seiner gewöhnlichen Selbstbeherrschung. »Ich bedaure weniger, daß sie mich verlassen, sondern, daß sie mich falsch beurteilt hat – daß ich von ihr behandelt wurde wie der unglückliche Schuldner vom Pfandleiher, der sich des Pfandes bemächtigt, sobald der Augenblick verflossen ist, bis zu welchem es eingelöst werden konnte. Denkt sie denn, daß ich meinerseits ein so strenger Gläubiger gewesen wäre? – Seit ich sie kenne, und als ich noch Reichtum und Ruhm besaß, hielt ich mich Ihrer kaum für würdig, und sollte ich nun darauf bestanden haben, daß sie mein vermindertes Glück, meine Erniedrigung teilen sollte? – Wie wenig hat sie mich jemals gekannt! Sonst hätte sie nie geglaubt, daß mich mein widriges Schicksal so selbstsüchtig gemacht habe! – Doch es ist so – sie ist dahin – möge sie glücklich sein! – den Gedanken, daß sie mir Kummer bereitet, will ich in meiner Seele unterdrücken; und ich will denken, sie hat das getan, was ich selbst oder ihr bester Freund mit Ehren ihr hätte raten müssen.« So sprach er, und zum Erstaunen seiner Diener nahm sein Gesicht die gewöhnliche Festigkeit und Ruhe an. »Ich wünsche Euch Glück!« flüsterte der Knappe dem Minstrel zu. »Eure bösen Neuigkeiten haben weniger tief verwundet, als Ihr es zweifelsohne für möglich gehalten habt.« »Ach!« erwiderte der Minstrel, »ich habe noch andere und noch schlechtere zu bringen.« Diese Antwort wurde in zweideutigem Tone gegeben, der ganz mit der Eigentümlichkeit seines Wesens übereinstimmte und aus dem Innersten eines heimtückischen Charakters hervorging. »Eveline Berenger ist also verheiratet?« fragte der Connetable, »und laßt mich einmal eine gewagte Mutmaßung anstellen – sie gab die Familie nicht auf, wiewohl sie ein Mitglied davon verließ – sie ist noch immer eine de Lacy, ha!? – Tölpel, der Du bist, willst Du mich nicht verstehen? – Sie ist mit Damian de Lacy vermählt – mit meinem Neffen!« Die Anstrengung, mit der der Connetable diese Vermutung hervorstieß, bildete einen krassen Gegensatz gegen das gezwungene Lächeln, das er seinem Gesicht dabei gleichsam abnötigte. Mit einem solchen Lächeln mag ein Mann, der eben Gift trinken will, eine Gesundheit ausbringen, indem er den verhängnisvollen Becher an seine Lippen setzt. »Nein, Mylord, – nicht verheiratet,« antwortete der Minstrel, mit einer Betonung, die der Connetable nach seiner Weise auslegte. »Nein, nein!« antwortete er schnell, »nicht verheiratet – vielleicht nur versprochen – verlobt. Und warum nicht? Die Zeit der älteren Verlobung war verflossen, – warum nicht eine neue eingehen?« »Lady Eveline und Sir Damian sind nicht verlobt, soviel ich weiß,« antwortete der Diener. Diese Antwort trieb de Lacys Geduld aufs äußerste. »Hund, spielst Du mit mir?« rief er aus. »Elender Bänkelsänger! Du marterst mich. Sprich das Schlimmste mit einemmal aus, oder ich will Dich im Augenblick zum Minstrel an Satans Hof machen!« Ruhig und gefaßt entgegnete der Minstrel: »Lady Eveline und Sir Damian sind weder verheiratet, noch verlobt, Mylord, Sie lieben sich und leben zusammen ›par amour‹.« »Hund! und Sohn eines Hundes! Du lügst.« Und der aufs äußerste empörte Freiherr faßte dem Minstrel bei der Brust und schüttelte ihn mit allen seinen Kräften. Aber wie groß auch seine Stärke war, er vermochte Vidal, einen geübten Ringer, nicht aus der festen Stellung, die er eingenommen hatte, zu heben, so wenig wie sein Zorn ihn aus seiner Gelassenheit bringen konnte. »Bekenne, Du hast gelogen!« sagte der Connetable, und ließ ihn los, nachdem er durch seine Heftigkeit ebensowenig erreicht, als wenn Menschenkraft sich an den Felssteinen der Druiden versucht hätte, die sich wohl schütteln, aber nicht aus ihrer Lage bringen lassen. »Könnte ich durch eine Lüge mein Leben erkaufen, ja das Leben meiner ganzen Zunft,« sagte der Minstrel, »ich wollte keine sagen. Aber die Wahrheit selbst wird immer Lüge genannt, wenn sie unsere innersten Wünsche zunichte macht.« »Hör ihn, Philipp Guarine, hör ihn,« rief der Connetable aus und wandte sich rasch zu seinem Squire. »Er erzählt mir von meinem Unglück, von der Schande meines Hauses – von der Verdorbenheit derer, die ich am meisten auf der Welt liebte – er erzählt mir davon mit ruhigem Blick, festem Auge und flinker Zunge. – Ist das, kann das natürlich sein? – Ist de Lacy so tief gesunken, daß seine Schande von einem gemeinen herumziehenden Minstrel erzählt wird, so ruhig, als ob es sich um das Thema einer armseligen Ballade handelte. – Vielleicht gedenkst Du eine daraus zu machen, he?« – schloß er, einen wütenden Blick auf den Minstrel schleudernd. »Vielleicht würde ich es tun, Mylord,« sagte Vidal, »müßte ich nicht darin auch vom Mißgeschick Renault Vidals erzählen, und daß er einem Herrn diente, der weder die Geduld besaß, Beleidigungen und Unrecht zu ertragen, noch den Mut hatte, sich an dem Urheber seiner Schande zu rächen.« »Du hast recht, Du hast recht, guter Bursche,« sagte der Connetable heftig. »Die Rache allein ist uns geblieben! – und doch, an wem?« Indem er so sprach, ging er kurz und heftig auf und nieder. Er schwieg – stand still – und rang seine Hände in großer Bewegung. »Ich sagte es Dir wohl,« sagte der Minstrel zu Guarine, »meine Neuigkeiten würden doch eine empfindliche Stelle berühren. – Erinnerst Du Dich des Stiergefechtes, das wir in Spanien sahen. Tausend kleine Wurfspieße reizten und peinigten das edle Tier, ehe es den letzten tödlichen Stoß von der Lanze eines maurischen Kavaliers empfing.« »Mensch oder Teufel, sei, was Du willst,« erwiderte Guarine, »der Du mit Wohlgefallen Dich an dem Schmerz eines andern weiden kannst, ich rate dir, nimm dich vor mir in acht! – Gib Dein kaltes Höhnen andern Ohren zu hören, denn wenn meine Zunge auch stumpf ist, so trage ich ein Schwert, das scharf genug ist.« »Du hast mich unter Schwertern gesehen,« antwortete der Minstrel,« »und weißt, wie wenig sie einen Mann, wie ich bin, schrecken.« – Doch zog er sich, indem er so sprach, ein wenig von dem Knappen zurück. Dieser hatte ihn eigentlich nur in der Fülle des Herzens angeredet, die sich, wäre er allein gewesen, in einem Selbstgespräch Luft gemacht hätte, jetzt sich aber auf den nächsten Zuhörer ergoß, ohne daß der Sprecher sich vergegenwärtigte, welche Empfindungen seine Worte erregen konnten. Wenige Minuten waren verstrichen, als der Connetable wieder die äußere Ruhe erlangt hatte, mit der er bis zu diesem letzten furchtbaren Streiche alle Schläge des Schicksals erduldet hatte. Er wandte sich gegen seine Begleiter und redete den Minstrel mit seiner gewöhnlichen Fassung an. »Du hast recht, guter Bursche,« sagte er, »mit dem, was Du mir da sagtest, und ich verzeihe Dir die Stichelei, die Deinen guten Rat begleitete. In Gottesnamen, sprich nun alles aus, Du sprichst zu einem Manne, der vorbereitet ist, die Leiden zu tragen, die Gott ihm sendet. Gewiß ist es, der beste Ritter wird in der Schlacht erkannt, der gute Christ aber in Tagen der Not und der Bedrängnis.« Der Ton, in dem der Connetable sprach, schien von entsprechender Wirkung auf das Verhalten seiner Begleiter zu sein. Der Minstrel ließ den höhnenden, verwegenen Ton fallen, mit dem er bis dahin die Leidenschaft seines Herrn gereizt, und in einfacher und ehrerbietiger Sprache, die selbst dem Mitgefühl sich näherte, vollendete er nun seinen Bericht, In der Tat hatte er ein Unglück über das andere mitzuteilen. Die Weigerung der Lady Eveline Berenger, Monthermer mit seinen Leuten in die Burg zu lassen, hatte natürlich allen den Verleumdungen, die ihr und Damian bereitet waren, Glauben verschafft; auch gab es viele Leute, die es aus verschiedenen Ursachen für vorteilhaft fanden, diese Lästerungen auszubreiten und zu bekräftigen. Eine starke Macht war in die Landschaft ausgesandt worden, die aufrührerischen Bauern zu unterdrücken; und die Ritter und Edlen, die dazu befehligt waren, ermangelten nicht, an den unglücklichen Bürgerlichen aufs äußerste das adlige Blut zu rächen, das jene während ihres vorübergehenden Triumphs vergossen hatten. Die Kampfgenossen des unglücklichen Wenlock stimmten in das allgemeine Gerede ein. Wegen ihrer so eiligen, feigen Uebergabe eines noch haltbaren Platzes von vielen getadelt, versuchten sie, sich selbst zu rechtfertigen, indem sie die feindliche Erscheinung der Reiterei Damians als den einzigen Grund ihrer zu frühzeitigen Unterwerfung angaben. Diese Gerüchte, von solchen parteiischen Zeugen unterstützt, gingen weit und breit durchs Land, und vereint mit der unleugbaren Tatsache, daß Damian Zuflucht in dem starken Schlosse von Garde Douloureuse gesucht habe, das sich selbst den königlichen Waffen widersetzte, stachelten sie die zahlreichen Feinde des Hauses de Lacy auf und machten dessen Vasallen und Freunde völlig mutlos, indem diese sich vor die Wahl gestellt sahen, entweder ihrem Lehnseide untreu zu werden oder die noch heiligeren Pflichten gegen ihren Landesherrn zu verletzen. In diesem entscheidenden Augenblick erhielten sie die Kunde, daß der weise, tätige Monarch, der damals das Szepter Englands in Händen hatte, an der Spitze einer großen Armee nach diesem Teil Englands vorrücke, in der Absicht, zugleich die Belagerung von Garde Douloureuse zu beschleunigen und die Unterdrückung des Bauernaufstandes zu vollenden, den Guy Monthermer bereits fast ganz niedergeworfen hatte. In dieser dringenden Not, und als die Freunde und Untergebenen des Hauses Lacy kaum wußten, welchen Weg sie einschlagen sollten, erschien plötzlich unter ihnen Randal, des Connetables Verwandter und nach Damian sein nächster Erbe, mit einem königlichen Auftrage, diejenigen von den Vasallen seines Hauses, welche sich nicht an der vermeintlichen Verräterei Damians beteiligt hätten, zu seinen Fahnen zu versammeln und sich an ihre Spitze zu stellen. In unruhigen Zeit vergißt man die Laster der Menschen, wenn sie Tätigkeit, Mut und Klugheit, die gerade dann so nötigen Tendenzen, zeigen; und das Auftreten Randals, dem diese Eigenschaften keineswegs fehlten, wurde als eine gute Vorbedeutung von den Anhängern seines Vetters aufgenommen. Schnell versammelten sie sich um ihn, übergaben nach dem königlichen Befehl alle festen Orte, die in ihrer Gewalt waren, und um sich ganz von jeder Teilnahme an den Verbrechen zu reinigen, die man Damian zuschrieb, fochten sie mutig unter Randals Oberbefehl gegen die zerstreuten Bauern, die noch immer das Feld behaupteten oder sich in den Bergschluchten versteckt hatten. Nach jedem Siege gingen sie so unbarmherzig vor, daß selbst Monthermers Truppen im Vergleich mit denen de Lacys menschlich erschienen. Endlich zog Randal mit dem Banner seines Hauses und fünfhundert rüstigen Kriegern vor Garde Douloureuse und vereinigte sich dort mit Heinrichs Lager. Schon war die Burg hart bedrängt, und die wenigen Verteidiger, durch Wunden, Wachen und Hunger sehr geschwächt, mußten nun obendrein allen Mut verlieren, da sie nun gegen ihre Mauern auch noch das einzige Banner in ganz England wehen sahen, das allein ihnen vielleicht Hilfe hätte bringen können. Die von hohem Geiste beseelten Ermahnungen Evelinens, die sich durch Unglück und Entbehrung nicht niederdrücken ließ, verloren allmählich ihre Wirkung auf die Verteidiger des Schlosses. In einem tumultuarischen Kriegsrate, zu dem sich nicht allein Offiziere niederen Ranges, sondern auch viele von den Gemeinen herzugedrängt hatten, da eine solche allgemeine Not alle Bande der Kriegszucht lockert und jedermann die Freiheit gibt, für sich selbst zu sprechen und zu handeln, wurden Vorschläge zur Kapitulation gemacht und besprochen. Mitten in diesen Beratungen erschien zu aller Erstaunen Damian de Lacy, der sein Krankenbett verlassen hatte. Bleich und schwach, mit dem schauderhaften Geisterblicke, der nach einer langen Krankheit zurückbleibt, lehnte er sich auf seinen Pagen Amelot. »Edle Herren und Krieger!« sagte er, »doch wie kann ich die einen oder die anderen so nennen? Edle Männer sind immer bereit, für das Wohl einer Frau zu sterben – Krieger verachten das Leben, wenn es die Ehre gilt.« »Weg mit ihm! Weg mit ihm!« riefen einige Soldaten, ihn unterbrechend. »Er will wohl, daß wir, die wir unschuldig sind, den Tod der Verräter sterben und in der Rüstung an den Mauern aufgehängt werden, ehe er sich von seinem Schätzchen trennt.« »Schweig, unverschämter Sklave!« schrie Damian mit Donnerstimme, »oder mein letzter Schlag soll ein gemeines Ziel haben, indem er einen solchen Schurken wie Dich trifft. – Und Ihr,« fuhr er zu, den anderen fort. »Ihr, die Ihr von den Beschwerden Eures Berufes zurückschaudert, weil der Tod sie vielleicht einige Jahre früher endigen kann, wie es doch einmal geschehen muß, – Ihr, die Ihr Euch schrecken laßt, wie Kinder beim Anblicke eines Totenkopfes – glaubt nicht, daß Damian de Lacy auf Kosten dieses Euch so teuren Lebens sich retten wollte! Schließt Euren Handel mit König Heinrich ab! Uebergebt mich seiner Gerechtigkeit oder Strenge; oder wenn Euch das besser gefällt, schlagt mir das Haupt ab und werft es als Friedenszeichen über die Mauern dieses Schlosses; ich vertraue Gott, daß er zu seiner Zeit meine Ehre in helles Licht stellen werde. Mit einem Worte: überliefert mich, tot oder lebendig, oder öffnet die Tore, damit ich mich selbst übergebe. Nur, so wahr Ihr Menschen seid, da ich nichts Besseres von Euch sagen kann, tragt wenigstens Sorge für die Sicherheit Eurer Gebieterin, stellt die Bedingung, daß ihr kein Leides geschehen darf, und rettet Euch selbst von der Schande, als feige und meineidige Schurken in die Gruft zu fahren.« »Mich dünkt, der junge Mann spricht gut und vernünftig,« sagte Wilkin Flamock. »Laßt uns also des Königs Gnade wiedergewinnen, indem wir ihn überliefern und dabei die besten Bedingungen für uns und unsere Gebieterin ausmachen, eh noch der letzte Bissen von unserm Vorrat verzehrt ist.« »Ich würde schwerlich diese Maßregel vorgeschlagen haben,« sagte Pater Aldrovand, der vor kurzem vier Vorderzähne durch eine Steinschleuder verloren hatte; »da sie aber von dem, den es hauptsächlich angeht, so großmütig angeboten wird, so halte ich es mit den gelehrten Scholiasten: Volenti non fit injuria!!« »Priester und Fläminger,« fügte der alte Bannersmann Ralph Genvil. »Ich sehe, wohin der Wind Euch treibt. Aber Ihr betrügt Euch selbst, wenn Ihr unsern jungen Gebieter Sir Damian zum Sündenbock für Euer leichtsinniges Fräulein machen wollt. – Nein, runzelt nicht die Stirn und tobt nicht, Sir Damian! Wißt Ihr keinen gescheitern Ausweg zu finden, so wissen wir es. – Krieger de Lacys, werft Euch auf die Pferde, zwei auf eines, wenn es nötig ist! – Wir wollen diesen hartnäckigen Knaben in die Mitte zwischen uns nehmen, und der schmucke Squire Amelot soll auch mit gefangen sein, wenn er uns durch seinen kindischen Widerstand aufhält. Dann laßt uns einen tüchtigen Ausfall machen; die, die sich durchhauen, fahren gut dabei, und die, welche fallen, nun, die sind auch versorgt.« Jubelnd zollten die Reiter de Lacys diesem Vorschlag Beifall. Während die von der Partei Berengers mit lauten und scheltenden Worten noch darüber stritten, suchte Eveline, durch den Tumult herbeigerufen, sie zu besänftigen, doch vergebens; und Damians Vorwürfe oder Bitten waren bei seinen Streitgenossen ebenfalls fruchtlos. Beiden erteilte man die gleiche Antwort. »Bekümmert Euch darum nicht! – Denkt Ihr, weil's Euch beliebt par amours, könnt Ihr Euer Leben und das unsrige nur so hinwerfen?« so rief Genvil de Lacy zu, und zwar sanfter, aber mit gleicher Halsstarrigkeit, weigerten sich die Geleitsmänner von Raymond Berenger, bei dieser Gelegenheit auf die Befehle oder Bitten seiner Tochter zu hören. Wilkin Flamock hatte sich aus dem Tumult zurückgezogen, sobald er sah, welche Wendung die Sache genommen hatte. Er verließ die Burg durch eine Ausfallpforte, deren Schlüssel ihm anvertraut war, und kam unbemerkt und unbehelligt in das königliche Lager. Er begehrte den König zu sprechen. Dieser Wunsch wurde gewährt, und sehr bald stand Wilkin vor dem König Heinrich. Der Monarch befand sich in seinem königlichen Zelt, in Gesellschaft seiner beiden Söhne Richard und Johann, welche späterhin das Szepter Englands unter ganz anderen Verhältnissen führten. »Was gibt es? – Wer bist Du?« war die königliche Frage. »Ein ehrlicher Mann aus der Burg Garde Douloureuse.« »Du magst ein ehrlicher Mann sein,« erwiderte der Souverän, »Du kommst aber aus einem Nest von Verrätern.« »So wie sie da sind, will ich sie Eurer Königlichen Gnade überliefern; denn sie wissen nicht mehr aus noch ein. Sie verstehen sich nicht mehr zu verteidigen und wissen sich auch keinen Rat, wie sie kapitulieren sollen. Aber ich möchte gerne zuvorderst von Ew. Gnaden wissen, welche Bedingungen Ihr den Verteidigern jenes Schlosses zugestehen wollt?« »Die, welche Könige den Verrätern zugestehen,« sagte Heinrich strenge. – »Scharfe Messer und starke Stricke.« »Nein, gnädiger Herr, Ihr mußt milder sein, als worauf das ausgeht, wenn das Schloß durch meine Vermittlung übergeben weiden soll. Sonst werden Eure Stricke und Messer nur mit meinem armen Leichnam etwas zu schaffen haben, und von dem Innern von Garde Douloureuse werdet Ihr so entfernt bleiben wie jetzt.« Der König sah ihn scharf an, »Du kennst,« sagte er, »die Kriegsgesetze. – Hier, Oberprofoß, steht ein Verräter, und dort steht ein Baum.« »Und hier steht eine Kehle,« sagte der hochherzige Flamländer und knöpfte den Kragen seines Wamses auf. »Bei meiner Ehre,« sagte Prinz Richard, »ein kecker, treuer Bursche. Es wäre besser, man schickte solchen Kerlen was Ordentliches zu essen und schlüge sich dann vor der Burg wacker mit ihnen herum, statt sie auszuhungern, wie die bettelhaften Franzosen ihre Hunde hungern lassen.« »Still, Richard!« sagte sein Vater, »Dein Witz ist zu grün und Dein Blut zu heiß, um hier mein Ratgeber zu sein. – Und Du, Bursche, schlage einige vernünftige Bedingungen vor, und wir wollen es nicht zu genau mit Dir nehmen.« »Zuerst denn,« sagte der Flamländer, »dinge ich mir aus, vollen und freien Pardon an Leib, Leben und Gütern für mich, Wilkin Flamock, und meine Tochter Rose!« »Ein echter Flamländer,« sagte Prinz John, »er sorgt für sich selbst im ersten Artikel.« »Seine Forderung ist vernünftig,« sagte der König. – »Was zunächst?« »Sicherheit für Ehre, Leben und Länder dem Fräulein Eveline Berenger.« »Wie? Herr Schuft!« sagte der König erzürnt. »Ziemt es sich für Deinesgleichen, unserm Urteil oder unserer Gnade in Sachen der edlen normannischen Lady Vorschriften zu machen? – Beschränke Deine Fürsprache auf Leute Deiner Art; oder vielmehr gib uns das Schloß ohne längeren Aufschub, und sei versichert, daß dies das beste für die Verräter ist, jedenfalls weit besser, als ein wochenlanger Widerstand, der schließlich doch fruchtlos sein muß.« Der Flamländer stand schweigend da; er hatte keine Lust, das Schloß, ohne ausdrücklich vereinbarte Bedingungen, zu übergeben, und war doch überzeugt, daß er bei der Lage, in welcher er die Besatzung von Garde Douloureuse verlassen hatte, Evelinen den besten Dienst leisten würde, wenn er die königlichen Truppen einließe. »Mir gefällt Deine Treue, Bursche,« sagte der König, dessen scharfes Auge den Kampf in des Flamländers Brust bemerkte, »aber treibe Deine Hartnäckigkeit nicht zu weit. Haben wir nicht gesagt, wir wollen gnädig gegen jene Verbrecher verfahren, soweit unsere königliche Pflicht es erlaubt?« »Und, königlicher Vater,« sagte Prinz Johann, sich einmischend, »ich bitte Euch um die Gnade, laßt mich zuerst von Garde Douloureuse Besitz nehmen und zugleich die Strafe der verräterischen Lady bestimmen und vollziehen.« »Auch ich bitte Euch, mein königlicher Vater, Johanns Gesuch zu genehmigen,« sagte sein Bruder Richard mit spöttischem Tone. »Bedenkt, königlicher Vater, es ist das erstemal, daß er den Wunsch äußert, sich den Barrieren der Burg zu nähern, obschon wir vierzigmal zum wenigsten Sturm liefen. – Ei ja doch! Da waren Armbrust und Steinschleuder tätig, und die werden jetzt wahrscheinlich ruhig sein.« »Haltet Frieden, Richard!« sagte der König. »Eure Worte durchbohren mein Herz. – Johann, Deine Bitte sei Dir gewährt, was das Schloß anbetrifft; aber die unglückliche junge Lady wollen wir in unsere eigene Aufsicht nehmen. – Flamländer, wieviel Mann unternimmst Du, ins Schloß einzulassen?« Ehe Flamock antworten konnte, näherte sich ein Squire dem Prinzen Richard und flüsterte ihm ins Ohr, doch so, daß es alle hören konnten: »Wir haben bemerkt, daß infolge einer inneren Zwistigkeit oder aus einer anderen unbekannten Ursache sich ein großer Teil der Wachen von der Burg entfernt hat, und daß ein plötzlicher Angriff vielleicht –« »Hörst Du das, Johann?« rief Richard aus, »Leitern, Mann! – schaff Leitern herbei, und hin zur Mauer – O! wie ich mich freuen werde, dich auf der höchsten Staffel zu sehen, – Deine Kniee schlotternd – Deine Hände krampfhaft sich anklammernd, wie einer im Fieberschauer – nichts wie Luft um Dich, ein paar hölzerne Stäbe ausgenommen – der Graben unten – ein halbes Dutzend Piken an Deiner Kehle.« »Ruhig, Richard, aus Scham, wenn nicht aus Barmherzigkeit!« sagte sein Vater in einem zornigen Tone, in welchen sich jedoch auch Gram mischte. – »Und Du, Johann, mache Dich fertig zum Angriff!« »Sobald ich meine Rüstung angelegt habe,« antwortete der Prinz und ging mit bleichem Gesicht langsam hinaus. Sein Bruder lachte, als er sich entfernte, und sagte darauf zu seinem Squire: »Es wäre kein schlechter Spaß, Alberick, wenn wir das Schloß erstürmten, ehe noch John sein seidenes Wams mit einem stählernen vertauscht.« Mit diesen Worten eilte er schnell davon, und der König rief ihm mit väterlichem Schmerze nach: »Weg ist er! ach! er ist zu heiß, und sein Bruder zu kalt! doch ist sein Fehler der männlichere – Gloucester,« sagte er zu dem berühmten Grafen dieses Namens, »nehmt hinlängliche Mannschaft und folgt dem Prinzen Richard, ihn zu unterstützen. Vermag einer ihn zu zügeln, so kann es nur ein so berühmter Ritter sein wie Du. – Ach! ach! für welche Sünden verdiene ich den Schmerz, daß meine Söhne sich also befehden!« »Tröstet Euch, mein Gebieter!« sagte der Kanzler, der ebenfalls gegenwärtig war. »Sprecht nicht von Trost zu einem Vater, dessen Söhne in Zwiespalt miteinander stehen, und nur im Ungehorsam gegen ihn eins sind.« So sprach Heinrich II., der weiseste oder, allgemein genommen, glücklichste Monarch, der je auf dem Throne von England saß. Doch war sein Leben ein schlagender Beweis dafür, wie Uneinigkeit in der Familie das glänzendste Los verdüstern kann, das der Himmel je einem Sterblichen vergönnte, und wie befriedigter Ehrgeiz, ausgedehnte Macht und der höchste Ruhm in Krieg und Frieden doch nicht die Wunden zu heilen vermögen, die häuslicher Kummer schlägt. Der plötzliche und feurige Angriff Richards, der an der Spitze von ein paar Dutzend aufs Geratewohl zusammengerafften Soldaten die Mauern erstürmte, hatte den vollen Erfolg eines Ueberfalls. Nachdem sie die Mauern mit ihren Leitern erstiegen hatten, sprengten sie die Tore und ließen Gloucester hinein, der ihnen eiligst mit einem starken Heerhaufen gefolgt war. Die Garnison in diesem Zustande der Ueberraschung, Verwirrung und Uneinigkeit leistete nur geringen Widerstand; sie hätten über die Klinge springen müssen, und der Ort wäre geplündert worden, wenn nicht Heinrich selbst eingezogen wäre und durch seine persönliche Gegenwart den Ausschweifungen der zügellosen Soldaten Einhalt getan hätte. Der König selbst beobachtete, wenn man den Charakter der Zeit und seine gereizte Stimmung berücksichtigt, eine lobenswerte Mäßigung. Er begnügte sich damit, die gemeinen Soldaten zu entwaffnen und zu entlassen, und gab ihnen noch eine kleine Summe als Wegzehrung, damit Entbehrung sie nicht verleite, sich zu Räuberbanden zusammenzurotten. Strenger wurden die Offiziere behandelt, die größtenteils in den Kerker geworfen wurden, um hier den Spruch des Gesetzes abzuwarten. Vor allem war strenge Haft das Los Damians de Lacy, auf welchen Heinrich, da er den mannigfaltigen Klagen gegen ihn Glauben beimaß, so sehr erzürnt war, daß er beschloß, ihn zum warnenden Beispiel für alle falschen Ritter und pflichtvergessenen Untertanen zu machen. Der Lady Eveline Berenger wies er ihr eigenes Zimmer zum Gefängnis an, worin sie ehrenvoll von Rose und Alice bedient, doch aber mit der größten Strenge bewacht wurde. Man erzählte sich allgemein, ihr Gebiet würde als ein der Krone verfallenes Eigentum erklärt und wenigstens teilweise dem Randal de Lacy verliehen werden, der während der Belagerung so gute Dienste geleistet hatte. Sie selbst, glaubte man, sollte in einem fernen französischen Nonnenkloster eingeschlossen werden, um in voller Muße ihre Torheit und Uebereilung zu bereuen. Pater Aldrovand wurde zur Bestrafung seinem Kloster übergeben, da Heinrich sehr nachdrücklich erfahren hatte, wie unklug es sei, die Gerechtsame der Kirche zu beeinträchtigen, wiewohl der König, als er ihn zuerst in dem über seinen geistlichen Rock geschnallten rostigen Panzer erblickte, nur mit Mühe den Wunsch unterdrücken konnte, ihn über den Zinnen aufhängen zu lassen, damit er dort den Raben predige. Mit Wilkin Flammock hatte Heinrich manche Unterredung, besonders über Handel und Gewerbe, worüber der Flamländer mit seinem gesunden Kopf, wiewohl mit etwas derber Sprache, dem verständigen Monarchen recht gute Aufschlüsse zu geben wußte. »Es soll Dir nicht vergessen werden,« sagte er, »daß Du uns ins Schloß einlassen wolltest, obwohl die tollkühne Tapferkeit meines Sohnes Richard Dir zuvorgekommen ist, die manchem armen Schurken das Leben gekostet hat. – Richard ist nicht der Mann, ein Schwert ohne Blutflecken in die Scheide zu stecken. Aber Du und Deine Landsleute sollen dort zu ihren Mühlen zurückkehren, mit voller Vergebung aller ihrer Vergehungen, nur daß Ihr Euch künftig nicht mehr mit solchen verräterischen Dingen befaßt.« »Und unsere Privilegien und Dienstpflichten, mein Fürst?« sagte Flammock. »Ew. Majestät weiß wohl, wir sind Vasallen, dem Herrn dieser Burg gehörig, und müssen ihm in den Krieg folgen.« »So soll es nicht länger sein,« sagte Heinrich. »Ich will hier eine Gemeinde von Flamländern bilden, und Du, Flammock, sollst ihr Bürgermeister sein, damit Du Dich, wenn wieder mal jemand Verrat sinnt, nicht wieder mit Deiner Lehnspflicht entschuldigen kannst.« »Verrat!« sagte Flammock, der sehnlich wünschte, aber es kaum wagte, ein Wort zu Gunsten der Lady Eveline einzulegen, an der er trotz der natürlichen Kälte seines Charakters wirklich Anteil nahm. – »Ich wünsche, Ew. Gnaden wüßten nur ganz richtig und genau, wieviel Fäden zu diesem Gewebe zusammenkamen.« »Still, Bursche! – Bekümmert Euch um Euren Webstuhl!« sagte Heinrich, »lassen wir uns herab, mit Dir über Dein Handwerk zu sprechen, so halte das nicht für eine Erlaubnis, Dich weiter in unsere Vertraulichkeit einzudrängen.« So zurückgestoßen, entfernte sich der Flamländer schweigend, und das Geschick der unglücklichen Gefangenen blieb in des Königs Brust verschlossen. Er selbst nahm Wohnsitz in der Burg von Garde Douloureuse, weil dieser Ort sehr dazu geeignet war, um Streifzüge gegen die rebellischen Bauern zu unternehmen und jeden Funken, der etwa noch unter der Asche glomm, auszulöschen. Randal de Lacy war aber bei diesen Gelegenheiten so tätig, daß er täglich in des Königs Gnade zu steigen schien und mit beträchtlichen Geschenken aus den Besitzungen der Berenger und Lacy belohnt wurde, welche der König schon als verfallenes Eigentum zu behandeln schien. Viele Leute betrachteten die wachsende Gunst Randals als ein schlimmes Vorzeichen sowohl für des jungen de Lacy Leben als für das Geschick der unglücklichen Eveline. Vierzehntes Kapitel Der Schluß des letzten Kapitels enthält die Nachrichten, die der Minstrel seinem unglücklichen Herrn, Hugo de Lacy, überbrachte. Zwar berichtete er nicht mit der Umständlichkeit, wie wir erzählt haben; aber doch enthielt sein Bericht die entsetzlichen Tatsachen, daß seine verlobte Braut und sein geliebter Verwandter, dem er so sehr vertraut hatte, sich zu seiner Schande miteinander verbunden und die Fahne der Rebellion gegen ihren rechtmäßigen Souverän erhoben hätten. Das verwegene Unternehmen sei fehlgeschlagen und dadurch das Leben wenigstens des einen in die drohendste Gefahr und das Haus de Lacy, wenn nicht augenblicklich Hilfe gefunden würde, an den Abgrund des Verderbens gebracht. Vidal beobachtete das Angesicht seines Herrn, indem er sprach, mit der scharfen Aufmerksamkeit, mit der der Wundarzt das Fortschreiten seines schneidenden Messers verfolgt. Kummer war in des Connetables Zügen – aber ohne den Ausdruck der Niedergeschlagenheit und Entmutigung, die denselben gewöhnlich begleiten. – Zorn war es und Scham, aber beides von einem edlen Charakter, entstanden vielmehr durch den Treubruch und die Ehrlosigkeit seiner Braut und seines Neffen, als durch die Unannehmlichkeit und den Schaden, die er selbst durch ihr Verbrechen erlitt. Der Minstrel war so sehr erstaunt über diese Veränderung seines Betragens gegen den unverhohlenen tödlichen Schmerz, den er beim Anfang seiner Erzählung bekundet hatte, daß er zwei Schritte zurücktrat und, den Connetable anstarrend, mit Bewunderung ausrief: »Wir haben viel in Palästina von Märtyrern gehört; aber dies übertrifft sie!« »Wundre Dich nicht so sehr, guter Freund,« sagte der Connetable gelassen, »nur der erste Stoß der Lanze tut weh, nur der erste Schlag der Keule betäubt; die nachfolgenden fühlt man weniger.« »Bedenkt Mylord,« sagte Vidal: – »alles ist verloren – Liebe, Gebiet, hohe Ehrenstellen, glänzender Name – vor kurzem ein Haupt unter Edlen – jetzt ein armer Pilgrim.« »Willst du meines Elendes spotten?« sagte Hugo finster. »Freilich, hinter meinem Rücken geschieht das ja doch, warum sollte ich es also nicht ertragen, wenn es mir ins Gesicht gesagt wird? – Wisse denn, Minstrel, und setze es in ein Lied, wenn Du Lust hast, daß Hugo de Lacy, nachdem er alles verloren hat, was er nach Palästina mitnahm, und alles, was er zu Hause ließ, noch immer Herr über sich selbst geblieben ist: und Unglück kann ihn nicht mehr erschüttern als der Wind, der von der Eiche das Laub streift, nicht aber ihren Stamm von der Wurzel abreißen kann.« »Nun, bei dem Grabe meines Vaters!« rief der Minstrel hingerissen, »dieses Mannes Edelmut überwiegt meinen Entschluß!« – Und schnell zu dem Connetable tretend, ließ er sich auf ein Knie nieder und ergriff seine Hand dreister, als er sich gegenüber einem Manne von de Lacys Rang eigentlich erlauben durfte. »Hier,« sagte Vidal, »auf diese Hand, diese edle Hand, entsage ich –« Aber ehe er noch ein anderes Wort aussprechen konnte, zog Hugo de Lacy, der vielleicht dieses Benehmen als Freiheit ansah, zu der sein Mißgeschick den andern ermutigte, die Hand zurück und befahl dem Minstrel mit einer finstern Stirn, aufzustehen und zu bedenken, daß in allem Unglück ein Hugo de Lacy doch noch keinen Mummenschanz mit sich treiben ließe. Zurückgewiesen, stand Renault Vidal auf. »Ich hatte,« sagte er, »den Unterschied zwischen einem armorkanischen Geiger und einem hochgeborenen normannischen Baron vergessen. Ich dachte, daß gleiche Tiefe des Kummers, gleicher Rausch der Freude wenigstens für einen Augenblick die künstlichen Schranken wegnähmen, durch welche Menschen von Menschen getrennt sind. Aber auch so ist es gut, wie es ist. Lebt in den Grenzen Eures Ranges, wie ehedem in Eurem Gefangenenturm hinter Euren Gräben, Mylord, ungestört durch das Mitleid irgend eines so geringen Mannes wie ich, – auch ich habe meine Pflichten zu erfüllen.« »Und nun nach Garde Douloureuse!« sagte der Baron, sich zu Philipp Guarine wendend. – »Gott weiß, wie sehr mit Recht es jetzt diesen Namen führt! – Hier wollen wir mit eigenen Augen und Ohren die Wahrheit dieser schmerzlichen Nachrichten erforschen. – Steig ab, Minstrel, und gib mir Deinen Klepper. – Ich wollte, Guarine, ich hätte auch einen für Dich, – Vidal, Deine Begleitung ist weniger nötig. Ich will meinen Feinden oder meinem Mißgeschicke ins Angesicht sehen, wie ein Mann. Dessen sei versichert, Geiger; und blicke nicht so düster, Mensch! – Ich werde keinen vergessen, der mir anhing!« »Einer von ihnen wird mindestens Euer nicht vergessen, Mylord!« erwiderte der Minstrel mit seinem gewöhnlichen zweideutigen Blick und Ausdruck. Aber eben als der Connetable im Begriff war, sein Pferd anzuspornen, erschienen zwei Personen auf dem Pfade, beide auf einem Pferde. Durch niedriges Gesträuch verdeckt, waren sie ziemlich nahe gekommen, ohne bemerkt zu werden. Es war ein Mann und eine Frau. Der Mann, der vorn auf dem Pferde saß, war ein solches Bild des Hungers, wie die Pilger kaum in all den verwüsteten Ländern erblickten, die sie durchzogen hatten. Sein Gesicht, von Natur spitz und dünn, verschwand beinahe hinter dem ungekämmten Bart und Haar, womit es überdeckt war; und nur das Schimmern einer langen Nase, die so scharf wie die Schneide eines Messers schien, und das Blinzeln der grauen Augen gab eine Andeutung von seinen Gesichtszügen. Seine Beine in den weiten, alten Stiefeln, die sie umgaben, erschienen wie der Stiel eines Besens, der in einem Wascheimer stecken geblieben ist. – Seine Arme waren ungefähr so dick wie eine Reitgerte – und die Teile seines Körpers, die nicht in die Lappen eines Jägerkleides gehüllt waren, schienen mehr einer Mumie, als einem Lebenden zu gehören. Die Frau, welche hinter diesem Gespenste saß, zeigte ebenfalls einige Spuren von Verfall. Aber da sie von Natur eine stramme hübsche Frau war, so war der Hunger noch nicht imstande gewesen, sie zu einem wichen jammervollen Schauspiel zu machen wie das Gerippe, hinter dem sie saß. Dame Gillians Wange – denn es war des Lesers alte Bekanntschaft – hatte die Rosenfarbe der guten Pflege und die Glätte verloren, die Kunst und gemächliches Leben ihr noch zuletzt statt der zarteren Jugendblüte verliehen hatte. Ihre Augen waren eingesunken und hatten vieles von ihrem kecken und schelmischen Glanz eingebüßt. Aber sie war doch immer gewissermaßen sie selbst; und die Ueberbleibsel früherer Zierlichkeit, zugleich mit den enganliegenden, obgleich schmutzigen Strümpfen, zeigten noch immer einen Ueberrest von Koketterie. Sobald sie der Pilger ansichtig wurde, stieß sie den Raoul mit der Reitgerte. »Versuche Dein neues Gewerbe, Mann! da Du ja zu einem andern nicht taugst – Hem! – zu den guten Leuten da! hin zu ihnen! – sprich sie um Barmherzigkeit an.« »Bei Bettlern betteln?« murmelte Raoul, »das hieße mit Falken Sperlinge jagen, Frau!« »Wenigstens bleibt unsere Hand in Bewegung,« sagte Gillian, und begann in einem weinerlichen Tone: »Gott sei Euch gnädig, liebe heilige Männer, die Ihr durch seine Gnade nach dem heiligen Lande wandern und, was noch mehr ist, auch wieder heimkehren durftet. Ich bitte Euch, spendet etwas von Euren Almosen meinem armen alten Mann, der eine elende Kreatur ist, wie Ihr seht, und einer, die das Unglück hat, seine Frau zu sein! – Der Himmel helfe mir!« »Schweigt, Weib, und hört, was ich Euch sagen werde,« sagte der Connetable und legte seine Hand an den Zügel seines Pferdes. – »Ich habe jetzt dieses Pferd nötig und –« »Beim Jagdhorn des heiligen Hubert! Du kriegst es nicht ohne Püffe,« antwortete der alte Jäger. »Das ist mir eine schöne Welt, wo Pilger Pferdediebe werden.« »Still doch, Bursche,« sagte der Connetable. »Ich sage Dir, ich habe jetzt den Dienst der Mähre nötig. Hier sind zwei goldene Byzantiner, wenn Du mir das Tier einen Tag zum Gebrauch überläßt. Sein ganzer Wert wäre wohl mit der Hälfte bezahlt, bekämst Du es auch nie wieder.« »Aber der Klepper ist mein alter Bekannter, Ihr Herren!« sagte Raoul, »und wenn vielleicht –« »Schweig mit Deinem Wenn und Vielleicht,« sagte die Dame, und gab dabei ihrem Manne einen so kräftigen Stoß, daß er bald aus dem Sattel gefallen wäre. »Hinunter vom Pferde! und danke Gott und diesem würdigen Manne für die Hilfe, die er uns in unserer Not verleiht. Was nützt uns der Klepper, wenn wir nichts haben, um Futter für ihn und für uns zu schaffen; selbst dann nicht, wenn wir Gras und Hafer mit ihm essen wollten, wie der König Ungenannt, von dem uns der gute Pater zur Nacht vorzulesen pflegte.« »Halte ein mit Deinem Geschwätz, Frau,« sagte Raoul und wollte ihr aus dem Sattel helfen. Aber sie zog Guarines Beistand vor, der obwohl schon bei Jahren, doch immer den Vorteil einer rüstigen kriegerischen Gestalt hatte. »Ich danke ergebenst für Eure Güte,« sagte sie, als der Squire sie nach einem Kusse auf die Erde setzte. – »Und ich bitte Euch, Herr, Ihr kommt aus dem heiligen Lande? Ist Euch da nicht eine Kunde von einem Connetable von Chester zu Ohren gekommen?« De Lacy, der sich eben damit beschäftigte, das Reitkissen hinter dem Sattel wegzunehmen, hielt plötzlich in seinem Geschäft inne und sagte: »Ha! Frau! was wollt Ihr mit ihm?« »Recht viel, guter Pilger, wenn ich ihn nur antreffen könnte, denn seine Länder und Würden sollen, wie es aussieht, an den falschen Dieb, seinen Verwandten vergeben werden.« »Wie? an Damian, seinen Neffen?« rief der Connetable schnell und hastig aus. »Gott, wie Ihr mich erschreckt, Sir,« sagte Gillian und fuhr, zu Philipp Guarine sich wendend, fort, »Euer Freund ist ein heftiger Mann, wie es scheint.« »Daran ist die Sonne schuld, unter der er so lange gelebt hat,« sagte der Squire. »Aber seht wohl zu, daß Ihr seine Fragen richtig beantwortet, und er wird Euch um so mehr belohnen.« Gillian ging sogleich auf den Wink ein. »War es nicht Damian de Lacy, nach dem Ihr fragtet? – Ach! der arme junge Mann! Keine Würden, keine Länder gibt's für ihn – viel wahrscheinlicher ist's, daß er einen Platz am Galgen erhält, der arme Junge – und alles für nichts, so wahr ich ein ehrliches Weib bin. – Damian! – nein, nein, es ist nicht Damian, noch die Dame, keiner von beiden – sondern Randal de Lacy, der hat den Braten, der erhält des alten Mannes Länder und Einkünfte und Herrschaften.« »Was?« sagte der Connetable, »ehe sie wissen, ob der alte Mann tot ist oder nicht? – Mich dünkt, das wäre beides gegen Gesetz und Vernunft.« »Ja, aber Randal Lacy hat noch viel unglaublichere Dinge zustande gebracht. Seht nur er hat es dem König geschworen, er habe sichere Nachrichten vom Tode des Connetable. Ja, seid unbesorgt, er wird die Nachricht schon wahr machen, wenn ihm der Connetable einmal in die Hände fällt.« »Wirklich?« sagte der Connetable. »Doch Ihr schmiedet da Lügen über einen Edelmann. Kommt, Frau, kommt, Ihr sagt das, weil Ihr Randal de Lacy nicht leiden könnt.« »Ihn nicht leiden! Und was habe ich nur für Ursache, ihn zu leiden, frage ich? – Darum, weil er meine Einfalt verführt hat, ihm Eingang ins Schloß von Garde Douloureuse zu verschaffen – ein, zweimal, ja noch öfter – wenn er als Krämer verkleidet kam und ich ihm alle Geheimnisse der Familie erzählte, und wie der Knabe Damian und das Mädchen Eveline aus Liebe zueinander stürben, aber nicht den Mut hätten, ein Wort davon fallen zu lassen, aus Furcht vor dem Connetable, wiewohl er tausend Meilen entfernt war? – Ihr scheint Euch nicht wohl zu befinden, würdiger Herr. – Kann ich Ew. Hochwürden einen kleinen Schluck aus meiner Flasche anbieten; es ist ein Universalmittel gegen Herzzittern und Kopfkrämpfe?« »Nein, nein!« rief de Lacy. »Es war nur der Schmerz einer alten Wunde. Aber Frau, ich kann's mir wohl denken, dieser Damian und Eveline, wie Ihr sie nennt, wurden mit der Zeit vertrautere Freunde?« »Die – nein, die wahrhaftig nicht, die armen einfältigen Seelen. – Es fehlte ihnen an einem klugen Ratgeber, der zwischen sie trat und ihnen Anweisungen gab. Denn seht nur, Herr, wenn der alte Hugo tot ist, was wohl der Fall sein wird, So wäre es doch natürlicher, daß seine Braut und sein Neffe seine Besitzungen erbten, als eben jener Randal, der nur ein entfernter Verwandter und ein meineidiger Schuft obendrein ist. Könnt Ihr es Euch denken, ehrwürdiger Pilger, nach den Bergen von Gold, die er mir versprochen hat – als die Burg eingenommen war, und er sah, daß ich ihm nichts weiter nützen könnte, da nannte er mich eine alte Hexe und drohte mir mit dem Büttel und dem Tauchschemel. Ja, ehrwürdiger Herr, Büttel und Tauchschemel, das waren seine schönsten Worte, als er sah, daß ich niemand mehr hatte, der sich meiner annahm, als der alte Raoul, der sich seiner selbst nicht annehmen kann. Aber wenn der grimmige alte Hugo noch sein altes Gerippe aus Palästina zurückbringt und nur halb den Teufel in sich hat, wie früher, als er Narr genug war, davon zu gehen, heilige Maria! da will ich seinem Verwandten einen guten Dienst tun!« Eine Pause erfolgte, nachdem sie gesprochen hatte. »Du sagst,« rief endlich der Connetable aus, »daß Damian de Lacy und Eveline einander lieben, aber sich keiner Schuld bewußt sind, keiner Falschheit oder Undankbarkeit gegen mich – ich wollte sagen gegen ihren Verwandten in Palästina?« »Lieben, Sir – in Wahrheit, so ist es – sie lieben einander,« sagte Gillian, »aber wie die Engel oder wie die Lämmer – oder wie die Narren, wenn Ihr wollt! Denn sie würden selbst nicht ein einzigesmal miteinander gesprochen haben, wäre es nicht durch einen Schelmenstreich eben des Randal de Lacy geschehen.« »Wie,« fragte der Connetable, »durch einen Schelmenstreich Randals? Und was für einen Grund hatte er, beide zusammenzubringen?« »Ei, ihre Zusammenkunft war ganz und gar nicht seine Absicht. Er hatte den Plan gehabt, Lady Eveline selbst zu entführen; denn er war ein wilder Wüstling, dieser Randal, und so kam er verkleidet als Falkenjäger – und schleppte meinen alten, stupiden Raoul und Lady Eveline und uns alle hinaus zu einer Reiherbeize. Aber er hatte eine Rotte welscher Habichte in Bereitschaft, auf uns zu stoßen; und hätte sich nicht Damian plötzlich aufgemacht, uns zu befreien, so läßt's sich nicht beschreiben, was aus uns geworden wäre; und da Damian bei dem Angriff schwer verwundet wurde, so mußte er wohl oder übel nach Garde Douloureuse gebracht werden; und wäre es nicht geschehen, um sein Leben zu retten, so ist es mein fester Glaube, Mylady hätte ihn nie ersucht, über die Zugbrücke zu kommen, selbst wenn er sich dazu angeboten hätte.« »Weib!« sagte der Connetable, »besinne Dich, was Du sagst. Wenn Du selbst zuvor in dieser Sache Böses angestiftet hast, wie ich aus Deiner eigenen Erzählung entnehme, so denke nicht, es durch neue Lügen wieder gut zu machen, bloß aus Aerger, daß Dir der Lohn entgangen ist.« »Pilger,« sagte Raoul, mit seiner klanglosen Stimme, »ich bin gewohnt, das Geschäft der Zeitungsträgerei meiner Frau Gillian zu überlassen, die mit jedem Zankmaul in der Christenheit um die Wette schwatzen kann. Aber Du sprichst wie einer, der großen Anteil an diesen Geschichten nimmt, und so will ich Dir ganz offen sagen, daß dieses Weib ihre eigene Schande offenbart, indem sie ihr Einverständnis mit Randal de Lacy gesteht. Aber was sie gesagt hat, ist wahr, wie das Evangelium! und wäre es mein letztes Wort, so wollte ich's sagen, daß Damian und Lady Eveline unschuldig an allem Verrat und aller Schandbarkeit sind, wie neugeborene Kinder. – Aber was hilft's, was unseresgleichen davon sagt, wir, die wir hinausgetrieben sind – und unsere Notdurft erbetteln müssen, nachdem wir in einem so guten Hause gelebt haben und in eines so guten Herrn Diensten standen? – Gottes Segen sei mit ihm!« »Aber sagt mir,« fuhr der Connetable fort, »sind nicht andere alter Diener des Hauses zurückgeblieben, die alles das eben so gut aussagen können wie Ihr?« »Hem!« antwortete der Jäger, »die Menschen sind nicht sehr willig zu plaudern, wenn Randal de Lacy seine Peitsche über ihren Kopf knallen läßt. – Viele sind erschlagen worden oder verhungert – einige abgeschafft – einige verschwunden. – Aber da ist der Weber Flammock und seine Tochter Rose, die eben so viel wie wir von dem Handel wissen.« »Wie? Wilkin Flammock? der wackere Niederländer?« sagte der, Connetable, »er und seine etwas vorlaute, doch treue Tochter Rose? – Ich gebe mein Leben für ihre Wahrhaftigkeit! – Wo halten sie sich auf? – Was ist unter all diesen Vorgängen ihr Schicksal gewesen?« »Und um Gottes willen, wer seid Ihr, der diese Fragen tut?« sagte Dame Gillian. »Mann, Mann – wir sind zu frei gewesen. Es ist etwas in diesem Blick und diesem Tone, dessen ich mich erinnern sollte!« »Ja, seht mich noch schärfer an!« sagte der Connetable, und warf den Hut ab, der bisher sein Gesicht verdunkelt hatte. »Auf Eure Knie, auf Eure Knie, Raoul,« rief Gillian aus, und sank zugleich auf die ihrigen. – »Es ist der Connetable selbst, und er hat gehört, daß ich ihn den alten Hugo genannt habe!« »Es ist wenigstens alles, was von dem Connetable übrig geblieben ist,« erwiderte de Lacy, »und gerne verzeiht der alte Hugo Eure Dreistigkeit, Eurer guten Nachrichten wegen. – Wo befinden sich Flammock und seine Tochter?« »Rose ist bei Lady Eveline,« sagte Dame Gillian. »Ihre Herrlichkeit wählten sie statt meiner zur Kammerfrau, obwohl Rose nie imstande war, auch nur eine holländische Puppe anzuziehen.« »Das treue Mädchen!« rief der Connetable, »und wo ist Flammock?« »O, was den anbetrifft, der hat Verzeihung und Gnade gefunden,« sagte Raoul, »er ist mit seinen Webern in seinem eigenen Hause, nahe der Schlachtbrücke, wie man jetzt den Ort nennt, wo Eure Herrlichkeit die Walliser schlugen.« »So will ich denn dahin!« sagte der Connetable, »und dann wollen wir sehen, was für einen Willkommen König Heinrich von Anjou für einen alten Diener hat. – Ihr beide müßt mich begleiten.« »Mylord,« sagte Gillian mit Stottern, »Ihr wißt, arme Leute haben schlechten Dank davon, wenn sie sich in großer Herren Sachen mischen. Ich bin überzeugt, Ew. Herrlichkeit sind imstande, uns zu schützen, wenn wir die Wahrheit gesagt haben, und werden auch mir verzeihen, was ich getan habe, da es durchaus nicht in böser Absicht geschah.« »Stille, Frau! und schämt Euch!« sagte Raoul. »Wollt Ihr an Euren eigenen alten sündigen Leichnam denken, wenn Ihr Eure süße junge Gebieterin von Schande und Unterdrückung retten sollt? – Und was Deine böse Zunge betrifft und Deine schlechten Streiche, so weiß Sr. Herrlichkeit, daß sie Dir angewachsen sind.« »Stille, guter Bursch,« sagte der Connetable, »wir wollen nicht auf Deines Weibes Irrtümer zurücksehen, und Eure Treue soll belohnt werden. – Ihr aber, meine treuen Begleiter,« sagte er und wandte sich zu Guarine und Vidal, »wenn de Lacy wieder in seine Rechte eingesetzt ist, woran er nicht zweifelt, so soll sein erster Wunsch sein, Eure Treue zu belohnen.« »Die meinige, so wie sie ist, war und wird ihre eigene Belohnung sein,« sagte Vidal. »Ich will von dem nicht Gunstbezeugungen im Glücke verlangen, der im Unglück mir seine Hand verweigerte. – Unsere Rechnung ist noch nicht abgeschlossen,« »Geh nur, Du bist ein Narr! Aber Dein Gewerbe hat das Vorrecht, launenhaft zu sein,« sagte der Connetable, dessen von Sturm und Wetter mitgenommene, etwas harte Gesichtszüge fast schön werden konnten, wenn Dankbarkeit gegen den Himmel und Wohlwollen gegen die Menschen sie belebte. – »Wir wollen,« sagte er, »bei der Schlachtbrücke wieder zusammentreffen, eine Stunde vor Sonnenuntergang. – Ich muß bis dahin noch vieles verrichtet haben.« »Die Zeit ist kurz,« sagte sein Knappe. »Ich gewann eine Schlacht in kürzerer,« erwiderte der Connetable. »Und in ebenso kurzer,« sagte der Minstrel, »fand mancher Mann, der sich des Lebens und des Sieges gewiß hielt, den Tod.« »Ebenso soll mein gefährlicher Vetter Randal alle seine ehrgeizigen Plane vernichtet sehen,« antwortete der Connetable und ritt vorwärts, begleitet von Raoul und seiner Frau, die wieder ihren Klepper bestiegen hatten, während der Minstrel und der Squire Zu Fuß folgten. Fünfzehntes Kapitel Von ihrem Gebieter zurückgelassen, wanderten die beiden Diener Hugo de Lacys in mürrischem Stillschweigen weiter, wie Menschen, die sich nicht leiden können und einander mißtrauen, obgleich zu gemeinschaftlichen Dienst miteinander verbunden und daher von gleichen Hoffnungen und Befürchtungen erfüllt. Der Widerwille war in der Tat hauptsächlich auf Guarines Seite; denn dem Renault Vidal konnte nichts gleichgiltiger sein, als sein Gefährte, wenn er sich auch bewußt war, daß Philipp ihn nicht liebe und wahrscheinlich, soweit es in seiner Macht lag, einige Pläne, die ihm nahe am Herzen lagen, gern durchkreuzt hätte. Er kümmerte sich wenig um seinen Gefährten, sondern brummte so für sich, als wolle er sein Gedächtnis üben, einige Romanzen und Lieder her, wovon mehrere in einer Sprache verfaßt waren, die Guarine, der nur ein Ohr für sein Normännisches hatte, nicht verstand. Auf diese verdrießliche Art waren sie fast zwei Stunden gewandert, als ihnen ein Reitknecht zu Pferde entgegenkam, der einen gesattelten Klepper am Zügel führte. »Pilger!« sagte der Mann, nachdem er sie aufmerksam betrachtet hatte, »wer von Euch heißt Philipp Guarine?« »Ich, in Ermangelung eines bessern,« sagte der Squire. »In diesem Falle empfiehlt sich Euch Euer Herr,« sagte der Reitknecht, »und schickt Euch dieses Zeichen, woran Ihr erkennen sollt, daß ich wirklich sein Bote bin,« damit zeigte er dem Squire einen Rosenkranz, welchen Guarine sogleich für den des Connetables erkannte. »Ich erkenne das Zeichen,« sagte er, »sage mir meines Herrn Befehl.« »Er gebot mir. Euch zu sagen, daß sein Unternehmen geglückt sei und er noch diesen Abend um Sonnenuntergang im Besitz seines Eigentums zu sein hofft. Er verlangt daher, Ihr sollt diesen Zelter besteigen und mit mir nach Garde Douloureuse kommen, weil Eure Gegenwart dort nötig ist.« »Sehr wohl, und ich gehorche ihm,« sagte der Knappe, gar sehr über den Inhalt der Botschaft erfreut, und gar nicht unzufrieden, sich von seinem Reisegefährten trennen zu müssen. »Und welchen Auftrag habt Ihr für mich?« fragte der Minstrel den Boten. »Wenn Ihr, wie ich vermute, der Minstrel Renault Vidal seid, so sollt Ihr Euren Herrn bei der Schlachtbrücke erwarten, nach dem schon früher erteilten Befehl.« »Ich werde dort mit ihm zusammentreffen, nach Pflicht und Schuldigkeit,« war Vidals Antwort. Aber er hatte es kaum ausgesagt, als schon die beiden Pferde ihm den Rücken zukehrten, davonsprengten und ihm bald aus dem Gesicht kamen. Es war vier Uhr nachmittags. Schon sank die Sonne, doch blieben noch drei Stunden Zeit bis zur bestimmten Zusammenkunft, und die Brücke war jetzt nicht über vierhundert englische Meilen entfernt. Vidal begab sich daher, entweder um auszuruhen – oder seinen Gedanken nachzuhängen, von dem Wege in ein Gebüsch zur linken Hand, aus dem das Wasser eines Flüßchens hervorrieselte, das von einer Quelle zwischen den Bäumen gespeist wurde. Hier setzte sich der Reisende nieder, und scheinbar nicht wissend, was er tun sollte, beugte er sich über die kleine perlende Quelle länger als eine halbe Stunde, ohne die Stellung zu verändern, so daß er zur Zeit der Heiden wohl die Bildsäule eines Wassergottes hätte vorstellen können, der sich über sein Becken beugt und aufmerksam darauf achtet, daß ihm Wasser reichlich entströme. Endlich aber schien er aus diesem Zustande des tiefen Nachdenkens zu erwachen, richtete sich auf und nahm etwas grobe Nahrung aus seiner Pilgertasche, als ob er sich plötzlich erinnerte, daß Speise und Trank nötig seien, das Leben zu erhalten. Aber es lag ihm wahrscheinlich etwas auf dem Herzen, das ihm die Gurgel zuschnürte oder den Appetit nahm. Nach einem vergeblichen Versuch, einen Bissen herunterzuschlucken, warf er ihn mit Ekel von sich, und wandte sich lieber zu einer kleinen umflochtenen Flasche, die etwas Wein oder ein anderes geistiges Getränk enthielt. Aber auch diese schien ihm widerlich zu sein, denn er schleuderte beides, Tasche und Fläschchen, von sich, bückte sich zur Quelle tat einen tiefen Zug aus dem reinen Element, badete darin Hände und Gesicht, und dadurch scheinbar erfrischt, begab er sich wieder auf den Weg, sang im Gehen, aber in melancholischem Tone, wilde Bruchstücke aus einer alten Poesie in einer gleichfalls veralteten Sprache. Auf diese trübe Weise seinen Weg fortsetzend, bekam er endlich die Schlachtbrücke zu Gesicht, neben der in stolzer, düsterer Kraft die berühmte Burg von Garde Douloureuse sich erhob. »Hier also,« sagte er, »hier also soll ich den stolzen de Lacy erwarten. Sei es so in Gottes Namen – er soll mich besser kennen lernen, ehe wir uns trennen!« So sprach er, maß mit langen, entschlossenen Schritten die Brücke und bestieg eine Anhöhe, die in einiger Entfernung sich auf der andern Seite erhob. Er betrachtete eine Zeitlang das Schauspiel unter sich: der schöne Fluß, geschmückt mit den Farben des westlichen Himmels – die Bäume im herbstlich bunten Laube – und die finstern Mauern und Türme der Burg, von der zuweilen ein Schimmer herabblitzte, wie die Waffen einer Schildwache, vom Strahl der untergehenden Sonne getroffen. Die Gesichtszüge des Minstrels, die bisher düster und unruhig gewesen waren, schienen durch die Ruhe seiner Umgebung besänftigt. Er warf sein Pilgergewand zurück, so daß die dunklen Falten desselben nur wie ein Mantel um ihn hingen, unter dem der Waffenrock des Minstrels sich zeigte. Er nahm die Laute von seiner Seite (eine kleine Art von Geige mit einem Rade), spielte erst eine und die andere welsche Weise und endlich ein Lied, von dem wir einige Bruchstücke, wörtlich aus der alten Sprache übersetzt, in der es gesungen wurde, mitteilen können. »Ich fragte meine Harfe: Wer hat beschimpft deine Saiten? Da sprach sie: Der Finger, der krumme, den ich verspottet im Ton. Es krümmt sich die Klinge von Silber; die Klinge von Stahl aber dauert. Liebe schwindet dahin; aber Rache hält aus. Der süße Geschmack von Met entflieht den Lippen; Aber lange zernagt sie der Saft des Wermuts. Das Lamm, man bringt's zur Schlachtbank; der Wolf schweift auf dem Gebirge. Liebe schwindet dahin; aber Rache hält aus. Ich fragte das Eisen, das rot auf dem Ambos glühte: Warum glühst du länger als der Feuerbrand? Mich gebar der finstre Schacht, den Brand der grünende Wald! Liebe schwindet dahin; aber Rache hält ans. Ich fragte die grünende Eiche: Was gleichen deine Zweige dem Geweihe des Hirsches? Und sie zeigt an der Wurzel den kleinen nagenden Wurm. Der Bube, der Geißel gedenkend, eröffnet das Pförtchen des Schlosses zur Nachtzeit. Liebe schwindet dahin; aber Rache hält aus. Blitze zerstören Tempel, dringt gleich deren Spitze durch Wolken. Stürme zerstören Flotten, deren Segel leicht auffangen den günstigen Wind. Er in der Mitte des Ruhms fällt durch den kraftlosen Feind. Liebe schwindet dahin; aber Rache hält aus«. Noch mehr solcher wilden Bilder wurden hingeworfen, deren jedes, wiewohl wunderlich und entfernt, doch in Beziehung zu dem Thema stand, das wie ein Kehrreim am Schlusse jeder Stanze wiederholt ward. So glich diese Poesie einem Musikstücke, das nach wiederholten Abschweifungen durch Phantasie und Variationen immer von neuem zu der einfachen Melodie zurückkehrte, wovon jene nur die Verzierungen waren. Während der Minstrel sang, waren seine Augen auf die Brücke und die nächste Umgebung geheftet; aber als er an dem Schlusse des Gesanges seine Augen gegen die entfernten Türme von Garde Douloureuse erhob, sah er, daß die Tore geöffnet waren und Wachen und Diener an den Barrieren aufgestellt wurden, als ob sogleich etwas vor sich gehen oder eine Person von Wichtigkeit erscheinen sollte. Als er zu gleicher Zeit die Augen umherwarf, so bemerkte er, daß die Landschaft, die erst so einsam war, als er sich auf dem grauen Steine niedergelassen hatte, von dem aus er sie überschaute, sich mit Gestalten füllte. Wahrend seiner Träumereien hatten viele Leute allein und in Gruppen, Männer, Weiber, Kinder sich an beiden Seiten des Flusses versammelt und verweilten da, als ob sie irgend ein Schauspiel erwarteten. Auch gab es einen Aufstand bei den flamländischen Mühlen, die er, wiewohl in einiger Entfernung, ganz genau sehen konnte. Es schien sich hier ein Zug in Ordnung zu stellen, der auch bald mit Pfeifen und Handtrommeln und andern musikalischen Instrumenten sich in Bewegung setzte und wohlgeordnet sich dem Platze näherte, wo Vidal saß. Aber was da auch vor sich gehen mochte, es schien alles einen friedlichen Charakter zu haben. Denn die graubärtigen alten Männer der Niederlassung in ihrer anständigen Bauernkleidung, folgten den ländlichen Musikanten, drei oder vier zusammengehend, auf ihre Stäbe gestützt, und die Bewegung des ganzen Zuges durch ihre abgemessene Gangart regelnd. Hinter diesen Vätern der Niederlassung ritt Wilkin Flammock auf seinem mächtigem Streitroß in vollkommener Rüstung, doch mit unbedecktem Haupte, wie ein Vasall, der sich zum Kriegsdienste für seinen Herrn angeschickt hat. Ihm folgten, und zwar in Schlachtordnung, die jungen Männer der kleinen Kolonie, dreißig an der Zahl, wohl bewaffnet und gut gekleidet, deren starke Gliedmaßen sowohl als ihre blanke glänzende Rüstung eine gewisse Festigkeit und Zucht andeuteten, obwohl ihnen der feurige Blick der französischen Krieger fehlte oder die Miene trotziger Herausforderung, die dem Engländer eigen ist. Sodann kamen die Mütter und Mädchen der Kolonie; dann folgten die Kinder; endlich als Nachtrab kamen die jungen Leute von vierzehn bis Zwanzig Jahren, bewaffnet mit leichten Lanzen, Bogen und ähnlichen, für ihr Alter schicklichen Waffen. Dieser Zug umschritt den Fuß der Anhöhe, auf der der Minstrel saß, ging dann langsam und geordnet über die Brücke und stellte sich zu einem Spalier auf, als gelte es, eine Person von Wichtigkeit zu empfangen oder einer Feierlichkeit beizuwohnen, Flammock hielt an dem äußersten Ende des so gebildeten Durchganges und beschäftigte sich ruhig, aber eifrig mit allerlei Anordnungen und Vorbereitungen, Indessen kamen aus den verschiedenen Gegenden Müßiggänger zusammen, wie es schien durch bloße Neugier herbeigerufen, und bildeten ein buntes Gedränge an dem nach dem Schlosse zu gelegenen Ende der Brücke. Zwei englische Bauern gingen ganz dicht an dem Stein, wo Vidal saß, vorüber. »Willst Du uns ein Lied singen, Minstrel,« sagte einer von ihnen, »hier ist ein Kopfstück für Dich!« und warf ihm eine kleine Silbermünze in den Hut. »Ich habe ein Gelübde getan,« sagte der Minstrel, »und kann die fröhliche Kunst jetzt nicht ausüben.« »Oder Ihr seid zu stolz, englischen Bauern was vorzuspielen,« sagte der ältere Landmann, »denn Eure Aussprache klingt normannisch,« »Behalte dennoch das Stück Geld,« sagte der Jüngere. »Mag der Pilger empfangen, was der Minstrel zu verdienen verschmäht.« »Ich bitte Euch, guter Freund, verschont mich mit Eurer Gabe,« sagte Vidal, »ich bedarf ihrer nicht. Statt dessen habt die Güte, mir mitzuteilen, was hier eigentlich vor sich gehen soll.« »Wie? Wißt Ihr nicht, daß wir unsern Connetable de Lacy wiederhaben, und daß er die flamländischen Weber jetzt mit all den schönen Dingen, die Heinrich von Anjou ihnen verliehen, feierlich belehnen wird? – Wäre Heinrich der Bekenner noch am Leben, um den niederländischen Schuften ihren Lohn zu erteilen, so wäre es ein Stückchen vom Galgen gewesen. Aber komm, Nachbar, sonst geht uns das Schauspiel verloren.« – Mit diesen Worten eilten sie den Hügel hinab. Vidal richtete seine Augen auf die Tore des Schlosses. Fahnen wurden entfaltet und Reiterei aufgestellt. Obwohl Vidal das aus der Entfernung nur undeutlich erkennen konnte, so ersah er daraus doch, daß jemand von Bedeutung an der Spitze einer ansehnlichen kriegerischen Begleitung aufzubrechen im Begriff stand. Entfernte Trompetenstöße, die an sein Ohr schlugen, schienen dasselbe anzudeuten. Jetzt merkte er schon an dem Staube, der sich wie Säulen zwischen der Burg und der Brücke erhob, wie auch an dem näherkommenden Klang der Blasinstrumente, daß die Schar herangeritten kam. Vidal seinerseits schien noch unentschlossen, ob er seinen jetzigen Platz, von wo aus er alles, obwohl etwas entfernt, überschauen konnte, innehalten, oder ob er sich in das Gedränge mischen sollte, das jetzt an jeder Seite der Brücke herrschte, ausgenommen da, wo der Durchgang durch die bewaffneten, in Reihe aufgestellten Flamländer offen gehalten wurde. Ein Mönch eilte an Vidal vorüber, und auf dessen wiederholte Frage nach der Ursache dieser Zusammenkunft, antwortete er in einem murmelnden Tone unter seiner Kapuze hervor, es wäre der Connetable de Lacy, der nun die erste Handlung seiner wiedererlangten Würde ausüben und den Flamländern den königlichen Gnadenbrief über ihre Freiheiten übergeben werde. »Er beeilt sich recht sehr, wie es scheint, seine Würde auszuüben,« sagte der Minstrel. »Wer nur soeben ein Schwert erhalten hat, ist ungeduldig, es zu ziehen,« erwiderte der Mönch, der noch mehr hinzusetzte, was aber der Minstrel nicht ganz verstand; denn Pater Aldrovand hatte die vier Vorderzähne noch nicht ersetzt, die er bei der Belagerung verloren. Vidal glaubte indessen zu verstehen, daß jener den Connetable hier sprechen und um dessen Fürsprache zu seinen Gunsten bitten wolle. »Auch ich will ihn sprechen,« sagte Renault Vidal und erhob sich plötzlich von dem Steine, auf dem er saß. »So folgt mir,« murmelte der Priester, »die Flamländer kennen mich und werden mich durchlassen.« Aber Pater Aldrovand war in Ungnade, sein Einfluß war also nicht so mächtig, als er sich geschmeichelt hatte; er sowohl, als der Minstrel wurden in dem Gedränge hin und her gestoßen und voneinander getrennt. Vidal wurde jedoch von den englischen Landleuten wiedererkannt, die kurz zuvor mit ihm gesprochen hatten. »Kannst Du einige Taschenspielerstückchen machen, Minstrel?« sagte der eine. »Du könntest hier eine reiche Ernte haben, denn unsere normannischen Herren lieben die Gaukler.« »Ich kann nur eins,« sagte Vidal, »und das will Euch zeigen, wenn Ihr mir ein wenig Platz machen wollt.« Sie traten ein wenig zurück und ließen ihm Zeit, seine Mütze abzuwerfen, Beine und Knie zu entblößen, indem er die ledernen Halbstiefel, die sie einhüllten, abzog und nur die Sandalen anbehielt. Dann wand er ein dunkles Tuch um die braune, sonnenverbrannte Stirn und sein Oberkleid abschleudernd, zeigte er seine fleischigen, muskulösen Arme, nackt bis zur Schulter. Aber während sich die Leute um ihn her an diesen Vorbereitungen belustigten, entstand eine lautere Bewegung unter der Menge. Zugleich ertönten die Trompeten näher, beantwortet von allen Instrumenten der Flamländer, wie auch von Jubelrufen in normannischer und englischer Sprache: »Lange lebe der tapfere Connetable! Unsere Frau für den kühnen de Lacy!« – alles verkündigte, daß der Connetable ganz nahe sei. Vidal bemühte sich energisch, sich dem Führer des Zuges zu nähern, dessen Helm mit den hohen Federn und dessen rechte Hand mit dem Kommandostab ihm allein sichtbar waren, weil ihn Offiziere und Bewaffnete dicht umdrängten. Endlich gelang es ihm soweit, daß er nur etwa zehn Fuß noch von dem Connetable entfernt war. Dieser befand sich jetzt in einem kleinen Kreise, den man nur mit Mühe frei hielt. Er kehrte dabei dem Minstrel den Rücken zu, und eben beugte er sich vom Pferde nieder, um den königlichen Gnadenbrief Wilkin Flammock zu überreichen, der sich auf ein Knie niedergelassen hatte, ihn um so ehrfurchtsvoller entgegenzunehmen. Die Haltung des Flamländers nötigte dabei den Connetable, sich so tief zu bücken, daß der Federbusch seines Helms sich fast mit der Mähne seines edlen Streitrosses zu vermischen schien. Im selben Augenblick sprang Vidal mit außerordentlicher Gewandtheit über die Köpfe der Flamländer, die den Kreis schlossen, hinweg, und ehe ein Auge blinzeln konnte, faßte sein rechtes Knie Halt auf dem Hinterteil des Pferdes, seine linke Hand packte de Lacy beim Kragen, und sich wie der Tiger nach dem Sprunge an seine Beute klammernd, zog er einen kurzen scharfen Dolch und stieß ihn dem Connetable hinten in den Nacken, da wo das Rückgrat und Gehirn ineinander übergehen. Der Stoß wurde mit der größten Treffsicherheit und mit gewaltiger Kraft geführt. Der Unglückliche sank aus dem Sattel, ohne zu zucken oder zu stöhnen, wie der Stier im Amphitheater unter dem Stahl des Toreadors; in seinem Sattel aber saß sein Mörder, schwang den blutigen Dolch und trieb das Roß zur Flucht an. Es war wirklich die Möglichkeit vorhanden, daß die Flucht gelingen konnte, so regungslos, wie vom Schlage getroffen, standen im ersten Augenblicke alle Umstehenden da, durch die Schnelligkeit und Kühnheit der Tat erstarrt; aber den stämmigen Vater Rosas verließ die Geistesgegenwart nicht. Er ergriff das Pferd beim Zügel, und mit Hilfe der andern, die nun durch sein Beispiel aus der Erstarrung gerissen wurden, nahm er den Reiter gefangen, band ihm die Arme und rief laut, er müsse vor König Heinrich geführt werden. Diese Worte, in Flammocks starker entschlossener Stimme, beschwichtigten das wilde Geschrei über Mord und Verrat, das aus tausend Kehlen erscholl und dadurch entstanden war, daß die verschiedenen Völkerschaften angehörenden und daher einander feindlich gesinnten Zuschauer sich gegenseitig den Vorwurf der Verrätern machten. Alle diese Ströme vereinigten sich aber jetzt in einem Bett und wogten vorwärts gegen Garde Douloureuse, ausgenommen einige aus dem Gefolge des ermordeten Edelmannes, die zurückblieben, um den Leichnam ihres Herrn mit gebührender Feierlichkeit und Trauer von dem Orte, wohin er mit so großem Prunk und Triumph geritten war, wegzuschaffen. Als Flammock Garde Douloureuse erreichte, wurde er sogleich mit seinem Gefangenen und denen vorgelassen, die er auswählt hatte, um als Zeugen zur Ueberführung des Verbrechers zu dienen. Gleich anfangs wurde ihm auf sein Gesuch um Audienz geantwortet, der König hätte befohlen, daß jetzt niemand vor ihn gelassen werden sollte; aber die Nachricht von der Ermordung des Connetables war doch so überraschend, daß der Hauptmann von der Wache es wagte, Heinrichs Ruhe zu stören und ihm das Ereignis mitzuteilen. Er kehrte mit dem Befehl zurück, daß Flammock und sein Gefangener sogleich in das königliche Gemach treten sollten. Hier fanden sie Heinrich von mehreren Personen umgeben, die ehrfurchtsvoll hinter dem königlichen Stuhl in einem dunklen Teil des Gemachs standen. Als Flammock hereintrat, bildeten seine breiten, starken Glieder einen auffallenden Gegensatz zu seinem vor Entsetzen über das eben Erlebte bleichen Wangen und zu seiner Befangenheit, sich in dem königlichen Audienzzimmer zu befinden. Neben ihm stand sein Gefangener, unerschrocken trotz seiner furchtbaren Lage. Das Blut, das aus der Wunde seines Opfers gespritzt war, zeigte sich auf seinen bloßen Gliedern und seinem engen Kleide, besonders aber auf seiner Stirn und dem darum gewundenen Tuche. Heinrich warf einen strengen Blick auf ihn, den jener aber nicht nur ohne Furcht ertrug, sondern selbst mit einem finstern Blicke des Trotzes zu erwidern schien. »Kennt hier keiner diesen Bösewicht?« fragte Heinrich und blickte umher. Auf diese Frage antwortete niemand, bis Philipp Guarine aus der Gruppe, die sich hinter dem königlichen Stuhle befand, hervortrat und mit fast versagender Stimme antwortete: »Da Ihr es erlaubt, mein Fürst – sofern mich nicht sein sonderbarer Anzug irre macht – so würde ich sagen, er wäre ein Minstrel aus dem Haushalt meines Herrn, namens Renault Vidal.« »Du bist im Irrtum, Normann!« erwiderte der Minstrel, »die Stelle als Diener und meine niedere Abkunft waren nur angenommen – ich bin Cadwallon, der Brite – Cadwallon, der erste Barde Gwenwyns von Powislaws und – sein Rächer.« – Als er die letzten Worte aussprach, erblickte er einen Pilger, der allmählich aus dem Hintergrund hervortrat, wo das Gefolge sich befand, und jetzt vor ihm stehen blieb. Des Welschen Augen quollen gespensterhaft hervor, als wollten sie aus ihren Höhlen brechen, indem er mit einem Tone des Erstaunens und Schreckens ausrief: »Erscheinen die Toten vor den Königen? – Oder wenn Du lebst, wen habe ich erschlagen? – Ich habe von dem Sprunge und Dolchstoß doch nicht geträumt? – dennoch steht mein Opfer vor mir! – Habe ich nicht den Connetable von Chester erschlagen?« »Du hast wirklich den Connetable erschlagen,« antwortete der König. »Aber wisse, Waliser, es war Randal de Lacy, dem ich heute morgen diese Würde übertragen hatte, denn wir glaubten, daß unser vielgetreuer Hugo de Lacy auf seiner Rückkehr vom heiligen Lande umgekommen sei, weil die Nachricht einlief, daß das Schiff, auf dem er sich befand, gescheitert sei. Du hast Randals kurze Erhebung nur um einige Stunden verkürzt; denn die morgende Sonne hätte ihn schon wieder ohne Land und Würden gesehen.« Der Gefangene ließ in Verzweiflung das Haupt auf die Brust sinken. »Ich glaube,« murmelte er, »er hätte so schnell seine Haut verändert und sei wieder in Glanz hervorgetreten. Mögen die Augen mir aus dem Kopfe fallen, die sich durch dergleichen Spielwerk, wie Federhut und lackierter Stab, betrügen ließen!« »Ich werde Sorge tragen, Waliser, daß Deine Augen Dich nicht wieder betrügen!« sagte der König sehr ernst. »Ehe die Nacht eine Stunde älter ist, sollen sie für alles, was irdisch ist, geschlossen sein.« »Darf ich Ew. Gnaden um die Erlaubnis ersuchen,« sagte der Connetable, »dem unglücklichen Mann einige Fragen vorlegen zu dürfen.« »Sobald ich ihn erst selbst werde gefragt haben,« sagte der König, »warum er seine Hände in das Blut eines edlen Normannen tauchte?« »Weil er, dem ich meinen Stoß zugedacht hatte,« sagte der Brite, den feurigen Glanz seiner Augen von dem Könige auf de Lacy und zurück auf den König werfend, »das Blut des Abkömmlings von tausend Königen verspritzt hat, gegen den sein Blut und auch Deines, stolzer Graf Anjou, ebensowenig ist, wie eine Pfütze auf der Landstraße gegen eine silberne Quelle.« Heinrichs Auge bedrohte den kühnen Sprecher, doch unterdrückte der König seinen Zorn, als er den bittenden Blick seines Lehnsmannes gewahrte. »Was wolltest Du ihn fragen?« sagte er. »Sei kurz, denn seine Zeit ist gemessen.« »Wenn Ihr es gestattet, mein Fürst, so wollte ich nur fragen, warum er es jahrelang aufgeschoben hat, das Leben dem zu nehmen, dem er nachstellte, da es doch oft in seinen Händen war – ja, da es ohne seinen scheinbar treuen Dienst hätte verloren gehen können?« »Normann!« sagte Cadwallon, »ich will Dir antworten. Als ich zuerst in Deinen Dienst ging, war es meine Absicht, Dich schon in derselben Nacht zu erschlagen. Da steht der Mann,« und er zeigte auf Philipp Guarine, »dessen Wachsamkeit Dich damals gerettet hat.« »In der Tat,« sagte de Lacy, »ich erinnere mich, daß ich manchmal etwas bemerkte, was mir nicht geheuer vorkam. Aber warum schobst Du Deinen Vorsatz auf, als nachher mein Leben oft in Deine Hand gegeben war?« »Als der Mörder meines Souverains Gottes Söldner war,« antwortete Cadwallon, »und der Sache des Himmels in Palästina diente, war er vor meiner irdischen Rache sicher.« »Eine wunderbare Enthaltsamkeit bei einem welschem Meuchelmörder!« sagte der König verächtlich. »Ja,« antwortete Cadwallon, »eine Enthaltsamkeit, die christliche Fürsten dadurch ausüben, daß sie die Abwesenheit eines nach dem heiligen Lande gezogenen Nebenbuhlers benützten, sich seine Besitzungen anzueignen.« »Nun! bei dem heiligen Kreuze!« sagte Heinrich, und wollte seinem Zorn Luft machen, denn die Beleidigung traf ihn besonders, [Weniger ihn, als seinen Großvater Heinrich I., welcher seinem ältern Bruder Robert erst das Anrecht an die Krone und hernach die Normandie raubte, während dieser sich auf einem Kreuzzuge befand.] aber plötzlich hielt er an sich und sagte mit der Miene der Verachtung: »Zum Galgen mit dem Buben!« »Noch eine Frage,« sagte de Lacy, »Renault, oder wie Du heißt, auch auf meiner Rückreise hast Du mir Dienste geleistet, die sich mit Deinem festen Entschluß, mich zu töten, kaum vereinbaren lassen. – Du standest mir im Schiffbruch bei – Du führtest mich sicher durch Wales, wo schon mein bloßer Name meinen Tod herbeigeführt hätte – und dies alles, nachdem der Kreuzzug schon vollendet war?« »Ich könnte Deine Zweifel lösen,« sagte der Barde, »nur möchte man glauben, ich spräche für mein Leben.« »Darum stehe nicht an, fortzufahren,« sagte der König, »denn wollte auch der heilige Vater für Dich bitten, seine Bitte wäre vergeblich.« »Gut denn,« sagte der Barde, »so vernimm die Wahrheit. – Ich war zu stolz, weder den Meereswogen noch den Walisern einen Anteil an meinem Rachewerk einzuräumen. Wisse auch, obwohl es vielleicht eine Schwäche Cadwallons ist, indem ich mit Dir umging und mich an Dich gewöhnte, schwankte ich zwischen Abscheu und Bewunderung. Ich dachte noch immer an meine Rache, aber als an etwas, das ich wohl nie erfüllen würde. Sie erschien mir mehr wie ein Bild in den Wolken, als wie ein Gegenstand, dem ich einmal näher treten mußte. Und als ich Dich noch heute so fest entschlossen sah, Dein furchtbares Unglück wie ein Mann zu tragen, – so daß Ihr mir dem letzten Turme eines zerstörten Palastes zu gleichen schienet, der noch immer sein Haupt zum Himmel erhebt, indes die stolzen Mauern, die prächtigen Gemächer rings in Trümmern liegen: – da sagte ich im stillen zu mir selbst: Möge es mein eigener Tod sein – den Mann töte ich nicht! Da, eben da – es sind nur einige Stunden verflossen – hättest Du nur die Hand anzunehmen brauchen, die ich Dir bot, so hätte ich Dir gedient, wie ein Diener seinem Herrn. – Ihr wieset sie zurück mit Verachtung – und doch mußte ich mir erst in Erinnerung rufen, wie Ihr im Stolze des normannischen Uebermuts über das Feld hinsprengtet, wo Ihr meinen Herrn erschlugt, ehe in mir wieder der Entschluß fest stand, den Streich zu tun, der Euch zugedacht war und nun wenigstens einen von Eurem gewalttätigen Geschlecht erschlagen hat. – Jetzt will ich keine Fragen mehr beantworten. – Führt mich zum Beil oder zum Galgen! – dem Cadwallon ist es gleich – meine Seele wird bald bei meinen freien, edlen Vorfahren sein.« »Mein Herr und König,« sagte de Lacy und beugte sein Knie vor Heinrich, »könnt Ihr dieses hören und einem alten Diener eine Bitte abschlagen? – Verschont diesen Menschen! – Löscht nicht ein solches Licht aus, weil es ausschweifend und wild ist.« »Steh auf, steh auf, de Lacy, und schäme Dich Deiner Bitte!« sagte der König, »Deines Verwandten Blut – das Blut eines edlen Normanns haftet an Hand und Stirn des Welschen. So wahr ich ein gekrönter Fürst bin, er soll sterben, ehe es abgewischt ist. – Fort, zu seiner Hinrichtung, auf der Stelle!« – Cadwallon ward sogleich unter Wache abgeführt. »Du bist wahnsinnig, de Lacy – Du bist wahnsinnig, mein alter, treuer Freund, so in mich zu dringen,« sagte der König und nötigte de Laey aufzustehen. »Siehst Du nicht, daß ich hierin für Dich Sorge trage. Dieser Randal hat sich durch Freigebigkeit und Versprechungen viele Freunde gemacht, die wohl nicht so leicht zur Vasallenpflicht gegen Dich zurückkehren würden, da Du ganz arm und bar an Macht und Reichtum heimkamst. Hätte er gelebt, wir hätten viele Mühe gehabt, ihn ganz der Macht zu berauben, die er erworben hatte. Wir danken es dem Waliser Mörder, der uns von ihm befreite, aber seine Anhänger würden über falsches Spiel schreien, bliebe der Mörder verschont. Wenn Blut für Blut geflossen ist, wird alles vergessen sein, und ihre Treue wird wiederum in ihrem rechten Bette ihrem rechtmäßigen Lehnsherren zuströmen.« Hugo de Lacy erhob sich von seinen Knien und versuchte ehrerbietig, die politischen Gründe seines klugen Fürsten zu bekämpfen, die, wie er deutlich sah, weniger seinen Vorteil bezweckten, als vielmehr dazu dienen sollten, bei der Wiedereinsetzung des rechtmäßigen Herrn nach Möglichkeit alle Unruhen zu vermeiden. Heinrich hörte geduldig seine Gründe an und widerlegte sie mit Gelassenheit, bis die Totentrommel gerührt wurde und die Schloßglocke zu läuten begann. Da führte er de Lacy zum Fenster, auf das, denn es war schon finster, ein starkes, rotes Licht von draußen fiel. Eine Schar Bewaffneter, ein jeder eine brennende Fackel in der Hand, kehrte die Terrasse entlang von der Hinrichtung des wilden, doch hochgesinnten Briten zurück, und der Ausruf: »Lange lebe König Heinrich! so müßten alle Feinde der edlen Normannen sterben!« hallte in die Nacht. Sechzehntes Kapitel Man hatte allgemein geglaubt, Eveline Berenger sei nicht unter die Obhut der Aebtissin, ihrer Tante, sondern in strengeren Gewahrsam gebracht worden; aber das war ein Irrtum. Freilich, selbst diese Haft war streng genug; denn unverheiratete Tanten, ob Aebtissinnen oder nicht, sind eben nicht sehr duldsam gegen die Irrtümer, deren man Eveline anklagte; und das unschuldige Mädchen mußte ihr Brot in Scham und Bitterkeit essen. Mit jedem Tag wurde ihre Haft unerträglicher durch den Spott, den sie unter den verschiedensten Gestalten, bald als Mitleid, bald als Trost, bald als Ermahnung erdulden mußte, der aber, seiner Hülle entkleidet, offenbar nichts wie der Ausdruck des Zorns und der Beschimpfung war. Rosens Gesellschaft allein hielt sie aufrecht und auch diese wurde ihr endlich an demselben Morgen entrissen, als so viele wichtige Begebenheiten sich zu Garde Douloureuse ereigneten. Die junge, unglückliche Lady befragte umsonst eine sauertöpfische Nonne, die an Rosens Stelle erschien, ihr beim Ankleiden zu helfen, warum man ihre Gesellschafterin und Freundin nicht bei ihr ließe. Ueber diesen Punkt behauptete die Nonne ein hartnäckiges Schweigen, warf aber dagegen manche Bemerkungen hin über die Wichtigkeit, die man der eitlen Ausschmückung eines gebrechlichen Kindes, vom Staube geboren, beilege, und über das harte Los, daß eine Braut des Himmels gezwungen sei, ihre Gedanken von ihren höheren Pflichten abzulenken und statt dessen Häkchen zu festigen und Schleier zierlich zu legen. Die Aebtissin erzählte indes ihrer Nichte nach der Frühmette, daß ihre Dienerin nicht nur auf eine kurze Zeit von ihr entfernt sei, sondern wahrscheinlich in ein Kloster von der strengsten Regel eingeschlossen würde, da sie ihrer Gebieterin Beistand geleistet habe, Damian de Lacy in ihr Schlafzimmer im Schlosse von Baldringham einzulassen. Ein Krieger von de Lacys Mannschaft, der bis dahin verschwiegen hatte, was er in jener Nacht gesehen, hatte jetzt zu Damians Unglück geglaubt, sich selbst durch Erzählung der Geschichte einen Vorteil zu verschaffen. Dieser neue Schlag, so unerwartet, so niederwerfend – diese neue Beschuldigung, die so schwer aufzuklären und unmöglich ganz zu widerlegen war, schien Evelinens und ihres Geliebten Schicksal zu besiegeln. Der Gedanke aber, in ihr Verderben ihre innige, treue, hochherzige Dienerin verwickelt zu haben, fehlte noch, sie in einen Zustand zu versetzen, der der Fühllosigkeit der Verzweiflung sich näherte. »Denkt von mir, was Ihr wollt,« sagte sie zu ihrer Tante, »ich will mich nicht länger selbst verteidigen – sagt, was Ihr wollt, ich will nicht mehr antworten – bringt mich, wohin Ihr wollt, ich will nicht länger widerstehen – Gott wird zu seiner Zeit, meinen guten Namen wiederherstellen – möge er meinen Verfolgern vergeben!« Nach dieser Erklärung schlich Eveline an diesem traurigen Tage auf den leisesten Wink der Aebtissin oder der ihr zur Dienerin beigegebenen Nonne blaß, kalt und schweigend von der Kapelle zum Refektorium, vom Refektorium wieder zur Kapelle, und schien die verschiedenen Entbehrungen, Nutzungen, Ermahnungen und Vorwürfe, denen sie während dieses Tages in einem außerordentlichen Maße ausgesetzt war, nicht mehr zu empfinden, als die Bildsäule von Marmor die Unfreundlichkeit der rauhen Luft und die Regentropfen fühlt, die auf sie fallen und mit der Zeit sie verwüsten und verzehren müssen. Die Aebtissin, die ihre Nichte liebte, wiewohl sich ihre Zuneigung auf eine sehr quälende Art zeigte, wurde endlich unruhig – nahm den Befehl zurück, Eveline in eine schlechtere Zelle zu setzen, ließ in ihrer eigenen Gegenwart sie zu Bette bringen (worein, wie in alles andere, die junge Lady widerstandslos willigte), und mit einer Art von wiederauflebender Zärtlichkeit küßte sie sie und gab ihr den Segen, als sie das Zimmer verließ. So geringfügig auch dieses Zeichen der Freundlichkeit war, so war es doch unerwartet, und gleich dem Stabe des Moses, öffnete es die verborgene Wasserquelle. Eveline weinte, eine Erleichterung, die ihr den Tag über noch nicht vergönnt gewesen war, – sie betete – und endlich schluchzte sie sich selbst wie ein Kind in Schlaf, nachdem ihr Gemüt dadurch einigermaßen beruhigt worden, daß sie diesen Wogen einer inneren Bewegung einen freien Durchbruch verschafft hatte. Sie erwachte in der Nacht mehr als einmal, sich ineinandergemischte Träume zurückrufen von Zellen und Burgen, Leichenbegängnissen und Hochzeitsfeier, Wappenkronen, Folter und Galgen; aber gegen Morgen fiel sie in einen sanfteren Schlaf, als ihr bisher zuteil geworden, und auch die Träume wurden sanfter. Unsere Frau von Garde Douloureuse schien in ihren Träumen auf sie herabzulächeln und ihrer Geweihten Schutz zu verheißen. Der Schatten ihres Vaters zeigte sich auch, und mit der Kühnheit der Träumenden betrachtete sie des Vaters Bild mit Ehrerbietung, aber ohne Furcht. – Seine Lippen bewegten sich – sie hörte Worte – ihren Inhalt verstand sie nicht, nur daß sie von Hoffnung, Trost und nahender Glückseligkeit sprachen. Auch glitt leise hinein, die glänzenden blauen Augen auf sie gerichtet, gekleidet in eine Tunika von safrangelber Seide, mit einem himmelblauen Mantel nach altertümlichen Schnitt, eine weibliche Gestalt im höchsten Glanze der Schönheit. Es war, wie es ihr vorkam, die Britin Vanda; aber ihre Gesichtszüge hatten nicht mehr den zürnenden Ausdruck, ihr langes gelbes Haar flog nicht mehr aufgelöst um ihre Schultern, sondern war geheimnisvoll mit Eichenlaub und Misteln durchflochten. Vor allem aber ragte in reizvoller Stellung ihre rechte Hand unter dem Mantel hervor, und es war nicht mehr eine verstümmelte, sondern eine unbefleckte, schön geformte Hand, die die Evelinens drückte. Doch mitten unter diesen Zeichen der Gunst lief ein Schauer durch Evelinens Seele, als die Erscheinung zu wiederholen oder zu singen schien: Als Gattin, Witwe, als Jungfrau – in Ehe, Braut, Verräterin, selber verraten, Wehe! Es ist geschehen, wie's hieß, daß es geschehe. Gerächt ist also Bandas Wunde: Nimm hier der Versöhnung Kunde. Sie beugte sich nieder, als wollte sie Eveline küssen, die in diesem Augenblick aufschrak und erwachte. Und wirklich wurde ihre Hand sanft von einer anderen gedrückt, die so zart und weich war wie ihre eigene. Die blauen Augen und das schöne Haar eines lieblichen Gesichtes, mit verschleiertem Busen und aufgelösten Locken nahte sich in der Tat mit ihren Lippen denen der liebenswürdigen Schläferin im Augenblick des Erwachens; aber es war Rose, in deren Armen Eveline sich fühlte, die ihr Gesicht mit Tränen benetzte, indem sie mit der innigsten Liebe sie zugleich mit Küssen bedeckte. »Was bedeutet das, Rose?« sagte Eveline. »Gott sei Dank Du bist mir wiedergegeben! Doch was bedeuten diese ausbrechenden Tränen?« »Laßt mich weinen – laßt mich weinen,« sagte Rose. »Schon lange ist's, daß ich nicht vor Freuden weinte, und lange, hoffe ich, soll es währen, ehe ich wieder vor Kummer weine. – Nachrichten sind in aller Eile von Garde Douloureuse gekommen. – Amelot hat sie gebracht, er ist in Freiheit – sein Herr auch und in hoher Gunst bei Heinrich. – Hört noch mehr – aber laßt es mich nicht so schnell sagen, Ihr werdet blaß!« »Nein, nein!« sagte Eveline. – »Fahre fort – fahre fort – ich denke, ich verstehe Dich – ich denke so.« »Der Bösewicht Randal de Lacy, der an allen unseren Leiden schuld ist, wird Euch nicht mehr quälen. Er ist von einem ehrlichen Waliser erschlagen worden, und es tut mir leid, daß sie den Mann für den guten Dienst gehängt haben. Aber die Hauptsache ist, der wackere alte Connetable ist selbst von Palästina zurückgekehrt, ebenso achtungswert als sonst und etwas klüger, als er war; denn es heißt, er wolle seiner Verbindung mit Ew. Herrlichkeit entsagen.« »Albernes Mädchen!« sagte Eveline, ebenso hoch errötend, als sie zuvor erblaßte. »Scherze nicht bei einer solchen Erzählung. – Aber wie? – Kann dies Wahrheit sein? – Ist Randal wirklich erschlagen? – Der Connetable wirklich zurückgekehrt?« Nun folgten hastig ausgestoßene Fragen, ebenso hastig und verwirrt beantwortet und vermischt mit Ausbrüchen des Erstaunens, des Danks gegen den Himmel und Unsere Frau, bis das Uebermaß des Entzückens nachließ und in ruhigere Verwunderung überging. Indessen mußte auch Damian de Lacy Aufklärung erhalten, und die Art, wie er sie empfing, hatte etwas Merkwürdiges. Damian war seit einiger Zeit der Bewohner eines Aufenthalts, den man heutzutage einen Kerker nennen würde, in jenen älteren Zeiten jedoch nur als Haftzelle bezeichnete. Man kann uns vielleicht tadeln, daß wir anerkannte überwiesene Verbrecher mit menschlicherer Wohnung und Nahrung versehen, als sie selbst sich, wenn sie in Freiheit wären, durch fleißige Arbeit würden verdienen können, doch ist dies ein verzeihlicher Irrtum, verglichen mit dem unserer Vorfahren, die Anklage und Ueberführung als gleichbedeutend betrachteten, und den Angeklagten vor der Verurteilung auf eine Weise behandelten, die selbst schon nach einer Anerkennung der Schuld die schärfste Strafe gewesen wäre. Damian war demzufolge trotz seiner hohen Geburt und seinem ausgezeichneten Rang auf eben die Weise, wie man mit dem ruchlosen Verbrecher zu verfahren pflegte, eingekerkert worden. Mit schweren Ketten beladen, erhielt er nur die allergröbste Nahrung und mußte in einer einsamen Zelle, deren klägliches Gerät aus einer schlechten Bettstelle, einem zerbrochenen Tisch und einem Stuhl bestand, über sein Unglück nachsinnen. Ein Sarg – sein Wappen und sein Monogramm befanden sich auf demselben – stand in einem Winkel, ihn an sein nahendes Schicksal zu erinnern, und ein Kruzifix stand in einem andern, ihm anzudeuten, daß es noch eine andere Welt gäbe, jenseit derjenigen, welche sich bald für ihn verschließen würde. Kein Geräusch konnte in die eiserne Stille seines Gefängnisses eindringen – kein Laut, aus dem er sein Schicksal oder das seiner Freunde hätte erraten können. Angeklagt, im offenen Kriege gegen seinen König gefangen worden zu sein, war er dem Kriegsgesetz anheimgefallen, und konnte ohne förmliches Verhör hingerichtet werden; auch erwartete er kein anderes Ende seiner Gefangenschaft. Diese melancholische Wohnung war nun fast einen Monat Damians Aufenthalt gewesen, als, so sonderbar es scheinen mag, seine Gesundheit, die so sehr unter seinen Wunden gelitten hatte, allmählich sich wiederherzustellen begann. Entweder war ihr die strenge Diät vorteilhaft, zu der er gezwungen war, oder aber die Gewißheit, wie traurig sie sein mag, ist mancher Natur zuträglicher, als der fiebrische Kampf zwischen Leidenschaft und Pflicht. Doch schien jetzt das Ende seiner Gefangenschaft nahe bevorzustehen; sein Wärter, ein grämlicher Sachse aus der niedrigsten Klasse, begann ihn, wortreicher, als er gewöhnlich war, zu ermahnen, daß er sich auf eine baldige Veränderung seines Zustandes gefaßt machen sollte, und der Ton, in dem er sprach, überzeugte den Gefangenen, daß keine Zeit zu verlieren sei. Er forderte einen Beichtvater, und der Gefangenenwärter, obwohl er ohne Antwort sich entfernte, schien durch sein Benehmen anzudeuten, daß dieses Verlangen wohl erfüllt werden würde. Am nächsten Morgen zu einer ungewöhnlich frühen Stunde, ließ sich das Rasseln und Knarren von Ketten und Riegeln hören, und Damian wurde aus dem bisher ununterbrochenen Schlaf erweckt, den er seit ein paar Stunden genossen hatte. Seine Augen richteten sich auf die langsam sich öffnende Türe, als erwarte er den Scharfrichter und seine Gehilfen; aber der Kerkermeister führte einen kräftigen, gedrungenen Mann in Pilgerkleidung herein. »Ist es ein Priester, den Ihr mir bringt, Wärter?« fragte der unglückliche Gefangene. »Er kann die Frage am besten selbst beantworten,« sagte der mürrische Beamte und entfernte sich sogleich. Der Pilger blieb gleich beim Eingang stehen, mit dem Rücken nach dem kleinen Fenster oder sogenannten Luftloch, durch das die Klause nur ein sehr unvollkommenes Licht empfing, und blickte scharf auf Damian hin, der auf dem Rande seines Bettes saß, und dessen bleiche Wangen und verworrene Haare in traurigem Einklang mit seinen schweren Ketten standen. Er erwiderte den Blick des Pilgers, aber das unvollkommene Licht ließ ihn nur soviel sehen, daß der Fremde ein kräftiger alter Mann sei, der die Jakobsmuschel an seinem Hute trug, zum Zeichen, daß er über das Meer gefahren war, und einen Palmenzweig in der Hand hatte, zum Zeichen, daß er das heilige Land besucht habe. »Benedicite, ehrwürdiger Vater,« sagte der junge Mann. »Seid Ihr ein Priester, und kommt Ihr, mein Gewissen zu entlasten?« »Ich bin kein Priester,« erwiderte der Pilger, »sondern einer, der Euch sehr trostlose Nachrichten bringt.« »Ihr bringt sie einem, dem Trost schon lange etwas Fremdes ist, und an einem Orte, der ihn niemals kannte,« erwiderte Damian. »Nm so freimütiger kann ich in meiner Mitteilung sein,« sagte der Pilger. »Wer sich in Betrübnis befindet, wird leichter böse Nachrichten ertragen, als der, den sie mitten in Zufriedenheit und Wohlsein überraschen.« »Aber die Lage eines Elenden,« sagte Damian, »kann noch elender werden durch Ungewißheit. Ich bitte Euch, ehrwürdiger Herr, das Schlimmste mit einem Wort auszusprechen. – Kommt Ihr, das Todesurteil dieser armseligen Gestalt anzukündigen, so möge Gott der Seele gnädig sein, die so gewaltsam von ihr losgerissen wird.« »Ich habe keinen solchen Auftrag,« sagte der Pilger. – »Ich komme aus dem heiligen Lande, und beklage es um so mehr, Euch hier zu finden, weil meine Botschaft für den freien und reichen Damian de Lucy bestimmt war.« »Von meiner Freiheit,« sagte Damian; »laß diese Ketten, von meinem Reichtum dieses Gemach sprechen. – Doch melde Deine Neuigkeiten! – Sollte mein Oheim, denn ich fürchte, Deine Erzählung betrifft ihn, meines Arms und meines Vermögens bedürfen, so enthalten dieser Kerker und meine Erniedrigung mehr Qualen, als ich geglaubt hätte.« »Euer Oheim, junger Mann,« sagte der Pilger, »ist ein Gefangener, ich wollte vielmehr sagen, ein Sklave des großen Sultans, in dessen Hände er in einer Schlacht fiel, wo er sich ungemein auszeichnete, obwohl es ihm nicht möglich war, die Niederlage der Christen abzuwenden. Er wurde gefangen genommen, als er den Rückzug deckte, doch erst, nachdem er, zu seinem Unglück, wie sichs nachher auswies, Hassan Ali, den Liebling des Sultans, erschlagen hatte. Der grausame Heide ließ den würdigen Ritter in noch schwerere Eisen schlagen, als Ihr ertragt, und gegen seinen Kerker ist dies ein Palast. Des Ungläubigen erster Entschluß war, den tapfern Connetable den furchtbarsten Tod, den seine Peiniger nur erfinden konnten, leiden zu lassen. Aber er erfuhr, daß es ein Mann von großem Reichtum und Einfluß sei' und so hat er ein Lösegeld von zehntausend goldenen Byzanthinern gefordert. Euer Oheim erwiderte ihm, daß eine solche Zahlung ihn gänzlich arm machen und ihn zwingen würde, alle seine Ländereien loszuschlagen, wobei ihm dann auch Zeit gewährt werden müßte, sie zu Gelde zu machen. Der Sultan versetzte, daß ihm wenig daran gelegen wäre, ob ein Hund, wie der Connetable, fett oder mager würde, und daß er dennoch auf den vollen Betrag des Lösegeldes bestehe. Doch so viel gab er nach, die Zahlung in drei Terminen annehmen zu wollen, unter der Bedingung, daß zugleich mit dem ersten Teil des Geldes der nächste Verwandte und Erbe de Lacys ihm als eine Geisel für die noch fällige Schuld überliefert würde. Unter dieser Bedingung willigte er ein, daß Euer Oheim in Freiheit gesetzt werden sollte, sobald Ihr in Palästina mit dem Gelde angelangt wäret.« »Nun mag ich mich erst recht in der Tat unglücklich nennen,« sagte Damian, »daß ich meinem Oheim, der mir Waisenkind immer ein Vater gewesen, nicht Liebe und Treue zeigen kann.« »Es wird das ohne Zweifel eine schwere Enttäuschung für den Connetable sein,« sagte der Pilger. »Da er sich ungemein sehnte, in dieses glückliche Land zurückzukehren, um seine Vermählung mit einem Fräulein von hoher Schönheit und großem Reichtum zu vollziehen.« Damian schauderte zusammen, daß seine Fesseln klirrten, antwortete aber nichts. »Wäre er nicht Euer Oheim,« fuhr der Pilgrim fort, »und als ein verständiger Mann sehr wohl bekannt, so sollte ich denken, hierin sei er nicht ganz klug zu Werke gegangen. Wie er auch vorher in England gewesen sein mag, zwei Sommer, im Kriege und in Palästina zugebracht, und ein dritter in der qualvollen Entbehrung eines heidnischen Gefängnisses, haben einen gar trübseligen Bräutigam aus ihm gemacht.« »Ruhig, Pilgrim,« sagte de Lacy mit gebietendem Tone. »Es geziemt Dir nicht, einen edlen Ritter wie meinen Oheim zu beurteilen, noch geziemt es mir, daß ich auf Eure Bemerkungen höre.« »Ich bitte um Verzeihung, junger Mann,« sagte der Pilger. »Ich hatte dabei nur Euer Bestes im Auge. Für Euch kann es doch wohl nicht von Vorteil sein, wenn Euer Oheim einen leiblichen Erben bekommt.« »Schweige, niedriger Mensch!« sagte Damian. »Beim Himmel, ich denke schlechter von meiner Klause als zuvor, seit ihre Türen sich einem solchen Ratgeber öffneten, und schlechter von meinen Ketten, weil sie mich daran hindern, ihn zu züchtigen. – Mach', daß Du davon kommst, ich bitte Dich.« »Nicht eher, als bis ich Eure Antwort für Euren Oheim habe,« antwortete der Pilger. »Mein Alter verachtet den Zorn Deiner Jugend, wie der Fels den Schaum, den der Bach gegen ihn spritzt.« »So sagt meinem Oheim,« antwortete Damian. »Ich bin selbst ein Gefangener, sonst käme ich zu ihm geeilt. – Ich bin ein seines Vermögens beraubter Bettler, sonst wollte ich ihm alles bringen, was mein ist.« »Solche tugendhaften Vorsätze sind leicht und keck ausgesprochen,« sagte der Pilger, »wenn der, der sie ausspricht, weiß, daß er nicht aufgefordert werden kann, die Prahlerei seiner Zunge wahrzumachen. Aber konnte ich Dir die Wiederherstellung Deines Reichtums und Deiner Freiheit verkünden, da will ich meinen, Du würdest es Dir noch einmal klüglich überlegen, ehe Du in der Tat das Opfer brächtest, daß Du in Deiner gegenwärtigen Lage so glattweg versprichst.« »Verlasse mich, ich bitte Dich, alter Mann,« sagte Damian. »Deine Gedanken können die meinigen nicht fassen – geh und füge zu meinem Unglück nicht noch Schmähungen, die ich nicht zu rächen imstande bin.« »Aber wie, wenn ich die Gewalt hätte. Dich wieder zum freien reichen Manne zu machen, würdest Du mir dann erlauben, Dich an Deine gegenwärtige Prahlerei zu erinnern? – Ist dem aber nicht so, so kannst Du auf meine Verschwiegenheit bauen, nie werde ich die verschiedenen Gesinnungen des gefangenen und freien Damian verraten.« »Was meinst Du damit? oder hast Du überhaupt nur im Sinne, mich zu martern?« fragte der Jüngling. »Nicht also,« antwortete der Pilger und zog aus seinem Busen eine Pergamentrolle hervor, an welcher ein großes Siegel befestigt war. – »Wisse, Dein Vetter Randal ist auf eine seltsame Weise erschlagen worden, und auf ebenso seltsame Art kam seine Verräterei gegen den Connetable und Dich ans Licht. Um Dich für Deine Leiden zu entschädigen, hat der König Dir hiermit die volle Verzeihung gewährt und Dich mit dem dritten Teil der weitläufigen Besitzungen belehnt, die durch Randals Tod der Krone anheimgefallen sind.« »Und der König hat mir auch meine Freiheit zurückgegeben?« rief Damian aus. »Von diesem Augenblicke an – auf der Stelle« – sagte der Pilger – »schaut auf dieses Pergament! – Betrachtet des Königs Handschrift und Siegel!« »Ich muß einen bessern Beweis haben. – Hierher!« rief er aus und rasselte zugleich mit den Ketten. – »Hierher, Du Murrkopf, Du Wärter, Sohn eines sächsischen Wolfshundes!« Der Pilger, an die Tür schlagend, unterstützte diese Bemühung, den Schließer herbeizurufen, der alsbald eintrat. »Du, Kerkermeister!« rief Damian sehr ernst, »bin ich noch Dein Gefangener oder nicht?« Der grämliche Kerkermeister befragte den Pilger mit einem Blick und antwortete dann dem Damian, daß er frei sei. »Daß Dich der Henker hole, Sklave!« sagte Damian ungeduldig, »Warum umspannen diese Ketten noch die freien Glieder eines normannischen Edlen? Jeder Augenblick, den sie ihn noch fesseln, wiegt eine ganze Lebenszeit eines solchen dienstbaren Leibeigenen, wie Du bist, auf!« »Sie sind bald abgenommen, Sir Damian,« sagte der Mann. »Ich bitte nur um Geduld. Erinnert Euch nur, daß noch vor zehn Minuten ihr wenig Ursache hattet, zu denken, diese Armbänder würden jemals zu anderm Zweck abgenommen werden, als um Euch zum Schafott zu führen.« »Ruhig, verfluchter Hund!« sagte Damian, »und beeile Dich! – Und Du, der Du mir diese gute Kunde gebracht hast, ich vergebe Dir Dein voriges Betragen. Du dachtest ohne Zweifel, es sei gut getan, mir noch in den Banden Versprechungen abzulocken, die zu erfüllen mir die Ehre gebieten würde, sobald ich mich in Freiheit befände. Der Argwohn hatte allerdings etwas Beleidigendes, doch Deine Absicht war ja, meines Oheims Freiheit zu sichern.« »Und ist es denn wirklich Euer Vorsatz,« sagte der Pilger, »Eure neugewonnene Freiheit zu einer Reise nach Syrien anzuwenden und Euer englisches Gefängnis gegen den Kerker des Sultans zu vertauschen?« »Wenn Du selbst mein Führer sein willst, so sollst Du nicht sagen, daß ich nur einen Augenblick auf der Reise säumte.« »Und das Lösegeld,« sagte der Pilger, »wie soll das herbeigeschafft werden?« »Wie? Wie anders als von den Gütern, die dem Namen nach mir verliehen, nach Wahrheit und Recht meinem Oheim gehören und zuerst zu seinem Nutzen angewendet werden müssen. Wenn ich mich nicht sehr irre, so wird mir jeder Jude oder Lombarde die nötige Summe auf diese Sicherheit hin vorschießen. Darum, Du Hund!« fuhr er, gegen den Gefangenwärter gewendet, fort, »schließ die Klammern etwas schneller um, fürchte nicht, daß Du mir Schmerzen machen konntest, nur zerbrich mir nicht die Glieder!« Der Pilger sah eine kleine Weile zu, wie verwundert über Damians festen Entschluß. Dann rief er aus: »Ich kann des alten Mannes Geheimnis nicht langer bewahren – eine solche hochherzige Großmut soll nicht das Opfer werden. – Höre nur, braver Sir Damian, ich habe noch ein mächtiges Geheimnis Dir zu vertrauen, und da dieser sächsische Bauer kein Französisch versteht, so kann ich es Dir in seiner Gegenwart sagen. Wisse, Dein Oheim ist ebensosehr in seinem Charakter verändert, wie sein Körper schwach und gebrechlich geworden ist. Verdrießliches Wesen und Eifersucht haben Besitz von einem Herzen genommen, das einst männlich und großmütig war. Sein Leben geht nun auf die Neige, und es tut mir leid, es zu sagen, diese Neige ist verdorben und bitter.« »Ist das Dein mächtiges Geheimnis?« sagte Damian, »daß Menschen alt werden, weiß ich, und wenn mit Schwäche des Körpers auch Schwache des Geistes oder Gemütes eintritt, so fordert ihr Zustand um so mehr die pflichttreue Aufmerksamkeit derer, die durch Bande des Bluts oder der Liebe den Kranken nahe stehen.« »Aber des Connetable Herz ist voll Gift gegen Dich, weil ihm von England aus zu Ohren gekommen ist, daß zwischen Dir und seiner verlobten Braut Eveline Berenger ein Liebesverhältnis bestände. – Ha! habe ich jetzt den rechten Fleck getroffen?« »Nicht im geringsten,« sagte Damian, alle Kraft aufbietend, mit der das Bewußtsein seiner Unschuld ihn zu beseelen vermochte. – »Der Bursch da berührte nur etwas unsanft mein Schienbein mit seinem Hammer. – Fahr fort! – Mein Oheim vernahm diesen Bericht und hielt ihn für wahr?« »Er hielt ihn für wahr,« entgegnete der Pilger, »das kann ich wohl versichern, da er keinen seiner Gedanken vor mir verbarg. Aber er bat mich, sorgfältig Euch seinen Argwohn zu verhehlen. Sonst, sagte er, wird der junge Wolf sich schwerlich in die Falle wagen, um den Alten zu befreien. Ist er aber erst einmal hier in meinem Gefängnisse, fuhr Euer Oheim fort, dann mag er hier vermodern und umkommen, ehe ich einen Pfennig zur Befreiung des Liebhabers meiner Verlobten sende.« »Das sollte mein Oheim im Ernst denken!« sagte Damian, höchst bestürzt. »Er konnte so verräterisch gesinnt sein, mich in der Gefangenschaft zu lassen, in die ich freiwillig ging, um ihn zu erlösen? – Pah! das kann nicht sein!« »Schmeichelt Euch nicht mit falscher Hoffnung,« sagte der Pilger. »Geht Ihr nach Syrien, so geht Ihr zu ewiger Gefangenschaft, während Euer Oheim zum Besitz seines nur um ein weniges verminderten Reichtums zurückkehrt und Eveline Berenger heiratet!« »Ha!« rief Damian aus, und einen Augenblick zu Boden sehend, fragte er den Pilger mit unterdrückter Stimme, was er ihm in dieser äußersten Not zu tun rate. »Die Sache ist ganz einfach nach meiner geringen Meinung,« entgegnete der Pilger. »Niemand ist an seine Treue gegen diejenigen gebunden, die selbst keine gegen ihn zu beobachten gedenken. Kommt diesem Verrat Eures Oheims zuvor, laßt sein ohnehin noch kurzes und schwaches Dasein in jener verpesteten Klause vermodern, zu der er Eure jugendliche Kraft verdammen will. Die königliche Gnade hat Euch Ländereien genug zu einem ehrenvollen Auskommen angewiesen; und warum wollt ihr nicht damit die von Garde Douloureuse vereinigen? – Eveline Berenger, wenn ich nicht sehr irre, wird schwerlich Nein sagen. Ja, noch mehr, ich will meine Seele darauf verwetten, sie sagt Ja; denn ich bin genau von ihren Gesinnungen unterrichtet. Was ihre Verlobung anbetrifft, ein Wort von König Heinrich an seine Heiligkeit den Papst, die beide jetzt gerade voll Freude über ihre Versöhnung sind, wird von dem Pergament den Namen Hugo verwischen und Damian an seine Stelle setzen!« »Ja, bei meinem Glauben!« sagte Damian, wobei er aufstand und seinen Fuß auf den Stuhl setzte, damit der Gefangenwärter desto leichter den letzten Ring, der ihn noch umgab, abstreifen konnte. »Ich habe von allen dergleichen Dingen gehört, – ich habe von Wesen gehört, – die mit scheinbarer Würde in Wort und äußerer Gebärde – mit gar seinen, künstlich den Schwächen der menschlichen Natur angemessenen Ratschlägen die Hütten verzweifelter Menschen heimsuchen und ihnen die lockendsten Versprechungen machen, den Pfad zur Seligkeit zu verlassen und ihre Nebenwege einzuschlagen. – Das sind des Satans teuerste Helfershelfer; auf solche Art ist der böse Feind selbst erschienen. – Im Namen Gottes, alter Mann, bist Du ein menschliches Wesen, so entferne Dich! – Ich will nicht Deine Worte, noch Deine Gegenwart! – Ich speie Deine Ratschläge an! – Und nimm Dich in acht!« setzte er in einer drohenden Bewegung hinzu, »gleich werde ich freie Hände haben!« »Knabe,« erwiderte der Pilger und schlug verächtlich seine Arme in seinen Mantel, – »ich verachte Deine Drohungen – ich verlasse Dich nicht, bis wir einander besser kennen lernen.« »Auch ich,« sagte Damian, »möchte wohl wissen, ob Du Mensch oder Teufel bist – und nun zur Probe!« – Während er sprach, fiel die letzte Schelle von seinen Füßen rasselnd auf den Boden, und zu gleicher Zeit sprang er auf den Pilger zu, faßte ihn um den Leib, und indem er dreimal verzweifelt versuchte, ihn in die Höhe zu heben und kopfüber auf die Erde zu schleudern, rief er aus: »Dies für die tückische Behandlung eines Edelmanns! Dies für den Zweifel an der Ehre eines Ritters! dies« – (mit dem äußersten Kraftaufwande) – »für die Beschimpfung einer Lady!« Jede Anstrengung Damians schien kraftvoll genug, einen Baum zu entwurzeln, dennoch, obwohl er den alten Mann zum Wanken brachte, konnte er ihn doch nicht niederwerfen; und als Damian nach dem letzten stärksten Angriff noch keuchte, erwiderte dieser: »Und Du nimm dieses, da Du so grob umgehest mit Deines Vaters Bruder!« Mit diesen Worten stürzte Damian, der beste jugendliche Ringer in Cheshire, nicht eben sanft auf den Boden des Kerkers. Langsam und erstaunend erhob er sich. Aber der Pilger hatte nun seinen Hut und das geistliche Gewand abgeworfen, und die Gesichtszüge, wiewohl sie Spuren des Alters und des Klimas trugen, waren die seines Oheims, des Connetables, der nun ruhig die Worte sprach: »Ich denke doch, Damian, Du bist stärker geworden und ich schwächer, seit meine Brust an die Deinige sich preßte in unsers Landes gern geübtem Spiele. Du hättest mich bei der letzten Wendung bald niedergestreckt, nur daß ich den alten Rückengriff der de Lacys noch ebensogut kenne wie Du. – Aber warum knien, Mensch!« Er hob ihn mit großer Freundlichkeit auf, küßte seine Wange und fuhr fort: »Denke nicht, mein teuerster Neffe, daß ich unter dieser Verkleidung Deine Treue auf die Probe stellen wollte, woran ich selbst nie zweifelte! Aber böse Jungen sind geschäftig gewesen, und das brachte mich doch auf diesen Versuch, dessen Erfolg, wie ich erwartete, so ehrenvoll für Dich gewesen ist. So wisse (denn diese Mauern haben zuweilen Ohren, auch im buchstäblichen Sinne) es gibt hier in nicht großer Entfernung Augen und Ohren, die alles gehört und gesehen haben. – Meiner Treu! ich wünschte, Deine letzte Umarmung wäre nicht so ernsthaft gemeint gewesen. – Meine Rippen fühlen noch den Druck Deiner Knöchel!« »Teuerster, verehrter Oheim,« sagte Damian, »entschuldigt –« »Hier ist nichts zu entschuldigen,« entgegnete sein Oheim, ihn unterbrechend, »Haben wir nicht schon manchesmal miteinander gerungen? – Doch noch eine Prüfung bleibt Dir zu bestehen. – Schleunigst begib Dich aus diesem Loche – lege Deinen besten Anzug an, mich in der Mittagsstunde zur Kirche zu begleiten, denn, Damian, Du mußt bei der Vermählung der Lady Eveline zugegen sein!« Diese Aufforderung schlug mit einenmale den jungen Mann zu Boden. »Um des Himmels willen!« rief er aus, »darin entschuldigt mich, mein gütiger Oheim! Ich bin vor kurzem sehr schwer verwundet worden und bin noch sehr schwach.« »Wie meine Knochen es bezeugen können,« sagte sein Oheim. »Wie, Mensch? Du hast die Stärke eines norwegischen Bären.« »Leidenschaft,« entgegnete Damian, »mag mir für einen Augenblick Stärke gegeben haben; aber, teuerster Oheim, verlangt alles andre, nur nicht das. Ich sollte denken, wenn ich gefehlt habe, konnte irgend eine andere Strafe genügen.« »Ich sage Dir,« erwiderte der Connetable, »Deine Gegenwart ist notwendig – unumgänglich notwendig. – Seltsame Gerüchte sind im Umlauf, die Deine Abwesenheit bei dieser Gelegenheit nur zu sehr bestätigen würden. Evelinens Ruf verlangt es.« »Wenn dem so ist,« sagte Damian, »so wird keine Aufgabe für mich zu schwer sein. Aber ich hoffe, wenn die Zeremonie vorüber ist, werdet Ihr mir erlauben, das Kreuz zu nehmen, wenn Ihr es nicht vorzieht, daß ich mich den Truppen anschließe, die, wie ich höre, zur Eroberung von Irland bestimmt sind.« »Nun, nun,« sagte der Connetable, »wenn Eveline Euch ihre Erlaubnis gibt, so will ich Euch die meinige nicht vorenthalten.« »Oheim,« sagte Damian etwas unmutig, »Ihr kennt die Gefühle nicht, mit denen Ihr Euren Scherz treibt.« »Nun,« sagte der Connetable, »ich zwinge Dich zu nichts. Doch wenn Du zur Kirche kommst und die Heirat Dir nicht recht ist, so magst Du, wenn Du willst, Einspruch tun – das Sakrament kann nicht ohne des Bräutigams Einwilligung vollzogen werden.« »Ich verstehe Euch nicht, Oheim,« sagte Damian, »Ihr habt ja bereits eingewilligt.« »Ja, Damian,« sagte er, »ich habe eingewilligt, meine Ansprüche zurückzunehmen und ihnen zu Deinen Gunsten zu entsagen. Denn wenn Eveline heute vermählt wird so – bist Du der Bräutigam. – Die Kirche hat ihre Bestätigung gegeben – der König seine Einwilligung – die Lady sagt nicht nein – und nur die Frage bleibt übrig, ob der Bräutigam Ja sagen will.« Die Antwort läßt sich leicht erraten. Auch ist es nicht nötig, bei dem Glänze der Zeremonie zu verweilen, die, seine unverdiente Strenge gut zu machen, Heinrich mit seiner Gegenwart beehrte. Amelot und Rose wurden bald darauf verbunden, nachdem vorher der alte Flammock durch Verleihung eines Wappens zum Edelmanne erhoben worden war, damit das edle normännische Blut sich ohne Entweihung mit dem geringern Strome vermischen könnte, der der schönen Flamländerin Wangen rötete. In dem Benehmen des Connetables gegen seinen Neffen und dessen Braut zeigte sich nichts, was darauf hätte deuten können, daß ihm die großmütige Selbstverleugnung leid täte, die er zu Gunsten ihrer jugendlichen Liebe bewiesen hatte. Aber bald nachher übernahm er eine hohe Befehlshaberstelle bei den Truppen, die zum Angriff auf Irland bestimmt waren; und sein Name steht unter den ausgezeichnetsten in der Liste der ritterlichen Normannen verzeichnet, die zuerst die schöne Insel mit der englischen Krone vereinigten. Eveline, in den Besitz ihres schönen Schlosses und ihres Eigentums eingesetzt, unterließ es nicht, ihren Beichtiger sowohl als ihre alten Kriegsleute, Diener und Beamten zu versorgen, indem sie ihnen ihre Verirrungen vergaß und nur ihrer Treue gedachte. Der Beichtiger kehrte zu den Fleischtöpfen Aegyptens zurück, die seiner Natur besser zusagten als die magere Kost eines Klosters. Selbst Gillian erhielt die Mittel zu ihrem Unterhalte, denn hätte man sie bestrafen wollen, wäre auch der treue alte Raoul betroffen worden. Sie zankten sich bei gutem Auskommen ebenso, wie sie sich vorher in der Armut gezankt hatten. Denn bissige Hunde knurren sich ebensogut über einem Braten an wie über einem Knochen. Der einzige verdrießliche Auftritt, den Lady Eveline nun noch erlebte, war der Besuch ihrer sächsischen Verwandten, der mit großer Feierlichkeit abgestattet wurde, aber unglücklicherweise zu derselben Zeit, die die Frau Aebtissin zu ihrem Besuche erwählt hatte. Der Zwist, der zwischen diesen beiden ehrenwerten Personen herrschte, hatte einen doppelten Ursprung: sie waren normannischen und sächsischen Stammes, sie wichen aber auch überdies von der Meinung voneinander ab, zu welcher Zeit Ostern gefeiert werden müßte. Jedoch war dies nur eine kleine Wolke, die über den heitern Himmel Evelinens hinflog; denn mit ihrer unverhofften Vermählung mit Damian endeten die Prüfungen und Leiden »der Verlobten«. Ende. Der Talisman Roman aus dem Zeitalter der Kreuzzüge. Übersetzt von Erich Walter Tales of the Crusaders. Bd. III-IV: The Talisman. Edinburgh 1825 Erstes Kapitel Noch hatte Syriens sengende Sonne nicht ihren höchsten Punkt am Horizont erreicht, als ein Ritter des roten Kreuzes, der seine ferne Heimat im Norden verlassen und sich dem Kreuzfahrerheere in Palästina angeschlossen hatte, langsam über die Sandsteppen hin ritt, die in der Nachbarschaft des Toten Meeres oder, wie es auch heißt, des Asphaltsees liegen, worein sich die Gewässer des Jordans ergießen, ohne wieder Abfluß zu finden. Der kriegerische Pilgersmann hatte sich während der Frühstunden des Tages zwischen Schroffen und Schluchten mühsam seinen Weg gebahnt, und als er diese gefahrvollen Felsenpässe endlich hinter sich gebracht hatte, war er hinausgetreten auf jene große, weite Ebene, wo in alter Zeit die verfluchten Städte die unmittelbare und schreckliche Rache des Allmächtigen herausgefordert hatten. Durst, Strapaze, Weggefahr, alles war vergessen, als der einsame Reiter die schreckliche Katastrophe sich ins Gedächtnis rief, die das schöne, fruchtbare Tal von Siddim, einst wohlbewässert und berühmt als »Garten des Herrn«, in jene öde, grausige Wüstenei verwandelte, die verdammt ist zu ewiger Unfruchtbarkeit. Als er der dunklen Masse flutenden Wassers ansichtig wurde, die in Farbe und Beschaffenheit so schroff absticht von dem Wasser aller anderen Seen, bekreuzte er sich und schauderte zurück. Unter dieser trägen Wasserflut lagen die einst so stolzen Städte der Ebene, denen des Himmels Donner oder der Ausbruch unterirdischen Feuers ihr Grab geschaufelt hatten, und deren Trümmer im Schoße jenes Sees verborgen wurden, der keinen lebendigen Fisch in seinem Busen birgt, der kein Schiff auf seiner Fläche trägt und, gleich als ob sein eignes grauses Bett der einzig taugliche Behälter sei für sein träges schweres Wasser, nicht wie andre Seen dem Weltmeere einen Tribut sendet. Das ganze Land rings umher war, wie zu den Tagen des Moses, »Schwefel und Salz; wo nichts gesäet wird, wo nichts lebt und wo nichts wächst.« Land und Meer hier heißen mit Recht tot, denn sie bringen nichts hervor, was an Leben erinnert, und selbst die Luft ermangelt gänzlich ihrer sonstigen gefiederten Bewohner, wahrscheinlich werden sie verscheucht durch den Geruch nach Erdpech und Schwefel, den die sengende Sonne aus den Wassern des Sees in dampfenden Wolken, die oft das Aussehen von Springquellen, annehmen, aufsteigen läßt. Massen des schleimigen, schweflichten Stoffes, den wir unter dem Namen Naphtha kennen, schwammen träge auf den stagnierenden, finsteren Fluten und führten jenem wogenden Gewölk fort und fort schwere, stickige Dämpfe zu, als grausiges Zeugnis für die Wahrheit der mosaischen Erzählung. Auf diesen Schauplatz von Verödung schien die Sonne mit fast unerträglichem Glanze, und alles, was in der Natur lebte, schien sich vor den Strahlen verkrochen zu haben, mit alleiniger Ausnahme der einsamen Menschengestalt, die sich im Schritt durch den weichenden Sand weiter bewegte und das einzige atmende Geschöpf auf der weiten Fläche der Ebene zu sein schien. Die Kleidung, die der Reiter, und das Geschirr, das sein Roß trug, waren für jemand, der in solcher Gegend reisen wollte, mit eigentümlichem Ungeschick gewählt. Als ob der langärmlige Schuppenrock, die plattierten Handschuhe und die Brust- und Rückenplatte noch nicht als ausreichende Rüstungslast erachtet worden wären, hatte der Reiter sich noch den dreieckigen Schild um den Hals gehängt und den vergitterten Stahlhelm aufgesetzt, darüber noch Stahlhaube und Schuppenkragen gezogen. Der letztere saß dem Krieger über Genick und Schultern und füllte die Lücke zwischen Halsberge und Kopfstück aus. Achselstücke, Ellenbogenkacheln, Vorder- und Hinterschurz, Schenkelschienen, Kniestücke, Beinschienen und Rüstschuhe, in der Montur entsprechend den Kampfhandschuhen, vervollständigten die Rüstung des einsamen Reiters. Ein langes, breites, wuchtiges Schwert mit einem Griff in Form eines Kreuzes hing auf der einen, ein wuchtiger Dolch auf der anderen Seite. Auch trug der Ritter, am Sattel befestigt, mit einem Ende auf dem Steigbügel ruhend, die lange, an der Spitze mit Stahl beschlagene Lanze, seine eigentliche Waffe, die sich beim Reiten nach hinten zu senkte, während das an ihr steckende Fähnlein sich bald im Lufthauche bewegte, bald bei Windstille zusammenkroch. Als Ergänzungsstück dieser beschwerlichen Ausrüstung muß noch ein Oberrock aus gesticktem Zeug erwähnt werden, der zwar schon stark abgetragen, um nicht zu sagen zerschlissen war, aber insofern sich als recht nützlich erwies, als er die sengenden Strahlen der Sonne von dem Panzer fern hielt, den der Ritter sonst unmöglich hätte auf dem Leibe behalten können. Dieser Oberrock zeigte an verschiedenen Stellen das Wappen seines Besitzers, wenn auch stark verwischt. Es schien ein ruhender Leopard zu sein, mit der Devise: »Ich schlummere – weck mich nicht auf!« Auf dem Schilde schien die gleiche Wappenfigur skizziert gewesen zu sein, war aber von manchem Schwerthiebe zerkratzt und zerschunden worden. Der platte Oberteil seines wuchtigen, zylindrisch geformten Helms entbehrte alles Schmuckes. Durch dieses Festhalten an ihrer ungefügen Defensivrüstung schienen die aus nördlichen Ländern stammenden Kreuzfahrer auch der Natur von Land und Klima trotzen zu wollen, wohin sie den Krieg trugen. Die Rüstung des Rosses war kaum weniger massig und wuchtig als die seines Reiters. Den Rücken deckte ein schwerer, mit Stahl überkleideter Sattel, der vorn mit einer Art Brustberge, ebenfalls aus Stahl, hinten mit einer Art Lenden- oder Schenkelberge zusammenhing. Dazu kam, am Sattelbogen hängend, der eiserne Streitkolben; die Zügel waren gekettelt, und das Stirngestell bestand aus einer Stahlplatte, in der sich für Augen und Nüstern Oeffnungen befanden, während mitten aus ihr heraus, an das Horn des sagenhaften Einhorns erinnernd, ein kurzer scharfer Stachel hervorragte. Beiden jedoch, dem Ritter sowohl als seinem standhaften Rosse, war diese Last von Rüstung durch die Gewohnheit zur zweiten Natur geworden. Freilich fanden unzählige dieser aus Norden und Westen nach Palästina ziehenden Krieger den Tod, ehe sie des heißen Klimas gewohnt wurden; aber es gab auch genug darunter, denen das Klima nichts anhatte, die sich sogar unter seinem Einflusse wohl befanden, und zu dieser glücklicheren Zahl gehörte der einsame Reiter, der jetzt am Ufer des Toten Meeres entlang ritt. Er war von außerordentlicher Stärke, so daß er die Panzerschuppen so leicht trug wie Spinngewebe, und von einer so kräftigen Konstitution, daß er jedem Klimawechsel und allen Beschwerden und Entbehrungen Trotz bieten konnte. Sein Charakter schien mit diesen Eigenschaften seines Körpers in glücklicher Harmonie zu stehen, denn zu der Kraft und Zähigkeit, Anstrengungen zu ertragen, gesellte sich unter dem Anschein von Ruhe und Gleichgültigkeit eine heiße Ruhmbegier, bekanntlich ein hervorstechender Zug im Charakter der berühmten Söhne des normannischen Stammes, der ihnen überall in der Welt, wohin sie den gepanzerten Fuß setzten, die Herrschaft in die Hände gab. Doch nicht der gesamten normannischen Rasse winkte Fortuna, mit solch verführerischem Lohne, und was dem einsamen Ritter auf seinem Zuge durch Palästina zuteil geworden war, hatte sich bloß auf zeitlichen Ruhm und, wie man ihm eingetrichtert hatte, »spirituelle« Vorrechte beschränkt. Darüber war sein bißchen Geld flöten gegangen, und zwar um so schneller, als er sich nicht, wie die Kreuzfahrer im allgemeinen, dazu verstehen mochte, seinen Lebensunterhalt auf Kosten der Einwohner Palästinas zu bestreiten. Er brandschatzte weder, noch plünderte oder erpreßte er; auch hatte er nie die Gelegenheit wahrgenommen, Lösegeld für Gefangene zu nehmen. Die paar Leute, die bei der Landung auf kleinasiatischem Boden sein Gefolge gebildet hatten, waren zusammengeschmolzen in dem Verhältnis, wie ihm die Mittel zu ihrem Unterhalt knapp wurden, bis auch der letzte Schildknappe im Spital hatte liegen bleiben müssen. Und so zog der Ritter nun einsam und allein im Lande weiter. Das war dem Kreuzfahrer indessen nicht weiter verdrießlich oder ängstlich, denn er hatte sich längst daran gewöhnt, in seinem guten Schwerte seinen sichersten Beschützer und in seinen frommen Gedanken seine besten Begleiter zu erblicken. Die Natur machte aber auch unter dem eisernen Panzer und auf die geduldige Gemütsart des Ritters vom schlummernden Leoparden ihre Rechte geltend: er fühlte Appetit und das Bedürfnis nach Ruhe und war heilfroh, als er um die Mittagszeit ein Stück weit rechts vom Toten Meere den Brunnen fand, der ihm als Rastort bezeichnet worden war; ein paar Palmen standen in seiner Nähe, und sein getreues Roß wieherte freudig und schnoperte und trabte schneller, wie wenn es den labenden Quell witterte; aber ihm und seinem Reiter sollten, bevor sie die ersehnte Rast fanden, noch herbe Drangsal und Mühe bevorstehen. Als der Ritter vom schlummernden Leoparden die noch immer ein gutes Stück entfernte Palmengruppe mit aufmerksamen Blicken musterte, war es ihm, als sähe er irgend ein Ding darin sich bewegen. Die ferne Gestalt hob sich von den Bäumen ab, die ihre Bewegungen teilweis verdeckten, bis er in ihr einen Berittenen erkannte, dessen Turban, langer Spieß und im Winde wehender Burnus in ihm den Sarazenen verrieten. Es gibt ein Sprichwort im Morgenlande: In der Wüste trifft niemand einen Freund ... Dem Kreuzfahrer war es durchaus gleichgültig, ob der wie ein Sturmwind herangaloppierende Heide als Freund oder Feind sich ihm näherte; doch hätte er als geschworener Streiter des Herrn Jesus ihn als Feind vielleicht lieber kommen sehen denn als Freund. Er machte seine Lanze vom Sattel los, packte sie mit der Rechten, setzte sie mit halb erhobener Spitze in Ruhe, raffte die Zügel in die linke Faust, setzte dem Rosse die Sporen in die Weichen und sich selbst in Bereitschaft, dem Fremden mit dem ruhigen Selbstvertrauen gegenüberzutreten, das sich für den Sieger in manchem Strauße schickt. Der Sarazene sprengte im fliegenden Galopp eines arabischen Reiters heran, der sein Tier mehr durch den Schenkeldruck und die Körperbeugung dirigiert, als durch fleißigen Gebrauch der Zügel, den er lose in der linken Hand hängen ließ. Auf diese Weise war er nicht behindert, den leichten, mit silbernen Fransen verzierten Rundschild aus Rhinozeroshaut zu schwingen: und das tat er auch mit einer Verve, als wenn er nicht anders dächte, als das kleine runde Ding der wuchtigen Lanze des fahrenden Ritters entgegenzustemmen. Dabei schien er damit zu rechnen, daß ihm der Leopardenritter entgegen reiten werde; der aber war mit den Manieren der Morgenländer viel zu vertraut, als daß er sein Roß mit unnützen Manövern ermattet hätte; er blieb im Gegenteil auf einundderselben Stelle, in der Zuversicht, durch das eigene Gewicht und die Wucht seines Rosses noch immer dem behenderen Gegner gegenüber im Vorteil zu sein, auch ohne es ihm in der Schnelligkeit und Gewandtheit gleichtun zu können. Dem Sarazenen fehlte es aber auch nicht an Klugheit: er sah ebenfalls ein, daß er es an Wucht dem anderen nicht gleichtäte, und machte, als er sich dem Christen auf ein paar Lanzenlängen genähert hatte, eine plötzliche Linksschwenkung und ritt ein paarmal um den Feind herum. Darauf wandte sich dieser, ohne jedoch von seinem Platze zu weichen, hielt sich immer so, daß er dem Feinde die Stirn bot, und vereitelte auf diese Weise dessen Versuche, ihn an einer verwundbaren Stelle zu fassen. Der Sarazene machte, als er nach einer Weile das Vergebliche seines Bemühens einsah, wieder Kehrt, zog sich auf hundert Schritte zurück, stürzte dann, wie ein Falke auf den Reiher, wieder auf den Ritter los, mußte sich jedoch abermals zurückziehen. Dreimal versuchte er es noch, ohne zum Nahkampfe zu kommen, da schien der Ritter die Geduld zu verlieren, denn er packte seinen Streitkolben und ließ ihn durch die Luft sausen in der Richtung nach des Emirs Kopfe, denn ein Emir war der Sarazene zum mindesten. Der aber bemerkte noch rechtzeitig die furchtbare Waffe und hob den kleinen Schild, sie aufzufangen, wurde aber trotzdem so schwer getroffen, daß er vom Pferde heruntersank. Aber er ließ dem Christen nicht die Zeit, aus diesem Unfall Nutzen zu ziehen, sondern war im Nu auf den Beinen, rief sein Roß, rannte ihm entgegen, schwang sich wieder hinauf, ohne den Steigbügel zu benützen, und hatte sich hiermit wieder in alle die Vorteile gesetzt, um die der Ritter ihn zu bringen vermeint hatte. Dieser aber hatte seinen Streitkolben wieder an sich gebracht, und der Sarazene, der es nicht noch einmal darauf ankommen lassen wollte, mit dieser Waffe in Berührung zu kommen, hielt sich nun außer Wurfweite, spannte aber, nachdem er seinen langen Speer in den Sand gebohrt hatte, seinen Bogen, setzte sein Roß in Galopp, ritt ein paarmal um den Ritter herum und schoß dabei in einem fort seine Pfeile, vor denen den letzteren einzig und allein sein Panzer schützte. Endlich aber traf ihn doch ein Pfeil an einer minder geschützten Stelle, und er stürzte vom Rosse. Aber nicht wenig erschrocken war der Sarazene, als er, sich vom Rosse schwingend, zu dem Feinde herantrat, um dessen Wunde zu untersuchen, und sich plötzlich von ihm gepackt sah, denn der Ritter hatte bloß zu dieser List gegriffen, um den Gegner an sich heran zu bringen. Diesen rettete nun allein seine große körperliche Gewandtheit, infolge deren er Zeit gewann, sich von dem Schwertgurt zu lösen, an welchem der Ritter ihn gepackt hielt, und sich seiner Faust zu entwinden. Dann schwang er sich abermals auf sein Roß, das seine Bewegungen mit dem Verstande eines menschlichen Wesens zu verfolgen schien, und sprengte in rasendem Galopp von dannen, sah sich aber genötigt, Schwert und Köcher preiszugeben, die ihm vom Gürtel gefallen waren, und die er aufzuheben keine Zeit mehr hatte. Ebenso war ihm im Handgemenge der Turban vom Kopfe geglitten. Infolge dieser Verluste schien er zum Abschluß eines Waffenstillstandes geneigt zu sein, ritt mit erhobener Hand, zum Zeichen, daß die Feindseligkeit ruhen sollte, zu dem Ritter heran und rief in der zwischen den Sarazenen und Kreuzfahrern üblichen Frankensprache: »Warum soll Krieg sein zwischen Dir und mir? Laß uns Frieden schließen!« – »Du findest mich zum Frieden bereit,« erwiderte der Ritter, »aber welche Bürgschaft gibst Du mir, daß Du den Waffenstillstand auch hältst?« – »Ein Anhänger des Propheten brach noch nie sein Wort,« erwiderte der Emir, »ich sollte weit eher Bürgschaft fordern von Dir, Nazarener, und wüßte ich nicht, daß Tapferkeit sich mit Verräterei nicht verträgt, so täte ich es auch.« Der Kreuzritter fühlte sich beschämt über sein Mißtrauen bei dem Beweise des Gegenteils von seiten des Sarazenen. »Beim Griff meines Schwertes!« sagte er, die Hand darauf legend, »da das Schicksal es fügt, daß wir beisammen bleiben sollen, will ich Dein treuer Kamerad sein, Sarazene.« – »Bei Mohammed, dem Propheten, und bei Allah, seinem Gott,« erwiderte sein bisheriger Feind, »erkläre ich, daß in meinem Herzen wider Dich kein Verrat wohnt; komm mit zur Quelle, denn es naht die Zeit der Ruhe, und ihr kühlendes Naß hatte kaum meine Lippen erfrischt, als Deine Ankunft mich zum Kampfe rief.« Der Leopardenritter erklärte sich mit Freuden bereit, der Aufforderung zu folgen, und vereint ritten nun die beiden Krieger, die sich eben noch bekämpft hatten, ohne einen Anschein von Mißtrauen oder Zorn zu der kleinen Palmengruppe hin. Zweites Kapitel Christ und Sarazene, die eben noch alles aufgeboten hatten, einander zu vernichten, näherten sich langsam der Quelle unter den Palmbäumen, versunken in die eigenen Betrachtungen und zum erstenmal Atem schöpfend nach einem Kampfe, der leicht für beide tödlich hätte werden können. Das Pferd des Sarazenen schien weniger ermüdet als das Streitroß des Europäers. Während der edle Araberhengst bis auf die Schaumflocken, die noch an Zaum und Schabracke sichtbar waren, schon völlig wieder trocken war, trieften die Schenkel des anderen Tieres noch von Schweiß. In dem lockeren Boden sank es zufolge der schweren Panzerung bei jedem Tritt so tief mit den Hufen ein, daß der Ritter schließlich aus dem Sattel sprang und es am Zaume führte. »Recht von Euch,« sagte der Sarazene, »daß Ihr Eurem Pferde die Last erleichtert; was wollt Ihr bloß in der Wüste mit einem Tiere, das bei jedem Tritt bis über das Hufeisen einsinkt?« – »Sarazene,« versetzte der Ritter, ärgerlich über diese Worte des anderen, »Du redest, wie Du es verstehst. Aber mein Roß hat mich in meiner Heimat schon über einen so breiten See getragen, wie Du ihn dort hinter uns liegen siehst, ohne ein Haar über seinem Hufe zu netzen.« – »Man sagt nicht mit Unrecht,« erwiderte der Sarazene mit einem an Verachtung streifenden Lächeln, »hörst Du einen Franken, so hörst Du eine Fabel.« – »Es ist nicht höflich von Dir, Ungläubiger, in das Wort eines Ritters Zweifel zu setzen,« sagte der Kreuzfahrer; »glaubst Du, ich spreche eine Unwahrheit, wenn ich Dir sage, daß ich, einer von fünfhundert Reitern – meilenweit auf Wasser, so fest wie Kristall, geritten bin?« – »Was Du sagst!« rief der Muselmann, »auf jenem Lande dort drüben ruht der Fluch Gottes; in seinen Wellen versinkt nichts, er wirft alles an sein Ufer; aber weder das Tote Meer, noch einer der sieben Ozeane, die die Erde umgürten, werden den Druck eines Pferdehufes aushalten, so wenig, wie das rote Meer den Durchzug Pharaos und seines Heeres duldete.« – »Sarazene, Du sprichst, wie Du es verstehst,« wiederholte der Ritter, »die Hitze in Eurem Lande verwandelt den Boden in eine wie Wasser unsichere Masse; in meiner Heimat verwandelt die Kälte hingegen das Wasser oft in einen felsenfesten Stoff... Reden wir nicht weiter davon; denn die Vorstellung eines im Mondlicht schimmernden ruhigen, klaren Wintersees vermehrt mir nur die Schrecknisse dieser wilden Wüste, in deren Bereich die Luft, die man atmet, dem Dampfe eines Schmelzofens gleicht.« Christ und Sarazene bildeten einen auffallenden Kontrast. Der erstere war eine kräftige Gotengestalt mit braunem Haar, das sich in dichter, reicher Fülle um den jetzt vom Helm entblößten Kopf kräuselte. Sein von der Sonne des Orients gebräuntes Gesicht zeigte eine viel dunklere Farbe als der Hals oder sein helles blaues Auge oder die Farbe von Haar und Bart vermuten ließen. Ein dichter Schnurrbart beschattete seine Oberlippe, sein Kinn aber war nach normannischer Sitte glatt rasiert. Seine Nase zeigte die griechische Form; der Mund war wohl etwas groß, aber mit einer Reihe starker und schöner weißer Zähne besetzt; der kleine Kopf ruhte anmutig auf dem Halse. Er konnte nicht über dreißig sein; wenn man aber den Einfluß von Klima und Strapazen in Anschlag brachte, konnte er gut für drei bis vier Jahre jünger gelten. Er war groß und von kräftigem Körperbau; seine Hände waren lang, schön und ebenmäßig; besonders stark und groß aber waren die Handgelenke und die Arme sehr muskulös und wohlgebildet. In seiner Sprache und seinen Bewegungen lag kriegerische Kühnheit und sorglose Freimütigkeit; seine Stimme hatte den Ton eines Mannes, der mehr gewohnt ist zu befehlen, als zu gehorchen. Der sarazenische Emir war übermittelgroß, aber doch um ein paar Zoll kleiner als der Europäer, dessen Größe der eines Riesen gleichkam. Seine schmächtigen Gliedmaßen, die langen, mageren Hände und Arme waren zwar seiner Person und dem Ausdruck seines Gesichts angemessen, gaben aber von seiner Kraft und Gewandtheit keine Vorstellung. Sein Gesicht hatte mit dem morgenländischen Stamme, dem er entsprossen war, natürlich allgemeine Aehnlichkeit: es war klein, wohlgebildet und zart, doch dunkel gebräunt von der morgenländischen Sonne. Es verlief in einem wallenden schwarzen Barte, der mit besonderer Sorgfalt gepflegt zu sein schien; die Nase war gerade und regelmäßig; das schwarze, tiefliegende Auge funkelte, und seine Zähne waren wie Elfenbein seiner Wüsten. Er stand in der Blüte seiner Jahre und hätte für schön gelten können, wäre seine Stirn nicht zu schmal und sein Gesicht, wenigstens nach europäischen Begriffen, nicht zu hager und spitz gewesen. Sein Benehmen zeigte Ernst, Anmut und Würde. Ihr Vorrat an Lebensmitteln war karg, das Mahl des Sarazenen aber noch weit karger als das des Europäers. Eine Handvoll Datteln und ein Stück grobes Gerstenbrot stillten ihm den Hunger, und ein paar Züge aus dem Quell, an dem sie ruhten, den Durst. Der Christ aß etwas kaltes Schweinefleisch, das dem Muselmann ein Greuel war; und den Durst löschte er aus einer ledernen Flasche, die etwas Besseres als Wasser enthielt. Der Sarazene, der mit seiner Mahlzeit zuerst fertig war, nahm auch zuerst das Wort. »Tapferer Nazarener,« sagte er, »geziemt es sich wohl, daß einer, der wie ein Mann kämpft, sich wie ein Hund oder Wolf nährt? Selbst ein irrgläubiger Jude schaudert vor der Kost zurück, die Ihr genießt.« – »Tapferer Sarazene,« antwortete der Christ, über den unerwarteten Vorwurf einigermaßen befremdet, »ich bediene mich eben meiner christlichen Freiheit, zu genießen, was den Juden verboten ist. Wir haben eine bessere Rechtfertigung für unser Tun und Lassen – Ave Maria! – wir wollen Gott für seine Gaben dankbar sein.« Bei diesen Worten tat er einen langen Zug aus der ledernen Flasche. – »Das nennt Ihr auch Freiheit,« sagte der Sarazene, »wie Ihr Euch tierisch sättigt, so stillt Ihr auch viehisch Euren Durst!« – »Törichter Sarazene,« versetzte der Christ ohne Zögern, »Du lästerst Deinen Vorfahren Ismael. Der Saft der Traube ist dem Menschen gegeben zu weisem Gebrauch; Wein erfreut des Menschen Herz nach der Arbeit, erquickt ihn in der Krankheit und tröstet ihn im Kummer. Wer ihn so genießt, mag Gott ebenso für seinen Wein danken, wie für sein täglich Brot; wer aber die Gabe Gottes mißbraucht, ist kein größerer Tor in seinem Rausche als Du bei Deiner Enthaltsamkeit.« Das klare Auge des Sarazenen funkelte bei diesem Spotte, und seine Hand suchte den Griff des Dolches ... aber er hielt klugerweise an sich. »Deine Worte, Nazarener,« sagte er, »erzürnen mich nicht, weil Deine Unwissenheit mein Mitleid erregt. Siehst Du nicht, trotz Deiner Blindheit, daß die Freiheit, mit der Du prahlst, in allem, was Deiner Glückseligkeit am teuersten ist, die größte Beschränkung erleidet? Bindet Dich nicht Dein Gesetz an eine einzige Gattin, gleichviel ob sie krank oder gesund, fruchtbar oder unfruchtbar ist? gleichviel ob Du glücklich mit ihr lebst oder unglücklich?« »Nun, bei seinem Namen, den ich im Himmel am höchsten verehre,« sagte der Christ, »bei ihrem Namen, den ich auf Erden am höchsten halte, Du bist ein verblendeter Ungläubiger! Die Liebe, die einen treuen Ritter an eine einzige Holde und Treue bindet, ist ein Diamant; die Neigung aber, die Du unter Deine dienstbaren Weiber und Sklavinnen verteilst, ist nur ein Splitter davon!« »Nun, bei der heiligen Kaaba!« sagte der Emir, »Du bist ein Tor, ein Narr, der seine eiserne Kette liebt, als ob sie von Gold wäre. Betrachte diesen Ring! Die Hälfte seiner Schönheit verlöre er, wenn sein Siegel nicht mit diesen geringeren Brillanten gefaßt wäre, die ihn zieren und hervorheben. Der Diamant in der Mitte ist der Mann, dessen Wert auf ihm allein beruht; dieser Kreis von geringeren Juwelen sind Weiber, die von ihm den Glanz leihen, den er ihnen mitteilt, wie es ihm am angemessensten scheint. Nimm den Mittelstein aus dem Ringe, und der Diamant bleibt so wertvoll wie früher, während die geringeren Edelsteine den geringeren Wert haben.« »Sarazene,« entgegnete der Kreuzfahrer, »Du sprichst wie einer, der nie ein Weib sah, das der Liebe eines Kriegers wert war. Glaube mir, wenn Du die europäischen Frauen sehen könntest, denen wir Ritter, nächst Gott, Treue und Ergebenheit geloben, so würdest Du bald die armseligen Sklavinnen Deines Harems verabscheuen. Die Schönheit unserer Jungfrauen leiht unseren Speeren Kraft und schärft unsere Schwerter; ihr Wort ist uns Gesetz: und so wenig eine ausgelöschte Lampe leuchtet, so wenig wird ein Ritter sich durch Waffentaten auszeichnen, wenn er keine Herzensgeliebte hat.« »Ich habe von dieser Narrheit der abendländischen Krieger gehört,« sagte der Emir, »und habe es immer für ein begleitendes Symptom dieser Narrheit gehalten, daß Ihr in unser Land kommt, um ein leeres Grab in Besitz zu nehmen. Aber die Franken, die ich traf, haben die Schönheit ihrer Frauen allzeit so hoch erhoben, daß ich Reize, die so tapfere Krieger in Werkzeuge ihres Vergnügens verwandeln können, ganz gern einmal mit eigenen Augen sehen möchte.« – »Tapferer Sarazene,« versetzte der Ritter, »befände ich mich nicht auf einer Wallfahrt nach dem heiligen Grabe, so sollte es mein Stolz sein, Dich unter sicherem Geleite nach dem Lager Richards von England zu führen, wo Du einen kleinen Kreis der ersten Schönheiten Frankreichs und Britanniens sehen solltest, dessen Glanz den Schimmer Deiner Diamanten weit überstrahlt.« – »Nun, diese Einladung nehme ich an; aber Deinen Plan, der Dich hierher führt, mußt Du aufgeben; denn glaube mir, ohne Paß nach Jerusalem ziehen, heißt sein Leben mutwillig aufs Spiel setzen.« – »Ich habe einen Paß,« entgegnete der Ritter, ein Pergament hervorziehend, »von Saladins Hand und mit seinem Siegel versehen.« Der Sarazene beugte sein Haupt, als er Siegel und Handschrift des berühmten Sultans von Aegypten und Syrien erkannte, und nachdem er die Schrift mit tiefer Ehrfurcht geküßt, drückte er sie an die Stirn und gab sie dem Christen mit den Worten zurück: »Voreiliger Franke, Du hast gegen unser beider Blut gesündigt, indem Du mir dies nicht zeigtest, als wir einander trafen.« – »Ihr kamt mit erhobenem Speer,« sagte der Ritter. »Hätte ein Trupp von Sarazenen mich überfallen, so würde es sich mit meiner Ehre vertragen haben, den Paß des Sultans vorzuzeigen; einem einzigen Manne gegenüber durft' ich's nicht.« – »Und doch war ein Mann hinreichend, Eure Reise zu unterbrechen,« entgegnete der Sarazene stolz. – »Allerdings, tapferer Muselmane,« erwiderte der Christ, »aber solcher, wie Du bist, gibt es wenige.« – »Du läßt uns bloß Gerechtigkeit widerfahren,« sagte der Sarazene, sichtlich ebenso befriedigt durch die schmeichelhafte Aeußerung des Europäers, wie vorher über seine stolze Prahlerei verdrossen. »Von uns würdest Du kein Unrecht erleiden; doch wohl mir, daß ich Dich nicht tötete, da der Schutzbrief des Königs der Könige Dich sichert.« – »Ich freue mich, daß dieser Paß mir gute Dienste leisten wird,« versetzte der Ritter; »denn die Straße wird, heißt es, von Räuberhorden beunruhigt.« – »Man hat Dir die Wahrheit gesagt, tapferer Christ,« sagte der Sarazene, »aber ich schwöre Dir beim Turban des Propheten, solltest Du in einen Schlupfwinkel solcher Elenden geraten, so will ich selbst es auf mich nehmen, Dich zu rächen.« »Mein Gelübde steht im Himmel verbucht,« erwiderte der Ritter, »und ich muß Euch bitten, mir den Weg zu einem Rastorte für diesen Abend zu zeigen.« – »Den werdet Ihr unter meines Vaters Zelte finden,« antwortete der Sarazene. – »Heute nacht,« sagte der Christ, »muß ich in Gebet und Buße bei einem heiligen Manne, Theoderich von Engaddi, zubringen, der in dieser Wildnis wohnt und sein Leben dem Dienste Gottes geweiht hat.« – »Dorthin wenigstens will ich Euch begleiten,« versetzte der Sarazene. – »Das würde mir recht sein,« sagte der Christ, »wenn nicht des guten Paters künftige Sicherheit dadurch gefährdet würde; die grausame Hand Eures Volkes hat sich gerötet vom Blute der Diener des Herrn, und deshalb kommen wir mit Schwert und Lanze, um die Heiligen zu schützen, die in diesem Lande der Verheißung und der Wunder für uns beten.« »Nazarener,« erwiderte der Muselmane, »Griechen und Syrier haben gelogen; denn wir handeln nur nach dem Worte des Nachfolgers des Propheten, das da lautet: »Gehet hin, das Land den Ungläubigen zu entreißen; aber betragt euch als wahre Krieger, tötet weder Greise noch Sieche, weder Weiber noch Kinder. Verheert nicht das Land, zerstört nicht Korn und Obstbäume, denn sie sind Gaben Allahs. Haltet Wort, wenn ihr einen Bund geschlossen habt, und wenn es euch zum Schaden wäre. Erschlagt keinen, der in eurem Lande lebt, wenn er nichts anderes will, als zu seinem Gotte beten.« »Der Anachoret, den ich besuchen will,« sagte der Ritter, »soll kein Priester sein... aber uns gilt er als Heiliger, und ich werde ihn mit meiner Lanze schützen gegen Heiden und Ungläubige.« – »Dein Heiliger von Engaddi,« sagte der Sarazene, »wird sowohl von Türken als Arabern beschützt, und wenn er sich auch manchmal in einem sonderbaren Zustande befindet, so zeigt er sich im allgemeinen als Nachfolger seines Propheten, so daß er den Schutz dessen verdient, der gesandt wurde – « »Nun, bei Unserer lieben Frau, Sarazene, wagst Du den Kameltreiber von Mekka in einem Atem zu nennen mit – « Heftiger Zorn blitzte in den Augen des Emirs, aber wiederum bezwang er sich und sagte gelassen und würdevoll: »Schmähe den nicht, den Du nicht kennst; schmähe ihn schon darum nicht, weil wir den Stifter Deiner Religion verehren und nur die Lehre verdammen, die Eure Priester daraus gesponnen haben. Ich will Dich zur Höhle des Eremiten führen, denn ohne meine Hilfe würdest Du sie schwerlich erreichen.« Drittes Kapitel Die Krieger erhoben sich nach kurzer Ruhe und bestiegen die Pferde wieder. Vorher aber benetzte der christliche Ritter nochmals Lippen und Hände mit dem frischen Quellwasser. »Ich möchte,« sagte er zu seinem mohammedanischen Reisegefährten, »wissen, wie diese köstliche Quelle heißt, denn nie hat Wasser meinen Durst so herrlich gelöscht, wie heute sie.« – »Auf arabisch heißt sie Diamant der Wüste,« antwortete der Sarazene. – »Und mit Recht,« sagte der Christ. »Mein heimatliches Tal hat tausend Quellen, aber an keine von ihnen werden mich in Zukunft so kostbare Erinnerungen knüpfen als an diesen einsamen Brunnen.« – »Ihr redet die Wahrheit,« pflichtete der Sarazene bei; »denn auf jenem See des Todes, in dessen Nähe wir uns noch immer befinden, ruht noch heute der Fluch, und weder Mensch noch Tier trinkt aus seinen Wellen, noch aus dem Strome, der ihn nährt, ohne ihn zu füllen.« Die beiden Reiter setzten ihren Weg durch die Sandwüste fort. Ein leichter Wind milderte jetzt die Schrecken der Wüste. Der Staub, den er mit sich führte, störte den Sarazenen wenig, aber seinen schwerbewaffneten Gefährten so sehr, daß er den Eisenhelm an den Sattelknopf hängte und die leichte Mütze, damals Mörser genannt, aufsetzte. Der Sarazene gab den Wegweiser ab und schien eine Zeitlang in diese Obliegenheit so vertieft, wie ein Steuermann, der ein Schiff durch einen gefährlichen Kanal steuert. Aber kaum waren sie eine halbe Stunde weit geritten, als er, seines Weges nun gewiß, ein Gespräch zu führen anfing. »Ihr habt mich nach dem Namen einer stummen Quelle gefragt,« sagte er; »nun möchte ich nach dem Namen des Gefährten fragen, mit dem ich heute Gefahr und Ruhe teilte.« – »Sein Name verdient nicht, genannt zu werden,« erwiderte der Christ; »aber daß ich unter den Kreuzfahrern Kenneth vom ruhenden Leoparden heiße, kann ich Dir ja sagen; in der Heimat führe ich andere Titel, die aber einem morgenländischen Ohr rauh klingen würden. Nun aber sage, Sarazene, auch Du mir, unter welchem Namen Du bekannt bist.« »Ritter Kenneth,« sagte der Muselmane, »ich bin kein Araber, stamme aber aus einem ganz ebenso wilden, kriegerischen Geschlecht. Herr Leopardenritter, Ihr seht in mir Scharfhaupt, den Löwen des Gebirges, und in Kurdistan, meiner Heimat, wird keine Familie für edler gehalten als die der Seldschucken.« – »Ich habe gehört,« bemerkte der Christ, »daß Euer großer Sultan sein Blut aus derselben Quelle herleitet.« – »Dank sei dem Propheten, der unsere Berge so sehr geehrt hat, daß er aus ihrem Schoße ihn sandte, dessen Wort Sieg ist!« rief der Heide. »Fremdling, mit wieviel Mann kamst Du zu diesem Feldzuge?« – »Meiner Treu,« sagte Kenneth, »mit Mühe habe ich zehn Bogenschützen und fünfzig Mannen einschließlich der Bogenschützen und Knappen ins Feld geführt. Einige haben mein Banner verlassen, andere sind im Gefecht geblieben, noch andere an Krankheiten gestorben. Ein einziger Waffenträger, um dessen Leben ich jetzt diese Wallfahrt verrichte, liegt auf dem Krankenbette.« – »Christ,« entgegnete Scharfhaupt, »fünf Pfeile stecken in meinem Köcher, jeder mit einer Adlerschwinge befiedert. Jeder Pfeil ruft tausend Krieger zu mir her. Und Du bist mit fünfzig Mann in ein Land eingedrungen, wo ich nur einer der geringsten bin?« – »Nun, beim heiligen Kreuz, Sarazene,« rief der Ritter, »wisse, daß ein Stahlhandschuh eine Handvoll solcher Hornissen zermalmt.« – »Aber er muß sie doch erst gefangen haben!« erwiderte der Sarazene lächelnd, und dieses Lächeln hätte ihrer Freundschaft leicht ein Ende machen können, wenn er das Gespräch nicht schnell gewechselt hätte. »Mischt Ihr Euch ebenso frei unter die Frauen Eurer Befehlshaber und Anführer?« fragte er. – »Der Himmel,« sagte der Ritter vom Leoparden, »gibt dem ärmsten Ritter soviel Freiheit, daß er in ehrbarem Dienste Herz und Schwert der schönsten Prinzessin weihen kann, die jemals ein Diadem auf ihrer Stirn trug.« – »Dein Herz ist wohl an einen hohen, edlen Gegenstand verschenkt?« – »Fremdling,« versetzte der Christ errötend, »wir gestehen nicht übereilt, wo wir unsere erlesenen Schätze haben. Willst Du aber mehr von Liebe und Lanzen hören, so wage Dich selbst ins Lager der Kreuzfahrer; dort wirst Du hören, und wenn Du willst, auch Deine Hände rühren können.« – »Je nun,« erwiderte der Sarazene, »wer's mir im Kampf mit dem Wurfspieß gleichtun wollte, möchte schlimmen Stand haben.« – »Ihr solltet König Richards Streitkolben sehen,« sprach der Ritter, »im Vergleich zu ihm ist der meinige federleicht.« – »Wir hören viel von jenem Inselkönig,« sagte der Sarazene. »Bist Du sein Untertan?« – »In diesem Feldzuge kämpfe ich als sein Gefolgsmann,« erklärte der Ritter, »aber sein Untertan bin ich nicht, wenn ich auch von der Insel gebürtig bin, wo er herrscht.« – »Habt Ihr denn zwei Könige auf einem armen Eiland?« – »Wie Du sagst,« versetzte der Schotte – denn dies war Kenneth von Geburt – »und doch kann das Land Scharen von Reisigen liefern, die zum Kampf gegen die unheilige Gewalt ausziehen, die Ihr Euch über die Städte Zions angemaßt habt.« »Beim Barte Saladins, Nazarener, lachen könnte ich über die Einfalt Eures Sultans, hierher zu kommen, um wegen Wüsten und Felsen mit einem Herrscher, dem zehnfache Scharen zu Gebot stehen, Krieg zu führen, den Teil seiner Insel aber, auf der er geboren ist, der Willkür eines anderen preiszugeben!« Während sie ostwärts weiter zogen, nahm die Gegend langsam einen anderen Charakter an. Schroffe Felsen stiegen empor; tiefe Abhänge und steile Berge von beträchtlicher Höhe türmten sich ihnen entgegen; finstere Höhlen und Felsenklüfte gähnten vor ihnen, und der Emir sagte, sie dienten sowohl Raubtieren als Räubervölkern zum Schlupfwinkel, die weder Stand noch Religion, weder Geschlecht noch Alter auf ihren Raubzügen schonten. Gleichgültig hörte der Ritter ihm zu, denn er fühlte sich vor ihnen sicher. Aber eine geheime Furcht überfiel ihn, als er sich besann, in der furchtbaren Wildnis des vierzehntägigen Fastens und in der Gegend zu weilen, wo der Böse den Menschen versuchte. Der Tag neigte sich bereits, doch war es noch hell genug, daß der Ritter sehen konnte, wie in einigem Abstände von ihnen eine lange, schmächtige Gestalt über Felsen und Gebüsche huschte, deren wildes, zottiges Aeußere ihm die Faune und Waldgeister in Erinnerung rief, deren Bilder er in den alten Tempeln Roms gesehen hatte. Anfangs schien die Gestalt ihren Pfad hinter Felsen und Gesträuch zu verfolgen, mit geschickter Benützung aller Terrainvorteile. Dann aber sprang sie mitten auf den Weg und packte mit jeder Hand einen Zügel des Sarazenen. Es war ein langer Mann, gehüllt in ein zottiges Fell, dem eine gewaltige Kraft inne wohnen mußte, denn das edle Tier vermochte den Druck auf das Gebiß und die scharfe Kinnkette, die nach morgenländischer Sitte aus einem festen, eisernen Ringe bestand, nicht auszuhalten, bäumte sich und stürzte hintenüber auf seinen Herrn, der sich schnell auf die Seite warf. Vom Zaume des Pferdes griff der unbekannte Hüne nach der Kehle des Sarazenen und drückte ihn nieder, indem er seine langen Arme um die des anderen schlang. »Hamako, Narr – laß mich los!« rief der Sarazene, zornig und lachend zugleich, »dazu hast Du kein Recht – laß mich los, oder ich brauche meinen Dolch!« – »Deinen Dolch, ungläubiger Hund?« rief der Hüne im Ziegenfell. »Halte ihn, wenn Du kannst!« Und in demselben Augenblicke den Dolch ihm aus der Hand windend, schwang er ihn über seinem Haupte. »Hilf, Nazarener,« schrie der Sarazene, dem jetzt bange ward, »hilf mir, oder der Hamako bringt mich um!« Der Ritter hatte bisher erstaunt zugesehen; aber endlich fühlte er, daß es sich nicht mit seiner Ehre vertrug, länger stummer Zuschauer zu sein, und er rief: »Wer Du auch seist, Mann, und von wem Du stammst, so laß Dir sagen, daß ich dem Sarazenen, den Du in Deiner Gewalt hast, Kameradschaft angelobt habe. Laß ihn also aufstehen, sonst kündige ich Dir Feindschaft!« – »Ein sonderbarer Kampf für einen Kreuzfahrer, mit einem von seinem eigenen heiligen Glauben gegen einen ungetauften Hund! Hast Du Dich in die Wildnis begeben, um für den Halbmond und gegen das Kreuz zu streiten?« Aber er richtete sich auf und gab den Sarazenen frei, setzte ihn auch wieder in Besitz seines Dolches. »Du siehst, Ilderim,« rief der Hüne im Ziegenfelle dem Sarazenen zu, »mit wie schwachen Mitteln sich der Sieg über Dich erringen läßt, wenn es der Himmel beschlossen hat, Dich zu strafen. Drum nimm Dich in acht, Ilderim! Denn wisse, deutete nicht ein Schimmer in Deinem Geburtsstern auf etwas dem Himmel Wohlgefälliges, so hätten wir beide uns nicht eher getrennt, als bis ich Dir die Kehle zerrissen hätte.« – »Hamako,« sagte der Sarazene, ohne einen Schein von Empfindlichkeit über Sprache und Gewalttat des anderen »treibe Dein Vorrecht nicht zu weit! Wenn ich auch als Muselmane diejenigen schone, denen der Himmel den Verstand genommen, um sie mit prophetischem Geiste zu rüsten, so liebe ich es doch nicht, wenn sich ein Irrender an meinem Rosse oder gar meiner Person vergreift. Dir aber, Freund Kenneth,« setzte er, sich auf sein Roß schwingend, hinzu, »hätte es besser geziemt, mir gegen diesen Hamako ungebetnen Beistand zu leisten, denn wenig fehlte, so hätte er mich in seinem Wahnsinn umgebracht.« – »Meiner Treu, darin habe ich gefehlt,« sagte der Ritter; »die seltsame Gestalt, das Unerwartete dieser Szene – ich bin, gerade herausgesagt, der Meinung gewesen, der Teufel in Person falle über Dich her!« – »Dein Spott ist keine Antwort, Kenneth,« erwiderte der Sarazene; »was immer Arges oder Teuflisches an diesem Hamako sein mag, er gehört mehr zu Deinem als zu meinem Geschlecht; denn er ist niemand anders als der Anachoret, den Du besuchen willst.« – »Er?« rief Kenneth, die kräftige, aber verfallene Gestalt musternd. »Du spottest meiner, Sarazene! Das kann der ehrwürdige Theodorich nicht sein!«, – »Frage ihn selbst, wenn Du mir nicht glaubst!« entgegnete Scharfhaupt; und kaum waren die Worte über seine Lippen, so bestätigte der Eremit die Aussage. »Ich bin Theodorich von Engaddi,« sagte er, »der Wanderer der Wüste – Freund des Kreuzes und Geißel aller Ungläubigen, Ketzer und Teufelsanbeter. Hütet Euch – hütet Euch! Nieder mit Mohammed, Satan und ihren Anhängern!« Unter seinem zottigen Gewände riß er eine mit Eisendraht umwundene Keule hervor und schwang sie um sein Haupt. »Da hast Du Deinen Heiligen!« sagte der Sarazene, indem er zum erstenmal über das unbegrenzte Erstaunen lachte, womit Ritter Kenneth die wilden Gebärden Theodorichs betrachtete. »Ein Wahnsinniger!« sagte Sir Kenneth. – »Und doch ein Heiliger,« entgegnete der Muselmane, »wisse, Christ, wenn das eine Auge erloschen ist, sieht das andere um so schärfer – ist die eine Hand abgehauen, wird die andere desto kraftvoller. So wird auch, wenn unsere Vernunft in menschlichen Dingen gestört oder aufgehoben ist, unser Blick himmelwärts geschärfter und vollkommener.« Da schrie der Einsiedler wild in singendem Tone: »Ich bin Theodorich von Engaddi – der Fackelbrand der Wüste – die Geißel der Ungläubigen. Löwe und Leopard sollen in meiner Zelle Schutz finden, und der junge Bock soll sich nicht fürchten vor ihren Klauen. Ich bin die Fackel und die Leuchte! – Kyrie Eleison!« – Er schloß seinen Gesang mit einem kurzen Laufe, den er mit drei raschen Sprüngen endigte, die sich mit seinem Einsiedlerstande so wenig vertrugen, daß der Ritter sich förmlich entsetzte, während der Sarazene ihn besser zu verstehen schien. »Wie Ihr seht,« sagte er, »rechnet er, daß wir ihm in seine Zelle folgen, die allerdings unser einziger Zufluchtsort für die Nacht ist. – Ihr seid der Leopard, nach der Devise auf Eurem Schilde, ich bin der Löwe, wie mein Name sagt, und mit dem Bock meint er sich selbst, auf sein Gewand aus Ziegenfellen anspielend. Aber wir dürfen ihn nicht aus den Augen verlieren, denn er ist flink wie ein Dromedar.« Durch Klüfte und auf wilden Pfaden rannte nun der seltsame Hüne entlang, so daß der Sarazene schon Mühe hatte, ihm zu folgen und oft mit seinem flinken Berberrosse zu straucheln drohte, der Ritter aber mehr als einmal dem sicheren Tode nahe war und Gott von Herzen dankte, als er endlich nach diesem wilden Laufe den heiligen Mann mit einer Fackel in der Hand am Eingange der Höhle stehen bleiben sah. Erstickender Dampf schlug ihm entgegen, schreckte ihn aber nicht zurück. Er trat hinter seinen hünenhaften Führer in die Höhle, die zwei Abteilungen aufwies: in der äußeren befand sich ein steinerner Altar mit einem Kruzifix aus Rohr: sie diente dem Anachoreten zur Kapelle; an der anderen Wand band der Ritter sein Roß an, während der Eremit den inneren Raum für seine Gäste herrichtete. Der Fußboden war mit weißem Sand bestreut worden; Matratzen, aus Binsen geflochten, lagen an den Wänden, die mit Kräutern und Blumen behängt waren. Zwei Wachskerzen gaben dem Raum ein freundliches Aussehen, und Wohlgeruch und Kühle machten ihn angenehm. In einem Winkel lag das Arbeitsgerät des Eremiten, in einem anderen stand eine rohe Bildsäule der heiligen Jungfrau. Ein Tisch und zwei Sessel, von dem Eremiten selbst verfertigt, mit Kräutern, Gemüse und gedörrtem Fleische bedeckt, bildeten das einzige Mobiliar. Der Einsiedler betrat seine Zelle wie jemand, der geboren scheint, die Menschen zu beherrschen, aber seiner Herrschaft entsagt hat, um ein Diener des Himmels zu werden. Schweigend winkte er dem Schotten, sich zu setzen, indes der Sarazene sich auf ein Mattenpolster kauerte. Dann erhob er die Hände, wie um die Erfrischungen, die er seinen Gästen vorsetzte, zu segnen: ein seltsamer Kontrast zu dem wilden Wesen, das er vor wenigen Augenblicken draußen zwischen den Felsen gezeigt hatte ... Er selbst aß keinen Bissen, räumte aber, als seine Gäste ihre Mahlzeit geendigt hatten, die Ueberreste hinweg und setzte dem Sarazenen einen Krug Scherbet, dem Schotten eine Flasche Wein hin. »Trinkt, Kinder!« sprach er – es waren die ersten Worte, »Gottes Gaben darf man genießen, wenn man sich dabei des Gebers erinnert.« Als er dies gesagt, zog er sich in die äußerste Zelle zurück, wahrscheinlich, um seine Andacht zu verrichten, und ließ seine Gäste in dem inneren Gemache allein. Kenneth rief sich in die Erinnerung, was ihm von diesem seltsamen Einsiedler, der bei den höchsten Dienern der Christenheit in so hohem Ansehen stand, bekannt war. Auf Konzilien war er Berichterstatter, bei Päpsten Sekretär gewesen. Zu Clermont hatte er den ersten Kreuzzug gepredigt. Vormals, wie der Sarazene ihm erzählte, ein tapferer, mutiger Krieger, weise im Rat und glücklich in der Schlacht, sei er in Jerusalem erschienen, nicht als Pilger, sondern in der Absicht, sein Leben dem heiligen Lande zu weihen, und habe sich an dem öden Orte niedergelassen, wo sie ihn jetzt fanden, geehrt von den Lateinern seiner strengen Frömmigkeit wegen, gelitten von den Türken und Arabern wegen der an ihm vorhandenen Symptome des Wahnsinns. Bei ihnen hieß er nicht anders als Hamako: was in der türkischen Sprache einen wahnsinnigen Seher bezeichnet, und sein Ruf habe sich soweit verbreitet, daß Saladin befohlen habe, ihn zu schonen und zu beschützen. Weiter wußte oder wollte der Sarazene nichts sagen, denn der Ritter gewann den Eindruck, als ob die Bekanntschaft zwischen beiden sich weiter erstreckte, als die Aeußerungen des Sarazenen vermuten ließen; auch war ihm nicht entgangen, daß der Seher den Sarazenen bei einem anderen Namen genannt, als der war, den er selbst angegeben hatte. »Nimm Dich in acht, Sarazene,« sagte er, »mich dünkt, unser Wirt ist in Namen so konfus wie in anderen Dingen. Du nennst Dich Scharfhaupt, und gleichwohl nannte er Dich vorhin ganz anders.« »Als ich noch in meines Vaters Zelte war, hieß ich Ilderim,« entgegnete der Kurdistane, »und so nennen mich noch viele. Im Felde und unter den Soldaten bin ich als Löwe des Berges bekannt. Doch still! Hamako kommt! ich kenne seine Art – er will zur Ruhe, denn beim Nachtgebet läßt er sich nicht belauschen.« Der Anachoret trat ein. Die Arme über der Brust verschränkend, sprach er feierlich: »Gepriesen sei der Name dessen, der die ruhige Nacht dem geschäftigen Tage folgen läßt.« Beide Krieger sprachen: »Amen!« standen auf und begaben sich zu ihrem Lager, und nachdem sie, jeder nach seinem Glauben und Ritus ihr Gebet verrichtet hatten, waren sie bald von tiefem Schlaf umfangen. Viertes Kapitel Kenneth, der Schotte, hatte keine Ahnung, wie lange seine Sinne in tiefer Ruhe befangen gewesen waren, da wurde er durch eine Empfindung, als wenn ihm eine schwere Last auf der Brust läge, munter. Zuerst war es ihm, als wenn er im Kampfe mit einem gewaltigen Gegner läge, dann aber fand er das Bewußtsein vollständig wieder. Er wollte gerade fragen, wer da sei, da schlug er die Augen auf und erblickte die Gestalt des Eremiten, der, wild und verstört, wie wir ihn geschildert haben, an seinem Lager stand, die Rechte auf Kenneths Brust drückend, während er in der Linken ein kleines Lämpchen hielt. »Sei still,« sagte der Eremit, als der auf sein Lager gestreckte Ritter verstört aufblickte; »was ich Dir zu sagen habe, soll jener Ungläubige nicht hören.« Er sagte es in französischer, nicht in fränkischer Sprache, jenem Gemisch von morgenländischen und europäischen Mundarten, deren sie sich bisher untereinander bedient hatten. »Steh auf,« fuhr er fort, »wirf Deinen Mantel um, sprich nicht, und folge mir leise.« Kenneth stand auf und nahm sein Schwert. »Das brauchst Du nicht,« flüsterte der Einsiedler, »dort, wohin wir uns begeben, gelten geistige Waffen viel, fleischliche aber sind wie Rohr und welker Kürbis.« Der Ritter legte sein Schwert wieder neben sein Lager, behielt nur den Dolch, von dem er sich in dieser gefährlichen Gegend nie trennte, und schickte sich an, seinem geheimnisvollen Wirte zu folgen. Sie schritten langsam und leise wie Schatten in das äußere Gemach, ohne den heidnischen Emir, der noch in tiefem Schlafe lag, zu stören. Vor dem Kreuz und Altar brannte noch eine Lampe, ein Meßbuch war aufgeschlagen, und am Boden lag eine Geißel aus kurzen Schnüren und Drähten, an der noch Blut klebte, zum sicheren Zeichen der strengen Buße des Einsiedlers. Hier kniete Theodorich nieder und bedeutete dem Ritter, auf den harten Kies zu knien, der zu dem Zwecke, die Andachtsübung recht zu erschweren, auf den Boden gestreut zu sein schien. Der Ritter folgte der Aufforderung mit frommem Eifer und gewann von seinem Wirte eine so völlig andere Meinung, daß er nicht wußte, ob er ihn nicht selbst für einen Heiligen halten sollte. Als sie aufstanden, blickte er ihn ehrfürchtig an, wie ein Zögling seinen Meister. Der Eremit aber blieb ein paar Minuten, still und in sich gekehrt. »Blick in die Ecke dort, mein Sohn, dort wirst Du einen Schleier finden. Bring ihn hierher.« Der Ritter gehorchte. Als er den Schleier ans Licht brachte, sah er, daß er zerrissen war und an mehreren Stellen dunkle Flecke hatte. Der Einsiedler blickte auf den Schleier mit tiefer Rührung, ehe er das Wort an den Ritter richten konnte, bezwang sich wohl, mußte jedoch seinem Herzen durch tiefes Stöhnen Luft machen. »Du sollst jetzt den reichsten Schatz der Erde sehen,« sagte er dann; »wehe mir, daß meine Augen dessen nicht würdig sind. Ach, ich bin das schlechte, verachtete Schild, das dem müden Wanderer eine sichere Ruhestätte weist, aber selbst immer auf der Straße bleiben muß. Vergebens habe ich mich in die Felsenklüfte und in den Schoß der dürren Wüste geflüchtet. Mein Feind hat mich gefunden – gerade der, den ich verleugnete, hat mich bis in meine Feste verfolgt.« Wieder schwieg er eine Weile, dann wandte er sich zu dem Ritter und sagte fester und bestimmter als bisher: »Ihr bringt mir einen Gruß von Richard von England?« – »Ich komme aus dem Rate christlicher Fürsten,« entgegnete der Ritter; »da aber der König sich nicht wohl befand, ward mir die Ehre nicht zuteil, die Befehle Sr. christlichen Majestät zu vernehmen.« – »Euer Zeichen?« fragte der Einsiedler. Ritter Kenneth zauderte. Sein früherer Argwohn und die Spuren von Wahnsinn, die der Eremit gezeigt hatte, schossen ihm in den Sinn. Aber warum sollte er Mißtrauen hegen gegen einen Mann mit so heiligem Wesen? – »Meine Parole,« sagte er endlich, lautet, so: Könige bettelten bei einem Bettler.« – »Sie ist richtig,« versetzte der Eremit innehaltend. – »Ich kenne Euch wohl; aber die Schildwache auf ihrem Posten – und der meinige ist wichtig – ruft Freund wie Feind an.« Er ging hierauf mit der Lampe vorwärts, dann den Ritter in das Gemach zurück geleitend, aus dem sie eben getreten waren. Der Sarazene lag noch auf seinem Lager in tiefem Schlafe. Der Einsiedler blieb neben ihm stehen und sah eine Zeitlang schweigend auf ihn nieder. »Er schläft im Dunkeln,« sagte er, »und soll nicht geweckt werden.« Die Haltung des Emirs weckte wirklich die Vorstellung von tiefer Ruhe. »Er schläft im Dunkeln,« wiederholte der Eremit so leise wie vorhin, »aber auch für ihn wird es Tag werden. – O Ilderim! wenn Du wachst, sind Deine Gedanken noch ebenso eitel und wild, wie diejenigen, die in Deinem schlummernden Gehirn ihren Wirbeltanz aufführen; aber die Drommete wird erschallen und Dein Traum verschwinden.« So sprechend, winkte er dem Ritter, ihm zu folgen, begab sich hinter den Altar und drückte eine Springfeder, die sich geräuschlos öffnete und eine kleine eiserne Tür bloß legte, die seitwärts in der Höhle angebracht und, wenn man nicht genau hinsah, fast nicht zu sehen war. Ehe er sie ganz öffnete, tröpfelte er etwas Oel aus seiner Lampe auf die Angeln. Dann zeigte sich eine kleine, in den Felsen gehauene Treppe. »Nimm den Schleier hier,« sagte der Eremit schwermütig, »und verbinde mir die Augen; denn, ich darf den Schatz nicht sehen, den Du jetzt erblicken sollst, ohne mich der Sünde und Vermessenheit schuldig zu machen.« Ohne zu antworten, verhüllte der Ritter hastig den Kopf des Eremiten mit dem Schleier, worauf dieser die Treppe hinauf stieg, wie jemand, der den Weg zu genau weiß, um Licht zu brauchen, leuchtete aber dabei dem Schotten, der ihm über viele Stufen auf der engen Stiege folgte. Endlich blieben sie in einem kleinen Gewölbe von unregelmäßiger Form stehen. In dem einen Winkel desselben verlief sich die Treppe, während in einem andern eine andere gotische Tür sich befand, die den Schmuck, aber in roher Arbeit, der gewöhnlichen Zutaten zu Säulen zeigte und durch ein stark mit Eisen und großen Nägeln beschlagenes Gitter abgesperrt war. Dorthin lenkte der Einsiedler die Schritte, die, als er naher heran gelangte, unsicher zu werden schienen. »Zieh die Schuhe aus,« sagte er zu seinem Gefährten; »der Boden, auf dem Du stehst, ist heilig. Verbanne aus Deinem Innersten jeden weltlichen und fleischlichen Gedanken; denn solchen hier nachzuhängen, wäre Todsünde.« Der Ritter tat, wie ihm befohlen, während der Eremit, wie im stillen Gebet, mit seinem Herzen abzurechnen schien. Die Tür öffnete sich darauf von selbst. Wenigstens sah Kenneth niemand, aber ihn blendete ein Strom hellsten Lichtes und ein starker, fast betäubender Duft reinsten Wohlgeruchs strömte ihm entgegen. Ein paar Schritte trat er zurück, aber es vergingen Minuten, ehe er sich von der überwältigenden Wirkung des plötzlichen Ueberganges aus der Finsternis zum Licht erholte. Als er in das Gemach trat, worin sich dieser helle Glanz verbreitete, bemerkte er, daß das Licht von einer großen Menge silberner Lampen herrührte. Sie hingen an silbernen Ketten vom Dache einer kleinen gotischen Kapelle herab, die, wie so ziemlich die ganze merkwürdige Einsiedelei, aus der harten Felsenmasse gehauen war. Aber so roh und einfach die Arbeit an sich war, so zeugte sie doch von der Hand eines geschickten Architekten. Die geäderten Decken erhoben sich zu beiden Seiten auf sechs, mit seltener Kunst gearbeiteten Säulen, und die Art, wie die Bogen untereinander durch passenden Zierat verbunden waren, verriet überall den vornehmsten Stil der Baukunst des Zeitalters. Mit der Pfeilerreihe standen auf jeder Seite sechs künstlich gearbeitete Nischen in Beziehung, die Statuen der zwölf Apostel bergend. Am oberen, östlichen Ende der Kapelle stand der Altar. Ein prächtiger, reich mit Gold gestickter Vorhang von persischer Seide verhüllte eine hinter ihm befindliche Nische, die wahrscheinlich ein Heiligenbild oder eine noch heiligere Reliquie enthielt, der zu Ehren diese merkwürdige Andachtsstätte errichtet worden war. Kenneth trat zu dem Heiligenschrein, kniete vor ihm nieder und wiederholte sein Gebet mit Inbrunst. Plötzlich aber hob sich der Vorhang, ohne daß der Ritter sah, wie oder durch wen, und in der Nische erblickte er einen Schrank von Silber und Ebenholz, mit doppelter Flügeltür, eine gotische Kirche im kleinen darstellend. Gleich darauf flogen die beiden Flügeltüren auf, und ein großes Stück Holz mit der Inschrift: Vera Crux [Wahres Kreuz] wurde sichtbar, zu gleicher Zeit sang ein Chor weiblicher Stimmen Gloria Patri [Ruhm (Gottes) des Vaters]. Als der Gesang schwieg, schloß sich der Schrein wieder, der Vorhang senkte sich wieder, und der Ritter konnte nun ungestört seine Andacht fortsetzen. Es währte geraume Zeit, bis er sich wieder erhob und sich nach dem Eremiten umsah, der ihn an diesen heiligen, geheimnisvollen Ort geführt hatte. Er sah ihn, den Kopf noch immer vom Schleier verhüllt, vor der Tür der Kapelle liegen, wie jemand, den die Last seiner Schuld zu Boden wirft. Kenneth näherte sich ihm, als ob er ihn anreden wollte, allein der Einsiedler, seine Absicht erratend, murmelte hinter der Hülle, die seinen Kopf bedeckte, in halb erstickten Tönen: »Bleib, und wohl Dir, daß Du sehen darfst – das Gesicht ist noch nicht zu Ende.« Hierauf erhob er sich, trat hinter die Schwelle zurück und verschloß die Tür der Kapelle, die so genau mit dem Felsen zusammenhing, daß Kenneth nur mit Mühe die Oeffnung entdecken konnte. Er befand sich jetzt allein in der erleuchteten Kapelle, ohne andere Waffe als seinen Dolch, allein mit seinen frommen Gedanken, doch im Bewußtsein unverzagten Mutes. Entschlossen, den Verlauf der Begebenheiten abzuwarten, wanderte der Ritter in der einsamen Kapelle bis zum ersten Hahnenschrei umher. Um diese stille Zeit, wo Nacht und Morgen einander begegnen, drang plötzlich, ohne daß er unterscheiden konnte, aus welcher Richtung, der silberne Klang eines Glöckchens, wie sie bei der Erhebung der Hostie oder bei dem Meßopfer geläutet wurden, an sein Ohr. Gleich darauf lüftete der seidene Vorhang sich wieder, und die Reliquie zeigte sich seinen Blicken wieder. Ehrfurchtsvoll sank er auf die Knie und vernahm den Klang der Lobgesänge, wie vorher von weiblichen Stimmen. Der Ritter ward bald inne, daß die Stimmen sich langsam der Kapelle näherten und verstärkten – da öffnete sich ebenso unbemerkbar wie die, durch die er eingetreten war, eine zweite Tür. Atemlos vor Spannung heftete der Ritter sein Auge auf die Oeffnung, und während er, wie es Ort und Handlung erheischten, auf den Knien liegen blieb, harrte er der weiteren Dinge. Zuerst traten vier schöne Knaben, barfuß und nackt bis zum Gürtel, paarweise in die Kapelle; die bräunliche Haut des Orients bildete einen eigentümlichen Kontrast zu ihren schneeweißen Gewändern. Das erste Paar schwenkte Räucherpfannen, das zweite Paar streute Blumen. Auf die Knaben folgten die den Gesangchor bildenden Mädchen in lieblicher Ordnung. Sechs von ihnen waren, nach den schwarzen Skapulieren und dunklen Schleiern über den weißen Gewändern zu schließen, Nonnen vom Berge Karmel, sechs andere kennzeichnete der weiße Schleier als Novizen. Mit Kränzen von roten und weißen Rosen in den Händen, zogen sie in Prozession um die Kapelle, ohne von dem Ritter dem Anschein nach die geringste Notiz zu nehmen, obgleich sie ihm so nahe kamen, daß ihre Gewänder ihn fast berührten. Auf den Ritter machten Ort und Stunde, und die plötzliche Erscheinung der Nonnen wie nicht minder die geisterhafte Weise, wie sie an ihm vorüberzogen, einen solchen Eindruck, daß es ihm kaum glaublich schien, der hehre Zug, den er erblickte, könne aus Geschöpfen dieser Welt bestehen, schienen sie doch in dem Dämmerlichte, das die Lampen durch die Weihrauchwolken warfen, mehr zu schweben als zu gehen. Als sie aber auf ihrem zweiten Rundgange um die Kapelle dort anlangten, wo er kniete, pflückte eines der weißgekleideten Mädchen eine Rosenknospe aus ihrem Kranze und ließ sie, vielleicht unwillkürlich, zu Kenneths Füßen niederfallen. Der Ritter erschrak, wie wenn ihn ein Pfeil träfe; aber er unterdrückte die Bewegung, die ihn ergriff, durch den Gedanken, daß ein so unbedeutender Zufall leicht möglich sei. Als sich aber der Zug zum drittenmal um die Kapelle bewegte, wandten sich die Gedanken und Augen des Ritters ausschließlich zu derjenigen unter den Novizen, die die Rosenknospe hatte fallen lassen. Sie war im Schritt, in der Gestalt, im Aussehen den übrigen Sängerinnen völlig ähnlich, und doch pochte Kenneth das Herz, wie etwa einem Vogel, der seinen Käfig durchbrechen will, als ob es ihm fühlbar machen wollte, das Mädchen am rechten Flügel der zweiten Reihe sei ihm nicht nur teurer als alle übrigen Choristinnen, sondern als alle Frauen der Erde; und so kurze Zeit auch verging, bis ein dritter Umzug in der Kapelle stattfand, dem Ritter dünkte es doch eine Ewigkeit. Endlich kam die Gestalt, der seine ganze Aufmerksamkeit gehörte, näher; es war, wie gesagt, kein Unterschied zwischen dieser und den anderen verhüllten Figuren, mit denen sie sich gleichförmig bewegte. Als sie indes zum drittenmale bei dem knieenden Kreuzfahrer vorüberzog, schimmerte ihre kleine, wohlgebildete, schöne Hand durch die Falten des durchsichtigen Schleiers hervor, wie der Strahl des Mondes durch lichte Sommernachtswolken, und abermals fiel eine Rosenknospe dem Ritter vom Leoparden zu Füßen ... Dies zweite Zeichen konnte nicht zufällig sein, auch nicht die Aehnlichkeit der nur halb sichtbaren, schönen, weiblichen Hand mit einer anderen, die seine Lippen einst berührt, und bei deren Berührung er der holden Dame, der die Hand gehörte, ewige Treue geschworen hatte. Hätte es noch eines weiteren Beweises bedurft, so mußte er ihn finden im Glanze des unvergleichlichen Rubins an dem schneeweißen Finger, wie der dunklen Flechten, die jetzt Zufall oder Absicht hinter dem Schleier sichtbar machte, und von denen ihm jedes Härchen teurer war als eine Kette von gediegenem Golde. Ja, es war die Geliebte seines Herzens! Aber, daß sie hier weilen sollte – in der wilden, öden Wüste – unter Nonnen, die sich in diese Höhlen geflüchtet hatten, um heimlich zu, ihrem Gotte zu beten, dem sie nicht öffentlich dienen durften – das schien unglaublich – das mußte ein Traum sein, ein Täuschungsbild der Phantasie. Während der Ritter diesen Gedanken nachging, verschwand die Prozession wieder durch dieselbe Tür, durch die sie hereingekommen war. Endlich kam auch sie, von der er dies doppelte Zeichen erhalten hatte; und im Vorbeigehen wandte sie den Kopf, wenn auch kaum merklich, nach der Stelle, wo er unbeweglich wie eine Bildsäule stehen geblieben war. Er sah noch, wie ihr Schleier wehte. Dann sank Dunkelheit auf seine Seele, so dicht fast wie die, die jetzt die Kapelle füllte; denn mit lautem Geräusch schloß sich hinter der letzten Sängerin die Tür, und die Lichter der Kapelle erloschen. Doch für Kenneth bedeuteten Einsamkeit und Dunkel und die Gewißheit seiner geheimnisvollen Lage nichts; er fragte nicht danach, kümmerte sich um nichts in der Welt, als um die liebliche Erscheinung, die eben an ihm vorbeigeschwebt war, als um die Zeichen der Gunst, die sie ihm gespendet hatte – er dachte nur an sie wie an eine Gottheit, die ihren brünstigen Verehrer der Gunst ihrer Erscheinung gewürdigt hatte, und die zurückgekehrt war in das Dunkel ihres Heiligtums. Fünftes Kapitel Weit über eine Stunde herrschte tiefes Schweigen und dichte Finsternis in der Kapelle, in welcher der Ritter vom Leoparden noch immer auf den Knien bald dem Himmel, bald seiner Geliebten für alle ihm zuteil gewordene Güte dankte. Sicherheit und Schicksal – Dinge, um die er sich von jeher wenig bekümmert, wogen jetzt in seinen Gedanken kaum schwerer als ein Sandkorn. Er war in Lady Ediths Nähe; er hatte Zeichen ihrer Gunst empfangen; er befand sich an einem durch die heiligsten Reliquien geheiligten Orte. Ein christlicher Krieger, ein treuer Liebhaber kannte keine Furcht, hatte keinen Gedanken als an seine Pflicht gegen den Himmel und seinen Gehorsam gegen die Dame. Da ertönte plötzlich ein Pfiff, ähnlich demjenigen, mit dem der Falkner seine Falken ruft. Schrill hallte er durch die Gewölbe der Kapelle, den Ritter an die Notwendigkeit erinnernd, auf seiner Hut zu sein. Er sprang auf und legte die Hand an seinen Dolch. Ein knarrender Ton wurde laut, als wenn eine Schraube gedreht würde, dann drang ein Lichtschein aus der Tiefe herauf, aus einer Oeffnung im Fußboden, und verriet, daß eine Falltür gehoben oder gesenkt worden sei. Kaum eine Minute verging, so zeigte sich ein langer, hagerer Arm, halb nackt, halb mit einem rotseidenen Aermel bekleidet, aus der Oeffnung, der eine Lampe, so hoch er reichen konnte, emporhielt. Die Gestalt, der dieser Arm gehörte, stieg Stufe für Stufe bis zur gleichen Fläche mit dem Fußboden der Kapelle. Was hier herausstieg, war ein furchtbarer Zwerg mit großem Kopfe, den eine mit drei Pfauenfedern phantastisch geschmückte Mütze bedeckte, in einem Kleide von rotem Atlas, dessen Pracht die Häßlichkeit dieses Gnomen stärker hervorhob, mit goldenen Spangen und einer silbernen Schärpe, in der ein Dolch mit goldenem Hefte saß. Die wunderliche Gestalt hielt in der linken Hand ein Ding wie einen Besen. Aus der Oeffnung emporgelangt, blieb der Zwerg stehen und bewegte, als ob er sich besser in Sicht setzen wollte, die Lampe langsam über die wilden phantastischen Züge seines Gesichts und die mißgestalteten, aber kräftigen Gliedmaßen seines Leibes. Wahrend Kenneth diesen widerwärtigen Ankömmling betrachtete, pfiff der Zwerg abermals und ein andrer Zwerg stieg aus der Tiefe herauf, an Häßlichkeit mit ihm wetteifernd; aber kein Mannes-, sondern ein Frauenarm wars, der jetzt die Lampe aus der Tiefe heraufbewegte, und eine Zwergin, dem Zwerge ganz ähnlich, gleich ihm in ein Kleid aus rotem Atlas gehüllt, phantastisch im Schnitt und Ausputz, an die Tracht von Gauklern und Possenreißern erinnernd, wurde sichtbar. Auch sie hielt die Lampe über ihre Gestalt und ihr Gesicht, und ihre Häßlichkeit wetteiferte mit derjenigen des Zwerges in allen Hinsichten. Wie durch Zauber gebannt, stand der Ritter, während das greuliche Paar zusammen in der Kapelle zu hantieren anfing, dem Anschein nach mit Auskehren beschäftigt, wobei sie aber jeder nur eine Hand verwandten, was ihren Bewegungen ein groteskes Aussehen verlieh. Als ihre Arbeit sie dem Ritter näherte, stellten sie einen Augenblick ihre Besen beiseite und traten nebeneinander vor ihm hin, ihre Lampen dabei so haltend, daß er ihre Gesichter, die in der Nähe nicht schöner wurden, deutlich sehen konnte. Als sie sahen, daß der Ritter den Blick auf sie lenkte, stimmten sie ein so schrilles Gelächter an, daß es ihm durch Mark und Bein ging. Er prallte zurück und beschwor sie voll Entsetzen, ihm zu sagen, wer sie seien und was sie an diese heilige Stätte führe. »Ich bin Zwerg Nectabanus,« sagte die männliche Mißgeburt mit einer Stimme, die an das Geschrei des Nachtraben erinnerte. – »Und ich bin Genievra, sein Weib und Schätzchen,« setzte die Zwergin hinzu mit noch schrillerem Tone als der Zwerg. – »Warum seid Ihr hier?« fragte der Ritter, kaum zu glauben fähig, daß menschliche Wesen vor ihm ständen. – »Ich bin der zwölfte Imam,« entgegnete der Zwerg mit Ernst und Würde, »ich bin Muhamed Mohaddi, der Führer und Wegweiser der Gläubigen. Hundert Pferde stehen schon für mich gesattelt in der heiligen Stadt, und ebenso viele in der Stadt der Zuflucht. Ich bin derjenige, welcher Zeugnis abgeben soll, und diese hier ist eine meiner Huris.« – »Du lügst!« rief die Zwergin mit noch schrillerem Tone. »Ich bin keine von Deinen Huris, und Du bist kein so verworfener Ungläubiger wie der Mohammed, von dem Du sprichst. Mein Fluch ruht auf seinem Sarge! Ich sage Dir, Du Esel von Issachar, Du bist König Arthur von Britannien, den die Feen aus dem Gefilde von Avalon raubten, und ich bin Frau Genievra, berühmt durch ihre Schönheit.« – »Um Euch die Wahrheit zu sagen, edler Ritter,« bemerkte der Zwerg, »wir sind Prinzen in Not und Pein, die unter dem Schutze des Königs Guido von Jerusalem standen, bis er durch die argen Ungläubigen aus seinem Neste vertrieben ward. – Mögen die Donnerkeile des Himmels sie erschlagen!« – »Still!« rief eine Stimme von der Seite her, wo der Ritter hereingetreten war. »Still, Ihr Narren! Packt Euch! Euer Dienst ist zu Ende!« Kaum hatte das Zwergenpaar den Befehl vernommen, als es unter kauderwelschem Geflüster die Lampen auslöschte und den Ritter wieder in Dunkelheit versetzte. Als ihre Tritte verhallt waren, trat eine dem Ritter sehr willkommne gänzliche Stille ein. Aber nach wenigen Minuten öffnete sich leise die Tür, durch die er hier Zugang gefunden hatte. Aus einer auf die Schwelle gesetzten Laterne fiel ein matter Schein auf eine dunkle, neben dem Eingang liegende Gestalt, in der er, als er sich näherte, den Eremiten erkannte. Er war ohne Zweifel in derselben demütigen Stellung, wie vorher die ganze Zeit draußen vor der Kapelle geblieben, die der Ritter in ihrem Innern zugebracht hatte. »Alles ist nun vorbei!« sagte er, als er des Ritters Tritte vernahm, »und der elendeste unter den Sündern der Erde muß diesen Ort ebenso gut verlassen, wie derjenige, welcher sich vielleicht für den Glücklichsten unter den Sterblichen hält. Nimm das Licht und führe mich hinab; denn nicht eher darf ich die Binde von meinen Augen lösen, als bis ich fern von dieser geheiligten Stätte bin.« Der schottische Ritter gehorchte schweigend; denn ein feierliches Gefühl, fast an Verzückung reichend, erstickte selbst die Regungen der Neugier. Er begleitete den Eremiten durch die mancherlei geheimen Gänge und Treppen, bis sie sich endlich wieder in der äußeren Zelle der Einsiedelei befanden. »Der verdammte Verbrecher ist wieder in seinem Kerker, wo er das elende Leben so lange fristen muß, bis endlich sein furchtbarer Richter das verdiente Urteil an ihm vollstreckt.« Nach diesen Worten entfernte der Eremit den Schleier, der seine Augen verhüllt hatte, und betrachtete ihn, tief aufseufzend, legte ihn wieder an den Ort, woher ihn der Schotte geholt hatte, und sagte dann schnell und ernst zu seinem Gefährten: »Jetzt geht – geht, sage ich – zur Ruhe! Ihr dürft schlafen – Ihr könnt schlafen. Ich kann es nicht; ich darf es nicht.« Der Ritter zog sich, der Ergriffenheit des Eremiten wohl achtend, nach der inneren Zelle zurück. Der Einsiedler riß mit wahnsinniger Hast das zottige Fell von den Schultern, und ehe Kenneth die dünne Tür zwischen beiden Gemächern verschließen konnte, hörte er die Geißelhiebe, die sich der Unglückliche gab. Kalter Schauer überfiel ihn, andächtig betete er seinen Rosenkranz ab, dann warf er sich auf sein rauhes Lager. Von den Erlebnissen des Tages und der Nacht ermüdet, schlief er bald fest und ruhig wie ein Kind. Am andern Morgen beriet er sich mit dem Eremiten über allerhand wichtige Gegenstände, und kam zu dem Entschluß, noch zwei Tage länger in der Höhle zuzubringen. Sechstes Kapitel Die Szene wandelt sich: aus der Gebirgswüste des Jordan treten wir in das Lager des Königs von England, zwischen Saint, Jean d'Acre und Askalon. Richard Löwenherz erhoffte von dort aus mit seinem starken Heere einen siegreichen Zug nach Jerusalem, der ihm auch wahrscheinlich geglückt wäre, hätte sich nicht die Eifersucht der mit gleichem Vorhaben befaßten christlichen Fürsten ihm entgegengestellt, die sich mit dem maßlosen Stolze des englischen Königs umsoweniger abfinden mochten, als er ihnen an Mut und Kühnheit, wie auch an Feldherrntalent weit überlegen war. Durch solche Mißhelligkeiten, die besonders zwischen Richard von England und Philipp von Frankreich zu offenem Zwiste führten, verminderte sich die Zahl der Kreuzfahrer von Tag zu Tag, indem sich nicht bloß einzelne Ritter, sondern ganze Kommandos unter ihren Lehnsherren aus einem Kampfe zurückzogen, von dem kein glücklicher Erfolg mehr zu erhoffen war. Dazu kamen die bösen Wirkungen des Klimas, die zufolge der ausschweifenden Lebensweise der Kreuzfahrer viele Opfer hinwegrafften. Die Schwerter der Feinde taten zudem auch das ihrige, die Reihen der Kreuzfahrer zu lichten. Saladin, der größte Herrscher, den die morgenländische Geschichte kennt, hatte die schlimme Erfahrung gemacht, daß seine leichtbewaffneten Krieger im Nahkampf den gepanzerten Franken nicht gewachsen waren. Aber wenn auch seine Heere wiederholt geschlagen wurden in den größeren Treffen, so errang er doch mit seinen flüchtigen Scharen in den leichteren Scharmützeln manchen Vorteil. Als das Heer seiner Feinde sich verminderte, wurden seine Angriffe zahlreicher und kühner. Das Lager der Kreuzfahrer wurde von den leichten Reiterschwärmen umringt, und durch ihre ewigen Angriffe ging manches teure Leben zu Grunde, ohne daß Vorteile von Bedeutung errungen wurden. Bedeckungen wurden aufgefangen, Verbindungen abgeschnitten, der Lebensunterhalt mußte mit dem Leben selbst erkauft werden, und Wasser, wie das vom Brunnen zu Bethlehem, nach dem weiland König David schmachtete, wurde wie damals nur durch Blut gewonnen. Das Klima warf schließlich auch Richard Löwenherz aufs Krankenlager, und die schlimmste Folge hiervon war die allgemeine Untätigkeit, die im Lager der Kreuzfahrer eintrat, sobald seine Krankheit eine üble Wendung zu nehmen schien. Die Hoffnungen des Heeres waren im Verhältnis zu seiner Krankheit gesunken, und da die Zeit des Waffenstillstands nicht zur Ergänzung der Mannschaft, zur Wiederbelebung des Mutes, zu schleunigem Vorrücken in die heilige Stadt benützt wurde, sondern zur Sicherung ihres schwachen Lagers durch Laufgräben, Palisaden und andere Befestigungen, ging dem Kreuzzuge der stolze Charakter eines Eroberungs- und Offensivzuges mehr und mehr verloren. Richard tobte, als er hiervon auf seinem Krankenlager Kunde bekam, wie der gefangene Löwe, der durch das Eisengitter seines Käfigs seine Beute erblickt. Von Natur heftig und ungestüm, verzehrte die Reizbarkeit seines Charakters ihn selbst. Seine Diener fürchteten ihn, und selbst sein Arzt scheute sich, sein Ansehen geltend zu machen. Thomas von Multon, ein einziger von seinen treuen Baronen, dem König im Temperament ähnlich, wagte sich zwischen den Drachen und seinen Grimm, weil ihm das Leben und die Ehre des Königs mehr am Herzen lag als seine Gunst. Sir Thomas war Herr von Gilsland in Cumberland; die Normannen nannten ihn aber zumeist Lord von Baux, während die an ihrer Muttersprache hängenden Sachsen, stolz auf diesen berühmten Krieger ihres Stammes, ihn nie anders als Thomas von Gils oder vom Engen Tale nannten, von dem seine weitläufigen Besitzungen ihren Namen führten. Dieser Baron hatte sich in fast allen Kriegen zwischen England und Schottland, wie unter den verschiedenen Fehden der einheimischen Parteien, von denen das Vaterland zerrissen war, durch Geschick und Mut hervorgetan. Er war ein rauher Soldat, plump im Benehmen, verschlossen im Verkehr, unbekannt mit Weltklugheit und Lebensart. Manche behaupteten freilich auch von ihm, er sei zum mindesten ebenso schlau und ehrgeizig, wie plump und grob; aber es fiel niemandem ein, ihn in seinen Plänen zu stören oder mit ihm in gefahrvoller Pflege eines Patienten zu wetteifern, dessen Krankheit für ansteckend gehalten wurde, obendrein eines so hohen Kranken, wie Richard Löwenherz, der vor Ungeduld, in den Kampf zu ziehen und seine fürstliche Autorität zu betätigen, aus einem Wutanfall in den andern stürzte. Es war am Abend eines heißen Tages, als Richard auf seinem ihm ebenso verhaßten wie schmerzvollen Krankenbette lag. Sein helles blaues Auge, das stets einen ungemein lebhaften Glanz hatte, flammte förmlich vor Fieberglut und blickte unter seinen langen blonden Locken so scharf wie die letzten Strahlen der Sonne durch das Gewölk eines im Nahen begriffenen, durch ihren Glanz noch vergoldeten Ungewitters. Seine männlichen Züge verrieten die Fortschritte der verzehrenden Krankheit, und der vernachlässigte, ungepflegte Bart bedeckte Lippen und Kinn. Während er sich von einer Seite zur andern warf, bald die Decke über sich zerrend, bald sie ungeduldig wegstrampelnd, stand Thomas von Vaux, an Gesicht, Anstand und Benehmen der schärfste Kontrast zu dem leidenden Monarchen, vor seinem Lager. Ein Mann von riesenhafter Größe, behaart wie Samson, mit derbem, kraftvollem, durch zahlreiche Narben entstelltem Gesicht, die Oberlippe nach Normannen-Sitte von einem dicken Knebelbarte bedeckt, der sich im Haupthaare verlor, so lang war er; von einem Körper, so muskulös und ausdauernd, daß er dem Klima und all den Strapazen Trotz bieten konnte, galt er im Heere der Kreuzfahrer als der rührigste, tüchtigste, wichtigste Kämpfer. Das Zelt, worin er sich mit dem Könige befand, zeigte, dem Charakter des letzteren entsprechend, keine Spur von Luxus. Allerhand Waffen lagen oder standen umher, Häute von Jagdtieren bedeckten den Boden oder hingen an den Wänden. Dazwischen kauerten drei gewaltige Windhunde mit schneeweißem Fell. An einem Tische in der Nähe des Bettes lehnte ein dreieckiger Schild von gewundenem Stahl, auf dem sich die drei wandelnden Löwen befanden, die der ritterliche Monarch in sein Wappen aufgenommen hatte, darüber der einer Herzogskrone ähnliche Goldreif, der mit der die Krone einfassenden gestickten Tiara aus purpurnem Sammet damals das Sinnbild von Englands königlicher Herrschaft bildete. Neben dem königlichen Symbol, gleichsam zu seiner Wehr, lag eine gewaltige Streitaxt, für jeden als König Richards Arm zu schwer. In einem äußeren Abteil des Zeltes warteten einige Beamte des königlichen Haushaltes, in tiefer Unruhe über den Gesundheitszustand ihres Gebieters, nicht weniger auch über ihre eigene Sicherheit im Fall seines Todes. »Du hast mir nichts Besseres zu berichten, Sir Thomas?« fragte der König nach langem, düsterem Schweigen in fieberhafter Aufregung. »Alle unsere Ritter sind zu Weibern geworden? und all unsere Weiber zu Betschwestern? nirgends mehr sprüht ein Funke von Mut und Tapferkeit in einem Lager, das den Kern der Ritterschaft Europas enthält! Ha!« »Der Waffenstillstand,« erwiderte Thomas von Vaux wohl schon zum zwanzigsten Male mit Ruhe und Gelassenheit, »hindert uns an Taten; und was die Damen betrifft, nun, so bin ich kein Freund von Gelagen und vertausche Stahl und Leder selten gegen Gold und Samt. Doch, soviel ich weiß, warten unsere schönsten Schönen auf Ihre Majestät die Königin und die Prinzessin, um nach dem Kloster von Engaddi zu wallfahrten, wo sie Gelübde für die Genesung Eurer Hoheit erfüllen wollen.« – »Wir sind also dahin gekommen,« versetzte Richard mit fieberhafter Ungeduld, »daß königliche Frauen und Jungfrauen sich in einer Gegend in Gefahr begeben, wo die herumstreifenden Hunde dem Menschen so untreu sind, wie das Volk seinem Gott!« – »Mylord,« sagte, Thomas von Vaux, »Saladins Wort ist ihnen doch Bürgschaft genug.« – »Hm, hm!« entgegnete Richard, »ich habe dem heidnischen Sultan Unrecht zugefügt und bin ihm Genugtuung schuldig. Wollte Gott, ich könnte sie ihm in Person zwischen den beiden Heeren anbieten – vor den Augen des Christen- und des Heidentums!« Richard streckte bei diesen Worten den rechten Arm, bis an die Schulter entblößt, aus dem Bette, richtete sich mühsam in die Höhe und schüttelte die geballte Faust, als ob er Schwert oder Streitaxt über dem mit Juwelen besetzten Turban des Sultans schwenkte. Nicht ohne Anwendung von Gewalt, die der König schwerlich von einem anderen geduldet hätte, nötigte Thomas von Vaux seinen fürstlichen Gebieter, sich ins Bett zurückzulegen, und deckte den nervigen Arm mit Hals und Schulter fürsorglich wie eine Mutter zu. »Du bist ein rauher Wärter, aber Du meinst es gut, Thomas!« rief der König, bitter lachend, während er sich dem stärkeren Manne fügte... »Mich dünkt, eine Haube müßte Deinem grämlichen Gesicht so gut stehen, wie dem meinigen ein Häubchen. Kind und Amme müßten wir sein, zum Schrecken für alle.« – »Es sind auch schon Männer durch uns erschreckt worden, mein König,« sagte Thomas von Vaux, »und ich erlebe es wohl auch wieder. Was hat ein Fieberanfall zu bedeuten?« – »Fieberanfall?« rief Richard ungestüm. »Bei mir magst Du recht haben; aber wie stehts bei den übrigen christlichen Fürsten, bei Philipp von Frankreich, bei jenem dummen Oesterreicher, bei dem von Montserrat, bei den Hospitalitern, bei den Tempelrittern, wie stehts bei diesen? Ich will Dir sagen, was es bei ihnen ist: Lähmung, Schlaf oder Starrsucht ists, eine Krankheit, die ihnen Sprache und Tätigkeit raubt, ein Krebs, der ihnen am Herzen frißt! Das hat sie ihrem Rittergelübde untreu gemacht, das hat sie gleichgültig gemacht gegen Ruhm, das hat sie von ihrem Gott abwendig gemacht!« »Um Gottes Willen. Lehnsherr, nicht so heftig!« entgegnete Thomas von Vaux. »Man hört Euch ja draußen, und solche Aeußerungen sind schon zu verbreitet unter den gemeinen Soldaten und wecken Streit und Zwietracht unter dem christlichen Heere. Bedenkt, daß eben Eure Krankheit hauptsächlich ihre Tätigkeit lähmt!« »Du schmeichelst Deinem König, Thomas,« erwiderte Richard, und, für Lob nicht unempfindlich, legte er, bedächtiger als vordem, den Kopf auf das Kissen zurück. Aber Thomas von Vaux war kein Höfling und wußte nicht, wie er das Thema weiter ausspinnen sollte, um den König in der ruhigeren Stimmung zu erhalten. Drum schwieg er, bis Richard, wieder in seine düsteren Betrachtungen fallend, scharf sagte: »Fürwahr, das sind angenehme Worte, einen Kranken zu besänftigen. Entschwindet denn einem Fürstenbunde und der ganzen Ritterschaft Europas Mut und Kraft, wenn ein einziger erkrankt – und wäre dieser einzige auch zufällig König von England? Warum sollte Richards Krankheit oder Tod den Zug von dreißigtausend Mann aufhalten, die ebenso tapfer sind wie er? Warum treten die Fürsten nicht zusammen und wählen einen Stellvertreter zur Heerführung?« – »Mit Verlaub, Eure Majestät,« entgegnete Thomas von Vaux, »wie ich höre, sind hierüber Beratschlagungen unter den königlichen Befehlshabern gepflogen worden.« – »Ha!« rief Richard, dessen Eifersucht wach wurde und seinen Gedanken eine andere Richtung gab, »bin ich schon vergessen bei meinen Bundesgenossen, ehe ich noch das letzte Sakrament empfangen habe? Halten Sie mich schon für tot? Doch nein, nein! Sie haben recht. Und wen erwählten Sie denn zum Anführer des christlichen Heeres?« – »Wahrscheinlich den, König von Frankreich,« versetzte Thomas. – »Ei, versteht sich!« entgegnete der englische Monarch, »Philipp von Frankreich und Navarra, Seine allerchristlichste Majestät! wenn er bloß nicht » en avant« mit » en arrière« verwechselt und uns statt nach Jerusalem nach Paris zurückführt.« – »Man könnte vielleicht auch den Erzherzog von Oesterreich wählen,« meinte Thomas von Vaux. – »Er ist allerdings so dick und stark wie Du, Thomas, wohl auch so dickköpfig, doch nicht so gleichgültig gegen Gefahr und Beleidigung. Ich sage Dir, der Oesterreicher hat bei aller seiner Fleischmasse nicht mehr Mut als ein Zaunkönig. Fort mit ihm! Er ein Anführer der Ritterschaft zu ruhmvollen Taten? Eine Flasche Rheinwein laßt ihn saufen mit seinen schmutzigen Bärenhäutern und Landsknechten!« – »Wie denkt Ew. Majestät vom Großmeister der Tempelritter als Heerführer?« »Ei, Beau-Séant?« erwiderte der König. »Nun, gegen den läßt sich nichts sagen! Er versteht sich auf die Anordnung der Schlacht und kämpft, wenn sie beginnt, in den vordersten Reihen. Aber wäre es recht, dem heidnischen Saladin, der so ausgezeichnet an Tugenden ist, wie es nur ein Heide sein kann, das heilige Land zu entreißen, um es dem Giles Amaury zu geben, dem ärgsten aller christlichen Heiden, einem Götzendiener, Teufelsanbeter, Geisterbeschwörer?« – »Des Hospitaliter-Großmeisters Ruf ist frei von Tadel,« sagte Thomas von Vaux. »Ist er aber nicht ein schmutziger Geizhals?« rief Richard heftig. »Hat man ihn nicht in Verdacht, daß er den Ungläubigen Vorteile verschachert, die sie durch eigene Kraft nie errungen hätten? Still, Freund! Besser, das Heer venetianischen Schiffern und lombardischen Krämern zu überantworten als solchem Großmeister!« – »Wohlan, noch einen anderen Vorschlag,« entgegnete Thomas von Vaux. »Was sagt Ew. Majestät zu dem tapfern Marquis von Montserrat? dem weisen, stolzen, wackeren Kriegsmann?« »Weise? listig? meinst Du,« erwiderte Richard; »stolz? im Boudoir der Damen, ja! Konrad von Montserrat! wer kennt nicht diesen Papagei? er ändert ja seine Vorsätze, wie die Fransen an seinem Wams! Der ein Krieger? Eine schöne Figur, wenn er zu Pferde sitzt, ja! Auf dem Turnierplatz und vor den Schranken, auf stumpfe Schwerter und Pappschilder, steht er seinen Mann! aber um Jerusalem zu erobern?...« – »Nun, ich sehe schon, wie die Sachen stehen. Wir werden eben erst hoffen dürfen, am heiligen Grabe zu beten, wenn der Himmel König Richard wieder genesen läßt.« Richard brach in Lachen aus, zum erstenmal seit langer Zeit. »Es ist doch wunderlich bestellt mit dem Gewissen,« sagte er, »wenn selbst ein so schwerfälliger Patron, wie Du, seinem Fürsten das Geständnis seiner Torheit ablocken kann! Wahrlich, läge es nicht in ihrer Absicht, meinen Feldherrnstab zu führen, so früge ich nicht viel danach, den Puppen, die Du mir der Reihe nach zeigtest, ihre seidenen Zierate abzureißen. Was kümmert mich der Flitterstaat, worin sie einherstolzieren, falls sie nicht als Nebenbuhler in dem ruhmvollen Unternehmen auftreten, dem ich mich gewidmet habe! Ja, Thomas, ich gestehe meine Schwäche und meinen eigensinnigen Ehrgeiz. Ohne Zweifel enthält das christliche Lager manchen besseren Ritter als Richard von England; und klug und geziemend wäre es, dem besten unter ihnen die Führung des Heeres zu vertrauen; aber,« fuhr er fort, sich im Bette aufrichtend, und die Decke hastig von sich werfend, während sein Auge, wie am Vorabend einer Schlacht, funkelte, »wenn solch ein Ritter das Kreuz-Panier auf den Zinnen von Jerusalem aufpflanzen sollte, und ich könnte zu dem edlen Werke das meinige nicht beitragen, so forderte ich ihn, sobald ich wieder die Lanze führen könnte, auf Leben und Tod! Doch, horch! was ertönen dort in der Ferne für Trompeten?« – »Vermutlich König Philipps Trompeten,« entgegnete der tapfere Engländer. – »Du hörst schwer, Thomas,« rief der König, indem er versuchte, sich aufzurichten. »Hörst Du nicht das Klirren und Klingeln? Bei Gott, die Türken sind im Lager. Ich höre ihr Kriegsgeschrei!« Er versuchte von neuem, sich aufzurichten, und Thomas von Vaux mußte alle Kraft aufbieten, um ihn zurückzuhalten. – »Du bist ein treuloser Verräter, Thomas von Vaux,« rief der Monarch entrüstet, als er erschöpft auf sein Lager sank. »O, wenn ich doch nur Kräfte genug hätte, Dir mit meiner Streitaxt das Gehirn zu zerschmettern!« – »Ich wünschte, Ihr besäßet sie, edler Lehnherr,« entgegnete Thomas von Vaux, »denn für die Christenheit war es ein großer Vorteil, wenn Thomas Multon tot und Richard Löwenherz gesund wäre.« – »Mein wackerer Diener,« versetzte Richard, die Hand ausstreckend, die der Baron ehrerbietig küßte. »Vergib Deinem Herrn die Ungeduld und Heftigkeit! Es ist das brennende Fieber, das Dich schilt, und nicht Dein Dir wohlgesinnter Herr, Richard von England. Aber geh, bitte! und bringe mir Nachricht, was für Fremde im Lager sind; denn dieses Getöse rührt nicht von Christen her.« Thomas von Vaux verließ das Zelt, befahl aber den Pagen und Dienern des Kämmerers, während seiner Abwesenheit ein doppelt wachsames Auge auf ihren Gebieter zu haben. Siebentes Kapitel Schottische Krieger hatten sich in beträchtlicher Zahl dem Heere der Kreuzfahrer angeschlossen, natürlich unter dem Befehl des englischen Monarchen, da sie, wie seine einheimischen Truppen vom sächsischen und normannischen Stamme, die gleiche Sprache redeten, einige unter ihnen sowohl in Schottland als England Güter besaßen, ja mitunter durch Bande des Mutes mit Engländern verwandt waren. Es war eben noch die Zeit vor Eduard dem Ersten, dessen unersättlicher Ehrgeiz den Haß zwischen diesen beiden Völkern ein und derselben Insel säen sollte. Zudem war König Richard jederzeit redlich bemüht, zwischen den ihm unterstellten Truppen eine versöhnliche Stimmung zu erhalten. Aber während seiner Krankheit und infolge der ungünstigen Lage, in welcher sich die Kreuzfahrer befanden, wuchs Zwietracht unter den verschiedenen Völkern empor, die sich zu dem Kreuzzuge zusammengeschart hatten. Schotten und Engländer, gleich eifersüchtig und gleich stolz, wie gleich empfindlich gegen Beleidigungen, nützten den Waffenstillstand, der ihnen Rache an den Sarazenen zu nehmen wehrte, zu Fehden und Streitigkeiten unter sich. Und wie unter ihnen, verhielt es sich zwischen Franzosen und Engländern, Italienern und Deutschen, selbst zwischen Dänen und Schweden. Unter den englischen Rittern, die ihrem Könige nach Palästina gefolgt waren, wollte Thomas von Vaux am wenigsten von den Schotten, wissen. Als ihr Nachbar war er von jeher mit ihnen in Fehden verwickelt gewesen, hatte manches Unheil über sie gebracht, auch nicht wenig von ihnen erlitten. Soviel es anging, mied er allen Umgang mit seinen schottischen Waffenbrüdern, verhielt sich ihnen gegenüber mürrisch und maß sie, wenn er sie auf dem Marsche oder im Lager traf, in der Regel mit verächtlichen Blicken. Die schottischen Barone und Ritter mochten sich das nicht gefallen lassen, und es kam so weit, daß er als der erklärte Feind ihres Volkes galt. Thomas von Vaux stand nur wenige Schritte vom Eingang zum königlichen Zelte, als er die Musik vernahm, die von den Pfeifen, Schallmeien und Trommeln der Sarazenen herrührte, und die das schärfere Öhr des englischen Königs schon minutenlang früher vernommen hatte. Bald nachher sah er im Hintergrunde einer Reine von Zelten, die einen breiten Weg zu Richards Pavillon bildeten einen Haufen müßiger Landsknechte um den fast im Mittelpunkte, des Lagers befindlichen Platz versammelt, woher die Töne drangen. Erstaunt sah er unter den Helmen von mancherlei Form, welche die Kreuzfahrer der verschiedenen Völker trugen, weiße Turbane und lange Spieße: sichre Anzeichen für die Anwesenheit bewaffneter Sarazenen, sowie mit ihren langen Hälsen über die Menge hinwegragend, große, ungestalte Köpfe von Kamelen und Dromedaren. Betroffen von einem so unerwarteten und seltsamen Anblick – denn es war Brauch, während der Dauer des Waffenstillstandes alle Waffen und Merkzeichen an einem bestimmten Orte, fern vom Feinde, außerhalb der Schranken zu lassen – sah sich der Baron ängstlich nach Aufklärung um. Der Ritter, der zuerst auf ihn zukam, war an seinem gravitätischen, stolzen Gange als Spanier oder Schotte auf den ersten Blick kenntlich... »Es ist doch ein Schotte,« murmelte Thomas von Vaux, als der Rittet näher herankam, »und zwar der Ritter vom Leoparden. Für einen Schotten sah ich ihn die Lanze gar nicht übel führen.« Aber er fühlte sich nicht gestimmt, das Wort an den schottischen Ritter zu richten und war schon im Begriff, ihn mürrisch vorübergehen zu lassen, als der Schotte auf ihn zuritt und ihn anredete: »Mein Herr Baron von Gilsland,« sagte er, »ich soll mit Euch sprechen.« – »Mit mir?« entgegnete der englische Baron. »Nun, so sagt, was Euch beliebt, so kurz wie möglich, ich bin hier im Auftrag des Königs.« – »Meine Botschaft geht König Richard noch näher an,« versetzte Ritter Kenneth... »ich bringe ihm hoffentlich Gesundheit.« Lord Gilsland maß den Schotten mit ungläubigem Blicke und antwortete: »Ihr seid doch kaum Arzt, Herr Schotte – eher hätte ich geglaubt, Ihr brächtet dem König von England Schätze?« Ritter Kenneth, so wenig ihm auch die Antwort des Barons gefiel, entgegnete ruhig und fest: »Richards Gesundheit ist Ruhm und Reichtum für die Christenheit... Doch die Zeit drängt; ich bitte Euch, kann ich den König sprechen?« – »Durchaus nicht eher, werter Herr,« sagte der Baron, »als bis Ihr Eure Botschaft deutlicher erklärt habt. Die Krankenzimmer der Fürsten öffnen sich nicht für jeden, wie eine nordische Schenke.« – »Mylord,« entgegnete Kenneth, »das Kreuz, das ich mit Euch gemeinsam trage, und die Wichtigkeit meiner Botschaft sind Ursache, weshalb ich mich über ein Benehmen hinwegsetze, das ich mir sonst nicht bieten ließe. Mit einem Worte: ich bringe einen maurischen Arzt mit, der König Richard in die Kur nehmen will.« – »Einen maurischen Arzt!« rief Thomas von Vaux. »Wer ist dafür Bürge, daß er nicht statt der Arzenei Gifte reicht?« – »Sein Kopf, Mylord, den er zum Unterpfande bietet!« – »Ich habe manchen verwegenen Räuber gekannt,« sagte Thomas von Vaux, »der sein eigenes Leben gering schätzte und fröhlich nach dem Galgen hüpfte, als wollte er mit dem Henker ein Tänzchen machen.« – »Aber die Sache verhält sich folgendermaßen: Saladin, dem niemand den Ruhm eines großmütigen, tapferen Feindes streitig machen wird, hat den Arzt mit ehrenvollem Geleit hierher gesandt, wie dies der hohen Achtung geziemt, in der El Hakim bei dem Sultan, steht. Er wünscht Richard von seinem Fieber hergestellt zu sehen, um ihm mit dem Säbel in der Faust und hundert Reitern im Gefolge seinen Besuch zu machen. Beliebts Euch als geheimem Rat des Königs, diese Kamele abladen zu lassen?« »Sonderbar!« sagte Thomas von Vaux für sich. »Aber, wer bürgt uns für Saladins Ehre, wenn Treulosigkeit ihn auf einmal von seinem mächtigsten Gegner befreien könnte?« – »Ich selbst will dafür bürgen mit meiner Ehre, meinem Leben und Hab und Gut.« – »Sonderbar!« sagte Thomas von Vaux abermals zu sich selbst. »Der Norden verbürgt sich für den Süden, der Schotte für den Türken! – Darf ich fragen, Herr Ritter, auf welche Weise Ihr in diese Angelegenheit verwickelt wurdet?« – »Ich war auf einer Pilgerfahrt,« erwiderte Ritter Kenneth, »mit Botschaft an den heiligen Eremiten von Engaddi.« – »Darf ich den Inhalt der Botschaft und die Antwort des frommen Mannes erfahren, Herr Ritter?« – »Leider nicht,« erwiderte der Schotte. – »Ich gehöre zum geheimen Rate Englands,« sagte der Engländer stolz. »Gegen England habe ich keine Untertanenpflicht,« versetzte Kenneth. »Zwar bin ich dem Rufe des englischen Monarchen freiwillig in diesen Krieg gefolgt, doch ward ich abgesandt von der Ratsversammlung der Könige, Fürsten und Oberfeldherren der Armee des heiligen Kreuzes, und an sie allein habe ich meine Botschaft auszurichten.« – »Was Du sagst!« erwiderte der stolze Baron. »So wisse denn: magst Du immerhin Botschafter von Königen und Fürsten sein, so soll doch kein Arzt sich dem Krankenbette Richards von England nahen, ohne Einwilligung des Lords von Gilsland; und der wird übel ankommen mit seiner Botschaft, der es wagt, sich ohne dieselbe einzudrängen.« Er war im Begriff, sich stolz hinwegzuwenden, als der Schotte, sich nähernd, ihm gegenüber trat und in ruhigem Tone, doch nicht ohne einen gewissen Ausdruck von Stolz, die Frage an ihn stellte, ob der Herr von Gilsland ihn für einen Edelmann und wackeren Ritter halte. – »Alle Schotten sind durch das Recht ihrer Geburt geadelt,« antwortete Thomas von Vaux etwas ironisch; doch seine eigene Unbilligkeit fühlend und Kenneths Erröten bemerkend, fügte er hinzu: »Daran zu zweifeln, daß Ihr ein wackerer Ritter seid, wäre Sünde, wenigstens für den, der Euch so brav und redlich Eure Pflicht erfüllen sah. Doch sagt mir, Herr Ritter vom Leoparden, tue ich recht, in einem Lande, wo Gift solche Rolle spielt, einen unbekannten Arzt zu einem Monarchen zu lassen, dessen Gesundheit der Christenheit so unschätzbar ist?« – »Mylord,« entgegnete der Schotte, »ich kann darauf nur antworten: Mein Knappe, der einzige, den Krieg und Krankheit mir von meinem Gefolge übrig gelassen haben, hat vor kurzem gefährlich an demselben Fieber gelitten, das König Richard befallen hat. Dieser Arzt, dieser El Hakim, hatte ihn noch keine zwei Stunden behandelt, als er schon in einen erquickenden Schlaf fiel. Daß er die Krankheit; die sich so verderblich gezeigt, heilen kann, weiß ich; daß er den Vorsatz hat, es zu tun, dafür bürgt uns, dünkt mich, seine Sendung von dem königlichen Sultan.« »Kann ich Euren kranken Schildknappen sehen, edler Ritter?« fragte der Engländer nach einer Weile. Der schottische Ritter verfärbte sich; endlich antwortete er: »Gern, Mylord; doch muß ich Euch bitten, bei dem Anblick meines armseligen Quartiers nicht zu vergessen, daß die Ritter und Edlen Schottlands nicht so köstlich speisen, nicht so weich schlafen, und nicht so glänzend wohnen, wie ihre südlichen Nachbarn.« Sie hatten bald den Platz erreicht, wo die aus Aesten gezimmerte, mit Palmblättern gedeckte Hütte des Ritters vom Leoparden stand, vor den andern kenntlich durch die wie ein Schwalbenschwanz geformte Fahne, die, an einer Speerspitze befestigt, schlaff herabhing, beinahe verbrannt von den Strahlen der asiatischen Sonne. Ritter Kenneth sah sich schwermütig um, aber er bezwang sich und trat ein, dem Lord winkend, ihm zu folgen. Das Innere der niedrigen Hütte wurde durch zwei Betten fast ausgefüllt. Das eine leere bestand aus einem Holzgestell, das mit gesammeltem Laube gefüllt und mit einem Antilopenfelle bedeckt war. In dem andern lag ein starker Mann von rauhen Gesichtszügen, dem äußeren Anschein nach über das mittlere Alter hinaus. Sein Lager war weicher als das seines Herrn eingerichtet, und dessen feine Gewänder, der lange Wappenrock, den die Ritter in Friedenszeit trugen, sowie die anderen zur Rittertracht gehörigen Kleidungsstücke dienten jetzt dazu, das Lager des kranken Knappen bequemer zu machen. Neben dem Bett saß auf einem von Tierhäuten verfertigten Kissen der maurische Arzt nach orientalischer Sitte mit übereinandergeschlagenen Füßen. Außer seinem schwarzen Bart, der bis über die Brust reichte, seiner hohen Tatarentmütze aus schwarzer Astrachanwolle und seinem ebenfalls dunklen weiten Kaftan war bei dem unvollkommenen Lichte nichts von ihm zu sehen, außer den durchdringenden Augen von fast magischem Glanze. Der Lord stand schweigend da; und eine, Zeitlang hörte man nichts, als das schwere und regelmäßige Atmen des Kranken, der von tiefem Schlummer umfangen schien. »Er hat sechs Nächte nicht geschlafen,« sagte Kenneth. – »Edler Schotte,« versetzte Thomas von Vaux, die Hand des Ritters herzlicher drückend, als er durch Worte verraten wollte, »Euer Knappe wird zu, schlecht gepflegt.« Bei den letzten Worten verstärkte er die Stimme, so daß der Kranke sich unruhig hin und her warf... Da erhob sich der Arzt, hob die Hand des Kranken auf, um seinen Puls zu befühlen, und trat dann zu den beiden Rittern... »Ich beschwöre Euch,« sagte er, »stört nicht die Wirkung der gesegneten Arzenei, die er genossen hat. Ihn jetzt zu wecken, hätte Tod oder geistige Umnachtung zur Folge. Kehrt aber zu der Stunde zurück, wo der Muezzin vom Minaret zum Abendgebet in die Moschee ruft; und bleibt der fränkische Krieger bis dahin ungestört, so verspreche ich Euch, daß er, ohne seiner Gesundheit zu schaden, ein kurzes Gespräch mit Euch führen und Euch antworten soll auf alles, worüber Ihr ihn fragt.« Darauf zogen die beiden Ritter sich zurück. Am Eingang zur Hütte blieben sie stehen, und Lord Gilsland verabschiedete sich mit dem Versprechen, zur Vesperzeit zurückzukehren, um dann mit dem maurischen Arzte zu sprechen, zuvor sich aber Instruktionen vom König Richard einzuholen. Achtes Kapitel »Eine seltsame Geschichte, Ritter Thomas,« sagte der kranke Monarch, als er den treuen Lord von Gilsland angehört hatte. »Glaubt Ihr, daß dieser Schotte ein aufrichtiger Mann ist?« – »Darüber kann ich nichts sagen,« entgegnete der eifersüchtige Grenzer; »ich habe die Schotten als Nachbarn bald redlich, bald falsch gefunden. Allein dieser Schotte benimmt sich wie ein ehrlicher Mann, das kann ich mit gutem Gewissen sagen.« – »Und sein Verhalten als Ritter, was sagt Ihr dazu?« fragte der König. – »Man hat zu seinen Gunsten gesprochen,« erwiderte Lord Gilsland ausweichend. – »Und mit Recht, Thomas,« sagte der König. »Wir sind wiederholt Zeuge seines ritterlichen Verhaltens gewesen und er hätte sich unserer Huld schon längst zu versehen gehabt, wenn wir nicht auch seinen Dünkel und seine Anmaßung bemerkt hätten. Aber Du sagtest doch, der Schotte habe jenen gelehrten Heiden in der Wüste getroffen?« – »Nicht doch, mein Lehnsherr. Wie der Schotte sagt, ist er zu dem alten Einsiedler von Engaddi, von dem die Leute soviel sprechen, gesandt worden.« – »Tod und Hölle!« unterbrach ihn Richard. »Von wem und weshalb? Wer hat es gewagt, jemand dorthin zu schicken, da unsere Gemahlin sich in dem Kloster von Engaddi befand, auf ihrer Wallfahrt für unsere Genesung?« – »Er ist von der Ratsversammlung des Kreuzzuges abgesandt worden,« antwortete Thomas von Vaux; »hat sich aber geweigert, mir mitzuteilen, zu welchem Zwecke. Ich glaube, es ist kaum bekannt im Lager, daß Eure königliche Gemahlin auf einer Wallfahrt begriffen ist. Ich zum wenigsten wußte es nicht, und selbst die Prinzen mögen es auch nicht wissen, denn die Königin wurde auf Euren Befehl aller Gesellschaft fern gehalten, um sie gegen Ansteckung zu schützen.« – »Wohlan, die Sache soll untersucht werden. In der Grotte von Engaddi also hat dieser schottische Gesandte einen fahrenden Arzt getroffen? War es nicht so?« – Nein, mein Lehnsherr. Aber er traf, dünkt mich, in der Nähe des Ortes einen Sarazenen-Emir, mit dem er, nach Rittersitte, einen Zweikampf ausfocht; und als er ihn des Umgangs tapferer Männer würdig fand, zogen sie miteinander, wie es fahrende Ritter zu tun pflegen, nach der Grotte von Engaddi.« Hier hielt Thomas von Vaux inne; denn er gehörte nicht zu denen, die eine lange Geschichte in einem Atem erzählen können. – »Trafen sie dort den Arzt?« fragte Richard ungeduldig. – »Nein, mein Lehnsherr,« erwiderte Thomas von Vaux. »Als der Sarazene die schwere Krankheit Ew. Majestät erfuhr, versprach er, daß Saladin seinen Leibarzt zu Euch senden werde, dessen große Geschicklichkeit er rühmte. Daraufhin kam der Arzt zur Grotte, wo der schottische Ritter über einen Tag auf ihn gewartet hatte. Er hat ein fürstliches Gefolge von Dienern zu Pferde und zu Fuß, mit Trommeln und Atabalen, und bringt Saladins Beglaubigungsschreiben mit.« – »Ist es von Giacomo Loredani untersucht worden?« fragte der König. – »Ich zeigte es dem Dolmetscher, ehe ich herkam, ich bringe Euch die Uebertragung in englischer Sprache.« Richard nahm das Pergament und las: »Der Segen Allahs und seines Propheten Mohammed...« – »Hinaus mit dem Hunde!« rief Richard, verächtlich ausspuckend – »Saladin, König der Könige, Sultan von Aegypten und Syrien, das Licht und die Zuflucht der Erde, entbeut dem großen Richard von England seinen Gruß. – Da uns berichtet worden, daß die Hand der Krankheit schwer auf Dir, unserem königlichen Bruder, ruht, und daß Du nur Nazarener und jüdische Aerzte bei Dir hast, die ohne den Segen Allahs und unseres heiligen Propheten wirken« – »Verderben über sein Haupt!« murmelte abermals der englische Monarch – »so haben wir zu Deiner einstweiligen Wartung und Pflege unseren eignen Leibarzt El Hakim zu Dir gesandt, vor dessen Antlitz der Engel Asrael seine Flügel ausbreitet und aus dem Krankenzimmer weicht. Indem wir dies tun, bitten wir Dich herzlich, seine Geschicklichkeit zu ehren und davon Gebrauch zu machen, und zwar nicht nur, damit wir Deinem Werte uns dienstlich erweisen und Deiner Tapferkeit, die allen Nationen Frangistans zum Ruhme gereicht, sondern damit der Streit, der jetzt zwischen uns obwaltet, beendigt werde, sei es durch schickliches Uebereinkommen oder durch Kampf im offenen Felde; denn wir fühlen, daß es weder Deinem Range und Deinem Mute geziemt, den Tod eines Sklaven zu sterben, noch daß es unserem Ruhme förderlich ist, daß ein tapferer Gegner durch eine solche Krankheit unseren Waffen entzogen werde. Und möge daher der heilige – « »Genug! genug!« rief Richard. »Ich will nichts mehr hören von diesem Hunde von Propheten! Es kränkt mich, wenn ich denke, daß der tapfere, ehrenwerte Sultan an einen toten Hund glaubt! – Aber ich will seinen Arzt sehen. Ich will mich diesem Hakim anvertrauen. Ich will dem edlen Sultan seine Großmut vergelten und ihm entgegengehen im Felde, wie er so rechtlich vorschlägt, und er soll keine Ursache haben, Richard von England undankbar zu nennen. – Eile, Thomas von Vaux! Warum zögerst Du bei einem so willkommenen Beschlusse? Hole den Hakim her!« – »Bedenkt,« sagte der Lord, in diesem Uebermaße von Zuversicht eine Wirkung des Fiebers befürchtend; »bedenkt, daß der Sultan ein Heide ist und daß Ihr sein furchtbarster Feind seid;« – »Umsomehr ist er genötigt, mir solchen Dienst zu leisten, damit nicht ein armseliges Fieber den Streit zwischen zwei Fürsten beendige. Ich sage Dir, er liebt mich, wie ich ihn liebe, wie edle Feinde stets einander lieben. Bei meiner Ehre! – Es wäre Sünde, Zweifel in seine Aufrichtigkeit zu setzen.« – »Nichtsdestoweniger wäre es gut, erst die Wirkung dieser Arzeneien auf den schottischen Knappen abzuwarten,« entgegnete Thomas von Vaux. »Mein eigenes Leben hängt daran; denn ich wäre wert, wie ein Hund zu sterben, verführe ich zu rasch in dieser Sache.« »So gehe denn, Du argwöhnischer Mensch, und beobachte die Wirkung dieser Arznei. Fast möchte ich wünschen, sie brächte mir, wenn nicht Gesundheit, den Tod. Denn ich habe es satt, wie ein an Klauenseuche verreckender Stier hier zu liegen, indes draußen Trommeln wirbeln, Rosse stampfen und Trompeten erklingen.« Der Lord eilte fort, aber mit dem Vorbehalt, seinen Auftrag zuvor einem Geistlichen mitzuteilen, weil sein Gewissen ihm Vorwürfe machte, daß sein Gebieter sich von einem Ungläubigen behandeln lassen wollte. Der Erzbischof von Tyrus war der erste, an den er sich wandte, weil er wußte, daß dieser einsichtsvolle Prälat viel bei Richard galt. »Aerzte,« sagte der Bischof zu Thomas von Vaux, »stiften, gleich den Arzneien, die sie verordnen, oft heilsamen Nutzen, und die Menschen mögen in ihrer Not auch zu dem Beistande von Heiden und Ungläubigen ihre Zuflucht nehmen. Aber ich kann meinen Verdacht gegen den listigen Sarazenen nicht unterdrücken, denn sein Volk ist geschickt in der Kunst, Gifte zu mischen; sie können Tuch und Leder, ja selbst Papier und Pergament mit dem feinsten Gifte sättigen – Heilige Maria, vergib mir! warum hielt ich, da ich dies Volk so gut kenne, dies Kreditiv so nahe an mein Gesicht? Thomas, nehmt es geschwind!« Hier reichte er es mit weit ausgestreckten Armen hastig dem Baron. »Kommt,« sagte er, »wenden wir uns nach dem Zelte des kranken Knappen, um zu sehen, ob der Hakim wirklich die Kenntnisse in der Heilkunde besitzt, deren er sich rühmt, und laßt uns dann erwägen, ob er sie an König Richard von England ausüben soll.« Als sie vor der armseligen Hütte stillstanden, in welcher Kenneth mit seinem Knappen hauste, sagte der Bischof: »Das muß man diesen schottischen Rittern lassen: sie sorgen schlechter für ihre Knappen, als wir für unsere Hunde.« – »Ein Herr handelt gegen seinen Diener gut genug, wenn er ihn nicht schlechter als sich selbst beherbergt,« versetzte Thomas und ging in die Hütte. Mit sichtbarem Widerwillen folgte ihm der Bischof. Der maurische Arzt saß noch mit verschränkten Füßen auf jener Matte von geflochtenen Blättern, auf der ihn Ritter Thomas schon beim ersten Besuch gesehen hatte, neben dem im tiefen Schlummer liegenden Kranken, dem er auch jetzt noch dann und wann an den Puls griff. »Bist Du ein Arzt, Ungläubiger?« fragte der Bischof, nachdem er eine Weile stumm dagestanden, in empfindlichem Tone. »Ich wollte mit Dir über Deine Kunst sprechen.« – »Verständest Du etwas von Medizin,« entgegnete El Hakim, »so wüßtest Du, daß Aerzte keine Beratung in der Krankenstube führen. Komm aus dem Zelte,« sagte er, indem er aufstand und den Weg zeigte, »wenn Du etwas mit mir zu sprechen hast.« Ungeachtet seiner einfachen Kleidung und geringen Größe im Vergleich zu der hohen Gestalt des Prälaten und der Riesenfigur des Barons lag doch im Antlitz und Benehmen des maurischen Arztes ein Ausdruck von Höhe, der den Bischof abhielt, seinem Unmut über die unhöfliche Abfertigung, die er von ihm erlitten hatte, Luft zu machen. Als sie sich außerhalb der Hütte befanden, betrachtete er den Arzt ein paar Minuten lang und brach endlich, durch sein jugendliches Aussehen befremdet, das Schweigen durch die Frage nach seinem Alter. – »Die Jahre gewöhnlicher Menschen,« sagte der Sarazene, »werden nach ihren Runzeln gezahlt, die der Weisen nach ihren Studien. Aelter als hundert Perioden der Hedschra wage ich mich nicht zu schätzen.« Er wollte damit sagen, seine Kenntnisse seien so reich, daß man hundert Jahre zu ihrer Erlernung bedürfe. Der Baron aber nahm die Rede buchstäblich, daß der Arzt sich ein Alter von hundert Jahren beimesse, und sah den Bischof mit bedenklicher Miene an. Dieser verstand zwar El Hakims Meinung besser, antwortete indes nur durch ein geheimnisvolles Kopfschütteln. Thomas von Vaux fragte nun, sich ein wichtiges Ansehen gebend, den Arzt, welches Zeugnis er für sein ärztliches Wissen aufzuweisen habe... »Ihr habt das Wort des mächtigen Saladin,« erwiderte der Weise, zum Zeichen der Ehrfurcht seine Mütze berührend – »ein Wort, das gegen Feind oder Freund noch nie gebrochen ward... Was verlangst Du mehr, Nazarener?« – »Einen greifbaren Beweis Deiner Kunst,« versetzte der Lord. »Ohne einen solchen darfst Du Dich dem Krankenlager König Richards nicht nahen.« »Der Ruhm des Arztes,« sagte der Araber, »ist die Wiedergenesung seines Kranken. »Sieh diesen Waffenträger! Sein Blut war verdorrt durch das Fieber, das Euer Lager mit Gerippen bedeckt hat und das keiner von Euren Aerzten zu heilen vermochte. Blick her auf diese Finger und Arme, die so hager sind, wie die Klauen des Kranichs. Schon heute morgen streckte der Tod seine Fänge nach ihm aus, doch war Asrael auf der einen, ich auf der anderen Seite des Lagers, und so konnte seine Seele nicht vom Körper abgeschieden werden. Störe mich nicht durch fernere Fragen, sondern warte den kritischen Zeitpunkt ab, und beobachte den Erfolg.« Der Arzt wandte sich jetzt zu seinem Astrolabium, dem Orakel morgenländischer Wissenschaft, bis die Zeit des Abendgebetes gekommen war. Da sank er auf die Knie, wandte das Gesicht gen Mekka und sagte die Gebete her, die den Arbeitstag der Moslemim beschließen. Der Bischof und der englische Lord blickten sich indes gegenseitig mit Zeichen der Verachtung und des Unmutes an. Doch hielten sie es nicht für schicklich, El Hakims Andacht zu unterbrechen, so unheilig sie ihnen auch scheinen mochte. Dieser erhob sich, als er zu Ende war, vom Boden und ging in die Hütte des Kranken, nahm aus einer silbernen Kapsel einen Schwamm, tauchte ihn in Spiritus und hielt ihn dem Schlafenden an die Nase. Darauf nieste derselbe mehrmals hintereinander, dann erwachte er und blickte erstaunt umher. Es war ein grausiger Anblick, dieses ausgedörrte Knochengerippe mit dem langen, runzligen Gesicht, in welchem die Augen wild umherrollten. »Kennt Ihr uns?« fragte der Baron. – »Nicht genau, Mylord,« entgegnete der Schildknappe matt und leise. »Ich habe lange geschlafen und schwer geträumt. Aber ich weiß, daß Ihr ein großer englischer Lord seid, wie das rote Kreuz zeigt, und dieser Herr da ein heiliger Prälat, um dessen Segen ich, armer Sünder, bitte.« – »Du hast ihn – Benedictio Domini sit vobiscum!« [Der Segen des Herrn sei mit Euch!] entgegnete der Bischof, das Zeichen des Kreuzes machend, ohne sich jedoch dem Bett zu nähern. »Ihr seid Zeugen,« sagte der Araber, »das Fieber ist bezwungen – er spricht klar und mit Bewußtsein, sein Puls geht so ruhig wie der Eurige. Untersucht ihn selbst!« Der Prälat lehnte es ab; aber Thomas von Vaux war resoluter und überzeugte sich durch einen Griff an den Puls des Patienten, daß das Fieber vorüber war. – »Höchst wunderbar,« sagte der Ritter, zum Bischof hinübersehend. »Der Kranke ist so gut wie hergestellt! Ich muß den Arzt sogleich zum König Richard bringen. Was meint Ew. Hochwürden dazu? – »Laßt mich erst die eine Kur vollenden, ehe ich die andere anfange,« sagte der Araber. »Ich will mit Euch gehen, sobald ich meinem Patienten den zweiten Becher dieses köstlichen Elixiers gereicht habe.« Mit diesen Worten zog er ein silbernes Geschirr hervor, füllte es aus einer am Bett stehenden Kürbisflasche mit Wasser, nahm einen kleinen netzförmig gestrickten, mit Silber umsponnenen seidenen Beutel, dessen Inhalt weder der Prälat noch der Ritter erkennen konnte, tauchte ihn in den Becher und verweilte nun fünf Minuten lang still und ruhig. Es kam dem Ritter wie dem Prälaten so vor, als wenn sich in dem Getränk eine Art Gärung vollzöge; aber sie war schnell vorbei. »Trink,« sprach der Arzt zu dem Kranken, »schlafe und erwache gesund.« – »Und mit diesem einfachen Trunk willst Du einen Monarchen kurieren?« fragte der Bischof von Tyrus. – »Ich habe einen Bettler kuriert, wie Ihr seht,« erwiderte der Weise. »Sind die Könige von Frangistan aus anderem Stoff?« – »Wir wollen ihn auf der Stelle zum König bringen,« sagte der Ritter von Gilsland. »Er hat gezeigt, daß er im Besitz des Mittels ist, das die Gesundheit des Königs wiederherstellen kann. Sollte König Richard es nicht gebrauchen, so halte auch ich alle Macht der Arznei an ihm verloren.« Sie wollten eben die Hütte verlassen, als der Patient mit schwacher, aber vernehmlicher Stimme bat, ihm zu sagen, was aus seinem teuren Herrn geworden sei. »Euer Herr ist auf einer weiten, ehrenvollen Reise, Freund,« erwiderte der Prälat, »die ihn noch einige Tage fernhalten dürfte.« – »Nein,« sagte der Lord von Gilsland, »warum den armen Menschen täuschen? – Freund, Dein Herr ist schon zurück, Du wirst ihn gleich sehen.« Der Kranke hielt seine welken Hände dankbar zum Himmel empor, und der einschläfernden Wirkung des Elixiers nicht länger widerstehend, sank er in sanften Schlummer. »Sir Thomas, Ihr sagtet,« nahm der Bischof mit sichtbarer Unruhe das Wort, »der Herr des Knappen sei zurück, der Ritter vom Leoparden?« – »Jawohl,« sagte Thomas von Vaux. »Ich habe ihn vor wenigen Stunden gesprochen. Unser gelehrter Arzt befand sich in seiner Gesellschaft.« – »Heilige Jungfrau! Warum sagtet Ihr mir das nicht früher?« entgegnete der Bischof mit sichtbarer Bestürzung. – »Ich sagte doch, der Ritter vom Leoparden sei in Gesellschaft des Arztes zurückgekehrt!« erwiderte Thomas von Vaux gleichgültig. »Doch was hat seine Rückkehr mit dem Arzte oder mit der Kur des Königs zu schaffen?« – »Viel, sage ich Euch, viel!« rief der Bischof, die Hände ringend, mit dem Fuße aufstampfend und durch allerhand unwillkürliche Zeichen seine Ungeduld verratend. »Doch wo mag der Ritter jetzt sein? Gott helf uns! Das kann zu schlimmen Irrtümern führen.« – »Vielleicht kann uns der Bursche draußen, der die Wache zu halten scheint, sagen, wohin sich der Ritter begeben hat,« meinte Thomas von Vaux, nicht wenig verwundert über die Unruhe des Bischofs. Der Bursche wurde gerufen und gab ihnen in einer fast unverständlichen Sprache endlich zu verstehen, der Ritter sei in das königliche Zelt bestellt worden, kurze Zeit vor ihrer Ankunft. Die Unruhe des Bischofs fiel selbst dem Lord auf, der doch weder ein scharfer Beobachter noch von Natur argwöhnisch war. Aber von dem Wunsche beseelt, sich schnell Klarheit zu schaffen, verabschiedete sich der Prälat von dem Ritter, der ihm verwundert nachblickte, ein paar mal mit den Achseln zuckte und dann den arabischen Arzt nach dem Zelt des Königs führte. Neuntes Kapitel Lord Gilsland begab sich langsamen Schrittes, aber mit unruhiger Miene nach dem königlichen Zelte. Außer in der Schlacht traute er seinem Wissen nicht eben viel zu und pflegte deshalb sich wohl über Geschehnisse laut zu verwundern, nicht aber mit ihrer Erwägung sich viel zu befassen. Aber daß die Aufmerksamkeit des Bischofs von der merkwürdigen Kur, die sie mit angesehen hatten, so plötzlich abgelenkt wurde durch die Mitteilung über einen armseligen Ritter, der gegenüber dem englischen Adel eine ziemlich unbedeutende Rolle spielte, das kam ihm doch so eigentümlich vor, daß er, seiner Gewohnheit, nur einen untätigen Zuschauer vorübergehender Ereignisse abzugeben, völlig zuwider, sich über den Grund solch auffallender Erscheinung in allen möglichen Mutmaßungen erging. Schließlich kam er auf den Gedanken, daß innerhalb des Lagers der Verbündeten eine Verschwörung gegen König Richard im Gange sei, an der vielleicht auch der Bischof, nach mancher Meinung ein weltkluger Mann mit weitem Gewissen, Anteil habe. Er wußte recht gut, daß es seinem König immer beschert gewesen war, durch seinen Charakter sich Freunde und Feinde in ungefähr gleichem Maße zuzuziehen, und daß es selbst im Lager unter den durch ihren Eid verpflichteten Fürsten manche gab, die es gar nicht übel aufgenommen hätten, wenn Richard von England ins Verderben geraten oder wenigstens gedemütigt worden wäre. »Warum sollte nicht dieser El Hakim,« sagte er zu sich selbst, »mit seiner Kur an dem schottischen Knappen nur einen listigen Streich gespielt haben, an welchem der Ritter vom Leoparden mit dem Bischof ihren Anteil hatten?« – Diese Vermutung ließ sich freilich nicht recht mit der Bestürzung vereinigen, die den Bischof befallen hatte, als er hörte, der Ritter sei ins Lager zurückgekehrt; Thomas von Vaux stand aber bloß unter dem Einfluß allgemeiner Vorurteile, und diese bestärkten ihn in der Annahme, daß ein schlauer Priester, ein falscher Schotte und ein heidnischer Arzt sich zu solch bösem Werke zusammengetan hätten. Er nahm sich vor, dem König seine Besorgnis vorzutragen, denn von dessen Urteilskraft hielt er fast ebenso viel, wie von seiner Tapferkeit. Unterdessen waren aber ganz andere Dinge vorgegangen, als Thomas von Vaux vermutete. Er hatte kaum das königliche Zelt verlassen, als Richard aus Ungeduld, die noch durch das Fieber gesteigert wurde, über sein Ausbleiben zu murren anfing und lebhaft wieder nach ihm verlangte. Er plagte seine Wärter, nahm zu dem Brevier des Priesters, ja selbst zur Harfe seines Lieblingssängers seine Zuflucht, ohne jedoch Ablenkung von seinen Schmerzen zu finden. Endlich schickte er ein paar Stunden vor Sonnenuntergang, lange vor der Zeit, da er Nachricht über den Fortgang der Kur des arabischen Arztes erwarten konnte, einen Boten nach dem Ritter vom Leoparden ab, um genaueren Bericht über die Ursache seiner Entfernung vom Lager, wie über die Umstände seiner Zusammenkunft mit dem berühmten Arzte zu erhalten. Der schottische Ritter war dem Monarchen kaum von Ansehen bekannt, obgleich er bei solchen Gelegenheiten, wo Englands Gastfreundschaft allen Rittern Zutritt zum königlichen Hofe gewährte, niemals gefehlt hatte. Der König faßte den Ritter, der sich seinem Bette näherte, scharf ins Auge; der Ritter beugte ehrerbietig das Knie, wie es einem Krieger in Gegenwart seines Fürsten geziemte. »Dein Name ist Kenneth vom Leoparden,« sagte der König. »Wer schlug Dich zum Ritter?« – »Wilhelm, der Löwe von Schottland,« entgegnete Kenneth – »Wir haben gesehen,« sagte drauf der König,»daß Du Dich im Schlachtgewühl tapfer und ritterlich geführt hast. Du hast noch nicht vernommen, daß uns Deine Dienste bekannt sind, weil Du Dir in anderer Hinsicht Dinge anmaßest, die Dir nicht zustehen, – darum können wir Deine Dienste nicht angemessen belohnen ... Was sagst Du, he?« Kenneth wollte sprechen, fand aber die rechten Worte nicht, weil ihn das Bewußtsein seiner ehrgeizigen Liebe verwirrte und der scharfe Blick Richards, der sein Innerstes zu durchdringen schien, in Unruhe und Bange setzte. »Doch genug davon,« rief der König; »jetzt sagt mir, Herr Ritter, weshalb und auf wessen Antrieb Ihr Eure letzte Reise nach dem Toten Meere und nach Engaddi unternommen habt?« – »Im Auftrage der hohen Ratsversammlung der Fürsten,« entgegnete der Ritter. – »Wie durfte es jemand wagen, Euch einen solchen Auftrag zu geben, da ich – offenbar nicht der geringste im Bunde der Fürsten, nichts davon wußte?« – »Euer Hoheit wolle bedenken, daß es mir nicht zukam, mich nach solchen Umständen zu erkundigen. Ich bin ein Soldat des Kreuzes unter dem Banner Eurer Majestät, demungeachtet verbunden, den Befehlen der Fürsten und Heerführer zu gehorchen, die das heilige Unternehmen leiten.« – »Gut,« versetzte Richard, »der Tadel trifft nicht Dich, sondern gewisse Bundesfürsten, mit denen ich, wenn mich der Himmel von diesem verwünschten Lager erlösen sollte, strenge Abrechnung zu halten hoffe. Worauf richtete sich Deine Sendung?« – »Mich dünkt, Majestät, diese Frage würde am besten an diejenigen Fürsten gerichtet, die mich absandten. Ich kann nur von der äußeren Beschaffenheit meiner Sendung sprechen.« – »Betrügt mich nicht, Herr Schotte – das könnte Euch das Leben kosten,« entgegnete der reizbare Monarch. – »Mein Leben,« erwiderte der Ritter, »war mir immer gleichgültig, seit ich mich dem Kreuzzuge weihte.« – »Du bist ein wackrer Bursche!« rief der König: »ich liebe das schottische Volk, die Schotten sind kühn und ehrlich, wenn auch mürrisch und dickköpfig. Mir seid Ihr vielleicht zu einigem Dank verpflichtet, denn ich bin immer bestrebt gewesen, mir unabhängige Freunde zu verschaffen, während frühere Könige Englands sich nur trotzige Vasallen erzwangen.« – »Alles dies,« versetzte Ritter Kenneth, sich verbeugend, »habt Ihr vollzogen durch fürstlichen Vertrag mit unserem Herrscher zu Canterbury. Darum sind Euch viele schottische Männer in den Krieg gegen die Ungläubigen gefolgt, während sie sonst vielleicht die Grenzen Englands verheert hätten.« – »Das gebe ich zu,« sagte der König; »Doch laßt mir als Hauptglied des christlichen Bundes die Gerechtigkeit widerfahren, mir mitzuteilen, was ich zu wissen berechtigt bin, und was ich offenbar, sicherer von Euch als irgend einem andern erfahre.« »Mein gnädigster König,« entgegnete der Schotte, »vernehmen also Ew. Majestät, daß ich durch den Einsiedler von Engaddi, einen heiligen, von Saladin selbst geehrten und beschirmten Mann, den Auftrag empfing, Vorschläge zur...« – »Zur, Verlängerung des Waffenstillstandes zu machen« unterbrach ihn Richard schnell; »nicht wahr?« – »Nein, beim, heiligen Andreas! sondern zu einem dauerhaften Frieden, und Bedingungen festzustellen über den Abzug unserer Heere aus Palästina.« »Heiliger Georg!'« rief Richard erstaunt; »nie hätte ich mir träumen lassen, daß sie sich so tief erniedrigen würden. – Wie nahmt Ihr eine solche Botschaft auf, Ritter?« – »Sie war mir willkommen, mein König,« entgegnete Kenneth, »weil wir unseres edlen Anführers verlustig gingen, unter dessen Leitung ich allein auf Sieg hoffte« – »Und auf welche Bedingungen hin sollte dieser Friede geschlossen werden?« fuhr Richard fort, kaum imstande, den Unmut zu unterdrücken, der ihm fast die Brust sprengte. – »Ich übergab sie versiegelt dem Einsiedler.« – »Und für wen haltet Ihr diesen Einsiedler?« fragte Richard. »Für einen Narren, Tollhäusler, Verräter oder Heiligen?« – »Nach meinem Dafürhalten, Sir,« entgegnete der schlaue Schotte, »ist seine Narrheit bloße Maske, um sich in Gunst und Ehrfurcht bei den Heiden zu setzen, denn sie halten Wahnsinnige für gottbegnadete Personen.« – »Und was hältst Du von seinen Kasteiungen?« fragte der Monarch, sich wieder auf sein Lager zurückwerfend, von dem er sich leicht erhoben hatte. – »Seine Bußübungen,« erwiderte Kenneth, »haben mir den Eindruck der Aufrichtigkeit gemacht – sie rühren wohl her aus Gewissensbissen über ein furchtbares Verbrechen, das ihn in ewige Verdammnis, wenigstens nach seiner Anschauung, gestürzt hat.« – »Und wie denkt er über die politische Lage?« fragte Richard. – »Mich dünkt, er zweifelt an der Sicherheit Palästinas ebenso wie an seiner eigenen Seligkeit, wenn nicht ein Wunder geschieht – wenigstens seit Richards Arm aufgehört hat, für dies Land zu kämpfen.« – »Und darum deckt sich die feige Politik dieses Eremiten mit jener dieser kläglichen Fürsten, die ihr Rittertum und ihre Treue vergessen konnten und nur Entschlossenheit entwickeln, wenn es den Rückzug gilt.« – »Verzeiht mir, gnädigster König,« sagte der schottische Ritter, »diese Unterredung setzt Euch wieder in Fieber; und aus Eurer Krankheit erwächst der Christenheit größerer Schaden als aus den Scharen der Heiden.« – »Ihr versteht zu schmeicheln, Ritter,« sagte Richard, »aber Ihr entschlüpft mir nicht. Ich muß noch mehr von Euch erfahren. Sahet Ihr meine königliche Gemahlin zu Engaddi?« – »Meines Wissens nicht,« entgegnete Kenneth bestürzt; denn ihm fiel die mitternächtliche Prozession in der Felsenkapelle ein – »Ich frage Euch,« fuhr der König ernster fort, »ob Ihr nicht in der Kapelle der Karmeliter-Nonnen zu Engaddi waret und dort Berengaria sahet, die Königin von England, nebst ihren Hofdamen, die dorthin wallfahrteten?« – »Gnädigster König,« antwortete Ritter Kenneth, »ich will die Wahrheit sprechen, wie im Beichtstuhle. In einer unterirdischen Kapelle, zu der mich der Anachoret führte, sah ich einen Chor von Damen einer heiligen Reliquie ihre Verehrung erweisen. Allein, da ich ihr Antlitz nicht sah und ihre Stimmen nicht hörte, außer in den Hymnen, die sie sangen, kann ich nicht sagen, ob die Königin von England sich in ihrer Mitte befand.« – »Kanntet Ihr keine dieser Damen?« fragte Richard . . . Kenneth schwieg. – »Ich frage Euch,« fuhr der König fort, sich auf den Ellbogen stützend, »als Ritter und Edelmann, – und Eure Antwort soll mich lehren, wie Ihr beides schätzt, – kanntet Ihr eine Dame unter dieser andächtigen Versammlung?« – »Ich möchte nicht Nein sagen,« sagte Kenneth in großer Verlegenheit. – »Auch ich kann nur mutmaßen,« unterbrach ihn Richard, finster die Stirne runzelnd. »Doch genug davon. Als Leopard, Herr Ritter, hütet Euch, den Leu zu reizen, versteht Ihr? Sich in den Mond zu verlieben, wäre nur Torheit; aber von der Zinne eines hohen Turmes zu springen, in der ungereimten Hoffnung, zu ihm hinauf zu gelangen, wäre Selbstmord.« In diesem Augenblicke ward Geräusch im äußeren Gemache laut, und der König, schnell wieder seine gewöhnliche Weise annehmend, sagte: »Genug davon. Eilt zu Thomas von Vaux und schickt ihn her mit dem arabischen Arzte. Ich stehe mit meinem Leben für des Sultans Redlichkeit. Wollte er nur seinen falschen Glauben abschwören, so hülfe ich ihm mit meinem Schwerte diesen Abschaum von Franzosen und Österreichern aus seinem Gebiete vertreiben.« Der Ritter vom Leoparden entfernte sich, und gleich darauf wurden durch die Kämmerer Abgesandte der Ratsversammlung angemeldet, die dem Könige ihre Aufwartung machen wollten. »Gut, daß sie wenigstens meinen, ich sei noch am Leben,« war seine Antwort. »Wer sind die Abgesandten?« – »Der Großmeister des Templerordens und der Marquis von Montserrat.«. – »Unser Bruder von Frankreich liebt keine Krankenbetten,« sagte Richard; »und gleichwohl, wäre Philipp krank gewesen, ich hätte schon längst an seinem Lager gestanden. – Jocelyn, bring das Bett in Ordnung; es ist zusammengeschüttelt, wie von stürmischer See. Kämme mir auch Haar und Bart, die einer Löwenmähne tatsächlich ähnlicher sehen als Christenlocken. Gib mir auch Wasser!« – »Majestät,« sagte der Kämmerling zitternd, »die Aerzte sagen, kaltes Wasser sei gefährlich.« – »Hol sie der Teufel, diese Aerzte!« entgegnete Richard. »Wenn sie mich nicht kurieren können, will ich mich auch nicht von ihnen schinden lassen. So!« fuhr er fort, nachdem er sich gewaschen hatte, »jetzt laß die würdigen Gesandten herein!« Der Großmeister der Tempelherren war ein langer, hagerer Mann mit müdem, doch durchdringendem Auge, und einer Stirn, der tausend schwarze Intriguen ihren Stempel aufgeprägt hatten. Er stand an der Spitze jenes seltsamen Ordens, dem die Körperschaft alles, das Individuum aber nichts galt. Er trug das lange, weiße Feiertagsgewand und den Abacus, jenen geheimnisvollen Amtsstab, dessen eigentümliche Form zu dem Argwohne führte, daß diese Brüderschaft christlicher Ritter sich unter den ärgsten Symbolen des Heidentums verbunden habe. Konrad von Montserrat dagegen zeigte ein viel gefälligeres Aeußere als jener finstere, geistliche Krieger, der sich in seiner Begleitung befand. Er war ein schöner Mann im mittleren Alter, kühn in der Schlacht, einsichtsvoll im Rat, fröhlich bei Festlichkeiten: doch zeihte man ihn einer veränderlichen Sinnesart, der Engherzigkeit, Selbstsucht und Ehrsucht. Nach den üblichen gegenseitigen Begrüßungen erging sich der Marquis in der Auseinandersetzung der Gründe ihres Besuches.. »Erkundigung einzuziehen über das Befinden ihres hohen Bundesgenossen, des tapferen Königs von England,« sagte er, »ist der Hauptzweck, der die hohen Fürsten vom Rate der Kreuzfahrer bestimmte, uns zu entsenden...« – »Wir wissen, welchen Wert die Fürsten auf unsere Gesundheit legen,« erwiderte der König; »aber wäre es Euch gefällig, Ihr Herren, Euch in das anstoßende Zelt zu verfügen? Ihr sollt dort auf der Stelle sehen, wie wir das Wohlwollen und die Fürsorge unserer fürstlichen Bundesgenossen zu schätzen wissen.« Kaum standen sie in dem Außenzelte, als El Hakim, der morgenländische Arzt, in Begleitung des Barons von Gilsland und Kenneths eintrat. Der Arzt verneigte sich vor dem Marquis und dem Großmeister nach orientalischer Sitte. Der Großmeister erwiderte seinen Gruß mit Kälte, der Marquis dagegen mit freundlicher Höflichkeit. Es entstand eine Pause, in welcher der Großmeister den Muselman fragte: »Ungläubiger, Du hast den Mut, Deine Kunst an der Person eines gesalbten Fürsten der Christenheit zu versuchen?« – »Die Sonne Allahs,« antwortete der Weise, »leuchtet für den Nazarener wie für den wahrhaft Gläubigen, und sein Diener macht keinen Unterschied zwischen ihnen, wenn er zur Ausübung seiner Heilkunde gerufen wird.« – »Irrgläubiger Hakim,« sagte der Großmeister, »weißt Du, daß Du von wilden Pferden zerrissen wirst, wenn König Richard unter Deiner Behandlung stirbt?« – »Das wäre harte Rechtspflege,« antwortete der Arzt, »insofern ich nur menschliche Mittel gebrauchen kann, und der Ausgang im Buche des Lichts geschrieben steht.« – »Ehrwürdiger Großmeister,« sagte der Marquis von Montserrat, »bedenkt, daß dieser gelehrte Mann nicht bekannt ist mit unserer christlichen Vorschrift, die in der Furcht Gottes und zum Heil seines Gesalbten dekretiert wurde. Wisse denn, ehrwürdiger Arzt, daß Du am besten tust, Dich vor den hohen Rat unseres heiligen Bundes zu stellen, und in Gegenwart christlicher Gelehrten Rechenschaft zu legen über die Mittel, die Du zur Kur solches erlauchten Kranken anzuwenden gedenkst. Auf diese Art entgehst Du aller Gefahr, durch zu rasche Bereitwilligkeit Dich in schwere Verantwortung zu stürzen.« »Ihr Herren,« erwiderte El Hakim, »ich verstehe Euch wohl. Aber Sultan Saladin, mein gnädiger Fürst, hat mir befohlen, diesen Nazarener-König zu heilen, und mit dem Segen des Propheten werde ich diesem Befehle gehorchen. Gelingt mir es nicht, so biete ich meinen Leib Euren Schwertern dar. Aber Gespräche führen mit Ungläubigen über die Heilkraft von Arzneien, die ich durch die Gnade des Propheten kennen lernte, werde ich nun und nimmer. Darum haltet mich nicht länger auf.« – »Wer spricht von dergleichen?« sagte Thomas von Vaux, der jetzt ins Zelt eintrat. »Wir wurden schon zu lange aufgehalten. Ich grüße Euch, Marquis und Euch, Herr Großmeister; aber ich muß mich auf der Stelle mit diesem Arzte zum König verfügen.« »Lord Gilsland,« sagte der Marquis in normannischem Französisch, »Ihr wißt doch, daß wir hier sind, um von seiten der Fürsten vorstellig zu werden, welche Gefahr die Gesundheit König Richards in den Händen eines heidnischen Arztes läuft?« – »Marquis,« versetzte der Engländer grob, »ich verstehe mich nicht auf viel Worte und höre auch nicht gern viel Worte. Aber ich glaube, was meine Augen gesehen, was meine Ohren gehört haben, und darum glaube ich, daß dieser Heide den König Richard zu heilen vermag, und glaube, daß er ihn auch heilen wird. Die Zeit ist kostbar; und somit Gott befohlen, Ihr Herren.« – »Nicht doch,« sagte Konrad von Montserrat, »der König selbst hat gewünscht, wir möchten bei der Behandlung zugegen sein.« Thomas von Vaux besprach sich leise mit dem Kämmerer, dann sagte er: »Wenn Ihr Euch ruhig verhaltet, so seid willkommen, Ihr Herren; stört Ihr aber den Arzt in seiner Kur, so muß ich Euch ohne Rücksicht auf Euren hohen Rang aus Richards Zelt entfernen. Frisch vorwärts, El Hakim!« Der Großmeister warf auf den unhöflichen Krieger einen grimmigen Blick; seine Stirn hellte sich aber auf, als sein Auge auf den Marquis fiel. Beide folgten dem Ritter und dem Araber in das königliche Zelt, wo Richard auf seinem Lager sie mit Ungeduld erwartete. »Hoho!« rief er, »eine erlauchte Gesellschaft, die meinen Sprung ins dunkle Grab mit ansehen will. Seid gegrüßt als Stellvertreter unserer Bundesversammlung, Ihr Herren! Richard will wieder unter Euch der alte sein, oder Ihr sollt seine Ueberreste zu Grabe tragen. Wohlan, Herr Hakim, ans Werk!« Der Arzt befühlte lange und aufmerksam den Puls, während alle in atemloser Erwartung umherstanden. Dann füllte er den Becher mit Quellwasser und tauchte den kleinen roten Beutel hinein, den er wie voriges mal aus seinem Busen nahm. Als er den Trank hierauf dem König reichen wollte, kam dieser ihm zuvor: »Einen Augenblick, Doktor! Du hast meinen Puls gefühlt, laß mich nun auch den Deinigen fühlen... Ich verstehe, wie es einem tüchtigen Ritter geziemt, auch einiges von Deiner Kunst.« Der Araber reichte ihm die Hand ohne Bedenken, und einen Augenblick lang lagen seine langen, schmalen Finger in der großen Hand des Königs gleichsam begraben. »Sein Blut geht ruhig,« sagte Richard. »So klopfen die Adern nicht bei einem Menschen, der einen König vergiften will. Thomas von Vaux, mag ich das Leben behalten oder sterben, so entlaß diesen Arzt in Ehren und Sicherheit. Empfiehl uns, Freund, dem edlen Saladin! bleibe ich am Leben, so werde ich ihm den Dienst danken, wie es sich einem Krieger gegenüber gebührt.« Er richtete sich jetzt im Bette auf, nahm den Becher, leerte ihn bis auf den Boden, dann gab er ihn dem Araber zurück und sank erschöpft auf die Kissen. Der Arzt winkte den Rittern, sich zu entfernen; aber während die übrigen dem Winke folgten, ließ Thomas von Vaux sich durch keine Vorstellungen bewegen, das Zelt zu verlassen. Zehntes Kapitel Montserrat und der Großmeister des Tempelritter-Ordens sahen, als sie vor dem königlichen Zelt standen, in dem sich der im letzten Kapitel geschilderte Auftritt abgespielt hatte, daß eine starke Wache mit Streitäxten und Bogen davor aufzog. Die Krieger blickten so trübe, als folgten sie einem Leichenzuge, und schritten so behutsam, daß man kein Schild, kein Schwert klirren hörte. Vor den beiden hohen Herren senkten sie mit tiefer Ehrerbietung, doch unter demselben tiefen Schweigen die Waffen. »Die Laune dieser insularen Köter hat sich recht geändert,« sagte der Großmeister zu Konrad von Montserrat, als sie an Richards Leibwache vorbei waren. »War hier sonst ein Lärmen und Toben! immer, als ob sie bloß Jahrmarkt und Kirmes zu feiern hätten.« »Kettenhunde sind treu,« entgegnete Kunrad, »und der König, ihr Herr, hat ihre Anhänglichkeit dadurch gewonnen, daß er immer mit jubiliert hat, sobald ihm der Sinn danach stand.« – »Er ist aus lauter Launen zusammengesetzt,« erwiderte der Großmeister. »Habt Ihr wohl gehört, wie er uns, statt ein Gebet zu sprechen, beim Becher hochleben ließ?« »Er hätte die Wirkung dieses Bechers schon empfunden,« antwortete der Marquis, »wäre Saladin ein Türke, wie jeder andere; er gibt sich aber den Anschein von Treue, Redlichkeit und Rittersinn, als ob solch ungetaufter Hund, wie er, das Recht dazu hätte... Es heißt ja sogar, er habe dem Könige von England das Ansinnen gestellt, ihn in den Schoß des Rittertums aufzunehmen.« – »Beim heiligen Bernhard,« rief der Großmeister, »da wäre es Zeit, Wehrgehenk und Sporen wegzuwerfen.« Sie waren jetzt zu ihren Pferden gelangt, die in einigem Abstande vom königlichen Zelt, umringt von einer stattlichen Schar von Knappen und Pagen, auf einem Rasenflecke ästen. Konrad schlug nach einer kleinen Pause vor, Rosse und Gefolge zu entlassen und sich durch das ausgedehnte Christenlager zu Fuß nach ihrer Wohnung zu begeben. Der Großmeister war damit einverstanden. Sie machten sich auf den Weg durch die breite Esplanade zwischen den Zelten und den äußeren Festungswerken. Auf diesem verhältnismäßig einsamen Wege konnten sie sich heimlich und unbemerkt, ausgenommen von den Schildwachen, an denen sie vorbeikamen, unterhalten. Vom Lager und Kreuzzuge ging ihr Gespräch auf ein interessanteres Thema über... »Wenn es sich mit Eurer Tapferkeit und Frömmigkeit vertrüge, ehrwürdiger Ritter Giles Amaury,« sagte nach ziemlich langer Pause der Marquis mit einem Blick auf das düstere starre Angesicht des Templers, »so möchte ich Euch bitten, das dunkle Visier, das Ihr tragt, zu lüften und Euch Auge in Auge mit einem Freunde zu unterhalten.« – Der Templer lächelte. »Es gibt auch helle Masken,« sagte er, »die das Gesicht so gut wie dunkle Visiere verbergen.« – »Das will ich nicht bestreiten,« antwortete der Marquis, die Hand ans Kinn legend mit einer Bewegung, als ob er seine Maske abnehme; »sie ist gefallen, die helle Maske, die Euch störte... was haltet Ihr von den Aussichten dieses Kreuzzuges?« – »Ich will Euch,« sagte der Großmeister, »mit einer Parabel antworten, die mir ein Heiliger der Wüste erzählte: Ein Landwirt betete zum Himmel um Regen und murrte, als keiner fiel, über seine Not. Zur Strafe für seine Ungeduld sandte ihm Allah den Euphrat über Haus und Hof. Da hatte er Wasser genug, aber weder Haus mehr noch Hof, es zu brauchen, das war der Lohn für seine Ungeduld.« »Wahr gesprochen!« antwortete der Marquis. »Hätte doch das Meer neun Zehntel von der Seemacht dieser christlichen Fürsten verschlungen! Das letzte Zehntel hätte den Plänen der Edlen Palästinas mehr genützt als das ganze lateinische Königreich Jerusalem.« – »Allerdings,« erklärte der Templer; »aber es kann den Kreuzfahrern doch gelingen, auf den Mauern Zions das Kreuz wieder aufzupflanzen.« – »Was wird das dem Templer oder Montserrat helfen?« meinte der Marquis. – »Euch könnte es schon helfen,« entgegnete der Großmeister, »Ihr könnt doch König von Jerusalem werden.« – »Das klingt ja sehr schön,« sagte der Marquis, »aber recht hohl. Gottfried von Bouillon wählte am besten die Dornenkrone als Wappenbild. Ich muß wohl sagen, Großmeister, die morgenländische Regierungsform ist mir durchaus sympathisch. Eine Monarchie sollte nur aus König und Untertanen bestehen, entsprechend dem Urbegriffe: ein Hirt und seine Herde. Ein König soll frei auftreten, Großmeister, nicht hier durch einen Graben, dort durch ein Festungswerk, hier durch ein Lehnsvorrecht, dort durch eine Baronie gehemmt werden. Um mich kurz zu fassen, so sehe ich wohl, daß die Ansprüche Guidos von Lusignan auf den Thron den meinigen vorgehen müßten, wenn Richard wieder genäse.« – »Genug,« erwiderte der Großmeister, »Du hast mich von Deiner Aufrichtigkeit überzeugt.« – »Du wirst doch nichts verraten?« fragte Montserrat, ihn argwöhnisch musternd. »Verlaß Dich drauf, ich trete in die Schranken gleich dem besten Templer, der je eine Lanze einlegte.« – »Dennoch wirst Du scheu vor einem mutigen Rosse,« erwiderte der Großmeister: »immerhin schwöre ich Dir bei dem heiligen Tempel, dessen Verteidigung unser Orden gelobt hat, daß ich Dir als treuem Waffenbruder Verschwiegenheit bewahren werde.« – »Bei welchem Tempel?« sagte Montserrat, dessen Spottliebe seiner Klugheit oft ein Schnippchen schlug. »Schwörst Du bei jenem Tempel auf Zion, von König Salomo erbaut, oder bei dem symbolischen Gebäude, von welchem im Rate Deines mächtigen Ordens unter den Gewölben Eurer Pfründen die Rede gewesen sein soll?« Der Templer warf ihm einen giftigen Blick zu, antwortete jedoch ruhig und gelassen: »Bei welchem Tempel ich auch schwören mag, Marquis, so halte Dich überzeugt, daß mein Eid mir heilig ist. Ich möchte wohl wissen, wie ich Dich durch einen Eid von gleicher Kraft binden könnte.« »Ich will die Wahrheit schwören,« sagte der Marquis lachend, »bei meiner kleinen Krone, die ich vor Ausgang dieses Krieges in etwas Besseres zu verwandeln hoffe. Ein Herzogshut böte ihr wärmeren Schutz gegen die Nachtluft, noch besser freilich wäre eine Königskrone, mit Hermelin und Sammet abgefüttert. Mit einem Worte, wir sind durch unser Interesse aneinander geknüpft, denn wähne nicht, Großmeister, daß diese verbündeten Fürsten, falls sie Jerusalem wieder erobern und einen König aus eigener Wahl einsetzen sollten, Deinem Orden oder meinem armen Marquisat die Unabhängigkeit ließen, deren sich beide jetzt erfreuen. Nein! Bei der heiligen Jungfrau! Dann müssen die stolzen Johanniterritter wieder in den Hospitälern Pflaster streichen, und Ihr hochmächtigen und ehrwürdigen Templer müßt wieder stramme Krieger werden, zu dritt auf einer Streu schlafen und zu zweit auf einem Pferde reiten, wie es noch jetzt auf Eurem Siegel zu lesen steht.« – »Rang, Vorrechte und Schätze unseres Ordens würden solcher Erniedrigung vorbeugen,« entgegnete der Templer stolz. – »Das ist eben Euer Verderben!« sagte Konrad von Montserrat! »Ihr wißt so gut wie ich, daß die erste Maßregel der christlichen Herrscher in Palästina, wenn es ihnen gut hier ginge, die Verkümmerung Eurer Ordensrechte wäre!« – »Es mag richtig sein, was Ihr sagt,« versetzte der Templer mit düsterem Lächeln. »Aber wie stände es mit unsern Hoffnungen, wenn die Verbündeten ihre Truppen zurückzögen und Palästina in der Gewalt Saladins zurückließen?« – »Der Sultan,« antwortete der Marquis, »würde große Provinzen hergeben, um eine geübte Schar fränkischer Lanzenträger in seinen Diensten zu halten. In Aegypten, in Persien würden Hunderte solcher Truppen zusammen mit seiner eigenen leichten Reiterei eine unüberwindliche Macht darstellen. Allerdings würde dieses Abhängigkeitsverhältnis nur eine gewisse Zeit dauern, vielleicht nur so lange, wie dieser Sultan lebte... aber im Orient wachsen Reiche wie Pilze. Seinen Tod angenommen, was dürften wir nicht, bei dem ständigen Nachwuchse kühner Geister in Europa, zu erreichen hoffen, wenn wir diese Macht von Fürsten nicht über uns hatten?« »Diesen Worten, Herr Marquis,« sagte der Großmeister, »stimme ich von Herzen bei. Aber wir müssen auf unserer Hut sein, denn Philipp von Frankreich ist ebenso klug als tapfer.« – »Allerdings, aber um so leichter wird man ihn von einem Feldzuge ablenken, zu dem er sich in momentaner Begeisterung vorschnell verpflichtet hat. Er ist eifersüchtig auf König Richard, seinen natürlichen Feind, und sehnt sich wieder zurück nach Paris, das ihm für seine ehrgeizigen Plane weit näher liegt als Palästina. Er wird jeden Vorwand ergreifen, sich von einem Schauplatz zu entfernen, wo er nur die Kräfte seines Reiches vergeudet.« – »Und der Herzog von Oesterreich?« sagte der Templer. – »O, der gelangt durch seine Torheit und Selbsttäuschung zu denselben Schlüssen und sieht wohl lange schon ein, daß er undankbar behandelt wird. Keiner wohl fürchtet und haßt König Richard wie er, und keiner träte wohl mit Saladin in Friedensverhandlungen so gern wie er.« »Ich gestehe« erwiderte der Templer, »man müßte blind sein, wenn man dies nicht bei ihren neulichen Beratungen gesehen hätte. Aber lüfte nun Deine Maske noch um einen Zoll höher und sage mir, weshalb Du jenen Schotten, oder was der Ritter vom Leoparden sonst sein mag, der Ratsversammlung zum Ueberbringer ihrer Vorschläge aufgedrungen hast?« »Ich meinte,« antwortete der Italiener, »des Mannes Charakter als Brite müßte Saladin, der doch wußte, daß er zu Richards Truppen gehörte, genehm sein, während sein Charakter als Schotte es unwahrscheinlich machte, daß er bei seiner Rückkehr mit Richard in Berührung kam, denn Richard mochte von seiner Gegenwart nie viel wissen.« – »Eine fein gesponnene Politik!« entgegnete der Großmeister. »Doch laß Dir sagen, daß sich dieser ungeschorene Simson der britischen Insel nie durch italienische Spinnweben umgarnen lassen wird! Seht Ihr denn nicht, daß uns der so behutsam erwählte Gesandte in diesem Arzte das Medium gebracht hat, den löwenherzigen Engländer wiederherzustellen? und ist er erst wieder imstande, aufzubrechen, wer von diesen Fürsten soll ihn zurückhalten?« – »Beruhige Dich,« versetzte Konrad von Montserrat. »Ehe dieser Arzt Richards Kur vollendet, wird zwischen Frankreich oder wenigstens Österreich und seinen englischen Verbündeten der Bruch da sein, und zwar ein Bruch, bei dem von Versöhnung keine Rede sein kann! Richard wird, und wenn er zehnmal gesund wird, nie wieder das ganze Heer der Kreuzfahrer befehligen.« – »Du bist ein geschickter Bogenschütze,« sagte der Templer, »aber Dein Bogen ist zu schlaff, daß Dein Pfeil sein Ziel erreichen sollte.« Hier brach er ab und warf einen argwöhnischen Blick umher, ob ihn jemand belausche. Dann nahm er die Hand des Marquis, drückte sie heftig, sah dem Italiener tief in die Augen und flüsterte: »Richard wieder gesund werden, sagst Du? Das darf nie sein, Konrad!« – Der Marquis stutzte. »Wie?« rief er, »sprecht Ihr von Richard von England? Von Richard Löwenherz, dem Helden der Christenheit?« Seine Wange ward bleich, seine Knie zitterten, als er sprach; der Templer sah ihn an und verzog sein starres Gesicht zu einem höhnischen Lächeln . . . »Weißt Du, wem Du diesen Augenblick ähnelst, Konrad?« sagte er. »Nicht dem weltklugen, tapferen Marquis von Montserrat, der den Rat der Fürsten leiten, das Schicksal der Reiche bestimmen wollte, nein! einem Lehrbuben, der im Buche seines Meisters wider alles Erwarten eine Beschwörungsformel gefunden hat und sich vor Angst nicht zu raten weiß, als er nun den Teufel vor Augen hat.« »Ich gebe zu,« versetzte Konrad, der seine Fassung wiederzufinden anfing, »daß Du, wenn nicht auf den sichersten, doch auf den Weg hingedeutet hast, der am geradesten zum Ziele führt. Aber, heilige Maria! wir werden den Fluch von ganz Europa auf uns laden, vom Papst auf seinem heiligen Stuhl an bis zum Bettler an der Kirchentür.« – »Nimmst Du es so,« sagte der Großmeister mit der Ruhe, die ihn wahrend dieses ganzen Gesprächs auszeichnete, »so laß uns tun, als wäre nichts zwischen uns vorgefallen, als hätten wir nur im Schlafe gesprochen, wären erwacht, und das Traumgesicht wäre verschwunden.« – »Es kann doch nicht verschwinden,« entgegnete Konrad. – »Bilder von Herzogskronen und Diademen behaupten sich allerdings in der Einbildungkraft mit einiger Hartnäckigkeit,« versetzte der Großmeister. – »Wohlan,« entgegnete Konrad, »laß mich nur erst versuchen, den Frieden zwischen Oesterreich und England zu brechen.« Sie trennten sich. Konrad blieb noch auf dem Platze stehen und sah dem wallenden weißen Mantel des Templers nach, bis er in dem schnell herabsinkenden Dunkel der orientalischen Nacht verschwand. »Ich habe, weiß Gott! den Teufel in Person herbeigerufen,« sagte er. »Wer hätte gedacht, daß dieser finstere, asketische Großmeister, dessen ganzes Sein mit seinem Orden verwachsen ist, bereit wäre, diesen wilden Kreuzzug zu hemmen? an die schnelle Art, die dieser Priester vorschlägt, habe ich freilich nie gedacht; und doch ist es der sicherste, vielleicht auch der gefahrloseste Weg.« Aus diesen Betrachtungen wurde der Marquis durch eine Stimme gerissen, die in geringer Entfernung von ihm im Heroldstone rief: »Gedenke des heiligen Grabes!« Von Posten zu Posten hallte diese Mahnung wider, denn die Schildwachen mußten bei der Ablösung das Heer der Kreuzfahrer durch diesen Ruf an den Zweck seines Hierseins erinnern. Konrad kannte freilich diese Vorschrift, und doch traf diese mahnende Stimme jetzt mit seinen Gedanken so seltsam zusammen, daß sie ihm wie ein Ruf des Himmels vorkam, wie eine Warnung vor der Ungerechtigkeit, die er im Sinne hatte. Aengstlich blickte er sich um, und sein Auge fiel auf die breiten Falten der Fahne Englands, die auf einem künstlichen Wall fast in der Mitte des Lagers, den vielleicht weiland irgend ein hebräischer Heerführer sich als Ruhestätte erkoren hatte, schwerfällig in der dünnen Nachtluft flatterte. St. Georgenberg war der Wall von den Kreuzfahrern getauft worden. Ein lebhafter Verstand, wie der Konrads von Montserrat, faßt den Gedanken im Nu. Ein einziger Blick auf die Standarte, und alle Ungewißheit aus seinem Gemüte schien verschwunden. Mit dem raschen, festen Schritt eines Mannes, der einen einmal entworfenen Plan auszuführen gewillt ist, begab er sich nach seinem Zelte und entließ das beinahe fürstliche Gefolge, das zu seiner Aufwartung bereit stand. »Morgen,« sagte er, »sitze ich an der Tafel des Erzherzogs von Oesterreich. Da wollen wir sehen, wie unser Ziel sich erreichen läßt, ehe wir den finsteren Eingebungen dieses Templers folgen.« Elftes Kapitel Leopold, Erzherzog von Oesterreich, war zur herzoglichen Würde im Deutschen Reiche durch seine nahe Verwandtschaft mit dem Kaiser Heinrich dem Ersten gelangt und herrschte über die schönsten Provinzen, welche die Donau durchfließt. Sein Charakter ist in der Geschichte durch seine Gewalttat befleckt, die ihren Grund in den Ereignissen im heiligen Lande hat, und doch fiel diese Schmach, Richard Löwenherz gefangen zu nehmen, als er in Verkleidung und ohne Begleitung durch Oesterreich den Weg zur Heimat suchte, nicht eigentlich auf Leopold selbst. Er war eher ein schwacher und eitler als ehrgeiziger und tyrannischer Fürst. Seine geistigen Kräfte entsprachen seiner körperlichen Beschaffenheit. Er war groß, stark und hübsch, lange blonde Locken umschlossen sein frisches, blühendes Gesicht; in seinem Gange war aber etwas Unbeholfenes, als fände er die Kraft nicht, eine solche Masse zu dirigieren. Auch schien ihm die reichste Kleidung nie zu passen, und nicht selten meinte er, durch Grobheit und unzeitige Heftigkeit zu ersetzen, was er durch seine geistige Schwerfälligkeit einzubüßen fürchtete. Als er sich dem Kreuzzuge mit einem großen, fürstlichen Gefolge anschloß, hatte er sich eifrig um König Eduards Freundschaft bemüht. Aber er stand, wenn auch nicht an Tapferkeit, doch an Mut und Feuer dem englischen König so auffällig nach, daß ihn dieser bald gering achten lernte. Dazu kam, daß Richard, als ein an Mäßigkeit gewöhnter Fürst, Leopold seine starke Vorliebe für Tafelfreuden sehr verargte. Dies alles war dem argwöhnischen Erzherzoge nicht entgangen, und die zwischen den beiden Fürsten herrschende Zwietracht wurde durch Philipp von Frankreich genährt, einen der umsichtigsten Monarchen seiner Zeit, der Richards feurigen, herrschsüchtigen Charakter fürchtete. Auf diese tiefe Abneigung des Erzherzogs von Oesterreich gegen den englischen König Richard baute nun Konrad von Montserrat seinen Plan, der auf eine Lockerung des Kreuzfahrerbundes hinauslief. Er wählte die Mittagszeit zu seinem Besuche, unter dem Vorwande, dem Erzherzog eine vorzügliche Sorte Cypernwein zum Geschenk zu machen, die er vor kurzem erhalten hatte. Die Folge dieser Absicht war eine höfliche Einladung zur Tafel des Erzherzogs. Zahlreiche Diener, alt und jung, warteten im Zelt auf; Lustigmacher, Zwerge und Minnesänger waren in ungewöhnlicher Zahl vorhanden: unter einem Geschrei und Getöse, das sich besser für eine deutsche Jahrmarktsschenke als für das Zelt eines regierenden Fürsten geschickt hätte, wurde dem Herzog aufgewartet, mit einem Zeremoniell, das sein ängstliches Streben, den Stand und Charakter seines hohen Ranges streng zu behaupten, deutlich verriet. Er wurde von knieenden Pagen bedient, speiste auf Silber und trank seinen Tokayer und Rheinwein aus goldenem Becher. Sein Herzogsmantel war mit Hermelin verziert, seine Herzogskrone kam an Wert einer Königskrone gleich, und seine Füße, die in Sammetschuhen steckten, deren Länge zwei Fuß betragen konnte, ruhten auf einem Schemel aus gediegenem Silber. Seine Aufmerksamkeit teilte er zwischen seinem fürstlichen Gaste, der zu seiner Rechten saß, und seinem »Spruchmeister«, der rechts hinter ihm stand. Dieser Mann war mit einem Mantel und Wams aus schwarzem Sammet bekleidet. An dem kurzen Stabe, den er trug, waren wie am Wamse Silbermünzen befestigt, und wenn er die Aufmerksamkeit auf seine Rede lenken wollte, klingelte er mit all den Münzen, daß jedermann die Ohren weh taten. Diese Person nahm am Hofe des Erzherzogs einen Rang ein zwischen einem Minnesänger und einem Rat, war abwechselnd Schmeichler, Dichter und Redner; und wer bei dem Herzog gut zu stehen wünschte, pflegte sich deshalb um die Gunst seines Spruchmeisters zu bemühen. Als Dämpfer der Weisheit dieser wichtigen Person stand auf der anderen Seite hinter dem Erzherzog sein Hofnarr Jonas Schwanker, der fast ebenso viel Geräusch mit seiner Narrenkappe, seinen Schellen und seiner Kolbe machte, wie der Spruchmeister mit seinem Münzenstabe. Es währte nicht lange, so wurde die Politik mit ihren Trägern von dem Hofnarren in die Diskussion gezogen, der den englischen König nie anders als »Richard vom Ginster« titulierte. Als der Marquis ihn hierüber um Aufklärung bat, sagte er: »Der Ginster auch Besenpflanze genannt, ist das Sinnbild der Demut; es wäre gut, wenn alle, die solch Sinnbild zu dem ihrigen machten, sich auch dieser Tugend erinnerten.« Darauf meinte Jonas Schwanker, daß mancher, der sich selbst erniedrigt hätte, durch Rache erhöht worden wäre. »Ehre, dem Ehre gebühret,« sagte der Marquis von Montserrat; »wir haben an diesen Heerzügen und Schlachten Anteil gehabt, und mich dünkt, auch andere Fürsten verdienten ihren Teil an dem Ruhme, dessen sich Richard unter den Minnesängern erfreut. Weiß kein Zunftgenosse der fröhlichen Kunst ein Lied zum Preise des königlichen Erzherzogs von Oesterreich, unseres fürstlichen Wirtes?« Drei Minnesänger nahten sich wetteifernd mit Gesang und Harfenspiel. Zwei wurden vom Spruchmeister, der die Aufsicht über das Gelage führte abgewiesen; der dritte sang in hochdeutscher Sprache: Welcher Held ists, der die Scharen, Mit dem roten Kreuz geziert, Als Feldmarschall wohl erfahren, Hoch zu Roß ins Treffen führt? Hier unterbrach der Spruchmeister mit seinem Stabe den Sänger, um der Gesellschaft begreiflich zu machen, was sie sonst nicht erraten hätten, daß ihr königlicher Wirt der Held sei, auf den die Strophe hinziele – und ein voller Becher machte mit dem lauten Rufe »Hoch lebe Herzog Leopold!« die Runde. – Eine zweite Strophe folgte: Welcher Fürst ist's, dessen Banner Ueber allen andern schwebt? Dessen kühner Doppeladler Sich zur Sonne stolz erhebt? »Der Adler,« erklärte wieder der Spruchmeister, »ist das Sinnbild unseres edlen Herrn, des Erzherzogs, und der Adler fliegt am höchsten und steigt von allen gefiederten Geschöpfen der Sonne am nächsten.« – »Der Löwe hat einen Sprung über den Adler getan,« warf Konrad von Montserrat achtlos hin. Der Erzherzog, errötend, heftete sein Auge auf den Marquis, während der Spruchmeister nach einigem Bedenken antwortete: »Der Herr Marquis werden verzeihen, aber ein Löwe kann nicht über einen Adler fliegen, weil er keine Flügel hat.« – »Ausgenommen der Löwe auf dem St. Markusplatze,« entgegnete der Narr. »Ich meinte nicht den Löwen Venedigs,« entgegnete der Marquis, »sondern die drei wandernden Löwen Englands, die vor allem Getier der Erde den Vorrang haben. Wehe dem, der dagegen spricht!« »Ist das Euer Ernst, Marquis?« fragte der Oesterreicher, den der Wein schon stark erhitzt hatte ... »Glaubt Ihr, Richard von England mache Anspruch auf Vorrang unter den freien Fürsten, die ihm freiwillig gefolgt sind?« – »Ich urteile nur nach dem Augenschein,« versetzte Montserrat. »Sein Banner hängt allein mitten in unserm Lager, als ob er König und Oberfeldherr unseres christlichen Heeres sei.« – »Und das ertragt Ihr so geduldig?« versetzte Leopold. – »Gnädiger Herzog,« entgegnete Konrad, »nicht dem armen Montserrat kommt es zu, wider ein Unrecht sich aufzulehnen, dem sich mächtigere Fürsten wie Philipp von Frankreich und Leopold von Oesterreich lammfromm gefügt haben. Ein Schimpf, den Ihr vertragt, kann für mich keine Schmach sein!« – Leopold schlug mit der geballten Faust auf die Tafel ... »Ich habe es Philipp schon oft gesagt,« antwortete er, »daß es unsere Pflicht sei, die geringen Fürsten gegen die Anmaßung dieses Inselkönigs zu schützen, allein er rückt immer die Rücksichten ins Treffen, die er auf seine Lehnsherrschaft dem Vasallen gegenüber zu nehmen habe, und hält es für unpolitisch, es jetzt zu einem Bruche kommen zu lassen.« – »Die Welt kennt ja Philipps Weisheit,« erwiderte Konrad, »und wird seine Mäßigung für Politik halten, Eure Unterwerfung aber, gnädiger Herr, könnt Ihr nur allein rechtfertigen; ohne Zweifel habt Ihr gute Gründe dazu.« »Ich soll Gründe haben, mich dem Könige von England zu unterwerfen?« rief Leopold empört. »Ich, als Erzherzog von Oesterreich, als wichtigstes Glied des heiligen Römischen Reiches – ich soll mich diesem Fürsten einer Halbinsel, diesem Enkel eines normannischen Bastards unterwerfen? Nein, bei allen Heiligen! Die ganze Christenheit soll es erleben, daß ich mir Recht zu verschaffen weiß, daß ich dem englischen Kettenhunde nicht einen Zollbreit Land einräume. Auf, meine Vasallen und Leute! Folgt mir! Ohne zu säumen, wollen wir Österreichs Doppel-Adler dorthin bringen, wo er als Wahrzeichen von König und Kaiser höher schweben soll, als jegliches andere!« Von seinem Sessel aufspringend, unter dem Jauchzen seiner Diener, eilte er nach der Zelttür und griff nach seinem Banner. »Nicht so, gnädiger Herr!« rief Konrad, wie wenn er bemüht sei, zu vermitteln; »beginnt Ihr zu solcher Zeit im Lager Zwist, so werdet Ihr Eurer Weisheit schaden; es ist vielleicht besser, sich der englischen Anmaßung noch eine Weile zu unterwerfen, statt – « »Nicht einen Augenblick länger!« unterbrach ihn der Herzog und schritt mit dem Banner in der Hand, von seinen jauchzenden Gästen und Dienern begleitet, nach der Anhöhe, wo Englands Fahne flatterte. Er packte deren Stange, als ob er sie aus dem Boden reißen wolle. »Gnädigster Herr!« rief Jonas Schwanker, dem Erzherzog in die Arme fallend, »Löwen haben Zähne.« – »Adler haben Fänge,« versetzte der Erzherzog, die Fahnenstange noch immer gepackt haltend, aber im Zweifel, ob er sie aus dem Boden ziehen sollte. Der Spruchmeister aber hatte trotz seinem Amte, Unsinn zu schwatzen, doch recht gesunden Verstand, ließ seinen Stab laut erklingen und rief: »Der Adler ist König unter den Vögeln, der Löwe unter den Tieren. Jeder hat sein Gebiet, und beide sind soweit voneinander, wie England und Deutschland – tue dem Löwen keinen Schimpf an, edler Aar, laßt Eure Banner lieber friedlich nebeneinander flattern.« Leopold zog die Hand von der Fahnenstange zurück und sah sich nach Konrad von Montserrat um, erblickte ihn aber nicht, denn dieser hatte sich, sobald er das Unheil angestiftet hatte, vorsichtig aus dem Gewühl entfernt, um unparteiischen Personen zu sagen, daß der Erzherzog die Zeit nach dem Mittagessen gewählt habe, eine Beleidigung zu rächen, die er von England erlitten haben wollte. Indes war die entscheidende Stunde herangerückt, wo der kranke König, wie sein Arzt bestimmt hatte, aufgeweckt werden sollte. El Hakim hatte erklärt, daß das Fieber den König verlassen habe, und er werde bei der starken Konstitution desselben keine zweite Dosis Arznei anzuwenden brauchen. Richard schien gleicher Meinung zu sein, richtete sich in seinem Bett auf und fragte Thomas von Vaux, wie es mit seiner Kasse beschaffen sei. Der Baron konnte ihm keine richtige Auskunft geben ... »Gleichviel,« sagte Richard, »gebt, was drin ist, diesem gelehrten Arzte, der mich wieder gesund gemacht hat. Was an tausend Byzantinen fehlen sollte, ergänzt durch Juwelen.« – »Die Weisheit, die mir Allah verliehen hat, ist mir nicht verkäuflich,« erwiderte der arabische Arzt, »denn die göttliche Arzenei, die Du gebraucht hast, würde ihre Wirkung in meiner unwürdigen Hand verlieren, wenn ich sie mir bezahlen ließe.« – »Er schlägt eine Belohnung aus!« sprach Thomas von Vaux für sich, »das geht ja noch über sein hundertjähriges Alter.« »Thomas von Vaux,« sprach Richard, »dieser Araber könnte denen, die sich für die Zierde der Ritterschaft ansehen, zum Beispiel dienen.« Die Arme kreuzweise über die Brust schlagend, versetzte der arabische Arzt: »Es ist mir Lohn genug, daß ich einen großen König des Abendlandes also von seinem Diener sprechen höre; aber ich muß Euch jetzt ersuchen, Euch wieder niederzulegen, denn wenn ich auch meine, daß es entbehrlich sei, Euch den göttlichen Trank zum andern Male zu reichen, so möchte doch zu frühe Anstrengung Euch nachteilig sein.« – »Ich muß Dir gehorchen, El Hakim,« sagte der König, »allein glaube mir, meine Brust fühlt sich frei von dem verzehrenden Feuer, und ich könnte sie gleich der Lanze eines Tapferen bloßstellen ... Doch horch! Was hat dieses Jauchzen im Lager zu bedeuten? Geh, Thomas, erkundige Dich!« – »Der Herzog Leopold,« versetzte der Abgesandte, sogleich zurückkehrend, »hält mit seinen Zechbrüdern einen Umzug.« – »Der trunkene Tor!« rief Richard. »Kann er seine Unmäßigkeit nicht hinter seinem Zelte verbergen? muß er die Schande der ganzen Christenheit offenbaren? Was ist Euer Wunsch, Herr Marquis?« fügte er hinzu, als Konrad von Montserrat in das Zelt trat. »Ich freue mich, Euer Majestät soweit hergestellt zu sehen,« erwiderte der Marquis, »und das sind der Worte schon genug für jemand, der Gast des Erzherzogs gewesen ist.« – »Wie? Ihr habt bei dem teutonischen Weinschlauch gespeist?« sagte Richard. »Was hat ihn denn zu diesem Aufzuge bewogen? Herr Konrad, ich habe Euch stets für einen fröhlichen Gesellschafter gehalten, drum wundre ich mich, daß Ihr das Gelage schon jetzt verlassen habt.« Thomas von Vaux hatte sich hinter dem Könige zurückgezogen und suchte dem Marquis begreiflich zu machen, daß er dem Könige nichts von den letzten Vorgängen melden möchte, aber Konrad verstand oder beachtete die Weisung nicht... »Was der Erzherzog tut,« sagte er, »ist für niemand von Bedeutung, für ihn selbst aber am wenigsten, weil er wahrscheinlich nicht weiß, was er tut. Immerhin ist es ein Jux, an dem ich keinen Teil haben möchte. Er vermißt sich, Englands Banner vom St. Georgenberg zu reißen und sein eigenes dort aufzupflanzen.« – »Was sagst Du?« rief der König in einem Tone, der Tote hätte wecken können. – »Erregt Euch nicht über Narreteien!« sagte der Marquis. »Kein Wort mehr!« rief Richard, sprang von seinem Lager auf und warf sich mit einer ans Wunderbare grenzenden Geschwindigkeit in seine Kleider; »kein Wort, Marquis, kein Wort, Thomas von Vaux, Hakim, schweig, ich befehle es Dir!« Dann nahm er das Schwert, das am Pfeiler des Zeltes hing, und stürzte, ohne andere Waffen oder Begleitung zu verlangen, hinaus. Konrad hielt die Hände erstaunt empor und wollte mit Thomas von Vaux ein Gespräch beginnen; dieser aber rannte an ihm vorbei und rief einen Stallmeister: »Eile nach Lord Salisburys Quartier! sage ihm, er solle seine Leute zusammenrufen, und dann folge mir zum St. Georgenberg.« Der Stallmeister eilte mit seinen Leuten in die Zelte der benachbarten Edelleute; die Soldaten fuhren aus ihrer Mittagsruhe auf, an die sie sich in dem heißen Klima schnell gewöhnt hatten. Einige dachten, die Sarazenen seien im Lager, andere, des Königs Leben sei in Gefahr, noch andere, er sei in der Nacht am Fieber gestorben, der Herzog von Österreich habe ihn umgebracht, und dergleichen wilde Gerüchte nahmen ihren Weg durchs Lager. Der Lärm verbreitete sich schnell. Von den vielen christlichen Völkern, die hier versammelt waren, eilten Mannen über Mannen zu den Waffen. Zum Glück war Graf Salisbury mit seinen tüchtigsten Reisigen dem Könige auf der Stelle zu Hilfe geeilt, der ohne einen Augenblick auf das Geschrei und den Tumult zu achten, halb angekleidet, mit dem Schwert in der Scheide unter dem Arm, nur von Thomas von Vaux und einigen Dienern begleitet, den Weg zum St. Georgenberg hin rannte. Er wurde schnell inne, daß bis zum Quartier seiner tapferen Truppen von Poitou, Gascogne, Anjou und der Normandie noch nichts von dem Lärme gedrungen war. Der Ritter vom Leoparden allein hatte den König bemerkt. Schlimme Gefahr ahnend, griff er nach seinem Schild und Schwert und schloß sich an Thomas von Vaux an, der nicht ohne Mühe mit seinem feurigen Gebieter Schritt hielt. Der König kam bald in die Nähe des St. Georgenberges, gefolgt von herzoglichen Mannen sowie von Leuten der verschiedenen Völker, die unwillig über die Engländer oder neugierig auf den Ausgang des ungewöhnlichen Ereignisses waren. Durch dieses Menschengewühl drang Richard, unbekümmert, ob sich die rollenden Wogen desselben hinter ihm schließen oder über ihn hinwegbrausen würden. Oben auf der Anhöhe, auf einer kleinen ebenen Fläche, standen die beiden Banner aufgepflanzt, die sich um den Vorrang stritten, umringt von den Anhängern des Erzherzogs. Darunter stand dieser, dem Beifall lauschend, mit dem seine Mannen nicht geizten. Da schoß, nur von zwei Rittern gefolgt, in seiner tollkühnen Stärke aber einer unbezwinglichen Schar gleich, König Richard unter sie. »Wer hat es gewagt,« rief er mit donnerndem Tone, die Hand an die österreichische Standarte legend, »diesen elenden Lappen neben Englands Banner zu hängen?« Dem Erzherzog fehlte es nicht an Mut, und solche Frage unbeantwortet zu lassen, war nicht möglich. Gleichwohl schien er durch Richards völlig unerwartete Ankunft so erschrocken und hatte, gleich allen Kreuzfahrern, vor dessen feurigem und trotzigem Charakter so großen Respekt, daß dieser die Frage zweimal wiederholen mußte, ehe der Erzherzog zu antworten vermochte: »Ich, Leopold von Oesterreich!« – »Dann soll Leopold von Oesterreich sehen, was sein Banner bei Richard von England gilt!« und er stieß den Fahnenstock um, zerbrach ihn und warf die Fahne auf den Boden. Dann setzte er den Fuß darauf... »So stampfe ich das österreichische Banner in Grund und Boden,« rief er. »Wer von Euren Rittern wagt es, mich meiner Tat anzuklagen?« »Ich – ich – und ich!« hörte man von vielen Rittern aus dem Gefolge des Erzherzogs, und er selbst blieb nicht zurück... »Was zögern wir?« rief Graf Wallenrode, ein riesenhafter Krieger von Ungarns Grenze... »Edle Ritter und Waffenbrüder, laßt uns die Ehre des Vaterlandes schützen vor Schmähung durch englischen Stolz!« Mit diesen Worten zog er sein Schwert und hätte König Richard sicher einen tödlichen Streich versetzt, hätte nicht Kenneth, der Schotte, ihn mit seinem Schilde aufgefangen. »Ich habe geschworen,« rief König Richard, »niemals nach einem Ritter zu schlagen, dessen Schulter das Kreuz trägt. Drum sollst Du leben, Wallenrode, aber Richards von England gedenken!« Mit diesen Worten faßte er den Ungar um den Leib und schleuderte ihn mit unvergleichlicher Kraft und Gewandtheit so wuchtig nach rückwärts, daß er über den Kreis der erschreckten Ritter hinweg und den Abhang hinunter flog, wo er mit verrenkter Schulter wie ein Toter liegen blieb. Dieser Beweis von beinahe übernatürlicher Kraft ließ es weder dem Herzog noch jemand aus seinem Gefolge geraten erscheinen, den Kampf aufzunehmen. Zwar wurden noch Stimmen laut: »Haut den englischen Hund in Stücke!« Aber die meisten riefen, ob nun aus Furcht oder aus Achtung der Manneszucht: »Frieden! Frieden! im Namen des Kreuzes, der heiligen Kirche und des heiligen Vaters!« In diesem Augenblick erschien Philipp von Frankreich, von einigen seiner Edlen begleitet, auf der Bühne, höchlich erstaunt, den König von England auf den Beinen und gegenüber dem Erzherzog von Oesterreich, ihrem gemeinschaftlichen Bundesgenossen, in drohender Stellung zu sehen. Richard errötete, von Philipp, dessen Klugheit er achtete, wenn ihm auch seine Person mißfiel, in einer Situation getroffen zu werden, die weder seiner Würde als Monarch noch seinem Charakter als Kreuzfahrer ziemte. »Was bedeutet diese Zwietracht zwischen Kreuzrittern, die sich brüderliche Liebe gelobt haben?« fragte in strengem Tone König Philipp, »wie kann es geschehen, daß die edelsten Pfeiler dieses heiligen Unternehmens – « »Mit Verlaub, König von Frankreich,« erwiderte Richard, empört darüber, daß er sich auf gleichen Fuß mit dem Erzherzog gesetzt sah. »Die Waffen ruhen zur Zeit im Lager und doch hat dieser Fürst oder Herzog oder Pfeiler, wenn Ihr wollt, ihn gebrochen aus Uebermut, und ich habe ihn dafür gezüchtigt.« »König Philipp,« versetzte der Erzherzog, »ich appelliere an Euch wegen des Schimpfes, den dieser Mann mir angetan, indem er mein Banner umstürzte, zerfetzte und mit Füßen trat.« – »Weil er so verwegen war, es neben das meinige zu pflanzen,« entgegnete Richard. – »Dazu hielt ich mich durch meinen Rang berechtigt,« rief der Erzherzog, durch Philipps Gegenwart ermutigt. – »Behauptest Du, mir gleich an Rang zu sein,« rief König Richard, »so will ich, beim heiligen Georg, Dich ebenso mit Füßen treten wie den gestickten Fetzen, den Du aus irgend einem Winkel frech hervorgeholt hast.« »Geduld, mein Bruder von England,« antwortete Philipp, »ich will Leopold zeigen, daß er im Unrecht ist. Wähne nicht, edler Herzog,« fuhr er fort, »daß wir, die unabhängigen Fürsten des Kreuzzuges, dem königlichen Richard dadurch einen höheren Rang einräumen, daß wir dem Banner Englands den höchsten Standpunkt in unserem Lager vergönnen. Das wäre widersinnig, da selbst die Oriflamme, Frankreichs großes Banner, trotzdem der königliche Richard Frankreichs Vasall auf Grund seines in Frankreich gelegenen Besitzes ist, hier einen niedrigeren Platz einnimmt als Englands Löwen. Aber als Brüder des Kreuzes, als Pilger, die unter Verzicht auf alle Pracht und Eitelkeit dieser Welt mit dem Schwerte sich den Weg nach dem heiligen Grabe bahnen, haben wir in Rücksicht auf den hohen Ruhm und die großen Waffentaten König Richards ihm den Vorzug zugestanden, der ihm aus anderen Beweggründen nicht gewährt worden wäre. Ich bin überzeugt, daß Eure Königliche Hoheit in Erwägung dieser Umstände sich nicht besinnen werden, Bedauern darüber zu äußern, daß Ihr Euer Banner an dieser Stelle aufgepflanzt habt, und daß dann Englands königliche Majestät wegen der Euch zugefügten Schmach Euch die Genugtuung nicht verweigern wird.« Der Herzog brummte, er wollte seine Beschwerde bei der Bundesversammlung vorbringen, und Philipp bewilligte dieses Vorhaben, weil solcher dem Ansehen der Christenheit nachteilige Zwist auf diese Weise am besten gehoben werde. König Richard ließ Philipp ruhig ausreden, rief aber dann: »Das Fieber hat mich noch nicht verlassen, Bruder von Frankreich, aber Du kennst mich und weißt, daß ich niemals viel Worte mache. So wisse, daß ich Englands Ehre weder durch Fürsten, noch durch den Papst, noch durch die Ratsversammlung herstellen lasse. Hier steht mein Banner – und wäre auch die Oriflamme, von der Du wohl eben sprachst, neben ihm aufgepflanzt worden, so sollte sie, das sage ich hier vor allen Anwesenden, keine andere Behandlung erfahren als dieser mit Schimpf beladene Lumpen.« – »Nun,« flüsterte der Hofnarr seinem Begleiter zu, »das ist ja Narrheit, wie aus meinem Munde; indessen dünkt mich, es gibt in dieser Sache vielleicht noch einen größern Toren als Richard selbst.« – »Und wer wäre das?« fragte der Spruchmeister. – »Philipp von Frankreich,« sagte der Hofnarr, »wenn nicht unser königlicher Herzog, sobald nämlich einer von ihnen auf die Herausforderung anbeißt... Aber, höchst weiser Spruchmeister, was hätten wir beide für Könige abgegeben, da doch Richard und Philipp uns als Narr und Sprecher so vollständig geschlagen haben?« Unterdes erwiderte Philipp ruhig auf Richards maßlose Herausforderung: »Ich bin nicht gekommen, neuen Streit zu entzünden, der unserem heiligen Eidschwur und der heiligen Sache, der wir dienen, zuwider wäre. Ich scheide darum von meinem Bruder Richard, wie Brüder voneinander scheiden sollen, und zwischen uns soll kein anderer Wettstreit sein als der, wer von uns am tiefsten in die Reihen der Ungläubigen dringt.« – »So sei es, mein königlicher Bruder,« versetzte Richard, ihm seine Hand mit jener Offenheit reichend, die seinem heftigen, aber edelmütigen Charakter eigen war. »Vielleicht bietet sich bald Gelegenheit, daß wir uns in einem tapferen Ringen versuchen.« »Laß den edlen Erzherzog an dem Glück dieses Augenblicks teilnehmen,« sagte Philipp. Leopold trat, halb mürrisch, halb willens, sich zu vergleichen, näher. »Toren haben für mich so wenig Erinnerungswert wie ihre Torheiten!« sagte Richard gleichgültig, worauf der Erzherzog ihm den Rücken wandte und sich entfernte. Richard sah ihm nach ... »Ein absonderlicher Mut, dessen Glut an Johanniswürmchen erinnert,« sagte er, »bloß in der Nacht sichtbar. – Ich darf dies Banner im Dunkel nicht unbewacht lassen; am Tage reicht der Blick der Löwen hin, es zu schützen. Thomas von Gilsland, Du sollst die Aufsicht über die Standarte führen. Bewache die Ehre Englands!« – »Englands Wohlfahrt ist mir noch teurer,« entgegnete Thomas von Vaux, »und Richards Leben ist Englands Heil und Sicherheit. Eure Königliche Hoheit muß sich daher wieder ins Zelt verfügen, und zwar ohne Aufschub.« – »Du bist ein rauher, gebieterischer Krankenwärter,« versetzte der König lächelnd und wandte sich hierauf zu Ritter Kenneth: »Tapferer Schotte, ich bin Dir eine Gnade schuldig und will sie Dir reichlich gewähren. Da steht das Banner Englands. Bewache es, wie ein junger Krieger seine Rüstung nachts vor dem Ritterschlage. Weiche nicht auf Speerweite von ihm, und verteidige es mit Leib und Leben gegen Schmach und Schimpf. Stoß in Dein Gifthorn, wenn mehr als drei zu gleicher Zeit Dich angreifen sollten. Uebernimmst Du dieses Amt?« – »Gern und willig,« versetzte Kenneth, »und ich stehe mit meinem Kopfe dafür, daß es treu und redlich verwaltet wird. Ich hole meine Waffen und kehre sogleich zurück.« Die Könige von Frankreich und England verabschiedeten sich von einander, ihren Groll unter scheinbarer Höflichkeit verbergend. Richard grollte Philipp um seiner Einmischung willen, und Philipp grollte Richard um der geringschätzigen Art willen, wie er die Vermittlung aufgenommen hatte. Diese Ereignisse wurden von den verschiedenen Völkern verschieden beurteilt, und während die Engländer den Erzherzog beschuldigten, die erste Veranlassung zum Zwiste gegeben zu haben, wälzten die Oesterreicher und andere Völker den Haupttadel auf den Hochmut Richards. »Du siehst,« sagte der Marquis von Montserrat zum Großmeister des Templerordens, »daß seine Kunstgriffe mehr als Gewalt ausrichten. Ich habe die Bande gelockert, bald wirst Du sie reißen sehen.« »Ich möchte Deinen Plan gutheißen,« erwiderte der Templer, »wenn es nur einen einzigen unter diesen kaltblütigen Oesterreichern gegeben hätte, der die Bande, von denen Du sprichst, mit seinem Schwerte trennte. Gelöste Knoten lassen sich wieder knüpfen; aber eine Schnur, wenn sie einmal zerhauen ist, nicht wieder zusammenfügen!« Zwölftes Kapitel Zur Ritterzeit galt ein gefährlicher Posten oder ein gefahrvolles Abenteuer als eine Belohnung kriegerischer Tapferkeit; aber solcher Ritter glich dann dem Kletterer, der einen steilen Hang bezwungen hat und sich vor weiteren schwierigen Punkten sieht. Es war Mitternacht. Der Mond stand hell am Himmel, als Kenneth von Schottland seine Wache am St. Georgenberg bezog, nahe dem Banner Englands. Ein stolzer Gedanke jagte den andern in der Seele des Kriegers. Das Feuer seiner ehrgeizigen Liebe entflammte seinen kriegerischen Mut. König Richard hatte ihm die Auszeichnung zuteil werden lassen, Englands königliches Banner zu hüten, und so war er kein fahrender Ritter mehr von geringer Bedeutung; er war der Aufmerksamkeit der Prinzessin näher gerückt, wenn er ihr auch örtlich noch immer so fern stand wie früher. Er hatte jetzt reichlich Muße, seinen hochstrebenden Gedanken nachzuhängen. Die Natur ringsumher ruhte im stillen Mondschein oder tiefen Schatten. Die langen Zeltreihen lagen still wie die Gassen einer verödeten Stadt. Neben dem Fahnenstabe lag ein großer Windhund, sein einziger Kamerad; das edle Tier schien seine Aufgabe zu begreifen, denn es hob die Augen von Zeit zu Zeit nach den reichen Falten der schweren Fahne empor; und wenn der Ruf der Schildwachen von anderen Posten herüberklang, antwortete der Hund mit seinem Gebell, zum Zeichen, daß er auch auf seinem Posten wach sei. Dann und wann senkte er den schmalen Kopf und wedelte mit dem Schwanze, wenn sein Herr an ihm vorüberschritt oder, in Gedanken verloren, auf die Lanze gelehnt, zum Himmel emporsah. Dann schob er wohl auch, gierig nach einer Liebkosung, die große rauhe Schnauze in den Panzerhandschuh des Ritters. Plötzlich ließ er ein grimmiges Knurren hören und schien willens, nach der im Schatten liegenden Seite zu springen. »Wer da?« rief Kenneth, der dort etwas kriechen sah. – »In Merlins und Maugis Namen,« erklang eine heisere, widerwärtige Stimme, »binde Deinen vierbeinigen Satan an, oder ich komme nicht zu Dir.« – »Wer bist Du?« sagte Kenneth, ohne die Gestalt unterscheiden zu können. »Nimm Dich in acht – ich stehe hier auf Tod und Leben!« – »Halte Dein langbeiniges Vieh fest!« rief die Stimme, »oder ich beschwöre ihn durch einen Bolzen meiner Armbrust.« Kenneth hörte in diesem Augenblick einen Ton, als ob eine Armbrust gespannt würde. – »Laß Deine Armbrust und tritt ins Mondlicht,« sagte der Schotte, »oder, beim heiligen Andreas, ich spieße Dich an den Boden, was oder wer Du seist!« Mit diesem Rufe faßte er seine Lanze in der Mitte und schwang sie, als wolle er sie schleudern, schämte sich aber alsbald dieser Absicht und stieß sie wieder in den Boden. Da sah er ein verkrüppeltes Wesen aus dem Schatten heraustreten, und er erkannte einen der beiden Zwerge, die er in der Kapelle von Engaddi erblickt hatte. Er gab seinem Hunde ein Zeichen, der sich knurrend neben der Fahnenstange niederlegte. Der Zwerg kroch keuchend die Höhe herauf. Als er den Gipfel erreicht hatte, nahm er, sich in wichtige Positur setzend, seine Armbrust in die linke Hand und reichte dem Ritter vornehm die Rechte, wie zum Kusse. Da sich der Ritter aber zu keinem Kusse bequemte, fragte er in scharfem, ärgerlichem Tone: »Krieger, warum zollst Du dem Nectabanus nicht die Huldigung, die seiner Würde gebührt? oder hättest Du ihn etwa vergessen?« – »Großer Nectabanus,« entgegnete der Ritter, von dem Wunsche beseelt, die üble Laune des Kleinen zu besänftigen, »das möchte wohl jedem schwer fallen, der Dich einmal gesehen hat. Verzeihe indes, daß ich als Soldat auf Posten keinem erlauben kann, in den Bezirk meiner Wache zu treten.« – »Schon gut,« sagte Nectabanus. »Doch müßt Ihr mir sogleich zu denen folgen, die mich hergesandt haben, Euch zu rufen.« – »Auch darin kann ich Dir nicht willens sein,« erwiderte der Ritter, »denn bis zum Tagesanbruch muß ich bei diesem Banner bleiben.« Darauf schritt er wieder auf und ab, entging aber der Zudringlichkeit des Zwerges dadurch nicht ... »Ihr müßt mir gehorchen, Herr Ritter,« sagte er, ihm den Weg versperrend, »wie es Eure Pflicht ist, oder ich befehle es Euch im Namen einer Person, deren Hoheit den Unsterblichen gebieten könnte, wenn sie auf die Erde niederstiegen.« Eine kühne Vermutung stieg in Kenneths Seele auf; er unterdrückte sie jedoch. Daß ihm die Dame seines Herzens solche Botschaft durch solchen Boten sende, hielt er für unmöglich und doch zitterte seine Stimme, als er antwortete: »Nectabanus, sage mir offen und ehrlich, ist die Dame, von der Du sprichst, auch nicht etwa die Houri, mit der ich Dich in die Kapelle kehren sah?« – »Anmaßender,« entgegnete der Zwerg, »wähnst Du, die Dame unserer Neigung, die unsere Größe und Ehren teilt, werde sich herablassen, solchem Vasallen, wie Dir, solchen Befehl zu senden? Nein, so hoch Dich die Menschen auch ehren mögen, so hast Du doch die Aufmerksamkeit der Königin Genievra, der Braut Arthurs, noch nicht auf Dich lenken können ... Doch sieh hier das Zeichen! Gehorche also derjenigen von Englands Damen, die es in Deine Hand legt.« Er gab nun dem Ritter einen Rubinring, den dieser auf der Stelle als jener hohen Dame gehörig erkannte, deren Dienst er sich geweiht hatte. Stumm vor Erstaunen, dies Zeichen in solchen Händen zu erblicken, rief er: »Im Namen aller Heiligen, von wem empfingst Du diesen Ring?« – »Verliebter, törichter Ritter,« erwiderte der Zwerg, »was willst Du mehr wissen, als daß Dich eine Prinzessin beehrt mit Befehlen eines Königs? Zu weiterer Verhandlung mit Dir gelüstets uns nicht, aber wir befehlen Dir kraft dieses Ringes, uns zu der Dame zu folgen, der er gehört. Zögere nicht, denn Du versündigst Dich am Herzen derselben!« – »Guter Nectabanus,« sagte der Ritter, »weiß meine Dame, wo ich mich heute nacht befinde? Weiß sie, daß mein Leben und meine Ehre davon abhängen, daß ich dies Banner bis zu Tagesanbruch bewache? Kann es ihr Wunsch sein, daß ich es verlasse, um ihr meine Huldigung zu zollen? – Nein! nein! die Prinzessin beliebt mit ihrem Diener zu scherzen, und um so mehr muß ich das glauben, als sie solchen Boten gewählt hat.« – »Bleibt bei diesem Glauben!« entgegnete Nectabanus, sich umwendend, als ob er sich entfernen wollte. »Mich kümmerts wenig, ob Ihr gegen das königliche Fräulein als Verräter handelt oder nicht. Lebt wohl!« – »Bleib – bleib – ich bitte Dich, bleib!« rief Kenneth. »Beantworte mir nur eine einzige Frage! Befindet sich die Dame, die Dich schickt, hier in der Nähe?« – »Was liegt daran?« entgegnete der Zwerg. »Rechnet die Treue nach Entfernung? Demungeachtet, argwöhnische Seele, will ich Dir sagen, daß Deine Dame sich nicht weiter von hier befindet, als ein von meiner Armbrust abgeschossener Bolzen reicht.« – »Sage mir, Nectabanus,« fragte der Ritter, den Ring nochmals betrachtend, um sich zu überzeugen, daß keine Täuschung vorliege, »wird mein Besuch verlangt zu einer bestimmten Zeit und Stunde?« – »Zeit und Stunde?« entgegnete Nectabanus; »was nennt Ihr Zeit? was nennt Ihr Stunde? Könnt Ihr eins von beiden fassen? Wird Zeit und Stunde des Ritters anders als nach den Taten gemessen, die er für Gott und seine Dame verrichtet?« – »Nectabanus!« rief der Ritter; »fordert meine Dame wirklich eine Tat von mir in ihrem Namen, um ihrer selbst willen? und laßt sie sich nicht bis zum Tagesanbruch aufschieben?« – »Du sollst auf der Stelle kommen,« versetzte der Zwerg, »und darfst nicht so viel Zeit verlieren, als zehn Körner brauchen, durch die Sanduhr zu laufen. Vernimm, argwöhnischer, fischblütiger Ritter, ihre eigenen Worte: »Sag ihm, die Hand, die Rosen fallen ließ, kann Lorbeeren verleihen.«« Bei dieser Anspielung auf ihr Zusammentreffen in der Kapelle von Engaddi erwachten tausend Erinnerungen in der Seele des Ritters, und diese Worte des Zwerges überzeugten ihn von der Echtheit der Botschaft. Es fiel ihm schwer, eine Gelegenheit vorübergehen zu lassen, die ihm die Gunst der Dame seines Herzens verhieß. Der Zwerg trug das Seinige bei, seine Bedenken zu vernichten, denn er erklärte, daß er den Ring wiederhaben müsse, wenn ihn der Ritter nicht begleite ... »Halt, noch einen Augenblick!« rief dieser. Dann murmelte er vor sich hin: »Bin ich ein Untertan oder Sklave König Richards? Bin ich nicht ein freier Ritter, der geschworen hat, seine Dienste dem Kreuzzuge zu weihen? Zu wessen Ehren bin ich hier mit Lanze und Schwert? Allein um unserer heiligen Sache willen, und um meiner verehrten Dame willen.« »Den Ring, den Ring!« rief der Zwerg ungeduldig, »gib ihn zurück, Du falscher, saumseliger Ritter! Du bist nicht wert, ihn zu berühren oder anzusehen.« – »Einen Augenblick nur, Nectabanus,« sagte Kenneth, »Wenn nun die Sarazenen gerade jetzt einen Angriff machten? Ich beschwöre Dich noch einmal! sage mir, ist's weit von hier, wohin Du mich führen willst?« – »Nur nach jenem Zelt,« versetzte Nectabanus; »und wenn Ihr es einmal wissen müßt, der Mond glänzt auf der vergoldeten Kugel, die das Dach krönt und die ein königliches Vermögen wert ist.« – »Ich kann augenblicklich zurückkehren,« sagte der Ritter, sich alles Weitere aus dem Sinn schlagend. »Kann man dort das Bellen meines Hundes hören, wenn sich jemand dem Banner nähern sollte? Ich will der Dame zu Füßen fallen und sie bitten, daß sie mich auf meinen Posten zurückkehren lasse ... Roswal, hierher!« rief er dem Hunde zu, seinen Mantel neben das Banner werfend, »wache Du an meiner Statt und laß niemand heran.« Der Hund sah seinen Herrn an, als wollte er ihm versichern, daß er den Befehl verstehe, setzte sich neben den Mantel, spitzte die Ohren und richtete den Kopf in die Höhe. »Nun komm, Nectabanus,« sagte der Ritter, »laß uns eilen und den Befehlen, die Du überbringst, gehorchen.« – »Eile, wer will,« entgegnete der Zwerg mürrisch. »Du hast Dir Zeit genug gelassen, meiner Aufforderung zu folgen, ich kann mit Deinen langen Beinen nicht Schritt halten.« Es gab nur ein Mittel, den Zwerg zu zwingen, der langsamer kroch als eine Schnecke. Der Ritter hob ihn vom Boden auf und trug ihn, ohne sich an seine Bitten zu kehren, bis zu hem Zelt mit dem vergoldeten Dache. Er sah eine kleine Schar von Kriegern dort auf der Erde lagern, die ihm durch die zwischenliegenden Zelte bisher verborgen geblieben war. Verwundert, daß das Klirren seiner Rüstung ihre Aufmerksamkeit nicht weckte, setzte er den Zwerg auf den Boden, um ihn Luft schöpfen zu lassen. So erschrocken und entrüstet derselbe auch über diese Behandlung war, so hütete er sich doch, den Ritter im geringsten aufzubringen, und führte ihn schweigend, ohne jede Klage, zur entgegengesetzten Seite des Zeltes, hob den unteren Teil der Leinwand hoch und winkte dem Ritter, darunter hinweg, und auf diese Weise in das Zelt hinein, zu kriechen. Der Ritter war unschlüssig. Sich so heimlich in ein Zelt zu schleichen, das vermutlich edlen Damen als Behausung diente, erschien ihm ungehörig. Als er sich aber auf die untrüglichen Zeichen besann, die ihm der Zwerg überbracht hatte, meinte er, annehmen zu müssen, daß er nicht wider ihren Willen handle, und bückte sich. Da hörte er, wie der Zwerg ihm zuflüsterte: »Bleib da, bis ich Dich rufe!« – und dann sah er ihn verschwinden. Dreizehntes Kapitel Ein Paar Augenblicke blieb Ritter Kenneth allein und im Dunkel. Jetzt reute es ihn, daß er von seinem Posten gewichen War. Aber an eine Rückkehr, ohne Lady Edith gesehen zu haben, war nicht zu denken. Die Disziplin war nun einmal verletzt, und so war er entschlossen, wenigstens die Dame seines Herrschers zu sehen, die ihn zu solchem Verstoß verleitet hatte. Seine Lage war jedoch nicht die angenehmste. Kein Licht brannte in dem Raume, worin er sich befand. Lady Edith gehörte zum Gefolge der Königin von England, und wenn er hier entdeckt wurde, wenn er bekennen mußte, sich heimlich hier eingeschlichen zu haben, so konnte leicht gefährlicher Verdacht wach werden. Da fing sich der Wunsch in ihm zu regen an, sich wieder unbemerkt zu entfernen, als er auf einmal weibliche Stimmen vernahm. In einem anstoßenden Raume, von ihm nur durch eine Leinwand geschieden, schienen Damen zu lachen und flüstern. Wie er durch den Vorhang sah, brannten dort Lampen, und in ihrem Scheine konnte er einzelne Gestalten erkennen. »Ruft sie – ruft sie, um unserer lieben Frau willen!« hörte er jetzt eine dieser unsichtbaren Lacherinnen rufen, »Nectabanus, Du müßtest Gesandter bei Hofe werden, denn Du weißt Botschaften auszurichten.« Die gellende Stimme des Zwerges erklang jetzt, doch so gedämpft, daß Kenneth seine Worte nicht verstand. Er hörte nur einiges von Bier und Wein, womit sich die Wache belustigen solle. »Aber, wie werden wir den Geist wieder los, Mädchen, den Nectabanus zitiert hat?« – »Hört mich, königliche Frau,« sagte eine andere Stimme, »wenn der weise fürstliche Nectabanus nicht gar zu eifersüchtig ist auf seine erhabene Braut, so wollen wir uns ihrer bedienen, dem fahrenden Ritter begreiflich zu machen, daß edelgeborene Damen seine anmaßende, übermütige Tapferkeit nicht vonnöten haben.« – »Es wäre nicht mehr als billig,« entgegnete eine andere Stimme, »wenn Prinzessin Genievra dem Ritter, den die Weisheit ihres Mannes hergelockt hat, wieder zeigte, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat.« Tief beschämt und zornentbrannt über diese Worte, war Kenneth im Begriff, zu fliehen, als ihn folgende Worte hinderten. »Nein, wahrlich,« sagte die, die zuerst gesprochen hatte, erst soll Muhme Edith erfahren, wie sich dieser prahlerische Wicht benommen, und wie er gegen seine Pflicht gefehlt hat. Das wird eine gute Lehre für sie sein, denn mir ist schon manchmal der Gedanke gekommen, Calista, daß sie den nordischen Abenteurer gegen alle Vernunft wirklich ins Herz geschlossen hat.« Eine andere Stimme murmelte etwas von Klugheit und Einsicht. »Klugheit?« lautete die Antwort. »Eitler Stolz ists, und das Verlangen, für strenger zu gelten als wir andern. Ihr wißt doch, wenn sie an uns einen Fehler bemerkt, weiß niemand so höflich darauf hinzuweisen wie Lady Edith. – Aber da kommt sie schon.« Ein Schatten glitt langsam an der Wand hin und verlor sich unter den übrigen Personen. Trotz der bitteren Täuschung, die er durch eine übermütige Laune der Königin Berengaria erlitten hatte – denn er schloß, daß die mit dem lauten gebieterischen Tone Richards Gemahlin sei, – beruhigte es doch den Ritter einigermaßen, zu wissen, daß Edith keinen Teil an dem Streiche hatte, der ihm mit solcher Hinterlist gespielt worden war. Seine Neugier wurde so lebhaft, daß er seinen Fluchtgedanken aufgab und unruhig durch eine kleine Spalte blickte, um Augen- und Ohrenzeuge dessen zu sein, was sich nun ereignen würde. Es schien, als warte Edith auf die Befehle der Königin und als wolle diese nicht recht mit der Sprache heraus, aus Furcht vielleicht, daß weder sie noch ihre Gesellschafterinnen imstande sein möchten, ihr Lachen zu unterdrücken; denn Ritter Kenneth konnte halb unterdrücktes Kichern unterscheiden. »Eure Majestät scheinen in recht fröhlicher Stimmung zu sein,« sagte Edith endlich. »Ich dagegen war schon willens, mich zu Bett zu begeben, als ich Befehl erhielt, Eurer Majestät aufzuwarten.« – »Ich will Dich nicht lange von Deiner Ruhe abhalten, Muhme,« erwiderte die Königin, »doch fürchte ich, Du wirst nicht gut schlafen, wenn ich Dir sage, daß Du Deine Wette verloren hast.« – »Meine Königin,« sagte Edith, »ich bin keine Wette eingegangen.« »Nun, holde Muhme, der Böse spielt doch, unserer Wallfahrt gar nicht achtend, ein recht böses Spiel mit Dir! Kannst Du leugnen, daß Du Deinen Rubinring gegen mein goldenes Armband setztest, der Ritter vom Leoparden sei nicht von seinem Posten wegzubringen?« »Eure Majestät,« entgegnete Edith; »diese Damen sind Zeuge, daß Königliche Hoheit mir den Ring vom Finger zog, als ich es nicht für sittsam hielt, auf so etwas zu wetten.« »Aber, Lady Edith,« sagte eine andere Stimme, »mit Verlaub, Ihr müßt doch zugeben, daß Ihr großes Vertrauen in diesen Ritter setztet?« – »Und wenn das der Fall war,« entgegnete Edith unwillig, »ist das ein Grund für Dich, der Laune Ihrer Majestät das Wort zu reden? Ich habe kein Wort mehr von ihm gesprochen, als Ihr und alle, die ihn im Felde gesehen, und hatte kein höheres Interesse, ihn zu verteidigen, als Ihr, ihn herabzusehen.« – »Fräulein Edith,« sagte eine dritte Stimme, »hat es Calista und mir nie verzeihen können, daß wir Eurer Majestät erzählten, sie habe zwei Rosenknospen in der Kapelle fallen lassen.« – »Wenn Eure Majestät,« antwortete Edith, »mich nur zu dem Zwecke herbeschieden, daß ich mir die Sticheleien der Kammerfrauen anhören soll, so möchte ich bitten, mich wieder zu entlassen.« – »Still, Florisa!« sagte die Königin, »laßt Euch nicht durch unsere Güte verleiten, den Abstand zwischen Euch und einer Verwandten des Königs außer acht zu setzen. Du aber, liebe Muhme,« fuhr sie fort, wieder in ihren spöttischen Ton zurückfallend, »solltest uns Armen doch ein bißchen Lachen nicht mißgönnen, nachdem wir so viele Tage in Sack und Asche gebüßt haben.« – »Ich gönne Euch alle Freude, meine Königin,« erwiderte Edith, »doch werde ich wohl mein ganzes Leben lang nicht wieder lachen, ehe ich nicht – « Sie brach ab, wahrscheinlich aus Ehrerbietung gegen die Königin, doch hörte Kenneth ihren Worten die starke Erregung an, die ihr Gemüt beherrschte. »Verzeih mir,« sagte Berengaria, »verzeih der leichtsinnigen, aber lustigen Prinzessin aus dem Hause Navarra. Worauf läuft denn im Grunde der ganze Jux hinaus? Ein junger Ritter ist durch List hierher gelockt worden, hat sich von seinem Posten entfernt oder locken lassen, aber um Deinem Helden Gerechtigkeit zu lassen, meine Liebe, Nectabanus hat ihn nicht anders bestimmen können, als indem er ihn beschwor in Deinem Namen!« – »Gerechter Himmel, Majestät!« rief Edith bewegt, »das vertrüge sich weder mit Eurer noch meiner Ehre! Sagt, daß Ihr nur scherzet, und verzeiht, daß ich Eure Aeußerung auch nur einen Augenblick ernst nehmen konnte!« – »Lady Edith ists leid um den Ring, den wir ihr abgenommen haben,« sagte die Königin unmutig. »Wir wollen Dir das Pfand wiedergeben, liebe Muhme, das ihn bestimmte, herzukommen; es liegt uns wenig am Köder, nachdem der Fisch angebissen.« – »Eure Majestät wissen nur zu gut,« erwiderte Edith, »daß Sie nichts wünschen können, was Ihnen augenblicklich zu Gebote stände. Aber einen ganzen Scheffel Rubine opferte ich lieber als meinen Ring oder Namen, um einen wackeren Menschen zu einem Fehltritte zu verleiten, der ihm Ungnade und Strafe zuziehen muß.« – »O, also um das Wohl unseres treuen Ritters sind wir in Besorgnis?« sagte die Königin. »Du schätzest Unsere Macht zu gering, liebe Muhme, wenn Du von Strafe sprichst gegen jemand, mit dem Wir, Englands Königin, Unsern Scherz getrieben haben! auch für andere Damen schlagen Kriegerherzen,, nicht bloß für Dich! glaube mir, ich gelte genug bei Richard, um diesen Ritter, an dessen Schicksal Lady Edith so großen Anteil nimmt, vor Strafe zu schützen.« »Königliche Gebieterin,« rief Edith, und Ritter Kenneth hörte tief ergriffen, daß sie sich der Königin zu Füßen warf – »um der heiligen Jungfrau willen, seid vorsichtig! Ihr kennt König Richard nicht, seid erst seit kurzem mit ihm vermählt! Eher könnte Euer Atem den wildesten Sturm hemmen, als Eure Zunge meinen königlichen Verwandten bewegen, einen Fehltritt im Dienste nachzusehen. Um Gottes willen, entlaßt den Ritter, wenn Ihr ihn wirklich hergelockt habt. Lieber litte ich die Schande, ihn gerufen zu haben, als die Unruhe, daß er noch nicht an den Ort zurückgekehrt, wohin ihn seine Pflicht ruft.« – »Steh auf, Muhme, steh auf!« sagte die Königin: »sei überzeugt, es wird alles besser gehen, als Du glaubst. Es tut mir leid, mit einem Ritter, an dem Du so lebhaften Anteil nimmst, Scherz getrieben zu haben. – Aber ringe doch nicht die Hände! Nectabanus soll den Ritter zu seinem Posten zurückführen: Wir aber wollen ihn künftig mit unserer Gnade beehren und bei unserm Gemahl alle Schuld auf uns nehmen... Ich wette, er wartet in irgend einem Nachbarzelt.« – »Bei meiner Lilienkrone und meinem Rohrszepter!« sagte Nectabanus, »Eure Majestät irren sich, er ist näher bei der Hand, als Ihr wißt. Er liegt hinter jener Scheidewand verborgen.« – »Und hätte jedes Wort mit angehört, das wir gesprochen haben?« rief die Königin zornig. »Hinaus, mit Dir, Du Ungeheuer von Narrheit und Bosheit!« Nectabanus entfloh mit einem so gellenden Geschrei, daß es dem Ritter zweifelhaft blieb, ob Berengaria ihren Vorwürfen nicht noch einen Denkzettel angehängt hätte. »Was ist nun zu tun?« sagte die Königin leise zu Edith, mit nicht verhehltem Unmut. – »Was geschehen muß,« antwortete Edith fest und bestimmt; »wir müssen den Ritter vorlassen und uns seiner Ehre überantworten.« Schnell zog sie einen Vorhang weg, der an einer Stelle einen Eingang verdeckte. – »Um des Himmels willen!« rief die Königin, »bedenke doch, mein Zimmer, unsere Kleidung, die Zeit und Stunde, und meine Ehre!« Aber schon fiel der Vorhang und mit ihm die Scheidewand zwischen dem Ritter und den Damen. Mit lautem Schrei floh die Königin, die in der warmen Nacht leichter gekleidet war, als es die Rücksicht auf ihren Rang einem Ritter gegenüber erlaubte, aus dem Zelt. Der innige Wunsch, dem schottischen Ritter eine schnelle Erklärung zu geben, mochte Edith vergessen lassen, daß ihre Locken nachlässiger hingen, als es dem Anstande damaliger Zeit gemäß war, und daß bloß ein dünnes, loses Gewand aus blaßroter Seide den Hauptteil ihrer Bekleidung bildete. Zwar zog sie den Shawl, den sie von einem Stuhle gerissen hatte, dichter um Nacken und Busen, aber als Ritter Kenneth noch immer starr dort stehen blieb, wo sie ihn zuerst erblickt hatte, trat sie zu ihm und rief: »Eilt auf Euren Posten, Herr Ritter! Ihr seid hintergangen worden. Fragt nichts weiter!« – »Ich habe nichts zu fragen,« antwortete der Ritter, sich auf em Knie niederlassend, mit gesenktem Blick, damit nicht sein Auge die Verlegenheit der Dame merke. – »Habt Ihr alles gehört?« fragte Edith ungeduldig. »Mann! Warum säumt Ihr noch, da jede verlorene Minute Euch in Schaden bringt?« – »Ich habe vernommen, aus Eurem Munde, Lady, daß Schimpf auf mir lastet. – Was kümmerts mich, wie bald die Strafe erfolgt! Nur eine Bitte an Euch, dann will ich versuchen, unter den Säbeln der Ungläubigen, ob Schande sich mit Blut abwaschen läßt!« – »Nicht so!« bat Edith. »Seid klug und säumt nicht länger! Noch kann ja alles gut werden, sofern Ihr Euch eilig entfernt.« – »Ich warte nur auf Eure Verzeihung,« antwortete der Ritter, noch immer knieend, »für meine Anmaßung ...« – »Ich verzeih Euch – o, ich habe ja gar nichts zu verzeihen! Seid Ihr doch durch mich gekränkt worden. Aber geht – ich will Euch lieb und wert halten, wie jeden tapferen Kreuzfahrer, wenn Ihr nur geht!« – »Empfanget zuvor dies kostbare, wenn auch verhängnisvolle Unterpfand,« sagte der Ritter, ihr den Ring reichend, den sie aber ungeduldig ablehnte. – »Nicht doch,« sagte sie, »behaltet ihn! als Zeichen meiner Wertschätzung, meines Bedauerns wollte ich sagen. O entfernt Euch wenn nicht um Euret-, doch um meinetwillen!« Belohnt durch die sichtliche Teilnahme an seiner Wohlfahrt, erhob sich der Ritter, verbeugte sich tief und schien im Begriff, sich zu entfernen. Da trug Ediths jugendliche Schüchternheit, über die ihre stärkeren Gefühle bisher triumphiert hatten, endlich den Sieg davon. Aus dem Zimmer eilend, löschte sie die Lampe aus und ließ Kenneth in geistiger und leiblicher Finsternis zurück. Daß er ihr gehorchen müsse, war die erste deutliche Vorstellung, die ihn aus seinen Träumen weckte, und so eilte er zu der Zeltwand, durch die er hineingekommen war; aber den Ausweg zu finden, erforderte Zeit, und da sich Warten mit seiner Ungeduld nicht vertrug, nahm er den Dolch und schnitt die Zeltleinwand entzwei. In die frische Luft gelangt, kam er sich vor, wie betäubt, und um den Pfad wieder zu entdecken, den ihn der Zwerg geführt hatte, mußte er alle Kräfte zusammennehmen. Eine leichte Wolke war, als er das Zelt verließ, vor den Mond getreten. Plötzlich drangen vom St. Georgenberg Laute her, die ihn schnell wieder zu sich brachten: zuerst ein zorniges, wildes Bellen, dann ein Schrei, wie aus Todesangst. Kenneth rannte, selbst von Todesangst befallen, denn er hatte die Stimme seines treuen Hundes auf der Stelle erkannt, querfeldein nach der Anhöhe und hatte, trotzdem ihn der Panzer hinderte, in wenigen Minuten den Gipfel erreicht. Da brach der Mond durch das Gewölk, und Kenneth sah, daß das englische Banner verschwunden war. Die Stange, an dem es geflattert hatte, lag zerbrochen auf der Erde, daneben sein Hund, mit dem Tode ringend. Vierzehntes Kapitel Des Ritters erster Gedanke war, die Schuldigen zu ermitteln, die das Banner Englands geraubt hatten; allein nirgendswo zeigte sich eine Spur von ihnen. Als er die Nutzlosigkeit weiteren Nachforschens erkannte, wandte er sich zu seinem Hunde, dessen dumpfes Gewinsel auf ein baldiges Ende seines Todeskampfes deutete. Das kluge Tier, als fürchtete es, seinem Herrn weh zu tun durch die Schmerzenslaute, die es von sich gab, leckte dem Ritter die Hand, und die Art, wie es, dem Verenden nahe, seine Anhänglichkeit zum Ausdruck brachte, mehrte nicht bloß seine Niedergeschlagenheit, sondern mischte ihr einen hohen Grad von Bitterkeit bei. Laut hub er zu wehklagen an, als eine feierliche Stimme in seiner Nähe in der unter Christen und Sarazenen üblichen Frankensprache die Worte sprach: »Widerwärtigkeit gleicht der Zeit des frühen und späten Regens – kalt, unbehaglich und unfreundlich für Menschen und Tiere, bringt sie doch Blüte und Frucht, denn sie zeitigt die Dattel, die Rose und den Granatapfel.« Ritter Kenneth vom Leoparden wandte sich um und erblickte den arabischen Arzt, der sich ihm unbemerkbar genaht hatte. Beschämt, über einem weibischen Ausbruch von Kummer ertappt worden zu sein, beschäftigte sich Ritter Kenneth wieder mit seinem Hunde. – »Wäre nicht des Arztes Hand,« fragte der Araber, »geeigneter als die des Kriegers?« – »Dem Kranken hier ist nicht mehr zu helfen, Hakim,« versetzte Kenneth; »zudem ist er nach Deinem Ritus ein unreines Tier.« – »Wo Allah die Gabe des Lebens und das Gefühl der Freude und des Schmerzes verliehen,« sagte der Arzt, »da wäre es sündhafter Stolz, wollte der Weise, den er erleuchtete, sich weigern, ein Dasein zu verlängern oder einen Todeskampf zu mildern. Laßt mich das verwundete Tier untersuchen!« Ritter Kenneth trat schweigend hinzu, während der Arzt Roswals Wunde besichtigte, ein Besteck hervorzog, den Lanzensplitter, der in der Wunde steckte, behutsam mit der Zange entfernte und durch einen geschickten Verband den Blutverlust zu hemmen suchte. »Das Tier kann geheilt werden,« sagte El Hakim, »wenn Ihr mir erlauben wollt, es nach meinem Zelte zu schaffen.« – »Nehmt ihn mit!« versetzte der Ritter. »Ich schenke ihn Euch gern, wenn er gesund wird. Ich selbst werde wohl nie wieder ins Hifthorn stoßen oder Hunden Hallo zurufen. Und für die Kur meines Knappen stehe ich ja noch in Eurer Schuld!« Der Araber klatschte in die Hände, worauf zwei schwarze Sklaven erschienen, denen er befahl, den Hund aufzuheben und in sein Zelt zu schaffen. »Ich wollte,« rief Kenneth, als die Sklaven sich entfernt hatten, »ich könnte mit diesem verendenden Tiere tauschen!« – »Es steht geschrieben,« erwiderte der Araber, wiewohl der Ausruf des Ritters nicht an ihn gerichtet war, »daß alle Geschöpfe zum Dienste des Menschen geschaffen seien, und der Herr der Erde ist töricht, wenn er aus Ungeduld seine Hoffnungen mit dem Zustande eines ihm untergeordneten Wesens vertauschen will.« »Ein Hund, der im Dienste krepiert,« sagte der Ritter ernst, »ist besser, als ein Mensch, der seine Pflicht im Dienste versäumt. Hakim, Du besitzest die wundersamste Wissenschaft, die je ein Mensch besaß; aber die Wunden des Geistes zu heilen, liegt außer Deiner Macht.« – »Keineswegs, sobald der Kranke sein Leiden offenbart und sich der Leitung des Arztes vertrauen will,« antwortete El Hakim. – »So höre,« sagte Kenneth, »da Du so in mich dringst: Gestern nacht ist Englands Banner auf diesem Wall aufgepflanzt worden; ich wurde zu seinem Wächter bestellt; und dort liegt der Fahnenstab zerbrochen, die Fahne selbst ist fort, und hier sitze ich und – lebe noch!« – »Wie?« rief El Hakim, ihn schärfer betrachtend. »Deine Rüstung ist unversehrt, kein Blut klebt an Deinen Waffen? So kommt kein Schotte aus einem Gefecht: Man hat Dich weggelockt von Deinem Posten, oder hast Du Dich weglocken lassen durch die Rosenwangen und schwarzen Augen einer der Houris, die Ihr Nazarener lieber anbetet als Allah, statt sie nur so zu lieben, wie sie es, als aus demselben Stoffe, wie wir, verlangen können. So ist es seit Adam immer gewesen!« – »Und wenn es so wäre, Arzt?« entgegnete Kenneth finster. »Was läßt sich tun?« »Erkenntnis ist die Mutter der Kraft,« versetzte El Hakim, »und Tapferkeit ersetzt Stärke ... Höre mich an! Der Mensch ist nicht gleich dem Baume an den Ort gebunden, auch nicht geschaffen, wie das kaum beseelte Schaltier, an einem nackten Felsen zu hängen. Deine christlichen Bücher befehlen Dir, wenn Du in einer Stadt verfolgt wirst, in eine andere zu fliehen, und auch wir Muselmänner wissen, daß Mohammed, Allahs Prophet, als er vertrieben wurde aus der heiligen Stadt Mekka, Zuflucht und Anhänger zu Medina fand.« – »Was soll das?« rief der Schotte. – »Viel,« antwortete der Arzt; »der Weise flieht vor dem Sturme, den er nicht bändigen kann. Also flüchte Dich vor Richards Rache in den Schatten von Saladins siegreicher Fahne.« »Ich sollte meine Schmach im Lager ungläubiger Heiden verbergen,« sagte Kenneth ironisch, »wohl gar einer der ihrigen zu werden?« – »Lästere nicht, Nazarener!« rief der Arzt ernst. »Saladin bekehrt niemand zu dem Gesetz des Propheten, außer solchen, die sich von seinen Lehren überzeugen. Oeffne Deine Augen dem Licht! der große Sultan, dessen Freigebigkeit so unbegrenzt ist wie seine Macht, kann Dir ein Königreich schenken.« – »Eher wünschte ich,« versetzte der Ritter, »mein abgehärmtes Antlitz würde schwarz, wie es abends, beim Untergange der Sonne, zu werden scheint.« – »Du handelst nicht weise,« fuhr El Hakim fort, »dies Anerbieten auszuschlagen, denn ich habe Einfluß auf Saladin und kann Dich hoch erheben in seiner Gunst. Mein Sohn, der Kreuzzug, wie Ihr Euer tolles Unternehmen nennt, gleich einem Schiffe, das in den Wogen zerschellt. Du selbst hast die Punkte des Waffenstillstandes Eurer Fürsten dem mächtigen Sultan überbracht, und kennst wohl kaum den vollen Inhalt Deiner Botschaft?« – »Ich kenne ihn nicht und kümmere mich nicht darum,« antwortete der Ritter, »denn, was nützt es mir, unlängst ein Abgesandter von Fürsten gewesen zu sein, wenn ich noch vor Einbruch der Nacht, ein beschimpfter Leichnam, am Galgen hänge?« – »Das wird nicht geschehen,« versetzte der Arzt. »Saladin wird von allen Seiten umschmeichelt; die Fürsten des gegen ihn errichteten Bundes haben ihm Friedensvorschläge unterbreitet, auf die er unter anderen Umständen eingehen müßte. Andere sind ihm auf eigne Rechnung mit Angeboten genaht, daß sie nicht bloß ihre Streitkräfte aus dem Lager der Kreuzfahrer entfernen, sondern sogar die Fahne des Propheten verteidigen wollen. Aber Saladin will aus derlei verräterischem Abfall keinen Vorteil ziehen; der König der Könige will nur mit dem Löwenkönig unterhandeln, nur mit ihm Vergleich schließen oder mit ihm fechten, wie mit einem Helden. Solche Bedingungen wird er dem König aus freien Stücken zubilligen ... auch wird er die Wallfahrt nach Jerusalem und allen Orten, die den Nazarenern heilig sind, freigeben, will sogar in den sechs festesten Städten Palästinas und in Jerusalem christliche Besatzungen zulassen unter dem Vorbehalt, daß sie unter dem unmittelbaren Befehle Richards stehen. König Richard soll den Titel eines königlichen Schirmvogts von Jerusalem führen, und so unglaublich es Euch vorkommen mag, Saladin will auf diesen Bund zwischen den tapfersten und edelsten Männern von Frangistan und Asien ein heiliges Siegel drücken, indem er eine christliche Prinzessin, König Richards Blutsverwandte, Lady Edith von Plantagenet, zu seiner königlichen Gemahlin erhebt.« »Ha! Was sagst Du?« rief Kenneth, »welcher Christ würde solch unnatürliche Verbindung einer Christin mit einem Sarazenen billigen?« »Du bist ein unwissender Nazarener!« rief Hakim. »Weißt Du nicht, daß sich mohammedanische Fürsten täglich mit edlen Nazarenerinnen in Spanien vermählen, ohne daß Mauren oder Christen daran Anstoß nehmen? Und Saladin, der edle Sultan, will der englischen Dame die freie Ausübung ihrer Religion gestatten; auch soll sie im Rang so hoch über allen Frauen seines Harems stehen, daß sie in jeder Hinsicht als die einzige und unumschränkte Königin gelten kann.« – »Wie?« rief Ritter Kenneth, »Du glaubst, Muselmann, daß Richard seine Blutsverwandte, eine edelgeborene, tugendsame Prinzessin, in den Harem eines Ungläubigen liefern werde? Der gemeinste Christ wiese solch glänzende Schande mit Verachtung von sich.« – »Du irrst!« sagte Hakim. »Philipp von Frankreich, Heinrich von Champagne und andere von Richards ersten Bundesgenossen haben versprochen, alles zu tun, was in ihren Kräften steht, einen Bund zu fördern, der diesen verheerenden Kriegen ein Ziel setzen kann. Der weise Erzbischof von Tyrus hat es übernommen, dem Könige Richard diesen Vorschlag zu eröffnen, und zweifelt nicht an der glücklichen Ausführung des Planes... Auf, Herr Ritter! zu Rosse! Nicht meinen mußt Du, daß Du Vaterland und Religion aufgibst! Du wirst Dir Saladin zu Dank verpflichten durch allerhand Rat; darum noch einmal: auf! zu Rosse! Du hast gebahnten Weg vor Dir!« »Hakim,« sagte der schottische Ritter, »Du bist ein Mann des Friedens, hast Richard von England das Leben gerettet, hast meinem Waffenträger das Leben gerettet. Aber ich rate Dir, sage dem Sarazenen, der Richard solche Verbindung vorschlagen will, er möge sich durch einen Helm das Haupt sichern, der einen Hieb mit der Streitaxt aushalten könne wie den, womit das Tor von Acre zerschmettert wurde.« – »Du bist also hartnäckig entschlossen, Dich nicht ins Sarazenenheer zu flüchten?« fragte Hakim. »Bedenke, daß Du einem gewissen Tode entgegengehst! Und Deine wie unsere Gesetzbücher verbieten dem Menschen, die Hand selbst an sich zu legen!« – »Gott behüte mich davor!« erwiderte der Schotte, sich bekreuzend. »Es ist aber auch untersagt, der Strafe auszuweichen, die unsere Verbrechen verdienen. Hakim, mir tuts jetzt leid, daß ich Dir meinen treuen Hund geschenkt habe: denn sollte er am Leben bleiben, so bekommt er einen Herrn, der seinen Wert nicht kennt.« – Ein Geschenk, das einem leid wird, gilt als widerrufen,« sagte El Hakim. »Wir Aerzte aber müssen schwören, keinen Patienten ungeheilt zu entlassen. Kommt der Hund davon, so ist er wieder Dein.« Fünfzehntes Kapitel Es war um die Stunde des Sonnenunterganges, als vor dem Zelte des Königs der langsame Schritt eines Panzerritters laut wurde. Thomas von Vaux, der neben seinem Herrn ruhte, und einen so leisen Schlaf hatte, wie ein getreuer Haushund, hatte kaum Zeit, aufzustehen und »Wer da?« zu rufen, als auch schon der Ritter vom Leoparden ins Zelt trat, einen Zug tiefer, aufrichtiger Trauer in seinem männlichen Gesicht. »Was bestimmt Euch, Herr Ritter, zu so kühnem Eintritt?« sagte Thomas von Vaux ernst, aber leise, mit einem Wink auf den schlummernden König. »Halt, Thomas von Vaux!« rief Richard erwachend. »Ritter Kenneth will Rechenschaft als wackerer Krieger von seiner Wache ablegen. Solche Männer haben im Zelte des Oberfeldherrn stets Zutritt.« Auf seinen Ellbogen gestützt, richtete er das große, funkelnde Auge auf den Ritter. – »Eure günstige Meinung, Majestät, wird sich rasch ändern,« sagte Ritter Kenneth. »Meine Wache war nicht ehrenvoll, denn Englands Banner ist fort!« – »Und Du lebst, mir das zu künden?« rief Richard im Tone spöttischen Unglaubens. »Nicht doch! Es kann nicht sein! Es ist ja nicht eine einzige Schramme in Deinem Gesicht. Warum verstummst Du? Sprich die Wahrheit! mit einem König scherzen ist eine schlimme Sache, doch ich verzeihe Dir, wenn Du gelogen hast.« »Gelogen, Majestät?« rief der unglückliche Ritter in wilder Erregung, und ein Feuerblick schoß aus seinem Auge, verschwand aber schnell wie der Blitz, der aus hartem Kieselsteine sprüht. »Doch auch dies muß ich tragen, ich habe die Wahrheit gesprochen!« – »Beim heiligen Georg,« rief der König in heftiger Wut, mäßigte sich aber im Nu. »Thomas von Vaux, begib Dich zum Georgberg; das Fieber hat ihm sein Gehirn zerrüttet, es kann nicht sein, denn der Mut des Ritters hat sich bewährt. Es kann nicht sein!« In diesem Augenblick trat atemlos Sir Henry Neville ein und brachte die Nachricht, das Banner sei fort und der Ritter, der die Wache gehabt, müsse überwältigt, wenn nicht erschlagen worden sein, denn es zeige sich eine Blutlache, wo man den Fahnenstab zertrümmert finde. – »Aber, wen sehe ich hier?« rief Neville, als seine Blicke plötzlich auf Ritter Kenneth fielen. – »Einen Verräter!« entgegnete der König und griff nach seiner stets am Bett hängenden Streitaxt. »Einen Verräter, den Du, wie es ihm gebührt, sterben sehen sollst!« Bleich, aber wie eine Marmorsäule so starr, stand der Schotte vor ihm, mit entblößtem Haupt, die Augen zur Erde gesenkt, und rührte kaum merklich die Lippen, doch wahrscheinlich ein Gebet murmelnd. Ihm gegenüber, mit zum Schlage erhobener Streitaxt, stand König Richard, in die Falten seines weiten Linnenrockes gehüllt. Einen Augenblick stand er, wie zum Schlage bereit; dann senkte er die Streitaxt und rief: »Es war Blut auf dem Platze, Neville? so sagtest Du doch? Höre, Schotte! Du warst sonst tapfer, ich habe Dich fechten sehen. Sag, daß Du ein paar Hunde niederschlugst – und dann rette Dich aus dem Lager mit Deinem Leben und Deiner Schande!« – »Ihr habt mich einen Lügner genannt, königlicher Herr!« erwiderte Kenneth, »hierin aber seid Ihr im Unrecht. Außer dem Blut eines Hundes, der den Dienst versah, ist kein Blut geflossen.« Abermals hob Richard den Arm; aber Thomas von Vaux warf sich zwischen ihn und den Schotten und sprach mit der ihm eigentümlichen Derbheit: »Mein Fürst, nicht also! zum wenigsten nicht durch Eure Hand! Für einen Tag und eine Nacht wars Narrheit genug, Euer Banner einem Schotten anzuvertrauen. Wars nicht immer meine Rede, daß Schotten ehrlich und falsch zugleich seien?« »Du hast recht gehabt,« sagte Richard, »ich hätte ihn besser kennen sollen,« rief er, »und doch, Thomas von Vaux,« fuhr er nach kurzer Pause fort, »das Benehmen dieses Menschen ist seltsam! Memme muß er sein oder Verräter; und doch erwartete er den Streich, als hätten wir den Arm erhoben, ihn zum Ritter zu schlagen. Zitterte ihm nur ein Glied? zuckte, nur eine Wimper? ich hätte seinen Kopf zertrümmert wie ein Stück Glas. Aber wo ich weder Furcht noch Widerstand erblicke, da kann ich nicht zuschlagen.« Es entstand eine Pause. – »Mein König,« sagte Kenneth. – »Ha!« unterbrach ihn Richard, »ist Dir die Sprache wiedergekommen? Erflehe, Gnade vom Himmel, doch nicht von mir; denn England ist beschimpft durch Deinen Fehltritt, und wärst Du mein eigner, einziger Bruder, für diesen Fehltritt winkte Dir kein Pardon.« – »Es steht in Eurer Majestät Belieben,« versetzte Kenneth, »mir Zeit zur Beichte zu lassen oder nicht. Aber um soviel Frist ersuche ich meinen König, Dinge Mitzuteilen, die Eurem Ruf als christlichen König nahe angehen.« – »Sprich!« versetzte der König, der nicht anders dachte, als daß er ein Geständnis über den Verlust des Banners hören solle. – »Was ich zu sagen habe,« fuhr Kenneth fort, »betrifft das königliche Ansehen Englands, und nur Deinen Ohren kann ich es vertrauen.« – »Entfernt Euch, Ihr Herren!« sagte der König zu Neville und Thomas von Vaux. Neville gehorchte, aber Thomas von Vaux weigerte sich. – »Wie, Thomas von Vaux?« sagte Richard, leicht mit dem Fuße stampfend, »Du willst unsere Person mit einem Verräter nicht allein lassen?« – »Ihr furcht umsonst die Stirn, mein König!« versetzte Thomas von Vaux. – »Gleichviel,« entgegnete der schottische Ritter; »ich suche keinen Vorwand, um Zeit zu gewinnen, sondern werde auch in Gegenwart des Lords sprechen. Er ist brav und treu.« – »Noch vor einer halben Stunde,« sagte Thomas von Vaux mit tiefem Seufzer, »hätte ich von Dir dasselbe behauptet.« – »Ihr seid von Verrätern umgeben, König von England,« fuhr Ritter Kenneth fort. – »Das mag sein,« entgegnete Richard, »ein Beispiel steht mir ja vor Augen.« – »Ich spreche von einem Verrat, der Dich tiefer bedünken wird, als der Verlust von hundert Fahnen. Lady – « hier stockte Kenneth; endlich fuhr er mit leiserer Stimme fort: »Lady Edith – « »Ha!« rief der König, plötzlich eine erhöhte Aufmerksamkeit zeigend und sein Auge starr auf den vermeintlichen Verbrecher heftend; »was hat sie hiermit zu schaffen?« – »Mein König,« erwiderte der Schotte, »es ist ein Plan im Werke, Schimpf auf Euer königliches Haus zu laden. Lady Edith soll dem Sarazenensultan ausgeliefert und ein schmählicher Friede durch eine schmähliche Verbindung mit England erkauft werden.« Die Wirkung, die diese Worte hervorbrachten, war eine völlig andere, als Ritter Kenneth erwartet hatte. »Still,« rief König Richard, »ich lasse Dir die Zunge ausreißen, Verwegner, wenn Du den Namen dieser edlen christlichen Prinzessin noch einmal nennst! Wisse, Verräter, daß es mir nicht unbekannt geblieben, wohin Du Deine Augen zu heben wagtest! Ich habe Dir diese Unverschämtheit nachgesehen, so lange Du uns in den Glauben wiegtest, Wir hätten in Dir einen Ritter von Namen und Ruf vor uns. Aber auch jetzt noch wagst Du es, eine uns verwandte Prinzessin als eine Person zu nennen, an deren Schicksal Du Anteil nimmst? Was scherts Dich, oder sonst jemand, wenn es mir gefallen sollte, mich der Person des Sultans Saladin zu sichern in einem Lager, wo es von Verrätern und Feiglingen wimmelt?« – »Mir gewiß wenig oder nichts, denn mich wird ja die ganze Welt bald nichts mehr scheren,« antwortete Ritter Kenneth; »aber läge ich auch auf der Folter, so sagte ich Dir, mein König, daß Du, wenn Du nur den Gedanken hegen solltest, Lady Edith, Deine Verwandte – « »Nenne ihren Namen nicht! und denke nicht mehr an sie!« rief der König, die Streitaxt wieder schwingend. »Ich soll sie nicht nennen? soll nicht an sie denken?« entgegnete Kenneth, dessen Mut sich wieder zu beleben anfing. »Beim heiligen Kreuz, ihr Name soll das letzte Wort in meinem Munde, ihr Bild der letzte Gedanke meiner Seele sein!« »Er macht mich noch wahnsinnig!« rief Richard, durch die Festigkeit des Schotten in seinem Plane erschüttert. Da entstand draußen ein Geräusch, und die Ankunft der Königin wurde gemeldet. »Halte sie zurück, Neville,« sagte der König, »das ist kein Bild für Frauen! Daß ich mich durch diesen elenden Verräter in solche Wut bringen ließ! Hinweg mit ihm, Thomas,« flüsterte er, »durch den hinteren Eingang unseres Zeltes! Bring ihn in engen Verwahrsam; Du bürgst mit Deinem Leben für ihn. Er soll sterben, gleich! aber mit Schwertgurt und Sporen, denn tapfer war er immer! und auch den Pater versage ihm nicht.« Thomas von Vaux war froh, daß Richard sich zu keiner so unköniglichen Tat erniedrigte, selbst den Streich gegen einen Gefangenen zu führen, der keinen Widerstand leistete. Er führte Ritter Kenneth durch eine Hintertür in ein abgesondertes Zelt, wo er entwaffnet und in Fesseln geschlagen wurde. »Es ist König Richards Wille,« sprach er, »daß Ihr den Tod erleidet, ohne Verstümmelung, ohne Schimpf; der Scharfrichter soll Euch den Kopf vom Rumpfe trennen.« – »Sehr gnädig von meinem Könige!« sagte der Ritter demütig, wie jemand, dem eine erhoffte Gunst zuteil wird; »auf diese Weise hört meine Familie doch nicht das Schlimmste. – O mein Vater!« Thomas von Vaux, dem es bei aller Derbheit an menschlicher Gesinnung nicht fehlte, strich sich mit der Rückseite seiner breiten Hand über sein rauhes Antlitz, ehe er weiter sprechen konnte ... »Es ist ferner König Richards Wille, daß Ihr Euch mit einem Geistlichen unterredet. Ein Karmelitermönch, er wartet draußen, er soll Euch auf Euren Hintritt bereiten.« – »Gottes und des Königs Wille geschehe!« antwortete der Ritter gelassen. Thomas von Vaux entfernte sich langsam aus dem Zelt, blieb aber an der Tür stehen und blickte nach dem Schotten zurück, der in tiefe Andacht versunken zu sein schien. »Ritter Kenneth, Du bist noch jung, Du hast einen Vater,« sagte Thomas von Baux tief ergriffen, indem er eine der gefesselten Hände des Schotten aufhob... »kann nichts zu Deinen Gunsten gesprochen oder getan werden?« – »Nichts,« lautete die schwermütige Antwort, »ich war meiner Pflicht ungetreu. Das mir anvertraute Banner ist fort. Sofern Henker und Block bereit sind, Haupt und Rumpf sind es bereits.« – »Nun, so erbarme sich Gott Deiner!« rief Thomas von Baux; »aber mein bestes Roß gäbe ich drum, wenn ich die Wache selbst übernommen hätte. Dahinter steckt ein Geheimnis, junger Mann, das ein Unbefangener wohl ahnen, doch nicht durchschauen kann.« Sechzehntes Kapitel Berengaria, die Tochter des Königs Sanchez von Navarra und Gemahlin des heldenmütigen Richard von England, galt für eine der schönsten Frauen ihrer Zeit. Klein von Gestalt und von äußerst zartem Bau, mit einem Teint so schön, wie man ihn nicht häufig findet, und einer Fülle des schönsten Haares, ließen sie ihre ungemein jugendlichen Züge viel jünger erscheinen, als sie wirklich war, obgleich sie erst einundzwanzig Jahre zählte. Sie war von kindlichem Frohsinn und die gutmütigste Person, die man sich denken kann. Aber sie liebte es, umschmeichelt zu werden, und eine Eigenschaft erinnerte an ihre Herkunft: je mehr Macht ihr eingeräumt wurde, desto eifriger wünschte sie ihre Herrschaft auszudehnen. Ihren Gemahl liebte sie leidenschaftlich, fürchtete aber seinen Stolz und sein rauhes Wesen; und da sie fühlte, daß sie ihm an Klugheit nachstand, vertrug sie es nicht, daß er Edith Plantagenet in der Unterhaltung bevorzugte. Sie hatte deshalb keinen Groll auf Edith, wollte ihr darum auch nicht übel, immerhin meinten die Frauen ihres Gefolges, die für solche Dinge einen besonderen Scharfblick hatten, seit einiger Zeit bemerkt zu haben, daß es ihr nicht unlieb war, wenn Edith gehänselt oder gar verspottet wurde. Das war an sich nicht edel, gewann aber insofern an Häßlichkeit, als Lady Edith eine Waise war. Zwar führte sie den Namen Plantagenet; ebenso gestand ihr König Richard Vorrechte zu, die bloß der königlichen Familie zustanden: allein wenige wußten, in welchem Verwandtschaftsverhältnis sie eigentlich zu Richard Löwenherz stehe. Sie war mit Eleonore, der berühmten Königin-Mutter, von England nach Messina gekommen und dem König Richard dort als Hofdame Berengarias vorgestellt worden, deren Vermählung damals nahe bevorstand. Die Königin machte sie zu ihrer Begleiterin und bewies ihr, trotz der erwähnten kleinen Eifersucht, alle gebührende Achtung ... Die Kämmerer wehrten der Königin den Eintritt in das Zelt ihres Gemahls; und, um sich den Anschein zu geben, als habe sie alle ihr zu Gebote stehenden Mittel erschöpft, sagte sie zu der in ihrer Begleitung befindlichen Edith: »Da siehst Du's, ich wußte es ja, der König will uns nicht vorlassen.« Da vernahmen sie des Königs Stimme: »Geh, verrichte Deinen Dienst schnell, Bursche! Zehn Byzantinen, wenn Du es mit einem Streiche vollbringst. Auch gib acht, ob sich seine Wangen entfärben oder seine Wimpern zucken. Ich möchte wissen, wie ein tapferer Schotte in den Tod geht!« – »Er wäre der erste, der nicht zurückführe, wenn er mein Schwert in der Luft blitzen sieht!« wurde dem König geantwortet. Edith konnte nicht länger an sich halten ... »Wenn Eure Majestät es nicht selbst tun,« sagte sie zur Königin, »so tue ich's! und wenn nicht um Eurer Majestät, so doch um meinetwillen. – Kämmerer, die Königin verlangt König Richard zu sprechen.« – »Edles Fräulein,« antwortete der Kämmerer, seinen Amtsstab neigend; »der König entscheidet eben über Leben und Tod.« – »Und wir wollen über Leben und Tod mit ihm sprechen,« versetzte Edith. »Platz da! ich werde Eurer Majestät Eintritt verschaffen.« Mit diesen Worten schob sie den Kämmerling mit der einen Hand auf die Seite, während sie mit der anderen den Vorhang hob und die Königin nötigte, in Richards Zelt zu treten. Der König ruhte auf seinem Lager, und unweit von ihm, seiner Befehle noch gewärtig, stand ein Mann in einem Wams aus rotem Tuch, das kaum über die Schultern reichte und die Arme bis über den halben Ellbogen nackt ließ. Das schreckliche Amt, das ihm oblag, war nicht schwer zu erraten, das Schwert, auf das er sich stützte, dessen Klinge beinahe vier und einen halben Fuß lang und dessen Gefäß, zwanzig Zoll im Umfange, von einer Reihe Bleikugeln umgeben war, um dem Stichblatt das Gegengewicht zu halten, redete die deutlichste Sprache. Der König warf sich, als die Frauen eintraten, voll Unmut und Staunen auf die andere Seite, so daß er der Königin und ihrem Gefolge den Rücken wandte. Dann zog er die aus Löwenhäuten zusammengenähte Decke über sich. Berengaria warf einen flüchtigen Blick voll Grausen und Entsetzen auf den furchtbaren Gast ihres Gemahls und eilte rasch zu Richards Lager, kniete dort nieder, warf den Mantel von den Schultern und ließ ihre goldenen Locken lang herabwallen. Dann nahm sie Richards Hand, zog sie allmählich an sich, beugte sich mit der Stirn darüber und drückte ihre Lippen darauf. »Was soll das, Berengaria?« sagte Richard mit abgewandtem Gesicht, aber die Hand ihr lassend. – »Schick diesen Mann fort, sein Anblick ist mir gräßlich,« flüsterte Berengaria. – »Pack Dich, Kerl!« rief Richard, noch immer der Königin abgewandt; »ziemt es Dir, diese Damen zu schauen?« – »Euer Majestät haben noch keine Bestimmung getroffen, was mit dem Haupte – « begann der Mann. – »Fort mit Dir, Hund!« war Richards Antwort. »Ein christliches Begräbnis!« Dann wandte sich der König langsam nach der königlichen Bittstellerin herum. Aber niemand, am wenigsten ein Verehrer aller Schönheit wie Richard, dessen Ruhm sie dem Rang nach am nächsten stand, konnte Berengaria vor sich knien sehen, mit Tränen in den Augen. Er wandte langsam sein männliches Antlitz zu ihr, mit dem wärmsten Ausdruck, dessen sein großes blaues Auge fähig war, aus dem so oft grimmiges Feuer blitzte. Mit der nervigen Hand strich er über ihre schönen Locken und küßte zärtlich das holde Antlitz. »Noch einmal, Berengaria, Gebieterin meines Herzens, was suchst Du hier zu dieser frühen Stunde?« – »Verzeihung, mein gnädiger Gemahl!« entgegnete die Königin, vor Furcht abermals unfähig, Fürbitte einzulegen. – »Verzeihung? wofür?« fragte der König. Sie stockte.... »Verzeihung?« wiederholte Richard. »Sprich, Berengaria! sprich! denn für die Angelegenheit, die mich beschäftigt, taugst Du nicht als Zeugin; noch weniger wünsche ich, daß Du Deine kostbare Gesundheit da gefährdetest, wo noch vor kurzem Krankheit herrschte.« – »Aber Du bist jetzt wohl,« sagte die Königin, die sich immer noch scheute, den Zweck ihres Besuchs zu offenbaren; »und... wirst mir eine Bitte nicht abschlagen, eine Bitte um ein armseliges Leben?« »Ha! weiter!« rief Richard, die Stirn runzelnd. – »Der unglückliche schottische Ritter – « hub die Königin an. »Kein Wort von ihm, Königin!« rief Richard finster; »sein Urteil ist gefällt.« – »Nicht so, mein innig geliebter Gemahl! es ist ja nur eine seidene Fahne, die er verscherzt hat, und Berengaria wird Dir eine andere sticken, reicher als je eine im Winde flatterte.« »Du weißt nicht, was Du redest!« unterbrach sie der König entrüstet. »Es gilt hier Englands Ehre und Deines Mannes Ehre! und das sind für uns Pflichten, die Du nicht mit uns tragen kannst.« – »Du hörst es, Edith!« flüsterte die Königin, »wir werden ihn nur mehr erzürnen.« Da trat Edith zum Könige ... »Gnädigster Herr! Eure arme Verwandte fleht um Gerechtigkeit, nicht um Gnade, und der Stimme der Gerechtigkeit muß das Ohr eines Herrschers immer geöffnet sein, zu jeder Zeit und unter allen Umständen.« – »Ha! unsere Base Edith!« rief Richard, sich auf die Seite des Bettes setzend, »sie führt stets königliche Worte im Munde, und königlich soll meine Antwort lauten, sofern sie nicht mit Bitten kommt, die ihrer unwürdig sind.« »Mein König,« sprach sie, »der brave Ritter, dessen Blut Ihr vergießen wollt, hat dem Christentum guten Dienst geleistet. Er ist seiner Pflicht untreu geworden durch eine Botschaft, die, warum soll ich es verschweigen, ihm in meinem Namen überbracht wurde, infolge eines törichten Einfalles; allein deshalb ist er von dem Platze gewichen, auf den Ihr ihn gestellt hattet, aber welcher Ritter im christlichen Lager hätte sich solcher Uebertretung nicht schuldig gemacht, wenn eine Plantagenet ihn zu sich rief?« – »Also habt Ihr ihn gesehen, Base?« rief der König, sich in die Lippen beißend. – »Allerdings, mein König,« erklärte Edith. »Zu erörtern, warum, ist jetzt die Zeit nicht; ich bin nicht hier, mich zu entschuldigen, und andere zu verschwärzen.« – »Und wo erwiesest Du ihm solche Gunst?« – »Im Zelt Ihrer Majestät.« – »Unserer königlichen Gemahlin?« rief Richard. »Nein, beim Himmel, das ist zu stark! ist das Edith Plantagenet, die weise und edle? Oder ein liebekrankes Fräulein, das nicht um ihren Ruf, sondern um das Leben ihres Geliebten besorgt ist? Bei König Heinrichs Seele! Es fehlt wenig, so laß ich Deines Günstlings Schädel vom Galgen nehmen und als Zierat neben dem Kruzifix in Deine Zelle stellen.« »Und dennoch würde ich sagen,« erklärte Edith unerschrocken, »es sei die Reliquie eines wackeren Ritters, der unwürdig und grausam hingerichtet wurde von« – hier hielt sie inne – »von einem, der besser hätte wissen sollen, wie man Ritterlichkeit belohnt.« – »O still, um Gottes willen!« flüsterte die Königin. »Du machst ihn rasend!« Der König schickte sich eben an zu zorniger Antwort, als ein Karmelitermönch ins Gemach trat, in den langen Mantel dieses Ordens aus gestreiftem groben Tuch gehüllt, sich dem König zu Füßen warf und ihn beschwor, die Hinrichtung aufzuschieben. »Bei Schwert und Szepter!« rief Richard, »die ganze Welt hat sich gegen mich verschworen; Narren, Weiber, Mönche stellen sich in meinen Weg. – Wie kommts, daß der Verbrecher noch lebt?« – »Mein gnädigster Herr!« erklärte der Mönch, »ich habe den Lord von Gilsland gebeten, die Hinrichtung so lange aufzuschieben, bis ich mich selbst vor Eurer – « »Und er war so gutmütig, Deinem Gesuch zu willfahren?« schrie der König. »Der Satan über ihn! Doch sprich: Was hast Du zu dieser Sache zu melden?« – »Gnädigster König, ein wichtiges Geheimnis, aber unter dem Siegel der Beichte, ich wage nicht, es zu künden, weder laut noch im geheimen! Doch, wenn ich es Dir künden könnte, so würde es Dich, das schwöre ich, von dem blutigen Vorsätze, den Du gegen ihn gefaßt hast, abbringen.« – »Ehrwürdiger Vater,« sagte Richard, »daß ich die Kirche ehre, bezeugen die Waffen, die ich um ihretwillen trage. Künde mir dies Geheimnis, und ich werde handeln, wie es der Sache gemäß ist.« »Mein König,« entgegnete der fromme Mann, Kutte und Oberkleid zurückschlagend, um ein härenes Gewand und ein Gesicht zu enthüllen, das einem lebendigen Skelett glich. »Zwanzig Jahre lang habe ich in den Höhlen Engaddis diesen elenden Körper gemartert, um eine schwere Sünde zu büßen. Wähnt Ihr, ich könnte eine Lüge ersinnen, um meine Seele in Gefahr zu bringen?« »Also Du bist der Einsiedler, von dem so viel gesprochen wird?« erwiderte der König. »Du siehst freilich den Geistern ähnlich, die an öden Stätten wandeln. Aber Richard fürchtet Gespenster nicht! Auch bist Du, dünkt mich, derjenige, an den die Fürsten den Verbrecher sandten mit einer Botschaft an den Sultan, als ich, den sie doch zumeist anging, krank und siech darniederlag? Nun, vergleicht Euch jetzt noch untereinander. Mich gelüstets nicht nach Karmelitergürteln. Und was Dein Geheimnis angeht, so laß Dir sagen, je angelegentlicher Du Dich für ihn verwendest, desto schneller wird ihn der Tod ereilen.« – »Nun, so möge Gott Dir gnädig sein, König!« sprach der Eremit in tiefer Bewegung. »Du richtest ein Unheil an, das Du, und wenn es Dich ein Glied kosten sollte, dereinst wirst ungeschehen machen wollen... Verblendeter Fürst, stehe ab davon!« – »Hinweg!« rief der König, mit den Füßen stampfend. »Die Sonne ist über Englands Schande aufgegangen; und noch ward die Schande nicht gerächt ... Beim heiligen Georg schwöre ich – « »Schwört nicht!« rief ein Mann, der eben ins Zelt getreten war. – »Ha! gelehrter Hakim!« sagte der König, »hoffentlich kommst auch Du, meine Freigebigkeit auszunützen?« – »Ich komme, Gehör zu bitten, augenblickliches Gehör, denn ich bringe wichtige Kunde.« – »Entferne Dich, Berengaria,« sprach der König, »und auch Du, Edith. Keine weiteren Bitten! Eins will ich Euch versprechen: die Hinrichtung soll bis zur Mittagszeit verschoben werden. Geh, Berengaria! Und Du, Edith,« fügte er hinzu, mit einem Blick, der selbst die mutige Seele seiner Verwandten mit Schrecken erfüllte, »wenn Du klug bist, dann geh!« Die Frauen eilten zurück in das Zelt der Königin, wo sie sich ihrem Kummer überließen und gegenseitig Vorwürfe machten. Edith war die einzige, die es verschmähte, ihrem Kummer auf diesem Wege Erleichterung zu schaffen, und versah still ihre Dienste bei der Königin, die in leidenschaftliche Aeußerungen ausbrach und ihren Leichtsinn lebhaft verwünschte. Siebzehntes Kapitel Der Einsiedler wandte sich auf der Schwelle noch einmal um und hob warnend die Hand wider den König .. »Wehe dem,« rief er, »der den Rat der Kirche verwirft und seine Zuflucht nimmt zu den Ungläubigen! König Richard, noch schüttle ich nicht den Staub von meinen Füßen, noch scheide ich nicht aus Deinem Lager. Das Schwert fällt nicht, allein es hängt an einem Haar. Stolzer Monarch, wir sehen uns wieder!« – »Es sei so, hochmütiger Priester!« erwiderte Richard. Der Eremit verschwand aus dem Zelt, und der König, zu dem Araber gewandt, fuhr fort: »Weiser Hakim, stehen die Derwische des Orients auch auf so vertrautem Fuße mit ihrem Fürsten?« – »Die Derwische sind entweder Weise oder Verrückte,« antwortete der Arzt; »wer das Gewand der Derwische anlegt, nachts wacht und tagsüber fastet, kennt kein Mittelding. Er besitzt entweder Weisheit genug, sich in Gegenwart von Fürsten bescheiden zu betragen, oder ist, wenn ihm die hohe Gabe der Vernunft fehlt, für seine eignen Handlungen nicht verantwortlich.« – »Mich dünkt, unsere Mönche sind vorwiegend von letzterem Schlage,« sagte Richard. »Doch zu Deiner Angelegenheit! Womit kann ich Dir dienen, gelehrter Arzt?« – »Großer König,« sagte El Hakim, sich nach orientlischem Brauche tief verbeugend, »laß Deinen Diener ein Wort sprechen, und doch leben. Ich wollte Dich erinnern, daß Du nicht mir, ihrem niedrigen Werkzeuge, sondern den höheren Geistern, deren Wohltaten ich ja bloß unter den Sterblichen austeile, Dein Leben verdankst.« – »Und ich wette, daß Du nun ein anderes begehrst,« unterbrach ihn der König, »ist's nicht so?« – »Allerdings ist dies meine demütige Bitte an den großen König,« sagte Hakim. »Schenket dem zum Tode verurteilten Ritter das Leben! Hat er doch nichts anderes sich zuschulden kommen lassen, wie schon Adam, der Vater aller Menschen, auch!« »Und Deine Weisheit, Hakim, könnte Dich erinnern, daß Adam sie mit dem Tode büßte,« sprach der König ernst, während er, bewegt mit sich selbst sprechend, im engen Raume seines Zeltes auf und nieder ging. »Gerechter Gott! was er begehrte, wußte ich, sobald er ins Zelt trat. Ein armseliges Leben ist mit vollem Recht zum Tode verurteilt, und ich, ein König und Krieger, auf dessen Befehl tausende fielen, soll hier keine Macht haben, obgleich die Ehre meiner Waffen, meines Hauses, meiner Gemahlin durch den Schuldigen gefährdet wurde? Beim heiligen Georg! das bringt mich zum Lachen! das erinnert mich an Blondels Märchen vom verzauberten Schlosse, das der vom Schicksal verfolgte Ritter nie betreten konnte, weil ihn allerhand Gestalten daran hinderten, die, eine der andern unähnlich, ihm doch feindlich gesinnt waren. Kaum war die eine verschwunden, so kam die andere; und so erschienen der Reihe nach Gemahlin, Base, Eremit, Hakim! Ha, ha, ha!« Und Richard lachte laut auf, denn sein Zorn hatte sich in der Tat gelegt, da seine Entrüstung wie gewöhnlich zu heftig gewesen war, um lange zu dauern ... »Ein Todesurteil,« sagte Hakim, den König mit einer Miene, die nicht frei von Verachtung war, betrachtend, »sollte nicht aus lachendem Munde kommen. Laß Deinen Knecht hoffen, daß Du ihm des Mannes Leben schenkst.« »Nimm statt seiner tausend Gefangene!« antwortete Richard. »Du sollst sie auf der Stelle erhalten; aber dieses Mannes Leben ist verwirkt.« – »Wie unser aller Leben!« rief Hakim, »aber der Schöpfer alles Lebens übt auch Gnade und treibt seine Pfänder nicht ein mit Strenge oder zur Unzeit.« – »Welches besondere Interesse veranlaßt Dich, zwischen mich und die Justiz zu treten?« – »Du hast gelobt, Gnade und Gerechtigkeit zu üben,« entgegnete El Hakim; »und doch vollstreckst Du jetzt bloß Deinen eigenen Willen. Zudem wisse, daß manches Menschenleben von meiner Bitte abhängt.« – »Erkläre Dich deutlicher,« sagte Richard. »Doch glaube nicht, mich durch Vorspiegelungen zu hintergehen.« – »Das sei fern von Deinem Knecht!« rief der Arzt; »doch muß ich Dir bekennen, daß die Arznei, der Du Deine Herstellung verdankst, ein Talisman ist, der sich nur bereiten läßt unter gewissen Himmels-Aspekten, wenn die göttlichen Mächte dem Vorhaben am günstigsten sind. Ich bin nur das bescheidene Werkzeug der Vorsehung. Ich tauche den Talisman in ein Gefäß mit Wasser, benutze die Stunde, die sich zur Vorbereitung des Mittels für den Kranken eignet, und die Kraft des Trankes bewirkt die Heilung.« – »Ein kostbares,« sagte der König, »und zugleich bequemes Mittel. Da es der Arzt in der Tasche tragen kann, erspart es die ganze Karawane von Kamelen, durch die wir Spezereien und Arzneimittel aus einem Weltteil in den andern schleppen. Seltsam, daß noch andere Mittel in Gebrauch sind.« »Es steht geschrieben,« erwiderte Hakim, ohne sich in seinem Ernst stören zu lassen: »Mißhandle nicht das Roß, das Dich aus der Schlacht getragen! Wisse, daß solche Talismane freilich gefertigt werden können, daß sich aber selten Adepten fanden, die es wagten, sich solcher Künste zu bedienen. Wer aus Nachlässigkeit, Bequemlichkeit oder Hang zu sinnlichen Lüsten es verabsäumt, im Lauf eines Mondes wenigstens zwölf Personen zu heilen, bei dem trennt sich die Kraft der göttlichen Gabe vom Amulett. Beide, den letzten Patienten und Arzt, trifft dann die Strafe, und keiner von ihnen wird das Jahr überleben. Ich fordere jetzt ein Leben, die gesetzte Zahl voll zu machen.« – »Begib Dich ins Lager, Hakim!« rief der König. »Dort findest Du der Patienten so viel, daß Du nicht meinem Scharfrichter die Kunden zu rauben brauchst. Es ziemt sich für einen Arzt von Deinem Ansehen nicht, einem anderen ins Handwerk zu pfuschen.« »Vergilt so der hochberühmte Fürst von Frangistan die ihm erwiesene Wohltat?« rief El Hakim, indem er nunmehr die demütige Haltung, in der er den König bisher angefleht, aufgab und statt ihrer eine stolze, hoheitsvolle annahm. »Wisse, Du stolzer König, daß ich an jenem Hofe Europas und Asiens, unter Muselmännern und Nazarenern, unter Rittern und Damen, überall, wo das Schwert geachtet und Undank verabscheut wird, Dich, Richard von England, anklagen werde des Undanks und der unedlen Gesinnung, und daß selbst die Länder, in welche nie Dein Ruf drang, Deine Schmach erfahren sollen.« – »Sollen mir die, Worte gelten, Ungläubiger?« rief Richard, grimmig auf ihn zuschreitend, »bist Du Deines Lebens müde?« – »Schlag zu!« rief El Hakim, ohne zu weichen. »Deine eigene Tat wird Dich unwürdiger machen, als meine Worte, und wenn auch jedes von ihnen den Stachel der Hornisse hätte.« Richard schlug zornig die Arme übereinander und schritt wieder im Zelte auf und ab. »Ich wäre undankbar und unedel?« rief er. »Ebenso gut könnte ich feig und ungläubig sein sollen! – Hakim! Du hast Dir ein Geschenk gewählt; und obgleich es mir lieber gewesen wäre, Du hättest meine Kronjuwelen genannt, so kann ich doch als König Dir nichts abschlagen. Der Schotte sei Dir geschenkt. Der Profoß wird ihn Dir gegen diesen Schein ausliefern.« Er schrieb geschwind ein paar Worte und gab sie dem Arzte. »Brauche ihn als Deinen Sklaven,« fuhr er fort, »und schalte mit ihm nach Belieben. Doch in acht nehmen soll er sich, mir je wieder vor Augen zu kommen, hörst Du!« – »Möge die Zahl Eurer Tage sich vervielfältigen, gnädiger König!« sprach Hakim und entfernte sich nach einer tiefen Verbeugung aus dem Zelte. König Richard sah ihm nach, wie jemand, der sich nicht recht schicken kann in das, was vorgefallen ist.... »Ein halsstarriger Wicht, dieser Hakim!« sagte er; »und doch ein seltsamer Zufall, daß er sich im Falle des schottischen Wichtes ins Mittel legen mußte. Doch er lebe, denn so gibts einen braven Kerl mehr auf der Welt. Nun zu diesem Hackklotz von Oesterreicher! – He da! Ist Lord Gilsland draußen?« Thomas von Baux verdunkelte mit seiner Riesenfigur den Zelteingang, während hinter ihm, ungemeldet, doch unbehindert, einem Gespenst gleich, der wild aussehende Einsiedler von Engaddi, in seinen Mantel aus Ziegenfellen gehüllt, ins Zelt hineinschlüpfte. Thomas von Baux, von Lanercost und Gilsland,« sprach Richard Löwenherz mit lauter Stimme zu dem Barone, ohne den Einsiedler zu bemerken, »begib Dich sogleich nach dem Zelte Herzogs Leopold von Österreich. Sieh, daß Du ihn in recht buntem Gedränge von Rittern und Vasallen triffst. Wahrscheinlich ist das jetzt der Fall, denn der deutsche Bär frühstückt ja doch, ehe er die Messe hört. Tritt so ungehobelt wie möglich vor ihn hin und klage ihn öffentlich an von seiten Richards von England, daß er diese Nacht mit eigner oder fremder Hand Englands Banner von seinem Stecken gestohlen habe. Er solle, so bestimmen wir, innerhalb einer Stunde von dieser Verkündigung an, unser Banner mit allen Ehren wiederherstellen. Dabei soll er mit den vornehmsten Rittern mit unbedecktem Haupt und ohne ihre Staatskleider warten, er selbst außerdem auf der einen Seite sein eigenes Banner als dasjenige, das durch Diebstahl und Treulosigkeit entwürdigt worden ist, umgekehrt einschlagen; auf der anderen Seite aber eine Lanze mit dem blutigen Haupt desjenigen aufstellen, der ihm bei dieser gemeinen Tat seinen Rat oder seine Hilfe lieh. Sage ihm, daß, falls dieser unser Befehl pünktlich vollzogen werde, wir ihm, um unseres Gelübdes und um der Wohlfahrt des heiligen Landes willen, verzeihen wollen.« »Aber, wenn nun der Erzherzog allen Anteil an diesem Frevel leugnet?« fragte Thomas von Vaux. – »Sage ihm,« erwiderte der König, »wir wollen es ihm ins Angesicht beweisen, und wenn er zwei seiner tapfersten Kämpfer hinter sich hätte. Ritterlich wollen wirs ihm beweisen, zu Fuß oder zu Rosse, in der Wüste oder im Felde, und er soll Zeit, Ort, Waffen, kurz alles nach eigener Wahl bestimmen.« – »Aber, mein königlicher Lehnsherr, gedenkt des Friedens mit Gott und der Kirche unter diesen Fürsten, die sich zum heiligen Kreuz verbunden haben,« antwortete der Baron von Gilsland. – »Bedenkt Ihr nur, daß ich Vollstreckung meiner Befehle erwarte, Herr Lehnsvasall!« rief Richard ungeduldig, »es hat schon ganz den Anschein, als hofften manche unsern Plan in die Luft zu blasen, wie Kinder Federn... Seht Ihr nicht, wie jeder Fürst seine besonderen Pläne zu erreichen strebt? Auch ich verfolge ein Ziel, aber ich bin hergekommen aus Ehre; kann ich sie nicht bei Sarazenen ernten, so will ich wenigstens kein Jota davon durch diesen armseligen Erzherzog verlieren, und wenn ihn jeder Fürst, der mit bei diesem Kreuzzug ist, schirmte und schützte.« Thomas von Vaux wandte sich, wenn auch achselzuckend, um des Königs Befehle zu vollziehen. Allein in diesem Augenblick trat der Eremit vor, feierlich, wie ein höherer Gesandter als diejenigen, die von irdischen Machthabern ausgehen. Seine Kleidung aus Fellen, sein ungekämmtes Haar, sein Bart, sein hageres, verwirrtes Antlitz, und nicht zum wenigsten das an Wahnsinn erinnernde Feuer, das unter seinen buschigen Brauen blitzte, alles dies erinnerte an einen biblischen Seher. Die Achtung vor der Kirche setzte Richard Löwenherz nie aus den Augen, und wenn ihn auch der unangemeldete Eintritt des Eremiten verdroß, so zollte er ihm doch Ehrerbietung. Zugleich gab er aber Thomas von Vaux einen Wink, den ihm erteilten Auftrag unverzüglich auszurichten. Hieran aber hinderte ihn der Einsiedler, der sich mit hochgehobenem Arm, mager vom Fasten und durch Kasteiungen, vor ihn hinstellte und rief: »Im Namen Gottes und des heiligen Vaters, des Stellvertreters der christlichen Kirche auf Erden, untersage ich diese übermütige Herausforderung zwischen christlichen Fürsten, deren Schultern das heilige Kreuz schmückt, unter welchem sie sich Brüderschaft gelobten. Wehe dem, durch den sie gebrochen wird! – Richard von England! Widerrufe den unheiligen Auftrag, den Du dem Baron von Vaux erteilt! Gefahr und Tod sind Dir nahe! Schon blinkt der Dolch an Deinem Halse!« – »Gefahr und Tod sind Richards Gespielen!« erwiderte der Monarch stolz; »und ich habe schon zu vielen Gefahren getrotzt, um einen Dolch zu fürchten.« – »Gefahr und Tod sind nahe!« erwiderte der Seher, dessen Stimme einen gespensterhaften Klang annahm; »und auf den Tod folgt das Gericht!« »Ehrwürdiger Vater,« sprach der König, »ohne Euch das Recht der Sorge für unser Gewissen streitig zu machen, solltet Ihr, dünkt mich, Euch mit der Sorge für unsere Ehre besser nicht befassen.« – »Ich bin nur die Glocke in der Hand des Küsters,« sagte der Eremit, »die, seine Befehle kündet ... auf meinen Knien bitte ich Dich, übe Mitleid gegen die Christenheit, England, Dich selbst!« »Steh auf!« sagte Richard, »ein Knie, das sich so häufig vor Gott beugt, soll nicht einem Menschen zu Ehren den Boden berühren. Sprich, was für Gefahr droht uns, ehrwürdiger Vater?« – »Ich sah von meinem Berge das Sternenheer des Himmels, sah, wie in seinem mitternächtlichen Kreislauf ein Stern dem andern Weisheit, doch Wissen nur den wenigen, die ihre Stimme verstehen, offenbarte. Im Hause Deines Lebens, König, sitzt ein Feind, der Deinem Rufe und Deiner Wohlfahrt nachstellt.« – »Bleib mir damit vom Halse!« rief der König, »das ist heidnische Wissenschaft, – die von Christen nicht geübt wird, und an die weise Männer nicht glauben. Aber, Du faselst!« »Ich fasele nicht, Richard. Ich bin der Blinde, der andern die Fackel trägt, obgleich sie ihm selbst nicht leuchtet. Frag nicht nach allem, was das Heil der Christenheit und dieses Kreuzzuges anlangt, und ich will mit Dir sprechen, wie der weiseste Ratgeber. Sprich dagegen mit mir von meinem eigenen elenden Dasein, und meine Worte werden dem Munde des verstoßenen Wahnsinnigen gehören, als den ich mich bekenne.« – »Es sollte mir fern liegen, die Bande der Einigkeit unter den Fürsten des Kreuzzuges zu stören,« erwiderte Richard sanfter. »Aber welche Genugtuung gewähren sie mir für die erlittene Schmach?« »Der Fürstenrat ist willens, Eure Forderungen, soweit es möglich ist, zu erfüllen, noch ehe Ihr sie stellt,« versetzte der Eremit. »Das englische Banner soll auf St. Georgenberg wieder aufgepflanzt werden. Mit Bann und Verdammnis sollen die Verbrecher belegt werden, die sich an ihm vergangen haben, und demjenigen, der den Schuldigen nachweist, dessen Fleisch den Wölfen und Raben vorgeworfen werden soll, wird königliche Belohnung verheißen.« – »Und Oesterreich,« sagte Richard, »auf dem so starker Verdacht ruht, der Urheber zu sein?« – »Um Zwietracht unter dem Kreuzheere vorzubeugen,« entgegnete der Einsiedler, »wird Oesterreich sich selbst von dem Verdacht reinigen, indem es sich jedem Gottesurteil unterwirft, das der Patriarch von Jerusalem ihm auferlegt.« – »Durch Zweikampf?« fragte König Richard. – »Daran verhindert ihn sein Eid,« versetzte der Eremit, »zudem wird der Fürstenrat – « »Nie den Kampf wider die Sarazenen, noch gegen sonst jemand genehmigen,« unterbrach ihn Richard. »Doch genug davon, Vater, ich will den Erzherzog selbst meineidig machen, ich will auf dem Gottesurteil bestehen. Wie will ich lachen, wenn seine plumpen Finger zischen, sobald er die rotglühende Eisenkugel ergreift! oder wenn er den prahlerischen Mund öffnet und seine Kehle schwillt, indem er die geweihte Hostie zu kosten versucht!« – »Still, Richard,« sagte der Einsiedler. »Schweigt aus Scham, wenn nicht aus christlicher Liebe. Wer soll Fürsten preisen und ehren, die selbst einander schmähen und verleumden?« Er blieb einige Augenblicke sinnend stehen, die Augen auf den Boden geheftet. Dann fuhr er fort: »Aber der Himmel, der unsere unvollkommene Natur kennt, hat das blutige Ende Deines Lebens, wenn nicht abgewandt, doch hinausgeschoben. Der Würgengel stand still, das Schwert ist gezückt in seiner Hand, und in kurzem wird er den löwenherzigen Richard dem niedrigsten Bauern gleich machen.« – »Sobald schon?« rief Richard. »Doch es sei! Wenn mein Lebenslauf nur glänzend war, so mag er immerhin kurz gewesen sein!« »Ach, edler König,« entgegnete der Einsiedler, und eine Träne, ein ungewohnter Gast, schien in seinem vertrockneten, glänzenden Auge zu schimmern. »Kurz und trübe, bezeichnet mit Erniedrigung, Not und Gefangenschaft, ist die Spanne, die Dich vom gähnenden Grabe trennt, in das Du steigen wirst ohne Nachkommen, unbeweint von einem durch endlose Kriege erschöpften Volke, dessen Bildung Du nicht vermehrt, dessen Glück Du nicht gefördert hast.« – »Doch nicht ohne Ruhm, Mönch! und nicht unbeweint von der Dame meines Herzens,« rief Richard. »König von England,« rief der Eremit, »das Blut, das in Deinen blauen Adern siedet, ist um nichts edler als das in den meinigen fließt, denn es sind Tropfen drin vom königlichen Lusignan, vom Blute des heldenmütigen, frommen Gottfried. Ich bin, das heißt, ich war, als ich in der Welt lebte, Alberich Montemar.« – »Dessen Taten so oft die Posaunen des Ruhmes verkündeten?« rief Richard. »Kann dies sein? Konnte ein Stern, wie der Deinige, vom Horizont der Ritterschaft fallen? Und noch war man ungewiß, wo Deine Asche ruhe?« – »Suche einen gefallenen Stern,« sagte der Einsiedler, »und Du wirst nur eine träge Masse finden, die, durch den Horizont schießend, momentan einen scheinbaren Glanz annahm. Richard, wüßte ich, daß Dein stolzer Geist sich dann der Kirchenzucht unterwürfe, so würde ich den blutigen Schleier von meinem schrecklichen Schicksal hinwegziehen. So höre denn, Richard! mögen Kummer und Verzweiflung, die diesen armseligen Ueberresten eines ehemaligen Mannes nicht helfen können, als kräftiges Beispiel wirken für ein edelmütiges und doch so ungestümes Wesen, wie Dich. Ich will die lang verborgenen Wunden aufreißen, und sollten sie sich auch in Deiner Gegenwart verbluten!« König Richard, auf den die Geschichte Alberichs von Montemar in früheren Jahren, als in den Hallen seines Vaters die Sagen der Minstrels vom heiligen Lande erklangen, tiefen Eindruck gemacht hatte, horchte ehrfurchtsvoll auf eine Lebensgeschichte, die, wenn auch dunkel und unvollkommen, doch zur Genüge den halben Wahnsinn dieses unglücklichen Menschen beleuchtete. »Daß ich edel von Geburt, reich an Glücksgütern, bewandert in der Führung der Waffen und einsichtsvoll im Rat war,« hub er an, »darf ich wohl als bekannt voraussetzen. Allein während in Palästina die edelsten Frauen wetteiferten, meinen Helm mit Blumen zu zieren, war mein Herz einem Mädchen von niedrigem Range zugewendet. Ihr Vater, ein alter Kreuzfahrer, sah, bei dem Abstande zwischen uns, für die Ehre seiner Tochter keine andere Zuflucht als das Kloster. Ich kehrte, beladen mit Beute und Ruhm, aus fernem Lande heim und fand mein Lebensglück vernichtet. Nun trat auch ich in ein Kloster. Der Ehrgeiz trieb mich auch hier, und ich stieg auf zu hohen Würden, wurde zu meinem Unglück auch Beichtvater von Klosterschwestern, und unter ihnen fand ich die lang Geliebte, die lang Verlorene. Erspare mir das weitere Bekenntnis! Eine gefallene Nonne, deren Sünde durch Selbstmord gerächt ward, schlummert in Engaddis Grüften, und über ihrem Grabe jammert ein Mensch, dem nur so viel Verstand geblieben, sein Elend in voller Größe zu fühlen.« – »Unglücklicher!« rief Richard. »Aber wie entgingst Du dem Verdammungsurteil, das die strengen Gesetze der Kirche über Deine Sünde verhängen?« »Richard, ich sage Dir,« rief der Eremit, »die Vorsehung hat mich erhalten, daß ich wie ein Feuer auf einem Leuchtturm brenne, dessen Asche noch in den Abgrund der Hölle geworfen werden muß. Meine armselige Gestalt beseelen noch zwei geistige Kräfte: eine tätige Kraft, die der nacheifert, die Sache der Kirche von Jerusalem zu schützen, und eine niedrige, verzweifelnde Kraft, die, zwischen Wahnsinn und Elend schwankend, über meine Sünde trauert und über die sterblichen Reste einer Heiligen wacht, ohne daß sie ausreichte, auch nur einen Blick auf dieselbe zu werfen. Beklage mich nicht! denn das wäre Sünde, aber lerne an meinem Beispiel. Du stehst am höchsten; Dein Herz ist stolz, Dein Leben wild, Deine Hand blutig. Wirf die Sünden, die Dich Töchtern gleich umgeben, von Dir! Treib diese Furien aus Deiner Brust, so da heißen: Stolz, Ueppigkeit, Blutdurst!« »Er rast!« rief Richard, sich von dem Einsiedler zu Thomas von Baux wendend, wie jemand, den der Spott schmerzt, wenn er ihn auch nicht unterdrücken kann – dann aber richtete er das Wort wieder an den Eremiten: »Ehrwürdiger Vater, Du hast ja einem Mann, der erst wenige Monate vermählt ist, eine herrliche Töchtersippe ausgesucht. Solchem Vater ziemt es doch, für gute Partien zu sorgen. Darum sei mein Stolz den hohen Domherren der Kirche, meine Ueppigkeit den Mönchen, mein Blutdurst den Tempelrittern vermählt.« »O, über dies Herz von Stahl Und diese Hand von Eisen!« rief der Anachoret, »o wehe dem Menschen, bei dem Beispiel und Rat fruchtlos sind! Doch noch eine Zeitlang sollst Du geschont werden, sofern Du umkehrst und tust, was Gott angenehm ist. Ich aber muß an den Ort meiner Verbannung zurück. – Kyrie Eleison!« Mit diesem mehrmals wiederholten Ausruf stürzte er aus dem Zelte. »Ein wahnsinniger Pfaffe!« rief Richard, in dessen Gemüt die fanatischen Aeußerungen des Eremiten den Eindruck seines Unglücks verwischt hatten. »Doch lauf ihm nach, Thomas von Baux, und sorge, daß er keinen Schaden nimmt; daß kein Kreuzfahrer Spott mit ihm treibt.« Der Ritter gehorchte, und Richard hing den Gedanken nach, die durch die wilde Prophezeiung des Mönches in ihm geweckt worden waren. »Frühzeitig sterben, ohne Nachkommenschaft, und unbeweint? Ein strenges Urteil! Gut, daß es von keinem urteilsfähigen Richter kommt! Schade, daß ich vergessen habe, ihn über den Verlust meines Banners zu befragen! Nun, Thomas von Baux, was gibts Neues von dem tollen Priester?« – »Mich dünkt,« entgegnete Thomas, der eben wieder in das Zelt eingetreten war, »er gleicht mehr Johannes dem Täufer, als er aus der Wüste kam, als einem tollen Priester! Er hat sich auf eine Kriegsmaschine gesetzt und predigt den Soldaten, wie seit Peter, dem Eremiten, keiner gepredigt hat. Das ganze Lager ist durch sein Geschrei erregt, und tausende drängen sich um ihn. Jeder der verschiedenen Nationen redet er in ihrer eignen Sprache an und sucht sie zur Beharrlichkeit in der Befreiung Palästinas zu entflammen.« »Beim Himmel, ein edler Eremit,« rief da König Richard. »Aber was ließ sich anders von Gottfrieds Blut erwarten! Er zweifelt an seiner Seligkeit, weil er in der Jugend seiner Liebe gelebt hat. Ich will ihm vom Papst einen Ablaßbrief verschaffen, und wenn seine Schöne auch eine Aebtissin gewesen wäre.« Da ließ sich der Erzbischof von Tyrus melden, um König Richard in den Rat der Fürsten zu bitten. Achtzehntes Kapitel Wenn auch der Erzbischof von Tyrus noch immer der beste Botschafter war, um Richard Löwenherz Nachrichten zu überbringen, die ihn sonst leicht in schlimmste Wut hätten setzen können, so fiel es doch selbst diesem ehrwürdigen und weitsichtigen Kirchenfürsten recht schwer, ihm begreiflich zu machen, daß er alle Hoffnung aufgeben müsse, das heilige Grab mit Waffengewalt wiederzuerobern, seit Sultan Saladin die Macht seiner hundert Stämme aufgeboten hatte und die europäischen Fürsten, an und für sich wider den Feldzug gestimmt, zu dem Entschlusse gelangt waren, denselben aufzugeben. Bestärkt wurden sie hierin durch das Beispiel Philipps von Frankreich, der zufolge der Erkrankung Richards rundweg erklärt hatte, nach Frankreich zurückzukehren, und zwar im Einverständnis mit seinem Hauptvasall, dem Grafen von Champagne. Auch Leopold von Oesterreich, eingedenk der ihm vom englischen Könige von England zugefügten Beschimpfung, hatte sich ihnen mit Freuden angeschlossen, gleich vielen anderen, die sich über Richards Hochmut ärgerten. Und so sah sich dieser, wenn er sich zum Bleiben entschloß, nur auf die zweifelhafte Hilfe Konrads von Montserrat und der Templer und Johanniter angewiesen, die zwar den Kampf gegen die Sarazenen gelobt hatten, aber jeden europäischen Fürsten, der die Eroberung Palästinas unternahm, wo sie unabhängige Reiche für sich gründen wollten, mit kleinlicher Eifersucht verfolgten. »Ich gebe zu,« erklärte Richard mit schwermütigem Lächeln, »daß mein Temperament viel geschadet hat; aber ist es nicht hart, daß ich deshalb auf allen Ruhm vor Gott und der Ritterschaft verzichten soll? Doch das soll nicht sein! Denn, bei der Seele des Siegers! ich will das Kreuz auf die Türme von Jerusalem pflanzen, oder es soll auf Richards Grabe stehen!« – »Es ist Ruhm genug geerntet,« erwiderte der Erzbischof, »wenn Saladin, durch die Gewalt der Waffen und durch Euer Ansehen gezwungen, sich verpflichtet, das heilige Grab herzustellen, das heilige Land den Pilgern zu öffnen, Sicherheit durch starke Festungen zu gewähren und Bürgschaft für die Sicherheit der heiligen Stadt zu leisten durch Einsetzung König Richards zum Schirmvogt über Jerusalem.« – »Wie?« rief Richard mit funkelndem Auge, » – ich – ich Schirmvogt der heiligen Stadt? Kein Sieg könnte höheren Gewinn verleihen! Aber Saladin will sich Rechte vorbehalten im heiligen Lande?« – »Als verbündeter Souverän,« antwortete der Prälat, »als Richards Verwandter und Bundesgenosse – « »Ah, mein – Verwandter?« wiederholte Richard, doch nicht erstaunt in dem Grade, als es der Prälat erwartet hatte. »Ha! – Edith Plantagenet? Hat mir davon geträumt oder ist mir schon etwas zu Ohren gekommen? Der Kopf ist mir noch schwer vom Fieber – « – »Der Einsiedler von Engaddi,« erklärte der Erzbischof, »hat sich mit unsern Angelegenheiten viel befaßt und, seit Unzufriedenheit unter den Fürsten ausgebrochen, viele Beratungen mit Christen und Heiden gepflogen, um diesen Ausgleich zu bewerkstelligen, durch den der Christenheit zum wenigsten einiger Erfolg gesichert wird.« »Ich soll meine Base an einen Ungläubigen verheiraten?« sagte Richard, aber nicht in einem Tone, als ob ihn solches Ansinnen allzu tief verletzte ... »Hätte ich mir das wohl träumen lassen, als ich aus meiner Galeere an die syrische Küste sprang, wie ein Löwe nach seiner Beute? Aber fahre fort; ich will ruhig zuhören.« Ebenso erfreut wie verwundert, seine Aufgabe um so viel leichter zu finden, als er gerechnet hatte, beeilte sich der Erzbischof, dergleichen Ehebündnisse zu nennen, die mit päpstlicher Lizenz zum Vorteil der Christenheit von spanischen Geschlechtern eingegangen worden waren. »Ist Saladin willens, sich taufen zu lassen?« fragte Richard. »In diesem Falle lebt kein König auf Erden, dem ich die Hand meiner Base lieber gäbe als meinem edlen Saladin – « – »Saladin hat unsere Prediger gehört,« erklärte der Bischof ausweichend; »zudem ist der Eremit von Engaddi, aus dessen Munde selten ein Wort fällt, das sich nicht bewahrheitet, überzeugt, daß ein Aufruf der Sarazenen und der anderen Heiden erfolgen wird, wozu diese Ehe gewissermaßen als Prämisse zu betrachten ist.« »Ich weiß nicht, wie mir zu Mute ist,« sagte König Richard. »Aber es kommt mir vor, als hätten die christlichen Fürsten mit ihren nüchternen Beratungen auch meinen Geist eingeschüchtert. Es gab eine Zeit, wo ich einen Laien, der mir solches Bündnis angesonnen hätte, zu Boden geschlagen, einen Geistlichen wie einen Renegaten oder Baalspfaffen angespuckt hätte ... Jetzt aber klingt der Antrag meinem Ohr nicht fremd; denn warum sollte ich nicht Brüderschaft machen mit einem Sarazenen, der so brav, gerecht, edelmütig ist wie Saladin? Doch einen Versuch will ich noch machen, meine Waffenbrüder zusammenzuhalten, und schlägt auch dieser fehl, Herr Erzbischof, dann sprechen wir weiter von dem Antrage, den ich vorderhand weder annehme, noch verwerfe. Begeben wir uns zur Ratsversammlung – die Stunde ruft! Richard, sagst Du, sei hitzig und stolz; Du sollst sehen, wie er sich selbst erniedrigt, gleich dem kriechenden Ginster, von dem er den Beinamen hat.« Nur im Wams und Mantel von dunkler Farbe, ohne ein Abzeichen seiner königlichen Würde, außer dem goldnen Reif auf dem Haupte, eilte er mit dem Erzbischof zum Fürstenrate, der nur auf seinen Eintritt wartete, um die Sitzung zu beginnen. In einem geräumigen Zelte, vor welchem das große Kreuz-Banner aufgepflanzt war, hatten sich die fürstlichen Teilnehmer des Kreuzzuges versammelt, und ob sie auch übereingekommen waren, ihn in den Grenzen kalten Zeremoniells zu begrüßen, so riß sie doch der Anblick seiner edlen Gestalt und seines von der eben überstandenen Krankheit noch etwas bleichen fürstlichen Antlitzes mit dem hellen, blauen Augenpaare dermaßen hin, daß sie sich sämtlich erhoben, der eifersüchtige König von Frankreich und der finstere Erzherzog von Österreich nicht ausgeschlossen, und einstimmig riefen: »Gott erhalte den König von England! Lange lebe der tapfere Richard Löwenherz!« Mit einem Antlitz, frei und hell, wie die Sonne, zollte Richard seinen Dank und gab seiner Freude Ausdruck, endlich wieder in der Versammlung seiner königlichen Brüder und Teilnehmer am Kreuzzuge erscheinen zu können. »Der heutige Tag ist ein großer Festtag der Kirche,« sprach er, »und es geziemt sich wohl für die Christen, zu solcher Zeit sich untereinander zu versöhnen. Edle Fürsten! Väter dieses heiligen Feldzuges! Richard ist Soldat, sein Arm ist rascher als seine Zunge – und seine Zunge gewöhnt an rauhe Sprache. Gebt aber darum nicht die edle Sache der Befreiung Palästinas auf! Setzt deshalb nicht irdischen Ruhm und ewige Seligkeit hintenan! Hat Richard gegen einen von Euch gefehlt, so wird er es durch Wort und Tat gut machen. – Edler Philipp von Frankreich, hat es mein Unstern gefügt, Euch zu beleidigen?« – »Frankreichs Majestät hat keine Aussöhnung mit England vonnöten,« erwiderte Philipp, mit königlicher Würde die dargebotene Hand Richards nehmend. »Welcher Ansicht ich mich betreffs der Weiterführung dieses Unternehmens zuneige, hängt vom Zustande meines eigenen Reiches ab, nicht aber von Eifersucht oder Abneigung gegen meinen heldenmütigen Bruder von England.« »Oesterreich,« sagte Richard, dem Erzherzoge mit Freimütigkeit und Würde entgegengehend, während dieser wie unwillkürlich sich von seinem Sitze erhob, »Oesterreich meint, von England beleidigt zu sein, England hingegen glaubt, Ursache zur Klage über Oesterreich zu haben... Mögen sie sich gegenseitig pardonnieren, um die Einmütigkeit im Heere der Kreuzfahrer aufrecht zu erhalten .. sind wir doch jetzt Beschützer einer weit glorreicheren Fahne, als sie sich jemals für einen irdischen Fürsten entfaltet hat! Leopold möge, wenn es in seiner Macht steht, das Banner Englands wiederherstellen, und Richard wird aus Liebe zur heiligen Kirche einbekennen, daß es ihn reue, im Jähzorn Oesterreichs Banner verletzt zu haben.« Düster und mißvergnügt, den Blick zu Boden gesenkt, stand Leopold da; der Patriarch von Jerusalem beeilte sich, das beängstigende Schweigen zu brechen, indem er erklärte, der Erzherzog von Oesterreich habe sich durch einen feierlichen Eid von dem Verdacht gereinigt, von dem auf Englands Banner unternommenen Angriff irgend welche mittel- oder unmittelbare Kenntnis zu haben. »So haben wir dem edlen Erzherzog unrecht getan,« sprach Richard, »und reichen ihm die Hand zum Zeichen erneuter Eintracht und Freundschaft. – Doch, was ist das? Schlägt Oesterreich unsere offene Hand aus, wie vordem unsern Handschuh? Sollen wir weder seine Freunde im Frieden, noch seine Gegner im Kriege sein? Wohlan, es sei so! Wir nehmen die geringe Achtung, die er uns bezeigt, hin als Strafe für unser heißes Blut und halten die Rechnung zwischen uns hiermit für ausgeglichen.« Mit einer Miene, in der Würde und Verachtung zum Ausdruck kam, wandte er dem Oesterreicher den Rücken .. »Edler Graf von Champagne, gefürchteter Marquis von Montserrat, tapferer Großmeister der Tempelherren, ich frage hier, gleichsam als Beichtkind im Beichtstuhl, hat einer von Euch Grund zur Beschwerde? Fordert jemand von mir Genugtuung?« – »Ich wüßte nicht, worauf wir sie gründen sollten,« versetzte Konrad von Montserrat, »als etwa darauf, daß der König von England seinen Waffenbrüdern allen Ruhm vorwegnimmt.« »Meine Beschwerde,« nahm der Großmeister das Wort, »liegt tiefer. Es könnte vielleicht einem kriegerischen Mönch, wie mir, verdacht werden, daß er seine Stimme erhebt, wenn so viele edle weltliche Fürsten schweigen. Allein es ist für unser ganzes Heer von Wichtigkeit, daß Richard die Beschwerden, die in seiner Abwesenheit gegen ihn erhoben wurden, laut vernehme .. Richards Mut loben wir alle, aber schmerzlich empfinden wir alle, daß er bei allen Gelegenheiten den Vorrang beansprucht. Aus freiem Willen ließe sich seiner Tapferkeit, seinem Eifer, Reichtum und seiner Macht vieles einräumen; so aber würdigt er uns in den Augen unsrer Gefolgschaft herab und befleckt den Glanz unseres Ansehens. König Richard hat gefordert: es kann ihn mithin weder wundern noch kränken, wenn er von jemand, dem irdischer Glanz untersagt ist, und dem weltliches Ansehen nichts gilt, Wahrheit vernimmt.« Richard errötete ob dieser unerschrockenen Worte des Templers; aber der Beifall, der von allen Seiten her gemurmelt wurde, bewies ihm, daß dessen Vorwürfe für gerecht erachtet wurden. Darum sprach der König mit Fassung, doch nicht ohne Bitterkeit, besonders zu Anfang: »Ist dem wirklich so? Ich hätte doch nie geglaubt, daß zufällige, unabsichtliche Kränkungen so tiefe Wurzeln schlagen könnten in Herzen von Männern, die sich verbündet haben zu solch heiliger Sache! ja, daß man um meinetwillen den geraden Pfad nach Jerusalem verlassen sollte, den unsre Schwerter eröffneten. Vergebens habe ich mir vorgeredet, meine Dienste würden alles andere ausgleichen, es würde etwas gelten, daß ich nie Beute nahm, und doch weder mein eigenes, noch meines Volkes Blut schonte ... Doch glaubt mir, Brüder, nicht Stolz, Zorn oder Ehrgeiz sollen mir Anstoß sein auf dem Wege, zu welchem die Religion uns mit der Posaune des Erzengels auffordert ... Nein! Nie sollen Schwachheiten und Fehler schuld sein, dies edle Fürstenbündnis zu trennen. Freiwillig will ich jedes Recht aufgeben, dem Kriegsheer zu befehlen. Ihr selbst mögt den Fürsten bestimmen, der Euer Anführer in diesem Feldzuge sein soll, und ich werde mich rückhaltslos Eurer Wahl unterordnen ... Seid Ihr aber dieses Krieges müde, so laßt mir zehn- bis fünfzehntausend Krieger da, unser aller Gelübde zu lösen. Und wenn Zion gewonnen ist,« hier streckte er die Hände empor, gleichsam die Kreuzfahne über Jerusalem entfaltend, »dann soll über seinen Thron nicht Richard von Plantagenet seinen Namen setzen, sondern all die hochherzigen Fürsten, die ihn mit Mitteln zur Eroberung versahen.« Die ungekünstelte Beredsamkeit des kriegerischen Monarchen regte den gesunkenen Mut der Kreuzfahrer wieder auf; und ein Auge entflammte das andere, eine Stimme lieh der andern Mut. Alle stimmten das Kriegsgeschrei wieder an, von welchem die Predigt Peters, des Eremiten, widerhallte: »Führe uns an, ritterlicher Löwenherz! Führe uns nach Jerusalem! Heil dem, dessen Arme Gott die Kraft lieh, das Werk zu erfüllen!« Jubelgeschrei von außen erhöhte die im Zelte entstandene Begeisterung. Im ganzen Kreuzfahrerlager hallte der Ruf nach Krieg und Sieg wider, und in wessen Herz die Flamme nicht mit gezündet hatte, der scheute sich doch, kälter zu erscheinen, als die übrigen. Zu ihnen gehörten Konrad von Montserrat und der Großmeister der Tempelherren, die mißmutig über die Ereignisse des Tages in ihre Quartiere zurückkehrten ... »Hab ich nicht immer gesagt,« meinte der letztere, »daß Richard durch alle noch so schlau gestellten Fallen schlüpfen werde? er braucht nur zu sprechen, so bewegt sein Atem diese wankelmütigen Toren, wie ein Wirbelwind zerstreutes Stroh zusammentreibt und auseinanderfegt.« – »Wenn er zu blasen aufhört,« entgegnete Konrad, »so sinkt das Stroh wieder zu Boden.« – »Aber weißt Du nicht,« sagte der Templer, »daß Richard, wenn auch allem Anschein nach dieser neue Eroberungsplan wieder verrauchen wird, sobald die Fürsten wieder der Eingebung ihres eigenes Gehirns folgen, doch wahrscheinlich König von Jerusalem werden und den Vergleich mit dem Sultan schließen wird, den Du ihm selbst vorschlugst?« – »Du meinst also,« rief Konrad, »der stolze König von England werde sein Blut mit einem heidnischen Sultan vermischen? Ich brachte diesen Punkt ja nur in Vorschlag, um ihm den ganzen Vertrag unsympathisch zu machen. Ob er Herr über uns ist durch Uebereinkunft oder Sieg, kann uns gleich sein.« – »Deine Politik hat sich verrechnet, Marquis Konrad, und Dein Witz fängt an zu hinken. Ich mag von Deinen feingesponnenen Ränken hinfort nichts mehr wissen, sondern will mein Heil selbst versuchen. Kennst Du die Sekte, die die Sarazenen Charegiten nennen?« – »Allerdings,« erwiderte der Marquis; »es sind verzweifelte Schwärmer, die ihr Leben der Religion widmen, eine Art von Tempelherren, aber bekannt als zähe in der Durchführung ihrer Pläne.« – »Scherze nicht!« entgegnete der mürrische Mönch, »einer von ihnen hat gelobt, den Inselkönig als Hauptfeind des muselmännischen Glaubens niederzuhauen.« – »Das ist ja einmal ein Heide, der Gerechtigkeit liebt und übt,« rief Konrad. »Gebe ihm Mohammed zur Belohnung sein Paradies!« – »Ein Waffenträger unsers Ordens hat ihn gefangen genommen und zum Geständnis gebracht.« – »Nun, der Himmel möge es denen verzeihen, die ihm so in den Kram gepfuscht haben!« sagte Konrad. – »Er ist mein Gefangener,« ergänzte der Templer seine Mitteilung, »er ist mundtot, wie ich Dir nicht erst zu sagen brauche, aber Gefängnisse sind erbrochen worden – « »Und Gefangene entsprungen,« unterbrach ihn Montserrat; »es gibt eben bloß einen sichern Kerker, und der ist das Grab.« – »Ist unser Mann frei, so beginnt er sein Spiel von neuem; denn diese Bluthunde verlieren die Spur ihrer Beute niemals.« – »Nichts mehr davon!« rief der Marquis. »Ich durchschaue Deine schändliche Politik; aber die Not ist ihre Mutter.« – »Ich unterrichte Dich nur davon, damit Du auf Deiner Hut bist, denn es wird einen wilden Aufruhr setzen, und ich weiß nicht, an wem die Engländer ihre Rache nicht ausüben würden. – Aber noch eine andere Gefahr ist zu erwähnen,« fuhr der Templer fort, »mein Page kennt die Geheimnisse dieses Charegiten, zudem ist er ein verdrießlicher, eigensinniger Tor, von dem ich mich gern befreite, denn er ist mir oft im Wege und sieht dort mit eigenen Augen, wo er nur mit den meinigen sehen sollte. Doch unser heiliger Orden gibt mir die Macht, dieser Unbequemlichkeit ein Ziel zu setzen. Der Sarazene braucht nur einen guten Dolch in seinem Zelte zu finden, und wird sich seiner, wenn er hervorbricht, bedienen, dafür stehe ich, und zwar, wenn der Page mit seiner Kost bei ihm eintritt.« – »Er gibt der Sache freilich einigen Anstrich,« meinte Konrad, »wenn aber – « »Wenn und Aber,« entgegnete der Templer rasch, »sind Narrenworte. Der Weise kennt weder Bedenklichkeit noch Rücktritt, sondern beschließt und handelt.« Neunzehntes Kapitel König Richard, der von diesem gegen ihn im Werke befindlichen schwarzen Verrat nicht die geringste Ahnung hatte, hatte es zunächst erreicht, daß die Fürsten unter den Kreuzfahrern sich für die Weiterführung des Krieges erklärten. Was ihm nun zunächst am Herzen lag, war die Ermittelung der Umstände, die den Verlust seines Banners veranlaßt hatten und die Feststellung der zwischen seiner Frau und dem verbannten schottischen Abenteurer bestehenden Beziehungen. Die Königin wurde durch einen Besuch Thomas von Vaux' in nicht geringen Schrecken gesetzt, zumal er Lady Caliste von Montgaillard, die erste Kammerfrau, augenblicklich zum König führen sollte. »Was soll ich denn bloß sagen?« fragte Caliste zitternd die Königin. »Er bringt uns sicher alle um.« – »Habt keine Bange,« sagte Thomas von Vaux. »Der König hat dem schottischen Ritter das Leben gelassen, der ihn doch schwer beleidigt hatte; wie sollte er so strenge verfahren gegen ein weibliches Wesen, wenn es sich auch vergangen hat?« – »Erdenke Dir eine Mär, Caliste,« sagte Berengaria. »Mein Gemahl hat ja doch nicht Zeit, die Sache zu untersuchen.« – »Rede die Wahrheit,« mahnte Edith, »sonst tue ich's.« – »Mit gnädigster Erlaubnis,« sagte Thomas von Vaux, »dieser Rat ist gut; denn König Richard dürfte doch in diesem besonderen Fall sehr scharf erwägen und prüfen.« – »Lord Gilsland hat recht,« sagte Lady Caliste in großer Unruhe wegen des Verhörs, das ihr bevorstand, »und wenn ich auch Phantasie genug hätte, eine leidliche Mär zu ersinnen, würde es mir doch an Mut fehlen, sie zu erzählen.« Lady Caliste wurde vom Ritter Vaux vor den König geführt. Ganz, wie sie sich vorgenommen hatte, gab sie eine genaue Schilderung, auf welche Weise es geschehen war, daß der unglückliche Leoparden-Ritter seinen Posten verlassen hatte. Lady Edith energisch in Schutz nehmend, wälzte sie die ganze Last auf die Königin, die ja auch die meiste Aussicht hatte, Verzeihung beim Könige zu finden, der viel zu verliebt war, seiner Gemahlin etwas abzuschlagen. Es war auch gar nicht seine Absicht, streng über Dinge zu richten, die sich nicht mehr ändern ließen, und Lady Caliste, von frühester Jugend mit Hofintriguen vertraut, wußte schnell, wie der König dachte, und flog schnell zur Königin zurück mit der Meldung, daß sie bald seinen Besuch zu erwarten habe. »Kommt der Wind aus dieser Gegend, Caliste?« rief die Königin heiter. »Nun, aus dieser Sache als Sieger hervorzugehen, wird dem König nicht eben leicht sein.« Berengaria machte aufs geschmackvollste Toilette und wartete nun auf Richards Erscheinen, das nicht lange auf sich warten ließ. Sie kannte die Macht ihrer Reize und die Größe von Richards Liebe. Statt den Vorwürfen, die ihr der König mit Recht machte, irgendwelches Gewicht beizulegen, nahm sie den ganzen Fall als Lappalie, redete ihm als losem Scherze obendrein das Wort und stellte durchaus nicht in Abrede, Nectabanus zu dem Ritter Kenneth auf den Georgsberg geschickt zu haben mit dem Befehle, ihn in ihr Zelt zu führen. Sie schluchzte und weinte, daß ein bloßer Scherz eine so ernste Wendung genommen habe, die sie ihr Leben lang unglücklich gemacht hätte, wenn sie sich als Urheberin solches Trauerspiels hätte ansehen müssen. König Richard nahm umsonst zu Vernunftgründen seine Zuflucht; die Eifersucht raubte der Königin alle Fähigkeit, darauf zu hören, und als er nun sagte, sie hätte zu Eifersucht ganz und gar keinen Grund, fing sie bitterlich zu weinen an. Vollständig aber verdarb er es bei ihr, als er sie erinnerte, daß sie gar keine Ursache habe, ihm böse zu sein, da Ritter Kenneth lebe und wohlbehalten dem berühmten arabischen Arzte übergeben worden, sei, denn es müsse sie, rief sie, doch kränken, daß ein Sarazene ein Geschenk habe erhalten können, um das sie ihren Gemahl knieend gebeten hätte, ohne ihn erweichen zu können. Damit fand die eheliche Zwietracht ihr Ende; König und Königin wälzten nun alle Schuld auf den Zwerg Nectabanus, dem mit seiner Gemahlin Genievra der Aufenthalt bei Hofe verboten wurde. König Richard beschloß außerdem, die beiden Zweige als Raritäten dem Sultan Saladin zum Geschenk zu machen, wenn demselben der Beschluß des Fürstenrats, den Krieg fortzusetzen, überbracht würde. Es war nun der vierte Tag, seit Ritter Kenneth aus dem Lager entfernt worden war, als König Richard in seinem Zelte saß und sich an der kühlen Abendluft labte. Niemand war bei ihm. Thomas von Vaux war nach Askalon gesandt worden, die Kriegsmunition zu ergänzen. Sein übriges Gefolge war mit Maßregeln zur Heeresmusterung befaßt, die am nächsten Tage stattfinden sollte. Da meldete ein Stallmeister, daß draußen ein Abgesandter Saladins warte. »Laß ihn augenblicklich herein, Just,« sagte der König. Der Stallmeister führte nun eine Person herein, die dem Anschein nach keinen höheren Rang bekleidete, als den eines nubischen Sklaven, dessen Aeußeres aber nichtsdestoweniger höchst interessant war. Sein Wuchs war prächtig, seine Gestalt edel, und die gebietenden Züge, wiewohl von gelblich schwarzer Farbe, verrieten keine Abkunft von Negern. Sein krauses, kohlschwarzes Haar schmückte ein milchweißer Turban, die Schultern bedeckte ein ebensolcher Mantel, der vorn und an den Aermeln offen war. Darunter saß ein Unterkleid aus gegerbten Leopardenfellen, das, eine Handarbeit, übers Knie reichte. Arme und Beine waren nackt, an den Füßen trug er Sandalen; auch schmückten ihn silbere Armspangen und ein silbernes Halsband. Bewaffnet war er mit einem breiten Schwert, das am Gürtel hing, einem kurzen Speer, den er in der Rechten hielt, und mit der linken Hand führte er an einer aus Seide und Gold gedrehten Leine einen großen, edlen Jagdhund. Zum Zeichen der Demut einen Teil seiner Schulter entblößend, warf er sich nieder und berührte die Erde mit der Stirn. Knieend überreichte er dem König ein seidenes Tuch, in welchem ein anderes von Goldstoff lag, und in dem letzteren lag ein Schreiben Saladins in arabischer Sprache, nebst einer Uebersetzung in das Normannisch-Englische, die in unserer Sprache etwa so lautete: Saladin, König der Könige, an Melech Rik, den Löwen von England. Die letzte Botschaft aus Eurem Lager hat uns gekündet, daß Du den Krieg dem Frieden vorziehst, und lieber Unsere Feindschaft als Unsere Freundschaft suchst. Daraus erkennen Wir, daß Du verblendet bist, und daß es Uns obliegen muß, Dich von Deinem Irrtum durch Unsere unüberwindliche Macht der tausend Stämme zu überzeugen. Nichtsdestoweniger gedenken Wir Deiner in allen Ehren, nicht minder der Geschenke, die Du Uns gesandt hast, von denen Uns am meisten die zwei Zwerge in ihrer an Aesop gemahnenden Häßlichkeit und ihrer Unsere Bajaderen übertreffenden Lustigkeit gefallen Haben. In Erwiderung dieser Geschenke senden Wir Dir den nubischen Sklaven, Zohauk mit Namen, den Du aber nicht, gleich vielen Toren auf dieser Erde, nach seiner Farbe beurteilen sollst. Denke vielmehr, daß den ausgesuchtesten Geschmack die schwarzschaligen Früchte haben. Wisse, daß er den Willen seines Herrn prompt erfüllt, auch ist er weise genug, Dir zu raten, falls Du mit ihm verkehren willst, denn der Herr der Sprache hat ihn in seinem Palaste dem Stillschweigen unterworfen. Wir empfehlen ihn Dir und Deiner Fürsorge und rechnen, daß die Stunde nicht fern sein werde, in der er Dir einen guten Dienst leisten kann. Im Vertrauen, daß unser hochheiliger Prophet Dich noch zur Erkenntnis der Wahrheit bringen werde, sagen Wir Dir Lebewohl. Falls dieser Segen Dir aber nicht zuteil wird, so wünschen Wir schnelle Wiederherstellung Deiner Gesundheit, auf daß Allah zwischen Dir und Uns in offener Schlacht entscheiden möge.« Richard richtete den Blick auf den nubischen Sklaven, der mit gesenktem Blick und über der Brust verschränkten Armen wie eine Bildsäule von schwarzem Marmor vor ihm stand. Muskeln, Nerven und Ebenmaß des Nubiers fanden sein Wohlgefallen, und mit freundlichem Lächeln fragte er ihn in fränkischer Sprache: »Bist Du ein Heide?« Der Sklave schüttelte den Kopf, hob den Finger zur Stirn empor und bekreuzte sich zum Zeichen seines Christentums. Dann nahm er wieder seine unterwürfige Stellung an. – »Ein nubischer Christ gewiß?« sagte Richard, »und durch heidnische Hunde der Sprache beraubt?« Wieder schüttelte der Sklave den Kopf, wies mit dem Zeigefinger gen Himmel und legte ihn dann an die Lippen. »Ich verstehe,« sagte Richard; »Gottes Strafgericht, nicht menschliche Grausamkeit hat Dich getroffen. Kannst Du eine Rüstung polieren?« Der Stumme nickte, nahm den Panzer, der mit Helm und Schild des Monarchen an einer Zeltstange hing, und putzte ihn so gewandt, daß sich in seine Eignung zum Waffenträger kein Zweifel setzen ließ. »Du bist, wie ich sehe, ein geschickter, brauchbarer Knappe,« sagte der König, »sollst in meinem Zelte und um meine Person sein. Fehlt Dir die Zunge, so kannst Du weder Geschichten weiter tragen, noch mich durch unschickliche Rede zum Zorn reizen.« Der Nubier berührte wieder mit der Stirn den Boden; dann blieb er ein paar Schritt vom Könige entfernt stehen, der Befehle seines neuen Herrn gegenwärtig. In diesem Augenblick erklang draußen ein Horn, und gleich darauf trat Sir Henry Neville mit einem Bündel Briefe ein .. »Aus England, mein König!« sprach er, es Richard behändigend. – »Aus England? aus unserm England?« wiederholte Richard, schwermütig blickend. »Ach! dort denkt wohl kaum jemand, wie hart sein Fürst durch Krankheit und Leiden geprüft, durch lässige Freunde und kühne Feinde geplagt wird!« Dann riß er die Briefe auf und sagte: »Ha! das kommt aus keinem Land des Friedens. Auch dort wilde Fehde? – Verlaß mich, Neville! ich muß das allein lesen.« Neville entfernte sich, und Richard las nun die traurigen Berichte von dem zwischen seinen Brüdern ausgebrochenen Zwiste, von dem Aufstande der Bauern gegen den Adel, von den Schrecken des Bürgerkriegs, den Frankreich und Schottland zu ihrem Vorteil nützen würden. Richard las die Briefe, die ihm so üble Kunde brachten, aber- und abermals, und verglich die darin enthaltenen Nachrichten mit den Tatsachen, die in anderen Berichten abweichend angegeben waren. Bald gegen alles, was um ihn her vorging, unempfindlich, obgleich er der Kühlung wegen dicht am Eingange des Zeltes saß, schlug er die Vorhänge zurück, so daß er von den außerhalb befindlichen Wachen und Kriegern gesehen werden konnte. Tiefer im Schatten des Zeltes saß der nubische Sklave, mit dem Rücken beinahe dem König zugewandt, bei seiner Arbeit. Neben ihm von außen kaum sichtbar, lag der große Hund, gewissermaßen sein Mitsklave, lang ausgestreckt, in scheinbar festem Schlafe. Da trat eine neue Person auf den Schauplatz, sich unter die englischen Krieger mischend, deren etwa zwanzig dem Zelt gegenüber Wache hielten, teils beim Glücksspiel, teils in heimlicher Zusammensprache über den herannahenden Tag der Schlacht. Es war ein alter Türke, von kleiner Figur und in ärmlicher Kleidung, an jene Marabuts der Wüste erinnernd, die sich zuweilen in religiöser Schwärmerei in Kreuzfahrerlager wagten, wo sie aber immer sehr schlimmer Behandlung gewärtig sein mußten. In die Nähe der Wachtposten gelangt, riß sich der Marabut den grünen Turban vom Kopfe, und nun sah man, daß er sich Bart und Augenbrauen geschoren hatte, wie ein Possenreißer von Beruf, und daß der verzerrte Ausdruck seiner Züge sowohl als seiner kleinen schwarzen Augen, die wie Achaten funkelten, auf zerrütteten Verstand deuteten. »Tanze, Marabut!« riefen die Soldaten, denen die Manieren dieser Schwärmer bekannt geworden waren, »tanze, oder wir peitschen Dich mit unseren Sehnen, bis Du Dich wie ein Kreisel drehst.« Der Marabut ließ sich nicht nötigen, sondern sprang empor und drehte sich, wie ein dürres Blatt, das vom Winde getrieben wird, sauste bald hierhin, bald dorthin, von einem Fleck zum andern, kaum den Boden mit der Fußspitze berührend, rückte jedoch, fast unmerklich, dem Eingange des königlichen Zeltes näher und näher, bis er nach ein paar Sprüngen, höher und weiter, als alle früheren, keine dreißig Schritt von der Person des Königs entfernt, erschöpft zu Boden sank. »Gib ihm Wasser!« sagte ein Bogenschütze von der Leibwache; »sie betteln ja immer um einen Trunk, wenn sie ausgeruht haben.« – »Wasser, Long Allen?« fragte ein anderer. »Wie würde Dir Wasser schmecken nach solchem Mohrentanz?« – »Wasser gibts bei uns nicht!« rief ein dritter; »wir wollen den alten Heiden lehren, Cypernwein zu saufen.« – »Recht so!« sagte ein vierter; »und wenn er nicht trinken will, dann holt das Hifthorn her, damit wir ihn tränken!« Bald hatte sich ein lustiger Kreis um den erschöpften Derwisch gebildet. Aber kaum reichte ihm einer der Krieger den Humpen, so flog derselbe auch im weiten Bogen über die Mannen hinweg ... »Das Horn! das Horn!« riefen alle. »Zwischen einem Türkenhund und einem Türkenrosse gibts keinen großen Unterschied. Tränken wir ihn, wie unsere Rosse!« – »Beim heiligen Georg! Ihr werdet ihn ersticken!« sagte Long Allen; »zudem ists doch Sünde, an einen heidnischen Hund so viel Wein zu verschwenden.« – »Halt Dein Maul, Long Allen!« sagte Heinrich Woodstall. »Ich prophezeie Dir, daß ich Dich noch bei dem Pater Franziskus in Ungnade bringe, wie weiland bei der schwarzäugigen syrischen Dirne. – Aber da kommt das Horn. Nun, Bursche, brich ihm mit dem Dolchheft die Zähne auf!« – »Halt! Halt!« rief Tomalin. »Macht ihm Platz, Bursche! er winkt ja, daß er trinken wolle! Na, das geht ja hinunter wie süßes Bier!« Der Derwisch trank oder schien die Flasche wirklich in einem Zug bis auf den Boden zu leeren; und als er sie von den Lippen setzte, sprach er nur mit tiefem Seufzer: »Allah, sei barmherzig!« Darüber stimmte man unter der Leibwache ein so wildes Gelächter an, daß der König aufmerksam wurde. Zornig rief er: »Wie? Ihr Bursche! Keinen Respekt? Keine Ehrerbietung?« Im Nu herrschte Stille, denn sie kannten des Königs Heftigkeit und zogen sich schleunigst zurück, indem sie den Marabut mit fortzuschleppen suchten. Allein dieser, anscheinend vom Tanze erschöpft oder vom Trunke betäubt, verfiel in Krämpfe und ließ sich nicht vom Flecke bringen ... »So laßt ihn doch, Ihr Narren!« flüsterte Long Allen seinen Kameraden zu. »In einer knappen Minute schläft er wie ein Hamster.« Da schoß der Monarch abermals einen ungeduldigen Blick nach dem Platze, und alle entfernten sich schnell, den Derwisch liegen lassend, der allem Anschein außer stande war, ein Glied zu rühren. Zwanzigstes Kapitel Noch eine Viertelstunde lang blieb alles vor dem königlichen Zelte ruhig. Hinter dem Könige, der vor dem Zelteingang saß und las, mit dem Rücken ihm zugekehrt, putzte der nubische Sklave nach wie vor die Waffen. Ganz im Vordergrunde, hundert Schritt entfernt, saßen oder lagen die Wachen auf dem Grase, während auf dem Platze zwischen ihnen und dem Zelte der Marabut lag, noch immer kein Glied rührend und von einem Haufen Lumpen kaum zu unterscheiden. Der Nubier aber sah auf der glänzenden Politur wie in einem Spiegel und gewahrte nun, nicht ohne Unruhe und Erstaunen, wie der Marabut leise den Kopf von der Erde emporhob, sich vorsichtig umblickte, dann den Kopf wieder sinken ließ, mit einer Miene, die deutlich seine Freude verriet, daß ihn niemand beobachtete, dann dem König immer näher zu rücken suchte, einer Schlange oder vielmehr Schnecke gleich, bis er kaum noch zehn Schritt von dessen Person entfernt war. Da stellte er sich auf die Füße, sprang vorwärts mit dem Satz eines Tigers, und stand in weniger als einem Augenblicke hinter dem König, den Dolch über ihm schwingend, den er unter seinem Gewände verborgen hatte. Nicht sein ganzes Heer hätte den heldenmütigen Monarchen gerettet, die Bewegungen des Nubiers waren aber genau so berechnet, wie die des Mörders, und mit ungemeiner Gewandtheit hatte er den Arm des Mörders gepackt, bevor derselbe auf sein Opfer niederfallen konnte. Aber der Charegite – denn dies war der angebliche Marabut – zückte nun den Dolch gegen den Nubier und ritzte ihm den Arm, jedoch nur leicht, während dieser ihn mit überlegener Stärke zu Boden warf. König Richard hatte inzwischen wahrgenommen, was sich zutrug, und war, ohne indessen sonderliche Ueberraschung zu zeigen, aufgesprungen, packte den Stuhl, auf dem er gesessen hatte, und zerschmetterte mit dem Rufe: »Ha, Du Hund!« dem Mörder den Schädel. »Ihr könnt Euch schon sehen lassen als Wächter!« sagte Richard höhnisch zu seinen Bogenschützen, als sie erschreckt in sein Zelt stürzten. »Laßt mich mit eigenen Händen solch Handwerk verrichten? Ruhig alle, und kein solch unvernünftiges Geschrei! Habt Ihr noch nie einen toten Türken gesehen? Fort mit der Leiche aus dem Lager! Schlagt den Kopf vom Rumpfe, steckt ihn auf seine Lanze, mit dem Gesicht nach Mekka, damit er dem schändlichen Betrüger, auf dessen Geheiß er herkam, melde, wie schlecht ihm die Botschaft bekommen sei. Du aber, mein schwärzer, stummer Freund,« wandte er sich zu dem Aethiopier, »bist Du verwundet? Doch sicher mit einer vergifteten Waffe? ... Saug ihm einer von Euch Faulpelzen das Gift aus der Wunde, auf den Lippen ist es unschädlich und tödlich nur, wenn es sich mit dem Blute vermischt.« Die Wachen sahen einander bestürzt an und zauderten. »Na, wirds bald, Kerle?« fuhr der König sie an. »Habt Ihr Angst vorm Krepieren?« – »Um des schwarzen Viehes willen, das man auf jedem Markte kaufen kann, wie einen Pfingstochsen, will ich nicht wie eine vergiftete Ratte krepieren,« sagte Long Allen, den der König fixierte. – »Nun, das wär das erste mal, daß ich jemand etwas zugemutet hätte, das ich nicht selbst tun könnte!« rief der König, und ohne der Vorstellungen ihn umgebender Krieger zu achten, legte er selbst die Lippen an die Wunde des schwarzen Sklaven. Aber der Nubier fuhr, kaum daß der König zu saugen begonnen, zurück, warf ein Tuch über die Wunde und gab durch ehrerbietige Zeichen zu verstehen, daß er sich solche Liebesdienste von einem Könige verbitte. Da trat Lord Neville mit anderen von des Königs Gefolge ein ... aber der König gebot ihm, als er ihm Vorhaltungen über die Gefahr, der er sich aussetzte, machen wollte, Stille... »Nimm den Nubier mit in Dein Quartier,« sagte er. »Laß ihn gut versorgen, aber – sieh wohl zu, daß er Dir nicht entwische! Es liegt mehr in ihm, als man denkt. Er soll alle Freiheit haben; doch das Lager darf er nicht verlassen. Und Ihr,« zu den Wachen gewendet, »begebt Euch wieder auf Eure Posten! Haltet Eure Augen offen, Euren Mund geschlossen, trinkt wenig und seht schärfer um Euch her, oder Ihr sollt bald spüren, wie ich Euch die Brotkörbe höher hänge!« Beschämt traten die Krieger ab, Neville aber verlangte, er solle ein Beispiel statuieren in einem Falle, wo man einen so verdächtigen Menschen, wie den Marabut, auf Dolcheslänge an die Person des Königs habe herankommen lassen. – »Kein Wort weiter,« unterbrach ihn Richard, »soll ich die geringe Gefahr meiner Person schärfer ahnden, als den Verlust von Englands Banner? Es ist gestohlen, oder von einem Treulosen ausgeliefert worden, und darum floß kein Tropfen Blut! – Mein schwarzer Freund,« fuhr er fort, »Du bist, wie der glorreiche Sultan versichert, imstande, Geheimnisse zu deuten. Kannst Du mir sagen, wer der Dieb, war, der meiner Ehre diese Schmach zufügte ... He?« Der Stumme schien sprechen zu wollen, brachte aber nur den undeutlichen Ton hervor, der Stummen zu eigen ist. Dann kreuzte er die Arme, sah den König mit einem Blick an, der zu sagen schien, daß er ihn verstehe und nickte. »Wie?« rief Richard. »Du glaubst, es mir sagen zu können?« – Der nubische Sklave nickte wieder. »Aber wie sollen wir einander verstehen?« sagte der König. »Kannst Du schreiben?« Der Sklave nickte zum drittenmale. »Erlaubt, mein König,« mischte hier Neville sich ein, »daß ich meine Meinung äußere. Der Mann muß ein Zauberer sein, und Zauberer halten's mit dem Satan, und...« »Schweig, Neville!« unterbrach ihn Richard, »suche nicht einen Plantagenet zu hemmen, wenn er Hoffnung hat, seine Ehre wiederzugewinnen.« Der Sklave erhob sich jetzt, um dem Könige zu überreichen, was er inzwischen geschrieben hatte. Was dieser las, lautete in fränkischer Sprache wie folgt: »An Richard, den siegreichen, unüberwindlichen König von England, der niedrigste seiner Sklaven. Geheimnisse sind versiegelte Himmelskästchen, nur Weisheit findet die Mittel, ihre Schlösser zu öffnen. Stellt Euren Sklaven so, daß Eure Heerführer der Reihe nach an ihm vorbei müssen, so wird er, falls sich der Böse unter ihnen befindet, ihn ermitteln, und wenn er mit siebenfachem Schleier verhüllt wäre.« »Nun, beim heiligen Georg!« sagte Richard; »morgen bei der Heerschau werden, wie vereinbart, die Heerführer vor unserer neuen Standarte, wenn sie auf dem St. Georgenberge weht, vorbeiziehen. Glaube mir, Neville, der Verräter wird davon nicht fernbleiben, weil er ja dadurch Anlaß zum Verdacht gäbe. Da will ich nun unsern schwarzen Bosko hinstellen, und kann seine Kunst den Buben entdecken, so will ich ihn auf Abrechnung nicht warten lassen.« Einundzwanzigstes Kapitel Unsere Erzählung kehrt nun zu dem Ritter vom Leoparden zurück, den König Richard dem arabischen Arzte geschenkt und auf diese Weise aus dem Kreuzfahrerlager verwiesen hatte. Er war dem »neuen Herrn, denn so mußte er jetzt Hakim nennen, zu den Zelten der Mauren gefolgt in der dumpfen Betäubung eines Menschen, der vom Gipfel eines Abhanges herabgestürzt, aber am Leben geblieben und gerade noch imstande ist, sich von dem verhängnisvollen Orte wegzuschleppen, aber der Fähigkeit ermangelt, die Größe des erlittenen Sturzes zu fühlen. Als er in dem Zelte Hakims ankam, warf er sich, ohne einen Laut von sich zu geben, auf ein mit Büffelhaut bedecktes Lager, das ihm sein Führer angewiesen hatte, vergrub das Gesicht in den Händen und seufzte tief, als ob das Herz ihm zerspringen sollte. »Sei guten Muts, Freund,« tröstete ihn der Arzt. »Besser Diener eines gütigen Herrn zu sein, als Sklave seiner Leidenschaften. Und ist nicht auch Josef von seinen Brüdern verkauft worden an Pharao von Aegypten? Dein König hat auch Dich verschenkt an einen, der Dich wie einen Bruder behandeln wird.« Ritter Kenneth wollte Hakim danken; allein sein Herz war so voll, daß er keine Worte fand. Der freundliche Arzt gönnte ihm die nötige Zeit und Ruhe, seinem Kummer nachzuhängen, und noch war um Mitternacht nicht der Schlaf auf seine Augen gesunken, als ihm der Lärm, der im Lager entstand, Kunde gab, daß Anstalten zum Aufbruche getroffen würden. Um drei Uhr früh erschien ein Diener des Arztes mit der Aufforderung, sich fertig zu wachen. Ein Stück seitwärts von den Kamelen, die schon bepackt waren, standen die Pferde, ebenfalls schon gesattelt und gezäumt. Hakim schwang sich behend auf eins derselben, dann winkte er, daß ein anderes Roß dem Ritter vorgeführt werde. Ein englischer Krieger war zugegen, sie aus dem Kreuzfahrerlager zu führen, wo sie zwar von Posten zu Posten angerufen wurden, aber keinerlei Behinderung erfuhren, außer daß ein besonders strenggläubiger Ritter ihnen eine Verwünschung ihres Propheten hinterher brummte. Als sie das Lager hinter sich hatten, warf der Ritter einen Blick hinter sich; der Ehre und Freiheit beraubt, verbannt von den glänzenden Fahnen, unter denen er Ruhm zu ernten hoffte, verbannt von den Zelten der Ritterschaft und von – Edith Plantagenet! kam er sich vor, wie dem Tode nahe. Hakim versuchte, ihn durch allerhand weise Gespräche aufzuheitern, ließ auch zur Kurzweil von Leuten seiner Schar, die darin bewandert waren, allerhand Märchen erzählen, wie es im Morgenlande Brauch und Sitte ist; zu jeder anderen Zeit hätte sich Ritter Kenneth für solchen Genuß erwärmen können, trotz seiner unvollkommenen Kenntnis der Sprache, aber in seiner jetzigen Stimmung hörte er kaum, daß ein Mann in der Mitte der Reiter mit gedämpftem Tone fast zwei Stunden lang seine Stimme mit großem Raffinement den mannigfachen Phrasen der Erzählung, die er vortrug, anzupassen suchte. Dagegen wurde seine Aufmerksamkeit, bei allerhand Betrübnis, die sich seiner bemächtigt hatte, plötzlich durch das dumpfe Geheul eines Hundes in Anspruch genommen, der an einem der Kamele in einem geräumigen Käfig hing. Als Weidmann erkannte er auf der Stelle die Stimme seines alten treuen Jagdhundes in dem Geheul wieder, der jedenfalls seine Nähe witterte und nun bettelte, ihn in Freiheit zu setzen. »Armer Roswal!« sagte Kenneth, »wie soll ich dir helfen, bin ich doch fast noch schlimmer daran als du! Ich will nicht tun, als ob ich dich bemerkte oder dir deine Liebe vergelten wollte; denn das möchte unser Los nur noch bitterer machen.« So verstrichen die Stunden der Nacht und der nebelgrauen Dämmerung, die in Syrien dem Morgen vorausgeht. Als aber die Sonne über dem Horizont aufstieg und ihr erster Strahl über die Wüste hinzuckte, die die Reiter nun erreicht hatten, ließ El Hakim mit helltönender Stimme den feierlichen Ruf zum Gebete erschallen, den der Muezzin frühmorgens vom Minaret jeder Moschee kündet: »Zum Gebet! Zum Gebet! Gott ist der einige Gott! Zum Gebet! Mohammed ist Gottes Prophet! Zum Gebet! Die Zeit entflieht! Zum Gebet! Zum Gebet! Das Gericht steht nahe bevor!« Augenblicklich warfen sich alle Muselmanen, ihr Antlitz nach Mekka hinwendend, vom Pferde, hoben Sand und Wüstenboden auf und ahmten damit jene Reinigung nach, die sie sonst mit Wasser vornehmen mußten. Als sie sich dann in Gottes Hut in inbrünstigem Gebet begeben und Vergebung der Sünden erfleht hatten, bestiegen sie wieder ihre Rosse und ritten weiter, bis sie eine, aus Sandhügeln bestehende Anhöhe erreicht hatten. In einer Entfernung von etwa einer halben Stunde wurde ein dunkler Punkt sichtbar, der sich bald als ein Reitertrupp offenbarte, dessen Zahl der ihrigen weit überlegen zu sein schien und, den glitzernden Rüstungen nach zu urteilen, aus Europäern bestehen mochte. Hakims Reiter schienen unruhig zu werden: sie blickten sich wiederholt nach ihrem Anführer um, der mit unnachahmlicher Ruhe zwei seiner besten Reiter absandte, Zahl, Stand und Absicht jener Reiter zu ermitteln. Auf den schottischen Ritter wirkte die in Annäherung befindliche Gefahr belebend wie ein Trunk Wein auf einen Ohnmächtigen. »Was fürchtet Ihr von den christlichen Reitern,« fragte er Hakim; »denn solche scheinen es zu sein.« – »Fürchten?« wiederholte Hakim verächtlich. »Der Weise fürchtet nichts als den Himmel; aber von schlechtgesinnten Menschen erwartet er stets das Schlimmste.« – »Es sind Christen,« rief Ritter Kenneth, »und noch ist der Waffenstillstand nicht aufgehoben.« – »Es sind Ritter vom Templerorden,« erklärte El Hakim. »Ihr Gelübde bindet sie, weder Waffenstillstand noch Treue und Glauben zu wahren. Möge der Prophet sie ausrotten mit ihren Aesten, Zweigen und Wurzeln! Siehst Du nicht, wie sie einen Trupp von ihrer Schar trennen und östliche Richtung einschlagen? sie wollen nichts anderes, als uns die Wasserstellen abschneiden. Aber es wird ihnen nicht gelingen. Ich kenne den Krieg in der Wüste besser als sie.« Er sprach ein paar Worte zu dem Anführer seiner Schar und auf einmal änderte diese ihre bisherige Taktik des Abwartens. Aber auch der schottische Ritter änderte sein Verhalten, und als El Hakim jetzt sich zu ihm wandte mit dem Befehl: »Du mußt mir dicht zur Seite bleiben!« erwiderte er fest und bestimmt: »Nein! Dort drüben sind Kameraden von mir in Waffen, und ihnen bin ich durch Gelübde verbunden. Ich kann nicht vor dem Kreuze fliehen, wenn ich mich auch in der Schar des Halbmonds befinde.« – »So muß ich Dich zwingen, mir zu folgen!« rief El Hakim, hob den Arm empor und stieß einen durchdringenden Schrei aus, als Signal für einige seines Gefolges, die sich sogleich auf der weiten Fläche der Wüste nach verschiedenen Richtungen hin zerstreuten. Im selben Augenblicke packte er die Zügel von Kenneths Rosse, gab seinem Rosse die Sporen, und schnell wie der Blitz, so daß der Schotte kaum Atem schöpfen konnte, flogen Roß und Reiter über die Ebene hin, als wollten sie die vor ihnen sich dehnende Wüste verschlingen. Meilen flohen wie Minuten hin, und gleichwohl schienen ihre Kräfte sich nicht zu mindern, schien ihnen der Atem nicht zu schwinden. Eine reichliche Stunde dauerte dieser wilde Wüstenritt; der schottische Ritter war schier blind und taub geworden und von Herzen froh, als er endlich wieder freier atmen und bei dem gemäßigteren Tempo, das nach Verlauf dieser Zeit von El Hakim eingeschlagen wurde, unterscheiden konnte, daß er sich in einer ihm bekannten Gegend befand. Die öden Gestade des Toten Meeres und die rauhe, steile Gebirgskette zur Linken, und die kleine Palmengruppe, der einzige grüne Punkt in der weiten Wildnis, kündeten dem Ritter, daß sie sich der Quelle nahten, die der Diamant der Wüste genannt wurde, und der Schauplatz seiner Zusammenkunft mit dem Sarazenen-Emir Ilderim gewesen war. Nur ein paar Minuten, und Hakim lud Kenneth ein,, abzusitzen und an der Quelle, einem sicheren Orte, auszuruhen. »Jetzt iß und trink, und laß den Mut nicht sinken,« sagte Hakim zu dem Schotten. »Das Glück kann den gewöhnlichen Sterblichen erhöhen oder erniedrigen: aber den Weisen und den Krieger muß sein Geist über die Herrschaft des Glückes erheben.« Kenneth bemühte sich, seinen Dank durch Ruhe und Fügsamkeit zu bekunden. Allein soviel Mühe er sich gab, aus Höflichkeit zu essen, so wirkte doch der große Kontrast zwischen jetzt und einst, als er hier, als Botschafter von Fürsten, siegreich aus dem Kampfe mit dem Sarazenen-Emir hervorgegangen war, so niederdrückend auf ihn, daß er kaum einen Bissen hinunterbringen konnte. El Hakim fühlte seinen schnellen Puls, sah sein entzündetes Auge, seine erhitzte Hand, hörte seinen fliegenden Atem. »Der Geist wird weise durch Wachen,« sagte er; »aber sein Bruder, der Körper, aus gröberem Stoffe gebildet, bedarf zur Unterstützung der Ruhe. Du mußt schlafen und, damit Dein Schlummer Dich erquicke, einen Trank nehmen, dem dieses Elixir beigemischt ist.« Aus seinem Busen nahm er ein Fläschchen aus Kristall und tröpfelte ein wenig dunkelfarbige Flüssigkeit in einen goldenen Becher. »Diese,« sagte er, »ist ein Geschenk Allahs, das, wie der Weinbecher des Nazareners, die Macht hat, den Vorhang über das schlaflose Auge zu ziehen und die Bürde der bedrängten Brust zu erleichtern. Wird es indes zu Schwelgerei angewendet, so sprengt es die Nerven, zerstört die Kräfte, schwächt den Verstand und untergräbt das Leben. – »Ich habe schon zu viele Beweise Deiner Geschicklichkeit, weiser Hakim,« entgegnete der Ritter, »als daß ich Deine Arznei von mir weisen sollte.« Hierauf trank er das mit Quellwasser vermischte Elixier, hüllte sich in seinen arabischen Mantel und streckte sich, der Vorschrift des Arztes gemäß, bequem in den Schatten, die verheißene Ruhe abzuwarten. Anfänglich kam kein Schlaf, aber eine Reihe angenehmer, doch nicht aufregender Empfindungen. Dann folgte ein Zustand der Ruhe, fast Apathie, in welchem alles, was hinter ihm lag, schwand; dann stieg die Zukunft in rosigen Farben auf: Freiheit, Ruhm, beglückte Liebe winkten dem entehrten Ritter; allmählich wurden die Bilder dunkler wie die Farben der untergehenden Sonne, bis sie endlich ganz verschwanden. Ritter Kenneth lag zu Hakims Füßen so bewegungslos wie ein Körper, aus dem das Leben wirklich geschieden war. Zweiundzwanzigstes Kapitel Der Ritter vom Leoparden erwachte aus seinem langen, tiefen Schlaf in einem Zustande, der gänzlich verschieden war von demjenigen, in welchem er sich zur Ruhe begeben hatte. Er wußte nicht, ob er nicht noch träume, oder ob sich das ganze Bild durch Zauberei verändert habe. Statt auf feuchtem Grase, lag er jetzt in einem üppigen Bett. Eine freundliche Hand hatte ihm während des Schlafs sein Wams von Gemsleder, das er unter dem Panzer trug, ausgezogen, und ihm ein Nachtgewand vom feinsten Linnen und ein seidenes Oberkleid angelegt. An Stelle der Palmenbäume der Wüste ragten jetzt die Stangen eines buntseidenen Zeltes über seinem Haupte, und ein leichter Gazevorhang breitete sich um sein Lager, dessen Aufgabe es war, ihn vor Insekten zu schützen, die ihm seit seiner Ankunft unter diesem Himmelsstriche stark zugesetzt hatten. Er sah sich um, wie um sich zu überzeugen, ob er auch wirklich wache, ob auch, was ihm in die Augen fiel, ebenso prächtig sei, wie sein Lager. Eine Wanne aus Cedernholz, mit Silber ausgelegt, duftend von lieblichen Wohlgerüchen, lud ihn zum Bade ein. Auf dem Tischchen aus Ebenholz stand neben seinem Lager eine silberne Vase voll köstlichsten Scherbets, kalt wie Schnee, der nach dem starken Schlaftrunk köstlich durstlöschend wirkte. Das Bad nahm ihm die letzten Spuren des Rausches, in den ihn der Schlaftrunk versetzt hatte. Statt der rauhen Rittertracht, die er gern wieder angelegt hätte, lag für ihn ein türkisches Gewand aus reichem Stoffe bereit, nebst Säbel, Dolch und allem, was sich für einen Emir schickt. Er konnte zwar keinen Grund dieser Fürsorge auffinden; indessen wurde in ihm der Argwohn rege, ob man nicht durch diese Aufmerksamkeit vielleicht beabsichtige, ihn in seinem Glaubensbekenntnis wankend zu machen. Es war allgemein bekannt, daß der Sultan, bei seiner hohen Achtung für europäische Kenntnisse und Tapferkeit, grenzenlose Freigebigkeit gegen diejenigen bewies, die sich, nachdem sie in seine Gefangenschaft geraten waren, bestimmen ließen, den Turban zu nehmen. Aber fest gewillt, solchen Fallstricken zu widerstehen, schlug der Ritter das Kreuz und nahm sich vor, von allem, womit man ihn so freigebig überhäufte, den mäßigsten Gebrauch zu machen. Indes fühlte er doch noch immer eine eigentümliche Schwere und Schläfrigkeit. Seine Ruhe blieb nicht ungestört. Hakim, der Arzt, trat an den Zelteingang und erkundigte sich nach seinem Befinden. Dann fragte er, ob er eintreten dürfe. Gewillt zu zeigen, daß er seiner Lage nicht eingedenk sei, versetzte Kenneth: »Der Herr braucht nicht erst um Erlaubnis zu bitten, wenn er das Zelt seines Sklaven betreten will.« – »Wenn ich nun aber nicht als Herr komme?« fragte noch immer zögernd El Hakim. – »So hat der Arzt freien Zutritt zu seinem Kranken,« versetzte Kenneth. – »Aber auch als Arzt komme ich nicht!« sagte Hakim, »und deshalb bitte ich noch immer um Erlaubnis, unter das Nach Deines Zeltes zu treten.« – »Wer als Freund kommt,« sagte Kenneth, »und als solcher hast Du Dich bis jetzt gegen mich gezeigt, dem steht die Wohnung des Freundes immer offen.« – »Aber gesetzt,« sagte der morgenländische Weise, in dem umständlichen Zeremoniell seiner Landsleute – »ich käme auch nicht als Freund?« – »So komm, als was Du willst!« rief der schottische Ritter ungeduldig,»Du weißt, daß ich Deinen Eintritt weder abwehren kann noch werde.« »So komme ich,« sagte El Hakim, »als Dein alter, doch ehrlicher, aufrichtiger Feind.« Mit diesen Worten trat er ein und war nun zwar, der Sprache nach, noch immer der arabische Arzt Adonebec El Hakim; allein Gestalt, Kleidung und Gesichtszüge zeigten Ilderim von Kurdistan, genannt Scharfhaupt. Voll Staunen betrachtete ihn Ritter Kenneth, als warte er darauf, daß die Erscheinung wie ein Gebild seiner Phantasie vor seinen Augen schwinden solle. »Wunderts einen so bewährten Krieger, daß ein Soldat auch etwas von Heilkunde versteht?« fragte Ilderim. »Nazarener, ich sage Dir, ein tüchtiger Ritter muß sich auf sein Handwerk verstehen, das Wunden reißt, aber auch darauf, Wunden zu heilen.« Der Christ hielt noch immer die Augen geschlossen, noch immer schwebte Hakims Bild mit seinem langen, dunklen Gewande, der hohen Tatarenmütze und den ernsten Gebärden vor seiner Phantasie. Kaum aber öffnete er die Augen, so verrieten der schöne, reich mit Edelsteinen besetzte Turban, der glänzende Schuppenpanzer, das nicht mehr von der Fülle von Haaren beschattete Antlitz den Krieger und nicht den Gelehrten. »Kommst Du aus den Wundern noch immer nicht heraus?« fragte der Emir; »hast Du die Welt so flüchtig durcheilt, daß es Dich befremdet, die Menschen nicht immer als das zu finden, was sie scheinen? – Bist Du selbst, was Du scheinst?« – »Nein, beim heiligen Andreas,« rief der Ritter. »Im ganzen Christenlager gelte ich als Verräter, und doch kenne ich mich selbst als redlichen, wenn, auch Irrtümern unterworfenen Menschen.« – »Dafür halte auch ich Dich,« sagte Ilderim, »und da wir Salz miteinander gegessen haben, hielt ich mich für verpflichtet, Dich von Tod und Schmach zu retten. – Aber was liegst Du noch auf Deinem Bett, da die Sonne schon hoch am Himmel steht? Oder dünken die Kleider, die meine Saumtiere geliefert haben, Dir des Tragens nicht wert?« »Des Tragens schon wert,« antwortete Kenneth, »doch nicht für mich. Gib mir den Sklaventitel, edler Ilderim, den will ich gern tragen; allein das Gewand des freien morgenländischen Kriegers mit dem Turban des Muselmanen zu tragen, das kann ich nicht über mich gewinnen.« – »Nazarener,« sagte der Emir, »Deine Nation nährt zu leicht Argwohn. Habe ich Dir nicht gesagt, Saladin mag niemand bekehren, den nicht der heilige Prophet selbst fähig macht, sich seinem Gesetz zu unterwerfen? Drum trage ohne Bedenken die Kleidung, die für Dich hergebracht worden ist; denn wolltest Du Dich in Saladins Lager in Deiner Rittertracht begeben, so könntest Du leicht Kränkungen, wenn nicht gar ernsteren Gefahren ausgesetzt sein.« – »Wenn ich mich in Saladins Lager begebe?« wiederholte der Ritter. »Bin ich denn freier Handlung fähig? Muß ich nicht gehen, wohin es Euch beliebt?« – »Du, bist und bleibst Herr Meines Willens,« erwiderte der Emir, »denn der edle Feind, mit dem ich zusammentraf, und der um ein Haar Herr meines Schwertes wurde, kann nicht mein Sklave werden.« – »Setzt Eurer Großmut die Krone auf, edler Emir,« entgegnete Ritter Kenneth, »indem Ihr Euch enthaltet, wider mein Gewissen zu sprechen; doch erlaubt mir, meinen Dank für diese echt ritterliche Güte auszusprechen, die ich nicht verdient habe.« »Sage das nicht,« erwiderte Ilderim; »habe ich mich nicht auf Deine Schilderung der Schönheiten, die den Hof des Melech Rik zieren, verkleidet dorthin gewagt, so daß mir einer der holdseligsten Anblicke wurde, die ich jemals genossen habe, die ich jemals genießen werde, bis die Herrlichkeiten des Paradieses meinen Augen entgegenstrahlen?« – »Ich verstehe Eure Worte nicht,« sagte Kenneth, die Farbe wechselnd. – »Du verstehst mich nicht?« rief der Emir. »Es kann Dir doch nicht verborgen geblieben sein, welcher Anblick mir in König Richards Zelt wurde? freilich war das Todesurteil damals über Dich gesprochen; aber mir könnte man schier den Kopf vom Rumpfe hauen, so würde doch mein letzter Blick auf dieser lieblichsten aller Houris ruhen, die das Auge eines Mannes sehen kann.« – »Sarazene!« sprach Ritter Kenneth ernst; »Du sprichst von der Gemahlin Richards von England! sprich nicht anders von ihr als von einer Königin!« »Verzeiht mir!« sprach der Sarazene; »mir kam Eure abergläubische Verehrung des anderen Geschlechts, das Ihr betrachtet, als müsse es bloß bewundert und verehrt, doch nicht gefreit und besessen werden, auf einen Augenblick aus den Gedanken. Da Du mit so tiefer Ehrerbietung auf dieses zarte weibliche Wesen blickst, wirst Du der anderen, der mit den dunklen Locken und den edlen, sprechenden Augen, wohl nur Anbetung widmen? In ihrer edlen Haltung und edlen Miene liegt freilich ein Ausdruck, der auf Reinheit und Festigkeit hinweist, doch auch sie würde dem feurigen Liebhaber, dafür stehe ich, dankbarer sein, wenn er sie als eine Sterbliche und nicht als eine Gottheit behandelte.« – »Laßt den Respekt nicht aus den Augen vor der Base des Löwenherz!« sagte Kenneth im Tone unverhaltenen Verdrusses. – »Respekt?« wiederholte der Emir spöttisch. »Bei der Kaaba! Doch erst dann, wenn sie Saladins Braut ist!« – »Der ungläubige Sultan ist nicht würdig, den Fleck zu küssen, den der Fuß einer Edith Plantagenet betrat!« rief der Christ, von seinem Lager aufspringend. – »Ha! Was spricht der Giaur?« schrie der Emir, die Hand an den Griff seines Dolches legend, während sein Antlitz wie Kupfer glühte. – »Was ich gesagt habe,« erwiderte er, mit verschränkten Armen und furchtlosem Blick, »würde ich, wenn meine Hände frei wären, zu Fuß oder zu Roß gegen jeden Sterblichen behaupten.« Der Sarazene faßte sich, nahm die Hand von der Waffe und sagte: »Freilich sind jetzt Deine Hände gebunden, aber durch Dein eigenes zartes Gefühl für Rechtlichkeit, und die Bande zu lösen, würde sich jetzt nicht in meinen Plan schicken. Wir haben einander Beweise von Mut und Kraft genug gegeben, und können uns im offenen Felde bald wieder treffen. Jetzt aber sind wir Freunde, und Dein Beistand ist mir erwünschter als harte Ausdrücke oder Trotz.« – »Ja, wir sind Freunde,« wiederholte der Ritter. In der Pause, die nun eintrat, schritt der feurige Sarazene im Zelt auf und ab, dem Löwen gleich, der sein wallendes Blut abkühlt, ehe er sich in seiner Höhle zur Ruhe niederstreckt. Der kältere Europäer hingegen veränderte weder Stellung noch Blick; doch schien auch er bemüht, zornige Regungen zu bezwingen. »Laß uns ruhig über diese Sache sprechen,« sagte der Sarazene. »Du weißt, ich bin ein Arzt, und es steht geschrieben: Wer seine Wunden geheilt haben will, der darf nicht zucken, wenn der Arzt sie sondiert. Sieh, ich stehe im Begriff, Deine Wunde zu sondieren. Du liebst diese Base des Melech Rik!« – »Ich habe sie geliebt,« antwortete der Ritter nach einer Pause, »wie der Mensch die himmlische Gnade liebt, und ihre Gunst gesucht, wie man vom Himmel Verzeihung sucht.« – »Und liebst Du sie nicht mehr?« sagte der Sarazene. – »Ich bin ihrer nicht mehr wert,« erwiderte Ritter Kenneth; »endige, bitte, dies Gespräch! Deine Worte sind Dolche für mich.« – »Verzeih! Nur noch einen Augenblick!« fuhr Ilderim fort. »Erhofftest Du, als Du ihr im Stande eines armen Kriegers Deine Liebe weihtest, gar keinen Erfolg?« – »Liebe ohne Hoffnung ist keine Liebe,« erwiderte der Ritter; »aber, mir winkte so geringe Aussicht, wie dem Schiffer, der sein Leben durch Schwimmen zu retten sucht. Er sieht wohl Land in der Ferne; aber sein sinkendes Herz und seine erschöpften Glieder sagen ihm, daß er es nie erreichen wird.« – »Mich dünkt,« sagte der Sarazene, »wenn Dir nichts anderes fehlt, als was in solch entferntem, täuschendem Schimmer von Glück steht, so kann das Feuer Deines Leuchtturms wieder flammen, und Du selbst, wackrer Ritter, wirst wieder zu der Freude gelangen, Deine Liebe mit einer so substanzlosen Kost wie Mondschein zu nähren; und die, die Du liebst, wird darum nicht minder Fürstentochter sein, und Saladins erwählte Braut werden.« »Sofern ich nicht – « rief der Ritter, brach aber plötzlich ab, wie jemand, der erschrickt, daß er sich etwas vornimmt unter Umständen, die es ihm verwehren. Der Sarazene lächelte. »Du hattest im Sinne, den Sultan zum Zweikampf zu fordern?« fragte er; »mich dünkt nur, er möchte sich doch besinnen, die Hoffnung auf eine königliche Braut und den Erfolg eines Krieges aufs Spiel zu setzen!« – »Aber im Kampfe, in der Schlacht werde ich ihn treffen,« rief der Ritter, dessen Augen bei dem Gedanken funkelten, mit dem ihn seine Idee erfüllte. – »In der Schlacht,« entgegnete Ilderim, »ist er immer zu finden; aber von dem Sultan zu sprechen, lag nicht gerade in meinem Plane. Mit einem Wort, wenn Dir daran liegt, Deinen ritterlichen Ruf wiederherzustellen durch Entdeckung jenes Diebes, der sich an König Richards Banner vergriffen hat, so dürfte ich Dir einen Weg dazu zeigen können, vorausgesetzt, daß Du Dich leiten lassen willst,« – »Du bist weise, Ilderim,« sagte der Schotte, »obgleich ein Sarazene, und edelmütig, obgleich ein Ungläubiger. Leite mich also! und verlangst Du nichts von mir, was meiner Lehnpflicht und meinem Christenglauben widerspricht, so will ich Dir pünktlich Gehorsam leisten.« – »So höre,« sprach der Sarazene; »Dein edler Hund ist wieder gesund, und seine Spürkraft wird den, der ihn überfiel, entdecken.« – »Ha!« rief der Ritter, »ich verstehe! Wie war ich doch verblendet, daß mir das nicht einfiel!« – »Hast Du Leute im Lager, denen das Tier bekannt ist?« fragte der Emir. – »Meinen alten Waffenträger,« antwortete Ritter Kenneth, »Deinen Patienten, entließ ich mit einem Diener, der ihn pflegte, damals als die Todesstrafe meiner wartete, und gab ihm Briefe an Freunde in Schottland mit. Sonst kennt niemand den Hund. Aber, meine eigene Person ist ja bekannt genug, und meine Sprache wird mir zur Verräterin werden in einem Lager, wo ich monatelang keine unbedeutende Rolle gespielt habe.«! – »Ihr sollt beide gut verkleidet werden, so daß Dein leiblicher Bruder Dich nicht erkennen sollte; nur mußt Du meiner Leitung folgen. Bedingung hierbei ist, daß Du der Nichte des Melech Rik, deren Name für morgenländische Zungen so schwer auszusprechen, wie ihre Schönheit zu fassen ist, ein Schreiben Sultan Saladins überbringst.« Der Ritter schwieg einen Augenblick, ehe er Antwort gab, und der Sarazene, ungeduldig über dieses Zaudern, fragte ihn, ob er sich vor solcher Botschaft fürchte... »Nein!« rief Kenneth. »Und wenn der Tod damit verbunden wäre! – Ich habe nur geschwiegen, weil ich mich fragte, ob es sich mit meiner Ehre vertrüge, vom Sultan ein Schreiben zu überbringen, oder mit der Ehre der Lady, einen Brief von einem heidnischen Fürsten entgegenzunehmen.« – »Bei Mohammed!« sagte der Emir, »der Brief ist in allen Ehren geschrieben.« »Dann will ich des Sultans Brief so ehrlich besorgen, als wenn ich sein Leibvasall wäre.« Dreiundzwanzigstes Kapitel Der Leser kann nun schwerlich noch im Zweifel sein darüber, wer der nubische Mann war, zu welchem Zweck er König Richards Lager aufgesucht hatte, und weshalb er dicht zu der Person des Königs herantrat, als dieser, von seinen heldenmütigen Pairs von England und der Normandie umgeben, auf dem Gipfel des Georgenberges stand, neben dem Banner Englands, das der trefflichste Mann im Heere trug, sein eigner natürlicher Bruder, Wilhelm Longsword, der »Ritter mit dem langen Schwert«, der edle Graf von Salisbury, der Königssohn Heinrichs des Zweiten mit der berühmten Rosamunde von Woodstock. Infolge verschiedener Aeußerungen, die in der Unterredung des Königs mit Neville am vorhergehenden Tage gefallen waren, war der Nubier in großer Sorge, daß seine Verkleidung entdeckt worden sei, besonders da der König zu wissen schien, daß der Hund zur Entdeckung des Bannerdiebes herangezogen werden sollte, trotzdem in Richards Gegenwart von seiner Verwundung kaum die Rede gewesen war. Da aber der König ihn nach wie vor als Nubier behandelte, gelang es ihm nicht, seine Zweifel zu heben, und er hielt es für richtiger, seine Verkleidung beizubehalten. Inzwischen stellten sich die Truppen der verschiedenen Kreuzfahrerfürsten unter ihren Heerführern, in langen Reihen am kleinen Walle auf, mit fliegenden Fahnen, blinkenden Speeren, wallenden Federbüschen: ein Heer, formiert aus verschiedenen Völkerschaften, verschiedener Farbe, verschiedener Sprache, von allerhand Waffen und Trachten, aber alle getragen von frommer Begeisterung, die bedrängte Tochter Zions aus dem Joch der Ungläubigen zu erlösen. König Richard saß mittwegs zwischen Lager und Georgenberg zu Pferde, einen von einer Krone überragten Helm auf dem Haupte, mit kaltem, bedächtigem Blick jede Reihe musternd und den Gruß der Heerführer erwidernd. An seiner Seite stand der vermeintliche äthiopische Sklave mit dem edlen Hund an einer Leine. Verwundern konnte dies nicht weiter, denn viele Fürsten unter den Kreuzfahrern ahmten den Sarazenen nach und hielten schwarze Sklaven in ihrem Hofstaat. Ueber dem Haupte des Königs wallten die breiten Falten des britischen Banners. Im Hintergrunde, auf dem eigentlichen Gipfel der Anhöhe, in einem für den Anlaß besonders errichteten kleinen Turm befand sich die Königin Berengaria nebst den vornehmsten Hofdamen. Dorthin warf der König von Zeit zu Zeit einen Blick, der aber schnell wieder zu dem Nubier und dem Hunde zurückkehrte, wenn Heerführer vorbeizogen, die er der Entwendung des Banners für fähig hielt. Als Philipp August von Frankreich an der Spitze seiner gallischen Ritterschaft nahte, ging er den Berg hinunter ihm entgegen, so daß sie sich mittwegs trafen und freundlich begrüßten, wie ein paar Brüder; als die Ritter und Knappen der Tempelherren in dunkler Rüstung, mit den durch Palästinas Sonne schwarzgebräunten Gesichtern, auf Rossen nahten, deren treffliche Beschaffenheit und Abrichtung selbst die besten Frankreichs und Englands weit übertraf, da warf der König einen schnellen Seitenblick; allein der Nubier stand ruhig, und sein treuer Hund ihm zu Füßen musterte mit scharfem Blick die vorbeireitenden Reihen. Der Großmeister des ritterlichen Ordens nahm seinen doppelten Charakter als Priester und Krieger wahr und vermied es, dem König als Heerführer seine Ehrfurcht zu bezeigen, indem er ihm als Priester seinen Segen erteilte. »Der zweideutige Schurke!« sagte Richard zum Grafen Salisbury; »er fertigt mich als Pfaffe ab; aber wir wollen es hingehen lassen. Der Dienst dieser erfahrenen so übermütig gewordenen Lanzenträger soll der Christenheit nicht um kleinlicher Empfindlichkeit willen geraubt werden! Doch sieh! der Erzherzog von Oesterreich, gib acht auf sein Benehmen, und Du, Nubier, halt den Hund richtig! Beim Himmel! seine Possenreißer bringt er auch mit.« Von seinem Spruchmeister und Hofnarren begleitet, kam Leopold herangeritten und fing, um seine Gleichgültigkeit zu zeigen, zu pfeifen an; als er aber mit mürrischer Miene vor dem englischen Banner die dekretierte Verbeugung machte, schüttelte der Spruchmeister seinen Stab und verkündete wie ein Herold: »Der Erzherzog wolle um deswillen, was er jetzt getan, nicht dafür angesehen sein, als ob er dem Range und den Vorrechten, eines souveränen Fürsten etwas vergebe,« worauf der Hofnarr zum großen Gelächter der Anwesenden mit einem helltönenden »Amen!« antwortete. Wiederholt sah der König nach dem Nubier und dem Hunde; aber keiner von beiden rührte sich. »Ich fürchte, schwarzer Freund, unter die Zauberer gehörst Du nicht, und Deine Verdienste um unsere Person wirst du auch nicht mehren, trotz Deinem Hunde.« Da zogen die Mannen des Marquis von Montserrat vorüber, um sie zahlreicher erscheinen zu lassen, in zwei Scharen geteilt. An der Spitze der ersten Schar, die aus Vasallen der syrischen Besitzungen bestand, ritt Enguerrand, der Bruder des Marquis, Während dieser selbst an der Spitze von zwölfhundert Stradioten, einer Art leichter Reiterei, von den Venetianern aus ihren Besitzungen in Dalmatien ausgehoben und dem Marquis anvertraut, daher kam. In überreicher Tracht, strotzend von Gold und Silber, den milchweißen Federbusch mit einer Demantschnalle auf seiner Mütze befestigt, so daß er bis zu den Wolken emporzuragen schien, auf dem edlen Rosse, das er mit kräftiger Faust in Räson hielt, näherte Marquis Konrad sich dem Könige, der ihn kaum erblickte, als er ihm ein paar Schritt weit entgegenging ... Eben wollte er das Wort an ihn richten, als Roswal mit wildem Geheul vorsprang. Der Nubier ließ die Leine locker, der Hund sprang an Konrads Rosse hinauf, packte den Marquis an der Kehle und riß ihn aus dem Sattel zu Boden. Während das Pferd durch das Lager raste, wälzte sich der Marquis mit seinem stolzen Federbusch im Sande. »Dein Roswal hat die rechte Beute gepackt,« sagte der König zum Nubier, »ich schwör's beim heiligen Georg! Aber reiße den Hund weg, denn er erwürgt ihn noch!« Der Aethiopier machte den Hund mühsam von Konrad los. Inzwischen drängten sich, besonders aus Konrads Gefolge und der Stradiotenschar, viele herbei, die, als sie ihren Anführer am Boden liegen sahen, wild durcheinander schrien: »Haut den Sklaven und seinen Hund in Stücke!« Allein Richards Stimme erscholl hell über alles Geschrei: »Des Todes ist, wer sich an dem wackern Hunde vergreift! Tritt hervor, Konrad, Graf von Montserrat! Ich klage Dich der Treulosigkeit und des Verrats an!« »Sind die Fürsten des Kreuzzuges Hasen oder Rehe in König Richards Augen geworden, daß er Jagdhunde auf sie losläßt?« fragte der Großmeister mit Grabesstimme. – »Es muß ein Zufall, ein Mißverständnis vorliegen,« sprach Philipp von Frankreich, herbeireitend. – »Eine List des bösen Feindes!« meinte der Erzbischof von Tyrus. – »Ein Kunstgriff der Sarazenen!« rief Heinrich von Champagne. »Den Hund sollte man aufhängen und den Sklaven foltern!« »Niemand, dem sein Leben lieb ist, lege die Hand an ihn!« rief Richard; »Konrad, wenn Du es wagst, so leugne die Anklage, die dies stumme Tier in edlem Instinkt wider Dich erhoben hat, die Anklage der schmachvollen Beleidigung Englands und des ihm selbst zugefügten Unrechts.« – »Ich habe Dein Banner nie berührt,« rief Konrad schnell. »Deine Worte verraten Dich!« entgegnete Richard. »Warum redest Du von meinem Banner, wenn Du Dich der Missetat nicht schuldig fühltest?« – »Hast Du das Kreuzfahrerheer aus diesem und keinem anderen Grunde alarmiert?« fragte Konrad: »sinnst Du einem Fürsten und Bundesgenossen ein Verbrechen an, das irgend ein Spitzbube wegen der Goldfäden an der Fahne begangen haben mag? oder willst Du einen Hund als Ankläger gegen einen Bundesgenossen gelten lassen?« Der Lärm wurde so heftig, daß sich der König Philipp von Frankreich ins Mittel legte ... »Fürsten und Edle,« sprach er, »halten wir unsere Mannen im Zaume! führe ein jeder seine Truppen in ihre Quartiere zurück! und treffen wir uns nach Ablauf einer Stunde im Zelte des hohen Rats. Dort wollen wir über diesen neuen Fall verhandeln.« – »Ich bin es zufrieden,« sprach König Richard, »obgleich ich diesen Elenden am liebsten auf der Stelle verhört hätte. Aber Frankreichs Wille soll der unsrige sein.« Der Fürstenrat traf zur bestimmten Stunde zusammen. Konrad von Montserrat, wie ein Fürst gekleidet, trat, von dem Erzherzog von Österreich, den Großmeistern der Tempelherren und Johannitern begleitet, in das Ratszelt. Mit dem beschimpften Staatsgewand hatte er auch die Scham und Verwirrung abgestreift, die sich bei solch unvermuteter Anklage seines Geistes bemächtigt hatten. Auf den König von England aber machte es nicht den geringsten Eindruck, auch nicht, daß sich die drei hervorragenden Kreuzfahrer ihm, gleichsam zur Verteidigung, angeschlossen hatten. Mit seinem gewöhnlichen Wesen und in der gleichen Kleidung, in der er vom Pferde gestiegen war, trat er ein, warf einen flüchtigen, halb verächtlichen Blick um sich und beschuldigte hierauf den Marquis rundheraus, das Banner Englands gestohlen und den treuen Hund, der dasselbe bewacht, gefährlich verwundet zu haben. Konrad erklärte keck, dem Menschen und dem Tiere zum Trotze, seine Unschuld. »Bruder von England,« sprach Philipp, der gern die Rolle eines Vermittlers übernahm. »Wir stehen vor einer ungewöhnlichen Beschuldigung; aber Euer Glaube stützt sich bloß auf diesen Jagdhund. Ich sollte doch meinen, das Wort eines Ritters gelte mehr als ein Hundegebell.« – »Königlicher Bruder!« nahm Richard das Wort, »Ihr laßt außer acht, daß der Allmächtige den Hund mit einer Natur begabte, die jedes Betruges unfähig ist. Er vergißt weder Freund noch Feind und merkt sich genau Wohltat und Beleidigung. Ihr könnt einen Soldaten bestechen, mit dem Schwert zu töten, einen Zeugen, durch falsche Anklage ein Leben zu rauben, nie aber einen Hund bewegen, seinen Wohltäter zu zerreißen. Er ist der Freund des Menschen, ausgenommen, wenn der Mensch sich seine Feindschaft zuzieht. Putzt diesen Marquis von Montserrat mit den prunkendsten Pfauenfedern, verkleidet ihn, schminkt ihn, versteckt ihn unter Hunderten, und mein Szepter setze ich zum Pfande, daß der Jagdhund ihn herausfinden, ihm an die Kehle springen wird wie vorhin! Der Vorfall mag seltsam erscheinen, aber neu ist er nicht! In Deinem Lande, mein königlicher Bruder, wurde in einem ähnlichen Falle durch feierlichen Zweikampf zwischen Mensch und Hund der Mord entschieden, und das Verbrechen bekannt.« – »Solcher Zweikampf hat allerdings stattgefunden, mein königlicher Bruder,« sagte Philipp, »unter der Regierung eines unserer Vorfahren, dem Gott gnädig sein möge, aber da sich der Fall in der alten Zeit ereignet hat, läßt er sich nicht anwenden auf den unsrigen ... zudem war der Angeklagte ein Mann von geringem Range; seine Waffe bloß eine Keule, sein Schutz bloß ein ledernes Wams. Zu so rohen Waffen, zu solch gemeinsamem Kampfe können wir keinen Fürsten erniedrigen.« – »Das ist auch nicht meine Absicht,« versetzte Richard; »es wäre ein schlimmes Spiel, das Leben des guten Hundes gegen das eines doppelzüngigen Verräters zu wagen! – Aber da liegt unser eigener Handschuh! Wir fordern Konrad von Montserrat zum Kampfe heraus wegen der gegen ihn erhobenen Anklage. Ein König steht wohl über dem Kameraden eines Marquis.« Konrad beeilte sich keineswegs, das von dem englischen König in die ritterliche Versammlung geschleuderte Pfand aufzuheben, und König Philipp gewann Zeit zu dem Einspruche: »Ein König ist um soviel mehr als Gegner des Marquis, als ein Hund weniger sein würde. Richard von England, solcher Zweikampf kann nicht gestattet werden. Ihr seid der Anführer unseres Feldzuges, das Schild und Schwert der Christenheit.« – »Ich protestiere gegen solche Gefährdung meines königlichen Bruders deshalb, weil sein Leben Eigentum des englischen Volkes ist. Mein Handschuh soll an Stelle des seinigen treten,« sagte der Graf von Salisbury. »Fürsten und Edle,« nahm Konrad von Montserrat das Wort, »ich nehme König Richards Herausforderung nicht an. Er ist zu unserm Anführer gegen die Sarazenen erwählt worden, und wenn ers vor seinem Gewissen verantworten kann, einen Bundesgenossen wegen eines so nichtswürdigen Streites zum Kampf zu fordern, so kann ichs doch nicht vor dem meinigen, mich auf solchen Kampf einzulassen. Was aber seinen Bastardbruder Wilhelm von Woodstock betrifft, so will ich gegen ihn, wie gegen jeden anderen, der diese Beschuldigung auszusprechen oder zu bekräftigen wagt, meine Ehre in den Schranken verteidigen.« – »Der Marquis von Montserrat,« sprach der Erzbischof von Tyrus, »hat wie ein weiser, billig denkender Edelmann gesprochen. Mich dünkt, der Streit könnte, unbeschadet der Ehre beider Parteien, hiermit sein Ende haben.« – »Meiner Ansicht nach auch,« pflichtete Philipp von Frankreich bei, »vorausgesetzt, daß König Richard seine Anklage, als auf schwachen Füßen stehend, widerrufen wird.« – »Philipp von Frankreich,« sagte Richard Löwenherz, »meine Worte stehen mit meinen Gedanken niemals in Widerspruch! Ich habe Konrad von Montserrat als Dieb angeklagt, der bei Nacht das Sinnbild von Englands Würde von seinem Platze stahl. Ich halte ihn noch dafür und beschuldige ihn dieser Missetat, und ist erst ein Tag zum Kampf anberaumt, so zweifelt nicht, daß mir, weil Konrad mit uns selbst zu kämpfen ablehnt, ein Kämpfer fehlen werde; denn Du, Wilhelm, darfst Dein langes Schwert ohne unsere besondere Erlaubnis in diesem Streite nicht ziehen.« »Da mich mein Rang zum Schiedsrichter in dieser höchst unglücklichen Sache Macht,« entgegnete Philipp von Frankreich, »so bestimme ich den fünften Tag von heute an, zur Entscheidung derselben mittels Kampfes nach Rittersitte, so daß Richard, König von England, durch seinen Kämpfer als Ankläger, und Konrad, Marquis von Montserrat, in eigener Person als der Angeklagte erscheine. Doch gestehe ich, daß ich keinen neutralen Grund und Boden ausfindig zu machen weiß, wo ein solcher Kampf stattfinden kann: denn hier in der Nähe des Lagers darf es nicht geschehen, weil die Krieger von beiden Seiten Partei bilden würden.« – »Es wäre gut,« sagte Richard, »zum Edelmut des königlichen Saladin unsere Zuflucht zu nehmen. Denn ist er gleich ein Heide, so habe ich doch nie einen Ritter reicher an wahrem Adel oder von solcher Treue und Aufrichtigkeit gefunden, dem wir uns so unbedingt anvertrauen können.« »So sei es,« stimmte Philipp bei; »und so entlasse ich jetzt diesen Fürstenrat!« – »Amen! Amen!« erscholl es von allen Seiten. Vierundzwanzigstes Kapitel König Richard, in sein Zelt zurückgekehrt, ließ den äthiopischen Sklaven vor sich führen, der sich vor ihm niederwarf und die Augen zu Boden heftete; vielleicht zum Glück, denn er hätte den scharfen Blick, mit dem Richard ihn eine Zeitlang schweigend betrachtete, schwerlich ausgehalten. »Du verstehst Dich auf weidmännische Kunst,« nahm der König nach einer Pause das Wort, »denn Dein Wild hast Du aufgejagt, wie wenn Du bei Tristan in der Lehre gewesen wärest! Aber es muß nun auch erlegt werden. Ich hätte ja gern meinen Spieß nach ihm geworfen; gewisse Rücksichten scheinen aber dies zu verhindern. So kehre Du in des Sultans Lager zurück und übergib ihm dies Schreiben, durch welchen wir ihn um einen neutralen Platz für dieses ritterliche Vorhaben bitten. Falls es ihm nicht zuwider wäre, so sag ihm, möchten Wir ihn selbst als Zeuge bei diesem Kampfe erscheinen sehen. Es dürfte wohl sein, daß Du dort den einen oder anderen Ritter ausfindig machst, der aus Liebe zur Wahrheit und um seiner eignen Ehre halber mit Montserrat, dem Verräter, kämpfen möchte.« Der Nubier heftete die Äugen mit dem Ausdruck inniger Wärme auf den König, dann richtete er sie gen Himmel mit feierlicher Dankbarkeit. Dann senkte er den Kopf und nahm wieder seine demütige Miene an. »Und nun zu einem anderen Punkte,« sagte der König hastig, »hast Du Edith Plantagenet gesehen?« Der Stumme blickte empor, wie um zu sprechen: ja seine Lippen setzten schon zu einem Nein an, als er sich besann und den unzeitigen Versuch in einem dumpfen Gemurmel auslaufen ließ. »Sieh mal an!« rief Richard. »Der bloße Name unserer reizenden Cousine scheint Stummen die Sprache verleihen zu können? Was für Wunder müßten da erst ihre Augen wirken! Ich will den Versuch machen, Freund Sklave. Du sollst sie sehen, diese auserlesene Schönheit unseres Hofes, und den Auftrag des fürstlichen Sultans ausrichten.« Wieder ein freudiger Blick, wieder ein Kniefall . . . Nach einer Pause aber legte der König die Hand auf seine Schulter. »In einer Hinsicht,« fuhr er fort, »muß ich Dich warnen, mein schwarzer Abgesandter ... Sobald Du fühlen solltest, ihr gütiger Einfluß wolle die Bande Deiner Zunge lösen, dann hüte Dich vor jedem Wort in ihrem Beisein! denn Du darfst Dich verlassen darauf, daß ich Dir in solchem Falle die Zunge herausreißen ließe, und alle Deine Zähne dazu... Darum sei klug und verschwiegen.« Der Nubier legte zum Zeichen des Gehorsams die Hand auf die Lippen. Richard aber legte ihm wieder die Hand, doch sanfter, auf die Achsel und fügte hinzu: »Wärst Du ein Ritter und Edelmann, so forderten wir Deine Ehre als Unterpfand Deiner Verschwiegenheit und nichts weiter, statt daß wir Dir als Sklaven in solcher Weise gebieten.« Dann rief er seinen Kämmerer... »Neville,« sagte er, »begib Dich mit diesem Sklaven ins Zelt unserer königlichen Gemahlin und sage, es sei unser Wunsch, daß ihm eine Audienz bei unserer Base Edith bewilligt werde, da er ihr einen Auftrag zu bestellen habe. Du kannst ihm auch den Weg zeigen, wenn er Deine Begleitung wünscht; doch wirst Du vielleicht schon mit Verwunderung bemerkt haben, wie genau er den Umkreis unseres Lagers kennt; – Und Du, Freund Aethiopier, was Du tust, das tue schnell, in einer halben Stunde erwarte ich Dich wieder hier.« »Ich bin entdeckt,« dachte der angebliche Nubier, als er mit zu Boden gesenktem Blick Neville folgte; »gleichwohl kann ich mir nicht denken, daß er noch erzürnt auf mich wäre. Versteh ich seine Worte, und es ist ja schier unmöglich, sie falsch zu deuten, so gibt er mir eine edle Gelegenheit, meine Ehre an dem Helmbusch dieses falschen Marquis zu rächen, dessen Schuld ich in seinem feigen Blick und auf seiner bebenden Lippe las, ehe noch die Anklage gegen ihn vorgebracht wurde. – Roswal! Du hast deinem Herrn treu gedient, und die dir widerfahrene Schmach soll schwer gerächt werden! – Aber was soll die Erlaubnis bedeuten, sie zu sehen, da ich doch immer daran zweifelte? Wie kann der königliche Plantagenet zugeben, daß ich Edith sehe, ob nun als Bote des heidnischen Saladins oder als der schuldige Verbannte, den er erst vor kurzem aus seinem Lager vertrieb? Aber Richard, wenn ihn nicht Leidenschaft bewegt, ist freisinnig, großmütig und edel, und darum will ich ihm gehorchen in allem, was er mir befiehlt... hat er mir doch eine so herrliche Gelegenheit gegeben, meine befleckte Ehre zu rächen! O, er kennt mich nur wenig; ich bin ihm Dank schuldig hierfür, und werde meinen Dank ihm wahrlich nicht schuldig bleiben!« Sie wurden von den Wachen gleich eingelassen, und Neville ließ den Nubier in einem Vorraume zurück, der diesem nur zu gut bekannt war, und trat in den Raum, der als Audienzgemach von der Königin benützt wurde. »Und wer ist der nubische Sklave, der mit solchem Auftrage vom Sultan kommt?« fragte die Königin, hell auflachend; »ein Neger, nicht wahr, Neville? mit schwarzer Haut, Krauskopf, plumper Nase und wulstigen Lippen?« »Vergessen Majestät doch die Schienbeine nicht,« sagte eine andere Stimme, »auswärts gebogen, wie die Klinge eines Sarazenen-Säbels!« – »Oder wie Cupidos Bogen,« meinte die Königin; »da er mit einer Liebesbotschaft kommt, klingt das doch besser... lieber Neville, Du bist immer bereit, uns armen Frauen ein Vergnügen zu schaffen. Komm, wir müssen diesen Liebesboten sehen. Türken und Mohren habe ich ja gesehen, aber noch keine Neger.« – »Gnädige Königin,« meinte Lady Caliste, »laßt doch den schwarzen Kerl gleich zu Lady Edith führen, lautet doch sein Beglaubigungsschreiben an sie! wir sind ja doch erst mit genauer Not den schlimmen Folgen eines ähnlichen Spaßes entgangen!« »Eines ähnlichen Spaßes?« wiederholte die Königin verächtlich. »Aber Du kannst recht haben, Caliste. Laß den Nubier, wie Du ihn nennst, erst mit seinem Auftrage zu unserer Muhme. Er ist ja doch stumm, nicht?« – »Allerdings, meine Königin,« versetzte der Ritter. Lord Neville kehrte zu dem Aethiopier zurück und winkte ihm zu folgen. Er führte ihn zu einem Zelt, abseits von dem der Königin. Ein koptisches Mädchen nahm Nevilles Auftrag entgegen, und nach einigen Minuten wurde der Nubier zu der Prinzessin geführt, während Neville draußen vor dem Zelte blieb. Als Edith sich dem knienden Sklaven bis auf einen Schritt genähert hatte, sah sie ihm scharf, ein paar Sekunden lang ins Gesicht. Dann wandte sie sich weg und sagte ruhig, doch im Tone tiefster Trauer: »Seid Ihr es! – wirklich, tapferer Ritter vom Leoparden, edler Kenneth von Schottland? – Seid Ihr es wirklich, als Sklave verkleidet, umringt von tausend Gefahren?« Als der Ritter die Stimme seiner Dame vernahm, die ihn so unerwartet anredete, in einem Tone halb Mitleid, halb Zärtlichkeit, da drängte sich ihm eine Antwort auf die Lippen, und Richards Befehle sowie sein eigenes Versprechen waren kaum imstande, sie zu bannen. Wie gern hätte er ihr gesagt, daß der Anblick, den er genieße, die Stimme, die er höre, alle Sklaverei, alle Gefahren ihm reichlich lohnten . . und doch hielt er an sich, und ein tiefer, leidenschaftlicher Seufzer war die einzige Antwort auf Ediths Frage. »Ich sehe, daß ich richtig vermutet habe,« fuhr sie fort. »Ich bemerkte Euch gleich bei Eurem ersten Erscheinen auf der Plattform, wo ich mit der Königin stand. Auch Euren wackeren Jagdhund habe ich erkannt. Sprich daher ohne Furcht zu Edith Plantagenet, denn sie hat den guten Ritter im Unglück nicht vergessen, der, als das Glück ihm hold war, ihr ehrenvoll diente. – Noch immer still? aus Furcht oder Scham? Furcht sollst Du nicht kennen, und die Scham überlasse denen, die Dich gekränkt haben!« In Verzweiflung darüber, daß er den Stummen spielen mußte, konnte er nur durch Seufzer seinen Schmerz ausdrücken. »Wie?« sagte Edith halb unmutig, »der Stumme wie im Aeußeren, so auch im Tun? Das hätt' ich nicht gedacht. Oder solltest Du vielleicht meiner spotten, weil ich so kühn gestand, Deine mir bewiesene Huldigung bemerkt zu haben? Denke deshalb nicht unwürdig von Edith! Doch warum schlägst Du die Hände zusammen und ringst sie so leidenschaftlich? Sollten sie Dich,« rief sie, vor dem Gedanken zurückschreckend, »grausam der Sprache beraubt haben? – Du schüttelst den Kopf? Nun, mag es Zauber oder Trotz sein; ich frage Dich nicht weiter. Richte, was Du auszurichten hast, auf Deine Weise aus ... auch ich kann stumm sein.« Der verkleidete Ritter überreichte ihr stumm Saladins Schreiben. Edith nahm es, warf einen flüchtigen Blick darauf, legte es beiseite und sagte, wieder zu dem Ritter gewendet, leise: »Auch kein Wort an mich als Geleit Deines Auftrages?« Der Ritter preßte beide Hände gegen die Stirn, als Ausdruck des Schmerzes darüber, daß er ihr nicht gehorchen könne. Da wandte sie sich entrüstet von ihm. »Geh!« sprach sie, die Hand über die Augen legend, »ich habe genug, habe zu viel gesprochen für einen, der nicht ein einziges Wort an mich verschwenden will.« Der Ritter wollte sich ihr nähern; aber sie wies ihn durch einen Wink zurück. »Geh! sage ich, denn der Himmel hat Deine Seele für Deinen neuen Posten gewandelt... Was säumt Ihr? Geht!« Fast unwillkürlich blickte der Ritter auf das Schreiben. Edith nahm es. . »Ich hatte ganz vergessen,« sagte sie, halb spöttisch, halb verächtlich, »der untertänige Sklave wartet auf Antwort ... Was ist das? vom Sultan?« Kaum hatte sie gelesen, so lachte sie in bitterem Aerger ... »Nun, das geht über den Horizont!« rief sie. »Er mag Zechinen in Maravedis wandeln können; aber einen tapferen Ritter in den Sklaven eines heidnischen Sultans verwandeln? der seine übermütigen Anträge an eine christliche Jungfrau bringt, der Gesetze des Rittertums wie der Religion vergessen? Nein! das geht über den Horizont! Doch was hilft alles Reden mit dem Sklaven eines heidnischen Hundes? Sag Deinem Herrn, wenn er Dir Deine Zunge wiedergegeben hat, was Du mich hier tun siehst.« Hier warf sie das Schreiben des Sultans auf die Erde und setzte ihren Fuß darauf. »Sag ihm, Edith Plantagenet lasse sich die Huldigung ungetaufter Heiden verbitten!« Sie wollte hinausstürzen... da kniete er mit schwer keuchender Brust vor ihr nieder, wollte die Hand an ihr Gewand legen, sie zu halten ... sie aber drehte sich rasch nach ihm um und fuhr ihn an: »Hast Du nicht gehört, was ich sagte, Sklave?» Sage Deinem Herrn, daß ich seine Hand verachte ganz ebenso wie den Ritter, der sich entwürdigt, vor ihm den Staub zu küssen!« Sie riß ihr Kleid aus seiner Hand und stürzte aus dem Zelte .... In diesem Augenblick rief Neville . . . und betäubt durch wilden Schmerz, wankte der unglückliche Ritter dem Baron hinterher, bis sie das königliche Zelt erreichten, vor welchem eben ein Trupp Reiter vom Pferde stieg. Als Neville mit seinem verkleideten Diener eintrat, bewillkommnete der König nebst seinen Edlen die eben angekommenen Personen. Fünfundzwanzigstes Kapitel »Thomas von Baux, tapfrer Tom von Gills!« ließ sich König Richards helle Stimme vernehmen, »Du bist mir willkommen, wie je eine Flasche Wein einem fröhlichen Zecher. Hätt' ich nicht Deine rüstige Gestalt im Auge gehabt, wie einen Grenzstein, meine Reihen danach zu ordnen, so hätt' ich kaum gewußt, wie ich meine Truppen in Schlachtordnung stellen sollte. Jetzt wirds Hiebe setzen, Thomas, wenn die Heiligen uns beistehen, und hätten wir in Deiner Abwesenheit gefochten, so wäre ich darauf gefaßt gewesen, Dich an irgend einem Baume hängen zu sehen!« »Statt den Tod eines Abtrünnigen zu sterben, hätte ich meine fehlgeschlagene Hoffnung mit christlicher Geduld getragen,« sagte Thomas von Baux. »Allein ich danke Eurer Majestät für dies Willkommen um so herzlicher als ja doch der größere Teil Hiebe auf Konto Eurer Majestät genommen wird. Ich habe aber jemand mitgebracht, den Eure Majestät gewiß noch herzlicher willkommen heißen werden.« Ein Jüngling von kleiner, schlanker Figur trat vor, um sich vor dem König zu verneigen. Seine Tracht war so einfach wie seine Figur unbedeutend; doch trug er auf seiner Mütze eine goldene Schnalle mit einem Edelstein, der mit den von der Mütze beschatteten Augen um die Wette funkelte. Sonst stach an dem Gesicht nichts weiter hervor; wer es jedoch genauer betrachtete, konnte sich eines gewissen Eindrucks nicht erwehren. Um den Hals des Jünglings hing an einem Bande von himmelblauer Seide ein Stimmhammer aus gediegenem Golde, das für Sänger unentbehrliche Werkzeug für ihre Harfe. Der Jüngling wollte vor dem König niederknien, der aber hob ihn fröhlich empor, drückte ihn zärtlich ans Herz und küßte ihn auf beide Wangen. »Blondel von Nesle,« rief er, »willkommen von Cypern, Du König der Minnesänger! Willkommen dem König von England! Ich bin krank gewesen; ich glaube aber, bloß, weil Du mir fehltest; denn Deine Lieder würden mich gewiß auf dem Weg zum Himmel aufhalten ... Doch sprich, bist Du fleißig gewesen?« – »Etwas habe ich gelernt, und etwas getan, edler König,« erwiderte der berühmte Sänger bescheiden. – »Wir wollen Dich hören – auf der Stelle,« rief der König; »vorausgesetzt natürlich, daß Du nicht von Deiner Reise zu müde bist.« – »Ich bin wie immer, meinem königlichen Herrn zu Dienst,« sagte Blondel; »aber,« setzte er hinzu mit einem Blick auf die umherliegenden Papiere, »Majestät scheinen beschäftigt zu sein, und spät ist es auch schon.« »Das bißchen Arbeit, Blondel, eilt nicht im mindesten; eine Schlachtordnung gegen die Sarazenen – so flink erledigt, wie ihre Niederlage.« »Ich möchte aber gern wissen,« mischt« sich Thomas von Baux in das Gespräch, »was für Krieger Majestät aufzustellen haben. Ich bringe nämlich Berichte von Askalon.« – »Du bist eigensinnig, Thomas,« versetzte der König, »wie ein Maultier! Kommt, Ihr Edlen, stellt Euch ringsum! – Gebt Blondel den Sessel! gebt ihm meine Harfe; seine eigene könnte unterwegs gelitten haben.« »Majestät,« tief Thomas von Vaux; »ich bin weit geritten. Kein Wunder also, daß es mich mehr nach der Streu als nach Blondelschen Strophen verlangt.« – »Macht doch ein einziges Mal eine Ausnahme, Gills,« sagte der König, »Ihr wißt doch, daß ich wie Blondel ein Zunftgenosse der fröhlichen Kunst bin?« – »Majestät sollten nicht vergessen,« sagte Thomas von Vaux lächelnd, »daß man von einem Maultiere keine Ausnahmen verlangen kann.« – »Sehr wahr,« sagte der König, »dann kommt her, Herr Maulesel, und werft Eure Last ab, damit Ihr auf die Streu kommt. Du aber, Bruder Salisbury, begib Dich in das Zelt unserer Gemahlin, und sage ihr, Blondel sei angekommen und habe die neuesten Minnelieder mitgebracht. Sie solle sogleich kommen, und unsere Cousine Edith Plantagenet auch!« Sein Auge streifte wieder den Nubier mit jenem zweifelsvollen Ausdruck, der sich immer in seinen Mienen verriet, wenn er ihn anblickte. »Ha, unser geheimer Bote ist wieder zurückgekehrt? Steh auf, Sklave, und tritt hinter Neville! Was Du jetzt hören wirst, wird Dich freudig stimmen darüber, daß Du bloß stumm und nicht auch taub bist!« Dann wandte er sich zu Thomas von Vaux, und horte dessen Vortrag an. Kaum war Thomas von Vaux, fertig, so meldete ein Bote, die Königin nähere sich mit ihrem Gefolge dem königlichen Zelte. – »Eine Flasche Wein!« rief der König, »von des alten König Isaaks lang aufgespartem Cypernwein, den wir von dem Sturm auf Famagusta haben. Füllt dem wackeren Lord Gilsland einen Becher, Ihr Edlen! Einen getreueren Diener hat noch kein Fürst gehabt. Doch sieh! der Fackelschein draußen verrät, daß unsere Gemahlin sich nähert. Eile ihr entgegen, Thomas! halte Dich doch nicht auf mit Deinem Mantel! Da sieh, Lord Neville kommt Dir zwischen Wind und Segel!« – »Auf dem Schlachtfeld hat er mir nie das Prävenire gespielt,« brummte Thomas von Vaux, durchaus nicht erfreut über die Zuvorkunft des gewandteren Kämmerers. – »Nein, weder er, noch sonst jemand, mein guter Thomas von Gils,« sagte der König, »außer mir selbst dann und wann.« – »Doch einer noch,« versetzte Thomas; »möchte wenigstens auch ihm Gerechtigkeit werden! Der unglückliche Ritter vom Leoparden ist mir seinerzeit auch zuvorgekommen, denn er ist leichter zu Pferde, drum ....« – »Still!« wehrte ihm der König mit gebietendem Tone. »Kein Wort mehr von ihm!« und er trat einen Schritt vor, seine Gemahlin zu begrüßen. Dann stellte er ihr Blondel vor als König der Minstrels und seinen Lehrherrn in der fröhlichen Kunst. Berengaria kannte die Passion ihres Gemahls für Musik und Poesie und wußte, daß Blondel sein besonderer Liebling war; sie ließ es sich deshalb angelegen sein, ihn mit Auszeichnung zu empfangen. Blondel erwiderte die Höflichkeit der Königin mit tiefer Ehrerbietung und demütigem Dank; aber es ließ sich nicht verkennen, daß er den schlichten anmutigen Gruß Lady Ediths mit größerer Herzlichkeit erwiderte. König Richard entging es nicht, daß seine Gemahlin diese Bevorzugung Ediths nicht gern sah, und empfindlich sagte er, wohl selbst nicht eben erfreut darüber: »Wir Minstrels, Berengaria, erweisen einem strengen Kunstrichter, wie unserer Edith, mehr Achtung als einer wohlgeneigten Freundin, wie Dir, die zwar bereit ist, in unsern Wert keinen Zweifel zu setzen, ihn aber doch nicht unmittelbar zu taxieren weiß.« Edith fühlte sich durch diese sarkastische Bemerkung ihres Oheims verletzt und erwiderte, daß hart und streng zu urteilen nicht die Eigenschaft sei, die unter den Plantagenets ihr allein zukomme. Sie hätte sich vielleicht nicht auf diese wenigen Worte beschränkt; allein ihr Blick begegnete plötzlich dem Blicke des Nubiers, obwohl sich derselbe hinter den anwesenden Edlen zu verbergen suchte; sie sank in einen Sessel, so bleich, daß die Königin nach Wasser rief, weil sie eine Ohnmacht befürchtete. Aber Richard, der Edith besser kannte, bat Blondel mit seinem Gesange zu beginnen, da Minnegesang besser als jede Arznei einen Plantagenet zu heilen vermöchte. Blondels Auge aber ruhte mit angstvollem Ausdruck auf Edith, und als er sah, daß ihre Farbe wiederkehrte, leistete er dem Befehle des Königs Gehorsam. Seine Gestalt schien zu wachsen, sein Antlitz glühte von Kraft und Begeisterung, seine volle, männliche Stimme erschütterte Ohren und Herzen. »Horcht, Ihr Ritter, in Burgen und Hallen!« rief der König, winkte den Anwesenden, sich um den Sänger im Kreise zu gruppieren, und nahm mit allem Ernst eines sachverständigen Kunstrichters Platz. Blondel sang in normannischer Sprache eines jener ritterlichen Liebesabenteuer, die damals im Schwunge waren: Von dem herrlichen Benevent nicht fern, Als tief schon die Strahlen der Sonne sanken, Erblickte man viele Ritter und Herrn Zum Sankt-Johannis-Turnier in den Schranken. Da kam, von einer Prinzessin gesandt, Nach Lincolngreen ein junger Fant Durchs Lager geeilt mit schnellen Schritten, Und fragte nach Thomas von Kent, dem Briten. Weit war er gewandert, weit ging noch sein Pfad, Bis er dem schmucklosen Zelte sich naht, Das nichts enthielt als Eisen und Stahl, Blutarm an Geld, blieb ihm keine Wahl, Als selbst, mit entblößten, nervigen Händen, Des Waffenschmieds Arbeit zu vollenden. Er hämmert den Harnisch, Johannes dem Täufer Und seiner Dame zu Ehren, mit Eifer. Da naht ihm ein Page: »So sagte sie« – Und der Ritter beugte sein Haupt und Knie – »Die hohe Prinzessin von Benevent: Du bist ein Ritter, den niemand kennt; Willst Du erklimmen den hohen Baum Und überspringen den trennenden Raum, So vollbring eine Tat, daß ein jeder muß sagen: Nur Ehrgeiz und Rittertum konnte dies wagen.« »Hinweg mit dem Harnisch,« sagte sie – Und der Ritter beugt abermals Haupt und Knie – »So schön er dich ziert! Aus meiner Hand Empfange statt dessen ihr Nachtgewand! Mit ihm, statt dem Panzerhemd, ohne Wanken, Erscheine mutig und keck in den Schranken; Wo das Blut in Strömen fließt, da erwirb Dir Ehre im tapfern Kampf, oder stirb!« Mit ruhigem Blick, im Herzen erfreut, Empfängt der Ritter und küßt das Kleid. »Heil sei der Stunde, und du gesegnet. Durch den mir so hohe Ehre begegnet! Zur Dame: sprich: Mit dem Kleid angetan, Werd' ich nicht weichen dem tapfern Mann; Ihr dank ich es, wenn Ruhm ich errang!« – Hier endigt des Blutsgewands erster Sang.    [In der Umdichtung von Heinrich Döring] »Du hast das Versmaß in der letzten Strophe verändert,« sagte der König. – »Allerdings,« antwortete Blondel, »ich bekam die italienischen Verse von einem alten Harfner in Cypern, und es mangelte mir an Zeit, sie in mein Gedächtnis einzuprägen; ich mußte deshalb die Lücken aus dem Stegreif ausfüllen.« – »Nun, meiner Treu,« sagte der König, »ich habe die rollenden Alexandriner gern: sie klingen mir besser zur Musik, als die kurzen Verse; aber für die Szene, wo das Gefecht vor sich gehen soll, eignen sich meiner Meinung nach die erstern besser.« – »Es soll geschehen nach Eurer Majestät Belieben,« antwortete Blondel und fing von neuem zu präludieren an. Dann setzte er den Gesang fort: Das Fest St. Johannis sah Taten vollführen, Sah Ehre gewinnen und Ehre verlieren; Sah Säbel hauen und Lanzen splittern; Hier winkte Sieg, dort ein Grab den Rittern; Und mancher darunter focht wacker und brav: Doch wer sie alle wohl übertraf, Der Ritter war es, der schlau und klug Als Panzer der Dame Nachtgewand trug. Zwar ward ihm manch blutige Wunde geschlagen. Doch hörte man manchen mit Ehrfurcht sagen: »Ihn, den ein Gelübde hält gebunden, Unritterlich wärs, ihn zu verwunden.« Der Fürst gebeut, das Turnier zu enden; Der Herold erscheint, und aus den Händen Der Richter empfängt, im versammelten Kreis, Der Ritter im Nachtgewande den Preis. Das Fest war nahe, noch näher die Meß': Da nahet ein Knappe sich der Prinzeß Und reicht ein Gewand ihr, unwürdig zu schaun, Zerstochen, zerstoßen, zerspießt und zerhaun, Zerlumpt und zerrissen, mit Blut befleckt, Vom Staub und vom Schaum der Rosse bedeckt. So daß der Prinzessin Finger, ich wette, Kein reines Fleckchen gefunden hätte. Dies Zeichen erstattet Sir Thomas von Kent, Mein Herr, der Prinzessin von Benevent. Ihm gebührt die Frucht, er erklimmte den Baum Und übersprang den trennenden Raum. Sein Leben dran wagend, errang er den Preis, Er fordert der Herrin Treu' als Beweis. Sie stürzt' ihn in diese Gefahr hinab – Sie lege das Zeugnis der Treue ihm ab. Das Kleid, so er trug, erstattet er nun, Die Fürstin ersuchend, es anzutun. Mit blutigen Flecken hat's zwiefachen Wert. Denn nimmer ward es durch Schande entehrt.« – Die Fürstin errötet und drückt unbewußt Das blutige Kleid an Lippen und Brust. »Sag meinem Treuen, in kurzer Zeit Wirds kund, ob ich schätze das blutige Kleid.« Und als für den Adel die Stunde schlug, Die ihn zur Kirch' und zur Messe trug, Zog mit auch die Fürstin in Purpur und Seide, Doch trug sie das Blutkleid, trotz allem Geschmeide; Und als in der Halle die Tafel glänzt, Sie knieend den Wein ihrem Vater kredenzt, Da schimmerte, unter Juwel und Demant Und prächtigen Stoffen das Blutgewand. Es flüsterten Damen, es flüsterten Herrn, Mit Winken und Kichern, von nah und von fern, Der Fürst, der vor Zorn und vor Aerger verging, Gab endlich der Tochter den zürnenden Wink: »Das Blut, das vergossen ward, mag Deine Hand Vergüten, da frei Du die Schuld bekannt. Doch sollt ihr nun beide die Kühnheit bereu'n, Verbannt hinfüro von Benevent sein.« Und Thomas rief laut in der Hall', wo er stand, Erschöpft und kraftlos, von Zorn übermannt: »Was für die Prinzessin an Blut ich vergossen, Frei ists, wie der Wein aus der Flasche geflossen. Ward' Buß' und Schande durch mich ihr zu teil, So schaff ich für Leid und Beschämung ihr Heil; Leicht fühlt sie, von deinem Haus sich getrennt. Wenn England sie grüßet als Gräfin Kent. Ein Gemurmel des Beifalls durchlief die Versammlung. Der König überschüttete ihn mit Lob und machte ihm einen Ring von hohem Wert zum Geschenk. Die Königin überreichte ihm ein kostbares Armband. »Hat unsere Base alles Interesse für Gesang und Harfenspielen verloren?« fragte Richard. »Sie dankt dem Sänger für sein Lied,« entgegnete Edith; »aber doppelt dankt sie dem gütigen Oheim, der ihr so herrlichen Genuß verschaffte.« – »Du bist ärgerlich Base,« sagte der König; »weil Blondel von einem eigensinnigeren Weibe gesungen hat, als Du selbst bist. – Aber Du entschlüpfst mir nicht! Ich begleite Dich ein Stück zum Zelte der Königin; unterwegs müssen wir zusammen sprechen.« Die Königin und ihr Gefolge brachen auf; die Gäste verließen das königliche Zelt; Fackelträger und Bogenschützen bildeten ihr Geleit. König Richard aber bot seiner Base den Arm .. »Was soll ich dem edlen Sultan antworten?« fragte er sie; »Könige und Fürsten fallen von mir ab, Edith! der neue Zwist hat sie mir noch mehr entfremdet. Ich täte gern etwas für das heilige Grab, wenn nicht durch Sieg, so durch Vergleich; aber leider ist mein Erfolg abhängig von den Launen eines eigensinnigen Mädchens, das ihrem eigenen Besten die Augen verschließt. Wie gesagt, Base, was soll ich Saladin antworten?« – »Daß sich die Aermste des Hauses Plantagenet lieber dem Unglück vermählen werde als dem Unglauben.« »Willst Du nicht lieber noch das Wort Sklaverei hinzutun, Edith?« versetzte der König. »Es scheint mir doch Deinem Gedanken gleich am nächsten zu liegen?.« – »Körperliche Sklaverei,« erwiderte Edith, »ließe sich beklagen; aber seelische, o König, nur verachten! Schäme Dich, Richard, Du Herrscher des fröhlichen Englands! Du hast Körper und Geist eines Ritters in Knechtschaft gestürzt, der einst kaum weniger berühmt war, als Du.« – »Mußte ich nicht meiner Base wehren, Gift zu trinken, indem ich das gifthaltige Gefäß besudelte? bot sich denn ein anderes Mittel, ihr das Getränk zu verleiden?« antwortete der König. – »Du selbst willst aber mich nötigen, Gift zu trinken, das in goldenem Kelche geboten wird!« – »Edith,« sagte Richard, »erzwingen kann ich Deinen Entschluß nicht; doch hüte Dich, die Tür zu verschließen, die der Himmel öffnet! Der Eremit von Engaddi, den Päpste und Konzilien für einen Propheten halten, hat in den Sternen gelesen, daß Deine Vermählung mich mit einem mächtigen Feinde aussöhnen, daß Dein Gatte den christlichen Glauben annehmen werde. Bringe lieber ein Opfer, Edith, ehe Du so glückliche Aussichten verdunkelst.« »Widder und Ziegen mögen die Menschen opfern,« sagte Edith, »aber nicht Ehre und Gewissen. Die Schmach einer christlichen Jungfrau hat, wie ich vernommen, die Sarazenen nach Spanien geführt; die Schande einer anderen dürfte kaum das passende Mittel sein, die Sarazenen aus Palästina zu vertreiben.« – »Nennst Du es Schmach, eine Kaiserin zu werden?« sagte der König. – »Ich nenne Schmach die Entweihung eines Sakraments, den Ehebund einer Christin mit einem Ungläubigen, der dadurch nicht gebunden werden kann; gemeinen Schimpf aber nenne ich es, daß ich als Tochter einer christlichen Fürstin das Haupt eines heidnischen Harems werden soll.« – »Wohlan, Base,« sagte her König, »ich will nicht länger mit Dir rechten, obgleich ich der Meinung bin, Deine Abhängigkeit sollte Dir größere Nachgiebigkeit empfehlen.« »Mein König und Oheim,« versetzte Edith, »aller Reichtum, alle Würde und Herrschaft des Hauses Plantagenet ist kraft Rechtens auf Euch übergegangen. Vergönnt zum wenigsten Eurer armen Base Anteil am Stolze ihres Hauses!« »Meiner Treu, Mädchen!« sagte der König, »mit diesem Worte hast Du mich aus dem Sattel geworfen. Gib mir einen Kuß und laß uns Freunde sein! Ich will sofort Saladin Deine Antwort senden... Aber wäre es nicht doch vielleicht besser, zu warten, bis Du ihn gesehen? es soll ein sehr schöner Mann sein!« – »Es wird sich keine Gelegenheit zu einer Zusammenkunft bieten,« meinte Edith. – »Beim heiligen Georg, die findet sich nächstens!« rief der König; »Saladin wird uns einen Platz anweisen, wo der Zweikampf stattfinden soll, der die Frage entscheiden wird, wer unser Banner beiseite geschafft hat. Er wird, wenn nicht alles trügt, dem Kampfe selbst beiwohnen. Berengaria und ihre Hofdamen werden auch nicht fehlen, und Du wohl am wenigsten, liebe Base! – Doch komm, wir haben das Zelt erreicht und müssen uns trennen, doch nicht im Verdruß!« Er umarmte sie zärtlich, doch hoheitsvoll, dann kehrte er, Blondelsche Weisen trällernd, nach seinem Zelte zurück, wo er das Schreiben ausfertigte, und dem Nubier übergab mit dem Befehle, sich bei Tagesanbruch zu dem Sultan zu begeben. Sechsundzwanzigstes Kapitel Am nächsten Morgen wurde Richard zum König Philipp von Frankreich gebeten, der ihm in äußerst höflichen, aber unverblümten Worten den Entschluß bekannt gab, nach Europa zurückzukehren, da er sich eines glücklichen Erfolges nicht länger mehr versehen könne. König Richards Vorstellungen blieben fruchtlos, und es überraschte ihn nicht, nach Beendigung der Unterredung den gleichen Entschluß auch vom Erzherzog Leopold von Oesterreich und andern Kreuzfahrern zu vernehmen, die sogar nicht verheimlichten, daß Richards Ehrgeiz und willkürliche Herrschaft ihren Abfall von der Sache des Kreuzes veranlaßten. Alle Hoffnungen, den Krieg mit Erfolg fortzusetzen, schwanden nun, und Richard geriet über diese Vereitlung seiner Hoffnungen außer sich. Ein Glück für ihn und seine Umgebung war es, daß bald nachher ein Bote des Sultans Saladin gemeldet wurde. Sultan Saladin hatte als Platz für den Zweikampf, der zwischen den Rittern ausgefochten werden sollte, die unter dem Namen »Diamant der Wüste« bekannte Gegend bestimmt, weil sie von dem Lager der Christen und der Sarazenen ziemlich gleich weit entfernt lag. Konrad von Montserrat, als Angeklagter, sollte sich dort mit seinen Zeugen, dem Erzherzog von Österreich und dem Großmeister der Tempelherren, am Kampftage mit hundert Bewaffneten, Richard von England und sein Bruder Salisbury als Kläger, mit ebenso viel Mannen zum Schutze seines Kämpfers, der Sultan aber mit einer Leibwache von fünfhundert auserwählten Kriegern einfinden. Zuschauer sollten keine andern Waffen tragen als Schwerter. Die Einrichtung des Kampfplatzes und die Sorge für Bequemlichkeit und Erfrischungen übernahm der Sultan. Am Tage vor dem Kampfe brachen Konrad und seine Freunde auf, kurz nach ihm auch König Richard, in Gesellschaft der Königin Berengaria und ihres Hofstaates, dem sich auch Lady Edith angeschlossen hatte. Am anderen Morgen stiegen sie über die niedrigen Sandhügel, die dem bezeichneten Platze vorgelagert waren, wo sich ein glänzendes Schauspiel vor ihnen zeigte. Der »Diamant der Wüste«, bis vor kurzem eine einsame Quelle, war zum Mittelpunkt eines Lagers geworden, das in tausendfältigen Farben schimmerte, denn jede Nation hatte für ihre Zelte ihre besondere Farbe und die Spitzen der Zeltpfähle waren mit goldenen Granatäpfeln und seidenen Wimpeln geschmückt. Araber und Kurden, jeder mit seinem Pferd an der Hand, bildeten im Vordergrund eine dunkle, verworrene Masse. Kaum war König Richard ins Lager geritten, als ein gellender Pfiff den Lärm der arabischen und kurdischen Höllenmusik übertönte, worauf die dunkelfarbigen Reiter in den Sattel sprangen. Eine Staubwolke verbarg dem König und seiner Begleitung nicht allein das Lager, die Palmenbäume und die entfernte Bergkette, sondern auch die Truppen, deren plötzliche Bewegung diese Wolke erregt hatte. Ein abermaliger Pfiff, und die Reiterei rückte vor in vollem Galopp, so daß sie auf einmal an die Front, die Flanken und den Nachtrab von Richards kleiner Leibwache kamen, die auf diese Weise von beiden Seiten durch dichte Staubwolken eingehüllt wurde. Abwechselnd tauchten daraus die finsteren wilden Gesichter der Sarazenen hervor, um jedoch ebenso schnell zu verschwinden. Unter wildem Geschrei schwenkten sie ihre Lanzen, und rissen ihre Pferde oft erst in Speeresweite vor den Christen herum, wahrend ihr Nachtrab förmliche Pfeilwolken auf Christen und Sarazenen abschoß. Ein Pfeil traf die Sänfte der Königin, ein anderer den König vor die Stirn. »Ha! beim heiligen Georg!« rief er. »Gegen diesen Abschaum der Ungläubigen müssen wir Maßregeln treffen!« Edith steckte den Kopf aus der Sänfte, nahm einen Pfeil in die Hand und sagte: »Ei, seht doch, sie haben ja keine Spitzen!« – »Kluges Kind!« rief Richard; »Du beschämst uns alle mit Deinem Scharfblick. Landsleute,« fuhr er, zu seinem Gefolge sich wendend, fort: »Keine unnütze Bange! sie vollführen den Lärm bloß als Willkommen für uns, haben wohl auch ihre Lust daran, uns in Unruhe zu setzen. Also nur immer vorgerückt!« Von den Arabern auf allen Seiten umringt, zog die kleine Schar unter dem gellenden Geschrei derselben weiter: gleichsam als Kern einer Szene von unbeschreiblicher Verwirrung. Da erschallte abermals ein durchdringender Ruf, auf den hin all diese an der Front und den Flanken der Europäer befindlichen Truppen eine lange, tiefe Kolonne bildeten. Der Staub zerteilte sich, und ein Trupp regulärer Reiter, etwa fünfhundert Mann, mit Angriffs- und Verteidigungswaffen ausgerüstet, kam ihnen entgegen. Es waren Sklaven aus Georgien und Cirkassien, durchweg Männer in der Blüte ihrer Jahre, in einer Kriegstracht von bunter Pracht mit Oberkleid aus Brokat, und seidnen Schärpen. Ihre reichen Turbane waren mit Federbüschen und Juwelen geschmückt, ihre Säbel und Dolche aus Damaszenerstahl mit Gold und Edelsteinen besetzt. Unter den Klängen kriegerischer Musik rückten sie heran und öffneten angesichts der Christenschar ihre Glieder, um sie durch ihre Reihen zu lassen. Richard, Saladin in der Nähe vermutend, stellte sich an die Spitze der Seinen. Es währte auch nicht lange, so erschien der Sultan, umgeben von seiner Leibwache, in der Miene und Haltung eines Mannes, auf dessen Stirn die Natur geschrieben hatte: Dies ist ein König! Er trug Turban und Gewand von schneeweißer Farbe, darüber eine Schärpe von scharlachroter Seide. Im Turban funkelte jener unschätzbare Edelstein, der von den Dichtern »das Meer des Lichts« genannt wird. Zum Schutze gegen den Staub, der in der Nähe vom Toten Meere der feinsten Asche glich, vielleicht auch aus orientalischem Stolze, hatte er an seinem Turban eine Art Schleier geheftet, der seine edlen Gesichtszüge zum Teil verdeckte. Er ritt ein milchweißes arabisches Roß, das ihn mit einem Stolze trug, als sei es sich seiner edlen Bürde bewußt gewesen. Die beiden Herrscher sprangen zu gleicher Zeit vom Pferde, die Musik verstummte, die Truppen machten Halt, und nachdem sie sich voreinander verbeugt hatten, gingen sie einander entgegen und umarmten sich wie Brüder. Der Sultan brach zuerst das Schweigen, »Melech Rik,« sprach er, »ist dem Saladin willkommen, wie das Wasser dieser Wüste. Hoffentlich setzt er kein Mißtrauen in diese zahlreich aufgestellte Schar, die sich, mit Ausnahme der bewaffneten Sklaven meines Hofstaats, nur aus Edlen meiner tausend Stämme zusammensetzt. Denn wer könnte daheim bleiben wollen, wenn ein Fürst sich uns zeigt, wie Richard, mit dessen Namen die Amme ihr schreiendes Kind, und der freie Araber sein widerspenstiges Roß zur Ruhe bringt?« – »Dies alles also sind arabische Edle?« fragte Richard, rings umher schauend auf wilde, von der Sonne schwarz gebrannte Gestalten. – »So zahlreich sie sind,« sagte Saladin, »so stehen sie doch unter den Bedingungen des zwischen uns geschlossenen Vertrags und führen keine anderen Waffen als den Säbel.« – »Wenn sie sie bloß nicht wo liegen haben, wo sie sie nicht lange zu suchen haben,« flüsterte Thomas von Vaux; »wirklich! eine glänzende Versammlung von Pairs, die in der Westminster-Halle kaum Platz hätte.« »Schweig, ich befehl es Dir!« raunte Richard ihm zu; dann wandte er sich zu Saladin: »Edler Sultan! Argwohn wächst nicht auf dem gleichen Boden mit Dir... Sieh – « auf die Sänften zeigend, »auch ich habe einiges Kriegsvolk mitgebracht, aber bewaffnetes, also vielleicht dem Vertrage zuwider gehandelt; denn glänzende Augen und schöne Züge sind Waffen, die man nicht zu Hause lassen darf.« Der Sultan machte in der Richtung nach den Sänften hin eine so tiefe Verneigung wie nach Mekka hin, und küßte dabei, als Zeichen der Ehrerbietung, den Staub. »Willst Du nicht zu ihren Sänften hinreiten, Bruder?« fragte König Richard. – »Das wolle Allah verhüten!« antwortete der Sultan; »ist doch kein Araber hier, der es den edlen Frauen nicht als Schande anrechnete, wenn sie sich mit entblößtem Antlitz sehen ließen.« – »So sollst Du sie nachher insgeheim sehen, Bruder,« sagte Richard. – »Wozu?« fragte Saladin traurig; »war doch Dein letztes Schreiben für die Hoffnungen, die ich nährte, was Wasser für Feuer ist! Wozu eine Flamme wieder anzünden, die wohl verzehren, doch nicht erfreuen kann? – Aber will mein Bruder nicht in das Zelt kommen, das sein Diener für ihn bereitet hat? Mein vornehmster Eunuch hat Befehl, die Fürstinnen zu empfangen; Deinem Gefolge werden meine Hausbeamten aufwarten; Wir selbst werden des königlichen Richard Kämmerer sein.« Darauf führte er sie zu einem prächtigen Zelt; Thomas von Vaux nahm dem König den langen Reitmantel ab, der nun vor Saladin in der prallen, Stärke und Ebenmaß seines Körpers vorteilhaft zur Geltung bringenden Kleidung stand, ein auffälliger Kontrast zu den weiten langen Gewändern, die die schmächtige Gestalt des orientalischen Herrschers verhüllten. Vor allem fesselte Richards gewaltiges Schwert die Aufmerksamkeit des Sarazenen: eine breite gerade Klinge, die sich in ihrer unförmlichen Länge fast von der Schulter des Königs bis zur Ferse erstreckte. »Hätte ich dieses Schwert nicht in der Schlacht flammen sehen,« sprach Saladin, »so würde ich nicht glauben, daß es ein Menschenarm regieren könnte!« Hierauf, nahm er die muskulöse Hand des Königs, hielt sie neben die seinige, die dürr und mager war und nur wenig Fleisch und Sehnen hatte, und lachte. Hierbei verrückte sich sein Turban, und eine darunter befindliche Tatarenmütze wurde sichtbar. Da riß Thomas den breiten Mund und die großen runden Augen weit auf, und auch Richard sah mit Erstaunen auf den Sultan, der in ernstem Tone sprach: »Der Kranke, sagt der Dichter, kennt den Arzt an seinem Gange; ist er aber wieder hergestellt, so kennt er selbst sein Gesicht nicht, wenn er ihn sieht.« – »Ein Wunder! Ein Wunder!« rief Richard; »so, muß ich meinen gelehrten Hakim in meinem königlichen Bruder Saladin wiederfinden?« – »Das ist gar oft der Lauf der Welt!« erwiderte der Sultan; »das zerrissene Gewand macht nicht immer den Derwisch.« – »Und durch Deine Vermittelung,« rief Richard, »wurde der Ritter vom Leoparden vom Tode errettet, und auf Dein Anstiften besuchte er mich verkleidet im Lager?« – »So ist's,« erwiderte Saladin. »Wußte ich doch als Arzt, daß seine Lebenstage gezählt seien, wenn nicht, die blutende Wunde seiner vernichteten Ehre geheilt würde. Aber seine Verkleidung wurde schneller offenbar, als ich nach dem glücklichen Erfolg der meinigen rechnete.« »Ein Zufall,« sagte König Richard, wahrscheinlich auf seinen Einfall, die Wunde des Nubiers auszusaugen, anspielend, »lehrte mich, daß seine Haut künstlich gefärbt sei. So fiel dann die weitere Entdeckung nicht schwer; denn Person und Gestalt von ihm waren nicht vergessen. Ich rechne, daß er morgen kämpfen wird.« »Ich habe ihn mit Roß und Waffen versehen,« versetzte der Sultan, »und hege eine hohe Meinung von ihm, seit ich ihn unter mancherlei Verkleidungen beobachtet habe.« – »Weiß, er jetzt, wem er zu Dank verpflichtet ist?,« fragte Richard. »Allerdings,« entgegnete der Sarazene. »Ich konnte nicht umhin, ihm meine Person zu entdecken, als ich ihm meinen Plan auseinandersetzte.« – »Und bekannte er Euch etwas?« fragte der König.. – »Das könnte ich nicht sagen,« erwiderte der Sultan; »doch aus vielem, was unter uns vorging, schließe ich, daß er sich zu hoch verirrt hat, um Erfolg zu haben.« – »Wußtest Du, daß er Deinen eignen Wünschen in den Weg trat?« fragte Richard. – »Ich vermute es,« sagte Saladin; »allein, wenn die edle Dame ihn mehr liebte als mich, wer könnte leugnen wollen, daß sie diesem hochherzigen Ritter nur Gerechtigkeit widerfahren ließ?« – »Er ist zu niedriger Abkunft, um sich mit dem Blute der Plantagenets zu vermischen, « versetzte Richard stolz. »Das mag in Frangistan so sein,« erwiderte der Sultan; »bei uns aber heißt ein Sprichwort: jeder tapfere Kameltreiber ist würdig, die Lippen einer Königin zu küssen, aber kein feiger Prinz wert, auf den Saum ihres Gewandes einen Kuß zu drücken. Doch mit Eurer Erlaubnis, edler Bruder, muß ich mich jetzt beurlauben, um den Erzherzog von Oesterreich und jenen Nazarener-Ritter zu empfangen, der zwar meiner Gastfreundschaft weniger würdig ist, aber um meiner eigenen Ehre willen seinem Rang gemäß begrüßt werden muß.« Der sarazenische Herrscher verließ das Zelt, und auch König Richard hüllte sich in seinen Mantel, um sich nach dem Zelt seiner Gemahlin zu begeben, das er von jenen unglücklichen Dienern bewacht fand, mit denen morgenländische Eifersucht den Harem der Großen zu umgeben pflegt. Vor dem Eingange wandelte Blondel auf und ab und griff von Zeit zu Zeit in die Saiten seiner Harfe, während die Schwarzen ihre Elfenbeinzähne blicken ließen, und mit seltsamen Gebärden und gellenden Stimmen seinen Gesang begleiteten. – »Was hast Du mit dieser schwarzen Herde, Blondel?« fragte der König; »warum gehst Du nicht ins Zelt?« – »Weil ich weder Kopf noch Finger für meinen Stand entbehren kann,« entgegnete Blondel; »die Kerle drohen mir aber, mir Glied für Glied abzuhauen, wenn ich einen Schritt weiter tue.« – »Komm,« sagte der König, »ich will Dich mit meiner Person decken.« Die Schwarzen senkten vor König Richard Piken und Schwerter, und schlugen die Augen nieder. Im Zelte fanden sie Thomas von Vaux, der Königin aufwartend; während diese den Sänger willkommen hieß, sprach Richard mit seiner schönen Cousine. »Nun, sind wir noch Feinde, holde Edith?« fragte er. – »Nein, König und Ohm,« sagte Edith; »Feindschaft hegen gegen König Richard kann niemand, wenn er sich so zeigt, wie er wirklich ist, großmütig und edel, tapfer und ehrliebend.« Mit diesen Worten reichte sie ihm die Hand, die der König zum Zeichen der Versöhnung küßte. Dann fuhr er fort: »Du denkst, Edith, mein Zorn sei nur Verstellung gewesen? Da irrst Du! Die Strafe, die ich dem Ritter auferlegte, war gerecht, denn er hatte das ihm anvertraute Amt verraten! Weshalb, tritt hierbei nicht in Erwägung; aber ich freue mich vielleicht ebenso wie Du, daß er morgen Gelegenheit hat, den Flecken, der an ihm haftete, an dem wirklichen Dieb und Verräter zu tilgen! Aber wie, Edith? Wenn der Schotte den Sieg verlöre?« – »Was kann nicht sein!« rief Edith mit Festigkeit. »Mit meinen Augen sah ich, wie dieser Montserrat sich verfärbte... er ist der Schuldige!« »Ich will offen sprechen, Edith,« sagte der König nach einer Weile, »und wie zu einer Freundin... was würde der Ritter Dir sein, wenn er als Sieger die Schranken verliehe?« – »Mir?« sagte Edith, tief errötend; »was kann er mir mehr sein als ein Ritter in Ehren?« – »Aber er hat viel für Dich getan und erlitten!« sagte der König. – »Ich habe seine Dienste mit Lob und seine Leiden mit Zähren vergolten,« entgegnete Edith. »Wär ihm um anderen Lohn zu tun gewesen, so hätte er sich in den Grenzen seines Standes halten müssen.« Siebenundzwanzigstes Kapitel Lange vor Tagesanbruch waren die Schranken, die für den Zweikampf errichtet worden waren, von einer größeren Menge Sarazenen umgeben, als König Richard am Abend zuvor gesehen hatte. Kaum stieg die Sonne über der Wüste auf, als vom Sultan selbst der Ruf: »Zum Gebet!« laut erhoben und von andern Edlen beantwortet wurde, die durch ihren Rang und Eifer berechtigt waren, als Muezzins zu dienen. Mit dem Gesicht nach Mekka gewandt, sanken sie plötzlich zur Erde nieder, als seien die vielen bloß ein einziges Wesen; ein wahrhaft ergreifendes Schauspiel! Nun nahten die Bürgen der beiden Kämpfer, denen die Pflicht oblag, die Bewaffnung derselben zu prüfen. Der Erzherzog von Oesterreich zeigte keine sonderliche Eile, denn er hatte am Abend tüchtig gezecht. Dagegen stand der Großmeister der Tempelherren schon frühzeitig vor dem Zelte Konrads von Montserrat, denn ihm war am Ausgange des Kampfes mehr gelegen als den andern. Zu seinem Erstaunen versagten ihm die Wächter den Eintritt . . . »Kennt Ihr mich nicht, Schurken?« rief er entrüstet. – »Allerdings, würdiger Herr!« entgegnete Konrads Schildknappe. »Aber der Marquis beichtet soeben.« – »Beichtet?« rief der Templer voll Unruhe und Verachtung; »bei wem, bitte!« – »Mein Herr gebot Schweigen!« antwortete der Knappe; aber der Großmeister stieß ihn beiseite und drang ins Zelt. Der Marquis von Montserrat kniete eben vor dem Einsiedler von Engaddi, um seine Beichte abzulegen. – »Was heißt das, Marquis?« rief der Großmeister; »stehe auf! wenn Du beichten mußt, bin ich da.« – »Ich habe Euch schon zu oft gebeichtet,« antwortete Konrad, bleich und mit zitternder Stimme. »Großmeister, laßt mich vor diesem heiligen Mann mein Gewissen erleichtern.« – »Inwiefern ist er heiliger als ich?« entgegnete der Großmeister. »Eremit, Prophet, Wahnsinniger, bekenne, wenn Du es wagst, worin Du mich übertriffst!« – »Kühner, böser Mann!« rief der Eremit; »so wisse, daß ich dem Gitterfenster gleiche, durch welches das göttliche Licht hindurchdringt, um anderen zu nützen; Du aber gleichst der eisernen Säule, die weder Licht empfängt noch abgibt.« – »Schwatze nicht, sondern entferne Dich aus diesem Zelt!« befahl der Großmeister. »Der Marquis soll heute morgen nicht beichten, außer bei mir; denn ich weiche nicht von seiner Seite.« – »Ist dies Euer Wunsch?« fragte der Einsiedler den Marquis; »denn daß ich diesem stolzen Manne gehorche, falls Ihr noch Beistand begehrt, dürft Ihr nicht meinen.« – »Ach!« sagte Konrad unentschlossen; »was soll ich tun? Lebt wohl einstweilen, frommer Mann! wir werden uns später sehen.« – »Seelenmörder!« donnerte ihm der Eremit zu; »Du begehrst Aufschub? Nun denn, so gehab Dich Wohl! bis wir beide einander wieder treffen werden – gleichviel wo – Du aber,« fügte er hinzu, sich an den Großmeister wendend, »Zittere!« – »Zittern?« wiederholte der Templer verächtlich. »Das könnte ich nicht, wenn ich auch wollte.« Der Eremit hörte diese Worte nicht; denn er hatte bereits das Zelt verlassen. »Wohlan, zur Sache,« sprach der Großmeister, »da Du nun einmal die Narretei mitmachen willst! Einzelheiten können wir übergehen, das möchte zu lange dauern, drum wollen wir. gleich mit der Absolution beginnen.« – »Nein!« erklärte Konrad; »lieber sterbe ich ohne Beichte.« – »Nicht so blöde, Marquis,« sagte der Templer; »in einer Stunde steht Ihr siegreich in den Schranken, oder beichtet in Eurem Helm wie ein wackrer Ritter!« – »Großmeister,« sagte Konrad, »alles weissagt mir Unglück, die seltsame Entdeckung durch den Instinkt eines Hundes – die Wiedererscheinung des schottischen Ritters, der wie ein Gespenst in den Schranken auftaucht ...« – »Possen!« rief der Templer; »denke Dir, Du seiest auf einem Turnier! Wer nimmt sich besser aus dort als Du? – »Herbei, Knappen und Reisige! rüstet Euern Herrn zum Kampfe!« Die Diener traten ein, und unter tiefem Schweigen verrichteten sie ihre Arbeit. Endlich schlug die entscheidende Stunde. Die Trompeten schmetterten, und die Ritter ritten gerüstet in die Schranken; mit geöffnetem Visir zeigten sie sich, dreimal um die Schranken reitend, den Zuschauern; in dem Gesicht des Schotten lag männliches Vertrauen: auf Konrads Stirn dagegen ruhte eine Wolke zweifelhafter Verzagtheit; selbst sein Roß schien nicht so aufzutreten, als der edle Araber des Schotten. Unter der Galerie der Königin war bei dieser Gelegenheit ein Altar errichtet worden, vor welchem der Eremit in seiner Karmelitertracht stand. Dorthin wurden von den Kampfbürgen sowohl bei Ankläger als der Angeklagte geführt, und jeder beteuerte die Gerechtigkeit seiner Sache mit feierlichem Eide: der Ankläger mit fester, männlicher Stimme, und kühnem, heiterm Blicke. Dem Angeklagten aber drohte, so keck und dreist er war, die Stimme zu versagen; die Lippen, mit denen er den Himmel anrief um Sieg in seinem Streite, wurden bleich; da näherte sich ihm der Großmeister und flüsterte ihm zu: »Feigherziger Narr! nimm Deinen Mut zusammen und stehe Deinen Mann in diesem Kampf, sonst, beim Himmel! solltest Du ihm entgehen, mir entgehst Du nicht!« Der wilde Ton, worin der Templer die Worte flüsterte, machte den Marquis vollends bestürzt. Er stolperte, als er zu seinem Pferde ging, ermannte sich aber und schwang sich mit seiner gewöhnlichen Gewandtheit in den Sattel. Nach einem feierlichen Gebet, daß Gott die Gerechtigkeit des Streits offenbaren möge, entfernten die Priester sich aus den Schranken. Jetzt dröhnten die Trompeten des Anklägers, und ein Wappenherold am östlichen Ende der Schranken machte kund: »Hier steht ein wackrer Ritter, Kenneth von Schottland, als Kämpfer für Se. Majestät König Richard von England, der den Marquis Konrad von Montserrat anklagt, besagtem König Verrat und Schimpf angetan zu haben.« Lauter Beifall erklang aus dem Gefolge König Richards, denn der Name des Kämpfers war nur wenigen bekannt gewesen. Nun erklärte der Angeklagte seine Unschuld und erbot sich zum Kampfe. Die Knappen nahten sich, Schild und Lanze überreichend. Jeder schwenkte nun die Lanze, um Festigkeit und Gewicht zu prüfen, und stellte sie dann auf den Schaft. Bürgen, Herolde und Knappen zogen sich an die Schrankengeländer zurück, und die Kämpfer saßen sich gegenüber zu Pferde, das Gesicht einander zugekehrt, mit geschlossenem Visier und gerade vor sich gehaltener Lanze – mehr Bildsäulen von Eisen, als Wesen von Fleisch und Blut ähnlich. Stille herrschte. Aller Blicke waren gespannt; alles atmete schwerer; kein Laut außer dem Schnauben der Rosse wurde vernehmlich – etwa drei Minuten vergingen, da gab der Sultan ein Zeichen, und an die hundert Instrumente erfüllten mit ihrem schmetternden Getöse die Luft. Im vollen Galoppe rannten die Rosse, und mit dröhnendem Prall die beiden Reiter mitten auf dem Platze gegeneinander . . . Keinen Augenblick war der Sieg zweifelhaft. Konrad stieß seine Lanze so wuchtig, daß sie bis zum Panzerhandschuh zersplitterte; Kenneths Roß prallte ein paar Schritte zurück und stürzte auf die Schenkel; er brachte es aber mit der Hand und dem Zügel leicht wieder auf die Beine; seine Lanze war mitten durch Konrads Schild und Brustharnisch gedrungen, hatte ihn schwer verwundet und aus dem Sattel geworfen, die Spitze der Lanze saß noch in der Wunde. Bürgen, Herolde, der Sultan selbst, der von seinem Throne stieg, umdrängten den Verwundeten, während Kenneth, das Schwert ziehend, neben ihn trat und ihm befahl, seine Schuld zu bekennen. Wild gen Himmel blickend, rief Konrad, als ihm der Helm geöffnet worden: »Was wollt Ihr noch? Gott hat entschieden. – Ich bin schuldig, aber es gibt noch schlimmere Verräter im Lager. Erbarmt Euch meiner Seele und laßt meinen Beichtvater kommen!« »Den Talisman, königlicher Bruder!« bat König Richard den Sultan. – »Der Verräter,« antwortete dieser, »sollte eher aus den Schranken nach dem Galgen geschleppt werden, als Vorteil von dem Talisman ziehen. Aber ob ihm auch der Tod auf die Stirn gedrückt ist, so soll dem Wunsche meines königlichen Bruders gehorcht werden ... Sklaven, tragt den Verwundeten in unser Zelt!« – »Nicht also!« sprach der Tempelherr, der bisher finster dagestanden hatte; »weder der königliche Erzherzog von Oesterreich, noch ich werden zugeben, daß dieser unglückliche Fürst den Sarazenen überliefert werde. Als seine Bürgen verlangen wir, daß man ihn unserer Fürsorge anvertraue.« – »Ihr weigert ihm also die Heilung?« rief Richard. – »Nicht doch,« versetzte der Großmeister. »Wenn der Sultan wirkliche Heilmittel anwendet, so kann er in mein Zelt gebracht werden.« – »Tue das, ich bitte Dich, Bruder!« sagte Richard zu Saladin. »Doch nun zu einer fröhlicheren Sache! Tönt Trompeten! dem König Englands zu Ehren!« Trommeln, Trompeten und Cymbeln erklangen. »Tapfrer Ritter vom Leoparden,« rief Richard Löwenherz, »Du hast gezeigt, daß der Aethiopier seine Haut, der Leopard seine Flecken vertauschen kann; aber wenn ich Dich in die Versammlung der Damen geführt habe, die ritterliche Taten am besten zu schätzen und zu belohnen wissen, werde ich Dir noch Weiteres sagen! Doch horch! die Pauken dröhnen zum Zeichen daß unsere Gemahlin die Galerie verlassen hat; seht, wie die Turbane zu Boden sinken! gerade so, als könnte der Blick eines heidnischen Auges den Glanz einer christlichen Frauenwange beflecken! Kommt, wir wollen unseren Sieger im Triumph nach dem Zelte der Königin begleiten.« Blondel stimmte seine Harfe, die Einführung des Siegers zu preisen. »Nehmt ihm die Waffen ab, Ihr Damen!« sprach der König, ein großer Freund solcher ritterlicher Gebräuche. »Nimm ihm die Sporen ab, Berengaria! Schnür ihm den Helm ab, Edith! und wärest Du die stolzeste Plantagenet unseres Stammes, und er der ärmste Ritter auf Erden, so mußt Dus tun!« Beide Damen gehorchten den königlichen Befehlen – Berengia geschäftig, Edith unter öfterem Erröten. »Und was erwartet Ihr unter dieser eisernen Schale?« fragte Richard, als das edle Antlitz Ritter Kenneths, noch glühend von der letzten Anstrengung und der gegenwärtigen Gemütsbewegung, sichtbar wurde. »Gleicht er einem äthiopischen Sklaven oder einem namenlosen Abenteurer? – Nein, bei meinem guten Schwert! Hier endet all sein Mummenschanz! Ritter Kenneth, steht auf als David, Graf von Huntingdon, königlicher Prinz von Schottland!« Allgemeines Erstaunen ... die Königin sank auf einen Sessel, und Edith ließ den Helm, den sie eben aufgehoben hatte, wieder fallen. »Ja, Ihr Herren, so ist es!« sprach der König. »Ihr wißt, wie Schottland uns täuschte durch das Versprechen, uns diesen tapferen Grafen mit einem wackeren Gefolge seiner besten, edelsten Mannen zu unserm Feldzug nach Palästina zu schicken. Diesem wackern Jüngling, dessen Befehl die Kreuzfahrer unterstellt werden sollten, widerstrebte aber diese Wortbrüchigkeit, und er stieß zu uns mit einer Schar treuer ergebener Anhänger. Aber bis auf einen alten Diener wurden sie alle vom Tode hingerafft. Da hätte sein gutbewahrtes Geheimnis mich bald veranlaßt, ihn als gewöhnlichen Abenteurer dem Tode zu weihen und damit Europa um eine seiner schönsten Hoffnungen zu berauben.« »Dürfen wir nun von Euch erfahren, mein königlicher Gemahl,« sagte Berengaria, »durch welches seltsame Glück sich dies Rätsel endlich gelöst hat?« – »Es sind uns Briefe aus England überbracht worden,« erklärte der König, »aus denen wir, unter anderen unangenehmen Nachrichten, erfuhren, daß der König von Schottland sich dreier von unseren Edlen auf einer Wallfahrt nach St. Ninian bemächtigt habe, und zwar weil sein Erbe, den er in den Reihen der Deutschritter im Kampf gegen die heidnischen Preußen wähnte, sich in unserer Gewalt befände. So erfuhren wir die erste Wahrheit über den wirklichen Rang des Ritters vom Leoparden, und meine Vermutungen wurden durch Thomas von Vaux bestätigt, der bei seiner Rückkehr von Askalon den einzigen Diener des Grafen von Huntingdon mitbrachte, der dreißig Meilen weit gelaufen war, um dem Lord Gills zu offenbaren, was ich hätte vernehmen sollen.« »Der alte Strauchan,« sagte Thomas von Vaux; »wußte recht gut, daß mein Herz weicher ist als das der Plantagenets.« – »Dein Herz weich? Du alter Kiesel!« rief der König. »Wir Plantagenets, Edith,« wandte er sich zu seiner Base, mit einem Ausdruck, der ihr das Blut in die Wangen trieb, »sollen harten Herzens sein? Komm, gib mir Deine Hand, liebe Base und Du Prinz von Schottland, die Deinige.« »Erinnert Euch, mein König!« sagte Edith, »daß meine Hand das Mittel sein sollte, Sarazenen und Araber mitsamt ihrem Sultan zum christlichen Glauben zu bekehren!« – »Schön, schön! aber der Wind hat sich gedreht und bläst aus einem andern Winkel,« rief Richard lustig. – »Spottet nicht,« sagte der Einsiedler, indem er nun einige Schritte vortrat; »die himmlischen Scharen künden nichts als Wahrheit; bloß die Augen des Menschen sind zu schwach, Charaktere richtig zu lesen. Wißt, als Saladin und Kenneth in meiner Grotte schliefen, da las ich in den Sternen, daß unter meinem Dache ein Fürst ruhe, Richards natürlicher Feind, mit welchem das Schicksal der Edith Plantagenet vereinigt werden sollte. Konnte ich zweifeln, daß dies der Sultan sein müßte, den ich doch kannte, da er mich oft in meiner Zelle besuchte, um mit mir die Bewegung der Himmelskörper zu studieren? Die Sterne kündeten mir weiter, daß dieser Prinz, Ediths Gemahl, ein Christ sein müsse, und hieraus schloß ich auf Saladins Bekehrung, zumal seine guten Eigenschaften ihn oft dem besseren Glauben geneigt zu machen schienen. Das Gefühl meiner Schwäche hat mich bis in den Staub gedemütigt; aber im Staube habe ich Trost gefunden! Ich habe das Schicksal anderer nicht richtig gelesen; wer kann mir dafür stehen, daß ich nicht auch mein eigenes irrig erklärt habe? Ich kam hierher als der ernste Seher, der stolze Prophet; und gehe von hinnen, demütig und bußfertig, doch nicht hoffnungslos.« Mit diesen Worten verließ er die Versammlung und soll seit dieser Zeit von seinen Wahnsinnsanfällen verschont geblieben sein, auch seine Kasteiungen in milderer Form geübt haben. Am folgenden Tage kehrte Richard wieder in sein Lager zurück, und kurze Zeit nachher wurde Graf Huntingdon mit Edith Plantagenet vermählt. Der Sultan sandte als Hochzeitsgeschenk den berühmten Talisman; aber keine damit bewirkte Kur ist derjenigen gleichgekommen, die der Sultan selbst mit ihr verrichtet hatte. Ende Das schöne Mädchen von Perth Übersetzt von Theodor Oelckers (1844) Chronicles of the Canongate II St. Valentine's Day; or, The Fair Maid of Perth. Edinburgh 1828 Einleitung Die Asch' erschlag'ner Könige ruht,     Wohin ich trete, hie, – Und dort der Todesschauplatz, wo     Zu weinen gelernt Marie.                           Capitain Majoribanks. Jedes Quartier in Edinburg hat etwas Besonderes, worauf es stolz ist, so daß die Stadt innerhalb ihres Bezirks (wofern man der Aussage der Einwohner hierüber Glauben schenkt) eben so reich an geschichtlichem Interesse als an Naturschönheiten ist. Unsere Lobsprüche hinsichtlich Canongate's lassen sich noch anderweit steigern. Das Schloß mag durch seine umfangreiche Aussicht und seine erhabene Lage über uns stehen; der Calton behauptet stets durch sein unübertreffliches Panorama den Vorrang, neuerdings noch erhöht durch die Zugabe von Thürmen, Triumphbögen und die Säulen seines Parthenon. Wir gestehen, daß Highstreet die ausgezeichnete Ehre genoß, durch Festungswerke vertheidigt zu sein, von denen wir keine Spur aufweisen können. Wir wollen uns nicht so weit herablassen, die Ansprüche emporgekommener Quartiere zu erwähnen, genannt die Alte Neustadt und die Neue Neustadt, nicht zu gedenken des besonders beliebten Moray-Platzes, der neuesten Neustadt von allen. Wir wollen uns einzig und allein unseres Gleichen gegenüberstellen, und zwar unseres Gleichen nur hinsichtlich des Alters, denn hinsichtlich der Würde erkennen wir nichts als unseres Gleichen an. Wir rühmen uns, der Hofbezirk der Stadt zu sein, den Palast und die Begräbnißüberreste der Fürsten umschließend, und daß wir im Stande sind, in einem, den minder ansehnlichen Quartieren der Stadt unbekannten Grade die düsteren und erhabenen Erinnerungen an die alte Größe zurückzurufen, welche innerhalb unserer ehrwürdigen Abtei herrschte seit der Zeit St. Davids, bis herab auf den Zeitpunkt, wo ihre verlassenen Hallen noch einmal die Freude begrüßte, und wo ihr lang verstummter Widerhall erweckt wurde durch den Besuch unseres gegenwärtigen erhabenen Fürsten. Mein langer Aufenthalt in der Nachbarschaft und mein ruhiges ehrbares Benehmen setzte mich in eine Art freundschaftliches Verhältniß mit der guten Mrs. Policy, der Hausverwalterin in dem interessantesten Theile des alten Gebäudes, genannt die Zimmer der Königin Maria. Aber ein Vorfall, der sich kürzlich ereignete, hat mir noch größere Vorrechte verschafft, so daß ich in der That, glaub' ich, das Wagstück Chatelet's bestehen könnte, welcher hingerichtet wurde, weil man ihn Nachts im Schlafgemach der Herrscherin Schottlands versteckt fand. Es traf sich, daß die gute Frau, deren ich erwähnte, ihrem Berufe gemäß einem Gecken aus London die Zimmer zeigte; – nicht einem jener stillen, stumpfen, gewöhnlichen Gäste, welche mit aufgesperrtem Munde und mit einem beifälligen »Hm« den eingelernten Worten der Cicerone lauschen. Ein solcher war's nicht – es war der muntere, gewandte Agent eines großen Hauses in der City, der keine Gelegenheit vorbeiließ, Geschäfte zu machen, wie er's nannte, d. h. die Waaren seiner Geschäftsfreunde loszuschlagen und zugleich für eigene Rechnung seinen Vortheil zu suchen. Hastig war er durch die Reihe der Zimmer geeilt, ohne die geringste Gelegenheit zu finden, ohne auf das zu kommen, was er als Hauptzweck seines Daseins betrachtete. Selbst die Geschichte von Rizzio's Ermordung hatte diesen Handelsapostel ungerührt gelassen, bis die Verwalterin, zur Bekräftigung ihrer Erzählung, auf die dunklen Blutflecken am Boden hindeutete. »Da sind die Flecken,« sagte sie; »nichts vermag sie von dem Orte zu tilgen – seit zweihundert und fünfzig Jahren sind sie dagewesen – und da werden sie bleiben, so lange die Dielen vorhanden sind – weder Wasser, noch sonst etwas kann sie von dem Orte wegbringen.« Nun handelte unser Geck neben andern Artikeln auch mit sogenannten Reinigungstropfen, und ein seit 250 Jahren vorhandener Flecken war interessant für ihn, nicht weil er von dem Blute des Lieblings einer Königin, der in ihrem Zimmer erschlagen ward, herrührte, sondern weil er ihm eine so vortreffliche Gelegenheit bot, die Wirksamkeit seines unübertrefflichen Reinigungselixirs zu bewähren. Auf die Knie stürzte unser Freund, aber weder vor Schrecken noch andächtiger Rührung. »Zweihundert und fünfzig Jahre, Ma'am, und nichts nimmt sie hinweg? Ei, und wenn es fünfhundert gewesen wären, ich hab' etwas in meiner Tasche, was sie in fünf Minuten beseitigen soll. Sehen Sie dies Elixir, Ma'am? Ich will Ihnen zeigen, daß der Flecken im Augenblick verschwindet.« Sonach befeuchtete er ein Ende seines Taschentuches mit dem Alles reinigenden Mittel und begann auf der Diele zu scheuern, ohne sich an die Gegenreden der Mrs. Policy zu kehren. Sie, die gute Seele, blieb eine Zeit lang stumm vor Bestürzung, gleich der Aebtissin zur heiligen Brigitta, als ein profaner Gast die Branntweinflasche, die man lange unter den Klosterreliquien als die Thränen der gepriesenen Heiligen gezeigt hatte, rein austrank. Die würdige Aebtissin von St. Brigitta erwartete wahrscheinlich die Dazwischenkunft ihrer Schutzheiligen – die von Holy-Rood mochte vielleicht hoffen, David Rizzio's Geist werde erscheinen, um die Entweihung zu verhüten. Aber Mrs. Policy verharrte nicht lange in dem Schweigen des Entsetzens. Sie erhob ihre Stimme und schrie so laut wie Königin Maria selber, als die schreckliche That vollbracht wurde – »Nun Alles hin und Alles aus!« rief sie. Ich machte gerade in der anstoßenden Gallerie meinen Morgenspaziergang, wo ich eben darüber nachdachte, warum die Könige von Schottland, deren Bilder ringsum hingen, Alle, einer wie der andere, mit einer Nase gemalt sein möchten, die wie ein Thürklopfer aussah – als, horch! die Wände noch ein Mal von solchem Geschrei widerhallten, wie es früher oft in den schottischen Palästen gehört wurde, wenn Klänge der Lust und Musik ertönten. Erschreckt durch den Lärm, der an einem so einsamen Orte beunruhigend war, eilte ich dem Orte zu, woher derselbe kam, und fand den Reisenden, der in der besten Meinung wie eine Hausmagd den Boden scheuerte, während ihn Mrs. Policy an den Rockschößen zerrte und sich umsonst bemühte, sein ruchloses Vorhaben zu hintertreiben. Es kostete mir einige Mühe, dem geschäftigen Reiniger von seidenen Strümpfen, gestickten Westen, Bratenröcken und Fichtenbrettern begreiflich zu machen, daß es gewisse Flecken in der Welt gebe, welche unauslöschlich bleiben müßten, wegen der Erinnerungen, die damit verknüpft wären. Unser guter Freund sah in jedem derartigen Dinge nur das Mittel, um die Tugend seiner gerühmten Waare darzulegen. Er begriff indeß, daß man ihm bei gegenwärtiger Gelegenheit nicht gestatten würde, die Kraft seiner Artikel weiter zu erproben, da zwei oder drei Einwohner erschienen, welche gleich mir drohten, in der Sache die Partei der Verwalterin zu ergreifen. Er nahm daher Abschied, indem er murmelte, daß er stets gehört habe, die Schotten wären unreinliche Leute; aber nie hab' er geglaubt, daß sie es so weit trieben, die Dielen ihrer Paläste blutbesudelt zu lassen, gleich Banquo's Geist, da es, um die Flecken zu beseitigen, nur hundert Tropfen des untrüglichen Reinigungselixirs kosten würde, bereitet und verkauft von den Herren Scrub und Rub, in Flaschen zu fünf und zehn Schilling, jede Flasche bezeichnet mit den Anfangsbuchstaben des Erfinders, um jeden Verfälscher hinsichtlich der gesetzlichen Strafe zu warnen. Befreit von der lästigen Gegenwart dieses Freundes der Reinlichkeit, war meine Freundin, Mrs. Policy, verschwenderisch mit Ausdrücken des Dankes, und gleichwohl ist ihre Erkenntlichkeit, statt sich, wie es meistens geht, durch diese Betheuerungen zu erschöpfen, im gegenwärtigen Augenblicke noch so lebendig, als wenn sie mir überhaupt nie Dank gesagt hätte. Der Erinnerung an diese Dienstleistung verdanke ich die Erlaubniß, beliebig diese verlassenen Gemächer zu durchwandern, gleich dem Schatten eines abgeschiedenen Kammerherrn, bald, wie es in dem alten irischen Liebe heißt: »Ob Dingen sinnend, welche längst vorüber,« bald dem Wunsche nachhängend, daß auch mich, wie zu manchen Romanschreiber, ein günstiges Ungefähr im verborgenen Fache eines alten Schrankes ein, wenn auch kaum zu entzifferndes Manuscript finden lassen möchte, enthaltend authentische Nachrichten über eine der merkwürdigen Thaten aus jenen wilden Tagen der unglücklichen Maria. Meine liebe Mrs. Baliol pflegte mit mir innig übereinzustimmen, wenn ich beklagte, daß derartige Geschenke nicht mehr zum Vorschein kämen, und daß ein Autor, dem am Seegestade die Zähne vor Frost klappern, diese sich eher ausbeißen könnte, eh' ihm eine Welle ein Kästchen mit einer Geschichte, wie die der Automaten, zuführte; daß er, durch ein paar hundert Gewölbe stolpernd, Arm' und Beine brechen könne, ohne etwas Anderes dort zu finden, als Ratten und Mäuse, und daß er ein halbes Dutzend alter Behausungen bewohnen könne, ohne ein anderes Manuscript zu erblicken, als die Rechnung für Kost und Wohnung jede Woche. Ein Milchmädchen könnte in diesen entarteten Tagen ebenso gut ihre Milchkammer in der Hoffnung waschen und putzen, in ihrem Schuh das feenhafte Sechspencestück zu finden. »Es ist eine traurige, aber nur allzuwahre Geschichte, Bester,« sagte Mrs. Baliol. »Ich bin überzeugt, daß wir Alle Gelegenheit haben, diesen vollkommenen Mangel an Hilfsquellen für eine erschöpfte Phantasie zu beklagen. Aber Sie haben vor allen Andern zumal das Recht, zu beklagen, daß die Feen Ihre Nachforschungen nicht begünstigten, da Sie der Welt doch den Beweis geliefert haben, daß die Zeiten des Ritterthums noch nicht vorüber sind, – Sie, der Ritter von Croftangry, der Sie der Heftigkeit des Londoner frechen Burschen widerstanden, zum Besten der schönen Dame Policy, und für das Andenken an Rizzio's Ermordung! Ist es nicht schade, Freund, da diese Ritterthat so ganz den Regeln gemäß war, ist es nicht schade, sag' ich, daß die Dame nicht etwas jünger und die Sage etwas älter war?« »Nun, was das Alter betrifft, wo eine Dame ihre Ansprüche an das Ritterthum verliert und kein Recht mehr hat, eines tapfern Ritters Gabe zu heischen, so überlasse ich die Entscheidung den Statuten des Ordens der irrenden Ritterschaft; aber für das Blut Rizzio's nehme ich den Handschuh auf und behaupte gegen Jedermann, daß die Flecken nicht aus neuerer Zeit herrühren, sondern in der That die Spuren jenes schrecklichen Mordes sind.« »Da ich die Ausforderung nicht annehmen kann, werther Freund, so begnüge ich mich, den Beweis zu fordern.« »Die Sage, die sich unverändert im Palast erhalten und die Uebereinstimmung der wirklichen Lage der Dinge mit jener Tradition.« »Deutlichere Erklärung, wenn's Ihnen gefällig ist.« »Sehr gern. – Es ist allgemeine Sage, daß, als Rizzio aus der Königin Zimmer hinweggeschleppt wurde, die Mörder, die sich in ihrer Wuth darüber stritten, wer ihm die meisten Wunden beibrächte, ihn an der Thür des Vorzimmers niederstachen. An diesem Orte wurde demnach das meiste Blut vergossen, und hier zeigt man noch die Flecken davon. Ferner melden die Geschichtschreiber, daß Maria fortwährend gebeten habe, man möchte Rizzio 's Leben schonen, indem sie ihre Bitten mit Geschrei und Ausrufungen mischte, bis sie, als man ihr die Versicherung gab, er sei bereits todt, die Augen trocknete und sagte: ›Ich werde nun auf Rache sinnen!‹« »Alles dies ist zugegeben.– Aber das Blut? Meinen Sie, daß es in so vielen Jahren nicht verwischt werden oder ganz verschwinden konnte?« »Ich werde sogleich darauf kommen. Die beständige Sage des Palastes berichtet, Maria habe alle Vorkehrungen verboten, die Zeichen der Mordthat zu entfernen, weil sie dieselben erhalten wollte, als Erinnerung an die Beschleunigung der beabsichtigten Rache. Aber es wird hinzugefügt, daß sie es für genügend fand, wenn sie wüßte, daß jene noch vorhanden wären, und weil sie nicht wünschte, die Spuren der Mordthat immer vor Augen zu haben, so befahl sie, einen Verschlag, wie man es nannte (d. h. eine einstweilige Bretterwand), einige Schritte von der Thüre im Vorzimmer anzubringen, so daß der Theil des Zimmers, worin die Blutspuren befindlich waren, von dem übrigen geschieden und dadurch sehr verdunkelt worden war. Diese Wand steht noch, und der Umstand, daß dadurch die Gestalt der Decke und Karnieße unregelmäßig gemacht wird, ist ein offenbarer Beweis, daß ein besonderes Ereigniß die Ursache war, warum man sie anbrachte, da sie die Verhältnisse des Gemachs stört, so wie die der Deckenverzierungen, und daß man demnach, als man sie gerade hier anfügte, keine andere Absicht haben konnte, als dem Auge einen widrigen Anblick zu entziehen. Dem Einwurfe, daß die Blutflecken mit der Zeit hätten verschwinden müssen, glaube ich entgegnen zu können, daß sie, da man unmittelbar nachdem das Verbrechen verübt worden, keine Vorkehrung traf, sie zu beseitigen, oder mit andern Worten, da man dem Blute Zeit gönnte, in das Holz einzudringen, unauslöschlich werden mußten. Abgesehen von dem Umstände, daß man bei uns in Schottland die Paläste zu jener Zeit nicht besonders reinlich hielt, und daß es damals noch kein Reinigungselixir gab, womit man Schwamm und Scheuerlappen unterstützen konnte, finde ich es höchst wahrscheinlich, daß die Spuren jener Mordthat sich sehr lange hätten erhalten können, selbst wenn Maria nicht gewünscht oder befohlen hätte, sie zu erhalten, sondern durch Herstellung eines Verschlags dem Auge zu verdecken. Mir sind mehrere Beispiele von ähnlichen Blutflecken bekannt, die sich viele Jahre hindurch erhalten haben, und ich zweifle, ob sie nach Verlauf einer gewissen Zeit auf andere Weise beseitigt werden könnten, als mit Hilfe eines Hobels. Hätte ein Seneschal, um das Interesse, welches diese Zimmer begleitet, zu erhöhen, durch Anwendung von Farbe und andere ähnliche Mittel die Nachwelt hintergehen wollen und zu diesem Ende die Flecken künstlich aufgetragen, so würde er, glaub' ich, den Schauplatz in das Schlafgemach der Königin verlegt und die Blutflecken an einer Stelle angebracht haben, wo sie einem Jeden deutlich in's Auge fallen mußten, statt sie hinter einer Bretterwand zu verstecken. Das Vorhandensein dieser Wand ist übrigens auch sehr schwer zu erklären, wenn man die gemeine Sage verwirft. Kurz, die Oertlichkeiten stimmen so sehr mit den Thatsachen der Geschichte zusammen, daß ich glaube, sie mögen wohl den Umstand mit dem Blute auf dem Fußboden bestätigen.« »Ich gesteh' Ihnen,« erwiderte Mrs. Baliol, »daß ich sehr geneigt bin, mich zu Ihrem Glauben zu bekehren. Wir sprechen von gemeiner Leichtgläubigkeit, ohne immer daran zu denken, daß es auch einen gemeinen Unglauben gibt, der es leichter findet, Thatsachen der Geschichte, wie der Religion zu bezweifeln, als sie zu untersuchen, und der die Schuld trägt, daß man darin eine Ehre sucht, ein starker Geist zu sein, sobald ein Gegenstand die beschränkte Einsicht des Zweiflers etwas übersteigt. Da wir nun über diesen Punkt mit einander im Reinen sind, und Sie, wie ich sehe, das ›Sesam thu' dich auf‹ besitzen, das uns diese geheimen Zimmer aufschließen kann,– welchen Gebrauch, wenn ich fragen darf, gedenken Sie dann von Ihrem Rechte zu machen?– Beabsichtigen Sie, diese Nacht im Schlafzimmer der Königin zuzubringen?« »Zu welchem Zweck, verehrte Freundin? – geschah' es, um den Schnupfen zu befördern, so dürfte dieser Ostwind die Absicht begünstigen.« »Den Schnupfen befördern – behüte Gott! das wäre schlimmer, als das Veilchen noch zu färben. Nein, wenn ich Ihnen empfahl, eine Nacht auf dem Lager der Rose von Schottland zuzubringen, so gedacht' ich Ihnen blos ein Mittel anzudeuten, um Ihre Einbildungskraft anzufeuern. Wer weiß, welche Träume eine Nacht, zugebracht in einem Palast voll so vieler Erinnerungen, hervorrufen könnte! Wer weiß, ob nicht die eiserne Thür an der Treppe zum Ausfallthore um die geheimnißvolle Mitternachtstunde sich öffnete, wie zur Zeit der Verschwörung; ob Sie nicht die Phantome der Mörder, verstohlenen Schrittes und schrecklichen Ansehens sich nahen sähen, um die tragische Scene nochmals vor Ihnen aufzuführen. Sehen Sie den wilden, fanatischen Ruthven dort kommen – den sein Haß und Parteigeist stärkte, eine Waffenrüstung zu tragen, deren Last Glieder gleich den seinen, entnervt durch schleichende Krankheit, hätte niederdrücken müssen. Sehen Sie, wie seine durch Leiden entstellten Züge unter dem Helme hervorgrinsen, gleich denen eines Leichnams, von einem Teufel beseelt, die Augen racheglühend, während auf dem Gesicht die Ruhe des Todes liegt. Dort erscheint die schlanke Gestalt des jungen Darnley, so schön in seinem Aeußern, als schwankend in seinem Entschlusse. Er naht, als trüge sein Fuß Bedenken, auf den Boden zu treten, mehr aber zögert er noch in seinem Vorhaben, da kindische Furcht bereits seine kindische Leidenschaft überwältigt. Er befindet sich in dem Falle eines ränkevollen Knaben, der Feuer an eine Mine gelegt hat, und, während er mit Reue und Furcht das Springen derselben erwartet, sein Leben darum gäbe, wenn er damit die Lunte löschen könnte, die seine eigne Hand entzündete. – Dort – dort – aber ich vergaß die Namen der andern würdigen Kehlabschneider. Helfen Sie mir nach, wenn Sie können.« »Beschwören Sie,« sagt' ich, »den Postulanten Georg Douglas, den Thätigsten der Bande. Lassen Sie ihn auf Ihr Gebot erscheinen – der ein Gut beanspruchte, welches er nicht besaß – in welchem das erlauchte Blut der Douglas floß, welches aber in seinen Adern durch Unrechtmäßigkeit befleckt ist. Malen Sie den Grausamen, den Verwegenen, den Ehrgeizigen – der Größe so nah und so abgesperrt von ihr – dem Reichthum so nah und von dessen Besitz so ausgeschlossen – ein politischer Tantalus, bereit Alles zu thun und zu wagen, um seine Bedürfnisse zu befriedigen und seine zweideutigen Ansprüche geltend zu machen.« »Vortrefflich, mein lieber Croftangry! Aber was ist ein Postulant?« »O, verehrte Dame, Sie stören den Gang meiner Ideen. – Ein Postulant war, nach schottischer Redeweise, der Kandidat zu irgend einer Vergünstigung, die er noch nicht erhalten hatte. Georg Douglas, Rizzio's Mörder, war Postulant der Besitzungen der reichen Abtei Arbroath.« »Ich verstehe schon – wohlan, fahren Sie fort; wer kommt zunächst?« sprach Mrs. Baliol weiter. »Wer zunächst kommt? Jener große, hagere, wildaussehende Mann, mit der Büchse in der Hand, muß Andreas Ker von Faldonside sein, ein Brudersohn, glaub' ich, des berühmten Sir David Ker von Ceßford; sein Blick und Benehmen sind die eines Wegelagerers; sein Gemüth war so roh, daß er während des Getümmels im Kabinet sein geladenes Gewehr auf den Busen der jungen und schönen Königin setzte, der Königin, die überdies binnen wenigen Wochen Mutter werden sollte.« »Bravo, beau cousin! – Nun, nachdem Sie Ihren Geisterschwarm citirt haben, sind Sie hoffentlich nicht gesonnen, sie nach ihren kalten Betten zurückzusenden, um sich wieder zu wärmen? Sie werden sie in Thätigkeit setzen, und da Ihr unermüdlicher Kiel noch Absichten auf Canongate hat, so werden Sie wahrscheinlich diese seltsamste aller Tragödien zu einer Novelle, oder, wenn Sie wollen, zu einem Drama verarbeiten?« »Schlechtere – das heißt weniger interessante – Perioden der Geschichte hat man schon zur Unterhaltung der friedlichen Zeiten, welche darauf folgten, ausgewählt. Aber, meine Verehrte, die Ereignisse aus Maria's Tagen sind zu wohl bekannt, als daß sie für romantische Dichtung tauglich wären. Was könnte ein besserer Schriftsteller, als ich bin, der geschmackvollen und kräftigen Erzählung eines Robertson noch beifügen? Also lebt wohl, ihr Gesichte – ich erwache, wie John Bunian, »und betrachte Alles als einen Traum« – Nun, gut genug, daß ich ohne Hüftweh erwache, das höchst wahrscheinlich eine Folge meines Schlafs gewesen wäre, hätte ich das Bett der Königin Maria entweiht und als mechanisches Hilfsmittel gebraucht, um eine schlaffe Phantasie aufzurütteln.« »Damit ist es nicht abgemacht, Bester,« antwortete Mrs. Baliol; »Sie müssen all' diese Bedenklichkeiten beseitigen, wenn Sie die Rolle eines romantischen Geschichtsschreibers, die Sie übernommen haben, mit Glück spielen wollen. Was hat der klassische Robertson mit Ihnen zu thun? Das Licht, das er verbreitete, war das einer Lampe, um die dunklen Ereignisse der Vorzeit aufzuklären; das Ihrige ist eine Zauberlaterne, um Wunder zu schaffen, die nie wirklich da waren. Ein Leser von Verstand wundert sich nicht über ihre historischen Ungenauigkeiten; eben so wenig als er sich wundert, wenn er Kasperle im Puppentheater auf demselben Throne mit König Salomo in seiner Glorie sitzen sieht, oder ihn während der Sündfluth dem Erzvater zurufen hört: ›Gewaltig nebliges Wetter, Herr Noah.‹« »Mißverstehen Sie mich nicht, verehrte Dame,« sagt' ich; »ich kenne zur Genüge meine Freiheiten als Romanschreiber. Allein selbst der lügnerische Mr. Fagg, in Sheridans Nebenbuhlern, versichert uns, daß er sich zwar nie ein Bedenken darüber mache, auf Befehl seines Herrn eine Unwahrheit zu sagen, jedoch immer Gewissensbisse empfinde, wenn die Lüge an den Tag komme. Nun, dies ist der Grund, warum ich klüglich alle zu wohlbekannten geschichtlichen Pfade vermeide, wo Jedermann Wegweiser findet, deren Inschriften ihn belehren, wohin er sich zu wenden hat; ja, selbst Knaben und Mädchen, welche die Geschichten Englands durch Fragen und Antworten kennen lernen, lachen über einen armen Schriftsteller, wenn er vom Wege abweicht.« »Entmuthigen Sie sich doch nicht, lieber Christal. Es gibt eine Menge Wildnisse in der schottischen Geschichte, durch welche, wenn ich mich nicht sehr irre, noch keine sichern Pfade beschrieben wurden, und die man nur aus unvollkommener Ueberlieferung kennt, welche mit Wundern und Märchen die Perioden ausfüllt, in welchen man nichts von wirklichen Begebenheiten weiß. Ganz so sagt Matthias Prior: »Pfadlose Länder bevölkert der Geograph Anstatt der Städte nur mit Elephanten.« »Wenn dies Ihr Rath ist, verehrte Dame,« sagte ich, »so wird der Lauf meiner Geschichte diesmal in einer entfernten Zeit beginnen und in einer Provinz, die von meiner natürlichen Sphäre, Canongate, weit abliegt.« Unter dem Einfluß dieser Empfindungen war es, daß ich den folgenden historischen Roman begann, welcher, oft unterbrochen und bei Seite geschoben, gegenwärtig zu viel Umfang gewonnen hat, um überhaupt weggeworfen zu werden, obwohl es nicht besonders klug sein mag, ihn der Presse zu übergeben. Ich legte den handelnden Personen nicht den niederschottischen Dialekt, der jetzt gesprochen wird, in den Mund, weil unstreitig das Schottische jener Zeit dem Angelsächsischen sehr ähnlich war, bereichert durch einen Anflug des Französischen oder Normannischen. Diejenigen, welche den Gegenstand zu erforschen wünschen, mögen die Chronik von Winton und die Geschichte von Bruce durch den Archidiakonus Barbour zu Rathe ziehen. War auch meine eigne Kenntniß des Altschottischen hinreichend, um den Dialog in dessen Eigenthümlichkeiten zu kleiden, so würde doch eine Uebersetzung zu Gunsten der meisten Leser nöthig gewesen sein. Der schottische Dialekt mag daher unberücksichtigt bleiben, außer wo der Gebrauch eigentümlicher Wörter der Darstellung mehr Nachdruck oder Lebendigkeit geben kann. Erstes Kapitel »Die Tiber schaut,« rief stolz der Römer, da Den breiten Ta er vor sich fluthen sah; Doch, welcher Schotte gäb' zurück den Gruß Und hieße Ta den kleinen Tiberfluß?                                           Ungenannter. Verlangte man von einem einsichtsvollen Fremden, unter allen Provinzen Schottlands die mannigfaltigste und schönste anzugeben, so würde er wahrscheinlich die Grafschaft Perth nennen. Ebenso wird der irgend einem andern Distrikt Caledoniens angehörende Schotte, obwohl seine Parteilichkeit ihn veranlaßt, seiner heimathlichen Grafschaft den ersten Platz einzuräumen, gewiß der von Perth den zweiten zugestehen, und so deren Bewohnern als gutes Recht zugeben, daß sie – ohne alles Vorurtheil – behaupten dürfen, Perthshire bilde den schönsten Theil des nordischen Königreichs. Es ist schon lange her, daß Lady Mary Wortley Montague, mit all' dem vortrefflichen Geschmack, welcher ihren Schriften eigen ist, die Meinung aussprach, daß der interessanteste Theil jedes Landes und welcher die mannigfachsten Schönheiten natürlicher Scenerie in höchster Vollkommenheit bietet, derjenige sei, wo die Berge sich auf die Ebene oder das flache Land absenken. Die malerischsten, wenn auch nicht die höchsten Berge, findet man gleichfalls in der Grafschaft Perth, die Flüsse finden ihre Bahn aus der Bergregion über die wildesten Abhänge und durch die romantischsten Thäler, welche das Hochland mit der Ebene verbinden. Außerdem mischt sich die Vegetation eines glücklichern Himmelsstrichs und Bodens mit den großartigen Merkmalen einer bergigen Landschaft, und Wälder, Haine und Dickichte umsäumen verschwenderisch den Fuß der Hügel, steigen die Schluchten empor und verbinden sich mit den Spitzen. In so begünstigten Gegenden ist es, wo der Reisende das findet, was der Dichter Gray oder irgend ein Anderer die »im Schooße des Schreckens liegende Schönheit« nannte. Ebenfalls ihrer vortheilhaften Lage wegen besitzt diese begünstigte Provinz eine Mannigfaltigkeit der angenehmsten Art. Ihre Seen, ihre Wälder und Berge können an Schönheit mit Allem wetteifern, was das Hochland bietet; während Perthshire mitten unter der romantischen Scenerie und in einigen damit zusammenhängenden Theilen viele fruchtbare und wohnliche Striche umschließt, die mit dem Reichthum des lustigen England selbst wetteifern können. Das Land war auch der Schauplatz vieler denkwürdiger Thaten und Ereignisse, theils von geschichtlicher Wichtigkeit, theils für den Dichter und Romantiker anziehend, obwohl nur aus volkstümlicher Ueberlieferung bekannt. In diesen Thälern war's wo die Sachsen aus der Ebene und die Gälen von den Bergen manch verzweifeltes und blutiges Treffen hielten, worin es oft unmöglich war zu entscheiden, ob der Kranz des Sieges der gepanzerten Ritterschaft des Niederlandes oder den mit Plaids gekleideten Clans, gegen die jene focht, gebührte. Perth, so ausgezeichnet durch die Schönheit seiner Lage, ist ein Ort von hohem Alterthum, und eine alte Sage hebt die Wichtigkeit der Stadt dadurch, daß sie deren Gründung durch die Römer behauptet. Diese siegreiche Nation wollte, sagt man, in dem viel prächtigern und besser schiffbaren Tay die Tiber wiedererkennen, und gab zu, daß die große Ebene, wohlbekannt unter dem Namen des North Inch, viel Ähnlichkeit mit ihrem Campus Martius habe. Die Stadt war oft die Residenz unserer Könige, die, obwohl sie keinen Palast zu Perth hatten, das Cistercienserkloster völlig genügend zur Aufnahme ihres Hofes fanden. Hier war's, wo Jakob I., einer der weisesten und besten unter den Königen Schottlands, als Opfer des Argwohns der rachsüchtigen Aristokratie fiel. Hier fand auch die geheimnißvolle Verschwörung von Gowrie statt, deren Schauplatz erst kürzlich durch die Zerstörung des alten Palastes, worin die Tragödie spielte, verschwunden ist. Die Antiquarische Gesellschaft in Perth hat, mit gerechtem Eifer für die Gegenstände ihres Forschens, einen genauen Plan dieses merkwürdigen Gebäudes herausgegeben, nebst einigen Bemerkungen über seinen Zusammenhang mit dem Berichte von der Verschwörung, die ebenso viel Genauigkeit als Treue enthalten. Eine der schönsten Aussichten, welche Britannien, vielleicht die Welt, gewähren kann, ist, oder war vielmehr diejenige, die man von einem Orte, die Wicks von Baiglie genannt, genoß: es war dies eine Art Nische, in welche der Reisende gelangte, nachdem er von Kinroß an eine weite Strecke wüsten und uninteressanten Landes durchzogen hatte. Von diesem Orte aus, der Spitze einer Anhöhe, die er allmälig erstiegen, sieht er zu seinen Füßen das Thal des Tay sich hinziehen, von jenem großen, schönen Strome bewässert, die Stadt Perth mit ihren zwei großen Ebenen oder Inches, ihren Kirchthürmen und hohen Gebäuden; die Berge Moncrieff und Kinnoul, die sich in ihren Felsmassen erheben, zum Theil mit Wald bewachsen; die reichen Ufer des Stromes, mit geschmackvollen Häusern geziert, und in der Ferne die hohen Grampischen Gebirge, den nördlichen Hintergrund dieser köstlichen Landschaft. Die Aenderung, die mit der Straße getroffen wurde, wobei jedoch der Verkehr sehr viel gewonnen hat, hat den Reisenden dieser großartigen Aussicht beraubt, und die Landschaft entfaltet sich mehr allmälig und theilweise dem Auge, obwohl sie auch so noch immer für äußerst schön gelten muß. Wie wir glauben, ist noch ein Fußpfad vorhanden, auf welchem man zu den Wicks von Baiglie gelangen kann; und wenn der Reisende sein Pferd oder sein Fuhrwerk verlassen und einige hundert Schritte zu Fuß gehen will, so kann er noch jetzt die Landschaft mit der Skizze vergleichen, die wir zu entwerfen versuchten. Aber den Reiz, welcher, aus Ueberraschung entspringend, den Genuß erhöht, sobald ein so köstlicher Anblick sich plötzlich bietet, wo man sie am wenigsten erwartete, und welcher Chrystal Croftangry bezauberte, als er die unvergleichliche Scene zum ersten Male schaute, diesen Reiz zu schildern vermögen wir ebenso wenig, als ihn der Reisende aus der Schilderung zu empfinden vermöchte. Kindisches Staunen war allerdings mit in meinem Entzücken, denn ich war nicht über fünfzehn Jahre alt; und da dies der erste Ausflug war, den ich auf meinem eigenen Rößlein machen durfte, so empfand ich auch die Freude der Unabhängigkeit, vermischt mit jenem Grade von Unruhe, welche der selbstgefällige Knabe empfindet, wenn er zum ersten Male seiner eigenen Leitung überlassen ist. Ich erinnere mich, daß ich, ohne zu wissen was ich that, die Zügel anzog, und auf die Scene vor mir hinstarrte, als fürchtete ich, sie möchte sich gleich jenen auf einem Theater verändern, bevor ich ihre verschiedenen Theile genau beobachten oder mich überzeugen konnte, daß es Wirklichkeit sei, was ich sah. Seit dieser Stunde, und es sind mehr als fünfzig Jahre seitdem verflossen, hat die Erinnerung an diese unvergleichliche Landschaft den stärksten Einfluß auf mein Gemüth gehabt, und hat ihre Stelle als eine Denkwürdigkeit behauptet, während Vieles von dem, was auf mein Geschick Einfluß hatte, dem Gedächtniß entflohen ist. Daher ist es natürlich, daß ich, während ich überlege, was ich der Unterhaltung des Publikums bieten könnte, eine Erzählung wähle, die mit der herrlichen Landschaft in Verbindung steht, welche auf meine jugendliche Einbildungskraft einen solchen Eindruck machte, und die vielleicht, hinsichtlich der Unvollkommenheiten meiner Dichtung, die Wirkung haben kann, welche Damen einem schönen Porzellangeschirr zuschreiben, um den Geschmack eines nicht vorzüglichen Thees zu erhöhen. Der Zeitpunkt, bei welchem ich beginnen will, ist indeß ein weit früherer, als irgend eines der denkwürdigen geschichtlichen Ereignisse, auf welche ich bereits anspielte, da sich die Vorgänge, welche ich berichten will, während der letzten Jahre des vierzehnten Jahrhunderts zutrugen, wo das schottische Scepter in der sanften, aber schwachen Hand Johann's ruhte, welcher, als er den Thron bestieg, den Namen Robert III. annahm. Zweites Kapitel Sammtweichen Kuß beut auch ein Mund vom Lande; Zwar Lady nicht, flicht sie wohl süß're Bande.                                                   Dryden. Perth, welches sich, wie wir bereits erwähnten, so vieler Schönheiten der unbelebten Natur rühmt, hat zu keiner Zeit derjenigen Reize entbehrt, die zugleich anziehender und vergänglicher sind. Die Benennung, das schöne Mädchen von Perth, würde zu jeder Zeit eine hohe Auszeichnung gewesen sein und eine nicht geringe Uebermacht an Schönheit vorausgesetzt haben, da dort so Viele waren, um diesen beneideten Titel in Anspruch zu nehmen. Aber in den Zeiten des Lehnwesens, zu denen wir jetzt die Aufmerksamkeit des Lesers hinlenken, war leibliche Schönheit eine Eigenschaft von höherer Bedeutung, als es der Fall gewesen ist, nachdem der ritterliche Sinn großentheils erlosch. Die Liebe der alten Ritter war eine Art erlaubten Götzendienstes, welcher, wie man in der Theorie annahm, der Liebe des Himmels allein sich an Innigkeit nähern konnte, die ihr aber in der Wirklichkeit selten gleichkam. Gott und die Damen wurden gemeinsam in einem Athem angerufen; und Ergebenheit gegen das schöne Geschlecht ward dem Bewerber um die Würden des Ritterthums ebenso dringend zur Pflicht gemacht, als die, welche er dem Himmel schuldig war. In diesem Zeitalter war die Macht der Schönheit fast unbeschränkt. Sie konnte den höchsten Rang mit einem unermeßlich niedrigern gleichstellen. Es war unter der Regierung, welche jener Roberts III. vorherging, daß Schönheit allein ein Weib von niedrigem Stande und zweifelhaften Sitten auf den Thron von Schottland erhoben hatte; und viele Frauen, weniger glücklich oder minder klug, hatten vom Range von Concubinen zur Größe sich emporgeschwungen, was die Sitten der Zeit erlaubten und entschuldigten. Solche Beispiele hätten ein Mädchen von höherer Geburt, als Katharina oder Katie Glover war, die allgemein für das schönste Mädchen der Stadt und der Umgegend galt, geblendet. Der Ruf des schönen Mädchens von Perth hatte die Aufmerksamkeit der jüngern Ritter am königlichen Hofe auf sie gelenkt. Der Aufenthalt des Hofes war in Perth oder in dessen Umgebungen, und manche durch ritterliche Thaten ausgezeichnete Edle strengten sich mehr an, Proben ihrer Festigkeit im Reiten zu geben, wenn sie an der Thür des alten Simon Glover in der sogenannten Couvrefew oder Curfewstraße vorüberkamen, als sich bei den Turnieren auszuzeichnen, wo die edelsten Damen Schottlands Zeugen ihrer Geschicklichkeit waren. Aber die Tochter des Glover (Handschuhmachers)– denn, wie es bei Handwerkern und Künstlern jener frühen Zeit üblich, entlehnte ihr Vater, Simon, seinen Namen dem Gewerbe, welches er trieb– zeigte keine Neigung, auf die Artigkeiten der Herren zu achten, die sich von einem Range, der weit über dem ihrigen stand, zu ihr herabließen, und wenn sie auch, wie man annehmen darf, sich ihrer persönlichen Vorzüge genügend bewußt war, so schien sie doch zu wünschen, ihre Eroberungen auf diejenigen zu beschränken, die sich mit ihr in der gleichen Sphäre befanden. Auch ihre Schönheit, die in der That mehr geistig als körperlich war, hatte, ungeachtet der natürlichen Sanftheit und Güte ihres Charakters, mehr von Zurückhaltung als Fröhlichkeit in ihrem Gefolge, selbst wenn sie mit Ihresgleichen in Gesellschaft war, und der Eifer, mit welchem sie alle religiösen Pflichten erfüllte, brachte viel Leute zu dem Glauben, Katharina Glover hege im Stillen den Wunsch, sich von der Welt zurückzuziehen und sich in die Einsamkeit des Klosters zu begraben. Aber gesetzt auch, es wäre in der That ihre Absicht gewesen, ein solches Opfer zu bringen, so ließ sich doch nie annehmen, daß ihr Vater, der für reich galt und außer ihr kein Kind weiter hatte, freiwillig seine Zustimmung geben würde. In ihrem Entschlusse, die Höflichkeiten der artigen Höflinge zu vermeiden, ward die gefeierte Schönheit von Perth durch die Gesinnung ihres Vaters bestärkt. »Laß sie gehen,« sagte er, »laß sie gehen, Katharina, diese edlen Herren mit ihren munteren Rossen, ihren glänzenden Sporen, ihren Federhüten und wohlgepflegten Schnurrbärten; sie gehören nicht in unsern Stand und wir wollen uns nicht zu ihnen zu erheben suchen. Morgen ist St. Valentin, der Tag, an welchem jeder Vogel sein Weibchen wählt; aber du wirst weder den Hänfling mit dem Sperber, noch das Rothkehlchen mit dem Geier sich paaren sehen. Mein Vater war ein ehrsamer Bürger von Perth, und wußte die Nadel so gut zu führen wie ich. Wenn sich aber den Thoren unserer guten Stadt der Krieg nahte, warf er Nadel, Faden und Gemshaut weg, holte aus dem dunkeln Winkel, wo er sie aufgehängt hatte, Pickelhaube und Schild und nahm seine lange Lanze vom Kamine. Nenne mir Jemand einen Tag, wo ich oder er gefehlt hätten, wenn der Hauptmann Musterung hielt! So haben wir's gehalten, mein Mädchen, gearbeitet, um Brod zu gewinnen, und gefochten, es zu vertheidigen, und ich mag keinen Schwiegersohn, der sich einbildet mehr zu sein, denn ich; und was jene Herren und Ritter betrifft, so hoffe ich, du werdest dich stets erinnern, daß du zu niedrig bist, um ihre Gemahlin, und zu hoch, um ihre Buhldirne zu sein. Und nun lege deine Arbeit bei Seite, Mädchen, denn es ist heiliger Abend und es ziemt uns, in die Vesper zu gehen, um den Himmel zu bitten, daß er dir morgen einen guten Valentin sende.« Das schöne Mädchen von Perth legte demnach den prächtigen Jagdhandschuh, den sie für Lady Drummond stickte, bei Seite, warf ihr Festtagskleid um und machte sich bereit, ihren Vater in das Dominikanerkloster zu begleiten, welches nicht weit von der Curfewstraße, wo sie wohnten, entfernt lag. Unterwegs empfing Simon Glover, ein allgemein geachteter Bürger von Perth, der in den Jahren schon bedeutend vorgerückt war, aber auch seinen Reichthum mit seinen Jahren sich zugleich hatte mehren lassen, von Jung und Alt die Huldigungen, die seinem Sammtrock und seiner goldnen Kette zukamen, während vor Katharina's Reizen, obwohl durch ihren Mantel (ähnlich den noch in Flandern üblichen Mänteln) verhüllt, sich Jung und Alt verbeugte und die Mützen zog. Während das Paar Arm in Arm vorwärts ging, folgte ihnen ein hochgewachsener, hübscher, junger Mann, gekleidet in die einfachste Tracht, die jedoch seine wohlgeformten Glieder vortheilhaft hervorhob und edle, regelmäßige Züge blicken ließ, die neben dem reichgelockten Haar und der kleinen Scharlachmütze, welche zu diesem Kopfputz trefflich stand, noch angenehmer in's Auge fielen. Er hatte keine andere Waffe als einen Stab in der Hand (denn er war Lehrbursche beim alten Glover), und man hielt es nicht für schicklich, daß Leute seines Standes mit dem Degen oder Dolche bewaffnet in den Straßen erschienen, ein Vorrecht, welches die Jackmanns, d.h. die im besondern Dienst der Edlen stehenden Söldner, für sich allein in Anspruch nahmen. Er begleitete seinen Meister zur Kirche, einmal, weil er gewissermaßen sein Bedienter war, und sodann, um ihn zu vertheidigen, wenn dies die Umstände nöthig machen sollten; indeß ließ sich aus der Aufmerksamkeit, die er der Katharina Glover zollte, leicht abnehmen, daß vorzüglich ihr seine Dienste gelten sollten. Gewöhnlich fand sich jedoch keine Gelegenheit, seinen Diensteifer an den Tag zu legen; denn ein gemeinsames Gefühl der Achtung bewog die Begegnenden, dem Vater und der Tochter auszuweichen. Als sich aber die Stahlhauben, Barette und Federn der Knappen, Schützen und Reisigen unter der Menge zu zeigen begannen, ließen diejenigen, welche jene auszeichnenden Merkmale des Kriegergewerbes trugen, Sitten blicken, welche minder fein waren, als die der friedlichen Bürger. Mehr als einmal, wenn einer von jenen, sei es zufällig oder im Bewußtsein eingebildeter höherer Würde, auf der Seite der Mauer sich an Simon vorüberdrängte, runzelte der junge Lehrling drohend die Stirn, als brenne er vor Begierde, seinen Diensteifer für seine Gebieterin an den Tag zu legen. So oft Conachar, dies war des Jünglings Name, also that, erhielt er von seinem Meister einen Verweis, der ihm merken ließ, daß er sich in dergleichen nicht mischen sollte, bevor man seine Vermittlung verlange. »Närrischer Bursche,« sagte er, »bist du nicht lange genug in meiner Werkstatt gewesen, um zu wissen, daß aus einem Schlag eine Schlägerei entsteht, und daß ein Dolch so schnell durch die Haut fährt, als eine Nadel durch's Leder? Weißt du nicht, daß ich den Frieden liebe, ob ich gleich den Krieg nie gefürchtet habe, und daß ich mich wenig darum kümmere, auf welcher Seite der Straße ich und meine Tochter gehen, wenn wir nur ruhig und friedlich wandeln können?« Conchar entschuldigte sich mit dem Eifer, die Ehre seiner Meisters zu schirmen, aber diese Antwort genügte dem alten Bürger von Perth nicht.– »Was haben wir mit der Ehre zu schaffen?« sagte Simon Glover; »willst du in meinem Dienst bleiben, so mußt du ehrbar gesinnt sein und die Ehre den prahlerischen Thoren lassen, die Sporen an den Stiefeln und Stahl auf den Schultern tragen. Willst du dich mit ähnlichem Zierrath schleppen, so magst du's thun, aber in meinem Hause und in meiner Gesellschaft wird es nimmer geschehen.« Conachar schien durch diesen Vorwurf eher erbittert zu werden, als sich zu fügen. Aber ein Zeichen von Katharina, wofern die leichte Bewegung, die sie machte, indem sie den kleinen Finger aushob, wirklich ein solches war, machte auf den Jüngling mehr Eindruck, als die Vorwürfe seines erzürnten Meisters. Er legte die kriegerische Miene, die ihm natürlich anstand, bei Seite und wurde wieder der bescheidene Diener eines ruhigen Bürgers. Inzwischen holte die kleine Gesellschaft ein junger, schlanker Mann ein, in einen Mantel gehüllt, welcher einen Theil seines Gesichts beschattete oder verhüllte, was die Liebesritter jener Zeit häufig im Gebrauch hatten, wenn sie auf Abenteuer ausgingen und nicht erkannt sein wollten. Kurz, er schien ein Mann, welcher zu aller Welt sagen mochte: »ich wünsche für jetzt nicht erkannt und nicht meinem Titel gemäß angeredet zu sein; wie ich aber, außer mir selber, Niemand von meinem Thun Rechenschaft zu geben habe, nehme ich das Incognito nur der Form wegen an und kümmere mich wenig d'rum, ob Ihr mich kennt oder nicht.« Er kam an die rechte Seite Katharinens, die am Arm ihres Vaters hing, und mäßigte seine Schritte, als wolle er sich zu ihr gesellen. »Guten Abend, Vater!« »Dasselbe wünsch' ich Euer Gnaden und dank' Euch.– Darf ich Euch bitten, voranzugehen? Unser Schritt ist zu langsam für Euer Gnaden– unsere Gesellschaft zu gering für die des Sohnes Eures Vaters.« »Meines Vaters Sohn kann das am besten beurtheilen, Alter. Ich habe Geschäfte mit Euch zu besprechen, so wie mit meiner schönen St. Katharina hier, der lieblichsten und grausamsten Heiligen im Kalender.« »Mit aller Ehrerbietung, Mylord,« sagte der alte Mann, »möcht' ich Euch erinnern, daß heut der heilige Abend zu St. Valentinstag ist und also keine Zeit zu Geschäften, und daß ich Euer Gnaden Befehle durch einen Diener erhalten kann, so früh es Euch gefällig ist, sie zu senden.« »Es ist keine Zeit dazu, als die gegenwärtige,« sagte der beharrliche junge Mann, dessen Rang von der Art zu sein schien, daß er ihn aller Ceremonie überhob. »Ich wünsche zu wissen, ob das Koller von Büffelleder fertig ist, welches ich vor einiger Zeit bestellte; und Euch, schöne Katharina (hier sank seine Stimme zu einem Flüstern herab), bitte ich, mir zu sagen, ob Eure niedlichen Finger dabei geschäftig gewesen find, wie Ihr es verspracht? Doch ich darf Euch nicht befragen, denn mein armes Herz hat jeden Nadelstich empfunden, den Ihr dem Kleide, das es bedecken soll, gabt. Grausame, wie willst du die Qual des Herzens verantworten, das dich so innig liebt!« »Laßt mich Euch dringend ersuchen, Mylord,« sagte Katharina, »solche Worte zu unterlassen– es ziemt Euch nicht, so zu sprechen, noch mir, es anzuhören. Wir sind von geringem Stande, aber ehrbaren Sitten, und die Gegenwart des Vaters sollte das Kind gegen solche Reden, selbst von Euer Gnaden, schützen.« Dies sprach sie so leise, daß weder der Vater noch Conachar verstehen konnten, was sie sagte. »Wohl, Grausame,« antwortete der beharrliche Ritter, »ich will Euch jetzt nicht länger quälen, wofern Ihr Euch mir morgen an Eurem Fenster zeigen wollt, sobald die Sonne den ersten Blick über die östlichen Berge wirft, und wofern Ihr mir das Recht gebt, das Jahr hindurch Euer Valentin zu sein.« »Nicht doch, Mylord; mein Vater sagte mir so eben erst, daß sich keine Falken, geschweige denn Adler mit dem bescheidenen Hänfling paaren. Sucht Euch eine Hofdame, die Eure Begünstigung ehren wird;– mir– Eure Hoheit muß mir gestatten, die schlichte Wahrheit zu sagen– kann sie nur Unehre bringen.« Als sie so sagte, langte die Gesellschaft an der Kirchthüre an. »Euer Gnaden erlauben uns hier hoffentlich, uns von Euch zu verabschieden?« sagte der Vater. »Ich weiß recht gut, daß die Ungelegenheiten und Beschwerden, die Euer Vergnügen uns verursacht, Euch das Letztere nicht aufzugeben nöthigen; aber aus der Menge von Dienern, die an der Thür stehen, könnt Ihr abnehmen, daß in der Kirche noch andere Personen sind, die auch Ansprüche auf Respect, und selbst von Seiten Eurer Gnaden, haben.« »Ja– Respect; und wer hat denn vor mir Respect?« sagte der hochmüthige, junge Herr. »Ein erbärmlicher Handwerker und seine Tochter, nur zu sehr geehrt durch die Notiz, die ich nehme, haben die Unverschämtheit, mir zu sagen, daß meine Aufmerksamkeit sie entehrt. Gut, meine Prinzessin von Elennsleder und blauer Seide, ich will Euch das bereuen lassen.« Während er so murmelte, betraten der Handschuhmacher und seine Tochter die Dominikanerkirche, und ihr Begleiter Conachar, der ihnen sofort folgen wollte, stieß, vielleicht nicht zufällig, an den jungen Herrn. Der Ritter, aus seinen unangenehmen Gedanken erweckt, faßte, weil er sich vorsätzlich beleidigt glaubte, den jungen Mann an der Brust, schlug ihn und warf ihn unsanft zurück. Conachar stolperte und hielt sich mit Mühe aufrecht; dann fuhr er mit der Hand an die Seite, als suchte er einen Degen oder Dolch an der üblichen Stelle, machte, als er keinen von beiden fand, eine Geberde der Wuth und Erbitterung und ging in die Kirche. Inzwischen blieb der junge Ritter, die Arme über die Brust gekreuzt, stehen, und lächelte mit Verachtung, als wolle er seiner drohenden Miene Hohn sprechen. Nachdem Conachar verschwunden war, zog sein Gegner den Mantel dichter zusammen, so daß er sein Gesicht noch mehr verhüllte, und gab, indem er einen seiner Handschuhe abzog, ein Zeichen. Sofort traten zwei Andere zu ihm, die, gleich ihm vermummt, in einiger Entfernung seines Befehls gewärtig gewesen. Sie begannen ein lebhaftes Gespräch, worauf der junge Edle sich nach der einen, seine Freunde oder Diener sich nach der andern Seite entfernten. Simon Glover hatte, bevor er die Kirche betrat, einen Blick auf diese Gruppe geworfen, sodann aber seinen Platz unter der Gemeinde eingenommen, ehe sie sich getrennt hatten. Als er niederkniete, schien seine Miene anzudeuten, daß ihm eine schwere Last auf dem Herzen ruhe; als aber der Gottesdienst beendet war, erschien er frei von aller Sorge, als hätte er sich und seinen Kummer der Fügung des Himmels anheimgestellt. Das Hochamt wurde feierlich gehalten, und eine große Zahl Herren und Damen von hohem Rang war dabei anwesend. Man hatte zum Empfang des guten alten Königs selbst das Nöthige veranstaltet, allein ein Unwohlsein hatte Robert III. verhindert, der Messe beizuwohnen, wie er sonst pflegte. Als die Versammlung auseinander ging, blieb der Handschuhmacher mit seiner schönen Tochter noch eine Weile in der Kirche, um in einen Beichtstuhl zu treten. So war es Nacht geworden und die Straßen bereits einsam, als sie sich auf den Weg machten, um heimzukehren. Diejenigen, die sich noch jetzt in den Straßen umhertrieben, waren Nachtschwärmer, müßige, liederliche Diener stolzer Edelleute, welche häufig friedliche Vorübergehende zu beleidigen pflegten, weil sie auf Straflosigkeit rechneten, welche ihnen durch die Gunst, die ihre Herren bei Hofe genossen, gesichert sein konnte. Vielleicht geschah es aus Besorgniß eines Mißgeschicks solcher Art, daß Conachar, zu dem Handschuhmacher tretend, sagte: »Meister, geht schneller– man verfolgt uns.« »Verfolgt uns, sagst du? wer thut es, und wie Viele?« »Ein in seinen Mantel vermummter Mann, der uns folgt, wie unser Schatten.« »So werd' ich meinen Schritt in der Curfewstraße nicht ändern, und wenn der Beste käme, der sie je betrat.« »Aber er trägt Waffen,« sagte Conachar. »Wir ebenfalls, und Hände, Beine und Füße. Ei, Conachar, du fürchtest doch wohl nicht einen Mann?« »Fürchten!« antwortete Conachar, unwillig über den Verdacht; »Ihr sollt bald sehen, wie ich mich fürchte.« »Schon wieder aus dem rechten Wege, du närrischer Bursche – dein Gemüth kennt keinen Mittelweg, da gibt's keinen Anlaß, einen Streit anzufangen, wenn wir auch nicht davonrennen. Geh' du mit Katharina voraus und ich will deine Stelle einnehmen. Wir können so nahe an unserem Hause keiner Gefahr ausgesetzt sein.« Der Handschuhmacher blieb demnach zurück und bemerkte allerdings einen Mann, der ihnen dicht genug folgte, um, in Betracht der Stunde und des Orts, einigen Verdacht zu rechtfertigen. Wenn sie quer über die Straße gingen, so that der Fremde auch so, und beschleunigten oder hemmten sie ihre Schritte, so unterließ er nicht, desgleichen zu thun. Dieser Umstand wäre für Glover ganz unbedeutend gewesen, wenn er sich allein befunden hätte; aber die Schönheit seiner Tochter konnte diese zum Gegenstande verbrecherischer Absichten machen, besonders in einem Lande, wo die Gesetze denen, die sich nicht selber schützen konnten, nur schwachen Schutz gewährten. Indessen langte Conachar mit seiner schönen Gefährtin an der Hausthür an, die ihnen durch eine alte Magd geöffnet wurde, und nun war der Handschuhmacher aller Sorgen ledig. Um sich jedoch, sofern es geschehen könnte, zu versichern, ob er wirklichen Grund zu Besorgnissen gehabt habe, rief er dem, dessen Bewegungen ihn unruhig gemacht hatten, mit lauter Stimme zu; der Mensch blieb stehen, wiewohl er, wie es schien, sich im Schatten zu halten suchte. »Kommt vorwärts, mein Freund, und spielt nicht Versteckens; weißt du nicht, daß sie, die gleich Gespenstern im Finstern wandeln, sich wohl für den Gruß eines hübschen Stockes eignen? Vorwärts, sag' ich, und zeig' uns deine Gestalt, Mensch!« »Ei, das kann ich wohl, Meister Glover,« sagte eine der tiefsten Stimmen, die je auf eine Frage antworteten; »ich kann Euch meine Gestalt recht wohl zeigen, nur wünsche ich, sie könnte das Licht etwas besser vertragen.« »Meiner Seel'!« rief Simon, »die Stimme sollt' ich kennen! – Und bist du es, in deiner leibhaften Person, Harry Gow?– Nur wahrlich, mit trocknen Lippen darfst du nimmer an dieser Thür vorbei. Wie, Mann, die Abendglocke hat noch nicht geläutet, und hätte sie auch, so wäre das kein Grund, daß Vater und Sohn sich trennen sollten. Komm herein, Mensch; Dorothea soll uns was zu essen schaffen und wir wollen eine Kanne leeren, eh' du uns verläßt. Komm herein, sag' ich; meine Tochter Katie wird sich recht freuen, dich zu sehen.« Während dem hatte er die Person, die er so herzlich bewillkommte, in eine Art von Küche gezogen, die auch bei gewöhnlichen Gelegenheiten als Besuchszimmer diente. Die Zierde derselben waren Zinnteller, vermischt mit einem Paar Silberbechern, die, höchst sauber aufgestellt, eine Reihe von Gesimsen einnahmen, ähnlich denen eines Schenktisches, gewöhnlich »Vink« genannt. Ein gutes Feuer verbreitete, unterstützt von einer angezündeten Lampe, Licht und Freundlichkeit im Gemache, und ein angenehmer Duft von Speisen, die Dorothee bereitete, beleidigte durchaus nicht die Geruchsnerven derjenigen, deren Eßlust dadurch befriedigt werden sollte. Ihr unbekannter Begleiter stand nun in vollem Lichte unter ihnen, und obwohl sein Ansehen weder anständig noch hübsch war, so verdienten nicht allein Gesicht und Gestalt Aufmerksamkeit, sondern schienen sie gewissermaßen sogar zu fordern. Er war fast unter mittlerer Größe, aber die Breite seiner Schultern, Länge und Kräftigkeit der Arme, und das muskulöse Ansehen des ganzen Mannes, deuteten eine ungewöhnliche Stärke an und einen Körper, dessen Kraft durch beständige Uebung erhalten war. Seine Beine waren etwas gebogen, jedoch auf eine Art, die nichts Widriges hatte und sogar mit der Stärke seiner Glieder im Einklange zu stehen schien, obwohl sie ihrem Ebenmaße in gewissem Grade Eintrag thaten. Er trug ein Koller von Büffelleder und einen Gürtel, woran ein Schwert und ein Dolch befestigt waren, gleichsam zum Schütze der Börse, die, nach der üblichen Sitte des Bürgerstandes, gleichfalls am Gürtel hing. Sein schwarzes, krauses Haar war kurz verschnitten, der Kopf rund und wohlgebildet. Seine schwarzen Augen sprachen von Muth und Entschlossenheit, aber sonst schienen seine Züge eine mit Schüchternheit gepaarte gute Laune auszudrücken, und deuteten sichtbar die Freude an, seinen alten Freunden wieder zu begegnen. Abgesehen von dem, nur augenblicklichen, schüchternen Ausdruck, war die Stirne Harry Gow's, oder Schmieds (denn so ward er ohne Unterschied genannt), hoch und edel, aber der untere Theil des Gesichts war minder glücklich gebildet. Der Mund war groß und wohlversehen mit einer Reihe fester und schöner Zähne, deren Ansehen mit der Miene persönlicher Gesundheit und muskulöser Kraft im Einklänge stand, welche der ganze Körper anzeigte. Ein kurzer, dichter Bart und Schnurrbart, der kürzlich mit einiger Sorgfalt geordnet war, vollendeten das Gemälde. Er mochte das achtundzwanzigste Jahr noch nicht überschritten haben. Die Familie schien sehr wohl zufrieden mit dem unerwarteten Erscheinen eines alten Freundes. Simon Glover schüttelte ihm die Hand einmal über's andere, Dorothee machte ihre Komplimente, und selbst Katharina bot ihm von freien Stücken die Hand, welche Harry mit seiner kräftigen so fest hielt, als beabsichtigte er sie an die Lippen zu führen, aber nachdem er einen Augenblick gezögert, ließ er davon ab, aus Furcht, seine Freiheit möchte übel genommen werden. Nicht als ob von Seiten der kleinen Hand, welche in seiner gewaltigen lag, ein Widerstand stattgefunden hätte; aber es mischte sich mit dem Erröthen auf ihrer Wange ein Lächeln, welches die Verwirrung des artigen Herrn zu steigern schien. Ihr Vater aber rief, als er seines Freundes Bedenklichkeit sah, frei und offen: »Auf die Lippen, Mensch, auf die Lippen! und das ist ein Anerbieten, welches ich nicht Jedem machen würde, der meine Schwelle überschreitet. Aber, beim guten St. Valentin (dessen Festtag morgen anbricht), ich bin so froh, dich in der guten Stadt Perth wiederzusehen, daß es schwer zu nennen sein möchte, was ich dir abschlagen könnte.« Der Schmied– denn dies war, wie gesagt, das Gewerbe dieses stattlichen Handwerkers– ward dadurch ermuthigt, das schöne Mädchen bescheiden zu küssen, welches die Artigkeit mit einem zärtlichen Lächeln, wie es sich für eine Schwester gepaßt hätte, entgegennahm, indem sie zu gleicher Zeit sagte: »Laßt mich hoffen, daß ich einen reuigen, gebesserten Menschen in Perth wieder willkommen heiße.« Er hielt ihre Hand, als wollte er antworten, und ließ sie darauf plötzlich los, wie Einer, der in dem Augenblicke den Muth verliert; und indem er zurücktrat, wie erschrocken über das, was er gethan, glühte sein dunkles Gesicht vor Scham, gemischt mit Freude, während er sich am Feuer, der Stelle gegenüber, die Katharina einnahm, niedersetzte. »Rasch, Dorothee, beeile dich mit dem Essen, Alte;– und Conachar– wo ist Conachar?« »Er ist zu Bett gegangen, Herr, weil er Kopfweh hat,« sagte Katharina zögernd. »Geh', ruf ihn, Dorothee,« sagte der alte Glover; »er soll sich nicht gegen mich vergessen; sein hochländisch Blut ist vermuthlich zu vornehm, um einen Teller vorzusetzen oder ein Tischtuch zu breiten, und er gedenkt in unsere alte, ehrsame Zunft zu treten, ohne in allen Punkten schuldigen Gehorsams seinem Meister und Lehrer zu folgen! Geh', ruf' ihn, sag' ich; ich will nicht so vernachlässigt sein.« Dorothee hörte man alsbald die Treppe, oder wahrscheinlicher eine Leiter hinaufschreien, die zum Boden führte, wohin sich der Lehrling zur Unzeit zurückgezogen hatte; eine murmelnde Antwort ward vernommen und bald nachher erschien Conachar im Speisezimmer. Auf seinen stolzen, aber schönen Zügen lag eine düstere Wolke der Unzufriedenheit, und während er ein Tuch über den Tisch breitete, und Teller, Salz und Pfeffer und anderes Zubehör aufsetzte, kurz, die Pflichten eines heutigen Bedienten erfüllte, die nach der Sitte der Zeit jedem Lehrling oblagen, war er über die knechtischen Dienste, die er zu verrichten hatte, sichtbar aufgebracht und erbittert. Das schöne Mädchen von Perth betrachtete ihn nicht ohne Unruhe, als fürchtete sie, seine sichtbare üble Laune möchte die Unzufriedenheit seines Meisters erhöhen, und erst, nachdem Conachars Augen Katharinens Blick zum zweiten Male begegnet waren, konnte er's über sich gewinnen, seinen Widerwillen einigermaßen zu verbergen und eine größere Bereitwilligkeit bei Diensten, die er zu vollziehen hatte, an den Tag zu legen. Und hier müssen wir unserm Leser mittheilen, daß, obwohl die zwischen Katharina Glover und dem jungen Hochländer gewechselten Blicke anzeigten, daß sie an dem Lehrling einigen Antheil nehme, doch der aufmerksamste Beobachter in Verlegenheit gewesen wäre, wenn er hätte entdecken sollen, ob ihr Gefühl stärker war, als dasjenige, das bei einem Mädchen, gegenüber einem jungen Manne ihres Alters, mit dem sie unter einem Dache wohnt und in freundlichem Umgange lebt, sich von selber versteht. »Du hast eine lange Reise gemacht, Sohn Harry,« sagte Glover, der, obwohl durchaus nicht verwandt mit dem jungen Handwerker, ihn immer mit diesem freundlichen Namen nannte; »hast auch viele andere Flüsse gesehen, außer dem Tay, und manch' andere schöne Stadt, außer St. Johnston.« »Aber doch nichts, was mir halb so gut gefallen hätte, und auch nichts, was halb so werth wäre, mir zu gefallen,« antwortete der Schmied; »ich versichere Euch, mein Vater, als ich über die Wicks von Baiglie ging und unsere schöne Stadt vor meinen Blicken ausgebreitet sah, wie die Feenkönigin in einem Mährchen, die der Ritter auf einem Lager wilder Blumen eingeschlafen findet, da war mir's wie einem Vogel, der die ermatteten Schwingen sinken läßt, wenn er sich auf sein eigen Nest niedersenkt.« »Aha! du kannst also noch den Dichter spielen?« sagte der Handschuhmacher. »Ei, werden wir unsre Balladen und Rundgesänge wieder haben? unsere lustigen Weihnachtslieder und die fröhlichen Frühlingsgesänge?« »Solche Possen können wohl vorkommen, Vater,« sagte Harry, »obwohl das Blasen der Bälge und die Schläge der Hämmer auf den Ambos keine sehr passende Begleitung für den Minnesang sind; aber ich kann's nicht besser machen, da ich mein Glück versuchen muß, obwohl meine Verse schlecht sind.« »Wohlgesprochen – mein werther Sohn, sagte Glover, »und ich hoffe, deine Reise hat dir 'was eingetragen!« »Ei, sie war vortheilhaft, Vater – ich verkaufte das stählerne Panzerhemd um 400 Mark dem englischen Ritter Sir Magnus Redman. Er handelte gar nicht darum, nachdem ich ihm gestattet hatte, es durch einen Schwerthieb zu prüfen. Der bettelhafte, hochländische Räuber, der es bestellt hatte, wollte die Hälfte abdingen, obwohl es mich ein Jahr Arbeit gekostet hatte.« »Was hast du emporzufahren, Conachar?« sagte Simon, indem er sich an seinen hochländischen Schüler wendete. »Wirst du nie lernen das thun, was man dich heißt, ohne auf das zu horchen, was um dich her vorgeht? Was geht's dich an, wenn ein Engländer das für wohlfeil hält, was einem Schotten theuer dünken mag?« Conachar wandte sich, um zu sprechen; nach kurzem Nachdenken aber schlug er die Augen nieder und suchte die Ruhe wiederzugewinnen, welche die verächtliche Art, mit welcher der Schmied den Kunden aus dem Hochland erwähnt, gestört hatte. Harry fuhr fort, ohne irgend auf ihn zu achten. »Ich verkaufte zu hohem Preis einige Schwerter und Säbel, als ich zu Edinburg war. Man sah dort einem Kriege entgegen; und gefällt's Gott, ihn zu senden, so wird meine Waare ihren Preis werth sein. Dank dem heiligen Dunstan, der von unsrer Zunft war. Kurz, dieser Bursche da« (dabei legte er die Hand auf die Börse), »der, wie du weißt, Vater, etwas schlaff und mager war, als ich vor vier Monaten wegging, ist nun so rund und voll, wie ein sechswöchig Ferkel.« »Und jener andere lederscheidige Bursch mit eisernem Griff, der jenem zur Seite hängt,« sagte der Handschuhmacher, »ist der die ganze Zeit müßig gewesen? – Nun, lieber Schmied, gesteh' die Wahrheit – wie viel Balgereien hast du gehabt, seit du über den Tay gingst?« »Ach, jetzt thut Ihr mir Unrecht, Vater,« erwiderte der Waffenschmied mit einem Blick auf Katharina, »daß Ihr mich in solcher Gesellschaft so fragt. Ich mache Schwerter, aber ich überlasse Andern das Geschäft, sie zu brauchen. Nein, es kommt sehr selten vor, daß ich eine bloße Klinge in die Hand bekomme, außer um sie zu poliren oder zu schleifen. Und man verleumdete mich bei Eurer Tochter Katharina, daß sie glaubte, der ruhigste Bürger von Perth sei ein Händelmacher. Ich wollte nur, daß der Beste auf dem Kinnoul solch' ein Wort zu sagen wagte und kein Mensch dabei wäre, außer er und ich.« »Ja, ja,« sagte der Handschuhmacher lachend, »wir würden dann ein schönes Beispiel von Eurem geduldigen Wesen haben. – Ei, Harry, wie kannst du einem Manne, der dich so gut kennt, dergleichen Dinge sagen! Du siehst Katie an, als wüßte sie nicht, daß in diesem Lande der Mann eine starke Faust nöthig hat, wenn er sein Haupt ruhig schlafen legen will. Wohlan, gesteh' mir, ob du nicht eben so viele Rüstungen niedergeschlagen hast, als du verfertigt hast.« »Ei, der müßte ein schlechter Waffenschmied sein, Vater Simon, der nicht mit seinem eigenen Hiebe sein eigen Werk prüfen könnte. Würde ich nicht dann und wann einen Helm spalten, oder die Blöße eines Panzers entdecken, so wüßt' ich nicht, welchen Grad von Stärke ich den Rüstungen, die ich mache, zu geben habe, und würde Pfuschwerk liefern, wie sie die Edinburger Schmiede in die Welt zu schicken sich nicht schämen.« »Aha, nun wollt' ich eine goldne Krone d'ran setzen, daß du über den Punkt mit einem Edinburger Grobschmied einen Streit gehabt.« »Einen Streit! – nein Vater,« erwiderte der Waffenschmied von Perth; »aber eine Klinge hab' ich mit einem von ihnen auf St. Leonhards Berg gemessen für die Ehre meiner guten Stadt, das gesteh' ich. Gewiß meint Ihr nicht, daß ich in einen gemeinen Streit mit einem Zunftgenossen gerathe.« »Ei, ganz gewiß nicht. Aber wie kam Euer Zunftgenosse davon?« »Nun, wie Einer mit einem Blatt Papier auf der Brust vor'm Stich einer Lanze davon käme – oder vielmehr, er kam in Wahrheit überhaupt gar nicht davon; denn als ich ihn verließ, lag er in der Einsiedlerhütte, täglich den Tod erwartend, denn Pater Gervis sagte, er bereite sich auf den Himmel vor.« »Gut – und maßest du sonst noch die Klinge?« sagte der Handschuhmacher. »Ei, allerdings, ich schlug mich mit einem Engländer bei Berwick, wegen des alten Streites über die Obergewalt, wie sie es nennen – ich bin überzeugt, Ihr würdet mich von diesem Streit nicht zurückgehalten haben! – und ich war so glücklich, ihn am linken Knie zu verwunden.« »Wohlgethan bei St. Andreas! – Mit wem hattet Ihr zunächst zu thun?« sagte Simon, lachend über die Thaten seines friedfertigen Freundes. »Ich schlug mich mit einem Schotten im Torwood,« antwortete Harry Schmied, »wegen eines Streites, wer der bessere Fechter sei, was, Ihr wißt ja wohl, sich nicht ohne eine Probe entscheiden ließ. Der arme Schelm verlor zwei Finger.« »Gut genug für den friedlichsten Burschen in Perth, der nie ein Schwert anrührt, außer in seinem Berufe. – Wohlan, was gibt's sonst zu erzählen?« »Wenig – denn die Züchtigung eines Hochländers ist eine Sache, nicht der Rede werth.« »Warum hast du ihn gezüchtigt, o Mann des Friedens?« forschte der Handschuhmacher. »Aus keinem Grunde, so viel ich mich entsinne,« erwiderte der Schmied, »außer, weil er sich auf der Südseite der Stirlingbrücke zeigte.« »Nun, so trink' ich dir zu, und du bist mir willkommen nach all' diesen Thaten. – Conachar, rühr' dich. Laß die Kannen bereit sein, und du sollst einen Becher vom Nußbraunen für dich selbst haben, mein Junge.« Conachar schenkte das gute Getränk mit schuldigem Gehorsam für seinen Meister und Katharina ein. Aber so wie dies geschehen, stellte er den Krug auf den Tisch und setzte sich nieder. »Was soll das, Bursche? – ist dies deine Sitte? fülle meinem Gaste, dem ehrsamen Meister Harry Schmied!« »Meister Schmied mag sich selber einschenken, wenn er trinken will,« antwortete der junge Celte. »Der Sohn meines Vaters hat sich für einen Abend schon genug erniedrigt.« »Das heißt gut gekräht für einen jungen Hahn,« sagte Harry; »aber du hast so weit recht, mein Junge, daß der Mann verdient, Durstes zu sterben, der ohne Mundschenk nicht trinken will.« Aber sein Wirth ertrug den Trotz des jungen Lehrlings nicht so geduldig. »Nun, bei meinem ehrlichen Wort und dem besten Handschuh, den ich je machte,« sagte Simon, »du wirst ihn mit Getränk aus dem Becher und Krug versehen, wenn du und ich unter einem Dache schlafen sollen.« Finster erhob sich Conachar, nachdem er diese Drohung gehört, und näherte sich dem Schmied, der bereits einen Becher in der Hand hatte, und füllte diesen; während jedoch Harry den Arm hob, um den Becher zum Munde zu führen, that Conachar scheinbar einen falschen Tritt und stieß daran, daß das schäumende Ale dem Waffenschmied über Gesicht und Kleider floß. Gutmüthig, wie er trotz seiner Kampflust war, verlor derselbe bei solcher Herausforderung doch die Geduld, ergriff den Jüngling an der Kehle, die ihm unter die Hände kam, schnürte diese zusammen und rief, während er den Burschen zurückwarf: »Wär' dies an einem andern Orte geschehen, junger Galgenvogel, so hätt' ich dir die Ohren vom Kopfe geschnitten, wie ich Manchem von deinem Clan vor dir gethan.« Conachar erhob sich mit der Behendigkeit eines Tigers und rief: »Deß sollst du dich nicht noch einmal rühmen können!« Mit diesen Worten zog er ein kleines, scharf geschliffenes Messer aus dem Busen, stürzte auf Harry los und suchte es ihm über dem Schlüsselbein in den Hals zu stoßen, wodurch er ihn tödtlich verwundet haben würde; aber sein Gegner wußte ihm mit solcher Gewandtheit in den Arm zu fallen, daß die Spitze des Messers ihm blos die Haut streifte und ein wenig Blut floß. Den Arm des Lehrlings mit der einen Hand so fest wie mit einer Zange haltend, entwaffnete er ihn augenblicklich. Als sich Conachar in der Hand seines furchtbaren Gegners sah, fühlte er, wie Todesblässe die Röthe verdrängte, womit der Zorn seine Wangen gefärbt hatte, und blieb stumm vor Scham und Furcht. Endlich ließ der Schmied seinen Arm los und sagte mit Ruhe: »Gut für dich, daß du mich nicht zornig machen kannst – du bist nur ein Knabe, und ich, ein erwachsener Mann, hätte dich nicht reizen sollen. Aber laß dir's eine Warnung sein.« Conachar stand einen Augenblick, wie im Begriff zu erwidern, dann verließ er das Gemach, bevor Simon sich hinreichend gesammelt hatte, um zu sprechen. Dorothee lief hin und her nach Salben und heilsamen Kräutern. Katharina war bei dem Anblick des rieselnden Blutes in Ohnmacht gesunken. »Laßt mich Abschied nehmen, Vater Simon,« sagte Harry Schmied traurig; »ich hätte merken sollen, daß mein altes Geschick mit mir ginge, und daß ich Streit und Blutvergießen brächte, wo ich am meisten wünsche, Frieden und Glück zu bringen. Sorgt nicht um mich – seht nach der armen Katharina; das Entsetzen über solch' einen Vorgang hat sie getödtet und Alles durch meine Schuld.« »Deine Schuld, mein Sohn! – Es war die Schuld jenes hochländischen Mörders, mit dem mich ein Fluch beladen hat; aber morgen soll er nach seinen Bergen zurückgehen, oder das Stadtgefängniß kosten. Ein Angriff auf das Leben des Gastes seines Meisters, und zwar in seines Meisters Hause! – Es zerreißt alle Bande zwischen uns. Aber laßt mich nach Eurer Wunde sehen.« »Katharina,« wiederholte der Waffenschmied; »seht nach Katharina.« »Dorothee wird für sie sorgen,« sagte Simon; »Staunen und Schrecken tödten nicht – das thun Dolche und Messer. Und sie ist nicht mehr die Tochter meines Blutes, als du, mein lieber Harry, der Sohn meiner Neigung bist. Laß mich die Wunde sehen. Das Messer ist eine böse Waffe in eines Hochländers Hand.« »Es kümmert mich nicht mehr, als ob mich eine wilde Katze geritzt hätte,« sagte der Waffenschmied. »Und nun auf Katharinen's Wangen die Farbe zurückkehrt, sollt Ihr mich in einem Augenblick als gesunden Mann sehen. Er wandte sich nach einem Winkel, wo ein kleiner Spiegel hing, nahm schnell etwas trocknes Linnen aus seiner Börse, um es auf die leichte Wunde, die er empfangen, zu legen, und schlug das Lederkoller von Hals und Schultern zurück. Seine männlichen Formen traten nicht so auffallend hervor, als die Weiße seiner Haut an denjenigen Theilen seines Körpers, die nicht, wie seine Hände und sein Gesicht, dem Wechsel der Luft und den Folgen seines anstrengenden Handwerks ausgesetzt gewesen waren. Schnell verwendete er etwas Linnen, um das Blut zu stillen, und nachdem er mit etwas frischem Wasser alle Spuren, die jenes zurückgelassen, vertilgt hatte, knöpfte er das Koller wieder zu und wendete sich an Katharina, die, wenn auch noch bleich und zitternd, sich doch von ihrer Ohnmacht erholt hatte. »Werdet Ihr mir aber auch Verzeihung dafür gönnen, daß ich Euch in der ersten Stunde meiner Wiederkehr beleidigte? Der Bursche war thöricht, mich zu reizen, und doch war ich thörichter, mich von seines Gleichen reizen zu lassen. Euer Vater ist mir nicht böse, Katharina, und könnt Ihr mir verzeihen?« »Ich habe keinen Anlaß, zu verzeihen,« antwortete Katharina, »wo ich kein Recht habe, mich beleidigt zu fühlen. Wenn es meinem Vater beliebt, dieses Haus zum Schauplatz nächtlicher Händel zu machen, so muß ich sie mit ansehen – ich kann mir nicht helfen. Vielleicht war's unrecht von mir, daß ich ohnmächtig ward und wohl damit die Fortsetzung des ehrenwerthen Kampfes unterbrach. Meine Entschuldigung ist, daß ich kein Blut sehen kann.« »Und ist dies die Weise,« sagte ihr Vater, »mit welcher du meinen Freund nach langer Abwesenheit empfängst? Meinen Freund, sagt' ich? nein, meinen Sohn. Er entgeht der Ermordung von der Hand eines Burschen, von dem ich morgen das Haus säubern will, und du behandelst ihn, als hätt' er Unrecht gethan, indem er die Schlange von sich schleuderte, die ihn stechen wollte?« »Es ist nicht meine Sache, Vater,« erwiderte das Mädchen von Perth, »zu entscheiden, wer bei diesem Streite Recht oder Unrecht hatte; auch sah ich nicht genau genug, was geschah, um sagen zu können, wer angriff und wer sich vertheidigte. Aber gewiß wird unser Freund, Meister Harry, nicht läugnen, daß er in einer vollkommenen Atmosphäre von Streit, Blut und Händeln lebt. Er hört von keinem Fechter, dessen Ruhm er nicht beneidet und an dem er nicht seinen Muth prüfen muß. Er sieht keine Schlägerei, wo er nicht mitten drunter muß. Hat er Freunde, so kämpft er mit ihnen aus Liebe und um der Ehre willen – hat er Feinde, kämpft er mit ihnen aus Haß und Rache. Und Leute, die weder seine Freunde noch Feinde sind, bekämpft er, weil sie sich auf dieser oder jener Seite eines Flusses befinden. Seine Tage sind Kampftage und ohne Zweifel wiederholt er sie in seinen Träumen.« »Tochter,« sagte Simon, »deine Zunge spricht allzufrei. Streitigkeiten und Gefechte sind der Männer Sache und nicht der Frauen, und es ist nicht jungfräulich, daran zu denken und davon zu reden.« »Aber wenn sie so roh in unsrer Gegenwart geübt werden,« sagte Katharina, »so ist es ein bischen hart, zu verlangen, daß wir an etwas Anderes denken sollen. Ich will Euch zugeben, mein Vater, daß dieser tapfere Bürger von Perth einer der gutherzigsten Männer ist, der innerhalb unsrer Mauern lebt – daß er lieber hundert Schritte vom Wege gehen würde, eh' er einen Wurm träte – daß er ebenso ungern eine Spinne tödten würde, als wär' er ein Verwandter König Robert's, seligen Andenkens – daß er im letzten Streite vor seinem Abschiede mit vier Fleischern kämpfte, um sie zu hindern, einen armen Hund todt zu schlagen, der sich beim Stiergefecht nicht gut gehalten hatte, und daß er kaum dem Schicksale entging, welches sein Schützling hatte. Ich will Euch auch zugeben, daß Arme nie vor'm Hause des reichen Waffenschmieds vorübergehen, ohne Speise und Almosen zu empfangen. Aber was hilft dies Alles, wenn sein Schwert ebenso viele darbende Waisen und klagende Wittwen macht, als seine Börse unterstützt?« »Ach, Katharina, höre nur ein Wort von mir, ehe du beginnst, den Vorwürfen gegen meinen Freund freien Lauf zu lassen, die zwar scheinbar verständig klingen, während sie mit Allem, was wir um uns sehen und hören, doch in Wahrheit nicht zusammenstimmen. Was,« fuhr der Handschuhmacher fort, »pflegt unser König und unser Hof, unsere Ritter und Damen, unsere Aebte und Mönche und die Priester selbst am liebsten zu sehen? Ist es nicht das Schauspiel der Ritterlichkeit, wo sie den muthigen Thaten mannhafter Ritter beim Turnier zuschauen, den Thaten der Ehre und des Ruhms durch Waffen und Blutvergießen? Wodurch aber unterscheiden sich die Handlungen dieser edlen Ritter von demjenigen, was unser Harry Gow in seinem Kreise thut? Wer hat jemals sagen hören, daß er seine Stärke und Geschicklichkeit gemißbraucht habe, um Uebles zu thun oder Unterdrückung zu begünstigen, und wer weiß es nicht, wie oft er sich ihrer zur Unterstützung der guten Sache in unserer Stadt bediente? Solltest nicht du, vor allen andern Frauen der Stadt, dir eine Ehre daraus machen, daß ein Mann, der ein so gutes Herz und einen so kräftigen Arm besitzt, sich für deinen Verlobten erklärt hat? Auf was bilden sich denn die stolzesten Damen mehr ein, als auf die Tapferkeit ihres Liebhabers? Und hat der kühnste Ritter in Schottland ausgezeichnetere Thaten vollbracht, als mein wackerer Sohn Harry, wenn er auch von niedriger Herkunft ist? Kennt man ihn nicht im Niederland wie im Gebirg' als den besten Waffenschmied, der je ein Schwert verfertigt hat, als den besten Krieger, der je eins zog?« »Mein theuerster Vater,« antwortete Katharina, »Eure Worte widersprechen sich selbst, wenn Ihr Eurem Kinde erlauben wollt, so zu sprechen. Danken wir Gott und den guten Heiligen, daß wir in niederem, friedlichem Stande geboren sind, der uns der Aufmerksamkeit derjenigen überhebt, welche hohe Geburt und mehr noch der Stolz durch Werke blutgieriger Grausamkeit zum Ruhme führt, welche die Großen und Mächtigen ritterliche Thaten nennen. Eure Weisheit wird zugeben, daß es unverständig von uns wäre, uns mit ihren Federn zu schmücken und ihre prächtigen Kleider zu tragen; warum wollen wir also die Laster nachahmen, denen sie sich ohne Rückhalt hingeben? Warum wollen wir uns den Stolz ihres verhärteten Herzens und ihre unmenschliche Grausamkeit zu eigen machen, welcher ein Mord nicht allein Unterhaltung gewährt, sondern auch Gegenstand eiteln Ruhmes ist? Die, deren Rang blutige Huldigungen verlangt, mögen Ehre und Genuß darin finden, aber wir, die wir nicht zu jenen gehören, können nichts Besseres thun, als die Leiden der Opfer, welche jenen fallen, beklagen. Danken wir dem Himmel, daß er uns in niedrige Lage versetzte, weil wir dadurch der Versuchung überhoben sind. Aber vergebt mir, Vater, wenn ich die Grenzen meiner Pflicht überschritt, indem ich Euern Ansichten widersprach, die Ihr, mit so vielen Andern, über diesen Gegenstand hegt.« »Ja, du bist selbst mir zu geschwätzig, Mädchen,« sagte ihr Vater etwas mißlaunig. »Ich bin nur ein armer Handwerker, dessen bestes Wissen ist, den linken Handschuh vom rechten zu unterscheiden. Aber wenn du meine Vergebung haben willst, so sage meinem armen Harry ein tröstliches Wort. Dort sitzt er, verwirrt und außer Fassung durch die lange Predigt, die du gehalten, und er, dem ein Trompetenschall als Einladung zu einem Feste gilt, ist niedergeschlagen durch den Schall einer Kinderpfeife.« Der Waffenschmied hatte in der That, während er die Lippen, die ihm die theuersten, seinen Charakter auf die ungünstigste Weise schildern hörte, den Kopf auf seine gekreuzten Arme, die auf dem Tische lagen, sinken lassen, in der Stellung der tiefsten Niedergeschlagenheit, die nahe an Verzweiflung grenzte. »Ich wünsche zu Gott, mein theuerster Vater,« antwortete Katharina, »daß es in meiner Macht stände, Harry zu trösten, ohne die heilige Sache der Wahrheit zu verrathen, der ich vorhin das Wort geredet. Und ich kann– ja, ich muß dies können,« fuhr sie in einem Tone fort, der in Verbindung mit der vollendeten Schönheit ihrer Züge und der Begeisterung, mit der sie sprach, für Inspiration hätte gelten können. »Die Wahrheit des Himmels,« sagte sie in einem feierlichen Tone, »ward nie einem Munde, so schwach er auch sei, anvertraut, ohne ihm das Recht zu verleihen, Gnade zu verkünden, wenn er das Urtheil bekannt macht.– Steh' auf, Harry, steh' auf, edler, guter und großmüthiger, obgleich sehr verirrter Mann – deine Fehler sind die dieses grausamen und gefühllosen Zeitalters – deine Tugenden sind ganz dein.« Während sie so sprach, legte sie ihre Hand auf des Schmieds Arm, und diesen mit sanfter Gewalt, der er nicht zu widerstehen vermochte, unter seinem Kopfe wegziehend, zwang sie ihn, sie seine männlichen Züge und die Thränen sehen zu lassen, welche Katharinens Vorwürfe und andere Empfindungen, die sich ihm aufdrängten, hervorgerufen hatten. »Weine nicht,« sprach sie, »oder weine vielmehr,– aber weine gleich Jenen, welche Hoffnung haben. Entsage dem sündigen Stolz und Jähzorn, die dich am meisten plagen, wirf jene verfluchten Waffen von dir, deren verhängnißvoller, mörderischer Gebrauch dir eine leichte Versuchung bereitet.« »Ihr sprecht vergebens zu mir, Katharina,« erwiderte der Waffenschmied; »ich kann allerdings Mönch werden und mich von der Welt zurückziehen; aber so lang' ich in ihr lebe, muß ich mein Handwerk treiben, und so lang' ich für Andere Waffen verfertige, kann ich der Versuchung nicht widerstehen, sie selbst zu gebrauchen. Ihr würdet mir nicht solche Vorwürfe machen, wüßtet Ihr, wie die Mittel, durch die ich meinen Unterhalt gewinne, von dem kriegerischen Geiste unzertrennlich sind, den Ihr mir zum Verbrechen macht, da er doch aus unvermeidlicher Nothwendigkeit hervorgeht. Während ich dem Schilde oder Panzer die erforderliche Festigkeit gebe, daß er den Hieben widerstehe, muß ich da nicht immer darauf denken, wie man diese führt, mit welcher Gewalt sie einschlagen, und wenn ich ein Schwert schmiede oder härte zum Kampfe, ist mir's da möglich, die Erinnerung an seinen Gebrauch zu vermeiden?« »Dann, mein lieber Harry, sagte das enthusiastische Mädchen, indem sie mit ihren niedlichen Händen die starke, nervige Faust des kräftigen Waffenschmieds ergriff, die sie nicht ohne Schwierigkeit aufhob, ohne daß der Schmied ihr widerstand, sondern sie ganz gewähren ließ– »dann werft die Kunst von Euch, die eine Schlinge der Versuchung für Euch ist. Entsagt der Verfertigung von Waffen, die nur dazu dienen können, das menschliche Leben zu verkürzen, das an sich schon zu kurz ist für die Reue, oder um durch ein Gefühl der Sicherheit diejenigen zu ermuthigen, welche ohnedies die Furcht abhalten konnte, sich der Gefahr bloßzustellen. Die Kunst, Waffen zu schmieden, sei's zum Angriff, sei's zur Vertheidigung, ist gleich strafbar für einen Mann, dessen heftiger Charakter in dieser Arbeit einen Fallstrick und Gelegenheit zum Sündigen findet. Entsagt also ganz der Kunst, Waffen zu schmieden, welcher Gattung sie auch sein mögen, und verdient Euch die Vergebung des Himmels, indem Ihr Allem abschwört, was Euch zu der Sünde verführen kann, die Ihr am leichtesten begeht.« »Und was,« murmelte der Waffenschmied, »soll ich für meinen Unterhalt thun, wenn ich der Kunst des Waffenschmiedens entsage, in welcher Harry vom Tay bis zur Themse bekannt ist?« »Eure Kunst selber,« sagte Katharina, »kann unschuldige und löbliche Zwecke erstreben. Wenn Ihr keine Schwerter und Schilde mehr schmiedet, so könnt Ihr den nützlichen Spaten, die friedliche Pflugschar und die Geräthschaften fertigen, die des Lebens Unterhalt gewinnen oder seine Freuden erhöhen helfen. Ihr könnt Riegel und Schlösser schmieden, um das Eigenthum des Schwachen gegen die Uebermacht des Stärkern und gegen die Angriffe der Räuber zu schützen. Die Menschen werden sich noch an dich wenden und belohnt wird dein bescheidener Fleiß–« Aber hier ward Katharina unterbrochen. Ihr Vater hatte die Reden gegen Krieg und Turniere mit einer Empfindung gehört, die, obwohl ihre Lehren neu für ihn waren, ihm sagte, daß sie trotzdem nicht ganz irrig sein möchten. Er wünschte sogar im Stillen, daß derjenige, der sein Schwiegersohn werden sollte, sich nicht aus freien Stücken den Gefahren aussetzen möchte, welchen sein unternehmender Geist und seine außerordentliche Stärke den Schmied bisher nur allzuleicht hatten entgegentreten lassen. So weit hätte er gewünscht, sollten Katharinens Worte auf das Gemüth ihres Verlobten wirken, der, wie er wußte, wo die Liebe im Spiele war, ebenso nachgiebig, als halsstarrig und unbeugsam blieb, wenn man ihn mit feindlichen Vorstellungen oder Drohungen angriff. Aber ihre Rede widersprach geradezu seinen Ansichten, als er sie darauf bestehen hörte, sein künftiger Schwiegersohn sollte ein Handwerk aufgeben, welches damals in Schottland das einträglichste war, und Harry von Perth mehr einbrachte, als jedem andern Waffenschmied des Königreichs. Er hatte eine undeutliche Vorstellung, daß es nicht schlimm gethan wäre, den Schmied von der Gewohnheit abzubringen, die Waffen allzuoft zu handhaben, ob es gleich auf der andern Seite seinem Stolze schmeichelte, mit einem Manne in näherer Verbindung zu stehen, der sie mit solcher Ueberlegenheit zu führen verstand, was in jener kriegerischen Zeit kein geringes Verdienst war. Als er aber hörte, wie seine Tochter ihrem Liebhaber als den kürzesten Weg, jene friedliche Stimmung des Gemüths zu gewinnen, den bezeichnete, daß er das einträgliche Handwerk aufgeben solle, worin es ihm Keiner gleichthat, und welches ihm bei den Fehden, die täglich stattfanden, und bei den häufigen Kriegen einen namhaften Gewinn sicherte, konnte er seinen Zorn nicht länger bemeistern. Kaum hatte Katharina ihrem Verlobten den Rath gegeben, Ackergeräthe zu fertigen, als ihr Vater, überzeugt, daß er recht habe, worüber er im Anfange der Rede seiner Tochter etwas zweifelhaft gewesen, sie mit den Worten unterbrach: »Schlösser und Riegel! Pflugscharen und Eggenzähne!– warum nicht lieber Schaufeln und Feuerzangen? da braucht' er weiter nichts, als einen Esel, der seine Waaren von Dorf zu Dorf trüge, und du könntest einen zweiten an der Halfter nachführen. Ei, Katharina, Mädchen, hast du den Verstand ganz verloren, oder meinst du, in diesem eisernen Jahrhundert werde man viele Leute finden, die ihr Geld für etwas Anderes ausgeben mögen, als für dasjenige, wodurch sie sich in den Stand gesetzt sehen, ihren Feinden das Leben zu nehmen oder das ihrige zu vertheidigen? Was wir gegenwärtig nöthig haben, thörichtes Mädchen, ist ein Schwert, uns zu schützen, keine Pflugschar, um die Erde zu öffnen und ihr die Saat anzuvertrauen, die wir vielleicht nimmer reifen sehen. Das tägliche Brod nimmt sich der Stärkere und lebt, der Schwache geht leer aus und stirbt Hungers. Glücklich, wer wie mein würdiger Sohn im Stande ist, sich seinen Unterhalt auf andere Weise zu gewinnen, als mit dem Schwert in der Hand, das aus seiner Werkstätte hervorgeht. Predige ihm den Frieden, so lange du magst– dagegen werd' ich nie etwas einwenden; aber dich dem ersten Waffenschmied in Schottland rathen hören, er solle keine Schwerter, Streitäxte und Rüstungen mehr fertigen, das heißt die Geduld selbst erschöpfen. Gehe mir aus den Augen! und morgen früh, wenn du das Glück hast, Harry Schmied zu sehen, was mehr ist, als dein Betragen verdient, so erinnere dich, daß du einen Mann siehst, der in Führung des Schwertes und der Streitaxt in Schottland seines Gleichen nicht hat, und der im Jahre fünfhundert Mark erwerben kann, ohne einen Feiertag zu entweihen.« Als die Tochter ihren Vater in so bestimmtem Tone sprechen hörte, verneigte sie sich ehrerbietig und zog sich ohne weitere Abschiedsworte nach ihrem Schlafgemach zurück. Drittes Kapitel Woher kommt Schmied, ob Lord, ob Knapp', ob Ritter, Als von dem Schmied, der vor dem Amboß steht?                                                   Verstegan. Des Waffenschmieds Herz schwoll von verschiedenen widerstreitenden Empfindungen, so daß es den ledernen Koller sprengen zu wollen schien, unter welchem es verborgen lag. Er stand auf und streckte seine Hand dem Handschuhmacher entgegen, während er das Gesicht von ihm abkehrte, als wünsche er, daß man in seinen Mienen nicht seine Bewegung lesen möchte. »Wahrlich, hängt mich auf, wenn ich Euch jetzt Lebewohl sage, Mensch,« sprach Simon, seine Hand auf jene legend, die ihm der Waffenschmied entgegenhielt. »Unter einer Stunde mindestens will ich Euch die Hand nicht zum Abschied schütteln. Wartet einen Augenblick, Mann, und ich will Euch das Alles erklären. Gewiß werden einige Tropfen Blut aus der aufgeritzten Haut und etliche thörichte Worte von eines thörichten Mädchens Lippen Vater und Sohn nicht scheiden, wenn sie einander so lange nicht gesehen hatten? Bleib also, Mann, wenn dir etwas am Segen eines Vaters und des heiligen Valentin liegt, dessen heiliger Festabend heute ist.« Bald hörte man, wie der Handschuhmacher laut nach Dorothee rief, und nachdem dieselbe mit Schlüsseln geklimpert und Treppen auf- und abgelaufen, erschien sie mit drei großen Bechern von grünem Glas, was in jener Zeit für eine große und kostbare Seltenheit galt, und der Handschuhmacher folgte ihr mit einer großen Flasche, mindestens drei Quart unserer entarteten Zeit enthaltend. – »Da ist ein Glas Wein, Harry, mindestens die Hälfte älter, als ich selber; mein Vater erhielt ihn zum Geschenk vom alten wackern Crabbe, dem flämischen Ingenieur, der während der Minderjährigkeit David's II. Perth so tüchtig vertheidigte. Wir Handschuhmacher vermochten stets im Kriege etwas vor uns zu bringen, wenn dieser gleich nicht in so unmittelbarer Beziehung zu uns steht, wie zu Euch, die Ihr in Eisen und Stahl arbeitet. Mein Vater hatte sich die Gunst des alten Crabbe zu erwerben gewußt; ich will dir ein andermal sagen, bei welcher Gelegenheit und wie lange diese Flaschen eingegraben waren, um sie den englischen Plünderern zu entziehen. Ich will jetzt einen Becher auf das Wohl der Seele meines Vaters leeren – mögen ihm seine Sünden vergeben sein! Dorothee, du magst darauf Bescheid thun, dann kannst du in dein Schlafgemach gehen. Ich weiß, daß du die Ohren spitzest, Weib, aber ich habe zu sagen, was Niemand hören darf, außer Harry Schmied, mein angenommener Sohn.« Dorothee wagte nicht zu widersprechen, sondern nahm ihr Glas, oder vielleicht ihren Humpen, guten Muthes und zog sich sodann, wie ihr Herr befohlen hatte, in ihr Schlafgemach zurück. Die beiden Freunde blieben allein. »Es betrübt mich, Freund Harry,« sagte Simon, während er sein und seines Gastes Glas füllte, »es betrübt mich, bei meiner Seele, daß meine Tochter so übel gelaunt ist; aber es fällt auch, dünkt mich, ein Theil der Schuld auf dich. Warum kommst du mit Schwert und Dolch hierher, da du doch weißt, daß sie einfältig genug ist, den Anblick dieser Waffen nicht ertragen zu können? Erinnerst du dich nicht, daß du vor deiner Abreise nach Perth einen kleinen Streit mit ihr hattest, weil du dich nicht in die friedliche Tracht der ehrbaren Bürger kleiden willst, sondern immer bewaffnet sein mußt, wie die schurkischen Jackmans, die im Dienste des Adels stehen? Es ist wahrlich Zeit genug für einen friedsamen Bürger zu den Waffen zu greifen, wenn die Gemeindeglocke schallt, die uns in die Waffenrüstung ruft.« »Ach, mein guter Vater, das war nicht meine Schuld; aber kaum hatt' ich meinen Klepper verlassen, als ich hierher eilte, um Euch von meiner Rückkehr zu benachrichtigen und Euch um die Erlaubniß zu bitten, wenn's Euch gefällt, für dies Jahr Mistreß Katharinens Valentin zu sein. Nachdem ich von Mrs. Dorothee erfahren, daß Ihr Beide in die Dominikanerkirche gegangen waret, so entschloß ich mich, Euch dorthin zu folgen, theils, um mit Euch die Messe zu hören, und dann auch, möge mir's unsere liebe Frau und St. Valentin vergeben, um sie zu sehen, die so selten an mich denkt. Als Ihr in die Kirche ginget, sah ich drei Männer, die mir verdächtig schienen, während sie Euch und Katharina in's Auge faßten und sich mit einander beriethen; namentlich erkannte ich Sir John Ramorny trotz seiner Verkleidung recht gut, ungeachtet er ein sammetnes Band über dem einen Auge hatte und einen Mantel trug, wie ihn gewöhnlich die Diener haben. So dacht' ich, weil Ihr alt seid, Vater Simon, und der Lehrbursche mir etwas zu jung vorkam, um sich gut zu schlagen, ich würde wohl daran thun, Euch beim Nachhausegehen in der Stille zu folgen, weil ich nicht zweifelte, mit den Waffen, die ich trug, leicht einen Jeden, der Euch anzugreifen wagte, zurechtweisen zu können. Ihr habt, wie Ihr wißt, selber mich erkannt, und mich, ich mochte wollen oder nicht, eintreten heißen; sonst, das kann ich Euch versichern, wär' ich nicht vor Eurer Tochter erschienen, ohne vorher das Wams anzulegen, das ich mir in Berwick nach der neuesten Mode habe machen lassen, und hätte die Waffen, die sie nicht leiden kann, ihr nicht vor die Augen gebracht. Und gleichwohl, die Wahrheit zu sagen, haben so viele Leute, aus der oder jener Ursache, einen tödtlichen Haß auf mich geworfen, daß ich so gut als irgend ein Schotte nöthig habe, bei Nacht bewaffnet auszugehen.« »Das närrische Mädchen denkt daran nie,« sagte Simon Glover; »sie hat nicht so viel Verstand, zu erwägen, daß in unserm lieben Schottland Jeder das Recht und die Freiheit zu haben glaubt, sich selber Gerechtigkeit zu verschaffen. Aber Harry, mein Sohn, du thust Unrecht, daß du dir ihre Worte so zu Herzen nimmst. Ich habe dich kühn genug vor andern Mädchen gesehen – warum so still und wortkarg bei ihr?« »Weil sie verschieden von andern Mädchen ist, Vater Glover – weil sie nicht nur schöner, sondern auch klüger, höher, heiliger ist, und mir aus besserm Stoff gemacht zu sein scheint, als wir, die wir uns ihr nähern. Unter andern Mädchen kann ich den Kopf hoch tragen, wenn wir um den Maibaum tanzen; aber in Katharinens Nähe erscheine ich mir nur als ein gemeines, wildes Wesen, kaum werth, die Augen zu ihr zu erheben, und noch weniger, den Lehren, die sie mir gibt, zu widersprechen.« »Ihr seid ein unkluger Kaufmann, Harry Schmied,« erwiderte Simon, »und schätzt die Waaren zu hoch, die Ihr einkaufen wollt. Katharina ist ein gutes Mädchen und meine Tochter; aber wenn Ihr durch Eure Schüchternheit und Schmeichelei einen eingebildeten Affen aus ihr macht, so werdet weder Ihr noch ich unsere Wünsche erfüllt sehen.« »Ich fürchte es oft, mein guter Vater,« sagte der Schmied; »denn ich fühle, wie wenig ich Katharina verdiene.« »Ei was fühlen!« sagte der Handschuhmacher; »fühle für mich, Freund Schmied, für Katharina und für mich. Denke, wie das arme Kind vom Morgen bis zum Abend belagert wird, und von welchen Leuten, selbst wenn Thüren und Fenster geschlossen sind. Wir wurden heute von Einem bestürmt, der zu mächtig ist, als daß ich ihn nennen möchte – ja, und er hat seine üble Laune nicht zu bergen gesucht, als ich nicht dulden wollte, daß er in der Kirche während des Hochamts meiner Tochter Schmeicheleien vorschwatzte. Und so gibt's noch Viele, die sich ebenso ungeziemend benehmen. Daher hab' ich oft den Wunsch, Katharina möchte minder hübsch sein, daß sie diese gefährliche Bewunderung nicht erregte, oder etwas minder fromm, daß sie sich entschließen könnte, die ehrbare, zufriedene Hausfrau des wackern Harry Schmied zu werden, der sie gegen jede Unbilde der Ritterschaft des Hofes von Schottland schützen könnte.« »Und wenn ich's nicht thäte,« sagte Harry, eine Hand und einen Arm ausstreckend, deren Knochen und Muskeln einem Riesen anzugehören schienen, »so will ich nie mehr einen Hammer auf den Ambos fallen lassen. Ja, und wenn es dahin käme, so würde meine schöne Katharina einsehen, daß es nichts so gar Schlimmes ist, wenn ein Mann sich ein Bischen vertheidigen kann. Aber sie meint, glaub' ich, die Welt sei ein großer Dom, und Alle, die darin leben, müßten sich betragen, als wären sie bei einer ewigen Messe.« »Ja, in Wahrheit,« sagte der Vater, »sie übt einen seltsamen Einfluß auf diejenigen, die ihr nahen; – der hochländische Bursche, Conachar, der mir nun seit einigen Jahren zu schaffen macht, hat, wie du weißt, ganz die Art seiner Landsleute, und doch gehorcht er Katharinen auf das geringste Zeichen, und sie ist wirklich fast die Einzige im Hause, die ihn regieren kann. Sie gibt sich viel Mühe, ihn seine rauhen Hochlandsgewohnheiten ablegen zu lassen.« Hier ward Harry Schmied unruhig auf seinem Stuhle, er erhob die Flasche, stellte sie wieder hin und rief endlich: »Der Teufel hole den jungen Hochländerhund und seine ganze Sippschaft! Was braucht Katharina einen solchen Burschen zu unterweisen! Es wird ihr mit ihm gehen, wie mit dem jungen Wolf, den ich thörichter Weise als einen jungen Hund aufziehen wollte. Jedermann hielt ihn für zahm; aber in einem unglücklichen Augenblicke, da ich auf dem Berge Moncrieff mit ihm spazieren ging, warf er sich auf die Heerde des Laird und richtete unter dieser eine Verheerung an, die mir theuer zu stehen gekommen wäre, wenn der Laird nicht gerade eine Rüstung nöthig gehabt hätte. Daher wundert es mich, daß Ihr, Vater Glover, der Ihr doch ein Mann von Einsicht seid, diesen hochländischen Burschen – der seine Mucken hat, verlaßt Euch d'rauf – so nah' bei Katharina laßt, als wenn außer Eurer Tochter Niemand seine Schulmeisterin machen könnte.« »Pfui, mein Sohn, pfui, – Ihr seid jetzt eifersüchtig,« sagte Simon, »auf einen armen jungen Burschen, der sich, um Euch die Wahrheit zu sagen, hier nur aufhält, weil er auf der andern Seite des Gebirges nicht so gut leben kann.« »Ja, ja, Vater Simon,« entgegnete der Schmied, der all' die beschränkten Ansichten des Bürgers jener Zeit hatte, »fürchtete ich nicht, Euch zu beleidigen, so würde ich sagen, daß Ihr Euch mit jenem Volke draußen gar viel zu schaffen macht.« »Ich muß meine Rehhäute, Bockshäute, Elennshäute u. s. w. irgendwoher haben, mein guter Harry, und mit den Hochländern handelt sich's gut.« »Sie können gut mit sich handeln lassen,« erwiderte Harry trocken; »denn sie verkaufen blos gestohlene Waare.« »Nun gut – sei das, wie es wolle; es geht mich nichts an, woher sie das Thier haben, wenn ich nur die Häute bekomme. Aber, wie gesagt, gewisse Rücksichten nöthigen mich, den Vater des jungen Burschen zu verbinden, indem ich ihn im Hause behalte. Er ist auch nur ein halber Hochländer und hat gar nicht ihre ungeschlachte Art so ganz und gar; – überhaupt hab' ich ihn selten so heftig gesehen, wie er sich heute zeigte.« »Ihr konntet es auch nicht, wenn er nicht seinen Mann tödtete,« erwiderte der Schmied in demselben trockenen Tone. »Trotzdem, wenn Ihr es wünscht, Harry, will ich alle anderen Rücksichten bei Seite setzen, und den Burschen morgen früh ein anderes Quartier suchen lassen.« »Ach, Vater,« sagte der Schmied, »Ihr könnt glauben, daß dem Harry Gow nicht so viel an jener Bergkatze liegt, als an einer Kohle. Wahrlich, mich sollt' es nicht kümmern, seinen Clan das Schuhthor [eine Hauptstraße in Perth] herab mit dem Slogangeschrei und klingendem Spiele kommen zu sehen; ich wollte fünfzig Klingen und Schilde finden, um sie schneller zurückzusenden, als sie kamen. Aber die Wahrheit zu sagen, so närrisch es auch klingen mag – es will mir nicht gefallen, den hartnäckigen Burschen so oft um Katharina zu sehen. Bedenkt, Vater Glover, daß Euer Handwerk Eure Hände und Augen in Anspruch nimmt, und daß Ihr demselben Eure ganze Aufmerksamkeit widmen müßt, selbst wenn der Taugenichts mit arbeitet, was, wie Ihr ja wißt, selten geschieht.« »Und das ist wahr,« sagte Simon; »er schneidet all' seine Handschuhe nur für die rechte Hand und konnte nie in seinem Leben ein Paar fertig machen.« »Ohne Zweifel sind seine Meinungen vom Zuschneiden anderer Art,« sagte Harry. »Aber mit Eurer Erlaubniß, Vater, wollt' ich nur sagen, daß er, ob er nun arbeitet oder nichts thut, keine schiefen Augen hat; seine Hände sind weder durch heißes Eisen verbrannt, noch durch Arbeit mit dem Hammer hart geworden; sein Haar ist nicht durch Rauch geschwärzt, noch am Ofen verbrannt, daß es einem Dachsfell ähnlicher sieht, als dem Haupthaar eines ehrlichen Christen. Mag nun Katharina eine noch so gute Tochter sein – und ich behaupte, sie ist die beste in ganz Perth – so muß sie doch sehen und wissen, daß dies Alles zwischen dem einen und dem andern Mann einen Unterschied machen muß, und daß der Vergleich nicht zu meinen Gunsten ausfällt.« »Hier deine Gesundheit von ganzem Herzen, Sohn Harry!« sagte der alte Mann, seinem Gefährten einen Becher und einen zweiten für sich selber füllend; »ich sehe, daß du, ein so guter Schmied du auch bist, doch das Metall nicht kennst, woraus Weiber gemacht sind. Du must dreister sein, Harry, und dich nicht benehmen, als gingest du zum Galgen, sondern als ein munterer Gesell, der weiß, was er werth ist, und sich von der besten der Töchter Eva's nicht überzeugen läßt. Katharina ist ganz wie ihre Mutter, und du irrst dich gewaltig, wenn du meinst, daß alle Weiber sich nur durch's Auge einnehmen lassen. Man muß auch ihr Ohr unterhalten, Mann. Eine Frau muß wissen, daß der, dem sie den Vorzug gibt, dreist und entschlossen ist, und die Gunst von zwanzig Andern gewinnen könnte, ob er sich gleich nur um die ihrige bewirbt. Glaube das einem Alten; die Weiber lassen sich öfter durch die Meinung Anderer bestimmen, als durch ihre eigne. Wenn Katharina fragt, wer der entschlossenste Mann in Perth sei, was wird sie zur Antwort erhalten? Harry, der Schmied. Wer der beste Waffenschmied, der je eine Wehr auf dem Ambos gehabt? Harry Schmied. Der gewandteste Tänzer? Der lustige Waffenschmied. Wer die besten Lieder singt? Harry Gow. Der beste Kämpfer, der mit Schwert und Schild am tüchtigsten umzugehen, ein Pferd zu bändigen und einen wilden Hochländer zurechtzuweisen versteht? Das bist du ebenfalls – immer wieder du – Keiner sonst als du. Und dir sollte sie den winzigen Hochländerknaben vorziehen? pfui, da könnte sie ebenso gut einen Blechhandschuh mit einem Rehfell überziehen! Ich sage dir, Conachar ist ihr gar nichts werth, höchstens, daß sie ihn aus den Krallen des Satans retten möchte, welcher meint, er sei ihm, wie die andern Hochschotten, verfallen. Der Himmel segne sie, das arme Geschöpf! sie möchte die ganze Menschheit auf bessere Gedanken bringen, wenn sie könnte.« »Was ihr ganz gewiß fehlschlagen wird« – sagte der Schmied, der, wie der Leser gemerkt haben kann, dem Geschlechte der Hochländer nicht gewogen war. »Ich möchte hier für den Satan wetten, von dem ich was verstehen muß, weil er ein Arbeiter im nämlichen Elemente wie ich ist, gegen Katharina – der Teufel wird den Tartan holen, das ist so gut wie gewiß.« »Ja, aber Katharina,« erwiderte der Handschuhmacher, »hat einen Beistand, von dem du wenig verstehst – Pater Clemens hat sich des jungen Burschen angenommen, und der fürchtet hundert Teufel so wenig, als ich eine Heerde Gänse.« »Pater Clemens?« sagte der Schmied; »Ihr macht immer einen neuen Heiligen in dieser guten Stadt St. Johnston. Bitt' Euch, wer mag der Teufelsbändiger sein? Einer Eurer Einsiedler, der sich zum heiligen Werke vorbereitet, wie ein Ringer zum Kampfe, und sich durch Fasten und Buße dazu geschickt macht – nicht so?« »Nein, das ist das Wunderbare bei der Sache,« sagte Simon; »Vater Clemens ißt, trinkt und lebt ganz wie die anderen Leute – trotzdem beobachtet er streng alle Regeln der Kirche.« »O, ich begreife! ein lustiger Priester, der lieber fröhlich als heilig lebt, – der am Abend vor Aschermittwoch eine Kanne leert, um sich für die Fasten zu stärken – ein Lebemann, der die artigsten Weiber der Stadt zur Beichte hört?« »Ihr seid immer noch im Irrthum, Schmied. Ich sag' Euch, meine Tochter und ich können weder einen Fastenden, noch einen vollen Heuchler ausstehen. Aber Pater Clemens ist weder der eine noch der andere.« »Aber was ist er denn, in des Himmels Namen?« »Einer, der entweder viel besser ist, als die Hälfte seiner Brüder von St. Johnston zusammengenommen, oder so vielmal schlimmer, als der Schlimmste von ihnen, daß es eine Sünde und Schande wäre, ihn im Lande zu dulden.« »Mich dünkt, es wäre leicht zu sagen, ob er der eine oder der andre ist,« sagte der Schmied. »Begnügt Euch, mein Freund,« sagte Simon, »zu wissen, daß, wenn Ihr Pater Clemens nach dem beurtheilt, was Ihr ihn thun sehet und sprechen hört, er Euch als der beste und wohlthätigste Mensch von der Welt erscheinen muß; denn er ist der Trost der Traurigen und der Rath der Dürftigen, der sicherste Führer des Reichen und des Armen bester Freund. Aber hört Ihr auf das, was die Dominikaner von ihm sagen, so ist er – benedicite! (hier bekreuzte sich der Handschuhmacher auf Stirn und Brust) ein schnöder Ketzer, der mittels irdischer Flammen zu denen geschickt werden sollte, welche ewig brennen.« Der Schmied bekreuzte sich gleichfalls und rief aus: – »Heilige Maria! Vater Simon, und Ihr, der Ihr so viel Einsicht und Verstand habt, daß man Euch den weisen Handschuhmacher von Perth nennt, Ihr duldet, daß Eure Tochter einen Menschen zum Beichtvater hat, der – alle Heiligen schützen uns! – mit dem bösen Feinde selber im Bunde stehen soll? Wie? ist es nicht der Priester, der im Meal-Vennel den Teufel beschwor, als Hodge Jackson's Haus von einem Sturmwind eingerissen wurde? Und erschien nicht der Teufel mitten im Tay mit einem Skapulier und grunzte im Wasser wie ein Meerschwein, an dem Morgen, als unsre schöne Brücke fortgerissen wurde?« »Ich kann nicht sagen, ob er's that oder nicht,« sagte der Handschuhmacher; »ich weiß nur, daß ich ihn nicht sah. Was Katharina betrifft, so kann man nicht sagen, daß Pater Clemens ihr Beichtvater sei, da dies der alte Pater Francis, der Dominikaner, ist, der ihr heute die Absolution ertheilt hat. Aber die Weiber sind bisweilen eigenwillig, und gewiß ist, daß sie öfter, als ich wünschte, mit Pater Clemens Verathung hält. Und doch ist er mir selber, so oft ich ihn gesprochen habe, so tugendhaft und fromm erschienen, daß ich ihm gern das Heil meiner Seele anvertrauen würde. Es sind schlimme Gerüchte über ihn bei den Dominikanern im Umlauf, das ist wahr; aber was geht das uns Laien an, mein Sohn? Leisten wir unsrer heiligen Mutter Kirche, was ihr gebührt, geben Almosen, beichten, thun die Buße, die uns auferlegt wird, und die Heiligen werden mit uns sein.« »Ja, sicherlich; und sie werden ein Einsehen haben,« sagte der Schmied, »wegen eines raschen und unglücklichen Schlages, den ein Mann in einem Kampfe austheilt, wenn er sich zu vertheidigen hat; und das ist das einzige Glaubensbekenntniß, mit dem ein Mann in Schottland leben kann, Eure Tochter mag darüber denken, wie sie will. Wahrlich, ein Mann muß zu fechten verstehen, oder sein Leben ist nur auf kurze Frist geliehen in einem Lande, wo Schläge so reichlich fallen. Fünf Rosenobel haben mir für den besten Mann, mit dem ich ein Unglück hatte, Sühne bei unserem Altar verschafft.« »So laß uns denn vollends unsere Flasche leeren,« sagte der alte Handschuhmacher; »denn ich höre vom Dominikanerthurm Mitternacht schlagen. Und nun hör' an, Sohn Harry: sei ganz früh an unserm Fenster, das gen Morgen sieht, und gib mir von deiner Ankunft ein Zeichen, indem du leise die Schmiedeweise pfeifst. Ich will dafür sorgen, daß Katharina zum Fenster heraussieht, und so erhältst du für den Rest des Jahres alle Vorrechte eines artigen Valentin; wenn du diese nicht zu deinem Vortheil nutzen kannst, so werde ich glauben müssen, daß, wenn du auch in die Löwenhaut gehüllt bist, dir die Natur doch die langen Ohren des Esels gelassen hat.« »Amen, Vater,« sagte der Waffenschmied; »ich wünsch' Euch herzlich gute Nacht und Gottes Segen auf Euer Dach und diejenigen, die es deckt. Ihr sollt des Schmieds Signal mit dem Hahnenschrei hören; ich werde gewiß den Herrn ›Hellsänger‹ beschämen.« So sprechend nahm er Abschied; und obwohl völlig furchtlos, ging er durch die verlassenen Straßen doch sehr vorsichtig nach seiner Behausung, welche im Mill Wind, am westlichen Ende von Perth, lag. Viertes Kapitel Was all die Unruh' nun bedeuten mag? Nur eines armen, jungen Herzens Schlag. Dryden. Der muntere Waffenschmied war, wie man glauben kann, keineswegs träge in Vollzug der Weisung, die ihm sein künftiger Schwiegervater gegeben hatte. Er wandte mehr als gewöhnliche Sorgfalt auf seinen Anzug, indem er diejenigen Stücke, die ein kriegerisches Ansehen hatten, möglichst in Schatten stellte. Er war zu bekannt, um in einer Stadt gänzlich unbewaffnet zu gehen , wo er zwar viele Freunde, aber auch, in Folge seiner früheren Thaten, viele Todfeinde hatte, von denen, wie ihm wohlbewußt war, wenig Schonung zu erwarten stand, wenn sie Anlaß fanden, ihn vortheilhaft anzugreifen. Er trug deshalb unter seiner Kleidung ein Panzerhemd, welches so leicht und fügsam war, daß es ihm in seinen Bewegungen ebenso wenig hinderlich war, als eine Weste der neueren Zeit, während er sich gleichwohl völlig sicher damit fühlen konnte, da er jeden Ring daran selber geschmiedet und an einander gefügt hatte. Ueber dieser Rüstung hatte er, gleich den andern Bürgern seines Alters, die Hosen und das Wams der Niederländer, die zu Ehren des Feiertags von feinstem englischem Tuche, lichtblau mit schwarzem Taffet aufgeschlitzt und mit einer Stickerei von schwarzer Seide ausgenähet waren. Seine Stiefel waren von Korduan und sein Mantel, von derbem, grauem, schottischem Tuche, diente dazu, ein kurzes, im Gürtel steckendes Schwert zu verbergen. Dies war seine einzige Waffe zum Angriff, denn in der Hand trug er nur eine Stechpalme. Seine schwarze Sammetmütze war mit Stahl ausgelegt und zwischen dem Metall und seinem Kopfe mit Wolle gefüttert, so daß sie ein Mittel der Vertheidigung gab, worauf er sich verlassen konnte. Im Ganzen zeigte Harry, wie es ihm wohl zukam, das Ansehen eines reichen und angesehenen Bürgers, der in seiner Kleidung so viel Pracht entfaltete, als er durfte, ohne sich über seinen Stand zu erheben und in den des Adels einzugreifen. Auch hatte sein freies und männliches Benehmen, obwohl es seinen gänzlichen Gleichmuth hinsichtlich der Gefahr anzeigte, doch nicht die geringste Aehnlichkeit mit dem der Raufbolde und Prahler jener Zeit, mit denen man Harry bisweilen, jedoch mit Unrecht, verwechselte, weil man seine häufigen Händel einem heftigen Charakter zuschrieb, dessen Quelle aus dem Bewußtsein seiner persönlichen Stärke und seiner Geschicklichkeit in Führung der Waffen entspringen sollte. Seine Züge trugen vielmehr nur den Ausdruck gutmüthiger Offenheit, die nicht daran dachte, Jemand zu kränken, während sie gleichwohl keinen Angriff fürchtete. Nachdem er sich auf's Beste angekleidet, steckte der ehrsame Waffenschmied in den Busen, zunächst seinem Herzen (welches dabei heftig klopfte), ein kleines Geschenk, welches er lange schon für Katharina Glover angeschafft hatte, und das seine Eigenschaft als Valentin ihn bald berechtigen sollte ihr zu überreichen, so wie sie, es ohne Bedenken anzunehmen. Es war ein kleiner Rubin, in Form eines von einem goldnen Pfeil durchbohrten Herzens geschnitten, und in ein Kästchen aus Stahlringen von der feinsten Arbeit gefaßt, wie wenn es für einen König bestimmt gewesen wäre. – Rings um den Rand der Kapsel standen die Worte: »Der Liebe Pfeil Durchbohrt das Herz Trotz Panzers Erz.« Diese Devise hatte dem Waffenschmied einiges Nachdenken gekostet, und er war sehr zufrieden mit seiner Idee, weil sie anzudeuten schien, daß seine Kunst alle Herzen vertheidigen könne, außer sein eignes. Er hüllte sich in seinen Mantel und eilte durch die noch stillen Straßen, entschlossen, noch etwas vor dem Morgengrauen am bezeichneten Fenster zu erscheinen. In dieser Absicht ging er durch die Highstreet und wandte sich über den Platz, wo jetzt St. John's Kirche steht, um nach der Curfewstraße zu gehen; da schien es ihm, nach dem Ansehen des Himmels, als sei es mindestens um eine Stunde zu früh für seinen Zweck, und es sei besser, am Platze des Rendezvous nicht vor der bestimmten Zeit zu erscheinen. Andere Liebhaber mochten wahrscheinlich so gut als er beim Hause des schönen Mädchens von Perth auf der Lauer stehen, und er kannte seine Schwäche zu wohl, um nicht zu fühlen, daß er dann in Gefahr sei, mit ihnen Streit zu beginnen. »Ich habe den Vortheil,« dachte er, »daß Vater Simon mein Freund ist; und warum sollte ich meine Finger mit dem Blute armer Geschöpfe beflecken, die meiner Aufmerksamkeit nicht werth sind, weil sie minder glücklich sind, als ich? Nein, diesmal will ich klug sein und jede Versuchung zum Streite fern von mir halten. Ich will ihnen nur so viel Zeit gönnen, Händel mit mir zu suchen, als nöthig ist, das verabredete Zeichen zu geben, und von Vater Simon Antwort zu erhalten. Ich kann mir's nicht denken, wie er's angreifen wird, seine Tochter an's Fenster zu bringen. Ich fürchte, wenn sie seine Absicht wüßte, würde es Schwierigkeiten haben, sie zu erreichen.« Während diese Gedanken, wie sie einem Liebhaber eigen, durch sein Hirn zogen, mäßigte der Waffenschmied seinen Schritt, oft die Augen gen Osten wendend und das Firmament beobachtend, wo noch kein leiser grauer Streif erschien, um die Nähe der Frühdämmerung zu verkündigen, obwohl sie nicht fern, so daß es der Ungeduld des rüstigen Waffenschmieds vorkam, als zögere die Morgenröthe diesmal länger als gewöhnlich. Langsam ging er an der Mauer der St. Annenkapelle vorüber (wobei er nicht verfehlte, ein Kreuz zu schlagen und ein Ave zu sprechen, während er den geweihten Boden betrat), als eine Stimme, die hinter einem der Kapellenpfeiler hervorzukommen schien, sagte: »Er schlendert, da ihm noth thäte zu laufen.« »Wer spricht?« sagte der Waffenschmied, sich umschauend und etwas überrascht über eine in Ton und Ausdruck so unerwartete Stimme. »Thut nichts zur Sache, wer spricht,« antwortete dieselbe Stimme. »Beeile dich sehr, sonst wirst du kaum zur rechten Zeit kommen. Verschwende nicht Worte, sondern geh'.« »Heiliger oder Bösewicht, Engel oder Teufel,« sagte Harry, sich bekreuzend, »dein Rath geht mich zu nahe an, um vernachlässigt zu werden. Heiliger Valentin, leih' mir Schnelligkeit!« So sprechend, vertauschte er alsbald seinen langsamen Gang mit einem, dem wohl Wenige Schritt gehalten hätten, und im Augenblick befand er sich in der Curfewstraße. Er hatte noch keine drei Schritte gegen Simon Glover's Haus gethan, das in der Mitte der engen Straße lag, als zwei Männer, die sich zu beiden Seiten an der Mauer aufgestellt hatten, wie durch verabredete Bewegung auf ihn zukamen, um ihm den Weg zu vertreten; das unvollkommene Licht ließ ihn nur unterscheiden, daß sie das hochschottische Gewand trugen. »Räumt den Weg, Räuber,« sagte der Waffenschmied mit der tiefen Stimme, welche der Breite seiner Brust entsprach. Sie antworteten nicht, zum wenigsten nicht verständlich, aber er konnte sehen, daß sie ihre Schwerter zogen, in der Absicht ihm Gewalt entgegenzusetzen. Etwas Schlimmes vermuthend, ohne die Art desselben recht zu ahnen, entschloß sich Harry sofort, sich auf jeden Fall Bahn zu brechen und seine Geliebte zu vertheidigen, oder wenigstens zu ihren Füßen zu sterben. Er schlang seinen Mantel als Schild um seinen linken Arm und trat rasch und fest auf die beiden Männer zu. Der nächststehende führte einen Hieb gegen ihn, aber Heinrich, den Schlag mit dem Mantel parirend, schlug dem Menschen in's Gesicht und wußte ihn zu gleicher Zeit auf der Straße niederzuwerfen; fast im nämlichen Augenblick streckte er den Burschen, der ihm zur Rechten stand, mit einem Hieb seines Jagdmessers nieder, so daß er zu seinem Gefährten zu liegen kam. Inzwischen eilte der Waffenschmied unruhig vorwärts, wozu er guten Grund hatte, da die Straße von Fremden bewacht oder vertheidigt war, die sich solche Gewaltthaten erlaubten. Er hörte ein leises Flüstern am Hause des Handschuhmachers und gerade unter dem nämlichen Fenster, wo er gehofft hatte, Katharina zu erblicken und sich das Recht, ihr Valentin zu werden, zu erwerben. Er hielt sich auf der andern Seite der Straße, um die Anzahl und die Absichten derer, die sich hier befanden, zu erforschen. Aber einer von ihnen, die unter dem Fenster waren, hatte ihn gesehen oder gehört, lief, weil er ihn vermuthlich für eine der beiden Wachen hielt, über die Straße auf ihn zu und sagte mit halbunterdrückter Stimme: »Was bedeutet jener Lärm, Kenneth? Warum gabt Ihr nicht das Zeichen?« »Schurke,« sagte Harry, »Ihr seid entdeckt und sollt mit dem Leben bezahlen!« So sagend, führte er einen Hieb mit seiner Waffe gegen den Fremden, wodurch seine Drohung sich erfüllt haben würde, wenn der Mann nicht mit dem Arme den Hieb aufgefangen hätte, der seinem Haupte galt. Die Wunde mußte bedeutend sein, denn er wankte und fiel mit einem tiefen Seufzer. Ohne sich weiter um ihn zu kümmern, sprang Harry Schmied jetzt auf eine Schaar von Männern los, die, wie sich zeigte, damit beschäftigt waren, eine Leiter an das Fenster oben zu lehnen. Harry hielt sich nicht auf, sie zu zählen, bevor er an's Werk ging. Er erhob den Lärmruf der Stadt und gab das Zeichen, worauf sich die Bürger zu versammeln pflegen; damit warf er sich auf die Nachtschwärmer, deren einer bereits die Leiter erstieg. Der Schmied ergriff diese unten, warf sie auf das Pflaster, und indem er seinen Fuß auf den Körper des gestürzten Mannes setzte, hinderte er diesen aufzustehen. Die Genossen desselben griffen Harry heftig an, um ihren Gefährten zu befreien; aber sein Panzerhemd leistete ihm trefflichen Dienst, und reichlich gab er ihre Streiche zurück unter dem Rufe: »Helft, helft, es gilt St. Johnston! – Bogen und Klingen, brave Bürger! Man bricht in unsere Häuser im Schatten der Nacht!« Diese Worte, welche weit durch die Straßen hallten, waren von eben so vielen heftigen Hieben begleitet, die mit gutem Erfolg unter diejenigen ausgetheilt wurden, welche den Waffenschmied angriffen. Inzwischen begannen die Bürger aufzustehen und erschienen auf der Straße im Hemd, aber mit Schwertern und Schilden, einige auch mit Fackeln. Nun versuchten die Unbekannten zu entkommen, und dies gelang ihnen auch, bis auf denjenigen, der mit der Leiter umgeworfen worden war. Der muthige Waffenschmied hatte ihn in dem Augenblicke, wo er sich wieder aufrichtete, an der Kehle gefaßt und hielt ihn so fest, wie der Windhund den Hasen. Die andern Verwundeten waren von ihren Kameraden fortgetragen worden. »Hier ist ein Stück von Schurken, wie sie den Frieden der Stadt brechen,« sagte Harry zu den Nachbarn, die sich zu versammeln begannen; »eilt den Schuften nach. Sie können nicht alle davonkommen, denn ich habe einige von ihnen gezeichnet; das Blut wird euch auf ihre Spur führen.« »Einige hochländische Räuber,« sagten die Bürger – »auf und ihnen nach, Nachbarn!« »Ja, ja, nach! laßt mich den Burschen hier handhaben!« fuhr der Waffenschmied fort. Die Andern zerstreuten sich nach verschiedenen Richtungen, während ihre Fackeln leuchteten und ihr Geschrei durch den ganzen umliegenden Bezirk widerhallte. Unterdessen bat des Waffenschmieds Gefangener um Freiheit, indem er Versprechungen und Drohungen anwendete. »Wenn du ein Edelmann bist,« sagte er, »laß mich gehen, und was geschehen ist, soll vergeben sein.« »Ich bin kein Edelmann,« sagte Harry – »ich bin Harry vom Wynd, ein Bürger von Perth; und ich habe nichts gethan, was Vergebung bedarf.« »Schurke, du weißt nicht, was du gethan hast! Aber laß mich gehen, und ich will deine Mütze mit Goldstücken füllen.« »Ich will deine Mütze gleich mit einem gespaltenen Kopfe füllen,« sagte der Waffenschmied, »wenn du nicht als Gefangener ordentlich still hältst.« »Was gibt's da, mein Sohn Harry?« sagte Simon, der jetzt am Fenster erschien. – »Ich höre deine Stimme in einem andern Tone, als ich erwartete. – Was soll all' dieser Lärm; und warum versammeln sich die Nachbarn allesammt?« »Es hat eine Schaar Schufte Euer Fenster ersteigen wollen, Vater Simon; aber ich werde wohl bei einem von ihnen Gevatter stehen, den ich hier halte, fest, wie eine Zange das Eisen.« »Hört mich, Simon Glover,« sagte der Gefangene; »laßt mich nur ein Wort mit Euch insgeheim sprechen, und befreit mich aus der Haft dieses eisenhändigen, bleitöpfigen Tölpels, so will ich Euch zeigen, daß man Euch und den Eurigen kein Leid thun wollte; und ferner will ich Euch sagen, was Euch von großem Vortheil sein wird.« »Ich sollte diese Stimme kennen,« sagte Simon Glover, der jetzt mit einer Blendlaterne an die Thür kam. »Sohn Schmied, laß diesen jungen Mann mit mir reden. Er ist nicht gefährlich, verlass' dich daraus. Bleib' nur einen Augenblick, wo du bist, und laß Niemand in's Haus treten, weder zum Angriff noch zum Schutz. Ich stehe dafür, daß der Herr nur einen St. Valentinsscherz im Sinne hatte.« So sprechend zog der alte Mann den Gefangenen hinein und schloß die Thür, Harry ein wenig überrascht über das unerwartete Licht lassend, worin sein Schwiegervater die Sache erblickte. »Ein Scherz!« sagte er; »das wär' mir ein wunderlicher Scherz geworden, wenn sie in's Schlafzimmer seiner Tochter gekommen wären! Und geglückt war's ihnen, wäre die freundliche Stimme nicht gewesen, die mich hinterm Kapellenpfeiler hervor gewarnt hat. Diese Stimme, wofern es nicht die der gepriesenen St. Anna war – und wer bin ich, daß sie mich würdigte zu mir zu sprechen? – durfte sich dort ohne ihre Zustimmung nicht hören lassen, und ich gelobe ihr eine Wachskerze, so lang wie mein Jagdmesser. Ja, daß ich mein großes Schwert nicht bei mir hatte! Diese Jagdmesser sind zwar fein und zierlich, aber sie gehören eher in die Hand eines Knaben, als in die des Mannes. O, mein alter zweihändiger Trojaner, wärst du in meinen Händen gewesen, statt zu Häupten meines Bettes zu hängen, die Beine dieser Schufte hätten nicht so rasch laufen sollen! Aber ich sehe Fackeln und bloße Klingen. Heda! halt! Seid ihr für St. Johnston? – Wenn Freunde der guten Stadt, seid ihr willkommen.« »Wir waren nur Jäger ohne Beute,« sagten die Städter. »Wir folgten den Spuren des Blutes nach dem Begräbnißplatz der Dominikaner, und haben zwischen den Gräbern zwei von den Schuften gesehen, die einen dritten trugen, der vermuthlich von Euch einige Merkmale bekommen hatte, Harry; aber sie haben das Thor erreicht, eh' wir an sie kommen konnten. Sie zogen die Klosterglocke, – das Thor öffnete sich und weg waren sie. So sind sie in Sicherheit, und wir können wieder in unsere kalten Betten und uns wärmen.« »Ja,« sagte einer von der Schaar, »die guten Dominikaner haben immer einen Bruder, der wacht, damit er das Thor jeder armen bedrängten Seele, die Schutz in der Kirche sucht, öffnen kann.« »Ja, wenn die arme gejagte Seele gut dafür bezahlen kann,« sagte ein Anderer; »aber wahrlich, ist er arm am Beutel, wie am Geiste, so kann er außen stehen bleiben, bis die Hunde zu ihm herankommen.« Ein Dritter, der einige Minuten lang mit der Fackel auf den Boden geleuchtet hatte, blickte jetzt empor und sprach ebenfalls. Er war ein munterer, rascher, ziemlich korpulenter, kleiner Mann, genannt Oliver Proudfute, wohlhabend und von Geltung in seiner Zunft, welches die der Strumpfwirker war; daher sprach er als ein Mann von Gewicht. – Kannst du uns sagen, lustiger Schmied,« – denn sie erkannten einander bei den Fackeln, die in die Straßen gebracht wurden, – »welcher Art die Schelme waren, die den Aufruhr in unserer Stadt machten?« »Die zwei, die ich zuerst sah,« antwortete der Waffenschmied, »schienen mir, soviel ich unterscheiden konnte, hochländische Plaids zu tragen.« »Ganz wahrscheinlich,« antwortete ein anderer Bürger, den Kopf schüttelnd. »Es ist eine Schande, daß die Lücken in unseren Mauern nicht ausgebessert sind, und daß diese landstreicherischen Hochländerschufte ehrliche Männer und Frauen in jeder hinreichend finstern Nacht aus ihren Betten scheuchen können.« »Aber seht hier, Nachbarn,« sagte Oliver Proudfute, eine blutige Hand zeigend, die er vom Boden aufgehoben hatte; »wann gehörte eine Hand wie diese einem Hochländer? Sie ist groß, das ist wahr, und starkknochig, aber zart wie eine Frauenhand, mit einem Ringe, der wie eine brennende Kerze funkelt. Simon Glover hat wohl schon Handschuhe für diese Hand gemacht, wenn ich mich nicht sehr irre, denn er arbeitet für alle Hofleute.« Die Zuschauer begannen hier mit verschiedenen Bemerkungen das blutige Pfand zu betrachten. »Wenn das der Fall ist,« sagte einer, »so wird für Harry Schmied das Beste sein, ein paar flinke Fersen zu zeigen, da der Richter den Schutz eines Bürgerhauses schwerlich als Entschuldigung für das Abhauen einer Edelmannshand gelten lassen wird. Die Gesetze über Verstümmelung sind hart.« »Pfui über Euch, daß Ihr so sagen könnt, Michael Wabster,« antwortete der Strumpfwirker; »sind wir nicht Stellvertreter und Nachkommen der wackern, alten Römer, welche Perth so ähnlich als möglich ihrer eigenen Stadt erbauten? Haben wir nicht Urkunden von all' unsern erlauchten Königen, die uns für ihre getreuen Unterthanen erklärten ? Wolltet Ihr zusehen, daß wir unsern Rechten, Gerechtsamen, Freiheiten, unserer hohen, mittlern und niedern Gerichtsbarkeit und unserm Rechte entsagten, Geldbußen, Verpfändungen und selbst Todesstrafe zu verhängen, falls einer auf frischer That ertappt wird? Dürfen wir dulden, daß das Haus eines ehrbaren Bürgers angegriffen wird, ohne daß er dafür Genugthuung erhält? Nein, wackere Genossen, Mitbrüder und Bürger, der Tag soll eher nach Dunkeld zurückfließen, ehe wir uns solcher Ungerechtigkeit unterwerfen!« »Und wie können wir uns helfen?« sagte ein würdiger, alter Mann, der auf sein zweihändiges Schwert gelehnt stand – »was können wir thun?« »Wahrlich, Bailie Craigdallie, mich wundert, daß Ihr unter Allen die Frage thut. Ich wollte, wir gingen von hier Alle mit einander als brave Leute vor den König, selbst auf die Gefahr, seine Ruhe zu stören, stellten ihm vor, wie mißlich es für uns sei, zu gegenwärtiger Jahreszeit das Bett verlassen zu müssen, beinahe ohne alle andere Bedeckung, als das Hemd, zeigten ihm diese blutige Hand und bäten ihn, mit seinem königlichen Munde zu entscheiden, ob es recht und billig sei, daß seine getreuen Unterthanen durch die Ritter und Edeln seines ausschweifenden Hofes derartig behandelt werden. Und das hieße ich unsere Sache frisch verfechten.« »Frisch, sagst du?« erwiderte der alte Bürger; »ei, so frisch und warm, daß wir Alle vor Kälte sterben würden, Freund, ehe der Thürsteher den Schlüssel im Schloß umgedreht hätte, uns vor den König zu lassen. – Kommt, Freunde, die Nacht ist bitter. – Wir haben unsere Wache als Männer gehalten und unser wackerer Schmied hat zwei von denen, die uns eine Unbill anthun wollten, eine Lehre gegeben, die mehr fruchten wird, als zwanzig Bescheide des Königs. Morgen ist wieder ein Tag, da wollen wir wieder hier zusammenkommen, um über die Maßregeln Rath zu halten, die ergriffen werden müssen, um die Schurken zu entdecken und zu verfolgen. Und daher laßt uns jetzt gehen, bevor uns das Blut in den Adern erstarrt.« »Bravo, bravo, Nachbar Craigdallie – St. Johnston lebe hoch!« Oliver Proudfute hätte gern noch gesprochen, denn er war einer jener erbarmungslosen Redner, welche meinen, daß ihre Beredsamkeit alle Unbequemlichkeiten der Zeit, des Orts und der Umstände aufwiegt. Aber Keiner wollte mehr hören, und die Bürger zerstreuten sich nach ihren Häusern beim Lichte der Frühdämmerung, welche den Horizont zu färben begann.« Sie waren kaum gegangen, als sich die Thüre von Glovers Hause öffnete und der alte Mann, den Schmied bei der Hand nehmend, diesen hineinzog. »Wo ist der Gefangene?« fragte der Waffenschmied. » Er ist fort – entflohen – entkommen – was weiß ich von ihm?« sagte der Handschuhmacher. »Er entkam durch die Hinterthür und so durch den kleinen Garten. – Denkt seiner nicht, sondern kommt und seht die Valentine, deren Ehre und Leben Ihr diesen Morgen gerettet habt.« »Laßt mich nur die Waffe in die Scheide stecken,« sagte der Schmied – »laßt mich nur meine Hände waschen.« »Da ist kein Augenblick zu verlieren, sie ist auf und fast angekleidet. – Herein, Freund. Sie soll dich sehen mit deiner guten Wehr in der Hand und mit Schurkenblut an deinen Fingern, damit sie erkennt, was eines ächten Mannes Dienst werth ist. Sie hat mir den Mund nur zu lange mit ihrer Sprödigkeit und ihrer Bedenklichkeit geschlossen. Ich will, daß sie wisse, was eines braven Mannes Liebe gilt und eines kühnen Bürgers obendrein.« Fünftes Kapitel Auf, schöne Dame, kämm' dein Haar, Komm in den Morgen frisch und klar; Auf, flieh' das Bett, die Stunden floh'n. Die Kräh'n umschrien den Thurm längst schon.                                           Joanna Baillie Durch den lärmenden Auftritt aus ihrer Ruhe emporgeschreckt, hatte das schöne Mädchen von Perth in athemloser Angst den Tönen der Gewaltthat und dem Geschrei gelauscht, welches sich auf der Straße erhob. Sie war im Gebet um Hilfe auf ihre Kniee gesunken, und als sie die Stimmen der Nachbarn und Freunde unterschied, die sich zu ihrem Schutze versammelten, blieb sie in derselben Stellung, um dem Himmel zu danken. Sie kniete noch, als der Vater ihren Kämpen, Harry Schmied, fast in das Zimmer stieß; der schüchterne Liebhaber blieb anfangs unter der Thür stehen, als fürchtete er zu beleidigen, und dann, als er ihre Lage bemerkte, aus Ehrfurcht vor ihrer Andacht. »Vater,« sagte der Waffenschmied, »sie betet – ich wage so wenig, sie anzureden, als einen Bischof, wenn er die Messe liest.« »Nun, wie du denkst, tapferer und muthiger Thor,« sagte der Vater; »und dann fügte er, seine Tochter anredend, hinzu: »man dankt dem Himmel am besten, meine Tochter, durch Dankbarkeit, die wir gegen unsre Mitmenschen an den Tag legen. Hier kommt das Werkzeug, durch welches dich Gott vom Tode oder vielleicht vor Entehrung, schlimmer als der Tod, errettete. Nimm ihn auf, Katharina, als deinen redlichen Valentin, und als den, in welchem ich meinen lieben Sohn zu sehen wünsche.« »Nicht so – Vater,« antwortete Katharina. »Ich kann jetzt Niemand sehen oder sprechen. Ich bin nicht undankbar – vielleicht bin ich dem Werkzeuge meiner Rettung nur zu dankbar; aber laßt mich dem Schutzheiligen danken, der mir zur rechten Zeit Hilfe sandte, und gebt mir nur einen Augenblick, meinen Anzug zu vollenden.« »Nun, bei Gott, Mädchen, es wäre hart, dir die Zeit zum Ankleiden zu versagen, denn seit zehn Tagen ist das die einige weibliche Rede, die du hast hören lassen. Wahrhaftig, Sohn Harry, ich wollte, meine Tochter erlebte die Zeit, um eine ganze Heilige zu werden, wo man sie als die heilige Katharina die Zweite kanonisiren wird.« »Ei, scherzt nicht, Vater; denn ich will schwören, sie hat mindestens schon einen aufrichtigen Verehrer, der sich ihrem Willen geweiht hat, so gut es ein sündiger Mensch vermag. – Lebe denn wohl für den Augenblick, schönes Mädchen,« schloß er, seine Stimme erhebend, »und der Himmel sende dir Träume, so friedlich als deine Gedanken im Wachen. Ich gehe, um deinen Schlummer zu behüten, und wehe dem, der ihn stören sollte!« »Ach, guter und tapferer Harry, dessen warmes Herz so im Widerspruch mit deiner rauhen Hand steht, laß dich selbst nicht wieder in nächtliche Händel ein; nimm aber den freundlichsten Dank, und zugleich versuche die friedlichen Gedanken zu gewinnen, die du mir zuschreibst. Am Morgen werden wir uns sehen, damit ich Euch meiner Dankbarkeit versichern kann; – lebt wohl!« »Und lebt wohl, Gebieterin und Licht meines Herzens!« sagte der Waffenschmied, und die Treppe niedersteigend, die nach Katharinens Gemach führte, war er im Begriff, auf die Straße zu eilen, als der Handschuhmacher ihn am Arm ergriff. »Der Kampf von heute Nacht,« sagte er, »wird mir das Waffenklirren angenehmer machen, als ich je dachte, wenn es meine Tochter zu Verstande bringt, Harry, und sie lehrt, was du werth bist. Bei St. Macgrider! Ich liebe sogar jene Nachtschwärmer, und mich dauert der arme Liebhaber, dessen Linke nie wieder einen Schild tragen wird. Ja, er hat das verloren, was er Zeit seines Lebens vermissen wird, vorzüglich so oft er seine Handschuhe anziehen will, – ja, er wird künftig meinem Handwerke nur halbe Gebühren zahlen. – Wahrlich, keinen Schritt aus diesem Hause heut' Nacht,« – fuhr er fort. »Ich sage dir, du sollst uns nicht verlassen, mein Sohn.« »Das gedenk' ich nicht. Aber mit Eurer Erlaubniß will ich auf der Straße Wache halten. Der Angriff könnte erneuert werden.« »Und wenn auch,« sagte Simon, »so wirst du hier besser im Stande sein, sie abzutreiben, wenn du die vortheilhafte Stellung im Hause hast. Diese Weise zu fechten schickt sich für uns Bürger am besten – die nämlich, hinter steinernen Mauern Widerstand zu leisten. Unsere Pflicht, zu wachen für Sicherheit, lehrt uns diesen Kunstgriff; überdieß sind genug wach und munter, um uns bis zum Morgen Frieden und Ruhe zu sichern. So komm denn herein.« Mit diesen Worten zog er Harry, der nicht ungern folgte, in dasselbe Gemach, wo sie zu Abend gespeist hatten, und wo die alte Frau, die munter war, weil sie gleich Andern der nächtliche Lärm gestört hatte, bald Feuer anmachte. »Und nun, mein tapfrer Sohn,« sagte der Handschuhmacher, »sprich, welch' Getränk du willst, die Gesundheit deines Vaters zu trinken?« Harry Schmied hatte sich mechanisch auf einen alten, schwarzen Stuhl von Eichenholz niedersinken lassen, und starrte nun auf das Feuer, welches seine mannhaften Züge mit rother Gluth bestrahlte; halblaut murmelte er zu sich selber: – »Guter Harry – braver Harry – ach! hätte sie nur gesagt; lieber Harry!« »Was sind das für Getränke?« sagte der alte Glover lachend. »Mein Keller weiß nichts von dergleichen; aber wenn ich mit Sekt, Rheinwein oder Gascogner dienen kann, ei, so sagt es nur, und die Flasche soll schäumen – das ist Alles.« »Den freundlichsten Dank,« sagte der Waffenschmied, noch immer sinnend, – »das ist mehr, als sie je vorher zu mir sagte – den freundlichsten Dank – wozu kann das führen?« »Gewiß zum Besten, Freund,« sagte der Handschuhmacher, »wenn du nur mit dir reden läßt und sagst, was du zum Morgentrunk haben willst.« »Was du willst, Vater,« antwortete der Waffenschmied gleichgiltig und verfiel wieder in die Betrachtung der Rede Katharinens. »Sie sprach von meinem warmen Herzen; aber sie sprach auch von meiner rauhen Hand. Was auf der Welt kann ich thun, um diese Fechterlaune los zu werden? Gewiß hieb' ich am besten meine Rechte ab und nagelte sie an eine Kirchthür, damit sie mich nie mehr Vorwürfen aussetzte.« »Ihr habt für eine Nacht Hände genug abgehauen,« sagte sein Freund, eine Flasche Wein auf den Tisch setzend. »Was quälst du dich selber, mein Sohn? Sie würde dich schon doppelt lieben, sähe sie nicht, wie du in sie verliebt bist. Aber es wird nun ernsthaft. Ich mag nicht Gefahr laufen, meine Werkstätte zerstört und mein Haus geplündert zu sehen von den wilden Dienern der Edelleute, weil man sie das schöne Mädchen von Perth zu nennen beliebt. Nein, sie soll wissen, daß ich ihr Vater bin, und ich will den Gehorsam haben, wozu mich Gesetz und Evangelium berechtigen. Ich will, sie soll dein Weib werden, Harry, mein Goldsohn – dein Weib, mein Bester, und das, ehe viele Wochen vergehen. Wohlan, das gilt deiner fröhlichen Hochzeit, wackrer Schmid!« Der Vater leerte einen großen Becher und füllte ihn dann für den Sohn seiner Wahl, der ihn langsam zum Munde erhob; dann, eh' er ihn an die Lippen gebracht hatte, stellte er ihn plötzlich wieder auf den Tisch und schüttelte das Haupt. »Nun, wenn du mir nicht bei solcher Gesundheit Bescheid thun willst, so weiß ich keine bessere,« sagte Simon. »Was magst du im Sinn haben, närrischer Bursche? Hier ist ein Fall vorgekommen, der sie gewissermaßen in deine Macht gibt, da von einem Ende der Stadt bis zum andern Jedermann sie verachten würde, wenn sie Nein spräche. Hier bin ich ihr Vater, der nicht nur seine Einwilligung zu der Heirath gibt, sondern Euch auch gern so fest verbunden sehen will, als je eine Nadel Bocksleder zusammenfügte. Und während so Glück, Vater und Alles auf deiner Seite ist, siehst du wie ein trauriger Liebhaber in einer Ballade aus, ähnlicher Einem, der sich in den Tay stürzen will, als Einem, der um ein Mädchen zu werben gedenkt, das du ohne Mühe haben kannst, wenn du nur den glücklichen Augenblick wählst.« »Ach, aber dieser glückliche Augenblick, Vater! Es scheint mir sehr die Frage, ob Katharina je einen solchen Moment in diesem Leben haben wird, um einen groben, unwissenden Mann, wie mich, anzuhören. Ich kann nicht sagen, wie es ist, Vater; anderswo kann ich mein Haupt kühn tragen, wie ein anderer Mann, aber bei Eurer frommen Tochter verliere ich Herz und Muth, und ich kann nicht umhin, zu denken, daß es eben so gut wäre, wie Tempelraub, wenn ich mir ihre Zuneigung erschliche. Ihre Gedanken sind zu sehr auf den Himmel gerichtet, um für einen Meinesgleichen verschwendet zu werden.« »Ganz wie es Euch beliebt, Harry,« sagte der Handschuhmacher. »Meine Tochter drängt sich auch so wenig auf, als ich – ein hübscher Antrag ist keine Ursache zum Krieg; – nur wenn Ihr meint, ich werde ihren närrischen Gedanken an ein Kloster nachgeben, so verlaßt Euch darauf, daß ich denselben nie Gehör geben werde. Ich liebe und ehre die Kirche,« sagte er, sich bekreuzend. »Ich entrichte gern und gehörig ihre Gebühren, Zehnten und Almosen; Wein und Wachs entricht' ich, wie ich sage, so genau, als irgend ein Mann von meinen Mitteln in Perth; aber ich kann der Kirche mein alleiniges und einziges Lämmchen, das ich habe, nicht geben. Ihre Mutter war mir auf Erden lieb und ist nun ein Engel im Himmel, Katharina ist Alles, was ich habe, um mich an den Verlust Jener zu erinnern; und geht sie in's Kloster, so wird es geschehen, wenn sich diese alten Augen auf ewig geschlossen haben, aber eher nicht. Was jedoch Euch betrifft, Freund Gow, so bitt' ich Euch, daß Ihr so thut, wie es Euch selber am besten gefällt. Ich will Euch wahrlich kein Weib aufzwingen.« »Ach, da schmiedet Ihr nun das Eisen zwei Mal,« sagte Harry. »So endigen wir immer, Vater; Ihr werdet auf mich böse, weil ich nicht thue, was mich zum glücklichsten Menschen machen würde, wenn ich es vermöchte. Wenn in meinem Herzen ein einziger Tropfen Blutes fließt, der nicht mehr Eurer Tochter als mir selber angehörte, so soll im Augenblick der schärfste Stahl, den ich jemals schmiedete, dasselbe durchbohren. Aber was fordert Ihr? Kann ich weniger Achtung vor ihr haben, als sie verdient, oder mich höher stellen, als ich bin? Was Euch leicht und einfach dünkt, ist für mich eben so schwierig, als ein Panzerhemd aus Hanf zu machen. – Aber dieß gilt Euer Wohl, Vater,« fügte er in heiterem Tone hinzu; »und hier das Wohl meiner schönen Heiligen und meiner Valentine, was hoffentlich für dieß Jahr Eure Tochter sein wird. Ich will Euch nicht länger abhalten, Euer Haupt auf's Kissen zu legen; dann führt mich an's Gemach Eurer Tochter, bittet sie für mich um Erlaubniß, eintreten und ihr einen guten Morgen wünschen zu dürfen, und der Heiterste will ich sein, den die Sonne in der Stadt und meilenweit ringsum begrüßen wird!« »Kein übler Rath, mein Sohn,« sagte der ehrliche Glover; »aber was werdet Ihr thun? willst du mir zur Seite liegen, oder Conachars Bett theilen.« »Keines von beiden,« antwortete Harry Gow; »ich würde Eure Ruhe nur stören; und mir ist dieser bequeme Stuhl ein Dunenbett werth, und wie eine Schildwache will ich schlafen, mit den Waffen an der Seite.« Bei diesen Worten legte er die Hand an's Schwert. »Ach, der Himmel gebe, daß wir keine Waffen mehr brauchen. – Gute Nacht, oder vielmehr guten Morgen, bis der Tag uns weckt – wer zuerst erwacht, mag den Andern rufen.« So schieden die beiden Bürger. Der Handschuhmacher ging in sein Bett, und, wie sich vermuthen läßt, zur Ruhe. Der Liebhaber war nicht so glücklich. Sein starker Körper ertrug leicht die Anstrengung, die er im Laufe der Nacht erduldet hatte, aber sein Geist war minder abgehärtet. In einer Beziehung war er nur der muthige Bürger seiner Zeit; stolz darauf, in der Kunst, die Waffen zu handhaben, sich ebenso auszuzeichnen, wie in der, sie zu fertigen, hatte seine Eifersucht gegen Handwerksgenossen, seine persönliche Stärke und Gewandtheit im Fechten ihn in viele Händel verwickelt, die ihn allgemein gefürchtet machten und ihm selbst viele Feinde zugezogen hatten. Er verband jedoch mit diesen Eigenschaften die Güte und Treuherzigkeit eines Kindes, und zugleich eine hohe Einbildungskraft und Begeisterung, die mit seinen Arbeiten am Herde oder seinen Kämpfen wenig im Einklang zu stehen schienen. Das Feuer und Ungestüm, welches er aus alten Balladen geschöpft hatte, oder aus Romanzen, der einzigen Quelle von Allem, was er wußte, hatten ihn vielleicht zum Theil zu manchen seiner Thaten begeistert, die für ihn häufig das Ansehen des Ritterthums hatten. Zum mindesten war er überzeugt, daß seine Liebe zu der schönen Katharina eine Zartheit hatte, wie sie dem niederen Knappen geziemt hätte, der, wenn man der Ballade glauben will, mit dem Lächeln der ungarischen Königstochter geehrt wurde. Seine Gefühle für sie waren eben so schwärmerisch, als hätten sie einen wahren Engel zum Gegenstande gehabt; und daher glaubte der alte Simon und Alle, die ihn beobachteten, seine Leidenschaft sei zu erhabener Art, als daß er sein Glück bei einem Mädchen machen könnte, das aus demselben Stoffe wie andere Sterbliche gemacht wäre. Sie irrten sich jedoch. So bescheiden und zurückhaltend Katharina war, besaß sie doch ein Herz, welches die Beschaffenheit und die Tiefe der Leidenschaft des Waffenschmieds fühlen und verstehen konnte; und ob sie nun diese erwiderte oder nicht, jedenfalls war sie doch auf die Anhänglichkeit des gefürchteten Harry Gow im Stillen eben so stolz, als es die Heldin eines Romans auf die Gesellschaft eines zahmen Löwen sein könnte, der ihr zu Schutz und Vertheidigung folgt. Mit Empfindungen der aufrichtigsten Dankbarkeit erinnerte sie sich, als sie am Morgen erwachte, der Dienste Harry's im Lauf der ereignißvollen Nacht, und ihr erster Gedanke war, wie sie ihm diese Empfindungen deutlich machen möchte. Hastig vom Lager aufstehend und fast über ihren Vorsatz erröthend, sagte sie zu sich selbst: »Ich bin kalt gegen ihn gewesen und vielleicht ungerecht; ich will nicht undankbar sein, obwohl ich seinen Wünschen nicht entsprechen kann; ich will nicht warten, bis mich mein Vater antreibt, ihn als meinen Valentin für das Jahr zu empfangen; ich will ihn aufsuchen und ihn selbst wählen. Ich habe andere Mädchen für kühn gehalten, wenn sie so etwas thaten; aber ich werde so meinen Vater am besten erfreuen und nur gegen den guten St. Valentin den schuldigen Brauch erfüllen, wenn ich mich diesem tapfern Manne dankbar bezeige.« Eilig warf sie ihre Kleider um, welche indeß nicht ganz in der gewohnten Weise geordnet waren, lief die Treppe hinab und öffnete die Thür des Zimmers, worin, wie sie vermuthete, ihr Liebhaber die Stunden nach dem Gefecht zugebracht hatte. Katharina hielt an der Thür inne und trug fast Bedenken, ihren Vorsatz auszuführen, der nicht nur erlaubte, sondern sogar erforderte, daß die Valentine des Jahres ihre Verbindung mit einem zärtlichen Kusse beginnen mußte. Man betrachtete es als eine besonders günstige Vorbedeutung, wenn der eine Theil den andern schlafend finden konnte, um ihn durch jene interessante Ceremonie zu erwecken. Nie bot sich eine schönere Gelegenheit, dieß geheimnißvolle Band zu knüpfen, als die, welche jetzt Katharina fand. Nach vielen und mannigfachen Gedanken war der muthige Waffenschmied endlich in dem Lehnstuhle, wo er sich niedergelassen, vom Schlaf überwältigt worden. Seine Züge hatten im Schlummer einen festern und männlichern Anstrich, als Katharina geglaubt hatte, die ihn bis jetzt immer nur sah, wie er zwischen Schüchternheit und Furcht, ihr zu mißfallen, schwankte, und daher gewohnt war, keinen besonders geistreichen Ausdruck in seinen Zügen zu entdecken. »Er sieht sehr ernst aus,« sagte sie; »wenn er unwillig werden sollte – und wenn er dann erwacht – wir sind allein – ob ich wohl Dorothee rufe – oder meinen Vater wecke – aber nein, es ist ein hergebrachter Brauch, und wird in aller jungfräulichen und schwesterlichen Liebe und Ehre geübt. Ich will nicht glauben, daß Harry es mißdeuten könne und kindische Schüchternheit soll meine Dankbarkeit nicht in Schlaf bringen.« So sagend, ging sie leichten, obwohl zögernden Schrittes durch das Zimmer, während sich bei ihrem Vorhaben ihre Wange dunkelroth färbte; und zu dem Stuhle des Schläfers schlüpfend, drückte sie einen Kuß auf seine Lippen, so leicht, als wäre ein Rosenblatt darauf gefallen. Der Schlummer mußte leicht gewesen sein, den eine solche Berührung unterbrechen konnte, und die Träume des Schläfers mußten mit der Ursache der Unterbrechung im Zusammenhange stehen, da Harry, sogleich sich erhebend, das Mädchen mit den Armen umfing und entzückt die Liebkosung zu erwidern suchte, welche seine Ruhe unterbrochen hatte. Aber Katharina widerstand seiner Umarmung, und da ihr Widerstreben mehr aus besorglicher Züchtigkeit, als aus falscher Scham zu entspringen schien, so ließ sie der schüchterne Liebhaber seiner Umarmung sich entwinden, aus der sie sonst, und wäre sie zehn Mal stärker gewesen, sich nicht hätte befreien können. »Nein, seid nicht böse, guter Harry,« sagte Katharina in dem freundlichsten Tone zu ihrem überraschten Liebhaber. »Ich habe St. Valentin sein Recht gethan, um zu zeigen, wie sehr ich den Freund schätze, den er mir für das Jahr gesendet hat. Laßt aber meinen Vater erst gegenwärtig sein, und ich will Euch nicht hindern, die Rache zu nehmen, zu welcher Ihr für den gestörten Schlaf berechtigt seid.« »Laßt dies kein Hinderniß sein,« sagte der alte Glover, entzückt in's Gemach eilend. – »Hin zu ihr, Schmied, hin zu ihr, und lehrt sie, was es heißt, einen Hund im Schlafe zu stören.« So ermuthigt umfaßte Harry, obwohl vielleicht mit minder beunruhigender Lebhaftigkeit, das erröthende Mädchen wieder mit seinen Armen, welche mit ziemlicher Huld gestattete, daß ihr Kuß erwidert und ein Dutzend Mal wiederholt ward, welches mit einer Energie geschah, sehr verschieden von der Art, durch welche eine so strenge Vergeltung verursacht war. Endlich wand sie sich wieder aus ihres Liebhabers Armen, und, als wäre sie erschrocken und reuevoll über das, was sie gethan, warf sie sich auf einen Stuhl und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. »Blick' auf, du thörichtes Mädchen.« sagte ihr Vater, »und schäme dich nicht, daß du die zwei glücklichsten Männer in Perth gemacht hast, da dein alter Vater einer von ihnen ist. Nie war ein Kuß so gut angebracht, und es war billig, daß er gehörig zurückgegeben wurde. »Blick' auf, mein Liebling, blick' auf, und laß mich nur ein Lächeln von dir sehen. Auf mein Ehrenwort, die Sonne, die jetzt über unsere schöne Stadt emporsteigt, kann mir nichts zeigen, was mich glücklicher machte. Wie,« fuhr er in scherzendem Tone fort, »glaubtest du Jamie Keddie's, des Schneiders, Ring zu besitzen und unsichtbar zu sein? Aber nein, meine Morgenfee: gerade als ich aufstehen wollte, hörte ich deine Kammerthür aufgehen und beobachtete dich, wie du die Treppe hinabstiegst – nicht um dich gegen diesen schlaftrunkenen Harry zu schützen, sondern mit eigenen erfreuten Blicken zu sehen, wie mein liebes Mädchen das that, was ihr Vater besonders wünschte. – Nun, herab mit den thörichten Händen, und wenn du auch ein Bischen erröthest, so schickt es sich nur desto besser zum St. Valentinsmorgen, denn da steht einer Mädchenwange das Roth vorzüglich.« Während Simon Glover sprach, zog er mit sanfter Gewalt die Hände herab, die der Tochter Gesicht verdeckten. Sie erröthete allerdings tief, aber es lag mehr als Mädchenscham in ihrem Gesicht und ihre Augen füllten sich schnell mit Thränen. »Wie! weinen, Kind?« fuhr der Vater fort, – nein, wahrlich, das ist mehr als vonnöthen; – Harry, hilf mir diesen kleinen Narren trösten.« Katharina gab sich Mühe, sich zu sammeln und zu lächeln, aber das Lächeln hatte einen melancholischen und ernsten Ausdruck. »Ich wollte nur sagen, Vater,« sagte das schöne Mädchen von Perth, indem sie sich wie vorher anstrengte, »daß ich, indem ich Harry Gow zu meinem Valentin wählte und ihm die Vorrechte und den Gruß am Morgen gab, gemäß hergebrachter Sitte, ihm nur meine Dankbarkeit bezeigen wollte für seinen mannhaften und treulichen Dienst, und Euch meinen Gehorsam. – Aber verleit' ihn nicht zu dem Glauben – und o! theuerster Vater, unterhalte nicht selbst eine Idee, daß ich mehr im Sinn hatte, als was das Versprechen, seine treue und geneigte Valentine das Jahr hindurch zu sein, von mir fordert.« »Ja – ja – ja – wir verstehen das Alles,« sagte Simon in dem besänftigenden Tone, mit welchem die Amme ein Kind beruhigt – »wir verstehen, was das bedeutet; genug für ein Mal; genug für einmal. Du sollst nicht erschreckt und übereilt werden. – Liebende, treue und aufrichtige Valentine seid Ihr, und alles Uebrige wird der Himmel und die Gelegenheit fügen. Nun, ich bitte dich, laß jetzt gut sein – ringe deine zarten Hände nicht, und fürchte jetzt keine weiteren Angriffe. Du hast wacker, vortrefflich gehandelt – und nun geh' hinaus zu Dorothee und rufe das faule Weib herbei; wir brauchen ein tüchtiges Frühstück nach einer Nacht voll Unruhe und einem freudigen Morgen; und deine Hand wird vonnöthen sein, für uns jene köstlichen Kuchen zu bereiten, die Niemand außer dir machen kann; und du darfst wohl ein Geheimniß daraus machen, in Betracht ihrer, die es dich lehrte. – Ach! Friede der Seele deiner theuersten Mutter,« fügte er mit einem Seufzer hinzu; »wie froh würde sie gewesen sein, hätte sie diesen glücklichen St. Valentinsmorgen sehen können!« Katharina ergriff die Gelegenheit, zu entkommen, welche ihr so gegeben ward, und schlüpfte aus dem Gemach. Harry kam es vor, als wäre die Sonne am Himmel zu Mittag verschwunden und als umlagere plötzlich Nacht den Erdkreis. Die Hoffnungen, die er, ermuthigt durch das vorhin Geschehene, gefaßt hatte, fingen bereits an zu sinken, wenn er an die plötzliche Veränderung in Katharinens Benehmen dachte, an ihre soeben vergossenen Thränen, an die sichtbare Angst, die ihre Züge verriethen und an die Besorgniß, mit welcher sie so bestimmt, als das Zartgefühl gestattete, erklärt hatte, daß die Schritte, die sie gethan, nur die Absicht gehabt hätten, der Sitte des Festes gehörig zu genügen. Der Vater bemerkte seine niedergeschlagene Miene etwas verwundert und mißvergnügt. »Im Namen des guten St. Johannes, was hat Euch befallen, daß Ihr ein Gesicht macht, so mürrisch wie eine Eule, da ein Bursche von deinem Geist, der das arme Mädchen wirklich so lieb hat, wie du vorgibst, lebendig sein sollte, wie eine Lerche?« »Ach, Vater!« erwiderte der niedergeschlagene Liebhaber, »es steht etwas auf ihrer Stirn geschrieben, was mir sagt, sie liebe mich wohl genug, um meine Valentine zu sein, vorzüglich da Ihr es wünscht – aber nicht genug, um mein Weib zu werden.« »Ei, daß dich die Pest, du kalter Bursche, der kein Herz hat,« antwortete der Vater. »Ich kann eines Weibes Stirn so gut und besser als du lesen, und ich sehe von diesen Dingen nichts auf der ihrigen. Was, zum Henker, Mensch! du lagst wie ein Lord im Lehnstuhl, in so tiefem Schlafe, wie ein Richter, während du als ein feuriger Liebhaber munter nach Osten gespäht hättest, um den ersten Sonnenstrahl zu erwarten. Aber dort lagst du jedenfalls schnarchend, und dachtest weder an sie noch sonst Etwas; und das arme Mädchen steht mit Tagesanbruch auf, damit ihr Niemand den kostbaren, wachsamen Valentin wegschnappen möchte, und sie weckt dich mit einem Kusse, der, so wahr mir St. Macgrider helfe, einem Ambos Leben eingehaucht hätte; aber du erwachst, um zu ächzen, zu klagen, zu seufzen, als ob sie ein glühend Eisen quer über deine Lippen gezogen hätte! Ich wünschte bei St. John, sie hätte die alte Dorothee statt ihrer geschickt und dich zum Valentin dieses Bündels dürrer Gebeine verpflichtet, das keinen Zahn im Munde hat. Sie wäre die beste Valentine von ganz Perth für einen so feigen Kampfhahn von Liebhaber gewesen.« »Was den feigen Kampfhahn betrifft,« antwortete der Schmied, »so gibts wohl zwanzig gute Hähne, deren Kämme ich rupfte und die dir sagen können, ob ich mich besiegen ließ oder nicht. Aber der Himmel weiß, daß ich mein Stück Feld, was ich als Bürger besitze, meine Esse, Blasbalg, Ambos und Alles, was ich habe, darum gäbe, könnt' ich diese Sache so betrachten wie Ihr. Aber ich rede nicht von ihrer Scham und ihrem Erröthen, sondern von der Blässe, die so schnell von ihren Wangen die Farbe vertrieb, und von den Thränen, die ihr in's Auge traten. Es war wie der Aprilschauer, der heranschleicht und den schönsten Morgen verdunkelt, der je über'm Tay aufging.« »Ei über die Possen,« erwiderte der Handschuhmacher; »weder Rom noch Perth wurden in einem Tage gebaut. Du hast tausend Mal Lachse gefischt und könntest klug geworden sein. Wenn der Fisch die Fliege ergriffen hat, so würde ein heftiger Zug der Schnur diese zerreißen und wäre sie aus Eisendraht; mäßige deine Hand, Mensch, laß den Fisch empor kommen; nimm dir Zeit und in einer halben Stunde wirst du ihn auf's Ufer legen. – Ein Anfang ist gemacht, so schön als du wünschen könntest, wenn du nicht erwartest, daß das arme Mädchen an dein Bett komme, wie sie an deinen Stuhl kam; und das ist nicht die Weise sittsamer Mädchen. Aber gib Acht, nachdem wir gefrühstückt haben, will ich dir Gelegenheit verschaffen, dein Herz auszusprechen; aber hüte dich, zu linkisch zu sein, oder sie zu sehr zu drängen. – Treib' sie in die Enge, aber laß ihr auch nicht zu viel Spielraum, und ich setze mein Leben für den guten Erfolg ein.« »Was ich auch thun kann, Vater,« antwortete Harry, »Ihr werdet stets den Tadel auf mich wälzen; entweder laß ich die Schnur zu schlaff, oder spanne sie zu heftig. Ich wollte das beste Panzerhemd d'rum geben, das ich je schmiedete, wenn die Schwierigkeit wirklich nur auf meiner Seite wäre; denn dann wäre um so mehr Hoffnung, sie zu beseitigen. Ich gestehe aber, daß ich nur ein Gimpel bin, wenn es gilt, eine Unterhaltung, wie in diesem Falle, einzuleiten.« »Komm mit mir in meine Werkstätte, mein Sohn, und ich will dich mit einem passenden Thema versorgen. Du weißt, daß das Mädchen, welches einen schlafenden Mann zu küssen wagt, ein Paar Handschuhe von ihm erhält. Komm zu meiner Werkstätte; du sollst ein Paar köstliche rehlederne haben, die ganz für ihre Hand und ihren Arm passen. – Ich dachte an ihre arme Mutter, als ich sie fertigte,« fügte der ehrliche Simon mit einem Seufzer hinzu; »und außer Katharina wüßt' ich kein Weib in Schottland, dem sie passen würden, obwohl ich den meisten der hohen Schönheiten am Hofe das Maß genommen habe. Komm mit mir, sag' ich, und du sollst einen Stoff zum Gespräch erhalten, wenn du nur Muth und Vorsicht genug zu der Werbung hast.« Sechstes Kapitel Kein Mann soll Katharina's Hand erhalten.                   Die bezähmte Widerspenstige. Das Frühstück war bereit, und die zarten schmackhaften Kuchen, von feinem Mehl und Honig nach dem Familienrecepte gebacken, wurden nicht nur mit all der Parteilichkeit eines Vaters und eines Liebhabers gepriesen, sondern es ward ihnen auch volle Gerechtigkeit auf die Weise gethan, auf welche man die Güte eines Kuchens oder Puddings am besten beweist. Sie schwatzten, scherzten und lachten. Auch Katharina hatte ihren Gleichmuth wieder gewonnen, wo Frauen und Mädchen unsrer Zeit den ihrigen am ersten verlieren – in der Küche nämlich und in der Oberaufsicht der Hausangelegenheiten, worin sie ihres Gleichen suchte. Ich zweifle sehr, ob das Lesen Seneka's in gleichem Zeitraume in demselben Grade ihr Gemüth beruhigt haben würde. Die alte Dorothee setzte sich an das Tischende, wie es in jener Zeit Sitte war; und die beiden Männer waren so sehr eingenommen von ihrer eigenen Unterhaltung (und Katharina entweder mit der Beobachtung derselben oder ihren eigenen Beobachtungen so sehr beschäftigt), daß die alte Frau die Erste war, die des jungen Conachar Abwesenheit bemerkte. »Es ist wahr,« sagte der Meister Glover; »geh' und ruf' ihn, den müßigen Hochlandsburschen. Man sah ihn während des Kampfes in letzter Nacht nicht, wenigstens ich nicht. Bemerkte ihn Jemand?« Die Antwort war verneinend; und Harry bemerkte darauf: – »Es gibt Zeiten, wo die Hochländer versteckt sein können, wie ihr eigenes Rothwild, – ja, und auch vor der Gefahr ebenso schnell davonlaufen. Ich habe sie schon selber also thun sehen.« »Und es gibt Zeiten,« erwiderte Simon, »wo König Arthur und seine Tafelrunde ihnen nicht Stand halten könnten. Ich wünsche, Harry, Ihr sprächt etwas ehrerbietiger von den Hochländern. Sie sind oft in Perth, theils einzeln, theils zahlreich, und Ihr solltet Frieden mit ihnen halten, so lange sie Frieden mit Euch halten wollen.« Eine trotzige Antwort schwebte auf Harry's Lippen, aber er unterdrückte sie klüglich. »Ei, du weißt, Vater,« sagte er lächelnd, »daß wir Handwerker die Leute am liebsten haben, von denen wir leben; nun ist mein Handwerk, für die edeln Ritter, Knappen, Edelknechte und Andere zu arbeiten, die die Waffen, welche ich fertige, führen; natürlich ist's daher, daß ich die Ruthvens, die Lindsays, die Ogilvys, die Oliphants und so viele andere unserer tapfern, edlen Nachbarn, die in meinen Rüstungen gehen wie ebenso viele Paladine, dem hochländischen nackten Gesindel vorziehe, das uns nur zu schaden sucht, um so mehr, da in jedem Clan nicht fünf sind, die einen verrosteten Waffenrock haben, so alt als ihr Brattach (Banner); und der ist nur das Werk eines ungeschickten Schmieds aus ihrem Stamme, der nicht zu unserer ehrsamen Zunft gehört und auf seinen Ambos drauf los hämmert, wie vor ihm sein Vater. Ich sage, solche Leute kann ein ehrsamer Handwerker nicht mit günstigen Augen betrachten.« »Gut, gut,« antwortete Simon; »ich bitte dich, laß gerade jetzt die Sache ruhen, denn da kommt der saumselige Bursche; und obwohl es ein Feiertagsmorgen ist, so mag ich doch keine blutigen Puddings mehr.« Der Jüngling trat ein. Sein Gesicht war bleich, seine Augen roth, und sein ganzes Wesen zeigte eine große Unruhe. Er setzte sich an das untere Ende des Tisches, Dorothee gegenüber und bekreuzte sich, als schickte er sich an, sein Frühmahl zu nehmen. Da er sich selber nichts vorlegte, bot ihm Katharina einen Teller, worauf einige der Kuchen lagen, die so allgemein gelobt worden waren. Anfangs wies er ihre Gefälligkeit mißmuthig zurück; als sie aber ihr Anerbieten mit gutmüthigem Lächeln wiederholte, nahm er einen Kuchen in die Hand, zerbrach ihn und war im Begriff, einen Bissen zu essen, als ihm der Versuch zu peinlich zu werden schien, und er wiederholte ihn nicht noch ein Mal. »Ihr habt schlechten Appetit zu einem heiligen Valentinsmorgen,« sagte der gutgelaunte Meister; »und müßt Ihr, denk' ich, in letzter Nacht recht fest geschlafen haben, da Ihr, wie's scheint, von dem Lärm des Gefechts nicht gestört wurdet. Nun, ich dachte, ein munterer Hochländer müßte an seines Meisters Seite mit dem Dolch in der Hand stehen beim ersten Rufe der Gefahr, der sich eine Meile in der Runde erhebt.« »Ich hörte nur einen unbestimmten Lärm,« sagte der Jüngling, während sein Gesicht plötzlich wie eine glühende Kohle flammte, »und ich nahm ihn für das Geschrei einiger lustiger Nachtschwärmer; und solcher Thorheit wegen darf ich nach Eurem Geheiß weder Thür noch Fenster öffnen, oder das Haus beunruhigen.« »Gut, gut,« sagte Simon. »Ich dachte, ein Hochländer müßte den Unterschied zwischen Schwerterklirren und Harfenklängen, zwischen Kriegsgeschrei und Freudenrufe besser kennen. Aber laß es sein, Bursche; ich bin froh, daß du deine händelsüchtigen Sitten verlierst. Iß dein Frühstück, denn ich habe ein Geschäft für dich, was Eile erfordert.« »Ich habe schon gefrühstückt und bin selber sehr eilig. Ich will nach den Bergen. – Habt Ihr eine Botschaft an meinen Vater?« »Nein,« erwiderte der Handschuhmacher etwas überrascht; »aber bist du bei Sinnen, Bursche? oder welche Rache führt dich von der Stadt weg, gleich der Schwinge eines Wirbelwindes?« »Mein Auftrag ist plötzlich gekommen,« sagte Conachar, mit Mühe sprechend; ob aber wegen der zögernden Verlegenheit, mit welcher man eine fremde Sprache redet, oder ob aus anderem Grunde, ließ sich nicht leicht unterscheiden. «Es soll eine Versammlung stattfinden – eine große Jagd.« – – Er hielt inne. »Und wann wirst du von dieser prächtigen Jagd zurückkehren?« sagte sein Meister; »das heißt, wenn ich mir erlauben darf, zu fragen.« »Ich kann nicht bestimmt antworten,« erwiderte der Lehrling. »Vielleicht nie – wenn dies meinem Vater gefällt,« – fuhr Conachar mit angenommenem Gleichmuth fort. »Ich glaubte,« sagte Simon Glover ziemlich ernst, »daß alles dies bei Seite gelegt sein würde, als ich dich auf ernstliches Zureden in mein Haus nahm. Ich dachte, wenn ich es unternähme, was sehr ungern geschah, dich ein ehrlich Gewerbe zu lehren, wir würden nichts mehr von Jagen, oder Streitereien, oder Clanversammlungen und dergleichen Dingen hören?« »Man befragte mich nicht, als man mich hierherschickte,« sagte der Bursche hochmüthig. »Ich weiß nicht, welches die Bedingungen waren.« »Aber ich kann Euch sagen, Sir Conachar,« sagte der Handschuhmacher unwillig, «daß das keine ehrbare Art ist, wenn du dich einem ehrsamen Handwerker verdingtest und ihm mehr Felle verdarbst, als dein eigenes werth ist; und jetzt, nachdem du so weit bist, von einigem Nutzen zu sein, nach Belieben über deine Zeit verfügst, als wäre sie dein und nicht deines Meisters Eigenthum.« »Darüber rechnet mit meinem Vater ab,« antwortete Conachar; »er wird Euch genügend bezahlen – ein französisch Lamm (eine Goldmünze) für jedes Fell, was ich Euch verdarb, und eine fette Kuh oder einen Stier für jeden Tag, wo ich abwesend war.« »Macht's fertig mit ihm, Freund Glover – macht's fertig,« sagte der Waffenschmied trocken. »Du wirst wenigstens genügend, wenn auch nicht ehrlich bezahlt werden. Ich möchte gar gern wissen, wie viel Beutel geleert werden mußten, um den bocksledernen Sporran (die Hochländertasche) zu füllen, der Euch sein Geld so freigebig spendet, und von welchen Weiden die Ochsen stammen, die Euch von den Grampischen Bergschluchten geschickt werden sollen.« »Ihr erinnert mich, Freund,« sagte der hochländische Jüngling, sich übermüthig an den Schmied wendend, »daß ich auch mit Euch eine Rechnung abzumachen habe.« »Einen Schritt vom Leibe dann,« sagte Harry, seinen nervigen Arm ausstreckend, – »ich will nichts mehr mit dir zu schaffen haben – keine Geschichten mehr wie letzte Nacht. Mich kümmert ein Wespenstich wenig, aber ich mag mir das Insekt nicht nahe kommen lassen, wenn ich seine Nähe weiß.« Conachar lächelte verächtlich. »Ich wollte dir nichts zu Leide thun,« sagte er. »Meines Vaters Sohn that dir nur zu viel Ehre, solch gemeines Blut zu vergießen. Ich will Euch für jeden Tropfen zahlen, damit es trockne und mir die Finger nicht länger besudle.« »Ruhe, du prahlerischer Affe!« sagte der Schmied; »das Blut eines ächten Mannes läßt sich nicht nach Gold abschätzen. Die einzige Sühne würde sein, daß du eine Meile weit ins Niederland herabkämst mit zwei der stärksten Raufbolde deines Clans; und während ich sie ausbläute, wollt' ich dich der Züchtigung meines Lehrlings, des kleinen Janklin, überlassen.« Hier mischte sich Katharina ein. »Friede,« sagte sie, »mein wackerer Valentin, dem ich zu befehlen ein Recht habe; und auch Ihr haltet Friede, Conachar, der Ihr mir, als der Tochter Eures Meisters, gehorchen solltet. Es ist übel gethan, am Morgen das Schlimme wieder zu wecken, was in der Nacht in Schlaf gebracht war.« »So lebt denn wohl, Meister,« sagte Conachar, nachdem er den Schmied noch einmal voll Hohn angesehen, worauf der Letztere mit Lachen antwortete. »Lebt wohl! und ich dank' Euch für Eure Freundlichkeit, die größer war, als ich verdiente. Schien ich manchmal minder dankbar zu sein, so waren die Umstände schuld und nicht mein Wille. Katharine« – er warf auf das Mädchen einen Blick, der tiefe Aufregung verrieth und mannigfache Empfindungen zeigte. Er zögerte, als wollte er etwas sagen, und endlich wandte er sich ab mit dem einzigen Worte: »Lebt wohl!« Fünf Minuten später ging er mit Hochländerstiefeln an den Füßen und einem kleinen Bündel in der Hand zum nördlichen Thore von Perth hinaus und schlug den Weg nach den Hochlanden ein. »Dort geht Bettelwesen und Stolz genug für einen ganzen Hochländerclan,« sagte Harry. »Er spricht so gleichgültig von Goldstücken, wie ich es von Silberpfennigen könnte, und doch will ich schwören, daß der Daum von seiner Mutter gewirktem Handschuh den Schatz des ganzen Clans fassen könnte.« »Wohl möglich,« sagte der Handschuhmacher, über den Gedanken lachend; »seine Mutter war ein starkknochiges Weib, besonders in Fingern und Handgelenk.« »Und was das Vieh betrifft,« fuhr Harry fort, »so denk' ich, sein Vater und die Brüder stehlen gelegentlich nach einander die Schafe.« »Je weniger wir von ihnen reden, umso besser,« sagte der Handschuhmacher, wieder ernst werdend. »Brüder hat er nicht; sein Vater ist ein gewaltiger Mann – hat lange Arme – reicht so weit er kann, und hört auch so weit, daß es nicht nützlich ist, von ihm zu sprechen.« »Und doch hat er seinen einzigen Sohn in die Lehre zu einem Handschuhmacher in Perth verdungen?« sagte Harry. »Ei, ich sollte denken, das edle Gewerbe St. Crispins, wie man's nennt, hätte besser für ihn gepaßt; und wenn der Sohn eines großen Mac oder O ein Künstler werden sollte, so konnt' er's blos in dem Geschäfte, worin ihm Fürsten ein Beispiel geben.« Diese, obwohl ironische Bemerkung machte bei unserm Freund Simon das Gefühl der Würde seines Berufs rege, wodurch sich die Handwerker jener Zeit charakteristisch auszeichneten. »Ihr irrt, Sohn Harry,« erwiderte er mit großem Ernst; »die Handschuhmacher haben die ehrenvollere Zunft von beiden, weil sie für die Bequemlichkeit der Hände sorgen, während die Schuhmacher nur für die Füße arbeiten.« »Beide sind gleich nothwendige Glieder des menschlichen Körpers,« sagte Harry, dessen Vater ein Schuster gewesen. »Es mag so sein, mein Sohn,« sagte der Handschuhmacher; »aber beide sind nicht gleich ehrenvolle Gewerbe. Bedenkt, daß wir die Hände als Pfänder der Freundschaft und Treue brauchen, während die Füße kein solches Vorrecht haben. Brave Männer fechten mit ihren Händen, – Feiglinge brauchen ihre Füße zur Flucht. Ein Handschuh wird hoch getragen, einen Schuh tritt man in den Koth; – ein Mann grüßt seinen Freund mit der Hand; er verachtet aber einen Hund, oder einen, den er dem Hunde gleichstellt, mit einem Fußtritt. Ein Handschuh auf der Spitze eines Speers ist Zeichen und Pfand der Treue für die ganze weite Welt, wie ein niedergeworfener Handschuh das Zeichen ritterlichen Kampfes gibt; dagegen weiß ich keine andere Bedeutung für einen alten Schuh, außer etwa, daß manche Weiber ihn hinter einem Manne dreinwerfen, um ihm Glück zu bringen, ein Kunstgriff, für welchen ich in der That wenig Vertrauen hege.« »Wahrhaftig,« sagte der Schmied, unterhalten durch seines Freundes beredte Abhandlung über die Würde seines Handwerks, »ich bin nicht der Mann, darauf verlaßt Euch, der die Handschuhmacherzunft verachtet. Bedenkt, daß ich selber Blechhandschuhe mache. Aber die Würde Eures alten Gewerbes beseitigt meine Verwunderung nicht, daß der Vater dieses Conachar litt, daß sein Sohn die Kunst irgend eines Handwerkers aus dem Niederland lernte, da sie uns ja doch allesammt tief unter ihrem hohen Range halten, als wären wir ein Volk verächtlicher Taglöhner, unwürdig eines andern Schicksals, als übel behandelt und geplündert zu werden, so oft diese ohnehosigen Dunniewassals sichere Gelegenheit dazu sehen.« »Ja,« antwortete der Handschuhmacher, »aber es waren gewichtige Gründe für – für« – er hielt Etwas zurück, was auf seinen Lippen zu schweben schien, und fuhr fort: »für Conachars Vater vorhanden, also zu thun. – Nun, ich habe redliches Spiel mit ihm gehalten, und ich zweifle nicht, daß er sich auch ehrenhaft gegen mich benehmen wird. – Aber Conachars plötzlicher Abschied kommt mir etwas ungelegen. Er hatte gewisse Dinge zu besorgen. Ich muß in der Werkstätte nachsehen.« »Kann ich Euch helfen, Vater?« sagte Harry Gow, durch das ernste Benehmen seines Freundes getäuscht. »Ihr? nein« – sagte Simon mit einem trockenen Tone, welcher Harry die Einfalt seines Anerbietens so fühlbar machte, daß er bis unter die Stirn über seinen eigenen Stumpfsinn erröthete, in einer Sache, wo ihn die Liebe so leicht sein eignes Verfahren hätte errathen lassen sollen. »Du, Katharina,« sagte der Handschuhmacher, als er das Gemach verließ, »wirst deinen Valentin einige Minuten lang unterhalten und dafür sorgen, daß er nicht geht, bevor ich zurückgekehrt bin. – Komm mit mir, alte Dorothee, und rege deine Beine zu meinem Beistand.« Er verließ das Gemach und die Alte folgte ihm; Harry aber blieb bei Katharina ganz allein, fast zum ersten Mal in seinem Leben. Es fand eine Verlegenheit auf Seiten des Mädchens und eine Unbeholfenheit auf Seiten des Liebhabers statt, die wohl eine Minute währte; da rief Harry seinen Muth zusammen, zog die Handschuhe, womit ihn Simon versehen, aus seiner Tasche, und bat sie um Erlaubniß, daß Jemand, der diesen Morgen so schön begrüßt worden, die übliche Buße zahlen dürfte dafür, daß er in einem Augenblicke geschlafen, wo er den Schlummer eines ganzen Jahres darum gegeben hätte, eine einzige Minute wach zu sein. »Ach, aber die Erfüllung meines St. Valentinsrechts,« sagte Katharina, »bedingt keine solche Buße, wie Ihr zu zahlen wünscht, und ich kann daher nicht daran denken, sie anzunehmen.« »Diese Handschuhe,« sagte Harry, seinen Stuhl, während er sprach, Katharinen näher rückend, »wurden von Händen gefertigt, die Euch die theuersten sind; und seht, sie passen ganz für Euch.« Er breitete sie aus, während er sprach, und nahm ihren Arm in seine starke Hand, indem er die Handschuhe daran hielt, zu zeigen, wie schön sie paßten. »Seht diesen runden Arm,« sagte er, »seht diese kleinen Finger; denkt, wer diese Säume von Seide und Gold nähete, und bedenkt, ob der Handschuh und der Arm. welchem allein der Handschuh passen kann, getrennt bleiben sollen, weil der arme Handschuh das Mißgeschick hat, eine Minute im Besitz einer Hand gewesen zu sein, die so schwarz und rauh ist, wie die meine.« »Sie sind willkommen, da sie von meinem Vater kommen,« sagte Katharina; »und gewiß nicht minder, da sie von meinem Freunde kommen (auf dieses Wort legte sie einen Nachdruck), der mein Valentin und mein Beschützer ist.« »Laßt mich sie Euch anlegen,« sagte der Schmied, noch näher an ihre Seite rückend. »Sie mögen anfangs ein wenig knapp scheinen und Ihr werdet einige Hilfe brauchen.« »Ihr seid geschickt in Eurem Beistand,« guter Harry Gow,« sagte das Mädchen lächelnd, zu gleicher Zeit aber sich weiter von dem Liebhaber entfernend. »Wahrhaftig, nein,« sagte Harry, den Kopf schüttelnd, »meine Erfahrung beschränkt sich darauf, geharnischten Rittern Blechhandschuhe anzuziehen, weniger aber, Jungfrauen gestickte Handschuhe anzupassen.« »So will ich Euch nicht weiter bemühen und Dorothee soll mir helfen – obwohl keine Hilfe vonnöthen ist – meines Vaters Augen und Finger sind zuverlässig in seiner Kunst; welche Arbeit durch seine Hände geht, entspricht immer genau dem Maße.« »Laßt mich davon überzeugt werden,« sagte der Schmied; »laßt mich sehen, daß diese niedlichen Handschuhe genau zu den Händen passen, für die sie gemacht sind.« »Ein andermal, guter Heinrich,« antwortete das Mädchen. »Ich will die Handschuhe zu Ehren St. Valentins tragen und ebenso zu Ehren des Freundes, den er mir für das Jahr gesendet hat. Ich wünschte beim Himmel, ich könnte meinem Vater in wichtigern Angelegenheiten zu Willen sein – gegenwärtig vermehrt der Duft des Leders mir das Kopfweh, welches ich seit dem Morgen habe.« »Kopfweh, theuerstes Mädchen?« wiederholte ihr Liebhaber. »Wollt Ihr es Herzweh nennen, so werdet Ihr nicht Unrecht haben,« sagte Katharina mit einem Seufzer, und fuhr in einem sehr ernsten Tone zu sprechen fort. »Harry,« sagte sie, »vielleicht werde ich jetzt so kühn sein, als ich Euch diesen Morgen mich zu zeigen schien, denn ich beginne von einer Sache mit Euch zu reden, in der ich zuerst Euch hören und dann antworten sollte. Nach dem aber, was diesen Morgen geschehen ist, kann ich nicht umhin, mich zu erklären, wie ich gegen Euch gesinnt bin, ohne Gefahr zu laufen, daß Ihr mich mißverstehen möchtet. Nein, antwortet mir nicht, bis Ihr mich gehört habt. Ihr seid brav, Harry, mehr als die meisten Männer, ehrbar und zuverlässig, wie der Stahl, in dem Ihr arbeitet –« »Haltet, haltet ein, Katharina, um des Himmels Willen! Ihr sagtet in Betreff meiner nie so viel Gutes, außer um einen bittern Tadel einzuleiten, dessen Herold Euer Lob war. Ich bin ehrlich u. s. w. wolltet Ihr sagen, aber ein hitzköpfiger Händelsucher, ein gemeiner Klopffechter und Raufbold.« »Ich würde sowohl mich als Euch beleidigen, wollt' ich Euch so nennen. Nein, Harry, keinem gemeinen Raufbold, und trüg' er eine Feder auf der Mütze und goldene Sporen an den Fersen, würde Katharina Glover je die kleine Gunst erwiesen haben, die sie Euch heute freiwillig bot. Hab' ich auch manchmal ernstlich gerügt, daß Euer Sinn zum Zorn, Eure Hand zum Kampfe geneigt ist, so wollte ich damit im glücklichen Falle bewirken, daß Ihr die Sünden der Eitelkeit und leidenschaftlichen Hitze, deren Ihr Euch allzuleicht hingebt, hassen solltet. Ich sprach von diesem Gegenstande mehr, um Euer Gewissen anzuregen, als um meine Meinung auszusprechen. Ich weiß so gut als mein Vater, daß man in diesen unheilvollen, unruhigen Zeiten auf die Sitten unserer und selbst aller christlichen Völker sich berufen kann, um die Gewohnheit zu entschuldigen, von der unbedeutendsten Kleinigkeit Anlaß zu blutigem Streit zu nehmen, für die kleinste Kränkung sich furchtbar zu rächen, und sich der Ehre, oft der bloßen Ergötzlichkeit wegen einander den Hals zu brechen. Doch weiß ich auch, daß dies eben so viel Uebertretungen sind, wofür wir einst vor Gericht gezogen werden, und ich möchte Euch, mein tapferer, edler Freund, überzeugen, daß Ihr öfter dem Rathe Eures guten Herzens folgen und auf die Stärke und Gewandtheit Eures erbarmenlosen Armes minder stolz sein solltet.« »Ich bin – ich bin überzeugt, Katharina,« rief Harry aus; »deine Worte sollen fortan Gesetz für mich sein. Ich habe genug gethan, nur allzuviel, in der That, um meine Körperstärke und meinen Muth zu bewähren. Von Euch allein jedoch, Katharina, kann ich lernen besser zu denken. Bedenkt, meine schönste Valentine, daß mein Ehrgeiz, mich durch Waffenthaten auszuzeichnen, und mein kampflustiger Sinn, wenn ich so sagen darf, gegen meine Vernunft und meinen sanfteren Charakter nicht mit gleichen Waffen streiten; sie werden durch Ursachen, die mir unbekannt sind, geweckt und ermuthigt. Entsteht ein Streit, und ich soll, wie Ihr rathet, mich nicht darein mengen, – glaubt Ihr dann, es stehe mir frei, zwischen Krieg und Frieden zu wählen? Nein, bei der heiligen Maria! hundert Stimmen erheben sich ringsum, mich anzufeuern. »Was, Schmied! ist deine Klinge rostig?« sagt der Eine. »Harry Gow will diesen Morgen nichts von Händeln hören,« fügt ein Zweiter hinzu. »Schlage dich für die Ehre Perths,« sagt Mylord, der Profoß. »Harry nimmt's mit Allen auf, und ich wette einen Rosenobel für ihn' sagt vielleicht Euer Vater selber. Was soll nun ein armer Schelm, wie ich, thun, Katharina, wenn ihm so alle Welt in des Teufels Namen zusetzt, und auf der andern Seite keine Seele ist, die ihm nur ein Wort entgegensetzte?« »Nun, ich weiß, daß der Teufel Gehilfen genug hat, um seine Werke auszubreiten,« sagte Katharina; »aber es ist unsere Pflicht, seinen eiteln Gründen zu widerstehen, obwohl sie selbst von denjenigen vorgebracht werden mögen, denen wir Liebe und Ehrerbietung schuldig sind.« »Dann gibt es Minstrels mit ihren Romanzen und Balladen, welche jedes Mannes Ruhm darein setzen, Schläge zu empfangen und auszutheilen. Ihr könnt Euch nicht denken, Katharina, wie viele meiner Sünden der blinde Harry, der Minstrel, zu verantworten hat. Theile ich einen gutgeführten Hieb aus, so geschieht es nicht (St. Johann sei mein Zeuge!) um Jemand zu kränken, sondern nur, um wie William Wallace zu schlagen.« Des Minstrels Namensvetter sprach dies in einem Tone so reuevollen Ernstes, daß sich Katharina kaum eines Lächelns enthalten konnte; trotzdem aber versicherte sie ihn, daß die Gefährdung seines und des Lebens anderer Menschen keinen Augenblick für so unbedeutende Dinge in Betracht kommen dürfe.« »Ja, aber,« erwiderte Harry, durch ihr Lächeln kühn gemacht, »mich dünkt nun, die gute Sache des Friedens könne nicht besser gedeihen, als durch einen Verfechter. Denkt Euch z. B., ich könnte, wenn man mich drängt und treibt zu den Waffen zu greifen, ich könnte mich da erinnern, zu Hause einen Schutzengel zu haben, dessen Bild mir ganz leise zuzuflüstern schiene: >Keine Gewalt, Harry, es ist meine Hand, die du mit Blut zu bedecken im Begriff bist. Begib dich in keine unnütze Gefahr, Harry; es ist meine Brust, die du ihr aussetzest.< Solche Gedanken würden mehr Wirkung bei mir thun, als wenn jeder Mönch in Perth mir zuriefe: »Halt' die Hand zurück, bei Strafe des Kirchenbannes.« »Wenn eine Warnung der Art durch die Stimme schwesterlicher Freundschaft in dem Streite Gewicht haben kann,« sagte Katharina, »so denkt, daß Ihr im Streite diese Hand mit Blut färbt; daß, wenn Ihr Wunden empfangt, dies Herz verletzt wird.« Den Schmied ermuthigte der wirklich zärtliche Ton, in welchem diese Worte gesprochen wurden. »Und warum erstreckt Ihr Eure Theilnahme nicht um einen Grad über diese kalten Schranken hinaus? Warum, wenn Ihr so freundlich und großmüthig seid, zu bekennen, daß Ihr an dem armen unwissenden Sünder, der vor Euch steht, einigen Antheil nehmt, warum nehmt Ihr ihn dann nicht zugleich zu Eurem Schüler und Gatten an? Euer Vater wünscht es, die Stadt erwartet es; Handschuhmacher und Schmiede bereiten ihre Lustbarkeiten vor; und Ihr, blos Ihr, deren Worte so schön und freundlich sind, Ihr wollt Eure Zustimmung nicht geben!« »Harry,« sagte Katharina mit leiser und zitternder Stimme, »glaubt mir, ich sollte es für Pflicht halten, meines Vaters Befehle zu befolgen, wären nicht unüberwindliche Hindernisse gegen das Bündniß, welches er beabsichtigt.« »Aber erwägt – erwägt nur einen Augenblick. Ich habe wenig für mich selbst zu sagen im Vergleich zu Euch, die Ihr lesen und schreiben könnt. Aber dann wünschte ich lesen zu hören, und könnte Eurer süßen Stimme ewig lauschen. Ihr liebt die Musik, und ich lernte die Harfe spielen und singen, gleich andern Minstrels. Es macht Euch Vergnügen, mildthätig zu sein; ich habe die Mittel zu geben, ohne Gefahr mich zu entblößen; ich könnte täglich eben so viel Almosen geben, als ein Almosenpfleger gibt, ohne daß ich Etwas entbehrte. Euer Vater wird alt und kann nicht mehr arbeiten, wie seither; er könnte bei uns wohnen, denn ich betrachte ihn ganz als meinen Vater. Vor allen leichtsinnigen Händeln würd' ich mich ebenso hüten, wie davor, meine Hände in den Ofen zu stecken, und fiel es einem ein, uns anzugreifen, so würde er seine Waaren auf einen schlechtgewählten Markt bringen.« »Mögt Ihr all das häusliche Glück erfahren, welches Ihr Euch vorstellen könnt, Harry, – aber mit einer Glücklichern, als ich bin.« So sagte, oder vielmehr so schluchzte das schöne Mädchen von Perth, die zu ersticken schien in dem Versuche, ihre Thränen zurückzuhalten. »Ihr haßt mich also?« sagte der Liebhaber nach einer Pause. »Der Himmel sei mein Zeuge, nein!« »Oder liebt Ihr einen Andern, Bessern?« »Es ist grausam, zu fragen, was zu wissen Euch nicht nützen kann. Ihr seid aber ganz im Irrthum.« »Jene wilde Katze, Conachar, vielleicht?« sagte Harry. »Ich habe seine Blicke beobachtet.« »Ihr bedient Euch dieser peinlichen Lage, mich zu höhnen, Harry, obwohl ich es wenig verdient habe. Conachar gilt mir nichts mehr, als der Versuch, sein wildes Gemüth durch Unterweisung zu zähmen, mich veranlassen konnte, einigen Antheil an einer Seele zu nehmen, welche voll von Vorurtheilen und Leidenschaften war, und darin, Harry, Eurer eigenen glich.« »Dann muß es einer von den glänzenden Seidenwürmern vom Hofe sein,« sagte der Waffenschmied, dessen natürliche Gemüthshitze Täuschung und Ungewißheit entzündete; »einer von denen, welche glauben, sie müssen mit ihren langen Federn und glänzenden goldenen Sporen Alles gewinnen. Ich möchte ihn wohl kennen, der seine gewöhnlichen Genossinnen, die geschminkten, duftenden Hofdamen verläßt und schlichten Bürgermädchen nachläuft. Ich möchte seinen Namen und Beinamen wissen.« »Harry Schmied,« sagte Katharina, die Schwäche bezwingend, die sie für einen Augenblick zu überwältigen drohte, »dies ist die Sprache eines undankbaren Thoren, oder vielmehr eines Rasenden. Ich sagte Euch schon beim Beginn unseres Gesprächs, daß ich von Niemand eine höhere Meinung habe, als von dem, der nur mit jedem Worte, das er im Tone ungerechten Verdachts und grundlosen Zornes ausspricht, in meiner Achtung verliert. Ihr hattet nicht einmal das Recht, das zu erfahren, was ich Euch sagte, und ich bitt' Euch zu beachten, daß meine Gespräche Euch zu der Meinung kein Recht geben dürfen, daß ich Euch vor Andern bevorzuge, obwohl ich gestehe, daß ich keinen über Euch stelle. Es genüge Euch zu wissen, daß Euren Wünschen ein unbezwingliches Hinderniß im Wege steht, wie wenn ein Zauberer mein Schicksal gebunden hätte.« »Zauber wird gebrochen durch tüchtige Männer,« sagte der Schmied. »Ich wollte, es käme darauf an. Thorbiorn, der dänische Waffenschmied, sprach von einem Zauber, den er bei Fertigung von Brustharnischen anwende, indem er ein gewisses Lied singe, während das Eisen glüht. Ich sagte ihm, diese Runenverse wären kein Schutz gegen die Waffen, die man bei Loncarty führte – was weiter dabei vorkam, ist unnütz zu sagen; – aber der Harnisch und sein Träger, und der Arzt, der ihm die Wunde heilte, wissen, ob Harry Gow Zauber brechen kann oder nicht.« Katharina sah ihn an, als wollte sie zur Antwort eine kleine Mißbilligung der That, die er gewagt, geben, indem der tapfere Schmied sich nicht erinnert hatte, daß er sich damit immer ihren Tadel zuzog. Aber ehe sie ihren Gedanken Worte leihen konnte, steckte ihr Vater seinen Kopf durch die Thür. »Harry,« sagte er, »ich muß Eure angenehmen Angelegenheiten unterbrechen und Euch bitten, eilig in mein Arbeitszimmer zu kommen, um Euch über gewisse Dinge zu Rathe zu ziehen, die das Wohl der Stadt sehr nahe angehen.« Harry verließ, sich von Katharina verabschiedend, auf ihres Vaters Ruf das Gemach. Gewiß war es für ihr künftiges freundschafliches Verhältniß günstig, daß sie jetzt schieden, bei einer Wendung, welche das Gespräch wahrscheinlich hätte nehmen müssen. Denn wie der Werber begonnen hatte, die Weigerung des Mädchens für launenhaft und unerklärlich zu halten nach jener Ermuthigung, die sie, wie er glaubte, gewährt hatte, so betrachtete Katharina ihrerseits ihn vielmehr als Einen, der die bewiesene Gunst mißbrauche, denn als einen Mann, dessen Zartgefühl ihn solcher Gunst würdig mache. Aber es lebte in Beider Busen eine wechselseitige Zuneigung, welche am Schlusse des Streites gewiß wieder erwachen und das Mädchen veranlassen mußte, die Verletzung ihres Zartgefühls, so wie den Liebhaber, seine verschmähte Wärme der Leidenschaft zu vergessen. Siebentes Kapitel Der Streit läßt künftig einmal Blut vergießen.                           Heinrich IV., erster Theil. Das Conclave der Bürger, die sich versammeln wollten, um den Anlauf der vorigen Nacht zu erforschen, war nun beisammen. Das Arbeitszimmer Simon Glovers war gedrängt gefüllt von Personen bedeutenden Ansehens, deren einige schwarze Sammtkleider und goldene Ketten am Halse trugen. Sie waren allerdings die Väter der Stadt, und es befanden sich Bailie's und Stadtvögte in ihrer Mitte. Es lagerte eine erzürnte, beleidigte und gewichtige Miene auf jeder Stirn, während sie sich flüsternd, theils laut, oder paarweise besprachen. Der Geschäftigste unter den Geschäftigen, der kleine bedeutende Helfer in voriger Nacht, Oliver Proudfute mit Namen und Strumpfwirker seines Gewerbes, fuhr unter der Menge hin und her, ganz nach der Weise einer Seemöve, die am meisten flattert und schreit beim Beginn des Sturmes, obwohl sich kaum begreifen läßt, was der Vogel Besseres zu thun haben könnte, als in sein Nest zu fliegen und ruhig zu bleiben, bis der Sturm vorbei ist. Sei dem wie ihm wolle, Meister Proudfute befand sich mitten unter der Versammlung, seine Finger an eines Jeden Rockknopf und seinen Mund an Jedermanns Ohr, indem er die umfaßte, die von gleicher Größe mit ihm waren, um seine Gedanken vertraulicher und geheimnißvoller zu äußern; dann stand er wieder auf den Zehen und bediente sich des Mantelkragens langer Leute, um ihnen ebenfalls seine Mittheilungen auf diese Art zufließen zu lassen. Er fühlte sich selber als einen Helden in der Angelegenheit voll Bewußtsein der Würde höherer Kenntniß der Sache, weil er Augenzeuge gewesen, und so war er sehr geneigt, den Antheil, den er dabei gehabt, über die Grenzen der Bescheidenheit und Wahrheit etwas auszudehnen. Man kann nicht sagen, daß seine Mittheilungen von Wichtigkeit und Werth gewesen wären, indem sie hauptsächlich aus Versicherungen bestanden, wie folgende: »Es ist Alles wahr, bei St. John. Ich war dabei und sah es selber – war der Erste, der auf den Lärm herbeieilte; und wär' ich und ein zweiter wackerer Bursche nicht gewesen, der zugleich anlangte, so hätten sie Simon Glover die Hausthür eingerannt, ihm die Kehle abgeschnitten und seine Tochter in die Gebirge fortgeschleppt. Es ist ein zu arges Verfahren – kann nicht geduldet werden, Nachbar Crookschank, – nicht ertragen, Nachbar Glas – ist nicht auszuhalten, Nachbar Balneaves, Rollock und Chrysteson. Es war ein Glück, daß ich und der tapfere Mensch dazu kam – nicht wahr, Nachbar und würdiger Bailie Craigdallie?« Diese Reden wurden von dem geschäftigen Strumpfwirker in verschiedene Ohren gestreut. Bailie Craigdallie, ein gewichtiger Zunftgenosse, derselbe, der gerathen hatte, die Berathung über den Vorfall in der Nacht auf diese Zeit und diesen Ort zu verschieben, ein großer, dicker, freundlicher Mann, befreite sich von der Hand des Zunftmeisters, der sich an seinem Mantelkragen festgekrallt hatte, fast auf gleiche Weise, wie ein muthiges Pferd die quälende Bremse abschüttelt, die es zehn Minuten plagte, und rief aus: »Stille, ihr guten Bürger; hier kommt Simon Glover, in welchem kein Mensch jemals Falschheit entdeckte. Wir werden die Unbilde aus seinem eigenen Munde erfahren.« Simon, der sich aufgefordert sah, seine Geschichte zu erzählen, that dies mit sichtbarer Verlegenheit, die er einem Widerstreben zuschrieb, daß die Stadt seinetwegen in tödtliche Fehde mit Jemand gerathen könne. Es war, so sagte er, ein Maskenstreich von Seiten der jungen Ritter am Hofe, und das Schlimmste, was dabei herauskommen möchte, sei, daß er Eisenstangen an seiner Tochter Fenster setzen werde, um ein ähnliches Possenspiel zu hindern. »Nun, wenn dies eine bloße Mummerei war,« sagte Craigdallie, »hat unser Mitbürger, Harry vom Wynd, sehr unrecht gethan, eines Edelmanns Hand wegen so harmlosen Scherzes abzuhauen, und die Stadt kann schwerer Buße dafür verfallen, wenn wir den Verstümmler nicht in Gewahrsam nehmen.« »Unsere liebe Frau verhüte das!« sagte der Handschuhmacher. »Wüßtet ihr, was ich weiß, so würdet ihr euch so sehr scheuen, euch in diese Sache zu mengen, als wär's glühend Eisen. Aber da ihr die Finger durchaus in's Feuer stecken wollt, so mag die Wahrheit gesagt werden. Und komme, was da wolle, so muß ich sagen, daß die Sache für mich und die Meinigen hätte sehr schlimm ablaufen können, wäre Harry Gow, der Waffenschmied, den ihr Alle kennt, nicht mit gelegener Hilfe gekommen.« »Und meine fehlte auch nicht,« sagte Oliver Proudfute, »obwohl ich gestehe, daß ich kein so ganz ausnehmender Fechter bin, wie unser Nachbar Harry Gow. – Ihr saht mich, Nachbar Glover, beim Anfang des Lärmes?« »Ich sah Euch nach dem Ende desselben, Nachbar,« antwortete der Handschuhmacher trocken. »Freilich, freilich; ich vergaß, daß Ihr in Eurem Hause wart, als die Hiebe begannen, und Ihr konntet nicht sehen, wer sie austheilte.« »Still, Nachbar Proudfute; ich bitt' Euch, still,« sagte Craigdallie, den das ewige Geschrei des würdigen Zunftmeisters sichtbar ermüdete. »Es ist etwas Geheimnißvolles dabei,« sagte der Bailie; »aber mich dünkt, ich komme dahinter. Unser Freund Simon ist, wie euch Allen bekannt, ein friedlicher Mann, einer, der sich lieber ein Unrecht anthun läßt, eh' er einen Freund oder eine ganze Nachbarschaft in Gefahr bringt, ihn zu rächen. Du, Harry, der du nie fehlst, wo die Stadt einen Vertheidiger braucht, sag' uns, was du von der Sache weißt.« Unser Schmied erzählte seine Geschichte auf dieselbe Weise, wie wir sie bereits kennen; und der geschäftige Strumpfwirker setzte wie vorher hinzu: »Und du sahst mich dabei, ehrlicher Schmied, nicht wahr?« »Ich wahrhaftig nicht, Nachbar,« antwortete Harry; »aber Ihr seid ein kleiner Mann, wie Ihr wißt, und ich kann Euch übersehen haben.« Diese Antwort erregte ein Gelächter auf Oliver's Kosten, welcher mit den Andern lachte, aber mürrisch hinzufügte: »Ich war bei alledem einer der Ersten, die zu Hilfe kamen.« »Ei, wo warst du denn alsdann, Nachbar?« sagte der Schmied; »denn ich sah dich nicht, und ich hätte den Werth der besten Waffenrüstung, die ich je machte, darum gegeben, einen so tapferen Burschen, wie dich, an meiner Seite zu haben.« »Ich war aber nicht weit davon, ehrlicher Schmied; und während du Schläge wie auf einen Ambos austheiltest, parirte ich die, welche die übrigen Schurken hinter deinem Rücken gegen dich führten; und aus dem Grunde sahst du mich nicht.« »Ich habe von Schmieden in alter Zeit gehört, die nur ein Auge hatten,« sagte Harry. »Ich habe zwei, aber sie sitzen mir beide vorn unter der Stirn, und daher konnt' ich nicht hinterrücks sehen, Nachbar.« »Die Wahrheit ist aber,« beharrte Meister Oliver, »daß ich dabei war, und ich will Meister Bailie meinen Bericht von der Sache geben; denn der Schmied und ich waren die ersten bei dem Lärm.« »Genug für jetzt,« sagte der Bailie, mit einer zum Schweigen mahnenden Geberde gegen Proudfute. »Die Erklärung Simon Glover's und Harry Gow's würden auch bei einer weniger glaublichen Sache hinreichen. Jetzt, ihr Meister, fragt sich, was wir thun sollen. All' unsere Rechte als Bürger sind verhöhnt und verletzt, und, wie ihr denken könnt, durch einen Mächtigen, denn ein Anderer hätte das nicht gewagt. Es ist hart für Fleisch und Blut, ihr Meister, wenn man sich solche Schmach gefallen lassen muß. Die Gesetze haben uns einen geringern Rang als den Fürsten und Edeln angewiesen; aber es ist gegen die Vernunft zu glauben, wir werden leiden, daß man unsere Häuser stürmt und die Ehre unserer Weiber und Töchter angreift, ohne daß wir Genugthuung suchen.« »Es läßt sich nicht ertragen!« antworteten die Bürger einmüthig. Hier legte sich Simon Glover mit sehr besorgter und unheilverkündender Miene in's Mittel. »Ich hoffe noch, es war Alles nicht so böse gemeint, als es uns scheint, meine würdigen Nachbarn; und was mich betrifft, so wollt' ich herzlich gern die Unruhe und Störung verzeihen, die meinem armen Hause widerfahren, wofern sich die schöne Stadt meinetwegen keine Unannehmlichkeit bereitet. Ich bitt' Euch, zu erwägen, welches die Ritter sind, die darüber entscheiden werden. Ich rede unter Nachbarn, Freunden, und also zu offenen Herzen. Der König, Gott segne ihn! ist so geschwächt an Körper und Geist, daß er uns an einen seiner Räthe weisen wird, zu einem großen Herrn, der gerade in Gunst bei ihm steht. – Er schickt uns vielleicht an seinen Bruder, den Herzog von Albany, der unser Gesuch um Schlichtung des Unrechts zum Vorwand nehmen wird, uns Geld abzupressen.« »Wir wollen keinen Albany zu unserm Richter!« antwortete die Versammlung ebenso einmüthig wie vorher. »Oder vielleicht,« setzte Simon hinzu, »wird er den Herzog von Rothsay die Sache übernehmen heißen; und der wilde junge Prinz wird die Ungebühr als etwas für seine lustigen Gefährten Passendes und als Stoff für seine Minstrels ansehen.« »Weg mit Rothsay! er ist zu fröhlich, um unser Richter zu sein,« riefen die Bürger wieder. Simon, ermuthigt, als er sah, daß er zu dem erwünschten Ziele gelangte, fügte, den gefürchteten Namen jedoch nur halblaut verkündend hinzu: »Würde euch der schwarze Douglas besser zusagen?« Eine Minute lang erfolgte keine Antwort. Sie sahen einander mit niedergeschlagener Miene und bleichen Lippen an. Harry Schmied aber sprach kühn und mit entschiedenem Tone die Gedanken aus, welche Alle hegten, obwohl ihnen sonst Keiner Worte zu geben wagte: – »Den schwarzen Douglas als Richter zwischen einem Bürger und einem Herrn, ja, einem Edelmann? ei wahrhaftig! – lieber den schwarzen Teufel aus der Hölle! Ihr seid wahnsinnig, Vater Simon, daß Ihr nur einen so tollen Vorschlag thun könnt.« Wieder trat eine Stille der Furcht und Ungewißheit ein, welche endlich Bailie Craigdallie unterbrach, der, den Sprecher sehr bedeutsam anblickend, erwiderte: »Ihr verlaßt Euch auf ein tüchtig Unterwams, Nachbar Schmied, sonst würdet Ihr nicht so kühn sprechen.« »Ich vertraue auf ein gutes Herz unter meinem Wams, wie ich's habe, Bailie,« antwortete der muthige Harry; »und obwohl ich nur wenig spreche, so soll mein Mund doch nimmer von irgend einem Euer Edeln verschlossen werden.« »Tragt ein dickes Wams, guter Harry, oder sprecht nicht so laut,« wiederholte der Bailie, im nämlichen bedeutsamen Tone. »Es gibt Grenzleute in der Stadt, die das blutige Herz [das wohlbekannte Kennzeichen des Hauses Douglas] auf der Schulter tragen. – Aber Alles dies fruchtet nichts. Was sollen wir thun?« »Kurze Rede, gute Rede,« sagte der Schmid. »Gehen wir zu unserm Profoß, Hilfe und Beistand von ihm zu fordern.« Ein Beifallsgemurmel lief durch die Versammlung und Oliver Proudfute rief: »Das hab' ich seit einer halben Stunde gesagt, und Keiner von euch wollte mich hören. Laßt uns zu unserm Profoß gehen, sagt' ich. Er ist selber ein Edler und muß in allen Dingen zwischen Stadt und Adel entscheiden.« »Still, Nachbarn, still; bedenkt, was ihr sagt oder thut,« sagte ein dünner, magerer Mann, dessen kleine Person an Gestalt noch kleiner und einem Schatten ähnlicher zu werden schien durch sein Bemühen, eine außerordentliche Beschaffenheit anzunehmen und sich selbst, in Uebereinstimmung mit seinen Reden, noch unbedeutender und unansehnlicher, als er von Natur war, zu machen schien. »Verzeiht mir,« sagte er, »ich bin ein armer Apotheker. Trotzdem bin ich in Paris erzogen und habe meine Humaniora und meinen cursus medendi so gut studirt, wie Manche, die sich gelehrte Aerzte nennen. Mich dünkt, ich kann diese Wunde untersuchen, und sie mit Erweichungen behandeln. Hier unser Freund Simon ist, wie Euch Allen bewußt, ein ehrenwerther Mann. Glaubt Ihr, er würde bei einer Sache, welche die Ehre seines Hauses so nahe betrifft, nicht am eifrigsten unter uns Allen auf strenge Maßregeln dringen? Da ihm aber, wie es scheint, nichts daran liegt, eine Klage gegen die Nachtschwärmer zu erheben, so erwägt, ob es nicht möglich sei, daß er seine besondern Gründe habe, die er nicht nennen mag, die Sache auf sich beruhen zu lassen? Mir kommt's nicht zu, Hand an die Wunde zu legen – aber, ach! wir wissen Alle, daß junge Mädchen das sind, was ich flüchtige Essenzen nenne. Gesetzt nun, ein ehrbares Mädchen läßt, versteht sich in aller Unschuld, am St. Valentinsmorgen ihr Fenster halb offen, auf daß ein liebender Kavalier, natürlich in allen Ehren, ihr Valentin werden könne; – gesetzt ferner, der Liebhaber werde entdeckt, – kann sie nicht einen Schrei thun, als hätte sie diesen Besuch nicht erwartet, und – und – stoßt Alles dies in einem Mörser und dann erwägt, ob es ein Stoff sein wird, um die Stadt in Allarm zu bringen?« Der Apotheker sprach seine Meinung auf die einschmeichelndste Weise aus; aber er schien noch unter sein natürliches Maß einzuschrumpfen, als er das Blut in die Wangen des alten Simon Glover steigen und das Gesicht des unerschrockenen Waffenschmieds vor Zorn stammen sah. Der Letztere trat vor, warf einen strengen Blick auf den erschrockenen Apotheker und brach in die Worte aus: »du wanderndes Gerippe! du schwindsüchtige Medicinalflasche! du Giftmischer von Handwerk! wenn ich glaubte, daß der Pesthauch deiner schändlichen Worte dem unbefleckten Rufe Katharina Glovers nur einen Augenblick schaden könnte, so würd' ich dich in deinem eigenen Mörser zu Pulver stoßen, elender Quacksalber! und deinen schlechten Leichnam mit Schwefelblume zersetzen, der einzigen reinen Medicin in deinem Laden, um eine Salbe für räudige Hunde daraus zu machen!« »Halt, mein Sohn Harry, halt!« rief der Handschuhmacher im Gefühle seiner Geltung; – »kein Mensch hat ein Recht, über diesen Punkt zu reden, außer ich. – Ehrenwerther Bailie Craigdallie, da man meine Geduld auf solche Weise auslegt, bin ich gezwungen, der Sache auf den Grund zu gehen, und mag auch der Erfolg lehren, daß wir besser gethan hätten, ruhig zu bleiben, so wird man wenigstens sehen, daß meine Tochter weder durch Thorheit, noch durch Leichtsinn Anlaß zu diesem großen Aergerniß gab.« Auch der Bailie legte sich in's Mittel. »Nachbar Harry,« sagte er, »wir kamen hieher, zu berathen, nicht um zu streiten. Als einer der Väter dieser guten Stadt befehl' ich Euch, jede übelwollende Gesinnung, die Ihr gegen Meister Apotheker Dwining hegen mögt, zu vergessen.« »Er ist ein zu armes Geschöpf, Bailie,« sagte Harry Gow, »als daß ich mit ihm kämpfen könnte – ich, der ich ihn und seinen Laden mit einem Schlage meines Hammers zertrümmern könnte « »Also still und hört mich,« sagte der Beamte. »Wir Alle glauben so fest an die Ehre des schönen Mädchens von Perth, wie an die unserer lieben Frau.« Hier bekreuzte er sich andächtig. »Was aber die Berufung auf unsern Oberrichter betrifft, seid Ihr Alle der Meinung, Nachbarn, daß man eine derartige Sache in seine Hände lege, während unser Gegner, wie zu fürchten, ein mächtiger Edler ist?« »Da der Oberrichter selber ein Edelmann ist« – quäkte der Apotheker, der sich einigermaßen von seinem Schrecken durch die Einmischung des Bailie erholt: – »Gott weiß es, ich bin nicht gesinnt, das Mindeste wider einen Herrn einzuwenden, dessen Vorfahren das Amt hatten, welches er seit vielen Jahren verwaltet – « »Durch freie Wahl der Bürger von Perth,« sagte der Schmied, den Sprecher mit seiner tiefen und entschiedenen Stimme unterbrechend. »Ja, gewißlich,« erwiderte der erschreckte Redner. »Durch die Stimme der Bürger. Wie sonst? – Ich bitt' Euch, Freund Schmied, unterbrecht mich nicht. Ich rede zu unserm ehrenwerthen Aeltesten, Bailie Craigdallie, wie mein bescheidener Verstand mir's eingibt. Ich sage, mag kommen was will, Sir Patrick Charteris ist doch immer ein Edelmann, und eine Krähe hackt der andern kein Auge aus. Er mag uns wohl in einer Fehde mit den Hochländern vertreten und Partei gegen sie nehmen, als unser Führer und Oberrichter; aber eine andere Frage ist, ob er, der sich in Seide trägt, Lust haben wird, gegen Herren in gestickten goldverbrämten Kleidern unsere Sache zu verfechten, wie er's gegen den Tartan und irischen Fries gethan hat. Nehmt eines Thoren Rath. Wir haben unser Mädchen gerettet, der meine Worte nimmer eine Schmach anthun sollten, so wahr ich nichts Schmachvolles weiß. Sie haben mindestens eines Mannes Hand verloren, Dank Harry Schmied –« »Und mir« – fügte der kleine, wichtige Strumpfwirker hinzu. »Und Oliver Proudfute, wie er uns sagt,« fuhr der Apotheker fort, welcher keines Mannes Anspruch auf Ruhm betritt, wenn er nur selber die gefahrvollen Pfade, die zu selbigem führten, nicht wandeln mußte. »Ich sage, Nachbarn, daß, da sie uns eine Hand als Pfand gelassen haben, nie mehr in die Curfewstreet kommen zu wollen, so wär' es, meiner schlichten Ansicht nach, das Beste, wenn wir unserm tapfern Mitbürger dankten und, da die Stadt die Ehre, jene Schurken aber den Verlust haben, über die Sache schwiegen, und nichts mehr darüber sagten.« Dieser friedliche Rath that bei einigen Bürgern Wirkung, welche begannen zu nicken und ausnehmend weise den Advokaten des Friedens betrachteten, mit welchem, trotz der letzten Beleidigung, Simon Glover ebenfalls übereinzustimmen schien. Nicht so jedoch Harry Schmied, welcher, bemerkend, daß Niemand das Wort führte, in seiner gewohnten freien Weise wieder zu sprechen begann. »Ich bin weder der Aelteste noch der Reichste unter Euch, Nachbarn, und darum gräme ich mich nicht. Die Jahre werden kommen, wenn man's erlebt, und ich kann erwerben und meinen Pfennig wie ein Anderer geben beim Feuer des Ofens und dem Blasen meiner Bälge. Aber Niemand sah mich je träge, wenn unserer guten Stadt durch Wort oder That Unrecht geschah und in der Macht der Zunge und des Armes eines Mannes stand, dafür Recht zu schaffen. Daher werd' ich eine solche Schmach nicht ruhig ansehen, wenn ich was Besseres vermag. Ich werde selbst den Oberrichter aufsuchen und wenn ich allein hingehen müßte. Er ist allerdings ein Ritter und ein Edelmann, wie Jeder weiß, von Vater auf Sohn, seit der Zeit Wallace's, der den Urgroßvater des Sir Patrick in dieses Land eingeführt hat. Wär' er aber auch der stolzeste Edle im Lande, er ist Oberrichter in Perth und muß für Erhaltung der Rechte und Freiheiten der Stadt wachen. Ja, und ich bin überzeugt, er wird es thun; ich hab' ihm einen Stahlpanzer gemacht, und weiß so ziemlich, welcher Art das Herz ist, das er decken soll.« »Allerdings,« sagte der Bailie Craigdallie, »bei Hofe würden wir ohne den Sir Patrick Charteris zu nichts kommen; die schnelle Antwort würde sein: Geht zu Eurem Oberrichter, Ihr grobes Volk! Wenn Ihr daher, Nachbarn und Mitbürger, mir zur Seite stehen wollt, so will ich und unser Apotheker Dwining, nebst Simon Glover, dem wackern Schmied und dem tapfern Oliver Proudfute als Zeugen des Unfugs, sogleich nach Kinfauns gehen und mit Sir Patrick im Namen der guten Stadt reden.« »Nein,« sagte der friedliche Mann der Medicin, »laßt mich daheim, ich bitt' Euch; mir fehlt die Kühnheit, vor einem Ritter zu sprechen.« »Schadet Alles nichts, Nachbar, Ihr müßt mit,« sagte Bailie Craigdallie. »Die Stadt hält mich bei meinen sechzig Jahren für einen Hitzkopf – Simon Glover ist die beleidigte Partei – wir Alle wissen, daß Harry Gow mit seinem Schwerte mehr Harnische zerhaut, als er mit seinem Hammer schmiedet – und unser Nachbar Proudfute, – der, wie er selber sagt, beim Anfang und Ende jedes Kampfes in Perth ist, – ist natürlich ein Mann der That. Wir müssen zum wenigsten Einen unter uns haben, der zu Frieden und Ruhe ermahnt, und du, Apotheker, mußt der Mann sein. Fort denn, Ihr Herren, die Stiefeln an und zu Pferde – fix und fertig! – beim östlichen Thor kommen wir zusammen – das heißt nämlich, wenn es Euch gefällt, Nachbarn, uns die Sache anzuvertrauen.« »Besseres ließ sich nicht sagen, und wir Alle genehmigen es,« sagten die Bürger. »Wenn der Oberrichter unsere Partei nimmt, wie die Stadt mit Recht erwarten kann, so nehmen wir's mit dem Besten von ihnen auf.« »Nun gut, Nachbarn,« sagte der Bailie. »Wie gesagt, so gethan. Ich habe übrigens auf diese Stunde den ganzen Rath der Stadt zusammenberufen, und ich zweifle nicht,« dabei sah er sich in der Gesellschaft rings um, »daß, da so viele Anwesende dafür sind, daß man sich mit dem Oberrichter berathe, der Rest denselben Beschluß fassen werde. Daher, Nachbarn und Bürger der guten Stadt Perth – zu Pferde, wie ich gesagt habe, und versammelt Euch am östlichen Thore.« Ein allgemeines Beifallrufen schloß die Sitzung dieses geheimen Rathes, und sie gingen auseinander, die Abgeordneten, um sich zur Reise zu bereiten, und die Andern, um ihren ungeduldigen Weibern und Töchtern die Maßregeln zu berichten, die getroffen waren, um ihre Gemächer in Zukunft gegen das Eindringen von Liebhabern zu ungelegener Stunde sicher zu stellen. Während man die Klepper sattelt und der Rath der Stadt bespricht oder vielmehr in gesetzlicher Form feststellt, was die leitenden Mitglieder bereits angenommen hatten, mag es zur Unterrichtung mancher Leser nothwendig sein, in bestimmteren Ausdrücken auseinander zu setzen, was im Laufe der frühern Erörterung nur oberflächlich angedeutet ward. Es war die Sitte dieser Periode, als die Stärke der lehnsherrlichen Aristokratie die Rechte der königlichen Städte Schottlands und deren Privilegien häufig verhöhnte, daß sich diese Städte, wo es thunlich war, ihren Oberrichter, d. h. die höchste obrigkeitliche Person, nicht aus dem Stande der Kaufleute, Krämer und Bürger wählten, welche die Stadt selbst bewohnten und die gewöhnliche Obrigkeit bildeten, sondern aus den Edeln oder Baronen in der Umgegend der Stadt; man erwartete von dem, der auf diesen hohen Posten erhoben worden, daß er die Stadt bei Allem, was ihre Interessen anlangte, bei Hofe vertrat, ihre Truppen befehligte, mochten sie nun für die Krone ziehen, oder eine Privatfehde der Stadt auszufechten haben, und daß er jene mit seinen eigenen Vasallen verstärkte. Der auf solche Weise gewährte Schutz blieb nicht immer unbelohnt. Oefters benutzten die Oberrichter ihre Stellung auf eine unverantwortliche Weise, ließen sich Güter und Häuser, die der Gemeinde gehörten, abtreten, und machten sich oft für die geleisteten Dienste von den Bürgern auf Kosten des öffentlichen Eigenthums sehr theuer bezahlt. Andere begnügten sich mit dem Beistande der Bürger in ihren Privatfehden und mit den andern Zeichen der Achtung und Erkenntlichkeit, welche die untergebenen Städte ihnen gern zollten, um sich ihres thätigen Beistandes im Falle der Noth zu versichern. Dem Baron, der der gewöhnliche Beschützer einer Stadt war, wurden diese freiwilligen Opfer ohne Bedenken dargebracht, und er vergalt sie dadurch, daß er die Rechte der Stadt schirmte, im Rathe durch seine Beredtsamkeit und durch kühne Thaten im Felde. Die Bürger der Stadt, oder, wie sie lieber sagten, der guten Stadt Perth, hatten seit mehreren Generationen einen Beschützer und Oberrichter solcher Art in dem edlen Hause der Charteris, Herren von Kinfauns, in der Nähe der Stadt gefunden. Kaum ein Jahrhundert (zur Zeit Roberts III.) war verschwunden, seit der Erste dieser ausgezeichneten Familie sich auf dem festen Schlosse niedergelassen hatte, das ihm damals gehörte, so wie das malerische und fruchtbare Gebiet ringsum. Aber die Geschichte dessen, der sich so angesiedelt hatte, an sich schon ritterlich und romantisch, war geeignet, die Niederlassung eines Fremden in dem Lande zu erleichtern, wohin das Schicksal ihn geführt hatte. Wir erzählen sie, wie sie eine alte Sage gibt, welche große Wahrscheinlichkeit hat und vielleicht begründet genug ist, um in ernsteren Geschichtsbüchern, als das vorliegende, eine Stelle zu finden. Während der kurzen Laufbahn des berühmten Patrioten Sir William Wallace, und als seine Waffen für eine Zeit lang die englischen Eindringlinge aus seinem Vaterlande vertrieben hatten, soll er mit einigen vertrauten Freunden eine Fahrt nach Frankreich unternommen haben, um zu versuchen, ob seine persönliche Gegenwart (denn er war in allen Ländern seiner Tapferkeit wegen geachtet) den König von Frankreich bestimmen könnte, ein Corps Hülfstruppen nach Schottland zu schicken, oder einen andern Beistand, um den Schotten zu Wiedergewinnung ihrer Unabhängigkeit zu verhelfen. Der schottische Held befand sich an Bord eines kleinen Fahrzeugs und steuerte nach dem Hafen von Dieppe, als in der Ferne ein Segel erschien, welches die Seefahrer anfangs mit Furcht und Besorgniß, und endlich mit Bestürzung und Schrecken betrachteten. Auf Wallace's Frage, woher ihre Bestürzung rühre, unterrichtete ihn der Kapitän, daß das große Schiff, welches in der Absicht, das ihrige zu entern, auf sie lossteure, einem berühmten Korsaren gehöre, der eben durch seinen Muth und seine körperliche Stärke, wie durch sein beständiges, sich immer gleich bleibendes Glück berüchtigt sei. Der Befehlshaber sei ein französischer Edelmann, genannt Thomas de Longueville, und gehöre zu den Piraten, die sich für Freunde des Meeres und für Feinde aller derer erklärt haben, die auf diesem Elemente segeln. Er greife die Schiffe aller Nationen an, plündere sie, gleich einem der nordischen Seekönige, wie man sie nannte, deren Herrschersitz auf den Wogengebirgen war. Der Schiffsherr fügte hinzu, kein Fahrzeug könne dem Räuber durch die Flucht entgehen, so schnell sei sein Schiff; und keine noch so kühne Bemannung könne hoffen, ihm zu widerstehen, wenn er, nach seiner gewohnten Weise zu fechten, sich an der Spitze seiner Leute an Bord stürze. Wallace lächelte bitter, während der Herr des Schiffes mit Unruhe im Gesicht und Thränen in den Augen ihm die Gewißheit vorstellte, daß sie Gefangene des rothen Räubers sein würden, ein Name, den Longueville erhielt, weil er gewöhnlich eine blutrothe Flagge entfaltete, die er bereits aufgezogen hatte. »Ich will den Kanal von diesem Räuber säubern,« sagte Wallace. Dann rief er zehn oder zwölf seiner eigenen Gefährten zusammen, Boyd, Kerlie, Seton und Andere, denen der Kampf der verzweifelten Schlacht wahre Lebenslust dünkte, und befahl ihnen, sich zu waffnen und sich platt auf's Verdeck zu legen, daß man sie nicht sehen könnte. Desgleichen ließ er alle Seeleute unter's Verdeck gehen, außer diejenigen, die durchaus nöthig waren, um das Schiff zu lenken, und befahl dem Schiffsherrn bei Todesstrafe so zu steuern, daß es scheine, als flöhen sie, und daß der rothe Räuber leicht an's Fahrzeug kommen könne; damit legte er sich selbst auf's Verdeck, damit durchaus nichts verriethe, daß man Widerstand zu leisten gedenke. Nach einer Viertelstunde legte des Räubers Schiff an Wallace's Fahrzeug an und der rothe Räuber warf seine Enterhaken aus, um sich der Beute zu versichern, und sprang, vom Kopf bis zu den Füßen gewaffnet, an Bord; seine Leute folgten und erhoben, als wären sie des Sieges schon gewiß, ein furchtbares Geschrei. Aber die bewaffneten Schotten richteten sich plötzlich auf und der rothe Räuber fand unerwartet, daß er es mit Leuten zu thun hatte, die den Sieg als ausgemachte Sache betrachteten, wenn es jeder nur mit zwei oder drei Gegnern zu thun hatte. Wallace warf sich selber auf den Räuberkapitän, und nun begann zwischen den Beiden ein so fürchterlicher Kampf, daß die Uebrigen zu fechten aufhörten, um Jenen zuzusehen, indem sie, wie es schien, durch stillschweigende Uebereinkunft die Entscheidung des Ganzen den zwei tapfern Anführern überließen. Der Räuber focht so gut, als es nur einem Manne möglich war; aber Wallace besaß mehr als gewöhnliche Kraft; er schlug dem Piraten das Schwert aus der Hand und bedrängte ihn so sehr, daß dieser kein anderes Mittel wußte, dem Tode zu entgehen, als daß er sich auf seinen Gegner stürzte, um ihn vielleicht im Ringen niederzuwerfen. Jedoch auch dies mißlang. Mit den Armen einander umschlungen haltend, fielen Beide auf das Verdeck nieder; aber Wallace behielt die Oberhand, faßte den Ringkragen des Gegners und drückte ihn, obwohl er vom besten Stahle gefertigt, so stark zusammen, daß dem Räuber das Blut aus Augen, Mund und Nase strömte, und er nur durch Zeichen um sein Leben bitten konnte. Seine Leute warfen ihre Waffen weg und baten um Gnade, als sie ihren Führer so hart bedrängt sahen. Der Sieger schenkte ihnen allen das Leben, nahm aber ihr Fahrzeug in Besitz und behielt sie als Gefangene. Als er des französischen Hafens ansichtig ward, beunruhigte Wallace diesen Ort, indem er des Räubers Farben entfaltete, als käme Longueuille, um die Stadt zu plündern. Die Glocken wurden geläutet, Hörner erschallten und die Bürger eilten zu den Waffen, als sich die Scene änderte. Der schottische Löwe auf seinem goldenen Schild erhob sich über des Räubers Flagge, und verkündigte, daß der Befreier Schottlands sich nahe, wie ein Falke mit seiner Beute in den Klauen. Er stieg mit seinem Gefangenen an's Land und brachte denselben an den französischen Hof, wo auf Wallace's Bitten der König de Longueville alle Seeräubereien, die er begangen hatte, verzieh, ihn sogar zum Ritter schlug und ihm anbot, in seine Dienste zu treten. Aber der Seeräuber hatte mit seinem edlen Besieger eine so innige Freundschaft geschlossen, daß er Wallace's Schicksal theilen wollte. Er kehrte mit ihm nach Schottland zurück, focht in vielen blutigen Schlachten an seiner Seite und gab Proben einer Tapferkeit, die nur jener des schottischen Helden nachstand. Aber sein Schicksal war glücklicher als das seines Freundes. Durch Schönheit ausgezeichnet, so wie durch Stärke und Muth, gewann Sir Thomas de Longueville die Gunst eines Fräuleins aus dem alten Hause der Charteris, das ihn zum Gatten wählte und ihm das schöne Schloß Kinfauns und die zu dieser Baronie gehörigen Besitzungen zubrachte. Ihre Nachkommen nannten sich Charteris, wie ihre Ahnen von mütterlicher Seite, die früheren Besitzer ihrer Güter, geheißen hatten, obgleich der Name Thomas de Longueville bei ihnen in derselben Achtung stand. Das große zweihändige Schwert, womit er die Feinde im Kampfe niedermähete, wird noch von der Familie aufbewahrt. Eine andere Nachricht ist, daß der Familienname de Longueville's selbst Charteris war. Die Herrschaft ging später auf das Haus Blair über und ist jetzt Eigenthum des Lord Gray. Diese Barone von Kinfauns verwalteten seit mehreren Generationen von Vater auf Sohn das Amt der Oberrichter von Perth; die Nachbarschaft des Schlosses und der Stadt machte diese Einrichtung zu wechselseitiger Unterstützung sehr erwünscht. Der Sir Patrick dieser Erzählung hatte schon mehrmals an der Spitze der Einwohner von Perth gegen die immer wiederkehrenden Streifzügler vom Hochlande und gegen andere fremde und einheimische Feinde gefochten. Allerdings ward er auch nicht selten mit unbedeutenden, nichtssagenden Klagen behelligt, die man ohne Noth seiner Entscheidung vorlegte. Daher kam es, daß man ihm zuweilen den Vorwurf machen hörte, er sei zu stolz als ein Edler und zu gleichgültig als ein Reicher, und gebe sich zu sehr den Freuden der Jagd und der Gastfreiheit hin, als daß er sich bei jedem Anlaß so thätig hätte zeigen können, wie die schöne Stadt es wünschte. Aber trotz dem, daß dies einigen leichten Unwillen erregte, pflegten die Bürger doch bei jedem ernstlichen Grunde zur Besorgniß an ihren Oberrichter zu gehen, und fanden bei ihm warme Unterstützung mit Rath und That. Achtes Kapitel Es haben den Gau von Annandale,     Die edlen Johnstones inn'; Sie waren dort wohl tausend Jahre,     Und bleiben noch tausend d'rin.                                   Alte Ballade. Nachdem wir so den Charakter und Beruf Sir Patrick Charteris, des Oberrichters von Perth, im letzten Kapitel gezeichnet haben, kehren wir nun zu der Gesandtschaft zurück, welche sich am östlichen Thore versammeln wollte, um mit ihren Beschwerden sich zu jenem Würdenträger nach Kinfauns zu begeben. Zuerst erschien Simon Glover auf einem sanften Zelter, welcher bisweilen die Ehre genoß, die schönere Person wie die leichtere Last der reizenden Tochter zu tragen. Glovers Mantel verhüllte ihm den untern Theil des Gesichts, sei es, um seinen Freunden anzudeuten, sie sollten, während er durch die Straßen ritt, ihn durch keine Frage aufhalten, sei es wegen der gerade eingetretenen Kälte. Auf seiner Stirn war eine bedeutende Unruhe zu lesen, als wäre ihm die Sache, worin er sich verwickelt sah, immer schwieriger und gefährlicher vorgekommen, jemehr er sie genauer erwog. Er grüßte nur durch stillschweigende Geberden seine Freunde, als sie sich auf dem Sammelplatz einfanden. Ein starker Rappe von der alten Gallowayrasse, nicht höher als vierzehn Hände, aber hochschulterig, stark von Gliedern, wohlgestaltet und gutgenährt, trug den wackern Schmied zum Ostthore. Ein Kenner des Thiers hätte in seinem Auge einen Funken der Falschheit bemerken können, die sich nicht selten mit der kräftigsten, ausdauerndsten Gestalt paart; aber das Gewicht des Reiters, seine geschickte Hand und die Art, wie er im Sattel saß, so wie die Erfahrung, die das Pferd erst kürzlich während einer langen Reise gemacht, hatten seine Widerspenstigkeit wenigstens für den Augenblick gezähmt. Ihn begleitete der ehrsame Strumpfwirker, der, da er ein kleiner, ziemlich dicker Mann war, wie ein rother Knäuel (denn er war in einen Scharlachmantel gehüllt, worüber eine Jagdtasche hing) auf einen großen Sattel gepackt war, worauf er mehr hing, als saß. Der Sattel, der den Reiter trug, war mit einem Gurt auf den Rücken einer niederländischen Stute befestigt, die den Rücken wie ein Kameel in die Höhe zog, und deren Füße, mit langen, dichten Haaren bewachsen, sich in einen breiten Huf endigten. Der Kontrast zwischen dem Pferd und dem Reiter war so außerordentlich, daß, während die Vorübergehenden, die seiner ansichtig wurden, sich wunderten, wie der Eine den Andern habe besteigen können, seine Freunde nicht ohne Besorgnisse waren, er möchte abgeworfen werden; denn die Beine des so hoch sitzenden Reiters reichten nicht bis an den untern Saum seines Sattels. Er hatte abgewartet, bis der Schmied sich auf den Weg machte, um diesem sich anzuschließen, denn Oliver Proudfute war der Meinung, daß Männer der That sich vortheilhafter zeigen könnten, wenn sie beisammen wären, und er gerieth in Entzücken, als ein Spötter aus der niedern Volksklasse Ernst genug hatte, laut auszurufen, ohne geradezu zu lachen: »Dort reitet der Stolz von Perth – dort reiten die tapfern Bürger, der wackere Schmied vom Wynd und der kühne Strumpfwirker!« Es ist wahr, der Bursche, der so sprach, gab dabei seines Gleichen einige deutsame Winke; da aber der Strumpfwirker diese Geberden nicht sah, so warf er jenem großmüthig einen Silberpfennig zu, um seine Achtung für kriegerische Leute aufzumuntern. Dies Geschenk machte, daß ihnen eine Schaar Knaben folgte, lachend und jubelnd, bis Harry Schmied, sich umwendend, den vordersten von ihnen zu peitschen drohte; sie warteten nicht, bis er diese Absicht ausführte. »Hier sind wir, die Zeugen,« sagte der kleine Mann auf dem großen Pferde, als sie zu Simon Glover am Ostthore kamen; »aber wo sind Jene, die uns beistehen sollen? Ach, Bruder Harry! Das Ansehen ist eine Last, passender für einen Esel, als für ein muthig Pferd; es hindert nur die Bewegungen so junger Burschen, wie Ihr und ich.« »Ich wünschte, Euch immer ein wenig von dieser Last tragen zu sehen, werther Meister Proudfute,« erwiderte Harry Gow, »wär's auch nur, um Euch im Sattel festzuhalten; denn Ihr schwankt umher, als machtet Ihr einen Tanz auf Eurem Sitze, ohne die Beine dazu zu brauchen.« »Ja, ja; ich hebe mich in den Steigbügeln, um die Stöße zu vermeiden. Meine Stute hat einen grausam harten Trab; aber sie hat mich in Feld und Wald getragen und durch manch' gefährliche Bergschlucht; so trennen wir uns nie, ich und Jesabel – ich nenne sie Jesabel nach der Prinzessin von Kastilien.« »Isabelle, meint Ihr wahrscheinlich,« antwortete der Schmied. »Ja – Isabelle oder Jesabel, – Alles gleich, wie Ihr wißt. Aber dort kommt endlich Bailie Craigdallie, mit dem armen, feige kriechenden Geschöpf, dem Apotheker. Sie haben zwei Stadtwächter mit ihren Partisanen, vermutlich als Leibwache für sich, mitgebracht. – Wenn ich irgend ein Ding vor Allem hasse, so ist es ein kriechender Schuft, wie der Dwining!« »Hütet Euch, daß er so was nicht von Euch hört,« sagte der Schmied. »Ich sage dir, Strumpfwirker, daß mehr Gefahr in jenem dünnen Gerippe liegt, als in zwanzig tapferen Kerls, wie Ihr selbst.« »Pfui, Schmied! Ihr wollt mit mir spaßen,« sagte Oliver; – indeß dämpfte er seine Stimme und blickte auf den Apotheker, als wollte er entdecken, in welchem Gliede oder Zuge seines abgezehrten Gesichts und Körpers sich etwa die gedrohte Gefahr zeige; und nachdem seine Prüfung ihn wieder sicher gemacht, antwortete er kühn: »Schwerter und Schilde, Freund! mit einem Dutzend solcher wie Dwining nehm' ich's auf. Was könnt' er einem Manne, der Blut in den Adern hat, thun?« »Er könnte ihm eine Dosis Arznei geben,« antwortete der Schmied trocken. Sie hatten keine Zeit zu fernerem Gespräch, denn Bailie Craigdallie hieß sie die Straße nach Kinfauns einschlagen, und gab selber das Beispiel dazu. Während sie in mäßigem Schritt vorwärts zogen, drehte sich das Gespräch um den Empfang, den sie beim Oberrichter zu erwarten hätten, und um die Theilnahme, die dieser an der vorzutragenden Sache zeigen möchte. Der Handschuhmacher befand sich, wie es schien, in einem Zustande gänzlicher Niedergeschlagenheit, und äußerte sich mehrmals auf eine Weise, die andeutete, daß er noch gewünscht hätte, man möchte die Sache auf sich beruhen lassen. Er sprach sich indeß nicht ganz klar aus, vielleicht aus Furcht, man möchte, wenn er sich's allzudeutlich merken ließe, daß er lieber sähe, wenn die strafbare Unternehmung mit Stillschweigen übergangen würde, nächtheilige Folgerungen für den Ruf seiner Tochter daraus ziehen. Dwining schien seine Meinung zu theilen, sprach aber vorsichtiger als am Morgen. »Nach Allem,« sagte der Bailie, »wenn ich alles das Gute erwäge, was von der lieben Stadt zum Lord Oberrichter gekommen, kann ich nicht denken, daß er sich uns abgeneigt zeigen werde. Mehr als ein Boot, mit Bordeauxwein beladen, hat den südlichen Strand verlassen, um seine Last unter Schloß Kinfauns auszuladen. Ich habe einiges Recht, davon zu reden, weil ich die Ladung besorgte. »Und,« sagte Dwining mit seiner quäkenden Stimme, »ich könnte reden von auserlesenen Confekten, seltenen Confituren, feinem Gebäck und selbst den köstlichen sogenannten Zuckerhüten, die dorthin gingen wegen einer Hochzeit, einer Taufe oder dergleichen. Aber freilich, Bailie Craigdallie, der Wein ist getrunken, das Confekt gegessen, und man vergißt das Geschenk, wenn der Duft davon verschwunden ist. Ach, Nachbar! das Banket von letzter Weihnacht ist vergessen wie der Schnee des letzten Jahres.« »Aber es gab auch Handschuhe, mit Goldstücken gefüllt,« sagte die Magistratsperson. »Ich muß ja wissen, wer sie gemacht hat,« sagte Simon, dessen Berufsgedanken sich mit Allem mischten, was sonst seinen Geist beschäftigen mochte. »Einer war ein Jagdhandschuh für Mylady. Ich macht' ihn etwas weit. Ihre Gnaden waren aber nicht unzufrieden damit, in Betracht des Futters.« »Nun gut,« sagte Bailie Craigdallie, »um so mehr red' ich wahr; und wenn er nicht mehr daran denkt, so ist der Oberrichter schuld und nicht die Stadt; er konnte das Gold weder essen noch trinken in der Gestalt, wie er's bekam.« »Ich könnte auch von einer tüchtigen Rüstung sprechen,« sagte der Schmied; »aber, Cogan, na schire! [Frieden oder Krieg, gleichviel!] wie John, der Hochländer, sagt, – ich denke, der Herr von Kinfauns wird seine Pflicht bei der Stadt in Frieden und Krieg erfüllen; und es ist unnütz, die guten Thaten der Stadt nachzurechnen, bevor wir ihn undankbar dafür sehen.« »So mein' ich's,« schrie unser Freund Proudfute vom Gipfel seiner Stute. »Wir wackern Degen können uns nicht so erniedrigen, daß wir Wein und Nüsse nachzählen, wenn von einem Freunde, wie Sir Patrick Charteris, die Rede ist. Nein, glaubt mir, ein guter Waidmann, wie Sir Patrick, wird das Recht, im Gebiete der Stadt jagen zu dürfen, als eine hohe Gunst würdigen, die, Seine Majestät den König ausgenommen, keinem Lord oder Bürger gewährt wird, außer unserm Oberrichter allein.« Während der Strumpfwirker sprach, hörte man zur Linken ein Geschrei: »So, so – wau wau – hau!« welches der Ruf eines Jägers zu seinem Falken ist. »Mich dünkt, es übt soeben ein Mensch das Vorrecht, wovon Ihr sprecht, welcher weder König noch Oberrichter scheint,« sagte der Schmied. »Ja, wahrlich, ich seh' ihn,« sagte der Strumpfwirker, welcher glaubte, es biete sich eine Gelegenheit dar, um Ehre einzulegen. »Du und ich, wackerer Schmied, wollen hin und ihn zur Rede setzen.« »Nun vorwärts also,« sagte der Schmied; und sein Gefährte spornte seine Stute und ritt fort, gar nicht zweifelnd, daß Gow ihm dicht folge. Aber Craigdallie hielt Harry's Pferd beim Zügel. »Bleibt bei der Fahne,« sagte er; »laßt uns sehen, wie's unserm leichten Reiter geht. Wenn er sich eine Beule holt, wird er für diesen Tag ruhiger.« »Nach dem, was ich schon sehe,« sagte der Schmied, »kann er leicht dazu kommen. Jener Kerl, der so unverschämt stehen bleibt, uns zu betrachten, als wär' er auf der rechtmäßigsten Jagd von der Welt begriffen – ich erkenn' ihn an seinem Klepper, seiner rostigen Pickelhaube mit der Hahnenfeder, und dem langen zweihändigen Schwerte, als Einen, der im Dienste eines Lords im Süden steht, – Leute, die dem Südland so nahe wohnen, daß sie den Harnisch immer umgeschnallt haben, und die eben so gern Schläge austheilen, als lange Finger machen. Während sie so den Erfolg dieses Zusammentreffens besprachen, begann der tapfere Strumpfwirker Jesabel langsam laufen zu lassen, damit der Schmied, den er noch hinter sich glaubte, ihn einholen, und entweder vorangehen oder wenigstens neben ihm reiten möchte. Als er ihn aber in einer Entfernung von einigen hundert Schritten bei der Gruppe der Gefährten halten sah, fing der Held von Perth, wie der alte spanische General, an, vor den Gefahren zu zittern, denen sein verwegener Geist ihn entgegenführen konnte. Jedoch entmuthigte ihn der Gedanke wieder, daß seine Freunde nahe waren, und da er hoffte, ihre Anzahl werde dem einzelnen Wilddiebe Furcht einflößen, und da er sich schämte, von einem Unternehmen abzulassen, wozu er sich selber erboten, so widerstand er der starken Versuchung, seine Jesabel herumzuwerfen und so schnell als möglich zu den Freunden zurückzukehren, unter deren Schutz er gern gewesen wäre. Er rückte also dem Fremden näher, und seine Besorgnisse stiegen sehr, als er diesen in raschem Trabe auf seinem Klepper heraneilen sah. Sobald er diese offenbar offensive Bewegung bemerkte, blickte unser Held mehrmals über seine linke Schulter zurück, als wollte er das Feld wegen des Rückzugs recognosciren und machte inzwischen geradezu Halt. Aber der Philister kam über ihn, eh' sich der Strumpfwirker für Kampf oder Flucht entscheiden konnte, und es war ein verdächtig aussehender Philister. Seine Gestalt war hager und groß, sein Gesicht bezeichneten einige entstellende Narben und der ganze Mann sah einem solchen Menschen ähnlich, der gewohnt ist zu sagen: »Steh' und gib her, was du hast.« Die Person begann die Unterhaltung, indem sie in einem Tone, so schlimm wie der Blick, rief: »Der Teufel führt Euch Kuckuck her; warum reitet Ihr über den Moor, um meine Jagd zu stören?« »Würdiger Fremdling,« sagte unser Freund im Tone friedlicher Vorstellung, »ich bin Oliver Proudfute, ein Bürger von Perth, und ein Mann von Ansehen; und dort ist der würdige Adam Craigdallie, der älteste Bailie der Stadt, mit dem tapferen Waffenschmied Harry Gow und einigen andern bewaffneten Männern, die wissen möchten, wie Ihr heißt und wie es kommt, daß Ihr auf dem Stadtgebiete jagt. Indeß kann ich Euch versichern, daß sie durchaus nicht im Sinne haben, mit einem Edelmanne oder Fremden wegen dieses zufälligen Eingriffs Streit anzufangen. Nur sind sie nicht gewohnt, diese Erlaubniß zu geben, wenn man sie nicht geziemend darum ersucht; und – und – darum wünsch' ich Euren Namen zu wissen, werther Herr.« Die trotzige und verächtliche Miene, womit der Falkner während dieser Rede Oliver Proudfute betrachtet hatte, entmuthigte Letztern sehr, und änderte den Ton der Frage gänzlich, die, war Harry Gow bei ihm, wahrscheinlich ganz anders geklungen hätte. Der Fremde erwiderte sie, da sie gelind war, mit einer höchst verdächtigen Miene, wodurch ihn die Narben seines Gesichtes noch wilder erscheinen ließen. »Ihr wollt meinen Namen wissen? – mein Name ist der Teufels-Dick von Hellgarth, wohlbekannt in Annandale als ein edler Johnstone. Ich begleite den tapfern Laird von Wamphray, der mit seinem Vetter, dem muthigen Lord von Johnstone, reitet, welcher mit dem mannhaften Grafen von Douglas zieht; und der Graf und der Lord und der Laird und ich, der Knappe, lassen unsere Falken fliegen, wo wir unsere Beute finden, und fragen Niemand, über dessen Feld wir reiten.« »Ich will Eure Botschaft ausrichten, Sir,« erwiderte Oliver Proudfute ziemlich sanft; denn er fing an, sich das Unternehmen eifrigst vom Halse zu wünschen, welches er so vorschnell unternommen, und er war im Begriff, sein Pferd umzuwenden, als der Mann von Annandale hinzufügte: »Und das nehmt noch mit, damit Ihr Euch merkt, Ihr seid dem Teufels-Dick begegnet, und damit Ihr Euch ein andermal zu hüten wißt, die Jagd eines Mannes zu stören, der den geflügelten Sporn auf der Schulter trägt.« Mit diesen Worten gab er einige harte Schläge mit seiner Reitgerte dem unglücklichen Strumpfwirker auf Kopf und Leib. Einige von ihnen trafen Jesabel, die, sich rasch umwendend, ihren Reiter auf den Moor legte und zur Gesellschaft der Bürger zurückkehrte. Der so niedergeworfene Proudfute begann in nicht sehr männlichem Tone um Hülfe zu rufen und fast im nämlichen Athem um Gnade zu bitten; denn sein Gegner war, sobald er ihn am Boden sah, abgestiegen und hielt ihm die Spitze eines kleinen Jagdmessers an die Kehle, während er die Tasche des unglücklichen Bürgers plünderte und sogar seine Jagdtasche untersuchte, die er trug, und schwur, er wolle sich mit ihrem Inhalte dafür entschädigen, daß seine Jagd gestört worden. Er riß heftig an dem Gürtel, den unterlegenen Strumpfwirker noch mehr durch sein gewaltthätiges Verfahren erschreckend, da er sich nicht die Mühe nahm, die Schnalle zu lösen, sondern zerrte, bis der Riemen riß. Offenbar aber enthielt sie nichts nach seinem Geschmack. Er warf sie verächtlich weg und ließ zugleich den abgesetzten Reiter aufstehen, während er selbst seinen Klepper bestieg und nach Olivers Gefährten sah, die sich jetzt näherten. Als sie ihren Abgeordneten fallen sahen, hatten sie gelacht; so sehr hatte die Prahlerei des Strumpfwirkers seine Freunde zum Scherze geneigt gemacht, als sie, wie sich Harry Schmied ausdrückte, ihren Oliver einem Roland begegnen sahen. Als man aber sah, wie des Strumpfwirkers Gegner über jenen herfiel und ihn in der beschriebenen Weise behandelte, konnte sich der Waffenschmied nicht länger halten. »Mit Erlaubniß, guter Meister Bailie, ich kann's nicht mit ansehen, daß unser Mitbürger geschlagen und geplündert wird, und vielleicht vor unsern Augen ermordet. Das betrifft unsere gute Stadt; und wenn es des Nachbars Proudfute Unglück ist, so ist's unsere Schande. Ich muß ihm zu Hilfe.« »Wir alle wollen ihm zu Hilfe kommen,« antwortete Bailie Craigdallie; »aber schlage Keiner zu ohne mein Geheiß. Wir haben mehr Fehden vor uns, wie zu fürchten steht, als Kraft, sie zu gutem Ende zu bringen. Und daher befehl' ich euch Allen und besonders Euch, Harry vom Wynd, im Namen der guten Stadt, daß Ihr keinen Hieb außer zur Nothwehr thut.« Sonach rückten Alle miteinander vor, und das Erscheinen einer solchen Anzahl vertrieb den Räuber von seiner Beute. Er stand indeß, um sie zu betrachten, in einiger Entfernung, gleich dem Wolf, der, obwohl er sich vor den Hunden zurückzieht, nicht zu unbedingter Flucht gebracht werden kann. Als Harry diesen Stand der Dinge sah, spornte er sein Pferd und eilte den Uebrigen weit voraus, nach dem Schauplatze von Oliver Proudfute's Mißgeschick. Das Erste, was er that, war, daß er Jesabel am Zügel ergriff, das Zweite, daß er sie ihrem Herrn wieder zuführte, der die Kleider ganz mit Koth überzogen und Thränen in den Augen, die ihm Schmerz und Verdruß entlockt hatten, auf ihn zukam. Der Anblick, den er darbot, war von seiner sonstigen wichtigen und anmaßenden Miene so verschieden, daß der ehrliche Schmied nicht umhin konnte, einiges Mitleid mit dem kleinen Mann zu fühlen und sich Vorwürfe zu machen, daß er ihn solchem Unfall ausgesetzt hatte. Es gibt wohl Niemand, glaub' ich, den ein übel abgelaufener Scherz nicht ergötzt. Der Unterschied ist nur, daß ihn der Boshafte ohne unangenehme Nebenempfindung genießt, während der Wohlwollende bald die lächerliche Seite der Sache vergißt und nur Mitgefühl für den Schmerz des Leidenden behält. »Laßt mich Euch wieder auf Euren Sattel helfen, Nachbar,« sagte der Schmied, während er zugleich abstieg und Oliver auf seinen Kriegssattel klettern half, wie es ein Affe etwa gethan hätte. »Gott mag Euch verzeihen, Nachbar Schmied, daß Ihr nicht hinter mir kamet! Ich würde es nicht geglaubt haben und hätten mir's hundert glaubwürdige Zeugen zugeschworen.« Dies waren die ersten Worte, gesprochen mehr im Schmerz als Zorn, womit der gemißhandelte Oliver seinen Gefühlen Luft machte. »Der Bailie hielt mein Roß beim Zaume; und überdies,« fuhr Harry mit einem Lächeln fort, welches selbst sein Mitleid nicht unterdrücken konnte, »dachte ich, Ihr hättet mir die Beeinträchtigung Eures Ruhmes vorgeworfen, wenn ich Euch gegen einen einzelnen Mann zu Hilfe gekommen wäre! Der Schuft gewann den Vortheil über Euch, weil Euer Pferd nicht pariren wollte.« »Das ist wahr – das ist wahr,« sagte Oliver, der die Entschuldigung eifrig aufgriff. »Und dort steht der Schurke und freut sich über das gestiftete Unheil und triumphirt über Eure Niederlage, wie der König in der Romanze, der die Geige spielte, während eine Stadt brannte. Komm' du mit mir und du sollst sehen, wie wir mit ihm umspringen – wahrlich, fürchte nicht, daß ich dich diesmal im Stiche lasse.« So sprechend ergriff er Jesabel am Zügel und während er ihr zur Seite galoppirte, ohne Oliver Zeit zu einer Weigerung zu lassen, eilte er auf Teufels-Dick zu, welcher auf dem Gipfel einer Anhöhe in einiger Entfernung Halt gemacht hatte. Indessen klatschte der edle Johnstone, sei es, daß er sah, der Kampf würde ungleich werden, oder daß er für einen Tag genug gethan zu haben meinte, in die Hände, streckte, als wollte er seinem Gegner Trotz bieten, die Arme aus, und lenkte dann sein Pferd in das nahe Moor, worin er sich instinktmäßig, wie eine wilde Ente, zu bewegen schien, wobei er sein Federspiel um seinen Kopf schwang und seinem Falken pfiff, während jedes andere Pferd und jeder andere Reiter sogleich bis an den Sattelgurt versunken wäre. »Das ist ein vollkommener Moorreiter,« sagte der Schmied. »Dieser Kerl wird fechten oder fliehen, wie es ihm behagt, und ihn zu verfolgen nützt nicht mehr, als eine wilde Gans zu jagen. Wahrscheinlich hat er Euren Beutel genommen, denn sie gehen selten fort, ohne die Hände voll zu haben.« »Ja – ja – ja,« sagte Proudfute in traurigem Tone; »er hat mir den Beutel genommen – aber daran liegt wenig, da er mir die Jagdtasche gelassen hat.« »Ei wahrlich, die Jagdtasche wäre ein Siegeszeichen für ihn gewesen, gewiß – eine Trophäe, wie es die Minstrels nennen.« »Es liegt noch mehr daran, als das, Freund,« sagte Oliver bedeutsam. »Nun, das ist gut, Nachbar; mir ist's lieb, daß ich Euch wieder in Eurem würdevollen Tone reden höre. Munter! Ihr habt des Burschen Rücken gesehen und die Trophäen wiedergewonnen, die Ihr verlort, als er im Vortheil gegen Euch war.« »Ach, Harry Gow – Harry Gow!« sagte der Strumpfwirker und hielt mit einem tiefen Seufzer inne, der fast wie ein Schluchzen klang. »Was gibt's denn?« fragte sein Freund. »Womit quält Ihr Euch nun selber?« »Ich habe einigen Verdacht, mein theuerster Freund Harry Schmied, daß der Bursche floh aus Furcht vor Euch und nicht vor mir.« »Denkt das nicht,« antwortete der Waffenschmied; »er sah zwei Männer und floh, und wer kann sagen, ob er wegen des einen oder des andern floh? Ueberdies kennt er aus Erfahrung Eure Stärke und Gewandtheit; wir Alle sahen, wie Ihr stießt und kämpftet, als Ihr am Boden laget.« »That ich das?« sagte der arme Proudfute; »ich erinnere mich nicht – aber ich weiß, daß das meine starke Seite ist – ich bin stark, wenn's darauf ankommt. Aber sahen es auch Alle?« »Alle so gut wie ich,« sagte der Schmied, die Neigung zum Lachen unterdrückend. »Aber du wirst sie daran erinnern?« »Ganz gewiß,« antwortete der Schmied; »und auch an dein letztes verzweifeltes Nachsetzen. Merkt, was ich dem Bailie Craigdallie sagen werde, und macht's Euch zu nutze.« »'s ist nicht darum, daß ich ein Zeugniß zu meinen Gunsten brauchte, denn ich bin von Natur so tapfer, wie die meisten Männer in Perth – sondern nur« – hier hielt der Mann des Muthes inne. »Aber was denn?« fragte der muthige Waffenschmied. »Nur, daß ich mich vor dem Todtgeschlagenwerden fürchte. Mein artiges Weib und meine jungen Kinder zu verlassen, Ihr seht wohl, das wäre ein trauriger Wechsel, Schmied. Ihr werdet dies erfahren, wenn Ihr selber in dem Falle seid, und Euer Muth wird dann schwächer werden.« »Das kann wohl sein,« sagte der Waffenschmied nachsinnend. »Dann bin ich so gewöhnt an den Gebrauch der Waffen und habe so guten Athem, daß Wenige es mit mir aufnehmen. Seht hier,« sagte der kleine Mann, indem er seine Brust wie die eines Huhns am Bratspieß ausdehnte und die Hände darauf legte, »hier ist Raum genug für die Luft.« »Ich darf wohl sagen, Ihr seid langathmig – zum wenigsten beweisen's Eure Reden –« »Meine Reden? – Ihr seid ein Spaßvogel – aber ich habe die Schilderei von einem Dromond den Fluß herauf von Dundee geschafft.« »Die Schilderei von einem Dromond!« rief der Waffenschmied. »Nun, Freund, das wird Euch mit dem ganzen Clan in Fehde verwickeln – der meines Wissens nicht der am wenigsten rachsüchtige im Lande ist.« »Heiliger Andreas, Mann, Ihr mißversteht mich! – Ich meine einen Dromond, d. h. ein großes Schiff. Ich habe diese Schilderei in meinem Hofe befestigt und gemalt und ausgebessert, daß das Ding wie ein Sultan oder Saracene aussieht, und daran üb' ich meinen Athem und brauche mein zweihändig Schwert auf Hieb und Stoß stundenlang dagegen.« »Das muß Euch mit dem Gebrauch Eurer Waffen vertraut machen,« sagte der Schmied. »Ja freilich thut es das – und manchmal setz' ich eine Mütze (versteht sich eine alte) auf meines Sultans Haupt und spalte sie mit einem so gewaltigen Hieb, daß der Ungläubige wahrlich bald nur noch die Hirnschale übrig haben wird.« »Das ist nicht gut, denn Ihr werdet Eure Uebung verlieren,« sagte Harry. – »Aber was sagt Ihr, Strumpfwirker? Ich will einmal meine Pickelhaube und meinen Harnisch anlegen, und Ihr sollt auf mich hauen, wenn Ihr mir erlaubt, mit einem großen Schwert zu pariren und die Hiebe zurückzugeben. Was meint Ihr dazu?« »Das geht auf keinen Fall, mein lieber Freund. Ich würde Euch zu viel Schaden thun; – überdies fecht' ich, die Wahrheit zu gestehen, viel freier gegen einen Helm oder Mütze, wenn sie auf meinem hölzernen Sultan sitzt – denn da bin ich gewiß, sie 'runter zu hauen. Seh' ich aber eine Feder darauf schwanken, zwei feurige Augen unter dem Visir hervorblitzen und die ganze Gestalt hier und dorthin tanzen, da ist allerdings meine Hand weniger fest.« »Also, wenn die Leute still hielten, wie Euer Sultan, so würdet Ihr den Tyrannen mit ihnen spielen, Meister Proudfute?« »Mit der Zeit und durch Uebung könnt' ich es wohl,« antwortete Oliver. – »Aber hier kommen wir zu den Andern; Bailie Craigdallie sieht böse aus – aber seine Art zornig zu sein, schreckt mich nicht.« Der freundliche Leser muß sich erinnern, daß, sobald der Bailie und seine Gefährten sahen, wie der Schmied zum besiegten Strumpfwirker kam und der Fremde sich zurückzog, sie nicht weiter für nöthig hielten, Oliver zu Hilfe zu eilen, in der Hoffnung, die Gegenwart des gefürchteten Harry Gow werde Jenen hinreichend sicherstellen. Sie schlugen daher wieder den geraden Weg nach Kinfauns ein, weil sie sich ihres Auftrages möglichst bald entledigen wollten. Da eine geraume Zeit verflossen war, bis der Strumpfwirker und der Schmied wieder zu ihnen stießen, fragte der Bailie, sich vorzüglich an Harry wendend, warum sie die kostbare Zeit mit Verfolgung des Falkners verschwendet hätten? »Alle Heiligen, meine Schuld war's nicht, Meister Bailie,« erwiderte der Schmied. »Wenn Ihr einen gemeinen niederländischen Windhund mit einer hochländischen Wolfsdogge paart, so dürft Ihr jenen nicht schelten, wenn er beiher läuft, wohin diese ihn zieht. Ganz so ist mir's mit meinem Nachbar Oliver Proudfute gegangen. Kaum war er wieder aufgestanden, so warf er sich wie der Blitz auf sein Pferd, und ergrimmt über die Feigheit, womit der Räuber seinen Sturz benutzt hatte, eilte er ihm nach wie ein Dromedar. Ich mußte ihm wohl folgen, theils um einen zweiten Fall zu verhüten, theils um unsern Beschützer, unsern tapfern Freund zu vertheidigen, wenn ihm dort oben auf der Anhöhe ein Hinterhalt gelegt worden wäre. Aber der Schurke, der im Gefolge eines Lords von den Marches ist und einen geflügelten Sporn auf der Schulter trägt, floh vor unserm Nachbar, wie die Funken vom Feuersteine.« Der Senior Bailie von Perth lauschte mit Staunen der Sage, welche Harry Gow zu verbreiten beliebte; denn obwohl ihm wenig an der Sache lag, hatte er doch immer an der Wahrheit der romantischen Thaten des Strumpfwirkers gezweifelt, die er nun doch in gewissem Grade für richtig halten mußte. Der schlaue alte Glower durchschaute die Sache besser. »Ihr werdet den alten Strumpfwirker toll machen,« flüsterte er Harry zu; »er wird mit seiner Klapper lärmen, als wär's eine Stadtglocke an einem Freudenfeste, während er der Ordnung und des Anstandes wegen ganz still sein sollte.« »O, bei unserer lieben Frau, Vater,« erwiderte der Schmied, »ich liebe den armen kleinen Prahlhans, und mag nicht daran denken, ihn reuig und schweigend beim Oberrichter zu sehen, während alle Uebrigen, und besonders der giftige Apotheker, ihre Meinung sagten.« »Du bist ein allzuguter Bursche, Harry,« antwortete Simon. »Merk' aber den Unterschied zwischen diesen beiden Männern. Der harmlose kleine Strumpfwirker nimmt die Miene eines Drachen an, um seine natürliche Feigheit zu verstecken, während der arglistige Apotheker sich bemüht, schüchtern, muthlos und bescheiden zu scheinen, um seine gefährliche Gemüthsart zu bergen. Die Natter ist nicht minder tödtlich, weil sie unter einen Stein kriecht. Ich sage dir, Sohn Harry, daß, bei all' seinen kriechenden Blicken und schüchternen Worten, dies elende Gerippe Unheil mehr liebt, als es Gefahr fürchtet. – Aber hier stehen wir vor des Oberrichters Schloß. Und Kinfauns ist ein stattlicher Ort, und es gereicht der Stadt zum Vortheil, den Eigner eines so tüchtigen Schlosses zur obersten Magistratsperson zu haben.« »In der That eine hübsche Burg,« sagte der Schmied, auf den breitfluthenden Tay blickend, der unter der Höhe hinfloß, worauf das Schloß stand, gleich seinem modernen Nachfolger, und wie die Königin des Thales erschien, obschon auf der andern Seite des Flusses die starke Mauer von Elcho ihr den Vorrang streitig machen zu wollen schien. Indeß war Elcho um diese Zeit ein friedliches Kloster, und hinter den Mauern, die es umschlossen, lebten keusche Jungfrauen, die der Welt und ihren Genüssen entsagt hatten. »Ein tüchtiges Schloß,« sagte der Waffenschmied, wieder auf die Thürme von Kinfauns blickend, »es ist Brustwehr und Panzer des schönen Gebietes des Tay; es müßte manche gute Klinge schartig werden, ehe man ihm beikommen könnte.« »Der Pförtner von Kinfauns, der aus der Ferne die Personen und den Stand der Nahenden erkannte, hatte bereits das Hofthor zu ihrem Eintritt geöffnet, nachdem er Sir Patrick Charteris hatte melden lassen, daß der älteste Bailie von Perth mit mehreren anderen Bürgern dieser Stadt sich dem Schlosse nähere. Der Ritter, der gerade auf die Falkenjagd gehen wollte, empfing diese Nachricht etwa auf die Weise, wie ein Gutsherr in unserer Zeit, wenn ein ungelegener Besuch gemeldet wird, d. h. er wünschte im Stillen die Gäste zu allen Teufeln, während er laut befahl, sie mit gebührendem Anstand und aller Höflichkeit zu empfangen. Den Dienern befahl er, Wildpret und kaltes Fleisch im großen Saale aufzustellen, und seinem Kellermeister, einige Tonnen anzuzapfen, und seine Pflicht zu thun; denn wenn die gute Stadt dann und wann seinen Keller füllte, so waren die Bürger stets ebenso bereit, seine Flaschen leeren zu helfen. Die guten Bürger wurden ehrerbietig in den Saal geführt, wo der Ritter, in einem Reitkleide und Stiefeln bis in die Mitte der Schenkel, sie mit einem Gemisch von Höflichkeit und oberherrlicher Herablassung empfing; er wünschte sie dabei in den Grund des Tay, weil sie ihn in einem Vergnügen störten, dem er den Morgen hatte widmen wollen. Er ging ihnen bis in die Mitte des Saales mit entblößtem Haupte und den Hut in der Hand entgegen, und begrüßte sie ungefähr so: – »Ah, Meister Bailie Craigdallie, ehrenwerther Simon Glover, Väter der guten Stadt – und Ihr, mein gelehrter Apotheker – und Ihr, tapferer Schmied, – und auch Ihr, mein muthiger Strumpfwirker, der mehr Köpfe spaltet, als er Mützen verfertigt, – was schafft mir das Vergnügen, so viel Freunde zu so gelegener Stunde bei mir zu sehen? Ich wollte auf die Falkenjagd, und eure Gesellschaft wird den Genuß noch erhöhen – (bei Seite: ich hoffe zu unsrer lieben Frau, daß sie die Hälse brechen!) – das heißt, wenn die Stadt keinen Auftrag für mich hat – Gilbert, du Schelm, spute dich mit dem Wein. – Aber ich hoffe, euer Geschäft ist nicht ernsterer Art, als zu versuchen, ob der Malvasier hier seinen Wohlgeschmack behalten hat?« Die Abgeordneten der Stadt erwiderten ihres Oberrichters Höflichkeiten durch Verbeugungen und Kratzfüße, die mehr oder minder charakteristisch waren. Die Verbeugung des Apothekers war die tiefste, und die des Schmieds die ungezwungenste. Wahrscheinlich kannte er seinen eignen Werth als Mann des Schwertes. Der Bailie antwortete im Namen der Andern. »Sir Patrick Charteris und unser edler Lord Oberrichter,« sagte Craigdallie würdevoll, »wäre unsere Absicht nur, Gebrauch von der Gastlichkeit zu machen, mit der Ihr uns schon oft empfangen habt, so hätte uns das Gefühl des Schicklichen gelehrt, wie sonst auf eine Einladung zu warten. Was die Falkenjagd anlangt, so haben wir deren für einen Morgen schon genug gehabt, denn wir stießen unterwegs auf einen Burschen, der im Stadtgebiet jagte und der unsern Freund Oliver oder Proudfute, wie er genannt wird, aus dem Sattel geworfen und gemißhandelt hat, einzig darum, weil er ihn in Eurem und der Stadt Namen fragte, wer oder was er sei, daß er sich so viel herausnehme.« »Und was sagte er von sich?« fragte der Oberrichter. »Bei St. John! ich will ihn meine Jagd achten lehren!« »Mit Eurer Gnaden Erlaubniß,« sagte der Strumpfwirker, »er nahm seinen Vortheil über mich wahr. Aber ich stieg hernach wieder auf und setzte ihm muthig nach. Er nennt sich Richard der Teufel.« »Wie, mein Freund? Auf den die Lieder und Romanzen gemacht sind?« sagte der Oberrichter. »Ich dachte, dieses Burschen Namen wäre Robert.« »Ich denke, das sind verschiedene Leute, Mylord; ich nannte den Kerl blos beim vollen Namen, denn eigentlich nannte er sich den Teufels-Dick und sagte, er sei ein Johnstone und im Gefolge des Lords gleichen Namens. Aber ich hetzte ihn tüchtig und jagte ihm meine Jagdtasche wieder ab, die er mir bei meinem Unfall abgenommen.« Sir Patrick schwieg einen Augenblick. »Wir haben,« sagte er dann, »vom Lord von Johnstone und seinen Begleitern gehört. Es kommt wenig dabei heraus, wenn man sich mit ihnen einläßt. – Schmied, sagt mir, habt Ihr das ruhig angesehen?« »Ja, freilich wohl, Sir Patrick; meine Vorgesetzten befahlen mir, nicht zu Hilfe zu kommen.« »Nun, wenn du ruhig geblieben bist,« sagte der Oberrichter, »so seh' ich nicht ein, warum wir unruhig werden sollten; besonders da Meister Oliver Proudfute, obwohl anfangs im Nachtheil, wie er sagt, seine Ehre und die der Stadt rettete. Aber hier kommt endlich der Wein. Schenkt meinen guten Freunden und Gästen ein, bis es überläuft. Auf das Wohl von St. Johnston und ein fröhlicher Willkommen euch Allen, meine wackern Freunde! Und nun setzt euch und eßt einen Bissen, denn die Sonne steht hoch und ihr muntern Leute werdet lange nichts genossen haben.« »Bevor wir essen, Mylord Oberrichter,« sagte der Bailie, »laßt uns den dringenden Grund unseres Kommens berichten, welchen wir noch nicht berührt haben.« »Nein, ich bitte, Bailie,« sagte der Oberrichter, »laßt das, bis ihr gegessen habt. Eine Beschwerde gegen die übermüthigen Jackmen und Diener der Edeln, die in den Straßen der Stadt Ball spielten, oder sonst so eine hübsche Sache?« »Nein, Mylord,« sagte Craigdallie ernst und fest. »Die Herren der Jackmen sind's, über die wir klagen, weil sie Ball mit der Ehre unserer Familien spielten, und so wenig Umstände mit unserer Töchter Schlafkammern machen, als wären sie in einem Bordell zu Paris. Eine Schaar Nachtschwärmer, – Hofleute und Männer von Rang, wie nur zu viel Grund zu glauben ist, – versuchten in letzter Nacht die Fenster in Simon Glovers Hause zu ersteigen; sie standen mit gezogenen Wehren zu ihrer Verteidigung, als sie durch Harry Schmied gestört wurden, und sie kämpften, bis sie von den erwachten Bürgern vertrieben wurden.« »Wie?« sagte Sir Patrick, den Becher niedersetzend, den er eben erheben wollte. »Teufel, beweist mir das, und bei der Seele Thomas von Longueville's, mit meiner besten Macht will ich euch beistehen und sollt' es mir Leben und Land kosten. – Wer bezeugt das? – Simon Glover, man kennt Euch als ehrlichen und behutsamen Mann – nehmt Ihr die Wahrheit dieser Beschuldigung auf Euer Gewissen?« »Mylord,« sagte Simon, »versteht wohl, daß ich nicht freiwillig in dieser wichtigen Sache als Kläger auftrete. Nur die Ruhestörer selbst haben dabei den Schaden gehabt. Ich fürchte, nicht blos große Macht konnte sie zu solcher ungesetzlichen Tollkühnheit ermuthigen; und ich möchte nicht gern Anlaß geben, daß sich zwischen meiner Vaterstadt und einem mächtigen Edlen eine gefährliche Fehde erhöbe. Aber man hat angedeutet, wenn ich mich lässig zeigte, hierin zu klagen, so gäb' ich gleichsam zu erkennen, daß meine Tochter einen solchen Besuch erwartete, was völlig unwahr ist. Daher, Mylord, will ich Ew. Gnaden den ganzen Hergang der Sache nach Wissen und Gewissen erzählen und Eurer Weisheit die Entscheidung, was zu thun sei, überlassen.« Dann erzählte er, Punkt für Punkt, Alles, was er von dem Ueberfalle gesehen hatte. Sir Patrick Charteris, mit vieler Aufmerksamkeit zuhörend, schien besonders verwundert über das Entkommen des Mannes, der gefangen worden war. »Seltsam,« sagte er, »daß Ihr ihn nicht festhieltet, als Ihr ihn hattet. Saht Ihr ihn nicht genau genug an, um ihn wieder zu erkennen?« »Ich hatte nur das Licht einer Laterne, Mylord Oberrichter; und entkommen lassen mußt' ich ihn, da ich ja allein war und alt bin. Dennoch würd' ich ihn gehalten haben, hätte ich nicht das Geschrei meiner Tochter im obern Zimmer gehört; und eh' ich von dort zurückkam, war der Mann durch den Garten entflohen.« »Nun, Waffenschmied, als ein wahrhafter Mann und guter Krieger,« sagte Sir Patrick, »erzählt mir, was Ihr von der Sache wißt.« Harry Gow gab in seiner entschiedenen Redeweise eine kurze, aber klare Schilderung der ganzen Sache. Der ehrsame Proudfute, der zunächst aufgerufen wurde, begann seinen Bericht mit einer wichtigern Miene: »Indem ich von dem schrecklichen und erstaunlichen Tumult innerhalb der Stadt rede, kann ich allerdings, das ist wahr, nicht mit Harry Gow sagen, daß ich den ersten Anfang sah. Aber es läßt sich nicht läugnen, daß ich einen großen Theil des Endes betrachtete, und daß ich den kräftigsten Beweis zur Ueberführung der Bösewichter beibrachte.« »Und welcher ist das, Mann?« sagte Sir Patrick Charteris. »Verliert keine Zeit mit langen Reden. Was ist's?« »Ich habe Ew. Gnaden in dieser Tasche mitgebracht, was einer der Schurken zurückließ,« sagte der kleine Mann. »Es ist eine Trophäe, die ich, in voller ehrlicher Wahrheit, zwar bekenne nicht selbst gewonnen zu haben, bei welcher ich aber doch den Ruhm in Anspruch nehme, daß ich sie mit der Geistesgegenwart sicherte, die wenige Männer unter leuchtenden Fackeln und klirrenden Waffen bewahren. Ich sicherte sie, Mylord, und hier ist sie.« So sprechend, zog er aus der bereits erwähnten Jagdtasche die erstarrte Hand, die auf dem Schauplatze des Gefechts gefunden ward. »Ei, Strumpfwirker,« sagte der Oberrichter, »ich glaube, Ihr seid Mann genug, um eines Schurken Hand zu sichern, nachdem sie vom Körper gehauen ist. – Was sucht Ihr so geschäftig in Eurer Tasche?« »Es muß darin sein – es war darin – ein Ring, Mylord, der an dem Schurkenfinger stak. Ich fürchte, ich war vergeßlich und ließ ihn zu Hause, denn ich nahm ihn ab, um ihn meiner Frau zu zeigen, daß sie sich nichts aus der todten Hand machte, wie denn Weiber dergleichen Anblick nicht lieben. Ich dachte aber doch, ich hätt' ihn wieder an den Finger gesteckt. Trotzdem muß er, glaub' ich, zu Hause sein. Ich will darnach zurückreiten und Harry Schmied wird mit mir traben.« »Wir werden Alle mit dir traben,« sagte Sir Patrick Charteris, »da ich selber nach Perth will. Seht, ehrenwerthe Bürger und gute Nachbarn von Perth, Ihr mögt geglaubt haben, es liege mir nichts an Euren leichten Beschwerden und Klagen wegen des Bruchs Eurer Privilegien, z. B. was die Jagd aus Eurem Revier betrifft, das Ballspiel der Edelknappen in den Straßen und dergleichen. Aber bei der Seele Thomas Longueville's, Ihr werdet Patrick Charteris nicht träge finden in einer so wichtigen Sache. – Diese Hand,« fuhr er, das getrennte Glied in die Höhe haltend, fort, »gehört Einem, der keine Handarbeit verrichtete. Wir wollen sie an einem Orte aufstecken, wo der Eigner sie erkennen und beanspruchen kann, wenn seine Kameraden der Nachtschwärmerei noch einen Funken Ehre in sich haben. – Hört Ihr, Gerard – laßt gleich ein Paar Dutzend tüchtiger Leute aufsitzen und Panzer und Speer mit sich nehmen. Inzwischen, Nachbarn, wenn eine Fehde hieraus entspringt, was sehr wahrscheinlich ist, müssen wir einander beistehen. Wenn mein armes Haus angegriffen wird, wie viel Leute werdet Ihr mir zuführen?« Die Bürger sahen Harry Gow an, an den sie sich instinktmäßig bei derartigen Erörterungen wendeten. »Ich will,« sagte er, »dafür stehen, daß fünfzig tüchtige Bursche beisammen sind, ehe die Stadtglocke zehn Minuten geläutet hat; tausend werden in Zeit von einer Stunde da sein.« »Es ist gut,« antwortete der ritterliche Oberrichter; »und im Fall der Noth will ich der guten Stadt mit so viel Mannschaft zu Hilfe kommen, als ich auftreiben kann. Und nun, gute Freunde, steigen wir zu Pferde.« Neuntes Kapitel Weiß ich, wie diese Ding' ich schlichten soll, Die so verworren sich mir aufgedrängt – Nimmer, glaubt mir – Richard II. Es war kurz nach Mittag am St. Valentinstag, als der Prior der Dominikaner in seinem Berufe als Beichtiger beschäftigt war, und zwar vor einem Beichtenden von nicht geringem Ansehen. Dieser war ein ältlicher Mann von gutem Aeußern, blühende Gesundheit ruhte auf seinem Gesicht, welches ein ehrwürdiger weißer Bart umzog, der bis auf die Brust niederhing. Die großen und klaren blauen Augen, mit der hohen, breiten Stirn, drückten Würde aus; aber sie war von einer Art, daß sie mehr gewohnt schien, freiwillige Huldigungen zu empfangen, als sie, im Fall der Weigerung, zu erzwingen. Der gutmüthige Ausdruck war so groß, daß er fast eine Einfalt oder Charakterschwäche anzudeuten schien, die ihn unfähig machte, Zudringlichkeit zurückzuweisen oder Widerstand zu bewältigen. Auf seinen grauen Haaren ruhte ein kleiner goldener Kranz oder eine Krone über einer blauen Binde. Sein Rosenkranz bestand aus dicken, ziemlich plump gearbeiteten Kügelchen, war aber mit schottischen Perlen verziert, die sich durch Größe und Schönheit auszeichneten. Außerdem trug er keinen Schmuck, und seine ganze Kleidung bestand aus einem langen Gewand von karmoisinrother Seide und einem Gürtel von derselben Farbe. Nachdem er gebeichtet, erhob er sich nicht ohne Mühe von dem gestickten Kissen, worauf er gekniet hatte, und ging, auf einen Ebenholzstock mit einem Rabenschnabel gestützt, mit sichtbarer Anstrengung und hinkend auf einen Prunksessel zu, der unter einem Thronhimmel stand, und den man für ihn in das große hohe Gemach, worin er sich befand, neben das Kamin gestellt hatte. Dies war Robert, der Dritte dieses Namens und der Zweite der unglücklichen Familie Stuart, welcher den schottischen Thron einnahm. Er hatte viele Tugenden und war nicht ohne Talent; aber zu seinem großen Unglück, welches mehrere Prinzen dieses, von so vielfachem Mißgeschick heimgesuchten Hauses mit ihm theilten, waren seine vorzüglichen Eigenschaften nicht von der Art, daß sie ihn befähigt hätten, die Rolle zu spielen, wozu ihn seine Geburt berufen. Der König eines so rauhen Volkes, wie damals die Schotten waren, hätte ein tapferer, rüstiger Krieger sein müssen, der geleistete Dienste freigebig belohnte, die Verbrechen streng bestrafte, und dessen ganzes Wesen Furcht und Liebe zugleich einflößen konnte; aber Robert des Dritten Eigenschaften waren das Gegentheil von alledem. Er hatte zwar in seiner Jugend mehreren Schlachten beigewohnt, aber wenn er darin auch keine Schmach ärntete, so hatte er doch nie die ritterliche Begierde nach Krieg und Wagstücken, und das glühende Verlangen, sich durch gefährliche Thaten berühmt zu machen, an den Tag gelegt, welches man damals von Allen erwartete, die von edler Geburt waren und Ansprüche auf Ansehen machten. Ueberdies war seine kriegerische Laufbahn sehr kurz. Im Getümmel eines Turniers erhielt der junge Graf von Carrick, dies war sein damaliger Titel, einen Schlag vom Pferde des Sir James Douglas von Dalkeith, in Folge dessen er zeitlebens lahm blieb, und völlig unfähig, ferner Theil am Kriege zu nehmen oder an kriegerischen Spielen und Turnieren, die ein Bild von jenem waren. Da Robert nie große Neigung zu solchen Uebungen bewiesen hatte, so bedauerte er wahrscheinlich nicht sehr, bei dergleichen Scenen keine Rolle spielen zu können. Aber dieser Unfall oder vielmehr die Folgen desselben setzten ihn in den Augen eines stolzen Adels und eines kriegerischen Volkes herab. Er mußte die wichtigen Regierungsgeschäfte bald einem Gliede seiner Familie, bald einem Andern überlassen, manchmal mit dem Titel Reichsstatthalter, und stets mit der solchem Range gebührenden Gewalt. Seine väterliche Liebe hätte ihn wohl bestimmt, einen Theil derselben seinem ältesten Sohne, einem talentvollen jungen Manne zu übertragen, den er zum Herzog von Rothsay ernannte, um ihm einen Rang zu verleihen, wodurch er dem Throne so nahe als möglich gebracht wurde; aber der junge Prinz hatte einen zu leichten Sinn und eine zu schwache Hand, um das Scepter mit Würde zu führen. Er liebte zwar die Macht, aber Vergnügungen waren seine Hauptleidenschaft, und zum Aergerniß des Volkes war der Hof Zeuge mannichfacher Liebeshändel, die sich der Prinz gestattete, dessen Aufführung für die Jugend des Landes ein Muster der Tugend und Ehrbarkeit hätte sein sollen. Das ungebundene und ungebührliche Benehmen des Herzogs von Rothsay war in der öffentlichen Meinung um so tadelnswerther, als er ein verheiratheter Mann war; obwohl Manche, auf die seine Jugend, Heiterkeit, Huld und Gutmüthigkeit Einfluß hatten, der Meinung waren, daß gerade die Verhältnisse seiner Ehe seinen Ausschweifungen zur Entschuldigung dienen könnten. Sie erinnerten sich, daß seine Vermählung ganz das Werk seines Oheims, des Herzogs von Albany, gewesen war, durch den sich der schwache, blödsinnige König meist leiten ließ, und der, wie man allgemein glaubte, dem Geiste seines Bruders eine den Interessen und Hoffnungen des künftigen Thronerben schädliche Richtung zu geben suchte. Durch die Intriguen Albany's wurde die Hand des Prinzen gleichsam an den Meistbietenden verkauft, denn er gab öffentlich zu verstehen, derjenige schottische Große, dessen Tochter die bedeutendste Mitgift erhielte, dürfe hoffen, der Schwiegervater des Herzogs von Rothsay zu werden. Bei dem erfolgten Streite um den Vorrang wurde Georg, Graf von Dunbar und March, der für sich oder durch seine Vasallen einen großen Theil der östlichen Grenzen besaß, den andern Bewerbern vorgezogen, und seine Tochter wurde mit wechselseitiger Zustimmung des jungen Paares dem Herzog von Rothsay verlobt. Aber eine dritte Partei mußte noch befragt werden, und das war kein Anderer, als der furchtbare Archibald, Graf von Douglas, zu fürchten wegen der Ausdehnung seiner Besitzungen, wegen seiner zahlreichen Aemter und Gerichtsbarkeiten und wegen seiner Weisheit und seines Muthes, vereint mit unbändigem Stolze und einer ungewöhnlichen Rachlust. Auch war der Graf dem Throne nahe verwandt, indem ihm die älteste Tochter des regierenden Königs vermählt war. Nach der Verlobung des Herzogs von Rothsay mit des Grafen von March Tochter trat Douglas auf, als ob er gezögert hätte, an der Verhandlung Theil zu nehmen, um zu zeigen, daß sie ohne ihn nicht abgeschlossen werden könne, um den Contrakt ungiltig zu machen. Er bot seine Tochter Marjory mit einer noch bedeutenderen Mitgift an, als der Graf von March versprochen hatte, und Albany, durch seine Habsucht und die Furcht vor Douglas beherrscht, machte seinen Einfluß auf den blödsinnigen Monarchen geltend und bestimmte ihn, dem Grafen von March das Wort zu brechen und seinem Sohne Marjory Douglas zu geben, eine Frau, die dieser nicht lieben konnte. Die einzige Entschuldigung, die man gegen den Grafen von March vorbrachte, war, daß die Verlobung des Prinzen mit Elisabeth von Dunbar die Zustimmung des Parlaments nicht erhalten habe, und so lange diese Bestätigung fehle, Verträge der Art nicht bindend seien. Der Graf war sehr erbittert über den ihm und seiner Tochter angethanen Schimpf, und man glaubte allgemein, er sinne auf Rache, wozu ihm das Ansehen, in dem er an der englischen Grenze stand, leicht die Mittel leihen zu müssen schien. Inzwischen machte der Herzog von Rothsay, aufgebracht, daß man seine Hand und seine Neigungen dieser Staatsintrigue geopfert habe, seinem Mißvergnügen Luft, indem er seine Gemahlin vernachlässigte, seinen furchtbaren und gefährlichen Schwiegervater verachtete und selbst dem Ansehen des Königs wenig Achtung bezeigte, auch gar keine der Vorstellungen seines Oheims Albany anhörte, den er als erklärten Feind betrachtete. Unter diesen Familienmißhelligkeiten, die sich auch auf seine Räthe und die Verwaltung erstreckten, so daß sich überall die schlimmen Folgen der Uneinigkeit und des Zwiespalts zeigten, ließ sich der schwache König eine Zeitlang durch den Rath seiner Gemahlin, der Königin Annabella, einer Tochter des edlen Hauses von Drummond, leiten. Mit hohem Scharfsinn und Festigkeit des Charakters ausgestattet, steckte sie dem Leichtsinn eines Sohnes, der sie achtete, einigermaßen Schranken, und hielt nicht selten den wankenden Sinn ihres königlichen Gemahls aufrecht. Aber nach ihrem Tode glich der Fürst einem Schiffe, das die Anker verloren hat und von entgegengesetzten Strömungen hin- und hergeworfen wird. Man konnte sagen, daß Robert seinen Sohn leidenschaftlich liebte, daß er eine furchtsame Achtung gegen den Charakter seines Bruders Albany hegte, der freilich viel fester war, als sein eigener; daß Douglas ihm eine fast instinktmäßige Furcht einflößte, und daß er an der Treue des kühnen, aber unbeständigen Grafen von March zweifelte. Die Empfindungen, die er gegen diese verschiedenen Personen hegte, verflossen so in einander, daß sie von Zeit zu Zeit ganz anders erschienen, als sie wirklich waren. Der letzten Gewalt, die über sein lenksames Gemüth ausgeübt worden war, nachgebend, wurde der König, nachdem er ein nachsichtiger Vater gewesen, streng und selbst grausam, sein Vertrauen auf seinen Bruder verwandelte sich in Mißtrauen, und der sonst so sanfte, gütige Monarch zeigte sich als eifersüchtigen, eigennützigen Tyrannen. Wie das Kamäleon trug sein schwaches Gemüth die Farbe des stärkern Geistes, von dem er sich für den Augenblick lenken ließ. Wenn er dem Rathe eines Gliedes seiner Familie nicht mehr folgte, um sein Ohr dem eines Andern zu erschließen, so war es nicht ungewöhnlich, eine gänzliche Aenderung der Verwaltung eintreten zu sehen: ein Wechsel, eben so unehrenvoll für den Charakter des Königs, als gefährlich für das Wohl des Staates. Eine natürliche Folge war, daß die Geistlichkeit der katholischen Kirche Einfluß auf einen Mann erlangte, der die besten Absichten hatte, aber dabei einen gänzlichen Mangel an festen Entschlüssen. Es quälte Robert nicht nur das peinliche Bewußtsein der Fehler, die er wirklich begangen hatte, sondern auch die Furcht, die ein abergläubisches Gemüth immer mit Bangigkeit erfüllt. Wir brauchen daher kaum noch hinzuzusetzen, daß die Geistlichen der verschiedenen Orden keinen geringen Einfluß auf einen so schwachen Fürsten ausübten, obwohl dies ein Einfluß war, dem in jener Zeit Wenige entgingen, so fest und entschlossen sie sich auch in ihren weltlichen Angelegenheiten zeigen mochten. – Wir kehren nun von dieser langen Abschweifung zurück, ohne welche unsere Erzählung nicht recht verständlich werden konnte. Der König hatte sich mühsam und ungraziös zu dem Polsterstuhle bewegt, der unter einem Thronhimmel für ihn bereit stand, und auf welchen er sich behaglich niederließ, gleich einem bequemen Manne, der eine Zeitlang in einer gezwungenen Stellung verharrt hatte. Als er saß, drückten die ehrwürdigen Züge und die sanfte Miene des Greises nichts als wohlwollende Güte aus. Der Prior, in einer Stellung tiefer Ehrerbietung, die sein von Natur stolzes Ansehen barg, vor dem Sessel des Königs stehend, war ein Mann zwischen vierzig und fünfzig Jahren, aber noch keines seiner Haare hatte die natürliche schwarze Farbe verloren. Verständige Züge und ein lebhafter Blick verriethen die Talente, durch die sich der ehrwürdige Prior auf den hohen Posten gehoben hatte, den er bei seinem Orden, und man kann hinzusetzen, im Staatsrathe bekleidete, wo er nicht selten von ihnen Gebrauch machte. Die Hauptzwecke, welche Erziehung und Gewohnheit ihn verfolgen lehrten, waren Vermehrung der Güter und Reichthümer der Kirche und Unterdrückung der Ketzerei, ein Ziel, zu dessen Erreichung er alle Mittel anwandte, die ihm seine Stellung an die Hand gab; aber durch die Aufrichtigkeit seines Glaubens und treue Befolgung der Vorschriften der Sittlichkeit, die ihn im gewöhnlichen Leben leiteten, machte er seiner Religion Ehre. Die Fehler, welche Prior Anselm zu unseligen Irrthümern und selbst zur Grausamkeit verleiteten, müssen vielleicht dem Geiste seiner Zeit und seines Standes zugeschrieben werden – seine Tugenden waren sein eigen. »Nachdem dies geschehen,« sagte der König, »und die erwähnten Ländereien durch meine Schenkung diesem Kloster gesichert sind, seid Ihr dann der Meinung, Vater, daß ich hinreichend in der Gunst unserer heiligen Mutter Kirche stehe, um mich ihren gehorsamen Sohn zu nennen?« »Gewiß, mein König,« sagte der Prior; »wollte Gott, daß all' ihre Kinder zum Sakrament der Beichte ein eben so lebendiges Bewußtsein ihrer Fehler brächten, und eben so viel guten Willen, sie abzubüßen. Aber ich spreche diese tröstlichen Worte, Sir, nicht zu Robert, dem König von Schottland, sondern nur zu meinem demüthigen und andächtigen Beichtkinde, Robert Stuart von Carrick.« »Ihr überrascht mich, Vater,« antwortete der König. »Mein Gewissen macht mir wenig Vorwürfe für das, was ich in meinem königlichen Berufe gethan, denn ich pflege dabei weniger meiner eigenen Meinung, als der Stimme der weisesten Räthe zu folgen.« »Eben darin liegt die Gefahr, mein König,« erwiderte der Prior. »Der heilige Vater erkennt in jedem Worte, jedem Gedanken, jeder Handlung bei Euch den gehorsamen Diener der heiligen Kirche. Aber es gibt schlimme Räthe, die der Eingebung ihrer schlechten Herzen folgen, während sie die Güte und Lenksamkeit ihres Monarchen mißbrauchen, und unter dem Scheine, seinen zeitlichen Interessen zu dienen, Schritte thun, die seinem ewigen Wohle nicht förderlich sein können.« König Robert erhob sich in seinem Stuhle und nahm eine gebietendere Miene an, die er, obwohl sie ihm zukam, selten zu zeigen pflegte. »Prior Anselm,« sagte er, »wenn Ihr in meinem Benehmen Etwas entdeckt habt, sei es in meinem königlichen oder in meinem Stande als Privatmann, was solchen Tadel nach sich ziehen kann, wie Eure Worte andeuten, so ist es Eure Pflicht, offen zu sprechen, und ich befehle Euch, so zu thun.« »Mein König, es soll Euch gehorcht werden,« antwortete der Prior mit leichter Verbeugung. Dann erhob er sich, und indem er die Würde seines kirchlichen Ranges annahm, sagte er: »Hört von mir die Worte unsers heiligen Vaters, des Papstes, des Nachfolgers St. Peters, dem die Schlüssel gegeben sind, beides, zu binden und zu lösen: Warum, Robert von Schottland, hast du nicht gesetzt auf den Stuhl des heiligen Andreas, Henry von Warstlaw, den der Papst empfahl, um jenen Sitz einzunehmen? Warum thust du Bekenntniß mit deinen Lippen, als gehorsamer Diener der Kirche, wenn deine Handlungen die Verstocktheit und den Ungehorsam deines Innern kund thun? Gehorsam ist besser denn Opfer.« »Sir Prior,« sagte der Monarch, in einem Tone, der seinem hohen Range zukam, »wir können uns wohl erlassen, Euch über diesen Gegenstand zu antworten, da die Sache uns und die Staaten unsers Reichs betrifft, nicht aber unser persönliches Gewissen angeht.« »Ach!« sagte der Prior, »und wessen Gewissen wird sie am jüngsten Tage angehen? Wer von Euren kühnen Lords oder reichen Bürgern wird sich dann zwischen den König und die Strafe stellen, die er verwirkt hat, indem er ihrer weltlichen Politik in geistlichen Angelegenheiten folgte? Wisse, mächtiger König, daß, wäre auch die ganze Ritterschaft deines Reiches aufgestellt, um dich vor dem Donnerkeil zu schirmen, daß sie doch verzehrt werden würde, wie trockenes Pergament von der Gluth eines Ofens.« »Guter Vater Prior,« sagte der König, auf dessen schüchternes Gewissen eine solche Sprache selten verfehlte großen Eindruck zu machen, »Ihr redet sicherlich zu streng in dieser Sache. Es war während meiner letzten Unpäßlichkeit, als der Graf von Douglas als Statthalter die königliche Gewalt in Schottland ausübte, daß sich das Hinderniß gegen die Aufnahme des Primaten unglücklicherweise erhob. Tadelt mich daher nicht um dessen willen, was sich ereignete, als ich die Angelegenheiten des Reichs nicht leiten konnte, und meine Macht einem Andern anvertrauen mußte.« »Eurem Unterthan, Sire, habt Ihr genug gesagt,« erwiderte der Prior. »Aber wenn sich das Hinderniß während der Statthalterschaft des Grafen Douglas erhob, so wird der Legat Seiner Heiligkeit Euch fragen, warum es nicht sofort verschwand, als der König die Zügel der Gewalt wieder in seine Hand nahm? Der schwarze Douglas kann viel thun, mehr als ein Unterthan in seines Herrn Reiche sollte thun können; aber er kann sich nicht zwischen Ew. Majestät und Euer Gewissen stellen, oder Euch von den Pflichten gegen die heilige Kirche entbinden, die Euch Euer Stand als König auferlegt.« »Vater,« sagte Robert mit einiger Ungeduld, »Ihr seid zu streng in dieser Sache und solltet zum wenigsten eine gelegene Zeit erwarten, bis wir Frist zur Erwägung einer Abhilfe haben. Solche Streitfälle sind häufig unter der Regierung unserer Vorfahren vorgekommen, und unser königlicher und seliger Vorfahr, der heilige David, entsagte seinen Vorrechten als Monarch nicht, ohne sie vertheidigt zu haben, obwohl er sich dadurch mit dem heiligen Vater selbst in Streit verwickelte.« »Und darin war dieser große und gute König weder fromm noch heilig,« sagte der Prior; »und daher ward er in die Macht seiner Feinde gegeben, als er sein Schwert gegen die Banner St. Peters, St. Pauls und St. Johannes von Beverley erhob, in dem Kriege, der noch der Standartenkrieg heißt. Gut war es für ihn, daß, gleich seinem Namensvetter, dem Sohn Isai's, seine Sünde auf Erden bestraft ward, um nicht gegen ihn zu zeugen am schrecklichen Tage des jüngsten Gerichts.« »Wohl, guter Prior – wohl – genug davon für diesmal. Der heilige Stuhl soll, Gott geb' es, nicht Ursache haben, sich über mich zu beklagen. Ich nehme unsere Liebe Frau zum Zeugen, daß ich nicht um die Krone, die ich trage, die Bürde auf mich nehmen möchte, unsere Mutter Kirche zu beleidigen. Wir fürchteten immer, daß der Graf von Douglas seine Blicke zu sehr auf den Ruhm und die zeitlichen Güter dieses vergänglichen und flüchtigen Lebens richte, um überhaupt die Ansprüche zu kennen, welche die künftige Welt an uns hat.« »Es ist nicht lange her,« sagte der Prior, »daß er sich mit einer Schaar von tausend Gefährten im Kloster von Aberbrothock Quartier erzwang, und der Abt ist genöthigt, ihn mit Allem für Roß und Mann zu versorgen, der Graf nennt dies eine Uebung der Gastfreiheit, die er mit Recht von einer Stiftung erwarte, zu welcher seine Vorfahren beigetragen hätten. Gewiß besser wäre es, dem Douglas seine Ländereien zurückzugeben, als solche Erpressung zu dulden, welche mehr der unbändigen Zügellosigkeit eines hochländischen Räubers gleicht, als dem Benehmen eines christlichen Barons.« »Die schwarzen Douglase,« sagte der König mit einem Seufzer, »sind ein Geschlecht, welches keinen Widerspruch hören mag. Aber, Vater Prior, ich bin vielleicht selbst so ein Zudringlicher; denn ich bin schon lange bei Euch gewesen, und meine Gefährten, obwohl nicht so zahlreich, wie jene des Douglas, sind trotzdem ihrer genug, um Euch mit ihrem täglichen Unterhalt zu belästigen. Und obwohl unser Befehl ist, Euren Aufwand so viel als möglich zu erleichtern, so wäre es doch, wenn wir Euch belästigen, gerathen, uns endlich zu entfernen.« »Nun, das verhüte unsre liebe Frau!« sagte der Prior, der, wenn auch begierig nach Macht, doch nichts Niedriges und Habsüchtiges in seinem Charakter hatte, sondern sogar eine vorzügliche Großmuth und Freundlichkeit besaß; »sicherlich kann das Dominikanerkloster seinem Fürsten die Gastfreiheit gewähren, die das Haus jedem Wanderer, weß Standes er auch sei, bietet, den die armen Diener unsers Schutzheiligen bewirthen. Nein, mein königlicher Herr, kommt mit einem zehn Mal größern Gefolge, als jetzt, und es soll kein Körnchen Hafer, kein Bund Stroh, kein Stück Brod und kein Pfund Fleisch mangeln. Ein Anderes ist's, die Einkünfte der Kirche, die ansehnlicher sind, als die Mönche wünschen dürfen oder nöthig haben, dazu zu verwenden, mit geziemender Achtung Ew. Majestät zu empfangen, ein Anderes, sie sich von rohen, gewaltthätigen Menschen entrissen zu sehen, deren Liebe zum Raub keine andern Schranken kennt, als den Umfang ihrer Gewalt.« »Nun wohl, guter Prior,« sagte der König; »lenken wir nun unsere Gedanken einen Augenblick von Staatsangelegenheiten ab; – könnt Ihr, ehrwürdiger Herr, uns berichten, wie die guten Bürger von Perth ihren Valentinstag begonnen haben? Verliebt und fröhlich, und hoffentlich friedlich?« »Was das Verliebte betrifft, mein König, so versteh' ich wenig von solchen Dingen. Hinsichtlich des Friedlichen, so kamen drei oder vier Männer, zwei schrecklich verwundet, diesen Morgen vor Tagesanbruch, um das Recht des Heiligthums in Anspruch zu nehmen, verfolgt von schreienden Bürgern in ihren Hemden mit Knitleln, Piken, Streitäxten und zweihändigen Schwertern, indem immer Einer lauter als der Andere rief: schlagt zu, schlagt todt! Ja, sie waren nicht zufrieden, als unser Pförtner und Wächter ihnen sagte, daß die Verfolgten Zuflucht beim Altar der Kirche gefunden, sondern fuhren einige Minuten lang fort, zu lärmen und gegen das hintere Thor zu schlagen, verlangend, daß die Leute, die sich vergangen, ihnen ausgeliefert werden sollten. Ich fürchtete, ihr wilder Lärm möchte Ew. Majestät Ruhe stören und Euch in Schrecken setzen.« »Meine Ruhe hätte gestört werden können,« sagte der Monarch; »aber daß das Geschrei mich erschreckt hätte – ach! ehrwürdiger Vater, in Schottland giebt es blos einen Platz, wo der Schrei des Opfers und die Drohungen des Unterdrückers nicht gehört werden – und der, Vater, ist – das Grab.« Der Prior stand in ehrerbietigem Schweigen, die Gefühle des Monarchen theilend, dessen Herzenssanftmuth so schlecht mit dem Zustande und den Sitten seines Volkes übereinstimmte. »Und was ward aus den Flüchtlingen?« fragte Robert, nachdem er eine Minute geschwiegen. »Sie wurden, Sire,« sagte der Prior, »vor Tagesanbruch, wie sie wünschten, entlassen; wir schickten vorher hinaus, um gewiß zu sein, daß kein Hinterhalt ihrer Feinde in der Nähe sei, und darauf zogen sie ihres Weges in Frieden.« »Ihr wißt nicht,« forschte der König, »wer die Männer waren, oder warum sie Zuflucht bei Euch suchten?« »Der Grund,« sagte der Prior, »war ein Streit mit den Bürgern der Stadt; aber wie er entstand, ist uns nicht bekannt. Der Brauch unseres Hauses ist, vierundzwanzig Stunden hinter einander Zuflucht im Heiligthum St. Dominikus zu gewähren, ohne daß währenddem an die Unglücklichen eine Frage gerichtet würde, wer dort Schutz suche. Wenn sie längere Zeit zu bleiben wünschen, muß der Grund ihrer Flucht zur Freistätte in's Klosterbuch eingetragen werden; und, Preis sei unserm Heiligen, viele Personen entkamen der Schwere des Gesetzes durch diesen zeitweiligen Schutz, die wir, wenn wir den Charakter ihrer Verbrechen wußten, wohl selbst ihren Verfolgern pflichtgemäß hätten ausliefern müssen.« Während der Prior sprach, schwebte dem Monarchen ein dunkler Gedanke vor, daß das so streng geübte Privilegium der Freistätte den Lauf der Gerechtigkeit in seinem Reiche unziemlich unterbrechen müsse. Er unterdrückte aber dies Gefühl, als wäre es eine Eingebung des Satans gewesen, und gab sich Mühe, daß ihm kein Wort entschlüpfe, dem Geistlichen zu verrathen, daß ein so profaner Gedanke je in seinem Busen aufgestiegen sei; im Gegentheil, er eilte, auf einen andern Gegenstand zu kommen. »Die Sonne,« sagte er, »bewegt sich recht langsam. Nach der schlimmen Nachricht, die Ihr mir gegeben habt, erwarte ich die Lords meines Raths früher, um ihnen wegen dieses unseligen Tumultes Aufträge zu ertheilen. Schlimm war das Geschick, welches mir das Scepter über ein Volk gab, unter welchem ich, wie es scheint, der einzige Mann bin, welcher Ruhe und Frieden wünscht!« »Die Kirche wünscht stets Ruhe und Frieden«, fügte der Prior hinzu, der auch nicht duldete, daß selbst eine so allgemeine Bemerkung des armen Königs bedrücktem Gemüth entschlüpfe, ohne für die Ehre der Kirche eine sichernde Klausel beizufügen. »So ist unsere Meinung auch nur,« sagte Robert. »Aber, Vater Prior, Ihr werdet zugeben, daß die Kirche, wenn sie Streit unterdrückt, wie ohne Zweifel ihre Absicht ist, der geschäftigen Hausfrau gleicht, die den Staub in Bewegung setzt, den sie hinweg fegen will.« Auf diese Bemerkung würde der Prior Etwas erwidert haben, aber die Thür des Saales öffnete sich, und ein Kammerdiener meldete den Herzog von Albany. Zehntes Kapitel Edler Freund! Schilt ihre Luft nicht, gestern war sie traurig. Und kann es morgen auch sein. Joanna Bailie. Der Herzog von Albany hieß, gleich seinem königlichen Bruder, Robert. Der Taufname des Letztern war Johann gewesen, bis er den Thron bestieg; der Aberglaube der Zeit bemerkte, daß der Name mit Mißgeschick verknüpft gewesen im Leben und der Regierung Johanns von England, Johanns von Frankreich und Johann Baliol's von Schottland. Man beschloß daher, daß, um dem bösen Omen vorzubeugen, der neue König sich Robert nennen solle, ein Name, welcher für Schottland durch die Erinnerung an Robert Bruce theuer war. Wir erwähnen dies aus Rücksicht auf das Vorhandensein zweier Brüder von gleichem Taufnamen in einer Familie, was jedenfalls eben so ungewöhnlich war, wie heutzutage. Albany, gleichfalls ein bejahrter Mann, schien nicht mehr als der König zu kriegerischen Unternehmungen geneigt. Hatte er aber keinen Kriegsmuth, so hatte er die Klugheit, den Mangel jener Eigenschaften zu verstecken und zu umhüllen, überzeugt, daß dieser Fehler, wenn man ihn auch nur ahnte, alle Pläne stürzen würde, die sein Ehrgeiz entworfen. Auch war er stolz genug, im äußersten Falle Tapferkeit zu zeigen, wenn diese ihm gleich nicht eigenthümlich war, und besaß so viel Herrschaft über sich, um seine Nervenreizbarkeit zu verbergen. Uebrigens war er ein gewandter Staatsmann, ruhig, kalt und schlau; seine Blicke waren immer auf das Ziel gerichtet, das er zu erreichen wünschte, wenn es noch in weiter Ferne lag, und er verlor es nie aus dem Gesicht, wenn gleich die Krümmungen des Weges, den er einschlug, oft nach ganz entgegengesetzter Richtung führen zu müssen schienen. In seiner Person glich er dem König, denn sein Wuchs und seine Haltung war eben so edel und majestätisch; was er jedoch vor dem ältern Bruder voraus hatte, war, daß er nicht gebrechlich und im Allgemeinen gewandter und lebhafter war. Seine Kleidung war reich und gewählt, wie sie sein Alter und Rang forderte, und gleich seinem königlichen Bruder trug er gar keine Waffen, indem ein Besteck kleiner Messer an seinem Gürtel den Ort einnahm, wo sonst ein Dolch stak, sobald man kein Schwert trug. Bei des Herzogs Eintritt zog sich der Prior, eine ehrerbietige Verbeugung machend, nach einer Vertiefung des Saales zurück, etwas entfernt vom Sitze des Königs, um die Unterhaltung der Brüder nicht durch Gegenwart einer dritten Person zu stören. Es muß hier erwähnt werden, daß die Vertiefung durch ein Fenster gebildet wurde, welches sich an der innern Fronte der Klostergebäude befand, die man Palast nannte, weil sich die schottischen Könige häufig hier aufhielten, obwohl gewöhnlich der Prior oder Abt hier wohnte. Das Fenster, über dem Haupteingange zu den königlichen Gemächern gelegen, sah auf den innern Hof des Klosters, der zur Rechten durch die lange, prächtige Kirche, zur Linken durch ein Gebäude begrenzt wurde, worin sich die Zellen, das Refektorium, die Probstei und andere Zimmer befanden. Diese ganze Partie stand abgesondert von dem Flügel, den König Robert mit seinem Hofstaat einnahm. Eine vierte Reihe von Gebäuden, deren äußere Fronte gegen Morgen lag, bestand aus einem großen Hospitium zur Aufnahme der Fremden oder Pilger, und aus den Magazinen für die großen Vorräthe, deren die glänzende Gastfreiheit der Dominikaner bedurfte. Ein hohes Gewölbe führte durch die östliche Fronte in den innern Hof, es lag gerade dem Fenster gegenüber, an welchem der Prior Amseln stand, und er konnte durch die dunkle Halle sehen und die Lichtstrahlen bemerken, die durch das östliche, offenstehende Thor in das Gewölbe hineinfielen, aber wegen der Höhe und Tiefe desselben konnte er das gegenüberliegende Portal nur undeutlich unterscheiden. Es ist nothwendig, diese Oertlichkeiten zu merken. Wir kehren zurück zu der Unterhaltung zwischen den fürstlichen Brüdern. »Mein lieber Bruder,« sagte der König, den Herzog von Albany zurückhaltend, als dieser ihm die Hand küssen wollte; »mein lieber, lieber Bruder, wozu diese Förmlichkeit? Sind wir nicht Beide Söhne desselben Stuart von Schottland und derselben Elisabeth More?« »Ich habe nicht vergessen, daß dem also ist,« sagte Albany, sich aufrichtend; »aber ich darf, bei aller Vertraulichkeit gegen den Bruder, die Ehrerbietung nicht vernachlässigen, die dem König gebührt.« »O, wahr, sehr wahr, Robin,« antwortete der König. »Der Thron gleicht einem hohen und dürren Felsen, auf dem nie eine Blume oder Staude Wurzel fassen kann. Alle freundlichen Gefühle, alle zärtlichen Neigungen versagt man einem König. Ein König darf einen Bruder nicht an sein Herz drücken – er darf seiner Zärtlichkeit gegen einen Sohn nicht nachgeben!« »Das ist in mancher Hinsicht das Loos der Größe, Sire,« antwortete Albany; »aber der Himmel, der von Ew. Majestät Sphäre die Glieder Eurer eigenen Familie etwas entfernte, hat Euch ein ganzes Volk zu Euren Kindern gegeben.« »Ach, Robert!« antwortete der Monarch, »Euer Herz ist besser geeignet für die Pflichten eines Monarchen, als das meine. Ich sehe von der Höhe, auf welche das Schicksal mich stellte, auf die Menge, die ihr meine Kinder nennt – ich liebe sie, ich will ihnen wohl – aber ihrer sind viel und sie sind fern von mir. Ach! selbst der Geringste von ihnen hat ein geliebtes Wesen, das er an's Herz drücken kann, und dem er die Zärtlichkeit eines Vaters weihen darf; aber Alles, was ein König einem Volke geben kann, ist ein Lächeln, wie es die Sonne den Schneegipfeln der Grampischen Gebirge schenkt, so fern und so wirkungslos! Ach, Robin, unser Vater pflegte uns zu liebkosen, und wenn er uns schalt, so geschah es mit freundlichem Tone; doch war er Monarch so gut als ich, und warum sollte mir nicht erlaubt sein, gleich ihm, meinen armen verlorenen Sohn durch Zärtlichkeit so gut als durch Strenge zu bessern?« »Wäre Zärtlichkeit nie versucht worden, mein König,« erwiderte Albany im Tone eines Menschen, der eine Meinung ausspricht, deren Aeußerung ihn schmerzt, »so müßte allerdings zuerst von sanften Mitteln Gebrauch gemacht werden. Ew. Majestät können am besten urtheilen, ob man diese Mittel nicht schon lange genug angewendet hat, und ob Strenge nicht wirksamer wäre. Es steht ausschließlich in Eurer königlichen Macht, gegen den Herzog von Rothsay die Maßregeln zu nehmen, die Ihr für sein und des Reiches Bestes am geeignetsten haltet.« »Das ist unfreundlich, Bruder,« sagte der König; »Ihr zeigt mir den schmerzlichen Weg, den ich betreten soll, aber Ihr bietet mir keine Unterstützung dabei.« »Ueber meine Unterstützung hat Ew. Majestät stets zu gebieten,« erwiderte Albany; »würde es aber mir unter allen andern Männern anstehen, Euch zu harten Maßregeln gegen Euren Sohn und Erben anzutreiben? Mir, auf den im Falle des Erlöschens Eurer königlichen Familie, was Gott verhüte, diese verhängnißvolle Krone übergehen würde? Würde nicht der gewaltthätige March und der stolze Douglas sagen und denken, Albany habe den Samen der Zwietracht gestreut zwischen seinen Bruder, den König, und den Erben des Thrones von Schottland, um zu diesem den Weg seinem eigenen Hause zu bahnen? Nein, mein König – ich kann Eurem Dienste mein Leben opfern, aber ich darf meine Ehre nicht in Gefahr bringen.« »Ihr habt Recht, Robin, Ihr habt sehr Recht,« erwiderte der König, der sich beeilte, den Worten seines Bruders seine eigene Deutung zu geben. »Wir dürfen nicht dulden, daß diese mächtigen und gefährlichen Lords merken, es sei ein Zwiespalt in der königlichen Familie. Das ist vor Allem zu verhüten, und daher wollen wir noch ein Mal Nachsicht versuchen in der Hoffnung, Rothsay von seinen Verirrungen zurückzubringen. Ich bemerke manchmal an ihm Funken von Verstand, die ihn liebenswürdig machen; er ist jung, sehr jung, er ist Prinz und das wilde Feuer der Jugend lodert bei ihm noch in voller Kraft. Wir wollen Geduld mit ihm haben, wie ein guter Reiter mit einem unlenksamen Roß. Laßt diesen leichten Sinn austoben, und Niemand wird dann zufriedener mit ihm sein, als Ihr. Ihr habt mir schon manchmal vorgeworfen, ich sei zu zurückgezogen, zu still, – Rothsay hat diese Fehler nicht.« »Ich wette mein Leben, daß er sie nicht hat,« antwortete Albany trocken. »Und es mangelt ihm ebenso wenig Verstand, als Lebendigkeit,« fuhr der König fort, der die Sache seines Sohnes gegen den Bruder verfocht. »Ich habe nach ihm geschickt, damit er heute dem Rathe beiwohne, und wir werden sehen, wie er seiner Pflicht nachkommt. Ihr selber gebt zu, Robin, daß dem Prinzen weder Scharfsinn noch Gewandtheit zu Geschäften fehlen, wenn er aufgelegt ist, sich damit zu befassen.« »Ohne Zweifel fehlt es ihm nicht daran, mein König,« erwiderte Albany, »wenn er aufgelegt ist, sich damit zu befassen.« »So sag' ich,« entgegnete der König; »und es freut mich herzlich, daß Ihr mir beistimmt, Robin, bei dem armen unglücklichen jungen Manne noch ein Mal Nachsicht anzuwenden. Er hatte keine Mutter mehr, um seine Sache bei einem unwilligen Vater zu vertreten. Daran muß man sich erinnern, Albany.« »Ich hoffe,« sagte Albany, »das Verfahren, welches Eurer Majestät Gefühl am angenehmsten ist, werde sich als das weiseste und beste bewähren.« Der Herzog durchschaute ganz gut die einfache Kriegslist, wodurch sich der König den Schlüssen seiner Bemerkungen zu entziehen, und, unter dem Vorwande seiner Genehmigung, einen entgegengesetzten Weg einzuschlagen suchte, als der ihm empfohlen worden. Aber obwohl er sah, daß er ihn nicht bewegen konnte, den angegebenen Weg einzuschlagen, so mochte er doch nicht alle Hoffnung aufgeben, entschlossen, eine bessere Gelegenheit zu erwarten, die ihm die Mißhelligkeiten zwischen dem König und dem Prinzen bald gewähren sollten. Inzwischen rief König Robert, aus Furcht, sein Bruder möchte den verhaßten Gegenstand, dem er soeben entgangen, wieder aufnehmen, laut den Prior der Dominikaner herbei. »Euer Posten beherrscht den Schloßhof, ehrwürdiger Vater. Ich höre Pferdegetrappel. Seht aus dem Fenster und sagt uns, wer kommt. Ist es nicht Rothsay?« »Der edle Graf von March mit seinem Gefolge,« sagte der Prior. »Ist sein Gefolge stark?« fragte der König. »Betreten seine Leute den Hof?« Im nämlichen Augenblicke flüsterte Albany dem König zu: »Fürchtet nichts – die Brandanen [So hießen die Bewohner der Insel Bute, aus denen die königliche Leibwache bestand.] Eures Hauses stehen unter den Waffen.« Der König nickte dankend, während der Prior vom Fenster die Frage beantwortete: »Der Graf ist begleitet von zwei Pagen, zwei Herren und vier Knechten. Ein Page folgt ihm auf der Haupttreppe und trägt seiner Herrlichkeit Schwert. Die andern halten im Hofe, und – Benedicite! was ist das? – Hier ist eine wandernde Sängerin, die sich mit ihrer Laute unter den königlichen Fenstern zum Gesang anschickt, im Kloster der Dominikaner, wie sie es im Hofe einer Schenke könnte. Ich will sie sogleich fortweisen lassen.« »Nicht so, Vater,« sagte der König. »Laßt mich für die arme Pilgerin bitten. Die sogenannte ›fröhliche Kunst‹, welche sie treibt, ist trübselig vereint mit der Armuth und dem Elend, wozu dies wandernde Geschlecht der Minstrels verdammt ist. Darin gleicht es den Königen, die allenthalben auf ihrem Wege mit Freuden empfangen werden und umsonst nach dem friedlichen Glücke seufzen, das der ärmste Landmann im Schooße seiner Familie genießt. Die wandernde Sängerin soll nicht fortgewiesen werden, Vater; laßt sie, wenn sie will, vor den Dienern und Reitern im Hofe singen. Vielleicht wird dadurch verhütet, daß sie handgemein werden, wie sie pflegen, die so wilden und feindseligen Herren angehören.« So sprach der wohlwollende und gemüthsschwache Fürst, und der Prior verbeugte sich gehorsam. Während er sprach, trat der Graf von March in den Audienzsaal, gekleidet in die gewöhnliche Rittertracht der Zeit, und den Dolch an der Seite. Er hatte den Edelknaben, der sein Schwert trug, im Vorzimmer gelassen. Der Graf war ein wohlgebauter, schöner Mann von blühendem Aussehen, sein Haar dicht und blond, und seine glänzenden blauen Augen funkelten wie die eines Adlers; in seinem, übrigens angenehmen, Betragen entwickele er einen reizbaren, jähzornigen Charakter, und seine Stellung in der Welt als angesehener, mächtiger Lehnsherr gab ihm nur zu viel Freiheit, seinen Leidenschaften nachzuhängen. »Es freut mich, Euch zu sehen, Mylord von March,« sagte der König mit huldvoller Verbeugung. »Ihr seid lange nicht in unserm Rathe gewesen?« »Mein Lehnsherr,« antwortete March mit einer tiefen Verbeugung vor dem König, und einem stolzen und förmlichen Gruße gegen den Herzog von Albany, »wenn ich in Eurer Majestät Rathe fehlte, so geschah es, weil angenehmere und ohne Zweifel gewandtere Räthe meine Stelle einnahmen. Ich komme nur, Eurer Majestät zu sagen, daß die Nachrichten, die ich von der englischen Grenze erhalten habe, es nöthig machen, daß ich ohne Verzug auf meine Güter zurückkehre. Ihr habt Euren Bruder, den weisen, klugen Herzog von Albany, mit dem Ihr Beschlüsse fassen könnt, und den mächtigen, tapferen Grafen Douglas, sie auszuführen. Ich kann nur in meinem Gebiete Dienste leisten, und bin entschlossen, mit Eurer Majestät Erlaubniß sofort dorthin zurückzukehren, um mein Amt als Wächter der östlichen Grenze zu versehen.« »Ihr werdet nicht so unfreundlich gegen uns sein, Vetter,« erwiderte der sanfte Monarch. »Es sind schlimme Zeitungen vorhanden. Die unseligen Hochlandclans fangen wieder an, sich offen zu empören, und die Ruhe des Hofes heischt die Unterstützung unserer besten Räthe und tapfersten Barone, um zu vollziehen, was wir zu thun Willens sind. Der Nachkomme Thomas Randolphs wird gewiß den Enkel Robert Bruce's in solcher Zeit nicht verlassen.« »Ich lasse bei ihm den Nachkommen des weltberühmten James von Douglas,« antwortete March. »Es ist seiner Herrlichkeit Stolz, daß er nie den Fuß in den Steigbügel setzt, ohne daß tausend Reiter zugleich mit ihm als tägliche Leibwache aufsitzen, und ich glaube, die Mönche von Aberbrothock werden das beschwören. Gewiß, die Ritter von Douglas vermögen besser einen Haufen empörter Hochländer zurückzuschlagen, als ich den englischen Bogenschützen und der Macht Henry Hotspurs Widerstand zu leisten. Ueberdies ist hier seine Hoheit, der Herzog von Albany, der für die Sicherheit Ew. Majestät so gut sorgt, daß er Eure Brandanen unter die Waffen treten läßt, wenn sich ein gehorsamer Unterthan der Residenz seines Königs nähert mit einem armseligen halben Dutzend Reiter, dem Gefolge des geringsten Barons, der eine Burg und tausend Acker dürres Land besitzt. Wenn man solche Vorsichtsmaßregeln trifft, wo sich nicht der geringste Schein von Gefahr zeigt – denn ich hoffe, daß man keine von mir befürchtete – da wird Eure königliche Person vor wirklicher Gefahr gewiß sicher bewacht sein.« »Mylord von March,« sagte der Herzog von Albany, »die geringsten der Barone, von denen Ihr sprecht, lassen ihre Begleiter unter die Waffen treten, selbst wenn sie ihre liebsten und nächsten Freunde hinter der Eisenpforte ihres Schlosses empfangen; und wenn es unsrer lieben Frau gefällt, werd' ich nicht minder für die Sicherheit der Person des Königs sorgen, als sie für ihre eigene thun. Die Brandanen sind des Königs unmittelbares Gefolge und seine Leibwache, und hundert von ihnen ist nur eine schwache Bedeckung für einen König, da Ihr selbst, Mylord, so wie der Graf von Douglas, oft mit zehn Mal mehr reitet.« »Edler Herzog,« erwiderte March, »wenn es der Dienst des Königs erfordert, kann ich mit zehn Mal so viel Leuten, als Ihr nanntet, reiten; nie aber that ich es in verräterischer Absicht gegen den König, oder aus Stolz, um es andern Edlen zuvorzuthun.« »Bruder Robert,« sagte der König, der immer eifrig Frieden zu stiften suchte, »Ihr thut Unrecht, einen Verdacht gegen Mylord von March anzudeuten; und Ihr, Vetter March, laßt der Weisheit meines Bruders keine Gerechtigkeit widerfahren. – Aber hört – um dies mißliche Gespräch zu unterbrechen, – ich vernehme keinen ungefälligen Gesang. Ihr kennt die fröhliche Kunst, Mylord von March, und habt sie gern. – Tretet an jenes Fenster, neben den frommen Prior, an den wir keine Frage über weltliche Vergnügungen richten mögen; und darum sollt Ihr uns sagen, ob die Musik und der Gesang verdienen von uns gehört zu werden. Die Worte sind französisch, glaub' ich – meines Bruders von Albany Urtheil gilt in solchen Dingen nichts – daher sollt Ihr, Vetter, uns sagen, ob die arme Sängerin eine Belohnung verdient. Unser Sohn und Douglas werden gleich hier sein, und dann, wenn unser Rath versammelt ist, wollen wir ernstere Dinge verhandeln.« Mit einer Art von Lächeln auf seinem stolzen Gesicht ging March in die Fenstervertiefung und stand dort schweigend neben dem Prior, gleich Einem, der, während er des Königs Befehle gehorcht, die ängstliche Vorsicht, die diesen veranlaßte, durchschaute, womit der Monarch einen Streit zwischen ihm und Albany abzuwenden suchte. Die Weise, welche auf einer Laute gespielt wurde, war anfangs fröhlich und heiter, mit einem Anflug der lebendigen Art der Troubadours. Allmälig aber wurden die Töne des Instrumentes und die weibliche Stimme, die sie begleiteten, klagend und gedehnt, als dämpfte sie das schmerzliche Gefühl der Sängerin. Der beleidigte Graf, welcher Art auch seine vom König gerühmte Kennerschaft in solchen Dingen sein mochte, zollte, wie sich denken läßt, der Musik der Sängerin wenig Aufmerksamkeit. Sein stolzes Herz kämpfte zwischen der seinem Souverain schuldigen Treue, so wie der Liebe, die noch in seinem Busen für den gutmüthigen König lebte, und dem Verlangen nach Rache, welches sein getäuschter Ehrgeiz und die Schmach erweckte, die ihm widerfuhr, als Marjory Douglas statt seiner verlobten Tochter die Braut des muthmaßlichen Thronerben wurde. March hatte die Fehler und Tugenden der unentschlossenen Charaktere, und selbst wenn er sich vom König in der Absicht beurlaubt hätte, die ihm geschworene Treue zu brechen, hätte er, auf seinen Gütern angelangt, über ein so strafbares, so gefahrvolles Unternehmen nicht mit sich in's Reine kommen können. Solche gefährliche Gedanken beschäftigten ihn, während das Lied der Sängerin begonnen hatte; aber Gegenstände, die seine Aufmerksamkeit mächtiger fesselten, während die Sängerin fortfuhr, nahmen den Gang seiner Gedanken ein, und richteten sie auf das, was im Klosterhofe vorging. Der Gesang war in provençalischem Dialekt, wohlverstanden bei allen europäischen, und besonders dem schottischen Hofe, als Sprache der Dichtkunst. Das Lied war indeß einfacher, als gewöhnlich bei den Troubadours, und glich mehr der Weise eines normannischen Minnesängers. Es lautete in unserer Sprache etwa so: Das Lied der armen Louise. Arme Louise! Tagelang Geht stets durch Hütt' und Schloß ihr Gang! Da warnt ihr Spiel und ihr Gesang: Vorm Waldpfad, Mädchen, sei euch bang', Denkt an Louise. Arme Louise! Glühend bricht Der Sonne Gluth auf Wang' und Gesicht, Nah' war der Waldpfad, kühl und dicht, Wo Vogelsang beim Bächlein spricht Froh zu Louise. Arme Louise! Des Bären Brut Hat nie hier im schönen Hain geruht; Kein Wolf weilt hier an Naches Fluth – Doch besser wär's, tränken sie das Blut Der armen Louise. Arme Louise! Im Waldesgrün Naht ihr ein Jäger schön und kühn; In Seid' und Gold – die Augen sprühn – Manch süßes Wort macht heiß erglühn Die arme Louise. Arme Louise! Nicht Angst noch Pein Hat dir gemacht des Goldes Schein; Denn Frieden, wie ihn Engel leihn, Und Kindesunschuld waren dein, Arme Louise! Arme Louise! Hin ist dein Gut! Weiß nicht, ob List es stahl, ob Gluth. Gabst du es, nahm's des Räubers Wuth? Doch nun ist Elend das ganze Gut Der armen Louise! Arme Louise! Nach Hilfe streckt Sie die Hand nicht aus; von der Lust geweckt Sei kein Fröhlicher, durch sie geschreckt – Denn der Himmel tröstet, die Erde deckt Die arme Louise. Kaum war das Lied beendigt, als der König, besorgt, daß sich der Streit zwischen seinem Bruder und dem Grafen von March wieder entspinnen möchte, dem Letztern zurief: »Was haltet Ihr von der Musik, Mylord? – ich denk' es selber hier in der Ferne vernommen zu haben, es war ein lebendiges, angenehmes Lied.« »Mein Urtheil ist nicht von Belang, Herr; aber die Sängerin kann meinen Beifall entbehren, da sie den seiner Hoheit, Rothsay's, des ersten Kenners in Schottland, erhalten zu haben scheint.« »Wie!« sagte der König unruhig, »ist mein Sohn unten?« »Er sitzt zu Pferde neben der Sängerin,« sagte March mit einem boshaften Lächeln, »offenbar eben so angezogen durch ihre Unterhaltung, wie durch ihre Musik.« »Wie ist das, Vater Prior?« sagte der König. Aber der Prior zog sich vom Fenster zurück. »Mein König, ich will Dinge nicht ansehen, deren Bericht mir schwer fallen würde.« »Wie verhält sich das?« sagte der König, dessen Gesicht von Röthe bedeckt war, während er im Begriff schien, aufzustehen; doch besann er sich anders, vielleicht weil er nicht gern einen ungeziemenden Streich des wilden jungen Prinzen mit ansehen wollte, den mit nöthiger Strenge zu strafen er nicht über's Herz bringen konnte. Dem Grafen von March schien es Freude zu machen, ihm das zu melden, was er wahrscheinlich nicht gern wissen wollte. »Mein König,« rief er, »es wird immer besser. Die Sängerin hat nicht nur das Ohr des Prinzen von Schottland eingenommen, wie das jedes Knechtes und Reiters im Hofe, sondern sie hat auch die Aufmerksamkeit des schwarzen Douglas gefesselt, den wir noch nicht als Bewunderer der fröhlichen Kunst kannten. Aber wahrlich, mich wundert seine Ueberraschung nicht, denn der Prinz hat die schöne Künstlerin von Laute und Gesang mit einem Beifallskusse belohnt.« »Wie?« rief der König, »treibt David von Rothsay Possen mit einer Sängerin, und in Gegenwart des Vaters seines Weibes? – Geht, mein guter Vater Abt, ruft den Prinzen sogleich hierher. – Geht, mein theuerster Bruder« – und als Beide das Gemach verlassen hatten, fuhr der König fort: – »geht, guter Vetter von March – das wird Unheil geben, ich bin deß gewiß. Ich bitt' Euch, geht, Vetter, und unterstützt des Herrn Priors Bitten mit meinem Befehl.« »Ihr vergeßt, mein König,« sagte March im Tone eines schwer beleidigten Mannes, »daß der Vater Elisabeths von Dunbar ein unpassender Vermittler zwischen Douglas und seinem königlichen Schwiegersohn wäre.« »Ich bitt' Euch um Verzeihung, Vetter,« sagte der sanfte alte Mann; »ich gestehe, es ist Euch ein Unrecht geschehen – aber mein Rothsay wird ermordet werden – ich muß selber gehen.« Als er sich aber hastig von seinem Stuhle erhob, that der arme König einen falschen Tritt, stolperte und fiel hart auf eine solche Weise auf den Boden, daß sein Haupt gegen die Ecke des Stuhles stieß, den er verlassen, und er ward eine Minute lang ohnmächtig. Der Anblick dieses Unfalles überwältigte sogleich March's Zorn und machte sein Herz weich. Er eilte zu dem gefallenen Monarchen, half ihm wieder auf seinen Sitz und wandte dabei auf die zarteste und ehrerbietigste Weise solche Mittel an, als ihm am passendsten schienen, sein Bewußtsein zurückzurufen. Robert öffnete seine Augen und starrte verstört umher. »Was ist geschehen? – sind wir allein? – wer ist bei uns?« »Euer ergebener Unterthan, March,« erwiderte der Graf. »Allein mit dem Grafen von March!« wiederholte der König, während sein noch immer gestörter Geist mit einiger Unruhe den Namen eines mächtigen Vasallen vernahm, den er tödtlich beleidigt zu haben glauben mußte. »Ja, mein gnädiger König, mit dem armen Georg von Dunbar, von dem Viele Ew. Majestät Uebles beibringen, obwohl er Eurer königlichen Person treuer erfunden werden wird, als Jene.« »Fürwahr, Vetter, es ist Euch zu viel Unrecht geschehen; und glaubt mir, wir wollen auf Entschädigung denken –« »Wenn Ew. Majestät darauf denkt, so kann es noch geschehen,« unterbrach ihn der Graf, die Hoffnung festhaltend, die ihm sein Ehrgeiz eingab, »der Prinz und Marjory Douglas sind nahe verwandt – die Dispensation von Rom ward nicht in gehöriger Form gewährt – Ihre Heirath kann nicht rechtmäßig sein – der Papst, der mehr für einen so guten Fürsten thun wird, kann dies unchristliche Bündniß aufheben, hinsichtlich des frühern Kontraktes. Bedenkt wohl, mein König,« fuhr der Graf fort, indem sich auf's Neue ehrgeizige Gedanken in ihm regten, welche die unerwartete Gelegenheit, seine Sache persönlich zu vertreten, in ihm erweckt hatte, – »bedenkt Eure Wahl zwischen Douglas und mir. Er ist roh und mächtig, das ist wahr; aber Georg von Dunbar trägt die Schlüssel Schottlands an seinem Gürtel und könnte eine Armee vor die Thore von Edinburg führen, ehe Douglas die Grenzen von Cairntable verließ, um ihr zu begegnen. Euer königlicher Sohn liebt meine arme verlassene Tochter und haßt die stolze Marjory von Douglas. Eure Majestät kann seine geringe Achtung für sie aus seinem Betragen gegen eine gemeine Sängerin in Gegenwart ihres Vaters ersehen.« Der König hatte bisher der Rede des Grafen mit der verstörten Empfindung eines furchtsamen Reiters zugehört, den ein hartnäckig Pferd trägt, dessen Lauf er weder hemmen noch leiten kann. Aber die letzten Worte erweckten in seiner Erinnerung das Bewußtsein der unmittelbaren Gefahr des Sohnes. »Ach ja, sehr wahr – mein Sohn – der Douglas – O, mein theuerster Vetter, verhütet Blutvergießen, und Alles soll nach Eurem Willen geschehen. – Horcht, da findet ein Getümmel statt – das war Schwerterklirren!« »Bei meinem Ritterwort – das ist wahr!« sagte der Graf, aus dem Fenster auf den innern Klosterhof hinabschauend, der jetzt von bewaffneten Leuten und geschwungenen Schwertern angefüllt war und vom Klirren der Waffen widerhallte. Der hochgewölbte Eingang war gedrängt voll von Kriegern, und es schien, als würden Hiebe gewechselt zwischen Einigen, die sich bemühten, das Thor zu schließen, und Andern, die hineinzudringen suchten. »Ich will sogleich gehen,« sagte der Graf von March, »und diesen plötzlichen Zwist bald dämpfen. Bescheidentlich bitt' ich Eure Majestät, an das zu denken, was ich vorzuschlagen die Kühnheit hatte.« – »Ich will – ich will, lieber Vetter,« sagte der König, der kaum wußte, was er versprochen hatte. – »Aber verhütet Tumult und Blutvergießen!« Elftes Kapitel Schön ist das Mädchen, es umzieht Ein sonnig Lächeln sie von Weitem; Die Wolke trüber Sorge sieht Man in der Näh' sich drüber breiten. Lucinda, eine Ballade. Wir müssen hier ein wenig bestimmter die Ereignisse verfolgen, die nicht recht genau vom Fenster des königlichen Saales gesehen und noch ungenauer von Denen berichtet wurden, die Zeugen derselben waren. Das bereits erwähnte Mädchen hatte sich an einen Ort gestellt, wo zwei breite Stufen, die den Zugang zu der großen Treppe bildeten, ihr den Vortheil darboten, anderthalb Schuh höher zu stehen, als die im Hofe, von denen sie gehört zu werden wünschte. Sie trug die Kleidung ihres Standes, welche, mehr prachtvoll als reich, die Gestalt mehr hervortreten ließ, als andere Frauenkleider jener Zeit. Neben ihr lag ihr Mantel und Körbchen, das ihre kleine Garderobe enthielt; ein kleiner französischer Hühnerhund saß als Wächter daneben. Ein azurblaues, silbergesticktes Jäckchen, vorn geöffnet, zog die Taille der Sängerin zusammen und ließ mehrere seidene Westchen von verschiedener Farbe blicken, deren Zuschnitt die Umrisse der Schultern und der Brust bezeichnete. Eine kleine silberne Kette um den Hals verlor sich darunter und erschien von Neuem, um eine Medaille vom nämlichen Metall zu zeigen, die den Hof oder die Sängergesellschaft ankündigte, wo das Mädchen ihre Grade in der »Fröhlichen Kunst« erhalten hatte. Ein kleiner Beutel hing an einem blauen Bande von der Schulter an der linken Seite herab. Ihre gebräunte Gesichtsfarbe, die schneeweißen Zähne, die glänzenden schwarzen Augen und Rabenlocken sagten, daß ihre Heimath im fernen Süden Frankreichs lag, und das schalkhafte Lächeln und Grübchenkinn trug denselben Charakter. Ihr schönes, um eine kleine goldene Nadel gelocktes Haar war von einem golddurchwirkten Netz zusammengehalten. Ein kurzes Röckchen mit Silberborde, welches dem Jäckchen entsprach, rothe Strümpfe, die bis zur Mitte des Beines sichtbar waren und kurze Stiefel von spanischem Leder vollendeten ihren Putz, der zwar nicht neu, aber festlich und mit großer Sorgfalt erhalten war. Sie schien etwa fünfundzwanzig Jahr alt zu sein, aber vielleicht hatten Mühseligkeiten und Wanderungen der Zeit vorgegriffen und die Frische ihrer Jugend beeinträchtigt. Wir sagten, das Benehmen der Sängerin sei lebhaft gewesen und wir können hinzufügen, daß ihr Lächeln und ihre Antworten schnell waren. Aber ihre Fröhlichkeit war erzwungen, weil diese eine der Haupteigenschaften eines Standes war, der unter seine Unannehmlichkeiten auch die zählte, daß er häufig nöthigte, den Kummer des Herzens unter einem Lächeln zu verbergen. Dies schien Louisens Fall zu sein, die, weil sie wirklich die Heldin ihrer eigenen Ballade war, oder aus irgend einem andern Grunde zur Traurigkeit, oft wider Willen eine Folge schwermüthiger Gedanken ausdrückte, welche die von Ausübung der fröhlichen Kunst geforderte Lebhaftigkeit des Geistes mäßigten. Auch fehlte ihr das kecke, freche Lachen der Frauen ihres Standes, die nie in Verlegenheit waren, auf eine unschickliche Geberde zu antworten, oder das Gelächter gegen Einen zu richten, der sie unterbrach oder störte. Es mag hier bemerkt sein, daß diese Klasse von Frauen, in damaliger Zeit sehr zahlreich, unmöglich in besonderer Achtung stehen konnte. Sie waren indeß durch die Sitten der Zeit geschützt; und von der Art waren die Freiheiten, die sie besaßen durch die Gesetze der Chevalerie, daß nichts seltener war, als diese irrenden Damen sich über erlittene Kränkungen und Unrecht beklagen zu hören. Ohne Gefahr gingen sie an Orten ab und zu, wo bewaffnete Männer wahrscheinlich blutigen Widerstand gefunden hätten. Aber, obwohl, ihrer Kunst zu Ehren, geduldet und geschützt, führten doch die Minstrels beiderlei Geschlechts, wie die wandernden Musikanten und Schauspieler der neuen Zeit, ein zu ungeordnetes und armseliges Leben, um ein geachteter Theil der Gesellschaft zu sein. Ja, unter den strengern Katholiken galt ihr Beruf für unerlaubt. So war das Mädchen, welches, die Laute in der Hand und auf der erwähnten geringen Erhöhung stehend, gegen die Umstehenden vortrat und sich als Meisterin der fröhlichen Kunst darstellte, dazu erkoren und berechtigt durch das Zeugniß eines Hofes der Liebe und Musik, der zu Aix in der Provence unter dem Vorsitze der Blüthe der Ritterschaft, des tapfern Grafen Aymer, gehalten worden. Und sie bat nun die, durch die weite Welt wegen ihrer Tapferkeit und Artigkeit bekannten schottischen Ritter, einer armen Fremden den Versuch zu gestatten, ihnen durch ihre Kunst einige Unterhaltung zu gewähren. – Die Liebe zum Gesang war damals, wie die Liebe zum Ruhme, allgemeine Leidenschaft, die Jeder zur Schau trug, er mochte sie haben oder nicht; daher wurde der Vorschlag Louisens allgemein angenommen. In diesem Augenblick hielt ein alter Mönch, der sich unter den Zuhörern befand, es für nöthig, das Mädchen zu erinnern, daß, weil sie in Mauern geduldet werde, wo man nicht gewohnt sei, Personen ihres Standes zu empfangen, er hoffe, es werde nichts gesagt oder gesungen werden, was mit dem heiligen Charakter des Ortes im Widerspruch stände. Die Sängerin neigte das Haupt tief, schüttelte die Rabenlocken und bekreuzte sich ehrerbietig, als bekenne sie die Unmöglichkeit einer solchen Uebertretung, und darauf begann sie das Lied von der armen Louise, welches wir am Schlusse des letzten Kapitels mittheilten. Kaum hatte sie begonnen, als sie ein Geschrei unterbrach: »Platz – Platz – Raum für den Herzog von Rothsay!« »Ei, übereilt Niemand meinetwegen,« sagte ein artiger junger Kavalier, der auf einem edlen arabischen Hengste erschien, den er mit vieler Grazie regierte, obwohl durch so leichte Führung der Zügel, so unmerklichen Druck der Seiten des Pferdes, daß das Thier aus freiem Willen weiter zu gehen und einen Reiter zu tragen schien, der zu nachlässig war, um sich selber deshalb zu bemühen. Des Prinzen Anzug, obwohl sehr reich, war mit großer Nachlässigkeit angelegt. Seine Gestalt, obgleich er nicht groß und seine Glieder schwächlich waren, war vorzüglich schön; und nicht minder hübsch waren seine Gesichtszüge. Aber auf seiner Stirn lag ein bleiches verstörtes Wesen, welches eine Folge von Sorge oder Ausschweifung war, oder von beiden zerstörenden Ursachen zugleich. Seine Augen waren eingesunken und trübe, wie von einem Gelage der letzten Nacht, während seine Wange von unnatürlicher Röthe flammte, sei es, daß die Wirkung bacchanalischer Orgien noch nicht verschwunden, oder daß ein Morgentrunk angewendet worden war, um die Folgen der nächtlichen Ausschweifung zu beseitigen. So war der Herzog von Rothsay und Erbe der schottischen Krone zugleich ein Anblick der Theilnahme und des Mitleides. Alle zogen die Mützen und machten ihm Platz, während er gleichgiltig wiederholte: »Nichts übereilt – ich werde bald genug den Ort erreichen, der mich ruft. – Was ist das? ein Mädchen von der fröhlichen Kunst? Ja, bei St. Giles! und eine hübsche Dirne obendrein. Wartet, meine lustigen Leute; Minnesang ward nie durch mich gestört. – Eine gute Stimme, bei allen Heiligen! Fang' das Lied von vorn an, mein Liebchen.« Louise kannte den Mann nicht, von dem sie angeredet ward; aber die Achtung, die ihm alle zollten und die leichte und gleichgiltige Manier, wie er sie aufnahm, zeigten ihr, daß sie von einem hochgestellten Manne angeredet wurde. Sie begann ihr Lied wieder und sang besser; der junge Prinz wurde gegen den Schluß der Ballade nachdenklich, aber er pflegte traurige Eindrücke nicht lange festzuhalten. »Das ist ein traurig Lied, mein nußbraunes Mädchen,« sagte er, indem er der jungen Sängerin unter's Kinn griff und sie beim Kragen ihres Kleides hielt, was nicht schwer war, da er dicht neben den Stufen, wo sie stand, zu Pferde saß. »Aber ich wette, Ihr habt fröhlichere Lieder, ma bella tenebrosa; ja, und könnt in einer Laube so gut singen, als im Freien, und bei Nacht so gut, als bei Tage.« »Ich bin keine Nachtigall, Mylord,« sagte Louise, die sich bemühte, einer Galanterie zu entgehen, die schlecht für Ort und Umstände paßte, eine Ungehörigkeit, wogegen er, der sie anredete, ganz gleichgiltig zu sein schien. »Was hast du da, Liebchen?« setzte er hinzu, seine Hand vom Kragen nach dem Beutel bewegend, den sie trug. Louise war froh, von seiner Hand frei zu sein, indem sie den Knoten des Bandes löste und den kleinen Beutel in des Prinzen Hand ließ, wobei sie, weit genug zurücktretend, antwortete: »Nüsse, Mylord, vom letzten Frühling.« Der Prinz nahm eine Hand voll Nüsse heraus. »Nüsse, Kind! – sie werden deine Elfenbeinzähne brechen – deiner artigen Stimme schaden,« sagte Rothsay, eine Nuß, gleich einem Dorfschuljungen, mit den Zähnen aufknackend. »Es sind nicht die Wallnüsse meiner sonnigen Heimath, Mylord,« sagte Louise; »aber sie hängen tief und die Armen können sie erreichen.« »Ihr sollt Etwas haben, was besser für Euch ist, mein armes wanderndes Aeffchen,« sagte der Herzog in einem Tone, worin mehr Gefühl lag, als in der gezierten und vornehmen Artigkeit seiner ersten Anrede. In diesem Augenblicke, als er sich wandte, um von einem Begleiter seine Börse zu fordern, begegnete der Prinz dem strengen und durchbohrenden Blicke eines großen schwarzen Mannes, der auf einem gewaltigen eisengrauen Hengste saß, und mit seinem Gefolge den Hof betreten hatte, während der Herzog von Rothsay mit Louise beschäftigt war. Jener blieb jetzt erstaunt und fast versteinert vor Ueberraschung und Zorn bei dem unziemlichen Schauspiel. Wer auch den schwarzen Douglas noch nie gesehen hatte, der würde ihn an seiner schwarzbraunen Farbe, seinem riesigen Wuchs, seinem Koller von Büffelhaut und seiner Miene voll Muth, Festigkeit und Scharfsinn, vermischt mit unbändigem Stolze, erkannt haben. Der Verlust eines Auges in der Schlacht, obwohl beim ersten Anblick nicht bemerkbar, da der verletzte Augapfel dem andern ähnlich geblieben war, gab dem ganzen Gesichte einen strengen und unbeweglichen Ausdruck. Das Zusammentreffen des königlichen Schwiegersohnes mit seinem furchtbaren Schwiegervater geschah unter Umständen, welche die Aufmerksamkeit aller Anwesenden darauf lenkten, und die Zuschauer erwarteten den Erfolg mit Schweigen, und hielten den Athem an, damit ihnen nichts von dem, was vorginge, entgehen möchte. Als der Herzog von Rothsay den Ausdruck sah, den die strengen Züge Douglas' zeigten, und bemerkte, daß der Graf nicht die geringste Bewegung zu ehrerbietigem oder nur höflichem Gruße machte, schien er entschlossen, ihm zu zeigen, wie wenig er seine mißfälligen Blicke zu beachten geneigt sei. Er nahm die Börse von dem Kämmerer. »Da, hübsches Kind,« sagte er, »ich gebe dir ein Goldstück für das Lied, das du mir gesungen hast, ein zweites für die Nüsse, die ich dir entwendet habe, und ein drittes für den Kuß, den du mir geben wirst. Denn wisse, artiges Kind, wenn schöne Lippen (und deine können in Ermanglung besserer so heißen) süße Musik zu meinem Vergnügen machen, so habe ich St. Valentin geschworen, sie an die meinigen zu drücken.« »Mein Gesang ist fürstlich bezahlt,« – sagte Louise, zurückbebend; »meine Nüsse sind um einen guten Preis verkauft – weiterer Handel, Mylord, würde für Euch nicht passen und mir nicht ziemen.« »Wie, Ihr thut spröde, meine Nymphe von der Landstraße?« sagte der Prinz verächtlich. »Wißt, Mädchen, daß Euch Einer um eine Gunst bittet, der keine Weigerung gewohnt ist.« »Es ist der Prinz von Schottland – der Herzog von Rothsay« – sagten die Hofleute rings zu der erschreckten Louise, das zitternde junge Weib vorwärts drängend; »Ihr müßt ihn nicht böse machen.« »Aber ich kann Eure Herrlichkeit nicht erreichen,« sagte sie schüchtern, »Ihr sitzt zu hoch zu Rosse.« »Muß ich absteigen,« sagte Rothsay, »so wird die Buße um so schwerer sein – warum zittert die Dirne? Stelle deinen Fuß auf die Spitze meines Stiefels und reich mir die Hand – so war's brav!« Er küßte sie, während sie so in der Luft schwebend auf seinem Fuße und von ihm gehalten, stand; und dabei sagte er: »Da ist dein Kuß, und da ist meine Börse, ihn zu bezahlen; und um dich ferner zu ehren, wird Rothsay deinen Beutel für immer tragen.« Er ließ das erschrockene Mädchen auf den Boden springen, und wandte seine Blicke von ihr, um sie verächtlich auf den Grafen Douglas zu lenken, als wollte er sagen: »Alles dies thu' ich trotz Euch und Eurer Tochter Ansprüchen.« »Beim heiligen Zaum von Douglas!« sagte der Graf, sich nach dem Prinzen drängend, »dies ist zu viel, unbärtiger Knabe, ebenso weit entfernt von Verstand, als Ehre! Ihr wißt, welche Rücksichten Douglas' Hand zurückhalten, sonst hättet Ihr nimmer gewagt – « »Könnt Ihr mit Schnellkugeln spielen, Mylord?« sagte der Prinz, eine Nuß auf das zweite Glied seines Zeigefingers legend, und sie mit dem Daumen fortschnellend. Die Nuß traf Douglas' breite Brust, welcher einen furchtbaren Ausruf des Zornes hören ließ, unartikulirt, aber ähnlich dem Gebrüll eines Löwen an Tiefe und Härte. »Ich bitt' Euch um Verzeihung, mächtiger Lord,« sagte der Herzog von Rothsay höhnend, während alle Anwesenden zitterten; »ich dachte nicht, daß Euch meine Kugel verwunden könnte, da Ihr ein Büffelkleid tragt. Hoffentlich traf ich doch Euer Auge nicht?« Der Prior, der, wie wir im letzten Kapitel sahen, vom König abgeschickt wurde, hatte sich indessen durch die Menge gedrängt, und indem er Douglas' Zügel auf eine Weise ergriff, daß er nicht vorwärts konnte, erinnerte er ihn, daß der Prinz der Sohn seines Souverains und der Gemahl seiner Tochter sei. »Fürchtet nichts, Sir Prior,« sagte Douglas. »Ich verachte den kindischen Knaben zu sehr, als daß ich nur einen Finger gegen ihn erheben sollte. Aber ich will Beleidigung mit Beleidigung vergelten. – Hier, wer von Euch den Douglas liebt, – jagt mir diese Bettlerin aus dem Hofe und laßt sie geißeln, damit sie sich bitterlich bis an ihr Ende erinnern möge, daß sie einem unehrerbietigen Knaben das Mittel gab, Douglas zu beleidigen!« Vier oder fünf vom Gefolge traten sogleich vor, um Befehle zu vollziehen, die selten umsonst ertheilt wurden, und schwer würde Louise für ein Vergehen gebüßt haben, wozu sie die unschuldige, unbewußte und unfreiwillige Ursache war, wäre der Herzog von Rothsay nicht dazwischen getreten. »Das arme Mädchen fortjagen!« sagte er mit tiefem Unwillen; »sie peitschen, weil sie meinem Befehl gehorchte! – Jage deine eigenen unterdrückten Vasallen, roher Graf! – geißele deine eigenen schlechten Hunde – aber hütet Euch, daß Ihr wie einen Hund den behandelt, dem Rothsay das Haupt streichelte, geschweige denn ein Mädchen, dessen Lippen er geküßt hat!« Bevor Douglas eine Antwort geben konnte, die jedenfalls herausfordernd gewesen wäre, erhob sich jener große Tumult am äußern Klosterthor, den wir bereits erwähnten, und Männer zu Pferd und zu Fuß begannen hastig herein zu stürzen, nicht eigentlich unter einander fechtend, aber jedenfalls auf unfriedliche Weise. Eine der streitenden Parteien waren, wie es schien, Lanzknechte des Douglas, kenntlich durch das Zeichen des blutigen Herzens, die andere Partei bestand aus Bürgern der Stadt Perth. Es schien, daß sie außerhalb des Thores ernstlich gekämpft hatten, aber aus Ehrfurcht vor dem geweihten Boden senkten sie ihre Waffen, als sie eintraten, und beschränkten ihren Streit auf einen Wortkrieg und Schimpfreden. Der Tumult hatte die gute Wirkung, den Prinzen und Douglas in dem Augenblicke zu trennen, wo der Leichtsinn des Einen und der Stolz des Andern sie zur größten Heftigkeit getrieben hatte. Aber von allen Seiten erschienen nun Friedenstifter. Der Prior und die Mönche warfen sich unter den Haufen und geboten im Namen des Himmels und der Ehrerbietung, die man heiligen Orten schuldig sei, bei Strafe der Excommunication, Frieden. Man gab ihren Bitten nach. Der Herzog von Albany, der von seinem Bruder gleich im Anfang des Zankes abgeschickt worden war, kam in diesem Augenblicke herbei. Er wandte sich sogleich an Douglas und beschwor ihn leise, seine Hitze zu mäßigen. »Beim heiligen Zaum von Douglas, ich will Rache!« sagte der Graf. »Kein Mensch soll sich des Lebens freuen, nachdem er Douglas beleidigt hat.« »Ei, so mögt Ihr Euch zu passender Zeit rächen,« sagte Albany; »aber laßt Euch nicht nachsagen, daß der große Douglas, wie ein zänkisches Weib, weder Zeit noch Ort zur Rache zu wählen gewußt habe. Bedenkt, daß Alles, was wir gethan haben, auf dem Punkt steht, durch einen unseligen Umstand gestört zu werden. Georg von Dunbar hat eine geheime Audienz bei dem guten Manne gehabt, und währte sie auch nur fünf Minuten, so fürcht' ich, er hat den König vermocht, eine Verbindung aufzulösen, die wir mit so viel Mühe zu Stande brachten. Die Bestätigung von Rom ist noch nicht erlangt.« »Ach Possen!« antwortete Douglas hochmüthig. – »Sie wagen nicht, sie aufzulösen.« »Nicht, so lange Douglas kraftvoll und im Besitze seiner Macht ist,« sagte Albany. »Aber, edler Graf, kommt mit mir, und ich will Euch zeigen, wie Ihr im Nachtheil seid.« Douglas stieg ab und folgte seinem schlauen Gefährten schweigend. In einem untern Saale sahen sie die Reihen der Brandanen unter Waffen, wohlgerüstet mit Pickelhauben und Panzerhemden. Ihr Hauptmann, der Albany achtungsvoll grüßte, schien ein Gespräch mit ihm zu wünschen. »Wie steht's, Mac Louis?« sagte der Herzog. »Man sagt uns, der Herzog von Rothsay sei beleidigt worden, und ich kann die Brandanen kaum hier zurückhalten.« »Tapferer Mac Louis,« sagte Albany, »und Ihr, meine wackern Brandanen, der Herzog von Rothsay, mein Neffe, befindet sich so wohl, als ein Ritter nur sein kann. Ein kleiner Streit war, aber Alles ist beigelegt.« Er fuhr fort, den Grafen von Douglas weiter zu führen. »Ihr seht, Mylord,« sagte er ihm leise, »daß, wenn das Wort Verhaftung einmal ausgesprochen würde, man leicht gehorchen möchte, und Ihr wißt, daß Eurer Gefährten zu wenig zum Widerstande sind.« Douglas schien sich für diesmal aus Nothwendigkeit in Geduld zu fügen. »Wenn meine Zähne,« sagte er, »auch die Lippen durchbeißen sollten, ich will schweigen, bis die Stunde zum Sprechen kommt.« Georg von March hatte inzwischen das leichtere Geschäft, den Prinzen zu beruhigen. »Mylord von Rothsay,« sagte er, sich mit ernster Würde nähernd, »ich brauche Euch nicht zu sagen, daß Ihr mir einige Ehrerstattung schuldig seid, obwohl ich Euch nicht persönlich für den Bruch des Contrakts anklage, der den Frieden meiner Familie störte. Laßt mich Euch bei der Achtung beschwören, die Eure Hoheit einem gekränkten Manne schuldig ist, für jetzt diesen ärgerlichen Streit zu vergessen.« »Mylord, ich schulde Euch viel,« erwiderte Rothsay; »aber dieser übermüthige und herrschsüchtige Lord hat meine Ehre verletzt.« »Mylord, ich kann nur hinzufügen, Euer königlicher Vater ist unwohl – ist vor Furcht wegen Eurer Hoheit Sicherheit ohnmächtig geworden.« »Unwohl!« erwiderte der Prinz – »der freundliche, gute alte Mann – ohnmächtig, sagt Ihr, Mylord von March? – ich werde im Augenblick bei ihm sein.« Der Herzog von Rothsay sprang aus dem Sattel auf den Boden und eilte wie ein Windspiel in den Palast, als eine schwache Hand seinen Mantel faßte und die zarte Stimme einer knieenden Frau ausrief: »Schutz, mein edler Prinz! – Schutz für eine hilflose Fremde!« »Weg mit der Hand, Landstreicherin!« sagte der Graf von March, die stehende Sängerin bei Seite drängend. Aber der sanftere Prinz blieb stehen. »Es ist wahr,« sagte er, »ich habe die Rache eines unbarmherzigen Teufels auf dies arme Wesen gelenkt. O Himmel! Welch' ein Leben führ' ich, verhängnißvoll für Alle, die sich mir nahen! – Was ist in der Eile zu thun? – Sie darf nicht nach meinen Gemächern gehen – und all' meine Leute sind geborne Schufte. – Ha! du neben mir, wackerer Harry Schmied? Was machst du hier? »Es ist so eine Art von Gefecht gewesen, Mylord,« antwortete unser Bekannter, der Schmied, »zwischen den Bürgern und den südländischen Burschen, die mit dem Douglas reiten; und wir haben sie bis zum Thore der Abtei gejagt.« »Das freut mich – das freut mich. Und Ihr klopftet die Schufte hübsch aus?« »Hübsch? fragt Eure Hoheit?« sagte Harry. »Ei ja! wir waren allerdings stärker an Zahl; aber keine Reiter sind besser bewaffnet, als die dem blutigen Herzen folgen. Und daher haben wir sie in einer Hinsicht hübsch geklopft; denn wie Eure Hoheit weiß, ist es der Schmied, der Kriegsleute macht, und Männer mit guten Waffen wiegen ganze Schaaren auf.« Während sie so schwatzten, kehrte der Graf von March, der mit Einem in der Nähe des Palastthores gesprochen hatte, in ängstlicher Eile zurück. »Mylord Herzog! – Mylord Herzog! – Euer Vater hat sich erholt, und wenn Ihr nicht sehr eilt, so wird Mylord von Albany und der Douglas sein Ohr in Besitz nehmen.« »Und wenn sich mein königlicher Vater erholt hat,« sagte der leichtsinnige Prinz, »und hält, oder will Rath halten mit meinem gnädigen Oheim und dem Grafen Douglas, so schickt es sich weder für Eure Herrlichkeit noch für mich, uns einzudrängen, bevor wir gerufen werden. Daher hab' ich Zeit, meine kleinen Geschäfte mit meinem wackern Waffenschmied hier zu besprechen.« »Betrachtet es Eure Hoheit so?« sagte der Graf, dessen sanguinische Hoffnungen auf Hofgunst zu schnell erweckt waren und ebenso rasch gedämpft wurden, – »dann gebt nur Georg von Dunbar auf.« Er eilte mit düsterer mißvergnügter Miene hinweg; und so machte sich, zu einer Zeit, wo die Aristokratie den Thron so sehr beschränkte, der Erbe desselben die zwei mächtigsten Edelleute Schottlands zu Feinden, indem er den Einen durch verachtenden Trotz, den Andern durch fehlerhaften Leichtsinn beleidigte. Indeß bemerkte er kaum des Grafen von March Abschied oder fühlte sich vielmehr erleichtert von seiner Zudringlichkeit. Der Prinz ließ sich in ein müssiges Gespräch mit dem Waffenschmied ein, dessen Geschick in seiner Kunst ihn mit vielen der vornehmsten Lords bei Hofe persönlich bekannt gemacht hatte. »Ich hatte dir Etwas zu sagen, Schmied – kannst du einen gebrochenen Ring in meinem Mailänder Panzer wieder einsetzen?« »So gut, mit Eurer Hoheit Erlaubniß, als meine Mutter eine Masche in einem Netz wieder aufnehmen konnte – der Mailänder wird mein Werk von seinem eigenen nicht unterscheiden.« »Gut, aber das war's nicht, was ich dir jetzt sagen wollte,« sagte der Prinz, sich besinnend. »Diese arme Sängerin, guter Schmied, muß in Sicherheit gebracht werden. Du bist Mann genug, um für jede Frau ein Ritter zu sein, und du mußt sie zu einem sichern Orte geleiten.« Harry Schmied war, wie wir gesehen haben, rasch und kühn genug, wo es Waffen zu führen galt; aber er hatte auch den Stolz eines ehrbaren Bürgers und wollte sich nicht gern in Dinge einlassen, die bei dem anständigen Theile seiner Mitbürger für zweideutig gelten konnten. »Mit Eurer Hoheit Erlaubniß,« sagte er, »ich bin nur ein armer Handwerker. Aber obwohl mein Arm und Schwert dem König zu Befehl stehen, sowie auch Eurer Hoheit, so bin ich doch, verzeiht mir, kein Knappe für Damen. Eure Hoheit wird unter Eurem eigenen Gefolge Ritter und Herren finden, die recht gern den Sir Pandarus von Troja spielen werden – es ist eine zu ritterliche Rolle für den armen Harry vom Wynd.« »Hm – ha!« sagte der Prinz. »Meine Börse, Edgar« – (sein Diener flüsterte ihm Etwas zu) – »freilich, freilich, ich gab sie der armen Dirne. – Ich weiß genug von Eurem Gewerbe, Sir Schmied, und von Gewerbsleuten im Allgemeinen, um überzeugt zu sein, daß man keine Falken mit leeren Händen lockt; aber ich denke, mein Wort mag für den Werth einer guten Rüstung gelten, und soviel will ich dir, mit Dank obendrein, für den kleinen Dienst zahlen.« »Eure Hoheit mag andere Handwerker kennen,« sagte der Schmied; »aber mit Erlaubniß, sie kennt Harry Gow nicht. Er gehorcht Euch, wenn es eine Waffe zu machen oder auszubessern gilt, aber er versteht nichts von diesem Schürzendienst.« »Höre, du Maulthier von Perth,« sagte der Prinz, jedoch während er sprach, über das Zartgefühl des ehrsamen Bürgers lächelnd, – »die Dirne geht mich so wenig an, wie dich. Aber in einem müssigen Augenblicke, wie Euch die Umstehenden erzählen können, wenn Ihr's nicht selber saht, gab ich ihr im Vorbeigehen einen Kuß, was der armen Unglücklichen wahrscheinlich das Leben kosten wird. Hier ist nicht Einer, dem ich ihren Schutz anvertrauen kann gegen die Gürtelriemen und Bogenstränge, womit die Gränzbestien, die Douglas folgen, sie zu Tode schlagen werden, da es sein Wille so ist.« »Wenn die Sache so ist, Herr, so hat sie Anspruch auf jedes ehrlichen Mannes Schutz; und da sie einen ordentlichen Rock trägt – obwohl ich wollte, er wäre länger und von minder phantastischem Schnitt – so will ich für ihre Sicherheit stehen, so gut dies ein einzelner Mann kann. Aber wohin soll ich sie bringen?« »Ja wahrhaftig, das kann ich nicht sagen,« antwortete der Prinz. »Bringt sie nach Sir John Ramorny's Wohnung – aber, nein, nein – er ist krank, und überhaupt sind da Gründe – bring' sie zum Teufel, wenn du willst, aber nur in Sicherheit, und du verbindest David von Rothsay.« »Mein edler Prinz,« sagte der Schmied, »ich denke – mit allem Respekt, daß ich ein schutzloses Weib der Fürsorge des Teufels immer eher als Sir John Ramorny anvertrauen könnte. Aber obwohl der Teufel ein Feuerarbeiter ist, wie ich, so kenn' ich doch seinen Aufenthalt nicht, und hoffe ihn mit Hilfe der heiligen Kirche in gebührender Entfernung von mir zu halten. Und wie kann ich sie überhaupt durch dies Gedränge oder durch die Straßen in einem solchen Narrenkleide führen? Das ist die große Frage.« »Was das Verlassen des Klosters anlangt,« sagte der Prinz, »so wird dieser gute Mönch« (dabei ergriff er den Nächsten bei der Kapuze), »Vater Niclas oder Bonifacius –« »Der arme Bruder Cyprian, zu Eurer Hoheit Befehl,« sagte der Pater. »Ja richtig, Bruder Cyprian,« fuhr der Prinz fort, »ja, Bruder Cyprian wird Euch durch den geheimen Gang lassen, den er kennt, und ich werd' ihn wieder sehen, um eines Prinzen Dank dafür zu zahlen.« Der Geistliche neigte sich einwilligend, und die arme Louise, die während des Streites von einem Sprecher auf den andern geblickt hatte, sagte hastig: »Ich will diesem guten Manne mit meinem thörichten Anzug kein Aergerniß geben – ich habe einen Mantel, den ich gewöhnlich trage.« »Nun also, Schmied, du hast eines Mönchs Kapuze und einen Weibermantel, um dich d'runter zu bergen. Ich wollte, all' meine Schwachheiten wären so gut verhüllt! Lebe wohl, wackerer Bursche; ich werde dir später danken.« Damit, als fürchtete er einen neuen Einwand von Seiten des Schmieds, eilte er in den Palast. Harry Gow blieb erstaunt über das Geschehene stehen, da er sich ein Geschäft auferlegt sah, das nicht nur sehr gefährlich war, sondern auch Anstoß erregen konnte, was Beides, verbunden mit dem großen Antheil, den er nach gewohnter Raschheit am Gefechte genommen, ihm nicht geringen Schaden bei Verfolgung des eifrig erstrebten Zieles bringen konnte. Gleichwohl ein schutzloses Wesen der Mißhandlung barbarischer Galwegier und zügelloser Gefährten des Douglas zu überlassen, war ein Gedanke, den sein männliches Herz keinen Augenblick hegen konnte. Aus dieser Betrachtung ward er durch die Stimme des Mönchs erweckt, der, seine Worte mit der Gleichgültigkeit äußernd, welche die heiligen Väter gegen alle weltlichen Angelegenheiten hatten oder heuchelten, ihm zu folgen bat. Der Schmied setzte sich mit einem Seufzer, der mehr einem Schluchzen glich, in Bewegung, und offenbar wenig auf des Mönchs Bewegungen achtend, folgte er diesem in einen Gang und durch eine Hinterthür, die der Priester, sich noch ein Mal umschauend, offen ließ. Ihnen folgte Louise nach, die eilend ihr kleines Bündel ergriffen und ihren kleinen vierbeinigen Gefährten gerufen hatte. Hastig folgte sie auf dem Pfade, der sie einem Orte entgehen ließ, wo ihr kurz zuvor eine große und unvermeidliche Gefahr zu drohen schien. Zwölftes Kapitel Es sprach die alte Wirthin nun, Die mürrisch g'nug erschien: »Mocht' Euer Vater je dies thun, So war es schlimm für ihn.« Lucky Trumbull. Die Gesellschaft war jetzt durch einen geheimen Gang in die Klosterkirche gelangt, deren äußere Thüren, gewöhnlich offen stehend, in Folge des letzten Tumultes für Jedermann verschlossen waren, da die Aufrührer beider Parteien sich bemüht hatten, aus anderen Gründen, als denen der Andacht, hineinzudringen. Sie gingen durch die düstern Gänge, deren Gewölbe von dem schweren Tritte des Waffenschmieds widerhallten, aber stumm blieben durch den Sandalentritt des Mönchs und den leichten Schritt der armen Louise, die vor Furcht wie vor Kälte außerordentlich zitterte. Sie sah, daß weder ihr geistlicher, noch ihr weltlicher Führer freundlich auf sie blickten. Der Erstere war ein strenger Mann, dessen Miene zeigte, er betrachte den unglücklichen Wanderer mit Verachtung und Abscheu; während der Letztere, obwohl, wie wir sahen, einer der gutmüthigsten Menschen von der Welt, gegenwärtig doch ernst bis zur Härte war, und nicht wenig mißvergnügt, daß er eine Rolle zu spielen genöthigt war, ohne, wie er wohl einsah, sie ablehnen zu können. Sein Mißfallen an diesem Geschäfte erstreckte sich sogar auf seinen unschuldigen Schützling, und er sagte im Stillen zu sich, während er sie verächtlich betrachtete: – »Eine hübsche Bettlerkönigin, um mit ihr durch die Straßen von Perth zu wandern, ich, ein ehrsamer Bürger! Diese phantastische Schöne muß einen so saubern Ruf haben, als ihre ganze Brüderschaft, und ich bin gut daran, wenn meine Chevalerie zu ihrem Besten zu Katharina's Ohr gelangt! Eher dürft' ich einen Mann erschlagen haben, und wär' er der Beste von Perth; und, bei Hammer und Nägeln! ich wollt' es auf erfolgte Beleidigung lieber gethan haben, als diese Bagage durch die Stadt führen.« Vielleicht ahnte Louise den Grund der Unruhe ihres Begleiters, denn sie sagte, furchtsam und zögernd: »Werther Herr, wär' es nicht besser, ich blieb' einen Augenblick in der Kapelle und nähme meinen Mantel um?« »Hm, Liebchen, das ist nicht übel,« sagte der Waffenschmied; aber der Mönch sprach dagegen, indem er zugleich den Finger verbietend erhob. »Die Kapelle des heiligen Madox ist kein Ankleidezimmer für Gaukler und Landstreicher, um sich dort zu putzen. Ich will dir gleich einen Ort zeigen, der besser für deinen Stand paßt.« Das arme junge Weib senkte ihr gedemüthigtes Haupt und kehrte von der Kapellenthür, der sie sich genähert hatte, mit dem tiefen Gefühle der Erniedrigung zurück. Ihr kleiner Hund schien aus seiner Herrin Blick und Benehmen zu ahnen, daß sie auf diesem heiligen Boden unberechtigte Eindringlinge waren, denn er senkte die Ohren und fegte den Boden mit dem Schwanze, während er leise und dicht hinter Louisens Füßen hinlief. Der Mönch ging ohne Aufenthalt vorwärts. Sie stiegen eine breite Treppe hinab und gingen durch ein Labyrinth unterirdischer, matt erhellter Gänge. Als sie durch ein niedrig gewölbtes Thor kamen, wandte sich der Mönch um und sagte, in demselben strengen Tone wie vorher, zu Louisen: – »Dort, Tochter der Thorheit, ist ein Ankleidezimmer, wo viele vor Euch ihre Kleider abgelegt haben!« Dem geringsten Zeichen mit rascher und furchtsamer Bereitwilligkeit folgend, eilte sie durch die offene Thür, kehrte aber sogleich entsetzt zurück. Es war ein Beinhaus, halb angefüllt mit alten Schädeln und Knochen. »Ich fürchte mich, dort mein Kleid zu wechseln, und allein – aber wenn Ihr, Vater, es befehlt, so möge es geschehen.« »Ei, du Kind der Eitelkeit, die Reste, die du siehst, sind nur der irdische Theil derer, die in ihrer Zeit zu weltlicher Lust anführten oder ihr folgten. Und so wirst auch du sein, wegen all' deines Leichtsinns und Wanderns, deines Singens und Klimperns; du, und alle solche Diener leichtfertiger und weltlicher Lust, müßt diesen armseligen Gebeinen gleich werden, die deine eitle Weichlichkeit fürchtet und anzusehen scheut.« »Sprecht nicht von eitler Weichlichkeit, ehrwürdiger Vater,« antwortete die Sängerin, »denn der Himmel weiß, ich beneide die Ruhe dieser armen gebleichten Reste; und wenn ich, meinen Leib darauf legend, ohne Sünde meinen Zustand dem ihrigen gleich machen könnte, so würde ich den Beinhaufen zu meiner Ruhestatt wählen vor dem sanftesten und schönsten Kissen in Schottland.« »Sei geduldig und komm',« sagte der Mönch in milderem Tone; »der Schnitter darf die Arbeit nicht verlassen, bis Sonnenuntergang das Zeichen gibt, daß das Tagewerk vorüber ist.« Sie gingen vorwärts. Bruder Cyprian öffnete am Ende einer langen Gallerie ein kleines Gemach oder vielleicht eine Kapelle, denn es war mit einem Kruzifix geschmückt, vor welchem vier Lampen brannten. Alle neigten und bekreuzten sich, und der Priester sagte zur Sängerin, auf das Kruzifix zeigend: »Was sagt dies Zeichen?« »Daß Er den Sünder so gut wie den Gerechten zu sich ladet.« »Ja, wenn der Sünder von seiner Sünde abläßt,« sagte der Mönch, dessen Stimme offenbar milder war. »Bereite dich hier zu deiner Reise.« Louise blieb ein paar Augenblicke in der Kapelle und erschien sogleich wieder in einem Mantel von grobem grauem Tuch, worein sie sich dicht gehüllt hatte, indem sie soviel von ihrer auffallenden Kleidung, als die Zeit gestattete, in das Körbchen gelegt, welches zuvor ihren gewöhnlichen Anzug enthielt. Der Mönch entriegelte sogleich eine Thür, welche in's Freie führte. Sie befanden sich in dem Garten, der das Kloster der Dominikaner umgab. »Das südliche Thor ist nur verriegelt und ihr könnt unbemerkt hindurch,« sagte der Mönch. »Gott segne dich, mein Sohn; und er segne auch dich, unglückliches Kind. Gedenke, wo du deine eitlen Gewänder ablegtest und hüte dich, sie je wieder anzuthun!« »Ach, Vater!« sagte Louise, »könnte die arme Fremde die einfachen Bedürfnisse des Lebens durch eine ehrenvollere Beschäftigung gewinnen, so möchte sie gern dieser eitlen Kunst entsagen. Aber – –« Aber der Mönch war verschwunden, ja, dieselbe Thür, durch die sie eben gekommen, schien auch verschwunden zu sein, so merkwürdig war sie durch einen beweglichen Pfeiler, wie unter den reichen gothischen Mauerzierrathen versteckt. »Hier ist nun freilich ein Weib durch die geheime Thür herausgelassen,« dachte Harry. »Gebe der Himmel, daß die guten Väter keines wieder einlassen. Der Ort scheint ganz geeignet zum Versteckenspielen. – Aber, Benedicite, was ist nun zu thun? Ich muß die Dirne so geschwind als möglich loswerden – und ich muß sie in Sicherheit bringen. Denn mag sie eigentlich sein, wie sie will, sie sieht so sittsam aus, nunmehr sie ehrbare Kleidung trägt, als daß sie die Mißhandlung des wilden Schotten von Galloway oder die der Teufelslegion von Liddell verdienen sollte.« Louise stand da, als wartete sie, welchen Weg Harry sie führen werde. Ihr kleiner Hund, erleichtert durch den Wechsel der dunklen unterirdischen Wölbung mit der freien Luft, sprang in wilden Sätzen durch die Gänge und hüpfte an seiner Gebieterin empor; ja er umkreiste auch, obwohl schüchterner, des Schmiedes Füße, um auch diesem seine Zufriedenheit auszudrücken und seine Gunst zu gewinnen. »Nieder, Charlot, nieder!« sagte die Sängerin. »Du freuest dich, wieder im hellen Sonnenlicht zu sein; aber wo werden wir die Nacht ruhen, mein armer Charlot?« »Und nun, Mistreß,« sagte der Schmied – nicht unfreundlich, denn dies lag nicht in seiner Natur, aber kurz, wie Einer, der ein unangenehmes Geschäft zu endigen wünscht, – »wohin liegt Eure Straße?« Louise blickte zu Boden und schwieg. Auf's Neue gedrängt, zu sagen, welchen Weg sie geführt zu sein wünschte, blickte sie wieder abwärts und erklärte, sie könne es nicht sagen. »Kommt, kommt,« sagte Harry, »ich versteh' Alles – ich bin ein munterer Bursch' gewesen – ein Wildfang zu meiner Zeit – aber 's ist am besten, man ist offen. Wie die Sachen jetzt mit mir stehen, so bin ich seit vielen, vielen Monaten ein anderer Mann; und daher, meine Gute, müssen Ihr und ich uns vielleicht eher trennen, als sich ein junges hübsches Weib wie Ihr eigentlich trennen möchte von – einem ansehnlichen jungen Burschen.« Louise weinte still, die Augen immer noch zu Boden gesenkt, wie Jemand, der eine Beleidigung fühlt, worüber er kein Recht hat sich zu beklagen. Endlich, als sie merkte, daß ihr Führer ungeduldig ward, sagte sie mit gebrochener Stimme: »Edler Sir –« »Sir gehört für einen Ritter,« sagte der ungeduldige Bürger, »und edel für einen Baron. Ich bin Harry vom Wynd, ein ehrsamer Handwerker und von freier Zunft.« »Nun, guter Handwerker,« sagte die Sängerin, »Ihr beurtheilt mich hart, aber ohne scheinbaren Grund. Ich wollte Euch sogleich von meiner Gesellschaft befreien, die vielleicht guten Männern wenig Ehre bringt, wüßt' ich nur, wohin ich gehen sollte.« »Zum nächsten Jahrmarkt oder Feste gewiß,« sagte Harry rauh, indem er nicht zweifelte, daß ihre Traurigkeit nur verstellt sei, um ihn zu fesseln, und vielleicht auch, weil er fürchtete, selbst in Versuchung zu gerathen; »und es ist das Fest des heiligen Madox zu Auchterarder. Gewiß wirst du den Weg dorthin recht gut finden.« »Aftr – Auchter –« wiederholte die Sängerin, vergebens mit ihrer südlichen Zunge die Celtischen Laute versuchend. »Man sagt mir, meine armen Lieder würden nicht verstanden, wenn ich jenen schrecklichen Bergen näher käme.« »Wollt Ihr also in Perth bleiben?« »Aber wo wohnen?« sagte die Fremde. »Ei, wo wohntet Ihr die letzte Nacht?« erwiderte der Schmied. »Ihr wißt sicherlich, woher Ihr kommt, obwohl Ihr zweifelhaft scheint, wohin Ihr gehen sollt.« »Ich schlief im Hospitium des Klosters. Aber ich ward nur mit großer Schwierigkeit zugelassen und man befahl mir, nicht wiederzukommen.« »Nein, sie werden Euch nimmer aufnehmen, da Ihr des Douglas Zorn auf Euch geladen, das ist nur zu wahr. Aber der Prinz erwähnte Sir John Ramorny's – ich kann Euch durch Seitengassen zu seiner Behausung führen, – obwohl dies kein Geschäft für einen ehrlichen Bürger ist, und meine Zeit drängt.« »Ich will gehen, wohin es sei – ich weiß, ich bin ein Aergerniß und eine Last. Es gab eine Zeit, wo es anders war. – Aber wer ist dieser Ramorny?« »Ein artiger Ritter, der ein munteres Junggesellenleben führt, und Knappe und Privado, wie man sagt, des jungen Prinzen ist.« »Wie! des wilden, höhnischen jungen Mannes, der Anlaß zu jenem Skandal gab? – O, bringt mich nicht dorthin, guter Freund! Ist keine christliche Frau da, die einem armen Wesen in ihrem Stall oder ihrer Scheune für eine Nacht Ruhe gönnen möchte? Ich will mit Tagesanbruch fortgehen. Ich habe Gold und ich will Euch auch bezahlen, wenn Ihr mich wohin führen wollt, wo ich sicher vor dem wilden Schwärmer bin und vor den Dienern des schwarzen Barons, in dessen Blicken der Tod lag.« »Behaltet Euer Gold für die, die es brauchen, Mistreß,« sagte Harry, und bietet nicht ehrlichen Händen das Geld an, was durch Lautenspiel, Fiedeln, Tanzen und vielleicht schlimmeres Handwerk gewonnen ist. Ich sag' Euch geradezu, Mistreß, ich lasse mich nicht bethören. Ich bin bereit, Euch zu jedem sichern Orte zu führen, den Ihr nennt, denn mein Versprechen ist so fest, wie eine Eisenspange. Aber Ihr macht mich nicht glauben, als wüßtet Ihr nicht wohin. Ihr seid nicht so jung in Eurem Gewerbe, um nicht zu wissen, daß es Wirthshäuser in jeder Stadt gibt, zumal in einer Stadt wie Perth, wo Euresgleichen Herberge für Geld finden kann, wenn Ihr nicht einen mehr oder weniger großen Dummkopf findet, der Eure Zeche bezahlt. Wenn Ihr Geld habt, Mistreß, so hab' ich wenig Sorge um Euch; und in der That seh' ich wenig mehr als Vorwand in dem übertriebenen Kummer und der Furcht, allein zu sein, bei Jemand von Eurem Beruf.« Nachdem er so, wie er glaubte, angezeigt hatte, er lasse sich durch die gewöhnlichen Künste einer Sängerin nicht täuschen, ging er einige Schritte vorwärts, indem er sich einbildete, er handle so am weisesten und klügsten; er konnte sich aber nicht enthalten, zurückzusehen, wie Louise seinen Abschied ertrüge, und war betroffen, als er bemerkte, daß sie auf ein Beet gesunken war, die Arme auf den Knieen und das Haupt auf den Armen ruhend, in einer Lage, welche die höchste Verzweiflung ausdrückte. Der Schmied suchte sein Herz zu verhärten, »'s ist Alles Schein,« sagte er, »die Dirne kennt ihr Geschäft – ich will drauf schwören, bei St. Ringan.« In diesem Augenblicke zerrte Etwas am Saume seines Kleides, und als er sich umsah, erblickte er den kleinen Hund, der sogleich, als wollte er seiner Gebieterin Sache vertreten, sich auf die Hinterbeine stellte und zu tanzen begann, zu gleicher Zeit winselnd und nach Louise zurücksehend, als wollte er für seine verlassene Herrin Mitleiden erregen. »Armes Thier,« sagte der Schmied, »auch du verstellst dich vielleicht nur, denn du thust nur, was man dich gelehrt hat. – Doch, da ich dies arme Wesen zu schützen versprach, so darf ich sie nicht in einer Ohnmacht verlassen, wenn es eine ist, geschah' es auch nur aus Menschlichkeit.« Als er umkehrte und sich seiner beschwerlichen Bürde näherte, erkannte er sogleich an ihrer veränderten Gesichtsfarbe, daß sie entweder wirklich sehr unwohl sei, oder eine Macht der Verstellung besitze, wie kein Mann, ja vielleicht keine Frau begreifen könnte. »Junges Weib,« sagte er mit mehr Freundlichkeit, als er bisher an den Tag zu legen vermocht hatte, »ich will Euch offen sagen, wie es mit mir steht. Es ist heute St. Valentinstag, und der Sitte nach muß ich ihn bei meiner schönen Valentine zubringen. Aber Schläge und Streit haben den ganzen Morgen weggenommen, bis auf eine armselige halbe Stunde. Nun könnt Ihr wohl einsehen, wo mein Herz und meine Gedanken sind, und wo, wär' es auch nur der Höflichkeit wegen, mein Leib sein sollte.« Die Sängerin lauschte und schien ihn zu begreifen. »Wenn Ihr ein ächter Liebender seid, und eine keusche Valentine zu besuchen habt, so verhüte Gott, daß Meinesgleichen Euch eine Störung bereiten sollte. Denkt nicht mehr an mich. Ich will diesen großen Fluß als Führer zum Meere nehmen, wo sich, wie man sagt, ein Hafen befindet; von dort will ich nach dem schönen Frankreich segeln, und noch ein Mal meine Heimath begrüßen, wo der roheste Bauer das ärmste Weib nicht so kränken würde.« »Ihr könnt heute nicht nach Dundee gehen,« sagte der Schmied. »Die Leute des Douglas sind auf beiden Seiten des Flusses in Bewegung, denn der Lärm vom Morgen muß sie schon erreicht haben; und den ganzen Tag, und den nächsten, und die ganze Nacht, die dazwischen ist, während sie sich zu ihres Führers Fahne sammeln, wie Hochländer zum feurigen Kreuz. Seht Ihr jene fünf oder sechs Männer, die so rasch am andern Ufer des Flusses reiten? Das sind Leute von Annandale; ich kenne sie an ihren langen Lanzen und an der Art, wie sie sie tragen. Ein Mann von Annandale läßt seinen Speer nie rückwärts hängen, sondern trägt die Spitze immer aufwärts oder vorwärts.« »Und was ist mit ihnen?« sagte die Sängerin. »Sie sind Bewaffnete und Krieger – sie werden mich meiner Laute und meiner Hilflosigkeit wegen schonen.« »Ich will ihnen nichts Böses nachsagen,« antwortete der Schmied. »Wäret Ihr in ihren eigenen Thälern, würden sie Euch gastfrei behandeln und Ihr hättet nichts zu fürchten; aber jetzt sind sie im Felde. Alles ist Fisch, was in ihr Netz kommt. Es gibt unter ihnen welche, die Euch das Leben nehmen würden Eurer goldnen Ohrringe wegen. Ihre ganze Seele ruht in ihren Blicken, um Beute zu sehen, und in ihren Händen, um sie zu ergreifen. Sie haben keine Ohren, um Lieder zu hören, oder auf eine Bitte um Gnade zu horchen. Ueberdies haben sie einen Befehl von ihrem Führer hinsichtlich Eurer, und der Befehl ist von einer Art, daß er sicher befolgt wird. Ach, großen Herren schenken sie eher Gehorsam, wenn es heißt, brennt eine Kirche nieder, als wenn sie sagen, baut eine auf.« »Dann,« sagte die Sängerin, »ist das Beste, ich setze mich hin, um zu sterben.« »Sprecht nicht so,« erwiderte der Schmied. »Wenn ich nur ein Nachtquartier für Euch erlangen könnte, so führte ich Euch morgen an die Treppe bei unsrer lieben Frau, von wo die Fahrzeuge stromab nach Dundee gehen, und übergebe Euch Jemand am Bord, der für Eure Sicherheit sorgte, damit Ihr gute Bewirthung und freundliche Behandlung fändet.« »Guter – trefflicher – großmüthiger Mann!« sagte die Sängerin. »Thut das, und wenn die Gebete und Segenswünsche einer armen Unglücklichen je den Himmel erreichen, so werden sie für Euch emporsteigen. Wir werden uns an jener Hinterpforte treffen, um die Zeit, wo die Boote abgehen.« »Das ist um sechs Uhr Morgens, so wie der Tag anbricht.« »Also geht nur zu Eurer Valentine; – und wenn sie Euch liebt, o, so hintergeht sie nicht.« »Ach, armes Mädchen! ich fürchte, Täuschung hat dich in diesen Zustand gebracht. Aber ich darf Euch nicht so unversorgt verlassen. Ich muß wissen, wo Ihr die Nacht zubringen werdet.« »Sorgt nicht darum,« erwiderte Louise. – »Der Himmel ist hell. – Es gibt Büsche und Gesträuche genug am Flusse; Charlot und ich können wohl für eine Nacht ein Blätterlager als Schlafgemach nehmen; und morgen werd' ich, mit Eurer versprochenen Hilfe, aus dem Bereich der Kränkung und Beleidigung kommen. O, die Nacht vergeht bald, wenn man Hoffnung auf den Morgen hat! – Zögert Ihr noch, während Eure Valentine auf Euch wartet? Ei, ich werde Euch nur für einen lauen Liebhaber halten, und Ihr wißt, was der Tadel eines Minstrels gilt.« »Ich kann Euch nicht verlassen, Mädchen,« antwortete der Waffenschmied. »Es wäre geradezu Mord, ließ' ich Euch die Nacht unter der Strenge eines schottischen Februarwindes zubringen. Nein, nein, – mein Wort wär' auf diese Weise schlecht gehalten; und lief' ich Gefahr, Tadel zu ärnten, so wär's gerechte Strafe, daß ich übel von Euch dachte und Euch durch ein Betragen kränkte, das Ihr gewißlich nicht verdient. Kommt mit mir, Mädchen – Ihr sollt für die Nacht sicher wohnen, was auch daraus werde. Es wär' ein schlechtes Kompliment für meine Katharina, ließ ich ein armes Geschöpf umkommen, um mich eine Stunde früher ihrer Gesellschaft zu freuen.« So sprechend, und indem er sich gegen jede Ahnung der üblen Folgen stählte, die eine solche Maßregel haben könnte, entschloß sich her mannhafte Schmied, der Verläumdung Trotz zu bieten und der Fremden in seinem eigenen Hause eine Zuflucht für die Nacht zu geben. Es muß noch bemerkt werden, daß er dies mit großem Widerstreben und nur in einer Art von Begeisterung des Wohlwollens that. Bevor unser wackerer Sohn des Vulkan dem schönen Mädchen von Perth seine stete Verehrung weihte, stellte ihn eine gewisse natürliche Wildheit des Charakters unter den Einfluß der Venus so gut wie unter den des Mars; und es war nur die Folge redlicher Neigung, die ihn gänzlich von solchen ungebundenen Freuden abgelenkt hatte. Er war daher mit Recht eifersüchtig auf seinen neuerworbenen Ruf der Beständigkeit, den sein Betragen gegen die arme Fremde dem Verdachte aussetzen konnte – auch fürchtete er sich vielleicht selbst ein wenig vor Versuchung – und besonders verzweifelte er darüber, daß er so viel vom St. Valentinstage verlor, den der Brauch nicht nur erlaubte, sondern selbst verpflichtete bei der Genossin des Jahres zuzubringen. Die Reise nach Kinfauns, und die mancherlei folgenden Vorgänge hatten den Tag weggenommen und es war nun fast Vesperzeit. Als könnte er durch eiligen Schritt die Zeit einbringen, die er für einen Gegenstand verwenden mußte, der jenem, welcher ihm am Herzen lag, so fremd war, ging er durch den Dominikanergarten, betrat die Stadt, und, indem er den Mantel dicht um den untern Theil seines Gesichtes schlug und zur Verhüllung des obern die Mütze herunterzog, lief er mit der nämlichen Eile weiter durch die Straßen und Gäßchen, indem er sein Haus auf dem Wynd zu erreichen hoffte, ohne bemerkt zu werden. Als er aber seinen Weg so rasch zehn Minuten lang verfolgt hatte, begann er zu glauben, sein Schritt möchte für das junge Weib zu scharf sein. Er sah sich daher mit einer Art von Ungeduld um. die sich aber bald in Reue verwandelte, als er sie fast ganz erschöpft vor übermäßiger Anstrengung sah. »Ei, wahrlich, wär' ich doch werth als wilde Bestie aufgehängt zu werden,« sagte Harry zu sich selbst. »Und hätt' ich noch größere Eile, könnte das dem armen Geschöpf Flügel geben? Und sie hat noch dazu Gepäck zu tragen! Ich bin ein ungeleckter Bär, das ist gewiß, sobald sich's um Weiber handelt; und immer werd' ich Unrecht thun, wenn ich den besten Willen habe, gut zu sein. – Hört, Mädchen, laßt mich das Zeug für Euch tragen. Wir kommen dann schneller vorwärts.« Die arme Louise würde widersprochen haben, aber ihr Athem war zu erschöpft, als daß sie hätte sprechen können; sie gestattete daher ihrem gutmüthigen Beschützer, den kleinen Korb zu nehmen; als dies der Hund sah, lief er vor Harry hin, richtete sich auf, schüttelte die Vorderpfoten und winselte leise, als wollte er auch getragen sein. »Ei nun, so muß ich dich wohl auch schleppen,« sagte der Schmied, welcher sah, wie ermüdet das Thier war. »Pfui, Charlot!« sagte Louise; »du weißt, daß ich selber dich tragen werde.« Sie bemühte sich, den kleinen Hund zu fangen, aber er entkam ihr, und indem er an die andere Seite des Schmieds ging, erneuerte er seine Bitten um Aufnahme. »Charlot hat Recht,« sagte der Schmied; »er weiß am besten, wer ihn tragen kann. Dies thut mir kund, mein artig Kind, daß Ihr nicht immer der Träger Eurer Sachen selber wart. Charlot weiß was zu erzählen.« Eine solche Todesblässe überzog der armen Sängerin Gesicht, während Harry sprach, daß er genöthigt war, sie zu unterstützen, damit sie nicht zu Boden fiel. Sie erholte sich indeß nach wenig Augenblicken wieder, und mit matter Stimme bat sie ihren Führer, weiter zu gehen. »Nun, nun,« sagte Harry, als sie ihren Weg fortsetzten, »haltet Euch an meinem Mantel oder an meinem Arm, wenn Euch das besser forthilft. Wir geben einen schönen Anblick; und hätt' ich noch eine Fiedel oder Guitarre auf dem Rücken, wir glichen dem lustigsten Paar Landstreicher, das je vor einem Schloßthor anklopfte. – Bei allen Nägeln,« so dachte er bei sich selbst, »wenn mir ein Nachbar mit diesem Pack Lumpen auf dem Rücken begegnete, einen Hund unterm Arm, und solch ein Mädchen am Mantel hängend, er dächte nicht anders, als ich sei Komödiant geworden. Nicht um den besten Harnisch, woran ich je den Hammer legte, möcht' ich, daß mir einer unserer zungenfertigen Nachbarn in diesem Aufzug begegnete; das wär' ein Spaß, der von St. Valentin bis Lichtmeß währte.« Beunruhigt durch diese Gedanken, schlug der Schmied, obwohl auf Gefahr einen weit längern Weg, als er wünschte, durchlaufen zu müssen, den entlegensten Pfad ein, den er finden konnte, um die Hauptstraßen zu vermeiden, die noch immer von Menschen angefüllt waren wegen des letzten Tumultes. Aber zum Unglück half ihm seine Vorsicht nichts. Denn als er aus einer Gasse herausging, begegnete er einem in einen Mantel gehüllten Manne, der auch nicht erkannt sein zu wollen schien, obwohl die hagere, dünne Gestalt, die Spindelbeine, die sich unter dem Mantel zeigten, und die kleinen trüben Augen, die oben über dieses Kleid hervorblinzelten, den Apotheker so deutlich ankündigten, als hätte er seinen Namen auf der Mütze getragen. Diese unerwartete und unangenehme Begegnung setzte den Schmied in Verwirrung. Die Flucht schickte sich nicht für seinen kühnen, entschlossenen Charakter. Er wußte, daß dieser Mann so verleumderisch als neugierig, und besonders, daß er ihm sehr abgeneigt war. Es blieb also nur ein Mittel, aus der Verlegenheit zu kommen, und Harry hoffte, der Apotheker werde ihm eine Gelegenheit geben, ihm den Hals umzudrehen, damit er seiner Verschwiegenheit sicher wäre. Aber weit entfernt, Etwas zu thun oder zu sagen, was so zum Aeußersten führen konnte, schien der Apotheker, als er seinem starken Nachbar sich so nahe gegenüber sah, daß Erkennung unvermeidlich blieb, diese so kurz als möglich zu machen. Ohne daß er des Schmieds Begleiterin große Aufmerksamkeit zu schenken schien, ließ er im Vorbeigehen die Worte fallen, während er nach dem ersten Moment der Begegnung keinen Blick weiter schenkte: – »Einen recht lustigen Feiertag für Euch, Schmied! Wie, du führst dein Mühmchen, die hübsche Mistreß Joan Letham, mit ihrem Bündel vom Wasser herauf – gewiß erst von Dundee, nicht wahr? Ich hörte, daß man sie bei dem alten Schuster erwartete.« Während er so sprach, sah er weder rechts noch links, dankte noch für ein »Gott grüß' Euch!« das ihm der Schmied mehr zugemurmelt als gerufen, und verschwand auf seinem Wege, wie ein Schatten. »Hole mich der Satan, wenn ich diese Pille verschlucken kann,« sagte Harry Schmied, »wie schön sie auch immer vergoldet sein mag. Der Schuft hat ein scharfes Auge, wenn es Weiber betrifft, und kann eine wilde Ente von einer zahmen unterscheiden, so gut als irgend einer in Perth. – Er wäre der letzte in der guten Stadt, um saure Pflaumen für Birken zu nehmen, oder meine dicke Muhme Joan für dies phantastische Stück Eitelkeit. Mir ist, als hätt' ich ihn sagen hören: Ich will nicht sehen, was Ihr mir verbergen wollt – und er thut recht daran, da er sich leicht einen gebrochenen Schädel kaufen könnte, wenn er sich in meine Angelegenheit mischte – und daher wird er seinetwegen stumm sein. Aber wer kommt nun wieder? – Bei St. Dunstan! der schwatzhafte, prahlerische, feige Schuft, Oliver Proudfute!« Es war in der That der kühne Strumpfwirker, dem sie zunächst begegneten, und der, die Mütze auf einer Seite und die Weise des Liedchens, »Du bleibst zu lang' beim Krug, Tom, Tom,« summend, deutlich anzeigte, daß er sein Mahl nicht trocken gehalten hatte. »He, mein wackerer Schmied!« sagte er, »fang' ich dich auf die Weise? – Wie kann sich ächter Stahl biegen? – Kenn Vulkan, wie der Minnesänger spricht, Venus mit ihrer eigenen Münze zahlen? – Wahrlich, du wirst das Jahr ein hübscher Valentin sein, da du den Festtag so lustig anfängst.« »Hört, Oliver,« sagte der mißvergnügte Schmied, »schließt Eure Augen und geht Eures Wegs, Alter. Und merkt wohl, rührt Eure Zunge nicht um das, was Euch nichts angeht, wenn Euch eine ganze Reihe Zähne in Eurem Kopfe lieb sind.« »Ich aus der Schule schwatzen? – Ich plaudern, und noch dazu gegen meinen Kampfgefährten? – Ich veracht' es – ich würd' es nicht einmal meinem hölzernen Sultan sagen. – Ei, ich kann auf einem Winkel ein so lustiger Bruder sein, als du, Freund, – und da ich gerade daran denke, ich will mit gehen, wir wollen eins mit einander trinken und deine Delila soll uns dazu ein Lied singen. Ha! ist's Euch nicht recht so?« »Trefflich,« sagte Harry, der sich die ganze Zeit über sehnte, seinen Kampfgefährten niederzuschlagen, aber klüglich einen friedlichern Weg wählte, um seine lästige Gegenwart loszuwerden. – »Ja vortrefflich! – Ich kann deinen Beistand brauchen – denn hier sind fünf oder sechs vom Douglas vor uns – sie werden gewiß versuchen, einem armen Bürger wie mir die Dirne abzunehmen, daher freut mich's, den Beistand eines so tapfern Mannes wie du zu haben.« »Dank' Euch – dank' Euch,« antwortete der Strumpfwirker; »aber wär's nicht besser, ich liefe, ließe die Gemeindeglocke läuten und holte mein großes Schwert?« »Ja, ja – geht heim so schnell Ihr könnt, und sagt nichts von dem, was Ihr gesehen habt.« »Wer, ich? – nein, fürchtet mich nicht. Pah! ich hasse das Plaudern.« »Also fort mit Euch, – ich höre Waffen klirren.« Dies belebte und bewegte die Fersen des Strumpfwirkers, welcher, der vermeinten Gefahr den Rücken kehrend, einen Schritt annahm, daß der Schmied nicht zweifeln konnte, er werde bald zu Hause sein. »Wieder eine schwatzhafte Elster,« dachte der Waffenschmied; »aber auch ihn hab' ich im Garne. Die Minstrels haben eine Fabel von einem Vogel, der sich mit eines andern Federn schmückte, – nun, Oliver ist derselbe Vogel, und, bei St. Dunstan! wenn sich seine Schwätzerzunge auf meine Kosten erlustigt, so will ich ihn rupfen, wie nur je ein Falke das Rebhuhn. Und das weiß er.« Während sich ihm solche Gedanken aufdrängten, hatte er fast das Ziel seiner Wanderung erreicht; und während die Sängerin noch an seinem Mantel hing, erschöpft, theils aus Furcht, theils vor Müdigkeit, langte er endlich auf der Mitte des Wynd an, den seine eigene Wohnung zierte, und von dem er, der Unsicherheit zufolge, die damals in Anwendung von Familiennamen herrschte, seinen eigenen Zunamen ableitete. Hier brannte an Werkeltagen ein Ofen, und vier halbnackte Bursche betäubten die Nachbarschaft durch den Lärm des Hammers und Amboßes. Aber am St. Valentinstag war kein Handwerker bei der Arbeit, und jetzt waren diese Leute auswärts auf ihren eigenen Wegen der Andacht oder des Vergnügens. Das Haus neben der Schmiede gehörte Harry eigenthümlich, und obwohl es klein war und in einer engen Straße lag, war doch ein großer Garten mit Obstbäumen dahinter, und es bot im Ganzen eine angenehme Wohnung. Der Schmied, statt zu klopfen oder zu rufen, was die Nachbarn an Thür und Fenster gezogen haben würde, zog einen Hauptschlüssel von seiner eigenen Arbeit hervor, damals eine große und beneidete Merkwürdigkeit, und öffnete die Thür seines Hauses, worauf er die Gefährtin in die Wohnung führte. Das Gemach, welches Harry und die Sängerin aufnahm, war die Küche, die unter Leuten vom Stande des Schmiedes als Wohnzimmer diente, obwohl Einige, wie Simon Glover, auch ein Speisezimmer hatten, getrennt von dem, worin ihre Speisen bereitet wurden. Im Winkel dieses Gemachs, welches außerordentlich sauber gehalten war, saß eine alte Frau, deren sorgfältige Kleidung und die Nettigkeit, mit welcher sie den Scharlachplaid auf dem Kopfe trug, so daß er zu beiden Seiten auf die Schultern fiel, einen höhern Rang angedeutet haben könnte, als den der Luckie Shoolbred, der Haushälterin des Schmieds. Aber dieser und kein anderer war ihr Titel; und da sie der Frühmesse nicht beigewohnt hatte, saß sie ruhig beim Feuer, während ihr halbgebeteter Rosenkranz über den Arm hing; ihr halblautes Gebet hielt oft auf den Lippen still, und ihre halbgeschlossenen Augen schlummerten, während sie den erwartete, dessen Amme sie gewesen, ohne die Stunde errathen zu können, wo er zurückkehren würde. Sie fuhr beim Geräusch seines Eintrittes empor und wandte ihr Auge auf die Gefährtin, zuerst mit einem Blick des höchsten Staunens, welches sich allmälig in den Ausdruck des höchsten Mißvergnügens verwandelte. »Nun, die Heiligen schützen mein Augenlicht, Harry Schmied!« – rief sie sehr andächtig aus. »Amen von ganzem Herzen. Schnell ein Bißchen zu essen, gute Amme, denn ich fürchte, diese Fremde wird nur leicht zu Mittag gespeist haben.« »Und ich bitte nochmals, daß unsere Frau mein Augenlicht schütze vor den schnöden Blendwerken des Satans.« »So sei es, sag' ich Euch, gute Frau. Aber wozu all dies Bitten und Beten? Hört Ihr mich nicht? oder wollt Ihr nicht thun, was ich Euch heiße?« »Er muß es doch selber sein, wie's auch zugehe! Aber o! Er sieht dem bösen Feinde ähnlicher, da ihm ein solch Gepäck am Mantel hängt. – O, Harry Schmied! Die Leute nannten Euch um geringere Dinge einen wilden Burschen; aber wer hätte je gedacht, daß Harry ein liederlich Weibsstück unter das Dach bringen könnte, das seine würdige Mutter deckte, und wo seine eigene Amme dreißig Jahre lang gewohnt hat!« »Haltet Ruhe, alte Frau, und seid vernünftig,« sagte der Schmied. »Diese Sängerin ist kein Liebchen für mich, noch für sonst Jemand, den ich kenne; aber sie geht morgen früh mit dem Boten nach Dundee, und wir müssen sie bis dahin beherbergen.« »Beherbergen!« sagte die alte Frau. »Ihr mögt solchem Vieh Quartier geben, wenn es Euch gefällt, Harry Wynd; aber dasselbe Haus soll nicht die liederliche Dirne und mich beherbergen, darauf verlaßt Euch.« »Eure Mutter ist böse auf mich,« sagte Louise, das Verhältniß der Andern mißdeutend. »Ich will nicht bleiben, um ihr Aergerniß zu geben. Wenn ein Stall vorhanden ist, so wird er ein genügendes Lager für mich und Charlot gewähren.« »Ja, ja; ich denke, an solches Quartier seid Ihr am besten gewöhnt,« sagte Frau Shoolbred. »Hört, Amme Shoolbred,« sagte der Schmied; »Ihr wißt, ich liebe Euch um Euretwillen selbst, und meiner Mutter wegen; aber bei St. Dunstan! der ein Heiliger meines eigenen Gewerbes war, ich will in meinem Hause zu befehlen haben; und wenn Ihr keinen bessern Grund, als Euren unsinnigen Verdacht, vorbringt, indem Ihr mich verlaßt, so mögt Ihr erwägen, wie Ihr Euch die Thür öffnen wollt, wenn Ihr zurückkehrt; denn ich werd' Euch nicht dabei helfen, das sag' ich Euch.« »Ei nun, mein Sohn, dies soll mich nie zwingen, den ehrlichen Namen dranzuwagen, den ich sechzig Jahre bewahrte. Es war nie Eurer Mutter Sitte, und soll nie die meine sein, Landstreicher und Bänkelsängerinnen aufzunehmen; und ich brauche nicht lange nach einer Wohnung zu suchen, wenn ich nicht will, daß mich dasselbe Dach mit einer solchen Prinzessin deckt.« Damit begann die strenge Hofmeisterin in großer Eile ihren Tartanmantel zurecht zu legen, um fortzugehen, indem sie ihn so weit vorzog, daß er ihre weiße Linnenhaube deckte, deren Saum ihr runzeliges, aber frisches und gesundes Gesicht umzog. Darauf ergriff sie einen Stab, den treuen Gefährten ihrer Gänge, und ging auf die Thür zu, als der Schmied zwischen sie und den Ausgang trat. »Wartet wenigstens, Alte, bis wir abgerechnet haben. Ich bin Euch noch Lohn schuldig.« »Und das ist wieder ein Traum Eures eigenen thörichten Kopfes. Welchen Lohn soll ich von dem Sohne Eurer Mutter nehmen, die mich nährte und kleidete, als wär' ich eine Schwester gewesen?« »Und das lohnt Ihr gut, Amme; Ihr verlaßt ihr einzig Kind, da es Euch am nöthigsten braucht.« Dies schien das hartnäckige alte Weib zur Ueberlegung zu bringen. Sie blieb stehen und sah abwechselnd ihren Herrn und die Sängerin an; dann schüttelte sie das Haupt und schien sich wieder nach der Thür bewegen zu wollen. »Ich nehme blos die arme Pilgerin unter mein Dach,« sagte der Schmied, »um sie vor Gefängniß und Geißel zu schützen.« »Und warum sollt Ihr sie schützen?« sagte die unerbittliche Frau Shoolbred. »Ich kann sagen, sie hat Beides verdient, so gut nur je ein Dieb einen Hanfkragen verdiente.« »Mag sie das, oder mag sie nicht. Aber sie kann nicht verdienen, zu Tode gegeißelt oder eingekerkert zu werden, bis sie verhungert; und dies Loos finden Alle, auf die der schwarze Douglas böse ist.« »Und den schwarzen Douglas wollt Ihr beleidigen einer Sängerin wegen? Das wird noch die schlimmste von Euren Fehden werden. – Ach, Harry Gow, es ist so viel Eisen in Eurem Kopf, als in Eurem Ambos!« »Ich habe das selber manchmal gedacht, Mistreß Shoolbred; aber bekomm' ich bei dieser neuen Gelegenheit ein Paar Hiebe, so weiß ich nicht, wer mich pflegen soll, wenn Ihr von mir lauft, wie eine aufgescheuchte wilde Gans. Ja, noch mehr, wer soll meine hübsche Braut empfangen, die ich dieser Tage auf den Wynd zu bringen denke?« »Ach, Harry, Harry!« sagte die alte Frau kopfschüttelnd; »das ist nicht die Art, um eines ehrsamen Mannes Haus für eine junge Braut zu bereiten. Ihr solltet Euch mit Sittsamkeit und Anstand betragen, und nicht liederlich und üppig.« »Ich sage Euch noch ein Mal, das arme Wesen geht mich nichts an. Ich wünsche nur, daß sie in Sicherheit sei; und ich denke, der kühnste Gränzbewohner in Perth wird den Riegel meiner Thür so gut achten, wie das Thor von Carlisle Castle. – Ich gehe jetzt hinab zu Sim' Glovers – ich kann wohl die ganze Nacht dort bleiben, denn der hochländische Bursche ist nach den Bergen gelaufen, wie ein junger Wolf, und also ist dort ein Bett frei und Vater Simon wird es mich gern benutzen lassen. Ihr werdet bei diesem armen Wesen bleiben, sie speisen und während der Nacht schützen, und ich werde sie vor Tage abrufen; und wenn du willst, kannst du selber mit ihr zum Boote gehen, und so wird dein letzter Blick zugleich mit dem meinigen sie beobachten.« »Das klingt wohl etwas vernünftig,« sagte Frau Shoolbred; »obwohl mir ein Räthsel ist, warum Ihr Euren Ruf wegen eines Wesens in Gefahr bringt, die für einen Silberpfennig und noch weniger ein Quartier finden würde.« »Habt darin Vertrauen zu mir, gute Alte, und begegnet dem Mädchen freundlich.« »Freundlicher als sie's verdient, verlaßt Euch darauf; und wirklich, obwohl ich wenig Gefallen an der Gesellschaft solchen Viehes finde, glaube ich doch, sie wird mir weniger Leid zufügen können, als Euch – sie müßte denn eine Hexe sein, was wohl der Fall sein kann, da der Teufel sehr mächtig ist bei Allen, die so ein Landstreicherleben führen.« »Sie ist nicht mehr eine Hexe, als ich ein Zauberer,« sagte der ehrliche Schmied; »ein armes trauriges Wesen, die, wenn sie Uebles gethan hat, nur zu bitter dafür gestraft wurde. Seid freundlich gegen sie; – und Ihr musikalisches Mädchen – ich will Euch morgen früh rufen und zum Strande führen. Diese alte Frau wird Euch freundlich behandeln, wenn Ihr nichts zu Ihr sagt, außer was für ehrsame Ohren paßt.« Die arme Sängerin hatte dem Gespräche zugehört, ohne mehr davon zu verstehen, als den allgemeinen Inhalt; denn obwohl sie englisch gut sprach, hatte sie doch die Sprache in England selbst gelernt, und der nördliche Dialekt war damals, wie jetzt, von einem breitern und rauhern Charakter. Sie sah indeß, daß sie bei der alten Frau bleiben sollte, und freundlich ihre Arme auf der Brust übereinander legend, beugte sie bescheiden ihr Haupt. Dann sah sie auf den Schmied mit dem Ausdrucke tiefen Dankgefühls, erhob darauf ihre Augen gen Himmel, nahm seine duldsame Hand und schien im Begriff, die kräftigen Finger zu küssen, zum Zeichen tiefer und inniger Dankbarkeit. Aber Frau Shoolbred erlaubte der Fremden nicht, auf diese Weise ihre Gefühle auszudrücken. Sie drängte sich zwischen beide und sagte, Louisen bei Seite schiebend: »Nein, nein, solche Sachen mag ich nicht leiden. Geht in die Kaminecke, Mistreß, und wenn Harry Schmied fort ist, so könnt Ihr, wenn Ihr einmal Hände küssen müßt, die meinen küssen, so lang's Euch gefällt. – Und Ihr, Harry, macht, daß Ihr zu Sim' Glovers kommt, denn wenn die artige Mistreß Katharina von der Gesellschaft hört, die ihr heimgeführt habt, so dürfte sie so wenig Freude daran haben, als ich. – Nun, wie steht es? – ist der Mensch von Sinnen? – wollt Ihr ohne Euren Schild ausgehen, und die ganze Stadt ist in Aufruhr?« »Ihr habt Recht, Frau,« sagte der Waffenschmied; und den Schild über seine breiten Schultern werfend, verließ er sein Haus, ohne eine weitere Frage abzuwarten. Dreizehntes Kapitel Wie in der Mitternacht der Pibroch tönt So wild und schrill! Doch gleich dem Hauch, der füllt Die Bergespfeife, füllt den Bergbewohner Der wilde Muth der Heimath. Byron. Wir müssen die tiefer gestellten Personen unsers historischen Drama's nun verlassen, um den Vorfällen zu folgen, welche unter denen von höherem Range und größerer Bedeutung vorgingen. Wir gehen von der Hütte eines Waffenschmieds in den Staatsrath eines Monarchen, und fassen unsere Geschichte in dem Augenblicke auf, wo, nachdem der Tumult unten beruhigt war, die zornigen Führer vor den König gerufen wurden. Sie traten ein, mißvergnügt und mit finstern Mienen, Jeder viel zu ausschließlich mit den vermeintlich erlittenen Kränkungen erfüllt, um fähig zu sein, auf vernünftige Gründe hören zu können. Nur Albany, ruhig und schlau, schien so weit gefaßt, um ihr Mißbehagen für seine eigenen Pläne zu nützen, und jeden Zufall so zu wenden, daß er seinen indirekten Absichten förderlich sein müßte. Des Königs Unentschlossenheit, die selbst an Furchtsamkeit grenzte, hinderte ihn nicht, äußerlich das für seine Stellung geziemende Benehmen zu zeigen. Blos wenn er hart bedrängt ward, wie bei dem letzten Auftritt, verlor er seine scheinbare Fassung. Ueberhaupt konnte er wohl von seinen Plänen abgelenkt werden, aber selten von seinem würdevollen Betragen. Er empfing Albany, Douglas, March und den Prior (die übelgewählten Glieder seines bunt zusammengesetzten Rathes) mit einer Mischung von Artigkeit und Hoheit, die jeden hochmüthigen Pair erinnerte, daß er vor seinem Monarchen stand und ihn zu gebührender Ehrerbietung nöthigte. Nachdem er ihre Grüße angenommen, bedeutete sie der König, sich zu setzen, und sie gehorchten soeben seinem Befehl, als Rothsay eintrat. Mit Anstand trat er zu dem Vater hin und, auf dessen Fußschemel kniend, erbat er sich seinen Segen. Robert versuchte mit einer Miene, unter welcher Zärtlichkeit und Kummer schlecht versteckt waren, ein vorwurfsvolles Gesicht zu zeigen, als er die Hände auf des jungen Mannes Haupt legte und mit einem Seufzer sagte: »Gott segne dich, mein leichtsinniger Sohn, und mache dich in künftigen Jahren zu einem weiseren Manne!« »Amen, mein theuerster Vater!« sagte Rothsay mit einem so gefühlvollen Tone, wie er ihn oft in seinen besseren Augenblicken hören ließ. Dann küßte er die königliche Hand mit der Ehrfurcht eines Sohnes und Unterthans, und statt einen Platz am Rathstische einzunehmen, blieb er hinter des Königs Stuhl in einer solchen Stellung, daß er, wenn er wollte, dem König in's Ohr flüstern konnte. Der König gab zunächst dem Prior von St. Dominikus ein Zeichen, seine Stelle an der Tafel einzunehmen, auf welcher Schreibmaterialien lagen, die von allen anwesenden Unterthanen, Albany ausgenommen, der Geistliche allein zu handhaben verstand. Dann eröffnete ihnen der König den Zweck der Zusammenkunft, indem er mit vieler Würde sagte: »Unser Geschäft, Mylords, betrifft jene unseligen Aufstände in den Hochlanden, die, wie wir durch unsere letzten Boten erfahren, auf dem Punkte sind, die Verwüstung und Zerstörung des Landes selbst bis auf wenige Meilen von diesem unserem Hofe zu veranlassen. Aber so nahe diese Empörung ist, so hat unser schlimmes Geschick und die Anreizung schlechter Menschen doch noch eine nähere erweckt, indem sie Streit und Zwiespalt zwischen die Bürger von Perth und die Leute, welche zum Gefolge Eurer Herrlichkeiten und anderer Ritter und Edeln gehören, geworfen haben. Ich muß mich daher zuerst an Euch selbst wenden, Mylords, um zu hören, warum unser Hof durch so ungebührliche Streitigkeiten beunruhigt wird, und durch welche Mittel sie unterdrückt werden könnten? – Bruder von Albany, sagt Ihr uns zuerst Eure Meinung über diese Sache.« »Sir, unser königlicher Herr und Bruder,« sagte der Herzog, »da ich in Gegenwart von Eurer Majestät Person war, als der Streit begann, so kenn' ich seinen Ursprung nicht.« Und was mich betrifft,« sagte der Prinz, »ich hörte kein schlimmeres Kriegsgeschrei, als einer Sängerin Ballade, und sah keine gefährlichern Geschosse fliegen, als Haselnüsse.« »Und ich,« sagte der Graf von March, »konnte nur begreifen, daß die muthigen Bürger von Perth einige Schufte hetzten, die das blutige Herz auf ihre Schulter gesetzt hatten. Sie liefen zu schnell, als daß sie wirklich die Leute des Grafen Douglas hätten sein können. Douglas verstand den Spott, erwiderte aber nur durch einen jener versengenden Blicke, durch die er seinen tödtlichen Haß anzudeuten pflegte. Er sagte indeß mit stolzer Ruhe: »Mein König muß natürlich einsehen, daß es Douglas ist, der auf jene schwere Anklage zu antworten hat; denn wann gab es Streit oder Blutvergießen in Schottland, daß nicht schnöde Zungen einen Douglas oder einen von Douglas' Leuten als Ursache davon angegeben hätten? Wir haben hier gute Zeugen. Ich spreche nicht von Mylord Albany, der nur sagte, daß er, wie ihm zukommt, bei Eurer Majestät war. Und ich sage nichts von Mylord von Rothsay, der, wie seinem Range, seinem Alter und Verstande zukommt, mit einer fahrenden Musikantin Nüsse knackte. – Er lächelt – hier darf er sagen, was ihm beliebt – Ich werde eine Pflicht nicht vergessen, die er vergessen zu haben scheint. Aber hier ist Mylord von March, der meine Begleiter vor den Tölpeln von Perth fliehen sah! Ich kann diesem Grafen sagen, daß die Männer mit dem blutigen Herzen nur vorrücken und weichen, wenn ihr Führer es befiehlt oder das Wohl von Schottland es fordert.« »Und ich kann antworten –« rief der ebenso stolze Graf von March, dem das Blut in's Gesicht stieg, als der König ihn unterbrach: – »Friede! zornige Herren,« sagte der König, »und bedenkt, in wessen Gegenwart ihr seid! – Und Ihr, Mylord von Douglas, sagt uns, wenn Ihr könnt, die Ursache dieses Aufruhrs und warum Eure Gefährten, deren gute Dienste im Allgemeinen wir anerkennen müssen, so thätig bei einem Privatstreit waren?« »Ich gehorche, Mylord,« sagte Douglas, leicht mit dem Haupte, das sich selten beugte, nickend. »Ich ging von meiner Wohnung im Karthäuserkloster durch die Highstreet von Perth mit Einigen von meinem gewöhnlichen Gefolge, als ich Einige von der schlechtern Bürgerklasse sich um das Kreuz drängen sah, an welches dieser Anschlag und was sich dabei befand, angenagelt war.« Er zog aus einer Tasche im Busen seines Büffelwamses eine menschliche Hand und ein Stück Pergament. Der König war erschrocken und unruhig. »Leset,« sagte er, »guter Vater Prior und laßt den häßlichen Anblick entfernen.« Der Prior las eine Bekanntmachung folgenden Inhalts: – »In Betracht, daß das Haus eines Bürgers von Perth in letzter Nacht, dem Abend vor St. Valentin, durch eine Schaar liederlicher Nachtschwärmer vom Gefolge eines der Fremden, die jetzt in dieser guten Stadt wohnen, angegriffen ward, wobei man einem der gesetzwidrigen Ruhestörer in dem erfolgten Kampfe diese Hand abhieb: so haben Oberrichter und Magistrat verordnet, daß diese Hand zur Schmach und Schande derer, die solchen Streit veranlaßten, an dieses Kreuz genagelt werde. Und sollte einer von ritterlicher Abkunft behaupten, daß dieses unser Verfahren unrecht sei, so will ich Patrick Charteris von Kinfauns, Ritter, dies Blatt mit ritterlichen Waffen in den Schranken rechtfertigen; oder wenn Einer von geringerer Herkunft läugnen sollte, was hier gejagt ist, so soll er einen Bürger der guten Stadt Perth, seinem Stande gemäß, zur Entgegnung bereit finden. Und so schütze Gott und St. John die gute Stadt!« »Ihr werdet Euch nicht wundern, Mylord,« begann Douglas wieder, »daß, als mein Almosenier mir den Inhalt eines so unverschämten Blattes vorgelesen hatte, ich durch einen meiner Knappen eine für die Ritterschaft und den Adel Schottlands so schmachvolle Trophäe abreißen ließ. Darauf nahmen sich, wie es scheint, einige jener rohen Bürger die Freiheit, die Hintersten meines Zuges zu beschimpfen und zu höhnen; diese griffen sie zu Pferde an und würden den Streit bald beendigt haben, hätt' ich ihnen nicht bestimmt befohlen, sie sollten mir so ruhig folgen, als der schuftige Pöbel gestatten würde. Und so langten sie hier scheinbar als fliehende Leute an, während sie, hätt' ich befohlen, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben, die elende Stadt an vier Ecken angezündet und die unverschämten Bursche, gleich jungen Füchsen in einem brennenden Dickicht, erstickt haben würden.« Es herrschte Stille, nachdem Douglas gesprochen hatte, bis der Herzog von Rothsay, seinen Vater anredend, antwortete: – »Da der Graf von Douglas die Macht besitzt, die Stadt anzuzünden, wo Eure Majestät ihren Hof hält, sobald nur der Oberrichter und er wegen eines nächtlichen Tumults oder wegen der Ausdrücke eines Anschlags uneins sind, so sollten wir ihm wohl Alle recht dankbar sein, daß er nicht auch den Willen hat, also zu thun.« »Der Herzog von Rothsay,« sagte Douglas, der entschlossen schien, sich zu mäßigen, »mag Grund haben, dem Himmel in einem ernsteren Tone zu danken, als er's jetzt thut, daß der Douglas eben so treu als mächtig ist. Dies ist eine Zeit, wo sich die Unterthanen in allen Ländern gegen das Gesetz auflehnen; wir hörten von den Insurgenten der Jacquerie in Frankreich; von Jack Straw, Hob Miller und Pfarrer Ball bei den Engländern; und wir können überzeugt sein, daß Brennstoff genug da ist, um solches Feuer zu fangen, wenn es sich zu unsern Grenzen erstreckte. Wenn ich sehe, wie Bauern Edelleute fordern und Hände des Adels an ihr Stadtkreuz nageln, so will ich nicht sagen, ich fürchte Meuterei – das würde unwahr sein – aber ich sehe sie kommen und will ihr wohlbereitet entgegen treten.« »Und warum sagt Mylord Douglas,« antwortete der Graf von March, »diese Ausforderung rühre von den Bauern her? Ich sehe Sir Patricks Namen darauf, und er ist, denk' ich, nicht aus gemeinem Blute. Douglas selbst könnte, da er die Sache mit so viel Wärme behandelt, Sir Patricks Handschuh aufheben, ohne seine Ehre zu bestecken.« »Mylord von March,« erwiderte Douglas, »sollte nur von dem sprechen, was er versteht. Ich bin nicht ungerecht gegen den Nachkommen des rothen Räubers, wenn ich sage, er wiegt zu leicht gegen den Douglas. Der Erbe Thomas Randolphs dürfte bessere Ansprüche auf seine Anwort haben.« »Und, bei meiner Ehre, ich werde nicht unterlassen, um die Gnade zu bitten,« sagte der Graf von March, seinen Handschuh abziehend. »Halt, Mylord,« sagte der König. »Thut uns nicht so grobes Unrecht an. Euch hier zu tödtlicher Fehde herauszufordern; bietet vielmehr Eure bloße Hand in Freundschaft dem edlen Grafen, und umarmt Euch zum Zeichen beiderseitiger Treue für die Krone Schottlands.« »Nicht so, mein König,« antwortete March; »Eure Majestät kann mir gebieten, den Handschuh zurückzunehmen, denn dieser und die ganze Rüstung steht zu Eurem Befehl, so lang' ich meine Grafschaft von der Krone Schottland zu Lehen trage – aber wenn ich Douglas umarme, so muß es mit gepanzerter Hand geschehen. Lebt wohl, mein König. Mein Rath frommt hier nichts, ja, er wird so ungünstig aufgenommen, daß ferneres Weilen vielleicht meiner Sicherheit nicht förderlich wäre. Möge Gott Eure Hoheit vor offenen Feinden und verräterischen Freunden bewahren! – Ich gehe nach meinem Schlosse Dunbar, von wo Ihr, denk' ich, bald Nachrichten erhalten werdet. Auch Ihr lebt wohl, Mylords von Albany und Douglas; Ihr spielt ein hohes Spiel, seht zu, daß es gut abläuft. – Lebt wohl, armer, leichtsinniger Prinz, der Ihr wie ein Reh im Bereich eines Tigers scherzt! – Lebt Alle wohl – Georg von Dunbar sieht das Uebel, das er nicht heilen kann. – Adieu Euch Allen.« Der König würde gesprochen haben, aber die Laute erstarben ihm auf der Zunge, als er von Albany einen Blick erhielt, der ihn zum Schweigen ermahnte. Der Graf von March verließ das Gemach, die stummen Grüße der Glieder des Rathes empfangend, die er einzeln angeredet hatte, außer von Douglas, der sein Lebewohl mit einem Blicke verachtenden Trotzes erwiderte. »Der Elende geht, um uns den Engländern zu verrathen,« sagte er; »sein Stolz beruht auf dem Besitz der vom Meere ausgewaschenen Burg, die unsere Feinde in Lothian einführen kann. – Nein, seid nicht besorgt mein König, ich werde halten, was ich sage – indeß ist es noch Zeit. Sprecht nur das Wort, mein König – sagt nur ›Verhaftet ihn‹, und March soll auf seiner verrätherischen Reise nicht bis über den Earn kommen.« »Nein, tapferer Graf,« sagte Albany, der mehr wünschte, daß die beiden mächtigen Lords einander das Gegengewicht halten möchten, als daß Einer eine entschiedene Uebermacht erlangen sollte; »das hieße zu unbedacht verfahren. Der Graf von March kam hierher unter des Königs sicherem Geleit, und dies zu brechen dürfte sich nicht mit meines königlichen Bruders Ehre vertragen. Wenn jedoch Eure Herrlichkeit einen einzelnen Beweis geben könnte –« Hier wurden sie durch Trompetenschall unterbrochen. »Seine Hoheit von Albany ist heut ungewöhnlich bedenklich,« sagte Douglas; »aber es nützt nichts, Worte zu verschwenden – die Zeit ist vorbei – dies sind March's Trompeten, und ich glaube, sobald er das südliche Thor hinter sich hat, wird er im Fluge reiten. Wir werden bald von ihm hören; und wenn es ist, wie ich vermuthe, so werden wir ihn nur mit ganz England im Gefolge wiedersehen.« »Nein, laßt uns Besseres von dem edlen Grafen hoffen,« sagte der König, keineswegs unzufrieden, daß der Streit zwischen March und Douglas scheinbar die Spuren des Zwistes zwischen Rothsay und seinem Schwiegervater verwischt hatte; »er hat ein feuriges, aber kein böses Gemüth. – In einigen Punkten ist er – ich will nicht sagen gekränkt – aber getäuscht worden – und Etwas muß man dem Zorne des edlen Blutes, welches große Macht besitzt, nachsehen. Aber, Dank dem Himmel, Alle von uns, die zurückblieben, sind von einer Gesinnung, und ich darf sagen von einer Familie; so kann nun wenigstens unser Rath nicht durch Uneinigkeit beeinträchtigt werden. – Vater Prior, ich bitt' Euch, nehmt Euer Schreibmaterial, denn Ihr müßt, wie gewöhnlich, der Geheimschreiber unsers Rathes sein. – Und nun an's Werk, Mylords – zuerst wollen wir den hochländischen Streit in Erwägung ziehen.« »Zwischen dem Clan Chattan und dem Clan Quhele,« sagte der Prior. »Derselbe ist, wie uns die letzten Nachrichten von unsern Brüdern zu Dunkeld melden, im Begriff, in eine furchtbarere Fehde auszubrechen, als je zwischen diesen Belialskindern stattfand, die von nichts sprechen, als von gegenseitiger gänzlicher Vernichtung. Ihre Schaaren sammeln sich auf beiden Seiten, und jeder Verwandte bis zum zehnten Grade muß sich beim Brattach [Fahne] seines Stammes stellen, oder er verfällt der Strafe von Feuer und Schwert. Das feurige Kreuz hat in jeder Richtung wie ein Meteor geleuchtet, und fremde und unbekannte Stämme jenseit des fernen Murray Frith erweckt – mög' uns der Himmel und St. Dominikus schützen! Aber wenn Eure Herrlichkeiten kein Mittel gegen das Uebel finden können, so wird es sich weit und breit erstrecken und das Erbtheil der Kirche muß allenthalben der Wuth dieser Amalekiter ausgesetzt sein, bei denen so wenig Ehrfurcht vor dem Himmel ist, als Erbarmen oder Liebe für ihre Nachbarn. – Behüt' uns unsre liebe Frau! – Wir hören, einige von ihnen sind vollkommene Heiden und beten Mahound und Termagaunt an. »Mylords und Vettern,« sagte Robert, »Ihr habt gehört, wie dringend der Fall ist, und mögt wohl meine Meinung zu kennen wünschen, bevor Ihr berathet, was Eure eigene Klugheit andeuten wird. Und fürwahr, mir fällt kein besseres Mittel bei, als zwei Abgeordnete zu senden, mit Vollmacht von uns, ihre Streitigkeiten zu schlichten, und zu gleicher Zeit ihnen zu gebieten, im Namen des Gesetzes die Waffen niederzulegen und alle Gewaltstreiche gegen einander zu unterlassen.« »Ich pflichte Eurer Majestät Vorschlag bei,« sagte Rothsay; »und ich hoffe, der gute Prior wird sich nicht weigern, bei diesem Friedenswerk das ehrwürdige Amt eines Gesandten zu übernehmen. Und sein würdiger Bruder, der Abt des Karthäuserklosters, wird sich um eine Ehre streiten, die gewiß der großen Armee der Märtyrer zwei vorzügliche Rekruten zuführen wird, da die Hochländer wenig den Unterschied zwischen Geistlichen und Laien bei den Abgesandten, die Ihr ihnen schickt, beachten werden.« »Mein königlicher Herr von Rothsay,« sagte der Prior, »wenn mir die gepriesene Krone des Märtyrerthums bestimmt ist, so werd' ich ohne Zweifel den Weg geführt werden, auf dem ich sie erlangen soll. Inzwischen mag Euch, wenn Ihr im Scherz redet, der Himmel verzeihen und Euch erleuchten, um zu begreifen, daß es Euch besser anstehen würde, mit Euren Waffen die Besitzthümer der Kirche zu schützen, die in so großer Gefahr sind, als Euren Witz im Scherz gegen ihre Diener zu erproben.« »Ich scherze gar nicht,« sagte der junge Mann gähnend; »auch hab' ich keine Abneigung, die Waffen zu ergreifen, nur daß sie eine etwas beschwerliche Tracht sind, und im Februar ein Pelzmantel besser gegen das Wetter schützt, als ein Stahlharnisch. Und es ist mir so unangenehm, in diesem rauhen Wetter eine kalte Rüstung anzulegen, daß ich wollte, die Kirche sendete eine Kompagnie ihrer Heiligen (auch gibt es ja einige Hochländische, die in jener Gegend wohl bekannt und sicher an's Klima gewöhnt sind), um ihre eigenen Schlachten zu kämpfen, gleich dem lustigen St. Georg von England. Aber ich weiß nicht, wie es zugeht, wir hören von ihren Wundern, wenn man sie anredet, von ihrer Rache, wenn man das Gebiet der Kirche verletzt, Alles nur, um uns zur Freigebigkeit anzureden, und gleichwohl, wenn nur eine Schaar von zwanzig Hochländern kommt, sind Glocken, Bücher und Kerzen zu nichts nutze, und der geharnischte Baron ist genöthigt, die Kirche im Besitz der Ländereien zu erhalten, die er ihr gegeben hat, gleich als ob er noch die Früchte von ihnen ärntete.« »Sohn David,« sagte der König, »du gestattest deiner Zunge eine ungebührliche Freiheit.« »Ei, Sir, ich bin stumm,« erwiderte der Prinz. »Ich wollte Eure Hoheit gar nicht stören, auch dem Vater Prior nichts Unangenehmes sagen, der, mit so viel Wundern zu seiner Verfügung, wie es scheint, einer Handvoll hochländischer Räuber nicht entgegentreten will.« »Wir wissen,« sagte der Prior mit unterdrücktem Unwillen, »aus welcher Quelle diese schnöden Grundsätze geflossen find, die wir mit Entsetzen aus dem Munde hören, der sie jetzt ausspricht. Wenn Prinzen mit Ketzern verkehren, so wird ihr Gemüth wie ihre Sitten verdorben. Sie zeigen sich auf den Straßen als die Gefährten von Masken und schlechten Dirnen, und im Rathe als Spötter gegen die Kirche und heilige Gegenstände.« »Ruhig, guter Vater!« sagte der König. »Rothsay soll Buße thun für seine eiteln Reden. Ach! laßt uns Rath pflegen auf freundliche Art, und nicht wie ein meuterischer Haufe Schiffsvolk in einem sinkenden Fahrzeuge, wenn Jeder mehr mit seinen Nachbarn zu hadern strebt, als den Bemühungen des verlassenen Schiffsherrn, der das Schiff erhalten will, beizustehen. – Mylord von Douglas, Euer Haus hat selten gefehlt, wenn die Krone von Schottland weisen Rath oder männliche Hilfe forderte; ich hoffe, Ihr werdet uns in dieser Verlegenheit Hilfe leihen?« »Ich kann mich nur wundern, daß diese Verlegenheit vorhanden sein soll,« antwortete der stolze Douglas. »Als mir die Statthalterschaft des Königreichs anvertraut ward, kamen einige der wilden Clans von den Grampischen Bergen herab. Ich bemühte den Rath nicht wegen der Sache, sondern ließ den Sheriff, Lord Ruthven, mit der Macht der Ebene zu Pferde steigen – mit den Hay's, den Lindsay's, den Ogilvie's und andern Edelleuten. Beim heiligen Zaum! wenn die Stahlkleider dem Mantel begegneten, da wußten die Räuber, wozu Lanzen gut waren und ob Schwerter Schneiden hatten oder nicht. Dreihundert ihrer besten Köpfe blieben, außer dem ihres Häuptlings, Donald Cormac, auf dem Moor von Thorn und im Rochinroywalde; eine gleiche Anzahl ward aufgehängt am Galgen, der noch den Namen von dem Henker hat, der das Werk dort verrichtete. Auf solche Weise muß man in meiner Heimath mit Dieben umgehen; und wenn sanftere Mittel bei solchen Schurken bessern Erfolg haben, so tadelt Douglas nicht, daß er seine Meinung sagte. – Ihr lächelt, Mylord von Rothsay. Darf ich fragen, ob Ihr ein zweites Mal Euren Scherz mit mir treiben wollt, bevor ich Euch für das erste Mal geantwortet habe?« »Ei, seid nicht böse, mein guter Lord von Douglas,« erwiderte der Prinz, »ich lächelte nur bei dem Gedanken, wie Euer fürstliches Gefolge zusammenschrumpfen würde, wenn es jedem Diebe ginge, wie den armen Hochländern.« Der König mischte sich wieder ein, um eine zornige Antwort des Grafen zu verhüten. »Eure Herrlichkeit,« sagte er zu Douglas, »räth weise, daß wir den Waffen vertrauen sollen, wenn jene Leute gegen unsere Unterthanen auf die schöne glatte Ebene kommen; aber die Schwierigkeit ist, ihren Unordnungen Einhalt zu thun, so lange sie hinter ihren Bergen stecken. Ich brauche Euch nicht zu sagen, daß der Clan Chattan und Clan Quhele große Verbindungen sind, jeder aus mannigfachen Stämmen bestehend, die sich vereinigt haben, im allgemeinen Kriege zu den Waffen zu greifen; noch jüngst haben ihre Zwistigkeiten allenthalben Blut vergossen, wo sie einander einzeln oder in Masse trafen. Das ganze Land ist durch ihre rastlosen Fehden in Stücke gerissen.« »Ich kann das Schlimme davon nicht sehen,« sagte Douglas; »die Schufte werden einander vernichten, und das Wild der Hochlande wird sich mehren, wie sich die Menschen vermindern. Wir werden als Jäger die Uebung gewinnen, die wir als Krieger verlieren.« »Sagt vielmehr, die Wölfe werden sich mehren, wie sich die Menschen vermindern,« erwiderte der König. »Nun meinetwegen,« sagte Douglas; »besser wilde Wölfe, als wilde Räuber. Unterhaltet starke Truppen längs der Earischen Grenze, um das ruhige von dem unruhigen Lande zu trennen. Beschränkt das Feuer des Bürgerkriegs auf die Hochlande; laßt seine unbezähmbare Wuth sich austoben und es wird bald aus Mangel an Material ausbrennen. Die Ueberlebenden werden gedemüthigt sein und einem Flüstern Eurer Majestät mehr gehorchen, als ihre Väter oder die jetzt lebenden Schurken Euren strengsten Befehlen.« »Das ist ein weiser, aber kein frommer Rath,« sagte der Prior, sein Haupt schüttelnd; »ich kann's nicht auf mein Gewissen nehmen, ihn anzuempfehlen. Es ist Weisheit, aber es ist die Weisheit des Achitophel, schlau zugleich und grausam.« »So sagt mir mein Herz,« – sagte der König, seine Hand auf die Brust legend; – »mein Herz sagt mir, daß an jenem furchtbaren Tage die Frage an mich gerichtet werden wird: ›Robert Stuart, wo sind die Unterthanen, die ich dir gab?‹ Es sagt mir, daß ich für Alle verantwortlich bin, Sachsen und Gälen, Niederland, Hochland und Grenzland; daß man mich nicht blos um die fragen wird, die Güter und Kenntnisse besitzen, sondern auch um die, welche stahlen, weil sie arm, und sich empörten, weil sie unwissend waren.« »Eure Majestät spricht wie ein christlicher König,« sagte der Prior. »Aber Ihr führt das Schwert so gut wie das Scepter, und dies gegenwärtige Uebel ist von einer Art, daß es das Schwert heilen muß.« »Hört, Mylords,« sagte der Prinz, aufblickend, als hätte er plötzlich einen glücklichen Gedanken, – »Gesetzt, wir gäben diesen wilden Bergbewohnern einen Unterricht in der Chevalerie? Es wäre nicht schwer, die beiden großen Führer, den des Clans Chattan und den Häuptling des nicht minder edeln Geschlechts Clan Quhele, dazu zu bringen, daß sie sich gegenseitig auf Leben und Tod herausforderten. Sie könnten sich hier in Perth schlagen; wir würden ihnen Waffen und Pferde leihen; so würde ihr Streit mit dem Tode des einen oder wahrscheinlich beider Schurken (denn beide, denk' ich, würden ihre Hälse beim ersten Angriff brechen,) erlöschen. Der fromme Wunsch meines Vaters, Blut zu schonen, wäre erfüllt und wir hätten das Vergnügen, dem Zweikampfe zweier wilden Ritter zuzusehen, die zum ersten Mal in ihrem Leben Hosen trügen und auf Rossen säßen, was seit König Arthurs Zeit nicht erhört ist.« »Schämt Euch, David!« sagte der König. »Macht Ihr das Unglück Eurer Heimath und die Verlegenheit unsrer Räthe zum Gegenstande von Späßen?« »Wenn Ihr verzeihen wollt, königlicher Bruder,« sagte Albany, »ich denke, obwohl mein Neffe diesen Gedanken in scherzhafter Weise ausgesprochen hat, so kann man doch daraus Etwas entnehmen, was bei dieser schlimmen Angelegenheit viel helfen würde.« »Guter Bruder,« erwiderte der König, »es ist unfreundlich, Rothsay's Thorheit durch weitere Verfolgung seines unzeitigen Scherzes deutlicher darzustellen. Wir wissen, daß die Hochlandclans nicht unsere ritterlichen Bräuche haben, auch nicht die Kleidung oder Weise zu solchem Kampfe.« »Wahr, Eure Majestät,« antwortete Albany; »aber ich rede nicht Spott, sondern vollen Ernst. Allerdings haben die Hochländer nicht unsere Form und Weise in den Schranken zu kämpfen, aber sie haben die, welche eben so wirksam zur Zerstörung menschlichen Lebens ist; und wird so das tödtliche Spiel gespielt und der Preis gewonnen und verloren, was liegt dann daran, ob diese Gälen mit Schwert und Lanze fechten, wie es Rittern ziemt, oder mit Sandsäcken, wie die englischen Bauern, oder ob sie sich mit Messern und Dolchen nach ihrer rohen Art die Gurgel abschneiden? Ihr Gebrauch, wie der unsere, vertraut jeden Streit und Rechtsfall der Entscheidung eines Kampfes. Sie sind so eitel als kühn, und der Gedanke, sich vor den Augen Eurer Majestät und des Hofes schlagen zu dürfen, wird sie gleich bestimmen, ihre Streitigkeit auf das Loos eines Kampfes auszusetzen, selbst wenn man ihnen, ihrer Sitte entgegen, die Gesetze auflegt oder die Zahl der Kämpfer bestimmt. Wir werden Sorge tragen, sie dem Hofe nicht anders als unbewaffnet und in zu kleiner Anzahl sich nähern zu lassen, als daß sie wagen könnten, uns zu beunruhigen. Und wenn wir auf unserer Hut sind, so wird, je größer die Anzahl der Kämpfer ist, um so bedeutender das Blutbad unter ihren tapfersten und wildesten Leuten wenden, und um so größer die Aussicht auf lange Ruhe der Hochlande.« »Dies wär' eine blutige Politik, Bruder,« sagte der König; »und nochmals sag' ich, daß sich mein Gewissen nicht mit dem Blutbade jener rohen Leute befreunden kann, die wenig besser sind, als finstere Heiden.« »Und ist ihr Leben kostbarer,« fragte Albany, »als das der Edeln und Ritter, die mit Eurer Majestät Zustimmung so häufig in den Schranken fechten dürfen, sei es, um Rechtsstreitigkeiten beizulegen, oder nur um Ruhm zu erwerben?« Der so hart bedrängte König hatte wenig gegen eine Sitte zu sagen, so sehr geduldet nach den Gesetzen des Reichs und der Gewohnheit der Ritterschaft; und er erwiderte nur: Gott weiß, ich habe eine solche Erlaubniß, wie Ihr mir vorhaltet, immer nur mit größtem Widerstreben ertheilt; und nie sah ich Edelleute im Streite Blut vergießen, ohne daß ich wünschte, es mit meinem eignen zu sühnen.« »Aber, mein gnädiger Herr,« sagte der Prior, »es scheint, wenn wir ein Verfahren, wie das des Lord Albany, nicht gutheißen, so müssen wir zu dem des Douglas unsere Zuflucht nehmen; wir müssen dann, auf Gefahr einer zweifelhaften Schlacht und mit der Gewißheit, viele treffliche Unterthanen zu verlieren, das mittelst der Niederlandsschwerter thun, was jene wilden Bergbewohner sonst mit ihrer eigenen Hand vollbringen. – Was sagt Mylord Douglas zu der Politik des Herzogs von Albany?« »Douglas,« sagte der hochmüthige Lord, »rieth nie, daß Etwas durch Politik geschehe, was man mit offener Gewalt erlangen kann. Er bleibt bei seiner Meinung, und ist bereit, an der Spitze seiner eigenen Leute, nebst denen der Barone von Perthshire und von der Ebene in's Feld zu ziehen, um entweder diese Hochländer zur Vernunft oder Unterwerfung zu bringen, oder den Körper eines Douglas in ihren wilden Einöden zurückzulassen.« »Es ist ritterlich gesprochen, Mylord von Douglas,« sagte Albany; »und wohl möchte sich der König auf Euer unerschrockenes Herz verlassen und auf den Muth Eurer entschlossenen Gefährten. Aber seht Ihr nicht, wie bald Ihr anderswohin gerufen werden könnt, wo Eure Dienste Eurem Könige und Schottland nützlicher sein werden? Habt Ihr nicht das finstere Gesicht gesehen, mit dem der ungestüme Graf March unsern Fürsten seiner Treue versicherte, so lange er Vasall der Krone Schottlands sei? und habt Ihr nicht selber gefürchtet, er möge beabsichtigen, sich England zu ergeben? Andere, minder mächtige und berühmte Herren können sich mit den Hochländern messen; aber wenn March die Percy's und ihre Engländer in's Reich führt, wer soll sie verjagen, wenn Douglas anderswo ist?« »Mein Schwert,« antwortete Douglas, »ist stets zum Dienst Seiner Majestät, sei es an der Grenze oder in den tiefsten Schluchten der Hochlande. Ich habe die Rücken der stolzen Percy und Georgs von Dunbar schon gesehen und kann sie wohl wiedersehen. Und wenn es dem König gefällt, daß ich Maßregeln ergreife gegen den wahrscheinlichen Bund eines Fremden und eines Verräthers, so gesteh' ich, daß, eh' ich einer geringern oder schwächern Hand das wichtige Werk der Beruhigung der Hochlande anvertraue, ich mich lieber zu Gunsten der Politik des Herzogs von Albany ausspreche und zugebe, daß diese Wilden sich einander vernichten, ohne die Barone und Ritter mit der Mühe zu beladen, sie zu jagen.« »Mylord von Douglas,« sagte der Prinz, der entschlossen schien, keine Gelegenheit vorbeizulassen, wo er seinen hochmüthigen Schwiegervater necken konnte, »will uns anderen armen Bewohnern der Ebene nicht einmal den Ruhm lassen, den wir auf Kosten der hochländischen Räuber erlangen könnten, während er schon in Gedanken eine Aernte von Siegen auf Kosten der Engländer sammelt; aber Percy hat den Rücken gewisser Leute so gut gesehen, als Douglas, und ich hörte sagen, daß oft die, welche nach Wolle ausgingen, selber geschoren zurückkämen.« »Ein Sprichwort,« sagte Douglas, »welches wohl für einen Prinzen paßt, der mit dem Beutel einer wandernden Dirne an der Mütze, den er als Gunstzeichen erhalten, von Ehre spricht.« »Entschuldigt, Mylord,« sagte Rothsay; «Leute, die unpassend heiratheten, werden gleichgiltig in der Wahl derjenigen, die sie par amours lieben. Der Hund an der Kette muß nach dem nächsten Knochen greifen.« »Rothsay, mein unglücklicher Sohn!« rief der König. »Bist du rasend? oder willst du das volle Ungewitter des Mißfallens eines Königs und Vaters auf dich lenken?« »Ich bin stumm,« erwiderte der Prinz, »auf Eurer Majestät Befehl.« »Nun wohl, Mylord von Albany,« sagte der König, »da Euer Rath so ist, und da schottisches Blut fließen muß, wie, ich bitt' Euch, sollen wir jene wilden Leute dahin bringen, daß sie ihren Zwist, wie Ihr vorschlagt, schlichten?« »Das, mein König,« sagte Albany, »muß das Ergebniß reiferer Erwägung sein. Aber das Werk wird nicht schwierig sein. Gold wird nöthig sein, um einige der Barden, der vorzüglichen Räthe und Wortführer zu bestechen. Den Häuptlingen beider Bündnisse aber muß man andeuten, daß, wofern sie nicht auf diese freundliche Anordnung eingehen –« »Freundliche, Bruder?« sagte der König mit Nachdruck. »Ja, freundliche, mein König,« erwiderte sein Bruder, »da es besser wäre, das Land erlangte Frieden auf Kosten etlicher zwanzig Hochländer, als daß der Krieg fortdauerte, bis eben so viele Tausend Menschen durch Schwert, Feuer, Hunger und alle Uebel des Bürgerkrieges umgekommen sind. Um auf unsern Plan zurückzukommen, so denk' ich, die erste Partei, welcher der Vorschlag gemacht wird, nimmt ihn mit Freuden an, und die andere schämt sich dann der Weigerung, ihre Sache der Tapferkeit der muthigsten Krieger anzuvertrauen. Haß und Eitelkeit werden sie hindern, unsere Beweggründe zu errathen, und sie werden hitziger sein, sich in Stücke zu hauen, als wir, sie aufzumuntern. Bis ich jedoch meinen Zweck so weit erreicht habe, daß mein Rath von Nutzen sein kann, will ich mich zurückziehen.« »Wartet noch einen Augenblick,« sagte der Prior, »denn ich habe Euch etwas Schlimmes mitzutheilen, von so düsterer und schrecklicher Art, daß Euer Gnaden frommes Herz seine Möglichkeit kaum begreifen wird; und ich entdecke es mit Schmerz, weil es so gewiß, als ich ein unwürdiger Diener des heiligen Dominikus bin, die Ursache von dem Zorn des Himmels gegen das unglückliche Land ist, einem Zorne, durch den unsere Siege in Niederlagen, unsere Freude in Trauer verwandelt, unser Rath durch Uneinigkeit gestört und unser Land vom Bürgerkrieg verzehrt wird.« »Sprecht, ehrwürdiger Prior,« sagte der König; »sicherlich, wenn die Ursache solcher Uebel in mir oder in meinem Hause liegt, so will ich sogleich Sorge tragen, daß sie entfernt werde.« Er sprach diese Worte mit schwankender Stimme und erwartete ängstlich des Priors Antwort, ohne Zweifel aus Furcht, daß er Rothsay einer neuen Thorheit oder eines neuen Fehlers beschuldigen werde. Seine Besorgnisse täuschten ihn vielleicht, wenn er glaubte, er sähe des Geistlichen Blick einen Augenblick auf dem Prinzen ruhen, bevor er mit feierlicher Stimme sagte: – »Ketzerei, mein edler und gnädiger König, Ketzerei ist unter uns. Sie reißt Seele um Seele von der Heerde, wie Wölfe aus den Hürden Lämmer stehlen.« »Es sind genug Hirten, um die Heerde zu bewachen,« antwortete der Herzog von Rothsay. »Hier sind allein vier Klöster von Ordensgeistlichen bei der armen Heerde von Perth, ungerechnet die Weltgeistlichen. Mich dünkt, eine so wohl besetzte Stadt kann es mit einem Feinde aufnehmen.« »Ein Verräther in einer Besatzung, Mylord,« antwortete der Prior, »kann viel thun, die Sicherheit einer Stadt zu vernichten, die von Legionen bewacht ist; und wenn der eine Verräther entweder aus Leichtsinn, oder Liebe zum Neuen, oder sonst einem Grunde von denen geschützt und gehegt wird, die ihn am eifrigsten aus der Festung jagen sollten, so wird seine Gelegenheit, Unheil zu stiften, unberechenbar vermehrt.« »Eure Worte scheinen auf einen hier Anwesenden zu zielen, Vater Prior,« sagte Douglas; »wenn auf mich, so thun sie mir schnödes Unrecht. Ich weiß wohl, daß der Abt von Aberbrothock einige übelgemeinte Beschwerden geführt hat, weil ich sein Vieh nicht zu zahlreich für seine Heerden werden ließ, und nicht duldete, daß die Getreidehaufen die Klosterscheuern zerdrückten, während unsere Leute an Fleisch und ihre Pferde an Hafer Mangel hatten. Aber mich dünkt, diese fruchtbaren Weiden und Felder seien von meinen Vorfahren dem Kloster Aberbrothock nicht in der Absicht geschenkt worden, daß ihre Nachkommen mitten in diesem Ueberfluß Hungers sterben sollten. Das soll nicht geschehen, bei der heiligen Jungfrau! Aber was Ketzerei und falsche Lehre betrifft,« fügte er, mit der breiten Hand heftig auf die Tafel schlagend, hinzu, »wo ist der, welcher Douglas anzuklagen wagt? Es mißfällt mir, wenn man arme Leute wegen leichtsinniger Gedanken verbrennt; aber mein Arm und Schwert werden immer bereit sein, den christlichen Glauben zu schützen.« »Mylord, ich zweifle nicht,« sagte der Prior; »das ist stets bei Eurem edlen Hause der Fall gewesen. Was des Abts Beschwerden betrifft, so verschieben wir die auf einen andern Tag. Was wir aber jetzt wünschen, ist, daß einem der ersten Großen des Staates eine Vollmacht gegeben werde, sich mit den Gliedern der heiligen Kirche zu dem Zwecke zu vereinigen, mit Gewalt, wenn es nöthig wäre, die Untersuchungen zu unterstützen, welche der ehrwürdige Offizial der Grenzen und andere Prälaten, unter denen auch ich Unwürdiger sein werde, über die neuen Lehren anzustellen beabsichtigen, welche die Reinheit des Glaubens verderben und die Einfältigen irre leiten, dem heiligen Vater und seinen ehrwürdigen Vorgängern zum Trotze.« »Laßt den Grafen von Douglas königliche Vollmacht hierzu erhalten,« sagte Albany; »und laßt keine Ausnahme von seiner Gerichtsbarkeit stattfinden, außer was die königliche Person betrifft. Was mich selbst anlangt, obwohl ich gewiß bin, nie, weder in That, noch Gedanken, eine Lehre, welche die heilige Kirche nicht billigt, angenommen oder begünstigt zu haben, würde ich doch erröthen, eine Freiheit aus dem königlichen Blute von Schottland herzuleiten und in Anspruch zu nehmen, aus Furcht, den Schein auf mich zu werfen, als suchte ich Zuflucht wegen eines so schrecklichen Verbrechens.« »Ich will damit nichts zu thun haben,« sagte Douglas; »gegen die Engländer und den Verräther March zu ziehen ist Beschäftigung genug für mich. Ueberdies bin ich ein ächter Schotte und will nicht, daß die schottische Kirche sich noch mehr unter Roms Joch beuge, und die Krone eines Barons sich vor der Bischofsmütze und Kapuze demüthige. Also, edler Herzog von Albany, setzt nur Euren Namen in die Vollmacht, und ich bitte Euer Gnaden, den Eifer der mit Euch verbundenen Glieder der heiligen Kirche zu mäßigen, daß man die Grenze nicht überschreitet; denn der Geruch eines Scheiterhaufens am Tay würde Douglas zurückführen von den Mauern von York.« Der Herzog beeilte sich, den Grafen zu versichern, daß die Vollmacht mit Milde und Mäßigung vollzogen werden sollte. »Ohne Frage,« sagte König Robert, »muß die Vollmacht umfassend sein; und vertrüge es sich mit der Würde der Krone, so wollten wir selbst uns ihrer Gerichtsbarkeit nicht entziehen. Wir hoffen jedoch, daß, während die Blitze der Kirche gegen die schnöden Urheber dieser abscheulichen Ketzereien gerichtet werden, Maßregeln der Milde und des Mitleidens hinsichtlich der unglücklichen Opfer ihrer Vorspiegelungen getroffen werden.« »So hält es die heilige Kirche stets, Mylord,« sagte der Prior der Dominikaner. »Nun, dann fertige man die Vollmacht mit gehöriger Sorgfalt aus im Namen unseres Bruders Albany und Anderer, die dazu passend sein werden,« sagte der König. – »Und nun laßt uns unsern Rath aufheben; Rothsay, komm' du mit mir und leih' mir deinen Arm, – ich habe mit dir allein zu sprechen.« »Holla!« – rief hier der Prinz in dem Tone, in welchem er ein dressirtes Pferd angeredet haben würde. »Was bedeutet diese Rohheit, junger Mensch?« sagte der König. »Wirst du nie Vernunft und Anstand lernen?« »Glaubt nicht, daß ich Anstoß geben wollte, mein König,« sagte der Prinz; »aber wir gehen auseinander, ohne zu erfahren, was hinsichtlich des seltsamen Abenteuers mit der todten Hand geschehen soll, welche der Douglas so artig aufgehoben hat. Wir werden hier in Perth unbehaglich sitzen, wenn wir in Zwist mit den Bürgern leben.« »Ueberlaßt das mir,« sagte Albany. »Mit einigen Geschenken an Land und Geld und viel schönen Worten mögen sich die Bürger für diesmal begnügen; aber es wäre gut, den Baronen und ihren Leuten, welche am Hofe sein müssen, zu empfehlen, daß sie den Frieden in der Stadt achteten.« »Gewiß, so wollen wir's haben,« sagte der König; »man ertheile sogleich deshalb strenge Befehle.« »Das heißt den Burschen zu viel Gnade erweisen,« sagte Douglas; »aber es ist Eurer Majestät Wille. Ich erlaube mir, mich zurückzuziehen.« »Doch nicht, bevor Ihr eine Flasche Gascognerwein gekostet habt, Mylord?« sagte der König. »Verzeiht,« erwiderte der Graf; »ich bin nicht durstig und ich trinke nicht aus Mode, sondern entweder aus Bedürfniß oder Freundschaft.« So sprechend, ging er fort. Der König, als ob erleichtert durch seine Entfernung, wandte sich an Albany und sagte: »Und nun, Mylord, sollten wir unsern jungen Rothsay hier ausschelten; er hat uns aber so gut im Rathe gedient, daß wir seine Verdienste als Sühne seiner Thorheiten nehmen können.« »Mich freut, das zu hören,« antwortete Albany mit einer Miene voll Mitleid und Ungläubigkeit, als wüßte er nichts von den vermeinten Diensten. »Ei, Bruder, Ihr seid befangen,« sagte der König; »denn ich will nicht glauben, daß Ihr eifersüchtig seid. Bemerktet Ihr nicht, daß Rothsay der Erste war, der die Art, wie die Hochlande zu beruhigen, angab; was Eure Erfahrung allerdings in eine bessere Form brachte und was allgemein gebilligt ward? – und selbst jetzt hätten wir uns getrennt, einen Hauptgegenstand unerwogen lassend, hätte er uns nicht an den Streit mit den Bürgern erinnert.« »Ich zweifle nicht, mein König,« sagte der Herzog von Albany mit beipflichtendem Tone, der, wie er sah, erwartet wurde, »daß mein königlicher Neffe bald mit seines Vaters Weisheit wetteifern wird.« »Oder,« sagte der Herzog von Rothsay, »ich kann es vielmehr leichter finden, von einem andern Gliede meiner Familie den glücklichen und bequemen Mantel der Heuchelei zu leihen, der alle Laster deckt; und dann kommt es wenig darauf an, ob sie vorhanden sind oder nicht.« »Mylord Prior,« sagte der Herzog, den Dominikaner anredend, »wir bitten Ew. Ehrwürden, uns einen Augenblick allein zu lassen. Der König und ich haben dem Prinzen Etwas zu sagen, was keinen andern Zuhörer, selbst Euch nicht, zuläßt.« Der Dominikaner verbeugte sich und ging. Als die beiden königlichen Brüder und der Prinz allein waren, schien der König im höchsten Grade verlegen und betrübt; Albany düster und gedankenvoll; Rothsay bemühte sich indeß, einige Besorgniß unter dem gewöhnlichen Anschein von Leichtsinn zu bergen. Es herrschte ein minutenlanges Schweigen. Endlich sprach Albany: »Königlicher Bruder,« sagte er, »mein fürstlicher Neffe nimmt jede Ermahnung, die aus meinem Munde kommt, mit so viel Mißtrauen auf, daß ich Eure Majestät selbst bitten muß, sich die Mühe zu nehmen und ihm zu sagen, was er jedenfalls wissen muß.« »Es muß wohl eine unerfreuliche Mittheilung sein, die Mylord von Albany nicht in verzuckerte Worte hüllen kann,« sagte der Prinz.« »Still mit deiner Frechheit, junger Mann,« antwortete der König erzürnt. »Ihr fragtet soeben nach dem Streite mit den Bürgern. – Wer veranlaßte diesen Zwist, David? – Welche Leute waren es, die das Fenster eines friedlichen Bürgers und Unterthans erstiegen, die Nacht mit Fackeln und Geschrei störten und unsre Unterthanen in Gefahr und Schrecken setzten?« »Mehr in Furcht als Gefahr, denk' ich,« antwortete der Prinz; »aber wie kann ich vor allen Andern sagen, wer die nächtliche Störung machte?« »Einer von deinem Gefolge war dabei,« fuhr der König fort; »ein Mann des Belial, den ich zu gebührender Strafe ziehen lassen werde.« »Ich habe meines Wissens keinen Diener, der fähig wäre, Eurer Majestät Mißfallen zu verdienen,« entgegnete der Prinz. »Ich will keine Ausflüchte hören, junger Mensch. – Wo warst du am St. Valentinsabend?« »Es steht zu hoffen, daß ich dem guten Heiligen diente? wie ein frommer Mann es soll,« antwortete der junge Mann mit gleichgiltigem Tone. »Will mein königlicher Neffe uns sagen, wie sein Stallmeister am heiligen Abend beschäftigt war?« sagte der Herzog von Albany. »Sprich, David, – ich befehle dir zu sprechen« – sagte der König. »Ramorny war in meinem Dienst beschäftigt – ich denke, diese Antwort wird meinem Oheim genügen.« »Aber sie will mir nicht genügen,« sagte der unwillige Vater. »Gott weiß, ich liebte nie Menschenblut zu vergießen, aber dieses Ramorny Kopf will ich haben, wenn das Gesetz ihn geben kann. Er ist der Aufmunterer und Theilnehmer all' deiner zahllosen Laster und Thorheiten gewesen. Ich will dafür sorgen, daß das nicht mehr der Fall sei. – Ruft Mac Louis, mit einer Wache!« »Thut einem unschuldigen Manne kein Unrecht,« fiel der Prinz ein, gern zu jedem Opfer bereit, um seinen Liebling vor der gedrohten Gefahr zu schützen, – »ich verpfände mein Wort, daß Ramorny Geschäfte für mich hatte, also bei diesem Streite nicht betheiligt sein konnte.« »Falscher, zweideutiger Mensch!« sagte der König, dem Prinzen einen Ring zeigend, »sieh' da Ramorny's Siegelring, den er in dem schmählichen Streite verlor! Er fiel in die Hände eines von Douglas Leuten und ward durch den Grafen meinem Bruder übergeben. Sprich nicht für Ramorny, denn er stirbt; und geh du aus meinen Augen und bereue die verbrecherischen Gedanken, die dich vor mir mit einer Unwahrheit im Munde stehen ließen. – O, schäme dich, David! schäme dich! als ein Sohn hast du deinen Vater belogen, als ein Ritter das Haupt deines Ordens.« Der Prinz stand schweigend, vom Gewissen getroffen und seines Unrechts bewußt. Dann ließ er den ehrenhaften Gefühlen, die ihm im Grunde wirklich eigen, ihren Lauf, und warf sich zu des Vaters Füßen. »Der lügenhafte Ritter,« sagte er, »verdient Degradation, der treulose Unterthan den Tod; aber ach! laßt den Sohn vom Vater Verzeihung für den Diener erbitten, der ihn nicht zum Vergehen führte, sondern der sich widerstrebend auf des Herren Befehl selbst hinein stürzte! Laßt mich die Last meiner eigenen Thorheit tragen, aber schont diejenigen, die mehr meine Werkzeuge als meine Genossen waren. Erinnert Euch, Ramorny ward von meiner frommen Mutter in meinen Dienst gebracht.« »Nenne sie nicht, David, ich verbiet' es dir!« sagte der König; »sie ist glücklich, daß sie das Kind ihrer Liebe nimmer doppelt entehrt, durch Verbrechen und Lüge, vor sich stehen sah.« »Ich bin in der That unwürdig, sie zu nennen,« sagte der Prinz; »und doch, mein theurer Vater, muß ich in ihrem Namen um Ramorny's Leben bitten.« »Wenn ich meinen Rath bieten dürfte,« sagte der Herzog von Albany, welcher sah, daß bald eine Versöhnung zwischen Vater und Sohn stattfinden würde, »so möcht' ich rathen, daß Ramorny aus des Prinzen Hofstaat und Dienst entlassen würde, und zwar mit einer solchen Strafe, als seine Unklugheit verdienen dürfte. Mit seiner Ungnade wird das Volk zufrieden sein und die Sache wird sich leicht beilegen oder unterdrücken lassen, wenn seine Hoheit nicht versucht, den Diener zu beschützen.« »Willst du, mir zu Liebe, David,« sagte der König, mit zitternder Stimme und einer Thräne im Auge, »den gefährlichen Mann entlassen? Mir zu Liebe, der ich dir das Herz aus meinem Busen nicht verweigern könnte?« »Es soll geschehen, mein Vater – sogleich geschehen,« erwiderte der Prinz; und die Feder ergreifend, schrieb er hastig die Entlassung Ramorny's aus seinem Dienste und übergab sie Albany's Händen. »Ich wollte, ich könnte all' Eure Wünsche so leicht erfüllen, mein königlicher Vater,« fügte er hinzu, sich wieder zu des Königs Füßen werfend, der ihn aufhob und zärtlich in seine Arme schloß. Albany sah mißmuthig drein, schwieg jedoch; und erst nach ein oder zwei Minuten sagte er: »Nachdem diese Sache so glücklich beigelegt ist, so erlaub' ich mir Eure Majestät zu fragen, ob es Euch gefällt, dem Vesperdienst in der Kapelle beizuwohnen?« »Allerdings,« sagte der König. »Muß ich nicht dem Himmel meinen Dank sagen, der die Einigkeit in meiner Familie hergestellt hat? Ihr werdet mit uns gehen, Bruder?« »Wenn es Euch gefällt, meine Abwesenheit zu gestatten, nein,« sagte der Herzog. »Ich muß mich mit Douglas und Anderen über die Art verständigen, wie wir jene Hochlandsgeier locken können.« Albany zog sich zurück, um seinen ehrsüchtigen Plänen nachzusinnen, während Vater und Sohn dem Gottesdienste beiwohnten, um dem Himmel für ihre glückliche Versöhnung zu danken. Vierzehntes Kapitel Wollt Ihr geh'n in's Hochland, Lizzy Lyndesay, Geht Ihr mit mir in's Hochland fort? Wollt Ihr geh'n in's Hochland, Lizzy Lyndesay, Meine liebe Braut zu sein dort? Alte Ballade. Ein früheres Kapitel begann mit der königlichen Beichte; wir wollen nun dem Leser eine ähnliche Situation vorführen, obwohl Schauplatz und Personen ganz anderer Art waren. Statt eines dunklen gothischen Klostergemachs liegt eine der schönsten Aussichten in Schottland am Fuße des Berges Kinoul vor uns gebreitet, und unter einem Felsen, der die Aussicht nach jeder Richtung beherrscht, saß das schöne Mädchen von Perth, mit der Miene andächtiger Aufmerksamkeit den Lehren eines Karthäusermönchs in seinem weißen Gewande und Scapulier lauschend, welcher seine Rede mit einem Gebet schloß, in welches seine Schülerin andächtig einstimmte. Als sie ihre Andacht beendigt hatten, blieb der Priester eine Zeitlang sitzen, die Augen auf den herrlichen Anblick geheftet, dessen Schönheiten selbst die frühe und rauhe Jahreszeit nicht beeinträchtigte, und so währte es einige Zeit, eh' er seine aufmerksame Gefährtin anredete. »Wenn ich,« sagte er endlich, »das reiche und mannigfache Land betrachte, mit seinen Schlössern, Klöstern, Kirchen, stattlichen Palästen, fruchtbaren Feldern, ausgedehnten Wäldern, und dem herrlichen Strome, so weiß ich nicht, meine Tochter, ob ich mehr die Güte Gottes, oder die Undankbarkeit der Menschen bewundern soll. Er hat uns die Schönheit und Fruchtbarkeit der Erde gegeben, und wir haben den Schauplatz seiner Güte zu einem Beinhaus und Schlachtfeld gemacht. Er hat uns Macht über die Elemente gegeben und Geschick, Häuser zur Bequemlichkeit und zum Schutz zu errichten, und wir haben sie in Höhlen für Räuber und Mörder verwandelt.« »Aber sicherlich, Vater, ist auch Raum für die Ruhe,« erwiderte Katharina, »selbst in der herrlichen Gegend, die wir vor uns sehen. Jene vier schönen Klöster, mit ihren Kirchen und ihren Thürmen, welche die Bürger mit eherner Stimme rufen, daß sie ihrer religiösen Pflicht gedenken; – ihre Bewohner, die sich von der Welt abschieden, von weltlichen Bestrebungen und Freuden, um sich dem Dienste des Himmels zu weihen, – Alles bezeugt, daß, wenn Schottland ein blutiges und sündiges Land ist, es doch eingedenk der Pflichten ist, welche die Religion von dem Menschen erfüllt sehen will.« »Freilich, Tochter,« antwortete der Priester, »was du sagst, scheint Wahrheit; und doch wird, in der Nähe betrachtet, auch viel der von dir beschriebenen Ruhe als trügerisch erfunden werden. Es ist wahr, es gab eine Zeit in der christlichen Welt, wo gute Menschen, die sich selbst durch das Werk ihrer Hände erhielten, sich versammelten, nicht um gemächlich zu leben oder sanft zu schlafen, sondern um einander im christlichen Glauben zu stärken und sich zu Lehrern des Wortes für das Volk zu bilden. Ohne Zweifel finden sich immer noch solche in den heiligen Gebäuden, die wir jetzt sehen. Aber es ist zu fürchten, daß die Liebe Vieler erkaltet ist. Unsere Geistlichen sind reich geworden, sowohl durch Geschenke frommer Personen, als durch Bestechungen, welche schlechte Menschen in ihrer Unwissenheit gaben, in dem Wahne, sie könnten die Verzeihung durch Schenkungen an die Kirche erkaufen, während sie doch der Himmel nur wahren Reuigen bietet. Und so, wie die Kirche reich ward, wurden zum Unglück ihre Lehren dunkel und unklar, wie man ein Licht minder sieht, wenn es auf einer goldumflochtenen Leuchte steckt, als wenn man es durch ein einfaches Glas schimmern sieht. Gott weiß es, wenn ich diese Dinge betrachte und tadle, so ist es nicht Folge des Verlangens nach Absonderung oder weil ich gern ein Lehrer in Israel werden möchte; sondern weil die Gluth in meinem Busen brennt, und nicht dulden will, daß ich schweige. Ich gehorche den Regeln meines Ordens und entziehe mich selbst seinen strengen Vorschriften nicht. Mögen sie wesentlich zu unserm Heil oder bloße Formeln sein, angenommen, um den Mangel wahrer Buße und aufrichtiger Andacht zu ersetzen, ich habe doch versprochen, ja gelobt, sie zu beobachten; und sie werden von mir um so mehr geachtet werden, weil ich sonst der Rücksicht auf mein irdisches Behagen beschuldigt werden könnte, da doch der Himmel mein Zeuge ist, wie gering ich achte, was ich zu thun oder zu dulden berufen werde, wenn die Reinheit der Kirche nur hergestellt oder die Zucht der Priesterschaft wieder in ursprünglicher Einfachheit eingeführt würde.« »Aber, mein Vater,« sagte Katharina, eben dieser Meinungen wegen nennen Euch die Menschen einen Lollhard und Wicklesiten und sagen, es sei Euer Wunsch, Kirchen und Klöster zu zerstören und die Religion des Heidenthums herzustellen.« »Eben darum, meine Tochter, bin ich genöthigt, Zuflucht in Bergen und Felsen zu suchen, und muß mich gegenwärtig begnügen, unter den rauhen Hochländern zu leben, die in dem Grade dem Stande der Gnade näher sind, denn Jene, die ich verließ, als ihre Verbrechen der Unwissenheit und nicht der Ueberhebung entspringen. Ich werde nicht unterlassen, die Mittel zu suchen, ihrer Grausamkeit zu entgehen, die mir der Himmel bieten wird; denn so lange dieselben sich finden, werd' ich es für ein Zeichen nehmen, daß ich noch eine Pflicht zu erfüllen habe. Aber wenn es meines Herrn Wille ist, so weiß Er, wie gern Clemens Blair ein elendes Leben auf Erden niederlegen wird, in demüthiger Hoffnung auf einen glücklichen Wechsel im Jenseits. – Aber warum blickst du so ängstlich nach Norden, mein Kind? – deine jungen Augen sind schärfer als die meinen – siehst du Jemand kommen?« »Ich sehe, Vater, nach dem hochländischen Jünglinge Conachar, der dein Führer nach den Bergen sein wird, wo sein Vater dir einen sichern, wenn auch rauhen Aufenthalt gewähren kann. Dies hat er oft versprochen, wenn wir von Euch und Euren Lehren sprachen – ich fürchte, er ist jetzt in Gesellschaft, wo er sie bald vergessen wird.« »Der Jüngling hat Funken der Gnade in sich,« sagte Vater Clemens; »obwohl die Leute seines Stammes meist zu sehr ihren wilden und trotzigen Sitten ergeben sind, um mit Geduld die Beschränkungen der Religion oder gesellschaftlicher Gesetze zu ertragen. – Du hast mir nie erzählt, Tochter, wie dieser Jüngling, allen Gewohnheiten der Stadt wie der Berge entgegen, in deines Vaters Hause einen Aufenthalt fand?« »Alles, was ich über diese Angelegenheit weiß,« sagte Katharina, »ist, daß sein Vater ein Mann von Ansehen unter jenen Bergbewohnern ist, und daß er als eine Gunst von meinem Vater, der in seinem Geschäft mit ihnen zu thun hatte, verlangte, diesen Jüngling eine Zeitlang bei sich zu behalten, und es sind nur zwei Tage vergangen, seit sie sich trennten, als Conachar nach seinen Bergen heimkehrte.« »Und warum hat meine Tochter,« forschte der Priester, »solch' eine Verbindung mit diesem Hochlandsjüngling unterhalten, daß sie zu ihm zu schicken wußte, wenn sie seinen Dienst für mich wünschte? Gewiß, es ist viel Einfluß für ein Mädchen über einen solchen wilden Bergbewohner.« Katharina erröthete und antwortete zögernd: »Wenn ich irgend Einfluß auf Conachar hatte, so ist der Himmel mein Zeuge, daß ich ihn blos nützte, um sein trotziges Gemüth mit den Regeln bürgerlichen Lebens zu befreunden. Es ist wahr, ich habe lange erwartet, daß Ihr, mein Vater, zur Flucht genöthigt sein würdet, und daher hatt' ich mit ihm verabredet, daß er mich an dieser Stelle treffen sollte, sobald er einen Boten mit einem Zeichen von mir erhielte, den ich gestern abgefertigt habe. Der Bote war ein behender Jüngling seines Clans, den er bisweilen brauchte, um Aufträge nach den Hochlanden zu senden.« »Und soll ich demnach glauben, meine Tochter, daß dieser Jüngling, der so schön von Gestalt, dir nur insofern werth war, als du wünschtest, sein Gemüth zu erleuchten und seine Sitten zu bilden?« »So ist es, mein Vater, und nicht anders,« antwortete Katharina; »und vielleicht war es nicht gut, so vertraulich mit ihm zu sein, selbst zu seinem Unterricht und zu seiner Besserung. Aber weiter erstreckte sich unser Umgang nie.« »Dann hab' ich mich geirrt, meine Tochter, denn ich glaubte neuerdings an dir einen Wechsel deines Vorsatzes und einige verlangende Blicke auf diese Welt bemerkt zu haben, die du einst zu verlassen entschlossen warst.« Katharina senkte das Haupt und erröthete tiefer denn je, während sie sagte: »Ihr selbst, Vater, pflegtet mir die Annahme des Schleiers zu widerrathen.« »Auch billige ich sie jetzt noch nicht, mein Kind,« sagte der Priester. »Die Ehe ist ein ehrbarer Stand, bestimmt vom Himmel als geziemendes Mittel zur Fortpflanzung des Menschengeschlechts; und ich las nie in der heiligen Schrift, was Menschensatzungen seitdem geltend machten in Betreff der höhern Würde des ehelosen Standes. Aber ich bin eifersüchtig auf dich, mein Kind, wie ein Vater auf seine einzige Tochter, damit du dich nicht einem deiner Unwürdigen hingibst. Ich weiß, daß dein Vater, minder schwierig, als ich es deinetwegen sein würde, die Bewerbungen des tapfern und muthigen Tollkopfs, den sie Harry vom Wynd nennen, billigt. Er ist reich, das mag sein, aber er liebt eitle und wüste Gesellschaft – ist ein gemeiner Klopffechter, der Menschenblut wie Wasser vergossen hat. Kann ein solcher ein passender Gefährte für Katharina Glover sein? – und doch sagt das Gerücht, daß sie bald verbunden werden würden.« Das Gesicht des schönen Mädchens von Perth ward bald blaß, bald roth, während sie hastig erwiderte: »Ich denke nicht an ihn; zwar ist es wahr, daß jüngst einige Artigkeiten unter uns stattgefunden haben, theils, weil er meines Vaters Freund und dann, weil er, der Sitte der Zeit gemäß, mein Valentin ist.« »Dein Valentin, mein Kind?« sagte Vater Clemens. »Und kann deine Sittlichkeit und Klugheit so sehr mit dem Zartgefühl deines Geschlechts Scherz treiben, daß du dich in eine solche Beziehung mit einem solchen Manne, wie dieser Handwerker, stelltest? – Meinst du, daß dieser Valentin, ein frommer Heiliger und christlicher Bischof, der er gewesen sein soll, je eine thörichte und unziemliche Sitte erfand, die ihren Ursprung wahrscheinlich in der heidnischen Verehrung der Flora und Venus hat, als die Sterblichen ihren Leidenschaften göttliche Namen gaben und sie zu üben statt zu bezwingen strebten?« »Vater,« sagte Katharina in einem unzufriedenern Tone, als sie je gegen den Karthäuser angenommen, »ich weiß nicht, warum Ihr mich so hart wegen Beobachtung eines allgemeinen Brauchs tadelt, den die Sitte gestattet und meines Vaters Erlaubniß billigt? Es scheint mir nicht freundlich, daß Ihr mich so herabsetzt.« »Vergib mir, Tochter,« antwortete der Priester sanft, »wenn ich dich beleidigte. Aber dieser Harry Gow oder Schmied ist ein wilder, zügelloser Mann, dem Ihr keinen außergewöhnlichen Grad von Vertrauen und Aufmunterung gewähren könnt, ohne Euch noch schlimmerer Verurtheilung auszusetzen, – es müßte denn allerdings Eure Absicht sein, ihn zu heirathen, und zwar recht bald.« »Sprecht nicht mehr davon, mein Vater,« sagte Katharina. »Ihr martert mich mehr, als Ihr es wünschen könnt; und ich könnte gereizt werden, anders zu antworten, als mir ziemt. Vielleicht hab' ich bereits Grund genug gehabt, zu bereuen, daß ich eine eitle Sitte beobachtete. Jedenfalls glaubt, daß mir Harry Schmied nichts gilt; und daß selbst der unbedeutende Umgang, der vom Valentinstag herrührte, völlig abgebrochen ist.« »Es freut mich, das zu hören, meine Tochter,« erwiderte der Karthäuser; »ich muß nun über etwas Anderes mit dir sprechen, was mich noch besorgter deinetwegen macht. Du kannst nicht unbekannt damit sein, obwohl ich wünschte, es wäre unnöthig, von einer so gefährlichen Sache zu reden, selbst unter diesen Felsen, Klippen und Steinen. Aber es muß gesagt sein. – Katharina, du hast einen Liebhaber unter Schottlands vornehmsten Söhnen?« »Ich weiß es, Vater,« antwortete Katharina ruhig. »Ich wollte, es wäre nicht so.« »Das wollt' auch ich,« sagte der Priester, »wenn ich in meiner Tochter nur das Kind der Thorheit sähe, wie die meisten Mädchen ihres Alters sind, zumal wenn sie das schlimme Geschenk der Schönheit besitzen. Da aber deine Reize, um mich des Ausdrucks einer eiteln Welt zu bedienen, einen Liebhaber so hohen Ranges an dich fesselten, so weiß ich, daß deine Tugend und Klugheit den Einfluß über des Prinzen Gemüth, den deine Schönheit gewann, behaupten werden.« »Vater,« erwiderte Katharina, »der Prinz ist ein zügelloser Liebhaber, dessen Liebe nur meine Schmach und mein Verderben beabsichtigt. Könnt Ihr, der Ihr so erschrocken schient über die Unvorsichtigkeit, womit ich die Bewerbungen eines Mannes annahm, dessen Rang dem meinigen gleich ist, jetzt mit Billigung von der anstößigen Leidenschaft sprechen, die der Thronerbe Schottlands für mich zu erklären wagt, da Ihr doch wißt, daß er vor zwei Nächten in Begleitung der Genossen seiner Ausschweifung mich aus dem Hause meines Vaters entführt hätte, wäre ich nicht durch den kühnen Harry Schmied gerettet worden, der, wenn auch allzu gereizt, der Gefahr bei der leichtesten Gelegenheit zu trotzen, doch auch immer bereit ist, sein Leben zum Schutze der Unschuld oder zum Widerstand gegen Unterdrückung zu wagen! Es ist meine Pflicht, ihm diese Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.« »Ich muß wohl Etwas von der Sache wissen,« sagte der Mönch, »da meine Stimme es war, die ihn Euch zu Hilfe sandte. Ich hatte die Gesellschaft gesehen, als ich an Eurer Thür vorüber ging, und eilte, die bürgerliche Macht zum Beistand zu rufen, als ich eine Gestalt langsam mir entgegenkommen sah. Aus Furcht, es möchte dies ein Hinterhalt sein, verbarg ich mich hinter einem der Kirchenpfeiler von St. Johann und erkannte, als ich aufmerksamer hinsah, Harry Schmied. Es war mir leicht zu errathen, wohin er ging, und ich sagte ihm, was ich gesehen hatte, auf eine Art, die seine Eile verdoppelte.« »Ich bin Euch verpflichtet, Vater,« sagte Katharina; »aber Alles dies und des Herzogs von Rothsay eigene Sprache gegen mich zeigt nur, daß der Prinz ein liederlicher junger Mann ist, der das Aeußerste nicht scheuen wird, was eine müßige Leidenschaft zu befriedigen verspricht, sei es auch auf Kosten des unglücklichen Gegenstandes. Sein Abgesandter Ramorny hatte sogar die Unverschämtheit, mir zu sagen, mein Vater würde zuerst dabei leiden, wenn ich lieber die Gattin eines ehrlichen Mannes, als die unwürdige Buhlerin eines vermählten Fürsten würde. Ich sehe kein anderes Mittel, als den Schleier zu nehmen, oder meinen und meines Vaters Untergang zu wagen. Selbst wenn keine andern Gründe vorhanden wären, würde der Schrecken, den mir die Drohungen eines unglücklicherweise zum Halten seines Wortes so fähigen Menschen einflößen, hinreichend sein, um zu hindern, daß ich die Gattin eines ehrlichen Mannes werde; denn damit würd' ich nur seinem Mörder die Thür öffnen. O, guter Vater, welch' ein Loos! und welches Unglück werd' ich wahrscheinlich meinem liebreichen Vater bereiten, wie Jedem, mit dem ich mein unglückliches Schicksal theilen könnte!« »Sei guten Muthes, meine Tochter,« sagte der Mönch; »es gibt Trost für dich auch auf dem äußersten Gipfel dieses anscheinenden Unglücks. Ramorny ist ein Schurke und mißbraucht das Ohr seines Herrn; der Prinz ist zwar zerstreut und leichtsinnig, aber wenn mein graues Haar nicht getäuscht wird, so wird sich sein Charakter bald ändern. Man hat ihm die Niederträchtigkeit seines Günstlings gezeigt, und er bereut sehr, dessen schlechten Rathschlägen gefolgt zu sein. Ich glaube, oder ich bin vielmehr überzeugt, daß seine Leidenschaft für Euch reiner und edler werden wird, und daß die Lehre, die er von mir über die Verderbniß der Kirche und der Zeit erhalten hat, in sein Herz dringen und Früchte darin erzeugen soll, worüber die Welt staunen und sich freuen wird; wofern nur dein Mund ihm die nämlichen Lehren wiederholt. Alte Prophezeihungen sagen, daß Rom durch die Rede eines Weibes fallen soll.« »Das sind Träume, Vater,« sagte Katharina; »die Traumgebilde eines Mannes, dessen Gedanken zu viel bei bessern Gegenständen weilen, als daß er über die gemeinen Angelegenheiten der Erde richtig urtheilen könnte. Wenn wir lange in die Sonne gesehen haben, so kann uns alles Andere nur undeutlich erscheinen.« »Du bist zu vorschnell, meine Tochter,« sagte Clemens, »und ich will dich davon überzeugen. Die Aussichten, die ich dir eröffnen will, würden sich nicht für ein Gemüth ziemen, welches geringern Sinn für Tugend oder mehr Ehrgeiz besäße. Vielleicht ist es selbst unpassend, sie vor dir zu entfalten; aber mein Vertrauen auf deine Klugheit und deine Grundsätze ist stark. Wisse denn, daß es sehr wahrscheinlich ist, die Kirche von Rom werde das Bündniß lösen, das sie selbst schuf, und die Ehe des Herzogs von Rothsay mit Marjory Douglas aufheben.« Hier hielt er inne. »Und wenn die Kirche Macht und Willen hat, dies zu thun,« erwiderte das Mädchen, »welchen Einfluß kann die Scheidung des Herzogs von seinem Weibe auf das Geschick der Katharina Glover haben?« Sie blickte den Priester bei diesen Worten ängstlich an und es machte ihm, wie es schien, einige Mühe, seine Antwort zu finden, denn er blickte zu Boden, während er ihr erwiderte: »Was that Schönheit für Katharina Logie? wenn uns unsere Väter nicht falsch berichtet haben, so ließ sie sie den Thron David Bruce's theilen.« »Lebte sie glücklich, oder starb sie betrauert, guter Vater?« fragte Katharina in demselben ruhigen und festen Tone. »Sie brachte ihr Bündniß aus weltlichem und vielleicht sündlichem Ehrgeiz zu Stande,« erwiderte Vater Clemens; »und sie fand ihren Lohn in Eitelkeit und Unruhe des Geistes. Hätte sie aber in der Absicht geheirathet, daß das gläubige Weib den ungläubigen Gemahl bekehren oder den Zweifelnden stärken solle, was wäre dann ihr Lohn gewesen? Liebe und Ehre auf Erden und ein Erbtheil im Himmel bei Königin Margaretha und den Heldinnen, welche die Pflegemütter der Kirche waren.« Bisher hatte Katharina auf einem Steine zu den Füßen des Priesters gesessen, und sie blickte dabei zu ihm empor, wenn sie hörte oder redete; jetzt aber, als wäre sie durch das Gefühl einer zwar ruhigen aber bestimmten Mißbilligung begeistert, stand sie auf, und die Hand gegen den Mönch ausstreckend, während sie sprach, redete sie ihn mit einer Miene und einem Tone an, die einem Cherub hätten gehören können, der so schonend als möglich die Gefühle des Sterblichen beklagt, dessen Irrthümer er tadeln soll: »Und ist es wirklich so?« sagte sie, »und kann so viel von den Wünschen, Hoffnungen und Vorurtheilen der elenden Welt ihn beschäftigen, der vielleicht morgen berufen wird, sein Leben zu beschließen dafür, daß er sich der Verderbniß einer entarteten Zeit und gesunkenen Priesterschaft widersetzte? Ist es der tugendhafte, der strenge Vater Clemens, der seinem Kinde räth, nach einem Throne und einem Bette zu streben, die nur durch eine niedrige Ungerechtigkeit gegen die frei werden können, die sie bereits besitzt? Ist es der weise Reformator der Kirche, der seine Plane auf so vergängliche Grundlagen stützt? Seit wann, guter Vater, hat der leichtsinnige Prinz sein Betragen geändert und den Wunsch ausgesprochen, um die Tochter eines Handwerkers von Perth ehrlich zu werben? Zwei Tage müssen diese Veränderung hervorgebracht haben; denn kaum ist dieser kurze Zeitraum verflossen, seit er meines Vaters Haus mitten in der Nacht, und in ärgerer Absicht als ein elender Räuber, angriff. Und glaubt Ihr, wenn auch Rothsay's Herz ihn an eine seiner Geburt so wenig würdige Heirath denken ließe, glaubt Ihr, er könnte sie durchsetzen, ohne zugleich seinen Thron und sein Leben zu wagen, wenn er damit zugleich das Haus des Grafen von March und das von Douglas beleidigte? O, Vater Clemens, wo waren Eure Grundsätze, wo Eure Klugheit, als sie duldeten, daß Ihr Euch zu so seltsamem Traume verirrtet, und dem geringsten Eurer Schüler das Recht gabt, Euch so zu tadeln?« Des alten Mannes Augen füllten sich mit Thränen, als Katharina, sichtbar schmerzlich bewegt durch das, was sie gesagt, endlich schwieg. »Durch den Mund der Kinder und Säuglinge,« sagte er, »hat der Herr die getadelt, die für Weise zu ihrer Zeit galten. Ich danke dem Himmel, daß er mich bessere Gedanken gelehrt hat, als mir meine Eitelkeit eingab, und zwar durch die Stimme einer freundlichen Ermahnerin. – Ja, Katharina, ich darf mich künftig nicht wundern, wenn ich die, die ich schon so streng richtete, um weltliche Macht kämpfen und zugleich die Sprache eines geistlichen Eifers führen sehe. Ich danke dir, Tochter, für deine heilsame Mahnung, und dem Himmel, daß er sie durch deine Lippen, und nicht durch die eines strengeren Richters sendete.« Katharina hatte ihr Haupt erhoben, um zu antworten, und bat den alten Mann, dessen Demüthigung sie schmerzte, sich zu trösten, als ihre Augen auf einem Gegenstand in ihrer Nähe haften blieben. Unter den Felsstücken, die den einsamen Ort umgaben, lagen zwei einander so nahe, daß sie einst ein einziger Stein gewesen und durch heftigen Sturm oder Erdbeben getrennt worden zu sein schienen. Zwischen ihnen sah man eine etwa vier Fuß breite Oeffnung unter Steinmassen. Eine Eiche wuchs aus dieser hervor und zeigte so phantastische Gestalten, als die Pflanzenwelt nur hervorzubringen vermag. Die Wurzeln hatten sich in tausend verschiedenen Richtungen hervorgedrängt und suchten in den Felsenspalten die nöthige Nahrung; ihre ungleichen Windungen boten denselben Anblick dar, wie die ungeheuren Schlangen des indischen Inselmeeres. In dem Augenblick, als Katharinens Blicke auf dieses seltsame Gewirr von Zweigen und Wurzeln fielen, bemerkte sie plötzlich zwei Augen, so funkelnd, wie die eines wilden Thieres. Sie schauderte zusammen und zeigte den Gegenstand mit dem Finger ihrem Gefährten, ohne zu sprechen. Als sie aufmerksam hinsah, entdeckte sie einen buschigen Bart und rothes Haar, die vorher hinter dem Gestrüpp versteckt gewesen. Als er sich beobachtet sah, trat der Hochländer, denn ein solcher war es, aus seinem Schlupfwinkel hervor. Es war ein Mann von riesigem Wuchs, gehüllt in einen roth, grün und violett gewürfelten Plaid, worunter er eine Jacke von Büffelhaut trug. Bogen und Pfeile hingen über die Schultern, sein Haupt war unbedeckt, welchem ein buschiges Haar, dessen verworrene Locken den Flechten der Irländer glichen, statt der Mütze diente. Am Gürtel hing Schwert und Dolch, und in der Hand trug er eine dänische Streitaxt, die in neuerer Zeit Lochaberaxt genannt ward. Ihm folgten aus dem natürlichen Thore nach einander noch vier Männer, von ähnlicher Gestalt und auf gleiche Weise gekleidet und bewaffnet. Katharina war zu sehr an den Anblick der Bergbewohner in solcher Nähe von Perth gewöhnt, als daß sie Unruhe hätte empfinden können, wie es bei einem andern Mädchen der Ebene bei solcher Gelegenheit hätte der Fall sein müssen. Sie sah mit ziemlicher Ruhe diese riesigen Gestalten einen Halbkreis um sie und den Mönch schließen; sie hefteten ihre großen Augen auf sie, welche, wie sie vermuthete, eine wilde Bewunderung ihrer Schönheit ausdrückten. Sie begrüßte die Männer mit leichtem Kopfnicken und sprach unvollkommen die gewöhnlichen Begrüßungsworte der Hochländer aus. Der Aelteste, der die Schaar führte, beantwortete den Gruß und wurde darauf still und unbeweglich. Der Mönch nahm seinen Rosenkranz und auch Katharina fühlte einen eigenen Schauder um ihrer persönlichen Sicherheit willen, und trat, um sogleich zu wissen, ob sie und der Mönch den Ort frei verlassen dürften, vor, als wollte sie den Berg hinabsteigen. Als sie aber durch die Linie gehen wollte, die die Bergbewohner gezogen hatten, streckte jeder seine Streitaxt aus und füllte den Raum, durch den sie gehen konnte. Ein wenig betroffen, aber nicht erschreckt, denn sie konnte nicht denken, daß etwas Schlimmes beabsichtigt werde, setzte sie sich auf eines der zerstreuten Felsstücke, und bat den neben ihr stehenden Mönch, guten Muthes zu sein. »Wenn ich fürchte,« sagte der Vater Clemens, »ist es nicht für mich selbst; denn ob ich von den Aexten dieser wilden Menschen erschlagen werde, wie ein Stier, der, zur Arbeit nicht mehr tüchtig, zum Schlachten verurtheilt wird, oder ob sie mich mit ihren Bogensehnen binden und denen überliefern, die mir das Leben mit umständlicherer Grausamkeit nehmen, kann mich wenig kümmern, wenn sie nur dich, theuerstes Kind, unverletzt entkommen lassen.« »Wir haben,« erwiderte das Mädchen von Perth, »durchaus nichts Uebels für uns zu fürchten, und hier kommt Conachar, uns dessen zu versichern.« Doch während sie dies sagte, traute sie fast ihren Augen nicht, so verändert war Benehmen und Aufzug des hübschen, stattlichen und fast prächtig gekleideten Jünglings, der, gleich einem Rehbock, von einer beträchtlichen Felshöhe niederspringend, so eben vor Katharinen erschien. Seine Kleidung war von demselben Stoffe, wie die der andern Hochländer, von denen wir soeben sprachen, aber am Hals und den Ellbogen durch ein Halsband und Armringe von Gold befestigt. Sein Harnisch war glänzend wie Silber polirt, die Arme mit Schmuck beladen, die Mütze, außer der Adlerfeder, die den Häuptling bezeichnete, mit einer goldenen Kette geschmückt, die mehrmals um sie herumlief und an einer mit Perlen besetzten Agraffe befestigt war. Die Schnalle, die den Tartanmantel oder Plaid, wie man es jetzt nennt, über der Schulter festhielt, war aus Gold künstlich gearbeitet. Er hatte keine andern Waffen, als einen kleinen, tannenen Stab mit zurückgebogener Spitze in der Hand. Sein Gang und Benehmen, sonst Mißmuth und Kummer ausdrückend, den ihm seine Erniedrigung machte, zeigte jetzt seine Kühnheit, seine Anmaßung und seinen Stolz. Er blieb mit einem selbstgenügsamen Lächeln vor Katharinen stehen, als wär' er sich seines verbesserten Aeußern wohlbewußt, und wartete, bis sie ihn erkennen würde. »Conachar,« sagte Katharina, die diesen Zustand zu unterbrechen wünschte, »sind das deines Vaters Leute?« »Nein,« schöne Katharina,« erwiderte der junge Mann; »Conachar ist nicht mehr, außer in Hinsicht des Unrechts, das er erfuhr, und der Rache, die es erheischt. Ich bin Jan Eachin Mac Jan, Sohn des Häuptlings des Clans Quhele. Ich habe meine Federn, wie Ihr seht, mit meinem Namen getauscht. Und diese Leute sind nicht meines Vaters Gefolge, sondern das meine. Ihr seht sie nur zur Hälfte versammelt; es ist eine Schaar, die aus meinem Pflegevater und acht Söhnen besteht; meine Leibwache und die Kinder meines Gürtels, die nur athmen, um meinen Willen zu vollziehen. Aber Conachar,« fügte er mit milderer Stimme hinzu, »lebt wieder, sobald Katharina ihn zu sehen wünscht; er ist in den Augen aller Andern der junge Häuptling des Clans Quhele, aber bei ihr so demüthig und unterwürfig, als da er Simon Glovers Lehrling war. Seht, dies ist der Stab, den ich von Euch an dem Tage erhielt, als wir zusammen an den sonnigen Abhängen von Lednoch Haselnüsse suchen gingen, als der Herbst jung war in dem verflossenen Jahre. Ich würde ihn, Katharina, nicht für den Befehlshaberstab meines Stammes hingeben.« Während Eachin so sprach, überlegte Katharina im Stillen, ob sie nicht unvorsichtig gehandelt habe, den Beistand eines kühnen jungen Mannes zu suchen, der ohne Zweifel stolz war, durch seine plötzliche Erhebung aus einem knechtischen Zustande zu einem solchen, der, wie sie überzeugt war, ihm einen ausgedehnten Einfluß über die gesetzlose Menge seiner Anhänger gab. »Ihr fürchtet Euch doch nicht vor mir, schöne Katharina?« sagte der junge Häuptling, ihre Hand ergreifend. »Ich ließ meine Leute hier einige Minuten vor mir erscheinen, um zu sehen, wie Ihr deren Anwesenheit ertragen könntet; und mich dünkt, Ihr betrachtet sie, als wäret Ihr zu eines Häuptlings Gemahlin geboren.« »Ich habe keinen Grund, Beleidigungen von Hochländern zu fürchten,« sagte Katharina fest; »besonders weil ich dachte, Conachar sei bei ihnen. Conachar hat aus unserm Becher getrunken und von unserm Brod gegessen; und mein Vater hat oft mit den Hochländern gehandelt, und nie fand Beleidigung und Zwist zwischen ihm und ihnen statt.« »Nicht?« erwiderte Hektor, denn so lautet Eachin in unserer Sprache, »wie! niemals, als er die Partei des Gow Chrom (krummbeinigen Schmieds) nahm gegen Eachin Mac Jan? – Sagt nichts, dies zu entschuldigen, und glaubt, es wird Eure eigene Schuld sein, wenn ich je wieder darauf anspiele. Aber Ihr wollt mir einen Befehl geben – sprecht, und es soll Euch gehorcht werden.« Katharina beeilte sich zu antworten; denn es war Etwas in des jungen Mannes Benehmen und Sprache, was sie eine Abkürzung der Unterredung wünschen ließ. »Eachin,« sagte sie, »da Conachar nicht mehr Euer Name ist, Ihr solltet merken, daß ich, als ich einen Dienst erbat, mich an meines Gleichen zu wenden glaubte, und nicht ahnte, daß ich eine Person von höherer Gewalt und Bedeutung ansprach. Ihr, so gut wie ich, seid diesem guten Manne für religiösen Unterricht verpflichtet. Er ist jetzt in großer Gefahr; schlechte Menschen haben ihm falsche Beschuldigungen aufgebürdet, und er wünscht in Sicherheit und Verborgenheit zu bleiben, bis der Sturm vorüber sein wird.« »Ha! der gute Vater Clemens? Ja, der würdige Geistliche that viel für mich, und mehr, als mein rauhes Gemüth zu nützen verstand. Es soll mich freuen, Jemand aus der guten Stadt Perth zu sehen, der einen Mann verfolgt, welcher Mac Jan's Mantel berührt hat!« »Es dürfte nicht gut sein, sich so sehr darauf zu verlassen,« sagte Katharina. »Ich zweifle nicht an der Macht Eures Stammes, aber wenn der schwarze Douglas sich in eine Fehde einläßt, so läßt er sich nicht durch einen hochländischen Plaid abschrecken.« Der Hochländer verbarg sein Mißvergnügen über diese Rede mit einem erzwungenen Lachen. »Der Sperling,« sagte er, »der dem Auge nah' ist, scheint größer als ein Adler, der über'm Bengoil schwebt. Ihr fürchtet die Douglas sehr, weil sie Euch zunächst sitzen. Aber sei das, wie es wolle – Ihr glaubt nicht, wie weit sich unsere Thäler und Wälder jenseits der dunklen Berge erstrecken, die Ihr dort in der Ferne seht. Ihr meint die ganze Welt sei an den Ufern des Tay. Dieser gute Mönch wird Felsen sehen, die ihn gegen ein ganzes Heer dieses Douglas schützen können; er wird Männer gewahr werden, die im Stande sind, ihn noch ein Mal vom Süden der Grampischen Berge zurückzuwerfen. – Aber warum sollen wir nicht Alle beisammen sein? Ich kann eine Schaar nach Perth schicken, die Euern Vater sicher hierher bringt. Er kann jenseit Loch Tay den alten Handel fortsetzen. – Ich werde nur keine Handschuhe machen, sondern ich werde Eurem Vater Häute geben, aber keine mehr schneiden, außer so lange sie auf des Geschöpfes Rücken sind.« »Mein Vater wird einmal kommen und Euern Haushalt sehen, Conachar – Hektor wollt' ich sagen. – Aber die Zeiten müssen ruhiger sein, denn es ist Fehde zwischen den Bürgern und den Edelleuten, und man spricht von Krieg, der in den Hochlanden ausbrechen werde.« »Ja, bei unsrer lieben Frau! Katharina; und wär' es nicht eben wegen des Hochlandskrieges, Ihr dürftet Euern Besuch in den Hochlanden nicht so aussetzen, meine schöne Gebieterin. Aber das Volk der Hügel soll sich nicht länger in zwei Nationen spalten. Sie werden als Männer fechten um die Oberherrschaft, und wer sie erlangt, wird mit dem König von Schottland als Standesgenosse, nicht wie mit einem Höhern sprechen. Bete, daß der Sieg Mac Jon zufällt, meine fromme Katharina, denn du wirst für Einen beten, der dich innig liebt.« »Ich will für das Recht beten,« sagte Katharina; »oder vielmehr, ich will bitten, daß überall Friede sei. – Lebt wohl, guter und trefflicher Vater Clemens; glaub', ich werde nie deine Lehren vergessen – gedenke meiner in deinen Gebeten. – Aber wie wirst du eine so mühsame Reise aushalten können? »Sie sollen ihn tragen, wenn es nöthig wird,« sagte Hektor, »wofern wir weit gehen müssen, ohne ein Pferd für ihn zu finden. Aber Ihr – Katharina – es ist weit von hier nach Perth. Laßt mich Euch bis dorthin begleiten, wie ich gewohnt war.« »Wenn Ihr so wäret, als Ihr gewohnt wäret, so würde ich Eure Begleitung annehmen. Aber goldene Schnallen und Armbänder sind gefährliche Gesellschaft, wenn die Lanzen von Liddesdale und Annandale so dicht auf der Straße reiten, wie die Blätter am Allerheiligenfest; und zwischen Hochlandtartans und Stahlharnischen findet keine friedliche Begegnung statt.« Sie wagte diese Bemerkung, da sie glaubte, daß der junge Eachin die Gewohnheiten noch nicht ganz hinter sich hatte, die er in seinem niedern Stande angenommen, und daß, obwohl er kühne Worte brauchte, er doch nicht tollkühn genug sein würde, der Ueberzahl Trotz zu bieten, die ihm begegnet wäre, wenn er sich der Stadt genähert hätte. Sie schien richtig geurtheilt zu haben, denn nach einem Abschied, wobei sie es dahin brachte, daß statt ihres Mundes ihre Hand geküßt wurde, nahm sie allein ihren Weg nach Perth und sah die Hochländer, als sie hinter sich schaute, einen beschwerlichen, steilen Weg einschlagen und sich nach Norden wenden. Sie fühlte sich zum Theil befreit von ihrer Unruhe, so wie die Entfernung zwischen ihr und jenen Männern wuchs, deren Handlungen sich allein nach dem Willen ihres Häuptlings richteten, welcher ein wilder, ungestümer Jüngling war. Sie fürchtete auf ihrem Rückwege nach Perth keine Beleidigung von den Kriegsleuten beider Parteien, die ihr begegnen konnten: denn die Gesetze des Ritterthums waren damals ein mehr zuverlässiger Schutz für ein Mädchen von ehrbarem Betragen, als eine Begleitung von Bewaffneten; aber entferntere Gefahren beunruhigten ihr Herz. Die Bewerbungen des Prinzen hatten einen furchtbaren Charakter angenommen, seit sein unwürdiger Günstling ihr, wenn sie bei ihrer Ziererei, wie er's nannte, beharren würde, zu drohen gewagt hatte. Solche Drohungen in diesem Jahrhundert und aus solchem Munde waren ein ernstlicher Gegenstand des Schreckens; – Conachars Ansprüche an ihre Liebe, die er in seinem dienstbaren Zustande kaum unterdrückt hatte, jetzt aber laut aussprach, wurden ein neuer Zuwachs zu ihrer Unruhe. Die Hochländer hatten bereits mehr als einen Einfall in Perth unternommen; mehrere Bürger, aus ihren eigenen Häusern weggeführt, waren gefangen worden, oder in den Straßen der Stadt unter dem Claymore gefallen. Außerdem fürchtete sie die Zudringlichkeit ihres Vaters zu Gunsten des Schmieds, dessen unwürdiges Betragen am Valentinstag ihr hinterbracht worden war. Wäre er auch nicht schuldig gewesen, sie hätte doch nicht gewagt, ihm Gehör zu geben, denn immer klangen ihr Ramorny's schreckliche Drohungen in den Ohren. Diese Gefahren, diese Furcht flößten ihr mehr als je den Wunsch ein, den Schleier zu nehmen; aber sie sah keine Möglichkeit, ihres Vaters Einwilligung zu dem einzigen Schritte zu erlangen, von welchem sie Frieden und Schutz erwartete. Der Gang dieser Verhandlungen läßt uns nicht erkennen, ob sie sehr bedauerte, daß sie Gefahren begleiteten, weil sie das schöne Mädchen von Perth war; dies war ein Punkt, der anzeigte, daß sie noch nicht ganz ein Engel war; und vielleicht war ein zweiter der Umstand, daß, trotz Harry's wirklichen oder angeblichen Vergehungen, sich ein Seufzer aus ihrem Busen stahl, wenn sie an den St. Valentinsabend dachte. Fünfzehntes Kapitel O, einen Trank, der vermöchte Ein banges Herz in Schlaf zu senken! Bertha. Wir haben die Geheimnisse der Beichte gezeigt; die des Krankenzimmers sind uns nicht verborgen. In einem dunklen Gemach, wo Salben und Arzneiflaschen kund thaten, daß der Arzt in seinem Berufe thätig gewesen, lag eine große, hagere Gestalt auf einem Bette, mit einem Nachtgewand umgürtet, Schmerz auf dem Antlitz, während tausend stürmische Leidenschaften im Busen wühlten. Alles im Gemach zeigte einen reichen, verschwenderischen Mann an. Henbane Dwining, der Apotheker, der die Pflege des Kranken zu haben schien, schlich mit schlauem, katzenartigem Schritt aus einem Winkel des Zimmers in den andern, indem er geschäftig Arzneien mischte und Verbände bereitete. Der kranke Mann stöhnte ein paar Mal, worauf der Apotheker sich dem Bette näherte und fragte, ob diese Töne ein Zeichen körperlichen Schmerzes oder der Gemüthsbewegung wären. »Beides, du Giftmischer,« sagte Sir John Ramorny; »und weil ich mit deiner verfluchten Gesellschaft belästigt bin.« »Wenn das Alles ist, so kann ich Euer Gnaden von einem dieser Uebel durch sofortige Entfernung meiner Person befreien. Dank den Fehden dieser wilden Zeit, hätt' ich zwanzig Hände, statt dieser zwei armen Diener meiner Kunst (dabei zeigte er seine dürren Hände), so wäre Beschäftigung genug für sie vorhanden; gutbezahlte Beschäftigung überdies, wo sich Dankesworte und Geldstücke streiten, wer von beiden meine Dienste am besten lohnt; während Ihr, Sir John, an Eurem Wundarzte den Zorn auslaßt, den ihr allein gegen den Urheber Eurer Wunde richten solltet.« »Schuft, es ist unter meiner Würde, dir zu antworten,« sagte der Kranke; »aber jedes Wort deiner boshaften Zunge ist ein Dolch, der Wunden beibringt, die aller Arznei Arabiens Trotz bieten.« »Sir John, ich verstehe Euch nicht; aber wenn Ihr diesen heftigen Ausbrüchen der Wuth Raum gestattet, so kann nur Fieber und Entzündung die Folge sein.« »Warum sprichst du denn auf eine Weise, die mein Blut erhitzt? Warum sprichst du den Gedanken aus, deine werthlose Kunst könne mehr Hände brauchen, als die Natur dir gab, während ich, ein Ritter und Edelmann, verstümmelt bin, wie ein Krüppel?« »Sir John,« erwiderte der Wundarzt, »ich bin kein Gottesgelehrter und auch kein sehr hartnäckiger Anhänger an manche Dinge, welche die Theologen uns sagen. Doch kann ich Euch erinnern, daß es Euch ziemlich gut gegangen ist; denn wenn der Hieb, der Euch diesen Schaden gebracht hat, Euern Hals getroffen hätte, wie er doch beabsichtigte, so hätt' er Euer Haupt von den Schultern getrennt, statt ein minder bedeutendes Glied zu amputiren.« »Ich wollte, so wär's geschehen, Dwining – ich wollte, der Hieb hätte getroffen, wie es beabsichtigt war. Dann hätte ich nicht gesehen, wie ein Plan, so fein gesponnen, wie der meine, durch die rohe Gewalt eines betrunkenen Kerls zerrissen ward. Dann wär' ich nicht mehr da, um Rosse zu sehen, die ich nicht besteigen kann – Schranken, die ich nicht mehr beschreiten kann – Glanz, den zu theilen ich nicht hoffen kann, oder Schlachten, worin ich nicht mitkämpfen kann. Ich würde nicht, mit eines Mannes Leidenschaft für Macht und Streit, unter den Weibern Platz nehmen müssen, verachtet von ihnen noch dazu als ein ohnmächtiger Krüppel, unfähig zu werben und zu erlangen die Gunst ihres Geschlechts.« »Gesetzt, dies wäre Alles so, so will ich doch Eure Herrlichkeit zu bemerken bitten,« erwiderte Dwining, sich noch immer mit Anordnung der Verbände beschäftigend, »daß Eure Augen, die Ihr mit Eurem Kopfe verloren haben müßtet, Euch, da sie erhalten sind, noch eine ebenso große Aussicht auf Vergnügen bieten, als Euch das des Ehrgeizes, des Sieges in den Schranken oder in der Schlacht, oder selbst die Liebe der Weiber gewähren könnte.« »Mein Verstand ist zu umdüstert, um dich verstehen zu können, Arzt,« erwiderte Ramorny. »Welches ist das köstliche Schauspiel, das mir in meinem Schiffbruch aufbewahrt bleibt?« »Das werthvollste, was die Menschheit kennt,« erwiderte Dwining; und dann fügte er im Tone eines Liebenden, der den Namen seiner Geliebten ausspricht und seine Leidenschaft zu ihr durch die Stimme ausdrückt, hinzu: » Rache!« Der Kranke hatte sich auf seinem Kissen erhoben, etwas begierig nach der Lösung des Räthsels seines Arztes. Er legte sich wieder nieder, als er die Erklärung vernommen, und nach einer kurzen Pause fragte er: »In welchem christlichen Collegium lerntet Ihr diese Moral, guter Meister Dwining?« »In keinem christlichen Collegium,« antwortete der Arzt; »denn obwohl sie in den meisten heimlich angenommen ist, wird sie doch in keinem offen und männlich anerkannt. Aber ich habe unter den Weisen Granada's studirt, wo der Maure mit seiner Feuerseele seinen tödtlichen Dolch hoch emporhebt, wenn er von seines Feindes Blute träuft und die Lehre preist, die der bleiche Christ übt, obwohl er sie feigherzig nicht zu nennen wagt.« »Du bist also ein Schurke von größerer Seele, als ich dir zutraute,« sagte Ramorny. »Laßt das sein,« antwortete Dwining. »Die stillen Wasser sind die tiefsten, und der Feind ist am meisten zu fürchten, der nie droht, als bis er schlägt. Ihr Ritter und Waffenleute geht mit dem Schwerte in der Hand gerad' auf Euer Ziel los. Wir, die wir Gelehrte sind, gewinnen unser Ziel mit geräuschlosem Schritt und auf Umwegen, kommen aber deshalb ebenso sicher dazu.« »Und ich,« sagte der Ritter, »der ich zur Rache schritt mit stahlgeharnischtem Fuß, der alles Echo ringsum weckte, soll mich nun eines solchen Pantoffels bedienen, wie der deine? Ha!« »Wer die Kraft nicht hat,« sagte der schlaue Apotheker, »muß durch Geschick seinen Zweck erreichen.« »Und sage mir aufrichtig, Apotheker, warum du mir diese Teufelslectionen halten willst? Warum willst du mich schneller und eifriger zu meiner Rache drängen, als ich dir aus eignen Antrieb dazu bereit scheine? Ich bin alt in der Weltkenntnis Freund; und ich weiß, daß ein Mensch wie du nicht umsonst Worte fallen läßt oder sich in das gefährliche Vertrauen von Männern wie ich drängt, es sei denn, daß er selber einen Vortheil dabei im Auge hat. Was liegt dir an dem Wege, sei er blutig oder friedlich, den ich unter diesen Umständen verfolgen mag?« »Um offen zu reden, edler Ritter, obwohl ich das selten zu thun pflege,« antwortete der Arzt, »mein Weg der Rache ist mit dem Eurigen ein und derselbe.« »Mit dem meinigen, Mensch?« sagte Ramorny mit dem Ausdrucke verächtlichen Staunens. »Ich dächte, der läge hoch über deine Region. Du suchst dieselbe Rache mit Ramorny?« »Ja, allerdings,« erwiderte Dwining; »denn der grobe Schmied, unter dessen Hiebe Ihr gelitten habt, hat mir oft mit Trotz und Beleidigung begegnet. Er hat mich im Rathe gehindert und bei der Ausführung verachtet. Seine rohe und vorschnelle Einfalt ist ein lebendiger Vorwurf für die Feinheit meiner natürlichen Sinnesart. Ich fürchte ihn und ich hasse ihn.« »Und Ihr hofft einen thätigen Helfer an mir zu finden?« sagte Ramorny in demselben Tone der Geringschätzung wie vorher; »aber wißt, der Handwerker steht viel zu tief, um der Gegenstand meines Hasses oder meiner Furcht zu sein. Er wird jedoch nicht frei ausgehen. Wir hassen den Wurm nicht, der uns gestochen hat, wenn wir ihn gleich abschütteln und zertreten könnten. Ich kenne den Schuft längst; er versteht die Waffen zu führen und ist einer der Freier dieser verächtlichen Puppe, wie ich hörte, deren Reize uns zu der weisen und hoffnungsvollen Unternehmung verlockten. Teufel, die ihr diese Unterwelt regiert, aus welch übertriebener Bosheit habt ihr beschlossen, daß die Hand, die die Lanze gegen das Herz eines Prinzen gerichtet hat, wie ein junger Baum durch den Arm eines Elenden und während einer nächtlichen Ausschweifung abgehauen wurde! Wohl, Arzt, so weit ist unser Weg derselbe, und du magst glauben, daß ich diese Natter zertreten werde, wenn es dir gefällt. Aber glaube nicht, mir zu entkommen, wenn dieser Theil meiner Rache vollbracht ist, was sehr leicht und schnell geschehen sein wird.« »Vielleicht wird es gar nicht so schnell geschehen sein,« sagte der Apotheker; »denn wenn Euer Gnaden mir glauben, so wird sich wenig Leichtigkeit und Gefahrlosigkeit dabei finden, wenn man sich mit ihm einläßt. Er ist der stärkste, kühnste und geschickteste Fechter in Perth und in der ganzen Umgegend.« »Fürchte nichts; ihm wird begegnet werden und hätte er die Kraft Simsons. Aber dann merke dir! Hoffe nicht meiner Rache zu entgehen, wenn du nicht mein fügsamer Gehilfe in der Scene sein wirst, die darauf folgt. Höre wohl, ich wiederhole dir's, ich habe nicht auf einer maurischen Schule studiert, ich habe vielleicht eine weniger unbegrenzte Rachgier als du, aber ich will auch mein Theil haben. Aufgemerkt, Arzt, so lang' ich mich dir entdecke! Aber hüte dich vor Verrath, denn so mächtig deine Teufelskunst ist, du bist doch von einem geringern Teufel unterrichtet als ich. Höre, – der Herr, dem ich durch Tugend und Laster, vielleicht für meinen guten Namen mit zu viel Eifer, aber doch mit unerschütterlicher Treue gedient, – derselbe Mann, dessen rasender Thorheit zu schmeicheln ich diesen unersetzlichen Verlust erlitt, ist, um den Bitten eines fast kindischen Vaters zu gehorchen, im Begriff, mich aufzuopfern, mir seine Gunst zu entziehen, und mich der Gnade eines heuchlerischen Verwandten zu überlassen, mit dem er sich auf meine Kosten versöhnen will; wenn er bei diesem undankbaren Plane beharrt, so werden deine Mauren, deren Farbe schwärzer ist, als der Rauch der Hölle, erröthen, ihre Rache übertroffen zu sehen; aber ich will ihm noch Raum zu Ehre und Rettung geben, eh' ich meiner ganzen, erbarmungslosen Wuth mich überlasse. – Nun, so weit hast du mein Vertrauen. – Hier die Hand auf den Handel – meine Hand, sag' ich? Wo ist die Hand, die für Ramorny's Wort bürgen sollte? Sie ist an den Schandpfahl genagelt, oder mit Verachtung den Straßenhunden vorgeworfen, die sie vielleicht eben verzehren! – Lege also nur deine Finger auf diesen verstümmelten Stumpf und schwöre, mir in meiner Rache zu dienen, wie ich dir in der deinigen. – Nun, Herr Arzt, Ihr werdet blaß! – Kann der, der dem Tode zuruft: »Halt ein!« oder »rücke vor!« kann der zittern an ihn zu denken oder ihn nennen zu hören? Ich habe Euern Lohn nicht erwähnt, denn Einer, der die Rache an sich selbst liebt, braucht keine weitere Bestechung – doch, wenn weite Ländereien und große Geldsummen deinen Eifer in einer tüchtigen Sache steigern können, so glaube mir, sie sollen nicht mangeln.« »Das stimmt etwas mit meinen bescheidenen Wünschen überein,« sagte Dwining; »der arme Mensch ist in dieser geschäftigen Welt niedergedrängt wie ein Zwerg im Getümmel und so unter die Füße getreten – die Reichen und Mächtigen erheben sich wie Riesen über dem Druck und sind behaglich, während Alles ringsum durcheinander geht.« »Dann sollst du dich erheben, Arzt, so hoch dich Gold nur heben kann. Diese Börse ist gewichtig, aber sie ist nur eine Abschlagszahlung deines Lohnes.« »Und jener Schmied? mein edler Wohlthäter« – sagte der Arzt, während er das Geschenk einsteckte – »der Harry vom Wynd oder wie er heißen mag – würde nicht die Nachricht, daß er für seine That gebüßt, besser den Schmerz von Euer Gnaden Wunde lindern, als der Balsam von Mekka, womit ich sie salbte?« »Er ist unter Ramorny's Gedanken; und ich fühle nicht mehr Unwillen gegen ihn, als ich gegen die willenlose Waffe zürne, die er schwang. Aber dein Haß eben ist es, der sich an ihm befriedigen soll. Wo trifft man ihn gewöhnlich?« »Das habe ich auch überlegt,« sagte Dwining. »Den Versuch bei Tage und in seinem eigenen Hause zu machen, wäre zu offen und gefahrvoll, denn er hat fünf Leute, die mit ihm in der Schmiede arbeiten, vier davon sind starke Kerle, und alle lieben ihren Herrn. Bei Nacht wär' es kaum minder verzweifelt, denn seine Thüren sind gut verwahrt mit Eichenbalken und eisernen Riegeln, und ehe die Befestigungsmittel dieses Hauses bewältigt werden könnten, würde sich die Nachbarschaft zu seiner Rettung erheben, vorzüglich, weil sie sehr beunruhigt sind seit dem Vorfall in der Valentinsnacht.« »O ja, freilich, Apotheker,« sagte Namorny, »denn auch du spielst ja Betrug mit mir – du kanntest meine Hand und Siegelring, wie du sagtest, als man diese Hand auf die Straße geworfen fand, gleich den ekelhaften Ueberresten einer Fleischbank, – warum, wenn du das wußtest, gingst du mit diesen narrenköpfigen Bürgern, um beim Patrick Charteris Rath zu holen, dem man die Sporen von den Fersen hauen sollte, weil er Gemeinschaft mit schmutzigen Bürgern hält, und den du hierher brachtest mit den Narren, um die leblose Hand zu entehren, die, wäre sie an ihrer gewohnten Stelle gewesen, er nicht werth wäre im Frieden zu berühren oder im Kriege zu fühlen?« »Mein edler Gönner, sobald ich Grund hatte, zu glauben, daß Ihr der Dulder wäret, so wandte ich all' meine Ueberredungskunst an, um sie von Verfolgung der Fehde zurückzuhalten; aber der prahlerische Schmied und einige andere Hitzköpfe schrieen nach Rache. Euer Gnaden weiß vielleicht, daß der Bursche sich zum Ritter des schönen Mädchens von Perth aufwirft und glaubt, es gehöre zu seiner Ehre, alle Streitigkeiten ihres Vaters auszufechten: aber ich habe ihm seinen Markt in diesem Viertel verleidet und das ist schon ein Vorspiel der Rache.« »Wie meint Ihr das, Wundarzt?« sagte der Kranke. »Euer Gnaden werden wissen,« sagte der Apotheker, »daß der Schmied nicht eingezogen lebt, sondern ein verliebter, lustiger Bursch' ist. Ich begegnete ihm am Valentinstag einige Zeit nach dem Kampfe zwischen den Bürgern und dem Gefolge des Douglas; ja ich begegnete ihm, wie er mit einer Sängerin durch Straßen und Gäßchen schlich, und Gepäck und Laute der Dirne auf dem einen Arme trug, während sie selber an dem andern hing. Was denken Euer Gnaden davon? Ist das nicht ein schmucker Knappe, eines Prinzen Liebe zum schönsten Mädchen in Perth hinderlich zu sein, die Hand eines Ritters und Barons abzuhauen und den Kammerdiener einer wandernden Sängerin zu machen, Alles im Laufe von vierundzwanzig Stunden?« »Wahrlich, ich denke besser von ihm, da er so viel ritterlichen Humor zeigt, obwohl er ein Bauer ist,« sagte Ramorny. »Ich wollte, er wäre ein gewissenhafter Mensch statt eines lustigen Burschen, dann hält' ich mehr Neigung, deine Rache zu unterstützen; – und solch' eine Rache! Rache an einem Schmied – im Streite eines erbärmlichen Arbeiters in altem Leder! Pfui! – und doch soll die Rache vollkommen genommen werden, du hast sie, denk' ich, durch deine eignen Manöver schon begonnen.« »Nur in geringem Grade,« sagte der Apotheker; – »ich sorgte dafür, daß zwei oder drei der berüchtigtsten Klatschgevatterinnen in der Curfewstreet, denen es nicht gefällt, daß Katharina das schöne Mädchen von Perth heißt, die Geschichte ihres treuen Valentins erfuhren. Sie fielen so hitzig über die Lockspeise her, daß sie, statt die Sache zu bezweifeln, sogar darauf schwuren, als wären sie Augenzeugen gewesen. Der Liebhaber kam eine Stunde nachher zum Vater, und Ihr könnt Euch denken, wie ihn Glover empfing, denn das Mädchen selber wollt' ihn gar nicht ansehen. Und so seht Ihr, daß ich einen Vorschmack der Rache hatte. Ich hoffe, den vollen Dank ans den Händen Euer Gnaden zu erhalten, wenn wir ein brüderliches Bündniß schließen, welches –« »Brüderlich!« sagte der Ritter verächtlich. »Aber sei es so; die Priester sagen, wir wären Alle von gemeiner Erde. Ich weiß es nicht – mir scheint da einiger Unterschied zu sein; aber die bessere Form wird der schlechteren Wort halten und du sollst deine Rache haben. Rufe meinen Pagen hierher.« Ein junger Mann erschien auf den Ruf des Arztes aus dem Vorzimmer. »Eviot,« sagte der Ritter, »ist Bonthron da? und ist er nüchtern?« »So nüchtern, als Schlaf ihn nach einem gehörigen Trinken machen kann,« antwortete der Page. »Dann hol' ihn hierher und verschließ' die Thür.« Ein schwerfälliger Tritt näherte sich alsbald dem Gemach und ein Mann trat ein, dessen Mangel an Höhe durch Breite der Schultern und Stärke des Armes ausgeglichen schien. »Es ist ein Mann vorhanden, mit dem du dich messen mußt, Bonthron,« sagte der Ritter. Des Mannes grobe Züge glätteten sich und er zeigte ein zufriedenes Grinsen. »Dieser Arzt wird dir den Mann zeigen. Nimm den Vortheil der Zeit, des Ortes und der Umstände wahr, um den Erfolg zu sichern; und denke nicht, daß du an den schlechtesten kommst, denn der Mann ist der kampffertige Schmied vom Wynd.« »Das wird eine böse Geschichte,« murmelte der Mörder; »denn wenn mein Hieb fehlt, so kann ich mich selber als einen todten Mann ansehen. Ganz Perth spricht von des Schmieds Gewandtheit und Stärke.« »Nimm zwei Gehilfen mit dir,« sagte der Ritter. »Nein,« sagte Bonthron. »Wollt Ihr Etwas verdoppeln, so mag es der Lohn sein.« »Rechne auf doppelten,« sagte sein Herr; »aber sieh' zu, daß dein Werk gehörig vollzogen wird.« »Verlaßt Euch auf mich, Ritter – ich habe selten gefehlt.« »Benutze dieses weisen Mannes Rath,« sagte der verwundete Ritter, auf den Arzt zeigend. »Und merke wohl! erwarte, bis er zum Vorschein kommt – und trinke nicht, bevor das Geschäft abgemacht ist.« »So soll's geschehen,« sagte der finstere Trabant; »mein eigen Leben hängt davon ab, daß mein Hieb fest und sicher ist. Ich weiß, mit wem ich's zu thun habe.« »So geh, bis er dich ruft, und halte Axt und Dolch in Bereitschaft.« Bonthron nickte und zog sich zurück. »Will Euer Gnaden wagen, solch ein Werk einer einzigen Hand anzuvertrauen?« sagte der Mediciner, als der Mörder das Gemach verlassen hatte. »Darf ich Euch bitten, daran zu denken, daß Jener vor zwei Nächten sechs gerüstete Männer niederwarf?« »Fragt mich nicht, Sir Apotheker; ein Mann wie Bonthron, der Zeit und Ort kennt, ist zwei Dutzend wüster Schwärmer werth. – Ruft Eviot. – Zuerst sollst du deine Heilkräfte üben, und zweifle nicht, daß du beim ferneren Werk von Einem unterstützt werden wirst, der dir in der Kunst plötzlicher und unerwarteter Zerstörung gleichkommt.« Der Page Eviot erschien auf des Apothekers Ruf wieder und half auf ein Zeichen seines Herrn dem Wundarzt Sir John Ramorny's verwundeten Arm neu verbinden. Dwining betrachtete den nackten Stumpf mit einer Art berufsmäßigem Behagen, ohne Zweifel auf dem boshaften Vergnügen beruhend, welches sein schlechtes Gemüth an Schmerz und Unglück seiner Mitmenschen fand. Der Ritter heftete eine Weile seine Augen auf den furchtbaren Anblick und ließ, dem Gewichte seines körperlichen oder geistigen Schmerzes erliegend, trotz aller Mühe, es zu unterdrücken, ein Stöhnen vernehmen. »Ihr seufzt, Sir,« sagte der Wundarzt, in einem sanft einschmeichelnden Tone, während er jedoch die Lippen zu einem vergnügten, mit Hohn gemischten Lächeln verzog, welches seine gewohnte Verstellung nicht ganz bergen konnte, – »Ihr seufzt – aber tröstet Euch. Dieser Harry Schmied versteht sein Geschäft – sein Schwert erreicht so gut das Ziel, wie sein Hammer den Ambos. Hätte ein minder geschickter Mann den unseligen Streich geführt, so hätt' er nur den Knochen beschädigt und die Muskeln zerrissen; meine ganze Kunst wäre nutzlos gewesen; aber Harry Schmied macht saubere Wunden, seine Amputationen sind so leicht zu heilen, als wenn mein eigenes Messer sie gemacht hätte. In einigen Tagen seid Ihr, wenn Ihr die Verordnungen Eures Arztes sorgfältig befolgt, im Stande, auszugehen.« »Aber meine Hand – der Verlust meiner Hand –« »Der kann eine Zeit lang verborgen bleiben,« sagte der Mediciner; »ich habe einige geschwätzige Narren gewonnen, denen ich im Vertrauen sagte, die gefundene Hand sei die Eures Stallknechts, des schwarzen Quentin, und Eure Gnaden wissen, daß er nach Fife gereist ist, und zwar auf eine Weise, die die Sache glaublich macht.« »Freilich wohl,« sagte Ramorny, »kann dies Gerücht die Wahrheit eine kurze Zeit verbergen. Aber was hilft der kurze Verzug?« »Es kann verborgen bleiben, wenn Ihr Euch eine Zeitlang vom Hofe zurückzieht, und dann, wenn neue Ereignisse die Erinnerung an gegenwärtigen Streit verdunkelt haben, kann man vielleicht sagen, die Wunde käme von einem Lanzenstich oder von einem Armbrustbolzen. Euer Knecht wird einen geeigneten Vorwand finden und für die Wahrheit der Sache stehen.« »Der Gedanke macht mich rasend,« sagte Ramorny, wieder seufzend vor innerem und äußerem Schmerze. »Aber ich sehe kein anderes Mittel.« »Es gibt kein anderes,« sagte der Wundarzt, dessen schlechtem Gemüthe seines Herrn Trauer köstliche Nahrung war. »Inzwischen wird man glauben, Ihr seid in Folge einiger Quetschungen und aus Kummer über den Entschluß des Prinzen, Euch nach Herzog Albany's Rath seine Gunst zu entziehen und aus seinem Dienste zu verabschieden, auf das Zimmer beschränkt; und das ist ja öffentlich bekannt.« »Schurke, du folterst mich!« rief der Kranke. »Im Ganzen,« sagte Dwining, »seid Ihr dennoch gut weggekommen, und, außer was den Verlust Eurer Hand betrifft, wofür es kein Mittel gibt, solltet Ihr Euch eher freuen, als beklagen; denn kein Chirurg in Frankreich oder England könnte die Operation besser vollbracht haben, als dieser Kerl mit seinem scharfen Hiebe.« »Ich weiß vollkommen, was ich ihm zu danken habe,« sagte Ramorny, seinen Zorn bekämpfend und Ruhe affectirend; »und wenn Bonthron ihn nicht mit einem eben so scharfen Hiebe bezahlt und die Hilfe des Wundarztes unnöthig macht, so sagt, daß John von Ramorny keine Verbindlichkeit lösen kann.« »Da sprecht Ihr, wie es Euch ziemt, edler Ritter!« antwortete der Apotheker. »Und ferner laßt mich sagen, daß die Geschicklichkeit des Operateurs umsonst gewesen wäre und der Blutverlust Eure Adern erschöpft hätte, wäre nicht der Verband und die blutstillenden Mittel der guten Mönche gewesen, so wie die armen Dienste Eures demüthigen Unterthanen Henbane Dwinings.« »Still!« rief der Kranke, »mit deiner unglückweissagenden Stimme und deinem noch schlimmer klingenden Namen! – Mir ist, während du von den Qualen sprichst, die ich erlitten, wie wenn sich meine zerschnittenen Nerven streckten und zusammenzögen, als regierten sie noch die Finger, die einst einen Dolch führen konnten.« »Dies,« erklärte der Arzt, »ist, mit Euer Gnaden Erlaubniß, eine Erscheinung, die uns Aerzten wohlbekannt ist. Es gab unter den alten Weisen einige, welche glaubten, es bestehe zwischen den Nerven eines abgenommenen Gliedes und dem Theile, von dem es getrennt wurde, noch eine Sympathie, und in einem Falle, wie z. B. der Eurige ist, können die Finger, die Ihr nicht mehr habt, beben und sich zusammenziehen, gleichsam um dem Antriebe zu entsprechen, der aus ihrer Sympathie mit der Lebenskraft des Gliedes hervorgeht, dem sie angehört haben. Könnten wir die Hand wieder bekommen, die gegenwärtig an das Stadtkreuz genagelt oder unter des schwarzen Douglas Obhut ist, so möchte ich die merkwürdige Erscheinung beobachten; aber ich glaube, man würde eben so sicher das Glied den Klauen eines hungrigen Adlers entreißen.« »Und du könntest eben so sicher deine boshaften Scherze an einem verwundeten Löwen üben, als an John von Ramorny!« sagte der Ritter, sich in unbezähmbarem Zorn aufrichtend. »Schurke! thu' deine Pflicht; und bedenke, daß ich, wenn meine Hand keinen Dolch mehr fassen kann, über hundert andere gebieten kann.« »Der Anblick einer einzigen zornig erhobenen wäre genügend,« sagte Dwining, »die Lebenskraft Eures Chirurgen zu vernichten. Aber wer,« fügte er dann in einem halb einschmeichelnden, halb höhnischen Tone hinzu, »wer würde dann die heiße und brennende Qual lindern, die mein Gönner jetzt leidet, und die ihn selbst gegen seinen armen Diener aufbringt, weil er die Regeln der Heilkunst erwähnt, die ohne Zweifel gegen die Kunst, Wunden zu schlagen, so verächtlich ist?« Dann, als wage er nicht länger mit der Laune des gefährlichen Kranken zu spielen, machte sich der Arzt ernstlich daran, die Wunde zu salben und legte einen wohlriechenden Balsam darauf, dessen Duft das Zimmer durchströmte und statt der brennenden Hitze eine erquickende Kühlung ertheilte; dieser Wechsel war dem fieberglühenden Kranken so angenehm, daß, wie er vorher vor Schmerz gestöhnt, er nun nicht umhin konnte, vor Vergnügen zu seufzen, während er auf seine Kissen zurücksank, um der Ruhe zu genießen, welche der Verband bewirkte. »Eure ritterliche Herrlichkeit weiß nun, wer Euer Freund ist,« sagte Dwining; »hättet Ihr einem raschen Antriebe nachgegeben und gesagt: ›schlagt mir den werthlosen Quacksalber todt,‹ wo würdet Ihr dann in den vier Meilen Britanniens den Mann gefunden haben, der Euch solche Linderung brachte?« »Vergeßt meine Drohungen, guter Arzt,« sagte Ramorny, »und hütet Euch, mich in Versuchung zu führen. Ein Mann wie ich will keinen Scherz über seine Qualen. Behalte deine Spöttereien für die Elenden im Spital.« Dwining wagte nichts mehr zu sagen, sondern goß einige Tropfen aus einer Phiole, die er aus der Tasche nahm, in einen kleinen Becher voll Wein mit Wasser gemischt. »Dieser Trank,« sagte der kunstreiche Mann, »soll Euch einen Schlaf schenken, der nicht unterbrochen werden darf. »Der Zeitraum der Wirkung ist ungewiß – vielleicht bis morgen.« »Vielleicht für immer,« sagte der Kranke. »Sir Apotheker, kostet mir sogleich diesen Trank, sonst geht er nicht über meine Lippen.« Der Arzt gehorchte ihm mit verächtlichem Lächeln. »Ich würde gern das Ganze austrinken; aber der Saft dieses indischen Gummi's bringt eben so gut dem gesunden, wie dem kranken Menschen Schlaf, und der Beruf des Arztes will, daß ich munter sei.« »Ich bitt' Euch um Verzeihung, Herr Arzt,« sagte Ramorny, die Augen niederschlagend, als schäme er sich, Argwohn gezeigt zu haben. »Es ist keine Verzeihung nöthig, wo man sich nicht beleidigt fühlen kann,« antwortete der Arzt. »Ein Insekt muß einem Riesen danken, daß er nicht darauf tritt. Doch, edler Ritter, Insekten wissen so gut zu schaden, als Aerzte. Was würde es mir, außer einem unruhigen Augenblicke, gekostet haben, den Balsam zu vergiften, den ich auf Eure Wunde legte, und dadurch Euern Arm bis zur Schulter brandig und Euer Blut zu einer verdorbenen Gallerte zu machen? Wer hätte mich gehindert, noch feinere Mittel anzuwenden, und Euer Gemach mit Essenzen zu vergiften, vor denen das Lebenslicht immer dunkler und dunkler flackert, und zuletzt wie eine Kerze im trüben Dunst einer unterirdischen Höhle erlischt? Ihr achtet meine Macht zu gering, wenn Ihr nicht wißt, daß meine Kunst mir noch mächtigere Zerstörungskreise leiht; aber der Arzt tödtet den Kranken nicht, von dessen Großmuth er lebt; und zumal den, dessen Nase die Hoffnung der Rache athmet, den geschworenen Verbündeten, der seinen eigenen Plan begünstigt, wird er noch weniger vernichten. – Doch, noch ein Wort; – sollte es nöthig werden, Euch zu wecken – denn welcher Mann in Schottland kann sich acht Stunden ununterbrochener Ruhe versprechen? – dann riecht an die starke Essenz, welche diese Büchse enthält. – Und nun lebt wohl, Herr Ritter; und könnt Ihr Euch mich nicht als einen Mann von strengem Gewissen denken, so erkennt zum Mindesten meine Vernunft und meinen Scharfsinn an.« Mit diesen Worten verließ der Apotheker das Gemach, indem seine gewöhnliche, niedrige und kriechende Miene etwas veredelt erschien, wie im Bewußtsein eines Sieges über seinen gebieterischen Kranken. Sir John Ramorny blieb zurück, in unangenehme Betrachtungen versunken, bis er die unmerklichen Wirkungen des einschläfernden Trankes zu empfinden begann. Er raffte sich für einen Augenblick empor und rief seinen Pagen. »Eviot! holla! Eviot! – ich habe unrecht gethan, mich diesem giftigen Quacksalber so weit zu entdecken – Eviot!« Der Page trat ein. »Ist der Apotheker fort?« »Ja, Euer Gnaden.« »Allein oder in Begleitung?« »Bonthron sprach leise mit ihm und folgte ihm fast auf dem Fuße – auf Euer Gnaden Befehl', denk' ich.« »Leider, ja – er geht, um einige Heilmittel zu holen – er wird bald zurückkehren. Wenn er betrunken ist, so laß ihn nicht in mein Gemach, und dulde nicht, daß er mit Jemand spricht. Er schwatzt, wenn sein Hirn vom Trinken umnebelt ist. Er war ein seltener Bursche, bis ihm eines Engländers Axt die Hirnschale traf; aber seit der Zeit schwatzt er närrisch, sobald ein Becher über seine Lippen gelaufen. – Sagte der Arzt dir etwas, Eviot?« »Nichts; er wiederholte nur seinen Befehl, Euer Gnaden nicht zu stören.« »Dem mußt du sicher gehorchen,« sagte der Ritter. »Ich fühle Schlaf kommen, den ich seit der unseligen Verwundung nicht genoß. – Wenigstens war's nur ein Augenblick, wenn ich schlief. Hilf mir das Kleid ablegen, Eviot.« »Möge Gott und die Heiligen Euch gute Ruhe senden, Mylord,« sagte der Page, der sich zurückzog, nachdem er seinem verwundeten Herrn den verlangten Beistand geleistet. Als Eviot das Zimmer verließ, murmelte der Ritter, dessen Hirn sich mehr und mehr verwirrte, des Pagen Abschiedsgruß vor sich hin. »Gott – Heilige – ich habe unter solchem Segen gesund geschlafen. Aber nun – ich denke, wenn ich nicht zur Erfüllung meiner stolzen Hoffnungen auf Macht und Rache aufwache, so ist der beste Wunsch für mich, daß der Schlummer, der nun auf mein Haupt fällt, der Vorläufer des Schlafes wäre, der meine geliehenen Kräfte wieder zum ursprünglichen Nichtsein zurückbringt – ich kann nicht weiter darüber denken.« So sprechend, fiel er in einen tiefen Schlaf. Sechzehntes Kapitel Zu Fastnacht, als wir lustig waren. Schottisches Lied. Die Nacht, welche auf Ramorny's Krankenbett sank, sollte keine ruhige sein. Zwei Stunden waren seit dem Abendgeläute vergangen, welches damals um sieben Uhr stattfand, und Alle hatten sich in jener alten Zeit zur Ruhe begeben, außer solche, die Andacht, oder Beruf, oder Ausschweifung munter erhielt; da es nun der Abend vor Fastnacht war, so waren die Orte der Fröhlichkeit von jenen dreien bei weitem am meisten bevölkert. Das Volk hatte sich den ganzen Tag über beim Ballspiel ergötzt und ermüdet; die Ritter und Edeln hatten Hahnenkämpfe gehalten oder der üppigen Musik der Minstrels gelauscht, während die Bürger sich an Speckkuchen und fetter Brodsuppe gelabt hatten, – es war dies nämlich die Brühe, in welcher man gesalzenes Rindfleisch abgekocht, und worein man gerösteten Gries streute, ein Gericht, welches auch noch jetzt dem einfachen, altschottischer Sitte getreuen Gaumen nicht unangenehm ist. Diese Uebungen und Speisen waren dem Festtag eigenthümlich, auch war es strenge Regel, daß jeder gute Katholik am Abend so viel Bier und Wein trank, als er sich verschaffen konnte, und, wenn er jung und gewandt war, auf dem Ball tanzte oder unter den maurischen Tänzern eine Figur abgab, deren Kleidung in Perth, wie an anderen Orten, höchst seltsam war, und die sich durch Gewandtheit und Behendigkeit auszeichneten. Dieser Lustigkeit ließ man unter dem Vorwande freien Lauf, daß das große Fasten mit all' seinen Beschwerden und Entbehrungen nahe, und daß es daher klug sei, so viel Lust als möglich zu genießen und sich alle erdenklichen Thorheiten zu verzeihen, als man in dem kurzen Zeitraume vor dem Beginn jenes begehen konnte. Die üblichen Vergnügungen hatten stattgefunden, und in den meisten Theilen der Stadt war die gewöhnliche Ruhe eingetreten. Besonders angelegen hatte es sich der Adel sein lassen, eine Erneuerung des Zwistes zwischen seinem Gefolge und den Bürgern der Stadt zu verhüten; so waren die Lustbarkeiten mit weniger Unfällen als sonst vorübergegangen, indem man nur drei Todte und einige gebrochene Glieder zählte, was aber so unbedeutende Leute betraf, daß man es nicht näherer Nachfrage werth hielt. Der Karneval schloß im Allgemeinen ruhig, aber an einigen Orten hatte man die Lust noch nicht eingestellt. Eine Gesellschaft Schwärmer, die man besonders bemerkt und mit Beifallruf begleitet hatte, schienen ihre Lustbarkeit ungern zu schließen. Die Entry (Liste der Tänzer), wie man es nannte, bestand aus dreizehn Personen, gleichmäßig gekleidet, in dicht anschließenden Wämsern von Gemsleder, seltsam gezeichnet und gestickt. Sie trugen grüne Mützen mit silbernen Troddeln, rothe Bänder, weiße Schuhe, an Knieen und Knöcheln kleine Schellen und ein bloßes Schwert in der Hand. Diese geschmückte Schaar hatte vor dem König den Schwerttanz aufgeführt, der im Zusammenschlagen der Waffe und einem Wechsel seltsamer Stellungen bestand. Sie waren eben im Begriff, ihre Geschicklichkeit zum zweiten Male vor Simon Glovers Thür zu zeigen, ließen für sich und die Zuschauer Wein bringen und tranken laut jubelnd auf das Wohl des schönen Mädchens von Perth. Der alte Simon erschien an der Thür seiner Wohnung, um die Artigkeit seiner Mitbürger anzuerkennen, und dagegen den Wein zu Ehren der lustigen Mohrentänzer von Perth umgehen zu lassen. »Wir danken dir, Vater Simon,« sagte eine Stimme, die in einem künstlichen Gequik den Ton des Oliver Proudfute schlecht zu verbergen strebte. »Aber ein Anblick deiner lieblichen Tochter wäre unserem jungen Blut süßer gewesen, als ein ganzes Faß voll Malvasier.« »Ich dank' euch, Nachbarn, für euer Wohlwollen,« erwiderte der Handschuhmacher. »Meine Tochter ist nicht wohl und kann nicht in die kalte Nachtluft kommen – aber wenn dieser fröhliche Herr, dessen Stimme ich kennen sollte, in mein armes Haus kommen will, so wird sie ihm den Dank für die Uebrigen übertragen.« »Bringt ihn uns in Greif's Schenke,« riefen die übrigen Tänzer ihrem begünstigten Gefährten zu; »denn dort wollen wir Kehraus machen und die Gesundheit der schönen Katharina noch einmal trinken.« »Ich bin in einer halben Stunde bei euch,« sagte Oliver, »und will sehen, wer die größte Flasche leert oder das lauteste Lied singt. Ja, ich will so lustig sein zum Schluß des Karnevals, als sollte sich mit den Fasten mein Mund für immer schließen.« »So lebt wohl,« riefen seine Genossen im Mohrentanz; »lebt wohl, lustiger Strumpfwirker, bis wir uns wiedersehen.« Die Mohrentänzer setzten also ihren Zug fort, tanzend und singend, während sie, von vier Musikanten geführt, hingingen, und Simon Glover ihren Koryphäen in sein Haus zog und ihm einen Stuhl an das Feuer rückte. »Aber wo ist Eure Tochter?« sagte Oliver. »Sie ist der Magnet für uns tapfere Degen.« »Ei, sie hütet wirklich ihr Zimmer, Nachbar Oliver; »und, um offen zu sprechen, sie hütet ihr Bett.« »Ei, dann will ich hinauf und sie in ihrem Kummer sehen – Ihr habt meinen Zug gestört, Gevatter Glover, und Ihr seid mir Ersatz schuldig; ein lustiger Degen, wie ich, will nicht Beides, das Mädchen und das Glas, verlieren. – Sie hütet das Bett wirklich? Mein Hund und ich besuchen dir Zu gern nur kranke Mädchen hier; Wenn krank sie und am Sterben sind, Dann kommt mein Hund und ich geschwind. Und sterb' ich, wie es doch muß sein, So scharrt mich unter'm Bierfaß ein; Verschlung'nen Arm's ruht sicherlich Und traulich dann mein Hund und ich.« »Kannst du nicht einen Augenblick ernst sein, Nachbar Proudfute?« sagte der Handschuhmacher; »ich habe ein Wort mit dir zu reden.« »Ernst?« antwortete der Gast; »ei, ich bin den ganzen Tag ernst gewesen – ich kann kaum den Mund aufthun, ohne daß etwas von Tod, Begräbniß und dergleichen herauskommt – das sind die ernstesten Gegenstände, die ich kenne.« »Bei St. John, Mensch!« sagte der Handschuhmacher, »bist du dem Tode geweiht?« »Nein, ganz und gar nicht – 's ist nicht mein eigener Tod, den diese düsteren Gedanken anzeigen – ich habe ein gutes Horoscop und werde noch fünfzig Jahre leben. Aber es ist das Geschick des armen Schelms – des Douglassöldners, den ich im Gefecht am Valentinstag niederschlug – er starb letzte Nacht – das ist's, was mir auf der Seele lastet und düstere Gedanken weckt. Ach, Vater Simon, wir Kriegsleute, die wir Blut in unserem Zorn vergießen, haben manchmal finstere Gedanken – ich wünsche bisweilen, daß mein Messer nichts als verworrene Fäden zerschnitten hätte.« »Und ich wünsche,« sagte Simon, »das meine hätte nichts als Bockleder zerschnitten, denn es schnitt bisweilen in meinen eigenen Finger. Aber du kannst deine Gewissensbisse jetzt sparen; in dem Gefechte ward nur ein Mann gefährlich verwundet, der, welchem Harry Schmied die Hand abhieb, und er hat sich wieder erholt. Sein Name ist der schwarze Quentin, einer aus Sir John Ramorny's Gefolge. Man hat ihn insgeheim nach seiner Heimath Fife geschickt. »Was, der schwarze Quentin? – ei, das ist derselbe Mann, den Harry und ich, als wir dicht beisammen standen, im nämlichen Augenblicke trafen, nur daß mein Hieb etwas früher fiel. – Ich fürchte, es wird weitere Fehde nach sich ziehen, und der Oberrichter theilt meine Meinung. – Und er hat sich erholt? Ei, dann will ich fröhlich sein, und da du mich nicht sehen lassen willst, wie Katharina ihr Nachtkleid steht, so will ich nach dem Greif zu meinen Mohrentänzern.« »Nein, wartet einen Augenblick. Du bist ein Kamerad Harry Wynds, und hast ihm den Dienst erwiesen, ein paar Thaten für ihn zu verrichten, wie unter anderen diese letzte. Ich wollte, du könntest ihn von anderen Beschuldigungen reinigen, womit ihn das Gerücht beladen hat.« »Nun, ich will beim Griff meines Schwertes schwören, daß sie falsch sind, wie die Hölle, Vater Simon. – Wie! Degen und Schilder! Sollen Männer des Schwertes einander im Stich lassen?« »Ei, Nachbar Strumpfwirker, sei geduldig; du möchtest dem Schmied einen Dienst thun, und du bist so auf dem rechten Wege. Ich suche deinen Rath hinsichtlich dieser Angelegenheit – nicht als hielte ich dich für den weisesten Kopf in Perth, denn wenn ich das sagte, so würd' ich lügen.« »Ja, ja,« antwortete der selbstzufriedene Strumpfwirker; – »ich weiß, was Ihr mir zur Last legt – Ihr kalten Köpfe denkt, wir Hitzköpfe sind Narren. – Ich habe die Leute den Harry Wynd wohl zwanzig Mal so nennen hören.« »Narr genug und kalt genug reimt sich fast zusammen,« sagte der Handschuhmacher; »du bist gutmüthig und liebst deinen Kameraden. Es steht mit uns und ihm jetzt übel,« fuhr Simon fort. »Du weißt, daß von einer Heirath zwischen meiner Tochter und Harry Gow die Rede gewesen ist?« »Ich habe so ein Lied gehört seit dem St. Valentinsmorgen – Ach! der das schöne Mädchen von Perth gewinnt, muß ein glücklicher Mann sein – und doch verdirbt die Ehe manchen hübschen Burschen – ich selber bedaure fast – « »Bitte, laß dein Bedauern für diesmal sein, Freund,« unterbrach ihn der Handschuhmacher etwas kurz. »Ihr müßt wissen, Oliver, daß einige der schwatzhaften Weiber, die alle Angelegenheiten in der Stadt zu ihren eigenen machen, Harry beschuldigt haben, er gebe sich mit Sängerinnen und dergleichen ab. Katharina nahm es sich zu Herzen, und ich hielt mein Kind für beleidigt, weil sich Harry gar nicht betrug, wie es einem Valentin ziemte, sondern am nämlichen Tag, wo er der alten Sitte gemäß die beste Gelegenheit hatte, mit meiner Tochter von seiner Liebe zu reden, eine unanständige Gesellschaft vorzog. Auch versagte ich ihm, da er Abends sehr spät zu mir kam, die Thür, und wie ein alter Narr bat ich ihn, in sein Haus zu der Gesellschaft zurückzugehen, aus der er herkomme. Ich habe ihn seitdem nicht gesehen und fange an, meine Hitze für vorschnell zu halten. Katharina ist meine einzige Tochter, aber lieber wollt' ich sie im Grabe sehen, als einem Liederlichen geben. Indes kenne ich Harry Gow wie meinen eigenen Sohn, ich kann nicht glauben, daß er uns beleidigen wollte, und ohne Zweifel läßt sich der ihm aufgebürdete Fehler zu seinem Vortheil erklären. Man rieth mir, mich an Dwining zu wenden, der dem Schmied auf dem Spaziergang mit seiner Genossin begegnete. Wenn ich dem Apotheker glaube, so war es Harry's Muhme, Joan Letham. Aber du weißt, daß der Quacksalber immer mit seinem Gesicht diese Sprache redet und mit seiner Zunge eine andere. – Nun, du Oliver, hast, wie ich denke, zu wenig Witz – ich meine zu viel Ehrbarkeit – um die Wahrheit zu belügen, und da Dwining mich merken ließ, daß auch du sie gesehen hast –« »Ich sie gesehen, Simon Glover? Wird Dwining sagen, daß ich sie sah?« »Nein, nicht so ganz bestimmt – aber er sagt, Ihr erzähltet ihm, daß Ihr den Schmied in solcher Gesellschaft getroffen.« »Er lügt, und ich will ihn in einem Mörser zerstampfen!« sagte Oliver Proudfute. »Wie? Erzähltet Ihr ihm nichts von einer solchen Begegnung?« »Und wenn ich es nun that?« sagte der Strumpfwirker. »Schwur er nicht, daß er keinem Sterblichen je wieder sagen wolle, was ich ihm mittheilte? Und daher macht' er sich, indem er Euch die Sache erzählte, zum Lügner.« »Also trafst du den Schmied,« sagte Simon, »nicht mit einem so lockern Gepäck, wie das Gerücht sagt?« »Ei, zum Henker, nein – vielleicht war's so, vielleicht nicht. Denkt, Vater Simon, ich bin seit vier Jahren ein Ehemann, und könnt Ihr von mir denken, ich könne mich an die Knöchel einer Sängerin, an ihren Fuß, an die Stickerei ihres Rockes und solches Zeug erinnern? Nein, ich überlasse das unverheiratheten jungen Burschen, wie mein Gevatter Harry.« »Der Schluß ist also,« sagte der Handschuhmacher sehr mißmuthig, »Ihr begegnetet ihm doch am St. Valentinstag auf offener Straße spazierend –« »Nicht doch, Nachbar; ich traf ihn in dem entferntesten und dunkelsten Gäßchen von Perth, eilig seinem Hause zusteuernd mit Sack und Pack, welches er, als galanter Bursch, aus dem Arme trug, den kleinen Hund auf dem einen, während ihm die Donna – mir kam sie recht hübsch vor – am andern hing.« »Nun, bei St. John!« sagte der Handschuhmacher, »diese Schmach könnte einen Christenmenschen seinen Glauben verläugnen und Mahomed in seinem Zorn anbeten lassen! Aber er hat meine Tochter zum letzten Mal gesehen. Ich sähe lieber, sie ginge mit einem barfüßigen Räuber nach den Hochlanden, als daß sie Einen heirathete, der auf solche Weise Ehre und Anstand vergessen kann. – Es ist aus mit ihm!« »Ei, ei, Vater Simon,« sagte der freisinnige Strumpfwirker; »Ihr betrachtet die Welt nicht aus dem Standpunkte jungen Blutes. Sie waren nicht lange beisammen, denn – die Wahrheit zu sagen, ich gab ein Bischen auf ihn Achtung – ich traf ihn vor Sonnenaufgang, seine irrende Dirne nach unserer Frauen Treppe führend, damit sich die Dirne auf dem Tay einschiffen sollte; und ich weiß gewiß – denn ich erkundigte mich – daß sie nach Dundee absegelte. So seht Ihr also, es war nur eine kleine Jugendverirrung.« »Und er kam hierher,« sagte Simon bitter, »und bat um Zutritt bei meiner Tochter, während ihn daheim seine Buhlerin erwartete! Lieber wollt' ich, er hätt' ein Dutzend Menschen erschlagen! – Das wäre nicht der Rede werth, am wenigsten bei dir, Oliver Proudfute, der, wenn du nicht so Einer bist, wie er, doch dafür gehalten sein möchte. Aber –« »Ei, nehmt die Sache nicht so ernstlich,« sagte Oliver, der zu erwägen begann, welches Unheil sein Geschwätz wahrscheinlich für seinen Freund anstiften mußte, und welche Folgen Harry Gows Mißfallen haben werde, wenn er hinter die Eröffnung käme, die er mehr aus Herzensalbernheit als in böser Absicht gemacht hatte. »Bedenkt,« fuhr er fort, »daß solche Thorheiten der Jugend zuzuschreiben sind. Gelegenheit reizt die Menschen zu solchen Vergehungen und das Geständniß wird sie auslöschen. Ich scheue mich nicht, dir zu sagen, daß, obwohl mein Weib eine so hübsche Frau ist, als die Stadt nur eine hat, ich doch selber –« »Still, thörichter Prahler!« sagte der Handschuhmacher hoch erzürnt; »Deine Liebschaften und deine Schlachten sind beide gleich apokryphisch. Wenn du einmal lügen mußt, was, wie mich dünkt, in deiner Natur liegt, kannst du nicht wenigstens eine Lüge erfinden, die dir Ehre macht? Glaubst du nicht, daß ich in dein Herz sehe, wie ich das Licht durch das Horn einer schlechten Laterne sehe? Glaubst du nicht, daß ich weiß, du elender Weber schmutzigen Garns, wie du nicht mehr wagtest, durch deine eigene Thür zu gehen, wenn dein Weib gehört hätte, wessen du dich rühmst? Daß du nicht den Muth hättest, dein Schwert mit einem zwölfjährigen Knaben zu kreuzen, der das seine zum ersten Mal in seinem Leben zöge? Bei St. John, es hieße Euch für die Mühe Eurer Klatschereien zahlen, deinem Weibe die Kunde deiner lustigen Streiche zuzuschicken.« Der Strumpfwirker fuhr bei dieser Drohung zusammen, wie wenn ein Armbrustbolzen, da er's am wenigsten erwartete, an seinem Kopf vorbeigepfiffen wäre. Mit zitternder Stimme erwiderte er: »Ei, guter Vater Glover, du nimmst dir zu viel heraus auf Kosten deines grauen Haares. Erwäge, guter Nachbar, du bist zu alt, um dich mit einem jungen Kriegsmann zu messen. Und was meine Magda betrifft, so kann ich dir trauen, denn ich weiß, daß sich Keiner weniger scheut, als du, den Frieden einer Familie zu stören.« »Deine Dummheit vertraue nicht länger auf mich,« sagte der erzürnte Handschuhmacher; »aber schaffe dich selbst und das Ding, welches du einen Kopf nennst, aus meinem Bereich, oder ich borge fünf Minuten meiner Jugend zurück und breche dir den Schädel!« »Ihr habt einen lustigen Fastnachtabend gehalten, Nachbar,« sagte der Strumpfwirker, »und ich wünsche Euch einen ruhigen Schlaf; wir werden morgen bessere Freunde sein.« »Aus meinem Hause heut' Nacht!« sagte der Handschuhmacher. »Ich schäme mich, daß eine so thörichte Zunge, wie die deine, mich so aufzubringen vermochte. – Narr – Thier – klatschzüngiger Thor!« sprach er für sich weiter, sich selber in einen Stuhl werfend, als der Strumpfwirker verschwand; »daß ein Kerl, der aus Lügen besteht, keine finden kann, wenn es gilt, die Schmach eines Freundes zu verbergen? Und ich, wer bin ich, daß ich wünschte, die ungeheure Schmach, die mich und meine Tochter traf, entschuldigt zu sehen? Und doch, ich dachte so gut von Harry, daß ich alle Lügen zu glauben bereit war, die der prahlerische Esel hätte erfinden können. Nun wohlan! Es ist nicht der Mühe werth, daran zu denken. Unser ehrlicher Name muß bleiben und sollte auch Alles sonst zu Grunde gehen.« Während der Handschuhmacher sich über die unwillkommene Bestätigung des Gerüchtes moralisirte, das er gern für unwahr gehalten hätte, hatte der verwiesene Mohrentänzer Muße, in der beruhigenden Luft einer kalten und finstern Februarnacht über die Folgen von des Handschuhmachers ungezähmtem Zorne nachzudenken. »Aber er ist nichts,« dachte er bei sich, »gegen den Zorn Harry Wynds, der einen Menschen um weit Geringeres getödtet hat, als die Erregung von Zwiespalt zwischen ihm und Katharina, so wie dem hitzigen alten Vater. Gewiß, ich hätte lieber Alles läugnen sollen. Aber die Lust, als ein gewandter Galan zu scheinen, – der ich in der That bin – überwältigte mich. Thu' ich gut, im Greif das Fest zu beschließen? Magda wird lärmen, wenn ich nach Hause komme. Doch, heut' ist ja Fastnacht, da darf ich mir schon was erlauben. Da fällt mir ein guter Gedanke bei: ich gehe nicht zum Greif, ich will mich zum Schmied begeben; er muß daheim sein, da ihn heut' noch Niemand gesehen hat. Ich will Frieden mit ihm zu machen suchen und ihm meine Vermittelung beim Handschuhmacher antragen. Harry ist ein ehrlicher, gerader Bursch, und obwohl ich gestehen muß, daß er bei einem Tumult tüchtiger ist, als ich, so kann ich doch im Wortstreit machen, was ich will. – Die Straßen sind jetzt ruhig, die Nacht ist finster, und ich verberge mich leicht, wenn mir Jemand begegnet. Ja, ich will zum Schmied gehen – und, wenn ich mir seine Freundschaft erhalte, den alten Simon auslachen. St. Ringan bringe mich sicher durch diese Nacht, und ich will mir die Zunge lieber ausreißen, eh' sie meinen Kopf wieder in solche Gefahr bringen soll! Jener alte Bursche glich, als sein Blut wallte, eher einem Menschen, der Büffelkoller durchhaut, als einem Gemsfellschneider.« Mit diesen Betrachtungen wandelte der gewaltige Oliver eilig, doch so geräuschlos wie möglich, nach dem Wynd, wo, wie unsere Leser wissen, der Schmied seine Wohnung hatte. Aber das böse Geschick ließ nicht ab, ihn zu verfolgen. Als er sich nach der hohen oder Hauptstraße wandte, hörte er einen musikalischen Akkord, begleitet von einem lauten Jubel, in der Nähe. »Meine lustigen Genossen, die Mohrentänzer,« dachte er; »ich kenne des alten Jeremias Geige unter hundert andern. Ich will mich über die Straße wagen, eh' sie herankommen – wenn man mich erspäht, werden sie denken, ich habe ein besonderes Abenteuer, und das wird meine Ehre als wackerer Raufbold erhöhen.« Mit diesem Verlangen nach Auszeichnung unter den Fröhlichen und Tapfern, welches jedoch im Innern klügere Betrachtungen bekämpften, machte der Strumpfwirker einen Versuch, über die Straße zu gehen. Aber die Nachtschwärmer, wer sie auch sein mochten, waren von Fackeln begleitet, deren Licht auf Oliver fiel, dessen hellfarbiges Kleid ihn um so leichter sichtbar machte. Der allgemeine Ruf; »Ein Fang! ein Fang!« übertäubte den Gesang des Minstrels, und bevor der Strumpfwirker entscheiden konnte, ob es besser sei, zu stehen oder zu fliehen, ergriffen ihn zwei gewandte junge Männer, gehüllt in phantastische Maskengewänder, wilde Menschen vorstellend und große Keulen tragend, die in tragischem Tone sagten: »Ergib dich, Mann der Schellen und des Bombasts; ergib dich auf Gnad' und Ungnade, oder du bist nur ein todter Mohrentänzer.« »Wem soll ich mich ergeben?« sagte der Strumpfwirker mit bebender Stimme; denn obwohl er sah, daß er's mit einer Gesellschaft Masken zu thun hatte, welche nur Vergnügen suchten, so bemerkte er doch zu gleicher Zeit, daß sie weit über seinem Stande waren, und er verlor die Kühnheit, die nöthig war, seine Rolle in einem Spiele zu unterstützen, wobei der Schwächere wahrscheinlich am schlechtesten wegkommen mußte. »Du raisonnirest, Sclave?« antwortete eine der Masken; »soll ich dir zeigen, daß du ein Gefangener bist, indem ich dir zugleich die Bastonade gebe?« »Ganz und gar nicht, Gewaltiger aus Indien,« sagte der Strumpfwirker; »wahrlich, ich stehe Euch durchaus zu Befehl.« »So komm,« sagten Jene, die ihn gefangen hatten, »komm, und huldige dem Kaiser der Gaukler, dem König der Springer und dem Großherzog der finstern Stunden, und erkläre, mit welchem Rechte du so anmaßend warst, zu singen und zu tanzen und Schuhleder in seinen Bereich zu tragen, ohne ihm Tribut zu geben. Weißt du nicht, daß du die Strafe des Hochverraths verwirkt hast?« »Das wäre hart, dünkt mich,« sagte der arme Oliver, »da ich nicht wußte, daß Se. Majestät diesen Abend die Herrschaft übte. Aber ich will gern das Vergnügen büßen, wenn die Börse eines armen Strumpfwirkers es vermag, einige Kannen Wein oder so etwas als Strafe zu entrichten.« »Bringt ihn vor den Kaiser!« schrie man allgemein; und der Mohrentänzer ward vor die schmächtige, aber hübsche und leichte Gestalt eines jungen Mannes gestellt, welcher prächtige Kleider, Gürtel und eine Tiara von Pfauenfedern trug, die man damals als große Seltenheit aus Indien brachte. Eine kurze Jacke schloß sich unter der Brust über einem Leopardenfell; im Uebrigen war er mit fleischfarbener Seide bedeckt und sah einem indischen Fürsten ganz ähnlich; er trug Sandalen, die mit scharlachrothen Seidenbändern befestigt waren, und eine Art Fächer, wie die Damen damals brauchten, ebenfalls aus Pfauenfedern bestehend, die in einem Büschel zusammenstanden. »Was für einen Patron haben wir da,« fragte der indische Häuptling, »der es wagt, die Mohrenglocken an die Knöchel eines dummen Esels zu binden? – Hört Ihr, Freund, Euer Kleid macht Euch zu unserem Unterthan, da unser Reich sich über's ganze Narrenland erstreckt, umfassend Gaukler und Minstrels jeder Gattung. – Wie, ist die Zunge gefesselt? Er braucht Wein – gebt ihm eine Nußschale voll Sect!« Eine gewaltige Kürbisflasche voll Sect ward den Lippen des Flehenden geboten, während dieser Fürst der Schwärmer ihn ermahnte: – »Knack' mir diese Nuß und mach' es hübsch und ohne Grimassen.« Aber wie gern auch Oliver einen guten Schluck dieses trefflichen Weines genossen hätte, so erschreckte ihn doch die Menge, die er bewältigen sollte. Er that einen Zug und bat dann um Gnade. »Mit Eurer fürstlichen Erlaubniß, ich habe noch weit zu gehen, und wenn ich Eurer Majestät Huld völlig genießen wollte, wofür Ihr meinen schuldigen Dank annehmen mögt, so würd' ich nicht im Stande sein, über den nächsten Graben zu schreiten.« »Bist du im Stande, dich als lustiger Bruder zu betragen? Nun, thu' einen Sprung – ha! eins – zwei – drei – vortrefflich! – noch einmal – gebt ihm den Sporn – (hier gab ein Trabant des Indiers Oliver einen leichten Schwertstreich) – nein, das war das Beste von Allem – er sprang wie eine Katze in der Dachrinne! Gebt ihm die Nuß noch einmal – nun, keinen Zwang, er hat seine Buße gezahlt, und verdient nicht nur freie Entlassung, sondern Belohnung. Knie nieder, knie, und steh' auf Sir Ritter von der Kürbißflasche! Wie heißt du? Leih' mir Einer von Euch ein Rapier.« »Oliver, wenn's Euer Gnaden gefällt – Eurer Majestät, wollt' ich sagen.« »Oliver, Mann? na, dann bist du schon einer der zwölf Pairs, und das Schicksal ist unserer beabsichtigten Beförderung zuvorgekommen. Aber steh' auf, werther Sir Oliver Strohkopf, Ritter des ehrenwerthen Ordens vom Tanzschuh. – Steh' auf im Namen des Unsinns, und geh' deinen eignen Schlichen nach und der Teufel geh' mit dir.« Mit diesen Worten gab der Fürst der Schwärmer mit flacher Klinge des Strumpfwirkers Schultern einen Schlag, und Oliver sprang mit mehr Behendigkeit, als er bisher gezeigt hatte, auf seine Füße und tanzte, angetrieben durch das Lachen und Halloh, das sich hinter ihm erhob, an des Schmieds Hause an, so eilend, wie ein gejagter Fuchs bei seiner Höhle. Erst als der in Furcht gejagte Strumpfwirker einen Schlag an die Thür gethan hatte, besann er sich, daß er vorher hätte überlegen sollen, auf welche Art er sich bei Harry einführen und wie er dessen Vergebung für die unbedachten Mittheilungen bei Simon Glover erlangen könnte. Man antwortete nicht auf sein erstes Klopfen, und vielleicht hätte in dem Augenblick, da all' diese Betrachtungen in seinem erschreckten Gemüthe sich erhoben, der Strumpfwirker seinen Plan aufgegeben, aber ein ferner Schall von Gesang weckte seine Besorgnisse, wieder in die Hände der lustigen Masken zu fallen, denen er entgangen war, und er erneuerte sein Klopfen am Thor der Schmiedswohnung mit hastiger, obwohl zitternder Hand. Dann vernahm er die tiefe, aber wohlklingende Stimme Harry Gow's, der von innen rief: – »Wer klopft zu dieser Stunde? – und was ist Euer Begehr?« »Ich bin's – Oliver Proudfute,« erwiderte der Strumpfwirker; »ich hab' Euch einen lustigen Spaß zu erzählen, Gevatter Harry.« »Bring' deine Narrheit auf einen andern Markt. Ich bin in keiner scherzhaften Laune,« sagte Harry; »geh' fort. – Ich will heut' Nacht Niemand sehen.« »Aber, Gevatter – guter Gevatter,« antwortete der Kriegsheld außen, »ich bin von Schurken bedrängt und bitte um den Schutz deines Hauses.« »Narr, der du bist!« erwiderte Harry; »kein Hahn vom Düngerhof, der schlechteste, der an diesem Fastnachtabend gekämpft hat, würde seine Federn gegen einen solchen feigen Vogel, wie du bist, sträuben!« In diesem Augenblick ertönte wieder Gesang, und zwar, wie der Strumpfwirker merkte, viel näher, wodurch seine Besorgniß auf's Höchste stieg; mit einer Stimme, welche unverkennbar die größte Furcht ausdrückte, rief er: – »Um unserer guten Gevatterschaft und der Liebe unserer lieben Frau willen, laßt mich ein, Harry, wenn Ihr mich nicht als blutigen Leichnam an Eurer Thür finden wollt, erschlagen von dem blutgierigen Douglas!« »Das würde eine Schande für mich sein,« dachte der gutmüthige Schmied; »und er kann allerdings in wirklicher Gefahr sein. Es streifen Falken umher, die auf einen Sperling so gut wie auf einen Reiher stoßen.« Mit diesen Gedanken, halb gemurmelt, halb gesprochen, that Harry seine wohlbefestigte Thür auf, um die Wahrheit der Gefahr zu untersuchen, bevor er seinen unwillkommenen Gast in sein Haus treten ließ. Aber während er sich in der Straße umsah, um zu erkennen, wie die Sachen ständen, schlüpfte Oliver in das Haus wie ein gehetztes Reh in ein Dickicht, und ließ sich bei des Schmieds Küchenfeuer nieder, bevor Harry die Straße auf- und absehen und sich überzeugen konnte, daß den besorgten Flüchtling keine Feinde verfolgten. Er schloß daher seine Thür und kehrte in die Küche zurück, unzufrieden, daß er seine melancholische Einsamkeit hatte stören lassen, indem er Befürchtungen theilte, die doch, wie er denken konnte, bei seinem furchtsamen Mitbürger so leicht zu erregen waren. »Wie nun?« sagte er kalt genug, als er den Strumpfwirker ruhig an seinem Herde sitzen sah. »Was sind das für thörichte Possen, Meister Oliver? – ich sehe Niemand in der Nähe, der Euch Etwas zu Leide thun will.« »Gib mir was zu trinken, guter Gevatter,« sagte Oliver, »ich bin von der Eile erschöpft, mit der ich hierher zu kommen suchte.« »Ich habe geschworen,« sagte Harry, »daß dieß keine lustige Nacht in diesem Hause sein soll – ich bin in meinen Werkeltagskleidern, wie Ihr seht, und halte Fasten, wozu ich guten Grund habe, statt des Festes. Ihr habt genug getrunken für den Festabend, denn die Zunge ist Euch bereits schwer. Wenn Ihr noch mehr Bier oder Wein wollt, müßt Ihr anderswohin gehen.« »Ich habe schon mehr als genug gehabt,« sagte der arme Oliver, »und wäre fast darin ersäuft worden. – Die verfluchte Kürbißflasche! – einen Trunk Wasser, guter Gevatter! – Darum laßt Ihr mich doch nicht umsonst bitten? oder, wenn Ihr wollt, einen Becher Dünnbier.« »Nun, wenn das Alles ist,« sagte Harry, »das soll nicht fehlen. Aber es muß viel gewesen sein, was dich dahin brachte, um solchen Trank zu bitten.« So sprechend füllte er eine Quartflasche aus einem Fasse, das in der Nähe stand, und setzte sie seinem Gaste vor. Oliver nahm sie sogleich, führte sie mit zitternder Hand zum Munde, und schlürfte den Inhalt mit Lippen, die vor Aufregung bebten, und obwohl das Getränk so dünn war, als er verlangt hatte, so war er doch so erschöpft von der Furcht wegen Angriffen und von früheren Gelagen, daß, als er die Flasche auf den Eichentisch setzte, er einen tiefen Seufzer der Beruhigung hören ließ und schwieg. »Nun, jetzt habt Ihr Euern Trunk gehabt, Gevatter,« sagte der Schmied, »was bedürft Ihr sonst? Wo sind die, die Euch bedrohten? Ich konnte Niemand sehen.« »Nein – aber es waren zwanzig, die mich nach dem Wynd verfolgten,« sagte Oliver. »Als sie uns aber beisammen sahen, so verloren sie freilich den Muth, der Alle gegen Einen von uns gebracht hätte.« »Ei, treib' keinen Scherz, Freund Oliver,« erwiderte sein Wirth. »Dazu bin ich nicht aufgelegt.« »Ich scherze nicht, bei St. John von Perth. Ich bin angehalten und schnöde behandelt worden (dabei fuhr seine Hand über den angegriffenen Theil), und zwar durch den tollen David von Rothsay, den tobenden Ramorny und die Anderen. Sie ließen mich eine Viertelstonne Malvasier trinken.« »Du redest thöricht, Mensch, – Ramorny ist krank und dem Tode nah', wie der Apotheker überall erzählt; sie, und zumal Ramorny, können gewiß um Mitternacht nicht aufstehen, um solche Possen zu treiben.« »Ich kann's zwar nicht behaupten,« erwiderte Oliver; »aber ich sah die Gesellschaft bei Fackellicht, und ich kann einen körperlichen Eid schwören, daß ich sie an den Mützen erkannte, die ich seit dem Unschuldigen-Kindeltag für sie gemacht habe. Sie sind wunderlich geformt und ich muß doch mein eigenes Gewebe kennen.« »Nun, es kann dir ein Leid zugefügt worden sein,« antwortete Harry. »Wenn du in wirklicher Gefahr bist, so will ich dir hier ein Bett machen lassen. Aber Ihr müßt Euch sogleich hineinlegen, denn ich bin nicht aufgelegt zum Plaudern.« »Ach, ich würde dir für ein Nachtquartier sehr danken, aber meine Magda wird böse – das heißt, nicht böse, denn darnach frag' ich nichts – aber, die Wahrheit zu sagen, sie ist gar zu besorgt in einer lustigen Nacht wie diese, da sie weiß, mein Sinn gleicht dem deinigen – ein Wort und ein Hieb.« »Nun, dann geh' heim,« sagte der Schmied, »und zeig' ihr, daß ihr Schatz in Sicherheit ist, Meister Oliver – die Straßen sind ruhig – und um offen zu reden: ich möchte allein sein.« »Ach, ich hab' aber noch über wichtige Dinge mit dir zu reden,« erwiderte Oliver, der sich scheute zu bleiben, und doch auch nicht gern gehen wollte. »Es hat Lärm gegeben in unserm Stadtrath wegen der Geschichte vom Valentinsabend. Der Oberrichter sagte mir vor kaum vier Stunden, der Douglas und er wären übereingekommen, die Fehde durch einen Kämpfer von jeder Partei zu entscheiden, und es werde unser Bekannter, der Teufels-Dick, seinen Adel bei Seite setzen und die Sache des Douglas und der Edelleute verfechten. Obwohl ich nun der ältere Bürger bin, so will ich doch gern um unsrer alten Liebe und Freundschaft willen dir den Vorrang lassen, und mich mit dem bescheidenen Amte des Sekundanten begnügen.« Harry Schmied, obwohl ungehalten, konnte doch kaum ein Lächeln unterdrücken. »Wenn es das ist, was deine Ruhe stört und dich um Mitternacht von deinem Bette fern hält, so will ich die Sache abmachen. Du sollst den dir angebotenen Vorzug nicht einbüßen. Ich habe einige Dutzend Zweikämpfe durchgefochten – nur allzuviel. Du bist, denk' ich, blos deinem hölzernen Sultan begegnet – es wäre unbillig – ungerecht – unfreundlich – wenn ich dein freundliches Anerbieten mißbrauchte. So geh' heim, guter Freund, und laß nicht die Furcht, Ruhm einzubüßen, deinen Schlummer stören. Ruhe in der Ueberzeugung, daß du der Anforderung antworten wirst, wozu du das Recht hast, da dich der grobe Reiter beleidigte.« »Sehr dankbar, herzlichen Dank,« sagte Oliver, sehr verlegen durch seines Freundes unerwartete Nachgiebigkeit. »Du bist der gute Freund, wie ich dich immer kannte. Aber ich hege zu viel Freundschaft für Harry Schmied, als er für Oliver Proudfute. Ich schwöre bei St. John, ich will nicht zu deinem Nachtheil in diesem Streite fechten. Das ist nun ausgesprochen und die Versuchung kann mir nichts mehr anhaben, da du mich nicht meineidig sehen sollst und gäb' es zwanzig Duelle zu bestehen.« »Hör',« sagte der Schmied, »bekenne, daß du Furcht hast, Oliver. Sage gleich die ehrliche Wahrheit, oder ich lasse dich das Duell ausfechten, so gut du kannst.« »Ei, guter Gevatter,« erwiderte der Strumpfwirker, »du weißt, ich fürchte mich nie. Aber, in Wahrheit, Jener ist ein verzweifelter Schurke; und da ich ein Weib habe – die arme Magda, du weißt ja – und kleine Familie, und du –« »Und ich,« antwortete Harry heftig, »habe keine, und nie werd' ich eine haben.« »Ei, wirklich – so ist es allerdings – und daher wollt' ich, du föchtest lieber diesen Kampf als ich.« »Nun, bei unserer lieben Frau, Gevatter!« antwortete der Schmied, »du bist leicht fertig! Wisse, du thörichter Bursche, daß Sir Patrick Charteris, der immer ein lustiger Mann ist, nur mit dir gespaßt hat. Meinst du, er würde die Ehre der Stadt auf deinen Kopf wagen? oder daß ich dir den Vorrang lassen würde, wo es eine solche Sache gilt? Nun gut, geh' heim, laß dir von Magda eine warme Nachtmütze um den Kopf binden; nimm ein gutes Frühstück und ein Glas Branntwein, und du wirst im Stande sein, morgen deinen hölzernen Dromond oder Sultan, wie du ihn nennst, zu bekämpfen, das einzige Wesen, welches je deine Hiebe treffen werden.« »Ach, wie du sprichst, Kamerad!« antwortete Proudfute, sehr erleichtert, aber doch für nöthig erachtend, den Beleidigten zu spielen. »Ich kümmere mich nicht um deine schlechte Laune; es ist gut für dich, daß du meine Geduld nicht so weit erschöpfen kannst, um mit dir zu streiten. Genug – wir sind Gevattern und das ist dein Haus. Warum sollten die beiden besten Klingen in Perth einander bekämpfen? Ei, ich kenne deine üble Laune und kann sie verzeihen. – Aber ist die Fehde wirklich aufgehoben?« »So vollkommen, als je ein Hammer einen Nagel befestigte,« sagte der Schmied. »Die Stadt hat dem Johnston eine Börse Gold gegeben, daß er sie nicht eines Ruhestörers, genannt Oliver Proudfute, beraubte, als er ihn in seiner Gewalt hatte; und dieses Gold kauft für den Oberrichter die Insel Steepleß, die ihm der König schenkt, denn der König zahlt Alles in der Länge. Und so bekommt Sir Patrick den hübschen Inch, der seiner Wohnung gegenüberliegt, und alle Ehre auf beiden Seiten ist gerettet, denn was dem Oberrichter gegeben wird, wird, versteht sich, der Stadt gegeben. Ueberdieß hat Douglas die Stadt verlassen, um gegen die Engländer zu marschiren, die, wie man sagt, von dem treulosen Grafen von March über die Grenze gerufen sind. So ist die gute Stadt ihn und sein Gefolge los.« »Aber, in St. Johns Namen, wie ist das Alles zugegangen?« sagte Oliver; »und kein Mensch hat davon gesprochen?« »Nun sieh', Freund Oliver, dieß, denk' ich, ist der Fall gewesen. Der Kerl, dem ich eine Hand abhieb, soll nur ein Diener Sir John Ramorny's gewesen sein, der nach seiner Heimath Fife geflohen ist, wohin auch Sir John selber verbannt worden mit voller Zustimmung jedes ehrlichen Mannes. Nun, Alles, was Sir John Ramorny betrifft, geht auch einen viel größern Mann an – ich glaube, so etwas sagte Simon Glover dem Sir Patrick Charteris. Wenn es sich verhält, wie ich vermuthe, so darf ich nur dem Himmel und allen Heiligen danken, daß ich den auf der Leiter nicht prügelte, als ich ihn gefangen nahm.« »Und auch ich danke dem Himmel und allen Heiligen auf's Beste,« sagte Oliver. »Ich stand hinter dir, wie du weißt, und –« »Nichts mehr davon, wenn du klug bist – es gibt Gesetze gegen die, welche Fürsten schlagen,« sagte der Schmied; am besten ist's, man rührt das Hufeisen nicht eher an, als bis es kalt geworden. Alles ist nun beigelegt.« »Wenn das ist,« sagte Oliver, zum Theil verlegen, noch mehr aber ermuthigt durch die Kunde, die er vom besser unterrichteten Freunde erhielt, »so hab' ich Grund, mich über Sir Patrick Charteris zu beklagen, daß er mit der Ehre eines ehrlichen Bürgers Scherz treibt, während er selber Oberrichter unserer Stadt ist.« »Thu' es, Oliver; fordere ihn heraus, und er wird seinem Diener befehlen, die Hunde auf dich zu hetzen. – Aber wohlan, die Nacht rückt vor, seid Ihr zu Ende?« »Nun, ich hätte dir noch ein Wort zu sagen, guter Gevatter. Aber zuerst noch einen Becher Eures kalten Bieres.« »Die Pest auf dich, du Narr! Du machst, daß ich dich hinwünsche, wo kalte Getränke selten sind. – Da, leere das Faß aus, wenn du Lust hast.« Oliver nahm die zweite Flasche, trank aber, oder schien vielmehr sehr langsam zu trinken, um Zeit zu gewinnen zur Ueberlegung, wie er den zweiten Gegenstand der Unterhaltung einleiten könne, der bei des Schmiedes gegenwärtigem reizbarem Zustande sehr kitzlich schien. Endlich fand er nichts Besseres, als gleich auf die Sache los zu gehen mit den Worten: »Ich habe heute Simon Glover gesehen, Gevatter.« »Gut,« sagte der Schmied in einem leisen, tiefen und ernsten Tone. »Und wenn du ihn sahst, was geht es mich an?« »Nichts, nichts,« antwortete der eingeschüchterte Strumpfwirker. »Ich dachte nur, Ihr möchtet gern wissen wollen, daß er mich genau fragte, ob ich Euch am Valentinstage, nach dem Lärm bei den Dominikanern, gesehen habe und in welcher Gesellschaft.« »Und ich wette, du sagtest ihm, daß du mich mit einer Sängerin in jenem dunkeln Gäßchen gesehen?« »Du weißt, Harry, ich habe keine Gabe, zu lügen; aber ich brachte Alles bei ihm in's Gleiche.« »Wie, ich bitt' Euch!« sagte der Schmied. »Ei nun, so! – Vater Simon, sagt' ich, Ihr seid ein alter Mann und kennt unsere Beschaffenheit nicht, in deren Adern die Jugend wie Quecksilber fließt. Ihr meint nun, es lieg' dem Harry an jenem Mädchen, sagt' ich, und daß er sie in irgend einem Winkel hier in Perth habe? Keineswegs; ich weiß, sagt' ich, und will einen Eid drauf schwören, daß sie am nächsten Morgen in aller Frühe aus seinem Hause nach Dundee abreiste. Ha! Hab' ich dir in der Noth geholfen?« »Wahrlich, das scheint mir so, und wenn in diesem Augenblick noch Etwas meine Unruhe und meinen Kummer mehren könnte, so ist es, daß, während ich so tief im Sumpfe stecke, ein Esel wie du seinen plumpen Fuß auf meinen Kopf stellt, um mich gänzlich versinken zu lassen. Nun mach', daß du fort kommst, und mögest du solches Glück haben, als deine klatschhafte Laune verdient; dann denk' ich, wird man dich mit gebrochenem Halse in der nächsten Gasse finden. – Mach', daß du fortkommst, oder ich werfe dich mit dem Kopfe voran aus der Thür.« »Ha, ha!« lachte Oliver sehr gezwungen, »wie kannst du so unzart sein! Aber, Gevatter Harry, willst du mich in deinem Trübsinn nicht nach meinem Hause in Meal Vennal begleiten?« »Zum Teufel, nein!« antwortete der Schmied. »Ich will dir Wein vorsetzen, wenn du mitgehst,« sagte Oliver. »Ich will dir Prügelsuppe vorsetzen, wenn du bleibst,« sagte Harry. »Nun, dann will ich dein Büffelwams anziehen und die Stahlhaube aufsetzen und deinen starken Schritt annehmen, und deinen Pibroch; ›Gebrochene Beine zu Loncarty,‹ pfeifen; und wenn sie mich für dich nehmen, so werden vier auf einmal sich nicht an mich wagen.« »Nimm Alles oder was du willst in des Satans Namen! aber geh' nur.« »Gut, gut, Harry, wir sehen uns, wenn du besser aufgelegt bist,« sagte Oliver, der die Kleidung angelegt hatte. »Geh' – und mög' ich dein narrenhaftes Gesicht nie wiedersehen!« Oliver befreite endlich seinen Wirth, indem er fortging, so gut er konnte, den festen Schritt und die kühne Haltung seines unerschrockenen Gefährten nachahmend, und einen Pibroch pfeifend, der die Niederlage der Dänen zu Loncarty enthielt und welchen er aufgeschnappt hatte, weil er eine Lieblingsweise des Schmieds war, den er, so gut er konnte, zu seinem Vorbilde nahm. Aber, als der unschuldige, obwohl eingebildete Bursch' den Wynd an der Stelle verließ, wo er sich mit der Highstreet verbindet, empfing er von hinten einen Hieb, gegen den seine Blechhaube keinen Schutz lieh, und er todt auf den Platz fiel; ein Versuch, Harry's Namen zu murmeln, von welchem er stets Schutz erwartete, bewegte noch seine sterbende Zunge. Siebzehntes Kapitel Ei, ich will dich zu einem jungen Prinzen machen. Falstaff. Wir kehren zu der fröhlichen Schaar zurück, die vor einer halben Stunde mit so geräuschvollem Applaus Olivers Behendigkeit angesehen hatte, die letzte Probe, die der arme Strumpfwirker je davon ablegen sollte. Auch seinen hastigen Rückzug, den ihr wilder Jubel anfeuerte, hatten sie gesehen. Nachdem sie genugsam gelacht, setzten sie ihren fröhlichen Weg jubelnd und scherzend fort, manche der ihnen Begegnenden anhaltend und erschreckend; aber man muß gestehen, alles dieß, ohne Jemand ernstlich zu kränken, sei es an der Person oder an der Ehre. Endlich gab ihr Führer, von seinen Streifereien ermüdet, seinen lustigen Leuten ein Zeichen, sich dicht um ihn zu versammeln. »Wir, meine tapferen Herzen und weisen Räthe, sind,« sagte er, »der wirkliche König über alle in Schottland, die des Beherrschens würdig sind. Wir scheuchen die Stunden, wenn der Becher kreist und wenn die Schönheit gefällig wird, wenn der Scherz erwacht und der Ernst auf seinem Bette schnarcht. Wir überlassen unserm Viceherrscher, dem König Robert, das mühevolle Geschäft, ehrsüchtige Edle unter seiner Macht zu erhalten, die Habgier der Geistlichen zu befriedigen, wilde Bergbewohner zu demüthigen und blutige Händel auszugleichen. Und da unser Rath das Reich der Freude und Lust ist, so ist es billig, daß wir all' unsere Kräfte vereinigen, um denen von unsern Unterthanen zu Hilfe zu kommen, die durch unglückliches Geschick im Kerker der Sorge und Krankheit liegen. Ich spreche hauptsächlich von Sir John, den man gemeinhin Ramorny nennt. Wir haben ihn seit dem Tumult in der Curfewstraße nicht gesehen; und obwohl wir wissen, daß er bei jener Sache ein wenig gelitten hat, können wir doch nicht begreifen, warum er nicht kommt, uns zu huldigen, wie es dem treuen Vasallen geziemt. – Hierher, unser Herold von der Kürbißflasche, habt Ihr Sir John zu diesem Abendfeste gesetzmäßig geladen?« »Ich that es, Herr.« »Und verkündigtet Ihr ihm, daß wir für diese Nacht sein Verbannungsurtheil aufhoben, damit, weil höhere Mächte die Sache geordnet haben, wir wenigstens einen fröhlichen Abschied von einem alten Freunde nehmen könnten?« »Das hab' ich ausgerichtet, Herr, antwortete der Gauklerherold. »Und sandte er kein Wörtchen schriftliche Antwort, er, der sich so sehr rühmt, ein gelehrter Schreiber zu sein?« »Er war zu Bett', Mylord, und ich konnte ihn nicht sehen. So viel ich weiß, hat er sehr eingezogen gelebt, weil er einige körperliche Verletzungen hat, unzufrieden mit Eurer Hoheit Ungnade ist und Beleidigungen in den Straßen fürchtet, da er nur mit Mühe den Bürgern entkam, als die Kerls ihn und zwei Diener in das Dominikanerkloster verfolgten. Die Diener sind auch nach Fife entfernt worden, damit sie nichts ausplaudern.« »Nun, das war weise gehandelt,« sagte der Prinz, – der, wie wir dem einsichtsvollen Leser nicht zu sagen brauchen, mit besserem Rechte so genannt ward, als es ihm die lustige Nacht gewährte, – »es war vorsichtig gehandelt, leichtzüngige Gefährten aus dem Wege zu schaffen. Aber Sir John's Abwesenheit von diesem feierlichen, schon so lang' angeordneten Feste ist Meuterei und Aufkündigung des Gehorsams. Wenn aber der Ritter wirklich Gefangener der Krankheit und Melancholie ist, so müssen wir ihn mit einem Besuche erfreuen, denn es gibt kein besseres Mittel gegen solche Krankheiten, als unsere Gegenwart und einen sanften Kuß der Kürbißflasche. – Vorwärts, Knappen, Musikanten, Wachen und Hofleute! Tragt hoch das große Emblem unserer Würde. – Auf mit dem Kürbiß, sag' ich! und laßt die Träger der Tonnen, mit deren Blut wir unsern Becher füllen, ihres festen Zustandes gemäß erwählt sein. Die Last ist schwer und kostbar, und wenn unser Gesicht nicht getrübt ist, scheinen sie mehr zu schwanken und zu straucheln als uns wünschenswerth ist. Nun, vorwärts, ihr Herren, und laßt unsere Musikanten recht laut und lustig spielen.« Vorwärts zogen sie mit jubelnder Lust und Freude, während die zahlreichen Fackeln ihr rothes Licht gegen die kleinen Fenster der engen Straßen warfen, aus welchen Hausherren in der Nachtmütze, bisweilen ihre Weiber daneben, verstohlen vorguckten, um zu sehen, welcher wilde Lärm die friedlichen Straßen zu so ungewohnter Stunde störte. Endlich hielt der muntere Zug vor Sir John Ramorny's Hausthür, die durch einen kleinen Hof von der Straße getrennt war. Hier klopften sie, donnerten und halloheten, Rache drohend dem Widerspenstigen, der die Thüren nicht öffnen wollte. Die geringste Strafe, die angedroht ward, war Einkerkerung in ein leeres Faß im Burgverließ des Schlosses des Fürsten Kurzweil, d.h. im Bierkeller. Aber Eviot, Ramorny's Page, hörte und kannte wohl den Charakter der Zudringlichen, die so kühn anpochten, und er hielt es für besser, in Betracht der Lage, worin sein Herr sich befand, keine Antwort zu geben, in der Hoffnung, die jungen Thoren würden ihres Weges gehen; denn er wußte wohl, daß es ein vergeblicher Versuch sein würde, sie von ihrem Vorsatz abzubringen. Da das Gemach seines Herrn auf einen kleinen Garten ging, so dachte der Page, er würde durch das Geräusch nicht geweckt werden. Er vertraute der Stärke des äußeren Thores und beschloß, sie klopfen zu lassen, bis sie von selbst müde würden oder ihr Rausch vorüber wäre. Die lüderliche Gesellschaft schien sich auch wirklich bald durch das Geschrei und die Anstrengungen erschöpfen zu müssen, die sie mit Anschlagen an die Pforte machten, als ihr scheinbarer Fürst, oder vielmehr derjenige, der unglücklicher Weise nur zu gewiß ihr Gebieter war, sie als traurige und träge Verehrer des Gottes des Weines und der Lust schalt. »Bringt,« sagte er, »unsern Schlüssel herbei – dort liegt er, und wendet ihn bei dieser rebellischen Pforte an.« Der Schlüssel, auf den er zeigte, war ein großer Balken, der an einer Seite der Straße lag, nach der gewöhnlichen Nachlässigkeit, welche eine schottische Stadt jener Zeit charakterisirte. Die jauchzenden Leute aus Indien hoben ihn alsbald auf ihre Arme und stießen, ihn mit vereinigter Kraft unterstützend, damit so gewaltsam gegen das Thor, daß Riegel, Angel und Pfosten krachten und zu weichen schienen. Eviot wartete diesen äußersten Fall nicht ab; er kam in den Hof herab, und nachdem er der Form wegen einige Fragen gethan, hieß er den Pförtner das Thor öffnen, wie wenn er jetzt erst die nächtlichen Gäste erkannt hätte. »Treuloser Sklave eines untreuen Herrn!« sagte der Prinz. »Wo ist unser pflichtvergessener Unterthan, Sir John Ramorny, der unserem Rufe nicht gehorcht hat?« »Mylord,« sagte Eviot, sich zugleich in Rücksicht auf die wirkliche, wie auf die angenommene Würde des Anführers verbeugend; – »mein Herr ist gerade jetzt sehr unwohl – er hat einen Schlaftrunk genommen – und – Eure Hoheit muß mich entschuldigen, wenn ich meine Pflicht erfülle, indem ich sage, er kann ohne Lebensgefahr für ihn nicht gesprochen werden.« »Still! rede mir nicht von Gefahr, Herr Teviot – Cheviot – Eviot – wie heißt Ihr doch? – aber zeige mir deines Herrn Gemach, oder vielmehr öffne mir die Thür seiner Wohnung, und ich werde mich schon selber zurechtfinden. – Tragt die Kürbißflasche hoch, meine wackeren Gefährten, und seht zu, daß ihr keinen Tropfen des Getränkes verschüttet, welches der große Bacchus uns gesendet hat, um alle Krankheiten des Leibes und Sorgen des Gemüths zu heilen. Bringt sie vorwärts, sag' ich, und laßt uns das heilige Gefäß sehen, welches so köstliche Flüssigkeit einschließt.« Der Prinz trat somit in das Haus und eilte, mit dem Innern bekannt, die Stufen empor, gefolgt von Eviot, der vergeblich um Ruhe bat, und so stürzte er mit den übrigen Schwärmern in's Gemach des verwundeten Herrn der Wohnung. Wer es selber erfahren hat, trotz folternden Körperschmerzes mittelst eines starken Opiats zum Schlaf gezwungen zu sein, bis er durch Lärm und Gewalt aus dem unnatürlichen Zustande der Empfindungslosigkeit erweckt ward, in welchen ihn die Macht der Arznei gebracht hatte, kann im Stande sein, den verwirrten und unruhvollen Gemüthszustand Sir John Ramorny's und die Qualen seines Körpers sich vorzustellen, die beide gegenseitig auf einander wirkten. Nehmen wir zu diesen Empfindungen noch das Bewußtsein des verbrecherischen Befehls, den er gegeben hatte und der wahrscheinlich schon vollzogen war, so können wir uns ein Erwachen denken, dem der ewige Schlaf vorzuziehen wäre. Der Seufzer, den er beim ersten Schmerzgefühl hören ließ, hatte etwas so Schauerliches, daß selbst die leichtsinnigen, jungen Leute einige Minuten still blieben. Ohne die Lage zu ändern, die er während des Schlafes auf seinem Bette eingenommen hatte, sah der Kranke sich düsteren Blickes in dem mit phantastischen Gestalten gefüllten Zimmer um und sagte, noch halb besinnungslos, zu sich selbst: »Ist denn demnach fürwahr so, und die Sage ist wahr! Diese sind Teufel und ich bin für immer verdammt? Das Feuer ist nicht äußerlich, aber ich fühl' es – ich fühl' es am Herzen – es brennt, wie wenn ein sieben Mal geheizter Ofen im Innern wirkte!« Während er schreckliche Blicke um sich warf und einen Theil seines Bewußtseins zu erringen strebte, näherte sich Eviot dem Prinzen und bat ihn, auf die Knie fallend, die Anwesenden das Gemach räumen zu lassen. »Es kann,« sagte er, »meinem Herrn das Leben kosten.« »Keine Furcht, Eviot!« erwiderte der Herzog von Rothsay: »wär' er auch an den Pforten des Todes. Hier ist Etwas, was die Teufel ihre Beute zu verlassen zwingt. – Bringt die Kürbißflasche, Ihr Herren.« »Es ist Tod für ihn, wenn er in diesem Zustande trinkt,« sagte Eviot; »wenn er Wein trinkt, stirbt er.« »Es muß Jemand für ihn trinken, er wird durch einen Stellvertreter geheilt – und möge unser großer Bacchus dem Sir John Ramorny Trost, Erhebung des Herzens, Erleichterung der Lunge und schöne Einbildungskraft schenken, welches seine erlesensten Gaben sind, während der treue Diener, der für ihn trinkt, Ekel, Unbehaglichkeit, Nervenreizung, Trübung der Augen und Hirnklopfen haben wird, womit unser großer Meister Gaben begleitet, die uns sonst den Göttern zu ähnlich machen würden. – Was meint Ihr, Eviot? wollt Ihr der treue Diener sein, der zu seines Herrn Besten und als sein Stellvertreter trinkt? Thut dieß, und wir werden uns begnügen, Abschied zu nehmen, denn uns dünkt, daß unser Unterthan etwas gräßlich aussieht.« »Ich würde Alles thun, was in meiner geringen Macht steht,« sagte Eviot, »um meinen Herrn vor einem Tranke zu bewahren, der sein Tod sein kann, und Eure Hoheit vor dem Bewußtsein, ihn veranlaßt zu haben. Aber hier ist Jemand, der sich mit Freuden diesem Geschäft unterziehen und Eurer Hoheit obendrein danken wird. »Wen haben wir da?« sagte der Prinz. »Einen Fleischer – und mich dünkt, direkt von seinem Geschäft? Treiben Fleischer ihr Geschäft am Fastnachtsabend? Pfui, wie er nach Blut riecht!« Diese Worte galten Bonthron, der, theils verwundert über den Tumult im Hause, wo er Alles finster und still zu finden erwartete, und theils vom Weine betäubt, den der Elende in großer Masse getrunken, auf der Schwelle der Thür stand, den Auftritt vor sich anstarrend, sein Büffelwams mit Blut bedeckt und eine blutige Axt in der Hand, so daß er einen schrecklichen und widerlichen Anblick für die Schwärmer darbot, welche, obwohl sie nicht sagen konnten warum, Furcht und Unbehagen bei seiner Anwesenheit empfanden. Als sie diesem unsaubern und gräßlich aussehenden Wilden die Kürbißflasche näherten und als er eine, wie es schien, mit Blut besudelte Hand darnach ausstreckte, rief der Prinz: »Hinab mit ihm! laßt den Elenden nicht in unserer Gegenwart trinken; sucht ein ander Gefäß für ihn, als unsern heiligen Kürbiß, das Zeichen unserer Freuden – ein Sautrog wäre besser, wenn er zu haben wäre. Fort mit ihm! Man ertränke ihn zur Buße für seines Herrn Nüchternheit. – Laßt mich mit Sir John Ramorny und seinem Pagen allein; bei meiner Ehre! mir gefallen jenes Schurken Blicke nicht.« Das Gefolge des Prinzen verließ das Gemach und nur Eviot blieb zurück. »Ich fürchte,« sagte der Prinz, sich dem Bette mit anderem Betragen, als er bisher gezeigt, nähernd, »ich fürchte, mein lieber Sir John, daß dieser Besuch unwillkommen war; aber es ist Eure eigene Schuld. Obwohl Ihr unsere alte Gewohnheit kennt und die Pläne für den Abend selber entwerfen halfet, seid Ihr uns doch nicht nahe gekommen seit dem St. Valentinstag – es ist nun Fastnacht und die Entfernung ist offener Ungehorsam und Verrath an unserm Königreiche der Lust und den Statuten der Kürbisflasche.« Ramorny erhob sein Haupt und heftete einen wirren Blick auf den Prinzen; dann gab er Eviot ein Zeichen, ihm Etwas zu trinken zu geben. Der Page reichte ihm einen großen Becher Arznei, welche der Kranke mit Gier und zitternder Hast verschlang. Dann brauchte er wiederholt die aufreizende Essenz, die ihm zu dem Zwecke der Arzt zurückgelassen, und schien seine zerstreuten Sinne zu sammeln. »Laßt mich Euern Puls fühlen, lieber Ramorny,« sagte der Prinz; »Ich versteh' Etwas von der Heilkunst – Wie, Ihr reicht mir die linke Hand, Sir John? – Das ist gebührlich weder nach den Regeln der Arzneikunst, noch nach denen der Höflichkeit.« »Die Rechte hat bereits ihr Letztes in Eurer Hoheit Diensten gethan,« murmelte der Kranke mit leiser und gebrochener Stimme. »Wie meint Ihr das?« sagte der Prinz. »Ich weiß, daß dein Diener, der schwarze Quentin, eine Hand verlor; aber er kann mit der andern so viel stehlen, daß er an den Galgen kommt, und also leidet sein Schicksal keine Aenderung.« »Jener Bursche hatte den Verlust nicht in Eurer Hoheit Dienst – ich hab' ihn – John von Ramorny.« »Ihr!« sagte der Prinz; »Ihr scherzt mit mir, oder das Opiat beherrscht Eure Vernunft noch.« »Wenn der Saft aller Mohnköpfe Aegyptens in einem Tranke gemischt wäre,« sagte Ramorny, »er würde den Einfluß auf mich verlieren, wenn ich das sehe.« Er zog seinen rechten Arm unter der Bettdecke hervor und streckte ihn, in den Verband eingewickelt, dem Prinzen entgegen, während er sagte: »Wäre das abgenommen und entfernt, so könnte Eure Hoheit sehen, daß nur ein blutiger Stumpf von einer Hand übrig blieb, stets bereit, das Schwert auf Eurer Hoheit leisesten Befehl zu ziehen.« Rothsay bebte entsetzt zurück. »Dies,« sagte er, »muß gerächt werden!« »Zum kleinen Theil ist es gerächt,« sagte Ramorny; »das heißt, mir war, als hätt' ich soeben Bonthron gesehen – oder war es der Traum der Hölle, der sich zuerst vor meiner Seele zeigte, als ich erwachte, und mir ein ähnliches Bild heraufbeschwor? Eviot, rufe das Ungeheuer – das heißt, wenn er im Stande ist, zu erscheinen.« Eviot ging und kehrte sogleich mit Bonthron zurück, den er von der Strafe (die ihm gar nicht unangenehm) einer zweiten Kürbißflasche Weins rettete, nachdem der rohe Mensch die erste verschlungen hatte, ohne eine sichtbare Aenderung seines Betragens zu zeigen. »Eviot,« sagte der Prinz, »laß mir die Bestie nicht zu nahe kommen. Meine Seele schaudert vor ihm zurück vor Furcht und Ekel; in seinen Blicken ist etwas meiner Natur Fremdes, und ich bebe davor, wie vor einer widerlichen Schlange, vor welcher ein innerer Trieb zurückdrängt.« »Erst hört ihn sprechen, Mylord,« antwortete Ramorny; »spräche nicht ein Weinrausch, so könnte Niemand weniger Worte brauchen. – Bist du an ihn gekommen, Bonthron?« Der Wilde erhob seine Axt, die er noch in der Hand hielt und senkte sie mit der Schneide abwärts. »Gut. Wie erkanntest du deinen Mann? – Ich höre, daß eine finstere Nacht ist.« »An Gesicht und Stimme, Kleidung, Gang und Pfeifen.« »Genug, geh' fort! – und, Eviot, laß ihn Gold und Wein haben, um sein viehisches Verlangen zu befriedigen. – Geh' fort! – und geh' du mit ihm.« »Und wessen Tod ist erfolgt?« fragte der Prinz, befreit von dem Gefühle des Abscheus und Ekels, worunter er litt, so lange der Mörder da war. »Ich hoffe, das ist nur ein Scherz? Sonst muß ich es eine voreilige und grausame That nennen. Wem ward das bittere Loos, durch den blutigen und wilden Sklaven hingeschlachtet zu werden?« »Ein wenig Besserer, als er selbst,« sagte der Kranke; »ein elender Handwerker, dem indeß das Schicksal die Macht gab, Ramorny zu einem verstümmelten Krüppel zu machen – ein Fluch folge seiner schlechten Seele! – Sein elendes Leben ist für meine Rache nur, was ein Tropfen Wasser für einen Ochsen sein würde. Ich muß mich kurz fassen, denn meine Gedanken verwirren sich wieder; es ist nur die Noth, die sie beisammen hält, wie ein Köcher ein Bündel Pfeile. Ihr seid in Gefahr, Mylord – ich spreche aus sicherer Ueberzeugung – Ihr habt Douglas getrotzt und Euern Oheim beleidigt – Eures Vaters Unwillen erregt – obwohl das nur Kleinigkeit gegen das Uebrige ist.« »Es schmerzt mich, meines Vaters Unwillen erregt zu haben,« sagte der Prinz, über den nun berührten wichtigern Gegenständen eine so unbedeutende Sache, wie den Mord eines Handwerkers, gänzlich vergessend, »wenn es in der That so ist. Aber wenn ich lebe, soll Douglas' Macht gebrochen werden, und die Schlauheit Albany's soll diesem wenig frommen!« »Ja, wenn – wenn! Mylord!« sagte Ramorny; »mit solchen Gegnern, wie Ihr habt, müßt Ihr Euch nicht auf wenn und aber verlassen – Ihr müßt Euch gleich entschließen zu schlagen oder erschlagen zu werden.« »Wie meint Ihr das, Ramorny? Euer Fieber macht Euch toll,« antwortete der Herzog von Rothsay. »Nein, Mylord,« sagte Ramorny, »stände meine Raserei auch auf dem höchsten Punkte, dennoch würden die Gedanken, die jetzt durch meine Seele ziehen, sie rechtfertigen. Es kann sein, daß Schmerz über meinen eigenen Verlust mich verzweifelt macht, daß Besorgniß für Eurer Hoheit Sicherheit mich kühne Pläne unterhalten läßt; aber ich habe die volle Urtheilskraft, womit der Himmel mich begabte, wenn ich Euch sage, daß, wenn Ihr je die Krone Schottlands tragen, ja, noch mehr, wenn Ihr einen zweiten St. Valentinstag sehen wollt, Ihr müßt – « »Was werd' ich müssen, Ramorny?« sagte der Prinz mit würdevoller Miene; »nichts meiner Unwürdiges hoff' ich!« »Gewiß nichts, was für einen Prinzen Schottlands unwürdig oder unschicklich ist, wenn die blutbefleckten Jahrbücher unseres Landes die Wahrheit sagen; aber Etwas, was wohl die Nerven eines Fürsten der Gaukler und Narren erschüttern dürfte.« »Du bist streng, Sir John Ramorny,« sagte der Herzog von Rothsay mit dem Ausdrucke des Mißfallens; aber du hast dein Recht, uns zu tadeln, theuer durch den Verlust erkauft, den du in unserem Dienste erlitten.« »Mylord von Rothsay,« sagte der Ritter, »der Arzt, der diesen verstümmelten Stumpf verband, sagte mir, je mehr ich den Schmerz seines Messers empfände, um so stärker sei die Hoffnung auf Heilung. Ich werde daher nicht anstehen, Eure Gefühle zu verletzen, weil ich dadurch Euch zu einer Einsicht bringen kann, die nothwendig für Eure Sicherheit ist. Eure Hoheit ist zu lange der Zögling fröhlicher Thorheit gewesen; Ihr müßt jetzt männliche Klugheit annehmen oder wie ein Schmetterling zermalmt werden im Schooße der Blume, an der Ihr Euch weidet.« »Ich glaube Eure Sittenlehren zu kennen, Sir John; Ihr seid der fröhlichen Thorheit müde, – die Geistlichen nennen sie Laster, – und Ihr sehnt Euch nach einem etwas ernsteren Verbrechen. Nun, ein Mord oder ein Blutbad würde den Geschmack der Ausschweifungen erhöhen, wie der Geschmack der Olive den Wein würzt; aber meine schlimmsten Thaten sind nur lustige Schelmerei; mich freut ein blutiger Handel nicht, und es empört mich, zu sehen oder zu hören, selbst wenn er nur in Betreff des gemeinsten Sklaven geübt wurde. Sollte ich je den Thron einnehmen, so werd' ich wahrscheinlich, wie mein Vater vor mir, meinen eigenen Namen aufgeben und mich zu Ehren des Bruce ,Robert nennen – nun, und wenn dies geschieht, so soll jeder Schotte seine Flasche in der einen Hand haben und die andere um seines Mädchens Nacken legen, und die Mannhaftigkeit soll durch Küsse und Becher, nicht durch Dolche und Schwerter erprobt werden; und auf mein Grab werden sie schreiben: ›Hier liegt Robert, der Vierte seines Namens. Er gewann nicht Schlachten gleich Robert dem Ersten. Er erhob sich nicht von einem Grafen zum König, wie Robert der Zweite. Er gründete keine Kirchen, wie Robert der Dritte, sondern begnügte sich zu leben und zu sterben als König braver Leute!‹ Von all' meinen Vorgängern der letzten zwei Jahrhunderte würde ich nur beneiden den Ruhm des Alten Königs Coul Der führt' ›ne tücht'ge Bowle.‹ »Mein gnädiger Herr,« sagte Ramorny, »laßt mich Euch erinnern, daß Eure fröhlichen Schwärmereien ernste Uebel erzeugen. Hätt' ich diese Hand im Gefecht verloren, um Eurer Hoheit einen wichtigen Vortheil über Eure allzumächtigen Feinde zu verschaffen, so würde mich der Verlust weniger schmerzen. Aber von Helm und Harnisch zum Schlafrock und zur Nachtmütze gebracht zu sein –« »Ei, laßt das jetzt endlich, Sir John« – unterbrach ihn der leichtsinnige Prinz – »wie kannst du so unwürdig handeln, und mir fortwährend die blutige Hand vor Augen halten, wie Gaskhall's Geist seinen Kopf dem Sir William Bruce zuwarf? Bedenke, du bist unvernünftiger, als Fawdyon selbst, denn ihm hatte Wallace im Zorn den Kopf abgehauen, während ich gern Alles hingäbe, dir die verlorene Hand wieder zu schaffen. Weil dies aber nicht sein kann, will ich dir eine andere dafür machen lassen, wie die stählerne Hand des Ritters von Carselogie, mit der er seine Freunde grüßen, seiner Gattin die Hand drücken, seinen Gegnern stehen und Alles thun konnte, was man mit einer Hand aus Fleisch und Blut verrichtet. Glaubt mir nur, John Ramorny, wir haben viel Ueberflüssiges an uns; der Mensch könnte mit einem Auge sehen, mit einem Ohre hören, mit einer Hand fühlen, mit einem Nasenloch riechen, und warum sollten wir das Alles doppelt haben, wenn nicht, um im Nothfall das Eine durch das Andere zu ersetzen? Ich kann es wenigstens nicht begreifen.« Sir John Ramorny wandte sich mit einem leisen Seufzer von dem Prinzen ab. »Ei, Sir John,« sagte der Herzog, »ich bin ganz ernst. Ihr kennt die Wahrheit der Sage von der Stahlhand des Carselogie besser, als ich, da er Euer eigener Nachbar war. Zu seiner Zeit konnte das merkwürdige Werk nur in Rom gefertigt werden; aber ich wette um hundert Mark mit Euch, laßt den Waffenschmied von Perth nur das Modell haben, so wird Harry vom Wynd es so gut zu Stande bringen, als es alle Schmiede von Rom unter dem Segen aller Cardinäle im Stande wären.« »Ich könnt' es wagen, Eure Wette anzunehmen, Mylord,« antwortete Ramorny bitter, »aber da ist keine Zeit zu Spaßen. – Ihr habt mich auf Befehl Eures Oheims aus Eurem Dienste entlassen?« »Auf Befehl meines Vaters,« antwortete der Prinz. »Dem Eures Oheims Befehle unverletzlich sind,« erwiderte Ramorny. »Ich bin ein schmachbeladener Mann, bei Seite geworfen, wie ich nun meinen rechten Handschuh wegwerfen kann, als ein unnützes Ding. Aber mein Kopf könnte Euch nützen, obwohl meine Hand fort ist. Ist Eure Hoheit geneigt, mir in einer wichtigen Sache einen Augenblick Gehör zu schenken? – Denn ich bin sehr erschöpft und fühle meine Kräfte schwinden.« »Sprecht nach Gefallen,« sagte der Prinz; »dein Verlust verpflichtet mich, dich zu hören; dein blutiger Stumpf ist ein Scepter, mir zu gebieten; sprich also, aber sei gnädig im Gebrauch deines Vorrechts.« »Ich will kurz sein, sowohl meinet- als Euretwegen; in der That, ich habe nur wenig zu sagen. Douglas stellt sich sofort an die Spitze seiner Vasallen. Er will im Namen König Roberts dreißigtausend Grenzer versammeln, die er bald nachher in's Innere führen will, um zu verlangen, daß der Herzog von Rothsay seine Tochter wieder annehme, oder vielmehr ihr den Rang und die Rechte seiner Gemahlin wieder einräume. König Robert wird sich allen Bedingungen fügen, die den Frieden sichern können. – Was wird der Herzog thun?« »Der Herzog von Rothsay liebt den Frieden,« sagte der Prinz stolz; »aber er fürchtete nie den Krieg. Eh' er jenes stolze Weib an Tisch und Bett zurücknimmt, auf Befehl ihres Vaters, so muß Douglas König von Schottland sein.« »Sei dem so – aber selbst dies ist die minder drängende Gefahr, vorzüglich da mit offener Gewalt dabei gedroht wird, denn der Douglas thut nichts im Geheimen.« »Was ist das Drängendere, das uns zu dieser späten Stunde wach hält? ich bin ein müder Mann, du ein Verwundeter, und selbst die Kerzen schimmern, als wären sie unseres Gesprächs müde.« »So sagt mir, wer ist es, der dies Königreich von Schottland beherrscht?« sagte Ramorny. »Robert, der Dritte seines Namens,« sagte der Prinz, die Mütze abnehmend, während er sprach; »und mög' er lange das Scepter führen!« »Ja und Amen,« antwortete Ramorny; »aber wer führt den König Robert und schreibt fast jede Maßregel vor, die der gute König ergreift?« »Mylord von Albany, wollt Ihr sagen,« erwiderte der Prinz. »Ja, es ist wahr, mein Vater wird fast durchaus durch die Rathschläge seines Bruders geleitet; auch dürfen wir ihn unserm Gewissen nach nicht tadeln, Sir John Ramorny, denn er hat wenig Beistand von Seiten seines Sohnes.« »Laßt uns ihm jetzt beistehen, Mylord,« sagte Ramorny. »Ich besitze ein schreckliches Geheimniß – Albany hat mit mir unterhandeln wollen, ihm beizustehen gegen Eurer Hoheit Leben! Er bietet volle Verzeihung des Vergangenen – hohe Gunst für die Zukunft.« »Wie, Mann – mein Leben? Ich hoffe indeß, du meinst nur mein Königreich? Es wäre gottlos! – er ist meines Vaters Bruder – sie saßen auf den Knieen ein und desselben Vaters. – Schweig', Mensch! welche Thorheiten kann man einem Kranken weißmachen!« »Weißmachen, in der That!« sagte Ramorny. »Es ist mir neu, mich leichtgläubig genannt zu hören. Aber der Mann, durch den mir Albany seine Versuchungen mittheilte, ist Einer, dem Alle glauben, sobald er ein Unheil anzeigt – selbst die Arzneien, die seine Hände bereiten, haben einen giftigen Beigeschmack.« »Still! solch ein Sklave würde einen Heiligen verleumden,« erwiderte der Prinz. »Du bist genarrt worden, Ramorny, so schlau du auch bist. Mein Oheim von Albany ist ehrsüchtig und möchte für sich und sein Hans mehr Macht und Reichthum sichern, als er mit Grund beanspruchen kann. Aber zu vermuthen, er könnte seines Bruders Sohn entthronen oder ermorden – Pfui, Ramorny! laß mich nicht das alte Sprichwort erwähnen: ›Wer Böses thut, fürchtet Böses‹ – es ist Euer Argwohn, nicht Eure Ueberzeugung, was aus Euch redet.« »Eure Hoheit befindet sich in unseliger Täuschung – ich will zu Ende reden. Der Herzog von Albany ist allgemein gehaßt wegen seiner Habsucht und seines Geizes – Eure Hoheit mag vielleicht beliebter sein, als – Ramorny hielt inne und der Prinz ergänzte ruhig: »beliebter, als geachtet? so will ich es eben haben, Ramorny.« »Zum wenigsten,« sagte Ramorny, »seid Ihr mehr geliebt als gefürchtet, und das ist keine sichere Lage für einen Prinzen. Aber gebt mir Euer ritterliches Ehrenwort, daß Ihr das nicht ahnden wollt, was ich als guten Dienst zu Eurem Besten unternehme, und leihet mir Euer Siegel, um Freunde in Eurem Namen zu werben, und der Herzog von Albany soll keine Autorität am Hofe gewinnen, bis die verlorene Hand, die einst an diesem Stumpfe saß, wieder mit dem Leibe vereinigt sein wird, um den Befehlen meines Geistes wieder zu gehorchen.« »Ihr werdet nicht wagen, Eure Hände in königliches Blut zu tauchen?« sagte der Prinz sehr ernst. »Pfui, Mylord – auf keine Weise – Blut braucht nicht vergossen zu werden, das Leben kann, ja wird von selber erlöschen. Aus Mangel an Oel, oder weil es nicht vor einem Windstoß geschützt wird, stirbt das zitternde Licht der Lampe. Dulden, daß ein Mensch stirbt, heißt nicht ihn tödten.« »Freilich – ich vergaß diese Politik. – Nun wohl, angenommen, mein Oheim fährt nicht fort zu leben. – ich denke, so müssen die Worte heißen. – Wer beherrscht dann den schottischen Hof?« »Robert der Dritte, mit Beistimmung, Rath und Ansehen des mächtigen David, Herzogs von Rothsay, Statthalter des Königreichs und Alter Ego; – zu dessen Gunsten gewiß der gute König, müde der Anstrengungen und Mühen der Herrschaft, geneigt sein wird, abzudanken. Also lebe lange unser tapferer, junger Monarch, König Robert der Dritte! Ille, manu fortis, Anglis ludebit in hortis.« »Und unser Vater und Vorgänger,« sagte Rothsay, »wird fortleben, für uns zu beten als unser Kaplan, wofür er das Privilegium erhält, sein graues Haar nicht früher ins Grab zu legen, als der Lauf der Natur es will. – Oder treffen ihn gleichfalls einige jener Vernachlässigungen, in Folge deren Leute aufhören, fortzuleben, und vertauscht er die Mauern eines Gefängnisses oder Klosters, was jenem ähnlich, mit der dunklen und ruhigen Zelle, wo, wie die Priester sagen, die Schlechten aufhören Unruhe zu stiften und wo die Müden ruhen?« »Ihr redet im Scherz, Mylord,« erwiderte Ramorny. »Den guten alten König zu kränken, wäre ebenso unnatürlich als unklug.« »Warum davor zurückbeben, Mensch,« antwortete der Prinz mit strenger Mißbilligung, »wenn dein ganzer Plan eine Lehre unnatürlichen Verbrechens, gemischt mit kurzsichtigem Ehrgeiz ist? – Wenn der König von Schottland kaum seinen Edeln die Spitze bieten kann, selbst jetzt, da er ihnen ein ehrenhaftes, unbeflecktes Banner entgegenstellt, wer wird seinem Fürsten folgen, der durch den Tod seines Oheims und die Einkerkerung seines Vaters befleckt ist? Wahrlich, Mensch, deine Politik könnte einen heidnischen Divan, geschweige denn einen christlichen Staatsrath empören. – Du warst mein Vormund, Ramorny, und vielleicht könnte ich mich mit Recht auf deinen Unterricht und dein Beispiel bei den meisten Thorheiten berufen, die man mir vorwirft. Vielleicht wär' ich ohne dich nicht hier um Mitternacht in der Maske der Narrheit (dabei blickte er auf seine Kleidung), um einen ehrsüchtigen Wüstling anzuhören, der mir vorschlägt, meinen Oheim zu ermorden und den besten der Väter zu entthronen. Weil es aber doch mein Fehler so gut als der deine ist, wenn ich mich in diesen Abgrund gesenkt habe, wäre es ungerecht, daß du allein dafür leidest. Aber erneuere diese gehässigen Anträge nicht, bei Gefahr deines Lebens! Denn ich verklage dich bei meinem Vater, beim Herzog von Albany, bei ganz Schottland! Jedes Kreuz auf den Märkten der verschiedenen Städte wird dann ein Stück von dem Leichnam des Verräthers tragen, der dem Thronerben von Schottland solch schauderhaften Rath zu geben gewagt hat. Ich hoffe zu deiner Ehre, daß das Fieber deiner Wunde und der berauschende Einfluß des Trankes, der auf dein krankes Gehirn wirkte, dich diese Nacht über die gewöhnlichen Grenzen geführt hat.« »Wirklich, Mylord,« sagte Ramorny, »wenn ich irgend Etwas gesagt habe, was Eure Hoheit so sehr aufbringen konnte, so muß es aus übermäßigem Eifer geschehen sein, gemischt mit Schwäche der Urtheilskraft. Gewiß werde ich am wenigsten unter allen Menschen ehrgeizige Pläne zu meinem eigenen Vortheil ersinnen. Ach! all' meine Aussichten sind ja nur, Lanze und Sattel mit Brevier und Beichtstuhl zu tauschen. Das Kloster zu Lindores muß den verstümmelten und verachteten Ritter von Ramorny aufnehmen, der dort Muße genug haben wird, über den Text nachzudenken: >Vertraue keinem Fürsten.<« »Das ist ein kluger Vorsatz,« sagte der Prinz, und er soll gewiß gefördert werden. Ich dachte, wir würden uns nur auf einige Zeit trennen – jetzt muß es für immer geschehen. Gewiß, nach einem solchen Gespräch, wie wir's hielten, ist es gerathen, daß wir getrennt leben. Doch das Kloster von Lindores oder welch' anderes Haus dich aufnimmt, soll von uns reich begabt und hoch begünstigt werden. – Und nun, Sir John von Ramorny, schlaft – schlaft – und vergeßt die verhängnißvolle Unterhaltung, wobei, hoff' ich, mehr das Fieber der Krankheit und des Weines das Wort führte, als unsere eigenen Gesinnungen. – Leuchtet zur Thür vor, Eviot!« Eviot rief die Begleiter des Prinzen herbei, die, erschöpft von den Genüssen des Abends, auf der Treppe und in der Vorhalle eingeschlafen waren. »Ist Niemand unter Euch nüchtern?« sagte der Herzog von Rothfay, dem der Anblick seiner Gefährten widerlich war. »Nicht Einer – nicht Einer,« antworteten die Leute mit trunkenem Jubel; »Keiner von uns ist Verräther am Kaiser der lustigen Leute!« »Und also sind Alle von Euch in Bestien verwandelt?« sagte der Prinz. »Aus Gehorsam und in Nacheiferung Eurer Hoheit,« antwortete ein Bursche; »oder wenn wir ein wenig Eurer Hoheit nachstehen, so wird ein Zug aus der Flasche –« »Still, Vieh!« sagte der Herzog von Rothsay: »Ist Keiner von Euch nüchtern? sag' ich.« »Ja, mein edler Fürst,« war die Antwort; »hier ist ein falscher Bruder, der Engländer Watkins.« »So komm her, Watkins, und trag' mir eine Fackel. Gib mir auch einen Mantel und eine andere Mütze, und nimm das dumme Zeug da weg,« mit diesen Worten warf er seine Federkrone weg; »könnt' ich doch all' meine Thorheiten so leicht wegwerfen. – Engländer Watkins, begleite mich allein und Ihr Uebrigen endet Eure Lust und legt Eure Masken ab; der Karneval ist vorüber und das Fasten hat begonnen.« »Unser Monarch dankt diese Nacht früher als gewöhnlich ab,« sagte Einer von dem Schwarme; da aber der Prinz keine weitere Aufmunterung gab, so bemühten sich diejenigen, die jetzt der Tugend der Nüchternheit entbehrten, sie nachzuahmen, so gut sie konnten, und sämmtliche wilde Lärmer begannen das Ansehen einer Anzahl anständiger Personen anzunehmen, die, welche von einem Rausche unversehens befallen, ihren Zustand zu bemänteln bemüht sind, indem sie eine doppelte Portion von Förmlichkeit im Benehmen blicken lassen. Inzwischen ließ sich der Prinz, nachdem er hastig seine Kleidung verändert, durch den einzigen nüchternen Mann der ganzen Gesellschaft zur Thür leuchten, wäre aber auf dem Wege dorthin fast über den schlafenden Körper des rohen Bonthron gestolpert. »Wie – begegnet uns das erbärmliche Thier noch ein Mal?« sagte zornig und voll Ekel der Prinz. »Hier, stoße Einer von Euch den Elenden in den Pferdetrog, damit er ein Mal in seinem Leben rein gewaschen wird.« Während das Gefolge seinen Befehl vollzog, indem sie sich eines Brunnens im äußeren Hofe bedienten, und während Bonthron eine Strafe erlitt, der er nicht anders zu widerstehen vermochte, als durch inarticulirtes Stöhnen und Grunzen, wie es ein Bär hören läßt, setzte der Prinz seinen Weg nach seinen Gemächern fort, die in einem Hause, Constables Lodgings genannt, befindlich waren, welches den Grafen von Errol gehörte. Unterwegs fragte der Prinz, um seine Gedanken von den unangenehmen Gegenständen abzulenken, seinen Gefährten, wie es käme, daß er nüchtern sei, während sich die Uebrigen so sehr mit Getränken beladen hätten. »Mit Eurer Hoheit Erlaubniß,« erwiderte der Engländer Watkins, »ich gestehe, es war sehr frei von mir, nüchtern zu sein, wenn Euer Gnaden Wille war, daß Euer Gefolge betrunken sein sollte; aber da Alle Schotten waren, außer mir, so hielt ich es nicht für klug, in ihrer Gesellschaft betrunken zu werden; sie können mich kaum ausstehen, wenn wir Alle nüchtern sind; und wenn der Wein die Oberhand erhielte, möchte ich ihnen eine offene Meinung sagen und mit so viel Stöcken bezahlt werden, als Leute in der guten Gesellschaft sind.« »Also bist du entschlossen, nie einem der Gelage unseres Hauses beizuwohnen?« »Mit Eurer Gunst, allerdings; wenn Eure Hoheit nicht etwa will, daß die Uebrigen Eures Gefolges einen Tag nüchtern bleiben, damit sich Will Watkins einmal ohne Lebensgefahr betrinken kann.« »Solch' eine Gelegenheit kann sich finden. – Wo dienest du, Watkins?« »Im Stall, mit Eurer Erlaubnis.« »Unser Kämmerer soll dich als Yeoman der Nachtwache in's Haus aufnehmen. Du gefällst mir, und es ist gut, einen nüchternen Burschen im Hause zu haben, wenn er's auch nur wegen Furcht vor'm Tode ist. Bleib' daher unserer Person nahe, und Nüchternheit wirst du als eine einträgliche Tugend erkennen lernen.« Inzwischen ward den Leiden des Krankenzimmers Sir John Ramorny's eine Last von Sorge und Furcht zugesellt. Seine Betrachtungen, verwirrt durch das Opiat, geriethen in große Unruhe, als der Prinz, in dessen Gegenwart er dieselbe mit Gewalt bezwungen, das Gemach verlassen hatte. Sein Verstand, den er während des Gespräches vollkommen besessen hatte, verließ ihn plötzlich. Er träumte verwirrt, daß er in großer Gefahr sei, da der Prinz sein Feind geworden war und er ihm ein Geheimniß anvertraut hatte, das ihm das Leben kosten konnte. In dieser Lage des Leibes und der Seele ist es kein Wunder, daß seine Träume schreckhaft wurden, oder vielmehr sein kranker Geist die phantasmagorischen Gestalten sah, die durch häufigen Gebrauch des Opiums erregt werden. Er glaubte den Schatten der Königin Annabella neben seinem Bette stehen und den einfachen, tugendhaften und unschuldigen Jüngling ihm abfordern zu sehen, den sie ihm als solchen anvertraut hatte. »Du hast ihn leichtsinnig, lüderlich und lasterhaft gemacht,« sagte der Schatten der bleichen Majestät. »Aber ich danke dir, John von Ramorny, der du undankbar gegen mich, treulos deinem Wort und verrätherisch meinen Hoffnungen bist. Dein Haß soll dem Uebel entgegenarbeiten, das deine Freundschaft anrichtete. Und wohl hoffe ich, daß, nun du nicht mehr sein Rathgeber bist, eine herbe Strafe auf Erden meinem unglücklichen Kinde Gnade und Aufnahme in einer bessern Welt gewähren werde.« Ramorny streckte die Arme nach seiner Wohlthäterin aus und bemühte sich, Zerknirschung und Reue zu äußern; aber die Miene der Erscheinung ward immer düsterer und ernster, bis es nicht mehr die der verstorbenen Königin war, sondern das finstere und stolze Gesicht des schwarzen Douglas darstellte – dann das schüchterne und kummervolle Antlitz König Roberts, der über die nahende Endschaft seines königlichen Hauses zu trauern schien – und endlich eine Gruppe phantastischer Gesichter, theils häßlich, theils lächerlich, die sich in unnatürliche und abenteuerliche Formen verzerrten und verwandelten, als spotteten sie seines Bemühens, einen genauen Begriff ihrer Züge zu erlangen. Achtzehntes Kapitel Ein blutig Land, wo kein Gesetz das Leben sichert. Byron. Der Morgen des Aschermittwochs begann kalt und bleich, wie gewöhnlich zu solcher Jahreszeit in Schottland, wo das schlechteste und unfreundlichste Wetter oft in den Frühlingsmonden eintritt. Es war ein frostiger Tag, und die Bürger hatten die Folgen der Schwelgerei des vorigen Festtags zu verschlafen. Die Sonne stand daher bereits seit einer Stunde am Horizonte, eh' sich das Leben allgemein unter den Bewohnern von Perth regte, so daß es einige Zeit nach Tagesanbruch geschah, daß ein Bürger, der zur Frühmesse ging, des unglücklichen Proudfute Körper auf dem Gesicht über'm Rinnstein liegen sah, ganz in der Lage, wie er (unsere Leser erriethen dies bereits) unter dem Streiche Anthony Bonthrons, des »Gürtelburschen«, d. h. des Vollstreckers der Befehle Sir John Ramorny's, gefallen war. Dieser frühmuntere Bürger war Allan Greif, so genannt, weil er Herr der Greifschenke war, und der Lärm, den er erhob, führte bald schlaftrunkene Nachbarn und allmälig einen Auflauf von Bürgern zusammen. Anfangs erhob sich, wegen des wohlbekannten Büffelwamses und der rothen Feder auf der Blechhaube, ein Geschrei, der tapfere Schmied liege dort erschlagen. Dies falsche Gerücht erhielt sich eine Weile, denn der Wirth des Greifs, der selber Magistratsperson war, wollte den Körper nicht anrühren oder aufheben lassen, bis der Bailie Craigdallie ankäme, so daß Niemand das Gesicht zu sehen bekam. »Dies ist eine Angelegenheit der guten Stadt, meine Freunde,« sagte er; »und wenn es der muthige Schmied vom Wynd ist, der hier liegt, so lebt kein Mensch in Perth, der nicht Gut und Blut wagen wird, um ihn zu rächen. Seht ihr, die Schurken haben ihn von hinten getroffen, denn zehn schottische Meilen in der Runde ist kein Mensch, weder Edler noch Bauer, weder Hochländer noch Niederländer, der ihm von Angesicht zu Angesicht in so schnöder Absicht begegnet wäre. O, brave Männer von Perth, die Blüthe eurer Mannheit ist niedergehauen, und das durch eine schlechte und verrätherische Hand!« Ein wildes Geschrei der Wuth erhob sich unter dem Volke, welches sich schnell versammelte. »Wir wollen ihn auf unsere Schultern nehmen,« sagte ein starker Fleischer; »wir wollen ihn vor den König in's Dominikanerkloster tragen.« »Ja, ja,« antwortete ein Grobschmied, »weder Pforte noch Riegel soll uns vom König zurückhalten; weder Mönch noch Messe soll unsern Vorsatz hindern. Ein besserer Waffenschmied führte nie den Hammer über'm Ambos!« »Zu den Dominikanern! zu den Dominikanern!« rief das versammelte Volk. »Bedenkt, Bürger,« sagte ein Anderer; unser König ist ein guter König und liebt uns wie seine Kinder. Der Douglas und der Herzog von Albany sind es, die den guten König Robert die Klagen seines Volkes nicht hören lassen.« »Sollen wir uns wegen des Königs Herzenssanftmuth in unseren eigenen Straßen erschlagen lassen?« sagte der Fleischer. »Der Bruce hielt's anders. Will uns der König nicht schützen, müssen wir uns selber schützen. Zieht die Sturmglocke, jede Glocke, die einen Ton gibt. Ruft und schont nichts, – die Jagd St. Johnstons ist los!« »Ja,« rief ein anderer Bürger, »und laßt uns zu Douglas' und Albany's Häusern, daß wir sie bis auf den Grund niederbrennen. Laßt das Feuer weit und breit verkünden, daß Perth seinen tapfern Harry Gow zu rächen verstand! Er hat zwanzig Mal für das Recht der guten Stadt gekämpft – laßt uns zeigen, daß wir einmal fechten können, um sein Unrecht zu rächen. Hallo ho! brave Bürger, St. Johnstons Jagd ist los!« Dies Geschrei, der wohlbekannte Lärmruf unter den Einwohnern von Perth, den man selten hörte, außer in Fällen allgemeinen Aufruhrs, hallte von Mund zu Munde wieder, und einige benachbarte Kirchthürme, deren sich die wüthenden Bürger, sei es mit Zustimmung der Priester oder trotz deren Widerstand, bemächtigt hatten, begannen die verhängnisvollen Lärmsignale zu entsenden, wobei die Glocken, wie man sagte, da die gewöhnliche Aufeinanderfolge der Klänge umgekehrt war, rückwärts geläutet wurden. Während die Menge dichter wurde und das allgemeine Geschrei immer lauter, behielt Allan Greif, ein dicker Mann mit tiefer Stimme, und angesehen bei Hohen und Niedern, seinen Posten beim Leichnam, rief laut der Menge zu, zurückzutreten und die Ankunft der Magistratspersonen zu erwarten. »Wir müssen in der Sache nach der Ordnung verfahren, ihr Meister; müssen unsere Obrigkeit an unserer Spitze haben. Sie ist gehörig gekoren und erwählt auf unserem Rathhause, gute und, würdige Männer; wir wollen uns nicht Aufrührer oder müßige Störer von des Königs Frieden nennen lassen. Bleibt still stehen und macht Platz, denn dort kommt Bailie Craigdallie, ja, und der ehrsame Simon Glover, dem die gute Stadt sehr verpflichtet ist. Ach, ach! meine lieben Mitbürger, seine schöne Tochter war gestern Abend eine Braut – diesen Morgen ist das schöne Mädchen von Perth Wittwe geworden, bevor sie ein Weib gewesen!« Dieser neue Grund zum Mitgefühl steigerte die Wuth und den Schmerz der Menge um so mehr, da sich viele Weiber nunmehr eingefunden hatten, welche das Lärmgeschrei der Männer nachriefen. »Ja, ja! St. Johnstons Jagd ist los: für das schöne Mädchen von Perth und den tapfern Harry Gow! Auf, auf! Mann für Mann! Spart keine Hiebe! – Zu den Ställen! – zu den Ställen! Wenn das Pferd weg ist, nützt der Kriegsmann nichts! Haut die Knechte und Yeomen nieder! Lähmt, verstümmelt die Rosse! Tödtet die schlechten Knappen und Pagen! Die stolzen Ritter mögen uns zu Fuße begegnen, wenn sie's wagen!« »Sie wagen's nicht, sie wagen's nicht!« antworteten die Männer; »ihre Stärke liegt in Roß und Rüstung, und doch haben die hochmüthigen und undankbaren Schurken einen Mann erschlagen, dessen Geschick als Waffenschmied weder in Mailand noch Venedig übertroffen ward. Zu den Waffen! Zu den Waffen, brave Bürger! St. Johnstons Jagd ist los!« Unter diesem Geschrei gewannen die Magistratspersonen und die vornehmen Einwohner mit Mühe Platz, um den Leichnam zu untersuchen; sie hatten den Stadtschreiber bei sich, der ein amtliches Protokoll führen, oder, wie man es noch nennt, eine Untersuchung des Thatbestandes aufsetzen sollte. Die Menge fügte sich diesem Verzug mit einer Geduld und Ordnung, welche den Nationalcharakter eines Volkes stark bezeichnete, dessen Zorn immer um so gefährlicher war, da es, ohne von seinen Racheplänen abzugehen, jede Weitläufigkeit, die zu ihrer sichern Ausführung nöthig ist, mit vollkommener Ruhe erträgt. Man empfing daher die Obrigkeit mit lautem Freudengeschrei, unter welchem sich aber dennoch die Rachelust äußerte, und zugleich mit ehrerbietiger Unterwürfigkeit gegen die Beschützer, durch deren Hülfe sie ihren Zweck auf gesetzlichem und rechtlichem Wege zu erreichen versichert waren. Während diese Laute des Willkommens noch unter der Menge ertönten, die nun die sämmtlichen angrenzenden Straßen erfüllte, und während man tausend verschiedene Gerüchte empfing und weitertrug, ließen die Väter der Stadt den Leichnam aufheben und genauer untersuchen; da erkannte man sofort und verkündigte alsbald die Wahrheit, daß es nicht der Leichnam des so allgemein und wegen der damals achtungswerthesten Eigenschaften mit vollem Recht geliebten Waffenschmieds, Harry's vom Wynd, sondern der eines weit geringer geachteten Mannes, obwohl er nicht ohne Verdienst in der Gesellschaft war, des lustigen Strumpfwirkers Oliver Proudfute. Der Zorn des Volkes war so sehr auf den Gedanken zusammengedrängt, sein tapferer, unerschrockener Vertheidiger, Harry Gow, sei das Opfer, daß die Widerlegung dieses Gerüchts hinreichte, seine Wuth zu stillen, während wahrscheinlich, hätte man den armen Oliver gleich im ersten Augenblick erkannt, aus jedem Mund der Racheruf erschollen wäre, wie um Harry vom Wynd. Die Verkündigung dieser unerwarteten Neuigkeit erweckte sogar Anfangs ein Gelächter im Volke, so nahe grenzt das Komische mit dem Schrecklichen zusammen. »Die Mörder haben ihn ohne Zweifel für Harry Schmied gehalten,« sagte Greif, »was für ihn bei diesen Umständen ein großer Trost gewesen sein muß.« Aber die Ankunft anderer Personen auf dem Schauplatze stellte dessen tragischen Charakter bald wieder her. Neunzehntes Kapitel Wer läßt die Glocke ziehen? – Teufel, ha! Die Stadt steht auf. – Othello, 2. Aufzug, 3. Scene. Die verworrenen Gerüchte, die sich durch die Stadt verbreiteten, verursachten, da sogleich darauf die Sturmglocken ertönten, allgemeine Bestürzung. Die Ritter und Edeln kamen mit ihrem Gefolge auf verschiedenen Sammelplätzen zusammen, wo man sich am füglichsten vertheidigen konnte, und bald erreichte der Lärm den königlichen Palast, wo der junge Prinz einer der Ersten war, die erschienen, um nöthigenfalls den alten König vertheidigen zu helfen. Die Scene der vorigen Nacht lag ihm noch im Gedächtniß, und indem er sich der blutbefleckten Gestalt Bonthrons erinnerte, ahnte er, wiewohl nur unbestimmt, daß des Schurken That mit diesem Aufruhr im Zusammenhang stünde. Das darauf folgende und interessantere Gespräch mit Sir John Ramorny hatte indeß so viel Eindruck gehabt, daß dadurch, außer der unbestimmten Erinnerung an eine geschehene Mordthat, alle Spuren von dem, was er über die blutige That des Meuchelmörders undeutlich gehört hatte, verlöscht worden waren. Um seines Vaters willen griff er mit seinem eigenen Gefolge zu den Waffen, welches in glänzender Rüstung, die Lanzen in den Händen, ein ganz anderes Ansehen hatte, als in vergangener Nacht, wo sie als berauschte Bacchusverehrer erschienen. Der gute alte Monarch empfing dies Zeichen kindlicher Liebe und Dankbarkeit, und zeigte stolz seinen Sohn dem bald nachher eintretenden Herzog von Albany. Er ergriff Jeden bei der Hand. »Wir sind nun hier drei Stuarts,« sagte er, »so unzertrennlich wie das heilige Kleeblatt; und da man sagt, wer dies heilige Kraut trage, könne dem Zaubertrug spotten, so können wir, so lange wir einander treu sind, der Bosheit und Feindschaft Trotz bieten.« Der Bruder und der Sohn küßten die freundliche Hand, die die ihrigen drückte, während Robert sein Vertrauen auf ihre Liebe ausdrückte. Der Kuß des Jünglings war diesmal aufrichtig gemeint; der des Bruders war der Kuß des abtrünnigen Judas. Inzwischen setzte die Glocke der St. Johanniskirche unter Andern auch die Bewohner der Curfewstraße in Bewegung. Im Hause Simon Glovers war die alte Dorothee Glover, wie man sie nannte (denn auch sie entlehnte den Namen von dem Geschäft, welches sie unter ihres Herrn Auspicien trieb), die Erste, die den Lärm vernahm. Obgleich sie gewöhnlich etwas taub war, so blieb doch ihr Ohr immer für schlimme Neuigkeiten so scharf, als der Geruch eines Geiers für das Aas; denn Dorothee, sonst ein treues fleißiges und selbst liebevolles Wesen, hatte den starken Hang, traurige Gerüchte zu sammeln und auszubreiten, der sich unter den niederen Klassen so häufig findet. Wenig gewohnt, angehört zu werden, lieben sie die Aufmerksamkeit, die eine tragische Geschichte dem Erzähler sichert, und freuen sich vielleicht der Gleichheit, in welche das Mißgeschick die, welche sonst über ihnen stehen, auf eine Zeit lang mit ihnen setzt. Dorothee hatte kaum ein kleines Bündel der draußen umherfliegenden Gerüchte zusammengerafft, als sie in ihres Meisters Schlafgemach sprang, der das Privilegium des Alters und des Festtags benutzte, um länger als gewöhnlich zu schlafen. »Da liegt er, der wackere Mann!« sagte Dorothee halb schreiend, halb im kläglichen Tone des Mitgefühls, – da liegt er, sein bester Freund ist erschlagen, und er weiß so wenig davon, wie das neugeborene Kind, das Leben von Tod nicht zu unterscheiden versteht.« »Was gibt's?« sagte der Handschuhmacher, im Bett emporfahrend, – »was gibt es, Alte? Ist meine Tochter wohl?« »Alte!« sagte Dorothee, die, nachdem sie den Fisch am Haken hatte, ihn ein Bischen zappeln lassen wollte. »Ich bin nicht so alt,« sagte sie, aus dem Gemach springend, »um an dem Orte zu bleiben, wo ein Mann unangekleidet aus dem Bett steigt –« Und sogleich hörte man sie in der Ferne unten im Wohngemach melodisch zum Scharren ihres Besens singen. »Dorothee – Nachteule – Teufel, – sage nur, ob meine Tochter wohl ist!« »Ich bin wohl, mein Vater!« antwortete das schöne Mädchen von Perth, aus ihrem Schlafgemach rufend: »vollkommen wohl; was gibt es aber, um unserer lieben Frau willen? Die Glocken läuten rückwärts, und auf den Straßen ist Geschrei und Lärm.« »Ich will den Grund sogleich hören. – Schnell, Conachar, binde mir sogleich die Bänder – ach, ich vergaß, – der Hochländer ist weit jenseits Fortingall. – Geduld, Tochter, ich werde dir sogleich Nachricht bringen.« »Ihr braucht Euch darum nicht zu eilen, Simon Glover,« rief das hartnäckige alte Weib; »das beste und Schlimmste davon könnt Ihr hören, eh' Ihr einen Fuß über Eure Schwelle setzt. Ich weiß die ganze Geschichte draußen; denn, dachte ich, unser Herr ist so eigensinnig, daß er hinauslaufen wird, um die Sache zu hören, was es auch sei; und so macht' ich mich selber auf den Weg und mußte mich nach allem erkundigen, weil er sonst seine alte Nase mitten hinein stecken würde, um sich kneipen zu lassen, ohne zu wissen, warum.« »Und was ist es für eine Neuigkeit, Alte?« sagte der ungeduldige Glover, noch immer eifrig beschäftigt mit hundert Bändern und Nesteln, mittelst deren das Wams an die Hosen befestigt wurde. Dorothee ließ ihn in seinem Werke fortfahren, bis sie merkte, daß es bald vollendet sein müßte, und sie voraussah, wenn sie das Geheimniß nicht selbst erzählte, würde ihr Herr draußen in Person nach dem Grund der Unruhe forschen. Sie rief daher weinend aus: »Ach, ach! Ihr könnt nicht sagen, daß es meine Schuld ist, wenn Ihr schlimme Neuigkeiten hört, bevor Ihr in der Frühmesse gewesen seid. Ich wollte es vor Euch verbergen, bis Ihr Gottes Wort gehört hättet; aber da Ihr's einmal hören müßt: Ihr habt den treuesten Freund verloren, der je einem andern die Hand reichte, und Perth hat den tapfersten Bürger zu betrauern, der je ein Schwert in die Hand nahm!« »Harry Schmied! Harry Schmied!« riefen Vater und Tochter zugleich. »Ach, ja freilich, da habt Ihr's denn endlich,« sagte Dorothee; »und wessen Schuld ist es, als Eure eigene? – Ihr machtet so viel Wesens darum, daß er eine Sängerin begleitet, wie wenn er mit einer Jüdin gegangen wäre.« Dorothee würde noch lange fortgefahren haben, aber Ihr Herr rief seiner Tochter, die noch in ihrem eigenen Gemach war, zu: »Es ist Unsinn, Katharina, – nur das Geschwätz einer alten Thörin. So Etwas ist nicht geschehen. Ich will dir sogleich die Wahrheit bringen;« und seinen Stab ergreifend, eilte der alte Mann an Dorothee vorüber hinaus auf die Straße, wo das Gedränge des Volkes sich nach der Highstreet bewegte. Dorothee murmelte inzwischen zu sich selbst: »Dein Vater ist ein kluger Mann, nimm sein eigenes Wort dafür. Er wird bald mit einem Schaden aus dem Getümmel kommen, und dann wird's heißen, Dorothee, gib Leinwand, Dorothee, streiche das Pflaster; aber jetzt ist's nichts als Unsinn, Lüge und Unmöglichkeit, was aus Dorotheens Munde kommen kann. – Unmöglich! Meint der alte Mann, Harry Schmieds Kopf sei so hart wie sein Ambos, und ein ganzer Hochländerclan könne d'rauf klopfen?« Hier ward sie durch eine Engelsgestalt unterbrochen, die aber mit irren, verstörten Augen, todtenbleicher Wange, aufgelöstem Haar und in fast bewußtlosem Zustande erschien und die Alte aus ihrer mißvergnügten Laune aufschreckte. »Unsere liebe Frau behüte mein Kind!« sagte sie. »Warum seht Ihr so verstört aus?« »Sagtet Ihr nicht, es sei Jemand todt?« sagte Katharina mit einer ängstlichen Unsicherheit der Sprache, wie wenn sie die Organe der Rede und des Gehörs nur unvollkommen in der Gewalt hätte. »Todt, freilich! Ja, ja, todt genug; Ihr werdet ihn nicht noch ein Mal betrüben können.« »Todt!« wiederholte Katharina, mit derselben Unsicherheit in Stimme und Benehmen. »Todt – erschlagen – und von den Hochländern?« »Ja, das denk' ich sicherlich, durch Hochländer – die gesetzlosen Schurken. Wer schlägt denn sonst die meisten Leute todt, außer etwa dann und wann, wenn die Bürger Händel haben und einer den andern tödtet, oder wenn die Ritter und Edelleute Blut vergießen. Aber so viel weiß ich, diesmal waren's die Hochländer. Der Mann fand sich nicht in Perth, vornehm oder gering, der Mann gegen Mann sich an Harry Schmied wagen durfte. Man hat ungleiches Spiel mit ihm getrieben; das werdet Ihr sehen, wenn man der Sache auf den Grund kommt.« »Hochländer!« wiederholte Katharina, als käme ihr ein Gedanke, der ihren Geist beunruhigte. »Hochländer! – O Conachar! Conachar!« »Wahrlich! und ich kann sagen, Ihr seid auf den rechten Mann gefallen, Katharina. Sie zankten, wie Ihr sahet, am St. Valentinsabend und rangen mit einander. Ein Hochländer hat ein langes Gedächtnis für dergleichen. Gib ihm zu St. Martin eine Ohrfeige, so wird's seine Wange zu Pfingsten empfinden. Aber was könnte die langbeinigen Schufte heruntergeführt haben, um ihr blutiges Werk in der Stadt zu verüben?« »Weh' mir, ich war es,« sagte Katharina; »ich brachte die Hochländer herunter – ich schickte nach Conachar – ja, sie haben ihm aufgelauert – aber ich war's, die sie in die Nähe ihrer Beute brachte. Aber ich will mit meinen eigenen Augen sehen – und dann – werden wir Etwas thun. Sag' meinem Vater, ich werde bald zurück sein.« »Seid Ihr wahnwitzig, Mädchen?« rief Dorothee, als Katharina nach der Hausthür eilte. »Ihr werdet doch nicht auf die Straße laufen mit dem Haar, das Euch so über's Gesicht herabhängt; in diesem Anzug, die man Euch das schöne Mädchen von Perth nennt? – Herrgott, aber sie ist schon auf der Straße, komme was da wolle, und der alte Glover wird so toll sein, als hätt' ich sie mit Gewalt mir nichts dir nichts zurückhalten können. – Das ist ein schöner Aschermittwochmorgen! – Was soll man anfangen? Wenn ich meinen Meister unter der Menge suchen wollte, so könnte ich im Getümmel zertreten werden, und man würde um das alte Weib wenig Jammer erheben. – Und soll ich Katharinen nachlaufen, die mir lange aus den Augen und viel leichter zu Fuße ist, als ich? – So will ich lieber hinaus zum Barbier Nicol und dem die Geschichte erzählen.« Während die wackere Dorothee ihren klugen Entschluß zur Ausführung brachte, lief Katharina durch die Straßen von Perth auf eine Weise, wodurch sie in jedem andern Augenblick die Aufmerksamkeit Aller auf sich gezogen hätte, welche sie mit unbedachter Heftigkeit eilen sahen, verwirrt und ganz ohne den gewohnten ruhigen Anstand des Ganges und Benehmens, und ohne Plaid, Schürze oder Mantel, welche »gute Frauen« von anständigem Ruf und ehrbarem Stande immer trugen, wenn sie ausgingen. Aber im allgemeinen Schrecken, da sie Alle nach der Ursache des Tumultes forschten oder dieselbe erzählten, während die Meisten sie verschieden angaben, machte die Nachlässigkeit ihrer Kleidung und der Mangel an Fassung auf Niemand Eindruck, und man ließ sie auf dem gewählten Pfade forteilen, ohne sie mehr als die übrigen Weiber zu bemerken, die, von ängstlicher Neugier oder Furcht getrieben, gekommen waren, um nach der Ursache des allgemeinen Lärms zu fragen – vielleicht um Freunde zu suchen, für deren Sicherheit sie besorgt waren. Während Katharina ihren Weg verfolgte, empfand sie den ganzen seltsamen Einfluß der aufregenden Scene, und nur mit Mühe enthielt sie sich, die Klagen und das Jammergeschrei zu wiederholen, welches um sie her widerhallte. Inzwischen eilte sie rasch vorwärts, wie von einem Traume befangen, im unheimlichen Gefühle furchtbaren Unglücks, ohne daß sie sich desselben bestimmt und deutlich bewußt war, das aber den schrecklichen Gedanken einschloß, der Mann, der sie so innig liebte, dessen gute Eigenschaften sie so hochschätzte, und der ihr, wie sie jetzt fühlte, theurer war, als sie sich vorher gestanden hatte, sei ermordet, und sie wahrscheinlich schuld an seinem Tode. Die Verbindung zwischen Harry's vermeintlichem Tode und dem Einfall Conachars und seiner Begleiter, ob sie gleich im Augenblicke der höchsten Aufregung den Gedanken gefaßt hatte, hatte doch hinlängliche Wahrscheinlichkeit, um für wahr zu gelten, selbst wenn ihr Verstand fähig gewesen wäre, die Glaubwürdigkeit des Umstandes zu untersuchen. Ohne zu wissen, was sie außer dem allgemeinen Verlangen, das Schlimmste von dem schrecklichen Gerüchte zu erfahren, noch suchte, eilte sie dem Orte zu, den ihre Gefühle am vorigen Tage sie unter allen am meisten zu meiden veranlaßt hätten. Wer hätte am Fastnachtabend die stolze, furchtsame, schüchterne, streng anständige Katharine Glover überreden können, daß sie vor der Messe am Aschermittwoch durch die Straßen von Perth rennen würde, sich Bahn suchend durch Tumult und Verwirrung, mit aufgelöstem Haar, ungeordneter Kleidung, um das Haus desselben Liebhabers aufzusuchen, der, wie sie glauben mußte, sie durch Unterhaltung einer unanständigen und frechen Liebschaft so arg und schwer vernachlässigt und beschimpft hatte? Und doch war es so. Und da sie in der Eile die freieste Straße, wie durch Instinkt, einschlug, gelangte sie, die Hauptstraße, wo das Gedränge am größten war, vermeidend, durch dieselben engen Gassen an der Nordseite der Stadt auf den Wynd, durch welche Harry früher Louisen begleitet hatte. Aber selbst diese verhältnißmäßig einsamen Gassen waren jetzt mit Leuten gefüllt, so allgemein war der Lärm. Katharina Glover drängte sich durch sie, während diejenigen, welche sie bemerkten, einander ansahen und aus Mitleid mit ihrem Unglück den Kopf schüttelten. Endlich stand sie, ohne bestimmtes Bewußtsein ihrer Absicht, vor des Liebhabers Thür und klopfte an. Die Stille, welche dem Schall ihres heftigen Klopfens folgte, steigerte die Unruhe, welche sie zu dieser verzweifelten Maßregel getrieben hatte. »Oeffne, – öffne, Harry!« rief sie. »Oeffne, wenn du noch lebst! – Oeffne, wenn du nicht Katharina Glover todt auf deiner Schwelle finden willst!« Während sie so wahnsinnig schrie, zu Ohren, die, wie man sie glauben lehrte, der Tod verschlossen hatte, öffnete der angerufene Liebhaber in Person eben noch zeitig genug, um die zu Boden Sinkende aufzufangen. Das Uebermaß freudigen Entzückens über ein so unerwartetes Ereigniß, kam nur dem Staunen gleich, welches ihm verbot, Alles für wirklich zu halten, so wie seiner Unruhe über die geschlossenen Augen, die halboffenen, bleichen Lippen, die völlige Abwesenheit der Farbe und das scheinbar gänzliche Stocken des Athems. Harry war, trotz des allgemeinen Lärmens, welcher schon seit geraumer Zeit an sein Ohr gedrungen, daheim geblieben, fest entschlossen, sich nicht in Händel zu mischen, die er meiden konnte; und nur in Folge eines Aufrufs von Seiten des Magistrats, dem er als Bürger gehorchen mußte, geschah es, daß er Schwert und Schild von der Wand genommen und im Begriff war, zum ersten Male unfreiwillig zu gehen und den Dienst zu erfüllen, zu dem ihm seine Bürgerpflicht rief. »Es ist hart,« sagte er, »in alle Fehden der Stadt gedrängt zu werden, da das Kriegshandwerk Katharinen so zuwider ist. Gewiß gibt es genug Dirnen in Perth, die zu ihren Geliebten sagen: Geh' hinaus, thu' muthig deine Pflicht, und werb' um deiner Dame Gunst! Und doch schickten sie nicht nach ihren Liebhabern, sondern nach mir, der nicht die Schuldigkeit eines Mannes thun, und eine Sängerin schützen, noch die Pflicht eines Bürgers erfüllen kann, der für die Ehre seiner Stadt kämpft, ohne daß mich diese eigensinnige Katharina behandelt, als wäre ich ein Hurer und Raufbold!« Dies waren die Gedanken, die seinen Kopf beschäftigten, als er, um auszugehen, seine Thür öffnete, und nun das Wesen, welches seinen Gedanken das theuerste war, obwohl er's jetzt am wenigsten zu sehen erwartete, in seine Arme sinken sah. Sein aus Staunen, Freude und Besorgniß gemischtes Gefühl beraubte ihn nicht der Geistesgegenwart, welche der Vorfall erforderte. Katharine Glover in Sicherheit zu bringen und sie zum Bewußtsein zu rufen, daran dachte er zuerst, bevor er dem Rufe des Magistrates folgte, wie dringend dieser auch gewesen sein mochte. Er trug seine liebliche Bürde, leicht wie eine Feder, aber köstlicher wie dieselbe Quantität Goldes, in ein kleines Schlafgemach, welches seine Mutter inne gehabt hatte. Es war das passendste für einen Kranken, da es nach dem Garten ging und vom Toben des Aufruhrs fern lag. »Hierher, Amme – Amme Shoolbred – komm schnell – komm, es gilt Tod und Leben – hier braucht Jemand deine Hülfe!« Die Alte trabte herbei. »Wenn es nur Jemand wäre, der dich aus dem Handel ziehen könnte – denn auch sie war von dem Lärm erweckt worden, – aber wie groß war ihr Staunen, als sie, mit Liebe und Ehrerbietung auf das Bett ihrer verstorbenen Gebieterin gelegt und unterstützt von den athletischen Armen ihres Pflegesohnes, die leblose Gestalt des schönen Mädchens von Perth vor sich sah. »Katharina Glover!« sagte sie; »und heilige Mutter Gottes – eine Sterbende, glaub' ich gar!« »Nicht doch, Alte,« sagte ihr Pflegesohn; »das theure Herz schlägt – der süße Athem kommt und kehrt wieder! komm du, du kannst ihr geschickter helfen als ich – bring' Wasser – Essenzen – was deine alte Kunst nur schaffen kann. Der Himmel legte sie nicht in meine Arme, um zu sterben, sondern zu leben für sich und mich!« Mit einer Behendigkeit, die ihr Alter nicht erwarten ließ, sammelte Anna Shoolbred die Mittel, um die Ohnmächtige zu beleben; denn, gleich vielen Frauen jener Zeit, verstand sie, was in solchen Fällen zu thun war, ja, sie war sogar kundig, Wunden von gewöhnlicher Art zu behandeln, und die kriegerischen Neigungen ihres Pflegesohnes hatten sie darin in beständiger Uebung erhalten. »Nun, Harry,« sagte sie, »laß meine Kranke aus deinen Armen – obwohl sie die Umarmung werth ist – und mache deine Hände frei, um mir mit dem Nöthigen zu helfen. – Nun, ich bestehe nicht darauf, daß Ihr auch ihre Hand fahren laßt, wenn Ihr sanft darauf schlagen wollt, so wie die im Krampfe gebogenen Finger sich lösen.« »Ich ihre zarte, schöne Hand schlagen!« sagte Harry; »Ihr könntet mich ebenso ein Wasserglas mit einem Schmiedehammer schlagen heißen, als ihre schöne Hand mit meinen hornharten Fingern klopfen. – Aber die Finger lösen sich, und wir werden ein besseres Mittel finden, als Schlagen.« Er drückte seine Lippen auf die hübsche Hand, deren Bewegung das wiederkehrende Leben anzeigte. Einige tiefe Seufzer folgten und das schöne Mädchen von Perth öffnete die Augen, heftete sie auf den Geliebten, der neben dem Bett knieete, und sank wieder auf's Kissen zurück. Da sie ihre Hand dem Drucke des Liebenden nicht entzog, so müssen wir mit billiger Nachsicht glauben, die Rückkehr des Bewußtseins sei nicht so vollkommen gewesen, daß sie bemerkte, wie er den Vortheil mißbrauchte, und sie abwechselnd an seine Lippen und an seine Brust drückte. Zugleich müssen wir gestehen, daß während dieses Rückfalles das Blut ihre Wangen röthete und ihr Athem einige Minuten tief und unregelmäßig war. Der Lärm vor der Thür begann jetzt viel lauter zu werden und Harry ward bei all' seinen verschiedenen Namen gerufen: Schmied, Gow und Harry vom Wynd, gleichwie die Heiden ihre Götter bei verschiedenen Namen anzurufen pflegten. Endlich nahm die Menge draußen, wie portugiesische Katholiken, wenn sie sich in Bitten an ihre Heiligen erschöpft haben, ihre Zuflucht zu tadelnden Ausrufungen. »Daß Euch der Kuckuck, Harry! Ihr seid ein unwürdiger Mann, Eurem Bürgereide treulos, und ein Verräther der guten Stadt, wenn Ihr nicht sogleich herauskommt!« Es schien, daß die Bemühungen der Amme Shoolbred in so weit erfolgreich waren, daß Katharinens Sinne sich einigermaßen sammelten; denn indem sie ihr Gesicht mehr gegen das des Geliebten wandte, als ihre frühere Lage gestattete, ließ sie ihre rechte Hand auf seine Schulter fallen, während sie die linke in der seinigen ließ und ihn leicht zurückzuhalten schien, indem sie sagte: »Geh' nicht, Harry – bleib bei mir – sie wollen dich tödten, diese blutigen Menschen!« Es schien, daß diese zarte Anrede (darauf gegründet, daß sie den Geliebten lebend fand, den sie nur als Leichnam zu erblicken erwartet hatte), obwohl sie ganz leise und fast unvernehmbar gesprochen ward, doch wirksamer war, Harry Wynd in seiner gegenwärtigen Stellung zurückzuhalten, als der wiederholte Ruf so vieler Stimmen draußen, um ihn die Treppe hinabzubringen. »Alle Heiligen, Bürger,« rief ein kühner Mann seinen Gefährten zu, »der trotzige Schmied treibt Scherz mit uns! Laßt uns in's Haus dringen und ihn herausschleppen.« »Bedenkt, was Ihr thun wollt,« sagte ein vorsichtigerer Angreifer; »der Mann, der in Harry Gow's Wohnung eindringt, mag wohl mit heiler Haut in's Haus gehen, wird aber gehörig für den Wundarzt zurecht gemacht herauskommen. – Aber hier kommt Einer, der ein gutes Recht hat, uns bei ihm zu vertreten und dem Abtrünnigen Vernunft beizubringen.« Die Person, auf die sich dies bezog, war Niemand anders, als Simon Glover. Er hatte den verhängnißvollen Ort erreicht, wo des unglücklichen Strumpfwirkers Körper lag, und zwar gerade zu rechter Zeit, um zu seinem größten Troste, da derselbe auf Befehl des Bailie Craigdallie umgedreht wurde, die Züge des armen Prahlers Proudfute zu entdecken, während das Volk den Lieblingskämpen Harry Schmied erwartete. Ein Gelächter, oder wenigstens etwas dem Aehnliches, verbreitete sich unter denen, die daran dachten, wie sehr sich Oliver um den Ruf eines Raufboldes bemühte, so fremd er seinem natürlichen Charakter auch war, und sie bemerkten, er sei eines Todes gestorben, der eher seinen Ansprüchen, als seiner Gemüthsart entspreche. Aber diese unzeitige spaßhafte Stimmung, die an die Rohheit der Zeit erinnert, verstummte plötzlich vor der Stimme, dem Jammer und Wehklagen einer Frau, die sich durch die Menge drängte mit dem Ausrufe: »O mein Gatte! – mein Gatte!« Man machte der Trauernden Platz, welche von einigen Freundinnen begleitet war. Magda Proudfute war bisher nur als eine hübsche, schwarzhaarige Frau bekannt gewesen, die man für eingebildet und stolz gegen diejenigen hielt, welche ihr niederer und ärmer als sie selbst dünkten, und als Gebieterin ihres verstorbenen Gatten, den sie schnell nöthigte, den Kamm sinken zu lassen, wenn sie ihn zur Unzeit krähen hörte. Aber nun, unter dem Einflusse des mächtigen Schmerzes, zeigte sie einen weit mehr Achtung gebietenden Charakter. »Lacht ihr,« sagte sie, »ihr unwürdigen Bürger von Perth, weil einer eurer Mitbürger sein Blut in den Rinnstein vergossen hat? – oder lacht ihr, weil das Todesloos meinen Gatten traf? Wie hat er das verdient? – Unterhielt er nicht ein ehrsames Haus durch seinen eigenen Fleiß, und einen anständigen Tisch, wo der Kranke willkommen war und der Arme Erquickung fand? – Lieh er nicht den Bedürftigen, – stand er seinen Nachbarn nicht bei als ein Freund, und hielt auf Recht und Gerechtigkeit wie eine Obrigkeit?« »Es ist wahr, es ist wahr,« antworteten die Versammelten; »sein Blut ist unser Blut, so gut, als wär' es das Harry Gow's.« »Ihr redet wahr, Nachbarn,« sagte Bailie Craigdallie; »und die Sache darf nicht abgethan werden, wie die vorige – Bürgerblut darf nicht ungerächt in unsern Gassen fließen, als wär' es Pfützenwasser, sonst werden wir bald den breiten Tay dunkelroth damit gefärbt sehen. Aber dieser Schlag war nimmer dem armen Manne zugedacht, auf den er gefallen ist. Jedermann weiß, was Oliver Proudfute war, wie groß er sprach und wie wenig er that. Er hat Harry Schmieds Wams, Schild und Helm. Die ganze Stadt kennt sie so gut, als ich, da ist kein Zweifel. Er hatte die Manier, wie ihr wißt, dem Schmied Alles nachzuthun. So hat Jemand, blind vor Wuth oder Rausch, den unglücklichen Strumpfwirker getroffen, den Niemand fürchtete oder haßte, oder sich um ihn überhaupt kümmerte, statt des tapferen Schmieds, der zwanzig Fehden unter den Händen hat.« »Was ist nun zu thun, Bailie?« rief die Menge. »Das, meine Freunde, wird eure Obrigkeit für euch beschließen, da wir uns sogleich versammeln werden, wenn Sir Patrick Charteris hierher kommt, was bald geschehen wird. Indessen laßt den Wundarzt Dwining dies arme Stück Erde untersuchen, daß er sage, wie er zu seinem schlimmen Tode kam, und dann laßt ihn in einen reinlichen Sarg, wie es einem ehrsamen Bürger ziemt, vor den Hochaltar der Kirche St. John's stellen, des Schutzpatrons der guten Stadt. Hütet Euch vor Geschrei und Lärm; und jeder Waffenfähige, der der guten Stadt wohl will, halte seine Waffen bereit und sei fertig, sich beim Schall der Glocke des Stadthauses in der Highstreet einzufinden, damit wir entweder den Tod unseres Mitbürgers rächen, oder das Loos annehmen, das uns der Himmel sendet. – Inzwischen meidet jeden Streit mit den Rittern und ihrem Gefolge, bis wir den Unschuldigen von dem Schuldigen unterscheiden. – Aber wo bleibt denn der kühne Schmied? Er ist gleich bereit bei Unruhen, wo man seine Gegenwart nicht verlangt, und er fehlt, wenn er mit derselben der guten Stadt dienen kann? – Was fehlt ihm, weiß es Niemand? Hat er am Fastnachtsabend geschwärmt?« »Er ist vielmehr krank oder mürrisch, Meister Bailie,« sagte einer von den Mairs oder Gerichtsdienern; »denn obwohl er zu Hause ist, wie seine Leute sagen, will er uns doch weder antworten noch einlassen.« »Mit Eurer Erlaubniß, Meister Bailie,« sagte Simon Glover, »will ich selber gehen, Harry Schmied zu holen. Ich habe einen kleinen Streit mit ihm abzumachen. Und gepriesen sei unsre Frau, die es so gefügt hat, daß ich ihn lebend finde, wie ich vor einer Viertelstunde nimmer erwartet hätte!« »Bringt den trotzigen Schmied zum Rathhause,« sagte der Bailie, als sich ein reitender Yeoman durch die Menge drängte und ihm zuflüsterte: – »Hier ist ein guter Bursch', welcher sagt, daß der Ritter von Kinfauns durch's Thor zieht.« So standen die Dinge, als Simon Glover, wie bereits erwähnt, vor Harry Gow's Hause erschien. Nicht gehemmt durch die Betrachtungen des Zweifels und der Besorgniß, welche auf die Andern Einfluß hatten, ging er nach dem Wohnzimmer; und nachdem er die Stimme der Frau Shoolbred vernommen, nahm er das Vorrecht der genauen Bekanntschaft in Anspruch, in's Schlafgemach hinaufzugehen, öffnete mit der leichten Entschuldigung, »bitt' um Verzeihung, guter Nachbar,« die Thür und trat in das Gemach, wo ihn ein seltsamer und unerwarteter Anblick überraschte. Beim Ton seiner Stimme wurde die schöne Katharina viel schneller belebt, als die Arzneien der Frau Shoolbred dies hätten bewirken können, und die Blässe ihres Gesichts wechselte plötzlich mit einer tiefen Glut der lebhaftesten Röthe. Sie stieß ihren Liebhaber mit beiden Händen zurück, die sie bis jetzt, aus Bewußtlosigkeit oder aus einer durch die Vorfälle des Morgens erweckten Neigung ganz seinen Liebkosungen überlassen hatte. Harry Schmied, dessen Schüchternheit wir kennen, strauchelte im Aufstehen, und Niemand in der Gesellschaft war ohne Verlegenheit, außer Frau Shoolbred, die sich das Vergnügen machte, unter einem Vorwand den Andern den Rücken zu kehren, um auf ihre Kosten zu lachen, was sie nicht langer zurückhalten konnte; und der Handschuhmacher, dessen Staunen, obwohl groß, doch von kurzer Dauer war, stimmte fröhlich mit ein. »Nun, bei St. John,« sagte er, »ich glaubte diesen Morgen einen Anblick zu haben, der mich vom Lachen heilen würde, mindestens bis nach dem Fasten; aber das würde mich zum Lachen bringen und läg' ich im Sterben. Nun, da steht der ehrsame Harry Schmied, den man als todt beweint und von jedem Thurm in der Stadt ausläutet, lebendig, lustig und, nach seinem rothen Gesicht zu urtheilen, so weit vom Tode, als irgend Einer von Perth. Und da ist meine köstliche Tochter, die gestern Abend von Nichts sprechen wollte, als von der Schlechtigkeit der Wichte, die eitlem Spielwerk nachlaufen und Sängerinnen schützen, – ja, sie, die St. Valentin und St. Cupido zugleich trotzte, – sie ist hier, so viel ich sehe, selbst in ein lustiges Mädchen verwandelt. Wahrlich, mich freut es, zu sehen, daß Ihr, meine gute Frau Shoolbred, die keine Unordnung duldet, selbst bei der Liebesangelegenheit waret.« »Ihr thut mir Unrecht, mein theuerster Vater!« sagte Katharina, im Begriff zu weinen. »Ich kam mit ganz anderen Erwartungen hierher, als Ihr vermuthet. Ich kam nur, weil – weil –« »Weil du einen todten Liebhaber zu finden dachtest,« sagte ihr Vater; »und du hast einen lebendigen gefunden, der die Zeichen deiner Achtung annehmen und sie erwidern kann. Nun, wär' es nicht eine Sünde, so könnt' ich in meinem Herzen dem Himmel danken, daß du endlich bei dem Geständniß überrascht worden bist, du sei'st ein Weib – Simon Glover verdient nicht eine vollkommen Heilige zur Tochter zu haben. – Nein, blicke nicht so flehentlich, erwarte kein Erbarmen von mir! ich will blos versuchen, nicht lustig zuzusehen, wenn du deine Thränen stillen oder gestehen willst, daß es Freudenthränen sind.« »Müßte ich wegen eines solchen Geständnisses sterben,« sagte die arme Katharina, »ich wüßte nicht, wie ich sie nennen sollte. Glaubt nur, lieber Vater, und laßt auch Harry glauben, daß ich nie hierher gekommen wäre, wenn nicht – wenn nicht –« »Wenn du nicht bedacht hättest, Harry könnte nicht zu dir kommen,« sagte ihr Vater. »Und nun reicht euch die Hände in Frieden und Eintracht, und vertragt euch, wie Valentine sollen. Gestern war Fastnacht, Harry – wir wollen glauben, daß du deine Thorheiten gebeichtet hast, daß dir Absolution geworden und daß du von aller Schuld, womit du beladen warst, befreit bist.« »Ei, da Ihr darauf kommt, Vater Simon,« sagte der Schmied, »nun Ihr kalt genug seid, mich zu hören, so kann ich beim Evangelium schwören und kann meine Amme, Frau Shoolbred, zum Zeugen ausrufen –« »Nein, nein,« sagte der Handschuhmacher, »warum Zwistigkeiten aufstören, die ganz vergessen sein sollten?« »Hört Ihr, Simon! – Simon Glover!« dies schallte nun von unten herauf. »Ja, Sohn Harry,« sagte der Handschuhmacher ernst, »wir haben jetzt ein ander Geschäft vor uns. Ihr und ich müssen sogleich vor den Rath; Katharina wird hier bei Frau Shoolbred bleiben, die sie bis zu unsrer Rückkehr unter ihre Obhut nehmen wird; und dann, Harry, wollen wir Beide, da die Stadt unruhig ist, sie nach Hause führen, und es würden tollkühne Männer sein, die uns in den Weg träten.« »Ei, mein lieber Vater,« sagte Katharina mit einem Lächeln, »jetzt übernehmt Ihr ja Oliver Proudfute's Amt. Dieser tapfere Bürger ist Harry's Waffenbruder.« Ihres Vaters Gesicht verdüsterte sich. »Du hast ein verletzendes Wort gesprochen, Tochter; aber du weißt nicht, was geschehen ist. Küss' ihn Katharina, zum Zeichen der Vergebung.« »Nicht doch,« sagte Katharina; »ich habe ihm bereits zu viel Gunst erwiesen. Wenn er das irrende Mädchen sicher daheim sieht, wird Zeit genug sein, den Lohn zu fordern.« »Unterdessen,« sagte Harry, »will ich als Euer Wirth in Anspruch nehmen, was Ihr unter anderer Bedingung nicht gewähren wollt.« Er umfing das schöne Mädchen mit den Armen, und es ward ihm erlaubt, den Kuß zu nehmen, den sie zu geben sich weigerte. Als sie mit einander die Treppe hinabstiegen, legte der alte Mann seine Hand auf des Schmieds Schulter und sagte: »Harry, meine theuersten Wünsche sind erfüllt; aber die Heiligen wollten, daß das in einer schlimmen und schrecklichen Stunde geschehen sollte.« »Ja,« sagte der Schmid; »aber du weißt, Vater, wenn die Aufstände in Perth häufig sind, so währen sie doch selten lange.« Darauf öffnete er eine Thür, die aus dem Hause nach der Schmiede führte und rief: »Hierher, Kameraden, Anton, Cuthbert, Dingwell und Ningan! Keiner von euch gehe fort, bis ich zurückkehre; seid so treu, wie die Waffen, die ich euch schmieden lehrte; eine französische Krone und einen schottischen Festtag für euch, wenn ihr meinem Befehle gehorcht. Ich lasse einen großen Schatz unter eurer Obhut. Bewacht die Thüren gut – laßt den kleinen Jenkin den Wynd auf- und abgehen und haltet eure Waffen bereit, wenn sich Jemand dem Hause nähert. Oeffnet die Thüren Niemand, bis Vater Glover oder ich zurückkommt; es betrifft mein Leben und Glück.« Die starken, schwarzen Riesen, die er anredete, antworteten: »Tod Jedem, der's versucht!« »Meine Katharina ist nun so sicher,« sagte er zu ihrem Vater, »als wenn zwanzig Mann ihretwegen ein königlich Schloß besetzen. Wir werden durch den Garten viel ruhiger nach dem Rathhause gelangen.« Er führte den Begleiter daher durch einen kleinen Obstgarten, wo die Vögel, die während des Winters von dem gutmüthigen Handwerker geschützt und gefüttert worden waren, in der frühen Jahreszeit das ungewisse Lächeln einer Februarsonne mit einigen schwachen und abgebrochenen melodischen Lauten begrüßten. »Hört diese Minstrels, Vater,« sagte der Schmied; »ich lachte ihrer diesen Morgen in der Bitterkeit meines Herzens, weil die kleinen Wichte sangen, während so viel Winter vor ihnen liegt. Aber nun, dünkt mich, könnte ich einen frohen Chor anstimmen, denn ich habe meine Valentine, wie sie den ihrigen; und was auch Schlimmes morgen vor mir liegen mag, heut' bin ich der glücklichste Mann in Perth, Stadt und Grafschaft.« »Doch muß ich Eure Freude hemmen,« sagte der alte Glover, »obwohl, der Himmel weiß es, ich sie theile. – Der arme Oliver Proudfute, der harmlose Narr, den Ihr und ich so gut kannten, ist diesen Morgen todt auf der Straße gefunden worden.« »Blos halb todt betrunken, hoff' ich?« sagte der Schmied; »nun, eine Kraftbrühe und ein Stück von Schürzenpredigt werden ihn wieder zum Leben bringen.« »Nein, Harry, nein. Er ist erschlagen – erschlagen mit einer Streitaxt oder einer ähnlichen Waffe.« »Unmöglich!« erwiderte der Schmied; »er war schnellfüßig genug, und würde nicht um ganz Perth sich auf seine Hände verlassen haben, wenn er sich mit den Fersen helfen konnte.« »Es war ihm keine Wahl gegeben. Der Hieb ist ihm in's Genick gegeben worden; er, der ihn schlug, muß ein kleinerer Mann als Jener selbst gewesen sein, und brauchte eine Reiterstreitaxt oder eine ähnliche Waffe, denn eine Lochaberaxt hätte den obern Theil des Kopfes treffen müssen – aber dort liegt er todt, zerschmettert, möcht' ich sagen, mit einer schrecklichen Wunde.« »Das ist unbegreiflich,« sagte Harry Wynd. »Er war um Mitternacht in meinem Hause, in einem Mohrentänzerkleide; er schien vom Trinken zu kommen, wenn er auch nicht zum Uebermaß getrunken hatte. Er sagte mir eine Geschichte, wie er von Schwärmern verfolgt und in Gefahr sei; aber ach! Ihr kennt ihn; ich dachte, es sei ein prahlerischer Einfall, wie er ihn oft in der Trunkenheit hatte; und, verzeihe mir die barmherzige Jungfrau! ich ließ ihn unbegleitet gehen, was ein unmenschliches Unrecht war. Der heilige John sei mein Zeuge! ich wäre mit jedem hilflosen Wesen gegangen, und um so viel eher mit ihm, der so oft mit mir an einem Tische saß und aus einem Becher trank. Wer in aller Welt hätte daran gedacht, ein so einfältiges Geschöpf zu kränken, das Niemand beleidigte, außer durch leere Prahlereien!« »Harry, er trug deine Blechhaube, dein Büffelwams, deinen Schild – wie kam er dazu?« »Ei, er verlangte die Sachen für die Nacht und ich war unwohl und froh, seiner Gesellschaft los zu werden; denn ich feierte den Tag nicht und wollte ihn auch nicht feiern wegen unseres Mißverständnisses.« »Es ist die Meinung des Bailie Craigdallie und all' unserer weisesten Räthe, daß der Hieb dir zugedacht war, und daß es dir zukommt, die gehörige Rache für unsern Mitbürger zu nehmen, der den Tod erlitt, den man dir zugedacht hatte.« Der Schmied schwieg eine Zeitlang. Sie hatten nun den Garten verlassen und wandelten in einem einsamen Gäßchen, durch welches sie sich dem Rathhause nähern wollten, ohne der Beobachtung oder müßigen Fragen ausgesetzt zu sein. »Du schweigst, mein Sohn, und doch haben wir Zwei viel zu sprechen,« sagte Simon Glover. »Bedenke, daß die verwittwete Frau Magdalena, wenn sie Grund hat, Jemand des Unrechts, das ihr und ihren Waisen geschehen ist, zu zeihen, ihr Recht nach Sitte und Herkommen durch einen Kämpen behaupten muß. Denn wer der Mörder auch sei, wir wissen genug von dem Gefolge dieser Edeln, um versichert zu sein, daß der Verdächtige sich auf den Zweikampf berufen wird, vielleicht in Verspottung derer, die sie die feigen Bürger nennen. So lang' wir Männer sind mit Blut in unseren Adern, darf dies nicht geschehen, Harry Wynd.« »Ich sehe, wohin Ihr mich ziehen wollt, Vater,« antwortete Harry niedergeschlagen; »und St. John weiß, ich habe einen Ruf zur Schlacht so gern gehört, als ein Kriegsroß je die Trompete. Aber bedenkt, Vater, wie ich Katharinens Gunst öfters verlor, und fast verzweifeln mußte, sie wiederzugewinnen, weil ich, so zu sagen, zu schnell fertig mit meinen Händen bin. Jetzt ist all' unser Streit zu Ende und die Hoffnungen, die heute morgen nach menschlichem Denken gar zu weit lagen, stehen näher und glänzender, als je; muß ich nun, mit dem Versöhnungskuß der Theuren auf den Lippen, mich von Neuem in Gewaltthat stürzen, was sie, wie Ihr wohl wißt, auf's Schwerste beleidigen wird?« »Es ist schwer für mich, dir zu rathen, Harry,« sagte Simon; »aber das muß ich dich fragen: habt Ihr, oder habt Ihr nicht Grund zu glauben, daß dieser arme unglückliche Oliver für Euch angesehen worden ist?« »Ich fürcht' es nur zu sehr,« sagte Harry. »Man hielt ihn mir etwas ähnlich, und der arme Narr hatte sich bemüht, meine Geberden und meinen Gang nachzuäffen, ja, selbst die Weisen, die ich zu pfeifen pflege, um dadurch eine Aehnlichkeit zu erhöhen, die ihm theuer zu stehen gekommen ist. Ich habe Widersacher genug, in der Stadt wie auf dem Lande, die mir nachstellen können; und er hatte, denk ich, keine.« »Nun, Harry, ich weiß nicht, ob meine Tochter nicht beleidigt sein wird. Sie hat viel mit Pater Clemens verkehrt und hat Begriffe über Frieden und Vergebung empfangen, die, wie mich dünkt, schlecht für ein Land passen, wo die Gesetze uns nicht schützen können, wenn wir nicht den Muth haben, uns selber zu schützen. Wenn Ihr Euch zu dem Kampfe entschließt, so will ich mein Bestes thun, sie zu überreden, daß sie die Sache betrachtet, wie die übrigen Weiber in der Stadt; und seid Ihr entschlossen, die Sache ruhen zu lassen – bleibt der Mann ungerächt, der sein Leben für Euch verloren hat – die Wittwe und die Waisen ohne Ersatz für den Verlust eines Gatten und Vaters – nun, so will ich gerecht gegen Euch sein und denken, daß ich Euch wenigstens wegen Eurer Geduld nicht geringer achten darf, da sie der Liebe zu meiner Tochter entsprang. Aber, Harry, wir müssen uns in diesem Falle aus der lustigen St. Johnston entfernen, denn hier werden wir nur eine entehrte Familie sein.« Harry seufzte tief und schwieg einen Augenblick, dann erwiderte er: »Ich möchte lieber todt, als entehrt sein, und sollt' ich sie auch nie wiedersehen! War' es gestern Abend gewesen, so war' ich dem Besten jener Kriegsleute so freudig begegnet, als ich je bei einem Maibaum tanzte. Aber heute, wo sie zum ersten Male sich benahm, als spräche sie: ,Harry Schmied, ich liebe dich! Vater Glover, es ist sehr hart. Doch es ist Alles meine eigne Schuld! Dieser arme, unglückliche Oliver! ich hätt' ihm den Schutz meines Daches gewähren sollen, als er mich in seiner Todesangst darum bat; oder wär' ich mit ihm gegangen, dann hätt' ich sein Schicksal verhindert oder getheilt. Aber ich höhnte ihn, lachte ihn aus, überhäufte ihn mit Schmähungen, obwohl die Heiligen wissen, daß ich sie nur im Aerger der Ungeduld aussprach. Ich trieb ihn aus meinem Hause, da ich wußte, er sei hilflos, um dem Schicksal entgegenzugehen, welches vielleicht mir zugedacht war. Ich muß ihn rächen oder auf ewig entehrt sein. Seht, Vater – man hat einen Mann genannt, der so hart wie der Stahl, worin ich arbeite. – Weint Stahl je Thränen, gleich diesen? – Schande für mich, daß ich sie vergieße!« »Es ist keine Schande, mein theuerster Sohn,« sagte Simon; »du bist so mild, als tapfer, und ich habe das stets gewußt. Es gibt noch eine Auskunft für uns. Es wird vielleicht Niemand entdeckt, auf dem ein Verdacht haftet, und wenn kein solcher gefunden wird, kann der Zweikampf nicht stattfinden. Es ist ein arges Ding, zu wünschen, daß unschuldig Blut nicht gerächt werde. Aber wenn der Vollbringer des schändlichen Mordes für jetzt verborgen bleibt, so wirst du mit dem Geschäft verschont, die Rache zu suchen, die der Himmel sicherlich zur gehörigen Zeit nehmen wird.« Während sie so sprachen, langten sie auf dem Punkte der Highstreet an, wo das Rathhaus lag. Als sie die Thür erreichten und sich Bahn durch die Menge machten, welche die Straße erfüllte, fanden sie die Zugänge durch eine auserlesene Schaar bewaffneter Bürger und etwa fünfzig Lanzen des Ritters von Kinfauns besetzt, der mit seinen Verbündeten, den Gray's, Blair's, Moncrieff's und Anderen eine beträchtliche Reiterschaar nach Perth geführt hatte, wovon diese ein Theil waren. Sobald der Handschuhmacher und der Schmied erschienen, wurden sie in das Zimmer geführt, wo die Magistratspersonen versammelt waren. Zwanzigstes Kapitel Ein Weib steht draußen um Gerechtigkeit, Beraubt des Gatten, trostlos und verlassen. Bertha. Das Rathszimmer von Perth bot ein seltsames Schauspiel dar. In einem düsteren Gemache, schlecht und ungehörig durch zwei Fenster von verschiedener Gestalt und ungleicher Größe erleuchtet, war um eine große Eichentafel eine Gruppe Männer versammelt, von denen diejenigen, welche die höheren Sitze einnahmen, Kaufleute waren, das heißt Gildebrüder oder Inhaber von Kaufläden; in anständiger Kleidung, wie sie ihrem Stande gebührte, saßen sie bei einander, aber die Meisten von ihnen trugen, wie der Regent York, »Kriegszeichen um die bejahrten Nacken«, nämlich Halsbänder und Wehrgehänge, woran ihre Waffen hingen. Die niederen Plätze um den Tisch nahmen die Handwerker und Künstler ein, die Vorsitzenden oder Diakonen, wie man sie nannte, der arbeitenden Klassen, in ihren gewöhnlichen Kleidern, die aber doch etwas besser geordnet waren, als sonst. Diese trugen auch noch verschiedene Waffenstücke. Einige hatten die schwarze Jacke oder das Wams mit rautenförmigen kleinen Eisenplatten besetzt, die, am obern Winkel befestigt, in Reihen über einander hingen, und, jeder Bewegung des Körpers folgend, eine sichere Schutzrüstung bildeten. Andere hatten Büffelkoller, die, wie schon erwähnt wurde, einem Schwerthiebe oder einem mäßig starken Lanzenstoße widerstehen konnten. Unten an dieser von so verschiedener Gesellschaft umgebenen Tafel saß Sir Louis Lundin, kein Kriegsmann, sondern Priester und Pfarrer von St. Johns, in seinem kirchlichen Gewande, Feder und Tinte vor sich. Er war der Stadtschreiber und erhielt, wie damals alle Priester (die man deswegen des Papstes Ritter nannte), den ehrenvollen Titel Dominus, was verkürzt in Dom oder Don, oder übersetzt in Sir, der Titel war, welcher der weltlichen Ritterschaft zukam. Auf einem erhöhten Sitze oben an der Rathstafel saß Sir Patrick Charteris, in vollständiger, glänzend polirter Rüstung; ein seltsamer Contrast gegen die bunte Mischung kriegerischer und friedlicher Anzüge der Bürger, die nur gelegentlich zu den Waffen gerufen wurden. Das Benehmen des Oberrichters war, indem es zugleich die innige Verbindung, welche gegenseitiges Interesse zwischen ihm, der Stadt und der Obrigkeit hervorbringen mußte, vollkommen zuließ, wohlberechnet, um die Ueberlegenheit hervorblicken zu lassen, welche ihm kraft seines edlen Blutes und ritterlichen Ranges die Meinung des Zeitalters über die Glieder der Versammlung gab, in welcher er den Vorsitz führte. Zwei Knappen standen hinter ihm, deren einer des Ritters Fahne, der andere seinen Schild mit dem Wappenzeichen trug, welches eine Hand war, die einen Dolch oder ein kurzes Schwert hielt, mit dem stolzen Wahlspruch: Dies ist mein Freibrief! Ein schöner Page zeigte das lange Schwert seines Herrn und ein anderer seine Lanze, welche ritterliche Schmuck- und Standeszeichen um so sorgfältiger zur Schau gestellt waren, da der Herr, dem sie angehörten, beschäftigt war, sein Amt als Stadtobrigkeit auszuüben. An seiner eigenen Person schien der Ritter von Kinfauns etwas steife Vornehmheit zu affectiren, die seinem offenen und jovialen Charakter nicht natürlich war. »Nun, seid ihr endlich angekommen, Harry Schmied und Simon Glover?« sagte der Oberrichter. »Wißt, daß ihr uns lange auf euer Erscheinen habt warten lassen. Sollte dies wieder geschehen, wenn wir diese Stelle einnehmen, so werden wir euch eine solche Buße auflegen, deren Zahlung euch kein Vergnügen machen wird. Genug – keine Entschuldigungen. Sie werden jetzt nicht verlangt, und ein anderes Mal nicht angenommen. Wißt, meine Herren, daß unser ehrwürdiger Schreiber der Läng' und Breite nach aufgesetzt hat, was ich euch jetzt in der Kürze sagen will, damit ihr seht, was man, insbesondere von Euch, Harry Schmied, verlangt. Unser verstorbener Mitbürger Oliver Proudfute wurde, gleich beim Eingang in den Wynd, todt in der Highstreet gefunden. Es schien, daß er durch einen schweren Hieb mit kurzer Axt von hinten und unvermerkt erschlagen worden sei; und die That, durch welche er fiel, kann nur eine schändliche und vorsätzliche Mordthat genannt werden. So viel vom Verbrechen. Der Thäter kann nur durch die Umstände angezeigt werden. Es wird in dem Protocoll des ehrwürdigen Sir Louis Lundin bemerkt, daß verschiedene wohlberufene Zeugen unsern verstorbenen Mitbürger noch spät in die Entry der Mohrentänzer, zu der er gehörte, bis zu Simon Glovers Haus in Curfewstreet begleiten sahen, wo sie ihren Tanz aufführten. Auch ist angezeigt, daß er sich nach einigem Gespräch mit Simon Glover dort von der übrigen Schaar trennte und der Gesellschaft versprach, in der Greifschenke mit ihnen zur Beschließung des Festes zusammenzukommen. – Nun, Simon, ich frage Euch, ist die Angabe richtig, so viel Ihr wißt? Und ferner, was war der Inhalt des Gespräches zwischen Euch und dem verstorbenen Oliver Proudfute?« »Mylord Oberrichter und sehr ehrenwerther Sir Patrick,« antwortete Simon Glover, »Ihr und dieser ehrwürdige Rath werdet wissen, daß, wegen gewisser Gerüchte, die über Harry Schmieds Benehmen entstanden waren, zwischen mir und einer andern Person meiner Familie und besagtem hier anwesenden Schmied ein Zwist vorgekommen war. Da nun dieser unser armer Mitbürger Oliver Proudfute bei Verbreitung jener Gerüchte thätig gewesen, wie überhaupt dergleichen Plauderei seine Sache war, so wechselten wir einige Worte darüber; und er ging von mir, wie ich glaube, in der Absicht, Harry Schmied zu besuchen, denn er verließ die Mohrentänzer, wie es scheint, mit dem Versprechen, sie, wie Eure Herrlichkeit sagt, in der Greifschenke wiederzufinden, um den Abend zu beschließen. Aber was er wirklich that, weiß ich nicht, da ich ihn nie wieder lebend sah.« »Es ist genug,« sagte Sir Patrick, »und stimmt mit Allem überein, was wir gehört haben. Nun, werthe Herren, finden wir unseren armen Mitbürger zunächst umgeben von einer Schaar von Schwärmern und Masken, die sich in der Highstreet versammelt hatten, von denen er schimpflich gemißhandelt ward, indem sie ihn zwangen, auf der Straße niederzuknieen und dort gegen seinen Willen eine ungeheure Menge Wein zu trinken, bis er ihnen endlich durch die Flucht entkam. Diese Gewaltthat geschah mit gezogenen Schwertern, lautem Geschrei und Fluchen, so daß die Sache die Aufmerksamkeit verschiedener Personen auf sich zog, die, von dem Lärm beunruhigt, aus den Fenstern sahen, so wie auch einiger Vorübergehenden, die, aus dem Lichte der Fackeln tretend, um nicht ebenso gemißhandelt zu werden, der schlimmen Behandlung unsers Mitbürgers in der Hauptstraße der Stadt zusahen. Und obwohl jene Menschen verkleidet waren und Masken trugen, so war doch ihre Mummerei wohlbekannt, denn es waren prächtige Masken, die vor einigen Wochen auf Befehl Sir John Ramorny's, Stallmeisters Seiner königlichen Hoheit des Herzogs von Rothsay, königlichen Prinzen von Schottland, verfertigt wurden.« Ein tiefer Seufzer ging durch die Versammlung. »Ja, so ist es, brave Bürger,« fuhr Sir Patrick fort; »unsere Nachforschungen haben uns zu Schlüssen geführt, die traurig und schrecklich sind. Aber wie Niemand mehr den Punkt bedauern kann, bei dem sie sich wahrscheinlich endigen werden, als ich, so kann auch Niemand ihre Folgen mehr fürchten. Es ist einmal so – verschiedene Handwerker, die daran gearbeitet haben, beschrieben den für Sir Ramorny's Maske bestimmten Schmuck genau so, wie ihn einer von den Männern trug, die man Oliver Proudfute mißhandeln sah. Und ein Handwerker, Wingfield, der Federschmücker, der die Schwärmer sah, als unser Mitbürger in ihrer Gewalt war, bemerkte, daß sie die Gürtel und Kronen von bunten Federn trugen, die er selber im Auftrage von des Prinzen Stallmeister gemacht hatte. – Vom Augenblicke seiner Flucht vor diesen Schwärmern verlieren wir jede Spur von Oliver; aber wir können beweisen, daß die Masken zu Sir John Ramorny gingen, wo sie nach einigem Zögern eingelassen wurden. Es verlautet, daß du, Harry Schmied, unsern unglücklichen Mitbürger sahest, nachdem er in den Händen jener Schwärmer gewesen war. – Was ist Wahres an der Sache?« »Er kam zu meinem Hause auf dem Wynd,« sagte Harry, »etwa eine halbe Stunde vor Mitternacht; und ich ließ ihn ein, wiewohl etwas ungern, da er den Karneval gefeiert hatte, während ich daheim geblieben war; es ist schlechtes Reden, sagt das Sprichwort, zwischen einem vollen Manne und einem Nüchternen.« »Und in welchem Zustande schien er, als du ihn einließest?« sagte der Oberrichter. »Er schien,« antwortete der Schmied, »außer Athem, und sagte wiederholt, daß er von Nachtschwärmern bedroht sei. Ich achtete darauf wenig, denn er war stets ein schüchterner, verzagter, obwohl gutdenkender Mann, und ich glaubte, er spräche mehr aus Einbildung als nach der Wirklichkeit. Aber stets werd' ich es mir als ein Verbrechen anrechnen, daß ich ihm nicht meine Begleitung schenkte, um die er bat; und wenn ich lebe, will ich zur Buße für meine Schuld Messen stiften.« »Beschrieb er diejenigen, von denen er beleidigt worden war?« sagte der Oberrichter. »Nachtschwärmer in Maskenkleidern,« erwiderte Harry. »Und äußerte er die Besorgniß, bei seiner Rückkehr wieder mit ihnen zusammenzukommen?« fragte Sir Patrick weiter. »Er spielte besonders darauf an, daß man ihm auflauere, was ich für Einbildung hielt, da ich Niemand auf der Straße bemerkt hatte.« »Erhielt der Mann auf keinerlei Art Hülfe von dir?« sagte der Oberrichter. »Ja,« erwiderte der Schmied; »er vertauschte sein Mohrenkleid mit meiner Pickelhaube, Büffelwams und Schild, die, wie ich höre, bei dem Leichnam gefunden wurden; und ich habe zu Hause seine Mohrenmütze und Schellen, nebst dem Rock und anderem Zubehör. Er wollte mir meine Waffen zurückschicken und seine Maske heute dafür in Empfang nehmen, hätten die Heiligen das gestattet.« »Nachher saht Ihr ihn nicht wieder?« »Nie, Mylord.« »Noch ein Wort,« sagte der Oberrichter. »Habt Ihr irgend einen Grund, zu glauben, daß der Hieb, der Oliver Proudfute tödtete, einem andern Manne zugedacht war?« »Allerdings,« antwortete der Schmied; »aber es ist zweifelhaft und kann gefährlich sein, einen solchen Verdacht, der nur auf Vermuthung beruht, auszusprechen.« »Sprecht ihn aus, bei Eurem Bürgereid – wem, meint Ihr, war der Schlag zugedacht?« »Wenn ich sprechen muß,« erwiderte Harry, »so glaub ich, Oliver Proudfute erfuhr das Geschick, welches mich selbst treffen sollte; um so eher, da Oliver in seiner Thorheit davon sprach, meinen Gang ebenso wie meine Kleider annehmen zu wollen.« »Habt Ihr mit Jemand Fehde, daß Ihr eine solche Vermuthung hegt?« sagte Sir Patrick Charteris. »Zu meiner Schmach und Schande sei es gesagt, daß ich Fehde mit Hochland und Niederland, Engländern und Schotten, Perth und Angus habe. Ich glaube nicht, daß der arme Oliver Fehde mit einem neugebornen Küchlein hatte. – Ach! er war desto besser bereit zu schnellem Tode!« »Hört, Schmied,« sagte der Oberrichter, »antwortet mir genau – ist Grund zur Fehde zwischen Sir John Ramorny's Hause und Euch?« »Ja, sicherlich, Mylord. Man sagt jetzt allgemein, daß der schwarze Quentin, der seit einigen Tagen jenseit des Tay nach Fife gegangen ist, der Eigenthümer der Hand war, die man am Abend vor St. Valentin in Curfewstreet fand. Ich war es, der diese Hand mit einem Streiche meines Schwertes abhieb. Da dieser schwarze Quentin ein Kammerdiener Sir Johns und sehr vertraut mit ihm war, so muß ja wohl Fehde zwischen mir und seines Herrn Leuten sein.« »Das sieht wahrscheinlich aus, Schmied,« sagte Sir Patrick Charteris. – »Und nun, gute Bürger und weise Rathsherren, haben wir zwei Vermuthungen, die beide zum nämlichen Schlusse führen. Die Masken, die unsern Mitbürger angriffen und auf eine Art mißhandelten, von der sein Leichnam noch einige Spuren trägt, können ihrem vormaligen Gefangenen, als er nach Hause ging, begegnet sein und ihre Mißhandlung mit seinem Tode geendigt haben. Er selbst äußerte gegen Harry Gow, es möchte ihm so gehen. Ist dies der Fall, so müssen einer oder mehrere von Sir John Ramorny's Dienern die Mörder gewesen sein. Aber ich halte es für wahrscheinlicher, daß etliche der Schwärmer auf dem Orte zurückblieben oder wieder dorthin kamen, vielleicht mit veränderter Maske, und daß diesen Leuten (denn Oliver selbst würde, in seiner eigenen Person auftretend, nur ein Gegenstand des Spottes gewesen sein) seine Erscheinung in Schmieds Kleidung oder gar mit dessen Gang, wie er sich vornahm, ein Gegenstand tiefen Hasses war, so daß sie, ihn allein sehend, eine gewisse und sichere Art wählten, eines so gefährlichen Feindes los zu werden, als welcher der Harry Wynd Allen bekannt ist, die nicht gut mit ihm stehen. So führt die nämliche Reihe von Gedanken wieder auf Sir Ramorny's Leute, als die Schuldigen. Wie denkt ihr davon, ihr Herren? Dürfen wir sie des Verbrechens anklagen?« Die Magistratspersonen flüsterten mehrere Minuten unter einander und erwiderten dann durch die Stimme des Bailie Craigdallie: »Edler Ritter und würdiger Oberrichter, – wir stimmen ganz dem bei, was Eure Weisheit in Betreff dieser dunkeln und blutigen Angelegenheit gesprochen hat; auch zweifeln wir nicht an Eurem Scharfsinn, der auf den Antheil und die Mitwissenschaft Sir John Ramorny's an der Schurkerei hindeutet, die unsern verstorbenen Mitbürger entweder in seinem eigenen Charakter und auf seine eigene Rechnung, oder indem man ihn für unsern tapfern Mitbürger, Harry vom Wynd, hielt, geschah. Aber Sir John hält zu seinem eigenen Behuf und als Stallmeister des Prinzen viele Dienerschaft, und da die Anklage wahrscheinlich durch gänzliches Läugnen abgewiesen werden wird, so möchten wir fragen, was wir dann zu thun haben werden? – Es ist wahr, wenn wir ein Gesetz fänden, nach dem wir sein Haus anzünden, und Alles was d'rinnen ist, niedermachen dürften, so würde das alte Sprichwort: ›Kurze Rede, gute Rede‹, hier gute Anwendung finden; denn ein elenderes Gesindel von Gotteslästerern, Mördern und Weiberschändern findet man nirgends, als in Ramorny's Bande. Aber ich zweifle, ob die Gesetze eine so kurze und schnelle Vollziehung ertrügen; und nichts von alle dem, was ich hörte, wird einem einzelnen oder einigen bestimmten Individuen das Verbrechen aufbürden können.« Bevor der Oberrichter antworten konnte, stand der Stadtschreiber auf und bat, seinen ehrwürdigen Bart streichend, um Erlaubniß zu sprechen, die alsbald gewährt ward. »Brüder,« sagte er, »sowohl zu unserer Väter Zeit, als in der unsern hat Gott, wenn man sich recht zu ihm wandte, sich herabgelassen, die Verbrechen des Schuldigen und die Unschuld dessen zu offenbaren, der zu unbedacht angeklagt ward. Laßt uns unsern souverainen Herrn, den König Robert, der, wenn die Bösen sich nicht einmischen und seine guten Absichten verkehren, ein so gerechter und gnädiger Fürst ist, als unsere Jahrbücher in einer langen Reihe aufweisen, laßt uns ihn im Namen der schönen Stadt und aller Gemeinen Schottlands bitten, er möge uns nach der Weise unserer Vorfahren die Mittel geben, den Himmel um Licht in dieser dunkeln Mordgeschichte anzurufen. Wir fordern die Probe des ›Sarg-Rechts‹, oft gewährt in den Tagen der Vorfahren unsers Königs, gebilligt durch Bullen und Dekretatien und gebraucht von dem mächtigen Kaiser Karl dem Großen in Frankreich, von dem König Arthur in Britannien, von Gregor dem Großen und dem mächtigen Achaius in unserem Lande Schottland.« »Ich habe von diesem Sarg-Rechte gehört, Sir Louis,« sagte der Oberrichter, »und ich weiß, das wir's unter den Privilegien der guten Stadt haben; aber ich bin etwas unvollkommen bewandert in den alten Gesetzen, und möchte Euch bitten, uns etwas genauer davon zu unterrichten.« »Wir werden den König bitten,« sagte Sir Louis Lundin, »wenn mein Rath angenommen wird, daß der Leichnam unseres ermordeten Mitbürgers in die hohe St. Johnskirche gebracht werde, wo gehörig Messen gelesen werden für das Heil seiner Seele und die Entdeckung seines schändlichen Mörders. Indessen müssen wir einen Befehl erhalten, daß Sir John Ramorny eine Liste aller seiner Diener abgebe, die in der Nacht vom Fastendienstag auf Aschermittwoch in Perth waren, und daß er verbindlich gemacht werde, an gewissem Tag und Stunde, die noch zu nennen sind, sie in der hohen St. Johnskirche zu stellen. Dort muß dann einer nach dem andern am Sarg unseres ermordeten Mitbürgers vorbeigehen und in der vorgeschriebenen Form Gott und seine Heiligen um Zeugniß anrufen, daß er an dem Mord, mittelbar oder unmittelbar, unschuldig ist. Und glaubt mir, was durch zahlreiche Beispiele bewiesen ist, wenn der Mörder sich durch einen solchen Ausruf wird sicher stellen wollen, so wird die Antipathie zwischen dem leblosen Körper und der Hand, von welcher der Schlag kam, der ihn von der Seele trennte, noch ein unvollkommenes Leben erwecken, unter dessen Einfluß die Adern des Todten das Blut hervortreiben, das so lange stillstand. Oder, um sicherer zu sprechen, es gefällt dem Himmel, durch eine plötzliche Einwirkung, die uns unbegreiflich ist, diese Art der Entdeckung der Bosheit desjenigen uns zu gewähren, der das Ebenbild seines Schöpfers entstellte.« »Ich habe von diesem Rechte sprechen hören,« sagte Sir Patrick, »und es wurde zu Bruce's Zeiten geübt. Dies ist gewiß keine unpassende Zeit, um durch eine so geheimnißvolle Untersuchungsweise die Wahrheit zu suchen, zu der uns gewöhnliche Mittel keinen Weg öffnen, da eine allgemeine Anklage der Dienerschaft Sir John Ramorny's ohne Zweifel durch ein allgemeines Läugnen zurückgewiesen würde. Aber ich muß unsern ehrwürdigen Stadtschreiber, Sir Louis, noch weiter fragen, wie wir hindern sollen, daß der Schuldige in der Zwischenzeit entkommt?« »Die Bürger werden auf der Mauer strenge Wache halten, Zugbrücken sollen aufgezogen und Fallgatter niedergelassen werden, von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang; und starke Patrouillen sollen die Nacht durch unterhalten werden. Diese Wache werden die Bürger gern unterhalten, um das Entkommen des Mörders ihres Mitbürgers zu hindern.« Die übrigen Räthe stimmten diesem Vorschlage durch Wort und Zeichen bei. »Ferner,« sagte der Oberrichter, »was ist zu thun, wenn Einer der verdächtigen Dienerschaft sich weigert, die Probe des Sarg-Rechts zu bestehen?« »So kann er den Zweikampf in Anspruch nehmen,« sagte der ehrwürdige Stadtschreiber, »und zwar mit einem Gegner seines Standes; denn der Angeklagte hat bei der Berufung auf's Gottesgericht freie Wahl der Ordalien. Verweigert er aber Beides, so wird er für schuldig gehalten und bestraft.« Die weisen Herren des Raths waren einmüthig der Meinung des Oberrichters und Stadtschreibers, und beschlossen in aller Förmlichkeit, den König, als Herrn des Rechtes, zu bitten, daß man den Mord ihres Mitbürgers der alten Sitte gemäß untersuchen dürfe, die notwendig bei Mordthaten die Wahrheit an's Licht bringen mußte, eine Meinung, die bis gegen das Ende des siebenzehnten Jahrhunderts als ausgemacht galt. Aber bevor die Versammlung auseinander ging, hielt Bailie Craigdallie noch für nöthig, zu fragen, wer der Kämpe der Magda oder Magdalene Proudfute und ihrer Kinder sein solle. »Das bedarf nicht vieler Fragen,« sagte Sir Patrick Charteris; »wir sind Männer und tragen Schwerter, die Jedem von uns über'm Kopfe zerbrochen werden sollten, der sie nicht zum Besten der Wittwe und Waisen unseres ermordeten Mitbürgers und zu muthiger Rache seines Todes ziehen wollte. Wenn Sir John Ramorny selbst die Untersuchung übel aufnimmt, so wird Patrick Charteris von Kinfaus auf Leben und Tod mit ihm kämpfen, so lange Mann und Roß stehen und Lanze und Klinge halten. Ist aber der Ausforderer bürgerlichen Standes, so ist's billig, daß Magdalena Proudfute ihren Kämpen unter den tapfersten Bürgern von Perth wähle, und Schmach und Schande brächt' es der guten Stadt für immer, wenn sie Einen fände, der Verräther und Feigling genug wäre, nein zu sagen. Bringt sie hierher, daß sie ihre Wahl treffe.« Harry Schmied hörte dies mit einer traurigen Ahnung, daß des armen Weibes Wahl auf ihn fallen, und daß seine neuliche Versöhnung mit der Geliebten vernichtet werden würde, indem er sich in einen neuen Streit einließ, dem zu entgehen er kein ehrenvolles Mittel sah, und der unter anderen Umständen von ihm als glorreiche Gelegenheit wäre begrüßt worden, sich im Angesicht von Hof und Stadt auszuzeichnen. Er wußte wohl, daß unter Pater Clemens' Leitung Katharina das Gottesgericht durch Zweikampf eher für eine Beleidigung der Religion, als für eine Berufung auf die Gottheit halten, und es keineswegs als vernünftig anerkennen würde, daß man sich auf die Stärke des Armes oder die Waffengewalt als einen Beweis sittlicher Schuld oder Unschuld verlasse. Er hatte daher von ihrer eigenthümlichen, durch ihre Feinheit über die Zeit, in der sie lebte, erhabenen Meinung in dieser Angelegenheit viel zu fürchten. Während ihn diese streitenden Gefühle schmerzlich berührten, trat Magdalena, die Wittwe des gemordeten Mannes, in den Gerichtssaal, in einen Trauerschleier gehüllt und begleitet und geführt von fünf oder sechs guten (d. h. achtbaren) Franen, in dasselbe Trauergewand gekleidet. Eine ihrer Begleiterinnen hielt ein Kind auf den Armen, das letzte Pfand von des armen Oliver ehelicher Liebe. Eine andere führte ein kleines, trippelndes Geschöpf von etwa zwei Jahren, welches mit Staunen und Furcht bald auf die schwarze Kleidung, in die man es gehüllt hatte, bald auf die Scene um sich her sah. Die Versammlung erhob sich, um die Gruppe zu empfangen, und begrüßte sie mit dem Ausdrucke des tiefsten Mitgefühls, was Magdalena, obwohl die Gattin des armen Oliver, mit einer Würde erwiderte, die sie vielleicht von dem Uebermaß ihres Schmerzes entlehnte. Sir Patrick Charteris trat hierauf vor und nahm mit der Artigkeit eines Ritters gegen eine Frau und eines Beschützers gegen eine unglückliche, gekränkte Wittwe die Hand des armen Weibes, indem er ihr kurz erklärte, wie die Stadt die gehörige Rache für den Mord ihres Gatten verfolgen würde. Nachdem er sich mit einer Milde und Freundlichkeit, die sonst nicht in seinem Benehmen lag, versichert hatte, daß die unglückliche Frau seine Meinung vollkommen begriff, sagte er laut zur Versammlung: »Gute Bürger von Perth und freie Männer der Gilden und Zünfte, merkt auf das, was geschehen soll, denn es betrifft eure Rechte und Freiheiten. Hier steht Magdalena Proudfute, welche die gebührende Rache für den Tod ihres, wie sie sagt, von Sir John Ramorny schmählich ermordeten Gatten zu verfolgen gedenkt, was sie durch das Gottesgericht des Sarges oder durch den Leib eines Mannes zu erweisen erbötig ist. Daher mache ich, Patrick Charteris, ein gegürteter Ritter und freigeborner Edelmann, mich anheischig, in ihrem gerechten Kampfe zu streiten, so lange Mann und Roß aushalten, wenn Jemand meines Standes den Handschuh aufhebt. – Was sagt Ihr, Magdalena Proudfute, wollt Ihr mich zu Eurem Kämpen annehmen?« Die Wittwe antwortete mit Mühe: »Ich kann keinen edlern wünschen.« Sir Patrick nahm nun ihre rechte Hand in die seinige, und, indem er sie auf die Stirne küßte, denn so war der Brauch, sagte er feierlich: »So möge mir Gott und St. John in meiner Noth helfen, wie ich meine Pflicht als Euer Kämpe thun werde, ritterlich, treu und mannhaft. Geht nun, Magdalena, und wühlt nach Belieben unter den Bürgern der guten Stadt, ob gegenwärtig oder abwesend, einen aus, dem Ihr Euern Kampf zu übertragen wünscht, wenn der, gegen den Ihr klagt, unter meinem Stande sein sollte.« Aller Augen richteten sich auf Harry Schmied, den die allgemeine Stimme bereits als den in jeder Hinsicht hierbei passendsten Kämpen bezeichnet hatte. Aber die Wittwe wartete nicht auf das, was die Blicke Aller sagten. Sobald Sir Patrick ausgesprochen hatte, ging sie durch den Saal zu der Stelle, wo am untern Ende der Tafel der Waffenschmied unter Männern seines Standes stand, ergriff ihn bei der Hand und sagte: »Harry Gow, oder Schmied, guter Bürger und Zunftgenosse, mein – mein – « Gatte, wollte sie sagen, aber sie brachte das Wort nicht hervor; sie war genöthigt, sich anders auszudrücken. »Er, der geschieden ist, liebte und lobte Euch vor allen Männern; daher ziemt es sich, daß du den Streit für seine Wittwe und Waisen ausfechten wirst.« Wäre eine Möglichkeit gewesen, was in diesem Zeitalter nicht der Fall war, daß Harry einem Auftrage, wozu ihn Alle zu bestimmen schienen, entgehen und ausweichen konnte, so war doch jeder Wunsch und Gedanke daran abgeschnitten, als die Wittwe ihn anzureden begann; und kein Befehl des Himmels hätte einen stärkern Eindruck auf ihn machen können, als die Bitte der unglücklichen Magdalena. Ihre Hindeutung auf seine genaue Bekanntschaft mit dem Abgeschiedenen rührte ihn in der Seele. Während Olivers Leben lag ohne Zweifel etwas Albernes in seiner übertriebenen Vorliebe für Harry, was, wenn man die völlige Verschiedenheit ihres Charakters betrachtete, wahrhaft lächerlich war. Aber alles dies war nun vergessen, und Harry, seinem natürlichen Feuer nachgebend, erinnerte sich nur noch, daß Oliver sein Freund und Bekannter war, ein Mann, den er so sehr liebte und ehrte, als er fähig war, solche Gefühle für einen Mann zu hegen; und besonders dachte er daran, daß viel Grund zu dem Verdachte vorhanden war, der Ermordete sei als Opfer eines für Harry bestimmten Streiches gefallen. Es geschah daher mit einer Lebhaftigkeit, die er eine Minute vorher kaum hätte zeigen können, und die ein trauriges Vergnügen auszudrücken schien, daß der Waffenschmied, nachdem er seine Lippen auf die kalte Stirn der unglücklichen Magdalena gedrückt, erwiderte: »Ich, Harry, der Schmied, wohnhaft auf dem Wynd in Perth, ehrsamer Mann, treu und frei geboren, übernehme das Amt eines Kämpen für diese Wittwe Magdalena und diese Waisen, und will in ihrer Sache bis auf den Tod kämpfen mit jedem Manne meines eigenen Standes, so lange ich athmen werde. So helfe mir in meiner Noth Gott und St. John!« Hier erhob sich unter den Zuhörern ein halb unterdrücktes Geschrei, welches die Theilnahme anzeigte, die alle Anwesenden an der Verfolgung des Streites hegten, so wie ihr Vertrauen auf den Ausgang desselben. Sir Patrick Charteris machte sodann Anstalt, zum König zu gehen und um Erlaubniß zu bitten, die Untersuchung der Ermordung Oliver Proudfute's, der Form des Sarg-Rechts gemäß, und, wenn dies nothwendig, des Zweikampfes, verfolgen zu dürfen. Er vollbrachte dies Geschäft, nachdem sich der Stadtrath aufgelöst hatte, in einer geheimen Audienz beim König, der von diesen neuen Unruhen mit vielem Kummer hörte, und für Sir Patrick und die betheiligten Parteien den nächsten Morgen nach der Messe als Zeit bestimmte, seinen Willen im Staatsrathe zu vernehmen. Inzwischen ward ein königlicher Diener nach den »Constable's Lodgings« abgeschickt, um die Liste der Dienerschaft Sir John Ramorny's zu fordern und ihm nebst seinem ganzen Gefolge bei schwerer Strafe zu befehlen, in Perth zu bleiben, bis des Königs Wille Weiteres verfügen würde. Einundzwanzigstes Kapitel In Gottes Namen, Schranken und Alles ist bereit; So geht an's Werk. – Es schütze Gott das Recht! Heinrich IV. Im nämlichen Rathssaale des Klosterpalastes der Dominikaner saß König Robert mit seinem Bruder Albany, dessen affectirte Tugendstrenge und wirkliche List und Verstellung so viel Einfluß auf den schwachen Monarchen übten. Es war allerdings natürlich, daß ein Mann, der die Dinge selten in ihren wirklichen Formen und Umrissen sah, sie aus dem Gesichtspunkte betrachtete, unter welchem sie ihm durch einen kühnen, listigen Mann gezeigt wurden, der das Vorrecht einer so nahen Verwandtschaft in Anspruch nahm. Immer besorgt hinsichtlich seines irregeleiteten, unglücklichen Sohnes, bemühte sich nun der König, Albany mit sich gleicher Meinung zu machen, indem er Rothsay von einer Theilnahme an des Strumpfwirkers Tode freisprach in Bezug auf die Andeutung, die Sir Patrick Charteris Seiner Majestät deswegen gegeben hatte. »Dies ist eine unselige Sache, Bruder Robin,« sagte er, »ein höchst unseliger Vorfall, und wird wohl Zwist und Streit zwischen Adel und Volk hier anstiften, wie sie in vielen freien Ländern einander bekriegt haben. Mir ist nur etwas daran tröstlich, und das ist, daß Sir John Ramorny seine Entlassung aus dem Dienste des Herzogs von Rathsay erhalten hat, und man daher nicht sagen kann, er oder Jemand von seinen Leuten, die diese blutige That verübt haben (wenn sie fürwahr verübt worden ist), sei dazu von meinem armen Sohne ermuthigt oder aufgehetzt worden. Ich bin gewiß, Bruder, Ihr und ich können es bezeugen, wie bereitwillig er auf meine Bitten wegen des Streites in Curfewstreet Ramorny aus seinem Dienste entlassen hat.« »Ich erinnere mich dessen,« sagte Albany; »und ich hoffe wohl, daß die Verbindung zwischen dem Prinzen und Ramorny nicht erneuert worden sei, seit er sich Eurer Majestät Wünschen zu fügen schien.« »Zu fügen schien – die Verbindung erneuert?« sagte der König; »wen meint Ihr mit diesen Ausdrücken, Bruder? Gewiß, als David mir versprach, er wolle sich, wenn die unselige Sache in Curfewstreet nur unterdrückt und verborgen bliebe, von Ramorny entfernen, da man ihn für einen Rathgeber hielt, der fähig sei, ihn in ähnliche Thorheiten zu verwickeln, und zufrieden sein, wenn wir ihn verbannten oder sonst eine beliebige Strafe ihm auflegten, – gewiß, Ihr könnt nicht zweifeln, daß seine Geständnisse da aufrichtig waren, und daß er sein Versprechen halten wird? Wißt Ihr nicht mehr, daß auf Euern Rath, man solle statt der Verbannung eine schwere Geldbuße auf seine Güter in Fife legen, der Prinz selber zu sagen schien, Verbannung werde besser für Ramorny, wie für ihn selbst sein?« »Ich erinnere mich dessen wohl, mein königlicher Bruder. Auch könnt' ich wahrlich nicht von Ramorny vermuthen, daß er so viel Einfluß auf den Prinzen habe, nachdem er dazu beitrug, ihn in eine so gefährliche Lage zu versetzen, hätte es nicht, wie Eure Majestät bemerkte, mein königlicher Neffe selbst gestanden, daß Jener, wenn man ihn am Hofe ließe, noch immer sein Benehmen leiten könnte. In diesem Falle hätte ich bedauert, auf Geldstrafe statt der Verbannung angetragen zu haben. Aber diese Zeit ist vorüber, und es ist neues, für Eure Majestät, für Euern königlichen Erben und das ganze Königreich gefahrvolles Unheil geschehen.« »Was meint Ihr, Robin?« sagte der schwache König. »Bei dem Grabe unserer Eltern! bei der Seele Bruce's, unseres unsterblichen Ahnen! ich beschwöre dich, mein theuerster Bruder, Mitleid mit mir zu haben. Sage mir, welches Uebel droht meinem Sohne oder meinem Königreiche?« Das Gesicht des Königs, vor Besorgniß zitternd, und seine Augen, von Thränen gefeuchtet, waren auf seinen Bruder gerichtet, welcher sich Zeit zur Ueberlegung zu nehmen schien, eh' er erwiderte: »Mylord, die Gefahr liegt hier. Eure Majestät glaubt, der Prinz habe keinen Theil an diesem zweiten Angriffe gegen die Bürger von Perth – den Mord des gemeinen Strumpfwirkers, um dessen Tod sie schreien wie ein Schwarm Möven um ihren Kameraden, wenn eine von der lärmenden Brut vom Pfeil eines Knaben niedergestreckt ist.« »Ihr Leben,« sagte der König, »ist ihnen selbst und ihren Freunden theuer, Robin.« »Gewiß, ja, mein König; und sie machen es auch uns theuer, ehe wir uns wegen des geringsten Blutstropfens mit den Schuften verständigen können. – Aber, wie ich sagte, Eure Majestät glaubt, der Prinz habe keinen Theil an diesem letzten Mord; – ich will nicht versuchen, Euern Glauben in diesem zarten Punkte zu erschüttern, sondern ich will mich bemühen, Euern Glauben zu theilen. Eure Meinung ist für mich Richtschnur. Robert von Albany wird nie anders denken, als Robert vom großen Schottland.« »Dank, Dank Euch,« sagte der König, seines Bruders Hand erfassend. »Ich wußte daß Eure Liebe dem armen, leichtsinnigen Rothsay Gerechtigkeit werde widerfahren lassen, der Euch selber so viel Ungelegenheit bereitet, daß er kaum die Gefühle verdient, die Ihr für ihn hegt.« Albany hatte in seinen Vorsätzen eine so unerschütterliche Festigkeit, daß er den brüderlichen Händedruck des Königs zu erwidern vermochte, während er die Hoffnungen des nachsichtigen, schwachen, alten Mannes bei der Wurzel ausriß. »Aber ach!« fuhr der Herzog mit einem Seufzer fort, »dieser grobe, rücksichtslose Ritter von Kinfauns und seine händelsüchtige Bürgerheerde werden die Sachen nicht so ansehen wie wir. Sie haben die Kühnheit, zu sagen, dieser tolle Kerl sei von Rothsay und seinen Genossen mißhandelt worden, denn sie haben ihn maskiert auf den Straßen, lärmend und Männer und Weiber anhaltend, genöthigt zu tanzen oder eine ungeheure Menge Wein zu verschlucken, nebst anderen Thorheiten, die ich nicht erzählen mag, gesehen, und sie fügen hinzu, die ganze Gesellschaft habe sich zu Sir John Ramorny begeben, sei mit Gewalt in sein Haus gebrochen, um dort ihr Bacchanal zu schließen, was hinreichenden Grund zu dem Glauben giebt, die Entlassung Sir Johns aus des Prinzen Dienst sei nur ein Kunstgriff gewesen, um das Volk zu täuschen. Und darum behaupten sie, wenn in dieser Nacht durch Sir John Ramorny oder seine Leute etwas Schlimmes geschehen sei, so habe ohne Zweifel der Herzog von Rothsay doch wenigstens darum gewußt, wenn er es auch nicht guthieß.« »Albany, das ist schrecklich!« sagte der König; »wollen sie einen Mörder aus meinem Sohne machen? Wollen sie behaupten, mein David beflecke seine Hände mit schottischem Blut ohne Zweck oder Ursache? Nein, nein, – sie werden nicht so ungeheure Verläumdung erfinden, die handgreiflich und unglaublich ist.« »Verzeiht, mein König,« antwortete der Herzog von Albany; »sie sagen, die Ursache des Streites in Curfewstreet und dessen Folgen gehörten dem Prinzen weit mehr an, als Sir John, da Niemand vermuthet und noch weniger glaubt, das jenes hoffnungsvolle Unternehmen zum Vergnügen des Ritters von Ramorny geschah.« »Du treibst mich zum Wahnsinn, Robin!« sagte der König. »Ich bin stumm,« antwortete sein Bruder; »ich sagte nur meine arme Meinung, wie Eure Majestät befahl.« »Du meinst es gut, ich weiß es,« sagte der König; »aber statt mich durch Eröffnung des unvermeidlichen Unglücks in Stücke zu zerreißen, wär' es nicht freundlicher, Robin, mir zu zeigen, wie man demselben entgehen könnte?« »Gewiß, mein König; da aber der einzige Weg des Entkommens rauh und schwierig ist, so ist es nöthig, daß Eure Majestät erst die absolute Nothwendigkeit seiner Benutzung begreift, bevor Ihr ihn nur beschreiben hört. Der Chirurg muß seinen Kranken erst von dem unheilbaren Zustande eines zerschmetterten Gliedes überzeugen, eh' er die Ablösung erwähnen darf, obwohl sie das einzige Mittel ist.« Der König gerieth bei diesen Worten auf einen Grad von Unruhe und Unwillen, wie ihm sein Bruder nicht zugetraut hatte. »Zerschmettertes und abgestorbenes Glied! Mylord von Albany! Ablösung das einzige Mittel? – Das sind unverständliche Worte, Mylord. – Wenn du sie auf unsern Sohn Rothsay anwendest, so magst du sie bis auf den Buchstaben gut machen, wenn du die Folgen nicht bitter bereuen willst.« »Ihr versteht mich zu buchstäblich, mein königlicher Herr,« sagte Albany. »Ich sprach nicht von dem Prinzen in so ungeziemenden Ausdrücken; denn ich nehme den Himmel zum Zeugen, daß er mir als der Sohn eines geliebten Bruders theurer ist, als wär' er mein eigner Sohn. Aber ich sprach mit Rücksicht auf seine Lostrennung von seinen Thorheiten und Eitelkeiten des Lebens, welche nach dem Ausspruche frommer Männer abgestorbenen Gliedern ähnlich sind, und gleich ihnen abgeschnitten und von uns geworfen werden sollten, als Gegenstände, die unsern Fortschritt zum Bessern hemmen.« »Ich verstehe – du willst, daß dieser Ramorny, den man für das Werkzeug der Thorheiten meines Sohnes hielt, vom Hofe verbannt werde,« sagte der getröstete Monarch, »bis diese unseligen Aergernisse vergessen und unsere Unterthanen geneigt sind, unsern Sohn mit anderen und vertrauensvolleren Augen zu betrachten.« »Das wäre guter Rath, mein König; aber der meine ging ein wenig – ein klein wenig – weiter. Ich würde den Prinzen selbst für eine kurze Zeit vom Hofe entfernen.« »Wie, Albany! mich von meinem Kinde trennen, meinem Erstgebornen, dem Lichte meiner Augen, und – so leichtsinnig er ist – dem Liebling meines Herzens! – O! Robin! ich kann nicht, und ich will nicht.« »Ei, ich gab nur den Rath, Mylord. – Ich fühle, welche Wunde ein solches Verfahren dem Herzen eines Vaters schlagen muß, denn bin ich nicht selbst Vater?« Und er senkte seinen Kopf, wie in hoffnungsloser Verzweiflung. »Ich könnt' es nicht überleben, Albany. Wenn ich bedenke, daß selbst unser eigener Einfluß auf ihn (der zwar bisweilen in unserer Abwesenheit vergessen, doch immer wirksam, wenn er bei uns ist), durch Euren Plan gänzlich wegfiele, in welche Gefahren könnt' er sich nicht stürzen? Ich könnte während seiner Abwesenheit nicht schlafen – ich würde sein Todesseufzen in jedem Lüftchen hören; und Ihr, Albany, obwohl Ihr es eher verbergt, würdet doch fast ebenso besorgt sein.« So sprach der gefällige Monarch, der gern seinen Bruder versöhnen und sich täuschen wollte, indem er es für gewiß annahm, daß eine Zuneigung, von der keine Spur vorhanden war, zwischen Oheim und Neffen bestände. »Eure väterlichen Besorgnisse werden zu leicht erregt, Mylord,« sagte Albany. »Ich schlage nicht vor, des Prinzen Bewegungen seinem eigenen zügellosen Belieben zu überlassen. Ich meine, der Prinz müßte für eine kurze Zeit unter einen passenden Zwang gestellt werden. – Man sollte ihm einen ehrwürdigen Rath zur Aufsicht geben, der für sein Benehmen und seine Sicherheit verantwortlich wäre, wie ein Hofmeister für den Zögling.« »Wie! ein Hofmeister! und in Rothsay's Alter?« rief der König; »er ist zwei Jahre über die Grenze, bis zu welcher unsere Gesetze die Unmündigkeit erstrecken.« »Die weisern Römer,« sagte Albany, »erstreckten sie vier Jahre über die Zeit, welche wir dafür annehmen; und um deutlich zu reden, das Recht der Beaufsichtigung sollte dauern, bis sie nicht mehr nöthig wäre; und sonach müßte die Zeit je nach dem Charakter verschieden sein. Da ist der junge Lindsay, Graf von Crawford, der, wie man sagt, Ramorny bei dieser Ausforderung vertritt, – er ist ein Bursch von fünfzehn, mit den tiefen Leidenschaften und der entschlossenen Festigkeit eines Mannes von dreißig Jahren, während mein königlicher Neffe, bei liebenswürdigeren und edleren Eigenschaften des Verstandes und Herzens, zuweilen im dreiundzwanzigsten die üppigen Launen eines Knaben zeigt, gegen den der Zwang nur Güte ist. – Und seid nicht traurig, mein Fürst, daß es so ist, oder zornig, daß Euer Bruder die Wahrheit sagt, denn die besten Früchte reifen am langsamsten, und die besten Rosse machen dem Bereiter am meisten zu schaffen, der sie zum Schlachtfeld oder für die Schranken erzieht.« Der Herzog hielt inne, und nachdem er einige Minuten König Robert in einem Nachdenken gelassen, welches er nicht zu unterbrechen versuchte, sagte er in lebhaftem Tone: »Aber, seid guten Muthes, mein edler König. Der Streit kann vielleicht ohne weiteres Gefecht und ohne Schwierigkeit abgemacht werden. Die Wittwe ist arm, denn ihr Gatte war, so viel er auch arbeitete, eitel und verschwenderisch. Die Sache läßt sich daher vielleicht mit Geld abmachen, und den Betrag einer Buße kann man von Ramorny's Gütern erheben.« »Nein, das wollen wir selber besorgen,« sagte König Robert, begierig die Hoffnung auf einen friedlichen Schluß des unerfreulichen Streites ergreifend. »Ramorny's Aussichten werden durch seine Verbannung vom Hofe und seine Entlassung aus dem Hause des Prinzen zerstört, und es wäre unedel, einen Fallenden zu beschweren. – Aber hier kommt unser Schreiber, der Prior, um uns zu sagen, daß die Stunde des Rathes naht. – Guten Morgen, mein würdiger Vater.« »Benedicte, mein königlicher Herr!« antwortete der Abt. »Nun, guter Vater,« fuhr der König fort, »wir können, ohne auf Rothsay zu warten, für dessen Uebereinstimmung mit unseren Beschlüssen wir bürgen, die Geschäfte unseres Reiches beginnen. Was wißt Ihr von Douglas?« »Er ist in seinem Schlosse Tantallon eingetroffen, mein König, und hat einen Boten mit der Nachricht gesendet, daß, obwohl der Graf von March in düsterer Abgeschlossenheit in seiner Veste Dunbar bleibt, sich doch seine Gefährten und Freunde sammeln und ein Feldlager bei Coldingham bilden, wo sie, wie man glaubt, die Ankunft eines starken Heeres der Engländer erwarten wollen, das Hotspur und Sir Ralph Percy an der englischen Grenze zusammenziehen.« »Das sind kalte Neuigkeiten,« sagte der König; »und Gott möge Georg von Dunbar vergeben! – Der Prinz trat bei diesen Worten ein, und er fuhr fort – »ha! bist du endlich da, Rothsay? – ich sah dich nicht in der Messe.« »Ich war diesen Morgen ein Müßiggänger,« sagte der Prinz, »weil ich eine schlaflose und fieberische Nacht gehabt habe.« »Ah, thörichter Bursche!« antwortete der König; »wärst du nicht am Fastnachtabend schlaflos gewesen, so wärst du die Nacht des Aschermittwochs nicht vom Fieber geplagt.« »Ich will Eure Gebete nicht unterbrechen, mein König,« sagte der Prinz leicht. »Eure Majestät ruft den Himmel an für einen – einen Feind wahrscheinlich, denn denen kommen Eure Gebete häufig zu gut.« »Setze dich und sei still, thörichter Jüngling!« sagte sein Vater, während sein Blick zugleich auf dem hübschen Gesicht und der anmuthigen Gestalt seines Lieblings ruhte. Rothsay zog einen Schemel zu den Füßen seines Vaters und ließ sich nachlässig darauf nieder, worauf der König weiter sprach: »Ich bedaure, daß der Graf von March, nachdem er von mir mit der Zusicherung der Vergütung für Alles, worüber er sich beklagen konnte, weggegangen, fähig gewesen sein sollte, sich mit Northumberland gegen sein eigenes Vaterland zu verschwören – ist es möglich, daß er an unserer Absicht zweifelte, unser Wort zu erfüllen?« »Ich will für ihn antworten, nein!« sagte der Prinz; »March zweifelte nie an Eurem Wort. Wahrlich, es mag ihm wohl fraglich gewesen sein, ob Eure erfahrenen Räthe Eurer Majestät die Macht lassen würden, es zu halten.« Robert der Dritte hatte in hohem Grade die furchtsame Politik angenommen, sich zu stellen, als höre er Ausdrücke nicht, die, wenn sie gehört wurden, selbst in seinen Augen eine Kundgebung des Mißfallens erforderten. Er fuhr daher in seiner Rede fort, ohne des Sohnes Worte zu bemerken; aber im Stillen vermehrte Rothsay's Raschheit das Mißfallen, welches sein Vater gegen ihn zu unterhalten begann. »Es ist gut, daß Douglas an den Grenzen ist,« sagte der König. »Seine Brust ist, wie die seiner Vorfahren, immer das beste Bollwerk Schottlands gewesen.« »Dann weh' uns, wenn er dem Feinde den Rücken wendet!« sagte der unverbesserliche Rothsay. »Wagst du den Muth des Douglas zu verdächtigen?« erwiderte der König, höchst aufgebracht. »Kein Mensch stellt des Grafen Muth in Frage,« sagte Rothsay; »er ist so sicher wie sein Stolz; – aber sein Glück ist etwas zu bezweifeln.« »Bei St. Andreas, David!« rief sein Vater, »du bist wie eine Eule! – jedes deiner Worte bedeutet Streit und Unglück.« »Ich schweige, Vater!« antwortete der Jüngling. »Und welche Neuigkeiten von den hochländischen Unruhen?« fuhr der König, sich an den Prior wendend, fort. »Ich hoffe, sie haben eine günstige Gestalt angenommen,« antwortete der Geistliche. »Das Feuer, welches das ganze Land bedrohte, wird wahrscheinlich mit dem Blute von vierzig bis fünfzig Räubern gelöscht werden; denn die zwei großen Bündnisse haben in feierlichem Waffenvertrage beschlossen, ihren Streit mit den von Eurer Majestät genannten Waffen in Eurer königlichen Gegenwart, an einem von Euch bestimmten Orte, am nächsten dreißigsten März, dem Palmsonntag, zu entscheiden. Die Zahl der Kämpfer ist auf dreißig von jeder Seite beschränkt, und das Gefecht geht bis zum letzten Hauch, weshalb sie Eure Majestät demüthig und ehrerbietig ersuchen und bitten, daß Ihr an diesem Tage Euer königliches Vorrecht, den Kampf durch Hinunterwerfen Eures Scepters oder durch den Ruf: »Ho!« zu endigen, väterlich außer Kraft setzen wollt, bis die Schlacht gänzlich zu Ende gekämpft ist.« »Die wilden Barbaren!« rief der König; »wollen sie unser bestes und theuerstes Vorrecht beschränken, das, einem Streite Einhalt zu thun und einer Schlacht Stillstand zu gebieten? – Wollen sie den einzigen Beweggrund entfernen, der mich zu dem schlächtermäßigen Schauspiel ihres Kampfes bringen könnte? – Wollen sie wie Menschen fechten oder wie ihre eigenen Bergwölfe?« »Mylord,« sagte Albany; »der Graf von Crawford und ich haben uns angemaßt, ohne Euch zu befragen, jene Artikel zu ratificiren, da uns dringende Gründe die Annahme zu fordern schienen.« »Wie! der Graf von Crawford!« sagte der König. »Mich dünkt, er ist ein junger Rath in so ernsten Angelegenheiten.« »Er ist,« erwiderte Albany, »trotz seiner jungen Jahre so geachtet unter seinen hochländischen Nachbarn, daß ich ohne seine Hilfe und seinen Einfluß wenig bei ihnen hätte ausrichten können.« »Hör' dies, junger Rothsay!« sagte der König vorwurfsvoll zu seinem Erben. »Ich bedaure Crawford, Sir.« erwiderte der Prinz. »Er hat zu früh einen Vater verloren, dessen Rathschläge in einer solchen Zeit, wie diese, besser gewesen sein würden.« Der König wendete sich zunächst mit einem triumphirenden Blicke gegen Albany wegen der kindlichen Zuneigung, die sein Sohn durch seine Antwort an den Tag gelegt hatte. Albany fuhr ungerührt fort. »Es ist nicht das Leben dieser Hochländer, sondern ihr Tod, welcher dem schottischen Staate nützlich sein wird; und allerdings schien es dem Grafen von Crawford und mir höchst wünschenswerth, daß der Streit ein Vernichtungskampf werde.« »Wahrlich,« sagte der Prinz, »wenn die jugendliche Politik Lindsay's eine solche ist, so wird er nach zehn oder zwölf Jahren ein gnädiger Gebieter sein! Zum Henker mit einem Knaben, der ein hartes Herz hat, bevor er Haar über der Lippe trägt! Besser, er hätte sich zu Fastnacht mit Hahnkämpfen begnügt, als Pläne zu schmieden, wie zum Palmsonntag Menschen sich niedermetzeln sollen, wie wenn es einen wälschen Kampf gälte, wo Alle bis zum Tode streiten müssen.« »Rothsay hat Recht, Albany,« sagte der König: »es wäre unschicklich für einen christlichen Monarchen, in diesem Punkte nachzugeben. Ich kann nicht billigen, daß Menschen kämpfen, bis sie wie Vieh im Schlachthaus zusammengehauen sind. Der Anblick würde mich krank machen und das Scepter würde meiner Hand entfallen, blos weil mir die Kraft fehlte, es zu halten.« »Es würde unbeachtet fallen,« sagte Albany. »Laßt mich Eure Majestät bitten, zu bedenken, daß Ihr nur ein königliches Vorrecht aufgebt, das Euch, wenn Ihr es ausübt, keine Achtung brächte, da ihm nicht gehorcht würde. Würde Eure Majestät das Scepter niederwerfen, wenn der Kampf tobt und das Blut dieser Männer heiß ist, so würde es nicht mehr Achtung finden, als wenn ein Sperling den Strohhalm, den er zu Neste trägt, unter eine Heerde kämpfender Wölfe fallen läßt. Nichts wird sie trennen, als die Ermordung Aller; und besser, sie geben sich den Tod unter einander, als daß sie ihn von den Kriegsleuten erhalten, die sie auf Eurer Majestät Befehl zu trennen suchten. Ein Versuch, Frieden durch Gewalt zu erhalten, schiene ihnen ein für sie gelegter Hinterhalt, beide Parteien würden sich dagegen vereinigen, das Morden wäre dasselbe und die gehofften friedlichen Folgen verloren.« »Es ist nur zu viel Wahrheit in dem, was Ihr sagt, Bruder Robin,« erwiderte der lenksame König. »Es hilft wenig, das zu befehlen, was ich nicht erzwingen kann; und obwohl ich das Unglück habe, dies jeden Tag meines Lebens zu thun, so ist es doch nicht nöthig, vor dem Volke, das sich zum Zuschauen hinzudrängt, ein so öffentliches Schauspiel königlicher Ohnmacht zu geben. Laßt also diesen Wilden ihren blutigen Willen gegen einander bis auf das Aeußerste; ich will nicht versuchen, Etwas zu verbieten, was ich nicht hindern kann. – Der Himmel helfe diesem unglücklichen Lande! Ich will in mein Betgemach und für dasselbe beten, da es mir versagt ist, ihm mit Kopf und Hand zu helfen. Vater Prior, ich bitte um Euern Arm.« »Aber Bruder,« sagte Albany, »verzeiht mir, wenn ich Euch erinnere, daß wir die Sache zwischen den Bürgern von Perth und Ramorny hören müssen, wegen des Todes eines Bürgers –« »Wahr, wahr,« – sagte der Monarch, sich wieder setzend; – »noch mehr Gewaltthat – noch mehr Kampf – o Schottland, Schottland! wenn das beste Blut deiner tapferen Söhne deinen dürren Boden bereichern könnte, welches Land auf Erden würde dich an Fruchtbarkeit übertreffen! Wann hat man einen Schotten weißes Haar tragen sehn, es sei denn ein Unglücklicher, wie dein König, den seine Ohnmacht vor dem Morden schützt, um die Blutscenen zu sehen, denen er kein Ziel setzen kann? – Laßt sie eintreten – haltet sie nicht auf. Sie sind auf Mord erhitzt, und beneiden einander jeden frischen Athemzug aus ihres Schöpfers lieber Luft. Der Dämon des Streites und Mordes besitzt das ganze Land.« Während sich der sanfte Fürst mit einer Miene voll Zorn und Ungeduld, die ihm nicht sehr gewöhnlich war, auf seinem Stuhle zurücklegte, wurde die Thür am untern Ende des Saales geöffnet, und es trat aus der Gallerie, in welche sie führte, und wo man im Hintergrunde eine Wache der Brandanen aufgestellt sah, in Trauerprocession die Wittwe des armen Oliver Proudfute, von Sir Patrick Charteris mit so viel Ehrerbietung geführt, als wäre sie eine Lady vom ersten Range gewesen. Hinter ihnen kamen zwei ehrbare Frauen, die Gattinnen von Stadtbeamten, in Trauerkleidern, die eine das kleine Kind tragend und die andere das ältere führend. Der Schmied folgte in seiner besten Kleidung, eine Trauerschürze über dem Koller tragend. Den trauernden Zug schlossen der Bailie Craigdallie und ein anderer Beamter. Des guten Königs vorübergehende Heftigkeit verschwand sofort, als er auf das blasse Gesicht der kummervollen Wittwe sah und die Bewußtlosigkeit der unschuldigen Waisen betrachtete, die einen so großen Verlust erlitten hatten; und als Sir Patrick Charteris der Wittwe niederknien half und sich selbst, sie immer noch bei der Hand haltend, auf ein Knie niederließ, fragte der König mitleidig nach ihrem Namen und Geschäft. Sie gab keine Antwort, sondern murmelte Etwas, auf ihren Führer blickend. »Sprecht für das arme Weib, Sir Patrick Charteris,« sagte der König, »und berichtet uns, weshalb sie vor uns tritt.« »Mit Eurer Erlaubniß, mein König,« antwortete Sir Patrick aufstehend, »diese Frau und diese unglücklichen Kinder klagen bei Eurer Hoheit gegen Sir John von Ramorny, Ritter, daß durch ihn oder durch Jemand aus seinem Hause ihr vormaliger Gatte, Oliver Proudfute, Freier und Bürger von Perth, in den Straßen der Stadt am Abend des Fastendienstags oder am Morgen des Aschermittwochs erschlagen wurde. »Frau,« erwiderte der König mit vieler Leutseligkeit, »du bist sanft schon deines Geschlechts wegen und solltest gerade durch deine Trauer barmherzig sein; denn unser eigenes Unglück sollte uns, – ja, ich glaube, macht uns wirklich gegen Andere barmherzig; dein Gatte hat nur den Weg betreten, der uns Allen angewiesen ist.« »In diesem Falle,« sagte die Wittwe, »muß sich mein König erinnern, daß es ein kurzer und blutiger war.« »Ich gestehe, daß arg mit ihm verfahren ward. Aber da ich unfähig war, ihn zu schützen, wie es allerdings meine königliche Pflicht war, so bin ich bereit zur Sühne, dich und diese Waisen zu unterstützen, und zwar so gut oder vielmehr besser, als Ihr in den Tagen Eures Gatten lebtet; laß du nur von dieser Anklage ab und gib keinen Anlaß, noch mehr Blut zu vergießen. Bedenke, ich lasse dir die Wahl zwischen Barmherzigkeit und Rache, und die zwischen Fülle und Armuth.« »Es ist wahr, mein König, wir sind arm,« antwortete die Wittwe mit unerschütterter Festigkeit; »aber ich und meine Kinder werden uns eher mit den Thieren des Feldes nähren, ehe wir um den Preis des Blutes meines Gatten leben. Ich verlange den Kampf durch meinen Kämpen, so wahr Ihr gegürteter Ritter und gekrönter König seid.« »Ich wußte, so würd' es kommen!« sagte der König leise zu Albany. »In Schottland sind die ersten Worte, die ein Kind stammelt, und die letzten des sterbenden Graukopfes: Kampf, Blut, Rache. Weitere Worte fruchten nichts. – Laßt die Vertheidigung vor.« Sir John Ramorny trat in das Gemach. Er war in einen langen Pelzmantel gekleidet, wie Männer vom Stande trugen, wenn sie unbewaffnet waren. Verborgen durch die Falten des Besatzes, wurde sein verwundeter Arm durch eine Schärpe oder Schlinge von rother Seide gehalten, und mit dem linken Arm stützte er sich auf einen Jüngling, der, kaum über die Knabenjahre hinaus, auf der Stirn die tiefe Spur frühen Denkens und frühreifer Leidenschaft trug. Es war der gepriesene Lindsay, Graf von Crawford, der in seinen späteren Tagen durch den Beinamen des »Tigergrafen« bekannt war und das große, reiche Thal von Strathmore mit der unbeschränkten Macht und unbarmherzigen Grausamkeit eines Lehnstyrannen beherrschte. Zwei oder drei Edelleute, seine oder des Grafen Freunde, unterstützten Sir John Ramorny durch ihre Gegenwart bei dieser Gelegenheit. Die Anklage wurde wiederholt und von Seiten des Beschuldigten kurzweg durch Läugnen abgewiesen, und die Kläger erboten sich sofort, ihre Versicherung durch Berufung auf das Gottesgericht des Sargrechts zu erweisen. »Ich bin nicht gebunden,« antwortete Sir John Ramorny, »mich diesem Gericht zu unterwerfen, da ich durch das Zeugniß meines ehemaligen königlichen Herrn darthun kann, daß ich in meiner eigenen Behausung war und auf meinem Bette krank lag, zu der Zeit, wo dieser Oberrichter und diese Bailie's behaupten, daß ich ein Verbrechen begangen habe, wozu ich nie Willen oder Versuchung hatte. Ich kann daher kein gerechter Gegenstand des Verdachtes sein.« »Ich kann bezeugen,« sagte der Prinz, »daß ich in derselben Nacht, wo dieser Mord geschah, Sir John Ramorny sah und mit demselben einige Gegenstände in Betreff meines Haushaltes besprach. Daher weiß ich, daß er krank war und die fragliche That nicht in Person begehen konnte. Aber ich weiß nichts von der Beschäftigung seiner Leute und will es nicht auf mich nehmen, zu sagen: daß Einer von ihnen nicht das angeschuldigte Verbrechen begangen haben könne.« Sir John Ramorny hatte während des Anfangs dieser Rede mit trotziger Miene um sich geschaut, wurde aber durch Rothsay's letzte Worte etwas verwirrt. »Ich danke Eurer Hoheit,« sagte er mit einem Lächeln, »für Euer behutsames und beschränktes Zeugniß für mich. Er war weise, der da schrieb: >Setze dein Vertrauen nicht auf Fürsten!<« »Wenn Ihr kein anderes Zeugniß Eurer Unschuld habt, Sir John Ramorny,« sagte der König, »so können wir hinsichtlich Eurer Diener der beleidigten Wittwe und den Waisen, den Klägern, den Beweis durch das Gottesgericht des Sargrechts nicht verweigern, wenn nicht Einer von ihnen das des Zweikampfes vorziehen sollte. Was Euch selbst betrifft, so seid Ihr durch des Prinzen Zeugniß von der Anklage befreit.« »Mein König,« antwortete Sir John, »ich kann selbst für die Unschuld meines Gefolges und meiner Diener bürgen.« »Ei, so könnte ein Weib oder ein Mönch sprechen,« sagte Sir Patrick Charteris. »In ritterlicher Sprache: willst du, Sir John von Ramorny, für dein Gefolge mit mir kämpfen?« »Der Oberrichter von Perth hätte nicht Zeit gehabt, das Wort Zweikampf zu nennen,« sagte Ramorny, »eh' ich ihn angenommen hätte. Aber ich bin jetzt nicht fähig, eine Lanze zu führen.« »Das freut mich; mit Eurer Gunst, Sir John – dann wird um so weniger Blutvergießen sein,« sagte der König. »Ihr müßt daher Eure Leute nach Eures Verwalters Haushaltbuch in der großen Kirche St. Johns stellen, damit sie in Gegenwart Aller, die es angeht, sich von der Anklage reinigen können. Sorgt dafür, daß ein Jeder von ihnen zur Zeit des Hochamtes erscheint, wenn Eure Ehre nicht arg befleckt sein soll.« »Sie werden sämmtlich erscheinen,« sagte Sir John Ramorny. Dann verbeugte er sich tief vor dem König, wendete sich an den jungen Herzog von Rothsay, zu dem er, gleichfalls mit ehrerbietiger Begrüßung, so daß er's allein hören konnte, sagte: »Ihr habt mich großmüthig behandelt, Mylord! – Ein Wort von Euern Lippen konnte diesen Streit geendet haben, und Ihr weigertet Euch, es zu sprechen!« – »Bei meinem Leben,« flüsterte der Prinz, »ich sprach, so weit es die äußerste Grenze von Wahrheit und Gewissen erlaubten. Ich denke, du konntest nicht erwarten, daß ich Lügen für dich schmieden sollte; – und überdies, John, entsinne ich mich in meinen verworrenen Erinnerungen dieser Nacht eines schlächtermäßigen Kerls mit einer Streitaxt, dem es ganz ähnlich sah, daß er jenen Nachtstreich begangen! – Ha! traf ich es, Sir Ritter?« Ramorny gab keine Antwort, sondern wendete sich so hastig ab, als hätte plötzlich Jemand seinen verwundeten Arm gedrückt, und erreichte mit dem Grafen von Crawford seine Wohnung wieder. Letzterem, obwohl er zu nichts weniger als zu einem Gelage aufgelegt war, mußte er eine glänzende Mahlzeit bieten, um einigermaßen den Beistand anzuerkennen, den der junge Edelmann ihm gewährt hatte. Zweiundzwanzigstes Kapitel Groß war er in Quacksalbereien; Viel' mordet' er durch Arzeneien. Dunbar. Als nach einer Mahlzeit, deren Verlängerung für den verwundeten Ritter eine Folter war, der Graf von Crawford endlich zu Pferde stieg, um sich nach seiner fernen Wohnung im Schlosse Dupplin zu begeben, wo er sich als Gast aufhielt, zog sich der Ritter von Ramorny in sein Schlafgemach zurück, gepeinigt von Körperschmerz und Seelenangst. Hier fand er Henbane Dwining, von dem er in Betreff des Trostes für beiderlei Schmerz sein hartes Geschick abhängig machte. Der Arzt hoffte in seiner erheuchelten tiefsten Demuth seinen gereizten Kranken fröhlich und glücklich zu sehen. »Fröhlich, wie ein toller Hund!« sagte Ramorny, »und glücklich wie der Elende, den die Bestie gebissen hat und der die Nähe der rasenden Tollheit zu fühlen beginnt. Der rohe Knabe Crawford sah meinen Schmerz und ersparte mir keinen einzigen Trunk. Wahrlich, ich müsse ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen! Wenn ich ihm und der Welt Gerechtigkeit hätte widerfahren lassen, so hätt' ich ihn aus dem Fenster geworfen, und eine Laufbahn gekürzt, die, wenn er fortfährt, wie er begonnen hat, ein Quell des Elends für ganz Schottland, besonders aber für die Taygegend sein wird. – Nimm dich in Acht, wenn du die Bänder abnimmst, Chirurg; die Berührung des Flügels einer Fliege auf dem rohen, glühenden Stumpf wäre ein Dolchstich für mich.« »Fürchtet nichts, mein edler Herr,« sagte der Wundarzt mit einem schluchzenden Lachen der Freude, welches er umsonst unter dem Tone erheuchelten Mitgefühls zu verbergen strebte. »Wir wollen frischen Balsam auflegen, und – hi, hi, hi! – Euer Gnaden von der Reizung befreien, die Ihr so standhaft ertraget.« »Standhaft, Mensch?« sagte Ramorny, vor Schmerz knirschend; »ich ertrage sie, wie ich die sengenden Flammen des Fegefeuers ertragen würde – der Knochen scheint glühendes Eisen zu sein – deine fette Salbe wird zischen, wenn sie auf die Wunde fällt – und doch ist das December-Eis verglichen der Fiebergluth meiner Seele!« »Wir wollen zuerst unsere Erleichterung auf den Körper anwenden, mein edler Gönner,« sagte Dwining; »und wird dann, mit Eurer Herrlichkeit Erlaubniß, Euer Diener seine Kunst auch an dem beunruhigten Gemüth versuchen. – Obwohl ich glaube, daß die geistige Qual einigermaßen von der Reizung der Wunde abhängt, so hoffe ich doch, die körperlichen Schmerzen werden bald gelindert sein und die stürmischen Gefühle sich dann vielleicht von selber legen.« »Henbane Dwining,« sagte der Kranke, als er den Schmerz seiner Wunde nachlassen fühlte, du bist ein kostbarer und unschätzbarer Wundarzt, aber Einiges ist über deine Macht. – Du kannst das körperliche Gefühl dieser rasenden Schmerzen stillen, aber du kannst mich nicht lehren den Spott des Knaben zu ertragen, den ich erzog, den ich liebte, Dwining – ich liebte ihn, zärtlich liebte ich ihn! Meine schlimmsten Thaten geschahen, um seinen Lastern zu schmeicheln, und er weigerte mir ein Wort seines Mundes, wo ein solches mir diese Last abgenommen hätte. Er lächelte – ich sah ihn lächeln, als der elende Oberrichter, der Genosse und Schutzpatron erbärmlicher Bürger, mich herausforderte, mich, den dieser herzlose Prinz unfähig machte, Waffen zu führen. – Eh' ich das vergesse oder vergebe, sollst du selbst Verzeihung der Beleidigungen predigen! – Und dann die Sorgen für morgen. – Glaubst du, Henbane Dwining, daß sich in aller Wahrheit die Wunde des gemordeten Leichnams öffnen und Tropfen frischen Blutes bei des Mörders Annäherung vergießen werde?« »Ich kann's nicht sagen, Mylord, außer nach dem Gerücht,« sagte Dwining, »welches die Sache bestätigt.« »Der viehische Bonthron,« sagte Ramorny, »ist durch die Furcht vor so Etwas beunruhigt und spricht davon, daß er lieber den Zweikampf bestehen wolle. Was meinst du? – er ist ein Kerl von Stahl!« »Des Waffenschmieds Geschäft ist's, mit Stahl umzugehen,« antwortete Dwining. »Wenn Bonthron fiele, es sollte mich wenig schmerzen,« sagte Ramorny, »obwohl ich eine nützliche Hand entbehren würde.« »Ich denke wohl, Eure Herrlichkeit wird sie nicht so wie die in Curfewstreet verlorne tragen – entschuldigt den Scherz – hi, hi, hi! – aber welches sind die nützlichen Eigenschaften eines Kerls wie Bonthron?« »Die eines Bullenbeißers,« antwortete der Ritter; »er zerreißt, ohne zu bellen.« »Ihr fürchtet nicht sein Geständnis?« sagte der Arzt. »Wer kann sagen, was Furcht vor dem nahenden Tode im Stande ist?« erwiderte der Kranke. »Er hat bereits eine Schüchternheit gezeigt, die seiner gewöhnlichen Gemüthsrohheit ganz fremd ist; er, der seine Hände kaum waschen mochte, nachdem er einen Mann erschlagen, fürchtet sich nun, einen todten Körper bluten zu sehen.« »Nun,« sagte der Wundarzt, »ich muß Etwas für ihn thun, wenn ich kann, da es zur Förderung meiner Rache geschah, daß er jenen Streich führte, obwohl er zum Unglück hintraf, wohin er nicht treffen sollte.« »Und wessen Schuld war das, furchtsamer Schuft,« sagte Ramorny, »außer deine eigene, der ein schlechtes Reh für einen Hirsch erster Größe ansah?« »Benedicite, edler Herr,« erwiderte der Mediciner; »wollt Ihr, daß ich, der ich wenig mehr außer Kammerdienst verstehe, ein so geschickter Waidmann sei, als Ihr selber, daß ich unterscheide Hirsch und Hindin, Bock und Kuh im Walde um Mitternacht? Ich war nur ein wenig im Zweifel, als ich die Gestalt im Mohrentänzerkleide an uns vorbei nach des Schmieds Wohnung im Wynd eilen sah, und doch wußte ich nicht ganz, ob es unser Mann war, denn er schien mir zu klein. Aber als er wieder herauskam nach der Zeit, die man zum Kleiderwechseln etwa braucht, und mit Büffelwams und Pickelhaube weiter schritt, nach der gewöhnlichen Weise des Waffenschmieds pfeifend, da gesteh' ich, daß ich mich irrte, super totam materiem, und ließ Eurer Herrlichkeit Bullenbeißer auf ihn los, der seine Pflicht ganz richtig that, wenn er gleich das unrechte Thier traf. Ich bin daher entschlossen, wenn der verfluchte Waffenschmied unsern armen Freund nicht auf dem Flecke todt schlägt, wenn die Kunst es vermag, zu sorgen, daß dem Kettenhund nichts Schlimmes begegne.« »Das wird deine Kunst auf die Probe stellen, Mann der Medicin,« sagte Ramorny; »denn wisse, das Schlimmste beim Kampfe ist, daß unser Kämpe, wenn er nicht sogleich in den Schranken todtgeschlagen ist, bei den Fersen fortgeschleppt und ohne Ceremonie an den Galgen geknüpft wird, als des Mordes überwiesen; und wenn er dort etwa eine Stunde lang wie eine lose Troddel gebaumelt hat, so wirst du, denk ich, wohl schwerlich im Stande sein, seinen gebrochenen Hals zu heilen.« »Ich bin, mit Eurer Herrlichkeit Erlaubniß, anderer Meinung,« antwortete Dwining ruhig. »Ich will ihn vom Fuße des Galgens in das Land der Feen tragen, wie König Arthur, oder Sir Hyon von Bordeaux, oder Ugero der Däne; oder ich will ihn eine Anzahl Minuten oder Stunden am Galgen hängen lassen und dann ihn vor den Augen Aller weghaschen, so leicht, wie der Wind ein dürres Blatt fortweht.« »Das ist leere Prahlerei, Sir Arzt,« sagte Ramorny. »Der ganze Pöbel von Perth wird ihn zum Galgen begleiten, Einer immer begieriger als der Andere, den Diener eines Edelmanns sterben zu sehen, und zwar für den Mord eines dummköpfigen Bürgers. Tausend von ihnen werden den Galgen umringen.« »Und wären es zehntausend,« sagte Dwining; »sollte ich, der ich hochgelehrt bin, der ich in Spanien und selbst in Arabien studirte, nicht fähig sein, die Augen dieser säuischen Bürgerheerde zu täuschen, während der geringste Gaukler, der je Taschenspielerei trieb, selbst die scharfe Aufmerksamkeit Eurer höchst scharfsichtigen Ritterschaft hintergehen kann? Ich sage Euch, ich will sie so überlisten, als besäße ich Keddie's Ring.« »Wenn du Wahrheit redest,« antwortete der Ritter, »und ich denke, du wagst nicht mit mir über dergleichen zu spaßen, so mußt du des Satans Beistand haben, und ich will nichts mit ihm zu thun haben. Ich verachte ihn und trotze ihm.« Dwining mußte seinem innerlichen Lachen nachgeben, als er hörte, wie sein Gönner seinen Trotz gegen den bösen Feind aussprach, und wie er ihn bekräftigte, indem er ein Kreuz schlug. Er bezwang sich indeß, als er Ramorny's Miene sehr ernst werden sah, und sagte mit ziemlichem Ernste, obwohl etwas unterbrochen durch die nothwendige Anstrengung, seine lustige Stimmung zu unterdrücken: Verbindung mit Andern, höchst frommer Sir, Verbindung ist die Seele der Gauklerkunst. Aber – hi, hi, hi! – ich habe nicht die Ehre – hi, hi, hi! – ein Verbündeter des Herrn zu sein, von dem ihr sprecht – an dessen Existenz ich – hi, hi, hi! – nicht sehr glaube – obwohl Eure Herrlichkeit ohne Zweifel bessere Gelegenheit zur Bekanntschaft hat.« »Fahre fort, Schurke, aber ohne diesen Spott, sonst sollst du theuer dafür zahlen.« »Ich will es, Allermuthigster,« erwiderte Dwining. »Wißt, daß ich auch meinen Verbündeten habe, sonst wäre meine Kunst wenig werth.« »Und wer mag der sein, ich bitt' Euch?« »Stephan Smotherwell, mit Eurer Gnaden Erlaubniß, Nachrichter dieser schönen Stadt. Mich wundert, daß ihn Eure Herrlichkeit nicht kennt.« »Und mich wundert, daß deine Schuftigkeit ihn nicht von seinem Handwerk aus kennt,« erwiderte Ramorny; »aber ich sehe, deine Nase ist nicht aufgeschlitzt, deine Ohren nicht abgeschnitten, und wenn deine Schultern gebrandmarkt sind, so bist du so klug, ein hochkragiges Wams zu tragen.« »Hi, hi! Ihr beliebt zu spaßen,« sagte der Arzt. »Nicht persönliche Umstände erwarben mir die genaue Bekanntschaft Stephan Smotherwells, sondern ein gewisser Handel zwischen uns, wobei ich, mit Eurer Erlaubniß, gewisse Summen Silbers für die Leiber, Köpfe und Glieder derer gebe, die mit Hilfe Freund Stephans sterben.« »Elender!« rief der Ritter voll Abscheu, »geschieht es, um Tränke und Mittel der Hexerei zu bereiten, daß Ihr die erbärmlichen Reste der Sterblichkeit einhandelt?« »Hi, hi, hi! – nein, mit Eurer Herrlichkeit Erlaubniß,« antwortete der Mediciner, sehr ergötzt von der Unwissenheit seines Gönners: »aber wir, die wir Ritter der Lanzette sind, sind gewohnt, uns sorgsam im Schneiden an den Gliedern todter Menschen zu üben und nennen dies Section, woran wir durch Untersuchung eines todten Gliedes lernen, wie eines zu behandeln ist, das einem lebenden Menschen angehört und das auf irgend eine Art beschädigt ist. Ach, wenn Eure Herrlichkeit mein armes Laboratorium sähe, so könnte ich Euch Köpfe und Hände, Füße und Lungen zeigen, von denen man glaubt, sie seien längst im Sarg verfault. Den Schädel Wallace's, von der Londoner Brücke gestohlen; das Herz Sir Simon Frasers, der Niemand fürchtete; den lieblichen Schädel der schönen Katie Logie – o hätt' ich nur das Glück gehabt, die ritterliche Hand meines verehrten Gönners zu retten.« »Fort mit dir, Sklave! willst du mir mit deinem Katalog von Abscheulichkeiten Ekel bereiten? – Sage mit einem Worte, was du willst. Wie kann dein Handel mit dem Henker mir von Nutzen sein oder meinem Diener Bonthron helfen?« »Ei, ich empfehle das Eurer Herrlichkeit nicht, außer im äußersten Nothfall,« erwiderte Dwining. »Aber wir wollen annehmen, der Kampf sei vorbei und unser Hahn geschlagen. Nun müssen wir ihm zuerst die Gewißheit beibringen, daß, wenn er nicht siegt, wir ihn wenigstens vom Henker retten werden, vorausgesetzt, daß er nichts gesteht, was Eurer Herrlichkeit Ehre beeinträchtigen kann.« »Ja! – ja, da fällt mir ein Gedanke ein,« sagte Ramorny. »Wir können mehr als das thun – wir können ein Wort in Bonthrons Mund legen, das beunruhigend genug für ihn sein soll, den ich als Ursache meines Mißgeschicks verfluchen muß. Laß uns zum Stall des Hundes gehen und ihm erklären, was für jeden Fall zu thun ist. Können wir ihn überreden, dem Sargrecht zu stehen, so ist das eine bloße Posse und wir sind sicher. Nimmt er den Kampf an, so ist er wild wie ein gehetzter Bär, wird vielleicht seinen Gegner überwältigen und wir sind mehr als sicher – wir sind gerächt. Wenn Bonthron selbst besiegt wird, so führen wir deinen Plan aus, und machst du es gut, so geben wir ihm an, was er zu beichten hat, nehmen den Vortheil davon, den ich dir nachher erklären werde, und thun einen Riesenschritt in der Rache. – Immer bleibt noch ein Wagniß. Denke dir unsern Bullenbeißer tödlich verwundet in den Schranken, wer wird ihn hindern, eine Art von Beichte zu heulen, verschieden von der, die wir ihm anempfehlen?« »Wahrlich, das kann sein Arzt,« sagte Dwining. »Laßt mich ihn warten und gebt mir Gelegenheit, nur einen Finger auf seine Wunde zu legen, und vertraut mir, er wird kein Vertrauen täuschen.« »Nun, er ist ein bereitwilliger Teufel, den man weder zu treiben noch zu drängen braucht!« sagte Ramorny. »Wie ich hoffe, dies in Eurer Herrlichkeit Dienst nie zu brauchen.« »Wir wollen unsern Gehilfen nun unterrichten,« fuhr der Ritter fort, »Wir werden ihn willig finden; denn ein Hund, wie er's ist, weiß den, der ihn füttert, von dem, der ihn prügelt, zu unterscheiden; und einen vormaligen königlichen Herrn von mir haßt er tief wegen kränkender Behandlung und schmachvoller Ausdrücke, die er von ihm erfuhr. Ich muß auch weiter mit dir über deine Kunstgriffe sprechen, wie der Bullenbeißer aus den Händen der Bürgerheerde zu retten ist.« Wir überlassen dies würdige Freundespaar ihren geheimen Praktiken, deren Erfolge wir später sehen werden. Sie waren, obwohl verschiedenen Standes und Charakters, doch so geeignet zu Anlegung und Ausführung verbrecherischer Plane, als das Windspiel zum Zerreißen des Tieres, das der Spürhund aufjagt, oder dieser zum Aufsuchen der Beute, die der scharfsehende Windhund mit dem Auge entdeckt. Stolz und Selbstsucht waren Beiden eigen; aber wegen Verschiedenheit des Standes, der Erziehung und der Anlagen hatten sie das verschiedenste Ansehen in den beiden Individuen angenommen. Nichts konnte dem hochfahrenden Ehrgeize des begünstigten Höflings, des glücklichen Liebhabers und kühnen Kriegers weniger ähnlich sein, als der unterwürfige, anspruchslose Mediziner, der, selbst wenn er beleidigte, zu schmeicheln und zu unterhalten schien, während er im Innern der Seele sich überlegener Einsicht bewußt war, – einer Macht der Wissenschaft wie des Verstandes, der die rohen Edeln seiner Zeit tief unter ihn stellte. Henbane Dwining kannte diese höhere Stellung so gut, daß er oft wie Einer, der wilde Thiere hält, zu seinem Vergnügen den stürmischen Zorn eines Mannes, wie Ramorny, zu erregen wagte, wohl wissend, daß er mit seiner Unterwürfigkeit dem Sturm entgehen würde, den er erregt hatte, wie ein indianischer Knabe seinen leichten Kahn, den seine Zerbrechlichkeit selbst schützt, in die wilde Brandung treibt, worin das Boot eines Kauffahrers sicher scheitern würde. Daß der Lehensbaron den niederen Arzneikünstler verachtete, war natürlich; aber Ramorny fühlte trotzdem den Einfluß, den Dwining auf ihn hatte, und wurde im Kampfe des Verstandes oft von ihm besiegt, wie die wildesten Sprünge eines feurigen Rosses von einem zwölfjährigen Knaben, der Reiten gelernt hat, überwunden werden. Die Verachtung Dwinings gegen Ramorny aber war weit weniger eingeschränkt. Er betrachtete den Ritter im Vergleich mit sich als Einen, der sich kaum über das Thier erhob, und zwar im Stande sei zu verderben, wie der Stier mit den Hörnern, der Wolf mit den Zähnen, aber von gemeinen Vorurtheilen unterjocht, ein Sklave des Pfaffenthums sei, – ein Ausdruck, in welchen Dwining alles Religiöse mit einschloß. Im Ganzen glaubte er, Ramorny sei von der Natur zu seinem Knechte bestimmt, um nach dem Golde zu graben, das er anbetete und dessen habsüchtige Verehrung sein größter Fehler, aber nicht sein schlimmstes Laster war. Er vertheidigte diese schmähliche Neigung vor sich selber dadurch, daß er sich überredete, sie habe ihren Ursprung in der Liebe zur Macht. »Henbane Dwining,« sagte er, während er entzückt auf die Schätze sah, die er im Stillen gehäuft hatte, und die er von Zeit zu Zeit besuchte, »ist kein dummer Geizhals, der diese Stücke wegen ihres goldigen Glanzes liebt; es ist die Macht, mit der sie ihren Besitzer begaben, die ihn zu ihrem Anbeter wirbt. Was gibts, das dir durch sie nicht zu Gebote steht? Liebst du Schönheit und bist gemein, häßlich, schwach und alt – hier ist eine Lockspeise, der die schönsten Falken zufliegen werden. Bist du schwächlich, kraftlos, der Unterdrückung des Mächtigen unterworfen? hier ist das, was jene bewaffnet, die mächtiger sind, als dein kleiner Tyrann. Bist du glänzend in Wünschen und verlangst Pracht und äußeren Schein des Reichthums? Diese dunkle Kiste enthält manche weite Strecke von Thal und Hügel, manch' schönen Wald und Tausende voll Vasallen. Wünschest du Hofgunst, geistliche oder weltliche? Das Lächeln der Könige, die Verzeihung der Päpste und Priester für alle Verbrechen, und die Erlaubniß, welche arme, von Priestern bethörte Seelen aufmuntert, neue zu wagen, – all' diese heiligen Antriebe zum Laster kannst du um Geld kaufen. Selbst Rache, von der man sagt, daß sie die Götter sich vorbehalten, ohne Zweifel, weil sie der Menschheit einen so süßen Bissen beneiden – selbst Rache kann man dafür haben. Aber sie ist auch durch höheren Verstand zu gewinnen, und das ist die edlere Art, sie zu erlangen. Ich will daher meinen Schatz zu anderem Gebrauche sparen und die Rache ohne Geld ausüben, oder vielmehr, ich will die Wollust vermehrten Reichthums dem Triumph vergoltener Beleidigung beifügen.« So dachte Dwining, als er, heimgekehrt von seinem Besuche bei Sir John Ramorny, das für seine verschiedenen Dienste empfangene Gold der Masse seines Schatzes hinzufügte; und nachdem er ein paar Minuten das Ganze betrachtet hatte, drehte er den Schlüssel seiner verborgenen Schatzkammer und ging fort, seine Kranken zu besuchen; er wich dabei Jedem aus, dem er begegnete, verbeugte sich und zog die Mütze vor dem ärmsten Bürger, der eine kleine Bude besaß, ja, vor den Handwerkern, die ihr tägliches Brod durch harte Arbeit verdienten. »Thoren,« war der Gedanke seines Herzens, während er so höflich war, »niedrige, verstandlose Handwerker! wüßtet ihr, was dieser Schlüssel öffnen kann, welches schlechte Wetter vom Himmel würde euch hindern, eure Mützen zu ziehen? Welcher schmutzige Graben in eurem elenden Dorfe wäre ekelhaft genug, daß ihr euch besännet, vor dem Besitzer solchen Reichthums niederzufallen und anzubeten? Aber ich will euch meine Macht fühlen lassen, wenn gleich es mir gefällt, sie zu verbergen. Ich will ein Zauberteufel eurer Stadt sein, weil ihr mich nicht zur Obrigkeit gewählt habt. Wie der Alp will ich auf euch liegen und doch unsichtbar bleiben. – Auch dieser elende Ramorny, der, weil er eine Hand verloren hat, wie ein elender Handwerker um den einzigen schätzbaren Theil seines Leibes gekommen ist, er häuft beleidigende Reden auf mich, wenn irgend Etwas, das er sagen kann, im Stande ist, einen so festen Geist, wie den meinigen, zu erhitzen. Aber während er mich einen Schurken, Elenden und Sklaven nennt, handelt er so klug, als wollte er sich damit erlustigen, mir Haare aus dem Kopfe zu ziehen, während meine Hand seine Herzfasern festhält. Jede Beleidigung kann ich augenblicklich mit Körperschmerz und Seelenqual bezahlen – und – hi, hi! – ich häufe keine langen Rechnungen bei seiner Herrlichkeit, das muß ich gestehen.« Während der Mediciner so seinen teuflischen Gedanken nachhing und in seiner kriechenden Manier die Straße entlang wandelte, hörte er hinter sich ein Geschrei weiblicher Stimmen. »Ach, dort ist er, unsere Frau sei gelobt! – Da ist der hilfreichste Mann in Perth!« sagte eine Stimme. »Sie mögen von Rittern und Königen sprechen, wegen der Sühne, wie sie's nennen – aber mir bringt den würdigen Meister Dwining, den Apotheker, Gevatterin,« erwiderte eine andere. Im nämlichen Augenblicke war der Arzt umringt und von den Rednerinnen, ehrsamen Frauen der guten Stadt Perth, angehalten. »Wie – was gibt es?« sagte Dwining; »wessen Kuh hat gekalbt?« »Es ist nicht von Kalben die Rede,« sagte eine der Frauen, »sondern von einem armen, vaterlosen, sterbenden Kinde; so kommt mit uns fort, denn unser Vertrauen steht auf Euch, wie Bruce zu Donald von den Inseln sagte.« » Opiferque per orbem dicor,« sagte Henbane Dwining. » Woran wird das Kind sterben?« »An der Bräune – an der Bräune!« schrie eine der Gevatterinnen; »das unschuldige Kind krächzt wie ein Rabe.« » Cyanche trachealis– diese Krankheit macht's kurz. Zeigt mir gleich das Haus,« fuhr der Arzt fort, der gewohnt war, seine Kunst trotz seines natürlichen Geizes und seiner natürlichen Bosheit freigebig und menschlich zu üben. Da wir keinen besseren Grund bei ihm vermuthen können, so war sein Hauptmotiv wahrscheinlich Eitelkeit und die Liebe zu seiner Kunst. Trotzdem hätte er seinen Beistand in gegenwärtigem Falle abgelehnt, hätte er gewußt, wohin die Gevatterinnen ihn führten, um bei Zeiten eine genügende Entschuldigung zu finden. Aber ehe er merkte, wohin es ging, ward der Arzt in das Haus des verstorbenen Oliver Proudfute gedrängt, woher er den Gesang der Frauen vernahm, während sie den Leichnam des weiland Strumpfwirker für die Ceremonie des nächsten Morgens wuschen und kleideten. Von dem Gesang mag man folgende Verse als eine moderne Nachahmung betrachten: 1. Wesen unsichtbar und leicht, Das schon in der Luft entweicht, Gern doch schwebend immerdar Um die Form, die dein hier war; 2. Ruh' im Fluge deiner Schwingen, Ob nun links, ob rechts sie dringen, Geh' 's der Höh', der Tiefe zu: Auf der grausen Grenze ruh'! 3. Um die That zu rächen, die Vor der Zeit dich wegtrieb hie, Bleib' geheime Kraft nun doch Ueber Blut und Hirn dir noch. 4. Siehst du die Gestalt dann steh'n, Die dein brechend Aug' geseh'n, – Wird der Fußtritt nah' dir kommen, Der dein sterbend Ohr vernommen. 5. Dann werden Sympathien sich regen, Das Fleisch erbeben, der Nerv bewegen, Die Wund' erneut ihre starre Fluth Und jeder Tropfen schreit: Blut für Blut! So verhärtet er auch war, fühlte der Arzt doch einen Widerwillen, über die Schwelle des Mannes zu gehen, zu dessen Tod er so unmittelbar, obwohl, was die Person betraf, aus Versehen beigetragen hatte. »Laßt mich geh'n, ihr Frauen,« sagte er, »meine Kunst kann nur den Lebendigen helfen – die Todten sind über unserer Macht.« »Ach, aber Euer Kranker ist hier oben – die jüngste Waise – « Dwining war gezwungen, in's Haus zu gehen; aber er staunte, als, da er kaum über die Schwelle getreten, die Gevatterinnen, die beim Leichnam beschäftigt waren, plötzlich in ihrem Gesange innehielten, während eine zur andern sagte: »Um Gotteswillen, wer trat ein? – Das war ein großer Blutstropfen!« »Nicht doch,« sagte eine andere Stimme, »es ist ein Tropfen des flüssigen Balsams.« »Nein, Gevatterin, es war Blut – ich frage, wer gerade jetzt in's Haus trat?« Eine sah aus dem Gemach nach dem kleinen Eingang hinaus, wo Dwining, unter dem Vorwande, er könne die Treppe, die in den oberen Theil des Trauerhauses führte, nicht recht sehen, seinen Schritt absichtlich verzögerte, verwirrt durch das, was er von der Unterhaltung vernommen. »Ach, es ist nur der würdige Meister Henbane Dwining,« sagte eine der Sybillen. »Nur Meister Dwining?« erwiderte jene, die zuerst gesprochen, in beistimmendem Tone; »unser bester Helfer in der Noth? – dann ist es sicherlich nur Balsam gewesen.« »Nun,« sagte die andere, »es kann trotzdem Blut gewesen sein – denn der Arzt wurde, seht ihr, als man den Körper fand, vom Magistrat beauftragt, die Wunde mit seinen Instrumenten zu untersuchen, und wie kann der arme todte Körper wissen, daß das in guter Absicht geschah?« Ja freilich, Gevatterin; und da der arme Gevatter Oliver oft Freunde für Feinde ansah, als er noch lebte, so kann man nicht denken, daß sein Urtheil nun schärfer geworden.« Dwining hörte nichts mehr, da er genöthigt ward, hinauf in eine Art Dachstube zu steigen, wo Magdalena auf ihrem verwittweten Bett saß, ihr Kind an die Brust drückend, welches, bereits schwarz im Gesicht und den schnappenden krächzenden Ton ausstoßend, der die Krankheit charakterisirt, auf dem Punkte schien, sein kurzes Dasein zu schließen. Ein Dominikaner saß neben dem Bett, das andere Kind in seinen Armen haltend, wahrend er von Zeit zu Zeit ein Wort geistlichen Trostes zu sprechen schien oder eine Bemerkung über die Krankheit des Kindes machte. Der Arzt warf auf den guten Pater nur einen Blick voll der unaussprechlichen Verachtung, welche wissenschaftliche Menschen gegen Unkundige hegen. Sein eigener Beistand war plötzlich und wirksam; er nahm das Kind der verzweifelnden Mutter weg, entblößte ihm den Hals und öffnete eine Ader, die, da sie frei blutete, den kleinen Kranken sofort erleichterte. In kurzer Frist verschwand jedes gefahrdrohende Symptom, und Dwining, nachdem er die Ader verbunden, legte das Kind wieder in die Arme der halb besinnungslosen Mutter. Des armen Weibes Schmerz um ihres Gatten Verlust, den die äußerste Gefahr des Kindes zurückgedrängt hatte, kehrte auf's Neue mit der Kraft eines geschwellten Waldstroms zurück, welcher den Damm durchbrochen hat, der seine Wellen eine Zeitlang aufhielt. »O, gelehrter Herr,« sagte sie, »Ihr seht ein armes Weib nur noch vor Euch, die Ihr einst reicher kanntet – aber die Hände, die meinen Armen dies Kind wiedergeben, dürfen nicht leer aus meinem Hause gehen. Großmüthiger, freundlicher Meister Dwining, nehmt den Rosenkranz meines seligen Gatten an – er ist aus Ebenholz und Silber – er liebte solche Sachen so hübsch zu haben, wie ein Edelmann – und ähnlicher war er auch immer einem Edelmann, als seines Gleichen, und nun ist es ihm so gegangen.« Mit diesen Worten drückte sie in stummem Schmerze den Rosenkranz ihres abgeschiedenen Gatten an Brust und Lippen, und fuhr fort, ihn Dwinings Händen aufzudringen. »Nehmt ihn,« sagte sie, »um der Liebe dessen willen, der Euch so lieb hatte. – Ach, er pflegte immer zu sagen: wenn je ein Mensch vom Rande des Grabes zurückgebracht werden könnte, so müßte es mit Meister Dwinings Beistande geschehen. – Und sein eigenes Kind ist diesen gepriesenen Tag zurückgebracht und er liegt dort starr und steif, und unterscheidet nicht mehr Gesundheit und Krankheit! Ach, wie wehe ist mir! wehe! – Aber nehmt den Rosenkranz und denkt an seine arme Seele, so oft er durch Eure Finger geht; er wird um so eher aus dem Fegfeuer erlöst werden, wenn gute Leute für sein Heil beten.« »Nehmt Euern Rosenkranz wieder, liebe Frau – ich verstehe keine Gaukelei – kann keine Beschwörungsformeln,« sagte der Arzt, der, bewegter als seine rohe Natur ahnen ließ, sich Mühe gab, die Annahme des Unheil bedeutenden Geschenkes abzulehnen. Aber seine letzten Worte gaben dem Geistlichen Aergerniß, an dessen Gegenwart er nicht dachte, da er sie aussprach. »Wie, Herr Arzt!« sagte der Dominikaner; »nennt Ihr Gebete für die Todten Gauklerpossen? Ich weiß, daß Chaucer, der englische Dichter, von Euch Medicinern sagt, Euer Studium betreffe nur wenig die Bibel. Unsere Mutter, die Kirche, war neuerdings eingeschlummert, aber ihre Augen sind nun wieder geöffnet, um Freunde von Feinden zu unterscheiden; und seid versichert –« »Ach, ehrwürdiger Vater,« sagte Dwining, »Ihr beurtheilt mich zu hart. Ich sagte, ich könnte keine Wunder thun und wollte hinzufügen, daß, da die Kirche gewiß dergleichen verrichten kann, dieser reiche Rosenkranz in Eure Hände gelegt werden möchte, um ihn so anzuwenden, daß er der geschiedenen Seele den meisten Vortheil bringe.« Er legte den Rosenkranz in des Dominikaners Hand und entfloh aus dem Hause der Trauer. »Das war ein wunderlicher Besuch,« sagte er zu sich selbst, als er wohlbehalten hinaus war. »Mir gelten solche Dinge so wohlfeil, wie irgend Einem; aber obwohl es nur eine thörichte Grille ist, bin ich doch froh, des schreienden Kindes Leben gerettet zu haben. – Aber ich muß zu meinem Freunde Smotherwell, den ich ohne Zweifel in Betreff Bonthrons auf meine Seite bringe; und so werde ich bei dieser Gelegenheit zwei Leben retten und habe nur eins zerstört.« Dreiundzwanzigstes Kapitel Sieh! blutgebadet liegt er dorten, Die Wunde schreit empor; Vom Himmel Rache fleh'n die Pforten Des Blutes nach wie vor. Uranus und Psyche. Die hohe Kirche St. Johns in Perth war, als die des Schutzheiligen der Stadt, vom Magistrat gewählt worden, weil die Gemeinde hier am meisten Raum fand zur Feierlichkeit des Gottesgerichts. Die Kirchen und Klöster der Dominikaner, Karthäuser und anderer Ordensgeistlichen waren vom Könige und Edelleuten reich begabt worden, und darum war es der allgemeine Ruf des Stadtrathes, man müsse »ihrem eigenen, guten alten St. John,« dessen Gunst sie sich sicher glaubten, vertrauen und ihn den neuen Patronen vorziehen, für welche die Dominikaner, Karthäuser, Karmeliter und Andere rings um die gute Stadt neuere Sitze gestiftet hatten. Der Streit zwischen Ordens- und Weltgeistlichen erhöhte die Eifersucht, welche die Wahl des Ortes bestimmte, auf dem der Himmel in Folge gerader Berufung auf göttliche Entscheidung eine zweifelhafte Schuld durch eine Art Wunder erklären sollte; und der Stadtschreiber gab sich so viel Mühe, die St. Johnskirche vorgezogen zu sehen, als wäre in der Versammlung der Heiligen eine Partei für und eine andere gegen das Interesse der guten Stadt Perth gewesen. Mannigfach waren daher die kleinen Intriguen, die man wegen der Bestimmung einer Kirche anlegte und hintertrieb. Aber der Magistrat beschloß, in Betracht, daß diese Sache die Ehre der Stadt sehr nahe betreffe, mit klugem Vertrauen auf die Gerechtigkeit und Unparteilichkeit ihres Heiligen, den Erfolg von St. Johns Einfluß abhängig zu machen. Es wurden daher nach gehaltenem Hochamte, mit der größten Feierlichkeit, deren die Umstände die Ceremonie fähig machten, und nachdem die versammelte Menge wiederholt feurig zum Himmel gebetet, die Vorbereitungen getroffen, um das direkte Urtheil des Himmels wegen der geheimnißvollen Ermordung des unglücklichen Strumpfwirkers anzurufen. Der Schauplatz zeigte jene imponirende Feierlichkeit, welche die Gebräuche der katholischen Kirche hervorzubringen so geeignet sind. Das östliche Fenster, reich und bunt gemalt, strömte eine Fluth mannigfachen Lichtes auf den Hochaltar nieder. Auf dem vor diesem stehenden Sarge waren die sterblichen Reste des Ermordeten ausgestreckt, die Arme über die Brust gelegt, die Hände gefaltet mit aufwärts gekehrten Fingerspitzen, als wollte der empfindungslose Erdenkloß noch selber den Himmel um Rache gegen diejenigen anrufen, welche den unsterblichen Geist so gewaltsam von seiner verstümmelten Wohnung getrennt hatten. Nahe bei der Bahre stand der Thron, welcher Robert von Schottland und seinen Bruder Albany trug. Der Prinz saß auf einem niedrigern Stuhl zur Seite des Vaters; eine Anordnung, die einige Aufmerksamkeit erregte, da Albany's Sitz wenig verschieden von dem des Königs war und der bestimmte Erbe, obwohl volljährig, im Angesicht des versammelten Volkes von Perth unter seinen Oheim gestellt zu sein schien. Der Sarg war so gestellt, daß er den Anblick des darin liegenden Körpers dem größten Theile der in der Kirche versammelten Menge frei ließ. Am obern Ende des Sarges stand der Ritter von Kinfauns, der Ausforderer, und am untern Ende der junge Graf von Crawford, der den Vertheidiger vorstellte. Das Zeugniß des Herzogs von Rothsay zur Reinigung, wie man es nannte, des Sir John Ramorny hatte diesen von der Nothwendigkeit befreit, sich selber dem Gottesgerichte zu unterwerfen, und seine Krankheit diente ihm als Grund, zu Hause zu bleiben. Seine Dienerschaft mit Einschluß derjenigen, die zwar unmittelbar Sir John bedienten, doch unter die Leute des Prinzen gehörten, aber ihre Entlassung noch nicht erhalten hatten, belief sich auf acht bis zehn Personen, die man meist für verworfene Menschen hielt, und die daher wohl fähig geachtet werden konnten, im Rausche des festlichen Abends den Strumpfwirker ermordet zu haben. Sie waren in einer Reihe an der linken Seite der Kirche aufgestellt und trugen weiße, dem Büßerkleide ähnliche Gewänder. Aller Augen waren auf sie gerichtet, und mehrere von der Bande waren so außer Fassung, daß unter den Zuschauern ein lebhaftes Vorurtheil von ihrer Schuld entstand. Der Mörder selbst aber hatte ein Gesicht, das ihn nicht verrathen konnte – einen düstern, dunkeln Blick, den weder Festmahl noch Weinbecher beleben und den die Gefahr der Entdeckung und des Todes nicht niederschlagen konnte. Wir haben bereits die Lage des Leichnams erwähnt. Das Gesicht war unbedeckt, und ebenso Brust und Arme. Der Rest des Körpers war in das feinste Linnen gehüllt, so daß, wenn Blut von irgend einem Theile floß, der bedeckt war, es sogleich offenbar werden mußte. Nachdem das Hochamt gehalten, dem eine feierliche Anrufung der Gottheit folgte, daß es ihr gefallen möge, den Unschuldigen zu schützen und den Schuldigen bekannt zu machen, wurde Eviot, Sir John Ramorny's Page, aufgerufen, sich dem Gottesurtheil zu unterwerfen. Er trat mit unsicherem Schritte vor. Vielleicht glaubte er, seine innere Ueberzeugung, daß Bonthron der Mörder sei, werde hinreichen, ihn des Mordes theilhaft zu machen, wenn er gleich keinen wirklichen Antheil daran hätte. Er blieb vor dem Sarge stehen, und seine Stimme bebte, als er bei Allem schwur, was in sieben Tagen und sieben Nächten erschaffen worden, beim Himmel, bei der Hölle, bei seinem Theil am Paradies, bei dem Gott und Schöpfer der Welt, daß er unschuldig und frei sei von der blutigen That an dem Leichnam, der vor ihm lag, und auf dessen Brust er zur Bekräftigung dessen das Zeichen des Kreuzes machte. Es erfolgte nichts. Der Körper blieb steif wie zuvor; die geronnenen Wunden gaben kein Zeichen von Blut. Die Bürger sahen einander mit Gesichtern voll unangenehmer Täuschung an. Sie hatten sich von Eviot's Schuld überredet und ihr Verdacht war durch sein unentschlossenes Benehmen bestärkt worden. Ihr Erstaunen über sein freies Ausgehen war daher das größte. Die anderen Diener Ramorny's faßten Muth und traten, den Eid zu leisten, mit einer Kühnheit vor, die immer stieg, wenn einer von ihnen die Probe bestanden hatte; sie wurden durch die Stimme der Richter von jedem Verdacht, der auf sie wegen Oliver Proudfute's Tod geworfen worden, für frei und unschuldig erklärt. Aber es war noch eine Person, die an diesem steigenden Vertrauen keinen Theil nahm. Der Name »Bonthron – Bonthron!« tönte drei Mal durch die Hallen der Kirche; aber er, dem er gehörte, beantwortete den Ruf nicht anders, als durch eine scharrende Bewegung der Füße, als hätte ihn plötzlich eine Lähmung befallen. »Sprich, Hund,« flüsterte Eviot, »oder mache dich zum Tode eines Hundes fertig!« »Aber des Mörders Hirn war so verstört durch das Schauspiel vor ihm, daß die Richter, sein Benehmen betrachtend, schwankten, ob man ihn vor den Sarg schleppen lassen oder das Urtheil der Schuld verkündigen solle; und erst, als man ihn das letzte Mal fragte, ob er sich dem Gottesurtheil unterziehen wollte, antwortete er mit seiner gewöhnlichen Kürze: »Ich will nicht; – was weiß ich, welche Gauklerpossen man braucht, um eines armen Mannes Leben zu nehmen? – ich erbiete mich zum Zweikampf mit Jedem, der sagt, daß ich jenen Leichnam verletzte.« Und gemäß der üblichen Form warf er seinen Handschuh auf den Boden der Kirche. Harry Schmied trat vor, begleitet vom Beifallgemurmel seiner Mitbürger, welches selbst die ehrwürdige Stätte nicht völlig unterdrücken konnte; und des Schurken Handschuh aufhebend, den er in seine Mütze legte, warf er dagegen den seinigen nach üblicher Form als Unterpfand des Kampfes hin. Aber Bonthron hob ihn nicht auf. »Er ist mir nicht gleich,« brummte der Wilde, »kann auch meinen Handschuh nicht aufheben. Ich diene dem Prinzen von Schottland im Gefolge seines Stallmeisters. Der Kerl ist ein elender Handwerker. Hier unterbrach ihn der Prinz. »Du dienst mir, Schuft! ich entlasse dich aus der Stelle meines Dienstes. – Nimm ihn unter deine Hand, Schmied, und schlag' ihn, wie du je einen Ambos schlugst. – Der Schurke ist sowohl schuldig als feig. Es macht mir übel, ihn nur anzusehen; und wenn mein königlicher Vater mich hören will, so läßt er den Parteien zwei hübsche, schottische Aexte geben, und wir wollen sehen, wer von ihnen der Bessere ist, eh' der Tag noch eine halbe Stunde älter wird.« Dem stimmte rasch der Graf von Crawford und Sir Patrick Charteris bei, die Pathen beider Parteien, welche, da die Kämpfer Männer niederen Standes waren, übereinkamen, daß sie in Stahlhauben, Büffelwämsern und mit Aexten fechten sollten; und das so bald, als sie sich zum Kampfe bereiten könnten. Die Schranken wurden in den Kürschnerhöfen, einem benachbarten Grundstücke, errichtet, welches die Innung besaß, von der es den Namen hatte, und die schnell einen Raum, dreißig Fuß lang und fünfundzwanzig breit, für die Kämpfer errichtete. Dorthin drängten sich Edle, Priester und Volk, – Alle, außer dem alten König, der, solche Blutscenen verabscheuend, sich in seinen Palast zurückzog, und dem Lord Großconnetable von Errol, zu dessen Amt es eigentlich gehörte, die Aufsicht über den Kampfplatz übergab. Der Herzog von Albany beobachtete den ganzen Vorgang mit scharfem und listigem Auge. Sein Neffe betrachtete die Sache mit der Gleichgiltigkeit, die seinem Charakter eigen war. Als die Kämpfer in den Schranken erschienen, konnte nichts überraschender sein, als der Contrast zwischen dem männlichen, fröhlichen Gesichte des Schmieds, dessen leuchtendes, helles Auge schon von dem Siege zu strahlen schien, den er erwartete, und der düstern, niedergeschlagenen Miene des thierischen Bonthron, der einem Nachtvogel glich, welcher aus dem Schutze seines finstern Schlupfwinkels an das Sonnenlicht gejagt wird. Sie beschworen beide die Wahrheit ihrer Sache, Harry Gow mit heiterem, männlichem Vertrauen, Bonthron mit hündischer Frechheit, was den Herzog von Rothsay nöthigte, dem Großconnetable zu sagen: »Hast du je, mein lieber Errol, eine solche Mischung von Bosheit, Grausamkeit und, wie mich dünkt, auch Furcht gesehen, als in dieses Kerls Gesicht?« »Er ist nicht hübsch,« sagte der Graf, »aber ein so kräftiger Bursche, wie ich je einen sah.« »Ich wette ein Oxhost Wein mit Euch, mein guter Lord, daß er den Tag verliert. Harry der Waffenschmied ist so stark als er, und weit gewandter. Und dann seht sein kühnes Benehmen! Es ist Etwas in dem andern Kerl, was Abscheu einflößt. Laßt sie sogleich aneinander, mein lieber Connetable, denn mich ekelt, ihn anzusehen.« Der Großconnetable wandte sich darauf an die Wittwe, die, in tiefer Trauer und ihre Kinder neben sich, einen Platz in den Schranken einnahm: – »Frau, seid Ihr bereit, diesen Mann, Harry Schmied, als Euern Kämpen in dieser Sache anzunehmen?« »Ich thu es – ich thu es, sehr gern,« antwortete Magdalena Proudfute; »und mag der Segen Gottes und St. Johns ihm Kraft und Glück geben, da er für vaterlose Waisen kämpft!« »Dann erkläre ich dies für geschlossenes Kampffeld,« sagte der Connetable laut. »Niemand wage, bei Gefahr seines Lebens, diesen Streit durch Wort, Rede oder Blick zu unterbrechen. – Tönt, Trompeten, und fechtet, Kämpfer!« Die Trompeten schmetterten und die Kämpfer naheten von den entgegengesetzten Enden der Schranken, mit festem, ruhigem Schritte, sahen einander aufmerksam an, wohlgeübt, aus der Bewegung des Auges die Richtung zu erkennen, nach welcher der Schlag fallen soll. Sie standen, als sie nahe genug waren, still und versuchten mehr als eine Finte, um die Gewandtheit und Wachsamkeit des Gegners zu erproben. Endlich, entweder dieser Bewegungen müde oder aus Furcht, in diesem Streit seine ungeheure Kraft von der Gewandtheit des Waffenschmieds überwunden zu sehen, hob Bonthron die Axt zu einem senkrechten Schlage, mit der ganzen Kraft seiner stämmigen Arme das Gewicht der niederfahrenden Waffe verstärkend. Der Schmied aber beugte dem Hiebe durch eine Bewegung seitwärts aus, denn der Streich war zu gewaltig, um durch irgend Etwas aufgehalten zu werden, das er zu seiner Hemmung hätte thun können. Ehe Bonthron sich wieder decken konnte, schleuderte ihm Harry einen Seitenhieb auf den Stahlhelm, der ihn zu Boden streckte. »Bekenne oder stirb,« sagte der Sieger, seinen Fuß auf den Körper des Besiegten und ihm die Axt an die Kehle setzend, welche in einer Spitze dolchartig endete. »Ich will bekennen,« sagte der Schurke, wild aufwärts gen Himmel starrend. »Laß mich aufstehen.« »Nicht, bis Ihr Euch ergeben habt,« sagte Harry Schmied. »Ich ergebe mich,« murmelte Bonthron wieder, und Harry rief laut, daß sein Gegner unterlegen sei. »Die Herzöge von Rothsay und Albany, der Großconnetable und der Dominikanerprior betraten nun die Schranken und fragten Bonthron, ob er sich als besiegt bekenne. »Ja,« antwortete das Ungeheuer. »Und als schuldig der Ermordung Oliver Proudfute's?« »Ich bin's – aber ich nahm ihn für einen Andern.« »Und wen dachtest du zu erschlagen?« sagte der Prior; »gesteh', mein Sohn, und verdiene deine Verzeihung in einer andern Welt; denn in dieser hast du wenig mehr zu thun.« »Ich hielt den Erschlagenen,« sagte der besiegte Kämpfer, für den, dessen Hand mich niedergeworfen hat, dessen Fuß mich jetzt drückt.« »Gepriesen seien die Heiligen!« sagte der Prior; »nun mögen Alle, die an der Kraft des heiligen Gottesgerichts zweifeln, die Augen über ihren Irrthum öffnen. Seht, er ist in die Schlinge gefallen, die er dem Unschuldigen legte.« »Ich sah den Mann kaum jemals zuvor,« sagte der Schmied. »Ich that ihm oder den Seinen nie ein Unrecht. – Fragt ihn, wenn es Euch gefällt, ehrwürdiger Herr, warum er mich meuchlerisch zu erschlagen gedachte.« »Es ist eine Frage, die sich ziemt,« antwortete der Prior. »Gib Ehre, dem sie gebührt, mein Sohn, wenn es auch zu deiner Schmach offenbart werden mag. Aus welchem Grunde wolltest du diesem Waffenschmied auflauern, der sagt, er habe dich nie gekränkt?« »Er hat ihn beleidigt, dem ich diente,« antwortete Bonthron; »und ich unternahm die That auf seinen Befehl.« »Auf wessen Befehl?« fragte der Prior. Bonthron schwieg einen Augenblick, dann brummte er: »er ist zu mächtig, als daß ich ihn nennen könnte.« »Hör', mein Sohn,« sagte der Geistliche, »warte nur eine kurze Stunde, und die Mächtigen und Geringen dieser Erde werden dir wie ein leerer Schall sein. Die Schleife wird eben bereitet, um dich zum Richtplatze zu schleppen. Daher, Sohn, bitte ich dich noch ein mal, dein Seelenheil zu berathen, indem du Gott die Ehre gibst und die Wahrheit sagst. War es dein Herr, Sir John Ramorny, der dich zu einer so schändlichen That trieb? »Nein,« antwortete der verworfene Schurke, »es war ein Größerer als er.« Und zugleich wies er mit dem Finger nach dem Prinzen. »Elender!« sagte der erstaunte Herzog von Rothsay; »wagst du, anzudeuten, ich habe dich angereizt?« »Ihr selbst, Mylord,« antwortete der schamlose Schuft. »Stirb in deiner Lüge, schamloser Sklave!« sagte der Prinz; und sein Schwert ziehend, würde er seinen Verleumder durchbohrt haben, hätte sich nicht der Großconnetable mit Wort und That dazwischen gelegt. »Eure Hoheit muß mir verzeihen, wenn ich mein Amt verwalte – dieser Schuft muß den Händen des Henkers übergeben werden. Er darf nicht von einem Andern, am wenigsten von Eurer Hoheit abgethan werden.« »Wie! edler Graf,« sagte Albany laut und mit großer, wahrer oder angenommener Bewegung, »wollt Ihr den Hund lebendig von hier lassen, um der Leute Ohren mit falschen Anklagen gegen den Prinzen von Schottland zu vergiften? – Ich sage, haut ihn auf der Stelle in Stücke.« »Eure Hoheit wird mir verzeihen,« sagte der Graf von Errol; »ich muß ihn schützen, bis sein Urtheil vollzogen ist.« »Dann laßt ihn sofort wegschleppen,« sagte Albany. – »Und Ihr, mein königlicher Neffe, warum steht Ihr so starr vor Staunen? Ruft Eure Entschlossenheit zurück – sprecht mit dem Gefangenen – schwört – bezeugt bei Allem, was heilig ist, daß Ihr nichts von dieser Schandthat wißt. – Seht, wie die Leute einander ansehen und heimlich flüstern. – Diese Lüge breitet sich wahrlich schneller aus als das Evangelium. – Sprecht zu ihnen, königlicher Vetter, gleichviel, was Ihr sagt, wenn Ihr nur standhaft im Läugnen seid.« »Wie, Sir,« sagte Rothsay, aus seinem Schweigen des Staunens und der Betäubung emporfahrend und sich stolz gegen seinen Oheim wendend: »Wollt Ihr, daß ich mein königliches Wort gegen das eines verworfenen Ungeheuers verpfände? Laßt diejenigen, welche glauben können, der Sohn ihres Souveräns, der Nachkomme Bruce's, sei fähig, dem Leben eines armen Handwerkers einen Hinterhalt zu legen, laßt die sich des Gedankens freuen, des Schurken Rede sei wahr.« »Das will ich nicht, was mich anlangt,« sagte der Schmied offen. »Ich that nie Etwas, außer was ehrenhaft war, gegen seine königliche Hoheit den Herzog von Rothsay, und nie erfuhr ich etwas Unfreundliches in Wort, Blick oder That von ihm; und ich kann nicht glauben, daß er so etwas Schlechtes bezweckt habe.« »War es ehrenhaft, daß Ihr seine Hoheit von der Leiter warft, in Curfewstreet am Valentinsabend?« sagte Bonthron; »oder meint Ihr, diese Gunstbezeugung sei freundlich oder unfreundlich aufgenommen worden?« Dies war so kühn gesagt und erschien so glaublich, daß es des Schmieds Meinung von des Prinzen Unschuld erschütterte. »Ach, Mylord,« sagte er, schmerzlich auf Rothsay blickend, »könnte Eure Hoheit eines armen Mannes Leben suchen, weil er so seine Pflicht für ein hilfloses Mädchen erfüllte? – Ich wollte lieber in diesen Schranken gestorben sein, als leben, um dies von Bruce's Erben sagen zu hören!« »Du bist ein guter Mensch, Schmied,« sagte der Prinz; »aber ich kann nicht erwarten, daß du weiser urtheilen sollst, als Andere. – Fort mit dem Verbrecher zum Galgen und knüpft ihn lebendig auf, wenn Ihr wollt, daß er Lüge ausspreche und Aergerniß über uns verbreite bis zum letzten Augenblick seines Daseins!« Mit diesen Worten wandte sich der Prinz aus den Schranken, indem er's verschmähte, der düsteren Blicke, die sich auf ihn richteten, zu achten, während die Menge ihm langsam und widerstrebend Platz machte, und über ein tiefes, hohles Murmeln oder Seufzen, welches seinen Weggang begleitete, Staunen oder Mißfallen zu äußern. Nur wenige seiner vertrauten Diener begleiteten ihn vom Kampfplatze, obwohl mehrere vornehme Männer in seinem Gefolge gekommen waren. Selbst die niederen Bürger hörten auf dem unglücklichen Prinzen zu folgen, dem sein früherer zweifelhafter Ruf schon vorher oft den Vorwurf der Unbesonnenheit und des Leichtsinns zugezogen hatte, und um den sich jetzt ein finsterer Verdacht der schrecklichsten Art zu lagern schien. Er lenkte seinen langsamen und gedankenvollen Schritt nach der Kirche der Dominikaner; aber die schlimmen Neuigkeiten, die sprüchwörtlich schnell fliegen, hatten seines Vaters Ruhesitz erreicht, bevor er selbst erschien. Als der Herzog von Rothsay in den Palast trat und nach dem Könige fragte, wurde er durch die Botschaft überrascht, er sei in tiefer Berathung mit dem Herzog von Albany, der sogleich zu Pferde steigend, als der Prinz die Schranken verließ, das Kloster vor ihm erreicht hatte. Er wollte eben, das Vorrecht seines Ranges und seiner Geburt geltend machend, in das königliche Gemach treten, als Mac Louis, der Befehlshaber der Brandanenwache, ihm in den ehrerbietigsten Ausdrücken meldete, er habe besondern Befehl, ihm den Zutritt zu verbieten. »Geh' wenigstens, Mac Louis, und laß sie wissen, daß ich ihren Willen erwarte,« sagte der Prinz. »Wenn mein Oheim die Macht wünscht, des Vaters Zimmer gegen den Sohn zu verschließen, so wird es ihm angenehm sein, zu wissen, daß ich wie ein Bedienter im Vorsaal warte.« »Mit Eurer Erlaubniß,« sagte Mac Louis zögernd, »wenn Eure Hoheit sich nur gerade jetzt zurückziehen und eine Weile geduldig warten wollte, so will ich Euch Nachricht senden, wenn der Herzog von Albany geht; und ich zweifle nicht, daß dann Seine Majestät Euch vorlassen werde. Jetzt – Eure Hoheit muß mir verzeihen – ist es unmöglich, Euch Zutritt zu gestatten.« »Ich verstehe Euch, Mac Louis; aber trotzdem geh' und gehorche meinem Befehl.« Der Offizier ging also und kehrte mit der Nachricht zurück, der König sei unwohl und im Begriff, sich in sein Privatzimmer zurückzuziehen; aber der Herzog von Albany werde dem Prinzen von Schottland sogleich aufwarten. Es verging indeß eine volle halbe Stunde, ehe der Herzog von Albany erschien, – ein Zeitraum, den Rothsay theils in müssigem Geschwätz mit Mac Louis und den Brandanen hinbrachte, je nachdem der Leichtsinn oder die Reizbarkeit seines Gemüthes die Oberhand behielt. Endlich kam der Herzog und mit ihm der Lord Großconnetable, dessen Gesicht großen Kummer und Verlegenheit ausdrückte. »Lieber Neffe,« sagte der Herzog von Albany, »es schmerzt mich, zu sagen, daß meines königlichen Bruders Meinung ist, es werde zur Ehre der königlichen Familie das Beste sein, daß Eure königliche Hoheit sich eine Zeitlang zu der Abgeschiedenheit der Wohnung des Großconnetabels entschlösse, und den edlen Grafen hier als Euern hauptsächlichsten, wo nicht einzigen Gesellschafter annähme, bis die ärgerlichsten Gerüchte, die heute verbreitet wurden, widerlegt oder vergessen sind.« »Wie ist das, Mylord von Errol?« sagte der Prinz erstaunt. »Soll mir Euer Haus ein Gefängniß und Eure Herrlichkeit mein Kerkermeister sein?« »Die Heiligen verhüten das, Mylord,« sagte der Graf von Errol; »aber es ist meine unglückliche Pflicht, den Befehlen Eures Vaters zu gehorchen, indem ich Eure königliche Hoheit eine Zeitlang als unter meiner Obhut stehend betrachte.« »Der Prinz – der Erbe von Schottland unter der Obhut des Großconnetable's! – Was für ein Grund ist dazu vorhanden? Ist die schändliche Rede eines überführten Verbrechers von genügender Kraft, um mein königliches Wappen zu beflecken?« »So lange solche Beschuldigungen nicht widerlegt und geläugnet sind, mein königlicher Neffe,« sagte der Herzog von Albany, »werden sie das eines Monarchen beflecken.« »Geläugnet, Mylord?« rief der Prinz; »wer behauptet sie? nur ein Elender, der zu schmachvoll ist, selbst durch sein eigenes Geständniß, um nur einen Augenblick glaubwürdig zu sein, wär' auch nur eines Bettlers und nicht eines Prinzen Charakter verdächtigt. – Holt ihn hierher – laßt ihm die Folter zeigen; Ihr werdet ihn bald die Verläumdung widerrufen hören, die er zu äußern wagte.« »Der Galgen hat sein Werk zu sicher gethan, als daß Bonthron noch Gefühl für die Folter hätte,« sagte der Herzog von Albany. »Er ist seit einer Stunde hingerichtet.« »Und warum so eilig, Mylord?« sagte der Prinz; »wißt Ihr, daß das wie ein Kunstgriff aussieht, um meinen Namen zu beflecken?« »Es ist allgemeiner Brauch – der im Kampfe des Gottesgerichts geschlagene Kämpfer wird sogleich aus den Schranken zum Galgen gebracht. – Und doch, lieber Neffe,« fuhr der Herzog von Albany fort, »wenn Ihr die Anschuldigung fest und keck geläugnet hättet, würde ich es für recht gehalten haben, den Elenden zu weiterer Untersuchung leben zu lassen, da aber Eure Hoheit schwieg, so hielt ich es für's Beste, das Aergerniß mit dem Athem dessen zu ersticken, der es ausgesprochen.« »Heilige Maria, Mylord, dies ist aber zu beleidigend! Hieltet Ihr, mein Oheim, mich der Ausübung einer so unnützen und unwürdigen That für schuldig, als sie der Sklave bekannte?« »Es kommt mir nicht zu, über die Sache mit Eurer Hoheit zu streiten; sonst würde ich fragen, ob Ihr auch den fast ebenso unwürdigen, obwohl minder blutigen Angriff auf das Haus in Curfewstreet läugnen wollt? – Seid nicht böse mit mir, Neffe; aber fürwahr, Eure zeitweilige Entfernung vom Hofe, wär' es auch nur, so lange sich der König in dieser Stadt aufhält, wo so großes Aergerniß gegeben worden, wird unumgänglich gefordert.« Rothsay schwieg, als er diese Anrede vernahm, und den Herzog auf ganz eigentümliche Weise anblickend, erwiderte er: »Oheim, Ihr seid ein guter Jäger. Ihr habt Eure Netze sehr geschickt aufgestellt; aber Ihr würdet Euch trotzdem getäuscht haben, wenn der Hirsch nicht freiwillig hineingestürzt wäre. Gott sei mit Euch, und mögt Ihr den Nutzen davon haben, den Eure Maßregeln verdienen! Sagt meinem Vater, ich gehorche ihm. – Mylord Großconnetable, ich erwarte Euern Befehl, um Euch in Eure Wohnung zu begleiten. Da ich einmal in Verwahrung sein muß, so hätte ich keinen freundlichern und artigern Hüter wünschen können.« Nachdem sich so das Gespräch zwischen Oheim und Neffen geschlossen, zog sich der Prinz mit dem Grafen von Errol nach seinen Gemächern zurück; die Bürger, denen sie auf den Straßen begegneten, traten, wenn sie den Herzog von Rothsay erblickten, zur Seite, um der Nothwendigkeit zu entgehen, den zu grüßen, welchen sie jetzt auch als einen grausamen, nicht mehr blos leichtsinnigen Wüstling betrachten mußten. Des Connetables Wohnung nahm den Besitzer und seinen fürstlichen Gast auf, Beide froh, die Straßen zu verlassen, aber nicht zufrieden mit der Lage, die Beide im Hause sich gegenüber einnehmen mußten. Wir müssen zu den Schranken zurückkehren nach beendigtem Kampfe, als sich die Edelleute zurückgezogen hatten. Die Menge trennte sich nun in zwei bestimmte Haufen. Der an Zahl kleinere, aber zu gleicher Zeit durch Achtbarkeit ausgezeichnetere bestand aus der besseren Klasse der Einwohner von Perth, die dem Sieger und sich unter einander zu dem rühmlichen Ziele Glück wünschten, zu dem ihr Streit mit dem Adel geführt worden sei. Die Obrigkeit war so stolz darauf, daß sie Sir Patrick Charteris bat, eine Mahlzeit im Rathssaale anzunehmen, wozu auch vorzüglich Harry, der Held des Tages, eingeladen wurde, oder vielmehr Befehl erhielt, dabei zu erscheinen. Er hörte mit großer Verlegenheit diese Aufforderung, denn sein Herz war, wie leicht zu glauben ist, bei Katharina Glover. Aber Simon Glovers Rath gab den Ausschlag. Dieser alte und ächte Bürger hatte eine natürliche und geziemende Ehrfurcht vor dem Magistrate der guten Stadt; er unterhielt eine hohe Achtung für alle Ehren, die aus dieser Quelle floßen, und glaubte, sein künftiger Schwiegersohn würde Unrecht thun, sie nicht dankbar anzunehmen. »Denke nicht daran, dich einer solchen Feierlichkeit fern zu halten, Sohn Harry,« war sein Rath. »Sir Patrick Charteris wird selbst dort sein, und ich denke, es ist eine seltene Gelegenheit für dich, sein Wohlwollen zu erwerben. Vielleicht bestellt er bei dir eine neue Rüstung, und ich hörte selber den würdigen Bailie Craigdallie sagen, daß man davon rede, die Rüstkammer der Stadt neu auszustatten. Du mußt die guten Geschäfte nicht vernachlässigen, da du nun eine größere Familie unterhalten wirst.« »Still, Vater Glover,« antwortete der niedergeschlagene Sieger. »Es fehlt mir nicht an Kunden – und du weißt, daß sich Katharina über meine Abwesenheit wundern und sich allerlei Klatschereien von Spieldirnen und dergleichen erzählen lassen wird.« »Fürchte das nicht,« sagte der Handschuhmacher; »aber geh' als gehorsamer Bürger, wohin deine Vorgesetzten dich verlangen. Ich läugne nicht, daß dir's einige Mühe kosten wird, mit Katharina wegen dieses Zweikampfes Frieden zu schließen; denn sie hält sich in solchen Dingen für klüger, als König und Staatsrath, Kirche und Geistliche, Oberrichter und Bailies. Aber ich will den Streit selbst führen und so für dich arbeiten, daß, wenn sie dich auch morgen etwas mißgelaunt empfängt, dies in Thränen und Lächeln wegschmelzen soll, wie ein Aprilmorgen, der mit mildem Regen anfängt. Also fort mit dir, mein Sohn, und sei morgen früh nach der Messe bereit.« Der Schmied sah sich, obwohl mit Widerstreben, genöthigt, den Gründen seines künftigen Schwiegervaters nachzugeben, und einmal entschlossen, die ihm von den Vätern der Stadt bestimmte Ehre anzunehmen, zog er sich aus der Menge zurück und eilte nach Hause, um seine besten Kleider anzulegen; in diesen begab er sich nachher sogleich auf's Rathhaus, wo die schwere Eichentafel unter den gewaltigen Schüsseln mit Thaysalmen und köstlichen Seefischen aus Dundee sich zu beugen schien, Leckerbissen, welche die Fastenzeit erlaubte, und wobei es weder an Wein und Bier noch Meth fehlte, um sie hinunterzuspülen. Die »Aufwartenden oder Stadtmusikanten« spielten während des Mahles, und während der Pausen ihrer Musik erzählte Einer von ihnen sehr ausdrucksvoll die lange poetische Geschichte von der Schlacht zu Blackearnside, gefochten von Sir William Wallace und seinem unerschrockenen Hauptmann und Freunde, Thomas von Longueville, gegen den englischen General Sewart – eine allen Gästen ganz bekannte Begebenheit, der sie aber doch, nachsichtiger als ihre Enkel, zuhörten, wie wenn sie allen Reiz der Neuheit gehabt hätte. Es lag ohne Zweifel ein Kompliment für die Ahnen des Ritters von Kinfauns und anderer Familien von Perth in den Stellen, bei denen sich ein lauter Beifallruf erhob, indeß man einander gewaltig zutrank auf das Gedächtniß der Helden, die dem Kämpfer von Schottland zur Seite gestanden hatten. Harry Wynds Gesundheit wurde mit wiederholtem Jubel ausgebracht, und der Oberrichter verkündigte öffentlich, der Magistrat würde darüber berathen, wie man ihm am besten ein ausgezeichnetes Vorrecht oder einen ehrenvollen Lohn geben könnte, um zu zeigen, wie hoch seine Mitbürger seine muthigen Thaten schätzten. »Nein, mit Eurer Erlaubniß, nehmt es nicht so, würdige Herren,« sagte der Schmied in seiner gewohnten geraden Weise, »damit die Leute nicht sagen, der Muth müsse selten in Perth sein, wenn sie einen Mann belohnen, der für das Recht einer verlassenen Wittwe kämpft. Es sind gewiß viele Dutzend braver Bürger in Perth, die das Tagewerk so gut als ich, oder besser als ich gethan Hütten. Denn wahrlich, ich hätte jenen Helm zerschmettern sollen wie einen irdenen Topf, und es wäre auch geschehen, war' es nicht einer gewesen, den ich selbst für Sir John Namorny machte. Aber wenn der Stadt mein Dienst irgend eines Lohnes werth dünkt, so halte ich ihn für weit mehr als abgetragen durch jede Hülfe, die Ihr aus dem Gemeindegute zur Unterstützung der Wittwe Magdalena und ihrer armen Waisen geben wollt.« »Das mag wohl geschehen,« sagte Sir Patrick Charteris, »und doch kann die schöne Stadt reich genug bleiben, um ihre Schuld dem Harry Wynd abzutragen, über den jeder von uns ein besserer Richter ist, als er selbst, den eine unnütze Zartheit verdiendet, die man Bescheidenheit nennt. – Und wenn die Stadt zu arm dazu ist, so wird der Oberrichter seinen Theil tragen. Des Räubers goldene Engel sind noch nicht alle davongeflogen.« Die Becher kreisten nun unter dem Namen eines Trostbechers für die Wittwe, und schäumten dann noch einmal auf das glückliche Gedächtniß des ermordeten Oliver, der nun so tapfer gerächt war. Kurz, es war ein so fröhliches Mahl, daß Alle übereinstimmten, es habe nichts gefehlt, um es vollkommen zu machen, als die Gegenwart des Strumpfwirkers, dessen Unfall die Zusammenkunft veranlaßte, und der sonst immer für den Spaß bei solchen festlichen Versammlungen gesorgt hatte. Wäre seine Anwesenheit möglich gewesen, bemerkte der Bailie Craigdallie trocken, so würde er gewiß den Erfolg des Tages in Anspruch genommen und sich der Rache seines eigenen Mordes gerühmt haben. Beim Schalle der Vesperglocke brach die Gesellschaft auf; einige der ernster Gestimmten gingen zum Abendgebet, wo sie, mit halb geschlossenen Augen und strahlenden Gesichtern, einen höchst rechtgläubigen und erbaulichen Theil einer Fastenpredigt bildeten; Andere gingen nach ihren Wohnungen, um dort im Familienkreise von dem Kampfe und Gastmahle zu erzählen; Einige aber ohne Zweifel zu der ungebundenen Freiheit einer Schenke, deren Thür die Fastenzeit nicht so fest schloß, als die Kirche verlangte. Harry kehrte, warm vom guten Wein und vom Beifall seiner Mitbürger, in den Wynd zurück und schlief ein, um von vollkommenem Glück und Katharina Glover zu träumen. Wir haben gesagt, daß sich nach Entscheidung des Kampfes die Zuschauer in zwei Haufen theilten. Von diesen folgten der achtbarere Theil dem Sieger in fröhlichem Zuge, während die Mehrzahl, oder was man den Pöbel nennen konnte, den besiegten und verurtheilten Bonthron begleitete, der nach entgegengesetzter Richtung und in ganz anderer Absicht wegzog. Was man immer zwischen dem Anziehenden eines Trauerhauses und eines Gastmahles unter andern Umständen für einen Vergleich anstellen mag, ist es doch zu errathen, was mehr Zuschauer herbeilockt, wenn es sich fragt, ob wir Zeugen fremden Elends sein oder einem Mahle zusehen wollen, woran wir nicht Theil nehmen. Dieser Wahrheit gemäß begleitete der bei weitem größere Theil der Einwohner von Perth den Karren, woraus der Verbrecher zur Hinrichtung geführt wurde. Ein Mönch saß auf demselben Karren neben dem Mörder, und letzterer ließ nicht ab, gegen jenen unter dem Siegel der Beichte dieselbe Behauptung zu wiederholen, die er aus dem Kampfplatze geäußert hatte, und die den Herzog von Rothsay beschuldigte, der Anstifter des Hinterhalts gewesen zu sein, wobei der unglückliche Strumpfwirker gefallen war. Dieselbe Lüge verbreitete er unter der Menge, indem er mit unverschämter Frechheit denen, die dem Karren am nächsten waren, versicherte, er verdanke seinen Tod der Bereitwilligkeit, womit er die Befehle des Herzogs von Rothsay erfüllt habe. Eine Zeitlang wiederholte er finster und tückisch diese Worte, wie Einer, der einen Auftrag ausrichtet, oder wie ein Bettler, der seinen Worten durch Wiederholung Glauben verschaffen will, während er überzeugt ist, daß sie ihn nicht verdienen. Aber als er die Augen erhob und in der Ferne die dunkle Gestalt des Galgens, wenigstens vierzig Fuß hoch, nebst der Leiter und dem unseligen Strick, senkrecht aufsteigen sah, wurde er plötzlich still, und der Mönch konnte bemerken, daß er sehr zitterte. »Tröste dich, mein Sohn,« sagte der gute Priester, »Ihr habt die Wahrheit bekannt und erhaltet Absolution. Eure Reue wird nach ihrer Aufrichtigkeit angenommen werden; und obwohl Ihr ein Mann von blutigen Händen und grausamen Herzens gewesen, werdet Ihr doch durch die Bitten der Kirche in gehöriger Zeit aus den Flammen des Fegefeuers erlöst werden.« Diese Zusicherungen waren mehr geeignet, den Schrecken des Schuldigen zu mehren, als zu mindern, da ihn Zweifel beunruhigten, ob die für seine Rettung vom Tode angegebene Weise gewiß auch wirksam sein möchte, so wie die Besorgniß, ob man sie auch zu seinen Gunsten in Anwendung bringen möchte; denn er kannte seinen Herrn gut genug, um von der Gleichgültigkeit überzeugt zu sein, womit er Einen opfern würde, der bei künftiger Gelegenheit ein gefährliches Zeugniß gegen ihn ablegen könnte. Sein Loos war indeß besiegelt und es galt kein Entkommen mehr. Sie näherten sich langsam dem verhängnißvollen Baume, der an einem Ufer des Flusses, etwa eine halbe (englische) Meile von den Mauern der Stadt errichtet war; eine Stätte, die gewählt war, damit der Leichnam des Elenden, der als Futter für die Raben hier bleiben mußte, aus der Ferne in jeder Richtung gesehen werden konnte. Hier übergab der Priester Bonthron dem Henker, der ihm auf die Leiter steigen half und allem Anschein nach den üblichen Formen des Gesetzes gemäß verfuhr. Er schien eine Minute mit dem Tode zu ringen, hing aber bald still und leblos. Der Henker, nachdem er länger als eine halbe Stunde auf dem Posten gewartet, wie wenn er den letzten Lebensfunken erlöschen lassen wollte, verkündete den Bewunderern solcher Schauspiele, daß die Eisen für das beständige Aufhängen des Leichnams nicht in Bereitschaft wären, und daß die Schlußceremonie, die Ausweidung und endliche Befestigung an den Galgen, erst am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang vorgenommen werden könne. Trotz der frühen Stunde, die er nannte, hatte Meister Smotherwell doch eine ansehnliche Begleitung des Pöbels zum Richtplatze, um das Schlußverfahren der Gerechtigkeit mit ihrem Opfer anzusehen. Aber groß war das Staunen und der Unwille dieser Liebhaber, als sie sahen, daß der todte Körper vom Galgen entfernt war. Sie waren jedoch nicht lange ohne einen Einfall, um die Ursache des Verschwindens zu erklären. Bonthron war der Diener eines Barons gewesen, dessen Güter in Fife lagen, und war selbst ein Eingeborner dieser Provinz. Was war natürlicher, als daß einige Leute aus Fife, deren Boote häufig den Fluß befuhren, heimlich den Körper ihres Landsmannes von dem Orte der Schande entfernt hatten? Die Menge machte ihrer Wuth gegen Smotherwell Luft, daß er sein Werk nicht am vorigen Abend vollendet habe; und hätte er und sein Gehülfe sich nicht in ein Boot begeben und über den Tay geflüchtet, so wären sie Gefahr gelaufen, zu Tode gesteinigt zu werden. Das Ereigniß war indeß zu sehr im Geiste jener Zeit, um Verwunderung zu erregen. Die wirkliche Ursache desselben wollen wir im folgenden Kapitel erklären. Vierundzwanzigstes Kapitel »Für Hunde Galgen – frei laßt Menschen geh'n.« Heinrich IV. Die Umstände einer Erzählung dieser Art müssen zu einander passen, wie der Bart eines Schlüssels zu seinem Schlosse. Der Leser, wie gefällig er auch sei, wird sich nicht für verpflichtet halten, mit der bloßen Thatsache zufrieden zu sein, daß die und jene Ereignisse stattfanden, obwohl er meist im gewöhnlichen Leben nichts weiter von den Dingen erfährt, die um ihn her vorgehen; aber er wünscht, da er zur Unterhaltung liest, das innere Getriebe zu kennen, welches die Ereignisse veranlaßt. Dies ist eine rechtmäßige und vernünftige Neugier. Denn Jedermann hat das Recht, das Werk seiner eigenen Uhr zu öffnen und zu untersuchen, da es zu seinem besonderen Gebrauch zusammengesetzt ist, obwohl ihm nicht gestattet wird, in das Innere der Uhr zu dringen, die zum allgemeinen Nutzen auf dem Kirchthurm angebracht ist. Es würde daher unhöflich sein, wenn ich meinen Lesern einen Zweifel ließe hinsichtlich der Hülfe, welche den Mörder Bonthron vom Galgen befreite: – ein Ereigniß, welches einige der Bürger von Perth dem bösen Feind zuschrieben, während Andere sich damit begnügten, es durch das natürliche Mißfallen der Landsleute Bonthrons zu erklären, die ihn nicht über dem Ufer des Flusses, als einen für ihre Provinz schmachvollen Anblick, hängen sehen wollten. Um Mitternacht nach dem Tage, an welchem die Hinrichtung stattgefunden, und während die Bewohner Perths in tiefem Schlafe lagen, gingen drei Männer, in ihre Mäntel gehüllt und eine Blendlaterne tragend, die Gänge eines Gartens hinab, der von dem Hause Sir John Ramorny's nach dem Ufer des Tay führte, wo ein kleines Boot an einer Landungsstelle oder einem kleinen vorspringenden Pfeiler angelegt war. Der Wind seufzte tief und melancholisch durch die laublosen Büsche und Sträucher, und ein bleicher Mond watete, wie man es in Schottland nennt, durch Wolkenzüge, die Regen zu drohen schienen. Die drei Personen betraten das Boot mit großer Vorsicht, um der Beobachtung zu entgehen. Einer von ihnen war ein großer, starker Mann, ein anderer klein und gebeugt, der dritte von Mittelgröße und scheinbar jünger, als seine Gefährten, wohlgestaltet und gewandt. So viel ließ das unvollkommene Licht entdecken. Sie setzten sich in das Boot und lösten es vom Pfeiler. »Wir müssen es mit dem Strome treiben lassen, bis wir die Brücke hinter uns haben, wo die Bürger noch Wache halten; und ihr kennt das Sprichwort: Ein Pfeil von Perth fliegt vollkommen,« sagte der Jüngste von der Gesellschaft, welcher das Amt des Steuermannes versah und das Boot vom Pfeiler stieß, während die Anderen die Ruder nahmen und mit aller Vorsicht ruderten, bis sie die Mitte des Stromes erreichten; dann strengten sie sich nicht weiter an, legten sich auf die Ruder und vertrauten dem Steuermann, daß er sie mitten im Strome hielte. Auf diese Weise kamen sie unbemerkt und unbeachtet unter dem stattlichen gothischen Bogen der alten Brücke hindurch, erbaut durch Robert Bruce im Jahre 1329, und weggerissen durch eine Ueberschwemmung 1621. Obwohl sie die Stimmen einer Bürgerwache hörten, die, seit diese Unruhen begonnen, allnächtlich auf diesem wichtigen Punkte unterhalten ward, so wurden sie doch nicht angerufen; und als sie weit genug stromunter waren, um von diesen nächtlichen Wachen nicht mehr gehört zu werden, begannen sie zu rudern, aber immer mit Vorsicht, und zu reden, obwohl mit leisen Stimmen. »Ihr habt ein neues Gewerbe gefunden, Kamerad, seit ich Euch verließ,« sagte einer der Ruderer zum andern. »Ich verließ Euch, mit der Pflege eines kranken Ritters beschäftigt, und finde Euch, um einen todten Körper vom Galgen zu holen.« »Einen lebenden Körper, mit Eurer Erlaubniß, Sir Buncle; sonst verfehlt mein Geschäft seinen Zweck.« »So hör' ich, Meister Apotheker; aber bei all' Eurer Gelehrsamkeit, wenn Ihr mir Euren Kunstgriff nicht sagt, so erlaub' ich mir, am Erfolge zu zweifeln.« »Ein einfaches Kunststück, Sir Buncle, welches wahrscheinlich einem so scharfsinnigen Genie, wie dem Euren, nicht gefallen wird. Die schwebende Lage des menschlichen Körpers, die der gemeine Mann Aufhängen nennt, bewirkt den Tod durch Schlagfluß, – das heißt, da das Blut durch die zusammengepreßten Adern nicht zum Herzen zurückkehren kann, stürzt es nach dem Gehirn und der Mensch stirbt. Desgleichen, und dies trägt zur Auflösung bei, erhalten die Lungen nicht mehr den nöthigen Zufluß von Lebensluft, wegen des Stricks, der um den Körper gebunden ist; und daher stirbt der Leidende.« »Ich verstehe das recht gut – aber wie will man eine solche Blutströmung nach dem Gehirn hindern, Sir Apotheker?« sagte die dritte Person, die kein Anderer war, als Ramorny's Page, Eviot. »Ei nun,« erwiderte Dwining, »dann hängt man den Menschen auf solche Weise auf, daß die Halsarterien nicht gedrückt werden, und das Blut wird nicht im Gehirn bleiben, und der Schlagfluß wird nicht eintreten; und ferner, wenn die Brust nicht eingebunden wird, so werden die Lungen mit Luft versorgt; mag der Mensch nun mitten im Himmel hängen, oder auf festem Boden stehen.« »Alles dies begreif' ich,« sagte Eviot; »wie aber diese Vorsichtsmaßregeln im Einklang stehen mit der Vollziehung des Urtheils zum Hängen, das ist es, was mein dummes Gehirn nicht fassen kann.« »Ach! guter Jüngling, deine Pagenschaft hat einen tüchtigen Kopf verdorben. Hättest du mit mir studirt, du würdest noch weit schwierigere Dinge gelernt haben. Aber mein Kunstgriff ist dieser: Ich verschaffte mir gewisse Bänder, aus demselben Stoffe gemacht, wie Eure Pferdegurte, junger Page, und dabei sorgt' ich besonders dafür, daß sie von einer Art waren, die, wenn sie angespannt sind, nicht zusammenschrumpft; denn das würde mein Experiment verderben. Eine Schleife von solchem Band wird unter jeden Fuß gezogen und läuft an jeder Seite an dem Bein herauf, bis zu einem Gürtel, woran sie befestigt ist; mit diesem Gürtel sind verschiedene Schnüre, die Brust und den Rücken hinab, verbunden, um das Gewicht zu theilen, und so sind noch verschiedene Mittel vorhanden, den Leidenden leichter zu machen; doch das Hauptsächlichste ist dies: Die Stricke oder Bänder sind an ein stählernes Halsband befestigt, das nach Außen gekrümmt ist und etliche Haken hat, damit der Strick, den der freundliche Henker um diesen Theil der Vorrichtung, statt um den bloßen Hals des Verurtheilten legt, desto sicherer sei. Wird so der Dulder von der Leiter geworfen, so findet er sich nicht an seinem Halse, seht Ihr wohl, sondern an einem stählernen Ringe aufgehängt, der die Schlingen hält, in welchen seine Füße stehen, und auf welchen sein Gewicht eigentlich ruht, das jedoch durch ähnliche Unterstützungen unter jedem Arme vermindert wird. Da nun so weder Ader noch Luftröhre zusammengepreßt ist, so wird der Mensch eben so frei athmen, und sein Blut, die Furcht und Neuheit der Lage ausgenommen, eben so leicht fließen, als das Eure, Herr Page, wenn Ihr in Euren Steigbügeln aufrecht steht, um ein Schlachtfeld zu übersehen.« »Meiner Treu, ein hübscher und seltener Einfall!« sagte Buncle. »Nicht wahr?« fuhr der Arzt fort, »und wohl werth, solchen hochstrebenden Geistern, wie Euch, bekannt zu sein, da man nicht wissen kann, zu welcher Höhe Sir John Ramorny's Jünger es bringen; und wenn sie eine solche ist, daß man nothwendig an einem Strick herabsteigen muß, dann werdet Ihr meine Zurüstung passender finden, als das gewöhnliche Verfahren. Freilich müßt Ihr auch ein Wams mit hohem Kragen haben, um den Stahlring zu verbergen; und vor Allem so einen bonum socium wie Smotherwell, um die Schlinge anzulegen.« »Niedriger Giftkrämer,« sagte Eviot, »Männer unseres Berufs sterben auf dem Schlachtfelde!« »Ich will mir indeß die Lehre merken,« erwiderte Buncle, »für den Fall einer Verlegenheit. – Aber welch' eine Nacht muß der blutige Galgenstrick Bonthron gehabt haben, wenn er einen Tanz zu der Musik seiner eigenen Fesseln mitten in der Luft hält, während ihn der Nachtwind hin und her schaukelt!« »Es wär' ein gutes Werk, ihn dort zu lassen,« sagte Eviot; »denn sein Absteigen vom Galgen wird ihn nur zu neuen Mordthaten ermuthigen. Er kennt nur zwei Elemente: Trunkenheit und Blutvergießen.« »Vielleicht wäre Sir John Ramorny Eurer Meinung gewesen,« sagte Dwining; »aber zuvor hätte man dem Schuft die Zunge abschneiden müssen, sonst würde er wundervolle Geschichten aus seiner luftigen Höhe erzählen. Und es sind auch noch andere Gründe vorhanden, die Eure Tapferkeit nicht zu wissen braucht. In Wahrheit, ich selber habe ihm großmüthig gedient, denn der Kerl ist so stark, wie das Edinburger Schloß, und seine Anatomie würde jeder andern im chirurgischen Saale zu Padua gleichgekommen sein. – Aber sagt mir, Mr. Buncle, welche Neuigkeiten habt Ihr von dem tapfern Douglas?« »Mögen sie erzählen, die sie wissen,« sagte Buncle; »ich bin der dumme Esel, der die Botschaft hört und nichts von ihrem Inhalt weiß. Desto besser für mich vielleicht. Ich trug Briefe vom Herzog von Albany und von Sir John Ramorny zu Douglas, und er sah schwarz wie ein Nordsturm, als er sie öffnete. – Ich brachte ihnen Antwort vom Grafen, zu welcher sie lächelten, wie die Sonne, wenn ein Gewitter zu Ende geht. Wendet Euch an Eure Ephemeriden, Arzt, und beschwört Euch die Bedeutung.« »Mich dünkt, ich kann das thun, ohne viel Verstand aufzuwenden,« sagte der Chirurg; »aber dort seh' ich im bleichen Mondlicht unsern Lebendigtodten. Sollte er einen zufällig Vorübergehenden angeschrieen haben, so wäre das eine seltsame Unterbrechung einer Nachtreise, von der Höhe solch' eines Galgens begrüßt zu werden. – Hört, mich dünkt, ich höre sein Stöhnen durch's Pfeifen des Windes und das Kettenrasseln. So – hübsch sacht – macht das Boot mit dem Haken fest – gebt den Korb mit meinen Sachen heraus – es wäre besser, wir hätten ein wenig Feuer, aber der Schein möchte uns Beobachtung zuziehen. Kommt, meine tapfern Männer, marschirt sacht, denn wir sind am Fuße des Galgens. – Folgt mit der Laterne – ich hoffe, die Leiter ist dageblieben.« »Singt, drei lust'ge, drei lustige Männer, Drei lustige Männer sind wir, Du auf dem Land, und ich auf dem Sand, Und Jack am Galgenholz hier.« Und als sie dem Galgen naheten, konnten sie deutlich Seufzer hören, obwohl in sehr leisem Tone. Dwining wagte ein paar Mal leise zu husten, um ein Zeichen zu geben; aber er erhielt keine Antwort. »Wir sollten so schnell als möglich machen,« sagte er zu seinen Gefährten, »denn unser Freund muß in extremis sein, da er auf das Zeichen, das die Ankunft der Hülfe verkündet, nicht antwortet. – Kommt, gehen wir an's Werk. Ich will zuerst die Leiter hinauf und den Strick abschneiden. Folgt ihr nach einander und haltet den Leichnam fest, daß er nicht fällt, wenn die Schlinge los ist. Greift ihn fest, die Bänder werden Euch dabei dienen. Denkt, daß er, spielt' er auch heut' Nacht die Eule, doch keine Flügel hat; und vom Stricke fallen, könnte so gefährlich sein, als hineinfallen.« Während er so mit höhnischem Scherz redete, stieg er die Leiter empor, und nachdem er sich überzeugt, daß die Kriegsleute, die ihm folgten, den Körper hielten, zerschnitt er den Strang und half dann die fast leblose Gestalt des Verbrechers unterstützen. Durch eine geschickte und kräftige Bewegung ward der Körper Bonthrons sicher auf den Boden gebracht, und nachdem man sich überzeugt, daß, wenn auch nur schwach, Leben vorhanden sei, brachte man ihn an den Rand des Flusses, wo, vom Ufer verdeckt, die Gesellschaft sich am besten der Beobachtung entzog, während der Arzt die nöthigen Mittel anwendete, womit er sich versehen hatte, um das Leben zurückzurufen. Zu diesem Ende befreite er die gerettete Person zuerst von den Fesseln, die der Henker absichtlich nicht verschlossen hatte, und zugleich nahm er ihm die verwickelten Bänder und Stricke ab, an welchen er aufgehängt war. Es dauerte einige Zeit, bis Dwinings Bemühungen Erfolg hatten; denn trotz der Kunst, mit der seine Maschine zusammengefügt war, hatten die Stricke, die den Körper tragen sollten, sich so beträchtlich zusammengezogen, daß die Empfindung des Erstickens sehr bedeutend wurde. Aber die Geschicklichkeit des Arztes siegte über alle Hindernisse, und Bonthron gab, nachdem er genießt und mit einigen kurzen Zuckungen sich ausgestreckt hatte, entschiedene Lebenszeichen von sich; denn er ergriff die Hand des Arztes, der ihm eben starke Wasser auf Brust und Hals träufelte, und nahm, die Flasche an die Lippen haltend, fast mit Gewalt einen beträchtlichen Schluck von ihrem Inhalt. »Es ist Spiritus, doppelt abgezogen,« sagte der erstaunte Operateur, »und würde einem Andern die Kehle aufschwellen und den Magen verbrennen. Aber dieses außerordentliche Vieh gleicht allen andern menschlichen Geschöpfen so wenig, daß es mich nicht wundern soll, wenn es ihn zum vollen Besitz seines Verstandes bringt.« Bonthron schien dieß zu bestätigen; er fuhr mit einem seltsamen Krampfe empor, setzte sich aufrecht, starrte umher und zeigte einiges Bewußtsein des Lebens. »Wein – Wein,« waren die ersten Worte, die er hervorbrachte. Der Arzt gab ihm einen Schluck Arzneiwein mit Wasser gemischt. Er wies ihn zurück mit dem schmählichen Beiworte, »Gossenjauche,« und äußerte wieder die Worte: »Wein – Wein!« »Nun, so nimm ihn zu dir, in's Teufels Namen,« sagte der Arzt, »denn Niemand als er kann deine Natur beurtheilen.« Ein Zug, lang und tief genug, um den Verstand anderer Leute zu verwirren, erwies sich wirksam, den des Bonthron vollkommener zurückzurufen, obwohl er keine Erinnerung dessen zeigte, was mit ihm geschehen oder wo er war, und in seiner kurzen und düsteren Weise fragte, warum er so in der Nacht an den Fluß geschafft worden sei. »Wieder ein Spaß des wilden Prinzen, um mich zu ertränken, wie er vorher that – Nägel und Blut, aber ich wollte – « »Halt Ruhe,« unterbrach ihn Eviot, »und sei dankbar, ich bitte dich, wenn du Dankbarkeit fühlen kannst, daß dein Leib nicht ein Schmaus der Raben ist, und deine Seele an einem Orte, wo Wasser zu selten ist, um dich hineinzutauchen.« »Ich fange an, mich zu besinnen,« sagte der Schurke, die Flasche zum Munde führend, die er mit einem langen und herzlichen Kusse begrüßte und leer zu Boden setzte; dann ließ er den Kopf auf die Brust hängen und schien nachzusinnen, um seine verworrenen Erinnerungen zu sammeln. »Wir können den Erfolg seiner Betrachtungen nicht abwarten,« sagte Dwining, »er wird besser, wenn er geschlafen hat. – Auf, Freund! Ihr habt einige Stunden in der Luft geritten – versucht, ob das Wasser nicht ein leichteres Fortkommen bietet. – Ihr tapferen Leute müßt mir an die Hand gehen. Ich kann diese Masse so wenig erheben, als ich einen geschlachteten Ochsen in den Armen tragen könnte.« »Steh' aufrecht auf deinen eigenen Füßen, Bonthron, da wir dich auf selbige gestellt haben,« sagte Eviot. »Ich kann nicht,« antwortete der Patient. »Jeder Tropfen Blut kribbelt in meinen Adern wie mit Nadelspitzen, und meine Kniee weigern sich, ihre Bürde zu tragen. Was soll das Alles bedeuten? Das ist eine deiner Finten, du hündischer Arzt!« »Ja, ja, so ist es, wackerer Bonthron,« sagte Dwining, »ein Kunstgriff, den du mir danken wirst, wenn du ihn erst erkennst. Inzwischen strecke dich in dem Boote dort nieder und laß mich diesen Mantel um dich wickeln.« Man half Bonthron darauf in's Boot und legte ihn dort so bequem hin, als die Umstände es erlaubten. Er erwiderte ihre Aufmerksamkeiten mit einigen Aeußerungen, die dem Gebrumme eines Bären glichen, der ein Lieblingsfutter bekommen hat. »Und nun, Buncle,« sagte der Chirurg, »kennt Eure Tapferkeit ihren Auftrag. Ihr sollt diese lebendige Ladung auf dem Flusse nach Newburgh führen, wo Ihr mit ihm verfahrt, wie Ihr wißt; inzwischen sind hier seine Fesseln und Bänder, die Zeichen seiner Haft und Befreiung. Bindet sie zusammen und werft sie in den tiefsten Strudel, den Ihr findet; denn fände man sie bei Euch, so würden sie Geschichten gegen uns erzählen. Dieser leichte, leise Windhauch aus Westen wird Euch gestatten, ein Segel zu gebrauchen, sobald es Tag wird und Ihr müde seid, zu rudern. – Eure andere Tapferkeit, Master Page Eviot, muß sich begnügen, mit mir zu Fuße nach Perth zurückzukehren, denn hier trennt sich unsere schöne Gesellschaft. – Nimm die Laterne mit dir, Buncle, denn du wirst sie besser brauchen, als wir, und sieh', daß du mir meine Flasche zurücksendest.« Während die Fußgänger nach Perth zurückkehrten, drückte Eviot seinen Glauben aus, daß sich Bonthrons Verstand nie von der Erschütterung, die ihm der Schrecken eingeflößt, erholen würde, welcher bei ihm alle Fähigkeiten des Geistes, und besonders das Gedächtniß gestört zu haben schien. »Es ist dem nicht so, mit Eurer Erlaubniß, Herr Page,« sagte der Arzt. »Bonthrons Verstand, wie er nun ist, hat einen soliden Charakter – er wird nur hin und her schwanken, wie ein Pendel, welches in Bewegung gesetzt worden ist, um dann in seinem gewöhnlichen Schwerpunkt zu ruhen. Das Gedächtniß ist von allen unsern Geisteskräften diejenige, die am leichtesten aufgehoben wird. Ein schwerer Rausch oder tiefer Schlaf zerstört es gleich, und doch kehrt es zurück, wenn der Trunkene nüchtern wird, oder der Schläfer erwacht. Der Schrecken bringt bisweilen ähnliche Wirkungen hervor. Ich kannte einen Verbrecher zu Paris, der zum Tode durch den Strang verurtheilt war, und demnach sich dem Urtheil unterzog; er zeigte keine besondere Furcht auf dem Schafott, sondern sprach und betrug sich, wie andere Leute in ähnlichem Zustand pflegen. Der Zufall that für ihn, was ein kleiner pfiffiger Streich für unsern liebenswürdigen Freund, von dem wir uns eben trennten, gethan hat. Er wurde von der Leiter geworfen und seinen Freunden übergeben, ehe sein Leben erloschen war, und ich hatte das Glück, ihn wieder herzustellen. Aber obgleich er im Uebrigen wieder gesund wurde, erinnerte er sich doch seines Leidens und Todesurteils nur wenig. Von seiner Beichte am Morgen der Hinrichtung – hi, hi, hi! – (seine gewöhnliche Weise, zu lachen) wußte er kein Wort mehr. Er wußte nicht mehr, wie er das Gefängniß verließ – nichts mehr von dem Greveplatz, wo er hingerichtet wurde – nichts mehr von den frommen Reden, womit er – hi, hi, hi! – so viele gute Christen – hi, hi, hi! – erbaute. Nichts von dem Hinaufsteigen auf den unseligen Baum, noch wie er den unseligen Strick nahm; von Allem hatte mein Auferstandener nicht die geringste Erinnerung. – Aber hier sind wir an dem Punkte, wo wir uns trennen müssen, denn es wäre nicht gut, wenn wir, einer Wache begegnend, beisammen gesehen würden; auch wäre es klug, wenn wir durch verschiedene Thore in die Stadt gingen. Mein Beruf entschuldigt mein Kommen und Gehen zu jeder Zeit. Ihr, tapferer Page, werdet eine solche Erklärung abgeben, als genügend scheinen mag.« »Meinen Willen werd' ich eine genügende Entschuldigung sein lassen, wenn man mich fragt,« sagte der hochmüthige, junge Mann. »Doch wo möglich will ich Aufenthalt vermeiden. Der Mond ist ganz verdunkelt und die Straße so schwarz wie ein Wolfsrachen.« »Fort,« sagte der Arzt, »darum kümmere sich Euer Muth nicht; wir werden gar bald dunklere Pfade betreten.« Ohne nach der Bedeutung dieses Unglück weissagenden Spruches zu fragen und überhaupt im Stolze und Leichtsinne seines Charakters kaum darauf hörend, schied Ramorny's Page von seinem scharfsinnigen und gefährlichen Begleiter, und Jeder schlug seinen eigenen Weg ein. Fünfundzwanzigstes Kapitel Der echten Liebe Pfad ist selten sanft. Shakespeare. Die ahnungsvolle Besorgniß unseres Waffenschmieds hatte ihn nicht getäuscht. Als der gute Handschuhmacher von seinem künftigen Schwiegersohne schied, fand er, was er allerdings erwartet hatte, daß seine schöne Tochter nicht günstig für ihren Liebhaber gestimmt war. Aber obwohl er einsah, daß Katharina kalt, zurückhaltend, gesammelt war, den Anschein irdischer Leidenschaft abgelegt hatte, und mit einer, wenn auch nicht offen gezeigten Verachtung der glänzendsten Beschreibung lauschte, die er ihr von dem Kampfe auf dem Kürschnerhofe machte, so war er doch entschlossen, ihrem veränderten Benehmen nicht die geringste Aufmerksamkeit zu schenken, sondern von ihrer Verbindung mit Harry als von einer Sache zu sprechen, die natürlich stattfinden würde. Endlich, als sie, wie bei einer früheren Gelegenheit, zu bemerken begann, daß ihre Neigung zu dem Waffenschmied nicht über die Grenzen der Freundschaft gehe, – daß sie entschlossen sei, nie zu heirathen, – daß das angebliche Gottesgericht eine Verspottung des göttlichen Willens und menschlicher Gesetze sei, wurde der Handschuhmacher natürlicher Weise zornig. »Ich kann deine Gedanken nicht lesen, Mädchen; auch glaub' ich nicht, errathen zu können, durch welche schnöde Bethörung es kam, daß du einen erklärten Liebhaber küssest, – dich von ihm küssen lässest, – zu seinem Hause rennst, wenn ein Gerücht seinen Tod ansagt, und in seine Arme fliegst, da du ihn allein findest. Alles dieß steht einem Mädchen sehr wohl an, die bereit ist, ihren Eltern in einer von ihrem Vater gebilligten Partie zu gehorchen; aber solche Zeichen der Vertraulichkeit einem Manne gespendet, den ein junges Mädchen nicht achten kann, und entschlossen ist, nicht zu heirathen, sind unschicklich und unweiblich. Du bist bereits mit deinen Gunstbezeugungen gegen Harry Schmied verschwenderischer gewesen, als deine Mutter, Gott segne sie, gegen mich war, eh' ich sie heirathete. Ich sage dir, Katharina, dieses Spiel mit der Liebe eines ehrlichen Mannes ist Etwas, das ich weder dulden kann, noch will, noch darf. Ich habe meine Zustimmung zu der Heirath gegeben, und ich bestehe darauf, daß sie sofort stattfinde, und daß du morgen Harry Wynd als einen Mann empfängst, dessen Gattin du nächstens sein sollst.« »Eine Macht, höher als die Eurige, Vater, wird nein sagen,« erwiderte Katharina. »Ich will es d'rauf wagen; meine Macht ist eine gesetzliche, die eines Vaters über ein Kind, und ein irrendes Kind,« antwortete ihr Vater. »Gott und Menschen erkennen meine Macht an.« »Dann mög' uns der Himmel helfen!« sagte Katharina; »denn wenn Ihr hartnäckig auf Eurer Absicht beharrt, sind wir Alle verloren.« »Wir können keine Hülfe vom Himmel erwarten,« sagte der Handschuhmacher, »wenn wir mit Unklugheit handeln. Ich bin selbst Gottesgelehrter genug, um das zu wissen; und daß dein grundloser Widerstand gegen meinen Willen sündlich ist, wird dir jeder Priester sagen. Ja, und noch mehr als das, du hast wegwerfend von der gepriesenen Berufung auf Gott im Gottesgerichtskampfe gesprochen. Hüte dich! denn die heilige Kirche ist erwacht, ihre Heerde zu wahren und Ketzerei durch Feuer und Schwert auszurotten. Darin warn' ich dich!« Katharina ließ eine unterdrückte Aeußerung hören, und indem sie sich mit Mühe zwang, ruhig zu erscheinen, versprach sie ihrem Vater, daß, wenn er sie mit einer weiteren Erörterung des Gegenstandes bis zum nächsten Morgen verschonen wollte, sie dann mit ihm sprechen werde, entschlossen, ihre Gedanken völlig auszusprechen. Mit diesem Versprechen mußte sich Simon Glover zufrieden geben, obwohl äußerst besorgt wegen der verschobenen Erklärung. Es konnte nicht Leichtsinn oder Wankelmuth des Charakters sein, was seine Tochter bewog, so anscheinend unbeständig gegen den Mann seiner Wahl zu verfahren, den sie noch kürzlich so unzweideutig auch für den Mann der ihrigen erklärt hatte. Welch' äußere Macht stark genug sein konnte, ihre so bestimmt ausgesprochenen Entschlüsse binnen vierundzwanzig Stunden zu verändern, war ihm ein vollkommenes Räthsel. »Aber ich will so hartnäckig sein, als sie sein kann,« dachte der Handschuhmacher, »und sie soll entweder Harry Schmied ohne weiteren Verzug heirathen, oder der alte Simon Glover will einen genügenden Grund für das Gegentheil hören.« Der Gegenstand ward im Laufe des Abends nicht mehr berührt; aber in der Frühe des nächsten Morgens, gleich mit Sonnenaufgang, kniete Katharina vor dem Bette, in welchem ihr Vater noch schlummerte. Ihr Herz schlug, als ob es springen wollte, und ihre Thränen rollten zahlreich auf ihres Vaters Gesicht. Der gute, alte Mann erwachte, blickte empor, bekreuzte seines Kindes Stirn und küßte sie zärtlich. »Ich verstehe dich, Katie,« sagte er; »du bist gekommen, um zu beichten, und ich hoffe, du wirst einer schweren Buße durch Aufrichtigkeit entgehen wollen.« Katharina schwieg einen Augenblick. »Ich brauche nicht zu fragen, mein Vater, ob Ihr Euch des Karthäusermönchs Clemens und seiner Lehren und Predigten erinnert; Ihr standet ihm in der That so oft darin bei, daß Ihr wohl wissen müßt, daß Euch die Leute einen seiner Bekehrten, und mit größerem Rechte auch mich also nannten.« »Ich weiß Beides,« sagte der alte Mann, sich auf den Ellbogen stützend; »aber ich fordere das schnöde Gerücht heraus, zu beweisen, daß es je seine ketzerischen Ansichten annahm, obwohl ich gern seine Reden hörte über das Verderbniß der Kirche, der übeln Herrschaft der Edelleute, die schmachvolle Unwissenheit der Armen, wenn er, wie es mir schien, bewies, daß die ganze Tugend unseres Staates, seine Kraft und Ehre, unter der Bürgerschaft der besseren Klasse sei, was ich als eine gute, der Stadt vortheilhafte Lehre annahm. Und wenn er nicht die rechte Lehre predigte, warum ließen es ihm seine Obern im Karthäuserkloster zu? Wenn die Hirten den Wolf im Schafskleide unter die Heerde werfen, so können sie die Schafe nicht tadeln, wenn sie zerrissen werden.« »Sie duldeten sein Predigen, ja, sie munterten es auf,« sagte Katharina, »so lange die Laster der Laien, die Anmaßungen der Edeln und die Unterdrückung der Armen der Gegenstand seines Tadels waren, und sie freuten sich über das Volk, das, zu der Karthäuserkirche sich drängend, alle andern Klöster verließ. Aber die Heuchler – denn das sind sie – verbanden sich mit den anderen Brüderschaften zur Anklage ihres Predigers Clemens, als er von der Schilderung der Verbrechen des Staates auf die Darstellung des Stolzes, der Unwissenheit und der Schwelgerei der Geistlichen selbst überging, und von ihrem Durst nach Gewalt, ihrer angemaßten Macht über das Gewissen der Menschen und ihrem Verlangen nach Vermehrung des weltlichen Reichthums sprach.« »Um Gottes Willen, Katharina,« sagte ihr Vater, »sprich heimlich; deine Stimme erhebt sich und du redest bitter; – deine Augen leuchten. Diesem Eifer für das, was dich nicht mehr als Andere angeht, verdankst du es, daß böswillige Personen dir den gehässigen und gefährlichen Namen einer Ketzerin geben.« »Ihr wißt, ich sage weiter nichts, als die Wahrheit,« sagte Katharina, »und was Ihr selbst oft zugestanden habt.« »Bei Nadel und Bockfell! nein,« antwortete der Handschuhmacher hastig; »willst du, daß ich zugestehe, was mich Leib und Leben, Hab und Gut kosten kann? denn es ist Vollmacht ertheilt worden, Ketzer einzuziehen und zu untersuchen, denen man alle neuerliche Tumulte und Zwistigkeiten zur Last legt; daher sind wenig Worte die besten, Mädchen. Ich stimme stets dem alten Dichter bei: »Das Wort ist Knecht, frei sind Gedanken, D'rum rath' ich, halt' die Zung' in Schranken.« »Der Rath kommt zu spät, Vater,« antwortete Katharina, auf einen Stuhl neben des Vaters Bett niedersinkend. »Die Worte sind gesprochen und gehört worden; und es wird geklagt gegen Simon Glover, Bürger in Perth, daß er unehrerbietige Reden über die Lehre der heiligen Kirche geführt – « »So wahr ich von Messer und Nadel lebe,« fiel Simon ein, »es ist eine Lüge! Ich war nie so thöricht, zu sprechen von dem, was ich nicht verstand.« »Und die Gesalbten der Kirche lästerte, beide, Ordens- wie Weltgeistliche,« fuhr Katharina fort. »Ei, die Wahrheit will ich nie läugnen,« sagte der Handschuhmacher; »ein müßiges Wort kann ich auf der Bierbank gesprochen haben, oder bei einem Schoppen Wein, oder in sicherer Gesellschaft; aber sonst ist meine Zunge nicht von der Art, um meinen Kopf in Gefahr zu stürzen.« »So glaubt Ihr, mein theuerster Vater; aber Eure geringste Rede ist erspäht worden, Eure bestgemeinten Worte hat man verdreht, und Ihr seid im Verruf als grober Spötter gegen Kirche und Geistliche, der gegen dieselben Gespräche mit lockern und liederlichen Leuten gehalten, wie z. B. der verstorbene Oliver Proudfute war, der Schmied Harry vom Wynd und Andere; ein Mann, der die Lehren des Pater Clemens empfiehlt, den sie auf sieben Hauptketzereien anklagen und mit Stab und Speer suchen, um ihn zum Tode zu bringen. – Aber dieß,« sagte Katharina knieend und aufwärtsblickend mit der Miene einer jener schönen Heiligen, welche die Katholiken durch die schönen Künste darstellten, – »dieß werden sie nimmer thun. Er ist aus dem Netze des Jägers entkommen; und, ich danke dem Himmel, es geschah durch meine Hülfe.« »Durch deine Hülfe, Mädchen – bist du wahnsinnig?« sagte der erstaunte Handschuhmacher. »Ich will nicht läugnen, worauf ich stolz bin,« antwortete Katharina; »es geschah durch mich, daß Conachar veranlaßt ward, mit einer Anzahl Leute hierher zu kommen und den alten Mann, der nun weit jenseit der hochländischen Grenze ist, wegzuführen. »O, mein vorschnelles – mein unglückliches Kind!« sagte der Handschuhmacher; »wagtest du, die Flucht eines der Ketzerei Angeklagten zu unterstützen und bewaffnete Hochländer aufzufordern, sich in die Verwaltung der Gerechtigkeit in der Stadt zu mischen? Ach, du hast dich gegen beide, die Gesetze der Kirche und des Reiches, vergangen. Was – was würde aus uns werden, wenn dies bekannt würde?« »Es ist bekannt, mein theurer Vater,« sagte das Mädchen mit Festigkeit; »bekannt sogar denen, die die bereitwilligsten Rächer der That sein werden.« »Das muß eine leere Einbildung sein, Katharina, oder ein Streich jener heuchlerischen Priester und Nonnen; es stimmt nicht mit deiner neulichen frohen Bereitwilligkeit, Harry Schmied zu heirathen.« »Ach, theuerster Vater, gedenkt der schrecklichen Ueberraschung, welche das Gerücht seines Todes veranlaßte, und des freudigen Staunens, ihn lebend zu finden; und laßt es Euch nicht wunderbar scheinen, wenn ich unter Eurem Schutze mir mehr zu sagen erlaubte, als meine Ueberlegung rechtfertigte. Aber damals wußte ich noch nicht das Schlimmste und hielt die Gefahr für übertrieben. Ach! ich wurde gestern schrecklich enttäuscht, als die Aebtissin selbst hierher kam und mit ihr der Dominikaner. Sie zeigten mir den schriftlichen Auftrag, mit dem großen Siegel von Schottland, Ketzerei auszuforschen und zu bestrafen; sie zeigten mir Euren und meinen Namen in der Liste verdächtiger Personen; und unter Thränen, fürwahr unter Thränen beschwor mich die Aebtissin, ein furchtbares Schicksal abzuwenden, indem ich mich eilig in das Kloster flüchtete; und der Mönch gab sein Wort, daß Ihr nicht belästigt werden solltet, wenn ich nachgäbe. »Der böse Feind hole sie Beide als weinende Krokodille!« sagte der Handschuhmacher. »Ach,« erwiderte Katharina, »Beklagen oder Zürnen wird uns wenig helfen; aber Ihr seht, ich hatte wirklichen Grund für meine gegenwärtige Unruhe.« »Unruhe! nenn' es äußerstes Verderben. – Ach, mein leichtsinniges Kind, wo war deine Klugheit, als du blindlings in eine solche Schlinge fielst?« »Hört mich, Vater,« sagte Katharina; »noch eine Art der Rettung ist möglich; es ist eine, die ich oft vorgeschlagen, und für die ich immer umsonst um Eure Erlaubniß bat.« »Ich verstehe dich – das Kloster,« sagte ihr Vater. »Aber Katharina, welche Aebtissin oder Priorin würde wagen –« »Ich will Euch das erklären, Vater, und will Euch auch die Umstände zeigen, welche mich unentschlossen und wankelmüthig in einem Grade erscheinen ließen, der mir von Euch und Andern Tadel zuzog. Unser Beichtvater, der alte Pater Francis, den ich aus dem Dominikanerkloster auf Euren Befehl wählte –« »Ja, allerdings,« unterbrach sie der Handschuhmacher; »und ich rieth und befahl dir so, um das Gerücht zu beseitigen, daß dein Gewissen ganz unter der Leitung des Pater Clemens stehe.« »Gut, dieser Pater Francis hat mich mehrmals gedrängt und aufgefordert, über Dinge mit ihm zu sprechen, mittelst deren er von mir Etwas über den Karthäuserprediger zu erfahren gedachte. Der Himmel vergebe mir meine Blindheit! Ich fiel in die Schlinge, sprach offen, und da er sanft in mich drang, wie Einer, der gern überzeugt sein wollte, sprach ich sogar warm zur Vertheidigung dessen, was ich andächtig glaubte. Der Beichtvater zeigte nicht sein wahres Gesicht und verrieth nicht seine geheime Absicht, bis er Alles wußte, was ich ihm sagen konnte. Dann aber drohte er mir mit weltlicher Strafe und ewiger Verdammniß. Hätten seine Drohungen mich allein betroffen, so hätte ich standhaft bleiben können; denn ihre Grausamkeit auf Erden könnte ich erdulden, und an ihre Macht jenseit dieses Lebens glaube ich nicht.« »Um des Himmels willen,« sagte der Handschuhmacher, der nun im Stillen bei jedem neuen Worte die wachsende, äußerste Gefahr seiner Tochter erkannte, »hüte dich, die heilige Kirche zu lästern – deren Waffen so schnell treffen, als ihre Ohren scharf hören.« »Für mich,« sagte das Mädchen von Perth, wieder emporblickend, »würden die Schrecken der gedrohten Anzeige nicht erheblich sein; aber als sie davon sprachen, dich, mein Vater, in meine Anklage zu verwickeln, so gesteh' ich, daß ich zitterte und zu unterhandeln wünschte. Der Aebtissin Martha, vom Nonnenkloster zu Elcho, die eine Base von meiner Mutter war, erzählte ich mein Unglück, und sie gab mir das Versprechen, daß sie mich aufnehmen wollte, wenn ich weltlicher Liebe und Heirathsgedanken entsagen, und den Schleier in ihrer Schwesterschaft nehmen würde. Sie sprach ohne Zweifel über den Gegenstand mit dem Dominikaner Francis, und Beide sangen dasselbe Lied. »Bleib' in der Welt,« sagten sie, »und dein Vater und du werden als Ketzer in Untersuchung kommen – nimm den Schleier, und die Irrthümer Beider sollen vergeben und vergessen sein.« Sie sprachen nicht einmal von einem Widerruf der Irrlehren; Alles sollte still sein, wenn ich nur in das Kloster träte.« »Ich zweifle nicht – ich zweifle nicht,« sagte Simon; »man hält den alten Handschuhmacher für reich, und sein Reichthum würde seiner Tochter in's Kloster von Elcho folgen, bis auf das, was die Dominikaner für sich in Anspruch nähmen. Dieß also ist dein Beruf zum Schleier – dieß sind deine Einwendungen gegen Harry Wynd?« »In der That, Vater, von allen Seiten drängte man, und mein eignes Herz war ziemlich einverstanden. Sir John Ramorny bedrohte mich mit der mächtigen Rache des jungen Prinzen, wenn ich fortführe, seine schnöde Bewerbung zurückzuweisen – und was den armen Harry betrifft, so hab' ich erst ganz kürzlich zu meinem eignen Staunen bemerkt, – daß, – daß ich seine Tugenden mehr liebe, als mir seine Fehler mißfallen. Ach, diese Entdeckung hat mir meinen Abschied von der Welt nur schwerer gemacht, als wenn ich geglaubt hätte, blos dich zu beklagen.« Sie stützte das Haupt mit der Hand und weinte bitterlich. »Dieß ist Alles Thorheit,« sagte der Handschuhmacher. »Nie war eine Noth so groß, daß ein weiser Mann nicht Rath finden könnte, wenn er kühn genug ist, darnach zu handeln. Dieß war nie das Land oder Volk, über welches die Priester im Namen Roms herrschen konnten, ohne ihre Anmaßung eingeschränkt zu sehen. Wenn sie jeden ehrlichen Bürger strafen dürften, welcher sagt, daß die Mönche Geld lieben und daß das Leben etlicher von ihnen den Lehren, die sie predigen, Schande mache, so würde es wahrlich Stephen Smotherwell nicht an Geschäften fehlen, – und wenn alle thörichten Mädchen von der Welt sich absondern wollten, weil sie den Irrlehren eines beliebten Predigermönchs folgen, so müßten sie die Nonnenklöster erweitern, und die Schwestern auf leichtere Bedingungen aufnehmen. Unsere Rechte sind von unserm guten alten Fürsten oft gegen den Papst selbst vertheidigt worden; und wenn er sich anmaßte, sich in die weltliche Regierung zu mischen, so fehlte es nicht an einem schottischen Parlament, das ihm seine Pflicht in einem Briefe vorhielt, den man in Lettern von Gold hätte schreiben dürfen. Ich habe den Brief selbst gesehen, und ob ich ihn gleich nicht lesen konnte, so machte mir doch der Anblick der Siegel der hochwürdigen Prälaten, der edlen und treuen Barone, die daran hingen, das Herz vor Freude hüpfend. Du hättest mir dieß Geheimniß nicht vorenthalten sollen, mein Kind; doch es ist nicht Zeit, dir deinen Fehler vorzurücken. Geh' hinunter, hole mir Etwas zu essen. Ich will mich sogleich zu Pferde setzen und zu unserm Lord Oberrichter reiten, und seinen Rath suchen, und wie ich glaube seinen Schutz, nebst dem anderer treuherziger schottischer Edeln, die einen ehrlichen Mann eines leeren Wortes wegen nicht niedertreten lassen.« »Ach, mein Vater,« sagte Katharina, »es war gerade diese Heftigkeit, die ich fürchtete. Ich wußte, daß, wenn ich mich bei Euch beklagte, bald Feuer und Flamme sein würde, wie wenn die Religion, obwohl vom Vater des Friedens uns gesendet, nur die Mutter der Zwietracht sein sollte – und daher könnte ich jetzt – selbst jetzt – die Welt aufgeben und mich mit meinem Schmerze unter die Schwestern von Elcho zurückziehen, wollet Ihr mich nur das Opfer sein lassen. Tröstet nur, Vater, den armen Harry, wenn wir auf ewig geschieden sein werden – und laßt ihn – laßt ihn nicht zu hart von mir denken – sagt, Katharina werde ihn nie mehr mit ihren Ermahnungen plagen, aber sie wolle ihn nie in ihren Gebeten vergessen.« »Das Mädchen hat eine Zunge, die einen Türken zum Weinen brächte,« sagte ihr Vater, indem seine eignen Augen denen seiner Tochter nachahmten. »Aber ich will jenem Einverständniß zwischen der Nonne und dem Mönch nicht nachgeben, die mir mein einzig Kind rauben wollen. – Geh', Mädchen, und laß mich ankleiden; sei bereit, mir in Allem zu gehorchen, was ich zu deiner Sicherheit zu empfehlen habe. Packe einige Kleider zusammen und was du von Werth hast – auch nimm den Schlüssel zu meinem eisernen Kasten, den mir Harry Schmied gab, und theile das Gold, was du darin findest, in zwei Portionen, – stecke die eine in eine Börse für dich und die andere in den ausgenähten Gürtel, den ich zum Reisen machte. Damit sind wir versorgt, wenn das Schicksal uns trennen sollte; dann möge der Himmel geben, daß der Wirbelwind das welke Laub nehme und das grüne schone! Laß sogleich mein Pferd satteln und den weißen Zelter, den ich gestern für dich kaufte, in der Hoffnung, dich nach der St. Johnskirche mit Mädchen und Frauen als eine so fröhliche Braut reiten zu sehen, wie noch keine über die heilige Schwelle ging. Aber das Geplauder hilft nichts. – Geh' und gedenke, daß die Heiligen denen helfen, die sich selbst helfen wollen. Kein Wort mehr – fort, sag' ich, – nur jetzt keinen Eigensinn. Der Steuermann läßt nur bei ruhigem Wetter den Schiffsjungen mit dem Ruder spielen; aber bei meiner Seele, wenn der Wind heult und die Wellen steigen, steht er selber am Steuer. Fort; kein Widerspruch.« Während die schöne Katharina damit beschäftigt war, ihres Vaters Aufträge zu besorgen, und der gute alte Handschuhmacher sich hastig ankleidete, wie ein Mensch, der im Begriff ist, eine Reise anzutreten, hörte man den Hufschlag eines Rosses in der engen Straße. Der Reiter war in seinen Reitermantel gehüllt, den Kragen aufgeschlagen, als wollte er den untern Theil des Gesichts verbergen, und die Mütze über die Stirn gezogen, indeß eine große Feder das Gesicht von oben verdeckte. Er sprang vom Pferde, und Dorothee hatte kaum Zeit, seine Frage zu beantworten, ob der Handschuhmacher in seinem Zimmer sei, als der Fremde schon die Treppe bestiegen hatte, und in das Schlafgemach getreten war. Simon, erstaunt und erschreckt und in der Stimmung, in diesem frühen Besuch einen Gerichtsdiener oder Forderer zu sehen, der ihn und seine Tochter festnehmen wollte, war sehr erfreut, in dem Fremden, als er die Mütze abnahm und den Mantelkragen vom Gesicht zurückschlug, den ritterlichen Oberrichter der guten Stadt zu erkennen, dessen Besuch zu jeder Zeit eine ungewöhnliche Gunst war, aber zu solcher Stunde etwas Wunderbares, und, hinsichtlich der Zeitumstände, selbst etwas Schreckendes hatte. »Sir Patrick Charteris!« – sagte der Handschuhmacher – »diese hohe Ehre für Euern armen Diener –« »Still,« sagte der Ritter, »es ist keine Zeit zu leeren Höflichkeiten. Ich kam hierher, weil ein Mann in gefährlichen Umständen sein eigener sicherster Page ist, und ich kann mich nicht länger aufhalten, als dich fliehen zu heißen, guter Glover, da heut' im Rathe Vollmacht ertheilt werden wird, dich und deine Tochter unter Anklage der Ketzerei zu verhaften; Verzug wird euch Beiden gewiß eure Freiheit, vielleicht euer Leben kosten.« »Ich habe so etwas vernommen,« sagte der Handschuhmacher, »und wollte diesen Augenblick nach Kinfauns, um meine Unschuld bei dieser schmählichen Anklage darzulegen, Eurer Herrlichkeit Rath zu erbitten und Euren Schutz zu erflehen.« »Deine Unschuld, Freund Simon, wird dir bei vorurtheilsvollen Richtern nur wenig helfen; mein Rath ist, mit einem Worte, zu fliehen und bessere Zeiten abzuwarten. Was meinen Schutz betrifft, so müssen wir warten, bis die Flut abnimmt, eh' er dir von Nutzen sein kann. Aber wenn du einige Tage oder Wochen verborgen bleiben kannst, so zweifle ich kaum daran, daß die Pfaffen, welche, in einer Hofintrigue mit dem Herzog von Albany vereint, und den Verfall der reinen katholischen Lehre als einzigen Grund des gegenwärtigen Staatsunglückes angebend, für jetzt wenigstens unwiderstehliche Gewalt über den König haben, werden nachgeben müssen. Indessen wisse, daß König Robert nicht nur diesen allgemeinen Befehl zur Untersuchung der Ketzerei bekräftigt, sondern auch die päpstliche Ernennung Henry Wardlaws zum Erzbischof von St. Andrews und Primas von Schottland bestätigt hat, und somit Rom die Freiheiten und Vorrechte der schottischen Kirche überläßt, die seine Vorfahren seit Malcolm Canmore's Zeiten so kühn vertheidigt haben. Seine tapferen Väter würden eher einen Bund mit dem Teufel unterschrieben, als in einer solchen Sache den Ansprüchen nachgegeben haben.« »Ach, und welche Hilfe?« »Keine, alter Mann, außer in einer plötzlichen Hofveränderung,« sagte Sir Patrick. »Der König ist nur wie ein Spiegel, der, selbst kein Licht habend, mit immer gleicher Bereitwilligkeit zurückstrahlt, was ihm gerade nahe kommt. Jetzt, obgleich der Douglas mit Albany sich verbunden hat, ist doch der Graf den hohen Ansprüchen dieser herrschsüchtigen Priester ungünstig, und liegt mit ihnen wegen der Erpressungen im Streit, die sein Gefolge an dem Abt von Aberbrothock verübt hat. Er wird mit zahlreicher Heeresmacht zurückkommen, denn das Gerücht sagt, der Graf von March sei vor ihm geflohen. Kehrt er zurück, so ist die Welt verändert, denn seine Gegenwart wird Albany im Zaume halten; besonders sind viele Edle und ich selbst, wie ich Euch im Vertrauen sage, entschlossen, sich mit ihm zur Vertheidigung des allgemeinen Rechts zu verbinden. Deine Verbannung wird daher mit seiner Rückkehr an den Hof enden; du mußt dir aber einen einstweiligen Schlupfwinkel suchen.« »Was das betrifft, Mylord,« sagte der Handschuhmacher, »so kann mir's nicht fehlen, da ich gerechten Anspruch auf den Schutz des großen Hochländerhäuptlings Gilchrist Mac Jan, Häuptling des Clans Quhele, habe.« »Nun, wenn du seinen Mantel fassen kannst, so brauchst du keine weitere Hilfe – weder niederländische Geistliche noch Laien finden einen freien Lauf der Gerechtigkeit jenseit der hochländischen Grenze.« »Aber mein Kind, edler Sir – meine Katharina?« sagte der Handschuhmacher. »Laßt sie mit Euch gehen, Mann. Der Graddankuchen wird ihre weißen Zähne erhalten, die Ziegenmilch wird ihr das Blut wieder in die Wange treiben, welches diese Unruhe verbannt hat; und selbst das schöne Mädchen von Perth kann sanft genug auf einem Bett von hochländischen Kräutern schlafen.« »Nicht aus so eitlen Rücksichten, Mylord, trag' ich Bedenken,« sagte der Handschuhmacher. »Katharina ist die Tochter eines schlichten Bürgers und ist nicht eigensinnig, was Nahrung und Wohnung anlangt. Aber der Sohn Mac Jans ist mehrere Jahre Gast in meinem Hause gewesen, und ich muß gestehen, daß ich ihn meine Tochter (die so gut wie verlobte Braut ist) auf eine Weise betrachten sah, die, obwohl ich es nicht fürchtete in diesem Hause in Curfewstreet, mich für die Folgen in einem hochländischen Thale besorgt macht, wo ich keinen Freund habe, Conachar aber viele.« Der ritterliche Oberrichter antwortete mit einem langen pfeifenden Tone. – »Ja, in dem Falle rath' ich dir, sie in's Nonnenkloster zu Elcho zu senden, wo die Aebtissin, wenn ich mich nicht irre, Eure Verwandte ist. Ja, sie hat es selber gesagt und fügte hinzu, sie liebte ihre Muhme nebst Allem, was zu dir gehört, Simon.« »Allerdings, Mylord, glaub' ich, daß die Aebtissin so viel Achtung für mich hegt, daß sie gern den Schutz meiner Tochter übernehmen würde, und dazu mein ganzes Hab und Gut in ihre Schwesterschaft. – Wahrlich, ihre Zuneigung ist etwas anhänglicher Art, und würde ungern das Anvertraute, weder die Tochter noch die Aussteuer, fahren lassen.« Der Ritter pfiff wieder bedenklich: »Bei dem Thane's-Kreuz. Mann, das ist ein schwer zu windender Knäul. Aber nie soll man sagen, das schönste Mädchen von Perth sei in ein Kloster gesperrt worden, wie eine Henne in einen Käfig, während sie im Begriff ist, den kühnen Bürger Harry Wynd zu heirathen. Das soll man nicht erzählen, so lang' ich Gürtel und Sporen trage und Oberrichter von Perth heiße.« »Aber wie helfen, Mylord?« fragte der Handschuhmacher. »Wir müssen Alle unser Theil an der Sache nehmen. Wohlan, setzt Euch sammt Eurer Tochter sogleich zu Pferde. Ihr sollt mit mir reiten, und wir wollen sehen, wer Euch finster anzublicken wagt. Die Forderung ist noch nicht gegen dich erlassen, und wenn sie einen Gerichtsboten nach Kinfauns schicken, ohne Vollmacht von des Königs eigener Hand, so schwör' ich bei des rothen Räubers Seele! daß er seine Schrift fressen soll, Wachs und Pergament mit einander. Zu Pferde! zu Pferde! und (sich an Katharina wendend, die so eben eintrat) auch Ihr, mein artiges Kind, »Zu Pferd und fürchtet Niemand's Droh'n, Wer Chartres traut, ist sicher schon!« – Binnen zwei Minuten saßen Vater und Tochter zu Pferde, Beide auf des Oberrichters Weisung einen Pfeilschuß weit vor ihm reitend, damit es nicht schiene, sie gehörten zu seiner Gesellschaft. Mit einiger Eile zogen sie durch das östliche Thor und ritten rasch vorwärts, bis man sie nicht mehr sehen konnte. Sir Patrick folgte gemächlich; als er aber der Wache aus dem Gesicht war, spornte er sein Roß und holte bald den Handschuhmacher und Katharina ein, wo denn ein Gespräch erfolgte, welches Licht auf einige frühere Vorgänge dieser Geschichte wirft. Sechsundzwanzigstes Kapitel Heil, Land der Bogenschützen! Söhne Jener, Die es verschmäht, den Nacken Rom zu beugen – O schönster Theil des meerumwallten Albion! Albania (1737). »Ich habe eine Weise entdeckt,« sagte der wohlmeinende Oberrichter, »auf welche ich euch Beide ein paar Wochen gegen die Bosheit eurer Feinde sichern will, da ich wenig zweifle, die Hofwelt bald verändert zu sehen. Aber damit ich um so eher entscheiden kann, was zu thun sei, so sagt mir offen, Simon, von welcher Art Eure Verbindung mit Mac Jan ist, die Euch veranlaßt, so unbeschränktes Vertrauen auf ihn zu setzen. Ihr seid ein genauer Beobachter der Stadtgesetze und kennt die strengen Strafen, die sie solchen Bürgern verkündigen, die mit den Hochländerclans Verkehr und Verbindung haben.« »Allerdings, Mylord; aber es ist Euch auch bekannt, daß unsere Zunft, die in Schaf-, Hirsch- und anderem Leder arbeitet, ein Privilegium und Erlaubniß hat, mit den Hochländern zu verkehren, da wir durch jene Leute uns am raschesten mit den Mitteln versorgen können, unser Geschäft zum großen Vortheil der Stadt zu betreiben. So habe ich viele Geschäfte mit jenen Leuten gehabt, und ich kann es bei meiner Seligkeit versichern, daß Ihr nirgends billigere und ehrlichere Handelsleute findet, bei denen ein Mann leichter einen guten Pfennig erschwingen könnte. Ich habe zu meiner Zeit verschiedene weite Reisen in's Hochland gemacht, nur auf das Wort ihrer Häuptlinge, und nie traf ich ein seinem Worte treueres Volk, wenn man es einmal dahin bringen kann, es für Einen zu verpfänden, und was den hochländischen Häuptling Gilchrist Mac Jan betrifft, obwohl er rasch zum Todtschlag und feuersprühend gegen die ist, mit denen er in Todfehde begriffen ist, Keinen, der einen ehrlichern und geradern Pfad ginge.« »Das ist mehr, als ich jemals hörte,« sagte Sir Patrick Charteris. »Doch ich habe auch Etwas von den hochländischen Brauseköpfen vernommen.« »Sie zeigen eine andere und eine sehr verschiedene Gunst ihren Freunden, als ihren Feinden, wie Eure Herrlichkeit sehen wird,« sagte der Handschuhmacher. »Indeß, sei dem wie ihm wolle, es gelang mir, Gilchrist Mac Jan in einer wichtigen Sache zu dienen. Es ist etwa achtzehn Jahre her, daß der Clan Quhele und der Clan Chattan in Fehde begriffen waren, wie sie überhaupt selten Frieden haben, und der erstere eine Niederlage erlitt, die beinahe die Familie seines Häuptlings Mac Jan ausrottete. Sieben seiner Söhne fielen in und nach der Schlacht, er selbst mußte fliehen und sein Schloß wurde eingenommen und den Flammen übergeben. Seine Gattin, die gerade der Niederkunft nahe war, floh in den Wald, von einem treuen Diener und seiner Tochter begleitet. Hier gebar sie in Kummer und Elend einen Knaben, und da der elende Zustand der Mutter sie unfähig machte, das Kind zu säugen, so wurde es mit der Milch eines Rehes ernährt, das der Jäger, der sie begleitete, in einem Garn lebendig gefangen hatte. Nicht lange nachher schlug Mac Jan in einer zweiten Schlacht dieser Clans seine Feinde und nahm das verlorene Land wieder in Besitz. Mit unerwartetem Entzücken fand er Gattin und Kind noch am Leben, von denen er nichts mehr als die gebleichten Beine zu sehen gehofft hatte, von denen die Wölfe und wilden Katzen das Fleisch gefressen hätten. »Aber ein starkes und gebieterisches Vorurtheil, wie es oft von jenen wilden Leuten unterhalten wird, hinderte den Häuptling, sich des vollen Glückes zu erfreuen, welches die Rettung seines einzigen Sohnes begründete. Es existirte eine alte Prophezeiung unter ihnen, daß die Macht des Stammes durch einen unter einem Hollunderbusch gebornen Knaben fallen werde, den ein weißes Reh säugte. Der Umstand traf zum Unglück für den Häuptling genau mit der Geburt des einzigen Kindes zusammen, das ihm übrig blieb, und die Aeltesten des Clans forderten von ihm, daß der Knabe entweder sogleich ermordet, oder wenigstens aus dem Gebiete des Stammes entfernt und in Dunkelheit auferzogen werde. Gilchrist Mac Jan mußte nachgeben, und da er den letztern Vorschlag wählte, wurde das Kind unter dem Namen Conachar in mein Haus gebracht, in der Absicht, wie man anfangs wollte, ihm alle Kunde zu verbergen, wer und woher er sei, oder welche Ansprüche auf Macht er über ein zahlreiches und kriegerisches Volk habe. Aber wie die Jahre dahinrollten, wurden die Aeltesten des Stammes, die so viel Ansehen besessen hatten, durch den Tod weggerafft oder durch Alter unfähig gemacht, sich in die öffentlichen Angelegenheiten zu mischen. Auf der anderen Seite wuchs der Einfluß Gilchrist Mac Jans durch seine glücklichen Kämpfe gegen den Clan Chattan, in welchem er die Gleichheit zwischen den beiden streitenden Bündnissen, wie sie vor der unglücklichen Niederlage bestand, von der ich Eurer Herrlichkeit erzählt, wiederherstellte. Als er so fest saß, wünschte er natürlich, seinen einzigen Sohn an seine Brust und in sein Haus zurückzubringen; deswegen ließ er mich den jungen Conachar, wie man ihn nannte, mehr als ein Mal in's Hochland schicken. Er war ein Jüngling, ganz dazu gemacht, durch Gestalt und edles Benehmen das Herz seines Vaters zu gewinnen. Endlich errieth, wie ich glaube, der junge Mann das Geheimniß seiner Geburt, oder es wurde ihm sonst mitgetheilt; und der Widerwille, den der stolze hochländische Bursche immer vor meinem ehrlichen Gewerbe gezeigt hatte, wurde sichtbarer, so daß ich nicht einmal wagte, meinen Stab über seinen Rücken zu legen, aus Furcht, er möchte mich mit einem Dolchstoß, als gälische Antwort auf eine sächsische Anrede, empfangen. Dann wünschte ich ihn los zu sein, um so mehr, da er so viel Ergebung gegen Katharina zeigte, die sich in der That vorsetzte, den Aethiopier zu waschen und einem wilden Hochländer Milde und Sitte zu lehren. Sie weiß selber, wie es endete.« »Ei, mein Vater,« sagte Katharina, »es war gewiß nur eine Handlung des Erbarmens, den Brand aus dem Feuer zu reißen.« »Aber keine besondere Handlung der Weisheit,« sagte ihr Vater, »da du die eigenen Finger dabei dem Brande aussetztest. – Was sagt Mylord zu der Sache?« »Mylord möchte das schöne Mädchen von Perth nicht beleidigen,« sagte Sir Patrick; »und er kennt wohl die Reinheit und Wahrheit ihres Gemüths. Und doch muß ich nothwendig sagen, wäre dieser Pflegesohn des Rehes runzelig, hager, plump und rothhaarig gewesen, wie einige Hochländer, die ich kannte, so wär' es die Frage, ob das schöne Mädchen von Perth so vielen Eifer auf seine Bekehrung verwendet hätte; und wäre Katharina so alt, runzelig und von Jahren gebeugt gewesen, wie das alte Weib, das mir die Thür diesen Morgen öffnete, so möcht' ich meine goldenen Sporen gegen ein paar hochländischer Holzschuhe wetten, daß der wilde Rehbock nie mehr ihren Lectionen gelauscht haben würde. – Ihr lacht, Glover, und Katharina erröthet vor Unwillen. Laßt das sein, es ist der Lauf der Welt.« »Die Art, Mylord, auf welche die Weltmenschen ihre Nachbarn beurtheilen,« sagte Katharina etwas geärgert. »Ach, schöne Heilige, vergebt einen Scherz,« sagte der Ritter; »und du, Simon, sag' uns, wie die Geschichte endete – mit Conachars Flucht nach den Hochlanden, vermuthlich?« »Mit seiner Rückkehr dahin,« sagte der Handschuhmacher. »Es war vor einigen Jahren ein Kerl in Perth, eine Art Bote, der kam und ging unter mancherlei Vorwand, war aber in der That das Mittel der Mittheilung zwischen Gilchrist Mac Jan und seinem Sohne, dem jungen Conachar, oder, wie er nun heißt, Hektor. Von diesem Burschen erfuhr ich im Allgemeinen, daß die Verbannung des Dault an Neigh Dheil, oder des Pflegesohnes des weißen Rehes, vom Stamme wieder in Erwägung gezogen sei. Sein Pflegevater, Torquil von der Eiche, der alte Jäger, erschien mit acht Söhnen, den schönsten Männern des Clans, und forderte die Aufhebung des Verbannungsurtheils. Er sprach mit um so größerem Ansehen, da er selbst ein Taitschatar oder Seher war und im Rufe stand, mit der unsichtbaren Welt Verkehr zu haben. Er versicherte, eine Zauberformel vollbracht zu haben, genannt Tin-Egan, durch welche er einen Teufel beschwor, von dem er ein Geständniß erpreßte, daß Conachar, nun Eachin oder Hektor Mac Jan genannt, der einzige Mann in dem bevorstehenden Kampfe zwischen den feindlichen Clans sei, der ohne Blut und Flecken wegkommen würde. Daher bewies Torquil von der Eiche, daß die Gegenwart des vom Schicksal bestimmten Mannes nothwendig sei, um den Sieg zu sichern. ›So gewiß weiß ich dies,‹ sagte der Jäger, ›daß, wo nicht Eachin an seiner Stelle in den Reihen des Clans Quhele kämpft, weder ich, sein Pflegevater, noch einer meiner acht Söhne eine Waffe in dem Streite erheben wird.‹ »Diese Rede ward mit großer Unruhe aufgenommen, denn der Abgang von neun Männern, den muthigsten ihres Stammes, war ein ernstlicher Unfall, zumal wenn der Kampf, wie das Gerücht bereits geht, durch eine kleine Anzahl von jeder Seite entschieden werden sollte. Der alte Aberglaube hinsichtlich des Pflegesohns des weißen Rehes wurde von einem neuen Vorurtheil überwogen, und der Vater ergriff die Gelegenheit, dem Clan seinen langverborgenen Sohn vorzustellen; das jugendliche, aber schöne und lebendige Gesicht desselben, sein stolzes Benehmen und seine gewandten Glieder erregten die Aufmerksamkeit der Männer des Clans, die ihn als den Erben und Abkömmling ihres Häuptlings, trotz des unglücklichen Vorzeichens, das seine Geburt und Säugung begleitete, empfingen. »Aus dieser Erzählung, Mylord,« fuhr Simon Glover fort, »kann Eure Herrlichkeit leicht ersehen, warum ich selbst einer guten Aufnahme unter dem Clan Quhele sicher sein konnte; und ebenso seid Ihr im Stande zu beurtheilen, daß es sehr unbedacht von mir sein würde, Katharina dorthin zu führen. Und dies, Mylord, ist die schwerste meiner Sorgen.« »So wollen wir dir die Last erleichtern,« sagte Sir Patrick; »und, guter Glover, ich will für dich und dieses Mädchen Etwas wagen. Meine Verbindung mit Douglas gibt mir einigen Einfluß bei Majory, der Herzogin Rothsay, seiner Tochter, der vernachlässigten Gemahlin unseres leichtsinnigen Prinzen. Verlasse dich darauf, guter Glover, daß unter ihrem Schutze deine Tochter so sicher sein wird, als in einem verschanzten Schlosse. Die Herzogin lebt gegenwärtig zu Falkland, einem Schlosse, das ihr der Herzog von Albany, dem es gehört, zu ihrer Bequemlichkeit geliehen hat. Ich kann kein Vergnügen versprechen, schönes Mädchen; denn die Herzogin Majory von Rothsay ist eine unglückliche und daher mürrische, stolze und übermüthige Frau, die des Mangels an anziehenden Eigenschaften sich bewußt und daher eifersüchtig auf alle Mädchen ist, die diese besitzen. Aber sie ist ihrem Worte treu, hat einen edlen Muth, und würde den Papst oder Prälaten in den Schloßgraben werfen lassen, wenn er eine Person unter ihrem Schutze verhaften wollte. Ihr werdet daher ganz sicher sein, obwohl Euch Behaglichkeit fehlen mag.« »Ich habe keinen weitern Anspruch,« sagte Katharina; »und tief fühle ich die Güte, die mir so ehrenvollen Schutz zu gewähren bereit ist. Ist sie hochmüthig, so will ich mich erinnern, daß sie eine Douglas ist und das Recht hat, so stolz als irgend eine Sterbliche zu sein – ist sie mürrisch, so will ich bedenken, daß sie unglücklich ist – und ist sie über Gebühr launenhaft, so will ich nicht vergessen, daß sie mich schützt. Bekümmert Euch nicht länger um mich, Mylord, wenn Ihr mich unter den Schutz der edlen Lady gebracht habt. – Aber daß mein armer Vater dem wilden und gefährlichen Volke ausgesetzt sein soll!« »Denke nicht daran, Katharina,« sagte der Handschuhmacher; »ich bin so vertraut mit Holzschuhen und Farrenkraut, als hätte ich sie selber getragen. Ich fürchte nur, die entscheidende Schlacht möchte vorfallen, bevor ich dieses Land verlassen kann; und wenn der Clan Quhele die Schlacht verliert, so kann ich durch das Unglück meiner Beschützer leiden.« »Wir müssen dafür sorgen,« sagte Sir Patrick; »verlaßt Euch auf mich, ich werde für Eure Sicherheit denken. – Aber welche Partei, glaubt Ihr, wird siegen?« »Offen zu reden, Mylord Oberrichter, ich glaube, der Clan Chattan wird den Kürzern ziehen; jene neun Söhne des Waldes bilden fast ein Drittel der Schaar, die den Häuptling vom Clan Quhele umgibt, und es sind unerschrockene Streiter.« »Und Euer Lehrling, meint Ihr, er werde stehen?« »Er ist heiß wie Feuer, Sir Patrick,« antwortete der Handschuhmacher, »ist aber eben so beweglich, wie Wasser. Trotzdem scheint er, wenn er leben bleibt, dereinst ein tüchtiger Mann werden zu wollen.« »Aber für jetzt hat er immer noch Etwas von der Milch des weißen Rehes, nicht wahr, Simon?« »Er hat wenig Erfahrung, Mylord,« sagte der Handschuhmacher, »und ich brauche einem gerühmten Krieger, wie Ihr, nicht zu sagen, daß wir mit der Gefahr vertraut sein müssen, eh' wir mit ihr, wie mit einer Geliebten, scherzen können.« Diese Unterhaltung brachte sie eilig nach Schloß Kinfauns, wo es, nach eingenommener Erfrischung, nöthig ward, daß Vater und Tochter schieden, um ihre besonderen Zufluchtsorte zu suchen. Dann erst war es, daß Katharina, als sie sah, wie ihres Vaters Besorgnis um sie alle Gedanken an seinen Freund zusammengedrückt hatte, wie im Traume den Namen »Harry Gow« fallen ließ. »Freilich, ja freilich!« fuhr der Vater fort; »er muß unsere Absichten kennen.« »Ueberlaßt das mir,« sagte Sir Patrick. »Ich will keinem Boten vertrauen, will auch keinen Brief senden, weil, wenn ich einen schreiben, er ihn vermuthlich nicht lesen könnte. Er wird unterdessen besorgt sein, aber ich will morgen bei Zeiten nach Perth reiten und ihn mit Eurem Vorhaben bekannt machen.« Die Zeit der Trennung nahete nun. Es war ein bitterer Augenblick; aber der männliche Charakter des alten Bürgers und die fromme Ergebung Katharinens in den Willen der Vorsehung machten ihn leichter, als sich erwarten ließ. Der gute Ritter drang, wiewohl auf die freundlichste Weise, auf die Abreise, und ging selbst so weit, dem Bürger ein Darlehen von einigen Goldstücken zu bieten, was zu einer Zeit, wo das Geld so selten war, als das non plus ultra der Achtung angesehen werden mußte. Der Handschuhmacher versicherte ihn jedoch, daß er reichlich versehen sei, und reiste in nordwestlicher Richtung ab. Der gastliche Schutz Sir Patrick Charteris' wurde seinem schönen Gaste nicht minder bewiesen. Sie wurde der Fürsorge einer Hausmeisterin, die das Hauswesen des guten Ritters besorgte, übergeben, und war genöthigt, mehrere Tage in Kinfauns zu bleiben, weil der Fährmann vom Tay, Kitt Stenshaw, der sie überfahren sollte, und auf den der Ritter viel Vertrauen setzte, Hindernisse und Zögerung verursachte. So wurden Vater und Kind getrennt in einem Augenblicke großer Gefahr und Bedrängniß, noch gesteigert durch Umstände, von denen sie nichts zu wissen schienen, und die gleichwohl die Möglichkeit der Rettung, die ihnen blieb, sehr beeinträchtigen konnten. Siebenundzwanzigstes Kapitel »Also that Augustin« – »So?« sagt' er, – »Nun, Mag's Augustin für mich denn wieder thun.« Pope's Prolog in den »Canterbury Tales« von Chaucer. Der Lauf unserer Geschichte wird sich am besten verfolgen lassen, wenn wir Simon Glover begleiten. Es ist nicht unsere Absicht, genau die örtlichen Grenzen der beiden streitenden Clans anzugeben, zumal da sie von den Geschichtschreibern nicht genau bezeichnet werden, welche die Schilderungen dieser merkwürdigen Fehde lieferten. Es genügt, zu sagen, daß das Gebiet des Clans Chattan sich weit und breit ausdehnte, indem es Caithneß und Sutherland umfaßte und als unumschränkten Häuptling den mächtigen Grafen der letztern Grafschaft hatte, genannt Mohr ar chat (die große Katze). So gehörten im Allgemeinen die Keths, die Sinclairs, die Guns und andere Familien und Clans von bedeutender Macht zu diesem Bündnisse. Diese waren jedoch nicht in den gegenwärtigen Streit verwickelt, der sich auf den Theil des Clans Chattan beschränkte, der die ausgedehnten Bergdistrikte von Perthshire und Inverneßshire inne hatte, die einen großen Theil dessen bilden, was man die nördlichen Hochlande nennt. Es ist wohl bekannt, daß zwei große Clans, von denen man ohne Zweifel weiß, daß sie zu dem Clan Chattan gehörten, die Mac Phersons und die Mac Intosches, bis auf diesen Tag streiten, welcher ihrer Häuptlinge an der Spitze dieses Badenochzweiges des großen Bündnisses stand, und Beide nahmen in spätern Zeiten den Titel eines Häuptlings (captain) von Clan Chattan an. Non nostrum est. – Jedenfalls aber muß in Badenoch das Bündniß gewesen sein, so weit es in die von uns behandelte Fehde verwickelt war. Von dem feindlichen Bunde von Clan Quhele haben wir noch minder genaue Nachricht, aus Gründen, die sich in der Fehde herausstellen werden. Einige Schriftsteller haben ihn mit dem zahlreichen und mächtigen Stamme des Mac Kay für ein und dasselbe gehalten. Beruht dies auf gutem Grunde, was zu bezweifeln ist, so müssen die Mac Kays ihre Wohnsitze seit der Regierung Roberts II. verändert haben, da man sie nun (als Clan) in den äußerst nördlichen Theilen Schottlands, in den Gegenden von Roß und Sutherland findet. Wir können daher in der Geographie unserer Geschichte nicht so klar sein, als wir wünschten. Es genüge, zu bemerken, daß der Handschuhmacher, eine nordwestliche Richtung einschlagend, eine Tagreise gegen das Land Breadalbane zog, von wo er das Schloß zu erreichen hoffte, wo Gilchrist Mac Jan, Häuptling des Clans Quhele und Vater seines Zöglings Conachar, sich gewöhnlich aufhielt, umgeben von barbarischem Pomp und einem Ceremoniell, welches zu seinen stolzen Ansprüchen paßte. Wir brauchen uns nicht bei einer Schilderung der Mühen und Schrecknisse einer solchen Reise aufzuhalten, wo man den Weg durch Einöden und Gebirge suchen mußte, bald an steilen Abhängen emporsteigend, bald in unzugängliche Moräste hinabstürzend, und oft unterbrochen durch große Bäche, ja selbst Flüsse. Aber all' diese Gefahren hatte Simon Glover, um ehrlichen Gewinn zu suchen, schon vorher bestanden, und es ließ sich nicht annehmen, daß er sie scheute oder fürchtete, wo Freiheit, ja selbst das Leben der Preis war. Die Gefahr von Seiten der kriegerischen und uncivilisirten Bewohner dieser Einöden würde einem Andern mindestens eben so furchtbar erschienen sein, als die Gefahren der Reise. Aber Simons Kenntniß der Sitten und Sprachen des Volkes machte ihn auch in diesem Punkte sicher. Ein Anspruch auf die Gastfreundschaft der wildesten Gälen war nie erfolglos, und der Kerl, der unter andern Umständen einen Menschen um die silberne Schnalle seines Mantels ermordet hätte, würde sich selbst einer Mahlzeit beraubt haben, um den Reisenden, der an der Thür seiner Hütte um Gastfreundschaft bat, zu erquicken. Die Reisekunst war, so vertrauensvoll und unvertheidigt als möglich zu erscheinen; deswegen trug der Handschuhmacher durchaus keine Waffen, reiste ohne den mindesten Anschein von Vorsicht, und hatte sich nur zu hüten, nichts, was die Begierde aufregen konnte, zu zeigen. Eine andere Regel, deren Beobachtung er für klug hielt, war, mit jedem Wanderer, dem er begegnete, Gemeinschaft zu vermeiden, außer so weit es den Wechsel der gegenseitigen Höflichkeit im Grüßen betraf, welche die Hochländer selten unterlassen. Aber auch für diese vorübergehenden Grüße boten sich nur wenig Gelegenheiten dar. Das immer einsame Land schien jetzt ganz verlassen, und selbst in den kleinen Straths oder Thälern, welche er zu durchwandern Gelegenheit hatte, waren die Dörfer leer und die Einwohner hatten sich in Wälder und Höhlen zurückgezogen. Dies war leicht zu erklären, wenn man die bevorstehenden Gefahren einer Fehde erwog, die nach der Erwartung Aller das allgemeinste Signal zu Plünderung und Raub, wodurch je das unglückliche Land verwüstet wurde, werden mußte. Simon begann, über diesen Zustand der Verwüstung beunruhigt zu werden. Er hatte ein Mal Halt gemacht, seit er Kinfauns verließ, um seinen Klepper ruhen zu lassen; und nun begann er besorgt zu werden, wie er die Nacht zubringen solle. Er hatte deswegen auf die Hütte eines alten Bekannten gezählt, den man Niel Booshalloch (oder den Kuhhirten) nannte, weil er zahlreiche Viehheerden, die dem Häuptlinge des Clan Quhele gehörten, hütete, wozu er ein Gut an den Ufern des Tay, nicht weit von der Stelle, wo der Fluß den See desselben Namens verläßt, inne hatte. Von diesem alten Wirthe und Freunde, mit welchem er manchen Handel um Felle und Pelzwerk geschlossen hatte, hoffte der Handschuhmacher den gegenwärtigen Zustand des Landes, die Erwartung über Krieg und Frieden und die besten Maßregeln zu seiner Sicherheit zu erfahren. Man muß sich erinnern, daß die Nachricht des zur Verminderung der Ausdehnung der Fehde eingegangenen Kampfvertrags Königs Robert erst den Tag vorher, ehe der Handschuhmacher Perth verließ, mitgetheilt worden war, und erst einige Zeit nachher bekannt gemacht wurde. »Wenn Niel Booshalloch seine Wohnung gleich den Uebrigen verlassen hat, so bin ich am Ende schön angekommen,« dachte Simon, »da ich nicht nur den Vortheil seines guten Rathes entbehre, sondern auch seinen Einfluß bei Gilchrist Jan; überdies auch ein Nachtquartier und Abendessen.« So denkend, erreichte er den Gipfel eines schwellenden grünen Hügels und sah den prächtigen Anblick des Taysees unter sich, eine unermeßliche Platte polirten Silbers, seine dunklen Haideberge und laublosen Eichenwälder, die dem mit Arabesken gezierten Rahmen eines prächtigen Spiegels glichen. Gegen Naturschönheiten stets gleichgültig, war es Simon Glover besonders jetzt, und der einzige Theil der herrlichen Landschaft, worauf er den Blick heftete, war der Winkel oder Vorsprung eines Wiesenlandes, wo der Fluß Tay, in stolzer Fülle aus seinem väterlichen See hervorrauschend und um ein etwa eine Meile breites Thal sich im Bogen wälzend, seinen großen Lauf südostwärts beginnt, wie ein Eroberer und Gesetzgeber, um ferne Lande zu unterjochen und zu bereichern. Auf der einsamen Stelle, welche reizend zwischen See, Berg und Strom liegt, erhob sich später das lehensherrliche Schloß, der Ballongh, welches in unserer Zeit dem prächtigen Palaste des Grafen von Breadalbane Platz gemacht hat. Aber die Campbells, obwohl sie bereits eine bedeutende Macht in Argyleshire erlangt hatten, hatten sich doch nicht so weit ostwärts bis zum Taysee ausgedehnt, dessen Ufer, sei es durch Recht oder durch bloße Besitzergreifung, damals der Clan Quhele besaß, der seine auserlesensten Heerden darauf werden ließ. In diesem Thale also, zwischen dem Fluß und dem See, zwischen ausgedehnten Wäldern von Eichen, Haselbüschen, Eschen und Lerchenbäumen, erhob sich die niedrige Hülle Niel Booshallochs, eines ländlichen Eumäus, dessen gastlicher Schornstein reichlichen Rauch aufsteigen ließ, zur großen Beruhigung Simon Glovers, indem er sonst genöthigt gewesen wäre, nicht zu seinem besonderen Vergnügen die Nacht unter freiem Himmel zuzubringen. Er erreichte die Thür der Hütte, pfiff, schrie und machte seine Ankunft bekannt. Es erhob sich ein Gebell von Hunden, und alsbald trat der Herr der Hütte hervor. Es lag viel Sorge auf seiner Stirn, und er schien beim Anblick Simon Glovers zu erschrecken, obgleich der Hirt Beides, so gut er konnte, verbarg; denn nichts galt in diesem Lande für unhöflicher, als wenn der Wirth in Blick oder Miene Etwas zeigte, was den Besuch zu dem Gedanken verleiten konnte, daß seine Ankunft unangenehm oder auch nur unerwartet sei. Das Pferd des Reisenden wurde in einen Stall gebracht, der beinahe zu niedrig war, um es aufzunehmen, und der Handschuhmacher selbst wurde in das Haus Booshallochs geführt, wo ihm nach der Sitte des Landes Brod und Käse vorgesetzt wurde, während man nahrhaftere Speisen bereitete. Simon, der all' ihre Gewohnheiten verstand, wollte die offenbaren Zeichen von Traurigkeit auf der Stirne seines Wirthes und der Familie desselben nicht bemerken, bis er der Form wegen Etwas gegessen hatte, worauf er die allgemeine Frage that, was es Neues im Lande gäbe? »So schlechte Neuigkeiten, als je genannt wurden.« sagte der Hirte; »unser Vater ist nicht mehr.« »Wie?« sagte Simon, höchlich beunruhigt, »ist der Häuptling des Clans Quhele todt?« »Der Häuptling des Clans Quhele stirbt nie,« antwortete der Booshalloch; »aber Gilchrist Mac Jan starb vor zwanzig Stunden, und sein Sohn Eachin Mac Jan ist nun Häuptling.« »Was, Eachin – das ist Conachar – mein Lehrling.« »So wenig als möglich von diesem Gegenstande, Bruder Simon,« sagte der Hirte. »Ihr müßt Euch erinnern, Freund, daß Euer Gewerbe, das wohl gut ist, um in der hübschen Stadt Perth zu leben, etwas zu handwerksmäßig ist, um am Fuße des Ben Lawers oder an den Ufern des Taysees sehr geachtet zu sein. Wir haben nicht einmal ein gälisches Wort, um einen Handschuhmacher damit zu bezeichnen.« »Es wäre auch seltsam, wenn Ihr's hättet, Freund Niel,« sagte Simon trocken, »da Ihr so wenig Handschuhe zu tragen habt. Ich glaube, es gibt keine im ganzen Clan Quhele, außer die, welche ich selbst Gilchrist Mac Jan schenkte, dem Gott gnädig sei, der sie als etwas Vorzügliches schätzte. Sehr tief bedaure ich seinen Tod, denn ich kam in wichtigen Geschäften zu ihm.« »Ihr thätet besser, Eures Pferdes Kopf morgen früh südwärts zu wenden,« sagte der Hirte. »Das Leichenbegängniß wird gleich stattfinden, und es muß ohne viel Ceremonie geschehen; denn es soll eine Schlacht zwischen dem Clan Quhele und dem Clan Chattan gefochten werden, dreißig Kämpfer von jeder Seite, und zwar am nächsten Palmsonntag; und wir haben wenig Zeit übrig, um die Todten zu beklagen oder die Lebenden zu ehren.« »Aber meine Angelegenheiten sind so wichtig, daß ich den jungen Häuptling nothwendig sehen muß, wär' es auch nur auf eine Viertelstunde,« sagte der Handschuhmacher. »Höre, Freund,« erwiderte sein Wirth. »ich denke, dein Geschäft ist, entweder Geld einzusammeln oder Handel zu treiben. Nun, wenn der Häuptling dir etwas für Erziehung oder dergleichen schuldig ist, so verlang' es nicht von ihm zu einer Zeit, wo er alle Schätze des Stammes zu prächtigen Waffenrüstungen und Kleidern für seine Mitkämpfer bedarf; denn wir müssen jenen stolzen Bergkatzen so begegnen, daß sie sehen, wie hoch wir über ihnen stehen. Aber wenn du kommst, um Handel mit uns zu schließen, so ist deine Zeit noch schlimmer gewählt. Du weißt, daß du bereits von Vielen unseres Stammes beneidest wirst, wie du den jungen Häuptling erzogen hast, ein Geschäft, welches den Besten des Clans übertragen zu werden pflegt.« »Aber, bei St. Maria, Mann!« rief der Handschuhmacher, »die Leute sollen sich erinnern, daß mir das Geschäft nicht als eine Gunst übertragen wurde, um die ich warb, sondern daß es von mir nur ungern und nur auf Bitten, zu meiner nicht geringen Verlegenheit, angenommen ward. Dieser euer Conachar, oder Hektor, oder wie ihr ihn nennt, hat mir Rehhäute im Betrage vieler schottischen Pfunde verdorben.« »Da hast du nun wieder,« sagte der Booshalloch, »ein Wort gesprochen, was dir das Leben kosten kann; – jede Anspielung auf Felle oder Häute, zumal auf Rehhäute, kann dich in höchste Gefahr bringen. Der Häuptling ist jung und eifersüchtig auf seinen Rang – Niemand kennt den Grund besser, als du, Freund Handschuhmacher. Er wünschte natürlich, daß Alles, was sich auf den Widerspruch gegen seine Erbfolge und auf seine Verbannung bezieht, gänzlich vergessen werde; und er wird den nicht lieben, der das Gedächtniß seiner Leute zu Etwas zurückruft, oder sein eigenes zurückzwingt, dessen Beide mit Widerwillen gedenken. Denke, wie sie in solcher Zeit auf den alten Glover von Perth sehen werden, bei welchem der Häuptling so lange Lehrling war! – Nun, nun, alter Freund, Ihr habt Euch darin geirrt. Ihr seid zu eilig, die aufgehende Sonne anzubeten, während ihre Strahlen noch am Rande des Horizonts stehen. Komm, wenn sie höher am Himmel emporgestiegen ist, und du sollst an der Wärme ihrer Mittagshöhe Theil haben.« »Niel Booshalloch,« sagte der Handschuhmacher, »wir sind alte Freunde gewesen, wie du sagst; und da ich dich für einen Treuen halte, will ich offen zu dir sprechen, obwohl, was ich sage, gefährlich sein könnte, wenn ich es Andern deines Clans mittheilte. Du glaubst, ich komme hieher, um Vortheil von deinem jungen Häuptling zu ziehen, und es ist natürlich, daß du das glaubst. Aber in meinen alten Tagen verlasse ich nicht meine Kaminecke in Curfewstreet, um mich an den Strahlen der glänzendsten Sonne zu wärmen, die je über hochländisches Heidekraut schien. Die Sache ist aber, ich komme in Noth hieher – meine Feinde haben sich über mich gesetzt und mich solcher Verbrechen angeklagt, deren ich selbst in Gedanken nicht schuldig bin. Trotzdem ist wahrscheinlich das Urtheil über mich gefällt, und ich habe nur die Wahl, zu fliehen oder zu bleiben, um zu sterben. Ich komme nun zu Eurem Häuptling, der bei mir in seiner Noth Zuflucht fand, von meinem Brode aß und aus meinem Becher trank. Ich verlange Zuflucht bei ihm, die ich, wie ich hoffe, nur kurze Zeit brauchen werde.« »Das macht die Sache anders,« erwiderte der Hirte. »So anders, daß, wenn Ihr um Mitternacht an Mac Jans Thür kämt mit dem Kopfe des Königs von Schottland in Eurer Hand und tausend Mann hinter Euch, um sein Blut zu rächen, daß ich nicht glaube, es würde seiner Ehre zuträglich sein, Euch Schutz zu versagen. Und was Eure Schuld oder Unschuld betrifft, so thut die nichts zur Sache – oder vielmehr, er sollte Euch um so eher schützen, wenn ihr schuldig, denn Eure Noth und seine Gefahr wären in diesem Falle um so größer. Ich muß gleich zu ihm, damit ihm keine vorschnelle Zunge Eure Ankunft hier ohne den Grund derselben meldet.« »Schade, daß ich dich bemühe,« sagte der Handschuhmacher: »aber wo liegt der Häuptling?« »Er hat sein Quartier etwa zehn Meilen von hier, und ist beschäftigt mit Angelegenheiten des Leichenbegängnisses und mit Vorbereitungen zum Kampfe – die Todten zum Grabe, die Lebenden zur Schlacht zu führen.« »Es ist ein weiter Weg, und wird Euch, um zurückzukehren, die ganze Nacht kosten,« sagte der Handschuhmacher; »und ich bin überzeugt, daß Conachar, wenn er weiß, ich sei es, der –« »Vergiß Conachar,« sagte der Hirte, den Finger auf die Lippen legend. »Und was die zehn Meilen betrifft, so sind die nur ein Hochländersprung, wenn Einer eine Botschaft zwischen seinem Freunde und seinem Häuptling trägt.« So sprechend und den Reisenden der Obhut seines ältesten Sohnes und seiner Tochter überlassend, verließ der behende Hirte sein Haus zwei Stunden vor Mitternacht, und kehrte lange vor Sonnenaufgang dahin zurück. Er störte seinen ermüdeten Gast nicht; als aber der alte Mann am Morgen aufstand, machte er ihm bekannt, daß das Begräbniß des verstorbenen Häuptlings am nächsten Tage stattfinden werde, und daß, obwohl Eachin Mac Jan einen Sachsen nicht zu dem Leichenbegängniß einladen könne, er sich doch freuen würde, denselben beim darauf folgenden Gastmahl zu empfangen. »Sein Wille muß befolgt werden,« sagte der Handschuhmacher, halb lächelnd über den Wechsel des Verhältnisses zwischen ihm und seinem Lehrling. »Der Mann ist jetzt der Gebieter, und ich hoffe, er wird sich erinnern, daß, als die Sachen anders zwischen uns standen, ich mein Ansehen nicht unfreundlich übte.« »Fürwahr, Freund!« rief der Booshalloch, »je weniger du davon sprichst, um so besser. Du wirst finden, daß du Eachin ein recht willkommener Gast bist, und der Teufel auf den, der dich in seinen Grenzen zu stören wagt. Aber leb' wohl; denn ich muß, wie es sich ziemt, zum Begräbniß des besten Häuptlings gehen, den der Clan je besaß, und des weisesten Führers, der je den süßen Zweig (Myrte) auf seine Mütze steckte. Leb' wohl auf kurze Zeit, und wenn du auf den Gipfel des Tom-an-Lonach hinter dem Hause gehen willst, so wirst du einen prächtigen Anblick haben und einen Coronach hören, der bis zur Spitze des Ben Lawers schallt. In drei Stunden wird ein Boot in einem kleinen Kanal etwa eine halbe Meile westwärts vom Ausfluß des Tay dich erwarten.« Mit diesen Worten nahm er Abschied, begleitet von seinen drei Söhnen, um das Boot zu bemannen, in welchem er sich zu den andern Leidtragenden gesellen wollte, und zwei Töchtern, deren Stimmen nöthig waren, um in die Klage einzustimmen, die gesungen oder vielmehr geschrieen wurde bei solchen Anlässen allgemeiner Trauer. Als sich Simon Glover allein befand, ging er zum Stall, um nach seinem Pferde zu sehen, welches er wohl versorgt fand mit Graddan oder Brod aus geschrotener Gerste. Diese Güte würdigte er vollkommen, denn er wußte, daß die Familie wahrscheinlich wenig von diesem Leckerbissen für sich übrig hatte, bis die nächste Ernte dürftigen Vorrath einbrächte. Mit Viehfutter waren sie wohl versehen, und der See gab ihnen Ueberfluß an Fischen für ihre Fastenspeise, welche sie nicht streng hielten; aber Brod war ein seltener Artikel im Hochland. Die Moore lieferten weiches Heu, obwohl nicht von der besten Art, aber die schottischen Pferde waren, wie ihre Reiter, an harte Kost gewöhnt. Handschuh, denn dies war der Name des Pferdes, hatte den Stall voll getrocknetes Farrenkraut als Streu und war außerdem so wohl versorgt, als es hochländische Gastfreundschaft vermochte. Simon Glover, der so seinen eigenen schmerzlichen Gedanken überlassen war, blieb, nachdem er die Bequemlichkeit seines stummen Reisegefährten gesehen, nichts übrig, als des Hirten Rath zu befolgen; und indem er gegen den Gipfel einer Anhöhe, genannt Tom-an-Lonach oder Berg der Eibenbäume, emporstieg, erreichte er nach halbstündiger Wanderung den Gipfel, und konnte den weitausgedehnten See, den die Anhöhe mit der trefflichsten Aussicht beherrschte, überschauen. Einige bejahrte und zerstreute Eichenbäume rechtfertigten noch immer den Namen des schönen grünen Hügels. Aber eine weit größere Anzahl war in der kriegerischen Zeit dem allgemeinen Verlangen nach Bogenstäben als Opfer gefallen; denn der Bogen war die gewöhnliche Waffe der Bergbewohner, obgleich ihre Bogen wie ihre Pfeile an Gestalt und Form, besonders an Wirksamkeit denen des lustigen England weit nachstanden. Die noch übrigen schwarzen und zerstreuten Eiben glichen den Resten eines gesprengten Heeres, die in Unordnung einen günstigen Posten einnehmen, mit dem festen Vorsatz, bis auf den letzten Blutstropfen auszuhalten. Hinter dieser Anhöhe, aber losgerissen von ihr, erhob sich ein höherer Hügel, zum Theil mit Gestrüpp bedeckt, zum Theil in Weidetriften sich öffnend, wo das umherirrende Vieh zwischen den Quellen und Sümpfen, von denen jetzt frisches Gras aufkeimte, dürftige Nahrung fand. Die entgegengesetzte oder nördliche Küste des Sees bot eine Aussicht dar, die weit mehr jener von den Alpen aus glich, als die, auf welcher der Handschuhmacher stand. Wälder und Gesträuche stiegen an den Seiten der Berge empor und verschwanden unter den Windungen, die die Schluchten bildeten, welche sie von einander trennten; aber weit über diese Proben eines erträglichen natürlichen Bodens erhoben sich die dunkeln und nackten Gebirge selbst in der schwarzgrauen Oede der Jahreszeit. Einige waren spitz, andere breitgipfelig, einige felsig und steil, andere von sanfteren Umrissen; und der Clan der Titanen schien von ihren eigenen Häuptlingen beherrscht zu sein – dem finstern Berge Ben Lawers und der noch erhabeneren Höhe des Ben Mohr, hoch über die andern emporragend, und deren Gipfel einen blendenden Schneehelm weit in den Sommer hinein und bisweilen das ganze Jahr hindurch tragen. Doch zeigten die Grenzen dieser wilden Waldungen, wo die Berge zu dem See sich hinabsenkten, selbst in jener frühen Zeit viele Spuren menschlicher Wohnungen. Dörfer zeigten sich, besonders an dem nördlichen Seeufer, halb in den kleinen Schluchten verborgen, aus denen Nebenflüßchen in den Taysee strömten, die, wie so Manches auf Erden, von weitem einen schönen Anblick darboten, in der Nähe aber, wegen des Mangels an Bequemlichkeiten, wie sie selbst indianische Wigwams bieten, ekelhaft und abschreckend waren. Sie waren von einem Geschlecht bewohnt, das weder den Boden anbaute, noch um die Genüsse, die der Gewerbfleiß verschafft, sich bekümmerte. Die Weiber, die sonst mit Liebe und selbst zarter Achtung behandelt wurden, verrichteten alle durchaus nöthigen häuslichen Arbeiten. Die Männer übten, außer dem verhaßten Gebrauch eines schlechtgeformten Pflugs, oder noch gewöhnlicher eines Spatens, mit dem sie murrend und wie mit einer Sache umgingen, die weit unter ihnen stände, kein anderes Geschäft, als das Hüten ihrer schwarzen Rinderheerden, worin ihr Reichthum bestand. Außerdem jagten, fischten oder streiften sie immer, während der kurzen Friedenszeit, zum Zeitvertreib; plünderten mit frecher Zügellosigkeit und fochten mit stolzer Erbitterung zur Zeit des Krieges, der, mocht' er nun öffentlich oder Privatfehde, von größerer oder geringerer Ausdehnung sein, das eigentliche Geschäft ihres Lebens bildete, und das einzige, welches sie ihrer würdig achteten. Der prächtige Busen des Sees selbst gewährte einen entzückenden Anblick. Seine stattliche Breite, nebst seinem Ausgang in einen vollen und schönen Strom, ward noch malerischer durch eine jener Inseln, die oft so glücklich in den schottischen Seen gelegen sind. Die Ruinen dieser Inseln, jetzt fast formlos und mit Holz überwachsen, erhoben sich in der Zeit, von welcher wir sprechen, zu den Thürmen und Zinnen einer Abtei, wo die Reste Sibilla's, Tochter Heinrichs I. von England und Gemahlin Alexanders I. von Schottland, ruhten. Diese heilige Stätte wurde genug in Ehren gehalten, um der Ruheplatz der Reste des Häuptlings vom Clan Quhele zu sein, wenigstens bis die Entfernung der Gefahr, die jetzt so nahe drohte, es erlauben würde, seinen Leichnam in ein ausgezeichnetes Kloster im Norden zu bringen, wo er schließlich bei all' seinen Ahnen ruhen sollte. Eine Anzahl Boote stieß von verschiedenen Punkten des nahen und ferneren Gestades ab, viele Trauerfahnen entfaltend, und andere mit ihren verschiedenen Pfeifern, die von Zeit zu Zeit einige Töne schrillen, traurigen und beklagenden Charakters hören ließen, und dem Handschuhmacher somit anzeigten, daß die Ceremonie vor sich gehen sollte. Diese Klagetöne waren nur das Vorspiel der Instrumente in Vergleich mit der allgemeinen Klage, die sogleich erhoben werden sollte. Weit vom See herauf hörte man einen feinen Ton, der aus den entfernten und abgelegenen Thälern zu kommen schien, aus denen der Dochart und der Lochy ihre Fluthen in den Taysee ergießen. Es war an einem wilden, unzugänglichen Orte, – wo die Campells in einer spätern Zeit ihre starke Veste Finlayrigg gründeten, – daß der muthige Gebieter des Clans Quhele seinen letzten Athemzug that; und um seinem Leichenbegängniß die gebührende Feierlichkeit zu geben, ward sein Körper nun den See herab nach der Insel geführt, die seine einstweilige Ruhestätte sein sollte. Die Leichenflotte, von des Häuptlings Boote, aus welchem eine ungeheure schwarze Fahne wallte, geführt, hatte mehr als zwei Drittel des Weges zurückgelegt, ehe man von der Anhöhe, wo Simon Glover stand, die Feierlichkeit übersehen konnte. Sobald der entfernte Klageton des Coronach, der von den Leuten auf der Leichenbarke ausging, gehört wurde, schwiegen auf einmal alle geringern Wehklagen, wie der Rabe zu krächzen und der Habicht zu pfeifen aufhört, wenn das Geschrei des Adlers gehört wird. Die Boote, welche auf dem See, wie eine Heerde Wasservögel, zerstreut umhergefahren waren, zogen sich nun mit einer Art von Ordnung zusammen, damit die Leichenflotte voran ginge und sie selbst an ihre gehörigen Plätze kämen. Indessen wurde der durchdringende Ton der Kriegspfeifen lauter und lauter, und das Geschrei von den zahllosen Booten, die demjenigen folgten, aus dem das schwarze Banner des Häuptlings wehete, erhob sich in wildem Einklang zu dem Tom-an-Lonach, auf dem Glover das Schauspiel betrachtete. Die Galeere, welche den Zug anführte, trug auf dem Hintertheil ein Gerüst, worauf in weiße Leinewand gewickelt, das Gesicht blos, der Leichnam des gestorbenen Häuptlings ausgestellt war. Sein Sohn und die nächsten Verwandten befanden sich auf dem Fahrzeuge, während eine große Menge Boote jeder Art, so viel ihrer auf dem Taysee selbst, oder auf Landwegen vom Earnsee oder sonst woher zusammengebracht werden konnten, zum Theil schwachgebaute Fahrzeuge, hinten nachfolgten. Es waren selbst Curraghs hier, aus Ochsenhäuten bestehend, die man nach der Art der alten Britten über Weidenstämme spannte; Einige vertrauten sich sogar Flößen, die man aus dem nächsten, dem besten Holze so leicht zusammengefügt hatte, daß es wahrscheinlich wurde, es dürften, ehe die Reise zu Ende sei, einige der Clansleute den verstorbenen Häuptling in die Geisterwelt begleiten. Als die Hauptflottille der kleinern Gruppe von Booten, die sich am Ende des Sees sammelten und von der kleinen Insel abfuhren, zu Gesicht kam, begrüßten sie einander mit einem Geschrei, so laut und allgemein und in einem so seltsam verlängerten Tonfall endend, daß nicht allein das Wild meilenweit in der Runde aus seinen Klüften aufgeschreckt ward, sondern selbst das an die Stimme des Menschen gewöhnte Hausvieh all' den panischen Schrecken empfand, den das menschliche Geschrei auf wildere Stämme macht, und von seinen Weiden in Moräste und Gebüsche floh. Durch diese Klänge aus ihrem Kloster gerufen, begannen die Mönche, welche die kleine Insel bewohnten, aus ihrem niedrigen Thore zu treten, mit Kreuz und Fahne und mit so viel kirchlicher Pracht, als sie zu entfalten vermochten; zu gleicher Zeit mischte sich der Klang ihrer Glocken, deren das Gebäude drei besaß, das Todtengeläute über den weiten See hallend, welches in's Ohr der nun schweigenden Menge tönte, mit dem feierlichen Gesange der katholischen Kirche, den die Mönche in ihrer Prozession anstimmten. Verschiedene Ceremonien fanden Statt, während die Verwandten des Verblichenen den Leichnam an's Land trugen, auf eine hierzu längst geweihte Bank legten und dem alten Brauche gemäß den Deafil um ihn machten. Als der Leichnam aufgehoben wurde, um in die Kirche getragen zu werden, brach ein neues Geschrei von der versammelten Menge aus, in welchem die tiefe Stimme der Krieger und das gellende Klagegeschrei der Weiber mit der zitternden Stimme der Greise und dem stammelnden Geschrei der Kinder sich verband. Der Coronach wurde wieder und zum letzten Male geschrieen, als der Leichnam in das Innere der Kirche gebracht wurde, wo nur die nächsten Verwandten des Verblichenen und die ausgezeichnetsten Führer des Clans eintreten durften. Das letzte Wehgeschrei war so schrecklich laut und von so viel hundert Echos beantwortet, daß der Bürger von Perth unwillkürlich seine Hände zu den Ohren erhob, um einen so durchdringenden Schall abzuhalten, oder wenigstens zu dämpfen. Er behielt diese Stellung, während Habichte, Eulen und andere Vögel, durch das wilde Geschrei gestört, anfingen sich in ihre Schlupfwinkel zu setzen, als beim Wegziehen seiner Hand eine Stimme dicht neben ihm sagte: »Haltet Ihr dies, Simon Glover, für eine Hymne der Demuth und des Lobes, womit es ziemt, einen armen verlorenen Mann, ausgeworfen aus seiner irdischen Hülle, vor's Angesicht seines Schöpfers zu senden?« Der Handschuhmacher drehte sich um, und es ward ihm nicht schwer, in dem alten Manne, der mit langem weißem Barte dicht neben ihm stand, an dem hellen sanften Auge und der wohlwollenden Miene, den Karthäusermönch Vater Clemens wiederzuerkennen, der nicht mehr seine klösterlichen Kleider trug, sondern in einen Friesmantel gehüllt war und eine Hochländermütze trug. Man muß sich erinnern, daß der Handschuhmacher diesen Mann mit einem aus Achtung und Mißfallen gemischten Gefühle betrachtete, – mit Achtung, die sein Verstand der Person und dem Charakter des Mönchs nicht versagen konnte, und mit Mißfallen, welches aus Pater Clemens eigenthümlichen Lehren entstand, welche die Ursache der Verbannung seiner Tochter und seiner eigenen Bedrängniß waren. Es war daher nicht mit dem Gefühle reiner Zufriedenheit, daß er den Gruß des Paters erwiderte, und er sagte auf die wiederholte Frage, was er von dem Leichenbegängniß halte, das auf so wilde Art vollzogen werde: – »Ich weiß nicht, mein guter Vater; aber diese Leute thun ihre Pflicht gegen den verstorbenen Häuptling nach der Gewohnheit ihrer Vorfahren. Sie wollen den Schmerz über den Verlust ihres Freundes ausdrücken und ihr Gebet zum Himmel für ihn erheben, und was mit gutem Willen geschieht, muß, wie mich dünkt, günstig aufgenommen werden. Wäre es anders gewesen, so denk' ich, sie wären schon längst zu etwas Besserem erleuchtet worden.« »Du täuschest dich,« antwortete der Mönch. »Gott hat sein Licht unter uns Alle gesendet, obwohl in verschiedenem Maße; aber der Mensch schließt absichtlich die Augen und zieht Finsterniß vor. Dies umnachtete Volk mischt mit dem Ritual der römischen Kirche die alten heidnischen Ceremonien seiner Väter, und vereinigt so mit den Abscheulichkeiten einer durch Reichthum und Macht verdorbenen Kirche die grausamen und blutigen Gebräuche des rohen Heidenthums.« »Vater,« sagte Simon kurz, »mich dünkt, Eure Gegenwart wäre nützlicher in jener Kapelle, um Euren Brüdern bei Verrichtung ihres kirchlichen Amtes zu helfen, als um den Glauben eines demüthigen, obwohl unwissenden Christen, wie ich bin, zu stören und wankend zu machen.« »Und warum, guter Bruder, sollte ich deine Glaubensgrundsätze wankend machen wollen?« antwortete Clemens. »So wahr mir der Himmel helfe, wäre mein Herzblut nöthig, um die Seele eines Menschen an die heilige Religion, die er bekennt, zu knüpfen, es sollte dafür frei verströmen.« »Eure Rede ist schön, Vater, ich gesteh' es,« sagte der Handschuhmacher; »aber wenn ich die Lehre nach den Früchten beurtheile, so hat mich der Himmel durch die Hand der Kirche gestraft, indem ich darauf hörte. Eh' ich Euch hörte, war mein Beichtvater wenig bekümmert, obwohl ich gestehen möchte, daß ich etwa ein Wort auf der Bierbank habe fallen lassen, wenn auch ein Mönch oder eine Nonne der Gegenstand sein mochte. Als ich einmal den Pater Hubert einen bessern Hasen- als Seelenjäger genannt hatte, so beichtete ich es dem Pfarrer Weinsauf, welcher lachte und mich eine Rechnung zur Buße bezahlen ließ, – oder wenn ich sagte, der Pfarrer Weinsauf sei seinem Becher treuer, als seinem Brevier, so beichtete ich es beim Vater Hubert, und ein neuer Falkenhandschuh machte Alles wieder gut; so lebte ich, mein Gewissen und Mutter Kirche in Friede, Freundschaft und gegenseitiger Verträglichkeit miteinander. Aber seit ich Euch gehört habe, Vater Clemens, ist diese angenehme Verbindung in Stücke gebrochen, und nichts donnert in mein Ohr, als Fegfeuer in jener und Scheiterhaufen in dieser Welt. Darum geht weg von mir, Vater Clemens, oder sprecht mit Solchen, die Eure Lehre verstehen können. Ich habe nicht das Herz, ein Märtyrer zu werden, und habe nie in meinem Leben Muth genug gehabt, ein Licht mit den Fingern zu putzen; und, die Wahrheit zu gestehen, ich bin gesonnen, nach Perth zurückzugehen, beim geistlichen Gerichtshof mir Verzeihung auszuwirken, meinen Scheiterhaufen zum Zeichen des Widerrufs an den Fuß des Galgens zu tragen und mir den Namen eines guten Katholiken wieder zu erkaufen, wäre es auch um den Preis alles weltlichen Reichthums, der mir übrig ist.« »Ihr seid unwillig, mein theuerster Bruder,« sagte Clemens; »und einer geringen irdischen Gefahr und eines geringen irdischen Verlustes wegen gereuen Euch die guten Gedanken, die Ihr einst unterhieltet.« »Ihr könnt leicht so sprechen, Vater Clemens, da Ihr, wie ich denke, schon längst dem Reichthum und den Gütern der Welt entsagt habt und vorbereitet seid, das Leben, wenn es verlangt wird, für die Lehre, die ihr predigt und glaubt, hinzugeben. Ihr seid so bereit, das Pechhemd und die Schwefelmütze anzulegen, als ein nackter Mann, in sein Bett zu gehen, und es könnte scheinen, Ihr hättet nicht viel mehr Widerwillen gegen die Ceremonie. Aber ich habe noch immer Etwas, was mir anhängt. Mein Reichthum ist noch mein eigen, und ich danke dem Himmel, daß er ein anständiges Auskommen gewährt – mein Leben ist überdies das eines gesunden alten Mannes von sechzig, der nicht eilen will, es zu Ende zu bringen. – Und wär' ich auch so arm, wie Hiob, und am Rande des Grabes, müßt' ich nicht immer an meiner Tochter hängen, der Eure Lehren schon so theuer zu stehen gekommen sind?« »Deine Tochter, Freund Simon,« sagte der Karmeliter, »kann wirklich ein Engel auf Erden genannt werden.« »Ja; und weil sie auf Eure Lehren hörte, Vater, wird sie nun wahrscheinlich bald ein Engel im Himmel heißen, und aus einem feurigen Wagen dorthin geschickt werden.« »Ach, mein guter Bruder,« sagte Clemens, »ich bitte dich, laß ab von dem zu sprechen, wovon du wenig verstehst. Da es Zeitverschwendung wäre, dir das Licht zu zeigen, gegen welches du sprichst, so höre nur, was ich in Betreff deiner Tochter zu sagen habe, deren zeitliches Glück, obwohl ich es durchaus nicht gegen das geistige abwägen möchte, trotzdem dem Clemens Blair so theuer ist, als ihrem eigenen Vater.« Thränen standen dem alten Manne im Auge, während er sprach, und Simon Glover war etwas erweicht, als er ihn wieder anredete. »Man könnte dich, Vater Clemens, für den freundlichsten und liebenswürdigsten Mann halten; wie kommt es denn, daß deinen Schritten allgemeines Mißfallen folgt, wohin du sie auch wenden magst? Ich wollte mein Leben wetten, du hast bereits jenes Dutzend armer Mönche in ihrem wasserumgürteten Käfig zu beleidigen versucht, und sie haben dir deshalb die Theilnahme am Leichenbegängniß verboten!« »Allerdings, mein Sohn,« sagte der Karthäuser, »und ich zweifle, daß ihre Bosheit mich länger in diesem Lande dulden wird. Ich sagte nur einige Worte über den Aberglauben und die Thorheit, St. Fillians Kirche zu besuchen, um mittelst ihrer Glocke Diebstahl zu entdecken – wahnsinnige Kranke in seinem Teiche zu baden, um ihre Geistesschwachheit zu heilen – und siehe, die Verfolger haben mich aus ihrer Gemeinschaft gestoßen, wie sie mich bald aus diesem Leben stoßen werden.« »Da habt Ihr's nun,« sagte der Handschuhmacher; »seht, wie es mit einem Manne geht, der keine Warnung hören kann. Nun, Vater Clemens, die Leute werden mich nicht ausstoßen, so lang' ich nicht Euer Gefährte bin; ich bitte Euch daher, sagt mir, was Ihr von meiner Tochter zu sagen habt, und laßt uns weniger Nachbarn sein, als wir's gewesen sind.« »Nun, Bruder Simon, so hab' ich dir dies bekannt zu machen. Dieser junge Häuptling, der von Stolz auf seine eigene Macht und Ehre aufgeblasen ist, liebt einen Gegenstand mehr denn Alles, und das ist Eure Tochter.« »Ha, Conachar!« rief Simon. »Mein entlaufener Lehrling wagt, zu meiner Tochter emporzusehen!« »Ach,« sagte Clemens, »wie fest sitzt Euer weltlicher Stolz, ganz wie Epheu, der sich an die Mauer klammert und nicht abgelöst werden kann! – Emporsehen zu deiner Tochter, guter Simon? Ach nein! der Häuptling des Clans Quhele, groß, wie er ist, und größer, als er bald zu sein erwartet, blickt nieder zur Tochter des Bürgers von Perth und glaubt sich dadurch erniedrigt. Aber, um seinen eigenen profanen Ausdruck zu brauchen, Katharina ist ihm theurer, als das Leben hier und der Himmel jenseits – er kann nicht ohne sie leben.« »So mag er sterben, wenn er will,« sagte Simon Glover, »denn sie ist einem ehrsamen Bürger von Perth verlobt; und mein Wort möcht' ich nicht brechen, um meine Tochter zur Braut des Prinzen von Schottland zu machen.« »Ich dachte, daß Ihr so antworten würdet,« erwiderte der Mönch; »ich wollte, werther Freund, du könntest in deinen geistlichen Angelegenheiten nur einen Theil des kühnen und entschlossenen Muthes anwenden, womit du deine weltlichen Geschäfte leitest.« »Still – still, Vater Clemens!« antwortete der Handschuhmacher; »wenn du in dies Kapitel geräthst, so riechen deine Worte nach brennendem Pech, und diesen Duft lieb' ich nicht. Was Katharina betrifft, so muß ich mich benehmen, so gut ich kann, um den jungen Würdenträger nicht zu beleidigen; aber es ist gut für mich, daß sie weit außer seinem Bereich ist.« »Dann muß sie in der That fern sein,« sagte der Karmeliter. »Und nun, Bruder Simon, da du es für gefährlich hältst, mich und meine Meinungen anzuerkennen, so muß ich allein mit meinen Lehren und den Gefahren gehen, die sie auf mich ziehen. Aber sollte Euer Auge, minder verblendet, als es jetzt durch weltliche Hoffnung und Furcht ist, je einen Blick auf ihn wenden, der bald von Euch gerissen sein kann, so erinnert Euch, daß Clemens Blair durch nichts als sein tiefes Gefühl der Wahrheit und Wichtigkeit der Lehre, die er vortrug, dazu gebracht werden konnte, dem Stolze der Mächtigen und Verhärteten entgegenzutreten, ja ihn herauszufordern, die Furcht des Argwöhnischen und Schüchternen aufzuschrecken, in der Welt umher zu gehen, an der er keinen Theil hatte, und für wahnsinnig gehalten zu werden, weil er, wo möglich, Gott Seelen gewinnen wollte. Der Himmel ist mein Zeuge, daß ich Alles, was recht ist, thun will, um die Liebe und das Gefühl meiner Mitmenschen zu gewinnen! Es ist keine leichte Sache, von dem Würdigen als ein Angesteckter vermieden, von den Pharisäern des Tages als ein Ungläubiger verfolgt, mit Abscheu und Verachtung von dem Pöbel, der mich für einen Wahnsinnigen hält, dessen unglückliches Ende er erwartet, angesehen zu werden. Aber mögen auch alle diese Uebel hundertfach vermehrt werden, das Feuer in mir darf nicht verlöschen, und die innere Stimme, die mich sprechen heißt, muß Gehorsam finden. Wehe mir, wenn ich nicht das Evangelium predige, selbst wenn ich es am Ende mitten unter des Scheiterhaufens Flammen predigen sollte!« So sprach dieser kühne Zeuge; einer von denen, die der Himmel von Zeit zu Zeit aufstehen ließ, eine Darlegung des unverfälschten Christenthums, von der Zeit der Apostel bis zu den Tagen, wo, durch die Erfindung der Buchdruckerkunst begünstigt, die Reformation in vollem Glanze ausbrach, in den unwissendsten Zeitaltern zu bewahren, und den darauffolgenden zu überliefern. Die selbstsüchtige Klugheit des Handschuhmachers wurde seinen eigenen Augen enthüllt, und er kam sich selbst verächtlich vor, als er den Karmeliter in aller Heiligkeit der Entsagung sich von ihm wenden sah. Er empfand sogar eine momentane Neigung, dem Beispiele des Predigers der Menschenliebe und des uneigennützigen Eifers zu folgen; aber der Gedanke fuhr nur wie ein Blitzstrahl durch ein finsteres Gewölbe, wo nichts liegt, um den Strahl aufzufangen; und langsam stieg er den Hügel hinab in einer andern Richtung, als der des Karthäusers, indem er ihn und seine Lehren vergaß, und sich in sorgenvolle Gedanken über seines Kindes Schicksal und sein eigenes versenkte.

 

Achtundzwanzigstes Kapitel Braucht der Eroberer mehr, als daß ihn groß Der feile Griffel der Geschichte heißt, Und auf dem Grab' ein stattlich Denkmal bloß? Nicht minder warm hofft' er, Gut barg wie Muth ein Geist. Byron. Nachdem das Leichenbegängniß vorüber war, bereitete sich dieselbe Flottille, die in feierlicher und düsterer Pracht den See herabgefahren war, mit wehenden Fahnen und jeder Aeußerung von Lust und Freude zurückzukehren; denn es war nur kurze Zeit vorhanden, um Festlichkeiten zu feiern, da der furchtbare Kampf zwischen dem Clan Quhele und dessen gefürchtetsten Nebenbuhlern so nahe bevorstand. Man hatte daher beschlossen, daß das Leichenfest mit dem der Einführung des jungen Häuptlings verbunden werden sollte. Man hatte einige Einwendungen gegen diese Anordnung, die eine üble Vorbedeutung enthalten sollte, gemacht. Auf der andern Seite aber hatte sie etwas Empfehlendes für sich, gemäß den Sitten und der Gefühlsweise der Hochländer, die bis auf diesen Tag gewohnt sind, in gewissem Grade feierliche Freude mit ihrer Trauer und etwas Melancholisches mit ihrer Freude zu verbinden. Die gewöhnliche Abneigung, an die Geliebten zu denken oder von ihnen zu sprechen, die man verlor, ist diesem ernsten und enthusiastischen Volke minder bekannt, als andern. Man hört nicht nur die Jüngeren (wie es überall gewöhnlich ist) die Verdienste und den Charakter der Aelteren erwähnen, die, dem Laufe der Natur nach, vor ihnen abgeschieden sind; sondern der verwaiste Theil redet auch im gewöhnlichen Gespräch von dem verlorenen Gatten, und, was noch befremdender ist, die Eltern spielten oft auf die Stärke und Schönheit des Kindes an, welches sie begraben haben. Die schottischen Hochländer scheinen die Trennung der Freunde durch den Tod als etwas minder Unbedingtes und Vollständiges zu betrachten, als wofür man in andern Gegenden sie hält, und sie sprechen von den theuren Verwandten, die vor ihnen in's Grab gesenkt wurden, als hätten sie eine lange Reise angetreten, in der sie ihnen bald selbst folgen müßten. Das Leichenfest, welches eine allgemeine Sitte durch ganz Schottland war, wurde daher nach der Meinung derer, die daran Theil hatten, bei der gegenwärtigen Gelegenheit nicht unschicklich mit den Festlichkeiten verbunden, welche die Erbfolge der Häuptlingschaft feierten. Die Barke, die den Todten nur erst zu Grabe getragen, führte nun den jungen Mac Jan zu seinem neuen Herrschersitz, und die Minstrels ließen ihre fröhlichsten Weisen ertönen, da sie kaum noch die schmerzlichsten Todtenlieder, als sie Gilchrist zu Grabe begleiteten, gesungen hatten. Von der begleitenden Flottille erschollen Töne des Triumphs und Jubels, statt der Klagetöne, welche eben noch den Wiederhall des Tay-Sees aufgestört hatten; und tausend Stimmen begrüßten den jugendlichen Häuptling, der auf dem Hintertheile des Schiffes stand, vollständig bewaffnet, in der Blüthe der Jugend, Schönheit und Kraft, an der nämlichen Stelle, wo kaum vorher seines Vaters Leichnam ausgestreckt lag, und umgeben von triumphirenden Freunden, wie jener von verzweifelnden Leidtragenden. Ein Boot hielt ganz nahe bei dem Ehrenschiff der Flottille. Torquil von der Eiche, ein grauer Riese, war Steuermann, und seine acht Söhne, die alle größer als ein gewöhnlicher Mann waren, führten die Ruder. Wie ein gewaltiger und werthgehaltener Wolfshund, von der Kuppel gelöst und um seinen gütigen Herrn herumspringend, fuhr das Boot der Pflegebrüder bald auf der einen, bald auf der andern Seite der Häuptlingsbarke vorbei, und ruderte auch um sie herum, im Uebermaß der Freude; wodurch zugleich die Brüder, mit der eifersüchtigen Wachsamkeit des genannten Thieres für jedes andere Boot der Flottille es gefährlich machten, so nahe an sie zu kommen, weil es sonst befürchten mußte, durch ihre heftigen und rastlosen Manövers in Grund gebohrt zu werden. Zu einem hohen Range im Clan durch die Erbfolge ihres Pflegebruders im Oberbefehl des Clans Quhele erhoben, bezeugten sie durch jene lärmende und beinahe schreckliche Weise ihren besondern Antheil an ihres Häuptlings Triumph. Weit hinten und mit ganz andern Gefühlen, wenigstens auf Seiten Eines in der Gesellschaft, kam das kleine Boot, worin, bemannt vom Booshalloch und einem seiner Söhne, Simon Glover ein Reisender war. »Wenn wir bis an's Ende des See's sollen,« sagte Simon zu seinem Freunde, »so werden wir kaum in mehreren Stunden dort sein.« Aber als er so sprach, ließ die Mannschaft des Bootes der Pflegebrüder auf ein Zeichen von des Häuptlings Galeere die Ruder ruhen, bis des Booshallochs Boot heran kam, und indem sie ein Seil von Leder an Bord warfen, welches Niel an der Spitze seines Fahrzeugs befestigte, setzten sie ihre Ruder wieder in Bewegung; und trotzdem, daß sie das kleine Boot im Schlepptau hatten, flogen sie doch über den See fast mit derselben Schnelligkeit wie zuvor. Das Fahrzeug wurde mit einer Geschwindigkeit fortgezogen, die es in Gefahr zu setzen schien, unter das Wasser gerissen zu werden oder das Vordertheil von den übrigen Balken zu trennen. Simon Glover sah mit Besorgniß die rücksichtslose Heftigkeit ihres Laufes, und daß der Rand des Bootes bisweilen nur ein oder zwei Zoll über dem Wasser war; und obwohl sein Freund Niel Booshalloch ihn versicherte, daß Alles zu seiner besondern Ehre geschehe, so wünschte er doch herzlich das sichere Ende der Reise. Dies ward erreicht, und zwar viel eher, als er ahnte; denn der Ort der Festlichkeiten war nicht vier Meilen von der Begräbnißinsel entfernt, und so gewählt, daß er zu der Reise des Häuptlings paßte, die dieser südwärts antreten wollte, sobald das Bankett vorüber sein würde. Eine Bucht auf der Südseite des Taysees bot eine schöne Bank funkelnden Sandes dar, wo die Boote leicht landen konnten, und eine trockene, mit Rasen bedeckte Weide, die für die Jahreszeit ziemlich grün war, rings um welche sich hohe Ufer, mit Gebüschen bedeckt, erhoben, woselbst die verschwenderischen Zurüstungen, die zum Mahle gemacht worden, sichtbar waren. Die Hochländer, wohlbekannt als geübte Zimmerleute, hatten eine lange Halle oder ländlichen Speisesaal errichtet, fähig, zweihundert Menschen zu fassen, nebst einer Anzahl kleinerer Hütten ringsum, die zu Schlafgemächern bestimmt schienen. Die Pfeiler, Kuppeln und Sparren des einstweiligen Saales waren aus Bergfichten, die ihre Rinde noch trugen. Das Getäfel der Seiten war von Brettern oder Balken desselben Materials, von laubigen Zweigen der Tannen und anderer immergrüner Bäume, die der benachbarte Forst bot, durchzogen, während die Hügel eine Menge Haidekraut hergegeben hatten, um das Dach zu bilden. In diesen Waldpalast waren die bedeutendsten Personen eingeladen, um das hohe Fest zu feiern. Andere, minder bedeutende, sollten in langen Schuppen speisen, die mit weniger Sorgfalt gebaut waren; und Tafeln von Rasen oder rauhen Brettern, die in der freien Luft standen, wurden der zahllosen Menge angewiesen. In einiger Entfernung sah man Haufen von glühenden Kohlen oder brennendem Holz, um welche zahllose Köche arbeiteten, lärmten und sich tummelten, wie ebenso viele Teufel, die in ihrem natürlichen Elemente sind. Gruben, die in den Hügel eingegraben und von heißen Steinen umgeben waren, dienten dazu, eine ungeheure Anzahl von Rindfleisch, Hammeln und Wildpret zu braten – hölzerne Spieße trugen Schafe und Gemsen, welche ganz geröstet wurden. Andere wurden in Stücke geschnitten und in Kessel geworfen, die aus des Thieres eigenen Häuten gemacht, schnell zusammengenäht und mit Wasser gefüllt waren; während eine große Anzahl Hechte, Forellen, Lachse und Schare mit mehr Umständlichkeit in glühender Asche geröstet wurden. Der Handschuhmacher hatte viele hochländische Gastmähler gesehen, aber nie eins, dessen Zubereitungen eine so barbarische Verschwendung zeigten. Er hatte indeß wenig Zeit, die Scene ringsum zu bewundern, denn sobald sie auf der Bank landeten, bemerkte der Booshalloch mit einiger Verlegenheit, daß, da sie nicht zur Tafel des Gebieters gebeten waren, zu welcher er eine Einladung erwartet zu haben schien, sie am besten thun würden, sich einen Platz in den niedern Hütten oder Buden zu sichern; er trat mit seinem Gaste den Weg dorthin an, als ihn einer von den Leibwachen anhielt, der das Amt eines Ceremonienmeisters zu versehen schien, und ihm Etwas in's Ohr flüsterte. »So dacht' ich,« sagte der Hirt, sehr getröstet, »ich dachte, daß weder der Fremde noch der Mann von meinem Amte von der Haupttafel ausgeschlossen sein könnte. Sie wurden daher in die große Halle geführt, in welcher lange Reihen von Tischen meist schon von Gästen eingenommen waren, während diejenigen, welche den Dienst versahen, ihnen reichlichen aber rohen Vorrath des Mahles vorsetzten. Der junge Häuptling, obwohl er gewiß den Hirten und den Handschuhmacher eintreten sah, grüßte doch Keinen von Beiden besonders, und ihre Plätze wurden ihnen in einer entfernten Ecke angewiesen, weit unter dem Salzfaß (einer großen alterthümlichen Silberschüssel), dem einzigen Gegenstande von Werth, den die Tafel zeigte, und der von dem Clan wie eine Art Palladium betrachtet wurde, gezeigt und gebraucht nur bei den feierlichsten Gelegenheiten, wie bei der gegenwärtigen. Der Booshalloch, etwas unzufrieden, flüsterte, als er seinen Platz einnahm, Simon zu: »Die Zeiten haben sich geändert, Freund. Sein Vater, dessen Seele ruhen möge, würde uns Beide angesprochen haben; aber das sind schlechte Sitten, die er im Niederlande unter Euch Sachsen gelernt hat.« Auf diese Bemerkung hielt der Handschuhmacher eine Erwiderung nicht für nöthig; statt derselben betrachtete er das Immergrün und besonders die Felle und andern Zierrathen, womit das Innere der Halle geschmückt war. Der merkwürdigste Theil dieser Zierrathen war eine Anzahl hochländischer Panzerhemden, nebst Stahlhauben, Streitäxten und zweihändigen Schwertern, die rings um den obern Theil des Gemachs hingen, zugleich neben reichverzierten Schildern. Jedes Panzerhemd hing über einer wohlgeputzten Hirschhaut, welche die Rüstung vortheilhaft zeigte und sie zugleich vor dem Rauche schützte. »Dies,« flüsterte der Booshalloch, »sind die Waffen der erwählten Streiter des Clans Quhele. Es sind, wie du siehst, neunundzwanzig, und Eachin selbst ist der dreißigste, der seine Rüstung heut' trägt, sonst würden dreißig dahängen. Und er hat überhaupt keinen so guten Harnisch bekommen, als er am Palmsonntag tragen sollte. Jene neun Harnische von so bedeutender Größe sind für die Leichtach oder Leibwache, von der man so viel erwartet.« »Und jene hübschen Hirschhäute,« sagte Simon, in welchem der Geist seines Berufes beim Anblick der Güter seines Gewerbes erwachte, – »glaubt Ihr, der Häuptling werde geneigt sein, sie zu verkaufen? Man sucht sie zu den Wämsern, welche die Ritter unter der Rüstung tragen.« »Bat ich Euch nicht,« sagte der Booshalloch, »nichts von dem Gegenstande zu erwähnen?« »Ich sprach von den Panzerhemden,« sagte Simon, – »darf ich fragen, ob eines davon von unserm berühmten Perther Waffenschmied, genannt Harry vom Wynd, gefertigt ist?« »Du fragst unglücklicher, als vorher,« sagte Niel; »jenes Mannes Name ist für Eachins Gemüth wie ein Wirbelwind auf dem See; doch weiß Niemand, aus welchem Grunde.« »Ich kann mir's denken,« dachte unser Handschuhmacher, sprach aber den Gedanken nicht aus; und nachdem er zwei Mal unerfreuliche Gegenstände der Unterhaltung berührt hatte, schickte er sich, gleich den Uebrigen um ihn her, an, das Mahl zu genießen, ohne einen neuen Gegenstand anzuregen. Wir haben so viel von den Zurüstungen gesagt, daß der Leser daraus schließen kann, daß das Fest hinsichtlich der Beschaffenheit der Speisen von der rohesten Art war, indem es hauptsächlich aus großen Fleischstücken bestand, die mit wenig Rücksicht auf die Fastenzeit verzehrt wurden, obwohl mehrere der Mönche des Inselklosters die Tafel durch ihre Gegenwart ehrten und weiheten. Die Schüsseln waren von Holz, ebenso die mit Reifen umgebenen Kelche oder Becher, aus welchen die Gäste ihr Getränk und die Fleischbrühe, die man für etwas Leckerhaftes hielt, tranken. Es waren auch verschiedene Milchspeisen da, die man hochschätzte und aus ähnlichen Gefäßen genoß. Brod war der seltenste Artikel bei der Mahlzeit; aber der Handschuhmacher und sein Wirth wurden mit einigen dünnen Stückchen, die besonders zu ihrem Gebrauch gereicht wurden, versehen. Beim Essen, wie es durch ganz Britannien der Fall war, gebrauchten die Gäste ihre Messer, genannt Skenes, oder die großen Dolche, welche Dirks hießen, ohne sich durch den Gedanken stören zu lassen, daß sie vielleicht ganz anderen oder verderblichen Zwecken dienen könnten. Am obern Ende der Tafel stand ein leerer Sessel, ein oder zwei Stufen über dem Boden erhaben. Er war mit einem Baldachin von Hollunder- und Epheuzweigen überdeckt, und dabei lehnte ein Schwert in der Scheide und ein zusammengefaltetes Banner. Dies war der Sitz des verstorbenen Häuptlings gewesen, der ihm zu Ehren leer blieb. Eachin nahm einen niedrigen Stuhl zur Rechten des Ehrenplatzes ein. Der Leser würde sich sehr irren, wenn er aus dieser Schilderung die Vermuthung herleiten wollte, als hätten sich die Gäste wie eine Heerde hungriger Wölfe betragen, die auf ein ihnen seltenes Mahl losstürzten. Im Gegentheil, der Clan Quhele betrug sich mit der Art höflicher Zurückhaltung und Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse Anderer, welche oft bei Urvölkern, besonders solchen, die stets unter Waffen sind, gefunden wird, weil eine allgemeine Beobachtung der Regeln der Höflichkeit nothwendig ist, um Streit, Blutvergießen und Mord zu verhüten. Die Gäste nahmen die Plätze ein, die von Torquil von der Eiche, der als Marschall Taeh, d.h. Tafelmeister, auftrat, durch die Berührung mit einem weißen Stabe, ohne ein Wort zu sprechen, ihnen angewiesen wurden. Als so die Gesellschaft in Ordnung saß, wartete man geduldig aus die angewiesene Portion, die von dem Leichtach unter sie vertheilt wurde; die tapfersten Männer oder ausgezeichnetsten Krieger des Stammes wurden doppelt versehen, was man bezeichnend Bieyfir oder Antheil eines Mannes nannte. Als die Tafelmeister Jedermann bedient sahen, nahmen sie selbst ihre Plätze beim Gastmahl ein, und wurden mit einer dieser größeren Portionen versehen. In die Nähe jedes Mannes wurde Wasser gestellt, und eine Handvoll weiches Moos diente als Tafeltuch, so daß die Hände, wie bei einem morgenländischen Mahl, so oft gewaschen wurden, als die Gerichte wechselten. Zur Unterhaltung recitirte der Barde das Lob des verstorbenen Häuptlings und drückte das Vertrauen des Clans auf die aufblühenden Tugenden des Nachfolgers aus. Der Seanachin recitirte die Genealogie des Stammes, die sie bis zum Geschlecht der Dalriads zurückführten; die Harfner spielten im Saale, während die Kriegspfeifen draußen die Menge ergötzten. Die Unterhaltung unter den Gästen war ernst, würdevoll und höflich – kein Scherz überschritt die Grenzen eines freundlichen Spaßes, nur berechnet, ein flüchtiges Lächeln zu erregen. Man erhob die Stimmen nicht und kein Streit fand statt; und Simon Glover hatte hundert Mal mehr Lärm bei einem Innungsmahl in Perth gehört, als bei dieser Gelegenheit zweihundert wilde Hochländer erregten. Selbst das Getränk schien die Gesellschaft nicht über den Ton anständigen Ernstes aufzuregen. Es war von verschiedener Art – Wein erschien in sehr geringer Menge und ward nur den vorzüglichsten Gästen gereicht, unter deren geehrte Zahl wieder Simon Glover gehörte. Der Wein und die beiden Weizenbrote waren in der That die einzigen Zeichen von Beachtung, die er während des Mahles erfuhr; aber Niel Booshalloch, eifersüchtig für seines Herrn Ruf der Gastfreundschaft, verfehlte nicht, sie als Beweise hoher Auszeichnung zu rühmen. Gebrannte Wasser, die man später so allgemein im Hochland gebrauchte, waren vergleichungsweise damals unbekannt. Der Usquebaugh ging in geringer Menge herum und wurde durch eine Abkochung von Safran und andern Kräutern noch reizender gemacht, so daß er mehr einem medicinischen Trank, als einem Getränk für die Mahlzeit glich. Cider und Meth sah man ebenfalls, aber Bier, welches in großer Menge dazu gebraut war und ohne alle Einschränkung floß, war das allgemeine Getränk, und ward mit einer Mäßigung getrunken, die unter den neuern Hochländern weit minder bekannt ist. Ein Becher auf das Andenken des verstorbenen Häuptlings war der erste Toast, der feierlich nach vollendeter Mahlzeit ausgebracht wurde; und ein tiefes Gemurmel von Segenswünschen wurde von der Gesellschaft gehört, während die Mönche allein, ihre vereinigten Stimmen erhebend, Requiem aeternam dona, sangen. Eine ungewöhnliche Stille folgte, wie wenn etwas Außerordentliches erwartet würde, als Eachin mit kühnem und männlichem, doch bescheidenem Anstand sich erhob und, indem er den leeren Thronsessel einnahm, mit Würde und Festigkeit sagte: »Diesen Sitz und meines Vaters Erbtheil nehme ich als mein Recht in Anspruch – so helfe mir Gott und St. Barr!« »Wie willst du deines Vaters Kinder beherrschen?« sagte ein alter Mann, der Oheim des Verstorbenen. »Ich will sie mit meines Vaters Schwert vertheidigen und Gerechtigkeit unter meines Vaters Banner für sie üben.« Der alte Mann zog mit zitternder Hand das gewichtige Schwert aus der Scheide, und indem er es bei der Klinge hielt, bot er der Hand des jungen Häuptlings den Griff; zu gleicher Zeit entfaltete Torquil von der Eiche das Banner des Stammes und schwenkte es wiederholt über Eachins Haupt, der mit seltenem Anstand und Gewandtheit, als vertheidigte er die Fahne, den großen Claymore schwang. Die Gäste erhoben ein gellendes Geschrei, um ihre Beistimmung zur Wahl des patriarchalischen Häuptlings, der ihre Huldigung in Anspruch nahm, zu bezeugen, und kein Anwesender war geneigt, vor dem schönen und gewandten Jüngling an die traurigen Weissagungen zu erinnern. Als er in flammender Rüstung, auf das lange Schwert gestützt, und durch würdevolle Bewegungen den Zuruf, der die Luft innen, außen und ringsumher durchbrach, anerkennend dastand, war Simon Glover versucht zu zweifeln, ob diese männliche Gestalt derselbe Jüngling sei, den er oft mit wenig Umständen behandelt hatte, und begann, die Folgen davon einigermaßen zu fürchten. Ein allgemeiner Gesang der Minstrels folgte dem Zuruf, und Fels und Wald erklangen von Harfen und Pfeifen, wie kurz vorher von Wehklagen und Jammer. Es würde ermüdend sein, wenn wir den Fortgang des Einweihungsfestes verfolgen oder die Trinksprüche einzeln anführen wollten, die den ehemaligen Helden des Clans und besonders den neunundzwanzig tapfern Streitern gebracht wurden, welche in dem bevorstehenden Kampfe unter den Augen und der Führung ihres jungen Häuptlings fechten sollten. Die Sänger nahmen in den alten Zeiten mit ihrer Kunst verbundenen prophetischen Charakter an, und wagten den ausgezeichnetsten Sieg zuzusichern und die Wuth vorauszusagen, mit welcher der blaue Falke, das Zeichen des Clans Quhele, die Bergkatze, das wohlbekannte Zeichen des Clans Chattan, in Stücke reißen würde. Sonnenuntergang war nahe, als eine Bowle, genannt der Gnadenbecher, aus Eichenholz und mit Silber eingefaßt, zum Zeichen der Trennung um die Tafel ging, obwohl es Jedem freistand, noch länger zu zechen oder sich sogleich in eine der äußern Hütten zu begeben. Was Simon Glover betraf, so führte ihn der Booshalloch in eine der kleinen Hütten, die für einen Einzelnen eingerichtet zu sein schien, und ein Bett von Haidekraut und Moos enthielt, so gut es die Jahreszeit gestaltete, und ein reicher Vorrath solcher Leckerbissen, als das gehaltene Gastmahl gewährte, zeigte, daß alle Sorgfalt für des Bewohners Bequemlichkeit beobachtet worden. »Verlaß diese Hütte nicht,« sagte der Booshalloch zu seinem Freunde und Schutzbefohlenen, indem er Abschied nahm; »dies ist dein Ruheplatz; aber in einer solchen geräuschvollen Nacht gehen die Gemächer verloren, und wenn der Dachs sein Loch verläßt, kriecht der Fuchs hinein.« Simon Glover war diese Einrichtung keineswegs unangenehm. Er war vom Geräusche des Tages ermüdet und sehnte sich nach Ruhe. Nachdem er daher einen Bissen gegessen, was sein Appetit kaum nöthig machte, und einen Becher Wein getrunken, um sich zu erwärmen, murmelte er sein Abendgebet, hüllte sich in seinen Mantel und legte sich auf ein Lager, welches durch alte Bekanntschaft ihm bequem und vertraut war. Das Summen und Murmeln, ja selbst das gelegentliche Geschrei von einigen der Gäste, welche draußen fortfuhren zu schwärmen, unterbrach seine Ruhe nicht lange; und nach etwa zehn Minuten war er eingeschlafen, als wenn er in seinem eigenen Bette in Curfewstreet gelegen hätte. Neunundzwanzigstes Kapitel Stets weilt er bei meiner Tochter. Hamlet Zwei Stunden vor dem Hahnschrei ward Simon Glover durch eine wohlbekannte Stimme geweckt, die ihn beim Namen rief. »Wie, Conachar!« rief er, indem er aus dem Schlaf emporfuhr; »ist der Morgen schon so weit vorgerückt?« und als er die Augen erhob, stand die Person, von der er träumte, vor ihm; und im nämlichen Augenblicke, während er sich rasch der Vorgänge des gestrigen Tages erinnerte, sah er mit Staunen, daß die Erscheinung die Gestalt behielt, die der Schlaf ihr gegeben, denn es war nicht der in Stahl gehüllte Hochländerhäuptling mit dem Claymore in der Hand, wie er ihn am vorigen Abend gesehen, sondern Conachar aus der Curfewstreet in seinem bescheidenen Lehrlingskleide, eine Eichengerte in der Hand haltend. Ein Gespenst würde unsern Perther Bürger nicht mehr überrascht haben. Als er so verwundert hinstarrte, kehrte der Jüngling ein Stück angezündetes Kienholz, welches er in einer Laterne hatte, gegen ihn und erwiderte auf seinen Ausruf: »Freilich, Vater Simon; es ist Conachar, gekommen, um unsere alte Bekanntschaft zu erneuern, jetzt, wo unser Gespräch am wenigsten Aufmerksamkeit erregen wird.« So sprechend setzte er sich auf einen Holzblock, der die Stelle eines Stuhles versah, und indem er die Laterne daneben stellte, fuhr er im freundlichsten Tone fort: »Ich habe deine Speise manchen Tag genossen, Vater Simon – ich hoffe, es hat dir in meinem Hause nichts gemangelt?« »Ganz und gar nicht, Eachin Mac Jan« – antwortete der Handschuhmacher, – denn die Einfachheit der celtischen Sprache und Sitten verwirft alle Ehrentitel; »es war sogar zu gut für diese Fastenzeit und viel zu gut für mich, da ich mich bei dem Gedanken schämen muß, wie hart es Euch in Curfewstreet ergangen ist.« »Nur zu gut, um Euer eignes Wort zu brauchen,« sagte Conachar, »für die Wünsche eines unnützen Lehrlings und für die Bedürfnisse eines jungen Hochländers. Wenn aber gestern, wie ich hoffe, vollauf Speise vorhanden war, fandet Ihr nicht, guter Glover, einigen Mangel an höflichem Willkommen? Entschuldigt es nicht, – ich weiß, es war der Fall. Aber ich bin jung an Ansehen bei meinen Leuten und ich darf nicht zu früh ihre Aufmerksamkeit auf die Zeit meines Aufenthalts im Niederland ziehen, die ich indeß nimmer vergessen kann.« »Ich verstehe den Grund recht wohl,« sagte Simon; »und daher geschah es ungern und nur gezwungen, daß ich so zeitig einen Besuch hier machte.« »Still, Vater, still! Es ist gut, daß Ihr kamt, Etwas von meinem hochländischen Glanze zu sehen, während er noch schimmert; kommt nach Palmsonntag wieder, und wer weiß, wen oder was Ihr in dem Gebiete finden mögt, welches wir jetzt noch besitzen! Die wilde Katze kann ihre Wohnung gemacht haben, wo jetzt der Festsaal Mac Jans steht.« Der junge Häuptling schwieg und drückte das Ende der Gerte an seine Lippen, als wollte er sich verbieten, mehr zu sagen. »Das steht nicht zu fürchten, Eachin,« sagte Simon auf die unbestimmte Weise, in welcher laue Tröster sich bemühen, die Aufmerksamkeit ihrer Freunde von der Betrachtung einer unvermeidlichen Gefahr abzulenken. »Es ist zu fürchten und es ist Gefahr des äußersten Verderbens,« antwortete Eachin; »und es ist bestimmte Gewißheit großen Verlustes vorhanden. Mich wundert, daß sich mein Vater diesem schlauen Vorschlage Albany's gefügt hat. Ich wollte, Mac Gillie Ehattahan stimmte mit mir überein: dann, statt unser bestes Blut gegenseitig zu verschwenden, gingen wir zusammen hinunter nach Strathmore, und würden tödten und Besitz nehmen. Ich würde zu Perth herrschen und er zu Dundee, und das ganze weite Land sollte unser sein, bis zu den Ufern des Busens vom Tay. Das ist die Politik, die ich von Eurem alten grauen Kopfe lernte, Vater Simon, wenn ich hinter deinem Rücken den Teller hielt und deinem Abendgespräch mit Bailie Craigdallie zuhörte.« »Die Zunge wird mit Recht ein unbändiges Glied genannt,« dachte der Handschuhmacher. »Da hab' ich dem Teufel ein Licht hingehalten, um ihm den Weg zum Unheil zu zeigen.« »Aber laut sagte er blos: »Diese Pläne kommen zu spät.« »Zu spät allerdings!« antwortete Eachin. »Die Verträge zum Kampfe sind mit unsern Unterschriften und Siegeln gezeichnet; der glühende Haß des Clans Quhele und des Clans Chattan ist durch wechselseitige Verhöhnungen und Prahlereien zur unlöschbaren Flamme angefacht. Doch, die Zeit ist vorüber. – Nun zu deinen eigenen Angelegenheiten, Vater Glover. Es ist die Religion, die dich hieher brachte, wie ich von Niel Booshalloch höre. Wahrlich, so weit ich deine Vorsicht kannte, konnte ich nicht ahnen, daß du in Streit mit der Mutter Kirche geriethest. Was meinen alten Bekannten, Vater Clemens, betrifft, so ist der Einer von denen, die nach der Krone des Martyrthums jagen und glauben, ein Pfahl, mit lodernden Flammen umgeben, sei der Umarmung würdiger, als eine liebende Braut. Er ist ganz ein irrender Ritter, der seine religiösen Ansichten vertheidigt und kämpft, wohin er nur kommt. Er hat schon einen Streit mit den Mönchen der Sybilleninsel drüben über einen Lehrpunkt – hast du ihn gesehen?« »Ja,« antwortete Simon; »aber wir sprachen wenig mit einander, weil die Zeit drängte.« »Er hat vielleicht gesagt, daß es eine dritte Person gibt (wie mich dünkt, wahrscheinlich ein wahrhafterer Flüchtling der Religion wegen, als du, ein kluger Bürger, oder er, ein zänkischer Prediger), die recht herzlich willkommen sein würde, unsern Schutz zu theilen? Du schweigst, Mann, und willst mich nicht verstehen – deine Tochter Katharina?« Die letzten Worte des jungen Häuptlings wurden englisch gesprochen; auch setzte er das Gespräch in dieser Sprache fort, als fürchtete er belauscht zu werden, – und in der That auch wie unter dem Einflusse eines unfreiwilligen Schwankens. Meine Tochter Katharina,« sagte der Handschuhmacher, indem er daran dachte, was ihm der Karthäuser gesagt, »befindet sich wohl und sicher.« »Aber wo und bei wem?« sagte der junge Häuptling. »Und warum kam sie nicht mit Euch? Meint Ihr, der Clan Quhele habe nicht Matronen, so thätig wie die alte Dorothee, deren Hand einst meine Ohren bediente, um die Tochter von ihres Häuptlings Meister zu pflegen?« »Ich danke Euch nochmals,« sagte der Handschuhmacher, »und zweifle weder an Eurer Macht, noch an Eurem Willen, meine Tochter zu schützen, so wie mich selbst. Aber eine edle Lady, die Freundin des Sir Patrick Charteris, hat ihr einen sichern Zufluchtsort geboten, ohne daß sie sich der Gefahr einer mühsamen Reise durch ein ödes und unruhiges Land aussetzte.« »O, hm! – Sir Patrick Charteris,« sagte Eachin in zurückhaltenderem und gemessenerem Tone – »er muß allen andern Männern vorgezogen werden, ohne Zweifel; er ist Euer Freund, nicht wahr?« Simon Glover hatte Lust, diese Anmaßung eines Jünglings zu bestrafen, der vier Mal des Tages gescholten worden war, weil er auf die Straße lief, um Sir Patrick Charteris vorbeireiten zu sehen; aber er unterdrückte eine heftige Antwort und sagte einfach: »Sir Patrick Charteris ist seit sieben Jahren Oberrichter von Perth; und wahrscheinlich ist er es noch, da die Magistratspersonen nicht in den Fasten, sondern zu Martini erwählt werden.« »Ach, Vater Glover,« sagte der Jüngling in einem freundlicheren und vertrauteren Tone, »Ihr seid die prächtigen Schauspiele und Aufzüge in Perth so gewohnt, daß Euch im Vergleich damit unser barbarisches Fest nur wenig freuen wird. Was hieltest du von unsrer gestrigen Feierlichkeit?« »Sie war edel und ergreifend,« sagte der Handschuhmacher, »und vorzüglich für mich, der ich Euren Vater kannte. Als Ihr auf dem Schwerte ruhtet und um Euch schautet, war mir, als säh' ich meinen alten Freund Gilchrist Mac Jan, an Jahren und Kraft verjüngt, von den Todten erstanden.« »Ich spielte meine Rolle dabei kühn, denk' ich; und ließ wenig von dem elenden Lehrling blicken, den Ihr behandeltet wie – gerade wie er's verdiente.« »Eachin gleicht Conachar,« sagte der Handschuhmacher, »nicht mehr, als ein Salm einem Lachs, obwohl die Leute sagen, beide wären derselbe Fisch in verschiedenem Zustande; oder als ein Schmetterling einer Raupe gleicht.« »Glaubst du, daß ich, als ich die Macht übernahm, die alle Weiber lieben, selbst ein Gegenstand war, auf dem eines Mädchens Auge ruhen möchte? – Um offen zu sprechen, was würde Katharina von mir bei dem Feste gedacht haben?« »Jetzt kommen wir zu den Untiefen,« dachte Simon Glover, »und ohne recht vorsichtige Lenkung werden wir auf den Sand gerathen.« »Die meisten Weiber lieben Pracht, Eachin; aber ich denke, meine Tochter Katharina macht eine Ausnahme. Sie würde sich freuen über das Glück ihres Hausfreundes und Spielgenossen; aber sie würde den prächtigen Mac Jan, Häuptling des Clans Quhele, nicht höher schätzen als den verwaisten Conachar.« »Sie ist stets großmüthig und uneigennützig,« erwiderte der junge Häuptling. »Ihr aber, Vater, habt die Welt viele Jahre länger gesehen, als sie, und könnt besser beurtheilen, was Macht und Reichthum denen nützen, die sie besitzen. Ueberlegt und sprecht aufrichtig, was würden Eure eigenen Gedanken sein, wenn Ihr Eure Katharina unter jenem Baldachin stehen sähet, mit der Macht über hundert Berge und dem ergebenen Gehorsam von zehntausend Vasallen; und als Preis dieser Vorzüge ihre Hand in der des Mannes, welcher sie über Alles in der Welt liebt?« »Das heißt in Eurer eigenen, Conachar?« sagte Simon. »Ja, nennt mich Conachar – ich liebe den Namen, da er es war, unter dem mich Katharina kannte.« »Nun also aufrichtig,« sagte der Handschuhmacher, indem er sich bemühte, seine Antwort so wenig als möglich verletzend zu geben, »mein innerster Gedanke würde der ernste Wunsch sein, daß ich mich mit Katharina in unserm bescheidenen Hause in Curfewstreet befände, wo Dorothee unser einziger Vasall wäre.« »Und zugleich der arme Conachar, hoff' ich? Ihr würdet ihn nicht in einsamer Größe wollen vertrauern lassen.« »Ich würde,« antwortete der Handschuhmacher, »dem Clan Quhele, meinen ältesten Freunden, nicht so Uebles wünschen, daß sie im Augenblicke der Gefahr eines tapfern, jungen Häuptlings beraubt würden, und dieser Häuptling um den Ruhm käme, den er an ihrer Spitze im bevorstehenden Kampfe erlangen soll.« Eachin biß sich auf die Lippe, um seine gereizten Gefühle zu verbergen, während er erwiderte: – »Worte, Worte – leere Worte, Vater Simon. Ihr fürchtet den Clan Quhele mehr, als Ihr ihn liebt, und Ihr glaubt, ihr Unwille würde fürchterlich sein, wenn ihr Häuptling die Tochter eines Bürgers von Perth heirathen würde.« »Und wenn ich einen solchen Ausgang fürchte, Hektor Mac Jan, habe ich nicht Grund dazu? Welchen Ausgang haben ungleiche Heirathen gehabt im Hause Mac Callanmore's, in dem der mächtigen Mac Leans, ja, in dem der Lords der Inseln selbst? Was ist je daraus entstanden, außer Trennung und Enterbung – bisweilen noch ein schlimmeres Geschick für den ehrgeizigen Eindringling? Ihr könntet mein Kind nicht vor einem Priester heirathen und könntet sie Euch nur an die linke Hand trauen lassen; und ich« – er unterdrückte den heftigen Ton, den der Gegenstand forderte, und schloß: – »und ich selbst bin ein ehrlicher, obwohl niedriger Bürger von Perth, der eher wünschte, sein Kind wäre die rechtmäßige und unzweideutige Gattin eines Bürgers von meinem Range, als das geduldete Kebsweib eines Fürsten.« »Ich will Katharina vor dem Priester und vor der Welt heirathen, – vor dem Altar und vor den schwarzen Steinen von Jona,« sagte der ungestüme, junge Mann. »Sie ist die Geliebte meiner Jugend, und es gibt kein Band der Religion und Ehre, womit ich mich nicht binden will! Ich habe mein Volk geprüft. Wenn wir diese Schlacht gewinnen – und mit der Hoffnung, Katharina zu gewinnen, werden wir sie gewinnen – so sagt mir mein Herz – werde ich so sehr Herr ihrer Neigungen sein, daß, wenn mir's gefiele, eine Braut aus dem Armenhause zu nehmen, sie diese begrüßen würden, als wäre sie eine Tochter Mac Callanmore's. – Aber Ihr verwerft mein Gesuch?« sagte Eachin ernst. »Ihr legt mir beleidigende Worte in den Mund,« sagte der alte Mann, »und könnt mich sofort dafür bestrafen, weil ich ganz in Eurer Macht bin. Aber mit meiner Zustimmung soll meine Tochter nie heirathen, außer in ihrem eigenen Stande. Ihr Herz würde brechen unter den beständigen Kriegen und blutigen Scenen, welche mit Eurem Schicksal verknüpft sind. Wenn Ihr sie wirklich liebt und Euch ihrer Furcht vor Streit und Kampf erinnert, so werdet Ihr nicht wünschen, sie dem Gewühl kriegerischer Schrecknisse auszusetzen, in die Ihr, gleich Eurem Vater, unvermeidlich und fortwährend verwickelt sein werdet. Wählt eine Gattin unter den Töchtern der Hochländerhäuptlinge, mein Sohn, oder der stolzen Edeln des Niederlands. Ihr seid schön, jung, reich, hochgeboren und mächtig, und werdet nicht vergebens werben. Ihr werdet Eine bereitwillig finden, die sich Eurer Siege freuen und Euch selbst im Unterliegen freundlich sein wird. Für Katharina würde das Eine so schrecklich wie das Andere sein. Ein Krieger muß einen Stahlhandschuh tragen – ein Handschuh von Bockleder würde binnen einer Stunde zerreißen. Eine dunkle Wolke zog über das Gesicht des jungen Häuptlings, das kurz zuvor noch so feurig war. »Lebe wohl,« sagte er, einzige Hoffnung, die mir zu Ruhm oder Sieg geleuchtet haben könnte!« – Er blieb eine Zeitlang still, tief nachdenkend, mit niedergeschlagenen Angen, gesenkter Stirn und verschlungenen Armen. Endlich erhob er seine Hände und sagte: »Vater – denn ein solcher seid Ihr mir gewesen, – ich bin im Begriff, Euch ein Geheimniß mitzutheilen. Vernunft und Stolz rathen beide mir Schweigen an, aber das Schicksal zwingt mich, und ihm muß ich gehorchen. Ich bin im Begriff, Euch in das tiefste und theuerste Geheimniß einzuweihen, welches ein Mann dem Manne anvertrauen kann. Aber hütet Euch – ende dieses Gespräch auch wie es wolle – hütet Euch, je eine Silbe von dem zu verrathen, was ich Euch nun anvertrauen will; denn wißt, thätet Ihr dieß auch im entferntesten Winkel Schottlands, so hab' ich Ohren, es selbst dort zu hören, und eine Hand und einen Dolch, um des Verräthers Busen zu erreichen. – Ich bin – aber das Wort will nicht heraus.« »So sprecht es nicht,« sagte der vorsichtige Handschuhmacher: »ein Geheimniß ist nicht mehr sicher, sobald es über die Lippen des Eigentümers gegangen ist; und ich wünsche nicht ein so gefährliches Vertrauen, womit Ihr mich bedroht.« »Ja, aber ich muß sprechen und Ihr müßt hören,« sagte der Jüngling. »Seid Ihr, Vater, in diesem Zeitalter des Kampfes selbst ein Streiter gewesen?« »Ein einzig Mal,« erwiderte Simon, »als die Südländer die gute Stadt angriffen. Ich ward aufgerufen, meinen Theil an der Vertheidigung zu nehmen, wie meine Bürgerpflicht gebot, gleich der anderer Zunftgenossen, die verpflichtet sind, Wache zu halten.« »Und wie fühltet Ihr Euch bei der Sache?« fragte der junge Häuptling. »Was thut das bei der gegenwärtigen Angelegenheit?« sagte Simon etwas erstaunt. »Viel, sonst hätte ich die Frage nicht gethan,« antwortete Eachin im Tone des Hochmuthes, den er bisweilen annahm. »Ein alter Mann wird leicht dazu gebracht, von alten Zeiten zu reden,« sagte Simon, der, nach kurzer Ueberlegung, das Gespräch nicht ungern von seiner Tochter ablenkte; »und ich muß daher gestehen, daß meine Gefühle sehr verschieden von dem hohen, freudigen Vertrauen, ja dem Vergnügen waren, womit ich andere Männer zur Schlacht gehen sah. Mein Leben und Beruf waren friedlich, und wiewohl ich den Muth eines Mannes nicht entbehrte, wenn die Zeit es verlangte, so hab' ich doch selten schlechter geschlafen, als die Nacht vor jenem Treffen. Meine Gedanken waren gequält von den Geschichten, die uns (mit ziemlicher Wahrheit) von den sächsischen Bogenschützen erzählt wurden; wie sie ellenlange Pfeile abgeschossen und Bogen gebrauchten, ein Drittel länger als die unsern. Als ich in einen unruhigen Schlaf gesunken war, so fuhr ich empor und erwachte, wenn nur ein Strohhalm des Lagers meine Seite berührte, weil ich glaubte, es führe mir ein englischer Pfeil in den Leib. Am Morgen, als ich vor großer Müdigkeit wirklich einzuschlafen begann, ward ich durch den Schall der Gemeindeglocke erweckt, welche die Bürger zu den Mauern rief: – nie vorher oder nachher schien mir ihr Klang einer Todtenglocke so ähnlich.« »Fahrt fort, was geschah weiter?« fragte Eachin. »Ich legte meinen Harnisch an,« sagte Simon, »da es so sein mußte – empfing den Segen meiner Mutter, einer hochherzigen Frau, die von der guten Stadt sprach. Dieß ermuthigte mich und ich fühlte mich noch kühner, als ich mich unter den Reihen der anderen Gewerbe befand, lauter Bogenschützen, denn du weißt, die Bürger von Perth sind geschickt in dieser Waffe. Wir wurden auf den Mauern vertheilt, mehrere Ritter und Knappen in guter Rüstung waren unter uns gemischt, die ein kühnes Ansehen zeigten, vielleicht auf ihre Harnische vertrauend, und uns zu unserer Ermutigung sagten, sie würden mit ihren Schwertern und Äxten jeden niederhauen, der seinen Posten zu verlassen suchte. Mir selbst versicherte dies freundlich der alte Kämpe von Kinfauns, wie man ihn nannte, unsers guten Sir Patricks Vater, damals unser Oberrichter. Er war ein Enkel des roten Räubers, Toms von Longueville, und ein Mann, der sein Wort hielt, welches er an mich besonders richtete, weil mich eine so unbehagliche Nacht blässer als gewöhnlich gemacht haben mochte; überdies war ich nur ein junger Bursche.« »Und steigerte seine Bemerkung Eure Furcht oder Eure Entschlossenheit?« sagte Eachin, der sehr aufmerksam schien. »Meine Entschlossenheit,« antwortete Simon; »denn ich glaube, nichts ist im Stande, einen Mann so kühn zu machen, daß er einer nahe vor ihm liegenden Gefahr trotzt, als die Kenntnis einer andern dicht hinter ihm, die ihn vorwärts stößt. Nun, ich erstieg die Mauern mit erträglichem Mute und ward mit Andern auf den Späh-Turm gestellt, weil man mich als guten Schützen kannte. Aber es überlief mich kalt, als ich die Engländer in größter Ordnung, die Bogenschützen voraus und die Schwerbewaffneten dahinter, in drei starken Kolonnen zum Angriff vorwärts marschieren sah. Sie kamen mit festem Schritt, und Einige von uns hätten gern auf sie geschossen, aber es war streng verboten, und wir waren genötigt, bewegungslos zu bleiben und uns hinter der Brustwehr, so gut wir konnten, zu schützen. Als die Engländer ihre langen Reihen in Linien aufstellten, und jeder seinen Platz wie durch Zauberei einnahm, und sich durch große Schilder, Pavessen genannt, die sie vor sich pflanzten, deckte, fühlte ich einen seltsamen kurzen Atem, und wünschte nach Hause zu gehen, um ein Glas Branntwein zu trinken. Aber als ich zur Seite sah, erblickte ich den tapfern Kämpen von Kinfauns, wie er einen großen Bogen spannte, und ich dachte, es sei schade, den Bolzen gegen einen treuherzigen Schotten zu verlieren, wenn so viele Engländer da wären; so blieb ich, wo ich war, da ich mich in einem bequemen Winkel, von zwei Brustwehren gebildet, befand. Die Engländer rückten dann vor und zogen ihre Sehnen an, – nicht an der Brust, wie Eure hochländischen Bursche, sondern am Ohr, und sandten eine Ladung Schwalbenschwänze ab, bevor wir St. Andreas rufen konnten. Ich zuckte, als ich sie ihre Geschosse spannen sah, und ich glaube, ich fuhr zusammen, als die Pfeile anfingen, gegen die Brustwehr zu rasseln. Aber als ich umher sah und Keinen außer John Squallit, den Stadtausrufer, verwundet erblickte, dessen Backen von einem ellenlangen Pfeile durchbohrt waren, faßte ich mir ein Herz, und schoß mit bestem Willen und wohlgezielt. Ich schoß auf einen kleinen Mann, der gerade von hinten neben seinem Schild hervorguckte, und durchbohrte mit einem Pfeil seine Schulter. Der Oberrichter rief: ›Gut getroffen, Simon Glover!‹ – ›St. John für seine eigene Stadt, meine Zunftgenossen!‹ rief ich, obwohl ich damals nur ein Lehrling war. Und, wenn Ihr mir's glauben wollt, im Verfolg des Treffens, welches mit dem Abzuge der Feinde endete, zog ich so ruhig die Sehne und schoß die Pfeile ab, als hätt' ich auf Scheiben, statt auf Menschenbusen geschossen. Ich gewann einigen Ruhm, und habe nachher stets gedacht, daß ich ihn im Falle der Nothwendigkeit (denn bei mir war dieß nie Sache freier Wahl) nicht wieder verlieren würde. – Und dieß ist Alles, was ich von kriegerischer Erfahrung sagen kann. Andere Gefahren hab' ich erlebt, die ich als kluger Mann zu vermeiden strebte, oder denen ich, wenn sie unvermeidlich waren, als ein beherzter begegnete. Anders kann ein Mann in Schottland nicht leben oder sein Haupt emporheben.« »Ich verstehe Eure Erzählung,« sagte Eachin; »aber ich finde es schwer, Euch die meinige glaublich zu machen, da ihr das Geschlecht, dem ich entsprossen bin, als ein tapferes kennt, und besonders da ich der Sohn dessen bin, den wir heute in das Grab legten – wohl ihm, daß er nun dort liegt, wo er nimmer hören wird, was Ihr jetzt hören sollt! Seht, mein Vater, das Licht, welches ich trage, wird niedrig und dunkel, und in wenigen Minuten wird es erlöschen – aber bevor es stirbt, wird die häßliche Geschichte erzählt sein. – Vater, ich bin ein Feiger! Endlich ist es ausgesprochen, und das Geheimniß meiner Schmach besitzt ein Anderer!« Der junge Mann sank in eine Art Ohnmacht zurück, die seine Herzensangst bei der traurigen Mittheilung hervorbrachte. Der Handschuhmacher, gerührt sowohl durch Furcht als Mitleid, bemühte sich, ihn in's Leben zurückzurufen, und zwar gelang ihm dieß, doch konnte er ihn nicht beruhigen; er bedeckte sein Gesicht mit den Händen und seine Thränen flossen reichlich und bitterlich. »Um unserer Frau willen, faßt Euch,« sagte der alte Mann, »und widerruft das schnöde Wort! Ich kenn' Euch besser, als Ihr selbst – Ihr seid kein Feiger, sondern nur zu jung, unerfahren, ja, und etwas zu schnell in der Einbildungskraft, um die feste Tapferkeit eines bärtigen Mannes zu besitzen. Ich wollte das keinen andern Mann von Euch sagen hören, Conachar, ohne ihn der Lüge zu zeihen – Ihr seid kein Feiger – ich habe Funken hohen Muthes bei Euch sprühen sehen, selbst bei geringfügigem Anlaß.« »Hohe Funken von Stolz und Leidenschaft!« sagte der unglückliche Jüngling; »aber wann saht Ihr sie unterstützt durch die Entschlossenheit, die sie halten sollte? Die Funken, von denen Ihr sprecht, fielen auf mein feiges Herz, wie auf ein Stück Eis, welches kein Feuer fangen kann – wenn mich beleidigter Stolz zum Streite trieb, so bestimmte mich meine Geistesschwäche im nächsten Augenblicke zur Flucht.« »Mangel an Gewohnheit,« sagte Simon; »durch das Ueberklettern von Mauern lernen junge Leute Abhänge ersteigen. Beginnt mit geringen Fehden – übt täglich die Waffen Eurer Heimath im Turnier mit Euren Leuten.« »Und welche Muße hab' ich dazu?« rief der junge Häuptling, emporfahrend, als wäre seiner Einbildungskraft etwas Schreckliches begegnet. »Wie viel Tage liegen zwischen dieser Stunde und Palmsonntag, und was soll da geschehen? – Eingeschlossene Schranken, von denen sich niemand entfernen kann, schlimmer daran als der arme Bär, der an seine Stange gefesselt ist. Sechzig Männer, die besten und mutigsten (einen ausgenommen!), welche Albyn von seinen Bergen herniedersenden kann, alle dürsten nach der Andern Blut, während ein König und Tausende umher, wie bei einem Schauspiel, mit Jubel zusehen, um ihre teuflische Wut aufzuregen. Hiebe fallen dicht und Blut strömt dicker, schneller, röter, – sie stürzen auf einander wie Wahnsinnige – sie zerreißen einander wie wilde Bestien. – Die Verwundeten werden unter den Füßen ihrer Gefährten zu Tode getreten! Blut strömt, die Arme werden schwach – aber da gilt kein Vertrag, kein Waffenstillstand, keine Unterbrechung, während die verstümmelten Elenden noch am Leben sind! Da verkriecht man sich nicht hinter Brustwehren, streitet nicht mit Geschossen, – Mann steht gegen Mann, bis die Hände sich nicht mehr erheben können, um den gräßlichen Kampf fortzusetzen! – Wenn solch ein Schlachtfeld in der Einbildung so schrecklich ist, was meint Ihr, soll es in der Wirklichkeit sein?« Der Handschuhmacher blieb schweigend. »Ich wiederhole, was meint Ihr?« »Ich kann Euch nur bedauern, Conachar,« sagte Simon. »Es ist hart, der Abkömmling eines großen Geschlechtes zu sein – der Sohn eines edlen Vaters – der geborene Führer einer tapfern Schaar – und doch die Eigenschaft zu entbehren oder sich ihren Mangel einzubilden (denn noch immer glaub' ich, der Fehler liegt mehr an einer lebhaften Phantasie, welche die Gefahr überschätzt), die jeder Streithahn besitzt, der eine Handvoll Korn wert ist, jeder Hund, der einen Knochen verdient. Aber wie kommt es, daß Ihr mit einem solchen Bewußtsein der Schwäche im Kampfe eben jetzt Euch erbietet, Eure Herrschaft mit meiner Tochter zu teilen? Eure Macht hängt von Eurer Tapferkeit in diesem Kampfe ab, und dabei kann Euch Katharina nicht helfen.« »Ihr irrt Euch, alter Mann,« erwiderte Eachin; nähme Katharina die aufrichtige Liebe, die ich für sie hege, freundlich auf, so würd' es mich mit dem Feuer eines Streitrosses gegen die Reihe der Feinde treiben. So überwältigend auch mein Bewußtsein der Schwäche ist, der Gedanke, daß Katharina mich sähe, würde mir Kraft geben. Sagt doch, – o sagt doch, sie solle mein sein, wenn der Kampf gewonnen ist, und selbst Gow Chrom, dessen Herz ein Stück mit seinem Ambos ist, würde nimmer so leicht zur Schlacht gehen, wie ich alsdann! Eine starke Leidenschaft wird durch eine andere besiegt.« »Das ist Thorheit, Conachar. Vermag nicht die Erinnerung an Euren Vortheil, Eure Ehre, Eure Verwandten so viel, um Euren Muth aufzustacheln, als die Gedanken an ein schwarzäugig Mädchen? Pfui über dich, Mann!« »Ihr sagt mir nur, was ich mir selbst gesagt habe – aber es ist umsonst,« erwiderte Eachin mit einem Seufzer. »Nur während sich der schüchterne Hirsch mit der Hündin paart, ist er verzweifelt und gefährlich. Sei es die Körperbeschaffenheit – komme es, wie unsere hochländischen Cailliachs sagen werden, von der Milch des weißen Rehes – komme es von meiner friedlichen Erziehung und Eurer strengen Zucht – komme es, wie Ihr glaubt, von einer überspannten Phantasie, welche die Gefahr noch gefährlicher malt und gräßlicher macht, als sie wirklich ist. ich weiß das nicht zu entscheiden. Aber ich kenne meine Schwäche, und – ja, ich muß es aussprechen! – ich fürchte so sehr, sie nicht besiegen zu können, daß, fänden meine Wünsche Eure Billigung unter solcher Bedingung, ich selbst hier stillstehen, dem angenommenen Range entsagen und mich zu einem niedern Leben zurückziehen würde.« »Wie, am Ende Handschuhmacher werden, Conachar?« sagte Simon; »dieß übertrifft die Legende von St. Crispin. Nein, nein, Eure Hand ist dazu nicht geschaffen; Ihr sollt mir keine Rehhäute mehr verderben.« »Scherzt nicht,« sagte Eachin, »ich bin ernst. Wenn ich nicht arbeiten kann, will ich Reichthum genug bringen, um ohne sie zu leben. Sie werden mich bei Horn und Kriegspfeife als einen Elenden ausrufen – mögen sie dieß thun – Katharina wird mich um so mehr lieben, wenn ich die Pfade des Friedens denen des Blutvergießens vorzog, und Vater Clemens wird uns lehren, der Welt Bedauern und Verzeihung zu schenken, die uns mit Vorwürfen beladen wird, die nicht verwunden. Ich werde der glücklichste aller Menschen sein – Katharina wird alles genießen, was unbegrenzte Liebe ihr bieten kann, und wird befreit sein von der Besorgniß vor Schauspielen und Tönen des Schreckens, die Euer schlechtgewählter Gatte ihr bereiten würde; und Ihr, Vater Glover, solltet Eure Kaminecke einnehmen, als der glücklichste und geehrteste Mann, der je – « »Haltet ein, Eachin – ich bitte Euch, haltet ein,« sagte der Handschuhmacher; »der Kienspan, mit welchem dieß Gespräch endigen muß, brennt sehr schwach, und ich möchte ein Wort zur Erwiderung sprechen, schlicht und ehrlich, wie es am besten ist. Wenn es Euch auch quälen oder in Wuth setzen mag, laßt mich diese Träume enden, indem ich Euch mit einem Worte sage – Katharina kann nie die Eure werden. Ein Handschuh ist das Zeichen der Treue, und ein Mann von unserer Zunft darf daher noch weniger als ein anderer die seinige brechen. Katharina's Hand ist versprochen – einem Manne versprochen, den Ihr hassen mögt, aber auch ehren müßt – Harry dem Waffenschmied. Die Heirath ist ihrem Stande gemäß, ihren gegenseitigen Wünschen angemessen, und ich habe mein Wort gegeben. Es ist am besten, gerade herauszusprechen, rächt meine Weigerung, wie Ihr wollt – ich bin ganz in Eurer Gewalt. – Aber Nichts soll mich wortbrüchig machen.« Der Handschuhmacher sprach so entschieden, weil er aus Erfahrung wußte, daß das sehr reizbare Gemüth seines früheren Lehrlinges in den meisten Fällen einer ernsten und entschiedenen Entschlossenheit nachgab. Aber gedenkend, wo er war, sah er mit einem Gefühle der Furcht die erlöschende Flamme ausfahren und einen starken Blitz auf Eachins Gesicht werfen, der blaß wie der Tod war, während sein Auge rollte, gleich dem eines Rasenden in seiner Fieberwuth. Das Licht sank plötzlich nieder und erlosch, und Simon fühlte einen augenblicklichen Schrecken, er möchte mit dem Jüngling um sein Leben zu kämpfen haben, den er gewaltthätiger Handlungen fähig kannte, wenn er heftig erregt war, obwohl seine Natur nur kurze Zeit die Maßregeln unterstützen konnte, die seine Leidenschaft ergriff. Er wurde durch die Stimme Eachins beruhigt, der in rauhem und verändertem Tone murmelte: »Bedenkt, was wir diese Nacht gesprochen, mit ewigem Schweigen – brächtest du's an den Tag, so wäre dir besser, du grübest dein eigen Grab.« So sagend, öffnete er die Thür der Hütte, durch welche ein Strahl des Mondes eindrang. Die Gestalt des fortgehenden Häuptlings zeigte sich einen Augenblick darunter, dann schloß sich die Thür, und die Hütte blieb in Finsterniß. Simon Glover fühlte sich erleichtert, als eine Unterhaltung, die Verletzung und Gefahr mit sich brachte, so friedlich geendet war. Aber er blieb tief ergriffen von der Lage Hektor Mac Jans, den er selbst erzogen hatte. »Das arme Kind,« sagte er, »zu einer erhabenen Stelle berufen zu werden, nur um mit Verachtung sie zu verlassen! Was er mir sagte, wußt' ich zum Theil, da ich oft bemerkte, daß Conachar aufgelegter war zu zanken, als zu fechten. Aber diese überwältigende Schwachherzigkeit, die weder Scham noch Nothwendigkeit bezwingen kann, kann ich, obwohl ich kein Sir William Wallace bin, nicht begreifen. Und sich zum Gemahl meiner Tochter anzubieten, als ob eine Braut Muth für sich und den Bräutigam gewährte! Nein, nein, – Katharina muß einen Mann heirathen, zu dem sie sagen kann: Gemahl, schone deinen Feind! – nicht einen solchen, zu dessen Trost sie schreien muß: Großmüthiger Feind, schone meines Gatten!« Ermüdet von solchen Betrachtungen, entschlief der alte Mann endlich. Am Morgen ward er durch seinen Freund, den Booshalloch geweckt, der ihm, mit etwas langem Gesicht, vorschlug, zu seiner Wohnung auf der Wiese beim Ballough zurückzukehren. Er entschuldigte, daß der Häuptling Simon Glover diesen Morgen nicht sehen könne, weil er mit den Vorbereitungen zum Kampfe beschäftigt sei. Eachin Mac Jan halte den Aufenthalt am Ballough am sichersten für Simon Glovers Gesundheit, und habe Befehl gegeben, für seinen Schutz und seine Bequemlichkeit alle Sorge zu tragen. Nie! Booshalloch verbreitete sich über diese Umstände, um die Vernachlässigung zu bemänteln, die darin lag, daß der Häuptling seinen Gast ohne besondere Audienz entließ. »Sein Vater, sagte der Hirt, verstand es besser. Aber wo sollte er Sitten gelernt haben, der arme Mensch, da er unter Euch Perthern Bürgern aufwuchs, die, außer Euch, Nachbar Glover, der gälisch so gut spricht wie ich, ein Volk sind, welches keine Höflichkeit erlernen kann!« Simon Glover empfand, wie man wohl glauben kann, den Mangel an Achtung nicht, den sein Freund hinsichtlich seiner andeutete. Im Gegentheil zog er den Aufenthalt des guten Hirten sehr gern der geräuschvollen Gastfreundschaft des täglichen Festes beim Häuptling vor, selbst wenn auch nicht soeben mit Eachin ein Gespräch über einen Gegenstand vorgekommen wäre, dessen Erneurung ihm höchst peinlich sein mußte. Daher zog er sich ruhig zum Ballough zurück, wo, wenn er nur von Katharina's Sicherheit überzeugt gewesen wäre, seine Zeit angenehm genug hinzubringen war. Sein Vergnügen war, den See in einem kleinen Kahne zu befahren, den ein Hochländerknabe lenkte, während der alte Mann angelte. Er landete häufig auf der kleinen Insel, wo er auf dem Grabe seines alten Freundes, Gilchrist Mac Jan, seinen Gedanken nachhing, und die Mönche sich zu Freunden machte, indem er dem Prior Handschuhe von Marderfell und den niederen Dienern jedem dergleichen aus dem Felle einer wilden Katze schenkte. Das Schneiden und Nähen dieser kleinen Geschenke vertrieb ihm die Zeit nach Sonnenuntergang, während die Familie des Hirten sich um ihn versammelte, seine Geschicklichkeit bewundernd, und den Geschichten und Liedern lauschend, mit welchen der alte Mann einen langen Abend zu vertreiben wußte. Man muß gestehen, daß der vorsichtige Glover den Umgang des Pater Clemens mied, den er irrig mehr als den Urheber seines Mißgeschickes, denn als den schuldlosen Theilnehmer betrachtete. »Ich will nicht,« dachte er, »seinen Grillen zu gefallen, die Freundschaft dieser guten Mönche verlieren, die mir einst nützlich sein kann. Ich habe, denk' ich, genug durch seine Predigten gelitten. Sie haben mich wenig weiser, aber viel ärmer gemacht. Nein, nein, Katharina und Clemens mögen denken, wie sie wollen; doch werd' ich die erste Gelegenheit ergreifen, mich einer gehörigen Buße im härenen Rock zu unterwerfen, und eine tüchtige Strafe zahlen, um wieder mit der ganzen Kirche einig zu werden.« Mehr als vierzehn Tage waren vergangen, seit der Handschuhmacher zu Ballough angekommen war, und es begann ihn zu wundern, daß er nichts von Katharina und Harry Wynd gehört hatte, dem, wie er glaubte, der Oberrichter Grund und Ziel seiner Reise mitgetheilt hatte. Er wußte, daß sich der muthige Schmied nicht in das Land des Clans Quhele wagen durfte, wegen verschiedener Fehden mit den Einwohnern und mit Eachin selbst, so lange er den Namen Conachar trug; doch aber, dachte der Handschuhmacher, könne Harry Mittel finden, ihm eine Botschaft oder ein Zeichen durch einen der verschiedenen Boten zu schicken, die zwischen dem Hofe und dem Hauptquartier des Clan Quhele hin und her gingen, um über die Bedingungen des bevorstehenden Kampfes, den Marsch der Parteien nach Perth, und andere Umstände, die vorläufig geordnet werden mußten, zu unterhandeln. Man war nun in der Mitte des März und der verhängnißvolle Palmsonntag nahete schnell. Während die Zeit so hinschlich, hatte der verbannte Handschuhmacher seinen ehemaligen Lehrling auch nicht ein einzig Mal zu Gesicht bekommen. Die Sorgfalt, die man anwendete, um seine Bedürfnisse und Bequemlichkeit in jeder Hinsicht zu befriedigen, zeigte, daß er nicht vergessen war; wenn er jedoch des Häuptlings Horn durch die Wälder schallen hörte, pflegte er gewöhnlich seinen Weg nach entgegengesetzter Richtung einzuschlagen. Eines Morgens fand er sich jedoch unerwartet in Eachins unmittelbarer Nähe, und hatte kaum Zeit, ihm auszuweichen; dieß ging so zu. Als Simon gedankenvoll durch eine kleine Waldlichtung schlenderte, die von allen Seiten von hohen Waldbäumen, gemischt mit Unterholz, umgeben war, brach ein weißes Reh aus dem Dickicht, verfolgt von zwei Jagdhunden, von denen einer es bei der Hüfte, der andere bei der Kehle packte, und es bis auf eine Ackerlänge von dem Handschuhmacher schleppte, der über das plötzliche Ereigniß etwas erschrak. Der nahe und gellende Schall eines Hornes und das Bellen eines Spürhundes ließen Simon merken, daß die Jäger nahe und dem Thiere auf der Spur waren. Ein Hallorufen und den Lärm von Männern, die durch das Gebüsch eilten, hörte er in der Nähe. Ein wenig Ueberlegung hätte Simon gelehrt, daß es das Beste sei, stehen zu bleiben oder langsam sich zurückzuziehen, und Eachin ihn erkennen zu lassen oder nicht, wie es ihm beliebte. Aber sein Wunsch, dem Jüngling aus dem Wege zu gehen, war ihm zu einer Art von Instinkt geworden, und in dem Schrecken, ihn so nahe zu finden, versteckte sich Simon unter einen Haselbusch, der mit Stechpalmen durchwachsen war und ihn ganz verbarg. Kaum war dieß geschehen, so sprang Eachin, roth vor Anstrengung, aus dem Dickicht in die Lichtung, begleitet von seinem Pflegevater Torquil von der Eiche. Letzterer warf mit gleicher Anstrengung das kämpfende Thier auf den Rücken, und indem er dessen Vorderfüße in der rechten Hand hielt, während er auf den Leib kniete, bot er sein Messer mit der linken dem jungen Häuptling, damit er des Thieres Kehle durchschneiden möchte. »Es geht nicht, Torquil; verrichte dein Amt und versuch' es selber. Ich darf das Ebenbild meiner Pflegemutter nicht tödten.« Dies ward mit einem melancholischen Lächeln gesprochen, während zu gleicher Zeit eine Thräne in des Sprechers Auge stand. Torquil starrte einen Augenblick seinen jungen Häuptling an, zog dann sein scharfes Waidmesser quer über des Thieres Kehle mit einem so heftigen und schnellen Schnitt, daß die Waffe bis auf den Kinnbacken ging. Dann stand er auf und sagte, nachdem er wieder einen langen Blick auf seinen Häuptling geheftet: »Was ich diesem Reh gethan habe, würde ich jedem lebendigen Wesen thun, dessen Ohr meinen Pflegesohn ein weißes Reh nennen und das Wort mit Hektors Namen paaren gehört hätte!« Hatte Simon keinen Grund gehabt, sich vorher zu verbergen, so gab ihm einen sehr dringenden diese Rede Torquils. »Es kann nicht verborgen sein, Vater Torquil,« sagte Eachin; »es wird Alles offen an den Tag kommen.« »Was wird herauskommen? was will an den lichten Tag?« fragte Torquil erstaunt. »Es ist das unselige Geheimniß,« dachte Simon, »und wenn jetzt dieser gewaltige Geheimerath nicht schweigen kann, wird man vermuthlich mich verantwortlich machen, daß Eachins Schmach bekannt geworden ist.« Indem er so ängstlich dachte, bediente er sich zugleich seiner Stellung, um so viel als möglich zu sehen, was zwischen dem betrübten Häuptling und dessen Vertrauten vorging, indem ihn derselbe Geist der Neugier antrieb, der uns in den wichtigsten wie in den kleinsten Verhältnissen des Lebens lenkt, und der sich bisweilen in Gesellschaft großer persönlicher Furcht befindet. Während Torquil dem lauschte, was Eachin ihm mittheilte, sank der junge Mann in seine Arme und schloß, sich auf seine Schulter stützend, seine Beichte, indem er Jenem in's Ohr flüsterte. Torquil schien mit solchem Staunen zuzuhören, daß er unfähig war, seinen Ohren zu trauen. Als wollte er sich überzeugen, daß es Eachin sei, der spreche, hob er allmälig den Jüngling aus seiner lehnenden Stellung auf, hielt ihn an der Schulter ein wenig von sich, indem er ein Auge auf ihn heftete, welches durch die Wunder, die er vernahm, zugleich erweitert und in Stein verwandelt zu sein schien. So wild wurde des Alten Gesicht, nachdem er die geflüsterte Mittheilung gehört hatte, daß Simon fürchtete, er werde den Jüngling als einen Entehrten von sich schleudern, in welchem Fall er aus dem Gebüsch, das ihn versteckte, sich erhoben und seine Entdeckung so peinlich als gefährlich gemacht hätte. Aber die Heftigkeit Torquils, der seinen Pflegesohn mit der doppelten leidenschaftlichen Zärtlichkeit liebte, die solche Verwandtschaft im Hochlande stets begleitet, nahm eine andere Wendung. »Ich glaub' es nicht!« – rief er; »es ist falsch von deines Vaters Kind; – falsch von deiner Mutter Sohn; am falschesten von meinem Pflegesohn! ich verpfände mich dem Himmel und der Hölle, und will gegen Jedermann den Kampf bestehen, der es wahr nennen wird! Du bist durch einen bösen Blick bezaubert, mein Liebling, und die Schwäche, die du Feigheit nennst, ist das Werk der Zauberei. Ich erinnere mich der Keule, die in deiner Geburtsstunde, jener Stunde des Schmerzes und der Freude, die Fackel ausschlug. Aber sei fröhlich, mein Geliebter! Du sollst mit mir nach Jona, und der gute St. Columbus, mit der ganzen Schaar gesegneter Heiligen und Engel, die je dein Geschlecht begünstigten, wird dir das Herz des weißen Rehes nehmen und dir das zurückgeben, welches sie dir gestohlen haben.« Eachin hörte zu, mit einem Blicke, als hätte er gern den Worten des Trösters glauben mögen. »Aber, Torquil,« sagte er, »gesetzt auch, dies hälfe uns, so ist doch der verhängnißvolle Tag nahe, und wenn ich in die Schranken gehe, fürcht' ich, wir werden Schande haben.« »Es kann nicht sein – es wird nicht!« sagte Torquil, – »die Hölle soll nicht so weit herrschen – wir wollen dein Schwert in geweihtes Wasser tauchen, Eisenkraut, St. Johnskraut und Eschenlaub in deinen Helm stecken. Wir wollen dich umringen, ich und deine acht Brüder – du sollst sicher sein, wie in einem Schloß.« Der hilflose Jüngling murmelte wieder Etwas, was Simon wegen des leisen Tones, in dem es gesprochen ward, nicht verstehen konnte, während Torquils antwortende tiefe Stimme voll und deutlich in sein Ohr tönte. »Ja, es kann eine Möglichkeit vorhanden sein, dich von dem Kampfe zurückzuziehen. Du bist der Jüngste, der das Schwert ziehen soll. Nun höre mich, und du wirst erfahren, was es heißt, die Liebe eines Pflegevaters zu besitzen, und wie weit sie selbst die Liebe der Blutsfreunde übertrifft. Der Jüngste auf der Liste des Clans Chattan ist Ferquhard Day. Sein Vater erschlug den meinigen und das rothe Blut siedet heiß zwischen uns – ich sah den Palmsonntag als das Ziel an, das es kühlen sollte. – Aber höre, – man hätte denken sollen, das Blut in den Adern dieses Ferquhard Day und in den meinigen würde, wenn man es in dasselbe Gefäß brächte, sich nicht vermischen; doch hat er seine Neigung auf meine einzige Tochter Eva geworfen – das schönste unserer Mädchen. Denke, mit welchen Gefühlen ich das hörte. Es war, als hätte ein Wolf aus den Wäldern von Ferragon gesagt: »Gib mir deine Tochter zum Weibe, Torquil!« – Meine Tochter denkt nicht so, sie liebt Ferquhard und weint aus Furcht vor dem nahen Kampfe ihre Farbe und Gesundheit weg. Laß sie ihm ein günstiges Zeichen geben und ich weiß, er wird Haus und Hof vergessen, dem Schlachtfeld entsagen und mit ihr zur Wüste fliehen.« »Wenn er, der Jüngste der Kämpfer des Clans Chattan, abwesend ist, kann ich, der Jüngste des Clans Quhele, wegen der Nichttheilnahme entschuldigt werden?« sagte Eachin, über das gemeine ihm zur Rettung gebotene Mittel erröthend. »Sieh nun zu, mein Häuptling,« sagte Torquil, »und beurtheile meine Gesinnungen gegen dich – Andere könnten dir ihr eigenes Leben und das ihrer Söhne geben – ich opfere dir die Ehre meines Hauses.« »Mein Freund, mein Vater,« wiederholte der Häuptling, Torquil an seine Brust drückend, »welch' ein niedriger Elender bin ich, daß ich feigherzig genug bin, mich deines Opfers zu bedienen!« »Sprich nicht davon – die Bäume haben Ohren. Laß uns zurück zum Lager und unsere Knaben nach dem Wilde schicken. – Fort, Hunde, und folgt uns auf der Ferse.« Der Spürhund hatte, zum Glück für Simon, seine Nase in das Blut des Rehes getaucht, sonst könnte er des Handschuhmachers Spur im Dickicht gefunden haben; da aber sein schärferer Geruch verloren war, so folgte er ruhig mit den übrigen Hunden. Als man die Jäger nicht mehr sah und hörte, stand der Handschuhmacher, sehr erleichtert durch ihren Abschied, auf, und begann sich in entgegengesetzter Richtung, so schnell es sein Alter erlaubte, davon zu machen. Sein erster Gedanke war die Treue des Pflegevaters. »Das wilde Hochländerherz ist ächt und treu. Jener Mann gleicht eher den Riesen in den Romanzen, als einem Menschen unseres Schlages; und doch könnten sich Christen ein Beispiel an seiner Anhänglichkeit nehmen. Obwohl es ein einfältiger Versuch ist, einen Mann aus der Reihe der Feinde zu beseitigen, als ob nicht zwanzig der wilden Katzen bereit sein würden, seine Stelle zu füllen.« So dachte der Handschuhmacher, der nicht wußte, daß die strengsten Befehle erlassen waren, welche jedem der streitenden Clans geboten, ihre Freunde, Verbündete und Untergebene eine Woche vor und eine Woche nach dem Kampfe nicht auf fünfzig Meilen von Perth kommen zu lassen; eine Verordnung, die durch bewaffnete Mannschaft unterstützt wurde. Sobald unser Freund Simon bei der Wohnung des Hirten anlangte, fand er andere Neuigkeiten für sich. Vater Clemens hatte sie überbracht, der in einem Pilgergewand kam, bereit seine Rückkehr nach dem Süden anzutreten, und mit dem Wunsche, von seinem Gefährten in der Verbannung Abschied zu nehmen oder ihn zum Begleiter zu gewinnen. »Aber was,« sagte der Bürger, »hat Euch so plötzlich verleitet, in das Reich der Gefahr zurückzukehren?« »Habt Ihr nicht gehört,« sagte Vater Clemens, »daß, nachdem March und seine englischen Verbündeten sich vor dem Grafen Douglas nach England zurückgezogen haben, der gute Graf es übernommen hat, das Unglück des Staates zu beseitigen, und daß er an den Hof Briefe geschrieben hat, welche die Aufhebung des hohen Gerichtshofes gegen Ketzerei als eine Störung des menschlichen Gewissens verlangen – daß die Ernennung Henry's von Wardlaw zum Prälaten von St. Andrews dem Parlament übertragen werden solle, nebst verschiedenen anderen Dingen, die den Gemeinen erfreulich sind? Nun haben sich die meisten Edeln, die mit dem König zu Perth sind, und unter ihnen Sir Patrick Charteris, Euer würdiger Oberrichter, für die Vorschläge des Douglas erklärt. Der Herzog von Albany hat seine Beistimmung gegeben, ob aus gutem Willen oder aus Staatsklugheit, kann ich nicht sagen. Der gute König ist leicht zu milden und gütigen Maßregeln zu überreden. Und so sind die Zähne der Unterdrücker in ihren Höhlen in Stücke gebrochen und die Beute ist ihren räuberischen Klauen entrissen. Wollt Ihr mit mir nach dem Niederlande, oder noch eine Weile hier bleiben?« Niel Booshalloch ersparte seinem Freunde die Mühe der Antwort. »Er habe des Häuptlings Befehl,« sagte er, »zu sagen, daß Simon Glover bleiben solle, bis die Streiter zur Schlacht hinabgezogen wären.« In dieser Antwort sah der Bürger etwas mit seiner eigenen vollkommenen Freiheit nicht Uebereinstimmendes; aber er kümmerte sich jetzt wenig darum, da es eine gute Ausrede gab, nicht mit dem Geistlichen zu reisen. »Ein vorzüglicher Mann,« sagte er zu seinem Freunde Niel Booshalloch, sobald Vater Clemens Abschied genommen hatte, »ein großer Gelehrter und großer Heiliger. Es ist schade, daß er nicht mehr in Gefahr ist, verbrannt zu werden, da seine Predigt am Pfahle Tausende bekehren würde. O, Niel Booshalloch! Vater Clemens' Scheiterhaufen würde ein süßduftendes Opfer sein und ein Leuchtthurm für alle gläubigen Christen. Aber wozu würde der Brand eines gemeinen unwissenden Bürgers, gleich mir, dienen? Man gibt nicht altes Handschuhleder für Weihrauch und unterhält auch nicht Leuchtthürme mit ungegerbten Fellen, denk' ich? Aufrichtig zu sprechen, hab' ich zu wenig Gelehrsamkeit und zu viel Furcht, um Ruhm bei der Affaire zu ärnten, und daher würde ich, wie man bei uns sagt, beides, den Schaden und den Spott, haben.« »Da habt Ihr Recht,« sagte der Hirt. Dreißigstes Kapitel Wir müssen zu den Personen unserer dramatischen Erzählung zurückkehren, die wir in Perth ließen, als wir den Handschuhmacher und seine schöne Tochter nach Kinfauns begleiteten und von diesem gastfreundlichen Hause den Weg Simons nach dem Taysee verfolgten; der Prinz, als die Hauptperson, nimmt zunächst unsere Aufmerksamkeit in Anspruch. Dieser rasche und unbedachte junge Mann ertrug mit einiger Ungeduld seinen abgeschiedenen Aufenthalt beim Lord Großconnetable, dessen sonst immer angenehme Gesellschaft ihm blos deswegen nicht zusagte, weil er einigermaßen seinen Hofmeister machte. Erzürnt gegen seinen Oheim, und unzufrieden mit seinem Vater, sehnte er sich natürlich nach der Gesellschaft Sir John Ramorny's, von dem er so lange gewohnt war Unterhaltung zu erlangen, und von dem er sich, so beleidigend er diesen Vorwurf auch finden mochte, hatte leiten und beherrschen lassen. Er sandte ihm daher eine Einladung, ihn zu besuchen, wenn seine Gesundheit es erlaubte; und deutete ihm an, er möge zu Wasser sich nach einem kleinen Pavillon in des Großconnetables Garten begeben, der, wie Sir Johns eigener, an den Tay stieß. Bei der Erneuerung einer so gefährlichen Verbindung bedachte Rothsay nur, daß er Sir John Ramorny's freigebiger Freund gewesen, während Sir John Ramorny, als er die Einladung erhielt, sich nur der launischen Beleidigungen seines ehemaligen Gebieters, des Verlustes seiner Hand, der Leichtigkeit, womit diesen der Prinz betrachtete, und der Bereitwilligkeit erinnerte, mit welcher Rothsay ihn hinsichtlich der Ermordung des Strumpfwirkers im Stich gelassen hatte. Er lachte bitter, als er des Prinzen Brief las. »Eviot,« sagte er, »bemanne ein starkes Boot mit sechs zuverlässigen Leuten, – zuverlässige Leute, merke dir's – verliere keinen Augenblick; und heiße Dwining sogleich hieher kommen. – Der Himmel lächelt uns, mein wackerer Freund,« sagte er zum Arzt. »Ich zermarterte eben mein Gehirn, wie ich Zutritt zu dem wankelmüthigen Burschen erhalten könnte, und hier schickt er eine Einladung.« »Hm! – ich sehe die Sache deutlich,« sagte Dwining. »Der Himmel lächelt zu manchen mißlichen Vorfällen – hi, hi,hi!« »Thut nichts, die Schlinge ist bereit; und es ist auch Köder d'ran, mein Freund, womit man den Burschen aus einem Heiligthum locken würde, wenn ihn auch ein Trupp mit gezogenen Schwertern auf dem Kirchhof erwartete. Doch ist das kaum nöthig. Sein eigener Ueberdruß würde den Streich vollbracht haben. Halt deine Sachen bereit – du gehst mit uns. Schreib ihm, da ich es nicht kann, daß wir sogleich kommen, seine Befehle zu hören, und schreibe gut. Er liest gut und das verdankt er mir.« »Er wird Euer Schuldner für fernere Kenntnisse sein, bevor er stirbt – hi, hi, hi! aber ist Euer Handel mit dem Herzog von Albany gewiß?« »Genug, um meinen Ehrgeiz, deine Habsucht und unser Beider Rache zu befriedigen. In's Boot, in's Boot, schnell; Eviot soll einige Flaschen des auserlesensten Weines und etwas kalte Küche hineinschaffen.« »Aber Euer Arm, Sir John? Schmerzt er Euch nicht?« »Das Beben meines Herzens bringt den Schmerz meiner Wunde zum Schweigen. Es schlägt, als wollt' es mir die Brust sprengen.« »Behüte der Himmel!« – sagte Dwininig, und leise fügte er hinzu: »Das würde einen seltsamen Anblick geben. Ich möchte es wohl gern seciren, aber sein steiniger Stoff würde meine besten Instrumente verderben.« Nach wenigen Minuten waren sie im Boote, während ein rascher Bote dem Prinzen die Nachricht brachte. Rothsay saß beim Connetable, nachdem sie ihr Mittagsmahl gehalten. Er war düster und schweigend, und der Graf hatte so eben gefragt, ob er wünsche, daß abgetragen werde, als ein dem Prinzen übergebener Brief sofort dessen Miene veränderte. »Wie Euch beliebt,« sagte er. »Ich gehe zum Pavillon im Garten, – versteht sich mit Erlaubniß Mylord des Connetables, – um meinen ehemaligen Stallmeister zu empfangen.« »Mylord?« sagte Lord Errol. »Ja, Mylord; muß ich zwei Mal um Erlaubniß bitten?« »Keineswegs, Mylord,« antwortete der Connetable. »Erinnert sich aber Eure königliche Hoheit, daß Sir John Ramorny – –« »Doch nicht die Pest hat, hoff' ich?« erwiderte Rothsay. »Nun, Errol, Ihr möchtet gern den gewissenhaften Gefangenenwärter machen; aber das widersteht Eurer Natur – lebt wohl auf eine halbe Stunde.« »Eine neue Thorheit!« sagte Errol, als der Prinz, einen Thürflügel des Saales im Erdgeschoß, wo sie saßen, öffnend, hinaus in den Garten ging. »Eine neue Thorheit, diesen Schurken zu seinem Rathe zurückzurufen. Aber er ist bethört.« Der Prinz sah inzwischen zurück und sagte eilig: »Euer Gnaden guter Haushalt wird ein paar Flaschen Wein und eine kleine Collation in dem Salon für uns haben? Ich liebe das al Fresko des Flusses.« Der Connetable verbeugte sich und gab die nöthigen Befehle, so daß Sir John die Materialien eines guten Mahles bereit fand, als er die Barke verließ und in den Pavillon trat. »Es betrübt mein Herz, Eure Hoheit unter Aufsicht zu sehen,« sagte Ramorny, indem er geschickt eine Miene des Mitleids annahm. »Die Betrübniß deines Herzens betrübt das meine,« sagte der Prinz. »Freilich hat mich hier Errol, der ein recht biederherziger Lord ist, so ermüdet mit ernsten Blicken und gewissermaßen auch ernsten Lehren, daß es mich zu dir zurücktrieb, du Böser, von dem ich zwar nichts Gutes erwarte, aber vielleicht doch einige Unterhaltung erlange. Doch eh' wir weiter sprechen: – es war eine schlechte That, die am Fastenabend, Ramorny. Ich hoffe, du hast sie nicht angegeben.« »Bei meiner Ehre, Mylord, ein bloßer Irrthum des rohen Bonthron. Ich gab ihm zu verstehen, daß der Kerl einige Hiebe verdiene, durch den ich die Hand verlor; und seht, mein Schuft begeht einen doppelten Mißgriff. Er nimmt den einen Mann für den andern und statt des Knittels gebraucht er die Axt.« »Gut, daß es nicht weiter kam. Was liegt viel am Strumpfwirker; aber nie hätt' ich Euch vergeben, wenn der Waffenschmied fiel – der hat seines Gleichen nicht in Britannien. – Aber ich hoffe, man hängte den Schurken hoch genug?« »Wenn dreißig Fuß genügen,« erwiderte Ramorny. »Pah! nichts mehr von ihm,« sagte Rothsay; »sein elender Name macht den guten Wein nach Blut schmeckend. – Und was gibt's Neues in Perth, Ramorny? – Wie steht es mit den Bona Rodas und den lustigen Freunden?« »Es gibt nicht viel Lustigkeit, Mylord,« antwortete der Ritter. »Aller Augen sind auf die Bewegungen des schwarzen Douglas gerichtet, der mit fünftausend auserlesenen Kriegern kommt, uns Alle zurecht zu bringen, als gäb' es ein zweites Otterburn für ihn. Man sagt, er soll wieder Statthalter werden. Gewiß ist, daß sich Viele für seine Partei erklärt haben.« »Also ist es Zeit, daß meine Füße frei werden,« sagte Rothsay, »sonst kann ich einen schlimmeren Gefangenwärter als Errol finden.« »Ach, Mylord! wärt Ihr einmal von diesem Orte weg, so könntet Ihr das Haupt so kühn erheben, wie Douglas.« »Ramorny,« sagte der Prinz ernst, »ich habe nur eine dunkle Erinnerung von Etwas Furchtbarem, was Ihr mir einmal vorgeschlagen habt. Hütet Euch vor solchem Rath. Ich möchte frei sein – ich möchte über meine Person selbst verfügen können; aber nie will ich die Waffen gegen meinen Vater erheben, noch gegen die, auf die er sich verläßt. »Nur hinsichtlich der persönlichen Freiheit Eurer Hoheit erlaubte ich mir zu sprechen,« antwortete Ramorny. »Wär' ich an Eurer Stelle, ich begäbe mich in das gute Boot, das auf dem Tay liegt und zöge ruhig hinunter nach Fife, wo Ihr viele Freunde habt, und Falkland in Besitz nehmen könnt. Es ist ein königliches Schloß; und obwohl es der König Eurem Oheim geschenkt hat, so kann, selbst wenn das Geschenk nicht bestritten werden dürfte, doch Eure Hoheit sicherlich sich des Wohnsitzes eines so nahen Verwandten bedienen.« »Er hat sich des meinen frei bedient,« sagte der Herzog, »wie das königliche Gut von Renfrew beweist. Aber halt, Ramorny – halt – hört' ich nicht Errol sagen, daß die Lady Marjory Douglas, die sie Herzogin von Rothsay nennen, in Falkland ist? Ich möchte nicht bei dieser Dame wohnen und ebensowenig sie durch Vertreibung beleidigen.« »Die Dame war dort, Mylord,« erwiderte Ramorny; »aber ich habe sichere Nachricht, daß sie gegangen ist, ihren Vater zu besuchen.« »Ha! um Douglas gegen mich aufzubringen? oder vielleicht, ihn anzuflehen, daß er meiner schone, vorausgesetzt, daß ich auf meinen Knieen an ihr Bett komme, wie uns Pilger erzählen, daß es Emire und Admirale thun müssen, denen ein türkischer Sultan seine Tochter zur Ehe gibt? Ramorny, ich will nach des Douglas eigenem Worte handeln: ›es ist besser, die Lerche singen, als die Maus quiken zu hören!‹ Ich will Fuß und Hand aus den Fesseln befreien.« »Kein Ort ist dazu besser, als Falkland,« erwiderte Ramorny. »Ich habe genug guter Yeomen, um den Platz zu behaupten; und sollte Eure Hoheit ihn verlassen wollen, so bringt ein kurzer Ritt Euch in drei Richtungen zur See.« »Ihr habt recht. Aber wir werden dort vor langer Weile sterben. Weder Freunde, Musik, noch Mädchen – ha!« sagte der leichtsinnige Prinz. »Verzeiht mir, edler Herzog; aber obwohl die Lady Marjory Douglas, gleich einer irrenden Dame in den Balladen, fortgegangen ist, um Hilfe bei ihrem tapferen Vater zu suchen, so ist doch, ich kann wohl sagen, ein liebenswürdigeres, jedenfalls aber ein jüngeres Mädchen, entweder bereits in Falkland oder bald unterwegs dorthin. Eure Hoheit hat das schöne Mädchen von Perth nicht vergessen?« »Die artigste Dirne in Schottland vergessen? – Nein – so wenig du die Hand vergessen hast, die du im Gefechte in Curfewstreet am Valentinsabend hattest.« »Die Hand, die ich hatte? – Eure Hoheit wollte sagen, die Hand, die ich verlor. So gewiß ich sie nimmer wieder gewinnen werde, ist Katharina Glover zu Falkland, oder wird bald dort sein. Ich will Eurer Hoheit nicht schmeicheln, indem ich sagte, sie erwarte Euch dort – in der That, sie will sich dort selbst unter den Schutz der Lady Marjory stellen.« »Die kleine Verrätherin,« sagte der Prinz – »auch sie stellt sich gegen mich? Sie verdient Strafe, Ramorny.« »Ich hoffe, Ihr werdet ihr eine sanfte Strafe auferlegen,« erwiderte der Ritter. »Meiner Treu, ich hätte schon längst ihr Beichtvater sein mögen, aber ich habe sie immer spröde gefunden.« »Die Gelegenheit fehlte, Mylord,« erwiderte Ramorny, »und gerade jetzt drängt die Zeit.« »Ei, ich bin nur zu bereit zu einer Narrheit; – aber mein Vater – « »Er ist persönlich wohl,« sagte Ramorny, »und so frei, als er sein kann; während Eure Hoheit – « »Fesseln brechen muß, eheliche und wirkliche – ich weiß es. – Dort kommt Douglas mit seiner Tochter an der Hand, so hochmüthig und von so rauhen Zügen, wie er selbst, außer was das Alter anlangt.« »Und zu Falkland sitzt einsam die schönste Dirne Schottlands,« sagte Ramorny. »Hier ist Buße und Haft, dort ist Freude und Freiheit.« »Du hast gesiegt, höchstweiser Rath,« erwiderte Rothsay; »aber merk' dir's, es wird die letzte meiner Thorheiten sein.« »So hoff' ich,« erwiderte Ramorny; »denn wenn Ihr in Freiheit seid, so könnt Ihr einen guten Vergleich mit Eurem königlichen Vater schließen.« »Ich will ihm schreiben, Ramorny – schafft Schreibmaterial herbei – doch nein – ich kann meine Gedanken nicht in Worte bringen – schreibe du.« »Eure königliche Hoheit vergißt –« sagte Ramorny, auf seinen verstümmelten Arm deutend. »Ach! über Eure verwünschte Hand. Was können wir thun?« »Wenn es Eurer Hoheit gefällt,« antwortete sein Rathgeber, »Euch der Hand des Arztes Dwining zu bedienen – er schreibt wie ein Gelehrter.« »Weiß er Etwas von dem Stande der Dinge? Kennt er sie?« »Vollkommen,« sagte Ramorny; und zum Fenster tretend rief er Dwining aus dem Boote. Er trat vor den Prinzen von Schottland, schleichend, als wenn er auf Eiern ginge, mit niedergeschlagenen Augen und mit einem Körper, der vor Ehrfurcht zusammengeschrumpft schien. »Hier, Bursche, ist Schreibzeug. Ich will dich versuchen – du kennst die Sache – stelle mein Benehmen meinem Vater in einem guten Lichte dar.« Dwining setzte sich und schrieb binnen wenigen Minuten einen Brief, den er Sir John Ramorny einhändigte. »Ei, der Teufel hat dir geholfen, Dwining,« sagte der Ritter. »Hört, mein theurer Herr: – Verehrter Vater und königlicher Herr, – wißt, daß wichtige Rücksichten mich veranlassen, von diesem Eurem Hofe Abschied zu nehmen, indem ich meinen Aufenthalt in Falkland nehmen will, sowohl als dem Besitzthum meines theuersten Oheims Albany (mit dem ich nach Eurer Majestät Wunsch im besten Einvernehmen stehen soll), wie auch dem Wohnsitze Einer, der ich zu lange entfremdet gewesen bin, und mit der ich fortan das Gelöbniß treuester Zuneigung zu tauschen eile.« Der Herzog von Rothsay und Ramorny lachten laut, und der Arzt, der seiner eigenen Schrift zugehört hatte, als wäre sie ein Todesurtheil, erhob, durch ihren Beifall ermuthigt, die Augen, indem er ganz leise sein »hi, hi!« hören ließ, worauf er wieder ernst und schweigend war, als fürchte er die Grenzen ehrerbietigen Respekts überschritten zu haben. »Bewundernswerth!« sagte der Prinz – »vortrefflich! Der alte Mann wird Alles dies der sogenannten Herzogin von Rothsay hinterbringen. – Dwining, du solltest ein Geheimschreiber Seiner Heiligkeit des Papstes sein, der bisweilen, wie man sagt, einen Schreiber braucht, welcher ein Wort mit zweierlei Deutung aufzusetzen versteht. Ich will es unterschreiben und das Lob dafür ärnten.« »Und nun, Mylord,« sagte Ramorny, den Brief siegelnd, und ihn liegen lassend, »wollt Ihr nicht in's Boot?« »Nicht eher, als bis mein Kammerdiener mit einigen Kleidern und nothwendigen Sachen kommt – auch mögt Ihr meinen Vorschneider rufen.« »Mylord,« sagte Ramorny, »die Zeit drängt und Vorbereitungen werden nur Argwohn erregen. Eure Dienstleute werden Euch morgen mit den Sachen folgen. Für diese Nacht wird Euch hoffentlich mein armer Dienst bei Tafel und Schlafgemach genügen.« »Nun, diesmal bist du der vergeßliche,« sagte der Prinz, den verwundeten Arm mit seiner Reitgerte berührend. »Bedenke, Mann, du kannst weder einen Kapaun vorschneiden, noch eine Schleife binden – ein guter Vorschneider oder Mundschenk!« Ramorny lächelte mit Wuth und Schmerz; denn seine Wunde, obwohl in der Heilung begriffen, war noch sehr empfindlich und selbst die Bewegung eines Fingers dagegen machte ihn zittern. »Gefällt es Eurer Hoheit nicht, in's Boot zu gehen?« »Nicht, bis ich Abschied vom Lord Connetable genommen. Rothsay darf nicht, wie ein Dieb aus dem Gefängniß, aus Errols Hause davonschleichen. Ruft ihn hierher.« »Mylord Herzog,« sagte Ramorny, »es könnte unserm Plane gefährlich sein.« »Zum Teufel mit Gefahr, deinem Plane und dir! – ich muß und will gegen Errol handeln, wie es uns Beiden gebührt.« Der Graf trat auf des Prinzen Ruf herein. »Ich bemühte Euch hieher, Mylord,« sagte Rothsay mit der würdevollen Artigkeit, die er so wohl anzunehmen verstand, »um Euch für Eure Gastfreundschaft und gute Gesellschaft zu danken. Ich kann mich derselben nicht länger erfreuen, weil mich dringende Angelegenheiten nach Falkland rufen.« »Mylord,« sagte der Großconnetable, »ich hoffe, Eure Hoheit erinnert sich, daß Ihr in Haft seid.« »Wie! – in Haft! Wenn ich ein Gefangener bin, redet deutlich, – wo nicht, so nehm' ich mir die Freiheit abzureisen.« »Ich wünschte, Eure Hoheit erbäte Seiner Majestät Erlaubniß zu dieser Reise. Es wird großes Mißfallen erregen.« »Meint Ihr, Mißfallen gegen Euch, Mylord, oder gegen mich?« »Ich habe bereits gesagt, Eure Hoheit sei hier in Haft; seid Ihr aber entschlossen, sie zu brechen, so hab' ich keine Vollmacht – Gott verhüte das – Euch gegen Eure Neigung zu zwingen. Ich kann Eure Hoheit nur dringend bitten, um Eurer selbst willen –« »Was meinen eigenen Vortheil anlangt, bin ich der beste Richter – guten Abend Euch, Mylord.« Der leichtsinnige Prinz begab sich mit Dwining und Ramorny in's Boot, und da keine andere Dienerschaft vorhanden war, stieß Eviot das Fahrzeug ab, welches mit Hilfe von Segel, Ruder und Ebbe schnell den Tay hinabfuhr. Eine Zeitlang erschien der Herzog von Rothsay schweigend und unmuthig, und seine Gefährten unterbrachen auch nicht seine Betrachtungen. Endlich erhob er sein Haupt und sagte: »Mein Vater liebt einen Scherz, und wenn Alles vorbei ist, wird er diesen Streich nicht ernster aufnehmen, als er's verdient – eine Jugendthorheit, die er betrachten wird, wie er andere betrachtete. – Dort, meine Herren, zeigt sich der alte Sitz von Kinfauns, über den Tay drohend empor ragend. Nun sag' mir, John Ramorny, wie hast du das schöne Mädchen von Perth aus den Händen jenes hartköpfigen Oberrichters bekommen können? Denn Errol theilte mir das Gerücht mit, sie sei unter seinem Schutze.« »Das war sie allerdings, Mylord, in der Absicht, der Obhut der Herzogin übergeben zu werden, – ich meine der Lady Marjory von Douglas. Nun hat dieser stierköpfige Oberrichter, der jedenfalls nur ein plumpes Stück von Tapferkeit ist, wie die meisten seines Gleichen, einen Diener von einiger List und Schlauheit, den er bei allen Dingen braucht, und dessen Rathschläge er gewöhnlich als seine eigenen betrachtet. Will ich mich eines Landbarons bemächtigen, so wend' ich mich an solch' einen Vertrauten, der in gegenwärtigem Falle Kitt Henschaw heißt, ein alter Tayschiffer, welcher, nachdem er zu seiner Zeit bis Campvere gefahren, jetzt bei Sir Patrick Charteris die Achtung behauptet, die einem Manne gebührt, der ferne Länder gesehen hat. Diesen seinen Agenten hab' ich zum meinigen gemacht, und habe durch ihn verschiedene Entschuldigungen angebracht, um die Abreise Katharinens nach Falkland aufzuschieben.« »Und in welcher guten Absicht?« »Ich weiß nicht, ob es klug ist, dies Eurer Hoheit zu sagen, da Ihr meine Absichten mißbilligen könntet – ich dachte, die Beamten der Commission für Erforschung ketzerischer Meinungen sollten das schöne Mädchen zu Kinfauns finden, und da unsere Schöne eine eigensinnige Abtrünnige von der Kirche ist, so schloß ich, daß der Ritter gewiß sein Theil an den Bußen und Confiscationen, die man verhängen wollte, haben werde. Die Mönche waren eifrig genug, an ihn zu kommen, weil sie häufig Streit mit ihm über den Salmenzehnten gehabt hatten.« »Aber warum wolltest du des Ritters Vermögen zu Grunde richten und das schöne junge Weib vielleicht auf den Scheiterhaufen bringen?« »Pah, Mylord Herzog! – Die Mönche verbrennen nie hübsche Mädchen. Eine alte Frau könnte in einiger Gefahr gewesen sein; und was den Lord Oberrichter betrifft, wie man ihn nennt, so wär' es eine Buße für die unnütze Beleidigung gewesen, die er mir in der St. Johnskirche anthat, wenn man ihm einige seiner fetten Aecker genommen hätte.« »Mich dünkt, John, das wäre nur niedrige Rache,« sagte Rothsay. »Beruhigt Euch, Mylord. Wer sich nicht Recht mit der Hand verschaffen kann, muß den Kopf brauchen. – Nun, diese Möglichkeit entschwand durch des hartköpfigen Douglas Erklärung zu Gunsten der zarten Gewissen; und dann, Mylord, fand der alte Henschaw weiter keinen Einwand gegen die Reise des schönen Mädchens von Perth nach Falkland, – nicht um die eigensinnige Gesellschaft der Lady Marjory zu theilen, wie Sir Patrick Charteris und sie selbst dachte, sondern um Eurer Hoheit die Langeweile zu vertreiben, wenn wir von der Jagd im Parke zurückkommen.« Wieder entstand eine lange Pause, während welcher der Prinz in tiefes Sinnen versunken schien. Endlich sagte er: »Ramorny, ich habe ein Bedenken bei der Sache; aber wenn ich es dir nenne, wird der Teufel der Sophisterei, von dem du besessen bist, es mir ausreden, wie schon mit vielem Andern geschehen. Dies Mädchen ist, eines ausgenommen, das schönste von allen, die ich je sah oder kannte; und ich liebe sie um so mehr, weil sie einige Züge von – Elisabeth von Dunbar hat. Aber sie, ich meine Katharina Glover, ist verlobt, und soll jetzt mit Harry dem Waffenschmied verheirathet werden, einem Handwerksmann, unübertroffen in seiner Kunst, und einem Krieger, der noch nie besiegt ward. Diese Intrigue ausführen, hieße einem braven Manne zu viel Unrecht thun.« »Eure Hoheit wird nicht erwarten, daß ich mich sehr um Harry Schmieds Vortheil kümmere,« sagte Ramorny, auf seinen verwundeten Arm sehend. »Bei St. Andreas mit seinem Kreuz, dieses dein Mißgeschick wird mir zu sehr vorgerückt, John Ramorny! Andere begnügen sich, einen Finger in Jedermanns Schüssel zu stecken, aber du mußt die ganze blutige Hand hineinwerfen. Es ist geschehen und läßt sich nicht ändern – laß es vergessen sein.« »Ei, Mylord, Ihr spielt häufiger darauf an, als ich,« antwortete der Ritter, – allerdings spottweise; während ich – aber ich kann von der Sache schweigen, wenn ich sie auch nicht vergessen kann.« »Nun wohl, ich sage dir, daß ich eine Bedenklichkeit bei diesem Anschlag habe. Erinnerst du dich, als wir einmal zum Spaß hingingen, um Vater Clemens predigen zu hören oder vielmehr die schöne Ketzerin zu sehen, daß er rührend wie ein Minstrel vom reichen Manne sprach, der des armen Mannes einziges Lamm wegnahm?« »Eine wichtige Sache in der That,« antwortete Sir John, »daß der älteste Sohn vom Weibe dieses Kerls den Prinzen von Schottland zum Vater haben sollte! Wie viele Grafen würden sich dies Loos für ihre schönen Gräfinnen wünschen! und wie Viele, die so gutes Glück gehabt haben, schlafen darum kein Haar schlechter!« »Und dürft' ich mir anmaßen, zu sprechen,« sagte der Arzt, »so ertheilen die alten Gesetze Schottlands solch ein Recht jedem Lehnsherrn über seine weiblichen Unterthanen, obwohl Mangel an Feuer und Liebe zum Gelde es Viele für Gold hingeben ließ.« »Ich brauche keine Gründe, daß ich freundlich gegen ein hübsches Weib sein soll; aber diese Katharina ist immer kalt gegen mich gewesen,« sagte der Prinz. »Ei, Mylord,« sagte Ramorny, »wenn Ihr, jung, hübsch und ein Prinz, Euch nicht einem schönen Weibe angenehm zu machen wißt, so hab' ich nichts weiter zu sagen.« »Und wär' es nicht eine allzugroße Kühnheit für mich, noch ein Mal zu reden,« sagte der Arzt, »so würde ich sagen, daß ganz Perth weiß, daß der Gow Chrom nie des Mädchens Wahl war, sondern ihr vom Vater aufgezwungen ward. Ich weiß ganz gewiß, daß sie ihn mehrmals zurückwies.« »Nun, wenn du mich dessen versichern kannst, so ist es eine ganz andere Sache,« sagte Rothsay. »Vulkan war ein Schmied so gut wie Harry Wynd; er warb um Venus, und unsere Chroniken sagen uns, was dabei herauskam.« »So möge Lady Venus lange leben und verehrt werden,« sagte Sir John Ramorny; »und glücklich sei der artige Ritter Mars, der geht, um ihre Göttlichkeit zu werben!« Das Gespräch nahm für einige Minuten eine heitere und tändelnde Richtung; aber der Herzog von Rothsay ließ es bald fallen. »Ich habe,« sagte er, »die Luft des Gefängnisses dort zurückgelassen, und doch will mein Muth nicht aufleben. Ich fühle die matte, nicht unangenehme, aber doch melancholische Stimmung, die uns befällt, wenn uns Bewegung fehlt, oder Vergnügen übersättigt hat. Eine Musik, sich zum Ohr stehlend, nicht laut genug, um uns den Blick erheben zu lassen, wäre ein Götterfest.« »Eure Hoheit braucht Ihre Wünsche nur auszusprechen, und die Nymphen im Tay werden so gefällig sein, wie die Schönen am Strande. – Horcht – das ist eine Laute.« »Eine Laute!« sagte der Herzog von Rothsay lauschend; »so ist's, und mit seltner Kunst gespielt. Dieses Tonfalls sollt' ich mich erinnern. Lenkt das Boot dahin, woher die Musik tönt.« »Es ist der alte Henschaw,« sagte Ramorny, »der stromauf fährt – heda, Schiffer!« Der Bootsmann beantwortete den Gruß und legte sich an die Barke des Prinzen. »Oho! meine alte Freundin!« sagte der Prinz, der Gestalt und Kleidung der französischen Sängerin Louise wieder erkannte. »Ich denke, ich bin dir Etwas schuldig, weil ich dir mindestens Schrecken verursachte am St. Valentinstag. Komm in dies Boot, sammt Laute, Hund, Gepäck und Allem – ich will dich in einer Dame Dienst bringen, die selbst deinen Hund mit Kapaun und Kanariensekt füttern wird.« »Ich hoffe, Eure Hoheit wird bedenken – « sagte Ramorny. »Ich will nichts als mein Vergnügen bedenken, John. Bitte, sei so gefällig und bedenke das ebenfalls.« »Wollt Ihr mich fürwahr in einer Lady Dienst bringen?« sagte die Sängerin, »und wo wohnt sie?« »Zu Falkland,« antwortete der Prinz. »O, ich habe von der großen Lady gehört!« sagte Louise; »und wollt Ihr mich wirklich in den Dienst Eurer königlichen Gemahlin bringen?« »Ich will's, bei meiner Ehre – sobald ich sie als solche anerkenne – merk' diesen Vorbehalt, John,« sagte er leise zu Ramorny. Die Personen, die im Boote waren, hörten die Kunde, und da sie schlossen, es sei eine Aussöhnung zwischen dem königlichen Paar im Werke, ermahnten sie Louise, ihr Glück zu benutzen und in's Gefolge der Herzogin von Rothsay zu treten. Mehrere boten ihr eine Belohnung für die Ausübung ihres Talents. Während dieses kurzen Aufenthalts flüsterte Ramorny Dwining zu: »Bring' einen Einwand zum Vorschein, Schuft. Diese Zugabe ist zu viel. Wecke deinen Witz, unterdessen will ich ein Wort mit Henschaw sprechen.« »Dürft' ich mir anmaßen, zu sprechen,« sagte Dwining, »als Einer, der seine Studien in Arabien und Spanien gemacht hat, so würd' ich sagen, Mylord, daß sich die Seuche in Edinburg gezeigt hat, und daß es gewagt sein dürfte, wenn Ihr diese junge Fremde in Eurer Hoheit Nähe kommen ließt.« »Ach! was geht es dich an,« sagte Rothsay, »ob ich mich lieber durch die Pest oder durch den Apotheker vergiften lassen will? Thut es auch dir Noth, meine Laune zu trüben?« Während der Prinz so die Gegenreden Dwinings zum Schweigen brachte, hatte Sir John einen Augenblick gewonnen, um von Henschaw zu erfahren, daß die Entfernung der Herzogin von Rothsay aus Falkland immer noch tiefes Geheimniß sei, und daß Katharina Glover dort an diesem Abend oder am nächsten Morgen ankommen werde, in der Erwartung, unter der edlen Dame Schutz zu kommen. Der Herzog von Rothsay, tief in Gedanken versunken, empfing diese Nachricht so kalt, daß Ramorny sich die Freiheit nahm, zu tadeln. »Dies, Mylord,« sagte er, »heißt das verzogene Kind des Glückes spielen. Ihr wünscht Freiheit – sie kommt. Ihr wünscht Schönheit – sie erwartet Euch, nur eben so viel zögernd, um das Gut um so köstlicher zu machen. Selbst Eure geringsten Wünsche scheinen dem Schicksal Gesetz zu sein; denn Ihr wünscht Musik, während sie am fernsten scheint, und Laute und Gesang sind Euch zur Hand. Diese Dinge, so gesendet, sollte man genießen, sonst gleichen wir nur eigensinnigen Kindern, die das Spielzeug von sich werfen, nach welchem sie sich krank geweint haben.« »Um Vergnügen zu genießen, Ramorny,« sagte der Prinz, »muß man Schmerz empfunden haben, wie man fasten muß, um guten Appetit zu gewinnen. Wir, die wir Alles nach Wunsch haben können, genießen das wenig, was wir besitzen. Siehst du jene dichte Wolke, die im Begriff ist, sich in Regen aufzulösen? Sie scheint mir zu ersticken – das Wasser sieht dunkel und trübe – das Ufer scheint seine Schönheit verloren zu haben –« »Mylord, verzeiht Eurem Diener,« sagte Ramorny. »Ihr gebt einer mächtigen Einbildungskraft nach, so wie ein ungeschickter Reiter einen feurigen Hengst sich bäumen läßt, bis er zurückfällt und den Herrn erdrückt. Ich bitt' Euch, schüttelt diese Schlaffheit von Euch. Soll die Sängerin ein wenig musiciren?« »Sie mag's thun – aber es muß melancholisch sein, alles Lustige würde in diesem Augenblicke mein Ohr beleidigen.« Das Mädchen sang ein trauriges normannisches Lied; die Worte, von denen Folgendes eine Nachahmung ist, wurden in einer ebenso schwermüthigen Weise gesungen. Ja, seufze jetzt, – Noch ein Mal magst du ringsum schau'n Auf Himmel, Land, auf Strom und Au'n; Dein Leben schließt und Todesgrau'n Naht dir zuletzt. Ja, ruhe so, Und da dein Puls noch zittert bang', Stimm' an der Mönch der Messe Sang, Dumpf schall' der Todtenglocke Klang – Dein Leben floh. Nichts, was dir droht! Es ist ein Schmerz, ein Beben dann, Gluth, die in Kälte bald zerrann, Ein Ende jeden Weh's sodann, Denn du bist todt. Der Prinz machte keine Bemerkung über die Musik, und das Mädchen setzte, auf Ramorny's Wink, von Zeit zu Zeit ihren Gesang fort, bis der Abend niedersank mit Regen, erst leis und sanft, endlich aber in Strömen und von einem kalten Winde begleitet. Der Prinz hatte weder Mantel noch Decke, und düster wies er den zurück, welchen ihm Ramorny bot. »Es paßt nicht für Rothsay, Eure abgelegten Kleider zu tragen, Sir John; – diesem geschmolzenen Schnee, den ich nun bis auf's Mark dringen fühle, setzt' ich mich durch Eure Schuld aus. Warum unterstandet Ihr Euch, das Boot zu lösen, ohne meine Diener und Geräthschaften?« Ramorny wagte keine Entschuldigung; denn er wußte, daß sich der Prinz in einer solchen Laune befand, wo es ihm angenehmer war, seine Beschwerden zu behaupten, als sich mit einer vernünftigen Entschuldigung zum Schweigen bringen zu lassen. In trübem Schweigen oder unter verhaltenem Aerger kamen sie bei dem Fischerdorf Newburgh an. Die Gesellschaft landete und fand Pferde bereit, die Ramorny längst für diese Gelegenheit in Bereitschaft gehalten hatte. Der Prinz spottete bitter über ihre Gestalt, und drückte diesen Spott bald in offenen Worten, bald in Seitenhieben gegen Ramorny aus. Endlich stiegen sie auf und ritten durch die finstere Nacht und den fallenden Regen, indeß der Prinz immer mit rastloser Eile voranjagte. Die Sängerin, die auf seinen ausdrücklichen Befehl gleichfalls ein Pferd bekommen hatte, begleitete sie und hielt, glücklicherweise an strengeres Wetter gewöhnt, die Anstrengungen des nächtlichen Rittes so fest wie die Männer aus. Ramorny war genöthigt, sich neben dem Prinzen zu halten, da er nicht wenig in Angst war, dieser möchte in seiner mürrischen Laune ganz von ihnen wegreiten, in das Schloß irgend eines ergebenen Barons fliehen und so der Schlinge entgehen, die sie ihm gelegt hatten. Er litt daher unaussprechlich während des Rittes, sowohl körperlich, wie im Innern. Endlich nahm der Wald von Falkland sie auf, und ein Strahl des Mondes zeigte das düstere und hohe Schloß, ein Eigenthum der Krone, obwohl auf eine Zeitlang dem Herzog von Albany geschenkt. Auf ein Zeichen senkte sich die Zugbrücke. Fackeln strahlten im Hofe, Diener waren bereit, und der Prinz, dem man vom Pferde half, wurde in ein Gemach geführt, wo Ramorny und Dwining ihn bedienten, und baten, den Rath des Arztes anzunehmen. Der Herzog von Rothsay wies den Vorschlag zurück, befahl stolz, sein Bett zu bereiten, und nachdem er eine Zeitlang in seinen nassen Kleidern frierend bei einem großen Feuer gestanden, zog er sich in sein Gemach zurück, ohne von irgend Jemand Abschied zu nehmen. »Ihr seht nun die eigensinnige Laune des kindischen Burschen,« sagte Ramorny zu Dwining; »könnt Ihr Euch wundern, wenn ein Diener, der so viel für ihn gethan hat, wie ich, eines solchen Herrn müde wird?« »Nein, wahrhaftig,« sagte Dwining, »dies und die versprochene Grafschaft von Lindores würde Jedermanns Treue erschüttern. Aber was werden wir diesen Abend mit ihm beginnen? Er hat, wenn Wange und Auge wahr reden, den Grund des Fiebers in sich, was unser Werk leicht machen wird, während es eine Wirkung der Natur scheint.« »Es ist eine Gelegenheit verloren,« sagte Ramorny; »aber wir müssen unsern Streich verzögern, bis er jene Schönheit, Katharina Glover, gesehen hat. Sie kann hernach bezeugen, daß sie ihn in völliger Gesundheit sah, kurz vorher, und Herr aller seiner Bewegungen – Ihr versteht mich?« Dwining nickte bejahend und fügte hinzu: »Es ist keine Zeit verloren, denn es macht wenig Schwierigkeit, eine Blume verwelken zu lassen, die erschöpft ist, weil sie zu früh erblühte.«

 

Einunddreißigstes Kapitel Fürwahr, er war ein schamlos wilder Mann, Ergeben schnöder Lust und Becherklang; Nur wenig war's, was seine Gunst gewann; Nur üpp'ge Dirnen, lock're Brüder dann, Und wilde Zecher auch von hoh' und nieder'm Rang. Byron. Mit dem nächsten Morgen hatte sich die Laune des Herzogs von Rothsay verändert. Er beklagte sich allerdings über Schmerz und Fieber, aber dies schien ihn mehr anzuregen, als zu bewältigen. Er war freundlich gegen Ramorny, und obwohl er nichts von der Angelegenheit des vorigen Abends sagte, war es doch klar, daß er sich dessen erinnerte, was er aus dem Gedächtniß seiner Gefährten auszulöschen wünschte – der üblen Laune, die er da entfaltet hatte. Er war artig gegen Jeden, und scherzte mit Ramorny hinsichtlich der Ankunft Katharinens; »Wie erstaunt wird die hübsche Spröde sein, sich in einem Haushalt von Männern zu befinden, während sie erwartete, unter die Hüte und Hauben der Kammerfrauen Lady Marjory's zu kommen. Du hast wohl wenig vom zarten Geschlecht in deinem Haushalt, Ramorny?« »Meiner Treu, Keine außer der Sängerdirne und einer oder zwei unentbehrlichen Mägden. Beiläufig, sie fragt besorglich nach der Gebieterin, die Eure Hoheit ihr versprochen – soll ich sie entlassen, um mit Muße einer neuen Herrin nachzujagen?« »Nicht doch, sie wird zu Katharinens Unterhaltung dienen. Und hört, wär' es nicht gut, das spröde Mädchen mit einiger Mummerei zu empfangen?« »Wie meint Ihr das. Mylord?« »Du begreifst schwer, Mensch – Wir wollen sie nicht enttäuschen, da sie die Herzogin von Rothsay zu finden hofft – Ich will Herzog und Herzogin in eigener Person sein.« »Noch begreif' ich nicht.« »Keiner ist dümmer als ein Witziger,« sagte der Prinz, »wenn er nicht gleich auf die Spur kommt. Meine sogenannte Herzogin ist in großer Eile von hier weggelaufen, als ich herangekommen bin. Wir haben beide unsere Kleider zurückgelassen. Es ist genug weiblicher Flitterstaat in der Kleiderkammer, die an mein Schlafgemach stößt, um damit einen ganzen Karneval zu versorgen. Seht, ich will die Lady Marjory spielen, mit einem Trauerschleier und einem Weidenkranz auf diesem Ruhebett liegend, um mich als Verlassene darzustellen; du, John, wirst für ihre Galwegische Ehrendame, die Gräfin Hermigild, starr und steif genug aussehen, und Dwining soll die alte Hekate, ihre Amme, vorstellen, nur hat sie mehr Bart auf der Oberlippe, als Dwining im ganzen Gesicht und auf dem Kopfe zusammengenommen. Er sollte den Vorzug eines Bartes haben, um sie gehörig zu spielen, Hole deine Küchenmägde und was du von erträglichen Pagen bei dir hast, um meine Kammerfrauen zu machen. Hörst du? – es muß gleich geschehen.« Ramorny eilte in's Vorzimmer, um Dwining des Prinzen Plan zu melden. »Sieh zu, wie du den Narren bei Laune erhältst,« sagte er; »mir liegt nichts dran, wie wenig ich ihn sehe, da ich weiß, was geschehen soll.« »Vertraut Alles mir an,« sagte der Arzt, die Schulter emporziehend. »Was ist das für ein Schlächter, der des Lammes Kehle abschneiden kann, und sich fürchtet, sein Blöken zu hören?« »Still, fürchte nichts für meine Beständigkeit. – Ich kann nicht vergessen, daß er mich so rücksichtslos in's Kloster gesteckt hätte, als wenn er den Schaft einer zerbrochenen Lanze wegwärfe. An's Werk – doch halt – bevor du diese thörichte Mummerei besorgst, muß Etwas geschehen, um den dickköpfigen Charteris zu täuschen. Wahrscheinlich wird er, im Glauben, die Herzogin von Rothsay sei noch hier mit Katharina Glover in ihrem Gefolge, mit Dienstanerbietungen daher kommen, und das zu einer Zeit, wo, wie ich dir nicht zu sagen brauche, seine Gegenwart unbequem wäre – fürwahr, dies ist um so wahrscheinlicher, da die Leute der großen und zarten Fürsorge für das Mädchen von Seiten des eisenköpfigen Ritters einen wärmern Namen geben.« »Mit diesem Winke überlaßt mir's allein, gegen ihn zu wirken. Ich will ihm einen solchen Brief schicken, daß er für diesen Monat sich ebenso bereit zu einer Reise nach der Hölle, als nach Falkland halten wird. – Könnt Ihr mir den Namen des Beichtvaters der Herzogin sagen?« »Waltheof, ein Kapuziner.« »Genug – also an's Werk.« Binnen wenigen Minuten, denn er war ein Schreiber von seltener Gewandtheit, vollendete Dwining einen Brief, den er Ramorny einhändigte. »Dies ist vortrefflich, und würde dein Glück bei Rothsay gemacht haben – ich denke, ich hätte zu eifersüchtig sein sollen, um dich in seinen Dienst zu bringen, außer jetzt, da seine Tage sich schließen.« »Les't es laut,« sagte Dwining, »damit wir urtheilen können, ob sich's gut ausnimmt.« Und Ramorny las wie folgt: – »Auf Befehl unserer hohen und mächtigen Prinzessin Marjory, Herzogin von Rothsay u.s.w., thun wir, Waltheos, unwürdiger Bruder des Ordens St. Franciscus, dir, Sir Patrick Charteris, Ritter von Kinfauns, zu wissen, daß sich Ihre Hoheit sehr über die Unbedachtsamkeit wundert, mit welcher Ihr derselben ein Weib geschickt habt, über deren Ruf sie nur bedenklich urtheilen kann, da sie sieht, daß dieselbe länger als eine Woche ohne alle Noth in deinem eigenen Schloß wohnte, ohne irgend andere weibliche Gesellschaft, als Mägde; von diesem schnöden Betragen hat sich das Gerücht schon durch Fife, Angus und Perthshire verbreitet. Trotzdem hat Ihre Hoheit in Betracht der menschlichen Schwachheit die Buhlerin nicht mit Nesseln peitschen oder sonst harte Buße thun lassen; sondern da zwei gute Brüder ans dem Kloster Lindores, die Väter Thickscull und Dundermore, durch besondern Befehl in's Hochland gerufen wurden, hat Ihre Hoheit das Mädchen deren Sorge übergeben, um sie zu ihrem Vater zu führen, der, wie sie hört, sich am Taysee aufhält, unter dessen Schutz sie eine für ihre Fähigkeiten und Gewohnheiten passendere Lage finden wird, als im Schloß Falkland, so lange Ihre Hoheit, die Herzogin von Rothsay, darin wohnt. Sie hat den besagten ehrwürdigen Brüdern aufgetragen, das Mädchen so zu behandeln, daß sie zur Erkenntniß der Sünde der Unenthaltsamkeit komme, und sie empfiehlt dir Beichte und Buße. – Unterzeichnet: Waltheof, auf Befehl einer hohen und mächtigen Prinzessin,« u.s.w. Als er geendet hatte, rief Ramorny: »Trefflich, trefflich! Dieser unerwartete Tadel wird Charteris toll machen! Er hat dieser Lady lange eine Art Huldigung bewiesen, und sich nun der Unenthaltsamkeit verdächtig zu finden, während er das volle Lob einer barmherzigen That erwartete, wird ihn ganz verwirren. Und, wie du sagst, es wird lange dauern, eh' er hierher kommt, nach der Dirne zu sehen, oder der Dame aufzuwarten. – Aber fort zu deiner Mummerei, während ich das bereite, was der Mummerei für immer ein Ende machen soll.« Es war eine Stunde vor Mittag, als Katharina, begleitet vom alten Hendschaw und einem Reitknecht des Ritters von Kinfauns, vor dem Schloß Falkland anlangte. Das große Banner, welches herniederwehte, trug das Wappen Rothsay's, alle Diener, die erschienen, trugen die Hausfarben des Prinzen, Alles den allgemeinen Glauben bestärkend, daß die Herzogin noch dort wohne. Katharinens Herz schlug, denn sie hatte gehört, die Herzogin habe so gut den Stolz, als den hohen Muth des Hauses Douglas, und sie war ungewiß über die Art ihrer Aufnahme. Beim Eintritt in's Schloß bemerkte sie, daß die Dienerschaft minder zahlreich war, als sie erwartet hatte, aber da die Herzogin ganz zurückgezogen lebte, ward sie dadurch wenig befremdet. In einer Art Vorzimmer begegnete ihr ein kleines altes Weib, die vom Alter tiefgebeugt schien und sich auf einen Ebenholzstab stützte. »Gewißlich bist du willkommen, liebe Tochter,« sagte sie, Katharina begrüßend, »und, wie ich wohl sagen kann, in einem betrübten Hause; und ich hoffe (dabei grüßte sie noch ein Mal), du wirst meiner edeln und königlichen Tochter, der Herzogin, ein Trost sein. Setz' dich, mein Kind, bis ich gesehen habe, ob Mylady Zeit hat, dich zu empfangen. Ach, mein Kind, du bist sehr schön, in der That, wenn dir nur unsere Frau ein Herz gegeben hat, das einem so schönen Leibe gleichkommt.« Damit kroch die nachgemachte Alte in's nächste Zimmer, wo sie Rothsay in dem herbeigeschafften Maskenstaat fand, so wie Ramorny, der keinen Theil an der Mummerei genommen, in seinem gewöhnlichen Anzuge. »Du bist ein köstlicher Schuft, Sir Doctor,« jagte der Prinz; »bei meiner Ehre, ich glaube, du könntest in deinem Herzen Lust haben, das ganze Spiel, Liebhaberrolle und Alles, selber durchzuspielen.« »Wär' es auch nur, um Eurer Hoheit die Mühe zu sparen,« sagte der Arzt, mit seinem gewöhnlichen unterdrückten Lachen. »Nein, nein,« sagte Rothsay, »ich werde nie deine Hilfe brauchen, Mann – und sage mir nun, wie seh' ich aus, so auf dem Kissen ruhend – schmachtend und damenartig, nicht?« »Etwas zu schön von Farbe und von zu sanften Zügen für die Lady Marjory von Douglas, wenn ich mich unterfangen darf, das zu sagen,« sagte der Apotheker. »Fort, Schuft, und führe das schöne Eisstück ein – fürchte nicht, daß sie sich über meine Weiblichkeit beklagen soll – und du, Ramorny, geh' ebenfalls.« Als der Ritter das Zimmer durch die eine Thür verließ, führte das nachgeahmte alte Weib Katharina Glover durch die andere herein. Das Zimmer war sorgfältig in Zwielicht gehüllt, so daß Katharina ohne den mindesten Argwohn die anscheinend weibliche Gestalt auf dem Bette liegen sah. »Ist es das Mädchen?« fragte Rothsay mit einer natürlich zarten Stimme, die er nun sorgfältig nur flüsternd hören ließ. – Laß sie näher treten, Griselda, und unsere Hand küssen.« Die vermeinte Amme führte das zitternde Mädchen zur Seite des Bettes und ließ sie niederknieen. Katharina that dies und küßte mit vieler Demuth und Einfalt die behandschuhte Hand, welche die falsche Herzogin ihr entgegenhielt. »Fürchte dich nicht,« sagte dieselbe musikalische Stimme; »in mir siehst du nur ein trauriges Beispiel der Eitelkeit menschlicher Größe – glücklich diejenigen, mein Kind, deren Stand sie unter die Stürme des Staates stellt.« Während er so sprach, legte er die Arme um Katharinens Nacken und zog sie gegen sich, als wollte er sie zum Zeichen des Willkommens küssen. Aber der Kuß ward mit einem Eifer gegeben, der so sehr die Rolle der schönen Besitzerin überschritt, daß Katharina, in der Meinung, die Herzogin sei von Sinnen, laut aufschrie. »Still, Närrin! ich bin es – David von Rothsay.« Katharina sah umher – die Amme war gegangen, und indem der Herzog den Schleier abriß, sah sie sich in der Gewalt eines kühnen jungen Wüstlings. »Nun sei Gott mit mir!« sagte sie; »und er wird es, wenn ich mich nicht selbst verlasse!« Als dieser Entschluß in ihrer Seele erwachte, unterdrückte sie ihre Neigung zu schreien, und bemühte sich, so viel als möglich ihre Furcht zu verbergen. »Der Scherz ist ausgespielt,« sagte sie mit so viel Festigkeit, als sie annehmen konnte; »darf ich bitten, daß Eure Hoheit mich nun loslassen?« denn noch immer hielt er ihren Arm. »Nein, meine hübsche Gefangene, wehre dich nicht – Warum dich fürchten?« »Ich wehre mich nicht, Mylord. Da es Euch beliebt, mich zu halten, so will ich Euch durch Widerstand nicht reizen, mich übel zu behandeln und Euch selbst Qual zu bereiten, sobald Euch Zeit zum Ueberlegen wird.« »Warum, Verrätherin, hast du mich Monate lang gefangen gehalten,« sagte der Prinz; »und du willst dich von mir nicht einen Augenblick halten lassen?« »Dies wäre Artigkeit, Mylord, geschäh' es in den Straßen von Perth, wo ich zuhören oder entfliehen könnte, nachdem ich gehört – hier ist es Tyrannei.« »Und wenn ich dich gehen ließe, wohin willst du fliehen?« sagte Rothsay. »Die Brücken sind empor – die Fallgitter nieder – und meine Leute sind außerordentlich taub gegen die Klagen eines eigensinnigen Mädchens. Sei daher freundlich, und du sollst wissen, was es heißt, einem Prinzen gefällig sein.« »Also laßt mich los, Herr, und hört, wie ich von Euch an Euch selbst appellire – von Rothsay an den Prinzen von Schottland. – Ich bin die Tochter eines niedern, aber ehrlichen Bürgers. Ich bin, wie ich fast sagen kann, die Gattin eines braven und wackern Mannes. Wenn ich Eurer Hoheit irgend eine Aufmunterung dazu, was Ihr gethan habt, gab, so ist es ohne Absicht geschehen. So gewarnt, bitte ich Euch, Eure Gewalt über mich zu vergessen, und mich abziehen zu lassen. Eure Hoheit kann nichts von mir erlangen, außer durch Mittel, die ebenso unwürdig des Ritters wie des Mannes wären.« »Ihr seid kühn, Katharina,« sagte der Prinz; »aber weder als Ritter noch als Mann kann ich vermeiden, eine Ausforderung anzunehmen. Ich muß Euch lehren, wie gefährlich solche Ausforderungen sind.« Während er so sprach, versuchte er seine Arme wieder um sie zu legen; aber sie entwand sich der Umarmung und fuhr im nämlichen Tone fester Entschiedenheit fort: »Meine Kraft, Mylord, ist eben so groß, um mich in einem ehrenhaften Streite zu vertheidigen, als die Eurige sein kann, um mich in höchst unehrenhafter Absicht anzugreifen. Beschämt nicht Euch und mich, indem ihr es zum Kampfe kommen laßt. Ihr könnt mich durch Schläge betäuben oder Beistand rufen, um mich zu überwältigen; außerdem aber werdet Ihr Euern Zweck verfehlen.« »Zu welchem Barbaren willst du mich machen?« sagte der Prinz. »Die Gewalt, die ich brauchen möchte, ist keine andere, als welche Frauen entschuldigt, wenn sie ihrer Schwachheit nachgeben.« Er setzte sich in einiger Aufregung nieder. »Dann bewahrt sie,« sagte Katharina, »für jene Frauen, die solch' eine Entschuldigung wünschen. Mein Widerstand ist der des entschlossensten Muthes, welcher je durch Ehrliebe und Furcht vor Schande eingeflößt ward. Ach, Mylord, könnt' es Euch gelingen, so würdet Ihr nur jedes Band zwischen mir und dem Leben zerreißen – zwischen Euch selbst und der Ehre. Ich wurde falsch hieher gelockt, durch welche List, weiß ich nicht; aber müßte ich entehrt von hier weggehen, so wär' es, um jedem Lande in Europa den Zerstörer meines Glückes anzuzeigen. Ich nähme den Wanderstab in die Hand, und wo nur die Ritterlichkeit geehrt würde, oder Schottlands Name gehört worden wäre, da würde ich den Erben von hundert Königen, den Sohn des gütigen Robert Stewart, den Nachkommen des Helden Bruce – einen falschen, treulosen Mann nennen, unwerth der Krone, die ihn erwartet, und der Sporen, die er trägt. Jede Dame im weiten Europa hielt' Euren Namen für zu schlecht für ihren Mund – jeder würdige Ritter hielt' Euch für einen verworfenen Elenden, der dem ersten Waffengelübde, dem Schutze der Frauen und der Vertheidigung des Schwachen, treulos geworden.« Rothsay nahm seinen Sitz wieder ein und betrachtete sie mit einer Miene, worin Unwillen mit Bewunderung gemischt war. »Ihr vergeßt, zu wem Ihr sprecht, Mädchen. Wißt, die Auszeichnung, die ich Euch erwies, ist eine, wofür sich Hunderte, deren Schleppe Ihr zu tragen geboren seid, sich dankbar fühlen würden.« »Noch einmal, Mylord,« begann Katharina wieder, »behaltet solche Gunst für Jene, welche sie schätzen, oder vielmehr bewahrt Eure Zeit und Gesundheit für andere und edlere Bestrebungen, – für die Vertheidigung Eures Vaterlandes und das Glück Eurer Unterthanen. Ach, Mylord! wie gern möchte ein jauchzendes Volk Euch zu seinem Oberherrn annehmen! – Wie freudig würden sie Euch umringen, zeigtet Ihr ihnen den Wunsch, sie zu führen gegen die Unterdrückung der Mächtigen, die Gewaltthat der Gesetzlosen und die Tyrannei der Heuchler.« Der Herzog von Rothsay, dessen tugendhafte Gefühle eben so leicht erregt wurden, als sie schwanden, war gerührt durch die Begeisterung, mit welcher sie sprach. »Verzeih' mir, wenn ich dich beunruhigte, Mädchen,« sagte er; »du bist zu edelsinnig, um das Spielwerk flüchtiger Lust zu sein, wozu dich mein Irrthum bestimmte; und ich hätte Euch, wäre auch Eure Geburt Eures edlen Geistes und Eurer großen Schönheit würdig, ich hätte Euch kein Herz zu geben; und nur Huldigung des Herzens darf um ein Mädchen werben, wie du bist. Aber meine Hoffnungen sind verwelkt, Katharina – das einzige Mädchen, das ich liebte, wurde mir durch den Willen der Staatskunst entrissen und mir ein Weib aufgedrungen, die ich immer verabscheuen müßte, und besäße sie selbst die milde Sanftmuth, die allein ein Weib in meinen Augen liebenswürdig macht. Auch meine Gesundheit schwindet in der Jugend hin, und Alles, was mir übrig bleibt, ist, so viel Blumen zu pflücken, als ich auf meinem kurzen Wege zum Grabe erlangen kann. Sieh meine schwindsüchtige Wange – fühle, wenn du willst, meinen unterbrochenen Pulsschlag, und bemitleide und entschuldige mich, wenn ich, dessen Rechte als Fürst und Mensch man geraubt und mit Füßen getreten hat, oft gleichgiltig gegen die Rechte Anderer bin, und dem selbstsüchtigen Verlangen nachgebe, dem Wunsche eines flüchtigen Augenblicks zu genügen.« »O, Mylord!« rief Katharina mit der Begeisterung, welche ihrem Charakter eigen war – »ich bitte Euch, mein theurer Herr – denn theuer muß der Erbe Bruce's jedem Kinde Schottlands sein – laßt mich Euch nicht solche Worte sprechen hören! Euer ruhmwürdiger Ahn trug Verbannung, Verfolgung, die Nacht des Hungers und den Tag des ungleichen Kampfes, um sein Vaterland zu befreien – übt die nämliche Selbstverläugnung, um Euch selbst frei zu machen. Entreißt Euch denen, die ihren Weg zur Größe durch Nährung Eurer Laster gebahnt finden. Mißtraut dem finstern Ramorny! Ihr kennt ihn nicht, das weiß ich! – Ihr könnt ihn nicht kennen. Aber der Elende, der die Tochter auf die Bahn der Schande drängen will, indem er das Leben des alten Vaters bedroht, ist alles Schlechten fähig – Alles fähig, was verräterisch ist!« »That Ramorny dies?« sagte der Prinz. »Er that es allerdings, Mylord, und er wagt nicht, es zu läugnen.« »Es soll untersucht werden,« antwortete der Herzog von Rothsay; »ich habe aufgehört, ihn zu lieben; aber er hat meinetwillen viel gelitten, und ich muß sehen, daß seine Dienste ehrenvoll belohnt werden.« »Seine Dienste! O, Mylord, wenn Chroniken wahr sprechen, so legten solche Dienste Troja in Trümmer und gaben Spanien den Ungläubigen in die Hände.« »Still, Mädchen; sprich mit Mäßigung, ich bitte dich,« sagte der Prinz, aufstehend; »unser Gespräch endigt hier.« »Noch ein Wort, Mylord, Herzog von Rothsay,« sagte Katharina mit Lebhaftigkeit, während ihr schönes Gesicht dem eines warnenden Engels glich – »ich kann nicht sagen, was mich antreibt, so kühn zu sprechen, aber das Feuer brennt in mir und will herausbrechen. Verlaßt dies Schloß ohne eine Stunde zu zögern! Die Luft ist ungesund für Euch. Entlaßt diesen Ramorny, bevor der Tag zehn Minuten älter ist! Seine Gesellschaft ist höchst gefährlich.« »Welchen Grund habt Ihr, dies zu sagen?« »Keinen besonderen,« sagte Katharina, über ihren eigenen Eifer betroffen, – »keinen vielleicht, außer meine Besorgniß für Eure Sicherheit.« »Auf leere Besorgniß darf der Erbe von Bruce nicht achten. Wie, heda! wer wartet draußen?« Ramorny trat ein und verbeugte sich tief vor dem Herzog und dem Mädchen, die er wahrscheinlich zur Stelle einer Lieblingssultanin bestimmt glaubte, und folglich zu höflicher Aufwartung berechtigt.« »Ramorny,« sagte der Prinz, »ist unter der Dienerschaft irgend eine anständige Frau, welche tauglich ist, dieser Jungfrau aufzuwarten, bis wir sie hinsenden können, wohin sie zu gehen wünscht?« »Ich fürchte,« antwortete Ramorny, »wenn es Eurer Hoheit nicht mißfällt, die Wahrheit zu hören, daß Euer Haushalt in dieser Hinsicht schlecht versehen ist; und um die Wahrheit zu sagen, die Sängerin ist die Anständigste unter uns.« »Also laßt sie diesem jungen Mädchen aufwarten, da keine Bessere vorhanden ist. – Habe Geduld, Mädchen, auf einige Stunden.« Katharina entfernte sich. »Wie, Mylord, – scheidet Ihr so bald von dem schönen Mädchen von Perth? Das ist, in der That, der Uebermuth des Sieges.« »Hier ist weder von Sieg noch von Niederlage die Rede,« erwiderte der Prinz trocken. »Das Mädchen liebt mich nicht; auch liebe ich sie nicht genug, um mich hinsichtlich ihrer Bedenklichkeiten zu quälen.« »Der keusche jungfräuliche Malcolm lebt in einem seiner Nachkommen wieder auf!« sagte Ramorny. »Begünstigt mich, Sir, mit einem Stillstand Eures Witzes, oder mit einem andern Gegenstand für denselben. Es ist Mittag, glaub' ich, und Ihr werdet mich verbinden, wenn Ihr die Mahlzeit auftragen laßt.« Ramorny verließ das Zimmer, aber Rothsay glaubte ein Lächeln auf seinem Gesichte zu entdecken, und der Gegenstand für den Spott dieses Mannes zu sein, machte ihm nicht geringe Pein. Er rief indeß den Ritter zu seiner Tafel und erwies selbst Dwining dieselbe Ehre. Die Unterhaltung war lebendigen und muntern Charakters, ein Ton, den der Prinz förderte, als wollte er dadurch seine sittliche Strenge an diesem Morgen gut machen, die Ramorny, welcher in alten Geschichten belesen war, die Kühnheit hatte, mit der Enthaltsamkeit Scipio's zu vergleichen. Die Mahlzeit wurde, trotz des Herzogs schwankender Gesundheit, übermüthiger Weise weit über die Grenzen der Mäßigung hinausgezogen; und, geschah es nun blos wegen der Stärke des Weines, den er trank, oder wegen seiner schwachen Constitution, oder auch, was am wahrscheinlichsten ist, weil der letzte Wein, den er genoß, von Dwining eine Beimischung erhielt, kurz, der Prinz fiel zuletzt in einen tiefen Schlaf, aus dem ihn zu wecken unmöglich schien. Sir John Ramorny und Dwining trugen ihn in sein Gemach, ohne fremde Hilfe, außer von einer dritten Person, die wir später nennen werden. Am nächsten Morgen ward verkündigt, der Prinz sei von einer ansteckenden Krankheit ergriffen, und um zu verhüten, daß sich dieselbe unter die Dienerschaft verbreite, ward Niemandem gestattet, ihm aufzuwarten, außer seinem ehemaligen Stallmeister, dem Arzt Dwining und dem bereits erwähnten Diener; Einer von ihnen schien stets in dem Zimmer zu bleiben, während die Andern eine gewisse Vorsicht hinsichtlich ihrer Gespräche mit den übrigen Hausgenossen beobachteten, und zwar so streng, daß sie den Glauben aufrecht hielten, er liege gefährlich an einer ansteckenden Krankheit darnieder. Zweiunddreißigstes Kapitel In langen Winternächten sitz' am Feuer Mit guten alten Leuten, und laß dir erzählen Von längst entschwundner, jammervoller Zeit; Und eh' du gute Nacht sagst, zur Vergeltung Erzähl' du ihnen mein betrübtes Ende. König Richard II. Akt V. Scene l. Sehr anders aber war das Schicksal des irregeleiteten Erben von Schottland gewesen, als man es in der Stadt Falkland ausstreute. Sein ehrgeiziger Oheim hatte seinen Tod beschlossen, als einziges Mittel zur Beseitigung der ersten und furchtbarsten Schranke zwischen seiner eigenen Familie und dem Throne. James, der jüngere Sohn des Königs, war nur ein Knabe, der mit mehr Muße leicht beseitigt werden konnte. Ramorny's Aussichten aus größere Macht und die Rachlust, die er seit Kurzem gegen seinen Gebieter nährte, machten ihn zum bereitwilligen Werkzeug für Rothsay's Untergang. Dwining leitete dabei seine Habsucht und natürliche Bosheit. Man beschloß mit der berechnendsten Grausamkeit, alle Mittel zu vermeiden, die Zeichen gewaltsamen Todes hinterlassen würden, und das Leben durch Entziehung jedes Heilmittels für einen schwachen und angegriffenen Körper von selber erlöschen zu lassen. Der Prinz von Schottland sollte nicht ermordet werden, wie Ramorny sich bei einer andern Gelegenheit ausgedrückt hatte, – er sollte nur aufhören zu leben. Rothsay's Schlafgemach im Schlosse Falkland war zur Ausführung eines so schrecklichen Planes wohlgeeignet. Eine kleine schmale Treppe, deren Vorhandensein man kaum gewahrte, und die eine Fallthüre im Zimmer schloß, führte durch einen Gang in die unterirdischen Kerker des Schlosses, durch welchen der Schloßherr insgeheim und verkleidet die Bewohner dieser furchtbaren Region besuchen konnte. Auf dieser Treppe brachten die Verruchten den besinnungslosen Prinzen in den tiefsten Kerker des Schlosses, so weit in den Eingeweiden der Erde, daß kein Geschrei und Stöhnen vernommen werden konnte, während die Stärke der Thüren und der Schlösser, auch wenn der Eingang entdeckt worden wäre, lange Zeit der Gewalt getrotzt hätte. Bonthron, der nur zu diesem Zwecke vom Galgen gerettet wurde, war das thätige Werkzeug der unmenschlichen Grausamkeit Ramorny's gegen seinen verführten und verrathenen Herrn. Dieser Elende besuchte den Kerker zu der Zeit, als des Prinzen Lethargie zu weichen begann und als er, zur Besinnung erwachend, tödtliche Kälte empfand, unfähig sich zu regen und belastet mit Ketten, die ihm kaum gestatteten, sich auf dem feuchten Stroh zu erheben, auf welches er gelegt war. Sein erster Gedanke war, er sei in einem fürchterlichen Traume – sein nächster ließ ihn die Wahrheit dunkel ahnen. Er rief, lärmte, schrie endlich wie rasend – aber keine Hilfe kam und nur das Kerkergewölbe antwortete. Das Werkzeug der Hölle hörte dieses Schreien der Verzweiflung und berechnete es kalt gegen die Vorwürfe und den Hohn, womit Rothsay seine ahnungsvolle Abneigung gegen ihn ausgedrückt hatte. Als der unglückliche Jüngling erschöpft und hoffnungslos schwieg, beschloß der Grausame, sich seinem Gefangenen zu zeigen. Die Schlösser rasselten und der Riegel fiel; der Prinz stand auf, so weit es seine Ketten erlaubten – ein rother Lichtstrahl, gegen den er die Augen schloß, strömte durch's Gewölbe, und als er sie wieder öffnete, sah er die scheußliche Gestalt eines Mannes, den er für todt halten mußte. Er sank voll Entsetzen zurück. »Ich bin verurtheilt und verdammt!« rief er; »und der abscheulichste Teufel in den höllischen Regionen ist gesendet, mich zu quälen!« »Ich lebe, Mylord,« sagte Bonthron; »und damit Ihr leben und Euch des Lebens freuen mögt, so gefall' es Euch, aufzustehen und Eure Lebensmittel zu essen.« »Befreie mich von diesen Eisen,« sagte der Prinz, – »erlöse mich aus diesem Kerker, – und, ein Hund wie du bist, sollst du der reichste Mann in Schottland sein.« »Gäbt Ihr mir das Gewicht Eurer Ketten in Gold,« sagte Bonthron, »ich möchte doch lieber das Eisen an Euch sehen, als selber den Schatz haben! – Aber blickt auf – Ihr wart gewohnt, ein gutes Mahl zu lieben – seht, wie ich für Euch gesorgt habe.« Der Elende entfaltete mit teuflischer Freude ein Stück rohen Felles, worein das Bündel, das er unterm Arme trug, gewickelt war, und indem er das Licht darüber hin und her bewegte, zeigte er dem unglücklichen Prinzen einen frisch vom Rumpfe gehauenen Stierkopf, was in Schottland als sicheres Zeichen des Todes bekannt war. Er legte ihn zu Füßen des Bettes oder vielmehr der Streu, worauf der Prinz lag. »Seid mäßig in Eurer Nahrung,« sagte er; »es wird wahrscheinlich lange dauern, eh' Ihr ein anderes Gericht bekommt.« »Sage mir nur eins, Elender,« sagte der Prinz. »Weiß Ramorny um diesen Streich?« »Wie wärest du sonst hieher gelockt worden? Arme Schnepfe, du bist gefangen!« antwortete der Mörder. Mit diesen Worten schloß sich die Thür, die Riegel hallten und der unglückliche Prinz blieb in Finsterniß, Einsamkeit und Elend. »O mein Vater! – mein prophetischer Vater! – Der Stab, auf dem ich lehnte, hat sich in der That als Speer erwiesen!« – Wir wollen bei den folgenden Stunden, ja Tagen voll leiblichem Schmerz und Seelenverzweiflung nicht weilen. Aber es war nicht der Wille des Himmels, daß ein so großes Verbrechen ungestraft verübt werden sollte. Katharina Glover und die Sängerin, vernachlässigt von den anderen Hausgenossen, welche mit den Nachrichten von des Prinzen Krankheit beschäftigt schienen, durften indeß das Schloß nicht eher verlassen, als bis man sehen würde, wie diese schreckliche Krankheit sich ende, und ob sie wirklich ansteckend sei. Zur Gesellschaft beiderseitig gezwungen, wurden die Mädchen einander Gefährtinnen, wo nicht Freundinnen, und die Verbindung wurde noch etwas enger, als Katharina fand, daß es dieselbe Sängerin war, derentwillen Harry Wynd bei ihr in Ungnade fiel. Sie vernahm nun seine gänzliche Unschuld und hörte begeistert das Lob, womit Louise ihren tapfern Beschützer überhäufte. Auf der andern Seite verweilte die Sängerin, welche Katharina's höhern Stand und Charakter wohl anerkannte, gern bei einem Gegenstande, der ihr zu gefallen schien, und zeigte ihre Dankbarkeit gegen den tapfern Schmied in der Wiederholung des kleinen Liedes: »Du, kühn, voll Muth,« welches lange ein Lieblingslied in Schottland war. Du, kühn, voll Muth, Mit blauem Hut, In dem nie Lüg' und Furcht geruht! Deß Herzen stets sein Wort war werth, Deß Hand getreu war seinem Schwert – Durchsuch' Europa fern und nah, Der Blauhut ist bei mir nur da! Ich sah wohl Deutschlands muth'ge Schaar – Sah Frankreichs tapfre Ritter zwar, Bei Schwert und Lanze groß, fürwahr! Ich sah wohl Englands tapfern Sohn Und seiner braunen Streitaxt Droh'n. Ob Frankreich schön und England frei: Der Blauhut wohnt doch mir nur bei! Kurz, obwohl Louisens verrufene Beschäftigung unter anderen Umständen für Katharina ein Hinderniß gewesen wäre, freiwillig ihre Gesellschaft zu theilen, so fand sie in ihr doch, bei ihrem gezwungenen Zusammensein, eine bescheidene und gefällige Gefährtin. Sie verlebten auf diese Weise vier oder fünf Tage, und um so viel als möglich das Angaffen oder auch wohl die Unarten der Diener zu vermeiden, bereiteten sie sich ihre Nahrung auf ihrem Zimmer. Wenn es durchaus nöthig war, mit den Leuten zu verkehren, so übernahm Louise, die sich mehr zu helfen wußte, aus Gewohnheit und um Katharinen zu gefallen, das Geschäft, vom Küchenmeister das Nöthige zu ihrem kleinen Mahl zu holen und mit der Geschicklichkeit ihrer Heimath zu bereiten. Die Sängerin war in dieser Absicht am sechsten Tage ein wenig vor Mittag weggegangen, und das Verlangen nach frischer Luft, die Hoffnung, etwas Salat oder Küchenkraut, oder doch einige zeitige Blumen zu finden, um damit ihren Tisch zu schmücken, hatte sie in den Schloßgarten gelockt. Sie trat wieder in's Gemach, bleich wie Asche und gleich Espenlaub zitternd. Ihr Schrecken ging sogleich auf Katharinen über, die kaum Worte fand, zu fragen, welch' neues Unglück sich ereignet habe. »Ist der Herzog von Rothsay todt?« »Schlimmer! Sie lassen ihn lebendig verhungern!« »Du bist wahnsinnig, Mädchen!« »Nein, nein, nein!« sagte Louise, außer Athem, und ihre Worte so schnell hervorbringend, daß Katharina sie kaum verstehen konnte. »Ich suchte nach Blumen, weil Ihr gestern sagtet, Ihr liebtet sie – mein armer kleiner Hund, der sich in ein Gebüsch von Eiben und Hollunder drängte, das aus einigen alten Ruinen nahe bei der Schloßmauer wuchs, kam winselnd und heulend zurück – ich schlich mich hin, um zu sehen, was der Grund sei, und o! ich hörte das Stöhnen eines im Todeskampfe begriffenen Menschen, aber so schwach, daß es aus der Tiefe der Erde selbst herauszukommen schien. Endlich merkte ich, daß es aus einer kleinen Mauerspalte hervorkam, und als ich das Ohr dicht an die Oeffnung legte, hört' ich deutlich des Prinzen Stimme sagen: >Es kann nun nicht lange dauern;< und dann versank er in Etwas, wie ein Gebet.« »Gnädiger Himmel! – spracht Ihr zu ihm?« »Ich sagte: Seid Ihr's, Mylord? und die Antwort war: >Wer verhöhnt mich mit dem Titel?< – Ich fragte ihn, ob ich ihm helfen könnte, und er antwortete mit einer Stimme, die ich nimmer vergesse: >Nahrung! – Nahrung! – ich sterbe vor Hunger!< – Es kam ich hieher, es Euch zu erzählen. – Was kann geschehen? Sollen wir Lärm im Hause machen?« »Ach! das hieße ihn wahrscheinlicher verderben, als ihm helfen,« sagte Katharina. »Und was sollen wir dann thun?« sagte Louise. »Ich weiß noch nicht,« antwortete Katharina, entschlossen und kühn bei plötzlichen Vorfällen, obwohl sie ihrer Gefährtin bei gewöhnlichen Gelegenheiten an Erfindungsgabe nachstand. »Ich weiß noch nicht – aber Etwas wollen wir thun – das Blut der Bruce soll nicht hilflos sterben.« So sagend ergriff sie die kleine Schüssel, die ihre Suppe enthielt und das Fleisch, womit sie bereitet war, steckte einige dünne Kuchen, die sie gebacken hatte, in die Falten ihres Mantels, und indem sie ihrer Gefährtin winkte, mit einem Gefäß voll Milch, ebenfalls einem Theile ihrer Mahlzeit, zu folgen, eilte sie nach dem Garten. »So, will unsre schöne Vestalin fortgehen?« sagte der einzige Mann, dem sie begegnete, und der einer von den Dienern war; Katharina aber ging ohne Blick und Antwort vorüber und erreichte den kleinen Garten ohne fernere Störung. Louise zeigte ihr einen Trümmerhaufen, der, mit Gebüsch bedeckt, dicht an der Schloßmauer lag. Wahrscheinlich war es ursprünglich ein Vorsprung des Gebäudes gewesen, und der enge Spalt, der mit dem Kerker in Verbindung stand, um Lust zuzuführen, hatte sich darin geendet. Aber die Oeffnung war durch den Verfall etwas erweitert und ließ einen trüben Lichtstrahl hinab, obwohl derselbe nicht von denen bemerkt werden konnte, die den Ort mit Fackellicht besuchten. »Hier herrscht Todtenstille,« sagte Katharina, nachdem sie aufmerksam einen Augenblick gelauscht hatte. – »Himmel und Erde, er ist dahin!« »Wir müssen Etwas wagen,« sagte ihre Gefährtin, und ließ die Finger über die Saiten ihrer Laute laufen. Ein Seufzer war die einzige Antwort aus der Tiefe des Kerkers. Darauf wagte Katharina zu sprechen. »Ich bin hier, Mylord – ich bin hier, mit Nahrung und Getränk.« »Ha, Ramorny? – der Scherz kommt zu spät – ich sterbe,« war die Antwort. »Sein Hirn ist verwirrt, und kein Wunder,« dachte Katharina; »aber so lange Leben da ist, kann auch Hoffnung sein.« »Ich bin's, Mylord, Katharina Glover – ich habe Nahrung, wenn ich sie sicher zu Euch bringen könnte.« »Der Himmel segne dich, Mädchen! ich dachte, die Qual sei vorüber, aber es glüht wieder in mir bei dem Worte Nahrung.« »Die Nahrung ist hier, aber wie, ach! wie kann ich sie Euch mittheilen? Der Spalt ist so eng, die Mauer so dick! Doch es gibt ein Mittel – ich hab' es! – Schnell, Louise, schneide mir einen Weidenzweig, den längsten, den du findest.« Die Sängerin gehorchte, und mittelst eines Spaltes an dem Ende der Ruthe sendete Katharina mehrere Stücke der weichen Kuchen, in Brühe getaucht, hinab, die zugleich als Speise und Getränk dienten. Der junge unglückliche Mann aß wenig und mit Mühe, flehte aber tausendfachen Segen herab auf das Haupt seiner Trösterin. »Ich hatte dich zur Sklavin meiner Laster bestimmt,« sagte er, »und doch suchst du die Erhalterin meines Lebens zu werden! Aber hinweg und rette dich selbst.« »Ich kehre mit Nahrung zurück, sobald ich Gelegenheit finde,« sagte Katharina, eben als die Sängerin sie am Aermel zupfte und bat, zu schweigen und still zu stehen. Beide verbargen sich unter die Ruinen, und sie hörten die Stimmen Ramorny's und des Arztes, die sich leise unterhielten. »Er ist stärker, als ich dachte,« sagte der Erstere in tiefem, krächzendem Tone. »Wie lange hielt Dalwolsy aus, als ihn der Ritter von Liddesdale in seinem Schloß von Hermitage einkerkerte?« »Vierzehn Tage,« antwortete Dwining; »aber er war ein starker Mann und hatte einigen Beistand durch Korn, welches aus einer Kornkammer über seinem Gefängniß fiel.« »Wär' es nicht besser, die Sache schnell zu enden? Der schwarze Douglas kommt diesen Weg. Er ist nicht in Albany's Geheimniß. Er wird den Prinzen sehen wollen, und Alles muß vorüber sein, eh' er kommt.« Sie gingen in ihrem düsteren und verhängnißvollen Gespräch vorüber. »Nun gewinnen wir das Schloß,« sagte Katharina zu ihrer Gefährtin, als sie sah, daß Jene den Garten verlassen hatten. »Ich hatte einen Plan der Flucht für mich – ich will ihn in einen der Rettung des Prinzen verwandeln. Die Schaffnerin betritt das Schloß zur Vesperzeit und läßt gewöhnlich ihren Mantel in dem Gange, während sie die Milch zum Küchenmeister trägt. Nimm du den Mantel, hülle dich darein und gehe kühn am Wächter vorbei; er ist gewöhnlich betrunken um diese Stunde, und du wirst, gleich der Melkerin, ungefragt durch Thor und Brücke kommen, wenn du dich nur mit Selbstvertrauen benimmst. Dann eile zum schwarzen Douglas, er ist unsere nächste und einzige Hilfe.« »Aber,« sagte Louise, »ist er nicht jener schreckliche Lord, der mich mit Schmach und Strafe bedrohte?« »Glaube mir,« sagte Katharina, »Leute wie du und ich bleiben nie eine Stunde in Douglas' Gedächtniß, weder im Guten noch im Bösen. Sag' ihm, daß sein Schwiegersohn, der Prinz von Schottland, stirbt – verrätherisch verhungert – im Schloß Falkland, und du wirst nicht allein Gnade, sondern Lohn erwerben.« »Ich frage nicht nach Lohn,« sagte Louise, »die That wird sich selbst belohnen. Aber mich dünkt, zu bleiben ist gefährlicher als zu gehen. – Laß mich daher bleiben und den unglücklichen Prinzen ernähren; Ihr aber geht fort, um Hilfe zu bringen. Wenn sie mich vor Eurer Rückkehr tödten, so lass' ich Euch meine arme Laute und bitt' Euch, freundlich mit meinem armen Charlot zu sein.« »Nein, Louise,« erwiderte Katharina, »Ihr seid eine privilegirtere und erfahrenere Wandererin, als ich – geht Ihr – und wenn Ihr mich todt bei Eurer Rückkehr findet, was wohl möglich ist, so gebt meinem armen Vater diesen Ring und eine Locke meines Haares, und sagt ihm, Katharina starb, während sie Bruce's Blut erretten wollte. Und diese andere Locke gebt Harry; sagt, daß Katharina zuletzt seiner gedachte, und daß, wenn er sie für zu bedenklich hielt hinsichtlich des Blutes Anderer, er erkennen möge, daß es nicht geschah, weil sie ihr eigenes hochschätzte.« Sie schluchzten, einander in den Armen liegend, und die Stunden bis zum Abend verflossen mit Berathungen, wie man auf bessere Weise den Gefangenen mit Nahrung versehen könne, und mit Verfertigung einer Röhre, die aus ineinandergeschobenem Schilfrohr bestand, mittelst deren man ihm Flüssigkeit zuführen konnte. Die Glocke der Dorfkirche von Falkland läutete zur Vesper. Die Schaffnerin trat mit ihren Gefäßen ein, um die Milch für den Haushalt abzuliefern und Neuigkeiten zu erzählen und zu hören. Sie war kaum in die Küche getreten, als die Sängerin sich noch ein Mal in Katharinens Arme warf, sie ihrer unwandelbaren Treue versicherte und, das Hündchen unterm Arm, still die Treppe hinunterschlich. Einen Augenblick später sah die athemlose Katharina sie, in der Schaffnerin Mantel gehüllt, ruhig über die Zugbrücke gehen. »Nun,« sagte der Wächter. »Ihr kehrt heute früh zurück, May Bridget? Wenig Spaß im Schloß – ja, Weib! – kranke Zeiten sind traurige Zeiten.« »Ich habe mein Kerbholz vergessen,« sagte die schnell besonnene Französin, »und komme wieder, eh' man einen Milcheimer ausschöpft.« Sie ging weiter, vermied das Dorf Falkland und schlug einen Fußpfad ein, der durch den Park führte. Katharina athmete frei und pries Gott, als sie sie in der Ferne verschwinden sah. Noch eine ängstliche Stunde dauerte es, bis man die Flucht der Sängerin entdeckte. Dies geschah, sobald die Schaffnerin, die sich eine Stunde zu einem Geschäft genommen hatte, wozu zehn Minuten genügten, zurückkehren wollte, und fand, daß Jemand ihren grauen Friesmantel weggenommen hatte. Sogleich wurde genaue Untersuchung angestellt; endlich erinnerten sich die Mägde der Sängerin und wagten zu flüstern, dieser könne es wohl eingefallen sein, ein altes Kleid für ein neues auszutauschen. Der Wächter wurde streng befragt und gab an, er habe die Schaffnerin gleich nach der Vesperglocke hinausgehen sehen, und als diese selbst es läugnete, sagte er, so könne es kein Anderer, als der Teufel gewesen sein. Da indeß die Sängerin nicht gefunden werden konnte, so ließen sich die wirklichen Umstände der Sache leicht ahnen, und der Hausverwalter ging, um Sir John Ramorny und Dwining zu benachrichtigen (die jetzt fast nie getrennt waren), daß eine ihrer weiblichen Gefangenen entflohen sei. Jeder Umstand erweckt den Argwohn des Schuldigen. Sie sahen einander mit unzufriedenen Gesichtern an, und begaben sich sofort mit einander in Katharinens niederes Gemach, um sie wo möglich mit der Untersuchung über Louisens Verschwinden zu überraschen. »Wo ist Eure Gefährtin, Mädchen?« sagte Ramorny in strengem und ernstem Tone. »Ich habe keine Gefährtin hier,« antwortete Katharina. »Keine Ausflucht,« erwiderte der Ritter; »ich meine die Sängerin, die jüngst mit Euch dies Zimmer bewohnte.« »Sie ist fort, sagt man mir,« – sagte Katharina, »fort seit einer Stunde.« »Und wohin?« sagte Dwining. »Wie,« antwortete Katharina, »soll ich den Weg wissen, den eine Wandererin von Handwerk wählen mag? Sie war ohne Zweifel des einsamen Lebens müde, welches so verschieden ist von den Scenen der Festlichkeit und des Tanzes, zu denen sie ihr Beruf oft führt. Sie ist fort, und dabei nur zu bewundern, daß sie so lange dageblieben ist.« »Dies ist also Alles,« sagte Ramorny, »was Ihr uns berichten könnt?« »Alles, was ich Euch zu berichten habe, Sir John,« antwortete Katharina mit Festigkeit; »und wenn der Prinz selber fragte, ich könnt' ihm nicht mehr sagen,« »Es ist wenig Gefahr, daß er Euch wieder die Ehre anthun werde, in Person mit Euch zu reden,« sagte Ramorny, »selbst wenn Schottland dem Unglück entgeht, durch seinen Tod elend zu werden.« »Ist der Herzog von Rothsay so sehr krank?« fragte Katharina. »Keine Hilfe, außer im Himmel,« antwortete Ramorny, emporblickend. »So möge von dort doch Hilfe kommen,« sagte Katharina, »wenn menschliche Hilfe nichts vermag.« »Amen!« sagte Ramorny mit dem entschiedensten Ernst, während Dwining ein Gesicht schnitt, welches dies Gefühl auch ausdrücken sollte, obwohl es ihm einen peinlichen Kampf zu kosten schien, sein höhnisches, aber leises Triumphgelächter zu unterdrücken, welches besonders durch Alles, was eine religiöse Färbung hatte, erregt ward. »Und Menschen sind es – irdische Menschen und nicht eingefleischte Teufel, die so den Himmel anrufen, während sie tropfenweise das Lebensblut ihres unglücklichen Herrn verschlingen!« murmelte Katharina, als ihre beiden betroffenen Inquisitoren das Gemach verließen. – »Warum schläft der Donner? – aber er wird bald rollen, und o! möge es geschehen, sowohl zu erhalten als zu strafen.« Nur die Stunde des Mittagessens gewährte eine Zeit, wo, da Alles im Schlosse mit der Mahlzeit beschäftigt war, Katharina glaubte, sie hätte die beste Gelegenheit, sich zum Mauerspalt zu wagen, ohne besondere Gefahr zu fürchten. Während sie auf die Stunde wartete, bemerkte sie einige Bewegung im Schlosse, das seit der Einkerkerung des Herzogs von Rothsay still wie das Grab gewesen war. Das Fallgatter wurde niedergelassen und aufgezogen, und unter das Krachen der Maschine mischte sich Rossegetrappel, und Bewaffnete auf dampfenden und schnaubenden Pferden ritten ab und zu. Sie sah auch von ihrem Fenster, daß alle Diener, die ihr in die Augen fielen, bewaffnet waren. Bei alle dem klopfte ihr Herz stark, denn es ließ das Nahen der Hilfe hoffen, und überdies ließ das Getümmel den kleinen Garten einsamer als je. Endlich erschien die Mittagsstunde; sie hatte Sorge getragen, unter dem Vorwand ihrer eigenen Bedürfnisse, denen der Küchenmeister gern zu genügen schien, sich solche Speisen zu verschaffen, die sich am leichtesten zu dem unglücklichen Gefangenen bringen ließen. Sie flüsterte, um ihm ihre Gegenwart zu melden – keine Antwort erfolgte; – sie sprach lauter, aber noch blieb Alles still. »Er schläft,« – diese Worte murmelte sie halblaut und mit einem Schaudern, dem ein Zusammenfahren und ein Schrei folgte, als eine Stimme hinter ihr erwiderte: »Ja, er schläft; aber für immer.« Sie sah sich um. Sir John Ramorny stand hinter ihr in voller Rüstung, aber das Visir seines Helms war offen, und zeigte ein Gesicht, ähnlicher dem eines Sterbenden, als eines Mannes, der fechten will. Er sprach mit ernstem Tone, der zwischen dem des ruhigen Beobachters eines merkwürdigen Vorfalles und dem des thätigen Teilnehmers und Gehilfen dabei in der Mitte lag. »Katharina,« sagte er, »Alles ist wahr, was ich Euch sage. Er ist todt – Ihr habt Euer Bestes für ihn gethan – Ihr könnt nicht mehr thun.« »Ich will nicht – ich kann es nicht glauben,« sagte Katharina. »Der Himmel erbarme sich meiner! Es würde mich an der Vorsehung zweifeln lassen, zu denken, daß ein so großes Verbrechen vollbracht werden konnte.« »Zweifle nicht an der Vorsehung, Katharina, obwohl sie duldete, daß der Verworfene durch seine eigenen Rathschläge fiel. Folge mir – ich habe zu sagen, was dich angeht. – Folge mir, sag' ich,« (denn sie zögerte,) »wenn du es nicht vorziehst, der Gnade des rohen Bonthron und des Arztes Henbane Dwining überlassen zu bleiben.« »Ich will Euch folgen,« sagte Katharina. »Ihr könnt mir nicht mehr thun, als Euch gestattet wird.« Er führte sie nach dem Schlosse und erstieg Treppe nach Treppe, Leiter nach Leiter. Katharinens Entschlossenheit wich. »Ich will nicht weiter folgen,« sagte sie. »Wohin wollt Ihr mich führen? – Wenn zu meinem Tode, so kann ich hier sterben.« »Blos zu den Zinnen des Schlosses, Thörin,« sagte Ramorny, eine verriegelte Thür weit aufsperrend, die sich nach dem gewölbten Dache des Schlosses öffnete, wo man sogenannte Mangonels (Kriegsmaschinen, um Steine oder Pfeile zu werfen) und tüchtige Armbrüste rüstete, auch Steine zusammenhäufte. Aber die Vertheidiger waren an Zahl nicht über zwanzig, und Katharina glaubte Furcht und Unentschlossenheit unter ihnen zu bemerken. »Katharina,« sagte Ramorny, »ich darf diesen Posten nicht verlassen, der nothwendig zu meiner Verteidigung ist; aber ich kann hier so gut als anderswo mit Euch reden.« »So redet,« antwortete Katharina, – »ich bin bereit, Euch zu hören.« »Ihr habt Euch in ein blutiges Geheimniß gedrängt, Katharina. Habt Ihr Festigkeit genug, es zu bewahren?« »Ich versteh' Euch nicht, Sir John,« antwortete das Mädchen. »Seht Ihr. Ich habe erschlagen – ermordet, wenn Ihr wollt – meinen ehemaligen Herrn, den Herzog von Rothsay. Der Funke von Leben, den Eure Freundlichkeit nähren wollte, war leicht erstickt. Seine letzten Worte lauteten an seinen Vater. Ihr seid ohnmächtig – rafft Euch zusammen – Ihr habt mehr zu hören. Ihr kennt das Verbrechen, aber Ihr kennt nicht den Anlaß. Seht, dieser Handschuh ist leer – ich verlor meine rechte Hand für ihn; und als ich nicht mehr für seinen Dienst taugte, ward ich wie ein abgelebter Hund weggeworfen, mein Geschick verspottet, mir ein Kloster empfohlen, statt der Schlösser und Paläste, die meine natürliche Sphäre waren! Daran denkt – habt Mitleid und steht mir bei.« »Auf welche Weise könnt Ihr Beistand von mir verlangen?« sagte das zitternde Mädchen; »ich kann weder Euren Verlust ersetzen, noch Euer Verbrechen tilgen.« »Du kannst schweigen, Katharina, über das, was du in jenem Dickicht gesehen und gehört hast. Es ist nur eine kurze Vergeßlichkeit, die ich von dir verlange, auf deren Worte man, wie ich weiß, hören wird, mögt Ihr nun sagen, es geschah oder es geschah nicht. Das Wort deiner marktschreierischen Gefährtin, der Fremden, wird Niemand einer Nadelspitze werth achten. Willst du mir dies zugestehen, so nehme ich dein Versprechen für meine Sicherheit und öffne den Anrückenden das Thor. Versprichst du mir nicht Sicherheit, so vertheidige ich das Schloß, bis Alle gefallen sind, und schleudere dich rücklings von diesen Zinnen. Ja, sieh' sie nur an – es ist kein Sprung, dem man leicht Trotz bietet. Sieben Treppen gingst du mit Anstrengung und athemlos heran, aber du sollst in kürzerer Zeit vom Giebel bis auf den Grund kommen, als du einen Seufzer ausstößt! Sprich das Wort, schönes Mädchen; denn Ihr sprecht mit Einem, der Euch nicht gern schaden möchte, aber bei seinem Vorsatze beharrt.« Katharina stand erschrocken und unfähig, einem Menschen zu antworten, der ihr so verzweifelt schien; aber die Antwort ward ihr erspart, indem Dwining sich näherte. Er sprach mit derselben Demuth, die stets sein Benehmen auszeichnete, und mit seinem gewöhnlichen ironischen Lachen, welches jenes Benehmen Lügen strafte. »Ich thue Unrecht, edler Sir, daß ich mich zu Euch dränge, während Ihr mit einem schönen Mädchen beschäftigt seid. Aber ich komme, um eine kleine Frage zu thun.« »Sprich, Quäler!« sagte Ramorny. »Schlimme Nachrichten sind Scherz für dich, selbst wenn sie dich selber angehen, wofern sie nur auch Andere betreffen.« »Hm, – hi, hi! – ich wünschte nur zu wissen, ob Eure Herrlichkeit das ritterliche Geschäft der Vertheidigung des Schlosses mit einer einzigen Hand unternehmen will – ich bitt' um Verzeihung – ich meinte mit Eurem einzigen Arm? Die Frage ist der Rede werth, denn ich werde bei der Vertheidigung für wenig gut sein, außer wenn Ihr die Belagerer dahin bringen könnt, Arznei zu nehmen – hi, hi, hi ! und Bonthron ist so betrunken, als Bier und gebranntes Wasser ihn machen können – und Ihr, Er und Ich machen die ganze Besatzung aus, die zum Widerstand aufgelegt ist.« »Wie! – wollen die andern Hunde nicht fechten?« sagte Ramorny. »Man sah nimmer Leute, die weniger Lust dazu zeigten,« antwortete Dwining, »niemals; aber da kommt ein Paar von ihnen. – Venit extrema dies. – Hi, hi, hi!« Eviot und sein Gefährte Buncle näherten sich nun mit düsterer Entschlossenheit im Gesicht, gleich Männern, welche den Entschluß gefaßt haben, der Macht zu widerstehen, welcher sie lange gehorchten. »Wie steht's?« sagte Ramorny, ihnen entgegentretend. »Warum von eurem Posten? – Warum hast du die Warte verlassen, Eviot? – Und du anderer Bursch', trug ich dir nicht auf, nach den Mangonelen zu sehen?« »Wir haben Euch Etwas zu sagen, Sir John Ramorny,« antwortete Eviot. »Wir werden in dieser Fehde nicht fechten.« »Wie – meine eigenen Knappen meistern mich?« rief Ramorny. »Wir waren Eure Knappen und Pagen, Mylord, während Ihr in des Herzogs von Rothsay Diensten standet – man erzählt, der Herzog lebe nicht mehr – wir wünschen die Wahrheit zu wissen.« »Welcher Verräther wagt solche Lügen auszustreuen!?« sagte Ramorny. »Alle, welche ausgegangen sind, den Park zu besetzen, Mylord, und unter Andern bringe ich selbst dieselbe Nachricht zurück. Die Sängerin, welche das Schloß gestern verließ, hat das Gerücht überall ausgestreut, der Herzog von Rothsay sei ermordet oder dem Tode nah. Der Douglas zieht gegen uns mit einer starken Macht –« »Und ihr, Feiglinge, macht Euch ein müßig Gerücht zu nutze, um euern Herrn zu verlassen?« sagte Ramorny unwillig. »Mylord,« sagte Eviot, »laßt Buncle und mich den Herzog von Rothsay sehen, und seine persönlichen Befehle zur Vertheidigung des Schlosses empfangen, und wenn wir dann nicht bis zum Tode in diesem Kampfe fechten, so will ich mich gern auf den höchsten Thurm hängen lassen. Aber wenn er an natürlicher Krankheit gestorben ist, so wollen wir das Schloß dem Grafen von Douglas übergeben, der, wie man sagt, des Königs Statthalter ist – oder wenn, was der Himmel verhüte! – dem edlen Prinzen Arges widerfuhr, so wollen wir uns nicht in die Schuld verwickeln, indem wir die Waffen zum Schutze der Mörder brauchen, mögen sie sein, wer sie wollen.« »Eviot,« sagte Ramorny, seinen verstümmelten Arm erhebend, »wäre dieser Handschuh nicht leer, so hättest du's nicht erlebt, zwei Worte voll Unverschämtheit auszusprechen.« »Sei dem wie ihm wolle,« antwortete Eviot, »wir werden nur unsere Pflicht thun. Ich bin Euch lange gefolgt, Mylord, aber hier halt' ich den Zügel an.« »So fahrt denn wohl, und ein Fluch treff' euch Alle!« rief der erbitterte Baron. »Laßt mein Pferd vorführen!« »Unsere Tapferkeit ist im Begriff, davon zu laufen,« sagte der Apotheker, der dicht an Katharinens Seite geschlichen war, eh' sie es merkte. »Katharina, du bist eine abergläubische Närrin, wie die meisten Weiber; trotzdem hast du einigen Verstand, und ich spreche mit dir als einer Person, die mehr versteht, als die Büffel, die um uns herum weiden. Diese stolzen Barone, die nur so über die Welt wegschreiten, was sind sie am Tage des Unglücks? – Spreu vor'm Wind! Laßt ihre Schmiedehammerhände oder ihre Säulenfüße Schaden nehmen, und bah! – die Ritter sind weg – Herz und Muth ist ihnen nichts, Kraft und Glieder Alles; – gebt ihnen Thieresstärke, was sind sie anders, als wüthende Stiere? – nehmt diese weg und Euer ritterlicher Held kriecht auf dem Boden, wie ein lahmes Thier. Nicht so der Weise; so lang' ein Körnchen Verstand einem verwachsenen oder verstümmelten Körper übrig bleibt, soll sein Geist so stark sein, denn je. – Katharina, diesen Morgen sann ich auf Euern Tod; aber mich dünkt, es freut mich jetzt, daß Ihr noch lebt, um zu erzählen, wie der arme Mediciner, der Pillenvergolder, der Mörselstößer, der Gifthändler seinem Schicksal begegnete, in Gesellschaft mit dem tapfern Ritter von Ramorny, jetzigem Baron und künftigem Grafen von Lindores – Gott segne seine Herrlichkeit!« »Alter Mann,« sagte Katharina, »wenn du in der That dem Tage deines verdienten Schicksals so nahe bist, so wären andere Gedanken weit heilsamer, als die ruhmredigen Schwätzereien einer eitlen Philosophie. – Frage nach einem frommen Manne –« »Ja,« sagte Dwining verächtlich, »mich an einen fetten Mönch wenden, der – hi, hi, hi! – das barbarische Latein nicht versteht, was er auswendig hersagt. Der würde ein passender Rathgeber für Einen sein, der in Spanien und Arabien studirt hat! Nein, Katharina, ich will einen Beichtvater wählen, den man gern ansieht, und Ihr sollt mit dem Amte beehrt werden. – Nun, seht dort seine Tapferkeit – seine Augenbrauen tropfen vor Feuchtigkeit, seine Lippen beben vor Angst – hi, hi, hi! – – denn seine Tapferkeit bittet ihre ehemaligen Diener um das Leben, und hat nicht Beredtsamkeit genug, um sie zu bereden, sie entschlüpfen zu lassen. Seht, wie die Fibern seines Gesichts arbeiten, indeß er die undankbaren Bestien anfleht, die er mit Wohlthaten überhäuft hat, ihm nur eine so kurze Lebensfrist zu geben, als die Jagdhunde dem Hasen, wenn die Menschen ihm tüchtig nachsetzen. Seht auch die finstern, niedergeschlagenen, hündischen Gesichter, womit die schurkischen Knechte, zwischen Furcht und Schande schwankend, ihrem Herrn diese elende Frist versagen. Solche Wesen hielten sich für höher, als ein Mann wie ich! Und Ihr, thörichtes Mädchen, denkt so gemein von Eurer Gottheit, daß Ihr Elende wie sie für das Werk der Allmacht haltet!« »Nein! böser Mensch, nein!« sagte Katharina mit Wärme; »der Gott, den ich verehre, schuf diese Menschen mit der Fähigkeit, ihn zu erkennen und anzubeten, ihre Mitgeschöpfe zu schützen und zu schirmen, Frömmigkeit und Tugend zu üben. Ihre eigenen Laster und die Versuchungen des Bösen haben sie so gemacht, wie sie jetzt sind. O, nimm diese Lehre auf in dein Herz von Diamant! der Himmel machte dich klüger als deine Nebenmenschen, gab dir Augen, um in die Geheimnisse der Natur zu sehen, einen scharfen Verstand und eine geschickte Hand; aber dein Stolz hat all' diese schönen Gaben vergiftet und einen gottlosen Atheisten aus einem Mann gemacht, der ein christlicher Weiser hätte sein können!« »Atheist, sagst du?« antwortete Dwining; »vielleicht hab' ich Zweifel in dieser Sache – aber sie werden bald gelöst sein. Dort kommt Einer, der mich, wie zuvor Tausende, an den Ort geschickt hat, wo sich alle Geheimnisse aufklären werden.« Katharina folgte dem Auge des Arztes nach den Waldlichtungen und sah, daß sie von einer Reiterschaar bedeckt waren, die im vollen Galopp anrückte. In ihrer Mitte wehte eine Fahne, die, obwohl Katharina ihr Wappen nicht sehen konnte, doch durch ein Gemurmel ringsum als die des schwarzen Douglas anerkannt wurde. Sie machten einen Pfeilschuß vom Schlosse halt, und ein Herold mit zwei Trompetern ritt an das Hauptthor, wo er nach einem lautschmetternden Trompetenstoß Einlaß begehrte für den hohen und gefürchteten Archibald, Grafen von Douglas, Lordstatthalter des Königs, derzeit mit unumschränkter Vollmacht Seiner Majestät versehen; zugleich wurde allen Bewohnern bei Strafe des Hochverraths befohlen, die Waffen niederzulegen. »Hört Ihr?« sagte Eviot zu Ramorny, der düster und unentschlossen dastand. »Wollt Ihr die Uebergabe des Schlosses befehlen, oder muß ich – « »Nein, Schurke!« unterbrach ihn der Ritter, »bis an's Ende will ich Euch befehlen. Oeffnet die Thore, laßt die Brücke nieder und übergebt das Schloß dem Douglas.« »Nun, das kann man doch eine tapfere That aus freiem Willen nennen,« sagte Dwining. »Just, wie wenn die metallenen Dinger, die seit einer Minute schreien, sich anmaßten, die Töne sich selber beizulegen, die ein dickbackiger Trompeter hineingeblasen hat.« »Elender Mensch,« sagte Katharina, »entweder schweigt, oder wendet Eure Gedanken auf die Ewigkeit, an deren Rande Ihr steht.« »Und was geht das dich an?« antwortete Dwining. »Du, Dirne, kannst nicht umhin, zu hören, was ich dir sage, und du wirst es wieder erzählen, weil dein Geschlecht keins von beiden lassen kann. Perth und ganz Schottland sollen wissen, welch einen Mann sie in Henbane Dwining verloren haben.« Das Geklirr der Waffe verkündigte nun, daß die neuen Ankömmlinge abgestiegen waren und das Schloß betreten hatten, während sie die kleine Besatzung entwaffneten. Graf Douglas erschien selbst mit einigen seiner Leute auf den Zinnen, und wies sie an, Ramorny und Dwining gefangen zu nehmen. Andere schleppten aus einem Winkel den betäubten Bonthron. »Diese Drei waren's, denen die Wache des Prinzen allein übertragen war während seiner angeblichen Krankheit?« sagte Douglas, eine Untersuchung fortsetzend, die er im Saale des Schlosses begonnen hatte. »Kein Anderer sah ihn, Mylord!« sagte Eviot, »obwohl ich meine Dienste anbot.« »Führt uns in des Herzogs Zimmer und bringt die Gefangenen mit – es soll sich auch ein Weib im Schlosse befinden, wenn man sie nicht ermordet oder hinweggezaubert hat – die Gefährtin der Sängerin, welche die erste Nachricht brachte.« »Sie ist hier, Mylord,« sagte Eviot, Katharinen vorführend. Ihre Schönheit und Rührung machten selbst auf den unempfindlichen Grafen einigen Eindruck. »Fürchte nichts, Mädchen,« sagte er, »du hast Lob und Belohnung verdient. Sage mir, wie wenn du dem Himmel beichtetest, Alles, wovon du im Schlosse Zeuge gewesen.« Mit einigen Worten berichtete Katharina die furchtbare Geschichte. »Es stimmt,« sagte Douglas, »mit der Erzählung der Sängerin Punkt für Punkt überein. – Nun zeigt uns des Prinzen Zimmer.« Sie gingen nach dem Gemach, wo der unglückliche Herzog von Nothsay angeblich gewohnt hatte; aber der Schlüssel war nicht zu finden, und der Graf konnte nur Zutritt erlangen, indem man die Thür sprengte. Beim Eintritt entdeckte man den abgezehrten und schmutzigen Körper des Prinzen, wie in Eile auf's Bett geworfen. Die Absicht der Mörder war offenbar gewesen, den Leichnam so in Stand zu setzen, daß er einem längst Gestorbenen ähnlich sehe; aber sie waren durch die Unruhe, die Louisens Flucht veranlaßt hatte, gestört worden. Douglas betrachtete den Leichnam des verführten Jünglings, dessen wilde Leidenschaften und Launen ihn zu dieser verhängnißvollen und vorzeitigen Katastrophe gebracht hatten. »Ich hatte Beleidigungen zu rächen,« sagte er; »aber ein Anblick wie dieser verbannt alle Erinnerung an Beleidigungen!« »Hi, hi! – er hätte geordnet werden sollen,« sagte Dwining, »um Eurer Herrlichkeit mehr zu gefallen; aber Ihr kamt plötzlich über uns, und eilige Herren verursachen schlechten Dienst.« Douglas schien nicht zu hören, was sein Gefangener sagte, so eifrig prüfte er die verfallenen und zerstörten Züge und steifen Glieder des Leichnams vor ihm. Katharina, überwältigt von Unwohlsein und Ohnmacht, erhielt endlich Erlaubniß, sich von dem furchtbaren Anblick zurückzuziehen, und fand durch Verwirrung aller Art den Weg nach ihrem früheren Gemach, wo Louise, die indeß zurückgekehrt war, sie in die Arme schloß. Die Untersuchungen Douglas' schritten fort. Man fand, daß die starre Hand des Prinzen eine Haarlocke krampfhaft umfaßt hielt, an Farbe und Stärke dem kohlschwarzen verworrenen Haar Bonthrons gleich. So, obwohl Hunger das Werk begonnen hatte, schien es doch, daß Rothsan's Tod endlich durch Gewalt vollständig herbeigeführt worden sei. Die geheime Treppe des Kerkers, wozu die Schlüssel an des untergeordneten Mörders Gürtel gefunden wurden, – die Lage des Gewölbes, seine Verbindung mit der äußern Luft durch den Mauerspalt, das elende Strohlager mit den Fesseln, die sich noch vorfanden, – Alles bestätigte vollkommen die Erzählung Katharinens und der Sängerin. »Wir wollen keinen Augenblick zögern,« sagte der Douglas zu seinem nahen Verwandten, dem Lord Balveny, sobald sie aus dem Kerker zurückkehrten. »Fort mit den Mördern! hängt sie über die Zinnen.« »Aber, Mylord, ein Verhör möchte doch erforderlich sein,« antwortete Balveny. »Zu welchem Zweck?« antwortete Douglas. »Ich habe sie Kraft meines Rechts und Amts gefangen. Meine Vollmacht gestattet sofortige Hinrichtung. Doch halt – haben wir nicht einige Leute aus Jedwood unter unsern Truppen?« »Eine Menge Turnbulls, Rutherfords, Ainslies und so fort,« sagte Balveny. »Ruft mir eine Anzahl von ihnen herbei; sie sind sämmtlich gute und ehrliche Leute, außer daß sie ein Bischen zu ihrem Unterhalt stehlen. Laßt sie diese Schurken hinrichten, während ich einen Gerichtshof im großen Saale halte, und wir wollen versuchen, ob der Gerichtshof oder der Profoß eher fertig wird; wir wollen Jedwood-Gerechtigkeit üben – schnell hängen und nach Muße untersuchen.« »Doch halt, Mylord,« sagte Ramorny, »Ihr möchtet Eure Eile bereuen – wollt Ihr mir ein Wort in's Ohr erlauben?« »Nicht um die Welt!« sagte Douglas; »sprich es aus, was du zu sagen hast, vor Allen, die hier sind.« »So wißt denn Alle,« sagte Ramorny laut, »daß dieser edle Graf Briefe vom Herzog Albany und mir hat, ihm durch jenen feigen Ausreißer Buncle übergeben, – laßt ihn läugnen, wenn er's kann – welche die Entfernung des Herzogs vom Hofe auf einige Zeit anrathen, sowie seine Gefangenschaft in diesem Schlosse.« »Aber kein Wort davon,« erwiderte Douglas, ernst lächelnd, »daß man ihn in einen Kerker werfen sollte – verhungern – erdrosseln. – Fort mit den Elenden, Balveny, sie verderben Gottes Luft zu lange!« Die Gefangenen wurden nach den Zinnen geschleppt. Aber während die Mittel der Hinrichtung zubereitet wurden, drückte der Apotheker einen so glühenden Wunsch aus, Katharina noch einmal zu sehen, wie er sagte, zum Heil seiner Seele, daß das Mädchen in der Hoffnung, seine Hartnäckigkeit habe sich noch in der letzten Stunde geändert, noch ein Mal hinauf ging, um eine Scene zu sehen, vor welcher ihr Herz zurückschauderte. Ein einziger Blick zeigte ihr Bonthron in gänzliche, trunkene Fühllosigkeit versunken, Ramorny seiner Rüstung beraubt, und umsonst bemüht, seine Angst zu verbergen, während er mit einem Priester sprach, um dessen Beistand er gebeten hatte, und Dwining als denselben unterwürfigen, demüthigen, kriechenden Burschen, wie sie ihn vorher gesehen hatte. Er hielt in der Hand eine kleine, silberne Feder, womit er auf ein Stück Pergament schrieb. »Katharina,« sagte er, – »hi, hi, hi! – ich wünsche zu dir über die Natur meines religiösen Glaubens zu sprechen.« »Wenn das deine Absicht ist, warum verlierst du Zeit mit mir? – sprich mit diesem frommen Vater.« »Der fromme Vater,« sagte Dwining, »ist hi, hi! – bereits ein Verehrer der Gottheit, welcher ich gedient habe. Ich zieh' es daher vor, dem Altar meines Götzen einen neuen Verehrer in dir zu geben, Katharina. Dies Stück Pergament wird dir den Weg zu meiner Kapelle zeigen, wo ich oft in der Stille gebetet habe. Ich hinterlasse dir als ein Vermächtniß die Götzenbilder, die sie enthält, blos weil ich dich etwas minder hasse und verachte, als andere alberne Elende, die ich bisher Mitgeschöpfe zu nennen genöthigt war. Und nun fort! – Oder bleib und sieh, ob das Ende des Quacksalbers sein Leben Lügen straft.« »Unsere Frau verhüt' es!« sagte Katharina. »Nun,« sagte der Arzt, ich habe nur ein einzig Wort zu sagen, und jenes Edelmanns Herrlichkeit mag es hören, wenn er will.« Lord Balveny näherte sich mit einiger Neugier; denn die unerschrockene Entschlossenheit eines Mannes, der nie ein Schwert geschwungen oder eine Rüstung getragen, und von Person ein elender Zwerg war, schien ihm Etwas wie Zauberei zu sein. »Ihr seht dies elende Werkzeug,« sagte der Verbrecher, die silberne Feder zeigend. »Mittelst dieser kann ich selbst der Macht des schwarzen Douglas entgehen.« »Gebt ihm weder Tinte noch Papier,« sagte Balveny hastig, »er will einen Zauber schreiben.« »Nicht doch, mit Eurer Weisheit und Tapferkeit Erlaubniß – hi, hi, hi! – « sagte Dwining mit seinem gewöhnlichen Lachen, während er das Ende der Feder losschraubte und daraus ein Stück Schwamm oder etwas Aehnliches, nicht größer als eine Erbse, hervorzog. »Nun, merkt auf! – – « sagte der Gefangene und nahm es zwischen die Lippen. Die Wirkung war augenblicklich. Er lag als Leichnam vor ihnen, die höhnische Verachtung auf dem Gesichte. Katharina schrie auf und floh, indem sie hastig hinabeilte, um einem so schrecklichen Anblicke zu entgehen. Lord Balveny war einen Augenblick starr und dann rief er: »Das kann Hexerei sein! hängt ihn über die Mauern lebendig oder todt. Wenn sich sein schlechter Geist nur auf einige Zeit zurückgezogen hat, so mag er zu einem Körper mit umgedrehtem Halse zurückkehren.« Man gehorchte seinem Befehl. Darauf wurden Ramorny und Bonthron zur Hinrichtung gefühlt. Der Letztere ward gehangen, bevor er völlig zu begreifen schien, was mit ihm geschah. Ramorny, bleich wie der Tod, aber mit demselben Stolze, der sein Verderben herbeigeführt hatte, berief sich auf seine Ritterwürde und verlangte das Vorrecht, mit dem Schwert enthauptet zu werden und nicht durch den Strang zu sterben. »Der Douglas ändert nie sein Urtheil,« sagte Balveny. »Aber dir sollen all deine Rechte werden. – Schickt den Koch mit einem Hackmesser hieher.« Der geforderte Diener erschien auf seinen Ruf. »Weshalb zitterst du, Bursche?« sagte Balveny; »hier, hau' mir mit deinem Messer dieses Mannes goldene Sporen von seinen Fersen – und nun, John Ramorny, bist du nicht mehr ein Ritter, sondern ein Schurke – zum Strang' mit ihm, Profoß! hängt ihn zwischen seine Gefährten, und wo möglich höher als sie.« Eine Viertelstunde nachher ging Balveny hinab, um Douglas zu sagen, daß die Verbrecher hingerichtet wären. »Dann hat die Untersuchung keinen weitern Nutzen,« sagte der Graf. »Was meint Ihr, liebe Männer des Gerichts, waren jene Leute des Hochverraths schuldig? ja oder nein?« »Schuldig!« rief das nachträgliche Gericht mit erbaulicher Einmüthigkeit; »wir brauchen kein weiteres Zeugniß.« »Laßt trompeten, und dann zu Roß nur mit unserm Gefolge; und laßt Jedermann über das hier Vorgegangene schweigen, bis das Verfahren dem König vorgelegt ist, was nicht füglich geschehen kann, bevor der Kampf am Palmsonntag gefochten und beendigt ist. Wählt unser Gefolge und sagt, daß Jeder, der, mag er mit uns gehen oder hier bleiben, plaudert, sterben muß.« Nach wenigen Minuten saß Douglas zu Pferde, nebst dem für seine Person erwählten Gefolge. Boten wurden an seine Tochter, die verwittwete Herzogin von Rothsay, mit der Weisung geschickt, sie solle ihren Weg nach Perth nehmen, über die Küste von Lochleven, ohne sich Falkland zu nähern; zugleich wurden ihrer Obhut Katharina Glover und die Sängerin übergeben, als Personen, deren Sicherheit er wünschte. Als sie durch den Wald ritten, sahen sie zurück und betrachteten die drei hängenden Körper, die gleich Flecken die Mauern des alten Schlosses verdunkelten. »Die Hand ist gestraft,« sagte Douglas; »aber wer wird den Kopf anklagen, auf dessen Weisung die That verübt ward?« »Ihr meint den Herzog von Albany?« sagte Balveny. »Ja, Vetter; und hörte ich auf die Mahnungen meines Herzens, so würde ich ihn der That beschuldigen, die er, wie ich überzeugt bin, angab. Aber es ist kein Beweis da, außer starkem Verdacht, und Albany hat die zahlreichen Freunde des Hauses Stuart an sich gefesselt, denen allerdings die Schwachheit des Königs und die lüderlichen Sitten Rothsay's keinen andern Führer übrig ließen. Breche ich daher das Band, welches mich seit Kurzem mit Albany verknüpft, so ist die Folge ein Bürgerkrieg, das Verderblichste für das arme Schottland, so lang' es ein Einfall des thätigen Percy bedroht, dem die Verrätherei March's Vorschub leistet. Nein, Balveny, – die Strafe Albany's muß dem Himmel bleiben, der zu seiner Zeit ihn und sein Haus richten wird.« Dreiunddreißigstes Kapitel Die Stund ist nah'; ein jedes Schwert Ist scharf, die Herzen schlagen; Wer sterben kann, wer Flucht begehrt: Das Morgenlicht wird's sagen. Sir Edwald. Wir müssen nun unsere Leser erinnern, daß Simon Glover und seine schöne Tochter aus ihrer Wohnung geeilt waren, ohne Zeit zu haben, Harry Schmied ihren Abschied oder den beunruhigenden Grund desselben zu melden. Als daher der Liebende am Morgen nach ihrer Flucht in Curfewstreet erschien, empfieng er statt des herzlichen Willkomms des ehrsamen Bürgers und des halb fröhlichen, halb tadelnden Aprilgrußes, der ihm von Seiten der lieblichen Tochter versprochen war, nur die niederschlagende Kunde, sie sei mit ihrem Vater auf Befehl eines Fremden, der sich sorgfältig vermummt gehalten habe, früh abgereist. Dann gefiel es Dorotheen, deren Talente für Erzählung von Unglücksfällen und Mittheilungen ihrer Ansichten hierüber der Leser schon kennt, noch beizufügen, sie zweifle nicht, daß ihr Herr und ihre junge Gebieterin in's Hochland gereist seien, um einen Besuch zu vermeiden, der ihnen seit ihrer Abreise von einigen Gerichtsdienern gemacht worden sei, die im Namen eines vom König niedergesetzten Gerichtshofes das Haus durchsucht, alle Behältnisse, von denen man dachte, sie könnten Papiere enthalten, versiegelt, und gerichtliche Vorladungen für Vater und Tochter hinterlassen hätten, an einem bestimmten Tage, bei Strafe des Bannes, vor dem Gerichtshofe zu erscheinen. Alle diese beunruhigenden Nachrichten bemühte sich Dorothee in den düstersten Farben zu malen, und der einzige Trost, den sie dem geängstigten Liebhaber gab, war der, daß sie ihm sagte, ihr Herr habe ihr aufgetragen, ihm zu sagen, er möchte ruhig in Perth bleiben, und er würde bald Kunde von ihnen erhalten. Dies hintertrieb des Schmieds ersten Entschluß, ihnen sogleich nach den Hochlanden zu folgen und Theil an dem Schicksale zu nehmen, welches ihnen drohen möchte. Als er sich aber seiner öfteren Fehden mit mehreren aus dem Clan Quhele erinnerte und besonders seines persönlichen Zwistes mit Conachar, der nun zu einem ersten Häuptling erhoben war, konnte er bei näherer Ueberlegung nur glauben, daß sein Eindringen in ihre Zufluchtsstätte wahrscheinlich eher die Sicherheit, deren sie sich sonst dort erfreuen konnten, stören, als ihnen nützlich sein möchte. Simons Freundschaft mit dem Häuptling des Clans Quhele war ihm wohlbekannt, und er vermuthete mit Recht, der Handschuhmacher werde dort einen Schutz finden, den seine eigene Ankunft nur stören konnte, da seine Hitze ihn ohne Zweifel in einen Streit mit dem ganzen Clan zorniger Hochländer verwickeln würde. Zugleich schlug sein Herz vor Unwillen, wenn er dachte, daß Katharina nun ganz in der Gewalt des jungen Conachar sei, der gewißlich sein Nebenbuhler war, und nun so viele Mittel hatte, seine Bewerbung zu unterstützen. Wie, wenn der junge Häuptling die Sicherheit des Vaters von der Gunst der Tochter abhängig machte! Er setzte kein Mißtrauen in Katharinens Liebe, aber ihre Denkart war so uneigennützig und ihre Liebe zu ihrem Vater so innig, daß, wenn ihre Liebe gegen seine Sicherheit oder vielleicht sein Leben in die Wage gelegt würde, ein schwerer und schrecklicher Zweifel waltete, ob erstere sich nicht als zu leicht bewähren möchte. Von Gedanken gequält, bei denen wir nicht verweilen dürfen, beschloß er daher, zu Hause zu bleiben, seine Angst so gut als möglich zu unterdrücken und die versprochene Nachricht von dem Alten zu erwarten. Sie kam, befreite ihn aber nicht von seiner Besorgniß. Sir Patrick Charteris hatte das Versprechen nicht vergessen, dem Schmied den Plan der Flüchtlinge mitzutheilen. Aber bei dem Getümmel, welches die Bewegungen der Truppen veranlaßte, konnte er die Nachricht nicht selbst überbringen. Er vertraute daher seinem Geschäftsträger, Kitt Henschaw, das Geschäft an. Aber dieser würdige Mann war, wie der Leser weiß, von Ramorny gewonnen, dem daran lag, Jedermann, besonders aber einem so thätigen und kühnen Liebhaber, wie Harry, den wahren Aufenthalt Katharinens zu verbergen. Henschaw sagte daher dem geängstigten Schmied, sein Freund, der Handschuhmacher, sei sicher in den Hochlanden, und obwohl er von Katharina etwas zurückhaltender sprach, sagte er doch wenig, was der Meinung widersprechen konnte, sie theile, gleich Simon, den Schutz des Clans Quhele. Aber er wiederholte im Namen Sir Patricks die Versicherung, daß Vater und Tochter sich wohlbefänden, und Harry für sein eigenes Interesse und ihre Sicherheit am besten sorgen würde, wenn er ruhig bliebe, und den Lauf der Begebenheiten abwartete. Daher beschloß Harry Gow geängstigten Herzens ruhig zu bleiben, bis er gewissere Nachricht erhalten würde, und beschäftigte sich mit der Vollendung eines Panzerhemdes, welches das härteste und polirteste sein sollte, das seine geschickten Hände je verfertigt hatten. Diese Uebung seiner Kunst gefiel ihm besser, als irgend etwas Anderes, das er hätte treiben können, und diente ihm zur Entschuldigung dafür, daß er sich in seiner Werkstatt einschloß und die Gesellschaft mied, in welcher täglich müßige Gerüchte umliefen, die ihn nur in Verlegenheit setzen und verwirren konnten. Er beschloß, auf Simons Achtung, auf die Treue seiner Tochter und die Freundschaft des Oberrichters zu vertrauen, der seine Tapferkeit im Kampfe mit Bonthron so sehr lobte, und von dem er glaubte, er würde ihn in dieser äußersten Noth nicht verlassen; die Zeit ging jedoch Tag für Tag hin, und erst als der Palmsonntag nahe war, gedachte Sir Patrick Charteris, da er wegen einiger Anordnungen zu dem bevorstehenden Kampfe nach Perth geritten war, dem Schmied vom Wynd einen Besuch zu machen. Er betrat seine Werkstatt mit einer mitleidigen Miene, die ihm ungewöhnlich war und die Harry sogleich auf schlimme Nachricht gefaßt machte. Der Schmied erschrak und der erhobene Hammer zögerte, auf das heiße Eisen zu fallen, während der bewegte Arm, der ihn schwang, erst so stark wie der eines Riesen, so machtlos ward, daß Harry nur mit Mühe die Rüstung auf den Boden legen konnte, statt sie aus der Hand fallen zu lassen. »Mein armer Harry,« sagte Sir Patrick, »ich bringe Euch nur kalte Neuigkeiten – sie sind indeß ungewiß; und wenn sie wahr, sind sie von der Art, daß tapfere Männer, wie du, sie sich nicht zu sehr zu Herzen nehmen dürfen.« »In Gottes Namen, Mylord,« sagte Harry, »ich hoffe, Ihr bringt keine schlimmen Nachrichten von Simon Glover und seiner Tochter?« »Von ihnen selbst nicht,« sagte Sir Patrick; »sie sind sicher und wohl. Aber was dich betrifft, Harry, so sind meine Neuigkeiten kälter. Kitt Henschaw hat, denk' ich, dir gemeldet, daß ich bemüht war, Katharina Glover in sichern Schutz im Hause einer vornehmen Dame, der Herzogin von Rothsay, zu bringen. Aber sie hat das Gesuch abgelehnt und ist zu ihrem Vater in's Hochland geschickt worden. Das Schlimmste kommt nun. Du wirst gehört haben, daß Gilchrist Mac Jan todt und daß sein Sohn Eachin, der in Perth als Lehrling des alten Simon unter dem Namen Conachar bekannt war, jetzt Häuptling des Clans Quhele ist; und ich hörte von einem meiner Leute, es gehe unter den Mac Jans ein starkes Gerücht, der junge Häuptling suche die Hand Katharinens zur Ehe. Meine Leute erfuhren dies übrigens als ein Geheimniß, so lang' sie im Land von Breadalbane waren, um einige Rüstungen zu dem Kampfe zu machen. Die Sache ist ungewiß; aber, Harry, sie sieht wahrscheinlich aus.« »Sah' Euer Herrlichkeit Diener Simon Glover und seine Tochter?« sagte Harry, nach Athem ringend und hustend, um das Uebermaß seiner Aufregung vor dem Oberrichter zu verbergen. »Das nicht,« sagte Sir Patrick; »die Hochländer schienen argwöhnisch und wollten ihm nicht gestatten, den alten Mann zu sprechen, und er fürchtete, sie aufmerksam zu machen, wenn er Katharinen zu sehen verlangte. Ueberdies spricht er nicht gälisch und Jener, von dem er die Nachricht erhielt, nicht viel englisch, und also kann ein Mißverständniß obwalten. Trotzdem geht ein solches Gerücht, und ich hielt es für's Beste, Euch davon zu sagen. Aber Ihr dürft gewiß sein, daß die Hochzeit nicht Statt finden kann, ehe die Sache vom Palmsonntag vorüber ist, und ich rathe Euch, keinen Schritt zu thun, bis wir die Umstände näher erfahren; denn Gewißheit, wär's auch die schmerzlichste, ist wünschenswerth. – Geht Ihr nach dem Rathhause,« setzte er nach einer Pause hinzu, »um über die Herstellung der öffentlichen Schranken auf dem nördlichen Anger zu sprechen? Ihr werdet dort willkommen sein.« »Nein, guter Lord!« »Nun, Schmied, ich schließe aus Eurer kurzen Antwort, daß Ihr unzufrieden über diese Sache seid; aber nach Allem sind ja die Weiber Wetterhähne, das bleibt wahr. Salomo und Andere haben es vor Euch erfahren.« Damit entfernte sich Sir Patrick Charteris, völlig überzeugt, das Amt eines Trösters auf die befriedigendste Weise versehen zu haben. Mit ganz andern Empfindungen betrachtete der unglückliche Liebhaber die Nachrichten und den tröstenden Commentar. »Der Oberrichter,« sagte er bitter zu sich selbst, »ist ein trefflicher Mann; wahrlich, er hält seine Ritterwürde so hoch, daß, wenn er Unsinn spricht, ein armer Mann es für Verstand halten muß, ebenso wie er abgestandenes Bier loben muß, wenn es ihm in Seiner Herrlichkeit Silberkrug gereicht wird. Wie würde Alles dies unter andern Umständen klingen? Gesetzt, ich wollte den steilen Abhang des Corrichi Dhu herab, und eh' ich an den Felsenvorsprung käme, begegnete mir Mylord Oberrichter und riefe: ›Harry, dort ist ein tiefer Abgrund, und es thut mir leid, Euch sagen zu müssen, daß Ihr gerade hineinstürzt; aber seid nicht traurig, der Himmel kann einen Stein oder Busch geben, der Euch aufhält. Indeß dacht' ich, es würde Euch tröstlich sein, das Schlimmste zu wissen, was Ihr bald sehen werdet. Ich weiß nicht, wie viel Hundert Fuß tief der Abgrund ist, aber Ihr könnt Euch davon überzeugen, sobald Ihr unten seid, denn Gewißheit ist Gewißheit. Und hört, wann kommt Ihr zum Kegelspiel?‹ Und solch Geschwätz statt eines freundlichen Versuchs, den Hals des armen Burschen zu retten! Wenn ich daran denke, könnt' ich rasend werden, meinen Hammer nehmen und rings umher Alles zusammenschlagen. Aber ich will ruhig sein, und wenn dieser hochländische Habicht, der sich einen Falken nennt, auf meine Turteltaube stößt, soll er erfahren, ob ein Bürger von Perth einen Bogen spannen kann oder nicht.« Es war nun der Donnerstag vor dem verhängnißvollen Palmsonntag und man erwartete, daß die Kämpfer beider Parteien am nächsten Tage ankommen würden, damit sie den Sonnabend als Rasttag hätten, um sich zu erquicken und zum Kampfe vorzubereiten. Zwei oder drei von jeder Partei wurden abgeordnet, um Anweisung über die Lagerung ihrer kleinen Schaar einzuholen, und was noch sonst von Befehlen nöthig war. Harry war daher nicht überrascht, einen großen, starken Hochländer um die Gasse, in welcher er wohnte, in der Art schleichen zu sehen, wie die Bewohner eines wilden Landes die Eigenheiten eines gebildeten untersuchen. Des Waffenschmieds Herz erhob sich gegen diesen Mann wegen seines Landes, gegen das unser Perther Bürger ein natürliches Vorurtheil hegte, und besonders, da er die Kleidung des Clans Quhele an ihm wahrnahm. Der in Silber gearbeitete Zweig von Eichenlaub bezeichnete ihn als einen von der Leibwache des jungen Häuptlings, auf deren Anstrengung im nächsten Kampfe ihr Clan so viel Vertrauen setzte. Nachdem Harry so viel bemerkt hatte, zog er sich in seine Schmiede zurück, denn der Anblick des Mannes machte seine Leidenschaft rege; und da er wußte, daß die Hochländer zu einem öffentlichen Kampfe verpflichtet waren und keine untergeordnete Fehde ausmachen durften, beschloß er, auch allen freundlichen Verkehr mit ihm zu meiden. Nach wenigen Minuten indeß, flog die Thür der Schmiede auf, und der Gäle trat mit flatterndem Tartan, was seine natürliche Größe noch erhöhte, und mit dem stolzen Schritt eines Mannes, der sich höherer Würde bewußt ist, als Alle, die ihm begegnen, herein. Er stand, sich umschauend, da, und schien zu erwarten, daß man ihn mit Verwunderung empfange. Aber Harry hatte durchaus keine Neigung, seiner Eitelkeit zu schmeicheln, und fuhr fort, ein Bruststück zu hämmern, welches auf seinem Ambos lag, als wäre er seines Gastes Gegenwart nicht gewahr. »Ihr seid der Gow Chrom?« (der krummbeinige Schmied) sagte der Hochländer. »Die krummbeinig zu werden wünschen, nennen mich so,« antwortete Harry. »Will nicht beleidigen,« sagte der Hochländer; »aber sie selbst kommt, eine Rüstung zu kaufen.« »Sie selbst mag dann mit ihren bloßen Beinen wieder abziehen,« antwortete Harry, – »ich habe keine zu verkaufen.« »Wenn nicht in zwei Tagen Palmsonntag wäre, würde sie selbst Euch ein ander Lied singen lehren,« erwiderte der Gäle. »Und am heutigen Tage,« sagte Harry mit derselben verächtlichen Gleichgültigkeit, »bitt' ich Euch, mir aus dem Lichte zu gehen.« »Ihr seid ein unhöflicher Mann; aber sie selbst ist auch Fir nan ord [ein Mann des Hammers]; und sie weiß, der Schmied ist trotzig, wenn das Eisen heiß ist.« »Wenn sie selbst ein Hammermann ist, so kann sie ihren Harnisch selber machen,« bemerkte Harry. »Und sie selbst würde das thun, und Euch nimmer um die Sache angehen; aber man sagt, Gow Chrom, Ihr pfeift und singt Weisen über die Schwerter und Harnische, die Ihr schmiedet, welche solche Kraft haben, daß die Klingen Stahl durchhauen, wie Papier, und Panzer und Harnisch Stahllanzen zurückweisen, als wären es Nadeln.« »Man sagt Eurer Unwissenheit allen Unsinn, den Christenmenschen nicht glauben mögen,« sagte Harry. »Ich pfeife bei meinem Werk, was mir einfällt, wie ein ehrlicher Handwerksmann, und gewöhnlich ist es die Hochlandsweise: Hoch auf die Houghmansstufen [Galgen]! Mein Hammer geht von selber nach dieser Weise.« »Freund, es ist müssig Spiel, ein Roß zu spornen, wenn seine Beine gefesselt sind,« sagte der Hochländer stolz. »Sie selbst kann gerade jetzt nicht fechten und also ist's nicht artig, sie so zu reizen.« »Bei Nagel und Hammer, da habt Ihr Recht,« sagte der Schmied, seinen Ton ändernd. »Aber sagt es heraus, Freund, was ist's, was Ihr von mir haben wollt? Ich habe nicht Lust, zu plaudern.« »Einen Harnisch für ihren Häuptling, Eachin Mac Jan,« sagte der Hochländer. »Ihr seid ein Hammermann, sagt Ihr? Versteht Ihr Etwas davon?« sagte unser Schmied, den Harnisch aus einem Kasten hervorholend, womit er sich in der letzten Zeit beschäftigt hatte. Der Gäler betrachtete ihn mit einer Verwunderung, die mit etwas Neid gemischt war. Neugierig betrachtete er jeden Theil des Werkes, und endlich erklärte er es für das beste Waffenstück, welches er je gesehen. »Hundert Kühe und Stiere und eine gute Heerde Schafe würde Euch ein zu leichtes Gebot sein?« sagte der Hochländer, um einen Versuch zu machen; »aber sie selbst wird dir nicht weniger bieten, komme sie dazu wie sie wolle. »Es ist ein schönes Gebot,« erwiderte Harry; »aber Gold und Gut erkauft diesen Harnisch nicht. Ich muß mein eigenes Schwert an meiner eigenen Rüstung versuchen können; und ich gebe dieses Stahlkleid Keinem, als wer mir im freien Felde auf drei Hiebe und einen Stoß stehen will; auf diese Bedingungen gehört sie Eurem Häuptling.« »Oho, Mann – nehmt einen Trunk und geht zu Bett«, sagte der Hochländer mit großer Verachtung. »Seid Ihr toll? Meint Ihr, der Häuptling des Clans Quhele würde kämpfen und balgen mit einem niedrigen Perther Bürgerleib wie Ihr? Still, Mann, und hört. Sie selbst will Euch mehr Ehre anthun, als Eurem Geschlecht je gebührte. Sie selbst will mit Euch um den schönen Harnisch fechten.« »Sie muß erst beweisen, daß sie mir gleich ist,« sagte Harry mit spöttischem Lächeln. »Wie, ich, Einer von Eachin Mac Jans Leibwache, und dir nicht gleich?« »Ihr könnt mich versuchen, wenn Ihr wollt. Ihr sagt, Ihr seid ein Fir nan ord – wißt Ihr, wie man einen Schmiedehammer wirft?« »Ei, freilich – fragt Ihr den Adler, ob er über den Ferragon fliegen kann?« »Aber bevor Ihr mit mir streitet, müßt Ihr erst einen Wurf mit Einem von meiner Leibwache versuchen. – Dunter, stelle dich für die Ehre von Perth! – Und nun, Hochländer, da steht eine Reihe Hämmer – nimm, welchen du willst, und laß uns zum Garten gehen.« Der Hochländer, der Norman nan Ord oder Normann vom Hammer hieß, bewies sein Recht zu diesem Titel, indem er den größten Hammer wählte, worüber Harry lächelte. Dunter, der starke Gefährte des Schmieds, that, was man einen ungeheuren Wurf nennt; aber der Hochländer, der sich verzweifelt anstrengte, warf einige Fuß weiter und sah Harry mit triumphirender Miene an, worüber dieser wieder lächelte. »Wollt Ihr's besser machen?« sagte der Gäle, dem Schmied den Hammer bietend. »Nicht mit diesem kindischen Spielzeug,« sagte Harry, »was kaum Gewicht genug hat um gegen den Wind zu fliegen. – Janniken, hole meinen Simson; oder helf' Einer von Euch dem Jungen, denn Simson ist etwas schwer.« Der jetzt beigebrachte Hammer war um die Hälfte schwerer als jener, den der Hochländer schon von ungewöhnlichem Gewicht erwählt hatte. Norman stand erstaunt; aber noch mehr war er's, als Harry seine Stellung nahm, das gewichtige Stück weit hinter seine Hüfte schwang und seiner Hand entgleiten ließ, als würd' es von einer Wurfmaschine geschleudert. Die Luft stöhnte und pfiff, während die Masse hindurch flog. Endlich fiel sie nieder und das Eisen einen Fuß tief in die Erde, eine volle Elle jenseits des Wurfes von Norman. Der gedemüthigte und besiegte Hochländer ging zu dem Orte, wo die Waffe lag, hob sie auf, wog sie staunend in der Hand und prüfte sie genau, als erwartete er mehr, als einen gewöhnlichen Hammer darin zu entdecken. Endlich kehrte er mit melancholischem Lächeln zum Eigenthümer zurück, achselzuckend und kopfschüttelnd, als der Schmied ihn fragte, ob er seinen Wurf nicht übertreffen wolle. »Norman hat bei dem Spiele bereits zu viel verloren,« erwiderte er. »Sie hat ihren eignen Namen, der Hammerer, verloren. Aber arbeitet Ihr selbst, der Gow Chrom, auf dem Ambos mit dieser Pferdelast Eisen?« »Ihr werdet sehen, Bruder,« sagte Harry, nach der Schmiede vorangehend. »Dunter,« sagte er, »zieh' mir diese Stange aus dem Ofen;« und Simson erhebend, wie er den ungeheuren Hammer nannte, bog er das Metall mit hundert Streichen von der Rechten zur Linken, – jetzt mit der rechten Hand, jetzt mit der linken, dann mit beiden, mit so viel Kraft und Geschick, daß er ein kleines, aber schön geformtes Hufeisen in der Hälfte der Zeit vollendete, die ein gewöhnlicher Schmied mit einem bequemen Werkzeuge gebraucht hätte. »Ei, ei!« sagte der Hochländer, »und warum wolltet Ihr mit unserm jungen Häuptling fechten, der weit über Euern Stand ist, wenn Ihr auch der beste Schmied seid, der je mit Wind und Feuer arbeitete?« »Hört an!« sagte Harry – »Ihr scheint ein guter Bursche, und ich will Euch die Wahrheit sagen: Euer Herr hat mich beleidigt, und ich gebe ihm diesen Harnisch umsonst, wenn er mit mir kämpfen will.« »Ei, wenn er Euch beleidigt hat, muß er sich Euch stellen,« sagte der Leibgardist. »Einen Mann beleidigen, das nimmt die Adlerfeder von des Häuptlings Mütze, und wäre er der Erste in den Hochlanden, was Eachin allerdings ist, er müßte mit dem Manne fechten, den er beleidigt hat, oder es fällt eine Rose aus seinem Kranze.« »Wollt Ihr ihn dazu bewegen,« sagte Harry, »nach dem Kampfe am Sonntag?« »O, sie selbst wird ihr Bestes thun, wenn die Falken nicht die Gebeine ihrer selbst abzufressen bekommen; denn Ihr müßt wissen, Bruder, daß Clan Chattans Klauen sehr tief bohren.« »Auf diese Bedingung gehört die Rüstung Eurem Häuptling,« sagte Harry; »aber ich will ihn vor König und Hof entehren, wenn er den Preis nicht zahlt.« »Keine Furcht, keine Furcht; ich selbst will ihn zum Kampfe führen,« sagte Norman; »gewißlich.« »Ihr werdet mir einen Gefallen thun,« erwiderte Harry; »und damit Ihr Eures Versprechens gedenken mögt, will ich Euch diesen Dolch schenken. Seht – wenn Ihr ihn gehörig gebraucht und zwischen Harnisch und Kragen Eures Feindes setzt, so wird der Wundarzt unnöthig sein.« Der Hochländer war verschwenderisch mit seinen Danksagungen und nahm Abschied. »Ich hab' ihm den besten Harnisch gegeben, den ich je machte,« sagte der Schmied, seine Freigebigkeit fast bereuend, »und zwar für den armseligen Preis, daß er seinen Häuptling auf einen Kampfplatz mit mir bringen will; dann mag Katharina dem gehören, der sie tapfer gewinnen kann. Aber sehr fürcht' ich, der Jüngling wird einen Ausweg finden, er müßte denn am Palmsonntag solches Glück haben, daß er einen zweiten Kampf wagt. Das ist indeß eine Hoffnung; denn schon oft hab' ich einen unreifen Burschen nach seinem ersten Kampfe emporschießen sehen, von einem Zwerge zu einem Riesentödter.« So erwartete Harry mit wenig Hoffnung aber größter Entschlossenheit die Zeit, die sein Schicksal entscheiden sollte. Was ihn das Schlimmste besorgen ließ, war das Schweigen des Handschuhmachers und seiner Tochter. »Sie schämen sich,« sagte er, »mir die Wahrheit zu gestehen und daher schweigen sie.« Am Freitag Mittag kamen die beiden Schaaren, jede dreißig Mann stark, welche die streitenden Clans vertraten, bei den verschiedenen Punkten an, wo sie zur Erholung Halt machen sollten. Der Clan Quhele wurde gastlich in der reichen Abtei Scone bewirthet, während der Oberrichter die Gegner in seinem Schlosse Kinfauns aufnahm. Die äußerste Sorgfalt ward angewendet, um beide Parteien mit der pünktlichsten Aufmerksamkeit zu behandeln und keinen Anlaß zu geben, daß sie sich über Parteilichkeit beklagen könnten. Alle Punkte der Etikette wurden indessen von dem Lord Großconnetable, Grafen Errol, und dem Grafen von Crawford geordnet, indem Ersterer für den Clan Chattan sprach, während der Letztere des Clans Quhele Vertreter war. Boten gingen beständig von dem einen Grafen zum andern, und sie hielten mehr als sechs Zusammenkünfte in dreißig Stunden, ehe das Ceremoniel des Kampfes vollständig geordnet werden konnte. Unterdessen befahl, für den Fall einer Erneuerung alten Streites, wozu viel Samen zwischen den Bürgern und ihren hochländischen Nachbarn vorhanden war, eine Bekanntmachung den Bürgern, sich nicht über eine halbe Meile dem Orte zu nähern, wo die Hochländer einquartiert waren, während hinsichtlich der Letztern die bestimmten Streiter genöthigt waren, eine Annäherung an Perth ohne besondere Erlaubniß zu meiden. Truppen waren zur Vollziehung des Befehls aufgestellt, die ihre Pflicht so gewissenhaft thaten, daß sie selbst Simon Glover, einen ächten Bürger von Perth, hinderten in die Stadt zu kommen, weil er gestand, mit Eachin Mac Jan's Kämpfern angelangt zu sein und ein Plaid nach ihrem Muster trug. Dies machte es dem Handschuhmacher unmöglich, Harry Wynd aufzusuchen und ihn von Allem, was seit ihrer Trennung vorgegangen, genau zu unterrichten; ein Gespräch, dessen Stattfinden das Ende unserer Erzählung wesentlich geändert haben würde. Am Sonnabend Nachmittag kam noch Jemand an, der die Stadt fast ebensosehr interessirte, als die Vorbereitungen zum bevorstehenden Kampfe. Dies war der Graf von Douglas, der durch die Stadt ritt mit einer Schaar von nur dreißig Reitern, von denen aber Alle Ritter und Herren des ersten Ranges waren. Aller Augen folgten diesem gefürchteten Grafen, wie man den Flug des Adlers durch die Wolken verfolgt, unfähig, den Lauf von Jupiters königlichem Vogel zu erkennen, aber schweigend, aufmerksam und so ernst in der Betrachtung, als könnte man den Grund errathen, warum er am Firmamente dahin eilt. Er ritt langsam durch die Stadt und zog durch das nördliche Thor hinaus. Am Dominikanerkloster stieg er ab und verlangte den Herzog von Albany zu sehen. Der Graf wurde sogleich eingeführt und vom Herzog auf eine Weise empfangen, die einnehmend und gefällig sein sollte, aber beim ersten Anblick Verstellung und Unruhe verrieth. Nachdem die ersten Begrüßungen vorüber, sagte der Graf mit großem Ernst: »Ich bringe Euch traurige Nachrichten. Euer königlicher Neffe, der Herzog von Rothsay, ist nicht mehr, und ich fürchte, er ist durch schändliche Anschläge zu Grunde gegangen.« »Anschläge!« sagte der Herzog verwirrt, »was für Anschläge? – Wer wagt Anschläge gegen den Erben des schottischen Thrones?« »Es ist nicht meine Sache, diese Zweifel zu erklären,« sagte Douglas – aber die Leute sagen, der Adler ward mit einem Pfeil getödtet, der mit seiner eigenen Schwinge befiedert war, und der Eichstamm ward durch einen Keil des nämlichen Holzes gespalten.« »Graf von Douglas,« sagte der Herzog von Albany, »ich verstehe keine Räthsel.« »Und ich gebe keine aus,« sagte Douglas hochfahrend. »Eure Hoheit wird Umstände in diesen Papieren finden, die des Durchlesens werth sind. Ich will eine halbe Stunde nach dem Klostergarten gehen und dann wieder zu Euch kommen.« »Ihr geht nicht zum König, Mylord?« fragte Albany. »Nein,« antwortete Douglas; »ich hoffe, Eure Hoheit wird mir beistimmen, daß wir dies große Familienunglück unserem Monarchen verbergen, bis die Sache des morgenden Tages entschieden ist.« »Gern stimm' ich bei,« sagte Albany. »Wenn der König von diesem Verluste hörte, könnte er nicht Zeuge des Kampfes sein; und wenn er nicht in Person erscheint, werden die Leute sich wahrscheinlich weigern zu fechten, und die ganze Sache ist aufgelöst. Ich bitte, setzt Euch, Mylord, während ich diese traurigen Papiere in Betreff des armen Rothsay lese.« Er ging die Papiere in seinen Händen durch, einige flüchtig überlaufend und auf andern weilend, wie wenn ihr Inhalt von größter Wichtigkeit wäre. Als er fast eine Viertelstunde auf diese Weise zugebracht hatte, erhob er die Augen und sagte sehr ernst: »In diesen höchst traurigen Dokumenten ist wenigstens der Trost, daß ich nichts darin sehen kann, was die Spaltungen im Staatsrath erneuern dürfte, die durch den letzten feierlichen Vertrag zwischen Eurer Herrlichkeit und mir beigelegt wurden. Mein Unglücklicher Neffe sollte demzufolge bei Seite gebracht werden, bis die Zeit ihm mehr Ernst und Urtheilskraft gäbe. Er ist jetzt durch das Schicksal entfernt, das unserer Absicht hierbei zuvorkam und unser Handeln unnöthig machte.« »Wenn Eure Hoheit,« erwiderte der Graf, »nichts sieht, was das gute Einverständniß zwischen uns stört, auf dem die Ruhe und Sicherheit Schottlands beruht, so bin ich kein so schlechter Freund meines Vaterlandes, um dergleichen zu suchen.« »Ich versteh' Euch nicht, Mylord von Douglas,« sagte Albany schnell. »Ihr urtheilt zu rasch, wenn Ihr meint, ich würde mich von Eurer Herrlichkeit beleidigt fühlen, weil Ihr Eure Macht als Statthalter gebrauchtet, und die elenden Mörder auf meinem Gebiete zu Falkland straftet. Glaubt, ich bin vielmehr Eurer Herrlichkeit Dank schuldig, daß Ihr mir die Bestrafung der Elenden abnahmt, da es mir das Herz gebrochen hätte, sie nur zu sehen. Das schottische Parlament wird ohne Zweifel ihre ruchlose That untersuchen, und glücklich schätz' ich mich, daß das Racheschwert in der Hand eines so gewichtigen Mannes, wie Eure Herrlichkeit, war. Unser Beschluß ging, wie Ihr Euch erinnern werdet, nur bis zum Vorschlag der Haft unseres unglücklichen Neffen, bis einige Jahre ihn Klugheit gelehrt hätten.« »Dies war allerdings Eurer Hoheit Vorschlag, wie er mir ausgedrückt wurde,« sagte der Graf; »das kann ich bezeugen.« »Nun, edler Graf, dann kann uns kein Tadel treffen, weil Schurken zu ihrem eigenen rachsüchtigen Zwecke unserer guten Absicht ein Ziel gesetzt haben.« »Das Parlament wird nach seiner Weisheit entscheiden,« sagte Douglas. »Was mich anlangt, mein Gewissen spricht mich frei.« »Und meines beruhigt mich,« sagte der Herzog feierlich. »Nun, Mylord, was die Vormundschaft des Knaben Jakob anlangt, der seines Vaters Erbe sein soll, wie steht es damit?« »Der König muß das entscheiden,« sagte Douglas, den das Gespräch ungeduldig machte. »Meinetwegen wohne er, wo es sei, nur nicht zu Stirling, Doune oder Falkland.« Damit verließ er das Gemach sofort. »Er ist fort,« murmelte der schlaue Albany, »und er muß mein Verbündeter sein – doch er fühlt sich geneigt, mein Todfeind zu werden. Gleichviel – Rothsay schläft bei seinen Vätern – Jakob kann bald folgen, und dann – vergütet eine Krone meine Verlegenheiten.« Vierunddreißigstes Kapitel – Dreißig gegen Dreißig fochten in Schranken Zu Perth eines Tags unweit der Dominikaner. Wyntoun. Palmsonntag dämmerte nun. In einer früheren Periode der christlichen Kirche würde es für eine des Bannes würdige Entweihung gegolten haben, wenn man einen Tag der Passionswoche zu einem Kampfe benutzt hätte. Die römische Kirche hatte, zu ihrer unendlichen Ehre, entschieden, daß während der heiligen Osterzeit, wo der Mensch aus seinem gefallenen Zustande erlöst worden, das Kriegsschwert in der Scheide ruhen und zornige Fürsten die Zeit achten sollten, welche Gottesfriede hieß. Die wilde Heftigkeit der letzten Kriege zwischen Schottland und England hatte alle Rücksicht auf diese sittliche und religiöse Anordnung vernichtet. Sehr oft mißbrauchte eine Partei die feierlichsten Gelegenheiten zu einem Angriff, weil sie einander in frommer Andacht und unvorbereitet zur Vertheidigung zu finden hofften. So war der Gottesfriede, den man früher der Zeit, wo er galt, angemessen fand, unterbrochen, und es war selbst nicht ungebräuchlich, die heiligen Feste der Kirche zur Entscheidung der Kampfprobe zu wählen, mit welcher der bevorstehende Streit eine bedeutende Aehnlichkeit hatte. In gegenwärtigem Falle wurden indeß die Pflichten des Tages mit üblicher Feierlichkeit beobachtet, und die Kämpfer selbst nahmen daran Theil. Eibenzweige in den Händen tragend, als die passendsten Stellvertreter der Palmenzweige, zogen sie ehrfurchtsvoll nach dem Dominikaner- und Karthäuserkloster, um das Hochamt zu hören und sich wenigstens durch einen Anschein von Frömmigkeit auf den blutigen Streit des Tages vorzubereiten. Daher war wohl dafür gesorgt, daß sie während dieses Zuges einander selbst nicht so nahe kamen, daß eine Partei die Sackpfeifen der andern hören konnte; denn es war gewiß, daß sie gleich Streithähnen, die auffordernd einander ankrähen, sich gesucht und angegriffen hätten, ehe man auf dem Kampfplatz anlangte. Die Bürger von Perth drängten sich auf den Straßen, den ungewöhnlichen Aufzug zu sehen, und erfüllten die Kirche, worin die Clans ihre Andacht verrichteten, um ihr Benehmen zu beobachten und aus ihrem Äußern die Wahrscheinlichkeit des Sieges für die eine Partei zu erkennen. Ihr Benehmen in der Kirche war, so selten sie auch sonst ähnliche Orte besuchten, höchst würdig, und es waren, trotz ihrer wilden und ungebändigten Natur, doch wenige Hochländer, die Verwunderung oder Neugier blicken ließen. Sie schienen es unter ihrer Würde zu achten, Staunen oder Überraschung bei vielen Dingen zu äußern, die sie wahrscheinlich zum ersten Male erblickten. Hinsichtlich des Ausganges des Streites wagten selbst nur wenige der kompetentesten Richter eine Meinung auszusprechen; obwohl die große Gestalt Torquils und seiner acht gewaltigen Söhne Einge, die sich für Kenner menschlicher Kraft hielten, geneigt machte, dem Clan Quhele den Vortheil zuzusprechen. Die Meinung des weiblichen Geschlechts wurde hauptsächlich durch die schöne Gestalt, die edlen Züge und das ritterliche Benehmen Eachin Mac Jans bestimmt. Mehr als Eine glaubte sich seiner Züge zu erinnern, aber sein glänzender Kriegeranzug machte den niedrigen Lehrling des Handschuhmachers unkenntlich in dem jungen Hochländerhäuptling, außer für eine Person. Diese Person war, wie man vermuthen kann, der Schmied vom Wynd, der voran unter der Menge gewesen war, welche sich drängte, die tapferen Streiter des Clans Quhele zu sehen. Mit gemischten Gefühlen von Mißfallen, Eifersucht und einer Art Bewunderung betrachtete er den Lehrling des Handschuhmachers, der seine gemeine Kleidung abgelegt hatte und als ein Häuptling glänzte, der durch sein schnelles Auge und ritterliches Benehmen, die edle Stirn und den stolzen Nacken, die glänzende Rüstung und die wohlgebauten Glieder als ein Mann erschien, der wohl verdiente, den ersten Rang unter Männern einzunehmen, die erwählt waren, für die Ehre ihres Stammes zu leben oder zu sterben. Der Schmied konnte kaum glauben, daß er denselben leidenschaftlichen Knaben sah, den er von sich geschüttelt hatte, wie etwa eine Wespe, die ihn stach, und den er aus bloßem Mitleiden nicht zu Boden trat. »Er sieht stattlich aus mit meinem schönen Harnisch,« so murmelte Harry für sich, »den besten, den ich je machte. Ständ' ich aber mit ihm zusammen, wo keine Hand hälfe, kein Auge zusähe, bei Allem, was heilig ist in dieser Kirche, der gute Harnisch sollte dann zu seinem Eigner zurückkehren! Alles, was ich werth bin, wollte ich um drei oder vier schöne Hiebe auf seine Schulter geben, um mein bestes Werk zu verderben; aber solches Glück wird mir nimmer zu Theil. Entkommt er aus dem Kampfe, so ist der Ruhm seines Muthes so gegründet, daß er es wohl verachten kann, sein neues Glück durch Zweikampf mit einem armen Bürger, wie ich, in Gefahr zu setzen. Er wird mir einen Kämpfer stellen, und zwar meinen Zunftgenossen, den Hammerer, wobei mein ganzer Gewinn sein kann, einen Hochländer Ochsen vor den Kopf zu schlagen. Wenn ich nur Simon Glover sehen könnte! – Ich will nach der andern Kirche, um ihn zu suchen, denn sicherlich muß er aus dem Hochland herunter sein.« Die Gemeinde ging aus der Kirche der Dominikaner, als der Schmied seinen Entschluß faßte, den er eilig auszuführen trachtete, indem er sich so schnell durch die Menge drängte, als die Gelegenheit und die Würde des Ortes gestattete. Indem er sich Bahn durch's Gedränge machte, kam er auf einmal so nahe an Eachin, daß ihre Augen sich begegneten. Des Schmieds kühnes, braunes Gesicht färbte sich wie das glühende Eisen, das er bearbeitete, und behielt die dunkle Röthe mehrere Minuten. Eachin's Züge glühten von der helleren Glut des Zornes, und ein Blick voll feurigen Hasses schoß aus seinen Augen. Aber das schnelle Erröthen schwand in aschgraue Blässe und sein Auge mied sogleich den unwilligen, aber festen Blick, der ihm begegnete. Torquil, dessen Auge seinen Pflegesohn nie verließ, sah seine Aufregung und schaute ängstlich um sich, um den Grund zu entdecken. Aber Harry war bereits fern, und eilte weiter nach dem Karthäuserkloster. Auch hier war der heutige Gottesdienst geendet, und die, welche vor Kurzem zum Andenken der großen Begebenheit, welche Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen brachte, Palmen getragen hatten, strömten auf den Kampfplatz, theils in der Absicht, ihren Mitmenschen das Leben zu nehmen, oder es selbst zu verlieren, theils den tödtlichen Kampf mit dem rohen Vergnügen zu betrachten, das die Heiden an den Gefechten ihrer Gladiatoren fanden. Die Menge war so groß, daß jede andere Person gezweifelt haben würde, hindurchzukommen. Aber die allgemeine Ergebung, die man Harry vom Wynd schenkte, als dem Kämpfer von Perth, und das allgemeine Bewußtsein, er sei fähig, sich den Weg zu erzwingen, veranlaßte Alle, ihm Platz zu machen, so daß er sich ganz dicht bei den Streitern des Clans Chattans befand. Ihre Pfeifer zogen an der Spitze ihres Zuges. Hierauf folgte das wohlbekannte Banner, die springende Bergkatze darstellend, mit der geeigneten Warnung: »Rühre die Katze nicht ohne den Handschuh an.« Der Häuptling folgte mit erhobenem zweihändigen Schwerte, als wollte er das Sinnbild seines Stammes beschützen. Er war ein Mann von mittlerer Größe, mehr als fünfzig Jahre alt, der aber weder in Mienen noch Gestalt eine Abnahme oder ein Zeichen des Alters verrieth. Sein dunkelrothes krauses Haar war zum Theil mit grauen Locken gemischt, aber sein Schritt und seine Bewegung waren so leicht im Kampfe, auf der Jagd, oder im Tanze, als wär' er noch nicht über das dreißigste Jahr hinaus. Ans seinem grauen Auge glänzte ein wildes Feuer des Muthes mit Trotz verbunden, aber Weisheit und Erfahrung wohnte augenscheinlich auf seiner Stirn, seinen Brauen und Lippen. Die erwählten Streiter folgten ihm paarweise. Es war ein ängstlicher Zug auf den Gesichtern von Vielen bemerkbar, denn sie hatten diesen Morgen die Abwesenheit eines Mannes aus der bestimmten Zahl bemerkt, und in einem so verzweifelten Kampfe schien dieser Verlust Allen bedeutend, außer dem hochherzigen Häuptling Mac Gillie Chattanach. »Sagt den Sachsen nichts von seiner Abwesenheit,« sagte dieser kühne Führer, als man ihm die Verminderung seiner Schaar berichtete. »Die falschen niederländischen Zungen könnten sagen, daß Einer vom Clan Chattan ein Feiger war, und daß die Uebrigen vielleicht seine Flucht begünstigt haben, um einen Vorwand zur Vermeidung des Kampfes zu finden. Ich weiß, daß Ferquhard Day sich gewiß in den Reihen zeigen wird, ehe wir zum Kampfe bereit sind; oder wenn das nicht geschieht, bin ich nicht Mannes genug für Zwei vom Clan Quhele? oder würden wir nicht lieber Fünfzehn gegen Dreißig kämpfen, als den Ruhm verlieren, den dieser Tag uns bringt?« Der Stamm vernahm mit Beifall die muthige Rede seines Führers, doch blickten Manche besorgt umher, in der Hoffnung, den Flüchtigen zurückkehren zu sehen, und vielleicht war der Häuptling der Einzige in der muthigen Schaar, den der Umstand gar nicht kümmerte. Sie zogen vorwärts durch die Straßen, ohne Etwas von Ferquhard Day zu sehen, der viele Meilen jenseits der Berge beschäftigt war, eine solche Entschädigung für den Verlust der Ehre zu empfangen, als glückliche Liebe gewähren konnte. Mac Gillie Chattanach zog voran, ohne seine Abwesenheit zu bemerken, wie es schien; er betrat den nördlichen Anger, eine schöne Ebene dicht bei der Stadt, die zu den Waffenübungen der Bürger eingerichtet war. Diese Fläche war auf einer Seite von dem tiefen wogenden Tay bespült. Hier war ein starker Pallisadenzaun errichtet, der von drei Seiten einen Platz von hundertundfünfzig Yards Länge und vierundsiebzig Yards Breite umschloß. Die vierte Seite der Schranken hielt man durch den Fluß für hinreichend gedeckt. Ein Amphitheater für die Zuschauer lief rings um die Schranken, welches einen großen Raum für Bewaffnete zu Roß und Fuß und für die gemeinen Zuschauer frei ließ. Am Ende der Schranken war eine Reihe erhöhter Balkone für den König und den Hof, so sehr mit ländlichem Laubwerk und vergoldeten Zierrathen geschmückt, daß der Platz bis auf den heutigen Tag die goldene oder vergoldete Laube heißt. Die hochländischen Musiker, welche die geeigneten Pibrochs oder Schlachtweisen der jederseitigen Partei gespielt hatten, schwiegen, als sie den Anger betraten, denn so lautete der gegebene Befehl. Zwei stattliche aber bejahrte Krieger, jeder das Banner seines Stammes tragend, schritten an die entgegengesetzten Seiten der Schranken und steckten ihre Standarten in die Erde, bereit, die Zuschauer eines Gefechtes zu sein, woran sie nicht Theil nahmen. Die Pfeifer, die gleichfalls neutral im Kampfe sein sollten, nahmen ihre Plätze bei ihren Brattachs ein. Die Menge empfing beide Schaaren mit dem allgemeinen Geschrei, womit sie bei ähnlichen Gelegenheiten diejenigen begrüßt, von deren Bemühungen sie Unterhaltung, oder, wie sie sich ausdrückt, Spaß erwartet. Die erwählten Kämpfer erwiderten diesen Gruß nicht, sondern jede Schaar begab sich nach entgegengesetzten Seiten der Schranken, wo sich Eingänge befanden, durch die sie in's Innere gelassen werden sollten. Eine starke Abtheilung Bewaffneter bewachte jeden Eingang; und der Graf Marschall auf der einen, der Lord Großconnetable auf der andern Seite untersuchten sorgfältig jeden Einzelnen, ob er die gehörigen Waffen, nämlich Helm, Panzer, zweihändiges Schwert und Dolch führe. Auch zählten sie beide Schaaren, und groß war der Schrecken des Volkes, als der Graf von Errol die Hand emporhielt und rief: – »Ho! – der Kampf kann nicht beginnen, denn dem Clan Chattan fehlt ein Mann.« »Was thut das?« sagte der junge Graf von Crawford; »sie hätten besser zählen sollen, ehe sie von Hause gingen.« Der Graf Marschall stimmte indeß dem Connetable bei, daß das Gefecht nicht vor sich gehen könne, bis die Ungleichheit beseitigt sei, und allgemein regte sich die Besorgniß unter der versammelten Menge, daß nach all' den Zurüstungen kein Kampf stattfinden werde. Von allen Anwesenden waren vielleicht nur Zwei, die sich bei der Aussicht, daß der Kampf vertagt werden solle, freuten; und diese waren der Häuptling des Clans Quhele und der weichherzige König Robert. Inzwischen begegneten sich die beiden Häuptlinge, jeder von einem besondern Freund und Rathgeber begleitet, in der Mitte des Platzes, während ihnen in der Berathung, was zu thun sei, der Graf Marschall, der Lord Großconnetable, der Graf Crawford und Sir Patrick Charteris beistanden. Der Häuptling des Clans Chattan erklärte, daß er gern und willig auf der Stelle kämpfen wolle, ohne Rücksicht auf die ungleiche Zahl. »Das,« sagte Torquil von der Eiche, »wird der Clan Quhele nimmer zugeben. Ihr könnt nimmer bei uns Ehre gewinnen mit dem Schwerte, und sucht nur eine Ausflucht, um, wenn ihr geschlagen seid (was geschehen wird, wie ihr wißt), sagen zu können, dies sei wegen der kleinen Zahl geschehen. Aber ich thue einen Vorschlag – Ferquhard Day war der Jüngste eurer Schaar, Eachin Mac Jan ist der Jüngste der Unsern – wir wollen ihn für den Mann weglassen, der dem Kampfe entflohen ist.« »Ein höchst unbilliger und ungerechter Vorschlag,« rief Toshach Beg, der Secundant, wie man ihn nennen konnte, Mac Gillie Chattanachs. »Das Leben des Häuptlings ist für den Clan der Lebensodem, und nimmer dulden wir, daß unser Häuptling den Gefahren ausgesetzt werde, welche der Häuptling des Claus Quhele nicht theilt.« Torquil sah mit großer Besorgniß, daß sein Plan scheitern wollte, als man diesen Einwand gegen Hektors Wegbleiben aus dem Kampfe machte; und er sann nach, wie sich sein Vorschlag unterstützen ließe, als sich Eachin selbst einmischte. Seine Furchtsamkeit war, wie man bemerken muß, nicht von der schmutzigen und selbstsüchtigen Art, die diejenigen, welche von ihr angesteckt sind, ruhig der Schande sich unterziehen läßt, ehe sie sich in Gefahr wagen. Er war im Gegentheil von moralischem Muthe beseelt, aber durch körperliche Anlage feig, und die Scham, den Kampf zu meiden, war in dem Augenblicke mächtiger, als die Furcht vor demselben. »Ich will,« sagte er, »nichts von einem Plane hören, der während des glorreichen Kampfes dieses Tages mein Schwert ruhig in der Scheide läßt. Wenn ich jung in Waffen bin, so sind genug tapfere Männer um mich, denen ich nachahmen kann, wenn ich ihnen nicht gleichzukommen vermag.« Er sprach diese Worte mit einem Feuer, das auf Torquil und vielleicht auf den jungen Häuptling selbst Eindruck machte. »Nun, Gott segne dein edles Herz,« sagte der Pflegevater zu sich selbst. »Ich wußte gewiß, daß der schnöde Zauber gebrochen werden würde, und daß der träge Geist, der ihn gefangen hielt, beim Klange der Pfeife und beim ersten Wehen des Brattach weichen müßte!« »Hört mich, Lord Marschall,« sagte der Connetable. »Die Stunde des Kampfes kann nicht länger verschoben werden, denn es ist hoch am Mittag. Laßt den Häuptling des Clan Chattan die übrige halbe Stunde nützen, um einen Vertreter für seinen Flüchtling zu finden; kann er's nicht, so mögen sie fechten, wie sie dasteh'n.« »Ich bin's zufrieden,« sagte der Marschall, »wiewohl, da Keiner von seinem eigenen Clan näher als fünfzig Meilen ist, ich nicht einsehe, wie Mac Gillie Chattanach einen Helfer finden soll.« »Das ist seine Sache,« sagte der Großconnetable; »aber wenn er einen hohen Lohn bietet, so gibt's genug rüstige Yeomen um die Schranken, die froh sein werden, ihre Glieder in einem solchen Kampfspiel zu regen. Ich selber, wenn Stand und Amt es erlaubten, würde gern unter diesen wilden Burschen fechten, und es mir zur Ehre anrechnen.« Sie theilten ihre Entscheidung den Hochländern mit, und der Häuptling des Clans Chattan erwiderte: »Ihr habt unparteiisch und edel geurtheilt, Mylord, und ich halte mich für verpflichtet, Eurer Weisung zu folgen. – So macht bekannt, Herolde, daß wenn Einer an den Ehren und Schicksalen des Clans Chattan heute Theil nehmen will, er sofort eine Goldkrone erhalten und die Freiheit haben soll, bis auf den Tod in meinen Reihen zu fechten.« »Ihr seid etwas karg mit Eurem Schatze, Häuptling,« sagte der Graf Marschall; »eine Goldkrone ist ein geringer Lohn für einen solchen Kampf.« »Wenn Jemand da ist, der um Ehre fechten will,« erwiderte Mac Gillie Chattanach, »so ist der Preis hoch genug; und ich kann den Dienst eines Kerls nicht brauchen, der sein Schwert allein für Gold zieht.« Die Herolde schritten vor, gingen halb um die Schranken herum und hielten von Zeit zu Zeit still, um nach dem erhaltenen Befehl den Aufruf hören zu lassen, ohne daß sich bei irgend Jemand die mindeste Neigung zu zeigen schien, der Werbung folgen zu wollen. Einige spotteten über die Armseligkeit der Hochländer, die einen so niedrigen Preis für einen so verzweifelten Dienst boten. Andere waren unwillig, daß sie das Blut der Bürger so niedrig anschlugen. Keiner zeigte die mindeste Neigung, das Anerbieten anzunehmen, bis der Lärm des Ausrufers Harry vom Wynd erreichte, der, von Zeit zu Zeit mit dem Bailie Craigdallie sprechend, oder vielmehr zerstreut anhörend, was ihm diese Magistratsperson erzählte, an den Schranken stand. »Ha! was rufen sie aus?« rief er. »Ein freigebiges Anerbieten von Seiten Mac Gillie Chattanachs,« sagte der Wirth aus dem Greif; »derselbe bietet eine Goldkrone Jedem, der es heute mit der wilden Katze halten und sich in ihrem Dienst ein Bißchen todtschlagen lassen will! Das ist Alles.« »Wie!« rief der Schmied eifrig, »fordern sie einen Mann, um gegen den Clan Quhele zu fechten?« »Ja, das thun sie wahrhaftig,« sagte Greif; »aber ich denke, solche Narren werden sie in Perth nicht finden.« Er hatte das Wort bereits gesagt, als er sah, wie der Schmied mit einem Sprunge in den Schranken stand und sagte: »Hier bin ich, Sir Herold, Harry vom Wynd, bereit zum Kampfe auf Seiten des Clans Chattan.« Ein Schrei der Verwunderung lief durch die Menge, während die ersten Bürger nicht den geringsten Grund finden konnten für Harry's Benehmen, und daher schlossen, sein Kopf müsse ganz verdreht vor Kampflust sein. Der Oberrichter war besonders betroffen. »Du bist toll!« sagte er, »Harry! Du hast weder ein zweihändiges Schwert, noch Panzer.« »Freilich nicht,« sagte Harry, »denn ich trennte mich von einem Panzer, den ich für mich gemacht, und ließ ihn jenem hübschen Häuptling des Clans Quhele, der bald auf seinen Schultern fühlen soll, mit was für Hieben ich an meinen Ringen rassele! Was das zweihändige Schwert anlangt, so wird mir dieser Kindersäbel genügen, bis ich mir eine schwerere Waffe erbeute.« »Das darf nicht geschehen,« sagte Errol. »Hör', Waffenschmied, bei St. Maria, du sollst meinen Mailänder Harnisch und mein gutes spanisches Schwert haben.« »Ich danke Eurer Herrlichkeit, Sir Gilbert Ray; aber die Wehr, womit Euer tapferer Ahn die Schlacht von Loncarty gewann, würde mir wohl auch genügen. Ich bin wenig gewöhnt an Schwert oder Harnisch, die ich nicht selber gemacht habe, weil ich nicht genau weiß, welche Hiebe der Eine aushält, ohne zu brechen, oder der Andere austheilt, ohne zu springen.« Der Lärm hatte sich unterdessen unter der Menge verbreitet und war in die Stadt gedrungen, daß der tapfere Schmied im Begriff sei, ohne Rüstung zu fechten, als, just wie sich die verhängnißvolle Stunde näherte, der gellende Schrei eines Weibes gehört ward, welches sich schreiend durch die Menge drängte. Das Volk gab ihrer Zudringlichkeit Raum und sie trat, athemlos vor Eile, unter der Last eines Harnisches und großen zweihändigen Schwertes heran. Man erkannte bald Oliver Proudfute's Wittwe, und die Rüstung, die sie trug, war Harry Schmieds eigene, die ihr Gatte an dem armseligen Abend seiner Ermordung getragen, die natürlich mit dem Leichnam nach Hause gebracht worden war, und die nun durch die Anstrengungen der dankbaren Wittwe in dem Augenblick in die Schranken gebracht wurde, da so erprobte Waffen sehr wichtig für ihren Besitzer waren. Harry empfing mit Vergnügen die wohlbekannte Rüstung, und die Wittwe nahm, nachdem sie zitternd vor Hast sie ihm anlegen geholfen, mit den Worten Abschied: »Gott mit dem Kämpfer für Wittwen und Waisen, und Unglück Allen, die ihm entgegenstehen!« Sich vertrauensvoll in seiner wohlerprobten Rüstung fühlend, schüttelte sich Harry, als wollte er das Stahlkleid am Körper anschmiegen lassen, und das große zweihändige Schwert entblößend, schwang er es über seinem Kopfe, die Luft, welche dabei pfiff, in Form einer Achte durchschneidend, und zwar mit so leichter und gewandter Hand, daß man sah, wie kräftig und geschickt er die gewichtige Waffe zu führen verstand. Die Kämpfer erhielten nun Befehl, in Ordnung um die Schranken zu ziehen, so jedoch, daß sie einander nicht begegneten, während sie, bei der goldenen Laube, wo der König saß, vorübergehend, sich verbeugten. Während dieser Zug Statt fand, verglichen die meisten Zuschauer wieder neugierig die Gestalt, Glieder und Sehnen der beiden Parteien und bemühten sich, den wahrscheinlichen Ausgang des Streites vorauszusagen. Eine hundertjährige Fehde, mit all ihren Angriffen und Wiedervergeltungen, concentrirte sich im Busen eines jeden Streiters. Ihre Mienen schienen zum wildesten Ausdruck des Stolzes, Hasses und des verzweifelten Entschlusses, bis auf's Aeußerste zu kämpfen, gebracht zu sein. Die Zuschauer murmelten freudig Beifall, in hochgespannter Erwartung des blutigen Spieles. Wetten wurden geboten und angenommen über den Streit im Allgemeinen und die Thaten einzelner Kämpfer. Der helle, freie und stolze Blick Harry Schmieds machte ihn zum Liebling aller Anwesenden, und ungleiche Wetten wurden darauf eingegangen, daß er drei Gegner tödten würde, ehe er selbst fiele. Kaum war der Schmied zum Kampfe gerüstet, als der Befehl der Anführer die Kämpfer an ihre Plätze stellte, und in demselben Augenblick hörte er Simon Glovers Stimme aus dem Volke, das vor Erwartung schwieg, rufen : »Harry Schmied, Harry Schmied, welcher Wahnsinn hat dich befallen?« »Ja, er will seinen hoffnungsvollen Schwiegersohn retten, das heißt nämlich aus des Schmieds Händen,« war Harry's erster Gedanke – sein zweiter war, sich umzudrehen und ihn anzureden – und sein dritter, daß er unter keinem Vorwande die Schaar verlassen könnte, zu der er sich gesellt, ja, daß es auch nicht mit der Ehre verträglich sei, wenn er wünsche, das Gefecht zu verschieben. Er wendete sich daher dem Werke dieser Stunde zu. Beide Parteien waren von ihren Häuptlingen in drei Linien, jede zu zehn Mann, getheilt. Sie waren neben einander gestellt, daß zwischen den Einzelnen immer Raum genug blieb, um ein Schwert zu schwingen, dessen Klinge, ohne den Griff, fünf Fuß lang war. Die zweite und dritte Reihe diente als Rückhalt, wenn die erste unglücklich war. Rechts in der Schlachtordnung des Clans Quhele stand der Häuptling Eachin Mac Jan, in der zweiten Reihe zwischen zweien seiner Pflegebrüder. Vier von ihnen nahmen die rechte Seite der ersten Linie ein, indeß der Vater und zwei andere Brüder den Rücken des geliebten Häuptlings deckten. Torquil besonders hielt sich ganz nahe an Eachin, um ihn zu schirmen. So stand dieser mitten unter den neun stärksten Männern seiner Schaar, indem er vier treffliche Vertheidiger vor sich, einen auf jeder Seite und drei hinter sich hatte. Die Linien des Clans Chattan waren genau auf die nämliche Weise geordnet, nur daß der Häuptling das Centrum der mittelsten Reihe einnahm, statt zur äußersten Rechten zu stehen. Dies bewog Harry Schmied, der unter den beiden Schaaren nur einen Feind sah, und zwar den unglücklichen Eachin, vorzuschlagen, daß er in die erste Reihe des linken Flügels des Clan Chattan gestellt würde. Aber der Anführer mißbilligte dies, und nachdem er Harry erinnert hatte, daß er ihm Gehorsam schuldig sei, weil er Sold von ihm erhalte, befahl er ihm, den Platz in der dritten Linie gerade hinter ihm selbst einzunehmen, ein Ehrenplatz, den Harry nicht ablehnen konnte, obwohl er ihn mit Widerstreben einnahm. Als die Clans so einander gegenüber aufgestellt waren, zeigten sie ihre Fehdelust und ihre Begier zum Kampfe durch ein wildes Geschrei an, welches, vom Clan Quhele ausgestoßen, der Clan Chattan zur Antwort wiederhallen ließ, indem Alle zu gleicher Zeit ihre Schwerter schüttelten und einander drohten, als wenn sie die Einbildungskraft ihrer Gegner besiegen wollten, bevor sie den Streit wirklich begönnen. In diesem Augenblicke der Prüfung wurde Torquil, der nie für sich selbst gefürchtet hatte, von Unruhe ergriffen, hinsichtlich seines Pflegesohnes, tröstete sich jedoch, indem er bemerkte, daß er eine entschlossene Miene zeigte, und daß die wenigen Worte, die er zu seinem Clan sprach, kühn geäußert wurden und wohlberechnet waren, sie zum Kampfe zu ermuthigen, da sie seinen Entschluß ausdrückten, ihr Schicksal zu Tod oder Sieg zu theilen. Aber es war keine Zeit zu fernerer Beobachtung. Die Trompeten des Königs tönten zum Angriff, die Sackpfeifen ließen ihre schmetternden, betäubenden Töne hören, und die Streiter, in regelmäßiger Ordnung vorschreitend und ihren Schritt bis zum schnellen Laufe beschleunigend, trafen mitten im Kampfplatze zusammen, wie ein wüthender Landstrom der nahenden Meerfluth begegnet. Einige Augenblicke schienen die vordersten Reihen, mit ihren langen Schwertern gegen einander hauend, in einer Folge einzelner Kämpfe begriffen; aber die zweite und dritte Reihe kamen von beiden Seiten, angetrieben durch die Gier des Hasses und den Durst nach Ehre, drängten sich durch die Zwischenräume und machten die Scene zu einem lärmenden Chaos, über dem die gewaltigen Schwerter stiegen und sanken, einige immer blinkend, andere von Blut überströmt; sie schienen bei der seltsamen Schnelle, mit der sie geschwungen wurden, eher durch verwickelte Maschinen in Bewegung gesetzt, als durch Menschenhände geführt zu werden. Einige der Streiter, die sich zu sehr zusammengedrängt hatten, um diese großen Waffen zu gebrauchen, hatten bereits zu ihren Dolchen ihre Zuflucht genommen, und sich bemüht, ihren Gegnern auf den Leib zu kommen. Indessen floß eine Menge Blut, und das Stöhnen der Fallenden begann sich mit dem Geschrei der Fechtenden zu mischen, das nach der bei den Hochländern zu allen Zeiten waltenden Sitte kaum ein Geschrei, sondern mehr ein gellendes Gekreisch genannt werden konnte. Die von den Zuschauern, deren Augen an solche Blutscenen am besten gewöhnt waren, konnten jedoch keinen Vortheil aus irgend einer Seite entdecken. Der Kampf schwankte in der That in verschiedenen Zwischenräumen vorwärts und zurück; aber es war nur augenblicklicher Sieg, den die Partei, die ihn gewann, fast augenblicklich durch eine ähnliche Anstrengung der andern wieder verlor. Die wilden Töne der Pfeifen wurden noch immer unter dem Tumulte gehört und reizten die Wuth der Kämpfer. Auf einmal bliesen jedoch, wie auf gegenseitige Uebereinkunft, die Instrumente zum Rückzug; dieser ward durch klagende Töne ausgedrückt, welche eine Todtenweise für die Gefallenen zu sein schienen. Die Parteien trennten sich von einander, um einige Minuten Athem zu schöpfen. Die Augen der Zuschauer betrachteten mit Vergnügen die zerrissenen Rüstungen der Kämpfer, als sie sich aus dem Kampfe zurückzogen; aber es war ihnen immer noch unmöglich, zu entscheiden, wer den größten Verlust erlitten hatte. Es schien, als habe der Clan Chattan weniger Leute verloren, als sein Gegner; aber dagegen zeigten die blutigen Plaids und Waffenröcke seiner Schaar (denn von beiden Seiten hatten Mehrere die Mäntel weggeworfen) mehr Verwundete, als der Clan Quhele. Ungefähr zwanzig von beiden Seiten lagen todt oder sterbend auf dem Felde; abgehauene Arme und Beine, bis auf das Rückgrat gespaltene Köpfe, tiefe Hiebe durch die Schulter bis in die Brust zeigten auf einmal die Wuth des Kampfes, die Furchtbarkeit der gebrauchten Waffe, und die verhängnißvolle Stärke der Arme, die sie führten. Der Häuptling des Clans Chattan hatte den entschlossensten Muth gezeigt und war leicht verwundet. Auch Eachin hatte, von seiner Leibwache umringt, tapfer gefochten. Sein Schwert war blutig, sein Benehmen kühn und kriegerisch, und er lächelte, als der eine Torquil ihn in die Arme schloß, und mit Lob und Segnungen überhäufte. Die beiden Häuptlinge zogen, nachdem sie ihre Gefährten zehn Minuten lang hatten Athem schöpfen lassen, wieder in ihre Reihen auf, die fast um ein Drittel ihrer ursprünglichen Anzahl vermindert waren. Sie wählten nun ihre Stelle näher am Flusse, als wo sie zuvor einander begegnet waren, da der erste Kampfplatz mit Todten und Verwundeten bedeckt war. Einige der letzteren sah man von Zeit zu Zeit sich erheben, um dem Kampfe ein wenig zuzusehen, zurücksinken und meist an Blutverlust durch die fürchterlichen Wunden sterben, die ihnen der Claymore geschlagen hatte. Harry Schmied zeichnete sich leicht aus durch seine Niederlandskleidung, sowie durch sein Zurückbleiben auf der Stelle, wo man zuerst gefochten hatte, und wo er, auf seinem Schwert lehnend, neben einem Leichnam stand, dessen mit der Mütze bedeckter Kopf durch die Gewalt des Hiebes, der ihn abgehauen, zehn Yards weit vom Rumpfe geschleudert war, und der das Eichenlaub, die eigenthümliche Auszeichnung der Leibwache Eachins, trug. Seit er diesen Mann erschlug, hatte Harry keinen Hieb mehr gethan, sondern sich begnügt, viele abzuwehren, die auf ihn geführt wurden, und einige, die auf den Häuptling gezielt waren. Mac Gillte Chattanach ward unruhig, als, nachdem er seinen Leuten das Zeichen sich zu ordnen gegeben hatte, dieser gewaltige Streiter fern von den Reihen blieb und wenig Neigung zeigte, sich zu ihm zu gesellen. »Was hast du, Mann?« sagte der Häuptling. »Kann ein so starker Leib einen gemeinen und feigen Geist haben? Komm und nimm am Kampfe Theil.« »Ihr habt mich vorhin nur einen Miethling genannt,« erwiderte Harry – »bin ich ein solcher,« auf den kopflosen Leichnam deutend, »so hab' ich für meinen Tagelohn genug gethan.« »Wer mir dient, ohne die Stunden zu zählen,« erwiderte der Häuptling, »den belohn' ich, ohne die Arbeit nachzurechnen.« »Dann fecht' ich,« sagte der Schmied, »als ein Freiwilliger, und auf dem Posten, der mir am besten gefällt.« »Das kommt Alles auf Euch an,« sagte Mac Gillie Chattanach, der es für gut hielt, einen so vielversprechenden Bundesgenossen bei Laune zu erhalten. »Es ist genug,« sagte Harry, und seine schwere Waffe schulternd, gesellte er sich eilig zu den übrigen Streitern, und stellte sich dem Häuptling des Clans Quhele gegenüber. Da geschah es zum ersten Male, daß Eachin einige Unsicherheit zeigte. Er hatte Harry längst als den besten Streiter betrachtet, den Perth und die Umgegend in die Schranken bringen könnte. Sein Haß gegen ihn als Gegner mischte sich mit der Erinnerung, wie leicht derselbe unlängst, obwohl unbewaffnet, seinen plötzlichen, verzweifelten Angriff vereitelt hatte, und als er ihn die Augen auf sich heften und das blutige Schwert in der Hand, offenbar auf einen Zweikampf mit ihm sinnen sah, da sank sein Muth und er zeigte ein Beben, welches seinem Pflegevater nicht entging. Es war ein Glück für Eachin, daß Torquil in Folge seines eigenen Charakters und desjenigen der Personen, mit denen er gelebt hatte, nicht im Stande war, den Gedanken zu begreifen, daß Einer seines eigenen Stammes, und zumal sein Häuptling und Pflegesohn, Mangel an persönlichem Muthe haben könne. Hätte er dies gewußt, sein Schmerz und seine Wuth hätten ihn zum Aeußersten getrieben, Eachin das Leben zu nehmen, um ihn vor Befleckung seiner Ehre zu bewahren. Aber sein Geist verachtete den Gedanken, sein Pflegesohn könne ein Feigling sein, weil ihm dies unnatürlich und entsetzlich schien. Daß er unter dem Einfluß eines Zaubers stehe, war eine Lösung des Räthsels, die der Aberglaube eingab, und nun fragte er ängstlich und mit flüsternder Stimme Hektor: »Verdunkelt jetzt der Zauber deinen Geist, Eachin?« »Ja; o, ich Elender!« antwortete der unglückliche Jüngling; »und dort steht der schändliche Zauberer!« »Wie!« rief Torquil, »und du trägst einen von ihm gemachten Harnisch? – Norman, elender Bursche, warum brachtest du diesen verfluchten Panzer?« »Wenn mein Pfeil fehlgegangen ist, so kann ich nur mein Leben hinterdrein schießen,« antwortete Norman nan Ord. »Steht fest, Ihr sollt mich den Zauber brechen sehen.« »Ja, steh' fest,« sagte Torquil. »Er mag ein schnöder Zauberer sein; aber mein eigenes Ohr hörte und meine eigene Zunge hat es gesagt, daß Eachin die Schlacht gesund, frei und unverwundet verlassen solle – laßt uns den sächsischen Hexenmeister sehen, der das Lügen strafen kann. Er mag ein starker Mann sein, aber der schöne Stamm der Eiche soll fallen, Stock und Zweige, eh' er einen Finger an meinen Pflegesohn legt; umringt ihn, meine Söhne, – Bas air son Eachin!« Die Söhne Torquils riefen jauchzend die Worte nach, die bedeuten: »Tod für Hektor!« Ermuthigt durch ihre Ergebenheit, raffte sich Eachin wieder zusammen und rief kühn den Musikern seines Clans zu: »Seid suas!« d. h. spielt auf! Der wilde Pibroch tönte wieder zum Angriff, aber die beiden Parteien näherten sich einander langsamer, als das erste Mal, als Männer, die den gegenseitigen Muth kannten und achteten. Harry Wynd ging, in seiner Ungeduld, den Streit zu beginnen, vor den Clan Chattan voraus, und winkte Eachin, heranzukommen. Norman sprang aber vorwärts um seinen Pflegebruder zu bedecken, und es fand eine allgemeine, obwohl nur momentane Pause Statt, wie wenn beide Parteien den Ausgang dieses Zweikampfes als Vorbedeutung für das Schicksal des Tages erwarten wollten. Der Hochländer rückte vor, das Schwert hoch erhoben, als wolle er eben den Hieb führen; als er aber noch eine Schwertlänge von seinem Gegner entfernt war, warf er die lange schwere Waffe von sich, sprang leicht über des Waffenschmieds Schwert, als dieser nach ihm hieb, zog seinen Dolch und stieß, da er Harry so nahe kam, ihm diese Waffe (sein eigenes Geschenk) seitwärts nach dem Halse, indem er den Stoß abwärts nach der Brust lenkte und zu gleicher Zeit laut rief: »Ihr lehrtet mich den Stoß!« Aber Harry Wynd trug seinen eigenen guten Harnisch, doppelt geschützt durch eine Lage harten Stahls. Wäre er minder sicher gerüstet gewesen, so waren seine Kämpfe auf ewig aus. Jetzt aber war er nur leicht verwundet. »Narr!« erwiderte er, dem Norman mit dem Knopf seines langen Schwertes einen Hieb gebend, daß er zurücktaumelte, »ich lehrt' Euch den Stoß, aber nicht das Pariren;« und damit führte er einen Hieb auf den Gegner, der ihm durch den Helm den Schädel spaltete, und schritt über den Leichnam dem jungen Häuptling entgegen, der nun frei vor ihm stand. Aber die kräftige Stimme Torquils donnerte: »Far eil son Eachin!« (ein Anderer für Hektor!) und die beiden Brüder, die ihres Häuptlings Seiten deckten, stürzten gegen Harry vor und zwangen ihn, indem Beide zugleich eindrangen, sich zu vertheidigen. »Vorwärts, Stamm der Tigerkatze!« rief Mac Gillie Chattanach; »rettet den tapfern Sachsen; laßt diese Kerls eure Klauen fühlen!« Bereits sehr verwundet schleppte sich der Häuptling hin zu des Schmieds Beistand, und hieb einen der Leibwache nieder, von dem er angegriffen ward. Harry's eigenes Schwert befreite ihn von dem andern. »Reist air son Eachin!« (wieder für Hektor!) rief der treue Pflegevater. »Bas air son Hektor!« (Tod für Hektor!) antworteten noch zwei seiner ergebenen Söhne, und stellten sich der Wehr des Schmiedes und derjenigen entgegen, die ihm zu Hilfe gekommen waren; während Eachin, sich nach dem linken Flügel des Kampfes bewegend, minder furchtbare Gegner suchte, und indem er einige Tapferkeit zeigte, die sinkenden Hoffnungen seiner Gefährten wieder belebte. Die beiden Kinder der Eiche, die diese Bewegung deckten, theilten das Schicksal ihrer Brüder, denn das Geschrei des Häuptlings von Chattan hatte einige der Tapfersten auf diese Seite des Kampfes gezogen. Torquils Söhne fielen nicht ungerächt, sie hinterließen furchtbare Zeichen ihrer Schwerter an den Leibern der Lebenden und Todten. Aber die Nothwendigkeit, ihre ausgezeichnetsten Krieger um den Häuptling zu stellen, war dem allgemeinen Ausgange des Kampfes nachtheilig, und so klein war nun die Zahl, die noch focht, daß man leicht sah, der Clan Chattan habe noch fünfzehn Mann, obwohl meist verwundet, der Clan Quhele aber nur zehn, wovon vier, worunter auch Torquil, die Leibwache des Anführers bildeten. Sie fochten und kämpften trotzdem, und so wie ihre Kraft abnahm, schien ihre Wuth zu steigen. Harry Wynd, an mehreren Stellen verwundet, war noch immer bemüht, die Schaar kühner Herzen zu durchbrechen oder zu vernichten, die um den Gegenstand seines Zornes focht. Aber immer wurde des Vaters Ruf: »ein Anderer für Hektor!« mit der verhängnißvollen Antwort freudig erwidert: »Tod für Hektor!« und obwohl der Clan Quhele nun so klein an Zahl war, schien der Kampf doch noch zweifelhaft. Es war nur körperliche Erschlaffung, die zu einer neuen Pause nöthigte. Der Clan Chattan zählte nun noch zwölf Mann, aber zwei oder drei waren kaum fähig, zu stehen, ohne sich auf ihre Schwerter zu lehnen. Dem Clan Quhele waren fünf geblieben; Torquil und sein jüngster Sohn, Beide leicht verwundet, waren darunter. Eachin allein war bis jetzt, durch die Sorgfalt, womit alle gegen ihn gerichteten Hiebe aufgefangen wurden, noch unverletzt. Die Wuth beider Parteien war durch Erschöpfung in düstere Verzweiflung übergegangen. Sie wankten wie im Schlaf durch die Leichname der Erschlagenen, und starrten sie an, als wollten sie ihren Haß gegen die lebenden Feinde durch den Anblick der verlorenen Freunde beleben. Bald nachher sah die Menge die Ueberlebenden des verzweifelten Kampfes sich zusammenziehen, um den Vernichtungskampf am Ufer des Flusses zu erneuen, da der Ort weniger schlüpfrig von Blut war, und minder bedeckt mit Körpern der Erschlagenen. »Um Gottes willen – um der Gnade willen, die wir täglich erflehen,« sagte der sanftmüthige alte König zum Herzog von Albany, »laßt das enden! Warum soll man diese elenden Ueberreste der Menschheit ihre Schlächterei vollenden lassen? – Gewiß werden sie sich lenken lassen, und auf mäßige Bedingungen Frieden schließen.« »Beruhigt Euch, mein König,« sagte sein Bruder. »Diese Leute sind die Pest des Niederlandes. Beide Häuptlinge leben noch – wenn sie unverletzt davon kommen, ist das ganze Tagewerk weggeworfen. Denkt an Euer dem Rathe gegebenes Versprechen, daß Ihr nicht Halt rufen wolltet.« »Ihr zwingt mich zu einem großen Verbrechen, Albany, sowohl als König, der seine Unterthanen schützen sollte, wie als Christ, der seine Mitgläubigen achtet.« »Ihr urtheilt falsch, Mylord,« sagte der Herzog; »diese sind keine liebenden Unterthanen, sondern ungehorsame Rebellen, wie Mylord von Crawford bezeugen kann; und sie sind noch weniger Christen, denn der Prior der Dominikaner wird Euch für mich versichern, daß sie mehr als halbe Heiden sind.« Der König seufzte tief. »Ihr müßt Euren Willen haben, und seid zu weise für mich, um Euch zu bestreiten. Ich kann mich nur abwenden und meine Augen schließen vor dem Anblick und dem Getöse eines Blutbades, welches mich krank macht. Aber ich weiß wohl, daß Gott mich selbst dafür strafen wird, daß ich Zeuge dieser Verwüstung menschlichen Lebens bin.« »Tönt, Trompeten,« sagte Albany; »ihre Wunden erstarren, wenn sie länger zaudern.« Während dies geschah, umarmte und ermuthigte Torquil seinen jungen Häuptling. »Widersteh' der Hexerei nur noch einige Minuten! Sei guten Muthes – du wirst davonkommen ohne Wunde und Narbe, ohne Hieb oder Schaden. Sei guten Muthes!« »Wie kann ich guten Muthes sein,« sagte Eachin, »während meine tapfern Verwandten nach einander vor meinen Füßen starben? – Alle starben für mich, der ich nimmer ihre Liebe im Geringsten verdienen konnte!« »Und wozu sind sie geboren, außer für ihren Häuptling zu sterben?« sagte Torquil mit Fassung. »Warum klagen, daß der Pfeil nicht wieder in den Köcher zurückkehrt, wenn er nur das Ziel trifft? Sei fröhlich – hier ist Tormot und ich nur wenig verwundet, während die wilden Katzen sich durch die Ebene schleppen, als wären sie halb erwürgt von den Dachshunden – nur Einer steht noch muthig, und der Tag soll Euer sein, obwohl es sein kann, daß Ihr allein am Leben bleibt. – Spielleute, blas't zum Angriff!« Die Pfeifer beider Parteien bliesen zum Angriff, und die Streiter mischten sich im Kampfe, zwar nicht mit derselben Kraft, aber mit ungeschwächter Hartnäckigkeit. Es gesellten sich auch die zu ihnen, deren Pflicht es war, neutral zu bleiben, die sich dazu aber nun unfähig fanden. Die beiden alten Kämpfer, welche die Fahnen trugen, waren allmälig von den äußersten Enden der Schranken vorgerückt und näherten sich jetzt dem Boden des Kampfes. Als sie das Blutbad näher sahen, wurden sie beiderseits von dem Wunsche angetrieben, ihre Brüder zu rächen oder sie nicht zu überleben. Wüthend griffen sie einander mit den Lanzen an, woran die Fahnen befestigt waren, kamen einander nach einigen tödtlichen Stößen auf den Leib, und wurden handgemein, immer ihre Fahnen tragend, bis sie in der Hitze des Streites endlich zusammen in den Tay stürzten, wo sie nach dem Gefecht, Jeder den Andern fest in die Arme drückend, gefunden wurden. Die Wuth des Kampfes, der Wahnsinn rasender Verzweiflung ergriff sofort die Spielleute. Die beiden Pfeifer, die während des Kampfes ihr Aeußerstes gethan hatten, den Muth ihrer Brüder aufrecht zu erhalten, sahen jetzt den Kampf wegen Mangels an Menschen fast geendigt. Sie warfen ihre Instrumente von sich, stürzten mit ihren Dolchen verzweifelt auf einander los, und da sich Jeder mehr bemühte, seinen Gegner niederzustoßen, als sich selber zu schützen, so wurde der Pfeifer des Clans Quhele sogleich getödtet und der des Clans Chattan tödtlich verwundet. Der Letztere ergriff trotzdem seine Pfeife, und die Weise des Clans ließ ihre schwindenden Töne über den Clan Chattan vernehmen, so lange der sterbende Pfeifer noch Athem hatte. Das Instrument, welches er gebrauchte, oder wenigstens den Theil desselben, den man den Sänger nannte, wird in der Familie eines hochländischen Häuptlings noch bis auf den heutigen Tag aufbewahrt, und wird sehr in Ehren gehalten unter dem Namen Federan Dhu oder der schwarze Sänger. Unterdessen war im letzten Angriff der junge Tormot, geweiht, gleich seinen Brüdern, von seinem Vater Torquil dem Schutze des Häuptlings, durch das schonungslose Schwert des Schmieds tödtlich verwundet worden. Die zwei Andern, die vom Clan Quhele noch übrig, waren gleichfalls gefallen, und Torquil erzwang sich mit seinem Pflegesohn und dem verwundeten Tormot den Rückzug vor acht bis zehn vom Clan Chattan, machte am Ufer des Flusses Halt, während die Feinde sich anstrengten, sie zu überwältigen, soweit es ihre Wunden erlaubten. Torquil hatte eben die Stelle erreicht, wo er stehen wollte, als der Jüngling Tormot niederfiel und starb. Sein Tod entlockte dem Vater den ersten und einzigen Seufzer, den er an dem ganzen ereignißreichen Tage ausgestoßen hatte. »Mein Sohn Tormot!« sagte er, »mein jüngster und liebster! Aber wenn ich Hektor rette, so rett' ich Alle. – Jetzt, mein theurer Pflegesohn, hab' ich für dich Alles gethan, was ein Mensch thun kann, außer das Letzte. Laß mich dir diese unheilvolle Rüstung abthun, und lege du die des Tormot an; sie ist leicht und wird dir wohl passen. Während du dies thust, will ich auf diese verstümmelten Menschen stürzen, und ihnen so viel als möglich zu schaffen machen. Ich glaube, ich werde nur wenig zu thun haben, denn sie folgen einander wie lahme Stiere. Wenigstens, Liebling meiner Seele, wenn ich dich nicht retten kann, zeig' ich dir doch, wie ein Mann sterben soll.« Wahrend Torquil so sprach, löste er die Schnallen von des jungen Häuptlings Rüstung, in dem einfältigen Glauben, daß er so die Schlingen zerreißen könnte, womit Furcht und Zauberei sein Herz umfangen hatten. »Mein Vater, mein Vater, o, mehr als mein Vater!« sagte der unglückliche Eachin. – »Bleib' bei mir! – Mit dir an meiner Seite kann ich bis auf's Aeußerste fechten.« »Es ist unmöglich,« sagte Torquil. »Ich will die Herankommenden aufhalten, während du den Harnisch anlegst. Gott segne dich ewig, Geliebter meiner Seele!« Darauf stürzte, sein Schwert schwingend, Torquil von der Eiche vorwärts mit demselben furchtbaren Kriegsruf, der so oft über das blutige Feld getönt hatte: » Bas air son Eachin!« – Die Worte erschallten drei Mal mit Donnerstimme, und jedesmal, wenn er seinen Kriegsruf schrie, schlug er einen vom Clan Chattan nieder, so wie er sie nach einander auf ihn zuwankend traf. – »Wackrer Kampf, Habicht! – gut geflogen, Falke!« rief die Menge, als sie die Anstrengungen sah, die noch in der letzten Stunde das Schicksal des Tages zu verändern drohten. Plötzlich schwieg das Geschrei, und es folgte darauf ein so furchtbares Schwerterklirren, als hätte der ganze Kampf sich in der Person Harry Wynds und Torquils von der Eiche erneuert. Sie hieben und stießen, als hätten sie heut' zum ersten Mal ihre Klingen gezogen, und ihre Hartnäckigkeit war gegenseitig, denn Torquil erkannte den bösen Zauberer, der seinen lieben Sohn behext hatte, und Harry sah den Riesen vor sich, der während des ganzen Kampfes die Absicht vereitelt hatte, um deren willen allein er bei der Schaar der Streitenden stand. Sie fochten mit einer Gleichheit, die vielleicht nicht stattgefunden hätte, wäre nicht Harry, etwas stärker verwundet, als sein Gegner, seiner gewohnten Behendigkeit einigermaßen beraubt gewesen. Inzwischen ward Eachin, als er sich allein fand, und einen unordentlichen und Vergeblichen Versuch machte, seines Pflegebruders Rüstung anzulegen, durch eine Regung von Schaam und Verzweiflung ermuthigt, und eilte vorwärts, um seinem Pflegevater in dem schrecklichen Kampfe beizustehen, bevor ein Anderer vom Clan Chattan herankommen konnte. Als er noch fünf Yards entfernt und fest entschlossen war, an dem tödtlichen Gefechte Theil zu nehmen, fiel sein Pflegevater, vom Halsbein bis fast in die Brust gespalten, und murmelte mit dem letzten Athemzug: Bas airson Eachin! – Der unglückliche Jüngling sah den Fall seines letzten Freundes, und in demselben Augenblicke den Todfeind, der ihn durch den ganzen Kampf gejagt hatte, eine Schwertlänge von sich, die ungeheure Waffe schwingend, mit welcher er sich durch so viele Hindernisse den Weg zu seinem Leben gehauen hatte. Vielleicht war dies genug, um seine körperliche Sicherheit auf den höchsten Grad zu steigern, oder vielleicht erinnerte er sich in demselben Augenblicke, daß er ohne Schutzwaffen war, und daß eine feindliche Linie, zwar verwundet und langsam, aber rache- und blutgierig, heranrückte. Es genügt zu sagen, daß sein Herz ermattete, seine Augen dunkelten, seine Ohren klangen, sein Hirn schwindelte – alle anderen Gedanken gingen unter in der Furcht vor augenblicklichem Tode; und einen unwirksamen Hieb gegen den Schmied führend, vermied er den, welcher auf ihn gerichtet war, indem er rückwärts sprang, und ehe Jener seine Waffe wieder erheben konnte, hatte sich Eachin in den Taystrom gestürzt. Ein schmähendes Geschrei folgte ihm, als er über den Fluß schwamm, obwohl vielleicht nicht ein Dutzend von denen, die darein stimmten, in gleichen Umständen sich anders benommen hätten. Harry sah dem Flüchtling schweigend und staunend nach, konnte aber die Folgen seiner Flucht nicht sehen, wegen der Ohnmacht, die ihn zu überwältigen schien, sobald die Aufregung des Streites vorüber war. Er setzte sich auf das Rasenufer und bemühte sich, diejenigen seiner Wunden zu stillen, die am stärksten bluteten. Die Sieger wurden allgemein beglückwünscht. Der Herzog von Albany und Andere gingen hinab, den Kampfplatz zu besehen, und Harry Wynd wurde mit besonderer Achtung geehrt. »Wenn du mir folgen willst, guter Bursch',« sagte der schwarze Douglas, »so will ich deinen Ledergurt mit einem Rittergürtel vertauschen, und dein bürgerliches Besitzthum mit einem Land von hundert Pfund, um deinen Rang zu behaupten.« »Ich danke Euch bescheidentlich, Mylord,« sagte der Schmied abweisend; »aber ich habe schon Blut genug vergossen, und der Himmel hat mich gestraft, indem ich den einzigen Zweck verfehlte, um deßwillen ich an dem Kampfe Theil nahm.« »Wie, Freund?« sagte Douglas. »Fochtest du nicht für den Clan Chattan, und hat dieser nicht einen ruhmvollen Sieg errungen?« » Ich focht auf meine eigene Hand,« sagte der Schmied gleichgiltig; und die Redensart ist noch sprichwörtlich in Schottland. Der gute König Robert kam nun auf einem ruhigen Zelter heran, denn er hatte die Schranken in der Absicht betreten, um nach den Verwundeten sehen zu lassen. »Mylord von Douglas,« sagte er, »Ihr plagt den armen Mann mit zeitlichen Dingen, da er doch nur kurze Zeit zu haben scheint, um sich mit geistlichen zu beschäftigen. Hat er keine Freunde hier, die ihn hinbringen können, wo für seine körperlichen Wunden, so wie für das Heil seiner Seele gesorgt werden kann?« »Er hat so viel gute Freunde, als gute Menschen in Perth sind,« sagte Sir Patrick Charteris; »und ich halte mich selbst für einen seiner genauesten Freunde.« »Ein Bauer wittert immer den Bauer heraus,« sagte der stolze Douglas, sein Pferd seitwärts lenkend; »das Anerbieten des Ritterschlags vom Schwert des Douglas hätte ihn von den Pforten des Todes zurückgerufen, wenn ein Tropfen edlen Bluts in seinem Leibe flöße.« Ohne den Spott des mächtigen Grafen zu beachten, stieg der Ritter von Kinfauns ab, um Harry in seine Arme zu nehmen, da er nun in wirklicher Ohnmacht zurücksank. Aber daran hinderte ihn Simon Glover, der mit andern angesehenen Bürgern jetzt in die Schranken trat. »Harry, mein geliebter Sohn Harry!« sagte der alte Mann, »o, was verführte dein Herz zu diesem unseligen Streite! – Sterbend – sprachlos?« »Nein – nicht sprachlos,« antwortete Harry. – »Katharina –«. Er konnte nichts weiter hervorbringen. »Katharina ist wohl, hoff' ich, und sie wird die Deinige – das heißt, wenn –« »Wenn sie am Leben ist, willst du sagen, alter Mann,« sagte Douglas, der, obwohl etwas beleidigt durch Harry's Abweisen seines Anerbietens, doch zu großmüthig war, um nicht an dem Vorgehenden Antheil zu nehmen. – »Sie ist wohl, wenn Douglas' Banner sie schützen kann – wohl, und soll reich werden. Douglas kann denen Reichthum geben, die ihn mehr schätzen als Ehre.« »Für ihre Sicherheit, Mylord, laßt den herzlichen Dank und die Segnungen eines Vaters den edlen Douglas begleiten; was Reichthum betrifft, so sind wir reich genug – Gold kann meinen geliebten Sohn nicht ersetzen.« – »Wunderlich!« sagte der Graf – »ein gemeiner Bursch' weist den Adel von sich – ein Bürger verachtet Gold!« »Mit Eurer Herrlichkeit Gunst,« sagte Sir Patrick, »ich, der ich Ritter und Edelmann bin, erlaube mir zu sagen, daß ein so wackerer Mann, wie Harry Wynd, Ehrentitel verachten kann – und ein so ehrenwerther Mann, wie dieser würdige Bürger, kann das Gold missen.« »Ihr thut wohl, Sir Patrick, für Eure eigne Stadt zu sprechen, und das deut' ich nicht übel,« sagte Douglas. »Ich zwinge meine Güte Niemand auf. – Aber,« fügte er, zu Albany flüsternd, hinzu, »Eure Hoheit muß dem König diesen blutigen Anblick entziehen, denn er muß heut' Abend das wissen, was mit dem Morgengrauen über ganz Schottland schallen wird. Dieser Kampf ist beendigt. Aber selbst ich beklage, daß so viele brave Schotten erschlagen liegen, deren Schwerter in der Schlacht für ihres Vaterlandes Sache hätten entscheidend werden können.« Mit Mühe führte man König Robert vom Kampfplatze; Thränen rannen ihm über die gefurchten Wangen und den weißen Bart, als er Alle ringsum, Edle und Priester, beschwor, daß man für die Leiber und Seelen der wenigen überlebenden Verwundeten sorgen und den Erschlagenen ein ehrenvolles Begräbniß geben möchte. Die Anwesenden versprachen mit Eifer Beides, und erfüllten ihr Wort treulich und fromm. So endete dieser berühmte Streit auf dem nördlichen Anger von Perth. Von vierundsechzig tapfern Männern (mit Einschluß der Spielleute und Fahnenträger), die mannhaft auf das unselige Schlachtfeld geschritten waren, blieben nur sieben lebendig, die man in Sänften, in einem von den um sie her Sterbenden und Todten wenig verschiedenen Zustande, und gemischt mit ihnen in dem traurigen Zuge, welcher sie von der Scene des Kampfes führte, hinwegbrachte. Eachin allein war ohne Wunden und ohne Ehre geblieben. Es bleibt nur übrig, zu sagen, daß kein Mann vom Clan Quhele den blutigen Kampf überlebte, außer der flüchtige Häuptling, und die Folge der Niederlage war die Auflösung ihres Bundes. Die Clans, aus denen er bestand, sind jetzt nur Gegenstand der Vermuthungen des Alterthumsforschers, denn nach diesem verhängnißvollen Streite sammelten sie sich nie wieder unter derselben Fahne. Der Clan Chattan hingegen fuhr fort zu wachsen und zu blühen, und die besten Familien der nördlichen Hochlande rühmen sich ihrer Herkunft vom Geschlecht der Bergkatze. Fünfunddreißigstes Kapitel Während der König langsam nach dem Kloster zurückritt, welches er damals inne hatte, fragte Albany mit beunruhigter Miene und zitternder Stimme den Grafen von Douglas: »Wird Eure Herrlichkeit nicht, da Ihr jenes traurige Schauspiel in Falkland saht, die Nachricht meinem unglücklichen Bruder mittheilen?« »Nicht um das weite Schottland,« sagte Douglas. »Lieber wollt' ich aus Schußweite vor hundert Tynedaler Bogenschützen meine Brust entblößen. Nein, bei der Heiligen von Douglas! ich könnte nur sagen, daß ich den unglücklichen Todten sah. Wie er seinen Tod fand, kann Eure Hoheit vielleicht besser erklären. Wär' es nicht um March's Aufruhr und den englischen Krieg, so würd' ich meine Meinung vielleicht aussprechen.« So sagend und sich vor dem König verbeugend, ritt der Graf fort nach seiner eigenen Wohnung und überließ es Albany, die Geschichte zu erzählen, so gut er könnte. »Der Aufruhr und der englische Krieg!« sagte der Herzog zu sich selbst, – »ja, und dein eigenes Interesse, stolzer Graf, herrschsüchtig wie du bist, wagst du nicht von dem meinigen dich zu trennen. Nun, da das Geschäft mir zufällt, muß und will ich es vollenden.« Er folgte dem Könige nach seinem Gemache. Der König sah ihn mit Staunen an, nachdem er seinen gewöhnlichen Sitz eingenommen. »Dein Gesicht ist schrecklich, Robin,« sagte der König. »Ich wünschte, du überlegtest reiflicher, wenn Blut vergossen werden soll, da die Folgen dich so gewaltig angreifen. Und dennoch, Robin, liebe ich dich um so mehr, weil dein freundlicher Charakter sich bisweilen selbst durch deine überlegte Politik zeigt.« »Ich wollte zu Gott, mein königlicher Bruder,« sagte Albany mit halberstickter Stimme, »daß das blutige Feld, welches wir sahen, das Schlimmste wäre, was wir heut' zu sehen oder zu hören hätten. Ich wollte mich wenig bekümmern wegen des wilden Volks, das dort wie Aas aufgehäuft liegt. Aber« – er hielt inne. – »Wie!« rief der König erschreckt. – »Welch' neues Unglück? – Rothsay? – Es muß sein – ist es Rothsay? – Sprich es aus! – Welch' neue Thorheit hat er begangen? – Welches frische Unheil?« »Mylord – mein König – Thorheit und Unheil sind nun vorbei mit meinem unglücklichen Neffen.« »Er ist todt! – er ist todt!« rief der angsterfüllte Vater. »Albany, als dein Bruder beschwör' ich dich – aber nein, ich bin dein Bruder nicht mehr! Als dein König, finsterer, verschlagener Mann, fordre ich dich auf, das Aergste zu sagen!« Albany stotterte: – »Die einzelnen Umstände sind mir nur unvollkommen bekannt – gewiß aber ist, daß mein unglücklicher Neffe letzte Nacht in seinem Zimmer von plötzlicher Krankheit getödtet gefunden ward – wie ich hörte.« »O, Rothsay! – O, mein geliebter David! – Wollte Gott, ich wäre für dich gestorben – mein Sohn – mein Sohn –« So sprach, in den begeisterten Worten der Schrift, der hilflose und beraubte Vater, seinen grauen Bart und das weiße Haar zerraufend, während Albany, sprachlos und vom Gewissen getroffen, den Sturm seines Schmerzes nicht zu unterbrechen wagte. Aber der Schmerzenskampf des Königs ging fast sogleich in Wuth über – eine Stimmung, so entgegengesetzt der Sanftheit und Schüchternheit seiner Natur, daß Albany's Gewissensbisse durch seine Furcht betäubt wurden. »Und dies,« sagte der König, »dies ist das Ende deiner sittlichen Sprüche und religiösen Maßregeln! – Aber der bethörte Vater, der den Sohn in deine Hände gab, der das unschuldige Lamm dem Schlächter übergab, ist ein König! Und du sollst es auf deine Kosten erfahren. Soll der Mörder in Gegenwart seines Bruders stehen – befleckt mit dem Blute seines Brudersohnes? Nein! – Wer ist draußen? – Mac Louis! – Brandanen! Verrätherei! – Mord! – Zu den Waffen, wenn ihr den Stuart liebt!« Mac Louis stürzte mit Mehreren von der Leibwache in's Gemach. »Mord und Verrath!« rief der arme König. »Brandanen, euer edler Prinz –« hier unterbrachen Schmerz und Zorn auf einen Augenblick die schreckliche Kunde, die er machen wollte. Endlich fand er die gehemmte Sprache wieder – »sogleich eine Axt und einen Block in den Hof! – Verhaftet« – das Wort erstarb ihm, während er sprechen wollte. »Wen verhaften, mein edler König?« – sagte Mac Louis, der, bemerkend, daß der König von einer heftigen Leidenschaft ergriffen war, wie sie der Sanftmuth seines gewöhnlichen Benehmens fremd war, fast vermuthete, sein Hirn sei durch die ungewöhnlichen Schrecken des gesehenen Kampfes verwirrt worden, – »wen soll ich verhaften, mein König?« sagte er. »Hier ist Niemand, außer Eurer Majestät königlicher Bruder von Albany.« »Ja wohl,« sagte der König, dessen kurzer Anfall rachgierigen Zornes bald schwand. »Ja wohl, Niemand als Albany – Niemand, außer meiner Eltern Kind – Niemand, als mein Bruder. – O Gott! mache mich fähig, die sündige Leidenschaft zu ersticken, die in diesem Busen glüht – Sancta Maria! ora pro nobis!« Mac Louis warf einen Blick der Verwunderung auf den Herzog von Albany, der sich bemühte, seine Verwirrung unter dem Scheine tiefen Mitleids zu verbergen und dem Offizier zuflüsterte: »Das große Unglück war zu gewaltig für seinen Verstand.« »Welches Unglück, ich bitt' Eure Hoheit?« erwiderte Mac Louis. »Ich habe von keinem gehört.« »Wie? – nichts gehört vom Tode meines Neffen Rothsay?« »Der Herzog von Rothsay todt, Mylord von Albany?« rief der treue Brandane mit dem höchsten Schrecken und Entsetzen. – »Wann, wie und wo?« »Vor zwei Tagen – das Wie ist unbekannt – zu Falkland.« Mac Louis starrte den Herzog einen Augenblick an; dann sagte er mit glühendem Auge und entschlossener Miene zum König, der tief in Andacht versunken schien: – »Mein König, vor wenig Minuten ließt Ihr ein Wort – ein einzig Wort – unausgesprochen. Laßt es über Eure Lippen gehen, und Euer Wille ist Gesetz für Eure Brandanen!« »Ich betete gegen Versuchung, Mac Louis,« sagte der König gebrochenen Herzens, »und Ihr bringt sie mir wieder. Wollt Ihr einen Wahnsinnigen mit einem bloßen Schwert bewaffnen? Aber o! Albany! mein Freund, mein Bruder, mein Herzensberather! – wie, wie konntest du das über's Herz bringen?« Albany, welcher sah, daß des Königs Stimmung milder war, erwiderte mit mehr Festigkeit als vorher: – »Mein Schloß hat keine Wehr gegen die Macht des Todes – ich habe nicht den schnöden Verdacht verdient, den Eurer Majestät Worte enthalten. Ich verzeihe ihn dem Schmerz eines verwaisten Vaters. Aber ich bin bereit, bei Kreuz und Altar zu schwören – bei meinem Theil an der Erlösung, bei den Seelen unsrer königlichen Eltern –« »Sei still, Robert,« sagte der König; »füge nicht Meineid zum Mord. – Und geschah dies Alles, um der Krone und dem Scepter einen Schritt näher zu kommen? Nimm sie sogleich, Mensch; und magst du fühlen, wie ich es fühlte, daß sie von glühendem Eisen sind! – O! Rothsay, Rothsay! Du entgingst zum wenigsten dem Loose, ein König zu sein!« »Mein König!« sagte Mac Louis, »laßt mich Euch erinnern, daß Krone und Scepter Schottlands, sobald Eure Majestät aufhört sie zu tragen, dem Rechte Prinz Jakobs gebühren, welcher seines Bruders Rechte erbt.« »Ja, Mac Louis,« sagte der König hastig, »und auch seines Bruders Gefahren wird das arme Kind erben! Dank, Mac Louis, Dank – Ihr habt mich erinnert, daß ich noch auf Erden zu thun habe. Laß deine Brandanen unter die Waffen treten, so schnell du kannst. Laß keinen Menschen zu uns, dessen Treue dir nicht bekannt ist. Keinen besonders, der mit dem Herzog von Albany verkehrt hat – diesen Mann mein' ich, der sich meinen Bruder nennt! Laß sogleich meine Sänfte bereit halten. Wir wollen nach Dunbarton, Mac Louis, oder nach Bute. Abhänge, Wogen und meine Brandanenherzen sollen das Kind vertheidigen, bis wir Meere zwischen dasselbe und seines grausamen Oheims Ehrgeiz bringen können. – Lebe wohl, Robert von Albany – lebe wohl für immer, du hartherziger, blutiger Mann. Genieße den Theil der Gewalt, den dir Douglas gestatten mag. – Aber suche nicht mein Angesicht wiederzusehen, noch weniger, dich meinem noch übrigen Kinde zu nähern! Denn zur Stunde, wo du das thust, haben meine Wachen Befehl, dich mit ihren Partisanen niederzuschlagen! – Mac Louis, sorge, daß diese Weisung gegeben wird.« Der Herzog von Albany verließ das Gemach, ohne weitere Entschuldigung und Antwort zu versuchen. Was folgt, ist Gegenstand der Geschichte. Im nächsten Parlament bewog der Herzog von Albany diese Versammlung, ihn für unschuldig am Tode Rothsay's zu erklären, während er zu gleicher Zeit sein Schuldbewußtsein dadurch zeigte, daß er Ablaß oder Verzeihung für dieses Vergehen annahm. Der unglückliche und bejahrte König verschloß sich in sein Schloß Rothsay in Bute, um den verlorenen Sohn zu betrauern und mit fieberhafter Aengstlichkeit über das Leben des ihm gebliebenen zu wachen. Als die beste Maßregel für des jungen Jakobs Sicherheit schickte er ihn nach Frankreich, um ihn am dortigen Hofe erziehen zu lassen. Aber das Fahrzeug, auf dem der Prinz von Schottland absegelte, wurde von einem englischen Kreuzer genommen, und obgleich zwischen beiden Königreichen Friede war, hielt ihn doch Heinrich IV. unedler Weise gefangen. Dieser letzte Schlag brach dem unglücklichen König Robert III. gänzlich das Herz. Die Rache folgte, wenn gleich langsamen Schrittes, der Verrätherei und Grausamkeit seines Bruders. Robert von Albany's eignes graues Haar ging zwar in Frieden zu Grabe, und er übertrug seine schlecht erworbene Regentschaft seinem Sohne Murdoch; aber neunzehn Jahre nach dem Tode des alten Königs kehrte Jakob I. nach Schottland zurück, und Herzog Murdoch von Albany ward mit seinen Söhnen auf's Schaffot geführt, um seines Vaters Schuld und seine eigene zu sühnen. Sechsunddreißigstes Kapitel Ein ehrlich Herz, in welchem ruht Betrug und Falschheit nimmer, Hat, trotz des Glückes Wankelmut, Doch Grund zu lächeln immer. Burns. Wir kehren nun zu dem schönen Mädchen von Perth zurück, die von der schrecklichen Scene in Falkland auf Douglas' Befehl fortgeschickt worden war, um unter den Schutz seiner Tochter, der nun verwittweten Herzogin von Rothsay, gestellt zu werden. Dieser Dame einstweilige Residenz war ein frommes Haus, genannt Campsie, dessen Ruinen noch eine malerische Lage am Tay einnehmen. Es erhob sich auf dem Gipfel eines steilen Felsens, der sich an dem fürstlichen Strome hinabsenkt, wo dieser besonders merkwürdig ist durch den Wasserfall, genannt Campsie Linn, dessen Fluthen hier stürmisch über eine Reihe Basaltfelsen stürzen, die den Strom hemmen, gleich einem von Menschenhänden errichteten Damm. Entzückt von einer so romantischen Stelle, führten die Mönche der Abtei Cupar hier ein Gebäude auf, einem unbekannten Heiligen, Namens Hunnand, geweiht, und sie pflegten sich zur Erholung oder Andacht hierher zurückzuziehen. Es hatte seine Pforten bereits geöffnet, um die edle Dame aufzunehmen, die jetzt seine Bewohnerin war, als sich das Land unter der Gewalt des mächtigen Lord Drummond, Douglas' Bundesgenossen, befand. Hier wurden des Grafen Briefe der Herzogin von dem Anführer der Schutzwache übergeben, die Katharinen und die Sängerin nach Campsie begleitet hatte. So viel sie auch Grund haben mochte, sich über Rothsay zu beklagen, sein furchtbares, unerwartetes Ende erschütterte die edle Lady tief und sie brachte die Nacht größtentheils damit zu, daß sie ihrem Schmerze nachhing und im Gebete lag. Am nächsten Morgen, dem des denkwürdigen Palmsonntags, ließ sie Katharina Glover und die Sängerin vor sich kommen. Der Muth der beiden jungen Mädchen war sehr gesunken und erschüttert durch die schrecklichen Auftritte, in welche sie jüngst verwickelt gewesen, und die äußere Erscheinung der Herzogin Marjory war, gleich der ihres Vaters, mehr geeignet, Furcht einzuflößen, als Vertrauen. Sie sprach trotz ihres Schmerzes freundlich, und erfuhr von Jenen Alles, was sie in Bezug auf das Schicksal ihres verirrten, unbesonnenen Gemahls zu erzählen hatten. Sie schien dankbar für Katharinens und der Sängerin gefahrvolle Bemühungen, Rothsay von seinem entsetzlichen Schicksal zu retten. Sie lud sie zur Theilnahme an ihrem Gebet ein, und um die Zeit des Mittagsmahles bot sie Beiden ihre Hand zum Kuß und überließ sie ihrer eigenen Erholung mit der Versicherung ihres wirksamen Schutzes, besonders für Katharinen, der, wie sie sagte, auch ihres Vaters Schutz mit einschlöße, und eine Mauer für Beide sein würde, so lange sie selbst lebte. Sie verließen die verwittwete Prinzessin und nahmen ein Mahl mit ihren Fräulein und Lady's, die alle in ihrer tiefen Trauer einen gemessenen Ernst zeigten, der das leichte Herz der Französin erkältete und selbst dem ernsteren Charakter der Katharina Glover Zwang auflegte. Die Freundinnen, denn so dürfen wir sie nun nennen, sahen es daher gern, der Gesellschaft dieser Personen, die sämmtlich geborne Edeldamen, entgehen zu können, weil dieselben eine Bürgerstochter und eine wandernde Sängerin für schlechte Gesellschaft hielten, und sie gern weggehen sahen, um in der Nähe des Klosters zu spazieren. Ein kleiner Garten mit seinen Gebüschen und Fruchtbäumen erstreckte sich von einer Seite des Klosters bis an den Abhang, von dem er nur durch eine kleine Mauer getrennt war, die so niedrig auf dem Rande des Felsens stand, daß das Auge die Höhe der Klippen wohl messen und die kämpfenden Fluten betrachten konnte, welche über den Felsen unten kochten, sprudelten und schäumten. Das schöne Mädchen von Perth und ihre Begleitung wandelten langsam auf einem Pfade, der an dieser Mauer hinlief, betrachteten die romantische Aussicht und gedachten, wie schön sie sein müsse, wenn der nahende Sommer den Hain mit Blättern kleiden würde. Einige Zeit beobachteten sie ein tiefes Schweigen. Endlich erhob sich der frohe und kühne Sinn der Sängerin über die Umstände, in denen sie gewesen war und in denen sie sich jetzt befand. »Lasten die Schrecken Falklands, schönes Mädchen, noch immer auf deinem Geiste? Suche sie zu vergessen, gleich mir; wir können des Lebens Pfad nicht leicht wandeln, wenn wir von unsern Mänteln nicht die Regentropfen schütteln, so wie sie fallen.« »Diese Schrecknisse sind nicht zu vergessen,« antwortete Katharina. »Aber gegenwärtig ist mein Gemüth um meines Vaters Sicherheit besorgt; und ich kann nicht umhin, zu bedenken, wie viele tapfere Männer in diesem Augenblicke die Welt verlassen mögen, nur sechs Meilen oder nicht viel weiter von uns entfernt.« »Ihr meint den Kampf zwischen sechzig Streitern, wovon uns Douglas' Reiter gestern sagten? Das wäre ein Schauspiel für eine Sängerin. Doch, über meine weibischen Augen! sie könnten nie gekreuzte Schwerter sehen, ohne erschreckt zu werden. Aber sieh – sieh dort, Katharina, sieh dort! dieser fliegende Bote bringt gewiß Nachricht vom Kampfe.« »Mich dünkt, ich sollte ihn kennen, der so stürmisch läuft,« sagte Katharina, – »aber wenn er es ist, an den ich denke, so verfolgen ihn seltsame Gedanken.« Während sie sprach, richtete der Eilende seinen Lauf nach dem Garten. Louisens kleiner Hund lief ihm entgegen, heftig bellend, kam aber bald zurück, um winselnd und heulend hinter seine Gebieterin zu schleichen; denn selbst Thiere können unterscheiden, wenn Menschen von der wüthenden Kraft unwiderstehlicher Leidenschaft getrieben sind, und fürchten sich, ihrem Laufe entgegen zu treten. Der Flüchtling stürzte in rastloser Eile in den Garten. Sein Kopf war unbedeckt, sein Haar flatterte, sein reicher Mantel und alle andern Kleider schienen vor Kurzem durchnäßt worden zu sein. Seine ledernen Stiefel waren zerschnitten und zerrissen, und seine Füße färbten den Rasen mit Blut. Sein Gesicht war wild, entstellt und hoch erhitzt, oder, wie die schottische Redeweise es nennt, sehr erhoben. »Conachar!« sagte Katharina, als er herankam, scheinbar ohne zu sehen, was vor ihm war; wie Hasen, von denen man sagt, daß sie nichts sehen, wenn sie von Hunden hart verfolgt werden. Aber plötzlich hielt er an, als er seinen eigenen Namen hörte. »Conachar,« sagte Katharina, »oder vielmehr Eachin Mac Jan – was bedeutet das? – hat der Clan Quhele eine Niederlage erlitten?« »Ich habe solche Namen geführt, wie mir dies Mädchen gibt,« sagte der Flüchtling nach momentanem Besinnen. »Ja, ich hieß Conachar, als ich glücklich war, und Eachin, als ich mächtig war. Aber jetzt habe ich keinen Namen und es gibt keinen solchen Clan, von dem du sprichst; und du bist ein thörichtes Mädchen, von dem zu sprechen, was nicht ist, und zu Einem, der nicht existirt.« »Ach! Unglücklicher –« »Und warum unglücklich, ich bitt' Euch!« rief der Jüngling. »Wenn ich ein Feiger und Schurke bin, beherrschen nicht Feigheit und Schurkerei die Elemente? – Habe ich nicht dem Wasser getrotzt, ohne daß es mich hinabriß, und die Erde getreten, ohne daß sie sich öffnete, mich zu verschlingen? Und ein Sterblicher sollte sich meinen Absichten widersetzen?« »Ach, er rast!« sagte Katharina. »Eile, um Hilfe zu rufen. Er wird mir nichts thun. Aber ich fürchte, er wird sich selbst ein Leid thun. Sieh, wie er auf den tobenden Wasserfall hinabstarrt.« Die Sängerin eilte zu thun, was ihr aufgetragen war, und Conachars halb wahnsinniger Geist schien durch ihre Abwesenheit beruhigter. »Katharina,« sagte er, »nun sie fort ist, will ich sagen, daß ich dich kenne – ich kenne deine Liebe zum Frieden und deinen Haß gegen den Krieg. Aber höre – ich habe, eh' ich einen Hieb auf meinen Feind führte, lieber Alles geopfert, was einem Manne das Theuerste ist – ich habe Ehre, Ruhm und Freunde verloren; und was für Freunde!« (Er bedeckte sein Gesicht mit den Händen.) – »O, ihre Liebe ging über Weiberliebe! warum sollt' ich meine Thränen bergen? – Alle kennen meine Schande – Alle sehen meinen Schmerz. Ja, Alle könnten ihn sehen, aber wer möchte Mitleid haben? – Katharina, als ich wie ein Toller das Thal hernieder rannte, riefen Männer und Weiber Schmach über mich! – Der Bettler, dem ich ein Almosen zuwarf, um mir einen Segen zu erkaufen, warf mir's verächtlich zurück mit einem Fluch über den Feigen! Jede Glocke tönte nur: Schande dem elenden Schurken! Die wilden Thiere in ihrem Schreien und Brüllen – die tobenden Winde in ihrem Brausen und Heulen – die wilden Fluthen in ihrem Rauschen und Toben riefen: Schmach über den Feigling! – Die treuen Neun verfolgen mich noch; sie rufen mit schwacher Stimme: ›Führe nur einen Hieb zu unserer Rache, wir Alle starben für dich!‹« Während der unglückliche Jüngling so raste, hörte man ein Rascheln im Gebüsch. »Es gibt nur einen Weg!« rief er, auf die Mauer springend, aber mit einem ängstlichen Blicke nach dem Dickicht, durch welches einige Diener schlichen, in der Absicht, ihn zu ergreifen. Aber in dem Augenblicke, wo er eine menschliche Gestalt aus dem Gebüsch hervorkommen sah, schlug er die Hände wild über dem Kopf zusammen und mit dem Rufe: » Bas air Eachin!« stürzte er die Höhe hinunter in den tobenden Wasserfall. Es ist unnöthig, zu sagen, daß jeder feste Gegenstand durch einen solchen Fall in Stücke zerschmettert werden mußte. Aber der Strom war angeschwollen und die Reste des unglücklichen Jünglings wurden nie gesehen. Die wechselnde Sage hat die Geschichte auf mehrfache Weise ergänzt. Eine Nachricht sagt, daß der junge Häuptling des Clans Quhele wohlbehalten ans Ufer schwamm, weit unterhalb Campsie Linn, und daß er, trostlos in der Einöde von Rannoch irrend, dem Vater Clemens begegnete, der seinen Wohnsitz in der Wildniß als Einsiedler genommen hatte, nach der Weise der alten Culdees. Er bekehrte, sagt man, den trostlosen und reuigen Conachar, der mit ihm in seiner Zelle lebte, seine Andacht und seine Entbehrungen theilend, bis der Tod Beide nach einander wegraffte. Eine andere, wunderbarere Sage deutet an, daß er vom Daione-Shie oder Feen-Volke dem Tode entrissen ward, und daß er nun noch immer durch Wald und Wildniß wandert, bewaffnet wie ein alter Hochländer, das Schwert aber in der linken Hand tragend. Das Gespenst zeigt sich stets in tiefem Gram. Bisweilen scheint er im Begriff, den Reisenden anzufallen, flieht aber stets, wenn man ihm muthig entgegentritt. Diese Sagen gründen sich auf zwei besondere Punkte in seiner Geschichte – seine erwiesene Furchtsamkeit und seinen Selbstmord; beides Umstände, die in der Geschichte eines Hochländerhäuptlings fast ohne Beispiel sind. Nachdem Simon Glover dafür gesorgt, daß sein Freund Harry in seinem eigenen Hause in Curfewstreet gehörige Pflege fand, langte er am nämlichen Abend zu Campside an und fand seine Tochter sehr fieberkrank in Folge der Auftritte, die sie jüngst erlebt hatte, und besonders des Endes ihres ehmaligen Spielgenossen. Die Zuneigung der Sängerin machte diese zu einer so aufmerksamen und sorglichen Pflegerin, daß der Handschuhmacher sagte: es solle nicht seine Schuld sein, wenn sie je die Laute wieder berührte, außer zu ihrem eigenen Vergnügen. Es währte einige Zeit, ehe Simon wagte, seiner Tochter von Harry's letztem Streit und seinen schweren Wunden zu sagen, und er nützte möglichst den vortheilhaften Umstand, daß ihr treuer Liebhaber Ehre und Reichthum zurückgewiesen habe, um kein Kriegsmann von Profession zu werden und Douglas zu folgen. Katharina seufzte tief und schüttelte das Haupt über die Geschichte des blutigen Palmsonntags auf dem nördlichen Anger. Offenbar aber hatte sie erwogen, daß die Menschen selten in Civilisation und Verfeinerung den Begriffen ihrer eigenen Zeit vorschreiten, und daß ein kühner und ausschweifender Muth, wie der Harry Schmieds, in den eisernen Tagen, in welchen sie lebte, der Schwäche vorzuziehen sei, welche Conachars unglückliches Ende herbeiführte. Wenn sie noch irgend Bedenklichkeiten bei der Sache hatte, so wurden sie bei Zeiten durch Harry's Berichtigungen beseitigt, sobald die hergestellte Gesundheit ihn fähig machte, seine eigene Sache zu vertreten. »Ich sollte erröthen, zu gestehen, Katharina, daß der Gedanke an Kampf mich krank macht. Jenes letzte Schlachtfeld zeigte Metzelei genug, um einen Tiger zu befriedigen. Daher bin ich entschlossen, mein Schlachtschwert aufzuhängen und es nie wieder zu ziehen, außer gegen die Feinde Schottlands.« »Und sollt' es Schottland verlangen,« sagte Katharina, »so will ich dir's umschnallen.« »Und Katharina,« sagte der freudige Handschuhmacher, »wir wollen reichlich Seelenmessen für die bezahlen, welche durch Harry's Schwert gefallen sind; das wird nicht nur Geisterspuk verhüten, sondern uns auch wieder mit der Kirche befreunden.« »Zu diesem Zweck, Vater,« sagte Katharina, »können die Schätze des elenden Dwining verwendet werden. Er hat sie mir vermacht, aber ich denke, Ihr möchtet sein schnödes Blutgeld nicht mit unserm ehrlich Erworbenen mischen.« »Ebenso gern möcht' ich die Pest in mein Haus bringen,« sagte der entschlossene Handschuhmacher. Die Schätze des bösen Apothekers wurden daher unter die vier Klöster vertheilt, und nie fand wieder ein leiser Verdacht Statt hinsichtlich der Rechtgläubigkeit des alten Simon oder seiner Tochter. Harry und Katharina wurden vier Monate nach der Schlacht auf dem Nordanger verbunden, und nie führten die Innungen der Handschuhmacher und Schmiede ihren Schwerttanz so stattlich auf, als bei der Hochzeit des kühnsten Bürgers und des schönsten Mädchens von Perth. Zehn Monden später füllte ein munteres Kind die wohlbereitete Wiege und Louise wiegte es nach der Weise: Treu und voll Muth. Mit blauem Hut. Die Namen der Pathen des Kindes sind aufbewahrt, nämlich »Ein hoch und mächtiger Lord, Archibald Grav von Douglas, Ein edel und frommer Ritter, Herr Patrick Charteris von Kinfauns, und Eine gnädige Prinzessin, Marjory, Wittib des erlauchten Herren David, weiland Herzogen von Rothsay.« Unter solcher Gönnerschaft hebt sich eine Familie schnell, und mehrere der geachtetsten Häuser in Schottland, besonders aber in Perthshire, und viele Männer, ausgezeichnet in Künsten und Waffen, erinnern sich mit Stolz ihrer Herkunft von dem Gow Chrom und dem schönen Mädchen von Perth. Anna von Geierstein oder Das Nebelmädchen Roman aus den schweizerischen Bauernkriegen Band 1 und 2 Übersetzt von Erich Walter Anne of Geierstein or The Maiden of the Mist. Edinburgh 1829 Erster Band. Erstes Kapitel Fast vier Jahrhunderte mögen seit den Geschehnissen, die in folgenden Kapiteln erzählt werden sollen, verflossen sein. Die Aktenstücke, in welchen sich die Grundzüge der Geschichte vorfanden und die ihr zugleich als Beweis der Wahrhaftigkeit dienen dürften, wurden lange Zeit in der prächtigen Bibliothek des Klosters zu St. Gallen aufbewahrt, gingen jedoch, gleich mehreren anderen Schätzen dieses Gebäudes, verloren, als das Kloster von den französischen Revolutionsarmeeen geplündert wurde. Die Begebenheiten fallen, zufolge geschichtlicher Daten, in die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts, jener wichtigen Periode, wo das Rittertum, das seinem baldigen Erlöschen, und zwar in etlichen Gegenden durch die Einrichtung freier Verfassungen, in anderen durch Feststellung monarchischer Gewalt, nahe war, vorm Untergang ein letztes Mal aufblühte. Die Bewunderung und Aufmerksamkeit der Mitwelt wurde zum ersten Male um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts auf die Schweiz gelenkt, als sich das Gerücht von schweren Gefechten verbreitete, in denen die deutsche Ritterschaft, bemüht, einen Aufstand ihrer in den Alpengegenden wohnenden Untertanen zu beschwichtigen, wiederholte und blutige Niederlagen hatte erleiden müssen, obgleich Ueberzahl, Manneszucht und der Vorteil vollkommener kriegerischer Rüstung auf ihrer Seite gewesen war. Mächtig erstaunte man, daß Reiterscharen, die den wesentlichsten Teil der damaligen Kriegsheere ausmachten, von Fußvolk vernichtet wurden, daß Männer, von oben bis unten in Stahl gehüllt, von Leuten überwältigt wurden, die höchst regellos nur mit Piken, Hellebarden und Keulen versehen waren; vor allem aber wollte es ein Wunder bedünken, daß Ritter und Herren von Bauern und Hirten in die Flucht gejagt worden waren. Obgleich nun die entscheidenden Siege, durch welche die Schweizerlande ihre Freiheit errangen, und der Geist der Entschlossenheit und Einsicht, mit der die Glieder der kleinen Verbindung sich gegen die Gewaltmaßregeln Österreichs behauptet hatten, weit durch alle Nachbarländer den Ruhm der Schweizer verbreiteten, obgleich diese Schweizer selbst recht wohl die Macht erkannten, die sie durch ihre wiederholten Siege errungen hatten, so verblieben sie dennoch bis in die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts und später noch im hohen Grade bei der Weisheit, Mäßigung und Einfachheit ihrer uralten Sitten, und dies in solchem Maße, daß diejenigen, denen die Führung der Truppen des Freistaates zur Kriegszeit vertraut wurde, gewöhnlich den Hirtenstab wieder ergriffen, wenn sie das Schlachtschwert ablegten, und gleich den römischen Feldherren von der Höhe, auf die ihre eigene Fähigkeit und die Aufforderung ihrer LandsIeute sie gestellt hatte, in den gleichen Stand wie ihre Mitbürger zurückkehrten. So also beginnt um die Zeit des Herbstes im Jahre 1474 unsere Erzählung in den Waldkantonen des Schweizerlandes. Zwei Reisende, von denen der eine schon bedeutend über die Blütezeit hinaus war, der andere etwa zwei- oder dreiundzwanzig Jahre alt sein mochte, hatten die Nacht im Städtchen Luzern, dem Hauptorte des Ländchens gleichen Namens, zugebracht, das in einer lieblichen Gegend am Vierwaldstädtersee liegt. Ihrer Kleidung und ihrem Wesen nach schienen sie Kaufleute höherer Klasse zu sein, und indem sie zu Fuße reisten, weil die Beschaffenheit des Landes diese Art zu reisen als die bequemste anempfahl, folgte ihnen ein junger Bauernbursche, von der italienischen Alpenseite her gebürtig, mit einem Maultiere, das er bisweilen bestieg, öfter jedoch am Zügel führte. Die Reisenden hatten ein ungewöhnlich freundliches Ansehen und schienen sehr nahe miteinander verwandt zu sein. Wahrscheinlich waren sie Vater und Sohn; denn in der kleinen Herberge, wo sie am Abend vorher übernachtet hatten, war die Ehrfurcht und Hochachtung, die der jüngere dem älteren erwies, den Eingeborenen nicht entgangen, die, gleich andern in Einsamkeit lebenden Leuten, um so neugieriger waren, als es ihnen an Mitteln gebrach, sich Welt- und Menschenkenntnis zu verschaffen. Auch bemerkten sie, daß die Kaufleute, unter dem Vorwande, Eile zu haben, ihre Warenballen nicht öffnen wollten, auch keine Lust bezeigten, Handel mit den Luzernern zu treiben, indem sie behaupteten, daß sie keine Artikel führten, die sich für den dortigen Markt schickten. Indessen hatte der junge Bursche, der sie begleitete, verlauten lassen, die Reisenden kämen aus Venedig und hätten dort große Ankäufe von jenen Waren gemacht, wie sie aus Indien und Aegypten nach diesem berühmten Stapelort, dem gemeinschaftlichen Markt des Abendlandes, gebracht wurden und von dort nach allen Gegenden Europas weitergingen. Endlich hatten die Schweizermädchen seit kurzem die Entdeckung gemacht, wie Putzsachen und Edelsteine gar lieblich anzuschauen sind, und obgleich ihnen keine Hoffnung blühte, sich dergleichen Schmuck und Herrlichkeiten anzueignen, so waren sie doch sehr begierig, den reichen Vorrat unserer Wanderer zu betrachten und zu betasten, und waren nun nicht wenig ärgerlich, daß ihnen dies Vergnügen versagt war. Ferner war die Neugier der Landeseinwohner durch den Umstand rege gemacht, daß die beiden Wanderer in einer Sprache miteinander redeten, die zuverlässig weder Deutsch noch Italienisch, noch Französisch war, sondern von der ein alter Mann, der in der Schenke diente und einst Paris gesehen hatte, mutmaßte, daß sie die Sprache der Engländer wäre, eines Volkes, von dem man nichts weiter wußte, als daß es einen kühnen Insulanerstamm bildete, der viele Jahre hindurch Krieg mit Frankreich führte und von dem einst eine starke Truppe die Waldstätte überfiel und im Tale Rußwyl eine gewaltige Niederlage erlitt, deren sich eisgraue Männer in Luzern, auf welche die Sage von den Vorvätern übergegangen war, noch recht wohl erinnern wollten. In dem Burschen, der den Führer der Fremden abgab, erkannte man bald einen Jüngling aus dem Graubündnerlande, der, so gut seine Kenntnisse der Gebirgsgegend es ihm gestattete, sein Amt bei unsern Reisenden verwaltete. Er sagte, daß seine Gebieter die Absicht hätten, nach Basel zu gehen, daß sie jedoch zu wünschen schienen, auf Umwegen und wenig besuchten Straßen dorthin zu gelangen. Alle diese eben mitgeteilten Umstände erhöhten das allgemeine Verlangen, mehr von den Reisenden und deren Handelswaren zu erforschen. Dennoch ward kein Warenballen aufgeschnürt, und die Handelsmänner verließen am andern Morgen Luzern und setzten ihre beschwerliche Reise fort, indem sie durch fast wegloses Gelände zogen, um jede Begegnung mit räuberischen Rittern zu vermeiden, die nach Gefallen Krieg führten und mit aller Frechheit kleinlicher Tyrannei Zölle und Abgaben allen denen auferlegten, die auf eine Meile Wegesbreite sich ihren Besitzungen nahten. Nachdem die Reisenden Luzern verlassen hatten, wanderten sie vier Stunden lang glücklich weiter. Wie abschüssig und gefahrvoll der Weg auch sein mochte, so wurde er ihnen doch durch alle die herrlichen Naturbilder angenehm gemacht, an denen die Schweiz einen so verschwenderischen Reichtum hat: Felspässe, grünende Täler, breite Seen und rauschende Waldströme, alles überragt vom blendendweißen Hermelin der himmelhohen Gletscher. Unsere Handelsmänner betrachteten halb mit Schrecken, halb mit Staunen die erhabene Natur ringsum. Ihre Straße führte am Ufer des Sees hin, und zwar bisweilen eben hart am Wasser, bisweilen stieg sie bis zum Kamm des Gebirges an, und wand sich an dem Rand von Abgründen hin, die in das Wasser so steil und schroff hinabschauten, wie die Mauer eines Schlosses sich an dem Graben hinaufzieht, der ihr zur Schutzwehr dient. Ein anderes Mal schritten sie durch eine Gegend von milderem Charakter, erblickten liebliche, grünende Anhöhen und tief ruhende Täler, wo Weiden, urbare Felder und Ortschaften lagen, die aus hölzernen Hütten und einer kleinen Kirche mit abenteuerlichem Turme bestanden. »Arthur,« sagte der Aeltere der Wanderer, als beide, wie auf Verabredung, still standen, um eine der soeben beschriebenen Szenen zu betrachten: »Arthur, dieser Bach gleicht dem Leben eines guten und glücklichen Menschen.« »Und der Wassersturz,« entgegnete Arthur, »der sich von jener fernen Höhe herab ergießt und seinen Lauf durch einen Streifen weißen Schaumes bezeichnet, wem mag er gleichen?« »Dem Leben eines wackeren und unglücklichen Mannes,« versetzte der Vater, »So sei der Wassersturz das Bild meines Lebens,« sprach Arthur, »ein kühner Strom, den menschliche Gewalt nicht dämmen kann; mag dann sein Lauf ebenso kurz wie rühmlich sein!« »Das ist eines Jünglings Gedanke,« entgegnete der Vater, »doch weiß ich es gar wohl, er ist so tief in Deinem Herzen eingewurzelt, daß nichts als die rauhe Hand des Mißgeschickes ihn wird ausrotten können. Lerne, daß bis zur Mitte des zurückzulegenden Lebens die Menschen kaum wissen, wahres Glück von Mißgeschick zu unterscheiden, oder vielmehr, daß sie das als Gaben des Glückes begrüßen, was sie mit größerem Rechte als Kennzeichen ihres Unglückes wahrnehmen sollten. Schau hin zu jenem Berge, der auf seiner gerunzelten Stirn eine Krone von Wolken trägt, die sich im Sonnenschein bald erhebt, bald wieder senkt. Ein Kind mag diese Wolke für eine Krone des Ruhmes ansehen, ein Mann erkennt in ihr das Vorzeichen nahen Sturmes.« Arthur folgte der Richtung des Blickes seines Vaters nach der dunklen und beschatteten Höhe des Pilatusberges. »Ist denn der Nebel auf jenem wilden Berge so prophetischer Art?« fragte der Jüngling. »Lege diese Frage dem Antonio vor,« war des Vaters Antwort; »er wird Dir die Legende erzählen.« Der Bub bekreuzte sich andächtig und erzählte die Volkssage vom Tode des gottlosen Statthalters von Judäa: wie er sich, nachdem er jahrelang in den Schluchten des nach ihm benannten Berges zugebracht, endlich mehr aus Verzweiflung als Reue in den trüben tiefen See auf dem Gipfel des Berges gestürzt hätte. Ob nun das Wasser sich weigerte, das Henkeramt an dem Elenden zu vollziehen, oder ob er wirklich ertrunken sei und seitdem als Gespenst den Ort unheimlich machte, wo er seinen Selbstmord verübte: das wagte Antonio nicht zu entscheiden. Allein oft, erzählte der Bursche, sei eine Gestalt zu sehen, die aus dem trüben Gewässer aufzutauchen und die Gebärden eines Menschen zu machen schiene, der sich die Hände wüsche; und dann sammelten sich sofort dunkle Nebelwolken um das Bett des Höllensees (so heißt das Wasser von Alters her), hüllten den ganzen obern Teil des Berges in Dunkelheit und weissagten einen Orkan, der auch sicherlich jedesmal nach kurzer Frist erfolgte. Antonio bekreuzte sich nochmals, und seine Zuhörer, die beide zu gute Katholiken waren, als daß sie den geringsten Zweifel in die Wahrheit seiner Erzählung hätten setzen sollen, taten das gleiche. Man sah an den rauhen Wänden des Berges dicke Wolken von Nebel sich herabwälzen, die durch die gähnenden Spalten hinrollten und dem rauschenden Lavastrom glichen, der am Rücken eines Vulkanes zu Tage quillt. Die schroffen Ueberhänge jener Klüfte zeigten ihre spitzen und rauhen Ecken über dem Qualme, gleichsam als teilten sie den herabwallenden Nebelstrom, der zwischen ihnen hinwogte. Als schneidender Gegensatz zu diesem düstern und dräuenden Gebilde erglänzte der Rücken des Rigi in aller Pracht des herbstlichen Sonnenscheins, Während die Reisenden diesen überraschenden Kontrast beobachteten, der gleichsam einen herannahenden Kampf zwischen Licht und Finsternis verkündete, ermahnte ihr Führer sie in seinem aus italienischen und deutschen Brocken zusammengeworfenen Kauderwelsch zur Eile. Das Dorf, in das er sie führen wolle, sei noch weit entfernt, der Weg schlecht, und falls der Böse (wobei er mit dem Zeichen des Kreuzes auf den Pilatusberg wies), seine Finsternis auf das Tal herabsenken würde, sogar gefährlich. Die also angetriebenen Reisenden rückten entschlossen die Mütze in die Stirn, zogen die Schnalle des Gürtels fester, der ihr Gewand zusammenhielt, und setzten, in der Hand den mit einer Eisenpike versehenen Gebirgsstecken, ihre Wanderung mit unermüdetem Eifer und furchtlosem Herzen fort. »Ich möchte,« sagte der Aeltere nach einer Weile, »wir besäßen jene geheimnisvolle Nadel, von der die Seefahrer erzählen. Ihre Spitze soll sich ewig nach Norden wenden und sie in den Stand setzen, auf dem Wasser auch dann ihre Bahn zu halten, wenn weder ein Vorgebirge, noch eine Landzunge, weder Sonne, noch Mond, noch Steine, noch irgend ein Zeichen am Himmel und auf Erden ihnen sagt, wohin sie steuern sollen.« »Diese Nadel würde uns hier in den Bergen schwerlich von Nutzen sein,« antwortete der Jüngling, »denn wie wundersam sie auch ihre Spitze gegen den nördlichen Polarstern wenden möge, sobald sie, wie auf dem Meere, auf ebener Fläche ruht, so läßt es sich doch nicht denken, daß sie das auch hier tun würde, wo diese ungeheuren Berge sich gleich Mauern zwischen die Stahlspitze und das Gestirn lagern, nach welchem sie hinstrebt.« »Ich befürchte,« fuhr der Vater fort, »unser Führer, der von der Stunde an, wo er sein mütterliches Tal verließ, immer einfältiger geworden ist, wird uns auch nicht mehr viel nützen können. Kannst Du mir sagen, mein Bursch,« fügte er hinzu, indem er Antonio in schlechtem Italienisch anredete, »ob wir auf rechtem Wege sind?« »So es dem heiligen Antonius gefällt!« sprach der Führer, der offenbar viel zu bestürzt war, als daß er die Frage hätte geradezu beantworten können. »Und jenes halb mit Nebel überzogene Gewässer, das am Fuße dieses greulichen Abhanges durch den Dunst blickt, ist es noch ein Teil des Sees von Luzern, oder sind wir zu einem andern Gewässer gelangt, seit wir die letzte Höhe hinabstiegen?« Antonius konnte nichts Gewisses darüber angeben. »Hund von einem Italiener!« rief der jüngere Reisende, »Du verdienst, daß man Dir die Knochen zerschlägt, weil Du ein Amt übernahmst, das Du nicht ausführen kannst.« »Ruhig, Arthur,« sagte der Vater, »wenn Du den Jungen erschreckst, so rennt er von dannen, und wir verlieren auch den geringen Vorteil, den uns seine etwaige Kenntnis der Gegend noch gewähren könnte. Komm her zu mir, mein Bursch,« fuhr er dann in seinem kümmerlichen Italienisch fort, »erschrick nicht vor dem heftigen Jüngling, dem ich nicht gestatten werde, daß er Dich beleidige; aber nenne mir, so Du kannst, die Namen der Dörfer, durch welche wir auf unserer heutigen Wanderung ziehen.« Die sanfte Redeweise des älteren Reisenden machte dem Burschen neuen Mut. Er war nicht wenig über den barschen Ton und die dräuenden Ausdrücke des jüngeren Gefährten erschrocken. Nun sagte er, in seinem schwerfälligem Idiom einen Schwall von Namen her, in denen die deutschen Gaumenlaute sich seltsam mit den zarten Vokalklängen der italienischen mischten. Der Reisende vermochte jedoch aus seiner Antwort nicht klug zu werden, so daß er schließlich ungeduldig ausrief: »So führe uns im Namen der heiligen Mutter oder des heiligen Antonius, wenn Dir das lieber ist; wir verlieren, wie ich sehe, nur Zeit bei dem müßigen Versuche, uns einander verständlich zu machen.« So schritten sie denn abermals weiter, wie bisher, jedoch mit dem Unterschiede, daß der Führer, der das Maultier lenkte, jetzt voranging und die beiden ihm folgten, nachdem sie sonst sich den Weg durch Zuruf von dem hinter ihnen kommenden Jungen hatten zeigen lassen. Mittlerweile verdickten die Wolken sich mehr und mehr, und der Nebel, der anfangs dünner Dunst gewesen war, begann jetzt in Gestalt großer Regentropfen herabzufallen, die sich wie Tau an die Mäntel der Reisenden hängten. Fernher rasselnde und heulende Töne dröhnten von den Bergen herüber. Als sie so etwa drei oder vier Meilen weiter gegangen waren, die ihnen, so aufs Geratewohl zurückgelegt, noch länger vorkamen, gerieten sie endlich in einen Engpaß, der sich am Rande eines Abgrundes hinstreckte. Unten floß Wasser, jedoch war nicht zu erkennen, ob es ein Bach, ein Fluß oder ein See war. Bisher war der Pfad, so steil und rauh er war, doch immer deutlich sichtbar gewesen, hatte auch Spuren von Reitern und Fußgängern gezeigt. Jetzt aber, als Antonio mit dem Maultiere eine vorragende Höhe, um deren Gipfel herum der Weg eine scharfe Krümmung bildete, erreicht hatte, stand der Bursch plötzlich still, indem er sich mit dem ihm eigenen Ausruf an seinen Schutzheiligen wendete. Es wollte Arthur bedünken, als teilte das Maultier den Schrecken seines Führers; denn es sträubte sich, stemmte seine Vorderfüße gespreizt auf den Boden und schien durch diese Stellung den Entschluß anzudeuten, keinen Schritt weiter zu gehen. Arthur stand im nächsten Augenblick neben Antonio und dem Lasttiere auf der Platte eines Felsens, wo der Weg ganz aufzuhören schien und ein jäher Abgrund gähnte; doch ließ der Nebel die Tiefe der Schlucht, obwohl dieselbe über dreihundert Fuß betragen mochte, nicht unterscheiden, Bestürzung malte sich in den Zügen der Reisenden; sie starrten hinab in den Nebelschlund zu ihren Füßen und spähten vergebens nach irgend einer Fortsetzung des Pfades. Während sie unschlüssig dastanden, wollte der Vater eben vorschlagen, auf dem bisher zurückgelegten Wege wieder umzukehren, als ein lautes Geheul des Windes, wilder, als sie es bisher gehört hatten, in das Tal herunterbrauste. Alle drei sahen die Gefahr vor Augen, von dem schwindligen Punkt, auf dem sie standen, herabgeschleudert zu werden, und griffen nach Busch und Felsspitze, um sich daran festzuhalten, während sogar das arme Maultier sich vor dem mit unerwarteter Wucht heranbrechenden Windstoß zu sichern suchte. Der Wind zerriß dabei zwei bis drei Minuten lang den Nebelschleier, zeigte ihnen die Beschaffenheit des Ortes und löste das Rätsel des plötzlich abgebrochenen Weges. Arthurs schneller, scharfer Blick erkannte sogleich, daß der Pfad von der Felsenspaltung aus, auf der man jetzt stand, sich in gleicher Richtung aufwärts an einer Erdbank entlanggezogen hatte, die alsdann die obere Fläche einer steilen Felsenschicht gebildet haben mochte. Allein durch eine der Naturerschütterungen, die sich in jenen wilden Gegenden, wo die ewige Natur nach so furchtbarem Maßstabe verfährt, oft zu ereignen pflegen, hatte die Erdlage einen Riß bekommen oder war vom Felsen herabgestürzt und zusamt dem Fußpfade, den Büschen und Bäumen in dem Gießbach unten versunken; denn als einen solchen Gießbach, nicht aber als einen See oder als einen Arm des Sees, wie sie bis jetzt gemeint hatten, konnten sie nunmehr das Gewässer zu ihren Füßen erkennen. Die unmittelbare Ursache dieser Erscheinung mochte wohl eine in jenem Lande nicht selten vorkommende Erderschütterung gewesen sein. Die bei ihrem Falle umwühlte Erdbank war jetzt eine wilde Trümmermasse und zeigte etliche Bäume, die in horizontaler Lage wuchsen, oder andere, die mit ihrem Wipfel in den Abgrund gestürzt waren. Der schauerliche Felsabhang, der hinter ihnen sich erhob, bildete die Mauer eines fürchterlichen Abgrundes, der wie ein jüngst geschlagener Steinbruch aussah. Am fernen Ufer des Gewässers, weiter hinauf im Tale, konnte Arthur einen viereckigen Bau erkennen, der sich aus den mit Felsen durchsetzten Fichtenwäldern erhob, von beträchtlicher Höhe war und den Trümmern eines gotischen Turmes glich. Arthur zeigte dem Antonio dieses Gebäude und fragte ihn, ob es ihm bekannt wäre; denn er dachte, es müsse wegen der Besonderheit seiner örtlichen Lage ein Wahrzeichen sein und wer es einmal gesehen hätte, könnte es schwerlich vergessen. Der Bursche erkannte den Turm auch sogleich und rief freudig aus, das sei der Geierstein oder Geierfelsen. Den Namen trüge der Ort nach einer ungeheuren Felsenspitze, die sich in seiner Nähe fast in der Gestalt eines Kirchturmes erhöbe, und auf deren Krone der Lämmergeier (einer der größten unter den bekannten Raubvögeln) vor alters das Kind des ehemaligen Schloßherrn hinweggeführt hätte. Er erzählte nun auch, was der Ritter von Geierstein Unserer lieben Frau zu Einsiedeln gelobt hätte, wenn sie sein Kind rettete; und noch während er also sprach, hüllten Schloß, Felsen, Wald und Abgrund sich wieder in dichten Nebel. Kaum hatte er sein wundersames Märlein beendet, nach welchem das Kind dem Vater unversehrt zurückgegeben worden sei, da schrie er plötzlich: »Vorsicht! Der Sturm – der Sturm!« Dieser blies heran und gewährte, indem er den Nebel auseinander jagte, den Reisenden nochmals den Anblick des Grauens, das sie hier umringte. »Ha!« rief Antonio triumphierend aus, als der Windstoß nachließ, »der alte Pontius scheint nichts von Unserer lieben Frau zu Einsiedeln hören zu mögen; allein sie wird schon mit ihm fertig werden – Ave Maria!« – »Jener Turm,« sagte der jüngere Reisende, »scheint unbewohnt zu sein. Ich sehe keinen Rauch daraus aufsteigen.« – »Er ist seit manchem lieben Tag nicht bewohnt gewesen,« entgegnete der Führer. »Bei alledem wollte ich, wir wären drinnen. – Der ehrliche Arnold Biedermann, der Landammann im Kanton Unterwalden, wohnt in der Nähe, und ich versichere Euch, Fremdlinge werden sich, wo er zu befehlen hat, nach seinem Tisch und Keller zurücksehnen.« »Ich habe von ihm gehört,« sprach der ältere Reisende, den Antonio mit dem Namen Signore Philippson anzureden gelernt hatte, »er ist ein guter und gastfreier Mann, der das Ansehen, das er unter seinen Landsleuten genießt, in vollem Maße verdient.« »Ihr spracht Wahres von ihm, Signore,« entgegnete der Führer, »und ich wollte, wir könnten seine Wohnung erreichen, wo Ihr gastliche Aufnahme und gute Zurechtweisung zur nächsten Tagesreise mit Sicherheit erwarten könntet. Allein, wie wir zu dem Geierschlosse gelangen sollen, ohne Flügel wie ein Geier zu haben: die Frage ist schwer zu beantworten.« Zweites Kapitel Nachdem die Wanderer den schauerlichen Schauplatz, soweit der stürmische Zustand der Atmosphäre es ihnen gestattete, überblickt hatten, bemerkte der jüngere Reisende: »Ich halte es für möglich, mein Vater, an den Zacken des Abgrundes vorwärts zu klimmen, bis ich die Wohnung zu Gesicht bekomme, von der der Bursche sprach. Gibts wirklich eine solche Wohnung, so muß doch ein Zugang zu ihr gefunden werden können; und vermag ich auch nicht den Weg dahin zu finden, so kann ich doch wenigstens denen, die in der Nähe des Geiernestes dort drüben wohnen, ein Zeichen geben und von ihnen freundliche Zurechtweisung erlangen,« – »Ich kann nicht zugeben, daß Du Dich solcher Gefahr preisgibst,« sagte der Vater. »Laß den Burschen weitergehen, so er kann und will. Er ist auf den Bergen groß geworden, und ich will ihm reichen Lohn geben.« – Allein dessen weigerte sich Antonio entschieden. »Ich bin wohl auf den Bergen groß geworden, allein ich bin kein Gemsenjäger,« sprach er, »ich habe keine Flügel, um mich einem Raben gleich, über Klippen zu schwingen. Gold wägt nicht das Leben auf.« – »Gott sei davor,« versetzte Signore Philippson, »daß ich Dich versuchen sollte, eines gegen das andere abzuwägen! So geh denn, mein Sohn, geh; ich folge Dir!« »Nicht so, mit Eurer Erlaubnis, teuerster Herr und Vater,« entgegnete der Jüngling, »es ist genügend, wenn einer hier das Leben wagt, und das meinige, das bei weitem unwürdigere, sollte nach allen Regeln der Vernunft wie der Natur zuerst aufs Spiel gesetzt werden. Nur laßt mich allein gehen! Wenn Ihr mitgingt, würde ich stets zurückblicken müssen, um zu sehen, wie Ihr Euch auf dem Standpunkte halten würdet. Und erwägt, mein teuerster Vater, was und wieviel verloren wäre, wenn Ihr abstürztet!« – »Du hast recht, mein Kind,« sagte der Vater. »Ich besitze noch etwas, das mich an dies Leben auch dann noch knüpft, wenn ich in Dir alles verlieren sollte, was mir teuer ist. Sei gesegnet und behütet, mein Sohn! Dein Fuß ist jung, Deine Hand ist stark. Sei tapfer, aber behutsam, – bedenke, daß ein Mann lebt, der, wenn er Dich missen müßte, nur noch durch eine strenge Pflicht an diese Erde gebunden ist. Ist diese vollführt, so wird er Dir folgen.« Der Jüngling machte sich bereit. Indem er den schweren Mantel abwarf, enthüllte er wohlgeformte Glieder, die mit einer fest an den Leib sitzenden grauen Tuchjacke bekleidet waren. Des Vaters Entschluß wankte, als der Sohn sich zu ihm wendete, um ihm Lebewohl zu sagten. Er widerrief die gegebene Erlaubnis und befahl ihm in gebieterischem Ton, innezuhalten. Doch ohne des Befehles zu achten, hatte Arthur bereits seine gefährliche Wanderung begonnen. Indem er von der Abplattung, auf der er stand, sich an den Aesten eines alten Eschenbaumes hinabließ, der aus einem Spalt des Felsens hervorragte, war der Jüngling, wiewohl mit unsäglicher Gefahr, imstande, eine schmale Steinlage, den äußersten Rand des Abhanges, zu betreten. Von hier aus hinabkriechend, hoffte er, soweit vorzudringen, daß man ihn von der von dem Führer erwähnten Wohnung aus würde sehen oder hören können. Seine Lage schien, als er dieses kühne Vorhaben auszuführen sich bemühte, so gefährlich, daß selbst der gemietete Begleiter bei dem Anblicke des Jünglings kaum Atem zu holen wagte. Das Felsband, auf dem sich Arthur bewegte, erschien immer schmäler, je weiter er sich entfernte, und wurde schließlich fast unkenntlich. Seinem Vater und dessen Begleiter erschien Arthur kaum noch als ein Mensch, sondern eher als ein Insekt, das an einer senkrechten Mauer hinkriecht. Man sieht es wohl sich weiter bewegen, kann aber nicht erkennen, auf welche Weise es sich an der Mauer festhält. Und bitterlich jammerte jetzt des Jünglings trostloser Vater, daß er nicht auf seinem Vorsatz beharrte und nicht lieber auf dem bisher zurückgelegten Wege wieder zur vorigen Nachtherberge umgekehrt sei. Mittlerweile fühlte der Jüngling sich mächtig zur Ausführung seines gefahrvollen Unternehmens gestählt. Er legte seiner Einbildungskraft, die sonst leicht rege zu werden pflegte, die strengsten Fesseln an und versagte es sich, selbst auf Augenblicke nur, irgend einer der entsetzlichen Einflüsterungen Gehör zu geben, durch die die Phantasie nur allzugerne eine wirkliche Gefahr noch vergrößert. Männlichen Sinnes war er bemüht, alles, was ihn umgab, nach dem Maße besonnener Vernunft zu messen, wodurch wahrer Mut am kräftigsten unterstützt wird. »Diese Felsenlage,« sprach er sich selbst beurteilend vor, »ist nur schmal, doch immer noch breit genug, mich zu tragen; diese Spalten im Felsen sind klein, aber ich kann doch immer noch mit den Händen hineinfassen und mich festhalten. Meine Sicherheit hängt also durchaus von mir ab. Wenn ich mich entschlossen und festen Schrittes bewege, auch mich gehörig festhalte, so sehe ich nicht ein, was es auf sich haben kann, daß ich mich so dicht über einem Abgrund befinde.« Indem er auf solche Weise den Umfang der Gefahr, die er lief, nach Grundsätzen der Vernunft und Wirklichkeit abmaß und sich eine gewisse Fertigkeit in Körperübungen zunutze machte, setzte der rüstige Jüngling seine staunenerregende Kletterei Schritt für Schritt fort und legte seinen Weg mit aller Vorsicht, Beharrlichkeit und Geistesgegenwart zurück, die allein ihn vor augenblicklichem Verderben bewahrten. Endlich gelangte er zu dem gefährlichsten Punkt. Der Fels hing um mehr als sechs Fuß gegen den Waldstrom über, den er in einer Tiefe von über hundert Klaftern wie unterirdischen Donner tosen hörte. Er untersuchte den Ort mit der größten Sorgfalt. Gras, Gesträuch und Baumstümpfe brachten ihn auf die Vermutung, daß dieses Felsstück das äußerste Ende des versunkenen Fußpfades sein müsse, und daß, wenn er nur den Winkel würde umgehen können, er die sichere Hoffnung hegen dürfe, die Fortsetzung des durch Naturereignisse so seltsam abgebrochenen Pfades zu erreichen. Allein der Felsenvorsprung ragte so weit vornüber, daß es ganz unmöglich schien, unter ihm hin oder um ihn herum zu klettern. Da er sich um mehrere Fuß hoch über dem Standpunkte erhob, den Arthur erreicht hatte, war es keine geringe Aufgabe, auf ihn hinaufzukommen. Dennoch wählte er dieses Mittel, denn nur so konnte er hoffen, dieses letzte Hindernis zu überwinden. Ein vorragender Baum bot ihm Gelegenheit, emporzusteigen und sich auf den Gipfel des Vorsprungs zu schwingen. Allein kaum hatte er dort Fuß gefaßt, kaum auf einen Augenblick sich Glück dazu gewünscht, daß er von hier aus, mitten in einem wilden Chaos von Fels und Wald, die düstern Ruinen des Geiersteins, aus denen Rauch aufstieg, und etwas wie eine menschliche Wohnung neben ihnen erblickte, als zu seinem Entsetzen die Klippe, auf der er stand, wankte, sich langsam vorwärts neigte und allmählich aus ihrem Lager zu sinken begann, Getrieben vom Instinkte der Selbsterhaltung, zog Arthur sich vorsichtig von dem sinkenden Stein auf den Raum zurück, an dem er heraufgeklettert war, und starrte nun, wie von Zauber gebannt, auf den Felsblock, der in jedem Augenblick hinabstürzen mußte. Der Stein schwankte zwei oder drei Sekunden lang, als wäre er unschlüssig, nach welcher Richtung er fallen sollte; und hätte er sich seitwärts gesenkt, so würde er unseren Abenteurer an seinem Zufluchtsorte zerschmettert – oder ihn mitsamt dem Baum jählings in den Strom geschleudert haben. Aber er stürzte nach vorn zu Tal, zerschlug und zersplitterte in seinem Falle Bäume und Gebüsche und was er sonst traf, und fiel endlich in den Gießbach mit einem Krach, als wenn hundert Kanonen sich auf einmal entlüden. Das Getöse widerhallte von Ufer zu Ufer, von Abgrund zu Abgrund, mit sich selbst verschlingendem Donner. Wer beschreibt die Angst, die sich unterdessen des bekümmerten Vaters bemächtigte, als er den schweren Felsen hinabstürzen sah, jedoch nicht wahrzunehmen vermochte, ob sein Sohn mit ihm versunken sei? Des Vaters erste Regung war, an den Rand des Abgrundes hinzustürzen, auf dem Arthur entlang gekrochen war; Antonio, der Schweizerbube, hielt ihn zurück, und der Reisende suchte mit der Wut eines grimmigen Bären, dem man die Jungen raubt, sich loszureißen. Da plötzlich erklang von der verhängnisvollen Klippe herüber, von der sich durch Arthurs kühnen Aufschwung die ungeheure Steinmasse losgerissen hatte, der gellende Ton eines der großen Hörner, die man von dem Stier oder Bullen des Schweizerlandes als Beute gewinnt – in uralter Zeit das einzige Musikinstrument dieser Bergbewohner, »Haltet, Herr, haltet!« rief der Graubündner; »von drüben her ist das Zeichen vom Geierstein herabgegeben. Es wird bald jemand uns zu Hilfe kommen, um uns einen sicheren Weg zu zeigen, auf dem wir Euern Sohn suchen können. – Und seht nur, da drüben über jenem Busche, der durch den Nebel schimmert – heiliger Antonius beschütze mich! – dort erblicke ich ein Weißes Tuch! Wie es flattert! und gerade über dem Punkte, wo der Felsklump niederstürzte!« – Der Vater strengte sich an, seine Blicke auf den bezeichneten Ort zu heften, allein seine Augen schwammen so in Tränen, daß sie nichts unterscheiden konnten. »Es ist alles umsonst,« sagte er, indem er sich die Tränen aus den Augen wischte. »Ich werde nur noch seine leblosen Gebeine sehen,« – »Ihr werdet ihn lebendig wiedersehen,« sprach der Graubündner, »Sankt-Antonius will es so; seht nur, das weiße Tüchlein hängt nicht locker an einem Ast – ich kann deutlich sehen, wie es an eine Stange gebunden ist und absichtlich hin und her geschwenkt wird. Euer Sohn gibt ein Zeichen, daß er frisch und wohlauf ist.« – »Und ist dem so,« sprach der Reisende, indem er die Hände zusammenschlug, »so seien gesegnet die Augen, die es sahen, und die Zunge, die es mir sagte! Wenn wir meinen Sohn finden, und am Leben finden, so soll dieser Tag auch für Dich ein Tag des Glückes sein.« – Endlich erkannte auch er, daß das Zeichen wirklich von einer Menschenhand gegeben wurde; und ebenso empfänglich für den Schimmer wiederauflebender Hoffnung, wie früher für die Einwirkung des verzweiflungsvollen Kummers, machte er abermals den Versuch, zu seinem Sohne hinzueilen, um diesem womöglich in Aufsuchung einer sichereren Herberge beizustehen. Allein die dringenden Bitten und wiederholten Zusicherungen seines Führers veranlaßten ihn, inne zu halten. – »Bleibt ruhig hier!« sagte dieser, »bis Hilfe kommt. An dem Schall glaube ich das Horn des Wächters vom Geierstein, des ehrlichen Arnold Biedermann, zu erkennen. Er hat Eures Sohnes Gefahr wahrgenommen und sorgt schon jetzt für unsere Sicherheit.« »Aber wenn jener Hörnerschall wirklich ein Zeichen war,« sprach der Reisende: »wie kommt es, daß mein Sohn nicht darauf antwortete?« – »Höchstwahrscheinlich hat er es auch getan,« versetzte der Graubündner, »wie sollten wir es aber gehört haben? Das Alphorn von Uri selbst ertönt bei diesem Geheul des Wassers und Sturmwindes nicht lauter, als die Rohrpfeife des Hirtenknaben; wie sollen wir da den Ruf eines Menschen vernehmen können?« – »Doch dünkt mich,« sagte Signore Philippson, »als höre ich etwas wie eine Menschenstimme; allein Arthurs Stimme ist es nicht.« – »Freilich nicht,« versetzte der Graubündner, »denn die Stimme ist eine weibliche. Die Dirnen sprechen zueinander von Klippe zu Klippe, durch Sturm und Wetter, läg' auch eine Halbstunde Weges zwischen ihnen.« »Nun, der Himmel sei gelobt, daß er uns Hilfe schickt!« sprach Signore Philippson; »ich hoffe, daß dieser fürchterliche Tag noch ein glückliches Ende nimmt!« Inzwischen befand der Sohn sich noch immer in höchst gefährlicher Lage. Der Anblick des dicht unter ihm in grausigem Sturze niederdonnernden und unter Staub- und Dunstwolken zersplitternden Felsblockes hatte ihm allen Mut und alle Kraft geraubt. Schwindel ergriff ihn, und die Glieder, die ihm bisher so trefflich gedient hatten, versagten ihm plötzlich den Dienst; seine Arme und Hände hingen jetzt, als wären sie nicht mehr die seinigen, in krampfhafter Umklammerung an den Aesten des Baumes und zitterten in so völliger Erschlaffung der Nerven, daß der Jüngling fürchten mußte, er würde sich nicht lange mehr halten können. Ein Umstand, der an sich selbst zwar unbedeutend war, erhöhte die Not, in die Arthur durch das Schwinden seiner Kräfte sich versetzt fühlte. Jegliches lebendige Geschöpf in der Nähe war durch den grausen Felssturz in Schrecken gesetzt worden. Scharen von Eulen, Fledermäusen und andern Nachtvögeln hatten sich in die Schluchten und Ritzen der umherliegenden Felsen geflüchtet. Unter diesen Vögeln, die der Aberglaube für Unglücksboten ansieht, befand sich auch ein Lämmergeier, ein Vogel, der an Größe und Raubgier den Adler übertrifft, und Arthur sah ein solches Tier jetzt zum erstenmal in solcher Nähe. Ihrem Instinkt gemäß, suchten diese Vögel, wenn sie sich genügend voll gefressen haben, eine unerklimmbare Berghöhe auf, wo sie still und bewegungslos sitzen bleiben, bis das Verdauungswerk vollendet ist und neue Freßlust sie wieder neu belebt. Gestört in solchem Zustande der Ruhe, hatte sich einer dieser entsetzlichen Vögel von dem Gemäuer erhoben, das nach ihm den Namen führt, war mit gespenstischem Geschrei und klatschenden Flügeln im Kreise herumgeflogen und hatte sich in einer Entfernung von wenigen Ellen von dem Baume, an welchem Arthur in gefahrvoller Stellung sich angeklammert hielt, auf der Spitze eines Felsenvorsprunges niedergelassen. Bemüht, sich zu ermannen und die Betäubung von sich zu schütteln, schlug Arthur die Augen auf, um vorsichtig umherzuschauen, und begegnete nun dem starren Blick des gefräßigen, schauerlichen Vogels, der durch seinen federentkleideten Kopf und Hals, seine schwarzgelb geränderten Augen und seine mehr liegende, als aufgerichtete Stellung sich von der edlen Haltung und dem regelmäßigeren Bau des Adlers ebenso unterschied, wie in der Reihe der Vierfüßler der Löwe erhaben ist über den tückischen, räuberischen, gräßlichen und dennoch feigherzigen Wolf. Wie durch einen Zauber gebannt, hefteten sich die Blicke des jungen Philippson auf diesen gräßlichen Vogel, und die Furcht vor eingebildeten wie wirklichen Gefahren lastete auf seiner durch die Trübseligkeit seiner Lage fast ganz entmutigten Seele, Warum starrte der Vogel ihn so ernst an? warum beugte er seine Mißgestalt so vornüber, als wäre er bereit, über ihn herzufallen? War dieser Raubvogel der Dämon des Ortes, dem er seinen Namen lieh? Und war er gekommen, sich daran zu ergötzen, daß ein Mensch, der zu diesem ungangbaren Geklüft kam, sich jetzt von Gefahren umringt und ohne alle Hoffnung sah, je daraus erlöst zu werden? Oder war er ein auf diesem Felsen horstender Geier, der in diesem kühnen Wanderer eine willkommene Beute begrüßte? Wartete er nur auf den Tod dieses Unglücklichen, um sein grauses Mahl zu beginnen, oder war es das furchtbare Los des Jünglings, den Schnabel und die Krallen des Vogels in seinem Fleische zu fühlen, bevor noch sein Herz aufgehört hätte zu schlagen? Dergleichen schreckliche Vorstellungen halfen mehr dazu, als alle Vernunftgründe es bewirken konnten, die Spannkraft des Jünglings neu zu beleben. Indem er sein Schnupftuch schwenkte, wobei er jedoch die größte Vorsicht in seinen Bewegungen machte, glückte es ihm den Geier aus seiner Nähe zu verscheuchen. Dieser erhob sich von seinem Ruheplatze, stieß ein Kreischen aus und segelte mit ausgespreizten Schwingen fort, um einen ruhigeren Ort zu suchen. Mit mehr Besonnenheit strebte nun der Jüngling, der von seinem Standpunkte aus einen Teil der Abplattung sehen konnte, die er verlassen hatte, seinem Vater von seinem Wohlbefinden dadurch Kunde zu erteilen, daß er so hoch wie möglich, das Fähnlein flattern ließ, durch welches er den Geier verjagt hatte. Gleich seinen beiden Reisegefährten vernahm auch er, doch aus geringerer Entfernung, den Schall des großen Alphorns, das ihm nahe Hilfe zu verheißen schien. Er antwortete durch lautes Rufen und Schwenken seiner Flagge, um den Beistand zu derjenigen Stelle zu locken, wo die Gefahr am dringensten war. Als frommer Katholik empfahl er im eifrigen Gebet sich Unserer lieben Frau von Einsiedeln und flehte sie unter Gelübden an, sie möchte ihn aus diesem fürchterlichen Zustande erlösen. »O gnädige Mutter!« rief er am Schlusse seines Gebetes aus: »Wenn ich verurteilt bin, mein Leben, gleich einem gejagten Fuchse in dieser Wildnis voll wankender Felskuppen zu enden, so gib mir mindestens meine ehemalige Geduld und meinen sonstigen Mut zurück und laß den, der wie ein Mann, wenn auch wie ein sündiger Mensch lebte, nicht gleich einem scheuen Hasen den Tod hier finden!« Hierauf spähte er umher, ob sich nicht ein Mittel böte, den festen Boden wiederzugewinnen. Allein er verspürte, daß ihm noch alle Nerven zuckten, und sein Herz schlug, als wollte es zerspringen. So sehr er sich anstrengte, so vermochte er doch nicht, seine starren und schwindelnden Blicke ringsum schweifen zu lassen; ihm war, als drehten sich seine Augen in ihren Höhlen, so daß die Landschaft um ihn her tanzte und das wirre Chaos von Wald und Felsengeklüft in solchem Wirbel sich wälzte, daß er um nicht vom Baum herabzuspringen und an dem wilden Tanze teilzunehmen, sich wieder und wieder vorhalten mußte, nur seine gänzliche Ermattung erzeuge dieses Gaukelspiel. – »Der Himmel beschütze mich!« seufzte der unglückliche Jüngling. »Meine Sinne verlassen mich!« Dies erschien ihm um so gewisser, als er jetzt gar eine weibliche Stimme zu vernehmen meinte, die in überaus hohem, doch lieblichem Tone aus geringer Entfernung ihm zuzurufen schien. Arthur öffnete noch einmal die Augen, erhob sein Haupt und blickte nach dem Orte, von wannen der rufende Ton kam. Und nun erschien ihm gar eine Gestalt, die ihn vollends in der Meinung bestärken mußte, daß seine Seele wirklich erkrankt sei und seine Sinne versagten. Auf der höchsten Spitze eines wie eine Pyramide geformten Felsens, der aus der Tiefe des Tales emporstieg, stand ein weibliches Wesen, jedoch so von Nebel umhüllt, daß nur die Umrisse sichtbar wurden. Die vom Abendhimmel sich abhebende Gestalt schien eher ein geisterhafter Schemen als der Körper eines sterblichen Mädchens zu sein; denn ihre Person zeigte sich ebenso verschwommen, wie die dünne Wolke, von der der Fels, auf welchem sie stand, umhüllt war. Der erste Gedanke, der sich dem Hilfebedürftigen aufdrängte, war, daß die heilige Jungfrau sein Gelübde erhört hätte und in eigener Person zu seiner Rettung herniedergeschwebt wäre; und schon wollte er sein Ave Maria herbeten, als die Stimme nochmals den seltsam schrillen Ton eines sogenannten Jodlers erschallen ließ. Während Arthur versuchte, diese unerwartete Erscheinung anzureden, entschwand sie von der Kuppe, auf der sie zuerst sichtbar geworden war, und zeigte sich sofort wieder auf der Klippe unmittelbar über dem Baum, auf welchem der Jüngling eine Zuflucht gefunden hatte. Ihre Erscheinung und Kleidung kennzeichneten sie als ein Kind dieser Berge, das mit den gefährlichsten Gebirgspässen vertraut war. Arthur sah ein junges, schönes Mädchen vor sich stehen, das ihn mit einer Mischung von Mitleid und Bewunderung betrachtete. – »Fremdling,« sprach endlich das Mädchen, »wer seid Ihr, von wannen kommt Ihr?« – »Fremdling bin ich, und mit Recht nennt Ihr mich so,« versetzte der Jüngling, indem er sich aufrichtete, so gut er es vermochte: »Ich reiste diesen Morgen von Luzern in Begleitung meines Vaters und eines Führers ab. Ich verließ beide ein kurzes Stück von hier. Möchtest Du so gut sein, liebliches Mädchen, ihnen mein Wohlbefinden kundzutun; denn ich weiß, daß mein Vater meinetwegen in Verzweiflung sein wird.« – »Herzlich gern,« sprach das Mädchen, »allein mich dünkt, mein Ohm oder einer meiner Vettern müsse sie schon gefunden und ihnen als treuer Führer gedient haben. Kann ich Euch nicht beistehen? Seid Ihr verwundet? Fühlt Ihr Euch verletzt? Wir wurden aufgeschreckt durch den Sturz des Felsstückes. Da drunten liegt's.« Indem das Schweizerdirnlein also redete, trat es ganz nahe an den Rand des Abgrundes und blickte gelassen in den Schlund hinab. – »Seid Ihr krank?« fragte das Mädchen, gleich darauf, als es Arthur erbleichen sah. – »Nein, liebes Mädchen, nur mein Kopf schwindelt, und mein Herz schlagt ängstlich, wenn ich Euch so nahe am Rande der Klippe stehen sehe.« – »Ist das alles?« entgegnete die Schweizerin. »Wisset, Fremdling, daß ich am Herd meines Oheims nicht sicherer stehen könnte, als ich an Abgründen stand, gegen welche dieser Schlund ein Kinderspiel ist.« – »Vor einer halben Stunde bin ich auch furchtlos hier entlang geklettert,« antwortete Arthur: »doch nun –« – »Seid darob nicht trostlos,« sprach das Mädchen begütigend, »denn ein vorübergehender Dunst mag wohl zuzeiten den Geist umnebeln und auch die Sehkraft des Tapfersten und Erfahrensten blenden. Ersteigt den Stamm des Baumes und betrachtet die Stelle genau. Leicht wird es Euch, sobald Ihr die Krone des Baumstammes erreicht habt, durch einen kühnen Schritt den festen Felsen zu erklimmen, wo ich stehe, und alsdann ist weder Gefahr noch Schwierigkeit für einen jungen Mann vorhanden, dessen Glieder gesund und dessen Mut rüstig ist.« »Meine Glieder sind freilich gesund,« erwiderte der Jüngling, »allein ich schäme mich darüber, wie sehr mein Mut gesunken ist. Doch will ich die Teilnahme, die Ihr für einen unglücklichen Wanderer zeigt, nicht dadurch verscherzen, daß ich länger den feigen Einflüsterungen eines Gefühles Gehör gebe, das bis zu diesem Tage meinem Busen ein Fremdling war.« Das Mädchen blickte zaghaft und mit reger Teilnahme zu ihm herüber, als er sich vorsichtig erhob und den Baumstamm entlangrutschte, der fast in wagerrechter Lage aus dem Felsen hervorragte und sich unter der Last zu beugen schien. Bald stand der Jüngling aufrecht, und zwar von der Klippe, auf der das Mädchen sich befand, nur soweit entfernt, daß auf ebener Erde es nur eines tüchtigen Schrittes bedurft hätte, hinüberzukommcn. Allein statt eines solchen Schrittes auf ebenem Boden war hier ein Sprung über einen finsteren Abgrund nötig, in dessen Tiefe ein Waldstrom mit unbeschreiblichem Wüten brauste und aufkochte. Arthurs Kniee schlotterten, seine Füße wurden ihm bleischwer und schienen ihn nicht mehr tragen zu wollen. In höherem Grade als je erfuhr er jenen entnervenden Einfluß, den diejenigen nie vergessen können, die von ihm in ähnlicher Gefahr überwältigt wurden. Das Mädchen gewahrte des Jünglings innere Bewegung und sah deren wahrscheinliche Folgen vorher. Sie versuchte das einzige noch mögliche Mittel, sein Selbstvertrauen wieder herzustellen. Leichten Fußes sprang sie von dem Felsen auf den Baumstamm, auf dem sie sich mit der Leichtigkeit und Sicherheit eines Vogels wiegte, und kehrte dann schnell ebenso zur Klippe zurück. Dann streckte sie die Hand aus, indem sie sagte: »Mein Arm ist nur ein schwaches Geländer; doch schreitet nur mit Entschlossenheit vorwärts, so werdet Ihr Euch ebenso sicher fühlen, wie auf den Berner Verschanzungen.« Nun aber siegte in Arthur die Scham über die Furcht, so daß er den Beistand des Mädchens ausschlug, sich ein Herz faßte und glücklich den furchtbaren Sprung vollführte, der ihn auf eben die Klippe brachte, auf der sich seine gütige Helferin befand. Des Mädchens Hand zu ergreifen und sie zu rührendem Beweise seiner Dankbarkeit und Hochachtung an die Lippen zu drücken, war natürlich das erste, was der Jüngling tat; auch war es der Schweizerin nicht möglich, ihn daran zu hindern, ohne eine ihrem Gemüte fremdartige Sprödigkeit anzunehmen. Wer hätte auf einer Felsengruppe von kaum fünf Fuß Breite und drei Fuß Länge einen galanten Höflichkeitszwist anfangen mögen? Drittes Kapitel »Jetzt, liebes Kind,« sagte Arthur, »muß ich hin zu meinem Vater. Das Leben, das ich Eurem Beistande verdanke, kann nicht eher Wert für mich haben, als bis es mir gestattet, zu seiner Rettung zu eilen.« Hier wurde er durch einen abermaligen Hörnerruf unterbrochen, der von dem Orte herzuschallen schien, an welchem der Jüngling den älteren Philippson und dessen Führer verlassen hatte. Arthur blickte nach der Gegend hin, allein die Abplattung war von dem Felsen aus, auf dem er jetzt mit der Schweizerin stand, nicht zu sehen. »Es würde mir ein leichtes sein, hinunterzusteigen,« sagte das Mädchen. »Allein ich bin überzeugt, daß sie unter sicherer Obhut sind; denn das Horn verkündigt, daß mein Ohm oder gar einer meiner jungen Vettern sie erreicht hat. Sie sind in diesem Augenblicke auf dem Wege nach dem Geierstein, nach welchem ich, so Ihr es erlaubt, Euch führen will. Wir würden nur Zeit verlieren, wenn wir Eure Freunde aufsuchen wollten; denn von dem Orte aus, wo Ihr sie verließet, werden sie den Geierstein eher als wir erreichen.« Arthur folgte dem Mädchen und konnte nun seine Retterin etwas genauer betrachten. Ein Oberkleid, daß weder so fest anschloß, daß es die Körperform im scharfen Umriß hervorhob, noch so locker saß, daß es beim Gehen und Klettern hinderlich werden konnte, deckte zum Teil einen fester anschließenden Rock von einer anderen Farbe, der bis über Waden herabhing, jedoch die Knöchel sehen ließ. Um den Leib war das Oberkleid von einer mit Goldfäden durchwirkten Schärpe aus farbiger Seide gehalten, während vorn an der Brust auf eines Zolles Breite die Form und blendende Weiße eine schlanken Halses zum Vorschein kam. Das Antlitz zeigte die Spuren der freien Luft und der Sonne, ohne dadurch an Schönheit einzubüßen. Ihr schönes langes Haar fiel in einem Reichtum von Locken zu beiden Seiten des Angesichts herab, dem blaue Augen, liebliche Züge und holde Schlichtheit des Ausdrucks einen Charakter der Milde und selbstvertrauenden Entschlossenheit verliehen. Ihr Wuchs war etwas über Mittelgröße, und ihre Formen, ohne im geringsten männlich zu erscheinen, hatten eher die herbe Art der Minerva als die stolze Schönheit der Juno oder die schmachtende Anmut der Venus. Die edle Stirn, die wohlgeformten und schlanken Glieder, der feste und doch leichte Schritt – vor allem der gänzliche Mangel jeder bewußten Darstellung körperlicher Schönheit sowie der offene und redliche Blick, der keine Spur von Neugierde verriet, aber auch deutlich erkennen ließ, daß sie selber nichts zu verhehlen hatte: dies alles waren Kennzeichen, daß Anna von Geierstein der Göttin der Weisheit und Keuschheit keineswegs unähnlich und unwürdig war. Der Weg, den der junge Engländer unter der Führung dieses liebenswürdigen Mädchens zurückzulegen hatte, war beschwerlich und rauh, doch im Vergleich mit den Abgründen, die Arthur jüngst überschritten hatte, fast ungefährlich. Der Pfad war in der Tat eine Fortsetzung des Weges, der durch den mehrmals erwähnten Erdsturz unterbrochen worden war. Auch erfuhr Arthur von dem Mädchen, daß der Weg, den sie jetzt gingen, durch eine neuangelegte Verbindung mit dem, den er und sein Vater bis hierher verfolgt hatten, zusammenhänge. Wenn sie sich zu rechter Zeit nach diesem neu gemachten Fußweg gewendet hätten, waren sie der Gefahr entgangen, die ihnen auf der Abplattung jenes Felsens Einhalt gebot. Der Pfad ging bergan, führte gleichlaufend mit dem Gießbach weiter und bog dann jäh herum, gerade auf das Schloß zu. Der uralte, ziemlich schmucklose Turm des Schlosses Geierstein erhob sich in schrecklicher Würde an dem steilen Rande des entgegengesetzten Waldstromufers. Der Gießbach fällt von dem Abhange des Geiersteins in einem etwa hundert Fuß hohen Katarakt steil herunter und braust dann, ehe er in die Ebene tritt, durch eine Felshöhlung, die er sich vielleicht vor Urzeiten gegraben hat. Hinabschauend auf dies ewig tosende Wasser, stand der alte Turm dem Rande des Abgrundes so nahe, daß die Quadersteine des Fundaments einen Teil des Gebirgsfelsens zu bilden, mit ihm verwachsen zu sein schienen. Nach einem zu jenen Zeiten in Europa herrschenden Gebrauche war dem Gebäude die Form eines massiven und vierkantigen Turmes gegeben, dessen verfallene Bedachung mit malerischen Seitentürmen von verschiedener Gestaltung und Größe besetzt war: etliche waren rund, andere winklich, etliche verfielen schon in Trümmer, andere hielten sich noch so leidlich. Ein gegittertes Falltor, das hinter etlichen zum Turme fühlenden Stufen herabfiel, hatte in früherer Zeit zu einer Brücke geleitet, die das Schloß mit jener Seite des Gießbaches in Verbindung setzte, auf der Arthur Philippson und seine schöne Führerin jetzt standen. Ein einzelner Schwibbogen oder vielmehr nur die Rippe eines solchen war noch stehen geblieben und überwölbte den tiefen Abgrund. Da zur Zeit, von welcher wir reden, das Schloß gänzlich verwüstet und entfestigt dalag, Tor, Zugbrücke und Vorwall dahin waren, so wurden sowohl der verfallene Torweg als der schmale Brückenbogen, der das Wasser überspannte, als Uebergang zwischen den beiden Stromufern von den Bewohnern der Nachbarschaft benützt, die sich mit der Zeit an die gefährliche Brücke gewöhnt hatten. Arthur Philippson hatte mittlerweile, gleich einem guten frisch angezogenen Bogen, die Spannkraft der Seele wieder erhalten, die ihm sonst eigen zu sein pflegte. Zwar folgte er nicht mit vollkommen hergestellter Fassung seiner Führerin, als sie leichthin über die schmale Brücke hüpfte, die aus rauhen Steinen geformt und durch das Spritzwasser des nahen Wassersturzes feucht und schlüpfrig geworden war. Auch legte er nicht ohne Bangigkeit diesen gefährlichen Pfad hoch über dem Wasserfall zurück, dessen dumpfes Geheul ihm gewaltig in die Ohren drang, wiewohl er Sorge trug, den Kopf nicht zu den Schrecknissen des Sturzes hinzuwenden, weil ihn sonst von neuem der Schwindel gepackt hätte. Arthur schämte sich, dort Feigheit blicken zu lassen, wo ein junges Mädchen soviel Beherztheit zeigte und folgte seiner leicht dahineilenden Führerin über die gähnende Tiefe hinweg und durch das verfallene Gattertor, das zu ebenfalls teilweise in Trümmer liegenden Treppenstufen leitete. Der Torweg führte zu einer Masse von Ruinen, über die Efeu und anderes Schlingkraut einen wilden Mantel gebreitet hatte, und sie gelangten durch das Haupttor des Schlosses an eine wildromantische Stelle. Auch von hier aus gesehen, erhob das Schloß sich bedeutend über seine Umgebung. Denn vor ihm dehnte sich eine steile Anhöhe aus, die wie ein Glacis neuerer Zeit zur Festigung des Gebäudes abgeböscht war. Sie war mit jungen Bäumen bedeckt, aus denen der Turm bizarr emporragte. War man über dieses vorhängende Dickicht hinaus, so bot sich abermals ein anderer Anblick. Ein mehr als hundert Morgen großer Landstrich schien aus den Felsen und Bergen hervorzuwachsen, die ebenso wild und unwegsam waren, wie die, in denen sich unsere Reisenden am Morgen verirrt hatten. Die Oberfläche dieses kleinen Grundstückes bot viele Mannigfaltigkeit dar; im allgemeinen zeigte sie eine sanfte Steigung nach Südwesten hin. – Das Augenmerk fiel hier vor allem auf ein geräumiges Haus, das aus mächtigen unsymmetrisch zusammengefügten Steinklumpen geformt war, während der Rauch, der aus dem Gebäude aufstieg, die Geräumigkeit der Nebenhäuser und der urbare Zustand der umherliegenden Gefilde zu erkennen gaben, daß dieses Haus, wenn auch kein Sitz des Glanzes, so doch der Bequemlichkeit und Wohlhabenheit sein müßte. Südwärts des Hauses lag ein Obstgarten, reich an fruchttragenden Bäumen. Gruppen von Walnuß- und Kastanienbäumen zeigten sich in stattlicher Fülle, und sogar eine drei bis vier Morgen große Weinpflanzung war vorhanden. Jetzt wird Wein in der Schweiz allgemein gebaut, allein in jener Vorzeit beschränkten sich ausschließlich nur wohlhabende Eigentümer darauf. Auch fette Weidetriften waren auf der erwähnten Bergfläche wahrzunehmen. Dorthin wurde eine schöne Gattung von Zuchtvieh, daß den Stolz und Reichtum der Schweizer Bergbewohner ausmacht, von den Alpmatten, wo es während der Sommerzeit geweidet hatte, herabgetrieben, damit es eher Schutz und Obdach fände, wenn die Herbststürme kämen. Durch dieses Bergparadies ging der Lauf eines Silberbaches, der bald sich dem Blicke der Sonne zeigte, welche um diese Zeit den Nebel zerteilte, bald an seinen sanft anschwellenden Ufern von hohen Bäumen überschattet war, oder sich unter Hagedornbüschen und Haselnußsträuchern verbarg. Dieses Gewässer vereinigte sich, gleich einem Jünglinge, der aus dem friedlichen, fröhlichen Bezirke des Knabenlebens in die wild bewegte Bahn des tätigen Lebens stürzt, mit dem ungestümen Gießbach, der, von den angrenzenden Felsen herabtosend, den Turm des alten Schlosses Geierstein erschütterte und dann heulend in die Tiefe sauste, in der unser jugendlicher Reisender fast den Tod gefunden hätte. Das, was hier eingehend beschrieben worden, beschäftigte den jungen Philippson nur wenige Minuten; denn an einem sanften Abhange, gegenüber der Meierei, wie man das Hauptgebäude auf jener Fläche wohl nennen durfte, erblickte er fünf oder sechs Personen, unter denen er seinen Vater erkannte, den wiederzusehen er vor kurzem alle Hoffnung aufgegeben hatte. Munteren Schrittes folgte er seiner Führerin, als diese ihn den steilen Abhang hinabführte, an welchem die Ruine des Turmes sich erhob, Sie näherten sich der Gruppe, die Arthur erblickt hatte. Sein Vater eilte ihm entgegen, begleitet von einem ziemlich betagten Manne von riesenhaftem Wuchse und einer so einfachen und majestätischen Haltung, daß man sogleich in ihm einen würdigen Landsmann Tells, Stauffachers und Winkelrieds erkannte. Aus natürlich einfacher Artigkeit, um Vater und Sohn bei diesem rührenden Wiedersehen allein zu lassen, gab der Landammann selbst, als er mit dem älteren Philippson vorschritt, seinen Begleitern, die alle junge Leute zu sein schienen, ein Zeichen zurückzubleiben. Sie taten es und erkundigten sich, wie es schien, bei dem Führer Antonio nach den Abenteuern der Fremden. Anna, die Führerin Arthurs, hatte nur noch Zeit, dem jungen Philippson zu sagen: »Jener Greis ist mein Ohm, Arnold Biedermann, und jene Jünglinge sind meine Vettern,« als Biedermann und Arthurs Vater auch schon dicht vor ihnen standen. Mit eben dem Zartgefühle, das er vorhin gezeigt hatte, gab der Landammann seiner Nichte einen Wink, ein wenig zu ihm zur Seite zu treten; jedoch während er sich von ihr über ihre Wanderung berichten ließ, beobachtete er Vater und Sohn, soweit sein natürliches Gefühl für Schicklichkeit es ihm erlaubte. Indessen benahmen die beiden bei ihrem Wiedersehen sich ganz anders, als der biedere Schweizer erwartet hatte. Wir haben den älteren Philippson bereits als einen Vater geschildert, der innig an seinem Sohne hing und bereit war, sich in den Tod zu stürzen, als er ihn verloren glaubte. Allein wie viele seiner Landsleute, verbarg der Engländer die starken, lebhaften Gefühle, die ihn bewegten, unter einem Anschein von Kälte und Zurückhaltung. Als er seinen Sohn erblickte, beflügelte er die Schritte, doch als sie einander gegenüberstanden, sprach er eher in einem Tone des Tadels und der Ermahnung als der zärtlichen Vaterliebe. – »Arthur, mögen Dir die Heiligen die Bekümmernis vergeben, die Du mir an diesem Tage verursacht hast!« – »Amen!« versetzte der Jüngling. »Ich bedarf der Verzeihung, so ich Euch bekümmert habe. Dennoch glaubt, daß ich in der besten Absicht handelte.« – »Gut ist's, Arthur, daß Deine eigensinnige Laune der besten Absicht entsprang, sonst wäre sie vielleicht Dein Tod gewesen.« – »Daß sie es nicht war,« antwortete der Sohn bescheiden und unterwürfig, »das verdanke ich diesem Mädchen« – und dabei zeigte er auf Anna, die wenige Schritte weit von ihm stand. – »Dem Mädchen soll mein Dank werden,« sagte der Vater, »sobald ich nur erst weiß, auf welche Weise ich ihr gebührend danken kann; allein hältst Du es für schicklich und geziemend, von einem Mädchen den Beistand anzunehmen, den Du als Mann vielmehr dem schwächeren Geschlecht erweisen solltest?« – Arthur senkte das Haupt, und hohe Röte trat auf seine Wangen; während Arnold Biedermann, der sich in des Jünglings Gefühle zu versetzen wußte, vorschritt und Teil an der Unterredung nahm. »Seid nicht niedergeschlagen, mein junger Gast,« sagte er, »daß Ihr Eure Rettung einem Menschen aus Unterwalden verdankt; denn unser ganzes Land verdankt seine Freiheit dieses Landes ebensosehr dem Mut und der Klugheit seiner Töchter wie seiner Söhne. Und Ihr, mein älterer Gast, der Ihr, wie ich meine, schon manches Jahr erlebtet und vielerlei Länder sahet, müßt oft schon mit angesehen haben, wie der Starke durch Hilfe des Schwachen, der Stolze durch den Beistand des Demütigen gerettet wurde.« »Mindestens,« versetzte der Engländer, »habe ich gelernt, nicht unnötigerweise über irgend einen Punkt mit einem Gastfreunde zu streiten, der mich so gütig aufnahm,« und nach einem Blicke auf seinen Sohn, aus dem die tiefste Rührung zu erglänzen schien, setzte er, während die Gesellschaft sich dem Hause zuwendete, eine Unterredung fort, die er mit seinem neuen Bekannten angeknüpft hatte, bevor Arthur und das Mädchen zu ihnen gekommen waren. Unterdessen fand Arthur Muße, die Gestalt und Züge seines schweizerischen Wirtes näher zu betrachten. Seine Kleidung wich im Schnitte nicht sehr von der oben beschriebenen Bekleidung des Mädchens ab. Sie bestand aus einem Oberkleide, das, ähnlich einem Hemd der neueren Zeit, über das Unterwams gezogen und nur an der Brust offen war. Allein das Untergewand des Mannes war bedeutend kürzer und hing nicht tiefer herab, als der »Kilt« oder Schurz der Hochlandsschotten; die Stiefel oder Gamaschen gingen bis über das Knie hinauf. Eine Mütze aus Marderfell, mit einem silbernen Schilde versehen, war das einzige Kleidungsstück, das einen Zierat aufwies. Der breite Gürtel war aus Büffelleder und wurde von einer Messingschnalle zusammengehalten. Die Gestalt des Mannes, der diese landesübliche, fast ganz aus der Wolle der Bergschafe und den auf der Jagd erbeuteten Tierfellen gefertigte Kleidung trug, würde Ehrfurcht eingeflößt haben, wo immer sie sich gezeigt hätte, und das besonders in jenen kriegerischen Tagen, wo man den Mann nach seinen Körperkräften maß. Arnold Biedermann hatte die breiten Schultern, die mächtige Muskulatur eines Herkules, dabei aber geistvolle Züge, eine offene Stirn und große blaue Augen. Es begleiteten ihn mehrere Söhne und Verwandte, Jünglinge, von denen er, zwischen ihnen hinschreitend, Ehrerbietung und Gehorsam als einen ihm gebührenden Tribut empfing; gleichwie eine Herde junger Spießer dem Königshirsch zu gehorchen pflegt. Als die Wanderer in Arnold Biedermanns Wohnung eintraten, sahen sie dort in einem geräumigen Gemach, das ein allgemeines Versammlungszimmer zu sein schien, den Tisch zu einem behaglichen, reichen Mahle gedeckt. An den Wänden hingen sinnbildliche Darstellungen von Ackerbau und Jagd. Der ältere Philippson betrachtete mit besonderem Interesse ein ledernes Koller, eine lange, schwere Hellebarde und ein großes Schwert – Gegenstände, die wie eine Trophäe aufgehängt waren. Daneben hing, jedoch staubbedeckt und ungeputzt, ein Helm mit Visier, wie ihn Ritter und geharnischte Männer zu tragen pflegen. Der goldene Reifen, der den Helm umschloß, deutete auf Geburt und Rang. Den Aufsatz bildete ein Geier von jener Art, die dem alten Schlosse den Namen gegeben hatten. Der englische Gast, der die Geschichte der schweizerischen Revolution gut kannte, hielt die Rüststücke denn auch mit Recht für Siegeszeichen aus dem früheren Kriege zwischen diesen Bergbewohnern und dem Lehnsherrn, dessen Joch sie abgeschüttelt hatten. Arnold Biedermann lud seine Gäste ein, an dem Tische Platz zu nehmen, und nun erschien die gesamte Bewohnerschaft dieses Anwesens und setzte sich nieder zu einer reichlichen Mahlzeit von Ziegenfleisch, Fischen, Milch, Käse und einem Gamsbraten, der das Hauptgericht bildete. Der Landammann selbst machte bei der Tafel den Wirt mit vieler Güte und Einfachheit und ermahnte die Fremden, nach Herzenslust zuzulangen. Ueber dem Essen knüpfte er eine Unterhaltung mit seinem älteren Gaste an, während die jungen Leute wie das Gesinde sich still verhielten. Ehe noch abgegessen worden war, ging hinter dem Flügelfenster der Speisehalle eine Gestalt vorbei, die bei alle denen, die ihrer ansichtig wurden, eine lebhafte Bewegung hervorzurufen schien. »Wer war es denn?« fragte der alte Biedermann diejenigen, die dem Fenster gegenübersaßen. – »Unser Vetter, Rudolph von Donnersberg,« antwortete einer der Söhne Arnolds. Den jüngeren Söhnen des Landammannes schien diese Antwort großes Vergnügen zu bereiten; während das Haupt der Familie nur in ernstem und ruhigem Tone sagte: »Unser Vetter ist willkommen – sagt ihm das, und laßt ihn hereinkommen!« – Zwei oder drei Jünglinge erhoben sich, als seien sie nicht miteinander einig, wer von ihnen diesem neuen Gaste die Ehrenbezeugung zu erweisen hätte. Der Ankömmling trat inzwischen herein: ein junger Mann von ungewöhnlicher Länge, wohlgebaut und rüstig, dicke, dunkelbraune Locken wallten ihm um das Angesicht und von noch dunklerem Braun war der Knebelbart. Die Kappe, die er trug, war im Verhältnis zu seinem starken Haupthaar zu klein, und statt das Haupt zu bedecken, hing sie nur auf einer Seite. Sein Kleid war von gleichem Schnitt und gleicher Beschaffenheit wie das Arnold Biedermanns, allein es war aus feinerem Stoff auf deutschem Webstuhl gefertigt und auf reiche und phantastische Art geschmückt. Ein Aermel seines Wamses war dunkelgrün und mit Schnüren und mit Silberstickerei verziert, während der übrige Teil des Kleidungsstückes scharlachrot war. Sein Degengehänge war mit Gold durchwirkt und trug einen Dolch mit silbernem Griffe. Er hatte Stiefel an, deren Spitzen so lang waren, daß sie nach der Mode des Mittelalters, sich schnabelförmig aufwärts bogen. Eine goldene Kette, an der eine Schaumünze aus gleichem Metall befestigt war, hing ihm um den Hals. Dieser rüstige Jüngling wurde augenblicklich von den Verwandten Biedermanns umringt. Die schweizerische Jugend schien in ihm ein Vorbild zu erblicken, nach dem man sich in Benehmen, Aeußerungen, Sitten und Kleidung zu richten hätte. Von zwei Personen jedoch wurde, wie es Arthur Philippson bedünken wollte, der junge Mann mit weniger Begeisterung empfangen. Arnold Biedermann selbst war mindestens nicht allzusehr über das Erscheinen des jungen Berners – denn Bern war Rudolfs Geburtsort – erfreut. Der junge Mann zog ein versiegeltes Päckchen aus dem Busen, das er mit besonderer Hochachtung dem Landammann überreichte. Er schien zu erwarten, daß Arnold, nachdem er das Siegel gelöst und den Inhalt überblickt, ihm etwas darüber sagen würde. Allein der Patriarch lud ihn bloß zum Sitzen ein und nötigte ihn, teil am Mahle zu nehmen; worauf Rudolf neben Anna von Geierstein einen Platz fand, der ihm von einem der Söhne Arnolds mit bereitwilliger Höflichkeit eingeräumt wurde. Ferner schien auch das Mädchen den jungen Gecken nur sehr kühl zu behandeln, so sehr er sich gegen sie auch der gesuchtesten Artigkeit befleißigte. Offenbar war es sein innigster Wunsch gewesen, an ihrer Seite zu sitzen, und über dem Bemühen, sich ihr angenehm zu machen, kam er nur wenig zum Essen. Während Arthur diese Betrachtung anstellte, ließ sich der Familienvater einen weingefüllten Becher geben, und nachdem er die beiden Fremden ersucht hatte, ihm aus einem ziemlich großen Becher von Ahornholze Bescheid zu tun, trank er dem Rudolf von Donnersberg zu, – »Jedoch Ihr, Vetter,« sprach er dabei, »seid an heißere Weine gewöhnt, als die halbreifen Trauben vom Geierstein zu liefern vermögen. – Solltet Ihr es Euch wohl denken können, Herr Handelsmann,« fuhr er, gegen Philippson gewendet fort, »daß es Bürger in Bern gibt, die sich ihren Wein aus Frankreich und Deutschland kommen lassen?« – »Mein Verwalter mißbilligt das,« versetzte Rudolf, »jedoch nicht jeder Ort hat Weinpflanzungen wie der Geierstein, der alles hervorbringt, was Herz und Augen wünschen mögen.« – Dies sagte er mit einem Blicke auf seine Nachbarin, die nicht geneigt schien, das Kompliment anzunehmen; während der Berner Gesandte fortfuhr: »Allein unsere bemittelten Bürger, die etliche überflüssige Krontaler haben, halten es nicht für Vergeudung, ihr Geld gegen einen Becher besseren Weines einzutauschen, als unsere Berge hervorbringen können. Wir werden mäßiger sein, wenn wir erst bei den Weinfässern Burgunds sind!« – »Wie versteht Ihr das, Vetter Rudolf?« fragte Arnold Biedermann. – »Mich dünkt, verehrter Herr und Vetter,« antwortete der Berner, »die Briefe müssen Euch gemeldet haben, daß unser Reichstag nahe daran ist, dem Lande Burgund den Krieg zu erklären.« – »So? Und Ihr kennt also den Inhalt dieser Depeschen?« fragte Arnold. »Da sieht man, wie die Zeiten in Bern sich geändert haben. Seit wann starben alle ergrauten Staatsmänner Helvetiens, daß unsere verbündeten Kantone unbärtige Knaben zu ihren Beratungen heranziehen?« Halb beschämt, halb um zu rechtfertigen, was er vorhin gesagt hatte, versetzte der junge Mann: »Der Magistrat zu Bern und der Reichstag des Schweizerlandes setzen die jungen Leute von ihren Absichten in Kenntnis, seitdem sie eingesehen haben, daß eben das junge Volk diese ihre Pläne auszuführen hat. Der Kopf, der zu denken hat, darf wohl auch dem Arm vertrauen, der das Schwert zu führen hat.« – »Doch nicht eher, als bis es aus der Scheide gezogen werden soll, junger Mann,« antwortete sehr ernsthaft der alte Biedermann. »Was für ein Ratgeber ist derjenige, der leichtfertig die Geheimnisse in Staatsangelegenheiten vor Weibern und Fremden ausplaudert? Geht, Rudolf; Ihr alle geht und prüft an männlichen Leibesübungen, wer unter Euch am besten imstande ist, dem Vaterlande zu dienen. Halt, junger Mann,« rief er Arthur zu, der mit aufgestanden war; »an Euch war das nicht gerichtet. Ihr seid es nicht gewöhnt, über die Berge zu reisen, und bedürft wohl der Ruhe.« »Nicht so, Herr, mit Erlaubnis,« sagte der ältere Reisende; »wir in England halten dafür, daß man sich von einer Erschöpfung am besten erholt, indem man zu einer anderen Körperanstrengung übergeht, so z.B. erfrischt sich bei uns, wer sich müde gelaufen hat, durch einen Ritt besser als im Daunenbett. Wenn Eure jungen Leute es also erlauben, so wird mein Sohn an ihren Uebungen teilnehmen.« – »Er wird rohe Spielgenossen in ihnen finden,« antwortete der Schweizer, »doch geschehe nach Eurem Gefallen!« Demzufolge gingen die Jünglinge in den offenen Raum vor dem Hause, Anna von Geierstein und etliche von der weiblichen Dienerschaft setzten sich auf eine Bank, um zu urteilen, welcher seine Sache am besten machen würde, und bald hörten die beiden Alten, die in der Halle sitzen blieben, Geschrei, Gelächter, und alle jene Zeichen von Beifall oder Spott, mit denen junges Volk dem männlichen Spiele folgt. Der Hausherr ergriff noch einmal die Weinflasche, deren Rest er in seinen Becher goß, nachdem er zuvor das Trinkgeschirr seines Gastes gefüllt hatte. »In einem Alter, werter Fremdling,« sprach er dann, »wo das Blut kühler wird und man nicht mehr so rasch von einem Gefühle zum andern springt, erweckt ein mäßig gefüllter Becher Weins lichte Gedanken und macht die Glieder geschmeidig. Dennoch wünschte ich fast, Noah hätte nimmer die Traube gepflanzt, seitdem ich in neuerer Zeit mit eigenen Augen gesehen habe, wie meine Landsleute den deutschen Wein hinabgießen, bis sie daliegen wie die Schweine.« – »Ich habe auch bemerkt, daß dieses Laster,« sagte der Engländer, »in Eurem Vaterlande mehr und mehr überhand nimmt, während es doch, wie ich hörte, vor einem Jahrhundert hier noch ganz unbekannt war.« – »Das war es,« entgegnete der Schweizer, »denn Wein wurde hier wenig gebaut und vom Auslande überhaupt nicht eingeführt, weil fürwahr niemand hier die Mittel besaß, Wein oder sonst etwas, was unsere Täler nicht selbst hervorbrachten, zu kaufen. Allein unsere Siege haben uns Reichtümer wie Ruhm erworben, und nach der Meinung mindestens eines Schweizers stünde es ohne beides besser um uns, wenn wir nicht mit Ruhm und Reichtum zugleich auch die Freiheit errungen hätten. Bei alledem ist es etwas wert, daß der Handel gelegentlich zu unsern abgelegenen Bergen Gäste führt, wie Ihr einer seid, würdiger Herr, an dessen Worten man einen Mann von Einsicht und Unterscheidungsvermögen erkennen kann; denn ich sehe wohl ein, daß wir Bergbewohner durch Männer, wie Ihr seid, mehr von der Welt um uns her erfahren, als wir aus uns selbst vermöchten. Ihr habt beschlossen, sagtet Ihr, nach Basel und von dort in das Lager des Herzogs von Burgund zu ziehen?« – »So ist's, werter Gastfreund,« sprach der Handelsmann, »das heißt, wenn ich unbehelligt reisen kann.« – »Wegen Eurer Sicherheit seid unbesorgt, sobald Ihr zwei oder drei Tage verweilen könnt; denn nach dieser Frist werde ich selbst die Reise und zwar unter einer Bedeckung unternehmen, die vor jeder Gefahr Schutz gewähren wird, Ihr sollt in mir einen zuverlässigen und treuen Geleitsmann finden, und ich werde von Euch viel über andere Länder erfahren, die besser kennen zu lernen für mich von Wichtigkeit ist. Soll es gelten?« – »Der Vorschlag ist zu sehr zu meinem Vorteil, als daß ich ihn ablehnen könnte,« sagte der Engländer; »darf ich indessen nach dem Zweck Eurer Reise fragen?« »Ich schmähte vorhin jenen Burschen,« antwortete Biedermann, »daß er über öffentliche Angelegenheiten ohne Ueberlegung und in Anwesenheit des gesamten Hausgesindes sprach; allein meine Sendung brauche ich vor einem achtenswerten Manne, wie Ihr, der alles bald durch das öffentliche Gerücht erfahren wird, nicht geheim zu halten. Ihr kennt ohne Zweifel den Haß, der zwischen Ludwig XI. von Frankreich und Karl von Burgund herrscht, den man den Beinamen des Kühnen gibt; und da Ihr, wie ich aus früherem Gespräch mit Euch entnahm, diese Länder besucht habt, so seid Ihr wahrscheinlich von den mancherlei Ursachen des Zwistes unterrichtet. Jetzt bietet Ludwig, dessen List und Schlauheit die Welt nicht zu durchschauen vermag, indem er große Summen an etliche der Räte unserer Nachbarn in Bern verteilt, indem er selbst in den Staatsschatz dieses Kantons Schätze fließen läßt, alles auf, um die Berner in einen Krieg mit dem Herzog zu verwickeln. Karl dagegen verfährt, wie er häufig zu tun pflegt, ganz so, wie Ludwig es wünscht. Unsere Nachbarn und Verbündeten, die Berner beschränken sich nicht wie wir in den Waldstätten auf Viehzucht und Ackerbau, sondern treiben bedeutenden Handel, den der Herzog von Burgund zu verschiedenen Malen durch Erpressungen und Gewalttaten seiner Offiziere in den Grenzstädten beeinträchtigte, was Euch ohne Zweifel auch bekannt ist. Es wird Euch daher nicht wunder nehmen, wenn, von einem Monarchen verhätschelt, vom andern verletzt, stolz auf frühere Siege und begierig nach ausgedehnter, Macht, Bern und die Städtekantone unseres Bundes, deren Repräsentanten vermöge ihres größeren Reichtums und ihrer besseren Erziehung in unserm Reichstag mehr zu sagen haben als wir in den Waldstätten, für den Krieg sind, der bis jetzt der Republik jederzeit Sieg, Wohlhabenheit und Erweiterung des Besitzes eingebracht hat. Doch wir sollten aus unseren ehemaligen Siegen eine bessere Lehre ziehen. Als wir für unsere Freiheit fochten, segnete der Herr unsere Waffen; allein, wird er das auch tun, wenn wir entweder für Landeserweiterung oder für französisches Gold streiten?« – »Eure Zweifel sind gerecht,« sagte der Kaufmann; »allein, angenommen, Ihr zöget das Schwert, um der Willkür Burgunds ein Ende zu machen?« – »Hört mich an, guter Freund,« antwortete der Schweizer, »es mag sein, daß wir in den Waldkantonen zu gering von den Handelsangelegenheiten denken, die die Berner Bürger so sehr beschäftigen. Bei alledem wollen wir unsere Nachbarn und Eidgenossen im gerechten Streite nicht verlassen; und es ist schon so ziemlich ausgemacht, daß eine Deputation an den Herzog von Burgund geschickt werden soll, um Milderung und Abhilfe zu erbitten. Auf Antrag des jetzt zu Bern versammelten allgemeinen Reichstags soll ich an dieser Gesandtschaft beteiligt sein. Daher also die Reise, auf der mir Eure Gesellschaft erwünscht wäre.« – »Es soll mir sehr lieb sein, in Eurer Gesellschaft zu reisen, würdiger Gastfreund,« sagte der Engländer, »allein da ich ein aufrichtiger Mann bin, so sage ich Euch, daß mich dünkt, Eure Gestalt und Haltung gleiche eher der eines Kriegsheroldes als der eines Friedensboten.« »Und ich möchte dagegen sagen,« versetzte der Schweizer, »daß Eure Redeweise und Eure Gesinnung, verehrter Gast, eher zum Schwerte als zum Meßstabe passe.« – »Ich wurde für das Schwert erzogen, werter Herr, ehe ich die Tuch-Elle in die Hand nahm,« entgegnete Philippson, »und es mag sein, daß ich noch jetzt mehr, als klug sein dürfte, zu meinem ehemaligen Beruf hinneige.« – »Ich dachte es mir,« sprach Arnold, »aber da fechtet Ihr wahrscheinlich unter dem Banner Eures Vaterlandes gegen einen auswärtigen, allgemeinen Feind; und in solchem Falle will ich einräumen, daß der Zweck des Krieges die notwendige Rücksicht auf das große Leid vergessen läßt, das Gottes Geschöpfe auf beiden Seiten einander im Kampfe zufügen. Allein der Krieg, in welchem ich mitkämpfte, hatte nicht diese glänzende Außenseite. Es war der unglückliche Zürcherkrieg, wo Schweizer ihre Piken gegen Landsleute richteten. Von solchen Erinnerungen sind Eure kriegerischen Rückblicke wahrscheinlich frei.« Der Kaufmann senkte das Haupt und drückte die Hand an seine Stirn gleich einem, dem quälende Erinnerungen plötzlich erweckt werden. »Ach,« sprach er, »ich verdiene es, die Bekümmernis zu fühlen, die Eure Worte mir einflößen. Welche Nation kann das Weh Englands nachempfinden, wenn sie nicht gleiches Weh erlitt – welches Auge kann solches Weh durchschauen, wenn es nicht sah, wie ein Land zerfleischt und blutend dem Streite zweier Parteien erlag, Schlachten in allen seinen Provinzen lieferte, seine Ebenen mit Leichen anfüllte und Schafotte im Blut schwimmen ließ! Selbst in Euren friedlichen Tälern, meine ich, müßt Ihr von den Bürgerkriegen in England gehört haben?« – »Ich erinnere mich dessen allerdings,« sagte der Schweizer. »Allein, diese Kämpfe sind beendigt?« – »Einstweilen, so scheint es,« entgegnete Philippson, Während er so sprach, wurde an die Tür geklopft. Der Hausherr rief: »Herein!« die Tür ging auf, und Anna von Geiersteins liebliche Gestalt erschien. Viertes Kapitel Das schöne Mädchen nahte sich mit jenem halb zaghaften, halb sicheren Blicke, der einer jungen Hauswirtschafterin so lieblich steht, sobald sie zu gleicher Zeit verschämt und stolz ob der hausmütterlichen Pflichten ist, die sie erfüllen soll; und flüsterte ihrem Oheim etwas in das Ohr. »Und konnten die müßigen Buben nicht selbst ihre Botschaft überbringen – statt Dich zu schicken?« Dann streichelte er freundlich ihre Locken mit seiner vollen Hand und erwiderte: »Den Buttisholzer Bogen, meine Liebe? Sind doch die Jünglinge zuverlässig nicht stärker geworden, seit dem vorigen Jahre, und da konnte noch keiner von ihnen den Bogen spannen. Doch da hängt er, samt seinen drei Pfeilen, wer ist der weise Ritter, der zu einem Kampfspiele rief, in welchem er sicherlich überwunden werden wird?« – »Der Sohn dieses Herrn, mein Oheim,« sprach das Mädchen. »Er vermag es mit meinen Vettern im Rennen, Springen, Gerwerfen oder Steinschleudern nicht aufzunehmen und hat sie herausgefordert mit dem englischen Zielbogen um die Wette zu schießen.« – »Nun, einen englischen Bogen soll er haben!« rief Arnold, »Nimm ihn dem jungen Manne mit, liebe Nichte, mitsamt den drei Pfeilen, und sage ihm in meinem Namen, daß wer ihn spannt, mehr tut als Wilhelm Teil oder der berühmte Stauffacher.« Inzwischen hatte Anna unter den Waffen einen außerordentlich starken Bogen, der weit über sechs Fuß lang war, und drei Pfeile hervorgeholt, deren jeder über eine englische Elle maß; Philippson wünschte die Waffen zu besehen und untersuchte sie genau. »Aus zähem Eibenholze,« sprach er. »Ich muß das wissen, da ich zu meiner Zeit mit dergleichen umzugehen wußte. Was mich aber wunder nehmen muß, ist, an diesem Orte einen Bogen zu sehen, der von Matthias von Doncaster, einem Bogenfertiger, gemacht wurde, der vor wenigstens hundert Jahren lebte und wegen der Zähigkeit und Stärke der Waffen, die er lieferte, hochberühmt war.« – »Wie wollt Ihr so genau wissen, wer ihn gefertigt hat, werter Gast?« fragte der Schweizer. – »Das erkenne ich an dem Zeichen des alten Matthias,« antwortete der Engländer, »und an den Anfangsbuchstaben seines Namens, die in das Holz geschnitzt sind. Ich staune nicht wenig, solche Waffe, und in so gutem Zustande, hier anzutreffen.« »Der Bogen ist gehörig geölt und gut in Ordnung gehalten worden,« sagte der Landammann, »da er als Siegeszeichen eines merkwürdigen Tages aufbewahrt wird. In den Tagen meines Großvaters, war eine starke Schar räuberischer Soldaten, Menschen aus fast allen Ländern, hauptsächlich aber der Engländer, Normannen und Gascogner, in den Aargau und die angrenzenden Gegenden eingefallen. Sie wurden von einem berühmten Krieger namens Inegelram von Courcy geführt, der Ansprüche auf das Besitztum des Herzogs von Oesterreich zu besitzen vorgab und deshalb ohne weiteres nicht nur das österreichische Land, sondern auch das unserer Eidgenossen verheerte. Seine Truppen fügten uns viel Leid zu, und wir verloren gegen sie mehr als eine Schlacht. Doch bei Buttisholz trafen wir auf sie und brachten ihnen eine schwere Schlappe bei. Der riesige Hügel, der die Gebeine der Männer und ihrer Rosse deckt, wird noch heutigen Tages der englische Grabhügel genannt.« – Etliche Minuten lang schwieg Philippson; dann versetzte er: »So laßt sie in Frieden ruhen. Wenn Sie unrecht taten, so bezahlten sie es mit ihrem Leben, und das ist alles mögliche Lösegeld, das ein Sterblicher für seine Untaten zahlen kann. – Der Himmel nehme ihre Seelen in seinen Schutz!« – »Amen!« entgegnete der Landammann, »so wie die Seelen aller braven Leute! Mein Großvater wohnte jener Schlacht bei und hat sich dabei als tapferer Kriegsmann bewiesen. Dieser Bogen ist seitdem sorgfältig in unserer Familie aufbewahrt worden. Es ist eine Prophezeiung damit verbunden, allein ich halte es nicht der Mühe wert, ihrer Erwähnung zu tun.« Philippson wollte weiter forschen, allein er wurde durch einen draußen laut erschallenden Schrei des Erstaunens und der Ueberraschung unterbrochen. – »Ich muß hinaus,« sagte Biedermann, »und sehen, was diese wilden Burschen treiben. Es ist jetzt nicht in diesem Lande, wie ehedem, wo die Jugend nicht eher wagte, über etwas zu urteilen, als bis des Greises Stimme gehört worden war.« – Er ging zur Halle hinaus, und sein Gast folgte ihm. Die Gesellschaft, die den Spielen zugeschaut hatte, plauderte, schrie lachend auf und stritt durcheinander, während Arthur Philippson ein wenig abseits stand und mit anscheinender Gleichgiltigkeit sich auf den ungespannten Bogen lehnte. Alles war still, als der Landammann erschien. – »Was bedeutet dieses Lärmen?« fragte er und wendete sich an den ältesten seiner Söhne. »Rüdiger, hat der junge Fremde den Bogen gespannt?« »Er hat es getan, Vater,« sagte Rüdiger, »und hat auch das Ziel getroffen. »Drei solche Schüsse selbst hat Wilhelm Tell nimmermehr getan.« – »Es war Zufall – bloßer Zufall,« rief der junge Schweizer aus Bern. »Wie sollte ein junger Bursche dazu imstande sein, der bei allem anderen, was er mit uns versuchte, durchfiel.« – »Aber was ist denn geschehen?« sagte der Landammann und setzte schnell hinzu: »Ei, sprecht nicht alle zugleich! Anna von Geierstein, Du hast mehr Verstand und gute Erziehung als diese Burschen. Erzähle Du mir den Hergang des Spieles!« Das Mädchen schien über diese Aufforderung ein wenig betreten, antwortete jedoch mit ruhigem, gesenktem Blicke: »Das Ziel war wie gewöhnlich eine an einen Pfahl gebundene Taube. Alle jungen Männer, ausgenommen der Fremde, hatten mit der Armbrust und dem Zielbogen danach geschossen, jedoch ohne zu treffen. Als ich den Buttisholzer Bogen herausbrachte, bot ich ihn zuerst meinen Vettern. Keiner wollte ihn annehmen, indem jeder, verehrter Ohm, sagte, daß eine Aufgabe, die Ihr nicht lösen könnt, auch zu schwer für sie sein würde.« – »Wohlgesprochen,« antwortete Arnold Biedermann, »und der Fremde? spannte er den Bogen?« – »Er tat es, mein Oheim, doch zuvor schrieb er etwas auf ein Blatt Papier und legte es mir in die Hand.« – »Und dann schoß er und traf das Ziel?« fragte der überraschte Schweizer. – »Zuvor,« antwortete Anna, »setzte er den Pfahl um hundert Ellen weiter von dem Orte zurück, wo er zuerst gestanden.« – »Sonderbar,« fügte der Landammann, »das ist das Doppelte der gewöhnlichen Entfernung.« – »Dann zog er den Bogen an und schoß nacheinander mit unglaublicher Schnelligkeit die drei Pfeile, die er in seinen Gürtel gesteckt hatte. Der erste Pfeil drang in den Pfahl, der zweite zerschoß das Band der Taube, der dritte tötete das arme Tier, als es in die Lüfte flatterte.« – »Bei unserer heiligen Mutter zu Einsiedeln!« sagte der alte Mann, indem er verwundert aufblickte, »so Eure Augen dies wirklich sahen, so sahen sie ein Bogenschießen, wie es in den Waldstätten zuvor nimmer gesehen ward.« – »Ich sage Nein dazu, mein verehrter Herr und Vetter,« rief Rudolf von Donnersberg in unverhohlenem Verdruß; »es war bloßer Zufall, wenn nicht gar Augenverblendung oder Hexerei.« »Was sagst Du selbst dazu, Arthur,« fragte Philippson halb lächelnd, »trafst Du aus Zufall oder dank Deiner Geschicklichkeit?« – »Mein Vater,« sprach der Jüngling, »ich brauche Euch nicht zu sagen, daß ich nur tat, was jeder gewöhnliche englische Bogenschütze kann. Auch rede ich nicht, um jenem dummstolzen, unwissenden Jüngling zu antworten. Allein unserm würdigen Gastfreund und seinen Hausgenossen gebe ich Bescheid. Dieser junge Mann klagt mich an, ich hätte der Leute Augen verblendet oder das Ziel nur zufällig getroffen. Eine Täuschung ist unmöglich, denn Ihr seht dort den angeschossenen Pfahl, das zerschnittene Band und den getöteten Vogel; und wenn überdies das hübsche Mädchen dort den Zettel öffnen will, den ich ihr in die Hand legte, so wird sie darin lesen, daß ich noch vorm Bogenspannen genau bestimmte, in welcher Reihenfolge ich treffen wollte.« – »Zeige das Papier, liebe Nichte,« sagte ihr Oheim, »und ende den Zwist.« – »Mit Eurer Erlaubnis, nein, mein werter Gastfreund,« sprach Arthur, »es enthält nur etliche kleine Reime, die an des Mägdleins Augen gerichtet sind.« – »Und mit Eurer Erlaubnis, ja, mein junger Herr,« entgegnete der Landammann. »Was für meiner Nichte Augen sich schickt, das mag auch mein Ohr erreichen,« Er nahm das Papier aus der Hand seiner Nichte, die es errötend hingab. Die Buchstaben auf dem Zettel waren so schön geschrieben, daß der Landammann überrascht ausrief: »Kein Schreiber von St. Gallen hätte zierlicher schreiben können. – Sonderbar,« setzte er hinzu, »daß eine Hand, die so fest eine Bogensehne anzuziehen vermag, leicht genug ist, so niedliche Buchstaben zu malen!« Dann rief er aus: »Aha! Verse! Bei der heiligen Jungfrau, Verse! Was, haben wir Minnesänger hier, die sich als Handelsleute verkleideten?« Dann las er folgende Zeilen von dem Papier: »Treff ich den Pfahl dort sowie Band und Taube, Wort hielt ein Schütz aus England dann, das glaube! Ach, holdes Mädchen, zieltest Du nach mir, Ein Blick tät mehr als die drei Pfeile hier.« »Das sind Reime, mein werter Gast,« sprach der Landammann kopfschüttelnd, »schöne Worte, um hübschen Mädchen den Kopf zu verdrehen. Doch entschuldigt Euch deshalb nicht, es ist das so Sitte in Eurem Lande, und wir verstehen uns darauf, es als solche Modesitte zu behandeln.« – Und ohne weiter auf die Verse anzuspielen, deren Lesung den Dichter wie das Mädchen, dem sie galten, in nicht geringe Verlegenheit brachte, fügte Herr Arnold ernsthaft hinzu: »Ihr müßt eingestehen, Rudolf von Donnersberg, daß der Fremde auch wirklich die drei Punkte traf, die er sich zum Ziele setzte.« »Daß er sie traf, liegt am Tage,« antwortete der Angeredete; »Allein, daß er sie wacker traf, mag zu bezweifeln sein, sobald es Dinge wie Hexerei und Zauberei auf dieser Welt gibt.« – »Schämt Euch, schämt Euch, Rudolf, können Wahn und Neid, einen so wackeren Jüngling, wie Ihr seid, beeinflussen, einen Jüngling, von dem meine Söhne Mäßigung, Schonung, Aufrichtigkeit und männliche Tapferkeit lernen sollten?« – Der Berner errötete, als ihm dieser Vorwurf gemacht wurde, und gab keine Antwort. Aber während Arnold und der ältere Philippson hinwegschritten und die Jünglinge sich wieder ihren Spielen widmeten, trat er an Arthur heran und flüsterte ihm rasch zu: »Ihr Handelsleute verkauft Handschuhe – habt Ihr jemals einzelne verkauft, oder setzt Ihr sie nur paarweise ab?« – »Ich verkaufe Handschuhe nicht einzeln,« versetzte Arthur, der den Sinn der Frage sofort verstand und dem es sehr willkommen war, den Berner für die beleidigende Verdächtigung von vorhin zu strafen. »Doch bin ich jederzeit bereit, mein Herr, einen einzelnen Handschuh einzutauschen.« – »Ihr seid schlau, wie ich sehe,« sagte Rudolf; »blickt auf die Spieler, während ich rede, sonst argwöhnt man, was wir vorhaben. Wenn wir unsere Handschuhe austauschen, wie soll jeder den seinigen wieder einlösen?« – »Durch unsere guten Schwerter,« versetzte Arthur Philippson. – »In Rüstung, oder so, wie wir hier sind?« – »Ei, wie wir hier sind,« sagte Arthur. »Mir ist kein anderes Gewand gerecht als dieses Wams, so wie keine andere Waffe als mein Schwert. – Nennt Zeit und Ort!« – »Bei Sonnenaufgang im alten Schloßhof des Geiersteins,« erwiderte Rudolf, »hier ist mein Handschuh!« – »Und hier ist der meinige!« sagte Arthur. Fünftes Kapitel Der Landammann von Unterwalden und der ältere Philippson gingen, als sie die jungen Leute bei ihren Scherzen und Spielen zurückgelassen hatten, gemeinsam weiter, indem sie sich hauptsächlich über die politischen Angelegenheiten Frankreichs Englands und Burgunds unterhielten, bis das Gespräch sich änderte, als sie in den alten Schloßhof des Geiersteins eintraten, in dessen Mitte sich der einsame, von andern Ruinen umringte Turm erhob. – »Das ist seinerzeit ein stolzer, fester Bau gewesen,« sagte Philippson, – »Es war ein stolzes, machtvolles Geschlecht, dem es gehört hat,« versetzte der Landammann. »Die Grafen von Geierstein haben eine Geschichte, die hinaufreicht bis in die Zeiten der alten Helvetier. Allein alle irdische Größe hat ein Ende, und freie Leute wandeln jetzt auf den Ruinen der Zwingburg ihres Lehnsherrn.« – »Ich gewahre,« sagte der Kaufmann, »auf einem Steine unter jenem Turmgesims, wie mich dünkt, das Wappen der Familie: einen Geier, der auf einem Felsen sitzt.« – »Es ist das alte Wahrzeichen des Hauses,« erwiderte Arnold Biedermann. »Ich bemerkte auch in Eurem Saale,« fuhr der Handelsmann fort, »einen Helm, der auf seinem Kamme eben dies Wahrzeichen trägt. Er ist wohl auch ein Andenken an einen Sieg der Schweizer Landleute über die Edlen von Geierstein?« – »Nein, lieber Herr. Als die Schweizer sich von der Sklaverei freimachten, wurde zwar manches stolze Schloß aus gerechter Rache des gereizten Volkes geplündert und zerstört, aber den Geierstein traf dieses Schicksal nicht. Das Blut der alten Besitzer dieser Türme fließt noch in den Adern dessen, der heute diese Ländereien besitzt. – »Wie habe ich das zu verstehen, Herr Landammann?« fragte Philippson. »Seid Ihr nicht selbst Besitzer dieser Gegend?« »Und wahrscheinlich denkt Ihr,« versetzte Arnold, »ich könne nicht von altadeligem Geschlecht abstammen, weil ich gleich andern Hirten lebe, weil ich ein selbstgesponnen und selbstgewebtes Gewand trage und den Pflug mit eigener Hand lenke? Es gibt in diesen Kantonen manchen Bauersmann von adeliger Abstammung, aber diese Edlen haben freiwillig auf ihre Rechte als Lehnsherren verzichtet,« »Allein,« erwiderte der Kaufmann, der noch nicht mit dem Gedanken vertraut werden konnte, daß sein schlichter Wirt ein Mann von vornehmer Geburt war, »Ihr tragt nicht den Namen Eurer Väter, werter Herr – jene waren, sagt Ihr, Grafen von Geierstein, und Ihr seid.« – »Arnold Biedermann, Euch zu dienen,« versetzte der Landammann, doch brauche ich nur den Helm dort aufzusetzen oder eine Falkenfeder auf meine Mütze zu stecken, so kann ich mich Arnold, Graf von Geierstein nennen. Schon mein Großvater Heinrich von Geierstein, machte gemeinsame Sache mit den verbündeten Bauern, um de Courey's räuberische Schar zu verjagen, wie ich Euch schon erzählte, und als der Krieg mit Oesterreich wieder anfing, focht mein Ahnherr im Gegensatz zu vielen Adeligen, die es mit Kaiser Leopold hielten, an der Spitze der verbündeten Schweizer und trug durch seine Geschicklichkeit und Tapferkeit zu dem entscheidenden Siege bei Sempach bei. Mein Vater dachte ebenso wie mein Großvater, schloß sich eng an den Kanton Unterwalden, wurde Mitglied der Eidgenossenschaft und tat sich so hervor, daß er zum Landammann der Gemeinde gewählt wurde. Er hatte zwei Söhne, mich und meinen jüngeren Bruder, Albert, und äußerte bei seinem Tode den Wunsch, daß einer seiner Söhne Graf von Geierstein bleiben, der andere als freier Insasse von Unterwalden leben und seinen Mitbürgern sich widmen sollte. Er bot mir, als seinem ältesten Sohne die weite Besitzung von Geierstein an, und schlug meinem jüngeren Bruder vor, schweizerischer Bauer und Bürger zu werden. Der aber erhob Einspruch. »Nein, Vater,« sprach er, »Geierstein ist ein Reichslehn, und nach dem Gesetz habe ich ein Anrecht, auf die Hälfte des Besitztums. Soll mein Bruder ein Graf von Geierstein sein, so bin ich nicht minder Graf Albert von Geierstein; und ich werde eher den Kaiser anrufen, als mir Rang und Stand nehmen lassen, sei es auch durch meinen Vater.« – »Geh,« sagte dieser voller Zorn, »stolzer Knabe, klage gegen Deinen Vater bei einem willkürlichen Fürsten. Geh, doch komm mir nicht wieder vor Augen und fürchte meinen ewigen Fluch!« Schon wollte Albert heftig antworten, da erklärte ich mich mit dem Wunsche meines Vaters einverstanden und bereit, Bauer und Bürger von Unterwalden zu werden. So ward denn Albert zum Erben des Schlosses und Ranges unter dem Titel Graf Albert von Geierstein erklärt, und ich wurde Besitzer dieser Felder und reichen Matten, aus deren Mitte mein Haus sich erhebt, und meine Nachbarn benannten mich Arnold Biedermann. Mein Bruder erhielt noch andere Besitzungen in Schwaben und Westfalen und kam nur selten auf sein väterliches Schloß, das er von einem Vogt verwalten ließ, der sich bei den Untergebenen des Grafen höchst verhaßt machte. Aber auch mein Bruder, wenn er bisweilen den Geierstein besuchte, wußte sich durchaus nicht beliebt zu machen. Er hörte nur auf seinen grausamen, eigennützigen Vogt, Ital Schreckenwald genannt, und selbst meine Vorstellungen waren in den Wind geredet. Mich sah er für einen rohen und beschränkten Bauer an, der das edle Blut seines Stammes durch gemeine Neigungen besudelte. Bei jeder Gelegenheit ließ er gegen seine Landsleute merken, wie tief er sie verachtete. Mit Vorliebe trug er auf der Mütze eine Pfauenfeder, obgleich er wußte, daß dies Abzeichen des Hauses Oesterreich im Schweizerlande tödlich gehaßt wurde und. daß mancher schon bloß deshalb erschlagen worden war, weil er dieses Abzeichen getragen. Inzwischen heiratete ich meine Berta, die jetzt eine Heilige im Himmel ist und mir sechs Söhne schenkte, von denen Ihr heute fünf an meinem Tische gesehen habt. Auch Albert nahm eine Frau – eine Adelige aus Westfalen, Er hatte nur eine Tochter: Anna von Geierstein, Dann brach der Krieg zwischen unseren Waldstätten und der Stadt Zürich aus, die sich zu Oesterreich schlagen wollte. Mein Bruder ergriff nicht nur die Waffen für des Kaisers Sache, sondern nahm auch in die Feste Geierstein eine Schar österreichischer Söldner auf, mit denen der gottlose Ital Schreckenwald die ganze Umgebung, mit Ausnahme meines kleinen väterlichen Erbes, verwüstete. Ich zog gegen diese Räuber und Strauchdiebe, und der Kampf wurde mit wechselndem Glücke geführt. Während meiner Abwesenheit brannte der Vogt von Geierstein mein Haus nieder und erschlug meinen jüngsten Sohn, der seinen väterlichen Herd verteidigte. Meine Aecker wurden verwüstet, meine Herden weggetrieben. Dafür, glückte es dann mir, mit Hilfe einer Schar Bauern aus Unterwalden, das Schloß Geierstein zu erstürmen. Die Burg wurde entfestigt.« »Und was sagte Euer Bruder dazu?« – »Er war sicherlich des Glaubens, ich hätte sein Schloß in der Absicht genommen, mich dadurch zu bereichern. Er schwur sogar, mich in offener Feldschlacht aufzusuchen und mit eigener Hand zu erschlagen. Wirklich fochten wir beide in der Schlacht bei Freienbach; aber mein Bruder war durch einen Pfeil verwundet worden und mußte weggetragen werden. Nachher nahm ich noch an den blutigen Gefechten auf dem Hirzelberge und bei der Sankt Jakobskapelle teil, nach denen Zürich zur Nachgiebigkeit genötigt und Oesterreich nochmals gezwungen war, Friede mit uns zu schließen. Nach diesem Kriege, der dreizehn Jahre währte, erließ der Reichstag ein Urteil lebenslänglicher Verbannung gegen meinen Bruder Albert und hätte auch seine Besitzungen konfisziert, nur daß man in Rücksicht auf die Dienste, die ich dem Lande geleistet hatte, davon absah. Als der Spruch dem Grafen von Geierstein mitgeteilt ward, gab er eine trotzige Antwort; jedoch nicht lange Zeit nachher zeigte uns ein Umstand, daß Albert doch noch an seinem Vaterlande hing und auch meiner unverändert gebliebenen Liebe zu ihm Gerechtigkeit widerfahren ließ.« »Ich möchte meinen Kredit verwetten,« sagte der Handelsmann, »daß das, was nun folgt, Eure Nichte betrifft.« – »Ganz richtig,« versetzte der Landammann. »Wir hörten also, daß mein Bruder am Hofe des Kaisers in hohen Gnaden gestanden hätte, jedoch vor kurzem verdächtigt und in die Verbannung geschickt worden wäre. Kurze Zeit, nachdem uns diese Kunde geworden, und es sind, wie mich dünkt, jetzt etwa sieben Jahre her, kehrte ich von der Jagd am jenseitigen Flußufer zurück, war wie gewöhnlich über die schmale Brücke geschritten und ging durch den Hofraum, als eine Stimme in deutscher Sprache ausrief: »Ohm, habt Mitleid mit mir!« Als ich mich umschaute, gewahrte ich ein Dirnlein von zehn Jahren, das aus den Ruinen scheu hervortrat und mir zu Füßen sank. Bittend hob sie die Händlein zu mir auf. »Bin ich Dein Ohm, kleines Mädchen,« sagte ich, »wie kannst Du Furcht vor mir hegen?« – »Weil Ihr das Haupt der gottlosen und schändlichen Bauern seid, die ihre Freude daran finden, das Blut der Edlen zu vergießen,« versetzte die Dirne mit einem Mute, der mich überraschte. – »Wie heißt Du, mein kleines Mädchen?« fragte ich, »wer hat Deinen Verwandten so bei Dir angeschwärzt, und wer brachte Dich hierher?« – »Ital Schreckenwald,« sagte das Kind, das nur zur Hälfte meine Fragen verstehen mochte. – »Ital Schreckenwald!« denn schon der Name dieses Verhaßten brachte mich in Wut. Eine Stimme, die wie das dumpfe Echo aus einem Grabe erscholl, rief aus den Ruinen: »Ital Schreckenwald!« und der Schuft trat aus seinem Schlupfwinkel hervor und stand mir gegenüber. Ich hatte meinen Bergstecken in der Hand – schon wollte ich ihn niederschlagen – allein er war unbewaffnet, eine Bote meines Bruders, – ich durfte mich nicht an ihm vergreifen. Er begann in der ihm eigenen Verwegenheit: »Vasall des edlen, hochgeborenen Grafen von Geierstein, vernimm die Worte Deines Herrn und leiste ihnen Gehorsam! Zieh' die Mütze ab und horche; denn ist auch die Stimme mein, so sind es doch die Worte des edlen Grafen.« – »Gott und Menschen wissen,« versetzte ich, »ob ich meinem Bruder Hochachtung und Unterwürfigkeit schuldig bin; es ist viel, wenn ich aus Rücksicht gegen ihn seinem Botschafter nicht die Peitsche gebe. Fahre fort, und befreie mich möglichst bald von Deiner verhaßten Gegenwart.« – »Albert von Geierstein, Dein Herr und mein Herr,« fuhr Schreckenwald fort, »sendet seine Tochter, die Gräfin Anna, und vertraut sie Deiner Obhut, bis er soweit seine Zwecke erreicht haben wird, daß er sie von Dir zurückfordern mag. Er verlangt, daß Du zu ihrem Unterhalte die Renten und Erträgnisse der Ländereien von Geierstein verwendest, die Du ihm entrissen hast.« – »Wenn die Umstände, wie Du sagst, es meinem Bruder unmöglich machen,« antwortete ich, »seine Tochter bei sich zu behalten, so werde ich ihr ein Vater sein, und es soll ihr an nichts mangeln. Die Ländereien von Geierstein aber sind dem Staate verfallen, das Bergschloß ist zerstört worden, wie Du siehst, und daran trägt die größte Schuld Deine Schändlichkeit. Und somit hast Du Deine Botschaft – geh von hinnen, so Dir Dein Leben lieb ist; denn gefährlich ist's, höhnisch zum Vater zu reden, während Deine Hände mit dem Blute seines Sohnes gefärbt sind.« Der Elende entwich, als ich so sprach, und erlöste mich aus der schweren Versuchung, unter der ich rang, mit seinem Blute den Ort zu benetzen, wo er viele seiner Grausamkeiten und Verbrechen verübt hatte. Ich begleitete meine Nichte in mein Haus und überzeugte sie bald, daß ich ihr treuester Freund war. Gleich als wäre sie meine Tochter, machte ich sie vertraut mit der Lebensweise auf unseren Bergen. Jetzt gilt Anna von Geierstein mit Recht für die Krone des Bezirkes; dabei zweifle ich nicht, daß, wenn sie einen würdigen Mann zum Gatten wählen sollte, der Staat ihr ein reiches Heiratsgut aus ihres Vaters Besitzungen zufließen läßt, da es bei uns nicht Grundsatz ist, das Kind um der Fehler seiner Eltern willen zu strafen.« »Es wird natürlich Euer sehnliches Verlangen sein, mein würdiger Gastfreund,« entgegnete der Engländer, »Eurer Nichte eine Heirat zu sichern, wie ihre Geburt und Ansprüche, vor allem aber ihr Verdienst es erheischen.« – »Das ists eben, mein ehrlicher Gast,« sagte der Landammann, »was schon oft meine Gedanken beschäftigt hat. Allzunahe Verwandtschaft verbietet es mir, Anna einen meiner eigenen Söhne heiraten zu lassen. Jener Rudolf von Donnersberg ist tapfer und geachtet bei seinesgleichen, aber zu ehrgeizig und streberhaft, auch jähzornig, wenn auch von Herzen gut. Doch werde ich wohl, wenn auch auf etwas unangenehme Weise, von aller Sorge befreit werden, denn mein Bruder, der sie sieben Jahre lang anscheinend vergessen hatte, schrieb mir kürzlich, ich solle Anna zurückgeben. – Ihr könnt lesen, werter Herr, denn Euer Gewerbe verlangt das. Seht, hier ist die Rolle. Lest laut, ich bitte Euch!« Demzufolge las der Kaufmann: »Bruder – ich danke Euch für die Sorge, die Ihr für meine Tochter getragen habt, denn sie ist in Sicherheit gewesen, während sie ohne Euch in Gefahr hätte leben müssen. Ich bitte Euch jetzt, sie mir zurückzuliefern, und hoffe, sie wird gern bereit sein, die Gewohnheiten einer Schweizer Bäuerin gegen die Anmut eines hochgeborenen Fräuleins zu vertauschen. – Lebt wohl, ich danke Euch nochmals für Eure Sorgfalt, die ich Euch vergelten würde, so es in meiner Macht stände. Ich verbleibe Euer Bruder Geierstein.« – »Der Brief,« setzte der Engländer hinzu, »ist überschrieben: »An den Grafen Arnold von Geierstein, genannt Arnold Biedermann.« Eine Nachschrift bittet Euch, das Mädchen an den Hof des Herzogs von Burgund zu senden. – Dies, lieber Herr, scheint mir die Sprache eines stolzen Mannes zu sein, der zwischen Erinnerung an frühere Beleidigung und wiedererwachtem Pflichtgefühl schwankt. Wollt Ihr nun, das schöne, liebenswürdige Mädchen dem, wie es scheint, halsstarrigen Vater zurückgeben, ohne vorher zu fragen, was er mit ihr im Sinne hat, oder wie sie überhaupt bei ihm aufgehoben sein wird?« – Der Landammann versetzte hastig: »Das Band, das Vater und Kind verknüpft, ist das älteste und heiligste. Ich wollte das Mädchen nur nicht allein reisen lassen, sonst wäre meines Bruders Wunsch schon erfüllt. Da ich jetzt aber selbst an den Hof Karls ziehen muß, so habe ich beschlossen, Anna mitzunehmen. Da ich selbst einmal meinen Bruder sprechen will, den ich seit vielen Jahren nicht gesehen habe, so werde ich ja hören, was er mit seiner Tochter vorhat. Vielleicht kann ich ihn dazu bestimmen, daß er das Mädchen auch fernerhin bei mir läßt.« Indem sie also miteinander sprachen, erreichten sie den Rasen vor Arnold Biedermanns Wohnung wieder, wo die Jünglinge nach beendetem Wettstreit ein Tänzchen machten. Kaum jedoch erschien der Landammann mit seinem Gaste, so war Anna, die mit dem jungen Philippson getanzt hatte, die erste, die diese Gelegenheit ergriff, den Tanz abzubrechen und sich mit ihrem Verwandten wegen einer unter ihrer Aufsicht stehenden Wirtschaftsangelegenheit zu besprechen. Philippson gewahrte, daß sein Wirt achtsam auf die Frage seiner Nicht hörte und nach seiner gewohnten freimütigen Weise mit einem Kopfnicken sein Einverständnis zu erkennen gab. Nach dem Abendessen führte man die Gäste in ein Schlafgemach, wo Philippson und der junge Arthur ein und dasselbe Lager einzunehmen hatten, und bald darauf waren sämtliche Insassen des Hauses in tiefen Schlaf versunken Sechstes Kapitel Der ältere von unseren beiden Reisenden schlief, wiewohl er ein starker, an Mühsal gewöhnter Mann war, fester und länger als gewöhnlich an dem Morgen, der jetzt zu dämmern begann. Aber seinem Sohne Arthur lag etwas auf dem Herzen, das seinem Schlummer frühzeitig ein Ende machte. Der Zweikampf mit dem kecken Schweizer, einem tüchtigen Abkömmling aus einem berühmten Kriegsstamme, war ein Geschäft, das nach den Begriffen der damaligen Zeit nicht auf die lange Bank geschoben werden durfte. Er verließ das Lager, das er mit dem Vater teilte, so behutsam wie möglich, um jenen nicht zu wecken, obgleich der Vater sich nicht weiter darüber gewundert hätte, daß sein Sohn so früh aufstand, denn das war er an ihm gewöhnt. Jedoch der alte Mann, den die Anstrengungen des gestrigen Tages ermüdet hatten, schlief fester als sonst, und Arthur, sein gutes Schwert am Gurt, schritt über den Rasen, der vor des Landammannes Wohnung lag. Die Sonne küßte eben die Spitze der Gewaltigsten unter den Bergen, während das Gras unter des Jünglings Füßen noch im Schatten lag. Allein Arthur blickte nicht auf. Nachdem er eilig die Felder und das Gehölz durchschritten, die des Landammanns Behausung von der alten Feste Geierstein trennten, trat er in den Burghof von der Seite ein, von wo aus das Schloß das ebene Land überblickte; und in demselben Augenblick zeigte sich auch schon sein fast riesenhafter Gegner, der im bleichen Morgenlicht noch länger und stärker erschien als am Abend vorher. Er schritt über die gefährliche Brücke, die über dem Waldstrom hing; denn er hatte einen andern Weg als der Engländer benutzt. Der junge Kämpe aus Bern trug über den Schultern eines jener ungeheuren doppelgriffigen Schwerter, deren Klinge fünf Fuß Länge maß, und die mit beiden Händen geschwungen wurden. Diese Schwerter waren bei den Schweizern fast allgemein gebräuchlich. Die Spitze schlug gegen seine Ferse, der Griff aber ragte noch ein gutes Stück über seinen Kopf hinaus. Ein zweites Schwert gleicher Gattung trug er in der Hand. – »Du bist pünktlich,« rief er Arthur Philippson mit einer Stimme zu, die das Gebrause des Wasserfalles übertönte. »Aber ich konnte mir's wohl denken, daß Du ohne doppelgriffiges Schwert kommen würdest. Hier ist das meines Vetters Ernst,« setzte er hinzu, indem er die Waffe, die er in der Hand trug, so auf den Boden hinwarf, daß das Heft dem jungen Engländer zugekehrt dalag. »Sieh zu,« fuhr er fort, »Fremdling, daß Du es nicht entweihest, denn mein Vetter würde Dir das nimmer verzeihen. Oder Du kannst auch das meinige bekommen, so es Dir lieber sein sollte.« Der Engländer blickte mit einiger Ueberraschung auf die ihm ganz fremde Waffe. »In allen Ländern,« sprach er, »wo man die Ehre kennt, ficht der Herausforderer mit der Waffe des Geforderten.« »Wer auf einem Schweizerberg kämpft, ficht mit einem Schweizer Flamberg,« antwortete Rudolf. »Denkst Du, unsere Hände verstehen sich auf die Handhabung von Federmessern?« – »Und die unsrigen verstehen sich nicht darauf, Riesenschwerter zu schwingen,« sagte Arthur. – »Reut Euch der Tausch mit dem Handschuh?« fragte der Schweizer, »wenn dem so ist, so fleht um Gnade, und Ihr könnt unversehrt heimkehren.« – »Nimmer, hochfahrender Mensch,« erwiderte der Engländer, »bitte ich Dich um Gnade. Ich dachte soeben nur an einen Kampf zwischen einem Hirten und einem Riesen, in welchem Gott demjenigen den Sieg verlieh, der noch schlechtere Waffen hatte, als mir an diesem Tage zugefallen sind. Ich will fechten, so wie ich hier stehe, mein eigenes gutes Schwert soll auch mir jetzt in meiner Not dienen, wie es seither getan.« »Es sei! doch schilt mich nicht, denn ich habe Dir gleiche Waffen angeboten,« sagte der Bergbewohner, »Und jetzt höre mich an. Dies ist ein Kampf um Leben und Tod – jener Wasserfall donnert den Schlachtgesang zu unserm Gefecht. – Ja, alter Brüller!« fuhr er fort, indem er sich umsah, »es ist lange her, daß Du kein Kampfgetöse vernahmst, – und Du, Fremdling sieh ihn Dir an, bevor wir beginnen; denn so Du fällst, übergebe ich Deinen Leichnam seinen Fluten.« »Und so Du fällst, stolzer Schweizer,« antwortete Arthur, »da Deine Anmaßung Dir wohl zum Verderben gereichen dürfte, so will ich Dich in der Kirche zu Einsiedeln bestatten lassen, wo der Priester eine Messe für Deine Seele lesen soll. Dein doppelgriffig Schwert soll über Deinem Grabe aufgehängt werden, und eine Schrift dem Wanderer berichten: Hier liegt ein junger Bär aus Bern, den Arthur, der Engländer, erschlug.« – »Im ganzen Schweizerlande, wieviel Felsen es auch hat,« entgegnete Rudolph spöttisch, »findet der Stein sich nicht, der solche Inschrift tragen wird. Schicke Dich an zum Kampfe!« Der Engländer warf einen ruhigen und erwägenden Blick rings auf den Kampfplatz – einen Burghof, der zum Teil frei lag, zum Teil mit größeren oder kleineren Trümmerhaufen bedeckt war. »Mich dünkt,« sprach er zu sich selbst, »ein Meister seiner Waffe, der in Florenz das Fechten gründlich gelernt hat, ein freies Herz, eine gute Klinge, eine feste Hand und eine gerechte Sache mögen es wohl aufnehmen mit zwei Fuß geschliffenen Stahles.« Rudolf hatte anfänglich geglaubt, sein Gegner wäre ein weibischer Gesell, der vor ihm weichen würde, sobald er seine fürchterliche Waffe entblößte und schwänge. Allein die feste, und wachsame Stellung, die der Jüngling eingenommen hatte, erinnerte den Schweizer an die Mangelhaftigkeit seines eigenen unhandlichen Kampfgeräts, und er nahm sich vor, jede Uebereilung zu vermeiden, durch die seinem anscheinend ebenso kühnen wie umsichtigen Feinde ein Vorteil erwachsen konnte. Er zog sein ungeheures Schwert aus der Scheide – eine Arbeit, die etwas Zeit erforderte und seinem Gegner einen furchtbaren Vorteil gewährt hätte, wenn Arthur als Mann von Ehrgefühl es nicht verschmäht hätte, einen noch nicht zum Kampf gerüsteten Gegner anzugreifen. Der Engländer blieb unbeweglich stehen, bis der Schweizer seinen breiten, in der Morgensonne blitzenden Flamberg drei oder viermal geschwungen hatte, als wollte er dessen Gewicht und seine Gewandtheit erproben. Dann stellte der Schweizer sich auf Schwerteslänge seinem Feinde gegenüber, ergriff die Waffe mit beiden Händen und trat auf ihn zu, indem er die Klinge gerade ausgestreckt hielt. Der Engländer dagegen hatte sein Schwert in einer Hand und hielt es quer vors Gesicht, so daß er zu gleicher Zeit zu Stich, Stoß und Abwehr bereit war. »Schlag zu, Engländer!« rief der Schweizer, nachdem sie etwa eine Minute lang einander gegenüber gestanden hatten. »Das längste Schwert sollte wohl den ersten Streich führen,« sagte Arthur; und die Worte waren kaum über seine Lippen, als die Klinge des Schweizers sich erhob und mit einer Schnelligkeit niedersauste, die bei ihrer Schwere und riesigen Größe ganz erstaunlich war. Die geschickteste Parade hätte nichts vermocht gegen die Wucht dieses Hiebes, mit dem der Berner Kämpe den kaum begonnenen Kampf auch gleich zu enden hoffte, aber der junge Philippson konnte sich auf sein richtiges Augenmaß und die Geschmeidigkeit seiner Glieder verlassen. Bevor die Klinge herabfuhr, brachte er sich durch einen schnellen Seitensprung in Sicherheit, und ehe noch der Schweizer sein Schwert wieder heben konnte, erhielt er schon eine freilich nur leichte Wunde am linken Arm. Wütend über den Fehlschlug und über die Wunde, erhob der Schweizer nochmals seinen Flamberg, und nun prasselte auf seinen Gegner ein Hagel von Hieben mit so erstaunlicher Gewalt und Schnelligkeit herab, daß der junge Engländer alle Geschicklichkeit aufbieten mußte, um diesen Schlägen zu entrinnen, von denen jeder einzelne hingereicht hätte, einen Felsblock zu spalten. Philippson sprang gewandt hin und her und wartete nur auf den Augenblick, bis sein ergrimmter Feind sich müde gearbeitet hätte oder sich in seiner Kampfeswut eine Blöße geben würde. Das letztere geschah auch bald, denn bei einem besonders wuchtigen Hieb strauchelte der Schweizer über einen großen Stein, der im langen Grase versteckt lag, und erhielt, ehe er wieder feststand, von seinem Gegner einen derben Stoß an den Kopf. Im Futter seiner Mütze steckte aber eine kleine Stahlkappe, so daß er unverwundet blieb und, aufspringend, den Kampf mit unverminderter Wut, jedoch, wie es dem jungen Engländer schien, mit kürzerem Atem und vorsichtiger geführten Streichen fortsetzte. So fochten sie mit gleichem Glücke, als eine ernste Stimme, die das Geklirr der Schwerter und das Brausen des Wasserfalles übertönte, in herrschendem Ton ausrief: »Bei Eurem Leben – haltet inne!« Die beiden Fechter senkten ihre Schwerter, und die Unterbrechung eines Kampfes, der sicherlich ein tödliches Ende genommen hätte, kam beiden nicht unerwünscht. Sie blickten zur Seite und der Landammann stand vor ihnen und zeigte seine breite, ausdrucksvolle, vom Zorne gerunzelte Stirne, »Was, Jungen!« rief er, »seid Ihr Gäste des Arnold Biedermann, und entehrt sein Haus durch Gewalttaten!« – »Arthur,« sprach der ältere Philippson, der gleichzeitig mit ihrem Gastfreunde herangeschritten war, »welche Raserei? Liegt Dir nichts Wichtigeres ob, als Zank und Kampf mit dem ersten, besten Prahlhans und Tollkopf?« – Die Jünglinge blickten einander an und stützten sich auf ihre Waffe, – »Rudolf Donnersberg,« sprach der Landammann, »gib mir Dein Schwert, mir gib es, dem Eigner dieses Bodens, dem Haupte dieser Familie und der obrigkeitlichen Person dieses Kantons,« – Und was noch mehr ist,« antwortete Rudolf unterwürfig: »Euch, der Ihr Arnold Biedermann seid, auf dessen Befehl jeder Bewohner dieser Berge sein Schwert entblößt oder in die Scheide steckt.« Mit diesen Worten übergab er seinen doppelgriffigen Flamberg dem Landammann. »Nun bei meinem Ehrenwort,« sagte Biedermann, »es ist dies dasselbe Schwert, mit dem Dein Vater Stephan so rühmlich bei Sempach, Schulter an Schulter mit dem berühmten Arnold von Winkelried, focht! Schmach über Dich, daß Du es gegen einen schutzlosen Fremdling zogst! Und Ihr, junger Herr, wollte der Schweizer, gegen Arthur gewendet, fortfahren, als dessen Vater in dem Augenblicke sagte: »Arthur, überliefere Dein Schwert dem Landammanne.« – »Es wird nicht nötig sein, Herr,« sagte der junge Engländer; »denn was mich betrifft, so halte ich unsern Streit für geschlichtet. Dieser wackere Edelmann berief mich hierher, um, wie ich glaube, meinen Mut zu erproben: ich muß von seiner Ritterlichkeit und Waffentüchtigkeit das beste Zeugnis ablegen; und da ich hoffe, er werde nichts Schmähendes über mein männliches Betragen zu äußern haben, so meine ich, daß unser Zwist lange genug gedauert hat,« – »Zu lange für mich,« rief Rudolf freimütig; »der grüne Ärmel meines Wamses, den ich mir aus Liebe zu den Waldkantonen in dieser Farbe anfertigen ließ, ist jetzt so dunkelrot gefärbt als hätten ihn Färber von Ypern oder Gent unter den Händen gehabt. Allein von Herzen vergebe ich dem braven Fremden, daß er mir eine Lehre erteilt hat, die ich nicht so bald vergessen werde. Hier ist meine Hand, wackerer Fremdling! Du hast mich ein Fechterkunststück gelehrt, und wenn wir unser Frühstück eingenommen haben, wollen wir, so Dir's recht ist, in den Wald gehen, wo ich Dich ein Jägerstückchen lehren will. Ist Dein Fuß nur zur Hälfte so gewandt wie Deine Hand, und ist Deinem Auge nur ein wenig von der Festigkeit Deines Herzens zuteil geworden, so sollst Du nicht viele Jäger finden, die es Dir zuvor täten,« »Diese beiden Burschen hätten ein böses Spiel gespielt,« sagte der ältere Philippson, »wenn Ihr, mein würdiger Gastfreund, nicht ihr Vorhaben durchkreuzt hättet. Doch darf ich fragen, wie Ihr noch zu rechter Zeit etwas davon erfuhrt?« – »Das danke ich der Fee meines Hauses,« antwortete Biedermann, »die der gute Engel meiner Familie zu sein scheint; ich meine, meine Nichte Anna, die bemerkt hatte, daß die beiden Wagehälse einen Handschuh austauschten, und die Worte »Geierstein« und »Tagesanbruch« von ihnen gehört hatte. Ja Herr, es ist eine eigene Sache um eines Weibes Scharfsinn.« – »Ich hätte wohl Lust,« sagte der Engländer, »in Eurer Gegenwart dem Mädchen, dem ich so sehr verpflichtet bin, meinen Dank abzustatten.« – »Dazu habt Ihr in diesem Augenblick die beste Gelegenheit,« sagte der Landammann und damit rief er durch die Baumgruppen des Mädchens Namen. Anna von Geierstein hatte auf einem Hügel in einiger Entfernung gestanden und sich hinter einem Reisighaufen verborgen. Sie erschrak, als sie den Ohm rufen hörte, doch gehorchte sie sogleich, und indem sie den beiden Jünglingen, die vorausgeschritten, aus dem Wege ging, gesellte sie sich, einen Pfad durch das Gehölz einschlagend, zu dem älteren Philippson und dem Landammann. – »Mein würdiger Gast und Freund wollte mit Dir reden, Anna,« sagte der Landammann, nachdem der Morgengruß gegeben und erwidert worden war. Das Schweizermägdlein errötete auf Stirn und Wangen, als Philippson sie mit folgenden Worten anredete: »Es begegnet uns Kaufleuten bisweilen, meine schöne, junge Freundin, daß wir für den Augenblick nicht die Mittel besitzen, unsere Schulden zu tilgen; allein mit Recht ist derjenige unter uns als der niedrigste der Menschen zu betrachten, der diese seine Schulden nicht anerkennt. Genehmigt deswegen den Dank eines Vaters, dessen Sohn Ihr erst gestern vom Tode gerettet habt. Heute morgen nun hat Eure Klugheit ihn abermals aus großer Gefahr befreit. Macht mir die Freude und nehmt diese Ohrringe an!« fügte er hinzu, indem er ein Schmuckkästchen hervorzog und öffnete. »Sie sind freilich nur von Perlen, allein sie wurden dennoch nicht für unwürdig gefunden, in den Ohren einer Gräfin –« »Und wären deswegen,« unterbrach ihn der Landammann, »nicht am Platze bei einer Schweizerdirne aus Unterwalden, denn das und nichts weiter ist meine Nichte Anna, so lange sie unter meinem Dach weilt. Doch schlagen Dirnen,« fügte er hinzu, indem er gutmütig lächelte und einen der Ohrringe dicht vor Annas Gesicht hielt, »dergleichen Schmuck nicht gern aus. Deshalb, Anna, überlasse ich es ganz Deiner eigenen Einsicht, ob Du das kostbare Geschenk unseres rechtschaffenen Gastes annehmen und tragen willst oder nicht.« – »Da Ihr es mir erlaubt, mein teuerer Ohm und Freund,« sagte das junge Mädchen errötend, »so will ich unserm Gast nicht den Kummer bereiten, abzulehnen, was er mir so freundlich anbietet; doch mit seinem und Eurem Gutbefinden, will ich diese prächtigen Ohrgehänge dem heiligen Schrein Unserer lieben Frau zu Einsiedeln weihen, um der Mutter Gottes dadurch unsern gemeinschaftlichen Dank für die Gnade auszudrücken, mit der sie uns bei den Schrecknissen des gestrigen Sturmes und bei dem Zwischenfall dieses Morgens hilfreich gewesen ist.« Siebentes Kapitel Während die englischen Reisenden eine Woche auf Geierstein zubrachten, wurden im Schweizerlande Sitzungen oder Reichstage abgehalten. Bedrückt durch die Abgaben, die von dem Herzoge von Burgund ihrem Handel auferlegt und manchmal aufs grausamste eingetrieben wurden, verlangte man den Krieg, da man bisher stets siegreich gewesen war und Reichtum dabei geerntet hatte. Andererseits waren aber auch viele Gründe vorhanden, einen Krieg mit einem der begütertsten, hartnäckigsten und mächtigsten Fürsten zu vermeiden– denn ein solcher war Karl von Burgund sonder Frage. Jeder Tag brachte ans dem Binnenlande die erneute Kunde, daß Edward IV. von England, die Absicht hegte, seine Ansprüche auf die Provinzen Frankreichs, die seine Vorfahren so lange Zeit hindurch ihr eigen genannt hatten und deren Verlust ganz England als Schmach empfand, wieder geltend zu machen. Es schien, als ob dies das einzige wäre, was, nachdem er seine inneren Feinde bezwungen, noch zu seinem Ruhm fehlte. Die jüngste, zuverlässigste Kunde lautete, daß der König von England im Begriff wäre, in Person nach Frankreich hinüberzukommen – da er Calais bereits inne hatte, bot ein solcher Ueberfall keine Schwierigkeiten – und ein an Zahl und Kriegszucht so gewaltiges Heer mitzubringen, wie noch nie eines unter einem englischen Monarchen in Frankreich eingedrungen war. Alle Rüstungen seien bereits getroffen, und Edwards Antwort könnte täglich erwartet werden. – Ohne Zweifel würde es das klügste Verfahren von Karl von Burgund gewesen sein, wenn er im Bündnisse gegen seinen furchtbaren Nachbar, der sowohl sein Erbfeind als sein persönlicher Widersacher war, alle Ursachen zum Hader mit der schweizerischen Eidgenossenschaft, jenem armen, aber höchst kriegslustigen Volke, vermieden hätte, das bereits in wiederholten Siegen erkannt hatte, daß sein keckes Fußvolk die seither als Kern der europäischen Kampfheere betrachtete Ritterschaft nicht nur im Zaum zu halten, sondern sogar zu überwältigen imstande war. Aber Karl von Burgund, dem das Geschick den starrsinnigsten und schlauesten Monarchen seiner Zeit zum Feinde gegeben hatte, ließ sich in seinen Handlungen jederzeit von Leidenschaft und Laune bestimmen, ohne an eine bedächtige Erwägung der Umstände, in denen er sich befand, zu denken. Hochfahrend, stolz und übermütig, ohne deshalb jedoch der Ehre und Großmut zu ermangeln, verschmähte Karl ein Bündnis mit dem verachteten Jäger- und Hirtenvolk, und statt den Helvetischen Kantonen zu schmeicheln, wie sein listiger Gegner es tat, oder ihnen mindestens keine Ursache zum Hader zu geben, benützte er jede Gelegenheit, ihnen seine Geringschätzung zu zeigen, und machte kein Hehl aus seinem langgenährtem Verlangen, die wiederholten Siege wettzumachen, die sie über die Lehnsherren erfochten hatten, das Blut der Edlen an ihnen zu rächen und ihren Dünkel zu demütigen. Da der Herzog von Burgund im Elsaß Besitzungen hatte, war ihm mancherlei Gelegenheit geboten, seiner Erbitterung gegen die schweizerische Eidgenossenschaft Luft zu machen, – Das Städtchen und kleine Schloß La Ferette, das etwa sechs Stunden Weges von Basel liegt, diente zum Zwischenplatze des Handels von Bern und Solothurn, den beiden Hauptstädten der Eidgenossenschaft. Dorthin entsendete der Herzog seinen Statthalter oder Vogt, der zugleich Verwalter der Einkünfte war und dazu geschaffen schien, die Plage und Geißel der umwohnenden Freisassen zu sein.– Archibald von Hagenbach, ein deutscher Adliger, dessen Besitztum in Schwaben lag, galt allgemein für einen der wildesten und ruchlosesten Raubritter. Diese Wegelagerer übten, weil sie ihre Burgen vom heiligen römischen Reiche zu Lehen trugen, auf ihrem oft kaum eine Geviertmeile großen Gebiete völlige Gewaltherrschaft aus, erhoben Zölle und Wegegelder von Durchziehenden und verhafteten, verhörten und verurteilten diejenigen, die, wie sie behaupteten, sich auf ihrem winzigen Grund und Boden vergangen hatten, befehdeten sich untereinander, zogen auch gegen die freien Städte des Reiches und plünderten ohne Erbarmen die fahrenden Handelsleute, – Archibald Hagenbach, als einer der ärgsten Verfechter des Faustrechts, hatte wegen zahlreicher Unbilden flüchten müssen und war beim Herzog von Burgund in Dienst getreten, der ihn auch willig aufnahm, da der Ritter ein Mann von hoher Herkunft und großer Tapferkeit war; ja, Karl nahm ihn um so lieber auf, als er in einem Manne von Hagenbachs Wildheit, Raubsucht und hochfahrendem Wesen den gewissenlosen Vollstrecker der königlichen Willkür gefunden zu haben glaubte. Die Kaufleute von Bern und Solothurn führten nun heftige Beschwerde über Hagenbachs Bedrückung. Er erhöhte nach Belieben die Zölle, und wer sie nicht anstandslos entrichtete, wurde eingekerkert. Die deutschen Handel treibenden Städte klagten bei dem Herzoge gegen dieses feindselige Verfahren des Vogts von La Ferette und baten den durchlauchtigen Herrn, ihn des Amtes zu entsetzen; allein der Herzog behandelte ihre Vorstellungen mit Verachtung. Die Schweizer gingen mit ihren Beschwerden noch weiter und behaupteten, Hagenbach habe das Völkerrecht verletzt. Doch auch sie fanden kein Gehör. Der Reichstag der Eidgenossenschaft beschloß endlich eine feierliche Gesandtschaft, deren wir zu wiederholten Malen Erwähnung taten, abzuschicken. Etliche dieser Deputierten stimmten mit dem besonnenen und einsichtsvollen Arnold Biedermann in der Hoffnung überein, daß der Herzog sich einer so feierlich getroffenen Maßregel nicht verschließen werde; andere aus der Gesandtschaft, die minder friedliche Absichten hegten, waren entschlossen, durch dreistere Vorstellung den Weg zum Kriege zu bahnen. Arnold Biedermann war ein energischer Verfechter des Friedens, solange friedliches Verhalten sich mit der Unabhängigkeit des Landes und der Ehre der Eidgenossenschaft vertrug; der jüngere Philippson entdeckte jedoch bald, daß der Landammann in der Familie der einzige war, der so gemäßigte Gesinnungen hegte. Seine Söhne, durch die heftige Beredsamkeit und den überwiegenden Einfluß Rudolfs von Donnersberg bestimmt, der wegen persönlicher Tapferkeit und dank der Verdienste seiner Ahnen unter den Jünglingen der Eidgenossenschaft in hohem Ansehen stand, waren alle für den Krieg. Sobald bei den Beratschlagungen der Vogt von La Ferette genannt ward, hieß er gewöhnlich nur der Grenzkettenhund von Burgund oder der Elsasser Bullenbeißer; und man erklärte offen heraus, daß, wenn Archibald nicht von der schweizerischen Grenze entfernt würde, seine Feste ihm keinen Schutz gegen den Ingrimm der bedrückten Einwohner von Solothurn, besonders aber derer von Bern, gewähren dürfte. Diese allgemeine Stimmung der Schweizer für den Krieg war dem älteren Philippson durch seinen Sohn hinterbracht worden, und er war sich nun nicht schlüssig, ob er nicht lieber mit Arthur allein reisen solle, statt mit diesen kecken Gebirgssöhnen, deren zügelloses Benehmen ihn leicht in große Unannehmlichkeiten bringen konnte, wodurch aller Zweck seiner Reise vereitelt worden wäre; da jedoch Arnold Biedermann bei seiner Familie und seinen Landsleuten in hohen Ehren stand, so meinte der englische Kaufmann, daß im ganzen der Einfluß Arnolds imstande sein würde, seine Begleiter so lange im Zaume zu halten, bis die große Frage, ob Krieg, ob Frieden, entschieden wäre, und vor allen Dingen so lange, bis sie die Aufgabe ihrer Reise erfüllt und eine Audienz beim Herzog von Burgund erlangt hätten. Dann wollte er sich von ihnen trennen, um fürderhin nicht mehr für Handlungen gewissermaßen mit verantwortlich zu sein. Nach zehn Tagen langte die Gesandtschaft, die beauftragt war, beim Herzog über die Bedrückungen Archibalds von Hagenbach Beschwerde zu führen, endlich auf Geierstein an, von wo aus die Reise angetreten werden sollte. Es waren ihrer drei, außer dem jungen Berner und dem Landammann von Unterwalden. Einer war, wie Arnold, ein Grundeigentümer aus den Waldstätten, der wie ein einfacher Alphirt gekleidet war, aber durch die Schönheit und die Form seines langen silberfarbenen Bartes auffiel. Nicolaus Bonstetten hieß er. Melchior Sturmthal, Bannerträger von Bern, ein Mann mittleren Alters und ein Krieger von ausgezeichnetem Mute, und Adam Zimmermann, ein Abgeordneter von Solothurn, der bedeutend älter war, vervollständigten die Zahl der Gesandten. Die Abgeordneten reisten zu Fuß, ihre Stecken in der Hand, Pilgrimen gleich, die nach einem Wallfahrtsort zogen. Zwei Maultiere, mit etwas Gepäck beladen, wurden von etlichen jungen Burschen, den Söhnen oder Vettern der Mitreisenden, geführt. Leute, die in so wichtiger Angelegenheit reisten, konnten zu jener Zeit, und bei dem gänzlich ungeregelten Zustand des Landes jenseits ihrer Grenze, keinesfalls ohne Bedeckung bleiben. Es gab damals noch Wölfe in den Bergen, und auf den Ebenen trieben sich Rotten von Kriegsknechten, die diesem oder jenem Banner entlaufen waren, und ganze Banditenhaufen herum, die die Grenzen von Elsaß und den deutschen Ländern unsicher machten. Deshalb war die Gesandtschaft von ungefähr zwölf auserlesenen Jünglingen aus den verschiedenen Schweizerkantonen begleitet, und Arnolds drei älteste Söhne, Rüdiger, Ernst und Sigismund, waren unter der Zahl; doch beobachteten sie keine kriegerische Ordnung, sondern bildeten etliche Streifpartien von fünf oder sechs Mann und durchspürten so die Feldwege, Wälder und Engpässe, durch die der Weg der Abgeordneten führte. Bei der langsamen Gangart der Alten hatten sie Zeit, Wölfe und Bären zu erlegen oder gelegentlich ein Gemstier auf den Klippen zu jagen. Ein besonderer Ruf aus einem großen Stierhorn war das verabredete Zeichen, auf das sich alle bei etwaiger Gefahr an einem und demselben Punkte zusammenzufinden hatten. – Rudolf von Donnersberg, obschon um vieles jünger als mancher der mit im Zuge befindlichen Jünglinge, hatte den Oberbefehl über diese Leibwache der Gesandten erhalten. Natürlich zog Arthur Philippson die Gesellschaft und die Jägerei der jungen Gesellen der ernsten Unterhaltung und dem langsamen Weiterschreiten der Väter aus der Gebirgsrepublik vor. Allein, es war für ihn eine starke Versuchung vorhanden, sich auch öfters bei dem hinterherziehenden Gepäck aufzuhalten; denn im Nachtrab der Gesandtschaft befand sich, zusammen mit einem andern Schweizermädchen, Anna von Geierstein. Die beiden Mädchen ritten auf Eseln, die kaum mit dem Trabe der Maultiere Schritt halten konnten. Arthur Philippson hätte daher die Dienste, die Anna ihm erwiesen, einigermaßen wieder wettmachen können, indem er dem Mädchen durch rege Unterhaltung die langwierige Reise verkürzte. Aber er durfte es nicht wagen, eine Höflichkeit zu erzeigen, die die Landessitte zu verbieten schien; denn weder einer der Vettern noch Rudolf von Donnersberg kümmerten sich um das Mädchen, Die Bekanntschaft mit Anna von Geierstein vertraulicher zu gestalten, wollte Arthur jedoch schon deshalb vermeiden, um weder seinem Vater zu mißfallen, noch den Unwillen des alten Biedermann zu erregen. Somit beschränkte sich Arthur darauf, wenn Halt gemacht wurde, dem Mädchen einige Aufmerksamkeiten zu erweisen, die zu Rüge und Tadel keinen Anlaß geben konnten. Mittlerweile hatte der ältere Philippson andere, ernstere Gegenstände in Erwägung zu ziehen. Er war, wie der Leser schon ersehen haben muß, ein Mann, der die Welt kannte und bereits eine ganz andere Rolle darin gespielt hatte, als die war, in der er jetzt auftrat. Beim Anblick von Beschäftigungen, die auch er früher betrieben, wurden längst entschwundene Gefühle in ihm wach und rege. Das Bellen der Hunde, das von den rauhen Höhen und aus den düstern Wäldern widerhallte, die jungen tapferen Jäger, die, wenn sie ihr Wild aufspürten, sich zwischen himmelhohen Klippen und tiefen Abgründen zeigten, wo kaum noch Raum für den Fuß zu sein schien, die Hörnerklänge und das Halali, lockten ihn immer wieder, teil an dem verwegenen, jedoch herzerfrischenden Sport zu nehmen. Doch er unterdrückte dieses Gelüst und erforschte mit lebhaftem Interesse Sitten und Meinungen seiner Reisegefährten. Sie schienen allesamt einen Anflug von eben jener offenherzigen und reinen Einfachheit zu besitzen, durch die Arnold Biedermann sich auszeichnete, obgleich die andern nicht so ernst, im Denken geübt und einsichtig waren, wie der Landammann. In Gegenwart des älteren Philippson sprach man freimütig über die Anmaßungen des Herzogs von Burgund, erörterte die Mittel, die dem Schweizerlande zu Gebote standen, seine Unabhängigkeit zu behaupten, und beteuerte die feste Entschlossenheit, auch der äußersten Gewalt, die die Welt gegen sie aufbringen könnte, lieber Trotz zu bieten, als sich der geringsten Schmach zu beugen. Nach drei Tagen kam die Gesellschaft in die Nähe Basels, damals eine der größten Städte an der Südwestgrenze Deutschlands. Hier wollten sie für die kommende Nacht Quartier nehmen, durften sie dort doch auch einer freundlichen Aufnahme gewärtig sein. Freilich war damals die Stadt nicht Mitglied der schweizerischen Eidgenossenschaft, der sie erst im Jahre 1501 beitrat; allein sie war eine freie kaiserliche Stadt und stand in regem Verkehr mit Bern, Solothurn und andern Städten des Schweizerlandes. Die Gesandtschaft sollte ja einen Frieden zum Abschluß bringen, der der Stadt Basel ebenso willkommen sein mußte wie den Schweizern, und so erwarteten unsere Reisenden zu Basel eine freundliche Aufnahme. Das folgende Kapitel wird zeigen, inwieweit diese Erwartungen in Erfüllung gingen. Achtes Kapitel Die englischen Reisenden, der Bergwildnis überdrüssig, blickten jetzt mit Freuden auf ein Land hinab, das freilich noch uneben und hügelig, aber doch schon mit Kornfeldern und Weingärten geschmückt war. Der Rhein, dieser breite, große Fluß, zog sich wie ein grauer ungeheurer Streifen durch die Landschaft und teilte die an seinen Ufern liegende Stadt Basel in zwei Teile. Sie befanden sich noch eine halbe Stunde Weges von dem Eingange zur Stadt Basel, als ihnen eine Magistratsperson und zwei Bürger entgegenkamen, die auf Maultieren ritten und, nach der Ausrüstung der Tiere zu schließen, reiche vornehme Herren sein mußten. Sie begrüßten den Landammann von Unterwalden und dessen Gefährten auf ehrfurchtsvolle Weise. Allein die Zuversicht, gastlich empfangen zu werden, erlitt eine herbe Enttäuschung. Denn der Sprecher der Baseler Abgeordneten erwähnte zwar, daß die Stadt Basel mit den Städten der schweizerischen Eidgenossenschaft durch Freundschaft und allerlei Vorteile verbunden sei, schloß aber mit den Worten, daß aus gewissen schwerwiegenden Gründen, die zu geeigneter Zeit genügend erläutert werden sollten, die freie Stadt Basel an diesem Abend die hochgeehrten Gesandten, die auf Befehl des helvetischen Reichstages ins Hoflager des Herzogs von Burgund zögen, nicht in ihre Mauern aufnehmen könnte. Mit lebhaftem Interesse beobachtete Philippson, welche Wirkung diese unerwartete Eröffnung auf die Mitglieder der Gesandtschaft machte. Rudolf von Donnersberg schien minder überrascht zu sein als seine Gefährten, und während er stillschwieg, schien er erforschen zu wollen, wie sie über diesen Empfang dächten, und vorläufig keine Lust zu haben, seine Meinung kundzugeben. Schon öfters hatte der scharfsichtige Handelsmann wahrgenommen, daß dieser kecke, wilde Jüngling, sobald sein Vorhaben es erheischte, imstande war, der natürlichen Heftigkeit seiner Gemütsart Fesseln anzulegen. Was die andern betraf, so bewölkte sich die Stirn des Bannerträgers; das Angesicht des Insassen vom Solothurn erglühte gleich dem Monde, wenn er in Nordwesten aufgeht; der silberbärtige Deputierte von Schwyz blickte sehnsuchtsvoll auf Arnold Biedermann, und der Landammann schien tiefer bewegt, als es bei einem Manne von seinem Gleichmut gewöhnlich der Fall zu sein pflegte. Endlich sprach er zu dem Abgeordneten aus Basel mit vor Erregung leicht zitternder Stimme: »Dies ist eine sonderbare Botschaft an die Abgeordneten des Schweizerbundes, die in freundlicher Sendung ankommen. Dabei haben wir die Bürger Basels jederzeit als gute Freunde behandelt. Ein Obdach und die übliche Bewirtung weigert kein Staat den Bürgern eines befreundeten Staates.« – »Die Weigerung geschieht auch nicht mit dem Willen der Stadt Basel, würdiger Landammann,« erwiderte die Magistratsperson, »Nicht bloß Ihr und Eure würdige Genossen, sondern auch Eure Geleitsmänner und selbst Eure Lasttiere sollten in aller Gastfreundschaft aufgenommen werden, die die Baseler Bürger zu erweisen vermöchten – allein wir handeln unter Zwang,« – »Und von wem wird der ausgeübt?« fragte der Bannerträger, schon außer sich vor Zorn, »Hat der Kaiser Sigismund so wenig vom Beispiele seiner Vorfahren gelernt–?« – »Der Kaiser,« versetzte der Sprecher von Basel, indem er den Bannerträger unterbrach, »ist ein wohlgesinnter, friedlicher Herr, wie er es stets war; allein – es sind unlängst burgundische Kriegsknechte eingerückt, und unserer Stadt ist Botschaft geworden vom Grafen Archibald von Hagenbach–« – »Genug gesagt,« fiel ihm der Landammann ins Wort. »Ich begreife, Basel liegt der Feste La Ferette zu nahe, als daß es Basels Bürgern gestattet wäre, nach eigenem Ermessen zu handeln, Brüder, wir sehen Eure Verlegenheit, – wir bemitleiden Euch und verzeihen Euch Euer ungastliches Verhalten.« »Ei, so hört mich doch zu Ende, werter Herr Landammann,« antwortete die Magistratsperson, »hier in der Nachbarschaft liegt eine alte Jagdfeste der Grafen von Falkenstein, Grafslust genannt. Wohl ist sie verwittert, aber sie ist doch ein besseres Quartier als der freie Himmel. Auch könntet Ihr Euch darin zur Not verteidigen, obwohl Gott verhüten wolle, daß jemand Euch angreife. Und Ihr dort, meine werten Freunde, hört! so Ihr in dem alten Gebäude einige Erfrischungen als Wein, Bier und dergleichen findet, so bedient Euch ihrer ohne Bedenken: denn sie sind für Euch bestimmt.« – »Ich weigere mich nicht,« sagte der Landammann, »ein sicheres Obdach anzunehmen, denn wiewohl es nur aus kleinlicher Bosheit geschieht, daß man uns die Tore Basels verschließt, so hegt man vielleicht doch die Absicht, gewalttätig gegen uns vorzugehen. Für Eure Lebensmittel danken wir; allein mit meiner Zustimmung werden wir uns nicht auf Kosten solcher Freunde sättigen, die sich schämen, uns anders als verstohlenerweise anzuerkennen.« »Noch eins, mein würdiger Herr,« sagte der Baseler Beamte; »Ihr habt ein Mädchen in Eurem Zuge, die, wie ich vermute, Eure Tochter ist. Der Ort, zu dem Ihr zieht, eignet sich nicht zur Wohnung für Frauen, wie gut wir ihn auch nach unsern besten Kräften einrichteten. Laßt daher Eure Tochter lieber mit uns nach Basel ziehen, wo meine Frau ihr eine Mutter sein wird bis zum nächsten Morgen, an dem ich sie sicher in Euer Lager geleiten werde. Wir versprachen unsere Tore vor den Männern der Eidgenossenschaft verschlossen zu halten, von den Weibern war dabei keine Rede.« – »Ihr seid gar feine Klügler, Ihr Männer von Basel,« antwortete der Landammann, »doch wisset, daß von der Zeit her, wo die Schweizer gegen Julius Cäsar zogen bis zu der gegenwärtigen Stunde, die Weiber des Schweizerlandes im Drange der Gefahr jederzeit im Lager ihrer Väter, Brüder und Ehegatten weilten und keine andere Sicherheit suchten, als der Mut ihrer Angehörigen ihnen verbürgte. Wir haben der Männer genug, um unsere Weiber zu beschirmen, und meine Nichte soll bei uns bleiben und das Geschick mit uns teilen, das der Himmel über uns verhängt hat.« – »So gehabt Euch denn wohl, würdiger Freund,« sagte die Magistratsperson, »es tut mir weh, also von Euch scheiden zu müssen, doch das Mißgeschick will es nicht anders. Der Wiesenweg dort drüber wird Euch zu der alten Burgfeste führen, wo der Himmel Euch eine ruhige Nacht bescheren möge. Es soll nämlich in diesen Ruinen nicht ganz geheuer sein.« – »Wenn wir durch Wesen gestört werden, die uns gleichen,« sprach Arnold Biedermann, »so haben wir gute Waffen und tüchtige Arme; sollten wir, wie Eure Rede andeutet, von Wesen anderer Natur heimgesucht werden, so haben wir, meine ich, ein gutes Gewissen und Vertrauen auf Gott, – Gute Freunde, meine Brüder in dieser Gesandtschaft, habe ich bisher auch in Eurem Sinne gesprochen?« – Die andern Abgeordneten erklärten sich mit allem einverstanden, was ihr Gefährte gesagt hatte, und die Bürger von Basel verabschiedeten sich aufs höflichste. »Feige Hunde!« rief Rudolf von Donnersberg, »möge der Metzger aus Burgund mit seinen Erpressungen ihnen das Fell über die Ohren ziehen!« – »Es wäre das allerbeste, wenn wir die Stadt erstürmten und sie mit gewaffneter Faust zwängen, uns Obdach zu gewähren!« rief Ernst, einer der Söhne Biedermanns. »Hörte ich,« versetzte der Vater, »die Sprache eines meiner Söhne oder war es die eines groben Lanzenknechtes, der nur Wohlgefallen hat an Gemetzel und Gewalttat? Wohin ist es mit der Bescheidenheit der schweizerischen Jünglinge gekommen, die gewohnt waren, zu warten, bis die Vater des Kantons sie zum Kampfe riefen? Verlasse unsern Zug morgen früh mit Tagesanbruch und kehre heim nach Geierstein! Wer nicht imstande ist angesichts seiner Landsleute und seines eigenen Vaters die Zunge zu hüten, ist noch nicht reif, in fremde Länder zu reisen!« Der junge Schweizer, offenbar tief erschüttert, beugte ein Knie und küßte die rechte Hand seines Vaters, während Arnold ohne das leiseste Zeichen von Verdruß ihm seinen Segen gab; und so trat Ernst ohne Widerrede zum Nachtrabe des Zuges. Die Gesandtschaft wanderte nun den angewiesenen Pfad entlang, an dessen Ende sich die gewaltigen Trümmer von Grafslust erhoben. Als die Wanderer näher kamen, begann es schon dunkel zu werden, und sie konnten bemerken, daß drei oder vier Fenster erleuchtet waren, wahrend die übrige Vorderseite des Gebäudes sich in Nacht hüllte. Am Orte angelangt, sahen sie, daß ein breiter, tiefer Graben ihn rings umgab, in dessen Oberfläche sich die Lichter spiegelten. Neuntes Kapitel Es währte nicht lange, so entdeckten unsere Reisenden den Brückenkopf oder das Vorwerk, auf welchem die Zugbrücke, wenn sie herabgelassen war, ehedem geruht hatte. Die Brücke selbst war längst verfallen. Ein leidlicher Uebergang aus Tannenbäumen und Brettern, der wahrscheinlich erst vor kurzem gemacht worden war, bildete den Zugang zum Haupttor, und von ihm aus ging es zu einem Saale, der anscheinend zum Obdach für sie eingerichtet worden war, so gut die Umstände es gestatteten. Ein großes Feuer aus wohlgetrocknetem Holze brannte lichterloh im Kamin. Am Ende des Gemaches war ein Holzvorrat aufgestapelt, der groß genug war, das Feuer zu unterhalten, auch wenn die Reisenden eine Woche lang dort geblieben wären. In der Mitte des Saales standen zwei oder drei lange, schon gedeckte Tische, und, als man sich genauer umsah, fand man in einem Winkel mehrere große Packkörbe, die kalte Speisen im mundrechten Zustand enthielten. Der ehrliche Solothurner blinzelte, als er sah, wie die jungen Leute das Abendessen aus den Körben packten und die Tafel damit belasteten. »Nun,« sprach er, »diese armen Männer von Basel haben ihre Ehre gerettet, denn wenn sie's uns am Willkommen gebrechen ließen, so haben sie doch für eine reiche Mahlzeit gesorgt.« »Ach, Freund,« sprach Arnold Biedermann, »das beste Mahl ist nichts wert, wenn der Wirt es unter seiner Würde hält, mitzuspeisen. Doch nach seinen bedenklichen Worten scheint es geraten zu sein, über Nacht sorgsam Wache zu halten, ja ich schlage vor, daß etliche unserer jungen Gesellen von Zeit zu Zeit die alten Ruinen umgehen. Der Platz ist fest und wehrfähig, und auch dafür sind wir unsern Quartiermeistern Dank schuldig. An Eure Pflicht denn, Ihr Burschen! untersucht die Ruine sorgfältig, – sie birgt vielleicht noch mehr als uns.« Alle billigten diesen Vorschlag, Die jungen Männer griffen nach Fackeln, von denen ein großer Vorrat zu ihrem Gebrauche dalag, und unternahmen eine strenge Durchforschung der Ruine. Der größte Teil der Feste war noch viel verfallener und verödeter als der, den die Baseler Bürger zur Bequemlichkeit unserer Gesandtschaft hergerichtet hatten. An etlichen Stellen fehlte die Bedachung, und einige Gemächer lagen voller Schutt, Der Lichtschimmer, das Blinken der Waffen, der Schall der Menschenstimmen und Fußtritte scheuchten aus düstern Schlupfwinkeln Eulen, Fledermäuse und andere garstige Nachttiere. Die Späher stellten fest, daß der tiefe Graben ihren Zufluchtsort rings umgab und sie folglich gegen jeglichen Angriff von außen gesichert waren; denn den Haupteingang konnte man leicht verrammeln und mit Schildwachen besetzen. Auch überzeugten sie sich davon, daß wohl ein einzelner sich hier verborgen hätte halten können, keinesfalls aber eine der ihren an Zahl gleiche Schar. Sodann bezogen sechs Jünglinge unter Rudolf von Donnersberg Wache vor dem Gebäude. Beim ersten Hahnenschrei sollten sechs andere sie ablösen. Im Innern der Feste wurden ähnliche Vorsichtsmaßregeln getroffen. Ein alle zwei Stunden abzulösender Posten sollte am Haupttor und zwei andere an der entgegengesetzten inneren Seite des Gebäudes stehen, obgleich der Graben Sicherheit genug zu gewähren schien. Hierauf wurden aus einer Menge Heu und Stroh, das man in der weitläufigen Feste aufgeschichtet hatte, die Lagerstätten hergerichtet – ganz behagliche Betten für Leute, die im Kriege oder auf der Jagd oft mit weit schlechterem Nachtlager sich begnügt hatten. Die Aufmerksamkeit der Baseler war sogar soweit gegangen, daß sie für Anna von Geierstein ein bequemes Obdach in einem Gemach hergerichtet hatten, das ehedem wahrscheinlich die Speisekammer der Feste gewesen war. Man betrat es vom Saal aus, und außerdem hatte es eine Tür, die in die Ruinen führte. Diese Tür war vor kurzem erst in aller Eile, doch mit großer Sorgfalt aus Quadern und Trümmergestein hergestellt worden. Die Steine waren freilich nicht mit Mörtel verbunden, doch durch ihr Eigengewicht so festgelegt, daß ein Versuch, sie einzurennen, nicht nur die in der Kammer, sondern auch die im Saale sofort hätte aufwecken müssen. In diesem kleinen Gemache standen zwei Feldbetten, und auf dem Herde glühte ein großes Feuer, Wärme und Behaglichkeit verbreitend. »Wir sollten unsere Baseler Freunde bemitleiden, nicht aber Unwillen gegen sie hegen,« sprach Biedermann, als er dies sah, »Sie haben für uns getan, was sie bei ihrer Angst um die eigene Haut irgend konnten. Das ist keine Kleinigkeit, meine Herren, denn keine Leidenschaft ist so unaussprechlich selbstsüchtig wie die Furcht. – Anna, mein Kind, Du bist müde. Geh in die für Dich eingerichtete Kammer und Liesl soll Dir von diesen Speisen nachbringen, was für Dich zum Abendbrot am zuträglichsten ist.« – Indem er so sprach, führte er seine Nichte in das Nebengemach, wo er mit einer Art von Wohlgefallen umherblickte und dem Mädchen eine gute Nacht wünschte; doch eine Wolke auf Annas Stirn schien zu weissagen, daß ihres Oheims Wünsche nicht erfüllt werden würden. Von dem Augenblicke an, wo sie das Schweizerland verlassen, hatte sie traurig dreingeschaut; ihr ganzes Wesen verriet geheime Angst oder versteckten Kummer. Dies entging ihrem Ohm nicht, doch schrieb er es ihrem Schmerz zu, sich von ihm trennen zu müssen und den stillen Aufenthaltsort zu verlassen, an welchem sie so manches Jahr ihrer Jugend zugebracht hatte. Allein Anna von Geierstein hatte kaum das Gemach betreten, als sie heftig zu zittern begann; alle Farbe schwand aus ihren Wangen, sie sank auf eines der Feldbetten mit allen Anzeichen tiefinnerster Unruhe. »Wollte Gott, wir wären jetzt in Geierstein!« rief sie in schmerzlichem Tone. – »Wir werden dort sein, sobald wir unser Geschäft ausgerichtet haben,« sagte der ehrliche Landammann, »doch lege Dich jetzt auf Dein Ruhebett, Anna, –iß ein wenig und trinke ein Paar Tropfen Wein, so wirst Du morgen so fröhlich wie an einem Schweizerfeiertage erwachen, wenn die Schalmei das Morgenglöckchen klingen läßt.« Anna wünschte ihrem Oheim gute Nacht. Arnold Biedermann küßte seine Nichte und kehrte in den Saal zurück, wo seine Amtsgenossen mit Ungeduld seine Ankunft erwarteten, um sich zu Tisch zu setzen. Es war Arthurs Absicht, sich zu den Jünglingen zu gesellen, denen die Pflicht oblag, im Innern des Gebäudes oder um die Jagdfeste her Wache zu stehen. Er hatte sich in diesem Sinne mit Sigismund, dem dritten Sohne des Landammannes, besprochen. Nun wollte er nur rasch noch einen Blick von Anna von Geierstein erhaschen und bemerkte auf des Mädchens Antlitz einen so tiefen, feierlichen Ausdruck, daß er darüber alles andere vergaß und sich mit vieler Besorgnis fragte, weshalb wohl das Mädchen plötzlich so traurig gestimmt sei. Die liebliche, offene Stirn, die Augen, die reine, ihrer selbst sich bewußte Unschuld ausdrückten, die Lippen, die stets bereit zu sein schienen, nur in Güte und voll Vertrauen so reden, wie das Herz es ihnen eingab, hatten sich in diesem Augenblick in Charakter und Ausdruck völlig verändert. Ermüdung hätte wohl die Rosen von des Mädchens Wangen verscheuchen, ihr Auge trüben und ihre Stirn bewölken können; aber der Blick tiefer Bekümmernis, mit dem sie dann und wann zu Boden sah und bald darauf wieder starr und erschrocken sich umschaute, mußte seine Ursache in Gemütsbewegungen ganz anderer Art haben. Der junge Philippson heftete voll innigen Mitleids und unverhohlener Zärtlichkeit den Blick auf Anna von Geierstein, und die geräuschvolle Umgebung schien um ihn her zu verschwinden. Ihm war, als weile in der einsamen Feste kein Wesen, als nur er und das Mädchen, um das er sich härmte. Vergebens aber fragte er sich nach den Gründen ihrer Bestürzung und Trauer. Während er sie so betrachtete, erhob Anna die Blicke in einer jener Anwandlungen tiefinnerster Unruhe, und während sie den Saal furchtsam überschaute, als erwarte sie mitten unter ihren wohlbekannten Reisegefährten irgend eine fremde, unwillkommene Erscheinung zu gewahren, fiel ihr Auge auf den starren, ängstlich fragenden Blick Arthur Philippsons. Eine tiefe Röte überzog ihre Wangen, und auch Arthur errötete, denn beide hatten das Gefühl, sich verraten und wider Willen etwas bekannt zu haben, was sie lieber voreinander geheim gehalten hätten. Der junge Mann zog sich sogleich zurück, und im selben Augenblick schlug die männliche Stimme des von Donnersberg an sein Ohr. »Wie, Kamerad, hat unsere Tagereise Dich so sehr ermüdet, daß Du stehenden Fußes einschläfst?« rief Rudolf. – »Der Himmel verhüte das, Hauptmann,« sagte der Engländer, indem er aus seinen Träumereien auffuhr und den andern mit dem Titel anredete, den die Jünglinge ihm einmütig beigelegt hatten: »Der Himmel verhüte, daß ich schlafe, so sich nur das Geringste zeigt, das auf Gefahr deuten könne!« – »Wo gedenkst Du beim Hahnenruf zu sein?« fragte der Schweizer. – »Wohin die Pflicht mich ruft oder Eure Erfahrung mich sendet, edler Hauptmann,« versetzte Arthur. »Allein mit Eurer Erlaubnis übernehme ich bis Mitternacht oder bis zum Morgenrot gern Sigismunds Posten auf der Brücke. Ihr wißt, er hat sich auf der Gemsjagd den Fuß verstaucht, der ihn noch jetzt schmerzt, völlige Ruhe ist für ihn das beste Heilmittel.« – »Er, möge Bedenken tragen, der Ruhe zu pflegen,« flüsterte der von Donnersberg. »Der alte Landammann ist nicht der Mann, der kleine Unfälle als Entschuldigung gelten läßt. Leute, die unter seiner Botmäßigkeit stehen, müssen so wenig Hirn wie ein Bullochs und so starke Glieder wie ein Bär haben und gegen alle Schwächen der Menschheit so unempfindlich sein wie Blei oder Eisen,« – Arthur erwiderte in gleichem Tone: »Ich bin eine Zeitlang des Landammanns Gast gewesen, habe aber von einer solchen Strenge nichts bemerkt,« – »Ihr seid ein Fremder,« sagte der Schweizer, »und der alte Mann ist zu gastfrei, als daß er Euch den geringsten Zwang auferlegen sollte. Auch nehmt Ihr als Freiwilliger an unseren Jagden und Kriegspflichten teil, und wenn ich Euch bat, beim ersten Hahnenruf mit mir auszuziehen, so geschah es nur in der Voraussetzung, daß Ihr selbst damit einverstanden seid,« – »Ich stelle mich für jetzt unter Euren Befehl,« sagte Philippson. »Ich werde mich beim Hahnenruf auf der Brücke ablösen lassen und dann mit Freuden meinen Posten gegen einen wichtigeren vertauschen.« – »Tut Ihr damit nicht mehr, als Eure Kräfte vermögen?« fragte Rudolf. – »Ich tue nichts mehr, als was Ihr tut,« entgegnete Arthur. »Nahmt doch auch Ihr Euch vor, bis zum Morgen zu wachen.« – »Wahr,« versetzte der von Donnersberg, »aber ich bin ein Schweizer.« – »Und ich,« antwortete Philippson rasch, »bin ein Engländer.« »Ich meinte das nicht in dem Sinne, in welchem Ihr es nehmt,« sagte Rudolf lachend; »ich meinte nur, daß mich die Sache näher angeht als Euch, denn als Fremdling seid Ihr nicht weiter beteiligt an den Dingen, die uns jetzt beschäftigen.–« »Allerdings bin ich hier ein Fremdling,« entgegnete Arthur, »doch habe ich Eure Gastfreundschaft genossen, und daher steht mir's zu, solange ich bei Euch weile, Eure Mühen und Gefahren zu teilen.« – »Sei es denn so,« sagte Rudolf von Donnersberg, »Ich werde meine erste Runde um die Zeit vollendet haben, wo die Schildwachen innerhalb der Feste abgelöst werden sollen, und bereit sein, die zweite Runde in Eurer Gesellschaft zu machen,« – »Ich bin's zufrieden,« sprach der Engländer. »Und jetzt will ich auf meinen Posten, denn Sigismund wird denken, ich käme meiner Zusage nicht nach,« Sie eilten zusammen an das Tor, wo Sigismund herzlich gern Waffe und Dienst dem jüngeren Philippson überließ, indem er die Meinung bestätigte, die dann und wann von ihm gehegt wurde – nämlich, daß er der schläfrigste und mutloseste der Söhne Geiersteins wäre. – Rudolf konnte sein Mißbehagen nicht unterdrücken, – »Was würde der Landammann sagen,« fragte er, »wenn er Dich sähe, wie Du gelassen Posten und Partisane einem Fremden überläßt?« – »Er würde sagen, daß ich wohl daran tat,« antwortete der Jüngling sonder alle Scheu, »denn er erinnert uns fortwährend daran, dem Fremden in allen Stücken zu Willen zu sein: und der Engländer übernimmt ganz aus freiem Willen die Wache. Hört also Eure Dienstpflicht! Ihr habt jeden aufzuhalten, der herein will. Zeigen sich Fremde, so habt Ihr Lärm zu machen. Doch dürft Ihr diejenigen von den Unsrigen, die Euch bekannt sind, ohne Anruf und Lärm hinauslassen,« – »Hol' Dich der Henker, Du träger Gesell!« rief Rudolf, »Du bist der einzige Schlummerkopf Deiner Sippschaft!« – »So bin ich der einzige Kluge von ihnen allen,« versetzte Sigismund, »Wenn es weise ist, zu essen, wenn uns hungert, so kann es keine Torheit sein, sich schlafen zu legen, wenn man müde ist,« Mit diesen Worten und nach Herzenslust gähnend, hinkte die abgelöste Schildwache davon. »Und doch steckt Kraft in diesen schlotternden Gebeinen und Mut in dem trägen, schlummernden Geiste,« sagte Rudolf zu dem Engländer. »Aber es wird Zeit, daß ich, der ich die andern tadle, mein eigen Werk nicht versäume. Hierher, Ihr Wachtkameraden, hierher!« – Der Berner pfiff bei diesen Worten, und sechs junge Männer, die er sich zur Begleitung auf seinem Rundgang ausgewählt hatte, kamen heraus. Zwei von ihnen führten jeder einen großen Kettenhund oder Bullenbeißer, die, sonst nur zur Jagd gebraucht, doch auch geeignet waren, einen Hinterhalt aufzuspüren. Den einen Hund führte ein Bursche, der etwa zwanzig Schritte weit vor der Wache herging, an einer Leine; der zweite Hund gehörte Rudolf von Donnersberg und gehorchte diesem aufs Wort. Drei seiner Gefährten schritten dicht neben Rudolf her, und die beiden anderen, von denen einer das Horn eines Bergstieres als Jägerhorn trug, folgten ihm. Diese kleine Truppe schritt über die Brücke und ging dem Waldrande zu, der unfern der Jagdfeste lag, und wo sich gar wohl ein Feind hätte verstecken können. Der Mond war jetzt aufgegangen, sodaß Arthur von der Erhöhung herab, auf der er als Posten stand, die leise dahinschreitende Wachrunde im hellen Silberlicht verfolgen konnte, bis sie sich im Dunkel des Waldes verlor. Als er sie nicht mehr sehen konnte, kehrten seine Gedanken sogleich zu Anna von Geierstein und zu dem seltsamen Ausdruck der Besorgnis zurück, der an diesem Abend ihr schönes Angesicht verfinstert hatte. Wieder sah er sie erröten, und er zitterte fast vor dem Gedanken, diesem Erröten die günstige Bedeutung zu geben, mit der ein selbstzufriedener junger Liebhaber sich ohne Bedenken geschmeichelt hätte. Kein Aufsteigen noch Niedersinken des Tagesgestirns war jemals den Augen des Jünglings so lieblich erschienen, als jenes Erröten ihm jetzt in der Erinnerung vorschwebte; auch vermochte kein begeisterter Schwärmer, kein poetischer Träumer je so mancherlei erdichtete Formen im Zuge und Fluge der Wolken wahrzunehmen, als Arthur aus den mancherlei Andeutungen von Teilnahme, die über das schöne Angesicht des Schweizermädchens hingeschwebt waren, wundersame Andeutungen von sich herzuleiten wußte. Bei alledem fuhr durch seine Träumereien plötzlich der Gedanke, daß es ihn wenig bekümmern könnte, was denn wohl die Ursache von Annas Umwandlung sein mochte. Vor nicht langer Zeit hatte er das Mädchen zum ersten Male gesehen – bald mußte er wieder von ihr scheiden. Sie konnte für ihn nichts weiter sein als eine Erinnerung an einen schönen Traum, und er konnte in ihrem Andenken für nichts anderes gelten, als für einen Fremdling aus fernem Lande, der eine Zeitlang im Hause ihres Onkels weilte, den jedoch wiederzusehen, sie niemals erwarten konnte. Als sich diese Vorstellung in die Bilderreihe seiner romantischen Träume drängte, die ihm die Seele bewegten, war es, als wenn man einem tapferen Renner die Sporen in die Flanken gedrückt hätte. In dem Torweg, wo der junge Kriegsmann Wache hielt, wurde es ihm plötzlich zu enge. Er stürzte vor über die Bretterbrücke und betrat hastig einen Teil des Brückenkopfes, auf welchem das andere Ende des Brückenlagers ruhte, – Hier maß er mit langen und schnellen Schritten den engen Raum, auf den die Pflicht des Schildwachhaltens ihn beschränkte, als hätte er ein Gelübde getan, auf dem kleinsten, ihm zugemessenen Platze die möglichst größte Anstrengung zu vollführen. Dieses heftige Auf- und Abgehen beschwichtigte in der Tat sein stürmisches Gemüt, brachte ihn zu sich selbst zurück und erinnerte ihn an die zahlreichen Gründe, die es ihm untersagten, sich in Anna von Geierstein zu verlieben, so bezaubernd das Mädchen auch war. »Gewiß,« dachte er indem er seinen Schritt mäßigte und seine Partisane schulterte, »gewiß ist mir Vernunft genug geworden, meinen Stand und meine Pflichten im Auge zu behalten, meines Vaters gedenken, dem ich alles in allem bin, und mir vorzustellen, was für eine Schmach mir daraus erwachsen müßte, wenn ich die Zuneigung eines offenherzigen, zutrauensvollen Mädchens gewönne, das ich niemals glücklich machen könnte, auch wenn ich ihrer Liebe meine Lebensbahn opferte. Nein,« sprach er zu sich selbst, »sie wird mich bald vergessen, und ich will darauf bedacht sein, an sie nur zu denken wie an einen lieblichen Traum, der für einen Augenblick die Nacht voll Mühseligkeiten und Gefahren erhellte, in der mein Dasein, wie es scheint, verfließen soll.« Bei diesen Worten stand er still, und wie er sich an seine Waffe lehnte, trat unwillkürlich eine Träne in seine Augen und stahl sich seine Wange hinab. Doch er bekämpfte diese Regung der Wehmut und rief sich seine Dienstpflicht als Schildwache ins Gedächtnis zurück, die er im Drange seiner Erinnerungen fast vergessen hatte. Allein, wie groß war sein Erstaunen, als er nun hinausblickte in die mondbeleuchtete Landschaft und über die Brücke her, nach dem Walde hin, die Gestalt Annas von Geierstein schreiten sah! Zehntes Kapitel Die Gestalt Annas von Geierstein schwebte an ihrem Geliebten – an ihrem Bewunderer, wie wir ihn mindestens nennen müssen – rasch wie ein Hauch vorüber, dabei aber klar und unverkennbar. Im selben Augenblick, als der junge Engländer sich seiner Kleinmut entriß und seiner Pflicht als Schildwache gedachte, kam die Gestalt von der Brücke herüber, kreuzte Arthurs Weg, ohne ihm einen Blick zu gönnen, und ging mit raschem, doch festem Schritte dem Waldrande zu. Obwohl Arthurs Weisung lautete, niemand anzurufen, der das Schloß verließ, sondern nur diejenigen anzuhalten, die sich der Feste näherten, so wäre es doch natürlich gewesen, sollte es auch nur aus Höflichkeit geschehen sein, wenn er das Mädchen angesprochen hätte, als es ihm über den Weg strich. Allein sie tauchte so plötzlich auf, daß ihm für den Augenblick Sprache und Bewegung genommen war. Nicht minder natürlich wäre es gewesen, wenn Anna von Geierstein, ob auch nur flüchtig, Notiz von dem jungen Manne genommen hätte, der eine Zeitlang mit ihr unter einunddemselben Dache gewohnt hatte; doch gab sie nicht durch die geringste Gebärde zu verstehen, daß sie ihn erkenne. Ja, sie vermied sogar, ihn anzusehen, als sie vor ihm vorbeischritt, ihr Blick war dem Walde zugewendet, dem sie schnellen, festen Schrittes zueilte; und noch bevor Arthur wußte, was er tun sollte, hatten die Baumstämme sie schon seinen Blicken entzogen. Seine erste Empfindung war Verdruß über sich selbst, daß er sie so unbefragt hatte hineilen lassen. Vielleicht war sie zu so ungewöhnlicher Stunde an einen ungewöhnlichen Ort berufen worden, und er hätte ihr dabei behilflich sein, ihr wenigstens einen Rat erteilen können. Mit diesem Gedanken eilte er der Stelle zu, wo er den Saum ihres Gewandes hatte verschwinden sehen, rief nach ihr und bat sie, zurückzukehren und ihn nur wenige Minuten lang anzuhören. Doch er erhielt keine Antwort, und als er sich im finstern Walde sah, erinnerte er sich, daß er seinen Posten verlassen und seine Reisegefährten, die seiner Wachsamkeit trauten, der Gefahr eines Ueberfalls ausgesetzt hätte. Deshalb eilte er zurück zu dem Tore der Feste. Vergebens fragte er sich, in welcher Absicht das sittsame junge Mädchen, deren Benehmen zwar so offen war, die sich jedoch stets so zart und zurückhaltend benommen hatte, um Mitternacht gleich einer umherirrenden Romanheldin, und das in einem ihr fremden Lande, und in verdächtiger Nachbarschaft, so das Weite suchen konnte. Doch als schauderte er vor einer Gotteslästerung zurück, verwarf er jegliche Deutung, bei der ein Tadel auf Anna von Geierstein hätte fallen können. Nein, dieses Mädchen war unfähig, etwas zu tun, wovor ein Freund hätte erröten können. Allein, wenn Arthur die schreckhafte Stimmung, in der er sie eben noch gesehen, mit der absonderlichen Tatsache zusammenhielt, daß sie allein, schutzlos und zu solcher Stunde die Feste verließ, so mußte er notwendigerweise daraus die Folgerung ziehen, daß irgend eine geheime, höchstwahrscheinlich unglückselige Ursache sie dazu bewogen hätte. »Ich will ihre Rückkehr abwarten,« sagte er zu sich selbst, »und, bietet sich die Gelegenheit, ihr versichern, daß es wenigstens ein treues Herz in ihrer Nähe gibt, das aus Ehrgefühl und Dankbarkeit verpflichtet ist, jeden Tropfen seines Blutes hinzugeben, um sie vor Ungemach zu schützen. Dies ist keine törichte Romangrille, wofür der gesunde Menschenverstand mir mit Recht Vorwürfe zu machen hätte; es ist nur das, was zu tun meine Pflicht ist, sofern ich nicht für immer auf den Namen eines ehrlichen, unbescholtenen Mannes verzichten wollte.« Doch kaum hatte der Jüngling diesen Entschluß gefaßt, als seine Gedanken abermals eine andere Richtung nahmen. Er bedachte, Anna von Geierstein könne vielleicht die nahe Stadt Basel besuchen wollen, wohin sie Tags vorher eingeladen worden war und wo ihr Ohm Befreundete hatte. Freilich war es für einen solchen Gang eine unpassende Zeit, aber Arthur wußte recht wohl, daß die Schweizermädchen weder einen einsamen Weg noch eine späte Stunde scheuten, und daß in ihren eigenen Bergen Anna bei Mondlicht, um eine kranke Freundin zu besuchen oder sonst welche Wohltat zu verrichten, noch viel weiter gegangen wäre, als die Entfernung zwischen dieser Jagdfeste und der Stadt Basel betrug. Sich unter solchen Umständen aufzudrängen, wäre unbescheiden gewesen; und da sie an ihm vorübergegangen war, ohne im mindesten auf seine Anwesenheit zu achten, so lag es am Tage, daß sie nicht beabsichtigte, ihn freiwillig in das Geheimnis zu ziehen. In solchem Falle war es daher die Pflicht eines Ehrenmannes, sie so heimkehren zu lassen, wie sie hinweggeeilt war, nämlich unangeredet und ungefragt, und es ihr selbst zu überlassen, ob sie mit ihm reden wolle oder nicht. Ein anderer, dem Jahrhunderte, in dem er lebte, ganz entsprechender Gedanke fuhr durch seine Seele. Jene Gestalt, die so vollkommen dem Mädchen Anna von Geierstein glich, konnte ein Blendwerk oder eine jener phantastischen Erscheinungen sein, von denen so mancherlei Geschichten in allen Ländern umliefen, und an denen, wie Arthur wohl wußte, die Schweiz und Deutschland Ueberfluß hatten. Die inneren unerklärlichen Gefühle, die ihn hinderten, das Mädchen anzureden, was sonst ganz natürlich gewesen wäre, sind leicht aus der Voraussetzung zu erklären, daß sein körperliches Wesen vor der Begegnung mit einem Wesen anderer Natur und Beschaffenheit zusammenschauerte. Auch hatte jener Baseler Bevollmächtigte ja davon gesprochen, daß in den Ruinen der Feste Geister umgingen. Allein das Beispiel seines Vaters, eines Mannes von großer Unerschrockenheit und höchst aufgeklärtem Verstande, hatte ihn gelehrt, nichts blindlings aus übernatürlichen Einwirkungen erklären zu wollen, was auf gewöhnlichem Wege zu enthüllen wäre, und deswegen befreite er sich ohne Schwierigkeit von dem Gefühle abergläubischer Furcht, das ihn für einen Augenblick anwandelte. Zuletzt beschloß er, alle beunruhigenden Mutmaßungen aufzugeben und, wenn nicht mit Geduld, doch mit Festigkeit, die Rückkehr der schönen Erscheinung abzuwarten. Beharrlich in diesem Vorsatze, schritt er, Wache haltend, auf und ab, die Blicke auf den Punkt des Waldes geheftet, wo er die geliebte Gestalt hatte verschwinden sehen, wobei er für den Augenblick vergaß, daß er noch zu anderem Zwecke Posten stand, als um die Rückkehr der Erscheinung zu erwarten. Doch aus diesem gespannten Warten schreckte ihn bald ein ferner Ton auf, der wie Waffengeklirr klang und aus dem Walde kam. Plötzlich seiner Pflicht wieder eingedenk, stellte Arthur sich auf die Notbrücke, wo er sich am besten zur Wehr setzen konnte, und spähte und lauschte aufmerksam nach der Gegend hin, von wo Gefahr im Verzug sein konnte. Das Geklirr kam näher, Fußtritte ließen sich vernehmen, Speere und Helme wurden am grünen Waldrande sichtbar und blinkten im Mondlicht. Die stattliche Gestalt Rudolfs von Donnersberg, der an der Spitze schritt, war bald zu erkennen und verkündete unserer Schildwache, daß es nur die Runde war, die heimkehrte. Als sie in das Schloß einzogen, erhielten sie Befehl, ihre Kameraden zu wecken, mit denen Rudolf die Runde aufs neue zu machen gedachte, und Arthur Philippson ablösen zu lassen, dessen Wachdienst auf der Brücke zu Ende war. »Und nun, Kamerad,« sagte Rudolf zu dem Engländer, »haben Nachtluft und langes Wachehalten Dich schläfrig gemacht, oder hast Du noch Lust, die Runde mitzumachen?« –In Wahrheit wäre Arthur am liebsten auf dem Platz an der Brücke geblieben, um Anna von Geiersteins Rückkehr von ihrer geheimnisvollen Wanderung zu beobachten. Jedoch konnte er dazu nicht wohl einen Vorwand finden, und es sagte ihm nicht zu, den hochfahrenden Rudolf auch den leisesten Verdacht fassen zu lassen, daß er an Ausdauer oder an Kraft hinter irgendeinem der Bergbewohner, deren Genoß er für jetzt war, zurückstände. Deshalb zauderte er auch nicht einen einzigen Augenblick, sondern indem er die geliehene Partisane an Sigismund zurückgab, der gähnend und schlaftrunken einherkam, erklärte er dem von Donnersberg, daß er nach wie vor entschlossen sei, die Runde mit ihm zu machen. Unverzüglich stießen die übrigen, an denen die Reihe war, zu ihnen, darunter auch Rüdiger, der älteste Sohn des Landammannes von Unterwalden; und als sie nun, geführt vom Berner Kämpen, an den Saum des Waldes gelangt waren, befahl Rudolf dreien von ihnen, mit Rüdiger Biedermann eine besondere Patrouille zu bilden. »Du machst,« sagte der Berner, »Deinen Rundgang nach links hinüber, und ich will mich rechts halten. Auf dem ersten freien Platz treffen wir dann wieder zusammen.« Rüdiger zog mit seinem Häuflein links weg, und Rudolf, der einen von dem bei ihm gebliebenen Mannen voraussandte und einen zweiten als Nachtrab hinterhergehen ließ, befahl dem dritten, ihm und Arthur Philippson zu folgen, der auf diese Weise das Mitteltreffen der Wachtrunde bilden half. Als der dritte Befehl erhalten hatte, soweit hinter den beiden Freunden zurückzubleiben, daß sie sich ungestört miteinander besprechen konnten, redete Rudolf den Engländer mit jener Vertraulichkeit an, die aus ihrer jüngst geschlossenen Freundschaft erwachsen war. »Und jetzt, König Arthur,« sprach er, »wie denkt Eure Majestät von England über unsere Schweizer Jugend? Könnte sie wohl beim Lanzenstechen oder Turnier einen Preis gewinnen?« – »Was Lanzenstechen oder Turnier anbelangt,« versetzte Arthur, der seine Gedanken sammelte, um antworten zu können, »so vermag ich darüber nicht zu urteilen, da ich Euch noch nie mit eingelegter Lanze auf einem Gaul gesehen habe. Allein, wo es auf starke Gliedmaßen und hohen Mut ankommt, da möchte ich Euch Schweizerkämpen wohl den Rittern jeglichen Landes gleichstellen.« – Der Engländer weilte mit seinen Gedanken noch immer bei Anna von Geierstein, wie sie in der stillen Stunde seiner Nachtwache an ihm vorübergeglitten war. Er hatte wenig Neigung, sich in ein Gespräch einzulassen, das ihn aus seiner Träumerei reißen konnte, und gab daher nur einsilbig Antwort, so daß die Unterhaltung bald verstummte. Mittlerweile überlegte Arthur, ob er seinem Gefährten mitteilen sollte, was sein Inneres so sehr beschäftigte, und zwar in der Hoffnung, daß der Verwandte Anna von Geiersteins, der zugleich ein Freund ihres Hauses war, imstande sein möchte, ihm Aufklärung zu geben. Allein tief in seinem Innern fühlte er eine unüberwindliche Abneigung, mit dem Schweizer über eine Angelegenheit zu reden, die Anna betraf. Daß Rudolf sich um das Mädchen bewarb, daran konnte er nicht zweifeln, und wenn auch Arthur darauf verzichten mußte, des Mädchens Liebe zu gewinnen, so konnte er doch auch nicht den Gedanken ertragen, daß ein Nebenbuhler Glück bei ihr haben könne. Vielleicht war es dieser geheimen Reizbarkeit zuzuschreiben, daß Arthur, trotz all seiner Mühe, dieses Gefühl zu verbergen und zu unterdrücken, dennoch einen geheimen Widerwillen gegen Rudolf von Donnersberg fühlte. Freilich begegnete er der Offenheit des Berners mit gleicher Freimütigkeit; doch fühlte er sich dann und wann versucht, den überlegenen, gönnerhaften Ton, den Rudolf anzuschlagen beliebte energisch zurückzuweisen. Der Verlauf ihres Zweikampfes gab dem Schweizer jedenfalls keinen Grund zu solcher Ueberhebung, und ebensowenig fühlte Arthur sich zu der Schar der Schweizer Jünglinge gehörig, die Rudolf einstimmig zu ihrem Befehlshaber ernannt hatten. Ohne Zweifel war die Wurzel dieses verhaltenen Widerwillens gegen den von Donnersberg nichts anderes als das Gefühl, einen Nebenbuhler vor sich zu haben, wenngleich Arthur sich selbst dies nicht einzugestehen wagte. So schritten sie eine Zeitlang schweigend weiter. Endlich, nachdem sie fast eine halbe Stunde Weges durch Feld und Wald gegangen waren, wobei sie die Ruinen von Grafenlust umschritten, stand der alte Hund, der von dem vordersten Wachthabenden an der Leine geführt ward, still und ließ ein lautes Geheul vernehmen. – »Hollah, Wolf,« rief Rudolf fortschreitend: »Was gibt's, alter Bursche? Kannst Du nicht mehr Freund von Feind unterscheiden? Komm hierher! Heißa! such besser!« – Der Hund hub die Schnauze, schnüffelte umher, als verstände er, was sein Herr ihm gesagt hatte, und schüttelte dann Kopf und Schweif, als antwortete er dem Rufe. – »Nun, da hast du's,« sprach Donnersberg, indem er dem Tiere den zottigen Rücken klopfte, »bessere Gedanken kommen hinterdrein; du siehst, daß es gut Freund war.« – Der Hund wedelte nochmals und ging dann ruhig weiter, Rudolf nahm seinen früheren Platz wieder ein, und sein Gefährte sprach zu ihm: »Wir werden, wie ich vermute, gleich auf Rüdiger und sein Häuflein stoßen, und der Hund hört Fußtritte, obwohl wir keine vernehmen.« – »Es kann kaum Rüdiger sein,« versetzte der Berner, »sein Weg um die Feste herum ist weiter als der unserige. Doch nähert sich jemand – Wolf ist wieder unruhig. Aufgepaßt nach allen Seiten hin!« Als Rudolf seinen Begleitern diesen Befehl gab, wachsam zu sein, erreichten sie eine lichte Stelle, an welcher in bedeutender Entfernung voneinander etliche Fichten von riesigem Wuchse umherstanden, deren Stämme schwärzer und düsterer als gewöhnlich erschienen, während ihre breiten Gipfel und starren Aeste sich in das helle, weiße Mondlicht reckten. »Hier werden wir mindestens,« sagte der Schweizer, »den Vorteil haben, deutlich zu sehen, wer in der Nähe ist. Allein mich dünkt,« setzte er hinzu, nachdem er etwa eine Minute lang umhergeblickt hatte, »es ist nur ein Wolf oder ein Reh gewesen, das uns über den Weg lief, und die Witterung macht den Hund ungeduldig – Halt an! Steh! – Ja, ja, so wird's gewesen sein; der Hund geht weiter.« – Das Tier lief wirklich weiter, doch nicht ohne eine gewisse Unsicherheit, ja Aengstlichkeit. Dem Anschein nach beruhigte es sich aber und trabte wieder ruhig weiter. »Das ist seltsam!« rief Arthur Philippson; »mir ist, als hätte ich eine Gestalt hart an jenem Dickicht dort drüben gesehen, wo, soviel ich unterscheiden kann, wenige Dornbüsche und Haselstauden die Stämme von vier oder fünf großen Bäumen umringen,« – »Seit fünf Minuten haftete mein Blick auf eben jenem Dickicht,« sprach Rudolf, »allein ich sah nichts.« – »Ei,« versetzte der junge Engländer, »aber ich sah irgend etwas dort, während Ihr Euch mit dem Hunde beschäftigtet. Und mit Eurer Erlaubnis will ich hingehen und das Dickicht durchsuchen,« – »Ständet Ihr unter meinem Befehl,« sagte der von Donnersberg, »so würde ich Euch die Weisung geben, an Eurem Platz zu bleiben. Denn gäbe es Feinde hier, so wäre es wohl nötig, daß wir uns beisammen hielten. Allein Ihr seid ein Freiwilliger bei unserer Runde, und mögt deshalb nach Gefallen handeln.« – »Ich danke Euch,« antwortete Arthur und war mit einem Sprunge auf und davon. Er fühlte allerdings in diesem Augenblicke, daß er für sein Teil nicht besonnen, auch wohl als Kriegsmann nicht umsichtig handelte; und daß er in diesem Augenblick dem Hauptmann des Häufleins Gehorsam hätte leisten müssen. Anderseits aber schien, was er, obwohl in der Ferne und undeutlich, erblickt hatte, Aehnlichkeit mit der verschwindenden Gestalt Annas von Geierstein zu haben, wie er sie vor etwa zwei Stunden in den Wald schlüpfen sah, und seine unbezwingbare Neugierde, ob es das Mädchen wirklich wäre, überwog alle anderen Gedanken. Bevor Rudolf ausgesprochen hatte, war Arthur schon auf halbem Wege nach dem Dickicht. Es war, wie er schon von weitem gesehen, von geringer Ausdehnung, so daß sich niemand dort hätte verbergen können, er hätte sich denn wirklich zwischen das zwerghohe Buschwerk und Unterholz niederducken müssen. Auch irgend etwas Weißes, was menschliche Gestalt und Form hätte, wäre, wie er meinte, zwischen den braunroten Stämmen und dem schwärzlichen Gebüsch, das vor ihm lag, sofort zu sehen gewesen. In diese Wahrnehmungen drängten sich andere Gedanken. Wenn es Anna von Geierstein war, die er zum zweitenmale gesehen hatte, so mußte sie den helleren Weg verlassen haben, wahrscheinlich um nicht erkannt zu werden; und welches Recht hatte er, die Runde auf sie aufmerksam zu machen? Er hatte, so dünkte ihn, bemerkt, daß im allgemeinen das Mädchen die Aufmerksamkeiten Rudolf von Donnersberg eher abweisend, als entgegenkommend aufnahm. Was also konnte ihn berechtigen, ihren geheimen Gängen nachzuspüren, die freilich zu ungewohnter Zeit, an ungewohntem Orte stattfanden, die sie aber wohl eben deswegen vor dem Manne geheim halten wollte, der ihr unangenehm war. Ja, war es nicht möglich, daß Rudolf, wenn er hinter ein Geheimnis käme, das er vor allen anderen zu verbergen trachtete, zu bevorzugterer Stellung ihr gegenüber gelangte? – Unter diesen Gedanken hielt Arthur andauernd die Blicke auf das Dickicht gerichtet, von dem er jetzt etwa dreißig Ellen entfernt war und obgleich er es mit der größten Genauigkeit untersuchte, redete ihm doch eine eindringliche Stimme zu, es sei am klügsten getan, wenn er zu seinen Genossen zurückkehrte und dem von Donnersberg berichtete, seine Augen hätten ihn betrogen. Allein während er unentschlossen stand und erwog, ob er vorwärts gehen oder sich zurückwenden sollte, kam, was er gesehen hatte, abermals und jetzt ganz am Rande des Dickichts zum Vorschein und, wie das erste Mal in Gestalt und Kleidung genau dem Mädchen Anna von Geierstein ähnlich, gerade auf ihn zu! – An solchem Platz, zu solcher Stunde, so plötzlich auftauchend, mußte sie dem jungen Manne wirklich als ein Blendwerk oder ein Gespenst erscheinen. Die Gestalt schritt auf Speereslänge an ihm vorüber, ohne im mindesten ein Zeichen zu geben, daß sie ihn erkenne; und indem sie sich von Rudolf und dessen Begleitern nach rechts hin wendete, war sie abermals im Waldbruche und in den Gebüschen verschwunden. Und wieder stand der Jüngling da, versunken in den unauflöslichen Zweifel, erwachte auch nicht eher aus seiner Erstarrung, als bis die Stimme des Berners ihm ins Ohr schallte: »Nun, was ist Dir denn, König Arthur, schläfst Du, oder bist Du verwundet?« – »Keins von beiden,« sagte Philippson, sich sammelnd, »nur sehr überrascht.« – »Und weswegen überrascht, mein königlicher Herr?« – »Laßt die Torheit!« rief Arthur etwas finster, »und so Ihr ein Mann seid, so gebt Antwort. Traft Ihr nicht auf sie? Saht Ihr sie nicht?« – »Treffen? Sehen? Sie? Wen denn?« sprach Rudolf. »Ich sah niemand. Und ich könnte darauf schwören, daß Ihr auch niemanden sähet, denn ich hatte Euch beständig im Auge. Und wenn Ihr etwas sähet, warum schlugt Ihr nicht Alarm?« – »Weil es nur ein Weib war!« antwortete Arthur in mattem Tone. – »Nur ein Weib!« wiederholte Rudolf mit dem Ausdruck der Verachtung, »Bei meinem Ehrenwort, König Arthur, wenn ich nicht Mannesmut an Euch wahrgenommen hätte, so wäre ich nicht übel geneigt zu glauben, daß Ihr selbst nur eines Weibes Mut besäßet. Seltsam, daß ein Schattenbild bei Nacht oder ein Abgrund bei Tage einen so wackeren Mut zu erschüttern vermag, wie Du ihn oft zeigtest.« – »Und wie ich ihn jederzeit zeigen werde,« unterbrach ihn der Engländer, wieder ganz gefaßt, »sobald die Gelegenheit es heischt. Allein, ich schwöre Euch, daß, wenn ich jetzt erschrocken bin, es nicht bloß irdische Furcht war, die meine Seele auf einen Augenblick ergriff.« – »Laßt uns unsern Gang fortsetzen,« sagte Rudolf, »wir dürfen die Sicherheit unserer Freunde nicht gefährden. Diese Erscheinung, von der Du redest, mag wohl nur ein Fallstrick sein, um uns in der Ausübung unserer Pflicht zu stören.« Sie schritten fort beim Schimmer des Mondlichts. Nach einer minutenlangen Ueberlegung hatte der junge Philippson seine völlige Besinnung wieder, und mit ihr gelangte er zu dem peinlichen Bewußtsein, daß er eine lächerliche, unwürdige Rolle gespielt hätte. Rasch vergegenwärtigte er sich die Beziehungen, in denen er zu Donnersberg, zum Landammann und dessen Nichte, sowie zum übrigen Teil der Familie, stand; und entgegen der Meinung, die er noch kurze Zeit zuvor gehegt hatte, erkannte er in tiefster Seele, daß es seine Schuldigkeit wäre, dem Führer, dem er sich selbst unterordnete, von der Erscheinung zu berichten, die er zweimal während einundderselben Nachtwache erblickt hatte. Es konnten Familienumstände, Leistung eines Gelübdes oder ein ähnlicher Grund obwalten, wodurch das Benehmen des jungen Mädchens ihren Verwandten erklärbar wäre. Zudem war er für den Augenblick ein Mann von der Wache, und dergleichen Geheimnisse konnten Unheil in sich tragen oder herbeiführen: in jedem Falle also waren seine Gefährten berechtigt, Kunde von dem zu erhalten, was er gesehen hatte. Während des Engländers Betrachtungen diese Wendung nahmen, redete sein Hauptmann oder Wachgenoß nach kurzem Schweigen ihn folgendermaßen an: »Mich dünkt, mein lieber Herr Kamerad, als Euer Anführer habe ich ein Recht, von Euch Bericht über das zu erwarten, was Ihr soeben gesehen habt. Es muß etwas Wichtiges gewesen sein, sonst hätte es eine so starke Seele, wie die Eurige, nicht dermaßen aufregen können. Wenn es aber nach Eurem Dafürhalten mit der allgemeinen Sicherheit verträglich ist, erst dann, wenn wir wieder in der Feste sind, und zwar in geheimer Zwiesprache mit dem Landammann, Bericht abzustatten, so braucht Ihr mir dies nur zu sagen. Ich lasse Euch dann gern sogleich zur Feste zurückkehren,« Diese Anrede erreichte, was einer ungestümen Forderung fehlgeschlagen wäre. Der Ton bescheidener Bitte traf genau mit den Betrachtungen des Engländers zusammen. »Ich sehe ein,« sprach er, »daß ich Euch mitteilen muß, was ich heute nacht gesehen habe; als ich es das erste Mal erblickte, hing es nicht so genau mit meiner Pflicht zusammen; jetzt aber, wo ich die nämliche Erscheinung zum zweiten Male erblickte, habe ich mich dadurch so überrascht gefühlt, daß ich kaum Worte finden kann, es auszudrücken.« – »Da ich nicht zu erraten vermag, was Ihr gesehen habt,« versetzte der Berner, »so muß ich Euch bitten, daß Ihr Euch erklärt, wir lösen nur schlecht uns gegebene Rätsel, wir dickköpfigen Schweizer.« – »Doch ist es nur ein Rätsel, was ich Euch vorzulegen habe, Rudolf von Donnersberg,« antwortete der Engländer, »und ein Rätsel, das ich ebensowenig zu lösen vermag,« Dann fuhr er, jedoch nicht ohne Zögerung, fort: »Während Ihr die erste Runde machtet, schritt eine weibliche Gestalt aus dem Schlosse, ohne ein Wort zu sagen, an meinem Posten vorüber, und verschwand im Schatten des Waldes,« – »So!« rief Rudolf von Donnersberg und erwiderte weiter nichts. – Arthur fuhr fort: »Vor etwa fünf Minuten ging diese weibliche Gestalt zum zweiten Male an mir vorüber, indem sie aus dem Dickicht, wo jene Fichten stehen, hervortrat, und dann wieder, ohne einen Laut von sich zu geben, verschwand. Erfahret ferner, daß jene Erscheinung an Gestalt, Angesicht, Bewegung und Kleidung Eurer Verwandten, Anna von Geierstein, glich.« »Seltsam genug,« sagte Rudolf im Ton des Unglaubens. »Mich dünkt, ich darf Eure Rede nicht bestreiten, denn daran zweifeln, hieße Euch beleidigen. Doch laßt mich Euch sagen, daß ich so gut Augen habe wie Ihr, und daß ich kaum glaube, sie auch nur eine Minute von Euch gelassen zu haben. Nicht fünfzig Ellen weit waren wir von dem Platze, wo ich Euch erstarrt stehen sah. Wie also sollten wir nicht ebenfalls gesehen haben, was Ihr sahet oder doch gesehen zu haben wähnt?« – »Darauf vermag ich nicht zu antworten,« versetzte Arthur. »Vielleicht haftete in dem flüchtigen Augenblicke, in welchem ich die Gestalt sah, Euer Auge nicht auf mir – vielleicht, wie es mit gespenstischen Erscheinungen bisweilen der Fall sein soll, war sie nur einem von uns sichtbar.« – »So meint Ihr, die Erscheinung, die Ihr sähet, sei ein Hirngespinst oder ein Geist gewesen?« fragte der Berner. – »Kann ich das sagen?« war des Engländers Gegenfrage. »Die Kirche gibt es zu, daß dergleichen Dinge stattfinden, und gewiß ist es natürlicher, jene Erscheinung für eine Täuschung zu halten, als anzunehmen, daß Anna von Geierstein, eine sittige und wohlerzogene Dirne, die Wälder um diese wilde Stunde durchzieht, wo Sicherheit und Ehrbarkeit ihr so streng gebieten, in ihrer Kammer zu bleiben.« – »Es liegt viel in dem, was Ihr sagt,« sprach Rudolf, »und doch sind Geschichten im Umlauf, wiewohl man sie nicht gern nacherzählt, daß Anna von Geierstein in gewissen Punkten nicht wie andere Mädchen sei.« – »Ha!« rief Arthur, »so jung, so schön, und schon im Bündnisse mit dem Verderber der Menschen? Es ist unmöglich.« – »Das sagte ich nicht,« versetzte der Berner, »auch. habe ich jetzt nicht Muße, Euch meine Ansicht deutlich zu erklären. Bei unserer Rückkehr nach Grafenlust werde ich Gelegenheit haben, Euch mehr zu erzählen. Doch ließ ich Euch hauptsächlich die Runde mitmachen, um Euch bei etlichen Freunden einzuführen, deren Bekanntschaft Euch lieb sein wird, und die Euch kennen zu lernen wünschen; und in dieser Gegend gedenke ich sie zu treffen.« Indem er dies sagte, wendete er sich um einen Felsenvorsprung, und ein unerwarteter Auftritt stellte sich den Blicken des jungen Engländers dar. – In einer Art von Schlucht, die von dem Felsenvorsprung verdeckt war, brannte ein großes Holzfeuer, und um dasselbe her saßen, lehnten oder lagen zwölf bis fünfzehn Schweizerjungen, in ihrer Landestracht, an der Stickereien und Verbrämungen im Lichte des flackernden Feuers blitzten. Derselbe Schimmer wurde von silbernen Bechern zurückgeworfen, die nebst den Flaschen, aus denen sie gefüllt wurden, von Hand zu Hand gingen. Auch konnte Arthur die Reste eines Banketts wahrnehmen, dem man erst kürzlich schuldige Ehre erwiesen hatte. Die Zecher fuhren freudig auf, als sie den von Donnersberg und dessen Gefährten erblickten, und begrüßten herzlich und lebhaft ihren Hauptmann, wobei sie jedoch alles Lärmen vermieden. Der Eifer deutete an, daß Rudolf höchst willkommen war, – die Vorsicht, daß er im geheimen kam und mit Rücksicht darauf empfangen werden müßte. Auf die allgemeine Begrüßung antwortete Rudolf: »Ich danke Euch, meine wackeren Kameraden. – Ist Rüdiger schon zu Euch gestoßen?« – »Du siehst, nein!« sagte einer aus der Schar; »wäre er gekommen, so hätten wir ihn bis zu Deiner Ankunft, Hauptmann, zurückgehalten,« – »Er hat gezögert auf seiner Runde,« sprach der Berner. »Auch wir wurden aufgehalten, doch sind wir eher hier als er. Ich bringe Euch, Kameraden, den braven Engländer mit, den ich Euch als wünschenswerten Genossen unseres kühnen Planes empfahl.« – »Er ist uns willkommen, höchst willkommen,« sagte ein junger Mann, dem die reichverbrämte himmelblaue Kleidung einen Anstrich von Ueberlegenheit über die anderen verlieh; »höchst willkommen, wenn er ein Herz und eine Hand zu unserm edlen Vorhaben mitbringt.« – »Für beides stehe ich ein,« sagte Rudolf. »Laßt also den Becher kreisen auf glücklichen Ausgang unseres rühmlichen Unternehmens und auf die Wohlfahrt unseres neuen Gefährten!« Während die Lagernden die Becher mit einem Weine füllten, der jeden andern, den Arthur in diesem Lande getrunken hatte, an Güte übertraf, hielt er es für klüglich, ehe er Zusage gäbe, sich über den geheimen Zweck der Gesellschaft zu befragen, die so großes Verlangen zu tragen schien, ihn unter sich aufzunehmen. – »Solltest Du ihn hierhergebracht haben,« fügte daraufhin der Blaugekleidete zu Rudolf, »ohne zuvor Dich darüber mit ihm auseinanderzusetzen?« – »Sei deswegen unbesorgt, Lorenz,« versetzte der Berner. »Ich kenne meinen Mann. Sei es Euch denn kund, mein guter Freund,« fuhr er, zu dem Engländer gewendet, fort, »daß meine Genossen und ich entschlossen sind, die Freiheit des schweizerischen Handels zu erklären und im Notfall bis zum Tode allen gesetzlosen und bedrückenden Forderungen unserer Nachbarn Widerstand zu leisten.« – »So ich recht vernahm,« sagte Arthur Philippson, »so zieht die gegenwärtige Gesandtschaft zum Herzog von Burgund, um Vorstellungen über diesen Gegenstand zu machen.« – »Hör mich an,« erwiderte Rudolf. »Die Sache wird zu einer blutigen Entscheidung kommen, noch ehe wir des Herzogs von Burgund erhabenes und gnädiges Angesicht erblicken. Daß auf seinen Einfluß hin uns Basel verschlossen blieb, heißt uns den schlimmsten Empfang erwarten, sobald wir seine Staaten betreten. Wir haben sogar Ursache, zu glauben, daß sein Haß sich schon hier gegen uns wenden wird. Wenn man uns auch bei Nacht nicht angriff, müssen wir am Tage desto mehr auf unserer Hut sein. Zu diesem Zweck hat eine Schar der tapfersten Jünglinge von Basel, entrüstet über die Feigheit ihrer Obrigkeit, sich entschlossen, zu uns zu stoßen, um die Schmach zu tilgen, die ihre Vaterstadt mit ihrer feigherzigen Ungastlichkeit auf sich lud,« – »Und das soll geschehen, bevor die Sonne, die in zwei Stunden aufgehen wird, wieder am Abendhimmel niedersinkt,« sagte der blaue Kämpe; und ernsten Blickes stimmten die Umringenden in seine Rede ein. »Werte Männer,« sprach Arthur, als eine Pause eingetreten war, »laßt mich Euch zu bedenken geben, daß die Gesandtschaft, die Ihr geleitet, von friedlicher Art ist, und daß daher die Geleitsmänner dieser Gesandtschaft alles vermeiden müssen, was den Zwiespalt vergrößern könnte, den zu schlichten sie sich aufgemacht hat. Ihr könnt nicht voraussetzen, in des Herzogs Landen übel aufgenommen zu werden, da die Rechte der Gesandten in allen geregelten Staaten in Ehren gehalten werden.« – »Dennoch dürfte man uns übel anlassen,« versetzte der Berner, »und zwar gerade Euret- und Eures Vaters wegen.«– »Ich verstehe Euch nicht,« antwortete Philippson. – »Ist Euer Vater nicht ein Handelsmann,« entgegnete Donnersberg, »und führt er nicht Waren von hohem Werte mit sich?« – »So ist es allerdings,« sagte Arthur, »allein was soll das?« – »Ei,« antwortete Rudolf, »daß wir aufpassen müssen, daß der Grenzhund des Burgunders nicht über Euch herfalle und sich zum Erben Eurer Seiden, Sammete und Juwelen erkläre!« »Werte Herren,« äußerte sich Arthur nach einem Momente des Ueberlegens, »jene Waren sind meines Vaters Eigentum und an ihm, nicht an mir ist es, auszusprechen, wieviel er davon als Durchgangszoll hergeben will, um jedem Hader aus dem Wege zu gehen. Ich kann nur sagen, er hat wichtige Geschäfte am Hofe des Herzogs von Burgund und wünscht, dieses Land bald und im Frieden mit aller Welt zu erreichen. Daher wird er, um Euch nicht in Streit mit Archibald Hagenbach und der Besatzung von La Ferette zu bringen, lieber alles hergeben, was er bei sich führt. Deshalb, meine Herren, muß ich Euch um Frist bitten, um meinen Vater über diesen Punkt zu Rate zu ziehen, und versichere Euch zu gleicher Zeit, wenn es sein Wille ist, dem Burgunder die Zahlung jener Gefälle zu verweigern, so sollt ihr an mir einen Mann finden, der fest entschlossen ist, bis auf den letzten Tropfen seines Blutes zu fechten,« – »Gut, König Arthur,« sagte Rudolf. »Du bist ein pflichtgeübter Beobachter des vierten Gebotes, und Du wirst lange leben auf Erden. Wenn Dein Vater nichts dagegen hat, von Archibald von Hagenbach, dessen Schere, wie er finden wird, trefflich schneidet, seine Wolle scheren zu lassen, so würde es unnötig und unhöflich von uns sein, uns ins Mittel zu schlagen. Unterdessen habt Ihr aber auch vernommen, daß, wenn es Hagenbach auch gelüsten sollte, Euch ans Leben zu gehen, eine tüchtige und zahlreiche Mannschaft bereit ist, Euch Beistand zu leisten.« – »Unter diesen Bedingungen,« sagte der Engländer, »will ich mit diesen Herren von Basel, oder aus welchem anderen Lande sie immer gekommen sein mögen, Bekanntschaft schließen, und ihnen in einem brüderlichen Becher fröhlich Bescheid tun!« – »Heil und Gedeihen den vereinigten Kantonen und deren Freunden!« antwortete der Blaue. »Und Tod und Verderben allen übrigen! Die Geschichte soll nacherzählen, daß die jetzt lebenden Schweizer die Freiheit zu bewahren wissen, die ihre Altvordern errangen. Setzt Eure Runde fort, ehrlicher Rudolf. Die Mannschaft wird auf jedes Zeichen, das der Hauptmann gibt, sich einstellen. – Alles bleibt beim alten, so Ihr nicht neue Befehle für uns habt.« »Hör nur, Lorenz,« sagte Rudolf zu dem Blauen, und Arthur konnte hören, daß er leise zu ihm sprach. »Trage, Sorge, Freund, daß der Rheinwein nicht vergeudet werde. Laß hierin dem Rüdiger den Willen nicht. Er ist ein Weinschlemmer geworden, seit er mit uns ist. Wir müssen zu dem, was uns morgen obliegt, Herz und Hand auf dem rechten Fleck haben.« Darauf schritten Rudolf und sein Fähnlein wieder fürbaß, doch sie waren kaum aus dem Gesichtskreis ihrer zurückgebliebenen Genossen, als der Vorderste ein Lärmzeichen gab. Arthurs Herz wollte sich auf seine Lippen drängen. »Es ist Anna von Geierstein!« sprach es in seinem Innern. – »Die Hunde sind still,« sagte der Berner. »Es müssen unsere Wachtgefährten sein.« – Sie erkannten auch sofort Rüdiger mit seinen Begleitern, die beim Anblick ihrer Genossen Halt machten und die gewöhnlichen Zeichen abgaben und empfingen. Arthur konnte vernehmen, wie Rudolf seinen Freund Rüdiger ermahnte, nicht mehr zu dem oben beschriebenen Versammlungsort zu gehen. »Es führt nur zu einer Schmauserei,« sagte er, »und der Morgen muß uns kalt und entschlossen finden.« – »Kalt wie ein Eisklumpen, edler Hauptmann,« antwortete der Sohn des Landammanns, »und fest wie ein Felsen.« Rudolf riet ihm nochmals Mäßigkeit an, und der junge Biedermann gelobte Gehorsam. Die beiden Häuflein schritten mit freundlicher, jedoch schweigender Begrüßung aneinander vorüber; und bald lag ein bedeutender Raum zwischen ihnen. Die Gegend, um die herum sie jetzt ihre Wachtrunde führte, war nach der Jagdfeste zu offener als diejenige, auf welche das Haupttor der Burg hinausführte. Die Waldwege waren breiter, die Bäume standen vereinzelter auf Wiesengrund, und keine Dickichte, Brüche und ähnliche Hinterhalte ließen sich wahrnehmen, so daß das Auge im hellen Mondlichte die Gegend wohl überschauen konnte. »Mich dünkt,« sagte Arthur, »Ihr hättet Arnold Biedermann und den andern mitteilen sollen, daß Ihr einen Angriff in der Gegend von La Ferette befürchtet und Beistand von etlichen Bewohnern Basels zu hoffen habt,« – »Ei, wahrhaftig,« antwortete Donnersberg, »der Landammann würde dann einen Boten an den Herzog von Burgund schicken und freies Geleit erbitten. Dann aber wäre es mit aller Hoffnung auf Krieg vorbei.« – »Wahr,« erwiderte Arthur, »aber der Landamman würde dadurch seinen Hauptzweck und das eigentliche Ziel seiner Sendung, nämlich den Abschluß des Friedens erreichen.« – »Frieden? Frieden?« fragte der Berner hastig. »Wären es meine persönlichen Wünsche nur, so genügte meine Achtung vor Biedermann und seiner Vaterlandsliebe, daß ich auf sein Gebot mein Schwert in die Scheide stecken würde, auch wenn mein Todfeind mir gegenüber stände. Allein, mein ganzer Kanton, und mit ihm auch Solothurn, ist zum Kriege entschlossen. Durch Krieg, durch edlen Krieg entrannen unsere Väter ihrer Knechtschaft – durch Krieg, durch glücklichen und glorreichen Krieg gelangte ein Volk, das man kaum so viel geachtet hatte, wie die Ochsen, die es trieb, mit einemmale zu Freiheit und Bedeutung und wurde geachtet, weil man es fürchten mußte, so wie es vordem gering geschätzt wurde, weil es keinen Widerstand leistete.« »Das mag alles wahr sein,« sagte der junge Engländer, »allein nach meiner Meinung ist der Zweck Eurer Sendung von Eurem Reichstag festgesetzt worden. Man hat beschlossen, Euch und andere als Friedensboten abzuordnen, Ihr aber blaset heimlich die glimmende Kohle des Krieges an und stellt Euch zum Kampfe, oder sucht doch nach Gelegenheit dazu, während die mit Euch ziehenden Alten morgen in der Erwartung einer friedlichen Reise ihren Stab weiter setzen wollen.« – »Und ist's nicht wohlgetan, daß ich so gerüstet stehe?« fragte Rudolf. »Werden wir auf burgundischem Boden friedlich aufgenommen, so ist meine Vorsicht unnütz, doch kann sie keinesfalls schaden. Ergibt es sich anders, so werde ich Mittel in Händen haben, ein großes Mißgeschick von meinen Gefährten, von meinem Vetter Arnold Biedermann, von meiner Base Anna, von Eurem Vater, von Euch selbst, kurz von uns allen, die wir fröhlich mitsammen reisen, abzuwenden.« – »Ich bin Euch sehr zu Dank verpflichtet für diese Zusicherung,« sagte der Engländer. – »Und Ihr selbst, mein Freund,« fuhr Rudolf fort, »laßt Euch dies gesagt sein: Zu einer Brautfahrt geht man nicht in Rüstung, in einem seidenen Wams nicht zum Treffen.« – »Ich will mich kleiden, als sollte ich dem Schlimmsten begegnen,« sprach Arthur, »und ein Panzerhemd von gutgeglühtem Stahl anlegen, das mich vor Speer und Pfeil schützt. Für Euren gütigen Rat habt Dank!« Der Berner, der die Engländer nach den Handelsleuten seines eigenen Landes einschätzte, war überzeugt, sie würden, sobald sie sich stark genug zum Widerstande wüßten, gleich vor der nächsten Stadt den hohen Zoll verweigern, den man ihnen sicherlich abverlangen würde. Dies aber hätte ohne weiteres zu Feindseligkeiten führen müssen, und daher traf Rudolf auf alle Fälle Vorsichtsmaßregeln. Arthur Philippson konnte Donnersbergs Anstalten weder verstehen noch billigen, indem Rudolf, selbst ein Mitglied einer friedlichen Gesandtschaft, von dem Vorsatze beseelt zu sein schien, die erste Gelegenheit zur Entzündung der Kriegsflammen wahrzunehmen. Mit diesen verschiedenen Erwägungen beschäftigt, schritten die Jünglinge eine Zeitlang schweigend nebeneinander hin, bis Rudolf wieder das Wort nahm: »Ist Eure Neugier, betreffs der Erscheinung Annas von Geierstein beruhigt?« – »Bei weitem nicht,« erwiderte Philippson, »ich wollte Euch nur nicht mit Fragen darüber beschwerlich fallen, weil Ihr mit den Pflichten Eurer Wachtrunde beschäftigt seid,« – »Die sind jetzt erledigt,« sprach der Berner, »denn rings umher ist kein Busch, worin ein burgundischer Schuft sich versteckt halten könnte, und wir brauchen nur dann und wann einen Blick umherzuwerfen, um uns gegen Ueberfall zu sichern. So mögt Ihr denn eine Geschichte hören, die Euch gewiß interessieren wird. Ueber Annas Vorfahren väterlicher Seite wißt Ihr Bescheid. Sie wohnten in den alten Mauern der Geiersteiner Feste am Wasserfalle, bedrückten ihre Untersassen und minder mächtigen Nachbarn, plünderten die Reisenden, ließen dann Seelenmessen für die verstorbenen Familienmitglieder lesen, beschenkten die Pfaffen und taten Gelübde und unternahmen Pilgerzüge, um für die frech und gewissenlos verübten Missetaten, Buße zu tun.« – »Das war, wie ich hörte,« versetzte der junge Engländer, »die Geschichte derer von Geierstein, bis Arnold oder dessen unmittelbare Vorfahren die Lanze mit dem Hirtenstab vertauschten.« »Allein man erzählt,« fuhr der Berner fort, »daß die machtbegabten, reich begüterten Freiherrn von Arnheim in Schwaben, deren einziger weibliche Nachkomme das Eheweib Alberts und die Mutter des jungen Mädchens war, das die Schweizer schlechtweg Anna, die Deutschen aber Gräfin Anna von Geierstein nennen, ein adlig Geschlecht von ganz anderer Art war. Sie erblickten ihre Lebensaufgabe nicht nur darin zu sündigen und Buße zu tun, sie plünderten nicht bloß harmlose Bauern, mästeten keine dickwanstigen Pfaffen und erbauten keine Festen mit Verließen und Folterkammern. Nein! Die Freiherrn von Arnheim waren von dem Streben erfüllt, die Grenzen menschlichen Wissens zu erweitern. Sie gestalteten ihr Schloß zu einer Art von Hochschule um, worin sich mehr alte Schriften befanden, als die Mönche in der Bücherei zu St. Gallen jemals aufgeschichtet haben. Doch nicht allein in Büchern vertieften sie sich. Verschlossen in ihren geheimen Werkstätten, gelangten sie zu den geheimsten Kenntnissen der Alchimie, die sich dann vom Vater auf den Sohn weiter erbten. Der Ruf ihres hohen Wissens und ihrer Reichtümer ward oft vor die Stufen des Kaiserthrones getragen; und in den vielfältigen Zwistigkeiten, die die deutschen Herrscher mit den Päpsten hatten, sollen sie, wie es heißt, nicht nur durch Ratschläge der Freiherrn von Arnheim angefeuert, sondern auch durch deren Schätze unterstützt worden sein. Infolge dieser staatswissenschaftlichen Wirksamkeit und des damit verbundenen geheimnisvollen Studiums, dem das Geschlecht der Arnheime so lange Zeit nachging, geschah es vielleicht, daß man allgemein sie in Verdacht hielt, als würden sie in ihren übermenschlichen Forschungen durch den Einfluß höherer Wesen unterstützt. Die Pfaffen säumten natürlich nicht, dieses Gerücht im Lande zu verbreiten. Sie stellten die Arnheimer als höllische Hexenmeister hin und hetzten andere Grafen und Freiherren wider sie auf. So kam es, daß sie viel gehaßt waren. Jedoch wie wenig hadersüchtig die Arnheimer auch waren, so zeigten sie sich doch keineswegs unkriegerisch oder abgeneigt, ihre Verteidigung ins Werk zu setzen. Ja, etliche dieses gehaßten Geschlechtes waren vielmehr als tapfere Ritter und wackere Degen ausgezeichnet. Das erfuhren diejenigen, von denen die Arnheimer befehdet wurden, und zogen sich zurück. Die Angriffe, die zur Ausführung gelangten, wurden siegreich abgeschlagen. Das gab nun wiederum zu dem Gerücht Anlaß, die von Arnheim, die jeder gegen sie beabsichtigten Gewalttat gleich auf die Spur kämen und gegen jeden Angriff gefeit wären, wendeten zu ihrem Schutze übernatürliche Mittel an, die mehr zu bewirken vermöchten als menschliche Kraft. Daraufhin blieben sie fortan unangefochten. Dieses Arnheim'sche Geschlecht erlosch mit Herrmann von Arnheim, dem Großvater der Anna von Geierstein mütterlicher Seite, Er hinterließ eine einzige Tochter, Sybilla von Arnheim, als Erbin eines großen Teiles seiner Güter. Trotzdem ihr Haus im Rufe der Zauberei stand, fanden sich unter den angesehensten Rittern und Herren im Reiche zahlreiche Bewerber bei Sybillas gesetzlichem Vormund, dem Kaiser, ein und baten um die Hand der reichen Erbin. Bei alledem erhielt Albert von Geierstein, wiewohl er ein Verbannter war, den Vorzug. Er war tapfer und hübsch, was ihn bei Sybillen empfahl, und der Kaiser, der sich damals in dem eitlen Gedanken wiegte, sein Ansehen in den Schweizergebirgen wieder herzustellen, wollte sich großmütig gegen Albert zeigen. Anna war das einzige Kind dieser Ehe, und Ihr könnt aus ihrer Abkunft entnehmen, daß Umstände, die sie betreffen, sich nicht so leicht beurteilen und erklären oder nach gewöhnlichen Vernunftsschlüssen entscheiden lassen, wie es bei alltäglichen Menschen der Fall ist.« »Bei meinem Ehrenwort, Herr Rudolf von Donnersberg,« sagte Arthur, der sorgfältig bemüht war, seine Empfindungen zu beherrschen, »ich entnehme aus Eurer Erzählung nichts, und verstehe von derselben nichts weiter, als daß es in Deutschland wie in anderen Ländern Narren gegeben hat, für die Gelahrtheit und Wissenschaft gleichbedeutend war mit Hexerei und Zauberwerk, und daß infolgedessen Ihr geneigt seid, ein junges Mädchen, das jederzeit von allen Leuten ihrer Umgebung geehrt und geliebt wurde, als Anhängerin der schwarzen Kunst hinzustellen. Dies wundert mich um so mehr, da Ihr ein naher Verwandter des Mädchens seid und, wenn ich nicht irre, Euch mit der Hoffnung tragt, vielleicht durch ein noch innigeres Band mit Ihr verknüpft zu werden. In allen christlichen Landen ist die Beschuldigung der Hexerei die schwerste Anklage, die gegen einen Christen, gleichviel ob Mann oder Weib, vorgebracht werden kann,« – »Ich bin weit entfernt davon,« sagte Rudolf, »diese Beschuldigung gegen Anna von Geierstein zu erheben. Bei meinem guten Schwerte! Wer eine solche Anklage gegen sie ausspräche, täte besser daran, sich sein Grab graben zu lassen und für das Heil seiner Seele zu sorgen; denn er müßte mit mir auf Leben und Tod die Klinge kreuzen. Hier handelt es sich nur um die Frage, ob nicht elfenartige oder gespenstische Wesen etwa die Macht haben, Annas Gestalt anzunehmen und sich dann da zu zeigen, wo das Mädchen selber nicht gegenwärtig ist, indem Anna von einem Geschlecht stammt, das mit der Geisterwelt innigsten Verkehr gepflogen hat. Da ich aufrichtig wünsche, mir Eure Achtung zu bewahren, so bin ich nicht abgeneigt, Euch noch Näheres über Annas Geschlecht mitzuteilen, wodurch sich zugleich meine eben gemachte Aeußerung bestätigen dürfte. Allein, Ihr werdet begreifen, daß solche Umstände von der geheimsten Art sind, und daß ich deswegen auf das tiefste Schweigen von Eurer Seite rechnen muß.« – »Ich werde schweigen, Herr,« versetzte der junge Engländer, der noch immer mit unterdrückter Leidenschaft kämpfte, »schweigen über alles, was den Charakter eines Mädchens betrifft, dem ich so viele Ehrfurcht schuldig bin.« »Sei dem so,« sprach Rudolf, »um Eurer guten Meinung willen, die ich hochschätze, und zu deutlicherer Erklärung dessen, was ich nur leichthin andeutete, will ich Euch etwas mitteilen, was ich sonst lieber unerzählt ließe.« »Sprecht! – ich höre!« antwortete der Engländer, dessen Gemüt geteilt war zwischen dem Verlangen, alles nur mögliche zu erfahren, was Anna von Geierstein betraf, zwischen dem Widerwillen, ihren Namen so anmaßend von Donnersberg aussprechen zu hören, und zwischen dem Wiederaufleben seines ursprünglichen Mißfallens an dem riesigen Schweizer, dessen jederzeit derbes Benehmen jetzt durch Ueberlegenheit und Anmaßung, sich noch schärfer hervorhob. Dennoch horchte er der schauerlichen Erzählung des Berners, und der Anteil, den er bald an derselben nahm, überwältigte in ihm jede andere Empfindung. Elftes Kapitel »Ich erzählte Euch,« sprach Rudolf, »daß die Arnheimer Freiherren, bei ihrer Vorliebe für geheime Wissenschaften, gleich andern deutschen Adeligen, Freunde des Krieges und der Jagd waren. Herrmann von Arnheim, der Großvater Annas von mütterlicher Seite, war stolz darauf, ein glänzendes Gestüt, besonders aber das edelste Roß in ganz Deutschland zu besitzen. Es war schwarz wie Ebenholz und hatte nicht ein einziges weißes Haar vom Kopf bis zu den Füßen. Deshalb und auch wegen der Wildheit des Tieres nannte sein Herr es Apollyon; ein Umstand, der im geheimen als Beweis der bösen Gerüchte angesehen wurde, die von dem Geschlechte der Arnheime im Umlauf waren, indem Apollyon, wie man sagt, der Name des bösen Feindes wäre. Nun begab es sich, daß an einem Novembertage der Freiherr im Forste jagte und erst mit Einbruch der Nacht die heimische Burg erreichen konnte. Er hatte keine Gäste bei sich, denn das Schloß Arnheim nahm nur solche Leute auf, von denen die Burgbewohner Vermehrung ihres Wissens hofften. Der Freiherr saß allein in seiner Halle, die mit Fackeln erleuchtet war. In der einen Hand hielt er ein Buch voll Chiffreschrift, die keinem, außer ihm selber, verständlich war. Die andere Hand stützte sich auf einen Marmortisch, auf dem eine Flasche mit Tokayerwein stand. Ein Edelknabe wartete ehrfurchtsvoll im Hintergrunde des breiten, düstern Gemaches auf seines Herrn Befehle. Kein Geräusch war zu hören, als das Sausen des Nachtwindes, der schaurig in den rostigen Panzerhemden klirrte und die zerfetzten Paniere bewegte, mit denen die Halle ausgeschmückt war. Da ließ sich plötzlich der Fußtritt eines Wesens hören, wie es hastig und scheu die Treppenstufen heraufkam. Die Tür der Halle wurde heftig aufgerissen, und in panischem Schrecken stolperte Kaspar, der Stallmeister, fast bis zu den Füßen des Tisches hin, an welchem sein Gebieter saß, und lallte: »Edler Herr, edler Herr, der Teufel ist im Stalle!« »Was will der Narr?« rief der Freiherr, indem er ärgerlich und erstaunt über die ungewöhnliche Störung sich erhob. – »Laßt Euren ganzen Unwillen gegen mich aus, so ich nicht die Wahrheit rede,« sagte Kaspar; »Apollyon,« – hier stockte er. – »Sprich's aus, Du furchtsamer Narr,« sagte der Freiherr. »Ist mein Pferd krank? ist es verletzt?« – »Der Teufel,« lallte der Stallmeister, »ist in Apollyons Stall.« – »Narr!« rief der Edelmann, indem er seine Fackel von der Wand riß, »was kann Dir das Gehirn auf so rasende Weise verrückt haben?« Mit diesen Worten schritt er über den Burghof, um die stattliche Reihe von Ställen zu untersuchen, die den ganzen Teil des Viereckes an der einen Seite einnahmen. Er trat ein, wo zu beiden Seiten der weiten Halle fünfzig herrliche Rosse in Reihen standen. Neben jeder Stallung hingen Waffen eines Ritters und das Lederkoller, das unter der Rüstung getragen wurde. Begleitet von etlichen Dienern, die voller Erstaunen über den ungewöhnlichen Lärm herbeigerannt waren, eilte der Freiherr zwischen seinen Rossen hin. Als er sich dem Stalle seines Leibpferdes näherte, der der letzte in der rechtsliegenden Reihe war, neigte das ehrliche Tier weder den Kopf noch schüttelte es die Mähne, stampfte auch nicht mit den Füßen, und gab überhaupt kein Freudenzeichen bei Annäherung seines Herrn; es stöhnte nur schwach, als ob es Beistand erflehte. Herr Herrmann hielt die Fackel hoch und entdeckte nun allerdings, daß eine lange düstere Gestalt in dem Saale stand, die Hand auf des Rosses Schulter gelegt. – »Wer bist Du?« fragte der Baron, »und was willst Du hier?« – »Ich suche Zuflucht und Gastfreundschaft,« versetzte der Fremde, »und beschwöre Dich, mir solche zu gewähren, bei der Schulter Deines Rosses und der Scheide Deines Schwertes, und mögen Dir beide nie den Dienst versagen, wenn Du ihrer auf das dringendste bedarfst.« – »Du bist also ein Bruder des heiligen Feuers,« sprach der Freiherr von Arnheim, »und ich mag Dir die Zuflucht, die Du bei mir nach der Formel der persischen Magier begehrst, nicht versagen. Gegen wen und auf wie lange erheischest Du meinen Schutz?« – »Gegen diejenigen,« versetzte der Fremde, »die daher kommen werden, um mich zu suchen, bevor noch der Morgenhahn krähen wird, und auf ein volles Jahr und einen Tag, von diesem Augenblick an gezählt.« »Ich mag es Dir,« sagte der Freiherr, »gemäß meinem Eide und meiner Ehre, nicht abschlagen. Für Jahr und Tag will ich Bürge sein für Dich, und Du sollst Dach und Kammer, Wein und Speise mit mir teilen. Dann aber mußt Du auch dem Gesetz Zoroasters gehorchen, welches nicht nur sagt: Der stärkere soll den schwächeren Bruder in Schutz nehmen, sondern auch befiehlt: Der Weisere soll den belehren, der mindere Kenntnisse besitzt. Ich bin der Stärkere, und Du sollst sicher unter meiner Obhut weilen; Du aber bist der Weisere und mußt mich einweihen in die geheimeren Mysterien.« – »Du spottest Deines Knechtes,« sprach der fremde Besucher, »so aber Danischmende etwas weiß, was Herrmann von Nutzen sein könnte, so soll es Dir mitgeteilt werden.« – »So komm denn hervor aus Deinem Zufluchtsorte,« sagte der Freiherr von Arnheim. »Ich schwöre Dir bei dem heiligen Feuer, das ohne irdische Nahrung brennt, und bei der Brüderschaft, die zwischen uns obwaltet, und bei der Schulter meines Rosses und der Scheide meines guten Schwertes, ich will Dir Bürge sein auf ein Jahr und einen Tag, insofern meine Macht sich soweit erstreckt.« Demzufolge trat der Fremde vor; und als die Leute seine seltsame Erscheinung erblickten, wunderten sie sich nicht, daß Kaspar aufs heftigste erschrocken war, als er eine solche Gestalt im Stalle fand, die auf rätselhafte Weise hineingekommen sein mußte. Als der Fremde die erleuchtete Halle erreichte, in welche der Freiherr ihn führte, erkannte man in ihm einen hochgewachsenen Mann von würdevollem Aussehen. Seine Tracht war asiatisch, bestand aus einem langen schwarzen Kaftan, wie die Armenier ihn tragen, und einer hohen viereckigen Mütze, die mit astrachanscher Lammswolle überzogen war. Jeder Teil seiner Kleidung war schwarz, so daß der lange weiße Bart, der ihm über die Brust hinabfloß, wirksam davon abstach. Sein Gewand wurde von einem schwarzseidenen netzartigen Gürtel zusammengehalten, in welchem statt eines Dolches oder Seitengewehrs ein silbernes Kästchen steckte, ein Schreibzeug und eine Pergamentrolle enthaltend. Die einzige Ausschmückung seines Gewandes bestand in einem großen Rubin von ungewöhnlichem Glanze, der, vom Licht getroffen, in edlem Feuer erglühte. Als man ihm eine Erfrischung anbot, versetzte der Fremde: »Ich will weder Brot essen, noch meine Lippen mit Wasser benetzen, bevor der Rächer nicht an Deiner Schwelle vorübergegangen sein wird.« Der Freiherr befahl, die Lampen zu versorgen und frische Fackeln anzuzünden, und blieb dann, nachdem er seine Hausleute zur Ruhe gesendet hatte, mit dem Fremden, seinem Schützlinge, in der Halle. Um die düstere Stunde der Mitternacht wurden die Tore der Feste Arnheim wie von einem Wirbelwind erschüttert, und eine Stimme, wie die eines Heroldes, ward vernommen, die den ihr verfallenen Gefangenen Danischmende, den Sohn Alis, verlangte. Der Turmwächter hörte dann, wie ein unteres Fenster in der Halle aufgestoßen wurde, und konnte deutlich die Stimme seines Burgherrn vernehmen, der die Person anredete, welche die Auslieferung begehrte. Allein die Nacht war so dunkel, daß er die Sprechenden nicht sehen konnte, und die Reden, die sie wechselten, waren ihm gänzlich fremd, oder doch so stark mit ausländischen Wörtern vermengt, daß er nicht eine Silbe von dem, was sie sagten, zu verstehen imstande war. Kaum waren fünf Minuten verflossen, so erhob der draußen Befindliche nochmals die Stimme und rief in deutscher Sprache: »Auf ein Jahr und einen Tag verzichte ich auf mein Recht – allein nach Ablauf dieser Frist werde ich kommen, um es einzufordern, und dann keinen längeren Widerstand finden!« Von dieser Zeit an war Danischmende, der Perser, ein beständiger Gast auf der Feste Arnheim. Seine Belustigungen oder Studien schienen sich auf die Bücherei der Feste und auf das Laboratorium zu beschränken, wo der Freiherr bisweilen stundenlang mit ihm arbeitete. Streng hielt Danischmende die Andachtsübungen seines Glaubens inne, indem er bei dem ersten Strahl der aufgehenden Sonne auf sein Angesicht fiel und eine im schönsten Ebenmaße gefertigte silberne Lampe anzündete, die auf einem Fußgestell ruhte, in dessen Sockel Hieroglyphen gemeißelt waren. Mit welcher Flüssigkeit er dieser Lampe Flamme nährte, war allen, vielleicht nur nicht dem Freiherrn, unbekannt; allein, die Flamme brannte stetiger, reiner und glänzender, als man irgend eine je gesehen hatte. Er sprach fast nie mit jemand außer dem Freiherrn; da er aber Geld hatte und freigebig war, so begegnete ihm das gesamte Hausgesinde zwar mit Ehrfurcht, doch ohne Furcht oder Widerwillen, Dem Winter folgte der Frühling, der Sommer brachte seine Blumen, das Spätjahr seine Früchte, als ein Edelknecht, der den Gebietern bisweilen in die geheime Werkstätte folgen mußte, um ihnen erforderlichen Falles einige Handreichung zu tun, den Perser zu dem Freiherrn sagen hörte: »Du wirst wohl tun, mein Sohn, auf meine Worte zu merken; denn meine Lehren an Dich gehen zu Ende, und keine Macht auf Erden vermag mein Schicksal länger hinauszuschieben. Ich will die Aufgabe, Dich in Deinen Studien zum Ziel zu führen, meiner Tochter übertragen, die zu dem Ende hierher kommen soll. Allein bedenke, daß, wenn die Erhaltung Deines Stammes Dir lieb ist, Du nichts anderes in ihr erblicken darfst als eine Mitarbeiterin bei Deinen Forschungen; denn so Du über die Schönheit des Mädchens die Lehrerin vergißt, so wirst Du als der letzte männliche Sprosse Deines Geschlechts begraben werden, und ferneres Unheil wird, glaube mir, sich daraus ergeben; denn solch Bündnis nimmt nimmer einen glücklichen Ausgang, wovon ich selbst ein lebendiges Beispiel bin – doch still! wir werden beobachtet!« Als der Tag nun herankam, wo des Persers Schicksal sich vollziehen sollte, befürchtete das Hausgesinde, eine Katastrophe würde über alle hereinbrechen. Doch nichts geschah, und lange vor der Zauberstunde der Mitternacht, endete Danischmende seinen Besuch in der Feste von Arnheim, indem er in der Tracht eines gewöhnlichen Reisenden durch das Burgtor davon ritt. Man hörte und sah nie wieder etwas von ihm. Der Freiherr war den ganzen Tag über traurig gestimmt. Ganz gegen seine Gewohnheit blieb er in der großen Halle, besuchte weder die Bücherei noch die geheime Werkstätte, wo er nicht länger der Gesellschaft seines von ihm geschiedenen Lehrmeisters sich erfreuen konnte. Bei dem Aufdämmern des folgenden Morgens rief der Freiherr seinen Edelknecht und ließ sich, während er sich sonst fast nachlässig zu kleiden pflegte, prächtige Gewänder reichen. Da er noch in der Blüte des Lebens stand und von edler Gestalt war, so hatte er Ursache, mit seinem Erscheinen zufrieden zu sein. Nachdem er seinen Anzug geordnet hatte, wartete er, bis die Sonne über dem Horizont heraufgestiegen war, und ging dann in Begleitung des Pagen zu der geheimen Werkstätte, gleich einem Menschen, der drinnen etwas Seltsames zu schauen erwartete. Er ermannte sich zum Entschlusse, drehte das Schloß auf, öffnete die Tür und trat hinein. Der Edelknecht folgte seinem Gebieter auf dem Fuße und erstaunte bis zum Entsetzen über das, was er erblickte. Die silberne Ampel war erloschen, oder doch von dem Fußgestell weggenommen, und an der Stelle derselben stand eine überaus schöne weibliche Gestalt in einem persischen Gewande von nelkenroter Farbe. Doch trug sie keinen Turban oder sonst welche Kopfbedeckung, außer daß um ihr dunkelbraunes Haar sich ein blaues Band wand, das von einer goldenen Schnalle mit einem prächtigen Opal zusammengehalten wurde. Die Gestalt des jungen, weiblichen Wesens war von vollendeter Schönheit, die weiten, nach morgenländischer Mode an den Knöcheln zusammengeschnürten Beinkleider ließen den schönsten, kleinsten Fuß sehen, während Arme und Hände im vollkommenen Ebenmaße zwischen den Falten des Gewandes sichtbar waren. Das Angesicht der kleinen Dame war von lebhaftem Ausdruck und bekundete Geist und Verstand; das dunkle, feurige Auge strahlte unter schön gewölbten Brauen. Das Frühlicht der aufgehenden Sonne, das durch eine dem Fußgestell gegenüber liegende Fensteröffnung fiel, erhöhte die liebliche Erscheinung dieser schönen Gestalt, die so bewegungslos blieb, als wäre sie aus Marmelstein gehauen. Daß sie den Freiherrn hatte eintreten sehen, verriet sie nur durch ein etwas schnelleres Atmen und hohes Erröten, das von einem sanften Lächeln begleitet wurde. – Der Freiherr hatte wohl erwartet, etwas Seltsames, nicht aber etwas so hinreißend Schönes zu sehen, und er stand eine Weile außer Atem und regungslos da. Mit einemmale jedoch schien er sich zu erinnern, daß es seine Pflicht sei, die schöne Fremde auf seiner Feste zu begrüßen und sie aus ihrer gefährlichen Stellung zu erlösen. Er trat zu diesem Zweck vor, indem er Begrüßungsworte auf der Zunge trug und seine Arme ausstreckte, um das junge Mädchen von dem fast 6 Fuß hohen Gestell herabzuheben; allein die leichte, behende Fremde nahm bloß die Stütze seiner Hand an und schwebte so leise und wohlbehalten auf den Fußboden herab, wie ein Gespinst aus Sommerfäden. Auch empfand der Freiherr bloß durch einen kräftigen Händedruck, daß er es mit einem Wesen von Fleisch und Blut zu tun hätte. – »Ich bin gekommen, wie Ihr es geboten habt,« sprach sie, indem sie umherblickte. »Ihr müßt eine pünktliche und fleißige Lehrerin erwarten, so wie ich hoffe, daß Ihr einen aufmerksamen Zögling abgeben werdet.« Nach Ankunft dieses seltsamen, lieblichen Wesens auf der Feste zu Arnheim fanden im Innern des Hauses mancherlei Umgestaltungen statt. Eine Dame von hohem Range und geringem Vermögen, die ehrsame Witwe eines mit dem Freiherrn verwandten Reichsgrafen, erhielt eine Einladung, die auch von ihr angenommen wurde, dem Hauswesen ihres Verwandten vorzustehen und durch ihre Gegenwart jeglichem Gerede vorzubeugen, zu dem die Anwesenheit der jungen, allgemein Hermione genannten Perserin hätte Anlaß geben können. Die Gräfin Waldstätten ging in ihrer Gefälligkeit so weit, daß sie fast stets in der geheimen Werkstätte, wie in der Bücherei zugegen war, wenn der Freiherr von Arnheim von der jungen und liebenswürdigen Meisterin, die auf so sonderbare Weise an die Stelle des Magiers getreten war, Unterricht empfing oder mit ihrer Hilfe Forschungen anstellte. Darf man dem Berichte der Gräfin trauen, so waren diese Forschungen von höchst absonderlicher Natur. Doch erklärte sie mit Bestimmtheit, daß der Freiherr und Hermione dabei niemals gottmißfällige Künste trieben oder die Grenzen des natürlichen Wissens überschritten. Infolge dieses Zeugnisses verstummten die finstern Nachreden, mit denen man das seltsame Erscheinen der fremden Schönen verfolgt hatte, zumal auch Hermiones liebenswürdiges Benehmen unwillkürlich das Wohlwollen eines jeden in Anspruch nahm, der sich ihr näherte. Bald trafen Meisterin und Schüler nicht nur in der Bücherei oder der Werkstätte zusammen; sondern Garten und Hain wurden zur Belustigung, zu Jagd und Angelsport aufgesucht, auch die Abendstunden durch Tänze verkürzt, was alles darauf hindeutete, daß das Forschen nach Weisheit für eine Zeitlang dem Haschen nach Vergnügen Platz machen mußte. Der Freiherr von Arnheim und sein schöner Gast redeten aber in einer Sprache, die ganz von allen andern abwich, und konnten daher selbst mitten im Getümmel der Fröhlichkeit, das sie umgab, sich geheim unterhalten. Niemand war daher überrascht, nach wenigen Wochen der Lust die Kunde zu vernehmen, daß die schöne Perserin sich mit dem Freiherrn von Arnheim vermählen werde. Die Sitten dieses reizenden Mädchens waren so einnehmend, ihre Unterhaltung so beseelt, ihr Witz so sprühend und doch mit so vieler Gutherzigkeit und Bescheidenheit verbunden, daß, ungeachtet ihres unbekannten Ursprunges, sie um ihr großes Glück weniger beneidet wurde, als in so absonderlichem Falle wohl hätte erwartet werden mögen. Vor allem wurden die Herzen aller, die in ihre Nähe kamen, durch des Mädchens Edelmut gerührt und gewonnen. Ihr Reichtum schien unermeßlich zu sein, denn sie verteilte viele Juwelen unter ihre hübschen Freundinnen. Diese trefflichen Eigenschaften, vor allem ihre Freigebigkeit, verbunden mit großer Einfachheit in Gedanken und Gemütsart, dazu ihr gänzlicher Mangel an Großsprecherei machten sie, trotz ihrer geheimnisvollen Wissenschaft, zum Liebling aller. Bei den fröhlichen Tänzen war sie an Leichtigkeit und Beweglichkeit so unerreichbar, daß sie darin einem ätherischen Wesen glich. Ohne Anstrengung an sich wahrnehmen zu lassen, konnte sie dem Vergnügen sich hingeben, bis sie auch die ausdauerndsten Mittänzer ermüdet hatte. Von ebenso übernatürlicher Schnelligkeit zeigte sie sich, wenn sie im Parke mit ihren Gefährtinnen Verstecken oder ähnliche Bewegungsspiele trieb. Sie erschien unter ihren Gespielinnen und verschwand vor deren Augen mit einem an das Unbegreifliche grenzenden Grade von Beweglichkeit; und Hecken, Geländer oder ähnliche Umzäunungen wurden von ihr auf eine Art und Weise überschritten, die dem wachsamsten Blick unerkenntlich blieb, denn hatte man sie eben an der einen Seite des Zaunes wahrgenommen, so stand sie im nächsten Momente schon wieder dicht neben dem Zuschauer. In solchen Augenblicken, wo ihre Augen funkensprühend erglänzten, ihre Wangen sich röteten und ihre ganze Gestalt wundersam belebt erschien, behauptete man, daß die Opalschnalle in ihren Haarflechten, jener Schmuck, den sie nimmer ablegte, einen kleinen Strahl oder ein Flammenzünglein blicken ließ, welches jederzeit geschah, wenn Hermione sich schnell bewegte. Auf gleiche Weise glaubte man, daß, wenn im Halbdunkel der Halle die Unterredung Hermionens ungewöhnlich lebhaft war, der Edelstein heller glänzte und sogar einen flimmernden Schein ausstrahlte, der von ihm selbst auszugehen, nicht aber wie sonst, das Feuer von Edelsteinen, durch das Zurückwerfen irgend eines äußeren Lichtes zu entstehen schien. – Nach Verlauf von zwölf Monaten beschenkte die liebenswürdige Freiin von Arnheim ihren Gatten mit einer Tochter, die nach des Freiherrn Mutter Sybilla getauft werden sollte. Da das Kind vollkommen gesund war, ward die kirchliche Handlung so lange verschoben, bis die Mutter völlig von ihrer Niederkunft genesen sein würde, und viele Gäste wurden eingeladen, der Feierlichkeit beizuwohnen. Unter diesen befand sich auch eine alte Dame, die dafür bekannt war, daß sie in der menschlichen Gestalt die Rolle einer bösen Fee spielte, wie deren in den Liedern der Minnesänger erwähnt wird. Diese Dame war die Freifrau von Steinfeldt, berüchtigt in der ganzen Nachbarschaft durch ihre unersättliche Neugier und ihren unüberwindlichen Hochmut. Sie war noch nicht viele Tage auf der Burg gewesen, als sie sich bei einer Dienerin über alles unterrichtete, was von der Sonderbarkeiten der Freiin von Arnheim gehört, gesagt oder vermutet wurde. Am Morgen des Tages, der zu der Taufhandlung bestimmt worden war, als eben die ganze Gesellschaft in der Halle die Ankunft der Freiin erwartete, um sie in die Kapelle zu geleiten, entstand nun zwischen der Freifrau von Steinfeldt und der Gräfin Waldstätten ein heftiger Streit über den Vorrang beider. Dies wurde dem Freiherrn von Arnheim hinterbracht, der zugunsten der Gräfin entschied. Die Edle von Steinfeldt befahl hierauf ihrem Stallmeister, sich bereit zu halten, und ließ ihre Dienerschaft aufsitzen. »Ich verlasse diesen Ort,« sagte sie, »den ein guter Christ nimmer hätte betreten sollen; ich verlasse ein Haus, dessen Gebieter ein Zauberer, dessen Gebieterin ein Dämon ist, und dessen Wirtschafterin sich um kargen Lohn hergab, die Kupplerin zwischen einem Hexenmeister und dem eingefleischten Satan zu sein.« – Damit fuhr sie ab, Zorn auf dem Angesichte und Hohn im Herzen. Der Freiherr von Arnheim trat nun vor und fragte die Ritter und Edlen umher, ob einer oder der andere unter ihnen wäre, der mit seinem Schwerte die schändlichen Lügen vertreten wollte, die gegen ihn, seine Gattin und Verwandte, ausgestoßen worden waren. – Allgemein lautete die Antwort, man denke nicht daran, die Reden der Freifrau von Steinfeldt zu verfechten, und alle äußerten den Glauben, daß die Edle nur im Geiste der Verleumdung und Falschheit gesprochen hätte. »So laßt die Lüge auf den Boden fallen, die kein Mann des Mutes vertreten will,« sagte der Freiherr von Arnheim, »und alle, die gegenwärtig sind, sollen noch an diesem Morgen sich überzeugen, ob die Freiin Hermione nicht an den Gebräuchen der christlichen Kirche teilnimmt.« – Die Gräfin Waldstätten gab ihm, während er das sprach, ängstliche Zeichen und flüsterte ihm zu: »Seid nicht so vorschnell! Es ist etwas Geheimnisvolles in jenem Opal-Talisman; seid klug und laßt die Sache so hingehen.« In diesem Augenblick trat die Freiin von Arnheim in die Halle, noch bleich von ihrer Niederkunft, was ihr Antlitz nur noch schöner erscheinen ließ. Nachdem sie die versammelten Anwesenden aufs anmutigste begrüßt hatte, fragte sie, warum die Frau von Steinfeldt nicht anwesend wäre. In demselben Augenblicke gab ihr Gemahl der Gesellschaft ein Zeichen, sich zur Kapelle zu begeben, und bot der Freiin seinen Arm, um dem Zuge voranzuschreiten. Die Kapelle wäre fast von der glänzenden Gesellschaft überfüllt worden, und aller Augen hafteten auf Wirt und Wirtin, als diesen unmittelbar vier junge Fräulein folgten, die den Täufling in einer leichten und schönen Sänfte trugen. Als sie über die Schwelle schritten, tauchte der Freiherr seinen Finger in den Weihkessel und, um die Verleumdung der boshaften Edlen von Steinfeldt zunichte zu machen, spritzte er mit einer Miene neckender Vertraulichkeit, die in Rücksicht auf Zeit und Ort wohl keineswegs am Platze war, etliche Tropfen der an seinem Finger übriggebliebenen Flüssigkeit auf die Stirn Hermionens. Der Opal, auf den einer der Tropfen gefallen war, sprühte einen glänzenden Funken gleich einer Sternschnuppe und wurde im Augenblicke nachher licht- und farblos wie ein gemeiner Kiesel, während die anmutige Freifrau mit einem tiefen Seufzer des Kummers auf den Boden der Kapelle niedersank. Alles umringte sie in Bestürzung. Die unglückliche Hermione wurde aufgehoben und in ihr Gemach getragen; allein schon während dieser kurzen Zeit veränderten ihr Antlitz und ihr Puls sich dergestalt, daß die sie Umgebenden nur eine Sterbende in ihr erblickten. Kaum war sie in ihrem Gemache angelangt, so begehrte sie, mit ihrem Gemahl allein gelassen zu werden. Er blieb eine Stunde in dem Gemache, und als er es verließ, verschloß und verriegelte er den Eingang. Dann ging er in die Kapelle, wo er eine Stunde lang vor dem Hochaltar lag. Mittlerweile hatten die meisten der Gäste voll Bestürzung das Schloß verlassen, obwohl etliche aus Neugierde oder Höflichkeit zurückblieben. Endlich langte ärztlicher Beistand an, und die Gräfin Waldstätten bat den Freiherrn um den Schlüssel zu dem verschlossenen Gemach der Freiin. Arnheim gab ihn ihr, fügte aber finsteren Blickes hinzu, daß alle Hilfe vergeblich sein würde, und daß er wünschte, alle Fremden möchten die Feste verlassen. Wenige von diesen hatten Lust zu bleiben, als, nachdem man das Gemach betreten, in welchem die Freifrau vor zwei Stunden erst zur Ruhe gebracht worden war, keine Spur von ihr zu finden war, außer daß eine Handvoll grauer Asche, wie von verbranntem Papiere auf dem Bette lag, auf das man die Erkrankte niedergelegt hatte. Dessenungeachtet fand ein feierliches Leichenbegängnis mit allen andern kirchlichen Gebräuchen statt; und drei Jahre später, genau an demselben Tage, wurde der Freiherr selbst in der Gruft seiner Ahnen bestattet und ihm als dem letzten männlichen Sprossen seines Hauses, Schwert, Schild und Helm auf den Sarg gelegt.« Hier hielt der Schweizer inne; denn die Wachrunde näherte sich der Brücke des Jagdschlosses Grafenlust. Zwölftes Kapitel »Und Anna von Geierstein?« fragte Arthur Philippson nach kurzem Schweigen. – »Ihre Mutter,« antwortete der Schweizer, »war Sybille von Arnheim, eben jenes Kind, bei dessen Taufe die Mutter starb, verschwand, oder wie Ihr es sonst nennen wollt. Die Herrschaft Arnheim, die nur an männliche Erben übergehen durfte, fiel an den Kaiser zurück. Seit dem Tode ihres letzten Herrn ist die Feste nie wieder bewohnt gewesen und, wie ich hörte, inzwischen zur Ruine geworden,« »Ergab sich denn auch etwas Uebernatürliches,« fragte der Engländer, »mit der jungen Freiin Sybille, die nachher dem Bruder des Landammannes angetraut wurde?« – »Es heißt, die Kinderwärterinnen hätten um Mitternacht Frau Hermionen, die letzte Freiin von Arnheim, neben der Wiege des Säuglings weinend sitzen sehen, und was dergleichen Geschichten mehr sind. Allein hier folge ich minder zuverlässigen Berichten, als die sind, aus denen meine Erzählung stammt,« – »Und auf wessen Zeugnis habt Ihr Euch bei dieser Erzählung verlassen?« »Damit will ich dienen,« antwortete der Schweizer, »Wisset, daß Gottlieb von Donnersberg, eben jener Lieblingspage des letzten Arnheimers, der Bruder meines Vaters war. Nach seines Herrn Tode zog er sich nach seinem Geburtsort Bern zurück. Mit eigenen Augen und Ohren sah und hörte er den größten Teil dieser düstern, geheimnisvollen Geschichte. Solltet Ihr jemals die Stadt Bern besuchen, so werdet Ihr den ehrlichen alten Mann kennen lernen,« – »Ihr meint also,« fragte Arthur, »daß die Erscheinung, die ich in dieser Nacht gesehen habe, mit der geheimnisvollen Ehe des Großvaters der Anna von Geierstein zusammenhänge?« – »Ei,« versetzte Rudolf, »denkt doch nicht, daß ich eine so seltsame Sache auszudeuten vermöchte. Ich beging wohl die Ungerechtigkeit, Eure Aussage betreffs der Erscheinung, die Ihr diese Nacht gesehen habt, zu bezweifeln, aber ich darf eben doch daran erinnern, daß in des jungen Mädchens Geblüt ein Teil ist, von dem man meint, daß er nicht von Adam, sondern auf mehr oder minder geradem Wege von einem jener Elementargeister abstamme, von denen man so in neuerer wie altersgrauer Zeit erzählte. Doch kann ich mich irren, wir werden sehen, wie Anna sich diesen Morgen zeigt, und ob sich auf ihrem Antlitz die Blässe und Erschöpfung wahrnehmen lassen, die von durchwachter Nacht zeugen. Ist dies nicht der Fall, so dürfen wir jedenfalls annehmen, daß entweder Eure Augen Euch seltsam betrogen haben oder sich in der Tat eine gespenstische Erscheinung gezeigt hat, die nicht von dieser Welt war.« Hierauf erwiderte der Engländer nichts. In demselben Augenblicke wurden sie von dem Wachtposten auf der Notbrücke angerufen. – »Warum fragst Du zweimal nach dem Losungswort, Sigismund?« fragte Rudolf. »Ich bin durch einen Spuk auf meinem Posten erschreckt worden,« antwortete der Bursche. »Hört an, Hauptmann, wie's war! Ich fand es etwas langweilig, hinauf in den breiten Mond zu gucken, drum zog ich mir die Kappe über die Ohren, denn ich versichere Euch, der Wind blies scharf; dann pflanzte ich mich fest auf meine Füße, eines der Beine ein wenig vorgestemmt, stützte meine beiden Hände auf meine Partisane, die ich aufrecht vor mich hinstemmte, um mich darauf zu lehnen, und schloß die Augen.« – »Schlossest die Augen, Sigismund, und das auf Deinem Posten?« rief Donnersberg. – »Seid außer Sorge deshalb,« antwortete Sigismund. Ich hielt dafür die Ohren offen. Da kam etwas auf die Brücke geschlichen, so leis und verstohlen wie eine Maus. Ich starrte hinaus in dem Augenblick, wo es mir gegenüberstand – und als ich so hinstarrte, was meint Ihr, wen ich sah? Anna von Geierstein!« »Es ist unmöglich,« sagte der Berner. – »Das hätte ich auch sagen mögen,« bemerkte Sigismund; »denn ehe Anna in ihr Gemach ging, habe ich hineingeguckt, und es ist alles so schön drin hergerichtet, daß eine Königin oder Prinzessin dort hätte schlafen können. Warum sollte daher die Dirne auch ihre gemütliche Kammer, die ringsumher von ihren guten Freunden bewacht wird, verlassen haben, um in den Wald zu wandern? Und doch! sie kam vom Walde her. Ich sah sie, als sie das Ende der Brücke erreicht hatte, und wollte schon nach ihr schlagen, indem ich meinte, es sei der Gottseibeiuns in des Mädchens Gestalt. Allein ich erinnerte mich, daß meine Hellebarde kein Birkenreis ist, um Knaben und Mädchen damit zu züchtigen.« »Hast Du die Gestalt oder den Spuk, wie Du es nanntest, angeredet?« fragte der Berner. – »Das ließ ich fein bleiben, Hauptmann. Auch blieb mir keine Zeit dazu, denn der Spuk flog an mir vorüber wie eine Schneeflocke vor dem Wirbelwind. Ich schritt der Gestalt in die Feste nach, rief sie bei Annas Namen, da wachten die Schläfer auf, die Mannschaft griff zu den Waffen, und es gab eine Verwirrung, als ob Archibald von Hagenbach mit Schwert und Lanze unter uns gekommen wäre. Und wer sollte aus Annas Gemach ebenso bestürzt und ebenso schlaftrunken, wie wir alle, anders herausgekommen sein, als Anneli selbst? und da sie behauptete, sie hätte ihre Kammer während der Nacht durchaus nicht verlassen, so fielen alle über mich her. Da aber sagte ich ihr meine Meinung; »Fräulein Anna,« sprach ich, »alle Welt weiß, von wem Ihr stammt, und wenn Ihr noch einmal vor mir Eure Doppelgängerei treibt, so setzt Euch eine Eisenkappe aufs Köpfchen, denn ich werde Euch Länge und Gewicht einer Schweizer Partisane zu fühlen geben.« Dennoch schrien alle: »Schäm Dich!« und mein Vater trieb mich wieder hinaus, als wäre ich der Kettenhund gewesen und hätte mich von der Wacht auf dem Hofe herein an den Feuerherd geschlichen. Doch nun, Hauptmann, schickt einen heraus, der mich ablöse. So es morgen etwas zu tun gibt – und ich glaube, es wird was geben – so sind ein Mundvoll Speise und eine Minute Schlaf ein köstlich Vorbereitungsmittel, und ich stehe hier schon zwei tödlich lange Stunden Wache.« – Dabei gähnte der junge Recke ganz gewaltig, als wollte er die Gründe seines Gesuches rechtfertigen. – »Du sollst augenblicklich abgelöst werden, Sigismund,« antwortete Donnersberg, »damit Du schlafen kannst, ohne von Träumen gestört zu werden. Vorwärts, Ihr Männer!« rief er den andern zu, die unterdessen herangekommen waren, »begebt Euch zur Ruhe! Arthur von England und ich werden dem Landammann und dem Bannerherrn Bericht von unserer Wachtrunde erstatten.« Die Runde zog nun in die Jagdfeste ein und gesellte sich bald zu ihrem schlummernden Genossen. Rudolf Donnersberg ergriff Arthurs Arm und flüsterte ihm ins Ohr, während sie dem Saale zuschritten: »Das sind seltsame Ereignisse! Was meint Ihr, wie berichten wir darüber der Gesandtschaft?« – »Das muß ich Euch anheimstellen,« versetzte Arthur, »Ihr seid unser Wachthauptmann. Ich habe meine Pflicht getan, indem ich Euch erzählte, was ich sah – oder doch zu sehen glaubte – an Euch ist es, zu entscheiden, inwieweit man es dem Landammanne mitteilen kann.« – »Ich werde erst mit Anna selbst reden,« sprach der Berner hastig, »Ihr schweigt jedenfalls über das alles, nicht wahr? und auch darüber, was Ihr in Betreff unserer Hilfsmänner aus Bern gesehen und gehört habt?« fragte Rudolf. »Was dies betrifft,« antwortete Arthur, »so werde ich meinen Vater nur darauf aufmerksam machen, daß das Gepäck in La Ferette untersucht und vielleicht gar konfisziert werden könne.« – »Das ist unnütz,« sprach Rudolf »denn ich hafte mit Haupt und Hand für die Sicherheit seiner Habe.« – »Ich danke Euch in seinem Namen,« entgegnete Arthur, »allein wir sind friedliche Reisende, die ein Handgemenge zu vermeiden wünschen, auch wenn wir vollauf sicher sein könnten, siegreich daraus hervorzugehen,« – »Das sind die Gesinnungen eines Handelsmannes, nicht aber die eines Kriegers,« sagte Rudolf in kaltem, schneidendem Tone; »doch ist das Eure Sache, Handelt nach Gutdünken, doch vergeßt nicht, daß Ihr ohne uns in La Ferette nicht nur Hab und Gut, sondern auch das Leben verlieren könntet!« Indem er so sprach, traten sie in das Gemach ihrer Reisegefährten. Die Genossen ihrer Wachtrunde hatten sich bereits, am untern Ende des Gemaches neben ihre Kameraden zum Schlafe gelegt. Der Landammann und der Bannerträger von Bern hörten Donnersbergs Bericht an. Der Berner wickelte sich sodann in seinen Mantel, streckte sich auf die Streu und lag nach wenigen Minuten in festem Schlafe. Arthur blieb etwas länger wach, um einen ernsten Blick auf die Kammertür Annas von Geierstein zu werfen und über die wundersamen Ereignisse dieser Nacht nachzusinnen. Allein diese bildeten ein verworrenes Geheimnis, zu dem er den Schlüssel nicht finden konnte. Er erinnerte sich sodann, daß er sofort Rücksprache mit seinem Vater halten müsse, und legte sich zu diesem Zwecke neben seinem Vater nieder, dessen bequemere Lagerstätte ein wenig abseits hergerichtet worden war. Philippson schlief fest, erwachte jedoch, als sein Sohn ihn berührte und ihm in englischer Sprache ins Ohr flüsterte, daß er ihm wichtige Nachrichten im geheimen mitzuteilen hätte. »Ich erfuhr,« sagte Arthur, »als ich die Wachtrunde mitmachte, daß der Vogt zu La Ferette höchst wahrscheinlich Eure Waren und Euer Gepäck anhalten werde, um dafür den Zoll zu begehren, den der Herzog von Burgund einzutreiben befiehlt. Auch erfuhr ich, daß die schweizerischen Jünglinge, die uns begleiten, entschlossen sind, dieser Gewalttat Widerstand zu leisten. Sie glauben stark genug dazu zu sein.« – »Beim heiligen Georg, das darf nicht geschehen,« sagte der ältere Philippson. »Wenn wir dem Herzog einen Vorwand zur Fehde geben, die Biedermann möglichst zu vermeiden strebt, so würden wir dem wackeren Alten nur schlecht vergelten, was er uns Gutes getan hat. Jegliche Erpressung, wie ungerecht sie auch sein möge, will ich freudig zahlen. Nur meine Papiere kann ich mir nicht nehmen lassen – das würde mir den Hals brechen. Ich fürchtete gleich, daß es so kommen würde, und deshalb zog ich ungern mit der Schar des Landammannes, Wir müssen uns jetzt von ihnen trennen. Der raubsüchtige Vogt wird zuverlässig nicht Hand an die Abgeordneten legen, die unter dem Schutze des Völkerrechts an den Hof seines Gebieters ziehen. Sind wir aber noch bei ihnen, so wird's zum Streite kommen, da es diese Jünglinge so sehr danach gelüstet. Das soll nicht sein, also ziehen wir allein weiter oder bleiben zurück, bis sie vorweg sein werden. Ist jener von Hagenbach nicht der unklügste Mensch, so werde ich schon ein Mittel finden, ihn, soweit es uns allein betrifft, zu beschwichtigen. Unterdessen muß ich den Landammann wecken,« setzte er hinzu, »und ihn von meinem Entschlusse in Kenntnis setzen.« In einer Minute stand Philippson neben Arnold Biedermann. »Werter Freund und Wirt,« sprach er, »wir haben für gewiß gehört, daß unser armseliger Warenvorrat bei unserm Durchzug durch La Ferette einer Verzollung oder Wegnahme ausgesetzt sein wird, und herzlich gern möchte ich jeglichen Anlaß zum Hader so Euretwegen wie meinetwegen vermeiden.« – »Ihr zweifelt doch nicht, daß wir Euch beschützen können und werden?« fragte der Landammann. »Ich wünsche nichts so sehr wie den Frieden; doch selbst der Herzog von Burgund darf und soll, soweit meine Macht es hindern kann, meinem Gaste kein Leid zufügen.« – »Somit könnten wir Anlaß zum Hader geben, mein werter Gastfreund,« versetzte Philippson, »und deshalb will ich zeitiger, als ich es wünschte, von Euch Abschied nehmen. Erwägt, mein rechtschaffener und würdiger Wirt, daß Ihr ein Gesandter seid, der Frieden sucht, und daß ich ein Handelsmann bin, der nach Gewinn auszieht. Krieg oder Gezänk, woraus Krieg entstehen könnte, ist Eurem Vorhaben so verderblich wie dem meinigen. Ich gestehe Euch freimütig, daß ich bereit und imstande bin, ein bedeutendes Lösegeld zu zahlen, und sobald Ihr voraus gereist seid, werde ich über die Summe verhandeln. Archibald von Hagenbach wird doch lieber mit mir etwas glimpflicher umgehen, als seine Beute dadurch gänzlich zu verlieren, daß er mich nötigt, wieder umzukehren und einen andern Weg einzuschlagen.« – »Ihr redet verständig, Herr Engländer,« sagte der Landammann, »und ich danke Euch dafür, daß Ihr mir meine Pflicht ins Gedächtnis rieft. Bei alledem dürft Ihr keiner Gefahr ausgesetzt sein. Das Volk zu Basel ist leider zu furchtsam, um Euch in Schutz zu nehmen; das Kriegsvolk würde auf den ersten Wink des Vogts Euch ergreifen, und ebensowenig mögt Ihr in der Hölle, als von diesem Hagenbach Gerechtigkeit und Milde erwarten,« – »Es gibt Beschwörungen,« sagte Philippson, »die, wie es heißt, selbst die Hölle erzittern machen, und ich habe Mittel in Händen, selbst diesen von Hagenbach zu sänftigen, sobald ich nur eine geheime Unterredung mit ihm erlangen kann,« – »So das der Fall ist,« sagte der Landammann, »und Ihr Euch notwendigerweise von uns trennen müßt, wofür ihr, ich leugne es nicht, verständige und triftige Gründe beigebracht habt: warum solltet Ihr Grafenlust nicht zwei Stunden vor uns statt nach uns verlassen? Die Straße wird sicherer sein, wenn wir hinterher ziehen, und wahrscheinlich werdet Ihr, wenn Ihr früher reist, den Vogt noch nüchtern und in der Verfassung finden, Eure Gründe anzuhören. Jedoch wenn er sein Frühbrot mit Rheinwein niedergeschwemmt hat, den er jeden Morgen trinkt, bevor er die Messe hört, so vergißt er selbst seinen Geiz über seiner Tollheit. – Ich beabsichtigte in der ersten Stunde nach Tagesanbruch weiterzuziehen und werde dies nun bis zur zweiten Stunde verschieben. Ihr, Herr Philippson, werdet inzwischen La Ferette erreichen, wo Ihr, wie ich hoffe, Eure Angelegenheiten alsdann mit dem Hagenbacher zu Eurer Zufriedenheit werdet abgemacht haben, um wieder zu uns zu stoßen, wenn wir durch Burgund ziehen.« – »Wenn unsere gegenseitigen Zwecke unser gemeinsames Reisen gestatten, würdiger Landammann,« sagte der Handelsmann, »so werde ich mich höchst glücklich schätzen, weiterhin Euer Gefährte zu sein, – Und jetzt genießt der Ruhe wieder, der ich Euch entzogen habe,« – »Gott segne Euch, verständiger und treuherziger Mann,« sprach der Landammann, indem er sich erhob und den Engländer umarmte. »Sollten wir niemals wieder Zusammenkommen, so werde ich doch stets des Kaufmannes gedenken, der sich jedes Gedankens an Gewinn entschlug, um nur auf dem Pfade der Klugheit und des Rechttuns zu bleiben. Leb' auch Du wohl, tapferer junger Mann,« sprach er zu Arthur gewendet, »Du hast unter uns gelernt, auf einem helvetischen Felsrand festen Fußes zu stehen; allein niemand kann Dich so gut wie Dein Vater belehren, den richtigen Weg zwischen den Morästen und Abgründen des menschlichen Lebens zu wandeln.« Dreizehntes Kapitel Kaum färbte das Morgenrot den Horizont, so war Arthur Philippson schon auf den Beinen, um alles zur Abreise herzurichten. Es war keine schwierige Aufgabe für ihn, die sauber geschnürten Ballen, die seines Vaters Waren enthielten, von den plumpen Bündeln zu trennen, in denen das Gepäck der Schweizer steckte. Als alles fertig war, weckte der junge Engländer seinen Vater und zog sich dann zurück, während der Vater, seiner täglichen Gewohnheit nach, das Gebet des heiligen Julian, des Schutzpatrons der Reisenden, hersagte und sich hierauf zur Reise ankleidete. Man wird sich nicht wundern, daß indes der jüngere Philippson, das Herz voll von dem, was sich in der verflossenen Nacht ereignet hatte, die Blicke auf die Tür des Schlafzimmers heftete, wo das wundersame Mädchen weilte. Die Frage, ob er das Mädchen selbst gesehen oder einen Geist, der ihre Gestalt angenommen, ließ ihm keine Ruhe. »Ich werde sie niemals wiedersehen,« dachte er bei sich, »das ist wohl mehr als gewiß; und niemals werden sich mir die Geheimnisse enthüllen, von denen sie umgeben ist. Doch daß ich etwas ausgeplaudert habe, wodurch sie diesem derben Burschen, dem Rudolf von Donnersberg, in die Hände gegeben ist, das werde ich zeit meines Lebens bereuen.« – So stand er, bis sein Vater ihn rief. Indem sie mit Vorsicht durch die Gruppen von Schlafenden, welche umherlagen, hinschritten, wendete der ältere Philippson, als sie die Tür des Saales erreicht hatten, sich noch einmal um und murmelte ein unfreiwilliges Lebewohls indem er auf das Strohlager blickte, auf welchem die hohe Gestalt des Landammannes und der Silberbart seines beständigen Begleiters von den ersten Strahlen der Morgensonne erhellt wurden. Ebenso rief, doch nur für sich selbst, Arthur der liebreizenden, tapferen, doch auch geheimnisvollen Anna ein Lebewohl zu. Bald befanden sie sich vor dem äußeren Tore; und der Sohn nahm den Zaum des Maultieres in die Hand und führte es gemächlichen Schrittes dem Ziele ihrer heutigen Wanderung zu, indem der Vater neben ihm herschritt. Indem wir die beiden Reisenden ihres Weges nach La Ferette ziehen lassen, versetzen wir uns an das östliche Tor jener auf einem Hügel gelegenen Grenzburg, von der aus man einen Ueberblick nach allen Seiten, vornehmlich aber nach Basel hin, hat. La Ferette gehört eigentlich nicht zu den Besitzungen des Herzogs von Burgund, war ihm aber als Unterpfand für eine bedeutende Geldsumme übergeben worden, die Karl vom Kaiser Sigismund von Oesterreich zu fordern hatte. Da La Ferette nun infolge seiner Lage der günstigste Platz war, den Handel zu überwachen und die Schweizer zu schikanieren, die der Herzog haßte und verachtete, so dachte er nicht daran, die Feste wieder abzutreten. Die Lage von La Ferette war zwar an sich fest, doch waren die Bollwerke, von denen es umgeben war, keineswegs darauf eingerichtet, eine förmliche Belagerung lange auszuhalten. Die Morgenstrahlen hatten seit länger als einer Stunde die Spitze des Kirchturms von La Ferette beschienen, als ein langer, dürrer, ältlicher Mann, in ein Frühgewand gehüllt, das von einem breiten Gürtel mit einem Schwert an der linken, einem Dolch an der rechten Seite, zusammengehalten wurde, sich dem äußeren Wartturme des östlichen Tores näherte. An seinem Barett steckte eine Feder, die in ganz Deutschland das äußere Merkmal adeliger Abkunft und ein hoch in Ehren gehaltenes Abzeichen aller derer war, die das Recht hatten, es zu tragen. Die kleine Schar Landsknechte, die in der letzten Nacht hier Posten gestanden hatte, griff bei seiner Ankunft zu den Waffen, und stellte sich auf wie eine Wache, die mit, gebührenden Ehrenbezeigungen einen bedeutenden Befehlshaber empfängt. Archibald von Hagenbachs Angesicht, denn der Kommende war der Vogt selbst, drückte Verdrießlichkeit und Mißmut aus. Sein Kopf schwindelte ihm, sein Puls schlug fieberhaft, seine Wange war bleich – Beweise, daß er die vorige Nacht, seiner Gewohnheit nach, zwischen Weinkrügen und Maßkannen zugebracht hatte. Nach der Eile, in der die Landsknechte antraten, und nach ihrem ehrfürchtigen Schweigen zu schließen, waren sie gewohnt, bei solchen Gelegenheiten seine üble Laune zu verspüren. Er warf nunmehr einen lauernden, unzufriedenen Blick auf sie, als suchte er einen Gegenstand, an dem er seinen Grimm auslassen könnte und fragte dann »nach dem schleichenden Hunde Kilian.« Sofort erschien Kilian, ein derber, ungeschlachter Knappe, ein Bayer von Geburt und seinem Range nach der Leibknappe des Vogts. »Was Neues von den Schweizern, Kilian?« fragte Archibald von Hagenbach, »Ihrer rüstigen Gewohnheit nach sollten sie schon zwei Stunden auf dem Wege hierher sein. Hätten die Bauernklötze sich's einfallen lassen, es den Edelleuten nachzutun und bis zum Hahnenschrei bei den Humpen zu sitzen?« – »Mein Six, es mag wohl so sein,« antwortete Kilian; »die Baseler Bürger tischen ihnen sattsam auf zum Schmaus. Sie nahmen sie zwar nicht in die Stadt auf, allein durch einen zuverlässigen Kundschafter erfuhr ich, daß sie ihnen eine Herberge in Grafenlust herrichteten, und Braten und Gebäck dorthin brachten, der Krüge mit Rheinwein, der Fässer mit Bier, der Branntweinkannen gar nicht zu gedenken.« »Dafür sollen die Baseler Rede stehen, Kilian,« sagte der Vogt, »Meinen sie, ich soll mich ihretwegen immer zwischen den Herzog und dessen Laune stellen? Was hast Du weiter von dem Nachtlager der Schweizer zu berichten? Ich sollte meinen, ein alter Reitersmann wie Du hätte bei der Mahlzeit, die sie, wie Du erzähltest, hielten, ihnen die Flügel ein wenig gestutzt.« – »Ebensogut hätte ich einen ergrimmten Igel mit bloßen Fingern zerquetschen können,« sagte Kilian, »ich kundschaftete selbst um Grafenlust herum – da gab es Schildwachen auf den Burgmauern, einen Posten auf der Brücke, und überdies eine Wachtrunde von Schweizerbuben, die wacker auslugte. So war da nichts zu machen, sonst, da mir Euer alter Groll bekannt ist, hätte ich ihnen eins versetzt, ohne daß sie hätten wissen sollen, woher es kam.« – »Gut, um so besser wollen wir über sie herfallen,« sprach der Hagenbacher, »sonder Zweifel kommen sie in reichem Prunke mit all ihrem Schmuck, mit den Silberketten ihrer Weibsen, mit ihren eigenen Schaumünzen, mit Ringen aus Blei und Kupfer! Ha! die niederträchtigen Bauern, die nicht wert sind, daß ein Mann von edlem Geblüt sie von ihrem Plunder erleichtert.« – »Sie führen bessere Ware als Plunder bei sich, so meine darüber eingezogene Kundschaft mich nicht völlig tauscht,« erwiderte Kilian; »es reisen nämlich englische Kaufleute unter ihrem Schutz.« »Englische Kaufleute!« rief der Hagenbacher, indem seine Augen vor Freude funkelten; »englische Kaufleute Kilian! ist's ein langer Zug von Maultieren?« – »Ei, edler Herr, ein Zug ist's nicht – nur zwei Männer, wie ich erfuhr, mit kaum so vielem Gepäcke, als ein Maultier trägt; doch dieses wenige soll von unendlichem Werte sein; Seide und Sammet, Spitzen, Pelzwerk, Perlen und Diamanten, wohlriechende Spezereien aus dem Morgenland und Goldarbeiten aus Venedig.« – »Entzücken und Paradies! Sprich kein Wort mehr!« rief der habsüchtige Ritter von Hagenbach, »all das ist unser, Kilian! Traun, das sind eben die Männer, von denen wir zu zweienmalen in einer Woche des verwichenen Mondes träumten. Ha! zwei Männer von mittlerer Gestalt – ja, wohl noch etwas kleiner – mit sanftem, rundem Gesicht, deren Magen gespickt ist, wie der Bauch eines Rebhuhnes, und deren Geldsäcklein gespickt sind wie ihr Magen. – He, was sagst Du zu meinem Traum, Kilian?« – »Es hätten Euch darin auch noch zwanzig derbe junge Recken erscheinen sollen, die Streitaxt und Partisane gut zu führen wissen.« – »Desto besser, Bursch, desto besser!« rief der Vogt, indem er sich die Hände rieb. »So plündern wir englische Marktkrämer und sperren zugleich Schweizer Mondstiere ins Joch! Holla! Schönfeldt!« Ein Rottmeister trat vor. – »Wie viele Mannschaft hat heut die Wache?« – »Etwa sechzig,« war Schönfeldts Antwort. – »Laßt sie alle unter die Partisane treten; hört Ihr? Doch blast keine Trompete, sondern ruft einzeln jeden herbei, daß er so still wie möglich sich aufstelle, und das hier am Osttore. Sagt den Schuften, daß Beute zu machen sei – und daß sie ihren Anteil haben sollen. – Ich sage Dir, Kilian,« fuhr der entzückte Vogt fort, indem er sich wieder seitwärts zu seinem Helfershelfer wandte, »das kommt sehr erwünscht. Herzog Karl will den Schweizern eine Schmach antun; es soll aber nicht so aussehen, als geschehe es auf seinen Befehl, auch soll es kein Verstoß gegen eine friedfertige Gesandtschaft genannt werden können. Wer ihm diesen Dienst erweist und der Sache den Anstrich zu geben versteht, als sei nur ein Irrtum geschehen, der verdient sich des Herzogs Dank.« – »Ich meine,« antwortete Kilian, »wir dürfen uns nicht allzusehr auf Herzog Karl verlassen. Bedenkt, es ist eine friedliche Gesandtschaft – und die Kaufleute sind Engländer. Beginnt Karl Krieg mit Ludwig, wie das Gerücht verlautbart, so hat er nichts mehr zu wünschen, als daß die Schweizer fein still sitzen und England ihm beistehe, England, dessen König mit großer Heeresmacht über das Meer herzieht. Nun könnt's Euch begegnen, Herr Hagenbacher, daß Euretwegen heute morgen noch die Kantone sich gegen den Herzog rüsten und der befreundete Engländer dem Burgunder zum Feinde wird.« – »Ich sorge drob nicht,« sagte der Vogt, »übrigens habe ich dabei keinen Fußbreit Erde zu verlieren.« »Aber ein Leben habt Ihr doch zu verlieren?« sagte der Knappe. – »Nun ja, ein Leben!« versetzte der Ritter! »ein lumpig Recht, hier herum zu kriechen, ein Recht, das ich alltäglich bereit sein mußte, aufzuopfern – bald für Krontaler, bald für Kreuzer – und meinst Du nun, ich sollte damit hinter dem Berge halten, wo es Edelstoffe, Perlen aus dem Morgenlande, Goldarbeiten aus Venetia gilt? Nichts da, Kilian, diese Engländer müssen ihre Ballen hier lassen, damit Archibald von Hagenbach milderen Wein trinken kann als den dünnen Moseler. Auch tut's nicht minder Not, daß Kilian einen besseren Koller bekomme und ein Dukatenbeutlein ihm am Gürtel klingle.« – »Meiner Six!« rief Kilian, »dieses Euer letztes Wort nimmt mir alle Bedenken, und ich gebe alle Widerrede auf, zumal es mir übel ansteht, mit Euch, edler Herr, zu streiten.« – »Ans Werk denn!« sprach der Vogt. Doch da erklangen, von einer dumpfen Stimme hinter ihnen gesprochen, die nachdrücklichen Worte aus der heiligen Schrift: »Ich habe den Gottlosen blühen sehen in seiner Macht, gleich einem Lorbeerbaume; allein ich kehrte wieder, und er war nicht mehr; ja, und als ich ihn suchte, war er nicht mehr zu finden.« – Ritter Archibald von Hagenbach wandte sich finster um und begegnete den dunklen, Böses weissagenden Blicken des Pfarrherrn zu St. Paul, der in seiner Amtskleidung dastand. – »Wir haben Geschäfte, Pater,« sprach der Vogt, »und wollen Euer Gewäsch ein andermal hören.« – »Ich komme auf Euren Ruf, Herr Vogt,« sagte der Priester, »denn nimmer würde ich mich da eingedrängt haben, wo mein Gewäsch, wie Ihr es nennt, nichts fruchtet.« – »Ja, ich flehe um Euern Segen, ehrwürdiger Pater,« sagte der Hagenbacher. »Es ist wahr, ich ließ Euch rufen, um Eure gütige Verwendung bei Unserer lieben Frau und dem heiligen Paulus in etlichen Angelegenheiten zu erbitten, die sich diesen Morgen ereignen dürften und bei denen ich mein Schäfchen scheren will.« »Herr Archibald,« antwortete der Priester gelassen, »begehrt Ihr etwa von einem Priester, daß er Gebete für den glücklichen Ausgang Eurer Plünderungen und Räubereien gen Himmel sende?« – »Ich verstehe Euch, Pater,« versetzte der raubgierige Vogt, »und gelobe daher feierlich, daß ich bei glücklichem Ausgang des Abenteuers der Kirche St. Paul ein Altartuch und ein Silberbecken stiften will, je nachdem, wie die Beute ausfällt. Unsere heilige Jungfrau soll eine Perlenschnur für die Feiertage haben, und Dir, Priester, sollen zwanzig und etliche schwere englische Goldstücke für die Mühewaltung zufallen, daß Du den Vermittler machst zwischen uns und den guten Heiligen, mit denen in eigener unheiliger Person zu unterhandeln, wir uns allerdings viel zu unwürdig erachten. Und jetzt, Herr Pfarrer verstehen wir uns, denn ich habe wenig Zeit zu verlieren, ich weiß, Ihr denkt hart von mir, allein Ihr seht, der Teufel ist nicht so arg, wie er beschrieben wird,« »Wir verstehen einander?« versetzte der Priester von St. Paul, indem er des Vogts Worte fragend wiederholte. »Ach, mit nichten, und ich fürchte, es werde nimmer geschehen. Hast Du Dein Lebtag nicht reden hören von Berchthold, dem heiligen Eremiten, und welche Worte er sprach zu der feindseligen Königin Agnes, die mit so grausamer Strenge den Mord ihres Vaters, des Kaisers Albrecht rächte? – Wisse, daß Agnes, die Tochter des ermordeten Albrecht, nachdem sie Ströme von Blut vergossen hatte, um des Vaters blutigen Tod zu rächen, zuletzt die reiche Abtei Königsfeld stiftete und in Person eine Wallfahrt zu der Zelle des Eremiten machte und ihn bat, er möchte ihrer Abtei die Ehre erzeigen, seine Wohnung darin zu nehmen. Jedoch wie lautete seine Antwort? Höre sie und zittere! »Hebe Dich weg, ruchloses Weib,« sprach der heilige Mann; »Gott will nicht durch Blutschuld verehrt sein und verwirft die Gaben, die durch Gewalttat und Räuberei erworben wurden. Der Allmächtige liebt Gnade, Gerechtigkeit und Menschenfreundlichkeit, und nur von denen, die diese üben, will er angebetet sein!« Und somit, Archibald von Hagenbach, bist Du einmal, zweimal, dreimal gewarnt worden. Wandle, wie es einem Manne geziemt, über den der Spruch gesprochen wurde und der die Vollstreckung des Urteils zu erwarten hat!« – Nachdem der Priester von St. Paul mit dräuender Stimme und zürnender Gebärde diese Worte gesprochen hatte, ging er seines Weges, Hagenbach rief nach einem Becher Wein, um seinen Groll hinunterzuspülen; und als er eben ausgetrunken; erklang das Horn des Turmes und kündete an, daß Fremde sich dem Tore näherten. Vierzehntes Kapitel »Das war nur ein schwach geblasener Ruf,« sagte der Hagenbacher, indem er auf die Wälle stieg, von wo aus er wahrnehmen konnte, was außerhalb des Tores vorging. »Wer nahet sich, Kilian?« – »Zwei Männer mit einem Maultiere, so es Euch beliebt, edler Ritter; und wie ich meine, sind es Handelsleute. Der Aeltere ist wohlgebaut, schwarzbräunlich und mag fünfundfünfzig Jahre zählen. Der Jüngere zählt wohl zweiundzwanzig, ist länger als der andere und ein hübscher junger Geselle mit rundem Kinn und lichtbraunem Backenbart.« – »Laßt sie herein,« sprach der Vogt, indem er sich wendete, um zur Straße hinabzusteigen, »und bringt sie in die Folterkammer des Zollhauses.« Indem er so sprach, begab er sich selbst an den eben genannten Ort – ein Gemach innerhalb des großen Turmes, der das Osttor schützte; dort befanden sich die Streckleiter und andere Torturwerkzeuge, die der grausame, raubgierige Vogt bei solchen Gefangenen anzuwenden pflegte, von denen er entweder Beute oder geheime Kunde erpressen wollte. Er trat in das Gemach, das matt erhellt war und ein hohes gotisches Dach hatte, von dem Stricke und Schlingen herabhingen. Ein schwacher Lichtstrahl, der durch eine der zahllosen, engen Spalten oder Schießlöcher in den Mauern drang, fiel gerade auf die Gestalt und das Angesicht eines schwarzbraunen Mannes, der in einem dunklen Winkel dieses unheilvollen Gemaches saß. Seine Gesichtszüge waren nicht nur regelmäßig, sondern sogar hübsch, trugen jedoch ein besonders ernstes, finsteres Gepräge, Er trug einen scharlachroten Mantel; sein Haupt war von zottigen, schwarzen Locken umgeben, die zum Teil schon ins Graue spielten. Er war emsig beschäftigt, ein breites, doppelgriffiges Schwert zu wetzen, das von besonderer Form und bedeutend kürzer war als die ähnliche Gattung von Waffen, deren die Schweizer sich bedienten. Er war so vertieft in diese Arbeit, daß er erst auffuhr, als die schwere Türe in ihren Angeln kreischte. Das Schwert entglitt seiner Faust und fiel mit lange nachhaltendem Geklirr auf die Steinfliesen. »Ha, Scharfrichter,« sagte der Ritter, als er in die Folterkammer trat, »bist Du bereit, Dein Amt zu vollziehen?« – »Uebel würde es Eurem Knechte bekommen, edler Herr, so Ihr ihn müßig fändet?« antwortete der Mann in rauhem, dumpfem Tone. – »Die Gefangenen sind zur Hand, Franziskus,« versetzte der Vogt, »doch es sind Schufte, für die ein tüchtiger Strick genügt, Dein Schwert trinkt nur edles Blut.« – »Desto schlimmer für den Franziskus Steinherz,« sprach der Scharlachmantel; »ich hoffte, daß Ihr, Herr Ritter, der Ihr stets ein gütiger Gebieter wäret, mich heute adeln würdet.« – »Adeln?« versetzte der Vogt. – »Du bist toll, – ich Dich adeln?« »Und warum nicht, Herr Archibald von Hagenbach?« fragte der Blutmensch. »Mich dünkt, der Name Franziskus Steinherz vom Blutacker paßt gar wohl zum Adelstande, da er ehrlich und rechtlich so gut wie ein anderer erlangt wurde. Ei, starrt mich doch nicht so an! So einer meines Gewerkes sein grimmig Amt an neun Männern edlen Stammes mit einundderselben Waffe vollführt und jeden der neun mit einem einzigen Hiebe niederstreckte, hat er da nicht ein Recht, frei zu sein von Steuern und Gefällen und eine Adelsurkunde zu erhalten?« – »So spricht das Gesetz wohl,« sagte der Vogt, »doch ist's nicht Ernst gemeint, auch hat noch nie jemand dieses Recht gefordert.« – »Um so rühmlicher der,« sagte der Henker, »der da zuerst die Ehren begehrt, die einem scharfen Schwert und einem richtigen Hiebe gebühren! Ich, Franziskus Steinherz, will der erste Edle meines Gewerbes sein, so ich noch einen Ritter des Reiches werde hingefördert haben.« – »Du bist stets in meinen Diensten gewesen? Bist Du's nicht?« fragte der Hagenbacher. »Unter welch anderm Herrn,« versetzte der Scharfrichter, »hätte ich so fortwährender Uebung mich erfreuen können? Ich habe Euern Spruch an verdammten Sündern erfüllt, seit ich eine Geißel schwingen, die Folterbank regieren, und diese treue Waffe führen konnte, und wer mag sagen, ich tat je einen Fehlhieb oder hätte einen Nachhieb tun müssen?« »Du bist ein Gesell von besonderer Geschicklichkeit, ich leugne es nicht,« sagte der Hagenbacher. »Allein es kann nicht sein; fürwahr es kann nicht sein, daß ich soviel edles Blut hätte vergießen lassen.« – »Ich will Euch die Hingelieferten nach Stand und Namen aufzählen, edler Ritter,« fügte Franziskus, indem er eine Pergamentrolle hervorzog und unter nötigen Zusätzen herlas: »da war der Graf Willibald von Elverhoch – war mein Versuchsstück, ein süßer Junge, der wohl wie ein Christ starb.« – »Ich erinnere mich, er liebelte um meine Braut herum,« sagte Archibald. – »Herr Meinhard von der Stockenburg –« – »Er trieb mir mein Vieh weg,« warf der Ritter ein. – »Herr Ludwig von Riesenfeld –« fuhr der Rotmantel fort. – »Er wollte mein Weib verführen,« sprach der ehrenwerte Archibald. – »Die drei Jungherren von Lämmerburg, deren Vater Ihr an einunddemselben Tage kinderlos machtet –« »Weil er mich länderlos machte,« rief der Vogt, »damit war die Rechnung ausgeglichen. Du brauchst nicht weiter zu lesen,« fuhr er fort, »ich erkenne Dein Register an, obwohl es mit Buchstaben geschrieben ward, die allzusehr ins Rote spielen. Ich hätte diese drei Jungherren nur für eine Hinrichtung angerechnet.« – »Da hättet Ihr mir um so größeres Unrecht getan,« antwortete Franziskus, »denn sie erforderten drei tüchtige Hiebe dieses guten Schwertes.« »Sei es so, und Gott mit ihren armen Seelen!« sprach der Hagenbacher. »Dennoch muß Dein Ehrgeiz sich noch ein Weilchen schlafen legen, Scharfrichter; denn das Pack, das heute hierher kam, ist nur gut für Verließ und Halsstrick, vielleicht nur für Reckleiter oder Steigriemen; es ist keine Ehre bei ihnen zu gewinnen.« – Franziskus nahm sein der Scheide enthobenes Schwert vom Boden auf, reinigte es ehrfurchtsvoll vom Staube und zog sich zurück in einen Winkel des Gemaches, wo er sich, gelehnt auf den Griff der verderblichen Waffe, hinstellte. Fast in demselben Augenblick trat Kilian an der Spitze von fünf oder sechs Landsknechten ein, welche den älteren und jüngeren Philippson, deren Arme mit Stricken gebunden waren, zwischen sich führten. »Naht Euch meinem Stuhle,« sprach der Vogt und nahm hochfahrend an einem Tische Platz, auf welchem sich Schreibgerät befand. »Wer sind diese Männer, Kilian, und weshalb sind sie gebunden?« »Gefall es Euch, edler Ritter, mich anzuhören,« sagte Kilian mit einer Ehrfurcht in den Gebärden, die durchaus von dem an Vertraulichkeit grenzenden Tone abwich, in welchem er vorhin mit seinem Gebieter verkehrt hatte – »wie hielten es für geraten, daß diese beiden Fremdlinge nicht bewaffnet vor Euch erscheinen, und als wir am Tore von ihnen verlangten, uns ihre Wehr zu überliefern, wie es bei Grenzbesatzungen üblich ist, ließ dieser junge Gesell sich einfallen, Widerstand leisten zu wollen. Doch gestehe ich's zu, daß er auf Befehl seines Vaters sein Schwert übergab.« – »Das ist Lüge!« rief der jüngere Philippson; jedoch sein Vater gab ihm einen Wink, still zu sein. – »Edler Ritter,« sagte der ältere Philippson, »wir sind Fremdlinge und unbekannt mit den Regeln dieser Wartburg. Ihr werdet uns entschuldigen, da wir uns hart angegriffen sahen, ohne daß wir gewußt hätten, von wem solches geschah. Mein Sohn, der jung und unbedachtsam ist, zog sein Schwert, doch hielt er inne auf meinen Befehl, ohne einen Streich damit geführt zu haben. Was mich selbst anbelangt, so bin ich ein Handelsmann und gewohnt, mich den Zöllen des Landes zu unterwerfen, in welchem ich meinem Gewerbe nachgehe. Ich befinde mich in dem Besitztum des Herzogs von Burgund und weiß, daß dessen Verordnungen und Abgaben höchst billig und gerecht sein müssen. Der Herzog ist ein getreuer Bundesgenosse Englands, drum fürchte ich nichts unter seinem Banner.« »Hm! hm!« versetzte der Hagenbacher, den die Gelassenheit des Engländers ein wenig aus der Fassung brachte und dem vielleicht einfiel, daß der Herzog Karl von Burgund stets für einen gerechten, wenngleich strengen Fürsten gelten wollte. »Schöne Worte sind gut, machen aber selten schlimme Handlungen gut. Ihr habt das Schwert zum Aufruhr gezogen und Euch den Kriegsknechten des Herzogs widersetzt, als diese den Befehlen gehorchten, wie es ihnen als Wachhabenden geziemte.« – »Fürwahr, Herr,« antwortete Philippson, »das ist eine widernatürliche Auslegung einer ganz natürlichen Handlung. Doch mit einem Worte: so Ihr die Absicht hegt, streng sein zu wollen, so ist der Versuch, das Schwert in einer Grenzfeste zu ziehen, doch nur durch eine Geldstrafe zu büßen, und diese müssen wir demnach zahlen, wenn Ihr es verlangt.« – »Ein dummes Schaf, das freiwillig die Wolle hergibt,« flüsterte Kilian dem Scharfrichter zu. – »Die Wolle wird schwerlich als Lösegeld für seine Gurgel hinreichend sein, Herr Leibknapp,« antwortete Franziskus Steinherz, »denn seht nur, mir träumte in verwichener Nacht, daß unser Herr mich in den Adelstand erhob, und dieser Mann wird noch heute die Scheide meines guten Schwertes fühlen.« – »Du Narr,« sprach der Knappe. »Dies ist kein Edler, sondern ein schlichter englischer Bürgersmann.« – »Du täuschest Dich,« sagte der Scharfrichter, »und hast noch nimmer einen Mann gesehen, wenn es ans Sterben geht.« – »Hab ich nicht fünf Schlachtfelder gesehen?« versetzte Kilian. – »Dort erprobt sich nicht der Mut,« sprach der Scharlachmantel. »Alle Welt ficht, wenn's Mann gegen Mann geht. Der aber ist brav und edel, der einem Schafott und dem Henker, dessen gutes Schwert ihm die Seelenstärke hinwegmähen soll, so in das Angesicht blickt, als schaute er ein gleichgültig Ding; und solch ein Mann ist dieser dort. Gewiß ahnt er, was ihm bevorsteht, und weil er sich dabei so gelassen zeigt, so gibt er sich als Edelmann von Geblüt kund, oder ich selber will nie zum Adelstand erhoben sein.« – »Unser Herr scheint sich mit ihm verständigt zu haben, wie mich dünkt,« versetzte Kilian, »er blickt so lächelnd auf ihn.« – »Ist das der Fall, so schenkt mir nimmermehr Glauben,« sagte der Scharlachmantel, »es ist eine Glut in Herrn Archibalds Auge, die so gewiß auf Blut deutet, wie der Hundsstern Pestilenz weissagt.« Während die Helfershelfer Archibalds dergestalt geheime Zwiesprache fühlten, hatte ihr Gebieter die Gefangenen in eine Reihe verwickelter Fragen verflochten, und zwar in Betreff ihrer Geschäfte im Schweizerlande, ihrer Verbindung mit dem Landammann und der Ursache ihrer Reise nach Burgund, auf welches der Vater Philippson unumwundene und deutliche Antworten gab, ausgenommen auf die letzte Frage. – Er ginge, sagte er, nach Burgund wegen eines Handels – seine Waren ständen zur Verfügung des Vogts, der sie alle oder einen Teil derselben anhalten möchte, falls er solches bei seinem Gebieter verantworten könnte. Jedoch sein Geschäft mit dem Herzog wäre von geheimer Art, indem es gewisse besondere Handelsgegenstände beträfe, welche sowohl andere Personen als ihn selbst angingen. Dem Herzog allein, erklärte er, könnte er die Sache mitteilen, und er stellte dem Vogte ausdrücklich vor, daß, so er seiner Person oder der seines Sohnes irgend ein Uebel täte, des Herzogs strenges Mißfallen die unausbleibliche Folge davon sein würde. Der Hagenbacher geriet durch den festen Ton seines Gefangenen in Verlegenheit und sprach mehr als einmal dem Humpen zu, der in besonders schwierigen Fällen sein nimmerfehlendes Orakel zu sein pflegte. Bereitwillig hatte Philippson dem Vogt ein Verzeichnis oder eine Faktura seiner Waren überliefert, welches so einladender Natur war, daß Herr Archibald dasselbe gleichsam verschlang. Nachdem er eine Zeitlang in tiefem Nachsinnen zugebracht hatte, erhob er das Haupt und sprach: »Ihr müßt wissen, Herr Handelsmann, es ist des Herzogs Wille, daß keine Schweizer Handelsware durch seine Besitzungen gelangen soll. Weil Ihr aber nach Eurer eigenen Aussage eine Zeitlang in der Schweiz verweiltet, auch eine Schar Männer zu Begleitern hattet, die sich eine helvetische Gesandtschaft nennen, bin ich vollauf berechtigt, zu glauben, daß diese wertvollen Gegenstände eher das Eigentum der Schweizer, als das eines einzelnen, so armselig wie Ihr einherschreitenden Mannes sind. Wenn ich Euch eine Geldstrafe als Buße auferlege, so sind dreihundert Goldstücke keine übertriebene Sühne für solche Ränke. Zahlt diese, und Ihr könnt mit Euren Waren weiter wandern, vorausgesetzt, daß Ihr sie nicht nach Burgund hin bringt.« – »Aber eben nach Burgund und an des Herzogs Hoflager geht ausdrücklich mein Weg,« sprach der Engländer. »Gelange ich nicht dahin, so ist mein Tagewerk zugrunde gerichtet und das Mißfallen des Herzogs denjenigen gewiß, die solches verursachten. Dazu gebe ich Euch zu bedenken, edler Herr, daß Euer gnädiger Fürst und Herzog bereits um meine Reise weiß und streng nachforschen wird, wo und durch wen ich aufgehalten wurde.« Der Vogt schwieg abermals, indem er nachsann, wie er am besten seine Raubgier befriedigen könnte, ohne seine eigene Sicherheit zu gefährden. Nach etlichen Minuten des Schweigens redete er seinen Gefangenen wieder an: »Du redest sehr bestimmt, mein guter Freund, allein meine Befehle, Waren, die aus der Schweiz kommen, anzuhalten, sind nicht minder deutlich. Wie nun, wenn ich Dein Maultier mit seinem Gepäck konfisziere?« – »Lasset mir nur mein bares Geld,« antwortete der Engländer, »ohne das ich sonst nicht wohl an das Hoflager des Herzogs gelangen kann, und ich will auf meine Waren nicht mehr hinblicken, als der Hirsch nach den Geweihhörnern schaut, die er im verwichenen Jahre abwarf.« Der Vogt zu La Ferette blickte abermals voller Zweifel auf und schüttelte den Kopf. – »Männern, die sich in einer Lage befinden wie Du, ist nicht zu trauen. Die Waren, die für des Herzogs eigene Hand bestimmt sind – worin bestehen sie?« – »Sie sind versiegelt,« sprach der Engländer. – »Trägst Du sie bei Dir?« fragte der Vogt, »Bedenke wohl, was Du antwortest – blick umher und sieh die Marterwerkzeuge, die einen Stummen zum Sprechen bringen könnten, und erwäge, daß ich Macht habe, sie anwenden zu lassen!« –»Und ich habe den Mut, sie zu ertragen,« antwortete Philippson mit derselben unerschütterlichen Kälte, die er während der ganzen Verhandlung bewahrt hatte. »Auch bedenke,« sprach der Hagenbacher, »daß ich Deine Person ebenso genau wie Deine Felleisen und Beutel durchsuchen lassen kann.« – »Ich vergesse nicht, daß ich gänzlich in Deiner Gewalt bin, und damit ich Dir keinen Vorwand lasse, Zwangsmittel gegen einen friedfertigen Reisenden anzuwenden, so will ich Dir bekennen,« sagte Philippsun, »daß ich das Päckchen für den Herzog im Busen unter meinem Wams trage,« – »Hol es hervor!« herrschte der Vogt ihn an. – »Das erlaubt mir weder die Ehre noch die Fessel. Durch beides sind mir die Hände gebunden,« entgegnete Philippson. »Zieh es aus dem Wamse hervor, Kilian!« sprach Archibald, »laß uns den Kram sehen, von dem er schwatzt.« – »Könnte Widerstand hier frommen,« entgegnete der kecke Handelsmann, »Ihr solltet mir eher das Herz aus der Brust reißen. Doch bitte ich alle, die anwesend sind, wahrzunehmen, daß die Siegel alle ganz und unverletzt sind, bis zu dem Augenblicke, wo man mir das Päckchen gewaltsam abnimmt.« Indem er dies sagte, blickte er umher auf die Landsknechte, an die Hagenbach gar nicht mehr zu denken schien. – »Wie, Hund!« rief Herr Archibald, indem er seinem Grimm freien Lauf ließ, »willst Du Meuterei unter meinen Reisigen erregen? Kilian, laß die Knechte draußen harren.« –Indem er dies sagte, steckte er flugs unter sein eigenes Gewand das kleine, jedoch eigentümlich zusammengebundene Päckchen, das Kilian dem Engländer unter dem Wamse weggenommen hatte. Die Reisigen zogen ab, jedoch zögernd, indem sie rückwärts schauten, gleich Kindern, die man von einem Schauspiele entfernt, ehe es noch zu Ende ist. »So, Bursch!« begann jetzt der Hagenbacher wieder. »Nun sind wir unter uns. Willst Du nun ebenen Bodens mit mir gehen und gerade heraus sagen, was in diesem Päckchen ist, und von wannen es kommt?« – »Könnte Eure gesamte Turmwache in diesem Gemache versammelt werden, ich vermöchte doch nur zu antworten, wie vorhin. Den Inhalt kenne ich nicht – und die Person, von der ich gesendet ward, werde ich nimmer nennen.« – »So wird vielleicht Euer Sohn gefälliger sein,« sagte der Vogt. – »Er kann Euch nicht sagen, was er selbst nicht weiß,« sagte der Handelsmann. »Vielleicht verleiht die Streckleiter Euch beiden Sprache, und wir wollen sie zunächst an dem jungen Burschen versuchen, Kilian. Wir haben Männer gesehen, die ihre eigenen alten Sehnen mit Standhaftigkeit dem Marterwerkzeuge preisgegeben hätten, aber doch zusammenschauderten, als sie die ausgerenkten Gelenke ihrer Kinder erblickten,« – »Ihr mögt den Versuch machen,« sagte Arthur, »und der Himmel wird mir Kraft zur Ausdauer geben.« – »Und mir Mut zum Anschauen!« sprach der Vater. Währenddessen kehrte und wendete der Vogt das Päckchen in der Hand herum und erforschte neugierig jede Falte desselben, doch hinderte ihn das Siegel daran, die Beschaffenheit des Schatzes zu erkennen, der zuverlässig darin enthalten war. Endlich rief er die Reisigen wieder herein, übergab ihnen die beiden Gefangenen und befahl, sie getrennt von einander zu halten und besonders auf den Vater ein wachsames Auge zu haben. »Ich nehme Euch alle hier zu Zeugen,« rief der ältere Philippson, indem er die drohenden Gebärden des Hagenbachers verachtete, »daß der Vogt mir ein Päckchen genommen hat, das an seinen allergnädigsten Herrn und Fürsten, den Herzog von Burgund, gerichtet ist.« – Der Vogt von La Ferette schäumte vor Wut. – »Und sollt ich's nicht zu mir nehmen?« rief er mit einer vor Grimm tonlosen Stimme. »Kann nicht irgend eine höllische Bündlerei gegen das Leben unseres allergnädigsten Herrn mittels Giftes und dergleichen in diesem verdächtigen Päckchen verborgen stecken, dessen Ueberbringer höchst verdächtig ist? Und sollen wir, die wir, wie ich wohl sagen darf, den Eingang zu den Staaten des Herzogs hüten, etwas hineinlassen, das imstande sein könnte, Europa des Stolzes seiner Ritterschaft, Burgund seines Fürsten und Flandern seines Vater zu berauben? – Nein, hinweg mit diesen Uebeltätern, Ihr Knechte! hinab mit ihnen in die tiefsten Verliehe!« So raste Herr Archibald Hagenbach mit erhobener Stimme und flammendem Angesicht, indem er sich der blinden Leidenschaft des Zornes hingab, bis die Schritte der Kriegsknechte und das Geklirr ihrer Waffen nicht mehr hörbar waren. Als er nun allein war mit Kilian und dem Rotmantel, der fortwährend im Hintergrunde stand, ward er bleicher, als es ihm sonst zu geschehen pflegte, seine Stirn zog sich in angstvolle Furchen, und mit leiser Stimme wendete er sich an seinen Knappen. – »Kilian, wir stehen auf schlüpfrigem Brette, und neben uns brauset ein Sturm. Was ist zu tun?« »Ei, vorwärts, mit entschlossenem, jedoch klugem Schritte,« antwortete der listige Kilian. »Es ist widerwärtig, daß alle diese Burschen das Päcklein gesehen haben und von dem stahlnervigen Hausierer zu Zeugen aufgerufen worden sind. Wie die Dinge stehen, wird es in jedem Fall heißen, Ihr hättet die Siegel aufgebrochen; denn wenn Ihr das Ding auch unversehrt, wie es von Anbeginn war, zurückgebt, so wird man doch argwöhnen, Ihr hättet die Siegel schlau wieder darauf getan. Laßt uns also sehen, was das Päcklein enthält, bevor wir beschließen, was mit demselben anzufangen sei. Die Sachen darin müssen von seltsamem Werte sein, da der schurkische Handelsmann alle anderen Waren hingeben wollte, nur um dieses kostbare Päcklein zu behalten.« – Der Hagenbacher sagte nichts weiter, sondern zerschnitt die Fäden des Päckchens, das er die ganze Zeit über in der Hand gehalten hatte, und indem er die Umwickelung abnahm, kam ein kleines Kästchen aus Sandelholz zum Vorschein. – »Der Inhalt,« sprach er, »kann kaum viel mehr wert sein, da er in so kleinem Behältnisse ruht.« – Indem er dies sagte, drückte er an eine Feder, und das aufspringende Kästchen zeigte einen Halsschmuck von Diamanten, die sich durch Glanz und Größe auszeichneten und, wie es schien, von außerordentlichem Werte waren. – Die Augen des geizigen Vogts und seines nicht minder raubsüchtigen Knechtes wurden von dem ungewöhnlichen Glanze so geblendet, daß beide eine Zeitlang nichts als Freude und Ueberraschung ausdrücken konnten. »Potztausend,« sagte Kilian, »der starrköpfige alte Gesell hatte guten Grund zu seiner Keckheit. Meine eigenen Gelenke hätten etliche Angriffe abgehalten, bevor ich solches Gefunkel, wie dies da, herausgegeben haben würde. – Und jetzt, Herr Archibald, wie gedenkt Ihr, diese Beute zwischen dem Herzog und dessen Vogt zu teilen?« – »Traun, wir wollen annehmen, Kilian, die Besatzung sei erstürmt worden, und in einem Sturme nimmt, wie Du weißt, der erste Finder alles – versteht sich mit geziemender Rücksicht auf seine Begleiter.« »Deren ich einer bin, zum Exempel,« rief eine Stimme aus dem fernen Winkel des Gemaches. – »Still, wir werden behorcht!« sprach der Vogt auffahrend, indem er die Hand an den Dolch legte. – »Nur von einem treuen Begleiter,« sagte der Scharfrichter, indem er langsam hervorschlich. – »Schurke, was belauerst Du mich hier?« sprach Archibald von Hagenbach. »Beunruhigt Euch darob nicht, Herr Ritter,« sagte Kilian. »Der ehrliche Steinherz hat keine Zunge zum Reden, kein Ohr zum Hören, als nur zu Eurem Gefallen. In der Tat müssen wir ihn zu Rate ziehen, denn jene beiden Männer müssen bald aus der Welt geschafft werden.« »Freilich,« sprach der Ritter; »tote Leute haben weder Zähne noch Zunge, sie beißen nicht und erzählen keine Geschichten. Du wirst die beiden abtun, Scharfrichter.« – »Ich will's, Herr, unter der Bedingung, daß, wenn sie im Verließ abgetan werden müssen, die Hinrichtung mir angerechnet werde, als hätte ich in echtem und gerechtem Amte den Streich an hellem Tage mit dieser meiner guten Klinge geführt.« Hagenbach starrte den Rotmantel an, als verstände er nicht, was dieser meinte; worauf Kilian erklärte, daß der Scharfrichter infolge des freimütigen, furchtlosen Benehmens, welches der ältere Gefangene zeigte, des festen Glaubens lebe, derselbe sei ein Mann von edler Geburt. – »Er mag recht haben!« sprach Archibald, »denn hier findet sich ein Streiflein Pergament, worauf der Ueberbringer dieses Halsgeschmeides dem Herzoge empfohlen, auch dieser gebeten wird, den Boten in alledem Glauben zu schenken, was derselbe ihm im Namen derer sagen wird, die ihn sendeten.« – »Von wem ist das Brieflein unterzeichnet?« sprach Kilian. –»Es steht kein Name auf dem Blatte, man muß vermuten, daß der Herzog denselben aus den Steinen oder vielleicht aus der Handschrift erkennt.« – »An keinem von beiden wird er sobald Gelegenheit haben, seinen Scharfsinn zu üben,« sprach Kilian. – »Doch wolltet Ihr nicht lieber die Hinrichtung dieser beiden Männer so lange verschieben, bis dieselben erst über die Schweizer Gefangenen ausgesagt haben, die dann sofort in unserer Gewalt sein werden?« – »Es geschehe, wie Du sagst,« antwortete Hagenbach, indem er mit der Hand abwehrte, als legte er irgend ein unangenehmes Ding beiseite. »Doch laß mich nichts eher wieder davon hören, als bis alles abgetan ist.« Die finsteren Satelliten gelobten Gehorsam, und der Blutrat ging auseinander. Mit einer, groben Verbrechern nicht ungewöhnlichen Seelenschwäche schauderte Hagenbach vor dem Gedanken an seine eigene Niederträchtigkeit und Grausamkeit zurück und war bemüht, das Gefühl der Schande von sich zu bannen, indem er die unmittelbare Ausführung seiner Untat auf seine ihm untergebenen Helfershelfer wälzte. Fünfzehntes Kapitel Der Kerker, in welchem der jüngere Philippson sich befand, war eines jener düsteren Verließe, die Schmach über die Unmenschlichkeit unserer Vorfahren herabrufen. Sie scheinen keinen Unterschied zwischen Schuld und Unschuld gemacht zu haben, da die Folgen einer bloßen Anklage in jenen Tagen weit schwerer waren, als es in unseren Tagen die wirkliche Gefangenschaft für ein erwiesenes und strafbares Verbrechen ist. Die Zelle Arthur Philippsons war sehr lang, doch dunkel und enge, sie war in den festen Felsen gehauen, der das Fundament des Wartturms bildete. Eine kleine Lampe war dem Gefangenen gewährt worden; allein seine Arme waren noch immer gebunden; und als er einen Trunk Wasser begehrte, antwortete einer der grimmigen Schergen, von denen er in den Kerker geführt wurde, die paar Stunden, die er noch zu leben hätte, könnte er wohl dursten. Bei dem matten Schimmer des Lämpchens fand er den Weg zu einer Bank oder einem plumpen, in den Fels gehauenen Sitz; und da seine Augen allmählich an die Dunkelheit sich gewöhnten, fand er eine schaurige Spalte im Boden seines Gefängnisses, die einer Falltür glich, allem Anscheine nach die Mündung eines Schlundes, den die Natur unter leichter Nachhilfe menschlicher Kunst hier gebildet hatte. »Hier also ist mein Totenbett,« sprach er, »und jener Abgrund vielleicht das Grab, das meinem Leichnam entgegengähnt. Ja, ich habe erzählen hören, wie man Gefangene lebendigen Leibes in solche scheußliche Kluft hinabstürzte, so daß sie unten, wo ihr Wimmern ungehört verklang, mit zerschelltem Leibe, jämmerlich ums Leben kommen mußten.« Er beugte das Ohr zu der entsetzlichen Spalte und hörte in grauser Tiefe das Geheul eines brausenden und, wie es schien, unterirdischen Stromes. Die lichtlosen Wogen schienen nach ihrem Opfer herauf zu brüllen. Der Tod ist jedem Alter furchtbar; doch in der Blüte der Jugend, wo alle Empfindungen für die Freuden des Lebens rege sind und nach Befriedigung sich sehnen, gewaltsam von der Tafel hinweggerissen zu werden, an der der Mensch sich soeben niedergesetzt hat, ist ganz besonders entsetzlich; selbst wenn es auf gewöhnlichem Wege der Natur geschieht. Allein gleich dem jüngeren Philippson am Rande eines unterirdischen Abgrundes zu sitzen und im gräßlichen Zweifel über die Art und Weise des über ihn verhängten Todes zu grübeln, war ein Zustand, der auch den Mut des Kühnsten hätte erschüttern mögen, und der unglückliche Gefangene war gänzlich unfähig, die Tränen zurückzuhalten, die stromweise aus seinen Augen flossen und die er mit gebundenen Händen nicht abzutrocknen vermochte. Wir haben bereits dargetan, daß Arthur ein wackerer junger Mann war, der in allen Gefahren sich beherzt, bedacht, tatkräftig und ausdauernd zeigte. In dieser Lage aber, in so hilfloser Ungewißheit, in der die Einbildungskraft ihm alle möglichen Schrecken vormalte, ohne ihm einen einzigen Weg zur Rettung zu zeigen, brach seine Kraft zusammen. Bei alledem waren die Gefühle bei Arthur Philippson nicht selbstsüchtiger Natur. Sie richteten sich auf seinen Vater, dessen biederer, edler Charakter Ehrfurcht erweckte, dessen endlose väterliche Sorgfalt und Zuneigung Liebe und Dankbarkeit verdienten. Und auch dieser rechtschaffene Vater war in den Händen gewissenloser Schurken, die entschlossen waren, ihren Raub unter heimlichen Morde zu verbergen! Arthur gedachte an die schwindelnd hohe Felsspitze des Geiersteins und an den grimmen Raubvogel, der ihn angestarrt hatte, seiner Beute gewiß. Hier war kein Engel, der durch den Nebel gedrungen wäre und ihn auf den Pfad der Sicherheit geführt hätte, hier in dieser unterirdischen Kluft herrschte ewiges Düster, bis zu dem Augenblicke, wo der Gefangene das Messer des Mörders im Schimmer der Lampe blitzen sähe. Diese Ermattung seiner Seele dauerte solange, bis das Fühlen und Denken des unglücklichen Gefangenen zur Raserei ausartete. Er fuhr auf und rang so gewaltsam mit seinen Banden, um sich von ihnen zu befreien, daß man hätte glauben wollen, sie wären von ihm abgefallen wie von den Armen des mächtigen Nazareners. Allein die Stricke waren zu fest angezogen, und nach fast übermenschlichem, wiederholt vergeblichem Kampfe, bei welchem die Stricke ihm das Fleisch zerschnitten, verlor der Gefangene das Gleichgewicht und fiel gewaltsam zu Boden, indem ihn der Schauergedanke durchrieselte, daß er rücklings in den unterirdischen Schlund hinabstürzte. Glücklich entging er der Gefahr, jedoch nur mit so genauer Not, daß sein Kopf gegen die niedrige, zertrümmerte Umfriedigung stieß, von welcher die Mündung des entsetzlichen Schlundes zum Teil umgeben war. Hier lag er sinn- und regungslos und befand sich, da bei seinem Fallen die Lampe erloschen war, in völliger Finsternis. Ein knallendes Getöse brachte ihn wieder zur Besinnung. – »Sie kommen, sie kommen, die Mörder! O, Mutter der Gnade! o, allerbarmender Himmel, vergib mir meine Schuld!« – Er blickte auf und sah mit verglasten Augen, daß eine schwarze Gestalt sich ihm näherte, die ein Messer in der einen, eine Fackel in der andern Hand hielt. Wohl hätte man meinen mögen, der Hereinschreitende wäre derjenige, der das letzte Werk an dem unglücklichen Gefangenen tun sollte. Doch er kam nicht allein. Seine Fackel beleuchtete das weiße Gewand eines weiblichen Wesens, und im matten Lichtscheine erkannte Arthur eine Gestalt und Gesichtszüge, deren er nimmer vergessen konnte, obwohl er sie jetzt unter Umständen vor sich sah, wo er sie zu schauen am wenigsten erwarten konnte. »Kann es möglich sein?« murmelte er erstaunt, »hat sie wirklich die Macht eines Elementargeistes? Hat sie diesen finsteren Dämon heraufbeschworen, daß er sich mit ihr vereine, mich zu befreien?« Es schien, als wäre seine Mutmaßung Wirklichkeit; denn die schwarze Gestalt, die die Fackel Anna von Geierstein, oder doch der, der Anna völlig ähnlichen Erscheinung reichte, beugte sich über den Gefangenen und zerschnitt die Stricke, die ihm die Arme gebunden hielten. Arthurs erster Versuch, sich vom Boden zu erheben, mißlang, und zum zweitenmal war es die Hand Annas von Geierstein, die ihm half aufzustehen und ihn unterstützte, wie sie es damals getan hatte, als der Waldstrom zu beider Füßen donnerte. Ihre Berührung brachte eine Wirkung bei dem Jünglinge hervor, wie der leichte Beistand mädchenhafter Körperstärke es niemals vermocht hätte. Mut ward seinem Herzen, Regsamkeit seinen erstarrten und zerschundenen Gliedmaßen wiedergegeben; so gewaltig vermag die menschliche Seele, wenn sie in ihren Empfindungen gesteigert wird, ihren Einfluß auf die Schwächen des menschlichen Lebens geltend zu machen. Allein die Worte erstarben in des Jünglings Munde, als die geheimnisvolle weibliche Gestalt ihren Finger auf ihre Lippen legte, ihm ein Zeichen gab zu schweigen und ihm zu gleicher Zeit winkte, ihr zu folgen. Er gehorchte in schweigendem Erstaunen. Sie schritten durch den Eingang des dunklen Kerkers und durch etliche kurze, sich kreuzende Gänge, die an einigen Stellen in den Fels gehauen, an andern aus Quadersteinen angelegt worden waren und wahrscheinlich zu ähnlichen Verließen leiteten. Bei dem Gedanken, sein Vater sei in einen solchen Kerker gesperrt, blieb der junge Philippson stehen, als er an dem Fuß einer schmalen Wendeltreppe angelangt war, die dem Anscheine nach aus dieser Region des Gebäudes führte. »Kommt,« sagte er, »teuerste Anna, führt mich, daß ich meinen Vater befreie. Ich darf ihn nicht verlassen.« – Die Gestalt schüttelte ungeduldig das Haupt und winkte dem Jüngling abermals. – »Wenn Eure Macht sich nicht so weit erstreckt, meines Vaters Leben zu retten, so will ich bleiben, ihn retten oder sterben! Anna, teuerste Anna«! – Sie antwortete nicht, allein ihr Begleiter entgegnete mit einer dumpfen Stimme, die seinem düstern Aeußern völlig entsprach: »Junger Mann, redet mit denen, denen es gestattet ist, Euch Antwort zu geben; oder besser noch, schweigt und hört auf meine Weisungen, die einzig und allein Euch dahin führen können, Eurem Vater Freiheit und Sicherheit zu verschaffen.« Sie stiegen die Treppe hinan, indem Anna von Geierstein voranging, während Arthur ihr auf dem Fuße folgte. Er hatte nicht viel Zeit, über ihre Anwesenheit oder ihr Wesen zu grübeln, indem das Mädchen mit leichteren Tritten die Treppe hinanschwebte, als er ihr zu folgen vermochte, so daß er sie nicht mehr erblickte, als er die oberste Stufe erreichte. Ob sie aber in die Luft entschwebte oder in einem der Seitengänge verschwunden war, diese Frage zu beantworten, blieb ihm auch nicht ein Augenblick Zeit übrig. »Dies ist Euer Weg,« sagte sein finsterer Führer, indem er das Licht auslöschte, Philippsons Arm ergriff und ihm durch eine lange, dunkle Galerie voranschritt. Den Jüngling wandelte allerdings eine vorübergehende Furcht an; denn er gedachte der unheimlichen Blicke seines Führers und daß dieser mit einem Dolche bewaffnet war, den er ihm plötzlich hätte ins Herz stoßen können. Doch konnte er auch wiederum nicht glauben, daß er von jemand, den er mit Anna von Geierstein hatte kommen sehen, Verräterei zu fürchten hätte; und entschlossen überließ er sich seinem Führer, der mit leisen Schritten vorwärts ging und ihn, flüsternd ermahnte, ein gleiches zu tun. »Hier,« sprach er endlich, »endet unsere Wanderung.« – Bei diesen Worten öffnete er eine Türe, und sie traten in ein düsteres gotisches Gemach, das mit großen eichenen Wandschränken ausgestattet war, in denen sich dem Anscheine nach Bücher und Handschriften befanden. Als Arthur umherblickte, geblendet von dem plötzlich ihm entgegenstrahlenden Tageslicht, war die Tür nicht mehr zu sehen, durch die sie eingetreten waren. Dies überraschte ihn jedoch nicht sehr, da er wahrnahm, daß die Tür die Gestalt der umherstehenden Schränke haben mochte und also, nachdem sie geschlossen, von diesen nicht mehr zu unterscheiden war. Jetzt konnte er auch seinen Befreier genau betrachten, der, beim Lichte des Tages besehen, die Gestalt und Kleidung eines Geistlichen zeigte, ohne das mindeste von jenem übernatürlichen Schauer einzuflößen, den er im Dämmerlichte und in der schreckensvollen Umgebung des Kerkers dem Jüngling verursacht hatte. Freier atmete der junge Philippson, gleich einem Menschen, der aus scheußlichem Traume erwachte; und die gespenstischen Eigenschaften, die seine Einbildungskraft Anna von Geierstein zugeschrieben hatte, begannen zu schwinden, so daß er imstande war, seinen Befreier also anzureden: »Damit ich, frommer Vater, meinen Dank darbringen möge, so laßt mich von Euch erfahren, wo Anna von Geierstein –« – »Redet von dem, was zu Euch und dem Eurigen gehört,« antwortete der Priester so rasch wie vorhin. »Habt Ihr so schnell Eures Vaters Gefahr vergessen?« – »Beim Himmel, nein!« erwiderte der Jüngling, »sagt mir nur, was ich tun soll, um ihn zu befreien, und Ihr sollt sehen, wie ein Sohn für seinen Vater zu fechten vermag!« – »So ist's recht, denn so ist's nötig,« sprach der Priester. »Lege dies Gewand an und folge mir.« – Das dargereichte Gewand war das eines Novizen. – »Ziehe die Kappe über Dein Gesicht,« sagte der Geistliche, »und antworte keinem, wer Dir auch begegne. Ich werde sagen, Du hättest ein Gelübde getan. Möge der Himmel dem unwürdigen Tyrannen vergeben, der uns zu einer so unheiligen Verstellung zwingt! Folge mir auf dem Fuße und gib acht, daß Du kein Wort redest.« Das Kleid war rasch angelegt, der Pfarrherr von St. Paul, denn das war der Geistliche, schritt weiter, und Arthur folgte ihm, wobei er, so gut er es vermochte, den bescheidenen Gang und das demütige Benehmen eines Klosternovizen nachahmte. Als sie die Bücherei oder das Studiergemach verlassen hatten und eine kurze Treppe hinabgestiegen waren, befand sich Arthur Philippson auf einer Straße von La Ferette. Er konnte dem Drang zurückzublicken nicht widerstehen, hatte jedoch nur soviel Zeit zu sehen, daß das Haus, das er verlassen, ein sehr kleines Gebäude im gotischen Geschmack war, an dessen einer Seite sich die St. Pauls-Kirche erhob, an dessen anderer Seite aber das finstere, schwarze Torgebäude oder der Eingangsturm stieß. »Folge mir, Melchior,« sagte mit dumpfer Stimme der Priester. Seine blitzenden Augen waren dabei auf den vermeintlichen Novizen gerichtet, und ein Blick derselben erinnerte unsern Arthur augenblicklich daran, sich seinem Stande gemäß zu benehmen. – Sie schritten weiter, ohne daß jemand auf sie achtete, außer daß man den Pfarrherrn schweigend und ehrfurchtsvoll, bisweilen auch wohl murmelnd grüßte, bis, als sie fast die Mitte des Oertchens erreicht hatten, der Führer plötzlich von der geraden Straße ablenkte und, nordwärts sich einem kurzen Gäßchen zuwendend, eine Stufenreihe erreichte, die, wie es in befestigten Städten häufig der Fall ist, zu einem Wege hinter den mit einem Türmchen besetzten Brustwehren führte. Auf den Wällen befanden sich Schildwachen; allein die Posten waren, wie es schien, keine Kriegsknechte, sondern Bürger, die einen Spieß oder ein Schwert in der Hand trugen. Der erste Wachhabende, an dem sie vorübergingen, flüsterte dem Geistlichen zu: »Geht alles gut?« – »Es geht,« erwiderte der Pfarrer von St. Paul. – »Benedicite!« – »Deo gratias!« antwortete der bewaffnete Bürger und schritt wieder auf und ab. Die übrigen Schildwachen schienen es zu vermeiden, die Vorübergehenden anzublicken, denn sie zogen sich zurück, als diese ihnen näher kamen, oder gingen an ihnen vorbei, ohne sie anzusehen. Endlich leitete ihr Gang sie zu einem alten Turme, der das Haupt hoch über den Wall erhob, in einer entlegenen Ecke fühlte eine kleine Tür auf die Brustwehr hinaus. In einer gut bewachten Festung steht an solch einem Ausgang stets eine Schildwache; hier war jedoch keine wahrzunehmen. »Jetzt habt acht!« sprach der Pfarrer, »denn Eures Vaters Leben und, wie es wohl der Fall sein mag, noch manches anderen Menschen Leben hängt von Eurer Aufmerksamkeit und nicht minder von Eurer Hurtigkeit ab. – Könnt Ihr laufen? – Könnt Ihr springen?« – »Ich fühle keine Ermüdung mehr, ehrwürdiger Vater, seit Ihr mich befreit habt,« antwortete Arthur, »und der schwarzbraune Hirsch, den ich oftmals jagte, soll's mir nicht im Rennen zuvor tun.« – »Sieh Dir diesen Turm an,« fuhr der schwarze Priester von St. Paul fort: »eine Treppe führt darin zu einer kleinen Ausfallpforte. Ich bringe Dich in den Turm. Die Pforte ist von innen nicht verschlossen. Durch sie gelangst Du in den fast ganz trocknen Graben. Bist Du über den Graben hinweg, so befindest Du Dich im Bezirk der Außenwerke. Du wirst Schildwachen erblicken – sie aber werden Dich nicht sehen – rede nicht mit ihnen, sondern suche Deinen Weg über die Spitzpfähle, so gut Du's eben vermagst. Ich denke, Du wirst über einen unbesetzten Wall klettern können.« – »Ich habe schon einen Wall erstiegen, der besetzt war,« sagte Arthur. »Was liegt mir ferner ob? All dies ist leicht.« – »Du wirst vor Dir ein Dickicht sehen, eile dorthin, so schnell Du kannst. Bist Du dort, so wende Dich ostwärts, allein sieh Dich bei Deinem Laufe nach dieser Richtung vor, daß Du nicht von den burgundischen Freisassen gesehen wirst, die auf jenem Teile des Walles Wache stehen. Ein Hagel von Pfeilen ereilt Dich sonst, eine Schar Reiter setzt Dir nach, und ihre Augen sind gleich denen des Aars, der aus der Ferne seine Beute erspäht. Jenseits des Dickichtes wirst Du einen Fußpfad oder vielmehr einen Schafsteig finden, auf dem Du die Heerstraße erreichst, die von La Ferette nach Basel führt. Eile Dich, daß Du die Schweizer triffst, die heranziehen. Sage Ihnen, daß Deines Vaters Stunden gezählt sind, und daß sie sich sputen müssen, wenn sie ihn retten wollen, sage auch dem Rudolf von Donnersberg im geheimen, daß der schwarze Priester von St. Paul am nördlichen Ausfallpförtcheu seiner harrt, um ihn den Segen zu erteilen. Verstehst Du mich?« – »Vollkommen!« antwortete der Jüngling. Der Pfarrer von St. Paul stieß nun das niedrige Tor des Turmes auf, und Arthur war schon bereit, die Treppe, die vor ihm lag, hinabzueilen, – »Halt, noch einen Augenblick,« sagte der Geistliche, »leg das Novizenkleid ab, das Dir nur beschwerlich sein kann.« – Im Nu warf er es von sich und wollte hinabeilen. »Noch einen Augenblick!« fuhr der schwarze Priester fort. »Dieses Gewand könnte zum Verräter werden – halt also, und hilf mir mein Oberkleid ausziehen.« Innerlich glühend vor Ungeduld, sah Arthur dennoch ein, daß er seinem Führer gehorchen müsse; und als er ihm das lange, weite Obergewand hatte ablegen helfen, sah er den Greis in einem Rock von schwarzer Serge, wie Geistliche ihn zu tragen pflegen, vor sich stehen; doch war der Pfarrherr nicht mit einem seinem Stande zukommenden Gürtel bekleidet, sondern trug ein ganz ungeistliches Gehänge, in welchem ein kurzes doppelschneidiges Schwert steckte, das sich zum Hiebe wie zum Stiche eignete. – »Jetzt gib mir das Novizenkleid,« sagte der ehrwürdige Pater, »und über dasselbe ziehe ich sodann meinen Priesterrock. Da ich für den Augenblick etliche Kennzeichen eines Laien an mir trage, so ist es rätlich, sie mit einem gedoppelten geistlichen Gewand zu verdecken.« – Bei diesen Worten lächelte er grinsend, und sein Lächeln war weit erschreckender und abstoßender als die ernsten Runzeln auf seiner Stirn, die besser zu seinen Gesichtszügen paßten, »Und nun,« fragte er dann, »welcher Narr säumt, wenn Leben und Tod von seiner Eile abhängen?« Der junge Bote wartete keinen zweiten Wink ab, sondern sprang die Treppe hinunter, als hätte sie nur eine einzige Stufe gehabt, fand die Pforte, wie der Priester ihm gesagt hatte, nur verriegelt, hatte sie im Handumdrehen geöffnet und schritt weiter zu dem sumpfigen Graben. Ohne erst zu untersuchen, ob er tief oder flach wäre, ja, fast ohne des Schlammes zu achten, bahnte sich der junge Engländer einen Weg und erreichte die entgegengesetzte Seite, ohne die Aufmerksamkeit zweier wackeren Bürger von La Ferette zu erregen, die diesen Punkt zu bewachen hatten. Als Arthur sah, daß er, wie der Priester es ihm vorher gesagt hatte, nichts von der Wachsamkeit dieser Posten zu befürchten hätte, sprang er an den Palisaden hinauf, in der Hoffnung, den Rand oben zu fassen und mit einem kühnen Satz sich hinüber zu schwingen. Doch dabei überschätzte er seine Kräfte, oder diese waren durch die jüngst erlittene Kerkerhaft geschwächt worden. Er fiel rücklings auf den Boden, und als er sich wieder aufrichtete, gewahrte er in der Nähe einen in Gelb und Blau, die Leibfarben des Hagenbachers, gekleideten Kriegsknecht, der auf ihn losgerannt kam und den trägen und unaufmerksamen Schildwachen zurief: »Paßt auf! paßt auf, Ihr faulen Schweine! Haltet den Hund auf, oder Ihr seid beide des Todes!« Der Bürger, der zunächst war, zog sein Schwert, schwang es und näherte sich mit sehr gemäßigter Eile unserm Flüchtling. Der zweite war jedoch weit unglücklicher, denn in seiner Eile, seiner Pflicht nachzukommen, rannte er, als sei es ganz unabsichtlich, dem Kriegsknechte gerade in den Weg. Letzterer, der aus Leibeskräften lief, erlitt von dem Bürgersmann einen so heftigen Stoß, daß beide zu Boden fielen. Da aber der Bürger ein derber, wohlbeleibter Mann war, so blieb er da liegen, wo er hingefallen war, während der Krieger über den Rand des Grabens hinrollte und im Schlamm und Sumpf versank. Die Bürger schritten bedächtig heran, um dem unwillkommenen Soldaten Beistand zu leisten, während Arthur, angespornt durch das Bewußtsein, daß Gefahr im Verzuge sei, mit mehr Geschicklichkeit und Kraft als vorhin über die Palisaden hinwegsetzte und auf dem ihm bezeichneten Wege mit größter Eile und Umsicht den Schutz der naheliegenden Gebüsche suchte. Er erreichte sie, ohne irgend welchen Lärm von den Wällen her zu vernehmen. Doch wußte er recht wohl, daß seine Lage höchst mißlich war, indem seine Flucht mindestens einem Menschen in der Stadt kund war, und zwar einem, der nicht ermangeln würde, Lärm zu machen, sobald er nur aus dem Sumpfe heraus sein würde. Diese Besorgnis lieh seinen Beinen noch größere Schnelligkeit, und er befand sich bald in dem lichteren Teile des Gebüsches, von wo aus er, wie der schwarze Priester es ihm beschrieben hatte, den östlichen Wartturm mit den anliegenden Brustwehren – »gedrängt besetzt mit Feinden und mit Waffen«– erblickte. Es erforderte von seiten des Flüchtlings große Geschicklichkeit sich so in Deckung zu halten, daß er von denen nicht erblickt werden konnte, die er so deutlich sah. Es gelang ihm aber, aus ihrem Gesichtskreise unbemerkt hinauszukommen, und indem er vorsichtig dem Schafsteige nachging, den der Priester ihm bezeichnet hatte, erreichte er nach kurzer Frist die offene, stark besuchte Landstraße, aus der sein Vater und er sich am Morgen dieses Tages der Stadt genähert hatten, und hatte das Glück, bald darauf den Vortrab der Schweizer Gesandtschaft zu treffen. Nicht lange währte es, so war er der Schar nahe, die aus etwa zehn Mann bestand, Rudolf von Donnersberg an der Spitze. Die mit Schlamm bedeckte, hin und wieder mit Blut befleckte Gestalt Philippsons (denn sein Fall im Kerker hatte ihm eine leichte Wunde zugezogen) erregte Verwunderung bei allen, die ihn umringten, um seine Kunde zu vernehmen. Rudolf allein schien unbewegt zu sein. Gleich dem Angesichte der alten Bildsäulen von Herkules, zeigte sich das Antlitz des plumpen Berners breit und derb, mit einer Miene von Gleichgültigkeit und fast starrer Erstorbenheit, die sich nur in Augenblicken der wildesten Aufwallung änderten. Ohne Gemütsbewegung hörte er die Erzählung des atemlosen Philippson an, wie dessen Vater sich im Kerker befände und zum Tode verurteilt wäre. – »Und was sonst habt Ihr erwartet?« fragte der Berner frostig. »Wart Ihr nicht gewarnt? Es wäre leicht gewesen, das Unheil vorher zu sehen; allein es möchte unmöglich sein, es nun abzuwenden.« – »Ich gestehe, ich gestehe,« sagte Arthur händeringend, »daß Ihr weise wart und daß wir töricht waren. Doch gedenkt nicht unserer Torheit in diesem Augenblick unserer Bedrängnis! Seid der tapfere und hochherzige Kämpe, den Eure Kantone in Euch verehren! schenkt uns Euren Beistand zu diesem tödlichen Streite!« – »Aber wie und auf welche Weise?« fragte Rudolf, noch immer zögernd. »Wir haben die Baseler entlassen, die uns willig Beistand geleistet hätten; solche Gewalt hat Euer pflichtgemäßes Beispiel über uns. Wir zählen jetzt kaum zwanzig Mann – wie könnt Ihr von uns begehren, eine feste Stadt anzugreifen, die durch Wälle geschirmt wird und eine Besatzung zählt, welche sechsmal stärker ist als wir?« – »Ihr habt Freunde innerhalb der Brustwehren,« sagte Arthur. »Der schwarze Priester sendet Euch – Euch, Rudolf von Donnersberg – die Botschaft, daß er Eurer harrt am nördlichen Ausfallpförtchen, um Euch den Segen zu erteilen.« »Ei, freilich,« sagte Rudolf, indem er tat, als ob er sich dem Versuche Arthurs, im geheimen mit ihm zu reden, entzöge, und so laut sprach, daß alle Umstehenden ihn hören konnten, »freilich wird am nördlichen Ausfalltor ein Priester mich beichten lassen und der Sünde ledig sprechen, ehe eben dort der Henker mir die Gurgel abschneidet. Wenn sie dort einen englischen Krämer abschlachten, der ihnen nichts getan hat, was werden sie mit den Bären von Bern anfangen, dessen Klauen und Tatzen Archibald von Hagenbach stets gefühlt hat.« Bei diesen Worten schlug der junge Philippson die Hände zusammen, und hob sie auf gegen den Himmel, gleich einem, den alle Hoffnung außer der verläßt, die nach unmittelbarer Hilfe von oben schreit. Tränen schossen in seine Augen, und die Fäuste ballend und die Zähne zusammenbeißend, kehrte er plötzlich den Schweizern den Rücken. – »Was soll diese Heftigkeit?« fragte Rudolf. »Wohin wollt Ihr jetzt?« – »Meinen Vater erlösen oder mit ihm sterben,« sagte Arthur und wollte wie wahnsinnig nach La Ferette zurückrennen, als eine derbe, jedoch wohlmeinende Faust ihn zurückhielt. »Warte ein wenig, bis ich mein Knieband festgebunden habe,« sagte Sigismund Biedermann, »dann gehe ich mit Dir, König Arthur.« – »Du? Hoho!« rief Rudolf; »Du? und das ohne Befehl?« – »Schaut nur, Vetter Rudolf,« sprach der Jüngling, der mit großer Gelassenheit fortfuhr, sein Knieband zu befestigen. »Ihr schwatzt uns immer vor, daß wir Schweizer freie Leute sind; und welchen Nutzen hat denn ein Mensch von seiner Freiheit, so er nicht tun kann, was ihm beliebt? Ihr seid mein Hauptmann, solange es mir gefällt, aber nicht länger. Den jungen Burschen hier habe ich lieb, denn er schalt mich immer einen Narren oder Strohkopf, wenn meine Gedanken vielleicht langsamer kamen als die Gedanken anderer Leute. Und auch seinen Vater habe ich lieb – der alte Mann gab mir dies Band hier und dies Jägerhorn. Der biedere Alte befindet sich jetzt in des Hagenbachers Klauen! Du sollst ihn frei machen, Arthur, so zwei Männer das vermögen. Du sollst mich fechten sehen, so lange eine Stahlplatte und ein Eichenschaft zusammenhalten.« Aufrichtige und eindringliche Worte sind niemals bei unverderbten, hochherzigen Gemütern verloren. Mehrere der umherstehenden Jünglinge zollten der Rede Sigismunds laut Beifall und erklärten, man müsse alles tun, den älteren Philippson zu befreien. »Still, ihr naseweisen Herren!« sagte Rudolf, indem er mit einer Miene von Ueberlegenheit umherblickte; »und Ihr König Arthur, geht zu dem Landammanne, der hinter uns drein zieht; Ihr wißt, er ist unser Oberbefehlshaber, ist nicht minder Eures Vaters Freund, und was immer er beschließen möge zu Gunsten Eures Vaters, das soll von uns allen auf das bereitwilligste ins Werk gesetzt werden.« Seine Gefährten schienen in diesen Ratschlag einzustimmen, und der junge Philippson sah ein, daß ihm nichts anderes übrig bliebe, als sich drein zu fügen. Freilich mutmaßte er noch immer, daß der Berner, der mit den Schweizer wie mit den Baseler Jünglingen in heimlichen Verabredungen stand, was auch aus den Worten des Priesters von St. Paul hervorging, ihm in diesen Bedrängnissen beizustehen die Macht hätte; dennoch vertraute er weit mehr auf die einfache Redlichkeit und schlichte Treue des Landammannes, zu dem er hineilte, ihm seinen traurigen Bericht abzustatten und ihn um Beistand zu bitten. Von der Höhe eines Rasens, den er in wenigen Minuten, nachdem er von Rudolf und dem Vortrabe geschieden war, erreichte, erblickte er den ehrwürdigen Arnold Biedermann und dessen Gefährten, von wenigen Jünglingen geleitet. Hinter ihnen kamen etliche Maultiere mit dem Gepäcke und die beiden bekannten Tiere, die bei dem früheren Teil ihrer Wanderung Anna von Geierstein und deren Begleiterin trugen. Auf jedem derselben saß eine weibliche Gestalt, und so gut Arthurs scharfes Auge es zu erkennen vermochte, hatte die erste derselben Annas Kleider an, vom grauen Staubschleier bis zu der Reiherfeder, die sie, seit sie auf deutschem Boden war, gemäß der Landessitte und als Abzeichen ihres Standes angesteckt hatte. Wie hatte er sich nun wieder das rätselhafte Erscheinen genau derselben Gestalt vor kaum einer halben Stunde im unterirdischen Kerker von La Ferette zu erklären? Doch bevor er Zeit hatte, diesen Gedanken weiter zu verfolgen, war er dem Landammann und dessen Schar schon nahe. Hier erregte sein Erscheinen wie sein Zustand das nämliche Erstaunen, wie vorhin bei dem Vortrabe. Auf die wiederholten Fragen des Landammannes gab er kurzen Bericht über seine eigene Einkerkerung und über seine Flucht, ohne dabei mit einem einzigen Worte der weiblichen Erscheinung zu gedenken, die dem Pfarrherrn in seinem menschenfreundlichen Werke Beistand geleistet hatte. Auch über einen zweiten Punkt schwieg Arthur. Er sah keine Notwendigkeit, dem Landammann die Botschaft mitzuteilen, die der Priester ihm ausschließlich für Rudolfs Ohr mitgeteilt hatte. Ob Gutes oder Schlimmes daraus hervorgehen möchte, er hielt es für eine heilige Pflicht, das Schweigen nicht zu brechen, das ihm von einem Manne auferlegt war, von dem er soeben den wichtigsten Beistand erhalten hatte. Der Landammann erstarrte einen Augenblick vor Kummer und Verwunderung. »Laßt uns fürbaß eilen,« sagte er dann zu dem Bannerträger von Bern und den anderen Abgeordneten. »Laßt uns unsere Vermittelung anbieten, zwischen dem Tyrannen von Hagenbach und unserm Freund, dessen Leben gefährdet ist. Er muß es hören, denn ich weiß, daß sein Herzog Verlangen trägt, diesen Philippson an seinem Hofe zu sehen. Der alte Mann gab mir darüber so manchen Wink. Da wir im Besitze eines solches Geheimnisses sind, so wird Archibald von Hagenbach unserer Rache nicht trotzen dürfen.« Sechzehntes Kapitel Der Vogt von La Ferette stand an der Brustwehr des östlichen Eingangsturmes und schaute hinaus auf die Straße, die nach Basel führte, als zuerst der Vortrab der Schweizer Gesandtschaft, dann deren Mitte und Nachtrab heranzogen. In demselben Augenblick machte der Vortrab Halt, die Mitte schloß sich ihm an, zusamt den Frauen, dem Gepäck und den Lasttieren, so daß sich alle zu einer Gruppe vereinigten. Dann schritt ein Bote vorweg und blies in eines der gewaltigen Hörner, die der Auerstier liefert, welcher so häufig im Kanton Uri ist, daß es heißt, dieses Tier habe dem Kanton diesen Namen gegeben. »Sie verlangen Einlaß,« sagte der Leibknapp. – »Sie sollen ihn haben,« antwortete der Vogt. »Traun! wie sie wieder hinauskommen, ist eine andere Frage.« – »Bedenkt Euch einen Augenblick, Herr,« fuhr Kilian fort, »erwägt, diese Schweizer sind Teufel im Gefechte und haben überdies keine Beute zu liefern, um den Sieg zu bezahlen – nichts als elende Ketten von gutem Kupfer oder höchstens von verfälschtem Silber. Ihr habt das Mark gesogen – verderbt Euch die Zähne nicht durch den Versuch, die Knochen zu zermalmen.« – »Du bist ein Narr,« antwortete der Hagenbacher: »und wohl ein feiger Hund obendrein. Die Ankunft von ein paar Dutzend Schweizer Partisanen läßt Dich die Hörner einziehen wie eine Schnecke, wenn der Finger eines Kindes sie berührt! – Bedenk, Du furchtsame Seele, wenn die Schweizer Abgeordneten, wie sie sich anmaßend nennen, frei durchgelassen werden, so hinterbringen sie dem Herzog Kunde von Handelsleuten, die an seinen Hof ziehen wollten und mit kostbaren, wahrscheinlich für seine Hoheit bestimmten Waren versehen waren. Indem hat Karl alsdann die Gegenwart der Gesandten zu erdulden, die ihm verächtlich und zuwider sind, und erfährt von ihnen, daß der Vogt zu La Ferette diejenigen durchließ, die dem Herzog ein Greuel sind, während er diejenigen, die Karl gern gesehen hätte, aufhielt; denn welcher Fürst würde nicht huldreich solchen Schmuck willkommen heißen, wie der ist, den wir jenen herumstreifenden Krämern abgenommen haben?« – »Ich sehe nicht ein, wie der Angriff auf diese Abgeordneten die Plünderung rechtfertigen soll, die Ihr an den Engländern begangen habt, edler Ritter,« sagte Kilian. – »Weil Du ein blindes Mondkalb bist,« antwortete der Vogt. »Hört Burgund von einem Angriff zwischen meiner Besatzung und den Schurken vom Gebirge, die Karl haßt und verhöhnt, so wird man darüber die beiden Krämer vergessen, und annehmen, sie seien im Handgemenge umgekommen. Sollte Nachfrage geschehen, so kann ein Ritt von einer Stunde mich mit meinen Vertrauten in die kaiserlichen Lande bringen, wo ich, obwohl der Kaiser ein vernunftloser Narr ist, mit der reichen Beute, die ich diesen Eilandsbewohnern abnahm, mich eines guten Empfanges versichert halten kann.« »Ich stehe zu Euch, Herr Ritter, bis auf den letzten Mann,« entgegnete der Knappe, »und Ihr sollt mit eigenen Augen schauen, daß ich kein Feigling bin.« – »Niemals hielt ich Dich für einen solchen, wenn es zu Faustschlägen kam,« sagte der Hagenbacher, »aber wo es Klugheit gilt, bist Du scheu und unentschlossen. Reiche mir meine Rüstung, Kilian, und schnalle sie mir sorgfältig an; denn die Schweizer Piken und Schwerter sind keine Wespenstacheln.« – »Mögt Ihr sie mit Ehren und Nutzen tragen, edler Herr,« sagte Kilian; und gemäß seinem Amte schnallte er seinem Gebieter die vollständige Rüstung eines Reichsritters an. Dann verbeugte er sich und zog ab. Das Urihorn der Schweizer hatte zu wiederholten Malen seinen hohlen Ton, gleich als wäre es ärgerlich ob des fast halbstündigen Zögerns, hören lassen, ohne Antwort vom Wartturm zu La Ferette zu erhalten, und jeder Ruf drückte mit seinem weithin schallenden Echo die steigende Ungeduld derer aus, die mit der Stadt zu reden begehrten. Endlich erhob sich das Fallgitter, die Zugbrücke fiel, und Kilian, in der Knappenrüstung wie zum Kampf bereit, ritt im Schritt heran. »Was für kühne Männer seid Ihr, Ihr Herren,« sprach Kilian, »die Ihr in Waffen vor der Feste von La Ferette erscheint, welche nach Recht und Herrschaft dem dreifach edlen Herzoge von Burgund und Lothringen gehört und in seiner Sache von dem lobesamen Grafen Archibald, Herrn zu Hagenbach, besetzt gehalten wird?« »Erwägt, Knappe,« sagte der Landammann, »denn für einen solchen halte ich Euch wegen der Feder auf Eurem Barette, daß wir hier nicht in feindseliger Absicht erscheinen. Wir tragen nur Waffen, um uns auf gefährlicher Reise zu schützen.« – »Was ist denn Euer Stand und Eure Absicht?« sagte Kilian, der gelernt hatte, in Abwesenheit seines Herrn den barschen und groben Ton des Vogts selbst anzuschlagen. – »Wir sind,« antwortete der Landammann mit ruhiger und sich gleich bleibender Stimme, ohne sich merken zu lassen, daß ihn das unhöfliche Benehmen des Knappen verdroß, »Abgeordnete der freien und vereinigten Kantone des Schweizerlandes und der guten Stadt Solothurn, und bevollmächtigt, zu Seiner Erlaucht, dem Herzoge von Burgund, zu ziehen, um mit ihm einen sichern und standfesten Frieden unter solchen Bedingungen abzuschließen, wie sie der gegenseitigen Ehre und dem gemeinschaftlichen Nutzen beider Länder entsprechen.« »Zeigt mir Eure Beglaubigungsbriefe,« sagte der Leibknapp. – »Wollt vergeben, Herr Knapp,« erwiderte der Landammann, »es wird Zeit genug sein, dieselben vorzulegen, wenn wir vor Eurem Herrn, dem Vogte, stehen.« – »Das heißt soviel, als Ihr wollt sie nicht zeigen. Wohl, meine Herren, so mögt Ihr denn diesen Rat von Kilian von Kersberg hinnehmen: besser ist's bisweilen, sich auf den Heimweg zu begeben, als fürbaß zu schreiten. Mit meinem Herrn und seinen Leuten ist nicht so gut Kirschen essen wie mit den Krämern zu Basel, denen Ihr Euern Käse verkauft. Kehrt heim, ehrliche Leute, kehrt heim! auf dem Rückweg sollt Ihr nicht behelligt werden!« »Wir danken Dir für Deinen Rat,« sagte der Landammann, indem er den Bannerträger von Bern unterbrach, der eine ärgerliche Antwort auf der Zunge hatte, »indem wir ihn für gutgemeint halten; ist es nicht so, so ist ein unhöflicher Scherz gleich wie ein überladener Schießmörser, der auf den zurückwirkt, der ihn abfeuert. Unser Weg liegt vor uns und führt durch La Ferette, und vorwärts gedenken wir zu gehen, komme, was wolle!« – »So geht vorwärts, in des Teufels Namen!« rief der Knappe, der im stillen gehofft hatte, die Wanderer zur Umkehr zu bestimmen. Die Schweizer zogen in die Stadt ein, und aufgehalten durch die Wagenburg, die der Vogt etwa zwanzig Ellen fern von dem Tore quer durch die Straße hatte ziehen lassen, stellten sie sich in kriegerischer Ordnung auf, indem sie ihre kleine Schar in drei Reihen formierten, so daß die beiden Frauenzimmer und die Gesandtschaftsväter in der Mitte waren. Während die Schweizer hier warteten, erschien durch eine Seitentür des Turmes unter dem Bogen, durch welchen sie in die Stadt gezogen waren, ein Ritter in vollständiger Rüstung. Sein Visier war aufgezogen, und er schritt an der von den Schweizern gebildeten Linie mit düsterer und grimmer Gebärde entlang. »Wer seid Ihr,« sprach er, »die Ihr in Waffen so weit zu einer burgundischen Besatzung vordringt?« – »Mit Eurer Erlaubnis, Herr Ritter,« sagte der Landammann, »wir sind Männer, die mit friedlicher Botschaft kommen, obwohl wir Waffen zur Gegenwehr tragen. Abgeordnete sind wir von den Städten Bern und Solothurn, den Kantonen Schwyz, Uri und Unterwalden, und haben Wichtiges mit dem erlauchten Herzoge von Burgund und Lothringen zu verhandeln.« – »Was Städte, was Kantone!« sagte der Vogt zu La Ferette. »Ich habe keine solchen Namen unter den freien Städten Deutschlands je gehört – Bern? Ei doch, seit wann ward Bern eine freie Stadt?« – »Seit dem einundzwanzigsten Tage des Junimondes,« sprach Arnold Biedermann, »und im Jahr der Gnade eintausendeinhundertneununddreißig, an welchem die Schlacht bei Lauffen geschlagen ward.« »Hinweg, eitler, alter Knabe,« sagte der Ritter, »denkst Du, solch unnützer Selbstruhm könnte Dir hier nützen? Freilich haben wir gehört, wie etliche aufrührerische Dörfer und Volksgemeinden auf und zwischen den Alpen sich dem Kaiser widersetzten und durch die Vorteile von Felsbollwerken, von Hinterhalten und Schlupfwinkeln es dahin brachten, verschiedene Ritter und Edle zu ermorden, die vom österreicher Herzog gegen sie ausgesendet worden waren. Doch vermeinten wir nie, solche jämmerlichen Bauern könnten die Frechheit haben, sich freie Staaten zu nennen und mit einem mächtigen Fürsten, wie Karl von Burgund ist, unterhandeln zu wollen. Was? wollt Ihr hier eine freche Miene der Freiheit und Unabhängigkeit aufsetzen? Ich will Euch mit meinem eisenbeschlagenen Ritterstiefel zertreten,« – »Wir sind keine Männer, die sich zertreten lassen,« sagte Arnold Biedermann ruhig, »Herr Ritter, legt für eine Weile diese hochfahrende Sprache beiseite, denn sie führt nur zu Hader, und hört auf die Worte des Friedens. Gebt unsern Gefährten, den englischen Handelsmann Philippson los, an welchen Ihr heute früh widersetzlich Hand angelegt, laßt ihn eine beträchtliche Summe als Lösegeld zahlen, und wir, die wir vor des Herzogs erlauchtes Antlitz ziehen, wollen ihm günstigen Bericht von seinem Vogt zu La Ferette erstatten.« – »Ihr wollt so großmütig sein? Wollt Ihr?« sagte Archibald in hohnlachendem Tone. »Und welches Unterpfand wird mir von Euch, daß Ihr so gütig an mir tun werdet, wie Ihr sagt?« – »Das Wort eines Mannes, der nie seine Zusage brach,« antwortete der unerschütterliche Landammann. »Grober Kerl,« versetzte der Ritter, »willst Du Dein Lumpenwort bieten zwischen dem Herzoge von Burgund und Archibald von Hagenbach? Wisse, daß Ihr nimmer gegen Burgund zieht; es sei denn, Ihr zöget dahin mit Ketten an Euren Händen, und Halftern um Eure Hälse – Hussahoh! Burgund zur Rettung!« Augenblicklich, wie er dies sagte, zeigten sich burgundische Kriegsknechte, hinter und rings um den engen Raum, in welchem die Schweizer sich aufgestellt hatten. Die Brustwehren der Stadt waren mit bewährten Männern besetzt, Bewaffnete erschienen an der Tür jedes Hauses, während andere an den Fenstern sich mit Donnerbüchsen, Zielbogen und Armbrüsten blicken ließen. Die Kriegsknechte, welche die Wagenburg besetzt hielten, erhoben sich ebenfalls und schienen die Schweizer am Weiterschreiten hindern zu wollen. Die kleine Schar in solcher Enge, solcher Uebermacht gegenüber, zeigte weder Bestürzung noch Mutlosigkeit, sondern blieb fest auf ihrem Platze, und die Feinde erkannten wohl, daß es keine leichte Arbeit wäre und viel Blut kosten würde, diese Handvoll entschlossener Männer selbst mit fünfmal überlegener Mannschaft zu bezwingen. Dieser Gedanke mochte auch Herrn Archibald davon abhalten, den Befehl zum Angriff zu geben, als plötzlich sich von fern das Geschrei: »Verräterei! Verräterei!« vernehmen ließ. Ein Soldat stürzte, mit Schlamm bedeckt, auf den Vogt zu und erzählte atemlos, er hätte versucht, einen Gefangenen festzunehmen, der kurz vorher die Flucht ergriffen haben müßte, und sei dabei von den Bürgern auf dem Stadtwalle angefallen und fast ertränkt worden. Er fügte hinzu, daß die Bürger eben jetzt den Feind in die Stadt hineinließen. »Kilian,« sprach der Ritter, »nimm eine Rotte von zwanzig Mann, eile ans nördliche Ausgangspförtchen und haue nieder, was Du an Waffen antriffst, ob Bürger oder Fremde. Mich laß hier, um mit diesen Bauern wohl oder übel fertig zu werden!« Allein ehe noch Kilian dem Befehl seines Herrn Folge leisten konnte, erklang dicht hinter ihnen das Jubelgeschrei: »Basel! Basel! Freiheit! Freiheit! Der Tag ist unser!« – Und heran rückten die Baseler Jünglinge, die Rudolf noch rechtzeitig hatte zurückrufen können, heran kamen manche Schweizer, denen nach solch einem Stück Arbeit gelüstete, und heran kamen die bewehrten Einwohner von La Ferette, die, empört über die Tyrannei des Hagenbachers, die Waffen ergriffen und die Baseler zu dem Ausgangspförtchen hereingelassen hatten, durch welches der jüngere Philippson vorher entflohen war. Die Besatzung, die schon beim Anblicke der zur Gegenwehr entschlossenen Schweizer den Mut zu verlieren begonnen hatte, geriet bei diesem neuen, unerwarteten Aufstande völlig in Verwirrung. Die meisten der Kriegsknechte wollten lieber fliehen und sprangen einfach von den Brustwehren herab. Kilian und andere, zu stolz, um zu fliehen, oder sich zu ergeben, kämpften mit der Wut der Verzweiflung und blieben tot auf dem Platze. Inmitten dieser Verwirrung stand die Schar des Landammanns unbeweglich; denn er gestattete keinem, Anteil an dem Kampfe zu nehmen, solange sich nicht ein Feind an ihnen vergriffen hätte. »Steht still alle,« erscholl die tiefe Stimme Arnold Biedermanns, längs seinen Reihen, – »Wo ist Rudolf? – Wahrt Euer Leben, doch nehmt es keinem! – Was? Wohin, Arthur Philippson? Auf dem Platz geblieben, sagt' ich!« – »Ich kann nicht müßig hier stehen,« sprach Arthur, der eben aus den Reihen trat. »Ich muß meinen Vater im Kerker suchen; man könnte ihn inzwischen erschlagen!« – »Bei Unserer heiligen Mutter von Einsiedeln, Du sprichst wahr!« antwortete der Landammann. »Ich werde Dir suchen helfen, Arthur, – das Gefecht scheint fast zu Ende. He, Herr Bannermann, würdiger Adam Zimmermann und Ihr, mein werter Freund, Nikolaus Bonstetten, laßt Eure Mannschaft sich still verhalten. – Habt nichts zu schaffen mit diesem Aufruhr, sondern überlaßt es den Männern von Basel, ihre Taten selber zu verantworten! Ich bin in wenigen Minuten zurück.« Indem er dies sagte, eilte er Arthur Philippson nach, der, durch sein gutes Gedächtnis geleitet, ihn an die Kerkertreppe führte. Hier trafen sie einen schielenden Gesellen, in dem sie an einem Bund verrosteter Schlüssel den Kerkermeister erkannten. – »Zeige mir den Kerker des englischen Kaufmannes,« sagte Arthur Philippson, »oder Du stirbst von meiner Hand.« – »Wen von beiden wünscht Ihr zu sehen?« fragte der Kerkermeister, »den alten oder den jungen?« – »Den alten,« sprach Arthur, »sein Sohn ist Dir entschlüpft,« – »So geht nur hinein, Ihr Herren,« sagte der Mann mit den Schlüsseln, indem er den Riegel einer schweren Eisentür öffnete. Oben am Ende des Gemaches lag der Mann, den sie suchten und sofort aufhoben und herzlich umarmten. – »Mein teurer Vater!« – »Mein werter Gast!« riefen zu gleicher Zeit sein Sohn und sein Freund. »Wie steht es um Euch?« – »Wohl,« antwortete der ältere Philippson, »so Ihr, mein Freund und mein Sohn, wie ich aus Euren Waffen und Eurem Aussehen schließe, als Sieger und in Freiheit kommt; übel, so Ihr kommt, meine Haft zu teilen.« »Seid ohne Sorge,« sagte der Landammann, »wir sind in Gefahr gewesen, wurden aber wundersam aus ihr befreit. Die schlechte Luft hier hat Euch betäubt; lehnt Euch an mich, mein edler Gast, und laßt mich Euch in ein besseres Quartier führen.« – Hier ward er von einem Dröhnen unterbrochen, das ganz anders erklang als das ferne Getöse des Volksaufruhrs, das durch die Straßen hallte. »Bei St. Peter und seinem Schlüssel!« sagte Arthur, der sofort wußte, was geschehen war. »Der Kerkermeister hat die Tür des Gefängnisses zugeworfen. Wir sind eingesperrt. – Halloh, Hund von einem Kerkerknecht! Schurke! Tu auf, es kostet sonst Dein Leben!« – »Er ist wahrscheinlich zu weit entfernt, um Deine Drohungen zu hören,« sagte der ältere Philippson, »und Dein Schreien hilft Dir nichts. Allein, wenn Ihr gewiß seid, daß die Schweizer im Besitz der Stadt sind, so werden Eure Begleiter Euch bald auffinden. Ihr, Arnold Biedermann, seid ein zu wichtiger Mann, als daß man Euch nicht vermissen sollte.« – »Das hoffe ich,« sagte der Landammann, »doch sieh zu, Arthur, mein wackerer Bursch, ob sich der Riegel nicht zurückschieben läßt.« Arthur, der sorglich das Schloß untersucht hatte, erwiderte verneinend und fügte hinzu, daß sie wohl oder übel sich in Geduld fassen und ruhig auf Befreiung warten müßten, da sie selber nichts dazu beitragen könnten. Sie brauchten jedoch nicht lange zu warten, so sprang der Riegel zurück, und die Tür wurde von einer Person geöffnet, die sofort wieder die Treppe hinaneilte, bevor die in Freiheit Gesetzten ihren Befreier auch nur mit einem einzigen Blicke hätten sehen können. – Sie stiegen die steile Treppe hinan und gelangten an den Ausgang des Wachthausturmes, wo ein seltsames Schauspiel ihrer harrte. Die Schweizer Abgeordneten und ihre Mannen standen noch still und unbeweglich an eben der Stelle, wo Hagenbach sie hatte wollen angreifen lassen. Etliche wenige Kriegsknechte des Vogts, die sich vor den empörten, jetzt in großer Zahl die Straßen füllenden Bürgern fürchteten, standen mit gesenkten Blicken hinter den Bergbewohnern, wo sie sich am sichersten glaubten. Allein, dies war nicht alles. Die Karren, die eben noch dazu gedient hatten, die Straße zu sperren, waren jetzt anders zusammengeschoben und mit Brettern belegt, so daß in Eile daraus ein Schafott gebildet worden war. Auf diesem befand sich ein Sessel, in welchem ein langer Mann mit entblößtem Haupte, Nacken und Schultern, doch noch in glänzender Rüstung, saß. Sein Antlitz war bleich, wie das eines Toten, jedoch der junge Philippson erkannte in dem Manne sogleich den hartherzigen Vogt, den Ritter Archibald von Hagenbach. Er schien auf dem Stuhle festgebunden zu sein. Zu seiner Rechten dicht neben ihm stand der Pfarrherr von Sankt Paul, das Brevier in der Hand, während ihm zur Linken, etwas hinter dem Gefangenen, eine hohe Gestalt in rotem Mantel sich mit beiden Händen auf ein entblößtes Schwert lehnte. In dem Augenblicke, als Arnold Biedermann aus dem Turme heraustrat, und ehe der Landammann noch die Lippen öffnen konnte zu der Frage, was dieser Anblick bedeutete, zog der Priester sich zurück, der Nachrichter schritt vor, das Schwert wurde geschwungen, der Streich geführt, und das Haupt des Missetäters rollte hin auf das Schafott. Allgemeiner Beifall und Händeklatschen wurden hörbar, wie es wohl vor einer Schaubühne zu geschehen pflegt, wenn beliebten Darstellern Lob gezollt wird. Während Blutströme aus den Adern des enthaupteten Rumpfes flossen und von den Sägespänen verschluckt wurden, mit denen das Schafott bestreut worden war, verneigte der Nachrichter sich mit Anstand nach allen vier Ecken des Gerüstes hin gegen die Beifall spendende Menge. »Edle Ritter, Herren aus freigeborenem Blute und werte Bürger,« sprach er, »die Ihr dieser hohen Gerichtsvollstreckung beigewohnt habt, ich bitte Euch, mir zu bezeugen, daß diese Hinrichtung nach aller Form des Urteils auf einen einzigen Streich und ohne allen Fehl- oder Doppelhieb ausgeführt wurde.« – Der Beifall wiederholte sich. – »Lange lebe unser Scharfrichter Steinherz, und möge er noch an manchem sein Amt vollführen.« »Edle Freunde,« sagte der Nachrichter mit tiefster Untertänigkeit, »ich habe jetzt noch ein Wort zu sagen, und zwar ein kühnes. – Gott verleihe seine Gnade der Seele des guten und edlen Ritters, des Herrn Archibald von Hagenbach. Er war der Schutz meiner Jugend und mein Führer auf der Bahn der Ehren. Acht Schritte zu Freiheit und Adelsrecht hatte ich durch die Köpfe freigeborener Edlen und Ritter getan, die auf sein Geheiß durch mich fielen, und der neunte Schritt, durch den ich an mein Ziel gelange, geschah durch sein eigen Haupt, und ich will zu dankbarem Andenken dessen diese Börse mit Gold, die er mir erst vor einer Stunde schenkte, zu Seelenmessen für ihn spenden. Ihr edlen Herren und Freunde und jetzt Meinesgleichen! La Ferette hat einen Edelmann verloren und einen anderen dafür gewonnen. Unsere heilige Mutter sei gnädig dem hingeschiedenen Ritter, Herrn Archibald von Hagenbach, und segne und beglücke das Tun des Stefan Steinherz vom Blutacker, der nun ein Mann vom Adel geworden ist.« Mit diesen Worten nahm er die Feder ab von dem Helme des Gerichteten, der blutbefleckt neben dem Leichname auf dem Gerüste lag, und empfing, als er sie auf seine Amtsmütze steckte, die Huldigung der Menge in lautem Hurrahgeschrei, das teils im Ernst, teils im Scherze erklang, wie das bei dergleichen Gelegenheiten der Fall zu sein pflegt. Endlich fand Arnold Biedermann Worte. Das Uebermaß seines Erstaunens schien ihn der Sprache beraubt zu haben; auch hatte die Hinrichtung zu schnell ihr Ende erreicht, als daß der Landammann sich hätte ins Mittel legen können, »Wer hat es gewagt, diese Greueltat anzuordnen?« fragte er voller Unwillen. »Und mit welchem Rechte hat sie stattgefunden?« Ein reich in Blau gekleideter Edler erwiderte auf die Frage: »Die freien Bürger von Basel haben nach ihrem Ermessen so gehandelt, wie die Väter der schweizerischen Freiheit ihnen das Beispiel gaben; und der Tyrann Archibald von Hagenbach ist mit demselben Recht gefallen, nach welchem der Tyrann Geßler fiel. Wir duldeten ihn, bis sein Becher zum Rande gefüllt war; länger dulden wir nicht!« – »Ich spreche nicht, daß er den Tod nicht verdiente,« entgegnete der Landammann, »allein um Eurer selbst und der Eurigen willen, hättet Ihr seiner schonen sollen, bis der Herzog seinen Willen kundgetan.« – »Was redet Ihr uns vom Herzog?« antwortete Lorenz Neipberg, der nämliche Blaue, den Arthur bei der Zusammenkunft der Baseler Bürger in Rudolfs Gesellschaft gesehen hatte. »Wir sind keine burgundischen Untertanen! Der Kaiser ist unser alleiniger rechtmäßiger Herr und hatte nicht das Recht, die Stadt und Feste La Ferette, die ein Grundeigentum Basels ist, zum Nachteil unserer freien Stadt zu verpfänden. Zieht indessen Eures Weges, Herr Landammann von Unterwalden! So unser Tun Euch mißfällt, schwört es ab vor dem Herrschersitze Karls von Burgund, allein, indessen Ihr solches tut, verschwört auch zu gleicher Zeit das Andenken an Wilhelm Tell und Stauffacher, an Walter Fürst und Arnold von Melchthal, an die Väter der helvetischen Freiheit.« »Ihr sprecht die Wahrheit,« sagte der Landammann, »allein Ihr tut es zu übelgewohnter und unglücklicher Stunde. Geduld würde Euern Uebeln abgeholfen haben, die keiner tiefer fühlt und bereitwilliger aus der Welt geschafft hätte, als ich, Ihr habt, unkluger Jüngling, die Bescheidenheit Eures Alters und die Unterwürfigkeit, die Ihr Euren Altvordern schuldig seid, hintangesetzt. Wilhelm Teil und seine Genossen waren bejahrte und erfahrene Männer, Ehegatten und Hausväter, die ein Recht besaßen, im Rate gehört zu werden, und die ersten zur Tat zu sein! Genug, ich überlasse es den Vätern und Vorgesetzten Eurer Stadt, Euer Tun zu billigen oder zu verwerfen. – Ihr aber, meine Freunde – Ihr, Bannerherr von Bern – Du, Rudolf – vor allem aber Du, Nikolaus von Bonstetten, mein Kamerad und Freund, warum nahmt Ihr jenen elenden Mann nicht in Schutz?« – »So wahr ich vom Brot lebe,« antwortete Nikolaus Bonstetten, »ich gedachte Euren Verfügungen bis auf den kleinsten Punkt nachzukommen; und das dergestalt, daß ich einmal den Gedanken hegte, loszubrechen und den Mann zu beschützen, allein Rudolf von Donnersberg erinnerte mich, daß Euer letzter Befehl lautete, mich still auf dem Platze zu verhalten und die Männer von Basel ihr Tun selbst vertreten zu lassen. Fürwahr, sprach ich da zu mir selbst, mein Gevatter Arnold weiß besser, als irgend einer von uns, was uns zu tun gebührt.« »Ach, Rudolf, Rudolf!« rief der Landammann, indem er mit Mißfallen auf ihn blickte, »schämtest Du Dich nicht, einen Greis zu betrügen?« »Zu sagen, daß ich ihn betrog, ist eine schwere Anklage,« sprach der Berner mit seiner gewöhnlichen Ehrerbietung; »jedoch von Euch, Landammann, nehme ich alles hin. Ich will nur sagen, daß ich als Mitglied dieser Gesandtschaft mich dem Ganzen unterordnen mußte und nicht selbständig handeln durfte, besonders wo derjenige nicht gegenwärtig war, der Weisheit genug besitzt, uns alle zu lenken und zu leiten.« – »Deine Worte sind allezeit schön, Rudolf,« erwiderte Arnold Biedermann, »und ich hoffe, Du meinst es auch so. Doch Streit beiseite und gebt mir Euren Rat, meine Freunde. Zu diesem Zwecke wollen wir dahin gehen, wo es sich am besten schickt, also zuerst in die Kirche, um für unsere Errettung vom Meuchelmorde zu danken und dann Rat zu halten, was zunächst zu tun sei.« Der Landammann eröffnete den Weg zur St. Pauluskirche, während seine Gefährten und Genossen ihm folgten. Rudolf, der als Jüngerer die Alten voranschreiten ließ, bekam dadurch Gelegenheit, den ältesten Sohn des Landammannes, Rüdiger, zu sich zu winken, und ihm ins Ohr zu flüstern, er möchte zusehen, daß man sich der beiden englischen Kaufleute entledigen könne. »Hinweg, mit Ihnen, mein lieber Rüdiger,« sprach er, »und womöglich auf freundliche Weise! Dein Vater ist wie vernarrt in diese beiden englischen Marktkrämer und wird auf keinen andern Rat hören, und Du weißt, lieber Rüdiger, so wie ich, Männer, wie diese sind untauglich, freigeborenen Schweizern Vorschriften zu machen. Schaff die Siebensachen, die man ihnen geraubt – oder so viel davon noch vorhanden ist, so schnell herbei, als Du kannst, und schicke sie in des Himmels Namen auf. die Reise!« Rüdiger nickte bejahend und ging. Der einsichtsvolle Handelsmann wünschte ebenso dringend, wie die jungen Schweizer, diesem Schauplatze der Verwirrung zu entrinnen, und wartete nur noch darauf, das Kästchen zurückzuerhalten, das der Hagenbacher ihm abgenommen hatte. Rüdiger Biedermann stellte Nachforschungen an, die um so mehr Aussicht auf Erfolg hatten, da die schlichten Schweizer schwerlich den wahren Wert jener Edelsteine zu schätzen wußten. Sofort wurde der Leichnam des Vogts untersucht, allein man fand weder bei ihm, noch bei denen, die vor und während der Hinrichtung in seiner Nähe geweilt oder zu seinen Lebzeiten des Vogts Vertrauen genossen hatten, die geringste Spur von dem kostbaren Päckchen. Der junge Arthur Philippson hätte herzlich gern ein paar Augenblicke benützt, um Anna von Geierstein Lebewohl zu sagen. Allein der graue Schleier war nicht mehr unter den Reihen der Schweizer zu sehen, und ziemlich gewiß war anzunehmen, daß bei der Verwirrung, die der Hinrichtung folgte, und bei dem Fortzug der kleinen Schar das Mädchen sich in eines der naheliegenden Häuser zurückgezogen hatte, während die schweizerischen Krieger, durch die Gegenwart ihrer Hauptleute nicht mehr gehindert, sich zerstreut hatten, teils um nach den den Engländern geraubten Waren zu suchen, teils sich mit den jubelnden siegreichen Baseler und den Bürgern von La Ferette zu vereinigen. Allgemein ging das Geschrei, daß Ferette, ein Ort, der so lange Zeit als Hemmschuh der Schweizer Eidgenossenschaft und als Schranke des helvetischen Handels gegolten hatte, fortan von ihnen zum Schutze gegen die Eingriffe und Erpressungen des Herzogs von Burgund und dessen Beamten gehalten werden sollte, und der ganze Ort gab sich einem wilden, jedoch fröhlichen Jubel hin. Inmitten all dieser Verwirrung war es für Arthur unmöglich, seinen Vater zu verlassen, auch wenn sich Gelegenheit geboten hätte, einen Augenblick nur sich selbst zu genügen. Traurig, gedankenvoll und sorgenbeladen mitten unter all den Fröhlichen, blieb er bei dem Vater, den zu lieben und zu ehren er so gewichtige Ursache hatte. Er half ihm, das Maultier mit den Waren in Sicherheit zu bringen, die sie durch die ehrlichen Schweizer nach Hagenbachs Tode wiedererhalten hatten. Dieser Auftritt hatte kaum zehn oder fünfzehn Minuten gedauert, als Rudolf von Donnersberg sich dem älteren Philppson näherte und im Tone der größten Höflichkeit ihn einlud, sich an der Beratung der Gesandtschaft zu beteiligen, die in einer so unerwarteten schwierigen Lage keine Schritte tun wolle, ohne die Meinung des erfahrenen Handelsmannes anzuhören. Der ältere Philippson machte sich sogleich mit Donnersberg auf den Weg; der junge Kämpe nahm ihn vertraulich beim Arm und flüsterte ihm unterwegs ins Ohr: »Ich denke, ein Mann von Eurer Einsicht wird uns kaum raten, uns der Laune des Herzogs von Burgund preiszugeben, nachdem dieser durch die Wegnahme seiner Feste und die Hinrichtung seines Vogts eine schwere Beleidigung von uns erfahren hat.« – »Ich werde nach besten Kräften meinen Rat erteilen,« antwortete Philippson, »sobald ich genau über die Umstände unterrichtet bin, unter denen man ihn von mir verlangt.« In einer kleinen, an die Kirche grenzenden, dem heiligen Magnus gewidmeten Kapelle waren die vier Abgeordneten zu geheimer Beratung versammelt. Auch der Pfarrer von St. Paul war gegenwärtig. Als Philippson eintrat, schwiegen alle für einen Augenblick, bis der Landammann ihn folgendermaßen anredete: »Herr Philippson, wir schätzen Euch als einen Mann, der weit gereist, wohl vertraut mit den Sitten fremder Länder und bekannt mit den Verhältnissen des Herzogs von Burgund ist; weshalb Ihr wohl befähigt seid, uns in einer Sache von großer Wichtigkeit zu raten. Ihr wißt, mit welcher Sehnsucht nach Frieden wir unsere Sendung übernahmen, wißt auch, was sich heute ereignet hat, und daß dies wahrscheinlich dem Herzoge in schwärzestem Lichte vorgestellt wird; würdet Ihr in solchem Falle uns raten, nach diesem Vorfall vor den Herzog zu treten, oder taten wir besser, heimzukehren und zum Krieg mit Burgund uns zu rüsten?« »Welche Meinungen hegt Ihr selbst über diesen Gegenstand?« fragte der vorsichtige Engländer.– »Unsere Meinungen sind geteilt,« antwortete der Berner Bannermann, »Ich habe das Banner dreißig Jahre lang gegen die Feinde getragen und will es lieber gegen die Lanzen der Ritter Lothringens und des Hennegaus tragen, als mich der rohen Aufnahme aussetzen, die wir am Throne des Burgunders zu erwarten haben.« – »Wir stecken unsere Köpfe selbst in des Löwen Rachen, so wir hinziehen,« sagte Zimmermann von Solothurn; »darum bin ich für die Rückkehr.« – »Ich möchte das nicht anraten,« sagte Rudolf von Donnersberg, »wenn es mein Leben allein beträfe; der Landammann von Unterwalden ist der Vater der vereinigten Kantone, und es würde Vatermord sein, so ich dafür stimmte, sein Leben in Gefahr zu bringen. So rate ich denn auch, umzukehren, damit die Eidgenossenschaft sich zum Kampfe anschicke.« – »Meine Meinung ist anderer Art,« sagte Arnold Biedermann, »auch würde ich es keinem vergeben, der, ob aus wirklichem oder erheucheltem Freundschaftsgefühle, mein geringes Leben mit der Wohlfahrt der Kantone auf die Wagschale legte. Gehen wir vorwärts, so wagen wir unsere Köpfe – sei dem so! Allein kehren wir zurück, so verwickeln wir unser Vaterland in Krieg mit einer der ausgezeichnetsten Mächte Europas, Würdige Mitgenossen! Ihr seid tapfer im Gefechte – zeigt Euch jetzt so kühn wie tapfer und zaudert nicht jeglicher persönlichen Gefahr, die unser warten möchte, entgegenzugehen, sobald wir dadurch unserm Lande den Frieden erhalten können. – »Ich denke und stimme wie mein Nachbar, Arnold Biedermann,« sagte der lakonische Abgeordnete von Schwyz. – »Ihr hört, wie geteilt unsere Meinungen sind,« sagte der Landammann zu Philippson. »Sagt uns jetzt die Eurige.« »Zuvor möchte ich fragen,« sprach der Engländer, »inwiefern Ihr an der Erstürmung einer vom Herzog besetzten Stadt und an der Hinrichtung des Vogts Anteil nahmt?« – »So wahr mich der Himmel schützt,« versetzte der Landammann, »ich wußte nichts von der Erstürmung bis zu dem Augenblicke, wo sie stattfand.« – »Und was die Hinrichtung Hagenbachs betrifft,« sagte der schwarze Priester, »so schwör ich Euch bei meinem heiligen Amte, sie wurde unter der Leitung eines gültigen Gerichtshofes vollführt, dessen Spruch selbst Karl von Burgund anerkennen muß und dessen Beschluß die Schweizer Abgeordneten weder fördern noch hindern konnten.« »Wenn das der Fall ist und Ihr wirklich keinen Anteil an den Vorgängen hattet,« äußerte Philippson, »die der Herzog freilich höchst übel aufnehmen wird, so möchte ich Euch allerdings raten, Eure Reise fortzusetzen, indem ich gewiß bin, daß Ihr bei jenem Fürsten gerechtes und unparteiisches Gehör und, wie zu hoffen steht, günstige Antwort erhalten werdet. Ich kenne den Herzog Karl von Burgund, ja ich darf wohl sagen, daß ich ihn genau kenne. Wenn Ihr im Verlauf der Untersuchung imstande seid, Euch von allen Anschuldigungen zu reinigen, so wird seine Gerechtigkeitsliebe zu Euren Gunsten entscheiden. Doch muß Eure Sache dem Herzog gehörig dargelegt werden, und zwar von einem Munde, der besser mit der Sprache der Königshöfe vertraut ist als der Eurige; und solch eine freundliche Fürsprache möchte ich wohl für Euch tun, wäre ich nicht des wertvollen Päckchens beraubt worden, das ich bei mir trug, um es dem Herzoge zu überreichen, und das zugleich als Zeugnis meiner Sendung an ihn galt.« »Dieses wichtige Kästchen soll auf das strengste gesucht und Euch sorgfältig zurückerstattet werden,« sagte der Landammann. »Was uns Schweizer betrifft, so kennt keiner den Wert seines Inhaltes; und, wenn es sich in den Händen eines der Unsrigen befinden sollte, so wird er es als Spielwerk, worauf er keinen Wert legt, gern zurückgeben.« Als er so sprach, wurde heftig an die Tür geklopft. Rudolf der ihr zunächst stand, bemerkte mit einem Lächeln, das er jedoch gleich unterdrückte, da es den Landammann hätte beleidigen können: »Es ist Sigismund, der gute Junge – soll ich ihn zu unserer Beratung einlassen?« – »Was soll der einfältige Bursch?« fragte Arnold mit bekümmertem Lächeln. – »Doch laßt mich ihm öffnen,« nahm Philippson das Wort: »er fordert bringend Einlaß und bringt vielleicht Nachrichten. Ich habe wahrgenommen, Herr Landammann, daß dieser junge Mann, wiewohl langsam von Gedanken und Ausdruck, doch streng in seinen Grundsätzen und bisweilen glücklich im Auffassen ist.« Somit ließ er Sigismund herein, und dieser trat voll Selbstvertrauen näher und hatte vollauf Recht dazu, indem er dem älteren Philippson das Diamant-Halsgeschmeide samt dem dazu gehörigen Kästchen überreichte, »Dies hübsche Ding gehört Euch,« sprach er, »ich vernahm von Eurem Sohne Arthur, daß Ihr erfreut sein werdet, es zurückzuerhalten.« – »Ich danke Dir auf das herzlichste,« antwortete der Handelsmann. »Der Schmuck ist allerdings mein; das heißt das Kästchen war unter meine Obhut gegeben und ist mir um so mehr wert, da es mir als Pfand und Ausweis zur Ausführung eines wichtigen Auftrages dient. – Wie bist Du denn, mein junger Freund,« sprach er zu Sigismund, »so glücklich gewesen, das wiederzufinden, was wir vergebens so emsig suchten? Laß mich Dir nochmals herzlich danken, und halte mich nicht für neugierig, wenn ich frage, wie das Kästchen in Deine Hände kam.« – »Nun,« sagte Sigismund, »die Geschichte ist bald erzählt. Ich hatte mich dem Schafotte so nahe gestellt, wie ich nur konnte, indem ich noch nie eine Hinrichtung gesehen hatte. Da gewahrte ich denn, wie der Scharfrichter, der, wie ich meine, sein Amt gar geschickt verwaltete, in dem Augenblicke, wo er das Tuch über den Leichnam Hagenbachs breitete, etwas unter des toten Mannes Harnisch hervorzog und es hastig in seinen eigenen Busen steckte. Als nun das Gerücht ging, es werde ein wertvoller Gegenstand vermißt, eilte ich dem Kerl nach, um ihn in Untersuchung zu nehmen. Ich fand, daß er zum Messelesen hundert Krontaler auf den Hochaltar der Sankt Paulskirche niedergelegt hatte, und verfolgte seine Spur bis in die Schenke des Fleckens, wo etliche widerwärtige Gesichter ihm als einem Freisassen und Edelmanne jubelnd zutranken. So trat ich mit meiner Partisane mitten unter sie und begehrte von seiner Herrlichkeit entweder das herauszugeben, was er dort sich genommen hatte, oder die Schwere meiner Waffe zu erproben. Seine Gnaden, der Herr Hängemann, zauderte und wollte allerlei Einrede versuchen. Ich aber war etwas kurz angebunden, und so hielt er es dann für das beste, mir das Päckchen einzuhändigen. Das ist die ganze Geschichte.« »Du bist ein braver Bursch,« sagte Philippson, »und bei einem stets richtigen Gefühle kann der Kopf selten unrecht haben. Eile, mein guter Junge, und gib meinem Sohne Arthur dies inhaltsschwere Kästchen.« – Mit stillem Frohlocken, Beifall erhalten zu haben, der ihm so selten ward, verließ Sigismund die Kapelle. Einen Augenblick herrschte Stille; denn der Landammann freute sich im geheimen von Herzen über das einsichtsvolle Verhalten des sonst so tölpelhaften Sigismund, dessen Geistesarmut ihn stets mit Besorgnis erfüllt hatte. Als er wieder zu Worten gelangen konnte, sprach er mit seiner gewöhnlichen Aufrichtigkeit und männlichen Festigkeit zu Philippson. »Herr Philippson, ich frage Euch jetzt, ob, nachdem Ihr in so glücklicher und unerwarteter Weise wieder in den Besitz dessen gelangtet, was, wie Ihr sagtet, Euch beim Herzoge von Burgund als Kreditiv dienen soll, Ihr noch geneigt seid, Fürsprache unseretwegen bei dem Burgunder zu tun, wie Ihr uns vorhin angeboten habt?« – »Landammann,« versetzte Philippson, »Ihr sagt es, und ich glaube es, daß Ihr von der Erstürmung von La Ferette nichts wußtet. Auch sagt Ihr, daß Hagenbach durch einen Rechtsspruch ums Leben kam, den Ihr weder fördern noch hindern konntet. – Laßt eine Vernehmungsschrift aufsetzen, die über diese Punkte Licht gibt und dieselben soviel wie möglich beweist. Vertraut sie mir, versiegelt so Ihr wollt, und wenn das alles so geschehen, so gebe ich Euch mein Wort als – als – ehrlicher Mann und echtgeborener Engländer, daß der Herzog von Burgund Euch nimmer eine Schmach wird antun, noch antun lassen. Auch hoffe ich, diesem Fürsten ein Freundschaftsbündnis zwischen Burgund und den vereinigten Kantonen sehr ans Herz zu legen. Doch ist es möglich, daß mir dieser letzte Punkt mißlingt, jedenfalls aber bürge ich Euch dafür, daß Ihr unbehelligt den herzoglichen Hof erreichen und ungehindert heimkehren werdet, widrigenfalls mein Leben und das meines einzigen und geliebten Sohnes das Lösegeld sein möge, womit ich mein allzuhoch gesteigertes Vertrauen zu des Herzogs Gerechtigkeit und Ehrfurcht büßen werde.« Die Abgeordneten schwiegen und blickten auf den Landammann; nur Rudolf von Donnersberg nahm das Wort: »Sollten wir denn unser Leben und, was noch teurer ist, das Leben unseres vielgeehrten Genossen, des Herrn Arnold von Biedermann, dem schlichten Worte eines fremden Handelsmanns vertrauen? Wir alle kennen die Gemütsart des Herzogs, und wie rachsüchtig und unversöhnlich er sich stets gegen unser Land bewies. Mich will bedünken, dieser englische Kaufmann sollte seine eigene Beziehung zu dem burgundischen Hofe deutlicher kund geben, wenn er von uns erwartet, daß wir ihm unbedingtes Vertrauen schenken sollen.« – »Das zu tun, Herr Rudolf von Donnersberg,« versetzte Philippson, »gebricht es mir an Freiheit. Ich dringe nicht in Eure Geheimnisse, sie mögen einem einzelnen oder mehreren unter Euch angehören. Meine Geheimnisse sind mir heilig. Erwog ich bloß meine eigene Sicherheit, so wäre es höchst weise getan, mich hier von Euch zu trennen. Allein unsere Botschaft ist Friede: Eure plötzliche Rückkehr nach dem, was in La Ferette vorfiel, würde unvermeidlichen Krieg zur Folge haben. Mich dünkt, ich kann Euch freies und sicheres Gehör bei dem Herzoge versprechen, und ich bin bereit, eines christlichen Friedens willen jeglicher sich mir deshalb entgegenstellenden persönlichen Gefahr Trotz zu bieten.« »Nichts mehr, würdiger Philippson,« sprach der Landammann. »Ihr seid die Redlichkeit in Person, und der ist zu beklagen, der das nicht auf Eurer männlichen Stirn lesen kann! Wir ziehen fürbaß, bereit, unsere Wohlfahrt lieber der Hand eines despotischen Fürsten zu überantworten, als die Botschaft unausgerichtet zu lassen, die unser Vaterland uns auftrug. Der ist nur zur Hälfte ein braver Mann, der sein Leben bloß auf dem Schlachtfelde wagt. Es gibt noch andere Gefahren, denen zu begegnen ein ehrenwertes Amt ist, und da das Wohl des Schweizerlandes verlangt, daß wir solchen Gefahren entgegengehen sollen, so wird keiner von uns zögern, diesen Schritt zu wagen.« Die übrigen Mitglieder der Gesandtschaft stimmten ein, und die Versammlung brach auf, um ihre Weiterreise nach Burgund vorzubereiten. Ende Zweiter Band Erstes Kapitel Die englischen Handelsleute lenkten nun ihre Schritte zum Hofe des Herzogs von Burgund, nachdem sie im Verein mit den Schweizern beschlossen hatten, der Gesandtschaft vorauszuziehen. Sie ritten dahin, gleich Männern, die tief in ihre eigenen Betrachtungen versunken sind, und redeten wenig miteinander. Der Adel in der Natur des älteren Philippson und seine Hochachtung vor der Redlichkeit des Landammannes, verbunden mit der Dankbarkeit für dessen Gastfreundschaft, hatten ihn bewogen, seine Sache nicht von der der Schweizer Abgeordneten zu trennen, auch bereute er keineswegs die Großmut, die in seiner Anhänglichkeit an diese ehrlichen Leute lag. Wenn er aber das Wesen und die Beschaffenheit der persönlichen Angelegenheiten erwog, die er selber mit einem hochfahrenden, herrschsüchtigen und reizbaren Fürsten abzumachen hatte, konnte er es nur beklagen, daß zu seiner für ihn und seine Freunde hochwichtigen Sendung nun noch die Botschaft von Männern hinzugekommen war, die dem Herzoge von Burgund verhaßt waren; und wie dankerfüllt er auch für die auf Geierstein genossene Bewirtung war, so beklagte er doch die Verhältnisse, die ihn sie anzunehmen genötigt hatten. Die Gedanken Arthurs waren nicht minder beklemmend. Abermals sah er sich von dem Wesen getrennt, zu dem stets seine Gedanken, fast ganz wider Willen, zurückkehrten. Und diese zweite Trennung hatte stattgefunden, nachdem er Anna von Geierstein nur noch innigeren Dank schuldig geworden war, und dabei fand er von neuem nur noch geheimnisvollere Nahrung für seine erhitzte Einbildungskraft. Wie sollte er das Gemüt und die äußere Schönheit Annas, die er als ein so liebliches, redliches, reines und einfaches Mädchen kennen gelernt hatte, mit denen der Tochter eines Weisen und Elementargeistes vereinbaren, für die die Nacht gleich dem Tage und ein undurchdringlicher Kerker nichts anderes als eine rings offene Säulenhalle war? Konnten beide einunddasselbe Wesen sein? Oder, da sie sich genau an Gestalt und Gesichtszügen glichen, war die eine ein Geschöpf dieser Erde, die andere bloß ein gespenstisches Wesen, dem es gestattet ist, sich unter den Lebenden zu zeigen? Vor allem sollte er sie niemals wiedersehen, nie von ihren eigenen Lippen eine Erklärung der Geheimnisse vernehmen, die so mystisch mit seinen Erinnerungen an das Mädchen verflochten waren? Das waren die Fragen, die das Gemüt des jungen Reisenden beschäftigten und ihn hinderten, die Träumereien, in die sein Vater versunken war, zu unterbrechen. Das linke Ufer des Rheines, das zum größten Teil zum Reiche Karls von Burgund gehörte, befand sich unter dem geregelten Schutze ordentlicher Obrigkeiten, die mit Hilfe großer Scharen von Söldnern ihres Amtes walteten. Diese wurden von Karl aus seinem Privatschatze besoldet; er sowohl als sein Nebenbuhler Ludwig, und andere Potentaten jener Zeit, hatten ausfindig gemacht, daß das Lehnswesen ihren Vasallen zur Unabhängigkeit verhalf, weshalb sie auf den Gedanken gerieten, an dessen Statt ein stehendes Heer zu errichten, das aus Freigenossen und Söldnern von Handwerk bestand. Italien lieferte die meisten dieser Scharen, die den Kern von Karls Truppen, mindestens denjenigen Teil ausmachten, auf den er das meiste Vertrauen setzte. Unsere Reisenden setzten deswegen ihren Weg am Ufer des Rheins ungefährdet fort, bis endlich der Vater, nachdem er eine Weile die Person des von Arthur angenommenen Führers betrachtet hatte, plötzlich seinen Sohn fragte, wer oder was der Mann wäre. Arthur versetzte, in seinem Eifer einen Menschen zu finden, der des Weges genau kundig und gern bereit wäre, sie ehrlich zu führen, hätte er nicht sonderlich nach des Mannes Stand und Beschäftigung gefragt; dem Aeußern nach, sei er wohl einer jener wandernden Geistlichen, die mit Reliquien, Ablaß und anderen kirchlichen Nichtigkeiten durch das Land zögen, und die man im allgemeinen, das jüngere Volk ausgenommen, gering schätzte, weil diese Verkäufer von Gegenständen des Aberglaubens nicht selten sich grober Betrügereien schuldig machten. Des Mannes Aeußere glich eher dem eines andächtigen Laien oder Pilgers, der auf seiner Wanderschaft verschiedenen Altären sich nahen mußte, als dem eines Almosen sammelnden Bruders oder Bettelmönches. Er trug den Hut, den Brotsack und das härene Gewand eines solchen. Sankt Peters Schlüssel, aus einem scharlachroten groben Stücke Zeuge, war auf dem Rücken seiner Kutte, und zwar, wie Wappenkundige es nennen, in Form eines Andreaskreuzes plump aufgenäht. Er schien ein Mann von fünfzig Jahren und darüber zu sein, wohl gebaut und rasch für sein Alter, mit einem Angesicht, das zwar nicht häßlich, jedoch auch nichts weniger als wohlgestaltet war. Seine Augen und Gebärden verkündeten Schlauheit und standen daher im Widerspruch mit dem scheinheiligen Benehmen, das sein Stand ihm auferlegte. Dieser Unterschied zwischen seiner Kleidung und seiner Gesichtsbildung war bei Leuten von seiner Art nicht selten, da oft fragwürdige Menschen die Kutte des Mönches mehr als Deckmantel räuberischen und müßigen Wandels, als aus irgend einem gottesfürchtigen Antriebe wählten. »Wer seid Ihr, guter Mann,« fragte Philippson, »und bei welchem Namen habe ich Euch zu nennen, solange wir Reisegefährten sind?« – »Bartholomäus, Herr,« sagte der Mann, »Bruder Bartholomäus; wiewohl es einem armen Laienbruder kaum zusteht, einen so gelehrt klingenden Namen zu führen.« – »Und wohin führt Deine Reise, guter Bruder Bartholomäus?« – »Allwege dahin, wohin Euer Liebden ziehen wollen,« antwortete der Pilger, »vorausgesetzt, daß Ihr mir gestattet, meine Andacht an den heiligen Orten zu verrichten, durch die wir kommen.« – »Es kommt Dir also nicht darauf an, ein bestimmtes Ziel schnell zu erreichen?« fragte der Reisende. – »Meine Pilgerfahrt hat so viele Zwecke,« antwortete der Mönch, »daß es mir gleichgültig ist, welchen ich zuerst erreiche. Meine Gelübde legen mir auf, vier Jahre lang von Altar zu Altar, von Heiligenbild zu Heiligenbild zu wandern; allein ich bin nicht gebunden, sie in vorgeschriebener Reihenfolge zu besuchen.« – »Das heißt, Dein Pilgerschaftsgelübde hindert Dich nicht, Dich diesem oder jenem Reisenden als Führer zu verdingen?« erwiderte Philippson. »Wenn ich die Andacht an den Altären der gottgesegneten Heiligen mit einem Dienste vereinigen kann, den ich einem wandernden Mitgeschöpfe erweise, das Führung auf seiner Reise von mir begehrt, so meine ich, daß beides sich miteinander vereinbaren läßt,« sagte Bartholomäus. In diesem Gespräch wurden sie unterbrochen, denn es kamen Fremde hinter ihnen her. Als erste überholte sie eine junge, höchst geschmackvoll gekleidete Dame auf einem spanischen Zelter, den sie mit seltener Anmut und Behendigkeit zu lenken wußte. Sie trug an ihrer rechten Hand einen jener Handschuhe, die man anlegt, wenn man einen Jagdfalken trägt, und ein Lerchenhabicht saß darauf. Ihr Kopf war mit einer Jagdmütze bedeckt, und sie trug, wie es zu jener Zeit häufig der Fall war, vorm Gesichte eine Art schwarzseidener Larve, die allerdings ihre Gesichtszüge verdeckte. Ungeachtet dieser Verhüllung klopfte Arthurs Herz in gewaltigen Schlägen, als er diese Fremde erblickte, denn er war sofort überzeugt, in ihr die unnachahmliche Form des Schweizermädchens zu erkennen, mit welcher seine Seele so unaufhörlich beschäftigt war. Ihre Begleiter waren ein Falkenierer mit seinem Jagdstecken und eine weibliche Person, die beide dem Anscheine nach zu ihrer Dienerschaft gehörten. Der ältere Philippson, dessen Erinnerungsvermögen nicht so lebendig war wie das seines Sohnes, sah in der schönen Fremden nur eine Dame oder ein Fräulein von Bedeutung, die sich auf der Falkenjagd befände, und fragte sie zur Erwiderung ihres schnellen Grußes bloß mit geziemender Höflichkeit, ob sie diesen Morgen gute Beute gemacht hätte. »Unbedeutende, guter Freund,« sagte die Dame. »Ich darf meinen Vogel nicht so nahe an den breiten Strom fliegen lassen, sonst möchte er mir zum andern Ufer hinüber entwischen und ich mit ihm meinen Gefährten verlieren. Allein ich rechne darauf, ein besseres Wild zu finden, sobald ich die andere Seite der Fähre, der wir uns jetzt nähern, erreicht haben werde.« – »Dann mögt Ihr, edle Dame,« sagte Bartholomäus, »die Messe in der Kapelle hören und um gute Jagd bitten.« – »Ich wäre eine Heidin, wenn ich an dem heiligen Orte vorüberzöge, ohne solches zu tun,« versetzte die Fremde. – »Das, edle Dame, berührt gerade den Punkt, worüber wir eben sprachen,« sagte der Führer Bartholomäus, »denn ich kann diesen werten Herrn nicht überzeugen, wie wichtig es für das Gelingen seines Unternehmens ist, die Segnungen Unserer heiligen Mutter zur Fähre zu erlangen.« »Der ehrliche Mann,« sagte die junge Dame ernsthaft, ja in etwas strengem Tone, »muß wenig vom Rheine wissen. Ich will diesem Herrn die Notwendigkeit erklären, Euren Rat zu befolgen.« – Nun ritt sie nahe an den jungen Philippson heran und sprach, während sie sich bisher einer rein hochdeutschen Aussprache bedient hatte, in schweizerischer Gebirgsmundart: »Erstaune nicht, sondern höre mich!« und die Stimme war die der Anna von Geierstein. – »Sei nicht bestürzt, sage ich – oder laß Dir mindestens nichts merken! Du bist von Gefahren umringt. Besonders auf dieser Straße ist Eure Absicht bekannt – Eurem Leben wird nachgestellt. Setze bei der Fährkapelle über den Strom.« Hier drängte sich der Führer so nahe zu ihnen, daß sie es für unmöglich zu halten schien, die Unterredung fortzusetzen, ohne von ihm gehört zu werden. In demselben Augenblick flog eine Schnepfe aus dem nahen Gebüsch auf, und die junge Dame ließ ihren Habicht, den sie auf der Hand trug, hinter ihr her. – »Hussahoh! Hoho! Hoha!« schrie der Falkenierer in einem Tone, von dem rings die Gebüsche widerhallten, und ritt dann hinterdrein. Der ältere Philippson und selbst der Führer folgten mit lebhaften Blicken dem Jagdtiere, so anziehend war jene Jagdweise für Leute aus allen Ständen. Allein über des Mädchens Stimme hätte Arthur noch weit interessantere Dinge außer acht gelassen. »Setzt über den Rhein,« widerholte sie, »auf der Fähre nach Kirchhof. Nehmt Eure Wohnung im Goldenen Vließe, wo Ihr einen Führer nach Straßburg finden werdet. Ich darf hier nicht länger weilen.« – Indem die Dame so redete, erhob sie sich im Sattel, gab ihrem Rosse einen leichten Schlag mit dem locker gehaltenen Zügel, und das feurige Tier, das längst schon ungeduldig geworden war, sprengte mit einer Schnelligkeit davon, als wollte es den Habicht im Fluge einholen. – Die Dame und ihre Begleiter waren bald den Blicken unserer Reisenden entschwunden. Ein tiefes Schweigen herrschte eine Zeitlang. Arthur sann nach, wie er seinem Vater die erhaltene Warnung mitteilen sollte, ohne den Argwohn ihres Führers zu erregen. Der Vater brach jedoch selbst das Schweigen, indem er zu dem Begleiter sprach: »Setze Deinen Gaul mehr in Bewegung und reite etliche Schritte weit voraus, ich möchte gern mit meinem Sohne allein reden.« – Der Führer gehorchte, und als wollte er die Meinung erwecken, daß sein Gemüt allzusehr mit himmlischen Dingen beschäftigt wäre, um irgend einen Gedanken an diese hinfällige Welt zuzulassen, brüllte er ein Psalmlied zum Preise des heiligen Wendelin, des Hirten, und das in so übelklingenden Tönen, daß die Vögel aus den Büschen aufflogen, an denen er hinritt. »Arthur,« sagte inzwischen der ältere Philippson, »ich bin fest überzeugt, daß dieser heulende, heuchlerische Landstreicher einen Anschlag gegen uns im Schilde führt; und ich glaube, wir führen ihn am besten irre, wenn ich unsere Nachtherberge und unsere Reiseroute ganz allein bestimme, ohne ihn zu Rate zu ziehen.« – »Eure Folgerung ist richtig wie immer,« sagte sein Sohn, »ich bin ebenfalls überzeugt, daß er ein Verräter ist, denn die Dame, die eben hier war, hat mir zugeflüstert, wir sollten uns nach Straßburg an der Ostseite dieses Stromes wenden und vorerst nach dem gegenseitigen Ufer zu einem Orte übersetzen, der Kirchhof heißt. Und daß ihr Rat getreu ist, dafür will ich mein Leben verpfänden.« – »Wie!« sprach der Vater, »weil die Schöne zu Gaul sitzt und einen fehlerfreien Wuchs zeigt? Das heißt, wie ein Knabe folgern – und doch fühlt mein eigenes altes, vorsichtiges Herz sich geneigt, ihr zu trauen. Wenn unser Geheimnis in diesem Lande kund geworden ist, so gibt es ohne Zweifel viele, die sich ein Verdienst zu erwerben meinen, wenn sie mir den Zutritt zum Herzog von Burgund, selbst durch die gewalttätigsten Mittel, verwehren; und wohl weißt Du, daß ich mein Leben daranzusetzen habe, meine Botschaft auszurichten. Ich sage Dir, Arthur, daß ich mir innerlich Vorwürfe mache, bisher so wenig Sorgfalt auf mein Geschäft verwendet zu haben, indem ich dem natürlichen Wunsche folgte, Dich in meiner Gesellschaft zu wissen. Es liegen jetzt, den Hof des Herzogs zu erreichen, zwei Wege vor uns, die beide gefahrvoll und ungewiß sind. Entweder wir folgen diesem Führer und wagen es auf seine Treue, oder wir nehmen den Wink jenes Fräuleins an und setzen über nach dem andern Ufer, um bei Straßburg dann wieder über den Rhein zu fahren. Beide Wege sind vielleicht auf gleiche Weise gefahrvoll. Ich halte es für meine Pflicht, einem etwaigen Mißlingen meines Auftrages vorzubeugen, indem ich Dich hinüber an das rechte Ufer sende, während ich hier auf dieser Seite weiterziehe. So kann, wenn einer von uns aufgehalten wird, der andere doch wohl entrinnen, und die wichtige Botschaft, die er bei sich führt, genügend ausrichten. Die Pflicht gebeut es uns. Wir müssen uns trennen.« »Nun denn,« versetzte der Sohn lebhaft, »so setze Du, mein Vater, über den Rhein und laß mich die Reise auf dem anfänglich bestimmten Wege fortsetzen.« – »Und warum, ich bitte Dich,« fragte der Kaufmann, »soll ich gerade diese Straße wählen?« – »Weil,« erwiderte Arthur, »ich mit meinem Leben dafür bürge, daß dieses Mädchen es ehrlich gemeint hat.« – »Schon wieder, junger Mann,« sagte der Vater, »und warum hegst Du soviel Vertrauen zu der Fremden? Kennst Du sie denn etwa näher?« – »Das tut ja doch nichts zur Sache, teuerster Vater,« antwortete der Sohn. »Ich schenke ihr Glauben, wie ich jeder ritterlichen Dame vertrauen würde. Drum nochmals! Setzt Ihr ans andere Ufer hinüber, denn dieses ist der sichrere Weg!« – »Und wäre es der Fall,« sagte der Vater im Tone zärtlichen Vorwurfs, »ist denn das ein Grund, meinen fast abgesponnenen Lebensfaden zu schonen und den Deinigen, mein lieber Sohn, der sich erst zu entwickeln begonnen hat, zu gefährden?« »Ei, Vater,« entgegnete der Sohn mit Feuer, »wenn Ihr so redet, vergeßt Ihr, daß Ihr weit befähigter seid als ich, die Aufgabe zu erfüllen, der Ihr Euch so lange gewidmet habt und die sich jetzt ihrer Vollendung zu nähern scheint. Ich kenne ja auch den Herzog nicht und würde mich nicht ausweisen können.« – »Du brauchst bloß diese Edelsteine vorzuzeigen, so wird man Deiner Botschaft unstreitig Glauben schenken,« antwortete der Vater. »Ich brauche diese Diamanten minder nötig, da ich mich auf andere Umstände beziehen kann, unter denen ich Glauben finden werde. Sobald sich eine Gelegenheit darbietet, wirst Du also zum jenseitigen Rheinufer hinüberfahren und erst bei Straßburg wieder an dieses Ufer zurückkehren, wo Du Nachrichten von mir in der Herberge zum fliegenden Hirsch finden wirst. Hörst Du dort keine Kunde von mir, so ziehst Du weiter zum Herzog und übergibst ihm die Päckchen.« Bei diesen Worten legte er so heimlich wie möglich das Kästchen mit dem diamantenen Halsgeschmeide in die Hand seines Sohnes. »Was außerdem noch Deine Pflicht ist,« fuhr der ältere Philippson fort, »das ist Dir wohlbekannt; nur beschwöre ich Dich, verzögere nicht durch müßige Nachfrage nach meinem Schicksale die Ausübung Deiner wichtigen Obliegenheiten! Und somit lebewohl, mein geliebter Sohn Arthur! Wollte ich mit dem Abschiede von Dir bis zu dem Augenblicke unserer Trennung warten, so würde mir nur kurze Frist verliehen sein, das Scheidewort auszusprechen, und kein Auge außer dem Deinigen darf die Träne sehen, die ich mir jetzt abwische.« Hierauf rief er den gottesfürchtigen Bartholomäus zurück, um ihn zu fragen, wie weit sie sich noch von der Kapelle zur Fähre befänden. »Ein halbes Stündlein,« war die Antwort, und in dieser Zeit erreichten, sie denn auch die Fähre. Zweites Kapitel Am jenseitigen Ufer, an einer kleinen, von Wald und Buschwerk gelegenen Höhe lag der Flecken Kirchhof. Wenn das Fährschiff vom linken Ufer abging, wurde es selbst bei günstigen Verhältnissen stark vom Winde abgetrieben, bevor es die entgegengesetzte Seite des tiefen und vollen Rheines erreichen konnte, so daß es im schrägen Kurs nach Kirchhof gelangte. Andererseits mußte ein Kahn, der von Kirchhof abging, große Nachhilfe von Wind und Rudern haben, um mit seiner Ladung oder Mannschaft an der Kapelle zur Fähre anzulegen. Als der ältere Philippson mit einem einzigen Blick sich von der Beschaffenheit der Fähre überzeugt hatte, sprach er standhaft zu seinem Sohne: »Zieh hin, mein lieber Arthur, und tue, wie ich Dir befohlen habe,« – Mit von kindlicher Besorgnis zerrissenem Herzen gehorchte der Jüngling und schlug seinen Weg nach den einsam gelegenen Hütten ein, neben denen die Kähne lagen, welche sowohl zur Ueberfahrt als gelegentlich zum Fischen benutzt wurden. – »Euer Sohn verläßt uns?« fragte Bartholomäus den älteren Philippson. – »Für den Augenblick, ja,« sagte der Vater, »da er in jenem Weiler gewisse Nachfragen zu halten hat.« »Sollte diese Nachfrage,« entgegnete der Führer, »Eure Weiterreise betreffen, so kann ich, Preis sei den Heiligen! Eure Frage besser beantworten als jene Tölpel, die kaum Eure Aussprache verstehen.« – »Sollte ihre Auskunft uns unverständlich sein, so werden wir sie uns von Dir erläutern lassen,« sagte Philippson, »unterdessen führ mich zur Kapelle, wo mein Sohn wieder zu uns stoßen wird.« Sie gingen auf die Kapelle zu, jedoch mit langsamen Schritten, indem beide ihre Blicke seitwärts nach dem Fischerdörfchen wendeten; der Führer, als wollte er erforschen, ob der junge Reisende zu ihnen zurückkehrte, der Vater, um mit Besorgnis wahrzunehmen, ob an der breiten Rheinbucht ein Kahn flott würde, seinen Sohn nach dem Ufer hinüberzutragen, das für das sicherere gehalten wurde. Etliche umher sich erhebende Bäume gaben dem Orte ein angenehmes, waldartiges Aussehen, und die Kapelle, die sich auf einer Erhöhung in einiger Entfernung von dem Weiler erhob, war in gefälliger Einfachheit, die der Gesamtumgebung völlig entsprach, erbaut worden. Ihre geringe Größe bestätigte die Sage, nach der sie ursprünglich eine Fischerhütte gewesen war; und nur ein mit Baumrinde belegtes Kreuz aus Tannenholz zeigte den Zweck an, dem sie jetzt gewidmet war. Die Kapelle, sowie die Umgebung atmeten Frieden und feierliche Ruhe, und das dumpfe Plätschern des gewaltigen Stromes schien jeder menschlichen Stimme, die sich mit dem ehrfurchtgebietenden Murmeln des Wassers hätte vermischen wollen, Stillschweigen zu gebieten. Als Philippson dem Orte näher kam, benutzte Bartholomäus die Gelegenheit, die das Schweigen des Reisenden ihm darbot, um zwei Strophen zum Preise »Unserer lieben Frau zur Fähre« herzubrüllen, worauf er wie ein Verrückter zu schreien anfing: »Hierher, Ihr, die Ihr Schiffbruch fürchtet, hier ist Euer Hafen! Hierher Ihr, die Ihr verdürstend schmachtet, hier ist ein Gnadenbronn Euch geöffnet! Hierher Ihr, die Ihr müde und weither gereist seid, hier ist Euer Erquickungsort!« Und mehreres dergleichen würde er noch gesagt haben, allein Philippson gebot ihm ernsten Tones zu schweigen. – »Wären Deine Andachtsübungen aufrichtig,« sagte er zu dem Pilgrim, »so würdest Du dabei nicht so schreien; allein es ist wohlgetan, das zu tun, was an sich selbst gut ist, auch wenn ein Heuchler es uns rät. – Laß uns eintreten in diese heilige Kapelle und beten für einen gesegneten Ausgang unserer bedenklichen Reise.« Der Ablaßkrämer fing die letzten Worte auf. – »Wußte ich doch gewiß,« sprach er, »daß Euer Gestrengen allzu wohl unterrichtet sein müßten, um an diesem heiligen Orte vorüberzugehen, ohne den Schutz und den Einfluß unserer lieben Frau zur Fähre anzuflehen. Verzeihet nur einen Augenblick, bis ich den Priester finde, der diesem Altare dient, daß er zu unserm Heil eine Messe lese.« Da öffnete sich plötzlich die innere Tür der Kapelle, und ein Geistlicher erschien auf der Schwelle. Philippson erkannte in ihm sofort den Pfarrherrn von St. Paul, den er diesen Morgen in La Ferette gesehen hatte. Auch Bartholomäus erkannte ihn, wie es schien; denn seine amtsmäßige heuchlerische Beredsamkeit versagte ihm für einen Augenblick, und er stand mit über die Brust geschlagenen Armen vor dem Priester, einem Menschen gleich, der sein Verdammungsurteil erwartet. – »Schändlicher!« sprach der Geistliche mit strengem Blick auf den Führer; »leitest Du einen Fremden in die Wohnung der gesegneten Heiligen, daß Du ihn erschlagen und berauben möchtest? Allein der Himmel wird Deine Gottlosigkeit nicht länger dulden. Zurück, Du Elender, zu Deinen verworfenen Gesellen, die hierher eilen. Sage ihnen, daß Deine Ränke nichts fruchteten und der unschuldige Fremde unter meinem Schutze stände. Wer ihm Unheil zufügen will, wird den Lohn erhalten, den Archibald, der Hagenbacher, empfing.« – Der Führer stand ganz bewegungslos, als der Pfarrherr ihn auf so drohende, gebietende Weise anredete; und nicht eher hörte letzterer auf zu reden, als bis Bartholomäus, ohne ein Wort der Rechtfertigung oder des Widerspruches zu wagen, sich wendete und schnellen Schrittes denselben Weg Zurückging, auf dem er zur Kapelle gelangt war. »Und Ihr, würdiger Engländer,« sprach der Priester, »tretet her zu diesem Altäre und vollendet in Sicherheit die Andacht, unter deren Vorwand jener Heuchler Euch hier zurückhalten wollte, bis seine gottlosen Genossen herangekommen wären. Jedoch zuvor sprecht, warum Ihr allein seid? Ich will hoffen, es habe Euren jungen Reisegesellen kein Unfall betroffen.« – »Mein Sohn,« sagte Philippson, »geht über den Rhein auf jener Fähre, da wir am andern Ufer wichtiges Geschäft zu besorgen haben.« Indem er so sprach, sah man einen Kahn vom Ufer stoßen und in den Strom schießen, der ihn fast hinwegriß, bis ein ausgespanntes Segel, ihn in den Stand setzte, in schräger Richtung den Fluß zu durchschneiden. – »Nun, Gott sei gelobt,« sagte Philippson, denn er erkannte, daß die Barke, die er im Auge hatte, nunmehr seinen Sohn außer dem Bereich der Gefahren brachte, von denen er selbst sich umringt sah. – »Amen!« setzte der fromme Priester hinzu. »Große Ursache habt Ihr, dem Himmel zu danken.« – »Des bin ich überzeugt,« versetzte Philippson, »aber dennoch hoffe ich von Euch die besondere Ursache der Gefahr zu vernehmen, der ich entronnen bin?« – »Zu solcher Auseinandersetzung ist hier weder Zeit noch Ort,« antwortete der Pfarrherr von St, Paul. »Es genügt zu sagen, daß jener Bursche, der wegen seiner Heuchelei und seiner Missetaten nur allzu bekannt ist, mit angesehen hatte, wie der junge Schweizer Sigismund den Schatz, der Euch von Hagenbach geraubt wurde, dem Scharfrichter wieder abnahm. Dadurch wurde die Habgier des Bartholomäus erregt. Er unternahm es, Euch als Führer bis Straßburg in der verbrecherischen Absicht zu dienen, Euch unterwegs so lange aufzuhalten, bis eine Rotte Meuchler heraufgekommen wäre, gegen die Widerstand vergebens sein würde. Allein, sein böser Plan ward vereitelt. Und jetzt, bevor Ihr irgend einem weltlichen Gedanken, so der Hoffnung, wie der Furcht, Raum gebt, tretet zum Altar, Herr, und sendet Gebete zu dem, der Euch Beistand lieh, sowie für die, deren er sich zu solchem Zwecke als Werkzeug bediente!« – Philippson trat mit seinem neuen Führer zum Altar und dankte dem Höchsten für die Errettung, die ihm zu teil geworden war. Als diese Pflicht getan war, äußerte Philippson seine Absicht, weiter reisen zu wollen, worauf der schwarze Priester erwiderte, daß, weit entfernt, ihn in einer so gefährlichen Gegend zu verlassen, er selber ihn vielmehr einen Teil des Wegs geleiten wollte, da auch er an den Hof des Herzogs von Burgund zu ziehen hätte. »Ihr? ehrwürdiger Vater, Ihr?« fragte der Handelsmann mit einigem Erstaunen. – »Und weshalb seid Ihr verwundert?« entgegnete der Pfarrer. »Ist es so seltsam, daß einer meines Standes eines Fürsten Hoflager besucht? Glaubt mir, es werden deren nur allzu viele daselbst gefunden.« – »Ich spreche nicht in Beziehung auf Euren Stand,« sagte Philippson, »sondern mit Rücksicht auf das Amt, das Ihr heute bei der Hinrichtung des Archibald von Hagenbach verwaltet habt. Kennt Ihr so wenig den heftigen Herzog von Burgund, daß Ihr Euch einbildet, mit seinem Zorn sicherer spielen zu können als mit der Mähne eines schlafenden Löwen?« – »Ich kenne seinen Grimm wohl,« sagte der Priester, »und nicht um den Tod des Hagenbachers zu entschuldigen, sondern um mich deswegen zu verteidigen, begebe ich mich in die Nähe des Herzogs. Karl von Burgund mag seine Knechte und Dienstmannen nach Gefallen behandeln, jedoch auf meinem Leben ruht ein Zauber, der fest ist gegen all seine Macht. Doch laßt mich die Frage zurückgeben – Ihr, Herr Engländer, der Ihr die Verhältnisse des Herzogs so genau kennt, Ihr, der Ihr erst jüngst der Gast und Reisegenoß der unwillkommensten Besucher waret, die jemals dem Herzoge sich nahen können; Ihr, dem Anscheine nach mindestens verwickelt in den Aufruhr zu La Ferette, – was bürgt Euch dafür, seiner Rache zu entgehen? Und weshalb wollt Ihr Euch freiwillig seiner Macht überliefern?« »Würdiger Vater,« sagte der Kaufmann, »laßt jeden von uns, ohne dem andern wehe tun zu wollen, sein Geheimnis für sich behalten. Ich besitze freilich keinen Zauber, um mich gegen des Herzogs Zorn zu schützen. – Ich habe Gliedmaßen, um Folter und Kerkerhaft zu erdulden, und Hab und Gut, das mir genommen werden kann. – Allein ehedem hatte ich manches mit dem Herzoge zu schaffen, ich kann sogar sagen, daß ich ihn mir verpflichtete, und hoffe, mein Ansehen bei ihm wird nicht nur mich vor den Folgen der Ereignisse dieses Tages schützen, sondern auch meinem Freunde, dem Landammann, nützlich sein.« – »Aber so Ihr wirklich an den Hof des Herzogs von Burgund als Kaufmann zieht,« sagte der Priester, »wo sind denn die Waren, mit denen Ihr handelt? Habt Ihr deren keine, als die, welche Ihr an Eurem Leibe führt? Ich hörte von einem beladenen Saumrosse. Hat jener Schurke Euch dessen beraubt?« Dies war eine verfängliche Frage für Philippson, welcher, bekümmert über die Trennung von seinem Sohne, keine Weisung gegeben hatte, ob das Gepäck bei ihm bleiben oder nach dem andern Rheinufer hinübergebracht werden sollte. So kam es, daß er, durch die Frage des Priesters verwirrt, etwas Unzusammenhängendes darauf antwortete, –»Ich glaube, mein Gepäck ist im Weiler – das heißt, wenn mein Sohn es nicht mit über den Rhein nahm.« – »Das wollen wir bald erfahren,« sagte der Priester. – Auf seinen Ruf erschien aus der Sakristei der Kapelle ein Novize und erhielt Befehl, im Weiler nachzuforschen, ob Philippsons Warenballen mitsamt dem Rosse, das dieselben trug, dort gelassen oder mit übergesetzt worden wären. Nach kurzer Abwesenheit kehrte der Novize hurtig mit dem Saumrosse zurück, das zusamt seiner Last von Arthur, aus Rücksicht auf seines Vater Bequemlichkeit, am westlichen Stromufer zurückgelassen worden war. Aufmerksam schaute der Priester ihn an, als Philippson sein Pferd bestieg, den Zügel in die Hand nahm und dem schwarzen Pfarrer mit folgenden Worten Lebewohl sagte: »Und nun, Vater, gehabt Euch wohl! Ich muß fürbaß ziehen mit meinem Gepäcke, ehe die Nacht hereinbricht; wäre das nicht, so würde ich mit Eurer Erlaubnis gern zögern, um Eure Gesellschaft unterwegs zu genießen.« – »Wolltet Ihr das wirklich, wie ich es in der Tat Euch eben anbieten wollte,« sagte der Priester, »so sollt Ihr drum Eure Reise nicht verzögern. Ich habe hier ein gutes Pferd; und Melchior, der sonst hätte zu Fuß gehen müssen, kann Euer Saumroß besteigen. Ich schlage dies um so mehr vor, da es übereilt von Euch gehandelt sein dürfte, bei Nacht zu reisen. Ich kann Euch zu einer etwa einer halben Stunde Weges von hier entlegenen Herberge führen, die wir bei Tage erreichen können. Dort seid Ihr für gutes Geld gar wohl aufgehoben.« Der englische Kaufmann hielt einen Augenblick inne. Er hatte keine Lust zu einem neuen Reisegefährten, und obgleich das Angesicht des Pfarrers für sein Alter eher hübsch als häßlich war, so war doch der Ausdruck darin keineswegs vertrauenerweckend. Im Gegenteil, auf des Mannes Stirn lag etwas Geheimnisvolles und Düsteres, und ein ähnlicher Ausdruck sprach sich in seinen matten grauen Augen aus und deutete auf Strenge, ja auf Härte des Gemüts. Doch hatte der Priester unserem Philippson einen bedeutenden Dienst erwiesen, indem er die Verräterei jenes heuchlerischen Führers aufdeckte, und der Kaufmann war kein Mensch, der sich durch irgend eine Voreingenommenheit beeinflussen ließ. Er nahm daher des Pfarrers Anerbieten, ihn an einen Ort der Erholung und Ruhe zu geleiten, höflich an. Nachdem man also einig war, führte der Novize den Gaul des Priesters vor, den dieser gewandt bestieg, und der Neophyt, der wahrscheinlich derselbe war, dessen Person Arthur bei seiner Flucht aus La Ferette hatte darstellen müssen, übernahm auf seines Vorgesetzten Befehl die Leitung des Saumrosses und schritt, nachdem er sich in gebückter Stellung bekreuzt hatte, als der Priester an ihm vorübergeschritten war, hinter dem Zuge her, wo er, gleich wie der tückische Bruder Bartholomäus, sich die Zeit dadurch zu vertreiben suchte, daß er mit einem Ernst, der mehr erzwungen, als aus wirklicher Frömmigkeit entstanden sein mochte, seinen Rosenkranz anbetete. Nach einem Blicke zu urteilen, den der schwarze Pfarrer von St. Paul auf seinen Novizen warf, schien er die Förmlichkeit in der Andacht des jungen Mannes geringschätzig anzusehen. Er ritt auf einem starken, schwarzen Gaule, der mehr dem Roß eines Kriegsmannes als der langsam einherschreitenden Stute eines Priesters glich, und die Art und Weise, wie er das Pferd lenkte, war frei von aller Angst und Unbeholfenheit. Sobald Philippson von Zeit zu Zeit seinen Begleiter betrachtete, wurde sein prüfender Blick durch ein hochmütiges Lächeln erwidert, das zu sagen schien: »Ihr starrt meine Gestalt und meine Gesichtszüge wohl an, jedoch das Geheimnisvolle, das mich umgibt, vermögt Ihr nicht zu durchschauen.« Die Blicke Philippsons, die noch nie vor einem sterblichen Menschen den Boden gesucht hatten, schienen gleich hochmütig zu erwidern: »Ebensowenig sollst Du, stolzer Pfaff, wissen, daß Du jetzt ein Begleiter dessen bist, der ein Geheimnis von ungleich größerer Wichtigkeit besitzt, als das Deine sein kann,« Nach einem halbstündigen Ritt gelangten sie in ein Dorf, und der schwarze Priester bemerkte, dies sei der Ort, wo er die Nacht zuzubringen gedächte. – »Der Novize,« sagte er, »wird Euch die Herberge zeigen, die in gutem Rufe steht, und wo Ihr sicher ruhen möget. Was mich betrifft, ich habe ein Beichtkind hier im Orte zu besuchen, das meines geistlichen Beistandes begehrt; vielleicht sehe ich Euch noch diesen Abend, vielleicht erst morgen früh. – Auf jeden Fall, gute Nacht für jetzt!« Drittes Kapitel Der Novize ritt ein Stück mit Philippson, zeigte ihm ein halbverfallenes Gebäude, gab ihm dann den Zügel des Maultieres in die Hand und verschwand in der Dunkelheit. Da sich am Tore der Herberge niemand blicken ließ, fing unser Engländer an, durch lautes Rufen und endlich durch Klopfen seine Gegenwart kund zu geben; jedoch bekam er lange Zeit hindurch keine Antwort. Endlich steckte ein graubärtiger Aufwärter den Kopf durch ein kleines Fenster und fragte mit einer Stimme, die eher Verdruß über erfahrene Störung, als Hoffnung auf Gewinn von einem ankommenden Gaste auszudrücken schien, nach des Klopfenden Begehr. – »Ist dies eine Herberge?« versetzte Philippson.– »Ja!« erwiderte grob der Dienende und war im Begriff, sich vom Fenster zurückzuziehen, als der Reisende fortfuhr: »Und wenn es eine ist, kann man hier unterkommen?« – »Kommt herein!« war die kurze, dürre Antwort, – »Schickt jemanden heraus, die Pferde zu besorgen,« sagte Philippson. – »Niemand hat Zeit,« war die einladende Antwort, »Ihr müßt Euren Pferden selbst, so gut es geht, die Streu bereiten.« »Wo ist der Stall?« fragte der Kaufmann, der bei aller Klugheit und Gelassenheit gegenüber diesem mehr als holländischem Phlegma fast die Geduld verlor. – Der Bursch, der mit Worten so sparsam zu sein schien, als hätte er, wie die Prinzessin im Feenmärchen, mit jedem derselben einen Dukaten zu verschütten, zeigte auf eine Tür im Nebengebäude, das mehr einem Keller als einem Stalle glich, und zog sodann, als wäre er der Zwiesprache überdrüssig, den Kopf zurück, indem er das Fenster vor dem Gaste zuschlug, als wenn er einen zudringlichen Bettler abzufertigen hätte. Philippson machte aus der Not eine Tugend, führte die beiden Gäule nach der als Stalltür bezeichneten Pforte und war hocherfreut, als er Licht durch die Ritzen schimmern sah. Er trat mit seinen Tieren in den Raum ein, der so ziemlich das Kerkergewölbe eines alten Schlosses zu sein schien und mit einigen Krippen dürftig versehen war. Dieser sogenannte Stall war von bedeutender Länge, und am unteren Ende waren zwei oder drei Männer beschäftigt, ihre Pferde abzuschirren, zu bedecken und ihnen Futter vorzuwerfen. Das letztere wurde von dem Stallknechte, einem sehr alten verlahmten Manne gereicht, der die Hand weder an die Striegel, noch an den Mähnenkamm legte, sondern sich begnügte, das Heu abzuwägen und, wie es schien, den Hafer körnchenweise zu zählen, so besorgt, beugte er sich bei dem Scheine eines dünnen Lichtchens in einer hörnernen Laterne über seine Arbeit. Bei dem Geräusche, das der Engländer machte, als er mit seinen beiden Gäulen eintrat, wendete er nicht einmal den Kopf und schien nicht daran zu denken, sich um den Fremden zu kümmern oder ihm den geringsten Beistand zu leisten. »Laßt die Gäule hier stehen, oder nehmt sie mit, wie Ihr wollt,« brummte er, als Philippson ihn um Auskunft bat. Wahrend der Mann des Hafers sich also vernehmen ließ, schloß er seine orakelreichen Kinnbacken und konnte durch keine einzige Frage, die der Gast noch vorbringen mochte, bewogen werden, dieselben wieder zu öffnen. Im Verlaufe dieses kalten und widerwärtigen Empfanges bedachte Philippson die Notwendigkeit, sich als kluger und vorsichtiger Handelsmann zu zeigen, welches er an diesem Tage schon einmal zu tun vernachlässigt hatte, und indem er dem Beispiele der andern folgte, die gleich ihm beschäftigt gewesen waren, für ihre Gäule zu sorgen, nahm er sein Gepäck auf und schaffte es, nebst seiner eigenen Person in die Herberge. Hier war er eher geduldet als zugelassen: denn man gestattete ihm in die Gaststube oder in das allgemeine Versammlungsgemach einzutreten. Als Philippson seine Pferde versorgt hatte, trat er in die Gaststube, die sogenannte »Stove«, ein. Hier pflegten sich alle Reisenden, jedes Alters und Standes, zu versammeln, hier wurden sonder Scham und Scheu die Oberkleider zum Trocknen oder Auslüften rings umhergehängt – und die Gäste selbst sah man sich waschen und dergleichen Handlungen verrichten, die in neuerer Zeit gewöhnlich in die Zurückgezogenheit eines Ankleidezimmers verwiesen worden sind. Die verfeinerten Gefühle des Engländers hegten Widerwillen gegen diesen Auftritt, und es ekelte ihn an, sich unter diese Gesellschaft zu mischen. Aus diesem Grunde fragte er den Wirt, ob er ein von dem Gewühl abgelegenes Quartier erhalten könne, wo er für sich allein speisen und ruhen wolle. Der Wirt aber, ein sauertöpfischer Alter, schlug ihm dies rundweg ab, trotzdem gute Bezahlung dafür geboten wurde, und erklärte, daß in seinem Gasthause niemand eine besondere Wurst gebraten würde. »Herr Reisender,« sprach der Wirt, »wer immer in dieses Haus kommt, muß essen, was alle hier essen, trinken, was alle hier trinken, an dem Tische mit allen übrigen Gästen sitzen und schlafen gehen, wenn die Gesellschaft aufgehört hat zu zechen. Bleibt Ihr hier, so sollt Ihr mit gleicher Aufmerksamkeit, wie alle die andern, bedient werden – seid Ihr nicht gewillt, Euch zu verhalten wie die andern, so verlaßt mein Haus und sucht eine andere Herberge!« Nach diesem abweisenden Bescheid kehrte Philippson in die überfüllte Stove zurück. Etliche von den Gästen schliefen und schnarchten, derweil sie des Abendessens harrten, andere schwatzten über Landesangelegenheiten, andere spielten Würfel oder trieben sonstwelchen Zeitvertreib. – Die Gesellschaft war aus verschiedenen Ständen zusammengesetzt: von denen herab, die dem Anscheine nach wohlhabend und angesehen waren, bis zu denen, an deren Kleidung und Sitten zu erkennen war, daß sie noch gerade von der Armut unangetastet blieben. Ein Bettelmönch, ein Mann von anscheinend fröhlicher und heiterer Gemütsart, näherte sich unserm Philippson und knüpfte ein Gespräch mit ihm an. Der Engländer war bekannt genug mit dem Weltlauf, um einzusehen, daß er Stand und Vorhaben am besten unter einem geselligen und offenen Benehmen verbergen könne. Er nahm deswegen des Mönchs Annäherung gefällig auf und plauderte mit ihm über den Zustand Lothringens und darüber, wie man wohl den Versuch des Herzogs von Burgund, sich dieses Krongutes zu bemächtigen, in Frankreich wie in Deutschland aufnehmen möchte. Er begnügte sich damit, über diese Gegenstände die Meinung seines Gegenübers, zu vernehmen, indem er mit der eigenen Ansicht zurückhielt. Während er sich so in ein Gespräch einließ, das am meisten seinem Gewerbe zuzusagen schien, trat der Wirt plötzlich in das Gemach, bestieg eine alte Tonne, warf den Blick langsam auf das mit Menschen gefüllte Gemach und rief, nachdem er sattsam umhergeschaut hatte, in gebietendem Tone: »Schließt die Tore – macht den Tisch zurecht!« »Sankt Antonius sei gelobt!« sprach der Mönch, »Unser Wirt hat die Hoffnung aufgegeben, heute noch mehr Gäste für diese Nacht zu erhalten. Nun gibt's endlich was zu essen. Ha! hier kommt das Tischtuch, die alten Pforten des Hofraumes sind jetzt fest genug verriegelt, und wenn Johann Mengs einmal gesagt hat: »Schließt die Tore!« so mag der Fremde draußen klopfen, so lange er will, wir können versichert sein, daß ihm nicht aufgemacht wird.« – »Herr Mengs hält strenge Zucht in seinem Hause,« sagte Philippson. »Ebenso unbedingt Strenge und unumschränkte Zucht wie der Herzog von Burgund,« antwortete der Mönch. »Nach zehn Uhr keine Aufnahme! Wer draußen ist, bleibt draußen, und wer drinnen ist, muß drinnen bleiben, bis mit Tagesanbruch die Pforten geöffnet werden. Bis dahin gleicht das Haus einer belagerten Feste, Johann Mengs ist Vogt.« – Während sie so schwatzten, hatte der betagte Aufwärter unter Seufzen und Murren etliche Anschiebsel hervorgeholt, mittelst welcher ein in der Mitte stehender Tisch vergrößert wurde, so daß die Gesellschaft daran Platz finden konnte. Dann wurde ein Tuch darauf gedeckt, das sich weder durch besondere Reinlichkeit noch durch Feinheit des Gewebes auszeichnete. Als so der Tisch zur Aufnahme sämtlicher Gäste geordnet war, wurden vor jeden Gast ein hölzerner Plattteller, ein hölzerner Löffel und ein Trinkglas hingestellt, indem man annahm, daß mit einem Messer jeder selbst versehen sei. Was die Gabel anbelangte, so war dieselbe erst zu viel späterer Zeit bekannt, und alle Europäer bedienten in jenen Tagen sich der Finger, um, wie die Asiaten es noch jetzt tun, sich die Bissen auszuwählen und zum Munde zu führen. Kaum war die Tafel geordnet, als auch die hungrigen Gäste eilten, ihre Plätze einzunehmen. Die Schlafenden wurden geweckt, die Würfler entsagten ihrem Spiele, und die Müßigen und Plaudernden hielten inne mit ihren weisen Abhandlungen. Die Gäste saßen bald in Reih und Glied, jeder mit gezogenem Messer, der Speisen harrend, die sich noch unter den Händen des Kochs befanden. Mit verschiedenen Graden von Geduld hatten die Hungernden eine volle halbe Stunde gewartet, als endlich der alte Aufwärter mit einer Kanne Moselwein eintrat, der so leicht und so sauer war, daß Philippson seinen Becher niedersetzte, indem ihm, wie wenig er auch davon verschluckt hatte, doch jeder Zahn im Munde stumpf geworden war. Der Wirt, Johann Mengs, der am oberen Ende des Tisches einen erhöhten Sitz innehatte, verfehlte nicht, diesen Beweis von Insubordination zu rügen. »Der Wein schmeckt Euch wohl nicht, mein Herr?« sagte er zu dem englischen Kaufmann«, – »Als Wein, nein!« antwortete Philippson, »doch käme eine Speise, die gesäuert werden möchte, so würde ich schwerlich bessern Essig bekommen können.« – Dieser Scherz, wiewohl äußerst ruhig und gelassen vorgebracht, schien den Herbergsvater in Wut zu bringen. »Schweigt, Ihr boshafter Spötter!« rief er, »und legt sogleich bei mir und dem Weine, den Ihr verleumdet habt, ein gutes Wort ein; sonst gebe ich Befehl, das Abendessen bis Mitternacht zu verschieben.« Hier erhob sich ein allgemeiner Aufstand der Gäste, indem alle miteinander beteuerten, in Philippsons Tadel nicht einzustimmen. Die meisten schlugen vor, Johann Mengs sollte sich lieber an dem wirklich Schuldigen rächen, indem er ihn sofort zur Türe hinauswürfe, statt soviel schuldlose und hungrige Männer die Ungezogenheit eines einzelnen büßen zu lassen. Während Johann Mengs von allen Seiten mit Bitten und Vorstellungen bestürmt wurde, war der Mönch, gleich einem weisen Ratgeber und zuverlässigen Freunde, bemüht, den Zwist dadurch zu enden, daß er unserm Philippson riet, sich der Gewaltherrschaft des Wirtes zu unterwerfen. – »Würdige Gäste,« sagte Philippson, »es tut mir leid, unsern verehrten Wirt erzürnt zu haben, und ich bin soweit entfernt, den Wein zu verachten, daß ich eine Doppelkanne bezahlen will, damit sie in dieser ehrenwerten Gesellschaft herumgereicht werde, – nur darf man nicht verlangen, daß ich mittrinken soll.« – Diese letzten Worte wurden beiseite gesprochen; allein der Engländer erkannte an den verzerrten Mäulern etlicher Gäste, die mit einem zarteren Gaumen begabt waren, daß ihnen ebenso vor einem zweiten Schlucke des essigsauren Gesöffs graute. Der Mönch machte hierauf der Gesellschaft den Vorschlag, daß der fremde Handelsmann, statt mit einer Doppelkanne des von ihm geschmähten Weines gestraft zu werden, lieber zur Buße ein gleiches Maß eines feineren Weines zahlen solle, wie sie nach geendeter Mahlzeit gereicht zu werden pflegten. Hierin fanden so Wirt wie Gäste ihren Vorteil; und da Philippson sich des nicht weigerte, so wurde der Vorschlag einstimmig angenommen, und Johann Mengs gab von dem Sitze seiner Würde herab das Zeichen, die Speisen aufzutragen. Die langerwarteten Gerichte erschienen endlich, und die Gesellschaft fiel eifrig darüber her, Schüsseln voll Suppe und Gemüse, Teller voll geschmorten und gebratenen Fleisches machten die Runde um die Tafel, so daß jeder der Reihe nach davon nehmen konnte. Schwarze Klöße, gedörrtes Fleisch und getrocknete Fische gingen ebenfalls herum mit verschiedenem Eingemachten, Bortago, Caviar und dergleichen, die mit starken Gewürzen versehen und ganz darauf berechnet waren, Durst zu erwecken und zu rüstigem Trinken anzuregen. Weinkannen begleiteten diese aufreizenden Leckerbissen, und das darin enthaltene Getränk übertraf den zuvor gereichten Wein an Stärke, so daß binnen kurzem die ausgelassenste Laune an der Tafel herrschte. Philippson allein verhielt sich still, und Johann Mengs begann sich bereits darüber aufzuhalten, indem er Worte wie »Störenfried«, »Spaßverderber« fallen ließ, die alle auf den Engländer gemünzt waren und wohl bald die Mehrzahl der Gäste gegen den einsilbigen Genossen aufgehetzt hätten, der sich weigerte mitzuzechen und Miene machte, im Stuhl einzuschlafen; als plötzlich laut und anhaltend an das Tor des Gasthauses geklopft wurde. »Was gibt's denn da?« fragte Mengs, dessen Nase der Unwille noch höher rötete. »Welch böser Geist schlägt an die Pforte des Goldenen Vließes zu solcher Stunde, und das mit einer Gewalt, als donnere er an die Tür eines Freudenhauses? Hinaus einer an das Turmfenster – Gottfried, Du Schuft von einem Stallknecht, oder Du, alter Timotheus, sagt dem heftigen Manne, daß zu so ungehöriger Zeit niemand mehr herein darf.« Die beiden taten, wie ihnen befohlen war, und man konnte in der Stube hören, wie sie miteinander wetteiferten, dem Manne draußen, der durchaus eingelassen werden wollte, die Tür zu weisen. Doch kehrten sie bald zurück und berichteten ihrem Herrn, sie seien nicht imstande, die Hartnäckigkeit des Fremden zu beschwichtigen, der einfach nicht gehen wolle, bis er Mengs selbst gesprochen hätte. Der Gebieter im »Goldenen Vließ« fuhr von seinem Sessel auf, packte einen derben Knüttel, der sein gewöhnliches Scepter oder sein Herrscherstab zu sein schien, murmelte etwas in den Bart von Prügeln und Eimern kalten Wassers und stürzte zu dem Fenster, das auf den Hof hinausging. Es kam ganz anders, als die Gäste erwarteten; denn nachdem einige unhörbare Worte gewechselt worden waren, wurden zur allgemeinen Verwunderung die Tore der Herberge aufgeschlossen, und gleich darauf ließen sich Tritte zweier Männer auf der Stiege hören; dann trat mit allen Zeichen plumper Höflichkeit der Wirt herein und bat die Versammelten, einem verehrten Gaste Platz zu machen, der, wenn zwar spät, ihre Gesellschaft zu vermehren käme. Eine lange, düstere Gestalt, in einen Reisemantel gehüllt, folgte ihm; der Mantel fiel, und in dem Ankömmling erkannte Philippson sofort den schwarzen Priester von St. Paul. Dieser Umstand hatte an und für sich nichts Staunenerregendes, da es sehr natürlich war, daß ein Wirt, wie grob und frech er gegen gewöhnliche Gäste auch sein mochte, doch Rücksicht auf einen Geistlichen nehmen mußte. Philippson wunderte sich denn auch weniger darüber, als vielmehr über den Eindruck, den das Erscheinen dieses unerwarteten Gastes machte. Ohne weiteres setzte dieser sich an den obersten Platz der Tafel und ließ sein mattes graues Auge langsam und schleichend über die Gesellschaft schweifen, gleich als beabsichtigte er, in aller Herzen zu lesen. An Philippson sah er rasch vorüber und schien ihn nicht wiederzuerkennen; und trotz alles Mutes, der unserm Engländer zu eigen war, beschlich ihn doch ein Gefühl des Unbehagens, solange er sich unter den Augen dieses geheimnisvollen Mannes befand, so daß ihm wohler wurde, als dessen steinerner Blick von ihm ließ und auf einem andern in der Gesellschaft ruhte, der dann ebenfalls unter den eiskalten Blicken zu erbeben schien. Das Getöse berauschter Lust und trunkenen Streites, das lärmende, gellende Gelächter – alles war sofort verstummt, als ob das Festmahl in ein Leichenbegängnis, jeder Gast aber plötzlich in einen Stummen verwandelt worden wäre. Alle waren so gespannt darauf, was nun folgen würde oder was der Unheimliche zu sagen hätte, daß bei dem Schalle der Dorfglocke, die die erste Stunde nach Mitternacht verkündigte, die Gäste erstarrten, gleich als ob der dumpfe Klang ihnen den Ansturm eines Feindes oder den Ausbruch einer Feuersbrunst verkündigt hätte. Der schwarze Priester, der hastig etwas Speise zu sich genommen hatte, womit der Wirt ihn bereitwilligst versorgte, faßte den Glockenruf als Zeichen zum Dankgebet und zur Aufhebung der Abendtafel auf. »Wir haben gegessen,« sprach er, »um unser Leben zu fristen, lasset uns beten, daß wir tüchtig sein mögen, dem Tode zu begegnen, der dem Leben so zuverlässig folgt wie die Nacht dem Tage oder wie der Schatten dem Sonnenstrahle, obwohl wir nicht wissen, von wannen oder zu welcher Stunde er uns ereilen werde.« Wie mechanisch beugte die Gesellschaft das unbedeckte Haupt, während der Priester mit tiefer und feierlicher Stimme ein Gebet in lateinischer Sprache hersagte, worin er Gott für den am verflossenen Tage gewährten Schutz dankte und ihn anflehte, auch diesen Schutz während der zaubervollen Stunden zu verleihen, die noch bis zum Anbruch des neuen Tages verrinnen müßten. Als die Zuhörer wieder aufsahen, war der schwarze Priester mit dem Wirte zum Gemache hinausgegangen, wahrscheinlich um sich in die ihm als Schlafgemach angewiesene Kammer zu begeben. Kaum waren sie gewahr geworden, daß er fort war, so flüsterten sie miteinander und wechselten verstohlene Gebärden, doch keiner sprach laut, so daß Philippson nichts Deutliches verstehen konnte. Er selbst wagte, jedoch auch nur mit gedämpfter Stimme, den neben ihm sitzenden Klosterbruder zu fragen, ob der würdige Geistliche, der soeben hinausgegangen, nicht der Priester von St. Paul in dem Grenzorte La Ferette wäre. »Und so Ihr wisset, daß er es ist,« sagte der Mönch mit einem Blicke und einem Tone, aus denen jegliche Spur seines Rausches – denn er hatte trotz seines heiligen Standes wacker getrunken – plötzlich verschwunden war, »warum fragt Ihr mich denn?« – »Weil ich gern den Zauber kennen lernen möchte,« sagte der Kaufmann, »der so plötzlich all die lustigen Zecher in enthaltsame Männer und ein fröhlich Gelag in einen Konvent von Mönchen verwandelt hat.« – »Freund, wonach Du fragst,« sagte der Pater, »scheint Dir schon wohlbekannt zu sein. Doch ich bin kein Dummkopf, der sich so leicht fangen läßt. So Du den schwarzen Priester kennst, so mußt Du wissen, welchen Schrecken seine Gegenwart einflößt.« Mit diesen Worten zog er sich von Philippson zurück. In demselben Augenblick kam der Wirt wieder herein und befahl mit weit mehr feiner Sitte, als er bisher gezeigt hatte, der Gesellschaft den Nachttrunk zu reichen, der in einem Becher gewürzten Branntweins bestand; ein Getränk, wie es Philippson selten besser bekommen hatte. Unterdessen schrieb der alte Timotheus auf jeden Teller mit Kreide den Betrag, den ein jeder zu zahlen hatte, was durch herkömmliche Schriftzeichen kurz angedeutet wurde, während auf einem andern hölzernen Teller die Gesamtsumme verzeichnet wurde, die die Einzelzahlungen bringen würden, worauf er von jedem den Anteil einkassierte. Als der böse Teller, auf welchem das Geld geopfert werden mußte, an den lustigen Klosterbruder kam, schien dessen Gesicht sich ein wenig zu verwandeln. Er warf einen kläglichen Blick auf Philippson, von dem er am ersten Beihilfe erhoffte; und unser Kaufmann, wie unzufrieden er auch mit der Verschlossenheit des Mönches war, wollte doch in einem fremden Lande und in der Hoffnung, eine ihm vielleicht nutzbringende Bekanntschaft gemacht zu haben, eine kleine Ausgabe nicht scheuen und zahlte daher mit seiner eigenen Zeche auch zugleich die des Mönches. Der arme Pater stattete seinen Dank mit einem in gutem Deutsch und schlechtem Latein ausgesprochenen Segen ab, allein der Wirt fiel ihm dabei in die Rede; denn indem er sich Philippson mit einem Lichte näherte, bot er ihm seine Dienste an, um ihn in sein Schlafgemach zu führen; ja er hatte sogar die Herablassung, des Engländers Felleisen oder Mantelsack eigenhändig aufzuheben und fortzutragen. »Ihr gebt Euch zu viel Mühe, mein Herr Wirt,« sagte der Kaufmann etwas betroffen über die Veränderung in dem Benehmen dieses Johann Mengs, der ihn bisher so unfreundlich behandelt hatte, – »Ich kann nicht Sorge genug für einen Gast tragen,« war seine Antwort, »den mein ehrwürdiger Freund, der Priester zu St. Paul, ganz besonders meiner Obhut empfahl.« Dann öffnete er die Tür einer für einen Gast hergerichteten Schlafkammer und sagte zu Philippson: »Hier mögt Ihr ruhen bis morgen und bis zu welcher Stunde es Euch beliebt, und so viele Tage es Euch gefällt. Der Schlüssel wird Eure Habe gegen jeglichen Raub oder Diebstahl sichern. Ich tue das nicht für all und jeden; denn wenn von meinen Gästen jeder ein Bett für sich allein haben wollte, so würde jeder gleich auch an einem Tisch für sich essen wollen; und vorbei wäre es dann mit den guten alten deutschen Sitten, und wir würden ebenso läppisch und lüstern werden, wie unsere Nachbarn es sind. Ich hoffe, es herrscht kein Mißverständnis zwischen uns, mein werter Gast,« setzte er hinzu. »Wir deutschen Wirte tun uns nun einmal was zu gute darauf, nicht so höflich zu sein wie die französischen oder italienischen Wirte. Doch wenn auch unser Benehmen rauh ist, so sind doch unsere Forderungen billig, und was wir liefern, ist gut.« – In diesen Worten schien er seine ganze Beredsamkeit erschöpft zu haben; denn als sie gesprochen waren, drehte er sich kurz herum und verließ das Gemach. So hatte Philippson abermals keine Gelegenheit, nachzufragen, wer oder was dieser Geistliche sein könnte, der solchen Einfluß auf alle hatte, die sich ihm näherten. Er lechzte danach zu wissen, wer der Mann wäre, der die Macht besaß, durch ein einziges Wort den Mordstahl elsässischer Straßenräuber abzuwehren, die doch wie alle Grenzdiebe an Raub und Plünderung gewöhnt sein mußten, und der imstande war, die beispiellose Grobheit eines deutschen Herbergsvaters sofort in Höflichkeit umzugestalten. Viertes Kapitel So anstrengend und aufreibend der Tag für den älteren Philippson auch gewesen war, so vermochte er nun doch nicht die ersehnte Ruhe zu finden. Er war zu aufgeregt, die Adern pulsierten ihm viel zu fieberisch, seine Besorgnis um den Sohn, seine Befürchtungen über den Ausgang seiner Sendung an den Herzog von Burgund, und tausend andere Gedanken, die ihn an frühere Erlebnisse erinnerten oder ihm künftige Erlebnisse vorspiegelten, fuhren ihm durch die Seele gleich Wogen eines aufgeregten Meeres und verscheuchten jede Hingebung zur Ruhe. Schon eine Stunde lang hatte er schlaflos im Bette gelegen, da fühlte er plötzlich, daß das Feldbett, auf dem er lag, unter ihm sank und mit ihm hinabglitt, ohne daß er wissen konnte, wohin. Das Knarren von Wirbeln und Stricken ließ sich, wenn auch undeutlich, vernehmen, als wenn man sich Mühe gäbe, sie so geräuschlos wie möglich arbeiten zu lassen, und der Reisende erkannte bald, daß das Bett, das ihn trug, auf einer Falltür gestanden haben müßte, mit welcher es in die unteren Gewölbe oder Gemächer hinabgelassen werden konnte. Furcht ergriff ihn; denn wie konnte er einen glücklichen Ausgang von einem Abenteuer hoffen, das so seltsam begonnen hatte? Jedoch seine Besorgnisse waren die eines tapferen, entschlossenen Mannes, der selbst in der dringendsten Gefahr die Geistesgegenwart nicht verlor. Obgleich an Jahren vorgeschritten, war er doch ein Mann von großer Körperstärke und Behendigkeit, und zu furchtbarer Gegenwehr entschlossen. Doch sollte ihm jeder Widerstand vereitelt werden; denn kaum erreichte er den Boden des Gewölbes, in das er hinabgelassen worden war, so legten von beiden Seiten zwei Männer, die sein Hinabsinken abgewartet zu haben schienen, Hand an ihn und warfen ihm einen Strick über die Arme. So war er gezwungen, sich widerstandslos dreinzugeben, und den Ausgang dieses fürchterlichen Abenteuers abzuwarten. Gebunden oder geschnürt, wie er war, konnte er nur den Kopf von einer Seite zur andern wenden; und mit Freuden erblickte er endlich schimmernde Lichter, die jedoch in weiter Ferne von ihm sichtbar wurden. Nach der Unregelmäßigkeit zu schließen, in der die einzelnen Lichter sich näherten, indem sie manchmal in gerader Linie sich bewegten, manchmal sich untereinander mischten oder durchkreuzten, mußte das Gewölbe, worin sie erschienen, von bedeutendem Umfange sein. Auch wuchs ihre Zahl immer mehr, und als mehrere an einem Punkt beisammen waren, konnte Philippson erkennen, daß der Lichtschein von vielen Fackeln ausging, die von Männern in schwarzen Mänteln getragen wurden. Sie schritten einher, gleich den Trägern einer Leiche, und hatten die Kappen über den Kopf gezogen, um ihr Gesicht zu verbergen. Sie schienen emsig beschäftigt zu sein, einen Teil der düsteren Kluft auszumessen, und dabei sangen sie in altdeutscher Sprache folgende Reime, die viel zu dumpf und fremdartig klangen, als daß Philippson sie hätte verstehen können. »Bringt, den Platz hier anzuweisen, Richtscheit, Schnur und Winkeleisen, Grube grabt und Altar setzt, Beide dann mit Blut benetzt, Sechs Schuh lang von Eck zu Ecken, Muß die Schreckensbank sich strecken, Sechs Schuh querbreit zwischen Richter Und verklagte Bösewichter – Das Gericht im Ost sich hebt, Wenn im West der Schuld'ge bebt. All und Einer saget an. Ob der Form genug getan?« Ein dumpfer Chor schien auf die Frage zu antworten. Nach den vielen Stimmen zu urteilen, war eine große Zahl bereits im unterirdischen Gewölbe, viele aber auch noch draußen in den mancherlei Zugängen, die mit demselben in Verbindung standen. Der Gesang der Antwort erklang folgendermaßen: »Bei Leib und Seele, bei Blut und Gebeinen, Einer für alle und alle für einen, Wird unser Tun wohl als recht erscheinen? Noch ist es Nacht. Im breiten Rhein Spiegelt sich der Sterne Schein, Kein Morgenlicht glänzt weit und breit. Nur eine Stimm' ist hörbar auf der Flut, Der finstre dumpfe Ruf nach Blut für Blut, Ihm zu gehorchen, ist's nun an der Zeit!« Der Chor erwiderte darauf in zahlreich vermehrten Stimmen: »Auf denn! Ging der Tag zur Rüst, Ist es Zeit für uns, zu wachen. Auf! daß zum Gericht wir taugen; Rache hat nicht Schläfers Augen – Rach' und Nacht Gemeinschaft machen!« Der Inhalt dieser Strophen brachte unsern Philippson bald zu der Erkenntnis, daß er sich in der Nähe der Femrichter befände, der berühmten Richter des heimlichen Gerichts, das zu jener Zeit in Schwaben, Franken und andern Gegenden des östlichen Deutschlands bestand. Philippson hatte gehört, daß insgeheim sogar auf dem linken Rheinufer ein Oberrichter dieses furchtbaren Tribunals seinen Sitz hatte, dessen Macht sich selbst über das Elsaß ausbreitete, obgleich Herzog Karl von Burgund, sie zu brechen, bemüht gewesen war. Aber die Dolche dieser geheimen Verbindung arbeiteten so furchtbar, daß es selbst für ein gekröntes Haupt gefährlich war, einen Vernichtungszug gegen die Feme zu versuchen. Diese Erwägungen klärten Philippson auch gleich über Stand und Rang des schwarzen Priesters von St. Paul auf, und er vermutete in diesem einen Präsidenten oder Oberrichter des heimlichen Gerichtes. Nun konnte er sich nicht mehr darüber wundern, daß dieser Mann es voller Zuversicht auf sich genommen hatte, die Hinrichtung des Hagenbachers zu rechtfertigen, daß sein Erscheinen jenen Bartholomäus, den er auf der Stelle hätte verurteilen und töten lassen können, in Schrecken versetzte und daß seine Anwesenheit an der Abendtafel zum »Goldenen Vließe« alle Gäste erblassen machte; denn obwohl alles, was das heimliche Gericht, dessen Tun und Treiben und dessen Richter und Beisitzer betraf, durchaus geheim gehalten wurde, so wußte man doch auch von dem und jenem, daß er einer der Richter wäre und gar hohe Gewalt bei dem Bundestribunal besäße. Solche Männer waren sehr gefürchtet, und niemand wagte, ihnen Achtung und Gehorsam zu verweigern. Alles dies ging dem Engländer durch den Kopf. Er fühlte, daß er in die Hände eines schonungslosen Gerichtes gefallen war, und daß es für einen freundlosen Fremdling, wie unschuldig er sich auch fühlen mochte, bloßer Zufall sein mußte, wenn ihm vor diesem Tribunal Gerechtigkeit zuteil würde. Zu gleicher Zeit beschloß er aber auch, seiner Sache nichts zu vergeben, sondern sich auf das beste zu verteidigen. So lag er da, während die Männer, die er im Lichtschimmer vor sich sah, wie Phantome eines Fieberkranken erschienen. Endlich versammelten sie sich im Mittelpunkte des Gewölbes und stellten sich in Reih und Glied. Eine Menge schwarzer Fackeln wurde nach und nach angezündet, bis der Ort völlig erleuchtet war. In der Mitte konnte Philippson jetzt einen der Altäre wahrnehmen, die sich bisweilen in alten, unterirdischen Kapellen befinden. Hinter dem Altar, der den Mittelpunkt zu bezeichnen schien, auf welchen aller Blicke gerichtet waren, befanden sich, gleichlaufend hingestellt, schwarzbehangene Bänke. Jede derselben war mit einer Anzahl Personen besetzt, welche Richter zu sein schienen. Allein die, welche auf der vordersten Bank saßen, waren minder zahlreich und schienen höheren Ranges als diejenigen, die die übrigen Sitze innehatten. Erstere schienen durchweg Männer von Bedeutung, hohe Geistliche, Ritter und Adelige zu sein, und obschon unter allen Anwesenden eine gewisse Gleichheit zu herrschen schien, so wurde doch auf die Meinung und das Zeugnis der ersteren ein größeres Gewicht gelegt. Sie hießen Freiritter oder Freigrafen, während die Richter der geringeren Klasse den Namen Beisitzer führten. Außer denen, die die Bänke besetzt hielten, standen andere umher, schienen die verschiedenen Eingänge zur Gerichtssitzung zu bewachen oder verhielten sich hinter den Sitzen ihrer Oberen, bereit, die Befehle der letzteren auszuführen. Auch diese waren Mitglieder des Ordens, jedoch von niedrigerem Range. Gewöhnlich wurden sie Frei- oder Femschöffen, also Diener des heimlichen Gerichtes, genannt, dem sie geschworen hatten, Gutes wie Böses zu berichten, auch wenn es ihre nächsten geliebtesten Verwandten betraf. Die Missetat selbst einer Mutter vor dem Tribunal zu verheimlichen, wäre ebenso strafbar gewesen, als hätte der betreffende Schöffe oder Beisitzer das Femverbrechen selber begangen. Als die Richter versammelt waren, wurde ein Strick und ein bloßes Schwert, die wohlbekannten Sinnbilder der heiligen Feme, auf dem Altar niedergelegt, wobei das Schwert, gewöhnlich mit einem Griff in Form eines Kreuzes versehen, als das geheiligte Emblem der christlichen Erlösung, der Strang aber als Zeichen des Rechtes, des Urteils auf Leben und Tod, anzusehen war. Dann erhob sich der Vorsitzer oder Freigraf, der den mittelsten Platz auf der ersten Bank einnahm, legte seine Hand auf die Symbole und sprach laut die Eidesformel der Richter aus, die von allen Beisitzern und Schöffen mit dumpfer und tiefer Stimme nachgesagt wurde. »Ich gelobe und schwöre bei der heiligen Dreifaltigkeit, sonder Erlaß den Dingen fördersam zu sein, die die heilige Feme betreffen, deren Grundsätze und Wahrsprüche gegen Vater und Mutter, Bruder und Schwester, Weib und Kinder durchzuführen, auch gegen Feuer, Wasser, Luft und Erde, gegen alles, was die Sonne bescheint, gegen alles, was der Tau benetzt, gegen alle erschaffenen Dinge im Himmel und auf Erden oder in den Wassern und unter der Erde; und ich schwöre, dem heiligen himmlischen Gerichte alles kundzutun, was ich für wahr halte oder durch glaubwürdiges Zeugnis als wahr angeben höre und was nach den Satzungen der heiligen Feme Tadel oder Strafe verdient; schwöre, daß ich nichts bemänteln oder verhehlen will, wovon mir Kunde wird, weder um der Liebe, noch um der Freundschaft willen, noch um Goldes, Silbers und aller Edelsteine willen; auch will ich nicht Bündnis schließen mit den Verfemten, das heißt, ich will keinem Schuldigen einen Wink geben von der ihm drohenden Gefahr, will ihm nicht Rat erteilen zur Flucht, ihm weder mit Hilfe noch mit Hilfsmitteln dazu an die Hand gehen; will solchen Schuldigen weder Feuer noch Bekleidung, weder Nahrung noch Obdach reichen, ja, sollte auch mein Vater von mir einen Becher Wassers bei der Glut eines Sommertages erbitten oder mein Bruder in der bitterkältesten Winternacht an meinem Herde zu sitzen begehren. Und endlich gelobe und schwöre ich, den Bund der heiligen Feme zu ehren und dessen Geheiß vorzugsweise vor jedem Spruch eines andern Gerichtes rasch, getreu und standhaft auszuführen. – So wahr mir Gott helfe und seine heiligen Evangelisten!« Nachdem dieser Amtseid geleistet worden war, redete der Oberrichter oder Freigraf die Versammelten als Männer an, die gleich der Gottheit im verborgenen richten und strafen, und forderte sie auf, ihm zu sagen, warum dieser Sohn des Stranges[R1] gebunden und hilflos vor ihnen läge? Einer der Richter erhob sich auf einer der entferntesten Bänke und erklärte in einer Stimme, die, obschon sie verstellt wurde, Philippson doch zu erkennen glaubte, er erscheine vor dem heiligen Gerichte, dem er durch seinen Eid verpflichtet wäre, als Kläger gegen den vor ihnen liegenden Gefangenen oder Sohn des Stranges. »Bringt den Gefangenen heran!« sagte der Freigraf. Sechs der Schöffen trugen sofort das Feldbett, auf dem Philippson lag, vor den Altar. Als dies geschehen war, entblößte jeder von ihnen seinen Dolch, während zwei ihn von seinen Banden lösten und ihn leise warnten, daß er beim geringsten Versuch, Widerstand zu leisten oder zu fliehen, niedergestochen würde, »Erhebe Dich,« sagte der Freigraf, »höre auf die Klage, die gegen Dich vorgebracht werden wird, und glaube, daß Du in uns eben so gerechte wie unbeugsame Richter finden wirst.« [F1: Sohn – oder Kind des Stranges hieß der vor der Feme Angeklagte.] Philippson, der noch Unterwams und Beinkleider anhatte, richtete sich auf dem Lager zu sitzender Stellung auf, so daß er den vermummten Oberrichter des entsetzlichen Tribunals ins Auge fassen konnte. Selbst unter diesen fürchterlichen Umständen blieb der unerschrockene Engländer gefaßt und zuckte mit keiner Wimper, sein Herz pochte nicht stärker als sonst, obwohl er, wie es in der Schrift heißt, ein Pilgrim im Schatten des Todes zu sein schien, umgarnt von Schlingen und umringt von dichter Finsternis, da, wo Licht zu seiner Sicherheit so nötig war. – Der Freigraf fragte ihn nach seinem Namen, seinem Geburtslande und seiner Beschäftigung. – »John Philippson,« war die Antwort, »von Geburt ein Engländer, von Gewerbe ein Kaufmann.« – »Habt Ihr jemals einen anderen Namen geführt und ein anderes Gewerbe betrieben?« fragte der Richter. »Ich bin Kriegsmann gewesen – und war damals unter einem andern Namen im Heere bekannt,« – »Wie nanntet Ihr Euch da?« – »Ich habe den Namen zusammen mit dem Schwerte abgelegt und will unter diesem Namen nie wieder gekannt sein. Ueberdies führte ich ihn damals da, wo Euer Gericht nichts zu sagen hat,« antwortete der Engländer. – »Weißt Du, vor wem Du stehst?« fuhr der Richter fort. – »Ich glaube, ich befinde mich vor dem heimlichen Gericht der Feme.« »Ganz richtig,« versetzte der Richter, »dann weißt Du auch, daß Du Dich sicherer fühlen würdest, hingst Du an einem Haare über dem Rheinfall bei Schaffhausen, oder lägest Du unter einem Henkerbeil, das nur durch einen seidenen Faden am Fallen gehindert wird. Was hast Du verbrochen, daß Du hier stehst?« – »Darauf mögen die antworten, die mich dem Gerichte überliefert haben,« antwortete Philippson mit eben der Gelassenheit wie vorher. »Sprich, Kläger,« sagte der Freigraf, »sprich zu allen vier Winden des Himmels! sprich zu den Ohren der freien Schöffen dieses Gerichtes und zu den getreuen Spruchvollstreckern! sprich in das Angesicht dieses Sohnes des Stranges, der seine Schuld verhehlt oder leugnet, rechtfertige also Deine Klage!« »Höchstgefürchteter!« redete der Kläger den Freigrafen an; »dieser Mann hat sich dem Boden genaht, der die rote Erde heißt – ein Fremdling unter falschem Namen und erlogenem Gewerbe. Als er noch auf der Ostseite der Alpen zu Turin in der Lombardei und an anderen Orten weilte, hat er zu mehrerenmalen von der heiligen Feme in Worten des Hasses und der Verachtung gesprochen und erklärt, wäre er Herzog von Burgund, so würde er ihr nicht gestatten, sich aus Westfalen und Schwaben in seine Staaten zu verpflanzen. Auch klage ich ihn an, daß er die Absicht geäußert hat, an den Hof des Burgunderherzogs zu ziehen, um seinen Einfluß daselbst gegen das heilige Gericht geltend zu machen, der, wie er vorgibt, bedeutend genug sein wird, ein Verbot gegen die Sitzungen der Feme in den burgundischen Landen auszuwirken und die Richter und Schöffen des Gerichtes mit denjenigen Strafen belegen lassen, die an Räubern und Meuchlern vollzogen zu werden pflegen.« »Das ist eine schwere Anklage, mein Bruder,« sagte der Freigraf, als der Kläger zu reden aufhörte. »Wie gedenkst Du, sie zu rechtfertigen? Welches sind Deine Beweismittel? Du sprichst zu heiligen und wissenden Ohren.« – »Ich beweise meine Anklage,« sprach der Kläger, »durch das Geständnis des Beklagten und durch meinen Eid auf die heiligen Zeichen des Bundes, auf Schwert und Strang.« »Ein rechtmäßiger Beweis,« sprach einer der andern auf den Bänken sitzenden Richter. »Dieser Herzog von Burgund hat eine Menge Fremder in seine Heerscharen aufgenommen, die er leicht gegen diesen heiligen Gerichtshof führen kann; besonders wenn diese Fremdlinge Engländer, ein kühnes Inselvolk, sind, die blind an ihres Landes Gebräuchen hängen und die Gebräuche aller andern Völker hassen. Nicht unbekannt ist es uns, daß der Herzog von Burgund bereits zum Widerstand gegen die heilige Feme in mehr als einer seiner deutschen Besitzungen aufrief. So es sich ergibt, daß der Angeklagte einer von denen ist, welchen dergleichen Grundsätze eingeimpft wurden, so sage ich, lasset Schwert und Strang ihr Werk an ihm vollführen!« Ein allgemeines Murmeln schien das, was der Sprecher gesagt hatte, zu billigen; denn alle erkannten die Notwendigkeit, die Furcht vor der Feme durch gelegentliche Beispiele schwerer Strafe wach zu halten, und wohl keiner konnte bereitwilliger geopfert werden als ein unbekannter und wandernder Fremdling. – Alles das hätte unserm Philippson wohl den Mut nehmen mögen, doch hinderte es ihn nicht, standhaft auf die Anklage zu antworten: »Ritter, Herren und Bürger,« sprach er, »wisset, daß ich in früheren Jahren weit größeren Gefahren gegenüber gestanden habe, als mir jetzt drohen, und daß ich noch nie in meinem Leben zur Rettung meines Lebens die Flucht ergriff. Strang und Dolch sind nicht geeignet, demjenigen Schrecken einzuflößen, der Schwerter und Lanzen hat blinken sehen. Meine Antwort auf die Anklage lautet, daß ich ein Engländer bin, also einem Volke angehöre, das gewohnt ist, offenes und unverhohlenes Recht bei hellem Lichte des Tages zu geben und zu empfangen. Dennoch weiß ich, daß ich ein Reisender bin, der nicht das Recht hat, sich den Satzungen und Regeln anderer Völker zu widersetzen, weil dieselben nicht den Gesetzen seines Landes gleichen. Der Kläger beschuldigt mich, daß ich zu Turin oder andern Orten Norditaliens mich tadelnd über das Gericht ausließ, vor welchem ich mich gegenwärtig befinde. Ich will nicht leugnen, daß ich mich dessen erinnere; allein, es geschah, weil ich mit Fragen darüber von zwei Gästen, die zufällig mit mir an der Tafel saßen, bestürmt wurde. Ich ließ mich lange und eindringlich auffordern, ehe ich meine Meinung äußerte.« »Und wie lautete diese Meinung?« fragte der Vorsitzende, »war sie dem Stuhle der heiligen Feme günstig oder nicht? Laßt Wahrheit Eure Zunge lenken, – bedenkt, das Leben ist kurz, das Gericht dauert ewig.« – »Ich würde nie mein Leben auf Kosten einer Lüge zu verlängern suchen. Meine Meinung war nachteilig. Ich drückte mich folgendermaßen aus: Kein Gesetz noch gerichtliches Verfahren kann gerecht noch anratungswert sein, das auf geheimer Anordnung beruht und nach derselben verfährt. Ich sage, die Gerechtigkeit vermag sich nur dann zu behaupten, wenn sie öffentlich geübt und verkündet wird. Sowie sie aufhört, öffentlich zu sein, artet sie in Haß und Rache aus,« Kaum waren diese Worte ausgesprochen, so brach unter den Richtern höchst ungünstiges Murren aus, – »Er lästert die heilige Feme! Schließt ihm den Mund für immer!« »Hört mich,« sagte der Engländer, »sowie Ihr eines Tages wünschen werdet, gehört zu werden! Ich sage, das war meine Meinung, und so sprach ich sie aus – ich sage auch, daß ich ein Recht hatte, diese Meinung auszusprechen, mochte sie nun verständig oder irrig sein; denn ich befand mich in einem Lande, wo dieses Gericht weder Anerkennung fordern, noch Gewalt ausüben konnte. Meine Gesinnungen sind noch dieselben. Ich würde das bekennen, wenn dieses Schwert in meiner Brust wühlte, jener Strang mir um den Hals gelegt würde. Allein ich leugne, daß ich jemals gegen die heilige Feme und deren Satzungen in einem Lande sprach, wo sie als landesübliches Gericht ihren Sitz hat. Weit kräftiger noch, wenn möglich, widerspreche ich der Lächerlichkeit der falschen Bezichtigung, die von mir, einem wandernden Fremdling, aussagt, als sei ich beauftragt, mit dem Herzoge von Burgund über so hohe Gegenstände zu verhandeln oder ihn zu einem Kriegszug gegen die Feme zu bestimmen. Davon ist gar keine Rede.« »Kläger,« sprach der Freigraf: »Du hast den Beklagten gehört. Wie lautet Deine Erwiderung?« – »Den ersten Teil der Anklage,« sagte der Aufgeforderte, »hat er in Deiner hohen Gegenwart eingestanden, namentlich, daß seine schändliche Zunge unsere heiligen Mysterien höhnend entweiht hat; wofür er verdient, daß sie ihm aus dem Halse gerissen werde. Daß der übrige Teil der Anklage ebenso wahr ist, wie das, was er nicht abzuleugnen vermocht hat, das will ich auf meinen Richtereid nehmen.« »Vor Gericht,« sagte der Engländer, »wird in Ermangelung triftigen Beweises der Eidschwur dem Beklagten auferlegt, doch wird dem Kläger nicht gestattet, durch einen Eid seine lückenhafte Anklage zu stützen.« – »Fremdling,« erwiderte der Freigraf, »wer unter diesen ehrwürdigen Richtern sitzen will, muß von untadelhaftem Charakter sein. Der Eidschwur eines solchen Richters würde daher die feierlichste Behauptung eines Jeden aufwägen, der nicht in unsere heiligen Geheimnisse eingeweiht ist. Die Aussage des Kaisers selbst, so dieser nicht zur Feme gehört, würde in unserm Kreise nicht soviel Gewicht haben, wie die des Geringsten dieser Schöffen. Die Behauptung des Klägers kann nur durch den Eid eines Beisitzers höheren Ranges zurückgewiesen werden.« »So sei denn Gott mir gnädig! Ich habe keine Hoffnung als nur im Himmel!« sprach der Engländer in feierlichem Tone: »doch will ich nicht fallen, ohne den letzten Versuch gemacht zu haben. So rufe ich denn Dich an, Du finsterer Geist, der Du in dieser Todeshalle den Vorzug hast! Ich rufe Dich auf, bei Ehre und Glauben, zu erklären, ob Du mich für schuldig hältst dessen, warum mich jener boshafte Verleumder verklagt! Ich beschwöre Dich bei dem heiligen Namen, den Du –« – »Halt!« versetzte der Freigraf. »Der Name, unter welchem wir in freier Luft bekannt sind, darf vor diesem unterirdischen Gerichtsstuhle nicht ausgesprochen werden.« Dann fuhr er, zu dem Gefangenen, den Richtern und Schöffen gewendet, in folgenden Worten fort: »Ich, der ich zur Beweisführung aufgerufen bin, erkläre, daß die Anklage gegen Dich insofern wahrhaft ist, als Du sie selbst eingestandest, namentlich daß Du in andern Ländern leichtfertig von den Satzungen der heiligen Feme sprachest. Allein ich glaube in meiner Seele, und ich will es mit meiner Ehre bezeugen, daß der übrige Teil der Klage unglaubwürdig und falsch ist. Und dies schwör ich, indem ich die Hand auf Dolch und Strang lege. – Was ist Euer Urteil, meine Brüder, über diesen also verhandelten Fall?« Einer der Richter in der Vorderreihe, anscheinend ein hochbetagter Mann, erhob sich mühevoll und sprach mit zitternder Stimme: »Der Sohn des Stranges, der hier vor uns ist, war der Torheit und Uebereilung schuldig, unsere heiligen Satzungen gelästert zu haben. Allein er äußerte seine Torheit vor Ohren, die nimmer von unseren heiligen Statuten gehört hatten. Durch unwidersprechliches Zeugnis ist er davon freigesprochen worden, an machtlosen Umtrieben zum Sturze unserer Gewalt oder an der Aufhetzung von Fürsten gegen unsern heiligen Stuhl beteiligt zu sein. So ist er zwar ein Tor, jedoch kein Verbrecher; und da die heilige Feme keine andere Strafe als die Todesstrafe kennt, so schlage ich den Spruch vor, das Kind des Stranges unverletzt der menschlichen Gesellschaft und der Oberwelt zurückzugeben, sobald es gehörig wegen seiner Irrtümer ermahnt worden sei.« »Sohn des Stranges,« nahm jetzt der Freigraf das Wort. »Du hast Deine Freisprechung vernommen. Allein so Du wünschest, in einem blutlosen Grabe zu schlummern, so laß mich Dich warnen: Bewahre die Geheimnisse dieser Nacht gegen Vater und Mutter, Gattin, Sohn oder Tochter, versprich nie davon zu sprechen, weder laut noch leise, noch in Andeutungen, Gebärden, Zeichen oder Gleichnissen! Gehorche diesem Geheiß, und Dein Leben ist gesichert. Laß Dein Herz fröhlich sein in Dir, allein laß es fröhlich sein mit Zittern! Nie mehr laß Eitelkeit Dich verleiten, Dir einzureden, Du seiest sicher vor den Richtern und Dienern der heiligen Feme, ob Du auch tausend Meilen Weges lägen zwischen Dir und uns, ob Du auch in einem Lande weiltest, wo man unsere Macht nicht kennt, ob Du auch auf Deiner heimatlichen Insel Dich geschützt wähntest durch das Weltmeer, von dem sie rings umgeben ist. Ich warne Dich, schlag ein Kreuz, sooft Du des heiligen, unsichtbaren Femgerichtes gedenkst, und verschließ Deine Gedanken fest in Deiner Brust! Geh von hinnen, sei weise und fürchte stets die heilige Feme!« Am Schlusse dieser Rede erloschen zischend alle Lichter zu gleicher Zeit. Philippson wurde leise auf seine Lagerstatt hinabgedrückt und wieder an den Ort getragen, von dem aus man ihn an den Fuß des Altars gebracht hatte. Das Strickwerk wurde wieder angelegt, und Philippson fühlte, wie etliche Minuten lang sein Bett sich immer höher hob, bis ein leichter Stoß ihn belehrte, daß es wieder auf dem Fußboden des Schlafgemaches stand, in das man ihn in der vorigen Nacht oder, besser gesagt, an diesem Morgen geführt hatte. Er erwog, was er erlebt hatte, und fühlte, zu wie großem Dank er dem Himmel für seine Befreiung verpflichtet war. Endlich siegte die Müdigkeit über seine Bekümmernis, und er verfiel in einen tiefen und festen Schlaf, aus dem er erst bei hellem Tage wieder erwachte. Augenblicklich beschloß er, einen so gefährlichen Ort zu verlassen, und ohne einen einzigen Bewohner, den alten Stallknecht ausgenommen, zu sehen, setzte er seine Reise nach Straßburg fort und erreichte diese Stadt ohne ferneren Unfall. Fünftes Kapitel Als Arthur Philippson seinen Vater verlassen hatte, um sich an Bord eines Kahnes zu begeben, der ihn über den Rhein tragen sollte,, nahm er nur wenig Rücksicht auf seine eigenen Bedürfnisse, da er des Glaubens war, daß sie nur auf kurze Zeit voneinander getrennt sein würden. Ein paar Kleider und eine Handvoll Goldstücke war alles, was er vom gemeinsamen Vorrat für sich abnahm; das übrige Gepäck sowie alles Geld ließ er mitsamt dem Saumtier zurück. Als er sich samt seinem Pferde und seinem leichten Bündel auf das Fährboot begeben hatte, richtete dieses sogleich seinen Mast, breitete seine Segel aus, und vom Winde getrieben, fuhr es in schräger Richtung über den Rhein nach dem Dorfe Kirchhof. Die Ueberfahrt ging so gut von statten, daß sie das jenseitige Ufer nach wenigen Minuten erreichten. Arthur entschloß sich, nicht in Kirchhof zu verweilen, sondern so schnell wie möglich seinen Weg nach Straßburg fortzusetzen und, wenn Dunkelheit ihn zwänge anzuhalten, in einem der Dörfer oder Flecken zu übernachten, die er auf seiner Reise an der deutschen Seite des Rheins vorfinden würde. Zu Straßburg, so hoffte er in dem feurigen Geiste, der der Jugend eigen ist, würde er seinen Vater wiederfinden; und vermochte er auch nicht sogleich alle Bekümmernis über ihre Trennung zu unterdrücken, so nährte er doch die fröhliche Zuversicht auf glückliches Wiedersehen. Arthur erfreute sich an den in diesem Teile herrlichen Landschaften des Rheins, bis das erblassende Tageslicht ihn daran erinnerte, daß ein allein reisender Jüngling, der wertvolle Gegenstände bei sich führte, besser daran täte, eine Nachtherberge zu suchen. Er hatte eben den Entschluß gefaßt, bei den nächsten Wohnungen den Weg zu einem Gasthaus zu erfragen, als er plötzlich ein unerwartet schönes Landschaftsbild vor Augen hatte. Umrahmt von hohen Bäumen, lag eine Wiese vor ihm. Sie war von einem breiten Gewässer durchflossen, das in den Rhein mündete. Dieses Gewässer umspülte ein halbes Stündlein weiter eine felsige Anhöhe, die mit Seitenwällen und gotischen Türmchen geziert war – den Teilen einer Ritterburg ersten Ranges. Das ebene Land am Ufer des Flusses war zum Teil mit Weizen bepflanzt, von dem nur noch die Stoppeln standen, zum Teil war es eine weite Wiesenfläche. Ein Bursch in ländlicher Kleidung war beschäftigt, mit Hilfe eines abgerichteten Wachtelhundes Rebhühner zu jagen, während eine junge Frauensperson, anscheinend die Zofe einer Edeldame, auf dem Stumpfe eines abgestorbenen Baumes saß und diesem Treiben zuschaute. Der Wachtelhund, dessen Amt es war, die Rebhühner unter das Netz zu treiben, ließ davon ab, als er den Fremden erblickte, und hätte seine Aufgabe ganz vergessen, wenn nicht das Mädchen sich unserm Arthur genähert und ihn gebeten hätte, etwas mehr zur Seite zu reiten, um ihnen das Vergnügen nicht zu stören. Willig erfüllte der Reisende ihre Bitte. – »Ich will reiten,« schönes Mädchen,« sagte er, »so weit weg es Dir gefällt. Zum Ersatz dafür erlaube mir zu fragen, ob das Gebäude dort ein Kloster, eine Burg, oder sonst eine Wohnung guter Menschen ist, wo ein Fremder, der sich verspätet hat und müde ist, auf eine Nacht Gastfreundschaft finden kann?« Die Dirne, deren Gesicht er bis jetzt noch nicht deutlich gesehen hatte, schien ein Gelüst zum Lachen zu unterdrücken, indem sie erwiderte: »Sollte jene Burg denn keinen Winkel haben, der einem Fremden Obdach bieten könnte? Ich selbst gehöre zur Besatzung jener Burg, und gewiß werdet Ihr Euch vor solch einem Soldaten fürchten. Ich bürge Euch dafür, daß Ihr Aufnahme findet. Doch da Ihr mich in so kriegerischer Weise anredet, so werde ich, wie es unter Bewaffneten üblich ist, mein Visier herunterlassen.« Indem sie dies sagte, verbarg sie ihr Antlitz unter einer der Halblarven, die zu jener Zeit viel von Frauen getragen wurden, wenn sie sich außer dem Hause befanden, teils um den Teint zu schützen, teils um sich vor zudringlichen Beobachtern zu sichern. Allein, ehe sie dies zustande bringen konnte, hatte Arthur bereits die schalkhaften Mienen Anneli Veilchens entdeckt, eines Mädchens, das er als Dienerin Annas von Geierstein kennen gelernt hatte. Sie war eine kecke Dirne, stets bereit, zu lachen, zu scherzen und mit den Jünglingen des Landammanns, in dessen Familie sie sehr lieb und wert gehalten wurde, ihre Neckereien zu treiben. Dies fiel nicht sonderlich auf, indem die Sitten der Berggegenden zwischen Herrin und Dienerin wenig Unterschied machen. Arthur selbst war sehr aufmerksam gegen Anneli Veilchen gewesen, da er bei seiner Leidenschaft für Anna von Geierstein natürlich von Herzen wünschen mußte, sich die gute Meinung ihrer Zofe zu sichern, was er durch kleine Geschenke an Schmuck und Kleidungsstücken, wie sie jede Zofe gern annimmt, mit Leichtigkeit erreicht hatte. Das Bewußtsein, sich in Anna von Geiersteins Nähe zu befinden, die Hoffnung, vielleicht die Nacht mit ihr unter einunddemselben Dache zuzubringen, worauf des Mädchens Anwesenheit und ihre Aeußerungen deuteten, ließen das Blut rascher durch Arthurs Adern kreisen. Voll Verlangens, von Annas Verhältnissen soviel wie möglich aus Annelis Munde zu vernehmen, ließ er die Zofe nichts von seiner Freude merken und tat so, als habe er sie noch nicht erkannt. Er war entschlossen, zu warten, bis sie selbst es für gut finden würde, die Maske abzulegen. Während diese Gedanken ihm rasch durch den Kopf fuhren, befahl Anneli dem Burschen, die Netze einzuziehen, zwei der besten und fettesten Rebhühner von der Brut zu nehmen und sie in die Küche zu schaffen, die übrigen aber wieder in Freiheit zu setzen. – »Ich muß für ein Abendessen sorgen,« sagte sie zu dem Reisenden, »da ich unerwartete Gesellschaft heimbringe.« »Ich möchte Deiner Herrin keine Ungelegenheiten verursachen,« antwortete Arthur. – »Schau, schau!« sagte Anneli Veilchen; »ich habe nichts von einem Herrn und einer Herrin gesagt, und dieser arme verirrte Reisende hat schon bei sich selbst ausgemacht, daß er in der Wohnung einer Dame Herberge finden werde!« – »Wie? sagtest Du mir nicht,« sprach Arthur etwas verwirrt, sich verschnappt zu haben, »daß Du eine Person zweiter Bedeutung in der Burg wärest? Doch wie heißt dieses Schloß?« »Die Burg führt den Namen Arnheim,« sagte das Mädchen. – »Eure Besatzung muß bedeutend sein,« sagte Arthur, indem er das weitläufige Gebäude anblickte, »so Ihr imstande seid, solch ein Labyrinth von Mauern zu bemannen.« – »In diesem Punkt,« versetzte Anneli, »sind wir schlimm beraten, wie ich gestehen muß. Jetzt verbergen wir uns mehr in der Burg, als daß wir sie bewohnen, und doch ist sie mehr als geschützt durch das Gerücht, das von ihr im Umlauf ist und jeden abschreckt, der ihre Ruhe stören möchte.« – »Und dessen ungeachtet wagt Ihr, darin zu wohnen?« fragte der Engländer, der sich dessen erinnerte, was Rudolf von Donnersberg ihm einst von dem Freiherrn von Arnheim und dem düsteren Schicksale seiner Familie erzählt hatte. »Vielleicht,« versetzte seine Führerin, »haben wir Mittel in Händen, dem uns angedichteten Schrecken zu widerstehen – vielleicht auch haben wir keinen besseren Zufluchtsort finden können. Das scheint auch Euer Geschick zu sein, Herr, denn die Spitzen der fernen Hügel verschwinden schon in der Dunkelheit, und wenn Ihr nicht auf Arnheim befriedigt oder unbefriedigt einkehrt, so möchtet Ihr Gefahr laufen, in der nächsten Stunde keine andere Herberge zu finden.« Während sie dies sprach, trennte sie sich von Arthur, indem sie den Vogelsteller, der sie begleitete, mit sich nahm und mit ihm einen steilen, jedoch kurzen Fußpfad einschlug, der gerade hinauf zur Burg führte. Dem jungen Engländer hatte sie die Weisung gegeben, einer Spur von Pferdehufen zu folgen, die auf einem weitern, doch bequemeren Wege zu demselben Ziele führte, Arthur machte bald Halt vor dem südlichen Eingange der Feste Arnheim, die ein weit größeres Gebäude war, als er es sich aus Rudolfs Beschreibung vorgestellt hatte. Es war zu verschiedenen Zeiten daran gebaut worden, und ein bedeutender Teil war weniger im streng gotischen, als vielmehr im sogenannten maurischen Stil errichtet. Diese seltsame Feste trug zwar im allgemeinen Spuren der Verwüstung und Zertrümmerung; allein Rudolf von Donnersberg war falsch berichtet, als er erzählte, sie wäre in Ruinen zerfallen. Im Gegenteile trug man, als die Burg in die Hände des Kaisers fiel, Sorge, das Gebäude in gutem Zustande zu erhalten, und es wurde von Zeit zu Zeit von einem Beauftragten des kaiserlichen Kanzlers regelmäßig besichtigt. Der Besitz des Grundgebietes um die Burg her war wertvoller Ersatz für die Bemühungen dieses Abgeordneten, der es sich deshalb angelegen sein ließ, die Einkünfte daraus nicht durch Vernachlässigung seiner Pflicht zu verscherzen. Vor kurzem war dieser Beamte an den Hof gerufen worden, und nun traf es sich, daß die junge Freiin von Arnheim in den verödeten Türmen ihrer Vorfahren einen Zufluchtsort gefunden hatte. Das Schweizer Dirnchen ließ unserm jugendlichen Reisenden nicht Zeit, die Außenseite des Schlosses genau in Augenschein zu nehmen oder die Bedeutung der dem Anscheine nach morgenländischen Sinnbilder und Inschriften zu entziffern, die sich auf dem Mauerwerk befanden. Arthur hatte kaum einen flüchtigen Blick auf das ganze Gebäude geworfen, so rief ihm auch schon das Mädchen von einem Mauerwinkel herab zu, von dessen Vorsprung ein langes Brett über einen ausgetrockneten Graben führte, »Habt Ihr Eure Schweizer Lehrstunden schon wieder vergessen?« sagte sie, als sie bemerkte, daß Arthur ziemlich furchtsam über die schwankende und äußerst schmale Brücke daherschritt. Der Gedanke, daß Anna von Geierstein dieselbe Bemerkung machen möchte, verlieh dem jungen Reisenden die nötige Beherztheit. Er schritt über das Brett mit eben dem kalten Blick, womit er gelernt hatte, die weit fürchterliche Klippe neben den Trümmern des Geiersteins zu betreten. Kaum war er in der Burg angelangt, so nahm Anneli ihre Larve ab und bewillkommte ihn in ihrem und im Namen alter Freunde mit neuem Namen auf deutschem Boden. »Anna von Geierstein,« sagte sie, »ist nicht mehr; allein Ihr sollt sofort die Freiin von Arnheim erblicken, die ihr außerordentlich ähnlich sieht, und ich, die ich im Schweizerlande Anneli Veilchen, die Magd einer Jungfrau war, die eben nicht höher geschätzt war als ich, bin jetzt die Zofe jener Freiin und weiß meinem Stande Ehre zu machen.« – »So sage Deiner jungen Herrin,« erwiderte der junge Philippson, »als ich mich dieser Feste nahte, hatte ich keine Ahnung, daß sie darinnen weilte, sonst hätte ich mich ihr nicht aufgedrängt.« – »Weg, weg!« versetzte das Dirnchen lachend, »ich weiß was Besseres zu Eurem Vorteile zu sagen. Ihr seid nicht der erste arme Mann und Handelskrämer, der die Gunst einer vornehmen Dame gewann. – Doch wenn Ihr von Entschuldigungen und ahnungslosem Eintritt schwatzt, erreicht Ihr gar nichts. Von Liebesglut will ich ihr erzählen, die der ganze Rheinstrom nicht löschen kann, und die Euch hierher trieb, indem Ihr keine andere Wahl hattet, als entweder hieher zu kommen oder zu sterben.«– »Nicht doch, Anneli, Anneli!« – »O, was Ihr für ein Narr seid – macht einen kürzeren Namen daraus, ruft Anna! Anna! und Ihr habt mehr Aussicht auf Antwort!« Mit diesen Worten rannte die wilde Dirne weg, entzückt über den Gedanken, daß sie es trefflich eingefädelt hätte, zwei Liebende zusammengeführt zu haben, die schon die Trennung auf ewig befürchtet hatten. In dieser selbstzufriedenen Stimmung hüpfte Anneli eine kleine Wendeltreppe hinan – zu einem Kabinett oder Ankleidegemach, wo sich ihre junge Gebieterin befand, rief mit lachendem Munde: »Anna von Gei – – Fräulein, wollt ich sagen, sie kommen, sie kommen!« »Die Philippsons?« fragte Anna halb atemlos. – »Ja – nein –,« versetzte die Dirne, »doch ja; denn der Beste ist gekommen, nämlich Arthur.« – »Was sprichst Du, Mädchen? Ist der Vater nicht bei seinem Sohne?« – »Nicht doch,« sagte die Veilchen, »auch habe ich gar nicht daran gedacht, nach ihm zu fragen. Er war eben nicht mein Freund, denn er hatte immer nur Sprichwörter im Munde und Sorge auf der Stirn.« – »Ungefällige, unbedachtsame Dirne! Was hast Du angerichtet?« fragte Anna von Geierstein. »Befahl ich Dir nicht angelegentlich, beide hieher zu führen; und nun hast Du den jungen Mann allein hieher zu uns in diese Einsamkeit gebracht? Was wird – was kann er von mir denken?« »Ei, was hätte ich denn tun sollen?« versetzte Anneli. »Er war allein; hätte ich denn ihn hinabschicken sollen ins Dorf, daß die Landsknechte des Rheingrafen ihn erschlügen? Traun, ist doch alles Fisch, was ihnen ins Netz läuft, und wie sollt' er sich durch dieses Land finden, das mit umherziehenden Reisigen, Raubrittern und schurkischen Welschen angefüllt ist?« – »Still! Laß uns erwägen, was zu tun ist. Um unseretwillen, um seinetwegen muß dieser junge Mann sogleich die Burg verlassen.« – »So mögt Ihr ihm diese Botschaft selbst überbringen, Anna – um Verzeihung, hochedles Fräulein – es mag sich wohl für eine Edeldame besser schicken, dergleichen Bescheid zu erteilen, wie es wohl in den Romanzen der Meistersänger vorzukommen pflegt; allein für ein offenherziges Schweizermädchen ist solcher Auftrag nicht geeignet. Jetzt aber keine Torheit mehr! sondern bedenkt, wenn Ihr auch ein hochgeborenes Fräulein von Arnheim seid, so wurdet Ihr doch im Schoße der Schweizerberge erzogen und solltet Euch wie ein Mädchen mit biederem Herzen und freiem Sinn benehmen. Hört mich an!« »So rede denn,« sagte Anna, indem sie schmollend das Gesicht abwendete, um der Zofe zuzuhören; »allein hüte Dich, daß Du nichts sagst, was ich nicht anhören darf.« – »Ich will natürlich und vernünftig sprechen, und wenn Eure edlen Ohren das nicht hören und verstehen mögen, so liegt die Schuld an den Ohren, nicht aber an meiner Zunge. Schaut! Ihr habt diesen jungen Mann zweimal aus großer Gefahr errettet – einmal bei dem Erdsturz auf Geierstein, ein anderesmal heut, wo sein Leben bedroht war. Und rund heraus, er ist ein hübscher Mann und wohl geeignet, einer Dame Gunst zu verdienen. Bevor Ihr ihn saht, waren die Schweizer Jünglinge Euch mindestens nicht verhaßt. Ihr tanztet mit ihnen – Ihr scherztet mit ihnen – Ihr wart der allgemeine Gegenstand ihrer Bewunderung – und Ihr hättet, wie Ihr recht wohl wißt, im ganzen Kanton die Wahl haben können, ja sogar Rudolf von Donnersberg hätte Euer Liebster werden können.« – »Niemals, niemals!« rief Anna von Geierstein. – »Seid Eurer Sache nicht so überaus gewiß, mein Fräulein! Hätte er sich nur gehörig bei dem Ohm zu empfehlen gewußt, so würde er in irgend einem günstigen Augenblicke wohl die Nichte gewonnen haben. Aber seitdem wir diesen jungen Engländer kennen lernten, nimmt man an Euch geradezu Geringschätzung, Verachtung und bisweilen etwas dem Hasse Aehnliches gegen alle die Männer wahr, die Ihr sonst recht wohl leiden konntet.« »Wart nur, ich will Dich,« sagte Anna, »noch mehr als irgend einen von ihnen hassen und verabscheuen, wenn Du mit Deinem Geschwätze nicht bald zu Ende kommst.« – »Edles Fräulein, laßt uns langsam, sanft und freundlich weitergehen. Aus all dem geht hervor, daß Ihr den jungen Mann liebt, und mögen diejenigen, die an der Sache etwas Wunderbares finden, sagen, daß Ihr unrecht habt. Es läßt sich gar vieles dafür, nichts aber dagegen sagen,« – »Wie, törichtes Mädchen! Meine Geburt verbietet mir, einen Mann von geringer Herkunft zu lieben – mein Stand verbietet mir, einen armen Mann zu lieben – meines Vaters Gebot befiehlt mir, nur mit seiner Zustimmung zu wählen – vor allem aber verbietet mir mein Mädchenstolz, meine Neigung jemandem zuzuwenden, der sich aus mir nichts macht, – ja, der vielleicht völlig gegen mich eingenommen ist.« »Das ist ein schöner Grundtext,« sagte Anneli, »aber ich kann jeden Satz darin ebenso leicht widerlegen, wie der Pater Franziskus seine Textworte in einer Festtagspredigt zu entwickeln versteht. Eure Geburt ist ein törichter Traum, den Ihr seit zwei oder drei Tagen erst hegt, denn seitdem Ihr deutschen Boden betreten habt, begann etwas von dem alten deutschen Unkraute, Familienstolz genannt, in Eurer Brust zu keimen. Denkt über solche Torheit so, wie Ihr darüber dachtet, als Ihr zu Geierstein als vernünftiges Mädel lebtet, und dies gewaltige Vorurteil wird in nichts versinken. Was den Stand betrifft, so dünkt mich, Ihr versteht darunter Vermögen. Nun, Philippsons Vater, der freigebigste Mann von der ganzen Welt, wird seinem Sohne gewiß soviel Goldstücke geben, daß Ihr Euch eine Meierei pachten könnt. Ihr versteht die Wirtschaft, und Arthur kann schießen, jagen, fischen, pflügen, eggen und ernten. Drum geht hinab in das Gemach, redet mit Eurem Liebsten oder laßt ihn zu Euch reden; laßt Eure Hände zusammengehen, zieht ruhig als Mann und Weib gegen Geierstein und bringt alles in Bereitschaft, Euren Ohm bei seiner Rückkehr zu empfangen. Das ist der Weg, den eine schlichte Schweizerdirne einschlägt, um dem Roman einer deutschen Freiin ein Ende zu machen.« »Dein Plan ist nichtig, Dirne,« sagte Anna, »ist der kindische Traum eines Mädchens, das vom Leben weiter nichts weiß, als was es hinter der Milchbutte darüber vernommen hat. Bedenke, daß mein Ohm von jedem Kinde den weitgehendsten Gehorsam fordert, und daß ich durch eine Handlung gegen meines Vaters Willen mir seine gute Meinung verscherzen würde. Warum bin ich sonst hier? Weshalb hat er der Aufsicht über mich entsagt? Und warum bin ich genötigt, die Sitten abzulegen, die mir so wert sind, und mich Gebräuchen zu unterziehen, die mir fremd und lästig sind? Was den jungen Mann betrifft, so hätte ich ihn wohl lieben können. Er wäre dessen wert, ich will's nicht leugnen, sein Betragen gegen mich war jederzeit ehrenwert und aufrichtig – hätte nicht ehrerbietiger, nicht rechtschaffener sein können. Aber,« hier legte das Fräulein die Hand an die Stirn, und Tränen flossen zwischen ihren zarten Fingern hindurch, »er hat noch nie von Liebe zu mir gesprochen. Wenn er mich wirklich liebt, so hält ihn gewiß ein unüberwindliches Hindernis ab, sie zu gestehen,« »Ein Hindernis?« fragte die Schweizer Zofe und setzte hinzu: »irgend ein törichter Begriff von Eurer Geburt, als stündet Ihr zu hoch für ihn – irgend eine kindische Verschämtheit – irgend ein Traum von übertriebener Bescheidenheit – das werden die Hindernisse sein. Diese Verblendung wird durch eine einzige Ermutigung schwinden, und dieses Geschäft will ich, teuerste Anna, um Euch das Rotwerden zu ersparen, über mich nehmen,« – »Nein, nein, um Himmels willen, Anneli!« rief die Freiin, »Du kannst gar nicht wissen, was es für Hindernisse sind, die es ihm verbieten, an das zu denken, was Du gern befördern möchtest. Ich bin fest überzeugt, diese Philippsons sind Männer von Stande, denn ihre Sitten, ihr Benehmen sind weit über ihr scheinbares Gewerbe erhaben. Der Vater ist ein Mann von tiefem Beobachtungsgeiste, von hohen Gesinnungen und von einer Freigebigkeit, die sich kein Handelsmann erlauben könnte.« »Das ist wahr,« sprach Anneli, »denn ich muß sagen, die Silberkette, die er mir schenkte, ist zehn Krontaler wert, und das Kreuz, das Arthur mir dazu gab, soll noch mehr wert sein. Doch was dann weiter? Die Philippsons sind also reich und vornehm wie Ihr. Um so besser!« – »Ach, Anneli, Du weißt nicht, wie oft es unter Leuten vornehmer Geburt Brauch ist, ihre Kinder schon von der Wiege ab mit dem Kinde eines andern Adeligen zu verloben. Was denn, wenn der Vater Philippsons in seiner Heimat ein Mann von hohen Würden ist und seinen Sohn aus diplomatischen Rücksichten schon zum Gatten eines englischen Edelkindes ausersehen hat? Und welchen andern Grund, als daß er schon versprochen ist, sollte die Zurückhaltung des jungen Mannes haben?« – »O weh, Fräulein,« antwortete Anneli. »Was ist dann zu tun? Ich habe diesen jungen Mann hierhergeführt, indem ich, Gott weiß es, Eurem Zusammentreffen einen glücklicheren Ausgang wünschte. Allein es ist klar, Ihr könnt ihn nicht heiraten, wenn er Euch nicht zur Ehe begehrt. Trotzdem dürfen wir ihn aber jetzt nicht wieder ziehen lassen, er könnte gar leicht den Kehlabschneidern des Rheingrafen in die Hände fallen.« »So mag der Willibald ihn hereinführen, und Du sorge dafür, daß es ihm an nichts fehle. Es ist am besten, wenn ich ihn nicht sehe,« – »Gut,« sagte Anneli; »was soll ich aber Euretwegen sagen? Unglücklicherweise ließ ich ihn wissen, daß Ihr hier wäret.« – »O, unverständiges Mädchen! Doch wie sollt' ich Dich tadeln,« sagte Anna von Geierstein, »da der Unverstand auch auf meiner Seite so groß war? Ich selbst habe mir das eingebrockt, indem ich mich in Gedanken zu sehr mit dem jungen Mann und seinen Vorzügen beschäftigte. Doch nun will ich diese Torheit besiegen und trotzdem die Pflichten der Gastfreundschaft erfüllen. Fort, Anneli, laß Erfrischungen besorgen! Du sollst mit uns zu Abend essen und darfst uns nicht verlassen. Du sollst sehen, daß ich mich nicht nur wie ein deutsches Edelfräulein, sondern auch wie ein Schweizer Mädchen zu benehmen weiß. Schaffe mir jedoch erst Licht, meine Liebe; denn ich muß meine Kleider ordnen und auch diese Verräter, meine Augen, waschen.« Sechstes Kapitel Trepp ab, trepp auf, trippelte Anneli Veilchen, als die Seele von allem, was in dem einzigen bewohnbaren Winkel der weitläufigen Arnheimer Feste vorging. Sie taugte zu jeglichem Dienste und steckte deswegen ihr Köpfchen in den Stall, um sich zu überzeugen, ob Willibald gehörig für Arthurs Pferd sorgte, guckte in die Küche, um nachzusehen, ob Märten, der alte Koch, die Rebhühner zu gehöriger Zeit würde geschmort haben (eine Einmischung, für die sie wenig Dank erntete), holte etliche Krüge Rheinwein von dem großen Faß im Keller und lugte endlich in das Vorgemach, um nachzuschauen, wie es um Arthur stünde. Da hatte sie denn die Freude zu sehen, daß dieser seine Person auf das beste herausstaffiert hatte, und so versicherte sie ihm, er solle ihre Gebieterin bald erblicken, die zwar unpaß wäre, sich's jedoch nicht versagen könnte, herabzukommen, um einen so werten Bekannten zu begrüßen. Arthur errötete, als das Mädchen so sprach, und erschien dabei der Zofe so hübsch, daß sie unterwegs, als sie wieder hinaufsprang in das Gemach ihrer Gebieterin, zu sich selbst sprach: »Wenn treue Liebe trotz aller Hindernisse es nicht dahin bringen kann, dieses Pärchen zusammenzuführen, so will ich nimmermehr glauben, daß es überhaupt ein Ding wie wahre Liebe auf der Welt gibt, mag Martin Springer auch sagen, was er will, und mag er es noch so hoch und teuer auf das Evangelium beschwören.« Als sie das Gemach des jungen Fräuleins erreicht hatte, fand sie, daß Anna, statt alles anzutun, was sie an Schmuck besaß, das einfache Gewand angezogen hatte, das sie an dem Tage trug, wo Arthur zum erstenmale auf Geierstein zu Tische saß. Betroffen und zweifelhaft sah die Zofe anfänglich ihre Gebieterin an; dann aber erkannte sie das feine Gefühl, das sie bewog, dieses Kleid zu wählen, und rief aus: »Ihr habt recht! – Ihr habt recht – am besten ist es, Ihr tretet ihm als das freiherzige Schweizermädchen entgegen!« Auch Anna lächelte und erwiderte: »Doch muß ich in den Mauern von Arnheim zu gleicher Zeit auch gewissermaßen als die Tochter meines Vaters erscheinen. Hier, Mädchen, hilf mir diesen Edelstein auf das Band heften, das in mein Haar geflochten ist.« Es war ein Kopfputz, der aus zwei von einem Opal zusammengehaltenen Geierfedern bestand, diese Edelsteine funkelten in so reichen Farben, daß die Schweizerdirne, die in ihrem Leben dergleichen Dinge noch nicht gesehen hatte, den Schmuck entzückt bewunderte. – »Traun, gnädiges Fräulein Anna,« sprach sie, »wenn das hübsche Ding wirklich als ein Zeichen Eures Standes getragen wird, so ist es an all Eurer Würde das einzige, wonach mich gelüsten könnte; denn es schimmert und schillert gar wunderlieblich.« – »Ach, Anneli,« sagte die Freiin, indem sie mit der Hand über die Augen fuhr, »von allem Geschmeide, das die Ahnfrauen meines Hauses ihr eigen nannten, ist dieser Stein seinen Besitzerinnen vielleicht der verhängnisvollste gewesen.« »Und warum tragt Ihr ihn dann?« fragte Anneli; »warum vor allen andern Tagen im Jahre gerade heute?« »Weil er am besten mich an die Pflicht erinnert, die ich gegen meinen Vater und meinen Stamm zu erfüllen habe. Und jetzt, Mädchen, sage ich Dir, daß Du hübsch mit uns bei Tische sitzest und keinen Augenblick das Gemach verläßt, daß Du mir nicht geschäftig hin und her rennst, um dies oder das herbeizuschaffen, sondern ruhig auf Deinem Sessel bleibst und alles durch Willibald besorgen läßt! Ich weiß nicht, ob ich recht oder unrecht tue, wenn ich diesen jungen Mann sehe, wäre es auch das letzte Mal! Wenn mein Vater käme? Wenn Itel Schreckenwald heimkehrte?« –»Euer Vater ist zu sehr vertieft in irgend eines seiner düstern, geheimnisvollen Geschäfte,« sagte die plappernde Schweizerdirne, »und reitet vielleicht nach dem Blocksberge, wo die Hexen Sabbat halten, oder macht mit dem wilden Jäger einen Jagdzug.« – »Pfui, Anneli, wie kannst Du so von meinem Vater sprechen?« – »Nun, weil ich eigentlich wenig von ihm weiß,« sprach die Zofe, »und Ihr selbst wißt nicht viel mehr von ihm. Und wie sollte das unwahr sein, was alle Welt für wahr erklärt?« – »Was, Du Törin, erklärt alle Welt für wahr?« »Ei, daß der Freiherr ein Hexenmeister ist, daß Eure Großmutter ein Irrwisch war, und daß Itel Schreckenwald ein eingefleischter Teufel ist.« – »Wo ist Itel?« – »Hinabgegangen, die Nacht im Dorfe zuzubringen, die Mannschaft des Rheingrafen zu quartieren, und sie, womöglich, ein wenig in Ordnung zu halten; denn die Kriegsmänner sind unzufrieden, weil sie den versprochenen Lohn nicht erhalten haben.« – »So laß uns gehen, Mädchen, vielleicht ist für viele Jahre diese Nacht die letzte, die wir in Freiheit verbringen.« Wer möchte die Verlegenheit schildern, mit der Arthur Philippson und Anna von Geierstein einander begegneten; als sie sich begrüßten, erhoben sie weder ihre Blicke, noch sprachen sie vernehmbar, und das Mädchen konnte nicht höher erröten als ihr bescheidener Liebhaber; während die frohgelaunte Schweizerdirne, deren Ansichten über Liebe weit freier und ungezwungener waren, die Augenbrauen ein wenig in die Höhe zog und ziemlich geringschätzend auf ein Liebespaar blickte, das nach ihrer Meinung sich so unnatürlich und förmlich benahm. Tief war die Verbeugung und hoch das Erröten, womit Arthur dem jungen Fräulein die Hand bot, und sie erwiderte diese Höflichkeit mit ebensolcher Verschämtheit. Arthur führte, wie es die Sitte der Zeit und der Wohlanständigkeit mit sich brachte, die Dame in das Nebengemach, wo der Tisch zum Abendessen gedeckt war; und Anneli, die mit seltener Aufmerksamkeit alles, was vorging, beobachtete, erstaunte über alle die Zeremonien, deren ihre Herrin sich befleißigte, seit sie den höheren Ständen angehörte. Allem Anscheine nach sahen sich die jungen Leute durch die Verhältnisse, in denen sie sich hier befanden, veranlaßt, die Sitten eines höheren Standes zu beobachten, an die sie beiderseits in früheren Jahren gewöhnt gewesen waren; und während die Freiin es für nötig hielt, den strengsten Anstand zu wahren, um den Empfang Arthurs in den innersten Gemächern ihrer Burg zu rechtfertigen, so war er dagegen bemüht, durch die tiefste Ehrerbietung zu zeigen, daß er unfähig wäre, die Güte zu mißbrauchen, mit der er stets von Anna behandelt worden. Sie setzten sich zu Tische, indem sie gewissenhaft die Entfernung innehielten, die die Sitte zwischen einem tugendhaften Jüngling und einem sittenreinen Mädchen forderten. Der Bursch Willibald wartete mit Höflichkeit und Hurtigkeit auf, gleich einem, der an dergleichen gewöhnt ist, und Anneli, die zwischen den Liebenden saß, verhielt sich so artig, wie man es von der Zofe eines gnädigen Fräuleins erwarten konnte. Dennoch machte sie dabei manche Schnitzer. Ihr Benehmen im allgemeinen glich etwa dem eines Windspiels an der Leine, das jeden Augenblick bereit ist, durchzugehen. Andere Punkte der feinen Sitte wurden nach dem Essen verletzt, als der Aufwärter Willibald sich zurückgezogen hatte. Da fiel es der Zofe ein, ohne alle Umstände sich in das Gespräch zu mischen, ihre Gebieterin bei ihrem Taufnamen Anna zu nennen, ja sogar Philippson mit dem traulichen »Du« anzureden, was damals ein grober Verstoß gegen die Etiquette war. Anna und Arthur machten die Torheiten der Zofe zum willkommenen Anlaß, darüber zu scherzen und ein Lächeln gegeneinander auszutauschen. Es währte nicht lange, so bemerkte Anneli dies, und indem sie geschickt die Gekränkte spielte, sprach das Mädchen mit vielem Scharfsinn: »Ihr seid fürwahr recht lustig auf meine Kosten, und das bloß, weil ich lieber aufgestanden wäre und das Erforderliche selbst geholt hätte, statt daß ich wartete, bis der arme Willibald, der zwischen Tafel und Kredenztisch umhertraben mußte, Zeit fand, es mir zu bringen. Jetzt lacht Ihr mich aus, weil ich Euch bei den Namen nenne, die Euch bei der Taufe im Gotteshause beigelegt wurden, und weil ich Du und Dir und Dich zu Euch sage und den gnädigen Junker und das gnädige Fräulein so anrede, als ob ich auf meinen Knien mit Gott im Himmel spräche. Doch trotz all Euerm geschnörkelten Wesen kann ich sagen, daß Ihr nichts als ein paar Kinder seid, die ihr eigenes Gemüt nicht erkennen und die kurze Mußezeit hinwegspötteln, die ihnen gelassen ist, für ihr eigenes Glück zu sorgen. Nun, runzelt die Stirn nicht, gnädiges Fräulein, ich habe zu oft zum Pilatusberge aufgeblickt, als daß ich mich vor einer düstern Stirn fürchten möchte.« – »Still, Anneli,« sagte ihre Gebieterin, »oder ich gehe hinaus.«– »Hätte ich Euch nicht ebenso lieb wie mich selbst,« sagte die kecke, unerschrockene Dirne, »so würde ich das Gemach und die Burg obendrein verlassen und Euch allein hier wirtschaften lassen, mit Eurem liebenswürdigem Vogt, dem Itel Schreckenwald.« – »Wenn nicht aus Liebe zu mir, so schweige aus Scham und aus Mitleid; oder geh hinaus.« – »Nun,« sprach Anneli, »mein Riegel ist schon vorgeschoben, und ich habe nur auf das angespielt, was alle zusammen auf dem Rasen zu Geierstein an jenem Abend sagten, wo der Buttisholzer Bogen gespannt ward. Ihr wißt, was die alte Sage spricht? Diese meine gnädige Herrin, mein Herr Arthur, bedürfte wohl einer Zofe, die aus Herbstflocken gewoben und mit dem Atem eines Luftgeistes beseelt ist. Könnt Ihr's glauben? Viele meinen ganz ernstlich, sie gehöre zu einem Geschlechte von Elementargeistern.« Anna von Geierstein schien geneigt zu sein, die Unterhaltung von dem Gegenstand, auf den das Mädchen sie gebracht, abzulenken und von gleichgültigeren Dingen zu reden. Zuvor jedoch sagte sie: »Herr Arthur denkt vielleicht, es läge wirklich Grund zu einem seltsamen Argwohn vor, den einige Toren in Deutschland wie in der Schweiz verbreitet haben. Gesteht es, Arthur, Ihr dachtet sonderbar von mir, als ich an der Brücke zu Grafenlust, wo Ihr Wache standet, an Euch vorüberschritt?« Die Erinnerung an diese Erscheinung, die ihn damals so gewaltig ergriffen hatte, ergriff noch jetzt unsern Arthur so tief, daß er nur mit Mühe sich beherrschen konnte, um eine Antwort zu finden, und was er erwiderte, war abgebrochen und unzusammenhängend. »Ich hörte – ich muß gestehen – Rudolf von Donnersberg erzählte – doch daß ich etwa glaubte, Ihr wärt, schönes Fräulein, etwas anderes als ein christliches Mädchen.–« – »Nun, wenn Rudolf der Erzähler war,« nahm Anneli das Wort, »so ist es gewiß, daß Ihr nur das Schlimmste über meine Gebieterin und deren Verwandtschaft hörtet. Sicherlich erzählte er Euch ein hübsches Gespenstermärchen, nicht wahr, von meines Fräuleins Großmutter? und fürwahr, die Umstände trafen damals so zusammen, daß Ihr das Märchen so ziemlich für wahr halten konntet.« – »Nicht so, Anneli,« versetzte Arthur; »was auch von Deinem Fräulein Seltsames und Wunderliches gesagt werden mochte, es fiel als unglaubwürdig zu Boden.« »Herr Arthur Philippson,« ergriff Anna das Wort: »wahr ist es, mein Großvater mütterlicher Seite, der Freiherr von Arnheim, war ein Mann von großen Kenntnissen in dunklen und geheimnisreichen Wissenschaften. Auch war er Oberrichter eines geheimen Tribunals, von dem Ihr gehört haben müßt, und das die heilige Feme heißt. Eines Nachts kam ein Fremder, der von jenem geheimen Gericht verfolgt wurde, in die Burg und flehte meinen Ahnherrn um Schutz und Gastfreundschaft an. Mein Großvater, der den Fremden als großen Alchimisten kannte, verlieh ihm Schutz, und sie studierten zusammen ein Jahr und einen Tag lang und drangen in die Geheimnisse der Natur soweit ein, wie es dem Menschen überhaupt vergönnt ist. Als der Tag näher kam, an dem der dem Fremden gewährte Aufschub verflossen war und er von seinem Wirte scheiden mußte, bat er um die Erlaubnis, seine Tochter in die Burg kommen zu lassen, um ihr das letzte Lebewohl zu sagen. Dem Mädchen, dessen Vater einem ungewissen Schicksal entgegenging, gewährte der Freiherr von Arnheim eine Zuflucht in der Feste, wobei er vielleicht hoffte, auch durch sie seine Kenntnisse in den morgenländischen Sprachen und Wissenschaften zu bereichern. Danischmende, ihr Vater, verließ diese Burg, um sich zu Fulda dem Femgerichte zu überliefern. Welchen Ausgang das Verfahren nahm, blieb unbekannt. Vielleicht wurde Danischmende durch das Zeugnis des Freiherrn gerettet, vielleicht wurde er dem Dolch und dem Strange überliefert. Wer wagt es, solche Gegenstände zu besprechen? Die schöne Perserin wurde die Gattin ihres Hüters und Beschützers. Neben vielen Vorzügen besaß sie besonderen Hang zur Unvorsichtigkeit. Sie benützte ihre ausländische Kleidung, ihre fremdartigen Sitten, ihre Schönheit, die wundersam gewesen sein soll, und ihre fast unglaubliche Beweglichkeit, die unwissenden deutschen Weiber in Erstaunen und Schrecken zu setzen, so daß letztere, da sie überdies die Freifrau von Arnheim Persisch und Arabisch sprechen hörten, sie wohl für eine, mit gottlosen Künsten vertraute Frau hielten. Hermione, meine Großmutter, war exzentrisch und phantastisch und fand daran Vergnügen. Sie förderte sogar diesen lächerlichen Argwohn. Der Geschichten, die über sie verbreitet wurden, war keine Ende. Ihr erstes Erscheinen in der Burg soll höchst malerisch gewesen sein und an das Wunderbare gegrenzt haben. Da sie von Standesvorurteilen ganz frei war, geriet sie mit einigen Verwandten über Rang und Vorrang in Zwist; und dies kostete sie das Leben; denn am Morgen des Tauftages meiner armen Mutter starb die Freiin Hermione von Arnheim plötzlich, eben als eine zahlreiche Gesellschaft in der Burg zur Feier versammelt war. Man glaubt, sie sei an Gift gestorben, das die Freifrau von Steinfeld ihr beizubringen wußte, weil sie mit dieser wegen einer Freundin und Gefährtin, der Gräfin Waldstetten, in einen erbitterten Zank geraten war.« »Und der Opal? und warum wurde er mit Weihwasser besprengt?« fragte Arthur. – »Aha, ich merke, Ihr wollt,« versetzte die junge Freiin, »die volle Wahrheit von meiner Familiengeschichte hören, von der Ihr nur die romantische Sage vernommen habt. – Sie mit Wasser zu besprengen, war wohl nötig; denn sie war in Ohnmacht gefallen. Was den Opal anbelangt, so habe ich freilich auch gehört, daß sein Feuer dabei erloschen wäre; doch kam dies, wie Sachkundige behaupten, nur daher, weil die Natur dieses Edelsteins es mit sich bringt, blind zu werden, sobald man ihn mit giftigen Stoffen in Berührung bringt. Alle diese Dinge wurden durch die Volkssage anders gestaltet und in ein Feenmärchen verwandelt.« »Aber Ihr sagt mir nichts,« fiel Arthur Philippson ein, »über – über –« – »Ueber was?« fragte seine Wirtin. – »Ueber Euer Erscheinen in jener Nacht.« »Ist es möglich,« versetzte Anna, »daß ein Mann von Verstande sich das nicht selbst klar machen kann? Mein Vater ist ein vielbeschäftigter Mann in einem unruhigen Lande gewesen und hat sich den Groll mancher machtbegabten Personen zugezogen. Er sieht sich deswegen genötigt, oft im geheimen zu handeln und lästigen Beobachtungen auszuweichen. Ueberdies wollte er vermeiden, mit seinem Bruder, dem Landammann, zusammenzutreffen. Bei meinem Eintritt in Deutschland wurde mir also Kunde, eines Zeichens zu harren, durch das mir mitgeteilt würde, wann und wo ich meinen Vater finden sollte. Dies Zeichen war ein kleines metallenes Kruzifix, das meiner guten Mutter gehört hatte. In meinem Gemach zu Grafenlust fand ich dieses Zeichen mit der Weisung meines Vaters. Er beschrieb mir eine geheime Pforte, durch die ich die Jagdfeste verlassen könnte, und so gelangte ich zu dem Tor, über die Brücke und in den Wald, wo ich an einem bestimmten Platz meinen Vater traf.« »Ein wildes und gefahrvolles Abenteuer,« sagte Arthur. – »Ich war nie so sehr betroffen,« fuhr Anna fort, »wie in dem Augenblicke, wo ich seine Weisung erhielt. Er zwang mich dadurch, mich von meinem gütigen, liebreichen Ohm wegzustehlen, ohne daß ich wußte, was aus mir werden würde. Doch Gehorsam war unerläßliche Pflicht. Der Ort der Zusammenkunft war genau bestimmt. Ein mitternächtlicher Gang, wo Schutz mir nahe war, konnte für mich nicht viel auf sich haben; aber die Vorsicht, daß Schildwachen an die Tore gestellt worden waren, hätte meinem Vorhaben hinderlich werden können, wenn ich nicht einigen meiner älteren Vettern, den Biedermanns, mich anvertraut hätte, die gern bereit waren, mich ungehindert gehen und kommen zu lassen. Nur Sigismund durfte ich nichts davon sagen, und da sie immer ihren Spaß mit dem schlichten Burschen zu treiben pflegen, so verlangten sie, ich sollte so an ihm vorüberschreiten, daß er mich für eine Geistererscheinung halten müsse. Ueber seine Furcht vor Gespenstern gedachten sie sich dann weidlich lustig zu machen. Ich mußte Ihnen wohl oder übel zu Willen sein, da ich ohne ihre Mithilfe gar nicht hätte gehen können. Doch groß war mein Erstaunen, als ich ganz gegen meine Erwartung an Sigismunds Stelle Euch auf der Brücke fand. Ich will gar nicht erst wissen, was Ihr darüber gedacht habt.« »Meine Gedanken waren die eines Toren,« sagte Arthur, »eines doppelten Toren. Wäre ich etwas Besseres gewesen, so würde ich Euch meine Begleitung angeboten haben. Mein Schwert – «– »Ich hätte Euer Anerbieten nicht annehmen können,« versetzte Anna gelassen, »Mein Gang mußte in jeder Hinsicht geheim bleiben. Ich traf meinen Vater – er war von Rudolf von Donnersberg behindert worden, seinen Vorsatz auszuführen und mich noch in eben der Nacht mitzunehmen. Doch gelangte ich am frühen Morgen wieder zu ihm, indem Anneli eine Zeitlang meine Rolle bei den Schweizern spielte. Mein Vater wollte nicht wissen lassen, wann und mit wem ich meinen Oheim und dessen Gefolge verließ. Ich brauche Euch kaum zu sagen, daß ich Euch im Kerker sah.« »Ihr wart die Erhalterin meines Lebens,« sagte der Jüngling – »die Wiederherstellerin meiner Freiheit –« – »Fragt mich nicht danach, warum ich mich in Schweigen hüllte. Ich mußte ganz nach Vorschrift handeln. Ihr wurdet nur zu dem Zweck befreit, eine Verbindung zwischen den Bürgern innerhalb der Feste und den Schweizern außerhalb zustandezubringen. Nach der Bestürmung von La Ferette erfuhr ich von Sigismund Biedermann, daß eine Rotte Buschklepper Euch und Euren Vater verfolgte, um Euch zu plündern. Mein Vater hatte mich mit den Mitteln versehen, das Schweizermädchen Anna von Geierstein in ein deutsches Edelfräulein umzugestalten. Ich setzte mich sofort zu Pferde, und es freut mich, Euch einen Wink gegeben zu haben, der Euch wohl der Gefahr entrissen haben wird.« »Aber mein Vater?« fragte Arthur. – »Ich habe alle Ursache, zu hoffen, daß er sich gesund und wohl befindet,« antwortete das Fräulein. »Und nun, mein Freund, nachdem diese Rätsel aufgeklärt sind, ist es Zeit zu scheiden, und zwar für immer.« – »Scheiden! Und für immer!« wiederholte der Jüngling mit einer Stimme, die einem verhallenden Echo glich. – »Unser Geschick will es,« sagte das Mädchen, »Ich fordere Euch auf, Euch zu prüfen, ob es nicht Eure Pflicht ist, wie es die meinige ist. Ihr werdet mit Anbruch des Tages nach Straßburg gehen und – nimmer sehen wir uns wieder.« Mit einer Glut der Leidenschaft, die er nicht unterdrücken konnte, warf Arthur sich zu den Füßen des Mädchens, deren zitternde Stimme deutlich zu erkennen gab, was sie bei diesen Worten empfand. Sie sah sich nach der Zofe um, allein Anneli war in diesem bedenklichen Augenblicke verschwunden, und nach ein paar Sekunden war die Gebieterin vielleicht nicht mehr ungehalten über die Abwesenheit ihrer Zofe. »Steht auf,« sagte sie, »Arthur – steht auf. Ihr müßt keinen Empfindungen Raum geben, die Euch und mir verderblich werden können.« – »Hört mich, Fräulein, bevor ich Euch Lebewohl sage für immer – einem Missetäter selbst wird das Wort vergönnt, auch wenn er die schlimmste Sache verteidigen möchte. Ich bin ein schwertumgürteter Ritter, Sohn und Erbe eines Grafen, dessen Name in England, Frankreich und überall bekannt ist, wo Tapferkeit ihren Lohn findet –« – »Ach,« seufzte Anna, »ich habe nur zu lange schon geahnt, was Ihr mir jetzt sagt. – Steht auf, ich bitte Euch, steht auf!« – »Nicht eher, als bis Ihr mich hörtet,« sagte der Jüngling, indem er eine ihrer Hände ergriff, die in der seinigen zitterte, doch ohne sich ihr zu entziehen. – »Hört mich,« sprach er mit aller Schwärmerei der ersten Liebe, sobald diese die Hindernisse der Verschämtheit überwunden hat; »mein Vater und ich, ich gestehe es, haben einen gefährlichen Auftrag übernommen. Ihr werdet bald hören, ob das Geschäft gut oder böse abläuft. Glückt es, so werdet Ihr bald von mir unter meinem wahren Namen hören; gehe ich zu Grunde, so möchte ich. daß Anna von Geierstein mir eine Träne nachweine!« »Steht auf, steht auf,« wiederholte das Mädchen, deren Tränen heftig zu fließen begannen und, als sie versuchte, ihren Geliebten vom Boden zu erheben, ihm auf Stirn und Angesicht fielen. »Ich habe,« setzte sie hinzu, »genug gehört; noch mehr zu hören, wäre Wahnsinn für Euch und mich.« – »Nur noch das eine Wort,« sagte der Jüngling: »solange Arthur ein Herz hat, schlägt es für Euch – so lange Arthur eine Waffe schwingen kann, geschieht es für Euch und um Euretwillen.« – Anneli stürzte in das Gemach. – »Fort! Fort!« rief sie, »Schreckenwald ist aus dem Dorfe mit einigen scheußlichen Nachrichten heimgekehrt, und ich fürchte, er wird hierherkommen.« Arthur hatte sich sofort vom Boden erhoben. – »So Deiner Gebieterin Gefahr nahe ist, Anneli,« sprach der Engländer, »so ist mindestens ein treuer Freund ihr zur Seite.« – Anneli blickte ängstlich auf ihre Gebieterin, »Aber Schreckenwald,« sprach sie – »Schreckenwald, Eures Vaters Vogt – sein Vertrauter, – Erwägt das! Ich kann Arthur irgendwo verbergen.« – Die edelherzige Anna von Geierstein hatte all ihre Fassung wiedererlangt und versetzte mit Würde: »Ich habe nichts getan, was meinen Vater beleidigen könnte. Ist Schreckenwald meines Vaters Vogt, so ist er auch mein Untertan. Um seinetwillen verstecke ich keinen Gast. Setzt Euch,« fuhr sie zu Arthur gewendet fort, »und laßt uns diesen Mann empfangen. Führe ihn sofort herein, Anneli, und laß uns hören, was er zu melden hat. – Auch gib ihm zu bedenken, daß, wenn er zu mir spricht, es seine Herrin ist, mit der er redet.« Arthur nahm seinen Sitz wieder ein und war noch stolzer auf seine Wahl, als er edlen und furchtlosen Mut in einem Mädchen wahrnahm, das vor kurzem sich so empfänglich für die zartesten Empfindungen des weiblichen Geschlechtes gezeigt hatte. Siebentes Kapitel Arthur erwog hastig, wie er sich bei dem herannahenden Auftritt zu verhalten hätte, und beschloß klüglich, alle tätige und persönliche Einmischung zu vermeiden, bis er aus Annas Benehmen ermessen könne, daß ihr ein anderes Auftreten seinerseits angenehm sein dürfte. Er nahm also fern vom Tische Platz, indem er zu gleicher Zeit seine innere lebhafte Besorgnis unter einem Anstrich ehrerbietiger Zurückhaltung zu verdecken suchte, Anna dagegen schien auf eine heftige Szene gefaßt zu sein. Doch nahm sie eine weibliche Arbeit zur Hand und erwartete ebenfalls mit Ruhe den Ankömmling, über den ihre Zofe soviel Geschrei erhoben hatte. Ein eiliger und ungleicher Schritt ließ sich auf der Treppe vernehmen, wie wenn sich jemand in Bestürzung näherte; die Tür flog auf, und Itel Schreckenwald trat ein. Dieser Itel, der aus der Schilderung des Landammanns, dem Leser schon einigermaßen bekannt ist, war ein großer, wohlgebauter Mann von kriegerischem Aeußern. Seine Kleidung, gleich der eines Mannes vom Stande damaliger Zeit, war buntfarbig und geziert, aufgeschlitzt und benäht. Die nimmerfehlende Reiherfeder schmückte sein Barett und wurde von einer Goldmünze, die als Agraffe diente, gehalten. Auf der Brust trug er eine goldene Kette als Zeichen seines Ranges unter der Dienerschaft des Freiherr«. Er trat mit ziemlich eilfertigem Schritte und geschäftigem, finsterm Blicke ein, indem er etwas derb fragte: »Wie, nun, junges Fräulein? Was soll das heißen? Fremde in der Feste zu dieser nächtlichen Stunde?« Obwohl Anna von Geierstein lange Zeit außerhalb ihres Geburtslandes gewesen war, so waren ihr doch dessen Sitten und Gebräuche genau bekannt, und sie wußte, mit welcher Hoffahrt alle Untergebenen daselbst von ihren Herrschaften behandelt wurden. »Seid Ihr ein Vasall der Arnheimer Herren, Itel Schreckenwald,« fragte sie, »und sprecht also zu dem Fräulein von Arnheim in ihrer eigenen Burg, und das mit so lauter Stimme, mit mürrischem Blick und obendrein bedeckten Hauptes? – Vergeßt nicht, wer Ihr seid, und wenn Ihr Eurer Frechheit wegen um Verzeihung bittet und Eure Botschaft in Ausdrücken vorbringt, die Eurem und meinem Stande gemäß sind, so will ich hören, was Ihr mir zu sagen habt.« Wider Willen schob Schreckenwalds Hand sich nach dem Barette, und der stolze Vogt entblößte die Stirn. – »Edles Fräulein,« sagte er in etwas milderem Tone, »entschuldigt mich, wenn meine Hast sich etwas unziemlich zeigt; allein, die Unruhe ist arg. Das Kriegsvolk des Rheingrafen hat Meuterei angestiftet, die Banner seines Gebieters herabgerissen und ein Zeichen der Unabhängigkeit aufgesteckt. Sie nennen es das Fähnlein des heiligen Nikolaus und erklären unter diesem Panier, Frieden mit Gott und Krieg mit aller Welt haben zu wollen. Sie werden sicher, um zuvörderst in den Besitz eines festen Punktes zu kommen, diese Feste angreifen. Ihr müßt also aufbrechen und das mit dem ersten Morgenstrahle. Für den Augenblick sind sie mit den Weinschläuchen der Bauern beschäftigt; allein, wenn sie morgen früh erwachen, so werden sie ohne Zweifel hierherziehen, und leicht könntet Ihr in ihre Hände fallen, denn vor den Schrecken der Feste fürchten sie sich ebensowenig, wie vor dem Dunstgebilde eines Zaubermärchens.« »Ist es nicht möglich, ihnen Widerstand zu leisten? Die Burg ist fest,« sagte das junge Fräulein, »und ungern verlasse ich das Haus meiner Väter, ohne eine Verteidigung auch nur versucht zu haben.« – »Fünfhundert Mann,« sagte Schreckenwald, »wären nötig, Arnheims Tore und Mauern zu besetzen. Mit geringerer Mannschaft wäre es Tollheit, die Verteidigung einer Burg, wie diese, zu versuchen; und ich weiß nicht, wie ich zwanzig Söldner zusammenbringen soll. So! da Ihr jetzt die ganze Geschichte wisset, so laßt mich Euch ersuchen, diesen Gast zu entlassen, der, wie mich dünkt, zu jung ist, um der Insasse einer Wohnung zu sein, in der eine Dame haust. Ich will ihm den nächsten Weg zeigen, der aus der Feste führt; denn, wie die Dinge jetzt liegen, hat jeder genug mit seiner eigenen Sicherheit zu schaffen.« »Und wohin gedenkt Ihr zu gehen?« fragte die Freiin. – »Nach Straßburg, falls es Euch gefällt, und bis Tagesanbruch will ich versuchen, noch einige Geleitsmänner zusammenzubringen.« – »Und warum nach Straßburg?« »Weil ich dort Euren hochedlen Vater, den edlen Freiherrn Albert von Geierstein, treffen werde.« – »Gut,« sagte das Fräulein. »Auch Ihr, Herr Philippson, nanntet, wie mich dünkt, Straßburg als Euer nächstes Ziel. Wenn es Euch angenehm ist, so mögt Ihr bis dahin unter dem Schutze meiner Geleitsmänner reisen, Ihr wollt ja dort auch mit Eurem Vater zusammentreffen.« Man wird gern glauben, daß Arthur fröhlichen Herzens in einen Vorschlag einstimmte, der ihm Gelegenheit gab, noch länger in Annas Gesellschaft zu bleiben. Seine erhitzte Einbildungskraft spiegelte ihm vor, daß er vielleicht auf dieser mit Gefahren belagerten Straße seiner Geliebten einen Dienst würde leisten können. Itel Schreckenwald versuchte, Einwendungen zu machen. – »Fräulein! Fräulein!« rief er mit Ungeduld. – »Schöpft Atem, und gönnt Euch Ruhe, Schreckenwald,« entgegnete ihm Anna, »und Ihr werdet besser imstande sein, Euch mit geziemender Höflichkeit auszudrücken.« – Der ungeduldige Vasall murmelte einen Fluch zwischen seinen Zähnen, und antwortete mit erzwungener Höflichkeit: »Erlaubt mir, zu bemerken, daß wir genug damit zu tun haben, für Euch allein Sorge zu tragen. Wir können nicht gestatten, daß ein Fremder mit uns ziehe.« »Wenn ich wüßte,« sagte Arthur, »ich würde dieser jungen Dame und Euch nur schwerfallen, ohne Euch nützen zu können, Herr Vogt, so würde mich die ganze Welt nicht vermögen, des Fräuleins gütiges Anerbieten anzunehmen. Aber ich bin weder ein Kind noch ein Weib, sondern ein ausgewachsener Mann und bereit zu jeglichem ehrlichen Dienst, den ein beherzter Bursche leisten kann, Eure Herrin zu verteidigen.« – »Wenn wir auch Eure Tapferkeit und Euren Mut nicht in Zweifel ziehen, junger Herr,« sagte Schreckenwald, »wer bürgt uns für Eure Treue?« – »An jedem andern Orte, als hier, wäre es gefährlich, diese Frage zu tun,« entgegnete Arthur. Anna warf sich ins Mittel. »Wir müssen schnell zur Ruhe und auf Störung vorbereitet sein, vielleicht noch vorm Morgenrot. Schreckenwald, ich vertraue Eurer Fürsorge, was Wachsamkeit und Hut betrifft. Hört und merkt es Euch! es ist mein Wunsch und Befehl, daß dieser Herr Wohnung für diese Nacht hier erhält und morgen mit uns zieht. Ich werde selbst meinem Vater dafür verantwortlich sein, und Ihr habt dabei nichts zu tun, als meinen Befehlen zu gehorchen. Ich kenne diesen jungen Mann wie seinen Vater seit längerer Zeit. Auf der Reise werdet Ihr dem Jüngling höflich begegnen.« Itel Schreckenwald gab seine Zustimmung durch einen Blick voller Bitterkeit zu erkennen, der Trotz, Ingrimm, gedemütigten Stolz und widerstrebende Unterwürfigkeit ausdrückte. Dennoch unterwarf der Vogt sich und geleitete den jungen Philippson in ein anständiges Gemach, wo sich ein Bett befand, das dem Jüngling, nach der am verflossenen Tage ausgestandenen Aufregung und Erschöpfung höchst erwünscht war. Er schlief fest und tief, bis der Osten sich rötete und Schreckenwalds Stimme ihm zurief: »Auf, Herr Engländer, so Ihr Eure so prunkend angebotenen Dienste wahrmachen wollt. Es ist Zeit, im Sattel, zu sein, und auf Schlaftrunkene wird nicht gewartet,« Arthur war wach und fast in demselben Augenblicke auch gekleidet, wobei er nicht vergaß, sein Stahlhemd anzulegen. Dann eilte er, sein Roß zu holen, und indem er in die unteren Gebäude der Feste hinabstieg, um einen Weg nach dem Stalle zu suchen, flüsterte ihm Annelis Stimme leise zu: »Hierher, Herr Philippson, mein Fräulein wünscht Euch noch auf eine Minute zu sprechen.« – Zu gleicher Zeit winkte ihm das Schweizerdirnchen, in ein kleines Zimmer zu treten. Völlig zur Reise gerüstet, trat Anna von Geierstein herein. »Ich bin überzeugt,« sagte sie, »Herr Philippson wird die Gesinnungen der Gastfreundschaft – ich will sagen der Freundschaft richtig würdigen, die mich bestimmten, ihn gestern abend aus meiner Burg nicht fortschicken zu lassen und an diesem Morgen seine Gesellschaft auf dem etwas gefährlichen Wege nach Straßburg anzunehmen. An dem Tore dieser Stadt scheiden wir voneinander, ich um zu meinem, Ihr, um zu Eurem Vater zu gelangen. Von dem Augenblick hört unser Umgang auf, und wir dürfen aneinander nur noch denken, wie an verstorbene Freunde. Noch ein Wort – redet unterwegs nicht mit mir! so Ihr dies tätet, würdet Ihr mich beleidigendem Verdacht aussehen, Euch selbst aber Zwist und Gefahren zuziehen. – Lebt wohl, unsere Begleitung sitzt auf.« Sie verließ das Gemach, wo Arthur einen Augenblick in Schmerz und Betrübnis versunken stehen blieb, – »Ich kann nicht begreifen, was ihr zugestoßen ist,« sagte Anneli. »Gegen mich ist sie gütig wie immer, doch gegen alle andern spielt sie höchst nachdrücklich die Gräfin oder Freiin, und nun will sie gar noch ihre eigenen Gefühle tyrannisieren, – und – wenn dies Größe heißen soll, so will Anneli Veilchen lebenslänglich die pfennigarme Schweizerdirne bleiben; dann ist sie doch Herrin über ihre Freiheit und hat das Recht, mit ihrem Liebsten zu reden, wann sie will, so lange Religion und Mädchentugend nicht dabei vergessen werden. Doch fürchtet nichts, Arthur, denn ist sie grausam genug, Euch verlassen zu wollen, so könnt Ihr Euch auf eine Freundin verlassen, die, solange sie eine Zunge und solange Anna von Geierstein Ohren hat, ihr solche Gedanken austreiben wird.« Indem Anneli dies sprach, trippelte sie von dannen, nachdem sie zuvor unserm Philippson den Weg gezeigt hatte, auf welchem er zu den unteren Gebäuden der Feste gelangen konnte. Dort stand sein Roß unter etwa zwanzig andern Gäulen, gesattelt und gezäumt. Zwölf dieser Pferde waren mit Kriegssätteln und eisernen Stirnbändern versehen und sollten für ebensoviele, zu dem Gefolge des Arnheimers gehörigen Reitersknechte dienen, die der Vogt in Eile noch hatte herbeischaffen können. Zwei Zelter, an besseren Decken kenntlich, waren für Anna von Geierstein und ihre Zofe bestimmt. Die andern Leute des Gefolges, größtenteils Hausgesinde, hatten Gäule geringerer Gattung. Auf ein gegebenes Zeichen ergriffen die Reitersknechte ihre Lanzen und standen neben den Gäulen, bis die Frauen und die Dienerschaft aufgesessen waren; dann sprangen auch sie in den Sattel und begannen sich langsam und mit großer Vorsicht fortzubewegen, Schreckenwald führte den Vortrab, indem er Arthur Philippson neben sich reiten ließ, Anna und ihre Begleiterin befanden sich im Mitteltreffen der kleinen Schar, ihnen folgte der Zug der unbewaffneten Dienerschaft, während zwei oder drei erfahrene Reitersknechte den Nachtrab bildeten. Als der Zug sich in Bewegung setzte, fiel es Arthur sofort auf, daß die Hufe der Rosse nicht den scharfen klingenden Ton vernehmen ließen, den Eisen auf dem Stein hervorruft und als das Tageslicht zunahm, nahm er wahr, daß die Hufe und Füße aller Pferde, das seinige nicht ausgenommen, sorgfältig mit Wolle umwickelt waren, damit jedes Geräusch vermieden würde. So zogen sie dann den gewundenen Pfad von der Burg Arnheim nach dem naheliegenden Dorfe hinab, in dem jetzt die aufrührerischen Krieger des Rheingrafen hausten. Als die Arnheimer sich dem Eingange des Dorfes näherten, gab Schreckenwald ein Zeichen, Halt zu machen, dem seine Begleiter sofort Folge leisteten, dann ritt er, von Arthur Philippson begleitet, in Person voraus, um zu erspähen, ob Gefahr vorhanden sei. Beide bewegten sich mit der größten Vorsicht. Das tiefste Schweigen herrschte in den verödeten Gassen. Hie und da war ein Landsknecht zu sehen, der dem Anscheine nach Schildwacht stehen sollte, jedoch fest schlief. »Die säuischen Meuterer!« sagte Schreckenwald. »Schöne Nachtwache halten sie, und lustig wollte ich ihnen Reveille blasen, müßte ich nicht diese launische Dirne geleiten. – Bleib hier halten, Fremdling, während ich zurückreite, um die andern nachzuholen – es ist hier keine Gefahr.« Mit diesen Worten verließ Schreckenwald den Engländer, der allein in der Straße eines Dorfes, das mit Mordgesindel angefüllt war, wenn dieses vorderhand auch noch schlief, eben nicht Ursache hatte, seine Lage als angenehm anzusehen. Doch nach einigen Minuten traf Itel Schreckenwalds Schar ganz geräuschlos wieder mit ihm zusammen. Alles ging gut, bis sie das äußerste Ende des Dorfes erreichten. Der Soldat, der hier Wache stand, war zwar ebenso betrunken wie die andern, aber ein großer Pudel, der neben ihm lag, zeigte sich wachsamer. Als der kleine Zug sich näherte, erhob das Tier ein wildes Gebell, laut genug, alle Siebenschläfer im Dorfe zu erwecken. Der Posten fuhr auf und schoß, ohne recht zu wissen warum und wohin. Arthurs Pferd sank getroffen unter seinem Reiter, und als es fiel, stürzte der Reisige vor, um Arthur zu töten oder ihn zum Gefangenen zu machen, »Fort! Vorwärts! Männer von Arnheim, vorwärts! Sorgt für nichts als Eures Fräuleins Sicherheit!« rief der die Schar führende Vogt. – »Halt, befehl ich Euch! Helft dem Fremden, so Euch Euer Leben lieb ist!« sagte Anna mit einer Stimme, die, sonst sanft und milde, jetzt allen ringsumher wie eine Silbertrompete erscholl. – »Ich weiche nicht, bevor er nicht gerettet ward.« Schreckenwald hatte schon sein Roß zur Flucht gespornt: allein als er sah, daß Anna ihm nicht folgen wollte, sprengte er zurück, ergriff ein gesatteltes Pferd, das frei herumtrabte, und warf dem Engländer die Zügel zu, indem er zu gleicher Zeit seinen eigenen Gaul zwischen Arthur und den Landsknecht drängte und so den letzteren zwang, von seinem Vorhaben abzulassen. In einem Augenblick saß Philippson wieder im Sattel, ergriff eine Streitaxt, die am Sattelknopfe seines Pferdes hing, und schlug die halbtrunkene Schildwache nieder, die nochmals Hand an ihn legen wollte. Die ganze Schar galoppierte nun davon, denn es wurde im Dorfe Lärm gemacht, etliche Reisige sah man aus ihren Quartieren hervorkommen, und andere schwangen sich auf ihre Gäule. Bevor Schreckenwald und die Seinigen eine Viertelstunde Wegs zurückgelegt hatten, hörten sie den Schall von Kampfhörnern, und als sie an die Spitze eines Hügels gelangten, von wo aus man das Dorf überblicken konnte, machte der Führer, der sich jetzt zum Nachtrabe gesellt hatte, Halt, auszuschauen, was der Feind hinter ihnen vorhätte. Verwirrung und Getöse schien in den Gassen zu herrschen, jedoch setzte man ihnen nicht nach. Als sie zwei Stunden und länger geritten waren, glaubte Itel sich soweit in Sicherheit, daß er es wagte, an einem lieblichen Haine Halt machen zu lassen, wo sie sich verbergen und Roß und Reiter sich erfrischen konnten. Zu diesem Zweck hatte man Futter und Speise mitgenommen. Nachdem Itel Schreckenwald Rücksprache mit der Freiin genommen hatte, fuhr er fort, gegen den englischen Reisegefährten eine Art sauertöpfischer Höflichkeit zu äußern. Er lud ihn ein, an seiner Schüssel teilzunehmen, deren Inhalt sich freilich wenig von dem unterschied, was den übrigen Reitern gereicht wurde, die jedoch mit einem Becher besseren Weins gewürzt war. Nach kurzer Frist bestieg man wieder die Rosse und trabte so rüstig weiter, daß man lange vor Mitternacht die starke Festung Kehl auf dem östlichen Rheinufer, Straßburg gegenüber, erreichte. Es mag Ortsbeschreibern überlassen bleiben, ausfindig zu machen, ob unsere Reisenden von Kehl nach Straßburg über die berühmte Schiffbrücke ritten, die jetzt über den Strom leitet, oder ob sie auf irgend eine andere Weise über den Rhein kamen. Genug, sie erreichten wohlbehalten das jenseitige Ufer, und als sie auf der andern Seite an das Land stiegen, näherte sich Anna sogleich dem jungen Engländer, der nur allzuwohl erriet, was sie ihm sagen wollte. »Edler Fremdling,« sprach sie, »ich muß Euch Lebewohl sagen. Zuvor aber laßt mich wissen, wo Ihr Euren Vater aufzusuchen gedenkt?« – »In der Herberge zum fliegenden Hirsch,« warf Arthur hin; »allein, wo diese Herberge in dieser großen Stadt zu finden ist, weiß ich nicht,« – »Kennt Ihr sie, Itel Schreckenwald?« – »Ich, junges Fräulein? Ich? Nein! Ich weiß nichts von der Stadt Straßburg und deren Herbergen. Ich glaube, alle, die mit uns sind, wissen ebensowenig davon.« – »Ihr sprecht aber Deutsch, wie unsere Begleiter, meine ich,« sagte Anna von Geierstein trocken, »und könnt also besser Nachfrage halten als ein Fremder. Geht, Herr, und vergeßt nicht, daß Menschenliebe dem Fremdling zu erweisen eine Pflicht ist, die die Gotteslehre uns auferlegt.« Mit jenem Achselzucken, an dem man einen unfreiwilligen Boten erkennt, machte sich Itel Schreckenwald auf den Weg, Erkundigungen einzuziehen, und während seiner kurzen Abwesenheit nahm Anna die Gelegenheit wahr, unserm Arthur zuzuflüstern: »Lebt Wohl! Lebt wohl! Nehmt dieses Andenken der Freundschaft und tragt es mir zu Ehren! Seid glücklich!« Ihre zarten Finger ließen ein kleines Päckchen in seine Hand gleiten. Arthur wollte ihr danken; doch schon war sie fortgeeilt, und Schreckenwald, der neben ihm hielt, sprach in seinem rauhen Tone: »Kommt, junger Herr, ich habe Eure Herberge gefunden, aber wenig Zeit, den Zeremonienmeister bei Euch zu machen,« – Dann ritt er fürbaß, und Philippson, der im Sattel seines Kriegshengstes saß, folgte ihm schweigend bis zu einer Stelle, wo eine Straße quer vor der vorüberlief, die sie vom Stromufer heraufgekommen waren. – »Dort weht der fliegende Hirsch!« sagte Itel, indem er auf ein übergroßes Aushängeschild zeigte, das, an einem riesigen Pfahl befestigt, fast die ganze Breite der Straße einnahm. »Euer Witz kann Euch kaum verlassen, wenn Ihr solchen Wegweiser im Auge habt.« – Mit diesen Worten wendete er sein Roß und sprengte, ohne weiter Lebewohl zu sagen, zurück zu seiner Gebieterin. Achtes Kapitel In der Herberge zum fliegenden Hirsch in Straßburg wurden, wie in allen Gasthäusern im deutschen Reiche zu jener Zeit die Gäste ebenso rücksichtslos behandelt, wie in der Herberge des Johannes Mengs, Allein die Jugend und das ehrliche Aussehen des jungen Philippson, Umstände, die selten oder niemals verfehlen, da ihre Wirkung zu tun, wo es Mädchen gibt, vermochten so viel über eine kurze, derbe, blauäugige, glattwangige Jungfrau, die Tochter des Wirtes zum fliegenden Hirsch (der selber ein fetter alter Mann war und im Eichenstuhle hinterm Stubenofen faulenzte), daß sie über den Vorhof trippelte, um unserm jungen Reisenden eine unbesetzte Stallung für sein Roß anzuweisen. Sie ließ sich ferner auf Arthurs Frage nach seinem Vater noch weiter herab, indem sie sich erinnerte, daß ein Gast, wie er ihn beschrieb, die vorige Nacht in der Herberge zugebracht und hier auf einen jungen Reisegefährten wartete. »Ich will ihn Euch herausschicken, schöner Herr,« sagte die kleine Jungfer mit einem Lächeln, welches, wenn Dinge solcher Art nach ihrem seltenen Erscheinen zu würdigen sind, für unschätzbar hätte geachtet werden müssen. Die Dirne hielt Wort. Nach wenigen Minuten trat der ältere Philippson in den Stall und schloß seinen Sohn in die Arme. »Mein Sohn, mein geliebter Sohn!« sagte er, indem er seine gewöhnliche Verschlossenheit ablegte und sich dem natürlichen Gefühl der väterlichen Zärtlichkeit hingab. »Willkommen mir zu allen Zeiten – willkommen zu einer Zeit des Zweifels und der Gefahr – höchst willkommen mir in einem Augenblicke, der unser Geschick zur Entscheidung bringt! In wenigen Stunden werde ich erfahren, was wir von dem Herzoge von Burgund zu erwarten haben. – Hast Du das Zeichen?« Arthurs Hand überreichte seinem Vater das Kästchen, das zu La Ferette in so seltsamer Weise verloren gegangen und wieder herbeigeschafft worden war. »Es hat viel Gefahr überstanden, seit Ihr es nicht saht,« sagte er. »Ich fand Nachtherberge in einer Feste und sah, wie ein Troß Landsknechte in der Umgebung am Morgen wegen vorenthaltener Löhnung Meuterei anfingen. Die Bewohner der Burg entflohen, und als wir am frühen Morgen abzogen, schoß ein trunkener Bärenhäuter mir das Pferd nieder, und ich war gezwungen, dieses schwerfällige flamländische Roß mit seinem Stahlsattel und seiner groben Schabracke einzutauschen.« »Unser Pfad ist von Gefahren umringt,« sagte sein Vater. »Auch ich habe meinen Teil bekommen, indem ich in einer Herberge, wo ich die verflossene Nacht weilte, große Drangsale erduldete. (Er beschrieb sie des Näheren nicht). Allein ich zog am folgenden Morgen sogleich weiter und langte wohlbehalten hier an. Nunmehr habe ich endlich ein sicheres Geleit bekommen, das mich in das Lager des Herzogs unsern Dijon führen wird, wo ich hoffe, noch am selben Abend eine Unterredung mit dem Burgunderfürsten zu haben. Schlägt dann unsere letzte Hoffnung fehl, so wollen wir den Seehafen von Marseille aufsuchen, nach Candia oder Rhodus segeln und unser Leben dem Kampf für die Christenheit weihen, wenn wir für England zu streiten nicht imstande sein sollten.« Arthur hörte diese vielsagenden Worte, ohne darauf zu antworten, allein sie sanken ihm darum nicht minder schwer aufs Herz. In diesem Augenblick begannen die Glocken des Münsters zu läuten und erinnerten den älteren Philippson an die Pflicht, eine Messe zu hören. Wie aus innerem Antriebe folgte Arthur seinem Vater. Als sie sich dem Portal der Hauptkirche näherten, fanden sie es von Bettlern beiderlei Geschlechts belagert, die den Andächtigen reichlich Gelegenheit gaben, die Pflicht des Almosenausteilens, einen wesentlichen Teil der kirchlichen Obliegenheiten, Zu erfüllen. Die Engländer entledigten sich der zudringlichen Menge dadurch, daß sie, wie man in solchen Fällen zu tun pflegt, denen eine kleine Gabe in Kupfergeld reichten, die deren am nötigsten zu bedürfen oder der Mildtätigkeit am meisten wert zu sein schienen. Eine lange, weibliche Gestalt stand an den Stufen nahe der Pforte und streckte ihre Hand dem älteren Philippson entgegen, der, betroffen über ihr Aeußeres, die Kupfermünze, die er auch den übrigen Bettelnden gereicht hatte, mit einem Silberstück vertauschte. »Ein Wunder,« sagte die weibliche Gestalt in englischer Sprache, jedoch mit einer Stimme, die wohl nur von ihm allein gehört werden sollte, obwohl auch Arthur die Worte vernehmen konnte: »Ja, ein Wunder! Ein Engländer besitzt noch ein Silberstück und hat es übrig, um es einer Armen zu spenden!« Arthur gewahrte, wie sein Vater über die Stimme oder die Worte zu erschrecken schien, die selbst auf ihn mehr Eindruck machten, als etwa die Bemerkung irgend eines gewöhnlichen Bettlers. Doch schritt sein Vater, nachdem er einen Blick auf das Weib geworfen hatte, das ihn so anredete, vorwärts in das Schiff der Kirche und war bald beschäftigt, teil an der Messe zu nehmen, die von einem Geistlichen am Altar in einer von dem Prachtgebäude abgesonderten Kapelle gelesen wurde. Die Feier begann und endete unter allen dabei üblichen Förmlichkeiten. Der zelebrierende Priester zog sich mit den Messedienern zurück, und obgleich etliche der wenigen Andächtigen, die der heiligen Handlung beigewohnt hatten, noch blieben, ihren Rosenkranz beteten und sich ihrer Privatandacht hingaben, so verließen doch die meisten die Kapelle, um entweder zu andern Altären sich zu wenden oder zu ihren weltlichen Geschäften zurückzukehren. Arthur Philippson nahm wahr, daß, während die Andächtigen nacheinander gingen, jene hohe weibliche Gestalt, die ein Almosen von seinem Vater erhalten hatte, noch immer am Altar kniete; und noch mehr erstaunte er, als er sah, daß auch sein Vater, der, wie er wußte, aus manchen Gründen nicht mehr Zeit in der Kirche zu verwenden hatte, als seine Andachtsübung notwendigerweise erforderte, dennoch auch auf den Knien liegen blieb und seine Blicke auf der Gestalt der Verschleierten haften ließ, als ob seine Bewegungen durch die ihrigen bestimmt werden sollten. Wie unser Arthur sich auch den Kopf zerbrechen mochte, so hatte er doch nicht die leiseste Ahnung von den Absichten seines Vaters. – Er wußte nur, daß er mit einer mißlichen, gefahrvollen Unterhandlung betraut war, die nur allzuleicht von mehreren Seiten her gestört werden konnte, und daß staatsklügelnder Argwohn sowohl in Frankreich und Italien wie in Flandern so allgemein erwacht war, daß die wichtigsten Botschafter häufig die undurchdringlichste Verkleidung anlegen mußten, um ohne Verdacht in die Länder zu gelangen, wo ihre Dienste verlangt wurden. So dachte Arthur bei sich, dieses Weib könne vielleicht solch ein verkleideter Sendbote sein, und er nahm sich vor, seines Vaters Benehmen gegen diese sonderbare Bettlerin zu beobachten und sein eigenes Tun danach zu bestimmen. Neuer Glockenschall verkündete, daß eine noch feierlichere Messe vor dem Hochaltar des Münsters selbst gehalten wurde, und entzog vollends der Kapelle alle Beter, die vor dem Altäre des heiligen Georg gekniet hatten. Nur die Philippsons, Vater und Sohn, und die weibliche Gestalt blieben zurück. Als der letzte der Messehörenden sich entfernt hatte, erhob sich das Weib und näherte sich dem älteren Philippson, der die Arme über der Brust kreuzte, das Haupt beugte und in einer Stellung des Gehorsams stehen blieb, die sein Sohn früher nie an ihm wahrgenommen hatte. So schien er zu erwarten, was sie ihm zu sagen hätte, und nicht den Mut zu haben, sie anzureden. Es entstand eine Pause. Vier Ampeln, die vor dem Altarbild standen, verbreiteten matten Schein. Sonst war die Kapelle nur düster von der Herbstsonne erhellt, die kaum einen Weg durch das bunte gegitterte Fensterchen finden konnte. Das Licht fiel schaurig auf die etwas gebeugte, verkümmerte Gestalt des Weibes und auf den traurig und besorgt niederbückenden Vater und dessen Sohn, der mit allem Eifer der Jugend außerordentliche Ergebnisse von einer so seltsamen Begegnung erwartete und voraussah. Die weibliche Gestalt trat dem Vater Philippson ganz nahe, als wollte sie sich ihm verständlich machen, ohne den leisen Ton ihrer Stimme zu erhöhen. – »Betet Ihr hier,« sprach sie, »zu dem heiligen Georg von Burgund oder zu dem Sankt Georg des fröhlichen Englands, der Blume der Ritterschaft?« – »Ich verehre,« sagte Philippson, indem er andächtig die Hände vor der Brust faltete, »den Heiligen, dem diese Kapelle geweiht ist, und die Gottheit bete ich an, bei welcher ich seine heilige Fürsprache so hier, wie in meinem Vaterlande hoffe.« »Und auch Ihr,« sprach die weibliche Gestalt, »auch Ihr könnt vergessen – Ihr, eben Ihr, der Ihr zu der Blüte der Ritterschaft gezählt wurdet – Ihr könnt vergessen, daß Ihr in dem königlichen Tempel zu Windsor als kniegegürteter Ritter gebetet habt, wo Könige und Prinzen mit Euch beteten – Ihr könnt das vergessen – und hier an fremdem Altare Gebete zum Himmel schicken, gleich einem armseligen Bauer, der um Brot und Lebensunterhalt für den Tag fleht?« »Lady,« versetzte Philippson, »in meinen stolzesten Stunden war ich vor dem Wesen, dem ich hier meine Gebete darbringe, nur ein Wurm im Staube. – In seinen Augen bin ich jetzt weder mehr noch minder, wie gering auch meine Mitmenschen von mir denken mögen.« – »Es ist gut, daß Du Dich damit trösten kannst,« sagte die Verhüllte. »Doch was ist auch Dein Verlust, verglichen mit dem meinigen?« – Sie legte die Hand an die Stirn und schien auf einen Augenblick von peinigenden Erinnerungen überwältigt. Arthur drängte sich an seines Vaters Seite und fragte in einem teilnehmenden Ton, den er kaum zu unterdrücken vermochte: »Vater, wer ist die Dame? Ist es meine Mutter?«– »Nein, mein Sohn,« antwortete Philippson; »still bei allem, was Dir heilig und wert ist!« Wie flüsternd Frage und Antwort auch gesprochen wurden, so hörte die sonderbare Gestalt doch beide: »Ja,« sprach sie, »junger Mann – ich bin – ich sollte sagen, ich sei – Eure Mutter; die Mutter, die Beschützerin alles dessen, was edel in England ist, ich bin Margaretha von Anjou,« Arthur sank nieder auf seine Knie vor der hochherzigen Witwe Heinrichs VI., die so lange Zeit hindurch und unter so verzweifelten Umständen durch unerschütterlichen Mut und tiefe Staatsklugheit die verlorene Sache ihres schwachen Gemahls aufrecht erhalten hatte. Arthur war in inniger Anhänglichkeit an das jetzt entthronte Haus Lancaster auferzogen worden, dem sein Vater stets aufs treueste beigestanden, und im Kampfe für dieses Haus hatte er seine frühsten Waffentaten vollführt. Mit einer seinem Alter und seiner Erziehung völlig entsprechenden Schwärmerei warf er augenblicklich sein Barett auf das Steinpflaster und kniete zu den Füßen seiner unglücklichen Monarchin. Margaretha zog den Schleier zurück, der ihre edlen, majestätischen Gesichtszüge verbarg, die – obschon Ströme von Tränen ihre Wangen gefurcht hatten – obschon Sorge, Mißgeschick, häuslicher Kummer und gedemütigter Stolz das Feuer ihrer Augen verlöscht und die sanfte Würde ihrer Stirne verwischt hatten, dennoch Spuren jener Schönheit zeigten, die einst in ganz Europa für unvergleichlich gegolten hatte. Die Niedergeschlagenheit, von der nach einer Reihe von Unglücksfällen und vereitelten Hoffnungen diese beklagenswerte Fürstin fast stets beherrscht war, schwand für einen Augenblick vor der schwärmerischen Ergebenheit des schönen Jünglings. Sie reichte ihm die Hand, die er mit Zähren und Küssen bedeckte, während sie ihm mit der andern voll mütterlicher Zärtlichkeit die Ringellocken streichelte. Mittlerweile warf sein Vater die Pforte der Kapelle zu und stellte sich mit dem Rücken dagegen, als wollte er es verhüten, daß irgend ein Fremder Zeuge eines so außerordentlichen Auftrittes würde. »Du also,« sagte Margarethe in einem Tone, in welchem weibliche Zartheit seltsam mit dem ihrem Range natürlichen Stolze kämpfte und sich doch zugleich die ruhige, ergebungsvolle Gleichgültigkeit ausdrückte, die ihr nach so hartnäckigem Mißgeschick zu eigen geworden war – »Du also, wackerer Jüngling, bist der einzige Sprößling des edlen Stammes, von welchem so mancher schöne Ast für unsere hoffnungslose Sache fallen mußte? Ach! ach! Was kann ich für Dich tun? Margarethe hat nicht einmal einen Segen zu spenden; sie vermag nichts, als auf Dich hinzublicken und Dir Kraft zu wünschen, Deinen baldigen, völligen Untergang zu ertragen. Ich – ich bin der verhängnisvolle Giftbaum gewesen, dessen Aushauch all die schönen Pflanzen welken und hinsterben ließ, die neben mir und um mich her blühten; ich war es, die Tod über jeden brachte, und die doch selbst den Tod nicht zu finden vermag!« – »Edle und königliche Herrin! sagte der ältere der beiden Engländer, »laßt Euren fürstlichen Mut, der so Namenloses ertrug, nicht ermatten; jetzt nicht, wo die Not vorüber und mindestens Hoffnung auf bessere Zeit für Euch und England vorhanden ist!« »Für England und für mich, edler Oxford?« fragte die unglückliche und verwitwete Königin. »Könnte die Sonne des morgenden Tages mich selbst wieder auf den Thron Englands setzen, vermöchte sie mir wohl damit zurückzugeben, was ich verlor? Nicht spreche ich von Reichtum und Macht – sie sind nichts im Vergleiche mit dem, was ich meine. – Nicht rede ich von den Anhängern und edlen Freunden, die zu meiner und ihrer eigenen Verteidigung fielen – nicht also von einem Somerset, einem Percy, Stafford und Clifford; sie haben ihren rühmlichen Platz in der Chronik des Vaterlandes gefunden; nicht erwähne ich meines Gemahls, denn er hat den Stand eines auf Erden duldenden Heiligen mit dem eines glorreichen Heiligen im Himmel vertauscht. – Aber o, Oxford! Mein Sohn! Mein Eduard! Ist es mir möglich, auf diesen Jüngling zu blicken und nicht daran zu denken, wie Deine Gattin und ich in einundderselben Nacht jede einen schönen Knaben das Licht der Welt erblicken ließen? Wie oft bemühten wir uns, der Söhne kommendes Geschick voraus zu erkennen und uns einzureden, daß das gleiche Gestirn, das auf ihre Geburt herabgeleuchtet habe und nun auf ihr folgendes Leben Einfluß haben müsse, sie in freundschaftlicher, gleichgestimmter Neigung einem glückseligen, ehrenvollen Ziele zuführen würde! Ach, Oxford, Dein Sohn Arthur lebt; aber mein Eduard, der unter den gleichen Zeichen geboren war, füllt ein blutiges Grab!« Sie hüllte ihr Haupt in ihren Schleier, als ob sie die Klagen und Seufzer ersticken wollte, in die ihr Mutterherz bei diesen grausamen Erinnerungen ausbrach, Philippson, oder der verbannte Graf von Oxford, wie wir ihn jetzt nennen mögen, der sich in diesen wechselvollen Zeiten durch seine standhafte Vasallentreue gegen das Haus Lancaster auszeichnete, sah ein, daß es töricht wäre, der Schwäche seiner Monarchin noch Vorschub zu leisten. – »Königliche Herrin,« sprach er, »das Leben gleicht einem kurzem Wintertage und verrinnt, gleichviel, ob wir die Zeit, die es uns darbietet, benutzen oder nicht. Meine Monarchin, hoffe ich, ist zu sehr Beherrscherin ihrer selbst, als daß sie sich durch Klagen über das, was vorüber ist, der Macht berauben möchte, die Gegenwart zu nützen. Ich bin hier, um Eurem Befehl zu gehorchen; ich soll des ehesten den Herzog von Burgund sehen, und so ich ihn irgend dem Antrage geneigt finde, den ich ihm zu machen habe, so möchte wohl Eure gegenwärtige Trauer in Freude verwandelt werden. Doch müssen wir unsere Gelegenheit mit Eile und mit Eifer nützen. Laßt mich also wissen, meine Königin, um welcher Ursache willen Ew. Majestät verkleidet hierher kam und sich dadurch nicht geringer Gefahr aussetzte.« »Ihr spottet meiner, Oxford,« sagte die unglückliche Königin, »oder Ihr irrt Euch, wenn Ihr meint, Ihr dientet noch jener Margarethe, deren Wort nie ohne Grund gesprochen, deren kleinste Handlung nie ohne wichtige Ursache geschah. Ach! ich bin nicht mehr das nämliche feste, entschlossene Wesen. Der fieberhafte Zustand meines Kummers hat dem des Hasses bei mir weichen müssen und hat mich mit ohnmächtigem, ungeduldigem Grimm erfüllt. Meines Vaters Haus ist sicher, wie Du weißt, allein, kann eine Seele, wie die meinige sich damit zufrieden geben? Kann eine Frau, die des edelsten und reichsten Königreichs in Europa beraubt wurde, eine Frau, die ihre edelsten Freunde verlor – eine Frau, die eine verwitwete Gattin, eine kinderlose Mutter ist – eine Frau, über die der Himmel die volle Schale seines unversöhnlichen Zornes ausgeschüttet hat – kann sie es über sich vermögen, die Gefährtin eines Greises zu sein, der in Sonetten und Harfenklängen, in Mummenschanz und Torheit, in Zitherspiel und Reimgetön einen Trost für all das findet, was Armut Betrübendes hat, ja, was noch mehr ist, für all das, was lächerlich und verächtlich ist?« – »Mit Gunst, meine Königin,« sagte Oxford, »tadelt nicht den guten König René, weil er, verfolgt vom Geschick, imstande war, bescheidene Quellen des Trostes sich zu öffnen, die Euer stolzeres Gemüt verschmäht. Eine Blumenkrone, von seinen Troubadours geflochten und von ihren Sonetten geweiht, ist ihm genügender Ersatz für die Diademe von Jerusalem, Neapel und beiden Sizilien, von denen er nichts als den leeren Titel besitzt.« – »Redet mir nicht von dem bemitleidenswerten Greise,« sagte Margarethe. »Ich sage Dir, edler Oxford, fast wahnsinnig bin ich geworden in dem jämmerlichen Kreise, den er seinen Hof nennt! Mein Ohr, nur den Tönen der Betrübnis zugewendet, ist der klimpernden Harfen, der kreischenden Geigen, der klappernden Castagnetten müde; meine Augen sind der bettelhaften Hofhaltung überdrüssig. Aller Adel, alle Größe ist dahin, und die Nichtigkeiten, die an ihre Stelle traten, widern mich an. Nein, Oxford, ist es mein Geschick, auch noch den letzten Glückswurf zu verlieren, der sich mir günstig zu bieten scheint, so will ich mich in das ärmlichste Kloster auf den Pyrenäenbergen zurückziehen, um wenigstens nicht mehr die schwachsinnige Fröhlichkeit meines Vaters mitanzusehen. Möge er aus unserm Gedächtnis schwinden, wie er aus dem Buche der Geschichte schwindet, in das sein Name nimmer aufgenommen wird. Wichtigeres habe ich Euch zu sagen und von Euch zu hören. – Und jetzt, Oxford, was für Nachrichten habt Ihr aus Italien? Will der Herzog von Mailand uns mit seinem Rate oder mit seinen Schätzen beistehen?« »Mit seinem Rate gern, edle Königin, allein wie Ihr denselben benutzen wollt, weiß ich nicht, da er uns anempfiehlt, uns unserm hoffnungslosen Geschicke zu unterwerfen und uns demutsvoll dem Willen der Fürsorgung zu fügen.« »Der elende Italiener! Will er nicht einen Teil seines Reichtums vorstrecken oder einer Freundin Beistand leisten, der er früher so oft Treue geschworen hat?« – »Selbst nicht die Diamanten, die ich in seine Hände zu legen mich erbot,« versetzte der Graf, »vermochten ihn, seine Schatzkammer aufzuriegeln, um uns mit Goldstücken zu unserm Unternehmen zu versehen. Doch, sagte er, wenn Karl von Burgund ernstlich daran denken sollte, zu Euren Gunsten etwas zu unternehmen, so würde er bei seiner Hochachtung für diesen Fürsten und seinem Mitgefühl für Eure Majestät dem Gedanken, einen Vorschuß zu gewähren, vielleicht näher treten.« – »Doch wie steht es mit Burgund? Ich habe mich hierher gewagt, um Euch zu sagen, was ich erfuhr, und Euren Bericht zu vernehmen – ein treuer Wächter sorgt dafür, daß wir hier nicht unterbrochen werden. Meine Ungeduld, Euch zu sehen, trieb mich an, in dieser niedrigen Verkleidung hieherzukommen. Ich habe eine kleine Wohnung in einem Kloster unweit der Stadt. Ich ließ Eure Ankunft durch den treuen Lambert beobachten und komme jetzt, Eure Hoffnungen und Besorgnisse zu vernehmen, und Euch die meinigen mitzuteilen.« »Königliche Frau,« sagte der Graf, »ich habe den Herzog nicht gesehen. Ihr kennt seine eigensinnige, heftige und unnahbare Gemütsart. Wenn er sich jener gelassenen, ausharrenden Staatsklugheit befleißigt, die in diesen Zeitläufen geboten ist, so zweifle ich nicht, daß er volle Entschädigung von Ludwig, seinem geschworenen Feinde, und selbst von Eduard, seinem ehrgeizigen Schwager erhalten wird. Doch wenn er übertriebenen leidenschaftlichen Aufwallungen freien Lauf läßt, so wird er in Zwist mit den armen, aber kühnen Helvetiern geraten, der leicht größeren Umfang annehmen kann. Er kann dabei durchaus nichts gewinnen, sondern läuft nur Gefahr, die schwersten Verluste zu erleiden.« »Zuverlässig wird er,« sprach die Königin, »dem Usurpator Eduard nicht vertrauen, da dieser eben den größten Verrat an seinem Bündnisse begeht.« – »In welcher Hinsicht, edle Frau?« versetzte Oxford, »Die Nachricht, aus die Ihr anspielt, ist mir nicht kund geworden.« – »Wie, Lord? Soll ich denn die erste sein, die Euch sagt, daß Eduard von York mit einem größeren Heer herübergekommen ist, als selbst mein Schwiegervater, der berühmte Heinrich der Fünfte, jemals nach Frankreich oder Italien führte?« – »Wenigstens horte ich, daß man solches erwartete,« sagte Oxford, »und ich war sogleich der Meinung, daß dies unserer Sache nachteilig wäre.« – »Eduard ist angekommen,« sagte Margarethe, »und der Verräter und Usurpator hat Ludwig von Frankreich aufgefordert, ihm die Krone dieses Landes als sein Eigentum auszuliefern – eben die Krone, die auf dem Haupte meines unglücklichen Gemahls glänzte, als er als Kind noch in der Wiege lag.« »So ist es denn entschieden, – die Engländer sind in Frankreich,« antwortete Oxford im Tone der schwersten Besorgnis. – »Und wer begleitet Eduard auf diesem Zuge?« – »Alle – alle bittersten Feinde unseres Hauses und unserer Sache. Der falsche, verräterische, ehrlose Georg, den er Herzog von Clarence nennt – der Blutsäufer Richard – die schwelgerischen Hastings – Howard – Stanley – kurz, all jene Verräter, die ich nicht nennen mag! es wäre denn, daß meine Verwünschung sie hinwegraffen könnte von der Oberfläche der Erde.« »Und – ich zittre zu fragen,« sprach der Graf, – »bereitet Burgund sich, die Engländer als Kampfgenossen zu begrüßen und gemeinschaftliche Sache mit ihnen gegen Ludwig von Frankreich zu machen?« – »Meinen Nachrichten zufolge,« versetzte die Königin, »und diese sind so geheim wie zuverlässig und werden überdies durch das allgemeine Gerücht bestätigt, – nein, mein teurer Oxford, nein!« »Mögen die Heiligen drob gepriesen sein!« antwortete der Graf. »Eduard von York, ich will auch dem Feinde nichts Uebles nachreden, – ist ein verwegener, furchtloser Feldherr – allein, er ist weder Eduard III., noch der heldenmütige schwarze Prinz. – Auch nicht jener fünfte Heinrich von Lancaster, unter welchem ich meine Sporen verdiente. Mag Eduard ohne den Beistand Burgunds, auf den er gerechnet hat, gegen Frankreich zu Felde ziehen! Ludwig ist zwar kein Held, aber er ist ein vorsichtiger, gewandter Heerführer und in diesen staatsklügelnden Zeiten vielleicht sehr zu fürchten. Doch welche Schritte tat Burgund?« »Er hat Deutschland bedroht,« sagte Margarethe, »und seine Scharren überfluten jetzt Lothringen, wo er die bedeutsamsten Städte und Festen wegnahm.« – »Wo ist Ferrand de Vaudemont – ein Jüngling voll Mut und Unternehmungsgeist? Man sagte, er wolle im Namen seiner Mutter Yolanda von Anjou, Eurer Schwester, seine Rechte auf Lothringen geltend machen,« – »Entflohen,« versetzte die Königin, »nach Deutschland oder in die Schweiz.« – »Burgund mag vor ihm auf der Hut sein,« sagte der erfahrene Graf, »denn sollte der enterbte Jüngling Verbündete unter den kecken Schweizern finden, so dürfte dem Burgunder in ihm ein furchtbarer Feind erwachsen. Wir sind gegenwärtig nur stark durch des Herzogs Stärke, und wird diese in müßigen und schwankenden Anstrengungen vergeudet, so schwinden, ach! unsere Hoffnungen mit seiner Macht; selbst wenn wir ihn geneigt fänden, uns beizustehen. Meine Freunde in England sind entschlossen, nur mit Burgunds Beihilfe sich zu erheben,« »Dies ist nicht das schlimmste,« sagte Margarethe. »Mehr fürchte ich die Staatsklugheit Ludwigs, der, so meine Späher mich nicht gröblich täuschten, wirklich schon dem Usurpator Eduard einen geheimen Frieden antrug! indem er große Summen anbot, um England für die Partei der Yorks zu erkaufen und eine siebenjährige Waffenruhe zu erlangen.« – »Es kann nicht sein,« sagte Oxford, »Er sollte, wo er ein so großes Heer befehligt, sich ans Frankreich zurückziehen wollen, ohne den Versuch zu machen, seine verlorenen Provinzen wiederzugewinnen.« »Das tut diesem Eduard nichts,« sagte Margarethe, »der fälschlich Plantagenet genannt wird und wohl ebenso niedrig von Gemüt wie von Geblüt ist, da man sagt, daß sein wirklicher Vater ein Bogenschütz Blackburn aus Middleham war. Er wird nicht ruhig schlafen, bevor er nicht heimgekehrt sein wird nach England mit jenen Mordgenossen, die ihm die gestohlene Krone schützen sollen. Er wird sich in keinen Krieg mit Ludwig einlassen, und Ludwig wird nicht anstehen, seinen Stolz zu demütigen, seinen Geiz zu füttern und seine wollüstige Verschwendungssucht durch Goldsummen zu sättigen. So fürchte ich sehr, das englische Heer wird Frankreichs Buden mit dem eitlen Ruhme verlassen, sein Panier für etliche Wochen lang noch einmal in den Provinzen aufgepflanzt zu haben, die es vormals sein eigen nannte.« – »Um so mehr sei es an uns, den Burgunder rasch zur Entscheidung zu bringen,« versetzte Oxford, »und zu diesem Zweck eile ich nach Dijon. Ein Heer, wie die Scharen Eduards wird in Frankreich überwintern müssen, selbst wenn es Waffenstillstand mit dem König Ludwig schließt. Mit tausend hennegauischen Lanzen kann ich aber bald im Norden Englands sein, wo wir, außer der Zusicherung von Schottlands Hilfe, noch manche Freunde haben. Der treue Westen wird sich auf ein verabredetes Zeichen erheben – die Einwohner von Wales werden sich auf das Losungswort Tudor vereinen, die rote Rose erhebt noch einmal ihr Haupt, und somit erhalte Gott den König Heinrich!« »Ach,« sagte die Königin – »aber nicht meinen Gemahl, nicht meinen Freund – nur den Sohn meiner Schwiegermutter von einem wallischen Häuptling – kalt, wie es hieß, und listig – allein es sei so! Wenn nur Lancaster triumphiert und sich an York rächt, so will ich zufrieden sterben!« – »So kann ich also die Anerbietungen machen, zu denen Ew. Majestät mich früher ermächtigten, um Burgund für unsere Sache zu gewinnen? Erfährt Karl etwas von der vorgeschlagenen Waffenruhe zwischen Frankreich und England, so wird der Stachel um so tiefer dringen.« – »Versprecht alles,« entgegnete die Königin. »Ich kenne das Innerste dieses Herzogs – es ist nur auf Besitzerwerb nach allen Seiten hin gerichtet. Deswegen hat er Gelder weggenommen – deswegen überflutet und besetzt er jetzt Lothringen – deswegen girrt er nach den armseligen Resten der Provence, die mein Vater noch die seinigen nennt. Bei so vermehrtem Besitztum gedenkt er seinen Herzogsmantel gegen die Krone eines unabhängigen Monarchen zu vertauschen. Sagt ihm, Margarethe könne seinen Absichten förderlich werden – sagt ihm, mein Vater René werde seine Staaten ihm in dem Augenblick abtreten, wo seine Hennegauer sich nach England einschiffen, so Karl nur ein mäßiges Jahresgehalt gewährt, um eine Anzahl Geiger und eine Schar Mohrentänzer zu unterhalten; denn diese bilden Renés sämtliche irdischen Bedürfnisse. Die meinigen sind noch geringer – Rache an York und ein Grab! Was das elende Gold betrifft, dessen wir bedürfen, so hast Du Juwelen zu verpfänden – was die übrigen Bedingungen anbelangt, so kann allenfalls Bürgschaft geleistet werden.« »Was dies betrifft, hohe Frau, so kann ich zu Eurem Königsworte noch ein Ritterwort geben; und wird mehr verlangt, so soll mein Sohn als Geisel in Burgund bleiben.« – »O, nein, nein!« rief die Königin, vielleicht von dem einzigen zärtlichen Gefühle ergriffen, das in ihrem übermäßigen Unglück noch nicht ganz erstickt worden war. »Setzt nicht das Leben des edlen Jünglings aufs Spiel – er ist der letzte des treuen, anhänglichen Hauses De Vere – er sollte der Waffenbruder meines geliebten Eduard sein und wäre fast sein Genoß in einem frühzeitigen blutigen Grabe geworden! Verwickelt dieses arme Kind nicht in die Staatsränke, die seiner Familie so verhängnisvoll wurden. Laßt ihn mit mir ziehen! Ihn mindestens will ich schirmen vor Gefahr, so lange ich lebe, und ihn versorgt wissen, wenn ich nicht mehr sein werde,« »Vergebt mir, Königin,« sagte Oxford, mit jener ihn stets auszeichnenden Bestimmtheit: »mein Sohn ist freilich ein De Vere, und vielleicht der Letzte seines Namens. In welche Gefahren Pflicht und Lebenstreue ihn auch rufen, seien es Gefahren vor Schwert und Lanze, vor Beil und Hochgericht – frei muß er ihnen die Stirn zeigen, wenn er seine Treue dadurch bewähren kann. Seine Ahnen haben ihm gezeigt, wie man allen solchen Gefahren Trotz bieten kann.« – »Wahr, wahr!« sagte die unglückliche Königin, indem sie heftig die Arme emporstreckte. »Alle mußten umkommen – alle, die das Haus Lancaster ehrten – alle, die Margarethe liebten, alle, die sie geliebt hat! Die Vertilgung muß allgemein werden – die Jünglinge müssen fallen, wie die Greise – kein einziges Lamm der zerstreuten Herde soll entrinnen.« – »Um Gottes willen, hochherzige Frau,« sagte Oxford, »beruhigt Euch! – Ich höre an die Tür pochen.« »Das Zeichen zum Aufbruch,« sagte die verbannte Königin, indem sie sich sammelte. »Wir dürfen nicht zaudern. Laßt uns hier scheiden – Ihr geht nach Dijon, ich nach Aix, meinem ruhelosen Aufenthalte in der Provence. Lebt wohl! – Möchten wir uns zu besserer Stunde wiedersehen! – Hoffnung ist eine Pflanze, die aus einer edlen Brust nicht eher ausgerottet werden kann, bis das Brechen der letzten Herzensfiber sie vertilgt.« Indem sie so sprach, schritt sie durch die Tür der Kapelle, und mischte sich in das Gewühl von Menschen, die teils beteten, teils ihre Neugier befriedigten, teils ihre müßigen Stunden in den Gängen des hohen Münsters verschlenderten. Philippson und dessen Sohn, beide tief ergriffen von dem seltsamen Zusammentreffen, kehrten in ihre Herberge zurück, wo ihrer ein Knappe harrte, der Burgunds Farben und Zeichen trug und ihnen berichtete, daß, so sie die englischen Kaufleute wären, die wertvolle Waren an den Hof des Herzogs brächten, er den Auftrag hätte, ihnen Geleit und Unverletzlichkeit zuzusichern. Unter dem Schutze dieses herzoglichen Dieners brachen unsere Reisenden von Straßburg auf. Am Abend des zweiten Tages erreichten sie die Ebene von Dijon, wo die ganze Heeresmacht des Burgunder Fürsten, oder doch der größte Teil, ihr Feldlager aufgeschlagen hatte. Neuntes Kapitel Der altere Philippson war an den Anblick kriegerischen Glanzes gewöhnt; dennoch war er fast geblendet von dem Reichtum und der Pracht des burgundischen Lagers, in dem unweit der Mauern von Dijon Karl, der wohlhabendste Fürst Europas, seine Prachtliebe entfaltete. Die Zelte der geringsten Hauptleute waren von Seide und Samt, während die des Adels und der Oberanführer in Silber und Goldstoff erglänzten. Reiterei und Fußvolk hatte die reichsten, prunkendsten Rüstungen an. Ein schöner, überaus zahlreicher Geschützzug war nahe am Eingange aufgestellt, und in dem Befehlshaber dieses Zuges erkannte Philippson (um dem Grafen De Vere von Oxford seinen Reisenamen zu lassen, an den unsere Leser gewöhnt sind) einen Engländer von niederer Herkunft, Heinrich Colvin, der sich durch seine Geschicklichkeit in der Lenkung dieser furchtbaren, erst jüngst zum Kriegsgebrauch erfundenen Werkzeuge auszeichnete. Die Paniere und Fähnlein, die jeder Ritter aufgesteckt hatte, wehten über den Zelten, und die Einwohner dieser wandelbaren Behausungen saßen am Eingange halb gerüstet und schauten dem Ringen, Springen und anderen athletischen Uebungen der Söldner zu. Lange Reihen der edelsten Rosse sah man stampfend und mähneschüttelnd dastehen, oder man hörte sie wiehern über den Krippen, die reich gefüllt vor ihnen standen. Die Kriegsknechte, bildeten heitere Gruppen um die Minnesänger und wandernden Gaukler her oder hielten Zechgelage vor den Zelten der Marketender. Inmitten dieses blendenden Wirrwarrs kriegerischer Rüstungen erreichten die Reisenden endlich das Zelt des Herzogs. Im Abendscheine flatterte das breite, reiche Panier, auf dem die Wappenschild eines Fürsten erglänzten, der ein Herzog von sechs Provinzen, ein Herr von fünfzehn Grafschaften und vermöge seiner Macht, seiner Gesinnungen und seiner stets vom Glück begleiteten Unternehmungen, der allgemeine Schrecken Europas war. Die Engländer wurden sofort höflich aufgenommen, doch nicht in solchem Maße, daß die allgemeine Aufmerksamkeit auf sie gelenkt worden wäre. Man führte sie in das angrenzende Zelt eines Oberhauptmanns, das zu ihrem Aufenthalt bestimmt worden war und wo ihnen Erfrischungen aller Art geboten wurden. Nicht lange währte es, so wurden sie vor den Herzog befohlen, und der ältere Philippson wurde durch einen Seiteneingang in das herzogliche Zelt geführt. Das Zelt war im Innern schlicht, fast armselig eingerichtet, so prunkvoll es auch von außen erschien. Auf dem Tische lagen ausgediente Bürsten und Kämme, abgetragene Hüte und Wämser, Hundekoppeln, Ledergürtel und andere dergleichen Dinge; dazwischen aber, wie zufällig, der große Diamant, Sanci genannt, die drei Rubinen, die die drei Brüder von Antwerpen hießen – noch ein großer Diamant, die sogenannte Leuchte von Flandern, nebst mehreren Edelsteinen von geringerem Werte und minder großer Seltenheit. Diese sonderbare Zusammenwürflung glich einigermaßen dem Charakter des Herzogs selbst, der Grausamkeit mit Gerechtigkeit, Seelengröße mit Kleinlichkeit, Sparsamkeit mit Verschwendung und Freigebigkeit mit Geiz paarte. Der Herzog begrüßte den englischen Reisenden mit den Worten: »Willkommen, Herr Philippson, der Ihr von einer Nation seid, deren Handelsleute Fürsten und deren Krämer Mächtige dieser Erde sind. Mit welcher neuen Ware wollt Ihr uns jetzt prellen?« – »Keine neuen Waren, mein hoher Herr,« antwortete der Engländer, »bringe ich mit, sondern nur die, die ich Euer Hoheit schon vorigesmal zeigte. Ich lege Sie Euch nochmals vor, in der Hoffnung, sie möchten Euer Hoheit beim zweiten Anblick annehmlicher erscheinen.« – »Gut so, Sir – Philipville, glaub ich, nennt man Euch? Entweder seid Ihr ein einfältiger Kaufmann, oder Ihr haltet mich für einen törichten Käufer, daß Ihr mir eben die Waren aufzuhalsen gedenkt, die mir schon einmal nicht gefielen. Eure Lancasterwaren haben ihre Zeit hinter sich. York ist jetzt Mode.« »Bei dem Pöbel muß es so sein,« sagte der Graf von Oxford, »allein für Seelen, wie Eure Hoheit, sind Treue, Ehre und Lehensanhänglichkeit Juwelen, die weder wechselnde Laune noch Wandelbarkeit des Geschmackes außer Mode bringen kann.« – »Nun, es mag sein, edler Oxford,« sagte der Herzog, »daß ich im Innersten meines Gemütes diese altmodisch gewordenen Gegenstände immer noch wertschätze. Doch meine Lage ist sehr heikel, und sollte ich in dieser Krisis einen falschen Schritt tun, so könnten die Pläne, denen ich mein ganzes Leben gewidmet habe, scheitern. Hört mir zu, Herr Handelsmann! Da ist hier Euer alter Nebenbuhler Blackburn herübergekommen, den einige Eduard von York und London nennen, mit einer Kriegerschar, wie man sie seit König Arthurs Zeiten in Frankreich nicht mehr gesehen hat, und ladet mich ein, gemeinsam mit ihm gegen meinen verächtlichsten, hartnäckigsten Feind, den König von Frankreich zu ziehen, mich loszumachen von den Ketten des Vasallentums und zum Range des unabhängigen Fürsten aufzusteigen. Ich frage nun Dich, als einen Ehrenmann, welche Einwürfe Du gegen den mir gemachten Vorschlag erheben kannst? Sage Deine Meinung frei heraus!« »Ich weiß, Euer Hoheit hält alles für leicht ausführbar, was Ihr einmal beschlossen habt. Jedoch obwohl diese fürstliche Sinnesart in etlichen Fällen sehr förderlich sein mag, es auch oft schon gewesen ist, so ist manchmal doch solches Beharren auf einem Vorsätze, bloß um der Beharrlichkeit willen, Veranlassung nicht zum Siege, sondern zum Untergange. Betrachtet daher dieses englische Heer! der Winter nähert sich – wo soll es unterkommen? wie soll es sich ernähren? von wem soll es besoldet werden? Soll Eure Hoheit etwa alle Kosten und Mühseligkeiten der Ueberwinterung bis zum Sommerfeldzug tragen? Ich gebe zu, es sind Männer, die die besten Streiter der Welt abgeben; allein noch sind sie es nicht, erst müßten sie auf Eurer Hoheit Kosten dazu erzogen werden. Und was geschieht weiter? Ihr zieht nach Paris, verleiht der angemaßten Macht Eduards ein zweites Königreich, setzt ihn wieder ein in alle die Besitztümer, die England je in Frankreich sein nannte, die Normandie, Maine, Anjou und die Gascogne. Dürft Ihr diesem Eduard dann noch trauen, wenn Ihr ihn auf diese Weise stärker gemacht habt, als es bis jetzt Ludwig ist, den Ihr gemeinsam mit England zu Boden strecken wollt?« »Beim St. Georg, ich will Dir reinen Wein einschenken! Ueber eben diesen Punkt hege ich auch mein Bedenken, Eduard ist zwar mein Schwager, allein ich bin ein Mann, der wenig Lust hat, den Kopf unter meines Weibes Gürtel zu verbergen. Und Familienliebe? – Possen! sie mag warm sitzen am Herde eines Bürgersmannes; jedoch auf die Schlachtgefilde, in die Halle der Fürsten, wo die Winde kalt wehen, kann sie nicht kommen. Nein, meine Verwandtschaft mit Eduard dürfte mir zur Zeit der Not wenig helfen. Aber er führt Krieg gegen König Ludwig, und wer von beiden auch siegen mag, ich werde durch ihre beiderseitige Schwächung stärker und ziehe stets den Vorteil daraus.« »Und wenn mittlerweile Eure Hoheit sich herablassen will, die ehrenvollste Sache, für die jemals ein Ritter die Lanze einlegte, durch eine mäßige Geldsumme und tausend Hennegauische Landsknechte zu unterstützen, so möchten diese in ihrem Dienste Ruhm und Glücksgüter ernten und den geschmähten Erben von Lancaster wieder in sein angestammtes, rechtmäßiges Eigentum einsetzen.« »Trefflich, Herr Graf,« sagte der Herzog, »kommt Ihr sofort auf den Hauptpunkt; aber wir haben so manchem Strauß zwischen York und Lancaster zugesehen und sind noch nie ins klare darüber gekommen, welcher Sache der Himmel und die Liebe des Volkes das Recht zusprechen. Ihr seid verschmitzte Gesellen, Ihr Engländer beider Parteien, doch weder York noch Lancaster, weder Bruder Blackburn noch Base Margarethe von Anjou und John de Vere als ihr Geleitsmann sollen mich hinter das Licht führen. Man lockt keinen Habicht mit leeren Händen. Wenn es sich darum handelt, Krontaler hinzuzählen und große Geschwader einzuschiffen, da müssen wir unseren Untertanen erkleckliche Gründe vorzulegen haben, da müssen wir selber Gründe haben, die das allgemeine Wohl oder, was dasselbe ist, unsern persönlichen Vorteil angehen. Das ist der Weltlauf, und, Oxford, die Wahrheit zu sagen, ich denke, diesem Laufe mich anzuschließen!« »Der Himmel verhüte, daß ich erwarte, Eure Hoheit würden die Rücksicht auf Eure Untertanen und auf die Vermehrung Eurer eigenen Macht und Herrschaft außer acht lassen. Das Geld, das wir begehren, soll kein Geschenk, sondern eine Anleihe sein, und Margarethe ist bereit, diese Juwelen, deren Wert Eurer Hoheit bekannt sein wird, so lange dagegen zu verpfänden, bis die Summe zurückgezahlt ist, die Eure Freundschaft ihr in ihrer Bedrängnis zugestehen will.« – »Ha! Ha!« sagte der Herzog, »will meine Base einen Pfandverleiher aus uns machen, daß wir nachher mit ihr wie ein jüdischer Wucherer mit seinem Gläubiger zu verfahren hätten? – Doch in der Tat, Oxford, möchten wir dieser Diamanten bedürfen, denn ich muß vielleicht selbst Geld aufnehmen, um meiner Base in ihren Nöten beizustehen. Legt die Juwelen einstweilen auf den Tisch. Und dann sprecht, wird dieser irrende Ritterzug, den Ihr mir vorschlagt, mir nicht etwa Verlust bringen?« – »Verlust?« entgegnete Oxford. »Gewinn vielmehr! Hat Eure Hoheit noch nie an die Provence gedacht?« »Die Provence?« versetzte der Herzog lebhaft, »kann ich doch keine Apfelsine verzehren, ohne mich an die duftenden Wälder und Haine voll Oliven und Zitronen und Granatäpfel in der Provence zu erinnern! Noch Schande wäre es, den alten König René, den harmlosen Greis, aufzuscheuchen; auch würde das einem nahen Verwandten übel anstehen. Dann ist er der Ohm Ludwigs und hat höchst wahrscheinlich, indem er seine Tochter hintansetzt, oder vielleicht weil er ihr Ludwig vorzieht, den König von Frankreich zu seinem Erben ausersehen.« – »Besseres Recht dürfte Eure Hoheit darauf haben,« sagte der Graf von Oxford, »sobald Ihr Margarethe von Anjou den durch mich erbetenen Beistand angedeihen laßt.« – »Nimm hin den Beistand, den Du begehrst,« erwiderte der Herzog, »nimm hin den doppelten Betrag in Kriegsvolk und in Gelde! Nur laß mich auf die Provence ein Recht haben, wäre es auch noch so klein wie ein einziges Haar auf dem Kopfe der Königin Margarethe, und gönne mir Muße, es zu einem vierfachen Kabeltaue zu drehen. Doch ich bin ein Tor, daß ich den Träumen eines Mannes Gehör gebe, der selbst zugrunde gerichtet ist und wenig dabei verlieren kann, wenn er andere in überspannte Hoffnungen wiegt.« – Karl atmete tief und wechselte die Farbe, als er sprach. »Ich bin kein solcher Mann, mein Herr Herzog,« sagte der Graf. »Hört mich – René wird gebeugt von der Last der Jahre, liebt nichts als Ruhe und trägt Verlangen, seinem Lande zu entsagen, ja, allem, was er wirklich besitzt! das heizt auch, den weitläufigeren Staaten, die zu fordern er das Recht hat, die jedoch seinem Scepter entzogen wurden.« – »Ihr raubt mir den Atem!« sagte der Herzog. »René der Provence entsagen! Und was spricht Margarethe, die Stolze, hochherzige Margarethe dazu? Wird sie in ein so demütigendes Tun willigen?« »Für das Glück, Lancaster in England triumphieren zu sehen, würde sie nicht bloß der Herrschaft, sondern dem Leben entsagen. Und in Wahrheit, das Opfer ist leichter, als es scheinen mag. Gewiß ist es, daß, wenn René stirbt, der König von Frankreich die Provence als männliches Lehen zurückbegehren wird, und keiner ist stark genug, dagegen Margarethens Ansprüche, wie rechtmäßig sie auch sein mögen, zu schützen.« – »Sie sind rechtmäßig,« sprach der Herzog, »das ist unleugbar. Ich will nichts von einer Herausgabe hören – das heißt, wenn es dereinst in unsere Hände wird gegeben sein. Burgund mit der Provence vereinigt – ein Besitztum, das von der Nordsee bis zum Mittelländischen Meer reicht! Oxford, Du bist mein besserer Engel!« – »Eure Hoheit muß jedoch erwägen,« sagte Oxford, »daß dem König René ehrenvoller Unterhalt dafür – gewährt werden muß!« »Gewiß, Mann! Er soll ihn haben! Soll ein Schock Fiedler und Gaukler haben, die ihm vom Morgen bis in die Nacht vorsingen. Er soll einen Hofhalt von Troubadours haben, die alle nichts tun sollen, als trinken und essen, pfeifen und geigen. Und auch Margarethe soll ehrenvoll bedacht werden, ganz wie Ihr festsetzen werdet.« »Das wird bald getan sein,« antwortete der englische Graf. »Glückt unser Versuch in England, so wird sie keine solche Unterstützung von Burgund nötig haben. Mißlingt unser Vorhaben, so zieht Margarethe sich in ein Kloster zurück, und nicht lange Zeit wird sie alsdann des Unterhaltes bedürfen, den Euer Hoheit Großmut Ihr, wie ich überzeugt bin, gern anweisen wird.« Mit diesen Worten legte der Graf von Oxford dem Herzog eine Schrift vor und erklärte ihm den Plan des Feldzuges, der durch einen allgemeinen Aufstand der Freunde des Hauses Lancaster unterstützt werden sollte: ein Plan, den man wohl kühn bis zur Verwegenheit nennen dürfte; doch war er so wohl ersonnen und so kunstvoll gefügt, daß er in jenen Zeiten flugschneller Umwälzungen und unter einem Heeerführer von Oxfords kriegerischer Geschicklichkeit und staatskluger Einsicht starke Wahrscheinlichkeit eines glücklichen Ausganges in sich trug. – Wählend Herzog Karl über die, Einzelheiten einer seiner eigenen Gesinnung zusagenden Unternehmung nachsann, während er im Geiste die Beleidigungen überzählte, die er von seinem Schwager Eduard IV. erlitten hatte, und die gegenwärtige günstige Gelegenheit erwog, ausgiebige Rache zu nehmen, zumeist aber des reichen Länderzuwachses gedachte, der ihm durch die Abtretung der Provence zuteil würde, ermangelte der Engländer nicht, eindringlich zu betonen, daß man keine Zeit verlieren dürfe. »Die Ausführung dieses Planes,« sprach er, »verlangt die größte Eile. Um auf einen glücklichen Ausgang hoffen zu können, muß ich mit Eurer Hoheit Hilfskriegern in England sein, bevor Eduard von York aus Frankreich dahin zurückkehren kann.« – »Und da unser werter Bruder einmal herüber gekommen ist, wird er so hurtig nicht wieder umkehren. Er wird mit schwarzäugigen Französinnen und am rubinfarbenen Weine Frankreichs sich vergnügen.« – »Herr Herzog, laßt mich auch vom Feinde Wahrheit reden! Eduard ist träg und wollüstig, wenn alles gut steht; doch laßt ihn den Sporn der Notwendigkeit fühlen, so wird er eifrig wie ein stampfender Hengst. Auch Ludwig, dem es selten an Mitteln zu seinen Zwecken fehlt, wird den englischen König so bald wie möglich wieder über das Meer schaffen wollen – deswegen ist Hurtigkeit, edler Herr, Hurtigkeit die Seele Eures Unternehmens. Verzeiht, edler Herr, die Ungeduld eines Unglücklichen, der, dem Ertrinken nahe, dringend um Beistand nachsucht. – Wann ziehen wir zur Anordnung dieser wichtigen Maßregel gegen Flanderns Küste?« »Nun, binnen vierzehn Tagen oder vielleicht binnen einer Woche, oder, mit einem Worte, sobald ich eine gewisse Rotte von Dieben und Wegelagerern gezüchtigt habe, die gleich dem Schaum auf dem Kessel stets oben schwimmen, sich aus ihren Bergfesten zwischen den Alpen hervorgemacht und von dort aus unsere Grenze mit Schleichhandel, Raub und Gewalttat verletzt haben.« – »Euer Hoheit meint die Schweizer Eidgenossenschaft?« – »Ei, die Bauernlümmel legen sich dergleichen Namen selbst bei. Sie sind freigelassene Sklaven von Oesterreich, und gleich einem Fanghunde, dessen Kette zerriß, benutzten sie ihre Freiheit, um niederzubeißen und zu zerzausen, was ihnen in den Weg kommt.« »Ich reiste durch ihr Land, als ich Italien verlassen hatte,« sagte der verbannte Graf, »und wie ich hörte, hatten die Kantone die Absicht, Gesandte an Eure Hoheit zu schicken, um Frieden zu erbitten.« – »Frieden!« rief Karl, – »Eine eigene Art friedlichen Verfahrens haben diese sogenannten Abgesandten bewiesen! Sie benützten die Meuterei der Bürger zu La Ferette, der Grenzstadt meiner Lande, erstürmten die Wälle, ergriffen Archibald von Hagenbach, der an meiner Stelle dort befehligte, und töteten ihn auf öffentlichem Markt. Solche Schmachtat muß bestraft werden, Herr Johann de Vere, und ich habe schon Befehl erteilt, diese elenden Landstreicher, die sich Abgeordnete nennen, aufzuknüpfen.« – »Um Gottes willen!« rief der Engländer, indem er sich zu Karls Füßen warf. – »Um Eures eigenen Ranges willen, edler Herzog, um des Friedens der Christenheit willen widerruft solchen Befehl, wenn er wirklich schon erteilt wurde! hört mich, Herr Herzog! Ich bin eine Strecke weit mit diesen Männern zusammengereist,« – »Ihr!« sprach der Herzog; »Ihr ein Genoß der edlen Schweizerbauern? So hat Mißgeschick den Stolz des englischen Adels herabgebracht, daß er sich solche Reisegefährten sucht?« – »Der Zufall führte mich mit ihnen zusammen,« sagte der Graf. »Etliche unter ihnen sind edler Geburt und überdies Männer, für deren friedfertige Gesinnungen ich mich selbst zum Bürgen anzubieten wage.« »Bei meiner Ehre, Mylord von Oxford, Ihr erzeigt ihnen, wie mir nicht minder, viele Gnade, daß Ihr Euch zum Vermittler zwischen den Schweizern und mir macht. Gestattet mir zu sagen, daß in Rücksicht auf frühere Freundschaft ich Euch von Euren eigenen englischen Angelegenheiten sprechen ließ. Doch dünkt mich, daß Ihr Eure Meinung über Gegenstände sparen könnt, die Euch nichts angehen!« »Mein Herr Herzog von Burgund,« versetzte Oxford, »ich zog einst mit Euch nach Paris und hatte das gute Glück, Euch im Treffen bei Mont L'Hery zu befreien, als französische Gewappnete Euch hart bedrängten.« »Wir haben es nicht vergessen,« sagte der Herzog Karl, »und des zum Zeichen haben wir Euch jetzt gestattet, so lange vor uns zu weilen. Doch geschah dies nicht, um Euch Gelegenheit zu lassen, eine Rotte von Schelmen zu verteidigen, die für den Galgen bestimmt sind.« – »Mein hoher Herr! Ich bitte um ihr Leben nur, weil sie in friedlicher Botschaft hierhergekommen sind und mindestens die Führer unter ihnen keinen Teil an dem Verbrechen haben, worüber Ihr Euch beklagt.« Mit ungleichen Schritten ging der Herzog, heftig bewegt, auf und ab, die großen Brauen tief über die Augen herabgezogen, die Hände geballt, die Zähne zusammengebissen, bis er endlich seinen Entschluß gefaßt zu haben schien. Er läutete mit einer silbernen Handklingel, die auf dem Tische stand. »Hierher, Contay,« sagte er zu dem eintretenden Kämmerer. »Sind jene Schweizer schon hingerichtet?« – »Euer Hoheit, nein! allein der Henker wartet ihrer, sobald der Priester ihre Beichte gehört haben wird.« – »Laßt sie am Leben!« sagte der Herzog, »wir wollen morgen hören, auf welche Weise sie es anfangen, ihr Verfahren gegen uns zu rechtfertigen.« Contay verbeugte sich und ging hinaus; dann sagte der Herzog, indem er sich an den Engländer wendete. »Wir haben nun unsere Verbindlichkeit gegen einander ausgeglichen, Mylord von Oxford – Ihr habt Leben für Leben – ja, sogar sechs Leben für ein einziges erhalten. Ich werde Euch also keine Aufmerksamkeit mehr schenken, so es Euch nochmals einfallen sollte, mir mein strauchelndes Pferd bei Mont L'Hery oder Eure Tat bei dieser Gelegenheit vorzuhalten. Die meisten Fürsten begnügen sich damit, im geheimen diejenigen Menschen zu hassen, die ihnen außerordentliche Dienste leisteten – ich hege solche Gesinnung nicht – ich verabscheue es nur, daran erinnert zu werden. Pah! ich bin halb erstickt über der Anstrengung, meinen einmal gefaßten Beschluß umzustoßen. Nun nichts mehr davon. Gute Nacht! Begebt Euch in Colvins Zelt. Er hat Auftrag, Euch zu bewirten. – Contay, führe diesen Engländer zu Colvin!« »Haltet zu Gnaden, hoher Herr,« antwortete Contay, »ich ließ den Sohn des Engländers schon bei dem General.« – »Was, Deinen Sohn, Oxford? Und er ist mit Dir hier? Warum sprachest Du mir nicht von ihm? Ist er ein wackerer Sprößling des uralten Baumes?« – »Es ist mein Stolz, solches zu glauben, Herr Herzog. Er ist der treue Genoß aller meiner Fährlichkeiten und Wanderungen gewesen.« – »Glücklicher Mann!« rief Karl mit einem Seufzer aus. »Ihr, Oxford, habt einen Sohn, der Eure Armut und Eure Bedrängnis mit Euch teilen kann. Ich habe keinen, der Teilnehmer und Erbe meiner Größe sei.« Zehntes Kapitel Colvin, der englische Geschützhauptmann, dem der Herzog von Burgund bei glänzendem Sold und Unterhalt die Sorge für diesen Teil seiner Heeresmacht vertraute, empfing den Engländer mit all der Hochachtung, die dessen Range gebührte. Er selbst war ein Anhänger der Lancaster-Partei gewesen und folglich den Männern wohlgeneigt, die jenem Hause trotz aller Schicksalsschläge die Treue wahrten. Ein Mahl, an welchem der Sohn schon Anteil genommen hatte, wurde dem Grafen durch Colvin angeboten, dann geleitete der General seine Gäste in denjenigen Teil des Zeltes, der für sie allein bestimmt war. »Und jetzt, Arthur,« sagte sein Vater, »laß mich Dir sagen, daß wir noch einmal scheiden müssen. Du mußt an den Hof des Königs René ziehen, wo unsere unglückliche Königin weilt. Ich wage es nicht, Dir in diesem Lande der Gefahr einen geschriebenen Bericht mitzugeben; allein sage ihr, der Herzog von Burgund sei nicht abgeneigt, sich mit ihr zu vereinbaren. Sage ihr, daß ich wenig Zweifel hege, er werde uns die begehrte Hilfe angedeihen lassen, jedoch nicht, ohne daß sie und der König René zu seinen Gunsten entsagen müssen. Sage ihr, ich würde nimmer solches Opfer angeraten haben, wenn es bloß den Sturz des Hauses York gälte; ich sei jedoch überzeugt, daß Frankreich oder Burgund nach ihres Vaters Tode doch die Besitzungen an sich reißen würden, die sie zu seinen Lebzeiten nur ungern noch verschonen. Fordere daher die Königin Margarethe auf, so sie ihre Willensmeinung nicht geändert hat, die förmliche Abdankung des Königs René zu erhalten, so daß er mit ihrer Majestät Zustimmung seine Staaten dem Herzoge von Burgund überläßt. Der notwendige Unterhalt des Königs, so wie seiner königlichen Tochter soll ganz nach Gefallen festgesetzt oder die Summe offen gelassen werden. Ich kann es der Großmut des Herzogs zutrauen, daß er diese Summe geziemend ausfüllen werde. Alles, was ich fürchte ist, daß Karl verwickelt ist in –« »In irgend einen törichten Kriegszug, der zu seiner Ehre und zur Ehre seiner Untertanen notwendig ist,« rief eine Stimme hinter der Leinwand des Zeltes– »und darüber mehr auf seine Angelegenheiten als auf die unsrigen acht haben wird. Wie nun, Herr Graf?« In demselben Augenblicke wurde der Vorhang zurückgezogen, und es trat ein Mann ein, der Wams und Mütze eines gemeinen Wallonen trug, in dem Oxford jedoch augenblicklich die scharfen Züge und brennenden Augen des Herzogs von Burgund erkannte. Arthur, der den Herzog nicht kannte, starrte den Eindringenden an, und fuhr mit der Hand nach dem Dolche; doch sein Vater gab ihm ein Zeichen, innezuhalten. Er sah mit Verwunderung, mit welch feierlicher Ehrfurcht der Graf den zudringlichen Kriegsmann empfing. Das erste Wort setzte ihn über die Sache ins klare. »Wenn Ihr durch diese Verkleidung meine Treue prüfen wolltet, edler Herzog, so erlaubt mir zu sagen, daß es ganz überflüssig war.« – »Ei, Oxford,« entgegnete der Herzog, »ich war ein höflicher Spion, denn ich horte in dem Augenblicke auf, ein Horcher an der Wand zu sein, wo ich Ursache hatte zu vermuten, daß Ihr etwas Nachteiliges über mich sagen würdet.« – »So wahr ich ein echter Ritter bin, Herr Herzog, wärt Ihr hinter der Leinwand geblieben, so würdet Ihr nur dieselben Wahrheiten gehört haben, die ich in Eurer Hoheit Gegenwart zu wiederholen bereit bin.« – »So sprich sie denn aus! Die Leute lügen es in den Hals hinein, wenn sie sagen, daß Karl von Burgund sich jemals durch den Rat eines wohlmeinenden Freundes beleidigt gefühlt hätte.« »Ich würde also gesagt haben,« versetzte der englische Graf, »Margarethe von Anjou hätte vor allem zu fürchten, der Herzog von Burgund könnte, um vermeintliche Beleidigungen zu rächen, zuvörderst einen Kriegszug gegen die Schweiz unternehmen, über die einen wesentlichen Vorteil zu erringen ihm nicht gelingen wird. Die Schweizer wohnen zwischen Felsen und Einöden, die fast unzugänglich sind, und nähren sich auf so rohe Weise, daß der ärmste Eurer Untertanen, Herr Herzog, bei solcher Lebensart verkommen würde. Von der Natur sind sie gleichsam geschaffen, die Kriegsbesatzung der Bergfesten abzugeben, die ihnen zur Wohnung angewiesen wurden.– Laßt Euch um des Himmels willen nicht mit ihnen ein, sondern geht edleren und wichtigeren Plänen nach, ohne ein Nest von Hornissen zu stören, die, einmal aufgeschreckt, Euch bis zum Rasendwerden stechen möchten.« Der Herzog hatte Geduld angelobt und bemühte sich, Wort zu halten; doch seine geschwollenen Gesichtsmuskeln, seine blitzenden Augen zeigten, wie große Anstrengung es ihn kostete, seinen Grimm zu unterdrücken. »Ihr seid falsch berichtet, Mylord,« sagte er. »Diese Menschen sind nicht friedsame Hirten und Bauern, wie Ihr wähnt. Stolz auf etliche Siege über das gierige Oesterreich, haben sie alle Hochachtung vor Macht und Ansehen abgeschüttelt, nehmen eine Miene von Unabhängigkeit an, schließen Verbündungen, überfallen und erstürmen Städte, verurteilen und köpfen die Männer von edler Geburt nach ihrem Gefallen. Eben dieselben unruhigen, treulosen und unversöhnlichen Feinde wie die Schotten gegen England, sind die Schweizer für Burgund und dessen Bundesgenossen. Was sagt Ihr? Kann ich eher etwas Wichtiges unternehmen, als bis ich den Hochmut dieses Volkes zertreten habe? Auch wird es nur das Werk weniger Tage sein. Mit meinem Stahlhandschuh will ich all jenen Schneckenklee und Stechdorn der Gebirge zu packen wissen. Doch um all Eure Bedenklichkeiten zum Schweigen zu bringen, laßt mich Euch sagen, daß dieses Volk durch Mithilfe und Beistand eine der gefährlichsten Verschwörungen in meinen Staaten unterstützt. Gebt acht! Ich sagte Euch, daß mein Vogt Archibald von Hagenbach ermordet wurde, als die Stadt La Ferette von diesen friedliebenden Schweizern, wie Ihr sie nennt, verräterischerweise überfallen wurde. Und hier ist eine Pergamentrolle, die mir kundmacht, daß mein Vogt nach Urteil und Spruch des Femgerichts geköpft worden, das aus einer Rotte im Finstern schleichender Meuchler besteht, denen ich nimmermehr Sitzung zu halten in meinen Staaten gestatten will! O, könnt ich sie nur fassen! Sie sollten erfahren, was das Leben eines Edelmannes wert ist! Da leset nur die Frechheit in ihrer Kundmachung.« Das Pergament erklärte unumwunden, daß Archibald von Hagenbach wegen verübter Tyrannei, Gewalttat und Erpressung von der heiligen Feme zum Tode verurteilt und von den Schöffen der Feme, die dafür dem heiligen Gerichte verantwortlich wären, hingerichtet worden sei. Die Urkunde war mit roter Tinte unterzeichnet und trug die Zeichen des Femgerichtes, nämlich Strang und Dolch, in ihrem Siegel, – »Diese Beglaubigungsschrift war mit einem Messer auf meinem Tisch angeheftet,« sagte der Herzog, »wieder ein Streich, der beweist, wie trefflich sie ihr mörderisches Gaukelwesen in Geheimnis zu hüllen wissen!« Bei der Erinnerung an das, was ihm im Verließ unter dein Hause des Gastwirtes Johann Mengs begegnet war, überlief den braven Engländer unwillkürlich ein Schauder. »Um aller Heiligen des Himmels willen,« sagte er, »unterlaßt es, o Herr, von dieser furchtbaren Feme zu reden, deren Werkzeuge über, unter und neben uns sind! Kein Mann ist seines Lebens sicher, wie geschützt er sich auch wähne! Ihr seid umringt von Deutschen, Italienern und anderen Fremden.– Wie viele unter diesen mögen mit der Feme verknüpft sein! Edler Fürst, als Freund Eures ???Hlluses muß ich Euch, wäre es auch mit dem letzten Hauche meines Lebens, sagen, daß die Schweizer gleich einer Schneelawine über Euch hängen und jener geheime Bund unter Eurem Boden Euch bedroht, gleich den ersten Stößen eines herannahenden Erdbebens. Ruft nicht auf zum Kampfe, so werden die Schneemassen auf den Gebirgen ruhig bleiben, der Qualm unterirdischer Gluten beschwichtigt in der Tiefe lagern; allein ein einziges Wort des Trotzes oder ein einziger Blick entwürdigenden Hohnes möchte ihre Schrecknisse in Tätigkeit versetzen.« »Ihr sprecht,« sagte der Herzog, »von einem Rudel nackter Schufte und einer Rotte mitternächtiger Meuchler mit mehr Scheu, als ich jemals in Zeiten der Gefahr an Euch wahrnahm. Doch will ich Euren Rat nicht verspotten – ich will die Schweizer Abgesandten ruhig anhören und, so ich es vermag, die Verachtung nicht blicken lassen, die ich gegen ihre Anmaßung hegen muß. Ueber die geheimen Verbindungen will ich schweigen, bis die Zeit mir Mittel an die Hand gibt, mit dem Kaiser und dem deutschen Reichstage vereint, gegen sie vorzugehen. Nun, Herr Graf, war das gut gesprochen?« – »Es war wohlbedacht, Herzog, doch zur Unzeit gesprochen. Ihr seid in einer Lage, in der ein einziges Wort, von einem Verräter erlauscht, Euch Tod und Verderben bereiten kann.« »Ich bin von keinen Verrätern umgeben,« sagte Karl, »Könnte ich's denken, daß deren in meinem Lager wären, so möchte ich lieber gleich von ihren Händen sterben, als in immerwährendem Schrecken und Verdacht leben.« – »Euer Hoheit erprobteste Diener,« bemerkte der Graf, »reden ungünstig von dem Grafen von Campobasso, dem italienischen General, der bei Euch so hoch in Gnaden steht.« – »Mißtrauischer Tor!« rief der Herzog. »Soll ich Dir das Geheimnis dieses Campobasso aufdecken? Wisse denn, Du ungläubiger Sterblicher, daß mein guter Freund und Bruder Ludwig von Frankreich mir durch keinen geringeren Mann, als durch seinen Bartscherer Oliver le Diable, geheime Kunde sandte, es hätte Campobasso gegen eine gewisse Summe Geldes sich erboten, mich lebend oder tot in des Königs Hände zu liefern. – Ihr erstarrt?« »In der Tat erstarre ich, wenn ich bedenke, wie Eure Hoheit gewohnt ist, leicht bewaffnet auszureiten, von nur wenigen begleitet, die Vorposten zu besuchen oder die Feinde zu beobachten, und wie leicht dann solch verräterischer Anschlag zur Ausführung gebracht werden kann.« – »Possen!« antwortete der Herzog. »Du siehst die Gefahr als wirklich vorhanden an, da doch nichts gewisser sein kann, als daß, wenn mein Vetter von Frankreich jemals solches Anerbieten erhielt, er der letzte wäre, der mich auf solchen Anschlag aufmerksam machen würde. Nein – er kennt den Wert, den ich auf Campobassos Dienste lege, und schmiedete jene Anklage, um mich eines so tüchtigen Dieners zu berauben.« – »Und dennoch,« sprach der englische Graf, »wolle Eure Hoheit meinen Rat hören, nie die kugelfeste Rüstung abzulegen und, wenn Ihr ausreitet, stets einige Dutzend Eurer wallonischen Krieger mitzunehmen.« »Nun gut, ich will auf meiner Hut sein. Und Ihr, junger Mann, versichert meiner Base Margarethe von Anjou, daß ich Ihre Sache wie die meinige führen werde. Auch bedenkt, junger Mann, daß die Geheimnisse der Fürsten verfängliche Mitteilungen sind, wenn der, dem sie gemacht wurden, sie ausplaudert hingegen, daß sie dem Hüter, der sie sorglich in sich verschließt, Reichtum bringen. – Du sollst Ursache haben, meine Worte für wahr zu halten, so Du mir von Aix die Entsagung, von der Dein Vater sprach, überreichen kannst.–Gute Nacht, gute Nacht!« – Er verließ das Zelt. »Du hast,« sagte der Graf von Oxford zu seinem Sohne, »nun diesen außerordentlichen Fürsten kennen gelernt. Es ist leicht, seinen Ehrgeiz, seinen Durst nach Macht rege zu machen; jedoch fast unmöglich, ihn auf die richtigen Grenzen zu beschränken, durch die sie am besten befriedigt werden können. Er gleicht stets dem jungen Bogenschützen, dem das Ziel in dem Augenblicke, wo er die Sehne anzieht, durch eine am Auge vorüberziehende Schwalbe entrückt wird. Bald beleidigend argwöhnisch – bald unverzeihlich leichtsinnig in seinem Vertrauen – noch vor kurzer Zeit der Feind des Hauses Lancaster, – jetzt dessen letzte einzige Hoffnung. Gott bessere alles!« – Elftes Kapitel Die Morgendämmerung erweckte den verbannten Grafen von Lancaster und dessen Sohn, und das Tageslicht ward kaum am östlichen Himmel sichtbar, als ihr Wirt Colvin mit einem Begleiter eintrat, der etliche Bündel trug, die er auf den Boden niederlegte, um sich dann sogleich zu entfernen. Des Herzogs Wachthabender meldete, daß er mit einem Auftrage Karls von Burgund käme. »Seine Hoheit,« sprach er, »hat vier starke junge Leibjäger geschickt, die den jungen Herrn von Oxford zu begleiten haben. Ferner sendet ihm der Herzog diese gefüllte Geldbörse, um seine Ausgaben bis Aix und seinen Aufenthalt daselbst zu bestreiten, und ein Beglaubigungsschreiben an den König René, um dem jungen Herrn guten Empfang zu sichern. Auch ein paar Pferde stellt Seine Hoheit dem jungen Herrn zur Verfügung. – Es wird geraten sein, daß der junge Herr eine seinem Range besser entsprechende Kleidung anlege. Seine Begleiter kennen die Wege und haben im Notfalle die Vollmacht, in des Herzogs Namen von allen treuen Burgundern Beistand zu fordern. Ich habe nur noch hinzuzufügen, daß der junge Herr sobald wie möglich abreisen soll.« Nicht ohne inneres Wohlgefallen legte der Jüngling ein seiner Geburt geziemendes Gewand an, doch mit noch tieferer Empfindung, wenngleich hastig und heimlich, schlang er um seinen Nacken und verbarg unter dem Koller und den Falten seines geschmückten Wamses eine kleine, dünne goldene Kette, die, wie man es nannte, von maurischer Arbeit war. Diese Kette war der Inhalt des Päckchens, welches Anna von Geierstein ihm beim Abschiede vor Straßburg in die Hand gedrückt hatte. An dem Kettlein hing eine dünne Goldplatte, in die mit einer Messerspitze oder mit einer Haarnadel auf der einen Seite in deutlichen, wenn auch feinen Zügen die Worte: »Lebwohl für immer!« auf der Rückseite aber minder lesbar die Worte: »Vergiß mein nicht! A. v. G.« – eingeritzt waren. Fast tonlos segnete der Vater seinen Sohn und sprach mit wiedergewonnener Festigkeit, daß zur Sache selbst nichts weiter zu sagen wäre. »So Du mir die Abdankung bringen kannst, deren wir bedürfen,« flüsterte er ihm zuletzt zu, »so wirst Du mich in der Nähe des Herzogs von Burgund finden.« Schweigend schritten sie aus dem Zelte und fanden vor demselben die vier burgundischen Leibjäger, schlanke und rüstige Männer, wohl beritten. Sie hielten zwei Sattelpferde, eines kriegerisch ausgerüstet, das andere ein munterer Klepper zur Reise; einer der Jäger führte noch ein Saumroß, bepackt mit Kleidungsstücken, damit Arthur in Aix mit der nötigen Toilette versehen sei, wie Colvin ihm noch erklärte, indem er die vom Herzog geschickte Goldbörse aushändigte. – »Theobald,« sprach Colvin dann, indem er auf den ältesten der begleitenden Reiter deutete, »dürfte Euer Vertrauen verdienen – ich bürge für seine Einsicht und Treue. Die drei andern sind ausgesuchte Männer, die allewege ihren Mann stehen.« – »Noch ein Wort,« sprach dann der Vater und flüsterte Arthur, als dieser sich über den Sattel seines Pferdes beugte, noch rasch ins Ohr: »Wenn Du einen Brief von mir empfängst, so denke nicht, Du seiest mit dem Inhalte völlig bekannt, bis Du das Papier über ein heißes Feuer gehalten hast.« Arthur nickte, winkte nochmals dem Vater und dem ehrlichen Colvin ein Lebewohl zu und ritt mit seinen Begleitern im Trabe davon. Während der Graf noch wie ein Träumender dastand und sinnend seinem Sohne mit den Augen folgte, tat Trompetengeschmetter kund, daß der Herzog mit seinem Gefolge und seiner Dienerschaft sich zu Roß setzte. Philippson, wie er noch immer genannt sei, hatte im Namen des Herzogs ein stattliches Pferd erhalten, und gesellte sich samt Colvin zu der glänzenden Versammlung, die sich vorm Zelte des Herzogs aufstellte. Nach wenigen Minuten trat der Fürst heraus, angetan mit der prächtigen Kleidung des Ordens vom Goldenen Vließ, dessen Stifter sein Vater Philipp gewesen war, und der jetzt in Karl seinen mächtigsten Beschützer und ersten Ritter hatte. Mehrere seiner Höflinge trugen dasselbe reiche Gewand und zeigten mit ihren Knappen und Knechten so viel Wohlhabenheit und Prunk, daß sie gar wohl die allgemeine Rede bestätigten, der Herzog von Burgund unterhalte den prachtvollsten Hof in der ganzen Christenheit. Zu feierlichem Zuge gereiht, dessen Nachtrab von einer aus zweihundert Arkebusierern bestehenden Leibwache gebildet wurde, verließen der Herzog und sein Gefolge die Schranken des Lagers und zogen hinab gegen Dijon, das damals Hauptstadt von ganz Burgund war. Als die Drommeten des herzoglichen Zuges die Bürgerwache am St. Nikolaus-Tore aufgefordert hatten, fiel die Zugbrücke; das Fallgitter hob sich, das Volk brach in Freudengeschrei aus, die Fenster wurden mit Teppichen behangen, und als Karl inmitten seines Gefolges und auf einem milchweißen Hengste, von sechs Edelknaben begleitet, deren jeder eine vergoldete Partisane trug, in die Stadt einritt, bewies der Jubel, der ihm von allen Seiten entgegenscholl, daß er noch immer beim Volke sehr beliebt war. Auch bleibt es wahrscheinlich, daß die Verehrung, die sich an seines Vaters Andenken knüpfte, für lange Zeit der ungünstigen Stimmung die Wage hielt, die etliche Handlungen Karls in weiten Kreisen seiner Untertanen erweckt haben mochten. In der Mitte der Stadt Dijon hielt der Zug vor einem großen gotischen Gebäude. Dieses hieß damals das herzogliche Haus und wurde nach der Vereinigung Burgunds mit Frankreich das königliche Haus genannt. Der Maire von Dijon harrte auf den Stufen des Palastes, begleitet von seinen Amtsdienern und einhundert waffentüchtigen Bürgern in schwarzen Sammtmänteln und mit Halbpiken in der Hand. Der Maire beugte das Knie, um des Herzogs Steigbügel zu küssen, und in dem Augenblicke, wo Karl vom Rosse stieg, begannen alle Glocken in der Stadt so donnernd zu läuten, daß die Toten davon hätten erweckt werden mögen, die in der Nähe der Kirchtürme schlummerten. Unter diesem betäubenden Begrüßungsgeläut trat der Herzog in die große Halle des Gebäudes, in deren obern Ende für den Monarchen ein Thron, für die ausgezeichneteren Staatsdiener und Kronvasallen Sitzplätze, für Personen von geringerer Bedeutung Bänke aufgestellt waren. Auf einer von diesen Bänken, jedoch an einer Stelle, von wo er die ganze Versammlung und auch den Herzog selbst ins Auge fassen konnte, wies Colvin dem Engländer seinen Sitz an, und Karl, dessen reges, ernstes Auge rasch die Anwesenden, nachdem diese sich gesetzt hatten, überblickte, schien durch ein unmerkliches Kopfnicken sein Einverständnis mit dieser Anordnung zu erklären. Als der Herzog und seine Begleiter sich gesetzt hatten, näherte der Maire sich abermals auf die bescheidenste Weise, kniete auf der untersten Stufe des herzoglichen Thrones nieder und fragte, ob Seiner Hoheit Muße es gestattete, die Einwohner der Hauptstadt anzuhören, die ihrem anhänglichem Eifer für seine erlauchte Person Worte zu verleihen gedächten. Zugleich bat er, das Willkommengeschenk anzunehmen, das er in Gestalt eines mit Goldstücken gefüllten silbernen Trinkgeschirres namens der Bürger und Gemeinde von Dijon zu Seiner Erlaucht Füßen niederzusehen sich erlaube. Karl, der zu keiner Zeit sich sonderlicher Höflichkeit befleißigte, antwortete kurz und derb und mit einer von Natur rauhen, mißklingenden Stimme: »Jedes Ding nach seiner Reihe, guter Herr Maire. Laßt uns erst vernehmen, was uns die Stände von Burgund zu sagen haben, dann wollen wir die Bürger von Dijon hören.« – Der Maire erhob sich und wich zurück, indem er den Silberbecher in der Hand behielt, wahrscheinlich verdrossen und verwundert, daß des Gefäßes Inhalt nicht augenblicklich gnädige Aufnahme gefunden hätte. – »Ich erwarte,« sagte Karl, »zu dieser Stunde und an diesem Orte von unseren Ständen Antwort auf eine ihnen vor drei Tagen durch unsern Kanzler eingereichte Botschaft. Ist niemand von ihnen zugegen?« Als keiner Miene machte zu antworten, sagte der Maire, die Mitglieder der Ständeversammlung hätten den ganzen Morgen in ernster Beratung zugebracht und würden augenblicklich vor Seiner Hoheit erscheinen, sobald sie vernommen, daß der Herr Herzog die Stadt durch seine erlauchte Gegenwart beehrt hätte. Der Herzog schickte darauf einen Herold an die Ständeversammlung mit der Aufforderung, vorm Herzog zu erscheinen. Das Andenken an den Herzog Philipp war den Burgundern heilig; denn zwanzig Jahre lang hatte jener weise Fürst seinen Rang unter den Monarchen mit vieler Mühe behauptet und einen Schatz aufgehäuft, ohne die reichen Länder, die er beherrschte, mit Erpressungen oder erhöhten Steuern zu belasten. Allein die überspannten Pläne und unmäßigen Ausgaben des Herzogs Karl hatten schon den Argwohn seiner Stände gegen ihn rege gemacht, und das gegenseitige Wohlwollen zwischen Fürst und Volk begann dem Mißtrauen auf der einen und dem Trotz auf der andern Seite Platz zu machen. Die widerspenstige Stimmung der Stände war in letzter Zeit noch gestiegen; denn man fürchtete, der Herzog ginge nur darauf aus, den ihm von seinen Untertanen zugebrachten Reichtum dazu anzuwenden, seine königliche Gewalt unziemlich zu erweitern und die Freiheit des Volkes zu zerstören. Es ging daher das Gerücht, daß unter den Ständen sich diesmal heftiger Widerspruch gegen die von dem Herzog in Vorschlag gebrachte neue Schätzung erheben würde. Der Ausgang wurde nun von den Raten des Herzogs mit lebhafter Besorgnis, vom Herzog selbst mit ärgerlicher Ungeduld erwartet. Nach etwa zehn Minuten trat der Kanzler von Burgund, der zugleich Erzbischof von Wien war, mit seinen Begleitern in die Halle und bat den Herzog, die Antwort der Stände, in einem verschlossenen Gemach entgegenzunehmen, indem er ihm dabei zu verstehen gab, daß der Erfolg der Beratungen keineswegs erfreulich wäre. »Beim St, Georg von Burgund, Herr Erzbischof!« rief der Herzog finster und laut, »wir sind kein Fürst von so erbärmlichem Gemüte, daß wir die frechen Blicke einer mißvergnügten, böswilligen Partei zu scheuen hätten. Wenn die Stände von Burgund auf unsere väterlich gemeinte Botschaft eine ungehorsame pflichtwidrige Antwort geben, so mag diese in öffentlicher Sitzung ausgesprochen werden, damit das versammelte Volk erfahren möge, wie diese kleinlichen, ränkespinnenden Gesellen sich ihrem Herzog in den Weg stellen!« Der Kanzler verbeugte sich würdevoll und nahm seinen Sitz ein, während der vordem abgesandte Herold die Abgeordneten der Stände in die Halle führte. Diese Abgeordneten bestanden aus zwölf Mitgliedern, nämlich vier von jedem Zweige der Stände, und waren bevollmächtigt, dem Herzog die Antwort der Versammlung zu überbringen. Bei ihrem Eintritt erhob sich Karl, gemäß uraltem Herkommen, und sprach, indem er das mit ungeheuren Federn geschmückte Barett vom Haupt nahm: »Heil und Willkommen meinen guten Untertanen aus der Ständeversammlung!« Alle Hofleute erhoben sich und entblößten ebenfalls das Haupt. Dann warfen die Abgeordneten sich auf die Knie, indem die vier Geistlichen, unter denen Oxford den schwarzen Priester von St. Paul erkannte, dem Throne zunächst knieten, hinter diesen knieten die Adeligen und hinter diesen wieder die Bürger. »Edler Herzog,« sprach der Pfarrherr von St, Paul, »möge es Euch gefallen, die Antwort Eurer guten, getreuen Stände von Burgund zu vernehmen! Ein Priester, ein Edler und ein freigeborener Bürger, werden Eure Hoheit einer nach dem andern anreden. Denn obwohl – und gelobt sei Gott, der da die Brüder läßt in Eintracht beisammen wohnen! – wir über die Antwort im allgemeinen einig sind, so kann doch jeder Stand noch besondere Gründe Zur Unterstützung der allgemeinen Meinung vorzubringen haben.« »Wir wollen Euch einzeln hören,« sagte Herzog Karl, indem er den Hut auf den Kopf stülpte und sich nachlässig zurücklehnte. Die Abgeordneten erhoben sich, und der Priester von St. Paul redete den Herzog folgendermaßen an: »Mein Herr Herzog! Eure getreue und ergebene Geistlichkeit hat Euer Hoheit Vorschlag erwogen, dem Volke eine neue Steuer aufzuerlegen, um Krieg gegen die Verbündeten Kantone im Alpenlande zu führen. Der Streit, mein hochedler Herr, erscheint Eurer Geistlichkeit ungerecht und gewalttätig von seiten Eurer Hoheit; auch kann diese Geistlichkeit nicht hoffen, daß Gott diejenigen segnen werde, die in so ungerechtem Streite das Schwert ziehen. Sie ist deshalb gezwungen, Eurer Durchlaucht Vorschlag zurückzuweisen.« Des Herzogs Augen hafteten finster auf dem Verkünder dieser widrig schmeckenden Botschaft. Er schüttelte den Kopf mit ernstem und drohendem Blicke. »Ihr habt gesprochen, Herr Priester!« war die einzige Erwiderung, die zu äußern ihm beliebte. – Einer der Adeligen, der Sire de Myrebeau, sprach sich sodann folgendermaßen aus: »Eure Hoheit hat von uns die Zustimmung zu neuen von ganz Burgund aufzubringenden Steuern verlangt, damit neue Scharen von Söldnern gedungen werden können. Herr Herzog, die Schwerter der burgundischen Edlen, Ritter und Herren standen jederzeit zu Eurer Hoheit Befehle. In jeden gerechten Streit, den Ihr führt, werden wir willig ziehen und standhaft fechten; aber neue Steuern können wir nicht bewilligen. Wozu noch mehr Söldner mieten, da wir selber Krieger genug zu stellen vermögen?« »Ihr habt gesprochen, Sire de Myrebeau,« waren abermals die Worte, die der Herzog erwiderte. Dann winkte er, daß einer des dritten Standes seine Erklärung abgeben möge. Dieser Mann war Martin Block, ein wohlhabender Metzger und Viehzüchter aus Dijon. Seine Worte lauteten: »Edler Fürst, unsere Väter waren die gehorsamen Untertanen Eurer erlauchten Vorgänger; wir stehen ebenso zu Euch. Jedoch den Antrag, den Euer Kanzler uns machte, hätten unsere Vorfahren nie angenommen; so sind denn wir auch entschlossen, ihn abzuweisen.« Karl hatte mit ungeduldigem Schweigen die Reden der beiden ersten Sprecher ertragen, allein die kecke, derbe Erwiderung des dritten Standes vermochte er nicht zu erdulden. Er ließ der Heftigkeit seines Gemütes vollen Lauf, stampfte auf den Boden, bis der Thron erzitterte und das hohe Gewölbe ihm zu Häupten widerhallte. Dann überhäufte er den kühnen Bürger mit Vorwürfen, »Du Lasttier!« rief er, »soll ich auch noch Dein Geschrei mir bieten lassen? Mögen die Edlen recht haben, sich zum Reden Erlaubnis zu erbitten, denn sie können fechten; mag die Geistlichkeit ihre Zunge gebrauchen, denn das ist ihr Gewerbe; aber Du, der Du nimmer Blut vergössest als das Deiner Bullochsen, die kaum dümmer sind als Du – mußt Du mit Deiner Herde hierherkommen, um am Throne eines Fürsten loszubrüllen?« Ein Gemurmel des Mißfallens, das selbst die Furcht vorm Zorn des Herzogs nicht zu unterdrücken vermochte, durchlief bei diesen Worten die Reihen der Zuhörer, und der Bürger von Dijon, ein derber Volksmann, versetzte ohne Umstände; »Unsere Geldsäckel, mein Herr Herzog, sind unser – und wir rücken kein Geld heraus, ehe wir nicht genau wissen, wozu es verwendet werden soll; auch wissen wir recht Wohl, wie wir unser Leben und unsere Habe gegen ausländische Schufte und Räuber zu beschirmen haben!« Karl wollte schon Befehl erteilen, den Abgeordneten in Haft zu nehmen, als er einen Blick auf den Grafen von Oxford warf, dessen Anwesenheit ihm wider seinen Willen Zwang auferlegte. Er schien sich eines Besseren zu besinnen und sprach: »Ich sehe, daß Ihr Euch alle verbündet habt, meine Pläne zu durchkreuzen, und ohne Zweifel mich aller monarchischen Gewalt berauben wollt, nur daß ich eben noch meine Krone tragen darf. Jedoch Ihr sollt merken, daß Ihr es mit Karl von Burgund, einem Fürsten, zu tun habt, der, obgleich er Euch die Ehre erwies, Euren Rat einzuholen, doch vollauf imstande ist, seine Schlachten ohne die Mithilfe seiner Edlen zu führen, falls diese ihm den Beistand ihrer Schwerter weigern; der seine Zahlungen ohne die Hilfsleistungen tolpischer Bürger entrichten und wohl auch einen Weg ausfindig machen kann, um ohne die Fürbitte einer undankbaren Priesterschaft zum Himmel zu gelangen. – Ich will allen denen, die hier gegenwärtig sind, zeigen, daß ich mich durch aufrührerische Antworten nicht beirren lasse und meinen Vorsätzen getreu bleibe. – Herold! führe die Männer vor, die sich die Verbündeten aus den Städten und Kantonen des Schweizerlandes nennen.« Oxford und alle, denen wirklich das Wohl des Herzogs am Herzen lag, hörten mit größter Besorgnis den Entschluß des Fürsten, den Schweizer Abgeordneten, gegen die er schon von vornherein eingenommen war, in einem Augenblicke Gehör zu geben, wo er durch die Weigerung der Stände, ihn mit Geld zu unterstützen, aufs heftigste erzürnt war. Alle erkannten, daß der Würfel geworfen war, aber da niemand mit übermenschlicher Voraussicht begabt war, ahnte niemand, daß dieser Augenblick sogar die Entscheidung über Karls Leben und die Unabhängigkeit Burgunds als eines für sich bestehenden Reiches nach sich zog. Zwölftes Kapitel Die Pforten der Halle wurden nun den Schweizer Abgeordneten geöffnet, die eine Stunde lang außerhalb des Palastes hatten harren müssen, ohne im mindesten jene Aufmerksamkeiten zu erfahren, die unter gebildeten Völkern den Stellvertretern eines fremden Staates erwiesen werden. Allerdings mußte ihr äußeres Erscheinen, als seien sie Gebirgsjäger oder Hirten, inmitten einer in buntfarbigen Anzügen, in Gold- und Silberschnüren, Wirkereien und Edelsteinen prunkenden Versammlung, jedem die Meinung einflößen, sie könnten nur in aller Demut als Bittsteller hierher gekommen sein. Oxford, der das Benehmen seiner ehemaligen Reifegenossen genau beobachtete, erkannte jedoch sogleich, daß sie alle der Festigkeit und Gleichgültigkeit getreu blieben, durch die sie sich schon früher hervorgetan hatten, Rudolf von Donnersberg behielt seinen kecken, trotzigen Blick bei – der Bannerherr zeigte seinen gewohnten kriegerischen Gleichmut, mit dem er alles um sich her, scheinbar teilnahmlos, betrachtete – der Bürger von Solothurn gab sich ebenso förmlich und gewichtig wie immer. Nur der edle Landammann, auf den Oxford hauptsächlich seine Aufmerksamkeit richtete, schien von dem Gefühle der unsichern Lage, in die sein Vaterland versetzt wurden war, überwältigt zu sein; indem er nach dem rauhen, unehrenwerten Empfang zu fürchten schien, daß der Krieg sich nicht mehr vermeiden ließe. Nach einem Schweigen von fast fünf Minuten sprach der Herzog in dem hochfahrenden, schneidenden Tone, den er hier Wohl für angemessen halten konnte, und der nur allzusehr seine Gemütsart verriet: »Ihr Männer von Bern, Schwyz, oder welche Weiler und Wildnisse Ihr hier vertreten möget, wisset, daß wir Euch, die Ihr Aufrührer seid gegen die Herrschaft Eurer gesetzmäßigen Obern, nimmer Gehör verliehen hätten, wenn nicht ein wohlgeschätzter Freund, der sich eine Zeitlang in Euren Bergen aufhielt, und den Ihr unter dem Namen Philippson kennt, sich für Euch verwendet hätte. Seiner Fürsprache haben wir soweit stattgegeben, daß wir, statt Euch nach Verdienst dem Galgen zu überliefern, uns herabließen, Euch zu empfangen. Nun laßt hören, welche Genugtuung Ihr dafür bieten könnt, daß Ihr frech und vermessen unsere Stadt La Ferette bestürmtet, unsere Untertanen niederschlugt und den Mord mitansaht, unterstütztet und anrietet, der an dem edlen Ritter, unserm Vogte Archibald von Hagenbach verübt wurde. Sprecht, so Ihr etwas Zur Verteidigung Eurer Missetat und Eures Verrats vorbringen könnt!« Der Lanbammann schien antworten zu wollen, allein Rudolf von Donnersberg übernahm mit der ihm eigenen Kühnheit und Verwegenheit die Verteidigung. Er stellte sich dem Herzoge mit unerschrockenem Auge gegenüber. »So Ihr uns Aufrührer nennt,« sprach er, »so müßt Ihr erwägen, daß eine lange Reihe von Siegen, mit Österreichs edelstem Blut besiegelt, unserer Eidgenossenschaft die Freiheit zurückgegeben hat, die eine ungerechte Tyrannei uns vergebens zu rauben versuchte. Solange das Land Österreich sich uns als gerechter und wohlwollender Herrscher zeigte, dienten wir ihm mit unserm Leben. Als es tyrannisch gegen uns wurde, machten wir uns unabhängig. Will es uns jetzt noch etwas anhaben, so werden die Nachkommen eines Stauffacher, Tell und Walter Fürst ebenso bereit sein wie sie, ihre Freiheit zu verfechten. Euer Erlaucht – so solches Euer Titel ist – hat nichts zu schaffen mit einem Zwist zwischen uns und Oesterreich. Was endlich Eure Drohung mit Galgen und Rad anbelangt, so sind wir hier wehrlose Männer, mit denen Ihr nach Laune verfahren mögt; jedoch wissen wir zu sterben, und unsere Landsleute wissen uns zu rächen.« Der zornmütige Herzog würde hierauf mit nichts anderm als dem Befehle geantwortet haben, die ganze Gesandtschaft augenblicklich zu verhaften und hinzurichten. Doch sein Kanzler erhob sich in diesem Augenblick, lüftete die Mütze mit tiefer Verbeugung gegen den Herzog und bat um Erlaubnis, dem überstolzen Jüngling zu antworten, der, wie er sagte, die Worte Seiner Hoheit falsch verstanden hätte. – »Junger Mann,« sprach der hohe Staatsdiener: »Burgund hat Antwort von Euch zu begehren auf folgende Fragen: Was kamet Ihr unter dem Deckmantel friedlicher Gesandten hierher und erregt Fehde in unsern ruhigen Besitzungen, stürmt eine Feste, erschlagt die Besatzung und tötet deren Befehlshaber, den edlen Ritter von Hagenbach? Was begingt Ihr also Handlungen, die dem Völkerrechte zuwiderlaufen und in vollem Maße die Strafe verdienen, die Euch mit Recht angedroht ward, die jedoch, wie ich hoffe, unser gnädiger Landesfürst Euch schenken wird, so Ihr geziemend Genugtuung für so arge Verletzungen bietet?« »Ihr seid ein Priester, ehrwürdiger Herr,« sagte Rudolf von Donnersberg, indem er den Kanzler von Burgund anredete. »Findet sich in dieser Versammlung ein Krieger, der Eure Anklage vertreten will, so fordere ich ihn Mann gegen Mann zum Kampfe. Wir stürmten die Feste La Ferette nicht. – Wir wurden friedlich eingelassen, dort aber augenblicklich von den Reisigen des Hagenbachers umringt, offenbar in der Absicht, uns zu überfallen und zu erschlagen. Wäre es geschehen, Ihr hättet, traun! von mehr Erschlagenen als von uns gehört. Allein Aufruhr brach aus unter den Insassen des Ortes, einige Nachbarn, denen die Bedrückung und das rohe Wesen Archibalds von Hagenbach längst verhaßt war, halfen mit. Wir leisteten den Anstürmenden keinen Beistand, kamen aber auch dem Hagenbacher nicht zu Hilfe, der bereit gewesen war, das Aergste an uns zu tun. Archibald von Hagenbach starb, es ist wahr, auf einem Blutgerüst, und mit Vergnügen sah ich ihn sterbe«! jedoch es geschah unter dem Spruch eines Gerichts, das in Westfalen und den Grenzgauen diesseits des Rheins für gültig anerkannt wird. Ich bin nicht gehalten, ein solches Verfahren zu rechtfertige«! allein ich meine, den Urteilsspruch hat Hagenbach durch Willkür, Grausamkeit und schändlichen Mißbrauch der ihm verliehenen Macht sattsam verdient. All das will ich gegen jeden, der mir widerspricht, mit diesem meinem Leibe vertreten. Und hier liegt mein Handschuh!« Mit kühner Gebärde schleuderte der Schweizer den Handschuh seiner rechten Hand auf den Boden. Gemäß dem Geiste des Jahrhunderts und der allgemeinen Vorliebe für edle Waffentat, entstand eine allgemeine Bewegung unter den burgundischen Jünglingen, und mehr denn sechs oder acht Handschuhe wurden hastig von anwesenden jungen Rittern und zwar von den entfernter Stehenden über die Köpfe der Vordern hingeworfen, wobei ein jeder seinen Stand und Namen laut ausrief. – »Ich nehme es mit allen auf!« rief der kecke junge Schweizer, indem er die um ihn herum hinklatschenden Handschuhe aufhob. »Mehr, Ihr Herren, mehr! Einen Handschuh für jeden Finger! Kommt heran, einer nach dem andern – offene Schranken, biedere Kampfrichter, Gefecht zu Fuß und mit doppelgriffigen Schwertern, so werd' ich einem Schock von Euch stehen.« »Haltet ein, Ihr Herren, haltet ein!« sagte der Herzog, geschmeichelt und besänftigt durch den Eifer, der für seine Sache an den Tag gelegt wurde. Auch gefiel ihm die riesige Tapferkeit, die der Herausforderer mit einer dem Herzoge selber eigenen Kühnheit gezeigt hatte: »Halt, befehl ich Euch allen! – Herold, sammle die Handschuhe und gib sie den Eigentümern zurück. Gott und der heilige Georg mögen verhüten, daß wir das Leben auch nur des Letzten unserer Edlen gegen einen Schurken wagen sollten, wie dieser Schweizer Bauer einer ist, der nimmer einen Gaul bestieg und von ritterlichem Wesen keinen Dunst hat! – Bringt Euer pöbelhaftes Gebrüll anderswohin, junger Recke, und wißt, daß Eure offenen Schranken nur der Markt Morimont und der Einzige, mit dem Ihr zu kämpfen hättet, der Henker sein müßte! Und Euch, die Ihr diesen Polterer das Wort unter Euch führen laßt, vor allem Dich, Du weißbärtiger Alter dort, Dich frage ich, ob keiner unter Euch ist, der Eure Botschaft in Worten ausrichten kann, die für das Ohr eines Monarchen passen?« »Gott sei Dank!« sagte der Landammann, indem er vortrat, und Rudolf von Donnersberg Schweigen gebot, der abermals eine kecke Antwort auf den Lippen trug. – »Gott sei Dank, edler Herzog! wir wissen so zu sprechen, daß Eure Hoheit uns verstehen wird, zumal wir, wie ich hoffe, die Sprache der Wahrheit, des Friedens und der Gerechtigkeit führen. Was mich betrifft, so kann ich mit Wahrheit sagen, daß ich es zuvor aus freier Wahl vorzog, als Landmann und Jäger auf den Alpen von Unterwalden zu leben und zu sterben, daß ich aber doch von Geburt auf das Recht Anspruch erheben darf, vor Herzogen und Königen, ja vor dem Kaiser selber zu reden. Es ist, mein Herzog, keiner hier in dieser stolzen Versammlung, der edleren Stammes wäre, als die Freiherren von Geierstein.« »Wir haben von Euch gehört,« sagte der Herzog. »Die Leute nennen Euch den Bauerngrafen. Eure Geburt ist für Euch nur eine Schmach, nachdem Ihr freiwillig ein Leibeigener wurdet.« – »Kein Leibeigener, Herr,« antwortete der Landammann, »sondern ein Freisasse, der weder andere knechten, noch sich von andern knechten lassen will. Doch will ich mich durch Stachelrede nicht aus der Gelassenheit reißen lassen, die notwendig ist, um gehörig zu vertreten, was meine Landsleute mir aufgetragen haben. Die Bewohner der eisigen, unwirtlichen Alpen begehren, mächtiger Herr, in Frieden zu bleiben mit allen ihren Nachbarn, und ihrer selbstgewählten Verfassung sich zu erfreuen, da diese sich am besten für ihren Stand und ihre Sitten eignet. Vornehmlich wünschen sie in Eintracht mit dem fürstlichen Hause Burgund zu bleiben, dessen Besitzungen auf so manchen Punkten die Schweizer Grenzen berühren. Sie wünschen Eintracht, ja sie bitten sogar darum, mein hoher Herr! Zum Beweise dafür, Herr Herzog, erblicke ich, der ich nimmer das Knie beugte, als nur vor dem Ewigen im Himmel, keine Entwürdigung darin, vor Eurer Hoheit zu knien!« Die ganze Versammlung, der Herzog selbst, war ergriffen, von der edlen, stattlichen Weise, in der der wackere Greis, offenbar frei von knechtischem Sinn und aller Furcht, das Knie beugte. – »Steht auf, Herr!« sagte Karl. »So wir etwas gesagt haben, was Euer persönliches Gefühl verletzen könnte, so nehmen wir es ebenso öffentlich zurück, wie wir es aussprachen, und sind bereit, Euch als einen Gesandten anzuhören, der es ehrlich meint.« – »Dank dafür, mein hochedler Herr, und ich werde den heutigen Tag segnen, so ich Worte finde, würdig der Sache, die ich zu vertreten habe. Hoher Herr, das Blatt, das ich in Eure Hand lege, erläutert die Unbill, die uns von den Bevollmächtigten Eurer Hoheit sowie von denen des Grafen Raymund von Savoyen, Eures getreuen Bundesgenossen, angetan worden sind. Als unabhängiges Volk können wir solcherlei Schmach nicht länger dulden, und wir sind entschlossen, unsere Unabhängigkeit zu wahren, oder in Verteidigung unserer Rechte zu sterben. Und was wird folgen müssen, wenn Eure Hoheit nicht den Friedensworten, deren Ueberbringer ich bin. Gehör verleiht? Krieg – Krieg auf völligen Untergang; denn so lange ein einziger unserer Eidgenossenschaft eine Hellebarde schwingen kann, so lange wird, wenn dieser böse Zwist einmal begann – Fehde sein zwischen Euren machtbegabten Reichen und unsern armen, ackerlosen Ländern. Und was kann der edle Herzog von Burgund in solchem Kampfe gewinnen? Reichtum und Beute? Ach, hoher Herr, auf dem Zaumzeug Eurer Leibwache ist mehr Gold und Silber als in den öffentlichen Schatzkammern und den Privatschatullen unserer gesamten Eidgenossenschaft. Ruhm? Den kann eine zahlreiche in Eisen gehüllte Heeresmacht im Kampf gegen mangelhaft bewaffnete Landleute und Hirten kaum gewinnen. – Wenn aber der Herr der Heerscharen der schwächeren Partei zum Siege verhilft, so überlasse ich es Eurer Hoheit zu entscheiden, wie sehr in solchem Falle Euer Ruhm, Eure Ehre verlieren würde. Wollt Ihr Eure Besitzungen und die Zahl Eurer Untertanen vermehren, indem Ihr uns befehdet? Wisset, daß wir in den wildesten, unnahbarsten Gegenden Zuflucht suchen, bis auf den letzten Mann Widerstand leisten und in den Eiswüsten der Gletscher den Tod erwarten würden. Ja, wir wollen, Männer, Weiber und Kinder, samt und sonders lieber untergehen, als daß wir freien Schweizer jemals einen ausländischen Herrn als den unserigen anerkennen!« Die Rede des Landammannes machte einen merklichen Eindruck auf die Versammlung. Der Herzog gewahrte das, und der ihm innewohnende Trotz entfachte sich an der allgemeinen Stimmung zu Gunsten des Gesandten. – Er antwortete mit finsteren Brauen, indem er den Greis, der noch weitersprechen wollte, unterbrach: »Ihr schließt falsch, Herr Graf, oder Herr Landammann, oder mit welchen Namen Ihr Euch nennen mögt, wenn Ihr glaubt, wir befehden Euch aus Beutegier oder Ruhmsucht. Wir wissen ebensowohl wie Ihr, daß wir weder Vorteil noch Ruhm ernten können, wenn wir Euch besiegen. Alle Herrscher, denen der Himmel die Macht verliehen hat, müssen mindestens hin und wieder eine Rotte von Räubern vertilgen, obwohl es entehrend ist, das Schwert des Ritters mit ihnen zu kreuzen. So auch jagen wir eine Herde Wölfe zu Tode, wenngleich ihr Fleisch nur Aas und ihr Fell zu nichts nütz ist.« – Der Landammann schüttelte das greise Haupt und versetzte, ohne innere Bewegung zu verraten, ja sogar mit einem leisen Lächeln: »Ich bin ein älterer Weidmann als Ihr, Herr Herzog, und vielleicht erfahrener. Auch dem kühnsten, verwegensten Jäger kommt es übel an, dem Wolfe in seine Schlupfwinkel nachzujagen. Laßt mich Euch sagen, wozu wir bereit sind, um uns einen aufrichtigen, dauernden Frieden mit unserm mächtigen Nachbarn in Burgund zu sichern. Euer Erlaucht steht im Begriff, Lothringen zu vergrößern, und es ist zu erwarten, daß unter Euch Burgunds Macht sich bis an die Küsten des Mittelmeeres erstrecken werde, – seid Ihr nun unser edler Freund und getreuer Bundesgenoß, so werden unsere von siegesgewissen Streitern besetzten Berge Euch ein Bollwerk gegen Deutschland und Italien sein. Ja, was noch mehr ist, was mein letztes, stolzestes Anerbieten ist, wir wollen dreitausend unserer Jünglinge senden, um Euer Hoheit Beistand zu leisten in jeglichem Kriegszuge, den Ihr unternehmen möget, sei es nun gegen Ludwig von Frankreich oder gegen den Kaiser von Deutschland!« »Herr Landammann,« versetzte der Herzog kalt, »wir haben Euch offen angehört. Wir haben Euch gehört, obwohl Ihr hierher vor unser Angesicht gekommen seid, die Hände mit dem Blute unseres Vogtes, des Ritters Archibald von Hagenbach, befleckt. Denn angenommen, er wurde von einer hinterlistigen Verbrüderung hingerichtet – die, beim St. Georg! solange wir leben und regieren nie ihr pestilenzialisches Haupt in den Gauen diesseits des Rheins erheben soll! – so ist doch nicht zu leugnen, daß Ihr dabei standet und den Meuchlern zu ihrer Untat Vorschub leistetet. Kehrt heim in Eure Berge und dankt Gott, daß Ihr mit heiler Haut heimkehrt! Sagt denen, die Euch sendeten, daß ich sofort an ihren Grenzen stehen werde! Eine Gesandtschaft, aus der Mitte Eurer angesehensten Bürger gewählt, mag mir entgegenkommen, den Strick um den Hals, eine Fackel in der Linken und das Schwert bei der Spitze gefaßt! Dann werde ich geruhen, Euch den Frieden zu den Bedingungen, die mir belieben, zu diktieren!« »So lebe denn wohl, Friede, und willkommen du, Krieg!« sagte Arnold Biedermann, »alle Plagen und Flüche dieser Fehde mögen auf die Häupter derer fallen, die lieber Blut und Kampf als Ruhe und Eintracht wählten! Karl von Burgund, Flandern und Lothringen, Herzog von sieben Herzogtümern und Graf von siebzehn Grafschaften! Ich erkläre Euch Fehde im Namen der verbündeten Kantone und aller derer, die sich denselben noch anschließen. Hier,« rief er, »ist mein Absagebrief!« Der Herold nahm aus den Händen des Arnold Biedermann das verhängnisvolle Blatt. – »Lest es nicht!« sagte der hochfahrende Herzog. »Der Henker mag's am Schweife seines Pferdes durch die Straßen ziehen und dann an den Galgen nageln, damit alle Welt erfahre, wie wir eine elende Schrift und deren Ueberbringer behandeln. Hinweg mit Euch! so schnell Eure Füße Euch tragen! Treffen wir uns wieder, so sollt Ihr verspüren, wen Ihr beleidigt habt. – Mein Pferd! Die Sitzung ist aufgehoben.« Als alles sich in Bewegung setzte, die Halle zu verlassen, näherte sich der Maire von Dijon abermals dem Herzoge und äußerte voller Scheu die Hoffnung, Seine Hoheit wolle huldreichst teilnehmen an einem Bankett, das die Ortsobrigkeit ihm zu Ehren veranstalte. »Nein, beim St, Georg von Burgund, Herr Maire,« rief Karl mit stechendem Blicke, »Euer Frühstück hat uns nicht so gefallen, daß es uns noch nach einem Mittagsschmaus bei Euch gelüstete!« – Mit diesen Worten drehte er dem betroffenen Bürgermeister den Rücken, bestieg seinen Hengst und ritt zurück in sein Lager, Als er sich unterwegs mit seinen Offizieren besprach, zu denen sich Philippson gesellte, ritt plötzlich der Kanzler von Burgund in großer Eile heran: »Herr,« sprach er, »soeben sind Nachrichten über Frankreich und England eingetroffen. Ludwig und Eduard sind völlig einig.« Sowohl der Herzog als auch Philippson erstaunte. »Ich erwartete das,« sprach Karl, »jedoch nicht so schnell. Was haben sie abgemacht? Wo überwintert das englische Heer? Welche Städte, Festungen und Schlösser sind ihnen als Unterpfand oder zum dauernden Besitz eingeräumt worden?« »Die englische Armee kehrt in die Heimat zurück,« versetzte der Kanzler, »und zwar so schnell die Ueberfahrt bewerkstelligt werden kann; und Ludwig versieht sie dabei mit allen Segeln und Rudern, die in seinen Staaten zu finden sind, damit sie Frankreich so schnell wie möglich räumen können,« – »Und durch welche Abtretungen hat Ludwig einen seinen Angelegenheiten so notwendigen Frieden erkauft?« – »Durch, schöne Worte,« sagten der Kanzler, »durch reiche Geschenke und durch fünfhundert und etliche Tonnen Weins.« – »Wein!« rief der Herzog, »hörtest Du jemals dergleichen, Sir Philippson? Traun, Deine Landsleute sind kaum besser denn Esau, der seine Erstgeburt für ein Linsengericht verkaufte! Fürwahr, ich muß gestehen, ich habe noch keinen Engländer gekannt, der einen Handel mit trocknem Munde abgeschlossen hätte.« »Ich kann diese Nachricht kaum glauben,« sagte der Graf von Oxford. »Wenn dieser Eduard sich auch damit begnügte, die Seefahrt gemacht zu haben, bloß um mit fünfzigtausend Engländern ruhig zurückzukehren, so sind in seinem Lager stolze Edelleute und hochfahrende Krieger, die sich seinem schmachvollen Vorhaben sicher widersetzen würden.« »Das Geld Ludwigs,« sagte der Minister, »hat edle Hände gefunden, die es willig hinnahmen. Der französische Wein hat alle Kehlen des englischen Heeres überschwemmt, – der Lärm und Aufruhr waren zügellos, und das Gefühl für ihre Nationalehre ist in dem allgemeinen Jubel verloren gegangen, und diejenigen unter ihnen, die sich würdevoller und als weise Staatsklügler zeigen möchten, erklären, man hätte wohl weise und ritterlich gehandelt, weil man bei dieser Jahreszeit doch keine Quartiere hätte finden können. Nur hätte man noch Tribut von Frankreich fordern müssen, um wenigstens im Triumphe heimzukehren.« – »Und dem König Ludwig,« setzte Oxford hinzu, »volle Freiheit zu lassen, ungestört Burgund mit allen seinen Streitkräften anzugreifen.« –»Nicht so, Freund Philippson,« sagte der Herzog, »wisse, daß zwischen Burgund und Frankreich ein Waffenstillstand für sieben aufeinander folgende Jahre obwaltet, und wäre dieser nicht bewilligt und verbrieft worden, so möchten wir wahrscheinlich Mittel gefunden haben, den Vertrag zwischen England und Frankreich zu vereiteln, selbst wenn es darauf angekommen wäre, den gefräßigen Insulanern Rindfleisch und Bier während der Wintermonate zu reichen. – Herr Kanzler, Ihr mögt uns verlassen, jedoch bleibt in der Nähe, daß Ihr schnell zu haben seid!« Als der Erzbischof das Zelt verließ, ging der Herzog, der mit seinem schroffen und herrschsüchtigen Charakter viele Herzensgüte verband, die man wohl Großmut nennen konnte, auf den Grafen Oxford zu, der wie vom Donner gerührt dastand. »Mein armer Oxford,« sprach er, »Du bist erstarrt über die Kunde, die wohl Deiner Ansicht nach, dem Plane nachteilig ist, den Deine wackere Seele mit so inniger Hingebung hegt. Ich hätte um Deinetwillen das englische Heer längere Zeit in Frankreich zurückhalten mögen; allein hätte ich versucht, dies zu tun, so wäre es mit dem Waffenstillstand zwischen Ludwig und mir zu Ende und es mir folglich nicht mehr möglich gewesen, diese lumpigen Kantone zu züchtigen und eine Kriegerschar nach England zu schicken. Wie die Sachen jetzt stehen, gib mir nur eine Woche Frist, die Schweizer zu strafen, und Du füllst eine größere Streitmacht erhalten, als Deine Bescheidenheit sie von mir begehrte. Fürchte nichts! verlasse Dich auf meinen Beistand, – vorausgesetzt, wohl verstanden, daß es mit der Abtretung der Provence seine Richtigkeit hat. Wir wollen alles so schleunig wie möglich betreiben. Unsere Mannschaft erhält Befehl, diesen Abend noch gegen Welsch-Neuenburg aufzubrechen, wo die hochmütigen Schweizer ein Pröbchen von Feuer und Schwert bekommen sollen!« Oxford seufzte schwer, machte jedoch keine ferneren Vorstellungen. Hierin tat er sehr weise, denn er wußte, daß er nur des Herzogs leicht erregten Zorn entfacht, sonst aber nichts erreicht hätte. Dreizehntes Kapitel Indem wir den Grafen Oxford im Gefolge des hartnäckigen Herzogs von Burgund an dem Zuge gegen die Schweiz teilnehmen lassen, den der eine als kurzen Ritt bezeichnete, der andere aber in weit ernsterem, gefährlicherem Lichte betrachtete, kehren wir zu Arthur de Vere oder dem jüngeren Philippson zurück, der, wiewohl sehr langsam, so doch sicher und wohlbehalten von seinem treuen Geleitsmann nach der Provence geführt wurde. Der Zustand Lothringens, das von des Herzogs Kriegsmannen überflutet war und zu gleicher Zeit von mancherlei umherziehenden Scharen durchstreift wurde, machte das Reisen so gefährlich, daß man oft die Hauptstraße seitwärts liegen lassen und auf Umwegen weiter ziehen mußte. Durch traurige Erfahrungen belehrt, fremden Führern zu mißtrauen, fühlte Arthur sich auf dieser so wichtigen und gefährlichen Reise dessenungeachtet geneigt, seinen diesmaligen Führer, dem Provencalen Thibault, oder Theobald, zu vertrauen, da dieser genau die Wege kannte, die sie zu ziehen hatten, und, soweit er folgern konnte, den besten Willen zeigte, sein Amt mit Treue zu erfüllen. Als man den Grenzen der Provence näher kam, begann Thibault, von seiner Heimat alles, was er als echtes Kind dieses Landes wußte, zu erzählen. Er kannte nicht nur den Namen und die Geschichte jeder romantisch gelegenen Feste, an der man auf abgelegenen und bedenklichen Wegen vorüberzog, sondern auch die ritterliche Geschichte der Edlen und Freien, dem sie gehörte oder früher einmal gehört hatte. Im Verlaufe solcher Mitteilungen kam Thibault auf die Troubadours zu sprechen, ein Geschlecht eingeborener Dichter der Provence, deren Erzählungen und Gesänge unserm Arthur, wie den meisten edelgeborenen Jünglingen seines Vaterlandes, genau bekannt waren, da man sie vielfach ins Englische überseht hatte. So kam das Gespräch auf den König René, den Schutzherrn aller Minnesänger, und Arthur, dem daran lag, über diesen Fürsten mehr zu erfahren, als was er vom Hörensagen bisher wußte, ließ sich von Thibault ausführlich von den Eigenschaften des guten alten Königs erzählen, der gerecht, heiter, gutherzig, ein Freund der edelsten Jagd und Turnierübungen und mehr noch der Poesie und Musik war, der mehr, als er besaß, in Geschenken an fahrende Ritter und Spielleute verteilte, von denen seine winzige Hofhaltung überfüllt war. Entsprossen aus königlichem Stamme, war René zu keiner Zeit seines Lebens imstande gewesen, seine hohen Vorrechte genügend geltend zu machen. Von all den Reichen, auf die er ein Anrecht hatte, war ihm außer der Provence keins mehr geblieben. In seiner Jugend widmete René sich mehr als einem Kriegszuge, in der Hoffnung, einen Teil der Lande wiederzuerhalten, als deren Monarch er betitelt war. Seinem Mute war dabei nichts vorzuwerfen, allein das Glück lächelte seinen Zügen nicht, und er scheint zuletzt eingesehen zu haben, daß die Kunst, kriegerisches Verdienst zu besingen, noch niemand befähige, Kriege zu führen. René war in der Tat ein Fürst von sehr beschränkten Fähigkeiten, begabt mit Liebe für die schönen Künste, die er bis zum Uebermaß trieb, sonst aber von einer Genügsamkeit, die ihn da noch sich glücklich fühlen ließ, wo ein Fürst von kräftigeren Empfindungen in Verzweiflung gestorben wäre. Dieses sorglose, heitere, leichtgestimmte Wesen verhalf dem König René zu einem gesunden, muntern Greisenalter, indem es ihn allen den Leidenschaften entfremdete, die das Leben verbittern und verkürzen. Die meisten seiner Kinder raffte frühzeitiger Tod hinweg; René nahm es sich nicht zu Herzen. Die Vermählung seiner Tochter Margarethe mit dem mächtigen Heinrich V. von England wurde als eine Verbindung angesehen, die bei weitem über die Glücksgrenze eines Troubadourkönigs hinausreichte; der Ausgang zeigte, daß René, statt aus dieser Ehe Glanz für sich herzuleiten, in das Mißgeschick seiner Tochter verwickelt wurde und zu wiederholten Malen genötigt war, sich selbst zu plündern, um ihr auszuhelfen. Vielleicht beklagte der alte König in seiner tiefsten Seele weniger diese Verluste als vielmehr die Notwendigkeit, Margarethe wieder an seinen Hof und in sein Königshaus aufzunehmen. In ihrem Ingrimm über erlittene Verluste, in ihrem Schmerz über erschlagene Freunde und verlorene Länder paßte die stolzeste, leidenschaftlichste Fürstin übel zu dem fröhlichsten, muntersten Monarchen, dessen Treiben sie verachtete, und dessen leichte Sinnesart, die ihm Trost in allen Widerwärtigkeiten verlieh, sie nicht verzeihen konnte. Ein anderes Unglück lastete schwer auf ihm, – Yolanda, eine Tochter seiner ersten Gattin Isabella, war Nachfolgerin seiner Anrechte auf das Herzogtum Lothringen geworden und hatte diese auf ihren Sohn, Ferrand, Grafen von Vaudemont, einen Jüngling voll Mut und Geist übertragen, der um diese Zeit in dem scheinbar hoffnungslosen Unternehmen begriffen war, seine Rechte gegen den Herzog von Burgund geltend zu machen, der mit geringer Befugnis, aber mit großer Macht dies reiche Herzogtum mit Krieg überzog, um es als männliches Lehen an sich zu reißen. Um die Bekümmernis voll zu machen, mußte der alte König, der auf der einen Seite eine entthronte Tochter in ihrer hoffnungslosen Verzweiflung zu sich nehmen mußte, auf der andern Seite seinen erblosen Großsohn vergebens danach streben sah, einen Teil seiner Rechte wieder zu erstreiten, auch noch das Mißgeschick erfahren, daß sein Neffe Ludwig von Frankreich und sein Vetter Karl von Burgund insgeheim sich darum stritten, wer in den Besitz der Provence gelangen sollte, und daß er es nur dem gegenseitigen Neid dieser beiden Fürsten zu verdanken hatte, wenn ihm nicht auch noch der letzte Rest seiner Länder entrissen wurde. Inmitten jedoch all dieser Trübsal empfing René Gäste und bewirtete sie; sang, tanzte, dichtete, führte Pinsel und Bleistift mit nicht geringer Geschicklichkeit, ersann und ordnete Festlichkeiten und Prozessionen und war bemüht, die Fröhlichkeit und heitere Laune seiner Untertanen zu fördern, so daß diese ihn nie anders als den guten König René nannten. Während Arthur der ausführlichen Schilderung seines Führers lauschte, betraten sie das Land dieses fröhlichen Herrschers. Es war spät im Herbste und um die Zeit, wo die südöstlichen Provinzen Frankreichs sich am unvorteilhaftesten zeigen. Das Laub der Olivenbäume ist dann vertrocknet und verwittert, und da diese Bäume in der Landschaft vorherrschen – und alsdann die Farbe des ausgedörrten Bodens annehmen, so wird dem ganzen dadurch ein aschgrauer und dürrer Anblick verliehen. Dennoch fanden sich auf den Hügeln und in den Ebenen Flecken, wo eine Menge von Immergrün das Auge selbst in dieser toten Jahreszeit erquickte. Wer aus Burgund und Lothringen, wo die Einwohner sich mit deutscher Derbheit gaben, heraustrat in das Hirtenland der Provence, ward bald gewahr, daß hier der Einfluß eines milden Himmels und einer wohlklingenden Sprache, vereint mit den Gesinnungen des alten, romantisch angehauchten Monarchen, und der allgemeinen Vorliebe für Musik und Poesie, zu einer Veredlung der Sitten geführt hatte, die fast an Ziererei grenzte. Vor allem aber wunderte sich Arthur darüber, daß es bewaffnete Männer und Kriegsknechte in diesem friedlichen Lande nicht zu geben schien. In England begab sich kein Mann ohne Bogen, Schwert und Schild auf die Heerstraße. In Frankreich trug der Ackerknecht Waffen, wenn er hinter dem Pfluge herging. In Deutschland konnte man keine Halbstunde Weges wandern, ohne Staubwolken aussteigen zu sehen, aus denen sich bald wogende Federbüsche und glänzende Rüstungen hervorhoben. Allein in der Provence schien alles ruhig und friedsam, gleich als ob die Musik des Landes jegliche aufbrausende Leidenschaft in Schlaf gelullt hätte. Dann und wann zog ein Reitersmann an unseren Reisenden vorüber, der am Sattelknopf die Harfe zu hängen hatte und sich dadurch als Troubadour zu erkennen gab; aber auch diese Reiter trugen keine andern Waffen, als ein kurzes Schwert an der linken Hüfte, das mehr zur Zierde als zum Gebrauche diente. Der Anblick der alten, schönen Stadt Aix, in welcher König René seinen Hof hielt, rief unserm jungen Engländer die besondere Botschaft ins Gedächtnis zurück, die er auszurichten hatte. »Ich muß an den Hof, und zwar sonder Verzug,« sagte Arthur zu seinem Führer. »Erwarte mich in einer halben Stunde dort in der Straße bei jenem Springquell, der in die Luft eine so prächtige Wassersäule aufsteigen läßt.« – »So Ihr zum guten König René wollt, so trefft Ihr ihn um diese Zeit am besten in seinem Kabinett – so nennt man nämlich die schmale Brustwehr dort drüben zwischen den zwei Türmen, die eine Aussicht nach Süden hat und nach allen übrigen Seiten verdeckt ist. Dort zu spazieren und der Sonnenstrahlen in so kalten Morgenstunden wie heute zu genießen, ist sein Vergnügen. Es stärkt dies, wie er sagt, seine poetische Ader. Wenn Ihr Euch diesem Platze nähert, so wird der König willig mit Euch reden; es sei denn, er wäre wirklich im Begriff, irgend eine poetische Arbeit zu verfassen.« Arthur konnte nicht unterlassen zu lächeln, als er eines Königs gedachte, der, achtzig Jahre alt, gebeugt durch Mißgeschick und umringt von Gefahren, sich dennoch damit belustigte, auf offener Brustwehr spazieren zu gehen und Lieder zu dichten, in Gegenwart all seiner lieben Untertanen, die Lust haben mochten, ihm zuzuschauen. Vierzehntes Kapitel Indem Arthur sich dem Lieblingsplätzchen des Königs vorsichtig näherte, hatte er Gelegenheit, Seine Majestät, den guten, alten René, eingehend zu betrachten. Er sah einen Greis mit Scheitellocken und einem Barte, die an Fülle und Weiße fast mit denen des Abgeordneten von Schwyz wetteiferten, jedoch mit einer frischen und rötlichen Farbe auf den Wangen und einem überaus lebhaften Auge. Seine Kleidung war für sein Alter überaus auffallend; und sein nicht nur fester, sondern behender und rascher Schritt zeigte, daß jugendliche Kraft diesen betagten Körper noch beseelte. Der alte René trug ein Täfelchen und einen Griffel in der Hand und schien gänzlich seinen Gedanken hingegeben und gleichgiltig dagegen zu sein, ob er von mehreren Leuten auf der unter seinem höher gelegenen Plätzchen hinlaufenden Straße beobachtet würde oder nicht. Etliche dieser Leute schienen, ihrer Kleidung und ihrem Wesen nach zu urteilen, Troubadours zu sein; denn sie hielten in ihren Händen Geigen, Zithern, kleine tragbare Harfen und andere Kennzeichen ihres Gewerbes. Andere Vorübergehende, die ernsteren Geschäften nacheilten, blickten auf den König hin, wie auf einen Gegenstand, den täglich zu sehen sie gewohnt waren, doch schritten sie nimmer vorüber, ohne ihre Barette abzuziehen und durch geziemenden Gruß Hochachtung und Ehrfurcht für seine Person zu äußern. Wenn er zufällig auf die Gruppe blickte, die seine Bewegungen beobachtete und sogar wagte, ihn mit einem Murmeln des Beifalls zu begrüßen, so geschah es nur, um sie durch ein freundliches und frohgelauntes Kopfnicken auszuzeichnen. Endlich fiel des Königs Blick auf Arthur, in dem er sofort einen Fremden erkannte. René winkte seinem Edelknaben und flüsterte ihm etwas zu. Der Page kam dann herab, redete unsern Arthur an und teilte ihm mit, daß der König mit ihm zu reden wünschte. Dem jungen Engländer blieb keine andere Wahl, als sich zu nähern, wobei er jedoch in seinem Innern erwog, wie er sich gegen eine so sonderbare Art von Königswürde wohl zu benehmen hätte. Als er näher kam, redete König René ihn in höflichem, doch würdevollem Tone an, und als er nun dicht vor dem Könige stand, empfand Arthur eine weit größere Ehrfurcht, als er nach allem, was er von dem Charakter des Greises vernommen, jemals vor ihm zu hegen geglaubt hätte. »Eurem Aeußern nach, schöner Herr,« sagte René, »seid Ihr ein Fremdling in diesem Lande. Mit welchem Namen hat man Euch zu benennen und welchem Geschäfte hat man das Glück zuzuschreiben, Euch an unserm Hofe zu sehen?« – Arthur schwieg einen Augenblick, und der gute, alte Mann, der dies Schweigen der Scheu und Ehrfurcht zuschrieb, fuhr in einem ermutigenden Tone fort: »Bescheidenheit an einem Jünglinge ist jederzeit eine Zier. Sonder Zweifel seid Ihr ein Jünger der edlen, heitern Kunst des Minnesangs und der Musik, hierhergelockt durch den gern gebotenen Willkommengruß, den wir den Bekennern dieser Kunst gern gewähren, in welcher wir – gelobt seien Unsere heilige Mutter und die Heiligen! – uns selbst ein wenig versucht haben!« – »Ich ringe nicht nach der Ehre des Troubadours,« antwortete Arthur, »denn ich besitze weder Geschicklichkeit noch Verwegenheit genug, das nachzuahmen, was ich bewundere. Schlichte Wahrheit, Sire! Ich bin ein Engländer, und meine Hand ist zu starr geworden durch Bogenspannen, Lanzenschwingen und Schwertführen, um die Harfe zu schlagen oder gar den Pinsel führen zu können.« – »Ein Engländer!« sagte René, und die Wärme seines Empfanges kühlte sich ab. »Und was führt Euch hierher? England und ich, wir haben wenig Freundschaft miteinander gepflogen.« – »Aus diesem Grunde bin ich hier,« entgegnete Arthur; »ich komme Euer Hoheit Tochter, der Prinzessin Margarethe von Anjou, die ich und mancher getreue Engländer nach wie vor als unsere Königin betrachten, obwohl Verräter sich ihre Rechte anmaßten, meine Huldigung darzubringen,« – »Ach, guter Jüngling!« rief René. »Es tut mir leid um Euch, weil ich Eure Treue und Anhänglichkeit hochschätze. Dächte meine Tochter Margarethe wie ich, so würde sie längst auf Ansprüche verzichtet haben, deretwegen die edelsten und tapfersten unserer Vasallen in ein Meer von Blut getaucht wurden. Geht in meinen Palast und fragt nach dem Seneschall Hugo von Saint-Cyr! er wird Euch zu Margarethen führen – das heißt, so sie Verlangen trägt, Euch zu sehen. Wo nicht, guter englischer Jüngling, so weile in meinem Palaste, und Du sollst gastliche Aufnahme finden. Wenn Du Sinn hast, für Schönheit und edle Formen, so wird Dir das Herz im Busen hüpfen beim Anblick meines Palastes, dessen stattliches Aussehen wohl der tadellosen Gestalt irgend einer wohlerzogenen Dame oder der kunstreichen, nur dem Anscheine nach einfachen Melodie gleicht, die wir soeben zu einem Liede gesetzt haben.« Der König schien nach seinem Instrumente greifen und dem Jüngling das eben verfaßte Lied vorsingen zu wollen; allein Arthur empfand in diesem Augenblick jene Art sonderbarer Scham, die feinfühlende Seelen ergreift, wenn jemand, der sich etwas auf irgend eine Kunst einbildet, mit einem Vertrauen, als könnte er Bewunderung erregen, sich hervortun will und dabei doch, nur lächerlich wirken muß. Er nahm daher rasch Abschied von dem Könige von Neapel, beiden Sizilien und Jerusalem, und zwar auf eine Weise, die sehr wenig der herkömmlichen Etiquette entsprach. Der König blickte ihm etwas verwundert nach; schien aber sein Benehmen mangelhafter Erziehung zuzuschreiben und begann dann wieder auf seiner Geige zu fiedeln. »Der alte Tor!« sagte Arthur, »seine Tochter ist entthront, seine Staaten zerstückelt, sein Königshaus ist im Erlöschen, sein Enkel wird von einem Schlupfwinkel zum andern verscheucht und aus dem Erbe seiner Mutter vertrieben – dennoch findet dieser Greis Belustigung in dergleichen Albernheiten! Mit seinem langen weißen Barte hielt ich ihn für ebenso ehrwürdig, wie Nikolaus Bonstetten; allein dieser alte Schweizer ist, mit diesem Männlein verglichen, ein wahrer Salomo.« Unter solchen Betrachtungen erreichte Arthur den Springbrunnen und fand hier Thibault, der ihm versicherte, Gepäck, Pferde und Mannschaft wären so untergebracht worden, daß man ihrer auf den ersten Blick habhaft werden könnte. Dann führte er unsern Arthur nach des Königs Palast, der wegen der Eigenart und Schönheit seines Baues die Lobrede wohl verdiente, die der König ihm gehalten hatte. Arthur wunderte sich vor allem darüber, daß das Tor des Palastes offen stand und Leute aus allen Ständen ungehindert aus- und einzugehen schienen. Nachdem der Jüngling sich einige Minuten lang umgesehen hatte, stieg er die Stufen hinan und fragte bei dem Türsteher nach dem ihm vom König genannten Seneschall. Der wohlbeleibte Hüter übergab den Fremden einem Edelknecht, der ihn in ein Gemach führte, wo er einen Diener höheren Ranges fand, einen Mann mit freundlichem Gesicht, ruhigem, hellem Auge und einer Stirn, die sich wohl nie zum Ernst runzelte. »Ihr sprecht Nordfranzösisch, schöner Herr,« sagte er zu Arthur, »habt lichteres Haar und weißere Gesichtsfarbe als die Eingeborenen dieses Landes. – Ihr fragt nach der Königin Margarethe. – An allen diesen Zeichen erkenne ich in Euch den Engländer. Ihre Gnaden von England ist in diesem Augenblick beschäftigt, im Kloster zu Mont Saint-Victoire ein Gelübde abzulegen, und so Euer Name Arthur Philippson ist, so habe ich Auftrag, Euch sofort zu der Königin zu führen. Nur sollt Ihr zuvörderst Speise und Trank zu Euch nehmen.« Als dies geschehen, begleitete ihn der Seneschall bis an das Tor, und dort zeigte sich Thibault, nicht mit den ermüdeten Rossen, von denen sie vor einer Stunde abgestiegen waren, sondern mit frischen Kleppern aus dem Stalle des Königs. »Sie sind die Eurigen von dem Augenblicke an, wo Ihr den Fuß in den Steigbügel setzt,« sprach der Seneschall; »der gute König René nimmt niemals ein Pferd zurück, das einem Gaste geliehen wurde; und das ist vielleicht eine von den Ursachen, warum Seine königliche Hoheit und wir, seine Hausdiener, oftmals zu Fuße gehen müssen.« Hier verabschiedete sich Arthur von dem Seneschall und ritt fürbaß, um Königin Margarethe in dem berühmten Kloster Saint-Victoire aufzusuchen. Er fragte seinen Führer, in welcher Richtung dasselbe gelegen wäre, und dieser zeigte mit einer Art von Triumph auf einen etwa dreitausend Fuß hohen Berg, der sich in einer Entfernung von ein paar Stunden Weges von der Stadt erhob und mit seinem kühnen Felsgipfel das Wahrzeichen der Landschaft bildete. Thibault ritt dicht an seines Gebieters Seite und fragte ihn mit gedämpfter Stimme, ob er schon wüßte oder zu wissen begehrte, aus welcher Ursache Margarethe die Stadt Aix verlassen und sich in das Kloster von Saint-Victoire begeben hätte. – »Um ein Gelübde zu erfüllen,« sagte Arthur. – »Ich weiß es besser,« antwortete Thibault. »Um die Schwermut zu verscheuchen, in die seine Tochter versunken war und wodurch alles, was sich ihr näherte, gleichsam vergiftet wurde, traf König René, als sie auf einige Tage verreist war – man weiß nicht, weshalb oder wohin – umfassende Vorkehrungen zu einem lustigen Mummenschanz, in deren Veranstaltung er Meister ist. Als seine Tochter nun zurückkehrte und vor dem Palaste erschien, sah sie sich plötzlich von hundert Masken, Türken, Juden, Sarazenen und Mauren umringt, die ihr ihre Huldigung darbrachten und sie als die Königin von Saba begrüßten. Ein großes Musikstück rief die Masken auf, sich zu einem prächtigen Ballett zu vereinigen, indem sie die Königin auf höchst unterhaltende Weise und mit den seltsamsten Gebärden umtanzten. Frau Margarethe, bestürzt über den Lärm und verdrossen über diesen unerwarteten Ueberfall, wollte in den Palast gehen; allein auf Befehl des Königs waren die Pforten verschlossen. Die Königin wollte nun durch ein Zeichen und Worte den Tumult beschwichtigen; allein die Masken, die sich genau nach dem ihnen vorgeschriebenen Programm richteten, antworteten nur durch Gesang, Musik und Jubelgeschrei.« – »Ich wollte,« sprach Arthur, »es wären ein Schock englischer Jagddiener mit ihren Knütteln dagewesen, um den schreienden Schuften Ehrfurcht vor einer Dame einzubläuen, die die Krone von England trug.« – »Alles Getöse hörte sofort auf,« fuhr Thibault fort, »und sanfte Musik erklang, als der gute König selbst, in der Gestalt des Königs Salomo, erschien.«– »Mit welchem er unter allen Fürsten die wenigste Ähnlichkeit hat,« fiel Arthur ein. – »Er machte nun zur Bewillkommnung der Königin von Saba solche Sprünge und Gebärden, daß, wie Augenzeugen mir versicherten, selbst ein toter Mensch lebendig oder ein lebender Mensch des Todes vor Lachen geworden wäre. Je mehr er gaukelte und scherzte, desto aufgebrachter wurde die Königin, bis ihr Verdruß sich zu einer Art von Wahnsinn steigerte. Sie schlug ihm den Stab aus der Hand, brach sich durch die Volksmenge wie eine Tigerin Bahn, und eilte zum Vorhof des Palastes. Bevor die szenische Darstellung, die durch die Heftigkeit der Königin zerrissen worden war, wieder in Ordnung gebracht werden konnte, hatte sich die Fürstin bereits in Begleitung mehrerer Engländer aus ihrem Gefolge von hinnen begeben. Ohne auf ihre oder anderer Sicherheit weiter Rücksicht zu nehmen, jagte sie mit ihrem Rosse davon, flog wie ein Hagelwetter durch die Gassen und zog die Zügel nicht eher an, als bis sie zur Hälfte den Berg Saint-Victoire hinaufgeritten war. Sie wurde hierauf im Kloster aufgenommen und ist dort geblieben. Ein Gelübde muß jetzt als Deckmantel des Zwistes zwischen ihr und ihrem Vater dienen.« »Wie lange ist das her?« fragte Arthur. – »Es sind erst drei Tage verflossen, seit die Königin Margarethe die Stadt Aix verließ. Doch seht! dort erhebt sich das Kloster zwischen zwei ungeheuren Felsen, die den Gipfel des Berges Saint-Victoire bilden. Es ist dort weiter kein ebener Raum als der Spalt, in den das Kloster der heiligen Maria zum Siege eingebettet liegt, und der Zugang dazu wird durch höchst gefährliche Abgründe gesichert. Hier müßt Ihr vom Pferde steigen und den schmalen Fußpfad einschlagen, der sich endlich zu der Spitze des Felsens und zur Pforte des Klosters emporschlängelt.« – »Und was wird aus Euch und den Pferden?« fragte Arthur. – »Wir wollen in dem Hospiz bleiben,« sagte Thibault, »das die frommen Väter am Fuße des Berges zur Bequemlichkeit der Pilger unterhalten – denn ich sage Euch, von gar manchem Fernwohnenden wird zu Roß wie zu Fuß das Kloster besucht. Sorgt nicht für mich – ich komme schon zuerst von uns unter Dach!« Arthur stieg den steilen Pfad hinan, der zum Kloster führte; indem er bald senkrechte Felsstücke erklomm, bald deren Spitzen auf Umwegen erreichte. Der Weg wand sich durch Dickicht von Buchsbaum und anderem duftenden Gesträuch, das den Bergziegen einiges Futter gewährte, jedoch dem Reisenden, der sich hindurcharbeiten mußte, ein ärgerliches Hindernis war. Die Krone dieses Berges bestand aus einem nackten Felsen und war durch einen Spalt oder eine Oeffnung in zwei Gipfel oder Spitzen geteilt, zwischen denen aller Raum von dem daselbst errichteten Klostergebäude eingenommen ward. Die Vorderseite dieses Gebäudes war von uralter, gotischer Bauart und entsprach dem wilden Ansehen der nackten Klippe, deren Form einen Teil des Klosters auszumachen schien. Auf ein Glockenläuten erschien ein Laienbruder, der Pförtner dieses seltsam gelegenen Klosters. Arthur gab sich für einen englischen Kaufmann namens Philippson aus, der gekommen sei, der Königin Margarethe seine Huldigung darzubringen. Mit vieler Hochachtung wies der Pförtner den Fremden in das Kloster und dann in das Sprechzimmer, das, nach Aix hinüberblickend, eine weite, herrliche Aussicht auf die südlichen und westlichen Teile der Provence darbot. Arthur betrachtete entzückt die ferne Landschaft, die, von der Abendsonne beleuchtet, in verglimmendem Schimmer dalag. Die sinkenden Strahlen zeigten im dunkelroten Glanze eine weitgedehnte Mannigfaltigkeit von Hügeln, Höhen und Tälern, Feldern und Ackerland, mit Städten, Kirchen und Burgen, von denen etliche sich zwischen Bäumen erhoben, andere auf felsigen Höhen erbaut zu sein schienen, wieder andere an dem Ufer eines Sees oder Stroms hervorlugten. Plötzlich aber wurde das schöne Bild verhüllt durch den dunklen Schatten heranziehender Wolken, die sich allmählich über einen großen Teil des Horizonts hinlagerten und die Sonne zu verfinstern drohten, und heulend strich der Wind durch die Klüfte des Berges. Während Arthur das wunderbare Naturschauspiel betrachtete, vergaß er über dem erhebenden Anblick fast das wichtige Geschäft, das ihn hierher geführt hatte, als er plötzlich Margarethe von Anjou neben sich erblickte. Die Königin trug ein schwarzes Gewand, ohne allen Schmuck, einen goldenen, etwa einen Zoll breiten Reifen ausgenommen, der ihre langen schwarzen Haarflechten zusammenhielt, die durch das ihr nahende Alter und durch schwere Kümmernisse zum Teil ihren Glanz verloren hatten. Aus dem Reifen hervor hub sich eine schwarze Feder mit einer roten Rose, der letzten des Jahres, die der fromme Gärtner des Klosters ihr an diesem Morgen als Sinnbild ihres Hauses verehrt hatte. Sorge, Bekümmernis und Ermattung schienen auf ihrer Stirn und in ihren Gesichtszügen zu lagern. Jedem andern Boten hätte sie wahrscheinlich Vorwürfe gemacht, nicht rascher seiner Pflicht nachgekommen zu sein; allein Arthurs Alter und Gestalt erinnerten sie stets an ihren geliebten, verlorenen Sohn, und außerdem war Arthur der Sohn einer Dame, die von Margarethen mit fast schwesterlicher Innigkeit geliebt worden war. Daher erweckte Arthurs Erscheinen jedesmal in der entthronten Königin mütterliche Zärtlichkeit. Sie hieß ihn aufstehen, als er zu ihren Füßen kniete, sprach mit vieler Huld zu ihm und ermunterte ihn, ihr ganz ausführlich seines Vaters Botschaft auszurichten, auch ihr sonstige Nachrichten von seinem Aufenthalt in Dijon zu melden. Dann fragte sie plötzlich, welches Weges der Herzog Karl von Burgund mit seinem Heere zöge. – »Soviel ich von dem Hauptmann seines Geschützes gehört habe,« antwortete Arthur, »zieht er nach Welsch-Neuenburg, wo er den ersten Angriff gegen die Schweizer zu machen gedenkt.« – »Der eigensinnige Tor!« sagte die Königin Margarethe. »Er gleicht einem armen Mondsüchtigen, der die Höhe eines Berges erklettert, um, wie er meint, dem Regen auf halben Wege entgegenzugehen. Rät Dein Vater mir denn,« fuhr Margarethe fort, »um etlicher tausend Krontaler und der kümmerlichen Mitwirkung weniger hundert Lanzen willen unserm stolzen und eigensinnigen Vetter von Burgund, der auf alles, was unser ist, Anspruch macht und dafür so wenig Hilfe verspricht, alles das hinzugeben, was von unserm väterlichen Erbe unser ist?« »Ich würde meines Vaters Auftrag schlecht ausrichten,« sagte Arthur, »wenn ich Eure Hoheit in dem Wahne ließe, daß er ein so großes Opfer anriete. Er fühlt tief des Herzogs von Burgund gieriges Verlangen nach Länderbesitz. Dessenungeachtet meint er, die Provence müsse nach dem Tode des Königs René oder früher entweder dem Herzog Karl oder dem König von Frankreich zufallen, was für Widerstand auch Eure Hoheit gegen solche Verfügung aufbieten möge, und es mag wohl sein, daß mein Vater, als Ritter und Kriegsverständiger, sich von einem abermaligen Versuch auf Britannien viel verspricht. Allein die Entscheidung muß Eurer Hoheit überlassen werden.« – »Junger Mann,« sagte die Königin, »die Erwägung einer so schweren Frage beraubt mich fast des Verstandes. Margarethe, deren Entschließungen einst fest und unbeweglich wie der Fels waren, auf dem dieses Kloster steht, ist jetzt so unschlüssig und wankelmütig wie die Wolken, die um uns her jagen. In der Freude, mit einem so treuen Vasallen zusammenzutreffen, sagte ich zu Deinem Vater, daß ich alle Opfer bringen wollte, um den Beistand Karls von Burgund zu einer so ritterlichen Unternehmung zu gewinnen, wie der treue Oxford sie mir vorschlug. Doch seitdem habe ich Ursache gehabt, mir das alles reiflich zu überlegen. Ich kehrte zu meinem betagten Vater nur zurück, um ihn zu beleidigen, ja, mit Scham bekenne ich es, um dem Greise vor seinem Volke Schmach anzutun. Seine Gemütsart ist so von der meinigen verschieden wie der Sonnenschein, der vor kurzer Frist eine heitere, schöne Landschaft vergoldete, von dem Sturme, der jetzt wütet. Mit unverhülltem Hohn und offenbarer Geringschätzung, überdrüssig der eitlen Torheiten, die er zur Tröstung einer entthronten Königin, einer verwitweten Gattin und ach! einer kinderlosen Mutter vorbrachte, zog ich mich vor der geräuschvollen und müßigen Lust, die meinen Gram nur noch verschärfte, hierher zurück. Seitdem ich nun hier bin und Stille und Einsamkeit mir Zeit zum Nachdenken gewähren, habe ich an die Kränkungen gedacht, die ich dem alten Manne zufügte, und an das Unrecht, das ihm zu tun ich im Begriffe stand. Mein Vater – um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, – ist auch der Vater seines Volkes. Dieses Volk hat in seinen Weingärten und unter seinen Feigenbäumen in unendlicher Bequemlichkeit vielleicht, jedoch auch frei von Unterdrückung und Erpressung gelebt, und dieses Volkes Glück ist auch das Glück seines guten Königs. Muß ich all dies umgestalten? – Muß ich dazu verhelfen, dieses zufriedene Volk einem verwegenen, eigenwilligen, herrschsüchtigen Fürsten zu überliefern? – Würde ich nicht sogar das fröhliche und sorgenlose Herz meines armen alten Vaters brechen, wenn es mir glückte, ihn zu solchem Verzicht zu bestimmen? Dies sind Fragen, die ich mir nur mit Schauder vorlege. Andererseits aber handelt sich's dann darum, die kühnen Pläne Eures Vaters zunichte zu machen, die einzige Gelegenheit zu verscherzen, die sich jemals wieder darbieten mag, Rache zu nehmen an den Verrätern und das Haus Lancaster wiederherzustellen! –Ach, Arthur! die Natur um uns her ist nicht so bewegt durch den schauerlichen Sturm, wie meine Seele es ist durch Zweifel und Ungewißheit!« »Leider,« sprach Arthur, »bin ich zu jung und zu unerfahren, um in so bedenklichem Falle der Ratgeber Eurer Majestät zu sein. Ich wollte, mein Vater wäre hier,« – »Ich weiß, was er sagen würde,« versetzte die Königin, »und da ich es weiß, verzweifle ich an der Hilfe menschlicher Ratgeber. Meines armen Vaters Lage macht es mir unmöglich, einen festen Entschluß zu fassen. Handelte es sich bloß um dieses pfeifende, winzige Volk von Troubadouren, so wollte ich es allein für das Glück, meinen Fuß noch einmal auf Englands Erde zu setzen, ebenso bereitwillig und leicht von mir schütteln, wie ich dem Sturme dieses verschollene Sinnbild meines verlorenen Königtums überantworte!« – Indem Margarethe dies sagte, riß sie aus ihrem Haar die dunkle Feder mit der roten Rose, die durch den Sturmwind von dem Goldreif gelöst worden waren, und ließ sie mit einer wilden Gebärde über den Altan hinabwehen. Beide wurden augenblicklich von einer Windsbraut hinweggeführt, so daß die Feder weithin im leeren Raume, wohin das Auge ihr nicht folgen konnte, verschwand. Doch während Arthur unwillkürlich sich bemühte, ihren Flug zu verfolgen, warf ein entgegengesetzter Windstoß die rote Rose zurück, so daß sie auf seine Brust fiel, wo er sie auffing. »Freude, Glück und Freude, meine königliche Herrin!« rief er, indem er Margarethen die Blume zurückgab! »der Sturm bringt das Wappenzeichen des Hauses Lancaster der rechtmäßigen Eigentümerin zurück!« – »Ich nehme die Deutung an,« sprach Margarethe, »doch sie ist Euch geworden, edler Jüngling, und nicht mir. Die Jeder, die dem Verderben und der Vernichtung entgegengeführt wurde, ist ein Bild Margarethens. Meine Augen werden nimmer die Wiederaufrichtung des Hauses Lancaster erblicken! Ihr aber werdet es erleben, werdet selber dabei tätig sein. Doch meine Gedanken sind so seltsam schwankend, daß eine Rose oder Feder ihr Gleichgewicht aufzuheben imstande ist. O! mein Kopf ist schwindlig, mein Herz ist krank,– Morgen sollt Ihr eine andere Margarethe sehen, und bis dahin – Lebewohl!« Es war Zeit, sich zurückzuziehen, denn das Unwetter begann heftigere Regengüsse herabzuschütten. Die Königin rief durch ein Händeklatschen zwei ihrer Dienerinnen. »Laßt den Pater Abt wissen,« sagte sie, »daß dieser junge Mann für diese Nacht so beherbergt werden soll, wie es sich für einen unserer geschätztesten Freunde geziemt. – Bis morgen, Sir, Lebewohl!« – Mit einem Angesicht, das nichts mehr von der Erregung der letzten Augenblicke verriet, und mit einer Majestät, die ihr in den Gemächern des Schlosses zu Windsor wohlgestanden hätte, reichte sie dem Jünglinge die Hand, die er ehrfurchtsvoll küßte. Fünfzehntes Kapitel Als kaum der Morgen graute, trat in Arthurs Zelle der Pförtner, um ihm zu sagen, daß, so sein Name Arthur Philippson wäre, ein Bruder des Klosterordens ihm Briefschaften von seinem Vater zu überbringen hätte. Der Jüngling fuhr auf, kleidete sich hastig an und wurde in das Sprechzimmer geführt, wo ein Karmelitermönch seiner harrte. »Ich bin manche Stunde Weges geritten, junger Mann,« sagte der Mönch, »um Euch dieses Schreiben zu überreichen, indem ich Eurem Vater unverzügliche Besorgung versprochen habe. Ich kam während des Sturmes in voriger Nacht zu Aix an, und da ich im Palast erfuhr, Ihr wäret hierher geritten, saß ich auf, sobald das Unwetter sich legte, und bin jetzt hier.« – »Ich bin Euch dankbar, Vater,« sagte der Jüngling, »und wenn ich Eure Mühe mit einer kleinen Gabe an Euer Kloster vergelten kann, so . .« – »Durchaus nicht,« antwortete der Klosterbruder. »Die Kosten meiner Reise sind mir reichlich vergütet worden. Doch öffnet Eure Briefschaften, ich bin imstande, auf Eure Fragen zu antworten.« Der Jüngling trat demnach an die Brüstung eines Fensters und las: »Sohn Arthur. – Was den Zustand dieses Landes anbetrifft, so ist das Reisen hier jetzt sehr gefährlich. Der Herzog hat die Städte Brie und Granson weggenommen und fünfhundert Mann getötet, die er als Besatzung daselbst gefangen nahm. Allein die Eidgenossen nähern sich mit großer Streitmacht, und Gott wird für das Recht entscheiden. Wie auch das Spiel auslaufe, so ist dies eine scharfe Fehde, in der auf beiden Seiten wenig von Schonung die Rede ist, und deshalb bietet sich für Leute unseres Gewerbes nicht eher Sicherheit, als bis die Entscheidung gefallen sein wird. Mittlerweile magst Du der verwitweten Dame versichern, daß unser Kunde nach wie vor Neigung zum Kaufe der in ihren Händen befindlichen Waren hat; doch wird er kaum eher Zahlung leisten können, als bis die dringenden Geschäfte, die er jetzt betreibt, beendigt sind. Das wird, hoffe ich, bald geschehen. Ich habe einen in die Provence reisenden Mönch zum Ueberbringer dieses Briefes gedungen, und er wird ihn Dir hoffentlich treulich einhändigen. Dem Boten ist zu trauen. – Dein Dich liebender Vater John Philippson,« Arthur forschte bei dem Karmeliter nach der Zahl der herzoglichen Kriegsschar, die der Mönch auf sechstausend angab, während die Eidgenossen, wie er sagte, trotz aller Bemühungen nicht mehr als den dritten Teil dieser Anzahl hätten zusammenbringen können. Der junge Ferrand de Vaudemont wäre bei den Schweizern und hätte, wie man meinte, geheimen Beistand von Frankreich erhalten; da er aber nicht sonderlich in den Waffen erfahren wäre, auch nur wenige Mannschaft zählte, so trüge der leere Titel, den er als Feldherr führte, nicht viel zur Verstärkung der Eidgenossenschaft bei. Im ganzen berichtete er, schien alles für Karl von Burgund günstig zu stehen, und Arthur, der der Meinung war, daß seines Vaters Unternehmen nur dann glücken könne, wenn der Herzog Glück hatte, freute sich nicht wenig, dies, soweit durch Ueberzahl an Kriegsmannschaft darauf zu schließen war, gesichert zu wissen. Er hatte keine Zeit, weiter zu fragen; denn die Königin war soeben eingetreten, und der Karmeliter zog sich mit tiefer Verbeugung zurück. Die Blässe auf dem Angesichte Margarethens zeugte noch von ihrer gestrigen Aufregung; doch als sie Arthur huldreich den Morgengruß bot, war ihre Stimme fest, ihr Auge klar, ihre Haltung ungebeugt, »Ich sehe Euch anders wieder,« sagte sie, »als ich Euch gestern verließ; denn mein Vorsatz ist gefaßt. Ich sehe ein, wenn René nicht freiwillig auf die Provence verzichtet, so wird er gewaltsam von diesem Thron gestoßen werden und dabei vielleicht noch sein Leben verlieren. Deswegen wollen wir mit aller Eile ans Werk gehen. Ich kann die Abdankungs- und Uebertragungsschrift von hier aus unter meiner Leitung anordnen und deren Vollziehung zustande bringen, wenn ich nach Aix zurückkehre. Dies soll geschehen, sobald meine Buße hier ihr Ende erreicht hat,« – »Und dieser Brief, huldvolle Frau,« sagte Arthur, »wird Euch kundtun, welche Ereignisse herannahen, und von welcher Wichtigkeit es ist, durch Vorarbeiten Zeit zu gewinnen. Setzt mich nur in den Besitz des notwendigen Abdankungsbriefes, und ich werde Tag und Nacht reisen, um in das Lager des Herzogs zu gelangen. Höchstwahrscheinlich werde ich ihn im Momente des Sieges erreichen. In solcher Stunde werden, ja müssen wir seinen Beistand erhalten; und wir werden bald sehen, ob der ausschweifende Eduard von York, der wilde Richard, der verräterische und meineidige Clarence fernerhin noch die Herren des fröhlichen Englands bleiben werden, oder ob sie einem rechtmäßigeren Monarchen, einem bessern Menschen weichen müssen. Aber, o königliche Frau, auf Eile kommt alles an.« »Wahr – jedoch nach einer Frist von wenigen Tagen wird und muß der Würfel zwischen Karl und seinen Gegnern fallen, und bevor wir eine so große Schenkung machen, dürfte es doch geraten sein, sich zu versichern, ob der, den wir so begünstigten, auch imstande bleibt, uns Beistand zu leisten. Alle Ergebnisse eines tragischen, vielbewegten Lebens haben mich erkennen lehren, daß nichts über einen unbedeutenden Feind geht. Doch will ich mich beeilen, indem ich im voraus hoffe, daß uns gute Kunde von Neuenburg zukommen werde.« »Wer aber soll dazu gebraucht werden, diese wichtige Entsagungsschrift zu entwerfen?« fragte der Jüngling. Margarethe sann nach, dann versetzte sie: »Euer Vater schreibt, dem Karmeliter, der Euch das Schreiben überbrachte, sei zu trauen – er soll ans Werk. Er ist ein Fremder und wird schweigen, wenn er ein Stück Geld erhält. Lebt wohl, Arthur de Bere! Ihr werdet von meinem Vater mit aller Gastfreundschaft behandelt werden. Gott befohlen!« Arthur stieg mit raschen Schritten den Berg hinab. Das Wetter war jetzt überaus heiter, und angesichts der Berglandschaft dachte der junge Mann an die Felsen im Kanton Unterwalden und an das Mädchen, das er dort hatte kennen lernen. Er vergaß über dem süßen Träumen die Mahnung seines Vaters, der ihm ans Herz gelegt hatte, jeden Brief von ihm geheimen Inhalts wegen über ein starkes Feuer zu halten. Erst der Anblick einer Wärmpfanne voll Holzkohlen in der Küche des Hospizes am Fuße des Berges, wo er Thibault mit den Rossen fand, erinnerte ihn daran. Er hielt nun das Papier, als wollte er es trocknen, über die Glut, und groß war sein Erstaunen, als nun ein eingeschaltetes, höchst wichtiges Wort in dem Schreiben sichtbar wurde, so daß er jetzt lesen mußte: »Dem Boten ist nicht zu trauen.« Von Scham und Verdruß ergriffen, konnte Arthur keinen andern Ausweg finden, als augenblicklich in das Kloster zurückzukehren und der Königin die Entdeckung mitzuteilen, wobei er noch hoffte, früh genug zu kommen, um jeglicher Gefahr vorzubeugen, die aus der Verräterei des Karmeliters etwa entstehen könnte. – Aergerlich auf sich selbst und voll Eifers, seine Sache wieder gut zu machen, erstieg er nochmals die steile Höhe, und binnen vierzig Minuten stand er atemlos und keuchend vor der Königin Margarethe, die über sein Erscheinen und seine Erschöpfung nicht wenig erstaunt war. »Traut dem Karmeliter nicht!« rief er. – »Ihr seid verraten, Königin, und zwar durch meine Nachlässigkeit. Hier ist mein Dolch, stoßt ihn mir in das Herz!« Margarethe begehrte und erhielt deutlichere Erklärung. »Es ist ein unglücklicher Zufall,« sagte sie darauf. »Doch hätte auch Euer Vater uns deutlicher warnen können. Ich habe dem Karmeliter den Inhalt des Vertrages mitgeteilt und ihn mit der Niederschrift beauftragt. Er hat mich eben verlassen, um der Hora beizuwohnen. Wir können das unbedachtsamerweise geschenkte Vertrauen nicht mehr zurücknehmen, allein ich kann leicht bewirken, daß der Mönch nicht eher aus dem Kloster hinausgelassen wird, als bis es für uns gleichgiltig ist, ob er ein Verräter ist oder nicht. Dies ist der beste Weg, den wir einschlagen können, und ich will Sorge tragen, daß alle Unbequemlichkeit, die er durch sein Hierbleiben erleidet, ihm reichlich belohnt werde. Mittlerweile ruhe aus, guter Arthur, und lüfte Dir Dein Gewand. Armer Junge, Du bist ganz erschöpft!« Arthur gehorchte und ließ sich auf einen Sessel im Sprechzimmer nieder. »Könnte ich den falschen Mönch nur sehen,« sagte er, »so wollte ich ein Mittel finden, ihn zum Schweigen zu bringen.« – »Besser ist es, Du überläßt es mir,« sagte die Königin, »und mit einem Worte: ich untersage es Dir, Dich mit ihm einzulassen. Es freut mich, daß Ihr die heilige Reliquie, die ich Euch verehrte, um den Hals tragt. Doch was für ein maurisch Zauberkettlein hängt daneben? Ach! ich brauche nicht zu fragen, Eure hochroten Wangen deuten nur zu sehr auf ein zartes Liebeszeichen, Ach! armer Knabe! Einst hätte Margarete von Anjou Dir Beistand sein können, auf wen Deine Neigung sich auch gerichtet haben möchte; allein jetzt kann sie nur das Unglück ihrer Freunde vergrößern, nicht aber deren Glück befördern. Doch das Zaubermädchen, Arthur? Ist sie schön? ist sie verständig und tugendreich? Ist sie von edler Geburt und – liebt sie Dich?« Margarethe überschaute des Jünglings Gesicht mit dem Blick eines Adlers und fuhr fort: »Auf all das möchtest Du mir mit ja antworten, wenn die Verschämtheit es Dir gestattete. Liebe auch Du sie denn, mein ritterlicher Knabe! denn Liebe ist die Zwillingsschwester edler Handlungen, mein wackerer Jüngling – hochgeboren, treu, tapfer und tugendhaft, verliebt und jugendlich. – Das Rittertum des alten Europa glüht allein noch in einem Busen, wie der Deinige ist. Nun lebe wohl! Nach drei Tagen sehen wir uns in Aix,« Arthur schied nochmals von der Königin, über deren Herablassung er in tiefster Seele entzückt war, und kehrte zu seinem Führer zurück. Nach einem Ritt von einer guten Stunde erreichten sie Aix, und Arthur verlor keine Zeit, sich dem guten König René vorzustellen, der ihn huldreich empfing, und zwar sowohl wegen des Empfehlungsschreibens des Herzogs von Burgund, wie in Erwägung dessen, daß der Fremde ein Engländer war, der als treuer Untertan der unglücklichen Margarethe anhing. Er konnte dem Verlangen des alten Königs, ihm seine Gedichte vorzulesen oder seine Musik vorzuspielen, durch nichts anderes ausweichen, als daß er ihn in ein Gespräch über seine Tochter Margarethe verflocht. Arthur war zu verschiedenen Malen geneigt gewesen, daran zu zweifeln, ob die Königin wirklich den Einfluß auf ihren betagten Vater besäße, dessen sie sich rühmte; doch als er mit dem Könige persönlich bekannt war, überzeugte er sich, daß ihr herrschender Geist, ihre heftigeren Leidenschaften dem schwachherzigen und leidenden König eine Mischung von Stolz, Zuneigung und Furcht einflößten, die miteinander ihr die vollkommenste Gewalt über ihn einräumten. Obgleich sie erst kürzlich auf so unfreundliche Weise von ihm geschieden war, freute René sich doch, als er von ihrer baldigen Rückkehr hörte. Der alte König war ungeduldig wie ein Kind, ehe der Tag ihrer Ankunft herankam, und ließ sich nur nach langen Gegenreden davon abbringen, ihr als Fürst der Hirten an der Spitze eines Zuges arkadischer Schäfer und Nymphen entgegenzuziehen, deren gemeinsame Tänze und Gesänge zu begleiten jede Schalmei und jede Handtrommel des Landes in Bewegung gesetzt werden sollte. Während Margarethens Abwesenheit gingen die Tage am Königshofe in der Provence in Scherzen und Belustigungen aller Art dahin: Turniere in den Schranken, Reiten nach dem Ringe, Jagden fanden statt; abends erscholl Musik, und lustige Tänze begannen. Am vierten Tage lief durch einen Schnellboten die Nachricht ein, daß die Königin Margarethe vor der Mittagsstunde nach Aix zurückkehren würde, um ihre Wohnung wieder in ihres Vaters Palaste zu nehmen. Der gute König René schien sich, als die Stunde herannahte, doch ein wenig vor seiner Tochter zu fürchten und teilte seine ängstliche Unruhe allem mit, was ihn umgab. Er quälte seinen Haushofmeister und seine Köche, sich all der Schüsseln zu erinnern, von denen seine Tochter mit Wohlgefallen zu essen pflegte – er trieb die Spielleute an, der Melodien zu gedenken, die ihren Beifall gefunden hätten. Das Mahl sollte um halb zwölf Uhr aufgetragen werden, gleich als könnte man dadurch die Ankunft des erwarteten Gastes beschleunigen; und der König schritt mit dem Tellertuch über dem Arm in der Halle von Fenster zu Fenster, und bestürmte jeden mit der Frage, ob noch nichts von der Königin von England zu sehen wäre. Mit dem Schlage der Mittagsstunde ritt, von einem sehr kleinen, hauptsächlich aus Engländern bestehenden Gefolge begleitet, Margarethe von Anjou zur Stadt Aix hinein. König René ging ihr an der Spitze seines Hofes die Straße hinab entgegen. Margarethe war dieser öffentliche Empfang auf dem Marktplatze höchst unangenehm. Allein sie trug auch Verlangen, ihre jüngst geäußerte Heftigkeit wieder gut zu machen, und stieg deswegen von ihrem Zelter herab. Obgleich sie etwas betroffen darüber war, daß König René mit dem Tellertuche sie begrüßte, so demütigte sie sich doch soweit, daß sie ein Knie vor ihm beugte und ihn um Vergebung und um seinen Segen bat. Dann begab sie sich am Arme des Vaters in den Palast, wo das Wiedersehen festlich begangen wurde. Zwischen dem Mahle und dem darauffolgenden Tanzfeste suchte die Königin Gelegenheit, mit Arthur zu sprechen. – »Schlimme Nachrichten, mein weiser Ratgeber!« sagte sie. »Nachdem die Hora vorüber war, erschien der Karmeliter nicht mehr bei mir. Als er erfuhr, daß Ihr eilig zurückgekommen wäret, hat er, wie ich vermute, Verdacht geschöpft und daraufhin schleunigst das Kloster verlassen. Ich will morgen mit meinem Vater reden. Mittlerweile dürft Ihr Euch der Lustbarkeit dieses Abends erfreuen. Liebes Fräulein von Boisgelin, ich gebe Euch diesen jungen Kavalier heute abend zum Tänzer.« Die hübsche schwarzäugige Provenzalin verneigte sich mit geziemenden Anstande und musterte den schlanken, jungen Engländer mit wohlgefälligen Blicken. »Glückliches Vorrecht der Jugend,« setzte die Königin mit einem Seufzer hinzu, als das junge Paar seinen Platz zum Ringeltanze einnahm. – »Glückliches Vorrecht der Jugend, auch am rauhesten Lebenswege ein Blümchen zu pflücken.« Sechzehntes Kapitel Am folgenden Tage hatte König René neue Festlichkeiten angeordnet, als zu seinem größten Mißbehagen Margarethe um eine ernsthafte Unterredung mit ihm bat. Gab es in der Welt einen Antrag, den René von ganzem Herzen verabscheute, so war es der, in dem das Wort Geschäft vorkam. »Was will denn das Kind von mir?« fragte er; »will sie Geld haben? Ich will ihr geben, was ich an Barem besitze, wiewohl ich gestehe, daß meine Schatzkammer etwas erschöpft ist; doch erwarte ich neue Jahreseinkünfte. Zehntausend Kronen habe ich noch. Wieviel wünscht sie davon? Die Hälfte? – ein Drittel? – das Ganze? – Alles ist zu ihren Diensten.« – »Ach, mein teurer Vater,« sagte Margaretha, »es sind nicht meine Angelegenheiten, sondern die Eurigen, worüber ich mit Euch reden will.« – »So es meine Angelegenheiten sind,« sagte René, »so kann ich sie bis zu einem andern Tage verschieben – bis auf irgend einen düstern Regentag, der zu nichts Besserm taugt.« –»Was ich mit Euch zu besprechen habe, betrifft Ehre und Rang, Leben und Lebensunterhalt!« – »Wenn Du darauf bestehst, Kind,« sagte König René, »so weißt Du, daß ich nicht nein sagen kann.« Und mit Widerwillen ließ er sich in ein inneres Gemach führen. Um jede Störung fernzuhalten, erhielten Margarethens Schreiber Mordaunt und Arthur die Weisung, im Vorgemach zu weilen und niemand einzulassen. Der arme König, der in das Regierungskabinett geführt wurde, blickte mit innerlichem Schauer auf das ebenholzene, mit Silber beschlagene Kästchen, dessen Inhalt ihm bisher stets höchst langweilige Verhandlungen beschert hatte; doch als die Papiere ihm nun vorgelegt waren, zeigte es sich, daß sie, wiewohl auf schmerzliche Weise, seine ganze Aufmerksamkeit rege machten. Seine Tochter nannte ihm klar und mit kurzen Worten die Schuldsummen, die auf seinen Besitzungen lasteten, und erklärte, wie die letzteren in kleineren und größeren Teilen verpfändet waren. Dann zeigte sie ihm auf einem andern Blatte die Forderungen, deren Zahlung sofort geleistet werden sollte, und zu deren Deckung sich kein Bargeld vorfand. Der König kämpfte dagegen, wie andere Leute in ähnlicher trübseliger Lage tun. Bei jeder Schuldforderung von sechs, sieben oder achttausend Dukaten wiederholte er die Versicherung, daß er zehntausend Krontaler in seiner Kanzlei habe, und wollte durchaus nicht begreifen, daß diese Summe nicht zur Tilgung einer dreißigmal so großen Schuld in Anschlag gebracht werden könnte, »Sind wir nicht,« sagte Rene, »König von Neapel, Aragon, beiden Sizilien und Jerusalem? Und warum soll der Monarch so schöner Königreiche einem bankerotten Landedelmann gleich um ein Paar lumpiger Krontaler willen in die Enge getrieben werden?« – »Ihr seid freilich König dieser Reiche,« entgegnete Margarethe, »allein es ist notwendig, Eure Majestät daran zu erinnern, daß Ihr es so seid, wie ich Königin von England bin, von einem Lande, wo kein Ackerstück mein ist, und aus welchem ich nicht eines Hellers Wert an Einkünften ziehen kann. Ihr habt keine Besitzungen, die Euch etwas einbrächten, außer diesen, die Ihr auf dieser Rolle verzeichnet seht, und deren Einkünfte hier genau berechnet sind. Diese Einkünfte reichen bei weitem nicht aus, Euren Aufwand zu bestreiten, geschweige denn die großen Summen längst fälliger Schulden zu bezahlen,« – »Es ist grausam, mich so zu drängen,« sagte der König, »Was kann ich tun? Bin ich arm, so kann ich nicht dafür. Ich möchte recht gern die Schulden tilgen, von denen Du schwatzest, wenn ich nur wüßte, wie.« – »Königlicher Vater, das will ich Euch zeigen, – Entsagt Eurer unnützen Würde, die nur dazu dient, Eure Armut lächerlich zu machen. Entsagt Euren Rechten als Monarch, und das Einkommen, das zu den nichtigen Vergeudungen eines bettelhaften Hofstaates nicht auszureichen vermag, wird Euch in den Stand setzen, in Ruhe und Ueberfluß und als Privatedelmann alle die Vergnügungen zu genießen, für die Ihr so eingenommen seid.« – »Margarethe, Du sprichst wie eine Törin,« antwortete Rene etwas finster, »Ein König und sein Volk sind durch Bande aneinandergeknüpft, die niemand, ohne sich strafbar zu machen, zerreißen darf. Meine Untertanen sind meine Herde, ich bin ihr Hirt. Der Himmel hat sie meiner Leitung anvertraut, und ich darf mich der Pflicht nicht entheben, sie zu schützen.« – »Wärt Ihr dazu imstande,« antwortete die Königin, »so würde Margarethe Euch beschwören, bis zum Tode dafür zu fechten. Doch legt nur einmal Euren längst nicht mehr gebrauchten Harnisch an – besteigt Euer Kriegsroß – ruft: »René für die Provence!« und seht zu, ob sich auch nur hundert um Eure Fahnen sammeln. Eure Festen sind in fremden Händen, ein Heer besitzt Ihr nicht; Eure Vasallen mögen guten Willen haben, doch entbehren sie alles Kriegsgeschickes und aller Kriegserfahrung. Ihr steht da, wie der Schatten eines Monarchen, den Frankreich oder Burgund, wer von beiden nur zuerst die Waffen erheben will, verscheuchen und verschwinden lassen kann.« Tränen flossen reichlich über die Wangen des alten Königs, als er sich eingestehen mußte, daß es ihm gänzlich an Macht gebrach, sich und seine Staaten zu verteidigen, als er einräumen mußte, daß er es oft selbst für notwendig erachtete, sich wegen seiner Entsagung mit einem seiner machtbegabten Nachbarn ins Vernehmen zu setzen. – »Nur die Rücksicht auf Dich, Margarete,« setzte er hinzu, »hielt mich bisher davon ab.« – »Die Rücksicht auf mich fordert jedoch gerade die Entsagung,« antwortete Margarethe. »Ja, sie ist vielleicht der einzige Wunsch, den mein Busen hegt.« – »Genug, mein Kind, gib mir die Abdankungsschrift, daß ich sie unterzeichne. Wir müssen Weh erleiden, doch ist's nicht nötig, deswegen Trübsal zu blasen.« – »Fragt Ihr nicht,« sagte Margarethe, überrascht von des Vaters Bereitwilligkeit, – »wem Ihr Eure Staaten abtretet?« – »Was nützt es,« antwortete der König, »da sie nicht mehr die unsrigen bleiben sollen? Muß es doch entweder Karl von Burgund oder mein Neffe Ludwig sein – beide sind machtbegabte, staatskluge Fürsten, Gott füge es, daß mein armes Volk nicht Ursache habe, mich alten Mann zurückzuwünschen, dessen einziges Vergnügen es war, seine Untertanen fröhlich und glücklich zu sehen.« »Burgund ist's, dem Ihr die Provence abtretet,« sagte Margarethe. – »Karl ist auch mir lieber als Ludwig,« entgegnete René; »er ist wild, aber nicht boshaft. Noch ein Wort, sind meiner Untertanen Rechte und Freiheiten vollkommen gesichert?« – »Vollkommen,« versetzte die Königin, »und für all Eure Bedürfnisse ist auf das ehrenvollste gesorgt.« – »Ich frage nicht um meinetwillen. René, der Troubadour, wird eben so glücklich sein wie René, der König, es jemals war.« Als er dies gesagt hatte, pfiff er in praktischer Lebensweisheit leise die Melodie eines jüngst gesetzten Liedchens und unterzeichnete, ohne nur den Handschuh auszuziehen oder das Papier durchzulesen, die Absagungsurkunde, mit der er seine königlichen Besitzungen weggab. »Was ist das?« sagte er, indem er auf ein anderes zweites Pergament von weit kürzerem Inhalte blickte. »Muß mein Vetter Karl von Burgund auch beide Sizilien, Catalonien, Neapel und Jerusalem, außer den armseligen Resten der Provence haben? Mich dünkt, man hätte, des äußeren Auslandes wegen, zu solcher Abtretung ein größeres Pergamentblatt wählen sollen,« – »Diese Urkunde,« sagte Margarethe, »erklärt nur, daß Ihr Ferrand de Vaudemont bei seinem vorschnellen Angriff auf Lothringen alle Unterstützung verweigert und Euch seinetwegen mit Karl von Burgund nicht verfeinden wollt!« Aber hier hatte Margarethe ihre Gewalt über den Vater zu hoch geschätzt, René stutzte, verfärbte sich und stammelte leidenschaftlich, indem er die Tochter unterbrach: »Meinen Großsohn, den Sohn meiner teuren Jolanda, soll ich aufgeben – seine gerechten Ansprüche auf das Erbteil seiner Mutter nicht unterstützen? Margarethe, ich schäme mich in tiefster Seele! Verlassen, verleugnen soll ich mein eigen Fleisch und Blut, weil der Jüngling ein kühner, gewappneter Ritter ist, der sich zum Kampfe für sein Recht anschickt? – ich verdiente, daß Harfe und Jägerhorn Schmach über mich erklingen ließen, wenn ich Dir Gehör gäbe!« Ehe Margarethe noch zu antworten vermochte, wurden Stimmen im Vorgemache laut, ein bewaffneter Ritter riß die Tür auf und trat mit allen Zeichen einer eben beendeten weiten Reise herein, – »Hier bin ich,« sprach er, »Vater meiner Mutter, – seht Euren Enkel, Ferrand de Vaudemont. Der Sohn Eurer verlorenen Jolanda kniet zu Euren Füßen und fleht um Euren Segen für sich und seine Unternehmung,« – »Du hast ihn,« versetzte René, »und möge es Dir glücken, tapferer Jüngling, Ebenbild Deiner in Gott ruhenden Mutter, mein Segen, meine Gebete, meine Hoffnungen ziehen mit Dir!« – »Und Ihr, schöne Muhme von England,« sagte der Ritter, »die Ihr selber durch Verrat länderlos gemacht wurdet, wollt Ihr nicht die Sache eines Verwandten anerkennen, der für sein Erbe kämpft?« »Ich wünsche Euch persönlich alles Gute, lieber Neffe,« antwortete die Königin von England, »obwohl Eure Gesichtszüge mir fremd sind. Doch es wäre gottlose Raserei, wollte ich diesem Greise anraten, sich an Eurer Sache zu beteiligen, die in den Augen aller klugen Leute für ganz hoffnungslos gilt.« »So spricht meine Muhme Margarethe, deren Geistesstärke das Haus Lancaster so lange Zeit noch aufrecht erhielt, als der Mut der Krieger dieses Hauses durch erlittene Niederlagen schon gebrochen war?« versetzte Ferrand. »Was würdet Ihr gesagt haben, wenn meine Mutter Jolanda Eurem Vater geraten hätte, Euren eigenen Sohn Eduard zu verleugnen, so Gott es ihm gewählt hätte, wohlbehalten die Provence zu erreichen?« – »Für Eduards Sache,« erwiderte Margarethe in Tränen, »legten mächtige Fürsten und Reichsedle die Lanzen ein. An Deiner Sache aber nehmen nur deutsche Raubritter, die aufsässigen Bürger der Rheinstädte und die elenden bäurischen Eidgenossen der Kantone teil.« »Aber der Himmel hat meine Sache gesegnet,« versetzte der ritterliche Jüngling. »Wißt, stolze Frau, daß ich gekommen bin, Eure verräterischen Ränke zu vereiteln, nicht als elender Abenteurer, der auf Schleichwegen Krieg führt, sondern als Sieger, der den Hochmut des Tyrannen gezüchtigt hat.« – »Das ist unwahr!« sagte die Königin erstarrend – »ich glaube es nicht!« – »Es ist wahr,« entgegnete Vaudemont. »Es ist so gewiß, wie der Himmel über uns ist. Vier Tage ist es her, seit ich das Gefilde bei Granson verließ, das mit burgundischen Söldnern bedeckt war – Karls Reichtümer, seine Juwelen, sein Silbergerät, sein prachtvoller Schmuck, alles fiel den armen Schweizern zur Beute, die kaum den Wert all dieser Dinge zu schätzen wissen. Kennt Ihr dies, Königin Margarethe?« fuhr der junge Krieger fort, indem er den wohlbekannten Diamant zeigte, der des Herzogs Orden vom Goldenen Vließ schmückte – »meint Ihr nicht auch, daß der Löwe scharf gejagt werden mußte, wenn er Siegeszeichen solcher Art zurücklassen sollte?« Margarethe blickte mit erblindenden Augen und wirren Gedanken auf ein Zeichen, das die Niederlage Burgunds und das Erlöschen ihrer letzten Hoffnung bestätigte. Ihr Vater hingegen fühlte sich von dem Heldenmut des jungen Kriegers hingerissen und zog seinen Großsohn an die Brust. Wir kehren zu Arthur zurück, der mit Mordaunt, dem Geheimschreiber der Königin von England, nicht wenig überrascht war, als der Graf Ferrand de Vaudemont, der sich Herzog von Lothringen nannte, in das Vorgemach drang, ein langer Schweizer mit der Hellebarde auf der Schulter hinter ihm drein. Da der Fürst seinen Namen selber nannte, so wehrte Arthur ihm den Zutritt nicht. Doch wie erstaunte er, als in dem derben Hellebardier Sigismund Biedermann erkannte, der mit einem wilden Freudengeschrei auf den jungen Engländer losstürzte. Zu keiner Zeit war es Sigismund ein leichtes, seine Gedanken zu ordnen, und jetzt waren diese vollends verwirrt, durch die triumphierende Freude über den von seinen Landsleuten jüngst errungenen Sieg, und mit Verwunderung vernahm Arthur seine unbeholfene, jedoch treue Erzählung. »Siehst Du, König Arthur, der Herzog war mit seinem gewaltigen Heer bis Granson gekommen, das nahe am Neuenburger See liegt. Am Platze standen fünf- oder sechshundert Eidgenossen, die den Ort so lange hielten, bis sie keine Lebensmittel mehr hatten und ihn dann, wie Du weißt, überantworteten. Der Metzger Karl ließ sie alle, rund um den Platz her, an den Bäumen aufhängen. Mittlerweile war alles geschäftig auf unsern Bergen, und jeder Mann, der eine Lanze oder ein Schwert hatte, wappnete sich damit. Wir trafen bei Neuenburg zusammen, und zu uns stieß deutsches Volk mit dem edlen Herzoge von Lothringen. Ei, König Arthur, das ist Dir ein Heerführer. Wir alle halten ihn hoch wie den Rudolf von Donnersberg – Du sahst ihn eben jetzt – er war's, der dort hineinging – Du sahst ihn auch schon früher – war er doch der blaue Ritter von Basel; wir aber nannten ihn damals Lorenz; denn Rudolf sagte, seine Anwesenheit unter uns müßte unserm Vater unbekannt bleiben, und ich selber wußte zu jener Zeit nicht recht, wer er war. Nun, wir langten zu Neuenburg an, fünfzehntausend derbe Eidgenossen und fünftausend Mann an deutschem und lothringischem Volk. Wir hörten, daß die Burgunder ihrer sechstausend im Feld ständen; allein zu gleicher Zeit hörten wir auch, daß Karl unsere Brüder wie Hunde aufgeknüpft hätte. Da fragte keiner nach der Zahl. Wir dachten nur an unsere Rache. Mein Vater selbst, der wie Du weißt, sehr für den Frieden eingenommen ist, gab jetzt das erste Zeichen zur Schlacht. So in der Morgendämmerung zogen wir hinab gegen Granson, entschlossen zu Tod oder Rache. Wir kamen an eine Art von Engpaß, zwischen Vauxmoreux und dem See; da waren Gäule auf der Ebene zu sehen zwischen dem Berg und dem Wasser, und eine große Schar Fußvolk lagerte am Abhänge der Höhe. Der Herzog von Lothringen griff mit den Seinigen die Reiter an, während wir den Berg hinan auf das Fußvolk losgingen. Wir waren rasch mit ihnen fertig; denn sie hatten sich eines Ueberfalls nicht versehen. Als nun die Reiter, gedrängt schon von den Lothringern, uns sahen, wie wir nun seitwärts auf sie eindrangen, flohen sie so hurtig, wie ihre Gäule nur zu laufen vermochten. Dann sammelten wir uns auf der Ebene. Doch kaum war dies geschehen, als wir ein solch Getöse von Instrumenten, solch ein Getrappel schwerer Rosse, solch ein Geschrei und Hallohrufen vernahmen, als ob alle Kriegsmänner und alle Spielleute von Frankreich und Deutschland miteinander wetteiferten, wer von ihnen den meisten Lärm machen könnte. Dann erschien in der Ferne eine ungeheure Staubwolke und kam näher heran, und wir begannen einzusehen, daß es nun um Leben und Tod gehen müsse; denn schau! das war Karl und sein gesamtes Heer, das herankam, den Vortrab zu unterstützen. Da waren Dir Tausende von Rossen in glatten Reihen und Hunderte von Rittern mit goldenen und silbernen Kronen auf den Helmkappen, und die Massen Fußvolks und auch Schießmörser, wie sie sie nennen. Ich wußte noch nicht, was für Dinger das waren, die so schwerfällig von Jochochsen gezogen wurden; allein ich sollte sie wohl kennen lernen, ehe noch der Morgen ins Land gekommen war. Nun, wir stellten uns denn in Schlachtordnung, wie man es uns bei den Uebungen lehrt, und ehe wir dann vordrangen, ward uns geheißen, niederzuknien und Gott und die heilige Mutter und die lieben Heiligen anzurufen; und hinterdrein erfuhren wir, daß Karl in seinem Uebermute wähnte, wir bäten um Gnade – Hahaha! ein lustiger Spaß. Er schrie jedoch: »Feuert mein Geschütz ab auf die feigen Knechte, das sei alle Gnade, die sie von mir zu erwarten haben!« und bum – bum – bum! – los gingen die Dinger, diese Mörser, los wie Donner und Blitz, taten uns aber nicht viel, da wir knieten, und sonder Zweifel wiesen die Heiligen den ungeheuren Kugeln den Weg über die Häupter all derer hin, die Gnade von ihnen, jedoch nicht von sterblichen Kreaturen erflehten. So hatten wir denn das Zeichen zum Aufstehen und Angreifen, und ich versichere Dir, wir waren keine Schlafhauben. Jeder Mann fühlte seine Kraft zehnfach. An stürmten wir, als plötzlich die Schießmörser verstummten und die Erde erbebte von einem andern unaufhörlichen Gestampf, gleich als donnerte es unter dem Boden. Das waren die Reiter, die auf uns herzukamen. Halt, halt, hieß es, erstes Glied kniet, fest gestanden im zweiten, Schulter an Schulter wie Brüder, alle Speere vorgestreckt, und wie eine eiserne Mauer sie empfangen! Und heran stürmten sie, und da gab's ein Lanzenbrechen, daß die alten Weiber in Unterwalden Splitter zum Holzfeuer auf ein rundes Jahr hätten auflesen mögen. Nieder mußten die reisigen Reiter – und von allen, die herab mußten vom Gaule, kam kein Mann mit dem Leben davon. Die übrigen trabten querfeldein, um sich in einiger Entfernung neu aufzustellen, als der edle Herzog Ferrand und seine Berittenen ihnen in den Weg fielen. Nun drangen auch wir vor, um ihm beizustehen. So hieben wir sie zusammen, und das Fußvolk vermochte uns nicht mehr stand zu halten, als es sah, wie es seiner Reiterei erging. Da hättest Du nun den Staub schauen sollen, der da aufstieg, die Streiche hören sollen, die da fielen! Hunderte ließen sich, ohne Widerstand zu leisten, erschlagen, und das gesamte Heer ergriff planlos die Flucht!« »Mein Vater, mein Vater!« rief Arthur. »Was ist aus ihm geworden?« – »Er entkam glücklich,« sagte der Schweizer, »er entfloh mit Karl.« Sie wurden durch Mordaunt unterbrochen. »Still, still!« rief dieser. »Der König und die Königin treten herein!« – König René kam, Arm in Arm mit seinem Großsohne, aus dem Kabinett, und Margarethe, mit Vergnügen und Verdruß auf der Stirn, folgte ihnen. Als sie an Arthur vorüberging, winkte sie ihm und flüsterte ihm zu: »Laß Dir ausführlich berichten und erzähle mir dann alles! Mordaunt wird Dich bei Ferrand vorstellen!« – Dann warf sie einen Blick auf den jungen Schweizer und erwiderte höflich dessen linkische Verbeugung, Die königliche Familie verließ das Gemach. Sie waren kaum hinaus, so bemerkte Sigismund: »Und das ist also ein König und eine Königin? Pest! Der König sieht dem alten Jakob, dem Geiger, ähnlich, der auf der Fiedel zu kratzen pflegte, wenn er auf seiner Rundwanderung nach Geierstein kam. Aber die Königin ist eine stattliche Kreatur. Wie keck Du mit ihr sprachst, Arthur, ich hätte es nicht mit solchem Anstande tun können. – Wo hast Du denn so schnell die höfischen Sitten gelernt?« – »Laß das für jetzt, ehrlicher Sigismund,« antwortete Arthur, »und erzähle mir mehr von jener Schlacht.« »Nun – wo blieb ich – ja, wo wir das Fußvolk niederschlugen – nun, sie kamen nimmer wieder auf die Beine und gerieten bei jedem Schritt nur in noch größere Verwirrung – wir hätten die Hälfte der Fliehenden noch erschlagen können. hätten wir nicht innegehalten, um Karls Lagerzelte zu beschauen. Gott helf uns Arthur, was war da zu sehen! jedes Zelt voll reicher Zeuge, prächtiger Waffen, großer Schüsseln und Humpen, die, wie einige sagten, von Silber wären. Da gab es einen Troß von Lakaien, Edelknaben, Schildträgern, und Tausende von hübschen Dirnen obendrein. Aber ich sage Dir, mein Vater verfuhr streng gegen jeden, der das Kriegsrecht verletzte. Das war Dir eine reiche Beute, denn die Deutschen und Franzmänner, die bei uns waren, rafften alles weg, und manche der unsrigen folgten dem Beispiel. Doch ich ging in Karls Zelt, wo Rudolf und etliche der Seinigen sich bemühten, einen jeden fernzuhalten, wahrscheinlich, damit alles, was drinnen war, ihnen selber bleiben möchte; mich aber ließen sie ein, und ich sah, wie sie die Zinnteller, die so hell wie Silber glänzten, in Kisten und Kasten packten. Ich trat an Karls Feldbett. – Nun, ich will ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen – es war das einzige harte Bett im ganzen Kriegslager – und da lagen Dir gar schöne glänzende Steine zwischen Handschuhen, Stiefeln und Wämsern umher, – Da dachte ich an Deinen Vater und an Dich, und schaute nach etwas für Euch aus, und siehe da! da fand ich einen alten Freund wieder, den ich, wie Du weißt, dem Scharfrichter von La Ferette einst abnahm.« Bei diesen Worten zog er das Halsgeschmeide der Königin Margarethe unter dem Wamse hervor. »Diese Steine,« sagte Arthur, »sind von unschätzbarem Werte und gehören weder meinem Vater noch mir, sondern der Königin, die Du eben gesehen hast. Doch was ist aus dem Herzog geworden?« »Karl hat sich nach Burgund zurückgezogen, gleich einem Eber, der einen Speerstich erhielt, und mehr in Wut gebracht als verwundet worden ist; allein er soll traurig und mürrisch sein. Andere sagen aus, er habe seine zerstreute Streitmacht gesammelt, neue Heeresmacht dazu gezogen und seine Untertanen geschraubt, ihm Geld zu geben, so daß wir einen zweiten Angriff zu erwarten haben. Doch nach einem solchen Siege wird die ganze Schweiz mit uns ziehen,« – »Und mein Vater ist beim Herzog?« fragte Arthur, – »Ei freilich, und hat auf recht gottgefällige Weise versucht, einen Frieden mit meinem Vater zu schließen. Aber es wird ihm schwerlich glücken, Karl ist so toll wie immer. Und unser Volk ist gar stolz auf seinen Sieg! darum wird's weitergehen.« – »Und was bringt Dich und Deinen Feldherrn, den Prinzen Ferrand von Nancy, hierher?« – »Ei, Du selbst bist die Ursache unserer Herreise, – Es heißt, Du und die Königin Margarethe, Ihr ginget damit um, diesen alten Fidelkönig René dahin zu bringen, daß er seine Länder an Karl abtrete und Ferrand dessen Anrechte auf Lothringen verleugnet. Und der Herzog von Lothringen schickte einen Mann, den Du gar Wohl kennst, das heißt, Du kennst ihn nicht, sondern Du kennst jemanden von seiner Familie. Der sollte einen Strich durch Eure Rechnung machen und es verhindern, daß Karl die Provence erhielte und Ferrand in seinen natürlichen Rechten auf Lothringen gekränkt oder übervorteilt würde. Dieser Gesandte war mein Ohm, der Graf Albert von Geierstein, meines Vaters Bruder.« – »Anna von Geiersteins Vater?« wiederholte Arthur. – »Freilich! Dieser, mein Ohm, hat ein paar Zauberbücher aus der Burg Arnheim bei sich, und man sagt, er kann mit mehr als menschlicher Eile von einem Ort zum andern kommen; ja es sollten ihm in seinem Treiben mächtigere Ratgeber als bloße Menschen beistehen. Bei alledem sollen, wie hoch und gewaltig seine Gaben auch sein mögen, sie ihm doch nicht sonderlich gedeihen, sie mögen nun aus gottesfürchtiger oder aus gottloser Quelle stammen. Er ist ewig in Streit und Gefahr verwickelt.« »Ich weiß Näheres von seinem Lebenslauf,« sagte Arthur, »doch ich habe gehört, daß er die Schweiz verließ, um zum Kaiser zu gehen.« »Wahr,« antwortete der junge Schweizer, »und dann heiratete er die junge Freiin von Arnheim. – Allein späterhin zog er sich des Kaisers Ungnade zu, und so hielt mein Ohm es für geratener, über den Rhein zu gehen und sich an des Burgunders Hof zu begeben. Er wurde huldvoll aufgenommen; allein nach Jahr und Tag war es auch mit dieser Freundschaft aus. Ohm Albert bekam viel Gewalt in heimlichen Verbindungen, die Karl mißbilligte, und er setzte deshalb meinem Ohm dermaßen zu, daß dieser ein Mönchskleid antat und sich das Haupt scheren ließ, um nicht den ganzen Kopf hergeben zu müssen. Obwohl der Herzog ihn laufen ließ, fand er ihn doch so oft in seinem Wege, daß alle Welt meinte, er warte nur auf die Gelegenheit, ihn zu greifen und ums Leben zu bringen. Mein Ohm aber behauptet fortwährend, daß er den Burgunderherzog nicht fürchte, wohl aber dieser weit mehr ihn zu fürchten habe. Und Du hast ja auch gesehen, wie keck er seine Rolle zu La Ferette spielte.« »Beim St. Georg zu Windsor!« rief Arthur, – »Der schwarze Priester zu St. Paul!« – »Oho! verstehst Du mich jetzt? Nun, er nahm es auf sich, daß Karl es nicht wagen würde, ihn für seinen Anteil am Tode des Hagenbachers zu strafen; und ruhig saß Ohm Albert unter den Ständen Burgunds und wiegelte sie auf, daß sie dem Herzoge das verlangte Geld verweigern sollten. Allein, als der Schweizerkrieg ausgebrochen war, erkannte Albert, daß er als Geistlicher nicht mehr sicher sein würde, und so erschien er plötzlich in Ferrands Lager zu Neuenburg und sandte Botschaft an Karl, worin er ihm den Dienst aufkündigte und ihm Trotz bot. Er erzählte dem Herzog Ferraud, daß Du hier wärst, und erbot sich herzugehen und nähere Kunde einzuziehen. Obschon er das Schweizer Feldlager erst vor fünf oder sechs Tagen vor der Schlacht verließ und die Entfernung von Arles und Neuenburg wohl achtzig Meilen betragen mag, begegneten wir ihm doch schon auf der Rückreise, als Herzog Ferrand mit mir vom Schlachtfelde hierher eilte.« – »Ihr seid ihm begegnet!« sagte Arthur, »Dem schwarzen Priester von St. Paul?« – »Nun ja doch,« versetzte Sigismund, »aber er war als Karmelitermönch verkleidet,« – »Als Karmeliter!« rief Arthur. »Und ich war so blind, seine Dienste der Königin anzubieten. Und doch ist's vielleicht gut, daß die Unterhandlung sich zerschlug. Nach dieser entsetzlichen Niederlage hatte doch alles rückgängig gemacht werden müssen.« Soweit war ihr Gespräch gediehen, als Mordaunt erschien und den Engländer aufforderte, ihm in das Gemach seiner Gebieterin zu folgen. »Ach, armer Arthur,« redete sie ihn an, »Dein Leben beginnt da, wo Deines Vaters Leben zu enden droht, in vergeblicher Arbeit zur Rettung eines sinkenden Schiffes. Der Herzog von Burgund, der bisher siegreich in allen seinen kühnen Unternehmungen war, braucht nur den flüchtigen Gedanken zu hegen, dem Hause Lancaster Beistand zu leisten, und siehe! sein Schwert zerbricht an dem Dreschflegel eines Bauers! und seine wohlgeregelten Heerscharen, die für die rüstigsten der Welt galten, zerstieben wie Staub im Winde! Wo ist Dein Vater?« – »Bei dem Herzoge, edle Frau, wie ich erfuhr,« versetzte Arthur. – »Eile zu ihm, und sage, ich befehle ihm, auf seine eigene Sicherheit bedacht zu sein, und für meine Angelegenheit nicht mehr zu sorgen. Dieser letzte Streich hat mich zu Boden geschmettert, – Ich bin ohne Bundesgenossen, ohne Freund, ohne Geldmittel,« – »Nicht so, Königin,« erwiderte Arthur, »Ein Teil Eurer Habe ist Eurer Hoheit durch gutes Glück zurückgebracht worden,« – Damit holte er den kostbaren Halsschmuck hervor und erzählte, wie derselbe gerettet wurde, »Ich freue mich über den glücklichen Zufall, der uns diese Diamanten zurückgibt,« sagte die Königin, »ich bin nun wenigstens imstande, meinen Dank abzustatten. Bringe diese Edelsteine Deinem Vater, sag' ihm, meine Pläne wären zu Ende – sag' ihm, mein Herz wäre endlich gebrochen. Sag' ihm, der Schmuck gehöre ihm, und zu seinem eigenen Nutzen möge er ihn verwenden. Aermlich nur wird er ihn für die edle Grafschaft Oxford entschädigen, die er in meinen Diensten verlor,« – »Königliche Frau,« sagte der Jüngling, »seid versichert, mein Vater würde lieber als einfacher Reitersmann dienen, als Euer Mißgeschick noch erschweren,« – »Nie hat er Gehorsam verweigert,« sagte Margarethe, »und dies ist der letzte Wille, den ich ihm äußere. So er selber zu reich oder zu stolz ist, um aus einer Königin Geheiß Vorteil zu ziehen, so wird er arme Leute meines Anhanges genug finden, die weniger Mittel besitzen oder weniger Bedenken hegen. Doch ich höre den törichten, alten Mann zurückkehren, der alle ergebnisreichen Vorfälle dieses Tages schon wieder vergessen hat. Im Heraufkommen pfeift er sich ein Lied. Nun, wir werden bald von einander scheiden, und meine Entfernung wird eine Erlösung für ihn sein. Du, aber, Arthur, kehre morgen früh zu Deinem Vater zurück!« So aus der Königin Gegenwart entlassen, gab Arthur Thibault die Weisung, alles zur Abreise bereit zu halten. Dann widmete er sich der Lustbarkeit des Abends. Doch fand er wenig Freude an den geselligen Veranstaltungen, zumal er sich plötzlich durch den Herzog Ferrand, den siegreich vom Schlachtfelde hergekommenen Krieger, und durch Sigismund, den riesigen Schweizer, den Ferrand überall als Grafen von Geierstein vorstellte, ganz in den Schatten gestellt sah. Kein Mensch kümmerte sich um den jungen Engländer; ja, man begegnete ihm, dem Parteimann der Margarethe, deren Sache ganz verloren war, und die mit ihrem melancholischen Wesen an dem lustigen Hofe schon manches Vergnügen gestört hatte, mit unverhohlenem Mißbehagen. All das verdroß ihn heftig. Er vermied es eine Zeitlang, Margarethe anzusehen; denn es widerstrebte ihm, den Anschein zu erregen, als wollte er sich um Schutz an sie wenden. Schließlich aber lenkte er doch den Blick auf den Platz, wo sie saß. Margarethens Haupt lehnte an dem Kopfpolster ihres Armstuhles, ihre Augen waren halb geschlossen, ihre Gesichtszüge scharf, ihre Hände krampfhaft geballt. Die englische Gesellschaftsdame, die hinter ihr stand, war alt, taub und kurzsichtig und hatte nicht das mindeste von der auffallenden Haltung ihrer Gebieterin wahrgenommen, einer Haltung, wie sie die Königin nie anzunehmen pflegte, wenn sie bei den Festlichkeiten am provençalischen Hofe körperlich zugegen und geistig abwesend war. Während Arthur, heftig erschrocken, hinter sie trat, um die Ehrendame zur Aufmerksamkeit auf ihre Gebieterin anzumahnen, rief die Alte: »Mutter des Himmels! die Königin ist tot!« Und so war es. Es schien, als hätte die letzte Lebensfiber dieser stolzen, ehrsüchtigen Frau, wie sie selber es voraussagte, in dem nämlichen Augenblicke brechen müssen, in welchem ihr der letzte Strahl irdischen Hoffens schwand Siebzehntes Kapitel Arthur verlor keine Zeit, in der Person Thibaults einen Eilboten an seinen Vater mit einem Schreiben abgehen zu lassen, durch das er dem älteren Philippson in Kürze alles mitteilte, was seit seiner Ankunft in Aix vorgefallen war, hauptsächlich aber Kunde gab von dem Hinscheiden der Königin und deren letztwilligen Verfügungen, durch die ihr Vermögen unter ihre Anhänger verteilt wurde, insbesondere aber das Halsgeschmeide den Philippsons zufiel. Schließlich bat er um Anweisung zu fernerem Tun und Lassen, da der notwendige Aufenthalt bei der Bestattungsfeier einer Person so hohen Ranges ihn solange in Aix zurückhalten würde, bis er Antwort haben könnte. Der alte König René verwand den Schrecken über den plötzlichen Tod seiner Tochter mit solcher Leichtigkeit, daß er am zweiten Tage nach dem Trauerfalle schon beschäftigt war, eine prächtige Prozession zum Leichenbegängnisse anzuordnen und ein Grablied zu verfassen, das nach einer ebenfalls von ihm komponierten Weise zu Ehren der hingeschiedenen Königin gesungen werden sollte. Als der erste Ausbruch des Schmerzes vorüber war, konnte der alte König Rens sich nicht des Gefühles erwehren, daß Margarethens Tod einen politischen Knoten durchschnitten habe, der sonst schwer hätte gelöst werden mögen. Er selbst war nun in der Lage, es öffentlich mit seinem Enkel zu halten und ihm einen bedeutenden Anteil an dem Geldschatz der Provence zu gewahren, der sich freilich nur auf zehntausend Krontaler belief. Nachdem Ferrand den Segen seines Großvaters empfangen hatte, kehrte er zu den Verwegenen zurück, die er befehligte, und mit ihm zog nach liebevollem Abschiede von Arthur der derbe, obwohl einfältige junge Schweizer, Sigismund Biedermann. Der kleine Hof zu Aix war seiner Trauer hingegeben. König René, für den Gepränge, gleichviel ob fröhlicher oder trauriger Natur, jederzeit eine Sache von Wichtigkeit war, hätte gern dazu beigetragen, die Totenfeier seiner Tochter Margarethe mittels seines letzten Geldes noch feierlicher zu gestalten, allein, er sah sich daran teils durch die Vorstellungen seiner Räte, teils durch die Einwendungen des jungen Engländers verhindert, der streng nach dem Willen der Erblasserin verfuhr und gegen jeglichen phantastischen Aufputz des Leichenbegängnisses, der der Königin bei ihren Lebzeiten zuwider gewesen wäre, Einspruch erhob. Nachdem mehrere Tage unter öffentlichen Gebeten und andern gottesdienstlichen Handlungen verflossen waren, wurde die Totenfeier mit all der düstern Pracht gehalten, die dem Range der Verstorbenen zukam, und durch die die römische Kirche es wohl versteht, Auge, Ohr und Gemüt zu gleicher Zeit für sich einzunehmen. Unter den verschiedenen Edlen, die der Feierlichkeit beiwohnten, befand sich einer, der eben angelangt war, als die großen Turmglocken der St. Sauveur-Kirche ankündigten, daß der Leichenzug sich schon auf dem Wege nach der Kathedrale befand. Der Fremde hatte seine Reisekleider schnell gegen einen Traueranzug vertauscht, und so angetan, erschien er in der Kirche, wo die edle Gestalt des Fremden den übrigen solche Ehrfurcht einflößte, daß man ihm gestattete, neben die Bahre zu treten. Am Kopfkissen der toten Königin, für die er so lange Zeit gestrebt und soviel erlitten hatte, wechselte nun der Graf von Oxford einen traurigen Blick mit seinem Sohne. Die Leidtragenden, besonders die englische Dienerschaft Margarethens, betrachtete beide mit Ehrfurcht und Verwunderung, und der ältere Kavalier besonders schien ihnen kein unwürdiger Stellvertreter der treuen Untertanen in England zu sein, um deren letzte Pflicht am Grabe der Frau zu üben, die so lange hindurch, wenn auch nicht auf fehlerfreie Weise, doch jederzeit mit kühner, entschlossener Hand den Zepter über jene Insel geführt hatte. Der letzte Ton der feierlichen Trauerlieder war verklungen, und fast alle Teilnehmer an der Leichenfeier hatten sich enfernt, als Vater und Sohn noch in düsterem Schweigen neben der Gruft ihrer entseelten Monarchin weilten. »Das ist also ihr Ende,« sprach der Graf endlich. »Hier, königliche Frau, zerschellt alles, was wir für Dich versuchten und wagten! Das innere Leben des Entschlusses, das Haupt des Entwurfes ist dahin, und was nützt es, daß die Glieder der Unternehmung noch Bewegungs- und Lebenskraft haben? Ach, Margarethe von Anjou! möge der Himmel Deine Tugenden belohnen und Dich entsühnen von Deinen Irrtümern! Deine Tugenden, wie Deine Irrtümer gehörten Deinem Stande an, und spanntest Du zur Zeit des Glückes Deine Segel zu hoch, so lebte nimmer eine Fürstin, die stolzer den Stürmen des Mißgeschicks Trotz bot. Mit diesem Trauerfall geht ein Drama zu Ende, und unsere Rollen, mein Sohn, sind ausgespielt.« – »So tragen wir denn die Waffen gegen die Ungläubigen, mein Vater,« sagte Arthur mit einem Seufzer, der jedoch kaum hörbar war,– »Nein,« versetzte der Graf, »nicht eher, als bis ich höre, daß Heinrich von Richmond, der Erbe des Hauses Lancaster, meiner Dienste nicht mehr bedarf. In jenen Juwelen, von denen Du mir schriebst, die so seltsamer Weise verloren gingen und wiedererlangt wurden, möchte ich ihm Hilfsmittel reichen, die ihm nötiger sein dürften als unsere beiderseitigen Dienstleistungen. Doch in das Feldlager des Burgunders kehre ich nicht zurück. Denn dort ist keine Hilfe zu hoffen.« – »Kann es möglich sein, daß die Gewalt eines so großen Herrschers durch eine einzige unglückliche Schlacht zunichte gemacht wurde?« fragte Arthur.– »Keineswegs,« erwiderte der Vater. »Der Verlust zu Granson war sehr groß, doch für die Stärke Burgunds ist und bleibt er nichts weiter als eine Schramme auf der Schulter eines Giganten. Karl aber ist verstimmt, und da ich mich von Anfang an weigerte, die Waffen gegen unsere einstigen Reisegefährten zu ziehen, so fing er an, mir zu mißtrauen. In meinem Beisein sprach er von lauwarmen Freunden, von kaltblütigen, gleichgültigen Seelen – von denen, die wenn sie nicht für ihn wären, gegen ihn sein müßten. Ich sage Dir, Arthur de Bere, der Herzog hat so ehrverletzend geredet, daß nichts als die Befehle der Königin Margarethe und die Angelegenheiten des Hauses Lancaster mich vermochten, ferner in seinem Kriegslager zu weilen. Das ist nun vorbei. Meine königliche Herrin bedarf meiner geringen Dienste nicht mehr – der Herzog kann unserer Sache keine Hilfe verleihen – und wir können seine Absichten auf die Provence nicht mehr unterstützen. Da habe ich denn beschlossen, am Hofe des Königs René so lange zu weilen, bis ich Nachrichten von dem Grafen von Richmond, wie wir ihn noch nennen müssen, erhalten habe. Mich dünkt, daß Verbannte zwar selten am Hofe eines auswärtigen Fürsten willkommen sind; allein ich bin der treue Anhänger der Tochter des Königs René gewesen. Ich werde um nichts weiter ersuchen, als unerkannt hier zu weilen, und begehre weder Rücksicht noch Unterstützung, König René wird es uns nicht weigern, daß wir die Luft in seinem Lande so lange atmen, bis ich erfahre, wohin mich Geschick oder Pflicht rufen werden.« Dem guten König wäre ein heitrerer Gast als der ernste Graf Oxford lieber gewesen, doch gewährte er ihm freundliche Aufnahme, und der ältere Philippson fand Gelegenheit, seinen Dank dafür abzustatten. Es wurde nämlich ein höchst wichtiger Vertrag zwischen René und dessen Neffen Ludwig XI. von Frankreich geschlossen, in dem René sein Fürstentum an diesen schlauen Monarchen abtrat, weil er durchaus kein anderes Mittel mehr hatte, Ordnung in seine Angelegenheiten zu bringen. Der Gedanke aber, Karl von Burgund dabei zu begünstigen, war nach dem Tode der Königin Margarethe völlig erloschen. Die Staatseinsicht und die Weisheit des Grafen von Oxford, dem fast allein die ganze Abschließung dieses geheimen Vertrages anvertraut wurde, erwirkten dem guten König René besondere Vorteile, so daß er von Geldverlegenheiten befreit und in den Stand gesetzt war, bis an sein Lebensende zu pfeifen und Harfe zu spielen. Mittlerweile wüteten die Kriege des Herzogs von Burgund mit den Schweizer Kantonen und dem Grafen Ferrand von Lothringen fort. Zum Beginn des Sommers 1476 hatte Karl eine neues Heer von mindestens sechzigtausend Mann zusammengebracht, das von einhundertfünfzig Geschützen unterstützt wurde und bestimmt war, in die Schweiz einzudringen, wo die kriegslustigen Bergbewohner leicht eine Heeresmacht von dreißigtausend Schweizern stellten, die jetzt fast als unüberwindlich angesehen wurden, und ihre Verbündeten, die freien Städte am Rhein, aufforderten, mit einer mächtigen Reiterschar zu ihnen zu stoßen. Die ersten Angriffe Karls verliefen günstig. Er stürmte in das Waadtland und eroberte die meisten der Plätze wieder, die er nach der Niederlage bei Granson verloren hatte. Allein statt nun einen annehmbaren Frieden mit seinen furchtbaren Grenznachbarn zu schließen, faßte dieser hartnäckigste aller Fürsten den Vorsatz, in die Schluchten der Alpen zu dringen, und die Bergbewohner im Innern ihrer natürlichen Festen zu züchtigen, obwohl die Erfahrung ihn hätte lehren sollen, daß ein solcher Versuch ein verhängnisvolles Ende nehmen müßte. Als Oxford und dessen Sohn im Sommer an den Hof des Königs René zurückkehrten, erfuhren sie, daß der Herzog Karl bis Murten, das am See gleichen Namens liegt und den Eingang in die Schweiz bildet, vorgerückt wäre. Es hieß ferner, daß Hadrian von Bubenberg, ein kriegserfahrener Berner Ritter, daselbst befehligte und den hartnäckigsten Widerstand in der Hoffnung leistete, bald von seinen herbeieilenden Landsleuten entsetzt zu werden. – In der letzten Woche des Monats Juni lief denn auch in Aix die Kunde von einer zweiten furchtbaren Niederlage des Burgunders ein. Achtzehntes Kapitel Obwohl es dem Grafen Oxford nun im Grunde gleichgiltig sein konnte, ob der Herzog von Burgund Sieger blieb oder geschlagen wurde, so nahm er doch regen Anteil an Karls Schicksale. Arthur war eben aufgestanden und stand im Begriffe, sich anzukleiden, als Pferdegetrappel seine Aufmerksamkeit erregte. Er hatte kaum zum Fenster hinausgeblickt, so rief er: »Nachrichten, Vater, Nachrichten vom Heere!« Er stürzte auf die Straße, wo ein Reiter, der einen weiten Weg zurückgelegt zu haben schien, nach den beiden Philippsons fragte. Arthur erkannte in dem Reiter sogleich Colvin, den Hauptmann des burgundischen Geschützwesens. Der gespensterartige Blick des Ankommenden zeugte von tiefem Seelenkummer; seine unordentliche Kleidung und zersplitterte Rüstung trug von Regen oder Blut Rostflecken an sich, und sein trefflicher Hengst war so erschöpft, daß das Tier sich kaum aufrecht erhalten konnte. Der Zustand des Reiters war nicht viel besser. Als er vom Rosse stieg, um Arthur zu begrüßen, wankte er dergestalt, daß er ohne augenblickliche Unterstützung zu Boden gefallen wäre. Seine starrblickenden Augen schienen ihre Sehkraft verloren zu haben; und mit halb erstickter Stimme murmelte er: »Nur Erschöpfung, nichts als Mangel an Ruhe und Nahrung.« Arthur führte ihn in das Haus, und Erfrischungen wurden herbeigeschafft; er aber schlug alles aus, bis auf einen Becher Weins. Nachdem er davon gekostet hatte, sank er auf einen Sessel, starrte den Grafen Oxford mit einem Blicke der tiefsten Niedergeschlagenheit an und stammelte: »Der Herzog von Burgund –« »Geschlagen?« versetzte der Graf. »Ich will nicht hoffen –« – »Geschlagen, und so völlig und fürchterlich,« erwiderte der Kriegsmann, »daß alle Niederlagen, die ich bisher mitangesehen, nichts dagegen waren.« – »Doch wie und wo?« fragte der Graf. »Ihr wart doch stärker an Mannschaften, wie wir vernahmen.« – »Zwei Mann gegen einen zum mindesten,« antwortete Colvin, »und wenn ich in diesem Augenblicke von unserm Zusammentreffen rede, so möchte ich mir fast mit meinen eigenen Zähnen das Fleisch von den Knochen nagen, daß ich hier sein und solche Schmach nacherzählen muß. Wohl eine Woche lang hatten wir vor dem elenden Neste, dem Murten oder Morat oder wie es sonst heißen mag, gelegen. Der Kommandant drinnen, einer von den hartnäckigsten Gebirgsbären aus Bern, bot uns Trotz. Er wollte sich nicht einmal herablassen, seine Tore am Tage zu schließen, und gab, als wir sie aufforderten, sich zu ergeben, die Antwort, wir möchten einziehen, so es uns gefiele, wir sollten gebührend empfangen werden. Nun hätte ich gern versucht, ihn durch ein paar Salven aus meinen Schießmörsern zur Vernunft zu bringen; allein der Herzog war zu sehr ergrimmt, um gutem Rate Gehör zu geben. Gereizt durch den schwarzen Verräter, den Campobasso, hielt Karl es für zweckmäßiger, mit seiner ganzen Streitmacht einen Sturm zu unternehmen. Wir wurden mit großem Verlust zurückgeschlagen, und nun erfuhren wir, daß das Heer der Feinde zum Entsatz der Stadt herannahte. Karl, der nur seinen eigenen kühnen Geist befragte, rückte gegen sie an, indem er sich auf den Vorteil unseres Geschützes und auf unsere feste Stellung verließ. Auf seinen Befehl, doch ganz gegen mein Dafürhalten, begleitete ich ihn mit zwanzig guten Mörsern und dem Kern meines Volkes. Wir brachen am nächsten Morgen auf und waren noch nicht weit vorgerückt, als wir dichte Reihen von Spießen und Hellebarden und doppelgriffigen Schwertern auf dem Berge erblickten. Dazu fügte der Himmel seine Schrecken – ein Donnersturm erhob sich mit aller Wut über beiden Heeren; er wurde jedoch den Unsern um so verderblicher, da unsere Scharen empfindlicher gegen den Regen, der herabstürzte, und gegen die Pfützen waren, die unter unseren Füßen zu Strömen anschwollen, unsere Stellung überschwemmten und uns in Unordnung brachten. Mit einemmale hielt der Herzog es für notwendig, seinen Vorsatz zu ändern und von einer Schlacht abzusehen. Er ritt zu mir heran und befahl mir, mit dem Geschütz den Rückzug zu decken, den er beginnen wollte, indem er hinzusetzte, er wollte in Person mich dabei mit seinen Reitern unterstützen. Befehl zum Rückzug wurde gegeben. Allein diese Bewegung verlieh dem schon hinlänglich verwegenen Feinde erhöhten Mut. Augenblicklich senkten die Reihen der Schweizer sich zum Gebet – ein Gebrauch bei ihnen auf dem Schlachtfelde, den ich verspottete – allein ich werd's nimmer wieder tun! Als sie nun nach fünf Minuten wieder aufsprangen, rasch vorrückten und ihre Hörner entsetzlich ihr gewöhnliches, wildes Kriegsgeschrei übertönten – seht, Mylord, da taten sich auf die Wolken des Himmels und ließen auf die Eidgenossen das geheiligte Licht der wieder hervorbrechenden Sonne herableuchten, während unsere Reihen noch im Düster des Sturmes standen. Meine Mannschaft war mutlos. Die Scharen hinter ihr zogen sich zurück; das plötzlich über die Schweizer verbreitete Sonnenlicht zeigte entlang den Bergen eine zahllose Menge von Panieren, ein Glitzern der Waffen, das alles miteinander dem Feinde das Ansehen verlieh, als hätte seine Zahl sich plötzlich verdoppelt. Ich ermahnte meine Jungen, fest zu stehen, aber ich sprach dabei ein Wort, das eine gar schwere Sünde war: »Steht fest, Ihr meine Schießmänner!« sprach ich, »sie sollen von uns bald einen läutern Donner hören und verderblichere Blitze sehen, als ihre Gebete auf uns herabgerufcn haben!« – mein Volk schrie jauchzend auf – aber es war eine gotteslästernde Rede – und eitel Böses ging für uns daraus hervor. Wir richteten unsere Mörser auf die andringenden Massen, so wohl gezielt, wie nur je – ich kann's verbürgen, denn ich selbst richtete die Großherzogin von Burgund – ach! arme Herzogin, welche rauhen Hände mögen Dich jetzt betasten! – Die Ladung wurde abgefeuert, und ehe der Qualm sich vor den Mündungen noch zerteilt hatte, sah ich gar manchen Mann, manches Banner sinken. Ich dachte ganz natürlich, daß eine solche Ladung den Feind zurückgescheucht hätte, und bemühte mich, unsere Mörser wieder zu laden. Allein, ehe die Rauchwolken sich zerteilt hatten und das Geschütz frisch geladen werden konnte, stürzten sie wie rasend auf uns los. Reiter und Fußvolk, Greise und Buben, Ritter und Troßknechte warfen sich vor und auf die Mündungen der Schießmörser, ohne im mindesten ihres Lebens zu achten. Meine tapferen Burschen wurden durchbohrt, in Stücke gehauen oder niedergestoßen, als sie noch dabei waren, die Mörser zu laden, so daß kein Geschütz zum zweiten Male abgefeuert werden konnte,« »Und der Herzog?« fragte der Graf von Oxford, »kam er Euch nicht zu Hilfe?« – »Ritterlich und tapfer,« antwortete Colvin. »Und zwar mit seiner eigenen wallonischen und burgundischen Leibwache. Allein eintausend Söldner machten sich davon und ließen sich nimmer wieder sehen. Dazu war der Paß, in dem obendrein das Geschütz stand, nur eine schmale Furche zwischen hohen Bergen, neben denen ein tiefer See hinwogte. Kurz, es war ein Platz, wo Reiter nichts ausrichten konnten. Trotz aller Anstrengungen des Herzogs und der tapferen Flamländer, die um ihn fochten, mußten wir doch in völliger Unordnung zurückweichen. Ich war zu Fuß und wehrte mich, so gut ich konnte, ohne jede Hoffnung, mein Leben zu erhalten, ja auch ohne nur an meine Rettung zu denken, als ich nun sah, wie die Mörser genommen und meine wackeren Gesellen erschlagen wurden. Unser Rückzug artete zur sinnlosen Flucht aus, und als wir unsern Nachtrab erreichten, den wir in festverschanztem Lager zurückgelassen hatten, flatterten die Paniere der Schweizer auf unsern Wällen; denn eine starke Abteilung des Feindes hatte einen Umweg durch ihnen allein bekannte Bergpässe gemacht und unser Lager angegriffen, wobei sie von dem herzugeeilten Volk des Hadrian von Bubenberg unterstützt worden waren, der aus der belagerten Stadt einen Ausfall gemacht hatte. Ich habe noch mehr zu sagen, allein, da ich Tag und Nacht geritten bin, Euch diese böse Zeitung zu bringen, so klebt meine Zunge mir am Gaumen, und ich fühle, daß ich nicht mehr reden kann.« Mit Mühe überredete man den gebeugten Krieger, etwas Speise zu sich zu nehmen und zur Ruhe zu gehen. Der Graf von Oxford, der jeden andern Beistand fernhielt, wachte abwechselnd mit seinem Sohne am Lager Colvins. Trotz des ihm verordneten Schlaftrunkes, war sein Schlummer nichts weniger als ruhig. Er fuhr oft auf, Schweiß trat auf seine Stirn, seine Gesichtsmuskeln verzerrten sich, und die Art, wie er seine Hände ballte und mit seinen Gliedmaßen um sich schlug, zeigte, daß er in seinen Träumen abermals die Schrecknisse einer verzweiflungsvollen, verlorenen Schlacht durchlebte. Dies dauerte mehrere Stunden; allein gegen Mittag siegten Ermattung und Heiltrank über seine aufgereizten Nerven, und der geschlagene Geschützhauptmann verfiel bis zum Abend in einen tiefen, ungestörten Schlaf. Gegen Sonnenuntergang erwachte er, und als er nun erfuhr, wo und bei wem er war, stärkte er sich mit Speise und Trank und erzählte, ohne dem Anschein nach zu wissen, daß er es schon einmal getan, abermals alle einzelnen Umstände der Schlacht bei Murten. – »Die eine Hälfte des Herzoglichen Heeres,« sagte er, »fiel durch das Schwert oder ertrank im See. Die, welche entkamen, wurden größtenteils auseinandergesprengt, so daß sie sich wohl nie wieder sammeln können. Eine so verzweifelte, unaufhaltsame Flucht ward nimmer gesehen. Wir flohen wie Rehe, Schafe oder wie sonst ein scheues Tier, das nur darum bei seinesgleichen bleibt, weil es sich fürchtet, allein zu sein, nicht aber, um gemeinschaftlich auf Gegenwehr bedacht zu sein.« »Und der Herzog?« fragte der Graf von Oxford. – »Wir rissen ihn mit uns fort,« antwortete der Krieger, »und zwar mehr aus Instinkt als aus Vasallenpflicht, gleich Menschen, die vor einer Feuersbrunst fliehen und alles aufraffen, was sie an wertvollen Dingen besitzen, ohne zu wissen, was sie tun. Anfänglich sträubte sich der Herzog und wollte zurück gegen den Feind; allein als die Flucht allgemein geworden war, jagte er mit uns davon, ohne ein Wort zu sprechen oder einen Befehl zu erteilen. Als wir so den ganzen Tag ritten, ohne auf eine einzige Frage an ihn auch nur die leiseste Antwort zu erhalten, als er finster jegliches Nahrungsmittel zurückwies – als sein verwegenes, unstätes Gemüt sich völlig dumpfer, schweigender Verzweiflung hingab, da hielten wir Rat, was zu tun sei, und auf einmütigen Beschluß wurde ich abgesandt, Euch zu bitten, daß Ihr, für dessen Ratschläge Karl, wie man weiß, eine Zeitlang besonders empfänglich war, augenblicklich zu ihm eilen und all Euren Einfluß aufbieten möchtet, ihn aus seiner Lethargie zu wecken, in der sonst sein Leben wird erlöschen müssen. Karl war ja einst Euer Waffenbruder, und für Eure persönliche Sicherheit wird jeder ehrliche Mann im Lager willig Bürgschaft leisten.« »Das ist meine geringste Sorge,« sprach Oxford gleichgiltig, »und so meine Gegenwart wirklich dem Herzog nützlich werden kann – so ich glauben könnte, er wünschte selber mich bei sich zu haben –« – »Er wünscht es, wünscht es, Mylord,« sagte der treue Krieger mit einer Träne im Auge – »wir hörten ihn wiederholt im Traume Euren Namen nennen.« – »Dann will ich zu ihm,« sagte Oxford. »Dann will ich augenblicklich zu ihm. Wo schlug er sein Hauptquartier auf?« – »Das war noch nicht bestimmt. Doch Herr von Contay nannte den Ort La Riviére, unweit Salins in Oberburgund, als das Ziel unseres Rückzugs. – »Dorthin denn wollen wir, mein Sohn, und zwar in aller Eile!« beschloß Graf Oxford. In Begleitung des Geschützhauptmanns durchzogen sie nun die Dauphiné und Franche-Comté, die zwischen Aix, und dem Dorfe liegen, nach welchem der Herzog von Burgund sich zurückgezogen hatte, doch bei der Entfernung und der üblen Beschaffenheit des Weges währte ihre Reise über vierzehn Tage, und der Juli des Jahres 1476 war vorüber, als die Reisenden in Oberburgund auf dem Schlosse La Rivière ankamen, das etliche Stunden südwärts von der Stadt Sains liegt. Das nicht sehr große Schloß war von vielen unordentlich aufgeschlagenen Zelten umringt. Nirgends sah man eine Spur von der soldatischen Regelmäßigkeit, die man sonst in dem Feldlager Karls des Kühnen wahrzunehmen pflegte. Daß jedoch der Herzog sich hier befand, war an dem Panier zu erkennen, das reich mit all seinen Feldern von den Zinnen der Feste herniederflatterte. Die Wache trat hervor, um die Fremden zu empfangen, doch dies geschah auf so unordentliche Weise, daß der Graf seinen Reisegenossen Colvin durch einen Blick um Erklärung bat. Der Geschützhauptmann zuckte die Achseln und schwieg. Colvin hatte Bericht von seiner Ankunft, sowie der des englischen Grafen, an Herrn von Contay eingeschickt, der sie, hocherfreut über ihr Eintreffen, sogleich vor sich ließ, –»Etliche treue Diener des Herzogs,« sagte er, »halten hier Rat. Ihr werdet ihnen willkommen sein, edler Lord von Oxford. Die Herren de la Croix, de Craon, Rubempré und andere Edle Burgunds sind eben versammelt, um Schutzmaßregeln für die Sicherheit des Landes zu beschließen.« Alle diese Männer drückten ihre Freude aus, als sie den Grafen von Oxford erblickten. »Seine Hoheit der Herzog,« sagte de Craon, »hat zweimal nach Euch und zwar unter Eurem angenommenen Namen Philippson, gefragt.« – »Ich wundere mich darüber nicht, mein Herr de Craon,« erwiderte der englische Edelmann, »der Ursprung dieses Namens schreibt sich aus früheren Tagen her, als ich nämlich während meiner ersten Verbannungszeit hier weilte. Es hieß damals, wir armen Edlen von der Partei Lancaster müßten uns andere Namen beilegen, und der gute Herzog Philipp sagte, da ich ein Waffenbruder seines Sohnes Karl wäre, möchte ich mich nach ihm selber Philippson nennen. Zum Gedächtnis des gütigen Fürsten nahm ich diesen Namen wirklich an, als die Tage der Not hereinbrachen, und ich sehe nun, daß der Herzog gern der Vertraulichkeit gedenkt, die in früheren Tagen zwischen uns herrschte. – Wie steht es um Seine Hoheit?« Die Burgunder sahen einander an, ohne zu antworten. – Es entstand eine Pause. »Wie um einen Mann, der gänzlich betäubt ist, lieber Oxford,« erwiderte endlich de Contay, »Er gleicht einem Sinnlosen. Nach der Schlacht von Granson war er eigensinnig, unvernünftig, gebieterisch, unberechenbar und nahm jeden ihm dargebotenen Rat als Beleidigung auf. Dazu hegte er den Wahn, seine Untertanen schätzten ihn gering. Jetzt ist eine gänzliche Veränderung mit ihm vorgegangen, und er zeigt keine Spur mehr von Heftigkeit und Leidenschaft. Er ist stumm wie ein Karthäuser, einsam wie ein Eremit, zeigt für nichts Teilnahme, am wenigsten aber für sein Heer. Nicht Haar noch Nägel läßt er sich säubern. Er ist gänzlich unempfindlich für Hochschätzung und Geringachtung gegen seine Person, nimmt wenig oder gar keine Speise zu sich, trinkt starke Weine, die jedoch, wie es scheint, ihm den Kopf nicht schwindlig machen, und will von Krieg oder von Staatsangelegenheiten ebensowenig wie von Jagd oder sonstigen Belustigungen hören. Das ist aus dem einst so kühnen und tatenlustigen Karl von Burgund geworden.« – »Ihr sprecht von einer schwererkrankten Seele,« erwiderte der Engländer. »Haltet Ihr es für geraten, mich dem Herzoge vorzustellen?« – »Ich will mich danach erkundigen,« sagte Contay, verließ das Gemach, kehrte sogleich zurück und gab dem Grafen ein Zeichen, ihm zu folgen. In einer Kammer oder einem Kabinette lag der unglückliche Karl in einem Lehnsessel, die Beine nachlässig auf einen Schemel gestreckt, und in seinem ganzen Wesen so verändert, daß der Graf von Oxford kaum etwas anderes als das Gespenst des einst so verwegenen Herzogs zu sehen glaubte. Das zottige lange Haar, das von seinem Haupte herabhing und sich mit seinem Barte mischte, die tiefen Höhlen, in denen seine wilden Augen rollten, die eingesunkene Brust, die hervortretenden Schultern und die Kleidung, die in nichts als einem übergeworfenen Mantel bestand, gaben ihm das Aussehen eines schreckenerregenden Geisterbildes. De Contay nannte den Grafen Oxford; allein der Herzog starrte ihn mit glanzlosem Blicke an und gab ihm keine Antwort. »Redet mit ihm, wackerer Oxford,« flüsterte der Burgunder ihm zu, »er ist eben jetzt schlimmer als je, und vielleicht erkennt er Eure Stimme.« Noch nie, solange dem Herzog von Burgund das glorreichste Glück gelächelt hatte, war der Engländer mit solcher Ehrfurcht wie jetzt vor ihm niedergekniet, um ihm die Hände zu küssen. Er ehrte in ihm nicht nur den betrübten Freund, sondern den gedemütigten Herrscher. Wahrscheinlich machte eine auf die Hand des Herzogs gefallene Träne diesen aufmerksam: »Oxford – Philippson – mein alter, mein einziger Freund, hast Du mich aufgefunden in diesem Winkel der Schmach und des Elends? Noch jüngst hieß ich Karl von Burgund, der Kühne – jetzt bin ich zweimal von dem Abschaum eines Bauernvolkes geschlagen, meine Fahnen genommen, meine reisigen Mannen in die Flucht gejagt, mein Feldlager zweimal geplündert worden – der bitterste Fluch der Hölle kann nimmerdar bitterere Schmach auf das Haupt eines Herrschers wälzen!« – »Im Gegenteil, hoher Herr,« sagte Oxford. »Es ist dies eine Prüfung des Himmels, der zur Geduld und Seelenstärke mahnt. Der beste, tapferste Ritter kann aus dem Sattel geworfen werden; wenn er aber nach dem Unfalle im Sand der Schranken liegen bleibt, ist er ein Feigling.« – »Wie? Feigling, sagst Du?« rief der Herzog, dessen ehemaliger Mut durch das harte Wort zum Teil wieder erweckt wurde. »Verlaßt mich, Herr, und kehrt nicht eher zu mir zurück, bis man Euch rufen läßt,« »Und das wird, hoffe ich, sofort geschehen, sobald Euer Hoheit das Nachtgewand abgelegt hat, um Vasallen und Freunde mit einem Euch und ihnen geziemendem Anstande zu empfangen,« versetzte der Graf gelassen. – »Und wer bin ich, daß Ihr so zu mir redet?« fragte Karl, indem er auffuhr mit all seinem angeborenen Stolz und seiner natürlichen Wildheit. »Oder wer seid Ihr anders, als ein elender Verbannter, und wagt es doch mit solchen unehrerbietigen Vorwürfen in mein innerstes Gemach zu dringen?« – »Was mich betrifft,« versetzte Oxford, »so bin ich, wie Ihr sagt, ein nicht geachteter Verbannter; dennoch schäm ich mich meiner Lage nicht, denn durch unerschütterliche Treue zu meinem Könige und dessen Nachfolger ist's dahin mit mir gekommen. Allein, vermag ich in Euch, in einem in sich versunkenen Einsiedler, den Herzog von Burgund zu erkennen, dessen Heer eine regellose Schar ist, dessen Staatsrat den Kopf verloren hat, weil der Monarch versagt, der selber gleich einem lahm geschossenen Wolfe in seiner Höhle lauert und auf den Ruf eines Urihorns zu harren scheint, daß die Tore seiner Burg davon aufspringen, weil sie unverteidigt sind?« »Tod und Hölle, verleumderischer Verräter!« donnerte der Herzog und griff an die Hüfte, wo er jedoch keine Waffe vorfand. »Dein Glück ist's, daß ich kein Schwert habe, sonst solltest Du nimmer Dich rühmen können, daß Deine Schmähung ungestraft blieb! – Contay, tretet vor gleich einem wackern Ritter und straft den Lästerer Lügen! Sprecht, sind meine Mannen nicht in Zucht und Ordnung?« »Hoher Herr,« sagte Contay und zitterte, so tapfer er sonst im Kampfe war, als er die rasende Wut sah, in welcher Karl aufbrauste. »Zahlreiche Mannschaft steht noch unter Eurem Befehle, doch mit Zucht und Ordnung ist's schlecht bestellt. Eure Hoheit hat die Führer der Söldner stets daran gewöhnt, nur aus Eurem eigenen Munde oder von Eurer eigenen Hand Befehle anzunehmen. Auch schreien sie nach Löhnung, und der Schatzmeister weigert sich, ohne Euer Hoheit Verfügung Geld zu zahlen. So will niemand auf uns hören, sondern nur auf Euch allein.« Der Herzog lachte finster, war aber offenbar ziemlich erfreut über die Antwort. »Ha, ha!« sagte er; »es ist nur Burgund, der seine unbändigen Rosse reiten und seine wilde Kriegerschar bändigen kann. Heda, Contay! Morgen reit' ich aus, die Heerschau zu halten, wer was versah, soll büßen! – Auch der Sold soll ausgezahlt werden! Laßt meine Leibpagen kommen, mich mit geziemender Kleidung und mit Waffen zu versehen. Ich habe« – indem er einen düstern Blick auf Oxford, warf – »eine gute Lehre bekommen und will mich nicht wieder schmähen lassen. Hinweg mit Euch beiden! Und Du, Contay schicke den Schatzmeister her mit seinen Berechnungen, und wehe ihm, so ich über ihn zu klagen habe! Hinweg, sage ich, und schick ihn her!« Als sie gingen, rief der Herzog plötzlich: »Lord von Oxford, ein Wort mit Euch! Wo habt Ihr die Arzneikunde erlernt? Dein Heiltrank hat ein Wunder bewirkt. Doch hätte es Dir das Leben kosten können, Doktor Philippson.« – »Ich habe stets mein Leben für wohlfeil erachtet,« sagte der Graf, »sobald es galt, meinem Freunde zu helfen.« – »Du bist in der Tat ein Freund,« sagte Karl, »und ein furchtloser Freund. Aber geh', ich bin sehr angegriffen gewesen, und Du hast mir viel zu schaffen gemacht. Morgen werden wir uns weiter sprechen. Unterdessen verzeihe ich Dir und halte Dich in Ehren!« Der Graf von Oxford begab sich in den Versammlungssaal des Staatsrates, wo der burgundische Adel ihm mit Dank, Begrüßung und Glückwunsch entgegenkam. Allgemeine Regsamkeit erwachte; Befehle flogen nach allen Richtungen hin. Diejenigen Befehlshaber, die ihre Dienstpflichten vernachlässigt hatten, eilten, ihr Versehen wieder gut zu machen. Im Lager entstand allgemeiner Tumult. Am folgenden Tage hielt Karl Heerschau über sein Kriegsvolk und zwar mit seiner gewohnten Aufmerksamkeit, ordnete neue Truppenaushebungen an, verteilte seine Heeresmacht, verbesserte vorgefundene Fehler in der Kriegszucht und fesselte die Kriegsknechte durch Auszahlung der Löhnungen aufs neue an das Panier, dem zu dienen sie geschworen hatten. Auch willigte der Herzog nach Rücksprache mit seinem Staatsrate darein, eine Ständeversammlung in seinen gesamten Staaten zu berufen, gewisse dem Volke mißfällige Einrichtungen abzuschaffen und etliche bisher von ihm verweigerte Vergütungen zu leisten; so daß er bei seinen Untertanen diejenige Beliebtheit wiedererlangte, die er durch sein früheres vorschnelles Verfahren verscherzt hatte. Neunzehntes Kapitel Von diesem Augenblicke an herrschte am Hofe des Herzogs von Burgund und in dessen Heere rege Tätigkeit; Gelder wurden eingetrieben, Kriegsknechte ausgehoben, und alles war zu einem abermaligen Feldzuge bereit. Allein, obgleich Karl dem äußern Scheine nach tätig wie ehedem war, so meinten doch die, die in seiner unmittelbaren Nähe weilten, er zeige nicht mehr seine sonstige Geistesklarheit noch die Stärke der Urteilskraft, die ihn vor den verhängnisvollen Schlachten ausgezeichnet hatte. Er litt oft an Anfällen finsterer Schwermut und furchtbarer Wut.– Wochen und Monate waren verflossen, als die Kunde eintraf, Ferrand de Vaudemont habe einen Einfall in Lothringen unternommen und, unterstützt vom Heere der Eidgenossen, die Hauptstadt Lothringens erstürmt, Karl beschloß nun sofort, gegen ihn zu ziehen. – »Dieser junge irrende Ritter,« rief er, »wagt sich aus dem Schutze seiner Gebirge hervor, und der Himmel soll mich richten, so ich meinen Schwur nicht halte! Ich gelobe, das nächste Schlachtfeld, auf dem wir beide uns treffen, soll einen von uns getötet sehen! Wir sind jetzt in der letzten Woche des alten Jahres und noch vor dem Dreikönigstage wollen wir sehen, wer von uns beiden die Bohne im Kuchen finden wird. – In den Waffen, Ihr Herren! laßt unser Lager sogleich aufbrechen, und unsere Mannen nach Lothringen vorrücken. Die italienischen und albanischen leichten Reiter bilden den Vortrab. – Oxford, Du trittst mit unter die Waffen auf diesem Zuge, nicht wahr?« – »Gewiß,«, sagte der Graf, »ich esse das Brot Eurer Hoheit, und wenn Feinde in Euer Land fallen, so ziemt es meiner Ehre, für Euch zu fechten, als wäre ich Euer wahrhaftiger Vasall. Mit Eurer Hoheit Erlaubnis entsende ich einen Boten mit Briefen an meinen ehemaligen Gastfreund, den Landammann von Unterwalden, um ihm diesen meinen Entschluß kund zu tun.« Nachdem der Herzog dies bereitwillig zugestanden hatte, wurde ein Bote abgefertigt, der nach wenigen Stunden schon zurückkehrte. So nahe befand sich bereits das feindliche Heer. Er brachte ein Schreiben vom Landammann zurück, das im Tone der Höflichkeit, ja selbst der Güte abgefaßt war und das Bedauern aussprach, daß die Verhältnisse zwei ehemalige Freunde zwängen, die Waffen gegeneinander zu führen. Derselbe Bote überbrachte auch Grüße der Brüder Biedermann an Arthur, nebst einem besonderen Schreiben an diesen letzteren, das folgendermaßen lautete: »Rudolf von Donnersberg hegt den lebhaften Wunsch, mit dem jungen Kaufmann Arthur von Philippson den seinerzeit im Burghofe zu Geierstein abgebrochenen Handel auszutragen, wünscht dies um so mehr, da ihm bekannt geworden ist, daß dieser Arthur ihm ein Mädchen von Stande abspenstig gemacht habe, für das dieser Philippson nichts mehr ist als ein gewöhnlicher Bekannter. Rudolf von Donnersberg wird dem Arthur Philippson kund tun, wo ein ritterliches Zusammentreffen auf neutralem Boden stattfinden kann. Mittlerweile wird er in den ersten Reihen des Vortrabs anzutreffen sein.« Arthurs Brust hob sich höher, als er die Herausforderung las, deren spitziger Ton hinlänglich dartat, wie aufgebracht Rudolf darüber war, daß Anna von Geierstein dem Fremden ihre Neigung zugewendet hätte. Arthur fand Gelegenheit, dem Schweizer eine Erwiderung zukommen zu lassen, die die Versicherung enthielt, daß er entweder in der Schlachtreihe oder an jedem vom Donnersberger bezeichneten Platze ihm stehen würde. Mittlerweile rückte der Herzog gegen Nancy vor und beschloß, die Stadt zu belagern. Die Mehrzahl der burgundischen Räte war, zusamt den Grafen Oxford, gegen diesen Plan, Man stellte dem Herzog die Schwäche seines Heeres zu solchem Unternehmen, die Strenge der Jahreszeit und die Schwierigkeit vor, Lebensmittel zu erhalten. Man riet ihm, sich zurückzuziehen und jede Entscheidung bis zum Frühlinge zu verschieben. Anfänglich versuchte Karl diese Gründe zu bestreiten, als aber seine Räte ihn erinnerten, daß er sich und sein Heer in ebendieselbe Stellung bringen würde, wie zu Granson und Murten, ward er wütend über diese Erinnerung; Schaum trat aus seinem Munde, und er antwortete nur mit Schwüren und Flüchen, daß er vor dem Dreikönigstage Herr von Nancy sein wollte. So bezog denn das burgundische Heer eine feste Stellung vor Nancy. Nachdem der Herzog durch diese Anordnung seiner Starrsinnigkeit Genüge geleistet hatte, schien es, als habe er mehr acht auf die Ratschläge seiner Vertrauten, soweit es die Sicherheit seiner Person anging, und gestattete dem Grafen von Oxford und dessen Sohne, nebst zwei oder drei Hauptleuten seiner Leibwache, die Männer von erprobter Treue waren, zu seinem besonderen Schutze mit ihm in einunddemselben Zelte zu schlafen. Es war drei Tage vor dem Christfeste, als der Herzog das Lager vor Nancy bezog, und am Abend desselben Tages erhob sich ein Tumult, der die Besorgnisse für Karls persönliche Sicherheit zu rechtfertigen schien. Es war Mitternacht, und alles im Zelt des Herzogs war zur Ruhe gegangen, als plötzlich das Geschrei: »Verrat! Verrat!« laut wurde. Der Graf von Oxford zog sein Schwert, riß ein neben ihm brennendes Licht vom Tische und stürzte in des Herzogs Gemach. Karl stand unbekleidet da und schlug mit dem Schwert so wütend um sich, daß der Graf Mühe hatte, seinen Hieben auszuweichen. Auch die übrigen Wachthabenden traten mit gezückter Waffe ein, die Mäntel über den linken Arm geschlagen. Als der Herzog sich etwas beruhigt hatte und sich von seinen Freunden umringt sah, erzählte er voll Wut und Aufregung, daß trotz aller seiner Vorsicht die Boten des heimlichen Gerichts in sein Gemach gedrungen wären und ihm bei schwerer Leibesstrafe anbefohlen hätten, in der Christnacht vor dem Stuhle der heiligen Feme zu erscheinen. Die Umstehenden hörten mit Staunen diese Kunde, und einige schienen zu zweifeln, ob sie sie für Wahrheit oder für einen Traum der überreizten Einbildungskraft des Herzogs halten sollten. Allein die Vorladung, wie üblich auf Pergament geschrieben und mit drei Kreuzen unterzeichnet, war mit einem Dolch auf den Tisch des Herzogs geheftet, und aus dem Holze ein Splitter geschnitten. Oxford las die Vorladung mit Aufmerksamkeit, Sie nannte wie gewöhnlich den Ort, wo der Herzog sich ohne Waffen einzufinden hätte, um von dort aus vor den heiligen Stuhl geführt zu werden. Nachdem Karl eine Zeitlang in die Schrift geblickt hatte, gab er seinen Gedanken Worte: »Ich weiß,« sprach er, »von welcher Sehne der Pfeil abgeschossen wurde. Er kommt von der Hand jenes entarteten Edlen, jenes apostatischen Priesters, jenes Alberts von Geierstein. Wir haben vernommen, er befände sich unter der zusammengelaufenen Rotte Geächteter und Meuchler, mit welcher der Großsohn des alten Fiedlers in der Provence sich zusammengetan hatte. Aber beim St. Georg von Burgund! weder Kapuze noch Helm soll ihn nach einer solchen Schmach fürder schützen! Ich will ihn der Ritterwürde entkleiden und ihn am höchsten Kirchturm in Nancy hängen lassen, und seiner Tochter soll die Wahl bleiben zwischen dem schlechtesten Troßbuben meines Heeres und dem Kloster büßender Schwestern!« – »Welche Vorsätze Ihr auch hegen mögt,« sagte Contay, »so wäre es wohl das beste zu schweigen, da wir aus diesem letzten Ereignis schließen können, daß man uns deutlicher hört, als wir glauben.« – Der Herzog schien über diesen Wink betroffen zu sein und schwieg oder murmelte doch nur Flüche und Drohungen zwischen den Zähnen, während nach dem Störer seiner nächtlichen Ruhe die strengste Nachforschung, wiewohl ganz vergebens, angestellt wurde. Karl gab indessen diese Nachforschungen nicht auf, denn er war außer sich über eine Kühnheit, die alles übertraf, was bisher das heimliche Gericht sich erdreistet hatte; denn so verwegen war es doch noch nie gewesen, die Hand nach Fürsten auszustrecken. Eine treue Schar burgundisch Volk wurde in der Christnacht ausgesandt, den Vorladungsort, einen Kreuzweg, der in der Pergamentrolle angedeutet worden war, besetzt zu halten und jeden, der sich dort würde blicken lassen, gefangen zu nehmen; allein nichts Verdächtiges ließ sich wahrnehmen. Nur um so heftiger fuhr der Herzog fort, dem Grafen Albert von Geierstein die erlittene Schmach zuzuschreiben. Ein Preis wurde auf dessen Kopf gesetzt, und Campobasso, stets bereit, der Laune seines Gebieters gefällig zu sein, nahm es auf sich, durch einige seiner Welschen, die auf dergleichen Fährten zu gehen verstanden, den verhaßten Geiersteiner lebend oder tot herbeizuschaffen. Es war am zweiten Tage nach jenem Tumulte, als Oxford den Wunsch äußerte, über das Feldlager Ferrands von Lothringen Kundschaft einzuholen; denn er zweifelte an der Richtigkeit der bisher über die Stärke und Ausrüstung des Feindes eingelaufenen Berichte. Er erhielt des Herzogs Erlaubnis dazu, der zu gleicher Zeit ihm und seinem Sohne zwei edle Hengste von großer Stärke und Schnelligkeit schenkte. Sobald der Graf von Campobasso dies erfahren hatte, drückte er die größte Freude darüber aus, daß der erfahrene Oxford ihm auf seinem Kundschaftsritt beistehen wolle, und stellte ihm eine ausgesuchte Schar venezianischer Reiter zur Verfügung, die er schon manchesmal, wie er sagte, zu Scharmützeln mit dem Vortrabe der Schweizer ausgeschickt hätte. Am Eingange eines ein wenig abwärts führenden Tales äußerte Campobasso gegen den englischen Edelmann, wenn sie bis an das entgegengesetzte Ende der Schlucht gelangen könnten, würden sie imstande sein, die ganze Stellung des Feindes zu überblicken. Zwei oder drei Venezianer sprengten vorweg, um den Talweg zu untersuchen, kehrten bald zurück und teilten ihrem Führer in ihrer Landessprache mit, daß alles sicher wäre, worauf Campobasso den Grafen Oxford aufforderte, ihn zu begleiten. – Ohne einen Feind wahrzunehmen, ritten sie das Tal entlang; allein, als sie auf die von Campobasso bezeichnete Ebene hinauskamen, konnte Arthur, der mit den Venezianern vorausritt, allerdings in einer Entfernung von tausend Schritte Ferrands Lager wahrnehmen, jedoch in demselben Augenblicke sprengte daraus eine Schar Berittener hervor und auf die Talöffnung zu, aus der Arthur hervorgekommen war. Eben wollte er sein Roß wenden und zurückreiten, jedoch im Vertrauen auf die Schnelligkeit seines Gaules dachte er, er könnte es wagen, einen Augenblick zu halten, um das Lager genau zu beaugenscheinigen. Die Venezianer, die ihn begleiteten, warteten nicht seinen Befehl zum Rückzug ab, sondern ergriffen die Flucht. Unterdessen bemerkte Arthur, daß der Anführer der Berittenen ein gewaltiges Roß ritt, das durch seinen Tritt den Boden erbeben ließ, und daß er auf seinem Schilde den Bären von Bern führte, auch überhaupt in seiner riesenhaften Gestalt dem Rudolf von Donnersberg glich. Jeder Zweifel daran schwand vollends, als er sah, wie der Ritter seine Schar Halt machen ließ und allein auf ihn zukam, indem er die Lanze einlegte und sich langsam näherte, als wollte er seinem Gegner Zeit lassen, sich zum Zweikampfe zu rüsten. Solche Herausforderung in diesem Augenblick anzunehmen, war gefährlich; allein, ihr auszuweichen, wäre schimpflich gewesen; und während Arthurs Blut bei dem Gedanken kochte, einen groben Nebenbuhler zu züchtigen, freute es ihn im Herzen nicht wenig, daß ihr Zusammentreffen zu Roß ihm einen Vorteil über den Schweizer gewährte, indem er mit dem Lanzengefecht im Turnier, worin Rudolf nur ein Neuling sein konnte, genau bekannt war. Sie trafen aufeinander. Die Lanze des Schweizers glitt ab vom Helme des Engländers, gegen den sie gerichtet gewesen war, während Arthurs Speer, genau auf den Bauch seines Gegners gerichtet, so richtig traf und durch die volle Wucht des Anlaufes so treulich unterstützt wurde, daß er nicht nur den Schild, den der unglückliche Krieger vorhielt, sondern auch eine Brustplatte und ein Panzerhemd, das er trug, durchbohrte. Arthurs Speer drang dem beklagenswerten Ritter gerade durch den Leib, und Rudolf stürzte kopfüber von seinem Gaule, als wäre er vom Blitze getroffen, wälzte sich ein paarmal am Boden hin und her, streckte sich dann lang aus und war tot. Ein Weh- und Rachegeschrei erhob sich unter den Männern zu Roß, und mehrere von ihnen legten die Lanzen ein, um ihn zu rächen; allein Ferrand von Lothringen, der in Person zugegen war, befahl ihnen, den glücklichen Sieger zum Gefangenen zu machen, jedoch ihm kein Leides zu tun. Das geschah, denn Arthur hatte nicht Zeit, sein Pferd zur Flucht zu wenden, und Widerstand wäre Raserei gewesen. Als er vor Ferrand gebracht wurde, öffnete er sein Visier und fragte: »Ist es wohlgetan, einen fahrenden Ritter, der gegen persönliche Herausforderung seine Pflicht tat, gefangen zu nehmen?« – »Beklagt Euch nicht, Herr Arthur von Oxford,« sagte Ferrand, »ehe Euch noch Leides widerfährt. Ihr seid frei, Herr Ritter – Euer Vater und Ihr wart treue Anhänger meiner königlichen Muhme Margarethe, und wiewohl sie mir Feindin war, so will ich doch Eurer Treue gegen sie Gerechtigkeit widerfahren lassen und Euch die Freiheit geben. Aber ich muß auch Sorge für Euch tragen, bis Ihr in das burgundische Lager zurückgekehrt seid. Diesseits der Talschlucht schlagen treue und ehrliche Männerherzen, jenseits befinden sich Verräter und Mordgesellen. – Ihr, Herr Graf, möchtet, wie mich dünkt, unsern Gefangenen gern in Sicherheit wissen.« Der Ritter, den Ferrand mit diesen Worten anredete, ein langer, stattlicher Mann, spornte sein Roß, um Arthur zu begleiten, während letzterer dem jungen Herzog von Lothringen seinen Dank für die ihm erwiesene ritterliche Behandlung aussprach. – »Lebt wohl, Sir Arthur de Vere,« fügte Ferrand. »Ihr habt einen edlen Kämpen niedergestreckt, der mir ein nützlicher und treuer Freund war, aber es geschah edel und offen, mit gleichen Waffen und angesichts der Schlachtlinie. Wehe dem, der deshalb Fehde mit Euch sucht!« Arthur verbeugte sich bis an den Sattelknopf. – Ferrand erwiderte den Gruß, und sie schieden. Ein Stück nur waren Arthur und sein Geleitsmann geritten, als der Fremde das Wort nahm: »Wir waren ehedem schon Reisegenossen, junger Mann, jedoch Ihr erkennt mich nicht.« – Arthur warf einen Blick auf den Ritter, und als er gewahrte, daß der Kamm seines Helmes einen Geier bildete, fuhr ein seltsamer Argwohn durch seine Seele, der nur allzusehr bestätigt wurde, als der Ritter das Visier aufschlug und ihm die finstern, ernsten Gesichtszüge des schwarzen Priesters von St. Paul zeigte. »Graf Albert von Geierstein,« sagte Arthur. – »Eben der,« versetzte der Graf, »obgleich Du ihn im andern Gewande und mit einem Glatzkopfe gesehen hast. Allein die Tyrannei treibt alle Welt unter Waffen, so habe auch ich die meinigen wieder ergriffen. Eine Fehde gegen Grausamkeit und Unterdrückung ist heilig wie ein Zug nach Palästina.« – »Mein Herr Graf,« sagte Arthur lebhaft, »ich kann Euch nicht früh genug bitten, zum Herzog Ferrand von Lothringen zurückzukehren. Hier seid Ihr in Gefahr, und weder Stärke noch Mut kann Euch schützen. Der Herzog von Burgund hat einen Preis auf Euren Kopf gesetzt, und das Land zwischen hier und Nancy wimmelt von italienischen Reitern.« – »Ich lache ihrer,« antwortete der Graf. »Ich habe darum nicht so lange in einer sturmbewegten Welt zwischen Staatsränken und Fehdezügen gelebt, um von so elenden Händen zu fallen. Ueberdies bist Du bei mir, und ich habe soeben gesehen, daß Du Dich ritterlich zu benehmen verstehst.« – »Zu Eurem Schutze, Herr Graf,« sagte Arthur, der in seinem Gefährten nur den Vater Annas von Geierstein erblickte, »würde ich es gewiß versuchen, mein Bestes zu tun.« – »Wie, Jüngling?« versetzte Graf Albert mit einem düstern Lächeln, »wolltest Du dem Feinde des Herrn, unter dessen Banner Du dienst, gegen dessen Söldlinge Beistand leisten?« – Arthur war über die Wendung betroffen, die seiner Erklärung gegeben wurde; doch er sammelte sich sofort und sprach: »Mein Herr Graf Albert, Ihr habt die Gefälligkeit gehabt, mich vor den Lanzen Eurer Parteigänger zu schützen, an mir ist es nun, ein Gleiches für Euch zu tun,« – »Das war ehrlich geantwortet,« sagte der Geiersteiner, »doch es gibt einen kleinen blinden Parteigänger, von dem die Troubadours und Minnesänger schwatzen, und diesem dürfte ich im Fall der Not wohl für den Beistand, den Ihr mir leisten würdet, am meisten zu Dank verpflichtet sein.« Er ließ unserm Arthur, der nicht wenig verlegen war, keine Zeit zu antworten, sondern fuhr fort: »Höre mich, junger Mann! Deine Lanze hat an diesem Tage dem Schweizerlande, der Stadt Bern und dem Herzoge Ferrand großes Leid zugefügt. Mir ist jedoch der Tod des von Donnersberg willkommen. Als seine Dienste immer unentbehrlicher wurden, war er aufdringlich genug, Ferrand zu seinem Brautwerber zu gewinnen, so daß der Herzog selbst, der Sohn einer Fürstin, nicht errötete, die Letzte meines Hauses – denn der Stamm meines Bruders zeigt nur entartete Sprößlinge – von mir für einen anmaßenden Jüngling zu begehren, dessen Ohm ein Knecht im Hause meines Schwiegervaters war, wenngleich dieser Rudolf sich edler Herkunft rühmte.« – »Gewiß,« sagte Arthur, »eine Ehe zwischen Personen von so ungleicher Herkunft wäre zu widersinnig, um noch von ihr zu reden.« »Bei meinen Lebzeiten,« erwiderte Graf Albert, »wäre solch ein Bündnis nimmermehr geschlossen worden, da der Tod des Bräutigams wie der Braut durch einen Dolch die Ehre meines Hauses gegen Gewalt hätte schützen können. Allein wenn ich – dessen Tage, ja dessen letzte Lebensstunden gezählt sind – nicht mehr sein werde, was könnte dann einen rücksichtslosen Fürstenknecht, unterstützt durch die Gunst des Herzogs, durch den Beifall seines Vaters und vielleicht auch durch die unseligen Vorurteile meines Bruders, hindern, seine Sache trotz allem Widerstande eines verwaisten Mädchens durchzusetzen? Nun merkt auf, Arthur de Bere! Meine Tochter hat mir erzählt, was zwischen Euch und ihr vorfiel. Eure Gesinnung wie Euer Wandel ist des edlen Hauses wert, von dem Ihr abstammt und das sich, wie ich weiß, an die edelsten Häuser Europas rühmlich anschließt. Zwar seid Ihr enterbt, allein auch Anna von Geierstein ist es, bis auf das, was ihr Oheim ihr von ihrem väterlichen Erbe etwa abtreten dürfte. Wenn Ihr es mit ihr teilen wollt, bis bessere Tage kommen – immer vorausgesetzt, daß Euer edler Vater seine Einwilligung gibt – so weiß meine Tochter, daß ich einwillige und sie segne. Auch mein Bruder soll meinen Willen erfahren. Er wird meine Absicht billigen; denn obgleich gestorben für Gedanken an Ehre und Rittertum, ist er doch empfänglich für häusliches Glück, liebt seine Nichte und hegt Freundschaft für Dich und Deinen Vater. Was sagst Du, junger Mann? Willst Du eine bettelarme Gräfin zur Gefährtin Deines Lebens wählen? Ich glaube, ja ich weissage – denn ich stehe so nahe dem Rande des Grabes, daß mich dünkt, mir sei ein Blick über dasselbe hinaus gestattet – es wird einst den Häusern de Bere und Geierstein ein neuer Glanz beschieden sein!« De Bere schwang sich von seinem Pferde, ergriff des Grafen Hand und wollte in Danksagungen ausbrechen; doch der Geiersteiner gebot ihm Stillschweigen. »Wir müssen scheiden,« sprach er. »Die Zeit ist kurz – der Ort gefährlich. Ihr seid mir, persönlich gesprochen, weniger als nichts. Wäre einer der vielen Pläne des Ehrgeizes, denen ich nachrang, geglückt, so wäre der Sohn eines verbannten Grafen nimmer der Eidam, den ich erwählt hätte. Besteigt Euer Pferd wieder! – Unverdienter Dank wird lästig.« Arthur richtete sich auf und stieg schweigend wieder zu Roß. »Ich weiß, daß meine letzte Stunde nahe ist,« fuhr Graf Albert von Geierstein fort, »Hört und zittert! Der Herzog von Burgund ist zum Tode verurteilt, und die unsichtbaren Richter, die in der Tiefe ihren Spruch fällen und im geheimen rächen, gleich der Gottheit, haben Strang und Dolch in meine Hand gelegt.« – »O, werft diese garstigen Symbole von Euch!« rief Arthur enthusiastisch aus. »Mögen sich Häscher und geheime Mörder finden, solch Amt zu vollführen, das den edlen Herrn von Geierstein entehrt!« – »Still, törichter Knabe!« antwortete der Graf. – »Der Eid, den ich geschworen habe, ist höher denn der wolkige Himmel, und fester begründet als jene fernen Berge. Auch wähne nicht, mein Tun sei das eines Meuchlers, eher könnte ich das des Herzogs als ein solches ansehen. Ich sende keine Mietlinge, wie diese elenden Venezianer es sind, hinaus auf die Jagd gegen, sein Leben, ohne das meinige dabei in Gefahr zu setzen. Ich gebe nicht seiner Tochter – die unschuldig ist an seinen Missetaten – die Wahl zwischen schmachvoller Ehe und einer vor der Welt entwürdigenden Zurückgezogenheit. Nein, Arthur de Bere, ich suche Karl mit der Entschlossenheit eines Mannes auf, der sich dem sichern Tode preisgibt, um das Leben eines Gegners zu vertilgen,« – »Ich bitte Euch, redet nicht mehr davon,« sagte Arthur, höchst ängstlich. »Bedenkt, ich diene für den Augenblick dem Fürsten, den Ihr bedroht –« – »Und bist verbunden,« unterbrach ihn der Graf, »ihm zu offenbaren, was ich Dir sage. Ich wünsche, daß Du es tust, und obwohl er die Vorladung der heiligen Feme gering geachtet hat, so freut es mich doch, ihm persönliche Herausforderung zukommen zu lassen. Sagt Karl von Burgund, daß er Albert von Geierstein schwer verletzte. Wer an seiner Ehre gekränkt wurde, verliert alle Freude am Leben. Warnt ihn, sich vor mir wohl in acht zu nehmen; denn Albert von Geierstein ist meineidig, so der Herzog noch die zweite Sonne des herannahenden Jahres erblickt. – Und jetzt lebt wohl; denn ich sehe eine Schar unter burgundischem Banner sich nahen.« Mit diesen Worten warf der Geiersteiner sein Roß herum und sprengte von dannen, – Zwanzigstes Kapitel Arthur war allein gelassen worden, und vielleicht voll Verlangen, den Rückzug des Grafen Albert zu decken, ritt er dem herannahenden Häuflein Burgunder entgegen, das dem Fähnlein de Contays nachzog. »Willkommen, willkommen!« sagte dieser Edelmann, indem er hastig auf den jungen Ritter zukam. »Der Herzog ist eine Viertelstunde Weges mit einem Reiterhaufen hinter uns, den Aufklärern zu Hilfe zu kommen. Es ist noch keine halbe Stunde her, da kam Euer Vater zu uns zurück und meldete, Ihr wärt durch die Verräterei der Venezianer in einen Hinterhalt gelockt und zum Gefangenen gemacht worden. Er hat den Campobasso des Verrats bezichtigt und ihn zum Zweikampf herausgefordert. Beide wurden unter der Obhut des Obermarschalls in das Lager geführt, da sie sonst auf der Stelle aneinander geraten wären, obwohl mich dünkt, als zeigte der Welsche wenig Lust, es zu Hieben kommen zu lassen. Der Herzog hält ihre Schwerter in der Scheide und hat den Kampf auf den Dreikönigstag festgesetzt.« Arthur ritt mit Contay zurück und stieß auf eine größere Reiterschar unter dem glänzenden Banner des Herzogs. Sofort wurde er vor Karl geführt. Dieser hörte mit anscheinender Besorgnis Arthur die Klage seines Vaters gegen den Italiener bestätigen, dem der Herzog so sehr gewogen war. Als Arthur versicherte, daß die Venezianer sich mit dem feindlichen Führer kurz vorher besprochen hätten, ehe der Graf Campobasso Arthur aufforderte, weiter zu reiten, und daß er dadurch in einen Hinterhalt geraten sei, schüttelte der Herzog den Kopf, senkte die dichten Augenbrauen und murmelte vor sich hin: »Bloß Haß gegen Oxford wahrscheinlich – diese Welschen sind rachsüchtig.« – Dann richtete er das Haupt auf und befahl unserm Arthur, fortzufahren. Mit einer Art von Verzückung vernahm er die Erzählung vom Tode des Donnersberg, riß eine goldene Kette vom Hals und warf sie über Arthurs Nacken, »Traun, Du hast uns allen Ruhm vorweggenommen, junger Arthur,« fügte er, »das war der plumpste Bär von allen; die übrigen sind gegen ihn junge säugende Brut. Mich dünkt, ich habe einen jugendlichen David gefunden, der mir ihren dickköpfigen Goliath erschlug. Aber der Tölpel! daß er wähnte, seine Bauernfaust könnte eine Ritterlanze schwingen. Brav, mein wackerer Knabe, – und was mehr? Wie kamst Du davon? Durch irgend eine schlaue Kriegslist, möcht ich wetten!« – »Vergebt, hoher Herr,« antwortete Arthur, »ich wurde von dem feindlichen Führer Ferrand in Schutz genommen, der mein Zusammentreffen mit dem von Donnersberg als mannhaften Zweikampf betrachtete. Er entließ mich in allen Ehren, mit Roß und Waffen.« – »Hm!« sagte Karl, dessen üble Laune wiederkehrte, »Prinz Abenteuer muß den Großmütigen spielen – hm! – Es gehört dergleichen zu seiner Rolle; doch soll mich das keine Linie breit von meinem Verfahren ablenken. Setzt Eure Erzählung fort, Arthur de Bere.« – Als Arthur ferner mitteilte, was Graf Albert von Geierstein zu ihm über den Herzog gesagt hatte, heftete dieser einen brennenden Blick auf ihn und zitterte vor Ungeduld, indem er den Jüngling mit der hastigen Frage unterbrach: »Und Ihr – Ihr traft ihn mit Eurem Dolche unter der fünften Rippe? Tatet Ihr es nicht?« – »Ich tat es nicht, Herr Herzog, – wir waren einander durch gegenseitige Zusage verpflichtet.« – »Doch wußtet Ihr, daß er mein Todfeind ist,« sprach der Herzog, »geht junger Mann! Deine laue Gleichgültigkeit hat Dein Verdienst geschmälert. Daß Du Albert von Geierstein entrinnen ließest, macht den Tod Rudolfs von Donnersberg quitt.« – »Sei dem so, hoher Herr,« sagte Arthur kühn. »Ich mache weder Anspruch auf Euer Lob, noch verdiene ich Euren Tadel. In beiden Fällen hatte ich Gründe zu achten, die mich persönlich betrafen. Donnersberg war mein Feind, und dem Grafen Albert von Geierstein bin ich verpflichtet.« – Die umherstehenden burgundischen Edlen erschraken über diese kühne Rede. Allein es war nie vorauszusehen, wie Karl dergleichen aufnehmen würde. Diesmal blickte er mit einem Lachen umher und sagte: »Hört Ihr diesen englischen jungen Hahn, Ihr Herren? wie wird der eines Tages den Ton hochstimmen, da er jetzt schon in eines Fürsten Gegenwart so wacker kräht!« Etliche Reiter trafen nun von verschiedenen Gegenden ein und meldeten, daß Herzog Ferrand und die Seinigen sich in ihr Lager zurückgezogen hätten, und daß das Land von Feinden frei wäre. »So laßt auch uns zurückgehen,« sagte Karl, »da sich keine Gelegenheit zum Lanzenbrechen bietet. Und Du, Arthur de Bere, halte Dich dicht in meiner Nähe.« Im Zelte des Herzogs angelangt, mußte Arthur eine Untersuchung bestehen, in welcher er jedoch nichts von Anna von Geierstein, noch von den Absichten ihres Vaters inbetreff seiner selbst äußerte, weil er glaubte, daß Karl damit nichts zu schaffen hätte; allein offen teilte er dem Herzog die persönlichen Drohungen mit, die der Graf Albert gegen diesen ausgestoßen hatte. Der Herzog hörte ihm jetzt gelassener zu, und als Arthur geendet hatte, nahm Karl von seiner Brust ein goldenes Kreuz und küßte es mit vieler Andacht. »Auf dieses Kreuz,« sprach er, »will ich mein Vertrauen setzen. Fehle ich in dieser Welt, so mag ich Gnade finden in jenem Leben. – He, Herr Marschall!« rief er dann hinaus, »laßt Eure Gefangenen vor uns kommen.« Der Marschall von Burgund trat mit dem Grafen von Oxford ein und erklärte, daß sein zweiter Gefangener, der Campobasso höchst ernsthaft gebeten hätte, man möchte ihm Urlaub geben, damit er an dem seiner Hut anvertrauten Teile des Feldlagers seine Schildwachen aufstelle, ein Gesuch, das der Marschall nicht hatte abschlagen wollen. »Gut,« sagte Burgund ohne weitere Bemerkung, »dann zu Euch, Lord Oxford, ich wollte Euch Euren Sohn vorstellen, aber Ihr habt ihn bereits in Eure Arme geschlossen. Er hat sich Ehre und Preis erworben und mir wackere Dienste geleistet. Wir sind an einem Zeitpunkt des Jahres, wo wackere Leute ihren Feinden vergeben. Ich weiß nicht, wie es kommt – aber ich fühle ein unbezwingliches Verlangen, dem nahen Zweikampfe zwischen Euch und dem Grafen Campobasso Einhalt zu tun. Willigt um meinetwegen darein, Freunde zu sein, nehmt Eure Herausforderung zurück – und laßt mich dieses Jahr – vielleicht das letzte, das ich erlebe, mit einer Tat des Friedens beschließen,« »Hoher Herr,« sagte Oxford, »es ist ein Geringes, was Ihr von mir verlangt. Ich war aufgebracht über den Verlust meines Sohnes. Dem Himmel und Eurer Hoheit verdanke ich es, daß ich den Jüngling wieder habe, Campobassos Freund zu sein, ist mir unmöglich. Treue und Verrat, Wahrheit und Falschheit könnten sich dann ebenfalls die Hand reichen und sich umarmt halten. Allein der Welsche soll mir ebenso gleichgiltig sein, wie er es mir vor unserm Zwist war. Ich lege meine Ehre in Euer Hoheit Hand; nimmt Campobasso sein Wort zum Zweikampfe zurück, so tue ich es ebenfalls. John de Bere hat nicht zu befürchten, daß die Welt ihn im Verdacht habe, er fürchte sich vor einem Campobasso.« Der Herzog erwiderte mit aufrichtigen Dankesworten und behielt seine Edlen den Abend bei sich im Zelte. Sein Benehmen erschien dem jungen Arthur friedliebender, als er es je zuvor an ihm wahrgenommen hatte. Der Herzog ordnete an, daß Lebensmittel und Wein unter seine Soldaten verteilt würden. »Wäre es nicht um unseres Schwures willen,« sagte er leise zu etlichen seiner Räte, »so wollten wir diese Fehde bis zum Frühling verschieben, wo unsere Mannen unter geringeren Strapazen ins Feld rücken könnten.« – Sonst war nichts Bemerkenswertes am Benehmen des Herzogs, außer daß er oft nach dem Grafen Campobasso fragte. Dieser ließ endlich melden, er sei unpaß und der Arzt habe ihm Ruhe befohlen; deswegen hätte er sich zurückgezogen, damit er mit dem Frührot zur Hand sein möchte, weil die Sicherheit des Feldlagers hauptsächlich von seiner Wachsamkeit abhinge. – Der Herzog verlor weiter kein Wort darüber, und eine Stunde vor Mitternacht wurden die Gäste aus dem Zelte des Herzogs entlassen. Als Oxford mit seinem Sohne im eigenen Zelte angekommen war, versank der ältere Graf in tiefes Nachdenken, das fast zehn Minuten währte. »Mein Sohn,« sprach er dann, indem er plötzlich auffuhr, »gib dem Thibault und Deinen Jägern Befehl, unsere Rosse vor Tagesanbruch bereitzuhalten; auch könnte es nichts schaden, unsern Nachbar Colvin mitzunehmen. Ich habe Lust, um die Zeit des Frührots die Vorposten zu untersuchen. Wäre die Nacht mondhell, so würde ich sogleich die Runde machen.« – »Weshalb, mein Herr und Vater, erregt diese Nacht so besonders Euren Argwohn?« »Sohn Arthur, Du wirst vielleicht Deinen Vater für leichtgläubig halten,« sagte der Graf. »Allein meine Amme Martha Nixon war ein Weib aus dem Norden und steckte voll Aberglaubens. Besonders pflegte sie zu sagen, jede plötzliche, grundlose Veränderung in eines Menschen Natur – wie etwa der Uebergang von Schwelgerei zu Mäßigkeit, von Heftigkeit zu Gelassenheit, von Geiz zu Freigebigkeit –deute stets darauf hin, daß eine große Umwälzung der Dinge, sei es zum Guten oder zum Bösen, für ihn vorgehen werde – und in diesem Falle mag es sich wohl zum Bösen wenden, da wir in einer argen Welt leben. Diese Vorstellung der alten Frau hat meine Seele so ergriffen, daß ich entschlossen bin, ehe noch der Tag anbricht, mit meinen eigenen Augen zu prüfen, ob unsere Wachen um das Lager her auf dem Posten sind,« – Arthur ließ Colvin und Thibault das Nötige wissen, und man begab sich zur Ruhe. Es war noch vor Anbruch des ersten Januars 1477 (ein Zeitpunkt, der wegen des Ereignisses, das an diesem Tage stattfand, denkwürdig bleiben wird), da begannen der Graf von Oxford, Colvin und Arthur, begleitet von Thibault und zwei anderen Dienern, ihre Runde durch des Herzogs Lager. Auf dem größeren Teil des Weges fanden sie Schildwachen und Posten sämtlich in guter Ordnung. Es war ein schneidend kalter Morgen. Die Fläche war zum Teil mit Schnee bedeckt – Tauwetter hatte diesen Schnee etwas geschmolzen, aber strenger Frost, der danach eingetreten war, hatte eine Eisrinde gebildet, die sich jetzt immer mehr verdickte. Allein wie groß war das Erstaunen und die Unruhe des Grafen und seiner Gefährten, als sie zu demjenigen Teil des Lagers gelangten, der am Tage vorher von Campobasso und dessen fast 2000 Mann zählenden Welschen besetzt worden war. Kein Zuruf erfolgte, kein Roß wieherte, kein Hengst stampfte, keine Wache war aufgestellt. Sie untersuchten die Zelte – alles war leer. – »Laßt uns zurückreiten und Lärm im Lager schlagen!« rief der Graf. »Hier liegt Verrat vor!« »Ei, Lord,« versetzte Colvin, »laßt uns keine mangelhafte Kunde heimbringen. Hundert Schritt von mir stehen meine Schießmörser und decken den Zugang zu diesem Hohlwege; laßt uns sehen, ob meine deutschen Kanoniere an ihrem Posten sind. Mich dünkt, ich kann's beschwören, daß wir sie rüstig auf ihren Plätzen finden. Das Geschütz mündet auf einen Engpaß, durch den allein man in das Lager gelangen kann,« – »Vorwärts denn, in Gottesnamen!« sagte der Graf von Oxford, Ueber Eis und durch Pfützen jagten sie weiter, sie kamen zu den Mörsern. Der blasse Wintermond, der sich in das Frühlicht mischte, beleuchtete die wohlgerichteten Kanonen, allein keine Schildwache war zu sehen, »Die Schufte können nicht entwischt sein,« sagte der erstaunte Colvin. »Doch seht, da ist Licht in den Zelten. – O! des unseligen Weines! Der Trunk hat sie sicherlich übermannt. Ich will sie bald aus ihren Träumen aufschrecken!« – Er sprang von seinem Gaule und stürzte in das Zelt, in welchem das Licht schimmerte. Die Kanoniere oder doch die Mehrzahl derselben waren noch da, aber sie lagen hingestreckt auf dem Boden, die Trinkbecher neben ihnen; und alle miteinander waren so betrunken, daß Colvin nur zwei oder drei von ihnen durch Drohungen und Befehle erwecken konnte. Die Aufgescheuchten tappten in die Höhe und gehorchten ihm mehr aus Instinkt als mit Bewußtsein ihrer selbst, indem sie hintaumelten, das Geschütz zu bemannen. In dem Augenblicke ließ sich von der andern Seite des Engpasses her ein Getöse wie von einherschreitenden Gewappneten vernehmen. – »Es ist das Geheul einer fernen Lawine,« sagte Arthur. – »Es ist eine Lawine von Schweizern, nicht von Schnee,« entgegnete Colvin. »O, der besessenen Knechte! Die Mörser sind schwer geladen und wohlgerichtet – diese Salve sollte sie zurückwerfen, wenn es Feinde wären, und das Gekrach würde früher, als wir es können, das Lager lebendig machen. Doch wehe, daß die Schufte betrunken sind!« – »Sorgt deshalb nicht!« sagte der Graf, »mein Sohn und ich wir wollen jeder einen Zündstock nehmen und gute Kanoniere abgeben.« – Sie saßen ab und befahlen Thibault und den beiden Dienern auf die Rosse acht zu geben, dann nahmen sie den hilflosen Trunkenbolden die Lunten weg. Drei der Soldaten waren indessen noch nüchtern genug, um an ihre Mörser zu treten. »Bravo!« rief der alte Geschützhauptmann, »noch nimmer ward ein Geschoß so edel bedient. Jetzt, mein Bursche, vergebt, Mylords, aber es ist nicht Zeit, Umstände zu machen – und Ihr besoffenen Schelme, – gebt acht, daß Ihr nicht eher Feuer, gebt, als bis ich rufe. Dann sollen diese Trampler, und wären ihre Rippen felsenhaft wie die Alpen, es erfahren, wie der alte Colvin seine Mörser lädt.« Alle fünf standen atemlos, jeder bei seinem Geschütz. Der dumpfe Hall der Tritte kam immer näher und näher, bis das mangelhafte Morgenlicht eine düstere, undeutlich erkennbare Reihe von Männern zeigte, die, mit langen Spießen, Streitäxten und andern Waffen versehen, unter dunkel flatternden Bannern einherzogen. Colvin ließ sie bis auf eine Entfernung von fünfzig Ellen heranrücken, und rief dann:, »Feuer!« aber nur sein Stück ging los; von den andern blitzte vom Zündloche nur eine schwache Flamme auf, weil die Mörser von den italienischen Verrätern vernagelt und unbrauchbar gemacht worden waren. Wären alle Mörser tauglich gewesen, so würde sich seine Prophezeiung wahrscheinlich erfüllt haben; denn schon die Entladung des einen Geschützes brachte eine schauderhafte Wirkung hervor, indem sie in den Reihen der Schweizer eine lange Linie Toter und Verwundeter niedermähte. »Haltet stand,« rief Colvin, »und helft mir womöglich, den Mörser wieder zu laden,« – Doch dazu war keine Zeit. In der zerrütteten Kriegerschar schritt eine stattliche Gestalt, hob das Banner, dessen Träger mitgestürzt war, auf und rief mit der Stimme eines Riesen: »Was, Ihr Männer, Ihr habt Murten und Granson gesehen und fürchtet Euch vor einem einzigen Schießmörser? Bern! Ury! Schwyz! Banner vorwärts! Unterwalden, hier ist Dein Fähnlein! Laßt Euren Schlachtruf erschallen! Blast in Eure Hörner! Unterwalden folgt seinem Landammann!« Und heran stürzten sie gleich einem wütenden Ozean, mit einem betäubenden Geheul, in unbändigem Lauf! Colvin, der noch bemüht war, seinen Mörser zu laden, wurde niedergemacht. Oxford und sein Sohn wurden durch die Menge, deren wilden Drängen allein sie es zu danken hatten, daß sie nicht tödliche Streiche empfingen, zu Boden gestoßen. Arthur schützte sich, indem er unter den Mörser kroch, bei dem er stand; über seinen Vater hin, der minder glücklich war, trabten die feindlichen Krieger und würden ihn zerquetscht haben, wenn seine Stahlrüstung ihn nicht beschirmt hätte. Die Schar der Schweizer, mindestens viertausend Mann, wälzte sich in das Lager hinein, indem sie ihr fürchterliches Geschrei fortsetzte, in das sich bald Geheul, Aechzen und Schreckensrufe mischten. Ein breiter roter Schimmer stieg auf hinter den Anstürmenden und überstrahlte das bleiche Licht des Wintermorgens, als Arthur zuerst wieder zur Besinnung kam. Das Lager hinter ihm stand in Flammen und hallte wider vom Jauchzen der Sieger, vom Stöhnen der Ueberfallenen. Niederblickend, schaute er umher nach seinem Vater. Dieser lag bewußtlos neben ihm, wie auch die Kanoniere, die in ihrer Halbtrunkenheit wohl nicht an Flucht gedacht hatten. Als Arthur des Vaters Helm öffnete, sah er zu seiner Freude, daß er noch lebte, – »Die Rosse! – die Rosse!« rief Arthur, – »Thibault, wo bist Du?« »Zur Hand, Mylord,« sagte dieser getreue Geleitsmann, der sich und seine Tiere durch klugen Rückzug in ein Dickicht gerettet hatte. – »Wo ist der tapfere Colvin?« fragte der Graf, der sich wieder erhob. – »Seine Kriege sind ausgekämpft, Mylord,« entgegnete Thibault, »er wird hienieden keinen Hengst mehr besteigen.« – Ein Seufzer der Teilnahme, als Oxford auf Colvin blickte, der mit gespaltenem Schädel vor der Mündung seines Schießmörsers lag, war alles, was der Augenblick gestattete. – »Wohin?« fragte Arthur. – »Zum Herzog,« sagte der ältere Graf. »Ich will ihn nicht an einem Tage wie diesem verlassen.« »Mit Verlaub,« sagte Thibault, »ich sah den Herzog, begleitet von einem halben Schock seiner Leibwächter, in vollem Trabe über diesen Wasserstrom setzen – und den Weg nach dem nordöstlichen Flachlande einschlagen. Ich denke, ich kann Euch auf die Spur dahin bringen.« – »Wenn dem so ist,« sagte Oxford, »so sitzen wir auf und jagen ihm nach. Das Lager ist an mehr als einer Stelle überfallen worden, und alles muß verloren sein, da er entfloh.« Mit Mühe nur konnte der Graf von Oxford den Gaul besteigen, und er ritt auch nur so schnell, als seine zertretenen Glieder es ihm gestatteten. Mehr als einmal blickten die Reiter zurück auf das Lager, das jetzt eine wilde Brandstätte war, bei deren glührotem Scheine sie am Boden die Spur von Karls Rückzug wahrnehmen konnten. Nach ungefähr einer halben Stunde erreichten sie einen halb zugefrorenen Morast, um den herum mehrere Leichname lagen. Unter ihnen erkannten sie Karl von Burgund. Er war zum Teil entkleidet und beraubt wie die übrigen, die um ihn her lagen. Sein Leib war mit verschiedenen Wunden bedeckt, die von mehr als einer Waffenart herrührten. Er hatte das Schwert noch in der Hand, und auf seinem erstarrten Gesicht lag noch jene Wildheit, die in der Schlacht seine Züge zu beleben pflegte. Dicht neben ihm, als seien beide im Kampf Mann gegen Mann gefallen, lag die Leiche des Grafen Albert von Geierstein und etwas abseits die Itel Schreckenwalds, des treuen wiewohl gewissenlosen Knappen des Geiersteiners. Beide waren wie die Leute von der Leibwache des Herzogs angetan – eine Verkleidung, die sie wahrscheinlich anlegten, um den Blutauftrag der heiligen Feme zu vollziehen. Es ist anzunehmen, daß Leute des Verräters Campobasso in dem Scharmützel tätig waren, in dem der Herzog fiel, denn sechs oder sieben dieser Gesellen und ebensoviele von des Herzogs Leibwache lagen ebenfalls tot am Boden. Der Graf von Oxford stieg vom Pferde und untersuchte den Leichnam seines hingeschiedenen Waffenbruders, und zwar mit aller Bekümmernis, die die Erinnerung an die frühere Güte des Herzogs in ihm erweckte. Aber während er sich so seinem Schmerz überließ, rief Thibault, der auf den Pfad hinausschaute, auf welchem sie hergekommen waren: »Zu Roß, Mylord, hier ist nicht Zeit, die Toten zu beweinen. Die Schweizer sind uns auf den Fersen!« »Flieh hin, ehrlicher Bursch!« sagte der Graf; »auch Du, Arthur, flieh! Rette Deine Jugend für glücklichere Tage! Ich kann und will nicht weiter fliehen. Ich will mich den Verfolgern ergeben; gewähren sie mir Gnade, so ist's gut; wo nicht, so lebt einer über uns, der mir seine Gnade verleihen wird.« – »Ich verlasse Euch nicht!« rief Arthur. »Ich will bleiben und Euer Schicksal teilen!« – »Und ich will auch bleiben,« sagte Thibault. Das Schweizerhäuflein, das heraufkam, zeigte Sigismund, dessen Bruder Ernst und etliche andere Söhne aus Unterwalden. Sigismund nahm die Gefangenen liebreich und freudig auf und leistete so dem jungen Grafen von Oxford für die Güte, die dieser ihm früher erwiesen hatte, zum drittenmale einen wesentlichen Dienst. »Ich will Euch zu meinem Vater führen,« sagte Sigismund, »der recht erfreut sein wird, Euch zu sehen; nur ist er eben jetzt betrübt über den Tod unseres Bruders Rüdiger, der mit dem Banner in der Hand durch den einzigen Mörser fiel, der an diesem Morgen abgefeuert wurde; die übrigen Donnerbüchsen konnten nicht bellen. Campobasso hat den Hunden des Colvin die Mäuler verstopft, sonst wären mehrere von uns gleich dem armen Rüdiger bedient worden. Aber dafür liegt Colvin auch hingestreckt.« – »So war Campobasso mit Euch im Einverständnis?« fragte Arthur. – »Nicht mit uns – wir verachten solche Genossen – doch etwas dergleichen fand zwischen den Welschen und dem Herzoge Ferrand statt, und als sie das Geschütz vernagelt und die deutschen Kanoniere trunken gemacht hatten, kam er mit fünfzehnhundert Reitern zu uns herüber und wollte gemeinsame Sache mit uns machen. »Nichts da, nichts!« rief mein Vater. »Verräter dulden wir nicht in unseren Reihen!« Und so wollten wir nichts mit ihm zu schaffen haben, wiewohl wir durch das Tor drangen, das er uns geöffnet hatte. So gesellte er sich zu dem Herzog Ferrand, um den andern Teil des Lagers zu überfallen. So glückte der Sieg, und man sagt, der Herzog werde nie wieder ein Heer sammeln können.« »Nie wieder, junger Mann,« sagte der Graf von Oxford, »denn er liegt tot vor Euch,« Sigismund stutzte; denn er hegte Hochachtung, ja eine Art von Furcht vor dem hohen Namen Karls des Kühnen und wollte kaum glauben, daß der zerfetzte Leichnam, der jetzt vor ihm lag, einst der gewaltige Mann gewesen wäre. Doch, Kummer mischte sich in sein Staunen, als er die Leiche seines Ohms, des Grafen Albert von Geierstein, erblickte. »O, mein Ohm, mein Ohm!« rief er, »mein teurer Ohm Albert! hat all Deine Hoheit und Weisheit Dir neben einem Moraste gleich einem schäbigen Bettler das Grab gegraben? – Kommt, diese trübe Kunde muß gleich meinem Vater mitgeteilt werden. Das wird zur Bitterkeit über den Fall des armen Rüdiger noch Galle hinzufügen. Bei alledem ist es ein Trost, daß Vater und Oheim sich nicht recht vertragen konnten!« Sie zogen jetzt in die Stadt Nancy ein. Die Fenster waren mit Teppichen behangen, und die Straßen wimmelten von lärmenden und jauchzenden Menschenmassen, die der glückliche Sieg vor großer Not und vor der gefürchteten Rache Karls von Burgund bewahrt hatte. – Die Gefangenen wurden mit der größten Güte von dem Landammanne aufgenommen, der ihnen seinen Schutz und seine Freundschaft zusagte. Es schien, als ertrüge er den Tod seines Sohnes Rüdiger mit ernster Gelassenheit, und er nahm die Nachricht vom Tode seines Bruders mit sichtlicher Bewegung entgegen, jedoch ohne überrascht zu sein. »So,« sagte er, »mußte sein Ehrgeiz enden.« – Dann fragte der Landammann den Grafen von Oxford ernstlich, was seine Absichten wären, und inwiefern er ihm darin beistehen könnte. »Ich denke die Bretagne zu meinem Zufluchtsorte zu wählen,« versetzte der Graf, »wo meine Gattin wohnt, seit die Schlacht bei Tewkesbury uns aus England vertrieb.« – »Tut das nicht,« sagte der Landammann, »sondern kommt nach Geierstein mit Eurer Gräfin, wo sie willkommen sein soll, wie in dem Hause ihres Bruders. Sie wird einen Boden betreten, wo weder Verschwörung noch Verrat jemals blühten. Ihr wißt, daß es in Frankreich wie in Burgund Leute gibt, die nach Eurem Blute dürsten.« Der Graf von Oxford äußerte seinen Dank für diesen Antrag und nahm ihn an, für den Fall, daß Heinrich von Lancaster, Graf von Richmond, den er jetzt als seinen Monarchen betrachtete, seine Einwilligung dazu geben würde. Die Erzählung zum Schluß zu bringen, berichten wir, daß drei Monate nach der Schlacht bei Nancy der verbannte Graf von Oxford sich den Beinamen Philippson wieder beilegte, seine Gattin und die Trümmer seines früheren Reichtumes mitbrachte und sich unweit Geierstein eine anmutige Wohnung kaufte. Der Landammann erwirkte ihnen das Bürgerrecht, Anna von Geierstein und Arthur de Bere reichten sich die Hand zum Ehebunde, und Annette Veilchen zog samt ihrem Liebsten zu den Neuvermählten, nicht als Diener, sondern als treue Gehilfen in der Landwirtschaft, denn Arthur zog es vor, sich lieber der Jagd als dem Ackerbau zu widmen. Die Zeit verrann, und fünf Jahre hatte die verbannte Familie schon in der Schweiz zugebracht. Da starb im Jahre 1482 der Landammann den Tod des Gerechten, allgemein beklagt als ein Muster eines echten, tapfern, schlichten und einsichtsvollen Vorstandes. Im selben Jahre starb die Gemahlin des älteren Oxford. Um diese Zeit begann der Stern des Hauses Lancaster noch einmal zu erglänzen und rief den verbannten Lord und dessen Sohn aus ihrer Abgeschiedenheit zurück in das Getriebe der großen Welt. Das kostbare Halsgeschmeide Margarethens ward nun zu seiner Bestimmung verwendet, und das daraus gelöste Geld zur Aushebung jener Scharen benützt, die bald darauf die berühmte Schlacht bei Bosworth kämpften, in welcher die Waffen der beiden Oxfords so viel zum Siege Heinrich II. beitrugen. Das änderte das Geschick de Beres und seiner Gemahlin. Ihre Schweizer Pachtung wurde Annette Veilchen und deren Manne überlassen, und die Sitten und die Schönheit Annas von Geierstein erregten nun am englischen Hofe eben die Bewunderung wie vormals zwischen den Hürden des Schweizerlandes. Ende Graf Robert von Paris Ein Roman in drei Büchern aus  dem christlichen Konstantinopel. Übersetzt von Erich Walter Tales of My Landlord IV Count Robert of Paris. Edinburgh 1832 Erstes Buch. Erstes Kapitel Für ein Weltreich zur Hauptstadt kann sich – und darüber herrscht bei allen gebildeten Männern, die sich durch den Augenschein überzeugen konnten, nur eine Stimme – nur eine einzige Stadt auf Erden eignen: und das ist Konstantinopel, denn keine eignet sich auch in nur annähernd gleicher Weise hierzu wie diese durch Pracht und Reichtum, sichere Lage und weltgeschichtliche wie lokale Bedeutung gleich ausgezeichnete Stadt Konstantins des Großen. Aber diesem machtvollen Kaiser sollte die Erfahrung nicht erspart bleiben, daß das griechische Volk, wenn es auch noch immer das gebildetste der Welt war, doch den Zenith überschritten hatte, und daß er die genialen Männer nicht mehr unter ihm fand, um Werke neu schaffen zu lassen, die gleich jenen ihrer herrlichen Ahnen die Bewunderung der ganzen Welt gefunden hatten, sondern daß er sich, um seine neue Hauptstadt zu schmücken, darauf beschränken mußte, alte berühmte Städte ihrer Zier zu entkleiden. Herrschsucht einer- und Knechtssinn anderseits hatten sich in die Menschheit eingenistet und jenen edlen Geist vernichtet, der das freie Griechenland, das republikanische Rom erfüllte, und nur matte Erinnerungen, zu keiner Nacheiferung anspornend, waren von der einstigen Geistesherrlichkeit verblieben. Aber in einer, und zwar höchst wichtigen Hinsicht hatte Konstantinopel eine Wandlung zum Besseren zu verzeichnen: die Welt hatte sich frei gemacht von dem Drucke heidnischen Aberglaubens und war christlich geworden! Daß mit dem besseren Glauben der Mensch auch besseren Herzens wurde und daß er seine Leidenschaften zähmen lernte, steht außer Zweifel; aber nicht alle, die den neuen Glauben annahmen, taten es in Demut und Bußfertigkeit, sondern legten die Schrift aus nach ihrem vermessenen Sinne, zur Mehrung ihres weltlichen Vorteils, und benutzten religiösen Charakter und geistlichen Stand bloß als Mittel, zu irdischer Macht und Größe zu gelangen. Daher kam es denn, daß jene gewaltigste aller Umwälzungen, wie sie die Welt im vierten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung erlebte, wohl schnell zur Ernte ausreifte, die viele gute Samenkörner streute, aber doch nicht jene große, neue Aera brachte, die das Kind der mächtigen Lehren des Christentums hätte sein müssen. Konstantin hatte seine neue Stadt nicht mit neuem Glanze geschmückt, sondern hatte anderer Städte alten Glanz hierher verpflanzt, einem verschwenderischen Jünglinge vergleichbar, der einer alten Großmutter den Mädchenstaat stiehlt, um ihn einer eitlen Geliebten um den Hals zu hängen, der er doch gar nicht zu Gesicht steht. So zeigte das kaiserliche Konstantinopel bereits im Jahre seiner Gründung, 324 vor Christo, durch seine entlehnte Pracht die Merkmale jener Neigung zu schnellem Verfall, die der gesamten zivilisierten Welt der damaligen Zeit innewohnte; und es sollte auch nicht lange dauern, bis er hier zur vollendeten Tatsache wurde. Im Jahre 1080 nach, Christo bestieg Alexius Komnenos den Thron des byzantinischen Reiches, oder vielmehr, er wurde zum Herrn über Konstantinopel und dessen Gebiet oder Weichbild erhoben. Freilich, wohl konnten die wilden Skythen und Hunnen, wenn sie über die Reichsgrenzen drangen, des Kaisers Schlummer in Konstantinopel nicht stören; aber weit über Konstantinopel hinaus durfte er sich nicht wagen, wenn er sich nicht in Gefahr begeben und darin umkommen wollte; und um sich in ihrer Andacht nicht durch das Kriegsgeschrei der barbarischen Völker stören zu lassen, hatte sich die Kaiserin Pulcheria weit ab vom Stadttor eine Kirche erbauen lassen, und aus demselben Grunde stand unfern von da auch der kaiserliche Palast. Alexius Komnenos war ein Herrscher, dessen Ansehen weniger auf der Macht beruhte, über die er selbst noch verfügte, als auf der, über die seine Vorfahren verfügt hatten. Die Gewalt, die er noch über die zerstückten Provinzen seines Reiches besah, glich derjenigen, die ein im Verenden liegendes Pferd noch über seine, den Krähen und Geiern schon zum Raube verfallenen Glieder ausüben kann. In verschiedenen Gebieten seines Reiches standen allerhand Feinde auf, von Westen her die Franken und von Osten her die Türken, von Norden her die Kumanen und Skythen und von Süden her die Sarazenen, und für alle wäre das byzantinische Reich ein gar leckerer Bissen gewesen; und bei der Schlaffheit, die den Römer der damaligen Zeit zum untauglichsten aller Krieger im Gegensatz zu all diesen Feinden machte, von denen jeder seine besondere Art der Kriegführung hatte, war für den Kaiser die einzige Rettung, diese verschiedenen, feindlichen Kräfte gegeneinander auszuspielen, die Skythen auf die Türken zu hetzen, oder sie beide als Keil wider die kühnen und tapferen Franken zu benutzen, die damals durch Peter den Einsiedler und die Kreuzzüge zu verdoppelter Wut entflammt wurden. Man darf es demnach Alexius Komnenos kaum als Schlechtigkeit anrechnen, wenn er lieber, statt zu den Waffen, zu List und Verstellung griff; dahingegen muß es ihm als sündige Schwäche angerechnet werden, daß er den Prunk über alle Maßen liebte und an seinem Hofe die unsinnigsten Zeremonien, wodurch er das griechische Kaisertum in eine Linie mit demjenigen des Reiches der Mitte setzte, einzuführen bestrebt war. Aber insoweit müssen wir ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er durch die oft unsauberen Mittel, deren er sich bediente, sich dem Reiche nützlicher zu machen wußte, als es manchem stolzeren Fürsten unter den gleichen Umständen möglich gewesen wäre. Mit seinem fränkischen Gegner Bohemund von Antiochia, einem der berühmtesten Kämpen seines Zeitalters, sich einzulassen, wäre ihm wahrscheinlich übel bekommen; nichtsdestoweniger hat er bei mehr denn einem Anlasse sein Leben mutig in die Wagschale geworfen und hat es oft verstanden, eine Niederlage durch kluges Verhalten in einen Sieg umzugestalten, den Diplomaten gegen den Feldherrn, aber auch umgekehrt, auszuspielen; denn er war nicht minder ein tüchtiger Feldherr, dem nicht so leicht die Vorteile einer guten Stellung entgingen oder streitig zu machen waren, wenngleich er auch nicht selten durch Unbeständigkeit oder Verräterei der barbarischen Völker – die Griechen nannten bekanntlich »Barbaren« alle Nichtgriechen – in Schaden gesetzt wurde. Alles in allem genommen, läßt sich von Alexius Komnenos sagen, daß er ein höchst humaner Regent gewesen wäre, hätten ihm die Verhältnisse, unter denen er lebte und regierte, nicht die Notwendigkeit auferlegt, sich zu einem gefürchteten Tyrannen zu machen, denn er war allen nur erdenklichen Komplotten, nicht bloß im Staate, sondern auch in der Familie, ausgesetzt; trotzdem muß ihm nachgerühmt werden, daß er noch bei weitem nicht der ärgste Kopfabschneider und Augenblender gewesen ist, der auf dem Throne des christlichen Byzanz gesessen hat. Daß er von dem Aberglauben, der sein Zeitalter beherrschte, nicht frei gewesen ist, mag nebenher bemerkt werden. Damit im Zusammenhange steht, daß er ein schrecklicher Heuchler war, von dem seine Gemahlin Irene, die ihn Wohl am besten gekannt haben dürfte, gesagt hat: er habe noch im Tode sich als der Komödiant erwiesen, der er sein Lebtag gewesen sei. Er nahm auch alles, was mit der Kirche im Zusammenhange stand, energisch wahr, übte gegen solche, die ein Kirchendogma bezweifelten oder falsch deuteten, nicht die geringste Nachsicht und hatte den festen Glauben, daß es ihm ebenso Pflicht sei, die Religion wider Ketzer, wie das Reich gegen die zahllosen Barbarenhorden zu schützen, die von allen Seiten sich Eingang in dasselbe zu schaffen suchten. Ein solches Mixtum compositum von Klugheit und Schwäche, von Schlechtigkeit und Würde, von klugem Maßhalten, und Mangel an persönlichem Mut war der Charakter jenes Alexius, der zu einer Zeit über das byzantinische Reich als Herrscher gesetzt worden war, wo Griechenlands Geschick und die Trümmer griechischer Kunst und griechischer Bildung in der Wagschale schwankten und von der Gewandtheit, mit welcher der Kaiser sich durch die verschiedenen Phasen seiner Regierung zu winden wußte, ihr Fortbestand abhängig war. Diese wenigen Angaben sollen in die Zeit einführen, zu welcher die nachstehende Erzählung spielt. Zweites Kapitel Die Handlung beginnt in der Hauptstadt der östlichen Roma, von der im ersten Kapitel die Rede, und zwar in der Nähe des »goldenen Tores«, das in der starken, nach damaligen Begriffen uneinnehmbaren Mauer sich öffnet, mit der Konstantin der Große die Stadt umzingelte und die nach ihm Theodosius der Große erweiterte und verstärkte. Was ihm den stolzen Namen verschafft hat, war die Gestalt des Triumphbogens, in welcher es errichtet worden, die eherne Figur der Siegesgöttin, die sich auf ihm erhob, und der viele goldene Zierat, womit die Inschriften eingesetzt und umzogen waren. Die Inschriften rühmten den »ewigen Frieden«, den das Schwert des Theodosius der Welt und der Stadt durch seine ruhmvollen, wenn auch blutigen Heereszüge gebracht hatte, und neben ihnen verkündigten das auch die vier bis fünf Kriegsmaschinen, die neben der Siegesstatue das Tor krönten. Die Zeit, in welcher der Leser mit uns vor dieses goldene Tor tritt, ist ein frischer, aber nicht kühler Abend, der zum Verweilen im Freien einlud wie zur Betrachtung des romantischen Bauwerkes und der zahlreichen anderen Merkwürdigkeiten, die hier Kunst und Natur Fremden und Einheimischen darboten. Ein Fremder, dem Aussehen nach ein Kriegsmann, verweilte auch jetzt vor dem Tore, im Anschauen versunken, und sein unruhiges, lebendiges Auge sprach deutlich von dem großen Eindruck, den dieser neue, ihm zweifellos ungewohnte Anblick auf ihn hervorbrachte. Seiner hellen Hautfarbe nach zu schließen, war er in weiter Ferne von der griechischen Hauptstadt daheim; er war von schöner Figur und von kräftigem Bau: Vorzüge, für die man in Konstantinopel ein scharfes Auge hatte, denn bei den öffentlichen Spielen im Zirkus war man hier gewöhnt, die schönsten Menschen der Erde auftreten zu sehen, und hatte Gelegenheit genug zum Studium des menschlichen Körperbaues. Der Kriegsmann mochte zweiundzwanzig Jahre zählen. Was in seinem Gesicht hierzulande besonders auffiel, waren die tiefblauen Augen und das herrlich blonde Haar, das unter dem silberplattierten, mit einem züngelnden Drachen geschmückten Helme hervorquoll. Die Züge seines Gesichtes waren zart, aber nichts weniger als weichlich; die stolze Art, wie er die Wunder betrachtete, die sich vor seinen Blicken entfalteten, verkündete jenen regen Verstand, der zu durchdringen sucht, was ihm nicht auf den ersten Blick faßlich ist oder was er falsch aufgefaßt zu haben fürchtet. Gerade diese Art schien ihm bei den Leuten, die außer ihm vor dem Tore verweilten, Sympathieen zu erwecken; sie fühlten sich geneigt, ihm die Eigenschaft eines »Barbaren« nachzusehen, der aus irgend einem unbekannten, fernen Erdenwinkel den Fuß in die überzivilisierte Stadt gesetzt hatte oder setzen wollte, die sie ihre Heimat mit, wenn auch gerechtem, so doch in vieler Hinsicht übertriebenem Stolze nannten. Die Tracht, in welcher der junge Kriegsmann sich ihnen zeigte, ließ durch die seltsame Mischung von Pracht und Weichlichkeit auf Stand und Herkunft schließen. Schon der phantastische Helm mit dem züngelnden Drachen kennzeichnete ihn als einen Sohn des hohen Nordens, desgleichen der knappe Harnisch, der die breite Brust weniger deckte als schmückte, das Bärenfell, das ihm zwischen den Schultern über den Mücken herabhing, und an der linken Seite das blanke, krumme Schwert in der güldenen und elfenbeinernen Scheide, die gleich dem Harnisch auch mehr Zierart als Waffe zu sein schien, denn für die starke Faust des Hünen war es um vieles zu leicht und zu klein. Ein prall an die Hüften schließendes Kleid reichte nur bis zu den Knieen; bis zu den Waden waren die Beine nackt, und von den Waden nieder schlangen sich die Sandalenriemen, gehalten von goldenen Münzen als Spangen, mit dem Bildnis des herrschenden Kaisers darauf. Aber eine Waffe, die sich besser schickte für solchen jungen Hünen, denn nur ein Hüne, und kein schwächerer vermochte sie zu führen, war die doppeltgeschliffene Streitaxt mit dem eisenbeschlagenen Stiele aus Eichenholz, die hell wie ein Spiegel blitzte und die er so leicht in der Faust trug, als hätte sie das Gewicht einer Feder. Schon der Umstand, daß er Waffen führte, kennzeichnete ihn als Fremden; denn die Griechen trugen sie nicht zu Friedenszeiten, zum Unterschiede ihres Charakters als friedliche, zivilisierte Staatsbürger von mißachtetem Söldnervolk, und auch jetzt hörte man, wie sie einander scheu und verdrossen zuraunten, der junge Kriegsmann sei »auch einer von den Warägern«, unter welcher Bezeichnung die kaiserliche Leibwache zusammengefaßt wurde, die sich nur aus nordischen »Barbaren« rekrutierte. Die oströmischen Kaiser hatten seit vielen Jahren die Gewohnheit, sich eine solche Leibgarde zu halten, auf deren Stärke, Treue und Mut sie bauen durften, nicht bloß den zahlreichen äußeren, sondern auch den im geheimen wühlenden inneren Feinden gegenüber. Sie bezogen auch einen hohen Sold und standen bei den Griechen, die schon längst von Heldenhaftigkeit nichts mehr an sich hatten, in gefürchtetem Ansehen. Die Rüstung, die sie trugen, stand im Einklange mit derjenigen, die wir eben an dem kriegerischen Jünglinge beschrieben haben, und die sich als eine Nachäffung der von den Warägern in ihren heimischen Urwäldern getragenen auswies. In einer früheren Zeit des oströmischen Kaiserreiches hatte die Waräger-Leibgarde sich aus nordischen Seeräubern zusammengesetzt, die von ihrem unbezwinglichen Tatendurste in ihren Wikingerschiffen auf die unwegsamen Meere hinausgetrieben wurden und gegen alle Gefahr gefeit zu sein schienen. Später, als diese nordischen Völker sich von dem Seeräuberleben, das ihre Altvordern aus den Meerengen Helsingörs zu jenen von Sestos und Abydos führte, ab- und friedlicheren Berufen zuwandten, traten Angelsachsen an ihre Stelle, die sich in ihrem Herrentrotze dem normannischen Joche, unter das Wilhelm der Eroberer sie gezwungen, nicht beugen mochten, sondern lieber die heimische Scholle verließen. Ihre Sprache war mit derjenigen der Waräger verwandt, und obwohl sich ihr Volkstum nicht mit dem ihrigen völlig deckte, blieb ihnen doch in Ostrom der gleiche Name. Den Befehlshaber der Leibgarde zu ernennen, war ein Recht, das der Kaiser sich vorbehalten hatte; aber ihre Zugführer wählten, sie selbst aus ihrer Mitte; die Kreuzzüge, Pilgerfahrten und andere Anlässe brachten ihnen hin und wieder neuen Zuschub, und da ihnen ihre Privilegien nicht verkürzt, sondern eher gemehrt wurden, da sie nicht in die selbstherrlichen Gelüste der Prätorianer von Westrom verfielen, sondern ihren Kaisern die Treue hielten, vermochten sie sich in voller Kraft bis in die letzten Zeiten des griechischen Kaisertums zu halten. Was wir hier über die Waräger gesagt haben, erklärt die Anwesenheit eines solchen vor dem goldenen Tore Konstantinopels an jenem frischen Herbstabend vollkommen, und wir können nunmehr in unsere eigentliche Erzählung treten... Daß er von den städtischen Bürgern mit Neugier betrachtet wurde, braucht nicht zu befremden, denn es bestand zwischen der kaiserlichen Leibgarde und dem Bürgertum wenig Verkehr; der Bürger fürchtete sie, wie gesagt, als kaiserliche Polizei und neidete ihnen den hohen Sold, der doch nur aus ihrem »Fleisch geschnitten« wurde; sie hielten sich demzufolge, sofern nicht ein kaiserlicher Befehl es anders anordnete, fast immer im Bereich ihrer Kasernements auf... »Ein Waräger,« sagte einer von den gaffenden Bürgern zu seinem Nachbar, »und im Dienst? Was mag er vorhaben?« – »Ja,« sagte der, »wie soll ich's sagen können? Vielleicht soll er ausspionieren, welche Meinung in der Stadt über den Kaiser herrscht?« – »All ihr Götter!« rief der erste wieder, »wie könnt Ihr solches meinen, Nachbar Seidenwirker? Ihr vergeßt dabei ganz, daß die Waräger eine andere Sprache reden wie wir! Das wäre mir ein netter Spion!« – »Aber es sollen Leute drunter sein, die in allen Zungen reden; da werdet Ihr wohl zugeben müssen, daß es auch welche drunter geben kann, die zu beobachten verstehen und die Gabe besitzen, Beobachtetes zu hinterbringen.« – »Mag sein! Aber wär's nicht gescheiter, wir schlenderten nach Hause, statt uns in Gefahr zu setzen, mit einem von der kaiserlichen Leibgarde in Konflikt zu kommen? Wer kann's voraussehen, wie solche Begegnungen ausgehen?« Diese Worte fanden des andern Beifall, und so trotteten die beiden Bürger, untergefaßt, ihren in einem ferneren Viertel befindlichen Wohnungen zu. Die Sonne ging zu Rüste, und die Mauern und Bollwerke warfen längeren und dichteren Schatten. Der Waräger, sichtlich abgespannt durch die Bewegung in dem engen Kreise, der ihn seit Stunden in seinem Banne hielt, blickte unwirsch zur Sonne hin, die in voller Glut hinter einem Zypressenhaine unterging, und suchte sich dann auf einer Steinbank unter dem goldenen Tore ein Ruheplätzchen. Hier legte er seine Streitaxt dicht neben sich, schlug den Mantel um sich und sank nach kurzer Zeit in friedlichen Schlummer, so ungünstig Ort und Tracht auch hierzu waren. Sein Beistand blieb aber munter, so müde auch sein Leib war, und kein Jagdhund möchte einen leichteren Schlaf haben als unser Angelsachse vor Konstantinopels goldenem Tore. Hatte er vorhin schon den Stadtbürgern, die sich vor dem Tore ergingen, Anlaß zu Aeußerungen gegeben, so jetzt erst recht! Ein kleiner, munterer Mann, den die Papierrolle unter dem Arm und der Beutel mit Bleistiften in der Hand als Zeichner verrieten, Lysimachus mit Namen, kam mit einem, dem Waräger nicht unähnlichen, nur derberen Gesellen, Stephanos dem Ringer, in der Palästra wohlbekannt und gern gesehen, aus der Stadt durch das Tor geschlendert. »Warte, Kamerad!« rief Lysimachus, »von diesem jugendlichen Herkules muß ich mir eine Skizze fertigen!« – »Herkules?« erwiderte Stephanos, »ich dächte, der wäre ein Grieche gewesen, aber kein Barbar!« – Lysimachus beeilte sich, den Verdruß, den er ohne böse Absicht bei dem Kameraden geweckt hatte, wieder gut zu machen, denn Stephanos, mit dem Beinamen Kastor, war sein Gönner und sorgte durch das Ansehen, in welchem er als Fechter stand, dafür, daß Lysimachus bekannt wurde und Kundschaft bekam. – »Stärke und Schönheit, mein teurer Stephanos,« sagte er, »sind nicht Vorzüge eines einzigen Volkes: ich lasse sie gern gelten, wo ich sie antreffe, sei es beim nordischen Barbaren oder beim Liebling eines erleuchteten Volkes, der körperliche Vollendetheit mit schönen Naturgaben verbindet, wie sie uns kein Werk eines Phidias oder Praxiteles schöner zeigt.« – »Nun, daß der Waräger sich sehen lassen kann,« erwiderte einlenkend der andere, »lasse ich ja gelten; trotzdem der arme Teufel wohl sein ganzes Leben noch keinen Tropfen Oel auf seiner Haut gespürt haben mag.« – »Oho! was liegt denn neben ihm auf seinem Bärenfelle, ist's ein Prügel?« – »Laß uns gehen, Kamerad!« rief der andere, als er den Schläfer näher ins Auge gefaßt hatte. »Kennst Du des Warägers grimme Waffe nicht? Nicht mit Schwert und Lanze kämpft er, wie sie im Brauch sind als Waffen wider Menschen von Fleisch und Blut, sondern mit Streitaxt und Keule, als gälte es, Glieder von Stein und Sehnen von Eiche zu zermalmen. Meine welke Petersilienkrone verwette ich, daß er hier liegt mit dem Auftrage, ein Subjekt zu verhaften, das sich bei dem Kaiser mißliebig gemacht hat, wozu sonst trüge er die schreckliche Waffe? Komm, komm, Lysimachus! lassen wir den Bären schlafen!« Je länger und dichter die abendlichen Schatten wurden, desto spärlicher wurde die Zahl der vor dem Tore promenierenden Bürger. Zwei Weiber aus dem Volke kamen jetzt an der Bank vorbei, auf der der Waräger lag. »Maria, Du Heilige!« sagte eine von ihnen, »sollte man nicht meinen, er sei der Prinz aus Aegyptens hochzeitlicher Kammer, der in dem schonen Märchen des Morgenlandes von den Huldgöttinnen zum Tore von Damaskus geführt und dort in Schlummer gewiegt wird? Laß mich das arme Lämmchen wecken, dem der Nachtfrost sonst einen Schnupfen bringen möchte!« – »Schnupfen?« wiederholte die andere, die älter war und ein grämliches Gesicht hatte, »dem? so wenig wie das kalte Wasser des Cydnus dem wilden Schwane, wird diesem Lämmchen von Waräger der Nachtfrost schaden! Welche Frau, die auf sich hält, möchte solchem Barbaren ein Wort vergönnen? Kommt, kommt! ich will Euch einen Streich erzählen, den solcher Barbar von Waräger mir einst gespielt hat!« und sie zog die jüngere Begleiterin mit Gewalt hinter sich her, die ihren Worten wenig Gewicht beizulegen schien und sich noch ein paarmal nach dem schönen Schläfer umdrehte. Als die Sonne untergegangen und mit ihr ziemlich gleichzeitig auch die Dämmerung verschwunden war – denn Konstantinopel erfreut sich bereits nicht mehr jenes Vorzuges eines langsameren Ueberganges vom Tageslicht zum Nachtdunkel, den die gemäßigten Zonen besitzen – schlossen die Stadtwächter die beiden Flügel des Tores und ließen nur eine kleine Pforte offen für solche, die sich außerhalb verspätet hatten. Der auf der Steinbank im Schlafe liegende Waräger konnte natürlich von den Wächtern, die zu dem aus dem Griechenvolke rekrutierten Stadtheere gehörten, nicht ungesehen bleiben. »Bei Kastor und Pollux!« rief der Zenturio – denn die Griechen schwuren noch immer bei den alten Göttern, obwohl dieselben schon längst ins alte Eisen gewandert waren – »an diesem Tore ist kein Gold mehr zu gewinnen! Hol der Teufel seinen Namen! Aber Esel wären wir, wollten wir das Silber nicht nehmen, das uns in den Weg läuft!« – »Um so mehr, edler Harpax,« pflichtete einer der Soldaten bei, dessen geschorener Kopf und Haarbüschel den Muselmann verrieten, »als wir schon seit Monaten weder Gold noch Silber gesehen haben, weder aus der kaiserlichen Schatulle noch aus sonst welchem Beutel.« – »Gelt! ich will Eure Beutel füllen,« erwiderte Harpax, »und wären sie noch so leer. Hierher an die Pforte, Leute! Vergeßt nicht, daß wir der kaiserlichen Stadt zu Wächtern gesetzt sind, und haltet fest an der löblichen Gepflogenheit, der Stadtwache nichts zu verraten, was uns zu Nutzen und Vorteil ist oder werden kann, wie auch, das Gemeinwohl zu fördern und zu unterstützen ohne Hinterhältigkeit und Verrat!« – »Wozu die vielen Worte?« sagte der muselmännische Wächter, »ich dächte, wir hätten oft genug Farbe bekannt bei wichtigeren Anlässen! Wie war's, als der Juwelier zum Tore hereinzog? Wir hatten damals auch vom goldenen oder silbernen Zeitalter nicht viel zu verspüren, und käm' uns jetzt etwa ein Diamant ...« – »Pst!« machte Harpax, »ich danke es dem Zeus, daß er uns alle Religionen hierher gebracht hat, denn auf diese Weise dürfen wir doch hoffen, die einzig wahre darunter zu besitzen. Du brauchst mir, Ismael, wahrhaftig nicht zu beweisen, daß Du die Fähigkeit besäßest, neue Geheimnisse zu hüten, weil Du die Schwachheit besitzest, alte, auszuplaudern! Da, lug mal durch den Spalt nach der Steinbank und sag' mir, was Dein Auge erblickt im Schatten der Haupthalle!« – »Einen schlafenden Kerl,« versetzte Ismael, »und wenn mich das Mondlicht nicht trügt, so ist's einer von den Inselhunden, die des Kaisers Leibwache bilden!« – »Ist Dein Schlaukopf im stande,« fragte Harpax, »aus diesem Zufalle Vorteil für unsere Beutel zu schaffen?« – »Je nun, die heidnischen Hunde haben besseren Sold als wir Muhammedaner und Nazarener, ich denke mir, der Hund wird sich am Wein zu viel getan haben, so daß er die Stunde zur Heimkehr verschwitzt hat. Lassen wir ihn nicht, so setzt's einen schlimmen Denkzettel; will er aber passieren, so muß er bluten, tüchtig bluten!« – »Wenigstens,« riefen in gedämpftem Tone die andern Soldaten. – »Und weiter reicht Dein Witz nicht, Bursche?« fragte Harpax spöttisch; »ich aber meine, soll uns das fremde Biest entgehen, so muß es uns wenigstens sein Fell lassen. Seht ihr, wie Helm und Harnisch im Mondschein glitzern? Das ist die Silbergrube, die wir schürfen müssen, um unsere Beutel wieder einmal zu füllen,« – »Und wenn's ruchbar würde? Wenn's dem Kaiser zu Ohren käme?« sagte Sebastes von Mitylene, ein junger Grieche, der noch Neuling in der Stadtwache war; »wär's da nicht vorbei mit dem Profit?« – »Grünhorn!« rief Harpax, »und hätte der Kaiser Augen wie Argus, so könnte er nichts erfahren! Wir sind unser zwölf, deren Aussage pflichtgemäß übereinstimmen muß. Dort liegt ein Barbar auf einem Pfühl, den sich keiner sucht, der nicht tief in den Krug geguckt hat; was gilt solches Kerls Aussage, wenn er wirklich dazu kommen sollte, sie abzugeben? Hoffentlich fehlt's uns nicht an Courage« – hier sah er einen nach dem andern seines Kommandos an – »ihm abzustreiten, was er vorbringt? Wem wird man dann glauben, uns Stadtwächtern oder dem besoffenen Waräger?« – »Mir ist aber,« bemerkte Sebastes darauf, »als hätte ich in Mitylene allerhand von der Konstantinopeler Stadtwache gehört, was nicht dazu beitrüge, ihrem Eide mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen als einem Barbareneide?« – »Und wär's auch an dem,« versetzte der Zenturio, »so gäb's doch einen andern Weg noch, uns den Rücken zu decken.« – Der Grieche, um den Sinn der Worte zu erkennen, blickte Harpax fest und düster an, indem er mit der Hand nach seinem Dolche griff, und der Zenturio nickte ihm Beifall. – »Ich bin wohl noch Grünhorn,« sagte er, »hab' aber fünf Jahre als See- und drei als Straßenräuber hinter mir; aber noch kein Mal sah ich bei einem Manne Bedenken vor dem einzig wahren Mittel, das in solchem Falle seiner würdig ist.« Harpax, drückte dem Soldaten, seine Denkart billigend, die Hand und fragte, jedoch mit bebender Stimme: »Aber wie mit ihm fertig werden?« – »So oder so,« versetzte der Grieche; »dort liegen Bogen und Pfeile; versteht sich kein anderer drauf, so ...« – »Pfeil und Bogen sind unsere Waffen gewöhnlich nicht,« antwortete Harpax. – »Um so schlimmer für die Tore der Stadt und die, die dahinter wohnen,« rief der Grieche mit einem Lachen, das deutlich wie Hohn klang: »nun, ich schieße wie ein Skythe; nickt, und ein Pfeil soll ihm durch den Schädel, ein zweiter durch das Herz fahren!« – »Bravo, mein Grünhorn,« rief der Zenturio, die Stimme dämpfend, um den Waräger nicht zu wecken; »das war so bei den griechischen Räubern des Altertums, Skyron, Diomed, Prokrustes, und wie sie sonst geheißen haben mögen, die hochedlen Herren, deren Enkel und Jünger das griechische Inselland wohl so lange unsicher machen werden, bis Herkules und Theseus wieder auf Erden auftauchen werden; aber, mein tapferer Skythe! ich denke, wir machen's anders! Es könnte ja passieren, daß Du ihn, statt zu töten, bloß verwundest!« Mit dem gleich spöttischen Lachen, wie vorhin, meinte Sebastes, daß dies bei ihm nicht der Fall zu sein pflege, und der Zenturio, den der Spott arg verdroß, und der bei sich denken mochte, es könne gar leicht geschehen, daß ihm der kecke Bursche über den Kopf wüchse, und daß die Stadtwache zwei Zenturionen bekäme statt eines, reckte sich zu seiner vollen Höhe und rief: »Bist Du solcher Räuber gewesen, wie Du sagst, Mitylenier, so wirst Du wohl auch den Sikarier spielen können! Dort liegt Dein Ziel, betrunken oder im Schlafe: wir wissen's nicht. Aber ich denke mir, ob so, ob so, fertig wirst Du mit ihm ja werden!« – »Es wird aber nicht auf halbpart gehen, wenn ich ihn im Schlafe oder Suffe niedersteche!« meinte der Grieche; »möchtet Ihr's nicht lieber selbst besorgen?« – Der Zenturio, aber zeigte nach der Treppe, die von den Zinnen des Torbogens, hinunter nach der Halle führte, und rief: »Tu, was Dir befohlen worden!« Der Grieche verschwand auf der Treppe und tauchte alsbald, schleichend wie eine Katze, unten im Hofe auf. In seiner Hand blinkte der Dolch, nach hinten gehalten, um ihn dem Waräger zu verbergen. Im andern Augenblick beugte er sich über den Schlafenden, diejenige Stelle zwischen Harnisch und Körper zu ermitteln, wo der Dolch am sichersten träfe, da sprang der Waräger mit einem Satze in die Höhe, dem Griechen mit der Faust einen so wuchtigen Schlag versetzend, daß ihm kaum Kraft genug blieb, die Kameraden auf der Toreszinne um Beistand zu rufen. Im andern Augenblicke lag der Grieche unter dem schweren Fuße des Warägers, der die Streitaxt hob, ihm den Todesstreich zu versetzen. Die Stadtwächter machten Miene, ihrem Kameraden zu Hilfe zu eilen; aber der Zenturio rief: »Halt! Jedermann an seinen Posten! Dort kommt ein Hauptmann der Warägerwache, ich glaube, der Befehlshaber in Person! Wir wissen von nichts, versteht ihr? falls der Barbar den Griechen erschlagen hat, was ich vermute, denn der arme Kerl lebt nicht mehr – lebt er aber noch, so härtet eure Gesichter zu Kiesel! Wir sind unser zwölf und wissen nur, daß er hinuntergehen wollte, den Menschen zu wecken und zum Passieren des Tores aufzufordern.« Unten war inzwischen die hohe Gestalt eines schwerbewaffneten Kriegers mit funkelndem Helmschmuck aus dem Mondschein in den Schatten getreten. In jener fränkischen Sprache, deren die Waräger sich untereinander bedienten, rief der Offizier: »Ei, ei, Hereward! hast wohl eine Eule gefangen?« – »Ja, beim Sankt-Georg!« erwiderte der Soldat; »bei uns daheim möchte man ihn einen Habicht heißen.« – »Wer ist's?« fragte der Offizier. – »Vielleicht sagt er's Euch, wenn ich ihm die Kehle lupfe!« – »So gib ihn frei!« rief der Offizier. Kaum hatte der Waräger den Fuß von dem Griechen gehoben, so war dieser auch auf den Beinen und flink wie ein Hase, hinter dem Hunde her sind, um den Torweg herum, und der Waräger wohl hinter ihm drein, aber außerstande, es dem Griechen im Rennen gleichzutun, da ihn die schwere Rüstung behinderte. »Beim Herkules!« rief der Offizier und wollte sich ausschütten vor Lachen, »Hektor und Achilles auf der Jagd um Ilions Mauern; »aber mein Pelide wird den Sohn des Priamus schwerlich bezwingen. Holla, Hereward! schone Deine Lungen! ich denke, Du wirst Deinen Atem heute abend noch brauchen.« – »Wär' nicht die Rüstung, die beschwert, ohne zu nützen,« versetzte der Waräger mürrisch, indem er außer Atem zu dem Offizier trat, »so hätte ich den Kerl beim ersten Rennen an der Gurgel gehabt.« – »Schon gut! schon gut!« sprach der Offizier, der wirklich der Kommandant der Warägergarde und dessen Pflicht es war, immer um die Person des Kaisers zu sein: »aber laß uns zusehen, wie wir uns den Weg durchs Tor sichern: denn hat Dir, wie ich vermute, einer von dieser Stadtwache an den Kragen gewollt, so werden uns seine Kameraden gutwillig wohl kaum passieren lassen.« – »Dann sollten wir solchem Mangel an Disziplin abzuhelfen von Euer Edlen kommandiert werden!« – »Still doch, Simpel von Barbar! Ha! hab' ich Dir nicht oft genug gesagt, daß ich durch Klugheit und Nachgiebigkeit an diesem kaiserlichen Hofe mehr erreiche als durch offene Gewalt? Komm und folge mir!« befahl er dem Waräger, nachdem er sich bereits ein Stück vom Tore hinweg begeben hatte, um längs der Mauer irgendwo anders einen Durchschlupf zu finden; »Du bist treuer und wackerer, als man es selbst bei euch Warägern zu finden gewohnt ist, und so will ich Dir einiges von der Politik erzählen, die mich und mein Verhalten leitet.« – »Meine Meinung,« erwiderte der Waräger, »geht dahin, daß man sich um einer Sache willen, die sich mit der Faust erledigen läßt, den Kopf nicht warm machen soll.« – »Aus solchem Stoffe besteht halt euer Schädel, ihr Waräger,« entgegnete der Kommandant; »immerhin laß Dir sagen, wie ich mir das Rätsel dieses nächtlichen Abenteuers erkläre.« – »Ich will bestrebt sein, zu verstehen, was Eure Weisheit mir zu erklären geruhen wollen,« antwortete der Waräger. – »Ich meine,« begann der Kommandant, »wir haben bereits zusammen in einer Schlacht gestanden?« – Der Waräger hustete – bekanntlich kein Zeichen eines Lobspruches – und im Verlauf des Gespräches ließ sich auch erkennen, daß auf seiten des Warägers die größere Stärke lag, was übrigens von dem ihm vorgesetzten Kommandanten auch nicht eben unwillig anerkannt wurde. »Um also mit dem Thema Politik zu beginnen,« nahm der Kommandant das Wort, »so gilt als ihre eigentliche Basis – ich glaube, Du wirst das nicht bestreiten oder bekritteln wollen, mein junger Freund« – er lüftete hierbei den Helm, und der Soldat tat, wie wenn er es ebenso machte – »als ihre eigentliche Basis, sage ich, die kaiserliche Gunst: sie ist der Lebensbronnen des Kreises, worin wir atmen, die Sonne, die der Menschheit.« – »So etwas hat uns schon unser Tribun gesagt,« brummte der Waräger. – »Es ist Tribunenpflicht, euch zu instruieren,« entgegnete der Kommandant, »und hoffentlich versäumen es auch die Priester nicht, euch die Dienstpflicht gegen den Kaiser einzuschärfen.« – »Sie vergessen es nicht, obwohl wir selbst wissen, was wir zu tun und zu lassen haben.« – »Mir kommt's nicht bei, daran zu zweifeln; Du sollst nur begreifen lernen, Hereward, daß das Schicksal eines Günstlings bei Hofe dem Dasein der Eintagsfliege gleicht, die beim Morgenrot geboren wird und mit dem Abendrote stirbt. Glücklich derjenige, der mit der Person des Herrschers von dem ebenen Boden, auf dem der Thron sich erhebt, emporsteigt, im Glänze der kaiserlichen Glorie sich behauptet und mit dem letzten Strahle kaiserlichen Schimmers verschwindet und vergeht.« – »Ich glaube zu verstehen,« versetzte der Waräger; »was aber solches Schranzendasein anbetrifft, so, aber was kann's mich scheren?« – »Dich freilich nicht,« antwortete der Kommandant, »und preise Dich glücklich, daß Du an solchem Leben keine Freude hast. Ich hab's aber schon mit angesehen, daß Barbaren hoch im Kaiserreiche stiegen. Kein Wunder, daß sich alles bei Hofe beflissen zeigt, dem Kaiser zu zeigen, daß er nicht bloß die Pflichten des eigenen Amtes zu erfüllen weiß, sondern im Notfalle auch die eines andern mit zu übernehmen vermag.« – »Und daher kommt es denn wohl auch, daß alles bei Hofe beflissen ist, nicht sowohl sich gegenseitig zu stützen, sondern vielmehr auszukundschaften?« »Allerdings! und davon hatte ich noch in den letzten Tagen ein eklatantes Beispiel. Daß der Protospotharius, also der Obergeneral der kaiserlichen Truppen, wie Du weißt, mir nicht gewogen ist, weil ich Kommandant der Waräger-Leibgarde bin, braucht niemand zu verwundern; aber frech ist's von diesem Nikanor, unsere ganze Schar zu verunglimpfen durch die Behauptung, sie habe im Felde geplündert, ja was noch schlimmer ist, den für unsere geheiligte Majestät bestimmten Wein ausgetrunken. Wie Du Dir denken kannst, habe ich es mir angelegen sein lassen, in Gegenwart der Person unseres erhabenen Herrschers.« – »Ihm die Lüge in seinen frechen Schlund zurückzuschleudern!« fiel ihm der Waräger ins Wort, »indem Ihr ihn zum Kampfe fordertet, bei dem Euch der arme Teufel von Hereward sekundieren wird. Hätt' ich doch bloß meine Alltagsrüstung anstatt dieses glitzernden Plunders.« – »Pst! pst!« fiel ihm Achilles Tatius – dies war der Name des Kommandanten – ins Wort – »Du bist zu hitzig und beurteilst die Situation auch zu sehr nach Deinen subjektiven Ansichten! Selbstverständlich mäße ich mich an Deiner Seite mit fünf solcher Nikanors; aber das ist in diesem übergesegneten Kaiserreich nicht der Brauch, auch nicht der Wille seines zurzeit am Ruder befindlichen erhabenen Herrschers. Dich haben die Prahlereien der Franken angesteckt, mein Sohn!« – »Meine Sache ist's nicht, bei denen, so bei euch Franken, bei uns aber Normannen heißen, Anleihen zu machen,« versetzte Hereward mürrisch. – »Frage Dich doch selbst,« verwies ihn der Kommandant, ob in irgend einem gesitteten, ordentlich regierten Lande, geschweige im Reiche des erhabenen Kaisers Alexius Komnenos, das Duell denkbar sein kann. Nimm an, es wollten zwei vornehme Herren oder Offiziere, die sich bei Hofe, am Ende gar in Gegenwart Seiner geheiligten Majestät, in die Haare geraten wären, die Differenz nicht vor Gericht ausgleichen, sondern nach Weise der Franken, indem sie auf der ersten besten Wiese einen Kampfplatz abstecken ließen; während beide, ohne, wie man annehmen kann, genau zu wissen, wie es sich mit der »gerechten Sache«, über die sie aneinander geraten sind, in Wahrheit verhält, ins Blaue hinein darauf schwören, geschieht's, daß der Bessere von beiden, also Seiner Majestät Akoluthos oder Leibtrabant, zugleich Kommandant der Waräger – denn für den Tod ist nun einmal kein Kraut gewachsen – ins Gras beißen muß, der andere aber wohl und munter an den kaiserlichen Hof zurückkehrt, um sich dort weiter zu sonnen und zu atzen, statt daß er, wie es ihm sonst beschieden gewesen wäre, den Galgen zierte: das ist, wirst Du sagen, Waffenrecht, Hereward; ich aber nenne das verkehrte Welt!« – »Ich will nicht in Abrede stellen, Euer Edlen,« antwortete Hereward, »daß in Euren Worten viel kalter Verstand zu finden sei; aber ehe ich mich von jemand Lügner schimpfen lasse, ohne ihm das Wort mit dem Schwerte in seinen Schlund zurückzustoßen, eher könnt Ihr mir einreden, daß dieses Mondlicht schwarz sei wie ein Wolfsrachen! Wer mir eine Lüge an den Hals schmeißt, der verprügelt mich, und Prügel, nicht zurückgegeben, machen den Menschen zum Lasttiere, zum Sklaven.« – »Mein getreuer Kämpe,« sagte drauf der Kommandant, »der Römer setzt die gleiche Ehre drein, die Wahrheit zu reden, wie Ihr, den Vorwurf der Falschheit von euch zu weisen; ich konnte bloß zu meinem Leidwesen dem Nikanor keinen Vorwurf der Falschheit machen, weil es auf Wahrheit beruhte, was er gegen uns vorbrachte.« – »Wieso?« fragte der Angelsachse. – »Nun, Du besinnst Dich, daß wir Waräger auf dem Marsche nach Laodikaia einen Türkenhaufen in die Flucht schlugen. und einen kaiserlichen Bagagezug wieder einfingen? Ebenso besinnst Du Dich, wie ihr an diesem Tage euern Durst gelöscht habt?« – »Ihr meint, daß wir die Weinfässer, die wir dabei fanden, anzapften und leerten?« – »Du sagst es, Hereward!« – »Nun, ich weiß es noch wie heute,« rief Hereward lustig, »daß uns der Wein wie Oel die Kehlen hinunterrann!« – »Und Du Unglücklicher sahest nicht, daß die Fässer mit dem kaiserlichen Siegel verspundet waren?« – »Beim heiligen Georg von England, der eine Mandel George von Kappadozien aufwiegt! Daran hab' ich mit keinem Atemzuge gedacht! Aber Ihr habt doch selbst ganz gehörig mit davon gezecht!« – »Du bist im Irrtum, Hereward, denn was ich trank, war eine geringere, für den Mundschenk Seiner Majestät bestimmte Sorte, an der ich als Offizier vom Hofhalt meinen gerechten Anteil hatte. Von euch aber war es sündhaft, an fremdem, zudem geheiligtem Gute euch zu vergreifen!« »Meiner Sixen!« rief Hereward, »wenn man vor Durst vergeht, ist Trinken doch keine Sünde!« – »Tröste Dich, Freund! Denn Majestät erblickt in diesem vorwitzigen Trunke keinen Eingriff in seine geheiligten Vorrechte; er schalt sogar den Protospatharius ob seiner Anzeige.« – ,»Dafür möge Gott ihn segnen!« rief Hereward. – »Recht so! aber Du wirst es weiter billigen, daß ich nun zur Antwort auf seine häßliche Offensive dem Protospatharius die Räubereien vorhielt, die am goldenen Tore und an anderen Stadttoren von seinen Stadtwachen verübt worden, z. B. den Mord eines Juweliers, der erstochen und beraubt wurde, obgleich die Ware, die er herbrachte, dem Patriarchen gehörte.« »So? und wie nahm Alexi-- ich wollte sagen, unser erhabener Kaiser, die böse Kunde auf?« – »Der Kaiser ist ein Mann der feinen Politik,« entgegnete der Kommandant, »und wollte, ehe er gegen, die bösen Subjekte von Stadtwächtern vorginge, erst faktische Beweise in Händen haben; und Du solltest sie beibringen!« – »Wär' auch geschehen, hättet Ihr mich nicht von der Jagd zurückgerufen, die ich auf den Schnapphahn unternommen hatte, der Sehnsucht nach meinem glitzernden Harnisch hatte; es wird also wohlgetan sein, kaiserliche Majestät von diesem Vorfall Kenntnis zu geben?« – »Mit nichten, mein Kämpe,« entgegnete der Kommandant; »ich hätte den Wicht vielmehr, wenn er mir durch Dich in die Hände geraten wäre, auf der Stelle freigeben müssen; und anjetzt befehle ich Dir, dieses Abenteuer ganz aus Deinem Gedächtnisse zu streichen.« – »Das wäre nun freilich eine Politik, so wechselvoll, daß ich mir keinen Vers draus zu machen wüßte!« – »Glaub's Dir, mein Hereward; indessen laß Dir sagen, daß Nikanor vom Patriarchen bestimmt wurde, sich mit mir auszusöhnen, weil unser Einvernehmen wichtig sei für die Wohlfahrt des Staates. Und ein derartiges Patriarchenwort darf man weder als Christ noch als Soldat ignorieren. Auch kaiserliche Majestät halten dafür, daß es geraten sei, den Zwist auf solche Weise beizulegen.« – »Und der uns Warägern angetane Schimpf« – »Soll durch Abbitte und Buße abgewaschen werden, auch ein entsprechendes Geldgeschenk soll unter euch Träger der Streitaxt abgeführt werden. Die Verteilung, Hereward, wird in Deine Hände gelegt werden; gehst Du mit Klugheit zu Werke, so wirst Du Deine Axt mit Gold überziehen können!« – »Mir ist sie so am liebsten, wie sie ist!« entgegnete Hereward; »denn so trug sie der Vater in der Hastings-Schlacht! Auch soll mir Stahl, statt Goldes, Geld bleiben!« – »Handle nach Deinem Belieben, Hereward,« sagte Achilles Tatius; »bloß hast Du es dann Dir selbst zuzuschreiben, wenn Du ein armer Schlucker bleibst!« Kommandant und Waräger waren inzwischen zu einem kleinen Pförtchen in der Umfassungsmauer gelangt, durch welches sie in die Stadt hineinschlüpfen konnten. Hier blieb der Kommandant stehen, um wie ein frommer Pilger, der eine Kapelle von besonderer Heiligkeit zu betreten vorhat, sich ehrfurchtsvoll zu bekreuzen. Drittes Kapitel Nach wenigen Schritten gelangten sie zu dem Vorbau eines mächtigen Palastes. Ehe aber Achilles Tatius den Fuß weitersetzte, erging er sich wieder in allerhand Zeremonien, die der unerfahrene Waräger, der erst vor kurzem in den Garnisonsdienst getreten war, steif und linkisch nachäffte, und die auf der Eigentümlichkeit der Griechen fußten, nicht bloß der Person ihres Kaisers, sondern auch allen Dingen, die mit ihm in Zusammenhang standen, eine bis ins kleinste geregelte Ehrfurcht zu bezeigen. Als er sich dieser in seinen Augen frommen Pflicht erledigt hatte, schlug Achilles Tatius dreimal wider die Tür in gemessener, aber vernehmlicher Weise, wobei er seinem Begleiter zuflüsterte: »Wir treten ein! Nun tu, bei Deinem Leben, was Du mich tun siehst!« Nun machte er, einen Satz rückwärts und blieb, mit vorgeneigtem Kopfe und die Hand vor die Augen haltend, wie wenn er eines plötzlichen Lichtstroms gewärtig sei, stehen und harrte der Antwort auf sein Klopfen. Nach einer Weile öffnete sich die Pforte, aber statt eines den Harrenden die Augen blendenden, Lichtstromes erschienen, mit hochgehaltenen Streitäxten, gleich als wollten sie die Eindringlinge ob solches freventlichen Eingriffes in ihre Ruhe auf der Stelle niederschmettern, vier Waräger. Der Kommandant sprach als Parole das Wort: »Akoluthos«, und die Waräger murmelten, die Waffen senkend, die Erwiderung der Parole: »Tatius und Akoluthos«. Wahrend Achilles den stattlichen Helmbusch als Zeichen seiner Würde emporhob daß jeglicher Waräger ihn sehen konnte, verhielt sich Hereward zur Verwunderung seines Vorgesetzten, der Szene gegenüber äußerst gleichmütig; aber einen andern Grund dafür zu finden als brutale Empfindungslosigkeit, war dem Schranzenverstande des Kommandanten nicht möglich. Die Wache trat zu Seiten des Tores ab, und Achilles trat mit seinem Begleiter auf das über den Stadtgraben führende Laufbrett. »Die Brücke der Gefahren ist's,« flüsterte Achilles, »über die Du den Fuß setzest; es geht die Rede, daß nicht jeder heil hinüber gelangt, sondern so mancher, der zu der geheiligten Person kaiserlicher Majestät in Beziehungen gestanden, als Leiche im Goldenen Horn, dem Hafen der Kaiserstadt, wohin der Graben sich ergießt, gefunden worden sei.« – »Ich hätte nicht für möglich gehalten,« erwiderte der Sohn der nordischen Inseln, »daß Alexius Komnenos ...« – »Still, Verwegener!« rief Achilles, »wer das Echo dieses Gewölbes weckt, verfällt immer schwerer Strafe; der Tod aber winkt dem, der solches tut durch verletzende Reden gegen die geheiligte Person kaiserlicher Majestät. Es ist ein Unglück für mich, daß ich einen Menschen in diese geheiligten Räume führen muß, der von attischem Salze nur so viel besitzt, wie nötig ist, den Leib vor Fäulnis zu bewahren. Was ist Dein Verdienst, Hereward, anders, als daß Du im heiligen Kriege des hohen Herrschers ein paar Ungläubigen das Licht ausgeblasen hast? Und nun widerfährt Dir die unermeßliche Ehre, nicht bloß Zutritt zu erhalten zu dem unverletzlichen Bereiche des Blachernä-Palastes mit seinem Echo, sondern – der Himmel steh' uns bei! – sogar zu kaiserlicher Majestät geheiligtem Ohre selbst!« »Es wird mir schwer, Hauptmann, den Schall meiner Rede zu dämpfen. Ich will darum lieber mich so lange still verhalten, bis Ihr mir ein Zeichen zum Reden gebt.« – »Recht so, Hereward!« erwiderte der Kommandant; »es gibt Leute hier, sogar welche, die im Purpur geboren, die mit dem Senkblei ihres feinen Urteils Deinen seichten Barbarenverstand erforschen wollen. Begegnest Du anmutigem Lächeln, so erwidere es nicht mit Gewieher, als befändest Du Dich in Gesellschaft von Tisch- oder Zechkameraden!« – Unwirsch erwiderte der Waräger: »Wollt Ihr mir nicht glauben, daß ich mich still verhalten werde, bis Ihr mir ein Zeichen gebt, so will ich lieber Kehrt und der Sache ein rasches Ende machen.« – Achilles aber mochte fühlen, daß er dem Waräger nicht allzu scharf zusetzen dürfe, und so gab er ihm auf seine derbe Rede eine auffällig milde Antwort; aber Hereward hatte, was Kraft und Heldenmut anlangt, selbst unter den Warägern seinesgleichen nicht, und diese Eigenschaften überwogen in den Augen auch dieses Kommandanten alle Vorzüge, die einem höfischer besaiteten Soldaten hätten zu eigen sein können. Ueber ein paar Höfe hinweg, die zu dem ausgedehnten Blachernä-Palaste gehörten, führte der hier wohlbekannte Kommandant den Waräger durch eine Seitenpforte in die eigentliche Wachtstube, wo sich Herewards Kameraden mit Brett- und Würfelspiel die Zeit vertrieben und durch einen kräftigen Trunk aus großen Krügen die Kräfte auffrischten. So gern' auch Hereward, der sich in der Gesellschaft seines Kommandanten nichts weniger als behaglich fühlte, sich zu ihnen gesetzt hätte, um über sein Abenteuer mit dem Griechen mit ihnen zu schwatzen und an der amüsanteren Beschäftigung, die ihnen vergönnt war, sich zu beteiligen, so saß ihm doch die militärische Disziplin zu fest im Blute, als daß er sich auch nur einen Moment mit etwas anderm als der Person seines Führers hätte befassen sollen. Der Weg führte noch durch eine Reihe von Gängen und Gemächern, in die der Kommandant den Fuß nicht anders setzte, als mit der gleichen Ehrfurcht, die ihn bislang erfüllt hatte. Hier aber erblickte der Waräger nicht mehr Kameraden, sondern jene fast durchwegs schwarzen Sklaven, die am griechischen Kaiserhofe, als Nachäffung eines bei orientalischen Despoten herrschenden Brauches, Eingang gefunden hatten und die bald als Wachen auf Gängen und an Türen postiert waren, bald auf Teppichen, allerhand Spiel treibend, herumlagen. Der Kommandant würdigte sie keines Wortes. Ein Blick seines Auges genügte, ihm überall den Weg frei zu machen. Endlich setzten sie den Fuß in eine geräumige Halle, deren Wände aus schwarzem Marmor bestanden. Mach allen Himmelsrichtungen führten von ihr aus Seitengänge; aber von den Oel- und Harzlampen, die sie erhellten, war sie mit einem so dichten Dunst erfüllt, daß sich ihre Gestalt oder Bauart nicht unterscheiden ließ. »Hier verweile,« flüsterte der Kommandant dem Waräger zu, »bis ich zurückkehre. Laß Dir aber nicht beikommen, den Fuß vom Platze zu setzen!« Hierauf verschwand er durch eines der seitlichen Portale, das sich vor ihm öffnete und hinter ihm schloß. Der Waräger vertrieb sich in dem ihm angewiesenen Raume die Zeit, so gut es ging, und schritt nach dem unteren Ende der Halle zu, wo der von den Lampen verbreitete Dunst weniger stark war als in der Mitte. Er erblickte dort eine kleine, niedrige Eisenpforte, mit einem griechischen Bronzekreuz darüber, und verschiedenerlei Zierat aus dem gleichen Metall in Form von Ketten und dergleichen. Die Tür stand halb offen, und Hereward, da ihm solche Befriedigung menschlicher Neugier nicht verboten worden, steckte den Kopf hindurch und sah hinein. An der Mauer einer schmalen Wendeltreppe, die zu den Tiefen der Hölle zu führen schien, hing ein trübes, rotes Licht, das aber kaum Anspruch auf diesen Namen erheben konnte, da es einem Funken ähnlicher war als einem Lichte. Dem Waräger, mochte auch der ihm geistig überlegene Grieche von seinem Denkvermögen nur eine sehr bescheidene Meinung hegen, wurde es auf der Stelle klar, daß solch finstere Treppe mit solch düster ornamentiertem Eingang nirgends anders hinführen könne, als zu den Kerkern des kaiserlichen Palastes, die sowohl ihrer Menge als ihrer Beschaffenheit nach nicht die geringste Merkwürdigkeit desselben bildeten. Als er die Ohren spitzte, meinte er sogar, Töne wie Seufzer und Stöhnen aus dem Abgrunde herauf dringen zu hören. »Oho!« meinte er bei sich, »Bekanntschaft mit solch unterirdischen Behausungen zu machen, dürfte ich schwerlich verdient haben. Hauptmann Achilles mag ja im Grunde nicht viel besser sein als ein Esel, aber für so untreu, mich unter solch blödem Vorwande in einen Kerker zu locken, möchte ich ihn nicht halten. Sollte es der Fall sein, so will ich ihm doch erst Bekanntschaft mit einer englischen Streitaxt verschaffen. Sehen wir uns vorderhand mal auch das obere Ende der Halle an. Vielleicht hat's eine freundlichere Bedeutung!« Hier schmückte ein kleiner Altar, an die in den heidnischen Göttertempeln erinnernd, das gleich große – oder vielmehr kleine – Portal, das hier in den anstoßenden Raum führte. Weihrauch wallte in leichten Kräuselwölkchen zu dem Plafond hinauf, sich von da durch die ganze Halle verbreitend und ein seltsames Sinnbild in seinen Qualm hüllend, dessen Zweck und Natur der Waräger nicht begreifen konnte: es stellte zwei menschliche Arme dar, die aus der Wand herauszureichen schienen; die Hände waren ausgespreizt, wie wenn sie den zum Altar tretenden Betern ein Geschenk verabreichen wollten. »Wären die Fauste geballt,« dachte Hereward bei sich, »so ließe sich das Ding wohl noch kapieren. Man könnte meinen, in einer dem Pankration geweihten Boxerhalle zu stecken! Da aber dies dumme Griechenpack die Hände nicht gebraucht, solange die Finger nicht geschlossen sind, so kann ich, beim heiligen Georg, den Sinn des Dinges da nicht fassen!« Da trat Achilles Tatius wieder in die Halle. »Folge mir, Hereward! Jetzt gilt's, das Schwerste zu überwinden! Nimm allen Mut zusammen, über den Du verfügst; denn Ehre und Name stehen für Dich auf dem Spiele.« – »Ich fürchte, weder für das eine noch für das andere,« erwiderte Hereward. – »Schrei nicht so!« verwarnte ihn sein Führer; »ich habe Dir doch oft genug gesagt, Du mögest den Schall Deiner Stimme dämpfen. Es wäre auch besser am Platze gewesen, Deine Streitaxt draußen zu lassen.« – »Mit Verlaub, Hauptmann,« erwiderte Hereward, »mein Werkzeug geb' ich nicht aus der Hand. Die Streitaxt ist ein Stück meiner selbst, und ich gehöre nun einmal zu den unbeholfenen Tolpatschen, die immer was in der Hand halten müssen, um nicht aus dem Texte zu kommen.« – »So behalte sie! Aber schwinge sie nicht, und schreie auch nicht wie auf einem Schlachtfelde, sondern denke, daß Du Dich an einem geheiligten Orte befindest, wo jeder Verstoß gegen die gute Sitte zur Lästerung wird!« Durch eine dritte Seitenpforte traten sie in den Vorsaal, und von ihm aus durch ein paar Flügeltüren in eines dem Anschein nach der vornehmsten Gemächer des Palastes, worin sich dem rauhen Waräger ein ebenso neuer wie überraschender Anblick bot. Auf einer schmalen Bank oder einer Art Sofa, – denn dem schönen Geschlecht war es hier durch die Etikette verboten, sich nach der Weise der Damen in Westrom mit dem Rücken anzulehnen – vor sich einen Tisch voll Büchern, Pflanzen, Kräutern und Zeichnungen, saß die geliebte Tochter des Kaisers Alexius, die Prinzessin Anna Komnena, bekannt als Geschichtsschreiberin der Regierung ihres Vaters, saß hier als die Königin eines literarischen Kreises, wie ihn eben nur eine im Purpur geborene Kaiserstochter um sich zu versammeln vermag. Unmittelbar neben ihr, auf einem dem ihrigen völlig gleichen Sitze, nur niedriger, aber ihr so nahe, daß sie keinen Blick von ihm verlieren konnte, hatte ihr schöner Gemahl Nikephoros Briennios seinen Platz, von dem die Rede ging, er ersterbe in Respekt vor der Gelehrsamkeit und Weisheit seiner Ehegemahlin, sei aber nicht ungehalten, wenn er auch mal einen Abend fern von dem Zirkel derselben zubringen könne; und die Begründung für diesen Argwohn wurde in der Meinung gesucht, daß die Prinzessin schwerlich etwas eingebüßt hätte, wenn sie minder gelehrt gewesen wäre. Zwei andere Ehrensitze waren für das Kaiserpaar bestimmt, das es liebte, den Studien der Tochter anzuwohnen. Dann weidete Kaiserin Irene sich an dem Anblicke einer so vollkommenen Tochter, während Kaiser Alexius mit Behagen der schwülstigen Sprache lauschte, in welcher sie seine Taten pries, oder den philosophischen Gesprächen, die sie mit dem Patriarchen Zosimus und andern gelahrten Herren der Kaiserstadt führte. Während das Kaiserpaar heute den Abend durch seine Anwesenheit verherrlichte, war der Sitz des Prinzessinnen-Gemahls heute leer, und in diesem Mangel an Aufmerksamkeit hatte vielleicht der finstere Zug seinen Grund, der sich auf der Stirn seiner schönen Gemahlin wahrnehmen ließ. Rechts und links von ihr knieten auf weißen Kissen zwei Hoffräulein, die man für lebendige Bücherpulte hätte ansehen können, denn sie hielten, ohne ein Glied zu rühren, die aufgerollten Pergamente, aus denen die Prinzessin fremde Weisheit schöpfte oder in die sie eigene Weisheit eintrug. Das eine dieser beiden Mädchen, Astarte mit Namen, war eine hervorragende Schönschreiberin, dabei so zahlreicher Sprachen und Alphabete mächtig, daß wenig fehlte, so wäre sie, als es dem Kaiser darum zu tun war, mit dem Khalifen, der weder lesen noch schreiben konnte, Frieden zu schließen, diesem zum Präsent gemacht worden. Die andere Dienerin oder – richtiger gesagt – Sklavin der Prinzessin war Violanta oder, wie sie gemeinhin genannt wurde, Musa, eine Virtuosin der Vokal- und Instrumentalmusik und tatsächlich an Robert Guiscard, den Herzog von Apulien und ewigen Ränkeschmied gegen Ostrom, um ihn dem kaiserlichen Hofe wohlwollend zu stimmen, gesandt, von diesem aber, da er bereits stocktaub und dem Methusalemsalter nahe war, mit dem Bemerken abgewiesen worden, er wisse beim besten Willen mit dem erst zehn Jahre alten Mädchen nichts Gescheites mehr anzufangen, und bitte statt solches ewig plärrenden und klimpernden Wesens um etwas Markigeres, oder besser noch, heller Klingendes, womit er den echten Normannen dokumentierte. Auf weiteren Sitzen saßen oder ruhten die anderen Personen, welche Zutritt zu dem Hofzirkel gefunden hatten, darunter der greise Patriarch Zosimus, etwa ein halbes Dutzend an Alter und Kleidung verschiedener Hofleute, die um eine Zimmerfontäne herum gruppiert waren, zum Teil standen, um sich in dem erfrischenden Staubregen abzukühlen, zum Teil unterwürfiger knieten; unter den letzteren ein fetter und nach Zynikerart in Lumpen gekleideter Greis, Michael Argelastes, sich dabei aber trotz seiner philosophischen Tracht und Richtung, die ihn anderes hätten lehren müssen, als der peinlichste Beobachter höfischen Zeremoniells erweisend. Aber niemand hielt sich darüber auf, denn an diesem überzeremoniösen Hofe war jedes satirische oder witzige Wort aufs strengste verpönt. Achilles Tatius trat mit höfischer Geschmeidigkeit in das Gemach, nicht ohne Stolz, einen Mann hier einzuführen, der als der schönste Krieger des kaiserlichen Heeres gelten durfte. Hereward aber stutzte beim Eintritt und zupfte, als er sich in solch edler Gesellschaft sah, an sich herum; sein Kommandant suchte ihn durch ein kaum merkliches Achselzucken zu entschuldigen, gab aber gleichzeitig Hereward einen Wink, den Helm vom Haupte zu nehmen und sich auf die Erde zu werfen; der breithüftige Angelsachse jedoch, dieser Winke nicht achtend, trat einfach vor den Kaiser hin und salutierte, das Knie beugend, an den Helm fassend, die Streitaxt schulternd; worauf er sich gleich einer Schildwache vor dem kaiserlichen Sessel aufpflanzte. Es verfloß einige Zeit, bis der Kaiser, der in einem Zustande von Halbschlummer oder doch Zerstreutheit durch die Lektüre seiner Tochter über eine Periode aus der Zeit seiner Kämpfe mit Robert Guiscard dem Apulier versetzt worden war, den Waräger bemerkte. Sein Blick glitt von ihm zu Achilles Tatius hinüber. »Ei, unser getreuer Akoluth?« rief er; »sprecht! was soll dieser Mann von der Leibgarde zur Nachtzeit allhier?« – Dies war für die versammelte Gesellschaft von Höflingen der richtige Augenblick, sein Gesicht zu studieren, um das Verhalten danach zu regeln. Aber ehe der Patriarch sich eine Meinung hatte bilden können, die wieder für die übrigen maßgebend gewesen wäre, hatte Achilles durch ein paar Worte Majestät in die Erinnerung gerufen, daß der Waräger zufolge kaiserlichen Sonderbefehles hier erschienen sei. – »Ganz recht! ganz recht!« antwortete gnädig der Kaiser, dessen Stirn sich sogleich aufheiterte, »die Staatsgeschäfte hatten uns den Fall aus dem Sinne gebracht.« Dann wandte er sich mit einem größern Anstrich von Herzlichkeit, als er den Höflingen gegenüber zeigte – denn Monarchen haben zu Leibgardisten immer mehr Zuneigung als zu jenen – zu Hereward, und fragte zum Erstaunen aller: »Ei, wackerer Waräger, wie geht's uns denn?« – Und Hereward erwiderte treuherzig und kräftig, in seiner sächsischen Mundart: »Waes hael, Kaisar mirrig und machtigh!« was so viel hieß wie: »Heil Dir, großer und mächtiger Kaiser! – Waren die anwesenden Höflinge darüber noch mehr in Staunen geraten, so wußten sie sich kaum zu fassen, als der Kaiser zu diesen Worten nicht allein lächelte, sondern in der Sprache seiner Leibwächter mit dem bekannten Gegengruße: »Drink hael!« antwortete. Ein Page brachte einen silbernen Becher mit Wein. Der Kaiser berührte ihn mit den Lippen, ohne indes davon zu kosten; dann ließ er ihn dem Waräger reichen und befahl ihm, zu trinken. Der ließ sich das nicht zweimal sagen und leerte den Becher bis auf die Nagelprobe. Ein Lächeln durchflog den Kreis ob dieser Heldentat; der Kaiser aber fragte seinen Leibgardisten, ob er den Wein schon kenne. – »O ja,« erwiderte dieser, ohne die Farbe zu ändern, »hab' ich ihn doch bei Laodikaia gekostet!« Achilles Tatius verfärbte sich ob dieser Antwort des Warägers und bemühte sich umsonst, ihn durch Zeichen zum Schweigen zu bringen; der Waräger aber, dessen Aufmerksamkeit ganz seinem Kaiser gehörte, bemerkte nicht das mindeste, obgleich sich zuletzt auch Zosimus und Nikanor über die Winke des Akoluthen zu amüsieren anfingen. Die Unterhaltung zwischen Kaiser und Waräger nahm infolgedessen ihren Fortgang. »Ei, welcher Schluck hat Dir besser gemundet?« fragte Alexius, »der hier, oder der dort?« – »Hier, o Kaiser, ist die Gesellschaft schmucker und angenehmer als damals die der arabischen Bogner,« erwiderte Hereward, sich mit angeborener Höflichkeit verneigend, »aber es fehlt hier an der Würze, die dem Trunke dort Sonnenbrand und Schlachtenstaub und achtstündiger Kampf verliehen!« – »Auch dürfte wohl,« bemerkte der dicke Agelastes, »der Becher hier kleiner sein als der von Laodikaia war?« – »Fürwahr, das stimmt!« pflichtete der Leibwächter bei, »dort trank ich aus dem Helm!« – »Zeige uns die beiden Becher, Freund,« sagte Agelastes, den Scherz weitertreibend, »denn mir war's fast, als wolltest Du den jetzigen mit hinunterschlucken?« – »Nicht alles schlucke ich hinunter,« erwiderte der Waräger, »doch kommt's drauf an, was von einem Greise herrührt, und was von einem Jungen!»« Wieder durchflog ein Lächeln den höfischen Kreis, aber es galt nicht dem Waräger, dessen kurze Antwort ihn in Respekt gesetzt hatte, sondern dem Zyniker, der trotz seines Witzes dem andern unterlegen war. Obendrein nahm der Kaiser zu des Warägers Gunsten das Wort: »Nicht zu dem Zwecke bist Du gerufen worden, wackerer Sohn, eitlen Spöttern die Zielscheibe abzugeben!« – Der dicke Agelastes fuhr zurück wie ein betrippter Pudel, und nun mischte auch die Prinzessin, deren Gesicht schon eine Zeitlang Ungeduld gezeigt hatte, sich in das Gespräch. »Beliebt es meinem geliebtesten kaiserlichen Vater,« sprach sie, »den glücklichen Menschen, die Zutritt zu diesem Musenhaine gefunden, die Gründe zu nennen, die Euch veranlaßt haben, diesem Kriegsmanne heute abend einen Platz, weit über seinen Stand erhaben, hier anzuweisen? Erlaubt mir die Bemerkung, daß es sich für uns wohl nicht schicken mag, diese Zeit mit eitlen Späßen zu vertreiben, denn wie jeder Augenblick Eurer Muße, soll auch sie der Wohlfahrt des Reiches geweiht sein.« »Erlaubet auch mir, mein edler Gemahl, gleich unserer durch Weisheit ausgezeichneten Tochter,« sprach nun Kaiserin Irene, die gleich allen Müttern, die nicht selbst mit Gütern des Geistes gesegnet sind, für fremdes Talent kein Auge hatte, aber dasjenige ihres Lieblingskindes bei jeglichem Anlasse ausposaunte. »Euch vorzuhalten, daß in diesem den Studien Eurer Tochter geweihten Musensitze solch ein Kasernenton, wie er soeben hier laut wurde, um so weniger heute am Platze ist, als uns Euer Ruhm, o Gemahl, aus dem zarten Munde unseres Kindes verkündet wurde, verewigt in einer geschichtlichen Abhandlung, die erhalten bleiben wird bis ans Ende der Welt!« Dem Kaiser Alexius mochte es bei dieser kleinen Gardinenpredigt seiner erlauchten Gemahlin, die sich gern einmal gegen seine Oberherrlichkeit auflehnte, obwohl sie es sonst bei keinem Sterblichen litt, ein wenig schwül ums Herz geworben sein, denn er antwortete, nachdem er sich durch einen tiefen Seufzer einigermaßen Erleichterung geschaffen hatte, etwas kleinmütig: »Liebes Ehgemahl und sehr edle, purpurgeborene Tochter! Verzeiht die Erinnerung, daß Ihr gestern abend den Wunsch nach einer genauen Beschreibung der Schlacht von Laodikaia aussprachet, und daß zufolgedessen Wir Unsern getreuen Akoluthen beauftragten, denjenigen Waräger aus der seinem Kommando unterstellten Garde auszuwählen und herzuführen, der am befähigtsten sei, über dieses denkwürdige und blutige Ereignis genauen Bericht zu erstatten. Wir vermuteten nun, diesen Waräger vor Uns zu sehen.« Hier ergriff Achilles Tatius das Wort: »Mit Verlaub, Kaiserliche Hoheit! Die Blume der Waräger, der Barbar der Barbaren steht hier, seiner Abkunft und Bildung nach freilich nicht würdig dazu, aber ein Mann, so tapfer und treu, so ergeben und eifrig, daß ...« – »Laß genug sein, wackerer Akoluth,« sprach der Kaiser, »wenn ich nur weiß, daß er im Kampfe seinen Mann steht, so hat er uns allen nicht wenig voraus, denn wenn wir der Wahrheit treu bleiben wollen, so hat sich das nicht immer von meinem Kommandanten, und wohl auch von mir nicht, sagen lassen. Sprich also kurz, Achilles Tatius, was Du in dieser Hinsicht von Deinem Schützling zu sagen weißt, denn unser teures Ehgespons und purpurgeborene Tochter fangen, wie Du wohl selbst siehst, ungeduldig zu werden an.« »Hereward,« erklärte Tatius, »ist in der Schlacht ruhiger und gesammelter als mancher andere beim festlichen Reigen; er wiegt ohne Frage vier Eurer besten übrigen Diener, mit Ausnahme Eurer Waräger auf.« Der Kaiser, runzelte die Stirn. »Akoluth,« sprach er, »durch derartige Ruhmrednerei erhitzest Du die Phantasie dieser Fremdlinge, so daß sie Lust gewinnen, sich über das Gesetz hinwegzusetzen und Händel mit den anderen Söldnern meines Heeres zu suchen.« – »Kaiserliche Majestät gestatten mir hierauf zu erwidern, daß ich es zu keiner Zeit an Ermahnungen zur Festhaltung strammer Disziplin fehlen lasse meinem Warägerkorps gegenüber, und ich darf wohl annehmen, daß der hier anwesende Waräger Verstand und Wahrheitsliebe genug besitzt, mir das zu bezeugen.« Er lenkte den Blick auf Hereward, der durch ein kräftiges Nicken die Rede seines Hauptmanns bekräftigte, worauf dieser, wieder zuversichtlicher als vordem, fortfuhr: »Freilich hätte ich besser gesagt, unser Waräger nehme es mit einem halben Dutzend der schlimmsten und wehrhaftesten Feinde kaiserlicher Majestät auf.« – »Wohl, das klingt auch besser zu Ohren,« erwiderte der Kaiser, »und für Unsere geliebte Tochter, die all Unsere zum Wohle des Reiches vollführten Taten getreulich registriert, wollen Wir hierbei nicht unterlassen, zu bemerken, daß Uns daran liegt, erwähnt zu sehen, daß, wenn auch Unser Schwert in der Scheide nicht rostete, Unser Sinn doch nie nach Blutvergießen gestanden hat.« »Ich hoffe, das weder vergessen zu haben, noch je zu vergessen, mein edler Vater,« sagte Anna Komnena, wandte sich dann an die Zuhörer und nahm aus den Händen der Dienerin eine Pergamentrolle. Nachdem sie eine Weile darin gelesen, würdigte sie Hereward der folgenden Worte: »Tapferer Barbar! Wie Du aus dem Munde meines kaiserlichen Vaters bereits vernommen, weilst Du hier zu dem Zwecke, Bericht zu erstatten über den Verlauf der blutigen Schlacht bei Laodikaia. Du wirst aus meinem Munde vernehmen, was ich bereits auf grund der Mitteilungen, die mir mein kaiserlicher Vater einerseits, und seine Offiziere, der Befehlshaber der kaiserlichen Armee, Nikanor, und der Kommandant der Waräger, Achilles Tatius, anderseits darüber gemacht hat, niedergeschrieben habe. Da Du im Handgemenge mitgefochten hast, wirst Du Wichtiges zu erzählen wissen über den Verlauf der Ereignisse zur Zeit, als sich die Schlacht zugunsten der kaiserlichen Armee wandte, sowie über die Irrtümer und Mißgriffe, die auf unserer Seite begangen worden sind.« »Meine Gnädigste,« antwortete ihr der Waräger, »ich werde aufmerksam zuhören; aber es wird mir nie beikommen, Kritik an dem Schriftwerke einer purpurgeborenen Prinzessin oder an dem Verhalten der mir vorgesetzten Heerführer zu üben. Ich könnte höchstens hinsichtlich des unüberwindlichen Protospatharius sagen, daß ich ihn, meines Wissens im Einklänge mit der Pflicht eines Heerführers, nie anders als auf Speerwurfsweite von jedem gefahrdrohenden Platze gesehen habe.« Des Warägers kühne Rede blieb nicht ohne Eindruck auf die Anwesenden; der Kaiser sowohl wie Achilles Tatius waren sichtlich erfreut, so gut einer gefürchteten Schlappe entgangen zu sein; der Protospatharius tat sein möglichstes, seinen Groll zu verbergen; Agelastes flüsterte dem neben ihm sitzenden Patriarchen zu, daß es dieser nordischen Streitaxt weder an Wucht noch an Schärfe gebreche; der Patriarch aber winkte ihm, zu schweigen, und sagte; »Die Prinzessin will sprechen.« Viertes Kapitel Des hohen Ranges und der hohen Geburt ungeachtet, zeigte die Prinzessin Anna Komnena sich augenscheinlich eifriger besorgt, mit ihrem Vortag den Beifall Herewards zu gewinnen, als den der Höflinge. Ihrem Blicke entging es nicht, daß der Waräger ein Mann von großer körperlicher Schönheit war, und erklärlicherweise regte sich bei ihr ein gewisser Wunsch, bei ihm Gefallen zu finden. War er auch als Barbar des hier herrschenden Zeremoniells überhoben, so ließ sich nicht verkennen, daß er über einen angeborenen Anstand verfügte, der ihm weit besser stand als jeder gekünstelte oder angedrillte. Zudem weckte sein soldatisches Temperament und seine stramme Haltung Sympathie und Interesse. Auch für den Waräger waren die Umstände nicht danach beschaffen, ihn unbedingt gleichgültig zu lassen. Anna Komnena war zwar keine jugendliche Dame mehr; wie weit sie aber über den Zeitpunkt hinaus war, wo sich die Schönheit der Frau dem Niedergänge zuwendet, war bis auf die vertraute Dienerschaft der Schlaf- und Wohngemächer für jedermann ein Geheimnis. Dem allgemeinen Aussehen nach zu schließen, mochte die Prinzessin ihr siebenundzwanzigstes Jahr vollendet haben. Wenn sie auch nach griechischem Begriffe keine Schönheit ersten Ranges war, so konnte sie recht wohl als solche für einen nordischen Barbaren noch gelten. Die Fälle, wo ein siegreicher Heerführer von der Witwe eines Herrschers zum Ehgemahl erkoren worden, waren in jenen Zeiten gewaltsamer Umwälzungen durchaus keine Seltenheit; Hereward indessen erblickte in Anna Komnena, wenn ihm auch die Aufmerksamkeit schmeichelte, die ihm von ihr geschenkt wurde, nur die Tochter seines Kaisers und aus freiem Willen erkorenen Oberherrn und das Ehgemahl eines edlen und gütigen Fürsten: Vernunft sowohl als Pflicht verboten ihm also, die Prinzessin in irgend welchem andern Lichte anzusehen. Endlich begann die Prinzessin, zuerst freilich mit etwas unsicherer Stimme, ihren Vortrag. Je weiter sie aber in das eigentliche Thema des Abends, die Schilderung der Schlacht von Lavdikaia, kam, desto kräftiger und lauter sprach sie. Den Waräger hatten die darin vorkommenden Auftritte schon wiederholt in sichtliche Erregung versetzt, denn er hatte der Schlacht vom Anfang bis zum Ende beigewohnt, und zwar in ziemlich hervorragender Rolle. Hin und wieder, wie zum Beispiel bei der Schilderung eines mitternächtlichen Kriegsrates vor der Schlacht, oder wenn seinem Kommandanten Achilles Tatius überschwengliche Lobsprüche gezollt wurden, huschte ein Lächeln über sein Gesicht; ja auch der Name des Kaisers, trotz der Ehrfurcht, mit der seiner erwähnt wurde, weckte den von der Tochter beabsichtigten Eindruck nicht bei ihm. Wäre diese nicht so vertieft in ihre Pergamentrolle gewesen, so hätte ihr die Wandlung in dem Verhalten des Kriegsmannes wohl schon auffallen müssen; die stramme Haltung, mit der er beim Beginn des Vortrages vor dem kaiserlichen Stuhle gestanden, war schon eine Weile verschwunden, auf seinem Gesicht verriet eine innere Bewegung, die immer stärker wurde, je näher die Prinzessin der Szene kam, die zur Entscheidung geführt hatte: als die Kaiserlichen, aus einem Passe dringend, die Araber nach schwerem Ringen in die Flucht geschlagen hatten. Da wechselte der Waräger die Farbe, seine Augen zeigten einen wilden Glanz, in seine Glieder kam Leben, und sein ganzes Wesen schien so bei der Sache, daß er vollständig vergaß, wo er sich befand, die schwere Streitaxt zu Boden fallen ließ, die Hände rang und aus tiefster Brust die Worte hervorstieß: »O mein Bruder!« Als die schwere Waffe auf den Boden schlug, wurde von mehreren anwesenden Personen der Versuch gemacht, eine Erklärung dafür zu geben: Achilles Tatius stotterte ein Paar Worte von der rauhen Art seiner Waräger, den Schmerz kundzutun, und setzte auseinander, daß der in dem Passe Erschlagene der jüngere Bruder des hier anwesenden Barbaren gewesen sei; die Prinzessin war, obwohl sie nichts äußerte, sichtlich ergriffen, vielleicht auch bloß erfreut darüber, durch ihre Schilderung einen so starken Eindruck bewirkt zu haben. Von den übrigen Anwesenden sprach jeder in seiner Weise Worte, die Trost spenden sollten, denn Unglück, das aus natürlicher Quelle stammt, weckt auch bei verschlossenen Gemütern Teilnahme. Aber die Stimme des Kaisers legte einem jeglichen Schweigen auf. »Tapferer Krieger,« sprach er, »ich muß mit Blindheit geschlagen gewesen sein, daß ich Dich nicht früher erkannte, denn es steht im Reichsregister verbucht, daß dem Waräger Edward fünfhundert Goldgulden gezahlt werden sollen als Schenkung, zu der sich der Staat verpflichtet hält gegen einen so hervorragenden Diener wie Dich: und die Zahlung soll Dir nicht länger vorenthalten bleiben.« Des Warägers Gesicht nahm wieder seinen früheren rauhen Ernst an. »Nicht mir steht der Anspruch zu auf solche Spende, denn ich heiße Hereward; den Namen Edward führen drei Kameraden von mir, von denen jeder seine Pflicht gegen Eurer Majestät Reich so getreu und gewissenhaft erfüllt hat wie ich.« – Achilles Tatius versuchte wieder alle möglichen Zeichen und Winke, seinen Soldaten vor solcher Torheit, wie sie die Zurückweisung einer kaiserlichen Spende sei, zu bewahren. Agelastes der Zyniker aber ergriff laut das Wort im gleichen Sinne. »Mein junger Freund,« sagte er, »nimm solche Gelegenheit, Dir einen neuen Namen beizulegen, getreulich wahr! Was kann Dir gelegen sein an einem Namen, den Dir ein Pfaffe bei der Taufe beigelegt hat, im Vergleich zum Namen Edward, durch den es dem Licht der Welt gefallen hat, Dich aus der Sippe der Barbaren herauszuheben? den Du hinfüro zu führen, mit Stolz zu führen ein Anrecht hast?« – »Hereward war meines Vaters Name,« erwiderte der Soldat, der seine volle Ruhe wiedergefunden hatte, »und so lange ich meines Vaters Andenken ehre, solange kann ich auch seines Namens mich nicht begeben. Zudem hieße das, mich auf Kosten eines Kameraden zu bereichern.« – »Still!« rief der Kaiser dazwischen, »ist Uns ein Irrtum unterlaufen, so verfügen Wir über Mittel und Vermögen genug, ihn gut zu machen. Hereward soll nicht zu kurz kommen, wenn einem andern, namens Edward, die registrierte Prämie zusteht.« – »Wollen das Weitere in dieser Angelegenheit Kaiserliche Hoheit ihrem Ehgemahl anheimstellen!« nahm Kaiserin Irene das Wort. – »Unser kaiserlicher Vater ist so eifrig bemüht, Liebe und Gunst zu erweisen,« erklärte Anna Komnena, »daß er selbst seinen nächsten Anverwandten nicht vergönnen mag, Großmut zu üben. Ich will indes, so weit es in meinen Kräften steht, dem tapferen Waräger Dankbarkeit erzeigen dadurch, daß ich seinen Namen in meiner Geschichte durch gewissenhafte Aufzählung seiner Taten der Nachwelt überliefere. Zum Zeichen, mein Braver,« setzte sie hinzu, indem sie einen kostbaren Ring vom Finger zog, »daß ich mein Versprechen auch halten werde, nimm hier dieses Kleinod!« – Mit einer tiefen Verbeugung, zugleich einer ihm in seiner Stellung zukommenden Miene von Beklommenheit nahm der Waräger das wertvolle Pfand aus der Hand der Prinzessin und drückte es respektvoll an die Lippen. »Du köstliches Kleinod!« rief er; »wohl wird es uns nicht lange vergönnt sein, zusammen zu bleiben; doch darfst Du versichert sein,« setzte er hinzu, einen Blick der Dankbarkeit auf die Prinzessin heftend, »daß nur der Tod dich mir entwinden wird!« – »Prinzessin-Tochter,« nahm Kaiserin Irene das Wort, »Du hast zur Genüge gezeigt, daß Du beim Manne tapferen Sinn zu ehren und zu preisen weißt; gleichviel, ob er sich findet beim Römer oder beim Barbaren, darum fahre fort in Deiner Schilderung!« Mit einer Miene, die eine leichte Verlegenheit verriet, folgte Anna Komnena der mütterlichen Aufforderung, war aber kaum über die ersten Sätze der Fortsetzung hinaus, als die Haupttür des Saales aufflog, geräuschlos zwar, doch mit beiden Flügeln zugleich. Hieran ließ sich ermessen, daß es kein Höfling war, der eintrat, sondern ein Mann hohen Ranges, denn nur einem in Purpur Geborenen oder mit solchem Engverwandten stand hier ein solches Vorrecht zu. Die meisten der im Studiersaale anwesenden Personen schienen zu wissen oder doch zu ahnen, wessen Eintritt zu erwarten stand; und wenn sie den Ehgemahl der Prinzessin-Tochter und gelahrten Geschichtsschreiberin, den in der schönsten Blüte der Männlichkeit stehenden Nikephoros Briennios, wohl dem Range, aber nicht dem Rechte und der Würde nach – denn die Politik seines kaiserlichen Schwiegervaters hatte mehrere Personen zwischen ihn und sich einzuschalten verstanden – die zweitmächtigste Person im oströmischen Reiche, erwartet hatten, so sollten sie sich nicht getäuscht haben. Fünftes Kapitel Es war ein stattlicher Mann, der jetzt dem Sessel des Kaisers sich näherte, zum Zeichen der Huldigung das Knie tief beugend, und dann, von der Kaiserin steif und gezwungen begrüßt, zu dem leeren Sitze neben seiner Gemahlin, der Prinzessin Anna Komnena, sich verfügte. An seiner reichen, vornehmen Tracht und an den vielen Zeichen seiner Würde ließ sich der hohe Rang erkennen, der ihm gehörte. Er stammte aus dem vornehmsten, dem kaiserlichen durchaus ebenbürtigen Geschlechte des griechischen Kaisertums, und Alexius Komnenos war auch vorwiegend durch politische Rücksichten zu diesem Ehebunde seines Kindes bestimmt worden. Von einer Liebesheirat war hier nicht zu sprechen; denn Anna Komnena liebte es zu sehr, die gelehrte Dame zu spielen, um einem Manne, wie ihr Gemahl es war, volle Befriedigung zu schaffen, und es war bei Hofe ein offenes Geheimnis, daß Nikephoros Briennios nicht zu jenen Männern gehörte, die der Frau strenge Treue wahren. Allerdings vermied er ebenso streng jeglichen Eklat; anderseits war seine Familie zu mächtig und angesehen, als daß der Kaiser es zu einem solchen hätte kommen lassen mögen. Zudem stand Nikephoros Briennios in dem Rufe, ein gewandter Kriegs- und Staatsmann zu sein, zum wenigsten unterließ es sein Schwiegervater nie, bei allen wichtigeren Staatsgeschäften seinen Rat und Beistand einzuholen. Der Kaiser brach zuerst das peinliche Schweigen, das nach dem Eintritte seines Schwiegersohnes in dem Raume herrschte; denn seine Gemahlin bereitete ihm einen höchst kühlen Empfang, und die Frau Schwiegermutter gehörte nicht zu den liebenswürdigeren dieser Gattung von Damen. »Ihr kommt freilich ein wenig spät, lieber Sohn,« sprach Alexius, »aber Ihr werdet wohl nicht leiden wollen, daß Unsere Anna die Lektüre abbreche, die Uns bislang so sehr erbaut hat? Sie liest heute abend die Schilderung Unserer siegreichen Schlacht von Laodikaia!« – »Dem Cäsar,« ergriff die Kaiserin Irene das Wort, »scheinen die edleren Genüsse, die ihm in Unserem Kreise winken, noch immer nicht sonderlich zu behagen; er sucht und findet anderweit wohl Zerstreuung, die ihm besser mundet.« – »Meine Gnädige,« erwiderte Nikephoros, »möge mir gestatten, sie an das alte Wort »de gustibus etc.« zu erinnern; es dürfte, wie anderen Leuten, wohl auch mir zur Entschuldigung gereichen; daß Unser allergnädigster Herr Papa sich über Milch und Honig, die zu Seinem speziellen Genusse fließen, freut und daran labt, verdenkt ihm kein Vernünftiger.« Die Prinzessin nahm nun in dem gespreizten Tone schöner Frauen das Wort, die sich von ihrem Galan gekränkt, nichtsdestoweniger geneigt zu einer Aussöhnung fühlen. »Wenn mein Gemahl sich vielleicht in meinem Werke zu stiefmütterlich bedacht findet, so darf er nicht vergessen, daß es sein ausdrücklicher Wunsch war, mit jedem auf ihn besonders gemünzten Lobe zu kargen.« – »Meine liebwerte Gesponsin,« versetzte Nikephoros, »ich bin nicht hergekommen, mich an Deiner gelehrten Unterhaltung zu erbauen, sondern um mit unserem allergnädigsten Papa über dringende Staatsgeschäfte zu sprechen. Zu meinem Bedauern mache ich übrigens die Wahrnehmung, daß wir uns heute in recht gemischter Gesellschaft befinden.« Bei diesen Worten warf er auf den Waräger einen scheelen Seitenblick. »Ihr tut dem tapferen Waräger schweres Unrecht, Schwiegersohn,« nahm Kaiser Alexius das Wort, »wenn Ihr ihn so geringschätzig abfertigen wollt; denn er ist der Bruder jenes Warägers, der Uns durch seinen Heldenmut und Tod bei Laodikaia den Sieg verschaffte.« – »Bedaure lebhaft, mein kaiserlicher Gebieter und Papa,« erwiderte Briennios, »in einem so wichtigen Falle gestört zu haben; hoffentlich geht der Zukunft nichts von der ihr zugedachten Erleuchtung dadurch verloren! Ich habe bis jetzt gemeint, daß Schlachten unter dem Befehle Eurer Majestät und Eurer Feldhauptleute geschlagen, also auch gewonnen und verloren werden. Hoffentlich hat Unsere Frau Prinzessin in ihrer Schilderung nichts Wesentliches vergessen, oder hat der tapfere Waräger« – hier wandte er sich hochmütig nach der Seite hin, wo Hereward stand – »ihr mit etwas nachhelfen können?« – »Daß ich nicht wüßte,« erwiderte Hereward in seinem Herrentrotze – »es sei denn die Musik der Damenritter, die uns Kriegern bei der Rast am Bache in die Ohren drang und die freilich mit die süßeste war, die die Krieger hätten hören können!« – »Oho! wagst Du hier freche Spottrede? Aus meinen Augen! Und laß es Dir nicht wieder beikommen, Dich vor mir sehen zu lassen, außer auf direkten kaiserlichen Befehl! Pascholl!« und er erhob drohend den Arm. Der Waräger rührte sich nicht vom Platze, sondern blickte fragend auf Achilles Tatius als seinen Kommandanten; aber der Kaiser legte sich wieder ins Mittel. »Schwiegersohn,« sprach er mit hoher Würde, »Eure Rede kann Unsere Billigung nicht finden. Wenn zwischen Euch und Unsere Tochter sich Mißhelligkeiten schleichen, so erwächst Euch daraus noch kein Recht, Unseres kaiserlichen Ranges zu vergessen, indem Ihr einem Manne Pascholl zuruft, der auf Unseren Befehl sich hier befindet. Es entspräche nicht Unserem Belieben, wenn der Waräger Hereward oder Edward, oder wie sein Name sonst lautet, Uns jetzt verließe oder sich künftighin nach andern als Unsern oder seines Kommandanten Befehlen richten sollte. Indem Wir hiermit diese unliebsame Affäre aus der Welt geschafft zu haben meinen, fordern Wir Euch auf, Uns zu erklären, welcher Art die Staatsgeschäfte sind, die Euch hierher geführt haben. Schon wieder richtet Ihr Euren Blick auf den Waräger? Wir bitten Euch, um seinetwillen nicht zu warten; denn er besitzt Unser Vertrauen und nicht in geringerem Maße als jeglicher andere Rat oder Diener in Unserem Reiche.« – »Hören ist gehorchen!« antwortete, einlenkend, Briennios, denn er kannte seinen Schwiegervater zu genau, daß es ihm hätte entgehen sollen, in welchen Eifer sich derselbe hineinredete; »was ich zu melden habe, wird ohnedies bald in aller Munde im Reiche sein! Europa, kaiserliche Majestät, ist im Begriffe, sich über Asien zu stürzen!« – »Wohl eine Wiederholung jenes schwärmerischen Aufstandes zügelloser Barbaren, die unter dem schwärmerischen Vorwande, Syrien und die heiligen Stätten zu erobern, die Westgrenze unseres Reiches bedrohten?« fragte die Prinzessin ihren Ehgemahl. – »Nein, keine Wiederholung jenes Ansturms ungebildeter Massen,« erwiderte Nikephoros, »die von einem verrückten Einsiedler fanatisiert wurden und ihren Weg aus Deutschland nach Ungarn nahmen in der verrückten Hoffnung, es würden Wunder für sie geschehen wie damals, als Israel von einer Feuer- und Rauchsäule durch die Wüste geführt wurde. Aber es nährte sie kein Manna- und Wachtelregen, auch sprang kein Wasser aus den Felsen zu ihrer Erfrischung! Hunger und Durst machten sie vielmehr rasend, so daß sie zu plündern anfingen und es mit den Ungarn so wild trieben, daß diese sie haufenweise niederschlugen. Ganze Berge von Knochen sind heute noch Zeugen dieser Niedermetzelungen unheiliger Pilgerscharen.« »Damit erzählt Ihr Uns bloß bekannte Dinge,« bemerkte der Kaiser, »aber welch neues Unglück bedroht Uns? Sprecht offen! Gilt es der Zerstörung Unseres Reiches? der Austilgung seines Herrschers aus der Reihe der Erdenfürsten?« – »Von solcher Absicht ist die Rede nicht und kann die Rede nicht sein,« erwiderte Nikephoros, »obwohl diesmal alles, was Europa an weisen und würdigen, tapferen und edlen Streitern besitzt, unter dem heiligsten Gelübde verbündet ist zu dem gleichen Vorhaben, das damals jene unheiligen Horden beseelte.« Er überreichte dem Kaiser eine große Pergamentrolle. »Hier, allergnädigster Herr und Papa, findet Ihr das Verzeichnis der verschiedenen Heere, die im Anmarsche gegen unsere Grenzen sind. Den Vortrab führt der Graf von Vermandois, Bruder des Königs von Frankreich, mit der Blüte des französischen Adels, wie dem Paniere des heiligen Petrus, das dessen heiliger Nachfolger seinen Händen überantwortete. Er mahnt Dich, ihm einen seinem Range angemessenen Empfang zu bereiten.« – »Tönende Worte,« erwiderte der Kaiser, »aber der schlimmste Wind für Schiffe ist nicht allemal der, welcher laut heult. So ganz unbekannt sind Uns die Franzosen ja nicht; sie sind wohl tapfer, aber nicht minder leichtsinnig; und so lange, bis Uns Zeit und Gelegenheit andere Verteidigungsmittel in die Hände liefern, wollen wir ihrer Eitelkeit schmeicheln. Was steht weiter in Eurer Rolle, Schwiegersohn? Wohl das Verzeichnis der Begleiter des fränkischen Grafen?« – »Nein, kaiserlicher Herr!« antwortete Nikephoros, »soviel unabhängige Heerführer Euer Auge auf dieser Liste erblickt, soviel unabhängige europäische Heere ziehen auf verschiedenen Wegen dem Osten zu, mit der Absicht, Palästina den Händen der Ungläubigen zu entreißen.« – »Eine grausige Menge!« rief der Kaiser, einen Blick auf die Pergamentrolle werfend, »zum Glück dürfte gerade diese Ueberzahl die Möglichkeit langen Bestandes solcher Schwärmerei ausschließen. Sieh da! ein alter Bekannter! Herr Bohemund von Antiochien, Sohn des berühmten Robert von Apulien, der sich vom einfachen Ritter zum Herzog über Sizilien aufschwang und ganz Italien unter seine Botmäßigkeit brachte! Eine furchtbare Familie und ein Geschlecht von Geschick und Kraft! Doch Bohemund wird sich der Politik des Vaters nicht anbequemen, mag er auch noch so eifrig von Palästina und christlichen Interessen schwatzen! Läßt sich sein Interesse mit dem meinigen m Uebereinstimmung bringen, so wird er sich durch keine andere Rücksicht bestimmen lassen. Soweit ich seine Absichten und Pläne kenne, dürfte uns der Himmel in der Gestalt eines Feindes einen Freund senden. Wer steht nach ihm auf Eurer Liste, Schwiegersohn?« – »Gottfried, Herzog von Bouillon, wie ich höre, der weiseste und tapferste, auch edelste der auf dem Marsche gegen unsere Westgrenzen begriffenen Heeresmassen, in hohen Ehren bei der gesamten abendländischen Ritterschaft, weil er unentwegt Treue und Großmut in allen Handlungen wahrt. Sein gerechter Sinn, seine offene Hand und sein ehrliches Wort haben ihm auch das gemeine Volk gewonnen, und die Geistlichkeit sagt ihm den höchsten Glaubenseifer, die tiefste Ehrfurcht vor der Kirche nach. Mit Fug und Recht wird er als das eigentliche Haupt des Heereszuges angesehen.« »Recht zu beklagen, daß solch ein Fürst,« sprach der Kaiser, »sich von dem Fanatismus eines verrückten Einsiedlers, wie dieses Peters von Amiens, befallen läßt!« Eine Weile saß er überlegend da, dann fuhr er fort: »Es wäre wohl wert, zu erwägen, ob sich aus einem Teile der kleinasiatischen Länder, die jetzt von den Türken verwüstet werden, ein großes Reich bilden ließe? Die Moräste von Bouillon möchte es wohl aufwiegen, denn es gehörten ihm allerhand Vorzüge, als da sind: Boden, Klima, gewerbfleißige Bevölkerung und gesunde Luft. Allerdings müßte es von dem heiligen römischen Reiche ins Schlepptau genommen werden, würde aber unter dem Regiment eines Gottfried von Bouillon an der Spitze seiner siegreichen Franken ein Bollwerk abgeben können für Unsere gerechte und geheiligte Person. O, frommer Patriarch, würde solche Aussicht nicht jedem Kreuzfahrer den Appetit nach den steinigen Wüsten des gelobten Landes rauben?« – »Vornehmlich, wenn der Fürst, für den solch reiche Provinz in ein Lehen umgewandelt worden, zuvor zu dem allein wahren Glauben bekehrt worden, wie Kaiserliche Majestät doch sicher meinen!« – »Allerdings – ganz ohne Frage!« versetzte der Kaiser, aber mit recht gezwungenem Ernst, denn es fiel ihm ein, wie oft ihn politische Rücksichten genötigt hatten, nicht bloß lateinische Christen, sondern auch Manichäer und andere Häretiker, ja sogar Muhammedaner als Untertanen seines Reiches aufzunehmen, und daß derselbe Patriarch niemals eine Einrede dawider gemacht hatte. »Wir müssen also,« nahm Nikephoros wieder das Wort, »wider ein Volk in Waffen treten, dem der Kampf das eigentliche Lebenselement ist, das, wenn es nicht im Kriege steht, sich untereinander zum Zweikampf fordert, wie wir einen Freund zum Wagenrennen fordern.« »Genug, genug!« wehrte der Kaiser, »hat Gott den Franken Tapferkeit verliehen, die anderen Völkern fast übernatürlich erscheint, so hat er uns Griechen Weisheit im Rate verliehen: die Kunst also, statt durch Gewalt durch Klugheit zu siegen. Wir führen freilich nicht die Armbrust, die in den Händen der Franken eine furchtbare Waffe ist; dagegen sind wir im Besitze des griechischen Feuers, mit Recht so genannt, da nur griechische Hände es bereiten können und nur durch sie seine Blitze auf den bestürzten Feind geschleudert werden können.« Nachdem der Kaiser sich im Kreise umgeblickt hatte, sprach er, ohne sich durch die Blässe auf den Gesichtern seiner Räte beirren zu lassen, in zuversichtlichem Tone fort: »Die schlimme Zeitung, die Unser teurer Schwiegersohn, der Cäsar, Uns gebracht hat, meine würdigen und ernsten Räte, nötigt Uns, die Abendandacht, die wir den Musen schulden, abzukürzen, denn sie stimmt Uns nicht bloß zum Nachdenken, sondern legt Uns auch die Pflicht auf, über Mittel und Wege zu sinnen, wie Wir ihr günstige Seiten abgewinnen können. Darum wollen Wir Uns jetzt verabschieden. Auf Wiedersehen im Staatsrat, meine edlen und getreuen Räte!« Die Höflinge überboten einander in Wünschen, daß diese fleißigen Studien keine schlimmen Folgen für die Gesundheit haben möchten. Nikephoros reichte seiner schönen Gemahlin den Arm. »Mein Cäsar,« sagte die Dame, »in dem Berichte, den Du uns heute gebracht, hast Du Dich so eleganter Wendungen bedient, daß ich fast meinen möchte, die neun Göttinnen, denen dieser Tempel geweiht ist, haben Dir Sinn und Form eingegeben.« – »Der Genius meiner eigenen Muse,« erwiderte Nikephoros, »birgt alle die Eigenschaften in sich, die den heidnischen Gottheiten des Parnasses von den heidnischen Völkern des Altertums zuerteilt wurden.« – »Vortrefflich gesprochen,« erwiderte die gelehrte Frau; »wenn Du aber Dein Ehgemahl über Verdienst mit Lob beschwerst, so mußt Du schon die Liebenswürdigkeit hinzufügen, ihr Deinen Arm zur Stütze zu lassen.« Als sich die kaiserliche Familie entfernt hatte, ging die Versammlung auseinander, um jeder für sich andere Gesellschaft aufzusuchen, in der sie sich freier und ungezwungener bewegen konnten als in diesem den Musen geweihten Tempel. Sechstes Kapitel Der Kommandant führte den Waräger wieder auf dem gleichen Wege, den sie hergekommen waren, aus dem Palaste ins Freie hinaus, und als der letztere die vielen Türme, Giebel und Mauern hinter sich wußte, fühlte er sich wie von einer Zentnerlast erleichtert und blickte mit wahrer Herzenswonne zu dem tiefblauen griechischen Himmel auf, dessen Sterne in ungewöhnlicher Helligkeit funkelten. Es war ihm zumute, als sei ihm nach langer Kerkerhaft die Freiheit wiedergegeben worden. Er mußte dem übervollen Herzen Luft machen und redete sogar, im Gegensatz zu seiner sonstigen Gewohnheit, seinen Vorgesetzten an: »Tapferer Hauptmann, die Luft in den Mauern, die wir glücklich hinter uns haben, mag ja süß sein, wirkt aber erstickend; man meint mehr, in einer Totengruft sich zu befinden als in einer menschlichen Wohnung.« – »Freue Dich,« erwiderte Tatius, »wenn Wohlgerüche, die, statt Tod zu säen, Tote lebendig machen könnten, den stumpfen Sinn in Dir ersticken, statt aufzufrischen. Aber das muß Dir der Neid lassen, daß Du, als Barbar, der im beschränkten Kreise eines Wilden das Licht der Welt erblickt hat, heute eine Probe gut bestanden hast, der kein anderer aus meiner erlesenen Schar gewachsen gewesen wäre. Ich schließe hieraus, daß die Natur Dich zu Höherem bestimmt hat. Aber sprich: ist Dir nicht auch brühwarm der Lohn dafür zuteil geworden?« – »Ich will das nicht in Abrede stellen,« erwiderte der Waräger, »die Freude, davon, daß Normannen hierher unterwegs sind, vierundzwanzig Stunden früher als meine anderen Kameraden Kenntnis erhalten zu haben, ist für das bißchen Ungemach, aus Frauenmunde über Dinge einen Vortrag mit anzuhören, von denen sie keinen Dunst hat, und Männer, die auch nichts dabei zu tun gehabt, dazu katzbuckeln und scherwenzeln zu sehen, immerhin, wenn auch keine große, so doch eben eine Entschädigung.« – »Hereward! Hereward! mich will bedünken, der Verstand gehe mit Dir durch,« ereiferte sich der Kommandant, »ich glaube, es wäre gut, Dich einem erprobten Manne unterzustellen, der Dir die Zügel ein wenig stramm hält. Merke Dir, daß zu viel Kühnheit zu Tollkühnheit führt! Und wenn es Dich eitel machen sollte, daß Du einer im Purpur geborenen Prinzessin, die meine Augen kaum anders als hinterm Schleier zu sehen gewohnt sind, frei ins Auge hast blicken dürfen, dann bist Du, fürwahr! von Tollheit nicht fern!« – »Meinetwegen!« versetzte Hereward; »aber sagt mir doch, wozu mögen schöne Larven denn auf der Welt sein, wenn man sie nicht ansehen soll? Und wozu mag unser Herrgott den jungen Männern die Augen in den Kopf gesetzt haben, wenn nicht zum Sehen?« – »Immerhin möchte ich meinen, daß Du der Prinzessin eher keck als züchtig, in die Augen geblickt hättest!« – »Bester Hauptmann, oder, wenn Ihr es lieber hört, bester, Akoluth,« erwiderte der Angelsachse, »treibt einen Menschen, der gewohnt ist, zu reden, wie es ihm ums Herz ist, nicht aufs äußerste, wenn er weiter nichts will, als sich der Familie seines Kaisers dienstwillig erweisen. Kann ich es ändern, wenn die Kaisertochter und Cäsarsgemahlin so recht aussieht wie ein schmuckes, liebes Weibchen? Wenn ich auch keine hohe Meinung von ihrer schreibseligen Ader hege, so würde ich mich doch keinen Augenblick besinnen, jeden, der sich über ihre Frauenschönheit abfällig äußern wollte, in die Schranken zu fordern. Ich will ohne weiteres zugeben, daß es noch schönere Damen gibt als die Prinzessin Anna Komnena; und zwar um so bereitwilliger lasse ich's gelten, als ich selbst schon eine Dame gesehen habe, die mir weit schöner als sie zu sein bedünkt. Somit können wir wohl, meiner Meinung nach, die Unterredung als abgeschlossen betrachten?« »Deine Dame, Du Simpel!« rief Achilles, »ist sicher das Kind eines nordischen Bauern, der neben jenem Bauerngute hauste, in welchem jener Esel geworfen wurde, der vor Dummheit und Uebermut aufs Eis tanzen ging?« – »Hauptmann,« versetzte der Waräger, »redet, wie es Euch beliebt! Für uns beide bleibt's doch einmal das beste, die Unterhaltung fallen zu lassen. Haltet Ihr mein Urteil nicht viel wert, so ich das Eurige um nichts werter; und eine Person, die Ihr noch mit keinem Auge gesehen habt, verkleinern zu wollen, kann Eurem Sinne, wenn derselbe wirklich verständig ist, wohl nicht beikommen. Tätet Ihr es aber, wenn Ihr sie gesehen, so dürfte ich Eure Worte, wenngleich Ihr mein Vorgesetzter seid, so geduldig kaum hinnehmen!« Es war nicht die Weise des Akoluthen, die hitzigen Gemüter der ihm unterstellten Waräger aufs äußerste zu bringen oder sich ihnen gegenüber mehr herauszunehmen, als sie vertragen konnten; zudem war Hereward einer von jenen Warägern, die es unbedingt ehrlich mit ihren Vorgesetzten meinten, ohne jeden Vorbehalt oder Hintergedanken: und so meinte der Kommandant, am besten zu tun, wenn er klein beigab und gutwillig eingestand, daß es ihm durchaus fern gelegen habe, den Empfindungen des jungen Kriegers irgendwie nahe zu treten. Das war auch wirklich der beste Weg, den aufgestiegenen Groll zu ersticken, und Achilles Tatius, dem daran gelegen war, noch über eine andere Sache mit Hereward zu sprechen, begann nach einer längeren Pause, als sie sich den Kasernen genähert hatten, in einem weit vertraulicheren Tone als bisher: »Mein Freund, ich gehe wohl nicht fehl, wenn ich annehme, daß Dir von den Personen, die Du in der geheiligten Gegenwart des Kaisers und seiner Familie gesehen, keine entgangen ist? Daß Du Dich vielmehr auch jenes Mannes von unhöfischem Aeußeren erinnerst, der sich den ganzen Abend über, wie es immer seine Gewohnheit, in der kaiserlichen Gegenwart nicht niedersetzte?« »Ihr meint den Greis mit der großen Glatze und dem langen, weißen Barte, der bis zu dem Tuche niederwallt, mit dem er statt der seidenen Schärpe der andern Hofleute seine Lenden gürtet?« – »Du verstehst zu schildern, Waräger,« antwortete Achilles: »ist Dir noch mehr an dem dicken Herrn aufgefallen?« – »Daß sein Anzug wohl aus grobem Stoffe, aber reinlich war, und daß es mir vorkam, als wolle der Mann wohl zeigen, daß er arm sei und höfische Tracht verachte, gleichwohl aber Ordnung und Sauberkeit liebe.« – »Bileam hat sich, fürwahr! nicht ärger verwundern können, als sein Esel sich zu ihm wandte und redete, als ich mich wundere über die scharfe Beobachtungsgabe, die Dir zu eigen ist, Freund Hereward! Ich merke, man muß sich vor Deinen Augen nicht minder hüten als vor Deiner Axt!« – »Nichts für ungut, Kommandant: aber wir Engländer haben sowohl Augen als Hände, gestatten aber unserer Zunge, nur dann zu reden, wenn es sich mit unserer Pflicht vertragt. Ich habe auf die Reden, die der Greis führte, nur wenig geachtet; immerhin hat er auf mich den Eindruck gemacht, wie wenn er ein wenig zu Hanswurstiaden neigte, freilich im Widerspruch zu seinem Gesicht, so daß man meinen könnte, es verstecke sich dahinter irgend welche tiefere Absicht.« »Du redest wahr, Hereward!« rief Achilles, »Agelastes ist ein Rätsel, wie auf Erden wohl nur selten wieder eines gefunden worden; er ist im Besitz der Weisheit der Alten und dabei durchtrieben wie Brutus, der ja bekanntlich auch sein großes Talent hinter der Maske eines Spaßmachers zu verbergen liebte. Er begehrt weder ein Amt, noch trachtet er nach einer Auszeichnung, sondern erscheint nur am kaiserlichen Hofe, wenn er geladen wird. Aber ohne daß er es sich sauer werden ließe, gewinnt er Einfluß auf die Menschen und Gewalt über sich; er soll sogar Umgang pflegen mit anderen Wesen, denen unsere Ahnen Opfer darbrachten, aber so wahr ich Achilles Tatius und Kommandant der Warägergarde bin, den Weg, auf dem er so leicht und hoch zu dem Gipfel steigt, den wir andern Hofleute nur mühsam erklettern, muß ich kennen lernen, und es müßte schlimm zugehen, wenn er die Leiter nicht mit mir teilte oder ich sie ihm nicht unter den Füßen wegziehen sollte. Zum Beistand hierbei, Hereward, habe ich Dich ersehen,« – »Sehr verbunden, Euer Edlen,« antwortete der Waräger, aber bei weitem nicht mit der Begeisterung, deren sich Achilles versehen hatte, »was meine Pflicht und, Schuldigkeit ist, will ich gern tun und Euch in allem zu Diensten sein, was sich mit dem Dienste Gottes und des Kaisers verträgt. Bloß merkt Euch, daß ich als Mann, der seinen Diensteid geleistet hat, nichts tun werde, was wider den Kaiser ist, und als gläubiger, wenn auch unwissender Christ stets die Satzungen der heiligen Kirche zur Richtschnur meines Handelns nehmen werde.« – »Simpel!« rief Achilles, »als einer der höchsten Würdenträger dieses Kaiserreiches werde ich wohl gerade Neigung hegen, wider Kaiser und Kirche zu handeln?« – »Fürwahr! das sollte auch niemand mehr in Betrübnis setzen als mich! Immerhin müssen wir gerade darum, weil wir in solchem Labyrinthe wandeln, Sorge tragen, daß wir uns nicht verirren, sondern immer auf dem geraden Wege verweilen. Es wird hier in so mancherlei Weise gesprochen, daß sich recht oft der rechte Sinn der Rede nicht erkennen läßt. Bei uns zu Lande hingegen ist's üblich, so unverblümt zu reden, daß es dem ärgsten Wortklauber schwer fallen möchte, zweierlei Sinn aus einer Rede heraus zu spintisieren.« Der Akoluth blieb stehen und reichte dem Waräger die Hand – eine besondere Auszeichnung, die wohl kaum einem andern seiner Untergebenen erwiesen worden war. »Gut für heute,« sagte er, »wir wollen morgen weiter darüber reden. Finde Dich nach Sonnenuntergang in meiner Wohnung ein. Bis dahin sollst Du freier Herr Deiner Zeit sein. Amüsiere Dich oder ruhe Dich aus! Willst Du meinem Rate folgen, so laß das erste und tu das andere, denn morgen dürften wir wohl wie heute lange Nacht machen müssen!« Sie trennten sich vor den Kasernements: der Kommandant verfügte sich in die ihm als Wohnung dienende Reihe von glänzenden Gemächern, der Waräger in einer der bescheiden eingerichteten Mannschaftszellen. Siebentes Kapitel Zeitig am andern Vormittag versammelte sich der Staatsrat; die große Anzahl hoher Kronbeamten mit wuchtigen Titeln war ebenso darauf berechnet, die Schwäche des Reiches zu bemänteln, wie die stattliche Menge von Offizieren, um über den geringen Mannschaftsstand des Heeres zu täuschen. Es war demnach ein gar langer Schweif von betreßten und uniformierten Herren, die in die große Haupthalle des Blachernä-Palastes eintraten, aber die zeremoniellen Vorschriften an diesem despotischesten aller Höfe waren so ausgeklügelt und verzopft, daß in jedem Gemache, wohin der Zug gelangte, einige davon zurückblieben, weil ihnen ihr Rang den weiteren Zutritt wehrte. Bis zum eigentlichen Audienzsaale waren der Gemächer gerade ein Dutzend zu passieren, und so waren schließlich gerade noch fünf Personen übrig geblieben, die bis zu dem innersten und heiligsten Gemache der kaiserlichen Würde, das mit allem Prunke des Zeitalters ausgestattet war, vordringen durften. Kaiser Alexius saß auf einem herrlichen Throne, der mit Edelsteinen und Gold überladen und zu beiden Seiten, wahrscheinlich zur Nachahmung salomonischer Pracht, mit einem ruhenden goldenen Löwen dekoriert war. Ueberschattet wurde der Thron von den goldenen Zweigen eines Baumes, dessen goldener Stamm seine Rückseite bildete; auf den Aesten und Zweigen, wie unter dem Laube, glitzerten allerhand künstliche Vögel und Insekten in der schillerndsten Farbenpracht, und die mannigfachsten Früchte, sämtlich aus Juwelen und Edelsteinen zierlich gebildet, hingen von den Aesten und Zweigen hernieder. Dieses geheiligte Gemach zu betreten, war das ausschließliche Recht der fünf höchsten Kronbeamten, wenn der kaiserliche Rat versammelt wurde, nämlich des Majordomus, dessen Rang und Amt etwa demjenigen eines Ministerpräsidenten im modernen Staatswesen entsprechen dürfte; dem Logothet oder Reichskanzler; dem Protospatharius oder Oberbefehlshaber des Reichsheeres; dem Akoluth oder Kommandanten der kaiserlichen Warägergarde, und dem Patriarchen als Oberhaupt aller kirchlichen Behörden im Reiche. Die Portale, die zu diesem geheiligten Raume des Palastes fühlten, wurden durch sechs nubische Sklaven gehütet, deren schwarze, verschrumpfte Gesichter in widrigem und grellem Gegensatze zu ihrer weißen Tracht mit dem glitzernden Harnisch darüber standen. Damit sie nicht die Taten der despotischen Herrscher, ausplaudern könnten, deren blinde Werkzeuge sie waren, wurden sie der Fähigkeit der Sprache durch Ausreißen der Zunge beraubt, nach dem bei asiatischen Despoten in Uebung befindlichen Brauche. Ein weiterer, aus Asien entlehnter Brauch bestand darin, daß vermittelst einer künstlichen Vorrichtung die beiden Thronlöwen den Eintritt jedes Fremden in das Staatsgemach durch lautes Gebrüll verkündeten, daß ein Windstoß durch das goldene Laub der Bäume fuhr, daß die goldenen Vögel von Ast zu Ast hüpften, an den goldenen Früchten pickten und ihr mechanisches Gezwitscher hören ließen. Das Ganze war weiter nichts als kindische Spielerei und hatte doch schon manchen der beim Reiche akkreditierten Botschafter und der an den kaiserlichen Hof gesandten Boten in Schrecken gesetzt; und kein kaiserlicher Rat durfte sich dem Throne nahen, selbst wenn es zum halbhundertsten Male geschah, ohne über das Löwengebrüll zu erschrecken und das Vogelgezwitscher zu bewundern. Heute indessen wurde den fünf obersten Staatsbeamten der kindische Brauch erlassen, was als ein bedeutsames Zeichen der Dringlichkeit der bevorstehenden Sitzung aufgefaßt werden mußte. Die Rede, mit welcher der Kaiser sie eröffnete, setzte mit einer an das Löwengebrüll gemahnenden Stärke ein, ging aber in süßlichen, dem Vogelgezwitscher ähnlichen Tönen aus. Sie wandte sich zuerst drohend gegen die zahllosen Heerscharen der Franken, die unter dem Vorwande, Palästina den Ungläubigen zu entreißen, sich der schmählichen Verletzung kaiserlichen Reichsgebietes schuldig gemacht hätten, und bedrohte die Eindringlinge mit schweren Züchtigungen; er verweilte indes nicht eben lange bei diesen, von den anwesenden Militärs mit Beifall begrüßten Ausführungen, sondern legte nach einigen schicklichen Uebergangsworten dar, daß man freilich in den Franken keine barbarischen Horden, sondern Christenheere zu erblicken hätte, deren Ziele doch vielleicht, wenn auch auf Irrtümern fußend, eine nachsichtige Beachtung bedängen. Zudem kämen sie nicht bloß in großen Scharen, sondern in großen Heeren, und hätten von ihrer Tapferkeit die rühmlichsten Beweise gegeben, wie namentlich in der großen Schlacht bei Durazzo. Sie seien mithin Gegner, die nach allen Seiten hin ernst aufzufassen seien, könnten aber, menschliche Weisheit und göttliche Fügung vorausgesetzt, leicht zu vorteilhaften Werkzeugen für das allerheiligste Reich umgewandelt werden. Sein Plan ginge deshalb dahin, zu der Tapferkeit, die das Herz eines Kaisers immer entflammen müsse, Klugheit, Humanität und Großmut zu gesellen, und um sich Klarheit darüber zu verschaffen, ob er hiermit das Richtige gewählt habe, richte er zunächst an den Majordomus die Frage, auf welche Streitkräfte westlich vom Bosporus gezählt werden dürfe. . »Unzählig wie die Sterne am Himmel und wie der Sand am Meere ist die Streitmacht, die Kaiserlicher Majestät zu Gebote steht!« lautete die Antwort. – »Eine vortreffliche Rede, Majordomus,« erwiderte der Kaiser, »falls Reichsfremde an diesem Staatsrate teilnähmen; da wir aber in geheimer Sitzung beraten, so wollen wir alle Umschweife vermeiden. Ich muß wissen, was ich unter dem Ausdrucke unzählig, den Du brauchest, zu verstehen habe.« Diese Worte belehrten den Majordomus, daß heute mit dem Kaiser nicht zu spaßen sein werde, und so überdachte er sich eine Weile, bevor er seine Antwort, wie folgt, formulierte: »Kaiserliche Majestät wissen am besten von uns allen hier, wie schwer es ist, auf diese Frage verläßliche Auskunft zu geben. Ungerechnet die auf Urlaub befindlichen Mannschaften, wird sich die Stärke des zwischen der Hauptstadt und der Westgrenze des Reiches in Etappen verteilten Heeres auf etwa fünfundzwanzig- bis höchstens dreißigtausend Mann veranschlagen lassen.« Der Kaiser schlug sich mit der Hand vor die Stirn, zum Zeichen des Verdrusses, den er fühlte. Die Räte, bestürzt hierüber, ergingen sich daraufhin in Auseinandersetzungen, die sie weit lieber für eine andere Zeit und einen anderen Ort aufgespart hätten. »Im letztverwichenen Jahre,« ergriff der Logothet das Wort, »ist aus dem Schatze Kaiserlicher Hoheit, wie mir Dieselben vertraut haben, soviel Gold entnommen worden, daß reichlich die doppelte Zahl von Bewaffneten, die der Majordomus angibt, unterhalten werden könnten.« – Mit Eifer äußerte hierauf der Majordomus, daß Kaiserliche Majestät zu den Linientruppen noch die Besatzungstruppen rechnen müsse, die von dem Vorredner dem Anschein nach nicht in Betracht gezogen würden. – »Ruhe, ihr Herren!« nahm der Kaiser wieder das Wort, »Unsere Heeresmacht ist allerdings um vieles geringer, als Wir dachten. Indessen wäre es sicher verkehrt, durch Zwist die Not der Zeit zu verschlimmern. Unsere Truppen sollen zwischen Unserer Hauptstadt und der Westgrenze des Reiches in Tälern und Pässen, auf Höhen und andern schwierigen Punkten derart verteilt werden, daß man ihre geringe Stärke höher einschätzt. Unterdes werden Wir mit den Kreuzfahrern, wie sich die fremden Heerscharen nennen, in Unterhandlung über die Durchzugsbedingungen treten und erwarten, hieraus Vorteile für das Reich zu gewinnen. So gedenken Wir ihnen den Durchzug nur in Abteilungen bis zu fünfzigtausend Mann und den Anmarsch zu Unserer Hauptstadt nur immer einer solchen Abteilung zu gestatten, so daß die Sicherheit derselben nicht bedroht werden wird. Wir sind willens, wenn sich die durchziehenden Heerscharen friedlich betragen und ordentlich führen, für ihren Unterhalt zu sorgen. Etwaige Marodeure werden durch die kräftigen Bauern Unseres Landes ohne direkten Befehl von Uns – denn Wir wünschen nicht, in offene Fehde mit den Feinden zu treten – zur Räson gebracht werden. Des weiteren versehen Wir Uns von seiten der in Unserem Reichsgebiete befindlichen Skythen, Araber, Syrer und anderer Söldner aller Beihilfe gegen etwaige Versuche der Eindringlinge zur Schädigung Unserer Untertanen; es soll Uns auch durchaus nicht befremden, da Wir nicht gewillt sind, Unser Land um der fremden Menschen willen in Armut zu stürzen, wenn unter die Mehllieferungen hin und wieder ein Sack voll Kreide oder Kalk geschmuggelt wird. Ein Frankenmagen kann bekanntlich Erstaunliches vertragen. Auch sollen die Führer, die aus Unseren Bürgern und Bauern von den Fremden genommen werden, nicht immer die besten und kürzesten Wege weisen, und zwar im eigensten Interesse der Fremden, weil es denselben anders ja schwer fallen möchte, sich an die Widerwärtigkeiten von Land und Klima zu gewöhnen. Wir selbst wollen Uns unterdes bemüht zeigen, – und Gleiches empfehlen Wir allen Unseren Räten und Beamten – dem Hochmut der fremden Heerführer, die sich nicht geringer als ein Kaiser dünken, nicht zu nahe zu treten, anderseits aber keine Gelegenheit verabsäumen, ihnen schickliche Begriffe von Unseres Reiches Macht und Stärke zu geben. Wo es angebracht erscheint und wo Vorteile dadurch winken, soll mit der Verteilung von Geld nicht gegeizt werden, sei es an Hoch-, sei es an Niedriggestellte. Solcherweise bezweifeln Wir nicht, daß es gelingen werde, über diese auf einander eifersüchtigen und aus aller Herren Ländern zusammengelaufenen Franken so viel Macht zu gewinnen, daß es ihnen vorteilhafter erscheinen wird, Uns als ihren Oberherrn zu erkennen, statt sich aus ihren eigenen Kreisen einen solchen zu erküren; denn der Tatsache, daß jeglicher Ort Palästinas von Dan bis Berseba ursprünglich ein Teil Unseres heiligen römischen Reiches sei, und daß jeglicher Christ, der dort auf Eroberung ausgeht, solches nicht anders tun könne denn als Uns untertan und angewiesen auf die Uns schuldige Lehnspflicht, wird sich im großen und ganzen keiner dieser Kreuzfahrer verschließen können.« Die fünf hohen Räte neigten das Haupt und riefen: »Lang lebe der Kaiser!« worauf Alexius ihnen nochmals einschärfte, die von ihm gegebenen Direktiven streng einzuhalten, und mit den Worten schloß: »Den Befehl über die Schar der Unsterblichen, die in der Hauptstadt verbleibt und zu der sich Unsere Warägergarde zu gesellen hat, übernehmen Wir selbst, um an ihrer Spitze die Ankunft dieser Kreuzfahrer zu erwarten. Wir werden, solange es angeht, jedem Kampfe aus dem Wege gehen und nur im schlimmsten Falle Uns auf einen solchen einlassen, indessen immer bereit bleiben, Uns demjenigen zu fügen, was der allmächtige Herr der Schöpfung über Uns verhängen wird.« Hierauf ging der Staatsrat auseinander. Die verschiedenen Kronbeamten begaben sich nach ihren verschiedenen Abteilungen oder Aemtern, und nun konnte man den Charakter des Griechenvolkes in seiner vollen Eigentümlichkeit kennen lernen, denn ihre laute, großsprecherische Art, Geschäfte zu verrichten, konnte – worauf es dem Kaiser in erster Reihe ankam, nicht verfehlen, von der Größe und dem Reichtum des oströmischen Reiches eine günstige Meinung zu erwecken; daß sie nebenbei – auch entsprechend ihrem Charakter – nicht unterließen, bei allem, was mit Geld im Zusammenhange stand, tüchtig in die eigene Tasche zu arbeiten, wollen wir jedoch hier ebensowenig verschweigen. Die Nachricht von dem Herannahen des gewaltigen Völkerheeres und seiner Absicht, nach Palästina zu ziehen, verbreitete sich nun mit wachsender Eile in der Hauptstadt. Wie immer bei solchen Anlässen, mischte sich Wahrheit und Dichtung. Manche wollten wissen, Zweck des fränkischen Zuges sei die Eroberung Arabiens und die Zerstörung des Prophetengrabes; andere behaupteten, daß für die Franken, doch Konstantinopel das nächstliegende Plünderungsobjekt sei; noch andere behaupteten, der griechische Patriarch solle gezwungen werden, sich der päpstlichen Oberhoheit zu unterwerfen, die Form des lateinischen Kreuzes anzunehmen und das Kirchenschisma fallen zu lassen. Für die Warägergarde sorgte Hereward noch für eine besondere Freude durch die Nachricht, daß ein normannisches Heer unter dem Sohne des berühmten Wilhelm des Eroberers, Herzog Roberts, im Anrücken sei, und, wie sich nicht anders erwarten ließe, mit besonders feindlicher Absicht gegen die Waräger, die sie sogar bis hierher zu verfolgen trachteten, getrieben von dem unausrottbaren Hasse wider alles, was angelsächsisch ist und von angelsächsischem Blute stammt. Alle Waräger verschwuren sich nun, das Blutbad von Hastings, wo ihr König Harald dem Normannen Wilhelm unterlag, mit der Schärfe ihrer Streitäxte an den normannischen Teilnehmern des Kreuzzuges zu rächen, und sie setzten Hereward vom frühen Morgen bis zur späten Nacht mit Fragen und Vermutungen so zu, daß er es bald bereute, sie mit dieser Neuigkeit versorgt zu haben. Gegen Mittag kam dann aus dem Munde des Kommandanten Achilles Tatius die weitere Kunde, daß die Waräger zusammen mit den Scharen der Unsterblichen unter den Wällen der Stadt ein Lager zu beziehen hätten, um zur Verteidigung derselben sofort bereit zu sein. Das lenkte die Waräger auf andere Dinge, denn sie erwarteten nun alsbald den Ausbruch von ernsten Feindseligkeiten und wußten sich vor Jubel darüber nicht zu fassen. Hereward aber, von dem Wunsche nach Einsamkeit erfüllt, begab sich, ohne sich von jemand aufgehalten zu sehen, aber von vielen Blicken verfolgt, weil überall die Meinung bestand, daß er weit mehr noch über die großen Tagesneuigkeiten wissen müsse, seit er Zutritt zu dem Kaiser in dessen Privatgemächern gehabt habe – aus den lichteren Baumreihen in die dunkleren, von den schmäleren zu den breiteren Terrassen; aber die Empfindung, doch nicht allein zu sein, wollte nicht von ihm weichen. Es währte auch nicht lange, so sah er einen schwarzen Sklaven hinter sich her schleichen; zwar verlor er ihn auf Minuten aus dem Gesichte, aber immer tauchte er in gewissem Abstande wieder hinter ihm auf. Endlich wurde es dem Waräger unangenehm, sich so verfolgt zu sehen: er drehte sich rasch um, trat dem Neger an einem einsamen Orte gegenüber und fragte ihn, was ihm einfiele, hinter ihm her zu schleichen, und ob er es auf jemands Befehl oder aus eigenem Willen tue? Der Neger erwiderte in einem dem Waräger kaum verständlichen Kauderwelsch, daß er Befehl habe, zu beobachten, wohin der Waräger sich begebe. – »Von wem Befehl?« rief der Waräger. – »Von meinem Herrn und von dem Euren,« sagte der Neger. – »Ungläubiger Hund!« rief der Waräger, »hätten etwa wir schon zusammen Kameradschaft gehalten? Wen also wagst Du meinen und Deinen Herrn zu nennen?« – »Einen, welcher Herr über die Welt ist, da er seinen Leidenschaften Zügel anzulegen weiß,« erwiderte der Neger. »Laß Dir nicht beikommen, mich mit dergleichen Weisheitsbrocken abzuspeisen,« rief der Waräger, »es könnte Dir sonst klar werden, daß mir die Fähigkeit zum Schaden anderer abgeht, meine Leidenschaften zu beherrschen. Also: was willst Du von mir? und weshalb schleichst Du mir nach?« – »Ich habe es doch schon einmal gesagt: auf Befehl meines Herrn!« – »Wer ist Dein Herr?« – »Das muß er Dir selbst sagen; denn darüber, wie auch über die Absicht, die er mit Dir verfolgt, hat der arme Sklave kein Recht, zu schwatzen.« – »Er hat Dir aber die Zunge zum Schwatzen gelassen!« rief der Waräger, indem er drohend die Axt hob; »sperr' Dich nicht länger, oder ich lehr' Dich auf andere Weise, mir zu sagen, was Du Dich zu sagen weigerst!« – »Schlagt Ihr den armen Sklaven nieder, so entzieht Ihr Euch auch die Möglichkeit, von seinem Herrn zu hören, was er von Euch will; denn wie sollt Ihr dann erfahren, wer der Herr ist? Noch ein paar Schritte, und Ihr werdet dem gegenüberstehen, der mich schickt; wozu wollt Ihr Eure Ehre besudeln, indem Ihr einen Wehrlosen erschlagt?« – »So geh' weiter voran! aber glaube mir, daß ich mich mit Worten nicht narren lasse! Zeig' mir den frechen Wicht, der sich herausnimmt, mir Spione an die Fersen zu heften!« Mit einem Scheelblick, der trefflich zu dem Gesicht voll Bosheit und Tücke paßte, ging der Neger weiter, während der Waräger argwöhnisch folgte; unterwegs sah sich der Neger wiederholt um, und mit so scharfem, durchbohrendem Blicke, daß Hereward wiederholt meinte, es möge klüger für ihn sein, nicht weiter zu folgen; und je näher sie dem Ziele kamen, desto öfter kam dem Waräger diese Meinung. Der Weg ging von der Terrasse nach dem Meeresufer zu, an eine Stelle, die mehr im Hintergrunde des Goldenen Hornes lag und mit Getrümmer augenscheinlich sehr hohen Alters bedeckt war. Während die Pflanzenwelt sonst überall üppig wucherte, standen hier nur einige spärliche Zypressen. Was von den Trümmern noch zu unterscheiden war, ließ einen von dem griechischen stark abweichenden Stil erkennen, aber zu bestimmen, was für ein Stil es sei, war nicht möglich, dazu war selbst der Portikus, als den man den einen Haufen hätte ansprechen können, nicht mehr erhalten genug; bloß die auf den Kolossalstatuen befindlichen Zeichen, die aber auch fast nicht mehr zu erkennen waren, standen bei den Bewohnern Konstantinopels in dem Ansehen ägyptischer Hieroglyphen, und hieraus hatte sich die Sage gebildet, daß die Trümmer von einem uralten Kybele-Tempel herrührten, der zu einer Zeit gebaut worden sei, als Konstantinopel noch den Namen Byzanz geführt habe, daß also vor Jahrhunderten, wie in allen Kybele-Tempeln, auch hier die schändlichsten Genüsse ihren Kultus gehabt hätten. Als das Christentum zur Staatsreligion durch Konstantin den Großen erhoben worden, sei der Tempel niedergerissen und zerstört, die Stätte, wo er gestanden, als unheilig erklärt und verflucht worden. Dem Waräger war der üble Ruf dieser Oertlichkeit nicht fremd, und als der Neger sich anschickte, in das alte Getrümmer zu dringen, blieb Hereward stehen und erklärte, keinen Fuß weiter setzen zu wollen, ehe ihm nicht gesagt worden sei, wer und was ihn hier erwarte. Der Neger aber, ohne mit einem Worte zu erwidern, trat beiseite, wie wenn er dem Waräger Platz machen wollte, und am Ende eines halbversteckten, kaum sichtbaren Pfades, vor einer halbverfallenen Nische, erblickte er, auf einer Grasnarbe sich sonnend, – den Philosophen Agelastes. Achtes Kapitel Als er Herewards ansichtig wurde, sprang der wohlbeleibte Greis rascher, als es sich von ihm hätte vermuten lassen, vom Boden auf. »Willkommen, o tapferer Waräger,« rief er ihm entgegen, »gleichviel, welche Ursache Dich hierher geführt haben mag!« – »Mich hat ein Neger hergeführt,« erwiderte Hereward, »der mir vorredete, es sei Euer Begehr, mich zu sehen. Wohl habe ich gemerkt, daß der schwarze Musje etwas vom Spötter an sich hat. Sollte er mich belogen haben, so bleibt mir nur übrig, mich in schicklicher Weise bei Euch zu entschuldigen, daß ich Euch in Eurer Einsamkeit gestört habe, und mir zu überlegen, ob ich dem verlogenen Burschen die Schläge, die er dann verdiente, schenken werde oder nicht.« – »Mein Neger Diogenes hat, wie Ihr bemerkt habt, seine Schrullen; aber er hat auch andere Eigenschaften, die ihn Leuten von anderer Farbe und mit schöneren Zügen ebenbürtig machen.« – »Was aber könnte Eure Weisheit mit mir zu reden haben?« – »Als Beobachter der Natur,« erwiderte der Philosoph, »werden mir Dinge, die bloß eine künstliche Außenseite haben, leicht überdrüssig, so daß ich mich zuweilen nach echter Natur sehne.« – »In mir seht Ihr aber schwerlich viel Natur,« versetzte Hereward, »denn bei uns Soldaten ist doch alles Drill! Lager, Hauptmann, Rüstung bilden bei uns den Geist und die Glieder, gleichwie den Seekrebs die Schale. Seht Euch einen von uns an, und Ihr seht alle!« – »Daran sei mir doch Zweifel erlaubt,« erwiderte Agelastes, »denn ich bin der Meinung, daß in Waltheoffs Sohne mit Namen Hereward ein außerordentlicher Mensch steckt, obwohl er in seiner Bescheidenheit seinen Wert selbst nicht kennt.« »Waltheoffs Sohn?« rief der Waräger betroffen; »Ihr kennt den Namen meines Vaters?« – »Sei nicht darüber verwundert!« antwortete der Philosoph; »viel Mühe hat's mich nicht gekostet. Hoffentlich kostet es mich nicht größere Mühe, Dich von der Aufrichtigkeit meiner Freundschaft zu überzeugen.« – »Daß ein Mann von Eurem Range und Eurer Weisheit es der Mühe für wert hält, sich unter der Warägergarde nach dem Vatersnamen eines ihrer Unteroffiziere zu erkundigen,« sagte Hereward, »ist für die Garde unstreitig höchst schmeichelhaft. Mein Kommandant, der Akoluth, dürfte sich solche Mühe kaum machen mögen.« – »Meines Wissens habt Ihr einen sehr hohen Herrn kennen gelernt,« versetzte Agelastes, »der nicht minder die Eigenschaft besitzt, sich um die Namen seiner Jagdhunde mehr zu bekümmern als um die seiner Soldaten; ja, dem es wohl am liebsten wäre, er könnte sie wie diese durch einen Pfiff an seine Seite rufen.« – »Solche Reden möchte ich mir verbeten haben,« sagte der Waräger. – »Es lag nicht in meiner Absicht,« bemerkte hierauf der Philosoph, »Dich zu kränken, noch weniger, Dir die gute Meinung, die Du von jener Person gewonnen, zu schmälern. Immerhin befremdet es mich, bei jemand, der solche vortrefflichen Eigenschaften hat wie Du, solche Meinung zu finden.« – »Lassen wir dieses Thema,« sagte der Waräger, »so wunderlich es mir vorkommt, solche Reden aus dem Munde eines Mannes von Eurer Art zu hören, so möchte ich doch darauf erwidern, daß sowohl Schmeichel- wie Scheltworte bei mir verloren sind.« – »Gerade um dieser Charakterfestigkeit wegen bitte ich um Eure Freundschaft, bitte darum wie ein Bettler, und Ihr weigert sie mir wie ein Grobian.« – »Verzeiht, wenn jetzt ich Zweifel hege,« versetzte Hereward; »ich wüßte zum wenigsten nicht, von wem Ihr über meine Eigenschaften Kenntnis erhalten haben solltet, und zusammengetroffen sind wir doch meines Wissens erst einmal in unserem Leben, und daß ich Euch nichts bei dieser Gelegenheit über mich gesagt habe, dürftet selbst Ihr nicht abstreiten wollen.« – »Ihr seid im Irrtum, Sohn,« sagte Agelastes, »wenn Ihr mich für einen Mann haltet, der sich wegen Lappalien mit Euch befaßt. Sieh, wenn ich das zertrümmerte Anubis-Bild berühre, vermag ich den Geist, der hier lange orakelte, erscheinen zu lassen, vermag ich dem Steine da sein altes Leben wiederzugeben. Uns Eingeweihten gibt eben, wenn wir auf diese zertrümmerten Gewölbe stampfen, das Echo Antwort. Drum sollt Ihr Euch aber nicht der Meinung hingeben, daß ich mich um Eure Freundschaft bewerbe bloß in der Absicht, auf diese Weise zu Auskünften über Euch oder andere zu gelangen.« – »Merkwürdige Worte,« versetzte der Angelsachse; »doch sollen, wie mir mein Großvater Kenelm sagte, die gleißnerischen Worte der heidnischen Philosophie dem Christentum von größerem Schaden sein als die Drohungen heidnischer Tyrannen.« – »Euer Großvater Kenelm ist durch einen edlen Mönch vom Wodansglauben zum Christenglauben bekehrt und in der Kapelle des heiligen Augustinus beigesetzt worden.« – »So kanntet Ihr ihn?« – »Ja. Ob von Angesicht zu Angesicht oder in geistiger Hinsicht, tut ja nichts zur Sache.« – »Nun, er ist tot, aber eben darum sind mir seine Worte um so heiliger. Er hat mich vor Irrlehren falscher Propheten schon gewarnt, als ich noch nicht recht in den Sinn seiner Worte einzudringen fähig war.« – »Dein Großvater, Hereward, war ein braver Mensch, aber beschränkt wie wohl alle Priester; und wie sie, hätte auch er am liebsten die Betrachtung der überirdischen Welt auf unser sittliches Betragen in dieser und auf unsere Seligkeit in jener Welt beschränkt gesehen. Nichtsdestoweniger besitzt der Mensch, sofern es ihm nicht an Mut und Weisheit gebricht, die Freiheit, Umgang zu pflegen mit höheren Wesen, die über die dem Menschen gezogenen Schranken, wie die Rede heißt, lächeln und Hindernisse, die dem Laien als unüberwindlich erscheinen, durch ihre übersinnliche Kraft bezwingen.« »Das sind doch aber läppische Dinge, die der Mann belächelt,« sagte Hereward. – »Nicht doch,« versetzte Agelastes, »es liegt jedem Menschen der Wunsch im Grunde seines Herzens, Umgang zu pflegen mit mächtigeren Wesen, die über uns sind und uns nur übernatürlich erscheinen; ich brauche ja, zum Beweise dafür, daß ich die Wahrheit spreche, bloß an Dein eigenes Herz zu appellieren! Beschäftigen sich Deine Gedanken nicht eben jetzt mit einem Wesen, das, wenn nicht längst gestorben, so doch längst von Dir getrennt wurde? Bestürmen Dich nicht, wenn Du ihren Namen vernimmst, Empfindungen, die Du in Deiner kindlichen Einfalt längst begraben wähntest? Du erschrickst und bist betroffen? Nun, sofern Dir daran liegt, will ich Dir sagen, wie es um diese Bertha steht, deren Andenken Du noch immer in Deinem Busen trägst, trotz aller Mühsale Deines Standes.« Mit einem gewissen Zittern in der Stimme erwiderte der Waräger, der erst ein paar Minuten lang betroffen den Philosophen angestaunt hatte: »Wer bist Du, Mann, und was willst Du von mir oder mit mir? Auf welchem Wege hast Du Dinge zu Deiner Kenntnis gebracht, die für mich so viel, für andere so wenig wert sind? Nur eines kann ich sagen, daß Du, ob zufällig oder nicht, einen Namen ausgesprochen hast, der mir ins tiefste Herz geschrieben steht, aber ich bin Christ und bin Waräger, und es wird nie geschehen, daß ich Gott oder meinem Kaiser die Treue breche. Du hast gegen letzteren in Deine Rede ein paar sarkastische Worte eingeflochten; das allein erlegt mir die Pflicht auf, hinfort Deinen Umgang zu meiden, sei es im Glück, sei es im Unglück. Ich habe dem Kaiser meinen Diensteid geleistet, und wenn ich auch der Mann nicht bin, ihm nach Höflingsweise kleinliche Ehrfurchtsbeweise zu geben, so soll er doch nie in Verlegenheit kommen, wenn er sich auf Hilfe durch meine Streitaxt angewiesen sieht.« – »Das wird niemand zweifelhaft sein,« versetzte der andere, »aber meines Wissens stehst Du unter dem unmittelbaren Befehle Seiner Ehren des Akoluthen?« – »Der Dienstordnung nach ist er mein Vorgesetzter, hat sich gegen mich immer als ein freundlicher Herr erwiesen und mir oft Erleichterungen zuteil werden lassen, wo ich vielleicht kein Recht gehabt hätte, sie zu erwarten, geschweige zu fordern. Aber er ist Diener meines Fürsten so gut wie ich, und da wir beide einander schließlich durch ein einziges Wort fördern oder schädigen können, ist der Unterschied zwischen uns beiden schließlich so erheblich nicht!« – »Du sprichst mit großer Zuversicht von Deiner Kraft, und das gefällt mir an Dir wahrlich nicht zum wenigsten; gewiß! da Du ihn an Kriegskunst wie auch an Tapferkeit in Schatten stellst, so hast Du auch ein Recht, Dich mit ihm zu messen!« – »Ihr wollt mir da ein Lob zollen, das ich aber nicht gelten lassen kann,« antwortete der Waräger, »der Kaiser wählt seine Offiziere nach Verdienst, das heißt, soweit sie ihm Verdienst zu besitzen scheinen. Nach diesem Maßstabe würde ich ohne Zweifel zurückstehen müssen. Aber, wie schon einmal gesagt, ich habe meinem Kaiser den Diensteid geleistet und lehne jede weitere Auseinandersetzung mit Euch über dieses Thema ab.« – »Komischer Kauz!« sagte Agelastes, »vermögen Dich denn wirklich bloß Dinge zu bewegen, die Dir fremd sind?« – »Ich habe über das, was Du zu mir gesprochen, nachgedacht und muß wohl sagen, daß Du das Mittel gefunden hast, mein Herz in Aufruhr zu setzen; aber das reicht nicht hin bei einem Manne wie mir, auch meine Grundsätze zu erschüttern. Warum soll ich mit Dir über Dinge sprechen, die für Dich nicht wichtig sein können? Man sagt, daß Zauberer und Beschwörer sich zu ihrem schlimmen Werke des Namens unseres Allerhöchsten bedienen, es braucht also nicht zu verwundern, wenn auch der Name des allerreinsten Wesens unter seiner Sonne einmal dazu herhalten soll. Magst Du sonst welchen Zweck mit Deiner Rede verfolgen, sie wird in mein Herz keinen Eingang finden, denn es ist danach beschaffen, nicht bloß den Verführungen der Menschen, sondern auch denen des Teufels zu trotzen.« Mit diesen Worten drehte der Waräger sich um und verließ die Trümmerstätte, ohne ein weiteres Zeichen der Verabschiedung als ein leichtes Neigen des Kopfes. Der Philosoph war nicht lange allein, denn er wurde in seinem Sinnen durch den plötzlichen Eintritt des Kommandanten der Warägergarde gestört. Bevor derselbe jedoch das Wort nahm, musterte er eine Weile das Gesicht des andern. Als er sich über den Ausdruck desselben klar zu sein schien, fragte er: »Nun, weiser Agelastes, hast Du noch immer Vertrauen zu der von uns jüngst besprochenen Angelegenheit?« – »Gewiß,« erwiderte Agelastes ernst und bestimmt. – »Den Proselyten, dessen Beistand uns denjenigen von tausend feiger Sklaven aufwöge, hast Du aber nicht gewonnen?« – »Nein, es ist mir nicht geglückt!« antwortete der Philosoph. – »Und das zu sagen, schämst Du Dich nicht?« fragte der andere, »Als weisester der jetzt lebenden Weisen Griechenlands? als Mann, der immer behauptet, die der menschlichen Kraft gesetzten Schranken durch Worte, Zeichen, Namen, Amulette und Zaubersegen beseitigen zu können? Schmach über Dich, daß Du von dem Charakter, den Du Dir beilegst, so schlechte Probe ablegst!« – »Wenn sich nicht bestreiten läßt, Achilles Tatius, daß ich beim ersten Anlauf noch nichts gewonnen habe, so läßt sich doch auch anderseits noch nicht sagen, daß ich schon alles verloren hätte! Und wenn wir miteinander noch auf dem Standpunkte de facto von gestern stehen, so steht doch fest, daß ich ihm einen Köder hingehalten habe, der ihm nicht aus den Gedanken kommen wird. Dafür will ich sorgen! Vorderhand wollen wir den sonderbaren Schwärmer nicht aus den Augen, wohl aber aus der Diskussion lassen. Hingegen sage Du mir, wie es um die Reichsangelegenheiten steht. Ist das Heer der Kreuzfahrer noch immer im Anmarsche gegen unsere Stadt? Hofft Alexius nach wie vor, sie durch diplomatische Kniffe zu schwächen, da er sie mit seinen Soldaten nicht zu schlagen vermag?« – »Vor wenigen Stunden ist nähere Kunde darüber eingelaufen,« versetzte der andere, »und zwar durch Bohemund von Antiochien, der mit etwa einem halben Dutzend Reiter verkleidet den Weg zu uns gefunden hat. Es war ein keckes Stück von ihm, da er doch wahrlich oft genug mit Alexius in schlimmer Fehde lag. Aber der Kaiser merkte sofort, daß es dem Antiochier darauf ankam, zu ermitteln, welcher Lohn ihm winke, wenn er sich als Vermittler zwischen dem Kaiser und Gottfried von Bouillon oder auch anderen Heerführern, auf den Weg ihnen entgegen mache.« – »Der Kaiser täte wohl daran, dem Grafen hierzu die Hand zu bieten,« sagte Agelastes. – Achilles fuhr fort: »Bohemund stellte sich, als führte ihn ein bloßer Zufall an den kaiserlichen Hof. Er ist mit einer Gnade und so glanzvoller Höflichkeit aufgenommen worden, wie noch kein Franke vor ihm. Von den alten Fehden fiel zwischen beiden Fürsten kein Wort, auch von der Eroberung Antiochiens nicht, trotzdem der Kaiser sicherlich den Verlust noch immer nicht verschmerzt hat. Die Hoffnung, in diesem schlimmen Augenblicke einen Bundesgenossen in ihm zu gewinnen, erstickte jegliche Regung von Groll in dem kaiserlichen Herzen.« – »Und was sagte Graf Bohemund?« – »Nicht eben viel,« erwiderte Achilles, »bis ihm schließlich, wie mir der Palastsklave Narses berichtet hat, eine bedeutende Summe in Gold behändigt wurde. Der Kaiser versprach ihm einen bedeutenden Länderzuwachs, wenn er sich ihm jetzt als Freund und Genosse erwiese, ja der Kaiser ging so weit, ihm jenes geheime Prunkgemach zu zeigen, worin die kostbarsten Seiden, Juwelen und Gold- und Silberbarren aufgespeichert liegen, und ihm all diese Schätze zu versprechen als Preis für seine Bundesgenossenschaft. Der gierige Franke forderte die sofortige Ueberführung derselben in sein Zelt, und der Kaiser kam auch diesem Ansinnen nach, denn er sieht sich in der schlimmen Zwangslage, den Grafen, dessen Tapferkeit und Ehrgeiz seiner Habsucht gleichwertig ist, nicht aus dem Garne zu lassen.« »Graf Bohemund wird also so lange auf des Kaisers Seite stehen,« sagte Agelastes, »bis ihm von der andern Seite mehr und Besseres geboten werden wird. Alexius wird sich nicht wenig darauf zugute tun, den angesehenen Fürsten für sich zu gewinnen, wird wohl auch hoffen, mit seiner Hilfe die meisten der Kreuzfahrer zu einem Vasalleneide zu bestimmen, zu dem sich freilich, wenn nicht um dieses Kreuzzuges willen, nicht der geringste Baron unter ihnen verstehen würde, und wenn ihm eine ganze Provinz dafür winken sollte. . Nun, warten wir also noch ein paar Tage, denn dann muß sich ja wohl oder übel entscheiden, was wir zu tun haben, während jedes frühere Vorgehen uns unbedingt verderblich werden müsste.« – »Also treffen wir uns heute abend nicht?« – »Nein,« antwortete der Weise, »es sei denn, wir würden wieder zu der albernen Faxe von geschichtlicher Vorlesung geladen, mit der uns ein albernes Frauenzimmer und verhätscheltes Töchterchen so oft schon gelangweilt hat.« Der Kommandant der Waräger verabschiedete sich von dem Philosophen, und jeder verließ die Trümmerstätte auf einem anderen Wege, denn sie mochten fürchten, zusammen bemerkt zu werden. Kurz darauf erhielt Hereward den Bescheid, sich an diesem Abend nicht bei seinem Kommandanten einzufinden. Zweites Buch. Erstes Kapitel Seit dem Einmarsche des Kreuzfahrerheeres in das Gebiet des oströmischen Reiches waren unter ständigen Differenzen und Ausgleichen etwa vier Wochen ins Land gegangen. Der kaiserlichen Politik gemäß wurden die Führer und Fürstlichkeiten mit Gunst und Ehren überladen, hingegen kleinere Scharen, die zur Hauptstadt vorzudringen suchten, von Truppen des Kaisers, die sich als Türken oder Skythen ausgaben, niedergemacht. Ebenso oft geschah es, daß, während die Fürsten und Führer mit allerhand Leckerbissen gefüttert und mit Wein aufs reichlichste bewirtet wurden, über das gemeine Volk durch verfälschtes Mehl, verdorbenes Fleisch und schlechtes Wasser Krankheiten gebracht wurden, so daß der Tod reiche Ernte unter ihm hielt und viele von dem heiligen Lande, um deswillen sie Haus und Hof, Vaterland und auskömmliches Leben verlassen hatten, nicht einen Stein zu sehen bekamen. Selbstverständlich blieb dieses feindselige Verhalten auf seiten der Kreuzfahrer nicht unbemerkt, und nicht wenige von ihnen beschuldigten die Griechen offen der Hinterlist und des Verrates. Der Kaiser aber wußte die mächtigeren der Anführer immer und wieder zur Güte zu bestimmen, indem er die Vorfälle von Erkrankung auf die Verschiedenheit des Klimas und den freilich auch oft genug vorhandenen Hang zur Völlerei schob. Hätten die Kreuzfahrer nicht eine überschwengliche Meinung von den Reichtümern des oströmischen Kaiserreiches besessen, so würden sie sich kaum all dieses Ungemach haben bieten lassen, und wiederholt drohte es zu einem Konflikt zwischen ihren und den oströmischen Mannen zu kommen, als ein unverhofftes Ereignis die Position des Kaisers stärken sollte. Graf von Vermandois, der mit der Flotte des Kreuzfahrerheeres von Italien ausgefahren war, wurde von einem heftigen Sturme überfallen und an die griechische Küste in so schiffbrüchigem Zustande getrieben, daß er sich mit all seiner Mannschaft, soweit sie nicht untergegangen war, dem Statthalter des Kaisers auf Gnade und Ungnade ergeben mußte. Nicht als stolzer Fürst, wie er seine Ankunft zuvor mit hochtrabenden Worten angekündigt hatte, sondern als Gefangener nahm nun Hugo von Vermandois den Weg an den Hof nach Konstantinopel. Aber jetzt bewies der Kaiser das höchste diplomatische Geschick, indem er den Grafen sowohl als seine Mannschaft nicht allein sofort in Freiheit setzte, sondern sie sogar überreich mit Geschenken bedachte. Hierdurch gewann er sich in dem einflußreichen Grafen von Vermandois einen dankbaren Freund, der die Meinung derjenigen Kreuzfahrer stützte, welche, wie Gottfried von Bouillon, Raimund von Toulouse und andere einsichtigere, es im Interesse nicht bloß des Unternehmens, das sie hierher führte, sondern der gesamten Christenheit für geboten hielten, es mit dem griechischen Reiche, das mit gewissem Recht als die christliche Vormauer gegen Asien galt, nicht zu ernstlichen Konflikten kommen zu lassen. Ja, der Graf wußte die Mehrzahl der Kreuzfahrer sogar zu jenem in der Geschichte der Kreuzzüge berühmten Entschlüsse zu bestimmen, dem griechischen Kaiser als dem alten Oberherrn Palästinas, vor der Fortsetzung des Eroberungszuges in seiner Hauptstadt feierlich zu huldigen. Was Alexius nur durch hohe Bestechungen zu erreichen vermeint hatte, wurde ihm auf diese Weise gewissermaßen auf dem Präsentierteller entgegengetragen, und begreiflicherweise war er über diesen unvermuteten Gewinn in der freudigsten Stimmung, und wenn er auch kaum damit rechnen durfte, das große, arg zusammengewürfelte Heer, das unter so vielen, von einander völlig unabhängigen Führern stand, unter einen Hut zu bringen, so meinte er doch, ohne alles Säumnis dieses Zugeständnis wahrnehmen und sich in den Besitz der Oberherrlichkeit über das Kreuzheer setzen zu sollen. Zu diesem Zwecke wurde mit allem Pomp, dessen Reich und Hauptstadt fähig waren, eine großartige Festlichkeit veranstaltet, auf einer der Propontis gegenüber gelegenen hohen Terrasse ein herrlicher Thron aufgeschlagen, dabei aber, gemäß der am griechischen Hofe herrschenden Etikette, die jedem Sterblichen verbot, in Gegenwart des Kaisers zu sitzen, vermieden, irgend welche anderen Sitze anzubringen. Als die Feier vor sich gehen sollte, postierten sich rings um den kaiserlichen Thron die Großwürdenträger in ihren Staatskleidern, auf das strengste nach ihrem Range geordnet, vom Cäsar, dem kaiserlichen Schwiegersohne, herunter bis zum Patriarchen und zu dem, aber wie immer in seiner Zynikertracht erschienenen Philosophen Agelastes. Hinter diesem glänzenden Hofstaate schlossen sich die Abteilungen der Warägergarde in einer düsteren Bogenlinie zusammen, zufolge eines von ihnen einstimmig eingereichten Antrages, nicht im höfischen Silberharnisch, sondern in ihrer wuchtigen Rüstung aus Eisen und Stahl, um, wie sie ihren Antrag motiviert hatten, in den Augen von Kriegern auch als solche, nicht aber als Zierpuppen, zu gelten. Hinter der Warägergarde hatte die Schar der Unsterblichen Aufstellung genommen, eine Bezeichnung, die aus Persien ihren Weg nach Ostrom gefunden hatte – durchwegs große, stramme Gestalten, in glänzender Uniform, die recht wohl imstande gewesen wären, den Kreuzfahrern Respekt abzugewinnen, wenn sie nicht durch ihr ewiges Schwatzen ihre Disziplinlosigkeit offen an den Tag gelegt hätten. Hinter ihnen schwärmten die leichten Reiterabteilungen, aus denen sich das griechische Streitheer vorwiegend zusammensetzte, und deren Hauptleute, erhaltener Instruktion gemäß, unaufhörlich die Plätze wechselten, um auf diese Weise den Kreuzfahrern die Möglichkeit zu nehmen, sich ein genaues Bild von ihrer Stärke zu machen. Aber trotz des Staubes, den sie dadurch aufwirbelten, waren die flammenden Fahnen und Standarten doch deutlich zu erkennen, mit denen sie in reicher Menge prunkten, und die, wie mancher von den Kreuzrittern trotz alles Bemühens, ihnen »Sand in die Augen zu streuen«, offen meinte, für reichlich noch zweimal soviel Mannschaft ausgereicht haben würden. In weiter Ferne, rechts der Propontis, hatte sich ein mächtiger Reiterhaufe des Kreuzfahrerheeres postiert; denn der Eifer, dem Beispiele ihrer Fürsten und Führer zu folgen, war von Tag zu Tage gewachsen, so daß es schließlich jeder Kreuzritter, wenn er auch nur eine Burg besaß und knapp über ein halbes Dutzend Lanzen verfügte, für eine Herabwürdigung seiner Ritterschaft erachtet hätte, wäre er bei der Aufforderung, dem Kaiser von Ostrom zu huldigen, übergangen worden. Für die Abwicklung der Zeremonie war die folgende Ordnung vereinbart worden: die Kreuzritter sollten von links her dem kaiserlichen Throne nahen und, einzeln an demselben vorbeischreitend, dem Herrscher die Huldigung auf die möglichst kurze Weise leisten. Die obersten Führer, Gottfried von Bouillon, fein Bruder Balduin Bohemund von Antiochia und einige andere Erlesene des Heeres sollten nach Leistung des Huldigungseides absitzen und sich zu seiten des Thrones postieren, um durch ihr Ansehen jede Zügellosigkeit auf seiten der Kreuzfahrer im Keime zu ersticken; sie konnten es indes nicht hindern, daß sich auch andere, minder vornehme Kreuzritter, um ihre Neugier zu stillen, oder weil sie sich ebenso viel im Rechte dünkten wie die Hauptführer, gleichfalls in der Nähe des kaiserlichen Thrones aufstellten. Die größere Zahl der Ritter aber, nach geleisteteter Huldigung, ritt dem Hafendamme zu, wo Galeeren und Schiffe in zahlloser Menge bereit lagen, sie über die Meerenge nach Asien hinüber zu schiffen, dem von ihnen so heiß ersehnten Ziele, das aber den meisten von ihnen zur Grabstätte werden sollte. Die Feierlichkeit hatte sich in Ruhe vollzogen bis zum Vorbeiritt Bohemunds von Antiochien. Da vollzog sich ein Auftritt, der bezeichnend war für die abweichende Denkungsart der auf so außerordentliche Weise zusammengeführten Völkerschaften. Mehrere Kolonnen französischer Ritter hatten sich prozessionsweise an dem kaiserlichen Throne vorbeibewegt, sich zum Zeichen der Huldigung auf ein Knie niederlassend und zum Gelöbnis der Vasallentreue die Hände in diejenigen des Kaisers Alexius legend. Nun kam die Reihe an die normannischen Ritter und Edlen, und ihren Zug eröffnete der angesehenste von ihrem Stamme, Bohemund, der Sohn Guiscards von Apulien. Der Kaiser war aufs äußerste besorgt, sich das Wohlwollen dieses mächtigen und gefürchteten Mannes, der als Fürst über Antiochia seinem Reiche am nächsten saß, nicht zu verscherzen, und beschloß, ihm eine besondere Ehre dadurch vor allen versammelten Höflingen, eigenen und fremden Truppen zu erweisen, daß er ihm ein paar Schritte entgegen ging, und zwar nach der Seeseite zu, wo gleich den übrigen auch die antiochenischen Boote zur Abfahrt bereit lagen. Die Strecke war nicht groß, die der Kaiser zurückzulegen hatte, um Bohemund entgegen zu gehen; immerhin groß genug, ihn einer Kränkung auszusetzen, die von seinen Garden und Untertanen als eine absichtliche Herabsetzung auf das schmerzlichste empfunden wurde. Die Reihe der Huldigung war hinter Bohemund an einen fränkischen Grafen gekommen, der an der Spitze von zehn Reitern im Galopp herangesprengt kam und jäh vor dem leeren Throne absitzen ließ. Es war eine der kräftigsten Gestalten im ganzen Kreuzritterheere, dieser fränkische Graf; sein Gesicht hatte strenge, aber männlich schöne Züge und war von einem dichten, schwarzen Lockenwall umschlossen. Er trug nicht die für das Zeremoniell vorgeschriebene ritterliche Rüstung, sondern nur das gemslederne Unterkleid; aber er kehrte sich so wenig an diesen Verstoß, wie er sich darum kümmerte, daß der Thron vom Kaiser auf einen Moment verlassen worden war um Bohemunds willen. Vielleicht wurmte ihn auch die besondere Ehrung, die gerade diesem Fürsten, im Gegensatze zu dem kaiserlichen Verhalten allen anderen Fürsten gegenüber, erwiesen wurde. Kurz, er wartete keine Minute auf die Rückkehr des Kaisers, gönnte ihm auch nicht die Zeit zur Zurückkunft, sondern warf seinem Pagen die Zügel seines ungeheuren Streitrosses zu und stieg, ohne sich nur nach dem Kaiser mit einem Blicke umzusehen, auf dessen leeren Thron, flegelte sich auf die goldenen Polster und rief sogar den mächtigen Wolfshund zu sich heran, der hinter ihm her im Zuge zu laufen pflegte, ja ließ ihn sich auf die kostbaren Teppiche strecken, die den kaiserlichen Schemel deckten. Der Kaiser sah mit maßlosem Staunen, als er sich umdrehte, den frechen Thronräuber, den seine Waräger, hätte ihnen nicht Achilles Tatius, unsicher, welches Verhalten dem Kaiser genehm wäre, rasch Einhalt getan, längst für sein Verbrechen mit dem Tode gestraft hätten. Jetzt rief der tolle Patron, wenn auch in einer Mundart, die außer Franzosen von niemand verstanden wurde: »Was für ein grober Wicht ist's denn eigentlich, der wie ein Klotz hier saß, während die Blüte christlicher Ritterschaft unbedeckten Hauptes, obendrein in Anwesenheit dieser landesflüchtigen Waräger, vor ihm stehen mußte?« – Da dröhnte eine tiefe Stimme zur Antwort über den Platz, die gleichsam aus der Erde herauszudringen schien, solch übermenschliche Stärke war ihr zu eigen: »Sofern, es den Normannen gelüstet, mit den Warägern anzubinden, mögen sie sich Mann gegen Mann mit ihnen in den Schranken treffen. Solcher Prahlhanserei wider den Kaiser von Ostrom, der nicht anders als mittels der Streitäxte seiner Leibgarde ihnen antworten wird, bedarf es dazu wahrlich nicht!« Selbst der fränkische Ritter war über diese Zurückweisung seines anmaßenden Verhaltens betroffen; und sicher wäre es dem Kommandanten der Warägergarde nicht länger gelungen, dieselbe in Rand und Band zu halten – da machte Bohemund von Antiochien, um den Kaiser zu entlasten, eilig kehrt, nahm den Ritter beim Arme und nötigte ihn, halb mit Gewalt, halb durch gute Worte, den kaiserlichen Sitz zu räumen. Der Kaiser war im ersten Augenblicke so außer sich vor Entrüstung, daß er seine Soldaten zu den Waffen rufen wollte, denn er hielt durch diesen Angriff auf sein Ansehen und seine Würde seine ganze Politik dem Kreuzfahrerheere gegenüber für gefährdet, wenn nicht gar über den Haufen gerannt. Als er aber sah, daß auf seiten der Kreuzfahrer alles ruhig blieb, nachdem der fränkische Ritter von Bohemund vom Throne heruntergeführt worden, und daß nichts auf einen tatsächlichen Angriff militärischer Natur hindeutete, änderte er ebenso schnell seinen Entschluß dahin, das Ganze für einen der von den Franken gern geübten groben Späße anzusehen, und verfügte sich gemessenen Schrittes neben seinen Thron, ohne jedoch, um dem fränkischen Ritter nicht Anlaß zur Wiederholung seiner Frechheit zu geben, sogleich auf demselben Platz zu nehmen. »Wer ist der kühne Vasall?« fragte er den ihm zunächst stehenden Grafen Balduin, »der es für angemessen erachtet, seinen Rang solcherweise zu dokumentieren, während er doch in einem Aufzuge erscheint, daß er kaum würdig gewesen wäre, vor meinen Thron zu treten?« – »Kaiserliche Majestät,« antwortete der Graf von Flandern, »es ist einer der tapfersten Ritter im Kreuzheere, trotzdem es der Tapferen darin mehr gibt als Sand am Meere. Ich halte dafür, daß er nicht länger zögern wird, Euch über seinen Rang und Namen selbst zu unterrichten.« Alexius lenkte den Blick auf den Ritter, dessen breites, wohlgeformtes Gesicht frei war von jeglichem Anfluge von Schwärmerei, die auf vorsätzliche Beleidigung hätte schließen lassen, und verschloß sich nicht länger der milderen Auffassung, daß es mit dem ganzen Auftritt, der aller griechischen Sitte so direkt ins Gesicht schlug, auf keinen direkten Schimpf wider ihn und das Kaisertum abgesehen gewesen sei. »Wir wissen nicht,« sprach er zufolgedessen den Fremdling, mit Fassung sowohl als hoher Würde, an, »mit welchem, ob berühmten oder nur bekannten Namen Wir Euch anzusprechen haben, vermuten aber auf Grund der Aeußerungen aus Graf Balduins Munde, daß Wir in Euch einen der tapfersten von jenen tapferen Rittern begrüßen dürfen, die ausgezogen sind, Palästina von dem auf ihm lastenden Joche zu befreien und es unter das Zepter seines Oberherrn zurückzuführen,« – »Meinen Namen,« erwiderte der Ritter, ohne dem Kaiser die durch das Zeremoniell gebotenen Ehren zu erweisen, »kann Euch, sofern Euch daran liegt, ihn zu erfahren, jeder aus diesem Kreuzfahrerheere nennen; es soll nicht immer gut sein, die Namen voreilig auszuposaunen, da auf solche Weise schon mancher Kampf in Ehren vermieden und mancher Tapfere verhindert worden, Denkzettel an solche auszuteilen, die gerechten Anspruch darauf gehabt hätten.« – »Immerhin möchte ich wissen,« versetzte der Kaiser, »ob Euch in dieser übergroßen Menge von Rittern und Reisigen das Recht zusteht, Anspruch auf fürstliche oder königliche Ehren zu erheben?« – »Wie ist das gemeint?« fragte mit finsterer Miene der Franke. – »Still, Herr Graf,« mischte sich Bohemund, der noch neben dem Kaiser verweilte, in die Unterhaltung, »es dürfte wohl im ganzen Heere kein Zweifel darüber walten, daß es für jeden Ritter Gesetz sein muß, dem Kaiser höfliche Rede und Antwort zu stehen. Wen die Faust zum Streit juckt, der wird Heiden genug finden, sich das Jucken zu vertreiben. Der Kaiser begehrt Euren Stand und Namen zu wissen, und Ihr habt meines Wissens nicht die mindeste Ursache, die Antwort darauf zu weigern.« – »Ob das zu wissen für den Fürsten oder Kaiser, wie Ihr ihn nennt, von Wert oder Belang ist, kann ich nicht ermessen,« erwiderte der Franke, »aber was von mir zu wissen nichts schadet, ist das Folgende: In einer der ungeheuren Waldungen, die mein Geburtsland Frankreich bedecken, steht eine Kapelle, die aussieht, als sei sie vorzeitig baufällig geworden. Ueber dem Altar hängt ein uraltes Bild, das weit und breit im Lande bekannt ist als Unsere liebe Frau von den zerbrochenen Lanzen. Kein Ritter, der auf einer der an der Kapelle vorbeifahrenden Heerstraßen seines Weges kommt, unterläßt es, bevor er seine Andacht verrichtet, dreimal in sein Horn zu stoßen, daß alle Eschen und Eichen im Walde erzittern, und keiner erhebt sich von seiner Andacht, ohne einen andern Ritter bereit zum Kampf zu finden, sobald er das Schwert zu Ehren der Heiligen Frau zu führen Verlangen spürt. Monatelang habe ich an dieser geweihten Stätte das Turnier gehalten, und kein Ritter hat Ursache gehabt, Klage über mein ritterliches Verhalten zu führen, einige ausgenommen, die das Unglück hatten, dabei die Erde zu küssen und den Hals zu brechen.« »Ich begreife, daß ein Ritter von solchen Gaben und Fähigkeiten, wie Ihr sie zu besitzen das Glück habt,« versetzte der Kaiser, »seinesgleichen selbst unter seinen Landsleuten so leicht nicht findet, geschweige unter Männern, die der Meinung sind, daß es kindischer Verschleuderung eines Geschenkes der Vorsehung gleichbedeutend sei, das Leben in einem müßigen Streite aufs Spiel zu setzen.« – »Meinungen,« erwiderte der Franke verächtlich, »sind selbst im byzantinischen Reiche zollfrei; immerhin müßt Ihr mir die Bemerkung hiergegen erlauben, daß es uns schmähliches Unrecht antun heißt, wenn man meint, es fehle uns bei unseren Kämpfen an Verdruß und Aerger, und es mache uns nicht größere Freude, den Hirsch oder Bären zu jagen.« – »Im Kampf wider die Türken rate ich Euch trotz alledem, immer hübsch in der Nähe Eurer Fahne zu bleiben, wo die besten Heiden kämpfen, also auch die besten Ritter zur Abwehr zur Stelle sein müssen.« – »Mir soll jeder Türke recht sein,« versetzte der Franke, »der nicht höflicher ist als ein Christ, und hoffentlich stoße ich auf sie in der Front sowohl als bei der Fahne, damit ich Ihnen als Feinden der heiligen Jungfrau, aller Heiligen und meiner selbst gehörig zu Leibe rücken kann! Einstweilen habe ich nichts dawider, wenn Ihr Euch wieder dorthin setzt, wo Ihr Euch auch meiner Huldigung zu gewärtigen scheint; indes würdet Ihr mich zu nicht geringem Danke verpflichten durch tunlichste Abkürzung dieser, wie mich bedünkt, recht läppischen Zeremonie.« Der Kaiser nahm schnell auf seinem Throne Platz und die beiden kräftigen Fäuste des Franken zum Zeichen seiner Huldigung; dann geleitete Graf Balduin den Ritter zu den Schiffen, um, sobald er ihn auf dem Wege an Bord sah, zu dem Kaiser zurückzukehren. .»Wer ist dieser seltsamste aller Ritter Eures großen Heeres?« fragte der Kaiser. – »Robert, Graf von Paris,« antwortete Balduin, »er gilt für einen der tapfersten Kämpfer, die Frankreichs Erde trägt.« – Der Kaiser verweilte noch einige Zeit im Sinnen über den Vorgang, der sich soeben abgespielt hatte; dann winkte er seinem Zeremonienmeister, die Feier abzubrechen; vielleicht beschlich ihn Furcht vor einer Wiederholung der Szene; die Kreuzritter waren nicht verdrießlich, wieder zu den Palästen zurückzukehren, wo sie der Fortsetzung des durch die Huldigung unterbrochenen Gastmahles sich gewärtig halten durften. Die Trompeten gaben das Signal zum Rückzuge. Wider alle Erwartung ereignete sich aber ein neuer Vorfall, mit dem kaum jemand gerechnet haben mochte: als der »Held des Tages«, Graf Robert von Paris, die Trompeten hörte, gab er die Absicht, an Bord zu gehen, auf und ließ sich auch von Rittern, wie Bohemund und Gottfried, nicht davon abbringen; über die drohende Ungnade des Kaisers, mit der man ihn zu allerletzt noch zu schrecken versuchte, lachte er und »scherte sich,« wie er sagte, »den Teufel drum, ob er ihm durch seine Nähe auf ein paar Tage den Appetit verderben werde oder nicht«. Gottfried von Bouillon, der mit dem Grafen von Toulouse zusammen hinter ihm herschritt, sagte: »Auch einer, der keine fünfhundert Mann mit sich führt, aber für fünftausend reden möchte. Ich möchte darauf schwören, daß er keinen einzigen seiner Mannen kennt, noch weniger sich um ihre Bedürfnisse kümmert. Läuft er nicht einher, wie ein von der Lust zu Unfug erfüllter Schuljunge, der sich vom Schulzwange frei fühlt?« – »Dabei ist's aber ein Eisenfresser, der lieber den ganzen Kreuzzug aufs Spiel setzen, als die Gelegenheit verlieren möchte, sich mit einem Gegner in den Schranken zu messen, sofern es die Ehre Unserer lieben Frau mit den zerbrochenen Lanzen angeht. Wer ist denn der kleine, zierliche Ritter, der ihm zur Seite schreitet?« – »Vermutlich die berühmte Dame, die sein Herz durch ihren Mut in den Schranken zu erringen wußte, die Pilgergestalt ihr zur Seite in dem langen Kleide mag wohl ihre Nichte oder Dienerin sein.« – »Seit Gaita, Robert Guiscards Weib, mit ihrem Gemahl im Kampfe, beim Tanz oder Festmahl sich hervorgetan, im Wetteifer mit ihrem Gemahl, sahen wir noch nie ein gleiches Beispiel wieder.« – »Das aber ist die Weise dieses Ehepaares, sehr edler Ritter,« sprach ein anderer Kreuzritter, der zu ihnen getreten war, »der Himmel sei dem armen Ehemanne gnädig, der unter solche Fuchtel kommt!« – »Ich schlage vor, daß wir dem Paare folgen, damit wir sehen, wo es in der Hauptstadt sein Quartier aufschlägt.« Zweites Kapitel Brenhilda, die Gemahlin Roberts von Paris, war eine jener urkräftigen und willensstarken Frauen, die ihre Männer, was zu den Zeiten der Kreuzzüge keine Seltenheit war, nicht bloß auf ihren Heereszügen begleiteten, sondern auch in den Schlachten mitkämpften. Sie hatte von Kind auf von weiblichen Beschäftigungen nichts wissen mögen, und jeder Ritter, der sich um ihre Hand bewarb, wurde mit dem Bescheide abgewiesen, daß sie nur demjenigen ihre Hand reichen werde, der sie im Turniere zu bezwingen vermöchte. Ihr Vater lebte schon lange nicht mehr, und ihre Mutter stand vollständig unter ihrer Herrschaft. Auf ihrer Burg Aspramonte waren schon zahlreiche Ritter erschienen, die den Kampf im Turniere um ihren Besitz gewagt hatten; aber keinem war es gelungen, die von der hohen Dame gestellte Bedingung zu erfüllen; einer nach dem andern war von ihr in den Sand gestreckt worden, denn keiner hatte sich ihr gegenüber getraut, seine volle Stärke einzusetzen, sondern vielmehr in der Meinung, daß es sich mit seiner Ritterehre nicht vertrage, eine Dame aus dem Sattel zu werfen, es vorgezogen, statt den entscheidenden Lanzenstoß zu führen, seitwärts auszubiegen und ihr die Ehre des Sieges zu lassen. Anders aber wurde es, als Graf Robert von Paris auf der Burg Aspramonte erschien. Sobald er von den Dingen, die sich hier ereignet hatten, unterrichtet worden, kündigte er sich als Ritter an, der den Kampf wagen wolle, aber nur unter der Bedingung, daß es ihm vergönnt sein müsse, im Falle er Sieger bleibe, auf den Kampfpreis zu verzichten. Dadurch fühlte Schön-Brenhilde sich aufs höchste gekränkt, nahm aber die Herausforderung des Grafen an und ritt in die Schranken mit dem festen Vorsatze, sich für diese offenbare Geringschätzung an dem Grafen von Paris zu rächen. Ob sich nun aber durch dessen kränkenden Vorbehalt ihr Nervenapparat nicht in der alten Ruhe mehr befand oder ob es ihr doch eben nicht anders erging, als es den meisten Angehörigen ihres Geschlechtes zu ergehen pflegt: daß nämlich ihr Herz sich gerade demjenigen zuwandte, der sich am wenigsten darum riß oder zu reißen schien, kurz und gut, Graf Robert unterlag ihr nicht, er warf im Gegenteil sie; als er nun aber, nachdem er die Eitelkeit und den Uebermut Brenhildens bestraft hatte, die Burg Aspramonte verlassen wollte, legte sich Brenhildens Mutter ins Mittel und wußte dadurch, daß sie dem Grafen für die Lektion von Herzen dankte, die er ihrer Tochter erteilt hatte, ihn zum längeren Bleiben zu bestimmen. Sonderlich schwer fiel es der alten Dame nicht, denn sie kam einem Herzenswunsche entgegen, dem er nur aus Herrentrotz keine Rechnung tragen mochte. Er gehörte nicht bloß zu den berühmtesten Rittern von Nordfrankreich, sondern führte auch seine Abstammung unmittelbar auf König Karl den Großen zurück. So verweilte der Graf etwa vierzehn Tage auf der Burg Aspramonte, und in der Woche darauf befand er sich mit Dame Brenhilde als ihr Verlobter Bräutigam in Begleitung eines zahlreichen Gefolges auf der Reise nach der Kapelle zu Unserer lieben Frau von den gebrochenen Lanzen, um sich daselbst kirchlich einsegnen und trauen zu lassen. Dort lagerten, gemäß dem in dieser Kapelle traditionellen Marienkult, ein paar Ritter, der Gegner harrend, mit denen sie, zu Ehren Unserer lieben Frau, in die Schranken treten wollten, und fühlten sich, als sie das nahende Brautpaar erblickten, lebhaft enttäuscht, weil sie nun fürchteten, noch länger warten zu müssen. Ihr Verdruß wandelte sich aber in große Freude, als ihnen von dem ritterlichen Brautpaare das Erbieten, mit ihnen in die Schranken zu reiten, gestellt wurde. Graf Robert sowohl als Dame Brenhilde betrachteten es als eine günstige Fügung des Schicksals, ihren Ehestand auf eine solche Weise zu eröffnen, denn sie entsprach ja doch völlig ihren Anschauungen und Grundsätzen. Der eine der beiden Ritter, die mit ihnen in die Schranken einritten, wurde mit zerschlagenem Arm, der andere mit verrenktem Schlüsselbein aus der Arena getragen; denn wie immer trug Graf Robert den Sieg davon, desgleichen Dame Brenhilde, die auch keinem andern Gegner als ihrem Gemahl im Turnier unterlegen war. Die Vermählung änderte in der Lebensweise des Grafen Robert nicht das geringste. Seine Gemahlin war von der gleichen Ruhmbegierde erfüllt wie er, und so entschlossen sie sich, zusammen das Kreuz zu nehmen. Brenhilde stand damals in ihrem sechsundzwanzigsten Lebensjahre und war die schönste Amazone, die man sich vorstellen konnte: ihre Gestalt wies das vollkommenste Ebenmaß auf, ihr edel geformtes Gesicht war zwar durch ihren langen Aufenthalt unter freiem Himmel infolge der vielen Kriegs- und Turnierzüge, die sie mit ihrem Gemahl machte, leicht gebräunt, hatte aber dadurch wohl mehr gewonnen, als verloren. Sobald Kaiser Alexius Befehl zur Rückkehr nach der Hauptstadt gegeben hatte, berief er seinen Akoluthen Achilles Tatius an seine Seite. Nach einer kurzen, in leisem Tone geführten Unterhaltung verließ derselbe das Gefolge des Kaisers und ließ auf der Heerstraße halten. Graf Robert hatte sich mit seinen Rossen und seinem Gefolge, ausgenommen einen alten Knecht und eine Dienerin, zu Schiff begeben, weil ihm das Gewühl auf der Straße unausstehlich ward, und ließ sich zu einer Landungsstelle hinfahren, von wo aus er eine Straße gewinnen konnte, die zwar einen großen Umweg machte, dafür aber weit leichter zu passieren war, weil sie so gut wie menschenleer war. Als sie einige Zeit auf ihr entlang geritten waren, stießen sie auf einen hochbejahrten Greis, der nicht bloß groß von Gestalt, sondern auch wohlbeleibt war und in seiner Hand eine Papyrusrolle trug. Er schien in tiefes Sinnen versunken und sah aus, wie jemand, der es unternommen hat, geistige Spreu aus geistigem Weizen zu sichten. Es war kein anderer als Agelastes, der das reitende Paar, sobald er seiner ansichtig wurde, freundlich fragte, ob es etwa den Weg verfehlt habe, ob er ihm als Führer dienen oder ihm sonst welche Gefälligkeit erweisen könne, – »Weiser Vater,« erwiderte Graf Robert, »wir kommen aus fremden Landen und gehören dem Kreuzfahrerheere an, das auf dem Zuge nach den heiligen Landen ist, um es aus den Händen der Ungläubigen zu befreien. Graf Robert von Paris und seine Gemahlin Brenhilde sind indessen nicht gewohnt, durch ein Land zu ziehen, ohne dafür zu sorgen, daß es von ihrem Ruhme widerhallt; ihr Sehnen geht danach, ein rühmliches Leben zu führen, und müßten sie es auch um den Preis ihres irdischen Daseins erkaufen!« »O, da seid Ihr vielleicht gar auf der Suche nach einem Manne, wie ich es bin? Trage ich doch eine Aegis bei mir zum Schutze gegen das, was ich ohne sie fürchten müßte: aber Greisenalter mit all seinen Schwächen verdient eben auch Berücksichtigung und Entschuldigung. Ihr werdet mich glücklich machen, wolltet Ihr mich in die Lage setzen, Euch zu dienen in der Weise, wie ich es jedem wackeren Ritter gegenüber für meine Pflicht erachte.« »Ich dürste, wie schon gesagt, weiser Alter, nach Ruhm und, um ihn zu gewinnen, nach dem einzigen Mittel, das dazu hilft, nach Abenteuern. Hätte mein großer Ahne Karl die kargen Saale-Ufer nie verlassen, so wäre er jetzt ohne Frage ganz ebenso unbekannt, wie der erste beste Winzer, der in seinem Lande die Erde geschaufelt hat. Aber er vollführte Großes in der Welt, so daß sein Name nie sterben wird.« – »Junger Mann,« antwortete Agelastes, »ich meine wohl, der Mann zu sein, der Euch in dieser Hinsicht wird dienen können; ich habe mich so angelegentlich mit der Natur befaßt, daß sich eine andere Welt meinen Blicken erschlossen hat, eine Welt, die außerhalb der Natur liegt. Was ich von merkwürdigen Schätzen in meinem langen Leben gesammelt habe, eignet sich nicht für jedermann und soll auch keinem zugute kommen, der sich über den Alltagsschlendrian nicht erhoben hat. Mir hat das Leben soviel gebracht, wie sich kein Dichter Eures romantischen Lebens, und hätte er die ausgesuchteste Phantasie, auszuklügeln vermöchte.« »Nun, so dürfte uns ja ein günstiges Geschick zusammengeführt haben,« erwiderte der französische Graf, »wenigstens will ich mit meiner Gemahlin gern so lange verziehen, bis Ihr uns einiges von den Abenteuern erzählt habt, die Ihr in Eurem Leben gehabt oder kennen gelernt habt. Es ist ja doch fahrender Ritter Sache, danach auf der Suche zu sein!« Mit diesen Worten setzte er sich neben dem Greise nieder, und Brenhilde folgte mit einer Ehrerbietigkeit seinem Beispiele, die fast etwas Possierliches hatte. »Liebes Ehgemahl! wir sind unter ein kleinliches Geschlecht geraten, das vor seinem Kaiser in der allerunterwürfigsten Weise auf allen Vieren kriecht, trotzdem er, wenn man die Dinge in richtigem Lichte betrachtete, kaum mehr noch ist als ein Scheinherrscher. Es könnte einem wirklich leid darum tun, daß man das Kreuz genommen hat – möge mir unser Herrgott solchen sündigen Gedanken verzeihen! – und daß wir in eben dem Augenblicke, wo wir eben noch meinten, verzweifeln zu sollen, das Glück haben, einem jener wackeren Männer zu begegnen, die sich bei so vielen unserer Vorfahren als Führer bewährt haben, darf wohl mit dem bisherigen Geschick aussöhnen. Wir wollen den Mann sich ruhig besinnen lassen, Brenhilde! es wird unser Schade ganz sicher nicht sein.« Nach einigen Augenblicken beiderseitigen Schweigens hub der Greis zu erzählen an, wie folgt: »Das Abenteuer, mit welchem ich beginne, hat sich in unserm berühmten Archipelagus zugetragen, ziemlich weit von hier, nach den Begriffen, die bei uns von Entfernungen bestehen, auf dem trotz seinem Reichtum an Naturschätzen nur spärlich bewohnten Eilande Zulichium, das, im Grunde genommen, wenn es scheinbar auch aus einer Masse von aneinander gehäuften Bergen besteht, doch nur ein einziger Riesenberg ist, auf dessen höchstem Gipfel, mit Moos dicht überwachsen, die Ruinen eines uralten Schlosses sich erheben. Hier liegt die letzte Herrin seit langem in einem Zauberschlafe. Sie zu befreien, tat ein auf der Pilgerfahrt nach Jerusalem befindlicher Ritter ein strenges Gelübde. Zwei von den ältesten Inselbewohnern ließen sich bereit finden, ihn bis auf Bogenschußweite zu dem Haupttore der alten Burg zu begleiten, waren aber zu weiterer Begleitung nicht zu bewegen. Der kühne Franke drang also mutterseelenallein weiter vor. Zu seinem gewaltigen Erstaunen entpuppten sich die Trümmer, als er an das Haupttor mit seinem Schwertknaufe klopfte, als eine der herrlichsten und auch größten Burgen, die das sterbliche Auge des Ritters je im Leben erblickt hatte. Die ehernen Tore flogen, wie von selbst, weit auf, und um die alten Türme erklang es wie von Geisterstimmen, dem Befreier, der sich jetzt nahte, zum Willkommensgruße. Was sich dem Ritter, vom alten Burghofe ab, an altertümlicher Pracht nunmehr zeigte, überstieg seine Begriffe so vollständig, daß er eine geraume Zeit brauchte, sich zu sammeln. Auf den Wällen standen in morgenländischen Rüstungen zahlreiche Wächter umher, aber sämtlich stumm und starr, und der klirrenden Tritte des fränkischen Ritters nicht achtend. Aber obgleich sie jeder Lebensäußerung unfähig waren, waren sie dem Leben doch nicht abgestorben, sondern lebten! Die Sage ging von ihnen, daß sie in solchem Zustande nun schon über vierhundert Jahre sich befänden, und daß, wie eine Jahreszeit sie verlieh, die andere sie übernahm und der ihr folgenden weitergab. Ein Magier und Jünger Zoroasters war einst an den fürstlichen Hof der Schloßherrin gekommen und von ihr mit der höchsten Aufmerksamkeit aufgenommen worden, die sie einem fremden Manne erweisen durfte. Dadurch hatte der Magier sich verleiten lassen, das reife Alter, in welchem er bereits stand, zu vergessen und jugendliche Träume zu hegen, Doch war er bei all seiner Weisheit außerstande, dem gewöhnlichen Laufe der Natur zu trotzen, und wenn er mit der jungen Fürstin auf einem der zahlreichen Abendfeste, die auf der Burg gefeiert wurden, zum Tanze antrat, konnte er nicht hindern, daß die jüngere Welt sich darüber lustig machte, daß seine Beine doch nicht mehr gleichen Schritt halten wollten mit seiner Phantasie. Die Fürstin wurde durch den ewigen Spott, der ihr zu Ohren kam, mit der Zeit zur Nachahmung gereizt, und es kam bald eine Zeit, wo sie es den bejahrten Verehrer merken ließ, daß sie ihn eigentlich bloß zum Narren hielt. Das Schlimmste auf Erden aber ist Haß, der aus verschmähter oder verhöhnter Liebe erwächst. Weder durch ein Wort noch einen Blick ließ der Magier sich merken, wie schmerzlich er die bittere Täuschung empfand, und wie schwer es ihm wurde, sich an die Möglichkeit einer solchen zu gewöhnen; mit der Zeit lagerte sich aber ein Zug so tiefer Schwermut auf seine Stirn, daß sich die junge Fürstin einer gewissen Beklommenheit nicht mehr erwehren konnte: sie hatte die Empfindung, wie wenn ein schweres Gewitter im Anzuge sei. Nach einem fröhlichen Feste, das eine große Zahl fremder Ritter auf die stolze Burg geführt hatte, trat die Fürstin, die von Herzen gutmütig, nur ein wenig leichten Sinnes war und sich nicht recht in den Ernst des Lebens zu finden verstand, zu dem Magier und suchte ihn für mancherlei Vernachlässigung während des Festes dadurch zu entschädigen, daß sie ihm freundlich eine recht gute Nacht wünschte. »Eine freundliche Rede, mein liebes Kind,« erwiderte darauf der Magier, »aber für wen von den vielen, die heute in Deiner Burg versammelt waren, wird auf die gute Nacht auch ein guter Morgen folgen?« Die Rede war von vielen gehört worden und wurde von noch mehr der Anwesenden lebhaft kommentiert; denn über die Sinnesart des Magiers bestand kaum bei einem einzigen der Anwesenden Zweifel, und nicht wenige Gäste brachen noch in der Festnacht vom Schlosse nach ihrer Heimat auf. Durch sie allein kam Kunde von dem Schicksal, das Burg und Burgherrin und alle bei ihr zurückgebliebenen Gäste, wie alle Dienerschaft und Knappenschaft noch in der Festesnacht heimsuchte. Alles, was in der Burg lebte, wurde von einem todesähnlichen Schlafe befallen, der nicht mehr von ihnen wich. Der Magier war am andern Morgen verschwunden, und man erzählte sich auf dem Eiland, er sei mit den Worten von demselben im Kahne abgestoßen, daß so lange Tod über allem Lebenden auf Eiland und Schluß gebreitet bleiben solle, bis ein Ritter nahen würde, der den Mut besäße, den Fuß in die verzauberte Stätte zu setzen. Das geschah nach Verlauf von vielen Jahren. Artavan von Hautlieu hieß der Kühne, der den Versuch wagte, den Bann von Eiland und Burg und allem darin schlummernden Leben zu lösen. Zwei Wächter waren die ersten, die sein Auge erblickte. Mit gezücktem Schwerte standen sie am Eingänge zu dem Tore, das zum Frauenhause, der Kemenate, führte. Artavan ließ sich aber durch sie nicht schrecken, sondern näherte sich dem Portale, das sich, gleich dem Burgtore, selbsttätig vor ihm öffnete. Durch eine Art Wachtstube, die von Knappen wimmelte, ohne daß Artavan unterscheiden konnte, ob sie lebten oder nicht, gelangte er in ein Gemach, in welchem schöne Sklavinnen umhersaßen oder umher lagen. Aber Artavan lieh sich durch diesen Anblick nicht betören, sondern drang unentwegt weiter vor durch eine kleine, elfenbeinerne Pforte, die ihn zu dem Schlafzimmer der Fürstin selbst führte. Von mattem Dämmerlicht übergossen, ruhte die liebliche Gestalt der durch ihre Schönheit weit und breit im Lände gefeierten Fürstin von Zulichium auf einem schlohweißen Lager.« »Frommer Vater,« mischte hier Dame Brenhilde sich ein, »von der Schilderung eines schlafenden Frauenzimmers können wir wohl Abstand nehmen; ich meine, sie möchte sich ebenso wenig für meine Ohren wie für Euren Mund schicken,« »Ich bin Eurem Befehle gern gehorsam,« erwiderte der Philosoph, »wenngleich ich sagen muß, daß ich den schönsten Teil meiner Erzählung zum Opfer bringe, der immer mit dem größten Beifall aufgenommen wurde.« »Ich sollte doch meinen,« bemerkte Graf Robert, »es käme auf ein paar Worte mehr oder weniger nicht so sehr an als auf die Wahrung des Zusammenhanges.« – »Wie Du willst,« sagte Brenhilde, »aber mir scheint sich die Erzählung doch zu sehr in die Länge zu ziehen, um interessant zu bleiben,« – »Und mir scheint, Brenhilde, als wenn Du zum ersten Male eine weibliche Schwäche durchblicken ließest?« – »Und mir, lieber Robert,« antwortete die Gattin, »als wenn ich meinen Ehgemahl auf einer gewissen Unbeständigkeit seines ehelichen Empfindens ertappte!« »O, ihr Götter!« rief da Agelastes, »kann es wohl je einen Zwist gegeben haben ohne einen tatsächlichen Grund? Wie kann Eure Gemahlin Eifersucht fühlen gegen eine Person, die sie vermutlich niemals sehen, geschweige kennen lernen wird? Denn daß die Fürstin von Zulichium je wieder in die Gegenwart treten sollte, ist meiner Auffassung nach vollständig ausgeschlossen; der Vorhang, der ihr Grab deckt, wird nie wieder zerrissen werden!« »Erzählt weiter, Vater,« rief Robert, »und wenn Artavan von Hautlieu die Fürstin nicht befreien konnte, so gelobe ich bei Unserer lieben Frau von den gebrochenen Lanzen...« – »Ich denke, mein Gemahl,« schalt hier Brenhilde ein, »daß Du mit dem Gelübde, das heilige Grab gewinnen zu helfen, vorerst übergenug auf Dich genommen hättest?« – »Schön, schön, liebes Ehgemahl,« versetzte Graf Robert, offenbar nicht frei von Verdruß über diesen Einspruch; »in ein Abenteuer, das der Verpflichtung gegen das heilige Grab zuwiderliefe oder vorginge, werde ich mich selbstverständlich nicht einlassen.« Der Philosoph entnahm aus diesem kleinen Wortwechsel zwischen dem Ritter und seiner Gemahlin, daß es doch vielleicht schwieriger sein möchte, den Sinn des Grafen zu lenken, als er angenommen hatte, wenigstens so lange, wie sich seine Gattin bei ihm befände; er stimmte deshalb den Ton seiner Rede ein wenig herab und vermied es hinfort, Dinge einzuflechten, die das Ohr der Dame nicht hören mochte. »Ritter Artavan von Hautlieu,« fuhr er in seiner Erzählung fort, »stand nun vor dem Lager ,der lieblichen Jungfrau, unschlüssig, wie er sich weiter verhalten solle. Da kam ihm der Gedanke, daß ein Kuß am Ende das rechte Mittel sein möge, den Zauber zu lösen,« Ueber die Wangen der schönen Dame Brenhilde huschte ein flüchtiges Rot, aber sie gab den Empfindungen, die sie erfüllten, keinen Ausdruck. Agelastes fuhr daraufhin fort: »Aber nie mag wohl solche harmlose Handlung eine grausigere Wirkung hervorgebracht haben als auf jener verzauberten Burg! Aus dem lieblichen Abendrot, das den Himmel gefärbt hatte, wurde ein häßliches Schmutzgrün, und erstickender Schwefeldunst erfüllte das Zimmer. Die reichen Behänge und Gardinen, die kostbaren Gold- und Silbergeräte wandelten sich zu Stein, die Mauern überzogen sich mit garstigem Moder, und die schönen Lippen, die der Ritter eben noch geküßt hatte, wandelten sich zu den Lefzen eines scheußlichen Drachens, der aus dem lieblichen Körper des fürstlichen Fräuleins entstanden war. Es war das Mißgeschick des Ritters Artavan, daß er es bei einem Kusse hatte bewenden lassen: hätte er die süßen Lippen dreimal hintereinander geküßt, so wäre der Zauber gebrochen gewesen; aber die Gelegenheit war vorüber, und die Folgen dieser Unterlassungssünde mußten getragen werden: von dem fürstlichen Fräulein, indem es weiter in dem Zauber befangen blieb, und von dem Ritter, indem er auf den Besitz der schonen Huldin verzichten mußte. Der scheußliche Drache, in den sich der Leib des Freifräuleins verwandelt hatte, sauste ein paarmal in dem Gemache umher und entflog dann durch ein Seitenfenster ins Freie, während laute Wehklagen ob der, getäuschten Hoffnung die ganze Burg erfüllten.« Agelastes endigte hier seine Erzählung, setzte jedoch aus eigenem Wissen noch kurz hinzu, daß im Morgenlande noch immer die Meinung herrsche, die schöne Fürstentochter läge verzaubert im Schlosse des Eilandes Zulichium. Es habe wohl manch anderer Ritter noch den Versuch gewagt, den Bann zu lösen; es sei aber bislang noch keinem geglückt. »Aber,« bemerkte er noch, »ich weiß den Weg, der nach Zulichium führt, und Ihr braucht bloß ein Wort zu sagen, so könnt Ihr Euch morgen auf dem Wege dorthin befinden,« Gräfin Brenhilde vernahm die letzten Worte mit großer Angst; da sie jedoch wußte, daß ihr Gemahl sich am ehesten bewogen fühlen möchte, das gefahrvolle Unternehmen zu wagen, sobald sie dagegen eiferte, überließ sie ihm, das weitere Verhalten allein zu bestimmen. Nicht lange, so erfaßte er ihre Hand und sagte: »Brenhilde, Deinem Gemahl sind Ruhm und Ehre die höchsten Lebensgüter. Freilich hast Du für mich getan, was keine andere Frau unseres Standes hätte tun mögen; darum muß ich Dir schon eine Stimme zugestehen bei dem Entschlüsse, vor dem ich stehe. Laß jedoch bei diesem Greise nicht die Meinung aufkommen, Dein Herz sei aus dem gleichen Stoffe gebildet, wie das der anderen Weiber!« Wohl versuchte Brenhilde, die Haltung einer Heldin anzunehmen, aber sie unterlag doch ihren Empfindungen und fiel dem geliebten Gemahl unter Tränen um den Hals. Graf Robert war im ersten Augenblicke enttäuscht darüber, daß seine Voraussehung sich in so geringem Maße bestätigte, fühlte sich aber schließlich ergriffen durch diesen Ausbruch von Zärtlichkeit und ließ den Blick voll stolzer Bewunderung auf seinem Ehgemahl haften. . »Meine Holde,« sprach er, »so laß den Greis an meiner Statt wissen, daß aus dem Abenteuer nichts werden könne, da Du mich daran verhindertest. Ich will es so um Deinet- und nicht um meinetwillen.« Aber es wurde ihr nicht leicht, dem Gemahl zu willfahren, nach diesem Beispiele dafür, daß die Natur allewig ihre Rechte behauptet, und wenn sie jetzt auch die Arme von dem Halse des geliebten Mannes löste, so behielt sie doch noch immer seine Hand in der ihrigen und hielt den Blick in inniger Liebe auf ihm geheftet. »Meine schöne Frau,« nahm da Agelastes, bestrebt, ihr die Situation zu erleichtern, wieder das Wort, »was Ihr mir sagen wollt, ist weit entfernt von allem Bösen. Schlimmer als bisher befindet sich jene verzauberte Fürstin jetzt auch nicht, und daß der Ritter, der sie erlösen wird, nicht mehr fern ist, unterliegt wohl kaum einem Zweifel –« Schwermütig lächelnd, fiel ihm Dame Brenhilde ins Wort: »Es ist mir schmerzlich genug, das unglückliche Fürstenkind einer so mächtigen Hilfe zu berauben, wie mein Gemahl für sie gewesen wäre; aber so sehr ich die Kleinlichkeit meiner Eifersucht zugebe, und so gern ich meinen Gemahl bei solchem Unternehmen unterstützen würde,« – hier heftete sie einen unruhigen Blick auf den Grafen – »Nicht doch, Brenhilde,« erwiderte Graf Robert, »das ginge doch in keinem Falle an!« – »Und ich allein könnte das Abenteuer nicht wagen?« fragte Brenhilde, die keine Ursache hatte, die Reize der Fürstentochter zu fürchten, und sich, kräftig genug dünkte, einen Kampf wider den Drachen zu bestehen. »Edle Frau,« versetzte Agelastes, »das verzauberte Fürstenkind ist nur durch Liebeskuß zu erlösen, nicht aber durch Freundschaftskuß.« – Die Gräfin erwiderte mit stolzem Lächeln« »Das sollte doch wohl Grund genug für eine Dame sein, die Erlaubnis zu solchem Wagnis zu weigern.« – »Nun denn,« nahm Graf Robert das Wort, »so empfanget für die heitere Stunde, die Ihr uns bereitet, wackerer Greis, einen kleinen Lohn. Es ist bedauerlich, daß sich Euer Vorschlag nicht in Ausführung setzen läßt; aber ich muß mich der von meiner Gemahlin gefällten Entscheidung fügen, nachdem ich sie ihr anheimgestellt habe. Nehmt mir nicht übel, daß ich nur weniges biete; wir fränkischen Ritter sind leider keine Krösusse.« Da zog Brenhilde einen kostbaren Ring vom Finger. »Erlaubt, frommer Vater, daß ich der Gabe meines Gemahls dieses Kleinod hinzufüge. – »Ich will es nehmen,« erwiderte der Philosoph, »doch unter einer Bedingung: an dem schönsten Wege, der zur Stadt führt, in einem kleinen Kiosk, meinem Tempel der Freundschaft, wie ich ihn mit Vorliebe nenne, treffe ich heute abend ein paar Personen, die zu den angesehensten Männern des oströmischen Reiches gehören. Ich möchte das gräfliche Paar um die Ehre bitten, heute abend dort unter meinen Gästen zu erscheinen.« – »Ich halte es für eine Pflicht, den frommen Vater dafür zu entschädigen, daß ich mich seinem ersten Vorschlage abhold verhalten muß, und wäre dafür, mein Gemahl, ihm diesen Wunsch zu erfüllen.« – »Es wird spät werden,« meinte Graf Robert, »aber ...« – Agelastes fiel ihm ins Wort: »Ich kann Euer Aber am schicklichsten ergänzen durch den Beisatz, daß es nur ein kurzes Stück Weg dorthin ist, daß aber, wenn die edle Gräfin lieber den Weg zu Pferde zurücklegen will.« – »Ich brauche kein Pferd,« erwiderte Brenhilde, »es reist wohl selten ein Ritter mit so geringem Gepäck wie mein Gemahl.« Agelastes ging durch ein Gehölz voran, und das gräfliche Paar folgte ihm. Drittes Kapitel Graf Robert und seine Gattin Brenhilde wurden von dem Greise am Ufer der Propontis entlang geführt. Fortwährend wechselten die lieblichsten Bilder vor ihren Augen. An einer Stelle fühlte der Pfad, den sie entlang schritten, durch ein Felsentor auf eine Art von Arena unter freiem Himmel. Auf der von Felsen umschlossenen sandigen Fläche tummelten sich Scharen von heidnischen Skythen, häßliche Leute mit kurzen, zwerghaften Leibern und unverhältnismäßig langen und starken Armen und Beinen. Ihr Gesicht ging mehr in die Breite als in die Länge; Zwischen den seitwärts sitzenden Schweinsaugen saß eine Nase mit so weiten Nüstern, daß man tatsächlich meinen konnte, diesen Menschen bis in das Gehirn hinauf sehen zu können. Sie übten sich gerade im Speerwurf, und mancher von ihnen wurde dabei in den Sand gestreckt und wohl auch verletzt. Als das gräfliche Paar an ihnen vorbei ritt, richteten sich von allen Seiten her lüsterne Blicke auf die schöne Dame, die sich erregt zu ihrem Gemahl wandte: »Wohl kenne ich keine Furcht; wenn es aber zutrifft, was ich oft gehört habe, daß Abscheu Furcht erwecken kann, dann könnten mich diese Scheusale schrecken.« »Heda, Ritter!« rief einer der Ungläubigen, »ist's Euch etwa unbekannt, daß jede Frau, die den Fuß in einen skythischen Atmeidan oder, wenn Ihr's griechisch hören wollt, Hippodrom setzt, den darin aufhältlichen Skythen mit ihrem Leibe verfällt?« »Schuft von einem Heiden!« rief Graf Robert, »welcher Rede erfrechst Du Dich gegen einen Pair von Frankreich?« Agelastes gemahnte die Skythen in der anmaßenden Sprache eines byzantinischen Höflings, daß der Kaiser über jedes Vergehen gegen die abendländische Ritterschaft schwere Strafen verhängt habe. »Behaltet Eure Weisheit für Euch!« rief der Skythe, trotzig zwei wuchtige, mit Adlerfedern geschmückte Wurfspieße in der Luft schwingend: »wir wissen schon, wie der Kaiser über das Gesindel von Rittern denkt, Freund ist er ihnen bloß, solange er sie vor Augen hat. Wir sind nun einmal nicht Söldner, die dem Kaisers anders dienen können, als er's offen befiehlt oder im geheimen wünscht!« »Toxartis!« warnte der Philosoph, »Du lügst!« »Schweig' Du!« rief der Skythe, »oder ich vergreife mich au Dir altem Schwätzer, so wenig sich das mit meiner Kriegerehre vertrüge!« Im selben Augenblick packte der Skythe den Schleier der Dame, um ihn ihr vom Gesicht zu reißen; Brenhilde jedoch, ihrem kriegerischen Temperament getreu, streckte den Heiden durch einen Hieb mit ihrem Schwerte zu Boden. Sein Feldgeschrei: »Rette, Du Sohn Karls!« erdröhnen lassend, sprengte Graf Robert mit hoch geschwungener Streitaxt in den heidnischen Haufen hinein und jagte ihn wie Spreu auseinander. »Erbärmliches Gesindel!« rief er, als er von der Verfolgung wieder zu dem Philosophen trat! »wenn wir uns bloß mit solchen Feinden hier zu schlagen haben, so wird der Zug nicht allzulange dauern.« »Eilen wir nach unserem Kiosk,« riet der Philosoph, »es könnte der Fall sein, die Skythen fänden Verstärkung und kämen zurück, sich an Euch zu rächen.« »In einem christlichen Lande, wie es Ostrom doch sein will,« versetzte Graf Robert, »sollte solches Räubervolk ausgetilgt werden, aber nicht mit Verstärkung rechnen dürfen! Komme ich von dem Zuge gegen Palästina heil zurück, werde ich es mir angelegen sein lassen, reinen Tisch hierzulande zu machen.« Agelastes zog es aber vor, auf dem kürzesten Wege seinen Kiosk zu erreichen. Auf ein von ihm gegebenes Zeichen öffnete sich sogleich die kleine Pforte, die zu dem romantischen Plätzchen führte, und in derselben zeigte sich sein schwarzer Diener Diogenes. Es entging dem Philosophen nicht, daß das gräfliche Paar sich vor dem Neger, den wohl noch keines von ihnen so nahe gesehen hatte, weniger erschreckte, als entsetzte; aber so gern er sich den ihm hieraus winkenden Vorteil gewahrt hätte, so blieb ihm keime Zeit dazu; denn aus der Ferne drang es wie Musik zu ihren Ohren, das Rauschen des Wasserfalles übertönend, der dicht bei dem Kiosk aus einem Felsen hervorbrauste. »Mir scheint, die erwarteten Gäste nahen bereits meiner bescheidenen Behausung; erlaubt mir nur einen Augenblick, ihnen entgegen zu gehen; mit der Mahlzeit werden wir nun schon warten müssen, bis sie zur Stelle sind, was aber wohl bald der Fall sein wird.« »O, uns eilt's nicht damit,« erwiderte Graf Robert, »wir können gut warten; lieber wäre es uns noch, Ihr hättet nichts dawider, wenn wir still für uns einen Bissen Brot und einen Trunk Wasser zu uns nähmen und auf den Platz an Eurer Tafel verzichteten.« »Das mögen die Heiligen verhüten!« rief der Philosoph; »nie haben würdigere Gäste an meiner Tafel gesessen! Das Wort würde ich aufrecht erhalten, selbst wenn Kaiser Alexius in diesem Augenblicke auf der Schwelle meiner Tür stände!« Kaum waren diese Worte aus seinem Munde, so schmetterte eine Trompete, das Rauschen des Wasserfalles und die Musik, die seit kurzem erklang, übertönend. »Fürchtet Ihr Gefahr, frommer Vater?« rief Graf Robert; »Ihr zittert ja? Zweifelt Ihr denn an unserem Schutze?« »Nicht im geringsten,« versetzte Agelastes; »Ihr würdet mir selbst in der schlimmsten Gefahr noch erscheinen wie ein schützender Hort; aber dieses Trompetensignal weckt nicht Furcht, sondern Ehrfurcht! Es kündet mir das Nahen kaiserlicher Gäste. Aber, edle Freunde, seid ohne Bangen! Denn die uns nahen, lassen gern ihre Gunst auf ehrsame Leute ausstrahlen. Wundert Euch indessen nicht, daß ich mit der Stirn zum pflichtschuldigen Willkomm den Boden berühren muß.« Er war schon an der Pforte; Graf und Gräfin folgten ihm, aber es harrte ihrer schon ein neuer Auftritt. Viertes Kapitel Agelastes hatte knapp noch Zeit, sich vor einem gewaltigen Tiere auf den Boden zu werfen, das damals in der Welt noch fremd war, jetzt aber unter dem Namen Elefant als allgemein bekannt gelten darf. Es trug auf dem Rücken eine große, reich geschmückte Sänfte, in welcher die Gemahlin des Kaisers, Irene, mit ihrer Tochter, dem gelehrten Blaustrumpfe Anna Komnena, saß. Geführt wurde das stattliche Gefolge, das sich aus einem berittenen Trupp in glänzenden Rüstungen zusammensetzte, von dem kaiserlichen Schwiegersohne Nikephoros Briennios. Als die Fürstinnen auf der Terrasse aus ihrer Sänfte herniederstiegen, warfen sich die Offiziere zu Boden und richteten sich erst wieder in die Höhe, als die Fürstinnen vor der kleinen Pforte standen. Kaiserin Irene war bereits über die Jugendzeit weit hinaus, zeichnete sich aber noch immer durch eine echt majestätische Haltung aus, während ihre Tochter in der vollen Blüte der Weiblichkeit stand. Im Hintergrunde, umringt von einem richtigen Wall von Speeren, stand der durch Größe und Pracht ausgezeichnete Hoftrompeter, auf hohem Felsen, von wo aus er seinen Leuten durch Zeichen verständlich machte, daß sie sich hier der weiteren kaiserlichen Befehle gewärtig zu halten hätten. Brenhildens Schönheit zog alsbald die Aufmerksamkeit der Kaiserin und der Prinzessin auf sich. Agelastes fühlte, daß es seine Pflicht sei, die Gäste miteinander bekannt zu machen. »Darf ich sprechen und leben?« fragte er; »die Fremdlinge, die Eure kaiserlichen Herrschaften bei mir antreffen, gehören zu den unzähligen Tausenden, die um Palästinas willen das Kreuz genommen haben; sie sind zugleich auch von dem Verlangen beseelt, dem Kaiser Alexius bei der Verjagung aller Heiden aus dem Gebiete seines Reiches zu helfen und an Stelle dieser Barbaren dem Kaiser als Vasallen zu dienen.« »Wir danken Euch gern, weiser Agelastes,« erwiderte die Kaiserin, »für die Freundschaft, die ihr Fremden erweist, die sich ehrerbietig dem kaiserlichen Throne nahen, und werden Uns um so lieber mit ihnen befassen, als es Unser Wunsch ist, daß Unsere von Apollo mit einem so schönen Erzählungstalent gesegnete Tochter Bekanntschaft mache mit einer jener Amazonen des westlichen Europas, von denen Wir schon so oft gehört haben und doch immer noch so wenig wissen.« »Meine Dame,« nahm Graf Robert das Wort, »was dieser Greis hier über unsere Anwesenheit im kaiserlichen Lande ausgesagt hat, kann unseren Beifall nicht finden; wir sind dem Kaiser Alexius weder lehnspflichtig, noch hat uns irgend welche andere Absicht hierher geführt, als das Heilige Land aus den Klauen der Sarazenen zu erlösen. Aber wir erkennen die Gewalt und Hoheit des Kaisers bloß aus dem Grunde an, weil es uns unchristlich erscheint, als Christen mit einem christlichen Herrscher Konflikt zu suchen. Aus keinem andern Grunde ist von den Führern und Feldhauptleuten des christlichen Heeres beschlossen worden, die Huldigungskomödie zu spielen.« Die Kaiserin geriet ob dieser Worte, die mehrfach wider den am griechischen Kaiserhofe üblichen Speichelleckerton verstießen, wiederholt in heftige Erregung; sie war jedoch von ihrem Gemahl instruiert worden, sich mit den Kreuzfahrerrittern in keinerlei Dispute einzulassen, da jeder, der nicht äußerst zungengewandt sei, unbedingt dabei den kürzeren ziehen müsse; und so begnügte sie sich, wie wenn sie die Worte überhaupt nicht verstanden hätte, mit einer höfischen Verbeugung. Unterdessen hatte der Cäsar Nikephoros die Gräfin Brenhilde mit einer fast auffälligen Aufmerksamkeit beobachtet, die sich aber um ihn so gut wie gar nicht kümmerte, sondern das ihr seltsame Tier betrachtete, auf welchem die Kaiserin mit ihrer Tochter in den Kiosk eingeritten war. Um ins Gespräch mit ihr zu kommen, trat er jetzt zu ihr heran und sagte: »Wie es scheint, schöne Gräfin, ist Euch das Tier, dem wir den Namen Elefant gegeben haben, noch nicht zu Gesicht gekommen? Wie sollte es denn auch der Fall sein, da Ihr ja doch zum ersten Male in Eurem Leben den Fuß in die Stadt setzet, die den stolzen Namen einer Königin der Welt führt?« – »Entschuldigt, Cäsar,« erwiderte Brenhilde, »aber der gelehrte Herr hier wäre wohl besser in der Lage, uns über dies eigentümliche Geschöpf der Tierwelt zu unterrichten.« »Das dürfte freilich zutreffen,« bemerkte die Prinzessin, herantretend, mit seinem Lächeln; denn sie meinte gleich allen Anwesenden nicht anders, als es sei der fremden Gräfin schon bekannt, daß der Philosoph wegen seiner ungeschlachten Figur am kaiserlichen Hofe den Spitznamen »Elefant« führte. – Dieser erlaubte sich die demütige Bemerkung: »Sicher ist, daß er die Gelehrigkeit des Tieres, ebenso gut kennt, wie sein feines Gefühl und seine Treue.« – »Wahr gesprochen, weiser Agelastes,« antwortete die Prinzessin; »es sei ferne von uns, ein Tier zu schmähen, das sich auf den Boden kniet, damit wir es besteigen. Doch kommt, fremde Dame! Und auch Ihr, fremder Graf! Ihr sollt in Eurem Lande sagen können, sofern es Euch vom Schicksal vergönnt wird, dorthin zurückzukehren, daß Ihr die kaiserliche Familie von Ostrom ebenso essen und trinken sahet wie andere Sterbliche,« – »Ich möchte die freundliche Einladung nicht gern abschlagen,« sagte Brenhilde, »aber es wird bereits dunkel, und wir müssen nach der Stadt zurück,« – »Unsere kaiserliche Bedeckung wird Euch schützen,« sagte die Prinzessin. – »Schützen?« fragte mit geringschätzigem Blicke Brenhilde, »wozu brauche ich Schutz? Mein Gemahl ist mir hinlänglicher Schutz; aber nicht einmal ihn brauche ich; denn Brenhilde von Aspramonte weiß sich selbst recht gut zu schützen.« »Meine Tochter,« mischte hier Agelastes sich in das Gespräch, »Ihr verkennt die Gesinnung der Prinzessin, die nichts anderes im Sinne hat, als durch Euch Kenntnis der merkwürdigsten Sitten Eures Frankenlandes zu erlangen. Zum Danke hierfür wird sie Euch Zutritt verschaffen zu der kaiserlichen Menagerie, in der Ihr die seltsamsten Geschöpfe der Erde sehen werdet von jenem Vierbeiner an, der die Wipfel von vierzig Fuß hohen Bäumen abfrißt, trotzdem seine Hinterbeine kaum die halbe Höhe haben, bis zu jener Riesenechse hinunter, die eine Länge von dreißig Fuß erreicht, in einen undurchdringlichen Schuppenpelz gekleidet ist und ihren Raub unter menschlichem Jammergeheul verzehrt, um hierdurch andere leckere Opfer in ihre Netze zu ziehen,« »Genug! genug!« rief Brenhilde lebhaft, »frommer Vater, was Ihr da sprecht, weckt mein Interesse in ganz besonderem Maße, und ich werde meinen Gemahl bitten, mich dorthin zu führen! Robert, wir gehen doch dorthin?« – »Auch jenes andere gewaltige Tier werdet Ihr dort sehen, schöne Frau,« nahm Agelastes wieder das Wort, »das ein spitzes Horn auf der Nase trägt und eine so dicke Haut hat, daß es noch nie ein Ritter hat verwunden können.« – »Robert,« rief die Gräfin wieder, »nicht wahr, wir gehen doch hin?« – »Ja doch,« erwiderte der Graf, »sei es auch nur, diesen Kindern des Morgenlandes zu zeigen, was ein fränkischer Ritter mit seinem Schwert zu vollbringen vermag!« Dabei rasselte er so wild mit seinem »Tranchefer«, daß sich alle entsetzten und die Kaiserin in den Kiosk hinein flüchtete. Die Prinzessin hingegen nahm mit dem edelsten Anstand den Arm des Grafen Robert. »Die Kaiserin-Mutter zeigt uns den Weg nach der Behausung des gelehrten Agelastes; ich muß Euch nun schon ein bißchen griechischen Ton beibringen.« Als Graf Robert sich nach seiner Gemahlin umsah, setzte sie scherzend hinzu: »Macht Euch Eurer Gemahlin wegen ja keine Sorge; denn meinem Manne bereitet es immer ganz besondere Freude, Gästen Aufmerksamkeiten zu erweisen. Es ist zwar sonst nicht an diesem Hofe Sitte, in Gegenwart von Fremden sich zur Tafel zu setzen. Aber unsere Frau Mutter hat bereits entschieden, daß Ihr uns und wir Euch gegenüber, von allen Zeremonien Abstand nehmen sollen; und daraus entnehme ich, daß mein kaiserlicher Vater, wenn er diese Abweichung vom Zeremoniell nicht schon im voraus gebilligt hat, sie nachträglich billigen wird. Eine sehr große Gnade bleibt es jedoch auf alle Falle.« Kaiserin Irene hatte sich schon an der Spitze der Tafel niedergesetzt und nahm nicht ohne Verwunderung wahr, daß ihre Tochter den Grafen und ihr Schwiegersohn die Gräfin von Paris zur Tafel führten und zu ihrer Rechten und Linken plazierten; aber sie hatte von ihrem Gemahl Befehl erhalten, den fremden Rittern gegenüber Nachsicht walten zu lassen, und nahm demzufolge von allen zeremoniellen Rücksichten Abstand. Während der Cäsar nach griechischer Sitte sich zur Tafel hinstreckte, blieb der Graf sitzen mit der unter Lachen abgegebenen Erklärung, »daß er nur im Kampfe auf ein Lager gestreckt werden könne, und auch erst dann, wenn er nicht mehr imstande sei, sich wieder aufzurichten oder aufzuspringen.« Im übrigen nahm die Tafel den üblichen, streng förmlichen Verlauf. Agelastes hatte für die Befriedigung auch der ausgesuchtesten Genüsse in ausgiebigstem Maße gesorgt: es gab nicht bloß eine ungeheure Menge von leckeren Speisen, sondern auch viele Sorten köstlicher Weine; aber Graf Robert begnügte sich mit der ersten besten Speise, die in seiner Nähe stand, und mit dem ersten besten Weine, ohne wie sein Gastgeber und die übrigen Griechen erst sorgfältig zu untersuchen, ob auch der Wein zu der Speise sich schicke, die sie gerade zum Munde führten. Noch weit mäßiger als er war seine Gemahlin, die Wein überhaupt verschmähte, und erst auf vieles Zureden des Cäsars sich dazu verstand, das Quellwasser, mit dem sie ihren Durst löschte, mit etwas Wein zu mischen. Dagegen aßen die beiden griechischen Damen, wenn auch nicht gerade viel, so doch von allen Speisen, und ließen besonders keine der zahllosen Leckereien ungekostet; aber schließlich war auch ihr Appetit gestillt, und die Aufmerksamkeit der Prinzessin wandte sich nun in höherem Maße ihrem »Herrn« zu. Es berührte sie unangenehm, daß derselbe im Gegensatz zu ihr sich so nüchtern zeigte, und sie fragte ihn, ob er denn wirklich allen Musen abhold sei? – »Schöne Dame,« erwiderte der Franke, »ob Ihr es übel nehmt oder nicht, mir bleibt darauf nur die Antwort übrig, daß ich als rechter Christ all den Schnickschnack von Musen und Göttern anspeie!« – »Ihr gebt meiner harmlosen Frage eine recht garstige Deutung,« erwiderte die Prinzessin, »was haben die Musen zu tun mit Göttern, und was gar mit dem zweiten Gebot? Wenn Ihr so grimmig sein wollt, so wird es geraten für uns sein, jedes Wort auf die Goldwage zu legen.« Graf Robert lachte. »Es lag durchaus nicht in meiner Absicht, Euch zu kränken; auch wäre es unrecht, Eure Rede anders als harmlos aufzufassen. Zudem hege ich für Euch eine sehr hohe Achtung, seit ich von Eurem rühmlichen Vorhaben gehört habe, die Taten Eures Vaters der Nachwelt durch schriftliche Aufzeichnungen zu erhalten. Aber ich sehe, daß mein Weib Miene zu machen scheint, von der Tafel aufzustehen? Sie will nach der Stadt, und es geht unmöglich an, daß ich sie allein ziehen lasse.« »Davon wird natürlich keine Rede sein,« sagte die Prinzessin, »denn wir werden uns alle zusammen nach Konstantinopel begeben. Hat doch Agelastes schon dafür gesorgt, daß Ihr die Menagerie in Augenschein nehmt, die mein kaiserlicher Vater in seinem Palaste hält. Auf keinen Fall dürft Ihr meinen, daß mein Ehgemahl das Eure gekränkt haben könnte; wenn Ihr ihn kennen werdet, so werdet Ihr bald merken, daß er zu jenen Menschen gehört, die nicht anders artig sein können, als daß sie sich in das gegenteilige Licht setzen.« Die Gräfin lehnte aber jede Aufforderung, sich wieder zu setzen, so entschieden ab, daß sowohl Agelastes, als seine kaiserlichen Gäste sich dazu verstehen mußten, gleichfalls aufzustehen, sie hätten die Gräfin denn entweder allein gehen lassen, oder den Versuch gewaltsamer Zurückhaltung machen müssen, der ihnen wohl aber sehr böse bekommen wäre: so wurde denn, trotzdem sich unter den Offizieren und Soldaten lautes Murren gegen einen so frühen Aufbruch erhob, die Tafel aufgehoben, der Cäsar stieg wieder auf den Elefanten, die Kaiserin setzte sich mit der Prinzessin wieder in die Sänfte, und Agelastes suchte sich einen lammfrommen Zelter aus, von dessen Rücken aus er bequem seine philosophischen Vorträge halten konnte. Vornehmlich richtete er dieselben an die Gräfin Brenhilde, an deren Seite er auch ritt. Als der fürstliche Zug wieder das goldene Tor passierte, wo der ehrliche Zenturio seine Wache unter die Waffen treten ließ, lag die gewaltige Stadt schon im nächtlichen Dunkel vor ihnen, das nur von den die Häuser der Bürger erhellenden Lichtern unterbrochen wurde. »Wir müssen nun aber ernstlich an den Aufbruch denken,« sagte der Graf zu der Prinzessin, als die Gesellschaft vor dem Tore des Blachernä-Palastes hielt, »sonst laufen wir Gefahr, unsere Herberge von gestern nicht mehr offen zu finden.« – »Ich möchte Euch auffordern,« nahm die Kaiserin das Wort, »ein Quartier zu nehmen, das sich für Euern Rang besser schickt als eine Stadtherberge, und Ihr sollt dort keinen geringeren Wirt haben als die Person, mit der Ihr Euch bei Tafel vorwiegend unterhieltet.« Graf Robert schlug mit Freuden ein. Wenn es ihm auch nie in den Sinn gekommen war, der von ihm mit allen Fasern des Herzens geliebten Brenhilde eine andere Dame vorzuziehen, und er auch jetzt an solche Möglichkeit mit keinem Atem dachte, so schmeichelte es seiner Eitelkeit doch nicht wenig, daß ihm eine Dame von so hohem Range und so großer Schönheit eine derartige Aufmerksamkeit erwies. Es überkam ihn jedoch jetzt eine ganz andere Stimmung, als wie sie ihn am Morgen beherrscht hatte: es wäre ihm jetzt nicht mehr beigekommen, den Kaiser in Gegenwart so vieler Ritter und seines zahlreichen Gefolges derart zu kränken, wie er es getan hatte; und entschlossen, diese Unbill nach Kräften gut zu machen, nahm er die Einladung der Kaiserin um so leichteren Herzens an, als er bei der herrschenden Dunkelheit den verdrießlichen Zug nicht bemerkte, der Brenhildens Stirn verdüsterte. Das gräfliche Paar war eben in jenes Labyrinth von Gängen getreten, durch welches sich tags vorher Hereward mühsam zurechtgefunden hatte, als ein Kämmerer und eine Kammerfrau sich ihnen knieend nahten mit anderer Kleidung und dem Bedeuten, sich für die Audienz bei dem kaiserlichen Herrscher umzuziehen. Brenhilde warf einen schnellen Blick auf ihre mit Blut befleckten Sachen und Waffen und fühlte sich trotz ihrer Eigenschaft als Amazone tief beschämt. Mit der Rüstung und den Waffen des Ritters sah es nicht viel besser aus. »Ruft meine Dienerin Agathe,« befahl die Gräfin; »denn sie allein besitzt die zu solchem Dienste notwendige Kenntnis und Tüchtigkeit.« Die griechische Kammerfrau dankte Gott, daß ihr keine Toilette zugemutet wurde, bei der sie mit Schmiedehammer und Kneifzange hätte zu Werke gehen müssen. – Graf Robert seinerseits verlangte nach seinem Waffenschmied Marzian, der ihm »die silberne Rüstung mit den blauen Ringlein bringen solle, die er dem Grafen von Toulouse im letzten Turnier, das er auf fränkischem Boden ausgefochten, abgewonnen habe«. – Ein reichgalonierter Höfling, dessen Kostüm einige Abzeichen des Waffenschmiedehandwerkes aufwies, fragte, ob er dem Herrn Grafen die Rüstung in Ordnung bringen solle, da er sich doch einiger Uebung als rechte Hand des Kaisers bei diesem Geschäft rühmen dürfe? – Graf Robert fragte: »Und wieviel Nieten hast Du beim letzten Male geschlagen?« indem er ihn bei der Hand packte, die so weich und zart war, als hätte sie nie etwas anderes als Schönheitswasser gesehen: »und mit dem Spielzeug da?« rief der Graf lachend, indem er das silberne Hämmerchen mit elfenbeinernem Stiel aus dem milchweißen Schürzfell aus Ziegenleder hervorriß, welches der Höfling zur Schau trug. Der Höfling aber sprang entsetzt zurück mit dem Rufe: »Der Kerl zermalmt einem ja die Hand wie in einem Schraubstock!« Während sich die Kaiserin mit ihrer Tochter gleichfalls zurückzog, um Toilette zu machen, wurde Agelastes, der Philosoph, zum Kaiser gerufen, der das prächtigste seiner Gewänder angelegt hatte, denn am Hofe von Byzanz war, wie am Hofe von Peking, der Wechsel von Staatskleid und Uniform eine der vornehmlichsten Tagesbeschäftigungen. »Weiser Agelastes,« redete der Kaiser den greisen Philosophen an, »Du hast die Aufgabe, die ich Dir stellte, vorzüglich gelöst! Wir sprechen Dir Unsere Zufriedenheit aus. Ohne Deine List wäre es kaum geglückt, diesen ungeleckten Bären oder Bullen und seine nicht minder ungeleckte Betze oder Kuh von der Herde zu trennen. Gelingt es Uns, sie Unserem Interesse gefügig zu machen, so wird sich Unser Einfluß auf das Kreuzheer, das in dem Grafen Robert den Tapfersten der Tapferen erkennt, nicht unerheblich steigern.« »Mein schwacher Verstand hätte solchen klugen Plan nicht ersinnen, geschweige ausführen können,« erwiderte Agelastes, »Eure kaiserliche Hoheit haben in dergleichen Geschäft tatsächlich nicht ihresgleichen.« »Die beiden Leutchen,« versetzte der Kaiser, »haben die Wahl zwischen Freund und Geisel; als Freund werden sie sich Unsere Güte sichern, als Geisel Uns in die Notwendigkeit setzen, sie Unsere Strenge fühlen zu lassen. Ihre Landsleute werden früher im Kampfe mit den Türken liegen, als sie das Verschwinden ihres Tapfersten der Tapferen merken, und wenn sie es merken, werden sie nicht mehr in der Lage sein, ihn Uns abzutrotzen.« – »Darf ich sprechen und leben?« fragte der Philosoph, »ich halte dafür, daß es durch Klugheit und Milde gelingen dürfte, das gräfliche Paar zu Freunden des kaiserlichen Hofes zu machen.« – »Ich verstehe Dich,« versetzte der Kaiser, »und es soll nichts unterlassen werden, was Unsern Hof in den Augen dieser Wildlinge in Respekt zu setzen vermag; ich will mich ihnen noch heute abend in all meiner kaiserlichen Pracht zeigen; die Löwen Salomons sollen brüllen, der güldne Baum soll seine Wunder entfalten. Doch, Agelastes, was beschäftigt Dich? Ich sehe Dir an, daß Du mir etwas sagen willst?« Nachdem der Höfling die Stirn dreimal wider den Saum des kaiserlichen Gewandes gedrückt hatte und nach Worten zu ringen schien, um seine abweichende Meinung zum Ausdruck zu bringen, sprach er: »Nach meiner Ansicht möchten die Herrlichkeiten dieses Reiches in diesen europäischen Barbaren lediglich das Verlangen wecken, das Volk, das sich im glücklichen Besitze derselben befindet, mit Krieg zu überziehen; ist doch Gewinnsucht die einzige Triebfeder, die das Tun und Lassen dieser edlen Ritterschaft leitet. Das sattsame Beispiel liefert uns doch Bohemund von Antiochien! Indessen gibt es doch auch wieder bessere Subjekte unter diesen Franken. Zu ihnen gehört wohl auch dieser Graf Robert! Ich erzählte ihm die Sage von der Fürstin von Zulichium; aber Graf Robert achtete kaum meiner Worte; erst als die Rede von dem Drachen war, der dabei bekämpft werden müsse, um den Zauber zu lösen, taute er auf.« – »Gut denn,« erwiderte der Kaiser, »Wir wollen es noch mit anderen Märchenerzählern versuchen, die das Lügen noch besser heraushaben als Du!« »Wie bei allen Dingen, ist auch hier Vorsicht geboten,« bemerkte demütig der Philosoph; »das Blaue vom Himmel zu lügen, ist keine sonderliche Kunst, so wenig, wie es eine ist, beim Schießen das Ziel zu verfehlen! Um den fränkischen Grafen nach unserm Willen zu lenken, muß man ihn genau kennen; und nicht minder auch seine Herzallerliebste, und ich kann nur sagen, daß sehr wenig fehlte, so hätte mich dieses Mannweib um einer kränkenden Bemerkung willen in meine eigene Wasserschlucht gestürzt.« »Das soll Uns eine Warnung sein, sie zu beleidigen.« – »Darf ich sprechen und leben?« bemerkte Agelastes, »so hätte der Cäsar wohlgetan, sich zu der gleichen Meinung zu bekennen.« – »Das muß der Cäsar mit seinem Ehgespons abmachen,« erwiderte der Kaiser, »ich habe es ihr ja schon immer gesagt, daß sie ihm mit Unserer Geschichte zu viel zusetzt. Es muß ja selbst einem Heiligen die Geduld reißen, wenn Abend für Abend das gleiche Thema geschmiedet wird. Indessen vergiß diese Worte aus meinem Munde! Erinnere Dich ihrer wenigstens nicht in Gegenwart meiner kaiserlichen Gemahlin und Tochter!« »Die Gräfin ist eben ein gefährliches Frauenzimmer,« sagte Agelastes, »und damit täte Nikephoros gut, zu rechnen. Den Skythen Toxartis hat sie heute mittag ohne jede andere Waffe als ihre Faust zu Boden gestreckt.« – »Den Toxartis? sprichst Du die Wahrheit?« rief der Kaiser; »nun, auch einer jener frechen Strolche, die für den Tod schon lange reif waren. Aber bring' den Vorfall zu Papier, Agelastes, damit wir im Notfall diese Tat als einen Ueberfall des Grafen von Paris dem Kreuzheere gegenüber verwerten können,« – »Gegen Euer Vorhaben, diesem Franken die salomonischen Löwen und den Wunderbaum zu zeigen, läßt sich im Grunde weiter nichts einwenden, als was ich dagegen bereits eingewendet habe: indessen mochte es gut sein, ihm nicht viele Wachen vor die Augen zu rücken; dieses fränkische Ritterpack kommt mir vor wie ein Rudel feuriger Pferde; sind sie ruhig, lassen sie sich an einem Seidenfaden lenken; werden sie argwöhnisch und wild, lassen sie sich durch den stärksten Stahlzaum nicht meistern! Und wild könntet Ihr den fränkischen Grafen leicht machen, wenn Ihr ihm viel Wachmannschaft vor die Augen rücktet.« – »Ich will es an keiner Vorsicht fehlen lassen,« versetzte der Kaiser; »so läute denn nun die silberne Glocke, Agelastes, zum Zeichen, daß die Diener mich ankleiden sollen.« – »Ein Wort noch, kaiserliche Hoheit, solange wir noch allein sind,« sagte Agelastes, sich bis zum Erdboden verneigend, »wollen mir kaiserliche Majestät die Leitung Ihrer Menagerie anvertrauen?« – »Nimm hier dies Siegel,« sprach der Kaiser, »es macht Dich zum Herrn über Unsere Menagerie-Tiergruben. Nun aber rede einmal offen und ehrlich, Agelastes, denn Dein verstecktes Gesuch hat Uns verwundert. Wie willst Du diese Wildlinge unter Deine Fuchtel bringen?« – Agelastes erwiderte mit tiefer Verbeugung: »Durch nichts weiter als die Macht der Falschheit!« – »Darin erscheinst Du mir als Meister, solange ich Dich kenne,« versetzte der Kaiser; »und auf welche Schwäche ihres Charakters willst Du Deine Geschosse richten?« – »Auf ihre Ruhmsucht!« erwiderte, rückwärts aus dem kaiserlichen Gemache schreitend, der Philosoph. An seiner Statt betraten die Diener mit dem Prachtgewande des Herrschers das Gemach. Fünftes Kapitel Jeder von beiden machte nun, als er mit sich allein war, seine Selbstbetrachtungen. Der Kaiser verwünschte im stillen diesen Nachläufer einer philosophischen Schule des Altertums, der es mit seiner Schlauheit fertig gebracht hatte, ihn zur Heuchelei zu zwingen. »Als Hofnarr,« sprach er leise vor sich hin, »hat er den Anfang gemacht, Herr aller Geheimnisse Unsres Hofes zu werden, dann hat er sich zum Fabrikanten aller möglichen Intrigen und Ränke aufgeschwungen, bis er sich zuletzt mit meinem Schwiegersohne gegen mich zusammentat und meine Leibwache in sein Garn lockte. Es ist wirklich schon so weit gekommen, daß ich mich nur so lange vor ihm sicher fühlen kann, wie er mich für ein Schaf im Kaiserpelze hält, aber wenn ich diesen Kreuzzug erst einmal vom Halse habe, soll er mitsamt seiner Clique, Schwiegersohn, Akoluth usw., alsbald erfahren, daß ich die schafige Rolle bloß gespielt habe, um ihn aufs Eis zu führen, nicht aber, um mich von ihm am Narrenseile führen zu lassen.« Agelastes dagegen sprach vor sich hin: »Dem Pfiffikus auf dem Kaiserthrone trauen? Das sollte mir gerade beikommen! Nein! nein! er trägt ein bißchen zu kraß auf, als daß man nicht Verdacht schöpfen sollte. Hat er doch schon bei mehr als einer Gelegenheit den seinen Komnenenverstand gezeigt! Jetzt soll er sich einbilden, daß seine imitierten Löwen auf solch einen kühnen Hünen, wie diesen Grafen Robert, Eindruck machen werden? Papperlappapp! er spielt auch diese Komödie bloß, um mich zu äffen! Ich hab's ihm ja angesehen, daß er im stillen bei sich dachte: Mein Agelastes, Dein Kaiser kennt Dich zu gut, um Dir zu trauen! Immerhin, Alexius, die Verschwörung nimmt ihre Entwicklung, und wenn ich mich jetzt zurückziehen wollte, so hieße das nichts anders, als mich selbst in den Löwenrachen liefern, und dazu habe ich denn doch keine Lust! Erst will ich noch zusehen, ob sich dieser Franke in mein Gewebe ziehen, und ob sich mit seinem Beistände Kaiser Alexius zwingen läßt, den Rest seiner Tage in einem Kloster oder einer noch beengteren Zufluchtsstätte zu beschließen. Bringst Du das fertig, Agelastes, dann wirst Du ein Recht darauf haben, Deine Philosophenrolle mit einer Herrscherrolle zu vertauschen; dann wirst Du als ein zweiter Marcus Antonius der Welt den Nachweis führen, daß man zu ihrem Regiment weder ein Tyrann noch ein Sybarit zu sein braucht. Also ans Werk, mein Agelast! handle und wache! So will's die Zeit, und so erheischt's der Ruhm.« Unterdes sorgten beide für ihren äußeren Menschen in der ihrem Stande angemessenen Weise: der Kaiser, indem er sich von seinem Trabanten in sein herrlichstes aller Prachtgewänder, der Philosoph, indem er sich von seinem schwarzen Leibdiener in einen weißen Burnus stecken ließ, der, so sauber er war, doch für einen byzantinischen Thronkandidaten ganz und gar nicht paßte. Graf und Gräfin legten ihre schmucksten Rüstungen an: der Leib des Grafen wurde von einem Kettenpanzer vollständig bedeckt, von dessen blau angelaufenem Stahl das reichlich eingelegte Silber grell abstach; von dem unbedeckt gelassenen Kopfe wallten die Lockenmähnen nieder; an den Füßen glitzerten silberne Sporen, vom Nacken hernieder hing der dreieckige, mit vielen Lilien bemalte Schild, – die so lange Zeit hindurch Europas Schrecken waren – und an der Seite hing sein gewaltiges Schwert. Seine Körpergröße paßte ganz zu diesem Kleide, auch das männliche, schöne Gesicht mit dem starken Ausdruck von Zuversicht in die eigene Kraft stand in vorzüglichem Einklang damit. Sein Ehgemahl trug ein kaum minder kriegerisches Gewand: der obere Teil desselben setzte sich aus mehreren tunikaartigen Röcken zusammen, die prall am Körper saßen, aber fußfrei und obendrein aufgeschürzt waren, um nicht bloß dem Fuße, sondern auch dem geschienten Beine Bewegungsfreiheit zu schaffen. Vom Gürtel bis zu den Waden reichte eine reiche, höchst geschmackvolle Stickerei; das Lockenhaupt mit dem männlichen, aber nichtsdestoweniger lieblichen Gesicht wurde von einem Stahlhelm überdeckt, und über die ganze Rüstung hing ein dunkelgrüner Samtüberwurf hernieder, der mit breiten Tressen besetzt war, unten in eine Schleppe, nach oben in eine Kapuze auslief, die den Helm verhüllte, kurz: ein Gewand, so malerisch und doch so energisch, daß es manchem späteren Jahrhunderte noch zur schönsten Zierde hätte gereichen können. Als die Gräfin aus dem Ankleideraume trat, konnte Graf Robert sich nicht wehren, sie an seine Brust zu ziehen; war er doch noch immer in höherem Maße ihr Liebhaber als ihr Gemahl! Und Gräfin Brenhilde gab ihm gern den Kuß zurück, den er ihr auf die schönen Lippen drückte. Nichtsdestoweniger schalt sie ihn einen Toren und wies ihn auf die Aufgabe mit kühlen Worten hin, die ihnen bevorstand. Es währte nicht mehr lange, so erklang ein schwaches Klopfen an der Tür, die zu den kaiserlichen Gemächern führte zum Zeichen für Agelastes, die fremden Gäste hereinzuführen. Ein dumpfes Löwengebrüll verriet den Beginn der Zeremonie. Von den schwarzen Wachen waren auf den Rat des Philosophen hin nur wenige aufgestellt worden, sie trugen aber sämtlich das reiche, weiße Staatskleid mit den güldenen Ketten, als Abzeichen ihres Standes; in der Rechten hielten sie das blanke Schwert, in der Linken eine brennende Kerze, mit der sie dem gräflichen Paare durch die Gänge, die sie zu passieren hatten, leuchteten. Die Tür, die zu dem »Allerheiligsten« des byzantinischen Kaiserschlosses führte, war niedriger als alle andern, die der Graf bislang hier gesehen hatte; ein fanatischer Höfling hatte diese Einrichtung noch in letzter Stunde getroffen, um den fränkischen Grafen zu zwingen, in gebückter Haltung vor dem Kaiser zu erscheinen. Aber als sich die beiden Flügel auftaten und Graf Robert im Hintergrunde des Audienzgemaches den Kaiser in seinem strahlenden Ornate sitzen sah, stellte er sogleich die Frage, aus welchem Grunde er durch ein so niedriges Portal geführt würde. Agelastes deutete, um die Antwort zu umgehen, auf den Kaiser; der an dem Portale postierte Sklave aber riß den Mund weit auf zum Zeichen, daß er keine Zunge mehr habe. »Heilige Jungfrau!« rief die Gräfin entsetzt, »was mag der arme Mensch verbrochen haben, daß ihn eine so furchtbare Strafe treffen mußte?« – »Vielleicht ist die Stunde der Vergeltung für solche Missetat nahe,« erwiderte dumpf Graf Robert, während Agelastes schon zum Zeichen seiner Huldigung vor dem kaiserlichen Throne auf den Knieen lag. Graf Robert aber, empört über solchen Versuch, ihn zu einer demütigen Handlung zu zwingen, machte Kehrt und schob sich mit dem Rücken voran in das Gemach hinein, sich erst wieder umdrehend, als er sich kerzengerade in die Höhe gerichtet hatte und die Gräfin sich an seiner Seite befand, die sich auf eine minder rücksichtslose Weise dem kaiserlichen Throne näherte. Auf den Gesichtern der anwesenden Höflinge malte sich Verlegenheit, auf dem Antlitz des Kaisers Bestürzung, auf demjenigen des mit anwesenden Bohemund von Antiochien aber Schadenfreude. Indessen gab Kaiser Alexius ohne Säumen das Zeichen zum Beginne der Zeremonie: alsbald erhoben die salomonischen Löwen, ihre Mähnen schüttelnd und mit ihren Schweifen wedelnd, ihr Gebrüll, setzten aber hierdurch den fränkischen Grafen in solchen Grimm, daß er, ohne sich zu fragen, ob er wirkliche Geschöpfe oder ein mechanisches Kunstwerk vor sich habe, auf den ihm zunächst befindlichen Löwen zuschritt und ihm mit seiner stählernen Faust einen Schlag wider den Kopf gab, daß er in Stücke zersprang und Walzen, Federn und anderes Gerät über den Teppich hin flogen. Sobald er inne wurde, daß sich sein Zorn nicht auf ein lebendiges Wesen, sondern eine mechanische Spielerei entladen hatte, fühlte er sich nicht wenig beschämt, trat vor den kaiserlichen Thron und sprach, sich tiefer verneigend, als er es sonst wohl getan hatte, zu Alexius: »Verzeiht mir, Kaiser von Ostrom, daß ich Euch dieses vergoldete Ding zerschlagen habe; der Zauber- und Wunderwerke sind aber hierzulande so viele, daß kein Ritter im stande ist, das Echte vom Falschen, das Wahre vom Erlogen zu scheiden,« – Kaiser Alexius, den seine sprichwörtliche Geistesgegenwart in diesem Momente im Stiche zu lassen drohte, murmelte etwas von einem kostbaren Schatze, dessen Besitz an die kaiserliche Familie von dem alttestamentlichen Könige der Juden übergegangen sei; Graf Robert in seiner Derbheit meinte hingegen, es zieme sich auch für den weisesten Herrscher nicht, seine Untertanen durch dergleichen Hokuspokus in Schrecken oder auch nur sich bei ihnen in Respekt zu setzen. »Und wenn ich mich durch meinen Grimm zu einer voreiligen Handlung hinreißen ließ, so büße ich sie kaum am wenigsten von uns beiden, denn ich habe mir an dem hölzernen Lowenschädel meinen kostbaren Stahlhandschuh zerschlagen!« Nach einigem Hin- und Herreden über das häßliche Vorkommnis schlug der Kaiser vor, sich in den Speisesaal zu begeben. Vom Truchseß wurden die gräflichen Gäste durch eine endlose Reihe von Gemächern geführt, deren Ausstattung mit allerhand Prachtstücken ihnen einen schicklichen Begriff von der Macht und dem Reichtum des Geschlechtes der Komnenen geben sollte, und da hierzu eine geraume Zeit vonnöten war, blieb dem Kaiser die nötige Zeit, dem höfischen Zeremoniell, das ihm verbot, sich zweimal am Tage einem fremden Gaste in dem gleichen Ornate zu zeigen, gemäß und der eigenen Neigung entsprechend, sich umzukleiden. Um die Zwischenzeit weise zu nützen, ließ er Agelastes zu sich rufen. »Durch wessen Versehen ist der verschmitzte Bohemund von Antiochien, der halbe Italiener und halbe Asiate, bei dem heutigen Empfange in den Palast gerufen worden?« herrschte er den Philosophen an.– »Soweit ich unterrichtet bin, hat – sofern ich sprechen darf und leben – Truchseß Michael Cantacuzene in dem Glauben, seine Anwesenheit werde gewünscht, den Fürsten geladen: er kehrt aber schon heute abend in das Kriegslager zurück.« – »Um die Herren Kreuzfahrer davon zu unterrichten, daß ihr Tapferster der Tapferen sich in Unserem Schlosse befindet?« fragte höhnisch der Kaiser; »damit Uns recht bald die Kriegserklärung überbracht werde, falls Wir Graf und Gräfin nicht auf der Stelle freilassen?« – »Sofern das Eurer Hoheit Meinung ist, möchte es allerdings geratener sein, die beiden Leute gleich mit dem italienischen Normannen oder normannischen Italiener, wie Ihr wollt, ins Kreuzfahrerlager zurückzuschicken,« erwiderte Agelastes. – »So?« versetzte Alexius, »Wir sollen Uns also jeglicher Frucht aus dem klug ersonnenen Unternehmen gleich im vorhinein begeben? Sollen alles Geld, das wir schon darauf gewandt haben, zum Fenster hinausgeworfen haben? Sollen allen Verdruß und alle Besorgnis umsonst gelitten haben? Nein, Agelastes! unterrichte vielmehr die Kreuzfahrer, daß Wir von der Fortsetzung der Huldigungszeremonie Abstand nehmen wollen, daß sie statt dessen sich von morgen in aller Frühe zur Einschiffung nach der jenseitigen Küste bereit halten mögen; Unserm Admiral aber lassen Wir befehlen, bei seinem Kopfe dafür Sorge zu tragen, daß sich zur Mittagszeit kein einziger Kreuzfahrer mehr auf dieser Seite des Bosporus befindet. Ihr, Agelastes, aber sorgt, daß zu ihrem Empfange auf dem anderen Ufer ein fürstliches Mahl bereit stehe. Haben Wir sie vom Halse, dann wollen Wir der weiteren Gefahr die Stirn zu bieten suchen, sei es, daß wir den Fürsten Bohemund für Uns gewinnen; sei es, daß Wir dem Kreuzfahrerheere offen gegenüber treten, wenn erst ihre Streitmacht zersplittert ist, oder doch ihr Feldhauptmann mit den anderen wichtigeren Anführern sich auf dem andern Ufer befindet. Und nun zur Tafel!« Inzwischen waren die kaiserlichen Gäste in dem Speisesaale angekommen, dessen Ausstattung ganz die gleiche Pracht aufwies wie alle übrigen Räume, durch die sie geführt worden waren. Auf der Tafel von gewaltiger Länge stand ein fürstliches Mahl, auf den köstlichsten Gedecken und in den köstlichsten Schüsseln; doch seltsam berührte es das fränkische Ehepaar, daß die letzteren auf Schemeln standen, damit sie den beim Essen nach der am Hofe herrschenden Sitte sitzenden Damen und liegenden Herren gleicherweise zur Hand seien. Um die Tafel herum standen Negersklaven in reicher Tracht, um den Dienst bei Tafel zu verrichten; der Truchseß wies den Gästen ihre Plätze mit seinem güldenen Stabe an und bedeutete ihnen, bis auf ein neues Zeichen mit seinem Stabe vor den ihnen angewiesenen Plätzen stehen zu bleiben. Das obere Ende der Tafel war durch einen seidenen Vorhang verhängt, auf den der Truchseß mit sklavischer Unterwürfigkeit den Blick geheftet hielt, bis ein leichtes Wehen verriet, daß sich der Kaiser hinter ihm befinde. Darauf schwang er seinen Stab, der Vorhang teilte sich, und der kaiserliche Thron, um etwa acht Fuß höher als die Tafel, wurde sichtbar. Der Kaiser saß in einem neuen, das frühere an Pracht noch weit überbietenden Ornate vor einem neben den Thron gesetzten kleinen Sondertische; hinter ihm stand seine Gemahlin, seine Tochter und der Cäsar und Schwiegersohn, gewärtig seiner Erlaubnis, sich zu den Gästen der kaiserlichen Tafel zu gesellen. Der Kaiser berührte keine Schüssel, die für die Gäste bestimmt war, und umgekehrt nahm keine Schüssel, aus der der Kaiser sich bedient hatte, den Weg zu seinen Gästen; von den Weinen hingegen ließ der Kaiser wiederholt denjenigen Gästen, denen er besondere Ehre antun wollte – und das waren fast nur die fränkischen Ritter – hin und wieder ein Glas reichen. Graf Robert ließ keinen Blick von dem Fürsten von Antiochien, der auf dem Wege zum Speisezimmer Gelegenheit gefunden hatte, ihm zuzuraunen, er möge sich bei der kaiserlichen Tafel genau so verhalten wie er, und Sorge tragen, daß sich auch seine Gemahlin hiernach richte, Graf Bohemund, wie schon bemerkt, einer der verschlagensten Fürsten jener Zeit, genoß von keiner Speise, trank auch keinen Schluck Wein, sogar von jenem nicht, der vom Kaiser zur Tafel geschickt wurde. Ein Glas Wasser, das er sich selbst eingoß, und ein Stück Brot, das er aufs Geratewohl aus einem Körbchen, wie ihrer viele auf der Tafel umherstanden, nahm, bildeten seine einzige Nahrung. Er entschuldigte dieses nüchterne Verhalten mit dem heiligen Adventsfeste, das ihm Fasten auferlege. »Daß Ihr, Herr Bohemund, Uns gerade heute nicht Bescheid tun mögt,« sagte der Kaiser, der in dem Verhalten des Antiochiers weniger Frömmigkeit als Argwohn erblickte, »da Ihr Uns doch die Ehre erwiesen, als Fürst von Antiochien in die Eigenschaft eines Vasallen Unseres Thrones zu treten, berührt Uns, wie Wir nicht verhehlen wollen, höchst unangenehm.« – »Antiochien,« erwiderte Bohemund, »ist nicht erobert, und bei allen Verträgen, die wir eingehen, macht das Gewissen seinen Vorbehalt.« – »Nun, so laden Wir denn,« hub der Kaiser wieder an, »wenngleich es der an Unserem Hofe herrschenden Sitte widerspricht, Unsere Kinder zu einem gemeinsamen Trunke ein, desgleichen Unsere Gäste und anwesenden Kronbeamten.. Wir befehlen Unserem Truchseß, die Becher zu füllen, welche die Namen der neun Musen führen, bis zum Rande, und mit dem Weine, der für Unsere kaiserlichen Lippen bestimmt ist.« Die Becher, durchweg aus lauterem Golde, wurden gefüllt. Der Kaiser wandte sich zu dem Grafen Robert: »Ihr wenigstens, edler Graf,« sprach er, »werdet Euch Wohl nicht bedenken, Eurem kaiserlichen Wirte Bescheid zu tun? und Eure edle Gemahlin Wohl auch nicht?« – »Die Sünde, heute abend Wein zu trinken, will ich auf mich nehmen,« erwiderte der Graf, »sie wird die Last meiner Sünden wohl nicht zu sehr mehren; ich will auf keinen Fall, daß Ihr meinen sollt, ich hätte Bedenken anderer Art.« – »Und Ihr, Fürst Bohemund?« – »Ich möchte meinen, es sei dem Grafen besser gewesen, sich nach meinem Beispiele zu richten. Doch wie es ihm beliebt! Mich befriedigt schon das Aroma dieses köstlichen Weines.« Mit diesen Worten schüttete er den Inhalt seines Bechers auf die Dielen, bewunderte aber die kostbare Gravierung des Bechers und schien sich an dem köstlichen Aroma zu laben. »Die Becher weisen sämtlich eine schönere Arbeit auf, als der berühmte Becher Nestors, von dem uns Homer eine Schilderung hinterlassen hat,« sagte der Kaiser, »und da Euch, Herr Bohemund, die Arbeit so großen Gefallen abgewinnt, biete ich Euch, wie jedem meiner Gäste den Becher, der ihm vorgesetzt worden, mag er daraus getrunken haben oder nicht, zum Andenken an das heutige Festmahl als Geschenk.« »Wenn ich solches Präsent, mächtiger Kaiser, nicht weigere,« erwiderte Bohemund, »so will ich Euch eben nur zeigen, daß uns einzig und allein die Frömmigkeit hindert, Euch beim Trinken Bescheid zu tun, daß wir darum aber nichts weniger als im Unfrieden auseinander gehen.« Er, verbeugte sich tief vor dem Kaiser, und dieser dankte ihm mit einem Lächeln, das einen recht herben Anflug zeigte. »Ich aber,« nahm nun der Graf von Paris das Wort, »möchte mir genügen lassen an dem Trunke, den ich aus diesem Becher genommen, und Eure Tafel nicht solches köstlichen Geschirres berauben. Es sei ferne von mir, aus Eurer edlen Gastfreundschaft noch materiellen Nutzen zu ziehen.« – »Ganz, wie Ihr wollt, edler Graf, aber auch ganz, wie Fürst Bohemund es will. Aber hört, die Abendglocke läutet, und wir müssen nun doch wohl der Ruhe gedenken, die uns die Kräfte zum morgigen Tagewerk schaffen soll.« Die Gesellschaft brach auf; Fürst Bohemund nicht, ohne der Musen zu gedenken, die ihm zum Präsent gemacht worden, wiewohl er sonst von ihnen kein sonderlicher Verehrer war. Was der Kaiser gewollt hatte: zwischen Bohemund und Graf Robert ein gespanntes Verhältnis zu schaffen, war ihm geglückt; denn Bohemund konnte sich nicht verhehlen, daß Graf Robert von seiner Habsucht eine schlechte Meinung gewonnen, und Graf Robert, daß der kühl berechnende Bohemund in ihm einen unüberlegten Draufgänger erblicken müsse. Sechstes Kapitel Graf Robert und Dame Brenhilde erhielten ihr Quartier im Blachernä-Palaste in zwei aneinander stoßenden Zimmern angewiesen, die aber durch Absperren der zwischen ihnen befindlichen Tür für die Nacht außer Verbindung gesetzt wurden. Das Ehepaar verwunderte sich zwar darüber, daß dies geschah; indessen meinten sie das sonderbare Verhalten entschuldigen zu sollen mit dem in diese Nacht fallenden heiligen Adventsfeste. Daß einem von ihnen Böses drohen oder gar widerfahren könne, davor fürchteten sie sich nicht. Marzian verrichtete bei dem Grafen, Agathe bei der Gräfin ihren Nachtdienst und begaben sich dann nach den ihnen unter ihresgleichen angewiesenen Lagerstätten. Mochte es nun von dem Weingenuß herrühren – Graf Robert hatte zwar nur ein einziges Mal, aber doch einen recht tüchtigen Schluck davon genommen – oder von der Unruhe des verwichenen Tages kommen, – kurz, er erwachte zu einer Zeit, da es noch stockfinster in dem Raume war, während ihm doch zumute war, als müsse der Tag längst angebrochen sein. Er guckte sich um, konnte aber zunächst weiter nichts sehen als ein Paar glühende Punkte an der entgegengesetzten Wand, die ihm aber ganz so vorkamen wie ein Paar Augen einer wilden Bestie, die ihre Beute anglotzt. Er sprang vom Bette, in der Absicht, nach seiner Waffe zu greifen, aber im selben Augenblicke kam von der Wand ein dumpfes Gebrüll herüber, begleitet von einem Kettengerassel, wie wenn die Bestie zum Sprunge angesetzt hätte, aber durch Ketten, daran verhindert würde. Das Gebrüll setzte nun nicht wieder aus, und es war so fürchterlich, daß es im ganzen Palaste gehört werden mußte. Die Bestie mußte dem Grafen unbedingt auch schon näher gekommen sein, denn es war ihm hin und wieder ganz so, als ob ihn ein heißer Atem ins Gesicht träfe. Wohl war der Graf einer der tapfersten Männer seines kriegerischen Zeitalters, aber doch auch ein Mensch, und darum braucht es ihm nicht zur Unehre angerechnet zu werden, daß sein Herz im eisten Augenblicke nicht frei von Unruhe, wenn auch nicht Bangen, war. Aber er war fest entschlossen, sein Leben so teuer wie möglich zu verkaufen. Unangenehm war ihm vor allen Dingen, daß es ihm beschert sein sollte, unter den Klauen einer Bestie zu verenden. Dann fiel ihm ein, das Ganze könne vielleicht bloß ein Trick des Philosophen oder auch des Kaisers sein, seinen Mut auf die Probe zu stellen, und dieser Gedanke brachte ihm eine gewisse Beunruhigung. Aber das Gefühl, daß ihm der Tod nahe, konnte er nicht bezwingen; es kam immer und immer wieder, trotzdem er sich mit dem Gesichte nach der Wand zukehrte, da fiel ihm sein Weib ein: ob sie schliefe? Aber wie sollte das möglich sein bei dem gräßlichen Gebrüll der Bestie? Ihre beiden Zimmer stießen aneinander. Er rief sie, um sie zu warnen, aber seine Stimme hatte nur matten Klang; denn die Furcht, seiner Ehgemahlin könnte noch Schlimmeres bevorstehen als ihm, beschlich ihn mit einem Male, ohne daß er eine Erklärung dafür finden konnte, woher ihm nun auch solch schwarzer Gedanke noch käme. »Brenhilde!« rief er wieder, »wir sind in schlimmer Gefahr, erwache und sprich zu mir! Erwache, aber erhebe Dich nicht von Deinem Lager!« Keine Antwort! »Was geht denn mit mir vor?« sprach er da bei sich selbst; »weshalb rufe ich nach Brenhilden, als wäre ich ein Kind, das Sehnsucht fühlt nach seiner Amme? Fürchte ich mich schon vor einer Katze, die sich in meine Stube verlaufen hat? Ha, schäme Dich, Graf von Paris! Mein Wappen soll man mir zerschlagen, die Sporen soll man mir von den Füßen hauen, wenn ich länger verweile wie ein feiger Wicht. Heda!« rief er mit Donnerstimme, »was bist Du für ein Wesen? gib Antwort!« und wieder ertönte jenes dumpfe Geknurr, das ihm zu künden schien, es gebe hienieden für ihn keine Hoffnung mehr. Da klang ihm eine dumpfe Stimme in die Ohren, wie aus einem tiefen Grabe herauf: »Tor Du! wie kannst Du auf Antwort rechnen aus dem lebendigen Grabe, in das Du gestoßen worden?« – »Ich bin ein christlicher Ritter,« erwiderte der Graf, »der gestern noch an der Spitze von fünfhundert tapferen Mannen stand, und liege jetzt hier in einem finsteren Loche, das mich nicht einmal den Winkel sehen läßt, worin der Tiger liegt, der mich zu zerfleischen droht!« – »Du bist ein Exempel mehr für die Wandelbarkeit des Glückes,« antwortete die Stimme, »wirst aber noch bei weitem nicht das letzte sein! Ich leide hier schon über drei Jahre, und war doch jener mächtige Ursel, der sich neben Alexius Komnenos um die Krone des Reiches Ostrom bewarb. Aber ich wurde verraten von denen, die sich mir verbündet hatten, wurde des kostbarsten Gutes beraubt, das der Mensch besitzt, des Augenlichtes, und in dieses finstere Gewölbe gestoßen, wo ich nur wilde Bestien zu Gefährten habe, deren freudiges Gebrüll über unglückliche Opfer, die ihrer Wut preisgegeben worden, mich oft schon aus meinem nächtlichen Schlummer aufgerüttelt hat.« Da wurde der Raum wie durch einen jähen Zauber von einem dunkelroten Lichtschein erhellt. Die Sache ging jedoch durchaus natürlich zu: dem Grafen war eingefallen, daß er ein Feuerzeug bei sich trug, und hatte es angesteckt, um damit die Bettvorhänge in Brand zu setzen. Von dem grellen Schein erschreckt, sprang der Tiger soweit zurück, wie ihm die Kette Terrain freigab; Graf Robert aber packte den schweren Holzschemel, der neben seinem Bette stand, und schleuderte ihn mit furchtbarer Gewalt dem Tiger gegen den Schädel. Als er sah, daß die Bestie betäubt auf die Erde schlug, sprang er zu ihr hin und erstach sie mit dem Dolche, den seine Verfolger ihm gelassen hatten; nun erst ward er gewahr, daß er sich überhaupt nicht mehr in jenem Zimmer befand, wo man ihm sein Nachtquartier angewiesen hatte; rasch löschte er das Feuer wieder und untersuchte beim Lichtschein seines Feuerzeuges den Raum und die Tür, zu der er hereingekommen zu sein wähnte. Von einer Verbindung mit dem Zimmer, das seiner Gemahlin angewiesen worden war, ließ sich nirgends etwas wahrnehmen: es wurde ihm mit einem Male klar, daß sie bloß deshalb in den beiden voneinander getrennten Zimmern untergebracht worden waren, damit man sie desto leichter überfallen und bezwingen konnte. Grauen befiel ihn, als er des Schicksals gedachte, das seinem Ehgemahl drohen mochte oder vielleicht schon über dasselbe gekommen war. Jetzt gedachte er der Warnungen, die ihm Bohemund erteilte; jetzt wußte er, daß in dem Weine, den er getrunken hatte, irgend ein Betäubungsmittel enthalten gewesen sein mußte. Wer konnte wissen, wie lange er unter der Einwirkung desselben gestanden hatte? Da erklang wieder, doch von einer ändern Seite her, jene unheimliche Grabesstimme: »Fremdling, wo weilst Du? Bist Du noch am Leben oder hat Dich der Tiger zerrissen? Sprich! denn ich kann nicht sehen!« »Ich lebe noch,« versetzte der Graf, »und das Ungetüm liegt krepiert am Erdboden. Auch die Tür hab' ich gefunden; sie liegt auf der Seite, woher Deine Stimme zu mir dringt; aber ich kann sie nicht öffnen.« »Ich will Dich lehren, wie es sich mit ihr verhält,« antwortete die Stimme; »hebe sie so hoch, wie Du kannst, und die Riegel werden sich von selbst zur Seite schieben. Sodann stoße mit aller Macht dagegen, und sie wird weichen. O, könnte ich Dich doch sehen! Es muß ja eine Freude sein für menschliche Augen, solch tapferen und kühnen Mann zu sehen!« Graf Robert legte seine Rüstung an, von der er außer seinem getreuen Schwerte Tranchefer kein Stück vermißte, und versuchte dann, nach der ihm von dem Gefangenen gegebenen Weisung, die Tür zu öffnen. Es gelang ihm aber erst, nachdem er all seine Kraft aufgeboten hatte. Die Riegel liefen, sobald sie aus ihren Haken gelöst waren, und ohne daß es eines Schlüssels bedurfte, tat sich eine kleine Pforte auf. Wieder ertönte die Stimme: »Ich höre Dich, Fremdling! Du stehst jetzt in meinem Kerker. Drei Jahre lang habe ich daran gearbeitet, die Rinnen in den Stein zu graben, worin die eisernen Riegel laufen. Mehr denn zwanzig Riegel gilt es wegzuschaffen, ehe ich freie Luft atmen kann. Wie soll mir Kraft bleiben, solches Werk zu vollbringen? Aber es gewährt mir, glaube mir, eine ungeheure Freude, daß es mir vergönnt gewesen, auf diese Weise zu Deiner Erlösung beizutragen; denn sollte uns auch die weitere Befreiung nicht gelingen, so werden wir einander doch trösten können, solange der schlimme Tyrann uns das Leben vergönnt.« Graf Robert blickte sich in dem neuen Räume, wohin er gelangt war, schaudernd um. In solcher Totengruft hatte ein menschliches Wesen drei Jahre lang gelebt? Kaum zwölf Fuß im Quadrat maß der grausige Kerker, und außer einem hölzernen Schragen, einem hölzernen Schemel und einem winzigen Tische war nichts darin enthalten, was einem Menschen das Leben hätte bequem machen können. Über dem Schragen standen in einen großen Mauerstein die schrecklichen Worte gemeißelt: »Hier wurde Zedekiah Ursel an den Iden des März eingesperrt und wurde hier begraben am ...« Eine leere Stelle dahinter war zur Aufnahme des Todestages bestimmt. Den Lebendigbegrabenen zu erkennen, wäre ein Ding der Unmöglichkeit für jeden gewesen, der ihn einst gekannt hatte; er sah entsetzlich verwildert aus, sein Bart war ihm bis auf den Bauch hinunter gewachsen und sein Kopfhaar hatte sich zu einem scheußlichen Weichselzopfe verwandelt... Dem Grafen drohte das Blut zu erstarren. »Hast Du diese Rinnen, in die die Riegel laufen, aus diesem Steine gehauen?« – »Mußte ich mir nicht Arbeit suchen, um bei Verstand zu bleiben?« versetzte der Unglückliche; »freilich ist's ein schweres Stück Arbeit gewesen und hat über drei Jahre gedauert. Drei Jahre lang habe ich Stein gegen Stein gerieben. Woher ich weiß, daß drei Jahre darüber verstrichen sind? Eine ferne Glocke hat mir mit ihren Schlägen die fliehenden Stunden zugezählt: und als endlich die Tür aus ihren Fugen wich, da sah ich, daß ich mir den Weg bloß zu einem anderen, noch festeren Kerker gebahnt hatte. Und doch hat die mühevolle Arbeit nun ihren Segen gebracht! Denn ohne sie hätten wir ja niemals den Weg zu einander gefunden!« »Denke an Besseres!« erwiderte Graf Robert, »sinne auf Freiheit und Rache! Wie kann es der Himmel zulassen, daß solch schmählicher Verrat ein gutes Ende fände? Er müßte ja noch ungerechter sein, als Pfaffenmund zu künden vermöchte. Aber auf welche Weise wird Dir die Nahrung in Dein Kerkerloch gebracht?« – »Ein Wärter bringt mir einen Tag um den andern Brot und Wasser; er scheint kein Griechisch zu verstehen, denn er hat mir weder je geantwortet, noch je mich angesprochen. Ihr werdet gut tun, Euch auf kurze Zeit in den andern Kerker zu begeben, denn es möchte nicht gut sein, wenn uns der Mann, der bald kommen muß, erkennen würde.« – »Meinetwegen,« versetzte der Graf, »Wenn ich auch nicht einzusehen vermag, wie der Kerl in meinen Kerker gelangen könnte, ohne den Eurigen zu passieren. Soviel aber sage ich Euch: er soll noch eine Nuß zu knacken bekommen, ehe er sein heutiges Tagewerk vollendet.« Hierauf rückte er die Tür wieder an ihren Platz, nachdem er in sein Kerkerloch zurückgekrochen war; von Ursels mühevollem Werk war nicht das mindeste mehr zu sehen. Siebentes Kapitel Graf Robert, war noch nicht lange wieder in seinem Kerker, so sah er aus einer Falltür in der Decke einen Lichtschimmer fallen, und fast gleichzeitig erklang in angelsächsischer Mundart der, Ruf: »Flink, Sylvan! flink!« Darauf antwortete jemand in einer andern, dem Grafen, aber ganz unverständlichen Mundart, die durch eine Art Gekicher in einemfort unterbrochen wurde: dazwischen rief wieder die andere Stimme: »Was? Du willst nicht? Marsch! hier ist die Leiter! und nun flink! flink!« Da schwang sich mit einem einzigen Satze ein Wesen von etwa sieben Fuß Länge aus der Falltür auf die Kerkerdielen nieder, das in der Linken eine Fackel, in der Rechten eine Art Strickleiter hielt, die sich bei dem Sprunge mit abgewickelt hatte, ohne zu reißen, aber begreiflicherweise einem so riesigen Geschöpfe nicht als Handhabe oder Stütze hatte dienen können. Die Fackel, die dasselbe hielt, verlöschte infolge des starken Luftdruckes, der durch das Niederschießen des mächtigen Körpers entstand, und als das seltsame Wesen mit der Hand nach der Fackel fuhr, um sich zu überzeugen, ob sie noch brenne oder nicht, verbrannte es sich die Finger, fuchtelte mit dem Arme wild hin und her und stimmte ein lautes Geheul an. »Achtung, Sylvan!« rief die angelsächsische Stimme wieder, »tanze nicht unten herum wie ein Narr, sondern gib dem Blinden sein Essen!« – Das Wesen – es als Mensch zu bezeichnen, wäre zu weit gegangen – blickte zu der Falltür hinauf, von welcher die Stimme hernieder klang, fletschte auf eine schreckliche Art die Zähne und ballte grimmig die Faust. Dann knotete es ein Bündel auf, das es am Arme getragen hatte, suchte in seinen Taschen nach einem Schlüsselbunde, fand ihn aber nicht dort, sondern neben dem Brote in dem Bündel. Dann zwängte es die Fackel hinter einen vorspringenden Stein und fachte sie durch seinen Atem zu neuem Brande an, guckte behutsam nach der Tür, die zu dem Kerker des Greises führte, steckte den Schlüssel in das Schlüsselloch und öffnete die Tür. Auf dem schmalen Korridor trat es zu einer Art Pumpe, deren Schwengel es ein paarmal auf und ab bewegte, bis ein Eimer voll Wasser gelaufen war, den es in Ursels Zelle trug. Ein paar Augenblicke später kam es mit dem, was der Gefangene von dem Wasser und dem Brote des gestrigen Tages übrig gelassen, wieder. In das Brot biß es, schnitt aber eine schreckliche Fratze und schleuderte es gegen die Wand. Graf Robert, bei sich im ersten Entsetzen hinter sein Bett geflüchtet hatte, ließ keinen Blick von dem seltsamen Geschöpfe, das er geneigt war, für den Teufel in eigener Person oder für einen seiner Kerle zu halten. Die angelsächsische Stimme hatte sich aber weniger als die eines beschwörenden Zauberers angehört, mehr als die eines Tierbändigers. »Pfui!« dachte er bei sich, »was wird's denn schließlich anders sein als ein Waldmensch oder ein Affe? Und solch ein Geschöpf sollte mich verhindern können, den Weg zum Lichte und zur Freiheit wiederzugewinnen? Ich will es lieber so drehen, daß mir der Kerl als Führer zur Oberwelt dient.« Mit einem Male gewahrte das seltsame Geschöpf den erschlagenen Tiger; es betastete ihn lange und schnitt ein betrübtes Gesicht, wie wenn es ihm leid täte, daß die Bestie nicht mehr am Leben sei; dann mochte es ihm wohl einfallen, daß ihn jemand umgebracht hätte; es langte wieder den Schlüssel aus dem Bündel und war so blitzschnell an der Tür und in Ursels Zelle verschwunden, daß Graf Robert, als er das gewahrte, es nicht mehr einholen konnte. Im nächsten Augenblick aber erschien es wieder in Roberts Kerker; es mochte sich eines andern besonnen haben, denn es fing an, jeden Winkel der Zelle zu durchsuchen, schlich geräuschlos, mit langen Schritten, an den Wänden hin, an denen sich sein Schatten wie ein anderes gespenstisches Wesen entlang bewegte. Immer näher kam der Waldmensch, – denn ein solcher war dieses Wesen-- dem Bette, hinter welchem Graf Robert noch immer kauerte. Mit einem Male trafen sich beider Blicke; aber der Waldmensch schien fast noch mehr erschrocken über den Anblick, der sich ihm so unvermutet bot, als Graf Robert; denn er schrie gräßlich auf und machte einen Sprung von mindestens fünfzehn Schritten rückwärts. Aber schon im nächsten Augenblicke bewegte er sich wieder mit vorgehaltener Fackel, um den Grafen deutlich zu sehen, auf den Schragen zu. Da packte Graf Robert einen Pfosten des Schragens, riß ihn mit einem Ruck von dem Gestell los und drohte damit dem Waldmenschen wie mit einem Knüttel. Das mochte wohl ein Ding sein, mit dem der Waldmensch öfter Bekanntschaft gemacht hatte; denn er erhob ein grimmiges Geschnatter, fuchtelte mit seiner Fackel umher und wich ängstlich wieder zurück. Graf Robert aber meinte, den Vorteil, der ihm hierdurch erwuchs, nicht ungenützt vorbeigehen zu lassen, sondern sprang hinter dem Bett hervor und vorsetzte dem Waldmenschen einen so kräftigen Schlag mit dem Bettpfosten, daß er wie tot niederstürzte. In der Absicht, ihm mit dem Dolche den Rest zu geben, setzte ihm Graf Robert das Knie auf die Brust; der Orang-Utang aber, noch bei weitem nicht tot, war im Nu auf den Beinen und hätte sicher den Ritter unter sich gebracht, wenn er nicht gleichzeitig nach dem glitzernden Dolche desselben gegriffen hätte. Robert aber riß ihm die scharfe Klinge durch die Hand, so daß der Affe, winselnd wie ein Mensch, zurücksank. Ein so wetterharter Kriegsmann Graf Robert auch war, so war er doch, fern dem Kampfe, von milder Sinnesweise, vornehmlich gegen niedere Geschöpfe. So kam ihm plötzlich der Gedanke, daß es doch unrecht von ihm sei, diesem Wesen das Leben zu nehmen, das womöglich gar irgend ein verzauberter Fürst oder Ritter sei; und angenommen, es sei bloß ein Tier, so ermangele es vielleicht des Dankbarkeitsgefühles nicht. Denn Beispiele für das Vorhandensein dieser Empfindung in der Tierseele waren ihm öfter zu Ohren gekommen, abgesehen von dem bekanntesten mit Androklus und dem Löwen. Dieser Regung folgend, richtete er sich in die Höhe und ließ den Affen gleichfalls aufstehen; und siehe! er schien für die ihm erzeigte Gnade Verständnis zu haben, denn er fing an zu murmeln, was sich ganz anhörte, wie wenn er seinen Dank stammeln wollte. Graf Robert zwängte die der Hand des Affen entfallene Fackel wieder hinter den Wandvorsprung, riß ein Stück von seinem Leinenhemde ab und verband dem Tiere die verletzte Hand damit, machte ihm aber in strengem Tone begreiflich, daß er ihm bei der geringsten Widersetzlichkeit den Dolch, dessen Schärfe ihm bereits bekannt sei, durch den Leib rennen werde. Der Affe fiel auf die Kniee und küßte dem Grafen die Füße; er schien jedes Wort, jede Bewegung desselben verstanden zu haben und schien ihm Treue und Gehorsam geloben zu wollen. Plötzlich erklang wieder von oben her die angelsächsische Stimme, die der Graf schon ein paarmal gehört, hatte: »Sylvan! Sylvan! wo bleibst Du? Komm herauf, oder ich will Dich Mores lehren!« Der Affe rückte ängstlich näher zu dem Grafen heran, der sich wieder auf den Bettrand gesetzt hatte, und fing schmerzlich zu winseln an. Der Graf, ohne daran zu denken, daß der Affe ihn kaum verstehen könne, sprach ihm Mut zu. Da wurde wieder von oben gerufen: »Sylvan! Sylvan! wo steckst Du? Was hast Du denn für Gesellschaft da unten? Ist's ein Teufel oder ein Geist der Gemordeten? Schwatzest Du etwa mit dem alten, blinden Rebellen? Komm herauf, Schlingel, oder Du bekommst die Peitsche!« Der Orang-Utang fing an zu zittern; sicher kannte er das Wort Peitsche genau, denn er stand auf in der Absicht, zu der Leiter hinzuschleichen, die sich jetzt zu der Falltür hinuntersenkte; als er aber sah, daß ihm der Graf mit der Faust drohte und den Dolch zückte, besann er sich flugs eines andern und kam wieder zu dem Grafen geschlichen, die Fäuste ballend wie ein Mensch, der sich fest zu etwas entschlossen hat, und sich hinter ihm versteckend. Dem Manne oben ging die Geduld aus; mit einer um den Hals gehängten Blendlaterne und einem Schlüsselbunde in der Hand, kam er die Leiter herunter; dabei kaum hatte er den Fuß von der letzten Sprosse gesetzt, so umschlangen ihn zwei kräftige Arme. »Du bist des Todes!« schrie ihm der Graf zu, »wenn Du Dich rührst.« – »Verrat, Verrat!« schrie der Mann, »holla! Hilfe, Hereward! Hilfe! Waräger, oder welchen Namen Du sonst führst! Hilfe! Hilfe!« Aber schon hatte der Graf, der nicht gesonnen war, seinen Vorteil fahren zu lassen, ihn bei der Kehle gepackt und hinderte ihn am weiteren Schreien. Die beiden ringenden Männer schlugen auf den Boden nieder, der Mann, der auf der Strickleiter in den Kerker geklettert war, kam unter den Grafen zu liegen, und dem Gebote der Selbsterhaltung folgend, stieß dieser ihm den Dolch in den Hals. Da kam ein dritter mit rasselndem Harnisch die Leiter heruntergestiegen: Hereward, der Waräger, und kaum erblickte er im Schein der erlöschenden Fackel, die noch immer zwischen den Wandvorsprung gezwängt stand, die beiden am Boden übereinander liegenden Männer, als er sich über den zu oberst liegenden Grafen stürzte und ihm den Kopf gegen den Boden drückte. Graf Robert war einer der stärksten Männer seines Zeitalters, aber auch der Waräger suchte in der Leibesstärke seinesgleichen; zudem hatte er den Vorteil der Offensive vor dem andern voraus. »Ergib Dich, auf Gnade oder Ungnade, oder ich steche Dich nieder wie einen Hund!« rief Hereward. – »Kein französischer Graf ergibt sich einem verlaufenen Knechte!« erwiderte Robert von Paris, der seinen Gegner an der Stimme erkannt hatte, und befreite sich mit einem plötzlichen Ruck aus der Faust des Warägers. Dieser aber, nicht gewillt, seinen Vorteil aufzugeben, zückte den Dolch in der Absicht, dem Gegner den Rest zu geben, da erscholl ein wildes Geschnatter in dem Kerkerloche, der Waräger fühlte sich von einem haarigen Arme umschlungen und zurückgerissen, und Graf Robert gewann Zeit, aufzuspringen, Ohne zu wissen, gegen wen er die Drohung richtete, schrie der Waräger: »Die Hände weg, Schuft, oder Du bist des Todes!« Aber ebenso schnell, wie sich der Arm um ihn gelegt hatte, ließ er auch wieder los, und von Angst befallen vor der Uebermacht des Menschen, floh der Orang-Utang die Leiter hinauf, und überließ es den beiden Männern, ihren Zwist allein auszufechten. Sie waren beide groß und stark und mutig; sie trugen beide den schützenden Harnisch und hatten beide keine andere Waffe als den Dolch. Ueber ihnen, an dem Falltürloche, mit der flammenden Fackel in der Faust, stand der Orang-Utang und blickte mit angstverzerrter Fratze auf sie hernieder. Da nahm der Waräger das Wort, dem Gegner fest ins Auge blickend: »Eine Frage, bevor wir den Kampf beginnen: Ihr seid der kühne Franke, der in der verwichenen Nacht hier bei dem angeketteten Tiger eingesperrt wurde?« – »Der bin ich,« erwiderte Graf Robert. – »Und wo habt Ihr den Tiger?« – »Dort liegt er,« erwiderte Robert, in einen Winkel zeigend; »der frißt keinen Menschen mehr!« Hereward richtete den Blick in die Ecke und fragte erstaunt: »Und das habt Ihr vollbracht?« – »Ja,« antwortete Graf Robert, ohne mit einer Miene zu zucken. – »Und meinen Nachtgesellen erschlugt Ihr auch?« – »Erschlagen wohl nicht, aber einen argen Denkzettel dürfte er weghaben,« versetzte Graf Robert. – »Gewährt mir so lange Waffenstillstand, bis ich seine Wunde untersucht habe.« – »Es sei!« Der Waräger beugte sich zu dem Kameraden nieder, der seiner Uniform nach zur Schar der Unsterblichen gehörte; er lag im Todeskampfe, konnte aber noch lallen: »Kommst Du endlich, Waräger?« Er versuchte, sich aufzurichten, sank aber wieder zurück. »Nur Deiner Feigheit habe ich meinen Tod zuzuschreiben. Laß mich, und antworte mir nicht! Der Franke hat mir den Dolch über dem Schlüsselbein in den Leib gejagt. Dasselbe hatte ich Dir zugedacht, nur wollte ich noch einige Zeit verstreichen lassen, bis die Affäre am goldenen Tor mehr in Vergessenheit geraten wäre. Ein Stich über dem Schlüsselbein, kräftig geführt, ist allemal tödlich. Das weiß ich aus meiner Praxis zu gut, als daß ich für mein Leben noch einen Batzen geben möchte. Sebastes von Mitylene hat seinen Köcher kaum erst halb geleert, und sieht seinen Bogen doch schon zersplittert!« Der Grieche sank Hereward in die Arme und verschied. Der Waräger legte die Leiche auf den Estrich mit den Worten: »Eine recht heikle Geschichte! Ihr seid wohl meinem Volke feind, aber sonst ein wackerer Mann, soll ich Euch nun erschlagen, weil Ihr einen Schuft erschlagen habt? Ich meine, hier sei weder der Platz, noch Licht genug, daß Kämpen, die es ehrlich meinen, einen Streit ausfechten könnten. Lassen wir ihn deshalb ruhen! Meinetwegen, bis Ihr den Blachernä-Palast hinter Euch habt und wieder bei Euren Freunden und Euren Mannen seid. Kann Euch ein armer Waräger hierzu helfen, so findet Ihr mich bereit dazu. Doch setze ich voraus, daß Ihr ihm später ehrlichen Kampf nicht versagen werdet?« – »Freund oder Feind! willst Du mir geloben, auch meinem Weibe zu helfen?« – »Auch sie ist im Kerker?« – »Auch sie! und wenn Du nicht bloß mir, sondern auch ihr beistehen willst, gelobe ich, Dir ohne Rücksicht auf Deine Herkunft oder Deinen Stand, sei es zum Kampfe, sei es zum Freundschaftsbunde, meine Rechte zu bieten. Bei der Seele meines Ahnherrn Karls des Großen und beim Altare meiner Schutzheiligen, Unserer Frau zu den gebrochenen Lanzen.« »Ich bin als Landesflüchtiger um so mehr verpflichtet, mich der Sache eines tapferen Ritters anzunehmen, wenn sie außer ihm auch sein Weib anbetrifft.« – »Dir hat das Schicksal zwar edle Geburt verweigert; dafür hat Dir Gott ein Herz verliehen, wie es sich nicht bei jedem Ritter findet. Ich habe Dir noch Weiteres zu sagen. In diesen Kerkern schmachtet wohl drei Jahre schon ein Greis, der nur von Brot und Wasser lebt. Er ist blind. Diesem unglücklichen Manne zu helfen, halte ich mich gleichfalls verpflichtet.« »Bei Sankt-Dunstan!« rief der Waräger, »ich sollte meinen, Eure eigene Sache stände schlecht genug, und doch wollt Ihr sie mit der Sache jedes Unglücklichen verknüpfen, den Euch das Schicksal in den Weg führt?« – »Menschliches Elend zu erleichtern, verschönt das Ritterleben. Wackerer Sachse! zögere nicht, sondern erkläre Dich bereit, mir auch hierin zu Willen zu sein. In Deinem Gesichte liegt Klugheit und Aufrichtigkeit. Gelingt es uns, mein geliebtes Weib zu befreien, so werden wir eine große Hilfe haben, um anderen beizustehen.« »Es sei!« erklärte der Waräger, »suchen wir die Gräfin auf! Und erachten wir uns dann stark genug, auch dem blinden Greise beizustehen, soll meinerseits weder Feigheit noch Hartherzigkeit diesen Versuch hindern.« Achtes Kapitel Um die Mittagszeit des nämlichen Tages hatte Agelastes eine Unterredung mit Achilles Tatius in dem verfallenen ägyptischen Tempel, wo er sich früher mit Hereward, dem Waräger, getroffen hatte. »Jetzt, da wir vor den Gefahren stehen, die sich auf Deinem Wege zur Größe Dir entgegenstellen mußten,« begann Agelastes, ruhig und gleichmütig wie immer, »willst Du es dem törichten Knaben gleichtun, der ängstlich auf und davon läuft, nachdem er die Schleuse vom Wehre gezogen?« »Du tust mir unrecht, Agelastes,« erwiderte der Akoluth, vergleiche mich eher dem Seemanne, der, zur Fahrt entschlossen, besorgt zurück nach dem Ufer blickt, das er vielleicht nimmer wiedersieht.« »Mag sein! Indessen scheint's mir Mannesplicht, die Rechnung im voraus zu machen, nicht aber hinterher! Der Enkel Algurichs, des Hunnen, hätte erst wägen sollen, bevor er wagte, die Hand nach der Krone seines Herrschers auszustrecken.« »Still!« flüsterte Tatius; »Du weißt, noch ist das ein Geheimnis zwischen Dir und mir. Wo wären wir, wenn der Cäsar davon erführe?« »Wahrscheinlich verdorrten unsere Leiber am Galgen,« versetzte Agelastes, »während unsere Seelen im Aether schweifen würden, auf der Suche nach weiteren Geheimnissen, vielleicht solchen, die sicherer wären als die, denen wir hier nachspüren konnten.« – »Die Möglichkeit solches Schicksales dürfte uns zur Vorsicht mahnen,« erwiderte der Akoluth, die Stimme dämpfend; »denn steinerne Wände haben Ohren!« – »Nun denn, Du vorsichtigster aller Thronkandidaten,« sagte Agelastes, »so laß Dir sagen, daß Nikephoros in dem Wahne lebt, die Thronfolge sei ihm sicher, sofern es zur Wahl nach Alexius' Abscheiden kommen sollte. Er verläßt sich in dieser Sache völlig auf Dich und mich, denn eine tolle Passion, die ihn befallen hat, verrückt ihm das bißchen Verstand, über das er verfügt, vollständig. Wißt Ihr auch, wem diese Passion gilt? Dem Weibe des Franken Robert, oder vielmehr jenem Zwitter von Weib und Mann, das mit diesem Eisenfresser von christlichem Ritter ins Feld rückt!« – »Aber was kann aus solcher Narretei anders hervorgehen als zerschlagene Knochen?« fragte Tatius. – »Er pocht auf seine schöne Gestalt, die ihm bei mancher griechischen Dame das Terrain gesichert hat!« sagte Agelastes. »Vielleicht betrügt ihn diese Zuversicht ebenso, wie die auf seinen Anspruch als Cäsar auf die Thronfolge.« »Vielleicht!« wiederholte der andere. »Vorläufig habe ich ihm ein Stelldichein mit seiner Brabamante in Aussicht gestellt,« bemerkte der Philosoph lächelnd, »hoffentlich gelingt es ihr, seine verliebte Seele von dem schönen Leibe zu trennen!« »Hoffentlich hast Du nicht unterlassen, Dir dafür diejenigen Vollmachten von ihm ausstellen zu lassen, zu deren Ausstellung er die Befugnis hat?« – »Solche Gelegenheit konnte sich bloß ein Dümmerer als ich entgehen lassen,« sagte Agelastes, »freilich muß ich mir sagen, daß ich wider Altar und Charakter handle; immerhin schäme ich mich nicht, solche Narretei zu fördern, weil sie dazu führen dürfte, aus einem ehrenwerten Akoluthen einen tüchtigen Kaiser zu machen, Aber wie weit bist Du mit der Warägergarde?« »Nicht so weit, wie ich sein möchte,« versetzte Tatius, »immerhin darf ich ein Dutzend zu meinen unbedingten Anhängern zählen. Ist der Cäsar beseitigt, so wird kaum einer von ihnen mir die Heerfolge verweigern.« – »Und der Zenturio, den Alexius zu jenem Leseabend bestimmte?« – »Schade! bei ihm habe ich nichts ausgerichtet; und doch würden ihm alle Kameraden sich anschließen, denn er ist außerordentlich beliebt in der Garde. Zurzeit ist er dem tollen Grafen als Wächter beigeordnet; vielleicht wird er dann vom Kaiser den Kreuzfahrern ausgeliefert. Das bringt uns aber alles von dem Hauptthema ab: Wie verhalten wir uns gegenüber dem Kaiser?« »Darüber werden wir doch immer erst den Cäsar aushorchen müssen, ohne Rücksicht auf die tolle Passion, die ihn beherrscht,« erwiderte Agelastes, »wenngleich meine Ansicht dahin geht, daß Alexius heute den Thron zum letzten Male besteigen dürfte.« – »Laß es mich, sollte Deine Voraussetzung zutreffen, recht bald wissen, damit ich mich der Schar der Unsterblichen versichere und die Waräger, auf die ich mich verlassen kann, auf diejenigen Posten verteile, die mir als die gefährdetsten erscheinen.« – »Verlaß Dich darauf!« sagte Agelastes, »aber noch eine Frage: was soll mit der Gemahlin des Cäsars werden?« – »Schaffe sie irgend wohin, wo ich von ihrem langweiligen Geschreibsel nichts mehr höre,« erwiderte der Akoluth; »könnte sie davon lassen, so möchte ich mich schon eher mit ihr befassen, und ihr den Ausweis dafür bringen, welcher Unterschied obwaltet zwischen einem rechten Kaiser und diesem Schemen von Briennios, der so viel Wesens von sich macht, ohne daß er imstande ist, ein Weib zu beglücken.« Hierauf ging der Akoluth, stolzer als je vorher, und der Philosoph blickte ihm boshaft nach. »Auch einer von jenen Gecken,« brummte er vor sich hin, »die aus Verblendung die Fackel nicht sehen, die sie verzehren muß. Der, und den Cäsar, diesen pfiffigen Selbstling, umstricken? Nein! nein! Anna Komnena, wenn sie zur Witwe werden soll, darf keinem solchen Halbbarbaren Untertan werden! Das wäre ja schade um solchen Schatz von Witz und Genie! Ihr gebührt ein Gemahl von echtgriechischer Abkunft und einer Bildung, die der ihrigen die Wage hält. Das erst wird dem Throne von Byzanz den wahren Glanz verleihen!« Er ging stolz ein paarmal in dem Raume auf und nieder. »Doch wenn Anna Komnena Kaiserin werden soll, so muß notwendigerweise die Beseitigung des Kaisers Alexius, ihres Vaters, vorausgehen. Wäre das schlimm? Hm, ich sollte meinen, kein Kaiser hätte sich, um ans Ruder zu kommen, davor gescheut, seinen Vorfahren zu beseitigen! Sollte also ich es tun? Laßt sich nicht Blut vergießen, ohne daß man sich die Hand dabei befleckt?« – Er trat zur Tür und rief Diogenes, um ihn zu fragen, ob die fränkische Dame weggebracht worden sei? – Der Sklave nickte stumm. – »Und wie benahm sie sich dabei?« – »Ganz ruhig, als sie hörte, Ihr hättet es so angeordnet. Erst war sie gar nicht einverstanden damit, daß sie von ihrem Gemahl getrennt werden solle, und hat, wie verlautet, ein paar von den Sklaven niedergeschlagen, die sie wegbringen sollten. Mich aber erkannte sie sogleich wieder und als ich ihr sagte, Ihr bötet ihr für die nächste Zeit schickliche Unterkunft, erklärte sie sich auf der Stelle bereit, mitzugehen. Ich habe sie, Eurem Befehle gemäß, in dem der Kythere geweihten Gartenhause untergebracht.« »Sehr nett von Dir, mein Diogenes!« erwiderte der Philosoph, »Du gleichest den Genien, die einem morgenländischen Talisman dienen; ich winke Dir, und mein Wunsch ist erfüllt.« Als der Neger nach einem tiefen Bücklinge durch die Tür verschwunden war, sprach Agelastes vor sich hin: »Vergiß aber nicht, Sklave, daß es gefährlich ist, zu viel zu wissen! Und mir scheint, das fängt nachgerade an, zwischen mir und Dir zu gelten!« Da wurde dreimal gegen eines der Bilder geklopft, die so beschaffen waren, daß sie das Echo zurückgaben. »Ein Verschworener, der so spät noch kommt?« sprach er weiter, »wer mag das sein?« Er berührte das Bild der Isis mit seinem Stabe; es drehte sich, und vor ihn hin trat der Cäsar Nikephoros Briennios, Agelastes empfing ihn mit ernster Würde. »Ihr kommt, wie ich hoffe, in der Absicht, mir zu sagen, daß Ihr Euch die Sache mit der fränkischen Dame anders überlegt habt, nicht wahr?« fragte Agelastes. – »Nicht im mindesten, Philosophus,« versetzte der Cäsar, »meinst Du, ich hätte mir das Ding soviel Mühe kosten lassen, um jetzt auf einmal abzuschwenken? Die Huld der Venus ist der Lohn für die Plage, die der Mars über uns verhängt; ich wäre mit dem Kriegsgotte recht bald fertig, wenn mir nicht um Venus zu tun wäre.« – »Gegen die ungewisse Gunst eines Weibes setzt Eure Hoheit ein Kaiserreich? Und Euer Leben? Auch dasjenige aller Mitverschworenen? Dabei hat dieses Weib, das halb Teufel ist, halb Mensch, entschieden das Zeug in sich, unsern Plan zu gefährden! Zeigt sie sich Euch willig, so wird sie Euch nicht von sich lassen wollen; hält sie es hingegen, wie fast alle meinen, die sie kennen, nach wie vor mit ihrem Ehemanne, so habt Ihr alle Ursache, Euch vor einer neuerlichen Zumutung in acht zu nehmen, nachdem sie Eure erste so derb abgewiesen.« »Du predigst tauben Ohren, alter Brummbär!« rief lachend Nikephoros, »magst Du noch so gelehrt sein, eine Wissenschaft geht Dir doch ab, und das ist diejenige vom schönen Geschlecht! Was soll ich mit Dir darüber reden? Meinst Du, ich hätte Lust dazu? Oeffne mir die Pforte, die mich aus diesen Trümmern nach dem ersehnten Liebeshaine führt!« »Euer Wille geschehe!« versetzte, mit einem erzwungenen Seufzer, Agelastes. – »Diogenes, herbei!« rief der Cäsar, »sobald Du gerufen wirst, ist Unheil ja niemals fern. Oeffne die Pforte! möge Unheil, wenn es kommt, mich treffen!« Diogenes blickte auf seinen Herrn, der ihm winkte, den Befehl des Cäsars zu erfüllen. Darauf schritt Diogenes zu einer Stelle der verfallenen Mauer, um sorgfältig das Gebüsch, das sie versteckte, zu beseitigen. Eine kleine Pforte zeigte sich alsbald, verdeckt durch Quadersteine, die der Sklave heraushob, aber Stück für Stück neben der Pforte aufschichtete, wie wenn er sie später wieder zubauen wollte. »Bleib, bis ich zurückkehre, hier stehen und laß niemand mir folgen!« befahl Nikephoros dem Neger und nahm ihm die Laterne aus der Hand, die er hatte anzünden müssen, um das Schlüsselloch der Pforte zu finden. »Ich will Euch nicht in den Garten der Kythere folgen,« sagte Agelastes, »denn ich würde dort ein zu bejahrter Galan sein; Ihr habt ja den Weg schon öfter gemacht und dürftet ihn also kennen.« – »Sehr brav von Dir, mein Agelast,« erwiderte der Philosoph, »daß Du Dein Alter vergissest, um jüngeren Freunden das Feld zu ebnen!« Neuntes Kapitel Wir müssen nun in den Kerker des Blachernä-Palastes zurückkehren, wo der Zufall zwei Männer einander näher geführt hatte, deren Charakter viele übereinstimmende Züge aufwies. Immerhin war die Situation für Hereward äußerst gewagt, denn so wenig er, wie jeder Sachse, von den hohlen Zeremonien hielt, die das eigentliche Wesen am Hofe von Byzanz ausmachten, so groß war doch noch immer die Meinung von der Macht und dem Ansehen des Reiches, dessen Herrscher er sich verpflichtet hatte; und wenn er sich ferner auch klar darüber war, daß der Akoluth, sein nächster Vorgesetzter, ein Feigling, vielleicht sogar ein Schurke war, so ließ sich doch nicht hinweg disputieren, daß er immer der Kanal war und blieb, durch den sich die kaiserliche Gnade über die Warägergarde, also auch über Hereward, ergoß, und daß er sich immer als ein Vorgesetzter von humaner Denkweise gezeigt hatte. Zudem stand Hereward in einem näheren Verhältnisse zu ihm, indem er bei allen wichtigeren Aktionen von ihm als Gesellschafter und Begleiter erwählt wurde. Wenn sich nun Hereward dem Grafen Robert gegenüber bereit erklärt hatte, ihm zur Flucht aus seinem Kerker zu helfen, wie auch zur Befreiung seiner Gemahlin beizustehen, so nahm er sich doch vor, hierbei nicht weiter zu gehen, als sich mit der Rücksicht auf seine dem Kaiser angelobte Pflicht und sein Verhalten gegen den Akoluthen vertrug. Wohl geleitete er den Grafen aus dem Kerker, denn er meinte, daß solche Haft sich mit der einem Ritter schuldigen Rücksicht nicht vereinbaren ließe, und daß der Kaiser in dieser Hinsicht übel beraten worden sein müsse. Sobald er aber mit ihm ins Freie hinaustrat, stellte er ihm ohne weiteres die Frage, ob ihm der Philosoph Agelastes bekannt sei. Als der Graf verneinend antwortete, sagte Hereward: »Herr Ritter, Ihr schlagt Euch selbst! wie könnt Ihr sagen der Mann sei Euch nicht bekannt, wenn Ihr doch gestern erst bei ihm zur Tafel wart?« »Ach! den Gelehrten meint Ihr?« rief der Ritter, »was sollte ich über ihn geheim zu halten haben? Er ist ein schlauer Patron, halb Herold, halb Sänger!« – »Sagt lieber, halb Kuppler, aber ganz Schuft!« versetzte der Waräger, »er frönt den Lastern anderer, indem er sich hinter die Maske der Gutmütigkeit verkriecht, und bringt seinen gütigen Herrscher am Ende noch um Reich und Leben, während er die tiefste Unterwürfigkeit heuchelt; es dürfte wirklich an der Zeit sein, der Hinterlist dieses Mannes Schranken zu setzen, denn wer mit ihm hält, gerät unter allen Umständen in Unglück und Verderben!« »Das wißt Ihr und laßt dem Menschen doch freie Hand?« rief Graf Robert. – »Ich weiß noch nicht, wie ich ihm beikommen soll,« erwiderte der Waräger, »aber ich denke, die Zeit kann nicht mehr ferne sein, wo der Kaiser über das Tun dieses Mannes aufgeklärt werden muß, und dann mag der Philosoph sich in acht nehmen, wenn er von dem Barbaren nicht gefressen werden will.« »Aber was geht denn mich der Mensch mit seinen Verschwörungsgelüsten an?« fragte Graf Robert. – »Viel, sehr viel,« versetzte Hereward, »denn die Hauptfigur bei all diesen Ränken spielt der Cäsar, trotzdem er eigentlich von allem am meisten zum Kaiser halten müßte. Aber Alexius hat einen Mitregenten ernannt, der im Range höher steht als der Cäsar, und seitdem ist dieser mißvergnügt und schmollt mit seinem Schwiegervater. Seit wann er sich mit dem Philosophen eingelassen hat, vermag ich freilich nicht zu sagen; aber so viel weiß ich, daß ihm dieser seit Monaten bei allen schlimmen Abenteuern Vorschub leistet, ihn auch wohl ausgiebig mit seinem großen Vermögen unterstützt.« »Aber ich sehe noch immer nicht, was dies alles mich angeht?« rief ungeduldig Graf Robert. – »Viel, sehr viel, sage ich Euch abermals,« versetzte Hereward; »sagtet Ihr mir nicht, auch Eure Gemahlin sei in Haft befindlich?« – »Ja! aber, beim Tod der tausend Märtyrer! wie sollen diese schändlichen Ränke die edle Gräfin von Paris berühren?« – »Nehmt's mir nicht übel, Ritter! aber Ihr seid so recht ein Edelmann, wie ihn der Hof von Byzanz gebrauchen kann: voll felsenfesten Vertrauens auf sich selbst und blind gegen alle hinterlistigen Treibereien!« »Ich kann noch immer nicht absehen, worauf Du hinaus willst,« rief der Graf; »aber eins laß Dir gesagt sein, Waräger: bring den Namen Brenhilda nicht zusammen mit Schurkerei! Es möchte Dir schlecht bekommen. Wohin führst Du mich?« – »In die Kytherischen Gärten des Agelastes,« antwortete der Waräger; »wir sind zwar nicht mehr weit davon; aber er hat's doch wesentlich näher dorthin; ich vermute, daß, Ihr dort Eure Gemahlin finden werdet, und daß der Cäsar kaum noch fern sein dürfte!« – »Elender! Du erfrechst Dich – ?« – »Ich dächte, Ihr solltet, statt solchen Ton anzuschlagen, dem Zufalle danken, daß er mich an Eure Seite geführt hat!« Graf Robert fühlte die Wahrheit dieser Worte, und obgleich er vor Begierde brannte, seinen Zorn an dem ersten besten zu kühlen, folgte er Hereward zu der Pforte, die zu den Gärten des Philosophen führte. Es war die einzige in einer hohen Mauer, und Hereward, der sich die Zeichen gemerkt hatte, die Achilles und Agelastes gaben, um Zutritt zu bekommen, war eben willens, dieselben zu wiederholen, als ihm ein plötzlicher Einfall kam. »Ha! wenn der Schuft von Diogenes an der Pforte wäre? Zeit, uns zu verraten, dürfen wir ihm nicht gönnen, sondern müssen ihn umbringen, ehe er den Garten wiedergewinnen kann. Verdient hat der Halunke den Tod schon hundertfältig!« »Dies Amt nimm Du auf Dich,« sagte der Graf: »ich kann meine Finger nicht mit dem Blute eines schwarzen Sklaven besudeln.« – »Aber, falls er mit vielen über mich herfällt, werdet Ihr doch nicht umhin können, mir beizustehen.« – »Wenn ich mit Ehren dabei bestehen kann, so werde ich Dich, auf Ritterwort! nicht im Stiche lassen: und sofern es sich nicht um einen bloßen Überfall, sondern ein richtiges Gefecht handelt, so werde ich es auch tun können, ohne gegen die Ehre zu verstoßen.« – »Nun, so will ich das Zeichen geben, und wir werden ja sehen, welcher Teufel vor uns erscheint.« Auf sein Zeichen tat sich die Pforte auf, und eine zwerghafte Negerin mit weißem Haar, das von ihrer dunklen Haut grell abstach, trat auf die Schwelle. Auf ihrem häßlichen Gesicht stand deutlich Bosheit und Schadenfreude zu lesen. »Ist Agelastes ...« wollte der Waräger fragen: die Negerin ließ ihn aber nicht ausreden, sondern zeigte auf eine schattige Allee. Waräger und Ritter schlugen diese Richtung ein, und die Sklavin murmelte ihm hinterher, er möge sich vorsehen, denn er dürfte als Eingeweihter nicht vergessen, daß er lieber allein als in Begleitung hier gesehen sei. »Wir müssen alle Vorsicht walten lassen,« flüsterte Hereward dem Grafen zu, »denn sicher hält sich das Wild, hinter dem wir her sind, hier auf. Ihr seid erregt; drum laßt mich lieber vorausgehen. Streifet jedes falsche Ehrgefühl von Euch, wenn Ihr gewahren solltet, daß die Liebenden eins geworden sind, und zeigt Euch nicht, sondern versteckt Euch unter einem Strauche oder einem Baume; denn Agelastes dürfte umherschleichen, um das Pärchen vor einer Überrumpelung zu schützen.« – »Bei den tausend Märtyrern! das kann nicht sein!« rief der heißblütige Franke: »mir wäre der Tod lieber als solches Leben im Argwohn!« Aber er sah ein, daß es jetzt galt, der Not sich zu fügen, und er ließ dem Waräger den Vortritt. Bald sah er, daß dieser sich auf einen Pavillon zu bewegte, der unfern von dem Flecke, wo sie sich getrennt hatten, stand. Bald sah er weiter, daß Hereward an einer fast ganz überwachsenen Tür erst horchte und dann zu einem Spalt hinein zu sehen versuchte. Es hielt ihn nicht länger, denn er meinte, in dem Gesichte des Warägers eine gespannte Aufmerksamkeit zu erblicken, und so schlich er sich durch das Laub zu dem Waräger hin, aber so leise, daß dieser seine Anwesenheit erst merkte, als er den Druck einer Hand auf der Schulter fühlte. Hereward, dessen Gesicht vor Aufregung glühte, überließ dem Grafen seinen Platz, der nun durch einen Spalt das Innere eines der Kythere, der Liebesgöttin der Griechen, geweihten Tempel vor sich hatte, mit all den lasziven Statuen und Bildern, wie sie zu jener Zeit an der Tagesordnung waren. Es dauerte nicht lange, so sah er seine Gemahlin, in Begleitung ihrer Dienerin Agathe, auf der entgegengesetzten Seite durch ein Portal treten und auf einem Ruhebette Platz nehmen, während die Dienerin sich im Hintergrunde verhielt. Plötzlich erschienen von der anderen Seite her Nikephoros und Agelastes, Agelastes in seinem härenen Zynikergewande, Nikephoros aber in seinem schönsten Prachtgewande und strahlend von Juwelen und kostbarem anderen Schmucke. »Heil Euch, edle Dame,« rief der Cäsar, indem er sich vor Brenhilde auf ein Knie niederließ, »ich komme, um Verzeihung zu bitten, daß ich Euch hier ein wenig wider Euren Willen zurückgehalten habe.« – »So? Ihr nennt das ein wenig?« fragte Brenhilde, »ich meine, Ihr müßtet sagen, durchaus wider meinen Willen, denn ich kenne keinen anderen Willen, als zu meinem Gemahl, dem Grafen von Paris, zu gelangen,« »Edle Gräfin,« nahm Agelastes das Wort, »Ihr habt ein Land verlassen, wo Mann und Weib nur nach der Stärke geschätzt werden, die ihnen innewohnt, Mitmenschen unglücklich zu machen, und befindet Euch nun in einem Lande, das die Mehrung der menschlichen Glückseligkeit als den höchsten Lebensgrundsatz erkennt. Sollte das nicht Euren Sinn zu wandeln vermögen?« – »Ehrwürdiger Philosoph,« antwortete die Gräfin, »wie könnt Ihr meinen, mich anderen Sinnes zu machen als er mir von Kindheit an innewohnt? Bei uns im Abendlande herrscht die Sitte, daß Mann und Weib sich nicht anders paaren wie Löwe und Löwin, das heißt, das Weib ergibt sich nur demjenigen Manne, von dessen Kraft und Stärke es überzeugende Beweise gewonnen hat. Selbst ein Mädchen geringen Standes möchte es als Entehrung ansehen, wenn es einem Manne an den Hals geworfen würde, der von seiner Wehrhaftigkeit noch keinen Beweis abgelegt hat.« »Edle Dame,« nahm hier der Cäsar das Wort, »ich meine, um solchen Gewinnes halber wäre kein Abenteuer zu kühn! Wo wäre der Mann, der sein Schwert wieder in die Scheide stecken wollte, bevor er den Sieg errungen hätte? der ohne das stolze Bewußtsein, wenn ihm nicht der Sieg geworden, von der Walstatt ginge: was ich nicht gewonnen, hätte ich doch gewinnen sollen, denn verdient hatt' ich es!« »Ihr seht, meine Dame,« nahm Agelastes wieder das Wort, um den Eindruck von den Worten des Cäsars durch eine passende Bemerkung zu verstärken, »daß in griechischen Herzen das Ritterfeuer nicht minder hell brennt wie in abendländischen.« »Ich vermag solchen Worten nicht eher zu glauben, als bis Ihr mir einen griechischen Ritter zeigt, der nicht ohne Zittern die Helmzierde meines Gemahls betrachten kann.« »Das dürfte, meine ich, nicht weiter schwer halten,« sagte der Cäsar, »denn mir ist mehr denn einmal gesagt worden, daß ich besseren Männern im Kampfe stehen könnte als dem, dem so unverdientermaßen das Glück in den Schoß gefallen ist, die Hand einer Brenhilda zu gewinnen.« »Bei den tausend Märtyrern!« flüsterte Graf Robert dem Waräger tiefbewegt zu, »soll ich dergleichen Reden von einem Wichte anhören, der schon Reißaus nimmt, wenn ich mit dem Schwerte rassele? Auch Brenhilde läßt dem Gecken größere Freiheit, als recht und in Ordnung ist. Ich will hinein und diesem Hans Dampf zusetzen, daß er dran denken soll!« – »Solange Ihr neben mir steht,« versetzte der Waräger, »wollt Ihr, mit Verlaub, Euch in Geduld fassen; sind wir auseinander, so mögt Ihr Eurem Ritterteufel frönen, soviel Ihr wollt.« »Dir fehlt's nicht bloß an menschlichem Gefühl,« erwiderte der Graf, ihn mit einem verächtlichen Blick messend, »sondern an allem Sinn für Ehre und Schande. Ich soll mir nicht bloß verunglimpfende Worte anhören, sondern auch ruhig zusehen, wie man meinem Weibe nachstellt?« – »Still!« flüsterte der Waräger, »sie sprechen wieder zusammen; ich sollte meinen, Ihr müßtet sehen, daß Euer Gemahl, trotzdem sie von aller Welt verlassen zu sein scheint, fest gewillt ist, Euch die Treue zu wahren?« – »Ich danke Dir, Freund,« erwiderte der Graf, »herzlich für die Worte und bitte Dir das Unrecht ab, das ich Dir eben angetan habe.« – »Was hättet Ihr mir abzubitten?« fragte der Waräger; »was nicht ernst gemeint ist, fasse ich nicht als eine Kränkung auf.« Nikephoros durchschritt das Gemach und fragte plötzlich Agelastes, ob er auch fremde Stimmen gehört habe? – »Ihr müßt Euch irren, Hoheit,« versetzte der Philosoph, »wie sollte das möglich sein? Aber ich will mich draußen umsehen!« Der Waräger riß den Franken unter einen Strauch von Immergrün, der so dicht war, daß sie von niemand gesehen werden konnten. Agelastes schritt langsam an dem Pavillon hin, scharfe Umschau haltend, konnte aber nichts entdecken, denn die beiden Männer verhielten sich mäuschenstill. Als er wieder in dem Pavillon verschwunden war, flüsterte der Graf: »Von solcher Lust, einem den Schädel einzuschlagen, wie in diesem Augenblicke ich, wird wohl noch kein Mensch besessen gewesen sein.« – »Ich hab's Euch angesehen,« sagte der Waräger, »aber verhaltet Euch bloß jetzt noch still! nachher könnt Ihr ja meinethalben tun und lassen, was Ihr wollt!« Bevor die beiden Männer aus ihrem Versteck wieder an die Wand getreten waren, hatten die im Pavillon befindlichen beiden Personen ihre Unterhaltung weitergeführt. »Ihr werdet mich nun und nimmer zu dem Glauben bewegen, daß Ihr nicht wüßtet, was aus meinem Gemahl geworden. Wer hätte sonst von seinem Verschwinden einen Vorteil zu erwarten gehabt?« – »Ihr seid im Irrtum, schöne Frau,« erwiderte der Cäsar, »bin ich etwa der Kaiser? Hat Euer Gemahl mich beleidigt oder den Kaiser? Und meint Ihr, ein Herrscher wie Alexius könnte und wollte solche Beleidigungen, wie sie Graf Robert ihm öffentlich zugefügt hat, ungeahndet lassen? War es ihm durch Gewalt verwehrt, so hat er es eben durch List versucht, sich der Person des Mannes, der ihn so beschimpfte, zu versichern. Hättet Ihr mich nicht durch die Macht Eurer persönlichen Reize in Fesseln geschlagen, so stünde ich der ganzen Sache völlig fremd; und ohne die Beihilfe des weisen Agelastes wäre es mir obendrein nicht einmal möglich gewesen, auch nur Euch aus dem Rachen des Verderbens zu reißen. Immerhin liegt für Euch zunächst noch immer kein Grund zur Trauer vor; denn weder Ihr noch ich, noch sonst jemand ist über das Schicksal des Grafen Robert unterrichtet. Klug wäre es ja von Euch, wenn Ihr Euch nach einem neuen Beschützer beizeiten umsehen wolltet!« Auf Brenhildens Gesicht kam ein maßloser Zorn zum Ausdruck; eine Weile lang schien sie keines Wortes fähig; dann aber rief sie: »Du bist ... Du bist ein ... doch nein! ich will Dich nicht nennen bei dem Namen, der Dir zukommt! die Welt wird ihn ohnedies dereinst mit Abscheu nennen, aber höre, was ich Dir jetzt künde: Robert von Paris ist entweder nicht mehr am Leben oder schmachtet in irgend einem Kerker des abscheulichen Blachernä-Palastes, wohin er nie hätte den Fuß setzen sollen. Er kann sich Dir nicht zum Kampfe stellen, den Schimpf zu rächen, den Du mir durch Deine Worte angetan hast. Aber hier stehe ich, Brenhilde, die Erbin von Aspramonte, das dem Grafen von Paris angetraute Eheweib, das von keinem Manne je in den Schranken des Turniers besiegt wurde außer von ihm, dem tapfersten der tapferen Männer, die eine Ritterrüstung tragen. Sie wird statt seiner mit Dir in die Schranken treten; sie wird den Kampf mit Dir aufnehmen, und Du wirst, denn Du kannst, nichts hiergegen einzuwenden haben!« »Höre ich recht?« rief betroffen der Cäsar,»Ihr hättet solches im Ernst vor?« – »Ja!« rief die Gräfin mit festem Tone. – »Gegen mich wollt Ihr im Turniere kämpfen?« – »Gegen Euch! Gegen das ganze Reich von Ostrom, sobald behauptet wird, Graf Robert würde von Rechts wegen in Gefangenschaft gehalten!« – »Und die Bedingungen sollen Euch gegenüber die gleichen sein, wie ihm? Der Besiegte hat sich dem Sieger zu überantworten zu Gutem wie zu Bösem?« – »Zu Gutem wie zu Bösem!« versetzte Brenhilde, »nur eine Bedingung soll hinzutreten: unterliegt Ihr, dann soll mein Ehgemahl freigegeben werden, dann soll ihm gestattet sein, mit allen Ehren aus dem Blachernä-Palaste zu ziehen.« – »Diese Bedingung soll gelten, erwiderte der Cäsar, »freilich mit dem Vorbehalte, daß mir auch die Macht zusteht, sie zu erfüllen.« Hier wurde die Unterhaltung der beiden Personen durch einen dumpfen Schlag, wie von einer Pauke, unterbrochen. Zehntes Kapitel »Er hat die Forderung angenommen?« fragte Graf Robert, indem er kopfschüttelnd den Waräger ansah, »er vermutet freilich nicht, welche Gewandtheit und Stärke ein Weib in der edlen Fechtkunst sich aneignen kann!« – »Und ich möchte sagen, es bedünkt mir, als ob Eure edle Gemahlin ein zu großes Selbstvertrauen besäße, denn der Cäsar ist ganz gewiß nicht bloß ein schöner, sondern auch ein sehr starker Mann, der die Waffen wohl zu führen weiß, und sich zudem weniger an die Gesetze der Ehre für gebunden erachtet als irgend welcher Ritter des Abendlandes. Seiner Meinung nach gibt es allerhand Vorteile für sich zu nützen, die jeder Ritter von Eurem Schlage verschmähen würde. Indessen will ich jetzt nicht weiter darüber sprechen; denn es erscheint mir für gebotener, Euch in Sicherheit zu bringen; ist doch der Paukenschlag, den wir eben hörten, ein Zeichen, daß sich andere Verschworene nahen. Gehen wir zu einer andern Pforte hinaus, als wir hereingekommen sind. Ich an Eurer Statt besänne mich keinen Augenblick, zu dem so ziemlich einzig sicheren Auskunftsmittel zu greifen, das Euch in Eurer Lage bleibt.« – »Und das wäre?« – »Flucht über die Meerenge und sofortige Rücksprache mit dem Grafen von Bouillon,« erwiderte der Waräger, »gibt er Euch eine entsprechende Anzahl von Rittern mit, die Euch in die Lage setzen, die Freigabe Eurer in solch niederträchtiger Gefangenschaft gehaltenen Gemahlin unter Androhung eines unverzüglichen Angriffes auf Stadt und Burg zu fordern, so dürftet Ihr sichere Aussicht haben, Eure Gemahlin vor den immerhin bedenklichen Folgen eines solchen Zweikampfes zu bewahren.« »Und Du meinst, Gottfried von Bouillon ließe sich bestimmen, mitten in seinem Zuge gegen das Heilige Land um solcher privaten Angelegenheit willen, die ihm vielleicht gar als Bagatelle erscheint, inne zu halten? Oder glaubst Du, die Gräfin möchte sich bestimmen lassen, durch Rücktritt von einer Forderung zum Kampfe, ihre Ehre zu beflecken? Das sei ferne!« – »Und Ihr wollt Euch drein finden,« fragte der Waräger, »daß Eures Weibes Schicksal am Faden solch eines ungleichen Kampfes hängt? Ich muß Euch sagen, daß es mir an Scharfsinn gebricht, dafür ein Verständnis zu finden.« – »Anders als durch ein Unglück oder Verrat kann Brenhilde nicht fallen; daraufhin warte ich den Zweikampf ruhigen Herzens ab; und sollte mein Gemahl wirklich unterliegen, so würde ich in die Schranken treten und den Cäsar für dasjenige erklären, was er ist: für einen ehrlosen Wicht, unter Anrufung aller Edlen zu Zeugen... und die letzte Entscheidung Gott dem Allmächtigen anheimgeben!« »Das wäre ja alles recht gut und schön,« erwiderte kopfschüttelnd der Waräger, »fände solcher Zweikampf statt angesichts Eurer Landsleute! Die Griechen dürften jedoch hinter dem Verhalten ihres Cäsars kaum etwas anderes erblicken als eine statthafte Hinterlist zur Befriedigung eines niemand zu verdenkenden sinnlichen Verlangens!« – »Ein Volk, das solche Anschauungen billigt, muß ja untergehen,« rief Graf Robert, »denn es wird schließlich ruhig zusehen, wie seine Weiber und Töchter von feindlichen Barbaren vergewaltigt werden,« – »Ihr habt, wie ich sehe,« versetzte der Waräger, »Euren Entschluß gefaßt, und ich kann nicht umhin, zuzugeben, daß er Eurem tapferen Sinne Ehre macht. Auch mein Sehnen ist es schon lange, statt dieses kläglichen Söldnerdienstes das Leben für eine redliche Sache einzusetzen. Zudem will mich bedünken, als könnte ich auf diesem Wege am besten und sichersten Rechte und Leben meines Kaisers wahren; denn es kann ihm doch nur damit gedient sein, wenn er, ohne selbst etwas dazu zu tun, von solchem undankbaren, unruhigen Schwiegersohne befreit wird. Gut denn, edler Graf, ich unterwerfe mich im gegenwärtigen Falle Eurer Meinung, mit dem Vorbehalte jedoch, daß es mir freistehen soll, Eure Flucht, die ich nach wie vor fördern werde, im Blachernä-Palaste zur Anzeige zu bringen. Die Klugheit schreibt solches Verhalten unbedingt vor. Sodann wollt Ihr mir sagen, wo Ihr Euch zu verbergen vorhabt, denn daß sehr scharfe Nachforschungen nach Eurem Verbleib angestellt werden, müßt Ihr als zweifellos ansehen.« »Hierin muß ich mich ganz auf Deinen Rat verlassen,« antwortete der Graf; »Du weißt ja doch, daß ich weder in Konstantinopel noch im Blachernä-Palaste Bescheid weiß.« – »So möchte ich dafür halten,« erwiderte der Waräger, »daß Ihr Euch fürs erste am sichersten befinden dürftet in der Warägerkaserne, in meiner allerdings höchst bescheidenen Wachtstube. Da, nehmt meinen Mantel um und folgt mir! Wir werden den Garten bald hinter uns haben, und außerhalb desselben wird jedermann geneigt sein, Euch mit mir zusammen für eine Patrouille zu halten, die zu irgend welchem Zwecke unterwegs ist. Daß sich kein Grieche lange damit befaßt, uns Warägern hinterher zu blicken, wird uns von recht großem Vorteil sein.« Bald hatten sie das Gartentür wieder passiert und eilten auf Nebenwegen, Hereward voran, der Stadt zu und auf dem kürzesten Wege durch deren Straßen nach der Kaserne. Dort mahnte die Schildwache zur Eile, da alles schon beim Essen sei. Hereward, froh, daß sein Begleiter ohne Umstände passieren durfte, führte den Grafen in die kleine Zelle, die sonst von seinem Burschen bewohnt wurde, erklärte, ihn auf kurze Zeit hier allein lassen zu müssen, und verließ ihn, nachdem er die Tür hinter sich, aus Vorsicht, wie er sagte, daß kein Unberufener den Grafen störe, abgeschlossen hatte. Den Grafen mit seinen Betrachtungen allein lassend, ohne sich daran zu kehren, ob sich dieselben dem Argwohn zuneigen möchten oder nicht, eilte Hereward, so schnell ihn die Füße tragen wollten, zu den Gärten des Philosophen zurück. Am Tore empfing ihn dieselbe alte Negerin, die ihn vordem eingelassen hatte. Auf seine Frage nach Achilles Tatius erklärte sie: »Seltsam, daß Ihr ihn nicht heute morgen gesehen haben solltet, da Ihr doch hier wart! Der Akoluth ist kurz nach Euch gekommen und hat auch gleich nach Euch gefragt. Ihr hättet doch warten können, bis er da war.« – »Was geht's Dich an, Alte, wie ich mich verhalte? Rechenschaft darüber werde ich schon meinem Vorgesetzten geben, aber nicht Dir!« Einen Seitenpfad entlangschreitend, gelangte er zu jenem Pavillon, an dessen Wand er das Gespräch zwischen dem Cäsar und Graf Roberts Gemahlin belauscht hatte. Unfern davon stand ein schlichtes Gartenhaus, das dem Philosophen zur Wohnung diente. Hier machte er sich durch ein Zeichen bemerklich, und Achilles Tatius trat alsbald auf die Schwelle. »Nun, was bringt mir mein Getreuer,« fragte er freundlich, »zu solch ungewohnter Tageszeit? Etwas Wichtiges muß es wohl sein, das Dich veranlaßt, mich in der Mittagsstunde zu stören?« – »Euer Edlen geruhten mir die Morgenrunde im Blachernä-Palaste zu übergeben, und zwar in der Kerkerabteilung, wo der Verräter Ursel und gestern auch der tolle Frankengraf eingesperrt wurde.« – »Jawohl,« erwiderte der Akoluth, »weiter?« – »Der Graf ist ausgebrochen, nachdem er den Waldmenschen Sylvan, der ihm in den Weg geriet, als er Ursel Brot und Wasser zutrug, niedergeschlagen und dem Tiger, der in seiner Zelle angekettet lag, den Schädel mit einem Holzschemel zertrümmert hat.« – »Warum hast Du nicht sofort Lärm geschlagen und alles zur Verfolgung aufgeboten?« – »Ich wußte nicht, ob das geraten sei ohne Euren bestimmten Befehl,« versetzte der Waräger, »denn ich befürchtete, daß zu viel Lärm am Ende gegen Euch selbst hätte Verdacht wachrufen können.« – »Deine Vorsicht verdient alles Lob,« erwiderte Achilles Tatius im Flüstertone, »immerhin geht es nicht an, daß die Flucht des Gefangenen verheimlicht werde; sonst könnten wir noch weit eher in solchen Verdacht kommen, wie Du schon befürchtet hast, wohin kann der Flüchtling sich gewandt haben? Sicher doch über den Bosporus, um seine Landsleute gegen uns zu hetzen!« »Das steht allerdings zu fürchten,« erwiderte der Waräger, »denn falls der Graf sich von jemand hat raten lassen, der mit den hier herrschenden Verhältnissen vertraut ist, so kann ihm kein anderer Rat gegeben worden sein.« – »Die Rückkehr wird ihm aber nicht gelingen,« erwiderte der Akoluth, »denn der Kaiser hat befohlen, daß am jenseitigen Ufer kein Schiff oder Boot halten oder anlegen, und jedes, das Kreuzfahrer hinübergebracht hat, auf der Stelle unbefrachtet zurückkehren solle.« – »Es wäre mithin bloß zweierlei möglich,« sagte der Waräger, »entweder, der Graf ist über den Bosporus entwichen und entbehrt dort der Möglichkeit, wieder zurückzukehren, oder er hält sich noch in Konstantinopel auf, außer stande, jemand zu finden, der sich seiner annähme und seine Sache verträte, aber in beiden Fällen möchte es mir richtiger erscheinen, den Palast nicht zu beunruhigen; es liegt mir jedoch ferne, Eurer besseren Weisheit vorgreifen zu wollen; ferner dürfte auch der weise Agelastes ein geschickterer Ratgeber sein als ich.« Der Akoluth schüttelte lebhaft mit dem Kopfe. »Nein, nein!« rief er, »wir sind ja ganz gut befreundet, der Philosoph und ich; aber so weit geht unsere Freundschaft bei weitem nicht, daß ich mich beeilen möchte, dem Kaiser den Kopf vor die Füße zu legen, damit er dem Philosophen erhalten bleibe. Darum ist's mir lieber, es wird von dem unseligen Ereignis vorderhand überhaupt nicht gesprochen. Hingegen sollst Du von mir Vollmacht bekommen, den Grafen zu fahnden, sei es lebendig oder tot, und sobald es Dir gelungen, mir Bericht darüber zu erstatten, zu jeder Tageszeit, aber nur in meinem Palaste. Geh' behutsam wider ihn vor, denn vielleicht gelingt es mir, ihn zum Danke zu verpflichten dadurch, daß ich mittels der Aexte meiner Waräger sein Eheweib aus den ihr drohenden Gefahren befreie. Wer könnte etwas dawider haben?« – »Wohl niemand, da es doch einer höchst gerechten Sache gälte.« Der Akoluth stutzte. »Wie meinst Du diese Worte?« fragte er; »aber ich weiß ja, daß Du bei all Deinem Tun Dich an den recht- und gesetzmäßigen Befehl Deines Vorgesetzten hältst; mithin muß es auch Pflicht für mich sein, auf Deine Bedenken Rücksicht zu nehmen. Aber,« setzte er nach einiger Ueberlegung hinzu, »es möchte gut sein, Du verweiltest nicht länger hier, sondern machtest Dich gleich auf den Weg nach der Kaserne. Agelastes braucht Dich nicht zu sehen, so wenig, wie er schon jetzt etwas zu wissen braucht. Sobald ich in der Kaserne bin, sollst Du die Vollmacht haben; einstweilen handle ohne sie schon so, als wenn Du sie in Händen hättest!« Der Waräger machte sich ohne Säumen auf den Rückweg, in Zwiespalt mit sich darüber, daß er, wenn nicht unmittelbar gelogen, so doch die Wahrheit in bedenklichem Grade bemäntelt oder verschwiegen hatte, und daß es ihm trotzdem geglückt sei, mehr von seinem Vorgesetzten zu erreichen, als er jemals für möglich gehalten hätte; aber er nahm sich vor, dem Teufel der Lüge nicht weiter zu folgen. Er wurde unvermutet aus diesen Gedanken gerissen durch den Anblick eines Geschöpfes, das nicht bloß größer war als ein Mensch, sondern auch erhebliche Abweichungen in seinem Körperbau von einem solchen aufwies und bis auf das Gesicht von einem Haarpelz von tiefroter Farbe bedeckt war... Um die eine seiner Tatzen oder Hände trug das Geschöpf ein Tuch gewickelt, was auf eine gefährliche Verletzung schließen ließ. Sein Gesichtsausdruck war verzagt und widerwärtig. Im ersten Augenblicke dachte Hereward – so vertieft war er in seine Gedanken – den Teufel in Person vor sich zu haben; als er aber den ersten Schreck überwunden hatte, erkannte er ohne weiteres Sylvan, den Waldmenschen. »Oho!« rief er, »Hast Dich wohl expreß hierher retiriert, um Dir den Wanst mit leckerem Obst zu füllen? Laß Dich bloß nicht erwischen, alter Freund!« – Der Orang-Utang stimmte ein widerliches Geschnatter an, – »Ich verstehe schon,« sagte Hereward wieder, »willst mir nichts vorschwatzen? He?... Na, schon gut! Mehr traue ich Dir schließlich als meinen zweibeinigen Kameraden vom Stamme Mensch, die einander aller Minuten über die Ohren oder eins über den Schädel hauen!« In der andern Minute war der Affe verschwunden. Gleich darauf aber drang Angstgeschrei zu Herewards Ohren – aus Weibesmunde – und Hereward, der eigenen, gefährlichen Lage im Nu vergessend, machte kehrt und rannte in der Richtung, aus welcher die Hilferufe erklangen. Elftes Kapitel Ein Weib, das von dem Orang-Utang verfolgt wurde, stürzte ihm auf einem der Waldpfade entgegen, die in den hinteren Teil des Gartens führten. Sobald das Tier Hereward mit der Streitaxt in der Faust erblickte, machte es kehrt und verschwand im Dickicht... Hereward gewann also Zeit, das Weib zu betrachten. Ihr Gesicht war infolge des erlittenen Schreckens leichenblaß, verriet aber außerordentliche Schönheit; ihre Kleidung war bunt, mit Vorherrschen der gelben Farbe; der Leib war in eine eng anschließende Tunika gehüllt; darüber fiel ein mantelartiges Oberkleid aus feinstem Tuche, dessen Kapuze infolge des raschen Laufes vom Kopfe geglitten war, einen Teil des schönen, in einfache Flechten gelegten Haares bloßlegend. Hereward war so verdutzt ob dieser seltsamen Erscheinung, daß er kein Wort über die Lippen zu bringen vermochte, zumal sie ihn wie ein längst entschwundenes Bild aus früher Jugendzeit anmutete. Die Tracht, in der er sie sah, war weder griechisch noch italienisch oder fränkisch. Es lebten in Konstantinopel wohl mehrere sächsische Frauen, die mit den Warägern der Heimat den Rücken gekehrt hatten, und die, weil ihnen Stand und Charakter ihrer Männer eine gewisse Achtung sicherten, darauf hielten, sich in ihrer heimischen Tracht zu zeigen; aber diese Frauen waren Hereward sämtlich von Angesicht zu Angesicht bekannt. Indessen war zu Sinnen und Träumen jetzt keine Zeit; denn die Situation des Weibes war kaum minder gefahrvoll wie seine eigene. Auf alle Fälle war es geraten, das Weib an einen Platz, fern von dem begangeneren Teile des Gartens, zu bringen: es fiel ihm eine künstliche Höhle ein, die ihm gelegentlich eines früheren Besuches hier bekannt geworden war. Dorthin trug er die schöne Bürde und legte sie am Fuße einer Quelle nieder, die in der Höhle entsprang. Fast unwillkürlich bemühte er sich, das Mädchen zum Bewußtsein zurückzubringen, das ihm auf dem Wege hierher abhanden gekommen war. Es gelang schneller, als der Waräger erwartet hatte, und mit einem wirren Blicke sich umsehend, flüsterte das Mädchen: »O heilige Jungfrau! habe ich den Kelch noch immer nicht bis auf die Neige geleert? Sprich, Mann! bist Du ein Gebilde der Phantasie, oder bist Du wirklich Hereward? Ist das schreckliche Ungetüm noch immer da, oder hab' ich bloß von ihm geträumt?« »Bertha,« antwortete Hereward, der durch den Klang dieser Stimme wieder zu sich selbst gebracht wurde, »liebe Bertha! Du lebst, um zu hören, daß es wirklich Hereward ist, den Du vor Dir siehst! Das häßliche Geschöpf hat Dich freilich verfolgt, aber es ist nicht bösartig und läßt sich mit einer Reitgerte in Räson halten. Bertha! Bertha! kennst Du mich jetzt erst?« – »Ich war zuerst im Zweifel, Hereward,« erwiderte sie, »bis mir diese Narbe vom Zahne des Ebers Gewißheit gab.« – »Sage mir, Bertha!« rief der Waräger, »daß Du auch wirklich jene Bertha bist, die Hereward Treue gelobte: und kannst Du es mit wahrem Gewissen, dann wäre es sündhaft, zu denken, die Heiligen hätten uns in diesem fernen Lande wieder zusammengeführt, um uns neuerdings zu trennen.« – »Hereward! Hereward! in der Heimat und Fremde, unter Qualen und Freuden, bei Mangel und Ueberfluß, habe ich nimmer des Gelübdes vergessen, das ich Dir am Steine Odins geleistet.« – »Höre mich, Bertha,« versetzte, ihre Hand erfassend, Hereward, »wir waren fast noch Kinder, als wir dort saßen, und es war sündig, solches Gelübde zu leisten vor einem toten Bilde, das einen blutigen Zauberer aus dem grauen Altertume darstellte. Aber wir wollen die Sünde gut machen, indem wir unser Gelübde vor dem ersten christlichen Altare erneuern, dem wir begegnen.« Werfen wir, während das Paar sich in die Zeit der Jugend zurückträumt, einen Blick in ihre Heimat. Zu der Zeit, als die angelsächsischen Edlen unter dem Joche der normannischen Eroberer als Geächtete in den Gefilden von Devonshire oder in den Wäldern von Hampshire hausten, gehörten Waltheoff, Herewards, und Engelied, Berthas Vater, zu den gefürchtetsten ihrer Sippe, als die kühnsten jener letzten Mannen, die unter dem Fürsten Ederich die Unabhängigkeit des sächsischen Volkes aufrechtzuerhalten versuchten. In ihrer Einteilung in Sippen oder Stämme den alten Germanen ähnlich, hingen sie auch an dem alten Un- oder Aberglauben derselben fest, obwohl sie ihn längst abgeschworen hatten. Nach dem zu Zeiten Odins eingeführten Brauche hatten Hereward und Bertha sich verlobt: indem sie sich über den Stein hinweg, den sie Odin geweiht hielten, die Hand zum ewigen Bunde reichten. Jahrelang hatten sie – denn es war bei dem angelsächsischen Volke Sitte, sich schon am Ausgange des Kindesalters zu versprechen, – in ungetrübtem Glück ihre Jugend genossen: da sollte aber eine Zeit kommen, wo sie auch das Unglück kennen lernten. Hereward zählte die Wochen, die ihn nur noch von seiner Braut getrennt halten sollten, da schmiedete Wilhelm der Rote den teuflischen Plan, die unruhigen angelsächsischen Edlen, die durch ihren Haß gegen alles Fremde die Ruhe im Reiche so oft störten und die sich an kein Waldgesetz zu kehren willens waren, gänzlich auszurotten. Er rief seine Normannen zusammen und bot all diejenigen Sachsen zur Heerfolge auf, die sich seinem Zepter unterworfen hatten. So zog er mit gewaltiger Uebermacht gegen die zusammengeschmolzenen Scharen König Ederichs. Waltheoff und Engelred, die als die vorgeschobensten der alten Sachsenstamme den ersten Ansturm auszuhalten hatten, erachteten es für das zweckmäßigste, die Weiber und Kinder und Greise in dem Kloster des heiligen Augustin unterzubringen, dessen Prior Kenelm blutsverwandt mit ihnen war. Die beiden Häuptlinge fielen in dem erbitterten Kampfe, und wenig fehlte, so hätte auch Hereward mit seinem einzigen Bruder ihr Schicksal geteilt; aber ihre Leiber wurden von einigen treuen Knappen, die sich nach der Schlacht auf das schon von den Raben in Beschlag genommene Schlachtfeld wagten, aufgehoben, weil noch nicht alles Leben aus ihnen gewichen war, und getreulich gepflegt. Als Hereward wieder so weit genesen war, daß er sein Lager verlassen konnte, war es sein Erstes, sich nach dem Schicksal der Seinigen zu erkundigen: es waren schreckliche Nachrichten, die seiner warteten: der Vater erschlagen, die Mutter und die Braut in Gefangenschaft geschleppt, der Vater der Braut gleichfalls erschlagen, die Mutter derselben gleichfalls in Gefangenschaft; die alten Knappen, die ihn gerettet, schwebten in ständiger Gefahr, entdeckt und mit schwerer Strafe heimgesucht zu werden, weil es von dem normannischen Könige streng verboten worden war, sich eines der aufrührerischen Sachsenfürsten oder ihrer Nachkommen anzunehmen. Da war ein alter Pilger im Sachsenlande aufgetaucht, der Herewards Vater gut gekannt zu haben vorgab; aber er war weder ein Angelsachse von Geburt, noch hatte er je dort jemand gekannt, sondern er war ein Waräger, ein Werber des Kaisers von Ostrom, der mit Geld reichlich versehen war und über ein großes Maß von Gewandtheit und Klugheit gebot. Er überredete Hereward, in die Schar der Waräger zu treten und die Heimat gegen Konstantinopel zu vertauschen. Mit Hereward verpflichtete sich auch sein Bruder zu dem neuen Dienst, und außer den Brüdern noch eine ganze Reihe von Angelsachsen, denen der Aufenthalt in dem von Fremden geknechteten Vaterlande zum Ueberdruß geworden war. Die Geschichte seiner Braut Bertha läßt sich kürzer fassen. Als das Kloster zum heiligen Augustin von den Normannen geplündert wurde, hatte sich ein alter Normanne Bertha als Beute erkoren, um sie der von ihm über alles geliebten Tochter als Dienerin beizugesellen. Des Ritters Gemahlin war um vieles jünger als er, und so erklärt es sich, daß sie das Zepter auf dem Hofe desselben führte. Daraus aber, daß ihnen eine Tochter geboren wurde, die der Liebling der Eltern wurde, erklärt sich weiter, daß auf der alten Burg Aspramonte zuletzt der Ritter gar nichts mehr bedeutete, sondern Mutter und Tochter sich in die Herrschaft dort teilten. Brenhilde – so hieß die Tochter – war von Jugend auf allen Ritterkünsten hold, und der Ritter konnte sich noch so viel Mühe geben, ihren Charakter zu mildern, es half ihm nichts: er mußte immer mehr erkennen, daß an seiner Tochter so recht im Sinne des Wortes ein Junge verdorben war... Um nun Bertha, die aus dem angelsächsischen Lande nach dem Schlosse gebrachte Sklavin, zu einer würdigen Dienerin seiner Tochter zu machen, ließ sie der alte Ritter in allerhand nützlichen Dingen unterrichten, und so eignete sich Bertha bald in der Musik wie in den damals bekannten Handarbeiten gute Kenntnisse an. Aber Brenhildes Hang zu ritterlichen Uebungen wurde dadurch nicht gemildert: sie blieb dieselbe, die sie von Jugend auf war. Als der Ritter von Aspramonte später das Zeitliche gesegnet hatte, war, wie wir schon erzählten, der Graf von Paris auf die Burg gekommen und hatte, nachdem verschiedene vor ihm mit lahmen Gliedern abgezogen waren, Brenhilde als Gattin heimgeführt, nachdem er sie im Turniere bezwungen hatte; Bertha hatte auf seinen Wunsch darein gewilligt, fortan den Namen Agathe im Dienste seiner Gemahlin zu führen; und dem ritterlichen Sinne des jungen Paares hatte es durchaus entsprochen, sich dem Heere der Kreuzfahrer anzuschließen, und so war es gekommen, daß sich dieselben in Konstantinopel befanden... und daß im Anschlusse hieran, nach so viel wunderbaren Schicksalen, sich Hereward und Bertha dort wieder zusammenfanden... »O, Bertha! wie glücklich preise ich mich, Dich wiedergefunden zu haben! und ach! wie fluche ich dem Schicksale, das uns die Notwendigkeit einer Trennung so schnell wieder auferlegt!« – »O, Hereward! sprich nicht so! Was sollte für Ursache dazu vorliegen?« – »Es geht nicht anders, Bertha!« erwiderte Hereward, indem er liebkosend über ihre Hand strich, »wir müssen uns abermals trennen; doch nur auf kurze, kurze Zeit!« – »Ach, Hereward! so willst Du mir also nicht helfen, meine arme, unglückliche Herrin zu befreien?« – »Deine Herrin?« wiederholte Hereward, »wie kannst Du einem Wesen, gleich Dir, solch häßliche Bezeichnung geben?« – »Aber, Hereward, sie ist doch meine Herrin!« erwiderte das Mädchen; »sie ist's durch viele Bande, die nimmer gelöst werden können, solange noch Dankbarkeit im menschlichen Herzen wohnt.« – »Und in welcher Gefahr befindet sie sich?« fragte Hereward. – »Ihre Ehre und ihr Leben sind zugleich gefährdet,« sagte Bertha, »sie will sich dem Cäsar im Zweikampfe stellen: einem so bösen Menschen, der doch Mittel über Mittel aufbieten wird, meine arme Herrin zu Falle zu bringen.« – »Aber glaube doch das nicht!« erwiderte Hereward, »Deine Dame hat der Zweikämpfe so viel bestanden, daß sie wohl den Cäsar, nicht aber der Cäsar sie zu Falle bringen wird!« »Ach! ach!« klagte Bertha; »ich kannte einst den Sohn des Waltheoff als tapfer, hilfreich, kühn und edelmütig, und jetzt finde ich ihn wieder als einen bedächtigen, kalten, selbstischen Soldaten.« »O, nicht so hastig, Mädchen!« rief der Waräger, »warte mit Deinem Urteile, bis Du den Mann wieder kennen wirst! Die Gräfin von Paris laß ruhig in die Schranken reiten; erschallt die Trompete zum dritten Male, soll eine andere ihr antworten, die ihres Gemahls, der an ihrer Statt den Kampf ausfechten wird; und sollte er daran verhindert sein, dann ... nun, dann werde ich die Liebe ihr vergelten, die sie Dir erwiesen, und den Kampf ausfechten.« »O, dann bist Du wieder der echte Sohn Waltheoffs!« rief das Mädchen begeistert, »o, laß mich fort, daß ich die Herrin tröste! Hat Gott den Ausgang eines Kampfes jemals gelenkt, dann wird er es hier tun! Aber Du ließest aus Deinen Reden erkennen, daß der Graf noch hier weilt? Sag' mir, wo! Sein Ehgemahl wird mich mit Fragen bestürmen!« – »So sage ihr, daß er sich bei Freunden befindet, und daß sie sich hieran genügen lassen müsse! Nun aber, Du Langentbehrte, Langersehnte! leb wohl!« Aber er konnte nicht weiter sprechen, denn Bertha lag in seinen Armen und erstickte seine Worte mit Küssen. Und nun schieden sie: Bertha, um zu der Herrin zurückzukehren, die sie in Angst und Sorgen wußte; Hereward, um durch das Gartentor den Weg zur Warägerkaserne zurückzunehmen. An dem Glückwunsch, den ihm die Negerin an der Pforte ausbrachte, ward er gewahr, daß sie seine Zusammenkunft mit Bertha belauscht hatte; aber er drückte ihr ein Goldstück in die Hand: das wirksamste Mittel, ein menschliches Wesen, vornehmlich eins vom weiblichen Geschlecht, zum Schweigen zu bringen. Hier wurde er von dem Grafen, den es nach den vielen Strapazen arg nach Speise und Trank gelüstete, ziemlich ungnädig begrüßt; aber der Waräger kehrte sich nicht an diese üble Laune, sondern sorgte für die nötigen Herzstärkungen; und als sie beide ihren Appetit gestillt hatten, der Waräger freilich mit weit größeren Portionen – zum Abscheu des Grafen – als dieser sie je zu sich genommen hatte, brachte der Graf die Rede auf die unglückliche Brenhilde. »Nachrichten bringe ich,« erwiderte der Waräger, »muß es aber Euch überlassen, zu prüfen, ob sie guter oder schlimmer Art sind.« – »Laß mich alles wissen!« – »Nun, die Gräfin hat sich bereit erklärt, unter den schärfsten Bedingungen den Zweikampf mit dem Cäsar zu bestehen; unterliegt sie, so gehört sie ihm mit Leib und Seele!« – Das wolle der Himmel verhüten!« rief der Graf; »wollte Gott solchem Verrate zum Triumphe verhelfen, müßte man ja zweifeln, daß es einen Gott gäbe!« – »Es wird sich indessen als nötig erweisen,« fuhr der Waräger fort, »daß wir beide am Turniertage uns gewappnet halten, und daß, wenn die Trompeten zum Beginne schmettern, wir beide mit in die Schranken reiten. Sieg oder Niederlage hängen vom Schicksale ab; aber schändliche Hinterlist beim Kampfe zu vereiteln, daran soll uns niemand hindern!« »Unter dieser Bedingung will ich mich nicht weigern, mit in die Schranken zu reiten; aber,« rief der Graf mit edlem Stolze, »nicht die schwerste Gefahr meiner Dame, solange sie in Ehren über sie kommt, soll mich bestimmen, dem Kampfe Einhalt zu tun! Nun noch eins, Waräger! Du darfst sie nicht wissen lassen, daß ihr Ehgemahl zugegen ist! Ich werde Dir nicht erst zu sagen brauchen, daß es gar oft die Nähe eines geliebten Wesens ist, was uns den Blick und den Arm lähmt!« »Wir werden sehen,« versetzte der Waräger, »wie sich alles machen läßt;' wenn's angeht, will ich alles nach Eurem Wunsche halten; aber das muß ich sagen, eine Affäre, verwickelt und verheddert wie die Eure, ist mir mein Lebtag noch nicht passiert!« Drittes Buch. Erstes Kapitel Hereward war, seit dem im ersten Buche beschriebenen ersten Erscheinen bei Hofe, wiederholt dorthin beschieden worden, sowohl von der Prinzessin Anna Komnena, die sich bei ihm Auskunft über die Sitten in seiner Heimat geben ließ, als auch vom Kaiser Alexius, der es, wie manche andere Monarchen auch, liebte, sich bei Hofleuten untergeordneten Standes über Vorgänge in ihren engeren Kreisen, wie unter der Bevölkerung zu erkundigen. Der Ring, den ihm die Prinzessin bei seinem ersten Hofgange behändigt hatte, hatte ihm schon wiederholt als Legitimation gedient, und er war allmählich so intim bei den Palastsklaven geworden, daß er ohne weiteres, wenn er sich meldete, Zutritt erhielt und in ein von dem Musensaale, wo wir ihn zum ersten Male sahen, nicht weit entferntes, kleineres Gemach geführt wurde. Dort pflegte die kaiserliche Familie in vornehm-bürgerlicher Weise, frei von Hofzwang, intim unter sich zu verkehren. Nur eins war dem Waräger gleich das erste Mal aufgefallen, daß sämtliche vier Wände dieses Gemaches mit gepolsterten Matratzen überkleidet waren, die jeden Schall in sich aufsogen. »Ah, unser wackerer Waräger,« sprach die Kaiserin, als Hereward von einem Sklaven in das Gemach geführt wurde. – »Ich habe ihn rufen lassen, damit er mich noch einmal über die Männer in Stahl unterrichte, von denen ich in meinem nächsten Kapitel zu handeln gedenke.« – »Ich auch, meine geliebte, übergelahrte Tochter,« nahm der Kaiser das Wort, »aber aus einem Grunde, der wohl angetan sein dürfte, Dich in schmerzliche Aufregung zu setzen, wie wohl auch Deine Mutter, die Kaiserin.« – »Wenn dieser tapfere und rechtliche Mann Nachricht bringt,« versetzte die Kaiserin resolut, »die unser Wohlergehen angeht, so möchte es gut sein, uns nicht lange darauf warten zu lassen.« »Das ist auch nicht meine Absicht,« antwortete der Kaiser, »so gern ich es auch vermieden hätte, Euch das Herz damit zu beschweren, zumal dasjenige meiner edlen Tochter, die dadurch genötigt wird, ihre Meinung über jemand zu ändern, den sie bisher nur als brav und uns wohlgesinnt zu halten gewohnt war.« – »O, edler Vater,« rief die Prinzessin aus, »was sind das für Anfänge!« – »Fasse Mut, meine Tochter,« erwiderte der Kaiser, »Du hast als Purpurgeborene die Pflicht, Deinem Vater angetane Unbill zu rächen, sollst aber nicht darüber jammern und wehklagen. Vernimm also: der Cäsar, vergessend, daß er Dein Lager geteilt hat, bereitet mir den schweren Kummer, sich mit einer Rotte von Verschwörern zusammenzutun, die kein anderes Ziel verfolgt, als mich vom Throne zu stoßen!« – »Was?« schrie die Kaiserin auf, »das könnte Nikephoros tun?« Und die unglückliche Prinzessin stürzte zu dem Vater hin und klagte: »O, edler Vater, daß der Mann, den ich meinen Gemahl nenne, solch falschen Herzens wäre, ist ja nicht möglich! Nein! nein! Du wirst falsch berichtet sein!« – »Ich wünschte, ich brauchte Dir nicht zu widersprechen,« versetzte der Kaiser, »aber unsere Leibwache ist verführt worden, desgleichen ihr Kommandant, der undankbare Achilles Tatius, und der Philosoph Agelastes; sie sollen ihre Hand dazu bieten, mich dem unglücklichen Reiche in dem Augenblicke zu rauben, in welchem es auf das allerdringendste der Fürsorge eines Mannes bedarf, der vielleicht allein klug genug ist, es aus den Wirren zu befreien, die sich täglich, ja stündlich häufen.« – »Mir kommt's so vor,« bemerkte die Kaiserin, »als wenn mein Gemahl sich zu lange besänne, Mittel gegen solche Gefahr zu ergreifen.« – »Und ich möchte sagen,« sprach die Prinzessin, »daß mein kaiserlicher Vater zu schnell gewesen sei, Dinge zu glauben, die noch durch keine Untersuchung festgestellt sind! Das Zeugnis eines Warägers, und sei er noch so tapfer und ehrlich, kann doch gegen die Ehre eines Cäsar, gegen die bewährte Treue eines Achilles Tatius und gegen die Tugend und Weisheit des größten Philosophen im Reiche...« – »Meine Tochter,« unterbrach sie der Kaiser, »schießt wohl über das Ziel hinaus, wenn sie meint, ihrem Vater stünde in Dingen, die ihn zumeist angehen, ein Urteil nicht zu; Du darfst mir schon glauben, Kind, daß ich jeden von den dreien genau kenne und recht gut weiß, wie weit ich mich auf sie verlassen kann. Hatte ich sie nicht alle im Sacke? Aber seit die Säcke leer geworden sind, ziehen sie es vor, wie die Schmetterlinge, wenn das naßkalte Wetter kommt, davonzuflattern, und es mir zu überlassen, ob ich mir zutraue, wider den Sturm zu bestehen, oder die Segel beizeiten zu streichen. Du meinst, es fehle noch an einer Untersuchung? Nun, wenn die Winke, die mir dieser ehrliche Mann hier gibt, mit meinen eigenen Wahrnehmungen sich decken, so werde ich nicht erst abzuwarten brauchen, was eine langwierige Untersuchung zutage fördert! Ich werde den Waräger zum Haupte der Waräger machen an Stelle des verräterischen Tatius, und was weiter noch geschehen wird, möge mir überlassen bleiben.« »Möge mir Eure kaiserliche Hoheit,« sprach Hereward, der bis jetzt geschwiegen hatte, »die Erwiderung vergönnen, daß sich mit meinem Gewissen solcher Weg zur Höhe nicht vertragen mochte. Zudem habe ich eine mir seit der Jugend liebwerte Person jüngst wiedergefunden nach langer, langer Trennung, und dieser Umstand legt mir den Wunsch nahe, mich in das Land König Wilhelms von Schottland zu begeben. Ich werde mithin Eure kaiserliche Hoheit in absehbarer Zeit bitten müssen, mir meinen Abschied zu geben.« – »Ich soll mich von dem treuesten meiner Diener trennen gerade dann, wenn ich auf seine Hilfe am meisten angewiesen sein dürfte?« rief der Kaiser mit Nachdruck. – »Bei aller Dankbarkeit für Eure Güte,« erwiderte der Waräger, »muß ich doch geltend machen, daß mir das Schicksal von Männern, die mir nichts Böses, sondern nur Gutes erwiesen haben, um so weniger gleichgültig sein kann, als doch gerade meine Mitteilungen mitbestimmend für dasselbe gewesen sein dürften. Zudem läßt sich doch nicht verhehlen, daß in dem Reiche kaiserlicher Majestät nicht selten Männer, denen heute die allerhöchste Gnade winkte, morgen mit ihrem Fleische Krähen und Dohlen zum Futter dienen, und um solcher Aussicht willen möchte ich meine Knochen nicht an dieses Gestade getragen haben.« – »Wir wollen über alles, was Du mir hier sagst, sprach der Kaiser, »mit Weisheit und Ruhe beschließen; vorerst lies hier nach, was über die Uns bekannt gewordene Verschwörung von Uns aufgezeichnet worden ist, und gib das Pergament, wenn Du es gelesen, meiner Tochter, die an die Gefahr erst glauben will, wenn die Dolche der Verschworenen mich durchbohren.« Nachdem Hereward gelesen und durch ein Nicken sich mit dem Inhalte einverstanden erklärt hatte, überreichte er das Pergament zunächst der Kaiserin Irene, die es mit den von bitterem Unwillen erfüllten Worten: »Da, lies! kannst Dir viel zugute tun auf die Dankbarkeit und Liebe solches Menschen!« ihrer Tochter gab. Diese las zuerst mit gleichgültiger Miene, bald aber mit wachsender Neugier, bis sie zuletzt ihre Wut nicht mehr bändigen konnte. »Ha! über den doppelzüngigen Verräter! Kein Wort mehr aus meinem Munde, den Wicht vor verdienter Strafe zu schützen! Eine Fürstentochter aus dem Blute der Komnenen wagt er der Haushälterin des geringsten Quiriten gleich zu achten?« Ihr sonst so gütiges Gesicht war jetzt schrecklich entstellt, und aus ihren Augen schossen die Thränen in Strömen. Hereward betrachtete sie mit einer Empfindung, halb Mitleid, halb Furcht und Abscheu. Der Kaiser aber sagte bei sich: »Vortrefflich! sie schnaubt nach Rache, und wir werden ihr eher einen Zaum anlegen müssen, als daß wir sie anzuspornen brauchten!« – Dann sprach er laut: »Höret jetzt, was ich bei mir beschlossen habe. Ihr drei sollt allein vernehmen, wie ich das Schiff meines Staates durch diese Untiefen zu steuern gedenke. Die Erwägung der Mittel, deren sie sich bedienen, wird uns lehren, wie wir ihnen zu begegnen haben. Leider sind einige der Waräger durch den verräterischen Akoluthen auf Abwege geleitet worden; aber der größere Teil von ihnen wird sich um unsere Person scharen. Manche von ihnen wähnen, der alte Verräter Ursel sei tot; das hat insofern gar nichts auf sich, als schon sein bloßer Name hinreichen würde, seine alten Anhänger zusammenzuscharen; ihnen in dieser Hinsicht gefällig zu sein, fehlte es mir nicht an Mitteln, aber ich will mich darüber zunächst nicht auslassen. Auch von den Unsterblichen sind einige zum Abfalle reif; sie sollen zu den Warägern stoßen, die zum Angriffe gegen Unsere Person ersehen sind. Unser Getreuer hier soll nun Vollmacht erhalten, die Meuterer mit den Uns treu gebliebenen Mannen aufzuheben und in Unsere Gewalt zu liefern.« »Und was soll aus dem Zweikampfe werden, kaiserlicher Herr?« fragte der Waräger. – »Du müßtest kein Waräger sein, wenn die Frage hätte unterbleiben sollen,« erwiderte mit huldvollem Lächeln der Kaiser, »nun, Wir wollen dafür Sorge tragen, daß der Cäsar nicht darum herumkommt, so absonderlich ein solcher Kampf auch sein wird. Aber die Verschwörung wird ausbrechen, sei es damit so oder so, und da sie Uns vorbereitet trifft, wird sie im Blute derer, die sie angezettelt haben, erstickt werden.« Zweites Kapitel Während der Kaiser sich in sein Schlafgemach zurückzog, um den ganzen Abend sich bei den Damen nicht mehr sehen zu lassen, schritt der Waräger in einem Gemütszustande, der es ihm außerordentlich schwer machte, die ihm so plötzlich auferlegte Bürde einer so vielseitigen Aufgabe zu tragen, durch die vom Monde erhellten Straßen der griechischen Hauptstadt. Da drang das Geschmetter von Trompeten an sein Ohr. Solche Musik zu solcher Stunde mußte eine ganz besondere Bedeutung haben, denn ohne eine wichtige Ursache wäre die Ruhe zur Nachtzeit ganz gewiß nicht gestört worden. Aber welcher Art konnte diese Ursache sein? Hatten etwa die Kreuzfahrer, die in ihren Handlungen ja unberechenbar waren, auf ihrem Zuge nach Palästina Kehrt gemacht und waren im Anmarsche gegen Konstantinopel begriffen? Unwahrscheinlich war dies nicht, zumal die Kreuzfahrer allerlei Ursache zur Klage wider die treulosen und hinterlistigen Griechen gefunden hatten, und recht wohl daran denken konnten, sich hierfür zu rächen. Aber im andern Augenblicke mußte Hereward sich sagen, daß der Ton, den er vernahm, sich nicht anhörte wie die langgezogenen Kriegssignale der Franken und Normannen; zudem bemerkte er auch, daß sich die Bewohner nicht sonderlich beunruhigt zu fühlen schienen, denn auf der Straße herrschte nach wie vor die größte Ruhe; nur hin und wieder lugte ein Kopf zu einem Fenster auf die Straße heraus, der aber, als er des Warägers in Rüstung ansichtig wurde, schnell wieder zurückfuhr und sich in Sicherheit brachte. Nach ein paar Schritten weiter sah er einen der Bewohner auf die Straße hinaustreten; aber auch dieser bezeigte wenig Lust, dort zu verweilen, sondern war schon wieder fast in der Tür verschwunden, als Hereward ihn stellte und die Frage an ihn richtete, ob er wisse, was der ungewohnte Lärm zur Nachtzeit wohl zu bedeuten habe. Mit dem Bescheide, daß er keine Auskunft darüber geben könne, verwies der Bürger ihn an seinen Nachbar, der kein anderer war als der Ringer Stephanos, der im Verlaß auf seine Körperstärke, und da er hinter sich den Schreiber Lysimachus wußte, keck auf Hereward zutrat und dessen von neuem gestellte Frage mit der Antwort abfertigte, »das müsse doch der Waräger am besten wissen, denn seines Wissens seien es keine anderen als Waräger-Trompeten, die Konstantinopel und seine ehrlichen Schläfer in ihrer Ruhe störten.« »Halunke!« herrschte der Waräger ihm zu, mit einer Stimme, daß der Ringer in sein Haus zurückpurzelte und sich dabei in die zu Ehren eines von ihm jüngst erfochtenen Sieges vor der Tür aufgehängte Guirlande verheddert – »Halunke! riefe mich das Signal nicht zu Kaserne, so wollte ich Dir zeigen, was Deiner Frechheit gebührt!« Als er über die Schwelle des Kasernentores trat, erklang das dröhnende Signal von neuem. »Engelbrecht,« fragte er die am Tore postierte Schildwache, »,was geht denn vor?«– »Merkwürdig!« antwortete der Gefragte, »es wird zu einem Zweikampf aufgerufen! Wie es scheint, haben die tollen Kreuzritter die hinterhältigen Griechen angesteckt mit ihrer Kampfwut.« – Hereward trat auf eine Gruppe seiner Kameraden zu, die sich eben zusammenscharten, um zu einer anderen Gruppe zu stoßen, die von Achilles Tatius in Person geführt wurde. Kaum hatte dieser den Waräger bemerkt, so gab er ihm zu verstehen, daß er ihn nach Abwickelung der im Gange befindlichen Handlung zu sprechen wünsche. Wieder dröhnten die Trompeten, und dann trat ein Herold vor und verkündete, »daß der durchlauchtigste Kaiser Alexius Komnenos darein gewilligt habe, daß sein erlauchter Schwiegersohn, der Cäsar Rikephoros Briennios, es übernommen habe, sich im Kampfe wider jenen Grafen von Paris zu stellen, der die Verwegenheit gehabt habe, die geheiligte Majestät des Kaisers öffentlich zu beschimpfen und in deren Gegenwart die Zierde des Thrones, den salomonischen Löwen, zu zertrümmern. Damit in Europa niemand sage, die Griechen stünden hinter den christlichen Völkern in der Uebung der Waffen zurück, habe der Kaiser einen dreimaligen Gang zu bestimmen geruht: mit gespitzten Speeren und geschliffenen Schwertern.« Als Achilles Tatius daraufhin seine Mannen hatte wieder abtreten lassen, fragte er Hereward, ob er inzwischen vielleicht von dem Grafen Robert Kunde bekommen habe. Der Waräger verneinte, worauf Achilles fragte: »Glaubst Du, daß er die Proklamation mit angehört hat?« – »Seine Pflicht wäre es wenigstens gewesen,« erwiderte der Waräger, »denn ich wüßte nicht, daß jemand das Recht hätte, statt seiner sein Erscheinen in den Schranken zu versprechen.« – »Ei, Du klügster aller Waräger,« rief der Akoluth, »merkst Du den Witz des Cäsars nicht? Der Narr besteht auf seiner Ehre, die es ihm verbiete, sich mit einem Weibe zu schlagen; und so hat er an Stelle der Gräfin den Grafen als Gegner genannt. Erscheint nun der Graf nicht, so fordert der Cäsar als Sieger – denn als solcher gilt er ja dann – die Auslieferung der Gräfin als seine Gefangene! Das wird natürlich einen allgemeinen Aufstand hervorrufen, und unsere Sache wird es nun sein, den Kampf so zu organisieren, daß möglichst alle Verschworenen hineinbezogen werden. Ich übergebe dabei Dir die Aufgabe, den Kaiser so zu umzingeln, daß sich ihm keiner von der ihm treu gebliebenen Mannschaft nähern kann. Dann mag der Cäsar kämpfen mit dem Grafen oder der Gräfin: wir wollen den Aufstand dazu benützen, daß an Stelle des Geschlechtes der Konmenen dasjenige der Tatier auf den Thron von Ostrom steige! Und nun, mein getreuer Hereward, vergiß nicht das Losungswort für heute und morgen: Ursel, der einstige Mitbewerber um den Kaiserthron, der von Alexius nicht durch Tapferkeit und Weisheit, sondern nur durch gemeine Hinterlist beseitigt wurde, und der meines Wissens in den Kerkern des Blachernä-Palastes umgekommen ist, übt noch immer eine große Zauberkraft auf das Volk von Ostrom aus.« »Ihr habt den Kaiser heute gesehen?« fragte der Waräger. – »Selbstverständlich,« erwiderte der Akoluth; »hätte ich die Trompeten auf eigenen Antrieb hin schmettern lassen, so hätte mir Kopf wohl am längsten zwischen den Schultern gesessen. Nun aber wird der Kaiser sich der Anwesenheit beim Zweikampfe nicht entziehen können, sondern mit seiner Gewohnheit, die Öffentlichkeit zu meiden, brechen müssen; und so wird er, wenn Du nur so handelst, wie ich es Dir vorschreibe, sich unserer Gewalt schwerlich entziehen können. Mag er dann die Strafe ernten für alle die Gewalttaten, die er verübt hat!« Als Hereward nach dieser Unterredung in die Wachtstube trat, eilte ihm Graf Robert entgegen und rief, ohne Besorgnis, sich zu verraten, mit freudiger Stimme: »Hereward! hast Du vernommen, daß mich diese griechische Antilope zu drei Gängen mit spitzen Lanzen und scharfen Schwertern fordert? Was mich dabei wundert, ist lediglich, daß er es nicht für gescheiter hält, meine Dame zu fordern! Vielleicht meint er, die Kreuzritter möchten solchen Zweikampf nicht dulden? Nun, wie es ihm beliebt! Ich bin der Meinung, es heiße ihm schon Ehre genug antun, wenn ich mich bloß mit meinem Schwerte ihm gegenüberstelle und auf jegliche Rüstung in dem Kampfe verzichte!« – »Laßt mich bessere Vorsorge treffen, denn Ihr kennt die Griechen nicht, edler Graf!« erwiderte Hereward; »verübelt es mir darum nicht, wenn ich nicht eher mich von Euch beurlaube, als Ihr mir Euern Siegelring anvertraut habt!« – »Ich bin überzeugt, daß Du ihn nicht forderst, um Mißbrauch damit zu treiben; immerhin möchte ich wissen, zu welchem Zwecke Du ihn gerade heute forderst?« – »Binnen heute und sechs Tagen sollt Ihr es wissen!« – Mit diesen Worten verließ Hereward, im Besitze des Ringes, den Grafen. Drittes Kapitel Szene: das Lager der Kreuzfahrer angesichts von Skutari, Byzanz gegenüber, auf der klein-asiatischen Seite. Zeit: ein schöner Morgen, kurz nach Tagesanbruch. Aus einem kleinen Boote steigt ein grauer, ehrlicher Soldat mit einer schmucken Dirne. Weithin ist der Platz mit Zelten bedeckt; Fähnlein und Banner wehen in Unzahl, durch ihre Wahl- und Wappensprüche kündend, daß hier die Blüte der abendländischen Ritterschaft versammelt ist. Kaum nahen sich die beiden Wanderer einem der Lagertore, als ihnen ein mutwilliger Troß entgegenstürmt. Sie umzingeln das wunderliche Paar und fragen wirr durcheinander, was es im Lager suche. »Zum Oberfeldhauptmanne möchte ich,« antwortet Bertha, denn sie und keine andere war es, die im Auftrage Herewards, ihres Geliebten, den Weg hierher gemacht hatte zu dem Zwecke, die Hilfe Gottfrieds von Bouillon für den edlen Grafen Robert von Paris in Anspruch zu nehmen wider den Kaiser Alexius, der ihn im Kerker des Blachernä-Palastes gefangen hielt. »Was wollt Ihr bei ihm?« fragte der Vorlauteste der lauten Schar. – »Ich hab' einen Auftrag bei ihm auszurichten,« er. widerte Bertha. – »Aber, schönes Kind,« rief der Page, ein munterer Jüngling, dessen Gesicht die Röte starken Weingenusses zeigte, »wär' Euch nicht mit einem Geringeren besser gedient? Der Herzog Bouillon ist schon hoch bei Jahren, und wenn er mal ein Paar Zechinen übrig hat, so weiß er sie zu was Besserem zu verwenden.« – »Ich habe einen guten Ausweis, mich seinem Zelte zu nahen,« fügte Bertha, »und meine, er möcht 's Euch nicht gut anschreiben, wenn Ihr mich verhindertet, meinen Auftrag zu erfüllen.« – »Ernst von Apulien,« rief ein anderer von der lustigen Rotte, »streich' die Segel! Dein Witz geht der Dirne gegenüber in die Brüche!« »Polydor, Du bist ein Narr!« versetzte der mit Ernst von Apulien angeredete Jüngling: »der Begleiter der Dirne trägt die Rüstung der Waräger. Vielleicht ist an der Sache mehr, als Dein und mein Witz ergründen können. Der Politik des Kaisers Alexius sähe es nicht unähnlich, auf solchem Wege Botschaft an den Herzog zu senden. Ich meine, wir tun am gescheitesten, sie zu seinem Zelte hinzuführen!« »Von Herzen gern,« versetzte der andere; »aber ehe ich mich auf Narreteien einlasse, wie Du sie gern im Kopfe hast, möchte ich doch erst wissen, wie die Dirne heißt, die sich herausnimmt, den Fuß in unser Lager zu setzen, um edle Fürsten und fromme Pilger daran zu mahnen, daß auch für sie einst lustige Stunden geschlagen haben.« Bertha neigte sich zum Ohre Ernsts von Apulien und raunte ihm ein Paar Worte ins Ohr, worauf dieser den Kameraden mit den Worten alle, weiteren Scherze austrieb: »Sei ohne Furcht, Mädchen; ich werde Dich beschützen!« und an den Zelten und Hütten vorüber führte der junge Page das Paar zu dem Zelte des berühmten Feldhauptmannes des Kreuzfahrer-Heeres. Dort saßen etwa fünfzehn der vornehmsten Fürsten und Führer beisammen; aber Bertha trat, bescheiden und züchtig zwar, doch entschlossen, sich in der Erfüllung ihrer Pflicht nicht beirren zu lassen, ein. Gottfried von Bouillon war ein großer, kräftiger Mann, mit einem männlich-schönen, von Rabenlocken umwallten Gesicht, zwischen denen sich schon Silberfäden zu zeigen anfingen. Unweit von ihm saß Tankred, der edelste der christlichen Ritter, mit Hugo von Vermandois, der fast immer nur »der große Graf« genannt wurde. Dann Raymund, der mächtige Fürst der Provence, und Bohemund, der selbstische Fürst von Antiochien, wie andere fürstliche Herren mehr, sämtlich in der schweren Rüstung der Kreuzritter. Bertha war im ersten Augenblick angesichts dieser vielen und mächtigen Herren ein wenig beklommenen Herzens, faßte sich aber kecklich ein Herz und trat auf Gottfried von Bouillon zu. . »Edler Herzog von Bouillon und Graf von Lothringen, Oberfeldhauptmann des heiligen Kreuzzuges, ich begrüße Euch nebst all den tapferen Herren, die hier in Eurem Zelte versammelt sind, demütiglich, als Tochter Engelreds, ehemaligen Freisassen in Hampshire, und jetzt Haupt der freien Angelsachsen, die von dem berühmten Ederich geführt wurden. Mich sendet Graf Robert von Paris –« Bertha überreichte dem Ritter den Siegelring des Grafen, den ihr Hereward gegeben hatte; er wanderte von Hand zu Hand, und jeder erkannte das Wappenfeld mit den vielen Lanzensplittern darin als dasjenige des Grafen. »Meldet uns also den Auftrag, mit dem Euch Graf Robert sendet, damit wir ermessen können, was unsererseits zu geschehen hat.« Bertha erzählte die Ereignisse der letzten Tage und forderte zum Schlusse den Herzog, auf, dem Grafen Robert zu seinem Zweikampfe mit dem Cäsar, als Kontrolle, daß dabei von dem Gegner die Ehrlichkeit gewahrt bleibe, eine Abteilung von fünfzig Lanzen zurückzusenden. Sogleich begann unter den Kreuzrittern eine lebhafte Debatte: es wurde erinnert an das feierliche Gelübde, das von dem gesamten Heere abgelegt worden, auf dem Zuge nach Palästina nicht umzukehren, und die in der Versammlung anwesenden Prälaten traten mit Eifer gegen jede Verletzung desselben auf. Die jungen Ritter aber lehnten sich wider die erbärmliche Behandlung auf, die ihrem Kameraden, »dem Tapfersten der Tapferen«, von diesem hinterlistigen Griechenkaiser zuteil geworden sei, und forderten, rücksichtsloses Vorgehen gegen denselben. Zudem lockte sie das hierzulande seltene Schauspiel eines ritterlichen Zweikampfes. Gottfried von Bouillon saß in Nachdenken vertieft; er schien in großer Verlegenheit, denn jetzt mit den Griechen zu brechen, nachdem er so viel getan und geopfert hatte, um den Frieden mit ihnen zu erhalten, erschien ihm im höchsten Grade unklug und gefahrvoll; auf der andern Seite fühlte er sich durch seine ritterliche Pflicht gebunden, das einem so angesehenen und vor allem beim ganzen Heere überaus beliebten Kreuzfahrer, wie dem Grafen Robert von Paris, angetane Unrecht zu ahnden. In dieser Bedrängnis kam ihm Tankred zu Hilfe. »Erlaubt, mir, Herzog,« sprach er, »ich war erst Ritter, ehe ich Kreuzfahrer wurde; mithin geht mein Rittergelübde dem von mir als Kreuzfahrer abgelegten vor. Verstoße ich damit wider das letztere, so will ich Buße tun; aber keinesfalls werde ich unterlassen, eine Rittersfrau, die nach meinem Beistand ruft, in den Händen von Schurken zu lassen, denn eine andere Bezeichnung für dieses verräterische Griechengesindel kann ich nicht finden.« »Ich möchte nichtsdestoweniger meinen Vetter Tankred bitten,« nahm hier Bohemund das Wort, »seiner Heftigkeit Halt zu gebieten. Wollen die hier versammelten Fürsten und Herren, wie es ja bereits hin und wieder geschehen, auf meinen Rat hören, so glaube ich, ein Mittel gefunden zu haben, das uns ermöglicht, einerseits dem Grafen Robert beizustehen, der sich leider wider meine durchaus selbstlosen Winke von seinem Temperament hat hinreißen lassen, den Griechen gegenüber die notwendige Vorsicht außer acht zu setzen, und anderseits uns davor bewahrt, wider unser Kreuzfahrergelübde zu handeln. Mit fünfzig Lanzen, auf jede fünfzig Mann Begleitung gerechnet, erkläre ich mich bereit, den Grafen Robert aus der Pfanne zu hauen und nebst seiner Gemahlin zu uns über den Bosporus herüber zu holen.« »Du läßt nur den wichtigen Punkt außer Erwähnung, wie wir es vermeiden können, wider unser Gelübde zu verstoßen,« bemerkte Herzog Gottfried. – »Ich meine,« erwiderte Bohemund, »es sei in solchem Falle Pflicht eines jeden von uns, das Gelübde zu umgehen. Und daß dies so schwer sei, kann ich nicht finden. Sind wir denn so unbeholfene Reiter, oder sind unsere Rosse so widerhaarig, daß wir den Weg bis nach dem Landungsplatze nicht rückwärts reiten könnten? So können wir doch auch die Schiffe wieder besteigen, sollte ich denken? und in Europa angelangt, bindet uns das Gelübde nicht mehr, da es nur für Palästina lautet.« Lauter Beifall lohnte dem verschmitzten Sohne des Grafen Guiscard, und Herzog Gottfried rief: »Dergleichen Ausflüchte, wie sie der Bruder Bohemund hier ausklügelt, sind allerdings von Kasuisten mehrfach als statthaft erklärt worden; ich fürchte nur, daß die hier im Rate anwesenden geistlichen Herren sich nicht einverstanden erklären werden.« – Aber Peter der Einsiedler, der ein sehr großes Ansehen besaß, erklärte, die strenge Ausführung des Gelübdes sei schon um deswillen zu verwerfen, weil sie das Heer zu schwächen drohe; da ein so guter Ausweg gefunden sei, solle man keinesfalls auf dem buchstäblichen Sinne des Gelübdes bestehen. Er bot sich zum Schlüsse an, selbst auf seinem Esel rückwärts bis Skutari zu reiten, würde aber vom Herzog Gottfried schnell davon abgebracht, denn dieser fürchtete dadurch bei den Heiden bloß ins Lächerliche zu verfallen; ebenso meinte er, nicht auf das Erbieten des Fürsten Bohemund eingehen zu sollen, weil er die Selbstsucht desselben zu sehr fürchtete; um ihn aber nicht vor den Kopf zu stoßen, erklärte er, auf seine Landes- und Völkerkenntnis bei dem syrischen Feldzuge nicht verzichten zu können. Dagegen ernannte er Tankred zum Führer des Zuges nach Konstantinopel zum Zwecke der Befreiung des Grafen Robert und seiner Gemahlin. Bertha gab er eine Nachricht hierüber, an den Grafen mit, in der er ihm zugleich einen ernsten Tadel aussprach wegen seines aller Vorsicht entratenden Verhaltens gegen den griechischen Kaiser und dessen Trabanten;, dann entließ er das kühne Mädchen mit einem Lobe über ihre bei der heiklen Angelegenheit an den Tag gelegte Umsicht und bewiesene Treue. »Wer sind die beiden Männer, die dort auf Euch warten?« fragte er sie beim Gehen. – »Der eine ist der Schiffsführer, der mich über den Bosporus gebracht hat; der andere ist ein alter, treuer Waräger, der mich hergeführt hat.« – »Ich halte es für geratener, die beiden Männer kehren nicht wieder mit Dir zurück, da sie leicht mehr gesehen haben können, als für uns gut ist,« erklärte Herzog Gottfried und befahl einigen Knappen, sie in ihre Mitte zu nehmen, gab jedoch dem Mädchen die Versicherung mit auf den. Weg, daß sie nur solange zurückgehalten werden sollten, bis Tankred, dessen Obhut er Bertha anempfahl, mit dem Grafen und dessen Gemahlin zurückgekehrt sei. Tankreds Schar von fünfzig Lanzen mit der ihnen beigegebenen Begleitung von je zehn Mann, zusammen fünfhundert Mann, war alsbald zum Aufbruche bereit und rückte nach einigen kurzen Manövern, ihre Pferde in Gang zu bringen, eine Kolonne von vier Gliedern bildend, auf die von Bohemund gefundene Weise, das Gelübde zu umgehen, nach dem Landungsplatze ab. Erst wußten die Bewohner von Skutari nicht, was sie denken sollten, als sie die Leute rückwärts reiten sahen, endlich aber durchschauten sie die Sache und erhoben ein großes Geschrei. Das bestimmte die meisten Ritter, ihre Pferde Kehrt machen zu lassen und in die Stadt wie sonst einzureiten, da sie fürchten mußten, daß sich die Bewohner beeilen würden, die Schiffe in Sicherheit zu bringen, um sie so an der Überfahrt zu verhindern. Diese ging trotzdem nicht leicht von statten, denn die Besatzung von Skutari drohte sich den Kreuzrittern ernstlich zu widersetzen, so daß sich Herzog Gottfried von Bouillon genötigt sah, ihnen ein berittenes Kommando zum Beistande zu schicken. Es gelang nun zwar dem größten Teile von Tankreds Mannen, sich einzuschiffen; aber da die Schiffer den Zorn des Kaisers fürchteten, hatten sie sich sämtlich geflüchtet, so daß sich die Kreuzritter genötigt sahen, selbst zu den Rudern zu greifen. Dadurch wurde natürlich die Überfahrt erheblich verzögert, denn die Ritter waren nicht bloß solcher Arbeit ungewohnt, sondern auch mit den Wind- und Strömungsverhältnissen nicht vertraut. Der Abend kam heran, bevor sie das andere Ufer erreichten. Viertes Kapitel Alles Volk war in Konstantinopel auf den Beinen am Morgen des anderen Tages, denn zwischen dem Cäsar Nikephoros und dem Grafen Robert von Paris sollte der vom Kaiser verkündigte Zweikampf ausgefochten werden. Für Byzanz war dies ein außerordentliches Schauspiel. An dem westlich von der Stadt gelegenen Ufer waren die Schranken errichtet worden. Von da erblickte man die Stadtmauern mit ihren vierundzwanzig Toren: neunzehn Wasser- und fünf Landtore, ein großartiges Bild, dessen Anblick man teilweise noch heute genießen kann. Wie heute, erhob sich auch damals schon die Stadt in ihrem Umfange von neunzehn englischen Meilen hinter einem Ringe der herrlichsten Zypressen; aber die Zinnen und Obelisken sind zumeist verschwunden; dagegen deuten die vielen Minarets, die jetzt dem Islam dienen, auf den Reichtum an Christentempeln, den die Stadt damals aufzuweisen hatte. Die Schranken, die eine Länge von sechzig und eine Breite von vierzig Schritten hatten, waren zur Bequemlichkeit der Zuschauer von allen Seiten mit übereinander liegenden Sitzreihen umgeben: in der Mitte dieser Sitze und dem Mittelpunkte der Schranken gegenüber stand ein Podium, bestimmt für den Kaiser und geschieden von den Sitzreihen durch hölzerne Pfähle, die für etwaigen Fall von Gefahr leicht zur Verteidigung eingerichtet werden konnten. Sobald der Tag zu grauen anfing, zogen die Bürger in Scharen zur Stadt hinaus, um sich die Schranken anzusehen, die schon in der Nacht von einer stattlichen Abteilung der Schar der Unsterblichen besetzt worden waren. Neben dem großen Tore, durch das man von außen zu dem kaiserlichen Throne gelangte, befand sich ein zweiter Eingang, durch den eine zweite Schar, ihrem Körperbau, wie ihrer Tracht und Streitaxt nach zu schließen, von der Waräger-Garde, sich Zugang verschaffte, um den Platz um den Thron herum zu besetzen. Ueber diesen Ereignissen kam der Vormittag, und Achilles Tatius, der den Kaiser an diesem wichtigen Tage nicht aus den Augen lassen wollte, eilte nach dem Palaste.. »Kaiser Und Herr!« rief er, voll Hast in das Gemach desselben stürzend; »ich bin zu meinem Leidwesen der Bote schlimmer Kunde. Eine große Schar von Kreuzfahrern ist von Skutari her, im Widerspruch mit dem Eurer Hoheit geleisteten Gelübde über die Meerenge gesetzt. Das Lemnoser Geschwader hat versucht, sie aufzuhalten, gemäß dem im kaiserlichen Kriegsrate für solchen Fall vorgefaßten Beschlusse. Es ist ihm zwar gelungen, ein paar der feindlichen Schiffe mittels des griechischen Feuers zu vernichten: aber den Lateinern unter dem Befehle des verwegenen Tankred ist es geglückt, das Admiralsschiff unserer Flotte in Brand zu stecken, und wie die Rede geht, so ist Phraortes, der unglückliche Admiral, mit der Mehrzahl seiner Mannschaft dabei umgekommen.« »Und warum meldest Du mir solche Hiobspost erst, wenn nichts mehr dagegen zu tun ist?« fragte, den Akoluth scharf fixierend, der Kaiser. »Mit Verlaub, Hoheit,« erwiderte der Verschworene, »ich dachte, Euch einen Plan zu unterbreiten, der das kleine Mißgeschick wieder gut machen könnte.« – Schön,« sagte der Kaiser trocken, »und, was für ein Plan ist das?« – »Ich würde raten, ungesäumt Eure Waräger gegen die wider ihr Gelübde unter Tankreds Befehl zurückgekehrten Kreuzfahrer ins Feld rücken zu lassen; sie dürften mit den fünfhundert Franken schneller aufgeräumt haben, als der Bauer die Mäuse und Ratten auf seinem Felde los wird.« – »Und was beginne ich in dieser Zeit, wenn sich meine Angelsachsen draußen schlagen?« Dem Akoluthen wollte der trockene Ton des Kaisers nicht recht behagen. »Kaiserliche Hoheit könnten sich doch an die Spitze Ihrer Unsterblichen Schar stellen,« versetzte er, »und dann wäre doch der Sieg über die Franken von vorn herein entschieden,« – »Aber ich dächte, Akoluth,« sagte der Kaiser, »Du hättest Uns wiederholt versichert, daß die Unsterblichen noch immer an dem alten Rebellen Ursel hängen? Wie reimst Du es nun zusammen, daß Wir Uns zu ihnen begeben sollen, während sich Unsere Waräger, lauf die doch der bessere Verlaß sein dürfte, sich mit den Franken herumschlagen?« Der Akoluth war sichtlich betroffen, denn es ging aus dem Verhalten des Kaisers klar hervor, daß er den Plan des andern durchschaute; um den Choc zu parieren, erwiderte er, daß er in der Eile weniger an die Sicherheit seines Herrn gedacht habe als an die Pflicht, alle Gefahr für seine Person zu übernehmen. – »Sehr anerkennenswert,« versetzte der Kaiser, »daß Du meinen Wünschen derart zuvorkommen willst; aber Deinen Rat zu befolgen, ist für mich leider ausgeschlossen. Freilich wäre es mir lieb gewesen, die Franken wären wieder über die Meerenge zurückgetrieben worden; aber da sie nun einmal wieder da sind, halten Wir es für geratener, sie mit Geld und Beute, statt mit Untertanenblut abzufertigen. Zudem will es Uns nicht recht plausibel erscheinen, daß sie in verräterischer Absicht gekommen seien; Wir meinen weit eher, annehmen zu dürfen, daß sie die Neugierde nach dem Schauspiele eines Zweikampfes hergetrieben hat; und darum befehle ich Dir und Unserm Protospotharius, euch bei dem Fürsten Tankred zu erkundigen, welche Absicht ihn wieder in Unser Reich zurückgeführt habe und wieso er mit Unserem Admiral Phraortes in Händel geraten sei! Können die Kreuzfahrer Uns mit einer vernünftigen Entschuldigung aufwarten, so wollen Wir sie gern gelten lassen, denn wenn Wir Uns in einen Krieg hätten einlassen wollen, so wäre es doch wahrlich nicht nötig gewesen, so schwere Opfer für die Erhaltung des Friedens zu bringen. Wir glauben, daß die Kreuzfahrer nichts anderes als der in Aussicht stehende Zweikampf wieder über die Meerenge gelockt hat!« In diesem Augenblicke wurde der Protospatharius gemeldet. In einer funkelnden Rüstung, die aber ein leichenblasses Gesicht freiließ, das zu dem kriegerischen Federschmuck« in ziemlich schroffem Gegensätze stand, trat er ein; auch er war über den Auftrag, mit dem Akoluthen den grimmen Fürsten Tankred aufzusuchen, nicht sonderlich erbaut; denn während der Akoluth in der Beiordnung des Protospatharius weder ein Zeichen kaiserlichen Vertrauens, noch eine Bürgschaft für die eigene Sicherheit erblicken konnte, hatte der Protospatharius die Empfindung, als solle er dem Akoluthen lediglich als Folie dienen; und da er demselben nichts weniger als freundlich gesinnt war, lag ihm an solcher Rolle absolut nichts; aber er mußte sich gleich dem andern sagen, daß im Blachernä-Palaste an Widersetzlichkeit nicht gedacht werden konnte, denn die kaiserlichen Sklaven machten kein Federlesens mit einem Menschen, den der Kaiser als mißliebig bezeichnete und ihnen zur weiteren Behandlung überantwortete. Sie fanden sich mithin beide darein, sich wie zwei störrische Jagdhunde zusammenkoppeln zu lassen und auf das Signal der Warägertrompete sich an die Spitze der im Kasernenhofe zurückgebliebenen kaiserlichen Leibgarde zu stellen. Das war eine Verfügung, die das Gewissen des Achilles Tatius ernstlich bedrückte; er merkte recht wohl heraus, daß sich hinter diesem Vorwande eines ehrenhaften Auftrages nichts weiter verbarg als ein kluges Mittel, ihn von jeder Verbindung mit Briennios und Hereward fern zu halten, auf deren Mitwirkung er natürlich rechnete, da er nicht wußte, daß Alexius seinen Schwiegersohn im Blachernä-Palaste als Gefangenen zurückhielt. Unterwegs nach den Schranken bemerkte der Protospatharius zu dem Akoluthen in gleichgültigem Tone, daß der Kaiser persönlich anwesend sein, also auch alle Befehle persönlich erteilen werde, so daß für sie beide kaum mehr als eine Zuschauerrolle übrig bleiben dürfe... »Ich beklage das bloß insofern, als ich daraus ersehe,« erwiderte Achilles, »daß der Kaiser uns gegenüber Vorsichtsmaßregeln am Platze hält. Indessen... ich füge mich natürlich seinem Willen.« – »Etwas anderes wird auch schwerlich übrig bleiben, denn welche Strafen auf Verweigerung des Gehorsams in Aussicht stünden, wissen wir ja.« – »Und wenn wir's nicht wüßten,« sagte der Akoluth, »so würde es uns die Zusammensetzung der Leibgarde, die heute nur aus Warägern und Palastsklaven besteht, recht wohl vor Augen führen.« Der andere Offizier erwiderte hierauf nichts; der Akoluth aber, als er sah, daß die Wache bei den Schranken eine Stärke von annähernd dreitausend Mann besaß, hätte vieles darum gegeben, wenn er den Verschworenen durch den Cäsar oder durch Agelastes einen Wink hätte zukommen lassen können, mit den Maßnahmen zur Empörung noch zu verziehen, da der Kaiser all diesen verschiedenen Anzeichen nach Argwohn gefaßt hatte. Aber er sah weder den einen noch den andern der beiden Mitverschworenen, und als er nun gar sah, daß nicht bloß der Protospatharius, sondern auch die Palastdiener ihn nicht mehr aus den Augen ließen, wohin er sich auch wenden möchte, fing ihm die Situation allmählich an, recht schwül zu werden. Er fühlte sich von Feinden umgeben, fühlte, daß ihn die eigene Furcht verraten könnte, argwöhnte, daß Agelastes oder der Cäsar den Angeber gespielt hätte, und fing alsbald zu erwägen an, ob es nicht das geratenste sein möchte, sich dem Kaiser zu Füßen zu werfen und ein reumütiges Bekenntnis abzulegen. Fünftes Kapitel Während Achilles Tatius in solchem Zwiespalt mit sich der weiteren Entwicklung der Dinge entgegensehen mußte, ohne das geringste dabei tun zu können, wurde im Blachernä-Palaste, in dem Musensaale, den der Leser aus den Vorlesungen der Prinzessin Anna Komnena kennt, ein kaiserlicher Familienrat abgehalten, bei welchem außer dem Kaiser, seiner Gemahlin und Tochter, nur der Patriarch zugegen war. »Rede wir kein Wort von Gnade, Irene,« sprach der Kaiser, »was habe ich gewonnen dadurch, daß ich meinem Nebenbuhler Ursel seinerzeit das Leben ließ, daß ich ihn jetzt in Freiheit gesetzt habe, daß ich ihn durch meinen Leibarzt behandeln lasse? Statt sich lenksam und erkenntlich zu zeigen, verhält er sich ablehnend gegen jedes Ansinnen, sich mit mir vollständig auszusöhnen. Darum will ich nichts hören, daß ein solcher Bube sich dankbar dafür erzeigen werde, wenn ich ihm Gnade zuteil werden ließe. Zudem müßten mich ja doch alle meine Untertanen auslachen, wollte ich einen Menschen mit Rücksicht behandeln, der mit so großem Eifer an meinem Verderben gearbeitet hat. Du selber, meine Tochter, wärest sicher die erste, die mir solche Nachsicht verübeln müßte.« »Demnach ist es Euer kaiserlicher Wille,« nahm der Patriarch das Wort, »Euern unglücklichen Schwiegersohn, der doch nur durch die beiden anderen Verschwörer, Agelastes und Achilles Tatius, ins Verderben gelockt worden ist, dem Scharfrichter zu überantworten?« »Ja, mein fester Wille,« versetzte der Kaiser, »und nicht zum Scheine bloß, wie seinerzeit bei dem andern Verräter Ursel, soll das Urteil vollzogen werden, sondern noch heute wird der Verbrecher von der Acherontreppe durch die große Richthalle geschleift werden, und ich schwöre bei dem Richtplatze, der sich an ihrem oberen Ende befindet –« »Schwöre nicht, Alexius!« sprach der Patriarch, »im Namen des Himmels, der durch mein unwürdiges Ich zu Dir redet, verbiete ich Dir, alle Hoffnung auf einen Wandel Deines Entschlusses Deinem Schwiegersöhne gegenüber abzuschneiden, und lege Dir die Pflicht auf, Dir ein Gnadentor offen zu lassen. Gedenke an Konstantins Reue!« »Was meint Ihr mit dieser Mahnung, Hochwürden?« fragte die Kaiserin. »Auf solche Reliquie aus der heidnischen Zeit Unseres Reiches zurückzukommen, ist wohl mehr denn müßig,« sagte Alexius, »und für den Mund eines christlichen Patriarchen kaum geeignet.« »Was für einen Vorfall aus der Zeit Konstantins betreffen Eure Worte?« riefen die beiden Frauen, wie aus einem Munde, denn beide schöpften Hoffnung, etwas zu hören, was dem Schicksale des Cäsars günstig werden könnte. »Es ist freilich eine gar alte Geschichte,« erwiderte der Patriarch, »und man hat sie wohl gar in die heidnische Zeit zurückverlegt; aber es ist nicht in Abrede zu stellen, daß sie in den Annalen unsere Kirche verzeichnet steht als Gelübde eines griechischen Kaisers. Aber insofern hat Alexius recht, die Sache in die heidnische Zeit zu verweisen, als sie weniger in denjenigen Lebensabschnitt des großen Kaisers Konstantin gehört, der nach der Christianisierung des Reiches fällt, als vielmehr in dem vorausgehenden, in der Zeit seiner Kämpfe gegen seinen heidnischen Schwager Licinius, wurzelt. Es ist ja bekannt, daß dem durch so viele große Taten ausgezeichneten Herrscher kein Glück in seiner Familie beschert war, und daß sein Sohn Crispus, den Gott mit vortrefflichen Gaben gesegnet hatte, sich ähnlich, wie jetzt Briennios, in eine Verschwörung gegen seinen kaiserlichen Vater eingelassen hatte oder haben sollte. Er wurde eines Tages, zur Mitternachtszeit, aus seinem Bette geholt und vor seinen Vater geführt, um sich gegen diese Anschuldigung zu verteidigen, war aber zu stolz, auch nur das geringste Wort zu seiner Rechtfertigung zu sprechen. Diejenigen, welche den unglücklichen Jüngling beim Vater angeschwärzt hatten, darunter seine Stiefmutter Fausta, sollen seine Weigerung, den Vater um Gnade zu bitten, benutzt haben, den Zorn desselben noch mehr zu entflammen, und so wurde Crispus zum Tode durch das Schwert verurteilt. Aber kaum hatte der Henker seines schrecklichen Amtes gewaltet, so erkannte der Kaiser, daß sein Sohn unschuldig gewesen, und daß er sich zu einer übereilten Handlung, hatte hinreißen lassen. Da er gerade mit dem Baue des Blachernä-Palastes beschäftigt war ließ er über der Tür, die zu der Gerichtshalle führt, einen marmornen Altar errichten, der das Bild des armen Crispus zeigt mit der Inschrift ›Meinem zu Unrecht verurteilten und hingerichteten Sohne!‹. Er tat ferner das Gelübde für sich und seine Nachkommen, daß kein Mitglied der kaiserlichen Familie mehr vor Gericht geführt werden sollte, ohne daß ihm vor dem Bilde des unglücklichen Crispus Zeit gelassen würde, sich von der ihm beigemessen Schuld zu reinigen. Darum wiederholte ich, daß Ihr dem unglücklichen Manne Eurer Tochter so lange den Weg zur Gnade offen halten solltet, bis Ihr Euch durch, seine Vernehmung in letzter Stunde von seiner wirklichen Schuld überzeugt habt.« Von her Acherontreppe erklang in diesem Augenblicke Trauermusik herüber. »Der Cäsar ist schon auf seinem letzten Wege,« erklärte der Kaiser, »soll ich ihn anhören, ehe er zum Richtplatze durch die Halle schreitet, so wird es gut sein sich zu beeilen.« Die beiden Frauen baten den Kaiser, sich den Worten des Patriarchen zu fügen, und beschworen ihn bei ihrer ewigen Dankbarkeit, dem Verurteilten ein letztes Wort zur Entsündigung zu vergönnen. Der Kaiser ließ sich erweichen und erklärte: »Nun gut, sehen will ich ihn wenigstens noch einmal; aber so verschieden wie die Schuld des Cäsars von der des Crispus ist, so verschieden muß auch ihr Schicksal sich gestalten. Du, Patriarch, sollst zugegen sein, dem Verräter in seiner letzten Stunde beizustehen. Ihr Weiber aber werdet besser tun, in die Kirche zu gehen und für seine Seele zu beten, statt ihm die letzten Augenblicke durch Klagen und Jammern zu erschweren.« »Alexius,« erwiderte seine Gemahlin, »es ist nicht unser Wille, in solcher blutdürstigen Stimmung Dich allein zu lassen. Wie sollte ich es verantworten können vor dem ewigen Richterstuhle, daß ich Dich eine Tat vollbringen ließe, die Dich einem Nero ähnlicher machen müßte als einem Konstantin?« Von der Acherontreppe herüber erschallten die düsteren Bußpsalmen, die nach dem Ritus der griechischen Kirche bei der Vollstreckung von Hinrichtungen gesungen werden. Der Kaisers betrat die Gerichtshalle, ohne sich um seine Frauen weiter zu bekümmern, die ihm jedoch zusammen mit dem Patriarchen folgten. Wie aus den Eingeweiden der Erde herauf stiegen etwa zwei Dutzend stumme Sklaven, deren weiße Turbane in häßlichem Kontraste zu ihren welken Gesichtern und matten Augen standen, zu der Halle hinauf; jeder von ihnen hielt in der einen Hand einen Säbel, in der andern eine brennende Fackel. Hinter ihnen, zwischen zwei Mönchen in schwarzen Talaren, die ihm Gebete vorstammelten, ging der Cäsar in einer Tracht, die zu dem traurigen Gange, den er vorhatte, so recht paßte: in einer weißen Tunika, die ihm Arme und Beine unbedeckt ließ und lose vom Nacken herunterfiel. Ein nubischer Sklave, ein großer, starker Kerl, sichtlich die Hauptperson im ganzen Zuge, auf der Schulter ein schweres Richtbeil tragend, folgte dem Delinquenten Schritt für Schritt, gleich einem Dämon, der hinter einem Zauberer herschreitet. Vier Priester, abwechselnd einen Psalm anstimmend, und Sklaven, mit Köchern, Bogen und Lanzen bewaffnet, um jeden Versuch zur Flucht zu hindern, schlossen den Zug. Der Zug kam an der Stelle vorbei, wo sich der Kaiser aufgestellt hatte. Ein Blick auf die beiden, neben ihm stehenden Frauen saget ihm, daß er gut tun würde, das Wort zu ergreifen, sofern er verhindern wollte, daß ihm diese wieder mit Bitten die Ohren füllten. Mit fester, klangvoller Stimme hub er an: »Nikephoros Briennios, das gerechte Urteil ist über Dich gesprochen worden als Verschwörer gegen das Leben Deines rechtmäßigen Herrn, der Dir immer ein zärtlicher und fürsorglicher Vater gewesen ist. Der Kopf soll Dir vom Rumpfe geschlagen werden. Wenn Du mich jetzt hier siehst an dem Altare der Zuflucht, gestiftet von dem großen Kaiser Konstantin zur Erinnerung an seinen eigenen Sohn Crispus, der sich in ähnlicher Weise an seinem Vater verging wie Du an mir, so geschieht es lediglich zu dem Zwecke, Dir eine letzte Gelegenheit zur Reinigung von der Dir anhaftenden Sünde zu geben. Höre denn, Nikephoros! Du hast volle Freiheit zu reden! Blicke hinter Dich, das Beil ist geschliffen. Blicke vor Dich, der Richtblock steht bereit. Weißt Du noch etwas zu sagen, das Dich entlasten kann, so sage es. Ist dies nicht der Fall, dann preise Dein Urteil als ein gerechtes und mildes, und geh' mutig in den Tod!« Nikephoros sank vor dem Kaiser auf die Kniee und rief: »Erhabener Herrscher! ich bin von bösen Menschen verführt worden und bin unterlegen. Für meine Torheit und Undankbarkeit habe ich keine Worte der Entschuldigung, sondern bin bereit, meinen Fehltritt mit dem Tode zu sühnen.« Hinter dem Kaiser erklang ein schwerer Seufzer, dem alsbald der Ruf aus dem Munde der Kaiserin folgte: »Alexius! Deine Tochter stirbt!« Anna Komnena lag ist den Armen der Mutter. Alexius eilte der ohnmächtigen Prinzessin zu Hilfe, und auch der dem Tode verfallene Cäsar suchte sich seiner Gemahlin zu nahen. Der Kaiser, der von Natur nicht grausam war, und dem der Schmerz seines Kindes sehr nahe ging, fühltet sich geneigt, das Verbrechen des Cäsars milder zu beurteilen, und trat zu dem Patriarchen, der mit gefalteten Händen zu dem Bilde des Crispus emporsah. »Der unsterbliche Konstantin,«,sprach er, »hat seine Nachkommen wohl weniger unter die Gewalt eines Gelübdes in der Voraussicht gestellt, daß sich Entlastungsmaterial noch im letzten Augenblicke für die Delinquenten finden könnte, als um eine Gelegenheit zur Begnadigung derselben zu schaffen, die ja nur von dem Herrscher des Reiches erfolgen kann. Da freut es mich nun, daß ich weniger von der harten Eiche, als von der schmiegsamen Weide stamme, so daß es mir nicht schwer wird, die Rücksicht auf mein eigenes Leben und meinen Zorn über den gegen mich gerichteten verräterischen Anschlag leichter zu nehmen als das Herzeleid, das hierdurch über meine Tochter und mein Ehgemahl gebracht worden sind. So will ich denn heute Gnade für Recht ergehen lassen, Nikephoros Briennios, und Dir Deinen Rang als Cäsar in Unserem Reiche zurückgeben; durch den Großlogotheten soll Dir der Gnadenbrief, mit Unserem goldenen Siegel versehen, zugestellt werden. Einen Tag lang, bis Wir alle Anstalten zur Dämpfung der von Dir begünstigten Unruhen getroffen haben, bleibst Du noch in Gefangenschaft unter Aufsicht des würdigen Patriarchen, der für Dich verantwortlich sein soll. Ihr aber, meine Gemahlin und meine Tochter, begebt euch nach euren Gemächern, wo ihr, den Himmel bitten sollt, daß er Uns keine Ursache gebe, zu bereuen, daß ich heute der ehelichen Liebe und väterlichen Güte die Gerichtspflege und Politik hintansetze.« Nikephoros, im ersten Augenblicke außerstande, sich zu fassen, stammelte endlich die Bitte, den Kaiser ins Feld begleiten zu dürfen, um ihn mit seinem Leibe gegen jeden verräterischen Anschlag auf sein Leben zu decken; aber der Kaiser winkte ihm abwehrend. »Es sei mir ferne, in dem Augenblicke, da ich Dir das Leben geschenkt habe, an Deiner Ergebenheit zu zweifeln; aber da Du noch immer als das Haupt der Verschworenen giltst, erachte ich es für angemessener, die Maßnahmen gegen dieselben in andere Hände zu legen. Geh mit dem Patriarchen, wie ich Dir gesagt habe, und vergilt mir meine Gnade durch ein offenes Geständnis! Verschweige keinen Namen derjenigen, die in die Verschwörung verwickelt waren. Ich begebe mich jetzt hinaus zu den Schranken, um die andern beiden Verräter aufzusuchen.« Sechstes Kapitel Laut schmetterte die Warägertrompete, und die im Palast zum Dienste kommandierte Leibgarde marschierte, mit dem Kaiser in glänzender Rüstung in der Mitte, in langem Zuge durch die Straßen der Hauptstadt. Wenn die Verschworenen sich noch mit Hoffnungen trugen, so beruhten dieselben vornehmlich auf der Schar der Unsterblichen, die, zur eigentlichen Verteidigung der Stadt bestimmt, mehr mit den Bürgern derselben in Beziehung standen, und von den Parteigängern Ursels, ihres ehemaligen Kommandanten, bearbeitet worden waren. Dem Plane der Verschworenen gemäß sollten sich die unzufriedensten Elemente frühzeitig desjenigen Teiles der Schranken bemächtigen, der bei einem Angriffe auf den Kaiser den raschesten Erfolg versprach. Aber die Waräger waren ihnen zuvorgekommen, und die Verschworenen sahen sich, als sie ihrerseits anrückten, vergeblich nach den Führern um. Aber weder der Cäsar noch Agelastes wurden sichtbar, und als nun der Kaiser mit seiner Palastgarde in Sicht kam, konnte sich niemand darüber im Irrtum befinden, daß Achilles Tatius, der an der Seite des Protospatharius ritt, sich nicht sowohl an der Spitze der Palastgarde, als im engeren Gefolge des Kaisers, unter dem Späherauge desselben, befand. Der Kaiser ritt mit seiner glänzenden Schar den Kreuzfahrern entgegen, die zwischen der Stadt und den Schranken auf einem niedrigen Hügel Aufstellung genommen hatten. In mäßiger Entfernung machte der Zug Halt, und der Protospatharius ritt mit dem Akoluthen in Begleitung eines Warägerkommandos allein weiter, um mit dem Fürsten Tankred im Auftrage des Kaisers zu verhandeln. »Alexius, selbstherrlicher Kaiser über Griechenland, und von Byzanz,« hub der Protospatharius an, »verlangt von dem Fürsten von Otranto Auskunft, aus welchem Grunde derselbe wider Eid und Gewissen die Fahrt über die Meerenge zurückgemacht hat. Nichtsdestoweniger gibt er dem Fürsten die Versicherung, daß er nichts sehnlicher wünscht, als eine Antwort auf seine Frage zu erhalten, die nicht im Widerspruche steht zu dem mit dem Herzog Gottfried von Bouillon geschlossenen Abkommen; denn es liegt dem Kaiser auch jetzt noch viel daran, keinen Mißklang in das bisher so ruhige Verhältnis zwischen ihm und dem Kreuzfahrerheere zu bringen.« Die Antwort auf diese entgegenkommende Ansprache fiel dem Fürsten nicht schwer. »Was uns veranlaßt hat, den Fuß wieder auf diese Seite der Meerenge zu setzen, ist nichts anderes als der Zweikampf, der zwischen dem Cäsar dieses Reiches und einem der edelsten unserer Ritter ausgefochten werden soll. Hieraus erwächst für den Feldhauptmann die Pflicht, für die Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ordnung während des Kampfes Sorge zu tragen. Daß von keiner anderen Absicht die Rede sein kann, erhellt schon allein daraus, daß der Herzog von Bouillon nur fünfzig Lanzen mit dem zugehörigen Gefolge über die Meerenge gesandt hat. Wir stellen uns und unsere Mannen dem Kaiser von Griechenland zu Befehl mit dem Bedingnis, daß uns Gelegenheit gegeben werde, den Verlauf des Kampfes als Zeugen zu überwachen.« Der Kaiser vernahm diesen Bescheid aus dem Munde seiner beiden Offiziere mit besonderer Freude und ernannte auf der Stelle den Fürsten Tankred und den Protospatharius zu Turniermarschällen. Gleichzeitig erging an die bereits in den Schranken versammelten Zuschauer die Aufforderung, eine gewisse Anzahl von Sitzen für das Gefolge des Fürsten Tankred freizumachen. Aus dieser Anordnung meinte Achilles Tatius erkennen zu sollen, daß Kaiser Alexius bemüht sei, die Kreuzfahrer als eine Art von Keil zwischen die Schar der Unsterblichen, und die mitverschworenen Stadtbürger zu schieben, um sich ihrer im gegebenen Falle als schützendes Bollwerk zu bedienen. Das brachte ihn von neuem zu dem Entschlusse, an diesem Tage keinerlei Versuche zur Erschütterung des kaiserlichen Thrones zu unternehmen. Nichtsdestoweniger mußte er befürchten, daß sich ein so verschmitzter Tyrann wie Alexius nicht mit der bloßen Entdeckung einer Verschwörung genug sein lassen würde; aber an Flucht zu denken war ebenso ausgeschlossen wie an Widerstand; denn der geringste Argwohn, daß er sich mit Gedanken hieran trüge, konnte die sofortige Verhaftung zur Folge haben. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als bangen Herzens die Entwickelung dieses Dramas, bei dem es sich um sein Leben handelte, wenn auch die Rollen von anderen gespielt wurden, abzuwarten. Nicht besser erging es den übrigen Verschworenen, die sich umsonst nach dem Cäsar und nach Agelastes umsahen, und aus der Lage, in welcher sie den Akoluthen erblickten, weit mehr Ursache zu Bestürzung als zu Ermutigung finden mußten. Bloß die Elemente der untersten Bevölkerungsklasse, die sich hier vor Verfolgung sicherer als anderswo wußten, erhoben ihre Stimmen zu einem anschwellenden Gemurmel. Da gab der Kaiser der Leibgarde einen Wink, und von neuem schmetterten die Trompeten über den Platz. Ein Herold trat aus dem kaiserlichen Gefolge, den Willen des Herrschers zu künden. Er begann in strengem Tone, dem Volke vorzuhalten, daß es leider zuweilen seiner Pflichten gegen den Staat vergesse, und daß es als ein Glück zu erachten sei, wenn Gott dann selbst den Thron der Fürsten in seinen Schutz nehme, und die Strafe über die Schuldigen verhänge. »Das solle,« fuhr er fort, »Griechenland auch jetzt wieder erkennen, denn der Bösewicht Agelastes, der es verstanden habe, sich durch den Anschein einer tiefen Gelehrsamkeit die kaiserliche Gunst zu verschaffen, hinter der Maske der Weisheit aber die Lehren des Ketzerglaubens und die Laster des Lüstlings gepflegt habe, und der, auf Anhänger fußend, die er im Hofstaate, ja sogar unter den engeren Verwandten des Kaisers zu werben gewußt habe, einen Plan zu dessen Ermordung geschmiedet, das Volk aufgereizt und allerhand falsche Gerüchte ausgesprengt habe, – dieser Bösewicht sei dem Strafgericht Gottes verfallen, indem er, wie durch Zeugnis mehrerer Frauen erhärtet worden, sein Leben einem von ihm selbst beschworenen bösen Geiste habe lassen müssen. Aber auch solch eines Schuldigen Tod müsse dem Kaiser schmerzlich sein, wenn er eine Strafe erwarten lasse, die über diese Welt hinausreiche. Nur ein Gutes habe dieses schreckliche Ende des Haupträdelsführers, daß es den Kaiser der Notwendigkeit überhebe, fernere Strafen zu verhängen, denn der Himmel scheine ja selbst die Strafe auf diesen Bösewicht zu beschränken. Der Kaiser lasse demnach alle, die sich schuldig fühlen, auffordern, ruhig nach Hause zu gehen mit der Ueberzeugung, daß sie keine Strafe treffen solle; sie möchten aber der Worte der Schrift eingedenk sein, die sie auffordern, Buße zu tun und nicht weiter zu sündigen, um sich nicht in die Gefahr zu stürzen, daß Schlimmeres über sie komme.« Als der Herold schwieg, erhob sich lautes Jubelgeschrei. Die Unzufriedenen mußten sich gestehen, daß sie von der Gnade des Kaisers abhängig seien, da es in seiner Macht stand, sowohl die Waräger über sie herfallen zu lassen, als auch die Mannen des Fürsten Tankred zu Feindseligkeiten gegen sie zu bestimmen. Wie es bei Pöbelmassen immer zu geschehen pflegt, überbot nun einer den andern, dem Kaiser für seine Güte und dem Himmel für die gnädige Errettung zu danken. Auf einen abermaligen Wink des Kaisers dröhnte von neuem die Trompete über den Platz, und von neuem trat der Herold vor, aber diesmal, um den Beginn des Zweikampfes zu verkünden. »Robert, Graf von Paris,« rief der Herold aus, »seid Ihr persönlich hier erschienen oder durch einen ritterlichen Stellvertreter willens, auf die Forderung Seiner kaiserlichen Hoheit des Cäsars Nikephoros Briennios zu antworten?« Das Erstaunen des Kaisers, der alles so eingerichtet zu haben meinte, daß sich keiner von den beiden Gegnern melden sollte, und deshalb schon Käfige mit wilden Tieren hatte herfahren lassen, um das Volk durch ein anderes Schauspiel zu ergötzen, war maßlos, als er jetzt den Grafen Robert von Paris in voller Rüstung in die Schranken reiten sah; weit größer aber noch war die Unruhe und Beschämung, als sich dem fränkischen Ritter kein Gegner stellte. Zum zweiten Male war schon der Ruf des Herolds nach dem Cäsar, der den Grafen Robert von Paris zum Kampfe gefordert; aber weder dieser noch ein Stellvertreter erschien in den Schranken. Beim dritten Rufe wäre dem Kaiser kaum etwas anderes übrig geblieben, als selbst in die Arena zu treten, da sprang ein Mann, gerüstet wie ein Waräger, in die Schranken und erklärte sich bereit, den Kampf für den Cäsar Nikephoros aufzunehmen. Alexius, höchst erfreut über diesen unerwarteten Beistand, erteilte dem kühnen Kämpen gern seine Einwilligung; aber Fürst Tankred erhob den Einspruch, daß die Schranken eines Turniers lediglich Rittern und Edlen offen stünden, mithin könne er zu solcher Außerachtsetzung der Gesetze der Ritterschaft nicht stillschweigen. Der Waräger aber rief, der Graf von Paris solle ihm ins Angesicht schauen und dann erklären, ob er durch einen Kampf mit ihm nicht ein längst gegebenes Versprechen einlöse. Graf Robert trat hierauf zu dem Manne in Warägerrüstung und erklärte, daß ihn die Verschiedenheit im Range nicht abhielte, mit dem tapferen Krieger in den Kampf zu treten, da er sich tatsächlich durch ein feierliches Wort zu solchem Kampfe verpflichtet habe, ja er sei bereit, sowohl zu Fuße, als auch mit der eigentlichen Waffe der Waräger, der Streitaxt, zu kämpfen. Darauf verneigte sich der Waräger, zum Zeichen des Dankes für solch männliches Benehmen. Dann faßte er seine Streitaxt und stellte sich kampfbereit. Der Graf ließ sich die Streitaxt eines nahe den Schranken stehenden Warägers geben und trat Hereward entgegen. Ohne weitere Umstände nahm der Kampf seinen Anfang. Auf beiden Seiten fielen nun die Schläge mit immer größerer Stärke, und in immer kürzeren Pausen, und bald floß auch bei beiden Gegnern Blut. Die Griechen schauten dem ungewohnten Bilde mit Spannung zu; kaum zu atmen wagten sie, und bei jedem Streiche, der fiel, erwarteten sie, einen der Gegner stürzen zu sehen. Lange stand der Kampf unter gleichen Chancen, denn die beiden Gegner waren einander an Stärke und Gewandtheit gleich. Da schien der Zufall die Entscheidung herbeiführen zu sollen. Graf Robert schlug dem Gegner eine Finte und traf den Waräger in der Seite, so daß derselbe taumelte. Schon hob der Graf die Axt zum zweiten Schlage, da erklang eine Frauenstimme aus den Reihen der Zuschauer: »Vergiß nicht, Graf Robert von Paris, daß Du Dein Leben nächst dem Himmel mir verdankst!« Mit den Worten: »Ich erkenne meine Schuld!« senkte der Graf die Axt und trat ein paar Schritte von seinem Gegner hinweg, so daß dieser sich von dem erlittenen Schlage aufzuraffen vermochte. Aber auch er senkte nun die Axt und wartete gespannt der weiteren Entwicklung der Dinge. »Gott dem Allmächtigen und der englischen Maid Bertha danke ich es,« sprach der Graf, »daß ich mich nicht mit der Blutschuld des Undankes befleckte!« Dann wandte er sich zu dem Fürsten Tankred: »Ihr Herren,« sprach er, »habt den Kampf beobachtet und könnt auf Ehre bezeugen, daß er auf beiden Seiten mit Ehren geführt worden ist. Ich hoffe, daß meinen wackeren Gegner die Lust, sich in weiterem Kampfe mit mir zu messen, verlassen hat, während mich ein so tiefer Dank gegen ihn erfüllt, daß ich jede Fortsetzung dieses Kampfes, sofern mich nicht die Pflicht der Selbsterhaltung zwingt, ihn weiter zu führen, als sündigen Verstoß wider die guten Rittersitten erkläre!« Der Kaiser, der solchen Abschluß nicht erwartet hatte, senkte mit Freude seinen Heroldstab zum Zeichen, daß der Kampf zu Ende sei, und wenn auch Tankred befremdet darüber war, daß ein simpler Waräger einem der berühmtesten Ritter des Zeitalters so lange widerstanden hatte, konnte er doch nicht umhin, einzuräumen, das allen Geboten der Ritterpflicht bei dem Kampfe ehrlich Rechnung getragen worden sei. Hereward, der jetzt zur wichtigsten Person geworden war, ohne sich dessen im entferntesten vermutet zu haben, stand im Mittelpunkte der Schranken, mit gerötetem Gesicht, einer Folge nicht allein von dem aufregenden Kampfe, sondern wohl auch von der schlichten Gemütern eigentümlichen Scheu, die Blicke einer großen Menge auf sich gerichtet zu sehen. Von Dank erfüllt, wandte der Kaiser sich zu ihm und sprach: »Tapferer Kriegsmann, sage Deinem Kaiser, wie er sich dankbar dafür erweisen soll, daß Du ihm nicht bloß das Leben, sondern – was noch höher zu bewerten ist – auch die Ehre gerettet hast durch Dein mannhaftes Eintreten für ihn und für den Cäsar. Und wenn Du die Hälfte meines Reiches fordertest, so würde ich sie Dir nicht weigern.« »Kaiserliche Hoheit,« erwiderte der Waräger, »Ihr schätzet meine Dienste zu hoch, denn in erster Reihe gehörte Euer Dank dem Grafen Robert von Paris dafür, daß er sich herabgelassen hat, mit einem Mann wie mir, der ihm an Rang doch so tief untergeordnet ist, den Kampf in den Schranken zu bestehen und den Sieg, der ihm durch einen zweiten Schlag sicher war, nicht zu verfolgen. Es wäre unrecht von mir, wollte ich verschweigen, daß meine Kraft, als der Graf die Streitaxt senkte, zu Ende war.« »Es ziemt dem Ritter wohl Bescheidenheit,« nahm hier der Graf das Wort, »aber nicht, sich selbst gering zu schätzen; denn ich schwöre vor allem hier versammelten Volke, daß der Kampf noch unentschieden war, als ich die Streitaxt senkte. Weigere also den Lohn nicht, den Dir Dein kaiserlicher Herr bietet, ohne Furcht, daß jemand sagen könnte, Du habest solches nicht verdient!« »Es sei ferne von mir, Euer Edlen,« erwiderte Hereward, »Euch widersprechen oder die Großmut meines kaiserlichen Herrn gering schätzen zu wollen; und doch möchte ich nicht von ihm, sondern von Euch dasjenige Geschenk erbitten, das mir, wenn ich eins fordern darf, das liebste wäre, was ich fordern möchte!« »Ich weiß, mein Freund,« versetzte der Graf, »was Deine Worte bedeuten. Bertha, so schwer auch meine Gattin sie vermissen wird, soll die Deine sein!« »Noch eins,« erwiderte Hereward, »ich bin willens, um meinen Abschied aus der Warägergarde einzukommen und Euer Edlen um die Vergünstigung zu bitten, unter Eurem Banner mit nach Palästina zu marschieren. Vielleicht ist es mir dann erlaubt, in die Heimat zurückzukehren, wo ich doch am liebsten leben möchte von allen Ländern der Welt.« »Wenn es in meiner Macht steht,« versetzte der Graf, »Dir eine Gelegenheit zur Auszeichnung zu verschaffen, so darfst Du Dich überzeugt halten, daß es mit Freuden geschehen wird. Auch will ich beim Könige von England alles tun, was in meinen Kräften steht, Dir die Rückkehr nach Deinem Vaterlande zu ermöglichen.« Der Kaiser gab das Zeichen zum Aufbruch, und in Scharen brachen die Zuschauer nach der Stadt auf. Da ertönte plötzlich von allen Seiten wildes Geschrei, und viele standen still, um zu sehen, was vorging. Der Waldmensch Sylvan war in den Schranken! In der Nacht war er aus dem Garten des Agelastes, wo ihn Hereward zuletzt gesehen, entwischt, über die Stadtmauer geklettert und nach den Schranken retiriert, wo er sich in einem dunklen Winkel unter den Sitzen der Zuschauer versteckt hatte. Von dort war er durch den Lärm aufgescheucht worden, flüchtete aber, von seinem scharfen Instinkt geleitet, zu dem ihm vertrauten Hereward, um sich vor den Kriegsleuten in Sicherheit zu bringen, hielt ihn am Waffenrock fest und machte ihm mit allerlei Geschnatter verständlich, daß er Hilfe von ihm erwarte. Dem Kaiser war der Vorfall nicht entgangen; er knüpfte mit den Worten an ihn an: »Mein treuer Hereward! Du bist die Zuflucht nicht bloß hilfsbedürftiger Menschen, sondern auch der Tiere, und Sylvan soll sich nicht umsonst an Dich gewendet haben. Das Tier soll nach dem Blachernä-Palaste zurückgebracht werden. Sorge dafür, und ist dieser Fall erledigt, dann sollst Du mit Deiner Bertha an Unserem Hofe erscheinen, um mit meinem Ehgemahl und meiner Tochter sowie anderen Gästen zur Nacht zu speisen. Solange Du noch bei uns weilst, wollen Wir mit Ehrenbezeigungen nicht geizen. Und nun ein Paar Worte zu Dir, Achilles Tatius,« damit wandte er sich an, seinen Akoluthen – »tritt zu mir und halte Dich der gleichen Gunst auch ferner teilhaftig, die Du bisher von mir erfahren hast. Wohl hat sich Anklage wider Dich zu meinen Ohren geschlichen; aber es soll ferne von mir sein, Dich dessen fähig zu halten, was Dir böse Zungen nachreden. Aber« – und hier hob er drohend die Hand – »sei auf der Hut vor Rückfällen! Du würdest mich in einem zweiten Falle nicht wieder so gnädig finden!« Der Akoluth verneigte sich bis zur Erde, hielt es aber für klüger, keinerlei Erwiderung zu tun, sondern seine Missetat mit diesen kaiserlichen Worten für abgetan zu betrachten. Nun setzte sich der Zug von neuem in Bewegung, ohne noch einmal aufgehalten zu werden; der Waldmensch wurde von ein paar Warägern in die Mitte genommen und wieder in den Palast geführt, wo er seit jeher seine Behausung hatte. Die geladenen Gäste füllten alsbald die kaiserlichen Gemächer, und hie helle Fröhlichkeit, die bei der Abendtafel herrschte, ließ in keiner Weise ahnen, welch einen Tag voll schwerer Gefahren die kaiserliche Familie hinter sich gebracht hatte. Befremden weckte es allerdings, daß Brenhilde, die Gemahlin des Grafen Robert, nicht anwesend war; aber Bertha hatte dem Grafen schon am Vormittag mitgeteilt, daß sich Brenhilda von den Vorgängen der letzten Tage so angegriffen fühle, daß sie außerstande sei, ihr Zimmer zu verlassen. Der Graf hingegen tat sein möglichstes, aus dem Gedächtnisse des Kaisers jede trübe Erinnerung, zu verbannen, trotzdem es ihm recht wohl bekannt war, daß Fürst Tankred nicht allein das Haus, in welchem sich seine Gemahlin befand, sondern auch den Blachernä-Palast umzingelt hielt, damit weder ihren heldenmütigen Anführern noch auch dem Grafen Robert irgend etwas Uebles widerfahren könne. Zum Schlusse unserer romantischen Erzählung sei nur noch des Schicksals gedacht, das die Hauptpersonen derselben betraf: Kaiser Alexius überlebte die letzten Ereignisse dieser Episode nicht lange, sondern starb an den Folgen eines heftigen, gichtischen Leidens. Seine Gemahlin Irene überlebte ihn eine Reihe von Jahren; am längsten aber von der kaiserlichen Familie lebte Anna Komnena, die mit ihrem Gemahl Nikephoros noch eine ungetrübte Ehe führte. Vielleicht war dabei von einigem Belang der Umstand, daß sie mit dem Hinscheiden ihres Vaters den Griffel aus der Hand legte und sich mehr ihren häuslichen Aufgaben als der schöngeistigen Beschäftigung widmete, die so lange ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hatte. Graf Robert von Paris tat sich während des Kreuzzuges so außerordentlich hervor, daß er nach dem Tode des Kaisers Alexius sogar zum Verweser des oströmischen Reiches erwählt wurde; aber in der Schlacht bei Dorylaion wurde er so gefährlich verwundet, daß er an den letzten Kämpfen der Kreuzfahrer nicht mehr teilnehmen konnte; dagegen war der heldenmütigen Brenhilda, seiner Gemahlin, die Freude, beschieden, die Mauern Jerusalems zu ersteigen und dem Gelübde, das sie mit ihrem Gemahl abgelegt hatte, Genüge zu tun. Ueber Venedig kehrte sie mit ihrem Gemahl, dessen Wunden im Orient nicht heilten, nach dem schöneren Frankreich zurück, während Hereward, der Waräger, mit seiner getreuen Bertha, wie es der Graf ihm verheißen hatte, in seine nordische Heimat zurückkehren durfte. Dort brachte er es noch zu hohen Ehren, denn König Wilhelm der Rote lernte seine hohen Gaben alsbald schätzen und verwandte ihn wiederholt zu Missionen an den französischen Hof. Die glücklichen Verhandlungen, die er dort führte, trugen ihm ein stattliches Lehen in der Nähe von New-Forest, seiner engeren Heimat, ein, und dort haben, wie verlautet, seine Nachkommen über manchen Wechsel der Zeiten hinaus gelebt, der manch größerem Geschlecht verderblich hatte werden sollen. Ende Schloß Douglas am Blutsumpf Ein Roman aus dem schottischen Hochland Einleitung und Übersetzung von Erich Walter Tales of My Landlord IV Castle Dangerous Edinburgh 1832 Walter Scott ... wurde am 15. August 1771 zu Edinburgh geboren als neunter Sohn des Sachwalters Walter Scott, eines Abkömmlings des altberühmten, in ferne Zeiten zurückreichenden »Clans« der Scotts und seiner Ehefrau Anne, eines Sprößlings der ebenfalls uralten schottischen Familie der Rutherfords. Ein echtes Kind der Hochlande und von Abstammung somit aus reinstem Schottenblut, entwirft er selber einmal von seinen Ahnen die launige Charakteristik: »Mein Großvater war ein Pferde- und Viehhändler und hat sich ein Vermögen erworben; mein Urgroßvater war ein Jakobit und Verräter (so hieß man sie damals) und hat ein Vermögen durchgebracht. Vor diesem kamen ein paar halbverhungerte »Lairds«, die auf abgehetzten Gäulen ritten und hinter denen noch abgehetztere Jagdhunde trotteten. Die knauserten mit Mühe von hundert Pächtern hundert Pfund heraus, duellierten sich, trugen die Hüte herausfordernd auf den Ohren und nannten sich »edle Herren«. Dann kommen wir zu den alten Grenzerzeiten, wo sie Vieh stahlen und an den Galgen kamen und so weiter, wo, wie ich fürchte, von Ehrsamkeit, im modernen Sinne des Wortes, kaum die Rede sein kann.« Das beste Denkmal hat Walter Scott seiner Familie in seinen eigenen Werken gesetzt, in denen er fast alle seine Ahnen rühmend geschildert und verherrlicht hat – wie es dem alten Glanze eines so untadelhaften Stammbaumes gebührte, auf den selbst ein so hervorragender Abkömmling wie Sir Walter, der Vater des historischen Romans, mit Recht stolz sein durfte. Der Vater Sir Walters war das erste Mitglied der Familie, der das Land verließ und in die Stadt zog. Sein Beruf als »writer« nötigte ihn hierzu. Diese »writers« sind Rechtsgelehrte zweiter Klasse – welche lediglich das Material für Prozesse vorbereiten und durcharbeiten, aber nicht persönlich an den Verhandlungen teilnehmen. Sir Walters Vater hatte sich 1758, 29 Jahre alt, mit Anne Rutherford verheiratet, einer Tochter des Mediziners Dr. Rutherford, die von hoher Bildung und poetischer Veranlagung war. Der Ehe entsprangen zwölf Kinder, von denen die ersten sechs in zartem Alter starben. Das neunte, unser Dichter, war ein gesundes und kräftiges Kind, das aber von einer Krankheit im zweiten Lebensjahre her eine Lähmung des rechten Beines zurückbehielt – ein Körperfehler, den er mit seinem großen Nebenbuhler und Kameraden Lord Byron teilte, den er aber im Gegensatz zu der nervösen Verbitterung dieses Schöngeistes mit robuster Gleichgültigkeit ertrug. Zu seiner Stärkung kam das Kind auf das Gut des Großvaters Robert Scott nach Sandy-Knowe. Der Aufenthalt hier ist für seine geistige Entwicklung von grundlegender Bedeutung. Hier war er auf dem Heimatsboden seiner Ahnen und seiner Poesie. Hier in der patriarchalischen Umgebung eines altschottischen Grundsitzes, im täglichen Anblick einer romantischen Landschaft, über der Sagen und Märchen webten, im täglichen Umgang mit Hirten und Mägden und andern echten Kindern des schottischen Volkes sog er tiefe Liebe zur Natur seiner Heimat und zu den Legenden seines Volkes ein. Es zeigte sich jedoch, daß dieser Aufenthalt für sein Fußleiden nicht vorteilhaft war, und die Eltern schickten den Knaben mit seiner Tante Johanna nach Bath, wo er die heißen Quellen gebrauchte. Während des fast ein Jahr währenden Aufenthalts in diesem Modebad besuchte er eine Elementarschule und lernte lesen. Nach Edinburgh zurückgekehrt, kam er aufs Gymnasium. Er hat sich als Schüler nicht sonderlich hervorgetan, war aber groß in allen Spielen – gleichfalls eine Eigenschaft, die er mit Lord Byron gemein hatte. Unter seinen Kameraden war er besonders beliebt, weil er wie kein andrer allerlei Geschichten und Märchen zu erzählen verstand. Vom 13. Lebensjahre ab besuchte er die Universität in Edinburgh, um seine humanistische Bildung zu vollenden. Dieses Studium währte drei Jahre und blieb infolge der Übereilung, die von Walters Vater ausging, unvollständig, obendrein wurde es noch durch eine Krankheit unterbrochen – die Sprengung eines Blutgefäßes, die ihn wochenlang ans Bett fesselte. Diese Krankheit warf ihn, wie er selber sagte, »wieder ins Reich der Dichtung zurück«, und er benutzte diese Zeit unfreiwilligen Müßiggangs zur Vervollständigung seiner literarischen Kenntnisse. In diese Zeit fallen auch seine ersten dichterischen Versuche – lyrische und episch-romantische Stammeleien, die er später selber vernichtete. Im Jahre 1786 nahm ihn der Vater als Lehrling in sein Geschäft auf und Walter wurde laut förmlichem Kontrakt auf fünf Jahre verpflichtet. In diese Lehrjahre fällt seine erste Jugendliebe zu Margareta, der Tochter des Baronets John Stuart Belcher. Die dem Mädchen gewidmeten Gedichte hat er später gleichfalls selber vernichtet. Der Beruf seines Vaters vermochte ihn nicht zu befriedigen. Der Vater löste 1789 den Vertrag und erklärte sich damit einverstanden, daß Walter abermals die Universität bezog, um sich dem Studium der höheren Rechtswissenschaft zu widmen. 1792 bestand Walter dann die Advokaten-Prüfung und wurde in die Fakultät feierlich aufgenommen. Hiermit kam sein Jünglingsalter zum Abschluß, und er trat ins bürgerliche Leben ein. »Sein Jünglingsalter«, schreibt Elze, »verrät in keiner Weise den künftigen Dichter, sondern zeigt nur den jungen Gentleman. Wir sehen da keine Sturm- und Drangperiode wie bei Goethe, keine gewaltsame Selbstbefreiung wie bei Schiller; keine jugendlichen Fehltritte und dadurch herbeigeführte Losreißung von Haus und Familie wie bei Shakespeare; keine die Schranken überspringende Eigenwilligkeit und wilde Melancholie wie bei Byron; alles bewegt sich bei ihm glatt und eben in dem natürlichen Geleise des gesellschaftlichen Lebens, und wer das Genie eines Dichters an dem gewaltsamen Durchbruche seines Jünglingsalters erkennt, der muß Walter Scott allerdings jeden Funken Genie absprechen. Scott hat nie mit der Gesellschaft gebrochen, und warum hätte er es gesollt? Das Feld für seine Tätigkeit und seinen Ehrgeiz war so geräumig, als er es sich nur wünschen konnte.« Seinem Advokatenberuf widmete er sich mit großem Eifer, scheint es indessen nie zu einer großen Praxis gebracht zu haben. Von weit größerer Bedeutung war die Art und Weise, wie er seine Mußestunden verwertete. Seine literarischen Neigungen führten ihn zum Studium der deutschen Sprache, dem wir vorzügliche Übersetzungen von Götz von Berlichingen, mehreren Ritterschauspielen und namentlich einigen Balladen Bürgers (»Lenore«, »Der wilde Jäger«) verdanken. Die Gerichtsferien brachte er in seinem heimischen Hochlande zu, das er zu Roß und zu Fuß unermüdlich durchquerte, immer neu an dem alten Sagenbrunnen sich labend. Im Jahre 1797 lernte Walter Scott Charlotte Margarete Carpenter (die englische Umbildung ihres eigentlichen Namens Charpentier) kennen, die Tochter eines französischen Beamten, dessen Witwe mit ihrem Kinde während der Revolution nach England entkommen war. Sie wurde im selben Jahre seine Braut und Gattin. Die ersten zwei Jahre nach der Trauung verlebte das junge Paar in Laßwade im Esktale. Hier widmete er sich von neuem der Literatur und lieferte zu einer von Lewis herausgegebenen Sammlung »Wunderbare Geschichten« einige poetische Beiträge. 1799 wurde er zum Sheriff von Selkirkshire ernannt. Im Jahre 1802 veröffentlichte er dann, nachdem die Bekanntschaft mit dem Buchdrucker und Zeitungsverleger James Ballantyne den Anstoß dazu gegeben hatte, seine erste Arbeit, eine Sammlung schottischer Volkslieder unter dem Titel: »Die Volksdichtung des schottischen Grenzgebietes« in zwei Bänden, denen 1803 ein dritter folgte. Im Jahre 1804 verließ er Laßwade und zog nach dem Gute Ashestiel am Tweed. Die von seinem Oheim Robert ererbte Besitzung Rosebank hatte er verkauft und dafür das obengenannte Gut, gleichfalls einem seiner Oheime gehörig, der zur selben Zeit starb, in Pacht genommen. Hier vollendete er das schon in Laßwade begonnene Werk »Lied des letzten fahrenden Sängers«, das den Dichter mit einem Schlage berühmt machte. Diese Dichtung ist der Anfang zu einer großen Reihe romantisch-epischer Dichtungen, die sich auf zwölf Jahre erstreckt: Marmion (1808), Die Jungfrau vom See (1810), Die Vision Don Roderichs (1811), Roteby (1812), Die Hochzeit von Triermain (1813), Der Herr der Inseln (1815), Das Schlachtfeld von Waterloo (1815) und Harold, der Furchtlose (1817). Im Jahre 1812 war ein neues blendendes Gestirn am literarischen Himmel aufgegangen: ein Meteor, das durch sein blendendes Licht alle andern überstrahlte. Die ersten Gesänge von Lord Byrons »Thilde Harold« waren erschienen und hatten die Aufmerksamkeit nicht nur Englands, sondern der ganzen gebildeten Welt auf den jungen Dichterlord gelenkt, neben dessen poetischer Zaubermacht kein andrer bestehen konnte. Den vorzüglichsten Beweis für seine eigne Reife erbrachte Walter Scott damit, daß er den Thron des Dichters diesem neuen ihm überlegenen Genius neidlos einräumte und die poetische Dichtung aufgab, indem er erklärte: »Ich habe die Poesie aufgegeben, weil Lord Byron mich aus dem Sattel hob, mich übertraf in Beschreibung starker Leidenschaften und in tiefer Kenntnis des menschlichen Herzens.« Auch in Walter Scotts äußeren Verhältnissen war eine Änderung vor sich gegangen. Seine Werke hatten ihm bisher viel Honorar eingebracht, aber er hat es auch selber zugestanden, daß er nur um Geld schrieb, wie er denn auch ohne Rücksicht auf innere Neigung Arbeiten übernahm, die eine gute Einnahme versprachen. Passionen, die ihm zur zweiten Natur gehörten, wie Reiten, Jagen und Fischen, und jene ihm unentbehrliche Lebensart eines schottischen Edelmannes erforderten viel Geld, und Scott verstand es denn auch, in seinem stets praktischen Sinne sein Genie wie keiner vor ihm auszumünzen. Seine Honorare sind in der Tat enorm, und noch nie zuvor waren für Werke des Geistes ähnliche Summen herausgeschlagen worden. Aber die ständige Sorge, seine Kraft möchte erlahmen bei der Hast, in der er zu arbeiten pflegte, machte die poetische Ader bald versiegen, ließ den Dichter sich gleichzeitig nach einem einträglichen Amt umtun, und dies erhielt er in der Anstellung eines Sekretärs des Sitzungshofes, die mit einem Gehalt von 26 000 Mark jährlich verbunden war. Seine stets nicht sehr lohnende Rechtsanwaltspraxis gab er auf. Zur gleichen Zeit kam er, ebenfalls in dem Bestreben, die ohnehin bedeutenden Erträge seiner Arbeiten zu steigern, auf den verhängnisvollen Gedanken, sich in dem Geschäft seiner Verleger als stillen Teilhaber eintragen zu lassen und sich an der Firma John Ballantyne & Co. finanziell zu beteiligen. Der Anfang dieses geschäftlichen Verhältnisses fällt bereits in das Jahr 1802. Durch größere Vorschüsse hatte er es seinem Verleger James Ballantyne ermöglicht, nach Edinburgh zu ziehen und sein Geschäft zu vergrößern. Das Verlangen, sich andern Verlegern gegenüber auf festen Fuß zu stellen, führte nun dazu, daß er den Bruder James Ballantynes, John, bewog, ein eignes Verlagshaus mit Druckerei zu gründen und ihn als stillen Teilhaber in dieses Geschäft aufzunehmen. Dies geschah 1809, aber schon vom Jahre 1805 ab hatte Scott etwa 9000 Pfund in die Druckerei und den Verlag von James Ballantyne hineingesteckt. Seine Teilhaberschaft an dem Geschäfte John Ballantynes blieb Geheimnis, bis der Zusammenbruch des Geschäftes zur Entdeckung des Verhältnisses führte. Zunächst brachte diese Geschäftsverbindung neue schriftstellerische Arbeiten größern Umfanges mit sich. Die riesenhafte Arbeitskraft Walters begann sich in ihrer ganzen imposanten Regsamkeit zu entfalten. Die Gebrüder Ballantyne waren in der Tat des Dichters Verhängnis, und es ist unbegreiflich, wie der sonst so sehr mit praktischem Sinn begabte Mann so völlig in ihre Netze fallen konnte. Diese Leute haben in der Tat von seinem Gelde gelebt, und während der eine sich garnicht um das Geschäft kümmerte, verstand der andre nichts davon. Die Vorschüsse, die Walter Scott leistete, gehen ins Unberechenbare. Im Jahre 1813 wurde das Geschäft John Ballantynes aufgelöst, und für die über 200000 Mark betragenden Schulden mußte das Haus James Ballantyne & Co., das heißt vorzugsweise Walter Scott, aufkommen. Dennoch brach der Dichter seine Beziehungen zu den Ballantynes nicht ab. Nach wie vor unterstützte er sie in unbegreiflich leichtgläubiger Freigebigkeit. Eine neue Epoche in Scotts literarischer Tätigkeit beginnt in dem Jahre 1814 mit dem Erscheinen seines ersten Romans »Waverley«. Der Erfolg war außerordentlich, und es kamen nun in erstaunlich schneller Folge jene historischen Romane auf den Markt, auf denen eigentlich das Verdienst und der unvergängliche Ruhm Walter Scotts beruhen: Guy Mannering oder der Sterndeuter – Der Altertümler – Der schwarze Zwerg – Der alte Sterblich, engl.: Old Mortality – Das Herz von Midlothian – Lucie von Ashton, Die Braut von Lammermoor – Legende von Montrose – Ivanhoe – Das Kloster – Der Abt – Kenilworth – Der Seeräuber – Nigels Schicksale – Peveril vom Gipfel – Quentin Durant – St. Ronans Brunnen – Der Verlobte und Der Talismann – Erzählungen eines Kreuzfahrers – Woodstock – Chronik von Canongate: Die Witwe vom Hochland – Zwei Viehhändler – Die Tochter des Arztes – Redgauntlet – Das schöne Mädchen von Perth – Anna von Geierstein – Graf Robert von Paris – Das gefährliche Schloß – Eine neue Epoche in Scotts äußerem Leben – um die biographischen Daten zu vervollständigen – beginnt mit dem Jahre 1812, wo er nach seinem neu angekauften Besitztum Abbotsford übersiedelte. »Abbotsford wurde nun der Mittelpunkt, um welchen sich Scotts Dichten und Trachten bewegte, der Zweck seines Lebens, auf welchen sich jede andere Tätigkeit unterordnend bezog. Er lebte und webte nur für Abbotsford; Abbotsford war seine Arbeit bei Tag und sein Traum bei Nacht. In demselben Maße, in welchem Scotts schriftstellerischer Ruhm an Ausdehnung zunahm, wuchs auch der Ruf von Abbotsford. Einer half den andern tragen und erhöhen. Der bekannte Ausspruch eines französischen Reisenden, Abbotsford sei ein Roman aus Stein und Mörtel, ist auch insofern zu einer Wahrheit geworden, als die ganze gebildete Welt sich dazu drängte und sich für berechtigt hielt, auch diesen Roman des großen Zauberers ebenso gut wie seine gedruckten zu lesen. Niemals ist der Wohnsitz eines Dichters, noch dazu bei seinen Lebzeiten, ein so besuchter Wallfahrtsort gewesen wie der Scotts, und man sagt schwerlich zuviel, wenn man behauptet, daß durch Abbotsford und seinen Erbauer Schottland der gebildeten Welt bekannt gemacht und aufgeschlossen worden ist.« Die Jahre in Abbotsford bildeten den Höhepunkt in Scotts äußerm Leben und in seinem dichterischen Ruhm. In diese Jahre fällt die Erteilung der Würde eines Baronets, der Ritterschlag, der Tod seiner Mutter, die Hochzeit seiner ältesten Tochter mit dem Advokaten und Schriftsteller Lockhart. Auf diese Zeit des höchsten Glanzes folgte jäh das Unglück. Im Jahre 1826 brach das Geschäft Ballantynes zusammen, und Walter Scott sah sich über Nacht mit einer Schuldenlast von 2 1/2 Millionen Mark belastet. Auch des Dichters Gesundheit hatte durch plötzlich eintretende Magenkrämpfe eine heftige Erschütterung erhalten. Sein Unglück war kaum ruchbar geworden, als – ein Zeichen seiner großen Beliebtheit im ganzen Volke – eine Unzahl Anerbietungen zur Hilfeleistung einliefen, die er aber alle in selbstbewußtem Stolze von sich wies. Hier in diesem jähen Sturz zeigte er all seine Männlichkeit und Tatkraft. Er wußte wohl, daß er sein Unglück durch seine große Unvorsichtigkeit und Leichtlebigkeit zum Teile selber verschuldet hatte, nun wollte er auch selber dafür aufkommen. Er verpflichtete sich, die ganze Schuld durch seine Arbeit zu tilgen. Abbotsford, das er seinem Sohn Walter als Heiratsgut abgetreten hatte, wurde mit einer Hypothek von 200000 Mark belastet. Das Verlagsrecht der bisher erschienenen Romane wurde für 170000 Mark verkauft, der eben vollendete Roman »Woodstock« für gleichfalls 170000 Mark. So war im ersten Jahre schon fast ein Viertel der Schuld getilgt. Die Weise, wie er nun arbeitete, mußte seine Kräfte übersteigen. Obendrein kam jetzt mancherlei Unglück über die Familie. Scotts Gattin starb am 15. Mai 1826. Eine Menge kleinerer und größerer Arbeiten (»Leben Napoleons« [360000 Mark Honorar], »Erzählungen eines Großvaters«, »Geschichte Schottlands«) liefen neben seinen Romanen her, und in der Tat hatte Walter Scott 1830 schon die riesenhafte Schuld um über die Hälfte abgetragen. Aber nun brach auch seine Kraft zusammen. Ein Schlaganfall zerrüttete seine Gesundheit, von dem er sich nie wieder erholen konnte. 1830 mußte er sich seines Amtes entbinden und pensionieren lassen. 1831 erfolgte ein neuer Schlaganfall und eine gänzliche Entkräftung nötigte ihn, eine Reise nach dem Süden anzutreten. Auf der Rückreise traf ihn am 9. Juni bei Rymwegen ein dritter Schlaganfall. Fast einen ganzen Monat mußte er noch in London warten, ehe er auch nur die Kraft hatte, sich nach Abbotsford zurückbringen zu lassen. Hier traf er am 9. Juli ein. Seine Lebenskraft war vernichtet, er lebte noch zwei Monate, die er ganz im Bette zubrachte. Am 21. September 1832 starb er. Er wurde an der Seite seiner Frau in der Abtei Dryburgh nahe am Tweed bestattet. Sir Walter Scotts Poesie ist eng mit dem Lande verwachsen, aus dem sie geboren ist. Schottland – eine Heimat der Poesie wie bei uns das traute Schwabenland – hat eine große Zahl bedeutender Männer hervorgebracht, die auf allen Gebieten menschlicher Betätigung Verdienstliches, teils Erstaunliches geleistet haben. Walter Scott ist einer seiner größten Söhne. Man hat nicht mit Unrecht gesagt, er hätte das Interesse nicht nur der Engländer im großen und ganzen, sondern der ganzen Reisewelt auf Schottland gelenkt. Durch ihn wäre die Schönheit dieses eigenartigen Stückchens Erde erschlossen worden. Durch seine Werke vor allem – obgleich Burns und andere ihm vorangegangen waren – durch seine Epen und Romane, in denen die ganze zauberische Anmut, die rauhe Wildheit, das nebelschwere Düster der Berge und Schluchten und der sonnige Glanz der Seen sich widerspiegelt, sei der Strom der Schaulustigen in die einsamen Gebiete gelockt worden. Zum Teil trifft das zu – zum Teil kommt das Verdienst auch noch anderen Dichtern zu – in jedem Falle aber sind keines anderen schottischen Dichters Werke so weit in alle Welt gedrungen und haben das Lob und den Ruhm seiner Heimat so weit in alles Volk getragen, wie die Romane Walter Scotts. Sie zählen zu denjenigen Büchern der Weltliteratur, die am meisten gekauft und gelesen worden sind – sie zählen zu den bleibenden Werken, deren Reize über dem Wandel der Jahrhunderte steht. Walter Scotts poetische Werke beschäftigen uns hier nicht, sie seien aber der Vollständigkeit halber hier genannt. Nachdem er die Gedichtsammlung: »Volksdichtung des schottischen Grenzgebietes« veröffentlicht hatte, ließ er 1805 »Das Lied des letzten fahrenden Sängers« folgen, 1808 »Marmion«, 1810 »Die Jungfrau vom See« – dasjenige unter seinen Epen, das am meisten Anklang gefunden hat – 1811 »Die Vision Roderichs«, 1812 »Rokeby«, 1813 »Die Hochzeit von Triermain«, 1815 »Der Herr der Inseln«, 1817 »Harold der Furchtlose«. Zwischen diesen dichterischen Werken und seinen Romanen stehen »Pauls Briefe an seine Verwandten«, »Die Schlacht bei Waterloo«, eine sehr mittelmäßige Ode, das Drama »Das Haus von Aspern«, »Das Leben Napoleons« – ein heftig angefochtenes Werk, das zu Scotts Lorbeerkranz kein neues Blatt hinzuzufügen vermochte – eine »Geschichte Schottlands«, »Die Erzählungen eines Großvaters« und eine Menge kleinerer Arbeiten. Die Reihe seiner Romane beginnt, wie aus der schon auf Seite 8 und 9 gegebenen chronologischen Reihenfolge hervorgeht, mit »Waverley«. Diese Erzählung knüpft an die Kämpfe des Prätendenten Karl Eduard, an dessen Sieg bei Preston Pans und seine völlige Vernichtung bei Culloden durch Georg II. In seinen Gedichten war Scott auf entlegenere Zeit zurückgegangen und hatte seine Handlung im 16., im »Herrn der Inseln« sogar im 14. Jahrhundert spielen lassen – hier im ersten seiner Romane legt er die Begebenheiten in eine Zeit, von der es unter den alten Leuten noch Augenzeugen gab, denn die Schlacht bei Prestonpans fällt in das Jahr 1745. Die geschichtliche Episode von Alexander Stuart von Inverasyle, der den englischen Oberst Allan Whiteford von Ballochmyle gefangen nimmt und dann von ihm vom Tode errettet wird, läßt der Romancier sich zwischen seinem Helden Eduard Waverley, dem Oberst Talbot und dem Baron von Bradwardine abspielen. Hinein verwoben ist die Liebesgeschichte des Helden mit Rosa von Bradwardine. Dem nächsten Roman »Guy Mannering« liegen zwei verschiedene Geschichten zugrunde. Die eine stellt die Erbschleicherei eines Oheims dar, welcher seinem Neffen nach dem Leben trachtet, um dessen Vermögen an sich zu bringen. Der Neffe ist aus einem Jesuitenkloster geflüchtet, in das der Vater ihn gebracht hat, ist gemeiner Soldat geworden und durch merkwürdige Schicksalsfügungen in seine Heimat, die Grafschaft Galloway, zurückgelangt, wo er endlich in sein Familienbesitztum eingesetzt wird. In diese Geschichte ist die zweite eingesponnen. Ein junger Mann, der in Oxford seine Studien beendet hat, hat auf der Reise einem eben geborenen Kinde das Horoskop gestellt und ihm vorausgesagt, daß es bis zu seinem einundzwanzigsten Lebensjahre viel Mühsal zu erdulden habe. Wenn es aber bis dahin sich die Tugend rein halte und schuldlos bleibe, werde ihm großes Glück zufallen. Der dieses Horoskop stellt, ist Guy Mannering, der Sterndeuter, und das Kind ist Harry Bertram von Ellangowan, der durch Schmuggler geraubt wird, allerlei Abenteuer besteht, nach Indien gelangt, dort als Soldat dient und endlich in die Heimat zurückkehrt, wo er als Laird von Ellangowan anerkannt wird. Die Erzählung spielt in der Jugendzeit des Dichters. Der »Altertümler« kann als eines der besten Werke Scotts bezeichnet werden. Oldbuck ist ein leidenschaftlicher Sammler von Raritäten, der allerdings keine große Kennerschaft besitzt. Er zeigt sich uns als ehrbarer schlichter Mann, ein wenig derb und hagebüchen, aber doch nicht ohne edlere Züge. Neben ihm ist die Hauptfigur der wundervoll gezeichnete Landstreicher Edie Ochiltree – eine echt schottische Gestalt. Zu dritt kommt – abermals ein völlig eigenartiger Charakter – der heruntergekommene Edelmann Sir Arthur Wardour, der sich nicht eben als großes Geisteslicht präsentiert und dessen Tätigkeit darin besteht, Fische zu fangen, auf die Jagd zu ziehen, Pferderennen zu besuchen, auf Wahlversammlungen zu gehen und sich seines Stammbaumes zu rühmen. An weiblichen Charakteren sind zu nennen die Schwester des Altertümlers, die harmlose naive Nichte Marie Wac Intyre und Isabella Wardour. Die Handlung ist meisterhaft angelegt und in wundervoller Straffheit und Spannung durchgeführt. Unter den als »Erzählungen meines Wirtes« bezeichneten war »Der schwarze Zwerg« die erste. Wir haben es hier nicht mit einer geisterhaften Person zu tun, nicht mit einem phantastischen Hirngespinnst. Der schwarze Zwerg hat wirklich gelebt, er ist 1811 gestorben und er hieß David Ritchie. Er war das Kind blutarmer Leute, und da seine Mißgestalt überall ihm Spott und Hohn zuzog und ihn zum Abscheu aller Welt machte, zog er sich in tiefe Einsamkeit zurück. In einem Tale der Grafschaft Perbles siedelte er sich an, und von den Erträgnissen eines kleinen Gartens fristete er sein Leben. Bei Scott heißt er Elshie und haust im Moor von Mucklestane. Auch hatte er ein Gesicht von grauer Farbe mit dichtem, schwarzem Barte, seine Augen sind von buschigen Brauen verdüstert, die Adlernase und die zurückliegende Stirn geben seinem Angesicht ein wildes, barbarisches Aussehen. Auch Elshie wird als mit Riesenkräften begabt und als völlig verwachsen geschildert. Der Charakter, wie man ihn von Ritchie berichtet, entspricht dem der Scottschen Figur. 1831 schuf ein französischer Dichter eine ähnliche Figur, die gleich berühmt in der Literatur geworden ist: Quasimodo in Viktor Hugos Notre Dame de Paris. Zehn Jahre später überraschte Charles Dickens, der große Nachfolger Scotts auf dem Throne des Romanciers, die Leserwelt mit einer wiederum völlig eigenartig aufgefaßten und dargestellten Figur eines Kretins: dem koboldartigen Ungeheuer in Menschengestalt Daniel Quilp im »Raritätenladen«. Alle drei großen Dichter haben ihren seltsamen Gestalten besondere charakteristische Züge zu geben gewußt, und wer diese drei äußerlich einander so ähnlichen Charaktere nebeneinander stellt und prüft, vermag interessante und in das Wesen ihrer Schöpfer dringende Schlüsse zu tun. Als zweite der »Erzählungen meines Wirtes« erschien »Der alte Sterblich«. Unter diesem Namen war im Süden Schottlands, besonders in jener Gegend, die durch den Aufstand und dessen Niederkämpfung verheert worden war, ein echtes schottisches Original allgemein bekannt. Die Erzählung spielt zu einer Zeit, die für Schottland schwere Not und furchtbares Elend mit sich brachte. Nicht lange nach der Wiedereinsetzung wollte Karl II., wie er es in England getan hatte, so auch in Schottland die Hochkirche einführen. Seine strengen Maßregeln brachten die Schotten, die eifrige Presbyterianer und Anhänger des Covenant waren, in heftige Erbitterung, und sie widersetzten sich mit harter Energie. Hunderte von Geistlichen wurden ihres Amtes entsetzt, durchzogen das Land und predigten gegen die englische Staatskirche. Nun zog der König mit den Waffen gegen die Rebellen und General Dalziel warf sie im Jahre 1666 nieder in der blutigen Schlacht bei den Hügeln von Pentland. Aber der Widerstand war damit noch nicht gebrochen, und im Jahre 1679 wurde John Graham von Claverhouse nach Schottland geschickt, der einen entscheidenden Sieg errang und nun die mörderischste Verfolgung ins Werk setzte, die je ein Land verheert hat. Der ganze Westen Schottlands wurde verwüstet. Eine kraftvolle Gestalt des Romans ist Cameron, der Gründer der nach ihm benannten Sekte »die Cameronier«, der im Beginn der sechziger Jahre voll Todesverachtung zündende Reden gegen des Königs eigene Person gehalten hat. Gleich interessant dargestellt ist der eifernde Presbyterianer Balfour von Burley. Markante Gestalten der Gegenpartei sind Claverhouse und der Dragoner Bothwell. »Robin der Rote« ist der berüchtigte Bandenführer Robert Macgregor Campbell von Glengylle in der Grafschaft Perth. Das Leben dieses Mannes führt uns in das Grenzerleben früherer Jahrhunderte zurück, an das es lebhaft erinnert. Rob hatte von dem Herzog von Montrose eine seiner Auffassung nach ungerechte Behandlung erfahren und sein Besitztum Craijodstane war ihm weggenommen worden. Um Rache zu nehmen, sammelte er eine Bande bewaffneter Burschen um sich, mit der er sich in der Umgegend der herzoglichen Güter herumtrieb. Bei hellem Tage machte er Streifzüge in das Gebiet seines Todfeindes. Die Landbewohner waren auf seiner Seite und hatten ihn lieb. Sie warnten ihn daher stets rechtzeitig vor jeder ihm drohenden Gefahr, so daß es – so oft auch Abteilungen von Militär gegen ihn ausgesandt wurden – nie gelang, seiner habhaft zu werden. Ungestraft führte Robin der Rote dieses Räuberdasein bis zu seinem Tode 1740. Es folgte eine zweite Reihe der »Erzählungen meines Wirtes«, deren erster Band »Das Herz von Midlothian« war. Dies ist eine schlichte, aber sehr ergreifende Erzählung, der ein wahres Geschehnis zugrunde liegt. Johann Deans ist niemand anders als die im Volksmunde berühmte Helene Walker. Die Schwester der Helene war wegen Kindesmordes zum Tode verurteilt worden und sollte hingerichtet werden. Helene faßte den Entschluß, durch Vermittelung des Herzogs von Argyle dem König ein Gnadengesuch zu überreichen, sie machte sich auf und ging zu Fuß nach London. Es wäre ihr möglich gewesen, durch eine Lüge ihrer Schwester das Leben zu retten, aber davon wollte das charaktervolle Mädchen nichts wissen. Sie erlangte denn auch ihren Zweck. Die Schwester wurde begnadigt und ist nachher die glückliche Frau eines wackeren Mannes geworden. 1791 ist Helene gestorben. Die zweite Erzählung in dieser zweiten Reihe ist »Lucie Ashton, die Braut von Lammermoor«, eine düstere Familiengeschichte. Auch sie beruht auf wahren Begebenheiten, denn die Heldin ist nach der bekannten Johanna Dalrymple gezeichnet. Diese, die Tochter des Lord Stair, war heimlich mit Lord Rutherford, in der Erzählung Lord Ravenswood, verlobt. Die Eltern waren gegen diese Verbindung und zwangen das Mädchen, ein Verlöbnis mit einem anderen Manne einzugehen. Das Mädchen fügte sich anscheinend und die Hochzeit fand statt. Aber nun verfiel die Unglückliche in Wahnsinn, griff ihren jungen Gatten tätlich an, verwundete ihn schwer und starb selbst nach einigen Tagen. Ihr erster Bräutigam hatte England verlassen und man hat nie wieder etwas von ihm gehört. Auch die dritte Erzählung, »Die Sage von Montrose«, ist düsteren Charakters. Ihr geschichtlicher Hintergrund ist der große schottische Aufstand unter Montrose, der aber selber nicht die Hauptfigur des Romans ist. Dies ist vielmehr Allan Mac Aulay, der mit der Fähigkeit des zweiten Gesichtes begabte Sohn einer in Wahnsinn verfallenen Mutter. Die »Kinder des Nebels« – ein schottisches Räubergeschlecht – hatten den Bruder dieser in glücklicher Ehe lebenden Frau getötet, waren in Abwesenheit ihres Gatten auf ihr Schloß gekommen und hatten zu essen und zu trinken begehrt. Während des Mahles hatten sie den noch blutigen Kopf des gemordeten Bruders ihrer Gastgeberin mitten auf den Tisch gelegt. Über diesen Anblick gerät die Frau in Irrsinn, flüchtet aus dem Schlosse und bleibt lange verschwunden. In diesem Zustande der Geistesstörung gebiert sie Allan. Später findet man sie und ihr Kind. Allan ist nun infolge der unglücklichen Umstände seiner Geburt ein düsterer, unheimlicher Charakter, der bei sehr scharfem Verstande Anfälle geistiger Verwirrung hat und unter dem Banne lebt, selber einmal eine blutige Tat verüben zu müssen, und zwar an einem, dem sein Herz zugetan ist. Die Kinder des Nebels haben auch das Schloß eines Duncan von Campbell verwüstet und seine Kinder gemordet bis auf ein kleines Mädchen, das sie mit sich nahmen. Auf einem der blutigen Rachezüge der Mac Aulays gegen die Kinder des Nebels ist dieses Mädchen von den Aulays mitgenommen worden und ist nun unter dem Namen Annot Lyle bei ihnen aufgewachsen. Allan liebt sie, aber er hat einen glücklicheren Nebenbuhler, Lord Menteith, der dem Mädchen, von dem er sich geliebt weiß, nur deswegen nicht seine Liebe erklärt, weil er sie für ein Kind unbekannter, vielleicht verworfener Herkunft hält und als solches nicht zu seiner Frau machen kann. Aber das Geheimnis ihrer Geburt wird durch Ranald Mac Cagh, einen Sohn des Nebels und den Anführer jenes Raubzuges gegen Duncan, aufgedeckt, und Lord Menteith läßt sich mit Annot trauen. Am Tage der Trauung erscheint Allan Mac Aulay, fordert Menteith zum Zweikampfe auf und stößt ihm, als er sich weigert, den Dolch in die Brust. Dann flieht er und bleibt verschollen. Menteith wird geheilt und genießt noch lange Jahre des Glückes an der Seite seiner jungen Gattin. Neben den genannten Figuren ragt noch hervor die historische Gestalt des Herzogs von Argyle, von dem man auch sagen kann: »Durch der Parteien Gunst und Haß verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte.« Eine sehr glückliche Gestalt, die aber vielleicht im Vergleich zu anderen wichtigeren mit zu großer Vorliebe ausgearbeitet worden ist, ist die prachtvolle, humoristische Landsknechtsfigur des Major Dugald Dalgetty von Drumthwacket. Die bisher genannten Romane spielen in Schottland. »Ivanhoe« ist der erste, der auf rein englischem Boden und obendrein in sagenhafter Zeit spielt, nämlich gegen Ende des 12. Jahrhunderts. Die Hauptfigur ist Richard I. Löwenherz, der nach langer Gefangenschaft in Palästina in sein Land zurückkehrte. Wie er nun gegen die verlotterte Ritterschaft auftritt, wie er gegen seinen Bruder John, der sich bereits als König aufspielt, zu Felde zieht – das alles ist wunderbar anschaulich und höchst spannend geschildert. Wir sind Zeuge der allmählich sich vollziehenden Aussöhnung des Angelsachsentums mit dem Normannentum, dem es lange Zeit feindselig gegenüber gestanden hatte. Die volkstümliche Gestalt des Robin Hood, seines Bruders Tuk und andere Spießgesellen Hoods treten in dem Roman auf. Auch die hineinverflochtene Episode des Juden Isaak von York und seiner Tochter Rebekka ist im höchsten Grade ergreifend. All diese Vorzüge haben dieses Werk zu einem der beliebtesten und am meisten gelesenen des Dichters gemacht. Es ist mehrfach zu Jugenderzählungen verarbeitet worden, und noch heute gehört es zu den Zierden jeder Bibliothek und zur empfehlenswertesten Lektüre für jedermann. Der Roman »Das Kloster« spielt in der Abtei Melrose, der Scott schon in seinem »Liede des letzten fahrenden Sängers« eine berühmt gewordene poetische Beschreibung gewidmet hatte. Auch der Turm von Smailholm wird zum Schauplatz der spannenden Handlung erkoren. Die Zeit des Beginns der Reformation und der Kampf des Protestantismus gegen den Katholizismus bildet den historischen Hintergrund. Scott hat hier versucht, das Märchenhafte und das Historische miteinander in Einklang zu bringen. Das Märchenhafte tritt in der geisterhaften weißen Dame von Avenel in Erscheinung, die öfters gespenstisch auftaucht und das Schicksal der handelnden Personen beeinflußt. Aber diese Verflechtung des Geisterhaften in ein historisches Gemälde – das auf dem Kontinent in Grillparzers »Ahnfrau« (1817) so großen Erfolg gehabt hatte – gefiel in England nicht, und Scott gab in der folgenden Erzählung der »Abt« diese Neuerung wieder auf. Der »Abt« spinnt die Begebenheiten des »Klosters« zum großen Teil weiter und kann als Fortsetzung dieses Romans gelten. Den geschichtlichen Vorwurf bildet die Vergangenheit der Maria Stuart und ihre Flucht aus dem Schlosse Lochleven. Der Roman »Kenilworth« spielt am Hofe der Königin Elisabeth. Robert Dudley, Graf von Leicester, den Scott hier, einer alten Volksüberlieferung gemäß, als Verbrecher zeichnet, opfert seine Gemahlin Amy Robsad seinem Ehrgeiz auf und ermordet sie. Die Figur der Amy ist eine der schönsten Frauengestalten, die ein Dichter je geschaffen. Leicester trachtet nach der Hand der Königin selber, die Scott als Schotte in weit weniger günstigem Lichte hinstellt, als es wohl ein Engländer gewagt hätte. Sein Charakter ist mit scharfen Strichen hingestellt und gleichfalls eine Meisterleistung der Charakterisierung. Ebenso vortrefflich sind die Nebengestalten, unter denen der dämonische Barney und der gutherzige Tressilian hervorragen. Das Schloß Kenilworth steht noch heute in romantischen Trümmern, und alljährlich pilgern Reisende dorthin. »Kenilworth« ist gleichfalls einer der allerbesten Romane Scotts und erfreut sich in aller Welt, wo gelesen wird, hoher Beliebtheit. Gar keinen Vergleich mit diesen Meisterwerken vermag das nächste auszuhalten: »Der Pirat«. Zwar sind Udaller und die Seinen lebenswahr und packend dargestellt, aber die Erzählung, die in ihren einzelnen Teilen an störender Zusammenhangslosigkeit krankt, ist voller Unwahrscheinlichkeiten und Flüchtigkeiten, und man erkennt in ihm eine jener Geschichten, bei denen die Überarbeitung des Verfassers auffallend ans Licht tritt und sein Genie nicht über die Flüchtigkeit hinwegzuhelfen vermag, sondern unter der Vielschreiberei gelitten zu haben scheint. »Nigels Schicksale« führt uns an den Hof König Jakobs I. und gibt uns ein prachtvolles Bild des damaligen Lebens, das in der ganzen englischen Literatur unerreicht dasteht. Zu derartiger Höhe der Darstellungskunst großer vielgestaltiger Gemälde ist selbst ein Zola, ein Victor Hugo nicht gelangt. Die Gestalten des Königs und anderer geschichtlicher Persönlichkeiten sind ausgezeichnet, während man an den frei erfundenen Personen manche von Scotts schriftstellerischen Schwächen nachzuweisen vermöchte. In der Zeit der großen Revolution, der Restauration und der papistischen Umtriebe unter Karl II. spielt der Roman »Peveril vom Gipfel«. Der erste Teil schildert die Schicksale des Barons Peveril, des puritanischen Majors Bridgeworth und ihrer Frauen, im zweiten Teil geht die Handlung auf die Kinder über, Julian Peveril und Alice Bridgeworth. Alice kommt an den Hof Karls II., und wir lernen nun hier den Grafen von Buckingham und die charaktervolle Gräfin von Derby kennen. Das zügellose Hofleben und die verrottete Gesellschaft der damaligen Zeit werden hier in meisterhafter Lebenswahrheit dargestellt. Der Roman »Quentin Durward« spielt in Frankreich, wo der Schotte Durward unter Ludwig XI. sein Glück zu machen sucht. Die Handlung baut sich auf dem historischen Boden der Kämpfe zwischen Ludwig XI. von Frankreich und Karl dem Kühnen von Burgund auf. Der Stoff ist aus alten Chroniken geschöpft, die geschichtlichen Personen sind ausgezeichnet dargestellt, das ganze Werk streitet mit den besten Romanen Walter Scotts um die Palme. Gleich Ivanhoe und Kenilworth, gleich der Braut von Lammermoor und Waverley zählt es zu den am meisten gelesenen, und man darf Johannes Scherr wohl glauben, wenn er sagt: »Es ist eine der frühesten Erinnerungen meiner Knabenjahre, daß ich in den »Kunkelstuben« meiner dörflichen Heimat von den jungen Leuten abwechselnd Scotts Kreuzfahrer und Quentin Durward vorlesen hörte.« »St. Ronans-Brunnen« erregte großes Aufsehen – es war ein Werk besonderer Gattung und läßt sich als Sittenroman der modernen Zeit bezeichnen – während »Redgauntlet« wieder zur Historie zurückkehrt. Dieses Werk ist gleichfalls den vorzüglichsten seines Verfassers zuzuzählen: der geschichtliche Hintergrund sind die Jahre des Niedergangs des Hauses Stuart. Dem Advokaten Squnders Hairford hat der Dichter große Ähnlichkeit mit seinem Vater verliehen. Die »Kreuzfahrer-Erzählungen« enthalten die beiden Romane »Die Verlobte« und »Der Talisman«: der erstere fand wenig Anklang, um so mehr der zweite, der abermals Richard Löwenherz zur Hauptperson hat. Dieser englische Nationalheld wird uns hier im Morgenlande gezeigt, und den ganzen Zauber orientalischer Romantik hat der Dichter um seine Gestalt gewoben. Die Naturschilderungen sind, obgleich Scott nie den Orient bereist hat, mit bewundernswerter Phantasie entworfen, wenn auch nicht mit der unerreichten Treue, mit der Scott seine Heimat uns vor Augen stellt. Der folgende Roman »Woodstock« ist bereits unter der drückenden Last des über den Dichter hereingebrochenen Unglücks geschrieben, aber seltsamerweise tragen die Personen hier weit mehr humorvolle Züge, als in den meisten anderen Romanen. Die Zeit ist dieselbe wie in »Peveril vom Gipfel« – die Zeit der großen Revolution und vor allem das Jahr der Hinrichtung Karls I. 1649. Flora Macdonald, die durch ihre Umsicht dem Prinzen Karl die Flucht ermöglicht, spielt eine Rolle. Abgesehen von den humorvolleren Schattierungen, macht sich aber hier bereits ein leises Nachlassen der dichterischen Schaffenskraft bemerkbar. Freilich mußte auch selbst eine so unerschöpfliche Fabulierungsgabe wie die Walter Scotts allmählich auf Schwierigkeiten stoßen, immer wieder neue interessante Stoffe zu finden. Es folgte wieder eine Serie von Erzählungen unter dem Titel »Die Chronik von Canongate«, bald größeren, bald kleineren Umfangs, wie »Die zwei Viehtreiber« (Hochländer-Ehre), »Der Zauberspiegel«, »Das tapezierte Zimmer« (Eine Schreckensnacht) einbegriffen waren. Das erste größere Werk dieser Serie war die »Hochlands-Hexe«, ein ergreifendes Drama, in welchem Mutterliebe und Vaterlandsliebe in wilden Konflikt geraten. Der Sohn der Witwe, der sich unter die von England geworbenen hochländischen Regimenter hat anwerben lassen, wird von der Mutter aus Haß gegen England in den Tod gejagt. Darauf folgte »Die Tochter des Wundarztes« (in der vorliegenden Ausgabe unter dem Titel »Ein Kind der Sünde« in Band 5) eine seltsam aufgebaute Erzählung, die die meisterhafte Fabulierungskunst ihres Verfassers, aber auch die Überspannung seiner Arbeitskraft deutlich erkennen läßt. Sie führt uns nach dem Märchenlande Indien, das damals im Höhepunkt des Interesses stand. Der Charakter des Richard Middlemas – des unglücklichen Kindes einer verführten Mutter – und die Gestalt seines Nebenbuhlers Hartley sind trefflich gezeichnet. Die Tochter des Arztes Gray, die von Middlemas, ihrem Bräutigam, der im Hause ihres Vaters unter geheimnisvollen Umständen vier Jahre vor ihr geboren und dort erzogen worden ist, nach Indien gelockt, aber von Hartley gerettet wird, ist eine treffliche Frauengestalt – an denen Scotts Romane ja überhaupt reich sind. Die Erzählung zeichnet sich durch spannende Entwicklung, ergreifende Szenen und prachtvolle Schilderung aus. Als zweite Reihe der »Chronik von Canongate« erschien »Die schöne Maid von Perth«. Diesem Roman liegt wiederum eine historische Begebenheit zugrunde. Dreißig Mann vom Clan Hattam sollen, um eine alte Fehde zum Austrag zu bringen, gegen dreißig Mann vom Clan Kay vor den Augen des Königs kämpfen. Einer unter diesen Kämpfern ist geflüchtet, und ein junger Bürgerssohn von Perth ist für ihn eingetreten. In diese historische Episode spielt die Liebesgeschichte zwischen diesem Helden der Erzählung und der schönen Katharina, der Heldin, hinein. »Anna von Geierstein« spielt wieder auf dem Kontinent, und zwar in der Schweiz – auch einem Lande, das der Dichter nie gesehen hatte. Die Kämpfe der Schweizer gegen die Österreicher und Burgunder interessierten den Dichter, er fand in ihnen offenbar einen Zug der Ähnlichkeit mit den schottischen Grenzerkriegen. Der Roman hat daher auch in der Schweiz großen Beifall gefunden. Den Schluß von Scotts Tätigkeit bildete eine neue Serie der »Erzählungen meines Wirtes«: »Graf Robert von Paris« und »Schloß Douglas am Blutsumpf«. Der erstere Roman spielt in entlegenem Lande und in ferner Zeit, nämlich in Byzanz während des ersten Kreuzzuges. Der zweite Roman, der letzte, den Scott überhaupt geschrieben hat, spielt wieder in seiner Heimat, um das Schloß und sonstige Besitztum des ältesten aller Adelsgeschlechter, der Grafen Dhu Glas (oder, wie der Name zumeist geschrieben wird, Douglas). Einer der bedeutendsten und interessantesten Grafen Douglas, der erste des Beinamens Sholto, tritt hier in Gegensatz zu einer kraftvollen angelsächsischen Ritterfigur. Der Ringkampf beider Helden und Vertreter zweier in Blutfehde lebenden Grenzvölker wird freundlich aufgehellt durch die aus Liebe und unter Geleit eines fahrenden Sängers in das Kriegslager ziehende jugendliche Heldin aus altsächsischem Blute. In diesen Werken ist die phänomenale Arbeit eines Riesen des Geistes niedergelegt. Man staunt über die große Fruchtbarkeit, wie sie nur wenig Dichtern beschieden gewesen ist. Der Reichtum an Stoffen, an spannenden Handlungen und Episoden ist großartig, der Reichtum an Charakteren ist großartig. Wenn man all diese Gestalten an sich vorüberziehen ließe, würde man eine Welt für sich haben, belebt von einer bunten Menge der verschiedensten Erscheinungen, vom Fürsten bis herab zum Strauchdieb, vom reichen Edelherrn bis herab zum verworfensten Bettler. Die meisten dieser Romane können vor der Kritik ehrenvoll bestehen, und mehrere unter ihnen sind derart hochstehende Meisterwerke, daß sie ihrem Verfasser einen dauernden Ehrenplatz in der Literatur aller Zeiten und Völker zuweisen. Neben diesem dichterischen Wert steht der historische Wert, der so bedeutend ist, daß ein so ernster und unbestechlicher Geschichtsforscher wie Schlosser sich veranlaßt gesehen hat, die Romane Walter Scotts unter die Quellen der englischen und schottischen Geschichte einzureihen. Es ist von Interesse, diesem geistigen Bilde Walter Scotts eine Beschreibung seines Wesens als Mensch und seiner äußeren Erscheinung anzuhängen. Karl Elze entwirft in seiner Biographie ein treffliches Bild, und wir tun am besten, ihn als Autorität wörtlich zu zitieren: »In seinem Privatleben bietet Scott durchaus ein Bild biederer und ritterlicher Männlichkeit dar. Pflichttreue und Wohlwollen zeichneten ihn in allen Verhältnissen des Familienlebens, als Sohn, Bruder, Gatte und Vater aus, wenngleich wir nur in dem Verhalten zu seiner Mutter, seiner ältesten Tochter und seinem ältesten Sohne eine tiefere Innigkeit zu entdecken vermögen. Wie er sich die ungeteilte Hochachtung und Liebe seiner Freunde, seiner Untergebenen wie seiner Mitmenschen überhaupt erworben hatte, haben wir zur Genüge kennen gelernt. Sein Umgang trug im Einklang mit seinen Ansichten über Schriftstellerei keinen literarischen Charakter, vielmehr zog er die aristokratischen und die praktischen Kreise des bürgerlichen Lebens vor. Von seiner Unterhaltung waren nicht nur seine eigenen Schriften ausgeschlossen, sondern er machte die Literatur nur ausnahmsweise zum Gegenstande derselben. Auch über Wissenschaft und Politik liebte oder verstand er sich nicht zu unterhalten. Daher mochte es auch kommen, daß seine Unterhaltung in gewissen Kreisen Edinburgs für alltäglich galt. Die Sentenzenarmut, die Carlyle seinen Schriften vorgeworfen hat, erstreckte sich auch auf sein Gespräch; auch hierin war er nicht reflektierend. Es gibt daher keine Tischreden von ihm, wie von Dr. Johnson oder Coleridge. Auch sind keine witzigen Einfälle von ihm berühmt geworden. Scott war der Ansicht, die höhere Art des Genies sei dem Talente der Unterhaltung nicht günstig. Der Charakter seiner Unterhaltung war, um ihn mit einem Wort zu bezeichnen, episch-antiquarisch, also vollständig im Einklang mit seiner Poesie und seinem innersten Wesen. Er war unerschöpflich und unnachahmlich im Anekdotenerzählen. Eine Geschichte rief immer die andere hervor, und Ballade folgte auf Ballade in endloser Folge. Hundert Federn, sagt Kapitän Basil Hall, können die Anekdoten nicht aufschreiben, welche Scott unaufhörlich »ausströmte «. Er konnte den Mund nicht öffnen, ohne daß eine Anekdote herauskam. Er war der König aller Geschichtenerzähler und verstand auch das Gewöhnlichste in einen Diamant zu verwandeln. Das Merkwürdigste und Liebenswürdigste dabei war, daß darin nicht das mindeste Gemachte, sondern alles durchaus natürlich war, und daß er sich niemals vordrängte oder gar die Unterhaltung an sich riß. Auch Scotts Briefwechsel ist selten literarischen Inhalts, sondern besteht meist aus gutmütiger, freundschaftlicher und scherzhafter Plauderei, soweit er nicht geschäftlicher Natur ist. »Auch in Scotts äußerer Erscheinung glauben wir den sächsischen Typus deutlich zu erkennen. Er maß über sechs englische Fuß, war breitschultrig, fast herkulisch gebaut und besaß eine wahrhaft eiserne Muskulatur. Trotz seiner Lahmheit galt von ihm der Spruch: eine gesunde Seele in einem gesunden Leibe. Carlyle bezeichnet Scott ganz richtig als einen der gesündesten Menschen. Sein ganzes Wesen war in leiblicher und geistiger Hinsicht ein Muster von Gesundheit; nichts an ihm war krankhaft. Als Jüngling war er imstande, mit seinen langen Armen einen Amboß aufzuheben, doch, wie er selbst sagt, nur des Morgens vor dem Frühstück. Wir wissen, daß auch sein Geist in der Morgenstunde am kräftigsten war. Seine Hände, sagt er, seien fast die größten in Schottland, und wenn es Siebenmeilen-Handschuhe gäbe, so dürften sie dem Gegenstände am angemessensten sein. Seine Gesichtszüge beschreibt Miss Seward mit folgenden Worten: Weder die Konturen seines Gesichts noch seine Züge sind fein; seine Farbe ist gesund und einigermaßen blond ohne Röte. Wir finden bei ihm die Seltenheit braunen Haares und brauner Wimpern bei flachsfarbenen Augenbrauen, sowie einen offenen, geistvollen und wohlwollenden Ausdruck. – Nach Cunningham war seine Farbe allerdings frisch und rötlich. Das Haar war sehr weich und wurde später ganz weiß. Seine Augen waren klein und hellgrau, und die Brauen außerordentlich buschig. Die Oberlippe war zu lang, als daß der Mund hätte schön sein können. Die Nase war stumpf und das Kinn im Verhältnis zu klein. Alle Angaben stimmen darin überein, daß seine Züge etwas Kräftiges und Entschlossenes, zugleich aber auch etwas Gewöhnliches und Grobes hatten und in keiner Weise den Dichter verrieten; ebenso übereinstimmend sind sie darin, dass eine merkwürdige Veränderung mit dem Gesichte vorging, wenn es sich belebte, und daß alsdann Scotts Züge wie seine Stimme außerordentlich lebhaft und ausdrucksvoll waren. Seine Augen hatten dann eine geheimnisvolle Tiefe. In seinem Jünglingsalter und der Blüte seiner Mannesjahre war der Ausdruck seines Gesichtes viel öfter heiter als nachdenklich. Der Sonnenschein des Humors erleuchtete dann das ganze Gesicht. Oft nahm Scott eine außerordentlich komische Miene an, wobei die zahlreichen Linien um seine Augen tätig mitwirkten, und die Augen sich ebenso weit von unten wie von oben schlossen. Eine besonders charakteristische Äußerung seines befriedigten Gemüts war sein Lachen, von welchem Mr. Adolphus eine ausführliche Beschreibung gegeben hat. »Niemand,« sagt er, »machte wohl alle Steigerungen des Lachens mit so vollkommenem Genusse und einem so strahlenden Gesichte durch. Das erste Aufsteigen eines launigen Gedankens pflegte sich öfters, wenn er stillschweigend dasaß, durch eine unwillkürliche Verlängerung der Oberlippe zu äußern, begleitet von einem scheuen, unbeschreiblich komischen Seitenblick auf seine Nachbarn, welcher in ihren Blicken zu lesen schien, ob der Funke der Lustigkeit unterdrückt werden solle oder zur Flamme werden dürfe. In der vollen Flut der Fröhlichkeit lachte er in der Tat wie Walpole das Lachen des Herzens, allein es war nicht lärmend oder überwältigend, noch hemmte es den Strom seiner Rede; er konnte fortfahren zu erzählen und sich zu unterhalten, während seine Lungen »krähten wie der Hahn«, wobei die Silben in dem Kampfe immer emphatischer, sein Akzent immer schottischer und seine Stimme im Übermaß der Lustigkeit klagend wurde.« »Der auffallendste Teil in Scotts Erscheinung war die Form seines Kopfes, welcher von den Augenbrauen fast kegelförmig aufwärtsstieg. Das Gesicht von den Augen abwärts maß nach Allan volle anderthalb Zoll weniger, als die Schädelhöhe oberhalb der Augen. Diese Höhe des Schädels macht den Eindruck, als ob da oben, über den niederen Geistestätigkeiten, ein besonders großer Raum für ein freies und erhabenes Gedankenspiel gewesen wäre. Scott verdankte dieser Kopfform einen von ihm selbst und von seiner Familie in Gebrauch genommenen Beinamen. Kurz nach Erscheinen des »Peveril vom Gipfel« ging er eines Morgens in der Halle des Parlamentshauses auf eine Gruppe jüngerer Advokaten zu, deren Mittelpunkt der seines stets schlagfertigen Witzes wegen bekannte Patrick Robertson bildete. »Still, Jungen,« flüsterte dieser seinen Genossen zu, »still, dort kommt Peveril, ich sehe schon den Gipfel.« Ein schallendes Gelächter folgte, und seitdem wurde Scott scherzweise Peveril oder der alte Peveril genannt.« * * * Über Walter Scotts Bedeutung als Dichter geben die folgenden Urteile aus der Weltliteratur ein vollständiges und umfassendes Bild: Goethe: Walter Scott ist ein großes Talent, das nicht seinesgleichen hat, und man darf sich billig nicht verwundern, daß er auf die ganze Lesewelt so außerordentliche Wirkungen hervorbringt. Er gibt mir viel zu denken, und ich entdecke in ihm eine ganz neue Kunst, die ihre eigenen Gesetze hat. Man liest viel zu viel geringe Sachen, womit man die Zeit verdirbt und wovon man weiter nichts hat. Man sollte eigentlich nur das lesen, was man bewundert, wie ich in meiner Jugend tat und wie ich es nun an Walter Scott erfahre. Ich habe jetzt den Rob Roy angefangen und will so seine besten Romane hintereinander durchlesen. Da ist freilich alles groß, Stoff, Gehalt, Charaktere, Behandlung, und dann der unendliche Fleiß in den Vorstudien, sowie in der Ausführung die große Wahrheit des Details! Man sieht aber, was die englische Geschichte ist und was es sagen will, wenn einem tüchtigen Poeten eine solche Erbschaft zuteil wird. Überall finden Sie bei Walter Scott die große Sicherheit und Gründlichkeit in der Zeichnung, die aus seiner umfassenden Kenntnis der realen Welt hervorgeht, wozu er durch lebenslängliche Studien und Beobachtungen und ein tägliches Durchsprechen der wichtigsten Verhältnisse gelangt ist. Und nun sein großes Talent und sein umfassendes Wesen! Sie erinnern sich des englischen Kritikers, der die Poeten mit menschlichen Sängerstimmen vergleicht, wo einigen nur wenig gute Töne zu Gebote ständen, während andre den höchsten Umfang von Tiefe und Höhe in vollkommener Gewalt hätten. Dieser letztern Art ist Walter Scott. Lord Byron: Schottland, sei stolz darauf, daß er dein Sohn, Dein Beifall sei sein erster, schönster Lohn! Doch nicht mit dir nur soll sein Name leben, Hoch über Welten mög er sich erheben! Fällt Albion, so wird in ihm man lesen, Was dieses Land in frührer Zeit gewesen; Durch ihn wird dann noch Schottlands Ruhm erschallen, Wenn es vielleicht in Trümmer schon zerfallen. Scott ist ohne Frage der wundervollste Schriftsteller unsrer Zeit. Seine Romane sind eine neue Literatur in sich und seine poetischen Werke halten jeden Vergleich aus. Ich mag ihn gern wegen seines männlichen Charakters, der außerordentlichen Liebenswürdigkeit seines Umgangs und seiner Gutmütigkeit, besonders gegen mich persönlich. Möge ihm alles gedeihen – denn er verdient es. Ich kenne keine schriftstellerischen Werke, über die ich mit solchem Ungestüm herfalle, wie über ein Werk Walter Scotts. Charles Dickens: Ich habe nie von irgend einem meiner eignen Charaktere geträumt, und mir kommt dies so unmöglich vor, daß ich wetten möchte, auch Scott hat nie von den seinen geträumt, so lebenswahr sie auch sind. »Die Sage von Montrose« und »Kenilworth« habe ich eben mit dem größten Genuß gelesen, und ich denke, alle Welt muß gleich hohe Freude darüber empfinden. Karl Elze: Shakespeare mag überhaupt nach dem, was wir wissen, in seinen Ansichten über den Wert der Literatur mehrfach mit Scott übereingestimmt haben. Eine natürliche Folge dieser Anschauungsweise war es, daß Scott nicht recht an poetische Unsterblichkeit glauben wollte und sogar einmal meinte, die von ihm gepflanzten Eichen würden seine Lorbeeren überdauern. Ob seine Eichen noch stehen, wissen wir nicht, das aber läßt sich jetzt prophezeien, ohne daß man fürchten muß, von der Zukunft Lügen gestraft zu werden, daß er nicht den Eichen, sondern gerade der von ihm gering geschätzten Schriftstellerei seine Unsterblichkeit verdanken wird. Grillparzer: Walter Scotts Poesie ist eine Wahrnehmungspoesie, im Gegensatz zu der Anschauungspoesie. Man ist soweit gegangen, Walter Scott mit Shakespeare zu vergleichen, ja wohl gar zusammenzustellen. Etwas Verrückteres läßt sich wohl nicht leicht denken! Gerade das, worin man sie verwandt finden will: die Charakteristik, begründet die ungeheuerste Verschiedenheit. Alle Charaktere Shakespeares haben das bestimmteste Leben; durch eine geniale Anschauungsgabe, einen Blick in die innerste Werkstätte der menschlichen Natur aufgefaßt, entwickeln sie sich mit einem eigentümlichen Organismus, sie sind da; selbst ihre scheinbaren Widersprüche gleichen sie durch die siegende Beweiskraft der Existenz aus. Shakespeare gab seinen Personen keine Charaktere, sie stellten sich ihm schon mit einem vollständigen Charakter begabt vor. Scott macht Charaktere: manchmal mit mehr, manchmal mit weniger Geschick; immer will er vorher, eh er schafft, und seine gelungensten Züge können die Absicht nie verleugnen. Er ist ein scharfer Beobachter; was er beobachtet hat, weiß er lebhaft und gewandt hinzustellen, aber jede seiner Personen ist, genau betrachtet, eine Mehrheit von Zügen, die erst ein ordnender Verstand zur Einheit gebracht hat, indes bei Shakespeare alles aus der Einheit der innern Anschauung hervorgeht und aus dieser erst die Mannigfaltigkeit der oft scheinbar widersprechenden Eigentümlichkeiten hervorgeht. Was man durch Welt- und Menschenkenntnis, durch Studium der Geschichte und Psychologie, durch Beobachtungsgeist und Scharfsinn erlangen kann, hat Scott alles, und er sei gepriesen um deswillen! Was die Anordnung der Fabel betrifft, so sind mir die Details darüber nicht so gegenwärtig, da ich leicht vergesse, was ich ohne besonderen Anteil lese. Meistens scheinen aber die Begebenheiten interessant zu sein (wobei freilich nicht entschieden wird, ob sie diesen Vorzug der Erfindungskraft des Verfassers oder der Treue des Chronisten verdanken, aus dem sie genommen sind). Die Verknüpfung derselben ermangelt selten der Konsequenz. Die Wahrheit der Darstellung nun ist beinahe durchgehends sehr groß, und hierin liegt eigentlich das Hauptverdienst des Verfassers und der Hauptgrund seiner Wirkung auf das Publikum. Seine Schilderungen aller Art sind unübertrefflich. Schopenhauer: Walter Sott, dieser große Kenner und Maler des menschlichen Herzens und seiner geheimsten Regungen! Walter Scott, in seinen »Erzählungen meines Wirtes«, schildert Szenen, die zwischen den verworfensten und scheußlichsten Straßenräubern in ihren Schlupfwinkeln vorgehen, mit einer Wahrheit und Lebendigkeit, die uns beim Lesen bis zur Angst bewegt, indem wir das Richtige und Treffende davon empfinden; und doch hat weder er, noch wir je dergleichen gesehen. G. Brandes: Wenden wir uns zu einem besseren Manne, zu dem Dichter, der die eigentümliche britische Romantik auf dem Grunde der Volksnatur und Geschichte gestaltete, der nicht wie die Männer der Seeschule sich zum Renegaten machen mußte, um in religiöser und politischer Hinsicht konservativ zu werden, sondern der es ohne Haß oder Groll gegen die Geister der entgegengesetzten Richtung war, rein und ruhig von Naturell, edel und fest von Charakter, poetisch so übersprudelnd reich begabt, daß er länger als zwanzig Jahre hindurch alle Länder Europas mit einer gesunden und unterhaltenden Lektüre versorgte, und so tief und originell in seinen Anschauungen über Menschenrassen und Weltgeschichte, daß sein Einfluß auf die europäische Geschichtsschreibung nicht geringer ward als sein Einfluß auf die Romandichtung in allen zivilisierten Ländern. – Walter Scott, ist doch der eigentliche Entdecker und Durchführer jener Lokalfarbe in der Dichtung, welche die Grundlage für die ganze Poesie des Romantismus in Frankreich wurde. Und nicht genug, daß er durch seinen historischen Sinn der Wegweiser einer ganzen Dichterschule ward, übte er auch durch seine anspruchslosen Romane den größten Einfluß auf die Geschichtsschreibung des neuen Jahrhunderts aus. Man darf nicht vergessen, daß Walter Scotts Ivanhoe Augustin Thierry auf den Gedanken brachte, hinter den Taten Chlodwigs, Karls des Großen und Hugo Capets den Rassenkampf zwischen Normannen und Sachsen und die Spuren einer französischen Eroberung als die wahren Ursachen der Ereignisse zu suchen. Dieser Dichter, dessen Blick für das Seelenleben der einzelnen Menschen nicht tief war, und welcher der modernen individualistischen Zeit gegenüber auf mancherlei Weise durch nationale, monarchistische und religiöse Vorurteile gebunden und befangen erschien, besaß kraft seines gewaltigen Naturalismus, sobald er die Menschen als Clan, als Volk, als Stamm oder Rasse vor sich sah, den schärfsten Entdeckerblick für die Natursubstanz in ihnen. Er, welcher gewohnt war, stets an den Gegensatz zwischen Schotten und Engländer zu denken, fand leicht und wie durch eine plötzliche Inspiration die Bedeutung des Rassengegensatzes zwischen Angelsachsen und Normannen, und seine Schilderungen erhielten dadurch ebenso große Bedeutung für die Völkerpsychologie, wie die Schilderungen Byrons für die Schilderungen des Einzelnen. Joh. Scherr: Man hat Scott den Dichter des Adels genannt, und insofern nicht mit Unrecht, als er mittels seiner hinreißenden Erzählungsgabe der Romantik der Feudalwelt eine außerordentliche Popularität zu verschaffen verstand; allein weit entfernt, sich auf einen Stand zu beschränken, hat er alle Stände und Klassen mit objektiver Meisterschaft in dramatische Beziehung zu einander gesetzt, nicht als Stände wohlverstanden, sondern als Individuen, denn seine Figuren sind nicht nach einem Schema zugeschnitten, sondern frisch aus der Geschichte und dem Leben gegriffen, und daher die Masse origineller Charaktere, die er uns vorführt. Man könnte Scott ohne Anstand auch den Dichter des Volkes nennen, denn kein Dichter hat mit solcher Vollendung wie er die im Volke lebende wirkliche Kraft, Verständigkeit und Treue gezeichnet. – Scott ist ohne Frage für den eigentlichen Begründer des historischen Romans anzusehen. Es gab zwar vor ihm Versuche in dieser Gattung, aber es waren eben Versuche, und zwar mißlungene, geblieben. Scott war der erste, welcher die Poesie der Geschichte in ihrer ganzen Macht und Größe aufzeigte und das poetische Bedürfnis mit dem pragmatischen Sinne der neuen Zeit aufs glücklichste vermittelte. Über den ästhetischen Wert des historischen Romans hat man viel gestritten, aber die gebildete Gesellschaft des Erdkreises hat über diese Frage ein für allemal entschieden. Scotts Romane besitzen in unvergleichlichem Grade – abgesehen von ihrer anerkannten historischen Treue der Sittenschilderung, ihrer vollendeten Kunst der Charakteristik, ihrer sittlichen Hoheit – die Eigenschaft, auf alle Bildungsstufen gleich anziehend und befriedigend zu wirken, so daß sie, während sich die Aristokratie Europas daran entzückte, mit gleichem Entzücken auch in der Blockhütte der amerikanischen Hinterwäldler und im deutschen Bauernhause gelesen wurden. Karl Bleibtreu: Scott ist der Gründer des historischen Romans. Er war der erste, der die gewaltige Poesie der Geschichte urbar machte. Allerdings sind nur Kostüme und Äußerlichkeiten leidlich echt; Handlungen und Gefühle sind oft unhistorisch modern zugestutzt, wenn auch äußerlich die Redeweise entlegener Zeiten richtig getroffen scheint. Obschon uns Scott in alle möglichen Länder und Zeiten führt, ist der Kreis, in welchem er sich bewegt, in Wirklichkeit nicht groß. Mit dem hellen und achtsamen Auge eines fabulierenden Waidmanns ritt er in ebenmäßigem Trott über seine Grampians dahin, in patriarchalischem Behagen den Dingen seiner Heimat ins Herz schauend und mit der derben Bildlichkeit eines frischen Naturkindes, wie der alte Homer es war, sie gestaltend. Und in diesem höheren Sinne kann man auch von Scott sagen – wie von den eigentlichen Genies, zu denen er nicht gehört – daß er nur dichtete, was er selbst empfunden und durch lebendig in ihm fortwirkende Tradition selbst erlebt. Wohl sind diese bunten Mären nicht mit der unwiderstehlichen Nötigung der durch persönliche Anlässe befruchteten Triebkraft aus Weh und Jubel der eigenen Seele geboren. Aber so verwachsen fühlte sich Scott mit den Denkmalen und Überlieferungen seiner Heimat, unter welchen er beschaulich wie ein Antiquar in seinem Museum saß, daß ihm alle historischen Vorfälle in seiner Heimat ein Selbstgeschautes wurden. Deswegen sind auch die eigentlichen schottischen Romane Scotts diejenigen, in welchen sich seine soliden Vorzüge entfalten. Und unter diesen stehen wieder weitaus diejenigen am höchsten, in denen eine nicht zu fern gelegene oder sogar nahe liegende Zeit geschildert wird. Es ist ferner mit besonderem Nachdruck hervorzuheben, daß Scott auch der Schöpfer des modernen englischen Gesellschaftsromans geworden ist, indem er zuerst das bürgerliche Leben in treuherziger Breite darstellte und alle Gesellschaftsklassen in den Kreis seiner Gemälde zog. In der Tat, wenn wir die Fülle der von ihm geschaffenen Charaktere überschauen, so können wir nicht in Abrede stellen, daß – »Shakespeare allein ausgenommen« – kein Schriftsteller das menschliche Leben so umfassend darzustellen versuchte. Ferner sei noch darauf hingewiesen, daß Scott die Gabe besaß, große politische Verhältnisse in anschaulicher Form zu entwickeln – worin er ebenfalls ohne Vorgänger dasteht und eine sehr gesunde Reaktion sowohl gegen das Ifflandsche Niederländern als gegen die erotische Idyllik der landläufigen Damenliteratur bildete. Nur Schiller, Kleist, Grabbe, Alexis, sowie einige Ansätze de Vignys sind gleichen Zielen gefolgt. Die ungemeine Klarheit, Leichtigkeit und Anschaulichkeit seiner wundersamen Fabulierungsgabe kommt Scott hier besonders zu statten. Ja, dieser Mann, so beschränkt in seinem Privatleben, erhob sich weit über sich selbst, sobald das Medium der Geschichte ihn inspirierte. Fast alle Dichter erscheinen im tiefsten Sinne subjektiv; Scott aber gestaltete objektiv durch und durch, wie es dem geborenen Epiker ziemt. Ein Ewigkeitsmensch war er nicht. Er verstand weder die Gegenwart, noch ahnte er die Zukunft. Allein wie wir Burns als einen Shakespeare des Liedes begrüßten, so könnte man Scott füglich einen Shakespeare der Fabulierung nennen. Und zwar der echten künstlerischen Fabulierung, welche man ja nicht mit der gequälten Phantasie-Auspumpung der Dumas und Sue verwechsele. Mit dem glücklichsten Takt eines reifen Künstlertums verschmolz er die verschiedenen Elemente des Lebens, das Tragische und Burleske, zu geschlossener Komposition. Und auch ein wundersames Talent psychologischer Kombinierung blieb ihm nicht versagt. Aus diesem Grunde verehren wir ihn noch heute als Vorbild. Wenn wir aber somit den größten Romankünstler, den Meister epischer Erzählung im Sinne Homers, in Scott erkennen, so zeigt schon ein Vergleich mit Fielding und Richardson seine Schranken. Er streifte nur die Dinge und ging selten in die Tiefe. In der Breite der Lebensdarstellung hingegen wird er von keinem übertroffen. Julius Hart: Walter Scott, wie Robert Burns ein Schotte, schuf diese nationalpatriotische Geschichtsdichtung, die überall in Europa als etwas ganz Neues angestaunt und aufs eifrigste nachgeahmt wurde, besonders als Scott statt der Verserzählung Prosaromane auf den Markt warf. Das hatte Walter Scott von der deutschen Poesie schon gelernt: die rechte künstlerische Gestaltungsfreude an den Dingen selbst, den Sinn für das Sinnliche der Poesie. Und wenn er jetzt in großen Bildern die schottische Landschaft schildert, so ist sie kein Totes mehr wie bei den älteren, über das man philosophiert und moralisiert, sondern Hintergrund und Schauplatz großer Geschichtsereignisse. Scott schreitet über die Heiden und an den Seen nicht mehr wie ein englischer Nachmittagsprediger dahin, sondern wie ein rechter altgermanischer freier Mann, der seinen Sitz und seine Stimme im Volksrat hat, der die Geschichte seines Volles genau im Kopfe trägt und in den alten Büchern wohlerfahren ist. Er ist ein leidenschaftlicher Antiquitätensammler und weiß in allen alten Burgwinkeln vortrefflich Bescheid. Das Romantische an ihm ist vor allem die Freude an den alten Zeiten und der Vergangenheitskultus. Julian Schmidt: Es gibt keinen Beruf, dem er nicht gerecht geworden wäre, sobald derselbe nur einen gesunden Inhalt hat. Er hatte ein Herz für das Volk, ein liebevolles Auge für seine Sorgen und seine kleinen Genüsse, und sein konservativer Sinn bezog sich auf alles, was der Erhaltung wert war. Adolf Stern: Seine Stärke liegt in der Situationsfülle, nicht in der straff durchgeführten Handlung, in der Wiedergabe fertiger Charaktere, nicht in der schwereren Spiegelung innerlicher Charakterwandlung. Die Tiefen der Leidenschaft sind ihm vielfach, wenngleich nicht immer, verschlossen; bei aller Frische und Natürlichkeit steht er zu Zeiten dem Konventionellen näher als der Natur. So war er der Dichter und Erzähler einer in sich befriedigten Gesellschaft, einer Zeit mit festen Anschauungen und Zielen, und mußte mit dem Wachsen der Gärung, des leidenschaftlichen rastlosen Dranges nach dem Neuen, mehr und mehr in den Hintergrund der Teilnahme treten. Die wahrhafte Bedeutung Scotts kann natürlich durch die Launen der Mode nicht gemindert werden, kein Nachweis der Schranken seiner Begabung kann die Kraft und den Reichtum aufheben, den er innerhalb dieser Begabung entfaltet. Prof. Dr. Wülker: Das Hauptverdienst Walter Scotts, des Dichters wie des Romanschriftstellers, war seine große Natürlichkeit und seine außerordentlich naturgetreue Schilderung. Dadurch war er wie kein zweiter befähigt, Sittenbilder aus den verschiedensten Zeiten zu geben und der Begründer des Historischen Romans zu werden. Allerdings darf man von einem Dichter nicht verlangen, daß er sich stets eng an die Geschichte hält: er darf sie mit Sage umgeben, darf Gestalten eigener Erfindung neben die geschichtlichen stellen, wenn er den Leser nur lebhaft in den Charakter der behandelten Zeit zu versetzen weiß. Und dies verstand Scott meisterhaft. Daher gilt er noch heute für das Muster eines Romanschriftstellers. Erstes Kapitel Es war zu Frühlings Anfang in einer kalten Provinz Schottlands. Die Natur war aus dem Winterschlaf erwacht. Wenn auch noch nicht die Vegetation verriet, dass die kalte Jahreszeit im Weichen begriffen, so doch die Luft. Zwei Wanderer, ihrer Tracht nach als solche auf den ersten Blick kenntlich, kamen in der Richtung aus Südwesten her und zogen in der Richtung nach dem Schloß Douglas zu, an einem Flußlaufe gelegen, dessen Tal zu der seltsamen mittelalterlichen Feste eine Art Eingangstor bildete. Der Fluß, im Verhältnis zu dem Ruf, in welchem er stand, klein, zeigte den Weg an dem Dorfe vorbei zu dem Schlosse hinauf. Es war ein rauher Pfad. Die mächtigen Feudalherren, denen das Schloß schon seit Generationen zu eigen gehörte, hätten sich leicht bequemeren Zugang schaffen können. Allein zu jener frühen Zeit war man noch nicht so klug wie jetzt, und man hielt noch nicht dafür, dass es besser sei, einen Umweg um den Fuß eines Berges zu machen, als in schnurgerader Richtung auf der einen Seite hinauf und auf der anderen hinunter zu steigen. Noch viel weniger hatte man Ahnung davon, dass der Welt ein Mac Adam beschert werden würde, der aus unwegsamen Naturpfaden durch künstliches Pflaster Salonwege schuf. Wozu hätten indes die alten Schloßherren vom berühmten Geschlechte der Douglas solche Grundsätze zu den ihrigen machen und anwenden sollen, selbst wenn sie schon bekannt gewesen wären? Von Wagen, die auf Rädern liefen, hatte man, den plumpsten Ackerkarren ausgenommen, noch keine Kenntnis. Selbst die zarte Damenwelt war auf das Roß als einziges Beförderungsmittel angewiesen, im Fall schlimmer Krankheit höchstens auf eine Sänfte oder besser Trage, die aus Weiden geflochten oder aus Brettern zusammengefügt wurde. Die Männer brauchten die eignen derben Gliedmaßen oder den kräftigen Gaul, um von einem Orte zum anderen zu gelangen. Wanderern und besonders Frauen entstanden durch die rauhe Natur des Bodens keine geringen Beschwernisse. Daß ein angeschwollener Wasserlauf ihren Weg schnitt und sie zum Halt nötigte, bis sich das Wasser verlief, war keine Seltenheit; auch nicht, daß ein schweres Gewitter eine Überschwemmung oder ein anderes Naturereignis andere Schäden bewirkte. Wen dergleichen auf seiner Wanderschaft traf, war dann angewiesen auf seine eigne Kenntnis der Gegend, denn sich Kunde bei Leuten über Wegrichtung oder dergleichen zu schaffen, war insofern fast immer ausgeschlossen, als Leute im Freien, auf die Verlaß war, so gut wie nicht zu finden waren. Wer zu jener Zeit seine Scholle nicht verlassen mußte, setzte den Fuß nicht von ihr hinweg. Der Douglas entspringt in einem Amphitheater von Gebirgen, das nach Süden zu das Tal abschließt, aus dessen Bächen er sein geringes Wasser bekommt, das sich freilich oft durch starke Regengüsse zum Strome mehrt. Das Land, durch das er seinen Weg nimmt, bietet im allgemeinen das gleiche Bild, wie alle Viehzucht treibenden Gebirgsstriche des südlichen Schottlands mit ihren ärmlichen, einsamen Pachthöfen in wilder Gegend. Zur Zeit, da unsre Geschichte spielt, waren viele dieser Striche, wie ja ihre Namen noch heute besagen, mit Wald bestanden. Die unmittelbar am Douglas gelegenen Striche waren Äcker, schon damals reich ergiebig an Hafer und Roggen; in nicht zu weiter Entfernung vom Ufer mischte sich der Ackerboden mit Viehweide, weiterhin mischte die Viehweide sich mit Waldboden, der dann zu ödem, meist unzugänglichem Moorland sich wandelte. Damals war Schottland im Kriegszustand; Rücksichten auf Bequemlichkeiten des Lebens mußten der ständigen Lebensgefahr, die den Menschen umgab, weichen. Niemand fiel es ein, Weg oder Steg gangbarer zu machen: je ungangbarer er war, desto sicherer konnte man sich fühlen, desto leichter war es, dem Feinde oder auch nur Fremden den Zugang zu wehren. Was der Mensch im Hochlande brauchte, um sein karges Leben zu fristen, lieferte ihm Natur und Boden. Andere Bedürfnisse als diese kannte er nicht. Für die Rindvieh- und Schafherden brachten die besseren Striche im Gebirge und in den mit Wald bestandenen Tälern das Futter. Ackerbau war in geringem Maße vorhanden und wurde roh betrieben; die Viehzucht war das eigentliche Element. Zudem fehlte es in den tiefen Wäldern, die außer vom Jäger kaum von einem Menschen betreten wurden, nicht an allerhand Wild, vornehmlich zu solcher Zeit, wo der Grundherr dem Kriegshandwerk oblag und das Weidwerk an den Nagel gehängt hatte, die Tiere also »frei tanzen« durften. Wen damals der Weg durch die rauheren Striche dieses gebirgigen wilden Landes führte, der stieß nicht allein auf alle Arten von Rotwild, sondern auch auf das dem schottischen Hochland eigentümliche wilde Rind; die Wildkatze war in der wilden Gebirgsschlucht, im sumpfigen Dickicht keine Seltenheit; der Wolf, in den dichter bewohnten Strichen der Lothian-Grafschaften schon damals fremd, behauptete sich im Gebirge noch tapfer gegen seinen Urfeind, den Menschen. Zur Winterszeit, wenn ihnen das Futter knapp wurde, zogen sie in Rudeln auf die Kirchhöfe nach Leichenfraß oder umschlichen, wie heute der Fuchs, den Hühnerstall, den einsamen Pachthof, gierig auf Beute lauernd. Aus dem hier Gesagten vermag sich der Leser ein ziemlich richtiges Bild von dem oberen oder dem »wilden« Douglas-Tale, wie es um die Zeit des 14. Jahrhunderts herum aussah, zu machen. Die untergehende Sonne warf ihre Strahlen über ein Moorland, das nach Westen zu langsam aufstieg, um in dem Gebirge zu endigen, das als »großer« und »kleiner Cairntable« bekannt ist. Der »große Cairntable« war gleichsam der Vater der umliegenden Höhen, der Hunderten von Bächen das Leben gab, und der höchste Berg der Kette, auf seinen finsteren Hängen von noch finsterern Schluchten durchklüftet und mit jenem Urwald bestanden, der damals noch alles hochgelegene Land und vor allem die Berge deckte, unter dem die Wald- und Gießbäche und größere Wasserläufe, die nach Osten zu laufenden ebensowohl als die in den Solway mündenden, nach Einsiedlerweise ihre spärlichen Quellen versteckten. Der ältere und stärkere der beiden Wanderer, von denen eingangs gesprochen wurde, war ein stattlicher Herr, in der prunkhaften Tracht der damaligen Mode, und trug auf dem Rücken, nach damaligem Sängerbrauch, einen Ledersack, in welchem eine Harfe, Leier oder Geige oder sonstwelches Musikinstrument geborgen war, das seine Stimme begleiten mußte. Der Wanderer trug ein blaues Wams und violettfarbenes Beinkleid mit blau abgefütterten Schlitzen. Den Mantel, der nach Landessitte zur Kleidung gehörte, hatte er, der warmen Sonne wegen, zusammengelegt und über die Schultern geworfen. Die Akkuratesse, mit welcher er diese Arbeit verrichtet hatte, ließ in ihm einen Wandersmann von guter Erfahrung vermuten, der gewohnt war, alle Mittel auszunützen, die durch den Witterungswechsel zum Vorteil ausschlugen. Statt der vielen schmalen Bänder oder Schnüre, mit denen Wams und Beinkleid geknüpft wurden, taten Blumen oder Knoten von violettem Band an dieser Tracht den Dienst, und als Kopfbedeckung trug der Sänger die vierkantige Mütze, mit der man in der Regel Heinrich den Achten und seinen Sohn Eduard den Sechsten abgebildet sieht. Nach dem schmucken Zeuge, aus dem sie gefertigt war, zu urteilen, war sie mehr für den Auftritt als Sänger als für Reisen in Sturm und Wetter berechnet. Sie war bunt, denn sie war aus verschiedenfarbigen, meist braunen und violetten Streifen zusammengesetzt. Die Feder von beträchtlicher Länge wies die gleichen, also offenbar Lieblingsfarben des Sängers, auf. Die Gesichtszüge, die von der Feder beschattet wurden, zeichneten sich durch irgendwelchen besonderen Ausdruck nicht aus. Nichtsdestoweniger war es in solch öder, einsamer Gegend wie dem westlichen Schottland nicht eben leicht, an dem Manne vorbeizugehen, ohne ihn genauer ins Auge zu fassen – was ihm vielleicht anderswo, wo der Charakter der Landschaft den Blick mehr auf sich gelenkt hätte, nicht passiert wäre. Sein Gesichtsausdruck war munter und offen, ermangelte auch nicht einer gewissen Festigkeit, die ihn für ernste Vorfälle gewappnet erscheinen ließ, wie ihrer auf solchen Wanderungen genug an ihn herantreten mochten. Sonst war aber von Waffen, die ihm Schutz hätten sein können, außer einer Art von Krummsäbel, den er an der Seite trug, nichts an ihm wahrzunehmen. Sein Gefährte, sichtlich um vieles jünger, war ein sanfter artiger Jüngling, dessen slowenischer Kittel, das rechte Pilgergewand, dichter um den Körper geschlungen war, als die Kälte notwendig zu machen schien. Sein Gesicht war unter dem Pilgerhute nur wenig sichtbar, zeigte aber Züge von höchst einnehmendem Ausdruck; auf seiner Stirn lagen Spuren von Kummer, in seinen Augen standen Spuren von Tränen. Der Degen, den er an der Seite trug, schien mehr einen Tribut gegen die herrschende Mode darzustellen, als daß er auf Absicht, sich seiner zum Schutze zu bedienen, hätte schließen lassen. Er schien von solcher Müdigkeit übermannt zu sein, daß selbst sein rauher veranlagter Gefährte sich des Mitgefühls nicht erwehren konnte, während er anderseits sichtlich Anteil, wenn auch nur geheimen, an dem Grame nahm, der auf solch liebenswürdigem Antlitz sichtbare Spur hinterlassen hatte. Beide sprachen zusammen. Der Ältere, in dessen Mienenspiel deutlich jene Achtung zum Ausdruck kam, die dem Manne untergeordneten Ranges dem höher gestellten gegenüber zukommt, verriet seine Teilnahme und Zuneigung im Ton und im Benehmen. »Freund Bertram,« sprach der jüngere Wanderer, »wie weit sind wir noch von Douglas Castle entfernt? Wir sind doch schon über zwanzig Meilen gewandert, und du sagtest doch, weiter sei es von Cammock aus nicht. So nanntest du doch die letzte Herberge, die wir bei Tagesanbruch verließen?« »Cumnock, teuerste Dame! – ach, gnädigster junger Herr, wollte ich sagen – bitte tausendmal um Verzeihung!« »Nenne mich Augustin, Bertram,« versetzte der Jüngere, »wenn du mich anreden willst. Es schickt sich besser für diese Zeiten.« »Was das anbetrifft,«.sagte Bertram, »muß ich sagen, daß meine persönliche Erziehung, wenn sich auch Eure Ladyschaft herbeiläßt, ihren Stand beiseite zu setzen, nicht so mit mir verwachsen ist, daß ich sie ablegen und anlegen dürfte, ohne daß Stiche dabei verloren gingen! Geruht nun Eure Ladyschaft, der ich Gehorsam gelobt habe, mir zu befehlen, daß ich sie behandle als meinen Sohn, so wäre es doch eine Schande für mich, wollte ich ihr nicht die Liebe eines Vaters erweisen, vornehmlich wenn ich meinen heiligsten Eid ablegen kann, daß ich ihr solche Pflicht schuldig bin, trotzdem hier, wie ich recht wohl weiß, der Fall vorliegt, daß der Vater von seines Kindes Güte und Freigebigkeit das Leben fristet. Denn wann wäre nicht, wenn es mich hungerte oder dürstete, der Seitentisch von Berkeley für mich gedeckt gewesen?« »So wenigstens war es mein Wille«, versetzte der junge Pilger. »Wozu sollen die Berge von Rindfleisch, die unser Vieh gibt, und das Meer von Bier da sein, das, wie es heißt, auf unseren Gütern gebraut wird, wenn sich Hungrige unter unseren Vasallen befinden? Wenn gar du hungern oder dursten solltest, du, Bertram, der unserm Hause mehr denn zwei Jahrzehnte als Sänger gedient hat?« »Freilich, edle Dame,« erwiderte Bertram, »das wäre ja ähnlich der Katastrophe, die man vom Baron von Fastenough erzählt, als die letzte Maus in seiner Vorratskammer verhungert war. Entgehe ich solchem Unglück auf dieser Reise, so lasse ich mir nicht mehr ausreden, daß Hunger und Durst mir mein Lebtag nichts mehr anhaben können.« »Ein paarmal hast du wohl schon recht darunter gelitten, mein armer Freund?« fragte die junge Dame. »Was ich gelitten, hat wenig zu sagen. Undankbar wäre ich, wollte ich solcher geringfügigen Unbequemlichkeit, wie dem Mangel eines Frühmahls oder andern Essens, solch ernste Benennung geben. Aber kaum zu begreifen bin ich imstande, wie Eure Ladyschaft solchen Marsch länger ertragen soll. Daß es kein Spaß ist, in diesen Hochlanden zu wandern, wo uns der Schotte solch reichliches Maß von seiner Meile gibt, müßt Ihr nun selber fühlen; und was Schloß Douglas angeht, so muß ich wohl sagen, gute drei Meilen ist es noch immer bis zum Fuße des Berges, auf welchem es steht.« »Es fragt sich also,« antwortete die Dame mit mattem Seufzer, »was hier zu tun ist, wenn wir noch solch weiten Weg haben; denn es läßt sich wohl annehmen, daß das Schloßtor längst geschlossen sein wird, ehe wir hinkommen.« »Die Tore des Schlosses Douglas stehen unter Obhut von Sir John de Walton und öffnen sich nicht so leicht wie die Wände von unserem Butterschrank in Eurem Schlosse, wenn die Angeln gut geschmiert sind. Wenn sich Eure Ladyschaft meinem Rate fügen und umkehren will, dann sind wir nach höchstens zwei Tagen wieder in einem Lande, wo für menschliche Bedürfnisse in guten Gasthöfen schnell gesorgt wird. Dann wird außer uns beiden, so wahr ich beeidigter Sänger und ein Mann von Wort bin, kein Sterblicher je von dem Geheimnis dieser kleinen Wanderung etwas erfahren.« »Vielen Dank für deinen ehrlichen Rat, Bertram!« antwortete die Dame; »aber ich kann keinen Gebrauch davon machen. Solltest du bei deiner Ortskenntnis irgendwo in der Nähe ein anständiges Haus wissen, gleichviel ob es reichen oder armen Leuten gehört, so würde ich gern dort nächtigen, falls ich bis zu morgen früh dort Unterkunft bekommen könnte. Die Tore vom Schlosse Douglas werden sich dann für Gäste solch friedlichen Aussehens schon öffnen – und – nun ja, warum soll ich es nicht sagen? – wir würden dann wohl auch Zeit finden, solcher Art für unseren äußeren Menschen zu sorgen, daß wir uns freundlicher Aufnahme für sicher halten könnten!« »Ach, teure Lady!« versetzte Bertram; »käme nicht Sir John de Walton in Frage, so möchte ich fast lieber sagen, eine ungewaschene Stimme und ungekämmtes Haar und schmutzige Tracht waren geeigneter, die Maske eines Sängerknaben zu bewahren, für den Ihr im gegenwärtigen Kostüm doch gehalten sein wollt.« »Ist es dir wirklich recht, Bertram, daß deine Zöglinge solch täppisches, unsauberes Äußere haben?« fragte die junge Dame; »ich wenigstens mag ihnen nicht nachtun, und sollte nun Sir John im Schlosse Douglas sein oder nicht, so will ich auch den Soldaten nicht, denen solch ehrenvolle Wache übertragen, mit ungewaschener Stirn und ungekämmtem Haar aufspielen. Daß ich Kehrt machen sollte, Bertram, ohne ein Schloß gesehen zu haben, das mir sogar im Traum erscheint, das ist ausgeschlossen. Du kannst umkehren, wenn du willst, Bertram; aber in meiner Begleitung wird es nicht geschehen.« »Wenn ich mich von Eurer Ladyschaft trennen sollte auf solche Bedingungen hin,« versetzte der Sänger, »so könnte mich, nachdem Eure Maskierung fast völlig gelungen ist, nur der Böse in Person oder ein andres feindliches Wesen, aber nicht geringer als er, von Eurer Seite reißen. Bis zum Hause eines gewissen Tom Dickson von Hazel-Side ist es nicht weit von hier. Er ist einer der ehrlichsten Bursche im ganzen Tal und, wenn auch bloß Bauersmann, von gleich hohem Range wie je ein Krieger oder Edelmann, der mit den Scharen der Douglas ritt, als ich noch hier im Lande war.« »Er ist also Soldat?« fragte die Dame. »Soldat, wenn sein Vaterland oder sein Lehnsherr sein Schwert braucht«, versetzte Bertram; »und da die Schotten selten ruhig sitzen, kommt ja sein Schwert nicht zum Rosten. Sonst aber ist er bloß den Wölfen feind, die seine Herde zerfleischen.« »Vergiß nicht, Bertram,« warf die Dame ein, »daß englisches Blut in unsern Adern fließt, daß wir demnach Gefahr zu besorgen haben von seiten aller, die sich als Feinde des roten Kreuzes bekennen.« »In die Treue des Mannes setzt keinen Zweifel«, sprach Bertram; »Ihr dürft ihm trauen wie dem besten Ritter oder Edelmann des Landes! Vielleicht erwerben wir uns Quartier durch ein Lied, und ich möchte hier daran erinnern, daß ich es unternommen habe, mich mit den Schotten auf etwas guten Fuß zu stellen. Der Schotte liebt Musik. Wollen wir es also bei Tom Dickson auf solche Art hin versuchen?« »O, seine Gastfreundschaft wollen wir gewiß annehmen,« erwiderte die Dame, »da du dein Wort als Sänger gegeben hast, daß er treu und verläßlich ist. Tom Dickson nanntest du ihn?« »Ja, so heißt er,« sagte Bertram, »und da wir dort Schafherden sehen, befinden wir uns, wie ich glaube, schon auf seinem Grund und Boden.« »Was du sagst!« rief die Dame nicht ohne Überraschung; »wie und woran kannst du das sehen?« »Die Schafe tragen, wie ich sehe, die Anfangsbuchstaben seines Namens«, entgegnete der Sänger; »Gelehrsamkeit und Weisheit, meine Dame, bringen einen Mann durch die Welt, als besäße er den Ring, durch dessen Zauberkraft, wie alle Dichter sagen, Adam die Sprache der Tiere im Paradiese verstand. Ach, Madame! Weit klügere Dinge werden in Schäferhütten gelehrt als Damen glauben, die sich in der Sommerstube ihr buntes Kleid nähen.« »Es mag wohl so sein, Bertram, wenngleich ich in der Kenntnis des geschriebenen Wortes nicht so bewandert bin wie du! Drum wandern wir, bitte, auf nächstem Wege zu Tom Dicksons Hütte, den uns übrigens seine Schafe wohl auch weisen. Hoffentlich haben wir nicht mehr weit; die Gewißheit, unsre Wanderung für heute um ein paar Meilen zu kürzen, macht mich übrigens so frisch und munter, daß ich den ganzen übrigen Weg ohne Mühe bezwingen könnte.« Zweites Kapitel Die Reisenden kamen zu einer Wegbiegung, die einen freiern Blick gestattete als die zerklüftete Landschaft bisher. Eine Bergwiese, mit Erlen, Haselsträuchern und Eichen bestanden, bot einen freundlichen Anblick. Der Pachthof oder das Herrenhaus – nach Größe und Aussehen waren beide Annahmen zulässig – war ein geräumiger, aber niedriger Bau, mit Mauern so stark, daß sie jedem räuberischen Überfall hätten standhalten können. Etwa eine halbe Meile entfernt stand eine halbverfallene Kapelle gotischen Baustils von mäßigem Umfange, die von dem Sänger als Abtei Saint-Bride bezeichnet wurde. »Wie ich gehört habe,« erklärte er weiter, »sind die Ruinen stehen geblieben, weil im Anbau noch ein paar alte Mönche und Nonnen hausen, denen von der englischen Regierung gestattet worden ist, an der alten Stätte ihrem Herrn zu dienen, auch schottischen Wanderern ein Viatikum zu spenden. Demgemäß haben Mönche und Nonnen dem Sir Walton gehuldigt und einem Geistlichen sich untergeordnet, auf den sich Sir Walton verlassen zu dürfen glaubt. Indessen sollen, wenn Gäste dort Geheimnisse offenbaren oder durchschimmern lassen, die Mönche Anzeige an die englische Regierung gelangen lassen. Ich möchte es also für am besten halten, wenn Eure Ladyschaft nicht anders zu bestimmen geruht, daß wir dort keine Gastfreundschaft nachsuchen.« »Allerdings nicht,« pflichtete die Dame bei, »falls du ein Quartier mit verschwiegenerem Wirt für uns aufzufinden vermagst!« In diesem Augenblick kamen zwei Personen in Sicht, die in einer den beiden Wanderern entgegengesetzten Richtung auf den Pachthof zuschritten und sich in so lautem Tone zankten, daß die Stimmen trotz der nicht unerheblichen Entfernung deutlich zu hören waren. Bertram hielt eine Weile lang, um besser zu sehen, die Hand über die Stirn. Dann rief er: »Bei Gott! Es ist mein alter Freund Dickson! Was bringt ihn so auf gegen den jungen Burschen, der meines Wissens sein Sohn Karl ist, der kleine Wildfang, der vor etlichen zwanzig Jahren herumzuwildern und Binsen zu flechten pflegte? Ein Glück, daß wir unsre Freunde noch auf den Beinen treffen; denn ich wette, Tom hat ein tüchtiges Stück Fleisch im Topfe und müßte seinen Sinn völlig verändert haben, wenn er nicht für einen alten Bekannten davon übrig haben sollte. Wer weiß aber, ob er später den Riegel von seinem Tore gelöst hätte? Liegt doch feindliche Besatzung in der Nähe! Wollen wir das Ding beim rechten Namen nennen, so gilt doch englische Besatzung im Schlosse eines schottischen Laird als feindliche Besatzung!« »Tor, der du bist!« versetzte die Dame; »urteilst über Sir John de Walton, als sei er ein grober Bauer, dem der Kamm schwillt, wenn er merkt, daß er die Hände frei hat? Mein Wort könnte ich dir geben, daß du hierzulande, vom Streit um den Besitz der Königreiche abgesehen, der natürlich von beiden Teilen in ritterlichem Kampfe ausgefochten wird, Engländer und Schotten in friedlich-freundlichem Beisammenleben unter Sir Waltons Zügel finden wirst, wie keine Schaf- und Ziegenherde unter Obhut eines Schäferhundes friedlich-freundlicher zusammenleben kann. Sir John de Walton mag den Schotten als Feind gelten, vor dem sie bei gewissem Anlaß fliehen; er wird ihnen aber auch als Beschützer gelten, unter dessen Schirm sie sich flüchten, wenn sich ein reißender Wolf zeigt.« »Eurer Ladyschaft meine Meinung hierüber zu äußern getraue ich mir nicht«, versetzte Bertram; »ein junger Ritter in Rüstung ist aber ein ander Ding als ein junger Ritter in Balltracht, der bei den Damen scharwenzelt.« Mit Donnerstimme rief er hierauf: »Dickson! Holla, Tom Dickson! Erkennt Ihr etwa den alten Freund nicht, der auf Eure Gastfreundschaft rechnet für Nachtmahl und Nachtquartier?« Der Schotte, durch den Ruf aufmerksam geworden, blickte über den Douglas hinüber, dann auf die kahle Böschung und ließ den Blick endlich auf den beiden Gestalten haften, die den Weg ins Tal hinunterstiegen. Der Pächter vom Douglas-Tal hüllte sich, als er aus der windgeschützten Niederung heraustrat, den Wanderern entgegenging, fester in seinen groben Mantel, der dem schottischen Schäfer ein so romantisches Aussehen leiht, ob er gleich geringere Farbenpracht und kargeren Faltenwurf aufweist als der Kriegsmantel der Hochländer. Als er näher kam, sah die Dame, daß er ein rüstiger, kräftiger Mann war, über die mittleren Jahre schon hinaus, mit Spuren des nahenden Greisentums, aber noch immer mit mannbarem, trutzigem Zug auf dem Antlitz, das manchen Sturm bestanden hatte, und noch immer mit Augen so scharf, daß man es ihnen auf den ersten Blick ansah, welch scharfe Wache sie zu halten gewohnt seit Jugend waren. Auch Verdruß zeigten sie noch, diese Züge: Verdruß über den schmucken Jüngling, der ihm zur Seite schritt und dessen Gesicht deutliche Kunde gab, daß es keine sanften Äußerungen gewesen sein mochten, durch die sich des Vaters Grimm gegen ihn Luft gemacht hatte. »Gedenkt Ihr denn meiner nicht mehr, Tom,« hub Bertram an, als beide nahe genug beieinander standen, um ein Gespräch zu beginnen – »oder haben zwanzig Jahre, die über unsere Köpfe gezogen, alle Erinnerung an Bertram, den englischen Spielmann und Sänger, mit sich genommen?« »Nun, nun,« versetzte der Schotte, »an Landsleuten von Euch fehlt es ja nicht bei uns, die einem die Erinnerung an Euch wachhalten. Aber wir sind nun doch mal so ungehobelt, daß man das Gesicht eines alten Freundes vergißt und kaum von weitem erkennt. Es hat aber in jüngster Zeit viel Unruhe hier gesetzt. Oben in dem schlimmen Schlosse Douglas halten tausend Landsleute von Euch Besatzung, und an anderen Plätzen im Tale auch: das ist kein lustiger Anblick für einen Schotten! Sogar in meinem armen Hause ist ein Schwerbewaffneter mit ein paar Bogenschützen quartiert worden, und als Dreingabe hat's ein paar mutwillige Jungen gesetzt, Pagen mit Namen, die einem Manne das Maul verbieten, wenn er an seinem Herde davon spricht, der Platz, wo er stände sei sein Eigentum! Indessen hegt darum, alter Freund, keine üble Meinung von mir, wenn ich Euch mit kälterem Willkomm begrüße, als Ihr von einem Freunde erwarten könnt; denn bei Saint-Bride am Douglas! es ist mir kaum was geblieben, Euch willkommen zu heißen!« »Auch karger Willkomm reicht«, versetzte Bertram; »mein Sohn, mach dem alten Freunde deines Vaters dein Kompliment! Mein Augustin, Freund Dickson, erlernt mein lustiges Handwerk; bis er aber die Mühsal, die es im Gefolge hat, ganz wird bewältigen können, wird wohl noch mancherlei Übung erforderlich sein. Wollt Ihr ihm ein wenig Nahrung und für die Nacht ein ruhiges Bett geben, dann geht's uns beiden bei Euch besser als gut! Reist Ihr mal mit Eurem Karl – denn der hübsche schlanke Jungmann neben Euch ist doch kein anderer als mein Taufpate – so werdet Ihr Euch wohl auch erst recht behaglich fühlen, wenn für seine Bedürfnisse gesorgt ist.« »Satan soll mir die Suppe salzen, wenn es mal so sein soll!« rief der schottische Landmann; »mag er's doch allein wissen, aus welchem Stoffe heute die jungen Kerle geschaffen sind: aus dem ihrer Väter ganz sicher nicht! Soll er sie holen, wenn's ihm paßt! Solche Nahrung und Unterkunft hat der wackere Lord Douglas, bei dem ich Leibdiener war, – Ihr wißt's ja, Freund Bertram – als Page bei Gott nicht begehrt, wie sie jetzt solchen Patron, wie Euren Taufpaten Karl, nicht mal zufriedenstellt.« »Nun, mein Augustin,« meinte Bertram, »ist nicht wählerisch; aus anderer Ursach muß ich aber um ein besonderes Bett für ihn ersuchen. Er ist in letzter Zeit unpaß gewesen.« »Hm, ich verstehe,« meinte Dickson, »Euer Sohn hat wohl was von der Krankheit gehabt, an der Eure Engländer so häufig draufgehen und die mit dem schwarzen Tode ausgeht? Wie hier verlautet, soll die Krankheit im Süden arg gewütet haben. Kommt sie auch hierher?« Bertram nickte. »Nun, in meines Vaters Hause,« nahm der Pächter wieder das Wort, »sind der Stuben mehr denn eine, und Eurem Sohne soll eine luftige, geräumige Stube zurechtgemacht werden! Essen müßt Ihr halt mit Euren Landsleuten, müßt zusehen, was die für Euch übrig lassen; muß halt ein Dutzend solcher Mäuler jetzt füttern! Schäme mich, sagen zu müssen, daß ich im eigenen Hause nach ihrer Pfeife tanzen muß! Ha, besäße mein guter Lord noch sein Schloß, so möchte es auch mir an Herz und Hand nicht fehlen, das ganze Gesindel aus dem Hause zu schmeißen! Aber – ein Trost für uns arme Schlucker: der edelste Laird in Schottland befindet sich kaum in besserer Lage!« »Tom Dickson,« warf Bertram ein, »jetzt siehst du den Fall durch bessere Brille. Ich will durchaus nicht sagen, daß der weisere, reichere und stärkere Mann ein Recht darauf hätte, den schwächeren, ärmeren und dümmeren Nebenmenschen zu tyrannisieren; läßt sich ein solcher aber in Streit ein, so muß er sich dem Laufe der Natur auch unterwerfen; und gleichwie kein Wasser den Berg hinaufläuft, so kann auch im Kriege der Vorteil bloß dem zuteil werden, der den andern überrascht.« »Mit Verlaub aber,« versetzte Dickson, »kann der schwächere Teil, wenn er bis zum äußersten ausholt und seine Kraft bis zum äußersten anstrengt, schließlich Rache an dem Urheber seiner Leiden nehmen! Also doch zu leidlichem Ausgleich der Unterjochung gelangen! Ganz gewiß handelt jeder als Mensch töricht, und jeder Schotte unverantwortlich dumm, der solche Unbill mit Stumpfsinn trägt und, statt die vom Himmel gesetzte Zeit abzuwarten, voreilige Rache zu nehmen sucht! Aber durch solche Reden werde ich Euch, wie schon manchen Eurer Landsleute, von Haus und Hof scheuchen, daß Ihr weder Nachtmahl noch Nachtquartier in einem Haufe nehmen wollt, wo Euch am Morgen blutige Entscheidung unseres Rassenkampfes treffen könnte.« »Keine Sorge in solcher Hinsicht«, versetzte Bertram; »wir sind seit alters Freunde miteinander, und ich versehe mich von Eurer Seite ebensowenig liebloser Aufnahme, als Ihr erwarten werdet, der Zweck meiner Herkunft sei, neue Kränkungen zu jenen, über die Ihr Klage führt, zu fügen.« »Recht so«, antwortete Tom Dickson; »seid also in meinem Hause ebenso willkommen, alter Freund, wie zu der Zeit, als sich bloß Gäste darin befanden, die ich selber geladen hatte. Für Euren Sohn, den Herrn Augustin, gilt, wie ich wohl nicht hinzuzufügen brauche, das gleiche.« »Aber nun sagt mir doch, Tom,« fragte Bertram, »was hat Euch Anlaß gegeben zu solchem Verdruß über meinen Taufpaten?« Bevor der Vater Zeit fand zum Sprechen, hatte der Jüngling erwidert: »Der Vater, Herr Pate, mag die Sache hinstellen wie es ihm beliebt, so bleibt doch bestehen, daß in solch unruhvollen Zeiten die klügsten Leute schwach im Kopfe werden. Er hat's mit angesehen, daß ein paar Wölfe sich unsere besten Widder holten, und weil ich der englischen Besatzung zurief, Alarm zu blasen, ist er so ergrimmt, daß er mich hätte morden können! Und weshalb? Weil ich den Widder aus Wolfsrachen retten wollte, damit er in anderer Wölfe Rachen käme!« »Eine seltsame Meldung über dich, alter Freund!« rief Bertram; »gönnst du den Wölfen, sich an deiner Herde zu mästen?« »Reden wir nicht weiter davon, wenn du mir Freund sein willst; Karl könnte dir von Dingen sprechen, die näher liegen. Schweigen wir aber jetzt darüber!« Als der Sänger inne wurde, daß sich der Landmann ärgerte, drängte er nicht weiter in ihn. Zudem setzten sie gerade den Fuß über die Schwelle und Soldatenstimmen schallten ihnen entgegen. »Still, Anthony«, rief eine rauhe Stimme; »still, Mensch! Um der gesunden fünf Sinne halber, wenn nicht der guten Manieren halber. Auch Robin der Rote hat sich früher an keinen Tisch gesetzt, als bis der Braten fertig war!« »Fertiger Braten?« rief eine andere, nicht minder rauhe Stimme; »das ist mir ein Braten, wie er sich elender kaum denken läßt! Und verflucht wenig Anteil davon kommt diesem Schuft von Dickson zu, seit unser Kommandant, der würdige Sir John de Walton, ausdrücklich befohlen hat, daß alle Soldaten auf Vorposten den Wirten alle Vorräte abliefern, die ihnen vom eigenen Lebensunterhalt übrig bleiben.« »Schäme dich, Anthony, schweige!« erwiderte der Kamerad des Schreiers; »wenn ich jemals den Schritt unseres Wirtes gehört habe, dann jetzt! Laß das Geknurr, denn unser Kommandant hat strenge Strafe auf jeden Unfrieden zwischen seiner Mannschaft und den Landbewohnern gesetzt!« »Ich habe zu Unfrieden keinen Anlaß gegeben«, versetzte Anthony; »aber recht wäre es mir schon, ich würde, von meinem Mißtrauen gegen unseren finsteren Wirt, diesen dickköpfigen Schuft von Tom Dickson, erlöst. Ich gehe in seinem Loche selten zu Bett ohne den Gedanken, daß mir der Hals mal beim Aufwachen klaffen wird wie einer durstigen Auster die Schale ... Da kommt er aber,« setzte er hinzu, seine laute Stimme mäßigend – »in den Kirchenbann mögen sie mich tun, wenn er nicht das tolle Vieh, seinen Jungen Karl, und noch ein paar Fremde dazu herschleift, bloß um uns das Abendbrot zu verweigern, wenn sie nichts anderes zu unserem Schaden vorhaben.« »Pfui, Anthony«, rief sein Kamerad; »du bist doch ein so tüchtiger Armbrustschütz, wie kaum einer den grünen Rock trug, und tust doch gerade, als fiele dir das Herz in die Hosen, wenn dir zwei müde Wanderer vor die Augen kommen! Fürchtest dich wohl gar davor, daß sie uns den Trank heut abend dünn machen? Wozu hätten wir denn Armbrüste und Partisanen, wenn wir uns mit solchem Quark befassen wollten? He! Sieh da! Quartierherr Dickson! Was bringt denn Ihr? Bekannt ist Euch doch aus unserer Instruktion, daß wir Fremden, die den Fuß zu Euch setzen, außer solchen, die ungebeten kommen wie wir, auf den Zahn fühlen sollen, bevor Ihr sie aufnehmt? Seid Wohl, wie mir scheint, ganz so bereit zum Nachtmahl, wie das Nachtmahl für Euch? Nun, mein Freund Anthony brennt vor Ungeduld, ich möchte deshalb ihn und Euch nicht länger aufhalten, als die Antwort auf ein paar Fragen in Anspruch nehmen wird.« »Bogenspanner!« versetzte Dickson; »du bist ein recht höflicher Gesell! Und wenngleich es hart ankommt, Rechenschaft über Freunde abzulegen, denen man bei sich Quartier geben will, so unterwerfe ich mich doch den Zeitumständen und bin Euch zu Willen. Schreibt Euch also in Euer Meldebuch: Am 14. Tage vor Palmsonntag hat Thomas Dickson in sein Haus am Hazelside, worin Ihr auf Befehl des Gouverneurs als Besatzung liegt, zwei Freunde aufgenommen und bewirtet, was ihm zurzeit und am Ort nicht zu wehren war.« »Aber wer sind die Fremden?« fragte Anthony schroff. »Eine schöne Welt,« brummte Tom Dickson, »in der man gezwungen ist, jedem gemeinen Gesellen zu antworten!« Dann aber fügte er hinzu: »Der ältere meiner Gäste ist Bertram, ein englischer Spielmann und Sänger, mir seit zwanzig Jahren bekannt und nie anders denn als ehrlicher und braver Mensch; der jüngere ist sein Sohn, seit kurzem in Genesung begriffen von der englischen Krankheit, die in Cumberland und Westmoreland so arg gewütet hat!« »Ist es derselbe Bertram, der vorm Jahr im Dienst einer edlen Dame in England drüben stand?« fragte der Bogenspanner. »Gehört habe ich davon«, versetzte Dickson. »So werden wir sie wohl passieren lassen, denke ich; denn von Gefahr scheint nichts vorhanden.« »Ihr seid mein Vorgesetzter und seid der ältere«, sagte Anthony; »aber erinnern möchte ich daran, daß wir einem jungen Menschen, der an solcher Krankheit gelitten, ohne besondere Vorfrage nicht Einlaß ins Schloß gewähren dürfen. Lieber sähe, glaube ich, Sir John de Walton den schwarzen Douglas mit tausend Teufeln, so schwarz wie er selber, da es doch seine Farbe ist, im Besitze von Hazelside, als solche Person mit solchem Ansteckungsstoff oben im Schlosse.« »Deine Worte sind wahr, Anthony«, antwortete sein Kamerad; »es ist nach meiner Meinung wohl am gescheitesten, wir machen ihm Meldung und fordern Befehle, wie mit dem Grünschnabel verfahren werden soll.« »Mir recht«, sagte der Armbrustschütze; »zuvörderst stellen wir dem Gelbschnabel wohl ein paar Fragen: wie lange er krank gewesen; welcher Arzt ihn kuriert hat; wie die Zeugnisse über seine Heilung lauten. Wir müssen doch zeigen, daß wir ungefähr wissen, was für solchen Fall in Betracht tritt.« »Stimmt, Bruder«, pflichtete der Bogenspanner bei; »du hörst doch, Spielmann, daß wir deinen Sohn befragen wollen – wo steckt er denn, er war doch eben noch da?« »Freilich«, lautete Bertrams Antwort; »aber er ist auf seine Stube gegangen. Aus Rücksicht auf Euer Gnaden Gesundheit hat ihn der fürsorgliche Wirt sogleich auf seine Stube gebracht, wo er am besten aufgehoben sein wird.« »Wir müssen aber bei einem Falle wie dem vorliegenden, bevor wir Euch erlauben dürfen, nach Schloß Douglas weiter zu ziehen, ein paar Fragen an Euren Sohn stellen, wohin er, wie Ihr sagt, Botschaft zu bestellen hat.« »Die Botschaft wird mehr meine als seine Sache sein, Herr«, bemerkte der Sänger. »Dann genügen wir unserer Pflicht am besten und einfachsten, wenn wir Euch beim Tagesgrauen ins Schloß hinaufschicken und Euren Sohn im Bett lassen, bis wir Weisung von Sir John erhalten, ob er ins Schloß hinauf darf oder nicht.« »Recht so, Freund«, pflichtete der Spielmann bei, »indessen eins, wenn ich bitten darf: mein Sohn ist ein guter und sanfter Bursch, wenig gewohnt, unter den Menschen, welche diese wilden schottischen Wälder bewohnen, eine Rolle zu spielen. Ich hoffe also, daß Ihr Rücksicht gegen ihn walten laßt.« »Hm«, machte der ältere und höflichere der beiden Soldaten; »wenn Euer Sohn solcher Neuling auf dieser Erdenreise ist, so möchte ich doch raten, für die Zeit, bis Ihr vor den Gouverneur gelangt, seine Fragen beantwortet habt und Bescheid über Euren Jungen bekommt, ihn im nahen Kloster zu beherbergen. Erlangt Ihr keinen guten Bescheid, so kann er doch dort verweilen, bis Ihr Euer Geschäft auf Schloß Douglas beendigt habt und wieder bereit seid, die Reise anzutreten. Beiläufig gesagt, sind die Nonnen drüben eher älter denn jünger als die Mönche und tragen Bärte fast so lang wie jene – Ihr könnt also, was die Sittlichkeitsfrage angeht, völlig beruhigt sein.« »Kann ich solche Erlaubnis erlangen,« sprach der Sänger, »so wäre es mir lieber, ihn in der Abtei zu lassen und zuvor die Befehle des Kommandanten in Person einzuholen.« »Sicher ist dies das beste Verfahren! Mit ein paar Goldfüchsen kannst du den Schutz des Abtes von Saint-Bride dir rasch verschaffen. Aber eins noch, Freund! Ihr habt auf Euren Irrfahrten doch sicher gelernt, was ein Morgenschluck ist? He? Und daß man mit ihm Leute zu traktieren pflegt, die einem bei gewissen Anlässen gefällig waren?« »Ich verstehe, Freund, was Ihr meint«, beschied ihn der Sänger; »wenn auch die Börsen von Leuten meines Standes nicht gerade durch Fülle sich auszeichnen, so sollt doch Ihr deshalb nicht Not leiden! Ein gutes englisches Goldstück zur Entnahme eines guten englischen Trunkes in gutem englischen Hause ist schon noch vorhanden!« Mit diesen Worten legte der Sänger einen Sovereign auf den Tisch. »Ich sehe, wir verstehen einander«, sagte lachend der Armbrustschütz; »sollten sich Erschwernisse einstellen, so ist Euch Anthonys Beistand sicher. Indessen wird es doch gut sein, Euren Sohn bald von dem Besuch in Kenntnis zu setzen, den er morgen beim Abte abstatten soll. Ihr könnt Euch wohl denken, daß wir mit dem Gange nach Saint-Bride nicht säumen dürfen, sobald die Röte am Himmel herauf ist. Junge Leute lieben den Morgenschlaf.« »Ihr sollt nicht Ursache finden zu solchem Glauben«, sagte der Jäger; »die Lerche ist nicht früher als mein Sohn! Bloß darum bitte ich nochmals, so lange sich mein Sohn in Eurer Gesellschaft befindet, leichtfertige Reden zu lassen. Er ist ein harmloser Knabe und furchtsam im Gespräch.« »Spielmann,« sprach der ältere Soldat, »Ihr malt uns den Satan zu plump! Seid Ihr zwanzig Jahre Sänger und Spielmann, wie Ihr sagt, dann muß doch Euer Sohn, wenn er Euch von Kindesbeinen an Gesellschaft geleistet hat, jetzt selber eine Schule aufmachen können, die Ausübung der sieben Todsünden zu lehren, die doch kein anderer Mensch besser kennt als ein Spielmann!« »Du sprichst wohl wahr, Kamerad,« erwiderte Bertram, »und in dieser Hinsicht verdienen die Spielleute freilich Tadel. Indessen ist solcher mein Fehler nie gewesen: im Gegenteil!... Aber wenn Ihr erlaubt, so will ich jetzt ein Wort mit meinem Augustin sprechen, daß wir morgen beizeiten auf den Beinen sein müssen.« »Tut das, Freund,« sprach der Soldat, »und zwar um so schneller, als ja doch unser karges Abendbrot wird warten müssen, bis Ihr fertig seid, daran teilzunehmen.« »Hierzu will ich kein Aufenthalt sein,« erwiderte Bertram, »denn auch mich verlangt es nach ein paar Bissen.« »Dann kommt«, sagte Dickson, der seit kurzem wieder in der Stube war; »ich will Euch zeigen, wo ich dem jungen Vogel sein Nest gebettet habe.« Er stieg eine Holztreppe hinauf und klopfte an eine Tür. »Euer Vater,« sagte er, als sie sich öffnete, »will mit Euch sprechen, Herr Augustin.« »Entschuldigt, bitte, Herr Wirt«, versetzte der also Angeredete; »weil die Stube gerade über Eurer Eßstube liegt und der Fußboden wohl nicht im sichersten Stande ist, habe ich wohl oder übel horchen müssen, was unten gesprochen wurde.« »Wie gefällt Euch denn die Aussicht, drüben im Kloster zu weilen?« fragte der Wirt. »Recht gut,« erwiderte die als Augustin eingeführte Dame, »sofern der Abt, wie es seinem Berufe ziemt, ein freundlicher Herr ist.« »Der ist um so freundlicher,« meinte Tom Dickson lachend, »je tiefer Ihr mit der Hand in die Geldkatze greift.« »Das muh ich schon meinem Vater überlassen,« erwiderte Augustin, »der ihm wohl billige Forderungen nicht abschlagen wird.« »Gut, mein Sohn,« sagte Bertram, »und damit du morgen beizeiten bereit bist, soll dir der Wirt Speise und Trank heraufbringen. Lege dich dann zeitig schlafen. Der morgige Tag wird neue Arbeit bringen.« Unten wurde Stampfen von Hufen laut. Die Soldaten salutierten vor einem Reitersmann. Bertram merkte bald aus dem Gespräch heraus, das nun unten anhub, daß der Berittene der Ritter war, zu dessen »Lanze«– nach dem damaligen Kriegsausdruck – die beiden Armbrustschützen gehörten, und Aymer de Valente hieß, seinem Range nach Adjutant des Gouverneurs vom Schlosse Douglas. Uni jedem Verdacht die Spitze abzubrechen, meldete sich Bertram auf der Stelle bei dem Ritter, den er mit seinen Untergebenen zusammen beim Abendtische traf. Die Befragung Bertrams durch den Ritter war bei weitem genauer und umständlicher als vordem durch den Bogenschützen, vollzog sich aber unter Wahrung höflichster Formen. Sehr zufrieden war Bertram, daß Aymer de Valence nicht darauf bestand, den Sohn zu sehen, und daß der Ritter gern darein willigte, für denselben die Abtei als passenden ruhigen Wohnsitz zu wählen, bis der Gouverneur über seinen weiteren Verbleib Entscheidung getroffen habe. Mit Tagesanbruch begab sich der Sänger unter dem Geleit des Ritters mit seinem jungen Sohne nach der Abtei und traf mit dem Abte Hieronymus die Abrede, daß sein Sohn mit Genehmigung des Ritters Aymer de Valence in der Abtei Herberge und Verköstigung gegen eine entsprechende Vergütung in Form eines Almosens für solange erhalten solle, bis die Bedingungen über seine Weiterreise nach dem Schlosse Douglas in zustimmendem oder verneinendem Sinne Entscheidung gefunden hätten. »So lebe jetzt wohl, Augustin,« sprach Bertram, als er sich verabschiedete, »ich werde keinen Tag länger im Schlosse Douglas verweilen, als mein Geschäft verlangt. Du weißt, daß ich in alten Büchern nachzuschlagen habe. Ist diese Aufgabe erledigt, komme ich in die Abtei mit dem Entscheide Sir de Waltons.« Hierauf trennten sie sich. Der Sänger begab sich mit dem englischen Ritter und dessen Gefolge nach dem Schlosse. Der Jüngling blieb zurück bei dem Abte, der zu seiner Freude feststellte, daß sich der Sinn seines jugendlichen Gastes mehr auf geistliche Dinge als auf das Frühmahl richtete, das ihm selbst aber erwünschter zu sein schien. Drittes Kapitel Um schneller zum Schlosse Douglas hinaufzukommen, lud der Ritter den Sänger ein, hinter ihm aufzusitzen, wozu sich derselbe gern bereit erklärte. Zwei Armbrustschützen, ein Stallknecht und ein Knappe, welcher die Ritterschafts-Ehre in Aussicht hatte, bildeten das Geleit, ebensowohl geeignet, den Sänger an der Flucht zu verhindern als vor feindlicher Gewalttat zu schützen. »Es ist zwar im allgemeinen für Wanderer hierzulande von Gefahr so gut wie keine Rede. Aber es wird Euch zu Ohren gekommen sein, daß im vergangenen Jahr Unruhen ausgebrochen sind, die uns bestimmen mußten, Schloß Douglas schärfer zu bewachen. Reiten wir aber weiter, denn der Charakter des Landes entspricht seinem Urnamen und der Schilderung der Häuptlinge, deren Besitztum es bildete. Dunkelgrau hießen sie, denn das bedeutete der Name »Sholto dhu Glas«, und ins Dunkelgraue hinein geht unser Ritt, wenn er auch zum Glück nicht lange dauern wird.« Der Morgen war allerdings dem eben genannten gälischen Namen entsprechend. Es war ein feuchtes, finsteres, neblichtes Wetter. Über den Höhen lagerte Nebel, über Bächen, Hutweiden, Morästen wallte Nebel, an Bäumen und Sträuchern hing Nebel: Nebel so dicht, daß man ihn mit dem Schwert durchhauen konnte; Nebel so zäh, daß der Frühlingswind nicht stark genug war, seine Schleier zu lüften. Der Weg für die Reiter war bedingt durch den Stromlauf im Tale. Die Ufer des Douglas zeigten im allgemeinen die dunkelgraue Färbung, die Sir Aymer de Valence als vorherrschende Färbung des Landes bezeichnet hatte. Einförmig war der Anblick und wirkte beängstigend. Ritter Ahmer fand offenbar Vergnügen an dem Gespräch mit Bertram, der viel Kenntnisse besaß und sehr gewandt in der Unterhaltung war, wie es die Regel zu sein pflegt bei Leuten seines Standes. Der Sänger hinwiederum zog gern Kunde ein über den dermaligen Zustand im Lande und ließ keine Gelegenheit außer Acht, die Unterhaltung im Flusse zu halten. »Du fragtest nach meinem Geschlechte, Sänger«, äußerte nach einer kurzen Pause der Ritter; »wir entstammen normannischem Blute und gehören dermalen zum edlen Hause von Pembroke. Wenn ich zurzeit auch auf den spärlichen Sold angewiesen bin, mit dem meine Charge in diesem schottischen Kleinkriege bezahlt wird, so werden mir doch dereinst durch die Gnade der Heiligen Jungfrau Schloß und Ländereien zufallen, mit Platz übergenug für einen Sänger und Spielmann wie dich! Und gern will ich dann dich bei mir aufnehmen, falls dir deine Talente nicht inzwischen einen besseren Beschützer gegeben haben sollten.« »Vielen Dank, edler Ritter,« sprach der Sänger, »für Eure löbliche Absicht; ich darf indessen wohl sagen, daß ich nicht, wie viele meiner Brüder vom Handwerk, bloß nach Geld und irdischem Gute trachte.« »Wer den Durst nach Ruhm im Herzen trägt,« antwortete der Ritter, »der kann für Liebe zum Golde dort nicht viel Raum freihaben. Aber noch hast du mir nicht gesagt, Freund Sänger, welcher Art die besonderen Gründe find, die dich zur Wanderung nach solcher unwirtlichen Stätte bestimmten.« »Das sagen Euch wenige Worte, Herr Ritter«, sagte der Sänger; »Schloß Douglas und die tapferen Taten, die dasselbe gesehen, sind weit nach England hinein erklungen. Auch gibt es keinen tapferen Ritter oder frommen Sänger, dem das Herz nicht höher schlüge, wenn ihm der Name der hehren Feste in die Ohren klingt, die ehedem niemals der Fuß eines Engländers betreten hat, außer als Gast des gefeierten Schloßherrn. Es liegt ein seltener Zauber in den beiden Namen Sir John de Walton und Sir Aymer de Valence, den Namen der kühnen und tapferen Verteidiger der alten Feste, die von ihren alten Herren so häufig und mit solch grausamer Kriegführung zurückerobert wurde, daß man sie in England unter keinem anderen Namen nennt als dem des gefährlichen Schlosses oder der Feste am Blutsumpf.« »Ich möchte gern aus deinem Munde,« versetzte der Ritter, »die Geschichten und Sagen hören, die dich zur Wanderung nach solch unruhigem und gefährlichen Lande bestimmten, bloß um späteren Zeiten interessante Kunde von ihm zu geben.« »Sofern Ihr über dem Bericht eines Sängers nicht die Geduld verliert,« sagte Bertram, »so will ich Euch gern erzählen, was ich vom alten Douglas und seinen Nachkommen weiß, denn mir schafft die Übung meines Berufes immerdar Freude und Genuß.« »Du sollst einen aufmerksamen Zuhörer an mir finden«, sprach der junge Ritter; »und ist auch der Lohn nicht groß, den ich dem Sänger zahlen kann, so wird dich mein gespanntes Ohr doch allezeit freuen.« »Ein elender Fiedler,« versetzte der Sänger, »der sich dadurch nicht besser gelohnt findet als durch Gold und Silber, und wären es gleich englische Rosenobles. Um diesen Preis beginne ich, eine lange Erzählung, die vielleicht in mancherlei Details einen besseren Dichter heischt als mich, und hunderten solcher Kriegsmänner wie Ihr zur Ohrenweide dienen kann,« Viertes Kapitel »Es ist wohl, glaube ich, nicht vonnöten, Euer Gnaden zu bemerken, daß die Lairds von Douglas, die dieses Schloß erbauten, an Alter ihres Stammbaumes keinem Geschlecht in Schottland nachstehen. Rühmen sie sich doch selber, daß ihr Haus nicht gleich anderen langsam bekannt wurde und sich hervortat, sondern daß es urplötzlich auftaucht und sogleich mit dem Ruhme hoher Auszeichnung vor die Welt tritt. »Im Baume könnt ihr uns heißen,« sprechen die Douglas, »aber nicht als schwächliches Reis; auch im Strome könnt ihr uns sehen, aber nicht bis zur Quelle uns folgen.« Kurzum, sie stellen in Abrede, daß Geschichtsschreiber oder Genealogen imstande sind, einen ersten niedrigeren Mann nachzuweisen des Namens Douglas, welcher seinem Geschlechte als Ursprung gelebt hätte, und wahr ist ja auch, daß das Geschlecht der Douglas, soweit es bekannt ist, stets Ruhm genoß durch Tapferkeit und Kühnheit, und zugleich auch die Macht besaß, durch Kühnheit zum Erfolg und zum Sieg zu gelangen.« »Genug«, sagte der Ritter; »von dem Stolz und der Macht dieses Hauses habe ich viel gehört und nicht im geringsten die Absicht, die kühnen Ansprüche desselben auf Achtung und Ansehen zu leugnen oder herabzusetzen.« »Ihr habt doch sicher auch, edler Herr,« bemerkte der Sänger, »von James Douglas, dem derzeitigen Erben des Hauses, gehört?« »Mehr denn genug,« antwortete der englische Ritter: »daß er ein standhafter Anhänger des in die Acht erklärten Verräters William Wallace war; daß er, als jener Robert Bruce, der König von Schottland zu sein vorgibt, sein Banner erhob, alsbald als Rebell aufstand; daß er seinem Oheim, dem Erzbischof von St. Andrews, Geld über Geld raubte, um die magere Schatzkammer des schottischen Thronräubers zu füllen; daß er Diener seines Verwandten verführt, die Waffen ergriffen hat, nach wie vor Prahlhans bleibt, obgleich er schon wiederholt derbe Züchtigung erfahren hat, und nach wie vor all denen mit Unheil und Schaden droht, die im Namen von Recht und Gesetz und im Auftrag des rechtmäßigen Herrschers das Schluß Douglasdale verteidigen.« »So beliebt es Euch zu sprechen«, versetzte Bertram; »ich bin aber überzeugt, Ihr würdet mich, wäret Ihr Schotte, mit Geduld anhören, wenn ich erzählte, was von dem jungen Douglas von Leuten gesprochen wird, die ihn gekannt haben. Aus deren Reden geht hervor, daß er gar wohl der Mann sei, den Ruhm seines Namens zu wahren und zu mehren; daß er vor keiner Gefahr, um der Sache von Robert Bruce zu dienen, zurückscheue; daß er gelobt habe, mit der kleinen Streitmacht, die er stellen könne, sich an jenen Männern aus dem Süden zu rächen, die sich seit Jahren, seiner Auffassung nach zu Unrecht, in den Besitz des Schlosses seiner Väter gesetzt haben.« »O, von seinen Unternehmungen und Drohungen gegen unseren Schloßhauptmann und uns ist übergenug verlautbart. Indes halten wir es nicht eben für wahrscheinlich, daß Sir John de Walton ohne Befehl seines Königs Douglasdale räumen werde, wenngleich sich das Küchlein Douglas herausnimmt, lauter zu krähen als ein ausgewachsener Kampfhahn.« »Herr Ritter,« sagte hierauf Bertram, »unsere Bekanntschaft ist nur kurz, und doch sagt mir mein Gefühl, sie sei mir Bürgschaft dafür, daß meine Hoffnung, Ihr und James Douglas möchten einander nicht früher treffen, als bis der Zustand beider Länder eine friedliche Zusammenkunft ermöglicht, bei Euch keinen Anstoß erregen werde.« »Sehr verbunden, lieber Freund«, erwiderte Sir Aymer; »du scheinst übrigens von der Achtung, die dem jungen Douglas gebührt, wenn man in diesem Tal, der Stätte seiner Geburt, von ihm redet, ein richtiges Gefühl zu haben. Nur darum möchte ich für meine Person bitten, lieber Sänger, bleibe streng bei der Wahrheit, deiner Gewohnheit gemäß, wenn du der Nachwelt von mir erzählst, melde also nicht, dein Bekannter vom heutigen Frühlingsmorgen, mag er noch am Leben oder schon tot sein, habe zu den Lorbeeren des James Douglas einen neuen Kranz geflochten, den ausgenommen, den der Tod demjenigen flicht, dessen Los es ist, durch einen stärkeren Arm oder durch das größere Glück des Gegners zu erliegen.« »Für Euch, Herr Ritter, fürchte ich nicht,« sagte der Sänger, »denn Ihr besitzt den glücklichen Charakter, der kühn in der Jugend und in vorgerückterem Alter für weisen Rat eine ergiebige Quelle ist. Ich möchte nicht, daß mein Vaterland durch frühen Tod solchen Ritters Verlust litte.« »Du bist also aufrichtig genug, England den Vorteil guten Rates zu wünschen,« sprach Sir Aymer, »obgleich du dich in der Kriegsfrage auf Schottlands Seite neigst.« »Gewiß, Herr Ritter,« erwiderte der Sänger, »denn da ich wünsche, daß Schottland und England ihr wahres Interesse erkennen, bin ich auch verpflichtet, beiden das gleiche Glück zu wünschen. Nach meiner Meinung sollten sich beide Länder bemühen, in Freundschaft und Frieden zu leben. Dann könnten beide furchtlos der Feindschaft der ganzen Welt trotzen.« »Hegst du solch freisinnige Meinung, Sänger, dann müßtest du, meine ich, auch für den Sieg der englischen Waffen in diesem Kriege beten; gleichen die Aufstände dieses hartnäckigen Landes doch völlig dem Kampf des auf den Tod verwundeten Hirsches, der mit jedem Aufflackern seiner Kräfte schwächer wird, bis die Hand des Todes seinen Widerstand völlig zähmt.« »Nicht also, Herr Ritter«, sagte der Sänger; »wohl dürfen wir Sterblichen in unserem Gebet, ohne uns eines Vergehens schuldig zu machen, dem Zweck, den wir ersehnen, Ausdruck geben; aber es ziemt uns nicht, einer allwissenden Vorsehung die Art und Weise namhaft zu machen, wie unsere Gebete erfüllt werden sollen, oder einem Lande den Untergang, wie einem Hirsche den Gnadenstoß zu wünschen. Ob ich mich auf mein Herz oder auf meinen Verstand berufe, immer muß ich den Himmel bitten, Recht und Billigkeit in dem vorliegenden Falle walten zu lassen; und sollte ich Besorgnis um Euretwillen hegen bei einer Begegnung zwischen Euch und Douglas, geschähe es doch nur, weil er meinem Dafürhalten nach die bessere Sache vertritt. Zudem haben ihm überirdische Gewalten den Sieg verheißen.« »Das sagt Ihr mir, Herr Sänger,« rief in drohendem Tone Ritter Aymer, »und doch wißt Ihr, wer ich bin und welches Amt ich bekleide.« »Eure Gewalt und Würde kann Recht nicht in Unrecht wandeln und keinen Beschluß der Vorsehung abwenden«, erwiderte Bertram; »bekannt ist Euch ja, daß sich James Douglas schon dreimal wieder in den Besitz des Schlosses seiner Ahnen gesetzt hat, und daß es der jetzige Schloßhauptmann mit dreifach überlegener Streitmacht und auf Grund feierlicher Zusage behauptet: der Zusage, daß ihm die Baronie Douglas mit allem Zubehör als freies Besitztum anheimfallen solle, wenn er das Schloß auf Jahr und Tag gegen die schottische Streitmacht hält. Aber ebenso bekannt wird Euch auch sein, daß dieser Zusage die Bedrohung gegenübersteht, als Ritter entehrt und als Verräter erklärt zu werden, wenn er sich während solches Zeitraums die Feste durch List oder Gewalt entwinden läßt, und daß allen Häuptlingen, die unter ihm kommandieren, die gleiche Belohnung, aber auch die gleiche Strafe winkt.« »Alles das weiß ich,« antwortete Sir Aymer, »und wundere mich bloß, daß die Kenntnis dieser Bedingungen so weit in das Volk gedrungen ist. Was aber hat das mit dem Ausgang des Kampfes zu tun, wenn wir aufeinandertreffen sollten?« »Mir scheint, Herr Ritter, es ist notwendig, den Gegner aufs Haar zu kennen, mit dem man sich in solchem Kampfe messen will. Es ist Euch doch bekannt, wie James von Thirkwall, der letzte englische Schloßhauptmann vor Sir John de Walton, überrumpelt wurde? und auf welche barbarische Weise das Schloß geplündert wurde?« »Ich glaube wohl, daß ganz England Kunde erhielt von dem blutigen Gemetzel und von dem abscheulichen Verhalten des schottischen Häuptlings, der alles, was tragbar war, Gold und Silber und Waffen, in den Wald schleppen und allen Mundproviant auf die roheste Weise vernichten ließ.« »Ihr sprecht von dem Vorfall, den man im Lande »des Douglas Speisekammer« nennt?« »Ja, und ich sah von den schrecklichen Resten dieser Kammer genug, um noch heute vor Ekel zu schaudern. Urteile selbst, ob solche Tat den Beifall des Himmels finden kann! Zwei Jahre hindurch war im Schlosse, das uns für sicher galt, seitdem es neu aufgebaut worden, Mund- und anderer Proviant für den König oder Lord Clifford, wer von beiden zuerst ins Feld gegen die Rebellen rücken würde, aufgesammelt worden. Auch uns, ich meine die Truppen des Grafen Pembroke, meines Oheims, die in der Nähe von Ayr am kaledonischen Walde in heißem Kampfe gegen die Rebellen lagen, sollte dies andere Heer stützen. Nun geschah es, daß sich Thirkwall, ein kühner Soldat und stets auf dem Posten, im Schlosse am Allerheiligenfeste von diesem James Douglas überrumpeln ließ, der von wildem Grimm erfüllt war über den Tod seines Vaters in englischer Gefangenschaft im Schlosse von Berwick. Die Wut mag ihm den Gedanken eingeblasen haben, alle Vorräte, die er im Schlosse fand und die er bei der Überlegenheit der Engländer im Lande weder fortschaffen noch selber genießen konnte, auf barbarische Weise zu vernichten. Alles Fleisch und Korn ließ er in die Keller schaffen und in Haufen türmen, dann ließ er allen Wein aus den Fässern über die Haufen laufen, alle Ochsen ließ er erschlagen und ihr Blut den gleichen Weg nehmen wie den Wein, endlich ließ er die Leichen der Mannschaft in die ekle Masse stampfen, denn beim Douglas gab es keinen Pardon.« »Ich maße mir nicht an zu verteidigen, was Ihr mit Recht mißbilligt. Aber bedenkt, wenn Ihr erlebt hättet, daß Euer leiblicher Vater in langer Gefangenschaft hingesiecht und gestorben wäre, wenn sein Erbe eingezogen und von Fremden in Besitz genommen worden wäre, dann ließet gewiß auch Ihr Euch zu Handlungen treiben, die Ihr bei kaltem Blute und vom Feindesstandpunkte aus nicht anders als mit Abscheu ansehen müßtet; dann möchtet auch Ihr vielleicht keinem Feinde Pardon geben und, was Euch zum eigenen Unterhalt nicht verwendbar, für andere, die Euch feind sind, unbrauchbar machen.« »In solchen Dingen mich als Verteidiger dieses Douglas aufzuspielen, Sänger Bertram, habe ich wahrlich keine Ursache, denn durch seine Handlungsweise hatte meines Oheims Heer einen schlimmen Stand und der Wiederaufbau des Schlosses seine großen Mühen. Daraus aber, daß wir völlig ohne Proviant waren, mußte natürlich Not über ganz Schottland kommen, denn wir nahmen nun doch dem Ärmsten im Lande weg, was er von Vieh noch besaß. Wahrlich! an das grause Elend dieser Zeit denke ich selbst als Kriegsmann mit schwerem Herzen.« »Mir scheint, wer den Stachel des Gewissens fühlt, müsse milde sein, wenn er von Vergehen anderer spricht«, sprach der Sänger. »Im übrigen darf man wohl sagen, daß eine gewisse Ursache zu solchem Tun des jungen Douglas in der Prophezeiung liegen mag, die uralten Datums sein soll und die man dem Thomas dem Reimer oder, wie er auch genannt wird, Erceldoun dem wahren Sprecher beimißt. Im selben Verhältnis, wie das Geschlecht der Douglas jetzt durch Verlust ihrer Güter und Zerstörung ihres Stammschlosses leiden um der Treue willen gegen ihres Königreichs rechtmäßigen Erben, im selben Verhältnis hat ihnen der Himmel gerechten Lohn ausgesetzt. Die Mauern des Douglas-Schlosses sollen, so oft sie niedergebrannt und geschleift werden, um so stattlicher, prächtiger, erhabener aus ihrem Schutt erstehen!« Der Ritter gab keine Antwort, sondern ritt voran, auf dem Rücken des hochgelegenen Ufers entlang. Der Weg, der sich immer an dem Wasserlauf hielt, zog sich jetzt ziemlich steil in das Tal hinunter. Von diesem Punkte aus eröffnete sich hinter einem Felsen, der wie eine Theaterkulisse an der Seite vorgeschoben zu sein schien, um die Aussicht in den unteren Teil des Tales zu vermitteln, der Blick über die weite Niederung, während in mäßiger Entfernung vom Strome sich im Schmuck seiner vielen Türme das stolze Schloß erhob, von welchem das ganze Tal seinen Namen führte. Der Nebel, dessen Wolken nach wie vor das Tal füllten, ließ hin und wieder den Blick frei über das Städtchen Douglas, das am Fuße des Schlosses lag, dessen Mauern wohl einen vorübergehenden Angriff abwehren konnten, aber zu schwach waren, einer regelrechten Belagerung standzuhalten. In der Mitte des Städtchens erhob sich die Kirche, ein schöner Bau im gotischen Stile, aber zurzeit in arg verfallenem Zustand. Das Schloß war von der kleinen Stadt durch einen Wassergraben getrennt. Es war ein düsterer gewaltiger Bau, stark befestigt durch Bastionen und Türme und gekrönt mit hohen Zinnen. Aus seiner Mitte ragte der hohe, nach dem Namen Lord Henry Cliffords, des Siegers in vielen Treffen zwischen Schotten und Engländern, als der »Clifford« benannte Hauptturm empor, von welchem aus man weiten Blick über das Douglas-Tal und die Grafschaft haben mußte. Der Ritter streckte den Arm aus, während sein Antlitz von siegesfrohem Lächeln erglänzte. »Dort siehst du das Schloß, Sänger«, rief er; »nun urteile selbst, ob Cliffords Zutaten zu seinem Bau die Einnahme erleichtern werden!« Der Sänger schüttelte den Kopf und schwieg. Inzwischen war die Abteilung zur Schloßwache herangekommen, die zunächst bloß dem Ritter Zutritt gewährte. Fabian, der junge Knappe im Dienste des Ritters, setzte den Wachkommandant in Kenntnis von dem Wunsche seines Herrn, dem Sänger gleichfalls den Zutritt zu gestatten. Ein alter Armbrustschütz faßte den Sänger scharf ins Auge. »Widerspruch gegen den Neffen des Grafen von Pembroke ziemt sich nicht für uns, und uns kann es recht sein, Herr Fabian, wenn Ihr den Sänger auf ein paar Wochen im Schlosse als Euren Gast aufnehmt. Allein der Herr Ritter kennt den strengen Befehl Sir Johns, und käme Salomo, der weise König der Juden, in eigener Person als fahrender Sänger und bäte am Tor um Einlaß, so dürfte ich ihm solchen nicht gewähren, sofern nicht Sir Johns Befehl rückgängig gemacht wird.« »Meinst du denn, Kerl,« rief der Ritter, der zurückgeritten kam, weil er die Worte des Kriegsmannes gehört hatte, »ich hätte Lust dir einen Befehl zu geben, der dem Sinne Sir Waltons zuwider wäre? Soviel Vertrauen darfst du doch wohl haben, daß dir durch mich keine Unannehmlichkeiten erwachsen werden. Behalte den Mann im Wachzimmer und laß es an der rechten Bewirtung nicht fehlen. Sir John de Walton aber bestelle, wenn er heimkehrt, der Mann sei mit mir aufs Schloß gekommen und habe Zutritt auf meine Weisung hin erhalten. Sollte weiteres zu deiner Entschuldigung vonnöten sein, dann soll es der Schloßhauptmann aus meinem Munde vernehmen.« Der Armbrustschütze neigte zum Zeichen des Gehorsams die Pike, die er in der Hand trug, und führte Bertram in die Wachstube. Dort versah er ihn, der erhaltenen Weisung gemäß, mit Speise und Trank. Vom Tore her drang der Schall eines Jagdhorns. Der Schloßhauptmann kehrte von seinem Ritte heim. Die Schildwachen schulterten und gaben die Parole ab. Der Ritter sprang vom Pferde und fragte den Armbrustschützen, der über die Wache das Kommando führte, nach etwaigen Vorfällen während seiner Abwesenheit. Gilbert Greenleaf, so hieß der greise Kriegsmann, berichtete von dem Sänger, der zufolge Weisung des Ritters de Valence in der Wachstube, und vom Sohne desselben, der in der Abtei vorläufig Unterkunft gefunden hätte. Der Schloßhauptmann zog die Stirn in Falten. »Wir brauchen solchen Zeitvertreib nicht,« sprach er, »und lieber wäre es uns gewesen, unser Stellvertreter hätte andere Gäste gefunden, solche, die sich für offenen, freimütigen Beruf besser eignen als solcher Sänger, der seinem Gewerbe nach Lästerer Gottes und Betrüger der Menschheit ist.« »Ja,« erwiderte Greenleaf, seiner Neigung zum Widerspruch auch dem Schloßhauptmann gegenüber freien Lauf lassend, »Euer Gnaden haben aber früher zu äußern geruht, daß das Sängergewerbe, rechtlich betrieben, gleichen Anspruch an Ansehen und Wert habe wie die Ritterschaft selber.« »Das mag in früherer Zeit richtig gewesen sein, Greenleaf«, antwortete der Hauptmann; »aber heute hat der Sänger vergessen, daß es Pflicht von ihm sei, die Jugend zu Tugend und frommer Sitte zu begeistern. Indessen will ich mit Sir Aymer, meinem wackeren Freunde, über den Fall sprechen.« Unterdes war Sir John de Walton, eine schlanke Figur vom schönsten Ebenmaß der Glieder, unter den weiten Schwibbogen der Wachstube getreten. Gilbert Greenleaf lauschte seinen Worten und füllte durch Winke und Zeichen die Pausen im Gespräch. Hinter den beiden Kriegsmännern war der Knappe Sir Aymers, ohne von ihnen gesehen zu werden, in die Wachstube getreten, wo er seiner Obliegenheit, die Waffen seines Ritters zu säubern, nachkam. »Ich brauche Euch nicht zu sagen, Gilbert Greenleaf, daß die schnelle Beendigung dieser Blockade oder wenigstens Belagerung, mit welcher uns der Douglas zu bedrohen fortfährt, in meinem direkten Interesse liegt. Meine persönliche Ehre fordert, daß ich dies gefährliche Schloß für England bewahre. Deshalb macht mir die Zulassung dieses fahrenden Sängers Unruhe. Prompter, wie gesagt, wäre der junge Sir Aymer seiner Instruktion nachgekommen, wenn er dem Wanderer jeden Verkehr mit der Besatzung untersagt hätte.« »Schade, daß der tapfere junge Ritter solch ungestümen Knappen hat«, bemerkte kopfschüttelnd der alte Armbrustschütz; »so tapfer er auch ist, so fehlt es ihm doch an Beharrlichkeit; er schäumt gleich einer Flasche Dünnbiers, wenn es in Gärung tritt.« »Soll dich der Henker holen, altes Trümmerstück«, dachte der Knappe Fabian bei sich, dem in den Kemenaten, wo er seine Arbeit verrichtete, kein Wort von dem Gespräch entging. »Mir würde die ganze Sache wahrlich nicht in solchem Maße nahe gehen, wäre Sir Aymer mir weniger teuer, als es der Fall ist«, nahm Sir John de Walton wieder das Wort. »Erfahrung soll sich jeder junge Mann selber sammeln und nicht bei anderen holen oder durch andere einimpfen lassen. Ich will den Wink beachten, den Ihr mir eben gegeben habt, Gilbert, und will den Knappen von dem Ritter trennen; auch mir scheint, als trifft hier das Sprichwort vom Blinden zu, der den Blinden führt.« »Der Satan über dich, altes Waschweib!« dachte der Knappe bei sich; »habe ich dich erwischt über dem Bestreben, meinen Herrn und mich beim Hauptmann zu verlästern? Hieße es nicht, eines angehenden Ritters Waffen in Schmutz ziehen, sollte meine Aufforderung zum Kampfe dir wahrlich nicht geschenkt bleiben. Indessen sollst du nicht zweierlei Zungen reden: eine im Schlosse und eine vorm Schloßhauptmann, wenn du vielleicht auch meinst, wegen deiner Kriegsmannschaft unter König Eduards Banner dazu ein Recht zu haben! Meinem Herrn will ich melden, wohin deine Absichten zielen, und aus unserer Unterhaltung über diesen Fall wird sich wohl ergeben, ob wir jungen Leute die Ordnung im Schlosse halten werden oder ihr alten Graubärte!« Der Schlag war geschehen. Zwei stolze, feurige Charaktere waren gegeneinander in Mißtrauen gesetzt worden, und während Ritter de Valence meinte, daß ein Freund, der ihm in mancher Hinsicht verbunden sei, ihn ungerechterweise im Verdacht habe, meinte Sir John de Walton andererseits, daß ein junger Mann, den er mit ebensolcher Sorgfalt behandelt habe, als sei es der eigene Sohn, der seiner Unterweisung alles verdanke, was er vom Kriegshandwerk wüßte und was er an Erfolgen im Leben bislang gewonnen hatte, sich wegen Kleinigkeiten für beleidigt und auf höchst ungeziemende Weise für schlecht behandelt hielt. Der zwischen den beiden Hauptleuten gesäete Samen der Zwietracht verbreitete sich bald wie Lolchsamen unter Weizen von einer Besatzung zur anderen; die Soldaten nahmen, wenngleich aus keinem rechten Grunde, Partei entweder für Sir John de Walton oder für seinen Leutnant de Valence; für den ersteren zumeist die älteren, für den anderen die jüngeren; und nachdem so der Ball der Zwietracht geworfen worden, fehlte es an den Armen nicht mehr, ihn in Bewegung zu halten. Fünftes Kapitel Sir John de Walton hielt es in Anbetracht der jüngsten Vorgänge für angezeigt, seinem Offizierkorps so viel Zerstreuung zu gewähren, als Schloß und Örtlichkeit zuließen, und sie durch Aufmerksamkeit und Höflichkeit für ihre Unzufriedenheit zu beschämen. »Was meinst du, junger Freund,« sprach er Sir Aymer an, als er ihn zum ersten Male nach seiner Rückkehr auf das Schloß wiedersah, »wenn wir eine der hierzulande eigentümlichen Jagden veranstalteten? In den Wäldern in unserer Nähe haust noch das wilde kaledonische Rind, das sonst nirgendwo mehr zu finden ist als im Moorlande an der kahlen, zerklüfteten Grenze des einstigen Königreichs von Strathclyde. Es gibt nur wenig Jäger noch, die mit solchem Weidwerk Bescheid wissen; aber sie schwören, daß keine Jagd an Aufregung und Strapazen auf der ganzen britischen Insel derjenigen auf dies wildeste und stärkste und kühnste aller Jagdtiere gleichkomme.« »Tut ganz nach Belieben, Sir John de Walton,« versetzte Sir Aymer mit Kälte, »indessen möchte ich nicht empfehlen, um solcher Jagd willen die ganze Garnison in Gefahr zu setzen. Ihr kennt die Verantwortlichkeit Eurer Stellung selbst zur Genüge und habt gewiß sorgfältig überlegt, bevor Ihr solchen Vorschlag verlauten laßt.« »Allerdings kenne ich meine Pflicht,« erwiderte hierauf gelassen de Walton, »indessen scheint es mir, als ob der Kommandant dieses schlimmen Schlosses unter anderem Mißgeschick, in Übereinstimmung mit den Reden der alten Leute im Lande, einer Art von Zauber untertan sei, der es ihm unmöglich macht, seine Offiziere dadurch an sich zu fesseln, daß er ihnen Zerstreuungen schafft. Noch vor wenigen Wochen würden Eure Augen bei solchem Vorschlage geblitzt haben, Sir Aymer; und welches Benehmen zeigt Ihr jetzt? Ein Gesicht schneidet Ihr, als müsse man, um wilde Stiere zu scheuchen, sich zuvor einer Pilgerfahrt zum Grabe eines Märtyrers unterziehen.« »Ihr urteilt nicht gerecht, Sir John«, antwortete der junge Ritter; »in unserer dermaligen Situation sind, meine ich, der Rücksichten mehr als persönliche zu nehmen, und obgleich die schwerere Verantwortlichkeit auf Euch als dem Älteren ruht, Sir de Walton, so fühle ich doch, daß auch der auf mich fallende Teil schwer genug ist, um alles auf das sorgfältigste zu erwägen. Darum vertraue ich, daß Ihr mit Nachsicht meine Meinung hören und ertragen werdet, wenn es auch scheinen mag, als bezöge sie sich auf denjenigen Teil der uns gemeinschaftlich obliegenden Pflichten, der hauptsächlich Eurer Fürsorge untersteht. Die Ritterschaftswürde, die mich gleich Euch ehrt, und nicht minder wohl der mir von dem königlichen Plantagenet erteilte Ritterschlag verschaffen mir, deucht mir, Anspruch auf Berücksichtigung meines Einspruchs.« »Verzeiht, Ritter de Valence«, sprach Sir de Walton; »ich vergaß, daß ich in Euch einen von König Edward höchstselbst zum Ritter geschlagenen Kameraden vor mir habe, und daß ohne Zweifel besondere Gründe vorliegen mußten, Euch mit solcher Würde so frühzeitig zu bekleiden. Ganz ohne Frage überschreite ich deshalb meine Pflicht, wenn ich solchem Kameraden gegenüber von eitler Zerstreuung spreche.« »Sir John de Walton,« versetzte de Valence, »solche Worte sind, meine ich, schon zu oft gewechselt worden, als daß es gut sei, immer wieder auf sie einzugehen. Mich leitet bei meinem Einspruch lediglich die Rücksicht auf die Notwendigkeit, zu solchem Jagdzug Schotten aufzubieten, deren schlimme Gesinnung leider wir doch zur Genüge kennen. Sollten die freundschaftlichen Bande, die uns bisher umschlossen, durch unglückliches Zusammentreffen von Umständen sich lockern, ohne daß ich im Grunde ersehen könnte, warum dies notwendig sein müsse, so gibt das noch immer keinen Grund ab, daß wir nicht nach wie vor in allem Verkehr die höflichen Bedingungen festhalten, die zwischen Rittern und Edelleuten Brauch sind!« »Ihr mögt recht haben, Sir Aymer,« erwiderte de Walton mit steifer Verbeugung, »wenn Ihr von Eurem Standpunkt aus in Zweifel zieht, daß das alte Verhältnis zwischen uns einen Riß bekommen habe. Für mich liegen die Dinge indessen so, daß ich niemals einem feindlichen Gefühl gegen Euch Raum in meiner Brust gestatten könnte. Ihr seid mein Kriegs- und Ritterschaftsschüler gewesen, seid mit dem Grafen von Pembroke nahe verwandt, der mir ein gütiger und ständiger Beschützer ist: dies also sind Umstände, die sich von mir nicht so schnell von der Hand weisen lassen. Seid Ihr, wie sich aus Euren Andeutungen schließen läßt, durch ältere Rücksichten weniger gebunden, so habt Ihr Eure Wahl zu treffen, wie sich unsere Beziehungen zueinander künftighin regeln sollen.« »Mein Verhalten gegen Euch, Sir Walton, wird bedingt werden durch Euer Verhalten gegen mich. Ihr könnt unmöglich aufrichtiger hoffen als ich, daß unsere soldatischen Pflichten gewissenhafte Erfüllung finden, ohne unserem anderen Verkehr irgendwie Eintrag zu tun.« Nach diesem Gespräch schieden die Ritter voneinander. Wiederholt standen sie in seinem Verlauf auf dem Punkte, daß es zu einer herzlichen Aussprache hätte kommen können; indessen gelang es keinem von beiden, das Eis zu brechen, das sich immer schnell wieder bildete; keiner wollte der erste sein, dem anderen entgegenzukommen, obgleich jeder von Herzen dazu bereit war, weil bei beiden der Stolz alle anderen Gefühle zu stark überwog. Daher kam es, daß sie auseinandergingen, ohne auf den eigentlichen Gegenstand ihres Gesprächs, den Jagdzug, zurückzukommen. Dies geschah aber, und zwar auf schriftlichem Wege, kurz nachher durch Sir de Walton. Der Schloßhauptmann unterrichtete seinen Leutnant, daß der Jagdzug gegen die wilden Stiere im benachbarten Tale beschlossene Sache sei, und lud ihn zur Teilnahme ein. Am Vormittag des folgenden Tages sollte die Jagd stattfinden; die Zusammenkunft war auf 6 Uhr morgens bestimmt, als Treffort das Tor des äußeren Bollwerks; nachmittags sollte unter der als »Sholtos Keule« bekannten hohen Eiche am Ausgang des Douglas-Tals das Halali geblasen werden. An das niedere Volk und an die Vasallen der Umgegend wurde das gewöhnliche Aufgebot erlassen und mit Freuden aufgenommen. Eine Jagd im Douglas-Walde bot noch immer der Aufregungen so viele, daß man die Gegenwart englischer Ritter, wenn auch erzwungenermaßen, dabei nicht unwillig in Kauf nahm. Sechstes Kapitel Es war ein kalter, rauher, nach schottischer Wetterart »reiner« Morgen. Die Hunde schüttelten sich und kläfften. Die Jäger, trotz Abhärtung und froher Erwartung, knüpften die Mäntel am Halse zusammen und blickten nicht ohne Furcht auf die am Horizont wallenden Nebel, die sicherlich bald auf die Gipfel und Rücken der Vorberge sinken würden, um von dort aus den Weg ins Tal hinunter zu nehmen. Nichtsdestoweniger bot sich dem Auge, wie ja immer bei Jagdzügen, ein fröhliches Bild. Zwischen den beiden im Kampf liegenden Völkerschaften schien es zu kurzem Waffenstillstande gekommen, und weit mehr hatte es den Anschein, als ob die Schotten bemüht seien, die Jagd in ihren Bergen den vornehmen Rittern und mutigen Bogenschützen Altenglands in freundschaftlicher Weise vorzuführen, statt daß sich der Eindruck hätte gewinnen lassen, die Schotten verrichteten, dem Befehl des gewaltherrlichen Nachbarvolkes gefügig, trotzigen Lehndienst. Den Reitern voraus, deren kühne mannhafte Gestalten weit über die Hälse ihrer kräftigen Rosse ragten, zogen die Jäger bei Fuß, die mit dem Hund an der Leine Dickicht und Schlucht nach Jagdbeute durchstöberten. Der Douglas-Wald barg damals noch Wild in Menge, und zu der Zeit, da diese Erzählung spielt, umsomehr, als schon lange nicht mehr unter den Angehörigen des Geschlechts der Douglas, über die seit mehreren Jahren, gleichwie über ihr Land, Unglück gekommen war, Jagd dort gehalten wurde und die englische Besatzung sich noch immer nicht für stark und sicher genug gehalten hatte, dieses in hohen Ehren gehaltene Feudalrecht selber auszuüben. Das Jagdwild hatte sich also stark vermehren können. Rotwild, Wildschweine und wilde Ochsen drangen nicht selten bis in den unteren Teil des Douglas-Waldes, der keine geringe Ähnlichkeit mit einer Oase aufweist, denn er ist von dichtem Wald, von Moorland mit Teichen, stellenweis auch mit Felsen umzogen, so daß es an großen öden Strecken, worin sich das Wild gern zu verstecken liebt, dort nicht mangelt. Gleichwie an Rotwild und Ebern fehlte es auch an Wölfen nicht, die sicher mit zu dem gefährlichsten Raubzeug gehörten, insofern aber kein interessantes Jagdwild boten, als sie meilenweit zu fliehen pflegten, bevor sie sich dem Jäger stellten. Was für die englischen Ritter vor allem als Jagdwild in Betracht kam, war der furchtbarste aller Bewohner des alten kaledonischen Waldes, der wilde Ochs Schottlands. Der Schall der Jagdhörner, das Stampfen der Hufe, das Gebrüll der in Wut geratenden Wildochsen, das Gestöhn der von Hunden zerfleischten Hirsche, das Gekläff der Hunde selber und das wilde Siegesgeschrei der Jagdleute gab einen Chorus ab, der sich weit über das Jagdgebiet erstreckte und bis in die abgelegensten Strecken hinein seine Bewohner zu bedrohen schien. Dem Schloßhauptmann allein gelang es, eins dieser gewaltigen Tiere zur Strecke zu bringen. Gleich einem Stierkämpfer Spaniens warf er sich nieder und erwartete den Ochsen mit der Lanze. Bis zum Schafte bohrte er dem Ungetüm die Waffe in den Leib. Unter den Pfeilen und Speeren von Armbrustschützen und Treibern fielen außer zahlreichem Klein- und Federwild drei wilde Kühe, etwa ein Dutzend Hirsche und Eber und drei Wölfe. Viel anderes Wild entrann, aller Anstrengungen es abzufangen ungeachtet, nach den finstersten Schlupfwinkeln des Cairntable-Gebirges. Der Vormittag ging seinem Ende zu, als das Jagdhorn des Oberjägermeisters die Gesellschaft zum Frühmahl auf den grünen Rasen einer Waldwiese rief. Die Jagdbeute zu rösten und zu braten, war eine Arbeit, die dem unteren Volk zufiel. Fässer mit Gaskognerwein und englischem Ale wurden herbeigerollt und aufgeschlagen und alsbald war das fröhlichste Zechgelage im Gange. Die Ritter, durch ihren Rang vom Verkehr mit dem anderen Volke abgeschlossen, saßen auf abgesondertem Rain, am sogenannten »Thronhimmelstische«, der von einer aus grünen Zweigen geflochtenen Decke beschattet war und wurden von ihren Knappen und Pagen bedient. Zu ihnen hatten sich ehrwürdige Mönche von der Abtei Saint Bride gesellt, die, wenn auch schottische Geistliche, von dem englischen Militär mit Achtung behandelt wurden. Auch ein paar schottische Afterlehnsleute, die wohl aus Klugheit den englischen Rittern Achtung und Gemeinschaft nicht weigerten, saßen unten an der Tafel, woselbst auch die gleiche Zahl von Armbrustschützen Platz gefunden hatte. Obenan saß Sir John de Walton, dessen Augen ruhelos den Kreis seiner Gäste, denn diese Bezeichnung traf ohne Frage auf sämtliche Anwesenden zu, überflogen. Eine Person vor allen anderen zog des Schloßhauptmanns Blicke auf sich, denn sie zeigte das Aussehen eines gefürchteten Kriegers, obgleich ihr das Glück in letzter Zeit nicht gelächelt zu haben schien. Es war ein Riese von Gestalt mit Gliedmaßen wie aus Eisen und einem Gesicht von so grobem derben Schnitt, daß es unwillkürlich an den Wildochs erinnerte. Die durch manches Loch in der Kleidung sichtbare Haut zeigte eine Färbung wie Leder. Der Mann sah ganz so aus, als ob er zu denen gehöre, die mit Robert Bruce das Schwert gezogen hatten, die mit dem Rebellen in Moor und Sumpf lebten. Solche Gedanken kamen auch Sir John de Walton in den Sinn. Aber unverträglich hiermit war die Kühnheit, mit der sich der Fremde an den Tisch des englischen Schloßhauptmanns gesetzt, also völlig in dessen Hand begeben hatte. Während der Jagd war von Sir de Walton wie den übrigen Rittern die Wahrnehmung gemacht worden, daß der in Lumpen gekleidete Kavalier, von dessen Kleidung der alte Panzerkittel am meisten auffiel, und der, von der verrosteten, aber gewaltigen Partisane von acht Fuß Länge abgesehen, über keine Waffen gebot, in der Ausübung des edlen Weidwerks durch überlegene Gewandtheit alle anderen Teilnehmer übertroffen hatte. Als der Fremde endlich der von ihm erregten Aufmerksamkeit, nicht zum wenigsten des Schloßhauptmanns, inne wurde, hielt es der letztere für angemessen, ihm als einem der tüchtigsten Jünger des heiligen Hubertus mit einem Humpen besseren Weines, als die übrige Gesellschaft trank, höflich Bescheid zu tun. »Ihr habt hoffentlich nichts dawider, Herr,« sprach ihn de Walton dabei an, »meiner Aufforderung zu entsprechen und einen Humpen Gaskogner, direkt von den königlichen Weinbergen, mit mir zu leeren. Einen besseren Tropfen, um auf Gesundheit und Glück unseres verstorbenen Königs zu trinken, gibt es nicht.« »Eine Hälfte der britischen Inseln,« versetzte der fremde Jäger gelassen, »wird sich der Meinung von Euer Gnaden nicht verschließen. Da ich aber zur anderen Hälfte gehöre, auf welcher solche Meinung nicht herrscht, kann mir auch der vornehmste Gaskognerwein solchen Trinkspruch nicht mundrecht machen.« Mißbilligendes Gemurmel lief durch die Reihen der anwesenden Krieger. Die Priester von der Saint Bride-Abtei wurden leichenblaß und murmelten ihr Paternoster. »Eure Worte, Fremder,« sprach Sir de Walton in finsterem Tone, »bringen die hier versammelte Gesellschaft, wie Ihr wohl seht, aus der Fassung.« »Das kann wohl sein«, versetzte der Fremde im gleichen rauhen Tone; »nichtsdestoweniger liegt in meiner Rede nichts, was irgendwelchen Vorwurf verdiente.« »Bedenkt Ihr auch, daß Ihr solches in meiner Gegenwart sprecht?« rief Sir de Walton. »Gewiß, Herr Schloßhauptmann! Richtiger wäre zu sagen, daß ich es eben gerade um Eurer Gegenwart willen sage.« »Bedenkt Ihr die Folgen, frage ich weiter?« rief de Walton. »Was ich zu fürchten hätte, wenn Euer Geleit und Ehrenwort, durch das Ihr mich zu dieser Jagd ludet, minder verläßlich wäre, als es meines Wissens ist, kann ich ungefähr erraten«, entgegnete der Fremde. »Ich bin Euer Gast; ich habe von Eurem Fleisch gegessen und von Eurem Wein getrunken. Ich würde, stünde ich in solchem Verhältnis zu ihm, den gemeinsten Ungläubigen nicht fürchten, geschweige einen vornehmen Ritter Englands. Zudem sage ich Euch, Herr Ritter, Ihr schätzt den Wein zu gering, den Ihr eben getrunken habt; sein Feuer leiht mir den Mut, Euch Dinge zu sagen, die in solchem Augenblicke jeder ungesagt lassen möchte, der nicht alle Vorsicht außer Acht läßt. Ihr wünschet gewiß zu wissen, wen Ihr in mir vor Euch habt: mein Taufname ist Michael, mein Geschlechtsname Turnbull. Ein gefürchteter Clan, der Clan der Turnbulls! Ich darf mir schmeicheln, seinen Ruf durch Kriegstaten und manches Jägerstückchen nicht gemindert zu haben. Mein Haus liegt unter dem Berge am Rubislaw, an den schönen Gewässern des Teviot.« Der kühne Grenzer sprach dies alles mit herausfordernder Kälte, dem Hauptzuge seines Wesens. Seine Verwegenheit ermangelte nicht, Sir John de Walton in Erregung zu setzen. Kaum hatte der Grenzer ausgeredet, so rief der Ritter: »Zu den Waffen! Ergreift den Spion und Verräter! Holla, Pagen und Kriegsvolk! William, Anthony, Greenleaf und Bogenspanner, bindet den Verräter mit Sehnen und Stricken! Zieht straff an, bis ihm das Blut unter die Nägel schießt!« Die Armbrustschützen umdrängten den Jäger, ohne indes Hand an ihn zu legen, weil keiner der erste sein mochte, den bei solchem Anlaß herrschenden Landfrieden zu brechen. »Sprich,« nahm Sir Walton wieder das Wort, »was führte dich her, Verräter?« »Kein anderer Zweck, als dem Douglas das Schloß seiner Ahnen in die Hände zu liefern und dir, Herr Engländer, deine Verdienste um Schottland dadurch wett zu machen, daß ich dir die Kehle durchschneide, von der du solch lärmenden Gebrauch machst.« Als er sah, daß sich die Kriegsleute, der weiteren Befehle des Schloßhauptmanns gewärtig, hinter ihn drängten, hob er die Partisane und rief: »Jawohl, John de Walton, vorhin war es mein Wille, dich als denjenigen zu erschlagen, den ich im Besitze eines Gebietes und Schlosses finde, die einem würdigeren Ritter als du bist, nämlich meinem Gebieter und Herrn, gehören. Warum ich die Tat unterließ, was mich dazu bestimmte, weiß ich nicht. Vielleicht weil du mich sättigtest, nachdem ich zweimal zwölf Stunden gehungert hatte. Aber ich sage dir: geh aus diesem Ort und diesem Lande und laß dich warnen von einem Feinde, der es gut meint! Du hast dich zum Todfeinde dieses Volkes gemacht, und es gibt Männer darunter, denen man selten ungestraft Trotz oder Beleidigung bot! Gib dir die Mühe nicht, mich suchen zu lassen, denn es würde vergeblich sein. Wir treffen uns wieder, aber zu einer Zeit, die von meinem, nicht deinem Belieben abhängig ist. Auch suche nicht zu ermitteln, auf welche Weise und welchem Wege ich dich betrog, denn es wird dir nicht möglich sein. Wirf meinen freundlichen Rat nicht beiseite, sondern blicke mich an und nimm deinen Abschied! Wenn auch ein Tag kommen wird, an welchem wir einander begegnen werden, so kann es vielleicht lange währen, bis dieser Tag kommen wird.« De Walton schwieg. Er meinte, seinen Gefangenen könne vielleicht im Überschwang seiner Empfindungen die Schwäche anwandeln, weitere Dinge zu äußern, aus denen sich Vorteil schaffen lasse. Indessen entging ihm hierüber der Vorteil, in den er durch sein Schweigen den Jäger selber setzte. Kaum hatte dieser die letzten Worte gesprochen, so machte er einen jähen Sprung rückwärts, der ihn aus dem um ihn geschlossenen Kreise brachte, und war, noch ehe die ihn umstehenden Kriegsleute inne wurden, welche Absicht er verfolgte, verschwunden. »Greift ihn! Greift ihn!« rief de Walton jetzt, von Grimm erfüllt, als er sah, daß ihn der Jäger übervorteilt hatte, »sofern ihn nicht die Erde verschlingt, greift ihn!« Daß ihn die Erde verschlungen hätte, schien sich in der Tat vermuten zu lassen, denn dort, wohin Turnbull seinen Sprung gerichtet hatte, gähnte ein tiefer Abgrund, und dort verschwand er, an Gebüsch und Krüppelholz entlang kletternd, behend wie eine Eichkatze. Im Nu hatte er den Boden des Schlundes erreicht und einen Pfad gefunden, der ihn zum Waldsaume führte; und während die erfahrensten und klügsten unter seinen Verfolgern noch unschlüssig waren, in welcher Richtung sie ihm nachsetzen sollten, war er verschwunden unter dem Dickicht des Urwaldes, und niemand vermochte seine Spur zu finden. Siebentes Kapitel Der Auftritt, allen Teilnehmern so unvermutet, brachte Mißstimmung und Verwirrung in die Jagdfreude. Das Auftauchen eines bewaffneten Jägers, der sich offen als Anhänger des Hauses Douglas bekannte, auf einem Grund und Boden, wo alles, was Douglas hieß und zu Douglas sich bekannte, als Aufrührer und Räuber galt, machte alle Anwesenden stutzig, selbst die englischen Ritter. Sir John de Walton blickte sehr ernst drein. Er ließ alles Jagdvolk auf der Stelle zusammentreten und untersuchen, um festzustellen, ob sich Helfershelfer oder Mitwisser Turnbulls darunter befänden. Indessen war die Zeit bereits zu vorgerückt, um die Untersuchung mit der von dem Kommandanten befohlenen Strenge zu führen, und als die Schotten unter dem Jagdvolk merkten, daß Hand an sie gelegt werden solle, gaben diejenigen, die es nicht vorzogen oder keine Gelegenheit mehr fanden, sich hinwegzuschleichen, auf die ihnen gestellten Fragen mit äußerster Vorsicht Antwort. Sir John de Walton merkte die Verminderung in der Zahl der Schotten, und dieser Umstand verstärkte bei ihm den Verdacht, der ihn seit kurzer Zeit fast ganz beherrschte. »Sir Aymer,« sprach er seinen jungen Leutnant an, »nehmt soviel Kriegsleute, als Ihr in fünf Minuten zusammenbringen könnt, zum mindesten aber hundert berittene Bogenschützen, und reitet schleunigst nach dem Schlosse hinüber zur Verstärkung der Garnison. Ich habe so meine Gedanken über feindliche Versuche, das Schloß zu berennen; wahrlich kein Wunder, daß sie einem kommen, wenn man hier solches Verräternest mit eigenen Augen sieht!« »Gestattet mir die Bemerkung hierzu, Sir John,« entgegnete Ritter de Valence, »daß Ihr hier Wohl über das Ziel hinausschießt. Nicht in Abrede will ich stellen, daß unter dem schottischen Landvolk Feindseligkeit gegen uns herrscht. Da es aber aller Jagdfreude so lange entbehrt hat, ist es kaum zu verwundern, daß es sich zu solchem Zuge in Scharen einstellt; noch weniger zu verwundern aber ist es, daß es über unsere Gesinnungen ihm gegenüber noch seine Zweifel hegt und durch die geringste Rauheit im Verkehr in Furcht gesetzt wird.« »Eben deshalb wäre es mir lieber,« erwiderte de Walton, der mit einer Ungeduld zugehört hatte, die sich mit der zwischen Rittern üblichen Höflichkeit kaum vertrug, kurz angebunden, »Sir Aymer de Valence ließe seinen Rossen die Zügel schießen statt seiner Zunge.« Der scharfe Verweis, den solche Worte für den jungen Ritter bedeuteten, berührte alle Anwesenden unangenehm. Sir Aymer aber war sich wohl bewußt, daß eine Antwort für den Augenblick nicht geeignet sei; er verneigte sich, daß die Feder seines Baretts die Mähne seines Rosses berührte und brachte den Befehl des Schloßhauptmanns zur Ausführung, indem er auf dem kürzesten Wege mit einer beträchtlichen Reiterschar nach dem Schlosse zurückritt. »Ich wußte ja,« sprach er bei sich, als er auf eine der vielen Anhöhen kam, von denen aus die vielen Türme und Mauern der alten Feste, über der das große Banner Englands wehte, im Widerschein des breiten Sees sichtbar wurden, der sie von drei Seiten einschloß; »ich wußte ja, daß Sir John de Walton durch Furcht und Argwohn zum Weibe geworden ist. Daß schwere Verantwortlichkeit einen Charakter so wandeln kann, der die Ritterlichkeit selber war! Nichtsdestoweniger geziemt mir, selbst wenn Walton seine eingebildete Besorgnis zum Vorwand nehmen sollte, um seine Freunde zu tyrannisieren, Gehorsam, denn er ist unser Hauptmann. Aber das muß ich sagen: lieber würde es mir sein, wenn er sich weniger vor seinem eigenen Schatten erschrecken möchte.« Mit diesen Gedanken ritt er auf dem Damme über den Wassergraben durch das stark befestigte Tor. Daß dieser Vorfall nicht danach beschaffen sein konnte, das Verhältnis zwischen den beiden Rittern zu bessern, war nur natürlich; nicht minder, daß Sir de Walton insofern dem jüngeren Sir Aymer gegenüber in Nachteil kam, als sich die von dem letzteren bei dem Meinungszwiespalt vertretene Ansicht bestätigte und von irgendwelcher Beunruhigung des schottischen Landvolkes nicht das mindeste zutage trat. Unter dem Eindruck dieser Stimmung gestaltete sich der Verkehr zwischen ihnen immer kälter und förmlicher und beschränkte sich ausschließlich auf dienstliche Angelegenheiten. Keiner von beiden, so sehr sie von der Unhaltbarkeit solches Verhältnisses zwischen zwei Männern überzeugt waren, auf deren Schultern die Verantwortlichkeit für solchen wichtigen Platz wie Schloß Douglas lag, suchte eine der vielen Auseinandersetzungen, die der Dienst in seinem Gefolge hatte, zum Ausgleich der zwischen ihnen schwebenden Differenz zu benützen. Bei einer solchen dienstlichen Unterhaltung geschah es, daß Sir Walton seinen Leutnant um Auskunft bat, zu welchem Zweck und wie lange dem unter dem Namen Bertram im Schlosse aufhältlichen Sänger noch Unterstand gegeben werden solle. »Acht Tage,« setzte der Schloßhauptmann hinzu, »erscheinen mir unter den gegenwärtigen Zeitläufen und an solcher Örtlichkeit ausreichend für die einem Sänger schuldige Gastfreundschaft.« »Ich meinerseits,« versetzte Sir Aymer, »habe an der ganzen Sache so wenig Interesse, daß ich irgendwelchen Wunsch hierzu nicht zu äußern habe.« »Dann werde ich den Mann ersuchen, seinen Aufenthalt im Schlosse Douglas abzubrechen«, entschied Sir Walton. »Der Mann hat hier Aufenthalt nachgesucht,« erklärte Sir Aymer, »unter dem Vorgeben, in die Schriften eines gewissen Thomas, genannt der Reimer, Einsicht nehmen zu wollen. Es soll sich ein Exemplar derselben in dem Arbeitszimmer des alten Barons befinden, nachdem es bei dem letzten Brande des Schlosses Gott weiß wie gerettet wurde. Andere Kunde von seinen Absichten vermag ich nicht zu geben. Sofern Ihr die Anwesenheit eines alten Wanderers und die Nähe eines Knaben für das von Euch bewachte Schloß gefährlich haltet, so handelt Ihr zweifelsohne Eurem Rechte gemäß, wenn Ihr ihn wegschickt. Hierzu ist doch nichts weiter vonnöten als ein Wort aus Eurem Munde.« »Der Sänger ist auf das Schloß gekommen als Gefolgsmann von Euch; ich durfte ihn also nicht wohl zum Gehen auffordern, ohne Eure, wenn auch nicht Erlaubnis, so doch Kenntnis.« »Dann tut es mir leid,« erwiderte Sir Aymer, »von Eurem Willen nicht früher Kenntnis bekommen zu haben. Es wurde niemals von mir jemand ins Schloß aufgenommen oder auf dem Schlosse gehalten ohne Euer Vorwissen oder im Widerspruch zu Eurer Meinung.« »Es tut mir leid, sagen zu müssen, Sir Aymer,« wandte Ritter de Walton ein, »daß wir beide nicht wissen, woher der Sänger mit seinem Knaben gekommen ist und wohin sie beide wollen. Es ging unter Eurer Gefolgschaft die Rede, der Sänger habe unterwegs die Verwegenheit gehabt, Euch gegenüber das Recht des Königs von England auf die Krone von Schottland in Frage zu stellen, und daß er erst mit Euch hierüber gesprochen habe, nachdem Ihr den Wunsch geäußert hättet, die übrigen Begleiter möchten hinter Euch zurückbleiben, so daß sie nicht zuhören konnten.« »Sir Walton,« rief Sir Aymer, »wollt Ihr hieraus eine Anklage gegen meine Lehnstreue herleiten? Vergeßt nicht, daß solche Worte meine Ehre verletzen, die ich bis zum letzten Atemzuge bereit und willens bin zu verteidigen.« »Daran zweifle ich nicht, Herr Ritter,« versetzte der Schloßhauptmann, »aber meine Worte richten sich nicht gegen Euch, sondern gegen den fahrenden Sänger. Wohlan! Der Sänger kommt hierher aufs Schloß und spricht den Wunsch aus, sein Sohn möge Unterkunft in dem Kloster von Saint Bride finden, der einigen schottischen Mönchen und Nonnen, aus Achtung ihres Ordens und weniger, weil man sich guten Willens, dem König zu dienen, bei ihnen versieht, der Aufenthalt erlaubt worden ist. Diese Erlaubnis wird, sofern die von mir eingezogene Kundschaft richtig ist, von dem Sänger mit einer Geldsumme erkauft, weit beträchtlicher, als sie in den Börsen herumstreichender Sänger, die doch mit Glücksgütern nicht gesegnet zu sein pflegen, sonst wohl zu finden sein dürfte; ich meine, dies sei ein Umstand, den man nicht unbeachtet lassen sollte; was ist nun Eure Meinung zu all diesen von mir entwickelten Gesichtspunkten, Sir Aymer?« »Meine Meinung?« versetzte der Gefragte. »Meine Lage als Soldat, der dem Kommando eines Höheren unterstellt ist, enthebt mich jeder Verpflichtung, mir selbständige Meinungen zu bilden. Als Leutnant unter Eurem Befehl auf so exponiertem Schlosse steht mir, meine ich, wenn ich mit Ehre und Seele Abrechnung gehalten habe, viel freier Wille nicht eben mehr zu Gebote –« »Um des Himmels willen, Sir Aymer,« rief de Walton, »begeht nicht gegen Euch und mich das Unrecht, vorauszusetzen, als wolle ich durch solche Fragen Euch Vorteil abgewinnen. Bedenkt, junger Ritter, daß Ihr Euch eines dienstlichen Vergehens auch dann schuldig macht, wenn Ihr Eurem Kommandanten ausreichende Antwort nicht gebt auf dessen Wunsch, über einen bestimmten Fall Eure Meinung zu hören.« »Dann laßt mich klar und deutlich hören, über welchen Fall Ihr meine Meinung zu wissen begehrt!« entgegnete de Valence; »ich werde sie dann bestimmt und deutlich äußern und ohne Zaudern vertreten, auch wenn mich das Unglück treffen sollte – ein für einen jungen, untergeordneten Ritter unverzeihliches Vergehen – verschiedener Ansicht mit Sir John de Walton zu sein.« »Ich frage Euch also, Herr Ritter,« sagte hierauf der Schloßhauptmann, »was Eure Meinung über den Sänger Bertram ist und ob gegen ihn und seinen Sohn nicht Verdacht genug vorliegt, um beide in scharfes Verhör mit gewöhnlicher und außerordentlicher Befragung zu nehmen, wie solches in solchen Fällen gehandhabt wird, und ob nicht Anlaß genug vorliegt, sie unter Strafe der Geißelung aus Schloß und Gebiet von Douglasdale zu vertreiben, sofern sie sich in der Gegend hier wieder betreffen lassen.« »Herr Ritter de Walton,« antwortete Sir Aymer, »ich will Euch meine Antwort so frei und offen geben, als stünden wir noch auf dem freundschaftlichen Fuße früherer Tage. Daß die meisten der heute die Sangeskunst ausübenden fahrenden Leute den höheren Ansprüchen dieses edlen Standes nicht mehr genügen, ist meine Meinung gleich Euch. Die lockeren Sitten der Zeit haben diese sogenannten Sänger quantitativ verringert und qualitativ verschlechtert. Indessen glaube ich, diesen Bertram als einen Sänger ansehen zu müssen, auf welchen diese Charakterisierung nicht zutrifft. Nach meiner Auffassung ist er ein Mann, der das Knie nicht vor dem Mammon beugt. Es bleibt Euch überlassen, Sir Walton, darüber zu entscheiden, ob solch eine Person von moralisch strengem Sinne dem Schlosse irgendwie gefährlich werden könne. Da ich ihn aber auf Grund der mit ihm gewechselten Reden für unfähig halte, Verräterrollen zu spielen, muß ich entschieden Einspruch dagegen erheben, daß er innerhalb der Mauern einer englischen Garnison als Verräter der Folter unterworfen oder in Strafe genommen wird. Ich würde erröten ob meines Vaterlandes, wenn es uns das Ansinnen stellen sollte, solches Unglück und Elend über Wanderer zu verhängen, deren einziger Fehler in ihrer Armut besteht. Euer ritterlicher Sinn wird Euch das eindringlicher zeigen, als es mir in meiner untergeordneten Stellung erlaubt sein kann, Euch gegenüber zu schildern.« Sir Waltons finstere Stirn überflog jähe Röte, als er die von ihm ausgesprochene Ansicht als unritterlich verwerfen hörte. Es fiel ihm schwer, den Gleichmut zu wahren, indes er hierauf die Antwort gab: »Sir Aymer, ich danke Euch, daß Ihr mir Eure Meinung rücksichtslos bekannt gabt, trotzdem sie sich in so scharfem Gegensatz zur meinigen bewegt. Indes muß ich dabei beharren, daß die mir vom König erteilten Befehle sich mit den Anschauungen, die Ihr vertretet, nicht decken, sondern mir ein anderes Verhalten vorzeichnen, und zwar dasjenige, welches ich vordem in Worte kleidete.« Die beiden Ritter verneigten sich mit steifer Förmlichkeit. Dann fragte der Jüngere, ob ihm der Schloßhauptmann noch besondere Befehle für den Dienst zu erteilen habe und verabschiedete sich auf den verneinenden Bescheid des anderen hin. Der Schloßhauptmann ging eine Weile lang in lebhaftem Verdrusse über den Ausgang dieses Gespräches in dem Gemach auf und nieder und überdachte, welches Verfahren unter solchen Umständen am besten einzuschlagen sei. »Ich mag nicht um anderer Launen willen,« schloß er, »aufs Spiel setzen, wonach ich in zwölfmonatlichem Dienste beschwerlichster und widerwärtigster Art gerungen habe. Direkt auf mein Ziel will ich lieber vorgehen und die gleichen Vorsichtsmaßregeln in Anwendung bringen wie seinerzeit in der Gaskogne und in der Normandie – holla, Pape! bestelle mir Gilbert Greenleaf, den Armbrustschützen!« Nach wenigen Minuten trat der Gerufene ein. »Welche Kunde bringst du mir, Gilbert?« »Ich war in Ayr, Sir Walton. Des Grafen Pembroke Lager ist versessen auf echte spanische Bogenstäbe aus Coruna. Zwei Schiffe sind mit solcher Fracht, wie es heißt, für das königliche Heer in Ayr gelandet. Ich glaube aber nicht, daß auch nur die Hälfte der Fracht an diese Adresse gelangt ist.« »Wer soll die übrigen bekommen haben?« fragte der Schloßhauptmann. »Bei den Schotten heißt es,« entgegnete Greenleaf, indem er die Achsel zuckte und beiseite sah, »ihr Robert Bruce mit seinen Vettern beabsichtige einen neuen Maientanz, und der geächtete König wolle zu Sommers Anfang mit einer stattlichen Schar derben Landvolkes aus Irland bei Turnberry landen. Zweifelsohne stehen die Leute seiner Grafschaft Carwick in Bereitschaft, bei solchem hoffnungsreichen Unternehmen mit Bogen und Speer mitzutun. Mehr als ein Bündel Pfeile wird es uns, wie ich rechne, schwerlich kosten, dort Ordnung zu schaffen.« »Ihr sprecht von Verschwörungen hierzulande, Greenleaf?« fragte de Walton; »ich kenne Euch doch als tüchtig und tapfer, als einen Schützen, der Bogen und Sehne zu spannen weiß und nicht gestatten wird, daß solches Treiben unter seiner Nase vorgeht –« »Weiß der Himmel, alt genug bin ich,« erwiderte Greenleaf, »und Erfahrung in diesen schottischen Kriegen besitze ich nachgerade mehr denn genug, und niemand braucht mir zu sagen, ob diese Schotten ein Volk sind, dem König und Kriegsleute trauen dürfen oder nicht. Wer von den Schotten sagt, sie seien falsches Gesindel, der redet keine Lüge – bei Gott nicht! Euer Gnaden wissen, wie mit ihnen umgegangen werden muß: Ihr reitet sie mit scharfen Sporen und zieht die Zügel straff an! Wie sich einfältige Neulinge denken können, mit solchem Volk durch Artigkeit und Großmut fertig zu werden, dem solche Dinge unbekannte Begriffe sind, ist mir altem Kerl ein Rätsel.« »Gilbert, ich befehle dir, klar und aufrichtig gegen mich zu sein und alles, was auf Anspielungen hinausläuft, zu lassen. Du wirst wissen, daß es niemand zum Schaden gereicht, Vertrauen in mich zu setzen.« »Das will ich gewiß nicht bezweifeln oder gar bestreiten, Herr,« erwiderte der alte Haudegen, »nichtsdestoweniger käme es auf Unvorsichtigkeit hinaus, alles bekannt geben zu wollen, was solch altem Kerl wie mir in einer so wichtigen Garnison wie Schloß Douglas in den Kopf schießt. Den Ruf als Zwischenträger und Unheilstifter hat man unter Kameraden schnell weg, und ich, Herr Hauptmann, reiße mich auf meine alten Tage nach solcher Auszeichnung ganz gewiß nicht!« »Rede offen mit mir,« versetzte Sir de Walton, »und scheue dich nicht vor übler Deutung, gleichviel welcher Stoff deinen Mitteilungen zugrunde liegen mag!« »Wenn ich die Wahrheit sagen soll,« antwortete Gilbert, »so fürchte ich mich nicht der Vornehmheit des jungen Ritters, denn ich bin der älteste Soldat der Garnison und habe die Armbrust gespannt schon lange, ehe er der Muttermilch entwöhnt war.« »Euer Verdacht richtet sich also auf de Valence?« fragte Sir Walton. »Auf nichts, was des jungen Ritters Ehre angeht, denn er ist so tapfer wie jeder andere und nimmt in Anbetracht seiner Jugend einen hohen Rang in der englischen Ritterschaft ein; allein er ist jung, wie Euer Gnaden weiß, und die Wahl, die er für seine Gesellschaft trifft, macht mir mancherlei Sorge.« »Ihr meint den Sänger – wie?« »Ich meine, es ziemt sich wenig für einen englischen Ritter gleich ihm,« erklärte Gilbert Greenleaf, »sich Tag für Tag mit dem fahrenden Sänger einzuschließen, von dem sich kaum sagen läßt, ob er dem Herzen nach Schotte ist oder Engländer, geschweige denn ob er von Engländern stammt oder von Schotten; denn Bertram kann sich schließlich jeder nennen. Auch weiß ja kein Mensch im Grunde genommen, weshalb er sich hier oben im Schlosse aufhält und wie er zu den Mönchen drüben in Saint Bride steht, die doch auch bloß zu denen gehören, die auf der Zunge das Segenswort für König Eduard, im Herzen aber das für Robert Bruce haben! Durch seinen Sohn läßt sich ja der Verkehr mit den Mönchen leicht unterhalten, und bloß aus diesem Grunde hat er ihn doch unter dem Vorwand einer Krankheit im Kloster untergebracht.« »Was sagt Ihr?« rief der Schloßhauptmann, »die Krankheit sei bloß Vorwand, der Knabe also nicht wirklich krank?« »Wenn der krank wäre,« meinte Greenleaf, »so wäre es doch Wohl das natürlichere, der Vater wäre bei ihm und pflegte ihn, statt hier im Schlosse in Winkeln umherzuschleichen, wo man alles mögliche andere, bloß keinen fahrenden Sänger zu treffen rechnet.« »Ihr überzeugt mich mehr und mehr, Gilbert, daß es mit dem Sänger nicht seine Richtigkeit haben kann«, sprach Sir Walton; »es ist jetzt wahrlich nicht an der Zeit, die Sicherheit eines königlichen Schlosses aus höflicher Rücksicht gegen irgend jemand aufs Spiel zu setzen. Weilt der Sänger jetzt in dem Gemache, das als Bibliothekzimmer des alten Barons bezeichnet wird?« »Dort wird ihn Euer Gnaden sicherlich antreffen«, sagte Greenleaf. »Dann folget mir mit einigen Kameraden, doch so, daß keinerlei Aufsehen entsteht, aber meiner Befehle gewärtig!« rief Sir de Walton – »vielleicht erweist es sich als notwendig; den Mann in Haft zu nehmen.« Der Schloßhauptmann hatte das genannte Gemach, ein steinernes Gewölbe mit einer Art feuersicheren Schrankes zur Aufbewahrung von wertvoller Habe und Papieren und Büchern, bald erreicht. Der Sänger saß vor einem kleinen Tische, mit einem sichtlich sehr alten Manuskript in der Hand, aus dem er sich Stellen auszog. Das Gemach hatte sehr schmale niedrige Fenster, an denen noch Spuren alter Glasmalerei, Darstellungen ohne Frage aus der Geschichte des Klosters Saint Bride, sichtbar waren, ein weiterer Beweis für die pietätvolle Verehrung, welche das mächtige Geschlecht der Douglas für ihre Schützlinge im Herzen trug. Der Sänger, scheinbar tief in die Lösung seiner Aufgabe versunken, erhob sich demutsvoll, als er den Ritter hereintreten sah und blieb stehen, der Fragen desselben gewärtig, gleich als ob er ahne, daß der Besuch auf besondere und vorwiegend persönliche Gründe zurückzuführen sei. »Vermutlich sind Eure Forschungen von Erfolg gewesen, Herr Sänger,« nahm Sir John das Wort, »so daß Ihr in dem alten Manuskript die Verse gefunden habt, die Ihr suchtet?« »Ich bin glücklicher gewesen, als sich in Rücksicht auf die vielen Schloßbrände erwarten ließ«, antwortete der Sänger. »Dies hier, Herr Ritter, ist das in Rede stehende Buch, nach welchem ich suchte.« »Da Ihr Eure Wißbegierde befriedigen konntet,« sprach der Schloßhauptmann, »so habt Ihr hoffentlich nichts dawider, Herr Sänger, daß ich nun suche, auch die meinige zu befriedigen.« »Vermag ich des Herrn Ritters Wunsch auf irgendwelche Weise zufriedenzustellen,« sagte der Sänger nach wie vor voll Demut, »so greife ich gern zu meiner Laute und bleibe seiner Befehle gewärtig.« »Ihr irrt, Herr Sänger,« sprach in härterem Tone de Walton, »ich gehöre nicht zu jenen Leuten, die für Sagen aus älteren Zeiten Zeit übrig haben. Ich habe in meinem Leben kaum Zeit übrig gehabt, den Pflichten meines Standes zu genügen, geschweige denn Muße für Geklimper und Alfanzerei.« »In solchem Falle darf ich kaum erwarten, Euer Gnaden durch meine schwachen Kräfte Unterhaltung zu schaffen«, sprach bescheiden der Sänger. »Nicht Unterhaltung ist es, die ich hier suche,« sprach der Schloßhauptmann in strengem Tone und trat näher an den Sänger heran, »sondern Auskunft, weil ich meine, daß Ihr in der Lage sein dürftet, mir mit solcher zu dienen, sofern Ihr Lust habt! Meine Pflicht ist es, daß mir, falls Ihr Euch sträubt, die Wahrheit zu sagen, Mittel verschiedener Art zu Gebote stehen, ein Bekenntnis zu erzwingen, wenn auch auf unangenehmere Weise, als mir im allgemeinen genehm sein dürfte.« »Sind die Fragen, die Ihr mir stellen wollt, Herr Ritter,« versetzte Bertram, »solcher Art, daß ich sie beantworten kann, so werdet Ihr keine Ursache finden, sie mir mehr denn einmal vorzulegen; kann oder darf ich aber Antwort nicht darauf geben, dann wird mir, des dürft Ihr Euch versichert halten, weder Drohung noch Gewalt Antwort entwinden.« »Eure Sprache, Sänger, ist kühn,« erwiderte der Ritter, »aber mein Wort dürft Ihr nehmen, daß Euer Mut die Probe bestehen soll! Ich greife ganz ebenso ungern zu solchen äußersten Mitteln, wie Ihr sie ungern über Euch ergehen lasset; indessen weidet Ihr, wenn der Fall eintritt, ihn nur als Folge Eurer Hartnäckigkeit anzusehen haben. Ich frage Euch also zunächst: ist Bertram Euer wirklicher Name? Ferner: Betreibt Ihr außer Eurem Sängerberuf einen anderen? Endlich: Reichen Eure Verbindungen oder Bekanntschaften über die Mauern dieses Schlosses hinaus, auf dem Ihr jetzt weilt?« »Auf all diese Fragen erteilte ich bereits dem würdigen Ritter de Valence Bescheid, und da ich ihn vollkommen zufriedenstellte, ist es nach meiner Auffassung wohl nicht nötig, mich einer zweiten solchen Befragung zu unterziehen. Auch dürfte es weder mit Eurer Gnaden Ehre sich vertragen noch mit der Ehre Eures Stellvertreters, daß solche Befragung zum zweiten Male geschieht.« »Ihr kümmert Euch um anderer Leute Ehre recht viel,« bemerkte Sir John spitzig, »indessen gebe ich Euch mein Wort, daß, was meine und, meines Stellvertreters Ehre angeht, andere Leute, also auch Ihr, nicht zu sorgen brauchen. Ich frage Euch also zum andernmale, Sänger, wollt Ihr Antwort geben auf die Fragen, die ich meiner Pflicht gemäß an Euch stellen muß – oder soll ich mir Gehorsam durch die Folter erzwingen? Meine Pflicht ist es Euch zu sagen, daß ich von den Antworten, die Ihr meinem Leutnant gegeben habt, unterrichtet, aber nicht zufrieden damit bin.« Er klatschte in die Hände, worauf ein paar Bogenschützen im bloßen Hemd und Beinkleidern eintraten. »Ich sehe,« sprach der Sänger, »daß Ihr mir, weil sich für meine Schuld kein Beweis erbringen läßt, eine Strafe erteilen wollt, die zu englischem Recht und Gesetz im Widerspruch steht. Ich habe bereits ausgesagt, daß ich von Geburt Engländer, von Gewerbe Sänger bin und mit niemand in Beziehung oder Verbindung stehe, bei welchem sich feindselige Absicht gegen dieses Schloß Douglas oder gegen Sir John de Walton, den Schloßhauptmann, vermuten lassen. Für Antworten, die Ihr mir durch körperlichen Schmerz erpreßt, kann ich, um als rechtlicher Christ zu sprechen, nicht verantwortlich gemacht werden. Ich glaube, daß ich soviel Schmerz ertragen kann wie irgend ein Mensch, bin aber überzeugt, noch niemals in dem Maße Schmerzen gefühlt zu haben, daß ich mich bewogen gefühlt hätte, ein verpfändetes Wort zu brechen oder falsche Anklage gegen einen Unschuldigen zu erheben.« »Wir sind jetzt beide zu Ende, Sänger,« erwiderte Sir John, »und meine Pflicht würde erheischen, auf der Stelle zum äußersten meiner Drohung zu schreiten. Indessen empfindet Ihr vielleicht geringeren Widerwillen gegen solche peinliche Befragung als ich gegen ihre Verhängung. Deshalb will ich Euch zunächst nur an einem Ort einsperren lassen, der sich für einen Menschen eignet, den man als Spion im Verdacht hat. Eure Wohnung und Verköstigung ist so lange, bis es Euch beliebt, solchen Verdacht zu beseitigen, die eines Gefangenen. Inzwischen reite ich nach der Abtei hinüber, um mich zu überzeugen, ob der junge Mensch, den Ihr für Euren Sohn ausgebt, die gleiche Entschlossenheit, wie sie von Euch an den Tag gelegt wird, besitzt. Vielleicht bringt seine Befragung Licht in die Angelegenheit, vielleicht auch Klarheit über Eure Schuld oder Unschuld, ohne daß wir zur Folter zu schreiten brauchen. Verhält sich die Sache anders, dann zittert, wenn nicht für Euch selber, so doch für Euren Sohn! Ei, ei! Bekommt Ihr schon Angst, Herr Sänger? Fürchtet Ihr vielleicht für Eures Knaben junge Gliedmaßen die Werkzeuge, denen Ihr selber zu trotzen willens seid?« »Herr Ritter!« entgegnete hierauf der Sänger, der sich von der Erregung, die ihn momentan befallen hatte, zu erholen anfing, »ich überlasse Euch als Mann von Ehre und Gewissen das Urteil darüber, ob sich nach Gesetz und Menschlichkeit über einen Menschen schlimmere Meinung hegen läßt darum, weil er bereit ist, an der eigenen Person Mißhandlung zu leiden, um sie seinem Kinde zu ersparen, einem schwächlichen Jüngling, der erst vor kurzem von gefährlicher Krankheit genesen ist.« »Meine Pflicht erfordert,« versetzte nach kurzer Pause der Ritter, »daß ich dieser Angelegenheit bis zum Ursprung nachforsche. Wollt Ihr für Euren Sohn Gnade erlangen, so wird Euch das leicht werden dadurch, daß Ihr selber ihm das Beispiel der Ehrlichkeit und Offenheit gebt.« Der Sänger warf sich in seinen Stuhl zurück mit einer Miene, als sei er entschlossen, lieber das Äußerste zu ertragen, als weitere Antworten zu erteilen. Sir John de Walton war unschlüssig über sein ferneres Verhalten; gegen die Anwendung der Tortur auf Vater und Sohn fühlte er ausgesprochenen Widerwillen, in so lebhaften Konflikt er sich auch mit seiner ihm durch den Dienst und durch die Rücksicht auf Sicherung königlichen Besitzes vorgeschriebenen Pflicht seinem Ermessen nach setzte. Die Erscheinung des Sängers zeigte hohe Würde und seine Rede nicht minder. Auch besann sich der Schloßhauptmann, daß sein jüngerer Kamerad, Sir Aymer de Valence, ihm den Sänger als ein solches Mitglied seiner Zunft geschildert, das redlich bestrebt sei, die Ehre eines gefährdeten Standes durch persönliche Tüchtigkeit wiederherzustellen; er mußte sich sagen, daß es grausam und ungerecht wäre, dem Gefangenen den Glauben an seine Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit zu weigern, bis zum Beweis derselben jede Sehne gespannt und jedes Glied im eigenen wie im Leibe des Sohnes gebrochen wäre. »Aber,« sprach er bei sich, »bleibt mir ein anderes Mittel, Wahrheit von Falschheit zu scheiden? Stehen nicht Bruce und seine Parteigänger bereit? Gehe ich vielleicht fehl in der Annahme, daß dieser Pseudokönig von Schottland die Galeeren ausgerüstet hat, die den Winter über bei Nochrin vor Anker lagen? Stimmt nicht, was Greenleaf von Waffen sprach, die für einen neuen Aufstand herbeigeschafft sein sollen, auffallend überein mit der Erscheinung jenes wilden Jägers im Walde, beim Mahle? Ha! Dies alles scheint mir ein Beweis zu sein dafür, daß etwas auf dem Amboß liegt, dessen Verhütung mir Pflicht und Gewissen vorschreiben. Deshalb will ich keinen Umstand übergehen, der irgendwie Licht über die Person des Sängers und seinen Knaben bringen kann. Gebe mir aber der Himmel aus anderer Quelle Licht, damit es mir nicht geboten und gesetzlich erscheine, diese doch vielleicht ehrlichen Leute zu quälen.« Greenleaf ein Wort über den Gefangenen zuflüsternd, schritt er aus dem Gemache. Noch aber hatte er die äußere Schwelle desselben nicht erreicht, als die Stimme des alten Mannes, an den die Bogenschützen schon Hand gelegt hatten, an seine Ohren schlug und ihn bat, auf einen Moment zurückzukehren. »Was habt Ihr zu sagen, Sänger?« fragte er, den Worten desselben willfahrend; »macht es kurz, denn schon habe ich mehr Zeit verloren Euch anzuhören, als sich verantworten läßt. Um Euretwillen also rate ich Euch –« »Um Euretwillen, Sir John de Walton, laßt Euch durch mich raten, alles, was Euer weiteres Tun in dieser Sache leiten kann, auf das peinlichste zu erwägen; denn Ihr allein unter allen Lebendigen würdet durch einen Irrtum am schwersten zu leiden haben. Solltet Ihr dem Jüngling auch nur ein Haar krümmen oder krümmen lassen, solltet Ihr ihn die geringste Entbehrung leiden lassen, deren Verhinderung in Eurer Macht stünde, so würdet Ihr selber Euch herberen Schmerz bereiten, als Euch durch irgendwas sonst auf Erden bereitet werden könnte. Bei den höchsten Segnungen unserer Religion schwöre ich, das Heilige Grab rufe ich Zum Zeugen an, daß ich nichts rede als die lauterste Wahrheit und daß ein Tag kommen wird, an welchem Ihr mir für mein Tun und Lassen Euren Dank aussprechen werdet! Nicht bloß Euer, sondern auch mein Interesse ist es, Euch im Besitz dieses Schlosses zu sichern. Ich stelle nicht in Abrede, über Schloß und Schloßhauptmann einiges zu wissen, zu dessen Offenbarung ich aber die Einwilligung des in der Abtei aufhältlichen Jünglings haben muß. Bringt mir ein Schreiben seiner Hand, daß ich Euch in das Geheimnis ziehen darf, und seid überzeugt, all diese trüben Wolken werden sich im Nu zerteilen!« »Ich wünsche um Euretwillen, daß dies der Fall sei,« versetzte der Gouverneur, »wenngleich ich nicht verstehen kann, weshalb sich solch günstiger Ausgang hoffen lassen soll. Ich will Eurem Wunsche Rechnung tragen, Sänger. Schreibt Eurem Sohne! Ich will die Besorgung übernehmen; um Euretwillen will ich die Gefahr leiden, die zu großes Vertrauen in Eure Reden leicht über mich selber bringen kann. In strenger Haft muß ich Euch aber halten, bis sich alles aufgeklärt und entschieden haben wird. Das gebeut mir die Pflicht!« Mit diesen Worten gab er dem Gefangenen das Schreibzeug zurück, das von den Bogenschützen in Beschlag genommen worden war, und befahl ihm die Arme zu lösen. Achtes Kapitel »Ich habe den Brief nicht zusammengelegt,« sprach der Sänger, indem er dem Ritter das von ihm abgefaßte Schreiben behändigte, »denn er ist nicht so abgefaßt, daß Ihr das Geheimnis erraten könntet, und ich glaube nicht, daß Ihr durch die darin enthaltenen Worte irgendwelche Klarheit gewinnen werdet; indessen dürft Ihr bezüglich dessen, was nicht darin steht, durchaus beruhigt sein. Was ich mit diesen Worten sagen will, ist nichts weiter, als daß das Schreiben von jemand herrührt, der für Euch und Eure Besatzung das beste wünscht, und an ebensolchen jemand gerichtet ist.« Der Ritter befahl sein Roß zu satteln und las während dieser Zeit das von dem Sänger abgefaßte Schreiben. Dasselbe lautete: »Teurer Augustin! – Der Schloßhauptmann, Sir John de Walton, hat den Verdacht geschöpft, von welchem ich unterwegs mehr denn einmal gesprochen habe. Kein Wunder, denn wir sind ohne klar und bestimmt ausgesprochenen Zweck in dieses Land gekommen. Zunächst bin ich in Haft genommen worden und stehe unter Androhung peinlicher Befragung, damit ich über den Zweck unserer Wanderung hierher meine Aussage gebe. Indessen soll man mir eher das Fleisch von den Knochen reißen, als mich zum Bruch des Euch geleisteten Eides zwingen. Zweck dieses Schreibens ist, Euch Kenntnis zu geben, daß die gleiche Gefahr Euch droht, sofern Ihr nicht geneigt sein solltet, mir die Erlaubnis zur Offenbarung unseres Geheimnisses zu erteilen. Ihr braucht mir hierüber lediglich Eure Wünsche zu sagen. Seid versichert, daß ich ihnen gemäß handeln werde. Euer ergebener Bertram.« Nicht das geringste Licht warf der Brief auf das Geheimnis des Sängers. Der Schloßhauptmann las ihn mehrmals durch und drehte ihn nach allen Seiten herum, umsonst: es ließ sich nicht das mindeste aus dem Inhalt herausschälen, was ihm auch nur Anhalt geboten hätte, sich Licht zu verschaffen. Sir John de Walton sah das Müßige solchen Beginnens ein und begab sich in die Halle, um dort Sir Aymer in Kenntnis zu setzen, daß er nach der Abtei hinüber reiten wolle, und ihm für die Zeit seiner Abwesenheit die Schloßhauptmanns-Obliegenheiten zu übergeben. Als der hohe Ritter vor dem in Ruinen liegenden Kloster erschien, trat auf der Stelle der Abt vor das Tor, ihn seiner Dienstfertigkeit zu versichern, waren doch Kloster und Insassen einzig und allein unter den obwaltenden Verhältnissen im Lande auf die Nachsicht der englischen Garnison im Schlosse angewiesen. Sir John fragte den Greis nach dem im Kloster aufhältlichen Jüngling und vernahm, daß derselbe, seit er von seinem Vater, einem Sänger mit Namen Bertram, hierher gebracht worden, krank gelegen habe. Der Greis setzte hinzu, daß es sich seines Vermutens um jene ansteckende Seuche handle, die damals die Grenzen von England verheerte und bereits nach Schottland übergegriffen habe. Sir John behändigte dem Abte das Schreiben des Sängers; aber es währte nicht lange, so kam der Abt, zitternd vor Angst, zurück mit dem Bescheide des Jünglings, momentan könne und wolle er den Ritter nicht empfangen; wenn derselbe am anderen Morgen nach der Messe sich wieder herbemühen wolle, so wäre es vielleicht möglich, ihm zu sagen, was er zu wissen begehre. »Das ist kein Bescheid, den solch ein grüner Bursch einem Manne von meinem Rang und Stande melden lassen darf,« sprach der Ritter, »und ich muß meiner Verwunderung darüber Ausdruck geben, Herr Abt, daß Euch um Euer eigenes Wohl so wenig zu tun ist, daß Ihr es wagen konntet, solch unverschämte Botschaft an mich zu übernehmen.« Der Abt suchte sich zu entschuldigen. Er verpfändete sein heiliges Wort, daß der unbedachte Inhalt dieser Botschaft einzig und allein in der aus solcher Krankheit hervorgehenden mürrischen Stimmung zu suchen sei. Er sprach von den Rücksichten und Pflichten, die der Schloßhauptmann von Douglas gegen Kloster und Abtei von Saint-Bride zu beobachten habe, die doch der englischen Regierung nimmer Ursache zu Klagen gegeben habe. Er betonte, daß er nicht zugeben könne, einen kranken Jüngling, der im Heiligtum der Kirche Zuflucht gesucht habe, in irgend welche Gefahr zu bringen oder in Haft zu nehmen, falls nicht Anklage wegen besonderen Verbrechens erhoben würde, die aber sogleich auch nach Recht und Gesetz durch Beweise erhärtet werden müsse. Das Geschlecht der Douglas, obgleich bekannt durch Rauheit und gewalttätigen Sinn, habe das Heiligtum der Abtei Saint-Bride jederzeit hochgehalten und respektiert, und es sei wohl nicht zu vermuten, daß der König von England, der römischen Kirche frommer und pflichtgetreuer Sohn, die Rechte derselben geringer halten werde, als die Anhänger eines Thronräubers und Mörders und im Kirchenbann befindlichen Mannes wie Robert Bruce. Sir John de Walton wußte, welche Macht dem Papste in jedem Streite zustand, in welchen ihm Einmischung beliebte, daß von demselben in dem Kampf um die Oberherrschaft in Schottland Rechte geltend gemacht würden, die nach den zurzeit gültigen Anschauungen am Ende für besser und begründeter galten als die vom König von England einer-, von Robert Bruce andererseits erhobenen. Er mußte sich demnach sagen, daß ihm sein König für einen durch ihn hervorgerufenen Zwist mit der Kirche kaum dankbar sein werde. Zudem war es ja leicht, Augustins Flucht während der Nachtzeit durch Wachen zu hindern, so daß er sich am anderen Morgen ebenso sicher in der Gewalt der Engländer befinden, als wenn er im Augenblick durch offene Gewalt in Haft genommen würde. Indessen besaß der Ritter soviel Gewalt über den Abt, daß er von ihm für die Zusage, die Abtei für die Dauer der Nacht als Heiligtum zu halten, die Gegenzusage erhielt, ihm mit seinem geistlichen Ansehen behülflich zu sein, daß der Jüngling ausgeliefert werde, falls er keinen ausreichenden Grund für das Gegenteil beizubringen imstande sei. Diese Abrede bestimmte den Ritter, die von Augustin mehr begehrte als nachgesuchte Begünstigung zu gewähren – »mit der Voraussetzung jedoch,« schloß er, »daß Ihr ihm die Erlaubnis weigert, die Abtei zu verlassen, und Euch für ihn verbürgt, wogegen ich Euch die Vollmacht einräume, über unsere kleine Besatzung von Hazelside zu verfügen, der ich übrigens bei meiner Rückkehr nach dem Schlosse Verstärkung senden werde, für den Fall es notwendig sein sollte, Gewalt zu gebrauchen oder andere Maßregeln zu ergreifen.« »Ich kann mir nicht denken, Herr Ritter, daß es nicht gelingen sollte, den Starrsinn des Jünglings durch Worte zu bekämpfen; ich möchte sogar annehmen, daß Ihr die Art und Weise, wie ich mich der Pflichten, die mir dieser Vorfall überweist, entledigen will, nicht anders als billigen werdet.« Sir John lehnte alle Bewirtung ab, verabschiedete sich und spornte sein Roß. Es währte nicht lange, so trug ihn das edle Tier wieder über die Zugbrücke. Sir Aymer hielt vor dem Schloßtor, um zu melden, daß sich in der Garnison keinerlei Änderung vollzogen habe; indessen sei ihm Kunde geworden, daß ein Dutzend Mannen auf dem Marsche nach Lannark begriffen seien und im Schlosse Einkehr halten wollten oder, falls dem Hauptmann dies genehmer sei, im Vorposten von Hazelside sich quartieren würden. »Ich bestimme das letztere,« erwiderte Sir John, »zumal ich eben willens bin, die dort liegende Garnison zu verstärken. Der naseweise Musje, Bertrams Sohn oder was er sonst sein mag, hat sich verpflichtet, sich morgen zum Verhör zu stellen. Da die im Anmarsch befindliche Abteilung zu dem Korps Eures Oheims Lord Pembroke gehört, ersuche ich Euch, ihr entgegenzureiten und sie so lange in Hazelside zu halten, bis Ihr weitere Erkundigungen über diesen Sängerknaben eingezogen habt. Ich verlange vollständige Aufklärung über das ihn umgebende Geheimnis und Antwort auf das Schreiben des Sängers, das ich dem Abt von Saint-Bride eigenhändig übergeben habe. Ich verlasse mich darauf, daß Ihr den Knaben scharf im Auge haltet und unter sicherer Begleitung hierher schafft, weil er meiner Meinung nach ein Gefangener von Wichtigkeit ist. Ich habe in dem Falle schon viel zu viel Nachsicht bewiesen.« »Zu Befehl, Sir John!« versetzte der junge Ritter, »sofern Ihr für jemand, welcher die Ehre hat, direkt nach Euch an diesem Platze Zu rangieren, keine wichtigeren Befehle habt!« »Entschuldiget, bitte, Herr Ritter,« antwortete der Schloß»Hauptmann, »falls Ihr den Auftrag für unter Eurer Würde halten solltet –« »Nicht im geringsten«, sagte hierauf Sir Aymer; »doch eine Frage: was soll geschehen, wenn sich der Abt widersetzt?« »Sich widersetzt?« fragte Sir John; »mit Lord Pembrokes Kriegsleuten befehligt Ihr über zwanzig Mann wenigstens, Berittene, die Bogen und Speer führen, und gegen Euch steht ein knappes halbes Dutzend scheuer alter Mönche, die außer Kutte und Kapuze über nichts verfügen –« »Schon recht,« bemerkte Sir Aymer, »aber mit Kirchenbann und Exkommunikation hat heutzutage niemand gern was zu tun, auch Leute im Harnisch nicht; und aus der christlichen Kirche gestoßen zu werden, möchte ich keinesfalls riskieren.« »Der Abt hat mir die Auslieferung des jungen Menschen zugesagt, Herr Ritter,« versetzte hierauf Sir John nicht ohne Schroffheit, »falls er sich nicht aus freien Stücken ausliefert.« Dieser Bescheid schloß weiteren Einspruch aus. Sir Aymer de Valence, in der Meinung, nutzloserweise mit einem Auftrag unbedeutender Art geplagt zu werden, legte die für kurze Ritte im Bereich der Besatzungsmauern übliche halbe Rüstung an und ritt mit seinem Knappen Fabian und einigen Dienstmannen aus dem Schlosse. Der Abend ging mit einem jener schottländischen Nebel zu Ende, die unter anderen besser bestellten Himmelsstrichen als Regenschauer gelten. Der Pfad wurde immer düsterer; die Höhen hüllten sich in Dunstmassen, ihr Aufstieg wurde immer mühsamer. In der Meinung, eher auf geraden Weg zu kommen, ritt er durch den verödeten Flecken, der noch immer den Namen Douglas führte, dessen Einwohner aber zufolge der harten Behandlung, die während dieser wilden Kämpfe die Engländer übten. Zum weitaus größten Teile nach anderen Grafschaften geflüchtet waren. Ein plumpes Palisadenwerk und eine noch plumpere Zugbrücke dienten als Schutzwehren. Die Straßen waren so schmal, daß kaum drei Pferde nebeneinander laufen konnten. Von irgendwelcher Haustätigkeit oder freundnachbarlichen Vereinigung nirgendwo eine Spur; aus keinem Fenster schimmerte Licht; in allen Teilen Schottlands, deren Ruhe nicht als ausgemacht sicher galt, war die alte Verordnung, mit der Abendglocke alles Feuer zu löschen, die noch von Wilhelm dem Eroberer herrührte, in voller Geltung. Daß die ehemaligen Besitztümer des Geschlechtes der Douglas in erster Reihe als solche galten, braucht nicht gesagt zu werden. Sir Aymer war eben bis vor den alten, in Trümmern liegenden Kirchhof des ebengenannten uralten Geschlechts gelangt, als er außer dem Schall der Hufe der eigenen Rosse Klänge zu vernehmen meinte, die sich anhörten wie der Tritt eines anderen Ritterpferdes, das mit schwerem Gestampf, wie ihnen entgegen, die Straße heraufkam. Valence war außerstande zu sagen, woher solch kriegerischer Klang kommen könne; aber der Schall von Hufen und das Klirren von Waffen und Rüstung war zu deutlich, als daß sich das Ohr eines Kriegers hätte irren sollen. Daß sich gemeines Kriegsvolk nachts außerhalb der Quartiere umhertrieb, war allerdings keine besondere Seltenheit; aber die Erscheinung eines gewappneten Reiters in voller Rüstung auf ein Vorkommnis gewöhnlicher Natur zurückzuführen, war nicht so leicht. Vielleicht bemerkte, da das Mondlicht mit vollem Glanze den Fuß der Anhöhe traf, auch der unbekannte Krieger in diesem Augenblick den englischen Ritter mit seinem Gefolge. Von beiden Seiten ertönte wenigstens der übliche Alarmruf »Wer da!«, dem auf der einen Seite durch den Gegenruf »Sankt Georg!«, auf der anderen durch den Gegenruf »Douglas!« geantwortet wurde. Aus den Winkeln der kleinen verfallenen Straße und aus den stillen Gewölben der von den Engländern durch Feuer zerstörten Kirche hallten die Rufe in schreckhaften Echos wider. Verdutzt über das Schlachtgeschrei, an das sich so schmerzvolle Erinnerungen knüpften, spornte Sir Aymer sein Roß zu vollem Galopp und jagte den steilen beschwerlichen Abhang hinunter, der zu dem südlichen und südöstlichen Tore des Platzes führte. Dem Knappen die lange Lanze aus der Faust reißen und zum Stoß einlegen mit dem Rufe: »Beim heiligen Georg! Kameraden, Nieder mit allem, was sich Schotte nennt! Fabian, ans Tor! Schneidet ihm die Flucht ab! Bogen und Partisanen, Sankt Georg für England!« war das Werk einer Sekunde. Das Licht jedoch kam und schwand im Nu, und obgleich nach Sir Aymers Dafürhalten kein feindlicher Krieger Raum finden konnte, dem Angriff auszuweichen, konnte er sein Ziel doch nicht anders als aufs Geratewohl nehmen. Unter Steingeröll und anderem Weghindernis raste er den finsteren Abhang hinunter, ohne in der Finsternis auf den Gegenstand seiner Verfolgung zu treffen, fünfzig Ellen tief hinunter. Die Straße war so eng und schmal, daß niemand an ihm vorbeikonnte, niemand sich an der Seite halten konnte. Es war nicht anders möglich, als daß der feindliche Reiter durch die Luft verschwunden war. Der Schrecken, der zumeist in den Gemütern Platz griff, sobald der Name Douglas hörbar wurde, bemächtigte sich der Reiter im Gefolge des Ritters, und als der Ritter das Tor erreichte, mit welchem die holperige Gasse endigte, befand sich außer seinem Knappen Fabian, dessen furchtsame Regungen im Nu verflogen, wenn die Stimme des von ihm mit Liebe verehrten Herrn an sein Ohr schlug, kein Reiter hinter ihm. Am Tore war ein Kommando der Armbrustschützen postiert, das in heftige Bestürzung geriet, als Sir Aymer mit seinem Knappen zwischen sie, hineinsauste. »Schufte!« schrie der Ritter sie an, »warum achtet Ihr nicht auf Euren Dienst? Wer ist in diesem Moment mit der verräterischen Parole Douglas durch Euren Posten geritten?« »Wir wissen von solchem Reiter so wenig, wie wir solche Parole vernahmen«, versetzte der Wachthauptmann. »Das heißt,« rief der junge Ritter, »Ihr Schufte habt Euch wieder einmal viehisch besoffen und im Schlafe gelegen!« Die Soldaten verwahrten sich gegen solche Beschuldigung, aber so verworren, daß des Ritters Verdacht sich eher verstärkte denn minderte. Er befahl Fackeln und Lichter zu bringen. Was an Bewohnern in dem Flecken noch da war, entschloß sich mürrisch, mit solchem Gerät, das ihnen zur Beleuchtung noch verfügbar war, zur Wache zu ziehen. Mit Verwunderung hörten sie dem Berichte zu, den der junge Ritter von seinem Erlebnis gab, schenkten demselben aber geringen Glauben, obgleich sein ganzes Gefolge jedes Wort bestätigte, meinten vielmehr, der junge Ritter suche bloß nach einem Vorwande, um die paar Leute, die noch im Orte waren, schärfer zu drangsalieren als bisher. Indessen wagte keiner von ihnen, solchen Gedanken laut zu äußern, aber durch einzelne Ausrufe, die sie miteinander wechselten, gaben sie ihrer geheimen Freude über den Schreck, der der englischen Garnison in die Glieder gefahren war, heimlich Ausdruck. Nichtsdestoweniger taten sie nach wie vor, als verfolgten sie mit höchstem Interesse die weitere Entwickelung der Dinge und ließen nicht nach in ihren Bemühungen, der Erscheinung nachzuspüren. Endlich tönten aus dem Stimmengewirr aus weiblichem Munde die Worte: »Wo ist der Ritter aus dem Süden? Ich kann ihm sagen, wo er die einzige Person zu suchen hat, die ihm aus seiner zurzeit so schwierigen Lage heraushelfen kann.« »Und wer ist die Person?« fragte Sir Aymer, voll des Verdrusses über soviel zwecklos verlorene Zeit, zugleich aber ängstlich besorgt über das Auftauchen eines bewaffneten Parteigängers der Douglas in dem Stammorte ihres Geschlechts, der sich doch in Gewalt der Engländer befand. »Kommt mit,« rief die Stimme wieder, »und ich will Euch den Mann nennen, der alle Dinge solcher Art zu deuten vermag.« Der Ritter riß einem neben ihm stehenden Manne die Fackel aus der Hand und hielt sie empor. Eine Frau von hoher Gestalt suchte seine Blicke auf sich zu lenken. Als er näher trat, gab sie ihm in ernstem, feierlichem Tone die gewünschte Kunde. »Einst hatten wir weise Leute allerorten, die jede Parabel beantworten konnten, die ihnen auf dieser Seite der Insel vorgelegt wurde. Ob ihr Herren die Hand im Spiele gehabt habt, sie auszurotten, darüber zu urteilen geziemt nicht mir; aber fest steht, daß man heutzutage nicht mehr den alten guten Rat bekommen kann wie früher in diesem Lande der Douglas. Auch darf man wohl gelten lassen, daß er nicht mehr in derselben Weise gern gegeben wird wie ehedem.« »Schottin,« sprach de Valence, »sofern Ihr mir Erklärung dieses Geheimnisses schafft, will ich Euch ein graues Mieder vom besten Wollenzeug schenken.« »Ich erhebe nicht Anspruch,« erwiderte die Alte, »Kunde zu besitzen, die Euch helfen könnte. Aber wissen muß ich, daß den Mann, den ich Euch nennen werde, weder Unbill noch Schaden treffen soll.. Versprecht Ihr mir das auf Ritterwort und Ehre?« »Ganz ohne Frage!« versetzte de Valence; »der Mann soll sogar Dank und Belohnung ernten, sofern er die Wahrheit redet. Auch für den Fall sogar, daß er sich eingelassen haben sollte auf gefährliche Pläne oder in Verschwörungen, gelobe ich Pardon.« »O! solcher Fall ist bei diesem Manne nicht zu gewärtigen«, sagte die Frau; »es ist unser alter Gevatter Powheid, dem die Sorge und Aufsicht über die Grabdenkmäler obliegt, diejenigen wenigstens, die ihr Herren Engländer noch übrig gelassen habt. Ich meine unseren uralten Küster von Douglas. Der kann mehr Geschichten von diesen alten Schloßherren und Schloßleuten erzählen, als Zeit wäre bis zur heiligen Weihnacht, sie zu erzählen.« »Weiß jemand, wen die alte Frau meint?« fragte Sir Aymer, sich an seine Mannen wendend. »Ich denke mir,« erwiderte Fabian, »daß sie den alten, in Kindheit verfallenen Narren meint, den man oft als Gewährsmann für die Geschichte und die Altertümer dieser alten Stadt wie auch des wilden Geschlechts nennen hört, das vielleicht schon vor der Sündflut hier gehaust hat.« »Und der, wie ich glaube,« setzte der Ritter hinzu, »von dem Vorfall soviel wissen wird wie die Alte selber! Aber er soll Küster sein, der Alte? Nun, dann weiß er vielleicht mit Verstecken Bescheid, die sich in gotischen Bauten so häufig finden und denen bekannt zu sein pflegen, die dort Verrichtung haben. Kommt, Frau, und bringt mich zu dem Manne. Aber schnell! Denn wir haben schon zuviel nützliche Zeit vergeudet.« »Zeit?« wiederholte die Frau; »bringt Euer Gnaden Zeit in Anrechnung? Meine Zeit reicht kaum noch, um Leib und Seele zusammenzuhalten. Ihr seid nicht mehr weit vom Hause des Alten.« Über Haufen von Schutt, und Stein führte der Weg, den die Alte dem Ritter voranging, der seinem Knappen die Zügel seines Rosses in die Hand legte und hinter seiner Führerin herstieg, so gut es die Beschwernisse der pfadlosen Strecke gestatteten. Bald befanden sie sich zwischen den Ruinen der alten Kirche. Die alte Frau schwatzte unterwegs in einemfort: »Der alte Mann wird seinen Obliegenheiten nachgehen. Mich wundert bloß, daß er sich zu solcher Stunde und in so schwerer Zeit mit dergleichen Dingen plagt! Aber, Gott steh uns bei! Die Zeit wird wohl noch reichen für sein und mein Leben; ist sie doch, soweit ich urteilen kann, noch gut genug für uns Lebende!« »Wißt Ihr auch, Frau, ob zwischen diesen Ruinen ein Mensch lebt?« fragte de Valence; »mir kommt es weit eher so vor, als führtet Ihr mich in ein Beinhaus.«, »Vielleicht habt Ihr nicht unrecht, Herr Ritter«, erwiderte die Frau mit gräßlichem Lachen; »alte mürrische Leute sind recht für Grabgewölbe und Leichenhäuser; und wenn ein alter Totengräber bei den Toten wohnt, so haust er doch, wie Ihr wißt, unter seinen Kunden! Holla, Powheid! Lazarus Powheid! Holla! Hier ist ein Herr, der mit Euch reden will!« Dann setzte sie mit gewissem Nachdruck hinzu: »Ein edler Herr englischer Herkunft von der höchst ehrsamen englischen Garnison auf Schloß Douglas.« Jetzt wurden langsame Schritte laut und bald fiel der Schatten eines Greises auf die vom Mond beleuchteten Mauertrümmer des Gewölbes. Bald, sah man, daß seine Kleidung in liederlichem Stande war, ganz als ob er eben aus dem Bett gesprungen sei; denn seit der Einwohnerschaft im ganzen Douglas-Tale alle künstliche Beleuchtung durch die Engländer verboten war, war die Gewohnheit eingerissen, von der Dämmerzeit ab sich dem Schlaf zu überlassen. »Was wollt Ihr von mir, junger Herr?« fragte der Greis, ein großer, durch Alter und Entbehrungen abgemagerter Mann, dessen Körper durch die Arbeit des Grabschaufelns gebeugt war, dem aber das Gewand eines Laienbruders einen Anschein von kirchlicher Würde lieh; »Eure jugendlichen Züge und weltliche Kleidung deuten mir auf einen Menschen, der meines Dienstes weder für sich noch für andere bedarf.« »Ich bin freilich noch lebendig,« versetzte der Ritter nicht ohne Humor, »und brauche also für mich selbst weder Schaufel noch Hacke; auch für keinen Verwandten, denn ich trage ja kein Trauerkleid; ich wünsche nichts weiter, als Euch ein paar Fragen zu stellen, Alter.« »Was Ihr haben wollt, sollt Ihr bekommen,« erwiderte der Küster, »denn Ihr gehört ja zu denen, die uns dermalen regieren, und seid wie mir scheint, ein Mann von höherem Range. Folgt mir in meine dürftige Wohnung. Vordem besaß ich eine bessere; aber sie ist, der Himmel weiß es, noch gut genug für mich, seit sich Menschen weit höheren Standes mit einer noch schlechteren abfinden müssen!« Er öffnete eine niedrige Tür, die zu einer Art von gewölbtem Kellerloch führte, in welchem der Greis, wie es schien abgesondert von aller Welt, seine elende Behausung hatte. Der Fußboden war aus Steinen gebildet, die stellenweise noch Schrift und Embleme trugen, als seien sie vordem Grabsteine gewesen. Am oberen Ende des Gewölbes brannte ein Feuer, dessen Rauch Abzug durch ein Mauerloch fand. In einer anderen Ecke standen Schaufel und Hacke nebst anderem Gerät. Ein paar roh gezimmerte Stühle bildeten mit einem ebensolchen Tische und einem Strohlager an der Längsseite des Kellers den einzigen Hausrat. Am unteren Ende des Raumes war die Wand fast ganz durch ein großes Wappenschild verdeckt, das sechszehn besondere Wappenfelder aufwies, jedes mit eigentümlichen und besonderen Sinnbildern und zusammen um das Hauptwappen in schicklicher Weise gruppiert. »Setzen wir uns,« sprach der Greis, »ich werde Eure Worte dann besser hören können und der Husten wird milder mit mir umgehen, so daß Ihr auch meine Worte besser versteht.« Der Ritter folgte dem Beispiel seines Wirtes und ließ sich auf einem der rohen Stühle neben dem Feuer nieder. Der Greis, von heftigem Husten befallen, holte aus einem Winkel in einer Schürze zerschlagene Bretter herbei, von denen Stücke noch mit schwarzem Tuch bekleidet, auch mit schwarzen, bisweilen vergoldeten Nageln beschlagen waren. »Man darf hier das Feuer nicht ausgehen lassen,« erklärte der Greis, »weil sich bei Nachlassen der Wärme Dünste aus diesen Gräbern sammeln, die den Lungen gesunder Leute, wie Euer Gnaden, von großem Schaden sind. Ich habe mich mit der Zeit freilich daran gewöhnt.« Die Überreste von Särgen, die der alte Mann auf seinem Kamin zusammengeschichtet hatte, fingen langsam an zu schwelen, bis schließlich eine Flamme aufloderte, die den finsteren Raum mit geisterhafter Helligkeit erfüllte. »Ihr wundert Euch, Herr Ritter,« sagte der Greis, »und habt vielleicht nie zuvor gesehen, daß Reste von Toten gebraucht wurden, den Lebendigen Behaglichkeit zu schaffen?« »Behaglichkeit?« wiederholte mit Achselzucken der Ritter; »es möchte mir leid tun, sollte ich einen Hund so schlecht beherbergen müssen, wie du hier hausest, dessen weißes Haar sicherlich bessere Tage gesehen hat.« »Vielleicht,« antwortete der Küster, »vielleicht auch nicht! Indessen ist es mir so, als seien Euer Gnaden nicht abgeneigt gewesen, mir einige Fragen über mein Vorleben vorzulegen? Ich wage deshalb die Erkundigung, worauf Eure Fragen sich richten sollten.« »Ich will klar und kurz sein,« antwortete Sir Aymer, »und Ihr sollt mir klar und kurz antworten. Ich bin in den Gassen dieses Fleckens eben einem Menschen begegnet, der so verwegen ist, die Warenzeichen der Douglas zu tragen – ein Lichtstrahl, der auf seine Person fiel, hat es mir gezeigt – der so verwegen war, und meine Ohren trügen mich nie, sogar den Kriegsruf der Douglas ertönen zu lassen! Darf ich meinem flüchtigen Blicke trauen, so besaß dieser Verwegene sogar die Gesichtszüge derer von Douglas und die ihnen eigentümliche dunkle Hautfarbe. Ich bin an dich verwiesen worden, Alter, weil du die Mittel besitzen sollst, mir Aufklärung über diesen seltsamen Umstand zu geben. Als englischer Ritter, der unter König Eduard dient, bin ich verpflichtet, diesen Vorfall auf das genaueste zu untersuchen.« »Erlaubt mir, Herr Ritter, hier eine Unterscheidung zu machen,« sprach der Greis, »die Herren von Douglas aus früheren Generationen sind meine nächsten Nachbarn, nach der Meinung meiner abergläubischen Mitbürger meine Bekannten und Gäste. Für ihre gute loyale Aufführung kann ich mein Gewissen mit Verantwortung belasten, kann mich verbürgen, daß die alten Barone, bis auf die man, der Sage nach, den Wurzeln dieses mächtigen Stammes zurückspüren kann, durch kein Kriegsgeschrei mehr die Städte und Dörfer ihrer Heimat stören werden; keiner von ihnen wird im Mondenschein mit der schwarzen Rüstung paradieren, die seit langem schon auf ihren Gräbern verrostet ist. Blickt Euch um, Herr Ritter! Über Euch und um Euch her habt Ihr die Männer, von denen Ihr redet. Unter uns in einem kleinen Nebengewölbe, das nicht geöffnet wurde, seit diese Locken braun und dicht waren, ruht der erste Herr, den ich als merkwürdig in dieser merkwürdigen Geschlechtsfolge bezeichnen kann. Er ist es nämlich, den der Thane von Athol dem König von Schottland als Sholto Dhuglaß oder den dunklen eisenfarbigen Mann vorstellte, durch dessen Heldenhaftigkeit seine Fürsten die Schlachten gewannen. Der Sage nach war er es, der unserem Tal und unserer Stadt seinen Namen hinterließ, während freilich andere dafür halten, daß das Geschlecht seinen Namen von dem Strom erhielt, der seit undenklichen Zeiten diesen Namen führte, bevor noch an seinen Ufern das Geschlecht der Douglas seine Schlösser und Burgen besaß. Andere, seine direkten Nachkommen, Eachain oder Hektor der erste und Orod oder Hugo, William als erster dieses Namens und Gilmaur, der Held manches Sängerliedes, das von Taten meldet, die unter der Oriflamme Karls des Großen, des Königs der Franken, vollbracht wurden – sie alle sind hier beigesetzt worden zu ihrem letzten Schlafe und ihr Gedächtnis ist vor der Verheerung der Zeiten nicht geschützt worden. Einiges wissen wir von ihren großen Taten, ihrer gewaltigen Macht und, ach! ihren großen Verbrechen. Einiges wissen wir auch von einem Lord Douglas, der im Parlament zu Torfur saß, das König Malcolm I. hielt, z.B. daß er wegen seiner Vorliebe, den wilden Hirsch zu jagen, sich im Walde von Ellrich einen Turm baute, Blackhouse genannt, der vielleicht noch heute steht.« »Verzeiht, Alter,« rief der Ritter, »aber dem Stammbuch der Douglas kann ich meine Zeit nicht widmen. Der böte ja Sängern mit gutem Atem Stoff zum Vortrag für ein ganzes Kalenderjahr mit Einschluß der Sonn- und Feiertage.« »Welch andere Kunde könnt Ihr von mir erwarten,« entgegnete der Küster, »als solche über die Helden, deren einige durch mich zur ewigen Ruhe bestattet worden sind? Ich zeigte Euch, wo das Geschlecht der Douglas bis zum königlichen Malcolm ruht. Ich kann Euch von einem weiteren Gewölbe erzählen, in welchem Sir John von Douglas-Burn mit seinem Sohn Lord Archibald und einem dritten William ruht, bekannt durch seinen Vertrag mit Lord Aberdeen. Auch von demjenigen Douglas kann ich Euch erzählen, dem dies große Wappenschild hier mit allem Zubehör von Glanz und Würde gehörte. Beneidet Ihr ihn, den Edelmann, den ich, und stände Tod auf meinen Worten, ohne Zaudern meinen lieben Herrn und Lord nennen würde? Hegt Ihr die Absicht, seine Gebeine zu entfernen? Solcher Sieg über einen Toten, dem im Leben kein Ritter standhielt, geziemte einem englischen Ritter und Edelmann schlecht. Aber das Glück, auf dem Schlachtfeld den Tod zu finden, war ihm nicht beschieden. Durch Verrat fiel er in die Hände der Feinde, und Kerkerhaft, Gram über das Unglück des Vaterlandes und schwere Krankheit gaben ihm den Tod im Lande der Fremden. Aber noch heute klebt das Blut an den Wänden der schmalen Gasse, die Ihr vorhin hinuntergejagt seid, von den hunderten, die dort unter seinem Schwerte gefallen sind. Wie ein Rachegott brach er nieder über das fremde Geschmeiß, das ihm die Stadt seiner Väter rauben wollte; wie der leibhaftige Sensenmann mähte er sie nieder, Mann für Mann und Ritter für Ritter! Einen Tag und eine Nacht stand das Wasser im Teiche hoch von dem Blute der Feinde und seitdem führt der Teich, dessen Wasser dick und trübe blieb, dem die Zugänge und Abflüsse verstopft sind durch hunderte von Leichen, den Namen der blutige Sumpf und wird ihn behalten in alle Ewigkeit, und in alle Ewigkeit wird Schottland den Ruhm dieses Douglas singen, der der Feinde des Vaterlandes mehr erschlug an einem einzigen Tage, als manch anderer seines Geschlechts in seinem ganzen Leben! Aber, Ritter! Noch ist Raum vorhanden in dem Sumpfe, nach welchem das Schloß bei uns Schotten jetzt seinen Namen trägt, für weitere! Und wenn Ihr vor Minuten einen Schwerbewaffneten mit der Gesichtsfarbe des schwarzen Douglas gesehen zu haben meint, so ist es sicherlich nicht meine Sache, solche Einbildung anders als durch die Voraussetzung zu erklären, daß die angeborene Furcht des Südländers das Gespenst eines Douglas zu aller Zeit heraufbeschwören wird, wenn er die Grabstätte des Geschlechts vor Augen hat.« Starr ob solcher kühnen Rede stand der Ritter. Der Greis richtete sich langsam im Flackerschein des Feuers auf, das seinem mageren Gesicht eine Färbung lieh, wie Maler sie dem heiligen Antonius in der Wüste geben. »Die Geister der Verstorbenen vom Geschlechte der Douglas ruhen nicht in ihren Gräbern, so lange ihre Grabmäler geschändet liegen und ihr Haus entehrt ist. Weder Himmel noch Hölle kann ihnen Aufenthalt geben; sie hausen noch heute in jenem Mittelreich zwischen Leben und Tod, das für solche besteht, die so übergroßen Anteil hatten an weltlichem Triumph und weltlichem Glück, daß ihre Geister die Ruhe nicht finden können. Wollt Ihr Euch des verwundern, die Ihr die Tempel verbranntet und niederrisset, die ihnen von den Nachkommen erbaut wurden, um die göttlichen Mächte für das Heil ihrer Seelen günstig zu stimmen? Könnt Ihr Euch wundern, daß sie unzufrieden umherschweifen an den Stätten, die ihnen noch Ruhe gewähren würden, wenn Ihr nicht den Krieg auf so rücksichtslose Weise geführt hättet, daß solche Krieger ohne Fleisch und Bein Eure Märsche stören?« »Alter Mann!« rief der Ritter, der nun wieder Herr über seinen Geist geworden war, »solche Mär, mit der Ihr wohl Knaben in Schlaf lullen könnt, ist keine Antwort auf die an Euch gestellte Frage! Nichtsdestoweniger bin ich Demjenigen dankbar, der unsere Geschicke lenkt, daß er Euer Schicksal nicht in meine Hände gelegt hat. Fabian!« rief er seinem Knappen zu, »holla, hierher mit zwei Armbrustschützen!« – der Gerufene war im Nu zur Stelle – »bring den Alten als Gefangenen zum Schloßhauptmann, zu Sir John de Walton, der wahrlich der Mann nicht ist, Alter, an deine Geistermär und deine Lehre vom Fegfeuer zu glauben – melde Sir John, Fabian, daß dieser Küster nach meiner Meinung gar Wohl in der Lage sei, über den geisterhaften Ritter, der uns begegnet ist, mehr zu sagen, als er auf einfache Frage sagen will, daß es auf mich sogar den Eindruck mache, als stünde er mit einer hier im Gange befindlichen Verschwörung in enger Beziehung. Melde dem Schloßhauptmann auch, daß ich in Anbetracht der vielerlei verdächtigen Dinge, die sich jetzt in unserer Umgebung ereignen, mit dem Knaben drüben im Kloster keine sonderlichen Umstände machen werde!« »Ihr könnt Euch drauf verlassen, Herr Ritter, daß ich keine Ewigkeit nach dem Schlosse hinauf brauchen werde,« rief der Knappe, »und sollte ich auch den Ritt auf den Knochen des Alten machen müssen!« »Behandle ihn nicht unmenschlich!« befahl der Ritter, »und Ihr, alter Mann, wenn Ihr auch unempfindlich seid gegen Drohungen, die Euch persönlich betreffen, so laßt Ihr besser wohl nicht außer Acht, daß Euch schärfere als Leibesstrafe treffen kann, wenn Ihr uns solltet betrügen wollen.« »Könnt Ihr die Folter auf die Seele anwenden?« fragte der Küster. »Euch haben wir in solcher Gewalt,« versetzte der Ritter, »denn wir werden alle kirchliche Übung, die zum Seelenheil für die Familie Douglas eingesetzt worden, aufheben und jeden Aufenthalt an solcher Stätte denen verbieten, die sich weigern, für das Seelenheil des Königs Eduard ruhmreichen Gedenkens, der im Lande als »Schottenhammer« gefeiert wird, zu beten. Wird also das Geschlecht der Douglas aller gottesdienstlichen Handlung an heiliger Stätte beraubt, so wird es solches lediglich deinem harten Sinn zu danken haben.« »Solche Rache,« rief der Greis, ohne im geringsten Einschüchterung zu zeigen, »würde sich eher eignen für Teufel in der Hölle, als für ehrliche Christen!« Der Knappe hob die Faust; aber der Ritter tat ihm Einhalt. »Laß ihn, Fabian!« sprach er, »der Mann steht in hohem Alter und sein Verstand ist vielleicht nicht mehr in Ordnung. Aber laßt nicht außer Acht, Küster, daß die angedrohte Rache nach dem Gesetz gegen ein Geschlecht gerichtet werden kann, dessen sämtliche Glieder Parteigänger des im Kirchenbann schmachtenden Rebellen waren, der in der Kirche von Dumfries Comyn den Roten erschlug.« Mit diesen Worten schritt Sir Aymer, mit Schwierigkeit den Rückweg findend, aus den Ruinen, bestieg am halbverfallenen Kirchenportal sein Roß und setzte, nachdem er der Wache verschärfte Aufmerksamkeit empfohlen, seinen Ritt nach Hazelside fort. Mit dem durch den Abgang von Fabian und den ihm zum Geleit gegebenen zwei Armbrustschützen verringerten Gefolge stieg er nach schnellem, aber ziemlich langem Ritt vor Thomas Dicksons Pachthof ab, woselbst die Pembrokeschen Reiter bereits eingetroffen und bequemes Quartier für die Nacht genommen hatten. Er ließ dem Abte von Saint-Bride seinen Besuch melden und anempfehlen, den bei ihm aufhältlichen Jüngling scharf im Auge zu behalten, bis er selbst in der Kapelle eingetroffen sein würde. Neuntes Kapitel »Ein später Ritt«, sprach der Abt, als der Ritter vor dem Kloster vom Pferde sprang; »darf ich nach dessen Ursache fragen, nachdem wir erst vor kurzem mit dem Schloßhauptmann bestimmte Vereinbarung getroffen haben?« Man sah es dem Abte an, daß er sich der Aufforderung eines Herrn fügte, gegen den er keinen Ungehorsam wagte, vor dem er aber auch Verdruß, soweit ihm solcher gestattet war, nicht verstecken mochte. »Man hegt Verdacht, Herr Abt,« erwiderte Sir Aymer, »daß hartnäckige Feinde von uns Engländern sich wieder mit Plänen zu Rebellion und Aufstand tragen. Mir selbst ist im Laufe der Nacht manches Verdächtige vor die Augen gekommen. Zweck meiner Herkunft, Herr Abt, ist die Frage an Euch, ob Ihr als Entgelt für mancherlei Gunst durch englische Fürsten dazu beitragen wollt, diese feindseligen Pläne aufzudecken.« »Gewiß soll das geschehen«, versetzte der Abt mit bewegter Stimme; »ich glaube, Ihr zweifelt nicht, Herr Ritter, daß alles, was mir bekannt ist, soweit Euch dessen Mitteilung nützlich sein kann, zu Eurem Befehl steht.« »Zurzeit müssen, wie Euch ja doch bekannt ist, Herr Abt, alle Reisende im Lande von uns mit Argwohn überwacht werden und sich fortwährender Behelligung für ausgesetzt halten. Wie denkt Ihr beispielsweise über den Jüngling, den eine Person namens Bertram, seines Zeichens Sänger, unter dem Namen Augustin bei Euch einquartiert hat unter dem Vorgeben, es sei sein leiblicher Sohn?« Der Abt blickte den Ritter verwundert an. »Nach allem, was ich von dem Jüngling gesehen und gehört habe, Herr Ritter, ist derselbe von ausgezeichnetem Charakter. Etwas anderes ließ sich auch in Betracht des höchst ehrenhaften Mannes, der ihn meiner Fürsorge übergab, gang und gar nicht erwarten.« »Freilich, Herr Abt, habe ich Euch,« erwiderte der Ritter zu nicht geringer Überraschung des Abtes, welcher gemeint hatte, durch seine Antwort dem Ritter gegenüber in Vorteil zu kommen, »den Jüngling empfohlen. Indessen ist dem mir vorgesetzten Herrn Schloßhauptmann das über den Jüngling erstattete Zeugnis, das mir als genügend erschien, ungenügend, und deshalb ist mir der Auftrag geworden, bei Euch, Herr Abt, weitere Erkundigung einzuziehen. Daß uns die Angelegenheit von Wichtigkeit erscheint, könnt Ihr wohl denken, da wir Euch zu solch ungewohnter Stunde in Unruhe setzen.« »Ich kann bei meines Ordens Heiligkeit beteuern,« versetzte der Abt, »daß ich keinerlei Zeichen böser Gesinnung an dem Jüngling bemerkt habe, obgleich ich seine Aufführung auf das sorgfältigste überwache.« »Merkt genau auf meine Fragen, Herr Abt,« sprach der Ritter, »und gebt mir kurz und bestimmt Antwort, der Wahrheit gemäß: Welchen Verkehr hat der Jüngling mit den Bewohnern dieses Klosters und mit Leuten außerhalb des Klosters unterhalten?« »So wahr ich ein Christ bin,« antwortete der Abt, »habe ich nichts wahrgenommen, was zu Verdacht irgendwelchen Anhalt geben könnte. Augustin zeigt, im Gegensatz zu Jünglingen, die ich draußen in der Welt beobachtet habe, entschiedene Vorliebe für die Gesellschaft unserer frommen Schwestern im Kloster.« »Klatschsucht wird nach Gründen hierfür nicht in Verlegenheit sein«, warf der Ritter leicht hin. »Nicht bei den Schwestern von Saint-Bride,« versetzte der Abt, »denn ihre Schönheit wurde entweder vom Zahn der Zeit oder durch irgendwelchen Unglücksfall zerstört, ehe sie Zuflucht hier in der Abtei suchten.« »Mir liegt durchaus fern,« sagte hierauf der Ritter, »der frommen Schwesterschaft anderen Einfluß auf den Jüngling als aufmerksame Behandlung und freundliche Rücksicht auf seine Bedürfnisse unterzuschieben. »Darin tut Ihr auch Recht, Herr Ritter; weder Schwester Beatrice noch Schwester Ursula geben Euch Ursache zu anderer Denkweise. Mit Eurer Erlaubnis, Herr Ritter,« setzte der Abt hinzu, »will ich jetzt nachsehen, in welchem Zustande der Jüngling zurzeit sich befindet, und will ihm sagen, daß er vor Euch zu erscheinen habe.« »Ich bitte darum, Herr Abt,« entgegnete der Ritter, »und will hier Eure Rückkehr erwarten. Ich will den Knaben entweder hier verhören oder nach dem Schlosse hinaufbringen, je nachdem es die Umstände als ratsam erweisen.« Der Abt verbeugte und entfernte sich. Er blieb lange fort, und schon begann der Ritter argwöhnischen Gedanken zugänglich zu werden, als der Erwartete mit verlegener Miene eintrat. »Verzeihung, bitte, daß ich Euer Gnaden so lange warten ließ,« begann der Abt ängstlich, »mich hat aber allerhand unnützer Förmlichkeitskram auf seiten des Jünglings über Gebühr aufgehalten. Indessen ist er jetzt bereit, sich Euer Gnaden zu zeigen.« »Ruft ihn her!« erwiderte der Ritter kurz. Abermals verstrich eine beträchtliche Zeit, bis der Abt halb mit Schelten, halb mit Bitten die als Jüngling verkleidete Dame zum Eintritt in das Sprechzimmer bestimmt hatte. Mit verweintem Gesicht und eilfertig übergeworfenem Pilgergewand erschien sie. Aber das Gewand war mit solchem Geschick angefertigt, daß es ihre Erscheinung durchaus veränderte und ihr Geschlecht vollständig verbarg. Da es sich mit den Gesetzen der Höflichkeit nicht vertrug, mit dem Pilgerhut auf dem Haupte zu erscheinen, hatte sie besondere Sorgfalt auf ihr Lockenhaar verwandt, das auf dem Scheitel geteilt rechts und links der Stirn in breiten Strähnen lag. Wohl erschienen dem Ritter die Züge ihres Angesichts höchst lieblich, aber sie standen zu dem angenommenen Charakter, den sie bis zum Äußersten festzuhalten entschlossen war, in keinerlei Widerspruch. Als sie sich dem Ritter gegenübersah, wurde ihr Wesen kühner und entschlossener als bisher. »Euer Gnaden,« sprach sie ihn an, ehe er selbst das Wort hatte nehmen können, »sind ein englischer Ritter, also zweifelsohne im Besitz aller Tugenden, die sich für solch edle Stellung geziemen. Ich bin ein unglücklicher Knabe, durch mancherlei Gründe, die ich geheim halten muß, zur Reise nach diesem gefahrvollen Lande gezwungen. Kein Wunder, daß sich Argwohn gegen mich richtet, daß man in mir jemand vermutet, der in Komplotte verwickelt ist, die ich doch von Grund meines Herzens verabscheue und die so vollständig meinen Interessen zuwiderlaufen, daß es Unsinn für mich ist, mich mit Erwägungen und Betrachtungen darüber zu befassen. Nichtsdestoweniger steht Ihr, all meiner feierlichen Beteuerungen nicht achtend, im Begriff, gegen mich als einen Schuldigen zu verfahren. Ich kann hiergegen nichts tun, Herr Ritter, als Euch zu verwarnen, daß Ihr in Gefahr steht, Euch eines großen und grausamen Unrechtes schuldig zu machen.« »Das zu vermeiden werde ich bemüht sein,« versetzte der Ritter, »indem ich den Fall vollständig der Entscheidung des Schloßhauptmanns Sir John de Walton überantworte. Meine Pflicht richtet sich einzig und allein auf die Aufgabe, Euch in seine Hände und zum Schlosse hinauf zu liefern.« »Muß das geschehen?« fragte Augustin. »Ohne Frage und ohne Säumen,« antwortete der Ritter, »sofern ich mich keiner Pflichtverletzung schuldig machen will.« »Wenn ich mich nun verpflichtete, Euren Verlust durch eine große Geldsumme, durch einen Landbesitz wettzumachen –?« »Kein Geld, kein Land, selbst angenommen, Ihr könntet darüber verfügen,« versetzte der Ritter, »könnte mir Ersatz sein für Schmach und Schande! Zudem Knabe, wie sollte ich einem solchen Versprechen, wenn mich Habsucht wirklich bestimmen sollte, vertrauen können?« »Also muß ich mich bereit halten, Euch zum Schlosse hinauf und zu Sir John de Walton zu begleiten?« »Es ist unvermeidlich,« antwortete der Ritter, »und Euer Interesse gebietet, mich nicht warten zu lassen, da ich sonst zur Gewalt schreiten müßte.« »Von welchen Folgen wird mein Erscheinen im Schlosse für meinen Vater begleitet sein?« fragte der Jüngling. »Das wird lediglich von Euren und seinen Aussagen abhängig sein«, erklärte der Ritter; »wie aus dem Schreiben Eures Vaters, das Euch Sir John de Walton überbringen ließ, hervorleuchtet, habt ihr beide ein Geheimnis zu offenbaren. Besser für Euch wird es sein, glaubt mir, Euch den Folgen längeren Verzuges nicht auszusetzen. Hin- und Herreden zu gestatten verträgt sich mit meinen Instruktionen nicht; Euer Schicksal, glaubt mir, hängt einzig und allein ab von Eurer Aufrichtigkeit.« »So bleibt mir nichts übrig, als mich zum Aufbruch nach dem Schlosse vorzubereiten«, sagte der Jüngling; »indessen bin ich von meiner schweren Krankheit noch immer nicht genesen; Abt Hieronymus, berühmt durch sein ärztliches Wissen, wird Euch bestätigen, daß ich ohne Gefahr für mein Leben solche beschwerliche Tour nicht machen kann, daß ich seit meinem Eintritt ins Kloster noch keine Bewegung im Freien gemacht habe aus Furcht, meine Krankheit durch Ansteckung auf meine Mitmenschen zu übertragen.« »Der Jüngling spricht die Wahrheit«, pflichtete der Abt bei, »Und glaubt Ihr, ehrwürdiger Vater,« wandte sich der Ritter an den Abt, »daß für den Knaben Gefahr im Verzuge sei, wenn ich ihn meiner Absicht gemäß heute nacht noch zum Schlosse hinaufführe?« »Allerdings,« versetzte der Abt, »denn leicht kann es geschehen, daß sich ein Rückfall einfindet, bei welchem dann für Weitertragung der Krankheit durch Ansteckung erhöhte Gefahr besteht.« »Dann müßt Ihr Euch gefallen lassen, Knabe, Euer Zimmer für die Nacht mit einem Armbrustschützen zu teilen«, entschied der Ritter. »Dagegen kann ich nicht Einspruch erheben,« sagte Augustin, »sondern nur wünschen, daß die Gesundheit des Mannes durch meine Nähe nicht Gefahr leide.« »Er wird seiner Pflicht nicht minder gerecht werden, wenn er vor der Tür seinen Posten bezieht,« äußerte der Abt, »und wenn der Knabe, was durch die Anwesenheit einer Wache in seinem Zimmer doch wohl nicht ausgeschlossen sein möchte, sich ruhig ausschlafen kann, so wird er morgen um so standhafter sein.« »Sei es so!« sprach der Ritter, »vorausgesetzt, daß Ihr Bürgschaft übernehmt, daß der Gefangene sich dem Transport nicht während der Nacht durch Flucht entzieht!« »Das Zimmer hat keinen anderen Eingang, als den Euer Armbrustschütze überwachen wird«, erwiderte der Abt; »um Euch ganz zufriedenzustellen, will ich die Tür in Eurer Gegenwart abschließen. Irgendwelche weltliche Bürgschaft zu leisten würde aber gegen die Regeln meines Ordens verstoßen.« »Ich will mich Euren Worten fügen, Herr Abt, weil ich sowohl Euch als dem Jüngling vertrauen zu dürfen meine«, sagte der Ritter; »bis zur Dämmerstunde dürft Ihr noch hier weilen, Knabe, dann aber müßt Ihr bereit sein, mich auf das Schloß hinauf zu begleiten.« Als das erste Frühlicht den Horizont färbte, rief die Klosterglocke, von Saint-Bride zum Gebet. Hierauf führte der Abt den Ritter vor Augustins Zelle. Die Schildwache meldete, es sei die ganze Nacht über in der Zelle mäuschenstill gewesen. Der Ritter klopfte. Keine Antwort. Er klopfte lauter. Die gleiche Stille. »Was bedeutet das?« fragte der Abt; »sollte mein junger Patient von Ohnmacht befallen sein?« »Das werden wir schnell sehen!« rief der Ritter. .. »Brecheisen und Hebel herbei, ihr Leute!« schrie er – »und leistet die Tür Widerstand, so schlagt sie in Stücke!« Der laute Schall und finstere Ton seiner Stimme rief Mönche und Nonnen zur Stelle. Im Nu war sein Befehl vollzogen und die Tür aus den Angeln gehoben. Die Zelle aber war leer. Zehntes Kapitel Aus Kleidungsstücken, die am Boden lagen, ging hervor, daß Augustin nicht allein, sondern in Gesellschaft der unter dem Namen Schwester Ursula gekannten Nonne geflohen war. Dieser Umstand trug natürlicherweise nicht dazu bei, das Ereignis plausibler zu machen. Tausend Gedanken stürmten auf Sir Aymer de Valence ein, weil er sich auf solch schmachvolle Weise von einem Knaben und einer Nonne hatte hintergehen lassen. Dem Abte erging es nicht besser. Vom englischen König in seine Würde gesetzt, empfand er die Flucht des ihm anvertrauten Gefangenen als eine schwere Gefahr gegen sich selber, um so schwerer, als er den Ritter zu milder Ausübung der ihm zustehenden Gewalt bestimmt hatten. Eine in aller Hast vorgenommene Untersuchung ergab wenig anderes als was man bereits wußte: daß Jüngling und Nonne sich dem Kloster durch die Flucht entzogen hatten. »Ich muß meine Kriegsleute über die Gegend zerstreuen, um die Flüchtlinge zu verfolgen,« sagte de Balence, mit einem Papier auf den Abt zutretend, das ihm eben von einem Armbrustschützen behändigt wurde, der es zwischen den am Boden liegenden Kleidungsstücken hervorgelangt hatte – »sofern nicht in diesem Schriftstück, das der geheimnisvolle Pilgerknabe zurückgelassen haben muß, Aufklärung über ihn enthalten ist.« Nachdem er den Inhalt mit steigender Überraschung überflogen hatte, las er laut das folgende: »Dem Vater Hieronymus, Hochwürden und Abt von Saint-Bride, gibt der Unterzeichnete, bis vor kurzem Gast seines Klosters, zu wissen, daß er sich zur Flucht entschlossen hat, sobald er inne wurde, daß Hochwürden geneigt sei, ihn als Spion in seinem Heiligtum gefangen zu halten und zu behandeln und nicht länger mehr als die unglückliche Person anzusehen, die sich freiwillig unter seinen Schutz begeben hatte. Da der Unterzeichnete des weiteren findet, daß die im Kloster unter dem Namen Schwester Ursula aufhältliche Novize nach der Disziplin und den Regeln Eures Ordens ein begründetes Recht besitzt, nach ihrem Belieben und Gefallen in die Welt zurückzukehren, sofern sie nicht nach dem Noviziat eines Jahres sich als Schwester aufnehmen lassen will, von diesem ihr zustehenden Rechte Gebrauch zu machen erklärt hat und willens ist, so nehme ich mit Freuden die Gelegenheit zu gemeinschaftlicher Flucht wahr. Seine Hochwürden Abt Hieronymus wird nicht in Abrede stellen können, daß dieser Entschluß der Schwester Ursula im Einklange steht mit göttlichem Recht und Gesetz und mit den Vorschriften der Abtei Saint-Bride und daß ihm keine Gewalt zusteht, jemand mit Gewalt im Kloster zurückzubehalten, der das unwiderrufliche Ordensgelübde noch nicht abgelegt hat. Euch aber, Sir John de Walton und Sir Ahmer de Valence, Rittern von England und zurzeit Kommandanten des Schlosses Douglas am Blutsumpf und der gesamten Garnisonen im Douglas-Tale, beschränkt sich der Unterzeichnete darauf hinzuweisen, daß Ihr gehandelt habt und handelt unter dem Banne eines Geheimnisses, der über uns allen lastet, dessen Lösung einzig und allein durch meinen getreuen Sänger Bertram erfolgen kann, für dessen Sohn ich mich auszugeben für zweckmäßig hielt. Da ich es zurzeit nicht über mich vermag, selbst ein Geheimnis zu enthüllen, ohne mein heiliges Schamgefühl zu verletzen, gebe ich meinem getreuen Sänger Bertram hierdurch Befehl und Auftrag, Euch über den Zweck meiner Wanderung nach dem Schlosse Douglas zu unterrichten, also den Schleier des Geheimnisses, das auf uns lastet, zu enthüllen. Ist dies geschehen, so bleibt mir nur noch übrig, den beiden Rittern gegenüber meinen Empfindungen über den Kummer Ausdruck zu geben, den mir ihr gewalttätiges Vorgehen und die Androhung eines weiteren harten Verfahrens bereiten mußten. Was zuvörderst Sir Ahmer de Valence anbetrifft, so verzeihe ich ihm aus freien Stücken gern, weil er in Dinge verstrickt wurde, zu denen ich selbst Veranlassung und Ursache gewesen bin. Was aber Sir John de Walton anbetrifft, so muß ich ihm zu bedenken geben, ob sein Verhalten gegen mich in Anbetracht des Verhältnisses, in welchem wir zu einander stehen, von solcher Art ist, daß es sich verzeihen läßt. Hoffentlich wird er begreifen, daß ich im Recht bin, wenn ich sage, alle früheren Beziehungen seien als abgebrochen anzusehen zwischen Sir John de Walton und dem angeblichen Augustin.« »Verrückt, borniert!« rief der Abt, als Sir Aymer zu Ende war; »der Mensch, der solches schreibt, muß von der Tarantel gestochen sein! Auf Brot und Wasser muß solcher Narr gesetzt werden, dazu tägliche, Beikost von Reitpeitschen- oder Ruten-Traktament...« »Still, ehrwürdiger Vater, still!« lief Sir Aymer; »mir fängt ein Licht an zu dämmern, und wenn sich bestätigt was ich argwöhne, dann täte Sir John de Walton klüger, sich selbst das Fleisch von den Knochen zu reißen, als diesem Augustin einen Finger krümmen zu lassen. Auf Ritterehre, würdiger Vater! wir können einander Glück wünschen, daß wir auf solche Weise aller Fahrlässigkeit ledig werden bei Ausführung eines Auftrages, der alle Schrecknisse eines furchtbaren Traumes in sich barg! Und statt, wie Ihr anempfehlt, diesen Jüngling als verrückten Narren zu traktieren, will ich meinesteils gern eingestehen, daß ich selbst behext und betört gewesen bin. Inzwischen muß ich ohne Verzug aufs Schloß zurück, um Sir John de Walton von der seltsamen Wendung Kunde zu geben, die der geheimnisvolle Fall jetzt genommen hat. Ist dies Schreiben hier in allem, was ihn darin betrifft, wörtlich auszulegen, so ist er der bejammernswürdigste Mensch zwischen dem Ufer des Solway und dem Fleck, wo ich jetzt stehe. – Hallo! Zu Pferde!« rief er zum Fenster hinunter – »das Kommando hält sich bereit, nach der Rücklehr die Wälder abzusuchen! Die Flüchtlinge sind aber mit aller engländischem Adel schuldigen Höflichkeit und Rücksicht zu behandeln, gleichviel wo sie angetroffen werden sollten!« Er drückte dem Abte die Hand. Auf dem Ritte zum Schlosse hinauf jagten sich die Gedanken in seinem Hirn. »Wie es sich nur darum verhält, daß uns neuer Nebel umhüllt, sobald sich der alte kaum zerstreut hat. Ganz sicher ist diese unter dem Namen Augustin hierher gewanderte, Dame keine andere als die Gattin von Waltons besonderer Verehrung, Bei meiner Ehre! Die Schöne ist recht freigebig mit Verzeihung mir gegenüber – und wenn sie gegen Sir John de Walton verschlossener sein sollte, was dann? Sicherlich läßt sich noch nicht hieraus schließen, daß sie willens sein möchte, mich in die Stelle aufrücken zu lassen, aus der sie de Walton soeben drängt, und selbst wenn es der Fall wäre, so dürfte ich solchen Nutzen auf Kosten eines Freundes und Waffengefährten nicht ziehen.« Ohne weiteren Zwischenfall erreichte er Schloß Douglas und ließ auf der Stelle sich beim Schloßhauptmann mit dem Zusatz, daß er ihm eine Mitteilung wichtiger Art zu machen habe, melden. Er wurde ohne Säumen in das Gemach desselben geführt. Sir John de Walton war über die freundschaftliche Art, wie sich der jüngere Ritter ihm nahte, nicht wenig überrascht; stand dieselbe doch in schroffem Gegensatz zu dem Tone, in welchem ihre letzten Unterhaltungen geführt worden waren. »Was für Dinge ungewöhnlicher Art sind es,« fragte Sir John, »die mir die Ehre solch früher Rückkunft verschaffen?« »Eine Angelegenheit, die für Euch, Sir John de Walton, von außerordentlicher Wichtigkeit ist. Verlöre ich einen Augenblick, sie Euch mitzuteilen, müßte mich ohne Frage schwerer Tadel treffen.« »Es wird mir eine Freude sein, Nutzen aus Eurer Kundschaft zu ziehen«, bemerkte Sir John. »Auch ich büße ungern die Ehre ein, ein Geheimnis gelüftet zu haben, das Sir John de Walton so lange zu blenden vermochte. Zugleich möchte ich aber mich vor allen Folgen eines in solchem Falle ja immer möglichen Mißverständnisses schützen. Deshalb bitte ich, Sir de Walton, daß wir uns zusammen in das Gefängnis Bertrams des Sängers begeben. Ich besitze von der Hand des in der Abtei untergebrachten Knaben Augustin ein Schriftstück, das, mit zarter Frauenhand geschrieben, dem ebengenannten Sänger Vollmacht gibt, den Schleier über die Gründe zu lüften, welche die beiden Personen nach dem Flecken Douglas geführt haben.« »Es geschehe wie Ihr sagt,« erwiderte der Schloßhauptmann, »obgleich ich kaum Ursache finde, warum soviel Umstände um ein Geheimnis gemacht werden, das sich mit wenigen Worten aufklären ließe!« Die beiden Ritter begaben sich in das Verließ des Sängers, wohin der Kerkermeister sie führte. Elftes Kapitel Den Blicken der beiden Ritter zeigte sich eines jener Verließe damaliger Schreckenszeit, die ihre Opfer in Nacht und Finsternis, ohne Aussicht auf Rettung oder Flucht, begruben. Große Ringe an den Wänden, von welchen die Ketten herabhingen, an die man die unglücklichen Gefangenen schmiedete. Plumpe Schlösser an den eisernen Türen, die mit den Angeln um die Wette knarrten. Das Tageslicht fand seinen Weg in solch unterirdisches Loch bloß in der Mittagsstunde durch einen gewundenen Gang, in welchem die Sonnenstrahlen sich brachen, so daß sie den Weg bis zur Tiefe des Kellers hinunter nicht fanden, während Wind und Regen frei und unbehindert eindringen konnten. Die Anschauung der neueren Zeit, daß ein Gefangener so lange als unschuldig zu erachten sei, bis er nicht durch gerichtlichen Spruch als schuldig erklärt worden, wurde in jener Zeit roher Gewalt nicht verstanden. Dem in Gefangenschaft verfallenen Unglücklichen wurde elende Kost, außer Brot und Wasser gemeinhin nichts, verabreicht und eine Lampe oder sonstwelche Linderung seines Elends nur, wenn er sich ruhig und still verhielt und keinerlei Neigung verriet, seinem Wärter das Leben durch Fluchtversuche schwer zu machen. In ein solches Verließ hatte man Bertram, den Sänger, geworfen; indessen hatten ihm Mäßigung und Geduld diejenige Milderung seines Schicksals verschafft, die ihm der Gefangenwärter gewähren konnte oder durfte. Es war ihm erlaubt worden, das alte Buch mit hinunter Zu nehmen, auch Papier und Schreibzeug, um sich die Zeit zu kürzen. Als die Ritter eintraten, hob er das Haupt. Sir John de Walton nahm, zu dem jüngeren Ritter gewendet, das Wort. »Da Ihr das Geheimnis zu kennen scheint, Sir Aymer de Valence, in welches der Gefangene sich zu hüllen beliebt, will ich es Euch anheimgeben, die Unterhaltung mit ihm zu führen. Hat der Mann unnötigerweise Drangsal gelitten, so wird es meine Pflicht sein, ihn zu entschädigen, was indes meiner Meinung nach keine Sache von Bedeutung sein wird.« Bertram heftete die Augen fest auf den Schloßhauptmann, las indes nichts dort, was auf bessere Bekanntschaft mit dem Geheimnis seiner Gefangenschaft gedeutet hätte. Als er aber die Augen von Sir de Walton hinüber auf Sir Aymer lenkte, überflog sein Gesicht ein Schimmer von Fröhlichkeit, und der Blick, der zwischen ihnen gewechselt wurde, verriet beiderseitiges Einverständniss. »Ihr kennt also mein Geheimnis, Herr Ritter, und wißt, wer die Person ist, die sich unter dem Namen Augustin birgt?« Sir Aymer tauschte mit dem Sänger einen bejahenden Blick aus, während sich die Äugen des Schloßhauptmanns mit grimmigem Ausdruck von dem letzteren zum ersteren, wandten. »Sir Aymer,« rief er, »so wahr Ihr zum Ritter geschlagen wurdet und so wahr Ihr ein Christ seid, der nach dem Tode auf Erlösung hofft, gebt mir den Sinn dieses Geheimnisses preis! Vielleicht meint Ihr, gerechte Ursache gegen mich zur Klage zu haben. Ist dies der Fall, so soll Euch alle Genugtuung von mir werden, diesem Ritter zu geben vermag.« Im nämlichen Augenblick nahm der Sänger das Wort. »Ich fordere diesen Ritter,« sprach er, »bei seinem Rittergelübde auf, kein Geheimnis einer Person von Ruf und Ehre aufzudecken, sofern er nicht aufs bestimmteste versichert ist, daß er mit vollständiger Einwilligung derselben handelt.« »Dieses Schreiben wird Eure Bedenklichkeiten beseitigen«, sprach Sir Aymer und übergab dem Sänger das aus der Abtei gebrachte Schriftstück. »Und Euch, Sir John de Walton, möge die Versicherung dienen, daß ich alles Mißverständnis zwischen uns, als aus einer Kette von Umständen hervorgegangen, die kein Sterblicher zu begreifen vermochte, für vergessen und aus der Welt geschafft ansehe, Laßt mich Euch weiterhin versichern, teurer Sir John, – und ich schließe hieran die Bitte, Euch nicht hierdurch gekränkt fühlen zu wollen – daß ich um der Schmerzen willen, die dieses Schriftstück für Euch bergen kann, Euch ritterlich bemitleide und beistehen werde, sie mannhaft zu ertragen. Bertram aber, der getreue Sänger, wird nun ersehen, daß er ohne Bedenken ein Geheimnis aufdecken kann, das er ohne dieses Schreiben, das ich ihm hiermit behändige, sicherlich mit unerschütterlicher Treue bewahrt haben würde.« Zugleich überreichte der Ritter Sir John de Walton ein zweites Schriftstück, in welchem er seine Gedanken über das Geheimnis, das über dem Sänger und Sängerknaben obwaltete, niedergelegt hatte. Der Schloßhauptmann hatte kaum, den dort offenbarten Namen gelesen, als ihn auch der Sänger laut nannte, um gleich darauf das von dem jüngeren Ritter erhaltene Schreiben an den älteren weiter zu geben. Die Weiße Feder, die über der Sturmhaube des Ritters wehte, war nicht weißer als das Angesicht des Ritters ob der erstaunlichen Kunde, die er von Zwei Seiten zugleich erhielt, daß hinter jenem vermeintlichen Knaben, den er mit persönlicher Drangsal bedroht und einer so harten Behandlung unterworfen hatte, die Dame verborgen sei, die nach damaliger Redeweise »seiner Gedanken Fürstin und seiner Handlungen Herrscherin« war. Im ersten Augenblick schien Sir John de Walton die trüben, schlimmen Folgen kaum Zu begreifen, die sich aus solch unglücklicher Kette von Irrungen als wahrscheinliche Folge ergeben mußten. Er nahm dem Sänger das Schreiben aus der Hand und als sein Auge, beim, trüben Schein der Kerkerlampe jetzt über die Buchstaben glitt, ohne daß ein bestimmter Eindruck in seinem Begriffsvermögen geweckt zu werden schien, da überkam selbst, Sir Aymer die Besorgnis, seinem Vorgesetzten möge der rechte Gebrauch, geistiger Fähigkeiten abhanden kommen. »Um des Himmels willen, Herr Ritter,« rief er, »seid ein Mann und ertragt mit Festigkeit diese unerwarteten Vorgänge, die kein menschlicher Verstand zu finden vermocht hätte und die meines Trachtens von schlimmen Folgen unmöglich begleitet sein können. Die schöne Dame kann sich nicht verletzt fühlen durch eine Kette von Umständen, die auf nichts anderes als Euren Pflichteifer zurückzuführen sind. Rafft Euch auf, damit sich nicht sagen lasse, Furcht vor dem finsteren Blick eines Weibes habe den Mut des kühnsten Ritters von England geschwächt. Seid nach wie vor der Mann und Ritter, dem man den Namen »Walton der Unerschütterliche« gab! Laßt uns erst sehen, ob die Dame wirklich beleidigt wurde, bevor wir den Schluß auf ihre Unversöhnlichkeit ziehen. Wessen Fehlern sind all diese Irrtümer beizumessen? Wo haben wir ihre Quelle zu suchen? Mit aller Achtung sage ich es: Einzig und allein dem Eigensinne der Dame selbst! Besitzt jemand ein Recht, Leute im Dienst zu tadeln, wenn sie Wanderern den Zutritt zu den Schlosse verweigern, die nicht im Besitz der Parole sind? Leben wir im Krieg oder im Frieden? Verscheucht also diese finstere Niedergeschlagenheit, die sich schlecht ausnimmt auf der Stirn eines mit dem Schwert umgürteten Ritters!« Sir John machte eine Anstrengung zu sprechen. Mit Mühe gelang es ihm. »Aymer de Valence,« sprach er, »Ihr spielt mit Eurem Leben, wenn Ihr einen Wahnsinnigen reizt!« Darauf schwieg er wieder. »Es ist mir lieb, daß Ihr wenigstens soviel sprechen könnt, Sir Walton,« versetzte der jüngere Ritter, »denn es ist nicht Scherz von mir, wenn ich sage, ich sähe Euch lieber im Streite mit mir, als daß Ihr Euch die Schuld an diesen Irrungen allein beimeßt. Nach meiner Meinung ist es durch die Lage der Dinge geboten, Bertram, den Sänger ohne Verzug in Freiheit zu setzen. Sodann will ich ihn ersuchen, sich so lange als unseren Gast anzusehen, bis es der Lady Augusta de Berkeley – denn wir dürfen nun Wohl diesen Namen an Stelle des früheren Augustin setzen – belieben wird, uns die gleiche Ehre zu erweisen. Ich hoffe, daß wir uns von seiner Seite sowohl der Freundlichkeit, uns in unseren Nachforschungen nach dem Verbleib der Flüchtigen zu unterstützen, versichert halten dürfen, als auch gütiger Vermittelung über all die Punkte, die ihr vielleicht ein Recht zu Mißfallen und Unzufriedenheit gegeben haben.« »Ein einziges Wort, bitte!« warf Sir John dazwischen; »zum Zeichen meines Bedauerns, Sänger, darüber, daß dich das Unheil traf, so Unwürdiges zu, leiden, sollst du eine Kette von Gold haben, schwerer als die eiserne, die dich fesselte!« »Genug jetzt, Sir John! meine ich wenigstens,« bemerkte de Valence, »versprechen wir nichts, als bis dieser brave Mann ein Zeichen dessen was wir vollbringen wollen, sehen wird. Begleitet mich jetzt nach Eurem Gemach im Schlosse. Dort will ich noch über Dinge mit Euch sprechen, deren Kenntnis Euch von Wichtigkeit sein dürfte.« Mit diesen Worten zog er Sir John aus dem Verließe, erteilte draußen Befehl, den Sänger auf der Stelle aus der Haft zu lassen und in sein früheres Zimmer zu führen, wo er mit aller Höflichkeit und Rücksicht zu behandeln sei, die einem Manne seines Gewerbes, der als Gast im Schlosse weile, gebühre; wenngleich ihm andererseits zu bedeuten sei, daß er vom Schlosse ohne verläßliche Begleitschaft keinen Fuß fetzen dürfe. In Sir Johns Gemächern angelangt, Hub der Ritter ohne Verzug zu sprechen an wie folgt: »Sir John de Walton, zunächst meine ich, ein wenig Frühstück mit einem Becher Muskateller möchte für uns beide wohl vorerst keine üble Sache sein!« Während der Schloßhauptmann Weisung in diesem Sinne an seinen Knappen erteilte, fuhr Sir Aymer fort: »Sodann glaube ich, was Eure Dame anbetrifft, bemerken zu dürfen, daß kein Grund zu der Annahme vorhanden ist, Lady Augusta de Berkeley, die Dame Eures Sinns und Herzens, habe ihren Liebhaber ausdrücklich von dem Pardon ausgeschlossen, den sie mir so bereitwillig und unverblümt in ihrem Schreiben erteilt. Ihr seid Wohl älter als ich, Sir John, und ich lasse gern gelten, daß Ihr höhere Weisheit und bessere Erfahrung besitzt als ich; aber ich halte aufrecht, daß kein Frauenzimmer, solange es nicht in seinem Verstande gestört ist, einem oberflächlichen Bekannten Pardon in der gleichen Sache erteilen könnte, wegen welcher sie unwiderruflich mit dem Liebhaber brechen sollte, dem sie ihr Wort verpfändet gehabt hat, trotzdem dessen Irrtum weder gröber war noch länger anhielt als derjenige des anderen!« »Lästert nicht, de Valence,« erwiderte hierauf Sir John, »und verzeiht, wenn ich Euch, um der Wahrheit Gerechtigkeit zu geben und einen Engel zu Worte kommen zu lassen, dessen Besitz ich für immer verwirkt zu haben fürchte, auf den Unterschied aufmerksam mache, den ein Mädchen von Würde machen muß zwischen einer Kränkung, die ihr durch einen bloßen Bekannten und einer, die ihr durch denjenigen, den sie vor anderen der Auszeichnung wert hielt, zugefügt wurde.« »Recht so»Sir John!« versetzte der andere, »recht so, daß Ihr endlich wieder zu überlegen und zu scheiden versucht, wenn auch zuvörderst noch ohne Glück oder, besser noch, ohne Verstand! Verzeiht mir das derbe Wort; wenn ich mich aber bislang' hin und wieder so benahm, daß ich nicht bloß dem Vorgesetzten, sondern auch dem Freunde Ursache zur Unzufriedenheit gab, so laßt mich das nunmehr durch den Versuch wettmachen, Eure verkehrte Logik auszumerzen und die richtige Überzeugung in Euch zu wecken. Indessen, Sir John, hier kommt der Muskateller und das Frühbrot; wollt Ihr Erfrischungen zu Euch nehmen oder sollen wir ohne Weingeist die Unterhaltung weiter führen?« »Tut, wie Ihr wollt,« rief Sir John, »sprecht aber nicht weiter über Dinge, für die es Euch an dem richtigen Verständnis mangelt.« »Eure Rede, Sir John, trifft nicht zu,« erwiderte Sir Aymer, nachdem er den Becher geleert hatte, »denn in betreff der Weiber kenne ich mich aus, und zwar recht gut! Ihr könnt nicht leugnen, daß sich Eure Lady Augusta, ob mit Recht oder Unrecht hat hier nichts zu sagen, sich auf diesem Meer der Liebe tiefer eingelassen hat, als es sonst Regel ist; daß sie Euch mit ziemlich hohem Grade von Kühnheit zum Ritter ihrer Wahl machte! So sehr ich selber sie um solches Freimuts willen schätze, läßt sich nicht in Abrede stellen, daß andere, vornehmlich Geschlechtsgenossinnen, sie auf grund solches Tuns für unbesonnen und übereilt ansehen werden – bitte, laßt mich ruhig sprechen, Sir John! – daß wer solche Meinung heget im Recht sei, sage ich ja nicht, im Gegenteil! Ich bin bereit, für die von ihr getroffene Wahl mit meiner Lanze auf jedem Turniere einzustehen. Indessen besorgt sie wahrscheinlich selbst eine ungerechte Auslegung, und diese Besorgnis verleitet sie allem Anschein nach, einen Anlaß wahrzunehmen, der sich ihr jetzt bietet, um ihr bisheriges Verhalten gewissermaßen ins Gleichgewicht zu setzen oder, wie ich mich vielleicht noch richtiger ausdrücke, den ungewöhnlichen Grad freimütigen Entgegenkommens, durch den sie Euch ermutigt hat, durch einen nicht minder ungewöhnlichen Grad von Strenge abzuschwächen, vielleicht auch sich selber gegenüber gutzumachen –« »Ich habe Euch angehört, de Valence,« versetzte der Schloßhauptmann, »und kann wohl sagen, daß Eure Worte den Weg zu manchem weiblichen Herzen weisen können. Zum Herzen der Lady Augusta weisen sie ihn jedoch nicht! Zum wenigsten mir Nicht, denn, bei meinem Leben! ich kann und darf mir nicht herausnehmen, mich einer Auszeichnung durch sie für würdig zu erachten, die Eure Worte durchschimmern lassen.« »In diesem Falle verbleibt mir bloß eins noch zu sagen,« erwiderte Sir Aymer, »daß die Dame, wie Ihr ja ganz richtig sagtet, das entscheidende Wort selbst sprechen muß! Um sie aber in diesen Stand zu setzen, ist es Vonnöten, ausfindig zu machen, wo sie verweilt: ein Umstand, über den ich leider nichts zu sagen vermag.« »Wie? was sind das für Worte?« rief der Schloßhauptmann, dem das volle Maß seines Unglücks erst jetzt klar zu werden anfing, »wohin ist sie, und mit wem ist sie geflüchtet?« »Sie ist geflüchtet,« bestätigte Sir Aymer, »vielleicht in der Absicht, sich einen Geliebten zu suchen, der nicht jeden kalten Luftzug als verderblich für seine Hoffnungen betrachtet. Vielleicht will sie den schwarzen Douglas oder einen anderen Helden der Distel [Rose und Distel sind die beiden Embleme, um welche sich Engländer und Schotten scharen.] mit ihren Gütern und Schlössern wie ihrer Schönheit lohnen für Tugenden, die sie ehedem bei Sir John de Walton suchte. Indessen im Ernste! Wenn ich zu solchen Worten greife, Sir John, so geschieht es, weil zurzeit in unserer Umgebung Ereignisse von höchster Wichtigkeit geschehen. Auf meinem gestrigen Abendritt nach Saint-Bride hinüber bin ich Zeuge von Dingen gewesen, die mich sattsam berechtigen, gegen jedermann Argwohn zu hegen. So schickte ich Euch als Gefangenen der greisen Küster der Douglas-Kirche, den ich widerspenstig fand, als ich ihm verschiedene Fragen stellte/ Von ihm jedoch ein andermal, trotzdem seine ruhmsüchtige Anspielung auf jene scheußliche Schlächterei des schwarzen Douglas, die seinem Schlosse den Zusatz am Blutsumpf gegeben, schnelle Ahndung heischte! Zunächst vermehrt die Flucht der Dame die Wirrnis, die dieses gefahrvolle und, wie mir vorkommt, verhexte Schloß erfüllt, in solchem Maße, daß zu nichts anderem Zeit verbleibt, als ihren Aufenthalt zu ermitteln.« »Aymer de Valence!« rief Sir John de Walton in lebhaftem und doch feierlichem Tone, »dies Schloß soll verteidigt und gehalten werden wie bisher, damit Sankt Georgs Banner von seinen Zinnen wehe! Gleichviel wie sich mein Schicksal gestalte, so Will ich als treuer Geliebter der Lady Augusta de Berkeley sterben, sollte ich auch nicht länger ihr erwählter Ritter bleiben.« »So! Jetzt seid Ihr wieder der Alte, Sir John! Jetzt sprecht Ihr wieder wie ein echter Rittersmann! Mit Eurer Erlaubnis will ich den Sänger jetzt zu uns entbieten; seine Treue gegen seine Herrin ist rühmenswert; er wird uns helfen, ihren Zufluchtsort zu ermitteln.« Zwölftes Kapitel Es war früh am Tage, als die Garnison vom Schlosse Douglas gemustert, in kleine Kommandos abgeteilt und ausgesandt wurde, die Spur der Flüchtlinge zu verfolgen. Meilenweit wurde die ganze Umgegend, Wälder wie Moore abgesucht, denn der von Sir John für Auffindung der beiden flüchtigen Personen ausgesetzte Preis war sehr hoch und jeder war begierig ihn zu verdienen. Mittlerweile waren dieselben unfern vom Kloster von einem der Schwester Ursula bekannten Ritter in Empfang genommen worden, von welchem, Lady Augusta oder, wie der Leser sie bislang gekannt hat, der Sängerknabe Augustin aber nicht mehr wußte, als daß er sie nach einem Orte hin geleiten würde, wo sie der Gefahr, wieder festgenommen zu werden, nicht ausgesetzt wären. Endlich begann Schwester Ursula die Unterhaltung. »Ihr habt Euch,« sagte sie, »noch mit keinem Worte erkundigt, wohin wir reisen oder unter welchem Schutz wir uns befinden, Lady Augusta – denn Ihr erlaubt wohl, daß ich Euch hinfort so anrede, nachdem Ihr geruhtet, mich in der Nacht unserer Flucht über Eure Person und Eure Geschichte zu unterrichten – indessen meine ich, es müßte Euch doch viel daran liegen, das zu wissen!« »Soll es mir nicht genug sein zu wissen, gütige Schwester, daß ich unter dem Schutz eines Mannes reise, der Euer Vertrauen besitzt? Warum sollte ich bangen um meiner Sicherheit willen?« »Weil die Leute, mit denen ich um meines Vaterlandes willen in Verbindung oder Beziehung stehe, für Euch doch vielleicht die richtigen Beschützer nicht sein mochten«, versetzte die Schwester. »Wie habe ich diese Worte zu verstehen?« fragte Lady Augusta. »Jenun, meine Meinung ist,« versetzte die Schwester, »daß schließlich die Männer, die unserer Partei angehören, zum Beispiel ein Bruce oder Douglas, ein Malcolm oder Fleming und andere, zwar nicht imstande sein möchten, den Vorteil Eures Besitzes zu persönlichen Zwecken zu nützen, wohl aber Euch als eine ihnen von der Vorsehung zugeführte wertvolle Geißel betrachten könnten, durch die ihrer verstreuten, vielleicht auch mutlos gewordenen Partei nach mancher Seite hin Stärkung zu schaffen sei.« »Zu solchem Vertrag,« erwiderte Lady Augusta, »ließe sich wohl gelangen über meine Leiche, nicht aber so lange ich am Leben bin und atme. Glaubt mir, lieber möchte ich mich dem gemeinsten Armbrustschützen meines Vaterlandes ergeben, als daß ich mich mit seinen Feinden zu seinem Unglück vereinigte.« »Das dachte ich mir Wohl!« versetzte Schwester Ursula; »ich möchte auch, nachdem Ihr mich mit Eurem Vertrauen beehrtet, Euch gern dorthin bringen, wohin Ihr zu gelangen wünschet.« Binnen jetzt und einer knappen halben Stunde werden wir in ständiger Gefahr sein, einer der englischen Abteilungen in die Hände zu laufen, die sicher schon nach allen Richtungen das Land absuchen, um unser wieder habhaft zu werden. Eins aber Möchte ich Euch sagen, Lady Augusta, daß ich nämlich einen Ort kenne, wo ich für meine Person sichere Zuflucht finden kann, bei jenen tapferen Schotten, meinen Freunden und Landsleuten, die niemals, sogar in dieser Schreckenszeit nicht, dem Saal ihr Knie beugten. Zu anderer Zeit hätte ich einstehen können mit meiner für ihre Ehre. Ich darf Euch aber nicht verhehlen, daß sie seit kurzem Prüfungen ausgesetzt sind, die auch die großmütigsten Charaktere verbittern. Wer seines Geburts- und Heimatsrechtes beraubt wird, wer geächtet und seines vom Vater ererbten Gutes entäußert wird, wer sich in ständiger Gefahr seines Lebens und seiner Freiheit sieht, weil er die Sache seines angestammten Königshauses verficht, der wägt nicht mehr, genau ab, wie weit er in der Vergeltung solches ihm zugefügten Unrechtes gehen darf. Glaubt mir, Lady Augusta, ich würde es bitter beklagen, sollte ich Euch in eine Lage gebracht haben, die Ihr für entwürdigend halten möchtet.« »Sagt mir mit kurzen Worten, Schwester,« versetzte Lady Augusta, »wessen ich von Leuten mich gewärtig zu halten habe, für die ich, nehmt es mir nicht übel, keine andere Bezeichnung habe als Rebellen.« »Wenn die Eurigen,« versetzte die andere, »die in meinen Augen Unterdrücker, Landräuber und Tyrannen sind, sich in den Besitz all unseres Eigentums setzen, so werdet Ihr wohl einsehen müssen, daß den Meinigen das Vorrecht der Wiedervergeltung auf Grund der rohen Kriegsgesetze zusteht. Indessen steht, wie gesagt, nicht zu befürchten, daß unsere Männer sich irgendwelcher Beschimpfung einer Dame von Eurem Range gegenüber schuldig machen werden. Etwas ganz anderes aber ist es, wenn man darauf bauen wollte, daß sie es unterlassen sollten, Vorteile, wie sie im Kriege gelten, aus Eurer Gefangenschaft zu ziehen. Daß beispielsweise den Eurigen die Bedingung gestellt würde, gegen Eure Auslieferung in die Übergabe des Schlosses Douglas zu willigen, möchte Euch doch am Ende nicht genehm sein.« »Eher stürbe ich,« antwortete Lady Berkeley, »als meinen Namen zu solch schmachvollem Vertrage herzugeben, und fest überzeugt bin ich, Sir John de Walton würde auf solches Ansinnen keine andere Antwort haben, als daß er dem Sendboten, der es ihm stellte, den Kopf vor die Füße legte oder vom höchsten Schloßturm aus ins Lager der Feinde schleuderte.« »Und wohin, Lady Augusta,« fragte die andere, »gedächtet Ihr Euch zu begeben, wenn Euch die Welt noch freistünde?« »Auf mein, eigenes Schloß, wo ich im Notfall selbst vor dem König Schutz fände, wenigstens doch so lange, bis ich meine Person unter den Schutz der Kirche gestellt hätte.« »Solchenfalls ist meine Macht, Euch beizustehen, äußerst beschränkt,« versetzte die Schwester, »nichtsdestoweniger versetzt mich Euer Vertrauen in die Notwendigkeit, Vertrauen auch in Euch zu setzen. Es bleibt Eurer Wahl freigestellt, ob Ihr Euch mit mir zum geheimen Trefforte vom schwarzen Douglas und seinen Anhängern begeben wollt, den ich Euch vielleicht unrechterweise bekanntgebe, oder ob Ihr nicht lieber ohne Aufenthalt den Weg zur Grenze einschlagt. Im letzteren Falle will ich Euch begleiten so weit wie möglich, und wenn ich Euch verlassen muß, für einen zuverlässigen Führer Sorge tragen. Für mich persönlich ist es zunächst kein geringes Glück, einer Gefangennahme zu entrinnen, die für mich wohl gleichbedeutend mit schrecklichem Tode sein dürfte.« »Solche Grausamkeit, Schwester Ursula, könnt Ihr nicht zu gewärtigen haben, weil Ihr ja noch kein Klostergelübde abgelegt habt und nach den Kirchengesetzen noch das Recht der Wahl zwischen Welt und Schleier besitzt.« »Ebensolche Wahl, wie ihr Engländer sie anderen Opfern gestattet, die während dieser erbarmungslosen Kriege in eure Hände fielen«, versetzte die Schwester bitter. »Den Kämpfern für Schottlands Freiheit und Recht, Wallace, Hay, Somerville, auch Athol, dem Blutsverwandten von König Eduard zum Beispiel, die sämtlich ebensowenig Verräter waren, unter welcher Bezeichnung sie den Tod auf dem Schafott erlitten, als Margaret de Hautlieu eine abtrünnige Nonne und den Klosterregeln unterworfen ist.« »Margaret de Hautlieu?« wiederholte Lady de Berkeley. »Jawohl, Lady!« rief die Klosterschwester mit größerer Heftigkeit, als sich mit ihrer bisherigen Ruhe zu vertragen schien, »Margaret de Hautlieu! Die Tochter jenes normannischen Edlen Moritz von Hattely oder Hautlieu, der gleich vielen seiner Landsleute sein Glück am schottischen Königshofe suchte und fand, die Sheriffswürde über diese Grafschaft erhielt und für einen der reichsten und mächtigsten Barone Schottlands galt. Ihr kennt ihn, Lady Augusta, den ich Vater nenne, als jenen Parteigänger König Eduards aus der Schar der sogenannten anglisierten Schotten, der bei jenen seiner Landsleute, die dem Nationalbanner von St. Andrews und Wallace, dem Patrioten, folgten, für den bestgehaßten Mann seiner Zeit galt, der im Zweikampf mit Malcolm Fleming von Biggar, einem durch edle Geburt, glorreiche Taten und hohen Ruhm hervorragenden Ritter Schottlands und feurigen Patrioten, der mich zu seiner Braut erkoren hatte, um sein Leben kam, zuvor aber mich, sein einziges Kind, im Kloster Saint-Bride einmauern ließ, weil ich mich weigerte, ihm zu Willen zu sein.« »Schwester Ursula! – Margaret de Hautlieu!« rief erschüttert die englische Lady, »was bedeutet mein Ungemach gegenüber solch schrecklichem Unglück!« »Lassen wir meine Person außer Betracht, Lady!« lenkte die Schwester ein – »ich hätte Euch besser vielleicht nicht über mich unterrichtet, aber es gibt Augenblicke, in denen der Mensch vergißt, Herr über seine Empfindungen zu bleiben.« Sie hielt plötzlich inne. Dann rief sie leise: »Horcht, Lady! Horcht! Was war das? Habt Ihr das gehört? Habt Ihr's gehört?« Ein Eulenschrei war es, auf den Margaret anspielte. »Dieser Ruf kündet mir,« rief, sie, »daß jemand in der Nähe ist, der uns besser als ich in solchen Dingen leiten wird. Ich muß vorauseilen, mit ihm zu sprechen. Unser Führer wird noch kurze Zeit bei Euch verweilen. Läßt er Euren Zügel los, so braucht Ihr kein anderes Signal abzuwarten, sondern einfach auf dem Waldpfade zu reiten. Im übrigen richtet Euch nach dem Rate, den er Euch gibt!« »Bleibt, bleibt!« rief angstvoll Lady de Berkeley, »geht nicht von mir in solchem Augenblick der Not und Unsicherheit!« »Es muß sein um unser beider willen,« versetzte Margaret, »auch ich bin in Not, auch ich befinde mich in Unsicherheit! Geduld und Gehorsam sind die einzigen Tugenden, die uns beiden Rettung bringen können.« Mit diesen Worten gab sie ihrem Roß einen Schlag mit der Gerte und war im Dickicht verschwunden. Wenig fehlte, so wäre die englische Lady hinter ihr drein gesprengt; aber der Ritter, der die beiden Damen bis hierher geleitet hatte, packte den Zaum ihres Zelters mit einem Blicke, der ihr deutlich sagte, daß er keine Abweichung von den durch Margaret de Hautlieu hinterlassenen Vorschriften gestatten werde. Nach wenigen Minuten ließ er aber den Zügel wieder aus der Hand und wies mit seiner Lanze nach einem anderen Dickicht, durch das sich ein enger, kaum sichtbarer Pfad wand. Sein Wink schien der Lady andeuten zu sollen, daß ihr Weg in dieser Richtung läge und daß er sie nicht länger hindern wolle, ihn einzuschlagen. Auf ihre Frage, ob er sie nicht weiter begleiten wolle, da sie doch nun an ihn seit ihrer Flucht aus der Abtei gewöhnt sei, schüttelte er mit Ernst das Haupt, als liege es nicht in seiner Macht, solche Bitte zu gewähren, wandte sein Roß nach einer anderen Richtung und war ihren Blicken schnell entschwunden. Ihr blieb nichts weiter übrig als der erhaltenen Weisung zu folgen, und nicht lange war sie dem schmalen Pfade gefolgt als ein seltsames Schauspiel sich ihren Blicken darbot. Im Innern des Dickichts standen auf einem, von dichtem Unterholz eingeschlossenen kreisrunden Raume nur wenige herrliche Bäume von Riesenhöhe, die des Waldes Ahnen zu sein und, wenn auch, der Zahl nach gering, den ganzen Raum durch ihr ungeheures Zweigdach zu beschatten schienen. Unter einem der Bäume lag ein graufarbiges Ding, das in größerer Nähe die Gestalt eines Mannes in grauer Rüstung zeigte, aber einer so seltsam und auffallend verzierten Rüstung, daß man deutlich den phantastischen Einfall erkannte, ein Totengerippe zur Darstellung zu bringen, dessen Rumpf durch den Brustharnisch und das Rückenstück gebildet wurde, während das Schild die Form einer Eule mit ausgebreiteten Flügeln erkennen ließ, ein Sinnbild, das seine Wiederholung im Helme fand, der von dem Bilde dieses unheilbedeutenden Vogels völlig bedeckt war. Was aber am meisten Überraschung hervorrief, war die Größe und Magerkeit der Gestalt, die, als sie sich vom Erdboden aufrichtete, eher einem aus einem Grabe aufsteigenden Gespenst als einem gewöhnlichen Menschen in aufrechter Stellung ähnlich sah. Der Zelter, den die Dame ritt, fuhr schnaubend zurück, vielleicht erschreckt durch die jähe Erscheinung eines Wesens von so schrecklichem Äußern, vielleicht angewidert durch einen häßlichen Duft, der sich von der Gestalt ablöste. Auch die Dame verriet, wenn nicht Angst, so doch Unruhe. Wenn zu so wunderlichem, manchmal halbverrücktem Mummenschanz die Ritterschaft auch bisweilen griff, so schien es doch wenigstens, zumal für eine einzelne Dame, ein ziemlich gewagtes Abenteuer, einem Ritter, der sich den Tod zum Sinnbild wählte, im tiefen Walde zu begegnen. Welcher Art aber auch Charakter und Absicht des Ritters sein mochte, so nahm sie keinen Anstand, ihn in der Weise anzusprechen, wie sie aus den Erzählungen des Sängers hatte entnehmen können, in so festem und zuversichtlichem Tone, wie sie seiner irgend fähig war. »Es tut mir leid, Herr Ritter, Euch durch hastige Annäherung, in Eurer Beschaulichkeit gestört zu haben. Mein Zelter muß Euch gewittert und mich hergetragen haben, ohne daß ich eine Ahnung davon hatte, jemand hier zu treffen.« »Ich bin jemand, dessen Begegnung nur wenige aufsuchen,« erwiderte der Fremde in getragenem o, »bis die Zeit kommt, da man mich nicht mehr missen kann.« »Ihr redet dem grausigen Charakter gemäß, den Ihr Euch zum Sinnbild erwähltet«, entgegnete Lady de Berkeley. »Darf ich mich an jemand von so schreckhaftem Äußern mit der Bitte wenden, mir eine Richtung durch diesen wilden Wald zu zeigen oder mir zu sagen, wie das nächste Schloß, die nächste Stadt oder Herberge heißt und wie ich auf kürzestem Wege hingelangen kann?« »Seltsame Verwegenheit,« antwortete der Ritter des Grabes, »sich in ein Gespräch einzulassen Mit jemand, den die Welt scheut als unerbittlich und alles Erbarmens fremd, den selbst der unglücklichste Mensch nicht um Hilfe anzusprechen wagt, auf daß seine Wünsche nicht zu schnelle Erhörung finden.« »Die finstere Rolle, in die Ihr Euch kleidet, kann Euch nicht zwingen, auf jene galanten Handlungen Verzicht zu leisten, zu denen Ihr Euch durch das Gelübde des Rittertums verpflichtetet« erwiderte Lady de Berkeley. »Sofern Ihr Euch meiner Führung anvertraut,« erwiderte die grausige Gestalt, »so kann ich Euch die gewünschte Auskunft bloß auf eine Bedingung hin geben: daß Ihr meinen Fußtapfen folgt, ohne über die Wegrichtung Fragen zu stellen.« »Ich meine, mich solcher Bedingung unterwerfen zu müssen,« antwortete Lady Augusta, »mein Herz sagt mir, daß Ihr einer jener schlimmberatenen Herren seid, die zur Verteidigung ihrer vermeintlichen Freiheit zurzeit in Waffen stehen. Mich hat ein rasches Unternehmen in den Bereich Eures Einflusses gebracht. Indessen dürft Ihr mir glauben, daß alles, was ich von Eurem Aufenthalt und Eurem Tun und Treiben hier sehe, für mich so unwichtig sein soll, als läge es unten im Grabe, dessen Sinnbild Ihr für Eure Rüstung gewählt habt. Gebt mir keine abschlägige Antwort, königlicher Bruce oder fürstlicher Douglas, falls ich mich in meiner Not wirklich, an einen aus solchem Geschlecht gewandt haben sollte! Man spricht von Euch als furchtbaren Feinden, aber edelmütigen Rittern und treuen Freunden. Handelt mit dem Bedenken, wie sehr den Eurigen an Mitleid liegen muß, wenn sie unter gleichen Umständen sich an englische Ritter wenden müssen.« »Haben die Unsrigen dort Milde, geschweige Mitleid gefunden,« antwortete der Ritter noch finsterer als vordem, »und handelt Ihr weise, den Schutz eines schottischen Ritters um bloßer Verwegenheit willen anzurufen? Jemand, den Ihr um seiner äußeren Erbärmlichkeit willen für einen schottischen Ritter haltet, an die Art und Weise zu erinnern, wie die Lords von England Schottlands liebliche Mädchen und hochgeborene Frauen behandelten? Wurden sie nicht in Käfigen an die Zinnen ihrer Schlösser gehängt, dem niedrigsten Bürger zur Augenweide und Warnung? Kann solche Erinnerung einen schottischen Ritter zum Mitleid gegen eine englische Dame stimmen? Oder muß sie nicht vielmehr zum tiefsten Hasse gegen diesen König Eduard aus dem Hause Plantagenet, den Urheber all dieses Elends, spornen? Nein! Nichts anderes könnt Ihr erwarten, als daß ich erbarmungslos wie das Grab, für das ich gelten will, Euch in dem hilflosen Zustande lasse, in welchem Ihr Euch, Euren Worten nach, befindet.« »So grausam könnt Ihr nicht sein,« versetzte die Dame, »denn Ihr seid ein Ritter und Edelmann, welchem Pflichten geboten sind, die Ihr nicht außer Acht lassen dürft.« »Diese Pflichten sollen mir heilig sein,« sagte der gespenstische Ritter, »mich binden aber auch andere Pflichten, und ihnen muß ich diejenigen opfern, auf die Ihr mich hinweist. Das führt mich zu der weiteren Frage, ob Ihr es nicht für besser halten möchtet, daß jeder sich auf die eigenen Hilfsmittel beschränkt und, auf die Vorsehung bauend, seinen eigenen Weg geht.« »Wie soll ich in meiner dermaligen Bedrängnis zu einem selbständigen Entschlüsse gelangen? Es ist doch nicht anders, als riefet Ihr einem Unglücklichen zu, der in einen Abgrund stürzt, er möge sich das Gestrüpp aussuchen, durch das er seinen Fall am besten aufhalten könne! Was könnte er antworten, als da er alles ergreifen wolle, was sich am leichtesten greifen lasse? Wenn er überhaupt noch antworten kann? Ich wiederhole, daß ich mich Eurem Angebot füge. Indessen müßt Ihr doch, um mir helfen zu können, Namen und Lebensumstände von mir kennen?« »über alles dies bin ich durch die Gefährtin Eurer Flucht unterrichtet. Indessen dürft Ihr nicht meinen, junge Dame, als seien Bildung, Schönheit, Rang und Reichtum auf einen Mann, der die Sinnbilder des Grabes trägt und der schon längst alles ins Leichenhaus geschafft hat, was andere als Wunsch oder Neigung kennen, von irgendwelchem Einflüsse.« »Möge Eure Treue so fest sein,« versetzte Lady Augusta, »wie Eure Rede finster! Ich unterwerfe mich Eurer Führung ohne Zweifel und Furcht!« Dreizehntes Kapitel Lady Augusta de Berkeley überzeugte sich bald, daß sie in ihrem Führer, wenn nicht den gefürchteten James Douglas selber, so doch einen seiner hervorragenderen Parteigänger vor sich habe. Mit den Vorstellungen, die sie sich von dem unentwegten Verteidiger Schottlands gebildet hatte, war Aussehen und Wesen des Ritters vom Grabe recht wohl vereinbar, der sich jetzt, als wenn er alle weitere Unterhaltung abschneiden wolle, auf einem der vielen Irrgänge des dichten Waldes in einem Tempo entlang bewegte, das der Zelter der jungen Dame infolge des zerrissenen Terrains nur mühsam, einhalten konnte. Indessen folgte sie ihm, so unartig das Gleichnis sein mag, mit der Furcht und Eile des jungen Hühnerhundes, der sich nicht getraut, seinem strengen Herrn hinterher zu bleiben. Als sie aber, trotz der äußersten Mühe, die sie sich gab, dem furchtbaren Krieger, der so lange schon dem ganzen Lande ein Schrecken war, durch säumigen Ritt keine Ursache zur Unzufriedenheit zu schaffen, die Folgen der schweren Anstrengung nicht mehr verdecken konnte, schlug der Ritter ein langsameres Tempo ein und murmelte, nachdem er einen scheuen Blick um sich geworfen hatte, scheinbar vor sich hin, obgleich die Worte für das Ohr seiner Begleiterin bestimmt sein mochten: »Schließlich ist solch große Eile ja nicht erforderlich!« In langsamerer Gangart gelangten sie nun an den Rand einer Schlucht, die sich zwischen Bäumen und Unterholz eine ziemlich große Strecke weit hinzog, gleichsam ein Netz von Verstecken bildend, die sich ineinander öffneten, so daß sich vielleicht kein Platz auf Erden so gut zu einem Hinterhalte eignete. – Auf einer ähnlich beschaffenen Stelle hatte der Grenzer Turnbull sich aus dem Jagdzuge Sir Johns geflüchtet; vielleicht stand jener andere mit diesem Platze hier in Zusammenhang, trotzdem sie ziemlich weit voneinander entfernt liegen mußten; bei dem wild zerklüfteten Lande, das gewissermaßen nichts anderes war als eine von zahllosen kleineren Schluchten gebildete Riesenschlucht, ließ sich das wohl annehmen. Aber aus der Führungsweise des Ritters zu fester Vorstellung über die Weglichtung zu gelangen, war völlig ausgeschlossen. Bald stiegen sie Höhen hinauf, bald Hänge hinunter, bis sie in grenzenloser Wildnis auf ein dichtes Waldgebiet stießen, dessen Bäume die Verschlingungen echten Urwaldes aufwiesen. Strecken, für die Arbeiten des Landwirts zugänglich, schien der Ritter mit Sorgfalt zu vermeiden. Wenn es aber geschah, daß sie auf einer Lichtung einen Jäger oder Bauern trafen oder aus der Ferne sahen, so kam es niemals zu einem Austausch von Reden oder auch nur Grüßen, nicht einmal zum Austausch von Zeichen, daß man einander kannte. Hieraus schloß die Dame, daß der gespenstische Ritter nicht allein im Lande gekannt sein, sondern Parteigänger und Mitverschworene haben müsse, die seine Sache wenigstens insoweit mitvertraten, als sie alles vermieden oder zu unterdrücken suchten, wodurch seine Feinde ihm auf die Spur hätten kommen können. Der weitere Gedanke, daß sie durch ihre Flucht aus der Abtei in Gemeinschaft mit solch eifriger Schottin wie Margaret de Hautlieu in gewissem Grade zur Mitteilnehmerin an einem Komplott gegen ihre Landsleute, gegen die Besatzung auf dem Schlosse Douglas und deren ihr doch so nahestehenden Kommandanten Sir John de Walton werden könne, daß dies alles einen so ganz andren Ausgang nehmen möchte, als sie zuerst angenommen oder geglaubt hatte, verursachte ihr eine Empfindung von Grauen, und sie zögerte nicht länger, während dieses Wanderns von einem Flecke zum anderen hin ihren Begleiter mit den rührendsten Bitten um Freilassung zu bestürmen. Lange Zeit kehrte sich derselbe nicht an ihre Reden. Zuletzt aber schien ihn die Zudringlichkeit seiner Gefangenen doch zu ermüden; er trat dicht an ihren Zelter heran und sprach in, feierlichem Tone: »Ich bin, wie Ihr glauben könnt, keiner von jenen Rittern, die durch Wälder und Wildnisse schweifen, um Abenteuern nachzugehen, durch die sich in schöner Frauen Augen Gunst erholen läßt. Nichtsdestoweniger will ich Euren Bitten in gewissem Grade willfahren. Wir sind unserem Ziele nahe. Von dort aus will ich an den Ritter de Walton durch Euch und einen besonderen Beiboten ein Schreiben gelangen lassen, auf das hin er sich vermutlich uns stellen wird. Ihr sollt Euch überzeugen, daß auch derjenige Ritter Schottlands, der bisher unempfindlich gegen alle irdischen Regungen und taub gegen alle menschliche Bitte war, noch immer nicht alles Mitgefühls für Schönheit und Tugend bar ist. Ich lege hiermit die Wahl für Eure künftige Sicherheit und Euer künftiges Glück in Eure eigenen Hände und in die Hände des von Euch als Ritter gewählten Herrn. Zwischen dessen Händen und dem Elend könnt Ihr nach Belieben nun wählen!« Wahrend er dies sagte, schien sich abermals eine Erdspalte vor ihnen zu öffnen. Mit einer von ihm bislang nicht geübten Aufmerksamkeit nahm der Ritter den Zelter der Dame am Zügel und geleitete ihn den steilen zerklüfteten Pfad hinunter, der zur Waldsohle führte. Mit lebhafter Verwunderung sah sich die junge Dame dort in einem Schlupfwinkel ohnegleichen; und daß er es war, würde die Dame sofort inne durch die Zeichen, die zwischen dem Ritter und anderen hier verborgenen Rebellen, einem Eulenschrei und einem dumpfen Hornsignal, gewechselt wurden. Als der Eulenschrei zum zweitenmal erklang, traten hinter den Felsen etwa ein Dutzend Bewaffnete, teils Soldaten teils Bauern, vor. Vierzehntes Kapitel »Schottland grüßt euch, ihr Tapferen!« Also richtete der Ritter des Grabes das Wort an seine Mannen, die mit Eifer sich um ihn scharten. »Palmsonntag ist heute, und so gewiß vom Eis und Schnee dieser Jahreszeit die Erde im nächsten Sommer nicht erstarren wird, so gewiß werden wir in wenigen Stunden den Prahlern unten im Süden unser Wort einlösen, die der Meinung sind, ihre Sprache des Übermutes und der Bosheit besitze über unsere schottischen Herzen gleiche Macht, wie Nachtreif über die Früchte des Herbstes. Umsonst werden sie, so lange wir verborgen bleiben wollen, nach uns suchen, wie die Hausfrau nach einer verlorenen Nadel unter dem abgefallenen Laube der Eiche; aber binnen wenigen Stunden soll diese verlorene Nadel zum Racheschwerte Schottlands werden für tausendfältige Gewalttat, für den grausamen Tod des tapferen Lord Douglas vor allem, den er, verbannt aus seinem Vaterlande, leiden mußte.« Dumpfes Kampfgeheul antwortete diesen Worten des Ritters, der lein anderer war als Sir James Douglas selber. »Eins noch tut not, Freunde,« fuhr dieser fort, »um unseren Kampf mit den Südländern ohne Blutvergießen zu endigen. Das Schicksal hat vor wenigen Stunden die junge Erbin von Berkeley in meine Gewalt gegeben, dieselbe junge Dame, um deren Besitzes willen Sir John de Walton, wie die Rede geht, das Schloß meiner Ahnen mit solcher Hartnäckigkeit hält. Wer unter euch ist bereit, der Dame das Geleit zu geben, die ein Schreiben von mir mit den Bedingungen, unter denen ich sie freigebe, zum Schlosse hinaufbringen wird?« »Ist kein anderer bereit,« rief ein großer Mann in Jägertracht, kein anderer als jener Michael Turnbull, der schon einen so hohen Beweis unerschrockener Mannheit abgelegt hatte, »so will ich die Aufgabe übernehmen.« »Du fehlst nie, wenn ein kühnes Werk zu tun ist,« sagte Douglas, dem Braven auf die Schulter klopfend, »indessen bedenke, daß diese Dame ihr Wort durch einen Eid verpfändet, sich als unsere treue Gefangene zu betrachten. Ob sie ausgelöst wird oder nicht, so diene ihr Leben und ihre Freiheit als Pfand für dein Leben und deine Freiheit! Will Sir John meine Bedingungen nicht eingehen, so ist sie durch Eid verpflichtet, mit dir zu uns zurückzukehren, damit wir dann nach unserem Belieben über sie verfügen.« Diese Bedingungen konnten einerseits nicht anders als die englische Dame mit Zweifel und Bangen erfüllen, andererseits gab diese Entscheidung des gefürchteten Ritters, so seltsam es erscheinen mag, ihrer Lage eine Gestalt, die sie sonst schwerlich erreicht haben würde. Zufolge der hohen Meinung, die sie von seiner ritterlichen Gesinnung hegte, konnte sie nicht anders denken, als daß er in dem Drama, das sich nun näherte, in keiner Weise gegen die Rolle verstoßen würde, die von ihm als echtem Ritter dem Feinde gegenüber zu spielen war. Es folgte eine Pause, die dazu benutzt wurde, der Lady Augusta, die von den Strapazen des Rittes stark erschöpft war, Speise und Trank vorzusetzen, während Douglas mit seinen Anhängern im Flüsterton sich unterhielt. ' »Seid unbesorgt, meine Dame,« sprach hierauf Turnbull, indem er sich zum Aufbruch rüstete, »es soll Euch keinerlei Unbill widerfahren; indessen müßt Ihr Euch drein schicken, daß ich Euch auf einige Zeit die Augen verbinde.« Schweigend, wenn auch erschrocken, unterwarf sie sich dem Befehle. Der Kriegsmann schlang ihr einen Zipfel seines Mantels um den Kopf und reichte ihr, statt ihren Zelter zu führen, den Arm zur Stütze. Fünfzehntes Kapitel Es war ein höchst unebenes Terrain, über das der Kriegsmann die Dame führte, und nicht selten mit so viel Trümmergestein übersät, daß sie nur mühsam vorwärts kamen. Bald Wurde Lady Augusta inne, daß sich, zu dem rauhen Jäger, dessen Hilfen ihr vielfach mit solcher Kraft geleistet wurden, daß sie vor Schmerz hatte aufschreien müssen, eine andere Person mit freundlicherer Verkehrsweise gesellt hatte, deren sanftere Stimme ihr nicht unbekannt vorkam. Stellenweis wurde sie, um ihr die Anstrengung des beschwerlichen Marsches zu erleichtern, auf die Arme gehoben und getragen. Aber Zeit und Gelegenheit, die Schämige zu spielen, waren jetzt nicht da; im Gegenteil mußte sie fürchten, auf solche Weise Personen zu kränken, auf deren Wohlmeinung sie jetzt wohl oder übel angewiesen war. »Seid ohne Furcht, Lady,« sprach die Person mit der sanfteren Stimme zu ihr, »es hat niemand Böses gegen Euch im Sinne; auch soll Sir John de Walton, wenn er Euch wirklich so verehrt wie Ihr es verdient, keinerlei Unbill durch uns leiden; verlangen wir doch nichts anderes von ihm, als daß er uns und Euch Gerechtigkeit erweise! Haltet Euch versichert, daß Ihr Euer Glück am besten fördert, wenn Ihr unsere Absichten, die Euch die Freiheit wiedergeben und zur Erfüllung Eurer Wünsche helfen sollen, nicht hindert.« Lady Augusta war außerstande, hierauf eine Antwort zu geben, meinte sie doch wahrzunehmen, daß es ihr mehr und mehr an frischer Luft zu fehlen begann. Sie schloß hieraus, daß sie nicht mehr unter freiem Himmel, sondern durch einen überbauten Raum, vielleicht irgend ein verfallenes Gebäude, getragen wurde. Einmal war es ihr, als ob sie den Weg durch eine ziemlich große Menge von Menschen genommen, die in tiefem Schweigen umherstanden, als ob Leute dem Mann, der sie trug, auswichen, als ob sie eine Treppe oder Stiege hinuntergebracht werde, die nach einem Raum, vielleicht einem Gewölbe, führte, aus welchem feuchter Moder ihr entgegenkam und eine Luft so dick und schwer, daß sie kaum zu atmen vermochte. »Lady Augusta,« redete ihr Führer sie an, »eine Weile müßt Ihr noch ausharren und eine Luft atmen, die eines Tages uns allen gemein wird. Ich muß Euch jetzt Eurem ersten Führer wieder überantworten, da mich ein anderes Amt ruft. Indessen seid versichert, daß weder er noch jemand anders Euch auch nur die geringste Kränkung antun werde! Auf Edelmanns Wort!« Mit diesen Worten legte er sie auf weichen Rasen nieder, wodurch sie inne wurde, daß sie sich wieder im Freien und außerhalb der dumpfen Atmosphäre befand, die sie eine Zeitlang so schwer bedrückt hatte. Der Platz, wo sie sich befand, war von hohen Eichen bestanden, die reichen Schatten spendeten. Unter den verschlungenen Wurzeln eines mächtigen Stammes drang ein Quell fließenden Wassers hervor, mit dem sie sich labte und das Antlitz wusch, das alle Behutsamkeit, mit der sie getragen worden war, vor ein Paar Schrammen und Hautrissen nicht hatte bewahren können. Einen Moment lang erwog sie, ob es möglich, einen Fluchtversuch zu machen. Aber solche Gedanken wurden durch den Jäger schnell verscheucht, der sie mit rauher Stimme zum Weitergehen aufforderte. Eine Zeitlang waren sie auf einem Pfade weitergegangen, ohne daß ein Wort zwischen ihnen gefallen Wäre. Da drang aus nicht zu großer Ferne der Schall eines Hifthorns zu ihnen herüber. »Da naht die Person, die wir suchen,« sagte Turnbull, der Jäger, »ich kann den Klang seines Jagdhorns von jedem anderen hier in diesen Wäldern unterscheiden; mein Befehl lautet, Euch zu ihm zu führen, daß Ihr mit ihm redet!« Bei dem Gedanken, auf solche Art und mit so geringen Umständen dem Ritter zugeführt zu werden, um dessenwillen sie sich in einer Weise bloßgestellt hatte, deren Kühnheit selbst zu jener minder nüchternen Zeit so ziemlich ohne Beispiel dastand, schoß der jungen Dame das Blut schneller durch die Adern. Im ersten Augenblick, als Turnbull in sein Horn stieß zur Antwort auf das eben vernommene Signal, bestürmten sie Schreck und Scham so sehr, daß sie sich unwillkürlich zur Flucht wandte. Aber ihr Begleiter merkte sofort ihre Absicht und hielt sie mit ziemlich unsanftem Griffe fest. »Meine Dame,« sprach er, »es geht nicht an, daß Ihr aus der Rolle fallt, die Euch in diesem Drama zuerteilt worden, wenn es nicht schlimmen Ausgang nehmen soll für uns alle, zunächst mit einem Kampf auf Leben und Tod zwischen Eurem Ritter und mir – wobei es sich dann wird zeigen müssen, wer von uns Eurer Gunst sich am würdigsten erweist.« »Ich will mich in Geduld fassen«, versetzte die Dame. Im nächsten Augenblick wurde der Hufschlag eines Pferdes vernehmlich und nicht lange darauf drängte sich Sir John de Walton zwischen den Bäumen hindurch. Im Nu erkannte er die Dame seines Herzens. Die Freude über ihren Anblick, die sich auf seinem Antlitz malte, machte wildem Grimm Platz, als er im anderen Augenblick sah, daß sie als Gefangene eines in die Acht erklärten schottischen Kriegsmannes ihm gegenüber trat, der sich ihm während des von ihm veranstalteten Jagdzuges in beispielloser Verwegenheit genähert hatte. »Elender!« fuhr er den Schotten an und legte die schwere Lanze zum Angriff ein, »gib deine Beute frei oder stirb über dem ruchlosen Beginnen, einer Dame Englands Zwang anzutun, der selbst die Sonne mit Stolz gehorsam sein würde.« Im freien Gebrauch der Lanze durch die Bäume behindert, sprang er vom Rosse und drang mit gezücktem Schwert auf Turnbull ein. Der Schotte aber, mit der Linken den Mantel der Dame haltend, erhob mit der Rechten die Streitaxt, den Schlag des Gegners zu parieren, indes die Dame rief: »Sir John de Walton, stellt um des Himmels willen alle Gewalttat ein, bis Ihr vernehmt, zu welch friedlichem Zweck ich hierher gebracht wurde, und durch welche friedlichen Mittel sich dieser Kampf endigen läßt. Dieser Mann ist wohl Euer Feind, war mir aber ein höflicher Führer! Schont seiner, bitte, während er Euch sagen wird, zu welchem Zweck und in wessen Auftrag er mich hierher gebracht hat.« »Von Zwang und Lady Berkeley im gleichen Atem zu sprechen, wäre schon ausreichender Grund zu schwerer Ahndung,« sprach der Schloßhauptmann von Douglas, »allein Ihr befehlt, meine Dame, und ich schone sein unbedeutendes Leben.« Zu Michael Turnbull, dem Jäger, gewandt, fuhr der Ritter fort: »So finde denn Waffenstillstand zwischen uns statt; verkünde mir, was du mir hinsichtlich der edlen Dame zu sagen hast.« »Dazu reichen wenige Worte,« versetzte Turnbull, »Lady de Berkeley ist, während sie in Schottland umherirrte, in die Gefangenschaft des edlen Lord Douglas, rechtlichen Erben von Schloß und Gut Douglas, gefallen. Sie soll in aller Ehre und Sicherheit an Sir John de Walton oder jeden, den er bevollmächtigt, sie in Empfang zu nehmen, ausgeliefert werden, wogegen Sir John de Walton sich verpflichtet, Schloß Douglas mit allen Garnisonen und Vorposten, Vorräten und Kriegsmaschinen, die sich dermalen dort vorfinden, an Lord James Douglas zu übergeben. Zur Erfüllung der beiderseits eingegangenen Verpflichtungen wird ein Waffenstillstand von vierzehntägiger Dauer geschlossen.« Sir John de Waltons Erstaunen über den Vorschlag solches Abkommens war beispiellos und mit jener verzweifelten Miene, die ein Verbrecher zeigen mag, wenn er seinen Schutzengel im Begriffe sieht, ihn auf ewig zu verlassen, starrte er auf die Lady. Auch in ihrem Gemüt stiegen ähnliche Gedanken auf, als seien solche Bedingungen ein unübersteigliches Hindernis selbst dann, wenn es sich um den höchsten Gipfel ihrer Wünsche handelte. »Ich glaube nicht, edle Dame, daß Ihr Euch wundern könnt, wenn solche Worte Zu meinen Ohren dringen, ohne bis zu meinem Geiste zu gelangen. In so tiefer Schuld ich auch bei Ihnen stehe, so muß ich mir ob solcher Bedingung für Eure Freilassung Überlegungszeit ausbitten.« »Meine Vollmacht,« fiel Michael Turnbull ein, »reicht nur auf eine halbstündige Bedenkzeit. Wie kann Euch die Erfüllung solcher Bedingung schwer fallen? Was legt Euch meine Botschaft anderes auf, als was Euch Ritterpflicht ist? Ihr habt Euch dem Tyrannen Eduard verpflichtet, zum Nachteil von Schottland und seinem Volke, zum größeren Nachteil für das edle Geschlecht der Douglas das Ahnenschloß desselben zu besetzen und zu verteidigen – ist das ein Tun, eines edlen Ritters würdig? Haben Euch Schottland und das Geschlecht der Douglas jemals persönlichen Schaden gestiftet? Muß Euch Freiheit und Sicherheit Eurer Herzensdame nicht unendlich höher stehen? Kann Euch daran liegen, sie den Händen von Männern wieder überantwortet zu sehen, die Ihr zur Verzweiflung getrieben habt und in Verzweiflung antreffen werdet?« »Von dir habe ich jedenfalls keine Erklärung darüber entgegenzunehmen, wie Douglas die Kriegsgesetze erklären wird oder de Walton sich dazu verhalten will«, rief der Ritter. »Ihr empfangt mich also nicht als einen Boten aus Freundschaft? Lebt wohl und bleibt dieser Dame eingedenk als in Händen befindlich, die vor Euch sicher sind – kommt, Lady, wir müssen fort!« Außerstande, ein Glied zu rühren, außer Fassung und fast ohne Bewußtsein stand Lady Augusta da, und als der schottische Jägersmann sie packte und hinwegreißen wollte, entrang sich ihrer Kehle der angstvolle Ruf: »Hilfe! Sir de Walton, Hilfe!« Von Zorn und Grimm übermannt, überfiel der Ritter den Jäger und verwundete ihn durch Schwerthiebe, daß er ins Dickicht sank. »De Walton!« rief die Dame, »der Mann war ein Gesandter von Douglas! Was habt Ihr getan? Erschlugt Ihr ihn, so wird es blutige Rache fordern!« Die Stimme der Dame schien den Jäger aus der Betäubung zu wecken, in die ihn des Ritters Schwerthiebe versetzt hatten. Er sprang auf mit den Worten: »Seid meinetwegen nicht in Sorge, Dame! Ich will das Mittel nicht sein, Unheil zu stiften. Der Ritter war im Vorteil gegen mich, weil er mich ohne Forderung überfiel. Ich will den Kampf auf gleiche Bedingungen erneuern oder einen anderen Kämpfer senden.« Mit diesen Worten verschwand er im Dickicht. »Ihr tatet schwerlich recht, Sir John, Euer und mein Leben solcherweise in Gefahr zu setzen,« rief jetzt die Dame, »denn ich kann Euch, sofern Ihr es noch nicht wißt, sagen, daß Schotten in Menge hier in der Nähe unter Waffen stehen, ja daß selbst die Erde sich geöffnet hat, um feindliche Krieger vor Euch und Eurem Heer zu schützen.« »Und wenn sie sich öffnet und alle Teufel aus ihrem Höllengefängnis entweichen läßt zur Stärkung unserer Feinde,« rief Sir John, »so will ich mir die Sporen vom niedrigsten Küchenjungen abhauen lassen, wenn ich den Kopf meines Rosses vor ihnen rückwärts wende! In Eurem Namen, Lady Berkeley, trotze ich diesem räuberischen Gesindel zu augenblicklichem Kampfe!« Kaum hatte Sir John zu Ende gesprochen, als ein Ritter von hoher Figur in schwarzer Rüstung aus dem Dickicht hervorbrach, in welchem der Jäger verschwunden war. »Eure Forderung wird angenommen, Ritter de Walton, und zwar von James Douglas selbst. Ich als der Geforderte bestimme die Waffen in unserer jetzt von uns getragenen Wehr und bestimme weiterhin als Ort für den Kampf dies Feld hier, wo wir stehen, und als Zeit für den Kampf die Minute, in der wir sprechen!« »So sei es! Im Namen Gottes!« versetzte Sir de Walton, obgleich durch das plötzliche Renkontre mit einem so grimmigen Krieger wie Douglas in gewissem Grade verblüfft, so doch zu stolz, eine Ablehnung des Kampfes in Erwägung zu ziehen. Der Zusammenprall der beiden Ritter, deren Mut und Stärke berühmt waren in beiden Ländern, war furchtbar; die Streiche fielen, wie wenn Kriegsmaschinen sie schleuderten, und nach viertelstündiger Dauer war von Entscheidung oder Sieg noch keine Wahrscheinlichkeit vorhanden. Lady Augusta, Zeugin und Ursache des Zweikampfes, mehr durch den Wunsch, über das Schicksal des englischen Ritters Gewißheit zu erhalten, auf dem Platze gehalten, als aus anderen Rücksichten, versuchte endlich dem Kampf dadurch Einhalt zu tun, daß sie auf das Glockengeläut hinwies, das zur Palmsonntagsfeier in die Kirche lud. »Um Eurer selbst und edler Frauenliebe willen bitte ich, haltet Eure Hände bloß eine Stunde lang still, bis die gottesdienstliche Feier beendigt ist. Wollt ihr als Christen das allerchristlichste Fest mit eurem Blute beflecken? Unterbrecht eure Fehde so lange, bis ihr Palmzweige zur nächsten Kirche getragen habt als fromme Diener des Herrn und getreu den Regeln und Einrichtungen unserer heiligen Religion!« »Zu diesem Zweck, schöne Dame, war ich unterwegs nach der alten Kirche von Douglas,« versetzte der Engländer, »als ich so glücklich war, Euch hier zu treffen. Auch habe ich wahrlich nichts gegen einstündigen Waffenstillstand, um zum Gottesdienste zu gehen. Es werden auch, wie ich nicht zweifle, Freunde genug dort zugegen sein, denen ich Euch anvertrauen kann, falls ich in dem Kampfe, der nach dem Gottesdienst wieder beginnen soll, unglücklich sein sollte.« »Auch ich gehe solchen Waffenstillstand gern ein,« pflichtete Douglas bei, sein Schwert senkend, »um so lieber, als auch ich nicht zweifle, daß fromme Christen genug dort versammelt sein werden, die ihren Herrn im Kampfe nicht überwältigen lassen. Begeben wir uns dorthin und nehme jeder das Schicksal auf sich, das ihm der Himmel sendet.« Hieraus mußte Sir John de Walton entnehmen, daß sein Gegner dort Anhänger zu finden sicher war; indessen glaubte auch er soviel Leute seiner Garnison dort zu treffen, um, jeden Versuch zu einem Aufstande im Keime zu ersticken. Zudem hielt er das Wagnis um deswillen eines Versuches wert, weil sich dadurch vielleicht Gelegenheit bot, Lady Augusta de Berkeley in Sicherheit zu bringen. Sechzehntes Kapitel An demselben Palmsonntag, an welchem de Walton und Douglas ihre Schwerter kreuzten, saß Bertram der Sänger wieder über dem alten Buche von Thomas dem Reimer. Das Schicksal seiner Gebieterin und die Ereignisse, die sich in seiner Umgebung vorbereiteten, erfüllte ihn aber mit schwerer Sorge, und beständig war zwischen ihm und Gilbert Greenleaf, dem Armbrustschützen, den Sir John de Walton zu ihm befohlen hatte, hiervon die Rede. Die beiden Männer saßen bei einer Flasche Gaskognerwein und einer Kanne englischen Ales. Gilbert Greenleaf, der von seinem Vorgesetzten Auftrag hatte, den Sänger nicht bloß gut zu unterhalten, sondern auch in dem Schlosse herumzuführen, überhaupt ihm in allem zu willen zu sein und alles zu tun, was ihm die erlittene Haft in Vergessenheit bringen könne, machte seinem Kameraden, nachdem sie tüchtig gezecht hatten, den Vorschlag, sich die vom Wein heißen Köpfe durch einen Gang zur Kirche von Douglas zu ernüchtern. Solchem Vorschlage mußte der Sänger, seinem Beruf nach guter Christ, wohl oder übel beipflichten, und in Gemeinschaft mit einem Trupp Armbrust- und Bogenschützen machten sie sich auf den Weg. Nachdem sich ihre Unterhaltung, wie wohl begreiflich, lange um die gegenwärtige Kriegslage zwischen den beiden Reichen, vornehmlich um die Personen gedreht hatte, die zurzeit die wichtigste Rolle dabei spielten, dem schottischen Fürsten Robert Bruce, der, wiederholt geschlagen und rings von Feinden umstellt, seine Ansprüche auf Schottlands Krone, dem Usurpator Eduard von England zum Trotz, aufrecht erhielt, und seinen wichtigsten Parteigänger, den in die Acht erklärten Grafen James Douglas, dessen Besitztümer sämtlich mit Beschlag belegt worden waren, wie noch viele andere Männer von hohem Ansehen und Range und mit langer Ahnenreihe, kam die Rede auf den Zweck der Wanderung des Sängers zum Schlosse Douglas und auf die Beschäftigung, der er während seines Aufenthaltes daselbst obgelegen hatte. »Ich möchte wissen, Sänger,« fragte Gilbert Greenleaf, »ob Ihr in der alten Schwarte von diesem Reimschmiede Thomas irgendwas aufgefunden habt, was auf die Sicherheit des jetzt in unserem Besitz befindlichen Schlosses Douglas irgendwelchen Bezug nimmt? Ich habe nämlich zuweilen die Beobachtung gemacht, daß dergleichen verwitterte Pergamente, gleichviel wann und von wem sie verfaßt sind, sehr oft dadurch in Ruf und Ansehen gelangen, weil die in ihnen enthaltenen Prophezeiungen, wenn sie im Lande in Umlauf kommen, erst Anlaß dazu werden, daß Komplotte und aus ihnen wieder Kriege entstehen.« »Es wäre wohl ziemlich unvorsichtig von mir,« entgegnete der Sänger, »wollte ich mich auf irgend eine Prophezeiung stützen, die von einem Angriff auf Eure Garnison spricht; denn ich würde mich dann leicht dem Verdacht aussetzen, Dinge fördern zu helfen, die gerade ich am lebhaftesten zu beklagen hätte.« »Mein Wort darauf, Freund, daß dies bei mir nicht der Fall sein würde«, rief Gilbert Greenleaf; »ich will weder übles von dir meinen, noch übles über dich an Sir John de Walton berichten, der übrigens auch keinem sein Ohr schenken würde, der ihm mit solchen Dingen nahen wollte; dazu hegt er eine viel zu hohe und ganz ohne Zweifel auch begründete Meinung von deiner Treue gegen deine Dame.« »Wenn ich das Geheimnis derselben hütete, so tat ich wohl nicht mehr, als jedem treuen Diener die Pflicht vorschreibt. Davon also wollen wir nicht weiter sprechen. Was sodann die von Euch gestellte Frage weiter betrifft, so kann ich Eure Wißbegierde durch die Kunde stillen, daß sich in diesen alten Prophezeiungen allerhand Stellen finden über Kriege im Douglas-Tale zwischen einem Falken oder Häher – dem Feldzeichen, meines Wissens, von Sir John de Walton – und den drei güldenen Sternen oder Knaufen der Douglas. Mehr ließe sich vielleicht noch über diese Gefechte mitteilen, wenn mir bekannt wäre, wo ein als »Blutsumpf« bezeichnetes Kampffeld in diesen Wäldern hier zu suchen sein mag. Soweit ich aus den Worten der alten Schrift ersehen kann, handelt es sich um den Schauplatz schwerer Kämpfe zwischen den Parteigängern der drei Sterne und denen der Sachsen oder des englischen Königs.« »Den Namen habe ich oft von Eingeborenen dieser Gegend gehört«, antwortete Gilbert; »es ist aber vergebliche Mühe, die Stelle ausfindig machen zu wollen, denn diese verschlagenen Schotten verbergen alles, was auf die Landesgeographie, wie sich die Gelehrten wohl für das, was ich meine, auszudrücken pflegen – Bezug hat, mit größter Sorgfalt vor uns; indessen stehen alle diese unheimlichen Bezeichnungen, deren es nicht wenige in den Grenzstrichen zwischen Schottland und England gibt, ausnahmslos mit schottischen Vorgängen in diesen Grenzbezirken, die nun schon Jahrhunderte dauern, im engsten Zusammenhange. Sofern es Euch genehm ist, Herr Sänger, können wir die von Euch als »Blutsumpf« bezeichnete Örtlichkeit auf unserem Wege zur Kirche festzustellen suchen; was uns jedenfalls früher möglich sein wird, als dieses verräterische Gesindel, das zweifellos einen Angriff gegen uns plant, ausreichende Streitkräfte hierfür zusammengebracht hat.« Sie nahmen den Weg durch den dichten Wald, der zwischen Schloß und Stadt lag, und der sich nach allen Seiten hin weit ins Land hinein erstreckte. Siebzehntes Kapitel Je näher sie durch die grünen Gefilde der Kirche im Flecken Douglas kamen, desto auffälliger wurde dem Sänger die Menge von Kirchgängern schottischer Nationalität. Aber so viele von ihnen auch Gilbert Greenleaf fragte, wo man den »Blutsumpf« zu suchen habe, so wenig erhielt er Bescheid; entweder kannte man die Örtlichkeit nicht, wie hin und wieder gesagt wurde, oder man wich der Antwort überhaupt aus. Als aber dann und wann auch ein trotziger Bescheid fiel, man habe am ersten Sonntag der heiligen Osterwoche doch wohl an andere Dinge zu denken als Landesfeinden gefällig zu sein auf Fragen, die von eitler Neugier herrührten, wurde die Lage dem Sänger bedenklich, denn er hatte noch immer die Beobachtung gemacht, daß Unheil im Werke sei, wenn Landvolk für vornehmere Leute keine höfliche Antwort mehr bereit habe, und nun wollte es ihm scheinen, als kämen der Kirchgänger für einen Palmsonntags-Gottesdienst doch gar zu viel, um in der Kirche Platz zu finden. »Sicherlich werdet Ihr doch Eurem Schloßhauptmann Bericht erstatten über all die Umstände, die mir hier verdächtig erscheinen,« meinte Bertram, »über diese Menschenflut, die hierher strömt, und über das finstere Wesen, das diese Schotten zeigen. Solltet Ihr es unterlassen, so sage ich Euch schon hier, daß ich es für meine Pflicht halte, Sir John darüber zu berichten.« »Still, Kamerad,« versetzte der Angeredete, ärgerlich über dessen Einmischung in Kriegssachen, »glaubt mir, es ist schon manches Kommando von den Rapporten abhängig gewesen, die ich zu erstatten hatte. Mein Rapport war nie anders als klar und bestimmt und den Kriegsregeln gemäß. Euch gehen doch ganz andere Dinge an, friedlicher Natur, in die wiederum ich mich nicht mischen möchte oder derentwegen ich in einen Wettstreit mit Euch mich nicht einlassen möchte. Es dürfte meines Erachtens wohl am besten sein, wir kämen einander nicht so ins Gehege.« »Dazu habe ich auch nicht im geringsten Lust,« antwortete der Sänger, »hier liegen die Dinge aber insofern anders, als nicht bloß Eure Garnison beteiligt ist, sondern auch die Situation und Freiheit meiner Gebieterin. Aus diesen doppelten Gründen möchte ich wünschen, daß wir so schnell wie möglich den Weg zum Schlosse zurücknehmen, um Sir John de Walton über alles Gesehene Mitteilung zu machen. Für seine Entschlüsse wird es zweifellos von nicht geringer Tragweite sein, wenn er dies alles schnell erfährt.« »Dagegen läßt sich nichts sagen,« erwiderte Greenleaf, »bloß meine ich, daß Ihr den Schloßhauptmann zu dieser Zeit am sichersten in der Kirche von Douglas antreffen werdet; denn dorthin pflegt er sich bei solchen Anlässen wie dem heutigen mit seinen obersten Offizieren regelmäßig zu begeben, um durch seine Anwesenheit Streit zwischen Engländern und Schotten, der immer schnell da ist, zu verhüten. Bleiben wir also bei unserer ersten Absicht, an der gottesdienstlichen Handlung teilzunehmen, so werden wir unserem Ziele am schnellsten nahe kommen und können dann, falls wir den Hauptmann nicht treffen sollten – was ich aber für ausgeschlossen halte – den kürzesten Weg zum Schlosse zurück einschlagen.« »Tun wir das schon zur Kirche hin,« rief Bertram, »und wenn auch quer durch den Wald! Denn mir scheint, Greenleaf, als seien Dinge im Gange, die sich mit dem christlichen Frieden, den man dem heutigen Tage schuldig ist, nicht recht vertragen. Seht doch her!« rief er plötzlich, »was bedeutet dies Blut hier? Was bedeuten diese Eindrücke tiefer Fußtapfen hier? Sie stammen doch von bewaffneten Rittern her, die einen schlimmen Strauß bestanden haben!« »Bei unserer Frau!« rief Greenleaf; »Bertram, das muß man sagen, einen klaren Blick habt Ihr! Wo sind denn bloß meine Augen gewesen, daß sie Euch hierbei den Vorrang ließen? Seht doch! Hier liegen blaue Federn! Doch sicher aus meines Herrn Federbusch, dem ich sie heut morgen zum Zeichen wiederkehrender Hoffnung anstecken mußte. Ei! Dort liegt ja der ganze Busch, vom Kopfe heruntergeschlagen, und sicherlich durch keine Freundeshand! Kommt, Freund, kommt hin zur Kirche! daß ich Euch zeigen kann, wie wir Mannen gewohnt sind, einen Ritter in Gefahr zu unterstützen, der ein so wackerer Hauptmann ist wie unser Sir John de Walton!« Sie hatten die Stadt erreicht vom südlichen Tore aus und stiegen nun auf demselben schmalen Pfade herauf, auf welchem Sir Aymer dem gespenstischen Ritter begegnet war. Bald hatten sie nun auch die Kirche erreicht. Ursprünglich ein stattlicher gotischer Bau, dessen Türme in stattlicher Höhe über die Mauern der Stadt aufragten und auch jetzt noch, wo sie zum Teil in Trümmern lag, Zeugnis von ihrer früheren Größe gaben. Der für die gottesdienstlichen Handlungen vorbehaltene, verhältnismäßig stark beschränkte Raum lag in dem Chorgange, unter dessen Wölbungen die verstorbenen Lords vom Geschlechte der Douglas von ihren Kriegskämpfen ausruhten. Auf dem freien Platze vor dem Portale eröffnete sich ein schöner Ausblick auf einen beträchtlichen Teil des Flusses Douglas, der sich von Südwesten her an die Stadt heranzieht und durch eine von dichtem Wald bedeckte Hügelreihe mit phantastischem Wechsel der Umrißformen begrenzt wird. Der Wald reichte bis in das Tal hinunter und schloß sich an den düsteren Urforst, der die Stadt umschloß. Um den westlichen Teil der Stadt, von dort aus nach Norden zu eilend, schlängelte sich der Fluß, der den um das Schloß herumlaufenden Graben mit seiner teichähnlichen Ausbuchtung speiste. Zahlreiche Leute, durchweg vom schottischen Landvolk, trugen als Ersatz für das Sinnbild des Tages Weiden- oder Eibenzweige herbei, fast durchweg die Richtung zum Kirchhofe hin innehaltend, als erwarteten sie dort die Ankunft einer Person von besonderer Heiligkeit oder einer Prozession von Mönchen und Nonnen, zur Erhöhung der Weihe des Tages. Fast im selben Augenblick, als Bertram mit seinem Kameraden den Kirchhof betrat, wurde Lady Augusta, die Sir John de Walton zur Kirche gefolgt war, nachdem sie Zeugin seines Kampfes mit dem Ritter James Douglas gewesen war, des Sängers ansichtig. Sie bemerkte, daß er sie suchte, aber sie nahm die erste Gelegenheit wahr, ihm durch einen Blick verständlich zu machen, daß er ihr fern bleiben möge. Er beschränkte sich deshalb darauf, sie im Auge zu behalten. Inzwischen war Gilbert Greenleaf dichter an ihn herangetreten. »Fällt Euch nicht noch mehr auf als draußen, wie viel Menschen mit seltsamen Mienen und in den absonderlichsten Verkleidungen sich um die alten, sonst einsamen Trümmer drängen? Seht doch nur dorthin! Eine richtige Prozession mit Banner und Kreuz; doch ganz gewiß ein Geistlicher von hohem Range, der sie führt? Wartet, ich will mich befragen, wer es ist; vielleicht gibt uns sein Name Bürgschaft für die friedliche Gesinnung der hier in der Kirche von Douglas versammelten Menschheit?« Er verließ den Sänger, um sich zwischen die Menschen zu drängen. Bald wußte er, daß der heilige Herr an der Spitze der Prozession kein geringerer war als der Diözesanbischof von Glasgow, der nach Douglas herübergekommen sei, um die Feierlichkeit des Gottesdienstes an diesem Tage in einer der ältesten Kirchen des Landes zu erhöhen. Der Prälat betrat den Friedhof, voran schritten die vier Kreuzträger, eine gewaltige Menge Volks mit Eibischzweigen und Weiden und anderem grünen Schmuck folgte ihm. Ihnen allen erteilte der fromme Vater seinen Segen, und die Schar der Gläubigen neigte andächtig ihr Haupt. Gilbert Greenleaf schämte sich halb und halb, als er den frommen Eifer der Leute, die auf dem Kirchhofe versammelt waren und aus der Kirche herausdrängten, den Bischof zu begrüßen, des Argwohns, den er gegen sie gehegt hatte. Bertram benutzte die bei dem alten Kriegsmanne wahrscheinlich nicht allzu häufige Anwandlung von Frömmigkeit, die ihn trieb, sich der von dem Prälaten erteilten Segnungen teilhaftig zu machen und eilte zu seiner Herrin hinüber, um mit ihr einen Händedruck zum Zeichen beiderseitiger Freude über dieses Wiederfinden zu tauschen. Auf einen Wink des Sängers begaben sie sich zusammen in das Innere der Kirche, wo sie bei dem herrschenden Gedränge, unter dem Schutz der in manchen Teilen derselben lagernden tiefen Schatten, leichter unbemerkt bleiben konnten. Wenn auch das Innere der Kirche in Trümmern lag, so hatte man doch die Waffentrophäen der letzten Lords von Douglas dort aufgehängt, so am unteren Ende das große Wappenschild des vor kurzem in englischer Gefangenschaft verstorbenen William von Douglas, um das die kleineren Schilde der sechzehn Ahnen gruppiert waren. In herrlichem Glanze schimmerten die Kronen über den schwarzen Feldern der Wappen. Da der Raum, in welchem sich diese Szenen abspielten, der gleiche ist, wo Sir Aymer de Valence jene Zusammenkunft mit dem Küster gehabt, ist es nicht notwendig, seinen ruinenhaften Charakter weiter zu schildern. In einem entfernteren Winkel hatte derselbe Ritter jetzt seine Mannen aufgestellt, gerüstet für jeden Angriff. Sir John de Walton, am entgegengesetzten Winkel der Kirche postiert, ließ die Blicke voll Unruhe über die Menschenmenge schweifen nach Lady Augusta de Berkeley, die er in dem herrschenden Gedränge aus dem Gesicht verloren hatte. Am östlichen Teile der Kirche war ein Altar errichtet worden, an dessen Seite der Bischof, angetan mit seinen festlichsten Gewändern, neben Priestern und Dienern, seinem bischöflichen Gefolge, seinen Sitz genommen hatte. Alle um ihn her versammelten Schotten schienen seiner Bewegungen zu achten wie denen eines vom Himmel herniedergestiegenen Heiligen, während die Englischen, stumm vor Staunen und in Besorgnis, daß von den himmlischen oder irdischen Mächten, am Ende gar von beiden, unvermutet ein Zeichen kommen werde, das Signal zum Angriff gegen sie erwarteten. War doch die Parteinahme der schottischen Geistlichkeit für Robert Bruce und dessen Königtum so energisch, daß ihr von den Englischen kaum die Übung der kirchlichen Zeremonien gestattet wurde, die ihrem Bereich unterstanden. Schon aus diesem Gesichtspunkte war die Anwesenheit des Glasgower Bischofs ein auffälliges Ereignis, geeignet, sowohl Staunen als Argwohn zu erregen; ein kirchliches Konzil hatte indessen den hohen schottischen Prälaten vor kurzem aufgefordert, am Palmsonntag das Hochamt in der uralten Kirche Schottlands zu feiern. Eine ungewöhnliche Stille in der Kirche, die dicht gefüllt war von einer Menge Volks mit so grundverschiedenen Meinungen, Wünschen und Erwartungen, erinnerte mächtig an eine jener feierlichen Pausen, die so häufig einem Kampfe der Elemente vorausgehen und als Verkündiger furchtbarer Naturerschütterungen gelten. Alles Getier bringt, je nach seiner Natur, die Empfindungen zum Ausdruck, die nahendes Sturmwetter ihm verursacht; Hirsche und andere Waldbewohner ziehen sich in die finstersten Schlupfwinkel ihrer Domäne zurück; Schafe drängen sich in ihren Hürden zusammen, und die dumpfe Betäubung, die sich der Natur bemächtigt, der belebten sowohl als der unbelebten, ist Vorbotin allgemeiner Erschütterung und Verwirrung, die jäh eintritt, wenn der Blitz, des Donners Vorbote, aus den Wolken zur Erde niederzischt. In unheimlicher Spannung harrten die Schotten, die auf des Douglas Befehl zur Kirche gekommen waren, des Signals zum Angriff, während die Englischen, mit der unter den Landes eingeborenen herrschenden Mißstimmung wohlbekannt, unter dem lästigen Eindruck der Ungewißheit den Augenblick berechneten, in welchem der gefürchtete Schlachtruf »Bogen und Partisane« erschallen würde. Trutzig blickten die beiden Parteien sich ins Auge. Und obgleich der Sturm jede Minute losbrechen konnte, vollzog der Bischof von Glasgow die gottesdienstliche Feier mit höchstem Aufwand von Würde, dann und wann eine Pause eintreten lassend, in welcher er die Volksmenge überschaute, um zu erkennen, ob sich die heftigen Leidenschaften, die in ihr glommen, so lange noch zurückhalten lassen möchten, bis er all seine Pflichten der Zeit und Örtlichkeit gemäß erfüllt hätte. Eben hatte der Bischof den Gottesdienst beschlossen, als eine Person mit tiefbekümmerter Miene zu ihm trat mit der Frage, ob er zur Tröstung eines nahe der Kirche im Sterben liegenden Mannes einige Augenblicke noch übrig habe. Während über der Kirche eine Grabesstille ruhte, die ihm, wenn er den grimmigen Ausdruck betrachtete, der auf allen Gesichtern lag, auf keinen friedlichen Abschluß des verhängnisvollen Tages deuten konnte, erklärte er sich bereit, den Gang zu dem Sterbenden zu tun, und forderte den Boten auf, ihm den Weg zu zeigen. In Begleitung verschiedener Männer, die als Douglassche Parteigänger bekannt waren, folgte er dem Boten. In einem Gewölbe unter der Erde lag auf einem Strohbunde der Körper eines großen kräftigen Mannes, dem aus mehreren klaffenden Wunden das Blut entströmte. Sein Gesicht zeigte einen Ausdruck von Grimm und Trotz, der sich ständig verfinsterte. Es war kein anderer als Michael Turnbull, der am Morgen des Tages von Sir John de Walton ins Gras gestreckt und von Freunden nach der Kirche geschleppt worden war, dort den Eintritt des Todes abzuwarten. Die zwischen dem Prälaten und dem Sterbenden gewechselten Worte waren ernsten und strengen Inhalts, wie sie zwischen dem geistlichen Vater und dem Beichtkinde wohl immer lauten, wenn vor den Augen des Sünders eine Welt hinwegrollt und eine andere mit allen ihren Schrecknissen sich auftut, wenn dem Büßenden die Vergeltung, die er für seine irdischen Taten zu erwarten hat, vor Augen schwebt. »Turnbull,« sprach der Geistliche, »Ihr glaubt mir wohl, wenn ich Euch sage, daß es mich tief im Herzen schmerzt, Euch von Wunden zerfleischt zu sehen, für die es keine irdische Hilfe gibt.« »Die Jagd ist also aus, frommer Vater,« erwiderte aufseufzend der Jäger, »nun, darum keinen Kummer, denn ich darf wohl sagen, daß ich mich auf Erden nie anders aufgeführt habe, als es sich für einen tapferen Schotten ziemt, so daß unser alter Kaledonier-Wald durch mich keine Unehre erlitten hat. Selbst in dem jetzigen Falle, der also den Schlußstein meines Erdenwallens bilden soll, würde jener feingeleckte englische Rittersmann nicht solchen Vorteil über mich erlangt haben, wäre der Boden, auf welchem wir kämpften, nicht so ungleich an Vorteilen, günstig für ihn, ungünstig für mich, gewesen. Wäre mein Fuß nicht zweimal ausgeglitten, so würde, selbst trotz des Verrats, den er gegen mich übte, nicht ich jetzt, sondern er wie ein Hund auf blutigem Stroh verenden.« »Wendet Eure Gedanken von diesem Leben hinweg auf das ewige!« ermahnte der Prälat. »Möge der Himmel Euch befähigen, solche Eurer Irrtümer zu bereuen, die den Tod oder das Elend von Nebenmenschen veranlaßten.« »Ihr wißt so gut wie ich, frommer Vater,« versetzte der Sterbende, »so gut wie jemand sonst, daß heute in dieser Kirche hier Schotten und Engländer übereinander wachen, daß sie weniger hierhergekommen sind, um Gott ihrem Herrn zu dienen, als in der Absicht, sich mit einander zu messen, den vielen Fehden, welche die beiden Hälften der britischen Insel zerfleischten, eine neue anzufügen. Wie soll sich ein Mann gleich mir anders dabei verhalten, als ich mich verhalten habe? Hätte ich die Hand nicht erheben sollen gegen diese Engländer, die über unser Land gefallen sind wie die Heuschrecken?« »Ihr wißt, daß ich ebenso denke wie Ihr und zufolgedessen gleiches leide wie Ihr, ich müßte denn kein Schotte sein! Aber betrachten wir uns nicht als die Werkzeuge der vergeltenden Rache, die der Himmel ausdrücklich für ein ihm zugehöriges Amt erklärt. Während wir all das unserem Vaterlande zugefügte Unrecht sehen und fühlen, dürfen wir auch unsererseits nicht vergessen, daß unsere Kriegszüge den Engländern nicht minder verhängnisvoll geworden sind als ihr Einbruch in unser Land uns Schaden gestiftet hat. Möchten die beiden Kreuze des heiligen Georg und des heiligen Andreas den Bewohnern der beiden Reiche England und Schottland nicht länger mehr als Sinnbilder feindseligen Ringens gelten, sondern ihnen Mahnung sein zu gegenseitiger Vergebung und gemeinschaftlichem Frieden!« Eine Weile lang schien es, als wolle die friedliche Gesinnung, die der Bischof dem Sterbenden predigte, sich über die Menge verbreiten. Bald aber kündete Trompetenschall, daß es im Himmel anders beschlossen stand, und daß der Nationalkrieg, durch den schon soviel Blut geflossen war, an diesem Tage von neuem den Anlaß zu tödlichem Kampfe geben sollte. Alles griff, als die kriegerischen Klänge durch die Kirche dröhnten, zu den Waffen, als sei es nutzlos, des Zeichens zum Kampfe länger zu warten. Rauhe Stimmen wurden laut, Lanzen und Partisanen blitzten und Schwerter rasselten in den Scheiden. Zum andernmale schmetterten die Trompeten und die Stimme des Herolds ertönte: »In Anbetracht, daß zahlreiche edle Ritter zurzeit in der Kirche von Douglas versammelt sind und daß unter ihnen der Anlaß zum Austrag durch Kampf und Streit vorhanden ist, stellen die Ritter Schottlands sich bereit, den Kampf mit den Englischen aufzunehmen. Wer besiegt wird im gegenwärtigen Streit, hat auf Fortsetzung desselben zu verzichten und darf in keinem späteren Kriege wieder die Waffen führen. Gleicherweise hat er sich den weiteren Bedingnissen, die durch einen Rat der zurzeit hier anwesenden Ritterschaft bestimmt werden sollen, zu unterwerfen. Bloß die freiwillige Übergabe von Schloß und Stadt Douglas und die Räumung alles schottischen Landes bis zur Grenze und die Entfernung sämtlicher englischen Garnisonen an der Grenze und jenseits der Grenze soll imstande sein, den Kampf zu hindern.« Diese Herausforderung der schottischen an die englische Ritterschaft war kaum erfolgt, als die Trompeten zum drittenmale schmetterten, diesmal heller noch als zuvor, und die Antwort der englischen Ritterschaft verlesen wurde: »Gott verhüte, daß Englands Rechte und Vorrechte von seinen Ritter nicht vertreten würden. Die hier versammelten Englischen sind vielmehr bereit, auf die angekündigten Bedingungen so lange zu kämpfen, als Schwert und Lanze aushalten. Von Übergabe von Schloß und Stadt Douglas und Räumung englischer Garnisonen auf schottischem Grund und Boden kann niemals die Rede sein. Dagegen fordern Englands Ritter von James Douglas die bedingungslose Freigabe der widerrechtlich in seine Gefangenschaft gebrachten Lady Augusta de Berkeley. Wird dieselbe verweigert, so soll dies gelten als Ursache zur Eröffnung der Feindseligkeiten.« Schnell sammelten nun die Führer ihre Mannen um sich. Eine Pause folgte noch, die von keiner Partei gebrochen werden durfte. Dann trat James Douglas einen Schritt vor und rief mit lauter Stimme: »Ich warte hier, um zu hören, ob Ritter de Walton vom Ritter Douglas die Erlaubnis nachsucht, des letzteren Ahnenschloß zu räumen, bevor der Tag verstreicht, und ob er den Ritter Douglas zu diesem Zweck um Schutz angeht.« De Walton zog sein Schwert. »Trotz aller Drohung und allen Einspruchs halte ich das Schloß Douglas als rechtlichen Besitz König Eduards von England und Schottland und werde niemals jemand um den Schutz ersuchen, den mir mein eigenes Schwert verbürgt.« »Ich stehe Euch als treuer Gefährte zur Seite gegen jedermann der das Schwert gegen Euch erhebt«, rief Sir Aymer de Valence. »Bogen und Partisanen!« rief Gilbert Greenleaf mit seiner hellsten Stimme; »Mut, edle Engländer, und greift in Gottes Namen zu den Waffen! Soeben bringt ein Bote Kunde, daß Graf Pembroke sich von Ayrshire her in vollem Marsch auf Schloß Douglas befindet und in knapp einer Stunde bei uns sein wird. Engländer, kämpft tapfer! Pembroke naht zum Entsatz! Lange lebe der tapfere Graf Valence von Pembroke!« Was von Engländern innerhalb und außerhalb der Kirche zugegen war, griff nun zu den Waffen. Sir John de Walton hatte sich binnen wenigen Sekunden bis zum Portal der Kirche durchgeschlagen. Die Schotten konnten einer Empfindung von Schrecken nicht widerstehen, die sie beim Anblick dieses berühmten, von seinem ebenbürtigen Waffenbruder sekundierten Ritters überkam. War doch Sir John de Walton mit Sir Aymer de Valence lange genug die Geißel der Gegend gewesen! Wäre ihm im letzten Augenblick nicht der jugendliche Sohn Tom Dicksons von Hazelside entgegengetreten, so würde er sich den Weg auch zum Portale hinaus ins Freie gebahnt haben. Aber Schlag auf Schlag führte der Jüngling, mit allem Mut und Eifer der Jugend bemüht, den Preis der Tapferkeit zu erlangen, der dem Sieger über solchen berühmten Kriegsmann anheimfallen mußte. »Törichter Knabe!« rief dieser zuletzt, nachdem er dem Jüngling eine Zeitlang ausgewichen war, »da du den Tod dem Frieden und einem langen Leben vorziehst, so nimm ihn hin von edler Hand!« »Der Tod kümmert mich nicht,« sprach der schottische Jüngling mit seinen letzten Atemzügen, »denn ich lebte lange genug, da ich Euch so lange an dem Orte hielt, wo Ihr jetzt steht!« Der Jüngling sprach diese Worte mit vollem Recht, denn als er zu Boden sank, um nicht wieder aufzustehen, trat hinter ihm James Douglas auf den Plan und setzte, ohne ein Wort gesprochen zu haben, den schrecklichen Einzelkampf gegen den Ritter de Walton fort, den er mit ihm schon vor dem Gottesdienst gefochten hatte, doch mit hundertfältig gesteigertem Grimm. Sir Aymer stellte sich dem Freunde zur Linken, eines Gegners aus der Schar des Douglas gewärtig, um teil an dem Kampfe zu nehmen. Endlich stellte sich auch ihm ein Schotte, Malcolm Fleming, der edelsten einer. Sir Aymer, von Kampfeslust entbrennend, rief: »Treuloser Ritter von Boghall, tretet heran und verteidigt Euch! Schon lange seid Ihr als Meineidiger eine Schande der Ritterschaft!« »Meine Antwort,« rief Malcolm Fleming, »auch auf gröbere Schmähung, hängt an meiner Seite!« Im nächsten Augenblick sausten die Schwerter durch die Luft, und selbst die kriegsgewohnten Zuschauer waren kaum imstande, dem Fortgang des Kampfes mit den Augen zu folgen, der eher einem Gewitter im Gebirgslande glich. Mit furchtbarer Geschwindigkeit folgten die Schläge aufeinander, und wenn auch dies zweite Ritterpaar dem anderen älteren nicht gleichkam, so ersetzte es, was ihm an kunstgerechter Führung des Schwertes gebrach, durch einen Grad von Wut, der dem Zufall einen gleichen Teil des Ausgangs anheimgab. Das Gefolge der Ritter verhielt sich, als es seine Häuptlinge in so furchtbarem Kampfe sah, nach damaliger Sitte in ehrfürchtiger Ruhe. Zum Beistand für diejenigen, die den Zufällen des Krieges bereits erlegen waren, hatten sich Frauen eingefunden. Tom Dickson, der zu den Füßen der Kämpfenden sein Leben aushauchte, wurde von Lady Berkeley aus dem Getümmel getragen, die durch ihr Pilgerkleid die Aufmerksamkeit weniger in Anspruch nahm als die in ihrer Nähe weilende Margaret de Hautlieu durch ihr Nonnengewand, das sie als Schwester Ursula noch immer trug. Dem alten Tom Dickson von Hazelside aber, dem vor Ausbruch des Kampfes durch James Douglas die Obhut über die in der Kirche anwesenden Frauen überantwortet worden war, entging der seinem Sohne von der edlen englischen Dame erwiesene Liebesdienst nicht. »Müht Euch nicht mit derlei nutzlosen Verrichtungen,« rief er der Lady zu, »sondern richtet all Euer Augenmerk nach wie vor auf Eure persönliche Sicherheit! Sir James Douglas wünscht Eure Rettung, und ich betrachte Euch, bei der heiligen Braut unserer Abtei, als meiner besonderen Fürsorge durch den Häuptling überantwortet. Glaubt mir, edle Dame, der Tod dieses Jünglings ist nichts weniger denn vergessen, wenn es sich auch zurzeit nicht ziemen möchte, seiner zu gedenken. Indessen wird die Zeit für die Trauer um ihn so wenig ausbleiben wie die Stunde, da sein früher Tod gerochen werden wird!« Also sprach der finstere Greis. Dann wandte er die Augen von der blutigen Leiche, die zu seinen Füßen lag, ein Muster von männlicher Kraft und Schönheit, und suchte eine Stellung, in der er die Dame am meisten und besten zu schützen vermochte. Dreiviertel Stunden hatte der Kampf gewährt. Allmählich gaben die Kämpfenden zu erkennen, daß sie die Wirkung der furchtbaren Anstrengung an ihrem Körper zu spüren begannen. Die Streiche fielen langsamer und wurden mit verminderter Geschicklichkeit pariert. Als Douglas sah, daß der Kampf sich zu Ende neigte, winkte er dem Gegner, einen Augenblick lang zu ruhen. »Sir Walton,« sprach er, »zwischen uns besteht meines Wissens keine Todfeindschaft, und daß Douglas sich in diesem Waffengange, obgleich er nichts als Schwert und Mantel besitzt, entscheidenden Vorteils enthalten hat, als sich Waffenglück ihm mehrfach bot, könnt Ihr nicht leugnen. Ich biete Euch nochmals Tausch zwischen Haus und Gut meines Vaters, für einen Ritter genügender Kampfeslohn, und der edlen Lady de Berkeley in ebensolcher Ehre und Sicherheit, als überkämt Ihr sie unmittelbar aus Eures Königs Eduard Händen. Ich gebe Euch mein Wort, daß Euch die höchste Ehre, die sich einem Gefangenen irgend erzeigen läßt, unter peinlichster Vermeidung alles dessen, was einer Kränkung oder Beschimpfung auch nur im entferntesten gleichen könnte, zuteil werden soll, sofern Ihr Schloß und Schwert an James Douglas verabfolgt.« »Es mag sein, daß solches mir vom Schicksal vorbehalten ist,« erwiderte de Walton, »nie aber will ich es freiwillig suchen! Nie soll von Sir John de Walton gesagt werden, daß solch verhängnisvolles Wort seine eigene Zunge aussprach, außer im Augenblick höchster Not und Bedrängnis. Aber geschähe dies jemals auch dann von mir, so nur, indem ich gleichzeitig die Spitze meines Schwertes gegen die eigene Brust kehrte. Ihr hört, daß Graf Pembroke im Anmarsch mit seinem Heere auf Douglas zu ist; schon höre ich das Stampfen und Wiehern seiner Rosse. Nein, Douglas! Ich behaupte meinen Platz, so lange noch Hilfe nahen kann! Und mein Atem wird lange genug reichen, um den Kampf bis dahin zu führen. Kommt heran, Douglas! Der Euch gegenübersteht, ist kein Kind, sondern ein Mann, ohne Scheu der äußersten Kraft seines Feindes zu begegnen, mag er stehen oder fallen!« »So sei es denn, Sir Walton!« rief Douglas, dessen Stirn bei diesen Worten ein tiefdunkles Rot, ähnlich dem Glutrand einer Gewitterwolke, überzog, zum Zeichen, daß er den Kampf nun schnell zu Ende zu bringen gedachte. In diesem Augenblicke wurde das Stampfen von Rosseshufen hörbar. Im anderen Augenblick sprengte ein wallisischer Ritter, kenntlich durch die Kleinheit seines Pferdes, die nackten Beine und den blutigen Speer, auf den Plan und rief den Kämpfenden mit lauter Stimme zu, den Kampf einzustellen. »Ist Graf Pembroke in der Nähe?« fragte de Walton. »Er steht bei Loudonhill,« sprach der Eilbote, »aber ich bringe Befehle für Sir John de Walton.« »Ich bin bereit ihnen zu gehorchen, auf alle Gefahr hin«, versetzte der Ritter. »Wehe mir,« sprach der Walliser, »daß den Ohren solches tapferen Herrn solch unwillkommene Kunde von meinen Lippen kommen muß. Gestern erhielt Graf Pembroke die Meldung, Schloß Douglas werde vom Sohne des verstorbenen Grafen Douglas und allen Einwohnern der Gegend berannt. Daraufhin beschloß Graf Pembroke, mit der ganzen verfügbaren Streitmacht zu Eurer Hilfe herbeizueilen. Aber bei Loudonhill trat ihm der gefürchtete Robert Bruce entgegen, den die Schotten als ihren König erkennen. Graf Pembroke rückte ohne Verzug gegen Robert Bruce unter seinem Eide, nicht eher einen Kamm durch seinen Bart zu ziehen, als bis er England von dieser Pestbeule befreit habe. Allein das Schicksal war wider uns.« Hier hielt er inne, um Atem zu schöpfen. »Hurra Bruce!« rief Douglas, »er hat dem Pembroke den Überfall im Methuen-Walde wacker heimgezahlt und wird jetzt siegesfroh der nächtlichen Ruhe pflegen. So lange Bruce noch am Leben und noch ein einziger Lord da ist, ihm als seinem König und Herrscher zur Seite zu sein, so lange wird, aller Gewalt zum Trotz, die mit so schwerem Verrat gegen ihn verübt wird, Schottland bleiben was es ist, ein selbständiges Königreich und alle Englischen aus seinen Grenzen jagen! Hurra Bruce und Schottland!« Alle, schottischen Ritter und Mannen stimmten jubelnd ein in seinen Ruf. »Was ich Sir John de Walton weiter zu melden habe,« ergriff der Walliser Meredith wieder das Wort, ist: daß Graf Pembroke gänzlich geschlagen wurde und aus Ayr, wohin er sich unter großen Verlusten zurückgezogen hat, nicht heraus kann. Deshalb sendet er Euch, John de Walton, Verhaltungsbefehle, dahinlautend, daß er suchen möchte, für die Übergabe des Schlosses Douglas die bestmöglichen Bedingungen zu erhalten; denn auf Unterstützung von seiner Seite könne und dürfe Sir John nicht mehr bauen.« Ob dieser unvermuteten Kunde brachen die Schotten in solches Geschrei aus, daß die Ruinen der alten Kirche zu wanken und die unter ihnen zu dichtem Haufen gedrängten Ritter und Mannen unter sich zu begraben drohten. De Waltons Stirn legte sich bei dieser Meldung, obgleich sie ihm hinsichtlich von Lady Berkeley die Hände frei machte, in tiefe Falten; denn er konnte hinfort keinen Anspruch mehr erheben auf die ihm vordem von Douglas gestellten günstigen, Bedingungen. »James Douglas,« rief er, »zufolge solcher für uns schmerzlichen Kunde steht es jetzt bei Euch, die Bedingungen vorzuschreiben, die für die Übergabe Eures Ahnenschlosses gelten sollen. Ich besitze kein Recht mehr, auf jene Bedingungen zurückzugreifen, die Eure Großmut mir eben noch stellte. Gleichviel wie sie lauten werden, so überreiche ich Euch mein Schwert, dessen Spitze ich zur Erde senke zum Zeichen, daß ich es nie wieder gegen Euch richten will, so lange es mir, nicht durch Euch selber wieder behändigt wird.« »Da sei Gott vor,« rief Douglas, »daß ich mich solches Vorteils bemächtige über den tapfersten Ritter, mit dem ich mich jemals im Schwertkampfe maß. Ich übertrage all meinen Anspruch an die Person des in ganz Schottland gefürchteten Sir John de Walton auf die hier anwesende, hohe und edle Lady Augusta de Berkeley, die hoffentlich solche durch Krieg ihr anheimgefallene Gabe aus der Hand eines Douglas nicht verschmähen wird.« Die von hohem Edelmut diktierten Worte wurden von allen Anwesenden mit Beifall vernommen und versöhnte auch die trotzigsten unter Englands Mannen mit der vom Walliser überbrachten schlimmen Nachricht über den Verlust einer Schlacht durch den Grafen Pembroke. Sir John de Walton blickte auf gleich einem Reisenden, welcher aus den Wolken eines schweren Ungewitters, das ihn während eines langen Vormittags nicht verlassen hat, die Sonne hervorbrechen sieht. Die Übereinkunft wurde hierauf festgesetzt und abgeschlossen. Die Bedingungen lauteten: Übergabe des Schlosses einschließlich aller Vorräte an Waffen und Munition jeglicher Art an die Schotten; dagegen freier Abzug der Besatzung mit Pferden und Handwaffen nach der englischen Grenze. Am Palmsonntage des Jahres 1306 erfolgte diese Rückgabe des alten Stammschlosses an das edle Grafengeschlecht der Douglas. Sie war der Anfang zu einer ununterbrochenen Kette von Siegen, durch welche der größte Teil aller Festungen und Schlösser in die Gewalt der Edlen zurückfiel, die für die Freiheit ihres Landes mit eiserner Faust kämpften, bis endlich die berühmte Entscheidungsschlacht von Bannockburn geschlagen wurde, durch welche die Engländer die schwerste Niederlage erlitten, die in ihren Kämpfen um den Besitz Schottlands von der Geschichte berichtet wird. Über das Schicksal der einzelnen Personen, die in dieser Erzählung aufgetreten sind, ist nur weniges noch zu melden. Den Ritter Sir John de Walton traf eine Zeitlang der herbe Zorn seines Königs wegen der Übergabe des Schlosses an James Douglas. Indessen sprach der Ritterrat, welchem der Fall zur Untersuchung überwiesen wurde, den Ritter von allem Tadel frei, da er das Schloß erst dann übergab, als ihn sein Vorgesetzter, Graf Pembroke, hierzu direkt aufgefordert hatte. Für alles hieraus für ihn erwachsende Ungemach fand er reichen Lohn in der Liebe der edlen Lady, die um seinetwillen die gefahrvolle Reise in fremdes Land unternommen hatte. Schwester Ursula, oder mit ihrem Geburts- und Geschlechtsnamen Margaret de Hautlieu, fand einen Verehrer in dem kühnen und tapferen Malcolm Fleming, nachdem sie durch das Parlament von Schottland wieder in den Besitz ihrer Güter und ihres Vermögens gesetzt und von der schottischen Geistlichkeit von dem auf ihr lastenden Kirchenbann befreit worden war. Lady Augusta und Lady Margaret hielten in treuer Freundschaft für Lebenszeit zusammen. Bertram, dem treuen Sänger, wurde reicher Lohn durch Ritter de Walton und Lady Augusta. Er durfte sich unter den Schlössern der Dame, die er im Pilgergewand nach Schloß Douglas geleitete, dasjenige wählen, welches ihm als Domizil am besten gefiel; er hat aber zwischen den einzelnen Schlössern viel gewechselt, getreu dem ihm innewohnenden Wandertriebe, und ist in hohem Alter gestorben. Weit früher als er, und zwar auf dem Felde der Ehre, auf einem Kriegszug im Heiligen Lande, fand der tapfere und ehrliche Armbrustschütze Gilbert Greenleaf den Tod. Er soll mit dem Schlachtrufe »Bogen und Partisanen« die Erde geküßt haben. Eine Schreckensnacht. Erstes Kapitel Die folgende Erzählung ist, so weit es dem Gedächtnis des Verfassers möglich gewesen ist, genau in der Art niedergeschrieben worden, wie sie ihm erzählt worden ist. Jeder Versuch zur Ausschmückung ist sorgfältig unterlassen worden, um die Schlichtheit der Erzählung nicht zu beeinträchtigen. Zugleich ist aber zu betonen, daß jene besondere Klasse von Erzählungen, deren Stoff im Übernatürlichen liegt, mündlich vorgetragen, weit mehr Eindruck macht, als wenn man sie gedruckt liest. Wenn man ein Buch bei hellem Mittag liest, so wirkt der darin geschilderte Vorfall weit schwächer, als wenn in einem Kreise von Zuhörern am Kamin die Stimme des Erzählers den gleichen Vorfall berichtet, die Einzelheiten ausmalt und den Ton tiefer und geheimnisvoller stimmt, wenn er der ergreifenden und wundersamen Katastrophe näher kommt. Unter solchen vorteilhafteren Umständen hörte der Verfasser diese Erzählung aus dem Munde der berühmten Miß Seward von Litchfield, die neben ihren vielen hohen Befähigungen auch in hervorragendem Maße die Gabe besaß, in engem Kreise fesselnde Geschichten zu erzählen. In der hier vorliegenden Form muß freilich die Erzählung all jenes Interesse verlieren, das ihr die modulationsfähige Stimme und die geistvollen Züge der Erzählerin verliehen. Indessen kann sie noch immer als treffliche Geistergeschichte gelten, wenn man sie gläubigen Ohren um Mitternacht bei matter Lampe vorliest, oder wenn man sie für sich bei herabgebrannter Kerze in der Einsamkeit eines halb erhellten Gemaches zur Hand nimmt. Miß Seward behauptete, sie habe die Geschichte von zuverlässiger Seite, aber sie verschwieg die Namen der dabei beteiligten Hauptpersonen. Ich will hier nicht auf die Einzelheiten eingehen,, die ich vielleicht später über die Örtlichkeiten gesammelt habe; ich will sie nur in der allgemeinen Schilderung andeuten. Aus dem gleichen Grunde will ich auch keinen Umstand – ob mehr oder weniger wesentlich – hinzufügen oder weglassen, sondern nur eine Erzählung von überirdischem Grausen so einfach wiedergeben, wie ich sie vernommen habe. Als gegen Ende des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges die Offiziere vom Heere des Lord Cornwallis, die bei Yorktown und an anderen Punkten sich ergeben hatten, aus der Kriegsgefangenschaft, in der sie während dieses unklug begonnenen und unglücklich geführten Bürgerkrieges geschmachtet hatten, in ihr Vaterland zurückkehrten, um von ihren Abenteuern zu erzählen und von ihren Mühsalen auszuruhen, war unter ihnen auch ein General, dem Miß Seward den Namen Browne gab – jedoch nur aus dem Grunde, um die Hauptperson ihrer Erzählung nicht unbenannt zu lassen, was ja immer unbequem ist. Er war ein verdienstvoller Mann, aus angesehener Familie und persönlich hochbegabt. Aus irgend einem Anlaß war General Browne nach den westlichen Grafschaften Englands gereist, und eines schönen Morgens sah er sich in der Nähe eines kleinen Landstädtchens in einer Gegend, die ihm ein eigenartig schönes Landschaftsbild echt englischen Charakters bot. Die kleine Stadt mit einer stattlichen alten Kirche, deren Turm von der Andacht längst entschwundener Zeiten sprach, lag inmitten nicht eben sehr ausgedehnter Wiesen und Getreidefelder, die von uralten, mächtigen Hecken umschlossen waren. Daß die Neuzeit hier umgestaltend gewaltet hätte, davon war nichts zu sehen. Ringsum fand sich keine Spur von der Einsamkeit des Verfalls, aber auch nicht von dem regen Treiben moderner Unternehmungen. Die Häuser waren alt, aber gut erhalten – ein anmutiges Flüßchen rauschte ohne Hemmnis in seinem Laufe links an der Stadt hin, weder durch Dämme aufgehalten, noch durch einen Treidelpfad am Ufer begrenzt. Auf einer sanft ansteigenden Höhe etwa eine Meile südlich von der Stadt ragten aus einem dichten Wäldchen heraus und über ein paar vereinzelt stehende ehrwürdige Eichen hinweg die Türme eines Schlosses aus der Zeit der Kriege zwischen York und Lancaster; aber, wie es schien, war es in der Zeit der Elisabeth und Jakobs I. eingreifend umgestaltet worden. Es war kein allzu umfangreiches Gebäude, aber alle Bequemlichkeiten, die es früher dargeboten hatte, durfte man noch immer in seinem Innern zu finden erwarten. Wenigstens hegte General Browne diese Hoffnung, als er aus einigen der alten, gewundenen und mit Stuck verschnörkelten Schornsteine den Rauch lustig emporsteigen sah. Die Mauer, die den Park umschloß, führte ein Stück an der Landstraße hin. Hie und da tat sich ein Blick in die mit Wald gut bestandene Gegend auf, die sehr holzreich zu sein schien. Dann hatte man wieder eine schöne Aussicht auf die Vorderfront des alten Schlosses, dann wieder von der Seite auf die einzelnen Türme. Die Front war reich an all jenem alten Zierat, die den Baustil der Zeit der Elisabeth charakterisiert, die einfache, feste Manier anderer Teile wiederum schien anzudeuten, daß beim Bau mehr auf Verteidigung als auf Luxus Rücksicht genommen worden sei. Entzückt von den verschiedenen Ansichten des Schlosses, wie sie ihm durch die Baumgruppen hindurch und über die Wiesen hinweg sich boten, beschloß General Browne, sich zu erkundigen, ob das Schloß nicht näher besichtigt zu werden verdiene und ob es Familiengemälde und andere Raritäten enthalte, die ein Fremder sich gern einmal ansehen würde. Als er den Park hinter sich hatte, fuhr sein Wagen auf einer sauberen, gut gepflasterten Straße und machte an der Pforte eines stark besuchten Gasthofes Halt. Ehe General Browne weiterfuhr, fragte er, wem das Schloß gehöre, daß ihm so gut gefallen hatte. Er war angenehm überrascht den Namen eines Edelmannes zu hören, den wir Lord Woodville nennen wollen. Mit vielen Jugenderinnerungen Brownes von der Schule und der Universität her war ein junger Lord Woodville verknüpft, und nach einigen weiteren Fragen hatte er sich überzeugt, daß dies derselbe war, dem dieses schöne Landgut gehörte. Vor wenigen Monaten war nach dem Tode seines Vaters der junge Lord Pair geworden, und wie der Wirt dem General mitteilte, nahm eben jetzt der junge Lord im schönen Spätherbste Besitz von seinem Familiengute und eine ausgewählte Gesellschaft von Freunden weilte bei ihm, um in einer wegen ihres Wildreichtums berühmten Gegend der Jagd zu pflegen. Diese Nachricht war unserem Reisenden sehr willkommen. Frank Woodville war in Eton Brownes Stubenkamerad und dann auf der Universität sein intimer Kommilitone gewesen. Gemeinsam hatten sie gearbeitet und sich vergnügt. Das ehrliche alte Soldatenherz schlug hoch vor Freude bei der Mitteilung, daß der Jugendfreund ein so herrliches Gut besitze. Nichts war natürlicher, als daß der General seine Reise unterbrach, zumal er es nicht eilig hatte, ans Ziel zu kommen, und beschloß, seinen alten Freund zu besuchen. Der frische Vorspann hatte daher zunächst nichts weiter zu tun, als den Reisewagen des Generals lzach Woodville-Castle zu ziehen. Vor einem kleinen Hause in neugotischem Baustil nahm ein Parkhüter sie in Empfang, der gleichzeitig eine Glocke zog, um die Ankunft eines neuen Gastes zu melden. Dieses Glockenzeichen hielt offenbar die Gesellschaft, die. eben ihren verschiedenen morgendlichen Vergnügungen sich widmen wollte, noch ab, auseinanderzugehen, denn als der Wagen in den Schloßhof einlenkte, schlenderten schon mehrere junge Leute in Jagdkostümen umher und besahen mit Kennerblicken die Hunde, die die Jagdhüter für den Zeitvertreib ihrer Herren bereit hielten. Als General Browne aus dem Wagen stieg, kam der junge Lord ans Tor der Halle und sah den Freund eine Weile an, ohne ihn wiederzuerkennen, denn Krieg, Strapazen und Wunden hatten ihn sehr verändert. Doch kaum hatte der Gast den Mund aufgetan, so war die Ungewißheit verschwunden, und die herzliche Begrüßung, die nun folgte, war von jener Art, wie sie nur von Leuten ausgetauscht werden kann, die die heiteren Tage, der Kindheit oder der frühen Jugend miteinander verlebt haben. »Wenn ich einen Wunsch hätte hegen mögen, lieber Browne,« sagte Lord Woodville, »so wäre es der, an diesem Tage, den meine Freunde zu einem Feste machen, von allen Menschen auf Erden dich bei mir zu haben. Denke nicht, daß ich dich aus den Augen verloren hätte, während du fern von uns weiltest. Ich bin dir auf deiner gefahrvollen Laufbahn, deinen Siegen und Unglücksfällen stets gefolgt, und es war mir eine hohe Freude, daß – ob bei Erfolgen oder Mißerfolgen – der Name meines alten Freundes stets rühmend genannt wurde.« Der General erwiderte einige passende, Worte und beglückwünschte seinen Freund zu seiner neuen Würde und dem Besitz eines so prachtvollen Gutes. »Du hast bis jetzt noch gar nichts gesehen,« versetzte der Lord, »und ich hoffe, du wirst mich erst wieder verlassen, nachdem du meine Besitzung näher kennen gelernt hast. Allerdings habe ich augenblicklich eine ziemlich große Anzahl Gäste, und mein altes Haus hat nicht so viele bequeme Räumlichkeiten, wie man, von außen gesehen, annehmen möchte, Es ist aber für dich noch ein behaglich, wenn auch altmodisch eingerichtetes Stübchen frei, und ich glaube, von deinen Feldzügen her bist du es gewohnt, sogar noch mit schlechteren Quartieren zufrieden zu sein.« Lachend zuckte der General die Achseln. »Ich glaube doch wohl,« sagte er, »in dem alten Zimmer wirds ein bißchen gemütlicher sein als in dem alten Tabaksfaß, worin ich zur Nacht kampierte, als ich mit den leichten Truppen im Busche umherstrich, wie wir in Virginien sagten. Dort lag ich wie Diogenes selber und war so froh, überhaupt unter Dach und Fach zu sein, daß ich mir das Faß nachrollen lassen wollte. Aber das ging nicht, weil mein damaliger Kommandant mir einen solchen Luxus nicht gestatten wollte, und mit tränendem Auge mußte ich mein geliebtes Faß schießen lassen.« »Nun denn,« sagte Lord Woodville, »da dir vor deinem Quartier nicht bange ist, so wirst du wenigstens eine Woche bei uns bleiben. Jagdbüchsen, Hunde, Angelruten, Köder zum Fischen und anderes Gerät für das Weidwerk zur See und zu Lande sind im Überfluß vorhanden; und wenn du Lust hast zu irgend welchem Vergnügen, so finden sich Mittel und Wege, es dir zu schaffen.« Der General nahm den freundschaftlichen Vorschlag in allen Punkten bereitwilligst an. Beim Mittagstisch fand sich die Gesellschaft zusammen, und Lord Woodville machte sich ein Vergnügen daraus, seinem wiedergefundenen Freunde reichlich Gelegenheit zu geben, daß er den vornehmen Gästen gegenüber all seine hervorragenden Eigenschaften, in treffliches Licht setzen konnte. Er gab dem General Browne Anlaß, von seinen Abenteuern zu erzählen, und da er in jedem Worte den tapferen Offizier und verständigen, Menschen verriet, der in der größten Gefahr sich Kaltblütigkeit und besonnenes Urteil bewahrt, so begegnete die Gesellschaft dem Soldaten, in welchem sie einen Mann von hohem Mute erblickte – einer Eigenschaft, von der jeder wünscht, daß ihm ein Teilchen davon von anderen zugetraut werde – allgemein mit großer Achtung. Der Tag in Woodville nahm den auf solchen Landgütern üblichen Schluß. Die Gastfreundschaft und die Gastgesellschaft blieb in den Grenzen der Ordnung und Gesittung. Nachdem der Wein gekreist hatte, wurde musiziert – woran der junge Lord sich selber in ausgezeichneter Weise beteiligte. Karten und Billard waren für die da, deren Sinn nach solchem Zeitvertreib stand. Da alle aber am Morgen körperliche Übungen getrieben hatten, spürten sie bald Lust sich schlafen zu legen, und kurz nach elf Uhr zogen die Gäste sich in ihre Gemächer zurück. Zweites Kapitel Der junge Lord geleitete seinen Freund selber in das für ihn bestimmte Gemach, das seiner Beschreibung völlig entsprach und altmodisch, aber doch sehr bequem eingerichtet war. Das Bett hatte die plumpe massige Gestalt, wie sie am Ende des siebzehnten Jahrhunderts üblich war. Die Vorhänge waren aus vergilbter Seide und reich mit verblichener Goldstickerei geschmückt. Aber die Bettdecken, Kissen und Bezüge dünkten den Soldaten entzückend, indem er, an sein Nachtlager in dem Tabaksfaß dachte. Ein etwas düsteres Aussehen verliehen dem Zimmer die Tapeten, die an den Wänden hingen und sich leise raschelnd bewegten, wenn der Herbstwind durch das alte Gitterfenster hereinkam, das bei dem Luftzug klapperte und knarrte. Ein Spiegel war da, der nach der Mode zu Anfang des Jahrhunderts mit einem turbanähnlichen Aufsatz von dunkelroter Seide geschmückt war. Er stand auf einem Putztischchen das mit einer Menge seltsam geformter Kästchen und veralteten Toilettegegenständen bedeckt war. Diese beiden erhöhten noch das altertümliche düstere Gepräge. Nichts aber konnte heller und heiterer strahlen, als zwei große Wachskerzen. Wenn etwas mit diesen in Wettbewerb treten konnte, so war es höchstens das lichterloh brennende Holz im Kamin, das in der kleinen Kammer Helligkeit und Wärme ausstrahlte, »Das ist ein altmodisches Schlafstübchen, General,« sagte der junge Lord, »ich hoffe aber, du wirst nichts daran auszusetzen haben, was dich dein Tabaksfaß vermissen läßt.« »Ich bin nicht sehr wählerisch in Quartieren,« sagte der General, »wenn ich aber zu wählen hätte, so würde ich dieses Zimmer allemal den freundlichen und mehr nach der Mode eingerichteten Gemächern deines Familienbesitzes vorziehen. Glaube mir, wenn ich bedenke, wie hübsch altertümlich es hier aussieht und wie behaglich und bequem doch alles ist, und wenn ich ferner bedenke, daß das alles Eigentum deiner Lordschaft ist, so werde ich mich in diesem Quartier wohler fühlen als im besten Hotel, das London aufzuweisen hat.« »Ich hoffe – ich bezweifle nicht,« sagte der junge Edelmann, »daß du dich hier so wohl fühlen wirst, wie ich selber es wünsche.« Er wünschte seinem Gaste noch einmal gute Nacht, drückte ihm die Hand und ging. Der General sah sich noch einmal um, wünschte sich selber Glück dazu, daß er ins friedliche Leben zurückgekehrt sei, dessen Behaglichkeit durch die Erinnerung an die überstandenen Mühseligkeiten und Gefahren nur noch schätzbarer wurde, zog sich aus und schickte sich an, sich einer üppigen Nachtruhe hinzugeben. Am nächsten Morgen kam die Gesellschaft zu ziemlich früher Stunde zum Frühstück zusammen, aber General Browne fehlte. Lord Woodville sprach seine Verwunderung aus und sandte schließlich einen Diener, der nach dem General fragen sollte. Der Mann kam mit der Nachricht zurück, der General habe schon mit Tagesgrauen trotz des nebligen, unfreundlichen Wetters einen Spaziergang gemacht. »So machen es die Soldaten«, sagte der junge Edelherr zu seinen Freunden; »vielen wird es so zur Gewohnheit zu wachen, daß sie nach der frühen Stunde, in der, ihr Dienst zu beginnen pflegt, nicht mehr schlafen können.« Aber diese Erklärung, die Woodville seinen Gästen gab, schien ihm selber nicht genügend, und er wartete schweigend und geistesabwesend auf die Rückkehr des Generals. Eine Stunde, nachdem die Frühstücksglocke geläutet hatte, trat dieser ein. Er sah abgespannt aus und schien im Fieber. Sein Haar – das Pudern und Frisieren war damals eine der wichtigsten Obliegenheiten eines Mannes und man konnte daran seinen Stand in der Gesellschaft erkennen – war zerzaust, ungekräuselt, ohne Puder und von Tau benetzt. Die Kleider hätte er nachlässig und in Hast angelegt, was bei einem Militär doppelt verwunderlich war, von dem die Dienstpflicht in der Regel auch eine sorgfältige Toilette erheischte. Sein Blick war starr und seltsam verstört. »Du bist uns heute um einen Ritt voraus,« sagte Lord Woodville, »oder dir hat dein Bett nicht so gut gefallen, wie du es erwartet hattest. Wie hast du die Nacht geschlafen?« »Brillant, brillant! Noch nie in meinem Leben besser geschlafen!« erwiderte General Browne. Aber sein Gesicht hatte einen Ausdruck der Verlegenheit, der seinem Freunde auffiel. Er stürzte eine Tasse Tee hinunter, ließ aber alles, was ihm sonst angeboten wurde, stehen und schien in Geistesabwesenheit zu versinken. »Du wirst heute zur Jagdbüchse greifen,« sagte der Freund und Wirt, aber er mußte die Worte zweimal wiederholen, ehe er die mit Stammeln vorgebrachte Antwort erhielt: »Nein, lieber Freund, ich bedaure, daß ich nicht die Ehre haben kann, noch einen Tag bei dir zuzubringen, aber meine Postpferde sind bestellt, und ich kann nicht länger warten.« Alle Anwesenden waren überrascht, und Lord Woodville versetzte: »Postpferde, guter Freund? Was fällt dir ein? Hast du mir doch versprochen, acht Tage bei mir zu bleiben.« »Mir ist freilich,« versetzte der General mit offenkundiger Verlegenheit, »als hätte ich in der ersten Freude des Wiedersehens etwas von einem Aufenthalt von mehreren Tagen gesagt, aber nachträglich ist mir eingefallen, daß sich das nicht machen läßt.« »Das ist eigentümlich«, antwortete der junge Edelherr. »Gestern schienst du völlig frei von allen Geschäften, da kannst du doch unmöglich heute einen neuen Auftrag erhalten haben. Briefe an dich können nicht angekommen sein, denn die Post aus der Stadt ist noch nicht da.« – General Browne sagte nichts weiter, er murmelte nur etwas von eiligen Angelegenheiten und bestand, darauf, abzureisen; sein Entschluß schien so festzustehen, daß sein Wirt sich schweigend drein fand. »Gestatte mir nur, lieber Browne,« sagte er, »da du doch gehen willst, oder vielmehr gehen mußt, daß ich dir die Aussicht von der Terrasse zeige, die wir in Kürze werden genießen können, denn der Nebel steigt.« Mit diesen Worten öffnete er ein Schiebefenster und ging zur Terrasse hinab. Der General schritt mechanisch hinter ihm her, schien aber kaum zu hören, was sein Wirt zu ihm sagte, als dieser den Blick über die weite prachtvolle Aussicht lenkend, ihn auf die verschiedenen Sehenswürdigkeiten aufmerksam machte. So gingen sie weiter, bis Lord Woodville seinen Zweck erreicht und seinen Gast von der übrigen Gesellschaft weggeführt hatte. Dann wandte er sich ihm zu und fragte ihn in feierlichem Tone: »Richard Browne, mein alter treuer Freund, wir sind jetzt allein. Bei dem Worte eines Freundes und der Ehre eines Soldaten beschwöre ich dich, antworte mir auf meine Frage. Wie hast du heute nacht geschlafen?« »Jammervoll,« antwortete der General in demselben feierlichen Tone, »ganz jammervoll! So maßlos jammervoll, daß ich eine solche zweite Nacht nicht noch einmal durchmachen möchte, und böte man mir dafür alles Land, das zu diesem Schlosse gehört, und das ganze Gebiet, das ich von diesem hochgelegenen Punkte überschaue.« »Das ist seltsam,« sagte der junge Lord wie bei sich selbst, »es muß also etwas Wahres daran sein, was man von diesem Zimmer erzählt.« Dann wandte er sich an den General. »Mein lieber Freund,« sagte er, »um Gotteswillen, sei aufrichtig gegen mich und erzähle mir alles ausführlich, was dir Unangenehmes widerfahren ist, hier, wo doch nach dem Wunsche des Besitzers nur Behaglichkeit dich umgeben sollte.« Diese Aufforderung schien dem General Schmerz zu bereiten, er schwieg ein Weilchen, ehe er antwortete: »Mein teurer Lord,« sagte er endlich, »was mir in der verflossenen Nacht zugestoßen ist, ist so seltsam und grausig, daß ich es schwerlich über mich gewinnen könnte, dir alles ausführlich zu berichten, wenn ich nicht, abgesehen davon, daß ich dir eine Bitte erfülle, glauben könnte, daß eine aufrichtige Erzählung meinerseits mir eine Erklärung über einen Umstand verschaffen könne, der für mich ebenso peinlich wie geheimnisvoll ist. Wenn ich es anderen erzählen wollte, so möchten sie mich für einen abergläubischen, schwachsinnigen Narren halten, der sich durch Hirngespinste betören und entsetzen läßt. Du aber hast mich als Kind und Jungen gekannt, und du wirst nicht denken, daß ich als Mann Empfindungen und Schwachheiten angenommen hätte, von denen ich in der Jugend frei gewesen bin.« »Zweifle nicht daran, daß ich in die Wahrheit deiner Mitteilungen vollen Glauben setzen werde, und wenn sie noch so absonderlich sind,« entgegnete Lord Woodville, »ich kenne deinen festen Charakter genau und hege nicht den Verdacht, daß man dir etwas vorgaukeln könne. Ich weiß ferner, daß du zu ehrenhaft und auch mir ein zu guter Freund bist, als daß du das, was dir widerfahren ist, irgendwie übertreiben solltest.« »«Nun denn,« sagte der General, »ich will, so gut es geht weiter erzählen. Ich vertraue dabei auf deine Aufrichtigkeit, aber dennoch habe ich das bestimmte Gefühl, daß ich lieber auf eine Batterie Sturm laufen möchte, als mir die verhaßten Erinnerungen der verflossenen Nacht ins Gedächtnis zurückrufen.« Wieder hielt er inne. Als er sah, daß Lord Woodville schwieg und mit Spannung seines Berichtes harrte, begann er, wenn auch mit offenkundigem Widerwillen, die Geschichte der nächtlichen Abenteuer im tapezierten Zimmer. Drittes Kapitel »Als du gestern von mir gegangen warst, zog ich mich aus und legte mich zu Bett. Das Holz im Kamin meinem Bette gegenüber brannte hell und lustig. Aus Kindheit und Jugend fielen mir hundert aufregende Erinnerungen ein, die durch das unerwartete Vergnügen, dich wieder zu sehen, wach geworden waren, daß ich die Mühsal und die Gefahren meines Berufes auf kurze Zeit mit den Genüssen des friedlichen Lebens und des freundschaftlichen, liebevollen Verkehrs vertauscht habe, den ich, durch den eisernen Krieg gezwungen, hatte aufgeben müssen. »Dieweil mir so angenehme Betrachtungen durch den Sinn gingen und ich allmählich in Schlaf versank, wurde ich plötzlich durch ein Geräusch gestört, das wie das Rauschen eines Seidenkleides und Tritte hoher Schuhe klang, wie wenn eine Frau im Zimmer umherginge. Ehe ich noch den Vorhang wegziehen konnte, um nachzusehen, was los sei, schritt die Gestalt einer kleinen Frau zwischen dem Bett und dem Feuer vorbei. »Sie drehte mir den Rücken zu, und ich konnte nur an Schultern und Hals erkennen, daß es eine alte Frau war, die nach der alten Mode in einen losen, lang herabhängenden Rock gekleidet war mit breiten Falten an Schultern und Hals und einer Schleppe. »Die Erscheinung kam mir seltsam vor, aber ich dachte mir nichts anderes, als daß es eine alte Frau des Hauses sei, die den Einfall gehabt hatte, sich wie ihre Großmutter anzuziehen. Da du sagtest, du hättest wenig Raum für deine Gäste, so dachte ich, die alte Frau hatte mir ihr Zimmer abtreten müssen und das sei ihr nun wieder entfallen und sie sei in ihre Stube zurückgekommen. »In diesem Glauben bewegte ich mich im Bette und hustete ein wenig, um sie darauf aufmerksam zu machen, daß ich jetzt hier sei. »Sie drehte sich langsam um, aber, gnädiger Himmel, was für ein Antlitz zeigte sich mir! Nun konnte ich nicht länger zweifeln, wer die Gestalt sei, und ich konnte nicht länger glauben, daß sie ein lebendes Wesen sei. Auf einem Angesicht mit leichenhaften Zügen sah ich den Ausdruck der niedrigsten, abscheulichsten Laster, die sie im Leben erfüllt hatten. Der Leib einer gräßlichen Verbrecherin schien dem Grabe entstiegen und die Hölle eine Seele ausgespien zu haben, damit sie auf kurze Zeit sich wieder zu dem alten Mitschuldigen ihrer Schändlichkeiten geselle. »Ich fuhr im Bett empor und richtete mich auf, ich stützte mich auf die Hände und starrte auf das furchtbare Gespenst. Die Hexe machte, wie es schien, einen einzigen, schnellen Schritt nach dem Bett, wo ich lag, und kauerte sich in derselben Stellung darauf hin, die ich inne hatte. Mit teuflischem Grinsen näherte sie ihr Gesicht dicht dem meinen, und die Bosheit und der Hohn eines eingefleischten Teufels spielten darin.« General Browne schwieg ein Weilchen und wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn, der bei der Erinnerung perlend hervortrat. »Lieber Lord,« sagte er, »ich bin keine Memme. Ich habe alle Todesgefahren überstanden, die mein Beruf mit sich bringt, und ich kann mich rühmen, daß der Degen Richard Brownes noch nie entehrt worden ist. Aber unter diesen gräßlichen Umständen, unter den Augen und, wie mich dünkte, fast unter den Klauen eines zu Fleisch gewordenen Dämons verließ mich alle Festigkeit; alle Mannheit zerschmolz in mir wie Wachs auf dem Herde, und ich fühlte jedes Haar, auf meinem Haupte sich sträuben. Der Kreislauf meines Blutes stockte und die Besinnung verließ mich, panischem Schrecken überantwortet wie ein Jüngferchen oder ein Kind von zehn Jahren. Wie lange ich so gelegen habe, weiß ich nicht. »Als die Schloßuhr eins schlug, wurde ich wach. Der Schall war so laut, daß es mir vorkam, als ob die Glocke im Zimmer selber schlüge. Es verging ein Weilchen, bis ich die Augen wieder aufschlagen konnte, um von neuem das furchtbare Bild zu schauen. »Ich faßte mir aber ein Herz und sah auf: das Gespenst war verschwunden. Mein erster Gedanke war, die Klingel zu ziehen, die Bedienten zu wecken und in eine Dachstube oder einen Heuschober zu gehen, damit ich vor einer zweiten Erscheinung sicher, wäre. Wenn ich aber die Wahrheit gestehen soll, so änderte ich meinen Entschluß nicht aus Scham, daß ich mich kompromittieren könnte, sondern aus Angst, daß ich, wenn ich zu der Klingel ging, deren Schnur am Kamin hing, der teuflischen Hexe wieder begegnen könne, die, wie ich mir einbildete, noch in irgend einem Winkel hocken möchte. »Ich will nicht schildern, wie mich die Nacht über bei unruhigem, vielfach gestörtem Schlaf das Fieber kalt und heiß überlief. Qualvolles Wachen und qualvolles Schlummern peinigten mich. Hundert gräßliche Dinge marterten mich. »Endlich brach der Tag an und ich stand auf, von Unwohlsein geplagt und in gedrückter Stimmung. Ich schämte mich meiner als Mann und Soldat, und noch mehr schämte ich mich, daß es mich dazu trieb, das von der Erscheinung heimgesuchte Gemach zu verlassen. Ich kleidete mich in Hast an und flüchtete aus dem Schlosse, um in der frischen Luft die Nerven zu stärken, die das furchtbare Zusammentreffen mit einer Erscheinung aus der anderen Welt – denn dafür mußte ich sie halten – völlig zerrüttet hatte. »Nun weißt du die Ursache meiner Verstörtheit und weshalb es mich drängt, so plötzlich dein gastfreundschaftliches Schloß zu verlassen. An anderen Orten, hoffe ich, werden wir uns noch oft sehen, aber Gott bewahre mich, daß ich je noch eine Nacht unter diesem Dache verlebe!« So seltsam die Geschichte des Generals lautete, so sprach er doch im Tone so fester Überzeugung, daß alle die althergebrachten Erklärungen abgeschnitten waren, die man sonst über derartige Vorfälle vorbringt. Lord Woodville fragte nicht einmal, ob er gewiß wisse, daß er von der Erscheinung nicht geträumt habe. Er schien im Gegenteil von der Wahrheit und Wirklichkeit des Gehörten so fest überzeugt und sprach nach langer Pause im Tone herzlicher Aufrichtigkeit, daß sein Jugendfreund in seinem Hause solche Qualen hätte erleiden müssen. »Es bekümmert mich das um so mehr, lieber Browne,« sagte er weiter, »als dies die unglückselige, freilich gänzlich unvermutete Folge eines von mir angestellten Versuches ist. Du mußt nämlich wissen, daß zur Zeit meines Vaters und Großvaters das Gemach, das ich dir gestern abend angewiesen hatte, stets verschlossen geblieben ist, auf ausdrückliche Anordnung hin, weil die Rede ging, daß es heimgesucht wäre durch übernatürliche Erscheinungen und Töne. Es ist ein paar Wochen her, daß ich in den Besitz des Gutes gelangte. Da war ich der Meinung, die Räume im Schlosse möchten zur Aufnahme meiner Freunde nicht groß genug sein, um Besucher aus einer anderen Welt im Besitz eines behaglichen Schlafgemaches zu lassen. Aus diesem Grunde habe ich das tapezierte Zimmer, wie wir es nennen, öffnen und so viel neues Mobiliar hineinschaffen lassen, wie es sich für die neuere Zeit geziemt, ohne daß hierdurch sein altertümliches Aussehen geschmälert wird. Da indes unter den Bedienten die Ansicht, in dem Zimmer spuke es, noch immer besteht und auch in der Nachbarschaft wie unter der Verwandtschaft verbreitet war, so habe ich immer die Besorgnis gehegt, daß bei dem ersten Bewohner des tapezierten Gemaches ein Vorurteil bestehen möge, das die schlimmen Gerüchte nähren möchte. Dadurch hatte jedoch mein Zweck, diesen Raum bewohnbar zu machen, vereitelt werden müssen. Ich sage ganz offen, mein lieber Browne, deine gestrige Ankunft, die mir aus tausenderlei Gründen überaus angenehm ist, ist mir als die allerbeste Gelegenheit erschienen, jene unangenehmen Gerüchte, die über dieses Zimmer im Umlauf sind, aus der Welt zu schaffen; denn dein Mut steht doch über allen Zweifeln erhaben und deine Seele weiß nichts von Vorurteilen. Aus all diesen Gründen konnte ich für mein Experiment keine, besser geeignete Person wählen.« »Beim Zeus !« fiel General Browne ziemlich schnell ein, »ich bin dir von Herzen verbunden, denn ich bin tatsächlich in großer Schuld bei dir. Es wird höchstwahrscheinlich noch manche Zeit vergehen, bis ich die Folgen des Experiments, wie du die Sache zu nennen liebst, vergesse.« »Du tust mir unrecht, mein Lieber,« sagte Lord Woodville, »wenn du nur ein wenig nachdenken willst, so wirst du die Überzeugung gewinnen, daß ich ganz außerstande war, die Schmerzen zu ahnen, denen ich dich so bedauerlicherweise ausgesetzt habe. Noch bis gestern morgen habe ich mich absolut jedem Glauben verschlossen, daß es in Wirklichkeit übernatürliche Erscheinungen gebe. Ich bin sogar der Überzeugung, du hättest das Zimmer aus freiem Willen gewählt, wenn ich dir gesagt hätte, was darüber von den Leuten geredet wird. Es mag mein Unglück gewesen sein, vielleicht auch mein Irrtum. Der Umstand jedoch, daß du auf solch absonderliche Weise so viele Schmerzen hast erdulden müssen, läßt sich mir nicht als Schuld anrechnen.« »Viel Schmerzen habe ich freilich erduldet,« sagte der General, der jetzt in eine fröhlichere Stimmung kam, »und ich sage ebenso offen, daß mir kein Recht zusteht, über dich deshalb beleidigt zu sein, weil du mich so behandelt hast, wie ich mich selbst behandelt hätte, nämlich als Mann von Festigkeit und Mut. Wie ich aber sehe, sind meine Postpferde da; ich darf dich also von deinem Vergnügen nicht abhalten.« »Nun, alter Freund,« sagte Lord Woodville, »da du, wie du mich schon wiederholt beschieden, einen Tag länger bei uns nicht bleiben kannst, schenke mir wenigstens noch ein halbes Stündchen. Ich habe dich früher als Liebhaber von Gemälden gekannt. Ich besitze nun eine Porträt-Galerie, in der sich ein paar van Dyks, Ahnen darstellend, denen dies Schloß einstmals gehörte, befinden.« Der General nahm, wenn auch nicht ohne Widerstreben, die Einladung an. Dem Anschein nach war er nicht imstande, eher frei aufzuatmen, als bis er aus Woodville-Castle hinaus war. Anderseits ließ sich aber die Einladung eines Freundes nicht ablehnen, und zwar um so weniger, als er sich der Empfindlichkeit schämte, die er gegen seinen wohlwollenden Wirt an den Tag gelegt hatte. Der General folgte also dem Lord in eine lange Galerie, deren Wände voller Gemälde hingen. Der Lord zeigte sie seinem Gaste, sagte die Namen der Bilder und gab über die Personen, die die Porträts darstellten, allerhand Mitteilungen. General Browne nahm an diesen Details, die in allen Familien-Galerien so ziemlich überall die gleichen sind, geringen Anteil. Als sie aber etwa in der Mitte der Galerie standen, bemerkte der Lord, daß General Browne zusammenfuhr und seine Mienen den lebhaftesten Grad von Schreck zeigten. Seine Augen hefteten sich wie gebannt auf das Porträt einer alten Dame in einem Sakko-Anzug, der bekanntlich am Ende des 17. Jahrhunderts in der Mode war. »Dort ist sie,« rief er, »genau ihre Gestalt und genau ihre Züge! Wenn sie gleich dem teuflischen Eindruck der satanischen Hexe nicht nahe kommt, die mich in der verwichenen Nacht heimgesucht hat.« »Wenn dies der Fall ist,« sagte der junge Edelherr, »so kann kein Zweifel weiter über die furchtbare Wirklichkeit deiner Vision herrschen. Dies ist das Bild eines elenden Weibes unter meinen Ahnen, von deren Verbrechen in unserer Familienchronik erzählt wird. Diese ausführlich zu berichten, wäre zu schrecklich. Es mag hier die kurze Nachricht genügen, daß Blutschande und unnatürlicher Mord in diesem Gemach verübt worden sind. Ich werde es wieder abschließen und verlassen liegen lassen, wie meine Vorfahren es vernünftigerweise getan hatten. So lange ich es verhindern kann, soll niemand wieder in Gefahr geraten, diesem übernatürlichen Schrecknis von neuem ausgesetzt zu sein, das einen so tapferen Mann wie dich so furchtbar erschüttert hat.« Die beiden Freunde, die sich in so fröhlicher Stimmung getroffen hatten, gingen in sehr verschiedener Gemütsverfassung auseinander. Lord Woodville gab sofort Befehl, das Hausgerät und die Verzierungen aus dem tapezierten Gemach wegzubringen und die Tür zu vermauern. General Browne suchte in weniger schöner Gegend und bei einem weniger hochstehenden Freunde die peinliche Nacht zu vergessen, die er in Woodville-Castle verbracht hatte. Der Graf mit dem zweiten Gesicht, Hochländer-Ehre, Der Zauberspiegel Drei Erzählungen aus dem schottischen Hochland Übersetzt von Erich Walter Originaltitel unbekannt (Der Graf mit dem zweiten Gesicht) Originaltitel unbekannt (Hochländer-Ehre) My Aunt Margaret's Mirror (Der Zauberspiegel) Der Graf mit dem zweiten Gesicht Erstes Kapitel Unsere Erzählung beginnt zur Zeit des großen blutigen Bürgerkrieges, der im 17. Jahrhundert das britische Reich erschütterte. Schottland war von den Greueln des innern Krieges noch nicht heimgesucht worden, obgleich die Einwohner in ihren politischen Ansichten sich in feindlich einander gegenüberstehende Parteien schieden. Viele waren unzufrieden über die Oberherrschaft der Stände, verwarfen die Kühnheit, daß das schottische Parlament dem englischen Heer ein Heer zur Hilfe ausgesandt hatte, und trugen sich vielmehr mit dem Vorsatz, auf die erste Gelegenheit hin auf Seite des Königs zu treten und zum mindesten dahin zu wirken, daß das Heer unter General Leslie aus England zurückgerufen würde, sofern es nicht möglich sein sollte, einen großen Teil Schottlands dem König zu erhalten. Diesem Plane huldigten vor allem die Adligen vom Norden, die sich aufs hartnäckigste geweigert hatten, dem sogenannten feierlichen Bunde beizutreten, und einige Häuptlinge der Hochlandsstämme, deren Interessen und Einfluß auf dem Bestand des Königtums beruhten und die schließlich noch in dem halbwilden Zustande lebten, wo man den Krieg lieber sieht als den Frieden. Die Leiter des Staates erkannten wohl die Gefahr der gegenwärtigen Lage und ergriffen mit großer Sorgsamkeit Maßregeln zur Abwehr. In Selbstzufriedenheit stützten sie sich jedoch darauf, daß vorderhand noch kein Führer oder einflußreicher Wann aufgetreten war, um die Königspartei zu einem Heere zusammenzuschließen, ja es hatte sich noch nicht einmal jemand gefunden, um die Banden, die vielleicht in ebendemselben Maße durch Liebe zum Raub, wie durch politische Grundsätze zu Feindseligkeiten sich hinreißen ließen, in zusammenhängenden Unternehmungen oder vorübergehenden Ausfällen anzuführen. Im allgemeinen rechnete man damit, daß man in den ans Hochland anstoßenden Grafschaften des Niederlandes nur eine genügende Masse Militär aufzustellen brauchte, um die Häuptlinge der Gebirge wirksam in Schach zu halten. In den westlichen Hochlanden hatte die hervorragende Partei zahlreiche Feinde; doch glaubte man, daß der Marquis von Argyle, auf den das Parlament mit Sicherheit zählen konnte, seinen umfassenden Einfluß dahin geltend gemacht habe, die Macht der unzufriedenen Clans zu brechen und den Mut ihrer Häuptlinge zu dämpfen. Seit dem letzten Friedensschluß war durch die dem König abgenötigten Zugeständnisse der überwiegende Einfluß dieses Edelmannes in den Hochlanden noch bedeutend gewachsen. Allerdings war man sich klar darüber, daß Argyle mehr der Mann war, eine politische Unternehmung geschickt zu leiten, als persönlichen Mut zu betätigen und daß er es besser verstände, einen Staatsstreich ins Werk zu setzen, als feindselig gesonnene Gebirgsbewohner im Zaum zu halten; doch glaubte man, was dem Häuptling fehle, werde durch die große Zahl seiner Stammesangehörigen und den Mut der tapferen Herren, die ihre Führer im Kriege waren, wieder wett gemacht. Da nun die Campbells schon mehrere ihrer Nachbarstämme ihre Übermacht bitter hatten fühlen lassen, so war man der Hoffnung, es würde sich wohl ein jeder Stamm hüten, sich einen so gewaltigen Clan zum Feinde zu machen. Na nun das schottische Parlament oder die Konvention der Stände mit Sicherheit auf den ganzen Westen und Süden Schottlands – den reichsten Teil des Königreichs – rechnen konnte und außerdem noch viele mächtige Freunde hatte, so war man der Meinung, daß man sich durch keinerlei Rücksicht auf drohende Gefahren bestimmen zu lassen brauche, die eingeschlagene Politik zu ändern oder die Hilfsarmee von 20000 Mann zurückzuziehen – die zur Unterstützung der Truppen des englischen Parlaments abgesandt worden war und die Königspartei mitten in ihrer Laufbahn zum Sieg und Erfolg aufgehalten und gezwungen hatte, sich auf die Verteidigung zu beschränken. Das Heer des englischen Parlaments, mit der schottischen Armee und den Streitkräften des Lord Fairfax und des Grafen von Manchester vereinigt, war stark genug, York zu belagern und die furchtbare Schlacht von Marston-Moore zu schlagen, in der der Prinz Ruprecht und der Marquis von Newcastle vernichtet wurden. Zweites Kapitel Zu jener Zeit banger Spannung ritt ein junger Mann von Stande auf schmuckem Roß, und mit schmucken Waffen angetan, einen der stellen Pässe hinan, durch die man vom Niederlande Pertshires zum Hochlande gelangt. Zwei Diener folgten ihm, von denen einer ein Packpferd führte. Ihr Weg führte ein Stück lang an einem See hin, in dessen tiefem Wasser die Abendsonne sich purpurn spiegelte. Der unebene Pfad, der stellenweis ziemlich ungangbar war, war hie und da von alten Eichen und Birken beschattet, hie und da von gewaltigen Felsen überragt. Der Hügel, der den schönen Wasserspiegel begrenzte, stieg steil, doch nicht schroff an und war mit dem dunkeln Purpur der Heideblumen bekleidet. Soweit es im Walde möglich war, ritt der Herr neben einem seiner Diener oder neben beiden und schien sich angelegentlich mit ihnen zu besprechen – denn über den Unterschied des Standes sieht man hinweg, wenn es gilt, gemeinsam Gefahren zu bestehen. Sie waren vom See noch nicht halbwegs bergan, und der junge Herr zeigte seinen Dienern die Stelle, wo die Straße, die sie einzuschlagen hatten, vom Wasser weg nach Norden abbog und rechts durch eine Bergschlucht emporführte – da sahen sie einen einzelnen Reiter bergab kommen, so daß er ihnen begegnen mußte. An dem Widerschein der Sonnenstrahlen, den Helm und Harnisch zurückwarfen, war zu erkennen, daß er gewappnet war, und es lag im Interesse der Reisenden, ihn nicht ungefragt vorüber zu lassen. »Wir müssen wissen, wer der Mann ist,« sagte der junge Herr, »und wohin er will.« Er gab seinem Pferd die Sporen und ritt so schnell, wie auf dem unwegsamen Pfade möglich. Die beiden Diener sprengten hinterdrein. So erreichten sie die Stelle, wo der Paß neben dem See und der Pfad, der nach der Schlucht hinunterführte, sich kreuzten, und hatte hiermit der Möglichkeit vorgebeugt, daß der Fremde ihnen auswich, indem er in den letzteren Pfad einbog. Als der einzelne Reiter bemerkte, daß die drei auf ihn zukamen, hatte er ebenfalls seinem Pferde die Sporen gegeben; als er aber sah, daß sie Halt machten und ihm zu dritt den Weg versperrten, zügelte er wieder sein Roß und kam mit großer Vorsicht näher. Der Fremde hatte ein schönes, für den Militärdienst gedrilltes Pferd, das stark genug war für die ihm aufgebürdete Last, und dem Manne sah man an der Weise, wie er in dem Kriegssattel saß, wohl an, daß er ein geübter Reiter war. Er trug eine blitzende, blank geputzte Sturmhaube, einen Brustharnisch, dem eine Flintenkugel nichts anhaben konnte, und einen Rückenpanzer von leichtem Metall. Unter dem Harnisch trug er ein Büffelwams. Er trug ferner ein paar Fechthandschuhe, deren Stulpen ihm bis an die Ellenbogen reichten und die wie seine Rüstung aus blankem Stahl waren. Vorm Sattel hing ein Pistolenfutteral; die Pistolen waren viel größer, als man sie sonst hatte, beinah zwei Fuß lang und von großem Kaliber. In einem Riemen von Büffelleder mit breiter Silberschnalle steckte ein langer zweischneidiger Degen mit wuchtigem Korbe und einer für Hieb und Stich gearbeiteten Klinge. Rechts hing ein Dolch, auf dem Rücken eine Stutzbüchse in einem Bandelier, das sich mit einem zweiten, welches Patronen enthielt, kreuzte. Stählerne Beinschienen, die bis an die Spitzen seiner hohen Stiefel reichten, vervollständigten die Ausrüstung, wie sie damals für gut bewaffnete Reiter üblich war. Das Äußere des Reiters paßte vorzüglich zu dieser militärischen Ausrüstung, an die er schon lange gewöhnt zu sein schien. Seine Gestalt war groß und kraftvoll. Er mochte etwas über 40 Jahre alt sein, und seine Züge verrieten den verwitterten Veteranen, der schon mehr als ein Schlachtfeld gesehen und mehr als eine Narbe davongetragen hatte. In einer Entfernung von etwa 30 Ellen machte er Halt und richtete sich in den Steigbügeln auf, wie um zu rekognoszieren, was die Leute ihm gegenüber im Schilde führten. Dabei nahm er die Büchse in den rechten Arm. Als sie sich ein Weilchen angeschaut hatten, stellte der junge Herr die Frage, die damals unter Freunden bei Begegnungen allgemein üblich war: »Zu welcher Partei gehört Ihr?« »Sagt mir zuerst,« entgegnete der Soldat, »zu welcher Ihr gehört. Ihr seid hier die stärkere Partei und müßt zuerst reden.« »Wir sind für Gott und König Karl«, sagte der junge Herr. »Nun nennt uns Eure.« »Ich bin für Gott und meine Fahne«, antwortete der eiserne Reiter. »Und für welche Fahne?« fragte der junge Herr weiter. »Für den König oder fürs Parlament?« »Meiner Treu, Herr,« erwiderte der Soldat, »ich will Euch keine Unwahrheit sagen, das wäre eines Glücksritters und Soldaten nicht würdig. Eure Frage aber kann ich nicht eher mit geziemender Wahrhaftigkeit beantworten, als bis ich mit mir selber darüber einig bin, zu welcher Partei ich treten will, und das ist vorläufig noch gar nicht entschieden.« Nachdem der junge Herr ein paar Worte mit seinen Bedienten gewechselt hatte, sagte er zu dem Fremden: »Ich hätte gern mit Euch über eine so interessante Frage gesprochen und wäre stolz, wenn es mir gelänge, Euch für die Partei zu gewinnen, der ich selber angehöre. Ich reite heute abend zur Wohnung eines Freundes, die nicht ganz drei Meilen von hier entfernt ist. Wenn Ihr mir dorthin folgen wollt, so sollt Ihr für die Nacht gut aufgehoben sein, und am Morgen soll es Euch freistehen, Eures Weges zu gehen, sofern Ihr keine Lust haben solltet, bei mir zu bleiben.« »Wer gibt mir sein Wort dafür?« fragte der vorsichtige Soldat. »Ein Mann muß wissen, wer ihm bürgt – sonst kann er in einen Hinterhalt fallen.« »Mein Name ist,« erwiderte der junge Fremde, »Graf von Menteith, und ich hoffe, meine Ehre ist Euch genügende Bürgschaft.« »Ein braver Edelherr,« antwortete der Soldat, »sein Wort ist gültig.« Und er warf den Stutzen wieder auf den Rücken, grüßte den jungen Adligen militärisch und ritt heran. »Auch meine eigene Versicherung,« fuhr er fort, »daß ich, solange wir beieinander sind, Eurer Lordschaft in Frieden und Gefahren ein bueno camerado sein werde, wird hoffentlich, in diesen Zeiten des Mißtrauens, wo, wie man sagt, der Kopf eines Mannes in einem eisernen Helme besser aufgehoben ist als in einem Marmorpalaste, doch einigen Glauben finden.« »Ist es mir erlaubt zu fragen,« sagte Lord Menteith, »welchem Herrn ich als Quartiermacher zu dienen das Glück habe?« »Gewiß, Mylord,« antwortete der Soldat, »mein Name ist Dalgetty – Dugald Dalgetty von Drumthwacket, zu Diensten. Es ist ein Name, den Ihr vielleicht im Gallo-Belgicus oder im schwedischen Intelligencer oder im fliegenden Merkur zu Leipzig, falls Ihr hochdeutsch könnt, gelesen habt. Nachdem mein Vater, Mylord, ein schönes Erbe verwirtschaftet hatte, blieb mir im Alter von 18 Jahren nichts anderes übrig, als meine im Marschall-Gymnasium zu Aberdeen erworbene Gelahrtheit, mein edles Blut und meine vereitelte Zukunft als Gutsherr von Drumthwacket mitsamt ein paar kräftigen Armen und dementsprechenden Beinen in die deutschen Kriege zu verpflanzen und die Laufbahn des Glücksritters einzuschlagen. Mylord, meine Arme und Beine haben mir mehr genutzt als meine adlige Herkunft und meine Büchergelehrsamkeit; und ich habe unter dem alten Ludewick Leslie das Kriegshandwerk gründlich gelernt. Es ziemt mir freilich nicht, Mylord, davon zu reden; aber wer die Schlachten bei Leipzig und bei Lützen mitgemacht hat, und wer bei Frankfurt an der Oder, bei Würzburg und bei Nürnberg mitgekämpft hat, der darf sagen, daß er etwas kennen gelernt hat vom Leben und Treiben des Krieges.« »Euerm Verdienst und Euern Erfahrungen gemäß habt Ihrs wohl auch weit gebracht?« »Sechs Jahre lang, Herr, war ich als Freiwilliger gemeiner Soldat und drei Jahre lang Gefreiter, weil ich als Adliger von Geburt es ausschlug, die Hellebarde eines Unteroffiziers anzunehmen, nachher wurde ich Fähnrich in des Königs Leibregiment der Schwarzen Reiter, dann Leutnant und zuletzt Rittmeister unter dem unüberwindlichen Herrscher, dem Bollwerk des Protestantismus, dem Löwen des Nordens, dem Schrecken Österreichs, Gustavus dem Siegreichen.« »Wenn ich Euch recht verstanden habe, Kapitän Dalgetty,« fragte Lord Menteith, »so seid Ihr aber doch außerdem Dienste dieses großen Fürsten ausgeschieden?« »Erst nach seinem Tode,« entgegnete Dalgetty; »als ich nicht mehr zu weiterer Anhänglichkeit verpflichtet war. Auch wäre ich nicht einmal solange geblieben, wenn nicht dieser große Feldherr und König in ganz hervorragender Weise Schlachten gewonnen, Städte erobert, ganze Länder eingenommen hätte, so daß der Dienst bei ihm einen ganz besonderen Reiz hatte. Aber als der große Herr und Meister auf dem Schlachtfeld von Lützen durch drei Kugeln niedergestreckt worden war, ging es mit dieser Herrlichkeit zu Ende, und ich nahm Dienst bei Wallenstein in Butlers irischem Regiment.« »Und darf ich Euch fragen, wie es Euch unter Euerm neuen Herrn gefiel?« »Recht gut«, antwortete der Kapitän. »Der Kaiser bezahlte zwar auch nicht besser als der große Gustav; aber ein Kavalier der Fortuna kann es dennoch im kaiserlichen Dienst ganz gut aushalten, denn es wird da nicht so genau wie bei den Schweden auf seine Nebeneinnahmen gesehen. Wenn ein Offizier im Felde seinen Mann stand, so fragte weder Wallenstein, noch Pappenheim, noch der alte Tilly danach, ob die Bürger und Bauern über ihn schimpften, weil er ihnen gar zu sehr das Fell über die Ohren gezogen hätte. Ein erfahrener Kavalier, der, wie das schottische Sprichwort sagt, den Schweinskopf zum Ferkelschwanz zu legen versteht, kann sich im kaiserlichen Dienst daher seinen Sold aus dem Lande holen, denn vom Kaiser kriegt er ihn ja doch nicht.« »Weshalb habt Ihr denn einen so einträglichen Dienst quittiert?« fragte Lord Menteith weiter. »Ein irischer Kavalier, namens Quilligan, ein Major in unserem Regiment,« antwortete der Soldat, »geriet eines Abends in Streit mit mir, und es kam zum Duell; da es' nun unserm Oberst Butler, der den Vorfall untersuchte, gefiel, seinem Landsmann eine leichte, mir aber eine schwere Strafe aufzuerlegen, so habe ich aus Ärger über solche Ungerechtigkeit mir einen Offiziersposten bei den Spaniern gesucht.« »Ich hoffe, es hat Euch dort auch gut gefallen?« bemerkte Lord Menteith. »Allerdings hätte ich wenig Ursache zur Klage«, antwortete der Rittmeister. »Der Sold wurde regelmäßig bezahlt, die Quartiere waren vorzüglich; das feine Weizenbrot in Flandern war besser als das Kommißbrot bei den Schweden, und Rheinwein bekamen wir mehr und reichlicher als jemals das schwarze Rostockerbier im Lager des Schwedenkönigs. Aber der Spanier ist ein eingebildeter Affe, und er erweist den fremden Kavalieren, denen es gefällt, bei ihm in Dienst zu treten, nicht die gebührende Ehrerbietung. Außerdem empfand ich Gewissensbisse wegen meiner Konfession.« »Ich hätte nicht geglaubt, Kapitän Dalgetty,« sagte der junge Edelmann, »daß ein alter Soldat, der so oft den Dienst gewechselt, hieran noch Anstoß nehmen könne.« »Das macht mir auch nichts weiter aus, Mylord,« erwiderte der Kapitän, »ich halte es für die Pflicht des Regimentskaplans, diese Angelegenheit für mich und jeden andern braven Kavalier ins reine zu bringen, um so mehr, als er ja für seinen Sold und all seine Vergünstigungen nichts weiter zu verrichten hat. Das aber war ein besonderer Fall, denn man verlangte von mir, daß ich die Messe besuchen sollte, wenn wir in der Garnison lagen, und davon wollte ich nichts wissen.« »So habt Ihr also abermals den Dienst gewechselt?« fragte Lord Menteith. »Allerdings, Mylord. Nachdem ich es eine Zeitlang bei einigen andern Mächten probiert hatte, trat ich in den Dienst Ihrer Hochmögenden der Generalstaaten der sieben vereinigten Provinzen.« »Und hat Euch der Dienst dort zugesagt?« »O Mylord,« entgegnete der Soldat im Tone der Begeisterung, »ganz Europa sollte sich ihr Benehmen am Löhnungstage zum Muster nehmen. Da gab es keine Abschlagszahlungen, keine Kürzungen, keine Rückstände – es wurde prompt und voll bezahlt, wie beim Bankier. Auch die Quartiere waren ausgezeichnet und die Verpflegung vorzüglich; aber, Herr, die Holländer sind genau und penibel. Wenn sich ein Bauer beklagt, daß man ihm den Kopf zerschlagen habe, oder wenn sich ein Bierwirt beschwert, daß ihm die Krüge zerbrochen worden wären, oder wenn ein fideles Weibsbild ein bischen laut kreischt, dann wird ein Ehrenmann nicht vor ein Kriegsgericht gestellt, das doch seinen Fehltritt am besten beurteilen kann, sondern er kommt vor einen schäbigen Handwerker von Bürgermeister, der ihm Zuchthaus oder den Galgen androht, als gehörte man zu den gemeinen, froschigen, pluderhosigen Holländern. Bei dem undankbaren Pöbel konnte ich nicht bleiben, und ich verließ den Dienst der Mynheers, und da ich nun hörte, daß in meiner Heimat in meinem Handwerk etwas zu machen sei, so bin ich hierher gekommen, um meinen lieben Landsleuten die Erfahrungen zugute kommen zu lassen, die ich in fremden Ländern gesammelt habe. Eurer Lordschaft habe ich nun einen kurzen Umriß meines Lebenslaufes entworfen, bis auf meine Aufführung in Schlachten und Kriegstaten. Darauf einzugehen, würde aber ermüden, auch dürfte es eher einer andern Zunge als der meinen geziemen, hiervon zu erzählen.« Drittes Kapitel Der Weg war jetzt so eng und beschwerlich, daß die Reiter ihr Gespräch abbrechen mußten. Lord Menteith hielt einen Augenblick, bis seine Diener herangekommen, und sprach ein paar Worte mit ihnen. Der Kapitän ritt unterdessen voran, und nachdem er ein beschwerliches, steil ansteigendes Stück zurückgelegt hatte, gelangte er in ein Hochlandstal, das von einem Bergstrom durchzogen war. Die Rasenfläche am Ufer war breit genug, daß die Reisenden in bequemer Weise ihren Weg fortsetzen konnten. Nach kurzem Ritt lag ein Hügel vor den Reisenden, der mit einem Walde alter schottischer Föhren bestanden war. In der Mitte dieses Waldes ragten die Türme oder vielmehr Kamine des Hauses oder Schlosses – wie man es nannte – das das Ziel der Reiter war. Wie es zur damaligen Zeit üblich war, bestand das Wohnhaus aus zwei schmalen und hohen Bauten, die einander kreuzten; den wundervollen Titel eines Schlosses verdankte das Gebäude von Darlinvarach zwei vorspringenden mit kleinen Ecktürmen gezierten Zinnen. Umschlossen war es von einer niedrigen Hofmauer, innerhalb deren die Wirtschaftsgebäude lagen. Als die Reisenden näher kamen, erkannten sie, daß die Verteidigungswerke vervollständigt worden waren, ohne Zweifel in Rücksicht auf die gefahrvolle Gegenwart. An verschiedenen Stellen des Hauses und der Mauer waren Schießscharten angebracht. Die Fenster waren durch eiserne Stangen versichert, die in der Länge und Breite wie die Gitter eines Gefängnisses übereinander liefen. Das Hoftor war verschlossen und erst nach Austausch von Losungsworten wurde von zwei Bedienten geöffnet. Mehrere Diener kamen nun zugleich auch aus dem Hause herausgeeilt, die einen nahmen den Fremden die Pferde ab, die andern geleiteten sie in das Haus. Kapitän Dalgetty wies jedoch den ihm angebotenen Beistand zurück und brachte sein Pferd selber in den Stall, um es sorglichst mit allem nötigen zu versehen. Währenddes gingen Lord Menteith und seine Begleiter in das Haus, wo auf einem dunkeln, geräumigen Korridor unter anderem auch ein Faß Bier lag. Holzkrüge standen dabei, und Lord Menteith trat ohne Umstände an den Zapfen, trank und reichte seinem Diener Anderson den Becher, der dem Beispiel seines Herrn folgte, vorher aber die Neige ausschüttete und das Gefäß ausschwenkte. »Zum Teufel, Mann!« rief ein alter hochländischer Diener, der zum Hause gehörte, »könnt Ihr nicht nach Euerm Herrn trinken, ohne den Krug auszuspülen und das Bier wegzugießen? Hol Euch der Satan!« »Ich bin in Frankreich erzogen,« antwortete Anderson, »dort trinkt niemand nach einem andern aus demselben Becher, höchstens wenn eine Dame getrunken hat.« »Wer Teufel über solche Albernheit!« rief Donald. »Was schadets, wenn eines andern Mannes Bart im Kruge war, wenn nur das Bier gut ist!« Andersons Gefährte trank ohne die Umstände, über die Donald sich erbost hatte. Dann folgten die beiden Diener ihrem Herrn in die niedrig gewölbte steinerne Halle. Ein großes Torffeuer erhellte den Raum spärlich. Zwanzig bis dreißig runde Schilde, ebensoviel lange, hochländische Degen, Dolche und Mäntel, Flinten mit Lunten und Feuerschlössern, Bogen, Armbrüste, Streitäxte, stählerne Panzer, Helme, Pickelhauben und Kettenhemden mit Kapuzen und Ärmeln hingen in buntem Wirrwarr an den Wänden. In der Halle stand ein großer grober Tisch aus Eichenholz, auf dem der Diener Donald sogleich in Eile Milch, Butter, Ziegenkäse, eine Flasche Bier und eine kleine Flasche Branntwein zur Erfrischung für Lord Menteith auftrug, während ein anderer untergeordneter Diener am untern Ende der Tafel für die Bedienten Mylords auftrug. Die Gäste standen inzwischen am Feuer – der junge Edelmann am Kamin – die Diener in einiger Entfernung. »Anderson,« fragte der Lord, »was haltet Ihr von unserm Reisegefährten?« »Ein derber Kerl«, entgegnete Anderson. »Ich wollte, wir hätten zwanzig solche Gesellen, um unsre Irländer ein bißchen zu drillen.« »Ich denke anders,« sagte Lord Menteith, »ich glaube, dieser Talgetty ist einer jener Blutegel, die von dem Blut, das sie in fremden Ländern gesogen haben, nur noch hungriger geworden sind und nun zurückkehren, um sich am Blute ihres Vaterlandes zu mästen. Schande über dieses Gesindel, das seine Haut für Geld zu Markte trägt! Fast hätte ich die Geduld verloren über diesen verdingten Kriegsmann, und doch konnt ich mich kaum des Lachens enthalten über seine tolle Unverschämtheit!« »Eure Lordschaft werden entschuldigen,« sagte Anderson, »wenn ich den Rat gebe, unter den gegenwärtigen Umständen Euch nichts merken zu lassen. Leider können wir ohne den Beistand solcher Leute, obgleich sie sich von so erbärmlichen Beweggründen leiten lassen, nichts ausrichten.« »Ich muß mich also so gut wie möglich verstellen,« sagte Lord Menteith, »wie ich es ja auf Euern Wink hin bisher schon getan habe; aber ich wünsche den Kerl von ganzem Herzen zum Teufel!« In diesem Augenblick trat aus einer Seitentür ein Hochländer ein. Die hohe Gestalt und vollkommene Ausrüstung, die Adlerfeder auf der Mütze und die Selbstbewußtheit seines Benehmens ließen sogleich in ihm einen Mann von hohem Rang erkennen. Er trat langsam an den Tisch, gab aber Lord Menteith keine Antwort, als dieser ihn mit Allan anredete und nach seinem Befinden fragte. »Ihr dürft jetzt nicht mit ihm reden«, flüsterte der alte Diener. Der große Hochländer ließ sich in den leeren Sessel fallen, der beim Feuer stand, starrte in die glühenden Kohlen und schien völlig abwesend zu sein. Seine dunkeln Augen und wilden leidenschaftlichen Züge hatten jenen Ausdruck, den ein gänzlich in eigenes Sinnen versunkener und von der Außenwelt angewandter Mensch zeigt. »Halten zu Gnaden,« wiederholte der hochländische Diener, indem er dicht neben Lord Menteith trat und sehr leise sprach, »Euer Lordschaft darf jetzt nicht mit Allan reden; denn die Wolke lastet auf seiner Seele.« Lord Menteith nickte und bekümmerte sich nicht mehr um den finstern Schotten. »Sagte ich nicht,« fragte dieser plötzlich, indem er seine imposante Gestalt aufrichtete und den Diener ansah, »es würden vier kommen, und hier in der Halle sind nur drei!« »So sagtet Ihr in der Tat, Allan,« antwortete der alte Diener, »und eben kommt der vierte klirrend aus dem Stall, denn er ist wie ein Krebs mit einer Schale von Eisen auf dem Rücken, auf der Brust und auf Hüften und Schenkeln.« Viertes Kapitel Kapitän Dalgetty war in die Halle getreten und hatte sich an den Stuhl, neben Lord Menteith gestellt, die Arme auf die Lehne stützend. Anderson und sein Gefährte warteten unten an der Tafel in ehrerbietiger Haltung, bis ihnen erlaubt wurde, sich zu setzen. Ein Paar Hochländer liefen nach den Weisungen des alten Donald hin und wieder, um noch mehr Speise und Trank herbeizuschaffen, oder sie hielten sich zur Bedienung der Gäste bereit. Plötzlich fuhr Allan auf, riß einem der Diener die Lampe aus der Hand und leuchtete damit Dalgetty ins Gesicht, das er mit sorgsamer und ernster Aufmerksamkeit musterte. »Meiner Treu,« sagte Dalgetty verdrossen, als Allan mit einem geheimnisvollen Kopfschütteln seine Untersuchung einstellte, »ich stehe dafür, wir kennen uns wieder, wenn wir uns noch einmal treffen.« Inzwischen schritt Allan nach dem untern Ende der Tafel und betrachtete in derselben Weise Anderson und dessen Gefährten. Dann stand er einen Augenblick wie in tiefem Sinnen, faßte sich an die Stirn, packte Anderson am Arm und zog ihn, ehe er noch sich hätte wehren können halb mit Gewalt nach dem leeren Sitz am obern Ende. Er winkte ihm, daß er sich hier hinsetzen solle, und schleppte in derselben zufahrenden Manier den Soldaten an das untere Ende der Tafel. Der Kapitän geriet über diese Dreistigkeit in Wut und wollte Allan von sich abschütteln. Aber soviel Kräfte er auch besah, gegen den riesigen Hochländer war er zu schwach. Der riß ihn mit solcher Gewalt hinweg, daß er strauchelte und der Länge nach zu Boden stürzte. Laut erdröhnte die Halle von dem Geklirr der Rüstung. Als der Soldat sich wieder aufgerafft hatte, zog er gleich sein Schwert und stürzte auf Allan los, der mit gekreuzten Armen dastand und dem Angriff mit verächtlicher Seelenruhe entgegenzusehen schien. Lord Menteith und seine Diener legten sich ins Mittel, während die Hochländer Waffen von den Wanden rissen und ohne weiteres bereit schienen dreinzuschlagen. »Er ist verrückt,« flüsterte Lord Menteith, »er ist ganz und gar von Sinnen. Es hat keinen Zweck, mit ihm Streit anzufangen.« »Wenn Eure Lordschaft weiß, daß er non compos mentis ist,« sagte Kapitän Dalgetty, »so mag die Sache hiermit ihr Bewenden haben. Aber bei meiner Seele, wenn ich meine tägliche Ration und eine Flasche Rheinwein im Leibe hätte, so wäre ich ihm anders entgegengetreten. Es ist aber schade, daß er so schwach von Verstand ist, denn er hat gewaltige Körperkräfte und wäre wie geschaffen, die Pike oder sonstwelche militärische Waffe zu führen.« Der Friede war somit wieder hergestellt, und Allan war zu seinem Sitze am Feuer zurückgekehrt, von neuem in tiefes Sinnen versunken. Lord Menteith wandte sich an Donald und knüpfte ein Gespräch mit ihm an. »Der Gutsherr ist, wie ich höre, Donald,« fragte er, »auf dem Berge mit einigen englischen Freunden?« »Er ist auf den Bergen, und zwei sächsische Caballeros, Sir Miles Musgrave und Christopher Hall sind bei ihm.« »Hall und Musgrave?« sagte Lord Menteith, seine Diener ansehend, »dieselben, die wir hier zu treffen wünschten.« »Es handelt sich um eine Wette«, sagte Donald. »Da Eure Lordschaft ein Freund und Verwandter des Hauses ist, so kann ich es Euch erzählen. Als unser Gutsherr das letztemal in England war, war er bei Sir Miles Musgrave zu Gaste; da wurden nun sechs Leuchter auf den Tisch gebracht, die doppelt so groß gewesen sein sollen wie die Leuchter in der Dunblane-Kirche, und sie waren von eitel Silber. Da fingen sie nun an, unsern Gutsherrn zu necken und sagten, so etwas Prächtiges hätte er nicht in seinem armen Lande, und der Herr wollte es nicht dulden, daß man sein Vaterland verunglimpfe. Da schwor er denn, wie ein guter Schotte, er habe mehr Leuchter und bessere Leuchter in seinem Hause, als je welche in einer Halle zu Cumberland Kerzen getragen hätten. Nun waren sie gleich mit einer Wette bei der Hand, und unserm Herrn blieb nichts weiter übrig als entweder sein Wort zurückzunehmen oder um 200 Mark zu wetten. Ehe er sich aber gegenüber solchen Leuten eine Blöße geben wollte, hat er lieber die Wette angenommen und nun wird er bezahlen müssen. Ich glaube, deshalb hat er geschworen, heute abend nach Hause zu kommen.« »Ich glaube allerdings, Donald,« sagte Lord Menteith, »soweit ich das Silbergeschirr Eures Hauses kenne, daß der Herr die Wette verlieren wird.« »Ich habe ihm schon geraten, die beiden sächsischen Herren mitsamt ihren Bedienten in den Turm zu werfen, bis sie freiwillig auf die Wette Verzicht leisten würden, aber der Gutsherr hört ja auf kein vernünftiges Wort.« Allan fuhr bei diesen Worten auf, trat herzu und unterbrach das Gespräch, indem er mit donnernder Stimme den Diener anschrie: »Wie könnt Ihr es wagen, meinem Bruder einen so schmählichen Rat zu geben, oder wie dürft Ihr nur sagen, er werde eine Wette verlieren, die zu schließen ihm beliebt hat!« »Meiner Treu, Allan Mac Aulay,« antwortete der alte Mann, »es geziemt nicht dem Sohne meines Vaters, dem Sohne Euers Vaters zu widersprechen, und so mag denn der Gutsherr die Wette getrost gewinnen. Bloß läßt sich dagegen anführen, daß nicht ein einziger Leuchter oder so etwas Ähnliches im ganzen Hause ist, ausgenommen die alten eisernen Armleuchter, die seit Laird Kenneths Zeiten hier sind, und die alten Wandleuchter, die Euer Vater von dem alten Klempner Willie Winkie hat machen lassen; und an Silbergeschirr ist nicht ein Stückchen im ganzen Hause, ausgenommen die alte Milchkanne der alten Gnädigen, und die hat keinen Deckel und keinen Henkel mehr.« »Schweig, Alter!« rief Allan unmutig. »Und Ihr Herren geht, wenn Ihr Euch erquickt habt, ich muß die Halle herrichten zum Empfang für die Gäste aus dem Süden.« »Geht nun,« sagte Donald, Lord Menteith am Arm zupfend, »er hat jetzt seine böse Stunde« – mit einem Blick auf Allan – »und es ist nichts mit ihm anzufangen.« Die Gäste verließen die Halle. Lord Menteith und der Kapitän wurden von dem alten Donald nach einem Gemach geführt. Ehe sie dort anlangten, begegneten sie dem Herrn des Gutes, Angus Mac Aulay, und seinen englischen Gästen. Alle waren über diese Begegnung sehr erfreut; denn Lord Menteith und die Engländer kannten einander schon. Nachdem aber die erste gastfreundliche Begrüßung vorüber war, fiel es Lord Menteith sogleich auf, daß ein Zug der Besorgnis auf der Stirn seines hochländischen Freundes ruhte. »Ihr habt jedenfalls gehört,« sagte Sir Christopher Hall, »daß aus der Sache in Cumberland nichts geworden ist. Da ich nun erfuhr, daß es hier flott zu tun gibt, so bin ich mit Musgrave hierhergekommen und wir wollen mit Euern Schurzfellen und bunten Mänteln einen Feldzug versuchen, damit wir nicht untätig und faul zu Hause Maulaffen feil halten.« »Da habt Ihr hoffentlich Leute, Waffen und Geld mitgebracht«, sagte Lord Menteith lächelnd. »Nur ein paar Dutzend Bewaffneter, die wir im letzten Dorf des Flachlandes gelassen haben,« entgegnete Musgrave, »und es hat Mühe gekostet, sie so weit zu bringen.« »Was das Geld betrifft,« setzte sein Gefährte hinzu, »so denken wir, unser Herr Wirt wird uns eine kleine Summe auszahlen.« Der Gutsherr errötete, nahm Menteith beiseite und sagte ihm, wie sehr leid es ihm täte, einen so albernen Fehler gemacht zu haben. »Donald hat mir's schon erzählt,« sagte Lord Menteith, nur mit Mühe ein Lächeln unterdrückend. »Hol der Teufel den Alten!« sagte Mac Aulay, »er schwatzt alles aus, und sollte es ihm das Leben kosten. Allein, Mylord, die Sache geht auch Euch ernstlich an, denn ich baue auf Euer freundschaftliches Entgegenkommen als naher Verwandter unseres Hauses. Ihr müßt mir das Geld leihen, das ich diesen Puddingschlemmern schulde. Ich komme freilich schlecht genug weg; denn ich habe den Schaden und den Spott obendrein.« »Ihr könnt Euch denken, Vetter,« antwortete Lord Menteith, »daß ich selber nicht gerade in besten Verhältnissen bin, aber um unserer alten Verwandtschaft willen und weil wir Nachbarn sind und stets gut miteinander ausgekommen sind, werde ich bemüht sein, Euch beizustehen, soweit es mir möglich ist.« »Ich danke Euch – ich danke Euch,« antwortete Mac Aulay, »und da das Geld ja doch im Dienste des Königs gebraucht wird, so ist es ja schließlich einerlei, wer von uns es bezahlt – wir sind ja, hoffe ich, sozusagen eine Familie.« Während sie noch miteinander sprachen, trat Donald herein, und sein Gesicht strahlte in einer Freudigkeit, die wundernehmen mußte, wenn man des Mißgeschicks gedachte, von dem die Börse und der Kredit seines Herrn bedroht waren. »Edle Herren, das Mittagsmahl ist fertig, und auch die Kerzen brennen schon,« sagte er, die letzten Worte stark betonend. »Was zum Kuckuck will er damit sagen?« fragte Musgrave seinen Landsmann. Lord Menteith sah gleichfalls den Gutsherrn fragend an; Mac Aulay hatte nur ein Kopfschütteln zur Antwort. Ehe sie hinauskamen, stritten sie ein Weilchen, wer den Vortritt haben solle. Lord Menteith ließ es sich nicht nehmen, von seinem Anrecht auf den Vortritt zurückzustehen, in Anbetracht seiner nahen Beziehungen zu dem Hause und weil er hier in seinem Vaterlande war, und so wurden die beiden fremden Gäste als erste in die Halle geführt. Ein unerwartetes Bild bot sich ihnen. Der große eichene Tisch war überladen mit umfänglichen Fleischstücken, und die Sessel für die Gäste waren der Reihe nach gestellt. Hinter jedem Sessel stand ein riesiger Hochländer in der vollen Tracht und kriegerischen Ausrüstung seines Landes. Ein jeder hatte das gezogene Schwert in der Rechten, die Spitze zur Erde gesenkt, und in der Linken eine brennende Fackel von einem Span der Sumpffichte. Dieses Holz, das in den Morasten wächst, hat einen so starken Terpentingehalt, daß es im Hochland in kleinen getrockneten Scheiten häufig statt der Lichter verwandt wird. Beim roten Schein der Fackeln, der die wilden Züge, die absonderliche Tracht und die blitzenden Waffen malerisch beleuchtete, und in dem wallenden Rauche, der zur Decke emporwirbelte und die Gestalten in Dunstmassen hüllte, nahm sich das Ganze im höchsten Grade verwunderlich und imposant aus. Die Fremden hatten sich noch nicht von ihrem Erstaunen erholt, da trat Allan vor, wies mit seinem Schwert, das er nicht aus der Scheide gezogen hatte, auf die Fackelträger und sagte in tiefem, ernstem Tone: »Schaut her, Ihr Herren Ritter, dies sind die Leuchter in meines Bruders Haus, wie der Brauch unsers alten Geschlechts es erheischt. Keiner dieser Mannen kennt ein ander Gesetz als seines Häuptlings Geheiß – wagt Ihrs, ihren Wert mit dem kostbarsten Erz zu vergleichen, das je aus einem Bergwerk geschürft worden ist? Was sagt Ihr nun, Kavaliere, habt Ihr Eure Wette gewonnen oder verloren?« »Verloren«, rief Musgrave fröhlich. »Meine eigenen silbernen Leuchter habe ich eingeschmolzen, sie sitzen jetzt zu Roß. Wären diese Kerle nur halb so zuverlässig wie die hier! – Hier, Herr, habt Ihr das Geld,« setzte er hinzu, indem er sich an das Oberhaupt des Stammes wendete, »Halls und meine Kasse wird dadurch freilich etwas knapp, aber Ehrenschulden müssen bezahlt werden.« »Meines Vaters Fluch falle auf meines Vaters Sohn,« fiel ihm Allan ins Wort, »wenn er einen Heller von Euch nimmt. Es ist genug, wenn Ihr keine Forderungen geltend macht.« Damit waren alle einverstanden, und nach kurzem Widerstand aus Höflichkeit ließen sich die Engländer bestimmen, die ganze Sache als einen Scherz anzusehen und für abgetan zu betrachten. »Und nun, Allan,« sagte der Gutsherr, »schafft Eure Leuchter weg, denn die Herren haben sie nun gesehen und werden die Mahlzeit ebenso behaglich beim Licht der alten zinnernen Wandleuchter einnehmen – die machen nicht soviel Qualm.« Auf einen Wink Allans hoben die lebenden Leuchter die Schwerter und gingen hinaus. Fünftes Kapitel Die Liebhaberei der Engländer für gute Speisen ist sprichwörtlich – dennoch spielten an dieser Tafel die englischen Gäste eine untergeordnete Rolle gegenüber der erstaunlichen Gefräßigkeit des Kapitäns Dalgetty, der, solange das Essen auf den Tisch stand, mit niemand ein Wort redete und erst, als abgetragen wurde, seinen Tischgefährten die Gründe darzulegen begann, weshalb er so hastig und so ausdauernd esse. »Das schnelle Essen,« sagte er, »habe ich mir in Aberdeen angewöhnt, wo ich auf dem Marschall-Gymnasium in Freikost war. Wenn man da nicht die Kinnbacken so schnell wie ein paar Kastagnetten bewegte, bekam man nichts. Und warum ich soviel esse?« fuhr er fort, »Ihr müßt wissen, ehrenwerte Herren, jeder Kommandant einer Festung hat die Pflicht, an Munition und Proviant in Sicherheit zu bringen, was die Magazine nur irgend aufnehmen können, denn er kann nie wissen, ob er nicht eine Belagerung zu überstehen hat. Diesem Grundsatz getreu, tut ein Kavalier nur weise daran, wenn er sich gleich für drei Tage satt isst, sobald er was Gutes reichlich vor sich hat, denn er kann nie wissen, wann wieder einmal der Tisch für ihn gedeckt ist.« Der Gutsherr billigte diesen Grundsatz und empfahl dem Kriegsmann, auf die derben Speisen noch eine Tasse Branntwein und eine Flasche Rotwein draufzusetzen – ein Vorschlag, den der Kapitän mit Vergnügen annahm. Als die Gerichte abgeräumt waren und nur noch ein Knappe in der Halle zurückgeblieben war, um für den Dienst der Gesellschaft bereit zu sein und alles, was verlangt wurde, zu holen oder bringen zu lassen, kam das Gespräch auf die politischen Zustände des Landes. Lord Menleith erkundigte sich besonders angelegentlich nach der Zahl der Clans, auf die man bei der geplanten Musterung der Königstreuen rechnen könne. »Das hängt hauptsächlich davon ab,« antwortete der Gutsherr, »wer das Banner erheben wird. Ihr wißt ja, wir Hochländer ordnen uns nicht gern dem Befehl eines unserer Häuptlinge oder irgend eines andern unter. Es geht das Gerücht, daß der junge Colkitto oder Alaster Mac Donald von Irland mit einem Heer von den Leuten des Grafen von Antrim unterwegs sei und Ardnamurchan erreicht habe.« »So möchtet Ihr Colkitto zum Anführer haben?« fragte Menteith. »Colkitto!« erwiderte Mac Aulay wegwerfend. »Wer spricht von Colkitto! Es lebt nur ein Mann, dem wir uns unterordnen – das ist Montrose.« »Aber seit wir vergebens versucht haben, den Norden Englands zum Aufstand zu bewegen,« bemerkte Christopher Hall, »hat man nichts mehr von Montrose gehört. Es heißt, er sei zum König nach Oxford zurückgekehrt.« »Zurückgekehrt!« unterbrach ihn Allan mit verächtlichem Lachen. »Ich könnt Euch etwas andres sagen, doch verlohnt's nicht der Mühe, denn Ihr erfahrt es sowieso bald.« »Bei meiner Ehre, Allan,« sagte Lord Menteith, »meine Freunde werden die Geduld mit Euch verlieren, so eigensinnig und mürrisch, seid Ihr. Ich weiß aber auch weshalb,« setzte er lachend hinzu, »Ihr habt heute Annot Lyle nicht gesehen.« »Wen hab' ich nicht gesehen?« rief Allan finster. »Annot Lyle, die Feenkönigin der Lieder und der Poesie.« »Gebe Gott, daß ich sie nie wiedersähe,« rief Allan seufzend, »wenn nur auch Ihr sie nicht wiedersehen dürftet!« »Und warum ich auch nicht?« fragte Lord Menteith leicht hin. »Weil es Euch auf der Stirne geschrieben steht,« antwortete Allan, »daß Ihr einander zu Grunde richten werdet.« Mit diesen Worten erhob er sich und ging hinaus. »Ist es schon lange so um ihn bestellt?« fragte, Lord Menteith, sich an den Bruder wendend. »Drei Tage etwa,« antwortete Angus. »Der Anfall geht vorüber. Morgen wird's mit ihm besser sein. – Aber der Krug muß geleert werden, edle Herren! Auf das Wohl des Königs! Es lebe König Karl!« Darauf tranken alle und es hub ein gewaltiges Zechen an. Es gelang aber Lord Menteith, die Gesellschaft früher, als es sonst im Schlosse üblich war, zum Aufbruch zu bewegen, indem er vorgab, daß er müde sei und die Reise ihn arg mitgenommen habe. Mit diesem Aufbruch war freilich der Kapitän nicht einverstanden, der neben andern im Kriege erworbenen Gewohnheiten auch die Lust am Trinken mitgebracht hatte und in der Tat auch einen gewaltigen »Stiefel« vertragen konnte. Ihr Wirt führte sie selbst in eine Art Schlafsaal. »Ich brauche Euer Lordschaft nicht erst zu erklären,« sagte Mac Aulay zu Lord Menteith, »in welcher Weise wir hier im Hochland unsere Gäste zu betten pflegen. Ich bemerke nur, daß ich die Betten für Eure Diener mit in diesem Saale habe aufstellen lassen, denn ich möchte Euch nicht mit diesem deutschen Landstreicher allein schlafen lassen. Wir leben jetzt, weiß Gott, in Zeiten, Mylord, wo einer mit einer so gesunden Kehle, wie nur je eine Branntwein verschluckt hat, zu Bett gehen und doch am Morgen einen Hals haben kann, der wie eine Austernmuschel klafft.« Der Wirt verließ mit einem Abendgruß das Zimmer. Gleich darauf traten die beiden Diener Lord Menteiths herein. Der gute Kapitän, der etwas zuviel gegessen und getrunken hatte, hatte große Schwierigkeiten, seine Rüstung abzuschnallen, und wandte sich mit schwer lallender Zunge an Anderson: »Anderson, mein guter Freund,« sagte er, »ich glaube, ich werde in meinem Harnisch schlafen, wie mancher ehrliche Kerl, der nie wieder aufgewacht ist, wenn Ihr mir nicht diese Schnalle hier aufmacht.« »Schnallt ihm die Rüstung ab, Sibbald«, sagte Anderson zu dem andern Diener. »Beim heiligen Andreas!« rief der Kapitän und drehte sich erstaunt um. »So ein Kerl kriegt 4 Pfund jährlich und zu Weihnachten 'ne Livree und dünkt sich zu nobel, dem Rittmeister Dugald Dalgetty von Drumthwacket zu dienen, der im Marschall-Gymnasium zu Aberdeen humaniora studiert und schon unter der Hälfte von allen europäischen Fürsten gestanden hat!« »Kapitän Dalgetty,« legte Lord Menteith sich ins Mittel, »bedenkt doch gütigst, daß Anderson nur für den Dienst meiner Person bestimmt ist, es wird mir aber ein Vergnügen sein, Sibbald beim Abschnallen zu helfen –« »Zuviel Mühe für Euch, Mylord,« unterbrach ihn Dalgetty; »schaden könnte es Euch allerdings nichts, wenn Ihr lerntet, wie ein feiner Harnisch an- und ausgezogen wird. In meinem kann ich wie in einem Handschuh ein und aus, nur bin ich heute Nacht, um einen klassischen Ausdruck zu gebrauchen, vino ciboque gravatus wenn auch noch nicht ebrius.« Inzwischen hatten sie ihm die Rüstung abgenommen, und er stand vor dem Feuer mit einer Miene versoffener Nachdenklichkeit. Er dachte an die Ereignisse des Abends und schien besonders an dem Charakter Allans Interesse zu finden. »Daß er die Engländer mit den Hochlandsfackeln so genasführt hat!« brummte er. »Acht Kerle ohne Hosen statt sechs silberner Leuchter! – ein Prachtstück – ein echter Taschenspielerkniff! – aber verrückt ist der Bursche doch!« »Wenn Ihr noch so spät in der Nacht anhören wollt, so will ich Euch erzählen, unter welchen Umständen Allan Mac Aulay das Licht der Welt erblickt hat, und Ihr werdet dann seinen seltsamen Charakter verstehen.« »Eine lange Geschichte, Mylord,« sagte Kapitän Dalgetty, »ist neben einem guten Abendtrunk und einer warmen Nachtmütze das beste Mittel, zu tiefem Schlaf zu kommen. Da nun Euer Lordschaft sich die Mühe machen will, eine Geschichte vom Stapel zu lassen, so will ich ein geduldiger und dankbarer Zuhörer sein.« »Anderson und Sibbald,« setzte Lord Menteith hinzu, »Ihr hört gewiß auch gern etwas von diesem absonderlichen Manne. Ich glaube, ich muß Euch einige Aufklärungen geben, damit Ihr im Notfall wißt, wie Ihr Euch ihm gegenüber zu benehmen habt. Kommt mit an den Kamin!« Seine Zuhörer um sich versammelnd, setzte sich Lord Menteith auf den Rand des für ihn bestimmten Himmelbettes. Kapitän Dalgetty wischte sich ein paar Tropfen Branntwein aus dem Barte, brummte den ersten Vers des Liedes: »Alle guten Geister loben Gott den Herrn,« und streckte sich dann auf einen der schlichtern für ihn und die Diener hergerichteten Lagerplätze aus. Seinen dicken Schädel aus den Bettüchern erhebend, hörte er in dem wohligen Zustande zwischen Schlafen und Wachen nur halb, was Lord Menteith erzählte. Sechstes Kapitel »Der Vater der beiden Brüder Angus und Allan Mac Aulay war ein hochangesehener Edelmann von gutem Hause; denn er war das Oberhaupt eines zwar nicht sehr zahlreichen, aber doch sehr berühmten hochländischen Stammes. Seine Gattin, die Mutter dieser Männer, war eine Edeldame aus altem Geschlecht. Ihr Bruder, ein ehrenwerter, beherzter Jüngling, bekam von Jakob VI. das Amt eines Försters mit dem Jagdvorrecht für ein königliches Revier in der Nähe dieses Schlosses. In der Übung seines Amtes und der Verteidigung seiner Vorrechte hatte er das Unglück, mit einigen unserer hochländischen Wilddiebe in Streit zu geraten. Davon habt Ihr, Kapitän Dalgetty, sicher gehört.« »Allerdings, antwortete der Kapitän, sich gewaltsam aufraffend. »Ich war noch auf dem Marschall-Gymnasium in Aberdeen, da triebens schon die Farquharsons am Dee und Dugald Garr in Garioch und die Chattans in den Ländereien der Gordons und die Grants und Camerons in Morayland so toll, daß es nicht zum Aushalten war. Seitdem hab ich die Kroaten und Panduren und Kosaken und die Barbaren, Banditen und Räuber aller Länder gesehen, und ich weiß genau, was ich von den Hochländern zu halten habe.« »Der Clan,« fuhr Lord Menteith fort, »mit dem der Oheim Mac Aulays mütterlicherseits in Streit geriet, bestand aus einer kleinen Sippe von Banditen, die keine Heimat hatte und beständig in den Tälern herumwanderte. Man nannte sie deshalb die Kinder des Nebels. Sie waren trotzige kühne Leute, die nicht gewohnt waren, sich in ihrer Reizbarkeit zu beherrschen oder ihren wilden Leidenschaften Zwang anzutun. Eine Abteilung dieser Sippe lauerte dem unglücklichen Förster auf, überfiel ihn und tötete ihn auf eine so gräßliche Weise, wie erfinderische Grausamkeit sie nur ersinnen kann. Den Kopf schnitten sie ab und beschlossen, ihn dem Schwager des Ermordeten zu zeigen. Der war aber nicht in seinem Schlosse zugegen, und die Schloßherrin getraute sich wohl nicht, diesen Leuten den Eintritt zu verwehren, und nahm sie mit Widerstreben auf. »Die Kinder des Nebels wurden gastlich bewirtet, und als sie einen Augenblick allein waren, wickelten sie den Kopf ihres Opfers aus dem Mantel, in den sie ihn gehüllt hatten, stellten ihn auf den Tisch und steckten ein Stück Brot zwischen die leblosen Kiefer. Die Dame, die im Haushalt zu tun hatte, trat herein, während noch die Gesellen zu dem toten Kopf sagten, er solle nur zubeißen, da er doch schon manch gute Mahlzeit an diesem Tisch gekaut hätte. »Sie erblickt den Kopf ihres Bruders und laut schreiend und jammernd flieht sie aus dem Hause und rennt in die Wälder. Die wilden grausamen Burschen freuten sich dieses Triumphes und zogen ihres Weges. »Als die bestürzten Diener sich von ihrem ersten Schrecken erholt hatten, suchten sie ihre unglückliche Herrin in allen Himmelsrichtungen, fanden sie aber nicht. »Am nächsten Tage kehrte der Gatte zurück und stellte sofort in weitem Umkreis eine sorgsame Suche an, doch mit dem gleichen Mißerfolg. Nun glaubte man allgemein, die Frau habe in ihrem übergroßen Entsetzen sich von einem Abgrund herabgestürzt oder in einem See ertränkt. »Ihr Verlust wurde um so bitterer beklagt, als sie im sechsten Monat der Schwangerschaft stand; ihr älterer Sohn Angus war vor 13 Monaten etwa geboren worden. Aber Ihr seid müde, Kapitän Dalgetty, und wollt schlafen.« »Keineswegs,« entgegnete der Soldat, »ich habe noch keinen Schlaf. Wenn ich die Augen zumache, höre ich am besten. – Das habe ich mir vom Schildwachstehen angewöhnt.« Der junge Edelmann war gerade zum Erzählen aufgelegt, und ohne sich weiter um den schlummernden Kriegsmann zu kümmern, wandte er sich hauptsächlich an seine Diener: »Alle Barone des Landes,« fuhr er fort, »verschwuren sich jetzt, die furchtbare Untat zu rächen. Sie griffen zu den Waffen und standen den Angehörigen und dem Schwager des Ermordeten bei in der Verfolgung der Kinder des Nebels. Siebzehn Köpfe wurden als blutige Trophäen der Rache unter die Verbündeten verteilt und dienten über den Toren ihrer Schlösser den Raben zum Fraße. Die von den Kindern des Nebels dem Rachetod entronnen waren, flüchteten in eine entlegene Ödenei. »Im Sommer besteht der Brauch, das Rindvieh auf die Weide im Gebirge zu schicken, und die Mädchen aus dem Dorf und aus der Familie gehen morgens und abends hin und melken die Kühe. Als die Weiber des Hauses gerade hiermit beschäftigt waren, bemerkten sie zu ihrem Entsetzen, daß aus der Entfernung eine blasse, hagere Gestalt ihnen zusah, die ihrer verschollenen Gebieterin ähnelte und von ihnen natürlich für deren Geist gehalten wurde. Als einige der beherzteren sich der verfallenen Gestalt nähern wollten, flüchtete sie unter wildem Gekreisch in die Wälder. Der Ehemann wurde benachrichtigt und traf sofort Maßregeln, der Unglücklichen die Flucht abzuschneiden und sie einzufangen, wenn sie auch hoffnungslosem Wahnsinn anheim gefallen sein sollte. »Wovon sie auf ihren Irrfahrten durch die Wälder ihr Leben gefristet haben mochte, konnte man sich nicht erklären. Man meinte, von Wurzeln und wilden Beeren. Die Mehrheit im Volke glaubte aber, sie habe sich von der Milch der Hirschkühe ernährt, oder Feen hätten ihr Speise gebracht oder sie sei durch sonstwelche andre wunderbare Weise am Leben erhalten worden. Daß sie nun wieder auftauchte, war leichter zu erklären. »Sie hatte durch das Dickicht gesehen, wie die Kühe gemelkt wurden, und die Aufsicht hierbei war früher immer ihre Lieblingsbeschäftigung gewesen. Diese Gepflogenheit machte nun in ihrem zerstörten Geiste ihren Einfluß noch geltend. »Die unglückliche Frau wurde von einem Sohne entbunden, der dem Äußern nach nicht unter dem Unglück seiner Mutter gelitten zu haben schien. Es war sogar ein außergewöhnlich kräftiger und gesunder Junge. »Nach dem Wochenbett stellte sich bei der Mutter die Vernunft wieder ein – doch die Gesundheit und ihre frühere Heiterkeit kehrten nicht wieder. »Ihr Knabe Allan war ihre einzige Freude. Sie lebte nur für ihn und pflegte ihn aufopfernd. Sicherlich hat sie seinem jugendlichen Gemüt viele der abergläubischen Vorstellungen eingeprägt, an denen sein finsterer, schwärmerischer Geist so sehr hängt. Als er zehn Jahre alt war, starb sie. Was ihre letzten Worte zu ihm gewesen sind, hat nur er gehört. Ohne Zweifel hat sie ihm ans Herz gelegt, Rache zu üben an den Kindern des Nebels – ein Geheiß, das er seither auch unermüdlich befolgt hat. Von der Zeit an wurde Allan Mac Aulay ein anderer. Bisher war er stets um seine Mutter gewesen; er hatte sich ihre Träume erzählen lassen und ihr seine eigenen erzählt, und seine Phantasie, die jedenfalls von den Umständen vor seiner Geburt her an sich krankhaft behaftet war, hatte sich völlig vollgesogen von dem schreckhaften Aberglauben, der den Bergbewohnern zur zweiten Natur geworden ist und dem seine Mutter nach ihres Bruders Tode sich ganz hingegeben hatte. »Von dieser Lebensweise her hatte der Knabe einen scheuen, wilden Blick, ging gern an einsame Stellen in den Wäldern und konnte sich über nichts so sehr entsetzen, als wenn andere Kinder gleichen Alters ihm nahe kamen. Aber als seine Mutter gestorben war, blieb er zwar ernst und nachdenklich wie zuvor und hatte wie zuvor langandauernde Anfälle völliger Geistesabwesenheit; aber er suchte jetzt doch den Verkehr mit den Jünglingen seiner Sippe, denen er vorher ängstlich aus dem Wege gegangen war. Er beteiligte sich jetzt an allen Körperübungen und übertraf bei seiner außerordentlichen Kraft bald alle seine Kameraden, auch die älteren – doch ich rede vor Ohren, die nichts hören,« sagte Lord Menteith, seine Erzählung unterbrechend, denn der Kapitän fing jetzt an laut zu schnarchen. »Wenn Ihr, Mylord,« sagte Anderson, »die Ohren dieses schnarchenden Schweines meint, so sind sie allerdings taub gegen alles, was Ihr sagen mögt; ich hoffe jedoch, daß Ihr zu meiner und Sibbalds Belehrung weitererzählen werdet, denn die Geschichte dieses armen jungen Burschen interessiert uns in hohem Grade.« »Bis zum 15. Lebensjahre,« fuhr Lord Menteith fort, »nahm Allan zu an Tüchtigkeit, doch auch an Eigenwilligkeit und Unbeugsamkeit. Oft war er ganze Tage und Nächte in den Wäldern, um zu jagen, wie er sagte, doch nicht immer brachte er Wild mit heim. Seinen Vater beunruhigte dies um so mehr, als mehrere von den Kindern des Nebels inzwischen in die Gegend zurückgekehrt waren. »Eines Tages war ich zu Besuch auf dem Schlosse. Allan war schon in aller Frühe in die Wälder gegangen, und ich hatte ihn vergebens gesucht. Die Nacht war stürmisch und finster, und er kam nicht heim. »Sein Vater äußerte uns gegenüber die lebhafteste Besorgnis. Er wollte gegen Morgen eine Anzahl seiner Mannen auf die Suche nach seinem Sohne schicken. »Als wir nun beim Abendtisch saßen, ging plötzlich die Tür auf und Allan kam herein, im Antlitz Stolz und Selbstzufriedenheit. Sein Vater nahm auf seine reizbare Stimmung und seine unberechenbaren Geisteszufälle die weitgehendste Rücksicht und er ließ sich daher nicht merken, wie ärgerlich er war. Er deutete nur an, daß ich noch vor Einbruch der Nacht mit einem fetten Rehbock wiedergekehrt sei, und daß Allan bis Mitternacht herumgestreift sei, ohne etwas mitzubringen. »Wißt Ihr das genau?« fragte Allan trotzig. »Hier ist der Beweis des Gegenteils.« »Wir sahen nun, daß an seinen Händen Blut war, und harrten gespannt, was er beginnen werde – da schlug er den Zipfel seines Mantels zurück und ließ ein frisch abgehauenes menschliches Haupt auf den Tisch rollen. »Liege du, wo der Kopf eines Bessern vor dir lag!« rief er. »An den hagern Zügen, dem roten Haar und Bart erkannten wir alle den Kopf Hektors vom Nebel. Der war ein Führer der Banditen gewesen, gefürchtet wegen seiner Kraft und Brutalität, und hatte an der Ermordung des unglücklichen Försters teilgehabt. »Wir waren alle überrascht, fast entsetzt, aber Allan weigerte sich, uns nähern Aufschluß zu geben, und wir konnten nur vermuten, daß er den Wilden nach heftigem Kampfe besiegt hätte, denn Allan war selber verwundet. »Nun wurden alle möglichen Vorsichtsmaßregeln getroffen, Allan gegen die Rache der Banditen zu schützen; aber weder seine Wunden, noch der ausdrückliche Befehl seines Vaters vermochten ihn zurückzuhalten; ja es half selbst nichts, daß man ihn in seinem Zimmer einschloß. Des Nachts entwich er, über die eitle Angst seines Vaters lachend, und zog wider die, die er am meisten zu fürchten hatte. Bald brachte er wieder einen Kopf, bald zwei von den Kindern des Nebels heim. Über so eingefressenen Haß und so große Tollkühnheit entsetzten sich schließlich selbst diese Räuber in ihrem wilden Gemüt und sie glaubten, ihr Verfolger sei gefeit gegen Büchse, Dolch und Speer und stände unter dem Schutze übernatürlichen Einflusses. Sie fürchteten ihn so, daß sie nun selbst zu fünft vor ihm ausgerissen wären. »Inzwischen ließen sie nicht nach, den Mac Aulays, ihren Verwandten und Verbündeten Schaden zuzufügen, wo sie nur konnten. So kam es, daß wir alle gegen die Sippe zogen, sie überfielen und völlig vernichteten. Selbst Weiber und Kinder wurden niedergemacht. »Nur ein kleines Mädchen blieb verschont, auf das Allan schon den Dolch gezückt hatte. Ich bat für sie, und er schonte ihrer. Sie wurde aufs Schloß gebracht und hier unter dem Namen Annot Lyle erzogen. Sie ist die schönste Elfe, die je im Mondlicht auf der Heide tanzte. »Mit der Zeit gewöhnte sich selbst Allan an sie; namentlich gefiel ihm an ihr, daß sie ausgezeichnet Harfe spielen kann. Das Harfenspiel hat auf Allans verstörtes Gemüt eine wohltätige Wirkung, die sich bei ihm in seinen düstern Stimmungen ähnlich äußert, wie einstmals bei dem König der Juden. »Annot Lyle ist ein so liebevolles Wesen, so keusch, heiter und bezaubernd, daß man sie eher für die Schwester des Gutsherrn halten möchte, als für ein aus Erbarmen angenommenes Mädchen. Man braucht sie nur anzusehen, so fühlt man sich ergriffen von ihrer Treuherzigkeit, Munterkeit und Sanftmütigkeit.« »Hütet Euch, Mylord«, meinte Anderson lächelnd. »Es ist nicht ohne Gefahr, so sehr für ein Mädchen zu schwärmen. Auch wäre Allan Mac Aulay ein Nebenbuhler, vor dem man sich vorzusehen hätte.« »Pah,« machte Lord Menteith lachend, »Allan kennt nicht die Liebe, und für mich selbst ist Annots Herkunft Grund genug, mich jeder Werbung zu enthalten.« »Solche Rede ziemt Euch, Mylord,« sagte Anderson, »aber ich hoffe, Ihr beendet noch Eure interessante Erzählung.« »Ich habe nur noch wenig hinzuzufügen«, fuhr Lord Menteith fort. »Die gewaltige Körperkraft und der kühne Mut, seine Tatkraft, Eigenwilligkeit und Widerspenstigkeit gegen irgendwelche Autorität, die Ansicht ferner, die er selber auch hegt und fördert, daß er mit übernatürlichen Wesen in Verkehr stünde und die Zukunft prophezeien könne – all dies hat ihm hohen Ruf und hohe Achtung eingetragen und er gilt mehr als sein Bruder, der wohl ein stolzer und kühner Schotte ist, sonst aber keine Eigenschaften besitzt, die dem außergewöhnlichen Charakter seines Bruders irgendwie zur Seite zu stellen wären.« »Ein solcher Mann,« sagte Anderson, »muß von hohem Einfluß auf ein schottisches Heer sein. Mylord, wir müssen Allan für uns gewinnen. Bei seiner Tapferkeit und seiner Eigenschaft des zweiten Gesichts –« »Still,« unterbrach ihn Lord Menteith, »die Eule dort wird munter.« »Sprecht Ihr vom zweiten Gesicht oder Deuteroskopia?« murmelte der Soldat. »Ich erinnre mich, Major Munro hat mir erzählt, Murdock Mackenzie aus Assint, ein Gefreiter unserer Kompagnie, hätte den Tod des Donald Tough aus Lochaber und einiger andern Soldaten bei der Belagerung von Stralsund vorhergesagt gehabt. Auch hat er prophezeit, daß Munro selber verwundet würde.« »Ich habe oft schon von dieser Fähigkeit gehört,« sagte Anderson, »habe aber immer geglaubt, daß die, die sie zu besitzen behaupteten, Schwärmer oder Schwindler wären.« »Für beides kann ich meinen Vetter Allan Mac Aulay nicht halten«, sagte Lord Menteith. »Er hat bei vielen Anlässen zu großen Verstand und Scharfsinn bewiesen – wie heute abend erst wieder – als daß man ihn Schwärmer nennen könnte. Sein hohes Ehrgefühl und seine Männlichkeit sichern ihn aber davor, daß man in ihm einen Schwindler erblicken könnte.« »Eure Lordschaft glaubt also an seine übernatürlichen Eigenschaften?« fragte Anderson. »Keineswegs«, erwiderte der junge Edelmann. »Meiner Meinung nach bildet er sich ein, die Prophezeiungen, die in der Tat nur Ergebnisse seiner Urteilskraft und des Nachdenkens sind, wären übernatürliche Eingebungen. Eine bessere Erklärung kann ich Euch nicht geben. Nun aber ist es Schlafenszeit.« Siebentes Kapitel Zu früher Morgenstunde erhoben sich die Gäste des Schlosses. Lord Menteith wechselte ein paar Worte mit seinen Dienern und wandte sich an den Soldaten, der in einer Ecke saß und seinen Harnisch mit Schmirgel und Leder putzte. »Kapitän Dalgetty,« sagte er, »die Zeit ist gekommen, daß wir uns trennen oder Kriegskameraden werden müssen.« »Hoffentlich nicht vor dem Frühstück«, sagte Kapitän Talgetty. »Ich sollte doch meinen,« entgegnete der Lord, »Eure Garnison hätte sich mindestens auf drei Tage mit Proviant versehen.« »Ich habe noch ein bischen Platz gelassen, wo noch eine Portion Rindfleisch und Haferkuchen hineingeht,« antwortete der Kapitän. »Ihr müßt Eure Absichten bekannt geben,« beharrte Lord Menteith, »Ihr sollt dann ein sichres Geleit erhalten und in Frieden scheiden und wenn Ihr bleiben wollt, sollt Ihr uns willkommen sein.« »Ich will Euch offen gestehen,« antwortete der Kapitän, »es kommt mir gar nicht darauf an, Euch den Fahneneid sobald als möglich zu leisten, wenn mir Euer Sold ebenso gut gefällt wie Euer Proviant und Euer Umgang.« »Der Sold,« sagte Lord Menteith, »kann vorderhand nur gering sein, denn er wird von dem Kapital gezahlt, das von den wenigen unter uns, die über Geld verfügen, zusammengeschossen worden ist. Ich kann dem Kapitän Dalgetty als Major und Adjutant bloß einen halben Taler pro Tag zusagen. Die rückständige zweite Hälfte könnt Ihr am Ende des Feldzuges bekommen.« »Ja, ja, die Rückstände!« rief der Kapitän. »Die werden versprochen und nie bezahlt. In Spanien, in Österreich, in Schweden, überall ist es dieselbe Leier. Da lob ich mir die Holländer! Soldaten und Offiziere waren sie freilich nicht, aber gute Zahlmeister. Doch, Mylord, wenn ich damit rechnen könnte, daß mein natürliches Erbe Drumthwacket in den Besitz eines schafsnasigen Covenanters übergegangen sei, der, falls wir siegen sollten, auf anständige Manier für einen Hochverräter erklärt werden könnte – an diesem fruchtbaren und lieblichen Stückchen Erde wäre mir in der Tat soviel gelegen, daß ich um diesen Preis mit Euch zu Felde ziehen würde.« »Ich kann auf Kapitän Dalgettys Frage Antwort geben,« mischte sich Sibbald, Lord Menteiths zweiter Diener, ins Gespräch. »Wenn sein Gut Drumthwacket das große wüste Moor dieses Namens ist, das fünf Meilen südlich von Aberdeen liegt, so kann ich ihm mitteilen, daß dies vor kurzem ein gewisser Elias Strachan gekauft hat, ein so übel beleumdeter Rebell, wie irgend einer von den Covenanters.« »Der Hund!« wetterte der Rittmeister. »Wie kann er sich erfrechen, das Erbe einer Familie zu kaufen, die vierhundert Jahre alt ist. – C ynthius aurem vellet, wie wir auf dem Marschall-Gymnasium sagten, das heißt, an den Ohren will ich ihn aus dem Hause meines Vaters hinausziehen. Mylord Menteith, nun bin ich der Eure, mit Hand und Schwert, mit Leib und Seele, bis der Tod uns trennt, oder bis zum Ende des Feldzuges!« »Und ich will die Sache festmachen,« sagte der junge Edelmann, »und zahle Euch den Sold für einen Monat im voraus.« »Das tut auch dringend not,« sagte Dalgetty, das Geld einsteckend. »Aber jetzt muß ich in den Stall, mein Reitzeug in Ordnung bringen und zusehen, daß es meinem Gustavus an nichts fehlt. Ich muß ihm auch sagen, daß wir in neue Dienste getreten sind.« Als Lord Menteith mit seinen Dienern in die Halle trat, kamen Angus Mac Aulay und die englischen Gäste ihnen zur Begrüßung entgegen. Allan saß an demselben Platz wie am Abend zuvor und kümmerte sich um niemand. In diesem Augenblick trat Donald herein und rief: »Eine Botschaft von Vich Alister More; er kommt heute abend.« »Wieviel bringt er mit?« fragte Mac Aulay. »Fünfundzwanzig bis dreißig seines Gefolges,« antwortete Donald. »Streu reichlich Stroh in die Scheuern,« befahl der Gutsherr. Ein anderer Diener kam herein und meldete, Sir Hektor Mac Lean sei im Anmarsch mit einem großen Gefolge. »Die bringt Ihr in der Mälzerei unter,« sagte Mac Aulay; »zwischen ihnen und den Mac Donalds laßt einen Raum frei so breit wie ein Misthaufen. Sie sind nicht eben gut Freund miteinander.« Abermals trat Donald ein und schnitt ein langes Gesicht. »Der Teufel steckt in dem Volk!« rief er. »Ist denn das ganze Hochland auf den Beinen? Evan Dhu von Lochiel wird in einer Stunde hier sein mit wer weiß wie vielen seiner Sippe.« »Die kommen in die große Scheune zu den Mac Donalds«, bestimmte der Gutsherr. Immer wieder wurden Häuptlinge angemeldet, von denen der geringste es unter seiner Würde erachtet hätte, mit weniger als einem halben Dutzend Mannen zu erscheinen. Für alle neu Ankommenden bestimmte Angus Mac Aulay einen neuen Platz, als er aber über alle Räumlichkeiten verfügt hatte und Pferdeställe, Kuhställe, Hausflur, Schuppen und sämtliche Wirtschaftsgebäude schon belegt waren, wurde noch Mac Dougald von Lorn angemeldet, und er wußte nicht, wo er ihn unterbringen sollte. »Was ist zu tun?« sagte er, »wenn sie dicht nebeneinander liegen wollten, gingen wohl noch ihrer fünfzig in die große Scheune; aber dann würden sie sich mit den Dolchen um die Plätze streiten und vorm Morgen noch hätten wir Blut genug, um Wurst zu machen!« »Wozu das alles?« rief Allan und fuhr in der ihm eigenen Raschheit seines Wesens dazwischen. »Sind die Galen jetzt weichlicher und weibischer als ihre Ahnen. Schlagt einem Branntweinfaß den Boden ein, das sei ihr Nachtlager – die Mäntel, ihre Decken, das Himmelszelt ihr Baldachin, und Heidekraut ihr Kissen! Und kämen ihrer noch Tausende, die weite Heide hat Raum genug!« »Allan hat Recht,« sagte sein Bruder, und zu Musgrave gewendet, fügte er hinzu: »Seltsam, es ist bei ihm nicht ganz richtig im Kopfe, unter uns gesagt, und doch zeigt er bisweilen mehr Verstand als wir alle. Betrachtet ihn jetzt.« Allan heftete die Augen mit furchtbar starrem Blick nach dem andern Ende der Halle. »Sie können so anfangen,« sagte er, »wie sie enden werden. Mancher schläft heute auf der Heide, und er wird steif und starr sein, wenn der Novemberwind pfaucht, doch klagt er nicht über Kälte, und daß ihm eine Decke fehlt, tut ihm nichts.« »Künde uns nicht die Zukunft, Bruder,« sagte Angus. Allans Augen wurden starr und schienen aus den Höhlen hervortreten zu wollen. Krampfhaft zitternd, sank er seinem Bruder und Donald in die Arme, die, mit der Art seiner Anfälle vertraut, ihn auffingen und zu einer Bank führten. »Hofft Ihr denn auf Glück?«, rief der Seltsame. »Um Gotteswillen, Allan,« bat ihn sein Bruder, der wohl wußte, wie tiefen Eindruck seine mystischen Worte auf viele Gäste machen würden, »sprich nichts, was uns entmutigen könnte.« »Bin ich es, der euch entmutigte?« versetzte Allan. »Jedermann soll seines Schicksals harren wie ich des meinen. Was kommen soll, kommt doch. Wir werden tapfer über manches Feld des Sieges gehen, ehe wir jenes Schlachtfeld des Todes betreten – ehe wir auf jene Schaffotte des Todes steigen.« »Was für ein Schlachtfeld? Was für ein Schaffott?« riefen mehrere. »Nur zubald werdet Ihr des inne werden,« antwortete Allan. »Sprecht nicht mehr mit mir, ich bin Eurer Fragen überdrüssig.« Er preßte die Hand gegen die Stirn, stützte die Ellbogen auf die Knie und versank in tiefes Grübeln. »Ruft Annot Lyle, sie soll mit der Harfe kommen!« sagte Angus leise zu seinem Diener, »Wer von den Herren ein hochländisches Frühstück nicht verschmäht, der folge mir!« Achtes Kapitel Sie gingen alle mit dem gastfreundlichen Gutsherrn, nur Lord Menteith blieb zurück, in eine der großen Fensternischen der Halle gelehnt. Kurz darauf schlüpfte Annot Lyle herein – eine Maid, die Lord Menteith sehr treffend geschildert hatte, als er sie die zierlichste Elfe nannte, die je im Mondlicht sich im Reigen geschwungen habe. Sie war so klein und niedlich, daß sie noch blutjung aussah, und obwohl sie schon 18 Jahre zählte, hätte jeder sie für vier Jahre jünger gehalten. Körperform, Hände und Füße stimmten in wundervollem Ebenmaß zu der Zierlichkeit ihrer Erscheinung, ihr Haar war dunkelblond und dichtgelockt und paßte herrlich zu dem zarten feinen Teint und ihren muntern, schlichten Zügen. Es war begreiflich, daß sie der Liebling aller war; sie übte oft auf die derbbesaiteten Insassen des Schlosses – wie Allan sich in poetischer Anwandlung ausdrückte – die Wirkung eines Sonnenstrahls auf ein finsteres Meer. Allen teilte sie die Heiterkeit und den Frohsinn mit, die ihre eigne Seele erfüllten. Als Lord Menteith aus seinem Versteck hervortrat und ihr freundlich einen guten Morgen bot, lächelte Annot und errötete. »Guten Morgen, Mylord,« erwiderte sie und reichte ihrem Freunde die Hand; »in letzter Zeit wart Ihr hier ein seltener Gast, und ich fürchte, daß Ihr jetzt hier seid, hat auch keinen friedlichen Zweck.« »Das braucht Euch in Euerm Frohsinn nicht zu trüben, Annot,« sagte Lord Menteith, »Mein Vetter Allan bedarf Eurer Hilfe. Singt und spielt.« »Mein Retter,« sagte Annot Lyle, »hat ein Anrecht auf mein bescheidenes Können, auch Euch, Mylord, nenne ich meinen Retter, Ihr habt das meiste getan, ein Leben zu erhalten, das keinen Wert hätte, wenn es nicht imstande wäre, meinen Beschützern in etwas von nutzen zu sein.« Mit diesen Worten setzte sie sich ein Stückchen von Allan ab auf dieselbe Bank, stimmte ihr Instrument und begann zu spielen und zu singen. Ihr Lied war eine alte gälische Weise. Noch während sie sang, verrieten einige Gebärden, daß Allan Mac Aulay allmählich wieder zu sich kam und seine Umgebung zu erkennen begann. Die tiefen Furchen auf seiner Stirn glätteten sich. Seine Züge, die im innern Kampfe sich verzerrt hatten, gewannen wieder natürlichen Ausdruck. Im Zustand der Ruhe war sein Gesicht zwar nicht schön, doch edel und mannhaft. Seine grauen Augen, die vorher unheimlich gerollt und gefunkelt hatten, nahmen jetzt einen festen, bestimmten Ausdruck an. »Gott seis gedankt,« sagte er nach kurzem Schweigen, als die letzten Harfentöne verklungen waren, »nicht länger mehr ist meine Seele verfinstert. Die Wolke ist von meinem Geist gewichen.« »Ihr müßt der Annot Lyle und dem Himmel danken, Vetter Allan,« sagte Lord Menteith herzutretend, »daß Ihr aus dieser Schwermut erlöst worden seid.« »Mein edler Vetter Menteith,« entgegnete Allan, indem er aufstand und ihn mit Ehrerbietung und Liebenswürdigkeit zugleich begrüßte, »ist schon so lange mit meinem Unglück vertraut, daß ich mich bei ihm nicht zu entschuldigen brauche, wenn ich ihn erst jetzt im Schlosse willkommen heiße.« »In der Tat kennen wir uns schon zu lange,« antwortete Lord Menteith, »und sind zu gute Freunde, um auf solche Äußerlichkeiten viel zu geben. Aber heute kommt das halbe Hochland her, und Ihr wißt, daß unsere Häuptlinge das Zeremonielle lieben. Was wollt Ihr der kleinen Annot schenken, daß sie Euch aufgeheitert und instand gesetzt hat, Evan Dhu und wer weiß wie viele Federn und Mützen zu begrüßen?« »Was wollt Ihr mir schenken?« fragte Annot lachend. »Das bunteste Band vom Jahrmarkt in Doune?« »Vom Jahrmarkt in Doune, Annot?« entgegnete Allan traurig. »Bis dahin wird noch blutige Arbeit verrichtet, und vielleicht erlebe ich den Tag nicht mehr. Aber Ihr habt mich an etwas erinnert, das ich schon lange tun wollte.« Mit diesen Worten ging er hinaus. Wenn er noch lange in diesem Tone weiterspricht,« sagte Lord Menteith, »dann müßt Ihr, liebe Annot, Eure Harfe gestimmt halten.« »Das hoffe ich nicht,« antwortete Annot in besorgtem Tone. »Diesmal hat der Anfall lange angehalten und wird vorderhand nicht wiederkehren. Es ist furchtbar, ein von Natur so edles und liebes Gemüt an solchem angebornen Leiden kranken zu sehen.« Da sie sehr leise sprach, trat Lord Menteith unwillkürlich näher an sie heran, um sie besser zu verstehen; als Allan plötzlich zurückkehrte, trat er in ebenso natürlicher Weise wieder von ihr weg, in keinem andern Bewußtsein als dem, sich in einem Gespräch überrascht zu sehen, dessen Inhalt sie vor ihm geheim halten wollten. Allan aber fiel das auf. Er blieb in der Tür stehen. Seine Stirn furchte sich und seine Augen rollten. Aber der Anfall jäher Leidenschaft währte nur einen Augenblick. Dann strich sich der junge Mann mit der breiten sehnigen Hand über die Stirn, als wollte er die Merkmale seiner Erregung wegwischen, und trat auf Annot zu, ein kleines Kästchen von Eichenholz und seltsamem Schnitzwerk in der Hand. »Euch nehme ich zum Zeugen, Vetter Menteith,« sagte er, »daß ich dieses Kästchen und was darin ist, Annot Lyle schenke. Schmucksachen sind drin, die meiner Mutter gehörten. Viel wert sind sie nicht, denn das Weib eines hochländischen Häuptlings hat selten kostbare Juwelen.« »Dieser Schmuck,« entgegnete Annot Lyle, das Kästchen sanft, fast furchtsam zurückweisend, »gehört der Familie, ich kann ihn nicht annehmen.« »Mir allein gehört er, Annot,« sagte Allan; »er ist das Vermächtnis meiner Mutter. Er ist alles, was ich mein nennen darf, außer noch meinem Mantel und Degen. Nehmt das Kästchen mit dem wertlosen Spielzeug drin – behaltet es um meinetwillen, – für den Fall, daß ich aus diesem Kriege nicht heimkehre.« Er machte das Kästchen auf und reichte es Annot. »Sollten die Sachen Wert haben,« fuhr er fort, »so braucht ihn zu Euerm Lebensunterhalt, wenn dies Haus von feindlichen Flammen vernichtet ist und Ihr nicht länger Schutz darin findet. Einen Ring aber behaltet zum Andenken an Allan, der zum Dank für Eure Güte alles getan hat, was er konnte, wenn er auch nicht alles tun konnte, was er gern möchte.« Annot Lyle vermochte die Tränen nicht zu unterdrücken. »Einen Ring, Allan, will ich von Euch annehmen,« sagte sie, »zum Andenken, daß Ihr so gütig gewesen seid gegen eine arme Waise. Dringt aber nicht in mich, daß ich mehr nehmen soll, denn eine Gabe von so großem Wert kann und darf ich nicht annehmen.« »So wählt Euch einen,« sagte Allan. »Die anderen Schmucksachen werde ich in eine Form umgießen, worin sie Euch mehr nützen werden.« »Das laßt nur,« sagte Annot, indem sie einen Ring auswählte, der ihr den geringsten Wert zu haben schien, »hebt nur das andere auf für Eure oder Eures Bruders Braut. Doch, gütiger, Himmel,« rief sie und starrte den Ring an, »was habe ich mir da ausgesucht!« Mit Blicken finsterer Besorgnis sah Allan den Ring an. Das Kleinod zeigte einen Totenkopf aus Emaille mit zwei gekreuzten Dolchen. Dieses Sinnbild erkennend, seufzte Allan so tief auf, daß der Ring dem Mädchen entfiel und über den Boden rollte. Lord Menteith hob ihn auf und gab ihn der erschrockenen Annot zurück. »Gott ist mein Zeuge,« rief Allan in feierlichem Tone, »daß Ihr, junger Lord, nicht ich ihr dieses nichts gutes verheißende Geschenk zurückgegeben habt. Es war der Ring, den meine Mutter zum Andenken an ihren ermordeten Bruder trug.« »Ich fürchte keine Vorbedeutungen,« sagte Annot, unter Lächeln; »was aus den Händen meiner zwei Beschützer kommt, kann mir armem Waisenkind nicht Unglück bringen.« Mit diesen Worten steckte sie den Ring auf. »Sie hat recht, Allan,« stimmte Lord Menteith bei. »Sie hat unrecht, Lord Menteith,« sagte Allan finster. »Freilich werdet Ihr, die Ihr die Euch erteilten Warnungen auf die leichte Achsel nehmt, vielleicht den Ausgang dieser Vorbedeutung gar nicht mehr erleben – lacht nicht so spöttisch,« fügte er hinzu, »oder vielmehr lacht meinetwegen so lang und so laut, als Ihr Lust habt; die Zeit, da Euch zu lachen vergönnt ist, wird ja bald ein Ende haben.« »Mich kümmern Eure Traumbilder nicht, Allan,« sagte Lord Menteith; »mag die Frist meines Lebens auch noch so kurz sein, so ist doch kein hochländischer Seher imstande, das Ende zu schauen.« »Ums Himmels willen!« flüsterte Annot hinzu »Ihr kennt ihn und wißt, wie sehr es ihn erregt –« »Fürchtet nichts von mir,« fiel Allan ihr ins Wort. »Meine Seele ist fest und ruhig. Euch aber, junger Lord,« und er wandte sich wieder zu Lord Menteith, »mein Auge hat Euch gesucht auf den Schlachtfeldern, wo die Kinder des Hochlands und des Flachlandes so dicht gesät lagen, wie je die Krähen auf diesen, alten Bäumen hockten« – er deutete auf einen Krähenhorst, den man vom Fenster aus sehen konnte – »mein Auge hat Euch gesucht, aber Eure Leiche war nicht dabei. Mein Auge hat Euch gesucht in einem Zuge entwaffneter ohnmächtiger Gefangenen in den Ringmauern einer alten Festung – Blitz auf Blitz – Salven – Kugelregen in die Reihen der Gefangenen – sie fielen wie dürres Laub im Herbst – aber auch unter diesen seid Ihr nicht gewesen. – Blutgerüste wurden aufgeschlagen – Richtblöcke aufgestellt und Sägespäne gestreut – und der Priester stand da mit der Bibel und der Scharfrichter mit dem Beil – aber auch dort hat mein Auge Euch nicht gefunden.« »So ist mir der Galgen beschieden,« sagte Lord Menteith, »ich wünschte freilich, der Strick bliebe mir erspart, da ich doch einmal ein Mitglied des Adels bin.« »Eure Todesart, Mylord, wird nicht Euers Ranges unwürdig sein. Dreimal habe ich gesehen, wie Euch ein Hochländer den Dolch in die Brust stieß – das wird Euer Schicksal sein.« »Beschreibt mir doch, wie er ausgesehen hat,« sagte Lord Menteith, »dann will ich ihm die Mühe ersparen, Eure Weissagung zu erfüllen, wenn nicht sein Mantel gegen Degenstöße oder Pistolenkugeln gefeit ist.« »Es wird Euch nichts helfen, daß Ihr Euch darauf vorbereiten wollt, auch kann ich Euch nicht sagen, was Ihr wissen wollt, denn das Antlitz der Erscheinung war jedesmal von mir abgewandt.« »Nun meinetwegen,« sagte Lord Menteith, »ich werde deshalb heute nicht minder vergnügt mitten unter den hochländischen Dolchen, Mänteln und Schurzfellen zu Mittag speisen.« »So mag es sein,« antwortete Allan, »vielleicht genießt Ihr auch voller Freude alle jene Augenblicke, die für mich dadurch, daß ich das Unheil der Zukunft kenne, vergällt sind; aber ich sage Euch nochmals, daß diese Waffe, das heißt eine Waffe wie diese hier« – und er legte die Hand auf den Griff seines Dolches – »Euch den Todesstoß geben wird.« »Alles Blut habt Ihr der armen Annot Lyle aus den Wangen gescheucht,« sagte Lord Menteith. »Laßt uns, Freund, diesem Gespräch ein Ende machen. Wir wollen lieber uns um etwas bekümmern, wovon wir beide etwas verstehen – nämlich um unsere militärischen Rüstungen.« Sie begaben sich zu Angus Mac Aulay und seinen englischen Gästen. Allan bekundete bei den nun anhebenden Erörterungen vollste Klarheit des Begriffs, Kraft des Urteils und Schärfe der Gedanken, in strengstem Gegensatz zu dem mystischen Halbdunkel, in welchem bis dahin sein Gemüt befangen gewesen war. Neuntes Kapitel Kriegerische Emsigkeit herrschte an diesem Morgen auf Schloß Darnlinvarach. Die verschiedenen Häuptlinge begrüßten den Schloßherrn und sich untereinander teils mit ausgesuchter Höflichkeit, teils mit stolzer Zurückhaltung, je nachdem ihre Sippen in letzter Zeit mehr oder minder in Freundschaft miteinander gelebt hatten. Die Versammlung dieser Häuptlinge hatte gewisse Ähnlichkeit mit jenen alten deutschen Reichstagen, wo der kleinste Freiherr, dem ein Schloß auf dem Felsen und ein paar hundert Acker Feld gehörten, Anspruch erhob, als souveräner Fürst zu gelten und geehrt zu werden und unter den Würdenträgern des Reiches den ihm gebührenden Platz zu erhalten. Das Gefolge der verschiedenen Fürsten war abgesondert untergebracht und versorgt worden, so gut Raum und Umstände es gestatteten. Bei jedem Häuptling war jedoch ein Leibdiener, der seinem Herrn wie sein Schatten folgte und alle Befehle seines Gebieters ausführte. Draußen vorm Schloß bot sich ein merkwürdiges Bild. Die Hochländer, die von verschiedenen Inseln, aus größern und kleinern Tälern stammten, maßen einander mit Neugierde oder offenkundiger Mißgunst. Am meisten aber mußte, wenigstens jedem Flachländer, der Wetteifer der Dudelsack-Pfeifer auffallen. Diese Kriegsmusikanten, die alle von der Überlegenheit ihres eigenen Stammes die höchste Meinung und von dem Vorzug ihrer Stellung den dünkelhaftesten Begriff hatten, spielten zuerst die Schlachtlieder ihrer eigenen Sippe. Allmählich aber kamen sie näher zusammen, indem sie sich in ihren gewürfelten Mänteln und Röcken triumphierend aufblähten. Sie gingen auf einander zu, warfen sich dünkelhafte, herausfordernde Blicke zu und schwellten und quetschten ihre kreischenden Instrumente. Dabei spielte jeder seine eigne Lieblingsmelodie mit so ohrenzerreißendem Getöse, daß ein italienischer Musiker – wenn einer im Umkreis von zehn Meilen hier unter der Erde gelegen hätte – von den Toten auferstanden wäre, um dieser gräulichen Musik zu entrinnen. Inzwischen hatten die Häuptlinge sich im großen Saale zur Beratung versammelt. Darunter waren mehrere hochbedeutende Personen; viele waren auch gekommen lediglich aus Eifer für die Sache des Königs, viele auch aus Groll über das harte Joch, das der Marquis von Argyle, seit er im Staate das Ruder in der Hand hatte, seinen hochländischen Nachbarn auferlegte. Dieser Staatsmann besaß zwar große Fähigkeiten und viel Vermögen – hatte aber doch einige Charakterfehler, die ihn bei den schottischen Häuptlingen sehr unbeliebt machten. Im Punkte der Religion war er unduldsam und fanatisch. Sein Ehrgeiz war unersättlich. Überdies schrieb man ihm oder dem Gillespie Grumach, d. i. dem schielenden Mißgestalteten – unter diesem Spitznamen, der vom Schielen seiner Augen herrührte, sprach man allgemein von ihm im Hochland, wo man niemand nach Titel und Würden nennt – mehr staatsmännische Fähigkeit als Feldherrntalent zu. Er und sein Clan waren vor allem den Mac Donalds und den Mac Leans verhaßt, zwei großen Stämmen, die schon von altersher zwar einander befehdet hatten, aber stets in einem alteingesessenen Haß gegen die Campbells oder die Söhne von Diarmid, wie man sie nannte, einig waren. Die versammelten Häuptlinge verharrten eine zeitlang in Schweigen und warteten, ob einer von ihnen die Beratung eröffnen werde. Endlich ergriff der Mächtigste unter ihnen das Wort: »Wir sind hier hergeladen worden, Mac Aulay, um über wichtige Fragen des Königtums und des Staates Rat zu pflegen. Wir möchten nun wissen, wer uns über diese Fragen zunächst Bericht erstatten will.« Mac Aulay, der kein sehr gewandter Redner war, forderte Lord Menteith auf, die Eröffnungsworte zu sprechen. Der junge Lord begann in bescheidener, doch energischer Sprache. Gern hätte er es gesehen, äußerte er, wenn ein bekannterer Mann, der sich schon einen ruhmvollen Namen erworben habe, die Vorschläge dargelegt hätte, die er jetzt der Versammlung unterbreiten wolle. Da man ihn jedoch gebeten habe, das Wort zu ergreifen, so müsse er zuvörderst den versammelten Häuptlingen sagen, daß alle, die danach trachteten, sich von dem schmachvollen Joch zu befreien, das der Fanatismus ihnen aufzubürden suche, keinen Augenblick zu versäumen hätten. »Für alle königstreuen Schotten,« fuhr er fort, »ist der günstige Zeitpunkt gekommen zu beweisen, daß der Vorwurf, der gegen ihr Vaterland ausgesprochen worden ist, nur durch den selbstsüchtigen Ehrgeiz von ein paar ränkesüchtigen aufrührerischen Menschen verschuldet ist. Dazu kommt noch der Fanatismus, der von fünfhundert Kanzeln herunter wie eine Hochflut über die Niederlande von Schottland ausgegossen worden ist. Ich habe Briefe von Marquis von Huntyle aus dem Norden in Händen, die ich den einzelnen Häuptlingen zeigen werde. Dieser königstreue und mächtige Edelmann ist fest entschlossen, sich aufs energischste der allgemeinen Sache zu widmen, und ebenso ist der mächtige Graf von Seaforth dazu bereit. De gleichen festen Zusicherungen habe ich vom Grafen Airly und den Olgivies in Angusshire. Wenn diese mitsamt den Hays, Leiths, Burnets und anderen königstreuen Herren rüsten, so sind wir sicher stark genug, den Covenanters im Norden die Spitze zu bieten. »Auch im Süden des Forth und Tay hat der König viele Freunde, die, durch schwere Steuern und harte Tyrannei erbittert, nur auf den Augenblick warten, daß das Banner des Königs erhoben wird, um auf der Stelle zu den Waffen zu greifen. »Douglas, Traquair, Roxburgh und Hume, die alle der Sache des Königs ergeben sind, werden im Süden die Covenanters im Schach zu halten vermögen. Zwei Herren von hohem Namen und Rang, die aus dem Norden Englands zugegen sind, bürgen für den Eifer von Cumberland, Westmoreland und Northumberland. »Was können die Covenanters so vielen tapferen Herren entgegenstellen? Nur rohes Soldatenvolk, Hirten aus den Grafschaften des Westens, Bauern und Handwerker des Flachlandes. Im Westen des Hochlandes haben die Covenanters keinen Anhänger bis auf einen Mann, den wir alle kennen und hassen. »Ich brauche nur noch hinzuzusetzen, daß bedeutender Vorrat an Geld und Munition für das Heer zusammengebracht worden ist, daß Offiziere, die in fremden Kriegen Erfahrung und Befähigung sich angeeignet haben, geworben sind – daß ein umfangreiches Korps irischer Hilfstruppen, das uns Graf Antrim aus Ulster gesandt hat, glücklich gelandet und hierher im Anmarsch ist. »Es bleibt nun weiter nichts zu tun übrig, als daß die edlen hier versammelten Häuptlinge unter Hintansetzung aller kleinlichen Rücksichten sich mit Herz und Hand für die gute Sache zusammentun. Sie müssen das feurige Kreuz in ihren Clans kreisen lassen und soviel Anhänger als möglich zusammenscharen. Die Streitkräfte müssen so schnell vereint werden, daß der Feind keine Zeit hat, sich von dem Schrecken zu erholen und Gegenmaßregeln zu treffen. »Ich selbst zähle zwar nicht zu den reichsten und mächtigsten Edelleuten Schottlands, aber ich bin mir doch der Pflicht bewußt, die Würde eines alten ehrwürdigen Hauses zu vertreten und für die Freiheit eines alten ehrwürdigen Volkes einzustehen, und ich bin fest entschlossen, Gut und Blut für diese Sache hinzugeben. Wenn die mächtigeren unter uns hierzu gleich freudig bereit sind, wird die Dankbarkeit des Königs und der Nachwelt Ihnen gewiß sein.« Diese Rede lohnte lauter Beifall, aus dem deutlich zu ersehen war, daß alle Versammelten mit den hier ausgesprochenen Gedanken vollkommen einverstanden waren. Als der Lärm sich gelegt hatte, sahen die Häuptlinge einander an, als ob noch eine Angelegenheit zu erledigen wäre. Nachdem sie ein Weilchen sich leise untereinander besprochen hatten, ergriff ein alter Mann, der zwar nicht zu den höchsten unter den Häuptlingen zählte, aber um seines grauen Haares willen hohe Achtung genoß, das Wort zur Erwiderung auf die Rede des jungen Lords. »Thane von Menteith,« sprach er, »alle, die wir hier sind, hegen wir die gleichen Gefühle im Busen, heiß wie Feuer; doch nicht die Kraft allein erringt den Sieg in der Schlacht; der Kopf des Befehlshabers ist ebenso unentbehrlich wie der Arm des Soldaten. Ich frage Euch, wer ist der, der das Banner aufrichten und tragen soll, unter dem wir uns zusammenscharen sollen? Wo ist das königliche Patent, laut welchem die Stämme zu den Waffen gerufen werden? Wenn wir auch schlichte Hochländer sind, so sind uns doch die bestehenden Kriegsbestimmungen und die Gesetze unseres Vaterlandes nicht ganz unbekannt. Wir wollen nicht den allgemeinen Frieden Schottlands stören, außer auf ausdrücklichen Befehl unseres Königs, und nur unter der Führung eines Mannes, der sich zum Befehlshaber solcher Herren wie der hier versammelten eignet.« »Wo wäre solch ein Führer zu finden,« fiel ein anderer Häuptling ein, »er sei denn unter den Vertretern des Herrn der Inseln, bei dem durch Geburt und Abstammung das Recht wohnt, alle Clans der Hochlande unter einer Fahne zu vereinen? Und wo wäre eine solche Würde zu finden, wenn nicht unter den Mitgliedern der Familie Vich Alister More?« »Das erste laß ich gelten,« versetzte ein anderer Häuptling, »den Schluß aber nicht. Wenn Vich Alister More für den Vertreter des Herrn der Inseln gelten will, so mag er zuerst beweisen, daß sein Blut röter ist als meins.« »Das kann leicht geschehen,« rief Vich Alister More, die Hand am Degenknauf. Lord Menteith trat zwischen beide und ermahnte sie, die höheren Interessen Schottlands, die Freiheit des Vaterlandes und die Sache des Königs im Auge zu behalten, und mehrere Häuptlinge legten sich gleichfalls ins Mittel, am nachdrücklichsten der berühmte Evan Dhu. »Ich bin von meinen Seen hergekommen,« rief er, »wie ein Strom sich ins Tal ergießt, nicht um wieder umzukehren, sondern um meinen Lauf zu vollenden. Wie können wir Schottland oder dem König Karl dienen, wenn wir um unsre eignen Interessen hadern? Ich gebe meine Stimme dem General, den der König ernennt und der sicher der rechte Mann für uns und die Unsern sein wird. Von hoher Geburt muß er sein, sonst schänden wir uns, indem wir ihm gehorchen – weise und tüchtig muß er sein, sonst bringen wir unser Volk in Gefahr – der Tapferste muß er sein unter den Tapfern, sonst könnten wir die Ehre einbüßen – nur solch ein Mann kann über uns befehlen. Könnt Ihr, Thane von Menteith, uns sagen, wo ein solcher Mann wäre?« »Es gibt nur einen, und der steht hier,« rief in diesem Augenblick Allan Mac Aulay, die Hand auf Andersons Schultern legend, der hinter Lord Menteith stand. Das allgemeine Erstaunen äußerte sich in zornigem Murren – Anderson aber warf den Mantel zurück, der sein Gesicht verhüllte, trat vor und rief: »Ich hatte nicht die Absicht, als stummer Zuschauer diesem Schauspiel beizuwohnen, allerdings zwingt mein vorschneller Freund mich, mich etwas früher zu offenbaren, als ich eigentlich beabsichtigt hatte. Ob ich der Ehre würdig bin, die mir dieses Pergament erteilt, werde ich erst im Dienste des Königs beweisen können. Hier ist das Patent mit dem Staatssiegel, und laut ihm bin ich, James Graham Graf von Montrose, zum Befehlshaber der Armee ernannt, die in diesem Königreich für den Dienst Sr. Majestät gebildet wird.« Lauter Beifall ertönte. Er war der einzige, dem die stolzen Bergbewohner sich bereitwilligst unterordneten. Seine tödliche, durch Erbschaft überkommene Feindschaft mit dem Marquis von Argyle war Bürgschaft, daß er mit vollster Energie sich der Sache widmen werde, und seine Feldherrngaben, die allbekannt waren, und die oft erprobte Tapferkeit ließen von vornherein die Hoffnung zu auf ein glückliches Ende des Unternehmens. Zehntes Kapitel Nachdem der allgemeine Jubel sich gelegt hatte, verlangten alle dringend nach Ruhe, damit das königliche Patent verlesen werden könne. Die Häuptlinge hatten bisher die Mützen aufbehalten, wahrscheinlich weil keiner als erster von allen das Haupt hatte entblößen wollen; jetzt aber nahmen sie sie alle ab, um dem königlichen Handschreiben Ehre zu erweisen. Der königliche Erlaß war in klarer bestimmter Form abgefaßt und verlieh dem Grafen von Montrose die weitgehendste Vollmacht, die bewaffneten Untertanen zu sammeln zum Widerstand gegen die herrschende Rebellion, die von mehreren Verrätern am König angezettelt worden sei, um den Frieden zwischen beiden Königreichen zu zerstören. Alle dem Befehlshaber untergeordneten Personen wurden strengstens angewiesen, dem Grafen Montrose zu gehorchen und ihn zu unterstützen; er erhielt Befugnis, Befehle auszugeben, Aufrufe zu erlassen, Vergehen zu bestrafen, Verbrecher zu begnadigen, Statthalter und Unterbefehlshaber zu ernennen und abzusetzen. Als der Erlaß verlesen worden war, tat allgemeiner Zuruf die Bereitwilligkeit kund, mit der die Häuptlinge sich ihrem Oberbefehlshaber unterwarfen. Montrose begnügte sich nicht damit, ihnen im allgemeinen für so herzliche Aufnahme zu danken, er wendete sich auch an die einzelnen. Die bedeutenderen unter den Häuptlingen waren ihm schon lange persönlich bekannt – er machte sich nun auch mit den weniger bedeutenden unter ihnen bekannt, und bei diesem Geschäft der Höflichkeit prägte sich scharf der Kontrast aus zwischen seinem anmutigen Wesen, seinem ausdrucksvollen Gesicht, seinem würdevollen Benehmen und der groben unansehnlichen Kleidung, die er trug. Das Antlitz und die Gestalt des Grafen von Montrose waren von jener Art, an der man auf den ersten Blick gar nichts besonderes findet, die aber, je länger man sie ansieht, um so stärker fesselt. Er war ein wenig über Mittelgröße, sein Körper war aber schön und regelmäßig geformt und man sah ihm an, daß ihm große Kraft und zähe Ausdauer innewohnte. In der Tat besaß er eine eiserne Natur, sonst hätte er nicht die Strapazen der zahlreichen schweren Feldzüge überstehen können, in denen er dieselben Entbehrungen auf sich nahm, wie sie dem gemeinen Soldaten zufielen. Er war ein Meister in allen Leibesübungen des Friedens und des Krieges. Daher war ihm auch jene graziöse Anmut der Haltung zu eigen, an denen man alle erkennt, die ihren Leib gewohnheitsmäßig schulen und üben. Nach dem Brauch, der unter den Adligen der königstreuen Partei bestand, war sein langes braunes Haar gescheitelt und fiel in langen Locken herab. Eine Adlernase, ein großes graues Auge, das beherzt, offen und flink dreinschaute, und eine frische Farbe hoben einen Zug der Rauheit und ein wenig Unregelmäßigkeit in den unteren Partien des Gesichts wieder auf, und man hätte das Gesicht des Grafen eher hübsch als rauh nennen können. Montrose berichtete nun, wie vielen Gefahren er ausgesetzt gewesen war, ehe er sein Ziel erreicht hatte. Zuguterletzt hätte er sich gezwungen gesehen, sich zu verkleiden, um sicher durch das Flachland zu kommen, und hierbei hätte sein Verwandter Menteith ihm geholfen. Wie Allan Mac Aulay ihn erkannt habe, könne er sich nicht erklären. Wer Allans prophetische Veranlagung kannte, lächelte geheimnisvoll. Allan selber aber sagte, Graf Montrose dürfe sich nicht wundern, wenn Tausende, deren er sich nicht erinnern könne, ihn sehr wohl kannten. »Bei der Ehre eines Kavaliers,« sagte Kapitän Dalgetty, als er endlich auch einmal zu Worte kommen konnte, »ich schätze mich glücklich und bin stolz darauf, unter dem Befehl Eurer Lordschaft das Schwert zu schwingen. Ich vergesse alles Grolls und Ärgers über Herrn Mac Aulay, daß er mich gestern an den untersten Platz an der Tafel geführt hat. Heute hat er gesprochen wie einer, der seine fünf Sinne vollkommen beisammen hat, und ich bin mir klar darüber, daß er das Privilegium der Verrücktheit nicht für sich geltend machen kann. Ich habe aber nur hinter meinem zukünftigen Oberbefehlshaber zurückstehen müssen, und das War völlig gerecht. Ich begrüße daher Allan von Herzen und werde ihm ein bueno camerado sein.« Nach dieser Rede, die wenig Beachtung fand, ergriff er Allans Hand, ohne seinen Fechthandschuh auszuziehen, und schüttelte sie, Allan aber erwiderte den Gruß mit einem Druck der wie ein Schraubstock die eisernen Schuppen des Handschuhs dem Kapitän tief ins Fleisch preßte. Fast hätte er dies als eine neue Beleidigung aufgenommen, und stand noch wutschnaubend da, die zerquetschte Hand schüttelnd, als Montrose sich plötzlich an ihn wandte. »Kapitän Dalgetty,« sagte er, »die Irländer, denen Eure militärischen Erfahrungen zu gute kommen sollen, müssen in wenigen Stunden hier sein.« »Unsere Jägerburschen,« sagte Angus Mac Aulay, »die wir nach Wild ausgesandt hatten, haben von einer Schar Fremden gehört, die unter der Führung von Alister Mac Donald, den man gewöhnlich den jungen Kolkitto nennt, hierhermarschieren.« Das sind die Unsrigen,« sagte Montrose, »es müssen ihnen Boten entgegen gesandt werden, die sie führen und mit allem Nötigen versehen müssen.« »Das wird seine Schwierigkeiten haben,« versetzte Angus Mac Aulay, »wie ich höre, haben sie nur ein paar Musketen und ein wenig Munition, sonst fehlt ihnen schlechtweg alles, was Soldaten haben müssen, und vor allein Geld, Schuhwerk und Kleidung.« »Es hat gar keinen Zweck, das so laut zu sagen. Die Weber von Glasgow werden sie reichlich mit Tuch versorgen, und die gottseligen Damen sollen ihre patriotischen Gaben auch in diesem Fall herausrücken und die spißohrigen Schufte, ihre Ehemänner, den Geldbeutel ziehen.« »Und was die Waffen anbelangt,« sagte Kapitän Dalgetty, »so wäre, wenn ein alter Kavalier seine Ansicht äußern darf, mir das liebste, ein Drittel würde mit Musketen und der Rest mit Piken ausgerüstet. So kann man einer Reiterattacke stand halten und auch Infanterie durchbrechen. Piken kann aber jeder Grobschmied 106 am Tag, machen, für die Schäfte ist Holz genug da. Ferner, möchte ich behaupten–« Des Kapitäns taktische Erörterungen wurden in diesem Augenblick durch Allan Mac Aulay unterbrochen, der ihm ungestüm ins Wort fiel und ausrief: »Platz für einen unerwarteten und unliebsamen Gast.« Elftes Kapitel Die Tür öffnete sich, und ein grauhaariger hochgewachsener Mann trat ein. Sein Wesen hatte das Gepräge hoher Würde und starken Machtbewußtseins. Seine Gestalt überstieg das gewöhnliche Größenverhältnis, und seinen Blicken sah mans an, daß er gewohnt war, zu befehlen. Er warf einen strengen fast finstern Blick über die Versammlung, den die Häuptlinge höheren Ranges mit geringschätziger Gleichgiltigkeit erwiderten, während einige Herren aus dem Westen ein Gesicht schnitten, als wären sie lieber weit weg. »An welchen Herrn aus dieser Versammlung,« fragte der Fremde, »habe ich mich zu wenden, wenn ich mit dem Anführer sprechen will? Oder ist es noch nicht bestimmt, wem dieses ebenso gefährliche wie ehrenvolle Amt übertragen werden soll.« Montrose trat vor. »Wendet Euch an mich, Sir Duncan Campbell!« sagte er. »An Euch!« rief Sir Duncan Campbell und maß ihn mit verächtlichem Blick. »Ja, an mich,« war die Antwort, »den Grafen Montrose, wenn Ihr ihn noch nicht vergessen habt.« »In der Verkleidung eines Stallknechts hätte ich ihn nicht erkannt«, entgegnete Sir Duncan Campbell. »Doch hätte ich mir gleich denken können, daß nur ein so unheilvoller Einfluß wie der Eurer Lordschaft eine so voreilige Versammlung mißleiteter Männer zusammenrufen kann.« »Laßt jeden Streit beiseite, der nur uns beide angeht,« versetzte Montrose, »und entledigt Euch der Botschaft, die Euer Stammensoberhaupt Argyle durch Euch überbringen läßt, denn in seinem Namen, vermute ich, seid Ihr hier.« »Im Namen des Marquis von Argyle,« antwortete Sir Duncan, »im Namen der Konvention der schottischen Stände verlange ich zu wissen, was für einen Zweck diese merkwürdige Versammlung hat. Wenn Ihr die Absicht hegt, den Frieden des Landes zu zerstören, so habt Ihr als Nachbarn und Ehrenmänner die Pflicht, uns vorher wissen zu lassen, daß wir auf der Hut sein müssen.« »Seltsam hat sich alles in Schottland verändert,« sagte Montrose, sich von Duncan ab an die Versammlung wendend. »Schon dürfen schottische Männer von Rang nicht mehr im Hause eines gemeinsamen Freundes zusammenkommen, ohne daß die Herren, die uns regieren, einen hersenden, der untersuchen muß, was wir beginnen. Unsere Vorfahren hielten Jagden ab und versammelten sich auch zu andern Zwecken, ohne daß sie von Spionen belästigt wurden.« »So war es einst,« setzte einer der Häuptlinge aus dem Westen hinzu, »so wird es wieder sein, sobald erst die, die sich in unsern Grund und Boden eingedrängt haben, wieder zu Gutsherrn von Lochow herabgesetzt sind und sich nicht mehr über uns ausbreiten wie ein Schwarm gefräßiger Heuschrecken.« »Soll ich das so verstehen,« fragte Sir Duncan, »daß diese Rüstungen nur gegen meinen Namen gerichtet sind oder soll zugleich mit dem Haus der Diarmid die ganze Menge der friedfertigen Bewohner Schottlands leiden.« »Eine Frage,« rief ein Häuptling, der plötzlich mit wildem Blick auffuhr, »an den Ritter von Ardenvohr, ehe er in seinem tollkühnen Katechismus fortfährt: hat er mehr als ein Leben mit ins Schloß gebracht, daß er sich in dieser Weise unter uns drängt, um uns zu beleidigen?« »Edle Herren,« sagte Montrose, »ich bitte Euch, mäßigt Euch. Da Sir Duncan Campbell darauf besteht, so kann ich ihm, damit er sich danach richten kann, ja ruhig mitteilen, daß er eine Versammlung königstreuer Untertanen vor sich sieht. Diese Versammlung habe ich einberufen als Bevollmächtigter Sr. Majestät, auf Grund des mir von Allerhöchst demselben erteilten Patent.« »So haben wir den Bürgerkrieg in aller Form,« antwortete Sir Duncan Campbell;, »ich bin lange genug Soldat gewesen und sehe ihm mit Fassung entgegen. In Rücksicht auf die Ehre des Grafen Montrose hätte ich jedoch gewünscht, er hätte weniger sich von seinem eignen Ehrgeiz als von der Sorge für den Frieden des Landes leiten lassen. Es tut mir leid, einen solchen Bericht dem Marquis von Argyle bringen zu müssen. Ich habe ferner nun noch zu melden, daß der Marquis die blutigen Fehden vermeiden möchte, die ein Krieg in den Hochlanden stets mit sich bringt, und daß er einen Waffenstillstand für das Land nördlich von der Hochlandsgrenze anbietet.« »Ein Vorschlag zur Güte!« lächelte Montrose. »Wenn die Bedingungen zu einem solchen Waffenstillstand sich in einer beide Teile zufriedenstellenden Weise festsetzen ließen und wenn wir die feste Gewißheit hätten – denn das, Sir Duncan, ist vor allem erforderlich – daß Euer Marquis die Bedingungen auch hält, dann wäre es mir für mein Teil lieb, den Frieden in meinem Rücken zu lassen, da ich den Krieg vor mir hertragen muß. Ihr aber, Sir Duncan, seid für uns ein zu gewiegter Kriegsmann, als daß wir Euch gestatten können, längere Zeit in unserm Lager zu verweilen und mit anzusehen, wie es bei uns zugeht. Wir legen Euch daher nahe, wenn Ihr Euch erfrischt habt, auf schnellstem Wege nach Inverary zurückzukehren, und werden Euch von unsrer Seite einen Herrn mitgeben, der über die Bedingungen eines Waffenstillstandes im Hochland verhandeln soll, sofern es der Marquis mit diesem Vorschlag ernst meint.« Sir Duncan Campbell verneigte sich zum Zeichen seines Einverständnisses. »Mylord von Menteith,« fuhr Montrose fort, »habt die Güte, einstweilen Sir Duncan Campbell von Ardenvohr Gesellschaft zu leisten. Wer ihn auf der Rückkehr begleiten soll, werden wir sogleich bestimmen. Mac Aulay wird uns die Bitte nicht verübeln, die Herren gastfreundlich zu bewirten.« »Ich werde sofort das nötige veranlassen,« sagte Allan Mac Aulay, vortretend. »Ich liebe Sir Duncan, denn wir waren Gefährten.« »Mylord von Menteith,« sagte Sir Duncan Campbell, »Ihr seid noch jung und es tut mir leid, Euch an einer so hoffnungslosen Verschwörung teilnehmen zu sehen.« »Jung bin ich freilich,« antwortete Lord Menteith, »aber doch auch alt genug, um zwischen Recht und Unrecht, um zwischen Gesetzmäßigkeit und Verschwörung unterscheiden zu können.« »Und auch wir, mein Freund Allan Mac Aulay,« sagte Sir Duncan, ihm die Hand reichend, »müssen wir uns nun Feinde nennen, die wir oft selbander gegen einen gemeinsamen Feind gefochten haben?« Dann wandte er sich zu der Versammlung. »Lebt wohl, edle Herren,« sagte er, »es sind viele unter Euch, denen ich alles gute wünsche. Zwischen den Beweggründen, die uns leiten,« schloß er, mit einem Blick nach oben, »und den Beweggründen derer, die diesen Bürgerkrieg anstiften, möge der Himmel entscheiden!« »Amen!« rief Montrose. »Dem Gericht Gottes unterwerfen wir uns alle.« Zwölftes Kapitel Von Allan Mac Aulay und Lord Menteith geleitet, verließ Sir Duncan Campbell die Halle. »Dort geht ein Campbell, ders ehrlich meint,« sagte Montrose, als der Abgesandte hinaus war, »die andern sind alle falsch.« Und sich an Angus Mac Aulay wendend, setzte er leise hinzu: »Jetzt aber ist er das Werkzeug des Marquis und des falschesten Mannes, der je geatmet hat. Sendet ihnen Musik ins Zimmer, daß Sir Duncan nicht auf Menteith, der doch noch unerfahren ist, und auf Euern Bruder, der ein Sonderling ist, einzuwirken versucht. Wenn Musik spielt, kann er sich nicht so eingehend mit ihnen unterhalten.« »Einen Musikanten habe ich nicht,« antwortete Mac Aulay, »aber ich kann Annot Lyle mit der Harfe zu ihnen schicken.« Inzwischen wurde eifrig beraten, wem der gefährliche Auftrag erteilt werden solle, Sir Ducan nach Inverary zu folgen. Die höheren Häuptlinge, die sich für ebenbürtig mit Mac Cullum More ansahen, konnten nicht dazu erwählt werden; die andern aber bekundeten den lebhaftesten Widerwillen, nach Inverary zu gehen, ganz als wäre dieser Ort das Reich des Todes. In seiner Verlegenheit kam Montrose, der den Vorschlag eines Waffenstillstandes nur für eine Kriegslist Argyles hielt, auf den Ausweg, die gefahrvolle Würde Kapitän Dalgetty zu verleihen, da dieser weder einen Clan noch ein Besitztum in den Hochlanden hatte, gegen die Argyle seinen Groll hätte wenden können. »Aber einen Hals habe ich,« meinte Dalgetty, »und wenn er an dem Rache nimmt, was habe ich davon? Ich habe es aber schon einmal selber erlebt, daß ein ehrenwerter Gesandter einfach als Spion aufgehängt wurde. Die Römer bei Capua haben die Gesandten auch nicht viel besser behandelt, haben ihnen Hände und Nasen abgeschnitten, die Augen ausgerissen und sie dann in Frieden ziehen lassen.« »Bei meiner Ehre, Kapitän Dalgetty,« sagte Montrose, »wenn der Marquis Euch jedem Kriegsgesetz zuwider so scheußlich behandeln sollte, so steh ich Euch dafür, daß ich furchtbare Rache nehmen werde.« »Davon hat Dalgetty nachher verdammt wenig,« entgegnete der Kapitän, »aber corazon! wie der Spanier sagt. In der Hoffnung auf das gelobte Land, das heißt das Moor von Drumthwacket, mea paupera regna, wie wir auf dem Marschall-Gymnasium uns ausdrückten – will ich mich dem Auftrag Eurer Gnaden unterziehen.« »Ein tapfrer Entschluß!« sagte Montrose. »Tretet mit mir zur Seite, so will ich Euch sagen, was für Bedingungen Ihr Mac Cullum More zu stellen habt, wenn er einen Waffenstillstand für seine Besitzungen im Hochland von uns gewährt haben will.« Als Montrose dem Kapitän die nötige Unterweisung erteilt hatte, gab er ihm einen Wink, wieder vorzutreten. »Einem Offizier,« sagte er, »der unter dem großen Gustav Adolph gedient hat, brauche ich wohl nicht erst zu sagen, daß von einem Abgesandten mehr verlangt wird, als die buchstäbliche Ausführung des Auftrags und daß der General bei der Rückkehr des Abgesandten einen Bericht über die Verhältnisse beim Feinde, soweit er sich darüber hat unterrichten können, erwartet. Also, Kapitän Dalgetty seid un peu clairvoyant. Und nun lebt wohl. Wie man sagt, daß der Brief eines Frauenzimmers das wichtigste erst im Postskriptum bringt, so wünsche auch ich, daß Ihr das, was ich Euch jetzt zuletzt gesagt habe, für den wichtigsten Teil Eurer Sendung anseht.« Dalgetty ging, um sich und seinem Pferde für die Strapazen, die der ihm gewordene Auftrag im Gefolge haben mußte, Stärkung zu verschaffen. Als er sich entfernte, sagte Sir Miles Musgrave zu Angus Mac Aulay: »Der ist der Kerl danach, sich durch die ganze Welt zu schlagen.« »Das glaube ich auch«, sagte Angus. »Wenn er nur den Fingern Mac Cullum Mores ebenso leicht entschlüpft wie unsern.« »Meint Ihr denn,« fragte der Engländer, »der Marquis würde gegenüber Kapitän Dalgetty außer acht lassen, was die Gesetze des zivilisierten Krieges vorschreiben?« »Er wird sich genau so wenig drum kümmern, wie ich mich um eine Proklamation des Hochlandes kümmern würde«, antwortete Angus Mac Aulay. Dreizehntes Kapitel In einem kleinen abgesonderten Gemach wurde Sir Duncan aufs gastfreundlichste bewirtet, wobei Lord Menteith und Allan Mac Aulay ihm ehrerbietig Gesellschaft leisteten. Er unterhielt sich mit letzterem über einen Streifzug gegen die Kinder des Nebels, an dem sie beide teilgenommen hatten, denn der Ritter von Ardenuohr war ebenso wie die Mac Aulays ein unversöhnlicher Todfeind dieser Räuber. Sir Duncan war indessen bemüht, das Gespräch bald auf den Gegenstand seiner Sendung zu lenken. »Es schmerzt mich herzlichst,« sagte er, »daß Freunde und Nachbarn, die Schulter an Schulter stehen sollten, sich in gegenseitigem Zwist in eine Sache einlassen, die sie so wenig angeht. Den hochländischen Häuptlingen kann es doch ganz gleich sein, ob der König oder das Parlament die Oberhand hat.« Und er erinnerte Allan daran, daß die Art und Weise, wie im Hochland der Friede abgeschlossen worden sei, in Wirklichkeit berechnet gewesen wäre, die patriarchalische Gewalt der Häuptlinge zu beeinträchtigen. »Und dennoch,« sagte er, »hat jetzt eine so große Anzahl hochländischer Häuptlinge beschlossen, gegen ihre Nachbarn, Verbündete und alten Freunde zu Felde zu ziehen, um einem Despoten neue Gewalt zu verschaffen.« »Der Ritter von Ardenvohr,« antwortete Allan, »muß dies meinem Bruder, dem ältesten aus meines Vaters Hause, vorhalten. Ich bin freilich Angus' Bruder, aber ich bin damit nur der Erste seiner Sippschaft und habe an erster Stelle die Pflicht, seinen Befehlen unbedingt mich zu unterwerfen.« »Auch ist die Streitfrage,« mischte sich Lord Menteith ins Gespräch, »weit umfassender, als Sir Duncan Campbell zu glauben scheint; sie beschränkt sich nicht auf Sachsen oder Galen, auf Berge oder Täler, auf Hochland oder Niederland, die Frage ist, ob wir uns durch Leute, die sich unumschränkte Gewalt willkürlich angemaßt haben und in keiner Hinsicht über uns stehen, nach Gutdünken regieren lassen wollen.« »Ich will Euch nicht antworten, Mylord,« sagte Sir Duncan Campbell; »Eure Vorurteile kenne ich, weiß auch, wer sie Euch eingegeben hat. Darüber mit Euch zu reden, würde nichts fruchten. Ihr habt die Würfel selber geworfen.« Er machte eins Handbewegung, als wolle er jede weitere Erörterung abschneiden. »Nur tief betrübt,« setzte er hinzu, »bin ich über das unheilvolle Verhängnis, in das das unglückselige Ungestüm Angus Mac Aulays und Eurer Lordschaft meinen wackern Freund Allan mitsamt dem Stamme seines Vaters und noch manchen andern tapfern Mann rettungslos hineinreißt.« »Für uns alle sind die Würfel geworfen,« sagte Allan mit finstern Blicken. »Das eiserne Schicksal hat in unsre Stirn das Brandmal des Loses gegraben, das uns beschieden ist; lange vorher schon, ehe wir noch imstande sind, einen Wunsch zu bilden oder einen Finger für uns zu heben.« In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und Annot Lyle, die Harfe in der Hand, trat ins Zimmer. Sie trug heute etwas altertümliche Kleidung. Um den Hals hatte sie eine antike Silberkette geschlungen, an der der Schlüssel zu ihrem Instrument hing. Auch trug sie eine Brosche, die ihr einst Lord Menteith geschenkt hatte. Unter ihren vollen hellen Locken verschwanden fast die lachenden Augen, als sie errötend sagte, Mac Aulay habe sie gebeten anzufragen, ob die Herren ein wenig Musik wünschten. Sir Duncan Campbell betrachtete ein wenig überrascht das liebliche Wesen, dessen Eintritt sein Gespräch mit Allan unterbrochen hatte. »Ist es möglich,« fragte er leise, »daß dieses schöne und zierliche Geschöpf als Harfenspielerin zur Dienerschaft Eures Bruders zählt?« »Keineswegs,« erwiderte Allan eilig, »sie ist eine – eine nahe Verwandte und wird wie eine Adoptivtochter gehalten.« Mit diesen Worten erhob er sich von seinem Sitze und bot ihn mit einer Höflichkeit, die jeder Hochländer zeigen kann, wenn er will, dem Mädchen an. Zugleich reichte er ihr, was von Erfrischungen auf dem Tische stand. Sir Duncan hielt indes die Blicke mit einem Ausdruck tiefster Teilnahme und lebhaftesten Interesses auf Annot geheftet. Unter dem unverwandten Blick des alten Ritters ward das Mädchen fast ein wenig verlegen; und erst nach unbehaglichem Zaudern stimmte sie ihre Harfe und begann, von einem ermunternden Blick Allans und Lord Menteiths aufgefordert, eine alte schottische Ballade zu singen. Während sie sang, fiel es Lord Menteith auf, daß das Lied einen weit tieferen Eindruck auf Sir Duncan Campbell machte, als man bei seinem Charakter und Alter hätte vermuten mögen. Wohl war ihm bekannt, daß die Hochländer jener Zeit für Gesänge und Erzählungen weit empfänglicher waren als ihre Nachbarn vom Flachland; aber selbst dieser Umstand genügte nicht zur Erklärung für die Verlegenheit, mit der der alte Mann die Augen von der Sängerin abwandte, als wollte er es ihnen verwehren, solange auf einem so anziehenden Gegenstand zu haften. Die Stirn des alten Häuptlings umwölkte sich, tief senkte er die großen rauhen Augenbrauen, bis sie seinen Blick völlig verbargen, während an den Lidern etwas wie eine Träne schimmerte. Als der letzte Ton verklungen war, verharrte er noch ein paar Minuten schweigend in derselben Stellung, dann hob er den Kopf, sah Annot Lyle an, als wollte er sie anreden, besann sich aber plötzlich eines andern und schien etwas zu Allan sagen zu wollen – da öffnete sich die Tür und der Schloßherr trat herein. Vierzehntes Kapitel Angus Mac Aulay hatte sich eines Auftrags zu entledigen, der ihn in große Verlegenheit zu setzen schien. Erst nach verschiedentlichen Umschweifen brachte er es zuwege, Sir Duncan Campbell anzukündigen, daß der Ritter, der ihn begleiten sollte, zur Abreise bereit sei und daß seiner Rückkehr nach Inverary nichts mehr im Wege stände. Voller Zorn sprang Sir Duncan Campbell auf. Die Beschimpfung, die diese Eröffnung in sich schloß, hob jeden weicheren Eindruck, den die Musik gemacht haben mochte, wieder auf. »Das hätte ich nicht vermutet,« rief er, mit einem Blick des Grolls auf Angus Mac Aulay. »Nie hätte ich geglaubt, daß im westlichen Hochland ein Häuptling lebe, der unhöflich wie ein Sachse den Ritter von Ardenvohr aus seinem Schloß weisen könne, wenn die Sonne kaum über den Mittag hinaus und der zweite Becher noch nicht eingeschenkt ist. Doch gehabt Euch wohl, Herr, was ein Grobian vorsetzt, stillt nicht den Hunger. Komm ich wieder nach Darnlinvarach, so wird meine Rechte ein blankes Schwert und meine Linke einen Feuerbrand halten.« »Und wenn Ihr mir so naht,« erwiderte Angus, »so will ich Euch gebührenden Empfang bereiten und Ihr sollt Euch, brächtet Ihr auch fünfhundert Campbells mit, nicht wieder über Mangel an Gastfreundschaft in Darnlinvarach beklagen!« »Leute, denen gedroht wird,« entgegnete Sir Duncan, »leben lange. Ihr seid bekannt als Prahlhans, Mac Aulay, und Männer von Ehre achten nicht Euers großen Maules. Euch, Mylord und Allan, danke ich, daß Ihr die Stelle meines groben Wirtes vertreten habt, und Ihr, holde Maid,« und er wandte sich, an Annot Lyle, »nehmt dies zum Andenken dafür, daß Ihr einen Quell in mir neu geweckt habt, der lange Jahre versiegt war.« Mit diesen Worten ging er hinaus und gab Befehl, seine Diener zu rufen. Zornig über den Vorwurf, daß er es an Gastlichkeit habe fehlen lassen – die schwerste Kränkung, die einem Hochländer zugefügt werden kann – begleitete Angus Mac Aulay ihn nicht nach dem Hofe hinunter. Sir Duncan Campbell stieg zu Roß, seine sechs Diener saßen auf und die Kavalkade mitsamt Kapitän Dugald Dalgetty verließ das Schloß. Die Reise war lang und mühsam, doch Sir Duncan Campbell vermied die näheren, versteckten Pässe und Pfade und wandte sich mehr dem Flachlande zu, in der Richtung auf den nächsten Seehafen, wo ein paar Boote für ihn bereit lagen. In einem dieser Fahrzeuge schifften sie sich mit Dalgettys Gustavus ein, der, an Abenteuer jeder Art gewöhnt, ebenso gern zur See fuhr wie zu Lande trabte. Das Wetter war günstig und die Fahrt ging schnell von statten. Am nächsten Morgen schon wurde dem Kapitän kund getan, daß das Boot an den Mauern des Campbellschen Schlosses angelegt habe. Als der Kapitän auf Deck trat, sah er vor sich Ardenvohr – einen düstern, hohen viereckigen Turm, der auf einer Landzunge sich erhob. Nach dem Lande hin war das Schloß von einer mit Ecktürmen besetzten Mauer umschlossen. Nach der See zu stand es so dicht am Rande des Abgrunds, daß nur für eine Batterie von sieben Kanonen Platz vorhanden war. Diese sollten gegen Angriffe von der Seeseite Schutz gewähren, ihr Standort war jedoch zu hoch, als daß sie dem neuern Kriegssystem gemäß zu wirksamer Verwendung hätten kommen können. Sir Duncan Campbell befand sich schon im Schloß, und bald darauf wurde der Befehl überbracht, daß der Gesandte Montroses sich in das Schloß begeben solle. Die Entfernung zwischen der Galeere und dem Strande wurde in einem Kahn mit fünf Ruderern zurückgelegt. Sie war so kurz, daß man kaum von Bord abgestoßen war, so landete man auch schon in der kleinen Bucht, die der übliche Anlegeplatz war. Zwei der Ruderer hoben den Kapitän trotz seines Sträubens empor und setzten ihn rittlings auf den Rücken eines dritten, der mit ihm durch die Brandung watete und ihn trocken an den Strand unter dem Felsen brachte, auf dem das Schloß lag. Vor dem Felsen lag eine Art Höhle mit niedrigem Zugang und vor diesem zeigte sich jetzt Sir Duncan Campbell. Wenige Minuten später befand sich der Kapitän auf einer stockfinstern Treppe, die sich durch das Innere des Felsens wie ein Wendelgang emporschlängelte. Bald gelangten sie an eine Tür, durch die ein wenig Licht hindurchschimmerte; ein eisernes Gittertor führte hinaus auf einen sechs bis acht Meter breiten freien Gang, der aus dem Felsen geschlagen war. An der andern Seite führte ein eisernes Gitter abermals in den Felsen hinein. »Ein vortrefflicher Durchgang«, äußerte der Kapitän. »Ein Geschütz und ein paar Musketen reichen hin, den Platz hier gegen den Ansturm eines ganzen Heeres zu halten.« Als sie vor dem jenseitigen Tor standen, schlug Sir Duncan mit dem Stock an beide Seiten der Pforte, und der dumpfe Schall, den diese Schläge weckten, gab dem Kapitän kund, daß in der Tat auf jeder Seite eine Kanone stand, deren Schießscharten nur von außen nicht auffielen, weil sie durch Rosen und locker eingesetzte Steine maskiert waren. Als sie die zweite Treppe hinaufgestiegen waren, befanden sie sich abermals in einem Gange, von dessen Plattform aus auf etwa weiter vordringende Angreifer wirksames Musketenfeuer hätte eröffnet werden können. Eine dritte Treppe, die wie die andern in den Felsen geschlagen, aber nicht überdeckt war, brachte sie endlich zu der Batterie am Turme des Felsens. Auch diese letzte Treppe war schmal und steil und konnte von oben unter Feuer gehalten werden. Außerdem hätten zwei beherzte Kerle mit Piken und Äxten den Durchgang gegen Hunderte halten können. Auf der Treppe konnten nämlich nur zwei nebeneinander gehen, und vor dem tiefen Abgrund, an dessen Fuße sich die Flut donnernd brach, bot kein Geländer und kein Gitter Schutz. Kapitän Dalgetty, als alter Soldat, hatte kaum den Hof betreten, so nahm er Gott zum Zeugen dafür, daß die Verteidigungswerke des Schlosses Ardenvohr ihn aufs lebhafteste an die berühmte Festung Spandau in der Mark Brandenburg erinnerten, die er auf seinen Reisen kennen gelernt habe. Er tadelte jedoch die Art, wie die Geschütze der Batterie aufgestellt wären. Er habe immer die Erfahrung gemacht, bemerkte er, wo Kanonen wie Seemöven hoch auf einem Felsen ständen, da schreckten sie mehr durch blinden Lärm, als daß sie wirksamen Schaden anrichteten. Fünfzehntes Kapitel Sir Duncan antwortete nicht und führte den Soldaten in den Turm, der durch ein Gitter und eine eichene, mit Eisenbeschlag versehene Tür versichert war. Als der Kapitän in der mit Tapeten behangenen Halle angelangt war, setzte er seine militärische Kritik fort, die er nur unterbrach, um ein ausgezeichnetes Frühstück mit großer Gier zu verschlingen. Nachdem er so seinen Magen befriedigt hatte, durchschritt er das Zimmer und betrachtete von jedem Fenster aus das Gelände aufs angelegentlichste. Dann warf er sich wieder der Länge nach in seinen Lehnstuhl, streckte eins seiner robusten Beine aus, klatschte mit der Reitpeitsche an die hohen Stiefel, wie ein halbwegs gut erzogener Herr, der in der, Gesellschaft von Vornehmeren durch zwangloses Gebühren imponieren will, und gab dann ungefragt seine Meinung zum besten. »Euer Haus hier, Sir Duncan, ist eine kleine Festung, die sich vorzüglich verteidigen läßt; aber auf mehrere Tage sie zu halten, dürfte doch schwer fallen. Denn von dem runden Hügel dort drüben wird es, wie wir Militärtaktiker sagen, völlig beherrscht. Dort könnte ein Feind eine Batterie auffahren die Euch in 48 Stunden in Grund und Boden schießen würde.« »Es gibt keine Straße,« versetzte Sir Duncan etwas kurzab, »auf der sich Kanonen gegen Ardenvohr heranbringen ließen. Durch die Sümpfe, die rings um mein Haus her liegen, könntet nicht einmal Ihr mit Eurem Pferd, und die andern Wege sind in wenigen Stunden ganz unzugänglich gemacht.« »Sir Duncan,« erwiderte der Kapitän, »so mögt Ihr freilich ruhig denken, wir aber, die wir etwas von der Kriegstechnik verstehen, sagen, daß ein Ort, der an einer Seeküste gelegen ist, immer eine offene Seite hat. Wenn man Kanonen und Munition nicht über Land transportieren kann, so lassen sie sich auf dem Seewege in die Nähe des Platzes bringen, wo sie in Tätigkeit kommen sollen. Wenn ein Schloß noch so günstig gelegen sein mag, so darf man es doch nie für unüberwindlich oder, wie man es nennt, uneinnehmbar halten. Ich kann Euch sagen, Sir Duncan, ich habe es selber erlebt, wie fünfundzwanzig Mann durch bloße Überrumpelung und einen kühnen Handstreich mit der Pike einen Platz gestürmt haben, der ebenso fest war wie dieses Ardenvohr. Die Verteidiger, zehnmal mehr wie sie, wurden niedergemetzelt oder zu Gefangenen gemacht.« Sir Campbell war ein weltgewandter Herr, der seine inneren Regungen wohl zu verbergen verstand; dennoch merkte man es ihm an, daß diese Betrachtungen ihn verletzten. Kapitän Dalgetty trug seine Weisheit mit dem größten Ernst und ohne weitere Nebengedanken vor; denn er hatte dieses Thema sich nur gewählt, weil er sich darin hervortun und, wie man sagt, das große Messer führen konnte. Daß der Gegenstand seinem Wirt peinlich sein könnte, bedachte er nicht. »Um der Sache ein Ende zu machen,« sagte Sir Duncan in deutlich merklicher Verdrossenheit, »Ihr braucht mir nicht zu erzählen, Kapitän Dalgetty, daß ein Schloß zu erstürmen ist, wenn es nicht tapfer verteidigt wird, oder daß es zu überrumpeln ist, wenn die Mannschaft schläft. In solche Lage, hoffe ich, wird dies mein armes Haus nie geraten, selbst wenn es einmal von Kapitän Dalgetty in eigener Person belagert werden sollte.« »Nichts destoweniger,« beharrte der halsstarrige Rittmeister, »möchte ich als Freund Euch den Rat geben, auf dem runden Hügel dort eine Schanze anzubringen. Das ist eine Kleinigkeit, Ihr braucht bloß die Bauern aus der Gegend zur Arbeit heranzuholen. Der große Gustav Adolf hatte nämlich die Gewohnheit, nicht bloß mit Schwert, Pike und Muskete, sondern auch mit Spaten und Schaufel zu kämpfen. Auch möchte ich Euch ans Herz legen, diese Schanze nicht nur durch einen Graben, sondern auch durch Pallisaden –« Bei diesen Worten verließ Sir Duncan ärgerlich das Zimmer. Der Kapitän ging ihm nach bis zur Tür und fuhr mit laut erhobener Stimme fort: »Eben diese Pallisaden müßten nach allen Regeln der Kunst angelegt werden, und wenn dann der Feind – dies alte hochländische Rindvieh,« unterbrach er sich, »allesamt sind sie stolz wie die Pfauen und dickköpfig wie die Hornochsen, läßt da eine Gelegenheit aus der Hand, sein Haus zu einer famosen regelrechten Festung zu machen, an der sich eine ganze Armee die Zähne ausbrechen müßte! Doch wie ich sehe,« setzte er hinzu und sah zum Fenster hinaus nach dem Abgrund hinab, »ist Gustavus heil ans Ufer gebracht worden. Ein Prachtkerl! An dem hochgetragenen Kopf würde ich ihn aus einer ganzen Schwadron herauskennen. Ich will nachsehen, was sie mit ihm machen.« Er ging hinunter; als er aber im Hof war und die Treppe nach dem See hinabsteigen wollte, gaben ihm zwei hochländische Posten, die Streitäxte vorstreckend, deutlich zu verstehen, daß er sein Vorhaben nur mit Gefahr seines Lebens ausführen könne. »Diabolo!« murmelte der Kriegsmann. »Ich kenne die Parole nicht; von ihrem unflätigen Kauderwälsch kann ich auch nicht eine Silbe!« »Ich will Euch geleiten, Kapitän Dalgetty,« rief ihm Sir Duncan zu, der, ohne von dem Rittmeister bemerkt zu werden, zu ihm getreten war, »wir wollen zusammen nachsehen, ob Eurem Pferde an nichts fehlt.« Er führte ihn zum Strande hinunter und bog um die scharfe Ecke eines massiven Felsens, hinter dem die Ställe und Wirtschaftsgebäude verborgen lagen. Hier bemerkte Kapitän Dalgetty, daß eine von Natur tiefe, künstlich erweiterte Schlucht, die nur auf einer Zugbrücke zu überschreiten war, den Zugang vom Lande her verwehrte. Indem Sir Duncan Campbell mit triumphierender Miene auf dieses neue Verteidigungswerk hinwies, führte er den Kapitän in die Ställe, wo er sich mit seinem Gustavus nach Belieben beschäftigen konnte. Als der Rittmeister hier seiner Pflicht gegen seinen treuen Begleiter genügt hatte, machte er den Vorschlag, ins Schloß zurückzukehren. Er wolle die Zeit bis zum Essen, das, wie er annehme, um die Mittagsstunde stattfinde, benutzen, um seine Rüstung zu putzen, die von der Seeluft ein wenig gelitten hatte, so daß er vor Mac Cullum More keinen Staat damit machen könne. Auf dem Rückweg aber konnte er sich nicht enthalten, Sir Duncan Campbell abermals zu warnen, wie groß die Gefahr eines plötzlichen Überfalles sei und wie vernichtend ein solcher wirken müsse, da das Vieh und die Scheuern von jeder Verteidigung abgeschnitten werden könnten und rettungslos verloren wären. Aufs nachdrücklichste beschwor er den Schloßherrn wiederum, auf jenem runden Hügel eine Verschanzung anzulegen, und erklärte sich nochmals aufs freundschaftlichste bereit, bei dieser Arbeit Sir Duncan sachkundig an die Hand zu gehen. Sir Duncan gab auf diesen uneigennützigen Rat weiter keine Antwort, als daß er seinen Gast ins Zimmer führte und ihm mitteilte, daß die Schloßglocke zur Essenszeit läuten und ihn zu Tische rufen werde. Sechzehntes Kapitel Der tapfere Reitersmann hätte gern in seiner freien Zeit die äußere Lage des Schlosses besichtigt und seine eigenen militärischen Ideen dabei dargelegt, aber eine robuste Schildwache mit blanker Streitaxt war vor der Tür seines Gemachs aufgezogen und gab ihm in nicht mißverständlicher Weise zu wissen, daß er sich ohne jede Beeinträchtigung seiner persönlichen Ehre sozusagen als Gefangener zu betrachten habe. »Eigentümlich,« dachte der Rittmeister, »wie genau diese Barbaren die Gebräuche des Krieges kennen. Wer hätte erwarten mögen, daß ihnen der Grundsatz des großen göttlichen Gustav Adolph bekannt ist, nach welchem ein Abgesandter halb ein Bote, halb ein Spion ist?« Als er seine Rüstung geputzt hatte, setzte er sich geduldig hin und versank in allerlei Betrachtungen. Der willkommene Schall der Mittagsglocke weckte ihn aus seinem Sinnen. Der Hochländer, der ihn bisher bewacht hatte, übernahm nun die Rolle seines Kammerdieners und führte ihn in eine Halle, wo eine Tafel mit vier Gedecken beredtes Zeugnis von der Gastfreundschaft eines Hochländers ablegte. Sir Duncan Campbell trat ein, seine Gemahlin, eine große blasse Dame, die Trauer trug, am Arme führend. Hinter ihnen kam ein presbyterianischer Geistlicher mit Genfer Rock und schwarzem Seidenkäppchen, das sein Haar völlig bedeckte und seine Ohren unverhältnismäßig groß hervortreten ließ. Sir Duncan stellte seinen militärischen Gast vor. Die Dame verneigte sich steif und schweigend – ob sie aus Stolz oder aus Trauer nichts sprach, ließ sich schwer sagen. Der Geistliche musterte den Kriegsmann halb mit Abscheu, halb mit Neugierde. An schlimmere Blicke gefährlicherer Menschen gewöhnt, kümmerte der Kapitän sich nicht weiter um die Dame und den Geistlichen und trachtete mit ganzer Seele danach, sich über ein gewaltiges Stück Rindfleisch herzumachen, das am Ende der Tafel dampfte. Aber er mußte sich bis zum Schluß eines schier endlosen Tischgebets vertrösten, indem er nach jedem Absatz von neuem Messer und Gabel zur Hand nahm, um sie unwillig wieder wegzulegen, wenn der zungenfertige Kaplan mit einem neuen Abschnitt seines Segens anhub. Das Mahl verlief unter karthäuserhaftem Schweigen. Kapitän Dalgetty hatte freilich sowieso nicht die Gewohnheit, sich aufs Sprechen zu verlegen, wenn es für den Mund vorteilhaftere Arbeit gab. Sir Duncan sprach nicht ein Wort. Die Dame und der Geistliche unterhielten sich nur ab und zu ein Weilchen, leise und unverständlich. Als aber die Schüsseln abgetragen worden waren, hatte Dalgetty nicht mehr so gewichtige Gründe zum Schweigen, und es fing ihm an, langweilig zu werden. Er fing daher an, seinem Wirt nochmals mit seinen vorherigen Ideen zuzusetzen. »Was den runden Hügel dort anbelangt,« begann er, »so möchte ich gern noch ein Wort reden mit Sir Duncan, wie die Schanze dort anzulegen wäre, ob die Winkel stumpf oder spitz sein sollten – ich habe nämlich über diesen Punkt einmal eine sehr gelehrte Besprechung zwischen dem Feldmarschall Banér und General Tiefenbach mit angehört.« »Kapitän Dalgetty,« versetzte Sir Duncan trocken, »in den Hochlanden pflegt man über militärische Dinge nicht mit Fremden zu Rate zu gehen. Dieses Schloß kann sich gegen eine stärkere Macht verteidigen, als selbst die Unglückseligen, die wir in Darlinvarach verlassen haben, dawider aufbringen können.« Nach diesen Worten ihres Gatten seufzte die Dame tief auf, wie erinnert an einen schmerzlichen Vorfall. »Der Herr hats gegeben,« sagte der Geistliche in salbungsvollem Tone zu ihr, »der Herr hats genommen, möget Ihr, geehrte Frau, noch lange loben können: gesegnet sei sein Name!« Zur Antwort auf diese Mahnung, die ihr allein zu gelten schien, neigte die Dame demütig das Haupt. »Kapitän Dalgetty,« setzte Sir Duncan hinzu, »ich muß Euch mitteilen, daß ich heute Nacht noch, mehreres zu erledigen habe, damit ich morgen mit Euch nach Inverary reiten kann. Deshalb –« »Morgen wollt Ihr mit diesem Manne reisen!« rief die Dame dazwischen. »Das kann Euer Ernst nicht sein! Habt Ihr denn vergessen, Sir Duncan, daß morgen ein trauriger Tag ist, der einer traurigen Feier geweiht ist.« »Das hatte ich nicht vergessen«, versetzte Sir Duncan. »Wie wäre das möglich? Indessen drängt die Zeit und ich muß diesen Mann nach Inverary schicken.« »Aber Ihr wollt ihn doch nicht selber begleiten?« fragte die Dame. »Das wird besser sein«, antwortete Sir Duncan. »Ich kann ihm aber auch einen Brief an den Marquis von Argyle mitgeben. Mit diesem Schreiben, Kapitän, werdet Ihr Euch dann morgen nach Inverary begeben.« »Sir Duncan Campbell,« erwiderte der Rittmeister, »darüber könnt Ihr verfügen, wie Ihr wollt.« »Ihr steht unter dem sichern Geleit meiner Ehre, Kapitän,« sagte Sir Duncan Campbell; »und nun muß ich das Zeichen zum Aufbruch geben.« Dalgetty blieb nichts weiter übrig, als diesem Winke Folge zu leisten, obgleich es noch früh am Tage war. Als geschickter Feldherr gebrauchte er jedoch noch einen kleinen Vorwand, den Aufbruch zu verzögern, indem er noch einmal seinen Becher füllte und ausrief: »Ich baue auf Euer Ehrenwort, Sir Duncan, und trinke auf Euer Gesundheit und auf das Gedeihen Euers edlen Hauses!« Sir Duncan antwortete nur mit einem Seufzer. »Ich trinke ferner,« fuhr der Kriegsmann fort, in größter Eile den Becher wiederum füllend, »edle Frau, auf Euer Wohlergehen und mögen alle Eure tugendhaften Wünsche in Erfüllung gehen, – und Ehrwürden, ich fülle diesen Becher,« er säumte nicht, den Worten die Tat folgen zu lassen – »um alles Unbehagen zwischen Euch und Kapitän Dalgetty zu ertränken – ich wollte sagen, Major Dalgetty – und da in dieser Flasche gerade noch ein letzter Becher ist, trinke ich zum Schluß auf das Wohl aller ehrenwerten Kavaliere und tapfern Soldaten. Und nun ist die Bouteille leer, Sir Duncan, und ich bin bereit, mich von Eurer Schildwache in mein Schlafgemach führen zu lassen.« Er erhielt die förmliche Erlaubnis zu gehen, und die Versicherung, daß ein zweiter Krug desselben Tropfens sogleich auf sein Zimmer geschickt werde. Da der Wein ihm sehr zu munden scheine, möge er sich die Einsamkeit damit versüßen. Siebzehntes Kapitel Der Kapitän war kaum in seinem Zimmer angelangt, als in der Tat auch schon die Erfüllung dieser Zusage folgte. Kurz darauf kam noch eine Pastete von Rotwild und ließ ihn darüber hinwegsehen, daß er eingeschlossen, und jeglicher Gesellschaft entzogen sei. Derselbe Diener, der diese Leckereien ins Zimmer gebracht hatte übergab ihm auch eine Rolle, die, nach damaliger Sitte versiegelt und mit silberner Schnur umwunden, ein mit vielen förmlichen Wendungen der Ehrerbietung abgefaßtes Schreiben an den hohen und mächtigen Fürsten Archibald, Marquis von Argyle, Lord Lorne usw, enthielt. Gleichzeitig benachrichtigte der Diener den Kapitän, daß er am kommenden Morgen in aller Frühe die Reise nach Inverary anzutreten habe. Der Rittmeister ließ nicht außer Acht, daß er nicht bloß Gesandter war, sondern auch Erkundigungen einzuziehen hatte. Er wollte nun erfahren, aus welchem Grunde ihn Sir Duncan nicht persönlich begleite. Mit aller ihm durch seine Erfahrung gegebenen Geschicklichkeit fragte er nun, weshalb Sir Duncan auf seinem Schlosse zurückbleiben müsse. Der Bediente, der, vom Flachland stammte, antwortete, Sir Duncan und seine Frau pflegten diesen Tag in Fasten und Beten zu begehen, er sei der Jahrestag, an welchem das Schloß von einer Bande hochländischer Räuber Überfällen und ihre Kinder, vier an der Zahl, getötet worden seien. Sir Duncan sei zu jener Zeit beim Marquis von Argyle gewesen auf einem Kriegszug gegen die Mac Leans auf der Insel Mull. »Meiner Treu,« sagte der Kriegsmann, »da hat Eure Herrschaft wahrlich Ursache zu beten und zu fasten. Dennoch behaupte ich nach wie vor, er muß eine Schanze auf dem Hügel dort anlegen. Er sollte nur auf den Rat eines erfahrenen Soldaten hören, der in, allen möglichen Methoden, wie ein Platz, vorteilhaft befestigt werden kann, Geschicklichkeit besitzt. Das kann ich Euch ganz einfach ad oculos demonstrieren, mein ehrlicher Freund, nehmen wir an, diese Pastete sei das Schloß – wie ist Euer Name, Freund?« »Lorimer, Herr,« war die Antwort. »Euer Wohlsein, Lorimer! – positus, wie gesagt, Lorimer, diese Pastete wäre das Schloß, das heißt der Platz darin, auf dem die Verteidigung zu konzentrieren wäre, und positus, dieser Markknochen wäre die Schanze, die als vorgeschobenes Schutzwerk errichtet werden soll –« »Zu meinem Leidwesen,« unterbrach ihn der Diener höflich, »kann ich nicht hier bleiben und Euch zuhören, denn es wird gleich läuten, da hält Seine Ehrwürden, Herr Graneangowl, der Kaplan des Schloßherrn, den Familiengottesdienst und es darf niemand fehlen. Hier sind Pfeifen und Tabak, wenn Ihr rauchen wollt. Wenn Ihr sonst etwas braucht, so bin ich in zwei Stunden wieder hier, sobald die Andacht vorüber ist.« Mit diesen Worten eilte er hinaus. Am andern Morgen in der Frühe wurde Kapitän Dalgetty geweckt. Als er sein reichliches Frühstück verzehrt hatte, wurde ihm mitgeteilt, daß Führer und Pferde bereit ständen. Der Soldat begab sich ohne weiteren Verzug zu seinem Pferde. Während er die Halle durchschritt, bemerkte er, daß die Diener emsig damit beschäftigt waren, die Wände mit schwarzem Tuch zu beschlagen – die gleiche Feierlichkeit, meinte er, habe er schon einmal im Schlosse zu Wolgast gesehen, als der Leichnam des unsterblichen Gustav Adolf auf dem Paradebette gelegen habe; sie sei in seinen Augen das sicherste Zeichen für strengste und tiefste Trauer. Als Dalgetty zu Pferde gestiegen war, sah er sich begleitet oder wohl vielmehr bewacht von fünf bis sechs wohlausgerüsteten Campbells. Der Führer war allem Anschein nach ein höherer Stammesgenosse, nach der Feder auf seiner Mütze und seinem würdevollen Benehmen zu schließen. Der Kapitän ritt, und seine Begleiter gingen zu Fuß. Aber sie waren so flink auf den Beinen und die Hindernisse für eine Reise zu Pferde bei der Geländebeschaffenheit dieses Landstriches so erheblich, daß der Kapitän, statt durch sie aufgehalten zu werden, vielmehr seine Not hatte, mit ihnen mitzukommen. Es fiel ihm auf, daß sie ihm ab und zu forschende Blicke zuwarfen, als wollten sie jeden Fluchtversuch vereiteln. Als sie über einen Bach setzten und er ein Stück zurückblieb, machte sofort einer der Burschen seine Flinte fertig und gab ihm zu verstehen, daß, wenn er sich von ihnen zu trennen versuchte, er es auf eigene Gefahr täte. Daß er so scharf bewacht wurde, ließ Dalgetty nichts gutes ahnen. Es blieb ihm jetzt aber nichts weiter übrig als zu folgen; denn es wäre Wahnsinn gewesen, in einem unwegsamen und obendrein ihm unbekannten Lande einen Fluchtversuch zu machen. Geduldig ritt er daher durch eine wüste, wilde Ödenei auf Pfaden, die nur die Viehhirten kannten, und jene erhabenen Gebirgslandschaften, nach denen jetzt aus allen Ecken und Enden Englands Reisende herbeiströmen, bereiteten ihm weit mehr Unbehagen als Genuß. Endlich erreichten sie den Südrand des Sees, an dem Inverary liegt. Der Führer des Zuges stieß ins Horn, daß Felsen und Wälder widerhallten, und auf dieses Signal hin kam aus einer Bucht, in der sie verborgen gelegen hatte, eine Galeere hervor, die die ganze Gesellschaft, den wackern Gustavus mit, an Bord nahm. Auf der Fahrt über das Loch Fine hätte Kapitän Dalgetty eins der herrlichsten Naturbilder betrachten können. Er hätte die Ströme Aray und Shiray, die den See speisen, bewundern können, wie sie aus den dunkeln Wäldern hervorbrechen. Auf dem vom Ufer sanft ansteigenden Hange hätte er das in edler Gotik erbaute Schloß sehen können, das mit all seinen Zinnen, Türmchen und Höfen einen malerischen imposanten Eindruck macht, wie ihn jetzt keines der massiven regelmäßigen Wohnhäuser mehr machen kann. Sein Auge hätte sich laben können an den finstern Wäldern, die meilenweit die fürstliche Wohnstätte umgaben; sein Blick hätte rasten können auf dem pittoresken Gipfel des Duniquoich, der schroff aus dem See aufsteigt und sein kahles Haupt bis in die Wolken reckt. All dies und manche andere reizvolle Zutat der schönen Landschaft hätte Kapitän Dalgetty bewundern können, wenn er Sinn dafür gehabt hätte. Wenn wir jedoch bei der Wahrheit bleiben wollen, so wurde das Interesse des Kapitäns, der seit dem Morgen keinen Bissen mehr genossen hatte, vor allem durch den Rauch gefesselt, der aus dem Kamin des Schlosses quoll und in ihm die Zuversicht erweckte, daß er eine genügende Menge »Proviant« vorfinden werde, wie er alles Eßbare nannte. Das Boot näherte sich dem Damme, der sich von der kleinen Stadt Inverary in den See erstreckte. Damals war die Stadt nur ein unansehnliches Beieinander von Hütten und einigen Steinhäusern vom Ufer bis zum Schloßtor. Vor diesem Tor bot sich jetzt ein Anblick, bei dem selbst dem Ritter Dugald Dalgetty von Drumthwacket, der doch gewiß ziemlich feste Organe im Leibe hatte, das Herz sank und der Magen sich umdrehte. Achtzehntes Kapitel Auf dem Markte, einem unregelmäßigen freien Raum zwischen dem Damm und dem finstern Schloßtor, das mit seiner Wölbung, seinem Fallgitter und seinen Türmen die Aussicht versperrte, stand ein rohgezimmerter Galgen, an dem fünf Leichname hingen, von denen zwei, nach der Kleidung zu urteilen, aus dem Flachlande gewesen zu sein schienen. Unter dem Galgen saßen ein paar Weiber, die den Gerichteten die Totenlieder sangen. Offenbar war dies ein gewohnter Anblick, denn die Einwohner schienen sich gar nicht darum zu kümmern. Vielmehr drängten sie sich herbei, die kriegerische Gestalt, das große Pferd und die gleißende Rüstung des Kapitäns zu betrachten. Der Abgesandte des Grafen von Montrose blieb jedoch dem grausigen Schauspiel gegenüber nicht so gleichgültig, und als er einen Hochländer ein paar Worte in englischer Sprache reden hörte, hielt er seinen Gustavus an und wandte sich an diesen Mann mit der Frage: »Hier hat der Henker seines Amtes gewaltet. Darf ich Euch fragen, weshalb diese armen Schächer hingerichtet worden sind?« Er sah nach dem Galgen, und der Mann, der die Frage mehr durch die Gebärde als in den Worten begriff, antwortete:. »Drei Räuber, Herr, Gott sei ihnen gnädig –« und, er bekreuzte sich – »und zwei sächsische Schufte, die Mac Cullum Mores Befehle nicht befolgt haben.« Dalgetty zuckte die Achseln und ritt weiter. Am Schloßtor selbst bot sich ein zweites abschreckendes Schauspiel feudaler Willkür. Im Innern einer Umzäunung, die zur weiteren Befestigung des Tores erst vor kurzem errichtet zu sein schien und durch zwei Geschütze besetzt war, stand ein großer Block, auf dem ein Beil lag. Block und Beil zeigten frische Blutspuren, auch frisch gestreute Sägespäne deuteten darauf hin, daß hier vor kurzem eine Hinrichtung stattgefunden hatte. Als Dalgetty noch auf diesen neuen Gegenstand des Grausens sah, zupfte ihn der Führer seiner Begleitmannschaft am Saume und deutete auf einen Pfahl der Umzäunung, auf welchem ein Kopf steckte, ohne Zweifel der des eben hingerichteten Mannes. Der Hochländer schnitt ein schadenfrohes Gesicht, als er auf dieses gräßliche Bild wies, in welchem sein Reisegefährte keine gute Vorbedeutung zu erblicken vermochte. Vorm Tore stieg Dalgetty vom Pferde und mußte, ohne daß er sich seiner Gewohnheit gemäß um Gustavus hätte kümmern können, seinem Führer in eine von bewaffneten Hochländern angefüllte Wachtstube folgen. Man gab ihm zu verstehen, daß er hier bleiben müsse, bis er dem Marquis gemeldet worden sei. Der wackere Kapitän überreichte seinem Führer die Rolle Sir Duncans und machte ihm durch Zeichen begreiflich, daß er diese Papiere in die Hände des Marquis persönlich legen müsse. Der Mann nickte und ging. Der Kapitän hatte etwa eine halbe Stunde gewartet, von den teils neugierigen teils feindseligen Blicken der Wachtmannschaft gemustert, die er mit Gleichgültigkeit erwiderte – da trat ein in schwarzem Sammet gekleideter und mit goldener Kette gezierter Mann – der Haushofmeister des Marquis von Argyle – herein und forderte mit feierlichem Ernst den Kapitän auf, ihm zu seinem Gebieter zu folgen. Beide durchschritten eine Reihe von Zimmern, in denen es von Bediensteten wimmelte. Vielleicht war es prunkende Absicht, daß diese dort aufgestellt waren. Der Gesandte des Grafen Montrose sollte vielleicht einen Begriff bekommen von der überlegenen Macht des feindlichen Hauses Argyle. In einem Vorzimmer stand ein Spalier von Lakaien, die in Braun und Gelb, die Farben des Fürstengeschlechtes, gekleidet waren und Kapitän Dalgetty schweigend anstarrten, als er zwischen ihnen hindurch schritt. In einer andern Antichambre saßen hochländische Herren und Häuptlinge kleinerer Sippschaften herum beim Schach oder Tricktrackspiel. Kaum hoben sie den Blick von ihrem Zeitvertreib, den Fremdling neugierig anzuschauen. In einem dritten Vorsaal standen Herren und Offiziere des Flachlandes, die ebenfalls dem Marquis dienstbar zu sein schienen. Und dieser selbst war in seinem Empfangszimmer ebenfalls wieder umgeben von einer Schar hoher Herren zum aufdringlichen Zeichen seiner hohen Wichtigkeit. Dieses Zimmer, dessen Flügeltüren für Kapitän Dalgetty geöffnet wurden, war ein langes mit Tapeten behangenes und mit Familienbildern geschmücktes Gemach, über dem sich eine hölzerne Decke wölbte, mit Schnitzwerk verziert. Namentlich zeigten die Balken wunderbare Kerbarbeit und prachtvolle Vergoldung. Das Licht fiel herein durch lange, lanzettförmige Fenster in gotischem Stil. Die Scheiben zeigten Glasmalereien, und die Sonnenstrahlen brachen sich hier in Eberköpfen, Schiffsbildern, Schwertern und Wappen des hohen Hauses. Am obern Ende des Prunkzimmers stand der Marquis selber – der Mittelpunkt eines glänzenden Cercle von reichgekleideten Herren des Hoch- und Flachlandes, unter denen sich auch einige geistliche Würdenträger befanden. Der Marquis hatte die Tracht jener Zeit, wie sie Van Dyk so oft gemalt hat. Sein Anzug war dunkel und monoton, eher kostbar als prunkvoll. Die dunkle Gesichtsfarbe, die hochgewölbte Stirn und der gesenkte Blick ließen in ihm einen Mann erkennen, der sich oft mit wichtigen Fragen befaßt und dem ein geheimnisvoller Ernst zur Manier geworden ist, die er auch bei Anlässen, wo gar nichts zu verheimlichen ist, nicht mehr ablegen kann. Er schielte, und daher rührte der Spitzname Gillespie Grumach, wie er im Hochland allgemein genannt wurde – doch fiel dies weniger auf, wenn er den Blick niederschlug. Daher kam es vielleicht, daß er es sich angewöhnt hatte, stets die Augen zu senken. Seine Gestalt war lang und hager, doch fehlte seinem Äußern nicht die Würde, die sein hoher Rang verlangte. Bisweilen hatte seine Redeweise etwas kaltes und sein Blick etwas unheimliches, wenngleich er im übrigen ebenso gefällig sprechen und sich ebenso graziös benehmen konnte, wie es gewöhnlich Männern von hohem Stande zu eigen ist. Seine Sippschaft vergötterte ihn, da es stets sein Bestreben war, seinen Clan in die Höhe zu bringen. Ebenso bitter wurde er von den Hochländern anderer Clans gehaßt; da er mehrere schon um ihre Besitzungen gebracht hatte und andre sich durch seine Zukunftspläne für gefährdet hielten. Alle aber waren von Besorgnis erfüllt, daß er sich auf eine so hohe Stufe der Machtvollkommenheit geschwungen hatte. Wie schon erwähnt, hatte Marquis von Argyle dem Kapitän Dalgetty vielleicht damit imponieren wollen, daß er sich vor ihm im vollen Gefolge seiner Räte, Vasallen, Untertanen und dienstbaren Geister zeigte. Dieser wackere Herr aber hatte schon mehrfach in einem Lager sich mit dem Schwert einen Weg gebahnt, im dreißigjährigen Krieg in Deutschland, zu einer Zeit also, wo ein Soldat, der tapfer war und Glück hatte, im beständigen Umgang mit fürstlichen Personen lebte. Kapitän Dalgetty konnte sich rühmen, mit Fürsten an einem Tische gezecht zu haben, an Banketten teilgenommen zu haben, die zu Ehren von Königen veranstaltet worden waren. Er war nicht der Mann, sich durch den Pomp imponieren oder gar einschüchtern zu lassen, mit dem Mac Cullum More sich geflissentlich umgeben hatte. Er war von Charakter keineswegs bescheiden und hatte eine so hohe Meinung von sich, daß jede Gesellschaft, in die der Zufall ihn geraten ließ, umsomehr seinen eignen Dünkel steigerte, je vornehmer sie war. In der höchsten Gesellschaft fühlte er sich ebenso zu Hause wie unter seinesgleichen. Daß er vom Soldatenhandwerk, das, nach seiner eignen Ausdrucksweise, jeden tapfern Kavalier zum Kameraden eines Kaisers machte, einen so hohen Begriff hatte, war nur dazu angetan, den Stolz auf seinen Rang noch beträchtlich zu erhöhen. Neunzehntes Kapitel Als Kapitän Dalgetty in das Audienzzimmer eingelassen wurde, schritt er weniger mit Anstand als voll Selbstbewußtsein geradeswegs durch alle Anwesenden hindurch und wäre ohne Umstände direkt bis zu dem Marquis hingegangen, wenn dieser ihm nicht durch eine Handbewegung bedeutet hätte, stehen zu bleiben. Kapitän Dalgetty hielt daher inne, grüßte militärisch und voller Ungezwungenheit und redete den Marquis mit folgenden Worten an: »Wünsche Euch, Mylord, einen guten Morgen, oder vielmehr, sollte ich sagen, einen guten Abend und beso a usted los manos, wie der Spanier sagt, das heißt, küß die Hand Euer Gnaden.« »Wer seid Ihr, Herr, und was wollt Ihr?« unterbrach ihn der Marquis in einem Tone, der den Soldaten wegen seiner dreisten Vertraulichkeit zurechtweisen zu sollen schien. »Das ist eine runde Frage, Mylord,« erwiderte Dalgetty, »die ich a tempo beantworten werde und zwar peremtorie, wie wir auf dem Marschall-Gymnasium zu sagen pflegten.« »Neal, wandte der Marquis sich finster an einen der neben ihm stehenden Herren, »seht nach, wer und was er ist.« »Ich will dem ehrenwerten Herrn die Mühe des Nachsehens sparen,« fuhr der Kapitän fort; »ich bin Kapitän Dugald Dalgetty von Drumthwacket – das heißt, von rechtswegen gehört dieses Gut mir zu – bin seit kurzem Rittmeister unter mehreren Feldherrn gewesen und jetzt Major, ich weiß nicht, in welchem irischen Regiment oder unter welchem Oberst. Ich bin als Bevollmächtigter wegen eines Waffenstillstandes abgesandt von einem hohen und mächtigen Herrn, nämlich dem Grafen James von Montrose, der eine Schar von edlen Männern für Seine Majestät versammelt hat. Und somit: Gott schütze König Karl!« »Wißt Ihr, wo Ihr seid, Herr, und wie gefährlich es ist, uns herauszufordern?« herrschte der Marquis ihn an. »Ihr gabt mir eine Antwort, als sei ich ein Kind oder ein Narr. Der Graf von Montrose ist bei der Partei der Mißvergnügten und Ränkestifter, und in Euch vermute ich einen jener irischen Renegaten, die zu uns gekommen sind, um zu brennen und zu morden, wie einst unter Sir Phelim O'Neale.« »Mylord,« versetzte Kapitän Dalgetty, »ich bin kein irischer Renegat, wenn ich auch Major in einem irischen Regiment bin. Eure Beschuldigung weise ich von mir und berufe mich auf den unbesieglichen Gustav Adolf, den Löwen des Nordens, auf Baner und Oxenstierna, auf den kriegerischen Herzog von Sachsen-Weimar, auf Tilly, Wallenstein, Piccolomini und andre große Feldherren, lebende und tote. Was den edlen Grafen von Montrose betrifft, so ersuche ich Euer Lordschaft, dieses Dokument zu lesen, das mich bevollmächtigt, im Namen dieses hohen Befehlshabers mit Euch Unterhandlung zu führen.« Der Marquis warf einen verächtlichen Blick auf das unterfertigte und gesiegelte Pergament, das Kapitän Dalgetty ihm reichte, warf es mit geringschätziger Gebärde auf einen Tisch und fragte die Umstehenden, was ein Mann verdiene, der sich selbst zum Abgesandten eines Verräters am Staate, eines Empörers, bekenne. »Einen langen Galgen und eine kurze Beichte!« antwortete sogleich einer der Anwesenden. »Dem ehrenwerten Herrn, der eben gesprochen hat,« sagte Dalgetty, »lege ich es nahe, weniger vorschnell Entschlüsse zu fassen. Was die Frage anbetrifft, ob dieser Vorschlag anzunehmen sei, so rate ich Eurer Lordschaft zur größten Vorsicht; denn solche Drohungen darf man nur gegen gemeines Gesindel aussprechen, nicht aber gegen Männer von Mut und Tatkraft, die, ob sie nun zum Dienst des Unterhändlers herangezogen werden, oder bei Angriffen, Belagerungen und Schlachten mitfechten, in gleich unbedenklicher Weise ihr Leben aufs Spiel setzen müssen. Ich habe freilich keinen Trompeter mit weißer Fahne bei mir, aber die ehrenwerten Kavaliere und Eure Lordschaft müssen mir doch zugeben, daß die Unantastbarkeit eines Parlamentärs nicht in einem Trompetenstoß, der doch ein bloßer Schall ist, und auch nicht in einer weißen Fahne liegt, die doch weiter nichts als ein alter Lappen ist, sondern daß sie beruht auf der Zuversicht der Absendenden und des Abgesandten in die Ehre derer, denen die Sendung gilt, und in dem festen Vertrauen, daß das Jus gentium oder Völkerrecht in der Person des Beauftragten heilig gehalten werde.« »Ihr seid nicht hierher gekommen,« versetzte der Marquis, »uns eine Vorlesung zu halten über das Gesetz des Krieges, das auf Rebellen und Aufständische überhaupt keine Anwendung findet, sondern Ihr seid hierher gekommen, um die Strafe zu erleiden für die Unverschämtheit und Torheit, mit einer verräterischen Botschaft vor den höchsten Würdenträger Schottlands zu treten, dessen Würde es ihm zur Pflicht macht, eine solche Beleidigung mit dem Tode zu strafen.« Die Wendung, die jetzt seine Sendung zu nehmen drohte, wurde dem Kapitän unbehaglich. »Meine Herren,« entgegnete er, »ich bitte Euch, bedenken zu wollen, daß für jede Tätlichkeit gegen mich oder auch nur gegen mein Pferd vom Grafen von Montrose an Euch und Euern Besitzungen empfindliche Rache und Vergeltung geübt werden wird. Außerdem bitte ich zu bedenken, daß mir ein sehr ehrenwerter Mann Euers Stammes, Sir Duncan Campbell von Ardenvohr, sein Ehrenwort dafür gegeben hat, daß mir kein Leid zugefügt werden soll, und wenn Ihr Euch an mit vergreift, so fällt die Schmach auf seine Ehre und auf seinen guten Namen.« Die Herren umringten den Marquis und besprachen sich leise mit ihm. Kurz darauf verließ der Marquis den Kreis und gab Befehl, den Kapitän einstweilen in sichern Gewahrsam zu bringen. »Was? Ich wäre Gefangener!« rief Kapitän Dalgetty. Zwei Hochländer hatten sich dicht an seinem Rücken aufgestellt, und er hätte sie bald über den Haufen geschlagen, so wuchtig fuchtelte er um sich. Aber sie griffen ihn und waren zu stark, als daß er sie hätte abschütteln können. Die Waffen wurden ihm abgenommen, und er wurde fortgeschleppt. Sie führten ihn durch mehrere finstere Gänge nach einer kleinen, mit eisernem Gitter versehenen Tür, hinter der sich eine zweite Pforte von Holz befand. Ein alter grimmer Hochländer mit langem weißen Bart schloß ihnen auf. Eine schmale steile Treppe, die hinunter führte, tat sich auf. Die Männer, die den Kapitän führten, stießen ihn ein paar Stufen hinunter und ließen dann seine Arme los. Er war allein und mußte sich den Weg die Treppe hinuntersuchen, so gut es ging – eine schwierige und sogar gefährliche Arbeit, denn die beiden Türen waren geschlossen worden und tiefe Finsternis umgab den Gefangenen. Zwanzigstes Kapitel Auf solche Weise des Lichts beraubt und in so gefahrvolle Lage versetzt, tastete sich Kapitän Dalgetty mit möglichster Vorsicht die enge schadhafte Treppe hinunter. So vorsichtig er aber auch dabei verfuhr, machte er zuguterletzt doch einen Fehltritt und nahm daher die letzten vier bis fünf Stufen in zu großer Eile, als daß er sich im Gleichgewicht hätte halten können. Auf dem Boden stolperte er über eine weiche Masse, die sich mit Stöhnen bewegte. Dadurch geriet der Kapitän noch mehr ins Straucheln, stürzte nach vorn und fiel nun, mit Händen und Knien auf den Boden eines feuchten, mit Steinen gepflasterten Kerkers. Als Dalgetty sich erholt hatte, war es sein erstes, daß er sich an den Klumpen wendete, über den er gestolpert war. »Was ist das hier?« fragte er. »Vor einem Mond noch war es ein Mensch,« antwortete eine tonlose Stimme. »Und was ist es jetzt?« fragte Dalgetty. »Rollt sich da auf der untersten Stufe zusammen wie ein Igel, daß ehrbare Kavaliere, die zufällig in solche Not geraten sind, über ihn fallen und sich die Nase brechen.« »Was es jetzt ist?« erwiderte die Stimme. »Ein elender Stamm, dem die Zweige abgehauen sind und dem es einerlei ist, wie bald man ihn ausreißt, um ihn zu Brennholz für den Ofen zu zerhacken.« »Guter Freund,« sagte Dalgetty, »es tut mir leid um Euch, aber paciencia, sagt der Spanier. Hättet Ihr Euch so ruhig und regungslos verhalten wie ein Holzklotz – da Ihr Euch einmal selber so nennt – so wären mir ein paar Schürfungen an Händen und Knien erspart geblieben.« »Ihr seid ein Kriegsmann,« antwortete der Mitgefangene, »und klagt über einen Fall, um den ein Knabe nicht das Maul auftun würde.« »Wie könnt Ihr in dieser verfluchten finstern Höhle erkennen, daß ich ein Soldat bin?« fragte der Rittmeister. »Ich habe Eure Rüstung klirren hören, wie Ihr fielt, und jetzt sehe ich sie schimmern. Wenn Ihr erst so lange wie ich in dieser Dunkelheit seid, wird Euer Auge die kleinste Eidechse erkennen, die über den Boden schlüpft.« »Eher wünschte ich, der Teufel risse es mir aus!« rief Dalgetty. »Ehe ich solchem Schicksal verfiele, nähme ich lieber den kurzen Strick, spräche ein kurzes Soldatengebet und machte den Todessprung von der Leiter herunter. Aber, mein Bruder in der Not, was für Proviant habt Ihr – das heißt, was habt Ihr zu essen da?« »Ich kriege einmal am Tage Brot und Wasser,« war die Antwort. »Ich bitte Euch, Freund, laßt mich Euer Brot kosten,« sagte Dalgetty, »wir werden hoffentlich gute Kameraden sein, solange wir in diesem verfluchten Loche zusammen hausen.« »Das Brot und der Krug,« entgegnete der andere Gefangene, »stehen zwei Schritte rechts von Euch, genießt davon und seid willkommen. Ich habe fast nichts mehr mit irdischer Nahrung zu tun.« Dalgetty ließ sich das nicht zweimal sagen, er holte sich tastend seinen »Proviant« und biß ebenso herzhaft in das harte schwarze Haferbrot, wie wir ihn bessere Gerichte haben vertilgen sehen. Bald war er fertig mit dem Proviant, den ihm sein Leidensgenosse aus Erbarmen oder in seiner Gleichgiltigkeit überlassen hatte. Dann hüllte er sich in seinen Mantel, setzte sich in eine Ecke des Kerkers und begann seinen Mitgefangenen auszufragen. »Mein ehrlicher Freund,« sagte er, »da wir jetzt Kameraden von Tisch und Bett sind, so müssen wir uns näher kennen lernen. Ich bin Dugald Dalgetty von Drumthwacket, Major in einem Regiment königstreuer Engländer und außerordentlicher Gesandter des hohen und mächtigen Grafen James von Montrose – bitte, sagt mir nun Euern Namen.« »Es kann Euch nichts dran liegen, den zu erfahren,« versetzte sein wortkarger Gefährte. »Das ist meine Sache,« antwortete der Soldat. »Nun denn, Ranald Mac Eagh heiße ich – Ranald, Sohn des Nebels.« »Sohn des Nebels!« rief Dalgetty, »Sohn gänzlicher Finsternis sage ich. Aber, Ranald – da Ihr einmal so heißt – wie seid Ihr hierher geraten?« »Durch mein Unglück und mein Verbrechen,« antwortete Ranald. »Kennt Ihr den Ritter von Ardenvohr?« »Den ehrenwerten Herrn kenne ich wohl,« erwiderte Dalgetty. »Wißt Ihr, wo er jetzt ist?« fragte Ranald weiter. »Er hält heute ein Fasten in Ardenvohr,« antwortete der Gesandte, »damit er sichs morgen in Inverary ordentlich wohl sein lassen kann. Sollte er zufällig daran verhindert sein, so dürfte es ein wenig unbestimmt sein, ob ich hinfüro noch auf Erden Kriegsdienste tun werde.« »Gebt ihm zu wissen, daß ihn jemand um Vermittlung bittet, der zugleich sein schlimmster Feind und bester Freund ist.« »Da möchte ich ihm doch lieber eine weniger unverständliche Botschaft bringen. Sir Duncan ist kein Freund von Rätseln.« »Feigherziger Sachse,« sagte der Gefangene, »so verkünde ihm, ich sei der Rabe, der vor fünfzehn Jahren auf seinen festen Turm und die Pfänder seiner Liebe, die er dort zurückgelassen hatte, hinabgestoßen ist – ich sei der Jäger, der in die Höhle des Wolfes auf den Felsen hinaufkletterte und seine Jungen mordete – denn ich bin der Führer der Bande, die gestern vor fünfzehn Jahren Ardenvohr überrumpelt und die vier Kinder des Schloßherrn getötet hat.« »Wahrlich, ehrlicher Freund,« sagte Dalgetty, »wenn Ihr keine bessere Empfehlung bei Sir Duncan habt, so möchte ich über diesen Umstand lieber hinweggehen, falls ich ein Wort für Euch einlege. Aber sagt mir, bitte, habt Ihr das Schloß angegriffen von jenem kleinen runden Hügel aus, der meiner Überzeugung nach für die Offensive wie geschaffen ist, sofern er nicht durch eine Schanze verteidigt wird?« »Auf Leitern aus Weidenruten sind wir hinaufgestiegen,« antwortete der Gefangene; »ein Mitschuldiger und Stammesgenosse hat sie hinaufgezogen. Ein halbes Jahr hatte der im Schlosse gedient, um sich diese eine Nacht vollgiltiger Rache zu verschaffen. Als wir zwischen Himmel und Erde schwebten, schrie die Eule. Die Brandung donnerte am Fuße des Felsens, daß unser Kahn zerschellte. Noch nicht einem von uns sank der Mut. Und wo am Morgen Ruhe und Freude gewesen war, da war am Abend Blut und Asche.« »Ohne Zweifel, Ranald Mac Eagh, war das ein famoser Überfall, ein vortrefflicher Sturmangriff – ich aber hätte das Schloß von dem kleinen Hügel aus attackiert. Eure Kriegsführung ist die regellose Manier der Scythen und ähnelt der Art und Weise, wie es die Türken, Tataren und andere Völker Asiens machen – aber was hattet Ihr für Grund zu diesem Streifzug, Ranald?« »Die Mac Aulays und andere Stämme des Westens bedrängten uns, bis wir in unsern Besitzungen nicht mehr des Lebens sicher waren. Sir Duncan ist wider uns gezogen. Mein Bruder ist erschlagen worden, sein Kopf ist verdorrt auf den Zinnen, die wir erklettert haben – da schwur ich Rache – und noch immer habe ich einen solchen Schwur gehalten.« »Das mag wohl sein,« sagte Kapitän Dalgetty, »und jeder Soldat, der eine gute Schule durchgemacht hat, weiß, wie süß Rache schmeckt. Daß aber Sir Duncan sich dadurch veranlaßt fühlen soll, für Euch als Vermittler aufzutreten, will mir nicht recht einleuchten, höchstens wird er sich dafür verwenden, daß Ihr, statt an den Galgen zu kommen, gerädert werdet. Ich an Eurer Stelle, Ranald, täte, als ob ich Sir Duncan nicht kennte, bewahrte mein Geheimnis und ließe mich hängen, wie es Eure Vorfahren gewöhnt waren.« »Hört mich weiter an, Fremdling,« fuhr der Hochländer fort. »Sir Duncan hatte vier Kinder, drei sind unter unsern Messern verblutet, das vierte lebt; er würde mehr drum geben, dieses vierte noch lebende Kind auf seinen Knien zu schaukeln, als diese alten Knochen aufs Rad zu flechten. Ich brauchte nur ein Wort zu sprechen, und dieser Tag des Fastens und der Trauer würde zu einem Fest des Dankes. Das fühle ich im eignen Herzen selber. Mein Sohn Kenneth, der den Schmetterling jagt an den Ufern des Avon, ist mir teurer, als die zehn Söhne, die in der Erde modern oder in der Luft von den Vögeln zerfleischt werden.« »Ich glaube, Ranald,« unterbrach ihn Dalgetty, »die drei hübschen Burschen, die ich auf dem Marktplatz wie Räucherheringe habe hängen sehen, sind verwandt mit Euch.« Nach kurzem Schweigen rief der Hochländer im Tone wildesten Grimmes: »Meine Söhne waren es, Fremdling – meine Söhne! – Blut von meinem Blut – Fleisch von meinem Fleisch! – flinkfüßig – treffsicher – nie besiegt von einem Feinde, bis die Söhne von Diarmid sie durch Übermacht bezwangen. Weshalb ich wünsche, sie zu überleben? Ich will meinen Sohn Kenneth zur Rache erziehen. Der junge Adler soll von dem alten lernen, auf seine Feinde herabzuschießen. Um seinetwillen will ich Leben und Freiheit erkaufen, indem ich dem Ritter von Ardenvohr mein Geheimnis enthülle.« »Den Zweck könnt Ihr leichter erreichen,« fiel eine dritte Stimme ein, sich ins Gespräch mischend, »wenn Ihr mir vertraut.« Einundzwanzigstes Kapitel Die Hochländer sind alle abergläubisch. Mac Eagh sprang sogleich empor mit dem Rufe: »Der böse Feind ist unter uns.« Seine Ketten klirrten laut, als er sich erhob und soweit wie möglich von dem Platz, von wo die Stimme klang, sich entfernte. Seine Furcht wirkte ansteckend auf Kapitän Dalgetty, der in einem Mischmasch mehrerer Sprachen alle Geisterbeschwörungen, die er je vernommen hatte, ohne jedoch von irgend einem mehr als zwei bis drei Worte zu kennen, sprudelnd herausstieß. »In nomine Domini, wie wir im Marschall-Gymnasium sagten – santissima madre de Dios, wie der Spanier sagt – alle guten Geister loben den Herrn –« »Unterlaßt Eure beschwörenden Formeln,« unterbrach ihn die Stimme; »ich trete zwar auf etwas absonderliche Manier unter Euch, bin aber ein sterblicher Mensch wie Ihr, und mein Beistand kann Euch in Eurer Not vonnutzen sein, wenn Ihr nicht zu stolz seid, Rat anzunehmen.« Mit diesen Worten schlug er die Klappen einer kleinen Blendlaterne zurück, und bei ihrem schwachen Licht erkannte Dalgetty, daß der Mann, der so geheimnisvoll unter sie getreten war, die Livree eines Lakaien des Marquis trug. Er fragte ihn sogleich, auf welche Weise er zu ihnen gekommen sei. »Das ist mein Geheimnis,« entgegnete der Fremde, »das ich Euch gern verrate, wenn Ihr mich in einige von Euern Geheimnissen einweiht. Vielleicht bin ich dann bereit, Euch da hinauszulassen, wo ich hereingekommen bin.« »Dann seid Ihr wenigstens nicht durchs Schlüsselloch gekommen,« sagte Dalgetty, »denn da würde ich mit dem Harnisch stecken bleiben. Ich selber aber habe keine Geheimnisse, und von andern auch nur wenige. Aber sagt uns doch, was für Geheimnisse Ihr von uns wissen wollt.« »Mit Euch habe ich vorderhand noch nicht zu reden,« entgegnete der Fremde und ließ den Schein seiner Laterne auf die wilden welken Züge des Hochländers fallen, der sich dicht an die Mauer des Kerkers drückte, als bezweifle er noch, daß sein Gast ein lebendiges Wesen sei. Der Fremde fuhr in sanfterm Tone fort: »Ich habe Euch etwas Besseres zu essen mitgebracht. Wenn Ihr morgen sterben müßt, so liegt kein Grund vor, weshalb Ihrs Euch nicht heute abend noch einmal wohl sein lassen sollt.« »Solch einen Grund gibts überhaupt nicht aus der Welt,« rief Dalgetty, der nicht säumte, den Inhalt eines kleinen Korbes auszupacken, den der Fremde unter seinem Mantel hervorlangte, indes der Hochländer aus Mißtrauen oder aus Verachtung die Leckerbissen unbeachtet ließ. »Euer Wohlsein, Freund!« rief der Kapitän, der eben einen Bissen Lammbraten verschlungen hatte und jetzt einen Zug aus der Weinflasche tat. »Wie heißt Ihr, guter Freund?« »Murdoch Campbell, Herr,« versetzte der Diener, »ich bin Lakai beim Herzog von Argyle und muß ab und zu den Gefängniswärter, vertreten.« »Nochmals Eure Gesundheit, Murdoch!« wiederholte der Kapitän. »Ihr habt gezeigt, daß Ihr ehrliche Leute im Unglück besser zu behandeln versteht als Euer Herr. Hol ihn der Satan! Brot und Wasser? Das hätte genügt, das Loch des Marquis für immer um allen Kredit zu bringen. Doch ich sehe, Ihr wollt mit meinem Freunde Ranald Mac Gagh reden. Tut, als wäre ich nicht da, ich werde mich still mit dem Korbe in die Ecke dort setzen.« Dabei lauschte der Veteran aber mit großer Aufmerksamkeit und hörte nun folgendes Gespräch mit an: »Wißt Ihr, Sohn des Nebels,« sagte Campbell, »daß Ihr diesen Ort nur verlassen werdet, um zum Galgen geführt zu werden?« »Die mir die liebsten waren,« antwortete Mac Eagh, »sind vor mir dieses Weges gegangen.« »Ihr wollt nichts tun, um vor diesem Gange bewahrt zu bleiben?« Der Gefangene wand sich in seinen Ketten, dann antwortete er: »Viel würde ich tun,« sagte er, »nicht um meines Lebens willen, sondern für das Pfand meiner Liebe im Tale von Strath-Avon.« »Und was würdet Ihr tun, die bittere Stunde von Euch abzuwenden?« fragte Murdoch. »Was ein Mensch tun kann, so daß er sich nachher noch Mann nennen kann.« »Mensch nennt Ihr Euch,« sagte der Lakai, »und tatet doch die Greuel eines Wolfes.« »So nenne ich mich,« rief der Verbrecher. »Ich bin ein Mensch wie meine Ahnen. Wir waren in den Mantel des Friedens gehüllt und Lämmer – er ward uns entrissen, da nennt Ihr uns Wölfe. Gebt uns die Hütten, die Ihr uns verbrannt habt – die Kinder, die Ihr uns gemordet habt – die Witwen, die ihr des Hungers habt sterben lassen – nehmt vom Galgen und vom Pfahl die zerfleischten Leichen und gebleichten Schädel unserer Angehörigen – ruft sie ins Leben zurück, daß sie uns segnen, dann wollen wir Euch Vasallen und Brüder sein – bis dahin aber soll Tod, Blut und Untat den dunkeln Schleier breiten zwischen uns beiden!« »So wollt Ihr nichts tun für Eure Freiheit?« fragte Murdoch. »Um Euch in Freiheit zu setzen, will ich nur von Euch wissen, wo die Tochter und Erbin des Ritters von Ardenvohr zu finden ist. Sie ist unser eigen Blut und keine Fremde, und wer besäße ein so gutes Recht, zu erfahren, was aus ihr geworden ist, als Mac Cullum More, das Oberhaupt ihres Stammes?« »So fragt Ihr mich in seinem Namen?« fragte der Verbrecher. Der Bediente des Marquis bejahte. »Und Ihr wollt dem Mädchen kein Leid zufügen?« »Kein Leid, beim Worte eines Christen.« »Und zum Lohn schenkt Ihr mir Leben und Freiheit?« »Das ist ausgemacht.« »So wisse,« sagte der Sohn des Nebels, »das Kind, das ich selber aus Erbarmen rettete, als wir seines Vaters Feste zerstörten, ist als Adoptivtochter unseres Stammes aufgezogen worden, bis wir am Paß von Ballenduthil von dem Teufel in Menschengestalt und unserm Todfeinde, Allan Mac Aulay mit der blutigen Hand, und den Reitern aus Lennox unter Menteiths Erben niedergemetzelt wurden.« »Fiel sie in die Gewalt Allans mit der blutigen Hand, der sie für eine Tochter Euers Stammes hielt? So hat ihr Blut seinen Dolch gefärbt!« rief Murdoch. »Sie lebt,« entgegnete Ranald Mac Eagh. »Im Schlosse von Darlinvarach lebt sie unter dem Namen Annot Lyle. Es ist noch nicht lange her, daß meine alten Augen sie gesehen haben.« »Ihr!« rief Murdoch erstaunt. »Ihr, ein Häuptling der Kinder des Nebels habt Euch so nahe zu Euerm Todfeinde gewagt?« »Noch mehr habe ich getan, Sohn von Diarmid,« antwortete der Räuber. »Als Harfner war ich in dem Schlosse; und mit meinem Dolch wollt ich ihn erstechen, den Allan mit der blutigen Hand, vor dem unser Geschlecht bebt. Doch als meine Hand eben nach dem Messer griff, sah ich Annot Lyle, und sie sang zur Harfe ein Lied der Kinder des Nebels, das sie bei uns gelernt hatte. Da ließ meine Hand den Dolch fahren, die Augen gingen mir über, und dahin war die Stunde der Rache. Und nun, Sohn von Diarmid, habe ich das Lösegeld für mein Haupt gezahlt?« »Ja,« erwiderte Murdoch, »wenn es wahr ist, was Ihr sagt. Was für Beweise habt Ihr dafür?« ».Himmel und Erde seien meine Zeugen,« rief der Räuber, »schon sucht er nach einem Vorwand, daß er sein Wort nicht zu halten braucht!« »Das Versprechen soll Euch gehalten werden,« fuhr Murdoch fort, »wenn ich mich von der Wahrheit Eurer Worte überzeugt habe. Jetzt aber muß ich ein paar Worte mit Euerm Gefährten wechseln.« »Schöne Worte und lauter Falschheit!« rief der Gefangene und warf sich wieder auf den Boden seines Kerkers. Zweiundzwanzigstes Kapitel Kein Wort dieses Gespräches war dem Kapitän entgangen, der seine eigenen Bemerkungen daran knüpfte. »Mag er nur kommen,« schloß er bei sich selber; »er wird lange manöverieren können, ehe er einen alten Soldaten in die Flanke faßt.« »Ihr seid ein Weltbürger, Kapitän Dalgetty,« redete Murdoch Campbell ihn an. »Sicherlich kennt Ihr das Sprichwort: Wie du mir, so ich dir, das bei allen Nationen und Armeen gilt. Ein Mann von Euerm vorurteilsfreien Geist wird mich verstehen, wenn ich meine Meinung dahin äußere, daß Eure Freiheit davon abhängt, ob Ihr der Wahrheit gemäß und in möglichster Ausführlichkeit Antwort geben wollt auf ein paar unbedeutende Fragen betreffs der Herren, von denen Ihr kommt, nämlich wie sie gerüstet haben, wie viele sie sind und was sie für Entschlüsse gefaßt haben.« »Wohl nur um Eure Neugierde zu stillen, zu keinem andern Zweck,« sagte Dalgetty. »Zu keinem andern Zweck«, entgegnete Murdoch. »Wie sollte ein armer Teufel wie ich sich für die Maßnahmen dieser Leute interessieren?« »So stellt nur Eure Fragen,« sagte der Kapitän, »ich will sie peremtorie beantworten.« »Wie viel Irländer sind unterwegs, um zu dem Verräter James Graham zu stoßen?« »Wohl gegen 10 000,« antwortete Dalgetty. »Zehntausend!« rief Murdoch erzürnt; »wir wissen, daß kaum 2000 in Ardnamurchan gelandet sind.« »So wißt Ihrs besser,« versetzte Dalgetty mit größter Seelenruhe. »Wie viel Mann aus den hochländischen Clans erwartet man?« »So viel man irgend auftreiben kann,« antwortete der Kapitän. »Ihr gebt keine Antwort, wie sie auf die Frage gehört,« sagte Murdoch. »Sprecht deutlich! Wird man 5000 Mann aufbringen?« »Ungefähr so und so viel,« erwiderte der Kapitän. »Ihr spielt mit Euerm Leben, Herr, so Ihr meiner spottet!« rief Murdoch Campbell. »Ein Pfiff von mir, und in ein paar Minuten hängt Euer Kopf an der Zugbrücke! Wenn Ihr aber aufrichtige Antworten auf meine Fragen gebt, so will ich Euch aufnehmen in meinen Dienst – in den Dienst Mac Cullum Mores.« »Gibts guten Sold?« fragte der Kapitän. »Der Eure soll verdoppelt werden, wenn Ihr zu Montrose zurückkehrt und dort im Interesse des Marquis tätig seid.« »Und ist der Marquis von Argyle – positus, ich wäre, willens, bei ihm in Dienst zu treten – ist er ein gütiges Herr?« fragte Dalgetty. »Es hat noch keinen gütigeren Herrn gegeben,« war die Antwort. »Und ist er spendabel gegen seine Offiziere?« »Er hat die offenste Hand in ganz Schottland.« »Hält er, was er verspricht?« »So gewissenhaft, wie je ein Edelmann.« »So viel Gutes habe ich noch nie von ihm gehört,« sagte Dalgetty, »Ihr müßt den Marquis sehr genau kennen – oder vielmehr! Ihr müßt der Marquis selber sein! Lord von Argyle« – und er warf sich plötzlich auf den verkleideten Edelmann – »im Namen des Königs Karl, Ihr seid mein Gefangener! So bald Ihr Hilfe schreit, dreh' ich Euch den Hals um.« Er warf den Marquis zu Boden und hielt ihn fest, während er mit der Rechten ihn am Halse packte, bereit, ihn auf der Stelle zu erdrosseln. »Jetzt bin ich es, der die Kapitulationsbedingungen festsetzt,«, rief er, »wenn Ihr mir den geheimen Gang zeigt, auf dem Ihr hergekommen seid, so will ich Euch das Leben schenken, und Ihr könnt hier bleiben, bis Euer Gefangenenwärter kommt. Wo nicht, so erdroßle ich Euch erst und suche mir dann selber meinen Weg.« »Schont mein Leben, und ich will tun, was Ihr verlangt,« murmelte Argyle. Dalgetty behielt die Faust an der Kehle des Marquis; wenn er eine Frage stellte, drückte er ein wenig fester zu, und wenn der Marquis antworten sollte, ließ er ein wenig locker. »Wo ist die geheime Tür, die hierher führt?« »Haltet die Laterne an die Ecke rechts neben Euch, so seht Ihr das Eisen, unter dem die Feder versteckt ist.« »Das stimmt. Wohin führt der Gang?« »Nach meinem Kabinett.« »Wie kann ich von dort zum Tor kommen?« »Durch die Halle, die Vorsäle, die Wachtstube –« »Alle voll von Soldaten, Posten und Dienern? Das paßt mir nicht, Mylord. Habt Ihr keinen geheimen Gang nach dem Tore? – in Deutschland habe ich so etwas gesehen.« »Ein geheimer Gang führt nach der Kapelle.« »Was ist die Parole, nach der am Tor gefragt wird?« »Das Schwert Levis,« antwortete der Marquis. »Wenn Ihr aber Euch auf mein Ehrenwort verlassen wollt, so will ich Euch sicher durch die Wachen geleiten und Euch einen Paß mitgeben, der Euch volle Freiheit gibt.« »Gern würde ich Euch trauen, Mylord, wenn nicht Euer Hals schon vom Druck meiner Finger schwarz wäre. Einen Paß könnt Ihr mir aber trotzdem geben – Ihr habt doch Schreibzeug in Euerm Bureau?« »Gewiß, auch fertige Pässe, in die nur der Name einzuschreiben und die Unterschrift einzufügen ist. Ich gehe gleich mit Euch dorthin.« »Zuviel Ehre für mich,« antwortete Dalgetty. »Euere Lordschaft wird hier bleiben, und mein ehrlicher Freund Ranald Mac Eagh wird Euch bewachen. Ihr seht, Ranald, wie die Sachen stehen. Es wird mir sicher gelingen, Euch in Freiheit zu setzen, nur tut, was Ihr mich tun seht. Haltet die Hand unter der Halskrause fest auf der Gurgel dieses hohen und mächtigen Fürsten, und sobald er sich losreißen oder schreien will, so drückt stark zu. Wenn er dabei ohnmächtig wird, so schadet das gar nichts, er hat Eurer Kehle eine noch weit niederträchtigere Behandlung zugedacht.« Nachdem Dalgetty den edlen Herrn in der Hand seines neuen Spießgesellen zurückgelassen hatte, drückte er auf die Feder, und die geheime Tür tat sich auf ohne das geringste Geräusch. An der Außenseite waren starke Riegel und Eisenstangen angebracht, daneben hingen ein paar Schlüssel, mit denen jedenfalls die Fesseln gelöst wurden. Eine Treppe führte, wie der Marquis angegeben hatte, nach seinem Kabinett. Der Kapitän überzeugte sich erst davon, daß die Luft rein war und trat dann ein, nahm vom Schreibtisch ein paar Paßformulare nebst Tinte und Feder, steckte einen Dolch des Marquis zu sich, nahm von den Fenstervorhängen eine seidene Schnur mit und stieg wieder hinunter. An der Tür horchte er und vernahm wie der Marquis mit halberstickter Stimme dem Gefangenen hohe Belohnung versprach, wenn er ihm erlauben wolle, das Signal zum Alarm zu geben. »Nicht um einen Wald voller Rotwild,« versetzte der Räuber, »nicht um alles Land, das je ein Sohn von Diarmid sein eigen nannte, breche ich das Wort, das ich dem Mann mit dem eisernen Kleide gegeben habe.« »Der Mann mit dem eisernen Kleide,« sagte Dalgetty eintretend, »ist Euch dankbar, Mac Eagh. Nun aber soll dieser edle Lord in den Paß hier die Namen des Majors Dugald Dalgetty und seines Gefährten einschreiben, sonst will ich ihm auf der Stelle einen Paß in die bessere Welt ausstellen.« Beim Schein der Blendlaterne schrieb der Marquis seinen Namen und was der Soldat ihm aufgetragen hatte. »Und jetzig Ranald,« fuhr Dalgetty fort, »lege deinen Kittel ab – ich meine deinen Hochländermantel. Damit will ich Mac Cullum More vermummen und auf kurze Zeit zu einem Sohn des Nebels machen – nur ruhig, Mylord, ich muß Euch den Mantel so um den Kopf wickeln, daß Ihr uns durch Euer Geschrei, das hier gar nicht am Platze wäre, keinen Schaden zufügen könnt. So, nun seid Ihr hinreichend geknebelt. Die Hände laßt unten, sonst beim Himmel! Euern eignen Dolch stoß ich Euch ins Herz. – Ja, ja, mit nichts geringerm als Seide sollt Ihr gefesselt werden, ganz Euerm Stande entsprechend. So, nun seid Ihr unschädlich, bis jemand kommt und Euch erlöst. Wann kam gewöhnlich der Wärter, guter Ranald?« »Erst wenn die Sonne in der Flut im Westen versunken war.« »Dann haben wir drei Stunden Zeit, Freund,« sagte der Kapitän. »Die wollen wir uns zu nutze machen.« Nun untersuchte er Ranalds Fesseln und löste sie durch einen der hinter der Tür hängenden Schlüssel. Der Räuber reckte die Arme und sprang vom Boden des Kerkers auf, entzückt über die wiedererlangte Freiheit. »Zieh die Livree des edeln Gefangenen an,« sagte Dalgetty, »und folge mir auf den Fersen.« Der Räuber gehorchte. Sie riegelten die Tür hinter sich zu, stiegen die geheime Treppe hinauf und gelangten in das Kabinett des Marquis. Dreiundzwanzigstes Kapitel »Sucht Ihr den geheimen Gang, der in die Kapelle führt, Ranald,« sagte der Kapitän. »Ich will inzwischen in aller Eile die Sachen hier untersuchen.« Mit diesen Worten ergriff er mit der einen Hand einen Stoß geheime Akten, mit der andern eine Börse voll Gold. Beides lag in einer Schublade eines prachtvollen Schrankes, die in einladender Weise offen stand. »Ein ehrenwerter Kavallier,« sagte er, die Sachen zu sich steckend, »muß dafür sorgen, daß er Kundschaft und Beute mitbringt; eins für seinen General, eins für sich selber. Dieser Degen und die Pistolen sind weit besser als meine, und ein guter Tausch ist kein Raub – aber sachte, sachte, Ranald, weiser Mann des Nebels, was tust du?« Es war hohe Zeit, Ranald Einhalt zu tun; denn da dieser den geheimen Gang nicht gleich finden konnte, hatte er die Geduld verloren, Schwert und Schild von der Wand genommen und wollte eben frischweg in die Halle hineinrennen, um sich mit der Waffe in der Hand einen Weg durch die Bewaffneten zu bahnen. Kapitän Dalgetty suchte nun selber nach dem geheimen Gange und fand schließlich hinter der Tapete eine Tür, die nach einer Wendeltreppe führte. Am Ende dieser Treppe lag abermals eine Tür, die ohne Zweifel in die Kapelle mündete. Allein das Erstaunen Dalgettys war nicht gering, als er jenseits der Tür die dahlende Stimme eines predigenden Pfaffen vernahm. Er öffnete mit größter Vorsicht die Tür, die in die vergitterte Loge führte, welche für den Marquis persönlich bestimmt war und deren Vorhänge dicht geschlossen waren. Sie war völlig leer, und er riegelte die Tür hinter sich ab. Als die Predigt beendet war, entfernte sich die Dienerschaft mit großer Eile, allein der Geistliche blieb zurück und schritt in seiner Kapelle auf und ab. Kapitän Dalgetty wußte sich trotz seiner Verwegenheit im ersten Augenblick keinen Rat. Die Zeit drängte jedoch, denn es war nicht ausgeschlossen, daß der Gefängniswärter schon vor der üblichen Stunde den Kerker revidieren und die vorgenommene Veränderung entdecken könnte. Er flüsterte Ranald zu, ihm ruhig und gefaßt zu folgen, und stieg kurz entschlossen in die Kapelle hinab. Ein weniger erfahrener Abenteurer hätte den Versuch gemacht, schnell an dem Prediger vorbeizukommen, ohne gesehen zu werden. Dalgetty war sich aber sofort klar, daß dieser Versuch mißlingen und ihn in große Gefahr bringen könne; er trat daher würdevoll dem Kaplan entgegen, entblößte das Haupt und wollte nach diesem Gruße weitergehen, als er zu seiner Verblüffung in dem Geistlichen denselben erkannte, mit dem er auf Schloß Ardenvohr zu Mittag gespeist hatte. Er faßte sich jedoch schnell ein Herz, gewann seine Kaltblütigkeit wieder und redete den Geistlichen an, so daß dieser selber gar nicht erst zu Worte kam. »Ich hätte es nicht übers Herz gebracht« sagte er, »dieses Haus zu verlassen, ohne Euch, Ehrwürden, für Eure Predigt demutsvollen Dank auszusprechen. Nun, mein Herr, möchte ich Euch noch einen guten Abend wünschen; denn ich muß weg, mit einem Paß Mac Cullum Mores versehen.« »Kann ich einem so gottesfürchtigen Kriegsmann einen Dienst erweisen?« fragte der Prediger. »Das schon,« antwortete der Kapitän, »zeigt mir doch den nächsten Weg zum Tor, und wenn Ihr so gut sein wollt,« setzte er dreist hinzu, »schickt einen Diener nach meinem Pferde, dem großen braunen Wallach. Er soll ihn nur Gustav rufen, da spitzt mein Fuchs schon die Ohren – ich weiß nämlich nicht, wo der Stall liegt, und mein Geleitsmann –« dabei blickte er auf Ranald – »ist der englischen Sprache nicht mächtig.« »Ihr geht am besten durch diesen Durchgang,« wies der Geistliche ihn zurecht. »Euern Auftrag will ich sogleich erfüllen.« Wirklich wurde Dalgettys Pferd herbeigebracht, während er noch dem Posten an der Zugbrücke den Paß zeigte und die Parole nannte. An jedem andern Platze hätte das unvermutete Auftreten des öffentlich verhafteten Kapitäns Verdacht erregt, hier aber war man so sehr an die geheimnisvolle Politik des Marquis von Argyle gewöhnt, daß man in dem Glauben, der Kriegsmann habe einen geheimen Auftrag erhalten, nur nach Paß und Losung fragte und ihn frei hindurch ließ. Vierundzwanzigstes Kapitel Durch die Stadt Inverary ritt Dalgetty langsam, während der Räuber als Diener zu Fuß dicht hinter ihm drein schritt. Als sie an dem Galgen vorbeischritten, sah der Greis nach den Leichen und rang die Hände. Im Vorübergehen flüsterte er einer der Frauen, die die Toten bewachten und beweinten, ein rasches Wort zu. Das Weib hob beim Klang der Stimme den Kopf, faßte sich aber sogleich und nickte zur Antwort nur unmerklich mit dem Kopfe. Außerhalb der Stadt ging Dalgetty im Weiterreiten mit sich zu Rate, ob er ein Boot mieten und über den See fahren solle, oder ob es vorteilhafter wäre, sich in die Wälder zu schlagen. Zu Wasser war er jeden Augenblick der Verfolgung durch die Galeeren des Marquis ausgesetzt, die zur Abfahrt bereit lagen. Aber auch die wüsten und bekannten Wildnisse der Wälder kamen ihm wenig geheuer vor. Die Stadt hatte er hinter sich, aber er erkannte schon jetzt, daß er mit der Flucht aus dem Kerker – so gefahrvoll sie auch gewesen war – erst den leichtesten Teil einer schweren Aufgabe gelöst hatte. Wenn er wieder in Gefangenschaft geriet, so war sein Schicksal besiegelt. Daß er sich an einem so mächtigen und rachsüchtigen Manne tätlich vergriffen hatte, hätte er unwiderruflich durch augenblicklichen Tod büßen müssen. Während er solchen Betrachtungen nachhing, fragte ihn Mac Eagh plötzlich, welchen Weg er einschlagen wolle. »Darauf kann ich Euch keine Antwort geben, ehrlicher Kamerad,« antwortete Dalgetty. »Könnt Ihr mich sicher durch dieses Gebirge zum Heer des Grafen Montrose zurückführen?« »Das kann ich,« erwiderte der Sohn des Nebels. »Niemand kennt die Pässe, Höhlen, Täler und Schluchten besser als ein Sohn des Nebels. Alle Bluthunde Argyles können die Gebirgsfesten nicht finden, durch die ich Euch geleiten kann.« Er führte den Kapitän in den Wald, der sich rings mehrere Meilen weit um das Schloß ausdehnte. Dabei schritt er so schnell aus, daß Dalgetty Trab reiten mußte, und schlug so viele Kreuz- und Querwege ein, daß der Reiter bald keine Ahnung mehr hatte, wo er sich befinden könne. Endlich brach der Pfad in dichtem Unterholz ganz ab. Ein Gießbach rauschte in der Nähe, und der sumpfige rissige Boden machte das Reiten ganz unmöglich. Ranald Mac Eagh gab einen leisen Pfiff von sich, und es erschien ein Knabe, der halb nackt und dürftig in kariertes Zeug gehüllt war. Kopf und Gesicht waren durch nichts vor Sonne und Wetter geschützt als durch eine Mähne struppigen Haares, die von einem Lederriemen zusammengehalten wurde. Der Junge war mager und, wie es schien, halb verhungert. Seine Augen waren geisterhaft groß. Er kroch wie ein wildes Tier aus seinem Dickicht von Brombeeren und Hagebutten hervor. »Wenn Euch Euer Leben lieb ist,« sagte Ranald Mac Eagh, »so gebt dem Burschen da Euer Pferd. Sorgt Euch nicht um das Tier, Ihr sollt es bald wieder haben.« Dem Kapitän blieb in der Tat nichts weiter übrig. »Behandle mir meinen Gustavus gut, mein kleiner Freund ohne Hosen,« sagte er zu dem Knaben, »ich will es Dir lohnen.« Dann folgte er von neuem seinem Führer. Das hatte aber große Schwierigkeiten und erforderte größere Behendigkeit, als der Kapitän besaß. Er hatte sich kaum von seinem Pferde getrennt, so galt es, mit Hilfe einiger überhängender Zweige und vortretenden Baumwurzeln sich in das Bett eines acht Fuß tiefen Gießbaches hinabzulassen, in dem der Sohn des Nebels stromaufwärts voranging. Über große Steine mußten sie klettern – durch Dornengestrüpp sich schlagen – und all diese Hindernisse überwand der flinkfüßige Bergbewohner mit einer Leichtigkeit, um die der Kapitän ihn beneidete, der, belastet mit seinem schweren Rüstzeug und seinen hohen Stiefeln, von den Mühseligkeiten des Weges bald so erschöpft war, daß er sich auf einen Stein setzen mußte, um sich zu verschnaufen. Gleich darauf legte der Bergbewohner ihm die Hand auf den Arm und wies in der Richtung, aus dem der Wind kam. Der Rittmeister sah und hörte nichts; denn es wurde schon Abend, und sie befanden sich im Grunde einer finstern Schlucht. Endlich aber hörte er doch deutlich dumpfes Glockenlauten aus der Ferne. »Das bedeutet Alarm,« sagte er. »Das läutet Sturm, wie sie es in Deutschland nennen.« Fünfundzwanzigstes Kapitel »Die Glocke läutet die Stunde Euers Todes ein,« versetzte Ranald, »wenn Ihr mir nicht weiter folgen könnt. So oft diese Glocke klang, so oft hat schon ein braver Mann sein Leben verloren. Wenn aber Eure Füße so schnell laufen können wie Eure Zunge, so sollt Ihr noch heute Nacht das Haupt auf ein Kissen legen, das frei von Blut ist.« Wieder schritt der Sohn des Nebels voran mit nie irrender Sicherheit durch die wild zerklüftete Landschaft. Der Kapitän schleppte sich mit seinen mächtigen Stiefeln, seinen Beinschienen, Handschuhen, Panzern und Büffelwams ein gutes Stück mühsam hinter ihm drein und schwatzte ohne Unterlaß von seinen früheren Taten, obwohl sein Führer seinen Anekdoten keine Aufmerksamkeit schenkte. Auf diese Weise hatten sie eine weite Strecke zurückgelegt, da wurde das laute Gebell eines Hundes, der die Spur seines Wildes gefunden zu haben schien, vom Winde herübergetragen. »Schwarzer Hund,« rief Ranald, »bist du uns schon auf der Fährte? du kommst zu spät! der Hirsch ist schon bei seinem Rudel!« Mit diesen Worten pfiff er leise, und sofort kam die gleiche Antwort vom Gipfel eines Passes, zu dem sie schon ein gutes Stück hinaufgestiegen waren. Schnellern Schrittes erreichten sie den Gipfel, und nun sah Kapitän Dalgetty im hellen Glanz des aufgehenden Mondes eine Schar von zehn bis zwölf Hochländern mit Weibern und Kindern, die Ranald Mac Eagh mit so großer Freude begrüßten, daß der Kapitän nicht im Zweifel sein konnte, Kinder des Nebels vor sich zu haben. Ranald sprach ein paar hastige Worte zu seinen Stammesgenossen, die nun herbeikamen und Dalgetty die Hand drückten, während die Weiber ihn umringten und ihm dankbar den Saum seines Rockes küßten. Sie verpfänden Euch ihre Treue,« sagte Ranald Mac Eagh, »zum Lohne für die edle Tat, die Ihr heute dem Stamme erwiesen habt.« »Schon gut, Ranald,« entgegnete Kapitän Dalgetty, »gib ihnen zu verstehen, daß ich kein Freund von diesem Händeschütteln bin. Sagt mir lieber: wollt Ihr hier Euerm Feinde die Stirn bieten? Eine sehr schöne Stellung – wer hier heran will, läuft direkt ins Geschütz- und Musketenfeuer hinein. Aber ich sehe, guter Freund, Ihr habt gar kein Geschütz, auch hat keiner Eurer Kerle eine Muskete! Womit wollt Ihr denn, bis es zum Handgemenge kommt, den Paß hier verteidigen?« »Mit den Waffen und dem Mute unserer Ahnen!« antwortete Mac Eagh, und er machte den Soldaten darauf aufmerksam, daß seine Leute mit Bogen und Pfeilen bewaffnet waren. »Pfeil und Bogen!« rief Dalgetty. »Ha, ha, ha! ist Robin Hood wieder auferstanden? Seit hundert Jahren, meiner Treu, hat man so etwas in der zivilisierten Kriegsführung nicht wieder erlebt. Pfeil und Bogen! Warum nicht gar Weberbäume wie zu Goliaths Zeiten? Muß Dugald Dalgetty von Drumthwacket noch mit eigenen Augen sehen, wie Leute mit Bogen und Pfeilen kämpfen! – der unsterbliche Gustavus hätte sich das nicht träumen lassen – Wallenstein auch nicht – der alte Tilly oder der Oberst Buttler ebensowenig. Meinetwegen, Ranald, eine Katze hat auch weiter nichts als ihre Klauen, und da wir bloß Bogen und Pfeile haben, so wollen wir sie brauchen, so gut es geht!« Das Gebell des Bluthundes kam naher und näher. Schon hörte man die Stimmen mehrerer Männer, die sich offenbar von ihm führen ließen und einander zuriefen, wenn sie das umliegende Gebüsch genauer durchsuchten. Mac Eagh machte dem Kapitän den Vorschlag, die Rüstung abzulegen; doch fand sich dieser nur dazu bereit, die schweren Stiefel auszuziehen und dafür ein Paar hirschlederne Schuhe anzulegen. Auf dem Gebirgspasse herrschte jetzt tiefes Schweigen. Der Mond beschien den zerklüfteten Pfad. An den vorspringenden Felsblöcken, um die der Weg sich schlängelte, hielt ab und zu das Gezweige des Gestrüpps, das in den Felsenspalten gedieh, den Glanz des Mondes auf, den Rand des Abgrundes überschattend. Unten lag dichtes Unterholz, das einem in tiefem Dunkel wogenden Meere glich. Aus dieser Finsternis am Fuß des Abgrundes herauf tönte hin und wieder das Gebell des Hundes und weckte lautes Echo in den Felsen und Wäldern. Dann wieder herrschte tiefes Schweigen, unterbrochen nur vom Rieseln eines Quells, der vom Felsen zu Tal sprang. Dann wieder erklangen menschliche Stimmen; und es schien, als ob sie den Gebirgspfad nicht gefunden oder sich nicht klar wären, ob sie ihn bei der Finsternis ersteigen sollten. Endlich kam eine schattenhafte Gestalt zum Vorschein, die aus dem tiefen Dunkel ins blasse Mondlicht hineintauchte, langsam und vorsichtig den Felsenpfad erklimmend. Der Mann hatte eben einen vorspringenden Block erreicht und blieb stehen, um den andern zu winken, daß sie ihm folgen sollten – da pfiff ein Pfeil vom Bogen eines Schützen unter den Söhnen des Nebels, und tödlich getroffen, stürzte der Mann von dem Felsenvorsprung kopfüber in die Tiefe. Unten krachten die Zweige, und schwer dröhnte sein Fall herauf, begleitet von einem Geschrei des Entsetzens, das die Söhne des Nebels mit gellendem Freudengeheul beantworteten. Sie zeigten sich am Rande des Abgrundes, um ihre Feinde zu erschrecken, und selbst Kapitän Dalgetty stand auf und trat vor. »Corazon, amigo! wie der Spanier sagt,« rief er laut Ranald zu. »Mut, Kamerad. Es lebe der Bogen! Meiner Meinung nach müßt Ihr jetzt vorrücken und eine Stellung nehmen.« Da rief eine Stimme von unten: »Der Sachse! zielt auf den sächsischen Kriegsmann! Ich sehe seinen Harnisch blitzen.« Im selben Augenblick wurden drei Musketen abgefeuert. Eine Kugel prasselte gegen den Harnisch, dessen Dicke schon öfters dem Kapitän das Leben gerettet hatte. Eine zweite durchschlug die Rüstung vorn am linken Schenkel und streckte ihn nieder. Während Ranald ihn auffing und vom Rande der Schlucht wegriß, rief der Kapitän jammernd aus: »Ich habe es dem unsterblichen Gustav Adolf, dem Wallenstein und andern Feldherrn immer gesagt, die Beinschienen müßten nach meiner bescheidenen Meinung auch kugelsicher sein.« Sechsundzwanzigstes Kapitel Wir müssen Kapitän Dalgetty seinem Schicksal überlassen, um in Kürze die militärischen Operationen Montroses wiederzugeben, die freilich eines umfänglicheren Buches und eines besseren Geschichtsschreibers würdig wären. Mit dem Beistand der früher erwähnten Häuptlinge und nach dem Bündnis mit den Morays, Stewarts und andern Sippschaften von Athole hatte er bald ein Heer von zweitausend bis dreitausend Hochländern zusammengebracht, zu denen noch das irische Korps unter Colkitto kam. Die ganze Streitmacht war bei Strathearn, am Rande der Hochlande von Perthshire vereinigt. Sein Gegner hatte sich gerüstet, ihn zu empfangen. Argyle zog an der Spitze seiner Hochländer dicht hinter den Irländern, die auf dem Marsch von Westen nach Osten begriffen waren, her und hatte eine Armee vereinigt, die stark genug war, mit Montrose eine Schlacht zu wagen. Zuvörderst kam es zu einem Zusammentreffen zwischen Montrose und dem Heere Lord Elchos auf der Ebene von Tippermuir – einer offenen Heide. Niemals ist eine Schlacht, die von großer Wichtigkeit war, mit so großer Leichtigkeit entschieden worden. Montrose schlug das feindliche Heer völlig aufs Haupt. Die Sieger besetzten Perth und erbeuteten bedeutende Geldsummen und Vorräte an Waffen und Munition. Diese Vorteile wurden jedoch aufgewogen durch einen unüberwindlichen Übelstand, der sich stets bei einem hochländischen Heere einstellte. Die Sippschaften waren nicht dahin zu bringen, sich als reguläre Soldaten zu betragen. Wenn eine Schlacht geschlagen war, so war ihrer Meinung nach auch der Feldzug zu Ende. War die Schlacht verloren worden, so flüchteten sie in die Berge, um sich selbst in Sicherheit zu bringen, war sie gewonnen worden, so kehrten sie ebenfalls dorthin zurück, um ihre Beute in Sicherheit zu bringen. Ein andermal wieder mußten sie heim, um die Herden zu versorgen, die Felder zu bestellen, die Ernte herein zu holen, da ihre Familien sonst verhungert wären. In beiden Fällen taten sie keine Kriegsdienste mehr. Sie waren wohl durch die Aussicht auf neue Beute zur Rückkehr zu bewegen; bis dahin aber war der günstige Zeitpunkt des Erfolges verpaßt, der später nicht wieder kam. Hieraus erklärt es sich, weshalb Montrose ungeachtet seiner glänzenden Erfolge nie festen Fuß im Flachlande fassen konnte und weshalb er oft sich zu plötzlichem Rückzug vor demselben Feinde gezwungen sah, den er vor kurzem geschlagen hatte. Auf eben dieselbe Ursache war es zurückzuführen, daß Montrose nicht imstande war, einem zweiten Heere Argyles die Spitze zu bieten, das unter dem Marquis selber von Westen aus ihm entgegenrückte. Was ihm an Stärke fehlte, wollte er durch Schnelligkeit wieder gut machen, und er zog von Perth nach Dundee. Als ihm aber diese Stadt die Tore nicht öffnete, marschierte er nach Aberdeen in der Erwartung, daß dort die Gordons und andere Royalisten zu ihm stoßen würden. Diese aber wurden durch eine etwa 3000 Mann starke Abteilung Covenanters unter Lord Burleigh in Schach gehalten. Dieses Korps nun griff Montrose kühn an, obgleich er ihm um die Hälfte unterlegen war, und siegte wieder. Es war aber das Mißgeschick dieses Feldherr, das er immer nur den Ruhm, selten die Früchte des Sieges ernten konnte. Kaum konnte er seinem kleinen Heer in Aberdeen Ruhe gönnen, da mußte er erkennen, daß er auf Vereinigung mit den Gordons nicht rechnen durfte, und Marquis von Argyle rückte ihm entgegen mit einem weit stärkeren Heere, als ihm bisher eines gegenübergestanden hatte. Nur ein Rückzug blieb dem Grafen von Montrose, und er schlug ihn ein: er zog in die Hochlande. Dort war er vor Verfolgung sicher und konnte auch die Wehrpflichtigen wieder sammeln, die ihn verlassen hatten. So konnte er sich furchtbarer als je dem Feinde wieder entgegenwerfen, dem er vor kurzem noch nicht hatte widerstehen können. Das Parlament sandte wiederholt Befehl an Argyle, das Heer Montroses anzugreifen und zu zersprengen. Dieser Befehl entsprach weder dem stolzen Sinn noch der vorsichtigen zögernden Politik dieses Staatsmannes, und als Montroses Heer durch mehrere Verstärkungen zu gewaltiger Zahl angewachsen war, behagte es Argyle nicht länger, an der Spitze der gegen ihn ausgesandten Armee zu stehen. Er kehrte nach Edinburgh zurück und legte den Oberbefehl nieder unter dem Vorwande, daß sein Heer in ungenügender Weise verstärkt und nicht ausreichend mit Proviant versehen worden sei. Von Edinburgh begab sich der Marquis zurück nach Inverary, um in voller Sicherheit über seine eigenen Lehensleute zu herrschen. Siebenundzwanzigstes Kapitel Ein glänzender Weg lag jetzt dem Grafen von Montrose offen, wenn seine tapfern, aber unregelmäßig kommenden und gehenden Truppen und die unabhängigen Häuptlinge sich bereit erklärten, ihm zu folgen. Das ganze Flachland war ihm freigegeben, denn es war kein genügend starkes Heer da, ihm in den Weg zu treten. Er brauchte sich nur dort zu zeigen, und der schlummernde Geist der Ritterlichkeit und Königsliebe, der die Edelleute im Norden des Forth beseelte, würde neu erwachen. Auch wäre es dann möglich gewesen, eine Verbindung mit den noch nicht unterworfenen Streitkräften des Königs herzustellen. Dieser Plan, der glänzenden Ruhm verhieß, entsprach dem kühnen ehrgeizigen Geiste des Feldherrn. Die westlichen Häuptlinge aber sahen alle in dem Marquis von Argyle das unmittelbare und einzige Ziel ihrer Feindseligkeiten. Für sie war es daher wichtiger und wünschenswerter, Inverary einzunehmen, als Edinburgh zu erobern. Sie wollten sich für die Vergangenheit rächen und für die Zukunft sichern. Diese Absichten berührten eine entsprechende Saite im Herzen Montroses, die nicht ganz dem Edelsinn seines Wesens entsprach. Zwischen den Häusern Argyle und Montrose herrschte von früher her bittere Feindschaft, die zwischen den gegenwärtigen Repräsentanten beider Geschlechter infolge ihrer eifersüchtigen Nebenbuhlerschaft auf den Höhepunkt gestiegen war. Trotzdem es nun Montrose innerlich sehr danach verlangte, nach Argyleshire zu rücken, wollte er doch seinen glänzenden Plan zu dem Feldzug ins Flachland nicht so leicht aufgeben, und mehrmals schon hatte er mit den höchsten unter seinen Häuptlingen Kriegsrat abgehalten. Eben hatte abermals ein solcher Rat getagt, und Montrose war in die Hütte gegangen, die ihm zum Zelte diente, und hatte sich auf seine Schütte trockenen Heidekrautes ausgestreckt – da meldete der Soldat, der vor seinem Zelt auf Posten stand, zwei Männer wünschten Se. Exzellenz zu sprechen. »Wie heißen sie?« fragte Montrose, »und was führt sie zu so später Stunde her?« Der Mann, ein Ire von Colkittos Leuten, konnte hierüber keine Auskunft geben, und Montrose hatte sich kaum von seinem Lager erhoben, als die beiden Männer auch schon hereintraten: Der eine in einem Kleide von Gemsleder, das fast ganz zerfetzt war, der andere, ein großer, alter, hochaufgerichteter Hochländer, dessen eisengraues Gesicht in Frost und Sturm verwittert war. »Womit kann ich Euch dienen, Freunde?« fragte der Graf und legte unwillkürlich die Hand an eine seiner Pistolen, denn die Zeit überhaupt wie auch die nächtliche Stunde ließen einen Verdacht, den obendrein ein nicht gerade harmloses Aussehen seiner Gäste verstärkte, durchaus als gerechtfertigt erscheinen. »Mein edler General und ehrenwerter Lord,« sagte der im Gemskleide, »ich möchte Euch Glück wünschen zu den großen Siegen, die Ihr errungen habt, seit ich das Glück hatte, von Euch zum Abgesandten erkoren zu werden. Das Treffen von Tippermuir war eine sehr hübsche Bataille – dennoch aber möchte ich Euch den Rat geben –« »Ehe Ihr das tut,« unterbrach ihn der Graf, »laßt mich doch bitte wissen, wer mich mit seinen Ratschlägen beehren will.« »Meiner Treu, Mylord,« war die Antwort, »ich hätte nicht geglaubt, daß dies vonnöten sei, da ich doch vor gar nicht langer Zeit erst als Major mit einem halben Taler Sold pro Tag bei Euch in Dienst getreten bin. Hoffentlich hat Eure Lordschaft nicht ebenso meinen Sold wie meine Person vergessen.« »Mein guter Freund, Major Dalgetty,« rief Montrose, sich jetzt des Mannes vollkommen erinnernd. »Bedenkt, wieviel sich inzwischen ereignet hat, daß ich wohl die Gesichter einiger Freunde habe vergessen können. Auch ist die Beleuchtung sehr schlecht. – Was bringt Ihr neues aus Argylshire? Ich gab Euch schon verloren und wollte eben nachdrücklichste Rache an dem alten Fuchs nehmen, der das Kriegsrecht in Eurer Person verletzt hat.« »Meiner Treu, mein edler Lord,« antwortete Dalgetty, »ich verdanke es auch keineswegs der Gunst oder Gnade des Marquis von Argyle, daß ich jetzt vor Euch stehe, und es sei ferne von mir, ein gutes Wort für ihn einzulegen. Daß ich mit dem Leben davon gekommen bin, verdanke ich zunächst Gott, dann meiner eignen Geschicklichkeit als erfahrener Krieger und schließlich der Hilfe dieses alten Hochländers, den ich der besondern Gunst Eurer Lordschaft empfehle. – Knie nieder, Ranald, und küsse Sr. Exzellenz die Hände.« Da diese Ehrerbietung nicht der in Ranalds Vaterland üblichen Sitte entsprach, begnügte er sich, die Hände über der Brust zu kreuzen und das Haupt tief zu neigen. »Was ist Euer Name, Freund?« fragte Montrose den Hochländer.« »Mein Name darf nicht genannt werden,« antwortete der Bergbewohner. »Das heißt,« setzte Major Dalgetty erläuternd hinzu, »er wünscht seinen Namen geheim zu halten, weil er nämlich früher mal ein Schloß überfallen, ein paar Kinder getötet und noch andere Streiche verübt hat, wie es eben im Kriege so zugeht.« »Ich verstehe,« sagte Montrose, »dieser Mann liegt mit einigen meiner Anhänger in Fehde. Er mag auf die Wachtstube gehen, und wir wollen uns überlegen, wie wir ihm am besten Schutz gewähren können.« »Hört Ihr, Ranald,« sagte Major Dalgetty mit großtuerischer Miene, »Se. Exzellenz wünscht mit mir einen Kriegsrat abzuhalten. Ihr müßt so lange auf die Wache gehen – er weiß nicht, wo das ist, der arme Kerl – er ist zwar ein alter Mann, aber noch ein sehr junger Soldat. Ich will ihn unter die Obhut eines Postens bringen und bin sofort wieder bei Eurer Lordschaft.« Die ersten Fragen, die Graf von Montrose an Kapitän Dalgetty richtete, betrafen die Gesandtschaft nach Inverary. Als die Papiere ihm übergeben worden waren, die Dalgetty im Kabinett Argyles sich angeeignet hatte, riß Montrose eine Fackel von der Wand und vertiefte sich eine zeitlang in diese Akten, die anscheinend etwas enthielten, das seinen Ingrimm gegen seinen Rivalen Argyle erregte. »Er fürchtet mich nicht!« rief er, »so soll er meine Macht fühlen. Schloß Murdoch will er in Brand stecken! – vorher sollen in Inverary die Rauchwolken aufsteigen! hätte ich nur jemand, der mich durch den Forst von Strathfillan führte!« Dalgetty begriff sogleich, worauf Montrose hinaus wollte, und erwiderte: »Wenn Eure Exzellenz einen Angriff gegen Argyleshire plant – dieser arme Mann Ranald und seine Gefährten kennen jeden Weg und Steg in diesem Landstrich.« »Wirklich?« rief Montrose. »Woher glaubt Ihr das zu wissen?« »Ich bin eine zeitlang bei dieser Sippe gewesen, bis meine Wunde geheilt war, und da hatte ich reichlich Gelegenheit, ihre ganz ausgezeichnete Kenntnis dieses Landes zu bewundern. Diese biedere, schlichte Kreatur, Ranald Mac Eagh, hat mich und meinen edeln Gustavus auf sichern Pfaden hergeführt und ich habe mir selber gesagt, wenn man Führer oder Kundschafter auf einem Streifzuge durch dieses Gebiet braucht, kann man keine bessern finden, als ihn und seine Genossen.« »Könnt Ihr dafür bürgen, daß der Mann zuverlässig ist?« fragte Montrose. »Wie heißt er und was treibt er?« »Von Beruf ist er Räuber und Dieb, ab und zu auch ein bißchen Mörder und Totschläger,« antwortete Dalgetty, »und heißt Ranald Mac Gagh, das bedeutet Ranald, Sohn des Nebels.« »Ich erinnere mich dieses Namens,« erwiderte Montrose. »Aber es ist sehr fatal, daß zwischen dieser Sippe und den Mac Aulays tödliche Feindschaft herrscht. Allan war sehr tapfer im Kriege und hat durch seine Wildheit und sein geheimnisvolles Wesen großen Einfluß auf seine Landsleute. Es könnte unangenehme Folgen haben, ihn irgendwie zu kränken. Wie könnten wir uns aber davor sichern, daß diese Fehde wieder zum Ausbruch kommt?« Er schwieg und setzte dann hinzu: »Ich vergaß, daß ich schon zu Abend gegessen habe, Ihr aber habt einen Ritt bei Mondschein gemacht.« Er ließ durch einen Diener Wein und Erfrischungen bringen, über die sich Kapitän Dalgetty mit dem Appetit eines Rekonvaleszenten hermachte. »Noch liegt mir Argyles schwarzes und schimmliges Brot im Magen, und die Gerichte der Kinder des Nebels haben so wenig bei mir angeschlagen, daß ich in meiner Rüstung saß, wie ein verschrumpfter Kern in einer Nuß. Ich werde auch nicht eher das verlorene Gewicht wieder ersetzen können, als bis ich allen rückständigen Sold ausbezahlt bekommen habe.« »Laßt uns nur erst noch eine Schlacht gewinnen, nur einen Sieg noch, Major, und alle Eure Wünsche sollen erfüllt werden! Inzwischen trinkt noch einen Becher Wein!« »Auf Euer Wohlsein, Exzellenz!« rief Dalgetty. »Mögt Ihr siegen über alle Eure Feinde und besonders über Argyle!« »Schon gut!« versetzte Montrose. »Was aber die Kinder des Nebels anbelangt, so muß es selbstverständlich ein Geheimnis zwischen uns beiden bleiben, daß wir diese Sippe bei uns haben, und wozu wir sie gebrauchen.« Der Major, über dieses Zutrauen seines Generals entzückt, gab durch ein Kopfnicken sein Einverständnis kund. »Wie groß an Zahl ist Ranalds Sippschaft?« fragte Montrose. »Soviel ich weiß, sind es nur noch ihrer acht oder zehn und ein Paar Weiber –« antwortete Major Dalgetty. »Wo halten sie sich jetzt auf?« fragte Montrose. »In einem Tale drei Meilen von hier,« erwiderte der Soldat. »Sie harren dort der Befehle Eurer Exzellenz, denn ich hielt es nicht für angebracht, sie in Euer Lager zu bringen.« »Das war sehr vernünftig von Euch,« sagte Montrose. »Die Leute mögen nur bleiben, wo sie sind. Ich will ihnen Geld schicken – allerdings habe ich jetzt selber herzlich wenig.« »Wie Euer Exzellenz beliebt.« »Ranald Mac Eagh soll zwei seiner Leute aussuchen, auf die er sich verlassen kann. Er selbst und diese Männer sollen dann unsere Führer sein. Morgen bei Tagesanbruch sollen sie vor mein Zelt kommen. Hat der alte Mann noch Kinder?« »Die haben alle im Kampfe oder am Galgen ihr Ende gefunden,« versetzte der Major, »er hat aber noch einen vielversprechenden Enkel –« »Dieser Knabe soll mein Leibpage werden, ich glaube er wird soviel Verstand haben, daß er seinen Namen geheim halten kann. Der Knabe soll mir eine Geisel für die Treue seines Vaters sein. Und nun, Major Dalgetty, muß ich Euch für heute abend entlassen, morgen führt mir diesen Mac Eagh unter irgend einem Namen vor. Mein Kammerdiener wird Euch Euer Quartier anweisen.« Achtundzwanzigstes Kapitel Bei Morgengrauen empfing Montrose den alten Mac Eagh. Die Antworten, die Ranald ihm auf seine vielen Fragen erteilte, schrieb er sich auf und verglich damit die Antworten der beiden Männer, die ihm Mac Eagh als die gewandtesten und erfahrensten zuführte. Obgleich die verschiedenen Aussagen völlig übereinstimmten, befragte er doch noch zur Vorsicht die Häuptlinge, deren Besitzungen Argyleshire am nächsten lagen, und verglich nun auch deren Bescheid mit der Auskunft der Söhne des Nebels. Nunmehr fest überzeugt von der Richtigkeit der Angaben, beschloß er, vertrauensvoll darauf einzugehen. Nur in einem Punkte wich er von seiner Absicht ab. Er hielt es nicht für angebracht, den Burschen Kenneth zu seinem Pagen zu machen, er bat daher Major Dalgetty, den Knaben in seinen Dienst zu nehmen, womit dieser einverstanden war. Zur Frühstückszeit besuchte Major Dalgetty seine alten Bekannten, Lord Menteith und Allan Mac Aulay, denen er seine Abenteuer mitzuteilen wünschte. Das Wiedersehen bereitete ihnen natürlich Vergnügen, denn jede Abwechslung in ihrem gleichförmigen Soldatenleben war ihnen willkommen. Nur Allan Mac Aulay benahm sich etwas zurückhaltend, worüber Major Dalgetty natürlich ein wenig pikiert war. Ranalds Tracht aus gewürfeltem Zeug war inzwischen mit einem Anzug vertauscht worden, der, aus einem Stück verfertigt und von oben bis unten mit Schnüren besetzt, aus einer Ärmelweste mit Schößen, einer gewirkten Hose und einer Mütze aus kariertem Stoff bestand. Den Blick auf Allan Mac Aulay heftend, stellte Major Dalgetty den Sohn des Nebels vor unter dem erfundenen Namen Ranald Mac Gillihuron von Benbecula, mit dem er zusammen aus dem Kerker Argyles entronnen sei. Er lobte die Künste des Mannes im Harfen- und Zitherspiel, auch sei ihm die Gabe des zweiten Gesichts verliehen. Bei diesen Worten geriet Major Dalgetty in Verlegenheit, er stammelte und stockte, was sonst bei seiner Zungenfertigkeit gar nicht seine Art war. Hierdurch hatte er Allan Mac Aulay mißtrauisch machen müssen, hätte dieser nicht seine ganze Aufmerksamkeit darauf verwendet, gespannten Blickes in den Zügen der ihm vorgestellten Person zu lesen. Dieser feste Blick brachte Ranald derart aus der Fassung, daß er, eines Angriffs gewärtig, die Hand an seinen Dolch legte – da kam Allan Mac Aulay plötzlich auf ihn zu und reichte ihm die Hand zum Gruß. Sie setzten sich nebeneinander und unterhielten sich leise und geheimnisvoll. »Tritt das Gesicht finster vor Euern Geist?« fragte Allan seinen neuen Bekannten. »Finster wie der Schatten vor den Mond,« erwiderte Ranald, »wenn er sich auf seiner Bahn verdunkelt und Seher böse Zeiten prophezeien.« Während die beiden in ihr mystisches Gespräch vertieft waren, traten die beiden englischen Ritter in das Zelt und meldeten Angus Mac Aulay, daß sich alles für einen baldigen Marsch nach Westen bereit halten sollte. »In diesem Falle,« sagte Angus, »muß ich Befehl erteilen, daß Annot Lyle sicher transportiert wird, denn bis ins Gebiet Mac Cullum Mores ist es ein weiter und beschwerlicher Marsch.« »Ist denn Annot Lyle beim Heere?« fragte Major Dalgetty. »Gewiß,« antwortete Sir Miles Musgrave, »wir können nicht marschieren noch kämpfen, nicht vorrücken noch zurückgehen ohne diese Königin der Harfe.« »Würdet Ihr ein unschuldiges Mädchen, die Gespielin Eurer Kindheit, in Not und Elend umkommen lassen? Kein Dach ist jetzt auf der Stätte meiner Väter – unsere Ernte ist vernichtet – unser Vieh hinweggetrieben – Ihr Herren könnt Gott danken, daß Ihr nicht in einem Lande wohnt, wo unbarmherziger Krieg beständig Euer Leben und die schutzlosen Pfänder Eurer Liebe gefährdet!« Die Gesellschaft zerstreute sich, und ein jeder ging seinen besonderen Verrichtungen nach. Allan blieb einen Augenblick zurück, um Ranald Mac Eagh über eine Vision zu befragen, die ihm große Unruhe bereitete. »Öfters hatte ich die Vision eines Galen,« sagte er, »der seine Waffe in Menteiths Leib zu stoßen schien – dies ist der junge Edelmann im scharlachroten Mantel. Ich starrte hin, und meine Augen traten fast aus ihren Höhlen, aber wie sehr ich mich auch anstrengte, das Angesicht dieses Hochländers habe ich nicht sehen können. Auch kann ich mir nicht denken, wer es sein mag, obzwar mir Haltung und Gestalt bekannt vorkamen.« »Habt Ihr Euern Mantel umgekehrt?« fragte Ranald Mac Eagh. »Erfahrne Seher machen es so.« »Das tat ich,« entgegnete Allan leise, vor innerm Seelenschmerz erschaudernd. »Und wie erschien Euch dann der Schemen?« »Er hatte auch den Mantel umgedreht,« antwortete Allan leise und krampfhaft. »Dann könnt Ihr überzeugt sein, daß Ihr selber und niemand anders die Tat vollbringen werdet, die Ihr als Spukbild gesehen.« »Was habe ich voller Angst oft selber vermutet,« entgegnete Allan. »Aber das ist unmöglich! Wenn ich es selbst lesen könnte im ewigen Buche des Schicksals, ich würde es für unmöglich erklären! Wir sind Blutsverwandte und durch engste Freundschaft mit einander verknüpft – wir haben in Schlachten nebeneinander gefochten – unsere Schwerter haben gedampft vom Blute derselben Feinde – es ist unmöglich, daß ich gegen ihn den Dolch zücken sollte!« »Es steht fest, daß Ihr es tun werdet,« antwortete Ranald Mac Eagh, »wenn auch die Ursache im Dunkel der Zukunft liegt. Ihr sagt, Ihr wäret Seite an Seite mit Bluthunden Euerm Wilde gefolgt? Saht Ihr noch nie, wie Bluthunde die Zähne gegeneinander fletschten und um den Kadaver eines erwürgten Hirsches sich stritten?« »Es ist nicht wahr,« rief Allan, »nicht die Vorbedeutung des Schicksals ist es, sondern die Versuchung eines bösen Geistes der Hölle!« Mit diesen Worten ging er hinaus. Der Sohn des Nebels sah ihm mit verzückten Blicken nach. »Ha!« rief er aus. »Der Widerhaken des Pfeiles sitzt in deiner Hüfte! Freut euch, ihr Geister der Erschlagenen! Die Schwerter eurer Mörder werden sich baden im eigenen Blute!« Neunundzwanzigstes Kapitel Am nächsten Morgen war alles bereit. In Eilmärschen erreichte Montrose den Tayfluß und überflutete mit seinen Streitkräften das romantische Tal des gleichen Namens. Die Bewohner waren Vasallen des mit Argyle nah verwandten Hauses Glenorchy. Sie vermochten keinen Widerstand zu leisten und mußten die Verwüstung wehrlos mitansehen, der ihre Häuser und Herden anheimfielen. Selbst für ein Heer unserer Zeit wäre der Marsch durch diese weite Wildnis eine schwere Aufgabe gewesen. Damals aber war noch gar keine Straße vorhanden, und die Schwierigkeit war dadurch noch gesteigert, daß schon Schnee auf den Bergen lag. Erhaben sah die in glänzendem Weiß erstrahlende Masse aus, während die dahinter liegenden Höhen in rosigem Abendrot erstrahlten. Weit über alle hinweg ragte der Ben Cruachan, die Feste der Berggeister dieser Gegend, mit seinem leuchtenden Gipfel viele Meilen weit sichtbar. Montroses Mannen ließen sich durch den erhabenen, aber doch auch furchtbaren Anblick nicht abschrecken. Hinter dem Schneegebirge winkte Raub und Rache, und das flößte ihnen Eifer ein, alle Schwierigkeiten zu überwinden. Mit der Schnelligkeit von Bergbewohnern rückten die Truppen vor, und hatten bald den gefahrvollen Paß erreicht, auf dem Ranald sie führen sollte. Die schwache Menschenkraft erscheint am allerverächtlichsten im Kontrast zu erhabenen und furchtbaren Naturszenen. Montroses überall siegreiches Heer, vor dem ganz Schottland erbebte, erschien nur noch wie eine Handvoll elender Nachzügler, als der erste schauerliche Paß überwunden war. Jeden Augenblick konnten sie in den Schluchten des Gebirges versinken, deren Abgründe unter ihnen klafften. Montrose selbst bereute fast die Tollkühnheit seines Unternehmens, als er vom Gipfel der ersten erklommenen Höhe herab sein auseinander gezogenes Heer übersah. Schon waren in der Marschkolonne weite Lücken, die Verwirrung hervorriefen und Gefahr mit sich brachten. Später äußerte er oft, 200 beherzte Kerle hätten die Pässe halten und sein Heer zurückwerfen können. Um einer weitern Panik vorzubeugen, teilte Montrose sein Heer in drei Abteilungen; das erste führte der alte Ranald, das zweite Colkitto, das dritte Montrose selber. Nun konnte er von drei Seiten in die Grafschaft Argyleshire einrücken. Das erste Zeichen dieses furchtbaren Überfalls war, daß die Schäfer von den Bergen flüchteten. Ehe noch die Mannen des Clans aufgeboten waren, hatte der Feind, ihren Bewegungen zuvorkommend, sie schon niedergemacht, entwaffnet oder zerstreut. Argyle konnte sich nur durch rasche Flucht vorm Tode oder der Gefangenschaft retten. Wenn aber Argyle auch dem Gericht entging, so wurde sein Land und seine Sippe umso schwerer heimgesucht, und die Verwüstung dieses unglücklichen Landes ist oft mit Recht als ein Flecken auf dem Ehrenschild Montroses bezeichnet worden. Der Marquis war nach Edinburgh geflüchtet, um beim Parlament Klage zu erheben. Im Drang des Augenblicks war eine zahlreiche Armee unter dem gewandten und zuverlässigen General Baillie aufgeboten worden. Auch Argyle hatte in seinem Rachedurst eine beträchtliche Anzahl von Streitern gesammelt. In Dunbarton vereinigte er sich mit Baillie und rüstete sich zum Anmarsch gegen seinen Feind. Inzwischen war noch ein drittes Heer unter dem Grafen von Seaforth zusammengetreten, das Montrose von Invernesshire aus bedrohte. Nun schien Montroses Untergang gewiß, denn er war von allen Seiten von überlegenen Streitkräften eingeschlossen. Allein gerade in solchen Gefahren riß die Tatkraft und Unternehmungslust des großen Mannes seine Freunde zur Bewunderung, seine Feinde zu erstauntem Schrecken hin. Wie mit einem Zauberschlage hatte er seine verstreute Macht aus dem verheerten Lande geführt und sich nach Norden in die Gebirge von Lochaber zurückgezogen. Scharfsinnig erkannten die gegen Montrose entsandten Generäle sofort, daß ihr tatkräftiger Gegner beabsichtige, dem Grafen Seaforth eine Schlacht anzubieten, um ihn womöglich zu vernichten, ehe ihm noch Hilfe gebracht werden konnte. Sie änderten nun ihre Maßnahmen entsprechend. Baillie trennte sich von Argyle, zog an der Südseite der Grampianberge hin, rückte in die Grafschaft Angus und wollte von dort bis nach Aberdeenshire vorgehen, um Montrose aufzufangen. Argyle marschierte hinter Montrose her, um ihm, wenn er sich mit Seaforth oder Baillie in einen Kampf einließ, in den Rücken zu fallen. In diesem Zweck rückte Argyle wieder nach Inverary. Hier stand er nun an der Spitze von 3000 mutigen Kriegern. Er hatte den Oberbefehl, seine Unterbefehlshaber waren Sir Duncan Campbell von Ardenvohr und Sir Duncan Campbell von Auchenbreck – ein erfahrener, alter Soldat, aber bei Argyles unzugänglichem Wesen war es unmöglich, daß die Ratschläge seiner unerschrockenen Kommandeure zur Ausführung gelangten. Trotzdem er die Übermacht hatte, blieb er dabei, hinter Montrose herzumarschieren und ein Gefecht vorläufig zu vermeiden. Dreißigstes Kapitel Obwohl die zur Verfügung stehenden Wege schon schlecht genug waren, schlug Montrose doch noch schlechtere ein, und wie ein Rudel wilder Hirsche zog seine Schar von Gebirg zu Gebirg, von Forst zu Forst. Dabei wurden Argyles Operationen scharf überwacht, und jede Kunde über sein Verhalten dem General sofort übermittelt. Von den Strapazen des Tages erschöpft, hatte Montrose sich in einer Mondnacht zum Schlafe in einem Schuppen niedergestreckt. Kaum hatte er ein paar Stunden geschlummert – da faßte ihn jemand an der Schulter. Er sah auf und erkannte an der hohen Gestalt und der tiefen Stimme den Häuptling der Camerons. »Ich bringe Euch wichtige Meldung,« sagte der Häuptling, »steht auf und hört!« »Mac Ilduy bringt nur Wichtiges,« sagte Montrose. »Ist es gute oder schlechte Kunde?« »Wie Ihrs nehmt,« antwortete der Häuptling. »Und zuverlässig?« fragte Montrose. »Ja, sonst hätte sie Euch ein andrer Bote gebracht,« antwortete Mac Ilduy. »Hört! Mit sechs meiner Leute bin ich voraus gegangen nach Inverlochy zu, und ich stieß auf Jan von Glenoy, der als Kundschafter ausgeschickt war. Argyle ist auf dem Marsche nach Inverlochy mit 3000 auserlesenen Kriegern – dies ist meine Nachricht, sie ist zuverlässig, was sie wert ist, mögt Ihr selber abschätzen.« Er ließ sich Licht bringen und überzeugte sich bald, daß er über nicht mehr als 1200 bis 1400 verfügte, denn seine Anhänger hatten sich wieder zum größten Teil zerstreut, um ihre Beute in Sicherheit zu bringen. »Ein Drittel von dem, was Argyle hat,« sagte Montrose. »Hochländer gegen Hochländer! Mit Gottes Segen für die Sache des Königs würde ich nicht zaudern, wären wir nur bloß zwei gegen einen!« »Wohl, so zaudert nicht!« sagte Mac Ilduy. »Gebt das Zeichen zum Angriff gegen Mac Cullum More, und niemand in den Tälern wird taub bleiben gegen Eure Mahnung. Ich selber würde mit Feuer und Schwert die erbärmlichen vernichten, die zurückbleiben sollten. Morgen oder übermorgen soll der Tag der Schlacht für alle sein, die sich Mac Donell oder Cameron nennen!« »Mutig gesprochen, edler Freund, wir wollen also die Häuptlinge so rasch wie möglich zusammenrufen. Ihr selbst, Mac Ilduy, sollt uns auf dem nächsten Wege dem Feinde entgegenfahren!« Bald darauf war Alarm im Lager, und alles erhob sich von der rauhen Lagerstatt. »Ich hätte mir nie träumen lassen,« sagte Major Dalgetty, als er sich von einer Schütte von Heidekraut erhob, »daß ich von einem Bette, das so hart ist wie ein Stallbesen so mißmutig aufstehen würde!« Mit diesen Worten ging er in den Kriegsrat. Hier stimmte auch er dafür, daß man zurückmarschieren und Argyle die Spitze bieten sollte. Die Häuptlinge von Glengarry, Keppoch und Lochiel sandten das feurige Kreuz ihren Vasallen, um jeden kampffähigen Mann zu dem Heere Montroses zu rufen, das nach Inverlochy vorrücken sollte. Der nachdrücklich gegebene Befehl wurde schnell und willig befolgt. Während Montrose seinen Marsch ausführte, war Argyle an der Spitze seines Heeres bis zum Fluße Loch–eil vorgerückt. Das alte Schloß Inverlochy, früher eine königliche Festung, bot ein geräumiges Hauptquartier für Argyles Heer. Im Kriegsrate äußerte Argyle seine feste Überzeugung, daß Montrose so gut wie vernichtet wäre, daß seine Truppen sich lichten mühten, sobald er auf so rauhen Pfaden weiter gen Osten rückte, daß er, wenn er weiter gen Norden rückte, dem Heere Seaforths nicht entrinnen könne; wenn er aber Halt machen würde, so wäre er dem Angriffe von drei Heeren auf einmal ausgesetzt. »Ich kann keinen Geschmack an dem Plane finden, daß wir so wenig bei der Vernichtung James Grahams mitwirken sollen, mich verlangt danach, Blutstropfen gegen Blutstropfen mit ihm abzurechnen. Mir paßt es nicht, daß für solche Schulden ein dritter Abrechnung halten soll.« »Da nehmt Ihrs zu genau,« sagte Argyle, »was hat es zu sagen, durch wessen Hand Grahams Blut vergossen wird? Vor allem ist es Zeit, daß keines mehr von den Söhnen von Diarmid fließe. Was meint Ihr dazu, Ardenvohr?« »Ich meine, Mylord, Auchenbreck wird Gelegenheit erhalten, persönlich mit Montrose abzurechnen. Unsere Vorposten haben gemeldet, die Camerons zögen ihre ganze Macht am Rande, des Ben–nevis zusammen. Daraus geht nicht hervor, daß sie den Rückzug zu decken, sondern daß sie sich dem Heere Montroses anzuschließen beabsichtigten.« »Jedenfalls verfolgen sie den Plan, uns anzulocken,« sagte Argyle. »Montrose beabsichtigt sicher, unsere Vorposten anzugreifen oder sich morgen mit uns in Plänkeleien einzulassen.« »Ich habe Kundschafter nach jeder Richtung ausgesandt,« sagte Sir Duncan, »und wir werden bald hören, wo und in welcher Absicht der Feind sich zusammenziehen, wird.« Einunddreißigstes Kapitel In später Stunde erst, als der Mond schon aufgegangen war, trafen die Nachrichten ein. Gleich darauf war Alarm im Lager und im Schlosse. Von den Kundschaftern, die Ardenvohr ausgesandt hatte, brachten einige nur unverbürgte Mitteilungen über Truppenbewegungen im Lande der Camerons. Andere, die sich weiter gewagt hatten, waren in einen Hinterhalt gefallen und erschlagen worden. Die Vorhut Montroses stieß mit den Vorposten Argyles zusammen, beide tauschten ein paar Musketenschüsse aus und zogen sich dann auf ihr Gros zurück, um Meldung zu erstatten und weiteren Befehl zu empfangen. Sir Duncan Campbell und Auchenbreck revidierten unverzüglich die Vorposten, und Argyle als Oberbefehlshaber machte seiner Stellung einigermaßen Ehre, indem er seine Truppen geschickt in der Ebene aufstellte, weil ein Überfall bei Nacht oder ein Angriff am frühen Morgen sicher zu gewärtigen stand. Montrose hatte sich so vorsichtig in den Schluchten verborgen, daß Sir Duncan und Auchenbreck trotz aller Bemühungen keine genauen Erkundigungen über die Zahl seiner Streitkräfte einziehen konnten. Das jedoch konnten sie erkennen, daß er bedeutend schwächer sein mußte als sie. Sie teilten Argyle ihre Beobachtungen mit, der aber gar nicht glauben wollte, daß Montrose selber zugegen wäre. Dies wäre seiner Meinung nach eine Anmaßung, die selbst James Graham in seinem wahnwitzigen Dünkel nicht zuzutrauen wäre. Er glaubte, nur seine alten Feinde, Glenco Keppoch und Glengarry vor sich zu haben. Argyles Anhängen dürsteten nach Rache für das Ungemach, das ihrem Lande zugefügt worden war. Die Nacht verbrachten sie in der gespannten Hoffnung, mit Tagesanbruch Vergeltung üben zu können. Die Vorposten beider Heere hielten sorgfältig Wacht, und Argyles Streiter schliefen in Gefechtsbereitschaft. Kaum rötete das erste Dämmerlicht die Gipfel der riesigen Berge, da rüsteten sich schon die Führer beider Heere zum Kampfe. Es war am zweiten Februar. Argyles Heer stand in zwei Treffen zwischen dem Fluß und dem See in gewaltiger Schlachtordnung. Auchenbreck war dafür, den Angriff selber zu eröffnen; aber Argyle in seiner vorsichtigen Manier entschloß sich, abzuwarten. Bald verkündeten Signale, daß der Feind zum Angriff vorging. Von der Schlucht des Passes her erscholl ein lauter Trompetenstoß – jenes alte Signal, womit nach schottischer Sitte des Königs Banner begrüßt wurde. »Nun hört Ihrs, Mylord,« sagte Sir Duncan Campbell, »daß jener Mann, der sich zum Stellvertreter des Königs aufwirft, selber dabei ist.« Argyle antwortete nicht; er sah auf seinen Arm, den er in der Binde trug; denn er war am Tage vorher mit dem Pferde gestürzt. »Ihr selbst, Mylord,« fiel Ardenvohr sofort beflissen ein, »seid allerdings nicht imstande, Degen oder Pistole zu führen. Ihr müßt an Bord Eurer Galeere zurückkehren; denn Euer Leben ist uns kostbarer als das eines Häuptlings.« »Nein,« versetzte Argyle, im Zwiespalt zwischen Stolz und Unschlüssigkeit, »nie soll man sagen können, ich sei vor Montrose geflüchtet. Wenn ich auch nicht fechten kann, so will ich doch inmitten meiner Kinder sterben.« Auch andere Häuptlinge beschworen ihr Stammesoberhaupt, den Oberbefehl an diesem Tage an Ardenvohr abzutreten, und diesem Drängen gab Argyle schließlich nach. Es soll ihm nicht der Vorwurf der Feigheit gemacht werden, denn wenn er sich auch in seinem Leben durch keine Tat der Tapferkeit ausgezeichnet hat, so hat er doch bei seinem Tode auf dem Schafott Fassung und Würde bewahrt. Hier möge seine Handlungsweise nur aus Unschlüssigkeit erklärt sein; denn in der Geschichte hat man viele Beispiele weit tapferer Männer, die für ihre Selbsterhaltung sorgten, wenn die Versuchung zu nahe an sie herantrat. Auchenbreck trat unter die Soldaten und ermahnte sie, ihres alten Ruhmes, ihrer Überlegenheit und der Schmach, die sie zu rächen hätten, eingedenk zu sein. So flößte er ihnen ein wenig von dem Feuer ein, das in seinem eigenen Herzen glühte. Argyle ließ sich inzwischen langsam und scheinbar mit Widerstreben an Bord einer Galeere führen, von wo aus er wohlgeborgen dem nun sich abspielenden Kampfe zusehen konnte. Jetzt erklang ein lauter Schlachtruf. Es war dem Feinde nicht entgangen, daß Argyle selber sich zurückgezogen hatte. »Sie bringen ihr kostbares Oberhaupt in Sicherheit,« sagte Montrose mit bitterem Lächeln. »Es soll sogleich zum Angriff geblasen werden! Glengarry, Keppoch, Mac Vourigh, auf zum Kampfe! Major Dalgetty, reitet zu Mac Ilduy, er soll so heiß angreifen, wie er Lochaber liebt! Ihr selbst bringt die Reiterei zu meiner Fahne, sie soll mit den Irländern zur Reserve!« Zweiunddreißigstes Kapitel Die Trompeten und Dudelsäcke, die lärmenden Vorboten von Blut und Tod, gaben vereint das Zeichen zur Schlacht, das in den Gebirgsschluchten lautes Echo fand und von mehr als 2000 Kriegern wiederholt wurde. In drei Treffen drangen Montroses Truppen aus den Pässen hervor und warfen sich tollkühn auf den Feind. Hinter diesen Angriffskolonnen marschierten als Reserve die Irländer unter Colkitto. Dort befand sich die Fahne des Königs und Montrose selbst. Fünfzig Reiter unter Dalgetty standen an den Flanken. Die Hochländer griffen mit der sprüchwörtlichen ingrimmigen Tollheit ihrer Clans an, aber der Feind widerstand ihrem Angriff mit größter Tapferkeit. Die königstreuen Clans gingen zum Handgemenge über und es gelang ihnen, an zwei Punkten die Stellung des Feindes zu erschüttern. Für eine reguläre Truppe wäre hiermit der Sieg errungen gewesen. Hier aber standen Hochländer gegen Hochländer, die einander an Ausrüstung und Streitbarkeit ebenbürtig waren. Es entspann sich ein verzweifelter Kampf. Schwerter, Streitäxte und Schilde krachten widereinander, dazwischen erscholl das kurze wilde Jauchzen, das der Hochländer in jedem Kampfe anstimmt. Viele von denen, die sich hier als Feinde gegenüberstanden, kannten einander persönlich und suchten sich nun durch haßerfüllte Zurufe zu überbieten. Niemand wollte auch nur einen Zoll weichen, und wo einer stürzte – und deren waren viele auf beiden Seiten – da sprang sofort ein anderer an den gefährdeten Platz. Ein Dampf wie aus einem Kochkessel stieg in die dünne frostige Luft und schwebte über den Streitern. Auf dem rechten Flügel gewann Sir Duncan von Ardenvohr durch militärische Gewandtheit sowie durch seine Übermacht ein wenig Terrain. Er hatte bei Beginn des Kampfes den äußersten Flügel seiner Stellung schräg vorwärts geschoben und hatte so die Angreifer in der Front und von der Flanke zugleich in Feuer genommen. Sein Vorteil wurde ihm aber wieder entrissen, indem die irische Reserve in die gelichteten Reihen einrückte und ihn durch wirksames, gut unterhaltenes Feuer wieder zurückwarf. Inzwischen war es Montrose gelungen, mit der Reiterei die rechte Flanke des Feindes zu umfassen und ihm in den Rücken zu fallen. Die Wirkung der jähen Trompetenstöße und der galoppierenden Pferde läßt sich nicht beschreiben. Als der Feind plötzlich seine Reihen durchbrochen und den Gegner in seiner Mitte sah, entstand eine allgemeine Panik. Der Anblick des Majors Dalgetty allein, der mit seiner undurchdringlichen Rüstung angetan, sein Pferd hin und her springen ließ, jagte die Leute in Schrecken, die noch nie einen derartigen Reiter erblickt hatten. Der Kampf war für Argyles Heer nicht länger zu halten, die Reihen lösten sich in Flucht auf. Auchenbreck selbst fiel bei einem tapferen Versuch, die Ordnung wiederherzustellen. Mit fruchtlosem Heldenmute versuchte der Ritter von Ardenvohr mit 200 bis 300 Mann – sämtlich Herren von hohem Stande – die wilde Flucht zu decken. Ihr Mut wurde ihnen zum Verhängnis, sie wurden auseinandergeworfen und schienen schließlich dem Heldentode nicht mehr entrinnen zu können. »Ergebt Euch, Sir Duncan,« rief Major Dalgetty, seinen Wirt erkennend, und ritt mit erhobenem Schwerte auf ihn zu. Sir Duncan antwortete mit einem Pistolenschüsse, der zwar nicht den Reiter, aber sein edles Schlachtroß Gustavus traf, das ins Herz getroffen zu Boden stürzte. Ranald Mac Eagh, der gleichfalls Sir Duncan angegriffen hatte, benutzte die Gelegenheit, als dieser sich, um die Pistole abzufeuern, von ihm wegwandte, und schlug ihn mit einem Schwertstreich nieder. In diesem Augenblick kam Allan Mac Aulay herzu. »Schurken!« rief er. »Wer hat dies getan? Gab ich nicht ausdrücklich Befehl, den Ritter von Ardenvohr lebendig zu fangen?« Ein halb Dutzend Kerle, die damit beschäftigt waren, den gefallenen Ritter zu plündern, ließen von ihrem Treiben ab und bezeichneten Ranald als den Täter. »Hund von einem Inselbewohner!« rief Allan aus. »Folgt den andern und laßt ab von dem Gefangenen, wenn Ihr nicht von meiner Hand sterben wollt!« Sie waren jetzt beide allein, denn Allans Drohungen hatten Ranalds Genossen verscheucht. Der günstige Augenblick ließ Mac Eaghs Rachsucht auflodern. »So gut Ihr mir droht, ich solle von Eurer Hand fallen, die freilich schon rot ist vom Blute meiner Anverwandten,« rief Ranald herausfordernd, »so gut könnt Ihr durch meine Hand fallen!« Mit diesen Worten hieb er auf Allan ein, daß dieser kaum Zeit hatte zu parieren. »Schurke!« rief Allan erstaunt, »was soll das?« »Ich bin Ranald, ein Sohn des Nebels!« war die Antwort, und ein zweiter Schwertstreich folgte. Nun entspann sich zwischen beiden ein wilder Zweikampf. Das Schicksal schien es so bestimmt zu haben, daß Allan Mac Aulay seine Mutter an dem wilden Stamme vollgiltig rächen solle. Nach wenigen gewechselten Klingen erhielt Ranald eine tiefe Kopfwunde und stürzte. Allan Mac Aulay setzte ihm den Fuß auf die Brust und wollte ihm eben das Schwert in den Leib stoßen, als die Spitze seiner Waffe von einem Dritten weggestoßen wurde, der in diesem Augenblick herzutrat. Dies war niemand anders als Major Dalgetty, der, erst vom Sturze seines Pferdes betäubt, inzwischen seine Besinnung wieder erlangt hatte. »Hebt Euer Schwert auf!« sagte er zu Allan Mac Aulay, »und fügt diesem Manne kein Leid weiter zu! Er steht unter meinem Geleit und unter dem Schutze und im Dienst Sr. Exzellenz!« »Narr!« rief Allan, »geht und wagt Euch nicht zwischen den Tiger und seine Beute!« Dalgetty ließ sich nicht abschrecken, schritt über Mac Eagh hinweg und gab Allan zu verstehen, wenn er sich einen Tiger nenne, so könne er leicht einem Löwen begegnen. Eine Handbewegung und diese herausfordernden Worte genügten, die Kampfeswut Allans auf ihn zu richten. Dreiunddreißigstes Kapitel Der Kampf zwischen Allan und Mac Eagh war nicht aufgefallen, denn den letztern kannten nur wenige; der Kampf zwischen Allan und Dalgetty jedoch, die jedermann genau kannte, erregte sofort Aufsehen. Glücklicherweise kam auch Montrose herbei, und als er Mac Eagh auf dem Boden liegen und Dalgetty mit Allan fechten sah, sprengte er herbei, um dem Zwist ein Ende zu machen. »Schämt Euch, Ihr Herren!« riet er aus. »Auf einem so glorreichen Felde des Sieges Händel zu treiben! Seid Ihr von Sinnen? oder seid Ihr berauscht von dem Ruhme dieses Tages?« »Es ist nicht meine Schuld,« sagte Dalgetty; ich bin als bueno camerado in allen Heeren Europas bekannt; wenn aber jemand den Mann antastet, der unter meinem sichern Geleit steht –« »Und wenn einer,« fiel Allan ihm ins Wort, »mich an einer gerechten Rache zu hindern wagt –« »Schämt Euch, Ihr Herren!« wiederholte Montrose. »Ich habe wichtigeres für Euch beide zu tun. Ihr, Major Dalgetty kniet nieder –« »Was! Ich soll knien?« rief Major Dalgetty. »Im Namen des Königs und seines Stellvertreters!« rief Montrose. Als Dalgetty sich mit Widerstreben fügte, berührte ihm Montrose die Schulter mit der flachen Degenklinge und sprach: »Im Namen und in Vollmacht unsers Königs und zur Belohnung für Eure Tapferkeit in dieser Schlacht gebe ich Euch den Ritterschlag! Seid tapfer, treu und glücklich! Und nun, Sir Dugald Dalgetty, verseht Euern Dienst! Sammelt Eure Reiter und verfolgt den Feind, wagt Euch aber nicht zu weit! Aufs Pferd, Sir Dugald!« »Was für ein Pferd soll ich besteigen?« rief der neugebackne Ritter. »Mein Gustavus liegt auf dem Felde der Ehre.« Montrose stieg ab. »Mein eigenes Pferd schenke ich Euch,« sagte er. »Führt nur die Aufträge aus, deren Ihr Euch in so vorzüglicher Geschicklichkeit entledigt.« Unter Danksagungen bestieg Sir Dugald das ihm so freigiebig überlassene Pferd und ritt davon. »Und Ihr, Allan Mac Aulay,« wandte sich Montrose an den Hochländer, der mit zur Erde gesenktem Schwert der Feierlichkeit des Ritterschlags mit Hohn zugesehen hatte – »Euch, der Ihr den gewöhnlichen Menschen weit überlegen seid – der Ihr bei Eurer tiefen Wissenschaft mir ein wertvoller Ratgeber seid – Euch finde ich im Kampfe mit einem Manne wie Dalgetty. – Dieser Sieg soll ausgenutzt werden, um Seaforth für unsere Partei zu gewinnen. Er ist nicht aus Untreue, sondern weil er an der guten Sache verzweifelt, zu den Gegnern übergegangen. Jetzt ist er vielleicht zu bestimmen, sich mit uns zu vereinigen. Ich will meinen tapferen Freund, den Oberst Hay, zu ihm entsenden; aber ein Edelmann aus den Hochlanden von hohem Range muß mit ihm gehen. Dieser Mann muß Fähigkeit und Einfluß besitzen, um Eindruck auf ihn zu machen. Ihr seid die geeignetste Person, Ihr kennt jeden Paß und jedes Tal im Hochland und auch die Sitten jedes Stammes. Geht daher zu Hay, er hat seine Unterweisung und harret Eurer. Seid sein Führer, Dolmetsch und Gefährte.« Allan Mac Aulay sah den Grafen finster und durchdringend an, wie um zu erforschen, ob er aus geheimen, nicht angegebenen Gründen zu dieser Sendung bestimmt wurde. Montrose, der es wohl verstand, andre Beweggründe zu durchschauen, war ebenso ein Meister darin, seine eignen Absichten zu verbergen. In diesem Moment der entflammten Leidenschaft mußte Allan auf jeden Fall auf eine zeitlang aus dem Lager entfernt werden, damit Montrose, wie seine Ehre es gebot, die Männer in Sicherheit bringen konnte, die ihm zu Führern gedient hatten. Den Zwist Dalgettys mit Allan hoffte er dann leicht ausgleichen zu können. Allan empfahl nur noch Sir Duncan Campbell der Sorge Montroses. Dieser ließ den Verwundeten in Sicherheit bringen und sorgte auch dafür, daß Mac Eagh unter die Obhut einer Abteilung Irländer kam. Dann bestieg er ein neues Pferd und ritt fort, um sich am Anblick seines Sieges zu weiden, der entscheidender war, als seine kühnsten Hoffnungen es erwartet hatten. Argyles Heer von 3000 tapfern Kriegern war in der Schlacht und auf der Flucht auf die Hälfte reduziert worden. Die Flüchtlinge waren auf jenen Teil der Ebene gedrängt worden, wo zwischen dem See und dem Fluß jeder weitere Rückzug versperrt war. Hunderte wurden in den See getrieben und ertranken. Von denen, die mit dem Leben davon gekommen waren, hatte ein Teil sich schwimmend über den Fluß gerettet, ein andrer Teil hatte sich in das alte Schloß Inverlochie geflüchtet. Da sie aber keine Vorräte hatten, mußten sie sich ergeben auf die Zusicherung freien Abzuges. Waffen, Munition, Fahnen und Bagage fielen den Siegern zur Beute. Dies war der schwerste Schlag, von dem der Stamm von Diarmid – wie die Campbells in den Hochlanden genannt wurden – je betroffen wurde. Aber der schwere Verlust war nach Ansicht vieler Häuptlinge nichts gegen die Schande, die in dem schimpflichen Benehmen ihres Oberhauptes gelegen habe. Als die Schlacht verloren war, lichtete die Galeere die Anker und fuhr, so schnell Ruder und Segel sie zu bewegen vermochten, den See hinab. Vierunddreißigstes Kapitel Montrose selber hatte seinen glänzenden Sieg über seinen Rivalen gleichfalls mit Verlusten bezahlen müssen, wenn sie auch nicht den zehnten Teil der gegnerischen betrugen. Manchem tapfern Manne hatte die zähe Tapferkeit der Campbells das Leben gekostet. Mehr noch waren verwundet, darunter Lord Menteith, wenn auch nicht schwer. Mit froher, wenn auch etwas leidender Miene überreichte er seinem Feldherrn das Banner Argyles, das er mit eigner Hand dem Fahnenträger entrissen hatte. Montrose liebte seinen edeln Vetter, dessen angeborne Ritterlichkeit er hochschätzte. »Mein edler tapfrer Vetter!« rief er und drückte ihn an die Brust. Und diese schlichten Worte innig empfundenen Lobes erfüllten Menteith mit wärmerer Freude, als es die Anerkennung am Throne eines Fürsten vermocht hätte. »Ich habe nun nichts weiter zu verrichten, Mylord,« sagte er. »Nur eine Pflicht der Menschlichkeit gestattet mir zu vollbringen – wie ich höre, ist der Ritter von Ardenvohr schwer verwundet und gefangen?« »Und da ist ihm durchaus nach Verdienst geschehen«, sagte Dugald Dalgetty, der in diesem Augenblick herzutrat, »denn er hat meinen armen Gustavus erschossen.« »Wir müssen Euch also unser Beileid über Euern Verlust aussprechen,« sagte Lord Menteith. »So ist es, Mylord,« erwiderte der Soldat, tief seufzend. »Und ich will jetzt den Resten meines alten Waffengefährten einen Besuch abstatten.« »Wollt Ihr ihm ein feierliches Begräbnis zuteil werden lassen?« fragte der Marquis. »Das freilich nicht,« antwortete Dalgetty; »ich verfolge dabei einen weniger romantischen Zweck. Ich will mich mit den Vögeln des Himmels in die Erbschaft des armen Gustavus teilen und ihm die Haut abziehen, die ich in liebevoller Erinnerung zu Wams und Beinkleidern verarbeiten lasse, da es um mein Unterzeug zurzeit sehr schlecht bestellt ist.« »Dann möchte ich Euch raten,« sagte Lord Menteith, »Euch nach der Bagage des Feindes zu begeben. Ich selber habe gesehen, wie einer dort einen prächtigen Anzug aus Büffelleder, mit Seide und Silber gestickt, herausgenommen hat.« »Voto, a dios, wie der Spanier sagt!« rief Ritter Dugald aus. »Und irgend ein Bettelbube wird sich ihn aneignen, während ich hier stehe und plaudere.« Er gab seinem neuen Pferde die Sporen und jagte über das Schlachtfeld. »Da reitet er hin, der Hund!« sagte Menteith, »und zerschmettert manchem Manne, der zehnmal mehr wert ist als er, mit seinen Hufschlägen das Gesicht und zerstampft die Leichen. Er ist so erpicht auf seine schmutzige Beute wie der Geier auf Aas. Aber die Welt, nennt diesen Menschen einen Soldaten – und Ihr, Mylord, haltet ihn für würdig der Ehre der Ritterschaft und hängt die Kette des Rittertums um den Hals eines Bluthundes.« »Was blieb mir übrig?« entgegnete Montrose. »Knochen, die ich ihm hätte vorwerfen können, hatte ich nicht; und irgendwie mußte ich ihn bestechen. Außerdem hat der Hund auch seine guten Eigenschaften. Es hat auch seinen Vorteil, Soldaten unter sich zu haben, auf deren Beweggründe und Triebfedern man mit mathematischer Gewißheit rechnen kann.« Nach diesen Worten sprang er plötzlich von seinem Gegenstande ab und fragte, wann Menteith zum letztenmal Annot Lyle gesehen habe. »Gestern abend,« antwortete der junge Lord errötend. »Und dann nur einen flüchtigen Augenblick kurz vor der Schlacht.« »Mein teurer Freund,« sagte Graf Montrose in wohlwollendem Tone, »wir sind hier im Lande der Verzauberung, wo aus den Haarflechten der Frauen Netze, fest wie Stahl, geflochten werden. Und Ihr seid ein Ritter, wie geschaffen für solche Fesseln. Dieses arme Mädchen ist sehr schön und begabt und macht Eindruck auf Euer romantisches Empfinden. Ihr könnt nicht daran denken, ihr weh zu tun – aber Ihr könnt auch nicht daran denken, sie heimzuführen.« »Mylord, Ihr habt schon öfters so gesprochen – ich kann es nur für Scherz halten –«, antwortete Lord Menteith. »Annot Lyle ist von unbekannter Herkunft – wahrscheinlich die Tochter eines Räubers – sie lebt von der Gastfreundschaft der Mac Aulays.« »Verübelt mirs nicht, Menteith,« fuhr der Graf fort. »Ich würde Euch vielleicht gar nicht damit behelligen, wenn es sich nur um Euch und Annot Lyle handelte. Aber Ihr habt einen sehr gefährlichen Nebenbuhler in Allan Mac Aulay, und man kann nicht wissen, wie weit er in seinem Groll gehen könnte. Es ist meine Pflicht, Euch zu sagen, daß jeder persönliche Zwist für den Dienst des Königs von Nachteil ist.« »Ich weiß, Mylord, daß Ihr es gut mit mir meint,« antwortete Menteith, »und ich hoffe, Ihr werdet zufrieden sein, wenn ich Euch die Versicherung gebe, daß ich, mit Allan Mac Aulay hierüber gesprochen habe. Ich habe ihm erklärt, irgendwelche schnöden Absichten inbezug auf diese Name wären meinem Charakter nicht entsprechend. Jeder ernste Gedanke aber sei infolge ihrer niedern Herkunft völlig ausgeschlossen. Freilich will ich Eurer Lordschaft nicht verhehlen, daß Annot Lyle meinen Namen und Rang teilen würde, wenn sie von hohem Stande wäre. So aber ist es unmöglich. – Doch Eure Lordschaft muß entschuldigen, ich habe da eine kleine Schramme.« Mit diesen Worten blickte er auf seinen Arm, den er mit einem Schnupftuch verbunden hatte. »Eine Wunde?« fragte Montrose ängstlich; »laßt mich sehen. Ich hätte wohl nichts davon erfahren, wenn ich nicht eine tiefere schmerzlichere Wunde berührt hätte. Menteith, Ihr dauert mich – auch ich habe es kennen gelernt – doch was hülfe es, den alten Schmerz zu wecken, der sich schon lange nicht mehr geregt hat?« Mit diesen Worten drückte er seinem edeln Vetter die Hand und begab sich ins Schloß. Fünfunddreißigstes Kapitel Wie das in den Hochlanden nicht zu den Seltenheiten gehörte, verstand Annot Lyle mit Arzeneien umzugehen und war in der wundärztlichen Tätigkeit bewandert. Wie begreiflich war die Arzneikunde oder die Medizin als Wissenschaft und Kunst für sich ganz unbekannt. Die ärztliche Behandlung, die geübt wurde, lag in der Hand der Frauen. Bei ihrer Sorgfalt und Aufmerksamkeit war Annot Lyle mit ihren Dienerinnen und den ihr unterstellten Personen während dieses Feldzuges mit großem Erfolg tätig gewesen. Wo sie nur immer von nutzen sein konnte, ließ sie ihre Hilfe Freunden und Feinden bereitwillig zuteil werden. Augenblicklich weilte sie im Schlosse, wo unter ihrer Leitung Arzeneien aus Kräutern gegen Verwundungen angefertigt wurden. Während sie sich von ihren Frauen über die ihrer Sorgfalt anvertrauten Verwundeten berichten ließ und alles verteilte, was zu deren Heilung vorhanden war, trat plötzlich Allan Mac Aulay ins Zimmer. Sie fuhr auf; denn sie hatte gehört, daß er als Gesandter abgeschickt worden sei. Obgleich sie es gewöhnt war, bei ihm ein finsteres Gesicht zu sehen, so schien doch auf seinen Zügen jetzt ein noch tieferer Schatten zu liegen als sonst. »Ich glaubte,« sagte sie mit mühsamem Tone, »Ihr wäret schon fort.« »Mein Reisegefährte wartet auf mich,« sagte Allan. »Ich gehe gleich.« Dennoch blieb er vor ihr stehen und erfaßte ihren Arm mit einem Griff, der ihr zwar keinen Schmerz bereitete, an dem sie aber doch seine große Kraft verspüren konnte, denn seine Hand hielt sie wie die Klammer einer Zange. »Soll ich die Harfe holen?« fragte sie furchtsam. »Senken sich wieder die Schatten auf Euch nieder?« Er antwortete nicht, sondern führte sie ans Fenster des Gemaches, von dem aus das Schlachtfeld mit all seinen Greueln zu übersehen war. Es war besät mit Toten und Verwundeten, und Marodeure waren damit beschäftigt, den Opfern des Krieges die Kleider vom Leibe zu reißen. »Gefällt Euch das Bild?« fragte Allan. »Es ist entsetzlich,« entgegnete Annot, die Hände vor die Augen schlagend. »Wie könnt Ihr mich auffordern, dorthin zu schauen!« »Ihr müßt Euch abhärten, da Ihr doch bei diesem dem Untergange geweihten Heere weilt. Auf solchem Schlachtfelde werdet Ihr den Leichnam meines Bruders suchen – auch den Menteiths – auch meinen – doch dies wird Euch einerlei sein – Ihr habt mich doch nicht lieb?« »Es ist das erstemal, daß Ihr mich der Lieblosigkeit zeiht,« sagte Annot weinend. »Ihr seid mein Bruder – mein Erretter – mein Beschützer – muß ich Euch nicht lieb haben? Noch die Stunde der Finsternis kommt über Euch – soll ich die Harfe holen?« »Bleibt,« sagte Allan und hielt sie noch immer fest; »ob nun meine Visionen aus dem Himmel oder der Hölle oder aus der Sphäre körperloser Geister stammen – oder mögen sie nichts sein als die Täuschungen einer überhitzten Phantasie – ich bin jetzt frei von ihrem Einfluß und rede die Sprache der sichtbaren Naturwelt. Ihr habt mich nicht lieb, Annot – Menteith liebt Ihr – und er liebt Euch wieder – Allan aber gilt Euch nicht mehr als die vielen Leichen, die dort auf der Heide liegen.« Es ist nicht anzunehmen, daß was diese seltsamen Worte enthielten, dem Mädchen etwas Neues war. Es hat noch nie ein Weib gegeben, das nicht unter den gleichen Umständen den Zustand ihres Verehrers erkannt hätte. Indem Allan aber plötzlich den Schleier – so dünn er auch gewesen sein mochte – hinwegriß, sah sie schon die Folgen vor sich, die bei dem Ungestüm seines Wesens furchtbar sein mußten. Sie versuchte, seinen Verdacht zurückzuweisen. »Ihr vergeht,« sagte sie, »was ihr Euerm Seelenadel selber schuldig seid, indem Ihr ein so hilfloses Mädchen beleidigt, das vom Schicksal Euch ganz in die Hand gegeben worden ist. Ihr wißt, wer ich bin und wie unmöglich es ist, daß Menteith oder Ihr die Sprache der Liebe zu mir reden dürftet. Ihr wißt, aus welchem unglückseligen Stamm vermutlich ich bin.« »Ich kann das nicht glauben,« sagte Allan. »Nie floß ein Kristalltropfen aus unreiner Quelle.« »Und selbst wenn Ihr daran zweifelt, dürft Ihr so nicht zu mir reden.« »Ich weiß, daß dadurch eine Schranke zwischen uns ist – ich weiß aber auch, daß Ihr deswegen doch nicht von Menteith getrennt seid – hört mich denn, geliebte Annot, verlaßt diesen Platz der Gefahr und des Greuels – ich will Euch in das Haus der edeln Dame Seaforth geleiten –« »Wie könnt Ihr solches von mir verlangen?« versetzte Annot. »Nein, ich will hier bleiben unterm Schutz des edeln Montrose, und wenn wir uns dem Flachlande nähern, so werde ich Gelegenheit finden, Euch vom Anblick eines Mädchens zu befreien, das Euch ein Dorn im Auge geworden ist – obgleich es nicht weiß, weshalb?« Allan stand zwischen Mitgefühl und Zorn seltsam bewegt. »Annot,« sagte er, »Ihr, wißt selbst am besten, wie sehr das, was Ihr sagt, im Widerspruch steht zu dem, was ich für Euch empfinde. Ihr freut Euch aber darüber, daß ich abreise, denn nun könnt Ihr ungestört mit Menteith verkehren, ohne daß ein Spion Euch bewacht. Noch seid beide auf der Hut!« setzte er in finsterem Tone hinzu. »Denn wer hatte je gehört, daß Allan Mac Aulay geschmäht worden sei, ohne daß er zehnfache Buße dafür gefordert hatte.« Mit diesen Worten drückte er ihr heftig den Arm, zog die Mütze in die Stirn und ging hinaus. Sechsunddreißigstes Kapitel Annot Lyle sah jetzt den Abgrund vor sich, den die Liebeserklärung Allans und seine glühende Eifersucht vor ihr aufgetan hatte. Ihr war, als taumle sie am Rande ihres Unterganges, jeder Rettung und jeder menschlichen Hilfe entrückt. Schon lange Zeit wußte sie, daß sie Lord Menteith inniger als einen Bruder liebte. Allein ihre Zuneigung war von jener stillen, schüchternen, sinnigen Art, die sich mehr am Glück des geliebten Mannes freut, als für sich selbst große Ansprüche und Hoffnungen stellt. Durch Allans Erklärung wurde ihr romantischer Plan, im geheimen ihre Liebe zu hegen, ohne nach Erwiderung zu trachten, vereitelt. Schon lange fürchtete sie Allan – jetzt betrachtete sie ihn voller Entsetzen; denn sie kannte ja seinen Charakter. Wie edelmütig er sonst auch war, so wußte sie doch nur zu gut, daß er sich in seinem Ungestüm nie Zwang antat. Wie ein gezähmter Löwe, dem niemand zu widersprechen wagte, schritt er im Hause seiner Väter umher. Wie viele Jahre waren dahingegangen, seit ihm je einmal nicht der Wille geschehen war, oder seit irgendwer einen Wortwechsel mit ihm begonnen hatte. Und hätte er nicht – abgesehen von den Zeitpunkten, wo die mystische Stimmung ihn befiel – gesunden Menschenverstand besessen, so hätte er die Plage und der Schrecken seiner ganzen Umgebung sein müssen. Annot Lyle hatte jedoch nicht Muße, ihren Gedanken nachzuhängen; denn in diesem Augenblick trat Sir Dugald Dalgetty bei ihr ein. »Annot Lyle,« begann der alte Kriegsmann, »ich möchte Euch bitten, daß Ihr einen meiner Brüder im Rittertum, der in der heutigen Schlacht schwer verwundet worden ist, einmal aufsucht und ihm durch Eure Magd Arzeneien bringen laßt, denn die Wunde scheint – wie die Gelehrten sagen – ein damnum totale zu sein.« Wenn es den Dienst der Barmherzigkeit galt, zauderte Annot Lyle nie. Sie fragte schnell nach der Beschaffenheit der Wunde, und da sie Anteil an dem würdigen alten Häuptling nahm, den sie in Darnlinvarach kennen gelernt hatte, und dessen sie sich noch aufs lebhafteste erinnerte, so bemühte sie sich, ihren eigenen Schmerz über der Aufgabe, andern zu helfen, wieder auf kurze Zeit zu vergessen. Sir Dugald führte Annot Lyle in das Zimmer, wo der Kranke lag. Dort fand sie zu ihrem Erstaunen auch Lord Menteith. Sie errötete unwillkürlich – aber um ihre Verwirrung zu verbergen, untersuchte sie schnell, die Wunde des Ritters von Ardenvohr und erkannte sogleich, daß es hier mit ihrer Kunst nicht mehr getan sei. Sir Dugald ging inzwischen in ein großes Nebengebäude, wo auf dem Fußboden unter andern Verwundeten Ranald Mac Eagh lag. »Mein alter Freund,« sagte der Ritter, »ich will, wie ich Euch schon sagte, gern alles tun, um Euch gefällig zu sein, damit ich Euch für die Wunde entschädige, die Ihr empfangen habt, während Ihr noch unter meinem sichern Geleit standet. Ich habe daher Annot Lyle hergesandt, damit sie nach Sir Duncans Wunde sehen soll, obgleich es mir nicht ganz einleuchtet, was Ihr davon haben solltet. Und nun, guter Sohn des Nebels, könnt Ihr mir nicht sagen, was aus Euerm hoffnungsvollen Sprößling geworden ist? Ich habe ihn nicht mehr gesehen, seit er mir vor der Schlacht die Waffen anlegen half. Der bummlige Schlingel verdient die Peitsche.« »Er ist nicht weit,« antwortete der verwundete Räuber – »hebt nicht die Hand wider ihn, denn er ist Mannes genug, Euch für eine Elle lederner Geißel einen Fuß harten Stahles zurückzugeben.« »Nehmt nur das Maul nicht gar so voll,« sagte Sir Dugald. »Da ich Euch aber für einige Gefälligkeiten Dank schuldig bin, so will ich darüber hinwegsehen.« »Wenn Ihr mir Dank zu schulden meint,« entgegnete Ranald, »so könnt Ihr mir einen Gegendienst erweisen. Sorgt dafür, daß ich in das Zimmer getragen werde, wo Annot Lyle bei dem Ritter von Ardenvohr weilt. Ich habe beiden etwas Wichtiges zu sagen.« »Es verstößt freilich gegen die Standesordnung,« sagte Dalgetty, »einen verwundeten Räuber zu einem Ritter zu bringen; denn die Ritterschaft war früher schon und ist auch heute noch die höchste militärische Würde; da aber der Gegendienst, den ihr verlangt, an sich gering ist, so will ich ihn erfüllen.« Mit diesen Worten befahl er drei Kriegern, Mac Eagh auf den Schultern in Sir Duncans Zimmer zu bringen. Er selbst ging voraus, den seltsamen Besuch anzukündigen. Die Soldaten waren aber so flink, daß sie ihm dicht auf den Fersen folgten. Sie traten mit ihrer unheimlichen Last herein und legten Mac Eagh auf den Boden des Zimmers. Seine an sich schon wilden Züge waren vom Schmerz verzerrt, das Hemd und die wenigen Kleider, die er anhatte, vom eignen Blute und dem anderer befleckt, das keine milde Hand abgewischt hatte, obgleich die Wunde verbunden worden war. Mühsam hob er den Kopf und sah nach der Lagerstatt des Mannes, der ihm vor kurzem noch als Feind gegenüber gestanden hatte. Siebenunddreißigstes Kapitel »Seid Ihr der Häuptling,« fragte er, »den die Leute den Ritter von Ardenvohr nennen?« »Der bin ich,« antwortete Duncan. »Was habt Ihr zu schaffen mit einem Manne, dessen Stunden gezählt sind?« »Für mich sind nicht nur die Stunden, sondern die Minuten gezählt,« versetzte der Räuber. »Um so mehr von mir, wenn ich die wenigen Minuten noch dem Manne erweise, dessen Hand stets gegen mich erhoben war – wie meine gegen ihn.« »Deine gegen mich! – erbärmliches Gewürm!« rief der Ritter, auf seinen jammervollen Feind herabsehend. »Jawohl,« erwiderte der Räuber mit fester Stimme, »und höher war mein Arm über ihn gereckt! In dem hartnäckigen Kampfe zwischen uns beiden habe ich die tiefsten Wunden geschlagen, wenn auch die, die Du schlugest, nicht leicht und schmerzlos waren – wisse, ich bin Ranald Mac Eagh – Ranald, der Sohn des Nebels – die Nacht, in der ich dein Schloß als hohe Feuersäule den Winden preisgab, ist ebenbürtig diesem Tage, an dem du fielest vom Schwerte meiner Väter. Gedenke des Unglücks, das Du über unsern Stamm gebracht hast – nie tat uns ein andrer außer Dir schweres an bis auf einen – doch der ist vom Schicksal, wie man sagt, gegen unsre Rache gefeit. Das wird sich zeigen.« »Mylord Menteith,« sagte Sir Duncan, sich in seinem Bette aufrichtend. »Dieser Mann ist ein Schurke, ein Feind des Königs und des Parlaments zugleich, ein Abscheu Gott und den Menschen – einer der geächteten Banditen des Nebels, ein Feind Euers Hauses, der Mac Aulays und meines Hauses. Ich hoffe, Ihr werdet es nicht dulden, daß die wenigen Augenblicke, die mir vielleicht noch vergönnt sind, mir durch den Triumph dieses Barbaren vergällt werden.« »Er soll seine wohlverdiente Strafe empfangen,« sagte Menteith, »bringt ihn auf der Stelle weg.« Sir Dugald wollte sich ins Mittel legen – allein der Räuber überschrie ihn mit seiner rauhen Stimme. »Nein!« rief er. »Möge die Folter oder der Galgen mein Lohn sein! Laßt mich verwesen zwischen Himmel und Erde, gebt mich den Geiern und Adlern des Ben–Nevis zum Fraße – nun so soll dieser Ritter und der siegreiche Thane nie das Geheimnis erfahren, das nur ich enthüllen kann. Ein Geheimnis, bei dem Ardenvohrs Herz laut aufjauchzen würde vor Freude, läge er auch im Todeskampfe – ein Geheimnis, für das Lord Menteith seine weite Grafschaft hingeben würde – komme hierher, Annot Lyle!« setzte er hinzu, sich mit einer Kraft aufrichtend, die ihm niemand Mehr zugetraut hätte; »fürchte Dich nicht vor meinem Anblick – hattest Du Dich doch als kleines Kind an mein Knie geklammert. Sage diesen stolzen Herren, die Dich verachten als Sproß eines alten Stammes – sage ihnen, daß Du nicht aus unserm Blute bist. Du bist keine Tochter vom Geschlechte des Nebels, Du bist geboren in einem Schlosse, Du hast in einer Wiege gelegen auf so weichen Kissen, wie nur je das verzärteltste Kind im stolzesten Paläste.« Menteith bebte vor Erregung. »Im Namen Gottes,« rief er »wenn Ihr etwas, von der Herkunft dieser Dame wißt, so entlastet Euer Gewissen von diesem Geheimnis, ehe Ihr aus der Welt scheidet.« »Nicht wahr?« entgegnete Mac Eagh mit einem boshaften Blick. »Segnen soll ich meine Feinde noch mit meinem letzten Atemzuge. Das predigen Euch Eure Geistlichen, aber wann richtet Ihr selber Euch danach? Erst sagt mir, was Euch mein Geheimnis wert ist, ehe ich es preisgebe – was würdet Ihr geben, Ritter von Ardenvohr, um die Gewißheit zu erlangen, daß Euer abergläubischer Fastenstag unnütz ist und daß ein Sproß Euers Hauses noch lebt? – ich warte auf Antwort – sonst spreche ich kein Wort weiter.« »Dafür könnte ich,« begann Sir Duncan, und seine Stimme schwankte zwischen Zweifel, Haß und banger Hoffnung – »dafür könnte ich – doch ich weiß ja, Dein Geschlecht ist dem bösen Feinde gleich – Lügner und Mörder von Kindesbeinen an – wäre es aber wahr, so könnte ich dafür Dir fast das Ungemach verzeihen, das Du mir angetan hast.« »Hört nur,« sagte Ranald, »für einen Sohn von Diarmid hat er viel geboten – und Ihr, edler Thane, es heißt ja, Ihr würdet Gut und Blut dafür hingeben können, erführet Ihr, daß Annot Lyle keine Tochter eines geächteten Stammes sei, sondern daß sie aus einem Hause sei, das für ebenso vornehm gilt wie das Eure. Wohlan, nicht aus Freundschaftlichkeit gegen Euch sage ich, es – sondern weil die Zeit dahin ist, wo ich dieses Geheimnis für die Freiheit verkaufen könnte: Annot Lyle ist das jüngste, und das einzige am Leben gebliebene Kind des Ritters von Ardenvohr, das allein gerettet wurde, als alles andere in seiner Halle den Untergang in Blut und Feuer fand.« »Ist es möglich, daß dieser Mann die Wahrheit spricht?« murmelte Annot Lyle fast unbewußt. »Mädchen,« sagte Ranald, »hättest Du länger bei uns gelebt, so hättest Du besser erkennen gelernt, wie Wahrheit klingt. Dem Lord hier und dem Ritter werde ich für das, was ich sage, Beweise geben, die jeden Zweifel ausschließen. Geh Du inzwischen – ich habe Dich geliebt als Kind – ich hasse Dich nicht als Maid – kein Auge haßt die Rose, die im Aufblühen ist, wenn sie auch, über einem Dorne prangt. Deinetwegen nur bedaure ich etwas, das in Bälde sich ereignen wird. Wer aber Rache nehmen will an einem Feinde, darf nicht darauf achten, ob ein schuldloses Wesen mit leiden wird.« »Der Rat ist gut, Annot,« sagte Lord Menteith, »geht in Gottes Namen!« »Ich will nicht weg von meinem Vater, den ich endlich gefunden habe,« sagte Annot Lyle. »Ich will ihn nicht in so furchtbarer Lage allein lassen.« »Und ein Vater will ich Euch immer sein«, sagte Sir Duncan. »Nun denn,« sagte Menteith, »so will ich Mac Eagh ins Nebenzimmer bringen lassen und dort seine Aussage zu Protokoll nehmen lassen – Sir Dugald Dalgetty wird mir dabei Hilfe leisten.« »Mit Vergnügen, Mylord, antwortete Sir Dugald. »Da könnt Ihr keinen bessern finden, zumal ich die ganze Geschichte schon vor vier Wochen etwa im Schloß von Inverary gehört habe – aber bei so viel Angriffen und Stürmen ist es in meinem Gedächtnis allerdings etwas kunterbunt geworden, wo man ohnedies an so viel Wichtigeres zu denken hat.« Achtunddreißigstes Kapitel Lord Menteith hielt genaue Nachforschungen betreffs der Aussagen Ranalds. Die zwei Begleiter, die als Führer im Lager waren, bestätigten sie. Er verglich die Erklärungen sorgfältig mit dem Bericht, den Sir Duncan über die Zerstörung seines Schlosses noch zu geben vermochte. Es war natürlich äußerst wichtig, den Beweis zu liefern, daß die Erzählung keine Erfindung des Räubers sei, die derselbe angebracht habe, um eine falsche Person zur Erbin von Ardenvohr zu machen. Vielleicht war Menteith nicht der geeignete Mann, die Nachforschungen über den wahren Tatbestand anzustellen, da es in seinem eigenen Interesse lag, der Erzählung Glauben beizumessen. Ein Muttermal wurde genannt, von dem man wußte, daß es bei dem Kinde Sir Duncans vorhanden gewesen sei – und es fand sich auf der linken Schulter von Annot Lyle. Während Menteith das Ergebnis der Untersuchungen den am nächsten dabei beteiligten Personen mitteilte, begehrte der Räuber, sein Enkelkind zu sprechen – das er seinen Sohn, zu nennen pflegte. Man werde ihn nebenan finden, sagte er, wo er selber zuerst gelegen habe. Wirklich entdeckte man nach längerem Suchen den jugendlichen Wilden in einer Ecke, in verfaultes Stroh eingewickelt. Man führte ihn zu seinem Großvater. »Kenneth,« sagte der alte Räuber, »höre die letzten Worte, die der Ahn deines Vaters zu dir spricht. Ein Kriegsmann aus dem Flachland und Allan mit der blutigen Hand sind vor kurzem aus dem Lager aufgebrochen, um nach Caberfä zu reisen. Folge ihnen, wie der Bluthund dem verwundeten Hirsch nachgeht – schwimme durch den See – klettre auf den Berg – ziehe durch den Wald – ruhe nicht eher, als bis du sie erreicht hast.« Die Wangen des Knaben röteten sich bei den Worten seines Großvaters, und er griff nach einem Messer, das er in einem ledernen Riemen trug, der seinen zerschlissenen Mantel zusammenhielt. Der Alte sah die Gebärde. »Nein,« sagte er, »nicht durch deine Hand soll er fallen; aber sie werden dich fragen, was es Neues im Lager gebe. Sage ihnen, Annot Lyle, die Harfenspielerin, sei als Tochter Duncans von Ardenvohr erkannt worden, Thane von Menteith wolle sich mit ihr trauen lassen, und du seist abgesandt, die Gäste zur Hochzeit zu laden. Warte nicht auf ihre Antwort, sondern verschwinde wieder wie der Blitz, den die schwarze Wolke verschlingt. Und nun geh, geliebtes Kind meines geliebtesten Sohnes! Nie wieder werde ich dein Antlitz erschauen, noch deines Fußes Schritt vernehmen – noch einen Augenblick warte und höre meine letzte Mahnung: sei eingedenk des Schicksals unsers Stammes – halte inne die alten Bräuche der Söhne des Nebels. Wir sind jetzt nur eine Handvoll Heimatloser, die aus jedem Tal mit dem Schwerte vertrieben worden sind – und andre Stämme hausen in den Besitzungen, wo unsre Ahnen Holz fällten und Wasser trugen. Doch auch im Dickicht der Wildnis, Kenneth, Sohn Erachts, bewahre dir die Freiheit fleckenlos, die ich als einzig Erbteil dir hinterlasse. Gib sie nie hin um ein reiches Kleid, noch um ein Dach von Stein, noch um einen gedeckten Tisch, noch um ein Daunenlager! – in Berg und Tal – in Überfluß und im Hunger – im grünen Sommer und im eisernen Winter – Sohn des Nebels, bleib frei, wie deine Ahnen! Nenne niemand deinen Herrn – laß dir kein Gesetz schreiben – nimm keinen Lohn an und zahle auch selber keinen Sold – baue keine Hütte, noch einen Zaun um eine Weide und säe auch kein Korn! – Die Hirsche des Berges laß deine Herde sein! –Die Söhne von Diarmid das Geschlecht von Darnlinvarach –die Ritter von Menteith – Kind des Nebels, mein Fluch falle auf dein Haupt, so du einen dieses Namens verschonst, wenn sich Gelegenheit bietet, ihn niederzuhauen! Die Gelegenheit aber wird kommen, denn sie werden sich selber mit ihren Schwertern zerfleischen und in den Nebel flüchten und durch dessen Söhne umkommen! – Noch einmal geh! Leb wohl, geliebtes Kind! Mögest du sterben wie deine Ahnen, ehe Krankheit und Alter dir den Mut zerbricht! – Geh! – Bleib frei! – Vergelte alles Gute, was dir getan wird – und räche das Ungemach, das deinem Stamme angetan worden ist!« Der jugendliche Räuber beugte sich hernieder und küßte seinem sterbenden Großvater die Stirn. Von Kindheit daran gewöhnt, jede Gefühlsregung nach außen hin zu verbergen, ging er ohne Tränen, ohne Gruß und war bald weit vom Lager weg. Ranald Mac Eagh aber richtete sich auf, so daß er aus dem Fenster des Schlosses hinaussehen konnte. Der dichte Nebel, der auf den Spitzen der Berge gelastet hatte, rollte jetzt in die zerklüfteten Gründe und Schluchten hinab, und die schwarzen Rücken der Berge ragten wie Inseln aus einem Dunstmeer hervor. »Geist des Nebels,« sagte Ranald Mac Eagh, »von unsern Ahnen Vater und Retter genannt, nimm mich hin, wenn der Todeskampf vorbei ist. Nimm mich, dessen Leben du so oft beschütztest, nimm mich auf in dein Zelt von Wolken!« Er sank in die Arme derer, die ihn hielten, und drehte das Gesicht der Wand zu. »Den unbesiegbaren Feind,« murmelte, er, »an dessen Händen das Blut klebt, das mir das Teuerste ist, gegen den alle Waffen nutzlos waren, den die Kugel verfehlte, und an dem der Pfeil zersplitterte– diesem Manne habe ich Seelenschmerz, Eifersucht, Verzweiflung und jähen Tod oder ein Leben jämmerlicher als der Tod hinterlassen. Dies wird das Los Allans mit der blutigen Hand sein, wenn er hört, daß Annot die Gemahlin Menteiths wird – nur die Gewißheit möchte ich haben, so wäre mein Tod, den seine Hand mir gab, mir noch versüßt!« Bald darauf hauchte Ranald Mac Eagh, der Sohn des Nebels, seinen Geist aus. Neununddreißigstes Kapitel Inzwischen hatte sich Menteith mit Montrose in ein eifriges Gespräch eingelassen. »Mein lieber Menteith, ich habe bemerkt und auch erkannt, daß die Euch interessante Entdeckung in enger Beziehung mit Eurem Glück steht. Eure Liebe zu der vornehmen Dame findet Erwiderung. Gegen ihre Geburt und ihre großen Vorteile ist auch nicht das geringste einzuwenden. Aber übereilt Euch nicht; denn Sir Duncan ist Fanatiker und ist ein Feind des Königs, als dessen Gefangener er in unseren Händen ist – denn ich glaube, es gibt einen Bürgerkrieg. Habt Ihr keine Aussicht auf anderem Wege zum Ziele zu gelangen, so sucht den Ritter durch gute Vorschläge zu gewinnen!« Jedoch der leidenschaftliche Charakter veranlaßte den jungen Edelmann zu mancherlei Einwendungen. Er machte Montrose klar, von Ardenvohr sei gegen Religion und Politik gleichgiltig, erwähnte seine eigne Tätigkeit dem König gegenüber und wies auf die einflußreichen Folgen hin, die eine Heirat mit der Erbin von Ardenvohr auf seine eigene Person ausüben würde. Er befürchtete eine Verschlimmerung der Wunde Sir Duncans, ferner daß die Übersiedelung der jungen Dame nach dem Campbellschen Gebiete alle seine Hoffnungen vernichten könnte. Er berief sich auf die Gefahr, daß nach dem Tode ihres Vaters sicher Argyle die Vormundschaft übernehmen würde und daß dann alle Hoffnung verloren wäre; er müßte denn seine königliche Partei aufgeben. Montrose sah ein, daß die Angelegenheiten trotz aller Schwierigkeiten so schnell wie möglich erledigt werden müßten, da man damit dem König einen Dienst erweise. »Möge alles zu unserer Befriedigung ausfallen, nachdem sich die schöne Briseis aus unserem Lager entfernt hat, bevor Allan Mac Aulay zurück ist. Es wird das beste sein, Ihr fordert Sir Duncan das Ehrenwort ab und entlaßt ihn und seine Tochter. Macht die Reise zu Wasser, damit Eure Wunde sich nicht verschlimmert. Da Ihr selbst auf einige Zeit abwesend seid, werdet Ihr von mir ehrenhaft entschuldigt.« »So lange die königliche Fahne über Euer Exzellenz Lager weht,« entgegnete Menteith, »bleibe ich. Möge immerhin dadurch mein Wunsch nicht in Erfüllung gehen, aber des Königs Angelegenheiten gehen vor, sonst wäre ich es wert, daß mein Arm auf immer lahm bliebe.« »Dies ist also Euer Entschluß?« »Er ists, so wahr Ben Nevis steht!« sagte Menteith. Dann,« erwiderte Montrose, »verhandelt mit dem Ritter von Ardenvohr. Hattet Ihr Glück, so werden Mac Aulay und ich schon einen Ausweg finden und seinen Bruder einfach fortschicken, bis er nicht mehr daran denkt. Möge durch einen Traum jede Spur der Annot Lyle verschwinden! Denkt Ihr, das ist unmöglich, Menteith? Nun gut, gehe jeder seinem Dienste nach – Ihr an den des Cupido, ich an den des Mars! Sie nahmen Abschied voneinander; am nächsten Morgen nach diesen Erörterungen warb Menteith bei dem verwundeten Ritter um die Tochter. Trotzdem Sir Duncan von der Zuneigung der beiden wußte, kam ihm die Erklärung des Grafen Menteith doch zu früh. Zuerst entgegnete er, daß er seinen Gefühlen in einer Zeit freien Lauf gelassen habe, in der sein Geschlecht so großen Verlust und so tiefe Demütigung ertragen mußte; in einer derart unglücklichen Zeit wollte er zunächst dafür Sorge tragen, daß sein Geschlecht sich von den schweren Schicksalsschlägen erhole und vor weiterm Ungemach gesichert werde. Als der Brautwerber heftiger in ihn drang, bat er ihn um einige Stunden Frist, damit er eine so wichtige Angelegenheit reiflich erwägen und mit seiner Tochter besprechen könne. Diese Unterredung und Beratung fiel für Menteith günstig aus. Sir Campbell erkannte, daß seine neugefundene Tochter nur mit ihrem Geliebten glücklich werden könne; Menteiths Charakter war so tadellos, und der Rang, den er durch Abkunft und Vermögen inne hatte, so bedeutend, daß nach Sir Duncans Meinung der Zwiespalt in ihrer politischen Überzeugung keine Rolle spiele. An sich hatte es etwas Demütigendes, daß die Erbin von Ardenvohr als Waise und Harfenspielerin in Darlinvarach aufgewachsen war. Wurde sie aber eingeführt als Braut oder Gemahlin Menteiths, zumal ihr Liebesbund schon entstanden war, als sie noch ein armes Mädchen gewesen war – so war für die Welt der Beweis geliefert, daß sie sich des hohen Ranges, den sie jetzt innehatte, allezeit würdig gezeigt hatte. Auf Grund dieser Betrachtungen erklärte Sir Duncan sich einverstanden, daß die Trauung durch Montroses Kaplan in der Kapelle des Schlosses insgeheim vollzogen werden sollte. In wenigen Tagen war der Befehl zu erwarten, daß Montrose von Inverlochy aufbrechen solle; dann sollte die junge Gräfin sich mit ihrem Vater in ihr Elternhaus begeben und dort bleiben, bis eine günstigere Lage des Staates ihrem Gatten einen ehrenvollen Rücktritt aus dem Kriegsdienst ermöglichte. Nach einmal gefaßtem Entschluß wollte Sir Duncan nichts hören von den mädchenhaften Einwendungen seiner Tochter, die einen Aufschub der Hochzeit wünschte, und es wurde beschlossen, das Fest am nächsten Abend, dem zweiten nach der Schlacht, zu feiern. Vierzigstes Kapitel Alle Vorbereitungen waren getroffen, und Braut und Bräutigam sollten der Sitte des Landes gemäß erst vor dem Altare zusammenkommen. Schon stand die Stunde bevor – der Bräutigam wartete in einer kleinen Sakristei neben der Kapelle auf den Marquis, der der Brautführer sein sollte. Begreiflicherweise erwartete Menteith ihn mit Ungeduld – und als die Tür sich öffnete, rief er lachend: »Ihr laßt lange auf Euch warten!« »Vielleicht komme ich Euch noch zu früh!,« rief Allan Mac Aulay – denn er war es, der ins Gemach stürzte. »Zieht, Menteith, und verteidigt Euch wie ein Mann, oder sterbt wie ein Hund!« »Ihr seid von Sinnen, Allan,« erwiderte Menteith, verblüfft über sein plötzliches Auftreten und die furchtbare Wut, in der er sich gebürdete. Allans Wangen waren totenblaß – die Augen traten ihm fast aus den Höhlen – vor den Lippen stand ihm Schaum – seine Gebärden waren die eines Irrsinnigen. »Ihr lügt, Betrüger!« war die Antwort, »Ihr lügt hierin wie in allem, was Ihr mir sagt. Euer ganzes Dasein ist eine Lüge!« »Hätte ich nicht schon gesagt, was ich denke, indem ich, Euch verrückt nannte?« entgegnete Menteith zornig, »so könnte Euer eignes Leben jetzt ein rasches Ende nehmen. Was berechtigt Euch zu dem Vorwurf, ich hätte Euch betrogen?« »Habt Ihr mir nicht gesagt, Ihr würdet Annot Lyle nicht heiraten?« entgegnete Allan – »und jetzt, falscher Verräter, erwartet sie Euch vor dem Altare!« Menteith wies die Beschuldigung von sich. »Ihr sagt die Unwahrheit! Ich habe nur gesagt, ihre niedrige Herkunft sei das einzige Hindernis, weshalb ich sie, nicht zur Frau nehmen könnte. Dies Hindernis ist jetzt aufgehoben. Für wen haltet Ihr Euch denn, daß ich Euretwegen zurücktreten sollte?« »Zieht!« rief Allan. »Wir verstehen einander.« »Nicht jetzt,« antwortete Menteith, »und nicht hier, Allan!« Ihr kennt Mich – wartet bis morgen, und ich will Euch harte Arbeit machen!« »In dieser Stunde – in diesem Augenblicke – oder nie!« entgegnete Allan. »Nicht länger als bis zu dieser Stunde soll Euer Triumph über mich währen! Menteith! bei unserer Verwandtschaft, bei den Kämpfen und Mühsalen, die wir zusammen bestanden haben, fordre ich Euch, auf – zieht das Schwert und verteidigt Euer Leben!« Mit diesen Worten ergriff er Menteiths Hand und preßte sie so heftig, daß das Blut aus den Nägeln hervortrat. Ungestüm stieß ihn Menteith von sich mit dem Rufe: »Hinweg, Verrückter!« »So erfülle sich denn mein Schicksal!« rief Allan. Und er zog den Dolch und stieß ihn mit seiner ganzen riesenhaften Kraft dem Grafen gegen die Brust. Die Waffe glitt an dem stählernen Harnisch hinan, aber dennoch wurde der Graf zwischen Hals und Achsel schwer verletzt, und die Kraft des Stoßes streckte ihn nieder. Im selben Augenblick trat Montrose in die Sakristei. Über den Lärm erschrocken, war die Hochzeitsgesellschaft in Angst und Bestürzung. Ehe jedoch Montrose flüchtig übersehen konnte, was sich ereignet hatte, war Allan wie der Blitz an ihm vorbeigesprungen und die Treppe hinuntergeeilt. »Wachen!« rief Montrose, »schließt die Tore! – ergreift ihn! stecht ihn nieder, wenn er Widerstand leistet – er ist, des Todes, und wäre er mein eigner Bruder!« Allein Allan stach mit einem zweiten Dolchstoß eine Schildwache nieder, durchflog das Lager wie ein Hirsch, sprang in den Strom, schwamm ans andre Ufer und war bald in den Wäldern verschwunden. Es geht von ihm das Gerücht, in wunderbar kurzer Zeit nach der Untat sei er in ein Gemach des Schlosses Inverary getreten, wo Argyle zu Rate saß, und habe den blutbefleckten Dolch auf den Tisch geworfen. »Ist das James Grahams Blut?« fragte Argyle – und ein abscheulicher Ausdruck der Hoffnung paarte sich mit der Miene des Entsetzens über den unvermuteten Anblick. »Das Blut seines Lieblings ists!« entgegnete Mac Aulay. »Es war mein Schicksal, es zu vergießen – obgleich ich lieber mein eigenes vergossen hätte!« Mit diesen Worten verließ er das Schloß, und von diesem Augenblick an weiß man nicht mehr mit Bestimmtheit, was aus ihm geworden ist. Da man bald darauf den Knaben Kenneth über den Lochfine setzen sah, so vermutet man, sie wären seinen Spuren gefolgt und er wäre in unbekannter Wildnis von ihrer Hand gefallen. Einem andern Gerücht zufolge hat Allan das Land verlassen und ist als Kartäuser gestorben. Für beide Ansichten ist ein Beweis nicht erbracht worden. Seine Rache war nicht so vollgiltig, wie er selbst wohl gedacht hatte. Menteith war zwar schwer verletzt worden und schwebte lange zwischen Leben und Tod. Für Montroses Dienst war er verloren. Man hielt es für das beste, daß er mit seiner künftigen Gattin, die jetzt eine trauernde Braut war, und mit seinem gleichfalls verwundeten Schwiegervater nach Schloß Ardenvohr gebracht würde. Nach einigen Wochen war Menteith so weit wiederhergestellt, daß er sich mit Annot im Schlosse ihres Vaters trauen lassen konnte. Der Vater überlebte die Verlobung nur um wenige Wochen. Menteith war noch zu schwach, als daß er sich Montrose auf dessen kurzer und ruhmreicher Laufbahn ferner hätte anschließen können. Als dieser heldenmütige Feldherr sein Heer entließ und selber Schottland verließ, lebte Menteith bis zur Wiedereinsetzung des Königtums völlig für sich. Nach diesem glücklichen Ereignis erhielt er eine seinem Range angemessene Stellung im Lande und lebte lange, beglückt durch Ansehen im öffentlichen Leben und durch häusliche Liebe – bis er hochbetagt starb. Der handelnden Personen in unsrer Erzählung sind so wenige, daß wir – abgesehen von Montrose, dessen Leben und Taten der Geschichte angehören – nur des Ritters Dugald Dalgetty zu erwähnen haben. Dieser Herr empfing auch fernerhin mit größter Pünktlichkeit seinen Sold und verrichtete seinen Dienst – bis er auf dem Schlachtfelde von Philipphaugh in Gefangenschaft geriet. Er wurde wie seine Mitgefangenen zum Tode verurteilt. Mehrere Offiziere des Flachlandes legten nun für Dalgetty Fürsprache ein, indem sie ihn als einen Mann bezeichneten, der bei seiner Gewandtheit dem Heere von Nutzen sein könne und der leicht zu bestimmen wäre, in andre Dienste zu treten. Aber Ritter Dugald Dalgetty zeigte sich hier unerwarteterweise sehr hartnäckig: er habe sich auf eine bestimmte Zeit für den Dienst des Königs anwerben lassen und seine Grundsätze erlaubten ihm nicht, an eine Änderung zu denken, ehe dieser Termin vorüber sei. Mit einiger Schwierigkeit erlangten seine Freunde einen Aufschub für den Zeitraum von vierzehn Tagen, um den es sich hier handelte. Nach dieser Frist fanden sie Sir Dugald ohne weiteres bereit, auf ihre Bedingungen einzugehen. Er trat nunmehr in den Dienst der Stände und brachte es bis zum Major in Gilbert Kers Korps, welches man gemeinhin das Leibregiment der Kirche nannte. Wie es ihm weiter ergangen ist, wissen wir nicht. Nur das ist uns bekannt, daß er in den Besitz seines väterlichen Gutes Drumthwacket gelangte – freilich nicht durchs Schwert – sondern indem er Hannah Strachan heiratete, eine schon etwas bejahrte Dame und die Witwe des Covenanters aus Aberdeenshire. Vermutlich hat Sir Dugald Dalgetty sogar die Revolution überlebt; denn Überlieferungen, die nicht sehr weit zurückreichen, geben an, er sei als alter tauber Kerl im Lande umhergestolpert und habe endlose Geschichten erzählt vom unsterblichen Gustavus, dem Löwen des Nordens und dem Bollwerk des protestantischen Glaubens. Ende Hochländer-Ehre Erstes Kapitel Meine Erzählung beginnt mit dem Tage nach dem Douner Jahrmarkt. Der Markt war sehr gut gewesen. Aus den nördlichen und mittleren Grafschaften Englands hatten sich allerhand Händler eingefunden, und das gute englische Geld hatte so flott kursiert, daß den Bauern im Hochlande das Herz im Leibe lachte. Eine ganze Reihe stattlicher Herden zogen unter der Aufsicht von Händlern oder Obertreibern, denen das beschwerliche Geschäft obliegt, das auf den Märkten erstandene Vieh oft hunderte von Meilen auf die Triften oder in die Meierhöfe zu schaffen, wo es für die Fleischbänke gemästet werden soll. Außerordentlich kundig darin sind die Hochländer; sie scheinen diesem Geschäft ganz ebensoviel Sympathie entgegenzubringen wie dem Kriegshandwerk, wohl weil es an Ausdauer, Körperkraft und Rührigkeit die gleichen Ansprüche stellt.« Ein solcher Viehtreiber muß die »Viehwege« im Lande genau kennen, die gewöhnlich durch die wildesten Gegenden führen, weil die großen Heerstraßen, die den Füßen der Tiere, und die Schlagbäume, die den Geldbeuteln der Händler stark zusetzen, gemieden werden müssen. Auf dem breiten, grünen oder grauen Pfade über das Moor zieht die Herde nicht allein bequem und abgabenfrei, sondern findet auch, wenn der Treiber sich einigermaßen auf die Sache versteht, unterwegs ihr Futter. Nachts schläft der Treiber unter seinem Vieh, ohne Rücksicht auf die Witterung, und gar manchem dieser wetterharten Gesellen passiert es, daß auf der langen Strecke von Lochaber bis Lincoln er kein einziges mal unter Dach kommt. Ein solcher Treiber bekommt sehr guten Lohn, denn das Kapital, das ihm anvertraut ist, macht eine stattliche Summe aus, und von seiner Umsicht, Wachsamkeit und Ehrlichkeit hängt es viel ab, daß das Vieh den Markt in gutem Zustande erreicht und den gehofften Vorteil abwirft. Außer seinem Dolch oder Skene-dhu (schwarzes Messer), den er unter dem Arm oder in den Falten seines Plaid verborgen trägt, und dem Knüttel, den er für das Vieh braucht, führt solcher hochländische Treiber keine Waffen. Nie fühlt sich der Hochländer wohler als auf solcher »Tour«, die ihm zufolge der mannigfaltigen Abwechslung, die sie bringt, Gelegenheit über Gelegenheit zur Befriedigung der jedem Kelten angeborenen Wißbegierde und Wanderlust bietet. Ort und Umgebung wechseln alle Augenblicke. Hierzu kommen die bei solchem Beruf unausbleiblichen kleinen Abenteuer, der Verkehr mit Bauern- und anderem Treibervolk, hin und wieder gewürzt durch einen frischen fröhlichen Trunk, der um so besser mundet, als er nichts kostet, denn jeder Treiber hat auf seiner »Tour«, gleichviel wohin sie führt, freie Zeche. Von allen Treibern, die an dem Morgen auf ihre »Tour« gingen, an welchem diese Erzählung anhebt, setzte keiner die Mütze kecker auf das Ohr und schnallte keiner die Beinkleider fester am Knie, als Robin Oig M'Combich, gewöhnlich Robin Oig genannt, was soviel wie Robin der Jüngere oder Kleinere bedeutet. Freilich war er klein, Robin Oig, aber so schnell und flink wie die flinkste Geiß auf seinen Bergen, und manch größerer und kräftigerer Mann neidete ihm den leichten Tritt, den er an sich hatte, und die flotte Weise, wie er sein Plaid umschlug und seine Mütze aufsetzte. Haltung und Wesen Robin Oigs verrieten deutlich, daß er recht gut wußte, wie es ein schmucker Hochländer anfangen muß, die Blicke der Dirnen im Unterland auf sich zu lenken. Sein gesundes, kraftstrotzendes Gesicht mit den vollen Wangen, den roten Lippen und weißen Zähnen, dem alle Witterungseinflüsse keinen Abbruch tun konnten, war ihm hierbei gewiß kein Hindernis. Wenn auch Robin Oig, nach dem Brauch seiner Landsleute, weder viel lachte noch häufig lächelte, so blitzten doch seine hellen Augen so lustig unter seiner Mütze, daß sich jeder zur Fröhlichkeit gestimmt fühlte, der ihn ansah. Robin Oigs Aufbruch, war für die kleine Stadt kein geringfügiges, denn er besaß dort und in der Umgegend manchen Freund und auch manche Freundin. Angesehen in seinem Fach, machte er ziemlich große Geschäfte auf eigene Rechnung und genoß bei den reicheren Bauern im Hochlande mehr Vertrauen, als manch anderer seines Standes. Es wäre ihm ein leichtes gewesen, seinem Geschäft eine größere Ausdehnung zu geben, sobald er sich hätte entschließen können, fremde Leute bei sich zu beschäftigen. Aber Robin Oig mochte hiervon nichts wissen und beschränkte sich auf die Beihilfe einiger Söhne seiner Schwester. Es läßt sich wohl annehmen, daß er recht genau wußte, wie sehr sein Ruf auf seinem persönlichen Ansehen und seinem persönlichen Arbeiten beruhten; und darum ließ er sich an dem hohen Lohne genügen, der Leuten seines Standes bezahlt wurde, und tröstete sich mit der Hoffnung, daß ihn ein paar Reisen nach England in den Stand setzen würden, später auf eigene Rechnung zu arbeiten und in solcher Weise, wie sie sich mit seiner Geburt und seinen Anschauungen vertrug. Robin Oig war aus vornehmem »Clan«, denn sein Vater M'Combich, mit dem Zunamen M'Gregar, führte diesen Namen von dem berühmten Rob Roy und hatte ihn bekommen auf Grund des innigen Freundschaftsbundes, der zwischen Robins Großvater und diesem berühmten Häuptling bestanden hatte. Manche wollen sogar wissen, Robin Oig führe seinen Vornamen nach einem Manne, der in den Wildnissen von Lochlomond ganz dieselbe Berühmtheit genossen habe wie sein Namensvetter Robin Hood in der Gegend des lustigen Scherwalds. »Welcher Mensch möchte,« wie Jakob Boswell sagt, »nicht stolz auf seine Ahnen sein?« Robin Oig war auch wirklich stolz, aber auf seinen häufigen Märschen nach England und ins Unterland hatte er die Einsicht gewonnen, daß er sich mit dem, was ihm in seinen abgelegenen Bergen noch ein bißchen Ansehen geben konnte, anderswo nur lächerlich machen oder in Mißkredit setzen konnte. Ihm war der Ahnenstolz dasselbe, was dem Geizhalse sein Geld ist: ein Ding, an dem er sich heimlich weidete, mit dem er sich aber Fremden gegenüber niemals großtat. Viele Glückwünsche wurden Rubin Oig mit auf den Weg gegeben. Kenner lobten seine Herde, besonders den besseren und schöneren, Robin selber gehörigen Teil. Manche boten ihm eine Prise zum Abschied, andere einen Abschiedstrunk, und alle riefen: »Glückliche Ausfahrt und frohere Heimfahrt! Viel Glück auf dem sächsischen Markte! Bringt die Brieftasche recht dick mit Papiergeld und die Geldtasche bis zum Rande voll englischen Goldes mit nach dem Hochlande wieder!« Von den Dirnen, die ihm ein sittsames Lebewohl sagten, war mehr als eine, die bei sich dachte, die beste Busennadel gebe sie hin, wenn sie wissen könnte, sie sei die letzte gewesen, die sein Auge gegrüßt habe, als er in die große Heerstraße bog. Zweites Kapitel Robin Oig hatte eben mit dem ersten Huhu-Schrei die saumseligen Tiere seiner Herde angetrieben, als er hinter sich den Ruf hörte: »Halt, Robin! Wart ein wenig! Hier ist Jannet von Tomahourich, die alte Jannet, deines Vaters Schwester!« »Hol der Henker die alte Hochlandshexe!« rief ein Bauer aus Stirling, »sie bringt uns bloß Krankheit über das Vieh!« »Das läßt sie wohl bleiben,« sagte ein anderer, »denn Robin Oig ist nicht der Mann, eins seiner Tiere mit auf den Marsch zu nehmen, dem er nicht den Mungos-Knoten in den Schweif gebunden hätte. Ein solcher Knoten kann die schlimmste Hexe abhalten, die je auf einem Besen über Dimajet geritten ist.« Das Vieh im Hochlande ist, wie hier gesagt sein mag, dem Behexen in hunderterlei Fällen ausgesetzt. Kluge Leute wissen es dadurch zu verhindern, daß sie ihrem Vieh unten am Schweif eine besondere Art Knoten in das Haarbüschel knüpfen. Aber das alte Weib, das den Bauern zu solchen Bemerkungen Anlaß gegeben hatte, schien sich um das Vieh nicht im geringsten zu bekümmern, sondern ihre Aufmerksamkeit allein dem Treiber zu schenken. Robin dagegen schien sie nicht gern hier zu sehen. »Muhme, was fällt Euch denn ein,« fragte er, »so früh am Morgen Eurem Kamin den Rücken zu wenden? Ich habe Euch doch gestern Lebewohl gesagt und Euren Glückwunsch mit auf den Weg genommen.« »Ja, du Vogel meines Herzens,« antwortete die Sibylle, »hast mir ja auch Geld dagelassen mehr, weit mehr, als solch unnützes altes Weib brauchen kann. Aber wenig möchte mich die Speise, die mich nährt, und das Feuer, das mich wärmt, ja, auch Gottes Sonne kümmern, geschähe meines Vaters Enkel anders als Gutes! Also laß mich den Kreis um dich her ziehen, damit du wohlbehalten das ferne Land erreichst und wohlbehalten den Weg in deine Heimat zurückfindest.« Halb verlegen, halb verdrießlich blieb Robin Oig stehen, dann lachte er und gab den anderen durch eine Gebärde zu verstehen, daß er es der alten Frau bloß zu Gefallen tue. Inzwischen zog sie unsicheren Schrittes den zauberischen Kreis um ihn, der nach einigen aus der Druidenzeit herstammen soll und auf die Weise gebildet wird, daß die Person, die den Kreis zieht, dreimal um die Person, der die feierliche Handlung gilt, herum schreitet, und zwar in der Richtung des Sonnenlaufs. Auf einmal aber blieb sie stehen und schrie voll Entsetzen: »Enkel meines Vaters! Du hast Blut auf der Hand!« »Um Gotteswillen, Muhme, seid still!« rief Robin Oig; »mit diesen eingebildeten Ahnungen bereitet Ihr Euch mehr Unruhe, als Ihr in langer Zeit wieder loswerden könnt.« Aber die Alte sah ihn an mit gräßlichem Blicke und schrie wieder: »Blut hast du auf der Hand, Enkel meines Vaters, und zwar englisches Blut, denn das Blut eines Galen ist voller und röter. Laß sehen! Laß –!« Und ehe Robin es hindern konnte – was auch nur unter, Aufbietung von Gewalt möglich gewesen wäre, so energisch und schnell waren ihre Bewegungen – hatte die Alte aus, den Falten seines Plaid den Dolch, hervorgezogen und hielt ihn in die Höhe. Obgleich der Stahl hell in der Sonne blitzte, rief sie: »Blut – Blut – wieder Sachsenblut! Robin Oig M'Combich, heute zieh nicht nach England!« »Pah!« versetzte Robin Oig, »das geht nicht mehr, denn da könnte ich ebenso gut aus dem Lande gehen! Schämt Euch, Muhme, und gebt mir den Dolch! Ihr könnt nicht das Blut eines schwarzen vom Blut eines weißen Ochsen unterscheiden und wollt sächsisches Blut vom gälischen herauskennen? Muhme, alle Menschen haben ihr Blut von Adam. Gebt mir mein schwarzes Messer her, und dann gebt mir den Weg frei! Ich könnte schon halbwegs bis Stirling sein. Gebt mir den Dolch her und den Weg frei!« »Ich gebe ihn dir nicht,« rief die Alte, »und laß auch, dein Plaid nicht eher los, als bis du mir versprichst, diese unselige Waffe nicht bei dir zu tragen.« Da Robin sah, daß die Bauern vom Unterland dem Auftritt mit finsterer Miene zusahen, hielt er es für geraten, ihm ein Ende zu machen. »Nun gut,« sagte er und reichte Hugo Morrison die Scheide des Dolches, »ihr Unterländer gebt auf solchen Kram nichts. Hebt mir den Dolch auf! Schenken kann ich ihn Euch nicht, denn er stammt von meinem Vater. Aber Eure Herde zieht mit der unsrigen und mir soll es recht sein, wenn Ihr ihn mir aufhebt. Seid Ihr es zufrieden, Muhme?« »Das muß ich wohl,« antwortete die Alte, »das heißt, wenn der Mann töricht genug ist, dein schwarzes Messer zu nehmen!« Der kräftige Westländer lachte laut auf und sagte: »Liebe alte Frau! Ich bin Hugo Morrison von Glenä und stamme von den uralten Manly Morrisons, die nie in ihrem Leben eine kurze Waffe wider einen Mann führten. Sie hatten es ja auch nicht nötig, denn sie hatten ihre breiten Schwerter, während ich bloß solchen Spazierstock habe« – bei diesen Worten schwenkte er einen furchtbaren Prügel durch die Luft – »denn das Stechen über den Tisch, das überlasse ich meinem lieben John dem Hochländer! Schnaubt nur nicht, Ihr Burschen vom Hochland, besonders Ihr nicht, Robin Oig! Wenn Euch das Geschwätz der alten Hexe bange macht, Kamerad Robin, so will ich Euch gern das schwarze Ding aufheben und geb's Euch wieder, sobald Ihr's braucht.« Robin paßte mancherlei in diesen Worten Hugo Morrisons nicht so recht, allein er hatte auf seinen Marschen und Zügen sich mehr Geduld angewöhnt, als einem Hochländergemüt von Haus aus eigen war. Deshalb nahm er das Angebot Morrisons an, ohne sich an die geringschätzige Art und Weise zu kehren, auf die es gemacht wurde. »Hätte er nicht seinen Morgentrunk im Kopf, so würde dieses Dumfrieser Schwein ganz sicher so ungezogen nicht geschwatzt haben. Aber von einem Schwein läßt sich ja nichts Besseres erwarten, als daß es grunzt. Eine Schande ists aber doch, daß ein solcher Saukerl wie der meines Vaters Dolch tragen soll!« Mit diesen Worten, die er aber auf gälisch sprach, trieb Robin sein Vieh an und winkte allen Zurückbleibenden ein Lebewohl zu. Dann eilte er um so schneller hinweg, als er in Falkirch einen Kameraden und Handwerksgenossen zu finden hoffte, mit dem er die Wanderung weiter zu machen gedachte. Drittes Kapitel Robin Oigs Freund war ein junger Englischer, Harry Wakefield mit Namen, auf allen nordischen Märkten wohlbekannt und in seinem Lande ebenso bekannt und angesehen, wie unser hochländischer Treiber. Er war sechs Fuß hoch und in Leibeskünsten, wie Rennen, Ringen und Boxen, wohlerfahren. In Doncaster beim Pferderennen setzte er immer seine Guinee und gewann sie in der Regel. In Yorkshire wurde kaum einmal ein Faustkampf ausgefochten, bei dem er nicht dabei gewesen wäre, wenn es ihm seine Geschäfte irgend erlaubten. Harry Wakefield war aber nicht bloß ein lustiger Bursche, der gern mal »was mitmachte«, sondern auch ein Bursche, der was auf sich hielt, der auch gesetzt sein konnte, wenn es am Platze war, und Robin Oig M'Combich, bei aller ihm eigenen Vorsicht, konnte wirklich nicht besser ankommen. Wenn Harry Wakefield auf Feiertage hielt, so war er an Werktagen auch tüchtig hinterher. Da rechnete er mit der Minute. Von Aussehen und Gemüt war Harry Wakefield das Muster eines altenglischen Bauern, deren Spieße in so vielen hundert Schlachten anderen Völkern Englands den Sieg abgewannen und deren gutes Schwert auch zu unserer Zeit noch Englands wohlfeilster und sicherster Schutz ist. Es brauchte nicht viel, so ging sein fröhlicher Sinn mit ihm durch. Kräftigen Körpers und ziemlich wohlhabend, fand er sich leicht mit allen Situationen ab und sah Schwierigkeiten mit keckem Blick und frischem Selbstvertrauen ins Auge. Indessen war er bei allem sanguinischen Temperament keineswegs ohne Fehler. Leicht zum Zorn geneigt, nicht selten zänkisch, liebte er es, jeden Zwist mit einem Faustkampf zu schlichten, weil er selten einen Gegner fand, der es im Boxerkampfe mit ihm aufnehmen konnte. Es läßt sich schwer sagen, auf welche Weise Harry Wakefield und Robin Oig miteinander bekannt wurden. Aber fest steht, daß ein kameradschaftliches Verhältnis zwischen ihnen bestand, wenn es auch dem Anschein nach nur wenig Dinge gab, die sie gemeinsam interessierten und gemeinsam besprechen konnten, sobald es sich um andere Dinge als um ihr Vieh handelte. Robin Oig sprach nur unvollkommen Englisch, im Grunde ging sein Wortschatz in dieser Sprache nicht über die Ausdrücke hinaus, die sein Stand und Geschäft notwendig machten; wohingegen Harry Wakefield seine breite yorkische Zunge nie dazu bringen konnte, ein einziges gälisches Wort zu sprechen. Umsonst bemühte sich Harry auf einer Wanderung über das Minch-Moor ganze vier Wochen lang, das gälische Wort für Kalb, Lluh, richtig auszusprechen. Es war für ihn das richtige Schiboleth. Von Traquair bis nach Murder-Cairn hallte das Gebirge von den Versuchen des Sachsen, den schweren Einsilber zu radebrechen, und von dem herzlichen Gelächter, mit welchem jede dieser vergeblichen Anstrengungen von den Engländern und Schotten begleitet wurde, wider. Indessen kannten sie auch bequemere und bessere Mittel, dies Echo zu wecken. Wakefield hatte manches Liebeslied zum Lob und Preise von Molly, Suschen oder Eilchen im Gedächtnis, und Robin Oig war die Gabe zu eigen, alte Heldengesänge in Menge zu pfeifen und, was dem Ohre des Südländers noch genehmer klang, gar manches nordisches Lied, wozu Wakefield den Baß pfeifen lernte. Mochten auch für Robin Erzählungen von Wettrennen, Hahnenkämpfen und Fuchsjagden, wie sie sein Kamerad zum besten gab, kaum viel Interesse haben, anderseits von Wakefield die Sagen von den Kämpfen der schottischen Clans oder Sippen, vermischt mit den Märchen von Kobolden und Feen, vielleicht kaum richtig verstanden werden, so fanden sie doch gelegentlich an ihrer Gesellschaft ein Vergnügen, das sie nun schon drei Jahre lang bestimmt hatte, ihre Wanderungen miteinander zu machen, sobald sich ihr Wegziel in gleicher Richtung befand. Einer fand im Umgang des anderen seinen Vorteil, denn wo hätte der Engländer einen besseren Führer durch das westliche Hochland finden können als Robin Oig, und wenn sie, wie Harry Wakefield sich ausdrückte, sich »rechts von der Grenze« befanden, wo hatte dann Robin Oig einen besseren Gefährten finden können als diesen »Südländer« mit seinem ausgebreiteten Ansehen und der wohlgefüllten Börse, die dem schottischen Freunde allezeit zu Gebote gestanden hätte? Viertes Kapitel Die beiden Freunde hatten zusammen die grasreichen Halden von Liddesdale durchwandert und befanden sich nun in dem gegenüberliegenden Teile von Cumberland, der in der Regel mit dem Namen »die Wüste« bezeichnet wird. In diesen abgelegenen, wenig bevölkerten Strichen ließ sich das Vieh mit geringen Mitteln unterhalten; es fand sein Futter bald am Wege, bald auf den angrenzenden Weiden, zu denen ein munterer Seitensprung es brachte. Nun aber veränderte sich die Szenerie. Sie gelangten in eine fruchtbare, gutbestellte Gegend, wo man das Vieh nicht weiden lassen durfte, ohne daß man sich zuvor mit den Eigentümern verständigt hatte. Das galt zumal jetzt, da im Norden ein großer Viehmarkt gehalten werden sollte, auf welchem Schotten sowohl als Engländer Vieh zu verkaufen rechneten, und deshalb darauf sehen mußten, es gut genährt, wenigstens nicht abstrapaziert, auf den Markt zu bringen. Kein Wunder also, daß Weiden nur schwer erhältlich waren und viel Geld kosteten. Dieser Umstand legte den beiden Freunden zeitweilige Trennung auf, indem jeder für seine Herde sich nach Unterkunft umsehen mußte. Unglücklicherweise fügte es sich nun, daß beide, ohne daß einer vom andern wußte, den gleichen Weideboden suchten, den ein in der Nähe wohnhafter Gutsbesitzer zu verpachten hatte. Der englische Treiber wandte sich an den Verwalter, der ihm von früher her bekannt war. Nun hatte aber der cumbrische Squire, Mr. Ireby, der feit einiger Zeit Ursache zum Mißtrauen in die Ehrlichkeit seines Verwalters gefunden zu haben meinte, demselben untersagt, Weideboden ohne sein Wissen an Viehhändler abzugeben. Tags zuvor hatte jedoch Mr. Ireby eine Reise nach dem Norden unternommen, die ihn mehrere Meilen von seinem Besitztum entfernte, und so meinte der Verwalter, den Abschluß mit Harry Wakefield auf eigene Faust machen zu dürfen. Mittlerweile wurde Robin Oig, ohne Kenntnis von dem, was sein Kamerad vorhatte, von einem stattlichen Herrn in langen engen Beinkleidern, kurzer Jacke, mit langen Sporen an den Hacken, eingeholt, der auf einem nach damaliger Mode an Schweif und Ohren gestutzten Klepper angeritten kam. Der Herr begann ein Gespräch mit Robin und erkundigte sich über den Stand des Viehpreises, über die noch fälligen Märkte usw. Robin kam er als ein verständiger artiger Herr vor, er nahm sich deshalb die Freiheit, die Frage an ihn zu stellen, ob ihm vielleicht in der Gegend ein gutes Stück Weideland bekannt sei, auf das er sein Vieh eine Zeitlang treiben dürfe. Seine Frage hätte kein willigeres Ohr finden können, denn der Herr war Gutsbesitzer und war ebenderselbe, mit dessen Verwalter Harry Wakefield bereits abgeschlossen hatte oder eben abschließen wollte. »Du hast Glück, Schotte,« antwortete Mr. Ireby, »bei mir anzufragen, ich sehe ja, dein Vieh ist müde, und im Umkreise von drei Meilen habe ich das einzige Feld, das zu vermieten ist.« »Hm, ein paar Meilen hält mein Vieh schon noch aus«, antwortete der verschmitzte Hochländer. »Indessen was begehrt Ihr für das Feld, wenn ich mein Vieh zwei bis drei Tage lang darauf weiden lasse?« »Wir wollen nicht lange feilschen, schmucker Jungmann,« entgegnete der Gutsherr, »ich bin einverstanden mit deinem Vorschlag, wenn du mir ein halbes Dutzend Stiere für die Stallfütterung ablassen willst. Das ist gewiß nicht viel.« »Und welche Tiere wünschen Euer Gnaden?« fragte Robin Oig. »Hm – laß sehen – die zwei schwarzen hier – dann den braunen – den falben – den dort mit dem gewundenen Horn, und den mit dem schwarzen Fleck – was gilt das Stück?« »Ei, ei,« machte Robin Oig, »Euer Gnaden sind Kenner, echter Kenner – ich hätte mir selber keine besseren aussuchen können und kenne meine Tiere so genau, als wenn es meine eigenen Kinder wären.« »Nun, Jungmann, was gilt das Stück?« fragte Mr. Irbey. »In Doune und in Falkirch sind diesmal hohe Preise gezahlt worden«, versetzte Robin. So ging das Gespräch weiter, bis sie zu einem bestimmten Preis für die Ochsen gelangt waren. Der Squire nahm dafür, daß er die Weide für Robins Herde hergab, die sechs Stiere in Kauf, und Robin schloß seiner Meinung nach einen ganz guten Handel ab, wenn auch das Gras nur mittlerer Güte war. Der Squire ritt neben dem Vieh her, weil er Robin nicht allein den Weg zeigen, sondern zugleich zusehen wollte, wie sich derselbe auf der Weide einrichten würde, auch wohl, weil er neugierig war, zu hören, wie es auf den letzten Märkten im Norden zugegangen war. Man kam auf der Wiese an. Robin fand die Weide vortrefflich. Nicht wenig erstaunt waren die beiden Männer aber, als sie dort den Verwalter des Squire antrafen, der gerade die Herden von Robins Kameraden, Harry Wakefield, auf denselben Weideboden eintreiben wollte, über den sein Herr soeben mit Robin Oig sich geeinigt hatte. Mr. Ireby setzte seinem Pferde die Sporen in die Seiten und sprengte zu seinem Verwalter. Nun erfuhr er, was zwischen den beiden Parteien vorgegangen war. Ohne weiteres erklärte er Harry Wakefield, dem englischen Treiber, sein Verwalter habe die Wiesen ohne sein Vorwissen und wider seine Instruktion verpachtet; Harry Wakefield müsse also anderswo sich Gras für sein Vieh suchen, denn hier könne er keins bekommen. Zugleich bekam der Verwalter einen derben Denkzettel für sein selbständiges Vorgehen und der Squire wies ihn an, das müde und ausgehungerte Vieh des Engländers, das sich gerade das lang entbehrte Futter wohl schmecken zu lassen anfing, von der Wiese zu treiben, um für das Vieh des schottischen Treibers, mit welchem das allein gültige Abkommen getroffen worden sei, Weideplatz zu schaffen. Recht wohl erklärlich, daß der englische Viehhändler den schottischen, trotzdem es sein alter Kamerad war, mit schelen Augen ansehen lernte. Nicht minder erklärlich war, daß er sich im ersten Moment stark versucht fühlte, sich der Entscheidung des cumbrischen Squire zu widersetzen. Da jedoch jedem Engländer ein ziemlich scharfes Gefühl für Recht und Gerechtigkeit innewohnt, und da John Fleecebumpkin, der Verwalter, eingestehen mußte, seine Gewalt überschritten zu haben, blieb Wakefield zuletzt doch nichts weiter übrig, als mit seinem hungrigen Vieh anderswo Unterkunft zu suchen. Robin Oig sah mit Verdruß, was sich zugetragen hatte und suchte eilends den Freund auf in der Absicht, ihm Teilung der Weide vorzuschlagen. Aber Harry Wakefield fühlte sich in seinem Stolz gekränkt und antwortete verächtlich: »Nimm es nur ganz! Nimm es ganz! Wer beißt denn eine Kirsche in zwei Hälften? Du hast es eben heraus, die Leute zu beschwatzen und kannst einem alten ehrlichen Bauern auch wohl ein X für ein U vormachen! Schäme dich was, Kerl! Ich danke dafür, einem anderen die dreckigen Hände zu lecken um der Erlaubnis willen, bei ihm backen zu dürfen.« Robin Oig tat der Verdruß, den der Freund litt, von Herzen leid, er ließ es sich aber nicht merken. Dagegen bat er denselben, sich doch nur eine Stunde zu gedulden, bis er sich von dem Squire das Geld für die verkauften Stiere geholt habe; dünn wolle er ihm helfen, sein Vieh auf einen guten Platz zu bringen, und ihm über das leidige Mißverständnis Aufklärung geben. Aber der Engländer rief mit wachsendem Zorn: »So? Verkauft hast du auch schon? Sieh da! Du verstehst es ja brillant, die Zeit abzupassen, wo sich ein Handel machen läßt. Es kommt dir auch dabei nicht drauf an, anderen vorzugreifen! Scher dich zum Kuckuck! Mir ist deine Galgenfratze zuwider, schon lange zuwider. Schämen solltest du dich, einem ehrlichen Kameraden in die Augen zu sehen!« »Ich brauche mich nicht zu schämen, jemand vor die Augen zu treten,« versetzte Robin Oig, dem nun auch der Zorn aufzusteigen begann, »auch dir nicht, Wakefield! Das laß dir gesagt sein, und wenn du im Wirtshaus auf mich warten willst, will ich's dir vor den Leuten zeigen, daß ich mich dessen nicht schäme.« »Es wäre am Ende gerade so gut, wenn du wegbliebst«, antwortete der Kamerad und kehrte Robin den Rücken. Dann trieb er mit Hilfe des Verwalters mühsam sein Vieh zusammen und suchte anderswo unterzukommen. Der Verwalter ließ es sich eifrig angelegen sein, mit den Bauern in der Nachbarschaft zu verhandeln. Aber es konnte oder wollte keiner von ihnen Weideland abtreten. Schließlich wandte sich Wakefield an den Schenkwirt, bei dem er sich mit Robin Oig für die Nacht hatte quartieren wollen, ehe sie in solchen Zwiespalt gerieten. Der Schenkwirt erklärte sich bereit, sein Vieh auf ein paar Tage auf dürres Heideland zu treiben, stellte aber hierfür keine niedrigere Forderung, als vordem der Verwalter des cumbrischen Squire gestellt hatte für das ihm durch Robin Oig vorgepachtete Gehege. Das steigerte bei Wakefield den Groll gegen den, wie er den Fall ansah, wortbrüchigen Freund noch weiter. Der Verwalter, ebenfalls gegen Robin Oig ergrimmt wegen des von seinem Gutsherrn bekommenen Verweises, trug auch nichts dazu bei, ihn zu beruhigen, sorgte im Gegenteil im Verein mit dem Schenkwirt und einigen anwesenden Gästen, die teils aus Schadenfreude, den Menschen, Gott seis geklagt, in allen Ständen eigen, teils aus dem auf der Grenze noch immer glimmenden Haß wider alle Schotten und alles, was schottisch ist durch allerhand Stichelreden dafür, Harry Wakefield noch stärker aufzubringen. Auch das starke englische Bier, bekanntlich immer ein Förderer der Leidenschaften, und zwar der schlimmen ebensowohl als der guten, tat in dem Falle auch seine Wirkung, und mit einer Kanne nach der anderen wurde der Trinkspruch »Verderben den falschen Freunden und harten Herren« begossen. In der Zwischenzeit fand Mr. Ireby seine Freude daran, den »schmucken Schotten«, der ihm gefiel, in seinem alten Herrensaale zu bewirten. Er ließ ein tüchtiges Stück Ochsenfleisch auftragen, dazu eine Kanne schäumenden Hausbiers, und ergötzte sich an dem kräftigen Appetit, den Robin Oig entwickelte, um diese ihm ungewohnten Leckerbissen zu verschlingen. Der Squire steckte sich eine Pfeife an und spazierte mit edelherrlicher Würde, ohne aber den Bauer verleugnen zu können, in seinem Herrensaale auf und ab während er sich mit seinem Gaste, von herablassender Höflichkeit überschäumend, unterhielt. »Ich bin noch an einer anderen Herde vorbeigekommen, Schotte,« sagte der Squire, »die auch von einem Landsmann von dir getrieben wurde. Die Tiere waren aber schwächer und geringer als unsere. Es war ein langer Mensch da, der aber keinen Schurz trug wie Ihr, sondern ein hübsches Beinkleid. Ist er dir bekannt?« »Gewiß, das muss Hughie Morrison gewesen sein! Ich hätte nicht gedacht, dass er schon wieder auf den Beinen sei. Er war einen Tag bei uns. War er weit hinten?« »Ich schätze, etwa ein halbes Dutzend Meilen,« versetzte der Squire, »denn ich habe ihn beim Christenbury-Cragg getroffen und dich beim Hollan-Busch eingeholt. Wenn sein Vieh läuft, verkauft er vielleicht.« »Nem, nein! Hughie Morrison ist keiner, der was verkaufen kann! Aber ich muss Euch nun gute Nacht wünschen, Squire, denn ich muss nach der Schenke, um zu sehen, ob sich Harrys Zorn inzwischen gelegt hat.« Fünftes Kapitel Im Wirtshaus saß alles in voller Unterhaltung über die von Robin Oig an seinem Freunde Wakefield begangene Falschheit. Wie es bei solchen Anlässen zu sein pflegt, so trat auch hier, als Robin Oig eintrat, plötzlich Stille ein. Das Gespräch, das sich um ihn gedreht hatte, wurde abgebrochen. Es herrschte jene Stille in der Schenkstube, die dem Eintretenden deutlicher als Tausende von Worten sagt, dass man ihn lieber gehen als kommen sieht. Verwundert und gekränkt, aber nicht verlegen über solchen Willkommen, im Gegenteil unverzagt und stolz, setzte sich Robin Oig, in einiger Entfernung von dem Tische, an welchem außer Harry Wakefield noch John Fleecebumpkin, der Verwalter und zwei andere Männer saßen. Freilich war die Schenkstube groß genug, dass er sich weitab hätte setzen können; und besser wäre es schließlich wohl auch gewesen, er hätte sich mit einem Gruße, wenn auch einem kurzen, hingesetzt, statt darauf zu pochen, daß ihm kein Wort des Grußes vergönnt würde. Er steckte sich die Pfeife an und forderte einen Krug Bier von der Sorte zu zwei Penny. »Zwei Penny-Bier führe ich keins,« versetzte Ralph Huskett, der Wirt, »da du aber deinen eigenen Tabak führst, bringst du dir wahrscheinlich auch eigenes Getränk mit. Bei Euch ist es wohl, glaube ich, Brauch so im Lande.« »Pfui doch, Mann! Schäme dich!« rief die Wirtin, eine dralle rührige Hausfrau, indem sie sich beeilte, dem Gaste vorzusetzen, was er begehrte; »du weißt recht gut, was der Fremde will, und als Wirt ist es doch Wohl deine Pflicht, höflich zu sein. Wenn der Schotte eine kleine Flasche lieber hat als eine große, so geht daraus noch nicht hervor, daß er seine Zeche nicht bezahlen wird!« Ohne auf diese Unterhaltung der Eheleute zu achten, nahm der Hochländer den ihm von der Wirtin gereichten Krug und trank der Gesellschaft zu mit dem Spruche: »Auf guten Markt!« »Besser möchten sie schon sein, unsere Märkte,« meinte einer von den Pächtern, »wenn uns nicht gar so viel Wind von Norden her bliese und ein paar Viehherden weniger aus dem Hochlande herunterkämen, uns das Gras von den Wiesen zu fressen.« »Ich meine, Freund, damit habt Ihr nicht recht«, erwiderte Robin gelassen; »wer frißt denn unser armes schottisches Vieh anders als ihr fetten Engländer?« »Mir wäre es schon lieber, es fände sich was ein, das alle Viehtreiber fräße!« meinte ein anderer; »denn kein ehrlicher Engländer mehr kann den Bissen Brot schlucken, der ihm im Munde steckt, sobald er solches Subjekt bloß von weitem sieht.« »Und kein ehrlicher Diener mehr rechnen, sich bei seinem Herrn in Gunst zu halten, so stehlen sich diese Kerle zwischen den Herrn und das Sonnenlicht«, rief der Verwalter. »Wenn das Späße sein sollen,« sagte Robin Oig noch immer mit Ruhe, »so sind es ihrer wohl zuviel für einen!« »Von Spaß ist keine Rede,« rief der Verwalter, »was ich sage und was hier gesprochen wird, ist voller Ernst. Denn wir sind der Meinung, Robin Oig oder wie Ihr sonst heißen mögt, wohlverstanden, alle die wir hier sitzen – der Meinung Robin Oig, daß Ihr Euch gegen unseren Freund, Mr. Harry Wakefield hier, benommen habt, wie sich kein Kamerad elender und erbärmlicher benehmen kann.« »Ganz sicher, ganz sicher,« entgegnete Robin mit großer Gelassenheit, »und für Richter in solcher Sache wie euch – wohlverstanden euch alle zusammen hier – gebe ich keine Prise Tabak! Wenn Mr. Wakefield weiß, wer ihn beleidigt hat, dann weiß er auch, an wen er sich zu wenden hat!« »Recht hat er gehabt, wenn er das sagte!« rief nun Wakefield, der im Widerstreite zwischen seinem Unmut über Robins kürzliches Benehmen und der wiederauflebenden früheren Freundschaft dem Wortwechsel zugehört hatte. Mit diesen Worten stand er auf und trat zu Robin, der seinerseits aufstand und ihm die Hand hinhielt. »Recht so, Harry!« erklang es von allen Seiten; »gib es ihm tüchtig!« »Haltet euer Maul und schert euch zum Teufel!« rief Wakefield. Dann drehte er sich zu seinem Kameraden herum und nahm mit einer Miene, in der Trotz und Achtung zugleich lagen, seine Hand. »Robin,« sprach er, »du bist heute schlecht mit mir verfahren, aber wenn du mir als ehrlicher Kerl die Hand geben und einen Gang mit mir auf dem Rasen draußen machen willst, so will ich dir dein Benehmen nicht nachtragen, und wir wollen bessere Freunde sein als je.« »Wäre es nicht aber besser, Harry,« wandte Robin ein, »wir würden die alten wieder ohne solchen Umweg? Ich sollte meinen, die neue Freundschaft müßte besser halten, wenn wir sie mit ganzen Knochen schlössen, statt daß wir uns vorher die Knochen zerschlügen?« Harry Wakefield stieß die Hand des Freundes von sich. »Daß ich drei Jahre mit einer Memme umgegangen bin, habe ich doch nicht gedacht«, sagte er. »Memme lasse ich mich nicht heißen«, rief Robin mit blitzenden Augen, ohne aber sich aus der Fassung bringen zu lassen. »Als du vom schwarzen Felsen abgestürzt warst und die Fische im Schlunde unten sich schon auf die leckere Beute deines Fleisches freuten, da waren es keiner Memme Beine oder Hände, Harry, die dich aus den Fluten des Frew in die Höhe arbeiteten. »Das ist freilich wahr, Robin, das ist nur allzuwahr!« sagte der Engländer, des ernsten Ereignisses jetzt auch wieder eingedenk. »Wie?« rief der Verwalter, »Harry Wakefield, der stärkste Kerl von Carlisle Sands und Stagshaw-Bank, wird sich doch nichts vormachen lassen? Aber so geht es jedem, der lange mit den Kerlen in Kilts und Mützen umgeht. Darüber vergessen wir Männer den Gebrauch unserer Hände.« »Ich könnte Euch bald zeigen, Mr. Fleecebumpkin,« sagte Harry Wakefield, »daß mir der Gebrauch der Hände noch nicht abhanden gekommen ist!« Dann wandte er sich aber zu Robin! »Wir müssen einen Gang miteinander machen, wenn wir nicht zum Gerede im Lande werden wollen. Des Teufels will ich sein, wenn ich dir die Knochen zerschlage, und meinetwegen ziehe ich schließlich auch Handschuhe an! Aber laß dir's nicht noch einmal sagen, sondern komm und stell dich als ein Mann!« »Um mich prügeln zu lassen wie einen Hund?« antwortete Robin; »liegt darin Verstand? Wenn du der Meinung bist, unrecht von mir erlitten zu haben, so will ich mit dir vor den Richter, wenngleich es mir an Verständnis gebricht für sein Gesetz wie seine Sprache.« »Nein, nein!« schrien jetzt alle drei wie aus einem Munde, »kein Gesetz, keinen Richter! Einen Buckel voll Prügel, und ihr seid wieder Freunde.« »Aber ich verstehe mich nicht darauf,« wandte Robin ein, »mit Fäusten und Nägeln zu balgen.« »Wie denkst du dir denn die Sache sonst?« fragte sein Gegner; »es wäre doch Grobheit, wollte ich dir eine Schramme aufzeichnen!« »Mit dem Schwerte will ich mich schlagen und fallen beim ersten Hiebe, der Blut gibt – wie es sich geziemt für – Edelleute!« Helles Gelächter folgte auf diesen Vorschlag, den Robin Oig weniger sein Verstand als sein aufsteigender Grimm eingegeben hatte. »Edelleute!« hallte es von allen Seiten wider – »Viehtreiber und Edelmann!« Und das Gelächter wollte kein Ende nehmen. – »Schockschwerenot! ein stattlicher Herr, das muß wahr sein! Heda, Ralph Huskett, kannst du nicht ein paar Schwerter auftreiben für Mr. Robin Oig, Edelmann von Ochskopfs Gnaden« – alles brüllte vor Lachen – »daß er sich mit dir duelliert?« »Nein,« antwortete Ralph Huskett, »das geht nicht an! Aber zum Waffenschmied nach Carlisle kann ich schicken oder einstweilen mit einem Paar Gabelzinken aushelfen.« »Ei,« sagte wieder ein anderer, »es heißt ja immer, in Schottland kommen die Menschen mit der blauen Mütze auf dem Kopfe und mit Dolch und Pistol im Leibgurt auf die Welt?« »Am besten wird es sein,« meinte Mr. Fleecebumpkin, der Verwalter, »man schickt zum Squire von Schloß Corby, daß er sich herbemüht und für unseren Viehtreiber-Edelmann den Sekundanten macht!« Instinktiv griff der Hochländer, umtobt von diesem Gelächter und Spott, unter sein Plaid. »Nein,« sagte er, aber in seiner Muttersprache, »besser nicht! Hundert Flüche lieber gegen diese Ferkelfresser, von denen keiner weiß, was Anstand und Höflichkeit ist.« »Platz da, Gesindel!« rief er trotzig und schritt auf die Tür zu. Aber sein einstiger Freund vertrat ihm den Weg und wollte ihn nicht weglassen. Als Robin die Tür mit Gewalt zu gewinnen suchte, warf ihn Wakefield zu Boden, und zwar so leicht, wie ein Junge einen Kegel. »Einen Kreis! Einen Kreis!« rief es von allen Seiten, und so laut, daß die Balken mitsamt den dran hängenden Schinken zu wackeln und die Teller auf dem Küchenbrett zu klirren anfingen; »gut gemacht, Harry! Zahl's ihm heim, Harry! Jetzt faß ihn aufs Korn, Harry! Er sieht Blut!« So schrien die Engländer um den Hochländer her, dessen Kaltblütigkeit und Ruhe sich jetzt in Grimm und Zorn verwandelten. Er sprang vom Boden auf und stürzte mit der Wut und Rachgier einer gereizten Wildkatze auf den Gegner los. Aber Grimm und Raserei sind schlechter Einsatz gegen Gewandtheit, wenn sie sich mit Bedacht und Ruhe paart. Robin Oig unterlag von neuem. Ein schrecklicher Faustschlag streckte ihn zu Boden. Die Wirtin lief herbei, um dem Gefallenen zu helfen. Aber der Verwalter wehrte ihr und ließ sie nicht zu Robin heran. »Laßt den Kerl liegen,« sagte er, »der rappelt sich schon allein wieder auf. Es geht doch noch einmal los, denn der hat doch noch nicht genug.« »Er hat nun weg, was ich ihm zugedacht habe,« sagte Harry Wakefield, dessen alte Freundschaft für Robin nun wieder zum Vorschein kam, »den Rest möchte ich am liebsten Euch geben, Fleecebumpkin, denn Ihr tut, als wenn Ihr alles am Schnürchen hättet. Der dumme Kerl von Robin war nicht einmal so gewitzt, daß er sich vorher das Plaid abtat, sondern hat mit dem Lappen über der Schulter gekämpft. Steh auf, Robin! Hörst du? Nun sind wir wieder die alten. Es soll nun einer kommen, der noch ein Wort redet wider dich oder dein Land!« Robin Oig erhob sich. Aber erbitterter wie vordem und bereit, den Kampf von neuem zu beginnen. Die Wirtsfrau jedoch mischte sich ein und zog ihn zurück, und da er zudem sah, daß Harry keine Lust hatte, noch einmal zu kämpfen, so wandelte seine Wut sich in finsteren Trotz. »Ach geh doch!« redete Wakefield ihm wieder zu mit der seinem Volke eigentümlichen Versöhnlichkeit, »so etwas mußt du dir nicht so zu Herzen nehmen!« und mit den Worten: »Komm, schlag ein, wir sind jetzt bessere Freunde als je.« »Freunde?« rief Robin mit seltsamer Betonung – »wir Freunde? Nimmermehr! – Sei auf der Hut, Harry Wakefield!« »Dann fahre dir Cromwells Fluch in den stolzen Schottenmagen! wie der Held im Schauspiel sagt – tu mir dein Schlimmstes an und fahr zum Teufel! Mehr als nach dem Kampfe sagen, daß es einem leid sei, kann kein Mann.« Hiermit trennten sich die Freunde. Robin Oig sprach nicht mehr, sondern langte ein Geldstück aus der Tasche, warf es auf den Tisch und ging aus der Schenke. Aber unter der Tür blieb er stehen und schüttelte, zum Zeichen der Drohung oder der Warnung, die Hand gegen Wakefield. Dann verschwand er im Mondeslicht. Sechstes Kapitel Als Robin Oig aus der Schenke war, entspann sich zwischen dem Verwalter, der sich gern als Eisenfresser aufspielte, und Harry Wakefield, der jetzt, in wunderlichem Widerspruch, starke Lust verspürte, einen neuen Strauß zu wagen zur Verteidigung von Robin Oigs Ehre, »dem er es nicht weiter anrechnen wolle, daß er die Fäuste nicht so gut zu gebrauchen verstehe wie ein Engländer, denn es sei ihm nun einmal nicht angeboren.« Aber Frau Huskett, die Wirtin, verhinderte diesen zweiten Zank. In ihrem Hause, sagte sie solle keine Schlägerei mehr vorfallen; es sei nun schon arg hergegangen – »und Ihr, Mr. Wakefield,« setzte sie, zu dem Engländer gewandt, hinzu, »Ihr könnt es Euch hinter die Ohren schreiben, was es heißt, sich aus einem guten Freunde einen Todfeind zu schaffen.« »Ach, reden Sie doch nicht, Frau Huskett! Robin Oig ist ein guter Kerl und wird mir die paar Faustschläge nicht nachtragen.« »Rechnet nicht so stark darauf, Mr. Wakefield! Ihr kennt den Schotten nicht, wenn Ihr auch, noch so oft mit ihm zu schaffen hattet. Aber ich kenne ihn, kenne ihn gut, denn meine Mutter war auch eine Schottin.« »Man siehts an ihrer Tochter«, sagte Ralph Huskett spöttisch. Durch diese Reden nahm die Unterhaltung eine andere Wendung. Neue Gäste traten in die Schenke, während andere sie verließen. Man unterhielt sich von den Märkten, die in die nächste Zeit fielen, kam auf die Preise, die erzielt werden dürften, und auf die Abschlüsse zwischen Schotten und Engländern zu sprechen. Es wurden auch neue Abschlüsse gemacht, und Harry Wakefield fand für einen beträchtlichen Teil seiner Herde einen Großkäufer und erzielte ein hübsches Stück Geld als Gewinn. Bald dachte infolgedessen keiner der Anwesenden mehr an den ärgerlichen Auftritt, der sich eben zugetragen hatte. Einer indessen war noch immer da, einer, dem der Besitz alles Viehs zwischen Esk und Eden den Auftritt nicht aus dem Gedächtnis hätte bringen können. Dieser eine war Robin Oig M'Combich. »Daß ich keine Waffe bei mir trug!«sprach er vor sich hin; »zum erstenmal in meinem Leben! Verflucht sei die Zunge, die dem Hochländer befiehlt, sich von seinem Dolche zu trennen! – Der Dolch! Ha, das englische Blut an meiner Hand! – Ha, was die Muhme sagte! – Wann hat sich ihr Wort je als nichtig erwiesen?!« Die Erinnerung an die unselige Prophezeiung vor seinem Aufbruche bestärkte ihn noch mehr in dem Vorsatz, der in seiner Seele keimte. »Ha! Weit kann doch der Morrison von hier nicht mehr sein! Und mag er hundert Meilen noch fern sein – was tut's?« Sein ungestümer Geist hatte jetzt ein sicheres Ziel erhalten, und mit einer Schnelligkeit ohnegleichen stürmte Robin Oig zurück nach den wilden Einöden, durch die, nach Mr. Irebys Reden, Hughie Morrison gezogen kommen mußte. Das Gefühl, unrecht gelitten zu haben, unrecht von einem Freunde, schmerzte ihn tief. Es dürstete ihn nach Rache an einem, den er jetzt für seinen bittersten Feind hielt. Seine Vorurteile von Geburt und Ahnenstolz standen ihm um so höher, als er diese eingebildeten Vorrechte nicht mehr verwerten konnte. Sein Schatz war geplündert worden, geplündert von Freundeshand; die Götzen, die er im stillen angebetet hatte, waren entheiligt und entweiht. Beschimpft, geschmäht und geschlagen, hielt er sich des Namens, den er trug, nicht mehr für wert, des Stammes nicht mehr für ebenbürtig, dem er angehörte. Nichts blieb ihm mehr – nichts als die Rache! Dieser Gedanke reizte seinen Zorn bei jedem Schritt mehr. Die Rache sollte dem Schimpfe gleichwertig sein – die Rache sollte dem Schimpf auf dem Fuße folgen. Sieben bis acht Meilen betrug die Strecke zwischen dem Wirtshause und dem dermaligen Aufenthalte Morrisons wenigstens, denn Morrison konnte des Viehs wegen, das er trieb, nur langsam vorwärts kommen. Über Stoppelfeld und Baumhecken, über Felsen und finstere Halden, über Raine und über Wiesen rannte Robin Oig – und alles war in dem Mondlicht einer Novembernacht vom starren Reif beglänzt. Sechs Meilen lief er in der Stunde, und endlich drang aus der Ferne Gebrüll von Vieh an sein Ohr – Morrisons Vieh – und endlich sah er es, klein wie Maulwürfe und langsam wie Schnecken, über die weite Heide kriechen – und endlich, endlich erreicht er die vordersten Reihen und stürzt, einem Rasenden gleich, durch die Herde hindurch zu ihrem Treiber. »Was ist denn los?« rief der Südländer – »bist du es, Robin M'Combich, oder ist es dein Geist?« »Es ist Robin Oig M'Combich,« versetzte der Hochländer, »und nicht sein Geist. Aber laß das und gib mir meinen Skene-dhu!« »Dein schwarzes Messer? Was? Willst also ins Hochland zurück? Sackerment! Hast du alles verkauft schon vor dem Markte? Das gäbe ja für alle Märkte des Jahres einen schlimmen Preisdruck!« »Rede nicht so viel! Ich habe noch kein Stück meiner Herde verkauft, außer was mich das Weideland gekostet hat. Ich geh auch nicht nach Norden. Ich geh vielleicht überhaupt nicht mehr nach Norden. Meinen Dolch gib mir, Morrison, und schnell – oder du sollst es mir büßen!« »Ich kenne dich zu gut, Robin Oig, als daß ich dir den Dolch geben dürfte – denk an die Worte deiner Muhme, die noch keine Ahnungen hatte, die sie trogen! Der Skenedhu ist eine schlimme Waffe in Hochländers Hand – du hast gewiß wieder was Schlimmes vor!« »Rede nicht so viel!« rief Robin Oig, von Ungeduld übermannt, »sondern gib mir meinen Dolch!« »Halt ein, Kamerad, und besinne dich!« sagte wohlmeinend der Freund; »ich will dir sagen, was besser ist als diese Dolchaffären. Ich weiß, Hoch- und Unterländer und Grenzvolk sind alle eines Mannes Kinder, wenn du über dem Schottenkanal bist. Sieh, die Jungen von Eksdale und Charlie von Liddesdale, der Raufer, und die Buben von Lockerby und die vier Dandies von Lustruther und noch andere Grauröcke in Menge kommen hinten – und wenn mir unrecht von jemand widerfuhr, nun, so hat doch der mannhafte Morrison noch eine Faust und, bei Gott und dem Teufel! Ich will dir beistehen, will zusehen, daß ich dir Recht schaffe, wenn Carlisle und Stanwix mir beide standhalten wollen!« »Was soll ich noch länger hinter dem Berge halten, Morrison,« versetzte Robin Oig, um den Verdacht des Freundes zu beseitigen – »ich habe mich zu einer Abteilung vom schwarzen Korps anwerben lassen und muß morgen in aller Frühe mit auf den Marsch.« »Du dich anwerben lassen? Bist du toll gewesen oder betrunken? Kauf dich wieder los, Robin! Das mußt du, unbedingt! Ich kann dir zwanzig Kassenscheine geben zu je hundert und zwanzig andere noch, sobald ich mein Vieh los bin!« »Vielen Dank, Hughie, vielen Dank! Aber ich geh den Weg, den ich gehe, aus freien Stücken. Also den Skene-dhu her! Den Skene-dhu her!« »Na, dann hast du ihn, wenn alles Reden nichts helfen mag. Aber denk an meine Worte, Robin, denk dran! – Ach, schlimme Kunde wird es sein auf den Märkten von Balquidder, wenn verlauten sollte, Robin Oig von M'Combich sei auf schlimme Bahn geraten und habe sich anwerben lassen, anwerben lassen bei den Rotröcken!« »Schlimme Kunde für Balquidder und seine Märkte, ganz recht, Morrison!« wiederholte der arme Robin; »aber Gott geleite dich, Hughie – ich wünsche dir guten Markt. Mit Robin Oig triffst du auf keinem Viehmarkt mehr zusammen.« Mit diesen Worten schüttelte Robin Oig seinem Kameraden die Hand und rannte mit der gleichen Schnelligkeit wie er gekommen war, den gleichen Weg zurück. »Der Robin hat doch wieder Händel«, brummte Hughie Morrison vor sich hin. »Nun, morgen werden wir ja besser wissen, wie es hierum steht.« Siebentes Kapitel Aber lange noch, bevor der Morgen graute, war unsere Geschichte zu ihrem Ende gelangt. Zwei Stunden waren seit der Schlägerei verstrichen, und kaum dachte noch jemand daran, als Robin Oig in Ralph Husketts Schenke zurückkehrte. Die Stube war mit Leuten verschiedener Art gefüllt und alles redete oder lärmte durcheinander, jeder nach seiner Art: diejenigen, die ein Geschäft zusammen vorhatten, ernst und leise; andere, die sich bloß vergnügen wollten, lachten, schrien und sangen oder gaben sich allerhand Jux und Witz hin. Zu den letzteren zählte auch Harry Wakefield, der zwischen Weiberröcken und fidelen Gesichtern saß und eben das alte Volkslied trällerte: »Roger heiß ich bei den Leuten, Führe Pflug und Wagen –« Da ward er unterbrochen von einer ihm wohlbekannten Stimme, die ihm in hohem, ernsten Tone, mit dem scharfen Akzent des Hochländers zurief: »Harry Wakefield! Sofern du ein Mann bist, so stehe auf!« »Was ist denn los? Was ist denn los?« schrien die Gäste durcheinander. »Was denn sonst, als daß sich ein Hund von Schotte,« lallte Fleecebumpkin, der jetzt total betrunken war, »dem vorhin Wakefield das Fell tüchtig geschoren hat, nach einer zweiten Tracht umsieht?« »Harry Wakefield,« rief zum andernmale die gleiche unheimlich drohende Stimme – »sofern du ein Mann bist, so stehe auf!« In der Sprache jener tiefsten Leidenschaftlichkeit, die alles, was Empfindung im Menschen heißt, in sich zusammenballt, liegt etwas von Grauen. Schon der Tonfall verursacht Schauder. Die Gäste fuhren auf allen Seiten zurück und starrten den Hochländer an, der zürnend wie der Rachegott mit zusammengezogenen Brauen, aufeinandergepreßten Lippen, mit all der kalten, starren Entschlossenheit des Menschen, der für das Leben abzurechnen vorhat, zwischen ihnen stand. »Lieber Robin, ich stehe herzlich gern auf – warum auch nicht?« sagte Harry Wakefield – »aber bloß, um dir die Hand zu reichen und allen Groll, der etwa noch zwischen uns besteht, hinunterzutrinken. An deinem Herzen liegt es ja doch nicht, daß du die Faust nicht zu ballen verstehst.« »Laß dir sagen, Freund Robin,« sagte Harry Wakefield, »daß es doch deine Schuld wahrlich nicht ist, nicht als Engländer geboren zu sein, und daß es doch dann auch kein Wunder ist, wenn du nicht besser zu kämpfen verstehst als ein Schulmädel.« »Kämpfen kann ich, Wakefield und du sollst es erfahren!« versetzte mit finsterer Ruhe Robin Oig; »Wakefield, du hast mir heute gezeigt, wie sächsische Flegel kämpfen – ich will dir jetzt zeigen, wie der Dunniewassle [Name des eingeborenen Bergschotten in Schottland. (Anm. d. Ü.)] des Hochlandes kämpft!« Mit diesen grausigen Worten stieß er dem englischen Landmann seinen Skene-dhu in die breite Brust mit so tödlicher Kraft und Sicherheit, daß das Heft dröhnend gegen das Brustbein stieß und die doppelschneidige Spitze dem Unglücklichen das Herz spaltete. Harry Wakefield fiel mit einem Röcheln um und war tot. Sein Mörder packte nun den Verwalter am Kragen und hielt ihm den blutigen Dolch an die Kehle. Schrecken und Bestürzung raubten dem Manne alle Kraft zur Verteidigung. »Recht und billig wäre es, wenn ich dich ihm zur Seite legte«, sagte er; »aber auf meines Vaters Dolch soll sich kein Fuchsschwänzerblut mit dem Blute eines braven Mannes mischen.« Mit diesen Worten schleuderte er den Mann mit einem einzigen Fußstoß bis an die andere Zimmerecke – und die tödliche Waffe in das lodernde Feuer. »Da!« sprach er; »greife mich, wer mag – das Feuer mag das Blut lecken, wenn es das Feuer vermag!« Noch stand alles, von Entsetzen übermannt, in Todesschweigen da, als Robin Oig nach einem Konstabler rief. Ein solcher trat aus der Menge und ihm übergab sich der Mörder. »Eine blutige Tat ist's, die Ihr begangen habt!« sprach der Konstabler. »Mit Eurer Schuld!« versetzte der Hochländer; »denn hättet Ihr vor zwei Stunden seine Hände von mir gehalten, so wäre er noch so gesund und munter wie vor zwei Minuten.« »Eine schwere Verantwortung ist's, die Ihr vor Euch habt«, sagte der Konstabler wieder. »Laßt Euch solches nicht kümmern! Der Tod tilgt alle Schuld und wird auch diese tilgen!« Achtes Kapitel Das Entsetzen, das über allen, die diesem Auftritt beigewohnt hatten, lagerte, fing nun langsam an, sich in Empörung und Zorn zu verwandeln, und wenig fehlte, so hätten sie den Tod eines beliebten Kameraden – der um einer Beleidigung willen, mit der solche Rache, ihrem Empfinden nach, im grellsten Widerspruch stand, in ihrer Mitte ermordet worden war – an dem Täter auf der Stelle gerächt. Aber der Konstabler erfüllte seine Pflicht in diesem Falle aufs gewissenhafteste und brachte, unterstützt von einigen vernünftiger denkenden Männern, Pferde herbei, um den Mörder nach Carlisle ins Gefängnis zu überführen, wo er bis zum nächsten Gerichtstag in Verwahrsam bleiben sollte. Der Mörder verhielt sich während dieser Vorbereitungen teilnahmslos und sprach kein Wort. Aber als man ihn aus dem Zimmer führen wollte, äußerte er den Wunsch, die Leiche zu sehen, die vom Estrich aufgehoben und auf den langen Schenktisch gelegt worden war, denselben, an welchem Harry Wakefield noch vor wenigen Minuten in der Vollkraft und Ausgelassenheit seiner Jugend den Vorsitz geführt hatte – denselben, auf welchem ihn jetzt die Ärzte untersuchen sollten, um den Tod festzustellen. Das Gesicht der Leiche war mit einem Tuche verdeckt. Zum Erstaunen und Entsetzen aller Anwesenden hob Robin Oig das Tuch auf und betrachtete das starre Gesicht, das noch vor wenigen Augenblicken so voll Leben gewesen war, daß die freudige Zuversicht in seine Körperstärke, das verächtliche und doch mitleidige Lächeln über das Ansinnen seines Feindes noch seine Lippen kräuselte, mit wehmütigem, aber festem Blicke. Während die Umstehenden meinten, die Wunde, die das ganze Zimmer mit Blut getränkt hatte, werde von neuem zu bluten anfangen zufolge dieser Berührung durch Mörderhand, legte Robin Oig das Tuch wieder auf das Gesicht und sprach die wenigen Worte: »Schade! Es war ein hübscher Mensch und ein netter Kerl! –« Neuntes Kapitel Die kurze Geschichte ist zu Ende. Der Hochländer wurde zu Carlisle prozessiert. Anfangs war Gericht und Publikum gegen den Verbrecher, der den Freund aus Rache ermordet hatte, stark eingenommen. Bald aber machte sich die Rücksicht auf die eingewurzelten Vorurteile des hochländischen Bergvolkes geltend, die jede körperliche Mißhandlung als unauslöschlichen Schandfleck hinstellen, und als man die Langmut und Mäßigung in Erwägung zog, die der Mörder bei der Entwickelung des Vorfalles an den Tag gelegt hatte, da fühlten sich die Richter gedrungen, das Verbrechen als eine Verirrung aus falschem Ehrbegriff, nicht als die Tat eines von Natur rohen oder durch Laster verhärteten Gemüts aufzufassen. Die Geschworenen fällten, ihrer Pflicht und Instruktion gemäß, das Urteil. Es lautete auf schuldig des Mordes, begangen mit Vorsatz und Überlegung. Zufolge dieses Spruches wurde der Stab über Robin Oig M'Combich, sonst als Mac Gregor bekannt, gebrochen und der Mörder zum Tode geführt. Er ertrug sein Schicksal mit musterhafter Standhaftigkeit und erkannte das Urteil als gerecht an. Aber mit Unwillen wies er Bemerkungen zurück, durch die ihm zum Vorwurf gemacht wurde, einen unbewaffneten Menschen angefallen zu haben. »Ich gebe mein Leben für jenes Leben, das ich genommen habe,« sagte er – »was kann ich mehr tun?« Ende Der Zauberspiegel Meine Tante Margarete war eine Dame von jener ehrenwerten Schwesternschaft, die sich mit all jenen Mühen und Bekümmernissen trägt, welche der Besitz von Kindern mit sich bringt, mit Ausnahme allein jener Beschwernisse, von denen ihr Eintritt in die Welt begleitet ist. Wir waren eine sehr zahlreiche Familie von sehr verschiedener Veranlagung des Gemüts und des Körpers. Die einen waren einfältig und verschlafen – sie wurden zur Tante Margarete geschickt, damit sie dort Unterhaltung finden sollten; die andern waren roh und zänkisch und machten gern Spektakel – sie wurden zur Tante Margarete geschickt, damit sie dort zur Ruhe angehalten würden oder vielmehr weit genug weg wären, um nicht mehr gehört zu werden. Die Kranken wurden zur Pflege und Genesung zu ihr geschickt; die Unfolgsamen wurden in der Erwartung zu ihr gebracht, daß ihre milde Zucht ihnen Gehorsam beibringen möchte. Kurz, der Tante Margarete lagen alle Pflichten einer Mutter ob, nur daß ihr die Achtung und der Respekt, die dem mütterlichen Charakter gebühren, nicht entgegengebracht wurden. Die emsige Betätigung ihrer vielfältigen Sorgsamkeit ist vorüber – ob sie kränklich waren oder robust, ob sie sanftmütig waren oder zanksüchtig, ob sie tölpelhaft waren oder anmutig – von all den Kindern, die sich von früh bis spät in ihrem Stübchen herumtrieben, ist keines mehr am Leben als ich allein; und gerade ich litt oft an Kinderkrankheiten, war einer der schwächlichsten ihrer Zöglinge und habe doch alle andern überlebt. Noch jetzt besuche ich meine liebwerte Tante zweimal in der Woche und werde es immer tun, so lange ich noch meine gesunden Glieder habe. Sie wohnt etwa eine halbe Meile außerhalb der Vorstädte, wo meine Wohnung liegt; ich kann sowohl auf der Chaussee, wo ich allerdings einen kleinen Umweg mache, als auch auf einem durch schöne Wiesen führenden Fußsteig in ihr Haus gelangen. In meinem Leben ereignet sich jetzt so wenig, was mir zur Qual wird, daß einer meiner größten Schmerzen in der Gewißheit liegt, daß diese Felder bebaut werden sollen. Auf dem der Stadt am nächsten gelegenen sind ein paar Wochen lang Schubkarren in solcher Anzahl tätig gewesen, daß ich tatsächlich glaube, die ganze Oberfläche bis zur Tiefe von wenigstens achtzehn Zoll, hat zu einundderselben Zeit auf diesen einrädrigen Beförderungsmitteln gelastet und ist von einem Flecke zum andern geschleppt worden. Desgleichen sind große Bretterhaufen hier und dort aus diesem dem Untergange geweihten Stückchen Erde aufgestapelt worden, und ein niedliches Beieinander von Bäumchen, das den sanftansteigenden Ostausgang jetzt noch ziert, hat auch schon durch eine Schmiererei von weißer Farbe die Kündigung bekommen, daß es den Platz zu räumen hat und einem absonderlichen Haine von Schornsteinen weichen muß. Vielleicht würde mancher in meiner Lage Schmerz empfinden bei der Erinnerung, daß dieses Stückchen Weide meinem Vater gehörte, der eine angesehene Stellung in der Welt bekleidete, daß dieser Grund und Boden stückweis veräußert worden ist, um die schweren Verluste wieder wettzumachen, die er erlitten hatte, als er mehrere Vermögenseinbußen durch kaufmännische Spekulationen wieder hatte ausgleichen wollen. Während die neuen Häuser dort im Bau waren, wurde ich daran oft von jener Sippe von Freunden erinnert, welche dafür sorgen zu sollen glaubt, daß man auch nicht einen Teil seines Unglücks vergesse. Daß aus diesem Stückchen Erde etwas andres geworden ist, tut mir nur deshalb weh, weil dadurch Gedankenketten zerrissen worden sind, und weit lieber würde ich den Park in den Händen Fremder sehen, wenn er dabei nur seinen Waldwuchs behalten hätte, als daß ich ihn mit dem Pfluge beackert oder mit Gebäuden bedeckt sehen müßte. Ich hoffe jedoch, die angedrohte Verwüstung wird zu meinen Lebzeiten nicht mehr vollendet werden. Der Geist der Zeit ist nicht mehr so arg auf Spekulation versessen wie damals, als die Unternehmung begonnen wurde, und ich habe jetzt Ursache anzunehmen, daß infolge der Ereignisse der letzten Zeit die Lust zu angeblich gewinnbringenden Unternehmungen bedeutend nachgelassen hat. Der Fußsteig nach der Wohnung meiner Tante Margarete, der noch erhalten ist, wird also wohl, solange sie und ich noch am Leben sind, auch erhalten bleiben. Daran allerdings hänge ich sehr, denn jeder Schritt, den ich auf diesem Wege über die schon erwähnte Wiese gehe, erweckt in mir Jugenderinnerungen. Dort ist die Sonnenuhr, und bei ihrem Anblick denke ich daran, wie eine unfreundliche Amme mich meiner Lahmheit wegen schalt und mich die steinigen Stufen, die zu der Uhr hinaufführen und die meine Brüder lärmend emporsprangen, grob und unvorsichtig emporriß. Ich erinnere mich, wie tief es mich schmerzte und wie bittern Neid ich empfand, als ich mit dem Bewußtsein meines Gebrechens die leichten Bewegungen und elastischen Sprünge meiner glücklicher gestalteten Brüder betrachtete. Ach, diese schön gebauten Schiffe sind alle auf dem weiten Meere des Lebens untergegangen, und gerade nur das, welches der See am wenigsten Trotz bieten zu können schien, ist nach überstandenem Sturme in den Hafen eingelaufen. Dort ist auch der Teich, auf dem mein Bruder eine kleine aus Schwertlilienblättern gebaute Flotte schwimmen ließ. Er fiel hinein und wurde nur mit knapper Not gerettet, und dann ist er später im Dienst der britischen Flotte unter Nelsons Flagge gestorben. Dort ist auch das Haselgestrüpp, wo mein Bruder Henry Nüsse zu suchen pflegte – und auch er hat damals nicht gedacht, daß er einst in einer indischen Dschungel bei der Suche nach Rupien sterben würde. Auf dem kleinen Spazierwege drängen sich mir so viel Erinnerungen auf, daß ich jetzt, indem ich, auf meinen krückenartigen Spazierstock gestützt, daran denke, was ich war und was ich bin, – fast mich von Zweifeln erfüllt fühle, ob ich denn auch noch derselbe bin – bis ich vor dem Hause meiner Tante stehe, dessen Eingang mit Gaisblatt umrankt ist. An dieses Haus – das ehemalige Lusthaus des Parkes – haben wir noch geringen Anspruch. Laut einem Familienkontrakt war es nämlich der Tante Margarete auf Lebzeiten überlassen worden. An diesem kleinen Besitztum haftet sozusagen der letzte Schatten des Hauses Bothwell von Earl Closes. Der letzte Vertreter des Geschlechts wird alsdann ein alter, schwacher Mann sein, der sich nur zu gern dem Grabe nähert, das bereits all seine Lieben verschlungen hat. Wenn ich ein Weilchen derartigen Gedanken nachgehangen habe, trete ich in das Wohnhaus, das ursprünglich nur die Behausung eines Parkaufsehers gewesen sein soll. Dort finde ich eine Person, auf die die Zeit wenig gewirkt zu haben scheint, denn die Tante Margarete von heute steht zu der Tante Margarete meiner Kindheit in demselben Verhältnis der Jahre wie der zehnjährige Knabe zum sechsundfünfzigjährigen Manne. Die alte Dame kleidet sich noch immer so wie früher, und daher stammt wohl die Meinung, daß die Zeit, was Tante Margarete anbetrifft, stillgestanden ist. Das chokoladenfarbene Seidenkleid mit seidenen Spitzen am Ellbogen – die schwarzseidenen Handschuhe – das weiße, zurückgekämmte Haar – die fleckenlose Battisthaube, die das ehrwürdige Antlitz umschließt – all dies war 1780 ebensowenig Mode wie 1820, es war vielmehr nur der Tante Margarete Eigenart, sich so zu kleiden. Noch wie vor dreißig Jahren sitzt sie dort mit dem Spinnrad oder dem Strickstrumpf – im Winter am Kamin, im Sommer am Fenster; des Sonnabends, wenn das Wetter sehr schön ist, wagt sie sich wohl auch vor die Haustür. Ihr Körper verrichtet noch wie ein gutgebauter Automat die Tätigkeit, zu der er bestimmt schien. Die Maschinerie macht ihren Kreislauf in allmählich schwächer werdendem Laufe, aber es ist noch kein Grund zu der Annahme, daß sie bald zum Stillstand kommen werde. Wenn ich mit Tante Margarete plaudere, so reden wir wenig von Gegenwart und Zukunft; für die Vergangenheit aber haben wir alles übrig, und sie ist uns das liebste. Was die Zukunft anbelangt, so hegen wir für unsre Zeitspanne diesseits des Grabes weder Hoffnungen noch Befürchtungen noch bange Wünsche. Unser Sinnen gilt daher begreiflicherweise lediglich der Vergangenheit, und wir vergessen, daß unsre Familie ihr Vermögen eingebüßt hat und in ihrem Ansehen verloren hat, und denken nur an die Zeit des Reichtums und des Glückes. Als ich in der vergangenen Woche an einem Sommerabend die alte Dame besuchte, wurde ich von ihr mit der üblichen Güte und Liebe empfangen. Sie schien aber ein wenig zerstreut und nicht zum Plaudern aufgelegt. »Sie haben die alte Kapelle ausgeräumt,« sagte sie, als ich nach der Ursache fragte. »John Clayhudgeons ist, wie es scheint, dahinter gekommen, daß die Asche dort – ich glaube, es ist der Staub unsrer Ahnen – sich vorzüglich dazu eignet, unsre Wiesen zu düngen.« Ich fuhr so heftig empor, wie ich es seit Jahren nicht mehr an der Gewohnheit hatte. Ich setzte mich aber wieder, als meine Tante mir die Hand auf den Arm legte und hinzufügte: »Die Kapelle, lieber Neffe, gilt lange als Gemeindegrund und ist als Hühnerhaus in Benützung – es läßt sich also gar nichts dagegen einwenden, daß der Mann sein Eigentum verwertet, wie es ihm am nützlichsten dünkt. Ich habe überdies mit ihm gesprochen, und er hat mir bereitwillig und liebenswürdig die Versicherung gegeben, daß Gebeine oder Grabmäler verschont bleiben sollten – wo welche ausgeworfen würden, sollten sie sorgsam wieder an ihren Platz gelegt werden. Konnte ich mehr von ihm verlangen? Der erste Stein, der gefunden wurde, trug den Namen Margarete Bothwell und die Jahreszahl 1585. Ich ließ ihn sorgsam bei Seite legen, wie man es meiner Meinung nach den Toten schuldig ist. Dieser Stein, der meiner Namensvetterin 200 Jahre gedient hat, ist gerade noch zur rechten Zeit gefunden worden, daß er auch mir noch den gleichen guten Dienst erweisen kann. Ich habe ja mein Haus längst bestellt, soweit es mein kleines Anwesen hier auf Erden erfordert. Wer aber kann sagen, daß die Rechnung mit dem Himmel in gleicher Weise geordnet sei?« »Zu jeder Zeit, liebe Tante, ist es unsre Pflicht, des Todes zu gedenken. Es wäre aber ein Aberglaube, wollte man daraus, daß man einen alten Grabstein gefunden hat, den Schluß ziehen, daß der Tod deshalb nahe bevorstünde. Dich aber, die du dank deinem starken Verstande so lange Zeit die Stütze einer Familie im Verfall gewesen bist, hätte ich am allerwenigsten einer solchen Schwäche für fähig gehalten.« »Dein Verdacht träfe mich auch unverdient, lieber Vetter,« erwiderte Tante Margarete, »wenn hier die Rede wäre von einem Vorgang im tatsächlichen Laufe des Menschendaseins. Aber trotz alledem bin ich in einem Gefühl des Aberglaubens befangen, dem ich mich nur ungern entringen möchte. Es ist eine Empfindung, die mich von der Zeit hinieden trennt und mich mit der verknüpft, der ich jetzt entgegeneile. Und wenn diese Empfindung mich sogar wie jetzt eben an den Rand des Grabes zu führen scheint und mich darauf zu blicken zwingt, so ist es mir doch nicht lieb, wenn sie verscheucht wird.« »Sie sind da, liebe Tante, wie ein Wanderer, der vom Wege abweicht!« »Schone meiner, ich bitte dich,« versetzte meine Tante, »erinnre dich des alten galischen Gesanges, der mit der Lehre beginnt, daß man den, der in Träume versunken sei, nicht wecken dürfe. Glaube mir auch, Vetter, diese wachenden Träume, die meine Phantasie spinnt, bereiten mir eben solchen Genuß wie mein tägliches Leben. Anstatt daß ich vorwärts schaue, wie ich in der Jugend pflegte, und mir am Rande des Grabes noch Luftschlösser baue, wende ich den Blick rückwärts auf die Tage meiner bessern Zeit. Dann überkommen mich die schwermütigen und doch so erheiternden Erinnerungen so zahlreich und so anregend, daß ich es fast für eine Entweihung erachten möchte, wenn ich klüger oder vernünftiger oder weniger von Vorurteilen erfüllt sei, als selbst die Kinder, die mich in meiner Jugend umgaben.« »Ich glaube dich jetzt zu verstehen,« antwortete ich, »und es ist mir klar, weshalb du manchmal die Dämmerung des Wahnes dem Tageslicht der Vernunft vorziehst.« »Wenn wir keine Arbeit vorhaben,« erwiderte sie, »können wir im Dunkeln sitzen, sobald es uns paßt; wenn wir aber arbeiten wollen, müssen wir uns Licht bringen lassen.« »Und bei so schattenhaftem Zwielichte,« sagte ich, »hat die Phantasie ihre bezaubernden Visionen, die sich oft den Sinnen als etwas Wirkliches aufdrängen.« »Du brauchst deshalb nicht die schmerzhaften Schrecken zu empfinden, die ein inniger Glaube an das Wunderbare erweckt – solchen Glauben hegen heutzutage übrigens nur noch die Kinder und die Narren. Es brauchen dir auch nicht die Ohren zu klingen oder die Wangen zu erblassen, wie es bei Theodor war, wenn der wilde Jäger kam. Wenn du die sanftere Wonne übernatürlicher Eindrücke genießen willst, so brauchst du nur des leichten Schauders fähig zu sein, der dich bei einer gruseligen Erzählung beschleicht. Das zweite Zeichen dafür, daß so etwas bei dir so wirkt, wie es soll, ist, daß du in dem Augenblick, wo die Spannung der Erzählung ihren Höhepunkt erreicht hat, dich nicht getraust, dich umzuschauen, und das dritte Zeichen ist, daß du darauf bedacht bist, ja nicht in einen Spiegel hineinzusehen, wenn man abends allein im Zimmer ist. Dies sind die Merkmale, an denen man erkennt, ob eine zarte Phantasie in der richtigen Stimmung ist, eine Geistergeschichte richtig zu genießen.« »Das Zeichen mit dem Spiegel,« sagte ich, »scheint indessen bei dem schönen Geschlecht selten einzutreffen.« »Du weißt nicht Bescheid in Toilettenangelegenheiten, lieber Vetter, alle Frauen befragen ängstlich den Spiegel, ehe sie in Gesellschaft gehen. Wenn sie nach Hause kommen, hat der Spiegel für sie allerdings nicht mehr denselben Reiz. Ich will dich indessen nicht in die Geheimnisse des Toilettentisches einweihen, ich kann nur sagen, wie viele andre habe auch ich nicht gern den leeren schwarzen Hintergrund eines großen Spiegels in einem düster erhellten Gemache, wo es den Anschein hat, als ob sich der Widerschein der Kerzen eher im tiefen Dunkel des Glases verlöre, statt daß er ins Zimmer zurückstrahlte. Die pechschwarze Fläche scheint so recht ein Spielplatz zu sein für die Ausgeburten der Phantasie. Sie gaukelt uns andre Züge als die unsern entgegen, oder eine unbekannte Gestalt sieht uns über die Achsel, wie in dem Zaubermärchen, das wir als Kinder erzählen hörten. Wenn ich in solcher Stimmung des Geistersehens bin, dann lasse ich das Dienstmädchen die grünen Vorhänge vor den Spiegel ziehen, ehe ich ins Zimmer trete, damit auf die Magd der erste Schrecken der Erscheinung fällt, sofern eine da ist. Um dir aber die Wahrheit zu sagen, beruht die Abneigung, die ich zu gewissen Zeiten und an gewissen Orten vor Spiegeln hege, eigentlich auf einer Geschichte, die ich von meiner Großmutter habe; sie selbst hat bei den Ereignissen, von denen ich dir jetzt erzählen werde, eine Rolle gespielt. Erstes Kapitel »Du hörst ja gern die Schilderungen aus jener Zeit, die längst von der Bühne verschwunden ist. Ich wollte, ich könnte dir den Philipp Forester beschreiben, der gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts der ausgemachteste Wüstling der höchsten schottischen Kreise war. Ich habe ihn nie gesehen, aber meine Mutter hat mir oft von seinem Witz, seiner Galanterie und seiner Verschwendung erzählt. Dieser fidele Ritter spielte gegen Ende des siebzehnten und zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts eine hervorragende Rolle. Er war der Lovelace oder der Don Juan seiner Zeit und seines Vaterlandes, dem die von ihm ausgefochtenen Zweikämpfe und seine großen Erfolge in Liebesangelegenheiten einen hohen Ruf verschafft hatten. Er hatte eine unumschränkte Herrschaft in der vornehmen Welt erlangt. Wenn man sich ein paar von seinen Taten vergegenwärtigt, für die er den Galgen verdient hätte, wenn es für alle Stände einunddasselbe Gesetz gäbe, so geht wirklich aus der Beliebtheit eines solchen Mannes hervor, daß man heutzutage weit mehr auf Anstand und Tugend gibt, als früher. Kein Geck von heute könnte sich eine so niederträchtige Affäre wie die Geschichte mit der schönen Müllerstochter in Sillermills erlauben, ja es hätte da sogar der Staatsanwalt ein Wort mitgeredet. Sir Philipp Forester hatte aber dadurch gar keine Unannehmlichkeiten, er war in der Gesellschaft ebenso gern gesehen wie zuvor, und er war beim Herzog A. zu Gaste an demselben Tage, an welchem das unglückliche Mädchen beerdigt wurde. An gebrochenem Herzen ist sie gestorben, das hat aber mit meiner Geschichte nichts zu tun. Du mußt jetzt eine kurze Auslassung über Verwandtschaft mit anhören, ich verspreche dir aber, daß ich mich so kurz wie möglich fassen werde. Damit du aber auch glaubst, daß meine Geschichte wohl verbürgt ist, mußt du wissen, daß Sir Philipp Forester dank seiner hübschen Gestalt, seinem graziösen Benehmen und seinem vornehmen Wesen die junge Miß Falconer of Kings-Copland zur Braut gewonnen hatte. Die ältere Schwester dieser Dame hatte vor einiger Zeit meinen Großvater, Sir Geoffrey Bothwell, geheiratet und unserer Familie ein stattliches Vermögen gebracht. Miß Jemima oder Jemmy Falconer, wie sie schlechtweg genannt wurde, hatte ebenfalls 10000 Pfund – eine ansehnliche Mitgift für die damaligen Zeiten. Die beiden Schwestern waren sehr verschieden, hatten aber alle beide als ledige Mädchen ihre Verehrer gehabt. Lady Bothwell hatte etwas von dem alten Blute der Kings- Copland. Sie war tapfer, doch dabei nicht tollkühn, ehrgeizig und bedacht, ihrem Hause und ihrer Familie eine immer höhere Stellung zu erringen. Meinen Großvater, einen sonst phlegmatischen Mann, soll sie scharf angespornt haben. Wenn man Klatschereien glauben soll, die über ihn umliefen, so ist er durch seine Frau in politische Händel verwickelt worden, in die er sich nicht hätte einlassen sollen. Sie war eine Frau von hohen Grundsätzen und mannhaftem Verstand, was aus einigen ihrer Briefe hervorgeht, die ich noch in meinem Schranke habe. Jemmy Falconer war das gerade Gegenteil ihrer Schwester in allen Stücken. Ihr Verstand ging nicht über das Durchschnittsmaß hinaus, wenn er nicht gar darunter stand. Ihre Schönheit – so lange sie währte – lag in sehr zarter Gesichtsfarbe und regelmäßigen Zügen, die jedoch jedes kraftvollen Ausdrucks entbehrten. Selbst diese schwachen Reize verzehrte das Elend, das eine Heirat zweier nicht zueinander passender Wesen mit sich brachte. Sie hing leidenschaftlich an ihrem Gemahl, der sie mit hartherziger, wenn auch höflicher Gleichgültigkeit behandelte, die für ein Weib von zartem Gemüt und schwacher Urteilskraft vielleicht verhängnisvoller war, als es eine offenkundig schlechte Behandlung hätte sein können. Sir Philipp war ein Wollüstling, das heißt ein großer Egoist, dessen Gemüt und Charakter dem Degen glich, den er trug – glatt, scharf, blank und geschliffen, aber unbiegsam und ohne Erbarmen. Da er seiner Frau gegenüber die herkömmlichen Formen nicht außer acht ließ, so wußte er sogar durch sein wohlberechnetes Benehmen ihr das Mitgefühl der Welt zu entziehen, und die Klatschereien der Gesellschaft taten ihr möglichstes, den sündhaften Mann als besser hinzustellen als seine leidende Frau. Einige nannten sie ein elendes schwächliches Ding und meinten, wenn sie nur halb soviel Courage hätte wie ihre Schwester, so hätte sie schon aus Sir Philipp einen vernünftigen Mann machen können. Die Mehrzahl ihrer Bekannten urteilte dahin, daß der Fehler auf beiden Seiten läge, und solche Kritiken lauteten dann etwa folgendermaßen: »Gewiß wird kein Mensch Sir Philipp in Schutz nehmen wollen, wir alle kennen ihn ja, und Jemmy Falconer hätte also vorher wissen müssen, was sie von ihm zu gewärtigen hatte. Warum hat sie sich auch absolut auf Sir Philipp kapriziert? Wenn sie sich ihm nicht mit ihren lumpigen 10000 Pfund an den Hals geworfen hätte, wäre es ihm nie eingefallen, sie auch nur anzusehen. Sicherlich hat er ein schlechtes Geschäft dabei gemacht, wenn es ihm um Geld zu tun war. Bei der und jener wäre er weit besser gefahren. Wenn sie aber durchaus ihn zum Manne haben wollte, dann mußte sie auch versuchen, ihm das Haus angenehmer zu machend. Statt ihn mit Kindergeplärr zu peinigen, mußte sie seine Freunde öfter einladen und dafür sorgen, daß im Hause alles hübsch gemütlich war. Ich glaube bestimmt, Sir Philipp wäre ein sehr häuslicher Ehemann geworden, wenn er eine Frau bekommen hätte, die ihn zu nehmen verstanden hätte.« Die dieses Urteil fällten, hatten nur den einen Umstand vergessen, daß der Schlußstein dabei fehlte; wenn sie nämlich Gesellschaften hätten geben sollen, so hätte Sir Philipp die Mittel dazu hergeben müssen. Sein Vermögen war aber durch sein verschwenderisches Leben sehr verringert worden und reichte nicht mehr aus, ein gastfreies Haus zu halten, da der gute Ritter ja doch seinen kleinen Vergnügungen nicht entsagen mochte. Trotz aller weisen Ermahnungen seiner Freundinnen amüsierte sich Sir Philipp außer dem Hause und ließ seine Frau dort in Einsamkeit sich grämen. Zuletzt faßte Sir Philipp den Entschluß, nach dem Festlande zu gehen, und als Freiwilliger den damaligen Krieg mitzumachen. Er dachte auf diese Weise am besten den Geldschwierigkeiten, die sich jetzt einstellten, und der Langweiligkeit seines Heims zu entrinnen. Seine Frau war über diesen Entschluß völlig entsetzt, und ihre Trostlosigkeit war dem würdigen Baronet so zuwider, daß er ganz gegen seine Gewohnheit sich bemühte, sie ein wenig gutes Mutes zu machen. Lady Bothwell bat nun Sir Philipp, während seiner Abwesenheit ihre Schwester mit ihrer Familie zu sich nehmen zu dürfen, und Sir Philipp war hiermit gern einverstanden, da dadurch erstens ihm die Kosten erspart wurden und zweitens jedem etwaigen übeln Gerede, er hätte Frau und Kinder verlassen, vorgebeugt wurde. Zweites Kapitel Ein paar Tage vor Sir Philipps Abreise nahm Lady Bothwell sich die Freiheit, ihm im Beisein ihrer Schwester die Frage vorzulegen, die diese selbst oft an ihn zu richten gewünscht hatte, nur daß ihr stets der Mut dazu gefehlt hatte. »Wohin wollt Ihr gehen, Sir Philipp, wenn Ihr das Festland erreicht habt?« »Ich reise mit dem Dampfer von Leith nach Helvoetsluys.« »Das kann ich mir denken,« sagte Lady Bothwell trocken, »ebenso, daß Ihr nicht lange in Helvoetsluys bleiben werdet. Ich will aber wissen, welches das weitere Ziel Eurer Reise ist.« »Verehrte Lady,« sagte Sir Philipp, »Ihr stellt mir da eine Frage, die ich mir selber noch nicht gestellt habe. Die Antwort bleibt dem Kriegsglück überlassen. Ich gehe natürlich ins Hauptquartier, wo sich das nun gerade befinden mag, gebe meine Empfehlungsschreiben ab, lerne von der edeln Kriegskunst soviel, als für einen armen Pfuscher von einem Dilettanten ausreicht und sehe mir dann mit eignen Augen all das an, wovon in den Zeitungen soviel zu lesen steht.« »Und ich hoffe auch, Sir Philipp,« sagte Lady Bothwell, »Ihr werdet stets dessen eingedenk sein, daß Ihr Ehegatte und Vater seid, und wenn Ihr es auch für am Platze haltet, Euern militärischen Neigungen nachzuhängen, so werdet Ihr Euch doch nicht in Gefahren begeben, in die sich nur Leute von der Zunft einlassen dürfen.« »Lady Bothwell erweist mir zuviel Ehre,« antwortete der auf Abenteuer ausziehende Ritter, »wenn sie sich in dieser Hinsicht auch nur die geringste Sorge macht. Damit jedoch Eure Ladyschaft sich in der mir so schmeichelhaften Angst beruhigt, so hoffe ich, Ihr werdet bedenken, daß die ehrwürdige und väterliche Eigenschaft, an die Ihr mich in so liebenswürdiger Weise gemahnt, nicht dem blinden Zufall preisgegeben werden kann, ohne daß dabei auch ein ehrlicher Kerl, Philipp Forester genannt, in Lebensgefahr gerät – und mit dem Kameraden lebe ich nun schon dreißig Jahre zusammen, und ich habe gar keine Lust, mich von ihm zu trennen, obgleich ihn manche Leute für einen Gecken halten.« »Nun wohl, Sir Philipp, Ihr müßt am besten zu beurteilen wissen, was Ihr zu tun und zu lassen habt. Mir steht es nicht zu, mich da hineinzumischen – Ihr seid nicht mein Mann.« »Verhüts Gott!« fiel Sir Philipp hastig ein, doch er setzte sogleich hinzu: »Verhüts Gott, daß ich meinem Freunde Geoffrey ein so unschätzbares Kleinod rauben sollte!« »Aber Ihr seid der Mann meiner Schwester,« setzte die Dame hinzu, »und ich glaube, Ihr habt gemerkt, wie untröstlich sie ist.« »Sofern etwas, was man den ganzen Tag über vom frühen Morgen bis zum späten Abend zu hören kriegt, gemerkt werden kann,« entgegnete Sir Philipp, »so bin ich allerdings etwas davon gewahr geworden.« »Ich nehme innigen Anteil an meiner Schwester, und daher erklärt sich die Besorgnis, mit der ich etwas von den Plänen Sir Philipp Foresters zu erfahren wünsche. Ich habe ja auch Ursache, mir um einen Bruder Sorge zu machen.« »Ihr meint den Major Falconer, Euern Bruder mütterlicherseits, was hat jetzt der mit unserm sehr angenehmen Gespräch zu tun?« »Ihr seid mit ihm zusammengekommen,« sagte Lady Bothwell. »Selbstverständlich, wir sind ja Verwandte,« erwiderte Sir Philipp, »und als solche haben wir stets miteinander in dem herkömmlichen Verkehr gestanden.« »Ihr antwortet mir ausweichend,« entgegnete die Dame, »ich meine, Ihr seid hart aneinander geraten wegen der Art und Weise, wie Ihr Eure Frau behandelt.« »Wenn Ihr, Lady Bothwell,« erwiderte Sir Philipp, »den Major Falconer für so einfältig haltet, daß er mich in meiner Häuslichkeit mit seinen Ratschlägen belästigt, so habt Ihr allerdings Ursache anzunehmen, daß ich mir seine Einmischung nicht gefallen lassen und ihn ersuchen würde, seinen Rat solange für sich zu behalten, bis er danach gefragt würde.« »Und trotzdem Ihr so mit ihm steht, wollt Ihr doch in demselben Heere, wo er steht, Kriegsdienste nehmen?« »Niemand weiß besser als Major Falconer, wie der Ehre Genüge zu tun ist,« sagte Sir Philipp. »Ein Mann, der wie ich sich erst Ruhm erwerben will, kann keinen bessern Führer finden, als wenn er genau in seine Fußstapfen tritt.« Lady Bothwell erhob sich und ging zum Fenster, Tränen traten ihr in die Augen. »Mit so herzlosen Scherzen,« sagte sie, »fertigt Ihr uns ab und uns preßt es fast das Herz ab, daß dieser Zwist so verhängnisvolle Folgen haben kann. Guter Gott, aus was muß das Herz eines Mannes sein, der so mit dem Schmerze andrer spielen kann?« Sir Philipp Forester war ergriffen, er gab den ironischen Ton auf, in dem er bisher geredet hatte. »Werte Lady Bothwell,« sagte er und ergriff trotz ihres Sträubens ihre Hand, »wir haben beide unrecht; Ihr nehmt es zu ernst und ich vielleicht zu wenig. Der Zwist, den ich mit Major Falconer hatte, war völlig belanglos. Wäre etwas Ernstes zwischen uns vorgefallen, so sind wir beide nicht die Männer danach, die Genugtuung lange zu verschieben. Ich weiß, daß Ihr gesunden Menschenverstand habt, Lady Bothwell, Ihr werdet es also begreifen, wenn ich Euch sage, meine Verhältnisse erfordern es, daß ich auf einige Monate außer Landes gehe. Jemima kann das nicht verstehen, von ihr höre ich nur immer wieder die Fragen: warum ginge das nicht so oder so oder noch anders? Und wenn ich ihr auseinandergesetzt habe, daß alle ihre Vorschläge nichts helfen können, so fängt sie doch dieselbe Leier immer noch einmal von vorne an. Nun aber sagt ihr, werte Lady Bothwell, daß ich Euch beruhigt habe. Bringt mir nur ein wenig Vertrauen entgegen, und Ihr sollt sehen, daß ich es reichlich vergelte.« »Wie schwer ist es,« antwortete Lady Bothwell kopfschüttelnd, »Vertrauen zu schenken, wenn die Grundlage, worauf es beruhen sollte, so sehr erschüttert ist. Ich will aber tun, was in meinen Kräften steht, um Jemmy zu beruhigen. Indessen kann ich aber nur sagen, ich mache Euch vor Gott und den Menschen dafür verantwortlich, daß Ihr von Euerm Vorhaben nicht laßt.« »Seid unbesorgt, ich schenke Euch reinen Wein ein,« versetzte Sir Philipp. »Briefe erreichen mich am besten durch das Generalpostamt in Helvoetsluys; dort werde ich Sorge tragen, daß mir die Briefe nachgeschickt werden. Was Falconer anbetrifft, so macht Euch keine Sorge, wir werden bei einer Flasche Burgunder Wiedersehen feiern.« Ich kann leider nicht genau das Jahr angeben, in welchem Sir Philipp nach Flandern reiste, es war aber gerade damals der Feldzug in seiner blutigsten Phase, und viele mörderische Schlachten waren zwischen den Franzosen und den Alliierten geschlagen worden, ohne daß eine Entscheidung herbeigeführt worden wäre. Unter allen Fortschritten der Neuzeit ist vielleicht der der bedeutendste, daß jetzt Nachrichten mit Sicherheit und Schnelligkeit befördert werden können, so daß die Angehörigen der Offiziere und Soldaten sofort nach einem Gefecht über ihr Befinden Mitteilung erhalten. Zur Zeit der Feldzüge Marlboroughs jedoch hatten die vielen Menschen, die Verwandte beim Heere hatten, am allerschlimmsten unter der Ungewißheit zu leiden, in der sie wochenlang schwebten, wenn eine Schlacht stattgefunden hatte, in der die, um die ihr Herz sich bangte, aller Wahrscheinlichkeit nach mitgekämpft hatten. Zu denen, die unter dem Schmerz der Ungewißheit litten, zählte auch die verlassene Gattin des leichtfertigen Sir Philipp Forester. Ein einziger Brief hatte ihr mitgeteilt, daß er glücklich auf dem Festlande angekommen sei, sonst erhielt sie keine Nachricht. Nur eins laß sie in den Zeitungen: es wurde von dem Freiwilligen Sir Philipp Forester erzählt, er habe einen ihm aufgetragenen, gefahrvollen Patrouillengang mit Todesverachtung und Klugheit und Geschicklichkeit ausgeführt und habe die öffentliche Anerkennung des kommandierenden Generals erhalten. Vorübergehend färbte sich die blasse Wange seiner Gemahlin, als sie so die bestimmte Nachricht bekam, daß er sich rühmlich hervorgetan hatte, aber gleich darauf dachte sie an die Gefahr, und die Röte wich einer fahlen Blässe. Hiernach trafen weder von Sir Philipp noch von seinem Schwager Falconer Nachrichten ein. Die Ungewißheit war für Lady Forester, ein einsam lebendes, empfindsames, mutloses und jeglicher Seelenstärke entratendes Weib, die bitterste der Martern. Drittes Kapitel Als Lady Forester von Sir Philipp nichts mehr erfuhr, weder durch Boten noch durch Briefe, begann sie sogar einen Trost zu suchen in der Leichtfertigkeit, die ihr früher so zur Pein geworden war. »Er ist so gedankenlos,« sagte sie immer wieder zu ihrer Schwester, »daß er überhaupt nicht ans Schreiben denkt, sobald es ihm gut geht. Das ist so seine Manier. Wäre ihm etwas zugestoßen, bekämen wirs gleich zu erfahren.« Lady Bothwell hörte ihre Schwester an und versuchte nicht, sie zu trösten. Vielleicht meinte sie, selbst die schlimmste Nachricht, die aus Flandern hätte kommen können, hätte tröstend wirken müssen. Lady Forester als Witwe – sofern ihr dieses Unglück bestimmt war – hätte eine Quelle des Glückes finden können, die sie als Gattin des leichtsinnigsten und schönsten Mannes in Schottland nie kennen gelernt hatte. Diese Überzeugung bestärkte sich, als auf im Hauptquartier eingezogene Erkundigungen der Bescheid kam, Sir Philipp sei nicht mehr beim Heere. Aber keiner seiner Landsleute im Lager der Alliierten konnte angeben – sei es auch nur als Vermutung – ob er in einem der beständig stattfindenden Scharmützelgefechte, worin er sich mit Vorliebe auszuzeichnen pflegte, gefallen sei oder ob er aus einem unbekannten Grunde oder infolge launenhafter Abänderung seiner Pläne den Kriegsdienst aufgegeben habe. Inzwischen drängten seine Gläubiger immer ungeduldiger, setzten sich in den Besitz seines Eigentums und drohten sogar, ihn in den Schuldturm werfen zu lassen, sofern er so unvorsichtig sein sollte, nach Schottland zurückzukehren. Dieses neue Ungemach steigerte noch Lady Bothwells Erbitterung gegen den flüchtigen Ehegatten. Ihre Schwester wurde nur noch trauriger und trostloser; denn ihre Phantasie stellte ihr den abwesenden Gemahl wie vor der Ehe als tapfer, lustig und liebevoll dar. Um diese Zeit kam ein Mann nach Edinburgh, – eine eigenartige, sonderbare Erscheinung. Sie hießen ihn gewöhnlich den Doktor von Padua, weil er in dieser berühmten Universität der Republik Venedig seine Erziehung genossen hatte. Es ging die Rede von ihm, er sei im Besitz seltener Rezepte, mit denen ihm sehr merkwürdige Kuren geglückt seien. Die Ärzte von Edinburgh schalten ihn zwar einen Kurpfuscher, aber es gab auch viele und darunter vor allem Geistliche, die zwar an der Tatsächlichkeit seiner Heilungen und der Heilkraft seiner Mittel nicht zweifelten, zugleich aber behaupteten, Doktor Baptista Damiotti treibe Zaubereien und verbotene Künste, um in seiner ärztlichen Praxis Glück zu haben. Es wurde sogar von der Kanzel herab feierlich gegen ihn agitiert. Doch mehrere hochstehende, einflußreiche Gönner gewährten ihm Schutz und so konnte er diesen Bezichtigungen die Stirn bieten. Er konnte sogar in der Stadt Edinburgh – obgleich sie wegen ihres Hasses gegen Hexen und Zauberer bekannt und gefürchtet war – den gefahrvollen Charakter eines Weissagers und Zukunftsdeuters annehmen. Schließlich lief auch noch das Gerücht um, Doktor Baptista Damiotti sei imstande – allerdings gegen ein nicht unbeträchtliches Honorar – das Schicksal fernweilender Personen zu verkünden, ja er vermöchte sogar die Erscheinung des Abwesenden zu berufen und zu zeigen, was die Person im Augenblick gerade beginne. Dieses Gerücht kam der Lady Forester zu Gehör, und sie war jetzt auf dem Höhepunkt des Seelenschmerzes angelangt, daß sie alles zu tun und zu ertragen willens war, wenn nur die peinvolle Ungewißheit durch sichere Kunde aufgehoben würde. Bei all ihrer Sanftmut und Furchtsamkeit stimmte sie doch ihr jetziger Seelenzustand starrsinnig und leichtsinnig. Nicht wenig überrascht und besorgt war daher Lady Bothwell, als sie vernahm, daß ihre Schwester sich entschlossen habe, diesen Mann der Kunst zu besuchen und ihn nach dem Schicksal ihres Gemahls zu befragen. Lady Bothwell versuchte, ihr klarzumachen, daß so übernatürliche Leistungen, wie ihrer der Fremde sich rühmte, nicht gut etwas anderes als purer Betrug sein könnten. »Das ist mir einerlei,« war die Antwort der verlassenen Gattin, »wenn ich nur hoffen kann, daß unter hundert Mitteln eines mir Gewißheit geben könne, was aus meinem Mann geworden ist, so will ich es nicht unversucht lassen.« Lady Bothwell machte zunächst darauf aufmerksam, daß es gegen das Gesetz verstoße, solche Quellen verbotener Kenntnis zu benützen. »Schwester,« entgegnete die Leidende – »wer vor Durst verschmachtet, läßt sich selbst hinreißen, vergiftetes Wasser zu trinken. Wer unter steter Ungewißheit vergeht, muß Nachricht zu erlangen suchen, selbst wenn unheilige höllische Mittel ergriffen werden müssen. Ich will allein gehen, mein Schicksal zu hören, noch heute Abend muß ich es wissen. Und wenn die Sonne morgen sich rötet, werde ich, wenn auch nicht glücklicher, so doch ruhiger sein.« »Schwester,« versetzte Lady Bothwell, »wenn du fest entschlossen bist, diesen unbedachten Schritt zu tun, so sollst du nicht allein gehen. Sollte dieser Mann ein Schwindler sein, so bist du vielleicht zu aufgeregt, um hinter seine Taschenspielerei zu kommen. Wenn aber an dem, was er zu können sich anmaßt, etwas Wahres ist, was ich nicht glauben kann, so sollst du eine Nachricht so außergewöhnlicher Art nicht allein vernehmen. Ich komme mit dir, wenn du wirklich gehen willst. Überlege es dir aber noch einmal und verzichte lieber auf eine Nachforschung, die sich nicht ohne Schuld und vielleicht auch nur mit Gefahr anstellen läßt.« Lady Forester warf sich ihrer Schwester in die Arme, drückte sie an ihre Brust und dankte ihr herzlich, daß sie sie begleiten wolle; den freundschaftlichen Rat, den sie ihr gab, lehnte sie jedoch mit einer Gebärde der Traurigkeit ab. Als die Dämmerstunde herangekommen war, – die Zeit, zu der der Doktor von Padua stets von denen aufgesucht wurde, die ihn um Rat bitten wollten – verließen die beiden Damen ihre Wohnung in Canongate zu Edinburgh, verkleidet als Frauen niedern Standes und wie diese die Köpfe in Mäntel eingeschlagen. Lady Bothwell hatte es für geraten gehalten, sich in dieser Weise zu verkleiden, um einerseits das Haus des Beschwörers unauffällig aufsuchen zu können, andererseits um diesen selber auf die Probe zu stellen, ob er scharfsinnig genug sei, ihren Mummenschanz zu durchschauen. Der Diener der Lady Forester war vorher zu dem Doktor geschickt worden – ein Mann, dessen Treue erprobt war. Er hatte durch eine angemessene Belohnung die Gunst des Gelehrten gewinnen müssen und ihm angedeutet, daß die Frau eines Soldaten zu wissen wünsche, was aus ihrem Manne geworden sei, ein Gegenstand, über den der Weise sicherlich sehr oft gefragt würde. Die Uhr im Schlosse schlug acht. Bis zum letzten Augenblicke hatte Lady Bothwell ihre Schwester beobachtet und gehofft, sie werde ihr unbesonnenes Vorhaben noch aufgeben. Manchmal vermag jedoch selbst die Sanftmütigkeit und die Beschränktheit leidenschaftlich auf bestimmten Entschlüssen zu bestehen, und so war auch Lady Forester unerschütterlich, bis es Zeit war zu gehen. Verdrossen über ein solches Beginnen und doch fest entschlossen, ihre Schwester in solcher Gefahr nicht allein zu lassen, schritt nun Lady Bothwell mit Lady Forester durch manche düstre Straße und Gasse, während ein Diener, den Weg weisend, voranging. Plötzlich bog ihr Führer in einen engen Hof ein und pochte an eine gewölbte Tür, die zu einem anscheinend schon sehr alten Gebäude zu gehören schien. Die Tür ging auf, ohne daß ein Pförtner sich gezeigt hätte. Der Diener trat vor dem Portal zur Seite und bat die Damen einzutreten. Dies taten sie, und die Tür schloß sich wieder, während der Führer draußen blieb. Die beiden Damen standen nun auf einem schmalen Korridor, der, durch eine Lampe matt erhellt, mit dem Licht und der Luft draußen nicht in Verbindung zu stehen schien. Am Ende des Korridors befand sich eine Tür, die halb offen stand. Viertes Kapitel »Wir dürfen jetzt nicht zaudern, Jemima,« sagte Lady Bothwell und trat in das Gemach, wo inmitten von Büchern, Karten, physikalischen Instrumenten und anderm Gerät der Mann der Wissenschaft saß. Das Äußere des Italieners hatte nichts Auffallendes. Er hatte die dunkeln Wangen und die scharfen Züge seiner Rasse, sah aus wie ein Fünfzigjähriger und war etwas geziert, doch einfach gekleidet in jene schwarze Tracht, die damals bei den Ärzten allgemein üblich war. Große Wachskerzen in silbernen Leuchtern erhellten das nicht eben ärmlich ausgestattete Gemach. Als die Damen hereintraten, erhob er sich. Trotzdem sie so unscheinbar gekleidet waren, empfing er sie mit all der Achtung, die ihrem Stande zukam. Lady Bothwell gab sich Mühe, sich ihrer Verkleidung gemäß zu betragen, und machte eine ablehnende Gebärde, als der Dokter sie nach dem obern Ende des Zimmers führte, wie um anzudeuten, daß solche Aufmerksamkeit ihr nicht gebühre. »Wir sind arme Frauen,« sagte sie, »nur der Gram meiner Schwester führt mich hierher, wir wollen Euer Gnaden um Rat bitten –« Lächelnd unterbrach er sie. »Mylady,« sagte er, »ich weiß um den Gram Eurer Schwester und kenne auch den Grund dazu. Ich weiß auch, daß ich mit dem Besuch zweier Damen des höchsten Standes, der Lady Bothwell und der Lady Forester, beehrt werde. Wenn ich sie nicht von derjenigen Klasse der Gesellschaft zu unterscheiden vermöchte, deren Tracht sie augenblicklich angelegt haben, so wäre ich wohl schwerlich in der Lage, ihnen die Auskunft zu erteilen, die sie von mir begehren.« »Ich verstehe sehr wohl –« begann Lady Bothwell. »Verzeiht, daß ich so kühn bin, Euch zu unterbrechen,« fiel ihr der Italiener ins Wort, »Ihr wolltet sagen, Ihr verstündet sehr wohl, daß ich durch Euern Bedienten wisse, mit wem ich es zu tun habe. Wenn Ihr aber so denkt, so tut Ihr ein doppeltes Unrecht, indem Ihr an der Treue Eures Dieners zweifelt und an der Klugheit eines Mannes, des Baptista Damiotti, der auch nichts andres ist als Euer ergebener Diener.« »Ein solcher Zweifel liegt nicht in meiner Absicht,« antwortete Lady Bothwell in gefaßtem Tone trotz ihrer Überraschung. »Dies alles ist nur etwas Neues für mich. Wenn Ihr wißt, wer wir sind, so wißt Ihr auch, was uns herführt.« »Das Begehr, das Schicksal eines schottischen Herrn von hohem Range zu erfahren, der auf dem Festlande weilt,« erwiderte der Seher. »Er heißt il Cavaliero Philippo Forester und ist ein Herr, der die Ehre hat, der Ehegatte dieser Dame zu sein, eine Ehre, die er – sofern ich mit Eurer Ladyschaft Erlaubnis ganz offen reden darf – unglücklicherweise nicht nach Gebühr schätzt.« Lady Forester seufzte tief, und Lady Bothwell antwortete: »Da Ihr somit wißt, ohne daß wir es Euch bekannt haben, in welcher Absicht wir gekommen sind, so habe ich nur noch die eine Frage an Euch: seid Ihr imstande, meine Schwester von ihrer Angst zu befreien?« »Wohl ist mir dies gegeben, Mylady,« versetzte der Gelehrte von Padua, »doch zuvor muß ich selber Euch noch eine Frage vorlegen: habt Ihr Mut genug, mit eigenen Augen zu schauen, was Sir Forester in dieser Stunde tut oder wollt Ihr den Bericht aus meinem Munde hören?« »Auf diese Frage muß meine Schwester selber Antwort geben,« sagte Lady Bothwell. »Ich will es mit eignen Augen sehen, was Ihr mir zu zeigen imstande seid,« antwortete Lady Forester mit der gleichen Entschiedenheit, mit der sie ihren Entschluß ausgeführt hatte. »Es ist mit Gefahren verknüpft.« »Falls die Gefahr mit Gold zu beseitigen ist –« sagte Lady Forester, die Börse ziehend. »Ich tue das nicht um Gewinn,« unterbrach sie der Fremde; »wenn ich von den Reichen Gold nehme, so geschieht es nur, um es den Armen zu geben. Auch nehme ich nie mehr, als was ich von Euerm Diener erhalten habe. Steckt Eure Geldtasche also wieder ein, Mylady, ein Adept braucht Eures Geldes nicht.« Daß der Mann das Anerbieten ihrer Schwester zurückwies, hielt Lady Bothwell lediglich für den Kunstgriff eines Quacksalbers, der nur noch eine größere Summe herauszulocken beabsichtigte. Um zum Ende zu kommen, bot sie ihrerseits dem Italiener Geld an, das er zu dem Zweck verwenden solle, seine Wohltätigkeit vielfältiger ausüben zu können. »Möge Lady Bothwell ihre eigne Barmherzigkeit in größerm Maße üben,« sagte der Paduaner, »und zwar nicht nur im Austeilen von Almosen, sondern auch in der Beurteilung andrer. Sie möge den Baptista Damiotti dadurch sich zu Danke verpflichten, daß sie ihn solange für ehrlich hält, bis sie herausbekommt, daß er ein Gauner ist. Wundert Euch nicht, Mylady, daß ich auf Eure Gedanken mehr eingehe als auf Eure Worte, und sagt mir noch einmal, ob Ihr wirklich den Mut habt, anzuschauen, was ich Euch zeigen werde.« »Ich muß gestehen, Herr, Eure Worte machen mir bange,« sagte Lady Bothwell; »was aber meine Schwester sehen will, werde auch ich ohne Bedenken mitansehen.« »Die Gefahr liegt lediglich darin, daß der Mut Euch verlassen könnte. Was Ihr schauen werdet, kann sich nur sieben Minuten zeigen. Wenn Ihr die Vision auch nur mit einem Worte stört, so ist nicht allein der Zauber vernichtet, sondern auch die Zuschauer können in Gefahr geraten. Wenn Ihr aber diese sieben Minuten lang das unverbrüchlichste Schweigen wahren könnt, so wird Eure Wißbegier befriedigt werden, ohne daß Ihr das geringste dabei zu befürchten braucht, dafür verbürge ich mich mit meiner Ehre.« Im Innern glaubte Lady Bothwell sich nicht vor Gefahr gesichert, sie verbarg jedoch ihre Befürchtungen, denn es schien ihr, als ob der Adept, in dessen dunkeln Zügen ein leises Lächeln spielte, selbst ihre heimlichsten Gedanken durchschaute. Eine feierliche Pause trat ein, bis Lady Forester sich ein Herz gefaßt hatte und dem Arzt – wie er sich nannte – erklärte, daß sie fest bleiben wolle und schweigen werde und daß sie nun der Vision gewärtig sei, die er ihnen zu zeigen versprochen habe. Der Gelehrte verneigte sich hierauf tief und ging hinaus mit den Worten, er werde Vorkehrungen treffen, ihren Wunsch zu erfüllen. Die beiden Schwestern setzten sich auf zwei Stühle dicht nebeneinander und hielten sich bei den Händen, als wollten sie durch dieses enge Zusammenschließen die Gefahr, die ihnen vielleicht drohte, von sich wenden. Jemima suchte eine Stütze in der mannhaften Art der Lady Bothwell, und diese wiederum war aufgeregter, als sie sich selbst gedacht hatte, und suchte sich an der verzweiflungsvollen Entschlossenheit zu stärken, mit der ihre Schwester zu ihrem Plane gegriffen hatte. Nach einer kleinen Weile wurden beider Gedanken durch eine so seltsam liebliche und feierliche Musik abgelenkt, daß die ernste Stimmung, die das vorhergehende Gespräch wachgerufen hatte, nur noch erhöht wurde. Die Musik schien gleichzeitig darauf angelegt, jede der Harmonie zuwiderlaufende Empfindung zu verscheuchen. Sie war von einem Instrument, das beiden unbekannt war. Als die himmlischen Töne verstummten, tat sich eine Tür am obern Ende des Gemaches auf, und sie sahen Damiotti ein paar Stufen hoch auf einer Estrade stehen und ihnen winken, näherzutreten. Er war jetzt so ganz anders gekleidet als vorhin, daß sie ihn kaum wieder erkannten. Der etwas spöttische Ausdruck, mit dem er beide und besonders Lady Bothwell betrachtet hatte, war einer Totenblässe und jener finstern Spannung aller Muskeln gewichen, wie man sie bei jemand beobachten kann, der vor einer außergewöhnlichen und kühnen Handlung steht. Er war barfuß und trug Sandalen antiker Form; die Beine waren bis an die Knie nackt. Er hatte ein Beinkleid und ein enganliegendes Wams von karmoisinroter Seide an, darüber einen Mantel von schneeweißem Linnen, der wie ein Chorhemd aussah. Der Hals war frei, und das lange, straffe, schwarze Haar war lang und sorgfältig herabgekämmt. Als die Damen, seinem Winke folgend, nähertraten, unterließ er jede Gebärde der höflichen Form, worin er doch vorher so freigebig gewesen war. Im Gegenteil gab er den Wink näherzutreten mit einer Miene des Befehls; als die Schwestern Arm in Arm auf den Fleck zukamen, wo er stand, legte er den Finger auf die Lippen und warf ihnen einen finstern Blick der Warnung zu, wie um sein Gebot unbedingten Schweigens zu wiederholen. Dann ging er voran und führte sie ins nächste Zimmer. Fünftes Kapitel Dieses Gemach war geräumig und mit schwarzem Tuch ausgeschlagen, wie zu einem Begräbnis hergerichtet. Am obern Ende stand ein Tisch, oder vielmehr ein Altar, der mit einem Tuch von der gleichen Farbe bedeckt war und auf dem verschiedene Gegenstände zu sehen waren, in denen man das übliche Handwerkszeug der Zauberei erkannte. Das Zimmer war nur matt erhellt von zwei Lampen, die im Verlöschen waren. Der Maestro – um die italienische Bezeichnung für Männer dieser Art anzuwenden – schritt nach dem obern Ende des Gemaches, indem er die Knie beugte, wie die Katholiken vor dem Kruzifix zu tun pflegen, und sich dabei bekreuzte. Die Damen gingen Arm in Arm schweigend hinter ihm her. Ein paar niedrige Stufen führten zu einer Plattform vor dem Altar, hier stellte sich der Maestro auf und ließ die Damen neben sich treten, nochmals durch Winke sein Gebot zu schweigen ernsthaft wiederholend. Dann streckte er den nackten Arm aus dem Mantel hervor und deutete auf fünf große Fackeln, die rechts und links neben dem Altar standen. Als seine Hand oder vielmehr sein ausgestreckter Zeigefinger ihnen nahe kam, fingen sie an zu brennen und verbreiteten nun helles Licht. Jetzt erkannten die beiden Damen, daß auf dem Altar kreuzweis zwei große Schwerter lagen, ein dickes Buch lag aufgeschlagen, sie hielten es für die heilige Schrift, nur in einer ihnen unbekannten Sprache. Daneben stand ein Menschenschädel. Am meisten aber war den Schwestern ein großer, breiter Spiegel aufgefallen, der den ganzen Hintergrund ausfüllte und das Licht der brennenden Fackeln und das Bild der davor liegenden geheimnisvollen Dinge zurückwarf. Der Maestro trat nun zwischen beide Damen, zeigte auf den Spiegel und nahm beide bei der Hand, doch ohne ein Wort zu reden. Sie blickten starr auf die düstere, strahlende Fläche, worauf er ihre Aufmerksamkeit gelenkt hatte. Plötzlich zeigte sich in ihr ein neues wundersames Bild. Nicht länger spiegelten sich darin die davor liegenden Gegenstände, es zeigten sich Bilder für sich in dem Spiegel. Zuerst erschienen die Dinge in Unordnung und buntem Wirrwarr, dann zeigten sie sich deutlich und bestimmt in Formen und Ebenmaß. Nachdem auf der Fläche des zauberischen Spiegels ein paarmal Licht und Schatten gewechselt hatten, wurde ein langer, doppelseitiger Durchblick von Säulen und Bogen sichtbar, und ein Dach wölbte sich darüber. Nach einem vagen Vibrieren kam Festigkeit und Bestimmtheit in die ganze Vision: es war das Innere einer fremden Kirche. Die stattlichen Pfeiler waren mit Wappenschildern geschmückt, die Bogen waren hoch und prachtvoll, der Fußboden mit Grabinschriften bedeckt. Besondere Sakristeien waren nicht da, es hingen weder Bilder an den Wänden, noch stand auf dem Altar ein Kruzifix oder ein Kelch. Es war also eine protestantische Kirche auf dem Kontinent. Ein Geistlicher in Talar und Beffchen stand an dem Abendmahltische, die Bibel lag aufgeschlagen vor ihm, im Hintergrunde harrte ein Küster. Es schien alles hergerichtet zu sein für eine kirchliche Zeremonie. Zuletzt trat in die Kirche ein Hochzeitszug, wie es schien, denn ein Herr und eine Dame gingen Hand in Hand voran, und eine große Zahl von Personen beiderlei Geschlechts kamen hinterdrein in festlicher, prachtvoller Tracht. Die Braut, deren Gesicht deutlich zu erkennen war, schien höchstens sechzehn Jahre alt zu sein und von großer Schönheit. Der Bräutigam drehte ihnen ein Weilchen den Rücken zu, aber seine zierliche Gestalt und sein graziöser Gang versetzte beide Schwestern plötzlich in die gleiche Angst. Als er dann sein Gedicht rasch ihnen zukehrte, sahen sie ihre Furcht entsetzlich bestätigt, denn sie erkannten in dem geschmückten Bräutigam Sir Philipp Forester. Seine Frau vermochte nicht völlig einen Aufschrei zu unterdrücken, und bei diesem Laut schien die ganze Szene in Unordnung zu geraten und sich aufzulösen. »Ich kann dies,« sagte Lady Bothwell, wenn sie später die wundersame Geschichte erzählte, »nur damit vergleichen, wie eine stille Wasserfläche, die ein Bild widerspiegelt, plötzlich von einem hineingeschleuderten Stein in Aufruhr gebracht wird und die Umrisse der Spiegelung sich verwirren und auseinander fahren.« Der Maestro drückte beiden Damen heftig die Hand, wie um sie an ihr Versprechen und an die Gefahr zu gemahnen, der sie sich aussetzten. Der Schrei erstarb der Gattin auf der Zunge, ohne deutlich auszuklingen, und nachdem das Bild im Spiegel flüchtig geschwankt hatte, nahm es wieder die Bestimmtheit eines tatsächlichen Auftrittes an, der innerhalb des Spiegels sich abzuspielen schien. Das Ganze war sozusagen ein Gemälde, nur daß die Gestalten sich bewegten, statt regungslos zu sein. Das Bild Sir Philipp Foresters war jetzt in Gestalt und Gesichtszügen deutlich erkennbar. Sie sahen ihn das schöne Mädchen zu dem Geistlichen führen, in ihrem Gang lag zugleich Zaghaftigkeit und liebevoller Stolz. Inzwischen trat eine zweite Gruppe, worunter sich einige Offiziere befanden, ebenfalls in die Kirche. Der Prediger war gerade im Begriff, die Trauung zu vollziehen. Die Neuhinzugekommenen kamen zuerst nur näher, als wollten sie bloß zusehen. Plötzlich aber sprang einer der Offiziere, der den Zuschauern den Rücken zukehrte, aus der Mitte seiner Gefährten heraus und stürzte auf die Hochzeitsgesellschaft zu, deren Mitglieder sich alle nach ihm umdrehten, wie entsetzt über einen Ruf, den er beim Vorspringen ausgestoßen hatte. Indem der Mann sich hereindrängte, zog er den Degen, der Bräutigam riß das Schwert aus der Scheide und stürzte auf ihn zu. Auch andere, sowohl von der Hochzeitsgesellschaft als auch von denen, die zuletzt hereingekommen waren, zogen blank. Allgemeine Verwirrung entstand. Der Prediger und einige gesetzte ältere Herren schienen bemüht zu sein, Frieden zu stiften, die Ungestümen zückten drohend die Degen gegeneinander. Inzwischen war die kurze Zeitspanne verflossen, in der der Wahrsager nach seiner eigenen Erklärung seine Künste betätigen durfte. Das Gebilde zerfloß und zerging, so daß nichts mehr zu erkennen war. Die Gewölbe und Säulen der Kirche rollten auseinander und verschwanden, und der Spiegel warf wieder den Schein der Fackeln und die düstern Dinge auf dem Altar oder auf dem Tische zurück. Der Doktor geleitete die Frauen, die seiner Stütze sehr bedurften, zurück in das Gemach, aus dem sie gekommen waren. Hier hatte er Wein, stark duftende Essenzen und andre Mittel, ermattete Lebenstätigkeit wieder aufzufrischen, während seiner Abwesenheit herbeibringen lassen. Er forderte die Damen auf, sich zu setzen, was sie schweigend taten. Lady Forester rang die Hände und schlug die Blicke gen Himmel. Aber als ob sie noch jetzt das Zauberspiel vor Augen hatte, sprach sie auch jetzt noch kein Wort. »Was wir eben gesehen haben,« fragte Lady Bothwell, mit Mühe sich wieder fassend, »geschieht das jetzt gerade?« »Das,« erwiderte Baptista Damiotti, »kann ich nicht bestimmt behaupten. Was Ihr gesehen habt, geschieht entweder eben jetzt oder ist vor ganz kurzer Zeit geschehen, jedenfalls ist es das letzte nennenswerte Ereignis, bei dem der Cavaliere Forester eine Rolle spielte.« Lady Bothwell sagte sodann, sie fürchte für ihre Schwester, die so gar kein Bewußtsein von dem, was um sie her vorginge, zu haben scheine, daß es vielleicht unmöglich sein werde, sie wieder nach Hause zu bringen. »Für diesen Fall habe ich gesorgt,« antwortete der Adept, »ich habe Euern Diener beauftragt, Euern Wagen so nahe an das Haus heranzufahren, als es bei der Enge der Straße mögliche ist. Sorgt Euch nicht um Eure Schwester, zu Hause aber gebt ihr diese beruhigende Medizin, es wird ihr dann am Morgen besser gehen. Nur wenige,« setzte er im Tone der Schwermut hinzu, »gehen so gesund, wie sie gekommen sind, aus diesem Hause wieder fort. Lebt wohl und vergeßt nicht den Trank.« »Ich möchte ihr nichts geben, was von Euch ist,« sagte Lady Bothwell, »ich habe schon genug von Eurer Kunst gesehen. Ihr würdet vielleicht uns beide vergiften, damit Eure Gaukelei nicht ruchbar wird. Wir aber haben nicht nur die Mittel, ein uns zugefügtes Unrecht bekannt zu machen, sondern auch Anhang genug uns dafür schadlos zu halten.« »Ich habe Euch' kein Unrecht zugefügt, Mylady,« sprach, der Adept. »Ihr seid zu einem Manne gekommen, der Euch für die Ehre, die Ihr ihm damit erwiesen habt, keinen Dank weiß. Dieser Mann geht selber zu niemand und gibt nur denen Auskunft, die zu ihm kommen und ihn darum ersuchen. Im übrigen habt Ihr das Unglück, das Euch bevorsteht, nur ein wenig früher erfahren. Ich höre Euern Diener an der Tür und will Euch nun nicht länger aufhalten. Die nächste Post vom Kontinent wird Euch bringen, was Ihr zum Teil schon gesehen habt. Wenn ich Euch einen Rat geben darf, so gebt diesen Brief nicht sogleich Eurer Schwester.« Mit diesen Worten wünschte er Lady Bothwell gute Nacht. Die beiden Damen gingen, der Gelehrte leuchtete ihnen hinaus, indem er rasch einen Mantel umwarf, die Tür öffnete und die Frauen der Sorge des Dieners anvertraute. Als Lady Forester zu Hause angekommen war verfiel sie sogleich in eine Art Irrsinn, der sich als Folge des abergläubischen Schreckens und der furchtbaren Nervenerschütterung einstellte. Plötzlich trafen aus Holland Nachrichten ein, die die Verwirklichung ihrer schrecklichsten Ahnung enthielten. Es kam die traurige Kunde, daß zwischen Sir Philipp Forester und dem Halbbruder seiner Frau, dem Kapitän Falconer von den Schottisch-Holländischen Truppen, wie man sie damals nannte, ein Zweikampf stattgefunden habe. Kapitän Falconer war gefallen. Die Nachricht von der Ursache des Zwistes gestaltete die Meldung nur noch um so betrübender. Allem Anschein nach hatte Sir Philipp plötzlich das Heer verlassen, weil er nicht imstande war, eine bedeutende Geldsumme zu bezahlen, die er im Spiel an einen andern Freiwilligen verloren hatte. Er hatte einen andern Namen angenommen und war nach Rotterdam gegangen, wo er sich bei einem alten reichen Bürgermeister in Gunst zu setzen und zugleich durch sein schönes Äußere und sein anmutiges Wesen die Liebe seiner Tochter zu gewinnen wußte – eines einzigen Kindes, das jung und schön und Erbin eines großen Vermögens war. Der reiche Kaufherr, der eine viel zu hohe Meinung von englischer Ehrenhaftigkeit hatte, um Erkundigungen über seinen künftigen Schwiegersohn einzuziehen, war von seinem gefälligen Wesen sehr eingenommen und gab mit Freuden seine Einwilligung zu der Heirat. Sie sollte eben in der ersten Kirche der Stadt gefeiert werden, als das Fest durch ein unerwartetes Geschehnis unterbrochen wurde. Kapitän Falconer war nach Rotterdam entsendet worden, um einen Teil der dort einquartierten schottischen Brigade dem Heere des Herzogs von Marlborough zuzuführen. Ein angesehener Einwohner, mit dem er von früher her bekannt war, machte ihm den Vorschlag, mit ihm nach der Kirche zu gehen und dort der Trauung eines seiner Landsmänner mit einer reichen Bürgerstochter beizuwohnen. Mit einigen Offizieren der schottischen Brigade und mit seinem holländischen Freunde ging Kapitän Falconer in die Kirche. Man kann sich denken, wie groß sein Erstaunen war, als er seinen eignen Schwager, einen verheirateten Mann, dort im Begriffe sah, das unschuldige schöne Mädchen zum Altar zu führen, das er in so schändlicher, eines Mannes unwürdiger Weise betrogen hatte. Sofort gab er die Schurkerei öffentlich kund, und die Vermählung wurde natürlich infolgedessen aufgehoben. Entgegen der Ansicht besonnener Männer, die Sir Philipp Forester für einen Schuft erklärten, der nicht mehr auf die Rechte eines Ehrenmannes Anspruch hätte, gestand ihm Kapitän Falconer doch noch das Vorrecht eines solchen zu und nahm die Herausforderung zum Zweikampf an, in welchem er tötlich verwundet wurde. So waltet und wirkt geheimnisvoll die Vorsehung. Lady Forester hat sich von dem Schreck dieser Trauerkunde nie wieder erholt. Sechstes Kapitel »Ereignete sich der traurige Vorfall,« fragte ich, »genau zu der Zeit, als das Bild im Spiegel gezeigt wurde?« »Es ist verdrießlich, die Wirkung einer Erzählung in etwas abzuschwächen. Um jedoch bei der Wahrheit zu bleiben, muß ich sagen, daß das Ereignis einige Tage vor der Erscheinung im Spiegel sich zugetragen hatte.« »Mithin ist auch die Möglichkeit vorhanden,« sagte ich, »daß der Schwarzkünstler durch geheime und schnelle Botschaft rechtzeitig Nachricht von dem Vorfall erhalten hatte.« »So sagten alle, die nicht daran glaubten,« erwiderte meine Tante. »Und was ist aus dem Adepten geworden?« fragte ich. »Ein Haftbefehl wurde gegen ihn erlassen, aber er verstand das Wahrsagen viel zu gut, als daß er nicht das tragische Schicksal vorausgesehen hätte, das seiner warten würde, wenn er dem Manne des Gesetzes nicht aus dem Wege ginge, er schlug sich daher, wie man so sagt, seitwärts in die Büsche, und man hat nie wieder von ihm gehört, noch ihn je wieder gesehen.« »Und ist auch Sir Philipp Forester für immer von der Bildfläche verschwunden?« fragte ich weiter. »Nein,« versetzte meine liebe Erzählerin, »bei einem seltsamen Anlaß hat man wieder von ihm gehört. Es heißt, wir Schotten – sofern wir uns als ein besonderes Volk für sich bezeichnen können – haben unter unsern vollen Scheffeln von Tugenden auch einige Gerstenkörner von Lastern. Besonders macht man uns den Vorwurf, daß wir Schmähungen und Unbilden selten oder nie verzeihen und daß wir unsern Groll gehörig hegen, damit er hübsch heiß bleibt. Auch Lady Bothwell hegte solchen Grimm, und ich glaube, nichts hätte ihr mehr Entzücken verursacht, als wenn sie an Sir Philipp für die doppelte Untat, durch die er ihr einen Bruder und eine Schwester geraubt hatte, vollgiltige Rache hätte nehmen können. Aber erst nach vielen Jahren hörte man wieder von ihm. An einem Fastnachtsabend, als die ganze vornehme Gesellschaft von Edinburgh versammelt war, trat ein Bedienter zu Lady Bothwell und sagte ihr leise, ein Herr wünsche sie insgeheim zu sprechen. »Insgeheim? und hier in einer Gesellschaft? der muß nicht recht bei Sinnen sein. Sagt ihm, er solle morgen früh zu mir kommen.« »Das habe ich ihm schon gesagt,« entgegnete der Diener. »Er hat mir aber aufgetragen, dieses Billet an Euch abzugeben.« Sie öffnete das seltsam gefaltete und versiegelte Schreiben. Auf der Adresse standen nur die Worte: In Sachen über Leben und Tod – und zwar in einer Handschrift, die sie zuvor noch nie gesehen hatte. Sie folgte dem Boten in ein kleines Nebenzimmer, wo Erfrischungen zubereitet wurden und wohin die Gesellschaft sonst nicht Zutritt hatte. Dort fand sie einen alten Mann, der, als sie näher kam, sich erhob und sich tief verneigte. Er sah körperlich völlig zerrüttet aus, seine Kleider, die er der Etikette des Balles entsprechend sorgfältig angelegt hatte, waren fadenscheinig und verschossen und hingen faltenreich um seine hagre Gestalt. Lady Bothwell zog bereits die Börse, um mit einem Almosen den Bittsteller loszuwerden, aber im selben Augenblick hatte sie doch das Gefühl, daß sie sich irren könne, und sie hielt die Hand zurück. Indessen ließ sie dem Manne Zeit, seine Sache vorzutragen. »Habe ich die Ehre, mit Lady Bothwell zu sprechen?« »Ich bin Lady Bothwell, ich muß Euch aber sagen, daß hier nicht der Ort und auch nicht die Zeit zu einer längern Auseinandersetzung ist. Was ist Euer Begehr?« »Eure Ladyschaft,« sagte der alte Mann, »hatte einmal eine Schwester.« »Allerdings, und ich liebte sie wie mich selber.« »Auch einen Bruder.« »Den tapfersten und liebevollsten Bruder.« »Diese beiden Lieben habt Ihr verloren durch die Schuld eines Elenden,« fuhr der Fremde fort. »Durch das Verbrechen eines unnatürlichen, blutgierigen Mörders,« sagte die Dame. »Ich habe nun meinen Bescheid erhalten,« versetzte der alte Mann und verneigte sich zum Abschied. »Halt, Herr! ich befehle es Euch!« rief Lady Bothwell. »Wer seid Ihr, daß Ihr an solchem Ort und zu solcher Zeit so furchtbare Erinnerungen in mir wachruft? Das will und muß ich wissen.« »Ich bin einer, der nichts Böses gegen Lady Bothwell im Schilde führt, der es ihr im Gegenteil ermöglichen will, eine Tat christlicher Barmherzigkeit auszuüben, um die die Welt sie bewundern und der Himmel belohnen würde. Ich sehe aber, daß sie nicht in der Stimmung ist, um zu solchem Opfer, das von ihr zu erflehen ich mich gerüstet hatte, fähig zu sein.« »Sprecht Herr, was begehret Ihr?« »Der Elende,« begann der Fremde wieder, »der Euch so bittern Kummer zugefügt hat, liegt auf dem Totenbett. Seine Tage gehörten dem Jammer, seine Nächte der schlaflosen Angst. Er kann nicht sterben, ohne daß Ihr ihm verziehen habt. Sein Leben war ununterbrochener Buße geweiht, er hat aber nicht den Mut, sich von dem ihm so qualvollen Dasein zu trennen, so lange noch Euer Fluch auf seiner Seele lastet. Eure Verzeihung ist sein letzter innigster Wunsch. Aus ihr kann er auf eine Begnadigung hoffen, die er dann von seinem Schöpfer, Mylady, und von dem Eurigen erflehen kann. Bedenkt, Lady Bothwell, auch Euch steht ein Totenbett bevor. Auch Eure Seele muß den Schrecken spüren, der keiner Menschenseele erspart bleibt, mit der frischen, brennenden Wunde eines nicht ausgeheilten Gewissens vor das jüngste Gericht zu treten. Wie wird Euch dann das Bewußtsein quälen: Ich habe keine Gnade gewährt – wie darf ich um Gnade bitten?« »Mensch, wer du auch sein magst,« versetzte Lady Bothwell, »dringe nicht so grausam in mich ein. Heuchelei, ja Gotteslästerung würde es sein, wollten meine Lippen die Worte sprechen, gegen die jede Fiber meines Herzens sich auflehnt. Spräche ich solche Worte, die Erde täte sich auf – und die hingemarterte Gestalt meiner Schwester – die blutüberströmte Gestalt meines Bruders stiege herauf –! ich ihm vergeben – nimmermehr!« »Großer Gott im Himmel!« rief der Alte, die Hände emporreckend, »so also, so also befolgen die Würmer, die du aus dem Staube erschufst, die Gebote ihres Schöpfers! Fahr wohl, stolzes, erbarmungsloses Weib! Freue dich, denn zu einem Ende in Not und Elend hast du die Qual religiöser Verzweiflung hinzugetan. Nie aber wage es, den Himmel zu höhnen und ihn um die Verzeihung zu bitten, die du selber zu gewähren dich geweigert hast.« Mit diesen Worten wollte er von ihr gehen. »Halt!« rief sie. »Ich will es versuchen, ja, ich will versuchen, ob ich ihm verzeihen kann.« »Edle Frau,« sagte der alte Mann, »Ihr erleichtert die schwerbelastete Seele, die sich von ihrem sündigen Genossen hinieden nicht zu trennen wagt, ehe sie nicht mit Euch Frieden geschlossen hat.« »Ha!« schrie die Dame, der plötzlich alles klar wurde, »es ist der Schurke selber!« Sie packte Sir Philipp Forester – denn er war es selbst – beim Gewand und rief: »Mörder, Mörder, nehmt den Mörder fest!« Auf diesen an solchem Orte ganz unvermuteten Schrei stürzte die ganze Gesellschaft herein, allein Sir Philipp Forester war verschwunden. Er hatte sich von Lady Bothwell losgerissen und war aus dem Zimmer geeilt, dessen Tür auf die Haupttreppe mündete. Hier schien jedoch eine Flucht unmöglich, denn es kamen mehrere Personen die Treppe hinauf, den Unglücklichen aber hatte die Verzweiflung erfaßt, er sprang über das Geländer und tat einen Fall von mindestens fünfzehn Fuß auf die Hausflur hinab, von wo er auf die Straße flüchtete und sich im Dunkeln verlor. Ein paar Mitglieder des Hauses Bothwell verfolgten ihn und hätten ihn vielleicht niedergeschlagen, wenn sie ihn eingeholt hätten, denn damals rann das Blut heiß in den Adern der Schotten. Die Polizei mischte sich nicht ein, da das Verbrechen vor langer Zeit und in einem fremden Lande verübt worden war. Im übrigen war man immer der Ansicht, der seltsame Auftritt sei nur ein heuchlerischer Versuch Sir Philipps gewesen, der nur habe wissen wollen, ob er vor der Rache einer Familie, der er so schwere Schmach angetan hatte, sicher sei, und nach Schottland zurückkehren könne. Da der Erfolg nicht seinen Wünschen entsprochen hatte, so ist er aller Wahrscheinlichkeit aufs Festland zurückgekehrt und dort im Exil gestorben. Ende Die Hochlandhexe, Ein Kind der Sünde Zwei Erzählungen Übersetzt von Erich Walter Originaltitel unbekannt Die Hochlandhexe Erstes Kapitel Es mag jetzt 35 Jahre her sein – erzählte mir einst Frau Martha Bethune Baliot, eine wackere Schottin, zu der meine Familie in nahen Beziehungen stand –, da begab ich mich auf eine Tour nach den Hochlanden, um mich von Herzeleid freizumachen, das vor ein paar Monaten durch schweres Unglück in meiner Familie über mich gekommen war. Solche Touren kamen damals auf. Aber man meine nicht, daß man zu jener Zeit, wenn auch die Heerstraße in ganz gutem Zustande war, die Bequemlichkeiten gefunden hätte, wie sie der Tourist von heute verlangt, und auch überall findet. Damals galten solche Touren, trotzdem sie, wie gesagt, in Aufnahme kamen, noch für höchst abenteuerliche Unternehmungen für Männer, geschweige Frauen, und wohl jeder nur halbwegs vorsichtige Mensch pflegte, bevor er sie antrat, sein Testament zu machen. Zudem empfand damals wähl auch so ziemlich noch jeder, der das Wort »Hochlande« vernahm, ein gewisses Gruseln, trotzdem dort damals im Grunde genommen schon ganz dieselbe Ordnung und Ruhe herrschte wie in irgendwelchem anderen der zur Krone König Georgs gehörigen Reiche, waren doch noch immer nicht wenige Menschen vorhanden, die den Aufstand vom Jahre 1745, wenn auch vielleicht nicht mitgemacht, so doch miterlebt hatten. Kein Wunder, daß noch immer mancher, den der Weg zur Stirling-Feste hinaufführte, von ihren Türmen mit Grausen nach Norden hin den Blick lenkte auf die große Bergkette, die sich dort wie eine finstere Mauer erhebt und in ihren Gründen und Schluchten ein Volk beherbergt, das in Tracht, Sprache und Sitte von seinen Stammesgenossen in den Niederlanden solch starte Abweichungen aufweist. Was indessen meine weibliche Wenigkeit anbetrifft, so darf ich hier sagen, daß ich aus einem Geschlecht stamme, welches für Furcht, die ihre Ursache bloß in der Phantasie hat, wenig oder keinen Sinn hat. Es lebte Verwandtschaft von mir in den Hochlanden, auch hatte ich dort Bekanntschaft mit mehreren angesehenen Familien oder, wie es dort heißt, »Sippen«. Ich trat also, ohne daß ich andere Begleitung als meine Zofe mitgenommen hätte, furchtlos die Reise an. Indessen darf ich nicht vergessen, meines Führers und Cicerone zu erwähnen, der eine nicht unbedeutende Ähnlichkeit mit Greatheart in Bunyans »Pilgerreise« hatte. Er war der Lenker der Postkutsche, mit der ich fuhr, Donald Mac Leish mit Namen, den ich in Stirling gedungen hatte, zusammen mit ein paar Pferden, die ihm an Kraft und Stattlichkeit nichts nachgaben. Postillon und Pferde sollten mich mit meiner Zofe überallhin fahren, so war es in dem Vertrage, den wir mündlich geschlossen hatten, ausgemacht worden, wohin es mir passen würde. Donald Mac Leish gehörte zu jener Klasse von Postillonen, die durch Dampfschiff und Eisenbahn wohl aus der Verkehrswelt gedrängt worden, also jetzt ausgestorben sein mögen. Man traf sie hauptsächlichen Perth, Stirling und Glasgow. Dort wurden sie zu Geschäfts- oder Vergnügungsfahrten, die nach dem Lande der Gälen unternommen wurden, gemietet. Sie glichen in Charakter und Wesen dem heutigen Zugführer der Eisenbahn oder dem Schiffskapitän auf Dampfbooten. Gleichwie diesen von ihren Direktionen die »Tour« vorgeschrieben wird, so damals dem sogenannten »Postillon«. Er notierte die Länge der »Tour«, die »Stationen«, die gemacht werden sollten, kurz alles, was für: die jeweilige Reise in Betracht kam und Berücksichtigung herrschte, und nach diesem schriftlich festgelegten »Itinerar« richtete er sich mit derselben unverbrüchlichen Genauigkeit, wie seine Nachtreter auf modernem Verkehrsgebiete. Donald Mac Leish war nicht bloß ein fürsorglicher, sondern auch ein vorsichtiger Postillon. Er konnte auf den Tag voraussagen, wann in Tyndrum oder Glenuilt ein Lamm geschlachtet würde, wann sich also der Reisende und wo eines christlichen Mittagessens zu versehen hätte. Er wußte bis auf die Meile das letzte Dorf, wo man Weizenbrot bekam. Er konnte bis auf den Zoll angeben, welche Seite von den Brücken im Hochlande passierbar und welche nur mit Lebensgefahr passierbar sei: keine geringe Wissenschaft in einem Lande, wo man vor fünfzig Jahren noch, und zwar im schönsten Teile, die gruselige Warnungstafel traf: »Rechts halten! Links zu gehen oder zu fahren ist gefährlich!« Kurzum, Donald Mac Leish war uns nicht bloß ein treuer Begleiter und handfester Diener, sondern auch ein bescheidener, rücksichtsvoller Freund, der uns stündlich zu Dank verpflichtete. Ich habe in Italien den halb und halb klassischen Cicerone, in Frankreich den geschwätzigen Valet de place, in Spanien den bedächtigen, auf seine persönliche Ehre übererpichten Maultiertreiber (und »Maisfresser!«) kennen gelernt, aber der »Hochlandspostillon« in Schottland ist und bleibt mir der liebste von allen: derb und grob, aber ehrlich und treu! Die Einteilung unserer Fahrt, desgleichen in welcher Richtung wir fuhren, unterstand natürlich Mac Donalds Ermessen, und nicht selten kam es vor, daß wir bei schönem Wetter an Punkten Station machten, wo keine Station gelegen war. Dann rasteten wir und stärkten wir uns unter einer Klippe, von der ein Wasserfall in die Tiefe schoß, oder am Rande einer durch grünen Rasen oder zwischen wilden Rosen fließenden Quelle. Für solche Plätzchen besaß Mac Donald Leish ein vorzüglich geschultes Auge: und wenngleich er ganz gewiß niemals in seinem Leben einen Blick in den Gilblas oder Don Quixote getan hatte, so wählte er doch immer solche Stellen zur Rast, die sich weder ein Lesage noch ein Cervantes hätte entgehen lassen. Mac Donald Leish besaß noch eine andere, für einen Postillon in solch romantischem Lande nicht gering zu schätzende Eigenschaft: er war imstande, allen Schaden zu kurieren, der ein Pferd unterwegs treffen konnte, und besaß die Fertigkeit, jede irgendwie, sich einstellende Reparatur an seiner Postkutsche ohne fremde Beihilfe vorzunehmen. Sogar für einen Deichsel- oder Radbruch führte er das notwendige Werkzeug und die notwendigen Ersatzteile im Wagenkasten mit. Aber auch für geistige Speise verstand er Zu sorgen. Jawohl, für geistige Speise! Dieser Donald Mac Leish war wirklich »ein ganzer Kerl«, mit Respekt zu sagen. Alle Sagen und Mären des von ihm so viel befahrenen Landes kannte er genau, und auf die geringste Anregung hin war er mit Erzählen bei der Hand. Desgleichen kannte er jedes Plätzchen jeden Weg und Steg, wo solche Sagen und Mären spielten, und jeden Ort und jede Schlucht, die der Schauplatz von Kriegen und Fehden der Clans gewesen oder wo in den Grenz- und in den Unabhängigkeitskriegen Kämpfe stattgefunden hatten oder Schlachten geschlagen worden waren. In seiner Ausdrucksweise lag etwas Urwüchsiges, tief zum Herzen Sprechendes: man fühlte, daß er verwachsen war mit seinem Stoffe, daß er aufging in der Liebe zu seiner schönen Heimat, und er bot hierin einen merkwürdigen Gegensatz zu den vielen anderen Genossen im Berufe, die ihre Stärke in Menschenkenntnis und Geriebenheit, seinen Nächsten auszubeuten, suchen. Ich muß wirklich sagen, daß mir die Unterhaltung mit ihm während der Fahrt keinen geringen Genuß verschaffte. Da er bald, herausfand, daß es mir ein Vergnügen war, mich mit ihm und mit Landsleuten von ihm auszusprechen, richtete er es oft so ein, daß wir in der Nähe einer Hütte Rast machten, in welcher noch irgend ein alter Gäle hauste, dessen Degen bei Falkirk oder Preston im Sonnenschein geglitzert hatte, und der als ein, wenn auch schwaches, so doch wahrhaftiges Zeugnis für verwichene Zeiten gelten konnte. Oder er wußte es einzurichten, daß wir Einkehr in einem Pfarrhause oder bei einer Familie der besseren Stände, die ihr Heim »draußen im Felde« aufgeschlagen, halten konnten: bei Leuten also, die mit den alten Ursitten von Einfachheit und Gastfreundschaft jene Ureigenschaft höflicher Verkehrsweise verbanden, die ,dem schottischen Bergvolke als heilig gilt, dessen niedrigste Klassen sich in solchem Lichte anzusehen Pflegen, daß sie, wie der Spanier zu sagen pflegt, »als Edelleute, wenn auch an Reichtum nicht, so doch an Ansehen gleichstehen«. Wir hatten den größeren Teil des Vormittags in dem lieblichen Dorfe Dalmally zugebracht und hatten uns von dem wackeren Pfarrer von Glenorquhy auf den See hinausfahren lassen. Sagen über Sagen hatte er uns erzählt von den finsteren Clan-Häuptlingen des Loch Awe, von Duncan mit der groben Wollmütze und von anderen Gebietern über, die jetzt verfallenen Türme von Kilchurn. Von Dalmally waren wir über den furchtbaren Cruachan-Ben gefahren, der mit wilder Felsenmajestät in das Meer hineinragt und bloß Raum für einen einzigen Paß läßt, in welchem der kriegerische Clan Mac Dougal, von Lorn durch den großen Schlachtenheld Robert Bruce, »den Wellington seines Zeitalters«, nahezu vernichtet wurde. Die Unzahl der über den Gräbern der Erschlagenen errichteten Steinhaufen, an der westlichen Seite des Passes sichtbar, gibt noch heute Zeugnis von der furchtbaren Rache, die Robert Bruce an seinen und seines Hauses Feinden zu nehmen gewohnt war. Das Gemetzel muß um so wilder gewesen sein, als der tiefe und reißende Awe die Flucht unmöglich machte. Seinem Laufe folgten wir auf der Fahrt um den Riesen Cruachan-Ben herum, ließen also den majestätischen See hinter uns, welchem der wilde Gießbach entströmt. Die auf der rechten Wegseite senkrecht abfallenden Felsen bargen nur spärliche Reste von dem Walde noch, der sie einst bedeckte. Wie Donald Mac Leish erzählte, wären sie abgeholzt worden, weil die Stämme in den Hüttenwerken von Bunave zur Speisung des Feuers gebraucht würden. Eine große Eiche links vom Flusse, an die man die Axt noch nicht gelegt hatte, fesselte darum unser Interesse um so mehr. Es war ein Stamm von ungewöhnlicher Höhe und ein Baum von malerischer Schönheit. Sie stand auf einem ebenen Platze von einigen Ruten im Umfang, der von mächtigen Felsblöcken umlagert war. Die Romantik der Vorzeit, den diese Eiche bot, wurde noch erhöht dadurch, daß diese kleine ebene Fläche sich um den Fuß eines schroffen Felsens zog, von dessen Gipfel aus sechzig Fuß Höhe, zu Myriaden glitzernder Schaumperlen verwandelt, ein Gebirgsbach in mächtigem Falle herniederschoß, um unten am Bergfuße, gleich einem geschlagenen General, mit Mühe und Not die verstreuten Kräfte zu sammeln, und gleichsam gebändigt durch den gewaltigen Sturz, still und geräuschlos durch die Heide seinen Weg zum Awe zu suchen, in den er sich nach kurzem Weiterlauf ergoß. Eiche und Wasserfall weckten mein Interesse. Ich sprach den Wunsch aus, näher heranzugehen, ohne übrigens hierbei an Skizzenbuch oder Griffel zu denken, denn zu meiner Zeit war die jüngere Damenwelt noch nicht so glücklich, sich mit Tändelei die Zeit vertreiben zu dürfen. Donald Mac Leish riß auf der Stelle den Schlag auf, bemerkte aber, der Weg abwärts sei schwierig und der Baum besser sichtbar, wenn er noch etwa hundert Ellen höher hinaufführe, denn dort böge die Straße näher an die Stelle heran, für die er übrigens keine besondere Vorliebe zu hegen schien. »Ich weiß noch höhere Bäume und in noch größerer Nähe vom Hüttenwerke als die Eiche dort,« sagte er, »Bäume, die frei genug stehen, daß eine Postkutsche dicht heranfahren kann. Bei dem Abhange dort geht das wohl kaum an. Indessen ganz wie es der Dame beliebt!« Ich meinte jedoch, was man habe, das habe man: und zog es deshalb vor, mir die Eiche, die ich vor Augen hatte, anzusehen, statt weiterzufahren und nach anderen Bäumen zu suchen. Wir schritten nun neben dem Wagen her, bis wir an eine Stelle kamen, von wo aus wir, wie Donald Mac Leish sagte, den Baum erreichen könnten ohne waghalsige Kletterarbeit, indessen setzte er hinzu, wir sollten uns lieber nicht über die Landstraße hinaus zum Baum hin wagen. Auf seinem sonnverbrannten Gesichte lag ein ernster, geheimnisvoller Ausdruck, als er uns diesen Rat gab, und sein Wesen ließ, seinen sonstigen Freimut in solchem Maße vermissen, daß ich neugierig wurde. Wir gingen weiter. Eine Bodenerhöhung entzog den Baum unseren Blicken, und ich merkte nun, daß er viel weiter von der Straße abstand, als mir anfangs vorgekommen war. »Ich hätte Stein und Bein geschworen,« sagte ich lachend zu meinem Cicerone, »daß Eiche und Wasserfall gerade der Ort feien, wo Ihr heute hättet Rast machen wollen.« »Gott bewahre!« versetzte Donald Mac Leish mit Hast. »Warum denn nicht, Donald?« fragte ich; »warum habt Ihr solch schönen Platz links liegen lassen wollen?« »Er liegt zu dicht bei Dalmally, Lady, um schon zu füttern; die Tiere haben ja kaum erst gefrühstückt! Außerdem, Lady – außerdem – ist es hier nicht geheuer!« »Aha! Nun ist es also heraus, das große Geheimnis!« rief ich lachend; »also hier spukt es? Ist es ein Kobold oder eine Hexe, ein Heimchen oder eine böse Fee, ein Popanz oder eine Frau Holle?« »Nichts von dem allen, Lady! Davon ist die Straße rein, wenn ich so sagen darf. Wenn aber die Dame Geduld haben und warten will, bis wir vorbei sind und das Tal hinter uns haben, so will ich alles sagen, was ich von der Sache weiß. Spricht man von solchen Sachen an Ort und Stelle, wo sie passiert sind, so bringt's wenig Glück!« Ich mußte mich drein fügen, denn daß sich Donald Mac Leish in einem Falle, wo der Aberglaube eine Rolle spielte, fügen würde, durfte ich, bei allem Gehorsam, den er mir gegenüber sonst wahrte, nicht erwarten. Es dauerte übrigens nicht lange, so brachte uns die Straße, wie Donald Mac Leish gesagt hatte, bis auf knapp fünfzig schritt an den Baum heran, der mein Interesse so rege machte, und nun sah ich zu meiner nicht geringen Überraschung, daß dicht an seinem Fuße, Zwischen den ihn einfassenden Klippen, sich eine menschliche Wohnung befand. Es war die kleinste, ärmlichste Hütte, die ich je in den Hochlanden gesehen hatte. Sie war aus Erdschollen aufgeführt und kaum fünf Fuß hoch. Sie war mit Rasen gedeckt, die Fugen waren mit Rasen ausgestopft, hin und wieder auch mit Schilf und Binsen gefüttert. Der Schornstein war aus Lehm geknetet und mit Strohseilen umwickelt. Das ganze Bauwerk, Mauern, Dach und Schornstein, war mit Hauslauch, Ried und Moos überwuchert, wie es ja häufig der Fall ist bei solch verfallenem Bauwerk aus solchem Material. Von einem Gemüsegärtchen, sonst eine Zugabe auch der elendesten menschlichen Behausung, keine Spur. Auch von lebendigen Wesen keine Spur, ein Zicklein ausgenommen, das von dem Rasendache der Hütte die niederhängenden Halme fraß, und eine Geiß, seine Mutter, die unfern der Eiche am Ufer des Gießbaches sich ihr bißchen Nahrung suchte. »Wer kann sich so versündigt haben, daß er an solch elender Stätte hausen muß?« rief ich unwillkürlich. »Sie haben recht, Lady!« versetzte Donald Mac Leish; »hier ist schwere Sünde getan worden, aber auch Jammer genug geerntet worden. Indessen ist die Hütte nicht eines Mannes Behausung, sondern eines Weibes.« »Eines Weibes?« wiederholte ich. »Ein Weib haust hier? An solch einsamer Stätte? Was für ein Weib kann dies sein?« »Treten Sie hierher, Lady!« sagte Donald Mac Leish leise, »und urteilen Sie selber!« Wir gingen ein paar Schritte vorwärts und erblickten, als wir um eine scharfe Ecke bogen, die herrliche große Eiche jetzt von einer der bisherigen direkt entgegengesetzten Richtung. »Ist sie ihrer alten Gewohnheit treu geblieben,« sagte Donald, »so wird sie jetzt hier sein.« Sogleich aber schwieg er, als wenn ihn Furcht ankäme, seine Worte möchten von anderen gehört werden, und zeigte mit dem Finger nach der Eiche hin. Ich blickte auf und sah nun, nicht ohne ein Gefühl von Angst, an dem Stamm der Eiche eine weibliche Gestalt liegen, dicht eingehüllt in einen schwarzen Mantel, die ihre Hände gefaltet und das Haupt tief auf die Brust gesenkt hielt: ganz in der Stellung und Haltung, wie man Judäa, unter einem Palmbaum sitzend, auf syrischen Münzen abgebildet sieht. Von der Scheu, die meinen Führer vor diesem Wesen zu erfüllen schien, ging ein Teil auf mich über. Auch mochte ich nicht früher zu ihr treten und sie ansehen, als bis ich einen fragenden Blick auf Donald gerichtet hatte. Leise flüsternd gab er die Antwort: »Sie war ein schrecklich böses Weib, Mylady!« »Verrückt, meint Ihr?« fragte ich, denn ich hatte nicht recht verstanden, was er sagte. »Dann ist sie am Ende gefährlich?« »Nein, verrückt ist sie nicht,« antwortete Donald, »denn wäre sie es, so würde sie glücklicher sein als sie ist. Und doch wieder kann es mit ihrem Verstande nicht ganz in Ordnung sein, wenn man erwägt, was sie getan hat und welche Ereignisse sie veranlaßt haben, von ihrem gottlosen Willen nicht eine Handbreit nachzugeben. Aber verrückt ist sie nicht, und auch keine Unheilstifterin. Nichtsdestoweniger, Lady, möchte ich es für besser halten, Sie gingen nicht näher zu ihr heran!« Hierauf machte er mich durch ein paar flüchtige Worte mit der Geschichte dieses Weibes bekannt, die den Stoff für die folgende Erzählung abgibt. Mit einer Empfindung, halb Schauder, halb Mitleid, lauschte ich Mac Donald Leishs Worten. Wohl drängte es mich, zu ihr zu treten und ihr Worte des Trostes zu sagen; anderseits wieder konnte ich mich der Furcht vor ihr nicht erwehren. Mit ebensolcher, halb aus Furcht, halb aus Mitleid gemischter Empfindung betrachtete sie jedermann im Hochlande, diese Elspat Mac Tavish, wie sie hieß mit ihrem Geburtsnamen, oder »das Weib der Eiche«, wie sie gemeinhin vom Volke genannt wurde. Wie im Altertum die Griechen Menschen mieden, die von den Furien verfolgt wurden, nämlich geistige Qualen zur Strafe für verbrecherische Handlungen litten, so wurde Elspat Mac Tavish von allen Hochländern gemieden; aber gleichwie den Griechen solche Unglückliche weniger als die freiwilligen Verüber ihrer Verbrechen galten, als vielmehr als die leidenden Werkzeuge, durch welche die furchtbaren Schlüsse des Schicksals vollstreckt wurden, sahen auch die Hochländer Elspat Mac Tavish mehr als solches Schicksalswerkzeug denn als eigentliche Verbrecherin an, und in das Grausen, das sie vor ihr fühlten, mischte sich, bei dem Aberglauben, der in allen Hochländerherzen sitzt, recht Wohl erklärlich, ein Gefühl von Scheu, das gewissermaßen an Ehrfurcht grenzte. Ich erfuhr nun weiter von Donald Mac Leish, daß man im ganzen Hochland meine, wer die Kühnheit besäße, solch unaussprechlich elendem Wesen sich zu nahen oder es in seiner Einsamkeit zu stören, den würde schweres Unglück heimsuchen; denn keiner, der solchem Wesen nahe, könne von Ansteckung mit Unglück verschont bleiben. Nicht ohne Widerstreben ließ mich deshalb Donald Mac Leish näher zu der Unglücklichen treten. Aber er folgte mir, als ich mir nicht wehren ließ, und war mir beim Abstieg des rauhen Pfades, der zu der ärmlichen Hütte hinunterführte, behilflich. Seine Rücksicht gegen mich mochte ihm wohl helfen, Herr über die bösen Ahnungen zu werden, die ihm als Lohn für solche Dienstleistung Lähmung der Pferde, Verlust von Achsennägeln, Kippen von Kutschen und andere solcher Fährlichkeiten im Postillonsleben vor die Seele führen mochten. Ob mich persönlicher Mut in so dichte Nähe von Elspat Mac Tavish geführt hätte, wenn er mir gefolgt wäre, kann ich nicht sagen. Der Eindruck, den dieses Weib auf mich machte, möchte nicht dafür sprechen. Auf ihrem Gesichte lag finsterer Trotz, jener Trotz, der sich gegen jeden Einfluß von außen her verschließt, der schweren hoffnungslosen Kummer allein auf sich nimmt und in sich vergräbt, der allem Selbstvorwurf den Stolz entgegensetzt. Vielleicht erriet Elspat Mac Tavish, daß Neugierde, ihre seltsame Lebensgeschichte kennen zu lernen, mich herführe. Vielleicht war sie mir abhold, daß ich mich in ihre Einsamkeit drängte, um aus ihrem Schicksal flüchtige Unterhaltung zu schöpfen. Der Blick, mit dem sie mich maß, sprach nicht von Verlegenheit, sondern kündete Stolz: zu der Last ihres Elends konnte die Meinung der Welt kein Jota fügen, aber die Meinung der Welt konnte auch kein Jota von der Last ihres Elends nehmen! Kein Leichnam, kein Marmorbild konnte sich gleichgültiger verhalten gegen meinen Blick, als sie. Elspat Mac Tavish war über mittelgroß. Ihr Haar war ergraut, aber noch immer dicht und voll. In den jüngeren Jahren war es tiefschwarz gewesen. Schwarz war auch die Farbe ihrer Augen, und in ihren Augen funkelte jenes wilde, verstörte Licht, das dem Wahnsinn anzeigt. Nachdem ich auf dieses Opfer von Schuld und Jammer so lange geblickt hatte, daß ich mich meines Schweigens zu schämen anfing, begann ich, ohne zu wissen, wie ich das Weib anreden solle, meiner Verwunderung darüber Ausdruck zu geben, daß sie sich solch einsame, jämmerliche Behausung gewählt habe. Ohne den Ausdruck ihres Gesichts zu ändern, ohne ihre Lage und Haltung zu ändern, schnitt sie mein Mitleid ab durch die finstere Antwort: »Tochter der Fremden! Wer erzählte dir mein Leben?« Diese Frage legte mir Schweigen auf; ich fühlte, daß ich verachtet wurde gleich allem, was Freude in dieses abgeschlossene Leben zu bringen trachtete. Ohne nochmals das Wort zu nehmen, griff ich in meine Börse, denn Donald hatte mir zugeflüstert, daß sie von Almosen lebe. Aber sie streckte die Hand nicht aus nach der Gabe, auch wies sie die Gabe nicht zurück: es schien, als sehe sie nicht, daß ich ihr etwas geben wolle, oder als sei ihr die Gabe nicht wert, trotzdem es ein Goldstück war im Betrage von sicher des Zwanzigfachen, als ihr sonst angeboten wurde. Es blieb mir nichts anderes übrig, als ihr das Geldstück auf den Schoß zu legen. »Möge Gott Euch verzeihen und Euch erlösen!« sprach ich dabei unwillkürlich. Nie werde ich den Blick vergessen, den sie zum Himmel lichtete, und nie den Ton, mit dem sie den Ausruf tat: »Mein herrlicher Sohn! Mein tapferer Sohn!« Es war die Sprache der Natur. Sie entsprang dem Herzen einer des Sohnes beraubten Mutter. Zweites Kapitel Elspat hatte, wenn auch ihr Alter in untröstlichen Gram und Kummer versunken war, auch glückliche Tage gekannt. Einst war sie des Hamish Mac Tavish, dem Körperkraft und Kriegstaten den Titel Mac Tavish Mhor gebracht hatten, schönes und glückliches Weib. Mac Tavish Mhors Leben war voll Unruhe und Gefahr, denn er war ein Hochländer vom alten Schlage und führte das Leben eines solchen. Etwas zu entbehren, was daß Stehlen verlohnte, hielt er für Schande. Niederländer, die in seinem Bereich wohnten und ihr Hab und Eigentum mit Ruhe genießen wollten, verstanden sich gern dazu, ein Schutzgeld in Gestalt einer freiwilligen Gabe an ihn zu leisten, des alten Sprichworts eingedenk: »Besser dem Teufel das Maul schmieren, als mit ihm raufen.« Andere, die solche Abfindung für schimpflich hielten, wurden zuweilen von Tavish Mhor und seinen Anhängern überfallen und gefangen hinweggeführt, bis sie sich zur Zahlung eines Lösegeldes verstanden. Wer sich des Lösegelds weigerte, wurde nicht bloß am Leibe, sondern auch am Besitztum gestraft. Noch vor wenigen Jahrzehnten war Mac Tavish Mhors Raubzug nach Monteith in aller Leute Munde, von wo er 150 Kühe an einem einzigen Morgen wegtrieb, und wo er den Gutsherrn von Ballybugh zur Strafe für die Drohung, ein schottisches Wachtkommando zum Schutze seiner Person und seines Eigentums aufzubieten, nackt in einer Jauchengrube aufhing, so daß er bloß mit Mund und Wasser über die ekle Flüssigkeit hinausragte. Aber zu den Siegen dieses verwegenen Freibeuters gesellten sich auch Niederlagen, und oft solche, welche die Siege reichlich aufwogen. Wie oft es ihm gelungen sei, drohender Gefahr zu entrinnen, wieviel verzweifelte Fluchtversuche ihm geglückt waren und welches Unmaß scharfsinniger List er aufzubieten wußte, um sich aus schlimmen Situationen zu befreien, wurde von Mund zu Mund erzählt und von allen, selbst seinen Feinden im Lande, bewundert. Im Glück und im Unglück, bei allen Mühsalen, Schwierigkeiten und Gefahren war Elspat seine treue Kameradin, die ihm durch ihren starken Geist, ihre Besonnenheit und Ausdauer, ihren Mut und Eifer zum besten Beistand wurde. Die Eheleute Mac Tavish Mhor und Elspat Mac Tavish führten ein Eheleben nach altem Hochländerbrauch: Ein Leib, ein Geist, ein Leben! dem Freunde treu, dem Feinde trutzig. Herden und Ernten des Niederlandes sahen sie an für ihr eigen, sobald sie die Mittel hatten, die Herden wegzutreiben und die Ernten einzuheimsen. Nie kam es vor, daß sich bei solchen Anlässen die geringsten Bedenken über mein und dein geltend machten. Hamish Mhor dachte, wie Hybrias, der kretische Krieger, in dieser Hinsicht gedacht hat, als er das Gastmahl bei Athenäus mit dem Rundgesange schloß: Mein Reichtum ist mein Schwert und langer Speer, Und der den Leib mir schützt, mein Schild! Mit Schwert und Speer und Schilde pflüge ich, Mit Schwert und Speer und Schilde ernte ich – Mit Schwert und Speer, und Schilde keltre ich Auch Weinstocks süßen Traubentrank! Durch Schwert und Speer und Schild gelt ich als Herrscher, Und wer nicht Schwert und Speer und Schild zu führen wagt Der beugt vor mir als Herrn demütiglich sein Knie Und grüßt und preist als seinen König mich! Mit Mac Tavish Mhors gefahrvollen, wenn auch glückliche« Raubzügen begann es karger zu werden seit dem unglücklichen Kriegszuge des Prinzen Karl Eduard, »des Prätendenten«. Hamish Mac Tabish, genannt Mac Tavish Mhor, hatte es bei solchem Anlaß nicht zu Hause gelitten. Er war zum Prätendenten gestoßen und wurde deshalb geächtet als Staatsverräter sowohl wie als Freibeuter und Räuber. Es wurden Garnisonen gelegt in Orte, wo man nie zuvor einen Rotrock erblickt hatte, und die Sachsentrommel erklang jetzt bis zu den fernstem Schluchten der Hochlandsgebirge. Mac Tavish Mhors Lage wurde von Tag zu Tag gefahrvoller; sein Schicksal drohte sich zu erfüllen; Anstalten zur Verteidigung oder Flucht ließen sich um so schwieriger treffen, als Elspat seinen Hausstand durch ein Kind vermehrt hatte: ein Umstand, der seine Beweglichkeit begreiflicherweise hemmte. Endlich kam der Tag des Verhängnisses! Am Fuße des Ben Cruachan, im Engpaß am Gietzbach, wurde der berühmte Mac Tavish Mhor von einem Kommando der Rotröcke überfallen. Sein Weib leistete ihm heldenhaft Beistand und lud ihm die Büchsen. Wohl wäre es möglich gewesen, über den Paß zu entkommen, dessen die Rotröcke sich nicht zu bemächtigen vermochten, wäre ihm nicht die Munition ausgegangen. Wer als die Kugeln, als auch all die blanken Knöpfe von Jacke und Weste verschossen waren und die Rotröcke nicht länger mehr durch die Furcht vor dem nie fehlenden Schützen gebannt wurden, da wurde die Feste gestürmt, da wurde Mac Tavish Mhor, der sich lebendig nicht fangen ließ – erschlagen – erschlagen nach dem verzweifeltsten Widerstande. Elspat war ihm zur Seite bis zum letzten Augenblick; sie aber wurde geschont, geschont um des Kindes willen, und um des Kindes willen, das ihrer als Stütze bedurfte, verschmähte sie den Tod. Wie sie ihr Leben fristete, ist nicht leicht zu sagen. Ein paar Ziegen waren die einzige Habe, die ihr blieb. Sie ließ sie frei auf den Hutweiden im Gebirge äsen, und niemand jagte sie weg von seinem Grund und Boden. Im Land herrschte Armut und Elend; da konnten die alten Bekannten ihr wenig geben: was von dem eigenen Bedürfnis erspart wurde, nahm freilich gern den Weg zu anderen hin, aber der anderen, die auf Unterstützung angewiesen waren, waren viel. Von den Leuten im Niederland forderte sie lieber statt zu betteln: Tribut statt Almosen! Denn nie vergaß sie, daß sie des Mac Tavish Mhor Witwe war, und sie wähnte, ihr Kind, das ihr noch am Schoße hing und dem Vater so ähnlich sah, werde dereinst dem Vater nacharten und die gleiche Macht üben wie dieser. So wenig pflegte sie Umgang und so selten und widerwillig verließ sie die wilden Schlupfwinkel ihrer Berge, daß sie von dem großen tiefgehenden Wandel im Lande nichts spürte, daß sie nichts erfuhr von der bürgerlichen Ordnung, die an Stelle von Clansgewalt trat, und davon, daß die Anhänger von Recht und Gesetz die Macht gewannen über diejenigen, die im gälischen Liede als »des Schwertes stürmische Söhne« gepriesen werden. Freilich wohl fühlte sie persönlich die Minderung von Ansehen und Gewalt, freilich wohl fühlte sie, daß die Mittel zum Unterhalt für sie knapper und knapper wurden, daß mancher den Tribut weigerte, der ihn bislang entrichtet hatte; aber hierfür war ihrem Begriffe nach Mac Tavish Mhors Tod ausreichender Grund, und ganz außer Frage stand es ihr, daß sie Zu ihrer alten Bedeutung und Wichtigkeit zurückgelangen müsse, sobald Hamish Bean oder, wie sie ihn mit Vorliebe nannte, »ihr Hamish mit dem schönen Haar« alt genug sein werde, die Waffen des Vaters zu führen. Deshalb kam es nicht selten vor, daß, wenn Elspat mit ihren Anliegen um Lebensmittel für sich und um Futter für ihre Ziegen von einem mürrischen Pächter abgewiesen wurde, die Pächters-Frau durch den finsteren Ausdruck von Elspats Gesicht und durch Furcht vor ihren Drohungen und Verwünschungen sich bestechen ließ, ihr die vom Manne verweigerte Gabe heimlich zuzustecken, freilich nicht ohne den stillen Wunsch, die finstere alte Hexe möchte recht bald den Weg zu ihrem verstorbenen Manne finden, und mit Bedauern darüber, daß sie nicht am selben Tage schon, da dieser seinen Lohn erntete, mitverbrannt worden sei. Drittes Kapitel Die Jahre schwanden, und Hamish Bean wuchs zum Jüngling heran. Zwar erlangte er nicht die gewaltige Stärke des Vaters, aber es fehlte dem schönhaarigen Burschen mit den roten Wangen und dem scharfen Adlerauge nicht an Mut und Lebenslust, nicht an Gewandtheit und Frische. Indem sie dem Sohne Leben und Taten des kühnen Vaters fleißig und ausführlich erzählte, suchte die Mutter sein Gemüt für das gleiche Abenteurerleben zu bilden. Aber die Jungen haben für die Wandlung der Welt und die Forderungen neuen Zeitalters ein schärferes Auge als die Alten, und so groß auch die Liebe war, die Hamish Bean für seine Mutter im Herzen trug, so eifrig er, besorgt war, was in seiner Macht stand, zu ihrer Unterstützung zu tun, so entging ihm doch nicht, als er in die Welt trat, daß das vom Vater betriebene Freibeutergewerbe jetzt nicht bloß höchst gefahrvoll war, sondern als schimpflich und unehrlich galt, und daß sich des Vaters Tapferkeit, wenn er ihr nacheifern wollte, bloß auf anderem Gebiete, das mit der Ansicht der Gegenwart in besserem Einklang stehe, nacheifern lasse. Je weiter sich die Gaben seines Geistes und seine leiblichen Fähigkeiten ausbildeten, desto besser erkannte er die Ungewißheit seiner Lage und den Irrtum, in welchem die Mutter zufolge ihrer Unbekanntschaft mit den Wandlungen von Zeit und Menschen befangen war. Durch den Umgang mit Bekannten, Freunden und Nachbarn wurde ihm die ärmliche Vermögenslage der Mutter, das geringe Einkommen, auf das sie angewiesen war, das kaum die allernotwendigsten Lebensbedürfnisse deckte, offenbar. Wenn es ihm auch hin und wieder gelang, durch Jagd und Fischfang ihre kärgliche Nahrung zu mehren, so verhehlte er sich doch nicht, daß es ihm nicht möglich sei, ihr eine regelmäßige Beihilfe zu schaffen, sofern er sich nicht entschloß, bei fremden, Leuten in Dienst zu gehen, daß aber ein solcher Schritt die Mutter in ihrem Stolz auf das tödlichste verletzen würde. Mittlerweile machte Elspat mit Erstaunen die Wahrnehmung, daß Hamish Bean, obgleich er nun erwachsen war und die Fähigkeiten zu Kampf und Krieg besaß, keine Anstalten machte, die Lebensweise des Vaters zu beginnen. Ihr Mutterherz sträubte sich aber dagegen, ihm die klare, bestimmte Aufforderung hierzu zu stellen; denn sie gedachte sehr wohl auch der Gefahren mit Kummer und Sorge, die der Freischärlerberuf für den Sohn im Gefolge haben müsse. War sie einmal Willens, mit ihrem Hamish über diese Sache zu sprechen, dann kam es ihr bei dem erhitzten Zustande ihrer Phantasie vor, als richte sich der Geist ihres Mannes in seinen blutgetränkten Kleidern vor ihr auf, mit dem Finger auf den Lippen, zum Zeichen, daß sie dem Sohne gegenüber schweigen solle. Mit Verwunderung über, wie es ihr zu sein vorkam, solchen Mangel an Mut seufzte sie; der Gedanke, ihren Sohn in der Uniform zu sehen, die von dem Militär unten im Tale getragen wurde, in dem langschößigen Kittel mit blanken Knöpfen, war ihr ein Greuel, umsomehr, als ihn das englische Parlament dem Galen an Stelle der romantischen Tracht aufgedrungen hatte, die ihm von den Vätern seit Jahrhunderten überkommen war. Wie so ganz anders hätte ihr schöner Sohn sich ausnehmen müssen in dem durch den Gürtel zusammengehaltenen Rock und Schürz mit den blanken Waffen an der Hüfte! Auch noch andere Dinge waren es, die schwer auf Elspat lasteten und deren Last mit der Düsterheit wuchs, die sich ihres Gemüts bemächtigte. Ihr Verhältnis zu Mac Tavish Mhor, ihrem Manne, war bei aller Liebe, die sie für denselben empfunden hatte, doch immer mehr das einer Sklavin gewesen als das einer Gattin, denn der Freibeuter war keiner von denen, die dem Weibe das Regiment überlassen. Er hatte sie immer in Respekt, wenn nicht gar Furcht zu halten verstanden. Anders das Verhältnis zu ihrem Sohne. Während seiner Kindheit und während der Knabenjahre war sie strenge Herrin über ihn gewesen, hatte mit Eifersucht, einer nicht zum geringeren Teile aus ihrer Mutterliebe entsprungenen Eigenschaft ihres Herzens, über ihn gewacht. Es war ihr unerträglich, daß ihr Sohn mit zunehmendem Alter die Neigung verriet, sich unabhängig von ihr seinen Weg im Leben zu bahnen, daß er sich selbständig von der Hütte entfernte und nach Belieben wegblieb, daß sich Gedanken in ihm regten, die Verantwortlichkeit für seine Handlungsweise falle allein ihm zu und deshalb müsse er auch Herr seiner Handlungen sein. Daß er sich neben alledem bemühte, ihr gegenüber alle Liebe und allen Respekt zu bewahren, änderte wenig an dem Eindruck, den die Mutter bekam, trug vielleicht sogar mehr dazu bei, ihn zu verschärfen als abzuschwächen. Wäre die Mutter imstande gewesen, ihre Empfindungen im Schein ihres Herzens zu verschließen, so wäre dies alles Wohl nur von geringer Bedeutung geblieben. Aber die Zügellosigkeit ihres Wesens, die Ungeduld, die sie beherrschte, die Stärke ihrer Leidenschaften führten häufig zu Auseinandersetzungen, bei denen dann schlimme Worte aus ihrem Munde über Vernachlässigung und Zurücksetzung fielen. Blieb der Sohn auf längere Zeit von der Hütte fern, ohne daß er sie von dem Zweck seiner Abwesenheit unterrichtet hatte, dann war sie so zornig, schlug aller Vernunft durch ihr Verhalten so direkt ins Gesicht, daß es gar nicht zu verwundern war, wenn ein junger Mensch wie ihr Sohn, den der Drang erfüllte, sein eigener Herr zu sein, auf den Gedanken kam, der Hütte den Rücken zu wenden, in der die Mutter hauste, und sich in eine bessere Lage zu setzen. Daß hierbei der Gedanke mit unterlief, auf solche Weise obendrein besser für die Mutter sorgen zu können, als zurzeit in solch abhängigem Verhältnisse, das ihm nach allen Seiten hin die Hände band, das nicht bloß ihn, sondern auch die Mutter zum Darben zwang, wird man gelten lassen dürfen. Es war ein Tag gekommen, an welchem Hamish nach mehrtägiger Abwesenheit den Fuß wieder in die Hütte gesetzt hatte. Die Mutter war zorniger gewesen als sonst; Sie hielt sich für gekränkt, für herzlos behandelt, für beschimpft, und setzte den Sohn in eine Stimmung, die ihm die Zügel über sich entwand. Der Ärger, den er fühlte, trieb ihm die Röte auf Stirn und Wangen. Es ging zu Ende mit seiner Geduld, als die Mutter in ihrem unvernünftigen Zorn beharrte. Er nahm die Büchse aus der Kaminecke, sprach aus Rücksicht auf die Achtung vor der Mutter leise vor sich hin, schien ein paar Worte laut sagen zu wollen, unterdrückte aber die aufsteigende Luft dazu und schickte sich an, die Hütte, in die er eben den Fuß gesetzt hatte, wieder zu verlassen. Da trat die Mutter vor ihn hin. »Hamish,« fragte sie strengen Tones, »willst du mich wiederum allein lassen?« Hamish gab keine Erwiderung, sondern blickte auf das Gewehr und putzte an dessen Schlosse herum. »Nun ja, putze nur deine Flinte!« fuhr die Mutter mit Bitterkeit fort, »mich freut's ja schon, daß du Mut genug hast, sie abzufeuern, wenn auch bloß auf einen Bock!« Hamish zuckte bei diesem Vorwurf, den er nicht zu verdienen meinte, zusammen und warf der Mutter als Erwiderung einen zornigen Blick zu, durch den sie inne wurde, ein Mittel gefunden zu haben, das ihm Verdruß und Schmerz bereite. »Ja doch, ja doch!« sagte die Mutter; »blicke nur trotzig! So trotzig wie du willst auf ein altes Weib und deine Mutter! Bis sich deine Stirn in Falten legt vor dem zornigen Gesicht eines bärtigen Mannes, wird wohl noch manche Zeit vergehen!« »Schweig, Mutter!« erwiderte Hamish gereizt, »oder sprich von Dingen, für die es dir an Verständnis nicht fehlt! Sprich vom Rocken und von der Spindel!« »Habe ich an Rocken und Spindel gedacht, Hamish,« fragte die Mutter, »als ich dich als greinendes Kind auf dem Rücken trug durch das Gewehrfeuer von einem halben Dutzend sächsischer Soldaten? Ich sage dir, Hamish, von Büchse und Säbel verstehe ich tausendmal mehr, als du je lernen wirst! Du wirst vom edlen Kriegshandwerk durch dich selber nie so viel lernen, wie du gesehen hast, als ich dich noch in meinen Mantel gewickelt trug.« »Wenigstens ist dein fester Wille, Mutter, mir keine Ruhe daheim zu gönnen! Aber das muß einmal sein Ende haben!« sagte Hamish drauf und ging, willens die Hütte zu verlassen, auf die Tür zu. »Bleib, Hamish!« rief da die Mutter, »ich befehle es dir! Oder die Flinte, die du trägst, mag dir den Tod geben! Der Weg, den du gehen willst, mag der Weg deines Leichenzuges sein!« »Mutter!« rief der Jüngling, sich umdrehend, »was sollen solche Worte? Sie taugen nichts, denn sie sind nicht gut und können keine guten Folgen haben! – Leb wohl, Mutter! Du bist jetzt zu zornig, daß ich mit dir sprechen könnte. Leb wohl! Es wird geraume Zeit vergehen, bis du mich wiedersiehst!« Er ging. Die Mutter sandte ihm, im ersten Ausbruch des Zorns, Flüche hinterher. Dann rief sie die Flüche zurück auf das eigene Haupt, damit sie das des Sohnes schonen möchten. Maßlose, ungezügelte Leidenschaft tobte an diesem Tage und an den nächsten Tagen in Elspats Herzen. Bald rief sie den Himmel, bald die Geister an, die in den Sagen und Mären, die ihr bekannt waren, eine Rolle spielten, ihr den geliebten Sohn, »das Kalb ihres Herzens«, zurückzugeben. Bald sann sie, von wildem Zorn befallen, über bittere Worte nach, mit denen sie ihn schmähen wollte, den ungehorsamen Sohn, wenn er den Weg zur Hütte zurückfände. Bald sann sie über Worte der Liebe und Zärtlichkeit, durch die sie ihn an ihre Hütte fesseln könne, die sie mit keinem Gemach im Schlüsse von Tahmouth tauschen mochte, wenn sie den Sohn bei sich wußte. Viertes Kapitel Zwei Tage verstrichen. Sie nahm weder Speise noch Trank zu sich, und bloß die Energie eines an Mühseligkeiten und Entbehrungen aller Art, gewöhnten Körpers vermochte sie am Leben zu erhalten. Die Angst, die ihre Seele beherrschte, machte sie unempfindlich gegen körperliche Schwäche. Am dritten Tage nach dem Weggang ihres Sohnes saß sie, nach Art der Frauen im Hochland, wenn sie körperliche oder seelische Pein leiden, hin- und herrückend auf ihrer Türschwelle, als sich der seltene Umstand ereignete, daß ein Wanderer auf der Straße oberhalb der Hütte in Sicht kam. Das war zu damaliger Zeit kein häufiges Ereignis. Elspat warf bloß einen schnellen Blick auf ihn, und sie erkannte, daß es Hamish nicht sein könne, denn der Wanderer führte ein Pferd am Zügel, von dem er abgesprungen war, um es den steilen Hang herunterzuführen. Da es Hamish nicht war, kümmerte sich Elspat nicht weiter um den Reitersmann. Für andere Menschen besaß sie kein Interesse. Es hätte ihr nicht gelohnt, noch einen zweiten Blick auf ihn zu heften. Der Fremde aber blieb, als er den beschwerlichen Weg zurückgelegt hatte, vor der Hütte stehen. »Gott segne Euch, Elspat Mac Tavish!« Elspat sah den Mann an, der das Wort in ihrer Muttersprache an sie richtete. Ihr Gesicht zeigte den unzufriedenen Ausdruck einer Person, die sich in ihrem Gedankengange gestört sieht. Der Reitersmann indessen fuhr in seiner Rede fort: »Elspat Mac Tavish! Ich bringe Euch Kunde von Eurem Sohne Hamish.« Durch diese Worte gewann die Gestalt des Fremden, bisher für sie ein Gegenstand höchster Gleichgültigkeit, eine Ehrwürdigkeit, als sei es ein Bote vom Himmel, herab zu ihr gestiegen, um ihr Entscheid zu bringen über Leben und Tod. Sie fuhr von ihrem Sitze auf, preßte die Hände auf die Brust, bedeckte ihr Gesicht mit den Händen, hob die Hände zum Himmel auf, heftete die Äugen auf Gesicht und Gestalt des Fremden, schritt auf ihn zu und harrte schweigend der Worte, die er ihr sagen würde, denn ihre stammelnde Zunge war außerstande, die Frage, die ihr auf den Lippen lag, in Redeform zu fügen. »Euer Sohn schickt Euch pflichtschuldig seinen Gruß und dieses hier!« sprach der Sendbote, indem er Elspat einen kleinen Beutel mit ein paar Schillingen in die Hand legte. »Er ist fort! Mein Hamish ist fort für immer!« rief Elspat, »er hat sich als Knecht an die Sachsen verkauft! Und ich werde ihn nimmer, nimmer wiedersehen. O, sagt mir, Miles Mac Phadraick, denn jetzt erkenne ich Euch, ist dieses Geld, das Ihr in die Hand seiner Mutter gelegt, das Blutgeld für den Schwur, den mein Sohn geleistet?« »Gott sei mir vor!« versetzte Mac Phadraick, ein Lehensmann, der ein hübsches Stück Land von dem Grundherrn in Pacht hatte, der an die zwanzig Meilen ab seinen Wohnsitz hatte, »Gott sei mir vor, Elspat Mac Tavish, daß ich Euch oder dem Sohne Mac Tavish Mhors etwas zu unrecht tun oder sagen sollte! Bei der Hand meines Häuptlings schwöre ich Euch, daß es Eurem Sohne gut geht, daß er Euch bald wiederzusehen gedenkt und Euch dann alles weitere selbst erzählen wird.« Mit diesen Worten eilte Mac Phadraick auf die Landstraße zurück, bestieg seinen Gaul und ritt weiter. Fünftes Kapitel Elspat blickte lange auf das Geld, als hätte sie aus der Prägung, die es zeigte, erraten können, auf welche Weise ihr Sohn in seinen Besitz gekommen sei. »Dem Mac Phadraick war ich nie grün,« sprach sie bei sich, »denn von seinem Geschlecht sang der Barde: »Sei furchtlos vor ihnen, wenn ihre Worte laut sind wie das Brausen des Sturmes im Winter, aber tönen ihre Worte wie Drosselsang, dann fürchte sie!« Das Rätsel selbst aber kann ich bloß lösen auf eine Weise: mein Sohn hat zum Schwert gegriffen, um mit Manneskraft das zu gewinnen, was ihm grobe Bauern durch Worte, die bloß Kinder schrecken können, vorenthalten möchten.« Diese Meinung schien um so verständiger, als Mac Phadraick ihr als vorsichtiger Mann bekannt war, der ihrem verstorbenen Manne wohl öfter insofern Unterstützung gewährt hatte, als er ihm hin und wieder Vieh abkaufte, trotzdem er recht gut wußte, wie es derselbe an sich zu bringen pflegte, der aber immer dafür Sorge getragen hatte, daß der Handel ihm guten Gewinn abwarf, ihn aber niemals in irgendwelche Fährlichkeit Recht und Gesetz gegenüber bringen konnte. Wer konnte einem jungen Freibeuter so gut wie Mac Phadraick die Täler weisen, wo sich solch gefahrvolles Gewerbe noch mit Aussicht auf Erfolg treiben lasse? Wer war imstande, wie Mac Phadraick, Beute so leicht und schnell in klingende Münze umzusetzen? Empfindungen, die sich bei anderen regen würden darüber, daß der einzige Sohn die gleiche Bahn betreten habe, auf der der Vater gewaltsamen Tod gefunden, waren den Müttern im Hochlande zu jener Zeit unbekannt. In Elspats Augen war Mac Tavish Mhor keinen anderen Tod als den eines Helden im Kriege gestorben, und solcher Tod durfte nicht ungesühnt, nicht ungerochen bleiben; Elspat fürchtete weniger den Tod, als die Unehre ihres Sohnes; Elspat fühlte Grauen davor, daß ihr Sohn sich vor Fremden beuge und in den seelischen Todesschlaf der Sklaverei sinke. Die sittliche Lehre, die demjenigen so natürlich und richtig erscheint, der unter dem Regiment von Recht und Gesetz erzogen wird, das Besitztum des Schwächeren gegen die Übergriffe des Stärkeren zu schützen, war für Elspat Mac Tavish ein Buch mit sieben Siegeln. Von Jugend auf hatte sie gelernt, die »Sachsen«, die fremden Eindringlinge, die von Dänemarks Küste herüber unter Hengist und Horsa das Land ihrer Väter an sich gerissen hatten, als einen Stamm zu betrachten, mit welchem das edle Volk der Galen in Blutfehde lag. Jede Niederlassung eines Sachsen in dem zu den Hochlanden rechnenden Gebiete galt ihr als vogelfrei für jeden Galen, als ein Gegenstand, würdig seines Angriffs und Überfalls, wie seines Raubes. Das Rachegefühl, wachgerufen durch ihres Mannes Totschlag, war nicht das einzige, was sie bei solcher Ansicht leitete; nicht minder entscheidend wirkte hierbei der allgemeine Unwille, der in den Hochlanden, und nicht ungerechterweise, über das gewalttätige häufig barbarische Benehmen der »Sachsen« nach ihrem Siege in der Schlacht von Culloden [In dieser Schlacht wurde bei letzte Stuart, Karl Eduard, endgültig besiegt und mußte, alles Besitzes beraubt, landflüchtig werden.] allenthalben herrschte. Mancher hochländische Clan teilte Elspat Mac Tavishs Meinung und Gesinnung und hatte der alten Feindschaft und Fehde mit Freuden zum Austrage verholfen, wären die Knebel, die das Land schnürten und zur Ohnmacht verdammten, von den Gegnern nicht täglich und stündlich fester angezogen worden. Aber was anderen im Lande die Klugheit gebot, war dem in Einsamkeit lebenden Weibe, dessen Vorstellungen lediglich in der Zeit ihrer Jugend fußten, unbekannt. Elspat sah immer die Tage noch vor sich, in welchen sich der Gönner und heimlichen Freunde im Übermaß für einen Mann wie Mac Tavish Mhor gefunden hatten, der die Verwegenheit besaß, den Kampf als einzelner gegen tausende zu führen, der seinen Stolz darin suchte, altem Brauche zu seinem Rechte zu verhelfen ohne Rücksicht auf alles, dem Lande von feindlichen Bedrückern im Zwangswege auferlegte Gesetz. Kein Wunder, daß Elspat Mac Tavish meinte, ihr Sohn brauche bloß das Erbe des Vaters anzutreten, brauche sich bloß in Abenteuer und Unternehmungen gegen die feindlichen Bedrücker zu stürzen, um einer Schar von Männern sicher zu sein, kühn und tapfer gleich jenen, die dem Banner des Vaters gefolgt waren. Kein Wunder, daß sie in Hamish den Adler sah, der bloß in die Lüfte zu steigen brauche, um aus unerreichbarer Höhe auf Beute niederzuschießen. Kein Wunder, daß sie kein Auge hatte für die vielen Augen, die seinen Flug überwachten, kein Wunder, daß sie der vielen Kugeln nicht achtete, die sich auf seine Brust als willkommenes Ziel richten würden! Kurz: Elspat Mac Tavish sah Zeit und Menschen noch mit den Augen eines verwichenen Zeitalters, mit den Augen von Menschen aus solch verwichenem Zeitalter an. Seit ihr Mann den Tod gefunden hatte, war ihr Leben in Armut und Elend verflossen. Auf ihrem Sohne ruhte ihre Hoffnung und fußte ihr Glaube, daß sie schon lange im Kalten Grabe ruhen würde, daß die Totenklage des Stammes der Mac Tavish, nach altem Brauche, um ihren Heimtritt längst verhallt sein würde, wenn ihrem Havish der Tod winken, wenn er mit der Faust im Knauf seines vom Blute der Feinde geröteten Schwertes fallen und das Erdreich küssen würde. War doch des Vaters Haar schon grau gewesen, als er nach hundertfältiger Gefahr mit den Waffen in der Faust den Tod gefunden hatte! Daß Elspat Mac Tavish solchem Tode ihres Einzigen mit solcher Ruhe ins Auge sah, war eine natürliche Folge damaliger Sitte. Es entsprach ihrer stolzen Sinnesart besser, ihn auf offenem Felde, im Kampf mit dem Feinde fallen zu sehen, als Zeugin seines langsamen Hinsiechens in rauchiger Hütte oder, einem alten Jagdhunde oder kranken Stiere gleich, auf verfaultem Stroh zu sein. Aber diese Stunde war ihrem Hamish, ihrem Einzigen, noch fern! Sie schlug ihm erst, gleichwie sie dem Vater erst geschlagen hatte, wenn er hundertfältige Gefahr überstanden hatte, wenn er in hunderten von Kämpfen Sieger gewesen war, wenn er hundertfältige Beute eingeheimst hatte. In dieser Zuversicht konnte Elspat Mac Tavish nicht irren! Und wenn er dereinst im Kampfe fallen, wenn blutiger Tod ihm winken würde, dann läge sie, seine Mutter, die Frau von Mac Tavish Mhor, dem ritterlichen Freibeuter der Hochlande, schon längst in der kalten Erde, und weder seinen Todeskampf würde sie sehen, noch über seinem Grabe trauern können. Während solche Gedanken den Weg durch ihren Sinn nahmen, stieg der Mut der Greisin auf seinen früheren, oder vielmehr auf einen wesentlich höheren Standpunkt. Nach den kräftigen Worten der Bibel, die nur wenig verschieden sind von der Ausdrucksweise der Gälischen, stand sie auf, wusch sich und wechselte die Kleider, aß ihr Brot und fand ihre Kraft und Stärke wieder. Mit Zweifel und Sorge harrte sie nun der Wiederkehr ihres Einzigen. Daß gar viel dazu gehöre, um in Zeiten, wie den damaligen, zu einem Anführer von Ruf und Ansehen sich zu erheben, sagte sie sich gar wohl. Sie erwartete aber, ihn nicht anders wiederzusehen, als an der Spitze einer kühnen Schar mit schallenden Sackpfeifen und fliegenden Bannern, die ohne Scheu vor den strengen Strafen, die auf dem Tragen der altberühmten Nationaltracht und des sonstigen Zubehörs hochländischer Ritterschaft standen, die edlen Hochlandsmäntel frei im Winde flattern ließ. Und daß dies also geschähe und nicht anders, dazu waren für die erhitzte Phantasie der Greisin bloß wenige Tage vonnöten, und schon übermorgen, schon morgen konnte der Fall eintreten. Von dem Augenblick an, da dieser Glaube in ihrem Gemüt zur festen Überzeugung wurde, befaßte sie sich mit dem Gedanken, ihre Hütte zum Empfang des Sohnes an der Spitze seiner Anhänger auszuschmücken, wie es dereinst Brauch bei ihr war, wenn der Gatte heimkehrte. Mittel zum Unterhalt zu beschaffen, war sie freilich nicht imstande, doch hielt sie dies für nicht erheblich, denn sie meinte, die Raubritter würden Kühe und Schafe mit heimbringen. Aber das Innere ihrer Wohnung war zum Empfange bereit, und das heimische Biskebah war in großer Menge gebraut und abgezogen wurden. Die Art, wie sie ihre Hütte ausgeschmückt hatte, deutete auf einen Freudentag. Mit allerhand Zweigen war sie geputzt, gleich dem Hause einer Israelitin, wenn das Laubhüttenfest naht. Was ihre kleine Herde an Milch gab, war nach allen Weisen, die sie kannte, zubereitet und in so reicher Menge, daß ihr Sohn mit den zahlreichen Gefährten, die sie erwartete, nicht Mangel leiden würde. Der Hauptzierat für ihre Hütte, den sie mit vieler Mühe suchte, denn er wuchs nur auf hohen Bergen und auch hier in nicht großer Menge, war die Zwergmaulbeere, die von ihrem verstorbenen Manne, vielleicht auch schon einem seiner Vorfahren, zum Sinnbild für seinen Stamm erwählt worden war, weil sie durch ihr spärliches Vorkommen, die geringfügige Ausdehnung und durch den Ort, wo sie wuchs, die hochfahrenden Pläne desselben anzudeuten schien. Solange diese Zurüstungen die Frau in Anspruch nahmen, war sie in einem Zustande von Unruhe und Freude zugleich. Nur eins machte ihr Sorge, daß sie nicht rechtzeitig mit allem fertig werden möchte, daß ihr Hamish früher kommen könne, als sie die letzte Hand an alles gelegt habe. Endlich aber war es so weit, daß sie außer ihren Ziegen nichts mehr zu besorgen hatte. Nun musterte sie noch einmal all die Anstalten, die sie getroffen hatte, ersetzte die welken Zweige durch frische, setzte sich dann auf ihr Plätzchen vor der Tür der Hütte und hielt nun die Straße im Auge, die sich auf der einen Seite vom Ufer des Awe heraufzog und auf der anderen am Gebirge hinlief. Nun gedachte sie der Vergangenheit und malte sich nach den Bildern, die ihr Auge dort traf, die Zukunft: und in den Nebeldünsten am Morgen wie in den Trugschatten des Abends tauchten die wilden Gestalten eines Trupps kühner finsterer Krieger im schottischen Tartan, »Sidier-Dhu« genannt, zum Unterschiede von den englischen Rotröcken, in langen Zügen vor ihr auf. über solchem Sinnen und Schauen verbrachte sie morgens und abends stundenlang. Sechstes Kapitel Aber lange, lange hielt Elspat die Blicke über die ferne Straße hin gerichtet, vom Frühlicht bis zum Ersterben der Abenddämmerung, und keine Staubwolke weckte frohe Hoffnung in ihrem Herzen, keine wallende Feder oder glitzernde Waffe zauberte Lächeln auf ihre Lippen. Im braunen Kittel des Talschotten, mit dem schwarz oder dunkelrot gefärbten Tartan, wie es dem Gesetz nach sein mußte, das alle bunte, gewürfelte Tracht verbot, mit gesenktem Haupt und niedergeschlagenem Wesen zog hin und wieder wohl ein einsamer Wanderer vorbei, in Trauer über die strengen Vorschriften, die gegen hochländische Tracht und Bewaffnung, jedem Schotten heilig als Vorrechte seiner Geburt, vom Erbfeind erlassen worden waren. In solchem Wanderer erkannte aber Elspat den frischen munteren Tritt des Sohnes nicht wieder, der ihrer Meinung nach nun alle Zeichen sächsischer Sklaverei von sich gestreift haben müsse. Eine Nacht um die andere schlich sie, wenn es dunkel geworden, von der Tür ihrer Hütte, die sie nie abschloß, hinweg zu ihrem ärmlichen Lager, das ihr aber nur selten Ruhe brachte. Der Tapfere und Furchtbare, sagte sie, wandelt bei Nacht; in der Finsternis, wenn alles still ist, außer dem Wind und dem Wasserfall, vernimmt man seinen Tritt; nur wenn die Sonne über dem Gipfel des Berges steht, wagt sich das scheue Reh hervor, aber der gierige Wolf wandelt im roten Lichte des Erntemonds. Umsonst waren solche Gedanken; nimmer weckte ihr Sohn sie von dem harten Lager, auf dem sie von seiner Ankunft träumte. Ihr Hamish kam nicht. »Betrogene Hoffnung,« spricht der königliche Weise, »macht das Herz krank,« und so kräftig auch Elspat, in körperlicher Hinsicht war, so spürte sie doch allmählich, daß sie den Anforderungen nicht mehr so wie früher gewachsen war, die ihre ungezügelte Sehnsucht an ihren Körper stellten. Da aber kam ein Morgen, an welchem auf der einsamen Bergstraße in weiter Ferne von der Hütte ein Wanderer sichtbar wurde. Die trostlose Verzweiflung, deren Beute sie seit so langer Zeit war, wich herrlicher Hoffnung. Denn je näher der Wanderer kam, desto deutlicher trat in Sicht, daß von sächsischer Sklaverei kein Zeichen an ihm war. Bald konnte sie den Hochlandsmantel wehen sehen, der sich in schönen Falten niederlegte, und bald auch die wallende Hutfeder, das Merkmal von Rang und edler Geburt. Über der Schulter trug er die Flinte, an seiner Seite hing das breite Schlachtschwert, im Gürtel steckten Dolch und Pistol, und an der Seite hing der »Sporren-Mollach«, die geißlederne Tasche, die der Hochländer um den Leib geschnallt trägt. Näher und näher heran kam der Wanderer, seine Schritte schienen sich zu weiten, sein Herz schien ihnen Flügel zu geben – und nun, ein Augenblick noch, und die Greisin umarmte den geliebten Sohn, der vor sie hintrat in der Tracht des Vaters und der Ahnen, als Schönster für die Augen der Mutter unter zehntausend. Unsäglich war das erste Entzücken, das in ihr Herz einzog. Mit den schönsten Schmeichelworten, die ihre kraftvolle Sprache birgt, verband sie die innigsten Segenswünsche. Im Nu war der Tisch gedeckt mit allem, was sich herbeischaffen ließ, und mit der gleichen seligen Wonne, die sie empfand, als sie den Neugeborenen zum erstenmal an die Brust legte, blickte die Mutter auf den jungen Krieger, der nun an ihrem Tische saß und sich labte. Dann verlangte es sie, die Abenteuer zu hören, die ihr Sohn während der langen Trennung bestanden habe, und sie konnte sich nicht enthalten, ihn ob der Unbesonnenheit zu tadeln, am helllichten Tage in Hochlandstracht durch die Berge zu wandern, da doch so schwere Strafe auf solch Beginnen gesetzt sei und es von Verrätern in der Gegend doch wimmele. »Seid meinetwegen ohne Furcht, Mutter,« sagte Hamish in besänftigendem Tone zu ihr, der ihre Unruhe aber eher noch mehrte – »ich trage, sobald ich Lust dazu habe, den Breacan [andrer Name für den buntgewürfelten Tartan. A. d. Ü.] vorm Tore von Fort Augustus.« »Hamish, Hamish! Sei nicht allzukühn! Wenngleich solche Eigenschaft ein Fehler wäre, der dem Sohn deines Vaters gar wohl stünde – aber, sei nicht zu kühn! Ach, es wird ja nicht mehr gekämpft wie ehedem, ehrlich und unter gleichem Vorteil; man sucht einander an Zahl und Waffen zu überbieten, so daß der Starke wie der Schwache von der Kugel eines Buben fällt. Denke nicht, Hamish, daß ich unwert sei, deines Vaters Witwe und deine Mutter zu heißen, weil ich so rede, denn Gott weiß, ich will es aufnehmen mit dem Besten im Lande.« »Glaubt mir, liebe Mutter, ich bin außer Gefahr«, versetzte Hamish; »aber habt Ihr Mac Phadraick bei Euch gesehen, Mutter, und was hat er Euch von mir gemeldet?« »Geld hat er mir dagelassen, viel Geld,« antwortete Elspat, »aber was mir das liebste von allem war, das war die Kunde, daß du wohlauf seiest und bald zu mir kommen werdest. Nimm dich aber in acht vor Mac Phadraick, mein Sohn! Denn wenn er sich auch einen Freund deines Vaters nennt, so war ihm die schlechteste Kuh in seiner Herde doch mehr wert, als Mac Tavish Mhors Leben! Gebrauche ihn, wenn er dir nützen kann, und bezahle ihn für das, was er dir nützt; es läßt sich nun einmal nicht ändern, daß wir Umgang auch mit solchen halten müssen, die des Vaters nicht wert sind. Aber verlaß dich auf meinen Rat und traue ihm nicht!« Hamish konnte einen Seufzer nicht unterdrücken, und Elspat schien zu verstehen, daß ihre Warnung zu spät komme. »Was hast du mit ihm gehabt, Hamish?« fragte sie ungestüm; »ich erhielt Geld von ihm, und Geld gibt doch er nicht umsonst! Er gehört nicht zu denen, die für Spreu Gerste tauschen. Ach, wenn dich euer Handel gereut, und wenn du, ohne deine Ehre und Männlichkeit zu scheuen, ihn nicht rückgängig machen kannst, dann gib ihm sein Geld wieder, bloß traue seinen schönen Worten nicht!« »Es geht nicht an, Mutter,« versetzte Hamish, »und es möchte mich auch nicht reuen, wenn ich Euch bloß nicht bald verlassen müßte.« »Du mich verlassen? Was sprichst du, Hamish, einfältiger Knabe! Meinst du, ich wüßte nicht, was für das Weib und die Mutter eines verwegenen Mannes als Pflicht gilt? Du bist ja noch immer ein Knabe, aber dein Vater war zwanzig Jahre lang der Schrecken der Gegend, und doch verachtete er meine Gesellschaft und meinen Beistand nicht, sondern sprach es oft aus, daß meine Hilfe mehr wert sei als die von zwei kräftigen Knappen.« »Nicht darum ist es, Mutter, aber da ich das Land verlassen muß –« »Du das Land verlassen?« rief die Frau, ihn unterbrechend; »Und meinst du denn, ich sei wie ein Busch, der bloß dort wächst, wo er Wurzel schlägt und eingeht, wenn er versetzt wird? Habe ich denn nicht oft genug schon andere Luft als die vom Ben Cruachan geatmet? Bin ich nicht deinem Vater in die Wildnisse von Roß und in die unzugänglichen Ödeneien von Q-Mac Q-Mhor gefolgt? Kein Wort mehr, Knabe! Denn meine Glieder, so alt sie auch sein mögen, werden mich noch immer so weit tragen können, wie deine Füße laufen.« »Ach, Mutter,« sagte stockend der Jüngling, »aber über die See?« »über die See? Ei, für was hältst du mich, wenn du meinst, ich solle mich vor der See fürchten? War ich etwa nie im Leben zu Schiffe? Habe ich denn nicht den Sund von Mull gesehen, die Inseln von Treshornish und die gefährlichen Klippen von Harris?« »Ach, Mutter! Ich muß weiter, viel weiter! Ich habe mich für die neuen Regimenter werben lassen und marschiere mit gegen die Franzosen – drüben in Amerika!« »Anwerben lassen?« schrie die Mutter, wie vom Donner gerührt – wider meinen Willen? Ohne meine Zustimmung?« Das hast du nicht gekonnt, Hamish, du nicht, Hamish!« Dann stand sie auf, trat auf den Sohn zu und sprach herrisch, eine gebietende Stellung annehmend: »Hamish, das war dein Wille nie! Hamish, das hast doch du nicht getan!« »Verzweiflung, Mutter, vollbringt alles«, entgegnete Hamish in resolutem Tone; »was sollte ich hier beginnen, wo sich kaum das kärgste tägliche Brot schaffen läßt für mich und Euch, da die Zeiten doch immer schlechter werden? Wollt Ihr Euch setzen und zuhören, so will ich Euch überzeugen, daß ich besser, als ich gehandelt habe, nicht handeln konnte!« Mit bitterem Lächeln setzte sich Elspat. und mit bitterem Lächeln, mit fest aufeinander gepreßten Lippen hörte sie ihm zu. Ohne von ihr, wie er befürchtet hatte, unterbrochen zu werden, fuhr Hamish fort: »Als ich von Euch ging, Mutter, habe ich Mac Phadraick aufgesucht, denn wenn es auch feststeht, daß er ein ausgefeimter Halunke ist wie alle Sassenach, so läßt sich doch nicht leugnen, daß er ein Mann von Witz ist,« und darum dachte ich, er könne mir, zumal es ihn doch nichts koste, gut und gern sagen, auf welche Weise sich unsere Umstände besser gestalten ließen.« »Unsere Umstände!« wiederholte Elspat, indem sie anfing die Geduld zu verlieren; »und bei einem Schuft, dessen Herz nicht besser ist als das eines Kuhhirten, erkundigst du dich darnach, was du zu tun und zu lassen hast? Dein Vater hat niemand gefragt als sein Schwert und seinen Mut!« »Aber, Mutter,« rief Hamish, wann werdet Ihr endlich einsehen lernen, daß Ihr in diesem Lande Eurer Väter noch immer so lebt, wie wenn Eure Väter noch lebten? Ihr wandelt wie im Traum, umschwebt von den Geistern derer, die längst bei den Toten weilen. Als der Vater noch lebte und focht, da fühlten die Großen im Lande noch vor dem Manne mit der starken Hand Achtung, und wer was zu verlieren hatte, fürchtete ihn. Von der ersten Klasse gewährten ihm Mac Allan Mhor und Caberfee ihren Schutz, und von der zweiten zahlten ihm nicht wenige Tribut. Er ist tot; aber sein Sohn würde bei einer Lebensweise, die dem Vater Ansehen gab und zur Macht verhalf, nur Schimpf und Schande ernten und unbemitleidet in die Grube fahren. Heute ist Schottland von England unterjocht – die Leuchten des Landes sind verlöscht – Glengarry, Lochiel, Perth, Lord Lewis, alle die großen Häuptlinge sind entweder ins Grab gestiegen oder leben in der Verbannung! Wir mögen hierüber trauern, aber helfen, ändern können wir es nicht! Das breite Schlachtschwert ist bei Drummossie-Muir verloren gegangen und mit ihm Macht, Stärke, Reichtum und Ruhm!« »Das ist nicht wahr!« rief Elspat grimmig; »dich und andere feige Memmen gleich dir hat eure Mutlosigkeit besiegt, aber nicht Feindesmacht. Dem scheuen Wasserhuhn gleichest du, das die geringste Wolke am Himmel für den Schatten des Adlers hält.« »Mutter,« erwiderte Hamish stolz, »beschuldige mich nicht feigen Sinnes! Denn ich gehe dorthin, wo es an Männern mit starkem Arm und keckem Mut fehlt. Ich verlasse eine Einöde, um in ein Land zu gehen, wo ich mir Lorbeeren sammeln will.« »Von deiner alten Mutter willst du gehen, daß sie sterbe, verlassen von allen?« fragte Elspat, eifrig bemüht, einen entschlossenen Sinn, der ihr viel größer erschien als sie anfangs gedacht hatte, zu erschüttern. »Das ist nicht der Fall, Mutter,« antwortete er, »denn ich lasse Euch in behaglicher Lage, mit einem gesicherten Einkommen, wie Ihr es noch niemals hattet, zurück. Barcaldines Sohn ist zum Offizier ernannt worden, und unter ihm habe ich mich anwerben lassen. Mac Phadraick steht in seinen Diensten, rührt die Werbetrommel für ihn und findet sein gutes Auskommen dabei.» »Das ist das wahrste Wort von der ganzen Mär,« rief die Greisin bitter, »alles andere mag so falsch sein wie die Hölle!« »Aber auch wir finden unseren Vorteil dabei,« fuhr Hamish fort, »denn Barcaldine gibt Euch eine Hütte in seinem Walde Letter-Findreight und Gras für Eure Ziegen, auch eine Kuh, wenn Ihr eine haben wollt. Wenn ich auch weit weg von Euch bin, so wird Euch doch mein Sold, Mutter, mit Mehl und allem, was Ihr sonst brauchen könnt, reichlich versorgen. Hegt also um mich keine Sorge! Ich trete wohl als gemeiner Mann ein, aber ich will, sofern es durch Pünktlichkeit und Tapferkeit im Dienste sich erreichen laßt, als Offizier und mit einem halben Dollar Einkommen pro Tag zurückkehren.« »Armes Kind!« rief Elspat in einem Tone, in welchem sich Mitleid mit Verachtung paarte, »du traust also dem Mac Phadraick wirklich?« »Ja, Mutter,« sagte Hamish, während die dunkelrote Farbe seines Stammes ihm auf Stirn und Wangen trat, »denn Mac Phadraick kennt das Blut, das in meinen Adern rollt, und weiß, daß Hamish zurück nach Breadalbane kehren würde, wenn er den Vertrag, der mit ihm in Eurem Betreff geschlossen wurde, nicht halten wollte, und daß seine Tags dann gezählt wären. Den Dolch stieße ich ihm ins Herz, wenn er das mir gegebene Wort bräche! So wahr Gott der Allmächtige lebt, der ihn und mich geschaffen hat!« Blick und Haltung des jungen Kriegers zwangen Elspat auf eine Weile Ehrfurcht ab, denn solch feste, feierliche Rede, die ihr den Vater so lebhaft in Erinnerung rief, war sie nicht an ihm gewohnt. Aber sie fuhr mit ihren Einwänden in der gleichen bitteren Weise fort, wie sie begonnen hatte. »Armer Junge!« rief sie, »und du meinst, daß über dem Zwischenraum einer halben Welt deine Drohungen gehört werden oder Berücksichtigung finden? Geh aber nur, geh und beuge deinen Nacken unter hannöversches Joch, gegen das jeder getreue Gäle bis zu seinem Tode kämpfte. Geh, und verleugne die königlichen Stuarts, für die dein Vater und deine Ahnen und deiner Mutter Ahnen Felder über Felder mit ihrem Blute gefärbt haben. Geh und beuge dein Haupt unter den Degengurt eines vom Geschlechte der Dermid, dessen Kinder,« setzte sie mit furchtbarer Stimme hinzu, »deiner Mutter Väter in ihren Wohnungen zu Glencoe ermordeten! Ja,« rief sie wieder und noch lauter, gellender, »ich war damals noch nicht auf der Welt, aber aus dem Munde meiner Mutter vernahm ich es, und ich lauschte der Stimme meiner Mutter, und ihre Worte klingen noch heute in meinen Ohren! In Frieden kamen sie und wurden gastfreundlich aufgenommen, und Blut ist geflossen und Feuer hat gewütet und Mord ist verübt worden!« »Mutter,« erwiderte Hamish voll Trauer, aber mit Festigkeit, »dies alles habe ich bedacht! An der Hand des edlen Barcaldine klebt von dem Glencoer Blut kein Tropfen; der Fluch lastet auf dem unglücklichen Hause Glencoe, und Gott der Herr hat es an ihm und seinen Gliedern gerächt!« »Sprichst ja schon ganz so wie der sächsische Pfaffe«, höhnte die Mutter; »ob du dich nicht noch besser stündest, wenn du bei Mac Allan Mhor um eine Kirche betteltest, daß du Vergebung predigen könntest für das Geschlecht Dermid?« »Gestern war gestern, Mutter,« sagte hierauf Hamish, »und heute ist heute! Da die Clans niedergeworfen sind und in ihrer alten Reinheit und Unvermischtheit nicht weiter bestehen, sollte es für weise gelten, daß ihr Haß und ihre Erbitterung ihre Macht und Unabhängigkeit nicht überleben. Wer nicht wie ein Mann sich rächen kann, der sollte nicht nutzlose Feindschaft hegen wie ein besiegter Hahn. Der junge Barcaldine, Mutter, ist ehrlich und brav. Ich weiß, daß ihm Mac Phadraick geraten hat, mich nicht zu Euch hin gehen zu lassen, auf daß Ihr mir mein Vorhaben nicht ausredetet; aber Barcaldine hat ihm geantwortet: Hamish Mac Tavish ist eines braven Mannes Sohn und wird sein Wort nicht brechen. Mutter! Barcaldine führt hundert braver Galensöhne in ihrer Landestracht und mit den Waffen ihrer Väter ausgerüstet, Brust an Brust, Schulter an Schulter. Ich habe geschworen, mit ihm zu gehen. Er hat mir vertraut und ich will ihm vertrauen.« Wie vom Donner gerührt war Elspat durch diese mit solcher Festigkeit erteilte Antwort und brach voller Verzweiflung zusammen. Gleich Wogen von einer Klippe waren die Beweise, die sie für so unwiderstehlich gehalten hatte, abgeprallt. Nach einer langen Pause füllte sie ihres Sohnes Becher und reichte ihn ihm mit dem Ausdruck achtungsvoller Niedergeschlagenheit und Unterwerfung. »Trink,« sprach sie, »auf das Gedeihen des Baumes vor deines Vaters Hause, bevor du von ihm auf immer scheidest, und sage mir, da die Ketten eines neuen Königs und neuen Häuptlings, die deine Väter nur als Todfeinde kannten, an deines Vaters Sohne hängen – sage mir, wieviel Glieder zählst du an dieser Kette?« Hamish nahm den Becher und sah sie an, als sei ihm nicht recht verständlich, was sie mit ihren Worten meinte. Mit gehobener Stimme fuhr sie fort: »Sage mir, denn ich besitze ein Recht darauf, es zu wissen – sage mir, wieviel Tage, dich zu sehen, läßt mir der Wille derer, die du dir zu Herren erkoren hast? Mit anderen Worten: Wieviel Tage bleiben mir noch zu leben? Denn was hat die Erde noch, das mir das Leben wert machen könnte, wenn du von mir gehst?« »Mutter,« versetzte Hamish, »sechs Tage kann ich bei Euch weilen, und ist es Euch recht, so will ich Euch am fünften in Euer neues Heim geleiten. Wollt Ihr hingegen hier bleiben, so will ich am siebenten mit Tagesgrauen aufbrechen, denn dies ist der letzte Termin, daß ich zurück nach Dumbarton muß. Melde ich mich nicht am achten als wieder eingetroffen, so werde ich als Deserteur bestraft und bin entehrt als Soldat und Edelmann.« »Deines Vaters Fuß war frei wie der Wind auf der Heide,« gab sie zur Antwort, »ihn zu fragen, wohin gehst du, war ebenso müßig, wie diesen unsichtbaren Wolkenverjager zu fragen: weshalb bläst du? Sag mir, da du nun gehen mußt und gehen willst: welche Strafe trifft dich, wenn du in deine Sklaverei nicht zurückkehrst?« Sprich nicht von Sklaverei, Mutter,« versetzte Hamish, »denn ich tue Dienst als ehrlicher Soldat, und Soldatendienst ist der einzige, der für Mac Tavish Mhors Sohn noch übrig ist.« »Also sage mir: welche Strafe wartet deiner, wenn du nicht zurückkehrst?« fragte Elspat. »Man straft mich als Deserteur«, erwiderte Hamish, und seiner Mutter entging der Kampf nicht, der in seinem Gemüte tobte. Sie nahm sich vor, das äußerste zu versuchen. »Also die Strafe,« sprach sie mit einer Ruhe, die von ihrem blitzenden Auge Lügen gestraft wurde, »die den Hund erwartet, wenn er nicht parieren will? Ist es so, Hamish?« »Stelle mir keine Fragen mehr, Mutter,« antwortete Hamish, »die Strafe bedeutet dem nichts, der sie nie verdienen wird!« »Aber mir bedeutet sie was,« sagte Elspat, »denn ich weiß besser als du, daß dort, wo die Macht ist zu strafen, oft auch der Wille nicht fehlt, ohne Grund und Ursache zu strafen. Ich will beten für dich, Hamish, und muß darum wissen, gegen welches Unglück ich zu Ihm flehen muß, daß er dir Jugend und Unschuld bewahre, zu Ihm, der keinen verläßt, über dem niemand mehr wacht.« »Mutter,« erwiderte Hamish, »sofern ein Mann entschlossen ist, nie in Strafen zu verfallen, so hat es wenig zu sagen, was für Strafen ausgesetzt werden. Unsere hochländischen Häuptlinge haben ihre Vasallen auch bestraft und, wie ich gehört habe, sehr grausam. War es nicht, wie ich von altersher mich erinnere, Lachlan Mac Lane, dem sein Häuptling den Kopf vom Rumpfe schlagen ließ, weil er vor ihm auf einen Hirsch geschossen hatte?« »Ja.« antwortete Elspat, »und mit Recht ließ der Häuptling ihm den Kopf vor die Füße legen, weil er den Vater des Volkes entehrte angesichts der versammelten Clans. Allein die Häuptlinge des Hochlandes waren edler in ihrem Zorn: sie straften mit der scharfen Klinge und nicht mit dem Stocke. Ihre Strafe war blutig, aber sie brachte keinen Schimpf. Kannst du gleiches sagen von den Gesetzen, unter deren Joch du deinen, freigeborenen Nacken gebeugt hast?« »Nein, Mutter, ich kann es nicht,« sagte Hamish düster, »selbst mit angesehen habe ich es, wie man einen Sassenach wegen Desertion oder Fahnenflucht, so lautet der Ausdruck im Kriegsgesetz, strafte. Er wurde geschlagen, mit Riemen geschlagen, ich bekenne es, wie ein Hund, der seine herrischen Herren erzürnt hat. Empört hat mich der Anblick, das muß ich sagen, und mir ist schlecht dabei geworden. Aber man straft nur solche wie Hunde, die schlechter sind als Hunde, elende Patrone, die Wort und Treue nicht zu halten wissen.« »Gleichem Schimpf, Hamish, bist aber auch du ausgesetzt,« erwiderte Elspat, »wenn du was versiehst im Dienst oder deine Offiziere Anstoß an dir nehmen sollten. Ich mag nicht mehr mit dir über den Fall sprechen. Bloß eins sage ich noch: wäre der sechste Tag, von der heutigen Morgensonne ab gerechnet, mein Sterbetag und du verweiltest hier, mir die Augen zuzudrücken, so würdest du gleicherweise Gefahr laufen, an einen Pfahl gebunden und wie ein Hund gepeitscht zu werden? Ja! Sofern du kein Tröpfchen Mut besäßest, mich allein und an einsamem Herde sterben zu lassen, auf daß der letzte Funke von deines Vaters Herdfeuer und deiner Mutter letzter Lebensfunke zusammen verlöschen.« Hamish schritt, von Ungeduld und Zorn befallen, in der Hütte auf und ab. »Mutter,« sprach er nach einer Weile, »laß dich nicht durch solche Dinge beirren! Solcher Schande kann ich nicht ausgesetzt sein, denn ich werde mich der Ursache dazu nie schuldig machen, und sollte sie mir doch einmal drohen, dann werde ich, ehe ich mich so entehren lasse, zu sterben wissen.« »Das spricht der Sohn meines Mannes!« rief Elspat. Dann gab sie dem Gespräch eine andere Wendung. Es schien, als hörte sie dem Sohn mit stiller Schwermut zu, als er sie nun an die kurze Frist gemahnte, die sie noch miteinander zu verleben hätten, und herzlich bat, sie nicht mit unnützen und unangenehmen Erinnerungen zu vergeuden. Siebentes Kapitel Elspat hatte jetzt die Überzeugung gewonnen, daß außer anderen Eigenschaften des Vaters auch dessen stolzer männlicher Geist auf den Sohn überkommen sei, und daß sie nicht rechnen dürft, ihn von einem freiwillig gefaßten Schlusse abzubringen. Sie gab sich zufolgedessen das Ansehen, als schicke sie sich in diese unvermeidliche Trennung, und wenn sie auch dann und wann noch einmal zu klagen anfing, so geschah dies nur, weil sie ihr ungestümes Temperament nicht zügeln konnte oder weil sie denken mußte, es möchte ihrem Sohne auffällig sein, wenn sie sich so ohne weiteres fügen und ihn veranlassen wollte, auf seiner Hut zu sein und ihr alle Mittel, durch die sie ihn noch immer bei sich zu halten hoffte, aus der Hand zu winden. Die heiße, eigensüchtige Liebe, die sie für den Sohn fühlte und die sie unfähig machte, das wahre Interesse desselben zu erkennen, glich der dem Tiere vom Instinkt eingegebenen Liebe zu seinem Jungen, und wenn sie auch weiter in die Zukunft sah als Geschöpfe, die auf niedriger Daseinsstufe stehen, so hatte sie im Grunde doch keine andere Empfindung, als daß Trennung von Hamish für sie gleichbedeutend mit Tod sei. In der kurzen Zeit, die noch blieb, erschöpfte sich Elspat in der Kunst, die nur Liebe eingeben kann, ihn auf alle erdenkliche Weise zu erfreuen und zu unterhalten. Sie suchte in ihrem Gedächtnis nach Erzählungen und Sagen, die seit jeher für den Hochländer, wenn er Muße hat, die angenehmste Kurzweil bilden. Eine ungemeine Kenntnis bewies sie mit den Liedern der alten Sänger und mit den Märchen der berühmtesten Erzähler. Ihre Aufmerksamkeit gegen den Sohn kannte fast keine Grenzen, und wenn er ihr wehren wollte, blühendes Heidekraut für sein Lager zu sammeln oder ihm ein leckeres Mahl zu bereiten, dann sagte sie: »Laß mich, Hamish, laß mich! Wenn du deine Mutter verläßt, so handelst du nach deinem eigenen Willen, laß nun auch deiner Mutter den Willen, wenn sie dir Freude machen will, so lange sie dich noch hat!« Es schien, als sei sie nun mit den Anstalten, die er für ihren Unterhalt getroffen, zufrieden, denn, sie hörte ihn ruhig an, wenn er davon sprach, daß er sie zu Green Colin hinüber bringen wolle, auf dessen Grund und Boden er ein Asyl für sie ausbedungen hatte. In Wahrheit aber war sie weit entfernt davon, sich mit solchem Gedanken zu befreunden. Aus den feindseligen Worten, die während ihrer ersten Unterhaltung gefallen waren, hatte sie entnommen, daß er sich der Gefahr einer körperlichen Züchtigung aussetzte, wenn er zur festgesetzten Frist von seinem Urlaub nicht zurückkehrte. Aber sie wußte nun, daß er sich solcher Schmach auch nie unterziehen, also gewiß nicht zum Regiment zurückkehren werde. Ob sie die weiteren Folgen ihres Planes überdachte, ob sie sich gutes oder schlimmes für ihren Sohn daraus ersah, läßt sich nicht sagen. Aber soviel steht fest, daß sie als Frau des Mac Tavish Mhor, den sie auf allen Raub- und Kriegszügen begleitet und in keiner Gefahr im Stich gelassen hatte, hunderte, von Mitteln und Wegen zum Widerstand oder zur Flucht kannte, durch die ein braver Kerl in einem Landgebiet voll Felsen, Seen, Bergen, gefährlichen Pässen und dichten Wäldern sich der Verfolgung Hunderter entziehen könne. Für die Zukunft des Sohnes bangte ihr also nicht. Der einzige Gedanke, der sie beherrschte, war, ihren Sohn daran zu hindern, daß er seinem Vorgesetzten sein Wort halte. Zufolge dieses geheimen Planes suchte sie den Vorschlag, den Hamish ihr wiederholt machte, nach der für sie gemieteten Hütte zu Green Colin hinüberzuziehen, zu hintertreiben durch allerlei Gründe und Ausflüchte, die bei ihrem Charakter so natürlich waren, daß sie bei dem Sohne weder Mißfallen noch Unruhe erregten. »Laß mich nicht auch noch von dem Tale, in welchem ich so lange gelebt habe, in der gleichen Woche Abschied nehmen, in der ich dem einzigen Kinde Lebewohl sagen muß. Gönne meinen Augen, wenn sie von den Tränen um dich sich trüben, noch eine Weile Zeit, über den See Uwe und auf den Ben Cruachan zu blicken!« Hamish fügte sich in die Launen der Mutter um so williger, als verschiedene andere Leute, deren Söhne sich gleichfalls bei Barcaldine hatten anwerben lassen, auf dessen Gütern verteilt werden sollten. Es wurde also beschlossen, daß sich Elspat an sie anschließen solle, wenn sie in ihre neuen Asyle zögen. Auf diese Weise glaubte Hamish sowohl die Launen der Mutter berücksichtigt, als für ihre Bequemlichkeit und Sicherheit gesorgt zu haben. Die Mutter aber leiteten ganz andere Pläne! Hamishs Urlaub nahte sich seinem Ende. Mehr denn einmal faßte er den Entschluß, aufzubrechen, um noch früh genug nach Dunbarton, der Stadt, in welcher sein Regiment in Quartier lag, zu gelangen. Aber die Bitten der Mutter, die eigene erklärliche Gemütsstimmung, die Liebe zu der ihm so teuren Heimat, vor allem aber das Vertrauen in sich, auf seine Schnelligkeit und Körperkraft, bestimmten ihn, den Aufbruch bis zum sechsten Urlaubstage, hinauszuschieben, dem letzten, den er bei der Mutter zubringen durfte, sofern er nicht gegen die Bedingungen seines Urlaubs verstoßen, also für fahnenflüchtig angesehen sein wollte. Achtes Kapitel Am Abend vor dem für den Aufbruch festgesetzten Tage ging Hamish Zum Flusse hinab, um zu angeln, ein Geschäft, in welchem er sehr geschickt war. Es sollte ihm zugleich ein besseres Mahl bringen, als die Mutter sonst hatte bereiten können. Das Glück war ihm hold, und er fing bald einen prächtigen Salm. Auf dem Heimweg trug sich ein Fall zu, geeignet, einem Hochländer wie Hamish als schlimme Vorbedeutung zu gelten, der schließlich, wenn er auch eine Zeitlang in der Fremde gelebt hatte, noch immer nicht frei von Aberglauben war. Auf dem zu seiner Hütte hinaufführenden Pfade erblickte er nämlich zu seinem nicht geringen Erstaunen eine Gestalt, die gleich ihm die alte Hochlandstracht und die alten Waffen des schottischen Kriegsmannes trug. Sein erster Gedanke war, er habe jemand von seinem Korps vor sich, weil es, als durch die Regierung angeworben, außerhalb der gegen hochländische Tracht und Waffen erlassenen Verordnungen stand. Unter diesem Eindruck verdoppelte er seine Schritte, um den vermeintlichen Kameraden einzuholen, den er für den kommenden Tag zu sich einzuladen vorhatte. Aber wie groß war sein Schreck, als er jetzt sah, daß der Fremde die große Kokarde trug, das in den Hochlanden so streng verbotene verhängnisvolle Abzeichen. Die Gestalt war groß; und durch den Schatten, den sie warf, wuchs sie ins Ungeheuerliche. Die Art, wie sie sich bewegte, glich mehr einem Schweben als einem Gehen. Kein Wunder, daß Hamish, dessen erhitzte Phantasie ohnehin zu dem bei seinen Landsleuten so scharf vorherrschenden Hange zum Wunderbaren neigte, von Furcht vor einer übernatürlichen Erscheinung, die im Zwielicht sich vor ihm her bewegte, befallen wurde, und daß es ihm nicht länger mehr eilig war, derselben näher zu kommen oder sie gar einzuholen. Aber dem Aberglauben des Hochländers gemäß, man solle solchem »Mar« oder Gespenst weder nahen noch aus dem Wege gehen, sondern abwarten, ob es reden und Kunde geben oder schweigen und Kunde weigern werde, je nachdem es seine Macht zulasse und seine Bestimmung fordere – diesem Aberglauben gemäß behielt er es im Auge. Auf einer hohen Stelle seitlich vom Wege, gerade dort, wo der Pfad zu Elspats Hütte hinunterging, blieb die Gestalt stehen, als wolle sie auf Hamish warten, Hamish seinerseits sah, daß er an ihr vorbei müsse, nahm also all seinen Mut zusammen und näherte sich, wenn auch langsam, der Stelle, wo die Gestalt stand. Zuerst zeigte sie auf Elspats Hütte; dann machte sie mit Kopf und Arm eine Bewegung, daß Hamish ihr nicht nahe kommen solle. Dann streckte sie die Hand nach dem südwärts führenden Wege aus und schien in dieser Richtung weiterziehen zu wollen. Dann noch ein Augenblick und die Gestalt war verschwunden. An Felsen und Unterholz, wohinter sie sich bergen konnte, war sicherlich kein Mangel. Aber Hamish war der festen Meinung, der Geist Mac Tavish Mhors sei ihm erschienen und habe ihn gemahnt, mit seiner Wanderung nach Dunbarton nicht zu säumen, nicht bis zum Morgen zu warten und die Hütte der Mutter nicht mehr zu betreten. Es konnten wirklich allerhand Vorfälle sich ereignen, durch die sich die Reise verzögerte, zumal er über manchen Strom auf Fähren übersetzen mußte. So faßte er den festen Entschluß, nur so lange noch verziehen zu wollen, bis er Abschied von der Mutter genommen hätte, denn ohne solchen aufzubrechen, dazu konnte er sich nicht entschließen. Der erste Strahl der Frühsonne sollte ihn schon unterwegs nach Dunbarton sehen. Er stieg den schmalen Pfad hinunter und trat in die Hütte. Hastig, in zitterndem Tone, nur mühsam die Erregung bekämpfend, die in seinem Innern tobte, gab er der Mutter seinen Entschluß, auf der Stelle aufzubrechen, bekannt. Zu seinem Befremden schien die Mutter nichts gegen diese Absicht zu haben. Bloß bat sie ihn, ehe er von ihr gehe, sich durch Speise und Trank noch zu stärken. Er aß von dem, was da war, schnell und schweigend, im Gedenken der nahen Trennung und mit der Zuversicht, daß es dabei ohne einen letzten Kampf mit der Mutter nicht abgehen werde. Zu seinem Erstaunen füllte sie aber den Becher schweigend zum Abschiedstrunk. »Geh, mein Sohn,« sprach sie, »da es nun doch einmal dein fester Entschluß ist. Aber trink erst noch einmal am elterlichen Herde, auf dem die Flamme erloschen sein wird, lange bevor du deinen Fuß wieder wirst hierher setzen können.« »Dir zur Gesundheit, Mutter!« sagte Hamish; »möge es uns beschieden sein, trotz Eurer Rede schlimmer Vorbedeutung, in Glück und Freude wieder zusammenzukommen.« »Besser, wir trennten uns überhaupt nicht«, versetzte die Mutter, ihn scharf im Auge haltend, als er den Inhalt des Bechers in die Kehle schüttete. »Und nun geh!« – sprach sie – und leise vor sich hin wiederholte sie: »Geh! wenn du – kannst!« »Mutter,« erwiderte Hamish, indem er den leeren Becher auf den Tisch setzte, »Euer Trank schmeckt gut, aber statt zu stärken schwächt er.« »Das ist seine erste Wirkung, mein Sohn«, versetzte Elspat; »leg dich auf dies weiche Lager und ruhe eine Weile! Eine einzige Stunde wird dich kräftiger machen als der gewöhnliche Schlaf von drei Nächten.« »Mutter,« rief Hamish, bei dem sich schon die schnelle Wirkung des Trankes zeigte, »gebt mir mein Barett! Ich muß jetzt Abschied nehmen und gehen. Aber wie wird mir? Mir ist zu Mute, als sei mir der Fuß an den Boden genagelt.« »Es wird dir sicherlich schnell wieder besser, wenn du dich ein halbes Stündchen legst. Bloß ein halbes Stündchen! Noch ist es acht Stunden hin bis Tagesanbruch, dann ist noch immer Zeit im Überfluß für deines Vaters Sohn, solche Wanderung anzutreten.« »Ich muß Euch gehorchen, Mutter,« antwortete Hamish mit schwerer Zunge, »ich fühle, daß ich es muß, aber weckt mich, sobald der Mond aufgeht.« Er setzte sich auf das Lager, sank um und lag bald in festem Schlafe. Neuntes Kapitel Mit klopfendem Herzen, halb vor Freude, halb vor Bangigkeit, gleich dem, der ein schweres Stück Arbeit glücklich zu Ende gebracht hat, trat Elspat leise zu dem bewußtlosen Schläfer, dem ihr Übermaß von Liebe so verderblich werden sollte, und legte ihm sanft den Mantel über die Beine. Dabei gab sie ihrer Freude durch Zeichen der Liebe und durch Frohlocken Ausdruck. »Ja«, sagte sie, »Kind meines Herzens! Der Mond wird heraufsteigen und auf dich scheinen und auch die Sonne; aber nicht, um dir aus deinem Vaterhaus zu leuchten dorthin, wo du einem fremden Fürsten dienen sollst oder zinsbarem Feinde. Keinem Sohne von Dermid soll ich überliefert werden, um von ihm gefüttert zu werden wie eine Sklavin, sondern der wird mein Hüter und Beschützer sein, der mein Stolz ist und meine Freude! Ihr sagt, das Hochland sei anders geworden? Aber ich sehe, der Ben Cruachan hebt sein Haupt am Abendhimmel noch ganz so hoch wie ehedem! Noch hat niemand die Kühe unten in der Tiefe des Loch Awe zur Weide getrieben, und noch immer beugt sich der Eichbaum nicht wie Farrenkraut. Aber die Kinder der Berge werden sein wie ihre Väter, bis die Berge gleich werden den Tälern. Noch immer geben diese wilden Forste, einst der Tummelplatz für Tausende von Männern, sichere Zuflucht für ein altes Weib und einen schönen Jüngling aus altem Geschlecht und von alter Sitte.« Durch das Leben in der Wildnis, das Elspat mit ihrem Manne durch Jahre hindurch geführt hatte, war sie zu ungewöhnlicher Kenntnis von Pflanzen und Kräutern gelangt. Sie wußte sie ebenso leicht zu finden wie zu behandeln. Sie konnte Krankheit besser heilen, als mancher wirkliche Arzt. Aus diesen bereitete sie die Farben für den bunten Tartan des Hochländers, aus jenen Tränke von allerlei Wirkung, und so besaß sie auch das Geheimnis der Bereitung eines stark wirkenden Schlaftrunks. Auf ihn setzte sie, wie der Leser schon gesehen haben wird, die Hoffnung, ihren Sohn über die Frist hinaus festhalten zu können, die ihm für die Rückkehr gesetzt war. Sie kannte sein Entsetzen vor der Strafe, welcher er sich hierdurch aussetzte, und hierauf baute sie ihre Hoffnung, ihn von aller Rückkehr fernzuhalten. Zehntes Kapitel Hamishs Schlaf an diesem verhängnisvollen Abend war tiefer, als es der Natur gemäß ist, aber die Mutter fand keine Ruhe. Kaum schloß sie von Zeit zu Zeit einmal die Augen, so schreckte sie auch schon auf, von Furcht erfüllt, ihr Sohn möchte aufgewacht und weggegangen sein. Dann trat sie an sein Lager heran und lauschte den tiefen, regelmäßigen Atemzügen, bis sie sich wieder beruhigt hatte darüber, daß er noch immer fest schlafe. Aber als der Morgen dämmerte, beschlich sie die Furcht, er möge aufwachen, trotz der ungewöhnlichen Stärke des Tranks, den sie ihm gereicht hatte. Daß er es versuchen würde, Dunbarton, sein Quartier, zu erreichen, wenn ihm noch irgend eine Hoffnung blieb, es pünktlich zur festgesetzten Zeit erreichen zu können, das wußte sie, und wenn er laufen sollte, bis er vor Müdigkeit zusammenbräche. Unter dem Eindruck dieser neuen Besorgnis suchte sie das Tageslicht fernzuhalten und verstopfte alle Spalten und Ritzen, durch welche die Strahlen der Frühsonne leichter als auf anderem Wege Zugang in ihre elende Behausung finden konnten. Und das alles tat sie, um ein geliebtes Wesen in Mangel und Elend festzuhalten, für das sie mit Freuden die ganze Welt hingegeben hätte, wenn sie ihr zur Verfügung stände. Es war unnötige Angst gewesen. Schon stand die Sonne hoch am Himmel und der schnellste Hirsch von ganz Breadalbane hätte vor der Meute nicht schneller um sein Leben rennen können, als Hamish hätte rennen müssen, um zu der Zeit, da sein Urlaub ablief, noch bis Dunbarton zu kommen. Sie hatte ihren Zweck erreicht. Die Rückkehr zum festgesetzten Termin war unmöglich, und für ebenso unmöglich hielt sie es, daß er es sich je einfallen lassen würde, auf die Gefahr einer schimpflichen Strafe hin zurückzukehren. Es war ihr langsam klar geworden, welches Schicksal seiner wartete, wenn er zum festgesetzten Tage ausbliebe, und welche geringe Hoffnung er sich auf gelinde Behandlung zu machen habe. Der Gedanke des großen und klugen Grafen Chatham, die tapferen Hochländer zur Verteidigung der amerikanischen Kolonie für England aufzubieten, ist bekannt. Es traten aber mancherlei Hindernisse der Ausführung dieses vaterländischen Planes entgegen, die ihre Gründe in dem seltsamen Charakter dieses Bergvolkes haben. Natur und Gewohnheit bestimmten jeden Hochländer, Waffen zu tragen, entfremdeten ihn aber gleichzeitig jeder bei regulären Truppen unumgänglich notwendigen Disziplin. Sie bildeten eine Art Miliz, die kein Kriegslager außer ihrer Heimat kannten und gelten lassen mochten. Verloren sie eine Schlacht, so liefen sie auseinander, indem jeder auf seine persönliche Rettung und auf die Sicherung seiner Sippe bedacht war. Gewannen sie eine Schlacht, so kehrten sie in ihre Berge zurück, um dort die gemachte Beute aufzuhäufen, nach wie vor für ihr Vieh zu sorgen und ihre Äcker zu bestellen. Das Vorrecht, zu gehen und zu kommen, wie es ihnen beliebte, ließen sie sich von ihren Häuptlingen, denen sonst so große Macht zustand, niemals kürzen. Daß die in den Hochlanden neugeworbenen Rekruten eine militärische Kapitulation nicht begreifen konnten, die den, der sie abgeschlossen hatte, für die Zeit ihrer Dauer zum Dienst bei den Waffen zwang und nicht bloß so lange, wie es ihm gerade beliebte, war durchaus natürlich. Vielleicht wurde manchmal auch nichts getan, sie in entsprechender Weise über die Dauer der Kapitulation zu unterrichten, wenn eine solche abgeschlossen wurde, um sie durch solchen Bescheid nicht erst auf andere Gedanken zu bringen. Desertion war deshalb bei diesen neugeworbenen Regimentern keineswegs eine Seltenheit, und so hatte der greise Oberst, der in Dunbarton kommandierte, sich nicht anders Rat gewußt, als daß er an einem Soldaten, der aus einem englischen Korps desertierte, ein Exempel ungewöhnlicher Strenge statuierte. Das junge Hochländer-Regiment war zu der Exekution kommandiert worden, um ein Volk, das so hoch auf persönliche Ehre hält, mit Schrecken und Abscheu zu erfüllen. Aber es übte auch noch eine andere Wirkung, indem es ihm alle Lust zum Kriegsdienste unter englischer Fahne benahm. Der alte Oberst, von Jugend auf in deutschen Kriegen an strenge Disziplin gewöhnt, wich von seiner Ansicht nicht ab, sondern gab Befehl, den ersten Hochländer, der seine Fahne verließe oder nach Ablauf seines Urlaubs nicht pünktlich wieder einträfe, öffentlich auspeitschen zu lassen, gleichwie jenen ersten Deserteur, von dessen Züchtigung sie Zeugen gewesen waren. Daß der Oberst sein Wort auch halten werde, daran zweifelte niemand, und deshalb war Elspat auch überzeugt, daß ihr Sohn, wenn er die Bedingung rechtzeitigen Eintreffens vom Urlaub nicht erfüllen könne, auf die Rückkehr zum Regiment ganz verzichten werde. Als es Mittag wurde, ohne daß sich in der Situation etwas änderte, stiegen in der Brust des einsamen Weibes neue Besorgnisse auf. Ihr Sohn schlief noch immer, wie betäubt von dem Tranke, den sie ihm gereicht hatte. Wenn der Trank zu stark gewesen wäre? Wenn er die Gesundheit oder den Verstand des Sohnes angegriffen hätte? Dann kamen ihr, trotz der hohen Meinung, die sie von ihrer mütterlichen Gewalt über ihr Kind hatte, noch schrecklichere Gedanken. Sie fragte sich, wie sie ihrem Hamish, den sie doch, wie ihr Herz ihr sagte, betrogen hatte, gegenübertreten solle, wenn er zum Bewußtsein zurückkäme? Schon längst hatte sie ja die Wahrnehmung gemacht, daß er ihr nicht mehr recht gehorchen wollte, daß er es liebte, seine Entschlüsse frei und unabhängig zu fassen und unerschrocken auszuführen. Hatte er das doch sattsam bewiesen gelegentlich seiner freiwilligen Stellung zu dem Regimente der Hochschotten! Es fiel ihr ein, welchen unbezähmbaren Starrsinn sein Vater besessen hatte, sobald er irgendwie merkte, daß Mißbrauch mit ihm getrieben werden solle oder gar getrieben worden war, und nun kam sie Furcht an, ihr Sohn möchte, wenn er der List inne würde, die sie gegen ihn gebraucht habe, unbändig werden, sie ganz im Stich lassen und in die weite Welt hinausflüchten. Und diese Besorgnisse ängstigender Natur wichen nun nicht mehr von der unglücklichen Frau. Elftes Kapitel Es wurde Abend, ehe Hamish erwachte. Aber im Vollbesitz seiner geistigen und körperlichen Kräfte war er noch bei weitem nicht. Als Elspat seine wirren Reden vernahm, als sie den unregelmäßigen Pulsschlag fühlte, da befiel die Frau die schrecklichste Angst. Sie bot alles auf, was sie von Arzneien und ärztlichem Wissen irgend anwenden konnte, diese schwere Betäubung von ihrem Sohne zu nehmen, und hatte endlich die Freude, ihn des Nachts abermals in einen tiefen Schlaf sinken zu sehen, der wahrscheinlich die Wirkung des Trankes aufheben würde. Gegen Sonnenaufgang hörte sie ihn auch aufstehen und laut nach seiner Mütze rufen, die sie mit Absicht versteckt hatte, weil sie besorgte, er möchte während der Nacht munter werden und sich ohne ihr Wissen hinwegbegeben. »Meine Mütze! Meine Mütze!« rief Hamish, »ich muß aufbrechen. Es wird die höchste Zeit! Euer Trunk, Mutter, war zu gut gemeint! Die Sonne steigt ja schon herauf, aber am nächsten Morgen muß ich die Doppelkuppel vom alten Dun sehen. Meine Mütze, Mutter, meine Mütze! Ich muß fort, muß im Augenblick fort!« Diese Worte ließen deutlich erkennen, daß der unglückliche Jüngling nicht wußte, daß drei Nächte und ein Tag verstrichen waren, seit er den Becher getrunken hatte, und jetzt hub für Elspat die schlimme und, wie sie recht wohl wußte, gefahrvolle Verpflichtung an, ihn über ihre Tat aufzuklären. »Verzeih mir, mein Sohn«, sagte sie, auf Hamish zutretend, und nahm seine Hand mit einem Ausdruck, so voller Angst, wie sie ihn vielleicht nicht immer ihrem Manne gegenüber, wenn er finsterer Laune war, gezeigt haben mochte. »Euch verzeihen, Mutter, und weshalb?« erwiderte Hamish mit Lachen. »Weil Ihr mir einen Trunk reichtet, der zu stark war und den ich heut morgen noch im Kopfe spürte? Oder weil Ihr mir, um mich einen Augenblick länger zu halten, die Mütze verstecktet? Nein, Mutter! Verzeiht Ihr mir, das ist das Richtigere zwischen uns. Gebt mir meine Mütze und laßt geschehen, was sich nicht ungeschehen machen läßt. Gebt mir die Mütze, oder ich gehe ohne sie. Mich soll das gewiß nicht abhalten, habe ich doch jahrelang bloß einen Lederriemen gehabt, das Haar mir aufzubinden! Gebt mir die Mütze, Mutter, oder ich muß barhäuptig gehen, denn länger, hier zu bleiben ist mir unmöglich.« »Mein Sohn,« Hub Elspat an, ihn fest bei der Hand nehmend, »Geschehenes läßt sich nicht ändern! Könntest du dir vom Adler die Schwingen borgen, so würdest du doch zu spät kommen nach Dun zu dem, was du vorhast, zu früh aber zu dem, was deiner dort wartet. Du meinst, die Sonne zum erstenmal, seit du sie sinken sahst, aufsteigen zu sehen, aber gestern sah sie der Ben Cruachan, während deine Augen dem Lichte verschlossen lagen.« Einen wilden Blick äußersten Schreckens warf Hamish auf die Mutter. Dann faßte er sich schnell und sagte: »Mutter, ich bin kein Kind, mich durch solche Kniffe von meinem Vorsatz abbringen zu lassen. Lebt wohl, Mutter! Jeder Augenblick wiegt ein Leben auf!« »Halt ein,« rief sie, »und bleib hier, mein heißgeliebter und schwerbetrogener Sohn! Stürze dich nicht in Verderben und Schande! Dort auf der Straße erblick ich den Priester auf seinem Schimmel. Geh, frag ihn um Wochen- und Monatstag. Er mag entscheiden zwischen dir und mir!« Schnell wie der Adler flog Hamish den Hang hinauf und trat vor den Geistlichen von Glenorquhy, der so früh auf dem Wege war, um nach Bunawe, einer in Trauer befindlichen Familie zum Troste, zu eilen. Der wackere Priester war aufs höchste betroffen, einen Hochländer im Tartan und in Waffen vor sich zu sehen, der sich im Zustande wilder Erregtheit seinem Gaul entgegenwarf und mit lallender Stimme nach Wochen- und Monatstag fragte. »Wäret Ihr gestern gewesen, junger Mann, wo Ihr hättet sein sollen, dann wüßtet Ihr, daß es am Sabbath gewesen wäre und daß wir heut Montag, den zweiten Tag der Woche, haben, und zwar den einundzwanzigsten des Monats!« »Ist das wahr, Pfarrer?« rief mit dem Ausdruck entsetzlicher Bangigkeit Hamish. »So wahr,« antwortete der Priester überrascht, »als daß ich gestern in meiner Pfarrkirche das Wort Gottes verkündigte. Junger Mann«, setzte er hinzu, »was fehlt Euch? Seid Ihr krank oder nicht recht bei Verstand?« Hamish gab keine Antwort, sondern wiederholte bloß mit lallender Stimme die ersten Worte, mit denen der Pfarrer ihm Antwort gegeben hatte: »Wäret Ihr gestern gewesen, wo Ihr hättet sein sollen–« Dann stand er eine kurze Weile da, wie von Sinnen, dann ließ er den Zügel des Pferdes fallen und ging den Fußpfad zur Hütte hinab, mit der Miene und im Schritt eines Delinquenten, der zum Hochgericht geführt wird. Verwundert sah ihm der Geistliche nach, indessen konnte er es nicht über sich gewinnen, den Fuß zur Hütte hinunterzusetzen, denn der Charakter des Weibes, das dort hauste, war ihm wohlbekannt, galt sie doch allgemein als Papistin oder vielmehr als Frau, die gar keine Religion besäße, sondern nur wenige abergläubische Gebräuche, die sich von den Eltern auf sie vererbt hätten. Mit Hamish hatte Ehrwürden Mr. Thrin dann und wann, bei zufälliger Begegnung, ein Gespräch angeknüpft und recht Wohl erkannt, daß, wenn auch die Saat hier zwischen die Dornen eines wilden und ungezügelten Gemüts fiel, sie doch nicht ganz verloren war. Die Gesichtszüge des Jünglings hatten einen so gräßlichen Ausdruck gezeigt, daß der wackere Mann sich versucht fühlte, zur Hütte hinunterzusteigen und Nachfrage zu halten, ob die Leute etwa Unglück getroffen habe. Vielleicht daß sich ihm Gelegenheit böte zur Tröstung oder anderswie seines Amtes zu walten. Ein Unstern fügte es, daß diesem Gedanken nicht der Entschluß folgte, denn großes Unglück wäre dann vielleicht verhütet worden, weil der Pfarrer schließlich doch vielleicht hätte vermitteln können. Aber der rauhe Sinn der damaligen Hochländer, deren Erziehung noch der alten Volkssitte gemäß erfolgt war, schreckte ihn davor zurück, sich um das Schicksal von Witwe und Sohn des gefürchteten Räubers Mac Tavish Mhor zu bekümmern, und so ließ er eine Gelegenheit, viel Gutes zu stiften, ungenützt vorbeiziehen, zum Höchsten Schaden, wie er später zu seinem schweren Leidwesen erkannte, eines unseligen Menschenpaares. Zwölftes Kapitel Hamish Mac Tavish trat wieder in die Hütte der Mutter und warf sich wieder auf das Lager, von dem er eben erst sich erhoben hatte. Zerknirscht rief er: »Verloren, verloren!« und machte seinem Schmerze über den grausamen Betrug, dessen unglückliches Opfer er geworden, in herzzerreißenden Klagen und Verwünschungen Luft. Auf solchen ersten Zornesausbruch war Elspat gefaßt. Sie dachte bei sich: »Was ist es anders, als eine Gießbachsflut, vom Gewitter veranlaßt? Warten wir am Ufer ab! Und wenn es zurzeit auch noch so tobt, so wird es doch nicht lange währen, bis wir trockenen Fußes hinüberkönnen.« Selbst bei diesem äußersten Schmerze, der ihm die Brust zerriß, bewegten seine Klagen und Vorwürfe sich in den Schranken kindlicher Ehrerbietung, und Elspat hörte alles an, ohne ihm Antwort zu geben. Eist als er die Ausdrücke des Schmerzes, dessen Sprache ja für den von ihm Betroffenen so reich ist, bis auf die Neige erschöpft hatte und in finsteres Schweigen sank, erst dann, nach Verlauf von fast einer Stunde, trat sie an sein Lager. »Bist du nun zu Ende mit deinen vergeblichen Klagen?« fragte sie mit einer Stimme, die von Mutterwürde und Mutterliebe zugleich erfüllt war, »vermagst du nun, was du gewonnen, dem, was du verloren, gegenüberzustellen? Ist der falsche Sachse von Dermid dein Bruder oder deines Stammes Vater, daß du Tränen vergißt, weil du dich nicht an seine Degenkoppel binden, nicht einer von denen werden kannst, die tun müssen, was er gebeut? Kannst du in jenem fernen Lande die Berge und Seen wiederfinden, die du hier zurücklässest? Kannst du den Breadalbane-Hirsch in Amerikas Wäldern jagen? Gibt dir der Ozean den silberschuppigen Salm des Awe? Erwäge, was du verloren hast, und halte es als weiser Mann dem gegenüber, was du gewonnen.« »Ich habe alles verloren, Mutter,« antwortete Hamish, »denn ich habe mein Wort gebrochen und meine Ehre geschändet. O, könnte ich mein Schicksal beichten! Aber wem? Wer möchte mir glauben?« Der unglückliche Jüngling ballte von neuem die Hände, preßte sie an die Stirn und vergrub das Gesicht in den Kissen. Jetzt geriet Elspat wirklich in Unruhe. Jetzt beschlich sie der Wunsch, den Betrug nicht versucht zu haben. Ihre einzige Hoffnung beruhte noch darauf, daß es ihrer Beredsamkeit gelingen werbe, den Sohn zu überzeugen, daß er nicht alles verloren, sondern alles gewonnen habe; und die Gabe der Beredsamkeit besaß sie auch in nicht geringem Grade, wenn auch ihre völlige Unbekanntschaft mit dem dermaligen Stande der Dinge ihre Kraft lähmte. Mit den zärtlichsten Schmeichelreden, die eine Mutter dem Sohne sagen kann, bat sie ihn, nunmehr auf seine Sicherheit bedacht zu sein. »Ich will deine Verfolger hintergehen,« sagte sie, »will dein Leben, deine Ehre retten, will ihnen sagen, mein schönlockiger Hamish sei von dem Corrie Dhu [Schwarzer Schlund] in die Tiefe gestürzt, deren Grund noch keines Menschen Auge erblickt hat. Ja, Hamish, das will ich ihnen sagen, und damit sie mir glauben, will ich deinen Plaid auf die Dornen werfen, die am Rande der Schlucht wachsen; glaube mir, Hamish, sie werden es glauben und werden zu der Doppelkuppe des Dun zurückkehren, denn wohl mag die Trommel der Sachsen den Lebenden zum Tode rufen, nicht aber den Toten zu ihrem knechtischen Banner. Dann ziehen wir gen Norden zu den salzigen Seen von Kintail und lassen Berge und Täler zwischen uns und den Söhnen von Dermid. Wir besuchen die Ufer des schwarzen Sees und besuchen all meine Verwandten, denn war nicht meine Mutter eines der Kinder von Kenneth? Und werden sie unser nicht mit der alten Liebe gedenken? Ganz sicher werden meine Verwandten uns mit der Liebe der alten Zeiten aufnehmen, die in jenen fernen Tälern blüht, wo die Gälen noch wohnen in ihrer alten Größe und Herrlichkeit und unvermischt mit den gemeinen Sachsen oder der Bastardbrut ihrer Knechte und Sklaven.« Die kräftige Sprache, die oft in ihren gewöhnlichsten Ausdrücken in Hyperbeln spricht, schien doch beinahe zu matt, selbst für Elspats überzeugende Beredsamkeit, um das gleißende Bild auszumalen, das sie von dem Lande entwarf, wohin sie mit ihm zu fliehen gedachte. Auch waren es der Farben nur wenige, mit denen sie ihr hochländisches Paradies malen konnte. »Die Berge dort,« fuhr sie fort, »sind höher und prächtiger als die in Breadalbane, und der Ben Cruachan ist bloß ein Zwerg gegen den Skoorovra. Die Seen dort sind breiter und tiefer und bergen nicht bloß Fische im Überfluß, sondern auch verhexte Amphibien [den Seehund betrachtete der Hochländer als verzauberten Prinzen], von denen wir das Öl zu den Lampen bekommen. Dort sind die Hirsche größer und zahlreicher. Dort wird der Eber mit den weißen Hauern, nach dessen Jagd den tapferen Schotten am meisten gelüstet, in den Öden des Westens noch immer gestellt. Dort sind die Männer edler und Weiser und stärker als die entartete Brut, die unter dem sächsischen Banner lebt. Dort sind die Töchter des Landes voll Liebreiz, mit den blauen Augen und dem schönen Lockenhaar, und aus ihrer Schar, Hamish, will ich für dich ein Weib suchen von tadelloser Abkunft und unbeflecktem Rufe, von treuer und wahrer Liebe, das zur Sommerszeit in unserer Hütte sein soll wie ein Sonnenstrahl, und zur Winterszeit wie die Wärme des Herdfeuers.« Mit solchen Worten suchte die Mutter ihren trostlosen Sohn zu beruhigen, suchte ihn zu überreden, daß er von dem gefährlichen Orte wiche, an dem er nun zu bleiben entschlossen schien. Ganz so wie sie zu Hamish gesprochen hatte, wenn er als Knabe unwillig oder unfolgsam gewesen war, ganz so sprach sie noch heute zu ihm, und je mehr sie daran verzweifelte, mit ihren Worten ihre Wünsche erfüllt zu sehen, desto lauter, schneller und eindringlicher redete sie. Aber auf Hamish machten all ihre Worte keinen Eindruck, war ihm doch die wirkliche Beschaffenheit des Landes besser bekannt als ihr, und wußte er doch nur allzu gut, daß es im ganzen Hochlande, wenn sich auch vielleicht in seinen höheren Gebirgsstrichen jemand als Flüchtling eine Weile lang fristen könnte, doch schon lange kein Winkelchen mehr gäbe, wo sich seines Vaters Handwerk noch hätte ausüben lassen, ganz abgesehen davon, daß ein Räuberleben kein Weg mehr zu Ehren und Auszeichnungen sei. Zu dieser Wahrheit hatte Hamish, so niedrig der Stand seiner eigentlichen Bildung war, die Aufklärung der Zeit, in der er lebte, geführt. Elspat verschwendete mithin all ihre Reden an taube Ohren und erschöpfte sich vergebens in Versuchen, die Gegend, wo die Verwandtschaft seiner Mutter noch heute lebe, ihm in gleißenden Farben und mit schmeichlerischen Worten zu schildern. Stundenlang redete sie, aber immer umsonst, und keine Antwort vermochte sie ihm abzugewinnen außer Tränen, Seufzern und Ausrufungen, äußerster Verzweiflung. Endlich sprang sie auf. Aus dem ruhigen Tone, in welchem sie das Land gepriesen hatte, wohin sie flüchten wollte, in die kurze rauhe Sprache finsterer Leidenschaft verfallend, rief sie zornig: »Ich Törin, daß ich meine Worte an einen trägen Burschen von schwächlichem Mut und ärmlichem Verstand verschwende, der sich wie ein Hund vor der Peitsche duckt. Bleib hier und erwarte deine Vögte, sowie deine Züchtigung von ihren Händen! Aber glaube nicht, daß es deiner Mutter Augen mit ansehen werden. Ich könnte es nicht, es wäre mein Tod! Dem Tod sah ich oft ins Auge, niemals aber der Schande. Leb' wohl Hamish! Wir sehen uns niemals wieder!« Schnell wie ein Kiebitz schoß sie aus der Hütte, im Augenblick vielleicht tatsächlich willens, auf immer von ihrem Sohne zu scheiden. Wer sie diesen Abend getroffen hätte, gleich einem ruhelosen Gespenst durch die Wildnis streifend, im Selbstgespräch mit sich in Ausdrücken, die keine Feder wiedergeben möchte, dem wäre sie ein furchtbarer Anblick gewesen. Stundenlang rannte sie umher, absichtlich die gefahrvollsten Pfade und Steige aufsuchend, statt sie zu vermeiden, durch das Moor auf schwankem Boden, am Rande jäher Abgründe hin, neben reißenden Gießbächen her, und immer hastig, unbedacht; verwegen. Aber der Mut, den ihr Verzweiflung einflößte, rettete ihr das Leben, das sie, wenngleich Selbstmord mit Vorbedacht kein häufiges Verbrechen im Hochlande ist, doch vielleicht abzuschließen suchte. Fest und sicher, wie der Tritt der Gemse, war ihr Tritt auf Schroffen, an Schluchten und neben Strömen, und ihr Blick so scharf, daß sie Gefahren, die kein anderer am hellen Mittag gewahrt hätte, mitten in finsterer Nacht erkannte. Nicht geradeaus ging sie, sonst wäre sie bald weit entfernt von der Hütte gewesen, in der sie den Sohn zurückgelassen hatte, sondern im Kreise, wie die Häsin um ihr Lager. Denn die Hütte war der Mittelpunkt, um den sich alle Fibern ihres Herzens drehten, und ihr Herz sagte ihr, daß sie sich aus der Nähe dieses Mittelpunktes unmöglich entfernen könne. Dreizehntes Kapitel Mit dem ersten Sonnenstrahl fand sie den Weg zur Hütte zurück. Eine Weile blieb sie vor der aus Zweigen geflochtenen Tür stehen, als schäme sie sich, daß ihre törichte Mutterliebe sie wieder an die Stätte zurückgeführt haben sollte, die sie in der Absicht, nie wieder zurückzukehren, verlassen hatte. Aber ihr Zaudern hatte seinen Grund mehr in Furcht und Angst – Furcht, ihrem schöngelockten Hamish mochte der Schlaftrunk von schlimmer Wirkung gewesen sein – Angst, seine Feinde möchten ihn nachts überfallen haben. Leise drückte sie die Tür der Hütte auf und trat mit geräuschlosem Schritt ein. Erschöpft von Kummer und Bangigkeit, vielleicht noch immer von dem starken Schlaftrunk benommen, lag Hamish Bean wieder in tiefem Schlafe, ähnlich wie Indianer in den Pausen ihres Martertodes schlafen sollen. Kaum konnte die Mutter die Überzeugung gewinnen, daß sie seine Gesichtszüge vor sich habe; kaum konnte sie den Glauben fassen, daß ihr Ohr seine Atemzüge höre. Mit klopfendem Herzen trat sie an den Herd, der in der Mitte der Hütte stand; mit einem Stück Torf bedeckt, glimmten dort noch die Kohlen des Feuers, das im schottländischen Hause nicht früher zu verlöschen pflegt, als bis es seine Bewohner für immer verlassen. »Mattes Feuer« sagte sie, einen Fichtenspan, der das Licht ersetzte, mittels Feuersteins in Brand setzend, »schwaches Feuerchen! Bald wirst du ausgehen auf immer. Gebe bloß der Himmel, daß Elspat Mac Tabishs Leben zugleich mit dir verlösche!« Also sprechend, trat sie mit dem flackernden Lichtspan an das Bett, auf dem ihr Sohn noch ausgestreckt lag, in einer Stellung, die es ungewiß ließ, ob er schlafe oder in Ohnmacht liege. Da traf das Licht seine Augen, und im Nu war er auf den Beinen, riß den Dolch aus dem Gürtel, zückte ihn und trat ein Paar Schritte vor. »Hinweg, wenn Euch das Leben lieb ist!« schrie er mit schrecklicher Stimme – »hinweg, hinweg!« »Dies ist das Wort meines Seligen! Das sind die Gebärden von Mac Tavish Mhor!« rief Elspat. »An dieser Stimme, an dieser Rede, an diesem Schritte erkenne ich den Sohn Mac Tavish Mhors!« »Mutter,« versetzte Hamish, aus dem durch die Verzweiflung gestählten Tone in den Ton trauriger Wehklage fallend, »Mutter, Mutter! Warum seid Ihr wiedergekehrt?« »Frage, warum die Hindin zu ihrem Kalbe, warum die Wildkatze zu ihrem Lager und ihren Jungen zurückkehrt,« antwortete Elspat. »Weißt du nicht, Hamish, daß das Herz der Mutter nur im Busen des Kindes lebt?« »Dann wird es bald aufhören zu schlagen,« sagte Hamish, »es müßte denn in einer Brust wohnen können, die der Nasenhügel deckt. Mutter, Mutter, schilt mich nicht, wenn ich weine; denn nicht um meinetwillen fließen meine Tränen, sondern um Euretwillen, Mutter! Ach, Mutter! Mein Herzeleid ist bald zu Ende, aber Eures, Eures – ach, Mutter! Daß ihm der Himmel doch bald ein Ziel setzen möchte!« Schaudernd trat Elspat zurück. Aber sogleich gewann sie ihre Ruhe und Unerschrockenheit wieder, und gleich wieder stand sie da, fest und aufrecht. »Ich war der Meinung, du seiest ein Mann geworden,« sagte sie, »und schon bist du wieder ein Kind. So folge mir doch weg von diesem Orte! Habe ich dir unrecht oder Leids getan? Und wenn dies der Fall ist, dann räche dich nicht so grausam! Sieh, Elspat Mac Tavish, die noch vor keinem gekniet hat, selbst nicht vor dem Priester, wirft sich vor ihrem Sohne nieder und fleht um Verzeihung.« Und plötzlich warf sie sich vor dem Jüngling auf die Knie nieder, nahm seine Hand und küßte sie und wiederholte mehrmals in herzzerreißendem Tone ihre Bitte. »Verzeih mir,« rief sie, »verzeih mir um der Asche deines Vaters willen! Verzeih mir um der Schmerzen willen, mit denen ich dich gebar, um der Treue und Liebe willen, mit der ich dich auferzog! O Himmel, vernimm es! Ach, Erde, sieh her! Eine Mutter bittet ihr Kind um Verzeihung, und das Kind verzeiht der Mutter nicht!« Umsonst bemühte sich Hamish, den Ausbruch ihres Zornes zu hemmen, indem er ihr mit den feierlichsten Worten beteuerte, er habe ihr den Betrug völlig verziehen, den sie ihm gespielt habe. »Leere Reden,« rief sie, »eitle Zusicherungen, hinter denen du deinen Groll zu verbergen suchst. Sofern ich dir glauben soll, so verlaß noch im Augenblick diese Hütte und flieh aus einer Gegend, deren Gefahr stündlich wächst. Tu das, und ich will dir glauben, daß du mir verziehen hast. Tust du es nicht, so rufe ich wieder Mond und Sterne, Himmel und Erde zu Zeugen an, daß du unerbittlich bist in deinem Groll gegen deine Mutter um einer Handlung willen, die, wenn sie ein Vergehen ist, aus ihrer Liebe zu dir entsprang.« »Mutter,« erwiderte Hamish, »hierzu kannst du mich nimmer bewegen. Ich fliehe vor keinem Manne. Barcaldine mag jeden Gälen unter seinem Banner senden, und ich bleibe. Und wenn du mich bittest, daß ich fliehe, so magst du eher zu den Bergen dort sprechen, daß sie sich aus ihren Gründen heben. Hätte ich den Weg gewußt, auf dem sie hierher ziehen, so hätte ich ihnen die Mühe des Suchens erspart. Aber ich könnte über das Gebirge wandern, während sie vielleicht vom See herüberkämen. Hier will ich mein Geschick erwarten. Keine Stimme in Schottland ist so gewaltig, daß sie mich bestimmen könnte, von hinnen zu gehen, und daß ich ihr gehorchen sollte.« »So bleibe auch ich hier«, sprach mit erzwungener Ruhe Elspat und stand auf; »meinen Mann sah ich sterben, also werden auch meiner Augen Lider nicht schmerzen, wenn ich den Sohn fallen sehe. Aber Mac Tavish Mhor starb, wie es sich für einen tapferen Mann geziemt, mit seinem guten Schwert in der Faust. Mein Sohn aber fällt wie der Stier, den die Sachsen, nachdem sie ihn um Geld kauften, zur Schlachtbank führen.« »Mutter,« versetzte der unglückliche Jüngling, »Ihr nahmt mir das Leben und hattet ein Recht dazu, weil Ihr es mir gabt. Aber meine Ehre, Mutter, tastet nicht an! Von einer Reihe wackerer Ahnen wurde sie auf mich vererbt, und sie soll nicht befleckt werden, weder durch eines Mannes Tat noch durch eines Weibes Reden. Was ich tun soll, weiß ich selbst vielleicht nicht. Aber setzet mich nicht ferner in Versuchung durch Vorwürfe! Ihr habt mir bereits tiefere Wunden geschlagen, als Ihr je würdet heilen können, wenn Heilung noch in Betracht kommen kann.« »Wohlan denn, mein Sohn«, antwortete Elspat. »Erwarte von mir nicht Klagen und Vorwürfe mehr; erwarte auch nicht länger Vorstellungen von mir! Schweigen wir und warten wir ab, was der Himmel über uns verhängt.« Vierzehntes Kapitel Als die Sonne am anderen Morgen aufstieg, fand sie die Hütte ruhig und still wie das Grab. Mutter und Sohn waren aufgestanden und gingen ihrer Arbeit nach. Hamish putzte seine Waffen, fürsorglich aber tiefbekümmert; Elspat richtete die Mahlzeit her, die beide wegen der traurigen Vorgänge am verwichenen Tage ungewöhnlich lange hinausgeschoben hatten. Sobald sie das Essen fertig hatte, stellte sie es vor den Sohn auf den Tisch hin mit den Worten des gälischen Sängers: »Ohne tägliches Mahl rostet dem Landmann die Pflugschar in der Furche. Ohne tägliches Mahl ist dem Krieger das Schwert zu schwer für die Hand. Unsere Weiber sind unsere Sklaven, aber die Sklaven wollen gefüttert sein, sollen sie uns Dienste tun. Also sprach in alter Zeit der blinde Barde zu den Kriegern von Fion.« Hamish gab keine Antwort, sondern aß, was ihm vorgesetzt wurde, wie wenn er sich Kraft für den Auftritt schaffen wolle, dessen er gewärtig war. Als seine Mutter sah, daß er mit Essen fertig war, nahm sie den Becher und füllte ihn und setzte ihn dem Sohne vor, damit er mit einem Trunk das Mahl schließe. Aber ein krampfhaftes Zucken lief durch seinen Leib und mit einer Gebärde, Scheu und Ekel zugleich zum Ausdruck bringend, wich Hamish zurück. »Nein, mein Sohn,« sprach sie, »diesmal hast du wahrlich nichts zu fürchten.« »Reizet mich nicht, Mutter,« erwiderte Hamish, »schüttet Gift in eine Flasche, und ich will es trinken. Aber aus diesem verfluchten Becher und von diesem Schierlingstrank werde ich nie wieder kosten.« »Ganz wie es dir recht ist, mein Sohn«, sagte Elspat stolz und machte sich, anscheinend mit vielem Eifer, an die Verrichtung ihrer Hausarbeiten. Was in ihrem Gemüt vorging, hätte niemand sagen können, denn aus ihrem Blick und Benehmen schien jede Besorgnis verschwunden. Bloß solche, die schärfer zu beobachten wissen, hätten aus der lauten geschäftigen Weise ihres Hantierens auf eine innere Ursache ihrer Handlungen, auf Erregtheit oder Gereiztheit schließen können; solchen schärferen Beobachtern würde auch aufgefallen sein, wie oft sie, anscheinend ohne es zu wissen, ein Lied anfing und abbrach, um einen Blick durch die Hüttenpforte zu tun. Hamishs Benehmen wies von dem der Mutter das gerade Gegenteil auf. Als er die Waffen geputzt und in der Wohnung aufgehängt hatte, setzte er sich vor die Tür und hielt die Augen auf den Berg, der neben der Hütte sich erhob, gerichtet, wie eine Schildwache, die den anrückenden Feind erwartet. Am Mittag saß er noch auf demselben Flecke, in derselben Haltung, mit dein Blick, auf den Berg gerichtet. Eine Stunde darauf trat die Mutter zu ihm, legte ihm die Hand auf die Schulter und fragte gleichgültig, wie wenn sie von Freunden spräche, auf deren Besuch gewartet würde: »Wann denkst du, daß sie da sein werden?« »Bevor nicht der Schatten lang gegen Osten zu fällt, können sie nicht da sein,« versetzte Hamish, »selbst wenn sie den nächsten Posten unter Sergeant Allan Breack Cameron mit Expreßboten von Dunbarton hierher beordert haben sollten.« »So tritt noch einmal in deiner Mutter Hütte und nimm zum letztenmal von den Speisen, die sie bereitet hat. Dann laß sie kommen, jene anderen! Du sollst sehen, ob deine Mutter am Tage des Kampfes dir unnütze Last sein wird. Dein Arm, so geübt er ist, kann deine Flinte nicht so schnell abfeuern, wie ich sie lade. Ich fürchte mich, wenn Not am Manne ist, auch vor dem Blitz und Knall des Pulvers nicht, und ehedem galten meine Hand und mein Blick für sicher.« »Um Gottes Christi willen, Mutter, mischt Euch in solche Dinge nicht!« sagte Hamish; »Allan Breack ist ein guter, einsichtsvoller Mensch und stammt aus gutem Hause. Vielleicht kann er mir im Namen der Offiziere versprechen, daß keine schimpfliche Strafe mich treffen solle. Erkennen sie mir Einsperrung im Turm oder den Tod durch die Kugel zu, so mag noch alles hingehen.« »Kind! Ihren Worten möchtest du trauen? Bedenke, das Geschlecht Dermids war immer falsch und tückisch, und hast du dir erst einmal Fesseln um die Gelenke legen lassen, so werden sie dir den Rücken auch bald mit der Geißel zerreißen.« »Mutter, spart Euch Euren Rat,« erwiderte Hamish bitter und finster, »ich weiß jetzt, wie ich mich verhalten werde.« So sprach er wohl, aber nur, um dem Drängen der Mutter zu entgehen, deren Hetzreden ihn dem Tode nahe brachten. Hätte er sagen sollen, worauf er sinne, was er zu beginnen dächte, wenn die Verfolger nahten, so hätte er es nicht gekonnt. Nur über eins war er sich klar: daß er sein Schicksal erwarten müsse, gleichviel wie es sich gestalten würde, und daß er den Wortbruch, dessen er sich unfreiwillig schuldig gemacht hatte, nicht durch Furcht vor der Strafe erschweren dürfe. Dieses Selbstopfer meinte er seiner persönlichen Ehre und der Ehre seines Landes schuldig zu sein. Welchem seiner Kameraden würde man fernerhin getraut haben, wenn er sein Wort brach und das Vertrauen seiner Offiziere mißbrauchte? Und welchem anderen, als Hamish Bean Mac Tavish, würden die Gälen die Schuld aufbürden, daß durch ihn der Argwohn der Sachsen gegen die Treue der Gälen überhaupt bestärkt worden sei? Darum war er fest entschlossen, sein Schicksal zu erwarten. Offen blieb dabei, ob er sich der gegen ihn ausgesandten Schar freiwillig ergeben oder ob er sie durch Widerstand zwingen wollte, ihn auf dem Platze zu töten. Auf diese Frage hätte er sich zur Stunde noch keine Antwort geben können. Das Verlangen, sich mit Barcaldine auszusprechen, ihm die Ursache seines Ausbleibens zu erklären, machte ihn freiwilliger Ergebung geneigt, während die Furcht vor der schimpflichen Strafe und vor den bitteren Vorwürfen der Mutter ihn, trotzdem die Gefahr dabei größer war, zum Widerstande trieb. Er meinte, die Entscheidung hierüber dem Schicksal überlassen zu müssen, und es ließ ihn nicht lange warten. Fünfzehntes Kapitel Es war Abend geworden. Die gewaltigen Schatten der Berge bedeckten weithin gegen Osten das Tal, während die westlichen Gipfel noch in dunklem Golde erglühten. Von der Hüttenpforte aus ließ sich die Straße, die sich am Ben Cruachan hinzieht, weithin übersehen. Plötzlich tauchte am äußersten Punkte, wo die Straße hinter dem Berge verschwindet, ein Kommando von fünf hochländischen Soldaten auf. Ihre Waffen glitzerten in der Sonne. Dem Kommando schritt einer vorauf, die vier anderen folgten im Gliede. An ihren Flinten, Plaids und Mützen war zu erkennen, daß sie zu Hamishs Regiment gehörten. Die Absicht, die sie herführte, war leicht zu raten. »Sie kommen schnell heran«, sprach Elspat Mac Tavish Mhor; »warten wir ab, ob sie so schnell auch wieder abziehen. Es sind ihrer fünf; für offenen Kampf also sind sie dir überlegen, Hamish. Komm herein in die Hütte, Sohn, und schieße durch das Guckloch neben der Pforte. Zwei kannst du niederstrecken, ehe sie von der Straße den Steig erreichen. Dann sind es ihrer bloß drei noch, und dein Vater hat, wenn ich bei ihm war, oft gegen ebenso viel standgehalten.« Hamish Bean nahm der Mutter die Flinte ab, ohne indes von dem Flecke wegzutreten, auf dem er stand. Das Kommando hatte ihn schon, wie sich an ihrem schnelleren Marsch erkennen ließ, erkannt. Indessen liefen sie noch scharf im Gliede, wie zusammengekoppelte Windhunde, kamen aber eilends heran. Rasch klommen sie den Steig hinunter. Schnell wären sie zur Hütte bis auf Pistolenschußnähe gekommen. Unbeweglich wie eine Bildsäule, mit der Büchse in der Hand, stand Hamish an der Pforte. Hinter ihm die Mutter. Vom Zorn dem Wahnsinn nahe gebracht, warf sie ihm in den härtesten Ausdrücken der Verzweiflung seine Unschlüssigkeit und Feigheit vor, den Grimm und Zorn verstärkend, der in seinem Gemüt aufloderte, als er die einstigen Kameraden auf sich zustürmen sah, wie Hunde auf den Hirsch im Garne. Ob dieses Anblicks fing die nüchterne Besonnenheit, die ihn bis jetzt geleitet hatte, an, von ihm zu weichen und dem wilden, von Vater und Mutter ererbten Kampfesmut das Feld zu räumen. Jetzt rief ihm der Sergeant zu: »Hamish Bean Mac Tavish, streck das Gewehr und ergib dich!« »Bleibt, wo Ihr seid, Allan Breack Cameron, »der es ist unser aller Unglück.« »Stillgestanden!« kommandierte der Sergeant seinen Leuten, ging aber selbst weiter. »Hamish, bedenke was du tust, und gib dein Gewehr ab! Du kannst wohl noch Blut vergießen, aber der Strafe entgehst du darum nicht!« »Die Rute, mein Sohn, die Rute!« zischelte die Mutter ihm zu. – »Hüte dich vor der Rute!« »Allan Breack Cameron, seht Euch vor!« rief Hamish, »ich tu Euch nicht gern Schaden, aber freiwillig ergebe ich mich nicht, sofern Ihr mir nicht Sicherheit gewährt vor der sächsischen Peitsche.« »Hamish, du Tor!« entgegnete Cameron; »daß ich das nicht kann, weil ich keine Befugnis habe, weißt du! Aber ich will tun, was ich kann, und will rapportieren, ich hätte dich unterwegs getroffen. Dann ist die Strafe gering. Aber gib dein Gewehr ab, Hamish! Kommando, marsch heran!« Mit vorgestrecktem Arme drang er vorwärts, in der Absicht, Hamish die Flinte von der Wange zu reißen. Da rief Elspat: »Jetzt schone nicht deines Vaters Blut, um deines Vaters Herd zu verteidigen!« Hamish drückte ab, und Allan Breack Cameron stürzte tot nieder. Dies alles geschah in einem einzigen Augenblicke. Die Soldaten stürzten vor und ergriffen Hamish, der, ob seiner Tat wie versteinert, sich nicht zur Wehr setzte. Anders die Mutter, die, als sie sah, daß die Männer ihrem Kinde Handschellen anlegten, mit solchem Ingrimm sich auf die Soldaten stürzte, daß ihrer zwei notwendig waren, um sie zu halten, während die anderen, beiden Hamish fesselten. »Bist du nicht ein ganz erbärmliches Subjekt,« sprach der eine Soldat zu Hamish, »deinen besten Freund über den Haufen zu schießen, der auf dem ganzen Hermarsch von nichts anderem gesprochen hat, als wie sich ein Mittel ausfindig machen lasse, dich der Strafe zu entziehen?« »Mutter, hört Ihr das?« rief Hamish und drehte sich, soweit es die Fesseln ihm erlaubten, nach ihr herum. Aber die Mutter sah nichts und hörte nichts. Sie war ohnmächtig zu Boden gesunken. Ohne abzuwarten, ob sie die Besinnung wieder bekäme oder nicht, marschierte das Kommando mit seinem Gefangenen ab in der Richtung auf Dunbarton. In Dalmally, dem nächsten Dorfe, wurde Rast gemacht, um die Leiche des unglücklichen Sergeanten durch ein paar Bauern holen zu lassen und den Vorfall beim Ortsrichter anzuzeigen. Von diesem bekam das Kommando Weisung, weil das Verbrechen an einem Soldaten begangen worden, unverzüglich mit dem Mörder nach Dunbarton zu marschieren. Sechzehntes Kapitel Hamishs Mutter lag lange in Ohnmacht, vielleicht um so länger, weil die Kraft ihres Körpers durch die Überreizung ihres Gemüts während der letzten drei Tage völlig aufgerieben sein mußte. Endlich weckten sie Weiberstimmen aus ihrer Starre. Der Coronach oder die Totenklage, Wehrufe im Verein mit Händeklatschen, schlug an ihr Ohr, und gleich darauf, auf der Sackpfeife geblasen, die Klänge des dem Clan der Camerons eigentümlichen Trauergesanges. Elspat fuhr erschreckt auf, wie vom Tode erwacht, völlig außerstande, sich der schrecklichen Szene, die sich vor ihren Augen abgespielt hatte, zu erinnern. Es waren Weiber in der Hütte, beschäftigt, den Leichnam in das blutige Plaid zu wickeln, ehe er von der Unglücksstätte hinweggeschafft würde. »Sagt mir, ihr Weiber,« lallte sie, aufspringend, »warum singt ihr Mac Dhoneril Dhus Grablied im Hause von Mac Tavish Mhor?« »Schweige, du Wölfin, mit deinem unheilvollen Gekreisch,« rief eines der Weiber, eine Verwandte des Gemordeten, »und hindere uns nicht in der Ausübung unserer Pflicht gegen unseren geliebten Verwandten. Nie soll ein Klagelied erschallen um dich und deine blutige Wolfsbrut. Die Raben werden ihn vom Galgen fressen, deinen schönlockigen Hamish, und deine Leiche sollen Füchse und Wildkatzen auf den Bergen zerreißen. Verflucht sei, wer deine Gebeine segnet oder einen Stein dir auf das Grab wälzt!« »Tochter einer törichten Mutter,« versetzte die Witwe van Mac Tavish Mhor, »wisse, daß der Galgen, mit dem du uns drohst, kein Teil unseres Erbes ist! Dreißig Jahre lang gelüstete den schwarzen Gesetzespfahl, an dem statt Äpfel Menschenleichen hängen, nach dem Geliebten meines Herzens, aber er ist als braver Mann mit dem Schwert in der Faust gestorben und hat den schwarzen Pfahl um seine Hoffnung und Frucht betrogen.« »Mit deinem Kinde aber wird es solches Ende nicht nehmen, du blutige Hexe!« versetzte das Klageweib, dessen Leidenschaftlichkeit um nichts geringer war als die Elspats; »denn ihm werden die Raben die Locken in Strähnen ausreißen und ihre Nester damit füttern, noch ehe die Sonne hinter den Inseln verschwindet.« Durch diese Worte kamen der unseligen Mutter die Ereignisse der drei letzten gräßlichen Tage in das Gedächtnis zurück. Zuerst stand sie da, starr wie eine Säule, ganz als ob sie der höchste Grad menschlicher Pein in Stein verwandelt hätte. Bald aber erwachten Stolz und Heftigkeit wieder, weil sie meinte, in ihrem eigenen Haus und Hof gelästert worden zu sein, und sie versetzte: »Ja, du greinende Unholdin! Sterben wird mein schönlockiger Sohn, aber nicht mit weißer Hand, denn er hat sie getaucht in Feindesblut, in bestes Cameron-Blut! Das bedenke, du Unholdin! Und bettet ihr euren Toten ins Grab, so sei seine Grabschrift, daß Mac Tavish Mhors Sohn Hamish Bean ihn erschlug, weil er Hand an ihn an seinem Herde legen wollte. Lebt Wohl! Die Schande der Niederlage bleibt haften an dem Manne, der sie erlitt!« Die Verwandte des Gemordeten wollte Antwort mit verstärkter Stimme geben. Aber Elspat, die das Wortgefecht nicht weiter führen mochte, die vielleicht auch fühlte, daß der Schmerz sie zu überwältigen und unfähig zu machen drohte, ihren Zorn in Worte zu kleiden, hatte die Hütte verlassen und rannte im Mondschein auf und davon. Die Weiber, die sich mit der Leiche des Gemordeten befaßten, ließen ihr trauriges Werk im Stiche, um der zwischen den Felsen dahinwankenden hohen Gestalt nachzusehen. »Mir ist es recht, daß sie weg ist,« sprach eine jüngere, »denn lieber schon hülle ich eine Leiche in ihre Tücher und stände, Gott sei bei uns! der Böse selber sichtbar vor uns, als daß ich die »Elspat vom Baume« in unserer Mitte sehe. Ja, ja! Mit dem bösen Feind hat die im Leben schon viel Verkehr gehabt!« »Törin!« erwiderte das Weib, das mit Elspat das Wortgefecht geführt hatte, »meinst du, es gebe einen schlimmeren Feind auf oder unter der Erde, als den Stolz und Grimm eines in seinem Herzen getroffenen Weibes, wie der blutdürstigen Hexe dort? Laß dir sagen, ihr war Blut so alltäglich wie der Tau den Blumen im Gebirge. Sie ist Ursache gewesen zu manches braven Mannes Tod um geringfügigen Unrechts willen, das er ihr oder den Ihrigen zugefügt hatte. Jetzt sind ihr die Sehnen aber zerschnitten, denn ihre Wolfsbrut muß, da sie mordete, den Mördertod leiden!« Während die Weiber sich also unterhielten, setzte die Unselige, die unmittelbare Urheberin von Allan Breack Camerons Ermordung, ihren Weg über das Gebirge fort. So lange sie noch in Sicht der Hütte war, tat sie sich Zwang an, um ihren Feindinnen nicht Ursache zum Frohlocken zu geben, daß körperliche Schwäche sie befallen oder maßlose Verzweiflung sie am gewohnten Gange verhindere. Sie ging deshalb eher langsamen als schnellen Schrittes, in aufrechter Haltung, zum Zeichen, daß sie das über sie gekommene Unglück mit Festigkeit trage und allem drohenden Unglück mit Trotz entgegensähe. Sobald sie aber außerhalb des Sehbereichs war, verließ sie die Kraft, ihren Schmerz zu bändigen. Den Mantel mit wilder Gebärde zurückschlagend, kletterte sie einen Hügel hinauf und reckte die Hände Zum Monde empor, Himmel und Erde anklagend wegen des Unglücks, das über ihr Haupt gekommen, mit schrecklichem Wehgeschrei, dem Adler gleichend, dem die Jungen aus dem Neste geraubt wurden. Nachdem sie ihrem wilden Schmerze eine Zeitlang auf solchem Wege Luft gemacht hatte, eilte sie ungleichen Schrittes weiter, in der vergeblichen Hoffnung, das Kommando einzuholen, das ihren Sohn, ihren Hamish, gefesselt nach Dunbarton führte. Allein so übermenschlich auch ihre Kraft zu sein schien, so versagte sie schließlich doch, und selbst mit äußerster Anstrengung wollte ihr die Durchführung ihres Vorhabens nicht gelingen. Nichtsdestoweniger schleppte sie sich, so schnell es ihre erschöpften Glieder ihr gestatteten, weiter. Wenn sie vor Hunger nicht weiter konnte, schlich sie in das nächste Dorf und bettelte: »Gebt mir zu essen! Ich bin die Witwe von Mac Tavish Mhor, bin die Mutter von Hamish Mac Tavish Bean. Gebt mir zu essen, daß ich meinen schönlockigen Hamish noch einmal sehe.« Niemals wurde ihre Bitte ihr abgeschlagen, wenngleich bei manchen, an die sie sich wendete, sich neben Mitleid auch Abscheu regte, manche sogar Grauen anwandelte. Wieviel von der Schuld an dem Tode Allan Breack Camerons, der den Tod ihres eigenen Sohnes nach sich ziehen mußte, auf ihre Person kam, wußte freilich niemand genau. Weil man aber die Leidenschaftlichkeit ihres Wesens kannte und weil jedermann im Lande wußte, welche Lebensweise sie früher geführt hatte, so war es für niemand zweifelhaft, daß sie bis zu gewissem und wahrscheinlich nicht geringem Grade die Verantwortlichkeit für das schwere Verbrechen traf, und alles war geneigt, in Hamish Bean mehr das Werkzeug, als den eigentlichen Urheber des Mordes zu sehen. Indessen konnte solche Meinung seiner Landsleute, so große Verbreitung sie auch gewann, dem unglücklichen Jüngling wenig oder nichts helfen. Seinem Hauptmann, der die Sitten und Gebräuche des Hochlandes gut kannte, war es ein leichtes, von Hamish die Einzelumstände herauszubekommen, die dessen vermeintliche Desertion und den Tod des Sergeanten betrafen. Er fühlte mit dem Jüngling, der so unseligerweise das Opfer einer übermäßigen, törichten Mutterliebe geworden war, das größte Mitleid, wußte aber keinen Ausweg, ihn von der Strafe zu retten, welche auf Grund der Kriegsgesetze das Kriegsgericht, wegen des von ihm begangenen Mordes über ihn verhängen mußte. Es ging alles rasch von statten. Zwischen dem Spruch und Vollzug des Urteils blieb nur geringe Frist. Der Oberst hielt an seinem Entschlusse fest, an dem ersten Deserteur, der wieder eingebracht würde, ein strenges Exempel zu statuieren, und hier handelte es sich nun gar um einen Deserteur, der sich mit der Waffe verteidigt und den nach ihm ausgesandten Unteroffizier erschossen hatte. Solche Gelegenheit zur Sanktionierung seines Entschlusses fand sich so leicht für den strengen Kommandeur nicht wieder. Hamish wurde also zum Tode durch den Strang, wie der Spruch lautete, als gemeiner Mörder verurteilt. Die Exekution sollte auf der Stelle stattfinden. Das einzige, was sein Hauptmann für ihn auswirken konnte, war die Begnadigung zum Tode durch Pulver und Blei. Um diese Zeit befand sich zufälligerweise gerade der würdige Pfarrer von Glenorquhy in Dunbarton. Er machte seinem unglücklichen Pfarrkind im Militärarrest seinen Besuch. Wenn er auch in ihm einen Menschen ohne alle Schulweisheit fand, so fand er doch keinen verstockten Christen in ihm, und die Antworten auf religiöse Fragen, die er von ihm erhielt, machten es ihm doppelt schmerzlich, in dem Jüngling eine von Natur so reine und edle Seele in solch verwildertem Zustande anzutreffen. Bittere Vorwürfe machte sich der Geistliche, nachdem er diese Meinung von dem Charakter und dem Gemüt des Jünglings gewonnen hatte, daß er sich durch die Scheu vor dem schlechten Rufe, welcher der Witwe des einstigen Räubers anhaftete, an jenem Morgen, als ihn Hamish nach Zeit und Stunde fragte, hatte bestimmen lassen, die von dem liebreichen Bestreben, dies verlorene Schaf seiner Herde zurückzugewinnen, diktierte Absicht eines Besuchs in der Hütte von Hamishs Mutter fallen zu lassen. Der wackere Pfarrer tat nun sein möglichstes, für sein Pfarrkind, wenn nicht Begnadigung, so doch Aufschub zu erlangen, denn die Empfänglichkeit der edlen, schönen Seele des jugendlichen Mörders rührte ihn tief. Er sprach bei dem Hauptmann vor. Düstere Trauer lag auf dessen Stirn. Sie vergrößerte sich noch erheblich, als er Namen und Wohnort des Pfarrers erfahren hatte und über Grund und Zweck des Besuchs aufgeklärt worden war. »Es ist gar nicht möglich, hochwürdiger Herr,« erklärte der hochländische Offizier, »daß Sie mir mehr Gutes von dem Jünglinge melden, als ich selbst von ihm glaube. Auch bedarf es gar keiner Bitte von Ihrer Seite, mich für den unseligen Menschen zu verwenden, denn so weit mir dies irgend möglich war, ist es ja bereits geschehen. Aber es ist alles umsonst und kann ja nach Art des Vorganges auch gar nicht anders sein. Zudem ist unser Oberst halb Niederländer, halb Engländer, dem es an jeglichem Verständnis für den hohen, enthusiastischen Sinn fehlt, der in diesem Gebirgslande so häufig die hehrsten Tugenden in Konnex bringt mit schweren Verbrechen und Lastern, die in der Regel mehr Herzenssünden sind als Verstandesirrungen. Ich bin so weit gegangen, ihm zu bemerken, daß in diesem jungen Menschen von dem im Grunde durchweg tüchtigen Mannschaftstande meiner Kompagnie der tüchtigste durch das Kriegsgericht verurteilt worden sei. Ich habe ihm den ungeheuerlichen Betrug auseinandergesetzt, der dieser scheinbaren Fahnenflucht des Jünglings zugrunde liegt, und wie wenig sein Herz Anteil an einem Verbrechen habe, das unglücklicherweise durch seine Hand begangen worden sei. Was mir der Oberst darauf erwidert hat, lautet: Ich kann an dem Spruche nichts ändern, Kamerad; das Exempel muß statuiert werden, und fällt das Los nun zufälligerweise auf einen Mann, der sonst ein guter Rekrut ist, so wird es nur desto bessere Wirkung üben.« Lassen Sie es also lieber Ihre Sorge sein, ehrwürdiger Herr, Ihren bußfertigen Sünder auf eine Reise vorzubereiten, die er morgen mit Tagesanbruch antreten muß und gegen die es schließlich für uns alle kein Rezept gibt.« »Und auf die uns alle,« setzte der Geistliche hinzu, »der gütige Gott vorbereiten möge, gleichwie ich nicht wanken will in meiner Pflicht für diesen armen Jüngling.« Siebzehntes Kapitel Am nächsten Morgen grüßten die ersten Strahlen der aufsteigenden Sonne die grauen Türme, die den Gipfel des wunderlichen schrecklichen Felsens Dunbarton krönen, als die Mannschaften des neuen Hochlandsregiments in der gleichnamigen Feste zum Appell antraten und nach abgenommener Parade die steinernen Stufen und engen Gänge zum äußeren Tore hinunterschritten, das auf dem Grunde des Felsens errichtet ist. Hin und wieder vernahm man die wilden wehklagenden Töne des hochländischen Kriegsgesanges, abwechselnd mit den Pfeifen und Trommeln, die den Leichenmarsch schlugen. Das Schicksal des unglücklichen Menschen fand anfänglich bei dem Regiment wenig Mitleid; ganz anders hätte es sich in dieser Hinsicht verhalten, wäre er bloß wegen Desertion verurteilt worden. Der ermordete Allan Breack war allgemein beliebt gewesen und gehörte obendrein einem starken und mächtigen »Clan« an, zu dem auch Leute hohen Ranges gehörten. Das an ihm begangene Verbrechen hatte auf Hamish das schlechteste Licht geworfen. Hatte sich auch sein Vater durch seine Stärke und Männlichkeit einen Namen erworben, so war doch sein »Clan« gebrochen und gleich allen Clans, wenn es an einem Häuptling fehlte, die Stammesgenossen in die Feldschlacht zu führen, dem Gespött verfallen. Hätte der Fall in dieser Hinsicht anders gelegen, so würde es nicht angängig gewesen sein, die Exekutionsmannschaft aus dem Regiment selbst zu wählen. Aber die sechs dazu bestimmten Leute waren Freunde des Gemordeten und gehörten gleich ihm zu dem mächtigen Clan der Mac Dhoneril Dhu. Nicht ohne die grausame Empfindung befriedigter Rache rüsteten sie sich zu dem traurigen Amt, das die Pflicht ihnen auferlegte. Die Kompagnie rückte vor das Festungstor, die anderen Kompagnien folgten. Es wurde ein längliches Viereck formiert, drei Seiten Militär, mit den Fronten nach innen, die vierte oder »offene« Seite bildete der gewaltige Felsen, auf welchem die Festung stand. Im Mittelpunkte des Vierecks, barhäuptig, entwaffnet und gefesselt, stand der unselige Jüngling. Leichenblaß, das Auge aber hell und glänzend wie sonst, war er dem Geistlichen, der ihm Trostesworte zusprach, hierher gefolgt. Vor ihm her war der Sarg getragen worden, der seine sterblichen Reste aufnehmen sollte. Ruhig und feierlich war der Ausdruck auf allen Gesichtern. Die schöne, männliche Gestalt des Jünglings, seine Standhaftigkeit, der sanfte Zug auf dem dunkeln Gesicht, seine kräftige Haltung stimmte manches Herz freundlich für ihn, selbst unter denen, die von Rache gegen ihn erfüllt waren. Die Bahre wurde in dem Viereck niedergesetzt, etwa zwei Schritte von dem Fuße des Felsens, der sich hier so steil wie ein steinerner Wall bis zur Höhe von 3-400 Metern erhob. Hierher wurde nun der Delinquent geführt. Der Geistliche war noch immer an seiner Seite, sprach ihm noch immer Mut und Trost zu, und der Jüngling schien ihm voll Ergebung zu lauschen. Langsam und scheinbar nicht eben willig traten die zur Exekution bestimmten Mannschaften in das Viereck und stellten sich zehn Schritte von dem Delinquenten auf. Der Geistliche schickte sich an, beiseite zu treten. »Gedenke dessen, mein Sohn, was ich dir sagte,« sprach er, »und wende deine Hoffnung zu dem Anker, den ich dir gezeigt habe. Du wirst ein kurzes elendes Dasein eintauschen gegen ein Leben, das keine Plage und keine Betrübnis mehr kennt. Hast du mir noch irgendwelche Bitte oder Besorgung vorzutragen?« Der Jüngling warf einen Blick auf seine Ärmelknöpfe, die von Gold, vielleicht ein Beutestück seines Vaters, einem englischen Offizier während der Grenzkriege abgenommen, waren. Der Geistliche trennte sie ab. »Meiner Mutter – bringt sie!« sprach er nicht ohne Mühe, »meiner – armen Mutter! Gehen Sie zu ihr, frommer Herr, bitte, bitte! Und belehren Sie sie darüber, was sie von alledem denken soll. Sagen Sie ihr, ihr Hamish sehe dem Tode mit größerer Freude entgegen, als der Ruhe nach der ermüdendsten Jagd. Leben Sie wohl, frommer Herr! Leben Sie wohl!« Der wackere Pfarrer war kaum imstande, einen Schritt zu tun. Ein Offizier bot ihm den Arm. Ein letzter Blick auf den Jüngling, der auf der Bahre kniete. Die wenigen Personen, die bei ihm gestanden hatten, waren zurückgetreten. Das Todesurteil wurde verlesen. Von dem Felsen hallte der Knall der Gewehre. Ein Schrei noch, und Hamish stürzte vorwärts. Er war tot, wahrscheinlich verschieden ohne jede Empfindung eines Todeskampfes. Zehn bis zwölf Mann von seiner Kompagnie traten vor und legten feierlich die sterblichen Reste ihres Kameraden in die Bahre, während der Leichenmarsch wieder intonierte. Die Kompagnien wurden zum Vorbeimarsch an der Bahre kommandiert, der ganzen Mannschaft zum warnenden Exempel an dem schrecklichen Schauspiel. Dann zog das Regiment unter den Klängen lustiger Marschmusik, wie es bei solchen Anlassen üblich, um den Schmerz über das Erlebte schneller zu bannen, den Felsen wieder hinauf. Unterdes trug das Exekutionskommando den Sarg des Delinquenten zum Grabe hin, das in einem Winkel des Schloßhofes, der Beerdigungsstätte für Verbrecher, gegraben worden war. Achtzehntes Kapitel Gleich nach der Hinrichtung verließ der Geistliche Dunbarton. Im Vertrauen auf seine Landeskenntnis verließ er die Hauptstraße und schlug einen jener kürzeren Pfade ein, deren sich Fußgänger oder Leute, die, wie der Geistliche, im Besitz eines der kleinen, aber sicher schreitenden und klugen, als »Poney« bekannten Pferde sind, zu bedienen pflegen. Die Örtlichkeit, durch die der Pfad führte, war an sich düster und öde. Der Aberglaube, hierzulande stark im Schwange, hatte ihm Mären und Sagen angedichtet, die ihm noch schrecklicheren Charakter gaben. So sollte hier ein böser Geist, Cloght-deary oder »Rotmantel«, sein Wesen treiben und zu allen Zeiten und Stunden, hauptsächlich des Mittags und Mitternachts, umhergehen, Menschen und Tieren feind und so böswillig, als es nur irgend in seiner Macht stand. Als der Geistliche sich umsah, mußte er sich sagen, daß die Gegend für den Aufenthalt von Geistern nicht übel gewählt sei, da sie, wie es ja heißt, Öde und Einsamkeit vor allem lieben. Die Talschlucht war steil und schmal, kaum ein paar Strahlen der Mittagssonne fielen auf den finsteren, reißenden Bach, der sich, wild brausend gegen Felsen und Blöcke, mit Mühsal den Weg brach. Als der Geistliche an dem schmalen Wege anlangte, der zum anderen Bachufer führte, stand er plötzlich still. Eben hatte er bei sich gedacht, daß der wilde Bach schon manches von den Vorgängen bewirkt haben möchte, die dem Gespenst des »Rotmantels« zugeschrieben würden, als er sich von einer weiblichen Stimme in gellenden Tönen angerufen hörte. »Michael Tyrie! Michael Tyrie!« schallte es durch die Schlucht. Verdutzt, nicht ohne einen geheimen Schauder, blickte der Geistliche sich um. Einen Moment lang schien es, als ob der böse Geist, dessen Dasein er eben noch bezweifelt hatte, ihm erscheinen wolle, um ihn für seine Ungläubigkeit zu strafen. Aber die Furcht war rasch verflogen, und mit lauter Stimme rief er als Antwort: »Wer ruft? –und wer bist du?« »Eine, die im Elend wandert zwischen Leben und Tod,« versetzte die Stimme. Und eine hohe Gestalt trat vor zwischen den Trümmern von Felsen, die sie bislang vor dem Auge des Pfarrers verborgen hatten. Sie kam näher. Ihr Mantel aus hellem Tartan, in welchem die rote Farbe hervorstach, ihre Figur, ihr weiter Schritt, die verzerrten Züge, die grimmig blitzenden Augen – das alles war angetan, sie zu einer schicklichen Stellvertreterin des bösen Geistes, dessen Namen das Tal führte, zu machen. Aber Michael Tyrie erkannte sogleich in ihr die »Elspat vom Baume«, die Witwe Mac Tavish Mhors, die Mutter Hamish Beans, des Delinquenten, von dessen Hinrichtung er kam. Die Erscheinung des bösen Geistes würde für den Geistlichen nicht so schrecklich gewesen sein wie die Erscheinung dieses Weibes in allem Elend der auf ihr lastenden Mitschuld an dem Verbrechen des Sohnes. Instinktmäßig ließ er sein Pferd halten und bemühte sich, seine Gedanken zu sammeln, während sie mit wenigen Schritten die Strecke bis zu seinem Pferde zurückgelegt hatte. »Michael Tyrie,« hub sie an, »das verrückte Weib aus dem Dorfe hält dich für einen Gott. Sei mir ein Gott und sage mir, daß mein Sohn lebt. Sage mir das, und ich will wie du beten zu dem himmlischen Wesen, dessen Namen du kündest, und will meine Kniee beugen an jedem siebenten Tage im Hause deines Gottes, der hinfort auch mein Gott sein soll!« »Unglückliches Weib,« antwortete ihr der Geistliche, »mit dem ewigen Schöpfer schließt kein sterblicher Mensch einen Vertrag, wie mit einem Wesen aus Ton, gebrechlich gleich uns! Denkst du zu feilschen mit Ihm, der die Erde geschaffen und die Himmelsbogen gespannt hat, oder meinst du, du dürfest Ihm ein Sandkorn Verehrung und Anbetung bieten, das Ihm wohlgefällig wäre? Dürfest es Ihm bieten im Tausch gegen einen Zentner von Wohltat und Segen? Gott der Herr will gehorsame Gläubige haben und keine Opfer! Er will, daß die Prüfungen, die Er über uns verhängt, mit Geduld getragen werden, und verabscheut Geschenke, wie sie für unsere Nebenmenschen am Platze sind, wenn wir wünschen, sie von gefaßtem Vorsatz abzubringen.« »Schweig, Priester!« entgegnete das rasende Weib. »Bete nicht mir die Worte deines weisen Buches vor. Elspats Verwandte gehören zu denen, die sich bekreuzigen und niederknien, wenn die heilige Glocke klingt, und sie weiß, daß man für Taten, die man im Felde verübt, Sühnopfer am Altar darbringen kann. »Elspat hatte dereinst auch Schafe und Ziegen auf der Alm und Vieh im Stalle. Gold trug sie um den Hals und dicke Perlen im Haar, wie die Helden der Vorzeit. All dies hätte sie dem Priester gegeben, all dies! Und hatte er den Schmuck eines Edelfräuleins oder den Sporran eines hohen Häuptlings verlangt, Mac Tavish Mhor hätte auch das beschafft und es Elspat zugesagt. »Nun ist Elspat arm und kann nichts mehr geben. Aber hätte sie den schwarzen Abt von Inchaffray um eine Geißel für ihren Rücken gebeten und hätte sie sich den Fuß auf Pilgerfahrten wund gelaufen, er hätte ihr Vergebung gewährt beim Anblick ihres rinnenden Blutes, ihres zerrissenen Fleisches. Da waren die Priester, die auch über die Mächtigsten Macht besaßen; mit dem Wort ihres Mundes, mit dem Text ihres Buches, mit der Flamme ihrer Fackel, mit dem Klange ihrer heiligen Glocke hielten sie im Zaume die Gewaltigen der Erde. »Der Mächtige beugte den Nacken ihrem Willen, und ewig der Freiheit beraubt waren die, die sie in ihrem Grimm geknechtet hatten. Die hatten wohl Einfluß und Gewalt, und vor ihnen, deren Macht den Stolzen erniedrigte, fiel auch der Arme in die Knie. »Doch ihr! Gegen wen seid ihr streng als gegen Weiber, die den Verstand verlieren, und gegen Männer, die kein Schwert mehr führen? Die alten Priester waren wie der Regenschwall, der sein enges Tal füllt und die gewaltigen Steinblöcke gegeneinander schleudert, als wären sie so leicht wie, ein Ball, mit dem ein Knabe spielt! »Doch ihr! Ihr seid wie der Bach, den die glühende Hitze des Sommers ausgetrocknet hat, der den Binsen aus dem Wege geht und von einem Busch Riedgras in seinem Lauf gehemmt wird. Ihr seid wert, daß man Wehe schreit über euch, denn von euch kömmt keine Hilfe!« Der Geistliche merkte Wohl, daß Elspat ihrem römisch-katholischen Glauben untreu geworden war, ohne einem anderen sich hinzugeben. Von Mitleid ergriffen mit ihrer Not, und um sie von ihren Irrtümern zu bekehren und in ihrer Unwissenheit zu belehren, erwiderte er in mildem, liebevollem Tone: »Unglückliche Frau! Stünde auch Rom selber und sein ganzes Priestertum Euch zu Gebote, um ein Geschenk oder eine Buße könnte Euch auch von dorther in Eurem Jammer weder Trost noch Hilfe kommen. Elspat Mac Tavish, ich muß Euch leider etwas recht Trauriges mitteilen.« »Ich weiß es ohnedem,« antwortete die Unglückliche. »Mein Sohn ist zum Tode verurteilt worden.« »Elspat,« sagte der Geistliche, »er war verurteilt worden – und das Urteil ist bereits vollzogen worden.« Die arme Mutter schlug die Augen zum Himmel empor und schrie laut auf. Ihre Stimme hatte einen allem Menschlichen so unähnlichen Klang, daß der Adler, der hoch oben in den Lüften schwebte, darauf Antwort gab, als hätte einer seinesgleichen ihm zugerufen. »Unmöglich!« schrie sie, »Unmöglich! – Wird denn an einem Tage verdammt und gemordet! – Du lügst! Dich nennt das Volk einen heiligen Mann – und du hast doch das Herz, einer Mutter zu sagen, sie habe ihr einziges Kind ermordet?« – »Gott weiß es« – antwortete der Priester mit Tränen in den Augen, »gerne hätte ich dir eine bessere Nachricht gebracht, sofern ich gekonnt hätte. Aber die ich dir gebracht habe, ist ebenso gewiß, als sie eine Todesnachricht ist. Mit eigenen Ohren habe ich die Salve gehört, und mit eigenen Augen sah ich deinen Sohn sterben, sah ich deines Sohnes Leiche. – Meine Zunge bezeugt nur, was meine Ohren vernahmen und meine Augen erschauten.« Die Unglückliche rang die Hände und reckte sie zum Himmel empor wie eine Wahrsagerin, die Krieg und Verwüstung prophezeit. Dabei stieß sie in ebenso ohnmächtiger wie gräßlicher Wut einen Strom fürchterlicher Verwünschungen aus: »Gemeiner sächsischer Bube!« rief sie. »Erbärmlicher gleißnerischer Betrüger! Daß doch deine Augen, die den Tod meines schöngelockten Knaben erschauten, zerfließen möchten in ihren Höhlen, verzehrt durch nie versiegende Tränen, die du weinen mögest um alle deinem Herzen Liebsten und Teuersten! Daß doch deine Ohren, die den tödlichen, mörderischen Knall vernahmen, tot und taub sein möchten für jeden anderen Laut als das Krächzen der Raben und das Zischen der Schlangen! Daß doch die Zunge, die mir seinen Tod berichtet und mir mein eigenes Verbrechen kündet, verdorren möchte in deinem Munde, oder besser, sobald du mit deinem Volke Gebete sprechen willst, möchte der Teufel in deine Zunge fahren, daß sie Schmähungen und Lästerungen lalle statt Gebete, daß die Leute vor dir fliehen voller Grausen! Daß doch der Donner des Himmels niederprassle auf dein Haupt, und deine fluchende und verfluchte Stimme verstumme auf ewig! Hinweg! Geh, beladen mit diesem Fluche! Nie mehr, nie mehr wird Elspat so viele Worte reden über einen Lebenden!« – Sie hat Wort gehalten. Von diesem Tage an war die Welt für sie eine Ödenei, in der sie gedankenlos und interesselos vegetierte, nur ihrem Schmerze nachhängend und apathisch gegen alles andere. über ihre Lebensweise oder vielmehr ihre Art, das Leben zu fristen, ist der Leser unterrichtet, so gut ich selber ihm darüber Mitteilung habe machen können. Wie sie geendet hat, kann ich nicht sagen. Es wurde vermutet, daß sie ein paar Jahre, nachdem meine vortreffliche Freundin, Mrs. Bethune Baliol, auf sie aufmerksam geworden war, gestorben sei. Diese brave Frau, die nicht bloß Tränen des Mitleids vergoß, wo eine gute Tat verrichtet werden konnte, hat mehrmals versucht, der Unglücklichen Erleichterung in ihrer Not zu verschaffen. Aber so oft sie auch versuchte, eine Person, die für die Bedauernswerte sorgen sollte, in die Hütte hineinzubringen, so oft scheiterte der Versuch an dem Widerstand, den die Einsame allem, was ihre Einsamkeit stören könnte, entgegensetzte, oder an der Angst und Furchtsamkeit derer, die mit dem entsetzlichen Weibe unter ein und demselben Dache leben sollten. Endlich, als es der Armen (wenigstens dem Anscheine nach) gänzlich unmöglich war, sich auf der elenden Schütte, die ihr zum Lager diente, auch nur noch zu bewegen, sandte ihr der menschenfreundliche Mr. Tyrie zwei Frauen, die der Einsamen in den letzten Augenblicken behilflich sein sollten. Der Tod konnte ja freilich nicht mehr fern sein; doch sollte verhütet werden, daß sie aus Mangel an Beistand oder Nahrung zugrunde gehen könnte, ehe sie dem hohen Alter oder einer tödlichen Krankheit erlag. Neunzehntes Kapitel Ein Novemberabend war es, als die beiden Weiber, die für die trübselige Arbeit bestimmt waren, in die bereits geschilderte jammervolle Hütte kamen. Die darin wohnende Unglückliche lag auf ihrem Bette hingestreckt, anscheinend schon eine Tote. Noch aber schweiften ihre wilden schwarzen Augen, schrecklich in ihren Höhlen rollend, unstät umher. Mit Verwunderung und Ingrimm schien sie die Bewegungen der Fremden zu beobachten, die sie nicht erwartet hatte und die ihr unwillkommen waren. Den fremden Weibern ward unter den Blicken dieser Augen angst und bange; aber da sie zu zweit waren, faßten sie sich ein Herz, machten Feuer und trafen allerlei Vorbereitungen, des ihnen erteilten Amtes zu walten. Sie hatten miteinander abgemacht, daß sie abwechselnd bei der Kranken wachen wollten; aber da sie, seit dem Morgen schon auf den Beinen gewesen waren, überwältigte sie gegen Mitternacht die Müdigkeit, und beide schliefen fest ein. Als sie ein paar Stunden später erwachten, war die Hütte leer und die Kranke verschwunden. Bestürzt sprangen sie auf und eilten nach der Tür, die aber, wie in der vorigen Nacht, noch verschlossen war. Sie starrten in die Finsternis hinaus und riefen die Kranke beim Namen. Vor der alten Eiche krächzten die Nachtraben, oben auf dem Hügel winselte der Fuchs, laut rauschend dröhnte der Wasserfall – aber keine menschliche Stimme gab Antwort. In ihrem Entsetzen dachten die Weiber nicht daran, vor Anbruch des Morgens weiter nachzuforschen; denn daß eine so schwächliche Kranke, wie Elspat – die obendrein noch so Furchtbares erlebt hatte – so spurlos verschwunden war, kam ihnen so grausig vor, daß sie keinen Schritt aus der Hütte hinaus wagen mochten. Sie blieben in heller Angst drinnen. Bisweilen vermeinten sie die Stimme der Kranken draußen zu hören; bisweilen war ihnen, als tönten sonderbare Laute aus dem Klagen des Nachtwindes und dem Rauschen des Wasserfalles seltsam hervor. Oft auch knarrte die Klinke an der Tür, wie wenn eine schwache, kraftlose Hand vergebens sie zu öffnen versuchte; und stetig waren die beiden darauf gefaßt, die entsetzliche Kranke eintreten zu sehen, beseelt von übernatürlicher Kraft, in ihrem Gefolge überirdische Wesen, die vielleicht noch schrecklicher wären als sie selber. Endlich brach der Morgen an. Sie durchsuchten das Gebüsch, die Felsen, das Dickicht – doch vergebens. Zwei Stunden nach Tagesanbruch kam der Geistliche selber. Als die Wärterinnen ihm mitteilten, was geschehen war, brachte er alles Volk in der Runde auf die Beine und ließ die ganze Gegend um die Hütte und den Eichbaum her durchsuchen. Aber alle Nachforschungen blieben erfolglos. Elspat Mac Tavish wurde nicht wieder gefunden – ob sie nun schon tot sein oder noch leben mochte. Keine Menschenseele erfuhr, was aus ihr geworden war. Ihr rätselhaftes Verschwinden wurde von den Leuten der Gegend verschiedentlich erklärt. Die Abergläubischen meinten, der böse Geist, der Gewalt über sie gehabt hätte, habe sie geholt, und manch einer vermied es, wenn unheimliches Wetter war, an der Eiche vorüberzugehen, weil sie dort, wie es hieß, noch immer säße, wie sie einst gepflegt. Andere, die nicht von Aberglauben beherrscht waren, meinten, wenn man die Tiefe des Corrie Dhu, den Boden des Sees oder die Strudel des Stromes absuchen könnte, würde man vielleicht Elspats Leiche finden. Bei ihrer körperlichen Schwäche und ihrem geistigen Verfall sei es ja nur natürlich, daß sie verunglückt wäre oder sich mit der Absicht, den Tod zu finden, ins Wasser gestürzt habe. Der Geistliche hatte seine Auslegung für sich. Er meinte, die Unglückliche habe der ihr lästigen Aufsicht entkommen wollen, geleitet von dem Instinkt, den man an manchen Haustieren beobachtet, dem Anblick ihres Geschlechts sich zu entziehen, und sie sei in irgend einer verborgenen Schlucht umgekommen, wo aller Wahrscheinlichkeit nach keines Menschen Auge je ihre Leiche zu sehen bekommen würde. Er war der Ansicht, daß ein solcher instinktartiger Trieb über ihrem ganzen Leben gewaltet und seinen genügenden Einfluß bis zu ihrem Ende Ein Kind der Sünde. Erstes Kapitel Gideon Gray führte im Flecken Middlemas in einer Grafschaft des mittleren Schottlands das mühevolle, arbeitsreiche und schlecht lohnende Leben eines schottischen Arztes, ein schlichter derber Mann, abgeneigt jedem Zwang und jeder Förmlichkeit, wie sie in der gebildeten Gesellschaft nun einmal doch im Schwange sind. Doktor Gray war anspruchslos und hatte sein Auskommen in seiner Praxis, die ihm etwa 200 Pfd. jährlich eintrug. Dafür hatte er im Laufe eines Jahres durchschnittlich 5000 englische Meilen zu Pferde zurückzulegen. So sattsam aber nährte ihn sein Einkommen, daß er sich entschloß, es mit einem Mädchen zu teilen. Er heiratete die rotwangige Tochter eines ehrsamen Pächters, Johanna Watson, die aus einer Familie von zwölf Kindern war und, bei dem kärglichen Einkommen ihres Vaters von 80 Pfd. jährlich an ein bescheidenes Leben gewöhnt, sich nicht gut denken konnte, daß bei zwei Leuten, die das Doppelte zu verzehren hatten, jemals die Armut einkehren könnte. Obwohl nun Gray von der spottlustigen Jugend der alte Doktor genannt wurde, sah das Mädchen ihn doch für eine sehr vorteilhafte Partie an. Mehrere Jahre hindurch war die Ehe kinderlos, und es hatte auch den Anschein, als ob Doktor Gray, so oft er auch im Dienste der Göttin Lucina [Beiname der römischen Göttin Juno als Göttin der Geburt] tätig gewesen war, in seinem Hause doch niemals die gleiche Tätigkeit entfalten sollte. Das Schicksal aber wollte es, daß sein Haus unter merkwürdigen, abenteuerlichen Umständen der Schauplatz einer Geburt werden sollte. Eines Tages kam eine Kutsche mit vier Pferden vor der Haustür vorgefahren. Zwei Personen waren darin. Ein Herr im Reitanzug sprang heraus und eröffnete dem Doktor, daß er eine Dame von hohem Stande bei ihm unterzubringen wünsche, da er den Gasthof zum Schwanen zur Aufnahme einer Frau bei solchem Anlaß nicht für geeignet halte. Der Doktor gab dem Herrn die Versicherung, daß die Dame in seinem Hause gut aufgehoben sein werde. Der Fremde half dann der Dame zum Wagen heraus und äußerte hohe Zufriedenheit, als er die Dame in einem bequemen Schlafgemach untergebracht und der Obhut des Arztes und seiner Gattin anvertraut sah. Er händigte dem Doktor zwanzig Guineen ein mit dem Ersuchen, er möge keine Kosten scheuen und alles Erforderliche und Wünschenswerte beschaffen. Er erklärte dann, daß er sich in dem Gasthofe einquartieren werde und dort Nachricht über das Befinden der Dame erwarte. »Sie ist fremd hier und von hohem Stande,« sagte er, »ich bitte daher, es ihr an nichts fehlen zu lassen. Wir wollten bis Edinburgh, aber ein Zufall hat uns genötigt, vom Wege abzubiegen. Noch einmal, spart keine Kosten und behandelt sie recht verständig, daß sie sobald wie möglich weiterreisen kann.« »Das liegt nicht in meiner Macht,« sagte der Doktor, »bei solchem Anlaß darf nichts übereilt werden, jeder derartige Versuch rächt sich.« »Die Geschicklichkeit aber vermag viel«, versetzte der Fremde. Und er reichte dem Arzte eine zweite Börse, die ebenso schwer zu sein schien wie die erste. »Geschicklichkeit und Kunst,« antwortete der Doktor, »kann wohl belohnt, doch nicht erkauft werden. Ihr habt mir schon genug gezahlt, so daß ich für alles Sorge tragen kann, wessen die Dame nur irgend bedürfen mag. Wollte ich mehr annehmen, so würde ich damit stillschweigend das Versprechen eingehen, etwas zu leisten, was über meine Kräfte geht. Ich werde Eurer Dame jede nur mögliche Sorgfalt angedeihen lassen, und damit ist die Gewähr gegeben, daß sie in Bälde weiterreisen kann. Und nun, Herr, geht nach dem Gasthof, denn vielleicht ist meine Anwesenheit im Augenblick erforderlich, und wir haben bis jetzt weder eine Wärterin für die Frau noch eine Amme für das Kind besorgt. Beides soll jetzt geschehen.« »Noch eine Frage, Doktor, welche Sprachen sprecht Ihr?« »Latein und Französisch, wenigstens so, daß ich mich verständlich machen kann, auch Italienisch kann ich ein bißchen lesen.« »Also nicht Portugiesisch oder Spanisch?« fragte der Fremde. – »Das trifft sich unglücklich. Dann könnt Ihr Euch eben nur auf französisch verständlich machen. Aber kommt jedem Wunsche nach, den sie ausspricht, und wenn Ihr dazu Geld braucht, so wendet Euch an mich.« »Darf ich fragen, Herr, mit welchem Namen ich die Dame...« »Das tut gar nichts zur Sache,« fiel ihm der Fremde ins Wort, – »den werdet Ihr bei Gelegenheit erfahren.« Mit diesen Worten schlug er den weiten Mantel um sich und ging die Straße hinab zum Gasthof. Als der Doktor zu seiner Schutzbefohlenen zurückkehrte, fand er seine Frau in einer von Überraschung und Furcht gemischten Stimmung. »Sie kann kein Wort reden wie eine Christin«, sagte Frau Gray. »Ich weiß es«, antwortete der Arzt. »Und sie trägt eine schwarze Maske, die will sie durchaus nicht ablegen.« »So soll sie sie aufbehalten, was schadet das?« »Was es schadet? Ist denn jemals ein ehrsames Weib entbunden worden mit einer Maske vor dem Gesicht?« »In der Regel nicht. Aber, liebe Johanna, wenn sie nicht so ganz ehrsam sind, dann müssen sie eben so entbunden werden. Wir dürfen nicht das Leben des armen Wesens gefährden, indem wir uns jetzt ihren Launen widersetzen.« Er trat an das Bett der kranken Frau und sah, daß sie in der Tat eine dünne seidene Maske vor dem Gesichte trug. Die Frau des Arztes mochte ihr deshalb wohl zugesetzt haben, denn als der Doktor selber zu ihr trat, legte sie die Hand aufs Gesicht, als fürchte sie, daß er sie zwingen könne, sie abzunehmen. Er aber gab ihr in leidlich gutem Französisch zu verstehen, daß hier ihr Wille Gesetz sei, und daß sie die Maske tragen könne, so lange sie sie nicht selber abzulegen wünsche. Sie verstand, was er zu ihr sagte, denn sie erwiderte in einem unbeholfenen Versuche, die gleiche Sprache zu reden, und drückte ihm ihre Dankbarkeit aus. Um ein Uhr morgens erschien der Doktor im Gasthofe zum Schwanen und setzte den fremden Herrn in Kenntnis, daß er ihm als dem Vater eines gesunden Knaben Glück wünschen könne und daß es der Mutter soweit gut gehe. Der Fremde vernahm die Mitteilung mit scheinbarer Zufriedenheit und sagte: »Der Knabe soll sogleich getauft werden.« »Das hat doch keine Eile.« »Wir denken aber anders«, erwiderte der Fremde, indem er dem Arzte kurz das Wort abschnitt. – »Ich bin Katholik, Doktor, und da ich wahrscheinlich diese Stadt werde verlassen müssen, noch bevor die Dame imstande sein wird, die Reise fortzusetzen, so soll das Kind vorher in den Schoß der Kirche aufgenommen sein. Wie ich höre, ist ein katholischer Prediger am Orte.« »Es wohnt hier allerdings ein katholischer Herr namens Goodriche.« »Ich werde morgen mit ihm zu Euch kommen«, sagte der Fremde. Am folgenden Tage erschien er im Hause des Arztes mit dem genannten Herrn und noch zwei andern. Sie schlossen sich mit dem Kinde ein, und es wurde nun wahrscheinlich die Tauffeierlichkeit an dem kleinen Wesen vollzogen. Als der Priester und die Zeugen gegangen waren, teilte der Fremde dem Doktor mit, daß er jetzt abreisen müsse, er werde in zehn Tagen wiederkommen und hoffe, daß dann seine Gefährtin reisefähig sei. »Mit welchem Namen sollen wir Kind und Mutter nennen?« »Das Kind heißt Richard.« »Es muß aber auch einen Familiennamen haben und die Dame auch, ohne Namen kann sie in meinem Hause nicht bleiben.« »So gebt ihr den Namen Eures Städtchens – Middlemas, nicht wahr?« sagte der Fremde. – »Wohlan denn, sie soll Frau Middlemas heißen und der Junge Richard Middlemas, und ich selber bin Matthias Middlemas, zu Diensten.« Darauf legte er dem Doktor 100 Pfd. in die Hand. »Die Frau wird sich hiervon alles, was sie haben will, kaufen können«, setzte er hinzu. Gray trug Bedenken, die Summe anzunehmen. »Ich glaube,« sagte er, »die Dame kann ihre Börse selber verwahren.« »Beileibe nicht!« versetzte der Fremde. »Wenn sie zum Beispiel hier die Papiernote einwechseln sollte, so wüßte sie nicht, wie viel Guineen sie dafür zu bekommen hat. Nein, Herr Gray, sie ist in weltlichen Dingen völlig unerfahren. Ihr müßt einstweilen ihr Vermögensverwalter sein.« Zur Verwunderung des Doktors sagte der Fremde dies in stolzem, hochfahrendem Tone, wie einer, der an Widerspruch nicht gewöhnt war. Dies bestärkte den Arzt in seinem Verdacht, daß er es hier mit einer Entführung oder mit einer heimlichen Ehe zwischen Personen höchsten Ranges zu tun habe. Das ganze Wesen der Dame wie des Herrn bestätigte diese Vermutung. Zudringlichkeit oder Neugierde war nicht Grays Art. Es konnte ihm aber nicht verborgen bleiben, daß die Dame keinen Ehering trug. Da sie tiefbetrübt war und in beständiger Angst schwebte, so kam er auf den Gedanken, sie sei ein unglückliches Mädchen, das sich den Schutz der Eltern verscherzt und auf den Schutz eines Gatten noch keinen rechtmäßigen Anspruch habe. Er war daher in lebhafter Besorgnis, als der sogenannte Herr Middlemas nach einer langwierigen Unterredung mit der Dame sich von ihm verabschiedete. Allerdings versicherte er abermals, daß er in zehn Tagen wiederkommen werde. Kurz nach der Abreise des Herrn Middlemas besuchte der Arzt seine Patientin. Er fand sie in heftigster Aufregung. Gray war erfahren genug, das sicherste Mittel zur Beruhigung sofort anzuwenden. Er ließ ihr das Kind bringen. Sie weinte lange, aber unter der Einwirkung der mütterlichen Gefühle legte sich ihre Erregung. Sie erschien noch so blutjung, daß man mit Gewißheit annehmen konnte, sie habe das Gefühl, Mutter geworden zu sein, zum erstenmal kennen gelernt. Der Arzt erkannte nach diesem heftigen Anfall sogleich, daß alles Sinnen und Denken der Kranken sich auf die Zeit konzentrierte, zu welcher die Rückkehr ihres Gatten – sofern es ihr Gatte war – erwartet werden konnte. Aber dieser Zeitraum ging vorüber, und der Mann blieb fern. Die vereitelte Hoffnung versetzte die Wöchnerin in heftige Unruhe und in eine halb ärgerliche, halb von Zweifel und Angst erfüllte Stimmung. Als einige Tage verstrichen waren, ohne daß eine Nachricht oder ein Brief von dem Manne eingetroffen wäre, wurde Gray selber um seinet- wie um der Dame willen besorgt, und fürchtete nun alles Ernstes, der Fremde habe in der Tat die Absicht gehabt, das schutzlose und wahrscheinlich schwer hintergangene Weib zu verlassen. Er wollte sie selber sprechen und von ihr zu erfahren suchen, nach welcher Richtung man am besten Erkundigungen einziehen könne, oder ob sich sonst irgend etwas tun lasse. Aber entweder verstand die Unglückliche nur unvollkommen die französische Sprache oder sie war entschlossen, über ihre Lage nicht das mindeste zu verraten, so daß jeder derartige Versuch erfolglos blieb. Zweites Kapitel Die vierte Woche nach der Niederkunft der Frau war verflossen und sie war völlig genesen, da sah Gray eines Tages, als er von einem Krankenbesuche heimkehrte, eine Postkutsche vor seiner Tür halten. »Der Mann wird zurückgekehrt sein,« dachte er bei sich, »und ich habe ihm mit meinem Verdacht unrecht getan.« Mit diesen Worten gab er seinem Pferde die Sporen, und das treue Tier gehorchte dem Winke seines Herrn um so bereitwilliger, als es ja nach seinem Stalle ging. Als er aber in seine Wohnung hinaufeilte, fand er seine Frau in heftigem Streit mit zwei Fremden, von denen der eine ein schon älterer Herr von dunkler Gesichtsfarbe und schwarzen stechenden Augen war, während der andere, der in der Hauptsache den Streit zu führen schien, eine beherzte und grausame Miene zeigte und mit ein paar Pistolen renommierte, die er im Gürtel trug. »Da ist mein Mann«, sagte Frau Gray in siegesgewissem Tone. »Was wollt ihr nun noch?« »Immer noch dasselbe«, versetzte der Mann, »Meinem Haftbefehl muß Folge geleistet werden, er ist in gesetzmäßiger Form ausgestellt.« Mit diesen Worten wies er mit dem Zeigefinger auf ein Blatt Papier, das er der Frau Gray mit der linken Hand unter die Nase hielt. »Wendet Euch gefälligst an mich«, sagte der Arzt. »Ich bin der Herr dieses Hauses und wünsche zu wissen, was Ihr hier zu tun habt.« »Was ich hier zu tun habe, ist bald gesagt«, antwortete der Mann. Ich bin ein Königsbote – die Frau hier aber behandelt mich, als wäre ich der Häscher eines Schuldgefängnisses.« »Das tut nichts zur Sache«, erwiderte der Doktor. »Wenn Ihr ein Königsbote seid, so zeigt Euren Haftbefehl vor und sagt, was Ihr tun wollt.« Gleichzeitig raunte er dem Stubenmädchen zu, den Stadtschreiber, Herrn Lawford, zu holen. »Hier ist mein Haftbefehl«, sagte der Beamte. »Überzeugt Euch, daß alles seine Richtigkeit hat.« »Dies ist ein Haftbefehl,« sagte der Doktor, nachdem er das Papier geprüft hatte, »gegen Richard Tresham und Zilia de Moncada wegen Hochverrats. Herr, ich habe im Dienste Seiner Majestät gestanden – und mein Haus ist keine Herberge für Hochverräter. Ich weiß nichts von diesen beiden Personen und habe noch nicht einmal ihre Namen je zuvor gehört.« »Die Dame, die Ihr aufgenommen habt, ist Zilia de Moncada, und hier steht ihr Vater Matthias de Moncada, der es beeiden wird.« »Wenn dies auf Wahrheit beruht,« erwiderte Gray, »so habt Ihr einen sonderbaren Dienst auf Euch genommen. Es ist nicht meine Art, etwas abzustreiten, was ich getan habe, oder den Gesetzen dieses Landes den Gehorsam zu verweigern. In diesem Hause befindet sich eine Dame im Zustande langsamer Genesung von ihrer Niederkunft – hier in diesem Hause hat sie einem gesunden Knaben das Leben geschenkt. Wenn sie diejenige ist, die in diesem Haftbefehl genannt ist, und ist sie die Tochter dieses Herrn, so muß ich sie den Gesetzen des Landes entsprechend ausliefern. Ihr Herren, das ist eine schlimme Geschichte. Wegen eines schweren Verbrechens ist hier ein Haftbefehl erlassen worden gegen eine Person, deren Zustand es kaum erlaubt, sie von einem Hause zum andern zu schaffen. Wenn Ihr in der Tat der Vater seid, Herr, so ist es Eure Pflicht, zu bedenken, die Lage der Armen zu verbessern, statt sie aufs äußerste zu verschlimmern.« »Besser tot als geschändet!« erwiderte der finstere Greis in rauhem Ton. »Ihr Staatsbote, tut Eures Amtes und vollzieht den Haftbefehl!« »Ihr hört,« sagte der Mann, »ich muß augenblicklich Zutritt zu der Dame haben.« »Es trifft sich glücklich, daß hier gerade Herr Lawford, der Stadtsekretär, kommt. – Seid willkommen, wir bedürfen hier sowohl Eures Urteils als Juristen wie auch Eurer Meinung als eines verständigen und menschlich gesonnenen Mannes.« In aller Eile stellte er den Fall dar, und der Königsbote wies, als er sah, daß ein Mann der Obrigkeit vor ihm stand, von neuem seinen Haftbefehl vor. Nach kurzem Bedenken sagte Lawford: »Der Vater muß die Tochter sehen, wenn auch beide sich veruneinigt haben, und der Diener des Staates muß seinen Haftbefehl vollziehen, wenn auch die Missetäterin an dem Schrecken zugrunde gehen könnte. Ihr habt die Dame auszuliefern, so natürlich auch Eure Bedenken dagegen sind.« »Läßt sich nicht eine Bürgschaft stellen?« fragte Gray. »In Fällen des Hochverrats ist das nicht zulässig«, erwiderte der Stadtsekretär. »Dann folgt mir, meine Herren«, sagte der Arzt ohne weitere Gegenwehr. Er führte die Herren die kleine Treppe hinauf, öffnete die Tür und sagte zu Moncada, der zunächst hinter ihm ging: »Hier ist der einzige Ort, wo Eure Tochter Zuflucht gefunden hat und wo sie zu schützen ich, ach, zu schwach bin!« Der Fremde warf ihm einen mürrischen Blick zu und trat dann mit stolzem Schritt in das Gemach. Lawford und Gray folgten in einiger Entfernung und der Exekutor blieb in der Tür stehen. Die unglückliche junge Dame hatte den Lärm schon vernommen und die Ursache nur zu richtig erraten. Vielleicht hatte sie auch die Fremden gesehen, als sie aus dem Wagen stiegen. Als sie in das Zimmer traten, lag sie auf den Knieen, das Gesicht durch ihre seidene Maske verhüllt. Der Mann, der sich Moncada genannt hatte, sprach nur ein Wort, das niemand verstehen konnte. Die Dame fuhr krampfhaft zusammen, wie ein Soldat, der schon halbtot ist und noch eine zweite Wunde erhält. Moncada kümmerte sich aber nicht um ihre Empfindungen, er faßte sie beim Arme und riß sie empor – sodaß sie schwankend dastand, nur von seiner Faust gehalten. Die arme Frau suchte das Gesicht zu verbergen, indem sie es mit der linken Hand bedeckte, aber es kostete ihren Vater wenig Mühe, ihr auch diese Hand noch wegzureißen. Nun zeigte sich ihr schönes, von Schamröte glühendes und von Tränen überströmtes Gesicht. »Ihr Mann der Obrigkeit und Ihr Arzt,« sagte er mit fremden Akzent zu Lawford und Gray, »diese Frau ist meine Tochter – dieselbe Zilia de Moncada, auf die der Haftbefehl lautet. Gebt Raum, daß ich sie wegführe, damit sie ihre Strafe für ihr Verbrechen finden möge.« »Seid Ihr die Tochter dieses Mannes?« fragte Lawford die Frau. »Sie kann nicht Englisch«, sagte Gray und redete die Kranke auf französisch an. Er beschwor sie zu erklären, ob sie in der Tat die Tochter dieses Mannes sei, wenn es nicht der Fall wäre, könne sie seines Schutzes sicher sein. Sie gab mit schwacher Stimme Antwort, aber es war deutlich zu verstehen, daß sie sagte, es sei ihr Vater. Damit schien jedes weitere Recht, sich einzumischen, erloschen, und der Exekutor erklärte die Dame für verhaftet. Doch noch einmal schritt Gray ein. »Ihr wollt doch nicht etwa die Mutter von ihrem Kinde trennen?« fragte er. Zilia de Moncada hörte die Frage, die Gray unbedachterweise in französischer Sprache an den Vater gerichtet hatte. Ein Schrei bittersten Schmerzes entrang sich ihr, und mit dem Ausdruck innigsten Flehens sah sie ihren Vater an. »Den Bastard mag die Gemeinde aufziehen«, sagte Moncada, während die hilflose Mutter zu Boden sank. »Ein derartiges Verfahren ist unstatthaft, Herr«, sagte Gray. »Wenn Ihr der Vater dieser Dame seid, so seid Ihr auch der Großvater dieses hilflosen Kindes und habt auf irgend eine Weise für seine Zukunft zu sorgen oder uns an eine Zwischenperson zu verweisen, die diese Sorge auf sich nimmt.« Moncada sah auf Lawford, der sich dahin aussprach, daß der Doktor recht habe. »Ich bin bereit, alles zu zahlen,« sagte Moncada, »was für dieses Kind des Unglücks nötig ist; wenn Ihr, Herr,« dabei wandte er sich an Gray, »es annehmen und aufziehen wollt, so sollt Ihr soviel erhalten, daß Euer Einkommen reichlich aufgebessert ist.« Der Doktor wollte das Anerbieten schon zurückweisen, aber er besann sich und erwiderte: »Ich werde dieses Anerbieten nur dann annehmen, wenn die Mutter es wünscht.« Moncada sprach mit seiner Tochter, die gerade aus ihrer Ohnmacht zu sich gekommen war, der Vorschlag, den er ihr machte, schien im höchsten Grade annehmbar, sie trat auf den Doktor zu, küßte ihm die Hand, die sie mit ihren Tränen benetzte. Mit der Notwendigkeit, sich von dem Kinde zu trennen, schien sie sich sogar bei dem Gedanken auszusöhnen, daß es in der Obhut des Doktors bleiben solle. »Guter, freundlicher Mann,« sagte sie, »Ihr habt Mutter und Kind gerettet.« Mit kaufmännischer Umsicht überreichte inzwischen der Vater Herrn Lawford Banknoten im Betrage von 1000 Pfd. Diese Summe sollte für die Erziehung des Kindes bestimmt sein und je nach Bedarf sollten die Raten ausgezahlt werden. Er gab außerdem die Adresse eines Londoner Bankiers an, durch den Mitteilungen an ihn zu befördern seien, falls sich einmal in dringenden Angelegenheiten ein besonderer Schriftwechsel erforderlich machen sollte. Während Lawford ein genaues Protokoll der Verhandlung aufsetzte, durch die sie, er und Gray, zu Vormündern des Kindes bestellt worden waren, wollte der Arzt der Dame den Rest des Betrages zurückgeben, den ihm Tresham – wenn er wirklich so hieß – anvertraut hatte. Sie weigerte sich aufs heftigste, das Geld zu nehmen, und bat den Arzt, es als sein Eigentum zu betrachten. Gleichzeitig drang sie ihm als Geschenk einen mit Brillanten besetzten Ring auf, der einen hohen Wert zu haben schien. Nachdem dann der Vater in hartem Tone ein paar Worte zu ihr gesprochen hatte, sagte er zu den andern: »Ich habe ihr noch ein paar Worte vergönnt, von dem elenden Wesen, das ihre Schande besiegelt, Abschied zu nehmen. Wir wollen uns solange zurückziehen, Ihr, Exekutor, bewacht von außen die Tür!« Gray, Lawford und Moncada zogen sich zurück und warteten in Schweigen, bis nach einer halben Stunde die Meldung kam, daß die Dame zur Abreise bereit sei. Drittes Kapitel Vier Jahre nach diesem Auftritt geschah das Langersehnte: Frau Gray schenkte ihrem Mann eine Tochter. Allein Glück und Unglück sind auf dieser Welt seltsam gemischt. Die Erfüllung seines innigen Wunsches nach Nachkommenschaft hatte den Verlust seiner schlichten, gutmütigen Gattin zur Folge. Das war einer der schwersten Schläge, mit denen das Schicksal den armen Gideon Gray treffen konnte. Gray trug das Unglück, wie eben Menschen von Verstand und festem Charakter eine entscheidende Schicksalswendung hinnehmen, von der sie sich niemals wieder völlig zu erholen hoffen können. Er ging den Pflichten seines Berufes mit der gleichen Pünktlichkeit nach wie zuvor, und blieb im Umgang mit den Leuten nach außen hin heiter, aber der Sonnenschein seines Lebens war dahin. Das helle, laute Pfeifen, das er immer anstimmte, wenn er den Kirchturm von Middlemas erblickte, war für immer verstummt, der Reiter hielt das Haupt gesenkt, und das Pferd, dem die Aufmunterung durch die Hand und Stimme seines Herrn fehlte, schlenderte müde dahin, als sei es mit ihm niedergeschlagen und trostlos. Mitunter war er so traurig gestimmt, daß er den Anblick der kleinen Marie nicht zu ertragen vermochte, deren Kinderantlitz ihn an die Züge der Mutter erinnerte. Den größten Trost nach dem schweren Verluste fand der arme Mann in der fröhlichen Zärtlichkeit des Richard Middlemas, des Kindes, das in so seltsamer Weise in seine Pflege gekommen war. Von frühester Jugend auf war er von großer Schönheit. Wenn er schwieg oder mißgestimmt war, dann zeigte sein Gesicht im dunklen Ausdruck der Augen und der finstern Miene Ähnlichkeit mit dem unheimlichen Charakter, den das Gesicht seines vermutlichen Vaters offenbart hatte. Wenn er aber munter und glücklich war – eine Stimmung, die bei ihm die häufigere war – dann hatte er die fröhlichste, heiterste Miene, die je auf dem lachenden, gedankenlosen Antlitz eines Kindes gestrahlt hat. Er zeigte die zärtlichste, liebevollste Anhänglichkeit an seinen Vormund und Wohltäter. Er war stets willig und folgsam und verstand es mit einem über seine Jahre gehenden Geschick, seinem Pflegevater zu helfen oder ihm Zerstreuung zu bereiten. Diese dankbare Liebe schien mit der Entwicklung seiner Geisteskräfte zuzunehmen und äußerte sich bald auch in Aufmerksamkeiten gegen die kleine Marie Gray. Im selben Verhältnis zu Richards liebevoller Aufmerksamkeit wuchs Maries Anhänglichkeit an Richard. Der Vater sah mit Vergnügen jedes neue Zeichen der Liebe, das sein Schützling seinem Kinde erwies. Während Richard allmählich aus einem schönen Kinde zu einem hübschen Knaben wurde, schrieb Doktor Gray jährlich mit großer Regelmäßigkeit an Herrn von Moncada unter der ihm angegebenen Adresse. Der rechtlich denkende Mann war der Meinung, der Großvater werde nicht, wenn er seinen Enkel sähe, auf den die ganze Familie stolz sein könne, auf seinem Entschluß bestehen, einen ihm durch Blutsverwandtschaft so nahen und an Gestalt und Charakter ihm so ähnlichen Knaben als einen Verstoßenen zu behandeln. Er hielt es daher für seine Pflicht, die Verbindung zwischen dem Großvater und dem Enkel aufrecht zu erhalten, da die beiden in Zukunft vielleicht einander näher gebracht werden konnten. Andrerseits konnte ein derartiger Briefwechsel einem Manne von dem Selbstgefühl Grays nicht angenehm sein. Er faßte daher seine Briefe so kurz wie möglich, legte lediglich Rechenschaft ab über die für sein Mündel gemachten Ausgaben unter Einschluß eines geringen Kostgeldes, das er selber in Anschlag, brachte, fügte die Beglaubigung des Herrn Lawford bei und berichtete dann über Richards Gesundheitszustand und seine Fortschritte in der Erziehung. Den Schluß bildete in der Regel eine kurze aber herzliche Lobrede auf Richards Klugheit und Gutherzigkeit. Die Antworten waren stets kurz und lauteten immer etwa folgendermaßen: »Herr von Moncada bescheinigt den Eingang der Briefe des Herrn Gray von dem und dem Datum und ersucht Herrn Gray, es bei dem vereinbarten Verkehr bewenden zu lassen.« Sobald außergewöhnliche Ausgaben sich erforderlich machten, wurden ohne Umstände und umgehend Geldbeträge eingesandt. Als der Knabe vierzehn Jahre alt wurde, schrieb der Doktor einen ausführlichen Bericht von dem Charakter, den Fortschritten und den Fähigkeiten seines Pflegekindes. Er setzte hinzu, daß er diese Mitteilungen mache, damit Herr von Moncada sich ein Urteil darüber bilden könne, für welchen Beruf der junge Mann herangezogen werden könne. Er wolle nach besten Kräften alles tun, um die Wünsche des Herrn von Moncada auszuführen, denn der Knabe sei bei seinem liebenswürdigen Wesen ihm so lieb und wert, als sei er sein eigen Kind. Die Antwort, die nach etwa zehn Tagen eintraf, war ausführlicher als sonst und hatte folgenden Inhalt: »Sehr geehrter Herr Gray! – Wir haben uns unter nicht gerade günstigen Umständen kennen gelernt. Allein ich bin im Vorteil gegen Euch. Denn es war mir ja bekannt, aus welchem Grunde Ihr eine schlechte Meinung von mir hattet, und so konnte ich Eure Gründe und Euch selber zur gleichen Zeit achten, Ihr aber wart nicht in der Lage, meine Handlungsweise zu begreifen – weil Ihr nicht unterrichtet wart, in wie schändlicher Weise man mir mitgespielt hatte. Ein Schurke hat mir meine Tochter geraubt und entehrt, und ich kann es nicht über mich gewinnen, ein ob noch so unschuldiges Wesen vor Augen zu haben, dessen Anblick mich stets an Haß und Schande erinnert. Behaltet das arme Kind bei Euch und bildet es zu Euerm eigenen Berufe heran. Nur tragt dafür Sorge, daß der Knabe nicht über eine Stellung – wie Ihr sie so würdig einnehmt – oder über eine andre gleichwertige Stellung hinaus will. Die Mittel, um einen Pächter, Rechtsgelehrten oder Arzt aus ihm zu machen, oder ihn zu sonst welchem andern zurückgezogenen Stande heranzubilden, werden aufs freigiebigste ausgehändigt werden. Ich muß jedoch den Knaben und Euch davor warnen, Ansprüche an mich zu stellen, die mich veranlassen könnten, jede weitere Unterstützung abzuschlagen. Ich habe Euch nun hiermit meine Ansicht und meine Absichten mitgeteilt und erwarte, daß Ihr Euch danach richten werdet.« Der Empfang dieses Briefes bewog den Doktor, mit dem Knaben zu sprechen und ihn selber zu fragen, für welchen der ihm freistehenden Berufe er sich entscheide. Er war zugleich überzeugt, daß der Knabe die Wahl dem Urteil seines Pflegevaters anheimstellen werde. Vorher jedoch hatte er die unangenehme Pflicht, Richard Middlemas in die geheimnisvollen Umstände seiner Geburt einzuweihen. Er war nämlich der Meinung, der Knabe wisse nichts davon, weil er selber nie mit ihm darüber gesprochen hatte, sondern ihn stets in dem Glauben erzogen hatte, er sei das Waisenkind einer entfernten Verwandten. Was aber der Doktor unterlassen hatte, das hatte die geschwätzige Amme getan. Von früher Jugend an war dem Kinde von der Amme der Kopf mit allerlei Märchen und Sagen verdreht worden, und das redselige Weib hatte dabei vor allem nicht jene Legende vergessen, die sie die entsetzliche Zeit seiner Geburt betitelte. – Da wurde denn nun alles in das grellste Licht gesetzt: die Persönlichkeit seines Vater, – der ganz so ausgesehen hätte, als ob die ganze Welt ihm zu Füßen gelegen hätte, – die Schönheit seiner Mutter und die schreckliche schwarze Maske, die sie getragen habe – ihre Augen, die wie Diamanten gefunkelt hätten, und die Diamanten, die sie am Finger gehabt hätte und die mit nichts zu vergleichen gewesen wären als mit ihren Augen – ihr zarter Teint und die Farbe ihres seidenen Mantels – und allerlei derartiges Geschwätz. Dann sprach sie weitläufig von der Ankunft seines Großvaters und des furchtbaren, mit Pistolen und Schwert bewaffneten Mannes – dann über die Entführung seiner Mutter, wobei die Banknoten im Hause herumflogen wie Fetzen Löschpapiers und es Goldguineen hagelte wie Kieselsteine. Das alles erzählte die Amme, teils um die Teilnahme des Knaben zu wecken, teils um ihr eignes Gelüst nach Übertreibung zu befriedigen. Der tatsächliche Vorgang – so geheimnisvoll er auch an sich war – wurde zu einem Nichts vor der Darstellung der Amme und nahm sich aus wie die demütigste Prosa gegenüber dem kühnsten Fluge der Poesie. Das alles war Musik für Richards Ohr. Er malte sich mit wahrer Wonne aus, daß eines Tages sein tapferer Vater unerwartet an der Spitze eines tapfern Regimentes mit klingendem Spiel und fliegenden Standarten einziehen werde, um seinen Sohn auf dem schönsten Pferde, das Menschenaugen je erschaut hätten, wegzuführen. Oder seine Mutter, schön wie der Tag, werde plötzlich in einer Kalesche mit sechs Pferden erscheinen und ihr geliebtes Kind abholen. Oder sein reicher Großvater werde mit den Taschen voll Banknoten ankommen und seinen Enkel mit Reichtümern überhäufen. Kurz, während der gute Doktor Gray sich einbildete, sein Pflegekind wisse nichts von seiner Herkunft, dachte Richard nur noch daran, wann und in welcher Weise er eines Tages wohl aus dem beschränkten Dunkel seines jetzigen Lebens emporgehoben und in eine Stellung gelangen würde, auf die er seiner Meinung nach durch seine Geburt ein Anrecht hatte. Viertes Kapitel Solche Empfindungen beseelten den jungen Mann, als eines Tages der Doktor nach Tisch die große lederne Brieftasche hervorholte, in welcher er seine wichtigen Dokumente aufbewahrte. Er nahm das Schreiben Moncadas heraus und bat Richard, ihm aufmerksam zuzuhören, denn er habe ihm betreffs seiner eigenen Person mehreres mitzuteilen, was von größter Bedeutung für ihn sei. Richards Augen funkelten, endlich war die Stunde der Erklärung gekommen. Auf seiner breiten, gut geformten Stirn füllten die Adern sich mit Blut – er horchte hoch auf, als Gideon Gray ihm alles erzählte, wobei freilich das phantastische Beiwerk gänzlich fehlte, mit dem die Amme die Vorgänge ausgeschmückt hatte. Der Bericht war ferner seinem Inhalt nach auf das, was die Geschäftsmänner das Wesentlichste nennen, zusammengedrängt und enthielt somit nichts weiter als die Geschichte eines Kindes der Schande eines von Vater und Mutter verlassenen Kindes, das von den nur widerwillig gegebenen Almosen eines entfernten Verwandten aufgezogen worden war – eines Großvaters, der das Kind als den leibhaftigen Beweis für die Schande seiner Familie ansah und weit lieber die Kosten seiner Beerdigung als die seiner Erziehung getragen hätte. Alle Tempel und Burgen und lieblichen Luftschlösser, die Richard in kindlicher Einbildungskraft gebaut hatte, fielen jäh in sich zusammen, und der Schmerz, sie einstürzen zu sehen, war um so bitterer, als noch die Scham hinzukam, sich solchen Träumereien hingegeben zu haben. Während Gideon weitererzählte, stand er wie zu Boden geschmettert, die Augen hafteten auf der Erde, auf der Stirn waren im Kampfe der Leidenschaften die Adern geschwollen. »Und nun, lieber Richard,« sagte der Arzt, »mußt du dir überlegen, was du tun willst, da dir dein Großvater die Wahl zwischen drei ehrenwerten Berufen freistellt. In jedem kannst du, wenn du die eingeschlagene Bahn rechtschaffen und vernünftig verfolgst, ein unabhängiger, allerdings kein reicher, ein achtbarer, wenn auch kein vornehmer Mann werden. Nun wirst du natürlich eine kurze Bedenkzeit haben wollen.« Der junge Mann hob den Kopf und heftete einen kühnen Blick auf seinen Pflegevater. »Nicht eine Minute!« rief er im Tone beleidigten Stolzes. »Sagt meinem Großvater, meine Seele empört sich über die niedrige Stellung, die er mir zumutet. Ich bin entschlossen, die Laufbahn meines Vaters einzuschlagen und in die Armee zu treten, sofern mein Großvater mich nicht zu sich nehmen und in sein Geschäft aufnehmen will.« »Er soll dich zum Teilhaber machen und als Erben anerkennen, nicht wahr? Darauf ist ja freilich nicht zu rechnen, wenn man bedenkt, in welcher Weise er dich hat erziehen lassen und welche Bedingungen er betreffs deiner Person gestellt hat.« »Auf jeden Fall, Herr,« antwortete der Knabe, »darf ich ein Verlangen aussprechen. Eine große mir gehörige Geldsumme ist in Euern Händen, sie ist Euch überwiesen worden, um für mich verwendet zu werden, und ich verlange, daß Ihr mir die Vorschüsse gewährt, deren ich bedarf, um eine Offiziersstelle zu erhalten. Den Rest händigt mir gefälligst aus, und ich will Euch dann nicht länger behelligen.« »Junger Mann,« versetzte der Doktor mit Ernst, »es tut mir recht leid, daß deine Klugheit und deine gute Stimmung gleich Schiffbruch gelitten haben, weil die törichten Erwartungen, die zu hegen du nicht die mindeste Veranlassung hattest, vereitelt worden sind. Ich habe allerdings eine für dich bestimmte Summe in Händen, die sich trotz mehrerer Ausgaben noch immer auf 1000 Pfd., vielleicht auf etwas mehr belaufen mag. Ich habe aber die Verpflichtung, sie nur in der Weise anzuwenden, die der Geber festgesetzt hat, und vor allem hast du selber nicht eher Anspruch darauf, als bis du großjährig geworden bist, und das hat noch sechs Jahre Zeit. – Aber sei gut, Richard, es ist das erste Mal, daß ich dich in so alberner Laune sehe, ich gebe allerdings zu, daß bei deiner Lage so mancherlei vorliegt, was eine noch größere Verstimmung deinerseits entschuldigen möchte. Aber du solltest doch deinen Ärger nicht an mir auslassen, denn ich habe keine Schuld an deinem Unglück. Du solltest vielmehr bedenken, daß ich dein erster und einziger Freund war und lange Zeit hindurch allein die Sorge für dich auf mich genommen habe, wo alle Welt dich aufgegeben hatte.« »Das danke ich Euch nicht,« versetzte Richard in ungezügeltem Ausbruch wilder Leidenschaft, »Ihr hättet mich weit besser versorgen können, wenn Ihr nur gewollt hättet.« »Und wie denn, undankbarer Bursch?« rief Gray, der die Geduld verlor. »Unter die Räder des Wagens hättet Ihr mich werfen sollen, als die Leute wegfuhren, daß der Leib ihres Kindes zermalmt worden wäre!« Mit diesen Worten stürzte er hinaus und warf die Tür hinter sich zu. Sein Pflegevater blieb zurück in tiefster Verwunderung über die so plötzliche und eingreifende Veränderung, die in dem ganzen Wesen des Knaben vor sich gegangen zu sein schien. Richard Middlemas ging unverzüglich zum alten Stadtsekretär Lawford. Er begann die Unterredung hier, indem er den Vorschlag darlegte, der ihm über die Wahl eines Berufes gemacht worden war. Er berührte dann die geheimnisvollen Umstände seiner Geburt und seine unsichern Aussichten und brachte auf diese Weise den Sekretär leicht dahin, ihm genaue Auskunft über den Geldbetrag zu geben, den sein Pflegevater noch in Händen hatte – welche Angabe mit der des Doktors völlig übereinstimmte. Alsdann fragte er den Sekretär, ob es anginge, daß er Offizier würde, erhielt aber auch in diesem Punkte einen abschlägigen Bescheid, der sich mit der Ausführung des Doktors deckte. Er erfuhr, daß kein Teil des Geldbetrages ihm vor der Großjährigkeit zur Verfügung gestellt werden dürfe ohne die ausdrückliche Einwilligung seiner beiden Vormünder und vor allem seines Pflegevaters. Er verabschiedete sich daher von dem Sekretär, der sich sehr lobend über die Vorsicht und Klugheit aussprach, daß der Knabe vor einem so wichtigen Schritte seines Lebens sich an einen umsichtigen und einschlägigen Ratgeber gewandt habe, und gab ihm zu verstehen, daß er ihn gern gegen ein geringes Lehrgeld als Schreiber aufnehmen wolle, sofern er zur Rechtslaufbahn Neigung habe. Middlemas dankte ihm für seine Güte und versprach, sein freundliches Anerbieten in Erwägung zu ziehen, falls er sich für diesen Beruf entscheiden sollte. Am kommenden Morgen stand Richard Middlemas mit der Sonne auf. Die nächtliche Ruhe schien seine Leidenschaft gedämpft und seinen Verstand wieder ins rechte Geleise gebracht zu haben. Er ging zu Herrn Gray, der in der Tat noch willens war, Richard mit kalter Zurückhaltung zu behandeln, aber er fühlte sich sofort entwaffnet durch das freimütige Geständnis des jungen Mannes, daß er sich durch das Trugbild seiner Phantasie, einstmals zum Range und der Stellung seiner Eltern emporsteigen zu können, habe hinreißen lassen. Der Brief seines Großvaters, durch den er für die Zeit seines Lebens verurteilt werde, fern zu bleiben und in niedriger Stellung, sei freilich ein schwerer Schlag. Es erfülle ihn jetzt mit tiefem Kummer, daß die Verzweiflung über getäuschte Hoffnungen ihn veranlaßt habe, sich in einer Weise auszudrücken, die die schuldige Achtung und Ehrerbietung eines Pflegekindes gröblich verletzt habe. Er fühle sich Herrn Gray gegenüber zu der Liebe und dem Gehorsam eines Sohnes verpflichtet und wolle jede Entscheidung über seine Zukunft ihm anheimstellen. Gerührt über ein so aufrichtiges und demütiges Eingeständnis, vergaß der Doktor seinen Zorn und fragte in gütigem Tone, ob Richard sich die Wahl eines Berufes überlegt habe. Zugleich erklärte er sich bereit, ihm die zur Entschließung erforderliche Frist zu lassen. Da der junge Mann erklärte, es sei sein fester, unabänderlicher Entschluß, bei seinem Pflegevater Medizin zu studieren und in seiner Familie zu bleiben, so setzte der Arzt Herrn von Moncada hiervon in Kenntnis und erhielt daraufhin sofort den Betrag von hundert Pfund als Lehrgeld, zum Zeichen, daß der Großvater mit dieser Wendung der Angelegenheit voll einverstanden sei. Fünftes Kapitel Um dieselbe Zeit, als Gray die ärztliche Ausbildung seines Pflegesohnes auf sich genommen hatte, wandte sich ein gewisser Adam Hartley an ihn mit dem Ansuchen, bei ihm in die Lehre treten zu dürfen. Der junge Mann war der Sohn eines achtbaren Pächters, der den ältesten Sohn zu seinem eignen Berufe herangezogen hatte und aus dem zweiten einen Arzt zu machen wünschte. Er nahm hiermit das freundliche Anerbieten seines Gutsherrn an, den Sohn in seiner Laufbahn zu unterstützen – eine Hilfe, die besonders bei der Beförderung eines Arztes sich als wertvoll geltend machen könne. Middlemas und Hartley wurden also Lehrkameraden. Während des Winters kamen sie nach Edinburgh in Pension, um dort die medizinischen Vorlesungen zu hören, da der Besuch der Universität zur Erlangung des Doktortitels erforderlich war. So gingen drei, vier Jahre hin – die zwei Studenten der Medizin waren nun keine Knaben mehr, es waren junge Leute geworden, die als stattliche Jünglinge, gut gekleidet und wohl erzogen, auch mit Geld versehen, in dem kleinen Orte, wo es kaum jemand gab, der zu den obersten Zehntausend zu rechnen gewesen wäre, Personen von Bedeutung wurden, da an jungen Männern ein Mangel, an Mädchen dagegen ein Überfluß vorhanden war. In ihrer äußeren Erscheinung waren sie sehr von einander verschieden. Adam Hartley war mittelgroß, robust und starkknochig, unter den kastanienbraunen Locken zeigte sich ein offnes, biedres, echt angelsächsisches Gesicht. Er trieb mit Vorliebe Leibesübungen, wie Ringen, Boxen, Springen und Fechten, und besuchte jedesmal die Stierhatz, die in dem Städtchen ab und zu gehalten wurde. Richard dagegen hatte schwarzes Haar wie sein Vater und seine Mutter – stolze, schön gebildete Züge, die aber einen etwas fremdländischen Charakter hatten. Seine Gestalt war groß und schlank, muskulös und schmiegsam zugleich. Ein überaus graziöses und leichtes Benehmen – wie es sonst niemand im ganzen Orte zu eigen war – mußte ihm angeboren sein. Die Einwohnerschaft war in der Beurteilung der beiden in zwei Parteien geteilt. In Ermangelung eines besseren Gesprächsstoffes stellten sie Vergleiche zwischen ihnen an und beriefen sich dabei auf das Urteil des Arztes, aber Herr Gray war hierin sehr zurückhaltend und beschränkte seine Äußerung in der Regel darauf, die beiden Jünglinge seien wackre Burschen und würden tüchtige Leute in ihrem Fache werden, wenn sie sich nicht den Kopf durch allerlei alberne Aufmerksamkeiten, die die Leute im Orte ihnen erwiesen, verdrehen ließen. Es gab Personen in Middlemas, die so unbedacht waren zu glauben, Marie Gray allein sei die beste Richterin über die beiderseitigen Verdienste der jungen Männer, über deren Vorzüge die öffentliche Meinung geteilt sei. Allerdings wagte niemand – selbst ihre vertrautesten Freundinnen nicht – die Frage offen an sie zu richten. Aber ihre Handlungsweise wurde scharf überwacht und man kam zu der Ansicht, daß sie in ihren Aufmerksamkeiten gegen Adam Hartley offener und freier sei. Mit ihm lachte, schwatzte und tanzte sie, während sie gegen Richard scheu und zurückhaltend war. An diesen Beobachtungen war nicht zu zweifeln, aber über die Folgerungen, die daraus zu ziehen wären, war die Meinung abermals geteilt. Es war nicht gut möglich, daß die beiden jungen Leute es nicht hätten merken sollen, in wie angelegentlicher Weise sich die Gesellschaft von Middlemas mit ihnen beschäftigte. Da sie von der kleinen Welt, in der sie sich bewegten, gegeneinander abgewogen wurden, hätte ihr beiderseitiger Charakter über dem Durchschnittsschlage stehen müssen, um nicht eifersüchtig aufeinander zu werden, nicht nur als Nebenbuhler um den Beifall der Öffentlichkeit und von dieser zum Wetteifer angespornt, sondern auch durch eigenen Antrieb aus sich selber heraus dazu getrieben, miteinander um die Palme zu ringen. Dazu kam noch, daß Marie Gray zu einem der schönsten Mädchen nicht nur von Middlemas, sondern von der ganzen Grafschaft herangewachsen war. Ihr Vater schien nicht im mindesten um sie besorgt, obwohl sie fast ununterbrochen mit den beiden jungen Männern zusammen war, während er häufig und fast täglich vom Hause weg war. Es läßt sich begreifen, daß die jungen Leute ihren Ehrgeiz darein setzten, wer von beiden ihr am meisten gefiel, und so wurden sie auch hier zu stillen, doch heftigen Nebenbuhlern. Gideon Gray aber wußte, daß seine Tochter von Charakter ebenso fest, aufrichtig und rechtschaffen war wie er selber und daß er nicht den geringsten Grund zu der Besorgnis habe, seine Tochter könne sein Vertrauen mißbrauchen oder sich seiner unwürdig zeigen. Er verließ sich daher mit vollem Recht auf die Festigkeit ihrer Grundsätze, übersah jedoch die Gefahren, in die ihr Herz und ihre Neigungen geraten mußten. Im Umgange zwischen Marie und den beiden Jünglingen schien jetzt allerseits eine große Zurückhaltung eingetreten zu sein. Nur bei Tische sahen sie sich, und Marie gab sich – vielleicht auf den Rat ihres Vaters hin – alle Mühe, beiden die gleiche Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Das war indessen gar nicht leicht. Hartley benahm sich jetzt mit einemmal so kalt und förmlich, daß es ihr unmöglich wurde, noch länger mit ihm zu verkehren. Middlemas dagegen behielt mit der ihm eignen sichern Grazie des Wesens sein bisheriges Verhalten bei. Schließlich nahte die Zeit, daß die jungen Leute, deren vertragsmäßige Lehrzeit ablief, sich nach einem eignen Weg in die Welt und das Leben hinein umsehen mußten. Doktor Gray teilte Richard mit, er habe in dieser Angelegenheit schon mehrmals dringend an Herrn von Moncada geschrieben, ohne jedoch bisher eine Antwort zu erhalten. Er wolle ihm nicht seinen eigenen Rat erteilen, ehe nicht die Meinung des Großvaters eingegangen sei. Diese Verzögerung schien Richard mit größerer Geduld hinzunehmen, als seinem Charakter zu entsprechen schien. Er fragte nicht, sprach keine Vermutungen aus und ließ durch nichts erkennen, daß es ihm um eine Beschleunigung der Angelegenheit zu tun sei. Er schien mit Geduld abwarten zu wollen, wie die Dinge sich weiter entwickeln würden. In der Tat hatte nämlich Richard selber einen Versuch gemacht, sich seinem unerbittlichen Verwandten zu nähern. Er hatte an Herrn von Moncada einen Brief voll Dankbarkeit, Liebe und kindlicher Ergebung gesandt und um die Erlaubnis gebeten, persönlich mit ihm zu korrespondieren, indem er versprach, sich in jeder Einzelheit nach dem großväterlichen Willen zu richten. Die Antwort war, daß der Brief zurückgeschickt wurde. Die Sendung enthielt nur ein Anschreiben des Bankiers, durch den der Brief versandt worden war, mit der Bemerkung, daß Herr von Moncada jede weitere Geldsendung oder irgendwelche Unterstützung unterlassen und einstellen werde, sobald noch ein einziger Versuch gemacht würde, sich ihm aufzudrängen. Sechstes Kapitel Lange Zeit hatten die beiden Lehrkameraden in dieser beiderseitigen Stimmung nicht miteinander geredet. Eines Abends ersuchte nun Adam Hartley seinem bisherigen Verhalten entgegen seinen Gefährten um eine Unterredung. »Ich hätte gern mit dir gesprochen, Middlemas«, sagte er. »Ich fürchte nur, ich störe dich.« »Durchaus nicht,« sagte der andere, die Hacke niederlegend, mit der er in dem kleinen Kräutergarten des Arztes arbeitete. »Ich habe nur etwas Unkraut ausgejätet, das nach dem letzten Regen stark emporgewuchert ist, und stehe dir jetzt zur Verfügung.« Hartley ging nach einer nahen Bank und setzte sich. Middlemas folgte seinem Beispiel. »Ich habe soeben eine wichtige Unterredung mit Herrn Gray gehabt«, begann Hartley nach einer Pause. Man merkte ihm an, daß ihm nicht sehr leicht fiel, was er sich vorgenommen hatte. »Ich hoffe, ihr seid zu einem beide Teile befriedigenden Einverständnis gelangt«, warf Middlemas hin. »Darüber magst du selber urteilen«, fuhr Adam fort. »Doktor Gray hatte die Güte, sich über meine Fortschritte in meinem Berufe sehr lobend auszusprechen, und hat mir zu meinem nicht geringen Erstaunen die Frage vorgelegt, ob ich, da er doch jetzt alt würde, willens wäre, in meiner gegenwärtigen Stellung noch zwei Jahre zu bleiben und zwar gegen ein entsprechendes Salär. Ich solle dann nach Ablauf dieser Zeit sein Teilhaber werden.« »Herr Gray hat allein das maßgebende Urteil,« sagte Middlemas, »wer sich am besten zum Assistenzarzt für ihn eignet. Die Praxis bringt jährlich 200 Pfd. ein, und ein fleißiger Assistenzarzt, der die Praxis bis nach Strath-Devan und Carse ausdehnen kann, vermag am Ende die Einnahme zu verdoppeln. Aber selbst dann ist sie noch recht mäßig, wenn sie in zwei Teile geht,« »Das ist aber noch nicht alles«, fuhr Hartley fort. »Der Doktor sagte ferner noch – er hat mir vorgeschlagen – kurz, er hat mir angeboten, ich solle in diesen zwei Jahren um die Gunst des Fräulein Gray werben und dann nicht nur sein Teilhaber, sondern auch sein Schwiegersohn werden.« Bei diesen Worten sah er Richard fest ins Gesicht, der für einen Augenblick die Fassung zu verlieren schien. Aber dieser hatte sogleich die Kaltblütigkeit wieder erlangt und antwortete in einem Tone, in welchem sich Ärger und gekränkter Stolz vergebens unter erkünstelter Gleichgültigkeit zu verbergen versuchten: »Ei, zu dieser patriarchalischen Ordnung deiner Angelegenheiten kann ich dir nur Glück wünschen. Fünf Jahre lang hast du gedient um dein Doktordiplom – zwei Jahre wirst du nun dienen um das Töchterlein des Doktors. Sicherlich – doch es ist vielleicht unartig von mir, danach zu fragen – sicherlich hast du das schmeichelhafte Anerbieten angenommen.« »Du bedenkst nicht, daß eine Bedingung daran geknüpft wurde. Schon lange, Middlemas, habe ich den Verdacht gehegt, daß du den unschätzbaren Vorteil hast, Fräulein Grays Zuneigung erworben zu haben.« »Ich?« fiel ihm Middlemas ins Wort. »Du scherzest oder bist eifersüchtig. Du traust dir selber zu wenig zu und mir mehr als zuviel.« »Du solltest dir selber sagen,« versetzte Hartley, »daß hier von Vermutungen oder von dem, was du Eifersucht nennst, nicht die Rede ist. Ich sage dir offen, Marie Gray hat mir selber ihre Liebe zu dir eingestanden, denn ich habe sie natürlich von meiner Unterredung mit ihrem Vater in Kenntnis gesetzt. Ich sagte ihr, ich sei freilich überzeugt, daß ich zurzeit noch nicht den Platz in ihrem Herzen hätte, der allein mir das Recht geben könnte, sie zu bitten, daß sie sich dem anschlösse, was ihr Vater mir angeboten habe. Ich ersuchte sie aber, sich nicht vorschnell zu meinen Ungunsten zu entscheiden, denn ich hegte die Hoffnung, daß die Zeit und die Dienste, die ich ihrem Vater erweisen würde, eine Änderung zu meinen Gunsten bewirken würden.« »Ein ganz natürliches und sehr bescheidenes Ansuchen; was hat die junge Dame dir geantwortet?« »Sie ist ein Mädchen von edler Gesinnung, Richard Middlemas,« erwiderte Adam. – »Ich kann nicht genug die jungfräuliche Bescheidenheit preisen, mit der sie mir sagte, sie kenne zu wohl meine Herzensgüte – dies waren ihre eignen Worte – als daß sie es über sich gewinnen könne, mir die Pein einer unerwiderten Liebe zu verlängern. Sie erklärte mir nun aufrichtig, daß sie schon geraume Zeit heimlich mit dir verlobt sei, daß ihr euch gegenseitig eure Bilder geschenkt hättet. Und wenn sie auch niemals ohne die Einwilligung ihres Vaters dir die Hand geben werde, so sei es ihr doch unmöglich, ihren Gefühlen soweit Zwang anzutun, daß sie jemals einem andern Hoffnung auf Erfolg machen könne.« »Das muß ich sagen,« rief Middlemas, »sie ist sehr aufrichtig, und ich bin ihr sehr verbunden.« »Und das muß ich sagen, Middlemas,« versetzte Hartley, »du tust Fräulein Gray unrecht, ja du bist undankbar gegen sie, wenn du dich darüber ärgerst, daß sie mir das vertraut hat. Sie liebt dich, wie nur ein Weib bei ihrer ersten Liebe lieben kann – sie liebt dich mehr, als....« Er brach ab, und Middlemas vollendete seinen Satz: »Mehr als ich verdiene, nicht wahr? Das kann schon sein – doch ich habe ihre Liebe nicht unerwidert gelassen. Du mußt aber einsehen, daß das Geheimnis unserer Liebe ebensowohl mir als ihr gehörte, und daß es wohl besser gewesen wäre, sie hätte mich zuvor um Rat gefragt, ehe sie es einem Dritten verriet.« »Middlemas,« sagte Hartley voller Ernst, »wenn du auch nur im geringsten die Besorgnis hegst, daß dein Geheimnis in meinem Besitz nicht sicher sei, so kann ich dir mein Wort darauf geben, meine Dankbarkeit für Fräulein Gray dafür, daß sie mir ein so zartes Geheimnis mitgeteilt hat, um mir Schmerz zu ersparen, ist so groß, daß ich mir eher von wilden Pferden ein Glied nach dem andern abreißen lasse, ehe ich mir auch nur die geringste Silbe abzwingen ließe.« »Nun, mein lieber Freund,« sagte Middlemas mit einer offnen Herzlichkeit, wie sie zwischen beiden lange Zeit nicht mehr zum Ausdruck gekommen war, »du darfst es mir nicht verübeln, wenn auch ich ein wenig eifersüchtig bin. Wer ein echter Liebhaber ist, muß zuweilen auch ein bißchen verrückt sein, und auf alle Fälle muß es mich seltsam berühren, daß sie jemand zu ihrem Vertrauten macht, den ich selber für einen heftigen Rivalen gehalten habe. Es ist aber die höchste Zeit, daß wir die alberne Kälte fallen lassen, die wir in letzter Zeit gegeneinander beobachtet haben. Denn, wie du begreifen wirst, ist die eigentliche Ursache dazu eben unsre Nebenbuhlerschaft gewesen. Nun aber bedarf ich eines guten Rates, und wer könnte mir da einen bessern geben, als der alte Kamerad, den ich stets um sein gesundes Urteil beneidet habe.« Hartley ergriff Richards Hand, doch nicht mit der gleichen zwanglosen Herzlichkeit, wie sie ihm hingereicht wurde. »Ich habe nicht die Absicht,« sagte er, »noch lange hier zu bleiben, und in ein paar Stunden, denke ich, ist mein Bündel geschnürt. Wenn ich dir bis dahin noch einen guten Rat erteilen oder dir sonst einen Dienst erweisen kann, so soll das von Herzen gern geschehen. Das ist ja die einzige Art, wie ich Marie Gray noch zu Diensten sein kann.« »Nun sieh, du bist sozusagen nur Zuschauer, willst du nicht uns, die wir die Schauspieler sind, die unglücklichen Darsteller, deine Meinung sagen, was du über dieses unser Spiel denkst?« »Wie kannst du eine solche Frage an mich richten, da ein so schönes Feld sich dir eröffnet? Sicherlich wird Herr Gray unter denselben Bedingungen, wie er sie mir gemacht hat, dich als Assistenzarzt behalten. Du bist nebenbei auch eine bessere Partie für seine Tochter, denn du hast etwas Geld, so daß dir fürs erste der Weg geebnet ist.« »Das stimmt freilich, nur vermute ich, ich habe in dieser Hinsicht bei Herrn Gray keinen sehr großen Stein im Brett.« »Wenn er bisher deiner Tüchtigkeit keine Gerechtigkeit hat angedeihen lassen, so wird das anders sein, sobald er weiß, daß seine Tochter dir den Vorzug gegeben hat.« »Das kann sein, und ich liebe sie deshalb auch über alles. Sonst, lieber Adam, bin ich nicht der Mann, der nach dem greift, was andre übrig gelassen haben.« »Richard,« erwiderte Hartley, »dieser Stolz macht dich undankbar und wird dich auch noch unglücklich machen, wenn du ihn nicht beizeiten unterdrückst. Herr Gray ist dir sehr freundlich gesonnen, allein er glaubte, du würdest durchaus unzufrieden sein mit den bescheidenen Aussichten, die sein Anerbieten dir gewährt. Er glaubte, du hegtest den Wunsch, in die weite Welt zu gehen und dein Glück zu suchen. Er meinte, wenn du auch seine Tochter innig genug liebtest, daß du ihretwegen die ehrgeizigen Ideen aufgeben könntest, so würden doch die Teufel der Ruhmsucht und Habsucht schließlich wiederkehren, sobald erst die Zauberkraft der Liebe, die diese bösen Geister eine Zeitlang bezwungen hatten, an Macht verloren hätte. Er glaubte daher triftigen Grund zu haben, um das Glück seiner Tochter besorgt zu sein.« »Meiner Treu, der würdige alte Herr spricht gelehrt und weise,« versetzte Richard, »ich hatte ihm einen so prophetischen Blick gar nicht zugetraut. Soll ich dir die Wahrheit sagen? – Wenn die schöne Marie nicht wäre, so würde ich mich so wohl fühlen wie ein Droschkengaul, wenn er seine tägliche Tour abgeklappert hat, während andre lustige Abenteurer dreist den Versuch machen, wie sie in der Welt zurecht kommen. – So zum Beispiel, wohin willst du?« »Ein Verwandter von mir mütterlicherseits ist Kapitän eines Schiffes von der ostindischen Gesellschaft, ich will bei ihm als Unterarzt eintreten; wenn mir der Seedienst zusagt, bleib ich dabei, wo nicht, versuch ich was andres.« Hartley begleitete seine Worte mit einem Seufzer. »Nach Indien!« rief Richard. »Du Glückspilz! Da kannst du dich freilich mit vollem Gleichmut darüber hinwegsetzen, daß deine Hoffnungen auf dieser Seite unsers Erdenballes sich nicht erfüllt haben. – Oh Delhi! Oh Golkonda! liegt in diesen Namen nicht eine Kraft, die alle eitlen Erinnerungen verbannt? – Indien, wo man Gold mit Eisen gewinnt, wo ein tapfrer Mann sein Verlangen nach Reichtum noch so hoch schrauben mag, er wird sein Ziel doch erreichen, wenn ihm einigermaßen das Glück hold ist. Wie ist es nur möglich, daß ein Bursch wie du, dem es vergönnt ist, in die weite Welt zu ziehen, in eigensinniger Schwermut den Kopf hängen kann, weil ein blauäugiges Mädel einen andern vorgezogen hat, der nicht halb so glücklich ist wie du? Wie ist es nur möglich?« »Nicht halb so glücklich?« fragte Hartley. »Kannst du, der glückliche Geliebte der Marie Gray, auch nur im Scherze so sprechen?« »Sei nicht böse, Adam,« sagte Richard, »weil ich, der ich doch den Sieg davongetragen habe, meines Glückes nicht ganz so froh bin, als du vielleicht es wärest. Trotzdem kann ich ohne meine süße Marie nicht leben, und ich will sie zur Frau haben. Aber noch zwei Jahre lang in dieser höllischen Ödenei leben zu müssen und hier sich um Kronen und halbe Kronen plagen zu müssen, dieweil Kerls, die nicht halb soviel los haben, die Rupien säckeweise verdienen – weiß der Kuckuck, Adam, das ist ein gar erbärmliches Los. Nun gib mir einen Rat, Freund, kannst du mir nicht sagen, wie ich um diese zwei Jahre der Langeweile herumkommen kann?« Hartley vermochte seinen Widerwillen nicht länger zu verhehlen. »Nein!« versetzte er kurz. »Du bist einundzwanzig Jahre alt, und wenn der Doktor in seiner Klugheit eine solche Prüfzeit für mich für nötig hält, wo ich doch zwei Jahre älter bin als du, so wird er sie dir wohl schwerlich erlassen.« »Das mag sein,« erwiderte Middlemas, »meinst du nicht aber, daß ich diese zwei oder meinetwegen auch drei Prüfungsjahre nicht besser in Indien abmachen könnte, da kann man's doch in kurzem viel weiter bringen als hier, wo man doch nur das Salz zur Suppe verdient? Meiner Meinung habe ich einen angeborenen Trieb nach Indien. Das ist auch ganz natürlich. Mein Vater war Soldat. Der Vater meiner Mutter ist ein reicher Kaufmann. Ein so bescheidenes Einkommen von 200 Pfd. im Jahre mit dem alten Herrn zu teilen, das muß einem jungen Mann wie mir, dem die weite Welt offen steht und der einen Degen hat, sich einen Weg zu bahnen, doch im Grunde recht bettelhaft vorkommen. Marie freilich ist ein Edelstein – ein Diamant – das gebe ich zu; aber ein so kostbares Juwel möchte man auch lieber in Gold und Brillanten fassen statt in Blei und Kupfer. Sei ein guter Kamerad, Adam, und unterbreite dem Doktor meinen Plan. Meiner Meinung nach kann er für sich und Marie nichts Bessres tun, als daß er mich die zwei Prüfungsjahre im Lande der Kaurie-Muscheln zubringen läßt.« »Herr Richard Middlemas,« entgegnete Hartley, »ich wünschte nur, es wäre mir gegeben, in den wenigen Worten, die ich noch an Euch zu richten denke, Euch erklären zu können, ob ich Euch mehr bemitleide oder mehr verachte. Der Himmel hat Euch Glück, Auskommen und Zufriedenheit beschert, und Ihr wollt diese Güter von Euch stoßen, um Eurem Ehrgeiz und Eurer Habsucht nachzugehen. Würde ich in dieser Hinsicht dem Doktor oder seiner Tochter einen Rat erteilen, so könnte es höchstens der sein, jeden Verkehr mit einem Manne abzubrechen, der sich in kurzem, wenn auch noch so von der Natur begabt, als ein großer Tor erweisen wird – und der ferner, wenn auch noch so ordentlich erzogen, sich bei der ersten Versuchung obendrein auch als Schurke erweisen könnte. Ich werde aber meinen Rat für mich behalten, denn helfen würde er doch nichts. Ich werde so rasch wie möglich abreisen und wir werden uns nicht wiedersehen. Ich werde es Gott anheimstellen, Unschuld und Ehrlichkeit gegen die Gefahren zu schützen, die Eitelkeit und Torheit mit sich bringen.« Mit diesen Worten wandte er sich verächtlich von dem jugendlichen Narr des Ehrgeizes ab und verließ den Garten. »Halt ein!« rief Middlemas ihm nach, betroffen über die Vorstellungen, die der Kamerad seinem Gewissen gemacht hatte. »Halt ein, Adam Hartley, laß dir sagen –« Aber entweder hörte Hartley seinen Ruf nicht mehr, oder er ließ sich dadurch nicht zur Umkehr bewegen. Im nächsten Augenblick hatte bei Richard die Keckheit wieder die Oberhand gewonnen. »Wenn er noch einen Moment länger geblieben wäre,« sagte er zu sich selber, »so hätte ich ihn zu meinem Beichtvater gemacht, den Bauernlümmel! Hat denn Marie Gray sich zu irgend etwas ihm gegenüber verpflichtet? Seinen Bescheid hat er ja bekommen – was mischt er sich denn nun noch zwischen mich und sie? Wenn nur der alte Moncada seine Pflicht als Großvater getan und mir ein anständiges Vermögen vermacht hätte, dann wäre das ja schließlich ganz fein zu machen gewesen und ich hätte das Mädel geheiratet und mich hier niedergelassen. Aber das Dasein ihres alten Packesels von Vater zu führen und hier im Umkreis von zwanzig Meilen jedem Bauern zu Befehl zu stehen! Weiß es Gott. Das ist ein Tagwerk, wie es ein Trödler hat, der mit Nadeln, Bändern und Tabak hausiert – ja er verdient dabei noch mehr und hat weniger Schererei, und das Renommee ist dasselbe. – Nein, wenn ich den Reichtum nicht näher antreffen kann, so will ich ihn dort aufsuchen, wo er für jedermann zu haben ist. Und somit will ich in die Schenke gehen und mal meinen Freund um Rat fragen.« Siebentes Kapitel Der Freund, den Richard Middlemas im Gasthaus zum Schwanen treffen wollte, war Tom Hillary, der vor einiger Zeit bei dem Staatssekretär Herrn Lawford als Schreiber angestellt gewesen war und mit er damals schon in Verkehr gestanden hatte. Tom Hillary wurde jetzt Kapitän betitelt, trug eine Uniform und führte eine kriegerische Sprache. Er schien viel Geld verdient zu haben. Er stand sogleich in hoher Achtung, da man erfuhr, daß er im Dienst der Ostindischen Gesellschaft stände – jener wunderbaren Gesellschaft von Kaufleuten, die man eigentlich passender Fürsten nennen könnte. Ganz in der Stille legten um die Mitte des 18. Jahrhunderts die Direktoren in Leadenhall-Street den Grund zu jenem gewaltigen Reiche, das jetzt ganz Europa und Asien durch seine riesige Ausdehnung und seine Macht in Verwunderung setzt. In England hatte man zuerst die märchenhaften Berichte von gewonnenen Schlachten und eroberten Städten im fernen Osten mit hellem Erstaunen vernommen. Das Erstaunen wurde noch größer, als Leute heimkehrten, die als Abenteuerer und Glücksritter ausgezogen waren und nun von orientalischem Reichtum und Luxus umgeben waren, daß selbst der Glanz des reichsten britischen Adels ihnen gegenüber farblos erschien. In diesem neuentdeckten Eldorado hatte Hillary gearbeitet und zwar, wenn er selber die Wahrheit sagte, mit ganz nettem Erfolge, obwohl er noch bei weitem nicht soviel eingeheimst hatte, wie er beabsichtigte. Er sprach in der Tat davon, daß er sein Geld anlegen wolle, und erkundigte sich, ganz als ob er die augenblickliche Grille hätte, zu seinem bloßen Vergnügen ein Gut zu kaufen, bei seinem früheren Brotherrn, dem Stadtsekretär Lawford nach einem sumpfigen Landgut von 3000 Ackern, für das er 4000 Guineen anwenden wollte, wenn nur Reichtum an Wild und Gelegenheit zum Forellenfang vorhanden sei. Einen größeren Ankauf von Land, fügte er prahlerisch hinzu, wolle er jetzt zunächst nicht machen. Augenblicklich sei es nur sein Zweck, ein paar tüchtige Burschen für sein Regiment oder vielmehr für seine Kompagnie anzuwerben, und da er auf all seinen Reisen nie schönere Menschen gesehen habe, als in Middlemas, so habe er seine Aushebung hier bewirken wollen. Richard Middlemas erneuerte natürlich sogleich seine Beziehungen zu seinem ehemaligen Freunde, und Hillarys Reden hatten ihm jene Begeisterung für Indien eingeflößt, die wir ihn haben aussprechen hören. Es war nicht anders möglich, als daß ein junger Mann, der noch von der Welt nichts gesehen hatte und dabei von ungestümer Sinnesart war, sich von den glühenden Schilderungen Hillarys hinreißen ließ. In seinen Beschreibungen wuchsen Paläste aus der Erde wie Pilze – Wälder von himmelhohen Bäumen und süß duftendem Gesträuch, wie sie der frostige Boden Europas nicht kannte, wimmelten von allem möglichen Wild vom Schakal bis zum Königstiger. Jeder Strom, von dem er sprach, floß über Goldsand, und jeder Palast, den er nannte, war herrlicher, als ihn eine Fata Morgana vorzugaukeln vermocht hätte. Seine Schilderungen selber schienen in Duft getaucht und seine Worte von Rosenessenz durchtränkt. Diese Gespräche fanden oft ihren Abschluß bei einer feinern Flasche Wein, als der Gasthof zum Schwanen hätte liefern können, denn Kapitän Hillary war ein Freund von gutem Leben und hatte sich Wein und andere Leckerbissen aus Edinburgh mitgebracht. Und Middlemas war verurteilt, von so reicher Tafel weg zu der Hausmannskost seines Pflegevaters zurückzukehren, wo alle Schönheit der anmutigen Marie ihn nicht dazu vermochte, seinen Abscheu vor der groben Kost zu überwinden oder den Widerwillen niederzukämpfen, mit dem er die Fragen über die Krankheitsfälle, die seiner Fürsorge anvertraut waren, beantwortete. Die Hoffnung, von seinem Vater anerkannt zu werden, hatte Richard längst aufgegeben, und nach der rauhen Zurückweisung von seiten des Herrn von Moncada war er auch zu der Überzeugung gelangt, daß sein Großvater unerbittlich sei. Dennoch war sein Ehrgeiz noch nicht eingeschlummert, wenn ihn auch nicht mehr die Hoffnungen beseelten, denen er früher sich hingegeben hatte. Das einzige Hindernis war die Liebe zu Marie Gray und die Verpflichtung, die er ihr gegenüber auf sich genommen hatte. Als er um die Liebe der Marie Gray warb, war der Beweggrund wohl aufrichtige Zuneigung, ja heftige Leidenschaft gewesen, andrerseits hatte dabei aber auch das Verlangen, seine Eitelkeit zu befriedigen, mitgewirkt. Es war ihm darum zu tun, den Preis davonzutragen, um den Hartley mit ihm zu ringen den Mut hatte. Auch von andern Leuten, die ihm an Rang und Vermögen überlegen waren, sah er Marie Gray viel umworben, auch diesen Anbetern den Preis streitig zu machen und den Rang abzulaufen, kitzelte seinen Ehrgeiz. Indessen machte er sich jetzt sofort klar, daß seine Liebe zu der Tochter des Arztes ihn nicht von der Laufbahn, zu der er sich nun entschloß, ernstlich abhalten dürfe. Er versöhnte sein Gewissen mit diesem Beschluß, indem er sich vorhielt, es sei ja in ebendemselben Maße auch Mariens Interesse, die Hochzeit solange zu verschieben, bis er sein Glück gemacht hätte. Nun hatte allerdings die Verachtung, die ihm Hartley offen gezeigt hatte, seinen zuversichtlichen Glauben in die Richtigkeit seiner Folgerungen und Entschlüsse sehr erschüttert und den Argwohn in ihm erweckt, er spiele doch eine sehr klägliche und unmännliche Rolle, wenn er das Schicksal dieses lieben und unglücklichen Mädchens, das Wohl und Wehe seiner Geliebten so ganz wie eine nichtige Angelegenheit abtue. In dieser Stimmung des Zweifels und der Unschlüssigkeit ging Richard ins Gasthaus zum Schwanen und wartete dort in Ungeduld auf seinen Freund, den Kapitän. Als beide gemütlich bei einer Flasche Wein saßen, begann Middlemas mit der ihm eignen ebenso graziösen wie zielbewußten Vorsicht seinen Freund auszuhorchen, ob jemand, der in die Dienste der ostindischen Gesellschaft trete, Aussicht hätte, in nicht allzu langer Zeit Offizier zu werden. »Wenn Ihr, mein teurer Freund,« antwortete Hillary, »die Absicht hegt, Hammelfleisch mit Brühe gegen die würzigen Suppen und Pasteten zu vertauschen, so kann ich nur sagen, Ihr werdet freilich zuerst als bloßer Kadett eintreten müssen, aber Ihr sollt schon auf der Überfahrt – bei allen Teufeln – wie mein eigner Bruder gehalten werden. Wenn wir aber erst in Madras angelangt sind, so werde ich Euch schon auf den rechten Weg bringen, um zu Ruhm und Reichtum zu gelangen. Ihr habt, glaube ich, eine Kleinigkeit an Geld – so etwa 1000 Pfd., was?« »So annähernd, ja,« antwortete Richard. »Das reicht gerade aus für Ausrüstung und Überfahrt,« sagte sein Freund. »Und wenn Ihr auch keinen Heller hättet, das wäre einerlei. Wenn ich nämlich einmal zu einem Freunde sage, ich will ihm beistehen, so bin ich nicht derjenige, der wieder zurücktritt aus Furcht, es wäre kein Geld da. Es ist aber gut, daß Ihr etwas Kapital habt, denn das ist doch wenigstens eine Grundlage.« »Gewiß,« antwortete Richard, »Ich mag auch niemand zur Last fallen. Daß ich Euch die Wahrheit sage, ich beabsichtige mich vor meiner Abreise zu verheiraten. Dazu ist Geld nötig, wie Ihr Euch wohl denken könnt, ob nun meine Frau mitkommt oder ob sie hierbleibt, bis sie hört, ob ich mein Glück gemacht habe. Dann würde ich sogar mir von Euch eben noch ein paar Pfund borgen müssen.« »Was den Teufel schwatzt Ihr da von Heiraten, Richard?« rief der Kapitän. »Ein schmucker, einundzwanzigjähriger Bursch wie Ihr, der sechs Fuß hoch aus seinen Schuhen herausragt, will sich's einfallen lassen, sich auf Lebenszeit zum Sklaven zu machen?« »Besinnt Ihr Euch auf Marie, die Tochter meines Lehrherrn?« fragte Middlemas. »Ach, die!« entgegnete Hillary. »Ist sie denn zu etwas zu gebrauchen?« »Sie ist ein verständiges Mädchen. Sie ist das sanfteste, schlichteste und gefügigste Wesen auf Erden,« sagte der Verehrer. »Na, dann taugt sie nichts,« sagte sein Berater. »Tut mir leid, Richard, aber dann ist sie nicht zu gebrauchen. Ich sage Euch, wir haben Weiber in Indien, die in dem Spektakeldasein dort eine Rolle spielen – ein paar habe ich selber gekannt, die haben ihre Männer vorwärts bugsiert, sonst wären sie bis zum jüngsten Tage im Dreck stecken geblieben. Laßt Euch sagen, es geht nur eins, entweder heiraten oder auf Indien verzichten, aber beides gibt's nicht! Wenn Ihr Euch freiwillig einen Klotz um den Hals hängt, so müßt Ihr es eben aufgeben, ein Wettrennen mitzumachen. Übrigens braucht Ihr nicht etwa zu denken, daß es gleich ein Ende mit Schrecken gibt, wenn Ihr mit dem Mädel brecht. Der Abschied wird freilich ein unangenehmer Auftritt werden, aber unter den indischen Weibern werdet Ihr sie bald vergessen. Für den Markt in Indien ist sie keine Ware, das kann ich Euch versichern.« Der Einfluß, den der prahlerische und großmäulige Soldat auf Middlemas erlangt hatte, war bei aller Eigensinnigkeit des letztern von despotischer Art. Der Kapitän war dem jungen Manne an Bildung und Kenntnissen und Begabung durchaus unterlegen, aber jener hatte eine große Gewandtheit, ihm verlockende Aussichten vorzuspiegeln – Aussichten von jener Art, wie sie von Kindheit auf Richards Phantasie beherrscht hatten. Als Bedingung des Dienstes, den er ihm zu erweisen sich bereit erklärte, nahm er ihm das Versprechen ab, unbedingt darüber Schweigen zu bewahren, daß er mit ihm nach Indien ginge und welche Pläne ihn dabei geleitet hätten. Das versprach denn Richard auch. Die beiden Freunde trafen sogar die Verabredung, sich nicht mehr zusammen in Middlemas sehen zu lassen und auch nicht zusammen Middlemas zu verlassen. Der Kapitän wollte zuerst abreisen und Richard sollte ihn in Edinburgh treffen. Dort sollte er förmlich für den Dienst angeworben und alles geregelt werden, was zur Überfahrt nach Indien erforderlich wäre. Achtes Kapitel Obgleich sich Richard in also bestimmter Weise zur Abreise verabredet hatte, dachte er doch von Zeit zu Zeit mit Kummer und Beklemmung an den Abschied von Marie Gray und an den Plan, den sie beide sich gemacht hatten. Aber sein Entschluß war gefaßt, er konnte ihr den Schmerz nicht mehr ersparen. Der undankbare Verehrer, der längst schon den Gedanken an ein häuslich glückliches Leben von sich gewiesen hatte, das er hätte genießen können, wenn er vernünftigeren Sinnes gewesen wäre, dachte nur noch daran, wie er es anstellen solle, um nicht gänzlich mit ihr zu brechen und doch alle Gedanken an ihre Vereinigung aufzugeben, bis er von seiner Expedition nach Indien erfolgreich zurückgekehrt sei. In Hinsicht auf den letzten Punkt hätte er sich freilich alle Besorgnis ersparen können. Der Reichtum ganz Indiens hätte nie Marie Gray bewegen können, gegen den Willen ihres Vaters das Elternhaus zu verlassen. Jetzt, da der alte Mann seine zwei Hilfsärzte nicht mehr hatte, war das an sich ganz ausgeschlossen, denn er hätte sich völlig verlassen fühlen müssen, wenn er sich zu gleicher Zeit auch von seiner Tochter hätte trennen sollen. Die Zeit war herangekommen, daß Richard Middlemas das Vermögen beanspruchen durfte, das seinen Vormündern, dem Stadtsekretär und dem Doktor Gray, zur Verwaltung übergeben worden war. Sein Pflegevater fragte ihn natürlich, wozu er sich nun beim Antritt seiner Selbständigkeit entschlossen habe. Er gab die trockene Antwort, es hätten sich ihm Aussichten eröffnet, über die er nicht weiter reden dürfe. Wenn er aber erst in London sei, wolle er seinem Pflegevater schreiben und ihm Näheres mitteilen. Gideon war des Glaubens, der Vater oder Großvater des jungen Mannes hätten an diesem entscheidenden Wendepunkt seines Lebens sich endlich zu einer Annäherung bereit gefunden. Er erwiderte daher: »Richard, du bist ein Kind des Geheimnisses. Wie du zu mir gekommen bist, so gehst du wieder von mir. Ich wußte nicht, woher du kamst, und nun weiß ich nicht, wohin du gehst. Daß also alles, was dich betrifft, ein Geheimnis bleibt, ist vielleicht nicht gerade günstig. Aber wie ich stets in Freundlichkeit dessen gedenken werde, den ich solange gekannt habe, so mußt auch du, wenn du dich des alten Mannes erinnerst, immer eingedenk sein, daß er dir gegenüber seine Pflicht getreu getan hat, soweit seine Mittel und sein Können gingen, und daß er dich den edlen Beruf lehrte, durch den du dir – wie auch immer dein Los sich gestalten mag – dein Brot verdienen und zugleich das Unglück deiner Mitmenschen lindern kannst.« Durch die schlichte Güte des Doktors gerührt, sprach ihm Middlemas seinen herzlichen Dank aus. »Noch ein Wort!« sagte Gray und zog ein kleines Schmuckkästchen hervor. »Deine unglückliche Mutter hat mir diesen wertvollen Ring gegeben, ich habe kein Recht daran, denn meine Bemühungen sind mehr als reichlich bezahlt worden, ich habe ihn auch nur in der Absicht angenommen, ihn für dich aufzuheben, bis die Stunde gekommen wäre. Er kann dir vielleicht von Nutzen sein, wenn einmal nach deiner Herkunft gefragt wird.« »Ich danke Euch nochmals!« rief Richard. »Ihr wart mir mehr als ein Vater!« Der Abschied von der armen Marie war noch rührender. Ihr Kummer rief wieder alle Innigkeit der ersten Liebe in ihm wach. Er machte sich von dem Vorwurf, ihr nicht aufrichtig zugetan zu sein, frei, indem er nicht nur um sofortige Verheiratung bat, sondern sich bereit erklärte, auf seine glänzenden Aussichten zu verzichten und Herrn Grays bescheidene Stellung zu teilen, wenn er gleich mit ihr getraut würde. Aber obgleich in diesem Zeugnis von der Treue ihres Geliebten ein Trost für Marie lag, so war sie doch nicht so unklug, ein Opfer anzunehmen, das ihn nachher hätte gereuen können. »Nein, Richard,« sagte sie, »es nimmt selten ein gutes Ende, wenn man unter dem Einfluß augenblicklicher Gefühle Entschlüsse ändert, die man nach reiflicher Überlegung gefaßt hat. Ich habe es lange gemerkt, daß deine Pläne weit über die bescheidne Stellung hinausgehen, die dir in diesem Orte winkt. So geh denn auf die Suche nach Rang und Reichtum, vielleicht denkt auch dein Herz bald anders. Dann vergiß Marie Gray, wenn das nicht eintrifft, so können wir uns wiedersehen und du kannst versichert sein, daß ich dir immerdar die Treue wahren werde.« Als die Trennung vorüber war, stieg Richard auf ein Pferd und machte sich auf den Weg nach Edinburgh, wohin sein Gepäck schon vorausgeschickt worden war. Unterwegs kam ihm öfters der Gedanke, er täte wohl besser daran, wieder umzukehren und sich sein Glück zu sichern, indem er Marie heiratete und sich mit dem bescheidenen Einkommen begnügte. Aber als er sich seinem Freunde Hillary angeschlossen hatte, war alles vergessen, und er fühlte sich bestärkt in dem Entschlusse, erst Rang und Reichtum zu erringen und sie dann mit Marie Gray zu teilen. Aber die Dankbarkeit gegen ihren Vater schien noch rege zu sein, denn er übersandte ihm ein hübsches Petschaft mit einem Löwen in goldnem Felde. Marie kannte die Handschrift und beobachtete gespannt ihren Vater, als dieser den Brief kopfschüttelnd las. »Richard Middlemas ist und bleibt ein Narr, Marie«, sagte der Doktor. »Ich werde ihn sicherlich nicht vergessen, er braucht mir gar kein Andenken erst zu schicken. Nun, hebe du das Ding auf, liebe Marie, gut gemeint wird es schon sein.« Daß das Petschaft sorgfältigst aufbewahrt wurde, braucht wohl nicht erst gesagt zu werde. Neuntes Kapitel Ihr Reiseziel war zunächst die Insel Wright. Nach ruhiger Überfahrt ging das Schiff bald vor dem Städtchen Ryde vor Anker. Der Kapitän wollte seinen Passagieren und vor allem seinem früheren Gespielen zu Ehren ein Festessen an Bord geben, ehe sie das Schiff verlassen würden. Er hatte ein Zelt und eine Tafel aufschlagen lassen, und Seekrebse, Pasteten von Fisch und andre Leckereien des Seelebens waren in einem Überfluß aufgetischt worden, der zu der Zahl derer, die sie verzehren sollten, in gar keinem Verhältnis stand. Danach gab es einen Punsch, der vortrefflich schmeckte, aber merkwürdig stark war. Kapitän Hillary ließ die Gläser wacker kreisen und trank seinem Freunde wacker zu. Mit erhöhtem Glanz gab er seine Beschreibungen indischer Szenerien und indischer Abenteuer zum besten, und versicherte Middlemas von neuem, wenn er ihm auch nicht sofort eine Offiziersstelle verschaffen könne, so handle es sich doch nur um einen kurzen Aufschub, der eben nötig sei, damit er überhaupt erst mal kennen lernte, worauf es beim Militär ankäme. Middlemas war durch den genossenen Punsch in zu große Begeisterung versetzt worden, als daß er im Anfange seiner Laufbahn irgendwelche Schwierigkeit erblickt hätte. Ob nun diejenigen, die an dem Gelage teilnahmen, ausgepichte Zecher waren, ob nun Middlemas mehr als die andern getrunken hatte, ober ob man ihm, wie er später argwöhnte, etwas Betäubendes beigebracht hatte – fest steht jedenfalls, daß er binnen kurzem schwer berauscht war und alle Stadien dieses achtbaren Zustandes rasch durcheilte: er lachte – er sang – er schrie – er tobte – er wurde zärtlich – und er verfiel schließlich in einen tiefen, todesähnlichen Schlaf. Wie gewöhnlich zeigte die Wirkung des Rausches sich in hundert wirren wilden Träumen und Phantasien. Er sah sich in ausgedörrte Wüsten versetzt, von gräßlichen Schlangen umringt, deren Biß unerträglichen Durst erweckte – er sah indische Fakire am Marterpfahle leiden und fühlte sich selber in die Qualen der Hölle geschleudert. Und als er schließlich erwachte, schien diese letzte Phase seines Traumes zur Wirklichkeit geworden zu sein. Die Laute, die zuerst sich in seine Träume vermischt und dann seinen Schlummer gestört hatten, hallten ihm jetzt in furchtbarer, vernichtender Deutlichkeit ins Ohr. Sie tönten aus langen Reihen von Strohbetten, die wie in einem Militär-Lazarett dicht aneinander standen. Eine verheerende Seuche schien der entsetzliche Dämon dieser grausigen Stätte zu sein. Die Kranken lagen im Delirium, sie schrieen, kreischten und fluchten. Richard Middlemas war zugleich verwundert und entsetzt. Er hatte vor den Unglücklichen, mit denen er hier zusammen war, nur das eine voraus, daß er einen Strohsack für sich allein hatte, während die andern immer zu zweit auf einem lagen. Er konnte niemand sehen, der die Kranken gepflegt oder auf ihre Klagen gehört hätte. Er sah sich nach seinen Kleidern um, damit er aufstehen und sich aus dieser Höhle des Entsetzens retten könne, aber weder seine Kleider, noch seine Reisetasche oder seine Schiffskiste waren zu sehen. Es kam ihm die Furcht, daß er sie wohl nie wiedersehen würde. Zu spät erinnerte er sich jetzt der Gerüchte, die über seinen Freund Hillary umgegangen waren – daß er von Herrn Lawford entlassen worden sei wegen einer Veruntreuung, die er sich in seinem Dienst habe zu schulden kommen lassen. Wer aber hätte eine solche Schändlichkeit voraussehen können, daß er seinen Jugendfreund, der volles Vertrauen in ihn gesetzt hatte, in eine Falle hatte locken, seines Vermögens berauben und in dieses Pesthaus schaffen wollen, damit mit dem Tode seine Zunge für immer verstumme. Middlemas aber war entschlossen, alles zu seiner Rettung zu versuchen. Es mußte doch einmal ein Offizier oder ein Arzt hierher kommen, bei dem er Protest erheben konnte. Neben diesen peinigenden Gedanken marterte ihn noch ein fürchterlicher Durst, den zu stillen ihm versagt war. Inzwischen versuchte er zu entdecken, ob sich nicht mit dem einen oder andern seiner Leidensgefährten ein Gespräch anknüpfen ließe, aus dem er Näheres über die Beschaffenheit dieses furchtbaren Ortes hätte erfahren können. Auf dem Bette neben ihm lagen zwei Kerle, die zwar auf dem Wege der Genesung zu sein schienen, aber doch jedenfalls mit knapper Not dem Rachen des Todes entronnen waren. Ihre Beschäftigung bestand jetzt darin, sich im Kartenspiel um ein paar Hellerstücke zu bringen. Neben diesen wiederum lagen zwei auf einer Lagerstätte, von denen nur noch einer am Leben war. Der andre Kranke war vor kurzem von seinen Leiden erlöst worden. »Er ist tot, er ist tot«, rief der unglückliche Hinterbliebene. »Na, dann krepier du auch und geh zur Hölle!« sagte einer der Spielenden, »dann macht ihr beide ein Paar, wie der Hanswurst sagt.« »Er wird schon steif und kalt,« jammerte der andre. – »Es ist doch keine Sache, einen Toten mit einem Lebenden zusammenzubetten. Um Gotteswillen, befreit mich von diesem Leichnam!« »Nicht wahr, damit es hinterher heißt, wir hätten ihm den Garaus gemacht? Er hatte ja auch noch zwei oder drei Silbermünzen bei sich.« »Vor einer Stunde erst habt ihr ihm die letzte Münze aus der Hosentasche genommen, das werdet ihr wohl selber wissen,« erwiderte der Arme. »Aber helft mir den Leichnam aus dem Bett schaffen, dann sag' ich auch dem Aufseher nichts, daß ihr bei ihm lange Finger gemacht habt.« »Was! Dem Aufseher willst du was sagen?« versetzte der Kartenspieler. »Noch ein Wort, und ich dreh dir das Genick um! Halt ja dein Maul und störe uns nicht im Spiel mit deinen Albernheiten, sonst mach ich dich so stumm wie deinen Bettgenossen.« Der Unglückliche sank stöhnend zurück neben seinen schrecklichen Schlafkameraden, und das Kartenspiel nahm wieder unter Fluchen und abscheulichen Scherzen seinen Verlauf. Aus diesem Beispiel der abgehärtetsten Gleichgültigkeit gegen das äußerste Elend gewann Richard Middlemas die Überzeugung, daß er von seiten seiner Leidensgefährten kaum auf Entgegenkommen rechnen durfte. Da verließ ihn jeglicher Mut. Gedanken an das glückliche und friedliche Heim, das er sein eigen hätte nennen können, traten vor seine fieberhaft erhitzte Phantasie mit einer Deutlichkeit und Lebendigkeit, die an Wahnsinn grenzte. Plötzlich ließen sich Tritte im Raume hören, und die mancherlei Laute des Jammers, die ihn erfüllten, kamen alsobald zum Schweigen. Die Spielenden steckten die Karten weg und hörten auf zu fluchen. Andre Kranke, deren Gestöhn sich bis zur Raserei gesteigert hatte, verstummten jäh. Das Kreischen des Todeskampfes schwieg, das sinnlose Gebrüll des Wahnsinns brach ab, und sogar der Sterbende bemühte sich, sein Röcheln in Gegenwart des Kapitäns Seelencooper nicht laut werden zu lassen. Dieser Beamte war der Oberaufseher des Lazaretts, ein vierschrötiger, krummbeiniger Mann mit einem Auge, das aber ebenso wild drein sah, wie es zwei wilde Augen nur immer vermögen. Er trug eine alte, verschossene Uniform, die gar nicht für ihn gemacht zu sein schien, in seinem Gürtel steckten ein Paar Pistolen und ein Hirschfänger, zwei Gehilfen, die Handschellen und Zwangsjacken trugen, folgten ihm. Wenn Seelencooper revidieren kam, verstummte jedes Schmerzensgeschrei. Der pfeifende Ton des Bambusrohres, das er in der Hand schwang, hatte die Gewalt eines Zauberstabes, Klagen und Beschwerden zum Schweigen zu bringen. »Ich sage Euch, das Fleisch duftet wie ein Blumenstrauß, und das Brot ist noch viel zu gut für ein Pack von Faulenzern, die hier dem lieben Gott den Tag wegstehlen und der Gesellschaft die Lebensmittel wegfressen – von denen, die wirklich krank sind, rede ich hier nicht – denn ich bin immer für humane Behandlung.« »Wenn das der Fall ist, Herr,« sagte Richard, als der Kapitän eben an sein Lager trat, »dann wird Euer humaner Sinn Euch geneigt machen, anzuhören, was ich zu sagen habe.« »Wer zum Teufel seid Ihr?« fragte der Kapitän, während er sein eines glühendes Auge auf Richard heftete und sein Gesicht die Miene wilden Hohnes annahm, für die es vorzüglich geschaffen zu sein schien. »Ich heiße Middlemas und komme von Schottland. Ich bin durch ein Versehen hierhergekommen – ich bin kein Gemeiner und auch gar nicht krank.« »Na, mein lieber Freund, hier handelt es sich bloß darum, seid Ihr als Rekrut in die Werbeliste eingeschrieben worden?« »Jawohl, in Edinburgh, aber ...« »Na zum Satan, was wollt Ihr denn? Ihr steht in der Werbeliste – der Kapitän und der Doktor haben Euch hierher geschickt – die wissen doch wohl am besten, ob Ihr Offizier seid oder Soldat, und ob Ihr krank seid oder gesund.« »Aber es sind mir Versprechungen gemacht worden,« sagte Middlemas, »Versprechungen von Tom Hillary ....« »So? Versprechungen sind Euch gemacht worden? Hier ist nicht ein einziger, dem nicht von dem oder jenem irgendwelche Versprechungen gemacht worden wären. Na dann guten Morgen. Der Doktor macht gleich die Runde und wird euch alle kurieren.« »Bleibt nur noch einen Augenblick! Ich bin bestohlen worden!« »Bestohlen? Ei, seht an! Jeder, der hierher kommt, ist bestohlen worden. Bei Gott, ich bin der glücklichste Kerl von ganz Europa, andre Leute meines Standes kriegen lauter Spitzbuben und Diebe unter die Fuchtel, ich aber habe lauter ehrliche und anständige Herren, die selber samt und sonders bestohlen worden sind. – Na, guten Morgen.« Er ging weiter. Richard wollte ihm nachrufen, aber die Stimme versagte ihm vor Durst und Aufregung. Ihm war, als sollte er den Verstand verlieren. Sein Mund war wie mit Asche gefüllt, Schwäche überfiel ihn, es summte und klang ihm in den Ohren, und für den Augenblick schien das Leben von ihm gewichen. Zehntes Kapitel Als Middlemas wieder zu sich kam, fühlte er, daß sein Blut ruhiger umlief, das Fieber nachgelassen hatte, und seine Lungen freier atmeten. Ein Hilfsarzt stand bei ihm und verband ihm eine Ader, aus der eben eine beträchtliche Menge Blutes genommen worden war. Ein andrer, der dem Kranken das Gesicht gewaschen hatte, hielt ihm eine stark riechende Essenz unter die Nase. Richard schlug die Augen auf und erkannte in dem erstern seinen Lehrkameraden Adam Hartley, der ihm rasch einen Wink gab, sich nichts merken zu lassen. »Ich muß jetzt gehen,« flüsterte Hartley ihm in einem unbewachten Augenblick zu, »aber faßt Mut – ich glaube ich kann Euch helfen – inzwischen nehmt von niemand Speise oder Trank an als von meinem Diener, den Ihr dort den Schwamm halten seht. Ihr seid hier an einem Orte, wo vor kurzem einer wegen einem Paar goldner Hemdknöpfe ermordet worden ist.« »Wartet einen Augenblick!« sagte Middlemas, »ich will dann das hier in Sicherheit bringen, um meine Nachbarn nicht in Versuchung zu bringen.« Mit diesen Worten zog er aus seiner Unterjacke ein kleines Päckchen hervor und reichte es Hartley. »Wenn ich sterbe, mögt Ihr mein Erbe sein,« setzte er hinzu. Die rauhe Stimme Seelencoopers verhinderte Hartley zu antworten. »Na, Doktor, werdet Ihr Euren Patienten durchbringen?« »Es war eine recht bedenkliche Ohnmacht,« erwiderte der Doktor, »Ihr müßt ihn in das bessre Krankenzimmer schaffen lassen, mein Gehilfe soll ihn dort pflegen.« »Na, wenn Ihr es befehlt, so muß es ja wohl geschehen, Doktor, ich kann Euch aber sagen, es gibt einen, und wir kennen ihn beide, der hat mindestens tausend Gründe, daß der Bursch im allgemeinen Krankensaal bleibt.« »Was gehen mich Eure tausend Gründe an?« entgegnete Hartley. »Ich kann Euch nur sagen, der junge Mann ist ein so gesunder und kräftiger Bursche, wie die Gesellschaft kaum einen zweiten unter ihren Rekruten hat. Es ist meine Pflicht, ihn für den Dienst zu retten, und wenn Ihr meine Weisungen nicht gehörig befolgt und er dadurch zugrunde geht, so könnt Ihr Euch darauf verlassen, daß ich dem General Bericht erstatte. Laßt daher den jungen Mann recht sorgfältig behandeln, Ihr habt die Verantwortung.« Mit diesen Worten verließ er das Lazarett. Richard hatte von diesem Gespräch genug vernommen, um neue Hoffnung auf Befreiung zu fassen. Die Hoffnung wurde noch bestärkt, als er gleich darauf in ein besonderes Krankenzimmer gebracht wurde, ein reinliches Gemach, in welchem sich nur zwei Patienten, anscheinend Unteroffiziere, befanden. Obwohl er recht gut wußte, daß er nicht krank war, so hielt er es doch für das klügste, sich als Kranken behandeln zu lassen, weil er so unter der Obhut seines einstigen Gefährten bleiben konnte. Während ihm so Hartleys Dienste sehr willkommen waren und er sie zu seinem Besten zu nutzen entschlossen war, beherrschte ihn im geheimen doch das undankbare Gefühl: Konnte mich der Himmel nicht anders retten als durch die Hände dessen, den ich von allen Menschen auf Erden am wenigsten leiden mag? Es erfordert eine nähere Darlegung, auf welche Weise Hartley in die Lage gekommen war, ihm in dieser Not behilflich zu sein. Unsere Erzählung spielt zu einer Zeit, in der die Direktoren der Ostindischen Gesellschaft, in jener kühnen und zielbewußten Politik, der das britische Reich seine gewaltige Machtentfaltung im Orient verdankt, den Beschluß faßten und durchführten, bedeutende Verstärkungen europäischer Truppen zur Sicherung und Befestigung ihrer Stellung in Indien dorthin zu senden. Diese war damals durch den berühmten Haidar Ali bedroht, der nach Entthronung seines Fürsten die Regierung im Königreich Maisur an sich gerissen hatte. Für diesen Dienst Rekruten zu werben, war mit großen Schwierigkeiten verknüpft. Die Leute zogen den Militärdienst des Königs vor, und die Gesellschaft erhielt nur das allerschlechteste Material an Mannschaften, trotzdem ihre Agenten nicht die geringsten Bedenken hegten, die dreistesten Mittel, die oft an Verbrechen grenzten, bei ihren Werbungen anzuwenden. Die Methode des Seelenkaufes oder, wie man es zu nennen pflegte, des Menschenfanges, war damals in der Tat im höchsten Schwange, und zwar nicht allein für den Kolonialdienst, sondern auch für den königlichen Garnisondienst. Da die Agenten, denen die Werbung oblag, natürlich durchaus gewissenlos vorgehen mußten, so kamen nicht allein viele Niederträchtigkeiten und Schlechtigkeiten vor, sondern es geschah ab und zu sogar ein Fall von Beraubung und Ermordung. Solche Grausamkeiten und Verbrechen ließ der Staat nicht verfolgen, da es für ihn das oberste Gesetz war, Soldaten zu bekommen, und der Zweck hier die Mittel heiligte. Die so gesammelten Truppen wurden zunächst insgesamt auf der Insel Wright untergebracht. Die Jahreszeit war ungesund und die Leute meistens auch von wenig widerstandsfähiger Natur, herabgekommen und elend, und so brach unter ihnen eine bösartige Seuche aus, die das Militärlazarett rasch überfüllte, dessen Verwaltung dem Kapitän Seelencooper, einem alten und erfahrenen Werbeoffizier, übertragen worden war. Mehrere Ärzte wurden von der Direktion der Gesellschaft nach der Insel gesandt. Unter diesen befand sich auch Hartley, der in einer Prüfung vor einer medizinischen Kommission seine Fähigkeit bewiesen hatte und außerdem ein Doktordiplom der Universität Edinburgh besaß. Um in die geworbene Mannschaft Manneszucht hineinzubringen, übertrug die Direktion einem ihrer Mitglieder, dem General Witherington, unbeschränkte Vollmacht. Der General war ein Offizier, der sich im Dienste der Gesellschaft schon in hohem Grade ausgezeichnet hatte. Vor etwa sechs Jahren war er als steinreicher Mann aus Indien zurückgekehrt und hatte sein Vermögen noch durch die Heirat mit einer sehr reichen Erbin vermehrt. Sie verkehrten indessen wenig in der vornehmen Welt und schienen nur für ihre Kinder, zwei Knaben und ein Mädchen, zu leben. Obgleich der General sich schon vom Dienst zurückgezogen hatte, übernahm er doch gern den ihm erteilten Auftrag und mietete sich ein gutes Stück außerhalb der Stadt Ryde ein. Er teilte seine Truppen in verschiedene Körper, ernannte fähige Offiziere und war bestrebt, durch regelmäßigen Dienst und Unterricht Disziplin zu schaffen. Kapitän Seelencooper und seine Genossen vernahmen von ihm mit Zittern und Zagen, denn sie befürchteten, daß nun auch sie zur Rechenschaft gezogen würden, allein der General, der sonst alles persönlich untersuchte, schien nicht willig, das Lazarett selber zu revidieren. Man schrieb diese Abneigung der Furcht vor Ansteckung zu, und jedenfalls war die auch der Grund, doch ließ sich General Witherington zu dieser Handlungsweise nicht durch Besorgnis um seine eigene Person bestimmen, er fürchtete lediglich, er könne den Krankheitsstoff mit nach Hause in die Kinderstube bringen, in der der zärtliche Vater tagtäglich weilte. Seine Gemahlin war noch ängstlicher. Wenn der Wind von der Seite her wehte, wo das Lazarett lag, so ließ sie die Kinder nicht aus dem Hause. Die Vorsehung macht jedoch oft alle Maßregeln der Sterblichen zu nichte. Auf einem Spaziergange in einer Gegend, die als die entlegenste und vor der Seuche sicherste zu kleinen Ausflügen erwählt worden war, begegneten die Kinder einem Weibe, das auf dem Arme ein kaum von den Pocken genesenes Kind trug. Der Vater hatte aus Ängstlichkeit und infolge religiöser Bedenken seitens der Mutter die Kinder noch nicht impfen lassen, auch war die Impfung damals noch nicht allgemein üblich. Wie das Feuer an einer Zündschnur griff nun die Krankheit um sich und befiel alle Mitglieder der Familie, die die Seuche noch nicht gehabt hatten. Der zweite Knabe starb, desgleichen zwei farbige Diener. Die Angst des Vaters und der Mutter hatte den Höhepunkt erreicht, als der Kammerdiener des Generals, der wie er selber aus Northumberland stammte, eines Tages mit der Nachricht nach Hause kam, unter den Ärzten des Lazaretts sei ein junger Mann, gleichfalls ein Northumbrier, der öffentlich die bisherige Behandlungsweise der Krankheit getadelt und eine andere empfohlen hätte, die er selber schon mit bestem Erfolge angewandt hätte. »Laßt den jungen Mann sofort zu mir kommen«, entschied der General ohne weiteres. Elftes Kapitel Bekanntlich bestand die alte Behandlungsweise der Pocken darin, daß man den Kranken alles versagte, wonach sie naturgemäß verlangten, sie wurden in geheizte Zimmer geschlossen, in wollene Decken gehüllt und erhielten Glühwein als Getränk, während die Natur kaltes Wasser und frische Luft begehrte. Seit einigen Jahren war von mehreren Ärzten eine entgegengesetzte Behandlungsweise angewendet worden, die namentlich von Gideon Gray in hohem Maße vervollkommnet worden war. Als General Witherington den jungen Arzt sah, machte ihn zunächst das jugendliche Alter ein wenig stutzig. Als er ihm aber zugehört hatte, wie er mit Bescheidenheit und Selbstvertrauen den Unterschied zwischen den beiden Heilverfahren auseinandersetzte, hatte er eine andere Meinung von ihm. Dennoch war er sich noch nicht sogleich schlüssig. »Eure Beweisführung scheint einleuchtend,« sagte er zu Hartley, »aber sie beruht immerhin nur auf einer Vermutung. Was könnt Ihr zur Bekräftigung Eurer Theorie anführen, die doch eben dem allgemein üblichen Verfahren zuwiderläuft?« »Die eigene Erfahrung«, antwortete Hartley. »Ich habe hier ein Tagebuch über Krankheitsfälle, deren Behandlung ich mit angesehen habe, es sind zwanzig Fälle von Pocken darin angeführt, von denen achtzehn geheilt wurden.« »Und die anderen zwei?« fragte der General. »Endeten mit dem Tode«, erwiderte Hartley. »Es ist uns noch nicht völlige Gewalt über diese Geißel des Menschengeschlechts gegeben.« »Junger Mann,« fuhr der General fort, »wenn ich Euch nun sage, 1000 portugiesische Dukaten sind Euer, wenn es Euch gelingt, meine Kinder am Leben zu erhalten, was könnt Ihr als Gegengewähr aufstellen?« »Ich setze meinen Ruf dagegen,« antwortete Hartley ruhig und fest. »Und könnt Ihr Euren Ruf einsetzen für die Heilung Eurer Patienten?« »Verhüts Gott, daß ich so anmaßend wäre! ich kann aber dafür einstehen, daß diejenigen Mittel angewendet werden, die mit Gottes Segen die beste Aussicht auf einen glücklichen Ausgang verbürgen.« »Genug,« entschied der General, »Ihr seid vernünftig, bescheiden und kouragiert, ich will Euch vertrauen.« Seine Gattin, auf die Hartleys Worte und Wesen einen tiefen Eindruck gemacht hatten, hegte schon längst den innigen Wunsch, daß mit dieser Behandlungsweise gebrochen würde, bei der die Kranken schmerzlichster Qual und Entbehrung preisgegeben waren, und die sich auch schon als verhängnisvoll erwiesen hatte, erklärte sich mit der Entscheidung ihres Mannes mit Freuden einverstanden, und Hartley erhielt unumschränkte Vollmacht im Krankenzimmer. Die Fenster wurden geöffnet, die Feuer ließ man ausgehen, und an Stelle des Glühweines und der gewürzten Getränke kam frisches Wasser. So ging Hartley ruhig seinen Weg, und die Patienten befanden sich bald auf dem Wege der Besserung. Der junge Schotte war weder dünkelhaft noch durchtrieben, aber er kannte bei aller Gradheit seines Wesens doch den Einfluß, den ein Arzt auf die Eltern, deren Kinder er eben vom sicheren Tode errettet hatte, gewinnen mußte, und diesen Einfluß beschloß er zugunsten seines ehemaligen Kameraden auszunutzen. Auf seinem Wege nach dem Hause des Generals, wo er zurzeit ständig wohnte, untersuchte er das Paket, das Middlemas ihm anvertraut hatte, es enthielt ein einfaches Miniaturbild der Marie Gray und den Brillantring, den der Doktor dem jungen Manne beim Abschied als letzte Gabe seiner Mutter ausgehändigt hatte. Das erste dieser Andenken entlockte Hartley einen Seufzer, vielleicht eine Träne und erfüllte ihn mit traurigen Erinnerungen. »Ich fürchte nur,« dachte Hartley bei sich, »sie hat keine ihrer würdige Wahl getroffen, aber sie soll glücklich werden, wenn es in meiner Macht liegt, sie glücklich zu machen.« Im Hause des Generals angelangt, begab sich Hartley sofort ins Krankenzimmer und brachte dann den Eltern die frohe Kunde, daß die Heilung ihrer Kinder sich als gesichert betrachten ließe. »Doktor,« sagte Witherington, »Ihr habt Euren Ruf eingesetzt, den Euer glänzender Erfolg nun nur noch gesteigert hat, gegen 1000 portugiesische Dukaten. Ihr findet den Betrag hier in diesem Taschenbuch.« »Herr General,« sagte Hartley, »Ihr seid reich und habt ein Recht, Großmut zu üben, ich bin arm und kann es mir nicht leisten, ein Honorar für meine ärztlichen Bemühungen zurückzuweisen, aber selbst in der Freigebigkeit ist eine Grenze, und ich werde mir nur gestatten, die Hälfte dieser Summe als überreiche Belohnung meiner Dienste anzunehmen, und wenn Ihr noch in meiner Schuld zu stehen meint, so tragt sie damit ab, daß Ihr mir Eure gute Meinung wahrt und Eure Gunst.« Nur mit Widerstreben steckte der General einen Teil des Geldes wieder zu sich. »Und wenn ich mich mit Eurem Vorschlag einverstanden erkläre,« sagte er, »so geschieht es nur in Rücksicht darauf, weil ich Euch mit meinem Einfluß weit mehr helfen kann als mit meiner Börse.« »Und in der Tat,« entgegnete Hartley, »wollte ich Euch gerade jetzt um eine kleine Gunst ersuchen.« Der General und seine Gemahlin sprachen in einem Atem die Versicherung aus, daß sein Ansuchen im voraus gewährt sei. »Dessen bin ich noch nicht so gewiß,« versetzte Hartley, »denn es betrifft etwas, worin Euer Exzellenz sonst durchaus unzugänglich ist: die Freigabe eines Rekruten.« »Das verlangt meine Pflicht,« antwortete der General. »Ihr wißt, mit was für einer Sorte von Kerlen wir uns begnügen müssen. Sie betrinken sich, lassen sich am Abend anwerben, und am andern Morgen tut es ihnen wieder leid. Wenn ich da jeden wieder gehen lassen wollte, der von dem Sergeanten beschwindelt worden sein will, so würden wir herzlich wenig Freiwillige übrig behalten.« »Dieser Fall liegt aber etwas eigentümlich. Der junge Mann ist um 1000 Pfund bestohlen worden.« »Ein Rekrut, der sich für uns hat anwerben lassen, im Besitz von 1000 Pfund! Verlaßt Euch drauf, der Kerl hat Euch belogen, Doktor. Wie sollte denn einer, der 1000 Pfund hat, darauf hineinfallen, sich als Gemeiner für uns anwerben zu lassen.« »Davon war auch gar keine Rede,« versetzte Hartley. »Der Schelm, von dem er sich hat übertölpeln lassen, hat ihm weisgemacht, er solle eine Offiziersstelle bekommen.« »Das kann nur Tom Hillary gewesen sein, so frech ist sonst keiner, der Kerl kommt doch noch einmal an den Galgen. Aber habt Ihr auch bestimmten Anhalt dafür, daß der Mann diese Summe in der Tat besessen hat?« »Das weiß ich ganz bestimmt,« erwiderte Hartley. »Wir sind beide zusammen bei dem gleichen trefflichen Manne in Lehre gewesen. Als nun mein Kamerad großjährig wurde, gefiel ihm der ärztliche Beruf nicht mehr, er bekam sein kleines Vermögen ausgezahlt und ist dann den Betrügereien Hillarys zum Opfer gefallen.« »Der Fall soll genau untersucht werden,« versprach der General. »Wie schändlich ist es aber von den Angehörigen des jungen Mannes, sich so wenig um ihn zu kümmern. Einen Burschen, der noch von nichts was weiß, einem Gauner wie diesem Hillary in die Hände fallen zu lassen, ihn mit solch' einer Summe blindlings in die Welt zu schicken!« »Der junge Mann muß wirklich hartherzige und sorglose Eltern haben!« sagte auch Frau Witherington im Tone des Mitleids. »Er hat seine Eltern nie kennen gelernt,« antwortete Hartley. »Ein Geheimnis waltet über seiner Geburt. Von jemand, der ihn nie gesehen und nie zärtlich sich um ihn gesorgt hat, ist ihm sein Erbteil gegeben worden, und er ist in die Welt hinausgeschickt worden, wie ein Schiff ohne Steuer und Kompaß.« Bei diesen Worten sah General Witherington unwillkürlich seine Gemahlin an, die, von dem gleichen innern Antrieb geleitet, ihrerseits ihn ansah. Sie tauschten einen raschen Blick von besonderer Bedeutung aus und senkten dann beide die Augen zu Boden. »Ihr wart in Schottland in der Lehre,« fragte die Dame mit bebender Stimme, »und wie hieß Euer Lehrherr?« »Ich war in Lehre bei Herrn Doktor Gideon Gray in dem Städtchen Middlemas.« »Middlemas – Gray –« hauchte die Dame und fiel in Ohnmacht. Hartley bot seinen ärztlichen Beistand an, der General aber stürzte zu ihr und flüsterte ihr in halb drohendem, halb warnendem Tone zu: »Zilia, hüte dich!« Sie lallte ein paar unverständliche Laute. Dann hob ihr Mann sie auf und trug sie aus dem Zimmer. Nach wenigen Minuten kehrte er zurück und redete Hartley in dem ihm eignen höflichen Tone an, obwohl es ihm nur schwer gelang, seiner Verwirrung Herr zu werden. »Es geht meiner Frau schon wieder besser, sie wünscht Euch zu Mittag zu sehen. Ihr werdet uns doch zu Tisch die Ehre geben?« Hartley verneigte sich. »Meine Frau leidet öfters an derartigen Anfällen. Gram und Besorgnis haben sie in letzter Zeit zu sehr mitgenommen. Ich habe es deshalb nicht gern, daß bei diesen Anfällen, die stets wieder vorübergehen, jemand anders außer mir und ihrer alten Dienerin bei ihr ist. – Was jenen jungen Mann, Euren Freund, anbetrifft, – diesen Richard Middlemas – so nanntet Ihr ihn ja wohl?« »Den Namen nannte ich wohl nicht, indessen,« antwortete Hartley, »haben Euer Exzellenz den Namen getroffen.« »Das ist seltsam, Ihr müßt aber doch so etwas wie Middlemas gesagt haben,« bemerkte der General. »Den Namen der Stadt habe ich genannt,« sagte Hartley. »So dacht ich, das wär' der Name des Rekruten, ich war im Augenblick von dem Anfall meiner Frau ein wenig benommen. Nun, dieser Middlemas, wie er also doch heißt, ist wohl ein wilder Bursche?« »Ich tät ihm unrecht, wollte ich ihn so nennen. Er hat wohl wie andre junge Leute seine Fehler, aber er ist doch ein tüchtiger und ordentlicher Mensch.« »So? Er möchte also Soldat werden? Hat er ein nettes Aeußres?« »Er ist auffallend schön,« versetzte Hartley, »und von einnehmendem Wesen.« »Hat er dunkeln oder hellen Teint?« »Ziemlich dunkel. Noch einen Schein dunkler als Euer Exzellenz, wenn ich mir diesen Vergleich erlauben darf.« »Ei, dann muß er so schwarz sein wie eine Amsel. Beherrscht er fremde Sprachen?« »Lateinisch und Französisch ziemlich vollkommen.« »Fechten und tanzen kann er aber jedenfalls nicht?« »Ich kann mir in diesen Dingen kein Urteil anmaßen, aber Richard gilt als Meister in beiden.« »Das alles zusammen klingt gar nicht häßlich. Hübsches Äußere, körperliche Gewandtheit, gute Schulbildung, tüchtiger, nicht allzu wilder Charakter – der Mann ist zu schade zu einem Gemeinen – er muß eine Offiziersstelle haben, Doktor, wär's auch nur, um Euch einen Gefallen zu tun.« »Euer Exzellenz sind großmütig.« »Ich werde dafür sorgen, daß Tom Hillary ihm das gestohlene Gut zurückerstattet, wenn er nicht an den Galgen will – ein Schicksal, das er freilich schon längst verdient hat. Ihr aber geht heute nicht nach dem Lazarett, denn Ihr sollt bei uns speisen und wißt, wie groß die Angst meiner Frau vor Ansteckung ist. Aber morgen werdet Ihr Euch darum kümmern, daß der junge Mann mit allem, was er braucht, ausgerüstet wird. Mit dem ersten Ostindienfahrer Middlesex soll er dann abreisen.« »Werden Euer Exzellenz erlauben, daß er Euch vorher seine Aufwartung macht?« »Das hätte keinen Zweck,« entgegnete der General schnell und bestimmt, »Doch ja! Ich möchte ihn einmal sehen. Mein Diener Winter wird ihm die Zeit nennen und ihn herführen. Vorher aber muß er mindestens zwei Tage aus dem Lazarett sein. Je eher Ihr ihn hinauslaßt, um so besser.« Obwohl Hartley in die Umstände der Geburt seines Jugendkameraden nicht eingeweiht war, machte ihn doch mancherlei an dem Benehmen des Generals und seiner Frau stutzig und er beschloß, einen kleinen Versuch zu machen, den er im Grunde für ziemlich harmlos hielt. Er steckte den Ring an den Finger, den Middlemas ihm anvertraut hatte, und wußte es so einzurichten, daß Frau Witherington auf den Schmuck aufmerksam wurde. Sie hatte ihn kaum gesehen, als sie auch die Augen fest auf ihn geheftet hielt und ihn genauer zu betrachten wünschte, weil er frappant einem Ringe ähnelte, den sie einem Freunde geschenkt habe. Hartley zog ihn vom Finger und reichte ihn ihr mit der Bemerkung, er gehöre seinem Freunde, für den er bei dem General ein gutes Wort eingelegt habe. In größter Aufregung zog sich Frau Witherington zurück und ließ am nächsten Tage Hartley zu einer Unterredung zu sich kommen, von deren Inhalt später die Rede sein wird. Am folgenden Tage wurde Middlemas zu seiner großen Freude aus dem Lazarett entlassen und bei seinem Freunde einquartiert. Zwei Tage später traf sein Patent als Leutnant im Dienste der Ostindischen Gesellschaft ein. Zwölftes Kapitel Ehe der neue Leutnant die Reise antrat, wurde er von dem Kammerdiener Winter aufgefordert, ihm zum General zu folgen, um dem hohen Herrn vorgestellt zu werden. Während beide den Weg zurücklegten, harrten ihrer der General und seine Frau in banger Spannung. Sie saßen in einem luxuriös ausgestatteten Empfangszimmer. Der General hatte sich hinter einen großen Leuchter gesetzt, so daß er im Schatten des Schirmes saß, von wo aus er den Besuch beobachten konnte, ohne selber genauer Beobachtung ausgesetzt zu sein. Seine Gattin saß auf einem Berg von Kissen – eine Dame, die die volle Blüte der Schönheit schon überschritten hatte, deren Äußeres aber noch deutlich die Kennzeichen ihrer frühern wundersamen Schönheit zeigte. Sie erschien jetzt in tiefster Erregung. »Zilia,« sagte ihr Gemahl, »du bist es nicht imstande – du hast dir zu viel zugetraut – hör auf meinen Rat und geh hinaus – ich will dir alles mitteilen, was vor sich geht – nur geh jetzt! Weshalb hältst du so hartnäckig an dem Verlangen fest, ein Wesen auf einen Augenblick zu sehen, mit dem du doch niemals wieder zusammenkommen darfst?« »Ach, mein Gemahl!« entgegnete die Dame. »Ist nicht deine Erklärung, daß ich ihn nie wieder sehen soll, Grund genug für mich, ihn wenigstens jetzt zu sehen? – Soll ich nicht einmal den Wunsch hegen, das Angesicht und die Gestalt, die ich doch zeit meines Lebens nicht mehr schauen darf, meinem Gedächtnis einzuprägen? Liebster Richard, sei nicht grausamer als mein armer Vater selbst im ärgsten Zorn gewesen ist. Er hat mich das Antlitz des Kindes sehen lassen, und diese Erinnerung war mir ein Trost in den Jahren bittern Grames, der meine Jugend verzehrt hat.« »Genug, Zilia, ich habe es dir versprochen – und mein Versprechen will ich halten, was auch geschehen mag. Nur denke dran, was von diesem verhängnisvollen Geheimnis alles abhängt – dein Rang und deine gesellschaftliche Stellung und meine Ehre. Jammervolles Elend und Blutvergießen wäre die Folge, wenn irgendwer das Geheimnis erführe.« Gleich darauf öffnete sich die Tür – der Kammerdiener meldete den jungen Leutnant an – und Richard Middlemas stand, ohne es zu wissen, vor seinen Eltern. Witherington fuhr auf, zwang sich jedoch wieder zu jener Ruhe und Würde, mit der ein Vorgesetzter einen Untergebenen empfängt. Die Mutter vermochte sich weniger zu beherrschen. Sie sprang auf, als wollte sie sich ihrem Sohne, um den sie Unglück und Kummer erduldet hatte, um den Hals werfen, aber ein warnender Blick ihres Gatten hielt sie zurück, und sie blieb stehen mit vorgebeugtem Kopf und ineinandergepreßten Händen, regungslos wie eine Statue. »Ich schätze mich glücklich,« begann Middlemas, da der General das Gespräch nicht eröffnen zu wollen schien, »Euer Exzellenz meinen Dank aussprechen zu können, den ich nie zur Genüge abzustatten imstande sein werde.« Obgleich er so gleichgültige Worte sprach, schien doch der Klang seiner Stimme den Zauber zu lösen, der die Mutter in regungsloser Spannung hielt. Sie seufzte tief und sank in die Kissen zurück. Middlemas sah nach ihr hin, und der General sagte rasch: »Meine Frau, Herr Middlemas, ist leidend – Euer Freund, Herr Hartley, wird wohl davon gesprochen haben – es ist ein Nervenleiden,«« Herr Middlemas sprach ein paar Worte der Teilnahme. »Euer Patent habt Ihr wohl erhalten? – Habt Ihr noch einen besonderen Wunsch betreffs Eures Reisezieles?« »Nein, Euer Exzellenz,« antwortete Middlemas. »Ich glaube, mein Freund Hartley hat Euer Exzellenz gesagt, wie es mit mir bestellt ist, daß ich eine arme Waise bin, die von den Eltern im Stich gelassen und in die weite Welt hinausgestoßen worden ist – ich bin ein Ausgesetzter, den niemand kennt und um den niemand sich kümmert, und dessen Eltern nur den einen Wunsch hegen, daß er möglichst weit weg und ungenannt leben möge, damit er ihnen nicht zum Schimpfe werde!« Zilia rang die Hände und zog den Schleier dicht über das Gesicht, um ihr Schluchzen zu unterdrücken. »Herr Hartley,« versetzte der General, »hat mir nichts Näheres über Eure Verhältnisse mitgeteilt und ich will Euch auch den Kummer ersparen, den es bereiten muß, näher darauf einzugehen. Ich möchte nur wissen, ob es Euch recht ist, wenn ich Euch nach Madras gehen lasse.« »Gewiß, Euer Exzellenz, mir ist jeder Ort genehm, nur mit dem Schurken Hillary möchte ich nicht wieder zusammentreffen.« »Dafür ist gesorgt, damit Ihr übrigens seht, daß der Schuft weiß, was sich gehört, so sind hier die Banknoten wieder, die er Euch gestohlen hat.« Richard Middlemas sank aufs Knie und küßte die Hand, die ihm sein verlornes Vermögen zurückgab. »Ihr seid mir mehr als ein Vater!« rief er überschwenglich. »Ich stehe bei Euch in größerer Schuld als bei meinen unnatürlichen Eltern, die mich in Sünde zur Welt brachten und mich in Grausamkeit verließen!« Als Zilia diese Worte hörte, warf sie den Schleier zurück und hob die Arme, dann seufzte sie laut und fiel in Ohnmacht. Der General stieß Middlemas heftig zurück, eilte seiner Gattin zu Hilfe und trug sie wie ein Kind auf den Armen in das Zimmer nebenan. Man kann sich sein Entsetzen denken, als alle Versuche und Bemühungen, sie zum Bewußtsein zurückzurufen, vergeblich blieben. Diener wurden nach Ärzten geschickt, nach Hartley und jedem andern, der zu finden war. Der General stürzte in seiner Verzweiflung in das Zimmer, das er soeben verlassen hatte, und sah sich hier wieder Middlemas gegenüber, der, über das Geschrei bestürzt, der Tür sich genähert hatte. Der Anblick des unglücklichen jungen Mannes steigerte die Verzweiflung des Generals zum Wahnsinn. Er schien in seinem Sohn den Mörder seiner Frau zu erblicken, er packte ihn am Kragen und schleppte ihn in das Gemach, wo die Tote lag. »Komm her,« schrie er, »du, dem ein Leben in stiller Verborgenheit ein so elendes Schicksal war – komm her und sieh die Eltern, die du so sehr beneidet hast – die du so oft verflucht hast! – Sieh diesen bleichen hagern Leichnam, eher eine Gestalt von Wachs als von Fleisch und Blut – das ist deine Mutter – das ist die unglückliche Zilia von Moncada, für die deine Geburt eine Quelle des Jammers und der Schande war, und die deine unheilvolle Anwesenheit schließlich noch in den Tod gejagt hat! Und sieh auf mich! Siehst du nicht Schwefelflammen um mein Haupt lodern und Blitze von meiner Stirn ausgehen? – Ich bin der Vater, den du suchst – ich bin der verruchte Tresham, der Verführer Zilias und der Vater ihres Mörders.« In diesem Augenblick trat Hartley ein, er erkannte sofort, daß die Verstorbene aller menschlichen Hilfe entrückt sei, und da er teils aus den Mitteilungen des Kammerdieners, teils aus den wirren Reden des Generals entnehmen konnte, was für eine Enthüllung hier stattgefunden hatte, beeilte er sich, dem peinlichen Auftritt ein Ende zu machen. Aber Witherington schien in seiner Raserei gütigen Vorstellungen nicht zugänglich. »Was kümmert's mich!« rief er, »Mag die ganze Welt meine Sünde und Strafe erfahren! Ich fürchtete mich davor nur, solange Zilia noch lebte, und Zilia ist tot!« »Aber ihr Andenken habt Ihr zu schonen und den Ruf Eurer Kinder!« rief Hartley. »Gewiß!« stimmte Middlemas ungestüm bei, »und auch ich bin Euer Sohn – ein Sohn von der Euch angetrauten Gemahlin! Ich fordere von Euch, daß Ihr meine Rechte anerkennt und rufe alle hier Anwesenden zu Zeugen auf!« »Elender!« rief der wahnsinnige Vater. »Wie kannst du inmitten des Todes und der Tollheit an deine schmutzigen Rechte denken? Du bist der Teufel, der mein Unglück in dieser Welt veranlaßt hat und meine Verdammnis in der andern Welt teilen wird. Mir aus den Augen und mein Fluch mit dir!« Middlemas stützte aus dem Zimmer, eilte in den Stall, ergriff das erste beste Pferd und sprengte davon. Hartley stand im Begriff, ihm zu folgen, allein die Dienerschaft umringte ihn und flehte ihn an, doch ihren Herrn nicht in dieser Not zu verlassen. Er blieb und es gelang ihren vereinten Kräften, ihn zu Bett zu schaffen. Der Tobsuchtsanfall ließ nach, der Arzt gab eine niederschlagende Medizin, und der Unglückliche verfiel in einen tiefen Schlaf, aus dem er erst gegen Morgen wieder zu sich kam. Er erwachte zu vollem Bewußtsein des Vorgefallenen und brach in Schluchzen und Tränen aus. Als Hartley, der die Nacht über bei ihm gewacht hatte, zu ihm trat, erkannte er ihn sofort und sagte zu ihm: »Fürchtet Euch nicht vor mir, der Anfall ist vorüber. Geht und sorgt dafür, daß jener Unglückliche England sobald als möglich verläßt und nach dem Lande reist, wohin ihn sein Schicksal ruft und wo wir uns nie wieder sehen können. Mein Kammerdiener kennt mich und wird inzwischen für mich sorgen.« »Tut das«, setzte der Kammerdiener flüsternd hinzu. »Vor allen Dingen sorgt dafür, daß mein Herr nie wieder mit diesem abscheulichen Menschen zusammentrifft.« Dreizehntes Kapitel Als Adam Hartley in seine Wohnung im schönen Städtchen Ryde kam, erkundigte er sich zuerst nach seinem Kameraden, er erfuhr, daß dieser in der verflossenen Nacht spät nach Hause gekommen war, Mann und Pferd waren von Schaum bedeckt gewesen. Auf die Frage, ob er zu Abend essen wolle, hatte der junge Mann nicht geantwortet, er hatte ein Licht genommen, war die Treppe hinunter gelaufen und hatte sich in seinem Zimmer eingeschlossen. Die Diener glaubten, er habe einen kleinen Rausch gehabt und in diesem Zustand einen tollen Ritt gemacht, nun habe er nicht andre merken lassen wollen, was mit ihm los sei. Nicht ohne Besorgnisse trat Hartley an die Tür seines Zimmers. Nachdem er mehrmals angeklopft hatte, erhielt er endlich die Antwort: »Wer ist da?« Als Hartley seinen Namen nannte, machte Middlemas auf. Er war sauber gekleidet und sorgsam gepudert, aber das Bett war noch unbenutzt, und sein Antlitz war verstört und übernächtigt. Seine Rede hatte den Ton erzwungener Gleichgiltigkeit. »Ich wünsche Euch Glück, Adam, Ihr laßt Euch ganz gut an als gewiegter Weltweiser«, sagte er. »Es ist ein günstiger Augenblick, den armen Erben aufzugeben und sich an den zu halten, dem Reichtum in den Schoß geschneit ist.« »Ich war in der vergangenen Nacht bei General Witherington,« erwiderte Hartley, »weil es ihm sehr schlecht ging.« »So sagt ihm, er solle Buße tun für seine Sünden,« sagte Middlemas, »ein Arzt darf ebenso geistlichen Rat erteilen wie ein Prediger. Erinnert Ihr Euch, wie Doktor Dulberry, unser Pfarrer, dem Doktor Gray den Vorwurf machte, er pfusche ihm ins Handwerk? Ha, ha, ha!« »Ich begreife nicht, wie Ihr in Eurer Lage so reden könnt,« sagte Hartley. »Ei! Hab' ich doch gestern meine Eltern gefunden!« rief Middlemas. »Meine Mutter hat, wie Ihr wißt, ihr Sterben genau bis zu diesem Augenblick aufgeschoben, und mein Vater hat mit dem Verrücktwerden solange gewartet. Ich schließe daraus, sie haben beide mit Absicht so gehandelt, um mich um mein rechtmäßiges Erbteil zu prellen, da mein Vater von Anfang an nichts von mir hat wissen wollen.« »Euer Erbteil!« entgegnete Hartley, bestürzt über die Ruhe Richards und in dem Glauben, der Wahnsinn seines Vaters habe auch ihn ergriffen. »In des Himmels Namen! faßt Euch und laßt von solcher Täuschung! Von was für einem Erbteil hat Euch denn geträumt?« »Von dem meiner Mutter doch wohl, deren Schätze der alte Moncada geerbt haben muß – auf wen sonst als auf ihre Kinder können sie übergehen, und ich bin der älteste unter ihnen, das ist nicht abzuleugnen.« »Richard, bedenkt und faßt Euch!« »Das ist geschehen, was weiter?« »Ihr dürft nicht vergessen, daß Ihr infolge Eurer Geburt von jeder Erbschaft ausgeschlossen seid, wenn nicht ein besondres Testament zu Euren Gunsten vorhanden ist.« »Da irrt Ihr Euch, Herr, ich bin ein rechtmäßiger Sohn. Die kränkliche Brut, die Ihr vom Tode errettet habt, besitzt nicht mehr Rechte als ich – die Eltern wollten nicht einmal, daß die Luft des Himmels sie frei anwehte, und mich überließen sie den Winden und Wogen – aber ich bin ebenso ihr rechtmäßiger Sproß wie jene Kinder schwächerer Gesundheit, die sie in vorgerückteren Jahren bekommen haben. Ich habe sie gesehen, Adam, Winter hat sie mir gezeigt in der Kinderstube, während meine Eltern all ihren Mut zusammen nahmen, mich zu empfangen. Da lagen sie – die Kinder, die mir vorgezogen werden. Die Schätze des Orients waren in verschwenderischer Fülle ausgebreitet, daß sie sanft schlafen und in Pracht erwachen könnten. Ich, ihr ältester Bruder, ich, der Erbe, stand neben ihrem Bette in geborgtem Kleide, das ich erst vor kurzem mit den Lumpen eines Hospitals vertauscht habe. Ihr Lager duftete von Wohlgerüchen, während ich von den Ausdünstungen eines Pesthauses dampfte. Und so bin ich – ich sage es nochmals – ich, der Erbe meiner Eltern, die Frucht ihrer ersten und innigsten Liebe – so bin ich behandelt worden! Kein Wunder, daß ich mir den Blick eines Basilisken angeeignet habe.« »Ihr sprecht, als wärt Ihr vom bösen Geiste besessen,« sagte Hartley, »oder Ihr steht unter einem furchtbarem Irrtum.« »Ihr haltet nur die für gesetzmäßig verheiratet, über die ein verschlafener Pastor den Segen gesprochen oder vielmehr aus einem Buche voll Eselsohren vorgelesen hat? So ist es vielleicht bei Euch in England, aber bei uns in Schottland ist die Liebe selber der Priester. Wenn sich ein Liebespaar Treue gelobt, so braucht nur der blaue Himmel droben Zeuge zu sein, und ein vertrauensvolles Mädchen ist gegen den Treubruch eines leichtfertigen Verehrers ebenso geschützt, wie wenn der Dechant in der höchsten Kathedrale Englands die Feier vollzogen hätte. Noch mehr, wenn der Vater das Kind der Liebe bei der Taufe anerkennt – wenn er die Mutter achtbaren Leuten als seine Frau vorstellt, so darf er nach den Gesetzen Schottlands nicht die Ansprüche wieder rückgängig machen, die er damit dem verführten Weibe und dem Sprößlinge der gegenseitigen Liebe eingeräumt hat. Dieser General Tresham oder Witherington hat nun meine Mutter als eine Frau behandelt, in Anwesenheit von Gray und andern Leuten, er hat sie in die Familie eines ehrbaren Mannes eingemietet und ihr denselben Namen gegeben, den zu führen ihm damals gerade einfiel. Er hat mich dem Prediger als seinen rechtmäßigen Sprößling überreicht, und das Gesetz nimmt in Schottland ein hilfloses Kind in Schutz, er darf auf Grund dieses Gesetzes mir jetzt nicht die Anerkennung verweigern, die er damals in aller Form zugegeben hat. Ich kenne meine Rechte und bin entschlossen, sie geltend zu machen.« »So wollt Ihr nicht an Bord des Middlesex?« wandte Hartley ein. »Überlegt Euch das noch, Ihr könntet Eure Offizierstelle einbüßen.« »Dafür verschaffe ich mir mein Geburtsrecht,« erwiderte Richard Middlemas. »Als ich die Absicht hatte, nach Indien zu gehen, da habe ich meine Eltern noch nicht gekannt, und wußte auch nicht, wie ich zu dem Rechte, das ich durch sie habe, kommen sollte. Dieses Rätsel ist nun aber gelöst, ich habe Anspruch auf mindestens ein Drittel von Moncadas Vermögen, das sehr bedeutend ist, wie ich erfahren habe. Wenn Ihr nicht wärt und die Pocken so gut zu behandeln verstündet, so hätte ich ein Anrecht auf das Ganze. Als der alte Gray sich fast die Perücke vom Kopfe riß vor Eifer, weil das Fenster aufgemacht und das Feuer ausgemacht werden sollte und an Stelle des Branntweins Wasser gereicht werden sollte, da habe ich mir nicht träumen lassen, daß diese neue Behandlungsweise der Pocken mir einen solchen Streich spielen und mich um so viele tausend Pfund bringen würde.« »Ihr seid also entschlossen, bei Eurem tollen Entschlusse zu bleiben?« »Ich kenne meine Rechte und bin entschlossen, sie geltend zu machen,« erwiderte der starrsinnige junge Mann. »Es tut mir leid um Euch, Herr Richard Middlemas,« sagte Hartley. »Es tut mir leid um Euch, weil Ihr so hartnäckig an Eurer Selbstsucht festhaltet nach dem gestrigen Auftritt, und weil Ihr Euch dem eitlen Traume hingebt, daß Ihr auf diese Weise zu Reichtum gelangen könntet.« »Ihr zeiht mich der Selbstsucht?« rief Middlemas. »Ich bin im Gegenteil ein pflichttreuer Sohn, der das Andenken seiner Mutter zu reinigen sucht – und Träumereien sollte ich mich hingeben? – Diese Hoffnung ist in mir erwacht, als der alte Moncada an Gray schrieb und mir meine Lage zum erstenmal klar wurde. Glaubt Ihr denn, ich hätte mich jemals in das langweilige Leben hineingefunden, wenn ich nicht dadurch den einzigen Faden in der Hand behalten hätte, der mich noch mit meinen unnatürlichen Eltern verband, und wenn ich nicht allein auf diese Weise mir die Möglichkeit sicherte, mich ihnen aufzudrängen und mir im Notfalle die Rechte eines gesetzlichen Kindes zu erzwingen? Daß Moncada nichts mehr von sich hören ließ und dann sein Tod hat meinen Plan vereitelt, und da erst habe ich mich mit dem Gedanken an Indien ausgesöhnt.« »Ich will Euch nicht täuschen, Herr Middlemas,« sagte Hartley, »obgleich ich befürchten muß, Euch Kummer zu verursachen. Ich habe gestern eine lange Unterredung mit Eurer Mutter gehabt, sie hat Euch zwar als ihren Sohn anerkannt, aber eingestanden, daß Ihr vor der ehelichen Verbindung zur Welt gekommen wäret. Diese ausdrückliche Erklärung vernichtet alle Euere Hoffnungen. Wenn Ihr wollt, will ich Euch den Inhalt ihrer Erklärung mitteilen, die sie mir in ihrer eigenen Handschrift überreicht hat.« Hartley begann nun die Ereignisse zu erzählen, die der Geburt Richards vorausgingen und die ihr folgten, und Middlemas, auf seiner Schiffskiste sitzend, hörte mit unnachahmlicher Fassung diesen Bericht mit an, der all seine blühenden Hoffnungen auf Reichtum in der Wurzel ausrodete. Vierzehntes Kapitel Zilia von Moncada war das einzige Kind eines sehr reichen jüdischen Kaufmannes aus Portugal, der sich in London niedergelassen hatte. Unter den wenigen Christen, die in seinem Hause verkehrten, war auch Richard Tresham, ein Mann aus hohem northhumbrischen Hause, der eine Zeitlang Offizier im Heere des Königs von Portugal gewesen war. Das angenehme Äußere des Herrn, sein vornehmes Wesen, seine ausgezeichnete Kenntnis der portugiesischen Sprache gewannen ihm die Freundschaft des alten Herrn und das Herz seiner jungen, schönen Tochter. Tresham hielt bei Moncada um die Hand der Zilia an. Der Handelsherr verweigerte seine Einwilligung und verbot ihm sein Haus. Er konnte aber nicht verhindern, daß die Liebenden sich heimlich sahen. Der junge Mann nutzte die Gelegenheiten, die ihm die unschuldige Zilia bot, in unehrenhafter Weise aus, und die Folge war die Verführung des Mädchens. Der Verehrer hatte aber die beste Absicht, sein Unrecht wieder gutzumachen. Es wurde beschlossen, nach Schottland zu fliehen. Die eilige Flucht, die ständige Angst führten zu einer vorzeitigen Entbindung, sodaß die junge Mutter die Hilfe des Doktor Gray in Anspruch hatte nehmen müssen. Das Paar war kaum ein paar Stunden in Middlemas gewesen, als Tresham durch einen scharfsichtigen Freund den Wink erhielt, ein Haftbefehl wegen Hochverrats sei gegen ihn ausgestellt, der auf das Gesuch Moncadas hin gleichzeitig auch auf den Namen seiner Tochter lautete. Der Vater ereilte sein Kind, nahm es mit sich und verurteilte es zu strengster Einsamkeit. Tresham flüchtete, verbarg sich in den Hochlanden, bis die Geschichte von seinem heimlichen Briefwechsel mit Karl Eduard von Portugal vergessen war, und trat dann nach mehreren Jahren in den Dienst der Ostindischen Gesellschaft unter seinem mütterlichen Namen Witherington. Seine militärische Begabung verschaffte ihm bald ein hohes Amt und bedeutenden Reichtum. Sein Ruhm, sein Reichtum und die Erkenntnis, daß Zilia doch keinen andern heiraten werde als den Mann ihrer ersten Liebe, bekehrten den alten Moncada von seiner hartnäckigen Abneigung, und nach einer Trennung von vierzehn Jahren wurden die Liebenden endlich durch die Ehe miteinander verbunden. General Witherington war bereitwillig mit dem Wunsche seines Schwiegervaters einverstanden, daß jede Erinnerung an vergangene Zeiten getilgt sein sollte und daß der Sohn – das Kind ihrer frühen und unglücklichen Liebe für immer fern und in fremden Händen, obwohl von ihnen mit allem nötigen versehen, bleiben sollte. Die Mutter freilich dachte anders. Sie sehnte sich nach ihrem ersten Kinde, aber sie wagte nicht, sich dem Willen ihres Vaters und der Entscheidung ihres Mannes zu widersetzen. Die vielen Jahre lang schrie ihr Herz nach ihrem Kinde. Und diese so lange unterdrückten Gefühle, mit Innigkeit gehegt, brachen nun bei der unvermuteten Entdeckung ihres Sohnes im vollen Strome hervor, als sie ihn, aus größter Not und dringendster Lebensgefahr errettet, plötzlich vor sich sah. Vergeblich versicherte ihr Gemahl, er werde sich des jungen Mannes annehmen und mit Geldmitteln und seinem Einfluß für sein Wohlergehen sorgen, sie war nicht eher beruhigt, als bis sie selber etwas getan hatte, das Los der Verbannung zu mildern, zu dem ihr Erstgeborener verurteilt war. Sie war dazu um so fester entschlossen, als sie sich durch die langen Jahre geheimen Leidens völlig gebrochen fühlte. Es lag nahe, daß sie sich an Hartley, den Kameraden ihres Sohnes wandte, dem sie ohnehin die Rettung ihrer jüngeren Kinder verdankte. Sie übergab ihm die Summe von 2000 Pfd. – ihr unangefochtenes Privateigentum – und bat ihn mit den zärtlichsten und liebevollsten Worten, er möchte das Geld in derjenigen Weise, die er für die förderlichste halte, zum besten ihres armen Sohnes verwenden. Sie gab ihm die Versicherung, daß sie ihn weiterhin unterstützen werde, sobald das erforderlich sein werde, und gab Hartley ein Schreiben, das er ihrem Sohne überreichen sollte, wenn er es für angebracht hielte. Das Schreiben hatte folgenden Inhalt: »O Benoni, Kind meines Kummers! Warum soll Deine unglückliche Mutter Dich mit Augen schauen dürfen, während es doch ihren Armen versagt bleibt, Dich an den Busen zu drücken? Möge der Gott der Juden und Heiden Dich beschützen! Daß er doch zu seiner Zeit die Finsternis aufhöbe, die zwischen mir und dem Geliebten meines Herzens besteht – der ersten Frucht meiner unglücklichen und ach! unheiligen Liebe! Denke nicht, mein geliebtes Kind, Du seist ein einsamer Verbannter, denn Deiner Mutter Gebet steigt auf für Dich bei Sonnenaufgang und Untergang, und fleht Segen herab auf Dein Haupt. Trachte aber nicht danach, mich zu sehen – ach! weshalb muß ich doch so etwas schreiben! – aber ich will mich neigen in den Staub und meine Sünde und Torheit anklagen! – trachte nicht danach, mich zu sehen oder mich zu sprechen – es könnte der Tod sein von uns beiden! Vertraue Deine Gedanken dem ausgezeichneten Hartley, der der Schutzengel von uns allen war, und was er Dir rät, das soll geschehen, soweit es in Deiner Mutter Macht liegt. Und die Liebe einer Mutter – können Meere sie einschließen, oder kommt je eine Wüste oder eine weite Welt ihr an Ausdehnung gleich! O Kind meines Kummers, o Benoni, sei im Geiste bei mir, wie ich bei Dir bin! Z.M.« »Sicherlich,« dachte Hartley, als er seinen Bericht beendet hatte, »werden bei einem solchen Zauber die Teufel des Ehrgeizes und der Habsucht ihre Klauen von dem Manne lassen, den sie jetzt als ihre Beute festgehalten haben.« Wirklich hätte Richards Herz von Stein sein müssen, wenn ihn nicht dieses erste und letzte Zeugnis von der Liebe seiner Mutter hätte rühren sollen. Er legte den Kopf auf den Tisch, und seine Tränen flossen reichlich. »Und nun,« schloß Hartley, »habe ich nur noch die Pflicht, Euch die Summe zu überreichen, die Eure Mutter mir anvertraut hat.« Middlemas nahm die Banknoten und zählte sie mit kaufmännischer Genauigkeit, und obgleich er mit einer Miene tiefster Niedergeschlagenheit nach der Feder griff, faßte er doch den Empfangsschein, den er jetzt schrieb, in gut gewählten Ausdrücken ab, die wohl bezeugten, daß er seine Verstandeskräfte völlig beisammen hatte. »Mein Geschick ist grausam,« sagte er dann mit einer Pose des Grames. »Ich freute mich schon, daß ich endlich meine Eltern gefunden hatte, ich war schon entschlossen, meine Rechte geltend zu machen und mir zu erzwingen, was mir zusteht. Meine Eltern mochten ja wohl auch selber willens gewesen sein, mich zum Erben einzusetzen. Nun hat ein Zufall alles zu nichte gemacht. – Verflucht! Wieder ist mir der Becher von den Lippen weggerissen worden!« »Ihr müßt bedenken,« antwortete Hartley, »daß diese Mitteilungen, die freilich Eure allerdings ganz unbegründeten Hoffnungen vernichtet haben, denn Ihr seid ja vor der rechtmäßig geschlossenen Ehe geboren worden – gleichzeitig doch eine Verdreifachung Euers bisherigen Vermögens mit sich bringen, und daß viele Millionen nicht halb soviel besitzen wie Ihr, wenn auch ein paar tausende auf der Welt reicher sind. Hebt Euch also mutig über Euern Unstern hinweg und verzweifelt nicht daran, daß auch Ihr es im Leben noch zu etwas bringen könnt.« Fünfzehntes Kapitel Am andern Tage trat Middlemas auf dem Ostindienfahrer seine Reise an. In der ersten Zeit fühlte er sich sehr unglücklich, da er aber von Kindheit an gewöhnt war, seine innern Gedanken zu verbergen, so gab er nach Verlauf einer Woche den heitersten und artigsten Passagier ab, der je die ermüdende Reise von England nach Indien gemacht hat. In Madras, wo die Geselligkeit zwischen den ansässigen Engländern ausartete, wurde er mit all der der britischen Welt im Osten charakteristischen Gastfreundschaft aufgenommen. Middlemas war im besten Zuge, in dem Orte ein unentbehrlicher Gast jedes Festes zu sein, als der Zufall es fügte, daß auch Hartley in derselben Kolonie die Stelle eines Unterarztes erhielt. Er hätte zwar bei einem solchen Posten keinen erheblichen Anspruch auf große Höflichkeit und Aufmerksamkeit gehabt, allein er brachte wichtige Empfehlungsbriefe vom General Witherington mit, die an die vornehmsten Einwohner der Kolonie gerichtet waren. Middlemas mußte daher sich wieder in denselben Kreisen wie er bewegen, und es blieb ihm nichts weiter übrig, als in seinen Beziehungen zu ihm die Höflichkeit nach außen hin zu wahren oder gänzlich mit ihm zu brechen. Die erstere Weise wäre vielleicht die klügere gewesen, die letztere aber war dem geraden derben Charakter Hartleys mehr angemessen, und dieser erachtete es weder für zweckmäßig noch für behaglich, den Anschein eines freundlichen Verkehrs aufrecht zu erhalten, um Haß, Verachtung und gegenseitigen Widerwillen zu verbergen. Der gesellschaftliche Umgang in der Kolonie war damals noch auf einen engen Kreis beschränkt, und so mußte die Kälte der beiden jungen Leute gegeneinander auffallen. Es wurde ruchbar, daß sie früher intime Freunde und Studiengenossen gewesen waren, und das Gerücht gab für ihre Feindschaft verschiedene Gründe an. Hartley kümmerte sich wenig darum, Leutnant Middlemas aber trug Sorge, daß ein Gerede im Gange blieb, das die Ursache ihres gespannten Verhältnisses in einem für ihn vorteilhaften Lichte darstellte. »Wir waren einmal so etwas wie Nebenbuhler,« sagte er, wenn er danach gefragt wurde, »ich habe nur das Glück gehabt, daß eine schöne Dame sich aus mir mehr machte als aus meinem Freunde Hartley. Darüber hat er sich mit mir entzweit, und er hat es auch jetzt noch nicht vergessen, wie man sieht. Ich halte es für höchst albern, daß er mir das jetzt noch nachträgt, wo doch schon soviel Zeit darüber vergangen ist und wir soweit weg von jenem Orte sind. Aber im übrigen ist mein Freund ein ganz guter Kerl.« Während dieses Geflüster seine Wirkung nicht verfehlte, erhielt Hartley doch von der Regierung die schmeichelhaftesten Versicherungen baldiger Beförderung, und nach kurzer Zeit wurde ihm der gewinnreiche Posten eines Arztes in einer entfernteren Kolonie übertragen. Er kam infolgedessen auf einige Zeit von Madras weg. Nach seiner Abreise fiel es unangenehm auf, daß sich Middlemas von wenig sympathischer Seite zeigte, wie wenn ein Hemmnis nun beseitigt sei, das ihn bisher ein wenig im Zaume gehalten habe. Der junge Mann begann jetzt ein hochfahrendes und herrschsüchtiges Wesen herauszukehren. Er hatte in der Kolonie aus Gründen, die der Leser durchschauen kann, die aber von den Leuten nur als bloße Grille ausgelegt wurden, seinem Namen Middlemas den Namen Tresham beigefügt. Er bestand darauf mit einer Hartnäckigkeit, der der Oberst seines Regimentes, ein alter mürrischer Pedant im Dienste nicht nachzugeben gesonnen war. »Ich kenne,« sagte dieser, »einen Offizier nur bei dem Namen, der in seinem Patent angegeben ist.« Und er nannte daher seinen Leutnant stets nur Middlemas. An einem verhängnisvollen Abend geriet der Oberst darüber so außer sich, daß er die Bemerkung fallen ließ, jeder müsse ja am besten wissen, wie er heiße. »Nicht jedes Kind,« sagte er, »kennt seinen Vater – wie soll da jedes Kind auch seinen wirklichen Namen wissen?« Die Folge war, daß Middlemas den Oberst forderte. Bei dem Duell boten nach dem ersten Kugelwechsel die Sekundanten ihre Vermittlung an. Middlemas schlug jede Einigung ab. Beim zweiten Kugelwechsel erschoß er seinen Kommandanten. Er mußte nun aus den britischen Niederlassungen fliehen, da die allgemeine Ansicht war, daß er den Streit vom Zaune gebrochen habe, so mußte er darauf gefaßt sein, daß die ganze Strenge der militärischen Disziplin ihn treffen würde. Er verschwand. Zuerst erregte der Vorfall großes Aufsehen, bald aber sprach man nicht weiter darüber. Man war der Meinung, er habe das Glück, auf das er in den britischen Niederlassungen nicht mehr hoffen könnte, am Hofe eines eingeborenen Fürsten gesucht. Nach diesem verhängnisvollen Auftritt waren drei Jahre verflossen. Hartley war nach Madras zurückgekehrt und hatte sich dort als Arzt niedergelassen. Er war auf dem besten Wege, zu Ruhm und Reichtum zu gelangen. Seine Praxis war nicht allein auf seine Landsleute beschränkt, er war unter den Eingeborenen sehr begehrt, die die Überlegenheit der Europäer im ärztlichen Beruf sehr hochschätzen, wenn sie auch in andrer Hinsicht viele Vorurteile gegen sie hegen. Dieser gewinnreiche Zweig seiner Tätigkeit brachte es mit sich, daß Hartley die indischen Sprachen erlernte, damit er ohne Dolmetscher mit seinen Patienten verkehren konnte. Er hatte hierzu reichlich Gelegenheit, denn da die hohen Herren unter den Moslemin und Hindus ihm stattliche Honorare zahlten, so leistete er den Armen des Volkes umsonst Hilfe, so oft er von ihnen in Anspruch genommen wurde. Eines Abends erhielt er von dem Regierungssekretär den Auftrag, sich zu einem Kranken von Range zu verfügen. »Es ist ein Fakir,« hieß es in dem Befehle. »Ihr findet ihn beim Grabe Kara Rafis, des mohammedanischen Arztes und Heiligen. Bei einem solchen Patienten dürft Ihr freilich nicht auf Honorar rechnen, allein wir wissen ja, wie wenig Ihr nach Geld seht, und außerdem werden Euch hier Eure Bemühungen von der Regierung bezahlt.« »Daran denke ich zu allerletzt,« dachte Hartley, und begab sich sofort in seiner Sänfte an den angegebenen Ort. Das Grab des mohammedanischen Heiligen war ein von jedem gläubigen Muselman verehrter Ort. Es lag in einem Hain von Magnolien und Tamarinden. Es war aus rotem Stein gebaut und hatte drei Kuppeln und an jeder Ecke Minarette. Vor demselben lag ein Hof und ringsherum waren Zellen errichtet als Wohnstätten der Fakire, die hier zum Grabe wallfahrteten und bald längere, bald kürzere Zeit verweilten. Sie leben von den Almosen der Gläubigen, die es nie unterlassen, für ihre Gebete sie reichlich zu belohnen. Diese Pilger lesen Tag und Nacht Verse aus dem Koran vor dem Grabmale, das aus weißem Marmor erbaut und mit Inschriften aus dem Buche des Propheten geziert ist. Während der Kriege wird ein solches Grab, und es gibt deren viele, von Feringis, wie die Europäer von den Eingeborenen genannt werden, Hindus und Mohammedanern heilig gehalten, die Fakire aber dienen allen Parteien zu Spionen und werden oft zu wichtigen Aufträgen verwendet. Hartley fügte sich der mohammedanischen Sitte und zog die Schuhe am Eingange in das heilige Gebäude aus. Er ging nicht zu nahe an das Grab heran, um nicht Anstoß zu erregen, und wendete sich an den vornehmen Priester, der an der Länge seines Bartes und der Größe der Holzkugeln seines Rosenkranzes zu erkennen war. Der Mann saß auf der Erde, er erhob sich nicht und machte auch kein Zeichen der Ehrerbietung. Er ließ sich in seinen Gebeten nicht stören und zählte seine Kugeln weiter, solange Hartley redete. Als dieser geendet hatte, schlug der Alte die Augen auf, als bemühte er sich, das, was ihm eben gesagt worden war, sich ins Gedächtnis zurückzurufen, dann deutete er auf eine der Zellen und begann seine Andacht von neuem, als sei er verdrossen über jede oh noch so kurze Störung seiner heiligen Pflichten. Hartley trat in die Zelle, die der Alte ihm bezeichnet hatte. Sein Patient lag in einer Ecke auf einem Teppichs. Es war ein Mann von etwa zwanzig Jahren in fadenscheinigem, oft geflicktem schwarzen Kaftan. Er trug eine hohe kegelförmige Mütze. Der Ausdruck seiner Augen und seine Haltung verrieten, daß er litt, daß er aber seine Schmerzen mit stoischem Gleichmut ertrug. »Salem aleikum!« sagte Hartley. »Ihr seid krank, würdiger Vater!« »Salem aleikum bema sebastem!« erwiderte der Fakir. »Es wird Euch zum Heile, wenn Ihr geduldig leidet, spricht das Buch, und dies wird der Gruß sein, mit dem die Engel die Dulder im Paradiese bewillkommnen.« Nachdem das Gespräch so eröffnet worden war, fragte der Arzt den Kranken nach der Art seines Leidens und verschrieb ihm die Mittel, die er für angebracht hielt. Als er sich darauf entfernen wollte, reichte ihm der Fakir zu seinem Erstaunen einen Ring, der ziemlich wertvoll zu sein schien. »Die Weisen aller Länder,« sagte Hartley, das Geschenk ablehnend, »sind Brüder. Meine linke Hand nimmt nicht den Lohn für das, was meine Rechte tut.« »So kann ein Feringi Geld ausschlagen?« versetzte der Fakir. »Ich habe gedacht, sie nähmen es aus jeder Hand, sie sei so rein wie die einer Huri oder so aussätzig wie die eines Dschehasi.« »Allah verschließt und erweitert die Herzen, spricht das Buch,« entgegnete Hartley, »Frank und Muselman sind gleicherweise gebildet nach seinem Willen.« »Mein Bruder spricht weise,« sagte der Kranke, »willkommen sei die Krankheit, wenn sie dich mit einem weisen Arzte bekannt macht, denn es spricht der Dichter, Heil ist dir geworden, daß du zur Erde fielest, wenn du dort kriechend einen Diamanten fandest.« Der Arzt besuchte seinen Patienten mehrmals, auch nachdem schon die Gesundheit des Hadschi längst wiederhergestellt war: Er erkannte in ihm einen jener geheimen Agenten, wie sie die indischen Fürsten vielfach gebrauchen. Barak el Hadschi sprach öfters über die Macht des Nawwab von Maisur, und daraus schloß Hartley mit Sicherheit, daß er in einer geheimen Sendung vom Hofe Haidar Alis abgesandt worden sei, vielleicht um einen Frieden auf festerer Grundlage zwischen diesem befähigten und scharfsinnigen Fürsten und der Ostindischen Gesellschaft in die Wege zu leiten. Kurz vor seiner Abreise aus Madras besuchte Barak el Hadschi den Doktor und trank bei ihm ein paar Gläser Scherbet, die ihm besser mundeten, als sein eigener, wahrscheinlich weil einige Gläser Rum zugesetzt waren. Da er dem edeln Getränk mehrmals zusprach, so wurde er in seinen Mitteilungen offenherziger, und begnügte sich nun nicht damit, sich in überschwenglichen Lobreden auf den Nawwab zu, ergehen, sondern sprach auch von dem großen Einfluß, den er selber auf den mächtigen Radschah hätte. »Bruder meiner Seele,« sagte er »sofern du je in der Lage sein solltest, daß du einer Sache bedürftest, die der gewaltige Haidar Ali Chan Bahadur dir gewähren könnte, so wende dich nicht an die, so in Palästen wohnen und in deren Turbanen Juwelen blitzen, sondern suche die Zelle deines Bruders in der großen Stadt auf, die Seringapatam heißt, und der arme Fakir im zerschlissenen Gewande wird dein Gesuch besser bei dem Nawwab anbringen, als die, so den Ehrenplatz im Diwan innehaben.« Mit solchen Worten lud er Hartley ein, nach Maisur zu kommen und das Antlitz des großen Fürsten zu schauen. Er erbot sich zum Danke für die ihm erwiesenen Dienste dem Arzte alles zu zeigen, was in Maisur für einen Gelehrten sehenswert sei. Die beiden Männer schieden so im besten Einvernehmen, nachdem sie Geschenke ausgetauscht hatten, wie sie weisen Männern geziemten, denen Kenntnisse mehr wert waren als Geld. Barak el Hadschi gab Hartley eine Büchse Mekka-Balsam, der unverfälscht sehr schwer zu erhalten war, und Hartley gab dem Fakir einige im Orient noch wenig bekannte Arzeneien, die seiner Meinung nach bei passender Anleitung einem so verständigen Manne ohne Bedenken anvertraut werden durften. Zum Schluße gab der Fakir dem Arzte noch einen Paß, der, wie er versicherte, von jedem Beamten des Nawwab geachtet würde, falls der Doktor seinen Plan, nach Maisur zu reisen, ausführen wollte. »Der Kopf dessen, der diesem Geleitsbrief die Achtung versagt,« setzte er hinzu, »wird nicht fester sitzen als die Ähre des Gerstenhalmes, die der Schnitter mit der Hand ergreift.« Wenige Monate, nachdem Barak el Hadschi ins Innere des Landes zurückgekehrt war, geschah ein unerwartetes Zusammentreffen, das Hartleys Verwunderung aufs höchste erregte. Sechzehntes Kapitel Vier Jahre waren verflossen. Aus Europa waren Schiffe im Hafen von Madras angelangt und hatten ihre gewohnte Ladung von jungen Herren, die Offiziere werden wollten, und von jungen Damen, die nach Indien herüber kamen, um bei einem Bruder oder Oheim oder sonst einem Verwandten die Wirtschaft zu führen, bis sich einmal Gelegenheit zu einer Heirat bieten würde, unter dem gewohnten Zulauf von Zuschauern abgesetzt, Doktor Hartley war gerade mit einigen bekannten Herren im Hafen und sah das bunte Treiben mit an. Plötzlich hörte er, wie ein Herr leise zu einem andern sagte: »Engel und Boten Gottes, da ist ja unsre alte Bekannte, die Königin von Saba, als unveräußerliche Ware wird sie uns wohl wieder zurückgeschickt.« Hartley blickte in derselben Richtung wie die beiden Herren und sah ein Weib, das wie eine Semiramis aussah. Sie war ungewöhnlich groß und fett und trug eine mit Tressen und Schnüren besetzte Reittaille aus karmoisinroter Seide und hellblaue Pluderhosen. Um die riesigen Hüften hatte sie einen scharlachroten Shawl geschlungen, in dem ein reichverzierter Dolch steckte. Hals und Arme waren mit Ketten und Spangen überladen und den roten Turban schmückten eine blaue und eine rote Straußenfeder. Die Stirn hatte die europäische Färbung und war zu hoch, um schön zu sein, machte aber einen gebieterischen Eindruck, eine energische Adlernase erhöhte den charakteristischen Ausdruck des Gesichtes, das auffallend rot geschminkt war. Der Kapitän eines eben aus England eingelaufenen Ostindienfahrers machte sich in eifriger Liebenswürdigkeit um sie zu schaffen, und ein paar Hartley bekannte Kaufleute benahmen sich gleichfalls auffallend zuvorkommend gegen sie. »Was ist das für ein Weib?« fragte Hartley. Aber im selben Augenblick verstummte er und saß wie versteinert. Dann raffte er sich auf, erhob sich von seinem Platze und ging schnurstracks auf die Dame zu, zum nicht geringen Erstaunen seiner Gefährten. Während er auf die absonderliche Frau geblickt hatte, war ihm eine zierliche Mädchengestalt aufgefallen, die sich so gesetzt hatte, daß sie hinter der massigen Gestalt und den wallenden Gewändern der Frau fast unsichtbar war. Zu seinem unbeschreiblichen Erstaunen erkannte er in ihr die Freundin seiner Kindheit, die Geliebte seiner Jugend – Marie Gray in eigener Person. Allein schon, daß er sie hier in Indien sah, mußte ihn in Verwunderung setzen. Aber seine Überraschung wuchs, als er sie in der Begleitung einer so seltsamen Erscheinung erblickte. Nichts war im Drang der auf ihn einstürmenden Empfindungen natürlicher, als daß er aufsprang und auf sie zueilte. Seinem Ungestüm wurde aber Einhalt geboten. Er sah, wie Marie ihn, der so unmittelbar auf sie zugeschritten kam, ansah ohne das geringste Zeichen, daß sie ihn wiedererkenne. Aber ohne daß ein anderer es hätte merken können, legte sie den Zeigefinger auf die Oberlippe, wie wenn sie sagen wollte: »Ihr dürft jetzt nicht mit mir reden.« Hartley verstand diesen Wink, nahm ihn an und blieb stehen. Im nächsten Moment hatte er sich wieder zu seinen Bekannten zurückgezogen und setzte das Gespräch mit ihnen fort. »Wer ist denn die stattliche Dame?« fragte er den einen der Herren. »Ist es möglich, daß Ihr noch nie von der Königin von Saba, von der Mama Montreville gehört habt?« »Ihr wißt, ich war lange von Madras weg.« »Nun denn,« fuhr der Gefragte fort, »diese Dame ist die Witwe eines schweizerischen Offiziers in der französischen Armee, der nach der Einnahme von Pondichery ins Innere flüchtete und auf eigene Faust Soldat wurde. Er wußte sich in den Besitz eines Forts zu setzen, indem er einem Pinsel von einem Radschah vorschwindelte, er wolle es in seinem Dienste befehligen. Dann sammelte er eine Horde verzweifelter Landstreicher von jeder Farbe des Regenbogens, die nichts zu verlieren und alles zu gewinnen hatten, und erklärte sich für unabhängig. Aber Haidar Ali verstand keinen Spaß, zog mit seinem Heer herbei und eroberte das Fort. Es wird aber auch behauptet, die Frau des Schweizers, eben dieses Weib da, habe es an den Indier verraten. Sei dem, wie ihm wolle, der arme Schweizer fand den Tod auf den Wällen. Das Weib dort, das den Haidar Ali gewöhnlich den Salomo des Orients nennt, führt infolgedessen den Titel Königin von Saba. Sie verläßt ihren Hof, wann es ihr paßt, treibt überhaupt, wozu sie gerade Lust hat.« »Eine seltsame Geschichte«, erwiderte Hartley, während er bei sich selber die Frage erwog, auf welche Weise wohl die schlichte herzensgute Marie in die Gesellschaft einer solchen Abenteurerin geraten sei. »Das beste aber hat mein Freund ganz vergessen«, setzte ein anderer Herr hinzu. »Es geht nämlich die Rede, daß Euer alter Bekannter, Richard Middlemas, sehr hoch in Gunst bei dieser Amazone stände. Er ist vor einiger Zeit aus Madras ins Innere geflüchtet und in die Dienste Haidar Alis getreten. Er hat dort ein Kommando über einen größeren Truppenteil bekommen, das er wohl auch jetzt noch inne hat. Ihm sind auch die englischen Gefangenen anvertraut worden, und ich spreche aus eigener Erfahrung, wenn ich sage, daß der Teufel selber von ihm noch lernen kann, was Grausamkeit heißt. Er soll dann mit diesem Weibe in intime Beziehungen getreten sein.« Hartley vermochte nicht länger zuzuhören. Die plötzliche Erkenntnis, daß Marie Gray sich in der Gewalt eines solchen Mannes und einer solchen Frau befinde, drang sich seinem Geiste in der Gestalt einer furchtbaren Gefahr auf. Eben wollte er aus dem Gedränge heraus, um sich an einen einsamen Ort zu begeben, wo er sich in Ruhe sammeln und zu gefaßter Überlegung gelangen konnte, da berührte ein farbiger Diener seinen Arm und reichte ihm eine Karte, auf der geschrieben stand: Miß Gray bei Madame Montreville im Hause des Ram Sing Cottah in der schwarzen Stadt. Sein Herz schlug hoch bei dem Gedanken, daß er seine Geliebte noch einmal wiedersehen solle. Und noch höher schlug es, als er sich sagte, daß er ihr vielleicht doch noch einmal eine Hilfe erweisen sollte. Wenn ihr Gefahr droht, sagte er zu sich selber, so will ich ihr zur Seite stehen mit Rat und Tat und im Notfall mein Leben für sie hingeben. Auf dem Heimwege sann er darüber nach, inwieweit wohl den Erzählungen der beiden Herren Glauben zuzumessen sei, über solchen Gedanken begegnete ihm ein andrer Bekannter – auch ein Arzt – mit Namen Esdale, der selber das Unglück gehabt hatte, in Haidar Alis Gefangenschaft zu geraten, bei dem letzten Friedensschluß aber wieder freigegeben worden war. Der Mann galt im allgemeinen für ruhig, befähigt in seinem Berufe und vernünftig und besonnen in seinen Ansichten und Urteilen. Hartley kam mit ihm ins Gespräch und konnte unschwer die Rede auf die sogenannte Königin von Saba bringen, indem er ihn fragte, ob er bei dem Nadscha Haidair Ali nicht ein abenteuerliches Weib kennen gelernt habe. »Das kann ich wahrhaftig nicht sagen«, erwiderte Esdale. »In Indien sind wir ja alle mehr oder weniger Abenteurer, ich wüßte nicht, daß die Begum Montreville größeren Anspruch auf diese Bezeichnung hätte.« »Die Frau kleidet und benimmt sich aber geradezu wie eine Amazone«, sagte Hartley, »Sie hat etwas Schwindelhaftes an sich.« »Ihr dürft freilich,« entgegnete Esdale, »von einer Frau, die Soldaten kommandiert hat und vielleicht noch einmal kommandieren wird, nicht erwarten, daß sie wie andre gewöhnliche Frauenzimmer aussehe und sich kleide. Ich gebe Euch aber die Versicherung, daß sie noch heute eine sehr gute Partie machen könnte, wenn sie nur Lust hätte, sich zu verheiraten.« »Ich habe gehört, sie hätte die Festung ihres Mannes an Haidar Ali verraten?« »Das ist so eine treffliche Probe der in Madras grassierenden Klatscherei. In der Tat verhält die Sache sich folgendermaßen. Noch lange, nachdem ihr Mann gefallen war, hat sie die Festung verteidigt und erst dann mit Haidar Ali kapituliert. Haidar Ali, der viel darauf hält, daß der Gerechtigkeit alle Ehre erwiesen wird, stände sonst vielleicht nicht in so nahen Beziehungen zu ihr.« »Ich habe gehört, sie sollen sehr intim miteinander sein.« »Abermals eine Verleumdung oder wenn Ihr wollt, Klatscherei«, versetzte Esdale.»Haidar ist ein viel zu strenggläubiger Mohammedaner, als daß er sich mit einer Christin in ein Liebesverhältnis einlassen sollte. Wenn sie außerdem nicht ihre einflußreiche Stellung und den Rang, der ihr eingeräumt worden ist, verlieren will, so muß sie sich nach außen hin jedes Anscheins eines intimen Liebesverhältnisses enthalten. Man hat auch dieser Frau – im Grunde tut sie mir Leid – nachgesagt, sie stünde in intimem Verkehr mit Eurem alten Bekannten Middlemas.« »Das war also auch ein falsches Gerede?« fragte Hartley in größter Spannung. »Meiner Treu, ich glaube nicht daran!« antwortete Esdale. »Da sie beide Europäer waren, sind sie an dem indischen Hofe einander näher getreten, aber weiter ist es wohl nichts gewesen. Nebenbei – Ihr hattet ja wohl mal so einen kleinen Zwist mit Middlemas – es wird Euch gewiß interessieren, daß der arme Kerl jetzt die beste Aussicht hat, sich in unsern Kreisen wieder zu rehabilitieren.« »Wirklich!« war das einzige Wort, das Hartley zu antworten vermochte. »In der Tat!« erwiderte Esdale, »Das Duell ist jetzt vergessen, und es ist Gras darüber gewachsen. Es muß ja auch zugegeben werden, daß Middlemas bei diesem Anlaß, obwohl er äußerst jähzornig gehandelt hat, doch auch gereizt worden ist.« »Aber seine Fahnenflucht – und daß er eine Befehlshaberstelle in Haidars Heer angenommen hat – und wie er unsere Gefangenen behandelt hat – kann das alles für nichts angesehen werden?« »Es ist eben gar nicht ausgeschlossen – ich rede zu Euch im Vertrauen und als Mann, der auf der Hut ist, es ist gar nicht ausgeschlossen, daß er uns in Haidars Hauptstadt oder in Tippus Lager bessere Dienste erweisen kann, als in seinem eigenen Regiment. Was seine Behandlung der Gefangenen anbetrifft, so kann ich ihm aus eigener Erfahrung nur Gutes nachsagen. Es blieb ihm gar nichts andres übrig, als das Amt zu übernehmen, denn bei allen, die Haidar Ali dienen, heißt es entweder gehorchen oder sterben. Er hat mir aber selber gesagt, und das glaube ich auch, daß er das Kommando in Haidar Alis Heer nur deshalb angenommen habe, um insgeheim den Engländern dienen zu können, öffentlich mußte er natürlich den Hindus gegenüber hart mit uns verfahren, wenn auch meistens nur in Worten. Das konnten nun einige nicht begreifen, und sie überhäuften ihn mit Schmähungen. Die mußte er natürlich dann bestrafen, um keinen Verdacht zu erwecken. Ich aber und noch manche andern können beweisen, daß er uns sehr gern Gefälligkeiten erwies, wenn man ihn nach seiner Weise verfahren ließ. Ich hoffe, ich werde bald in Madras ihm persönlich meinen Dank abstatten können. Das alles habe ich Ihnen im Vertrauen gesagt. – Guten Morgen!« Siebzehntes Kapitel Zu der festgesetzten Stunde stand Hartley vor der Pforte des reichen indischen Kaufmannes, der aus Rücksicht auf persönliche Interessen die Begum Montreville in sein Haus aufgenommen hatte, in der schwarzen Stadt von Madras, wie derjenige Teil der Metropole hieß, den die Eingeborenen bewohnten. Ein Diener führte den Gast in ein Zimmer, wo er Miß Gray anzutreffen erwartete. Aber statt dessen fand er die enorme Figur der Königin von Saba. »Was steht dem Herrn zu Diensten?« fragte die Dame. »Ich komme, um eine Dame hier zu begrüßen, die ich gestern in Eurer Gesellschaft sah«, antwortete Hartley in achtungsvollem Tone. »Ich habe diese Dame in England gut gekannt – und möchte ihr hier in Indien meine Dienste anbieten. Es ist Miß Gray.« »Sehr liebenswürdig«, versetzte die Begum. »Aber Miß Gray ist ausgegangen. Sie kommt auch vor zwei Tagen nicht wieder, Ihr könnt mir ja sagen, was ich ihr bestellen soll.« »Verzeiht, Madame,« antwortete Hartley, »Ihr irrt Euch wohl in Euren Angaben, denn dort kommt die Dame selbst.« »Was soll das heißen«, wandte sich die Frau an Marie Gray, die eben eintrat. »Seid Ihr denn nicht auf ein paar Tage weg, wie ich dem Herrn sagte? Mais c'est égal! – es macht nichts! Ihr werdet zu Monsieur sagen, wie geht's und adieu. Der Herr ist so artig, sich nach unserem Befinden zu erkundigen, und da er sieht das es uns beiden ganz gut geht, so kann er sich wieder nach Hause scheren.« »Ich habe mit diesem Herrn zu sprechen«, sagte Marie Gray kurz. »Geht in den Garten, Herr Hartley, und Ihr, Madame, könnt uns vom Fenster beobachten, daß nichts geschieht, was gegen die Sitten des Landes verstößt.« Mit diesen Worten schritt sie durch eine Gittertür nach dem Garten. Die Königin von Saba, bei aller Unverfrorenheit ihrer Natur durch Maries Gleichmut und Ruhe aus der Fassung gebracht, ließ es ohne Widerrede geschehen und verließ in unverhohlenem Verdruß das Zimmer. »Welch ein Zusammentreffen!« begann Hartley sogleich. »Liebste Marie – entschuldigt, wenn ich Euch noch so anrede wie vor der Zeit, die wir uns nicht gesehen haben – Euer Vater –« »Er ist tot, Herr Hartley«, antwortete sie weinend. »Als er keinen Assistenzarzt mehr hatte, war die Arbeit zu viel für ihn – er erkältete sich, und Ihr wißt ja, an sich dachte er immer zuletzt, wenn ihm etwas fehlte, so wurde denn die Krankheit gefährlich und endete schließlich mit dem Tode. Das schmerzt auch Euch, Herr Hartley, freilich, mein Vater hatte Euch sehr lieb...« Hartley schwieg eine Weile in stillem Kummer. Der Gedanke fuhr ihm durch den Sinn, daß dem wackeren alten Herrn vielleicht ein längerer Lebensabend beschert gewesen wäre, wenn Marie sich seinen Wünschen hätte fügen können, aber er sprach ihn nicht aus, und fragte erst nach einer Weile: »Wie kommt es aber, daß ich Euch hier sehe, hier und bei diesem Weibe?« »Sie ist allerdings nicht so, wie ich es erwartete,« antwortete Miß Gray, »aber ich darf auf fremdländische Sitten hin kein Vorurteil fassen, da ich den entscheidenden Schritt einmal getan habe. Sie ist sonst auch aufmerksam und freundlich. In kurzem, werde ich ja auch –« sie machte eine Pause und fügte dann hinzu: »unter zuverlässigerem Schutze stehen.« »Unter dem Schutze Richard Middlemas'?« fragte Hartley mit stockender Stimme. »Ich sollte vielleicht nicht antworten auf diese Frage, aber ich kann mich nicht verstellen, und wem ich mein Vertrauen schenke, dem vertraue ich auch ganz. Nun ja, Ihr habt richtig geraten, Herr Hartley«, sagte sie errötend. »Ich bin hierher gekommen, um mein Schicksal mit dem Eures einstigen Kameraden zu vereinen.« »Es ist also, wie ich fürchtete!« rief Hartley, »Miß Gray, Eure Handlungen und Beweggründe werden stets die eines Engels sein, aber ich bitte Euch, faßt diesen so sehr wichtigen Schritt mit kühler Ruhe und Klugheit ins Auge. Habt Ihr denn wohl bedacht, in was für unausbleibliche Gefahren Ihr Euch begebt, wenn Ihr so einem Manne folgt, der – ich will Euch nicht wehe tun – der vielleicht – wenigstens hoffe ich daß trotz allem doch – die Gunst, die Ihr ihm schenkt, verdient?« »Nach dem Tode meines Vaters, der, wie Ihr Euch denken könnt, arm gestorben ist, stand ich verlassen und mittellos da«, sagte Miß Gray. »In dieser Lage erhielt ich einen Brief von Herrn Middlemas. Er teilte mir mit, daß er nicht gewagt habe, mir zu schreiben, solange es ihm schlecht gegangen sei, da er mir nicht habe zumuten wollen, sein Elend zu teilen, jetzt aber hätte er seinen reichen Anteil an dem Überfluß eines mächtigen Fürsten, unter dessen Schutz er stünde, und der weise genug sei, die Europäer, die in seine Dienste träten, in Ehren zu halten. Jetzt bäte er mich, nach Indien zu kommen und sein wiederauflebendes Glück zu teilen. Er schickte mir eine beträchtliche Geldsumme mit. Eine achtbare Dame bezeichnete er mir, die mich auf der Überfahrt in ihre Obhut nehmen würde, und hier in Madras würde mich Madame Montreville, eine Dame von Rang, die in Maisur bedeutende Güter und auch großen Einfluß besäße, in Empfang nehmen und mich sicher in das Gebiet Haidar Alis geleiten. Ich habe Middlemas sehr lieb gehabt und – warum sollte ich es leugnen? – ich liebe ihn noch. Was hätte ich also tun sollen? Ich trug kein Bedenken, mich ihm anzuvertrauen. Wenn nicht eine innere Stimme mich an mein Versprechen gemahnt hätte, so hätte vielleicht mein Stolz die Oberhand behalten und ich hätte gewartet, bis mein Geliebter persönlich gekommen wäre und mich geholt hätte.« »Noch jetzt,« bat Hartley, »seid bei allem Großmut gegen Euren Geliebten gerecht. Hört mich an, ich glaube, es ist nicht gut, daß Ihr Euch in den Schutz dieser Frauensperson begeben habt. Ich kenne viele Damen von höchstem Range hier in der Kolonie, sie werden alle Euch gern aufnehmen und Euch Gastfreundschaft gewähren, wenn ich ihnen Eure Angelegenheit mitteile, bis es Eurem Geliebten möglich sein wird, seinen Anspruch auf Eure Hand vor aller Welt geltend zu machen. Ich selbst will ihm keinen Anlaß geben, Euch mißzutrauen, Miß Marie. Erklärt Euch nur bereit, meinen Vorschlag anzunehmen, und sobald ich Euch dann in einem ehrenwerten Hause in sichere Obhut gebracht habe, will ich selber Madras verlassen und nicht eher zurückkehren, als bis Euer Schicksal in der einen oder anderen Weise dauernd gesichert ist.« »Nein, Hartley,« antwortete Miß Gray, »Euer Rat ist gewiß recht gut gemeint, aber es wäre doch von mir schlecht gehandelt, wenn ich meine Angelegenheiten auf Kosten Eurer Aussichten fördern wollte. Ich danke Euch – aber es ist nun Zeit, daß wir uns wieder trennen.« »Teuerste Marie!« rief Hartley, indem er aufs Knie sank und die Hand, die sie ihm reichte, an die Lippen drückte. »Gott segne Euch, denn Ihr verdient den Segen! Und Gott schütze Euch, denn Ihr werdet bald des Schutzes bedürfen. Wenn es anders kommt, als Ihr hofft, so schickt unverzüglich nach mir, und wenn noch ein Mensch Euch Hilfe zu bringen vermag, so rechnet auf Adam Hartley!« Er reichte ihr eine Karte, die seine Adresse enthielt, dann stürzte er hinaus. Er eilte aus der schwarzen Stadt unter dem Eindruck der festen Überzeugung, daß Marie Gray das Opfer eines schändlichen Betruges sei, und fester als je stand in ihm der Entschluß, ihr beizustehen, soweit in seinen Kräften stünde, und sein Leben für sie in die Schranken zu schlagen. Achtzehntes Kapitel Als Hartley den Garten des indischen Hauses verlassen hatte, begab sich auch Miß Gray in das für sie bestimmte Gemach zurück. Sie fühlte sich auch zu heimlichem und bangem Nachdenken gestimmt. Alle Liebe und alles Vertrauen zu Middlemas vermochten sie nicht, sich über die Bedenken hinwegzusetzen, die sie vor ihrer zweifelhaften Beschützerin hegte. Das Wesen dieser Abenteurerin, ihre mannhafte Redeweise und ihr großtuerisches Benehmen erfüllten sie mit Widerwillen. Kaum war Hartley weg, und kaum hatte Marie den Garten verlassen, so traten aus einem nahen Gebüsch, wo sie gelauscht zu haben schienen, Madame Montreville und ein schwarzer Diener hervor. »Ich bin überzeugt,« sagte die Dame, »dieser – wie heißt er doch – dieser Hartley ist ein Ekel und mischt sich in alles. Was hat er hier zu suchen? Sie mag ihn ja gar nicht. Ist es seine Sache, wer sie kriegt? Ich wünschte, wir wären wieder über die Ghat hinweg, mein teurer Sador.« »Ich für mein Teil,« erwiderte der Sklave, »habe wenig Lust, noch einmal dieses Gebirge zu überschreiten. Wißt, Adele, der von uns entworfene Plan fängt an, mir herzlich widerlich zu werden. Die vertrauensvolle Reinheit dieses Geschöpfes, nennt es nun Weib oder Engel, macht mir meine Schliche in meinen Augen so erbärmlich, daß ich fühle, ich tauge nicht zum Gefährten all der tollkühnen und niederträchtigen Intriguen, in die Ihr mich hineinzieht. Wir wollen auseinandergehen – wir können es jetzt noch in gutem Einvernehmen.« »Amen, Memme!« versetzte die Königin von Saba. »Das Weib aber bleibt mein.« »Euer!« rief der Schwarze. »Nimmermehr! Sie steht unter dem Schutz der britischen Flagge.« »Ja, und welchen Schutz kann sie etwa Euch selber gewähren?« versetzte das kriegerische Weib. »Ich brauche nur in die Hände zu klatschen und einem halben Dutzend meiner schwarzen Diener zu befehlen, so binden sie Euch wie ein Lamm, und dann brauche ich nur dem Präsidenten zu sagen, daß ein gewisser Richard Middlemas, der sich der Meuterei, des Totschlags, der Desertion und des Verrats schuldig gemacht hat, der in fremdem Dienste gegen seine Landsleute gekämpft hat, sich hier im Hause des Nam Sing Cottah befindet in der Verkleidung eines schwarzen Sklaven, und Ihr seid geliefert.« Middlemas schlug die Hände vors Gesicht, während Madame Montreville fortfuhr, ihm Vorwürfe zu machen. »Höre!« rief sie – »du Sohn eines Sklaven und selber Sklave! Du trägst die Kleidung meiner Diener und hast zu gehorchen wie sie. Sonst Peitschenhiebe oder Fesseln! – Das Schafott, Abtrünniger! – Den Galgen, Mörder! Wagst du es, an den Abgrund des Elends zu denken, aus dem ich dich erhoben habe, Reichtum und Liebe an meiner Seite zu genießen? Denkst du daran, daß damals dir das Bild dieser kalten Blassen so gleichgültig war, daß du dich bereit erklärt hast, sie als schuldigen Tribut für die Gunst der Frau zu opfern, die sich herabließ, dich zu lieben, dich kläglichen Tropf, der du warst. Nichts weiter hast du zu tun, als die Dirne in ein fremdes Land zu bringen unter dem Vorwand einer Liebe, die ja doch bei dir, du Bösewicht, nie dagewesen ist. Ich durchschaue dich, glaube mir! Du willst den Fürsten, um dessen Gunst du buhlst, an die Engländer verraten, um wieder bei den Deinen in Gunst zu kommen. Aber mich sollst du nicht verraten, so schlau du es auch anstellst! Ich will nicht das Werkzeug deines Ehrgeizes sein, ich will nicht dir meine Schätze und meine Soldaten borgen, damit sie dieser Eispuppe aus dem Norden zu Diensten seien. Nein, ich will über dir wachen wie der Satan über einer armen Seele, und gib mir nur den geringsten Grund zu dem Verdacht, daß du auch mich verraten willst, solange wir hier sind, und auf der Stelle zeige ich dich bei den Engländern an! Weiche nur einen Zoll breit von der Bahn, wenn wir erst über die Ghats sind, und ich teile dem Nawwab mit, daß du den Plan verfolgst Bangalur den Engländern zu überliefern, sobald Tippu Sahib in seiner Unklugheit dich zum Killedar dieser Stadt gemacht hat. Geh, wohin du willst, Sklave, mir sollst du nicht entrinnen, und in mir sollst du deine Meisterin finden!« Sie schwieg eine Weile und setzte, dann hinzu: »Also kurz und gut, erklärt mir, daß die Frauensperson mir zur Verfügung steht.« »Doch nicht, daß Ihr sie unter Eurem Throne lebendig begrabt, wie jene Cirkassierin, auf die Ihr eifersüchtig ward«, antwortete Middlemas mit einem Schauder. »Nein«, du Narr! Kein schlimmeres Los harrt ihrer, als die Lieblingshouri eines Fürsten zu werden. Kannst du vogelfreier Sklave, der du bist, ihr etwas Besseres bieten? Doch genug! Morgen treten wir die Reise an. Gebt dem Gefolge die nötigen Befehle!« »Hören heißt gehorchen,« war die Antwort des verkleideten Sklaven. Die Augen der Begum blieben auf die Tür geheftet, durch die Richard Middlemas gegangen war. »Schurke!« murmelte sie dann. »Zwiefacher Verräter! Deine Schliche sind mir offenbar, ich durchschaue deine Niedertracht! Tippu willst du durch die Liebe fangen und verraten. Aber bei mir soll dir das nicht gelingen! – Hollah!« – Dieser Ruf galt einem Diener. – »Ein Bote, auf den ich mich verlassen kann, soll sich sogleich bereit halten, mit Briefen abzureisen, die ich jetzt gleich schreiben werde. Es darf niemand etwas davon erfahren. – Und nun soll diese bleiche Maid sofort wissen, welches Schicksal ihr bevorsteht, und verspüren, was es heißt, eine Nebenbuhlerin der Adela Montreville gewesen zu sein!« Die eifersüchtige und despotische Begum zauderte nicht länger, ihre unschuldige Nebenbuhlerin von ihren schändlichen Plänen in Kenntnis zu setzen und das arme Mädchen in Todesangst zu jagen. In ihrer Verzweiflung gelang es der Unglücklichen, einen Diener des Ram Sing Cottah durch Bitten und ein Geldgeschenk dahin zu bringen, daß er ein Schreiben folgenden Inhalts an Hartley besorgte: »Es ist alles so wie Ihr es geahnt habt. Er hat mich in die Hände dieses grausamen Weibes gegeben, und sie soll mich an den Tyrannen Tippu verkaufen. Rettet mich, wenn Ihr könnt! Wenn Ihr kein Mitleid mit mir hegt oder mir keine Hilfe bringen könnt, so ist mein Entschluß gefaßt und ich habe auf Erden nichts weiter zu tun. M. G.« Neunzehntes Kapitel Hartley war darauf vorbereitet gewesen, daß sein Beistand vonnöten sein würde. Seine böse Ahnung war in ihm fast zur Gewißheit geworden, und, die Nachricht setzte ihn daher nicht in Schrecken, sondern riß ihn nur dazu hin, sofort seinen Entschluß zur Ausführung zu bringen und zur Rettung seiner Geliebten alle Kräfte aufzubieten. Sein Versuch, beim Gouverneur eine Audienz zu erhalten, um diesen aufzuklären und zu der Verfügung zu veranlassen, daß der Madame Montreville die Abreise ins Innere des Landes verboten würde, mißlang. Es war der Regierung nichts daran gelegen, die Reise der Montreville und ihres Günstlings zu verhindern, da die Reise ja vielmehr ihren eigenen Plänen entsprach. Die Beschwerde, daß eine Engländerin wider ihren Willen im Gefolge der Begum mitgeführt würde, behandelte man als Weiberklatsch, auf den kein Wert gelegt zu werden brauche. Schließlich erklärte man sich bereit, Schritte zur Untersuchung der Angelegenheit zu tun, aber allerdings erhielt Hartley diese Versicherung erst, als die Montreville schon so weit weg war, daß eine Unterbrechung ihrer Reise nicht mehr zu erhoffen war. Hartley machte seinem Unwillen gegen die Verwaltung Luft, er erzielte damit aber nichts weiter, als daß ihm das Betreten des Regierungspalastes untersagt wurde. Außerdem erhielt er den Wink, daß, wenn er noch weiterhin sich eine derartige ungebührliche Sprache zu schulden kommen ließe, man seine Versetzung nach einer Bergfestung oder einem Dorfe im Gebirge verfügen würde. Als Hartley von einem letzten Besuch im Palaste des Gouverneurs erbittert heimkehrte, begegnete ihm wiederum sein Kollege Esdale. Vor Ingrimm außer sich, teilte er diesem mit, wie es ihm ergangen sei. Er bezeichnete das Verhalten der Behörde als schändlich und erklärte, er habe nur zu guten Grund zu der Annahme, daß der Gouverneur selber die Hand bei der schmachvollen Affäre im Spiele habe. Es sei ganz unbegreiflich, wie die Regierung es so ruhig mitansehen könne, daß eine britische Untertanin gewaltsam von einem Abtrünnigen entführt und der Gewalt eines indischen Tyrannen überantwortet werde. Esdale hörte ihm mit jener Vorsicht zu, die ängstliche und kluge Leute an den Tag zu legen pflegen, wenn sie durch die Reden eines unvorsichtigen Freundes selber in Verlegenheit zu kommen befürchten. »Wenn Ihr für Eure Person Genugtuung haben wollt, so müßt Ihr Euch nach Leadenhall-Street wenden,« sagte er, »dort werden Wohl schon Beschwerden in großer Menge gegen den Gouverneur vorliegen, doch sei dies unter uns gesagt.« »Daran ist mir gar nichts gelegen,« erwiderte Hartley, »ich pfeife auf persönliche Genugtuung. Hilfe für Marie Gray will ich.« »In diesem Falle,« sagte Esdale, »bleibt Euch nichts weiter übrig, als daß Ihr Euch an Haidar selber wendet.« »An Haidar, an den Thronräuber und Tyrannen?« »Ja, an diesen Thronräuber und Tyrannen,« antwortete Esdale, »müßt Ihr Euch wenden. Er ist stolz darauf, daß man ihn für einen streng gerechten Herrscher hält, und vielleicht hat er die Grille, sich auch in diesem wie schon in so manch anderm Falle als völlig unparteiischer Richter zu zeigen.« »Dann will ich fort, an seinem Throne Gerechtigkeit zu verlangen!« »Gemach, gemach!« versetzte Esdale. »Vor allen Dingen überlegt Euch, was Ihr da wagt! Haidar ist gerecht, aus Klugheit und vielleicht aus Politik. Aber er ist von so heißblütigem Temperament wie irgend ein Farbiger, und wenn Ihr ihn vielleicht in der Laune antrefft, gerecht zu richten, so könnt Ihr ihn andrerseits auch in der Laune finden, ungerecht zu töten. Auf den Pfahl spießen und Erdrosseln ist bei ihm ein ebenso beliebter Sport, wie die Gerechtigkeit richtig abzuwägen.« »Ganz einerlei, ich will auf der Stelle fort.« »Kennt Ihr irgend jemand von den Höflingen Haidars?« »Nur seinen geheimen Agenten, der vor kurzem hier war, Barak el Hadschi.« »Der kann Euch unter Umständen ebenso viel nützen, wie wichtigere Personen. Die Sache ist eben die, man kann nie mit Bestimmtheit auf irgend etwas rechnen, wenn die Willkür eines Despoten im Spiele ist und auf sie eigentlich alles ankommt. Hört auf meinen Rat, lieber Hartley, überlaßt das arme Mädchen ihrem Schicksal. Wenn Ihr versucht, sie zu retten, so steht hundert gegen eins zu wetten, daß Ihr nur selber Euern Untergang dabei findet, ohne ihr irgendwie zu nützen.« Hartley verabschiedete sich kopfschüttelnd von diesem guten Freunde, der sich in der Meinung entfernte, einem lieben Bekannten einen guten Rat erteilt und ihn dadurch vielleicht von einer großen Torheit abgelenkt zu haben. Mit seiner Bemühung, die Abreise des Weibes ins Innere zu verhindern, kam er infolge unvorhergesehener Verzögerungen zu spät, und es blieb ihm nichts übrig, als der Montreville nachzureisen. Er versah sich mit Geld, nahm drei zuverlässige eingeborene Diener, kaufte für sie und sich arabische Pferde und trat ohne Verzug die Reise nach Maisur an. Unterwegs wurde es ihm klar, daß ihm kein anderes Mittel mehr blieb, als geradeswegs nach dem Throne des Haidar Ali, des Vaters Tippu Sahibs, sich zu begeben und dessen Barmherzigkeit anzurufen. Er rief sich alle möglichen Geschichten ins Gedächtnis, die er von Haidar Alis Gerechtigkeit und Selbstbeherrschung je vernommen hatte, um zu der Zuversicht zu gelangen, daß der Rawwab sich willens zeigen werde, ein hilfloses Weib vor seinem eigenen Sohne zu schützen. Auf seiner Reise, die mühselig genug war und unter beständigen Gefahren verlief, erfuhr er nur einmal, daß er auf der richtigen Spur sei. An den Wällen eines Forts erhielt er von einem Posten die Auskunft, daß die Reisegesellschaft einer reichen Indierin vorübergekommen sei. Sie schienen es sehr eilig gehabt zu haben. Jenseits der Ghats habe sich eine Truppe der eigenen Soldaten der Indierin ihr angeschlossen, während die aus Madras mitgenommenen Führer und Begleiter hier entlohnt und zurückgeschickt worden seien. Die Begum beabsichtige bis nach Bangalur zu reisen, wo sie mit Tippu Sahib zusammentreffen wolle. Auf Grund dieser Erkundigung hatte Hartley Aussicht, die Reise bis zur Residenz von Haidar Ali, Seringapatam, zurückzulegen, ehe noch die Montreville mit Tippu zusammentreffen konnte, da dieser erst in mehreren Tagen von einem Kriegszuge zurückerwartet wurde. Er konnte sich also dem Herrscher zu Füßen werfen, noch ehe das schändliche Werk vollbracht war. Denn es war kein Zweifel, daß das Werk im besten Zuge war. Wie der Posten sagte, hatte in einer Sänfte eine Feringi – wie die Eingeborenen die Weißen nennen – gesessen, schön wie eine Houri, die als Geschenk für Tippu mitgenommen würde. Und der Begleiter der Begum, der die Kleidung seines Ranges getragen habe, sollte von dem Sohne des mohammedanischen Fürsten Haidar Ali mit einer hohen Würde belohnt werden. Hartley reiste eigentlich aufs Geratewohl. Seine einzige Hoffnung stützte sich darauf, daß jener Fakir, den er einst in Madras von einer schweren Krankheit geheilt hatte, und in dem er einen der geheimen Unterhändler Haidar Alis erkannt hatte, sich in der Hauptstadt befand. Er hatte sich damals gerühmt, großen Einfluß an Haidars Hofe zu haben, und hatte zum Dank für die Heilung Hartley seinen Beistand zugesagt, wenn er sich je einmal in Seringapatam befinde. Vielleicht gelang es ihm, den Mann ausfindig zu machen und durch ihn sein Ziel zu erreichen. Als die Reisenden unterwegs an einer Tränke Rast machten, bot sich Hartley ein Anblick, der ihn nötigte, sein eignes Unglück mit dem andrer zu vergleichen. Nicht weit von dem Bache saß ein Hindu, der sich im Zustande jammervollsten Elendes zu befinden schien. Er war am ganzen Leibe voller wirren Haares und hockte auf einem Tigerfelle. Sein Leib war mit Unrat und Asche bedeckt, seine Haut von der Sonne verbrannt, er trug nichts, als ein paar dürftige Lumpen. Er schien die Fremden nicht zu bemerken, bewegte sich nicht und sprach kein Wort. Er heftete den Blick auf ein kleines rohes Grab, das aus Ziegelsteinen errichtet war. Neben ihm lag ein verrosteter Säbel und die Knochen und der Schädel eines Tigers. Der Führer erzählte ihnen die tragische Geschichte dieses Indiers. Sadhu Sing war als Soldat in die Tochter eines Sepoys verliebt gewesen, er hatte sich eben mit ihr vermählt und wollte sie nach seinem Heime geleiten. Sie ritt auf einem Pferde, während ihr Sadhu Sing und seine Freunde stolz zu Fuß vorangingen. Als sie in die Nähe des Baches kamen, an welchem die Reisenden jetzt rasteten, vernahmen sie plötzlich ein lautes Gebrüll, dem ein Schrei des Entsetzens folgte. Als sie sich umwandten, war die Braut verschwunden, nur das lange Gras der Dschungel schlug noch Wellen, wie das Wasser, unter dem ein Hai dahinschießt. Mit geschwungenem Säbel und wildem Gebrüll stürzte Sabhu dorthin, die andern warteten, starr vor Entsetzen. Ein kurzes Gebrüll des Todes weckte sie aus ihrer Erstarrung. Sie eilten in die Dschungel und fanden Sadhu. In den Armen hielt er den leblosen Leichnam seiner Braut, dicht dabei lag der Kadaver eines Tigers, entseelt durch einen Säbelhieb, wie ihn nur die Verzweiflung zu führen imstande ist. Der Unglückliche grub ein Grab für seine Geliebte, errichtete ihr das rohe Denkmal, das die Reisenden sahen, und hatte seitdem diesen Platz nie mehr verlassen. Die wilden Tiere selber schienen seinen Schmerz zu achten oder ihn zu fürchten. Seine Freunde brachten ihm Speise und Trank. Nie hat er gelächelt oder ein Wort des Dankes gesprochen. Seitdem waren vier oder fünf Jahre verflossen, und der Mann sah aus wie ein Greis, obwohl er noch in der Blüte der Jugend stand. Tief ergriffen von dem Liebesunglück dieses Indiers, setzte Hartley seine Reise fort. Nur zu sehr erinnerte ihn diese Geschichte an das wahrscheinliche Geschick seiner Geliebten, die sich fast schon in den Klauen eines noch furchtbareren Tigers befand, als das Untier gewesen war, dessen Gerippe neben Sadhu Sing lag. Als Hartley in der Stadt angelangt, sich sofort nach der Moschee begab, fand er den Fakir Barak el Hadschi nicht, aber einer der vielen Hindu erklärte sich bereit, sein Anliegen an den heiligen Mann zu bestellen, und kehrte mit der Nachricht zurück: »Wer sehen will, wie die Sonne aufgeht, muß bis zur Dämmerung warten.« Er trug sich in seinem Ungestüm mit dem Gedanken, sich geradenwegs zu dem Fürsten selber zu begeben, aber auf seine Fragen erhielt er den Bescheid, daß Haidar Ali gar nicht in seiner Residenz weile, sondern eines geheimen Unternehmens wegen auf zwei Tage abwesend sei. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als daß er bis zum Abend wartete. Als er sich dann wieder nach der Moschee begab, wurde er von einem jungen Hindu erwartet, der seine Führung übernahm mit den Worten: »Wer sehen will, wie die Sonne aufgeht, muß sich nach Osten wenden.« Hartley war mit der Redeweise der Indier vertraut und folgte sofort seinem Führer, hinter dessen weißgekleideter Gestalt er im Finstern in banger Stimmung herschritt. Nach vielverschlungenem Wege machten sie an einer kleinen Pforte Halt, und der Führer bedeutete dem Arzte, einzutreten, Hartley tat es ohne Zaudern und sah sich in einer kleinen Kammer dem Fakir Barak el Hadschi und einem anderen Fakir gegenüber, der in seinem langen weißen Barte einen sehr würdevollen Eindruck machte und eine Person von großer Heiligkeit zu sein schien. Hartley sprach in achtungsvollstem und bescheidenstem Tone den üblichen Gruß: »Salem aleikum!« Der ihm bekannte Barak el Hadschi schien nicht geneigt, die gleiche Vertraulichkeit anzunehmen, die er ihm seinerzeit in Madras bezeigt hatte. Er warf einen Blick auf seinen älteren Gefährten und wies auf einen Teppich, auf den sich Hartley der Sitte gemäß mit gekreuzten Beinen niedersetzte. Mehrere Minuten lang herrschte tiefes Schweigen. Hartley kannte die Gepflogenheiten des Orients zu gut, um zuerst das Wort zu ergreifen. Er wartete, bis er zum Reden aufgefordert wurde. Dies geschah von seiten Baraks. »Als der Pilger Barak,« sagte dieser, »in Madras wohnte, da waren Augen und Zunge sein. Jetzt aber ist er untertan dem heiligen Vater Scheich Ali ben Kaledun, dem Vorsteher seines Klosters.« Diese Unterwürfigkeit vermochte Hartley nicht mit der früheren Behauptung Baraks, in Seringapatam großen Einfluß zu besitzen, in Einklang zu bringen. Er wandte sich daher an den älteren Fakir und berichtete in kurzen Worten von dem schändlichen Plan, ein englisches Mädchen Tippu Sahib in die Hände zu liefern, sie mit Gewalt zu einer Houri seines Harems zu machen, und ersuchte sie, sich für die Unglückliche bei dem ehrwürdigen Vater des Prinzen zu verwenden. Der ältere Fakir hörte ihn mit unerschütterlicher Ruhe an, regungslos wie ein Holzbild auf den Bittsteller herabblickend. »Glaubt Ihr,« fragte er nach einer Pause, »daß der Nawwab Haidar Ali Chan Vahadur seinem Sohne Nippu, dem Siegreichen, den Besitz einer ungläubigen Sklavin streitig machen wird?« »Der Nawwab ist der Stellvertreter des Propheten«, sagte Hartley und senkte das Haupt. »Er ist der Richter über Niedrige und Hohe und der Ruhm seiner Gerechtigkeit geht von Pol zu Pol.« Eine lange Pause trat ein – der altere Fakir schien von den Worten Hartleys angenehm berührt. »Hast du, Feringi,« fragte er dann, »sonst von einem Verrat gehört, den dieser Kafir (Ungläubige) gegen den Nawwab Bahadur im Schilde führt?« »Von einem Verräter kommt Verrat,« antwortete Hartley, »wenn ich aber bei der Wahrheit bleiben soll, so ist mir ein verräterischer Plan nicht bekannt.« »Wahr sind die Worte dessen,« erwiderte der alte Fakir, »der seinen Feind nur insoweit anklagt, als er die Anklage vertreten kann. Was du gesagt hast, soll dem Nawwab vorgetragen werden. Wer Ausgang wird sein, wie Allah und er es wollen. – Friede sei mit dir!« »Der Segen Allahs geleite dich!« setzte Barak hinzu. Damit war Hartley verabschiedet. Diese Zusammenkunft war nicht dazu angetan, ihn mit Zuversicht zu erfüllen, und als er nach seinem Khan, wie dortzulande die Einkehrhäuser heißen, zurückgekehrt war, hatte er die Überzeugung, daß er auf die Dienste dieser Fakire nicht allzu sicher bauen könne, und faßte ohne Zaudern den Entschluß, auf der Stelle nach Bangalur weiter zu reisen, um dem Fürsten Tippu selber zu Füßen zu fallen und die Rettung seiner Geliebten zu erflehen. Zwanzigstes Kapitel Als er vor dieser schönen und bevölkerten Stadt anlangte, sah er eine Meile etwa vor ihren Wällen ein Lager aufgeschlagen – auf dem Gipfel eines Hügels. Zelte aus Seide und Gold und Speere mit vergoldeten Spitzen und Pfähle mit vergoldeten Kugeln boten ein prächtiges Bild. Dies war das Lager der Begum Muti Mahul, wie die Königin von Saba oder die Madame Montreville bei den Eingeborenen hieß. Hartley ging traurig im Schatten einiger Magnolien auf und nieder, in Gedanken über seine Geliebte und seine eignen Aussichten. Das Bewußtsein, ihr so nahe zusein, erhöhte noch die Bitternis seines Schmerzes, denn hier erst war es ihm so recht klar, wie gering die Hoffnung war, sie retten zu können. Ein Liebhaber von romantischer Sinnesart wäre vielleicht auf den Gedanken gekommen, sie durch List oder Gewalt zu retten, aber Hartley war zwar ein mutiger Mann, hatte aber keinen Hang zu Abenteuern und würde jeden derartigen Gedanken von sich gewiesen haben. Wahrend er noch in solche Gedanken versunken, auf und ab ging, riß ihn Geschützdonner, der von den Bastionen der Stadt herunterklang, aus seiner Schwermut. Gleichzeitig sah er von Norden her eine Schar Reiter heransprengen, durch den Staub hindurch erkannte er auch Elefanten und königliche Banner, und konnte nun nicht mehr länger im Zweifel sein, daß er hier die Rückkehr Tippu Sahibs mit ansah. Aus der Stadt scholl lauter Jubel herüber, während der ganze Schwarm zu den Toren hineinbrauste. Bald darauf ritten Boten ins Lager der Begum und meldeten ihr, daß der Fürst zum Orte der Zusammenkunft seinen Garten vor der Stadt bestimme und daß die Zusammenkunft stattfinden sollte zur Mittagszeit des folgenden Tages. Dies war die Antwort auf die Anfrage der Boten der Begum, die den Fürsten vor seinem Palast kniend erwartet hatten. Genau zur Mittagsstunde des nächsten Tages verkündete Kanonendonner, daß Tippu seinen Elefanten bestiegen habe. Der tiefe Klang der Staatstrommel tönte weithin. Dann kam zu den Toren hinaus die feierliche Prozession in all der überschwenglichen Pracht des Orients. Tippu selber ritt reich geschmückt auf seinem Elefanten in einer aus Silber und Gold kostbar gearbeiteten Sänfte. Hinter ihm ritt die große Schar der Hofschranzen, die alle aufs glänzendste gekleidet waren. Kaum war der Prinz Tippu, in den fürstlichen Gärten angelangt, von seinem Elefanten gestiegen und hatte in seinem Staatspavillon sich auf den Thron niedergelassen, so nahte auch schon die stattliche Gestalt der Begum sich dem Orte der Zusammenkunft. Da ihr Elefant an den Toren zurückgelassen worden war, ließ sie sich in einer offnen Sänfte von sechs Sklaven tragen. Sie war in Seide und über und über mit reichem Zierat beladen. Als General der Begum schritt neben ihrer Sänfte Richard Middlemas. Er war in der Tracht eines indischen Höflings. Die Sänfte machte Halt, als sie vor dem Throne Tippus angelangt war. Das Geleit der Begum, das einen prächtigen Aufzug bildete, bestand nur aus Männern, und dem Anschein nach war keine Frauensperson in ihrem Gefolge. Nur eine geschlossene Sänfte erregte Aufsehen, die von zwanzig schwarzen Sklaven mit gezogenen Säbeln bewacht wurde. Als Tippu durch den dünnen Sprühregen des Springbrunnens, der vor seinem Pavillon eine kristallne Säule aufsteigen ließ, die Sänfte der Begum sich nähern sah, erhob er sich von seinem Thron und ging ihr bis zum Fuße seines Sessels entgegen. Dort wurden die üblichen feierlichen Begrüßungen ausgetauscht. Alsdann geleitete er sie zu dem Kissen, das neben seinem Sessel in seltener Ehrerbietung für sie hingebreitet war. Die Höflinge Tippus machten den Höflingen der Begum Platz, und alle ließen sich auf dem Teppich, die Beine kreuzend, nieder, Middlemas nahm hierbei einen Ehrenplatz ein. Weiter hinten standen die Leute geringerer Bedeutung, und unter sie hatte Hartley sich gemischt. Unmöglich ließen sich die Gefühle beschreiben, die Hartley beim Anblick des abtrünnigen Middlemas und der Frau Montreville empfand. Er fühlte den Mut in sich, mitten unter die Versammlung zu treten und an eine Gerechtigkeit zu appellieren, die im ganzen Lande sprichwörtlich sei. Der Prinz hatte inzwischen in leisem Tone mit der Begum gesprochen, jetzt schloß er mit deutlich vernehmbarer Stimme: »Um die Dienste zu lohnen, die uns die mächtige Begum Matti Mahul, die schön ist wie der Mond und weise wie die Tochter Dschemschids, und ihr General uns erwiesen haben, nehmen wir auf ihr Gesuch hin diesen ihren General als einen unsers Vertrauens würdigen Helden in unsre Dienste und belehnen ihn mit der Würde des Kommandanten in unsrer geliebten Hauptstadt Bangalur.« Kaum waren diese Worte verklungen, als sich aus dem Haufen des herumstehenden Volkes eine Stimme vernehmen ließ, die laut rief: »Verflucht sei der, der den Räuber zum Schatzmeister macht und der den Abtrünnigen zum Herrscher über Moslemin erhebt!« Mit unsäglicher Freude, aber doch vor Angst und banger Spannung bebend, erkannte Hartley die Stimme des älteren Fakirs. Tippu schien sich an diese Unterbrechung nicht zu kehren. Er betrachtete sie als die Verrücktheit eines frommen Eiferers, denen die mohammedanischen Fürsten große Freiheiten gestatten. Als die Ruhe wieder eingetreten war, erhob sich Middlemas, verneigte sich vor dem Prinzen und sprach in einer auswendig gelernten Rede seine Unwürdigkeit zu dem ihm erteilten Amte aus und erklärte seinen Eifer und seine Hingebung für den Fürsten. Er war im Begriff, noch etwas hinzuzusetzen, aber die Sprache versagte ihm hier, er stammelte und verstummte. Rasch fiel ihm die Begum ins Wort. »Mein Befehlshaber wollte sagen,« rief sie, »daß ich nicht in der Lage bin, für eine so große ihm übertragene Ehre zu danken, ich kann nur bitten, Eure Hoheit möge sich herablassen, eine Lilie aus Frangistan anzunehmen, die in dem fernsten Winkel Eures Harems zu Eurer Lust bereit sein soll. Die Wachen meines Gebieters mögen die Sänfte dort wegtragen.« Der Schrei einer weiblichen Stimme ließ sich vernehmen. als die Wachen Tippu Sahibs auf seinen Wink hin an die Sänfte traten. Da erklang von neuem die Stimme des alten Fakirs lauter und grimmiger als zuerst. »Verflucht ist der Fürst, dem die Gerechtigkeit um Wollust feil ist. Er wird fallen in seinen Toren unter dem Schwerte des Fremden.« »Das ist zu unverschämt!« fuhr Tippu auf. »Bringt diesen Fakir her, die Peitschen sollen ihm den Rücken zerfleischen!« Aber die Diener, die hinzueilten, den Befehl des Tyrannen auszuführen, stürzten vor dem Fakir zu Boden wie vor dem Engel des Todes. Er warf seine Kapuze und seinen falschen Bart von sich, und das wütende Antlitz Tippus zeigte sofort den Ausdruck der Unterwürfigkeit, als es dem finstern und furchtbaren Auge seines Vaters begegnete. Einundzwanzigstes Kapitel Auf einen Wink Haidar Alis stieg Tippu vom Throne herab, den nun der Vater einnahm, der an Stelle des zerrissenen Kaftans einen purpurnen Mantel und den königlichen Schmuck anlegte. Rings in der Versammlung und in der Menge wurde der Zuruf laut: »Heil dem Guten, dem Weisen, dem Entdecker verborgener Dinge, der unter die Seinen tritt, wie die Sonne durch die Wolken bricht.« Der Nawwab gebot zuletzt Schweigen, dann schaute er majestätisch um sich und sah auf Tippu, der mit zu Boden gesenktem Blick und gekreuzten Armen, wie eines Urteils harrend, vor ihm stand. Seine Haltung bot jetzt einen starken Gegensatz zu dem stolzen Herrscherwesen, daß er eben noch zur Schau getragen hatte. »Du hast die Sicherheit,« sagte der Nawwab zu ihm, »die Sicherheit deiner Hauptstadt verkauft um den Besitz einer weißen Sklavin, allein auch Salomo hat die Schönheit eines Weibes zum Straucheln gebracht. Wie hätte der Sohn Haidar Alis der Versuchung widerstehen können? – Damit aber die Menschen hell sehen, müssen wir das Licht entfernen, das ihnen die Augen blendet. – Das Feringi-Weib muß mir überlassen werden.« »Hören ist gehorchen«, antwortete Tippu. »Übergebt es dort dem Feringi Hartley, der es zurückbringen mag in sein Land. Das Geleit, das ich ihnen mitgebe, bürgt mit den Köpfen für ihre Sicherheit. – Was dich betrifft, Tippu, so bin ich nicht gekommen, vor dieser hohen Versammlung dir das Wort zu nehmen. Was du dem Feringi versprochen hast, sollst du erfüllen. Die Sonne nimmt den Glanz nicht zurück, den sie dem Mond gegeben, der Vater verdunkelt nicht die Würde, die er dem Sohne übertragen. Was du verheißen hast, vollbringe!« Die Feierlichkeit der Amtserteilung nahm ihren Fortgang. Middlemas unterzog sich ihr mit klopfendem Herzen und hegte noch die geheime Hoffnung, daß er den Vater wie den Sohn hintergehen könnte. Die Höflinge brachten dem neuernannten Killedar ihre Glückwünsche dar, und priesen die kluge Wahl Tippu Sahibs. Nun kam das bei solchen Gelegenheiten in Indien übliche Geschenk, ein Elefant, den der neue Kommandant besteigen sollte. Das gigantische Tier stand vor dem Pavillon, schüttelte den riesigen, runzligen Kopf und hob und senkte ungeduldig den gewaltigen Rüssel. Richard Middlemas, sehr zufrieden mit der Audienz, war im Begriff, den Elefanten zu besteigen und wartete, am Halses des Tieres stehend, daß der Führer es niederknien ließe, als Haidar Ali die Hand hob. »Halt, Feringi,« sagte er, »dir ist alles geworden, was die Güte Tippus dir verheißen. Empfange nun auch den wohlverdienten Lohn Haidars.« Mit diesen Worten winkte er mit dem Finger, und der Führer des Elephanten ließ dem so gegebenen Befehle sogleich die Tat folgen. Das Ungetüm schlang den mächtigen Rüssel um den Hals des unglücklichen Europäers, hob ihn empor, schleuderte ihn zu Boden, stampfte ihm den großen unförmigen Fuß auf die Brust und machte so mit eins seinem Leben und seinen Freveltaten ein Ende. Der Schrei, den das Opfer ausstieß, fand ein Echo in dem Kreischen, das hinter dem Schleier der Begum hervordrang. Zweiundzwanzigstes Kapitel Die Höflinge saßen in tiefem Schweigen. Tippu aber, auf dessen weißes Gewand ein paar Blutflecke gespritzt waren, hielt dieses furchtbare Zeichen der vollzogenen Hinrichtung, seinem Vater hin und rief: »Vater, Vater, hältst du so dein Versprechen?« »Wisse, schönster Knabe,« erwiderte Haidai Ali, »der dort als Leichnam liegt war beteiligt an einer Verschwörung, durch die Batigalur den Feringis ausgeliefert werden sollte. Die Begum hat uns davon in Kenntnis gesetzt, und nur deshalb mag ihr verziehen sein, daß sie im Anfang daran teilnahm. – Bringt diesen leblosen Klumpen weg.« Dann wandte er sich an Hartley. »Feringi,« sagte er, »kehre zurück mit der Entführten und sage deinem Volke, daß Haidar Ali gerecht ist.« Hartley erreichte glücklich mit dem ihm anvertrauten teuern Gute die Küste. Er hatte seine Geliebte von einem furchtbaren Schicksal errettet, als schon keine Hoffnung mehr auf Rettung zu sein schien. Aber Marie Grays Gesundheit hatte unter den Schrecknissen der letzten Tage zu sehr gelitten. Sie verfiel in eine Nervenkrankheit, an der sie lange Zeit darniederlag und von der sie sich nie wieder ganz erholte. Was aus der Begum Montreville geworden ist, ist nicht bekannt. Ihr ganzes Besitztum würde von Haidar Ali konfisziert, sie soll Macht und Einfluß völlig verloren haben und später an Gift gestorben sein. Ob sie es sich selbst beibrachte oder ob ein andrer es ihr in mörderischer Absicht reichte, läßt sich nicht sagen. Der Leser dürfte als natürlichen Schluß erwarten, daß Marie Gray ihren Retter Hartley heiratete, aber ihre Gesundheit war viel zu sehr erschüttert, als daß sie an eine eheliche Verbindung hätte denken können. Vielleicht hätte die Zeit alles wieder geheilt und zu diesem Ende geführt, aber zwei Jahre nach den Abenteuern in Maisur fiel der mutige und, uneigennützige Hartley seiner Unerschrockenheit als Arzt zum Opfer: er starb an der Pest. Marie Gray ehrte sein Andenken und entsagte jedem Gedanken, jemals noch einem andern die Hand zu geben, die er so wohl verdient und – man kann wohl sagen – auch errungen hatte. Sie kehrte nach England zurück und lebte zurückgezogen und einsam. Ihr Dasein schien sich abzuspielen wie das der römischen Matronen, das in einer antiken Grabschrift mit den Worten gekennzeichnet wird: Domi mansit – lanam fecit [Sie blieb zu Hause und spann Wolle]